DER CICERONE . EINE ANLEITUNG ZUM GENUSS DER KUNSTWERKE ITALIENS . VON JACOB BURCKHARDT. Hæc est Italia Diis sacra. PLIN. H. N. BASEL, SCHWEIGHAUSER'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG. 1855. AN FRANZ KUGLER IN BERLIN. D ie Frucht eines abermaligen längern Aufenthaltes in Italien, welche ich Dir, liebster Freund, hier überreiche, gehört Dein von Rechtes wegen. Ich könnte sie Dir widmen, weil ich vier Jahre in Berlin als ein Kind deines Hauses gelebt und grosse Arbeiten von Dir anvertraut erhalten habe, oder weil ich überhaupt den besten Theil meiner Bildung Dir verdanke; am liebsten aber soll diese Widmung Dich erinnern an unsere friedlichen Spaziergänge durch den sommerlichen Flugsand wie durch die Winternässe und den Schnee eurer Umgegend. Ich weiss, dass mir nichts mehr die geistige Mittheilung ersetzen wird, deren ich damals theilhaftig wurde. Auch in diesem Buche ist das Gute, was man finden mag, eine Frucht Deiner Anregung. Für das Übrige wünsche ich selber verantwortlich gemacht zu werden. Du siehest, wie ich mit unserer schon etwas bejahrten ästhetischen Sprache ge- kämpft habe, um ihr ein eigenthümliches Leben abzugewinnen, wie aber die Nothwendigkeit des gedrängten Aufzählens und die Gleichartigkeit der Kunstwahrnehmungen mich zu manchen leblosen Stellen und zu einigen stereotypen Ausdrücken gezwun- gen hat. Dafür weisst auch Du allein, wo und wie oft hier Gedanken und Betrachtungen, die mir am Herzen liegen, dem Zweck und der Kürze des Buches zu Gefallen unterdrückt oder nur in flüchtiger Andeutung gegeben worden sind. Ebenso er- räthst Du hinwiederum am Besten die wirklichen Lücken, welche in der Befangenheit meines Urtheils und in dem anfänglichen Schwanken über den Plan des Werkes ihren Grund haben. Jetzt, da es fertig vor mir liegt, empfinde ich deutlich, dass ein solches Unternehmen nicht bloss einen Schreibenden, son- dern einen theilnehmenden Reisegefährten verlangen würde, mit welchem Thatsachen und Urtheile durchgesprochen und darauf hin geprüft werden müssten, ob sie genau richtig und ob sie an der betreffenden Stelle nothwendig sind. Zwar hatte ich mannigfach das Glück, in der Unterredung mit geistvollen und strebenden Künstlern Aufklärung und Ermunterung zu finden; in welchen Partien ich denselben am meisten verdanke, kann Dir am wenigsten ein Geheimniss bleiben. Aber es verging kein Tag, da ich nicht empfunden hätte, welche ganz andere Gestalt eine fortdauernde Berathung mit Dir dem Geschriebe- nen geben würde. Mögest Du, liebster Freund, wenn Dich Dein Weg noch einmal nach Italien führt, in diesem Stationenbuch wenigstens Deine Schule gerne wiedererkennen. VORREDE. D ie Absicht des Verfassers ging dahin, eine Übersicht der wichtigern Kunstwerke Italiens zu geben, welche dem flüchtig Reisenden rasche und bequeme Auskunft über das Vorhandene, dem länger Verweilenden die nothwendigen Stylparallelen und die Grundlagen zur jedesmaligen Local- Kunstgeschichte, dem in Italien Gewesenen aber eine an- genehme Erinnerung gewähren sollte. Absichtlich ausge- schlossen blieb alles bloss Archäologische. Im Einzelnen wird man sehr verschiedene Gesichtspunkte befolgt finden; oft durfte ich nur eine erläuternde Bemerkung, eine ge- schichtliche Notiz, oft auch nur Inhalt und Ort angeben; das Beschreiben war nur in so weit meine Aufgabe, als es dazu dienen konnte, auf wesentliches Detail aufmerksam zu machen, oder die Auffindung und Erkennung der be- treffenden Gegenstände zu erleichtern; sonst rechnete ich durchgängig darauf, dass der Leser das in Rede Stehende gesehen habe oder sehen werde. In den Ortsbestimmungen suchte ich so deutlich und vollständig zu sein als bei dem Umfang des Werkes möglich war Die Ausdrücke „rechts“ und „links“ sind immer im Sinne des Kommenden gebraucht, also z. B. in Kirchen nicht vom Hoch- altar, sondern vom Portal aus verstanden. Das Portal ist immer das der Hauptfronte, wo das Gegentheil nicht ausdrücklich be- merkt wird. . Nun ist es meine erste Pflicht, die wesentlichsten Lücken des Werkes zu bezeichnen. Diejenigen Orte und Gegen- den, welche ich entweder gar nicht, oder nur auf flüchti- ger Durchreise, oder in unreifem Alter besucht habe, sind folgende: Turin und ganz Piemont. Cremona, Lodi, Pavia. Mantua, Treviso, Udine. Imola, Faenza, Cesena, Rimini. Pesaro, Urbino, Loreto. Volterra, S. Gimignano, Monte oliveto, Pienza. Subiaco, Palestrina. Vom Königreich Neapel alles was südlich über Pästum, östlich über Capua und Nola hinaus liegt. Sodann sind ganze Gattungen von Kunstgegenständen übergangen, entweder weil das Interesse daran ein allzu specielles ist (die etruskischen Alterthümer), oder weil nor- dische Sammlungen für das betreffende Fach ungleich wich- tiger erscheinen (die ägyptischen Sculpturen), oder weil die Gegenstände sehr beweglich, oder schwer sichtbar und nur für ein besonderes Studium ergiebig sind (Sammlungen von Kupferstichen, Gemmen und Münzen; auch viele Pri- vatsammlungen von Gemälden). Die Miniaturen der Hand- schriften liess ich weg, weil deren häufige Besichtigung ihren Untergang beschleunigt. Endlich wird es nicht be- fremden, dass die ganze Darstellung nicht über das Ende des vorigen Jahrhunderts herabreicht. Für die moderne Kunst bringt fast Jedermann feste Massstäbe mit. Die Anordnung des Buches, an welche sich der Leser mit Hülfe des sorgfältigen Registers bald gewöhnen wird, war die einzig mögliche, wenn der Hauptzweck, die Be- handlung der Denkmäler nach ihrem Kunstgehalt und ihren Bedingungen, auf so engem Raum erreicht werden sollte. Für schnelle Orientirung sorgen die Reisehandbücher, deren trefflichstes, von Ernst Förster , auch mir an manchen Stellen von grossem Nutzen gewesen ist. — Das Raisonne- ment des „Cicerone“ macht keinen Anspruch darauf, den tiefsten Gedanken, die Idee eines Kunstwerkes zu verfol- gen und auszusprechen. Könnte man denselben überhaupt in Worten vollständig geben, so wäre die Kunst überflüs- sig und das betreffende Werk hätte ungebaut, ungemeisselt, ungemalt bleiben dürfen. Aber auch bis an die erlaubten Grenzen bin ich nicht gegangen; schon die nothwendige Kürze verbot diess. Das Ziel, welches mir vorschwebte, war vielmehr: Umrisse vorzuzeichnen, welche das Gefühl des Beschauers mit lebendiger Empfindung ausfüllen könnte. Mit mancherlei Ungleichheiten der Darstellung wird man Nachsicht üben bei einem Buche, welches zu zwei Drittheilen während der Reise geschrieben wurde. Den Styl gebe ich Preis. Mancher Satz wurde überfüllt, damit der Band nicht um ein paar Bogen dicker und schwerer gerathe als er leider schon ist. — Wenn ich etwas häufig in der ersten Person rede, so geschieht diess fast aus- schliesslich, um zu bekennen, dass ich dieses oder jenes Kunstwerk nicht gesehen habe, oder um irgend eine von der Tradition abweichende Ansicht pflichtgemäss zu vertreten. Bei der Architektur habe ich mich nur im seltensten Fall der Kupferwerke und Abbildungen bedient. (Z. B. bei Anlass der Kirche von Montepulciano.) Es bleibt bedenk- lich, auch nach den besten Abbildungen auf den Eindruck zu schliessen, den das Nichtgesehene vermuthlich machen müsse. Gerne hätte ich z. B. aus den Werken von Per- cier und Fontaine eine Nachlese gehalten, namentlich für das Capitel von den römischen Villen, wo dann jene ver- führerische kleine Villa Sassetti jenseits Monte Mario ein- zureihen gewesen wäre. Allein es hätte mir begegnen können von Anlagen zu sprechen, deren eine Hälfte schon vom Zeichner ergänzt, deren andere Hälfte aber jetzt ohne- diess nicht mehr vorhanden ist. Die Decoration des Renaissancestyls hat hier einen eigenen Zwischenabschnitt erhalten, damit nicht die Dar- stellung der sämmtlichen drei Künste beständig durch dieses vierte Element unterbrochen würde. Wen dasselbe nicht interessirt, der braucht nur im Register die mit D. bezeichneten Citate zu überschlagen. In dem Abschnitt über Sculptur sind die Antiken vor- herrschend nach demjenigen System geordnet, welches dem zweiten Theil von Ottfried Müllers „Archäologie“ zu Grunde liegt. Das betreffende Stück ist hauptsächlich für die Vie- len geschrieben, welche zwar mit genussfähigem Auge be- gabt, allein nur auf ganze, harmonische Eindrücke vorbe- reitet und dem Fragmentarischen und Bedingten (das hier so sehr vorherrscht) abgeneigt sind Das Werk Braun ’s: „Die Ruinen und Museen Roms“ ist nur für wenige Stellen benützt worden, welche ohne Ausnahme mit der Chiffre [Br.] bezeichnet sind. Ich halte es für Unrecht, ein neues Buch dieser Art umständlich auszubeuten, vollends wenn diess ohne Nennung des Verfassers geschieht. — An das Schick- sal eines gewissen Autors in der Viola del pensiero, Jahrgang 1839, will ich gar nicht erinnern. . — Bei der neuern Sculptur ist der Abschnitt über den Barockstyl (wie die entsprechenden Abschnitte der beiden andern Künste) etwas lang ausgefallen. Allein es erscheint mir als Thatsache, dass eine genaue und besonnene Mitbetrachtung dieser Epoche den Genuss der vollkommenen Werke der golde- nen Zeit wesentlich steigern hilft. Allerdings gilt diess nur für uns Laien, denn der Künstler soll eigentlich nur das Beste anschauen. Bei der Malerei konnte es am wenigsten meine Auf- gabe sein, den geistigen Inhalt erschöpfen zu wollen, der ja quantitativ unendlich reich sein kann; ich durfte nur der Betrachtung hie und da die Wege weisen und auf die Voraussetzungen hindeuten, unter welchen das einzelne Werk zu Stande kam. In den Namengebungen, deren Kri- tik überhaupt nicht Sache dieses Buches ist, folge ich den gewöhnlichen Annahmen, wo nicht meine besondere An- sicht als solche gegeben wird. — Für diejenigen endlich, welchen nur das Rarste und Unzugänglichste Freude macht, ist hier wenig gesorgt. Solche suchen im Grunde nicht die Kunst, sonst würde ihnen das vermeintlich Allbekannte mehr zu denken geben. Möge dieses kleine dicke Buch mit seinem bunten In- halt als ein nicht unerwünschter Reisebegleiter erscheinen. Wenn es, weit entfernt alle Wünsche zu befriedigen, wenig- stens Vielen Etwas gewährt, so wird der Verfasser glau- ben, nicht umsonst gearbeitet zu haben. ÜBERSICHT DES INHALTES. ARCHITEKTUR MIT INBEGRIFF DER DECORATION. Antike Architektur. Die Tempel von Pästum S. 1. — Die antiken Säulen- ordnungen bei Griechen und Römern 7. — Die neuen Elemente der römischen Architektur 10. — Römische Bauten dorischer 14, ionischer 16, korinthischer Ord- nung 17. — Das Pantheon 17. — Die übrigen Tempel 20. — Tempelfragmente 27. — Grabmäler 28. — Ehrendenkmäler 31. — Obelisken 32. — Triumphbogen 32. — Thore 35. — Nutzbauten 37. — Foren 38. — Basiliken 39. — Theater, Amphitheater und Cirken 42. — Thermen 46. — Nympheen 51. — Häuser, Villen und Paläste 52. Pompejanische Wanddecoration S. 58. Marmorne Prachtgeräthe S. 66. Eherne Geräthe S. 69. — Irdene Gefässe etc. 73. Altchristliche Architektur. Grundzüge des Basilikenbaues S. 74. — Ba- siliken zu Rom 81. — Zu Ravenna 85. — Im übrigen Italien 86. — Der Cen- tralbau . Die Baptisterien 89. — Die Grabkirchen 92. — Die Kirchen von centraler Anlage S. 93. Decoration des altchristlichen Styles bis auf die Cosmaten S. 95. Romanische Architektur. Bauten in Pisa S. 99. — Schiefbau und Bau- ungleichheiten 103. — Bauten in Lucca 107. — Im übrigen Toscana 108. — In Florenz S. 109. Kirchen von Genua S. 112. Bauten von Venedig S. 113. Das übrige Oberitalien S. 118. — Mark und Umbrien 123. Germanische Architektur. Kirchen des vorherrschend nordischen Styles 125. — Des eigentlich italienisch-germanischen Styles 130. — Umbildung des Pfeilers 137. — Nic. Pisano 137. — Arnolfo 140. — Nachfolger 143. — Mittel- italien 146. — Bologna 147. — Oberitalien 148. Profanbau . Oberitalien S. 153. — Toscana 157. — Übriges Italien 161. — Schlösser 162. Decoration des german. Styles S. 163. Architektur der Frührenaissance. Deren Eigenschaften S. 168. — Hülfs- mittel zu deren Kenntniss 172. — Brunellesco 174. — Michelozzo 178. — Alberti 182. — Siena 183. — Florentiner bis auf Cronaca 185. — Pisa 190. — Umbrien etc. 191. — Rom 192. — Neapel 195. — Genua 197. — Herzogthum Mailand, frühe Bauten des Bramante 199. — Piacenza, Parma, Bologna, Ferrara 204. — Venedig, die Lombardi 213. — Padua 223. — Vicenza, Verona, Brescia, Ber- gamo 224. Decoration der ganzen Renaissance . Übersicht S. 228. — In Stein und Me- tallguss 232. — In Holz 257. — Prachtgegenstände; Styl des Benvenuto Cellini 272. — Majoliken S. 275. — Gemalte Decoration; Einfassungen von Fresken, Gewölbeverzierung etc. 276. — Rafaels Loggien 283. — Andere Decorationen desselben 285. — Seine Gehülfen und Schüler 286. — Spätere Arabesken und Stuccaturen 290. — Fassadenmalerei 292. Architektur der Hochrenaissance. Ihr Fortschritt S. 299. — Bramante’s römische Zeit 303. — Rafael als Architekt 309. — Giulio Romano 310. — Peruzzi 311. — Sangallo d. j. 315. — Baccio d’Agnolo etc. 316. — Paduaner und Vero- neser 319. — Jacopo Sansovino und Schule 324. — Michelangelo 329. — S. Peter in Rom 334. Architektur von 1540 bis 1580. Vignola S. 341. — Vasari 343. — Am- manati 345. — Andere Florentiner 346. — Pellegrino und die Mailänder 347. — Genua; Galeazzo Alessi und der genuesische Palastbau S. 348. — Palladio 355. — Dessen Nachfolger 364. Architektur und Decoration des Barockstyls S. 366. Villen und Gärten S. 399. SCULPTUR. Antike Sculptur. Herkunft, Restaurationen S. 409. — Tempelstyl 414. — Etruskische Kunst 417. Aufzählung nach Typen und Gegenständen . Zeus S. 418. — Serapis, Askle- pios 420. — Poseidon u. a. Wassergötter 421. — Bärtiger Bacchus 422. — He- rakles 423. — Dioskuren 425. Hera S. 426. — Demeter und Isis 428. Ares S. 429. — Hermes 430. — Athleten 433. — Krieger 435. — Jäger 437. Pallas S. 438. — Roma etc. 440. — Amazonen 441. Apoll S. 442. — Artemis 446. Aphrodite S. 448. — Nymphen etc. 454. — Flora 457. — Leda 458. — Musen 458. — Weibliche Gewandstatuen 462. — Kanephoren und Karyatiden 467. Eros S. 468. — Paris und Ganymed 469. Dionysos S. 470. — Sein Gefolge 473. — Tritone u. a. Meergottheiten 483. Hermaphrodit S. 485. — Antinous 486. — Fremdgottheiten etc. 487. Barbaren 488. — Kinderfiguren 492. — Statuetten. — Gruppen 498. Bildnisse. Griechen 509. — Römische Imperatoren 516. — Andere Römer 522. Masken S. 528. — Thiere 531. Reliefs griechischen Ursprungs S. 537. — An den röm. Kaiserbauten 544. — Sarcophage 546. — Gemmen etc. 550. Sculptur des Mittelalters. Ihre Bedingungen S. 552. — Altchristliches 554. — Romanischer Styl 560. — Niccolò Pisano 563. — Germanischer Styl 566. — Giov. Pisano und Schule 567. — Giotto 572. — Andrea Pisano 573. — Sie- nesen 574. — Orcagna 575. — Venedig 577. — Genua und Neapel 583. Sculptur des XV. Jahrhunderts. Ghiberti S. 586. — Die Robbia 589. — Brunellesco 595. — Donatello 596. — Verocchio 602. — Andere Florentiner 603. — Pisa 611. — Quercia und Schule S. 612. — Römische Grabmäler etc. 614. — Genua 618. — Venedig; Bartolommeo, die Bregni, Lombardi und Leopardo 619. — Padua 628. — Übriges Oberitalien 630. — Mazzoni 635. Sculptur des XVI. Jahrhunderts S. 637. — Andrea Sansovino 639. — — Rafael 641. — Tribolo 642. — Versch. Florentiner 644. — Begarelli 645. — Alf. Lombardi etc. 649. — Jacopo Sansovino und Schule 652. — Cap. del Santo in Padua 661. — Giov. da Nola und Schule 663. — Michelangelo 665. — Mon- torsoli, della Porta, Clementi etc. 676. — Bandinelli 680. — Ammanati, Giov. Bo- logna und Schule 682. — Römer 688. Sculptur des Barockstyls S. 690. MALEREI. Altchristliche und byzantinische Malerei. Die Catacombenbilder S. 727. — Mosaiken 728. — Die altchristlichen 731. — Die byzantinischen 734. — Tafel- bilder, Stickereien etc. 738. Romanische Malerei. Ihre Ursprünge S. 740. — Verhältniss zur byzan- tinischen 742. — Siena, Pisa, Florenz bis auf Cimabue und Duccio 743. — Rom und Neapel 747. Germanische Malerei. Die Künstler S. 748. — Aufzählung der Denkmale 749. — Charakter der Schule Giotto’s 757. — Altarwerke 774. — Crucifixe 776. Schule von Siena S. 777. Die mittelbaren Giottesken . Bologna etc. S. 780. — Padua; d’Avanzo 782. — Mark Ancona; Gentile da Fabriano 785. — Venedig; die Muranesen 786. — Neapel 787. Fra Giovanni da Fiesole S. 787. Malerei des XV. Jahrhunderts. Ihre neue Richtung S. 793. — Bedeu- tung des Fresco 796. Florentiner . Masaccio 798. — Lippo Lippi 800. — Sandro 801. — Filippino 802. — Cosimo Rosselli etc. 803. — Uccello und Benozzo 804. — Dom. Ghirlan- dajo 805. — Castagno, Verocchio, Credi 807. — Signorelli 808. — Die untere Bilderreihe der Sistina 810. Paduanische Richtung . Squarcione und Schule S. 811. — Alte Ferraresen 812. — Mantegna 815. — Melozzo 817. — Vicentiner, Veroneser, Mailänder, Genuesen 817. — Modena und Parma 820. — Paduanisch gebildete Venezianer 821. Selbständige Venezianer . Schule des Giovanni Bellini S. 822. — Carpaccio, Basaiti u. A. 828. Sienesen und Umbrier S. 830. — Alunno 832. — Pietro Perugino 833. — In- gegno, Pinturicchio, Spagna u. A. 836. Mark und Bologna . Die Francia S. 840. — Die Aspertini 843. Neapel S. 843. — Zingaro und Schule 844. Altniederländische und altdeutsche Meister S. 845. Glasmalerei S. 855. Malerei des XVI. Jahrhunderts S. 858. Lionardo da Vinci S. 859. — Porträtmalerei vor ihm 860. — Seine Werke 861. — Seine Schüler. Bernardino Luini u. A. 866. — Gaudenzio Ferrari 869. — Die Halbfigurenmaler 870. Michelangelo S. 870. — Ausführungen seiner Schüler 878. Fra Bartolommeo S. 880. — Schüler 883. Andrea del Sarto S. 884. — Schüler 888. — Florentinische Zeitgenossen 889. Rafael S. 890. — Peruginische Zeit 891. — Florentinische Zeit; Andachts- bilder 893. — Porträts 896. — Grablegung 897. — Römische Zeit; Madonnen u. heil. Familien 898. — Vision Ezechiels 903. — Heil. Cäcilia 904. — Trans- figuration 905. — Porträts 907. — Unsichere Bilder 910. — Fresken der vati- canischen Zimmer 910. — Loggien des Vaticans 925. — Tapeten 928. — Jesajas und Sibyllen 930. — Capella Chigi 931. — Fresken der Farnesina 932. Schüler. Giulio Romano S. 935. — Perin del Vaga 937. — Andrea da Sa- lerno 938. — Polidoro u. s. neapol. Nachfolger 939. Schüler Francia’s und Ferraresen unter Rafaels Einwirkung S. 939. — Ga- rofalo 941. — Dosso Dossi 943. Schule von Siena unter Rafaels Einwirkung S. 944. — Sodoma 945. — Pac- chiarotto 947. — Beccafumi 948. — Peruzzi 949. Veroneser; Caroto, Cavazzola, Giolfino S. 949. Coreggio S. 950. — Staffeleibilder 953. — Fresken 955. — Seine Schule 958. Venezianer S. 960. — Giorgione 961. — Seb. del Piombo 963. — Palma vec- chio 965. — Marconi und Lotto 966. — Tizian 967. — Seine Schule; Bonifazio 976. — Brescianer; Moretto 978. — Moroni 979. — Romanino 980. — Die Por- denone 981. — Paris Bordone 982. — Spätere Generation; Tintoretto 983. — Paolo Veronese 986. — Jac. Bassano und seine Söhne 989. — Ausgang der Schule 990. Die Malereien der Staatsräume im Dogenpalast S. 990. Manieristen S. 994. — Florentiner, Römer und Neapolitaner 996. — Die Bessern 998. — Genua; L. Cambiaso 1000. — Mailand 1001. — Ferrara und Bologna 1002. Moderne Malerei S. 1003. — Übersicht nach Schulen 1005. — Die Flo- rentiner 1006. — Die Naturalisten etc. 1009. — Die Formenbildung der einzelnen Schulen und Meister 1011. — Das Colorit 1014. — Die Niederländer in Italien 1019. — Die Spanier 1022. — Die Auffassung; Zurücktreten des architektonischen Elementes 1024. — Der Affect in der biblischen Geschichte 1026; — in den Le- genden 1030; die Marterbilder 1031. — Das Ceremoniöse 1033. — Der Affect in den Einzelfiguren 1034. — Ekstasenmalerei 1037. — Das Vorwiegen der Glo- rien und Visionen 1039. — Die Fresken der Kuppeln und Gewölbe 1041. — Pro- fanmalerei 1044. — Genre 1048. — Schlachten 1049. — Landschaft 1050. ARCHITEKTUR. D ie Baukunst beginnt in Italien viel früher als bei den Tempeln von Pästum mit welchen wir hier den Anfang machen. Schon die Urvölker, dann das durch Einwanderung entstandene Mischvolk der Etrusker haben Bauten hinterlassen, welche nicht bloss durch Massenhaftigkeit, sondern auch schon durch Anfänge eines hö- hern Formgefühles ausgezeichnet sind. Allein in ihrem jetzigen Zu- stande gehören sie doch mehr der Archäologie an; sie liegen meist seitab von den üblichen Strassen und sind auch dem Verfasser dieses Buches grösstentheils unzugänglich geblieben. Ueberdiess ist zwischen ihnen und den Bauten der vollendeten antiken Kunst eine grosse Lücke. Der Zweck unseres Buches verlangt, dass wir sie übergehen um uns auf solche Denkmäler zu beschränken, in welchen die höhere Kunst- form das Wesentliche, der Hauptausdruck der monumentalen Absicht ist. Welchem Gebäude des italischen Festlandes hier die erste Stelle gebührt, darüber wird wohl kein Zweifel herrschen. Von den drei erhaltenen Tempeln der alten Poseidonia sucht das Auge sehnsüchtig den grössten , mittlern. Es ist Poseidon’s Heiligthum; a durch die offenen Trümmerhallen schimmert von fern das blaue Meer. Ein Unterbau von drei Stufen hebt das Haus des Gottes über die Fläche empor. Es sind Stufen für mehr als menschliche Schritte. An den Resten des alten dorischen Heraklestempels in Pompeji sieht man, dass für den Gebrauch eine Treppe von gewöhnlichen Stufen vorge- setzt wurde. B. Cicerone. 1 Architektur. Tempel von Pästum. Den ältesten griechischen Tempeln wie z. B.: demjenigen von Ocha auf Euböa, genügte ein Bau von vier Steinmauern. Als aber eine griechische Kunst erwachte, schuf sie die ringsum gehende Säulenhalle mit dem Gebälk, zuerst vielleicht von Holz, bald von Stein. Diese Halle ist, abgesehen von ihren besondern Zwecken, nichts als ein idea- ler, lebendig gewordener Ausdruck der Mauer selbst. In wunderbarer Ausgleichung wirken strebende Kräfte und getragene Lasten zu einem organischen Ganzen zusammen. Was das Auge hier und an andern griechischen Bauten erblickt, sind eben keine blossen Steine, sondern lebende Wesen. Wir müssen ihrem innern Leben und ihrer Entwicklung aufmerksam nachgehen. Die dorische Ordnung , welche wir hier in ihrer vollen alterthüm- lichen Strenge an einem Gebäude des VI. Jahrhunderts v. Chr. vor uns haben, lässt diese Entwicklung reiner und vollständiger erkennen als ihre jüngere Schwester, die ionische. Der Ausdruck der dorischen Säule musste hier, dem gewaltigen Gebälke gemäss, derjenige der grössten Tragekraft sein. Man konnte möglichst dicke Pfeiler oder Cylinder hinstellen, allein der Grieche pflegte nicht durch Massen, sondern durch ideale Behandlung der For- men zu wirken. Seine dorische Ordnung aber ist eine der höchsten Hervorbringungen des menschlichen Formgefühls. Das erste Mittel, welches hier in Betracht kam, war die Verjün- gung der Säule nach oben. Sie giebt dem Auge die Sicherheit, dass die Säule nicht umstürzen könne. Das zweite waren die Cannelirun- gen. Sie deuten an, dass die Säule sich innerlich verdichte und ver- härte, gleichsam ihre Kraft zusammennehme; zugleich verstärken sie den Ausdruck des Strebens nach oben. Die Linien aber sind wie im ganzen Bau nirgends, so auch in der Säule nicht mathematisch hart; vielmehr giebt eine leise Anschwellung das innere schaffende Leben derselben auf das Schönste zu erkennen. So bewegt und beseelt nähert sich die Säule dem Gebälk. Der mächtige Druck desselben drängt ihr oberes Ende auseinander zu einem Wulst (Echinus), welches hier das Capitäl bildet. Sein Profil ist in jedem dorischen Tempel der wichtigste Kraftmesser, der Grundton des Ganzen. Nach unten zu ist er umgeben von drei Rinnen, gleich als verschöbe sich hier eine zarte, lockere Oberhaut der Säule. Ihnen ent- Tempel von Pästum. sprechen und antworten etwas weiter unten, an der Säule selbst, drei Einschnitte ringsum. — Eine starke viereckige Deckplatte isolirt die Säule vom Gebälk. (An vielen Stellen dieses Tempels scheinen die Säulen auf vier- eckigen Untersätzen zu stehen, allein nur weil Steine dazwischen weg- genommen worden sind. Die dorische Säule, als erdgeborne Kraft bedarf der Basis nicht; unmittelbar aus der obersten Tempelstufe steigt sie empor). Es folgt zunächst ein Band von hier sehr mächtigen Quadern, der sog. Architrav, ganz glatt und schmucklos. Es sind die Balken, welche über die Säulen hingehen. Was aber von Bewegung übrig ist, setzt sich fort in dem darauf folgenden Gliede, dem Fries. Die von innen kommenden Querbalkenenden sind in der Mitte zweimal und an bei- den Seiten senkrecht eingekerbt zu „Triglyphen“, die Zwischenräume (Metopen) aber ausgefüllt mit Steinplatten, die ohne Zweifel mit Ge- mälden oder Reliefs geschmückt werden sollten. Wir wissen nämlich nicht, ob dieser Tempel je ganz vollendet wurde. — Im Architrav ent- spricht jeder Triglyphe ein kleines Band mit sechs daran hängenden sog. Tropfen. Ein hier besonders weit vorragendes Kranzgesimse deckt das Ganze. Von unten erkennt man daran eine ideale Darstellung der schrägen Dachsparren, deren jeder drei Reihen von je sechs Nägeln aufweist. An den beiden Hauptseiten des Tempels ragen darüber die Giebel em- por, die zwar jetzt (und vielleicht von jeher) leer stehen, ohne jene Gruppen von Statuen, welche einst die attischen Tempel zierten, dabei aber durch das schönste, gerade für diesen Bau passendste Verhältniss der Höhe den Blick erfreuen. Der stumpfe Winkel des Giebels näm- lich ist das Schlussergebniss jener ganzen idealen Rechnung zwischen Kräften und Lasten; er deutet genau an, wie viel von strebender Kraft am Ende übrig geblieben ist. Eine ganze Anzahl feinerer Gliederungen, welche man an den dorischen Bauten Athens vorfindet, fehlen hier entweder ursprünglich oder durch die Verwitterung. Der Eindruck des Strengen und Mäch- tigen wird dadurch noch gesteigert. Vom Innern fehlt fast die ganze Mauer, welche das längliche Haus, die Cella des Gottes ausmachte. Wahrscheinlich lockten die glatten 1* Architektur. Tempel von Pästum. Quadern den kirchenbauenden Normannen zum Raub. Doch ist die innere Vorhalle, zwei Säulen zwischen zwei Mauerpfeilern (Anten) er- halten. Diese letztern sind als Theil der Mauer behandelt, also weder cannelirt, noch verjüngt, noch geschwellt, doch deutet ein eigenes Ca- pitäl, welches bedeutsam mit dem Echinus der Säulen contrastirt, auf ihre Theilnahme am Tragen hin. Von den Steinbalken und deren vertieften viereckigen Zwischen- feldern (Cassetten), welche den Raum zwischen Säulenhalle und Tempelmauer bedeckten, ist nichts mehr erhalten. Das Gebälk der Säulenhalle scheidet sich, auch von innen gesehen, in Architrav und Fries, nur dass lezterer hier glatt ist. Am Gebälk der Cella dagegen, soviel davon vorhanden ist, hat der Fries seine Triglyphen und Me- topen, nur niedriger als am Aussenbau. Das Innere des Heiligthums erhielt einst sein Licht durch eine grosse Dachöffnung, ohne welche die fensterlosen griechischen Tempel durchaus dunkel gewesen wären. An den bedeutendern Tempeln wurde gleichsam als Einfassung und Stütze dieses offenen Daches eine innere Säulenordnung angebracht, und zwar eine doppelte, weil einfache do- rische Säulen allzu gross und dick hätten gebildet werden müssen im Verhältniss zu dem so beschränkten Raum. Die Bauten der höchsten Blüthezeit scheinen meist eine untere dorische und eine obere ionische Ordnung gehabt zu haben, zu deutlicher Scheidung der in einander überleitenden Kräfte. Hier dagegen ist auch die obere Ordnung do- risch und dabei noch von etwas ungeschickter Bildung, als wäre die kleine obere Säule unmittelbar die durchs Zwischengesims hindurch- gehende Fortsetzung der grössern untern; überdiess wirkt der breit aus- einander gehende Echinus der kleinen Säule nicht gut Ausserdem ist zu bemerken: An der Aussenseite kommt jede zweite Trigly- phe mitten über eine Säule zu stehen, gegen die Ecken hin aber werden die Metopen breiter, so dass die Triglyphe auf die Ecke rücken kann. Im In- nern besteht das Gesimse zwischen den beiden Ordnungen aus einem blossen Architrav mit Hohlkehle, da ein Fries, als Sinnbild des Decken-Randes, hier nicht am Platze wäre. Das Gesimse über der obern Ordnung besteht eben- falls aus einem ähnlichen Gliede, allein wir wissen nicht, was einst noch dar- über lag und wie der Dachrand ansetzte. . Nur in dürftigen Andeutungen haben wir das, was die Seele die- Tempel von Pästum. ses wunderbaren Baues ausmacht, bezeichnen können. Obwohl eines von den besterhaltenen Denkmälern seiner Art, verlangt er doch ein beständiges geistiges Restauriren und Nachfühlen dessen was fehlt und dessen, was nur für die aufmerksamste Pietät noch sichtbar ist. Wie ganz anders würde er auch zum äussern Auge sprechen, wenn er noch mit allen Sculpturen seiner Giebel und Metopen, mit den Dachzierden (Akroterien) von Laubwerk und Statuen, mit den Löwenköpfen des Kranzgesimses, mit dem jetzt so fraglichen Farbenschmuck, innen aber mit dem Bild Poseidon’s und den Weihgeschenken geretteter Seefahrer geschmückt wäre! Unsere Vorstellung von Kunstvermögen der Grie- chen steigert er aber schon in seinem jetzigen Zustande auf das höchste. Vielleicht blickt ein scharfes Auge die einzelnen Seiten im Profil entlang und findet, dass keine einzige mathematisch gerade Linie an dem ganzen Bau ist. Man wird zunächst an ungeschickte Vermessung, an die Wirkung der Erdbeben und Anderes der Art denken. Allein wer z. B. sich der rechten Ecke der Vorderseite gegenüberstellt, so dass er das obere Kranzgesimse der Langseite verkürzt sieht, wird eine Ausbeugung desselben von mehrern Zollen entdecken, die nur mit Absicht hervorgebracht sein kann. Und Ähnliches findet sich weiter. Es sind Äusserungen desselben Gefühls, welches die Anschwellung der Säule verlangte und auch in scheinbar mathematischen Formen überall einen Pulsschlag innern Lebens zu offenbaren suchte. Die beiden andern dorischen Tempel von Pästum sind aus einer viel spätern, ausgearteten Epoche der dorischen Baukunst, die man der Zeit nach vielleicht in das III. Jahrhundert v. Chr. verlegen kann. Der Eindruck ist indess immer ein solcher, dass sie ohne die Nachbarschaft des Poseidonstempels zu den herrlichsten Bauten des italischen Festlandes gehören würden. Sie sind weniger gut erhalten, besitzen aber wenigstens den ganzen äussern Säulenkranz und Archi- trave ohne Unterbrechung. An dem sog. Cerestempel fällt zunächst eine abweichende Bil- a dung der Säule auf, welche wie aus weicherm, minder elastischem Stoffe geschaffen scheint. Dies drückt sich aus in der viel stärkern Ausbauchung des Schaftes und in der breitwulstigen Bildung des Echi- Architektur. Tempel von Pästum. nus, welche letztere durch eine ganz eigenthümliche Zusammenziehung (Hohlkehle) am Oberende des Schaftes zwar erklärt, aber auch durch das Grelle des Überganges um so viel fühlbarer wird. Diese gewal- tige Breite des Echinus zieht dann eine verhältnissmässige Vergrös- serung der Deckplatte nach sich. (Die Intervalle der Deckplatten sind etwa gleich der Hälfte ihres Durchmessers.) Zu der geringern innern Kraft der Säule passt dann ganz gut der schmalere Architrav. Statt der Triglyphen und Metopen, welche von besserm Stein eingesetzt waren, sieht man jetzt fast bloss deren leere Lücken. An den einst herabgestürzten und in neuerer Zeit wieder aufgesetzten Giebeln ist das Obergesimse mit vertieften Cassetten verziert, die das Alter zum Theil sogar durchlöchert hat. Von der Cella ist wenig mehr erhalten, als die Grundmauern. Noch deutlicher erscheint die Ausartung des dorischen Styles in a der sog. Basilica . Trotz auffallender Abweichungen, wie z. B. die ungerade Neunzahl der Säulen an den beiden Fronten, ist diess Ge- bäude ebenfalls ein Tempel gewesen; Gestalt, Lage, Stufen, Enge des Raumes im Innern lassen den Gedanken an eine andere Bestimmung, wie z. B. die der Basiliken war, gar nicht aufkommen. Wiederum sind die Säulen stark geschwellt und von dem sehr weichen und run- den Echinus durch eine ähnliche Hohlkehle getrennt wie am Ceres- tempel. Von dem Gebälke ist ein schmaler Architrav ganz erhalten, theilweise auch ein stark zurücktretender Fries, an welchem ohne Zweifel sculpirte Triglyphen und Metopen aus besserm Stein ange- nietet waren (oder werden sollten, denn mit der Vollendung solchen Tempelschmuckes verhielt es sich nur zu oft wie mit dem Ausbau un- serer gothischen Kathedralen.) — Innen beginnt die Cella mit einer Vorhalle von drei Säulen und zwei Mauerpfeilern (Anten), welche letztere, als stärkstes Merkmal der Entartung, die Verjüngung sowohl als die Anschwellung der Säulen mitmachen; auch ihr Capitäl — eine Hohlkehle — ist von gefühlloser Bildung. — Im Innern steht auffal- lender Weise eine Säulenreihe der mittlern Axe des Gebäudes ent- lang; drei Säulen sind ganz, von zweien die Capitäle erhalten. Welchen Zweck und welche Bedachung man sich dabei vorzustellen habe, lässt sich um so weniger entscheiden, da dieser Innenbau vielleicht nicht einmal der ursprüngliche ist. Ionische Ordnung. Neben der dorischen Ordnung entwickelte sich als deren schönstes Gegenbild die ionische ; anfänglich in andern Gegenden entstanden, auch wohl für gewisse Zwecke vorzugsweise angewandt, wurde sie doch mit der Zeit ein völlig frei verwendbares Element der griechi- schen Gesammtbaukunst. Leider ist in den griechischen Colonien Ita- liens kein irgend beträchtlicher Ueberrest echter ionischer Ordnung erhalten und die römischen Nachahmungen geben bei aller Pracht doch nur ein dürftiges, erstarrtes Schattenbild von dem Formgefühl und dem feinen Schwung des griechischen Vorbildes. — Die Grundlage ist im Wesentlichen dieselbe, wie bei der dorischen Ordnung, die Durchbil- dung aber eine verschiedene. Die ionische Säule ist ein zarteres Wesen, weniger auf den Ausdruck angestrengten Tragens als auf ein reiches Ausblühen angelegt. Sie beginnt mit einer Basis von zwei Doppel- wulsten, einem weitern und einem engern, deren inneres Leben sich durch eine schattenreiche Profilirung verräth. (An den römischen Über- resten entweder glatt oder mit reichen, aber beziehungslosen Orna- menten bekleidet). Ihr Schaft ist viel schlanker und weniger stark verjüngt, als der dorische; seine Ausbauchung ein eben so feiner Kraft- messer als bei diesem. Die Cannelirungen nehmen nicht die ganze Oberfläche des Schaftes ein, sondern lassen schmale Stege zwischen sich, zum Zeichen, dass sich die ionische Säule nicht so anzustrengen habe, wie die dorische. (An den römischen Ueberresten fehlen hier wie bei allen Ordnungen die Cannelirungen oft, ja in der Regel; mit grossem Unrecht, indem sie kein Zierrath, sondern ein wesentlicher Ausdruck des Strebens sind und auf die bewegte Bildung des Capi- täls und Gesimses nothwendig vorbereiten.) Das ionische Capitäl, an den alten athenischen Bauten von unbeschreiblicher Schönheit und Le- bendigkeit, setzt über einem verzierten Hals mit einem Echinus an; dann aber folgt, wie aus einer weichen, ideal-elastischen Masse gebildet, ein oberes Glied, gleichsam eine Blüthe des Echinus selbst, die auf beiden Seiten in reich gewellten Voluten (Schnecken) herniederquillt und sich, von vorn gesehen, in zwei prächtigen Spiralen aufrollt. Die Deck- platte, welche bei einer ernsten, dorischen Bildung dieses ganze reiche Leben tödten würde, ist nur als schmales, verziertes, ausgeschwunge- nes Zwischenglied zwischen das Capitäl und das Gebälk hineingescho- ben. (An den römischen Überresten: Hals und Echinus schwer und Architektur. Korinthische Ordnung. mässig verziert, die Voluten auf den Seiten mit schuppenartigem Blatt- werk bedeckt, ihre Spiralen schwunglos und mathematisch, die Deck- platte überreich) In Rom, z. B. an der späten und sehr schlechten Restauration des Vespa- sianstempels und in Pompeji an vielen Bauten begegnet man einem ionischen Capitäl, welches statt der beiden Seitenvoluten vier Eckvoluten hat; gewiss eine secundäre und nicht eben glückliche Schöpfung. . — Das Gebälk ist leicht und der Säule gemäss gestaltet; der Architrav in drei übereinander hervortretende Riemen getheilt; der Fries ohne Unterbrechung durch Triglyphen zu fortlaufen- den Reliefs eingerichtet; alle Zwischenglieder und alle Theile des Ober- gesimses zart und reich gebildet. (An den römischen Überresten wohl ebenso prachtvoll aber lebloser.) Da zu wenige römisch-ionische Bauten erhalten sind, so urtheilen wir hier nach Fragmenten, welche allerdings auch von korinthischen Bauten herstam- men mögen; allein beide Ordnungen stimmen mit Ausnahme des Capitäls bei den Römern überein. Endlich schuf noch die griechische Kunst das korinthische Ca- pitäl. An den Bauten Griechenlands selbst können wir dasselbe nur in seinen Anfängen nachweisen, Anfänge, die freilich Grösseres ver- heissen als es später unter römischer Hand wirklich erfüllt hat. (Die sog. Laterne des Demosthenes, richtiger: das choragische Denkmal des Lysikrates in Athen.) Indess haben die Römer diese Ordnung mehr geliebt und richti- ger verstanden und behandelt als die beiden andern, ja wenn man die Trefflichkeit der korinthischen Formen am Pantheon und am Tempel des Mars Ultor neben der sonstigen Thätigkeit so zahlreicher griechi- scher Künstler im damaligen Rom in Erwägung zieht, so wird auch wohl der Gedanke erlaubt sein, dass hier noch eine ziemlich unmittel- bare griechische Tradition, wenigstens stellenweise zu uns spricht. Form, Verhältnisse, Dichtigkeit der Stellung hat die korinthische Säule im Ganzen mit der ionischen gemein; Basis und Cannelirungen, wo diese sich vorfinden, sind dieselben. Das Capitäl aber bildet einen runden Kelch, der mit zwei Reihen von Akanthusblättern ringsum be- kleidet ist. Aus diesen Blättern spriessen Stengel hervor, aus welchen Korinthische und Composita-Ordnung. sich mächtig gerollte Voluten entwickeln; diese, je zwei sich anein- ander drängend, bilden die weit vorspringenden vier Ecken des Ca- pitäls. Ihnen folgt die ausgeschwungene Deckplatte, deren einwärts- gehende Rundungen in der Mitte durch eine Blume unterbrochen sind. Wer an den bessern römischen Bauten ein wohlerhaltenes Capitäl mit der nöthigen Geduld verfolgt, wird über die Fülle idealen Lebens erstaunen, die sich darin ausdrückt. Der Akanthus ist wohl ursprüng- lich die bekannte Pflanze Bärenklau; man pflücke sich aber, z. B. auf den Wiesenhöhen der Villa Pamfili, ein Blatt derselben, und überzeuge sich bei der Vergleichung mit dem architektonischen Akanthus, welch ein Genius dazu gehörte, um das Blatt so umzugestalten. In einem neuen, plastischen Stoff gedacht, gewinnt es eine Spannkraft und Bieg- samkeit, einen Reichthum der Umrisse und der Modellirung, wovon im grünen Bärenklau nur die halbversteckten Elemente liegen. Die Art, wie die Blätter über- und nebeneinander folgen, ist ebenfalls der Bewunderung werth, und so auch ihre höchste und letzte Steigerung in Gestalt der Eckvoluten; diese, als (scheinbarer) Hauptausdruck der Kraft, sind mit Rccht freier, d. h. weniger vegetabilisch gebildet, haben aber ein Akanthusblatt, das mit ihnen aus dem gleichen Stengel spriesst, zur Unterlage und Erklärung mit sich. Und jeder einzelne Theil die- ses so elastisch sprechenden Ganzen hebt sich wieder klar und deut- lich von den übrigen ab; reiche Unterhöhlungen, durch welche der Kelch als Kern des Capitäles sichtbar wird, geben zugleich dem Blatt- werk jene tiefen Schatten zur Grundlage, durch welche es erst völlig lebendig wirkt. Eine blosse Spielart des korinthischen ist das sog. Composita- capitäl , erweislich zuerst an dem Titusbogen angewandt. (Der Dru- susbogen bei Porta S. Sebastiano in Rom ist wahrscheinlich falsch be- nannt; sonst wäre er ein noch älteres Beispiel). Die Mischung aus den zwei untern Blattreihen des korinthischen Capitäls und einem darüber- gesetzten unecht ionischen mit vier Eckvoluten (demselben etwa, wel- ches oben, in der Anmerkung zu Seite 8 beschrieben wurde) ist eine unschöne, mechanische. Es liesse sich schwer begreifen, wie man ge- rade den glänzend lebendigen obern Theil des korinthischen Capitäls opfern mochte, wenn die Mode nicht stärker wäre als Alles. Architektur. Römische Ordnung. Bei der nun folgenden Übersicht der römischen Bauwerke in Italien möge man ja im Auge behalten, dass wir das rein Archäologische ab- sichtlich beseitigen und auf eine Ergänzung desselben aus den Reise- handbüchern und aus sonstigen Studien rechnen. Auch unsere Vor- bemerkungen werden nicht aus Notizen bestehen, sondern einige all- gemeine Gesichtspunkte festzustellen suchen. Römerbauten der bessern und noch der mittlern Zeit haben ein Königsrecht selbst neben dem Massivsten was Italien aus dem Mittel- alter und der neuen Bauperiode besitzt. Selbst ein kleiner Rest be- meistert in seiner Wirkung ganze Gassen, deren Häuser doppelt und dreimal so hoch sind. Diess kommt zunächst von dem Stoffe, aus wel- chem gebaut wurde; in der Regel ist es der beste, der zu haben war. Sodann wurde von allem Anfang an bei öffentlichen Gebäuden nicht gepfuscht und nicht jeder Rücksicht nachgegeben; man baute etwas Rechtes oder gar nichts. Endlich ist die antike Architektur mit ihren plastisch sprechenden, bedeutsam abwechselnden Einzeltheilen, Säulen, Gebälken, Giebeln etc. im Stande, jeder andern baulichen Gliederung die Spitze zu bieten, selbst der gothischen, so wie sie in Italien auftritt. Nun sind einige zeitliche und technische Unterschiede zu beob- achten. Zur Zeit der römischen Republik und auch der frühern Kaiser wurden die öffentlichen Bauwerke aus Quadern desjenigen Steines er- baut, welcher unter den nächst zu habenden der beste war. Für Rom z. B. musste die Wahl auf den grüngrauen Peperin und den gelblichen Travertin fallen. Allein schon seit Augustus gewann man den fernab liegenden weissen Marmor so lieb, dass mit der Zeit wenigstens Säulen und Gebälk vorzugsweise daraus gebildet wurden, während man die Wände mit Platten dieses und anderer kostbarer Stoffe bekleidete; das Innere der Mauern aber bestand fortan aus Ziegeln. Marmorbauten jedoch waren das ganze Mittelalter hindurch die beliebtesten und bequemsten Steinbrüche, wo man die schönsten Säu- len, in der Regel aus Einem Steine, fertig vorfand um hundert Basi- liken damit auszustatten. Von den Mauern löste man mit Leichtigkeit die vorgesetzten Platten ab und verwandte sie auf alle Weise; Ge- bäude, deren Mauern aus vollen durchgehenden Quadern bestanden hätten, würde man gewiss eher respectirt und so gut es ging, zu neuen Bestimmungen eingerichtet haben. Bogen und Gewölbe. So kommt es nun, dass der Reisende, auf einen einigermassen vollständigen Anblick wenigstens der Bruchstücke antiker Tempel, Thermen und Paläste gefasst, durch scheinbar ganz formlose Ziegel- haufen enttäuscht wird. So schön die Ziegel namentlich des ersten Iahrhunderts gebrannt, so sorgfältig sie auf einandergeschichtet sein mögen, so glühend ihre Farbe in der Abendsonne wirken mag, bleibt es eben doch ein bloss zufällig zu Tage getretener innerer Kern ehe- maliger Gebäude, den einst, als das Gebäude vollständig war, kein Auge erblickte, weil ihn eine leuchtende Hülle und Schale umgab. Wir werden im Folgenden sehen, auf welche Weise sich das einigermassen forschungsfähige Auge entschädigen kann. Bekanntlich brachten die Römer zu den entlehnten griechischen Formen aus der etruskischen Baukunst den Bogen und das Ge- wölbe hinzu, letzteres als Tonnengewölbe (wie ein gebogenes Blatt), als Kreuzgewölbe (zwei sich schneidende Tonnengewölbe) und als Kup- pel. Schwere und Druck verlangen sog. Widerlager, welche entweder durch verhältnissmässige Dicke der Mauer oder durch Strebepfeiler an den dem stärksten Druck ausgesetzten Stellen dargestellt werden müssen; die Römer liessen es im Ganzen bei dicken Mauern bewen- den (Vergl. das Pantheon). — Wie man sieht, handelte es sich um ganz neue Aufgaben. Die griechischen Säulen, Gebälke und Giebel, ursprünglich auf einen wesentlich andern Kernbau berechnet und nur ihrer schönen Wirkung wegen beibehalten, mussten nun die römischen Bauten „accompagniren“ helfen, wenn uns dies Wort erlaubt ist. Man zog Säulenreihen vor den Mauern, Halbsäulenreihen an den Mauern — sowohl im Innern als am Äussern — hin; man gab den Mauerpfei- lern (Anten) und den Pilastern überhaupt dieselben Capitäle wie den Säulen, nur zur Fläche umgebildet; man stellte Peristyle als Eingangs- hallen bisweilen sehr unvermittelt vor ein Gebäude von beliebiger Form; man liess das griechische Gesimse ohne Unterschied über Säulenreihen oder Mauermassen — geradlinige oder runde — dahin laufen. Kein Wunder, dass sein fein abgewogener constructiver Sinn, dass die Fülle von Andeutungen auf das Ganze, dem es einst gedient, verloren gin- gen und dass man sich mit möglichster Pracht der decorativen Ausbildung zufrieden gab. Architektur. Römisches Detail. Hierin aber zeigt sich die römische Kunst wahrhaft gross. Sobald man es vergisst, wie viel missverstandene und umgedeutete griechische Formen unter den römischen versteckt liegen, wird man die letztern um ihrer prachtvollen, höchst energischen Wirkung willen bewundern müssen. Von dem korinthischen Capitäl ist schon die Rede gewesen als von einer noch wesentlich griechischen Schöpfung. Am Gebälk findet sich zunächst ein bereicherter Architrav, dessen drei Bänder mit Perl- stäben u. dgl. eingefasst sind; bisweilen besteht das mittlere aus lauter Ornamenten. (Später: oft nur zwei Bänder.) Eine zierliche, nur zu weit vorwärts profilirte Blattreihe scheidet den Architrav vom Fries, welcher die Inschriften und Reliefs oder Pflanzenzierrathen enthält. (Später: der Fries in der Regel convex und auf irgend einen nicht mehr aufweisbaren, etwa aufgemalten Schmuck berechnet).) Ueber dem Fries eine mannigfach variirte Aufeinanderfolge vortretender, reich de- corirter Glieder: Reihen von Akanthusblättern mit gefälligem Wellen- profil, Eierstäbe, Zahnschnitte, und als Uebergang zu dem mit Löwen- köpfen und Palmetten geschmückten Kranzgesimse: die Consolen . Diese sind eine römische Umdeutung jener schrägen Dachsparren, die wir beim grossen Tempel von Pästum erwähnten und verdienen als Höhepunkt alles römischen Formgefühls eine besondere Aufmerksam- keit. Unter das wellenförmig gebildete, architektonisch verzierte Spar- renende legt sich, ebenfalls in Wellenform, ein reiches Akanthusblatt; sodann wird der Zwischenraum zweier Consolen von einer reich ein- gefassten Cassette eingenommen, aus deren schattiger Tiefe eine Rosette hell herabragt. (Später: das Akanthusblatt kraftlos an die Console angeschmiegt; die elastische Bildung beider vernachlässigt; die Cas- setten flach, die Rose leblos gebildet.) Am Giebel ist ein Theil des Hauptgesimses mit den Consolen wiederholt, welche hier trotz des schrägen Ansteigens an den besten Bauten senkrecht gebildet werden. a (Vorhalle des Pantheon). Ein vielleicht nur allzureicher Schmuck von Statuen, Gruppen u. a. Zierrathen war auf der Höhe des Giebels und auf den Ecken angebracht. (Ein paar gute Akroterien oder Eckzier- b den aus römischer Zeit in der Galeria lapidaria des Vaticans.) Die Anwendung grosser plastischer Freigruppen in den Giebeln selbst ist auch für die Römer wahrscheinlich, doch nicht mit Beispielen zu belegen. Römisches Detail. Tempel. Es versteht sich, dass nur eigentliche Prachtgebäude diesen Schmuck vollständig aufwiesen und auch diese nicht durchgängig; zudem sind sie fast ohne Ausnahme nur in geringen Fragmenten erhalten. Ausser den noch an Ort und Stelle befindlichen Bauresten wird man desshalb zur Er- gänzung auch die verschleppten und in die Museen geretteten Fragmente studiren müssen, indem sich stellenweise gerade an ihnen das Schönste und Reichste, auch wohl das Zierlichste, wenn sie von kleineren Bauten herstammen, erhalten hat. Im Vatican enthält namentlich die schon a genannte Galeria lapidaria und auch das Museo Chiaramonti einen b Schatz von solchen Bruchstücken; ebenso das Museum des Laterans; c von den Privatsammlungen ist die Villa Albani besonders reich daran; d von den christlichen Basiliken Roms bieten der ältere Theil von S. Lo- e renzo fuori le mura und das Hauptschiff von S. Maria in Trastevere f ganze bunte Mustersammlungen dar. Eine Sammlung von Abgüssen g in der Académie de France. In Florenz (äussere Vorhalle der Uffizien) h nur ein Stück von einer Thürgewandung und ein anderes von einem Fries; aber beide von hohem Werthe. Hier wie überall muss der Beschauer jene restaurirende Thätig- keit in sich entwickeln, ohne welche ihm die antiken Reste wie lauter Formlosigkeit und die Freude daran wie lauter Thorheit erscheinen. Er muss aus dem Theil das vermuthliche Ganze ahnen und herstellen lernen und nicht gleich einen „Eindruck“ verlangen bei Überresten, deren Schönheit sich erst durch das Hinzugedachte ergänzen kann. Das ganze Gebäude aus Trümmern zu errathen, wird wohl nur dem For- scher möglich sein, allein aus ein paar Säulen mit Gebälkstücken we- nigstens auf die Wirkung einer ganzen Colonnade zu schliessen ist Sache jedes nicht rohen oder abgestumpften Auges. Wir beginnen mit den Tempeln . Hier ist das Verhältniss der Säulenhalle zur Cella fast durchgängig ein anderes als bei den Grie- chen. Jene dient nicht mehr zum Ausdruck dieser und entspricht ihr nicht mehr in derselben Weise. Die Halle ist jetzt ein Vorbau der Cella und wird nur aus Prachtliebe etwa noch ringsum geführt; sonst bequemt sich die römische Kunst sehr leicht, nur einen Anklang davon in Gestalt von Halbsäulen ringsum anzugeben oder auch die Wand Architektur. Römisch-dorische Tempel. ganz unverziert zu lassen. Ein weiterer Unterschied ist die jetzt üb- liche Bedeckung des Innern mit einem cassettirten Tonnengewölbe, während man doch aussen den griechischen Giebel, d. h. den Ausdruck eines Balkendaches, beibehielt. Wahrscheinlich brachte man, wie einst im Dach des griechischen Tempels, so hier im Gewölbe eine grosse Licht- öffnung an, ohne welche die Beleuchtung ganz zweifelhaft bliebe; Sei- tenfenster finden sich fast nirgends. Echt römisch ist endlich die Zer- theilung der Wandflächen durch einwärtstretende Nischen und die Er- richtung einer hintern Hauptnische für das Bild der Gottheit; dieses ganze Nischenwerk aber muss man sich bekleidet und umgeben den- ken von besondern Säulenstellungen mit Gebälken und Giebeln, wo- durch die ganze Mauer ein prachtvoll abwechselndes Leben erhielt und die griechische Ruhe total einbüsste. — Das Dach der Vorhalle be- stand wie bei den griechischen Tempeln aus Steinbalken verschiedener Lagen und verschiedenen Ranges, deren Zwischenräume mit Stein- platten zugedeckt waren. Allein die Durchführung ist eine andere als in den (sehr wenigen) erhaltenen Beispielen der griechischen Zeit; von der Balkenlage wird nur eine Reminiscenz beibehalten und die ganze Innensicht des Daches als erwünschter Anlass zum Aufwand von Or- namenten benützt. Die Untenseiten der Balken bekommen Reliefarabes- ken, ihre Zwischenräume werden zu reich profilirten Cassetten, welche grosse, gewaltig wirksame Rosetten enthalten. Mit der dorischen Ordnung hatten die Römer entschiedenes Unglück. Sie wollten die ernsten Formen derselben mit den leichten Verhältnissen der ionischen verbinden und fielen dabei nothwendig in das Magere und Dürftige. In Rom selbst ist kein dorischer Tempel a mehr erhalten; an den zwanzig Säulen in S. Pietro in vincoli näm- lich, welche vom Tempel des Quirinus entlehnt sein sollen, ist die ur- sprüngliche Höhe fraglich und die Capitäle sind modern. — Das einzige Beispiel, welches eine ungestörte Anschauung des Römisch- b Dorischen giebt, möchte wohl in der Vorhalle des Herculestempels zu Cora (drei Stunden von Velletri) bestehen; Lage, Material und Ernst der Formen (so übereinfach sie sein mögen) sichern diesem Ge- bäude noch immer eine grosse Wirkung. Dasselbe wird etwa in die Die dorische Ordnung in Pompeji. Zeit Sulla’s versetzt; eine noch ältere Anwendung des Dorischen fin- det man an dem Sarcophag des Scipio barbatus (Vatican, Belvedere, a Gemach des Torso). Ausserdem bietet Pompeji eine Anzahl zer- störter dorischer Bauten, welche noch zwischen dem Griechischen und dem Römischen die Mitte einzunehmen scheinen, meist Hallen, welche Plätze und Höfe (z. B. den des verschwundenen, einst griechisch-do- rischen Heraklestempels und den des Venustempels) umgeben, und welche ihrer Detailbildung wegen am besten hier zu erwähnen sind. Die Säulen sind für diese Ordnung sehr schlank und dünn, ihre Can- nelirungen demnach schmal; die letztern beginnen meist erst in einer gewissen Höhe über der Erde, weil sie sich weiter unten rasch abge- nützt hätten. Der Echinus ist durchgängig schon ziemlich trocken und klein, die Deckplatte dünn gebildet. Am Gebälk ist der Architrav schon nicht mehr glatt, sondern in zwei Riemen getheilt, der Fries mit den Triglyphen ohne den griechischen Nachdruck. Noch am meisten grie- b chisch ist das einzige Fragment der schon erwähnten Halle um den Hof des Heraklestempels, des sog. Foro triangolare; hier hat der Echi- nus noch die drei Riemen, unter welchen dann die Cannelirungen mit runden Ansätzen beginnen; anderwärts sind diese Ansätze wagrecht und die Riemen durch irgend ein empfindungsloses Zwischenglied er- setzt. So am sog. Soldatenquartier und an den ältern Säulen des c grossen Forums; die jüngern haben einen ganz sinnlosen, wellenför- d migen Echinus. Die Halle um den Hof des Venustempels war eben- e falls von einer geringen dorischen Art wie die Stellen zeigen, wo die spätere Ueberarbeitung mit Stucco abgefallen ist. (Wie weit das Dach noch über sie hervorragte, zeigen die wohl vier Fuss ausserhalb an- gebrachten Regenrinnen am Boden). Das spätere Rom, mit seiner Neigung für prächtige Detailver- zierung, gab die dorische Ordnung beim Tempelbau bald ganz auf und behielt sie nur bei zur Bekleidung des Erdgeschosses an mehrstöckigen Bauten (z. B. Theatern). Hier tritt sie wiederum viel entstellter auf, nämlich in ihrer ganz zweideutigen Verschmelzung mit der sog. tos- kanischen Ordnung, welche in selbständigen Exemplaren nicht mehr nachzuweisen ist. Sie verliert ihre Cannelirungen und gewinnt unten eine Basis und oben (kurz vor dem roh gebildeten Echinus) einen Hals, Architektur. Römisch-ionische Tempel. über welchem sich bisweilen einige Zierrathen zeigen. Auch ihr Ge- bälk fällt mehr oder weniger der Willkür anheim. Von römisch- ionischer Ordnung besitzen wir noch ein gutes und frühes, aber sehr durch Verwitterung und moderne Verkleisterung a entstelltes Beispiel, den sog. Tempel der Fortuna virilis zu Rom. Die Voluten, seitwärts mit Blattwerk verziert, haben allerdings schon ziemlich todte, unelastische Spiralen; dafür zeigt der Fries noch an- muthige Laubgewinde und das Kranzgesimse seine Löwenköpfe. b Der kleine Sibyllentempel in Tivoli hat noch seine viersäulige c Vorhalle. — Der schon erwähnte Tempel Vespasians , am Auf- gang zum Forum, ist bei einer höchst nachlässigen Restauration des III. oder IV. Jahrhunderts mit jenen oben (S. 8. Anm.) geschilderten ionischen Bastardcapitälen versehen worden. Seine Granitsäulen, schon früher nie cannelirt, wurden in ungehöriger Aufeinanderfolge der Stücke zusammengeflickt. Von den Bauten in Pompeji ist wenigstens die d innere Säulenstellung des Jupitertempels leidlich ionisch; sonst herrscht dort die Bastardordnung fast ausschliesslich vor. Die schönern römisch-ionischen Tempel leben fast nur noch in je- nen Sammlungen verschleppter Fragmente fort. Man wird wohl nirgends mehr eine solche Auswahl guter ionischer Capitäle beisammen finden, e wie über den Säulen von S. Maria in Trastevere; einzelne haben noch einen fast griechischen Schwung, andere sind durch reiche Zierrathen, ja durch Figuren, welche aus den Voluten und an der Deckplatte herausquellen, interessant. Ob die Menge verschiedener antiker Con- solen, welche am Gebälke derselben Kirche angebracht sind, von den- selben Gebäuden herrühren, ist begreiflicher Weise nicht zu ermitteln. (Ein schönes römisch-ionisches Capitäl u. a. im grossen Saal des Pa - f lazzo Farnese. Zu den besten Bastardcapitälen dieser Ordnung mit g vier Eckvoluten gehören diejenigen in S. Maria in Cosmedin, an der Wand links.) Weit das Vorherrschende im ganzen römischen Tempelbau, ja im Bauwesen überhaupt, ist die korinthische Ordnung. So selten ihre Formen in vollkommener Reinheit auftreten, so oft wird man da- Das Pantheon. für das decorative Geschick der Römer bewundern müssen, welche ihr, und vorzüglich ihrem Capitäl Eines um das andere aufzuladen wuss- ten, bis es endlich doch zu viel wurde. Sie unterbrachen das Blatt- werk des Capitäls mit Thierfiguren, Trophäen, Menschengestalten, end- lich mit ganzen Historien, wie zur Zeit des romanischen Styles im Mittelalter. (Ein historienreiches Capitäl der Art im Giardino della Pigna a des Vaticans.) Sie lösten auch die letzten glatt gebliebenen Profile des Gebälkes in Reihen von Blätterzierrathen auf. (Diocletiansthermen, b jetzt S. Maria degli Angeli zu Rom.) Das Ende war eine definitive Ermüdung und plötzlich hereinbrechende Roheit. Das schönste Beispiel korinthischer Bauordnung ist anerkannter Massen das Pantheon in Rom; ein Gebäude, welches zugleich so c einzig in seiner Art dasteht, dass wir es hier vorweg behandeln müssen. Ursprünglich von Agrippa als Haupthalle seiner Thermen gegründet und erst später von ihm als Tempel ausgebaut und mit der Vorhalle versehen, hat es nach allen Restaurationen und Beraubungen seine ausserordentliche Wirkung im Wesentlichen gerettet, doch nicht ohne schwere Einbusse. Wir wollen nur dasjenige anführen, was die ehe- malige, ursprüngliche Wirkung zu veranschaulichen geeignet ist. Zunächst denke man sich den jetzt stark ansteigenden Platz viel tiefer und eben fortlaufend; denn fünf Stufen führten einst zur Vor- halle hinauf . So erhält der jetzt etwas steil und hoch scheinende Giebel erst sein wahres Verhältniss für das Auge. Man fülle ihn mit einer Giebelgruppe oder wenigstens mit einem grossen Relief an, und kröne ihn mit den Statuen, die einst der Athener Diogenes für diese Stelle fertigte. (Die gewaltigen Granitsäulen sind allerdings ihres Stoffes halber grossentheils unberührt geblieben; leider wagte sich die augu- steische Zeit selber nicht gerne an diese Steinart und liess die Säulen dem Stoff zu Ehren uncannelirt, während die marmornen Pilaster ihre sieben Cannelirungen auf jeder Seite erhielten.) Ferner entschliesse man sich, aus den durchgängig mehr oder minder entblätterten Ca- pitälen in Gedanken ein ganzes, unverletztes zusammenzusetzen; ge- hören sie doch in ihrer Art zum Schönsten, was die Kunst geschaffen hat Der Hochmuth Bernini’s spricht sich gar zu deutlich aus in den Capitälen der drei Säulen der Ostseite, welche er in seinem und seiner Zeit bombastischem . (Die Schneidung des Kelchrandes mit der Deckplatte, ver- B. Cicerone. 2 Architektur. Das Pantheon. mittelt durch die darüber emporspriessende, durch zwei kleinere Vo- luten mit Akanthusblättern vorbereitete Blume, sowie die Bildung der grössern Eckvoluten hat nicht mehr ihres Gleichen.) Man vervoll- ständige die innere und äussere Wandbekleidung am hintern Theil der Vorhalle, mit ihren anmuthigen Querbändern von Fruchtschnüren, Candelabern u. s. w. Man denke sich die drei Schiffe der Vorhalle mit drei parallelen, reichcassettirten Tonnengewölben bedeckt, über welchen sich noch jener Dachstuhl von vergoldetem Erz erhob, den Ur- ban VIII einschmelzen liess. Vor Allem vergesse man Bernini’s Glocken- thürmchen. — Bei aller Pracht fand sich an dieser Vorhalle auch die Einfachheit an der rechten Stelle ein. Der innere wie der äussere Ar- chitrav hat nur die Profile, die ihm gehören; an seiner Untenseite ist nur eine Art von Rahmen als Verzierung angebracht; das äussere Hauptgesimse Ob Kranzgesimse und Giebel noch von Agrippa’s Bau herstammen, bleibt dahin- gestellt; sicher ursprünglich ist nur der Architrav. besteht nur aus den unentbehrlichen Theilen. Die Thüreinfassung, wahrscheinlich die ursprüngliche Die prachtvollsten Thüreinfassungen des Alterthums haben wir nicht mehr oder nur in Bruchstücken. Ein solches, mit den schönsten Akanthusranken, * welche in Schoten auslaufen, mit pickenden Vögeln u. s. w. findet sich in den Uffizien (äussere Vorhalle). Viel bescheidener, obwohl noch immer von gros- sem Reichthum, ist die vollständig erhaltene Thüreinfassung vom Porticus ** der Eumachia zu Pompeji (jetzt im Museum von Neapel als Eingang der Halle des Jupiter verwendet). ist bei einem ge- wissen Reichthum doch einfach in ihren Profilen; die Bronzethür selbst mag zwar noch antik, doch aus beträchtlich späterer Zeit sein. Am Hauptgebäude scheint aussen eine ehemalige Bekleidung von Stucco zu fehlen. Diesem Umstande verdanken wir den Anblick des vortrefflichen Ziegelwerkes, dergleichen beim Abfallen des Putzes von neuern Gebäuden wohl selten zum Vorschein kommen wird. Ob die Consolen, welche die Absätze der Stockwerke bezeichnen, die ursprüng- lichen sind, wissen wir nicht anzugeben. Im Innern überwältigt vor Allem die Einheit und Schönheit des Oberlichtes, welches den riesigen Rundbau mit seinen Strahlen und Reflexen so wunderbar anfüllt. Die Gleichheit von Höhe und Durch- Geschmack restaurirte, statt sich nach den so nahe liegenden Mustern zu richten. Das Pantheon. messer, gewiss an sich kein durchgehendes Gesetz der Kunst Und an gothischen Kathedralen, wo sie vorkömmt, ohne Zweifel nur Sache des Zufalls. , wirkt doch hier als geheimnissvoller Reiz mit. — Im Einzelnen aber möchte die Gliederung der Wand durch abwechselnd halbrunde und viereckige Nischen fast das einzige sein, was von Agrippa’s Bau noch übrig ist. Die Säulen und Pilaster dieser Nischen tragen zwar Capitäle von grosser Schönheit, doch nicht mehr von so vollendet reiner Bildung wie die der Vorhalle; auch die allzureiche, neunfache Cannelirung der Pilaster deutet wohl auf eine jener Restaurationen, deren von Domitian bis auf Caracalla mehrere erwähnt werden. Die beiden Gesimse, das obere und das untere, haben ihrer Einfachheit wegen noch eher An- spruch auf die Zeit Agrippa’s, obwohl der Porphyrfries Einiges zu denken giebt. Entschieden spät, vielleicht aus der Zeit des Septimius Severus, sind die Säulen und Giebel der Altäre, wenn auch schon ur- sprünglich ähnliche an ihrer Stelle standen, als entsprechender Contrast zu den Nischen, wie es der römische Bausinn verlangte. Aus welcher Zeit die Bekleidung der untern Wandflächen mit Streifen und Rundflä- chen verschiedenfarbiger Steine herrühren mag, lässt sich schwer ent- scheiden; man hat sie z. B. in der Madeleine zu Paris etwas zu ver- trauensvoll nachgeahmt. Die jetzige Bekleidung der Wandfläche des obern Stockes ist notorisch erst aus dem vorigen Iahrhundert; die ältern Abbildungen zeigen dort eine Pilasterreihe, als natürliche und wohlthuende Fortsetzung des Organismus im untern Stockwerk Wo und wie die Karyatiden angebracht waren, von welchen die vaticani- sche (im Braccio nuovo) eine sein soll, ist gänzlich unbekannt. . End- lich sind die Cassetten ihres jedenfalls prächtigen Metallschmuckes beraubt, doch auch noch in ihrer jetzigen Leere und Farblosigkeit von grosser Wirkung. Die Verschiebung ihrer Tiefe nach oben zu erscheint ursprünglich. Wer füllt aber das flache Rund, welches das Fenster umgiebt, mit den wahren alten Formen aus? Hier war für die ernste, monumentale Decoration der Anlass zur meisterlichsten Schöpfung gegeben. — Zum Beschluss machen wir noch auf eine Dis- harmonie aufmerksam, welche schon dem Baumeister Agrippa’s zur Last fällt. Die Thürnische und, ihr gegenüber, die Altarnische mit ihren runden Wölbungen schneiden in das ganze Rund auf eine üble 2* Architektur. Tempel der Penaten, des Mars Ultor. Weise ein; es entsteht eine doppelt bedingte Curve, die das Auge nicht erträgt, sobald es sie bemerkt hat. Nachbildungen des Pantheon können nicht gefehlt haben, und viel- leicht wussten die römischen Nachahmer besser als Bianchi, der S. Fran- cesco di Paola zu Neapel stückweise nach diesem Muster baute, auf was es im Wesentlichen ankam, nämlich auf die Einheit des Lichtes. a Der runde Vorbau von SS. Cosma e Damiano am Forum ist ein anti- ker Tempel (wahrscheinlich der Penaten ) mit ehemals reinem Oberlicht, aber kaum mehr kenntlich durch hohe Auffüllung im Innern (welche wahrscheinlich das scharfe Echo in der Mitte hervorgebracht hat) und durch eine im Mittelalter aus antiken Fragmenten an will- kürlicher Stelle eingesetzte Thür. Von Thermenräumen u. dgl. mit Oberlicht wird weiter die Rede sein. Der Ansatz der geradlinigen Vorhalle an den Rundbau ist an sich betrachtet immer disharmonisch und das Pantheon dürfte nicht als entschuldigendes Beispiel gelten, weil die Vorhalle erst ein späterer Gedanke, ein Pentimento ist, weil zwischen dem Rundbau und ihr die Bestimmung des Gebäudes verändert wurde. Wir werden sehen, wie bei spätern Gebäuden dieser Gegensatz aufgelöst und versöhnt wurde. Die überwiegende Mehrzahl der römischen Tempel ist oder war, wie bemerkt, von der länglich viereckigen Art. An den vorhandenen Fragmenten soll hier nur das künstlerisch Bemerkenswerthe hervor- gehoben werden. b Weit der edelste Bau dieser Art ist der Tempel des Mars Ultor , welchen Augustus nach dem Siege über Antonius an der Rückwand seines Forums errichtete. Seine Mauern waren nicht aus Ziegeln, son- dern aus mächtigen Travertinblöcken construirt mit einer Marmorbe- kleidung, von welcher noch der Sockel und einige der weitern Schichten erhalten sind. Die drei erhaltenen Säulen bestehen glücklicher Weise nicht aus Granit, sondern aus Marmor und sind von mustergültiger Cannelirung, ihre Capitäle trotz aller Entblätterung noch von über- raschender Schönheit. Vom Gebälk ist nur der Architrav erhalten, der schönste aller römischen Bauten, an der Untenseite mit Recht un- Tempel am Forum etc.; Tempel der Marciana. verziert. Unvergleichlich in ihrer Art ist die Innensicht der Decke des Porticus; die Querbalken mit einfacher Mäanderverzierung, die Cas- setten dagegen mit reichprofilirter Vertiefung, aus welcher mächtige Rosetten niederschauen. Es folgen die drei Säulen am Forum , früher als Tempel a des Jupiter Stator, jetzt bis auf Weiteres als Tempel der Minerva benannt Die allerneuste Benennung: T. des Castor und Pollux. . Die Capitäle sind noch immer schön, doch nicht mehr von dem Lebensgefühl durchdrungen wie die oben erwähnten; der Archi- trav hat schon eine stark verzierte Untenseite und im mittlern seiner drei Bänder eine Blätterreihe. Die obern Theile des Gebälkes dage- gen verdienen ihren Ruf vollständig. Zu rein für die Zeit des Restaurators Septimius Severus und zu unrein für das Jahr der ursprünglichen Erbauung (12 v. Ch.) sind die drei Säulen am Abhang des Capitols gebildet, welche die b Ecke des Saturnstempels ausmachten. (Früher als Jupiter tonans be- nannt). Die Capitäle sind noch sehr schön, haben aber bereits eine Blätterverzierung an der Deckplatte, deren Function nur ein einfaches Profil verlangt und erträgt. An der Vorderseite ist, wie bei mehrern Kaiserbauten, der Organismus des Gebälkes einer grossen Inschrift aufgeopfert, mit welcher moderne Baumeister Aehnliches zu rechtfer- tigen glaubten. — Zwischen den Säulen sind, der steilen Lage wegen, Stufen angebracht, die den Anschein eines Piedestals hervorbringen. Schon eine beträchtliche Stufe niedriger steht der Tempel der Schwester Trajans, Marciana , die jetzige römische Dogana di terra Früher hiess das Gebäude: Tempel des Antoninus Pius, und wäre demnach etwa unter Marc Aurel erbaut gewesen. Ich kenne die archäologischen Gründe für die jetzige Benennung nicht, glaube aber, dass die frühere besser zum Styl des Gebäudes passte. Für Trajan’s Zeit sind die Formen wohl schon zu flau und ausgeartet. Vielleicht wurde der Tempel wohl zur Ehre Mar- ciana’s, aber erst lange nach ihrem Tode gebaut. ; c der Architrav ist bloss zweitheilig, der Fries convex, das Zwischen- glied zwischen beiden sehr schwer, die Untenseite des Architravs mit nichtssagenden Ornamenten bedeckt. (Das Obergesimse scheint der- massen modern überarbeitet, dass wir kein Urtheil darüber haben. Die Ansicht von der Seite, den eilf Säulen entlang, ist belehrend für die Architektur. Tempel der Venus und Roma. Anschwellung und Ausbauchung römischer Ordnungen. Der Unterbau muss sehr hoch gewesen sein, da er noch jetzt aus dem Boden ragt.) a Von dem Wunderwerk Hadrian’s, dem Tempel der Venus und Roma , sind nur Stücke der beiden mit dem Rücken anein- ander gelehnten Cellen erhalten, nebst einem Theil der ungeheuern Unterbauten und Treppenrampen und einer Anzahl von Säulenfrag- menten. Man frägt sich nur wo der Rest hingekommen? Was wurde aus der 500 Fuss langen und 300 Fuss breiten Halle von Granitsäu- len, welche den Tempelhof umgab? was aus den 56 cannelirten Säu- len von griechischem Marmor (jede sechs Fuss dick), welche, zehn vorn und zwanzig auf jeder Seite (die Ecksäulen beidemale gerechnet), das Tempeldach trugen, wozu noch acht innerhalb der vordern und der hintern Vorhalle kamen? wie konnte das Gebälk bis auf ein ein- ziges, jetzt auf der Seite gegen das Colosseum eingemauertes Stück gänzlich verschwinden? — Wenn irgendwo, so äussert sich hier die dämonische Zerstörungskraft des mittelalterlichen Roms, von welcher sich das jetzige Rom so wenig mehr einen Begriff machen kann, dass es beharrlich die nordischen „Barbaren“ ob all der gräulichen Ver- wüstungen anklagt. Wenn auch die 5½ Fuss dicke Marmormauer (denn hier waren es keine blossen Platten), welche die Ziegelmauer umgab, wenn die porphyrne Säulenstellung im Innern der beiden Cellen mit sammt dem Schmuck aller Nischen und der Bodenbeklei- dung geraubt wurde, so ist dies noch eher zu begreifen, weil es eine leichtere Aufgabe war. — Hadrian hatte bekanntlich den Tempel sel- ber componirt und dabei auf einen höhern Totaleffekt des so wunder- lich in zwei Hälften getheilten Innern aus irgendwelchen Gründen verzichtet. Wenn aber der Tempel selbst 333 Fuss lang und 160 Fuss breit war, so blieb, bei der oben angegebenen Ausdehnung der Halle des Tempelhofes auch für die Wirkung von aussen nur ein verhält- nissmässig schmaler Raum übrig; der Beschauer konnte sich vorn oder hinten kaum 80 Fuss von einer Fassade entfernen, die vielleicht dop- pelt so hoch war (nämlich etwa so hoch als breit). Für den Anblick aus der Ferne war diess wohl gleichgültig, indem der Tempel mit seiner enormen Masse Alles überragte. — Welcher Ordnung seine Capitäle gewesen, ist unbekannt; der Wahrscheinlichkeit nach wird er hier bei den korinthischen aufgezählt. Die Halbkuppeln der beiden Ni- Tempel des Antonin, Tempel zu Assisi. schen haben nicht mehr quadratische, sondern rautenförmige Cassetten, welche mit denjenigen des Schiffes der Cella in offenbarer Disharmo- nie stehen, dennoch aber fortan kunstüblich wurden. Der Tempel des Antoninus und der Faustina , ein Bau a Marc Aurels, ist für diese Zeit ein sehr schönes Gebäude. Die Ci- pollinsäulen sind zwar, um den prachtvollen Stoff ungestört wirken zu lassen, uncannelirt geblieben, tragen aber Capitäle, die bei einer fast totalen Entblätterung noch eine einst ganz edle Form ahnen lassen. Der Architrav ist nur noch zweitheilig, an der Unterseite mässig (mit Mäandern) verziert; der Fries, soweit er erhalten ist, enthält treff- liche Greife, Candelaber und Arabesken; das Obergesimse, statt der Consolen mit einer weitvorragenden Hohlrinne versehen, ist noch ein- fach grossartig gebildet (nur an den Seiten sichtbar). Der Kernbau bestand wie beim Tempel des rächenden Mars aus Quadern (hier von Peperin), welche mit Marmorplatten überzogen waren. Von den Gebäuden dieser Gattung ausserhalb Roms gehört der schöne Minerventempel von Assisi mit seiner vollständig erhaltenen b sechssäuligen Fronte noch in die bessere Zeit der korinthischen Bau- ordnung; die Formen sind noch einfach und ziemlich rein, der Giebel niedrig. Auch hier sind zwichen den Säulen Stufen angebracht, welche den Säulen das Ansehen geben, als ständen sie auf Piedestalen. Und in der That hat man diesen Zwischenstücken der Basis ein beson- deres kleines Gesimse gegeben, welches besagten Anschein noch er- höht. Allein an keinem einzigen Tempel haben die Säulen wirkliche Piedestale; diese entstehen erst, wo weit auseinanderstehende Säulen zur Decoration einer dazwischen liegenden Bauform, z. B. eines Bo- gens dienen müssen und doch, um anderweitiger Gründe willen, nur mässige Dimensionen haben dürfen, welchen man durch einen Unter- satz nachzuhelfen genöthigt ist. Ausser den genannten Tempeln wird man noch an vielen ältern Kirchen Italiens einzelne Säulen und Gebälkstücke von Tempelruinen in die jetzige Mauer aufgenommen finden, allein sehr selten an ihrer echten alten Stelle und kaum irgendwo so, dass sich auf den ersten Anblick der ehemalige Organismus und seine Verhältnisse errathen Architektur. Tempelfragmente. Pompeji. a liessen. An S. Paolo in Neapel stehen von der Colonnade des Dios- kurentempels, die noch im XVII. Jahrhundert fast vollständig zu sehen b war, nur noch zwei korinthische Säulen. Den Dioskurentempel in Cora muss man aus zwei korinthischen Säulen mit einem Gebälk- c stücke ergänzen. Der grosse Fortunentempel von Palestrina ist mit all seinem Terrassen- und Treppenwerk von einem Theil des jetzigen Städtchens völlig überbaut; ehemals vielleicht eine der präch- d tigsten Anlagen der alten Welt. Der Dom von Terracina ist in die Trümmer eines korinthischen (?) Tempels, wahrscheinlich des Ju- piter Anxur hineingebaut, von welchem noch der Unterbau und zwei Halbsäulen (hinten) eine bedeutende Idee geben. Vorzüglich durch die Anlage bedeutend ist der ebenfalls korinthi- e sche Herculestempel zu Brescia ; an einen Abhang gelehnt und desshalb mehr Breitbau als Tiefbau, ragt er mit seinen drei Cellen auf hohen Substructionen; der Porticus tritt in der Mitte um zwei Säulen vor, und an diesen Vorbau setzt dann die breite Treppe an. Von den Säulen und den Mauern der (jetzt innen zum Museum be- nützten) Cellen ist so viel erhalten, dass das Auge mit dem grössten Vergnügen sich den ehemaligen, hochmalerischen Anblick des Ganzen vergegenwärtigen kann. Von den Tempeln in Pompeji erhebt sich, seit dem Verschwin- den des altdorischen Heraklestempels, keiner über ein bescheidenes Maass; ihre Säulen, meist aus Ziegeln mit Stuccoüberzug, sind in so beschädigtem Zustand auf unsere Zeit gekommen, dass bei mehreren f selbst die Ordnung zweifelhaft bleibt, der sie angehörten. Der Jupiter- tempel auf dem Forum hat noch Reste seiner korinthischen Vorhalle (ausser der schon erwähnten ionischen Ordnung im Innern); allein das Material gestattete nicht diejenige freie und lebendige Durchbildung, welche das korinthische Capitäl, das Lieblingskind des weissen Mar- mors, verlangt. Pompeji liefert hier, wie in mancher andern Bezie- hung, wichtige Aufschlüsse darüber, wie die Alten auch mit geringen Mitteln einen erfreulichen Anblick hervorzubringen wussten. Allerdings muss das Auge hier (wider Erwarten) gar Vieles restauriren, indem die vielleicht meistentheils hölzernen Gebälke verschwunden und die Tempel zu Pompeji. Rundtempel. Säulen halb oder ganz zertrümmert sind; allein schon der Gedanke an das ehemalige Zusammenwirken der Tempel und ihrer Höfe mit Hallen und Wandnischen ergiebt einen grossen künstlerischen Genuss. (Tem- a pel der Venus, des Mercur oder Romulus, der Isis.) Man kann sich b genau überzeugen, aus welcher Entfernung der Baumeister seinen Tem- pel betrachtet wissen wollte, und wie wenig ihm der perspectivi- sche Reiz, der sich ja hier in so vielen Privathäusern auf einer an- dern Stufe wiederholt, etwas Gleichgültiges war. (Von dem hübschen Fortunentempel, welcher ohne Hof an einer Strassenecke frei heraus- c ragt, ist leider die Vorhalle ganz verschwunden.) Allerdings zeigt sich nur weniges von Stein und fast nichts von Marmor, aber das Ziegelwerk Das so hübsch aussehende „Opus reticulatum“, welches hier und an andern Römerbauten überall vorkömmt — schräg über einander liegende quadrati- sche Backsteinenden — war nicht bestimmt gesehen zu werden, sondern den Mörtel zu tragen. ist fast durchgängig trefflich und der dick darauf getragene Mörtel und Stucco von einer Art, welche den Neid aller jetzigen Techniker erre- gen mag. Die Formen zeigen wohl oft, wie z. B. am Isistempel, eine d barocke Ausartung, doch mehr die untergeordneten als die wesentlichen. Was die Hallen der Tempelhöfe (und der zum Verkehr bestimmten Räume überhaupt) betrifft, so vergesse man nicht, dass hier das Be- dürfniss weitere Zwischenräume zwischen den Säulen verlangte als man an der Säulenhalle des Tempels selbst gut heissen würde, und dass hier wahrsheinlich schon die Griechen selbst mit dem vernünftigen Bei- spiel vorangegangen waren. Sich zum Sklaven einmal geheiligter Bau- verhältnisse zu machen, sieht ihnen am allerwenigsten ähnlich. Von Rundtempeln mit umgebender korinthischer Säulenhalle sind uns durch eine Gunst des Geschickes zwei verhältnissmässig gut erhaltene übrig geblieben, in welchen diese überaus reizende Bauform noch ihren ganzen Zauber ausspricht. Aus guter, vielleicht hadriani- scher Zeit stammt der Vestatempel zu Tivoli , welcher nicht nur e die meisten seiner cannelirten Säulen, sondern auch die schöne Decke des Umganges mit ihren Cassetten und das Meiste des Gebälkes sammt Architektur. Rundtempel. a dem verzierten Fries noch aufweist. Am sog. Tempel der Vesta (nach jetziger Ansicht der Cybele) zu Rom fehlt sogar von den schlanken, dicht gestellten zwanzig Säulen nur eine, aber dafür das ganze Gebälk; von der vierstufigen Basis sind wenigstens noch Stücke sichtbar. Nach den Capitälen zu urtheilen gehört das Gebäude etwa in das III. Jahrhundert; der Kelch greift mit seinem Rande nicht mehr über den Rand der ziemlich dick gebildeten Deckplatte und die Aus- führung der Blätter hat schon etwas leblos Decoratives. Die Seiten- fenster erklären sich vielleicht durch die Kleinheit beider Gebäude, in welchen unter einer Kuppelöffnung kein Gegenstand vor dem Wetter sicher gewesen wäre; doch bleiben sie immer auffallend. b Von dem runden Serapistempel zu Pozzuoli mit seiner vier- seitigen Hofhalle stehen nur noch die berüchtigten drei Säulen, über deren von Seeschnecken ausgefressenen obern Theil sich die neapoli- tanische Gelehrsamkeit noch immer den Kopf zerbricht. (Das See- wasser zwischen dem Tempel und der Halle, welches den malerischen Effekt so sehr erhöht, ist erst in neuerer Zeit eingedrungen.) Ganz kleine Rundtempel fielen wohl eher der zierlichen ionischen als der korinthischen Ordnung zu, deren Capitäl eine gewisse Grösse verlangt, wenn sein inneres Gesetz sich klar aussprechen soll Indess hatte sich aus guter griechischer Zeit ein einfacheres korinthisches Capitäl erhalten, welches für solche kleinere Aufgaben sehr wohl passte. Es hat bloss vier Blätter, welche gleich die Eckvoluten tragen; zwischen ihnen * unten Eier, oben am Kelche Palmetten. In S. Niccolò in Carcere zu Rom haben sich von einem der Tempel, welche in diese Kirche verbaut sind, noch fünf Säulen mit solchen Capitälen gerettet. Der noch sehr guten Detailbildung gemäss möchten sie dem II. Jahrhundert angehören. . So c scheint das Tempelchen im Klosterhof von S. Niccolò a’ Cesarini d zu Rom (vier Säulenstücke) und das sog. Puteal beim Herakles- tempel zu Pompeji (acht untere Enden) ionischer Ordnung gewesen zu sein. Moderne Nachahmungen wie die beiden Rundtempelchen ohne e Cella in der Villa Borghese geben nur einen sehr bedingten Begriff von der Anmuth antiker Ziergebäude dieser Art, auch wenn sie (wie die genannten) aus antiken Bruchstücken zusammengesetzt sind. Tempel von Composita-Ordnung wüssten wir keine zu nennen, wie denn diese Ordnung überhaupt mehr die der Triumphbogen und Schicksal der Säulen etc. Paläste scheint gewesen zu sein. (Eine Anzahl Composita-Capitäle a in der Kirche Ara Celi zu Rom.) Weit die grösste Anzahl erhaltener antiker Säulen, wohl in der Regel von Tempeln, findet man in den christlichen Basiliken Italiens, wo sie Mittelschiff und Vorhalle tragen, auch wohl auf alle Weise eingemauert stehen. Beim Sieg des Christenthums waren gewiss die heidnischen Tempel überall die ersten Gebäude, welche ihren Schmuck für die Kirchen hergeben mussten. Die ältern Basiliken, aus dem ersten christlichen Jahrtausend, da die Auswahl noch grösser war, ruhen in der Regel auf den ehemaligen Aussensäulen von einem antiken Ge- bäude, welche sich desshalb gleich sind und identische Capitäle haben. (Glänzendes Beispiel: S. Sabina auf dem Aventin). Später war man b schon genöthigt, Säulen von verschiedener Ordnung und Grösse von verschiedenen Gebäuden zusammen zu lesen, die einen zu kürzen, die andern durch Untersätze zu verlängern und mit barbarisch nachge- ahmten Capitälen nachzuhelfen. — So wurden wohl die Tempel zu Kirchen umgewandelt, aber in einem ganz andern Sinne als man sich es wohl vorstellt. — Wir zählen diese Bauten nicht hier auf, weil ihr wesentliches Interesse eine andere Stelle in Anspruch nimmt und weil die Detailbildung, namentlich an den korinthischen Säulen der Ba- siliken ausserhalb Roms, selten oder nirgends so vollkommen rein und schön ist, dass sie schon hier als klassisch erwähnt zu werden verdiente. So gross nun der Verbrauch von Tempelsäulen für die Kirchen sein mochte, so weit man herkam, um in Rom Säulen zu holen Bekanntlich geschah dies z. B. durch Carl den Grossen. — Noch im XII. Jahr- hundert hing es an einem Haar, dass nicht für den Neubau von S. Denys bei Paris die Säulen fertig von Rom bezogen wurden. , so ist doch das gänzliche Verschwinden vieler Tausende derselben immer noch eine unerklärte Thatsache. Rechne man hinzu die verlornen Ge- bälke, deren einzelne Theile doch, vom Architrav bis zum Kranzge- simse, also oft in einem Durchmesser bis zu sechs Fuss, aus Einem Stück gearbeitet wurden und sich, wenn sie noch da wären, bemerk- lich machen müssten. Neben den zwei Riesenfragmenten vom Son - Architektur. Grabmäler. a nentempel Aurelians (im Garten des Palazzo Colonna zu Rom) frägt man sich unwillkührlich, wo der Rest hingekommen. Vieles mag allerdings noch unter der jetzigen Bodenfläche übereinandergestürzt liegen, sonst aber darf man etwa vermuthen, dass das mittelalterliche Rom seine Kalköfen mit dem antiken Marmor gespeist habe. An die Tempel schliessen sich von selbst die Grabmäler an, welche ja in gewissem Sinne wahre Heiligthümer der Manen waren. Wir übergehen die altitalischen mit ihrer jetzt meist sehr formlosen Kegelgestalt * An dem sog. Grabmal der Horatier und Curiatier vor Albano ist die Beklei- dung des Untersatzes und der fünf Kegel fast ganz modern. oder ihren Felsgrotten und Gewölben, um uns den Wer- ken einer durchgebildeten, frei schaltenden Kunst zuzuwenden. Diese behielt zunächst, für die Gräber der Grossen dieser Erde, die runde Gestalt bei und gab ihr den Charakter eines mächtigen Baues b mit griechischen Formen. So ist das Grab der Cäcilia Metella an der Via Appia vor Rom ein derber Rundbau auf viereckigem Unter- satz, mit dem bekannten schönen Fries von Fruchtschnüren und Stier- schädeln, innen mit einem konischen Gewölbe. Aehnlich (?) das des Mu- c natius Plancus zu Gaeta . — Noch viel herrlicher aber waren die Grabmäler ausgestattet, welche Augustus und Hadrian für sich und ihre Familien bauten. Freilich verräth deren jetzige Gestalt — der d sog. Correo und die Engelsburg — nicht mehr viel von der ehe- maligen terrassenweisen Abstufung mit rund herum gehenden Säulen- e hallen und Baumreihen bis zur Kuppel empor. (Das runde Mauso- leum der Kaiserinn Helena, jetzt Tor Pignattara vor Porta maggiore, lohnt in seinem jetzigen Zustande den Besuch nur noch für den Forscher. f Ein grosses rundes Denkmal nebst einem andern, thurmartigen, steht zu Conochia, zwischen Alt-Capua und Caserta.) Eine jetzt vereinzelt stehende Grabform (die aber früher noch in g Rom ihres Gleichen hatte) ist die Pyramide des Cajus Cestius , bei Porta S. Paolo; die Grille eines reichen Mannes, vielleicht angeregt durch Eindrücke des damals neu eroberten Aegyptens. Wie die co- lossale Bildsäule des Verstorbenen und die noch jetzt in Resten vor- Grabmäler in Capellenform. handene Säulenstellung mit der so unzugänglichen Pyramidalform iu einige Harmonie gebracht war, lässt sich schwer errathen. Sonst war für reichere Privatgräber die viereckige Capelle mit einer Halle von vier Säulen, oder zwei Pfeilern und zwei Säulen, auch bloss mit Pilastern, oft auf hohem Untersatz, der beliebteste Typus. Das Innere bestand entweder bloss aus einer kleinen untern Grab- kammer mit Nischen, oder auch noch aus einem obern gewölbten Raum. Dieser Art sind sehr viele von den Gräbern an der Via Appia we- nigstens gewesen, denn die Zerstörung hat an keinem einzigen die Steinbekleidung verschont, so wenig als an den sog. Gräbern des As- a canius und des Pompejus bei Albano , an dem des Cicero bei Mola b di Gaeta und an so vielen andern. Am besten ist es einzelnen grossentheils von Backsteinen errichteten Grabmälern ergangen, wie z. B. demjenigen beim Tavolato vor Porta S. Giovanni, und dem c fälschlich so benannten Tempel des Deus rediculus (am Wege d zur Grotte der Egeria). Hier sind nicht bloss die Mauern, sondern auch die (allerdings unreinen) baulichen Details von einen Stoff ge- bildet, der nicht wie die verschwundenen Marmorvorhallen die Raub- sucht reizte und vermöge höchst sorgfältiger Bereitung den Jahrtau- senden trotzen kann. (Bezeichnend: die möglichste Dünnheit und daher gleichmässige Brennung des Backsteins; Zusammensetzung sogar der Zierrathen aus mehrern Platten.) — Ganz wohl erhalten ist nur der sog. Bacchustempel , aus später Kaiserzeit (als Kirche: S. Urbano, über e dem Thal der Egeria), welcher noch seine vollständige Fassade mit Säulen und Pilastern, sein Untergeschoss mit den Grabresten und sein Obergeschoss mit cassettirtem Tonnengewölbe besitzt, zugleich aber durch den schweren Aufsatz zwichen dem Gebälk und dem backstei- nernen Giebel Anstoss giebt. — (Eine Spielerei wie das Grab des f Eurysaces an der Porta Maggiore zeigt nicht weniger als die Py- ramide des Cestius, dass der Aberwitz im Gräberbau nicht ausschliess- lich eine Sache neuerer Jahrhunderte ist.) Alles erwogen, möchten diese Gräber in Capellenform das Beste gewesen sein, was sich in dieser Gattung schaffen liess. Sie sind Collectivgräber und enthalten, nach der schönen Sitte des Alterthums, die Nischen für die Aschenkrüge ganzer Familien, auch wohl ihrer Freigelassenen auf einem verhältnissmässig sehr kleinen Raum bei- Architektur. Grabmäler. Columbarien. Pompeji. a sammen. Auf dem neuen Campo santo bei Neapel und anderswo hat man dieses Motiv wieder aufgegriffen und sowohl Familiengrüfte als auch Grabcapellen für die Mitglieder der sog. Confraternitäten in Form von kleinen Tempeln errichtet. Trotz der meist sehr oberfläch- lich gehandhabten antiken Nachahmung ist jenes Camposanto jetzt der schönste Kirchhof der Welt, auch ganz abgesehen von seiner Lage. Andere Kirchhöfe, deren Werth in den prächtigsten Separatgräbern be- steht, werden ihn in der Wirkung nie erreichen. Und wie viel grösser würde diese noch sein, wenn man die echten griechischen Bauformen angewandt und nicht ein abscheulich missverstandenes Gothisch neben die lahme Classicität hingesetzt hätte. Ohne allen baulichen Schmuck erscheinen (wenigstens jetzt) einige sog. Columbarien , unterirdische Kammern mit bisweilen äusserst zahlreichen Nischen (bis auf 150) für die Aschenkrüge. So dasjenige b für die Dienerschaft des augusteischen Hauses an der Via Appia (inner- c halb Porta S. Sebastiano) und dasjenige in der Villa Pamfili. Ihre innere Verzierung besteht, z. B. beim letztern, in einem gemalten Fries, an- derswo in Arabesken an der gewölbten Decke u. s. w. d Endlich bietet uns die Gräberstrasse Pompeji ’s eine ganze Anzahl der verschiedensten Grabformen dar, Capellen, Altäre, halb- runde Steinsitze u. s. w. Die neuere Decoration, in ihrer Verlegen- heit um würdige Gestaltung der letzten Ruhestätte, hat sich oft hieher an die Heiden gewandt, um sich Rathes zu erholen, und unsere nordi- schen Kirchhöfe sind damit nur noch bunter geworden. Die Alten werden uns aus der Grabmäleranarchie, in die wir aus innern Gründen un- serer Bildung verfallen sind, nie heraushelfen, so lange wir ihnen nur den Zierrath und nicht das Wesentliche absehen, nämlich das Collec- tivgrab. Dieses ist freilich am ehesten bei der Leichenverbrennung mit mässigen Mitteln schön auszuführen, und unsere Sitte verlangt be- harrlich die Beerdigung, ohne darauf zu achten, welches Schicksal später die Gebeine zu treffen pflegt, sobald ein Kirchhof einer andern Be- stimmung anheimfällt, und wie viel sicherer die Aschenkrüge in einem verschlossenen kleinen Gewölbe geborgen sind. — Seit dem II. Jahr- hunderte kamen mit der Beerdigung die Sarcophage wieder in Ge- brauch, welche theils im Freien, theils in unterirdischen Grüften, theils in Grabgebäuden wie die bisher üblichen gestanden haben mögen. Ehrendenkmäler. (Der Verfasser gesteht, keinen heidnischen Sarcophag an der ursprüng- lichen Stelle gesehen zu haben.) Römisch-christliche Mausoleen werden an einer andern Stelle besprochen werden. Auf die Grabdenkmäler mögen die Ehrendenkmäler am schick- lichsten folgen. Wir sehen einstweilen ab von den Ehrenstatuen, welche von hoher Basis herab die Plätze der Städte beherrschten (man ver- gleiche die Basen auf dem Forum von Pompeji, etc.) und beseitigen auch einige sehr entstellte Baulichkeiten: Das Denkmal des augu- a steischen Krieges gegen die Alpenvölker zu Turbia bei Monaco (jetzt bloss ein vierseitiger thurmartiger Mauerkern); die Trofei di b Mario , d. h. die einst plastisch geschmückte dreitheilige Fronte eines Wassercastells der Aqua Julia in Rom (unweit hinter S. Maria mag- giore), u. dgl. m. Von den Säulen des Trajan und des Marc c Aurel wird bei Anlass der Sculptur weiter die Rede sein; hier sind sie zu erwähnen als sehr unglückliche Versuche, einer ungeheuern Masse bildlicher Darstellungen einen möglichst compendiösen Träger oder Raum zu verschaffen. Die Säule musste hiezu ihrer Bestimmung, welche das Tragen eines Gebälkes ist, entfremdet und mit spiralför- migen, also fast wagrechten Linien umgeben werden, die ihrem innern Sinn geradezu widersprechen; die so angebrachten Sculpturen aber geniesst auch das schärfste Auge nicht mehr. Doch muss man aner- kennen, dass wenigstens das Capitäl sehr angemessen als blosser ver- zierter Säulenabschluss, als Echinus mit Eierstab, nicht als Ueberlei- tung der Tragekraft gebildet ist. (Die zwischen beiden Denkmälern zeitlich in der Mitte liegende Säule des Antoninus Pius bestand aus einem glatten Granitschaft, auf einem Marmorpiedestal mit Sculpturen, welches letztere allein noch erhalten ist. Die Säule des Phocas d auf dem Forum wurde von einem Gebäude des II. Jahrhunderts ge- raubt, um im VII. Jahrhundert als Ehrendenkmal zu dienen; die Co- e lumna rostrata des Duilius aber, in der untern Halle des Conserva- torenpalastes auf dem Capitol, wurde im XVI. Jahrhundert der alten Inschrift zu Liebe aus der Phantasie hinzugeschaffen.) Architektur. Obelisken. Triumphbogen. Auch von den Obelisken muss hier die Rede sein, obschon sie im alten Rom nicht zu abgesonderten Denkmälern dienten, wofür sie sich auch sehr wenig eignen, sondern vielmehr zum bedeutungsvollen Schmuck von Gebäuden. Sie hielten Wache am Eingange des Mauso- leums des Augustus; sie standen auf der Mitte der Mauer (Spina), welche die Cirken der Länge nach theilte; einer warf auch, gewiss von angemessenem baulichem Schmuck umgeben, als Sonnenzeiger seinen Schatten auf das Marsfeld. Wahrscheinlich gaben ihnen schon die Römer senkrechte Piedestale zur Unterlage, während ihre höchste formale Wirkung im alten Ägypten gewiss darauf beruhte, dass sie erstens ganz aus Einem Steine bestanden und zweitens mit ihren schie- fen Seitenflächen bis auf die Erde reichten. Das Wesentliche aber war, in Rom wie im alten Ägypten, die Aufstellung im Zusammenhang mit einem monumentalen Bau. Neuere wundern sich bisweilen mit Unrecht, wenn ein aus hunderten von Steinen zusammengesetzter Obe- lisk, einsam in die Mitte eines grossen viereckigen Platzes einer mo- dernen Hanptstadt hingestellt, trotz aller Höhe und trotz allen Orna- menten nur als reinster Ausdruck der langen Weile wirkt Bei diesem Anlass darf man fragen: wer hat die Obelisken umgestürzt und * bloss den von S. Peter auf seiner Spina (in der Nähe der jetzigen Stelle) stehen lassen? Erdbeben oder Fanatiker waren es nicht, denn diese hätten auch gar vieles andere umstürzen müssen, das noch aufrecht steht. Ich rathe unmassgeblich auf mächtige Schatzgräber in den dunkelsten Zeiten des Mittel- alters (etwa im X. Jahrhundert) und erinnere an die fast durchweg arg zer- störten und desshalb abgesägten untersten Theile, wo man den Obelisken mit Feuer und allen möglichen Instrumenten zugesetzt haben mag. Den von S. Peter schützte dann wahrscheinlich die Nachbarschaft des Heiligthumes, oder die mehrmalige Enttäuschung. . Weit die wichtigsten Kaiserdenkmäler, mit Ausnahme jener bei- den Spiralsäulen, sind die Triumphbogen , eine echt italische, und zwar etruskische Form des Prachtbaues, welche uns zugleich den Sinn römischer Decoration deutlicher offenbart als die meisten sonstigen Üeberreste. — Das einfache oder dreifache Thor erhielt eine Beklei- dung architektonischer und plastischer Art, die allerdings nicht aus Triumphbogen. dem Innern kommt, sondern wie eine glänzende Hülle herumliegt, in dieser Gestalt aber die Kunst doch immer beherrschen wird. Die Provinzen enthalten fast lauter einfachere Bauten dieser Art, welche zugleich der Zeit nach zu den frühesten gehören. So die Bogen des Augustus in Aosta, Susa, Fano und Rimini , mit zwei korin- a thischen Säulen oder Halbsäulen und einem Gesimse nebst Giebel oder flachem Aufsatz (Attica). Sehr edel, schlank und einfach der mar- morne Bogen Trajans am Hafen von Ancona , einzelner (bronze- b ner?) Zierrathen beraubt, ohne Zweifel auch der Bildwerke, mit wel- chen man sich das Dach jedes Triumphbogens bekrönt denken muss. In Rom beginnt die Reihe (abgesehen von dem sehr entstellten c und wahrscheinlich späten Drususbogen ) mit dem berühmten Denk- mal des Titus , welches unter Pius VII bescheiden und zweck- d mässig restaurirt wurde. An dem echten mittlern Stück sind, in rich- tiger Würdigung der Kleinheit des Ganzen, blosse Halbsäulen (von Composita Ordnung) angebracht, welche unten keines besondern Piede- stals, sondern nur des durchgehenden Sockels bedurften. Die Ein- fassung des Bogens selbst, wie gewöhnlich mit der Gliederung eines Architraves, ist hier einfach und edel, der Schlussstein als eine prächtige Console gestaltet. Im Innern des Bogens sind die Cassetten von der schönsten Art, ebenso aussen das Hauptgesimse mit dem figu- renreichen Fries. (Über die Sculpturen dieses und der folgenden Mo- numente siehe unten.) Die Flächen neben und seitwärts über dem Bogen selbst waren nicht mit Reliefs geschmückt, wie an dem sonst ähnlich angelegten Trajans-Bogen von Benevent, sondern glatt und mit e zwei Fensternischen versehen, wie alte Fragmente beweisen; die Mitte der Attica nimmt die Inschrift ein, die noch jetzt an der Seite gegen das Colosseum echt erhalten ist. (An der andern Seite war sie einst iden- tisch wiederholt.) Zur Vollendung des Eindruckes gehört unbedingt noch der eherne Wagen des Imperators mit der Victoria und dem Viergespann oben auf dem Dache. Den reichern, dreithorigen Typus vertritt zunächst der Bogen des f Septimius Severus . Hier haben wir zwar nicht das älteste Bei- spiel, aber zufällig den ersten Anlass zur nähern Erwähnung für eine den Römern eigene Bauform, die vortretenden Säulen auf Piedestalen, welchen oben ein ebenfalls vortretendes (vorgekröpftes) Gebälkstück ent- B. Cicerone. 3 Architektur. Triumphbogen. spricht; auf diesem letztern fand sich die wirkungsreichste Stelle für ein decoratives Standbild. Der überaus reiche und prächtige Effect solcher Säulen, wenn man sich eine ganze Reihe derselben an einer Mauer fortlaufend denkt, lässt es wohl vergessen, dass der Zierrath ein rein willkürlicher ist und mit dem innern Organismus des Gebäu- des nichts zu schaffen hat; es ist die dem Auge angenehmste Bele- bung der Wand mit schönen, reichschattigen Einzelformen, die sich ersinnen lässt. Sie entstand, wie oben (Seite 23) bemerkt, sobald weite Intervalle mit Säulen decorirt werden mussten. Die vortretende Säule selbst erhielt hinter sich, bisweilen auch zu beiden Seiten, einen oder drei analog gebildete Pilaster zur Begleitung, welche die Wand an- genehm unterbrechen. — Am Severusbogen sind allerdings die Details mit ermüdendem Reichthum und schon etwas lahm gebildet; auch stört die Inschrift, welche prahlerisch die ganze Breite der Attica einnimmt. Ehemals mochten die Statuen gefangener Partherkönige auf den Gesimsen der vier vortretenden Säulen die Eintönigkeit eini- germassen aufheben. Das Ehrenthor, welches die Goldschmiede in Rom demselben a Kaiser und seinem Hause errichteten, ist ein Beleg dafür, wie unbedenk- lich und beliebig die Baukunst zu Anfang des III. Jahrhunderts mit ihren Formen wenigstens im Kleinen umging, indem sie dieselben mit Zierrathen aller Art anfüllte. Die Renaissance berief sich in der Folge b auf dergleichen. — Der Bogen des Gallienus ist im Gegensatze hiezu fast nüchtern einfach, kommt aber als Bau eines Privatmannes hier kaum in Betracht. c Es folgt der Bogen Constantins d. Gr ., bekanntlich plastisch ausgestattet mit dem Raub von einem bei diesem Anlass zerstörten Bogen Trajans, der vielleicht, doch gewiss nicht durchgängig, auch als bauliches Vorbild diente und wohl auch manche einzelne Baustücke hergab. Wenigstens contrastirt z. B. die Roheit des Obergesimses der Piedestale, das derbe Sichvorschieben des Architravs u. dgl. stark mit andern, viel bessern Details, z. B. mit den hier noch korinthischen Capitälen. Über den vortretenden Gesimsen derselben finden sich noch die Statuen an ihrem ursprünglichen Platze, unseres Wissens das ein- zige erhaltene Beispiel. Es wäre interessant zu ermitteln, ob die runden Reliefs am untergegangenen Trajansbogen dieselbe Stelle einnahmen wie Janusbogen. Thore. hier. — Im Mittelthor an den Pfosten bemerkt man Nietlöcher für bronzene Trophäen. Der räthselhafte Janusbogen , als ein Obdach für die Kaufleute a des damaligen Forum boarium betrachtet, giebt sich seiner mächtigen Construction zufolge eher als das Erdgeschoss eines Thurmes kund, welcher aus irgend einem wichtigen Grunde gerade hier stehen und doch den Verkehr nicht stören sollte. Seine äussere Bekleidung mit Reihen theils tiefer theils flacher Nischen mit halbrundem Abschluss ist eine kindisch müssige, die Formation aller Gesimse eine ganz lahme und leblose, für welche auch die späteste Kaiserzeit kaum schlecht genug ist. Um die fehlende Bekleidung mit vortretenden Säulchen und Giebelchen möchte es kaum Schade sein. Die Thore der Römer, sämmtlich rundbogig, sind hier nur in so weit zu erwähnen, als sich in ihnen eine entschiedene künstlerische Absicht ausdrückt; das gewöhnliche Thor, als Glied der Stadtmauer gehört in das Gebiet der Alterthumskunde. Doch muss schon hier be- merkt werden, dass wo es irgend anging, ein Doppelthor, für die Kommenden und für die Gehenden errichtet wurde. Sehr alterthümlich, obschon erst aus der Zeit des Augustus, ist die Decoration der Porta Augusta in Perugia , ionische Pilaster an b der Attica und Schilde dazwischen. Die Porta Marzia , deren Bogen c man in die Mauer des Castells derselben Stadt eingelassen sieht, könnte trotz ihres kindlichen und desshalb für altetruskisch geltenden Aus- sehens gar wohl ein Bau der spätesten Kaiserzeit sein. Von den Thoren Roms haben nur sehr wenige, und diese nur den über sie gehenden Wasserleitungen zu Liebe den Umbauten des fünften und der folgenden Jahrhunderte entgehen können. Von höherm monumentalem Werthe ist bloss die Porta maggiore , ein (noch jetzt d hohes) Doppelthor mit drei Fensternischen nebst Giebeln und Halbsäulen innen und aussen Diese Säulenstellungen neben und zwischen den Thoren sind wohl nicht aus der Zeit des Claudius, sondern aus dem III. Jahrhundert, wie die Capitäle ; der Oberbau besteht aus den Wänden der Aquä- ducte mit den Inschriften. 3* Architektur. Thore von Verona. a Die antiken Thore von Spoleto sind einfache Bogen, diejenigen b von Spello nicht viel mehr. Ein Doppelthor, mit einer von reichverzier- c ten Fenstern und Nischen durchbrochenen Obermauer, die Porta de’ Borsari in Verona , aus der Zeit des Gallienus, ist sowohl in der Anlage als in der Decoration ein Hauptzeugniss für die spielende Aus- artung, welche sich im III. Jahrhundert der Baukunst bemächtigt hatte. d Der Arco de’ Leoni , die erhaltene Hälfte eines Doppelthores, eben- falls aus gesunkener Zeit, ist doch nicht ganz in dem kleinlichen Geist der Porta de’ Borsari erfunden; die obere Nische, für deren Einfassung hier die reichste Form, die spiralförmig cannelirte Säule, aufgespart ist, konnte mit einer plastischen Gruppe versehen eine ganz gute ab- schliessende Wirkung machen. — Ein drittes veronesisches Denkmal, e der Arco de’ Gavi , in der Nähe des Castel vecchio, wurde 1805 zerstört. Nachbildungen desselben erkennt man in verschiedenen Al- tären der Renaissance-Zeit, welche dieses Gebäude sehr schätzte; dahin f gehört z. B. der Altar der Alighieri im rechten Querschiff von S. Fermo, von einem Abkömmling Dante’s, welcher selbst Baumeister war; und g der vierte Altar rechts in S. Anastasia. und Profile beweisen; — sie sind ferner nicht geflissentlich theilweise roh gelassen, sondern unvollendet; wären sie aus dem ersten Jahrhundert, so hätte man auch Zeit und Kraft gefunden, sie auszumeisseln; wären sie ab- sichtlich so gelassen, so wäre dies consequenter und nicht so ungleich und principlos geschehen. Die Architekten des XVI. und XVII. Jahrhunderts, welche mit Berufung auf dieses Denkmal ihre sog. Rustica-Säulen schufen, haben sich doch wohl gehütet, die Säulen der Porta maggiore so nachzuah- men wie sie wirklich sind. * Ebenso wird man sich beim Amphitheater von Verona leicht überzeugen können, dass die rohen Theile an dem vorhandenen Bruchstück der äussern Schale eben nur einstweilen roh gelassen worden waren. Die Steinschichten sind schon zu ungleich, um mit ihren rohen Flächen absichtlich als echte Rustica zu wirken; denn diese verlangt die Gleichmässigkeit schon als Vorbedingung der Festigkeit, welche symbolisch ausgedrückt werden soll. Gleichwohl mussten hier die unfertigen Pilaster mit fertigen Capitälen als Vorbild der Rusticapilaster dienen, wie die Säulen an Porta maggiore als Vorbild der Rusticasäulen. Es soll damit nicht geläugnet werden, dass für ungegliederte Flächen auch die Römer bisweilen absichtlich die Quader in rohgemeisseltem Zustande lassen mochten, und dass ihnen die specielle Wirkung, die dabei zum Vorschein kam, nicht ganz entging. Aquäducte. Das Bild des römischen Thorbaues in seiner imposantesten Ge- stalt vervollständigt sich erst aus einer sehr späten Nachahmung, etwa des VI. Jahrhunderts, nämlich der Porta Nigra zu Trier . Nur a hier sieht man, welcher Ausbildung der Doppeldurchgang, zum breiten Bau mit zwei durchsichtigen Obergeschossen vertieft und mit zwei halbrunden Vorbauten nach aussen bereichert, fähig war. Auch sonst enthält das alte Gallien stattlichere Thore als das römische Italien. Die einfachsten Nutzbauten nehmen unter römischen Händen wenn nicht einen künstlerischen, doch immer einen monumentalen Cha- rakter an. Das Princip, von allem Anfang an so tüchtig und solid als möglich zu bauen, deutet auf einen Gedanken ewiger Dauer hin, dessen sich unsere Zeit bei ihren kolossalsten Nutzbauten nicht rühmen kann, weil sie in der That nur „bis auf Weiteres“, mit Vorbehalt möglicher neuer Erfindungen und der betreffenden Veränderungen baut. Ihre Gebäude geben auch nur selten das echte Gefühl des Ueberflusses der Mittel, schon weil sie Werke der Speculation und der Soumission sind. Nach diesem Maasstab hört man bisweilen von Fremden in Rom z. B. die ungeheuern Aquäducte beurtheilen, welche die Campagna durchziehen. Wozu von vornherein so viel Wasser nach Rom? und wenn es sein musste, warum nicht denselben Zweck mit einem Dritt- theil dieses Aufwandes erreichen? Es wäre noch immer ein gutes Geschäft gewesen. — Hierauf lässt sich schlechterdings nichts Anderes erwiedern, als dass die Weltgeschichte einmal ein solches Volk hat haben wollen, das Allem was es that, den Stempel des Ewigen auf- zudrücken versuchte, so wie sie jetzt den Völkern wieder andere Auf- gaben vorlegt. — Übrigens war im alten Rom mit seinen 19 Wasser- leitungen in der That viel Wasser „verschwendet“, d. h. zur herrlichsten Zier der ganzen Stadt in unzählige Fontainen vertheilt Von welchen nur noch die sog. Meta sudans beim Golosseum kenntlich ist. * ; ein anderes Rie- senquantum speiste die Thermen — ebenfalls ein Luxus, da die modernen Völker das Baden im Ganzen für überflüssig erklärt haben. Nur in Betreff des Trinkwassers fängt man doch an, die Römer von Her- zen zu beneiden. Wie soll man es nennen, wenn eine Hauptstadt von Architektur. Brücken. Portiken. Fora. zwei Millionen Seelen wie London, die über die Schätze einer Welt verfügt, meist aus demselben Fluss ihr Getränk beziehen muss, unter welchem sie Strassen und Eisenbahnen hindurchzuführen die Mittel hat? Zur römischen Zeit war jede Provinzialstadt besser daran, und noch das jetzige Rom mit seinen bloss drei Aquäducten ist an Zierwasser ohne Vergleich die erste Stadt der Welt und steht in Beziehung auf das Trinkwasser wenigstens keiner andern nach. Stadtmauern, Strassen und Brücken der Römer sind, wenn auch schlicht in der Form, doch durch denselben Typus der Unver- gänglichkeit ausgezeichnet. Es muss eines furchtbaren, tausendjähri- gen Zerstörungssinnes bedurft haben, um auch diese Bauten auf die Reste herunterzubringen, welche wir jetzt vor uns sehen. (Unter den a Brücken am merkwürdigsten die gewaltigen Reste zu Narni ; an den- jenigen in Rom trägt auch das erhaltenene Antike eine moderne Be- kleidung.) Von den öffentlichen Bauten der Römer überhaupt stände gewiss noch weit das Meiste aufrecht, wenn bloss die Elemente und nicht die Menschenhand darüber ergangen wäre. Gebäude, welche das Glück hatten, bei Zeiten vergessen zu werden, wie z. B. manche in Arabien und Syrien, sind desshalb ohne Vergleich besser erhalten. Die Bauten des öffentlichen Verkehrs sind leider in Be- treff ihrer Kunstform mehr ein Gegenstand der Alterthumsforschung als des künstlerischen Genusses; so gering stellen sich die Reste dar, mit welchen wir es hier ausschliesslich zu thun habe. b Im höchsten Grade ist diess zu beklagen bei dem Porticus der Octavia , Schwester des Augustus, am Ghetto zu Rom. Hier, wenn irgendwo, muss der bewusste Unterschied der Behandlung zwischen Tempelhallen und Hallen für den täglichen Verkehr schön und ernst durchgeführt gewesen sein. Beim gegenwärtigen Zustand des einzig übrigen Bruchstückes, wo man schon durch einen antiken Umbau irre gemacht wird, gewährt wenigstens der Contrast des Alten mit seiner Umgebung noch einen malerischen Genuss. Von dem Forum romanum , wie es zur Zeit der Republik war, c als Platz mit Hallen und Buden, giebt das Forum von Pompeji einen wenn auch entfernten Begriff. Was in Herculanum das Fo- rum heisst, möchte doch wohl für die bedeutende Stadt als Hauptplatz Kaiser-Fora. Basilica Ulpia. nicht genügt haben und ist wohl eher als Halle zu einem besondern Zweck zu betrachten. Von den Kaiser-Fora , d. h. den Gerichts- und Geschäftshallen, welche die Kaiser in der nächsten Umgebung des Forum romanum anlegten, ist in Resten und Nachrichten gerade so viel erhalten, dass die Phantasie sich ein ungefähres Bild davon entwerfen kann. Es waren grosse mit Hallen umzogene Plätze, welche Tempel, Basiliken und wahrscheinlich auch eine Anzahl anderer Locale enthielten, nebst einem gewiss reichen Schmuck von Statuen, Springbrunnen u. dgl., ohne welche keine Anlage aus dieser Zeit denkbar ist. Von freiem Oberbau sind mit Ausnahme der riesigen Umfangsmauer am Forum a Augusti nur die sog. Colonnacce zu erwähnen, zwei vortretende b Säulen nebst vortretendem Gebälk und Attica, wahrscheinlich von der Eingangshalle des Forum Nervæ; alles von prächtig überreicher For- mation, namentlich das untere Kranzgesimse, dessen Motiv schon un- deutlich wirkt, wie alle vegetabilischen Zierrathen, die sich von der einfachen Palmette und dem Akanthus zu weit entfernen. An den vortretenden Stücken der Attica sind Nietlöcher, wahrscheinlich für cherne Ornamente zu bemerken. Wären die untern Enden der Säulen nicht sammt den Piedestalen in der Erde versteckt, so würde dieses Beispiel vortretender Säulen das bedeutendste unter den in Italien vor- handenen sein. Von den einzelnen Gebäuden innerhalb der Fora wurde der Tempel des rächenden Mars schon beschrieben. Von den Basiliken ist nur eine, allerdings die wichtigste, zum Theil aufgedeckt: die Basilica c Ulpia , welche das Hauptgebäude des einst überaus prachtvollen Fo- rum Trajani ausmachte. Sie war ein fünfschiffiger Bau, mit unbedeck- tem Mittelschiff; die jetzt, zum Theil auf den urprünglichen Basen, aufgestellten Granitsäulen gehörten wahrscheinlich nur einem geringern Gebäude dieses Forums an, während die Basilica auf kostbaren Mar- morsäulen ruhte. Die beiden Enden des Baues, jetzt unter den Strassen vergraben, hatten ebenfalls jedes seine Säulenreihe; am hintern Ende folgte auf dieselbe das Tribunal, hier eine grosse, halbrunde, pracht- voll geschmückte Nische. Die Trajanssäule, welche so wenig als die Obelisken allein stehen sollte, war mit in diese Riesencomposition auf- genommen und von drei Seiten, nämlich von der Nordwand der Ba- Architektur. Basilica von Pompeji. silica und von zwei Anbauten derselben (die man für Bibliotheken erklärt) wie in einem Hofe eingeschlossen. Ob der Bau ein Obergeschoss hatte und welcher Art, bleibt wie so manches andere ein Problem. Diese Basilikenform war es nun bekanntlich, welche die Christen für ihre Gotteshäuser adoptirten, da die heidnischen Tempel mit ihrem verhältnissmässig so kleinen Innern für die Aufnahme von ganzen Ge- meinden nicht genügt haben würden. Das Mittelschiff, welches hier noch den Charakter eines mit Hallen umgebenen Hofes hat, scheint an andern Basiliken öfter bedeckt gewesen zu sein; die Christen gaben ihm ebenfalls sein Dach und erhoben die Perspective gegen den Altar hin zur wichtigsten Rücksicht. Von den Basiliken der guten römischen Zeit ausserhalb der Haupt- a stadt ist die zu Herculanum nach der Ausgrabung wieder zugeschüt- b tet worden, dagegen die zu Pompeji noch so weit erhalten, dass sie einen lebendigen künstlerischen Eindruck giebt. Sie war dreischiffig, unten von ionischer Bastardordnung, die obere Halle korinthisch, wie man aus den vorhandenen Fragmenten sieht. Das Mittelschiff war un- bedeckt (die Regenrinnen am Boden sind noch sichtbar) und von der Halle auch vorn und hinten umgeben; das Tribunal ganz hinten bil- dete einen erhöhten Bau mit besonderer kleiner korinthischer Säulen- halle. Die perspectivische innere Ansicht muss eigenthümlich reizend gewesen sein. Sehr interessant ist die Zusammensetzung der untern ionischen Säulen aus concentrischen Backsteinblättern, welche nach aussen schon eine fertige Cannelirung darstellten, die nur noch des Stucco-Überzuges harrte. Die Halbsäulen an der Wand und das Zu- sammentreffen von Halbsäulen in den Ecken * Diess u. a. auch am Herculestempel zu Brescia. sind gleichsam Vorah- nungen von Motiven, welche in der christlichen Architectur auf das Bedeutungsvollste ausgebildet werden sollten. (Das gegenüberliegende c sog. Chalcidicum und das Pantheon sind ihrer Bestimmung nach so zweifelhaft, dass wir sie hier bloss nennen, um sie bei den öffent- lichen Gebäuden nicht gänzlich zu übergehen; von dem Chalcidicum stammt die prachtvolle Thüreinfassung mit dem von Thieren belebten d Rankenwerk her, welche jetzt im Museum von Neapel den Eingang zur Halle des Jupiter bildet.) Friedenstempel. Die Bestimmung der Basiliken, als Börse, Stelldichein und Gerichts- halle, war jedoch durchaus nicht an diejenige Form gebunden, welche in Rom und anderwärts die besonders übliche sein mochte. Wir er- fahren in der That, dass auch ganz abweichende Formen versucht wurden, je nach den Mitteln und dem Sinn des Baumeisters. Einen solchen Versuch erkennt man in dem sog. Friedenstempel zu a Rom, welcher eine von Maxentius (306—312) errichtete Basilica ist. Sie hat nur die dreischiffige Eintheilung und die (jetzt nicht mehr sichtbare) hintere Nische Ihre Grundmauern sind in den Gebäuden auf der Seite gegen das Capitol hin noch vorhanden. Die jetzige Nische, am rechten Nebenschiff, ist ein etwas späterer Zusatz. mit der sonst üblichen Anordnung gemein, sonst aber ist es ein Gewölbebau, dessen weite Spannungen den leb- haftesten Verkehr einer grossen Menschenmenge gestatteten, und zwar, des gewölbten Mittelschiffes wegen, bei jeder Witterung. Das hoch- bedeutende Wölbungssystem — drei Kreuzgewölbe der Länge nach in der Mitte und drei niedrigere Tonnengewölbe auf jeder Seite — war schon früher im Thermenbau ausgebildet worden; gegenwärtig fehlt, auch an dem geretteten Theil, die Bekleidung, nämlich vortretende korinthische Säulen an jedem Hauptpfeiler. (Die eine noch vorhan- dene stellte Paul V. bei S. Maria maggiore auf.) Sie trugen das Ge- b wölbe nur scheinbar, nicht wirklich, und desshalb vermisst sie auch das Auge nicht, so wenig als die (vermuthliche) Säulenstellung längs der untern Wände der drei Seitengewölbe, allein sie gewährten einst im Ganzen einen gewiss prachtvollen Anblick. An und für sich war die ehemalige Marmorbekleidung, nach den Fragmenten zu urtheilen, allerdings von geringer und lahmer Bildung; die Decoration der Nische mit kleinen Wandnischen, die mit Säulchen eingefasst waren, muss etwas fast Kindisches gehabt haben. Die Consolen, welche diese Säul- chen trugen, sind noch erhalten. — Die Cassetten der drei Seitenge- wölbe sind achteckig mit kleinen schrägen Zwischenquadraten, die der neuern Nische sechseckig mit kleinen Zwischenrauten, die des Haupt- schiffes hatten, nach einem Fragment zu schliessen, verschieden ge- formte Felder — alle aber zeigen, dass die Cassette ihre Eigenschaft, als Abschnitt eines Deckenraumes, mit der einfachen quadratischen Architektur. Bauten für Schauspiele. Form zugleich abgelegt hatte und nur noch als Zierrath wirken wollte. Das Licht kam durch die Fensterreihen der Seitenschiffe, hauptsäch- lich aber, wie in den Diocletiansthermen, durch die grossen halbrun- den Fenster oben im Mittelschiffe. Von der Vorhalle (gegen das Co- losseum zu) sind nur die Ziegelpfeiler erhalten. Vielleicht gehören noch manche jetzt anders benannte Mauerreste im alten Italien zu Basiliken. Eine leicht kenntliche Durchschnittsform ist bei dieser Gattung von Gebäuden so wenig zu verlangen, als bei unsern jetzigen Börsen und Gerichtslocalen. Von den Gebäuden des öffentlichen Vergnügens müssen zuerst die für Schauspiele bestimmten erwähnt werden, als eigen- thümlichste Productionen des römischen Aussenbaues, welcher ja bei den Tempeln von griechischen Mustern abhing. — Der Zweck und die Einrichtung der Theater, Amphitheater und Cirken (sowie der gänzlich untergegangenen Naumachien und Stadien) wird hier als bekannt oder der Alterthumskunde angehörig übergangen; wir haben es bloss mit der künstlerischen Form zu thun. Diese bestand an der Aussenseite der Theater und Amphitheater, vielleicht auch der Cirken, aus einer Bekleidung der runden oder ellip- tischen Wandfläche zwischen den Bogen der verschiedenen Stockwerke mit Halbsäulen und Gebälken der verschiedenen grie- chischen Ordnungen : der dorisch-toscanischen, der ionischen und der korinthischen, auf welche im einzelnen Fall (am Colosseum) noch eine obere Wand ohne Maueröffnungen mit Pilastern von Composita- Ordnung folgt. Die Griechen hatten ihre Theater in Thalenden hin- eingelehnt oder aus dem Fels gehauen; die Römer erst bauten die ihrigen frei vom Boden auf und mussten sie von aussen decoriren. Das Motiv, welches sie zu Grunde legten, war ein sehr verstän- diges. Es fiel ihnen nicht ein, einer grossen Menschenmasse zuzu- muthen, dass sie sich durch zwei, drei Thüren mit einer Breite von zwanzig Fuss im Ganzen geduldig entferne, wenn das Schauspiel zu Ende war, oder dass sie gar, wenn Tumult entstand, nicht zu drängen anfange. Sie kannten das Volk und verwandelten desshalb das ganze Innere ihrer Schaugebäude in lauter steinerne Treppen und Gänge und Theater. die ganze untere Mauer in lauter gewölbte Pforten. Letzteres zog dann eine ähnliche Formation der obern Stockwerke nach sich, wo streng genommen blosse Fensteröffnungen genügt hätten. Mit der Thür- form aber stieg auch die Halbsäulenbekleidung nebst Gebälken und Attiken von Stockwerk zu Stockwerk und fasste die Bogen mit ihren hier nur einfachen, aber durch die hundertmalige Wiederholung höchst imposanten Formen ein. — Die moderne Baukunst ist hier hauptsäch- lich in die Schule gegangen und hat für die monumentale Bekleidung wie für die Verhältnisse ihrer Stockwerke sich immer von Neuem an diese Vorbilder gewandt. Der Hof des Palazzo Farnese ist fast genau den Formen des Marcellus-Theaters nachgebildet; aus unzähligen Kirchenfassaden und Palästen tönt ein versteckter Nachklang vom Colosseum. Das durchgängig stark und meist völlig zerstörte Innere lässt u. a. hauptsächlich in Beziehung auf die Säulenhalle, welche oben ringsherum ging, der Phantasie freien Spielraum. An den Cirken möchte dieselbe besonders umständlich und prachtvoll gewesen sein. Die Theater sind den griechischen im Wesentlichen nachgebil- det, nur dass die Orchestra, d. h. der jetzt halbrunde mittlere Platz, nicht mehr den Bewegungen des Chores diente, sondern zu einer Art von Parterre eingerichtet wurde. In Rom ist von dem Theater des a Pompejus nur noch die Richtung des Halbrunds in den Gassen rechts neben S. Andrea della Valle kenntlich; dabei ersieht man aus dem marmornen Stadtplan des III. Jahrhunderts, dessen Reste an der Treppe des Museo capitolino eingemauert sind, dass die Scena auf das Reichste mit Säulenstellungen geschmückt war, und aus ander- weitigen Nachrichten, dass oben auf dem Umgang des Theaters ein Venustempel stand. — Von dem Marcellus-Theater ist dagegen b noch ein herrlicher Rest des Aussenbaues vorhanden, nämlich ein Theil der dorisch-toscanischen Ordnung, welche hier in Säule und Gebälk dem echten Dorischen noch nahe steht, und ein Theil der ionischen, ebenfalls noch von verhältnissmässig reiner Bildung. — Im übrigen Italien hat fast jede alte Stadt irgend einen Theaterrest aufzuweisen, allein meist in formloser Gestalt. Das kleine artige Theater von Tus - c culum (über Frascati) hat noch sein ziemlich wohlerhaltenes Inneres, während in Pompeji vom Theater und von dem daneben liegenden d Architektur. Amphitheater. a Odeon (d. h. einem bedeckten Wintertheater?) fast alles Steinwerk, sowohl die Sitzplätze als die Säulen etc. der Scena geraubt worden b sind. Das Theater von Herculanum wird man in der Korknachbil- dung (im Museum von Neapel) besser würdigen als an Ort und Stelle, c wo es gar keine Uebersicht gewährt. Dasjenige von Fiesole (Fä- sulä) ist mehr durch seine Lage als durch die (nach kurzer Aufdeckung wieder fast gänzlich zugeschütteten) Überreste des Besuches würdig. d Bedeutende Reste in Parma, Verona etc. Von den Amphitheatern , einer rein römischen Schöpfung, für e die Kämpfe von Gladiatoren und Thieren, besitzt Rom in seinem Co- losseum weit das mächtigste Beispiel. Die Reisehandbücher geben jede wünschenswerthe Notiz, und der Eindruck der einen Aussenseite ist, wenn man sich in die Bogen der obern Stockwerke Statuen hin- eindenkt und zwischen den Pilastern der obersten Wand eherne Re- liefschilde befestigt, ein so vollständiger, dass wir kurz sein können. Die ganze Detailbildung ist, der riesenhaften Masse wegen, mit Recht höchst einfach; die unterste Ordnung hat z. B. keine Triglyphen mehr, die hier doch nur kleinlich wirken würden. Die Consolen der ober- sten Wand, den Öffnungen im Kranzgesimse entsprechend, dienten wahrscheinlich den Mastbäumen zur Stütze, an welchen das riesige Velarium oder Schattentuch befestigt war. Die Löcher am ganzen Aussenbau entstanden wohl, als man im Mittelalter die ehernen Klam- mern raubte, welche die Steine verbanden. An den Bogen im Innern der Gänge fällt oft eine ganz krumme und schiefe Linie auf; wahr- scheinlich wurden die betreffenden Theile aus rohen Blöcken erbaut und dann, weil sie unsichtbar bleiben sollten, nur nachlässig glatt ge- sägt. — Von den Stufen, Mauern und fraglichen Oberhallen des Innern ist bekanntlich nichts mehr vorhanden, und die Einrichtung der Arena zu plötzlicher Überschwemmung, auch wohl zum plötzlichen Erschei- nen von Thieren und Menschen nicht mehr sichtbar, da man das Aus- gegrabene der schlechten Luft halber wieder zuschütten musste. f Von den übrigen Amphitheatern Roms ist nur noch das sog. Am- phitheatrum castrense kenntlich, und zwar in einem Theil der un- tern und auch der obern Ordnung, von trefflichem Ziegelbau. (Für Architekten von bedeutendem Werth; vor Porta S. Giovanni links hinauf, bei Santa Croce.) Amphitheater. Cirken. Ausserhalb Roms wird dem Amphitheater von Alt-Capua wegen a eines nur kleinen, aber schönen Restes der zwei untern Ordnungen und wegen einzelner noch besonders deutlich sichtbarer Einrichtungen um die Arena die erste Stelle zuerkannt. Das Amphitheater von b Verona hat den Effekt der vollkommen erhaltenen oder hergestellten Sitzreihen vor allen Gebäuden dieser Art voraus; allein von seiner äussern Schale ist nur ein sehr kleiner Theil vorhanden (und vielleicht nie mehr vorhanden gewesen) der gerade hinreicht, um die Lust nach dem zerstörten oder nie vollendeten Ganzen zu wecken. (Vgl. S. 36 Anm.) — Das Amphitheater von Pompeji kann seiner Kleinheit und c architektonischen Bescheidenheit wegen neben diesen ungeheuern Massen nicht aufkommen. — In Lucca noch bedeutende Reste eines Amphi- d theaters und eines Theaters. — In Padua bloss der Umriss eines e Amphitheaters, bei S. Maria dell’ Arena. — In Pozzuoli : sehr um- f fangreiche, aber formlose Trümmer. — In S. Germano (unterhalb Monte g Cassino) ein kreisrundes Amphitheater, das einzige dieser Art, indem sonst die elliptische Form für das Aufstellen zweier Parteien in der Arena den Vorzug haben musste. — Vereinzelte Überbleibsel finden sich überall, wo es Römer gab. Die Cirken endlich sind mit einziger Ausnahme desjenigen des Caracalla (richtiger: Maxentius) von der Erde verschwunden, so h dass man ihre Form höchstens aus dem Zug der Strassen und Gar- tenmauern um sie herum (wie beim Circus maximus in Rom) oder i aus der Gestalt eines Platzes, der ihrem Umfang entspricht (wie beim Stadium Domitians , der jetzigen Piazza Navona) oder auch nur k aus Erdwellen erkennt. Selbst an dem oben als erhalten genannten Circus (vor Porta S. Sebastiano) ist alles bauliche Detail mit der Stein- bekleidung des Hallenbaues ringsum und der Langmauer (spina) in der Mitte dahin gegangen, so dass wir uns dabei nicht aufhalten dür- fen. — Das gänzliche Verschwinden des Circus maximus gehört übri- gens auch zu den Räthseln des römischen Mittelalters. Denn das Gebäude fasste auf seinen Sitzreihen fast das Doppelte von der Men- schenzahl, die man für das Colosseum berechnet, nämlich nach der geringern Angabe 150,000 Menschen; es muss also nicht bloss die halbe Viertelstunde Länge, von der man sich noch jetzt überzeugen kann, sondern auch eine bedeutende Tiefe und Höhe gehabt haben, Architektur. Thermen. Pompeji. wenn für alle Zuschauer gesorgt sein sollte. Man frägt wiederum ver- gebens: wo gerieth diese Masse von Baumaterial hin? Wie die Gebäude für Schauspiele den römischen Aussenbau cha- rakterisiren, so sind die Thermen die grösste Leistung des römischen Innenbaues. a Die öffentlichen Bäder von Pompeji , mag darin auf Stadtkosten oder gegen Eintrittsgeld gebadet worden sein, zeugen merkwürdig für den Luxus künstlerischer Ausstattung, welchen man selbst in der klei- nen Provincialstadt verlangte; vielleicht sind sie überdiess weder die einzigen noch die schönsten, und andere warten noch unter dem Schutt. Die architektonische Behandlung ist hier, wo der Stucco so sehr das Übergewicht über den Stein hat, nothwendig eine ziemlich freie; die Gesimse bestehen z. B. aus Hohlkehlen mit Relieffiguren, — allein es geht doch ein inneres Gesetz des Schönen durch. Im Tepidarium, wo viele kleine Behälter, etwa für die Geräthschaften regelmässiger Be- sucher, angebracht werden mussten, lieferte die Kunst jenes bewun- dernswerthe Motiv von Nischen mit Atlanten, während wir uns im entsprechenden Fall gewiss mit einer Reihe numerirter Kästchen, höch- stens von Mahagony begnügen würden. Wie glücklich sind an dem Gewölbe die drei einfachen Farben weiss, roth und blau gehandhabt! Im Calidarium ist das Gewölbe nebst der Wand cannelirt, damit die zu Wasser gewordenen Dämpfe nicht niedertropfen, sondern der Mauer entlang abfliessen sollten. Doch dieses sind nur eigentliche Bäder, bestimmt für die tägliche Gesundheitspflege. Eine ungleich ausgedehntere Bestimmung hatten die Kaiserthermen , welche in Rom und in wichtigen Provincial- städten zum Vergnügen des Volkes gebaut wurden. Diese enthielten nicht nur die kolossalsten und prachtvollsten Baderäume, sondern auch Locale für Alles, was nur Geist und Körper vergnügen kann: Porti- ken zum Wandeln, Hallen für Spiele und Leibesübungen, Bibliotheken, Gemäldegalerien, Sculpturen zum Theil von höchstem Werthe, auch wohl Wirthschaften verschiedener Art. Von all dieser Herrlichkeit wird man jetzt, mit wenigen Ausnah- men, nur noch die Backsteinmauern finden, welche den innern Kern Kaiserthermen. des Baues ausmachten, diese freilich von so gigantischem Maassstab und in solcher Ausdehnung, auch wohl in so malerisch verwilderter Umgebung, dass in Ermanglung eines künstlerischen Eindruckes ein phantastischer zurückbleibt, den man mit nichts vertauschen noch ver- gleichen möchte. Sobald das Auge mit dem römischen Bausinn einigermassen ver- traut ist, wird es auch in dieser scheinbaren Formlosigkeit die Spu- ren ehemaligen Lebens verfolgen können. Diese zeigen sich haupt- sächlich in der reichen Verschiedenartigkeit der Wandflächen, also in der Ausweitung derselben zu gewaltigen Nischen mit Halbkuppeln (welche noch hie und da Reste ihrer Cassetten aufweisen), und in der Anordnung grosser Kuppelräume. Diese sind hier entweder so von dem übrigen Bau eingefasst, dass sie für das Auge nirgends mit ge- radlinigen Massen unharmonisch zusammenstossen oder sie sind nicht rund, sondern polygon, etwa achteckig gebildet und gewähren dann nicht nur jeden wünschbaren Übergang zu den geradlinigen Formen, sondern auch einen völlig harmonischen Anschluss für die Nischen im Innern. So sind die beiden beim Pantheon hervorgehobenen Unvoll- kommenheiten (S. 19 u. 20) beseitigt. Dass übrigens diese Abwechselung der Wandflächen ein ganz bewusstes, emsig verfolgtes Princip war, beweisen auch die Aussenwerke, welche den Thermenhof zu umgeben pflegten; ihr Umfang ergiebt Halbkreise, halbe Ellipsen und auch ihre Binnenräume sind von der verschiedensten Gestalt. — Vollkommen ungewiss bleibt die Gestalt der Thermenfassaden; wir wissen nur so viel, dass das architektonische Gefühl der Römer auf den Fassaden- bau überhaupt bei weitem nicht das unverhältnissmässige Gewicht legte, welches ihm die neuere Zeit beimisst. (Eine Ausnahme machen natür- lich die Tempel.) An den Caracallathermen soll „eine Säulenhalle“ den Haupteingang gebildet haben, und an S. Lorenzo in Mailand steht a noch eine solche. Von den zahlreichen Thermenbauten Roms erwähnen wir nur die- jenigen, deren Reste einigermassen kenntlich sind. Die Thermen Agrippa ’s, hinter dem Pantheon, gehören bei b ihrer gänzlichen Zerstückelung und Verdeckung durch die Häuser der nächsten Gassen nicht unter diese Zahl. Von den Thermen seiner Söhne Cajus und Lucius , der Enkel August’s durch die Julia, ist c Architektur. Thermen des Titus und Caracalla. noch das grosse zehneckige Kuppelgebäude mit dem irrigen Namen eines „Tempels der Minerva medica“ erhalten, unweit von Porta mag- giore. Welche Function dieser Raum in den Thermen hatte, wollen wir nicht errathen; genug dass schon hier, so bald nach Erbauung des Pantheons, die entscheidenden Veränderungen im Kuppelbau als vollendete Thatsache vor uns stehen: die polygone Form zu Gunsten des Anschlusses der untern Nischen, sodass jedoch in der Kuppel selbst durch den Stuccoüberzug der Anschein der Halbkugelform beibehalten wird; merkwürdig ist auch die Ersetzung des Kuppellichtes durch Fenster über den Nischen. (Die Mitte der Kuppel, welche seit nicht sehr langer Zeit eingestürzt ist, erscheint in allen frühern Abbildun- gen als geschlossen.) So war schon um die Zeit von Christi Geburt das fertige Vorbild für die spätern Kuppelkirchen gegeben. — Von der vermuthlichen Bekleidung des Innern mit Säulen und durchgehenden Gebälken ist nicht einmal eine Andeutung auf unsere Zeit gekommen. Der jetzt noch hie und da erhaltene Stucco möchte kaum der ursprüng- liche sein. a Die Thermen des Titus und des Trajan , wunderlich durch einander gebaut, geben in ihren jetzt noch zugänglichen Theilen einen Begriff zwar nicht mehr von der längst ausgeraubten Prachtausstattung, wohl aber von der gewaltigen Höhe der einst wie jetzt dunkeln und auf künstliche Beleuchtung berechneten Gemächer. Der Grundriss ist, soweit man ihn verfolgen kann, der besondern Umstände wegen nicht massgebend. Architektonisch die bedeutendsten Thermen sind oder waren die- b jenigen des Caracalla . Vier Hauptmotive waren hier, wie es scheint, unvergleichlich grandios durchgeführt: 1) Die grossen, etwas oblongen gewölbten Schwimmsäle, auf Pfeilern und Säulen ruhend (?) an bei- den Enden, 2) die vordere Halle, der Breite nach von vier Säulen- stellungen durchzogen, 3) der mittlere Langraum (Pinakothek) und 4) der hohe runde Ausbau nach hinten, von welchen nur die Ansätze vorhanden sind; — zahlreicher Übergangsräume, Anbauten und Aussen- werke nicht zu gedenken. Das Ganze lag so hoch, dass es noch jetzt wie auf einer Terrasse zu stehen scheint. Wie sich das obere Stock- werk zwischen und über den Haupträumen hinzog, ist bei seiner fast gänzlichen Zerstörung schwer zu sagen. Um das Bild des wichtigsten Thermen Caracalla’s und Diocletians. Raumes, der Pinakothek, einigermassen zum Leben zu erwecken, nehme man den Friedenstempel zu Hülfe, obschon er fast 100 Jahre neuer, demgemäss geringer und nichts weniger als identisch mit dem fraglichen Thermensaal gebildet ist; immerhin hatte er das grosse Mittelschiff mit Kreuzgewölben und Oberfenstern und die drei mit Tonnengewölben sich anschliessenden Nebenräume auf jeder Seite mit demselben gemein. Auch die Säulenbekleidung war wohl eine ähn- liche; für die Basilica wie für den Thermensaal nimmt man an, dass noch eine kleinere Säulenordnung mit Gebälke vor den Nebenräumen vorbeiging und sie vom Mitttelschiff sonderte. — Die Säulen und die ganze kostbare Bekleidung dieser Thermen überhaupt wurden, zum Theil erst seit dem XVI. Jahrhundert, zur Decoration unzähliger mo- derner Gebäude verbraucht. — Räthselhaft und doch wahrscheinlich bleibt auch hier die Dunkelheit der beiden grossen Schwimmsäle, während die vordere Halle von vorn, die Pinakothek und ohne Zweifel auch der runde Ausbau von oben ihr Tageslicht empfingen. Die Thermen Diocletians auf dem Viminal waren der Masse a nach denjenigen des Caracalla überlegen, lösten aber, wie es scheint, keines jener grossen baulichen Probleme mehr, sondern bestanden eher aus Wiederholungen schon früher bekannter Baugedanken, welche hier etwas müde nebeneinander auftreten. So finden sich unter den Aussen- werken zwei Rundgebäude mit Kuppel, deren eines als Kirche S. Ber- b nardo ziemlich wohl erhalten ist; die Nische der Thür und die des jetzigen Chores schneiden sich wieder mit der runden Hauptform so unangenehm als am Pantheon, mit welchem dieses Gebäude übrigens auch das Oberlicht gemein hat. (Die Cassetten achteckig, mit schrägen Quadraten dazwischen.) Besonders charakteristisch für die Zeit des Verfalls ist der Kup- pelraum hinter D. h. für den jetzigen Zugang vorn, so dass dieser runde Raum die Vor- halle von S. Maria degli Angeli bildet. Die jetzt ganz verschwundene Vor- derseite lag in der Richtung gegen das prätorianische Lager hin. der Pinakothek, welcher von der Höhe und Grösse des entsprechenden Stückes im Bau Caracallas weit entfernt, ja zu einem ganz kümmerlichen Anbau eingeschrumpft erscheint. Die Pi- nakothek selber ist in Gestalt des noch jetzt überaus majestätischen B. Cicerone. 4 Architektur. Thermen von Bajä. a Querschiffes von S. Maria degli Angeli erhalten. Hier sind bekannt- lich von den gewaltigen vortretenden Säulen noch acht ursprünglich und aus je einem Stück Granit; von den sie begleitenden je zwei Pi- lastern und dem Gebälk scheinen wenigstens viele Theile alt, und das Kreuzgewölbe, eines der grössten in der Welt, ist sogar völlig er- halten, wenn auch mit Einbusse seiner Cassetten. Auch die Ober- fenster zeigen noch ihr echtes Halbrund, nur vergypst. Die Neben- räume, welche dieselbe Stelle einnahmen wie diejenigen in der Pinakothek der Caracallathermen und einst ohne Zweifel ebenfalls durch vorge- setzte Colonnaden vom Hauptraum getrennt waren, sind durch den Umbau Vanvitelli’s gänzlich abgeschnitten worden, nachdem noch der Umbau Michelangelo’s sie geschont und zu Capellen bestimmt hatte. Für die Bildung des Details ist, der allgemeinen Gypsüberarbeitung wegen, nicht leicht einzustehen, selbst an den sieben echten marmornen Capitälen nicht, welche theils korinthisch, theils von Composita-Ord- nung sind. Das Bezeichnende bleibt immerhin, dass möglichst viele Glie- der des Gebälkes und Gesimses in wuchernde Verzierung umgewan- delt sind, und dass die Consolen und ihre Cassetten bei ihrer kleinen und matten Bildung völlig von dem drüber vorgeschobenen Kranzge- simse verdunkelt werden. Ob an den Flachbogen, welche die beiden Eingänge des Schiffes bedecken, die Decoration alt ist, können wir nicht entscheiden; in dem jetzigen Chor ist fast Alles modern. Die übrigen Räume sind alles Steinschmuckes entblösst und meist sehr ruinirt. b (Was als „ Thermen Constantins “ im Garten des Palazzo Colonna gezeigt wird, sind Reste eines gewaltig hohen Gebäudes von ungewisser Bestimmung. Die echten Thermen Constantins sind im XVII. Jahrhundert beim Bau des Palazzo Rospigliosi untergegangen.) c Diesen Kaiserthermen mochten die Bäder von Bajä wenigstens nachgebildet sein, wenn sie auch nicht von Imperatoren erbaut sein sollten. Wir meinen jene colossalen Reste, welche man jetzt als Tempel des Merkur, der Diana und der Venus benennt und welche offenbar Thermenräume waren. Das gewaltige Achteck des Venus- tempels mit den noch erhaltenen Theilen der Kuppel erinnert unmittel- bar an die sog. Minerva Medica. Dagegen besass Mailand , in seiner Eigenschaft als spätere Re- sidenz, wirkliche Kaiserthermen aus der Zeit des Maximian, Mitre- S. Lorenzo in Mailand. Nympheen. genten Diocletians. Die Vorhalle derselben erkennt man leicht in den sechszehn korinthischen Säulen vor S. Lorenzo; allein man ahnt nicht a sogleich, dass noch der Hauptraum der Thermen selbst, umgebaut und doch im Wesentlichen identisch mit dem Urbau, in Gestalt der Kirche S. Lorenzo selbst vorhanden ist. Mindestens zweimal, im b Mittelalter und wiederum gegen das Ende des XVI. Jahrhunderts, hat man die alten Bestandtheile auseinander genommen, wieder zusammen- gesetzt und mit neuer Kuppel versehen, und noch immer ist dieses Innere eines der wichtigsten und schönsten Bauwerke Italiens. Vor Allem hat die Nische hier eine ganz neue Bedeutung; sie ist nicht mehr ein blosser isolirter Halbcylinder mit Halbkuppel, sondern ein durchsichtiger einwärtstretender Bau von einer untern und einer obern Säulenreihe, welche in den untern und den obern Umgang des Kup- pelraumes führen. Wären der Nischen acht, so würde dieses reiche Motiv kleinlich und verwirrend wirken (wie in S. Vitale zu Ravenna); allein es sind nur vier, so dass sich der volle Rhythmus dieser Bau- weise entwickeln kann; über ihren Kuppelsegmenten und Hauptbogen wölbt sich dann die mittlere Kuppel. An glänzendem perspectivischem Reichthum können sich wenige Gebäude der Welt mit diesem messen, so unscheinbar seine Einzelformen jetzt sein mögen Die gegenwärtige Gestalt rührt von Martino Bassi her. Leider bleibt auch die Lichtvertheilung des antiken Baues zweifelhaft. Ich glaube an ein che- maliges Kuppellicht. . Nach Aussen stellte es ein ruhiges Quadrat dar, indem die vier Ecken mit thurmarti- gen Massen ausgefüllt sind. Der Anbau rechts (jetzt Capelle S. Aqui- lino), ein Achteck mit Nischen und Kuppel, ist ebenfalls wohl antik und dient in seiner Einfachheit zum belehrenden Vergleich mit jener letzten und reichsten Form des antiken Innenbaues, die wir nachweisen können. Zahlreiche andere Thermenreste in den übrigen Städten Italiens bieten keine hinlänglich erhaltenen Formen mehr dar. Auch die Nym- pheen oder Brunnengebäude mit Nischen und Grotten leben mehr in der restaurirenden Phantasic als in kenntlichen Überbleibseln fort. Man hält z. B. die grosse Backsteinnische im Garten von S. Croce c in Gerusalemme zu Rom für ein solches Nympheum. Sicherer ist 4* Architektur. Häuser, Villen und Paläste. a diess bei der Grotte der Egeria , welche weniger um ihres ge- ringfügigen Nischenwerkes als um ihrer ganz wunderbaren vegetabili- schen und landschaftlichen Umgebung willen den Besucher auf immer fesselt. Und diese Grotte ist nur eine von vielen, die das liebliche Thal zierten und nun spurlos verschwunden sind. — Ebenso ist das b niedliche Tempelchen über der Quelledes Clitumnus (an der Strasse zwischen Spoleto und Foligno, „alle Vene“) nur eines von den vielen, die einst von dem schönen, bewaldeten Abhang niederschauten. Trotz später und unreiner Formen (z. B. gewundene und geschuppte Säulen u. dgl.) ist es doch wohl noch aus heidnischer Zeit und mit den christ- lichen Emblemen erst in der Folge versehen worden Oder in christlicher Zeit aus den Fragmenten der umliegenden Heiligthümer zusammengebaut? . Der Archi- tekt kann sich kaum eine lehrreichere Frage vorlegen als die: woher dem kleinen, nichts weniger als mustergültigen Gebäude seine unver- hältnissmässige Wirkung komme? Die römischen Häuser, Villen und Paläste bilden schon in ihrer Anlage einen durchgehenden Contrast gegen die modernen Wohnbauten. Letztere, sobald sie einen monumentalen Charakter an- nehmen, nähern sich dem Schlosse , welches im Mittelalter die Woh- nung der höhern Stände war, und sich nur allmählig (wie z. B. Flo- renz beweist) zum Palast im modernen Sinne, d. h. doch immer zu einem geschmückten Hochbau von mehrern Stockwerken ausbildete; eine Form, welche dann ohne alle Noth auch für die modernen Land- häuser beibehalten wurde. Der Hauptausdruck des ganzen Gebäudes ist die Fassade. Bei den Alten war diese eine Nebensache; in Pompeji haben selbst c Gebäude wie z. B. die Casa del Fauno nach aussen nur glatte Mauern oder auch Buden, und von den Wohnungen der Grossen in Rom selbst darf man wenigstens vermuthen, dass der Schmuck der Vorderwand mit dem Vestibulum nur eine ganz bescheidene Stelle einnahm neben der Pracht des Innern. — Sodann war bei den Alten der Bau zu meh- reren Stockwerken in der Regel nur eine Sache der Noth, die man Häuser von Pompeji. sich in grossen Städten gefallen liess, wo irgend möglich aber vermied. Wer Platz hatte oder gar wer auf dem Lande baute, legte die ein- zelnen Räume zu ebener Erde rings um Höfe und Hallen herum an, höchstens mit einem einzigen Obergeschoss, welches überdiess fast bloss geringere Gemächer enthielt und nur einzelne Theile des Baues be- deckte. Plinius d. J. in der Beschreibung seiner laurentinischen Villa giebt hierüber ein vollständiges Zeugniss. Unebenes Terrain benützte man allerdings zu mehrstöckigen Anlagen, wie die Kaiserpaläste auf dem Palatin und die Villa des Diomedes bei Pompeji beweisen; allein a Reiz und Schönheit solcher Bauten lagen ohne Zweifel nicht in einer grossen Gesammtfassade, sondern in dem terrassenartigen Vortreten der untern Stockwerke vor die obern. Luft und Sonne lagen dem antiken Menschen mehr am Herzen als uns; er liebte weder das Trep- pensteigen noch die Aussicht auf die Strasse, welche uns so viel zu gelten pflegt. Die Ermittelung der einzelnen Räume des Hauses und ihrer Be- stimmung gehört der Archäologie an; wir haben es nur mit dem künst- lerischen Eindruck der erhaltenen Gebäude zu thun. Die Fassade war bei den pompejanischen Bauten , wie gesagt, den Buden auf- geopfert. Innen aber herrscht ein Reichthum perspectivischer Durch- blicke, welcher bei jedem Besuch der Stadt einen neuen, unerschöpf- lichen Genuss gewährt. Allerdings sind an den beiden mit Säulen- oder Pfeiler-Hallen umgebenen Höfen, dem Atrium und dem Peristylium, die einst hölzernen Gebälke sämmtlich verschwunden; dafür hemmt auch keine Zwischenthür, kein Vorhang mehr den Durchblick. Die Farbigkeit der Stuccosäulen, weit entfernt sich bunt auszunehmen, steht in völliger Harmonie mit der baulichen und figürlichen Bemalung der Wände, von welcher in besondern Abschnitten (siehe Seite 58 bis 64, und: antike Malerei) die Rede sein wird. Denkt man sich ausserdem die vielen plastischen Bildwerke, die kleinen Hauscapell- chen, die Brunnen im Gartenhof des Peristyliums, die grünen Lauben und die ausgespannten Schattentücher über einzelnen Räumen hinzu, so ergiebt sich ein Ganzes, welches zwar keine nordische, aber eine beneidenswerthe südliche Wohnlichkeit und Schönheit hat. — Sehr fraglich bleibt immer die Beleuchtung der meisten Gemächer um die Höfe herum, da der Oberbau fast durchgängig nicht mehr vorhanden Architektur. Häuser von Pompeji. ist und Fenster sich fast nirgends finden. Durch die Thür nach dem Hofe konnte nur ein sehr ungenügendes Licht hereindringen, da die bedeckte Halle vor der Thür den besten Theil vorwegnahm. Und doch können die zum Theil so vortrefflichen Malereien des Innern weder bei Lampenschein ausgeführt noch dafür berechnet sein. Ein Oberlicht, etwa als Dachöffnung mit einer kleinen Lanterna oder Loggia bedeckt zu denken, würde wohl am ehesten die Schwierigkeit lösen. Jedenfalls ist es bezeichnend, dass alle Nebengemächer, die einzelnen Hausgenossen oder besondern Bestimmungen zugewiesen waren, neben den Familienräumen: dem Tablinum und dem Triclinium zurückstehen, und dass die Hallen der eigentliche Stolz des Hauses waren. Es wäre unbillig, an ihren Säulen eine strenge griechische Bildung zu erwarten, da die Örtlichkeit sowohl als die bescheidenen Umstände der Besitzer die Anwendung des Stucco verlangten, dieser aber die Formen auf die Länge immer demoralisirt; man darf im Gegentheil den Schön- heitssinn bewundern, welcher noch immer mit verhältnissmässig so grosser Strenge an dem einst für schön Erkannten festhielt. An con- vexen Cannelirungen, an vortretenden Dreiviertelsäulen, an dem öfter genannten ionischen Bastardcapitäl, an achteckigen Pfeilern, sowie an vielen andern bedenklichen Formen soll zwar das Auge sich nicht bil- den, aber auch nicht zu grossen Anstoss nehmen, sondern erwägen, von welchem grossen, reichfarbigen Ganzen dieses einst blosse Theile waren, und wie sich die Einzelheiten gegenseitig theils trugen theils aufwogen. Wie sehr bereitet schon die einfache Mosaikzeichnung des Bodens auf den architektonischen Reichthum vor. Einen Prachtbau mit strengern Formen findet man wohl nur in a der „ Casa del Fauno “; den eigenthümlichen pompejanischen Zau- b ber aber gewähren in hohem Grade z. B. auch die „Casa del poeta c tragico“, die schöne Gartenhalle der „Casa de’ capitelli figurati“, die d „Casa del labirinto“ und die „Casa di Nerone“ mit ihren Triclinien e hinten, die „Casa di Pansa“ mit ihrem prächtigen Peristilium, die f „Casa della Ballerina“ mit dem so niedlichen hintern Raum für Brünnchen, Statuetten und etwa eine Rebenlaube, und so viele andere Häuser. Denn Pompeji ist aus Einem Guss und bisweilen ge- währt auch ein geringes Haus irgend eine architektonische Wirkung, die zufällig dem kostbarsten fehlt. — Von den Landhäusern ist die Pozzuoli, Bajä, Capri, Rom. Villa des Diomedes reich an Räumen aller Art und Anordnung, a unter welchen sich auch ein halbrund abgeschlossenes Triclinium mit Fenstern findet; für den Effect des Ganzen ist das Studium der öfter versuchten Restaurationen unentbehrlich. — In Herculanum ist we- b nigstens eine schöne Villa vollständig aufgedeckt. — Als Ergänzung zu diesen Bauten betrachte man die vielen kleinen Veduten in den Wand- decorationen zu Pompeji und im Museum von Neapel; sie stellen zum e nicht geringen Theil Landhäuser und Paläste meist am Meeresstrand dar, allerdings nicht bloss wie sie waren, sondern wie die vergrös- sernde Phantasie sie gerne gehabt hätte; ausserdem besonders reiche Hafenansichten. Am Strand von Pozzuoli, Bajä und weiter hinaus liegen die d meist völlig entstellten Trümmer zahlloser Landhäuser, als deren Eigen- thümer man einige der berühmtesten Namen des römischen Alterthums aufzuzählen pflegt. Die merkwürdigsten sind die ins Meer hinausge- bauten, von welchen man noch im Wasser die Fundamente und in jenen Abbildungen wenigstens die ungefähre Gestalt sieht. Diese Bau- weise erscheint durchaus nicht als blosser Luxus; sie schützte vor der Fieberluft, welche schon damals jene Küste heimzusuchen pflegte. Von den Trümmern der Bauten Tiber’s auf Capri offenbart die e Villa Jovis durch ihre für das erste Jahrhundert ziemlich nachlässige Construction, dass der alte Herr rasch fertig werden und bald ge- niessen wollte. In und um Rom Die Anordnung der Privathäuser in Rom erscheint dem capitolinischen Stadt- plan zufolge der pompejanischen sehr ähnlich. nehmen Paläste und Villen einen grössern Charakter an und gehen in einzelnen Prachtbestandtheilen weit über das bloss Wohnliche hinaus. Wir können das Einzelne an den Ruinen dieser Art in Tusculum, bei Tibur u. s. w. nicht verfolgen, da der jetzige Trümmeranblick bei weitem mehr wegen des malerischen als wegen des kunsthistorischen Werthes geschätzt wird. Über der Villa des Mäcenas, wie das Wasser des Anio ihre Bogen durchströmt, ver- f gisst man den ehemaligen Grundplan und selbst den Eigenthümer. Von den hieher gehörenden Kaiserbauten ist der Palatin mit seinen Trüm- g mern nur Ein grosses Räthsel. Zeitweise (z. B. in den 80ger Jahren Architektur. Paläste in Rom. des vorigen Jahrhunderts) haben wichtige Stücke blossgelegen, die jetzt wieder zugeschüttet und nur aus den damals gemachten Plänen bekannt sind; eine vollständige Ausgrabung ist noch nie versucht wor- den. Weit entfernt, einen Überblick über das Ganze geben zu können, mache ich nur auf das noch deutlich Erhaltene aufmerksam: In den a Orti Farnesiani : die sog. Bäder der Livia, kleine, vielleicht von jeher unterirdische Gemächer mit Resten sehr schöner Arabesken (das b Übrige sehr unkenntlich); — in der Villa Spada : u. a. zwei eben- falls von jeher unterirdische Räume, sehenswürdig nicht sowohl um ihres architektonischen Werthes willen, als wegen ihrer prächtigen malerischen Wirkung in den Mittagsstunden, wenn die Sonne durch die dicht begrünten Gewölbeöffnungen herabscheint; — in den jetzt c vorzugsweise so benannten Palazzi de’ Cesari : eine ungeheure Masse von Ruinen, zum Theil riesiger Dimensionen, darunter eine Nische mit Umgang, welche noch ihre Cassetten hat, Vorbauten gegen den Circus Maximus, dessen Spiele von hier wie von Logen aus be- schaut werden konnten (das Meiste wohl aus der Zeit Domitians); die grosse Doppelreihe von Gewölben gegen den Cölius zu ein blosser Unterbau, über welchem erst der Palast (vielleicht des Septimius Severus) sich erhob. Die Wasserleitung, welche in diesem System von Palästen die Brunnen und Bäder versah, ist noch in einigen mäch- tigen Bogen erhalten Bei diesem Anlass bemerke man den römischen Gebrauch grosser Nischen mit Halbkuppeln in den Fassaden, deren eine z. B. hier als Kaiserloge gegen den Circus dient. Man findet sie wieder an der (jetzigen) Vorderseite der Dio- * cletiansthermen etc.; dann in christlicher Zeit am Palast des Theodorich zu Ravenna; als Nachklang an den Portalen von S. Marco zu Venedig; in häu- figer und sehr colossaler Anwendung an den Bauten des Islams, zumal in Ostindien; endlich mit herrlicher Wirkung von Bramante zum Hauptmotiv des Giardino della Pigna (im Vatican) erhoben. . d Von dem Palast und den Gärten des Sallust (hinter Piazza Barberina beginnend) hat sich etwa so viel gerettet, dass man mit Hülfe der Nachrichten sich ein glänzendes Gedankenbild des Ganzen entwerfen kann. e Von dem Palast des Scaurus auf dem cölischen Berge hat be- kanntlich Mazois in einem angenehmen Buche (das in allen Sprachen Kaiservillen. vorhanden ist) wirklich ein solches Gedankenbild aufgestellt; an Ort und Stelle ist indess kein Stein davon nachzuweisen. Die Villa Hadrians unterhalb Tivoli verlangt in ihrem jetzi- a gen Zustande, nach dem totalen Verlust ihrer Steinbekleidung und ihrer Säulenbauten, eine starke Phantasie, wenn man die einzelnen, meist nicht sehr bedeutenden Räume noch für das erkennen soll, was sie einst waren; dennoch ist der Besuch (welchen ich bisher versäumt zu haben bedaure) sehr lohnend, sobald man sich mit dem Plan der Villa (von Fea) versehen hat; in diesem wird nämlich die ehemalige Bedeutung der einzelnen Bauten angegeben. Hadrian hatte hier die berühmtesten Localitäten der alten Welt im Kleinen nachahmen lassen und auch von den Gattungen des römischen Prachtbaues immer je ein kleines Specimen errichtet, das Ganze in einem Umfang von mehr als einer Stunde. Wenn andere Bauherren ähnliche Phantasien aus- führten, so lässt sich denken, wie schwer gewisse Ruinen römischer Villen und Paläste einleuchtend zu erklären sein müssen. Von den zum Theil riesenhaften und äusserst ausgedehnten Vil- lentrümmern der römischen Campagna scheint das Rundgebäude „ Tor b de’ Schiavi “ der Überrest einer sehr namhaften Anlage der Gordiane (III. Jahrhundert) zu sein. — Ungeheure Räume auf einem noch kennt- lichen Grundplan findet man namentlich in der sog. Roma vecchia . c — Die Villa Domitians umfasst gegenwärtig den Raum des Städt- d chens Albano und der Landgüter an dessen Westseite, gewährt aber nirgends mehr ein Bild des ehemaligen Bestandes, so zahlreich und gross angelegt auch die einzelnen Trümmerstücke sind. — Wie die Kaiserthermen mehr als blosse Thermen, so waren die Kaiservillen auch etwas Anderes als blosse Villen, vielmehr ein Inbegriff vieler einzelnen Prachtbauten der verschiedensten Art und Gestalt. Das Bild der antiken Bauwerke vervollständigt sich erst, wenn man sich einen reichen farbigen Schmuck hinzudenkt. Fürs Erste wur- den bis in die römische Zeit einzelne Theile des Baugerüstes selbst, also der Säulen, Gebälke, Giebel etc. mit kräftigen Farben bemalt, und Decoration. Pompejanische Scenographie. wenn auch an den Tempelresten Roms keine Spuren von Farben mehr gefunden werden, so sprechen doch die blauen und rothen Zierrathen auf dem weissen Stucco der pompejanischen Säulen und Gesimse, ja oft die totale Bemalung derselben unwiderleglich für eine durchaus übliche Polychromie (Mehrfarbigkeit). Gewiss nahm dieselbe in der Kaiserzeit bedeutend ab, indem ein immer wachsender, bis zur Ver- wirrung und Verwilderung führender Reichthum gemeisselter Zier- rathen ihre Stelle vertrat; auch die zunehmende Vorliebe für farbige Steinarten musste ihr Concurrenz machen. Zweitens war schon in der spätern griechischen Kunstepoche die sog. Scenographie aufgekommen, eine Bemalung der glatten Wände, auch wohl der Decken und Gewölbe, mit architectonischem und figür- lichem Zierrath. Was von dieser Art in römischen Tempeln vorkam, wollen wir nicht ergründen; erhalten sind in Rom nur wenige Frag- mente in profanen Gebäuden, z. B. in den Titusthermen, in einigen Grabstätten etc., und auch diess Wenige lernt man jetzt, da Luft und Fackelrauch es entstellt, besser aus den (übrigens selten stylgetreuen) Abbildungen kennen als aus den Originalen. Dagegen sind theils in Pompeji an Ort und Stelle, theils im Museum von Neapel eine grosse Anzahl von Wanddecorationen mehr oder minder vollständig gerettet, die uns der Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79 zum Geschenk a gemacht hat. (Im Museum die drei Säle unten links; manches Deco- b rative auch in den zwei Sälen unten rechts.) Das Figürliche wird bei Anlass der Malerei besprochen werden; hier handelt es sich zunächst um die architectonisch-decorative Bedeu- tung dieses wunderbaren Schmuckes. Man wird sich bei einiger Aufmerksamkeit sofort überzeugen, dass kein einziger Zierrath sich zweimal ganz identisch wiederholt, dass also die Schablone hier so wenig als an den griechischen Vasen (s. unten) zur Anwendung gekommen sein kann. Ich glaube behaup- ten zu dürfen, dass die Maler mit Ausnahme des Lineals und eines Messzeuges kein erleichterndes Instrument brauchten, dass sie also mit Ausnahme der geraden Striche und der wichtigern Proportionen Alles mit freier Hand hervorbrachten. Ihre Fertigkeit in der Production war zu gross; sie arbeiteten ohne Zweifel schneller so als mit jenen Hülfsmitteln jetziger Decoratoren. Mit den Stuccoornamenten verhielt Pompejanische Scenographie. es sich nicht anders; im Tepidarium der Thermen von Pompeji a verfolge man z. B. den grossen weissen Rankenfries, und man wird die sich entsprechenden Pflanzenspiralen (je die vierte) jedesmal ab- weichend und frei gebildet finden. (Das kleine Gesimse unten daran scheint allerdings einen sich wiederholenden Model zu verrathen, da hier die Anfertigung von freier Hand eine gar zu nutzlose Quälerei gewesen wäre.) Die Künstler aber, um die es sich hier handelt, waren blosse Handwerker einer nicht bedeutenden Provincialstadt. Sie haben ganz gewiss diese Fülle der herrlichsten Zier-Motive so wenig erfunden als die bessern Figuren und Bilder, die sie dazwischen ver- theilten. Ihre Fähigkeit bestand in einem unsäglich leichten, kühnen und schönen Recitiren des Auswendiggelernten; dieses aber war ein Theil des allverbreiteten Grundcapitals der antiken Kunst. Eine solche Decoration konnte allerdings nur aufkommen bei der Bauweise ohne Fenster, die uns in Pompeji so befremdlich auffällt. Diese Malerei verlangte die ganze Wand, um zu gedeihen. Weniges und einfaches Hausgeräth war eine weitere Bedingung dazu. Wer im Norden etwas Ähnliches haben will, muss schon einen Raum beson- ders dazu einrichten und all den lieben Comfort daraus weglassen. Der Inhalt der Zierrathen ist im Ganzen der einer idealen per- spectivischen Erweiterung des Raumes selbst durch Architekturen, und einer damit abwechselnden Beschränkung durch dazwischen ge- setzte Wandflächen, die wir der Deutlichkeit halber mit unsern spani- schen Wänden vergleichen wollen. An irgend eine scharf consequente Durchführung der baulichen Fiction ist nicht zu denken; das Allge- meine eines wohlgefälligen Eindruckes herrschte unbedingt vor. Die Farben sind bekanntlich (zumal gleich nach der Auffindung) sehr derb: das kräftigste Roth, Blau, Gelb etc.; auch ein ganz unbe- dingtes Schwarz. Auf eine dominirende Farbe war es nicht abgesehen; rothe, violette, grüne Flächen bedecken neben einander dieselbe Wand. Ungleich auffallender ist, dass man durchaus nicht immer die dunk- lern Flächen unten, die hellern oben anbrachte. Eine Reihe von Stücken einer sehr schönen Wand (Museum dritter Saal links) beginnt unten b mit einem gelben Sockel, fährt fort mit einer hochrothen Hauptfläche und endigt oben mit einem schwarzen Fries; freilich findet sich an- derwärts auch das Umgekehrte. Decoration. Pompejanische Scenographie. Die ornamentale Durchführung und figürliche Belebung des Gan- zen ist nun eine sehr verschiedene, je nach dem Sinn des Bestellers und des Malers. In der Mitte jener einfarbigen Flächen war die natür- liche Stelle für eingerahmte Gemälde sowohl Ob das Colorit dieser Gemälde wirklich in einem durchgehenden Verhältniss stehe zu der rothen, grünen etc. Farbe des entsprechenden Wandstückes, wage ich nicht zu entscheiden. Gerade die besten Gemälde haben durch die Übertragung in das Museum von Neapel ihren Zusammenhang mit der Wand- farbe eingebüsst. als für einzelne Figu- ren und Gruppen auf dem farbigen Grunde selbst; anderwärts treten die Figuren als Bewohner der (gemalten) Baulichkeiten zwischen Säul- chen und Balustraden auf. Die Landschaftbilder finden sich theils ebenfalls in der Mitte der farbigen Flächen, theils vor die Baulichkei- ten, oft sehr wunderlich, hingespannt. Die gemalte Architektur ist eine von den Bedingungen des Stof- fes befreite; wir wollen nicht sagen „vergeistigte“, weil der Zweck doch nur ein leichtes, angenehmes Spiel ist, und weil die wahren griechischen Bauformen einen ernsten und hohen Sinn haben, von welchem hier gleichsam nur der flüchtige Schaum abgeschöpft wird. Immerhin aber werden wir diese Decoratoren für die Art ihren Zweck zu erreichen schätzen und bewundern. Sie hatten ganz recht, keine wirklichen Architekturen mit wirklicher, auf Täuschung abgesehener Linien- und Luftperspective abzubilden. Dergleichen wirkt, wie so viele Beispiele im heutigen Italien zeigen, neben ächten Säulen und Gebälken doch nur kümmerlich und verliert bei der geringsten Ver- witterung allen Werth, während die idealen Architekturen dieser alten Pompejaner, selbst mit ihrer abgeblassten Farbe, auf alle Jahrhunderte Auge und Sinn erfreuen werden. Säulchen, Gebälke und Giebel nämlich sind wie aus einem idea- len Stoffe gebildet, bei welchem Kraft und Schwere, Tragen und Ge- tragenwerden nur noch als Reminiscenz in Betracht kömmt Die reine gothische Decoration folgt hierin ganz andern Gesetzen; sie ist fast durchgängig (an Wandzierrathen, Stühlen, selbst feinen Schmucksachen) streng architektonisch gedacht und wiederholt überall ihre Nischen, Sockel, Fenster, Streben, Pyramiden und Blumen im kleinsten Maassstab ähnlich wie im grössten. Sie bedurfte jener besondern Erleichterung vom Stoffe nicht . Die Pompejanische Scenographie. Säulchen werden theils zu schlanken goldfarbigen Stäben mit Canne- lirungen, theils zu Schilfrohren, von deren Knoten sich jedesmal ein Blatt ablöst, ähnlich wie an vielen Candelabern; ja bisweilen wird eine ganze reiche Schale rings umgelegt; auch blüht wohl eine mensch- liche Figur als Träger daraus empor. Die Gebälke, oft mit reichen Verkröpfungen, werden ganz dünn, unten geschwungen gebildet und meist bloss mit einer Reihe von Consolen, kaum je mit vollständigem Architrav, Fries und Deckgesimse versehen. Dieselbe Leichtfertigkeit spricht sich in den Giebeln aus, welche nach Belieben gebrochen, hal- birt, geschwungen werden. Wo es sich um Untensicht und Schiefsicht, z. B. beim Innern von Dächern etc. handelt, scheint die Perspective oft sehr willkürlich und falsch, man wird sie aber in der Regel deco- rativ-richtig empfunden nennen müssen. Der besondere Schmuck dieser idealen, ins Enge und Schlanke zu- sammengerückten Architektur sind vor Allem schöne Giebelzierrathen. Man kann nichts Anmuthigeres sehen als die blasenden Tritone, die Victorien, die mit dem Ruder ausgreifende Scylla, die Schwäne, Sphinxe, Seegreife und andere Figuren, welche die zarten Gesimse und Giebel krönen. Dann finden sich Gänge, Balustraden, auf wel- chen Gefässe, Masken u. dgl. stehen, und ein (mit Maassen angewand- ter) Schmuck von Bogenlauben und Guirlanden. Letztere hängen oft von einem kleinen goldenen Schilde zu beiden Seiten herunter Vielleicht nur eine veredelte Reminiscenz der Eimerkette, welche von ihrer Rolle herunterhängt. Man wird erst spät inne, aus wie kleinen Motiven die Kunst Zierliches und selbst Schönes zu schaffen weiss. . — Es giebt auch einzelne Beispiele einer mehr der Wirklichkeit sich nähernden Perspective, mit Aussichten auf Tempel, Stadtmauern u. dgl. (so im dritten Saal des Museums links, und in den hintern Räumen a der Casa del labirinto zu Pompeji); allein im Ganzen hat die oben b dargestellte Behandlung das grosse Übergewicht. In einzelnen Bei- spielen (Museum, erster Saal unten, rechts) ist die ganze Architektur c und einige Theile der sonstigen Decoration von hellem Stucco erha- ben aufgesetzt, wirkt aber so nicht gut. wie die antike, weil durch ihr inneres Gesetz der Entwicklung nach oben der Stoff bereits überwunden ist. Decoration. Pompejanische Scenographie. Der Hintergrund dieser phantastischen Baulichkeiten ist theils weiss, theils himmelblau, auch wohl schwarz, und contrastirt sehr kräftig mit den dazwischen ausgespannten farbigen Wänden. Oft sind auf besondern schmalen Zwischenfeldern noch leichtere Arabesken, Hermen, Candelaber, Thyrsusstäbe u. dgl. angebracht. Die Künstler wussten sehr wohl, dass eine reiche Decoration, um nicht bunt und schwer zu werden, in mehrere Gattungen geschieden sein muss. Der Sockel ist meist als Fläche behandelt und enthält: entweder natür- liche Pflanzen, wie sie an der Mauer wachsen; oder, auf besonders eingerahmtem dunklem Grunde, Masken mit Weinlaub (auch wohl auf Treppchen liegend mit Fruchtschnüren ringsum), fabelhafte Thiere, einzelne Figuren, kleine Gruppen u. dgl. — Über der Hauptfläche ist der oberste Theil der Wand meist mit geringerer Liebe (auch wohl von geringerer Hand) verziert. Allerdings entwickelt sich bisweilen erst hier das weiter unten begonnene Giebel- und Guirlandenwesen auf hellem Grunde zum grössten Reichthum; oft aber nehmen kind- liche Darstellungen von Gärten und Laubgängen oder sog. Stillleben (todte Küchenthiere, Fische, Früchte, Geschirr, Hausrath etc.) diese Stelle in Beschlag. (Wenn man eine Lichtöffnung in der Mitte der Decke annimmt, so erklärt sich die geringere malerische Behandlung dieser obern Wandtheile, welche das schlechteste Licht ge- nossen , ganz einfach.) Den Zusammenklang dieses köstlichen Ganzen empfindet man am a besten im sog. Pantheon zu Pompeji , wo von zwei Wänden be- trächtliche Stücke der Malereien ganz erhalten sind. Am Sockel: gelbe vortretende Piedestale mit schwarzen Füllungen, zum Theil mit gelben Karyatiden; an der Hauptfläche: ein hinten durchgehender rother Raum mit prächtigen Architekturen und Durchblicken ins (helle) Freie, davorgestellt grosse schwarze Wände mit Guirlanden und Mittelbil- dern, die zu den werthvollsten gehören (Theseus und Aethra, Odysseus und Penelope etc.); vor die Säulen sind unten, wie in der Regel, kleine Landschaften eingesetzt; die Architekturen selbst sind mit Ge- stalten von Dienern, Priesterinnen u. s. w. trefflich belebt; am obern Theil der Wand: theils Durchblicke ins (blaue) Freie mit Gestalten von Göttern, theils Stillleben auf hellem Grunde. — Raphaels Logen Pompejanische Scenographie. daneben gehalten, kann man im Zweifel bleiben, welcher Eindruck im Ganzen erfreulicher sei. Von dieser Prachtarbeit führt eine grosse Stufenreihe abwärts bis zu den einfachen Arabesken, Säulchen und Giebelchen, welche roth oder rothgelb auf weissem Grunde die Kaufladen, Nebengemächer und Gänge der geringern Häuser verzieren. Wir wollen nur einige Gebäude namhaft machen, in welchen die Scenographie ihre Gesetze besonders deutlich offenbart. Im „ Haus des tragischen Dichters “, sind mehrere Ge- a mächer besonders schön und belehrend. Eines: Architekturen auf weissem Grund, dazwischen rothe und gelbe Flächen mit eingerahm- ten Bildern, drüber ein Fries mit Wettkämpfen und dann noch leich- tere Ornamente, beides auf hellem Grund. — Anderswo: die schlanke Architektur besonders reizend zu halbrunden Hallen geordnet. — Im sog. Esszimmer: über schwarzem Sockel und violettbraunem Ober- sockel gelbe Hauptflächen mit trefflichen Bildern, dazwischen Archi- tekturen auf himmelblauem Grund, die Rohrsäulen ausgehend in Figu- ren (als bewegte Karyatiden); oben freiere Figuren und Ornamente auf gelbem Grund. In der „ Casa della Ballerina “ an den Wänden des Atriums b zierliche kleine Tempelfronten mit Durchblicken auf himmelblauem Grund. In der „ Casa di Castore e Polluce “ mehrere Gemächer c mit reichem Zierwerk auf lauter weissem Grund; die Figuren theils schwebend in der Mitte der Flächen, theils als Bewohner der Archi- tekturen angebracht. In andern Räumen zwischen braunrothen Archi- tekturstücken blaue Zwischenflächen, mit sehr zerstörten aber ausge- zeichneten Bildern. In der „ Casa di Meleagro “ ein Gemach mit guten Ornamen- d ten (am Sockel Pflanzen) auf schwarzem Grund; ein anderes mit gel- ben Architekturen auf himmelblauem Grund und rothen Zwischenflä- chen, die gute Bilder enthalten. In der „ Casa di Nerone “ mehrere Zimmer mit einer domi- e nirenden Farbe, was sonst wenig vorkömmt; ein gelbes, ein rothes, ein blaues Zimmer; oben durchgängig Architekturen mit Füllfiguren auf weissem Grund. Das Triclinium ganz gelb, die Ornamente bloss Decoration. Pompejanische Scenographie. mit braunen Schatten und weissen Lichtern angegeben. Die Halle um den Garten dagegen: braunrother Sockel mit natürlichen Pflanzen u. dgl., unterbrochen von gelben vortretenden Piedestalen; darüber reiche und treffliche Architekturen auf blauem Grund mit schwarzen Zwischenflächen, welche gute Bilder enthalten; oben: Zierrathen und Figuren auf weissem Grund. Im sog. Schlafzimmer die Architekturen mit Bewohnern besonders anmuthig belebt. a In der „ Casa d’Apollo “ das Tablinum vom Allerzierlichsten; das sog. Schlafzimmer mit lauter goldgelben Architekturen auf himmel- blauem Grund, so dass gar keine Zwischenflächen vorhanden sind; die Figuren theils ganze, Götter darstellend, theils Halbfiguren hinter den Balustraden; die Ausführung gut, doch geringer als im Tablinum. b In der „ Casa di Salustio “ enthält die Wand des hintern Gärt- chens eine harmlose Decoration, wie sie auch sonst noch in pompeja- nischen Gartenräumen und bis auf den heutigen Tag vorkömmt: hohe natürliche Pflanzen mit Vögeln und Guirlanden auf himmelblauem Grunde. Um den kleinen Hof in der Nähe des Bildes „Diana und Aetäon“ herum gute Verzierungen auf lauter schwarzem Grunde mit Ausnahme des violetten Sockels. Andere Räume mit farbigen Quadern (von Stucco) sehr unschön decorirt. c In der „ Casa delle Vestali “ die Gartenhalle ganz gelb, auch der untere Theil und die korinthischen Stuccocapitäle der Säulen. Die Architekturen der Wand bloss mit braunen Schatten und weissen Lich- tern angegeben; oben offene Schränke mit Küchenthieren und Guirlan- den in Naturfarbe; der Sockel braunroth mit mythologischen Figuren. d In der „ Villa di Diomede “ die Malereien theils unbedeutend, theils weggenommen und nach Neapel geschafft. Die Gewölbe der untern Räume sind mit Fortsetzungen der Architekturen auf hellem Grunde verziert. Nur ungern trennen wir bei der Besprechung dieser Schätze die eigentliche Malerei von der Decoration, indem sich die beiden Künste nie so eng die Hand geboten haben wie gerade hier. Wo sollen wir z. B. die unzähligen kleinen Vignetten unterbringen, welche diese hei- tern Räume beleben? Wer ihnen je einen Blick gegönnt hat, wird sie Pompejanische Scenographie. Mosaiken. noch oft und mit immer neuem Genuss betrachten, diese Gruppen von Gefässen, Vögeln, Schilden, Meerwundern, Tempelchen, Masken, Scha- len, Fächern und Ombrellen mit Schnurwerk, Dreifüssen, Treppchen mit Opfergeräthen, Hermen u. s. w., um zu schweigen von den zahllosen menschlichen Figürchen. Unläugbar ist in diesem ganzen pompejanischen Schmuckwesen wie in der Architektur schon Vieles, was der Ausartung, dem Barocken angehört. Nur muss man sich hüten, gleich Alles dahin zu rechnen, was nicht dem Kanon der griechischen Säulenordnungen entspricht, denn auch das scheinbar Willkürliche hat hier sein eigenes Gesetz, welches man zu errathen suchen muss. Die spätern Schicksale dieses Styles werden allerdings bald trau- rig. Er scheint schon im II. Jahrhundert, jedenfalls im III. erstarrt zu sein. Die Mosaiken des runden Umganges von S. Costanza bei a Rom zeigen, dass man zu Anfang des IV. Jahrhunderts gar nicht mehr wusste, um was es sich handelte; in dem Rankenwerk herrscht öder Wirrwarr, in den regelmässigen Feldern eine öde und steife Ein- förmigkeit. Einige gute Ornamente retten sich wohl bis tief ins Mit- telalter hinein und gewinnen stellenweise (s. unten) ein neues Leben; die Hauptbedingung dieser ganzen Productionsweise aber war unwider- bringlich dahin: nämlich die Lust des Improvisirens. Wo diese nicht vorhanden gewesen war, da hatte auch der Pom- pejaner einst nur Kümmerliches geleistet. Man sehe nur seine meisten Mosaikornamente, bei deren Anfertigung natürlich diese Lust wegfiel. (Säulen und Brunnen im Museum, erster Saal unten links; anderes in b verschiedenen Häusern zu Pompeji selbst, u. a. in der „Casa della c Medusa“.) Ganz auffallend sticht die kindische Leblosigkeit dieser Prunksachen neben den freien Arabesken der Wände ab. Auf ähn- liche Weise hat später das Mosaik, als es vorherrschende Geltung er- langte, das Leben der Historienmalerei getödtet. Diess hindert nicht, dass aus früherer Zeit einzelne ganz ausgezeichnete Mosaiksachen vor- handen sind und dass ausser einer Alexanderschlacht auch ein Fries von Laubwerk, Draperie und Masken (in dem letztgenannten Raume d des Museums) existirt, der zum Allertrefflichsten dieser ganzen Gat- tung gehört. B. Cicerone. 5 Antike Decoration. Marmorne Prachtgeräthe. Auf die Architektur und bauliche Decoration der Alten folgt zunächst eine Classe von Denkmälern, in welchen das architekto- nische Gefühl, seiner ernsten Aufgaben entledigt, in freiern Formen ausblühen darf. Wir meinen die marmornen Prachtgeräthe der Tempel und Paläste: Candelaber, Throne, Tische, Kelchvasen, Becken, Dreifüsse und Untersätze derselben. Der Stoff und meist auch die Be- stimmung geboten eine feierliche Würde, einen Reichthum ohne eigent- liche Spielerei. Es sind die Zierformen der Architektur, nur so wei- ter entwickelt, wie sie sich, abgelöst von ihren sonstigen mechanischen Functionen, entwickeln konnten. Man sehe z. B. den prachtvollen a vaticanischen Candelaber (Galeria delle Statue, nahe bei der Kleopatra); in solchen reichgeschwungenen Blättern muss der Akan- thus sich auswachsen, wenn er nicht als korinthisches Capitäl ein Ge- bälk zu tragen hat! Man vergleiche die Stützen mancher Becken und Kandelaber mit den Tempelsäulen, und man wird dort der stark aus- gebauchten, unten wieder eingezogenen Form und den schräg ringsum laufenden Cannelirungen ihr Recht zugestehen müssen, indem die Stütze der freien Zierlichkeit des Gestützten entsprechen musste. Andere Bestandtheile dieser Werke sind natürlich rein decorati- ver Art, doch herrscht immer ein architektonisches Grundgefühl vor und hütet den Reichthum vor dem Schwulst und der Zerstreuung. Schon die Reliefdarstellungen an vielen dieser Geräthe verlangten, wenn sie wirken sollten, eine weise Beschränkung des bloss Decorativen. Die Füsse, wo sie erhalten sind, stellen bekanntlich Löwenfüsse vor, stark und elastisch, nicht als lahme Tatzen gebildet. An Thronen und Tischen setzt sich der Löwenfuss als Profilverzierung in schönem Schwung bis über das Kniegelenk fort; dort löst sich die Löwenhaut etwa in Gestalt von Akanthusblättern ab und der Oberleib einer Sphinx oder ein Löwenhaupt oder das eines bärtigen Greifes tritt als Stütze oder Bekrönung darüber hervor; die Flügel an der Sphinx oder am Löwenleib dienen dann als Verzierung der betreffenden Seitenwand. Die horizontalen Gesimse sind durchgängig sehr zart, als blosser archi- tektonischer Anklang gebildet; ihre Bekrönungen dagegen mit Recht reicher, etwa als Palmettenkranz. Eine gottesdienstliche Beziehung, direct auf Opfer gehend, liegt in den oft sehr schön stylisirten Wid- derköpfen auf den Ecken. — In den Formen der Vasen herrschen unten Marmorne Prachtgeräthe. an der Schale meist die concentrischen Streifen der Muschel, doch auch wohl reiches Blattwerk; der obere Theil, welcher die eigentliche Urne ausmacht, bleibt frei für die Reliefs; der Rand aber zeigt einen schönen Umschlag in der Form des sogenannten Eierstabes. Die Hen- kel sind bisweilen nach oben mehrfach in elastischen Spiralen gerin- gelt (so an der sonst einfachen Colossalvase des Vorhofes von S. Ce- a cilia in Rom und an der kleinern an der Treppe des Palazzo b Mattei ); ihre untern Ansätze erscheinen mit Masken und andern Köpfen verziert. Bisweilen sind lebende Wesen als Träger der Ge- fässe, Tische u. s. w. rund gearbeitet; so ruht ein vaticanisches Ge- fäss (Belvedere, Raum zunächst dem Meleager) auf den verschlunge- c nen Schweifen von drei Seepferden, ein Becken ebendort (oberer Gang) d auf den Schultern dreier Satyrn mit Schläuchen u. s. w. — Die Drei- seitigkeit der meisten Untersätze hatte wohl ihren Ursprung in der Form der Dreifüsse, für welche dergleichen Prachtpiedestale früher hauptsächlich gearbeitet wurden; allein die Kunst behielt sie später gerne auch für Candelaber, Vasen u. dgl. bei, des leichten und an- muthigen Aussehens wegen und zum Unterschiede von der Architektur. Diese Arbeiten sind oft sehr stark nach verhältnissmässig gerin- gen Bruchstücken und nach Analogien ergänzt. Wo zwei identische Candelaber stehen, wird der eine in der Regel die Copie, ja der blosse Abguss des andern und nur der Symmetrie halber mit aufgestellt sein. Wir zählen in Kürze eine Auswahl des Besten auf. Im Vatican , mit Ausnahme des schon Genannten: im Braccio e nuovo: die schwarze Vase mit Masken; — in den verschiedenen Räumen des Belvedere und in der Sala degli Animali: Tischstützen (Trapezo- f phoren) mit Thieren und Thierköpfen jeder Art und Güte; — im obern Gang: zwei kleinere und vier grössere Candelaber, letztere besonders g schön mit Genien, die in Arabesken auslaufen (ein ganz ähnlicher im Chor von S. Agnese vor Porta Pia); ein grosses Candelaberfragment h mit flachem Akanthus; grosser, stark zusammengesetzter Candelaber mit dem Dreifussraub an der Basis; mehrere schöne Vasen, Brunnen u. s. w.; zwei vierseitige schmale Altäre, nach Art der marmornen Dreifüsse sehr reich behandelt. — Im Museo capitolino : obere i Galerie: sehr ausgezeichnete grosse Vase, deren Pflanzenverzierung in fünfblättrigen Schoten ausgeht; — Zimmer der Vase: nächst dem einfach k 5* Antike Decoration. Marmorne Prachtgeräthe. schönen bronzenen Mischkrug des Mithridat (leider mit barock-moder- nen Henkeln) die dreiseitige Marmorbasis unter dem Opferknaben. — a In der Villa Albani , Mehreres in der Nebengalerielinks; — im sog. b Kaffehaus: ein guter, aber später Candelaber; von den bei Anlass der Reliefs genannten Vasen sind mehrere auch als Vasen ausgezeichnet. c In der Villa Borghese : Mehreres, besonders in der Vorhalle. — d Im Museum von Neapel , erster Gang: zwei runde Becken mit ins Viereck gezogenem Rande, auf gewundenen Säulen ruhend; ein schönes Brunnenbecken auf drei Löwenfüssen mit Sphinxoberleibern. — e Im dritten Gang: aufrecht sitzende Sphinx als Trägerin einer Stütze f mit Palmettenhals; Anbau dieses Ganges: mehrere Thron- und Tisch- stützen; ein herrliches Marmorbecken, welches die Gesetze dieser Or- namentik vielleicht so klar wie wenige andere Überreste offenbart; endlich die kolossale Porphyrschale, grossentheils ergänzt und mit g Ölfarbe bestrichen. — In der Halle der Musen: die Vase von Gaeta, das h Decorative sehr zerstört. — In der Halle der farbigen Marmore: eine Sirene von rothem Marmor, die mit ihrem Schweif die Tragsäule eines i Brunnenbeckens umschlingt. — In der Halle des Tiberius: ausser einer Amphore und einer Urne die beiden bekannten Candelaber mit den Fischreigern oder wie man die je drei Vögel nennen will. k In Pompeji enthält gegenwärtig der Hof des Mercurstempels eine Sammlung von steinernen Tischstützen u. dgl., welche den Zier- rath wieder auf seine einfachste Form: die senkrecht cannelirte Säule zurückführen. Aehnlich die meisten Zugbrunnen (Pozzi) in den Häu- l sern. Ein Marmortisch auf Greifen ruhend in der Casa di Nerone. m In den Uffizien zu Florenz : innere Vorhalle: Zwei schlanke Pfeiler, zu Trägern von Büsten oder Statuen bestimmt, auf allen vier Seiten überfüllt mit kleinlichen Trophäen in Relief; eine späte und in ihrer Art lehrreiche Verirrung; gleichsam ein ins Enge gezogener Aus- druck dessen, was die Spiralsäulen im Grossen gaben. — Verbindungs- n gang: dreiseitige Candelaberbasis mit Amorinen, welche die Waffen o des Mars tragen. — Zweiter Gang und Halle der Inschriften: mehrere Altäre und altarförmige Grabmäler, dergleichen Rom in viel grösserer p Auswahl bietet. — Erster Saal der Malerbildnisse: die mediceische Vase mit Iphigeniens Opfer, klassisch auch in ihren Ornamenten: der Inschriften. Eherne Geräthe. Fuss meist echt und alt, von den Henkeln und vom obern Rand wenig- stens so viel als für die Restauration nöthig war. Im Dogenpalast zu Venedig (Museo d’Archeologia, Corri- a dojo) ein schöner grosser Candelaber, sehr restaurirt, doch der Haupt- sache nach alt, ausgenommen die obere Schale; oben drei Satyrs- köpfe und Laubwerk mit Vögeln. Hier noch eine Bemerkung, die wir nirgends anders unterbringen können. In das Gebiet der Ornamentik fallen auch die Buchstaben der Inschriften. Die Griechen haben darin immer nur das Nöthige ge- geben und irgend ein architektonisches Glied zum Träger dessen ge- macht, was sie in verhältnissmässig kleinen Charakteren nur eben leserlich angeben wollten. Bei den Römern will die Inschrift schon in die Ferne wirken und erhält bisweilen, nicht bloss an Triumphbo- gen, wo sie in ihrem Rechte ist, sondern auch an Tempelfronten eine eigene grosse Fläche auf Kosten der Architrav- und Friesglieder. Allein wenigstens die Buchstaben sind noch bis in die späteste Zeit verhältnissmässig schön gebildet und passen zum Übrigen. Der Bau- meister verliess sich nicht auf den Steinmetzen und Bronzisten, son- dern behandelte, was so wesentlich zur Wirkung gehörte, als etwas Wesentliches. Von jenen grossen, monumental behandelten Prachtstücken gehen wir über zu den beweglichen Geräthen des wirklichen Gebrau- ches, welchen ihr Stoff — das Erz Von den silbernen Gefässen, dergleichen Verres in Sicilien massenweise stahl, ist natürlich nur äusserst Weniges erhalten. — einen besondern Styl und eine bessere Erhaltung gesichert hat. Vor allen Sammlungen bahen hier die sechs Zimmer der „kleinen Bronzen“ im Museum von b Neapel den Vorzug, weil in ihnen die Schätze aus den verschütteten Städten am Vesuv und die Ausgrabungen von Unteritalien zusammen- münden. (Einiges recht Schöne auch in den Uffizien zu Florenz , c II. Zimmer der Bronzen, 8.—14. Schrank.) Antike Decoration. Eherne Geräthe. Auf den ersten Blick haben diese Überreste gar nichts Bestechen- des oder Überraschendes. Ersteres nicht, weil der Grünspan sie un- scheinbar macht; letzteres nicht, weil unsere jetzige Decoration sie seit achtzig Jahren nachbildet, so dass bald kein Tischservice, keine Salon- lampe völlig unabhängig ist von diesen Vorbildern. Wer nun aber nicht schon aus historischem Interesse dieser Quelle der neuern Deco- ration nachgehen will, der mag es doch um des innern Werthes wil- len getrost thun. Er wird dann vielleicht inne werden, dass wir un- vollkommen und mit barbarischer Styl-Mischung nachahmen, dass wir dabei bald zu architektonisch trocken, bald zu sinnlos spielend ver- fahren, und dass uns nicht die Überzeugung, sondern die Willkür lei- tet, sonst würde unsere Mode nicht im Chinesischen, in der Renaissance, im Rococo u. s. w. zugleich herumfahren, ohne doch Eines recht zu ergründen. Die Alten stehen hier unsern barocken Niedlichkeiten und Nippsachen recht grandios gegenüber mit ihrem Schönheitssinn und ihrem Menschenverstande. Vase, Leuchter, Eimer, Wage, Kästchen, und was all die Alter- thümer noch für Namen und Bestimmungen haben mochten, — Alles besitzt hier sein inneres organisches Leben, seine Entwicklung vom Gebundenen ins Freie, seine Spannung und Ausladung; die Zierrathen sind kein äusserliches Spiel, sondern ein wahrer Ausdruck des Lebens. Schon die gemeinen Küchen- und Tischgefässe haben eine gute, schwungvolle Bildung des Profils, des Halses, namentlich der Hand- haben und Henkel. Eine Sammlung von abgetrennten Henkeln, in a einem Schrank des fünften Zimmers (Einiges auch in den Uffizien, b 12. Schrank des genannten Raumes) zeigt auf das Schönste, wie die Bildner jedesmal mit neuer Lust die einfache Aufgabe lösten, in die- sem Theil des Gefässes eine erhöhte Kraft und Dehnbarkeit auszu- sprechen, und wie der Auslauf des Henkels in eine Maske oder Pal- mette gleichsam ein letzter, glänzender Ausdruck dieser besondern Be- lebung sein sollte. (Eine sehr edel stylisirte Handhabe mit Blattwerk c im genannten Raum der Uffizien, 13. Schrank.) An Urnen, Opfer- schalen und andern festlichen Geräthen ist natürlich auf dergleichen noch eine besondere Sorgfalt verwendet. Wo von der Aussenseite des Gefässes ein grösserer Theil verziert ist, findet man in der Regel, dass Form und Profil des Zierrathes der Bewegung des Gefässes, seinem Lampen und Candelaber. Anschwellen und Abnehmen folgt und sie verdeutlichen hilft Vgl. unten den Abschnitt über die gemalten Vasen. . Nament- lich beachte man den umgeschlagenen Rand mit der einfach schönen Reihe von Perlen oder kleinen Blättern; er ist gleichsam eine letzte Blüthe des Ganzen. Sehr zahlreich sind, zumal im zweiten und sechsten Zimmer, die a Lampen, welche sowohl in der Hand getragen als auf besondere Stän- der gestellt oder an Kettchen aufgehängt werden konnten. Schon die ganz einfachen unverzierten haben die denkbar schönste Form für ihren Zweck: einen Behälter für das Oel und eine Öffnung für den Docht nebst einer Handhabe darzubieten. (Wer sich hievon überzeu- gen will, mache einmal selbst den Versuch, ein Geräth, welches diese drei Dinge vereinigt, aus eigener Erfindung zu componiren.) Am häu- figsten wurde wenigstens der Griff verziert, als Schlange, Thierkopf, geflügelte Palmette u. s. w. Dann folgten Zierrathen, Reliefs und ganze freistehende Figürchen auf dem Deckel des Oelbehälters. Bis- weilen sind mehrere Lampen an den Zweigen einer Pflanze, eines Baumes, auch wohl an reichen, von einem kleinen Pfeiler ausgehen- den Zierrathen aufgehängt, wozu eine schön architektonisch gebildete Basis gehört. (Eine grosse bronzene Lampe christlicher, doch noch b römischer Zeit in den Uffizien, 14. Schrank, zeigt die spätere Erstar- rung dieser Form; sie ist als Schiff gestaltet.) Von den Lampenständern wird man die kleinern als artige kleine Dreifüsse, als Bäumchen, als elastische Doppelkelche (aufwärts und abwärts schauend) gebildet finden. Der höhere Lampenträger dagegen ist der bronzene Candelaber, der hier in einer grossen Menge von Exemplaren, vom Einfachsten bis zum Reichsten, repräsentirt ist. Der Stab desselben, fast immer auf drei Thierfüssen mit Pflanzenzierrathen stehend, ist bald mehr architektonisch als schlanke cannelirte Säule, bald mehr vegetabilisch als Schilfrohr gebildet. Oben geht er entwe- der in drei Zweige oder in einen mehr oder weniger reichen Kelch über, dessen breite obere Platte die Lampe trug. Im Ganzen wird man kaum ein einfach anmuthigeres Hausgeräth erdenken können. Auch Figuren als Lampenträger fehlen nicht, z. B. ein Harpocrates, der in der Rechten einen Lotos mit der Lampe hielt; ein köstlicher Antike Decoration. Eherne Geräthe. Silen mit dem Schlauch, hinter welchem ein Bäumchen zwei Lampen trug; ein Amor auf einem Delphin, über dessen Schweif die Lampe a schwebte, u. s. w. (Ein Candelaberfuss in den Uffizien, 10. Schrank, besteht aus drei zusammenspringenden Luchsen mit Masken dazwischen.) Die Füsse der Geräthe sind ideale und dabei höchst kräftige, doch — dem Stoffe gemäss — leichte Thierfüsse, welche die Zehen des Löwen mit dem schlanken Fussbau des Rehes vereinigen. Wie frei die Alten mit solchen Bildungen umgingen, zeigt der herrliche Altar des dritten Zimmers, dessen drei Thierfüsse über einem Absatz ebensoviele Sphinxe und hinter diesen Blumenstengel tragen, auf welchen dann die runde Platte mit ihrem Fries von Stierköpfen und Guirlanden ruht; unter sich sind die Füsse durch schöne, schwungreiche Pflanzenbildungen verbunden. An den meist aus Pompeji stammenden Helmen und Harnischen b (viertes Zimmer) findet sich theilweise ein reicher, prachtvoller Relief- schmuck. Die ganzen Figuren und Geschichten, z. B. verschiedene Scenen der Einnahme von Ilion, sind mit Recht dem Helm vorbehal- ten, während Arm- und Beinschienen mit Ausnahme einer vorn ange- brachten ganzen Götterfigur nur Masken, Adler, Arabesken, Füllhör- ner etc. darbieten. Andere Helme, von roherer römischer Ausführung, enthalten bloss Trophäen, Köpfe von Göttern u. dgl. An einem schön griechischen Brustharnisch (aus Pästum?) wird man das Haupt der Pallas Athene finden. — Die archäologische Bedeutung dieser beträcht- lichen Sammlung von Waffen, Pferdezeug u. dgl. darf hier nicht weiter erörtert werden; genug, dass auch in diesen Werkzeugen des Krieges c die schöne antike Formenbildung sich nicht vorläugnet. (Im Museo patrio zu Brescia der figurirte Brustschild eines Pferdes.) Im Ganzen darf man immer von Neuem sich wundern, dass ein Volk, welches seine Zierformen so leicht und meisterhaft bildete, doch fast durchgängig Maass hielt und des Guten nicht zu viel that. Es genügt ein vergleichender Blick auf die Renaissance, die sich dessen nicht rühmen kann, die ihre tragenden Theile im Styl der Flächen verzierte und an ihren Gefässen vollends nur eine angenehme Pracht erstrebte, ohne auf eine lebendige Entwicklung bedacht zu sein. Wie gerne verzeiht man daneben den Pompejanern, wenn sie das Gewicht an ihrer (römischen) Wage als Satyrskopf, als Haupt des Handels- Gläserne und irdene Gefässe. gottes Hermes bildeten. Es kommen noch andere einzelne Spielereien vor, aber sie machen keinen weitern Anspruch und verdunkeln nicht das Wesentliche. Einen interessanten Contrast mit den ehernen Gefässen bieten die gläsernen dar, deren im dritten Zimmer der „Abtheilung der Ter- a racotten“ desselben Museums von Neapel eine grosse Sammlung vor- handen ist. (Meist aus Pompeji.) Diese Gläser sind nicht besser ge- formt als unsere gemeinen Glaswaaren, weil sie geblasen wurden, wobei in der Regel nur unbedeutende und leblose Profile zum Vor- schein kommen können. Das Auge mag sich indess schadlos halten an einigen Schälchen u. s. w. von schöner lasurblauer Farbe und an einigen Überresten bunter Millefiori, wenn auch letztere nicht mit den jetzigen venezianischen Prachtarbeiten wetteifern dürfen. Von den pompejanischen Gefässen aus gebrannter Erde (im vierten und fünften Zimmer derselben Sammlung) weisen dagegen b schon die allergemeinsten eine bessere und edlere Form auf; nur darf man sie nicht mit den griechischen Vasen vergleichen, von welchen bei Anlass der Malerei die Rede sein wird. Die vielen Hunderte von gewöhnlichen Thonlampen haben in ihrem befangenen Stoff noch im- mer jene schöne Grundform mit den ehernen gemein. Einzelne Stirn- ziegel in Palmettenform zeigen, wie zierlich selbst an geringen Ge- bäuden das untere Ende jeder Ziegelreihe des Daches auslief. (Auch ein Giessmodel für dergleichen ist hier aufgestellt.) — Von thönernen figurirten Friesstücken findet sich wenigstens eine kleine Auswahl Eine der bedeutendsten Terracotta-Sammlungen, die des Cavaliere Campana * in Rom, ist nur schwer zugänglich. . Einen eigenen klassischen Werth hat sodann die florentinische Sammlung schwarzer figurenloser Thongefässe (bei den gemal- c ten Vasen in dem verschlossnen Gang, der von den Uffizien nach Ponte vecchio führt). Neben mehr willkürlichen etruskischen Formen finden sich hier die schönsten griechischen Profilirungen, den edelsten Vasen von Bronze und Marmor im Kleinen und in einem andern Stoffe nach- geahmt. (Besonders eine Urna unvergleichlich). Sie dienten nicht zum täglichen Gebrauch, sondern standen wohl in Tempeln und Gräbern. Christliche Architektur. Basiliken. Es wurde bereits erwähnt, dass die christliche Kirchenbaukunst mehr oder weniger sich dem Vorbild der heidnischen Basiliken an- schloss und die von den Tempeln genommenen Säulen zum Bau ihres Innern benützte. Die grossen Modificationen, welche den eigenthüm- lichen Werth der christlichen Basilica ausmachen, sind kurz folgende. 1) Das Innere der heidnischen Basilica war ein zwar länglicher, aber auf allen vier Seiten von der Säulenhalle umgebener Raum oder (unbedeckt gedacht) Hof; in der christlichen Kirche wird derselbe zu einem bedeckten Mittelschiff, und die Halle zu zwei oder vier Seiten- schiffen, während die Fortsetzung der Halle auf den Schmalseiten (vorn und hinten) wegfällt oder nur vorn und dann in veränderter Bedeu- tung, als innere Vorhalle, sich behauptet. 2) Die grosse hintere Nische (Apsis, Tribuna), einst durch die da- vor hinlaufende Halle theilweise dem Auge entzogen, wird jetzt ge- radezu das Ziel aller Augen, indem sich darin oder zunächst davor der Altar erhebt. Die Längenperspective wird damit das Lebensprin- cip der ganzen Basilica und damit der meisten abendländischen Kirchen überhaupt. 3) In den wichtigern Basiliken entsteht vor der Nische ein Quer- schiff von gleicher oder fast gleicher Höhe mit dem Hauptschiff, zur Aufnahme bestimmter Classen von Anwesenden (Geistliche, Beamte, Matronen etc.). Ein besonderer grosser Bogen (der Triumphbogen) auf Säulen bildet den Übergang aus dem Hauptschiff ins Querschiff. 4) Die Errichtung eines obern Stockwerkes, in den heidnischen Basiliken beinahe Regel, wird hier zur Ausnahme (S. Agnese, S. Lo- renzo fuori le mura, SS. Quattro Coronati in Rom). Die Obermauer Grundzüge des Basilikenbaues. des Mittelschiffes wird theils mit Malereien bedeckt, theils mit grossen (jetzt meist vermauerten oder umgestalteten) Fenstern durchbrochen. Die ursprünglichen reichgeschmückten Flachdecken sind sämmtlich untergegangen; an einigen Kirchen ist noch das mittelalterliche Sparren- werk des Daches erhalten; die meisten tragen moderne Decken oder Scheingewölbe. 5) An den Basiliken von Ravenna kömmt zuerst regelmässig die Anordnung von zwei Nebennischen rechts und links von der Haupt- nische vor. 6) Die Aussenwände blieben meist schlicht und glatt (in Ravenna schüchterne Anfänge einer Eintheilung, durch vortretende Wandstrei- fen mit Rundbogen, auch frühe schon eigentliche Bogenfriese). Was etwa, z. B. von Consolen am Obergesimse vorkömmt, ist von antiken Gebäuden entlehnt. (Apsis von S. Cecilia in Rom.) Die Fassade er- a hielt eine Vorhalle, wovon unten die Rede sein wird; die Thüren hatten wohl in der Regel antike Pfosten; die Obermauer wahrscheinlich eine Decoration von kostbaren Marmorplatten, auch wohl schon frühe von Mosaik. 7) Im Innern ist die Säulenstellung je älter desto dichter und desto gleichmässiger (letzteres aus dem Seite 27, b, angegebenen Grunde). Die alte Peterskirche hatte über den Säulen ein gerades Gebälk, der alte Lateran und die alte Paulskirche Bogen; S. Maria Maggiore hat noch ihr gerades Gebälk — sämmtlich Bauten des IV. und V. Jahrhunderts. Von da an überwiegen die Bogen (Ausnahme: das Untergeschoss der b alten Kirche von S. Lorenzo fuori) und bilden in Ravenna die aus- schliessliche Form; erst im XI. bis XIII. Jahrhundert kommt wieder in einzelnen römischen Beispielen (S. Maria in Trastevere, S. Criso- gono, die neuere Kirche von S. Lorenzo fuori) das gerade Gebälk und anderwärts sogar der Flachbogen vor (Dom von Narni und Vorhalle der Pensola ebenda). 8) In Rom setzen in der Regel die Bogen unmittelbar über dem Säulencapitäl an; in Ravenna schiebt sich ein trapezförmiges Zwischen- stück ein, welches durch seine barbarische Bildung das richtige Grund- gefühl wieder verdunkelt, welches hier ein Zwischenglied verlangte. Die Alten hatten wenigstens bei ihren vortretenden Säulen auch das betreffende Gebälkstück vortreten lassen, und als Brunellesco die alte Christliche Architektur. Basiliken. Baukunst wieder zu erwecken suchte, war die Herstellung desselben sein Erstes. Die meisten Basiliken haben so starke Veränderungen erlitten, dass man nur mit Mühe sich den ursprünglichen Eindruck vergegen- wärtigen kann. Da diese ganze Bauweise, mit der hohen Obermauer über den Säulen, einem starken Erdbeben nicht leicht widerstand, durch ihr hölzernes Dachwerk den Feuersbrünsten unterworfen war und auch ohne dieses durch ihre eigene Leichtigkeit zum Umbau einlud, so sind gewiss eine Menge Basiliken im Lauf der Zeit eingestürzt oder aus- einandergenommen und grossentheils mit Benützung der alten Bau- stücke wieder zusammengesetzt worden. Ausserdem ergaben sich Zu- und Anbauten aller Art, Capellen, welchen zu Liebe alle Wände durchbrochen wurden, neue Apsiden (zum Theil weil man Fenster brauchte), neue Fassaden je nach dem Styl des Jahrhunderts u. dgl. Zuletzt nahm sich nur zu oft der Barockstyl dieser baufälligen Kir- chen an, schloss ihre Säulen halb oder ganz in seine Pfeiler ein und überzog, was noch vom alten Bau übrig war, „harmonisch“ mit seinen Stuccaturen; namentlich waren ihm die alten Decken und gar das sichtbare Sparrenwerk zuwider; im glücklichsten Fall nahmen über- reich vergoldete Flachdecken, nur zu oft aber verschalte Gewölbe mit modernen Ornamenten deren Stelle ein. Das Vermauern der Fenster oben im Mittelschiff wurde so zur Regel, dass keine Basilica mehr ihr volles altes Oberlicht geniesst. Höchstens den Mosaikboden aus- genommen, wollte kein altchristliches oder mittelalterliches Detail mehr zu dem modernen System der Altäre, der Chorstühle, der Wandma- lereien passen; das Alte musste weichen. So giebt es nun durch ganz Italien eine Menge Kirchen aus dem ersten Jahrtausend und den beiden nächsten Jahrhunderten, welche noch ihre antiken Säulen mehr oder weniger kenntlich aufweisen und auf den sonst als Ehrentitel gebrauchten Namen Basilica der Kunstform halber Anspruch machen, dabei aber einen überwiegend modernen Eindruck hervorbringen. Wir wollen nur kurz andeuten, wie man die ursprüngliche Ge- stalt der reichern Basiliken in Gedanken zu restauriren hat. Vor Allem gehört dazu ein viereckiger Vorhof mit Hallen ringsum, Vorhallen. Fassaden. Mosaiken. dessen vorderer Eingang nach aussen noch eine besondere kleine ge- wölbte Halle mit zwei vortretenden Säulen hatte. (Diese kleine Halle erhalten an S. Cosimato in Trastevere — IX Jahrhundert? — und an a S. Clemente, sowie an S. Prassede in Rom — XII. Jahrhundert.) Von b den vier Seiten des Porticus bildete die eine den Vorraum der Kirche selbst; in der Mitte des Hofes stand der Weihebrunnen. Erhaltene vierseitige Portiken an den Domen von Capua und Salerno, an lezterm c aus dem XI. Jahrhundert, auf schönen und gleichförmigen Säulen von d Pästum; in Rom hat nur das späte S. Clemente — XII. Jahrhundert — e noch den unversehrten Porticus, theils auf Säulen theils auf Pfeilern; in Mailand stammt die Vorhalle von S. Ambrogio, gewölbt auf Pfeilern f mit Halbsäulen, wahrscheinlich aus der Zeit Ludwigs des Frommen. Spätere Klostervorhallen geben eine ziemlich genaue Anschauung von dieser Bauweise. Sehr viele Basiliken hatten indess nur eine Vor- halle längs der Fassade und diese hat sich in manchen Beispielen sammt ihrem meist geraden, nicht selten mosaicirten Gebälk erhalten; so z. B. in Rom an S. Cecilia, S. Crisogono, S. Giorgio in Velabro, g S. Giovanni e Paolo, S. Gregorio, S. Lorenzo fuori, S. Lorenzo in h Lucina, an SS. Quattro Coronati in einem Umbau des XII. Jahrhun- i derts und an S. Saba mit einem obern Stockwerk; ausserhalb Roms k z. B. am Dom von Terracina, am Dom von Amalfi (Doppelreihe von l Säulen mit normannisch-saracenischen Spitzbogen und Gewölben); in Ravenna nimmt ein geschlossener und gewölbter Vorbau die Stelle der Vorhalle ein, z. B. am S. Apollinare in Classe. m Von den Fassaden ist vielleicht keine einzige mit ihrem ursprüng- lichen oder ursprünglich beabsichtigten Schmuck erhalten; denn die Mosaiken, die man an der Fronte von S. Maria Maggiore noch sieht n und an derjenigen von S. Paul sah, sind und waren Werke der Zeit um 1300. Wir bleiben auf die oben angegebenen Vermuthungen be- schränkt. Im Innern, dessen Austattung unverhältnissmässig überwog, wurde vor Allem der reichste farbige Schmuck erstrebt, womöglich durch Mosaikbilder, welche die Oberwände des Mittelschiffes, die Wand des Triumphbogens (bisweilen schiffwärts und nischenwärts) und die Apsis sammt ihrer Umgebung überzogen. Auch der Boden erhielt Mosaik- ornamente (die freilich in ihrer jetzigen Gestalt meist erst aus dem XI. Christliche Architektur. Basiliken. und den folgenden Jahrhunderten stammen, wovon unten), und die Wände der Seitenschiffe wenigstens unten einen Überzug mit kostbaren Stein- arten aus den Ruinen des alten Roms. Die baulichen Details mussten neben der starken Farbenwirkung dieses Schmuckes, namentlich auch des Goldgrundes, Wirkung und Werth verlieren und sich bald auf das Allernöthigste beschränken. Die Capitäle wurden, wo man keine antiken vorräthig hatte, bisweilen aus orientalischen Bauhütten bezo- gen; namentlich in Ravenna wird man oft einem sonderbar umgestal- teten korinthischen Capitäl mit kraftlosem aber zierlich geripptem und ausgezacktem Blattwerk begegnen, dessen Stoff — proconnesischer Marmor von der Propontis — seine Herkunft verräth. (V. und VI. Jahrhundert.) Hart daneben tritt aber auch ein schon ganz lebloses, muldenförmiges Capitäl auf, in welches kalligraphische Zierrathen bloss flach eingemeisselt sind, und welches sich unter dem oben bezeich- neten trapezförmigen Aufsatz besonders roh ausnimmt. (Jetzt in man- chen Basiliken neue Capitäle und Gesimse von Stucco über den alten.) Die grosse perspectivische Wirkung des Ganzen war nicht zu jeder Zeit, sondern nur in besonders feierlichen Augenblicken zu ge- niessen, indem eine unglaubliche Masse von Vorhängen die einzelnen Räume von einander abschloss. Dieselben begannen schon mit der a kleinen äussern Vorhalle (an derjenigen von S. Clemente und anderswo sind noch einige Ringe an der eisernen Stange sichtbar), umzogen dann den ganzen vierseitigen Porticus, theilten das Hauptschiff zwei bis drei- mal in die Quere, gingen an den Colonnaden von Säule zu Säule und machten vollends den Altarraum zu einem unsichtbaren Allerheiligsten. Am Tabernakel mancher Altäre sind überdies noch besondere Stangen und Ringe von den ehemaligen Vorhängen zu bemerken, welche alle vier Seiten des Altares zu verhüllen bestimmt waren. Die Querbal- ken und Stangen, welche dieses oft kostbar gestickte Tuchwerk trugen, scheinen laut den Nachrichten mit Heiligenbildern geschmückt gewesen zu sein; ausserdem dienten sie wohl auch dem Bau selber als Veran- kerungen oder Schlaudern. Von den einzelnen Ziergegenständen, den Thronen, Lesepulten, Predigtkanzeln, Osterkerzensäulen u. s. w. ist das Meiste erst seit dem XI. Jahrhundert gearbeitet (siehe unten). Wir müssen hier nur zwei Dinge erwähnen, welche ihre bleibende Gestalt schon in altchristlicher Altäre. Chorus. Zeit erhalten haben mögen. Zunächst die Altäre , deren bis ins IX. Jahrhundert jede Kirche nur einen hatte. Sie sind sämmtlich so ein- gerichtet, dass der Priester dahinter steht und sich mit dem Angesicht gegen die Gemeinde wendet. Über ihnen erhebt sich mit vier Säulen (wozu man immer die kostbarsten Steine nahm, die zu haben waren) der Tabernakel, dessen oberer Theil oder Baldachin einen besondern kleinen Zierbau bildet (obere Säulchenstellung, kleine Kuppeln u. dgl. auch wohl einfache Giebel). Alte Beispiele sind in S. Lorenzo fuori Das Grabmal Lavagna, rechts von der Hauptthür derselben Kirche, besteht aus einem ganz ähnlichen Tabernakel (über einem ant. Sarcophag), vielleicht erst vom Jahr 1256. a und in S. Giorgio in Velabro zu Rom erhalten; ein späteres in S. Cle- b mente; eines aus dem IX. Jahrhundert in S. Apollinare in Classe c bei Ravenna (im linken Seitenschiff), und eines aus dem XII. Jahr- hundert (wenn nicht älter) in S. Anastasia zu Rom; auch die zwei d Seitenaltäre des Domes von Terracina haben noch ihre ursprüngliche e Form (XII. Jahrhundert?). An sehr vielen Altären aber sind nur noch die vier Säulen alt. Sodann war die Einrichtung des sog. Chorus , welche nur noch in S. Clemente zu Rom deutlich erhalten ist, eine Eigenthümlichkeit f der alten kirchlichen Anordnung, wenn auch nicht der urchristlichen. Ein viereckiger Raum gegen Ende des Mittelschiffes, um eine oder wenige Stufen erhöht und mit marmornen Schranken umschlossen, diente zur Aufstellung der psallirenden Priesterschaft Vielleicht doch nur in Kirchen ohne Querschiff als Ersatz dafür gebräuchlich? ; an seinen bei- den Seiten waren die Lesepulte (Analogia) angebracht, links (vom Altar aus gerechnet) dasjenige für die Epistel, rechts dasjenige für das Evangelium. Überblickt man das Ganze dieser neuen Kunstschöpfung, so fehlt ihr wesentlich das organische Leben, welches die Glieder eines Baues in einen harmonischen Zusammenhang bringen soll. Die Benutzung antiker Baureste, an die man sich einmal gewöhnt hatte, ersparte zu- dem den folgenden Baumeistern die eigenen Gedanken, und so bleibt ihre Kirchenform bis ins XIII. Jahrhundert stationär, während in Ober- italien und im Norden schon längst entscheidende neue Bauprincipien Christliche Architektur. Basiliken. in Übung sind und während die verfügbaren antiken Säulen u. s. w. bereits auf das Empfindlichste abnehmen. Die einzige wesentliche Ver- änderung in dieser langen Zeit besteht in einem stärkern Verhältniss der Höhe zur Breite in den römischen Basiliken des zweiten Jahrtau- sends. Rom überliess es dem Ausland, aus dem grossen urchristli- chen Gedanken des perspectivischen Langbaues die weitern Conse- quenzen zu ziehen. Nach einer Reihe von Umbildungen, die in der Kunstgeschichte zuerst nach Jahrhunderten, später nach Jahrzehnden nachzuweisen sind, ging aus der Basilica ein Kölner Dom hervor. Wenn nun aber auch dieser Bauform jede eigentliche Entwick- lung fehlt, wenn sie die antiken Überbleibsel in einem ganz andern Sinne aufbraucht als für den sie geschaffen sind, so giebt sie doch grosse, einfache Motive und Contraste. Die colossale halbrunde Nische als Abschluss des quadratischen Ganzen und des langen geraden Haupt- schiffes hatte vielleicht in keinem antiken Gebäude so hochbedeutend wirken dürfen. Überdiess lernt man den Werth grosser antiker Colon- naden, welche ja fast sämmtlich diesen und ähnlichen Zwecken auf- geopfert wurden, geradezu nur aus den christlichen Basiliken kennen. Wer Sanct Paul vor dem Brande mit seinen vier Reihen von je zwan- zig Säulen phrygischen und numidischen Marmors gesehen hat, ver- sichert, dass ein architektonischer Anblick gleich diesem auf der Welt nicht mehr vorhanden sei. Nicht unwesentlich für die Grössenwirkung erscheint es auch, dass alle Zierbauten im Innern, der Altar sammt Tabernakel, die Kanzeln, Pulte u. s. w. ziemlich klein gebildet wurden, d. h. nicht grösser als der Gebrauch es verlangte. Die Decoration der Barockzeit glaubte diese Stücke in einem vermeintlichen „Verhältniss“ zu der Grösse des Baues bilden zu müssen, während sie doch nur zu der Grösse des Menschen, der sie bedienen, besteigen etc. soll, in einem natürlichen Verhältniss stehen. Bernini’s Riesentabernakel in S. Peter, die Riesen- kanzeln im Dom von Mailand und andere Verirrungen dieser Art wer- den dem Reisenden nur zu nachdrücklich in die Augen fallen. Von den Basiliken Roms zählen wir hier nur diejenigen auf, in welchen das Ursprüngliche noch kenntlich vorherrscht. Römische Basiliken des IV. bis VII. Jahrhunderts. S. Paul (IV. Jahrhundert) wird mit seinen jetzigen Säulen von Sim- a plongranit und mit seinen höchst colossalen Verhältnissen das Wesent- liche des Eindruckes einer Basilica ersten Ranges immer am getreu- sten wiedergeben, leider getrübt durch die höchst willkürliche moderne Decoration des Querschiffes (und, wir fürchten, auch des Langbaues, wenn derselbe vollendet sein wird). Man halte sich an die Räumlich- keit und die Hauptformen. S. Maria maggiore (V. Jahrhundert) mit wahrscheinlich b eigens gearbeiteten, nicht entlehnten ionischen Säulen und geradem Gebälk. Die Pilaster der Oberwand sind in ihrer jetzigen Gestalt und vielleicht überhaupt modern, die Apsis im XIII. Jahrhundert umge- baut. Die schöne, feierliche Wirkung beruht wesentlich auf dem aus- schliesslichen Oberlicht. Die (beste vorhandene) Renaissancedecke vom Ende des XV. Jahrhunderts. S. Sabina (V. Jahrhundert) ebenfalls von schönem, ursprüngli- c chem Eindruck, der nur wenig gestört wird. Die Vorhalle gegen das Kloster hin im XII. Jahrhundert so gestaltet, wie sie jetzt ist. S. Pietro in vincoli (V. Jahrhundert) hat durch den Umbau d der Obermauer des Mittelschiffes seine alte Herrlichkeit eingebüsst, von der noch die mächtige Apsis und die Anordnung des Querschiffes Zeugniss geben. — S. Prisca (V. Jahrhundert?) zeigt wenigstens noch e die alte Disposition. San Lorenzo fuori le mura gewährt in seinem ältern Theil f (VI. Jahrhundert) zunächst eine reiche Sammlung antiker Baufragmente, selbst aus der besten Zeit. Diese ältere Kirche, zweistöckig, unten mit ge- radem Gebälk, oben mit Bogen, hatte ihre Nische da, wo im XIII. Jahr- hundert die neuere Kirche, welcher sie jetzt als Chor dient, angebaut wurde. Bei diesem Anlass wurde ihr ursprünglicher Boden, der sonst tiefer als die neue Kirche gelegen hätte, beträchtlich erhöht und mit Balustraden im sog. Cosmatenstyl (s. unten) versehen. Der Werth ist wesentlich ein malerisch-phantastischer. S. Agnese , eine Miglie vor Porta Pia (VII. Jahrhundert) giebt g den Eindruck einer Basilica mit Obergeschoss am schönsten und rein- sten; die Halle ist hier wie in S. Lorenzo als nothwendiger Verbin- dungsgang für das obere Stockwerk auch vorn herumgeführt. Unter den antiken Säulen sind zwei mit vielfach profilirter Cannelirung auf- B. Cicerone. 6 Christl. Architektur. Röm. Basiliken. VII. bis IX. Jahrh. fallend. — Als Ganzes eines der besten Gebäude des frühern Mittel- alters, so dass die Abwesenheit alles organischen Lebens in Gesimsen u. dgl. gerade hier am deutlichsten fühlbar wird. a S. Giorgio in Velabro (VII. Jahrhundert), auf 16 Säulen; die Vorhalle angeblich IX., eher XII. Jahrhundert. b SS. Quattro Coronati ; von dem Bau des VII. Jahrhunderts ist noch die gewaltige Nische ein Zeugniss; nach einer Zerstörung im Jahre 1085 rückte man im XII. Jahrhundert die Säulen der einst ziem- lich grossen Kirche enger und kürzer zusammen und errichtete ein oberes Stockwerk, das sich in Logen gegen das jetzige Hauptschiff öffnet. Reste der alten Colonnade kamen so in den Vorhof zu stehen. c — S. Giovanni a Porta Latina (VIII. Jahrhundert) unbedeutend. d — S. Maria in Cosmedin (VIII. Jahrhundert) weniger durch die schon kümmerlichen Verhältnisse als durch die in Hauptmauern und Vorhalle verbauten Tempelreste merkwürdig, sowie durch eine Crypta, welche eine ältere Kirche zu sein scheint. e Die grosse Kirche Araceli auf dem Capitol, aus unbekannter Zeit, doch der ziemlich gleichmässigen Säulen wegen wohl noch aus dem ersten Jahrtausend. Mit den Zuthaten aus allen spätern Zeiten zwar von bunter, aber noch immer imposanter Wirkung. f S. Lorenzo in Borgo veechio hat nur noch die antike Säu- lenstellung. g SS. Nereo ed Achilleo (um 800), mit achteckigen Pfeilern, die indess vielleicht erst im XVI. Jahrhundert die Stelle der alten Säulen einnahmen; um der Zuthaten willen (alte Altäre, Schranken, Nischensitz, Candelaber, Mosaik) immer sehenswerth. h S. Marco (IX. Jahrhundert) sehr modernisirt; die Vorhalle von Giul. da Majano; die Decke ebenfalls einfach schöne Renaissance. — i S. Maria della Navicella (IX. Jahrhundert); für diese Zeit von guten Verhältnissen; die Vorhalle von Rafael; der grau in grau ge- malte Fries im Innern von Giulio Romano und Perin del Vaga. k S. Martino ai Monti (IX. Jahrhundert), eine der prächtigsten Basiliken Roms, mit geradem Gebälk, aber in ihrer jetzigen Gestalt wesentlich ein Werk des XVII. Jahrhunderts; namentlich ist das Ge- bälk über den Säulen stark überarbeitet. — Die links vom Chor ge- Römische Basiliken des IX. bis XIII. Jahrhunderts. legene, jetzt fast unterirdische Pfeilerhalle soll vom heil. Sylvester zur Zeit Constantins als Kirche erbaut sein, woran zu zweifeln ist. S. Saba (wahrscheinlich IX. Jahrhundert) mit räthselhaften An- a bauten und doppelter Vorhalle. S. Prassede (IX. Jahrhundert), ein merkwürdiger Versuch, in b das Organische einzulenken; grosse Backsteinbögen überspannen das Mittelschiff; dazwischen je drei Intervalle und zwei Säulen mit gera- dem Gebälk. Der Vorbau, sehr entstellt, hat doch noch seinen klei- nen Aussenporticus. S. Niccolò in Carcere , aus unbekannter Zeit; merkwürdig durch c die hineinverbauten Reste dreier Tempel. (Neuerlich fast von Grund aus restaurirt.) — S. Bartolommeo auf der Tiberinsel (um 1000) d hat fast nichts Ursprüngliches mehr als die Säulen. S. Clemente , in seiner jetzigen Gestalt aus dem XII. Jahrhun- e dert, ist als Basilica unbedeutend, aber durch die vollständige Erhal- tung der Vorhalle und der Anordnung des Innern (Chorus, Lesepulte, Altar und Schmuck der Nische) von classischem Werthe. Das Ran- kenwerk der Apsis, hier auf Goldgrund, ist indess nur ein Nachklang des unten zu erwähnenden, in der Vorhalle des lateranischen Bapti- steriums. S. Maria in Trastevere (XII. Jahrhundert) mit geradem Ge- f bälk auf ungleichen Säulen (vgl. S. 27) und mit erhöhtem Querschiff; mit historisches Architekturbild von grosser Wirkung, zumal im Nach- als tagslicht. S. Crisogono (XII. Jahrhundert), dessgleichen mit geradem Ge- g bälk; trotz starker Erneuerungen ein edler Raum, der den Basiliken- bau von der guten Seite zeigt. Der Neubau von S. Lorenzo fuori le mura (Anfang des h XIII. Jahrhunderts), welchem der alte Bau als Chor dient; — eben- falls gerades Gebälk; bedeutende Dimensionen; ohne Zweifel ein Werk der äussersten Anstrengung, weil es sich um eine der Patriarchalkir- chen handelte, und somit maassgebend für die römische Kunst unmit- telbar nach Innocenz III. — Die Vorhalle sehr geräumig und für star- ken Besuch berechnet. Wie wenig man sich aber zu helfen wusste, wenn keine Säulen mehr vorräthig waren, zeigt die gleichzeitige Kirche SS. Vincenzo i 6* Christliche Architektur. Basiliken. Campanili. ed Anastasio alle tre fontane , eine halbe Stunde ausserhalb S. Paul. Es giebt aus jener Zeit, welche in Toscana ein Baptisterium von Florenz, ein S. Miniato schuf, vielleicht gar kein missgeschaffne- res Gebäude als diese Pfeilerkirche. (Die Fenster sind mit Marmor- platten verschlossen, welche Reihen kleiner runder Öffnungen enthalten.) Wo der gänzliche Mangel an antiken Säulen die Baumeister schon frühe genöthigt hatte, mit eigenen Mitteln das Mögliche zu leisten, da erscheinen sie viel selbständiger. Und zwar bis an die Thore von a Rom. Die Cathedrale von Viterbo (XII. Jahrhundert?) mit eigens gefertigten, gleichmässigen und stattlichen Säulen, bringt auch wieder einen eigenthümlichen Eindruck hervor; vollends steht die schöne b S. Maria in Toscanella (1206) an Schwung der Formen den edlern c toscanischen Bauten parallel. (Andere Basiliken freilich, in Viterbo selbst, in Montefiascone, Orvieto, Foligno u. s. w. sind sehr d formlos und roh Mit dicken, stämmigen Säulen, schmalen Mittelschiffen, starken Intervallen und schiessschartenähnlichen Oberfenstern, also den unten zu nennenden rohern toscanischen Basiliken verwandt. Das steinerne Dachgesimse bisweilen schon von eleganter und kräftiger Bildung, während es in Rom noch null ist. ; der Dom von Narni und die Vorhalle der dortigen Kirche Pensola haben die schon erwähnten wunderlichen Flachbogen.) Die Campanili (Glockenthürme) mehrerer Basiliken und auch späterer Kirchen Roms gewinnen durch ihre schöne landschaftliche Wirkung einen höhern Werth als durch ihre Kunstform. Auch sie sind oft aus antiken Trümmern errichtet; manche Simse, welche die einzelnen Stockwerke scheiden, die Säulchen, welche die meist drei- bogigen Fenster stützen, auch die Platten von Porphyr, Verde antico u. dgl., welche als harmlose Verzierung in die Wände eingelassen sind und von dem sonstigen Ziegelwerk wunderlich abstechen, sind aus den Ruinen des alten Roms entlehnt. Hie und da entwickelt sich aus dem Backsteinbau selbst durch Verschränkung und Schrägstellung der Ziegel ein neues primitives Gesimse. Von irgend einer Verjüngung oder organischen Entwicklung ist keine Rede, kaum hie oder da von einem Vortreten der Ecken. Der Effect hängt wesentlich von der Basiliken von Ravenna. Umgebung ab, und es ist kritisch, das Motiv ohne Weiteres auf an- dern Boden zu verpflanzen. (Die interessantesten: an S. Maria in a Cosmedin, S. Giovanni e Paolo etc. Das Motiv im Geist der Renais- b sance umgedeutet: an S. Spirito.) Unter den Basiliken Ravenna’s ist seit dem Umbau des Domes nur eine von erstem Rang übrig: S. Apollinare in Classe , eine starke Miglie vor der Stadt, c begonnen nach 534, geweiht 549, also aus der Zeit des Unterganges der Ostgothenherrschaft. Sie vereinigt alle bezeichnenden Eigenschaf- ten der ravennatischen Basiliken: den geschlossenen Vorbau statt der Vorhalle, die äussere Eintheilung der Wände mit Bogen und Mauer- streifen, die für Ort und Stelle gearbeiteten, nicht entlehnten Säulen, die Abwesenheit des Querschiffes, den runden isolirten Thurm. Vor Allem aber ist es ein herrlicher, weiträumiger Bau, die Säulen von grauem, weissgeadertem Marmor mit einer eigenthümlichen Art von Compositacapitälen, die sonst an den wenigen erhaltenen Säulen der Herculesbasilica (auf dem grossen Platz in Ravenna) vorkommen; die d Piedestale mit einer rautenförmigen Verzierung. In der Tribuna ist noch ringsum das Gesimse mit Blätterfries erhalten, das keine grössere römische Kirche mehr in echter Gestalt aufweist. (Die zwei Seiten- tribunen scheinen neuer.) Die Details im Schiffe beträchtlich moder- nisirt; der sichtbare Dachstuhl noch aus dem frühern Mittelalter. Von den übrigen Basiliken sind mehr oder weniger erhalten: S. Agata (417), mit Einer Tribuna, schon sehr byzantinischen e Capitälen, einer durch einen Bogen vom Schiff getrennten innern Vor- halle, äusserm Vorbau und rundem Thurm. S. Giovanni Evangelista (425), bedeutend erneuert, zumal f der Hinterbau; die Capitäle hier vielleicht von einem ältern Gebäude, gut korinthisch; eine Crypta (ursprünglich?). S. Francesco (um 450), mit drei Tribunen, die Capitäle modern. g Am Dom hat der Umbau des vorigen Jahrhunderts (in tüchtigem h Barockstyl) die ehemalige fünfschiffige Basilica gänzlich zerstört, den alten isolirten Rundthurm aber verschont. S. Maria maggiore , sehr verbaut, mit rundem isolirtem Thurm. i Christl. Architektur. Basiliken v. Ravenna u. Lucca. a S. Teodoro (oder S. Spirito ), aus der Zeit Theodorichs des Grossen, beim Baptisterium der Arianer (s. unten). — Die schon er- wähnte Herculesbasilica war, nach den Überresten zu urtheilen, wohl kein kirchliches Gebäude. b S. Apollinare nuovo , die bedeutendste Basilica in der Stadt, mit rundem Thurm; die Nebentribunen verbaut; die 24 Säulen aus Constantinopel mit besonders bezeichnenden, fast ganz gleichen Capi- tälen; das Gesimse über den Bogen alt. Grossartiges, trefflich erhal- tenes Mosaikensystem an den Obermauern des Mittelschiffes. Später und schon mehr mittelalterlich als diese ravennatischen c Kirchen: der Innenbau von San Frediano in Lucca (VII. Jahrhun- dert?), ursprünglich fünfschiffig, jetzt durch Capellen verengt. Die Capitäle theils aus römischer Zeit, theils den römischen ohne Verwil- derung nachgebildet, mit dünner Platte; die Bogen noch ohne Über- höhung. Der auffallend hohe Oberbau, die Fassade und die jetzige Tribuna werden einem Umbau des XII. Jahrhunderts wohl mit Recht zugeschrieben, allein die beiden letztern mit ihren geraden Gebälken über den Wandsäulchen, und die Aussenseiten der Nebenschiffe mit ihren Consolen und Wandstreifen (statt Bogenfriesen und Pilastern) weichen so weit von dem pisanisch-lucchesischen System des XII. Jahr- hunderts ab, dass man annehmen dürfte, der Umbau habe etwa die Formen der alten Kirche reproducirt. Gerade diese abweichenden Elemente sind aber das Wohlgefälligste am ganzen Gebäude und ein vielleicht fruchtbringendes Motiv für unsere Baukunst. Schon Brunel- lesco hat die genannte Eintheilung der Seitenwände an der Kirche der Badia bei Fiesole unverholen nachgeahmt. d Der Innenbau von S. Micchele in Lucca gilt ebenfalls für sehr alt (VIII. Jahrhundert), wenigstens sind die Säulen und Capitäle noch denen von S. Frediano ähnlich behandelt. e Der Dom von Triest , eine ausgedehnte, ziemlich unscheinbare Basilica (VI. Jahrhundert?) lohnt doch die Mühe des Besteigens wegen der eigenthümlichen Verbindung der Kirche mit dem Baptisterium und Basiliken im übrigen Italien. einem andern alten Anbau und wegen der Mosaiken. Sodann schlum- mert hier, hoch über dem adriatischen Meer, zwischen den Akazien- büschen die Asche desjenigen Mannes, welchem die Kunstgeschichte vor allen Andern den Schlüssel zur vergleichenden Betrachtung, ja ihr Dasein zu verdanken hat. Wir schliessen noch eine Anzahl von Basiliken hier an, welche mit Ausnahme ihrer antiken Säulen nicht mehr viel kenntliches Alter- thum aufweisen; vielleicht ist selbst die jetzige Aufstellung der Säulen nicht mehr durchgängig die der ursprünglichen Kirchen. S. Alessandro in Fiesole , hat nur noch seine ionischen Säulen; a angeblich VI. Jahrhundert. S. Pietro de’ Cassinensi in Perugia , ebenfalls ionisch und stark b verändert. Der Dom von Terracina , mit modernisirten Capitälen; Vorhalle c mit ionischen, durch Pfeiler verstärkten, auf Doppelthieren ruhenden Säulen, über welchen ein Mosaikfries und über diesem offene Spitz- bogen (XII. Jahrhundert?). Der Glockenthurm mit Säulchenstellungen bekleidet, welche kleine Spitzbogen tragen; ähnlich ein Thurm in Velletri. Der Dom von Sessa (bei S. Agata), mit korinthischen Säulen und d einer gewölbten Vorhalle auf Pfeilern. Am mittlern der drei Bogen sind in der Hohlkehle biblische Geschichten eingemeisselt; ein schwa- cher Nachklang nordischer Portalbauten. Der Dom von Capua , mit dem schon erwähnten stattlichen Vor- e hof, dessen Bogen auf antiken korinthischen Säulen ruhen. Im Innern Basilica mit geradem Gebälk; corinthische Capitäle aus christlicher Zeit, an die ravennatischen erinnernd. Unter dem Chor eine merk- würdige Crypta mit einem Grab Christi, offenbar erst aus der Zeit der Normannen und der Kreuzzüge. Sodann die erweislich erst normannischen Basiliken: Der Dom von Amalfi , als malerischer Gegenstand bedeutender f denn als Kunstwerk; die Säulen des Innern zu Pfeilern modernisirt, Die phantastische Vorhalle (überhöhte Spitzbogen mit Gewölben auf an- tiken Säulen), der Thurm und der Kreuzgang sind kleine Specimina Christliche Architektur. Normannische Basiliken. jenes normannisch-saracenischen Styles, von welchem der Dom von Monreale in Sicilien das Prachtbeispiel ist. Der Spitzbogen ist hier als rein decoratives Element von den Saracenen entlehnt, noch nicht wie später im Norden aus constructiver Nothwendigkeit erwachsen. Die Crypta reich modernisirt. a Der Anbau links am Dom von Neapel , die alte Kirche S. Re- stituta , eine Basilica mit Spitzbogen; vielleicht ist die Tribuna und jedenfalls ein Gewölbe daneben rechts (das alte Baptisterium) aus viel früherer Zeit; das letztere noch mit Mosaikresten etwa des VII. Jahr- hunderts. b Als Robert Guiscard den Dom von Salerno baute (um 1070), fanden sich wahrscheinlich keine Säulen vor, welche der beabsichtig- ten Grösse und Pracht genügt hätten; die Kirche wurde auf Pfeilern mit Ecksäulen errichtet. (Bis ins Unkenntliche modernisirt, auch die grosse Crypta; von den drei Tribunen nur eine besser erhalten.) Der Vorhof mit überhöhten Bogen auf den schönen Säulen von Pästum; der Thurm daneben mit Ecksäulen wie derjenige zu Amalfi. Unsere Aufzählung (die nur die wichtigern Kirchen umfasst) muss da innehalten, wo die Benützung der antiken Säulen aufhört. Sobald man die Säulen besonders arbeiten und zusammensetzen muss, beginnt von selbst ein anderer Styl, dessen Anfänge roh aussehen, gleich- wohl aber eine Befreiung vom schwersten stofflichen Zwang mit sich führen. Neben der Basilikenform, deren Lebensprincip die Längenper- spective ist, behauptet auch der Centralbau eine wichtige Stelle. Italien bietet eine Anzahl verschiedenartiger Versuche dieser Gattung aus den frühern christlichen Jahrhunderten. Für Baptisterien (Tauf- kirchen, welche von jeder bischöflichen Kirche unzertrennlich waren) mochte diese Form wohl die passendste sein; für eigentliche Kir- chen aber, d. h. für den Altardienst nur dann, wenn man den Altar wirklich in den mittlern Hauptraum als in die feierlichste Stätte des ganzen Gebäudes verlegte. Dies konnte man aber nirgends über sich gewinnen; in Gebäuden, welche eigentlich kein Ende, sondern nur einen Mittelpunkt und eine Peripherie haben, wurde ein besonderes Centralbau. Baptisterien. Ende in Gestalt einer Nische u. dgl. für den Altar eingerichtet und so für die Gemeinde die von andern Kirchen her gewohnte Längen- perspective hergestellt. Dieser Widerspruch benimmt den betreffenden Kirchen gewissermassen die höhere Weihe; das schöne Gebäude und dann der Altarraum sind zwei verschiedene Dinge. Abgesehen hievon ist aber der Centralbau eines so vollkommenen Abschlusses in sich, einer so grossen monumentalen Ausbildung fähig, dass selbst die weniger geschickten Lösungen dieser Aufgabe immer ein hohes Interesse erregen. Für die Baptisterien , welche hier vorweg zu behandeln sind, behauptete sich von frühe an die Form des einfachen oder des mit einem Umgang versehenen, oben zugedeckten oder zugewölbten Acht- ecks, in dessen Mitte der Taufbrunnen stand. Seltener kommt eine an- dere polygone oder die runde Form vor. An keinem des ersten Jahr- tausends zeigt die Aussenseite (jetzt) mehr als glatte Wände; die ganze, oft grosse, Pracht war dem Innern aufbehalten. Auf künstliche Be- leuchtung geflissentlich berechnet, sind die Räume meist ziemlich dunkel, nur durch eine Lanterna und durch die offene Thür erhellt. Das Baptisterium beim Lateran in Rom (432—440) hat nichts a Ursprüngliches mehr als seine Doppelstellung von Säulen mit geraden Gebälken und die Mauern, nebst der von zwei grossen Porphyrsäulen gestüzten, in zwei halbrunde Nischen auslaufenden Vorhalle (gegen den Hof). Mit dem echten, ernsten Schmuck versehen, würde es einen ganz andern Eindruck gewähren als mit den Malereien des Sacchi und Maratti; ein kleiner mosaicirter Nebenraum und das prächtige Orna- ment grüngoldener Weinranken auf blauem Grunde in der linken Ni- schenkuppel der Vorhalle deuten noch an, in welchen Farben und Ornamenten das ganze Gebäude prangen mochte. Die Kirche S. Maria maggiore, einige Minuten ausserhalb No - b cera unweit seitab von der Landstrasse nach Pompeji, ist ein Bap- tisterium des IV. Jahrhunderts, aus antiken Baustücken ohne beson- dere Sorgfalt zusammengebaut. Ein Kreis von je zu zweien zusam- mengestellten Säulen trägt sofort (ohne Cylinder) die mittlere Kup- pel; der Umgang ist rings angewölbt; eine kleine Tribuna schliesst sich daran. Von Aussen ganz formlos, giebt dieses Gebäude in be- sonderm Grade denjenigen Eindruck des Geheimnissvollen, durch wel- Christliche Architektur. Baptisterien. chen die damalige Kirche mit dem erlöschenden Glanz heidnischer Tempel und Weihehäuser wetteifern musste. a Das Baptisterium der Orthodoxen beim Dom zu Ravenna (begonnen vor 396) im Vollbesitz seiner Wandbekleidung und Mosai- ken (diese vor 430), welche für das Ornament des V. Jahrhunderts das wichtigste Denkmal sind; das letzte kenntliche Echo der pompe- janischen Decoration; die Flächen mit erhabenen Stuccogegenständen abwechselnd; das Gefühl vom Zusammenklang der Farben scheint das der schönen und freien Bildung und Eintheilung der Zierformen zu überleben. Zur Einfassung dient eine untere und eine obere Reihe von acht Wandbögen mit Ecksäulen (Composita und ionisch); oben geht das Gebäude zu einer runden und ziemlich flachen Kuppel zu- zusammen. b Das Baptisterium der Arianer in Ravenna (jetzt S. Maria in Cosmedin) VI. Jahrhundert; Achteck mit (später?) angebautem Schiff, baulich unbedeutend. c Beim sog. „alten Dom“ zu Brescia kann man in Zweifel bleiben, ob das ziemlich grosse Gebäude als blosses Baptisterium oder als Ca- thedrale erbaut worden; im erstern Fall wäre es die grösste Taufkirche. Kuppelraum auf acht (modernisirten) Pfeilern mit rundem Umgang; letzterer bedeckt mit acht Kreuzgewölben; zwischen je zweien dersel- ben das Segment eines Tonnengewölbes, gegen die Kuppel hin anstei- gend und daher eine dunkle Ecke bildend. Ein Nothbehelf, der (wie Aehnliches im Dom von Aachen) die Anlage jedenfalls dem frühen Mittelalter zuweist. Cylinder und Kuppel aus dem XII. Jahrhundert, wenigstens was die jetzige Gestalt des Äussern betrifft. Der sehr son- derbare hintere Anbau, welcher als Chor mit Nebencapellen dient, könnte wiederum ganz alt sein. (Üeber Neapel und Triest s. oben.) Fast bei jeder bischöflichen Kirche und an mancher grossen Pfarre in kleinern Städten wird irgend ein Bau dieser Art unter veränderter Gestalt und Bestimmung, oder in Trümmern, oder doch in Nachrichten nachzuweisen sein; mehrmals auch noch wohl erhalten und im Ge- brauch. Noch im XI. und XII. Jahrhundert wurden Baptisterien neu gebaut, später dagegen die Taufen in die Kirchen selbst verlegt. Bei grossen Umbauten der Kirchen ging das Baptisterium, wenn es zu Spätere Baptisterien. nahe dabei stand, gewöhnlich zu Grunde. Es mögen hier noch einige der spätern und spätesten genannt werden: Dasjenige am Dom von Torcello (1008), einfaches Octogon. a (Der Dom selbst eine schlichte Basilica.) Vor dem Dom von Novara ein Baptisterium, das wie so manche b Bauten dieser Gegend wohl mit Unrecht in die alte Langobardenzeit versetzt wird; unten, wenn ich mich recht entsinne, Nischen ringsum. Eines beim Dom von Asti , mit engem Mittelbau und breitem c Umgang. (XI. Jahrhundert.) Neben der Hauptkirche von Chiavenna ein für uralt geltendes, d überweisstes Achteck. Ein Baptisterium war auch die Rundkirche mit Umgang, welche e jetzt zu S. Stefano in Bologna gehört. Der Complex von sieben Kirchen, welche hier in verschiedenen Zeiten zusammen gebaut wor- den sind, bietet dem Alterthumsforscher ein so angenehmes Problem, dass wir demselben die Freude der eigenen Entdeckung in Betreff der Baufolge nicht stören wollen. Irgend einen besondern architektonischen oder auch malerischen Werth haben diese geringfügigen Gebäude nicht. Dem ersten Jahrtausend gehört nur das besagte Baptisterium an; das- selbe erhielt aber im XII. Jahrhundert durch ein eingebautes heiliges Grab eine neue Bestimmung, musste im Verlauf der Zeit durch Back- steinsäulen (die man neben die alten Marmorsäulen stellte) gestützt werden, und verlor vor etwa 50 Jahren die lezten Reste seiner alten innern Kuppelbemalung. Ein oberer Umgang ist längst vermauert und unsichthar. — Ein kleiner anstossender Klosterhof ist nur durch die Formwidrigkeit seiner untern Stützen interessant. Das Baptisterium von Padua , runder Oberbau auf viereckigem f Untersatz; XII. Jahrhundert, von hübscher Wirkung. Das Baptisterium von Cremona (1167). g Während bei den bisher genannten die äussere Decoration höch- stens aus den einfachen Wandstreifen und Bogenfriesen des romani- schen Styles besteht, so macht das achteckige Baptisterium von Parma h (XII. und XIII. Jahrhundert) einen Übergang in die plastische De- taillirungsweise toscanischer Wandflächen. Nur ist der Versuch — mit Wandbogen am untern Stockwerk und fünf Reihen Wandsäulchen darüber — nüchtern und spielend zugleich ausgefallen. Das Innere Christliche Architektur. Grabkirchen. sechszehnseitig, unten Nischen, dann zwei Galerien mit geradem Ge- bälk, spitzbogige Lunetten und der Anschluss der Kuppelgurten. — Von den Baptisterien von Pisa und Florenz , in welchen sich jener toscanische Styl glanzvoll ausspricht, wird unten die Rede sein. — a Das letzte Baptisterium, welches gebaut (oder doch nur so spät um- gebaut) wurde, ist meines Wissens das Achteck von Pistoja , 1337. Eine zweite Gattung von kleinern Gebäuden, welche als Central- bauten gestaltet wurden, kommt wenigstens in zwei Beispielen vor: Die Grabkirchen hoher Personen. b S. Costanza bei Rom , wahrscheinlich als Grabmal zweier Töchter Constantins d. Gr. erbaut; der innere Cylinder mit der Kuppel auf zwölf Doppelstellungen von Säulen mit besondern Gebälkstücken (roh, ausgebauchte Friese) ruhend; der Umgang ebenfalls rund mit mo- saicirtem Tonnengewölbe. Merkwürdiges Gegenbild zu den ganz als Aussenbau gedachten heidnischen Kaisergräbern. (In Constantinopel scheint die Apostelkirche zur Kaisergruft absichtlich gebaut gewesen zu sein.) c Das Grabmal Theodorichs d. Gr. († 526), jetzt insgemein la ro- tonda genannt, vor dem Thor von Ravenna ; aussen polygon und ehemals mit einer Säulenhalle versehen, innen rund; Erdgeschoss und Hauptgeschoss; die flache Kuppel bekanntlich aus Einem von Dalma- tien hergebrachten Stein, 34 Fuss im Durchmesser. Namentlich am Hauptgesimse selbständige und ausdrucksvolle Detailbildung. Der Por- phyrsarg, beim Sturz der Ostgothen der Gebeine beraubt, ist jetzt in d der Stadt an dem sog. Palazzo del Re Teodorico eingemauert einem echten Rest des alten Königspalastes, von dessen ehemaliger Fassade ein Mosaik in S. Apollinare nuovo (rechts vom Eingang) ein phantastisches Bild giebt. e Diesen Denkmälern schliessen wir noch das der Galla Placidia in Ravenna an, jetzt SS. Nazario e Celso genannt (um 440); zwar ein lateinisches Kreuz, aber durch die Erhöhung und Überkuppelung der Mitte (mit einem sog. böhmischen Gewölbe) den Centralbauten ge- nähert. Die Mosaikornamente zumal am Tonnengewölbe des vordern Kreuzarms an Werth und Alter denen des orthodoxen Baptisteriums Kirchen von Centralanlage. nahe kommend. Das Äussere ein roher Ziegelbau, klein und un- scheinbar. Der eigentlichen Kirchen sind unter den Centralbauten allerdings nur wenige bedeutende, wenn S. Lorenzo in Mailand (Seite 51) als antiker Thermenbau ausgeschieden werden muss. Das einfachste Motiv zeigt der räthselhafte, im V. Jahrhundert höchst wahrscheinlich als Kirche errichtete Bau S. Stefano rotondo a auf dem Coelius zu Rom . Ein innerer Säulenkreis mit Bogen trägt den cylindrischen Oberbau, wozu er im Verlauf der Zeit einer hal- birenden Zwischenmauer auf zwei Säulen und drei Bogen als Unter- stützung bedurfte. Ein äusserer Säulenkreis ist seit dem XV. Jahr- hundert durch dazwischengezogene Mauern zur Grenze der Kirche geworden; der äusserste Mauerumfang wurde aufgegeben und ist nur noch in Trümmern vorhanden. Es sind lauter weite Räume, nicht auf Wölbung, sondern auf flaches Eindecken berechnet. Der Altar unter dem hohen Mittelraum ist modern; an einem erhaltenen Stück des äussersten Umganges ist für den ursprünglichen Altar eine eigene Tri- buna eingerichtet. Die höchst rohen ionischen Capitäle passen kaum zu der beglaubigten Einweihungszeit (468—483), wenn man erwägt, dass diejenigen von S. Maria maggiore kaum 30 Jahre älter sind, allein der Zustand Roms in dieser Zeit würde am Ende jede Missform er- klären. Weit das wichtigste Gebäude dieser Gattung ist jenes berühmte Achteck San Vitale zu Ravenna , in der letzten Ostgothenzeit er- b baut, zu Anfang der byzantinischen Herrschaft ausgeschmückt (Mitte des VI. Jahrhunderts). Nachahmung centraler Kirchen des Orients, mit oberm und unterm Umgang, dessen acht einzelne Seiten mit Stel- lungen von je zwei Säulen im Halbrund einwärts treten; die Kuppel der Leichtigkeit wegen aus thönernen Hohlkörpern (Amphoren) con- struirt, leider durch Stuccozierrathen entstellt; die Tribuna als beson- derer Ausbau durch den Umgang hindurchgelegt; die jetzige Vorhalle nicht die urprüngliche; die Aussenmauern schlicht. Der Eindruck reich, aber unruhig; das Einwärtstreten der Säulenstellungen aus einem Zweck perspectivischer Scheinerweiterung, welche erst wieder im Barock- Christliche Architektur. Centralbauten. styl des XVII. Jahrhunderts ihres Gleichen findet. (Vgl. S. 51, S. Lo- renzo). Der untere Theil der Wände und der Fussboden sind oder waren auf das Kostbarste incrustirt. Einen andern Nachklang byzantinischen Centralbaues gewährt die a Kirche S. Fosca auf Torcello bei Venedig, welche dem Verfasser nur aus Abbildungen bekannt ist. Als lebensfähiges Motiv für grosse Binnenräume verdient sie die Beachtung der Architekten. — In den ältern kleinen Kirchen Venedigs selbst zeigt sich ein merkwürdiges Schwanken zwischen den beiden Systemen; es sind kurze Basiliken b mit einer Kuppel über der Kreuzung; S. Giacometto di Rialto , angeblich schon aus dem V. Jahrhundert, ist jedenfalls das älteste dieser Kirchlein, die Bauform als solche reicht aber bis ins XV. Jahrhundert hin- unter. (Z. B.: S. Giovanni Crisostomo, 1483 von Tullio Lombardo erbaut.) c S. Tommaso in Limine, dritthalb Stunden von Bergamo (IX. Jahrhundert) ist wieder ein einfacher Rundbau; Cylinder mit Kup- pel auf Säulen; runder Umgang mit hinausgebauter Tribuna. d Endlich S. Angelo zu Perugia , wahrscheinlich noch aus dem ersten Jahrtausend; ein Sechszehneck. Über 16 (spätkorinthischen) Säulen erhebt sich der Cylinder; aus acht Ecken springen Bogen her- vor gegen die Mitte und tragen das Dach; ebenso tragen sechszehn von Wandpilastern aus gegen den Cylinder hinansteigende Bogen das Dach des Umganges. Ohne die modernen Zuthaten würde dieses sehr glücklich gedachte Gebäude mit seinem ausschliesslichen Oberlicht (durch die Fenster des Cylinders) eine bedeutende Wirkung machen. Bei all diesen Gebäuden des ersten Jahrtausends, mit ihren Säu- len und andern Fragmenten aus dem Alterthum trägt eine historische Ideenverbindung, selbst in unbewusster Weise sehr viel zur Werth- schätzung bei. Es ist ein Weltalter, das die Erzeugnisse eines an- dern zu seinen neuen Zwecken aufbraucht; eine Kirche, der unsere Phantasie einen geheimnissvollen Nimbus giebt und deren Andenken mit der ganzen europäischen Geschichte unlösbar durcheinander ge- flochten ist. Diesen mitwirkenden Eindruck elegischer Art möge man von dem künstlerischen getrennt halten. Es handelt sich eben doch um lauter zusammengesetzten Nothbehelf, dessen Ganzes nie einen Ornamente. wahrhaft harmonischen Eindruck machen kann. Wohin musste es schon im VI. Jahrhundert in Italien gekommen sein, wenn man für die ravennatischen Kirchen, in Ermanglung antiker Bruchstücke, die Säulen und Capitäle aus der Gegend von Constantinopel fertig holen liess? Selbst die baulichen Combinationen und Ideen kamen, wie er- wähnt, theilweise von Osten her. Und doch keimt neben der Barbarisirung der grössern Bauformen ein Rest schöner Einzelbildung weiter in Gestalt des Ornamentes zu gewissen Zwecken. Der Schutt Roms war damals unermesslich reich an kleinern Bau- stücken aller Art, die Jedem zu Gebote standen. Aus steinernen und thönernen Consolen, Simsfragmenten, Cassetten u. s. w. entstand im X. Jahrhundert die sog. Casa di Pilato (richtiger Haus des Cres- a centius). Ausserdem aber gab es und giebt es stellenweise noch Plat- ten von kostbaren Steinen, mit welchen einst die Wände der Paläste belegt gewesen waren; es gab Porphyrsäulen und Fragmente solcher, auch vielen grünen numidischen Marmor und Giallo antico. Diese Reste zerschnitt man und setzte daraus neue Zeichnungen zusammen; die zu Scheiben gesägten Porphyrsäulen pflegten dann die Mitte der zu verzierenden Fläche einzunehmen; das Übrige wurde mit gelbem, grünem und weissem Marmor ausgelegt. Das inzwischen sehr empor- gekommene Mosaik half mit seinen Glaspasten und zumal mit Gold nach; doch blieb der Stein in Rom immer das Vorherrschende, und diese Decoration ist daher schon von Anfang an etwas Anderes als die saracenische oder moreske, welche wesentlich auf Glaspasten be- schränkt blieb. Letzteres gilt, wie wir sehen werden, auch von der unteritalischen. Die Gegenstände, um welche es sich handelt, sind Fussböden, Thürpfosten, bischöfliche Throne, Lesepulte (Ambonen, Analogien), Schranken und Einfassungen von Sitzen, Altäre und Säulen für die Osterkerze. Die der Sculptur und der plastischen Ornamentik Was von dieser in Rom vor dem XII. Jahrhundert vorkommt, ist äusserst barbarisch, und so auch Späteres, was nicht von den Cosmaten herrührt. Decoration. Die Cosmaten. Bodenmosaiken. unfähig gewordene Kunst ergeht sich in einem angenehmen mathema- tischen Linienspiel, im Wechsel bunter Flächen. — Manche der be- treffenden Überreste sind früh mittelalterlich, allein wir sind nicht im Stande sie auszuscheiden von denjenigen des XII. und XIII. Jahrhun- derts, unter welchen sich die wichtigsten mit befinden. Damals that sich nämlich in Rom die Familie der Cosmaten (Laurentius, Jaco- bus, Johannes etc.) mit solchen Arbeiten hervor; für diese kleinern, decorativen Aufgaben studirten sie zum erstenmal wieder einigermassen die Bauwerke des Alterthums und sahen denselben wenigstens das Nothwendigste für die Profile der Einfassungen, Ränder, Gesimse u. s. w. ab. Dieser kleine Anfang von Renaissance macht einen erfreu- lichen Eindruck, obschon er die Baukunst im Grossen nicht berührte. Von den unzerstörbaren Fussböden aus jenen harten Steingat- tungen enthält jede ältere und auch manche sonst modernisirte Kirche ein Stück, wenigstens im Chor. (S. Cecilia, S. Alessio, S. Crisogono, SS. Giovanni e Paolo, S. Gregorio, S. Prassede und viele Andere.) Die reichsten sind mehr oder weniger sicher und zwar spät datirt: a der in S. Maria in Cosmedin (um 1120), der prachtvolle von S. Maria b maggiore (um 1150), der von S. Maria in Trastevere (etwas früher), c der sehr reiche in der Vorderkirche von S. Lorenzo fuori le mura (XII. Jahrhundert, vielleicht erst um 1220). Im Detail Teppichmustern ähnlich, doch als Ganzes anders componirt, geben sie deutliches Zeug- niss davon, welchen Werth die Kirche von jeher auf schöne Fussbö- den gelegt hat. Zu einer Zeit, da die Kunst sich noch an das Mate- rial halten, durch Goldgeräth, Prachtgewebe und Mosaiken den Ein- druck des Heiligen und Ausserweltlichen hervorbringen muss, weil sie die ewige Form nicht mehr oder noch nicht schaffen kann, — zu einer solchen Zeit gebührte auch dem Fussboden, der ja ein geweihtes Asyl bezeichnete und den Schauplatz für die heiligsten Begehungen aus- machte, eine Ausstattung, die ihn von dem profanen Draussen auf das stärkste unterschied. d Ausserhalb Roms hat auch S. Vitale in Ravenna einen prächtigen e Boden von Steinmosaik, ebenso S. Marco in Venedig. Doch herrschen andere Dessins und Steinarten vor. Die übrigen steinernen Schmucksachen sind hauptsächlich in folgenden Kirchen von Rom zerstreut: Die Cosmaten. Steinerne Prachtarbeiten. S. Agnese fuori le mura: Wandbekleidung und Sitz im Chor a (VII. Jahrhundert); Altar einer Nebenkapelle. S. Cecilia: der Altartisch; sein Tabernakel erst vom Ende des b XIII. Jahrhunderts. S. Cesareo: mehrere Altäre, ein reicher Bischofsstuhl mit gewun- c denen mosaicirten Säulen, ein Pult, reiche Chorschranken, — eine der bedeutendsten Kirchen hiefür. S. Clemente: der Altartabernakel und die vollständige Einrich- d tung des Chorus, s. oben S. 79 u. 83. S. Giorgio in Velabro: zierlicher Altartabernakel. e S. Lorenzo fuori le mura: Das Pult (Ambo) rechts das herr- f lichste unter den vorhandenen; die Brustwehren und der Bischofstuhl in der hintern Kirche ebenfalls vom zierlichsten Cosmatenstyl; der Altar vom Jahr 1148. S. Maria Araceli: Willkürlich getrennte und neu zusammenge- g setzte Pulte, von den Cosmaten Laurentius und Jacobus; im linken Querschiff die Ara. S. Maria in Cosmedin: Boden, Bischofsthron und Pult um 1120 im h Auftrag des Cardinals Alphanus gefertigt, dessen Grab in der Vorhalle. SS. Nereo ed Achilleo: Pult, Schranken, Candelaber, Bischofs- i stuhl und Fussboden. Geringere Reste in S. Balbina, S. Pancrazio, S. Saba (datirte k Thüreinfassung des Cosmaten Jacobus) u. s. w. In Ravenna sind derartige Gegenstände meist aus älterer Zeit und nicht mosaicirt, dagegen merkwürdig als späte Urkunden der antiken plastischen Decoration. In S. Apollinare in Classe: die Abschlüsse der Rundbank der * Tribuna, entlehnt vom Bischofsstuhl des h. Damian († 705); der Altartaber- nakel am Ende des linken Seitenschiffes (806—810); beide Werke mit schon kalligraphisch leblosen Zierrathen. — In S. Agata: der runde Ambo, spät- ** römisch. — Im Dom: Chorumgang: die beiden abgesondert eingemauerten † Hälften des runden Ambons aus der Zeit des Erzbischofs Agnellus (556 bis 569) mit flachen Thierfiguren in lauter viereckigen Feldern, schon sehr roh; in der Sacristei der elfenbeinerne Bischofsstuhl des h. Maximian (546 bis 556), s. d. Sculptur. — In SS. Nazario e Celso (Galla Placidia): der Altar- †† Die einzige wahrhaft architektonische Blüthe, welche diese Deco- ratorenschule hervorbrachte, sind ein paar Klosterhöfe mit kleinen B Cicerone. 7 Decoration. Klosterhöfe. Unteritalien. Bögen auf Säulchen, innen flachgedeckt oder gewölbt. Die einfachern a derselben (bei S. Lorenzo fuori, S. Vincenzo alle tre fontane, S. Sa- bina) haben nichts als den Marmor vor irgend einem frühen romani- b schen Kreuzgang in Deutschland voraus. An dem Hof von Subiaco dagegen bemerkt man schon einen Versuch, durch ernste Annäherung an die antiken Bauformen Seele und Sinn in die Halle zu bringen, c und in den rosenduftenden Klosterhöfen des Laterans und der Abtei d S. Paul sind diese antiken Formen sowohl durch Anwendung des prachtvollsten Mosaikschmuckes als durch gemeisselte Marmorzierra- then zu einer neuen und ganz eigenthümlichen Belebung gediehen. (Erste Jahrzehnde des XIII. Jahrhunderts.) Unmittelbarer als in den ganzen Basiliken dieser Zeit, welche ältern Vorbildern nachfolgen, spricht sich hier der Formengeist der Epoche Innocenz III. aus. — e Die Vorhalle des Domes von Cività Castellana zeigt ein ähnliches Zurückgehen auf classische Vorbilder, verbunden mit zierlicher Mosai- cirung. — Die letzten Cosmaten arbeiteten im gothischen Styl, wovon bei Gelegenheit. Die unteritalischen, ganz auf der Glaspaste beruhenden Zierarbei- ten des XI. und XII. Jahrhunderts (denn was Älteres darunter sein mag, lässt sich schwer ausscheiden) haben, wie gesagt, einige Motive mit den saracenischen gemein, möglicher Weise sogar die Urheber. Weit das Umständlichste und Prachtvollste in dieser Art auf dem f italienischen Festlande: die Ambonen, die Sängertribune, die Osterker- zensäule, der Rest der Chorschranken u. A. m. im Dom von Salerno. Auch der Fussboden, von harten Steinen, ist wenigstens im Chor erhalten. tisch aus dünnen Alabasterplatten, weniger wegen der unbedeutenden Re- liefs merkwürdig als weil er auf Erhellung durch hineingestellte Lampen be- * rechnet war. — In S. Apollinare nuovo der besterhaltene Ambon, auf vier Säulen, mit reichem römischem Detail in barbarischer Anwendung etc. etc. Auch die beiden Ambonen und das kleine Sacellum (an einem Pfeiler ** links) in S. Marco zu Venedig gehören eher dem Kreise dieser ravenna- tischen Decoration an als der römischen. Leblose plastische Verzierung mit Vergoldungen, aber kein Mosaik; die Steingattungen sind an sich selbst schon kostbar genug. — Ein Unicum des IX. Jahrhunderts ist endlich der mit Re- † lieffiguren versehene und (nach den alten Spuren neu) bemalte Tabernakel des Hochaltars in S. Ambrogio zu Mailand . Architektur. Romanischer Styl. Toscana. Einfachere Reste im Dom von Amalfi. (Das nahe Ravello hat a der Verfasser nicht besucht.) Im Dom von Capua sind am Grab Christi in der Crypta grosse b Mosaikplatten von der ehemaligen Kanzel eingelassen, mit moresken Dessins, doch auch Mäander. Im Dom von Sessa dient die sehr reiche Kanzel, deren Säulen c auf Thieren ruhen, jetzt als Orgellettner; prachtvolle Mosaikplatten als Einfassungswände des jetzigen Chores; die Osterkerzensäule mit sculpirten Bändern unterbrochen. In der Cathedrale zu Fondi: Mosaikkanzel auf Säulen mit Thieren. d Im Dom von Terracina: eine ähnliche; die Osterkerzensäule, ge- e wunden und gestreift, eine der prächtigsten. Es lässt sich nicht läugnen, dass die italische Kunstübung sich mit diesem anmuthigen Spiel von Material und Farben begnügt, gleich- zeitig mit den grössten Fortschritten der nordischen Architektur. Diese, von Vernützung antiker Baustücke fast seit Anfang an abgeschnitten und, was mehr heissen will, von einem andern Geiste getragen, hatte inzwischen die erlöschenden Erinnerungen des römischen Styles zu einem eigenthümlichen romanischen Styl ausgebildet, der um 1200 schon im Begriff war sich zum germanischen zu entwickeln. Die- sem romanischen Styl stellt sich nun in Mittel- und Oberitalien ein nicht unwürdiges Seitenbild gegenüber. Das grosse Verdienst, dem Basilikenbau zuerst wieder ein neues Leben eingehaucht zu haben, gebührt, was Italien betrifft, unstreitig den Toscanern . Der hohe Sinn, der dieses Volk im Mittelalter auszeichnet, und dem man auch ein stellenweises Umschlagen in die Sinnesart der Erbauer des Thurmes von Babel verzeihen mag, begnügte sich schon frühe nicht mehr mit engen, von aussen unscheinbaren und innen kostbar verzierten Kirchen; er nahm eine Richtung auf das Wür- dige und Monumentale. Dieselbe offenbarte sich zunächst, seit dem XI. Jahrhundert, in der Wahl des Baustoffes. Der Sandstein und Kalkstein, welchen man in der Nähe hatte, schien zu sehr der Ver- 7* Romanische Architektur. Toscana. witterung ausgesetzt; man holte in Carrara den weissen, anderswo schwarzen und rothen Marmor und incrustirte damit wenigstens den Kernbau, wenn man ihn auch nicht daraus errichtete. Zum ersten- mal wieder erhielten die Aussenwände der Kirchen eine organisch ge- meinte, wenn auch zum Theil nur decorativ spielende Bekleidung: Pilaster oder Halbsäulen mit Bögen, Gesimse, Streifen und Einrah- mungen von abwechselnd weissem und schwarzem Marmor, nebst an- derm mosaikartigem Zierrath. An den grössern Fassaden behauptete sich seit dem Dom von Pisa ein System von mehrern Säulchenstel- lungen über einander; die obern schmaler und dem obern Theil des Mittelschiffes (wenigstens scheinbar) entsprechend; unten grössere Halb- säulen mit Bogen, auch wohl eine Vorhalle (Dome von Lucca und Pistoja). Im Innern rücken die Säulen auseinander; ihre Intervalle sind bisweilen beinahe der Breite des Mittelschiffes gleich, welches allerdings sich sehr in das Schmale und Hohe zieht; in den echt er- haltenen Beispielen hat es flache Bedeckung, während die Nebenschiffe a gewölbt werden (S. Andrea in Pistoja). An den Säulen ist häufig der Schaft, ausserhalb Pisa aber selten das Capitäl antik, obwohl die oft auffallende Disharmonie zwischen beiden (indem das Capitäl einen schmalern untern Durchmesser hat als der Schaft) auf die Annahme benützter antiker Fragmente führen könnte; ein Räthsel, welches sich nur durch die Voraussetzung einigermassen löst, dass die Capitäle etwa aus wenigen Steinmetzwerkstätten für das ganze Land bestellt oder fertig gekauft wurden. Ihre Arbeit ist sehr ungleich, von der rohsten Andeutung bis in die feinste Durchführung des Korinthischen, auch der Composita. An den bedeutendern Kirchen versuchte man schon frühe, der Kreuzung des Hauptschiffes und des Querschiffes durch eine Kuppel die möglichste Bedeutung zu geben. Die einfachsten Elemente dieses ganzen Typus enthält wohl der b Dom von Fiesole (1028); das Äussere dürftig, doch schon von Quadern; innen ungleiche Bogen über den Säulen; der Kreuzraum kuppelartig zugewölbt; die Nebenräume (oder Arme des Querschiffes) mit halben Tonnengewölben bedeckt, die sich sehr ungeschickt an die Bogen des Kreuzraums anlehnen. Alle Details einfach bis zur Roheit; Dom von Pisa. die Crypta (mit ionischen Säulchen) ein späterer Einbau Das Ganze liefert den stärksten Beweis gegen die behauptete Gleichzeitig- keit von S. Miniato bei Florenz (angeblich von 1013), welches durchweg die feinste Durchbildung zeigt. . Merkwür- diger Weise entspricht schon hier die ganz schmucklose Fassade der Kirche nicht, sondern ragt bereits als vorgesetzte Decoration über dieselbe hinaus. Zur vollen Ausbildung des Typus reichte aber ein blosser Bischofs- sitz nicht aus; es bedurfte dazu des ganzen municipalen Stolzes einer rei- chen im Centrum des damaligen Weltverkehrs gelegenen Handelsre- publik. Wie nördlich vom Apennin Venedig, so vertrat südlich Pisa diese Stelle. Im Hochgefühl eines Sieges über die Sicilianer gründe- ten die von Pisa 1063 ihren Dom ; als Baumeister nennt sich Rai - a naldus . Die schöne isolirte Lage, der edle weisse Marmor mit schwarzen und farbigen Incrustationen, die klare Absicht, ein vollendetes Juwel hinzustellen, die gleichmässige Vollendung des Baues und der benach- barten Prachtgebäude — diess Alles bringt schon an sich einen gros- sen Eindruck hervor; es giebt nicht eben viele Kirchen, welche diese Vorbedingungen erfüllen. Ausserdem aber thut die Kunst hier einen ihrer ganz grossen Schritte. Zum erstenmal wieder seit der römischen Zeit sucht sie den Aussenbau lebendig und zugleich mit dem Innern harmonisch zu gliedern; sie stuft die Fassade schön und sorglich ab und giebt dem Erdgeschoss Wandsäulen und Wandbogen, den obern Theilen durchsichtige Galerien, zunächst längere, dann dem Mittelschiff und dem Giebel entsprechend kürzere. Sie weiss auch, dass ihre Wandsäulen jetzt einem neuen Organismus angehören und verjüngt dieselben fast gar nicht mehr (womit es der Baumeister von S. Mic- chele in Lucca versah). An den Seiten wird ebenfalls die einfachere Form, hier Wandpilaster mit Bogen und eine kleinere Reihe drüber mit gradem Gebälk, den untern Schiffen zugewiesen, die leichtere und reichere, nämlich Wandsäulen mit Bogen, dem Oberschiff. Es ist denk- bar, dass orientalische Kirchen einzelne dieser Elemente darboten, aber ihre Vereinigung in Einem Guss ist pisanisch. Von der Wiese hin- ter dem Chor aus offenbart sich dann eine andere grosse Neuerung: Romanische Architektur. Dom von Pisa. nach vielhundertjährigem Herumirren in den Wirkungen des Details hat die Baukunst wieder ein wahres Compositionsgefühl im Grossen errungen; sie weiss wieder bei grossen dominirenden Hauptlinien in der Einfachheit reich zu sein. Von den niedrigen Nischen der etwas höhern Querarme aus leitet sie den Blick empor zum First des Hauptschiffes und zur Kuppel, und giebt als mittlere reiche Schlussform die präch- tige Chornische mit ihren Galerien. Im Innern ist der Dom eine fünfschiffige Basilica und ruht auf lauter antiken Säulen (deren Capitäle seit ihrer Überarbeitung mit Gyps für die Untersuchung meist verloren sind), theilt sonach die hem- menden Bedingungen der römischen Basiliken. Aber ein neuer Geist hat sich das gegebene Material dienstbar gemacht, um daraus vor Allem einen schlanken Hochbau zu schaffen. Nach römischer Art hätten bei dieser Breite drei Schiffe genügt; hier sind es fünf, von enger Stellung, die vier äussern gewölbt; der zweiten niedrigern Säulenreihe ist durch Überhöhung der Bogen nachgeholfen. Statt der hohen Ober- wände und ihres Mosaikschmuckes sieht man dann die herrliche luf- tige Galerie von Pfeilern (gleichsam Repräsentanten der Mauer) und Bogen, in der Mitte von Säulen gestützt. Schon einzelne römische Basiliken haben Obergeschosse; auch die Oströmer liebten solche obere Galerien, allein sie versäumten, ihnen durch diese leichtere Behandlung den lokalen Charakter zu geben. Das Querschiff endlich wurde hier — zum erstenmal an einer Basilica — dreischiffig gestaltet, um dem Eindruck des Hohen und Schlanken treu zu bleiben; es bildet mit sei- nen Schluss-Nischen gleichsam zwei anstossende Basiliken. Vielleicht mehr aus praktischen als ästhetischen Gründen führte der Baumeister die durchsichtige Galerie auf beiden Seiten quer hindurch nach dem Chor zu, und schuf damit jenen geheimnissvoll prächtigen Durchblick in die Querarme. — Welches Quadrat aber sollte nun als Basis der Kuppel angenommen werden, die man hier zum erstenmal mit dem Basilikenbau zu combiniren wagte? Langhaus und Querbau schneiden sich in ungleicher Breite, man nahm die ganze Breite des letztern und die des Hauptschiffes des erstern und so ergab sich die merkwürdige ovale Kuppel, die später noch eine gothische Aussengalerie erhielt. Während des Baues reinigte sich der Styl. Wir dürfen z. B. annehmen, dass die schon sehr gut gegliederte Galerie im Innern zu Baptisterium und Campanile von Pisa. den spätern Baugedanken gehört, ebenso ihre Aussenwand, welche eine obere Pilasterordnung über den Wandbogen bildet. Vollständiger spricht sich dann dieser gereinigte Styl im Bapti - a sterium aus, welches 1153 von Diotisalvi gegründet wurde. (Die gothischen Zuthaten, Baldachine, Giebel, Spitzthürmchen sind erst im XIV. Jahrhundert hinzugekommen.) Man wird hier durchgängig die Formenbildung des Domes veredelt und vereinfacht wieder finden, die Bogenprofile, die Mosaicirung der Füllungen u. s. w. Auch meldet sich an der äussern Galerie wie im Innern, wenn nicht durchgängig, so doch vorherrschend das eigenthümlich romanische Capitäl. Ganz besonders wichtig ist aber die Unterbrechung nach jeder dritten Säule im Innern durch einen Pfeiler, und zwar im obern sowohl als im un- tern Stockwerk; worin sich deutlich das Verlangen nach einem höhern baulichen Organismus ausdrückt. Ebenso ist die hohe konische Innen- kuppel nur eine ungeschickte Form für das Bedürfniss nach einem leichten, strebenden Hochbau. — Die Schranken um den Mittelraum und die Einfassung des Taufbeckens zeigen, welch ein neues Leben auch innerhalb der Decoration erwacht war, wie man auch hier sich von dem blossen Mosaik mit Prachtsteinen losmachte zu Gunsten einer reinen und bedeutenden plastischen Verzierung. Seit 1174 bauten Wilhelm von Innsbruck und Bonannus b das Campanile , den berühmten schiefen Thurm Die berühmte Frage über Absicht oder Nichtabsicht beim Schiefbau erledigt sich bei einiger Aufmerksamkeit leicht. Offenbar wurde der Thurm lothrecht angefangen und senkte sich, als man bis in das dritte Stockwerk gelangt war, worauf man ihn schief ausbaute. — Bei diesem Anlass hat E. Förster (Handbuch etc., s. d. Art.) eine allgemeine Ansicht nicht nur über diesen Schiefbau, sondern über die Bauungleichheiten der sämmtlichen umliegenden Prachtgebäude entwickelt, welcher ich Anfangs glaubte beipflichten zu müs- sen, bis die Vergleichung anderer italienischer Gebäude des XI. und XII. Jahrhunderts mich wieder davon abbrachte. Der Raum erlaubt mir hier keine Widerlegung, sondern nur Gegenbehauptungen, deren Bündigkeit der Leser beurtheilen mag. Für’s Erste wagte man damals allerdings absichtliche Schiefbau- ten ; dieser Art ist wohl die Garisenda in Bologna, ein Werk der Prahlerei * des adlichen Erbauers oder des Architekten; die daneben stehende Torre degli Asinelli könnte schon eher durch Senkung des Bodens schief gewor- . Hier ist die Romanische Architektur. Thurm von Pisa. Gliederung des Details wieder um einen Grad einfacher und das roma- nische Capitäl mit seiner derben Blätterbildung hat entschieden das Übergewicht vor dem römischen. Der Composition nach ist dieses einzige Gebäude eines der schönsten des Mittelalters. Das Princip den sein. Dann ist gerade der Ausbau des Thurmes von Pisa ein immerhin sehr auffallendes Werk dieser Art; die meisten Bauverwaltungen hätten den Thurm, als er sich senkte, unvollendet gelassen oder auf bessern Fundamen- ten neu angefangen; der pisanische Übermuth aber liess sich auf das Schwie- rige und vielleicht damals noch Unerhörte ein. Weit die meisten schiefen Gebäude aber sind es ohne Absicht des Baumeisters geworden, durch ungenügende Fundamente. Das Pilotiren, als einzige Sicherung bei morastiger oder sonst bodenloser Beschaffenheit der Erde, scheint nur ungleich und allmälig aufgekommen zu sein; die Frühern machten sich auf die Senkung des Baues unter solchen Umständen gefasst und kamen dem Schaden durch Dicke der Mauern, Verklammerungen u. s. w. zuvor. Einen sprechenden Beleg liefert noch Pisa selbst; der von N. Pisano * erbaute Thurm von S. Nicola steht sehr merklich schief, allein doch lange nicht schief genug, um als Werk der Kühnheit mit dem berühmten Campa- nile wetteifern zu können, welches schon als Gebäude so viel bedeutender ist; an eine Absicht lässt sich hier nicht denken, wohl aber an eine Voraus- sicht, wie aus der starken Bildung des Mauercylinders hervorgeht. Ebenso ** ist am Dom von Modena die wahrhaft bedrohlich aussehende Neigung des ganzen Hinterbaues gegen den ebenfalls geneigten Campanile offenbar eine unabsichtliche, nur dass der letztere allerdings mit Rücksicht auf diesen Um- † stand ausgebaut sein mag. (Dagegen stehen Dom und Baptisterium in Par- †† ma völlig lothrecht.) Am Dom von Ferrara neigt die Fassade nicht un- bedeutend vor, gewiss gegen den Willen des Baumeisters. Kunstgeschichtlich viel wichtiger wäre die Ansicht Förster’s über den Zusammenhang des pisanischen Schiefbaues mit den Ungleichheiten der Vermessung , schrägen und krummen Baulinien, unentsprechenden Inter- vallen etc.; in all diesem spreche sich nämlich eine Scheu vor dem Mathe- matischen, vor der völligen Gleichförmigkeit aus; es seien diess: „die unbe- holfensten Aeusserungen romantischer Bestrebungen“ Da man an griechi- schen Tempeln (vgl. S. 5) etwas Analoges unbedingt zugeben muss, so hat diese Annahme etwas sehr Anziehendes. Ich glaube indess die betreffenden Phänomene anders erklären zu müssen, und zwar nicht durch Mangel an Ge- schicklichkeit — wovon an den edeln pisanischen Bauten keine Rede sein kann — sondern durch eine dem frühern Mittelalter eigene Gleichgültig- keit gegen das mathematisch Genaue. Letzteres verstand sich durchaus nicht immer so von selbst wie es sich jetzt versteht. Schiefbau und Bauungleichheiten. der Griechen, die Säulenhalle als belebten Ausdruck der Wand ringsum zu führen, ist hier mit der grössten Kühnheit auf ein mehrstöckiges Gebäude übertragen; es sind viel mehr als blosse Galerien, es ist eine ideale Hülle, die den Thurm umschwebt und die in ihrer Art densel- Den besten Schlüssel gewährt S. Marco in Venedig. Auf einer Lagu- * neninsel errichtet, zeigt dieses Gebäude vor Allem in seinen verticalen Thei- len und Flächen viele unwillkürliche Schiefheiten, doch keine eigentlich auf- fallende, indem ohne Zweifel das Mögliche geschah, um sie zu vermeiden. (Der Fussboden der Kirche mit seinen wellenförmigen Unebenheiten beweist am besten, welche Opfer man bringen musste, um wenigstens Pfeilern und Mauern eine leidlich lothrechte Stellung zu sichern.) Sehr auffallend dage- gen ist die Ungleichheit und Unregelmässigkeit sämmtlicher Bogen und Wöl- bungen, selbst der Kuppelränder. Anfangs ist man versucht, dieselbe von dem Ausweichen der Pfeiler und Mauern abzuleiten, welches auch in der That hie und da die Schuld tragen mag; bei längerer Betrachtung dagegen überzeugt man sich, dass die reine Gleichgültigkeit gegen das Regelmässige der wesentliche Grund ist. Ich glaube, dass schon die Lehrbogen nicht ein- mal genau gemessen waren. Man betrachte z. B. die obern Wandbogen an der Südseite des Aeussern; sie sind krumm und unter sich ungleich, obschon es hier ganz leicht gewesen wäre sie im reinsten Halbkreis zu construiren und ihnen diese Form auf immer zu sichern; auch an eine ästhetische Ab- sicht wird hier Niemand denken wollen, da die bunte Verschiedenheit des Details schon Abwechselung genug mit sich bringt. Auf diesen Vorgang gestützt dürfen wir auch in Pisa das (doch sehr unmerkliche) Überhängen der Domkuppel nach hinten für eine blosse Unge- nauigkeit, die schiefe Stellung des Baptisteriums (wovon ich mich näher zu überzeugen versäumt habe) für die Folge einer Bodensenkung halten. — Für die krummen Linien, ungenauen Parallelen, ungleichen Intervalle am Äussern des Domes würde ebenfalls S. Marco bündige Analogien bieten; eine nähere Vergleichung aber gewährt z. B. die Südseite des Domes von Ferrara, wel- ** che von auffallenden Ungleichheiten der Intervalle, Krümmungen der Horizon- talen u. dgl. wimmelt, während die Anspruchlosigkeit des Baues jeden Ge- danken an ästhetische Intention ausschliesst. Die mathematische Regelmässigkeit, welche mit den bald zu nennenden florentinischen Bauten den Sieg davonträgt, musste eintreten schon in Folge der strengern Plastik des Details, welche von selbst auf genaue Vermessung hindrängt; sie war es, welche z. B. an S. Marco noch völlig fehlte. — Allerdings giebt es noch weit spätere Räthsel, wie z. B. der Dom von Siena, welche wir als Räthsel müssen auf sich beruhen lassen. Romanische Architektur. Kirchen von Pisa. ben Sieg über die Schwere des Stoffes ausspricht, wie die deutsch- gothischen Thürme in der ihrigen. Das reiche System dieser drei Bauten ist natürlich an den übri- gen Kirchen nur stellenweise durchgeführt, oder auch nur in Andeu- tungen, gleichsam im Auszug gegeben. Immer aber wirkt diese erste consequente Erneuerung eines plastisch bedeutenden Architekturstyls mit grossem Nachdruck und auch die kleinste dieser Kirchen zeigt deutlich, dass man diesen bezweckte. Bei den kleinern beschränkt sich der Marmor auf die Fassaden; statt der Galerien kommen blosse Wandbogen vor, aber auch da ist mit geringen Mitteln, z. B. mit dem Charakterunterschied von Wandpilastern und Wandsäulen das Wesent- liche entschieden ausgesprochen. Im Innern sind oder waren es lau- ter Säulenbasiliken; das Oberschiff meist verändert. a Aus dem XII. Jahrhundert: S. Frediano ; im Innern liefern z. B. die zwei nächsten Säulen den Beweis, dass die allzukleinen Ca- pitäle nicht immer antike sind, mit denen man sich hätte begnügen müssen, wie man sie fand. (Vgl. S. 100.) Die Säulen dagegen schei- nen sämmtlich antik. b S. Sisto , antike Säulen von ungleichem Stoff; auch hier gerade die unpassendsten Capitäle modern. Das Äussere fast formlos. c S. Anna , nur ein Theil der Südseite erhalten; das Übrige ein Umbau von 1610. d S. Andrea , aussen nur die einfache Fassade alt, sowie das back- steinerne Campanile; innen die Überhöhung der Bogen durch ein be- sonderes Zwischengesimse erklärt; die Capitäle meist aus dem Mittel- alter, mit Thierköpfen etc. e S. Pierino , in seiner jetzigen Gestalt XII. Jahrh., aussen ein- fach, innen wahrscheinlich beim damaligen Umbau (des Arno’s we- gen?) erhöht; die Capitäle zum Theil antik; der Boden mosaicirt. f S. Paolo all’ Orto , nur der untere Theil der Fassade erhal- ten (wonach die Kirche eine der ältesten nächst dem Dom sein möchte.) Das Innere ganz verbaut. g S. Sepolcro , eine der im ganzen Abendland vorkommenden polygonen Heiliggrabkirchen, XIII. Jahrhundert. Hohes Achteck mit Kirchen von Pisa und Lucca. Pfeilern und Spitzbogen, mit achtseitigem Umgang, die Fenster noch rundbogig. Alle Details für Pisa auffallend schlicht. (Wird gegen- wärtig grossentheils neu gebaut.) S. Paolo in ripa d’Arno , wohl ebenfalls erst XIII. Jahrhun- a dert, mit der besten Fassade nach dem Dom; innen mit Querschiff und Kuppel; durchgängig Spitzbogen; doch unter den vieren, welche die Kuppel tragen, noch besondere Rundbogen. (In den letzten Jah- ren grossentheils neu gebaut.) An S. Nicola die Fassade und der schon erwähnte Thurm b (S. 104, *) von Nic. Pisano. S. Micchele in Borgo ; das Innere, so weit es erhalten ist, c eine ziemlich alte Basilica; von der Fassade der obere Theil mit den schon spitzbogigen Galerien XIII. Jahrhundert, vorgeblich von Nic- colò Pisano, eher von dessen Schüler Fra Guglielmo; in die Mitte treffen Säulchen statt der Intervalle. S. Caterina , XIII. Jahrhundert, die Fassade eine noble und d prächtige Übertragung des pisanischen Typus in die gothischen For- men. Innen einschiffige ungewölbte Klosterkirche. (Die alte Kirche S. Piero in Grado , eine halbe Stunde see- e wärts, mit merkwürdigen Fresken verschiedener Zeit, hat der Ver- fasser nicht gesehen.) Die Kirchen von Lucca sind (mit Ausnahme der oben genann- ten ältern Reste) fast nur Nachahmungen der pisanischen, und zwar keine ganz glücklichen. An unendlichem und fast penibelm Reich- thum thun sie es den reichsten derselben bisweilen gleich oder zuvor (figurirte Säulen, Mosaicirung möglichst vieler Flächen etc.), allein das Vorbild der Antike steht um einen kenntlichen Grad ferner (man vergleiche die Gesimsbildung), obschon auch hier nicht wenige antike Reste mit vermauert und z. B. die meisten Säulen römisch sind. Einen unbegreiflichen Stolz scheinen die Lucchesen darein gesetzt zu haben, dass in den Galerien ihrer Fassaden nicht ein Intervall, sondern ein Säulchen auf die Mitte traf. Man möchte glauben, es sei das Wahr- zeichen ihrer Stadt gewesen. In Pisa ist diess Ausnahme. — Die Romanische Architektur. Kirchen von Lucca. Campanili, sowohl die marmornen als die backsteinernen, ohne beson- dere Ausbildung. a S. Giovanni , XII. Jahrhundert; die Capitäle meist aus dem Mittelalter, doch gut den römischen nachgeahmt; an das linke Quer- schiff lehnt sich ein uraltes, zur gothischen Zeit nur umgebautes vier- eckiges Baptisterium. Aussen einfach, von der Fassade nur die Thür alt. b S. Maria forisportam , XII. Jahrhundert; eine der bessern, mit Querschiff und Kuppel; die Capitäle der Säulen hier meist antik; nach alter Weise etwa in der Mitte der Reihe ein Pfeiler statt einer Säule. c S. Pietro Somaldi , Fassade vom Jahr 1203; backsteinernes Campanile; das Innere modern. d Der Aussenbau von S. Micchele (Vgl. S. 86, d): die Chornische reich und gut, die Fassade dagegen (XIII. Jahrhundert) mit absicht- licher Übertreibung des pisanischen Princips stark über die Kirche vorragend, spielend reich; das ganze Erdgeschoss um eines vermeint- lich höhern Effectes willen nicht mit Wandpilastern, sondern mit vor- gelehnten Säulen bekleidet, die sich verjüngen und damit unförmlich hoch erscheinen. Kleinere Kirchen, zum Theil nur mit einzelnen alten Bestandthei- e len: S. Giusto, S. Giulia, S. Salvatore, S. Vincenzo etc. Der f Übergang ins Gothische: Fassade von S. Francesco . g Über S. Frediano vgl. S. 86, c. Was aus dem XII. Jahrhundert ist, scheint Nachbildung von älterm und weicht von dem pisanisch- lucchesischen Styl ab. h Endlich die ältern Theile des Domes : die Fassade, von Guidetto 1204, empfindungslos reich; die Galerien auf einer dreibogigen Vorhalle ruhend, deren Inneres im Detail schon mehr gereinigt erscheint. Dann das Äussere des Chorbaues und Querschiffs, sehr edel und gemässigt (auch in der Incrustation); durch die Höhe des Querschiffes ein impo- santer Anblick. Der Glockenthurm mit regelmässig zunehmender Fen- sterzahl, wie der von Siena. In andern Städten Toscana’s: Der Dom von Prato , angefangen im XII. Jahrhundert, hat aus Kirchen in Pistoja etc. dieser Zeit noch das schmale Mittelschiff mit den weiten Bogen über schweren Säulen mit rohen Capitälen. Anmuthig ausgebaut im XIV. Jahr- hundert trägt die Kirche im Ganzen das Gepräge dieser Zeit. In Pistoja ist S. Giovanni fuoricivitas ein einfaches läng- a liches Viereck, dessen eine Langseite aber die Zierlust jener Zeit (XII. Jahrhundert) in fast kindlicher Weise an den Tag legt; unten Pilaster mit Wandbögen, drüber zwei Reihen von kleinern Wandsäu- len mit Bogen; keines der drei Stockwerke entspricht den andern; die Wand gestreift und mosaicirt. S. Andrea , Basilica des XII. Jahrhunderts, mit schmalem Mittel- b schiff, dessen hohe Obermauern schmale Fenster enthalten; die Fassade mit Wandbögen, schattbrettartiger Fläche und (als Gesims) grossem Eierstab. (Der obere Theil neuer.) — Der innern Anlage und der c Zeit nach verwandt: S. Bartolommeo . Der Dom , mit der schon erwähnten Vorhalle und drei Säulchen- d stellungen drüber, im Innern eine sehr verbaute Basilica, mit unglei- chen doch wohl nicht antiken Capitälen, ist wohl ebenfalls aus dem XII. Jahrhundert, nicht von Niccolò Pisano. Die Seitenfassade, jetzt bloss Wandpfeiler mit Bogen, trug vielleicht einst eine obere Galerie. Der Thurm wiederholt in seinen drei obersten Stockwerken das Motiv des pisanischen: freistehende Säulchen um einen Mauerkern herum, nur viereckig statt rund. Der Chorbau modern. Das erhöhte Ton- nengewölbe, welches die Vorhalle in der Mitte unterbricht, mit schö- nen gebrannten Cassetten des Luca della Robbia. Der Dom von Volterra gehört ebenfalls in diese Reihe und e wird ebenfalls dem Niccolò Pisano zugeschrieben (was sich nach An- dern nur auf die von 1254 datirte Fassade beziehen soll). Wiederum einen höhern Aufschwung nahm die neue Bauweise unter den Händen der Florentiner . Sie legten zunächst in die bisher spielende Incrustation mit dem Marmor verschiedener Farben einen neuen Sinn, bildeten aber vorzüglich das plastische Detail der Architektur edler und consequenter aus, nicht ohne ein ziemlich ein- gehendes Studium antiker Überreste, sodass auch hier wieder ein frü- her Anfang von Renaissance unverkennbar ist. Endlich fasst die Kirche Romanische Architektur. Florenz. S. Miniato das vorgothische Kunstvermögen Italiens auf eine so glän- zende Weise zusammen, dass man die bald darauf folgende Einführung des gothischen Styles aus dem Norden beinahe zu bedauern ver- sucht ist. Die betreffenden Gebäude haben wohl sämmtlich kurz vor oder um das Jahr 1200 ihre jetzige Gestalt erhalten, eine Annahme, für die wir hier die Beweise schuldig bleiben müssen und die mit sonst geltenden Zeitangaben im Widerspruch steht. a Das erste derselben ist die kleine Basilica SS. Apostoli in Flo- renz ; die Nebenschiffe gewölbt; gleichmässige Compositasäulen tragen Bogen mit feiner antiker Einfassung; ihnen entsprechen Wandpilaster (mit vielleicht neuern Capitälen); die Cappellenreihen gelten als ur- sprünglich; ihre Hinterwände laufen schräg, wohl aus Rücksicht auf irgend eine Bedingung des engen Platzes. b An S. Jacopo in dem gleichnamigen Borgo ist nur eine drei- c bogige Vorhalle mit Aufsatz, an der Badia bei Fiesole nur ein in- crustirtes Stück der Fassade aus dieser (letzteres vielleicht aus einer etwas frühern) Zeit vorhanden; merkwürdig ist hier das besondere Gebälkstück (Architrav, Fries und Sims) über den Wandsäulen, ne- ben einer sonst noch ziemlich spielenden Incrustation. d Das Baptisterium S. Giovanni bezeichnet einen Höhepunkt aller decorativen Architektur überhaupt. Schon die Vertheilung des Marmors nach Farben im Einklang mit der baulichen Bestimmung der betreffenden Stellen (Simse, Flächen etc.) ist hier selbst edler und be- sonnener als z. B. am Dom Laut Vasari wäre die Incrustation wenigstens der untern Theile des Bapti- steriums ein Werk des Dombaumeisters Arnolfo, nach 1294. Allein aus Va- sari’s eigenen Worten schimmert hervor, dass Arnolfo nur das schon Vor- handene von entstellenden Zubauten befreite und ergänzte. . Vorzüglich schön sind dann in ihrer Mässigung die plastischen Details, die Kranzgesimse der drei Stock- werke, die Wandpfeiler, welche im halben Viereck beginnen, im hal- ben Achteck fortfahren und als cannelirte Wandpilaster die Bewegung in der Attica fortsetzen. Im Innern stehen vor den acht Nischen des Erdgeschosses je zwei Säulen, müssig, wenn man will, aber hier als bedeutendes Zeugniss eines Verlangens nach mon umentaler Gliederung. Baptisterium. San Miniato. Sie sind von orientalischem Granit, ihre vergoldeten korinthischen Ca- pitäle aber ohne Zweifel für diese Stelle gearbeitet, mit genauem An- schluss an römische Vorbilder. Die Galerie des obern Stockwerkes schliesst sich streng harmonisch an das untere an, mit korinthi- schen Pilastern und ionischen Säulchen. Die bauliche Wirkung wird beeinträchtigt durch die Mosaikfiguren auf blendendem Goldgrund, welche Friese, Brustwehr und zum Theil auch das Innere der Galerie in Anspruch nehmen, und vorzüglich durch die drückenden Mosaiken der Kuppel. Der Chorbau steht ausser Harmonie mit dem Übrigen, und sein Triumphbogen möchte wohl der Theil eines ältern Ganzen sein. — Die Bodenplatten zum Theil als Niellen mit Ornamenten, ein Ersatz für Mosaiken, wozu die harten Steine fehlen mochten. San Miniato al Monte , vor dem gleichnamigen Thor, beschliesst a diese Reihe auf das ruhmvollste. Zwar hat die graziöse Fassade mehr Willkürliches, zumal im Farbenwechsel der Incrustation, als das Bap- tisterium, allein daneben finden sich die zartesten antiken Details (z. B. am Dachgesimse Consolen); das Verhältniss des obern Stock- werkes zum untern ist vielleicht hier zum erstenmal nach einem rein ästhetischen Gefühl bestimmt, weil keine antiken Säulen das Maass vorschrieben. Im Innern findet man jene Unterbrechung des Basiliken- baues durch Pfeiler und Bogen, welche in S. Prassede zu Rom noch roh auftritt, in höchst veredelter Gestalt wieder; auf jede zweite Säule folgt ein Pfeiler von vier Halbsäulen mit überleitenden Bogen. Der Dachstuhl, durchaus sichtbar, ist einer der sehr wenigen, welche noch ihre einfache ursprüngliche Verzierung behalten haben Ein späterer, beiläufig gesagt, in S. Agostino zu Lucca. * . Die Capitäle sind theils für das Gebäude gemacht und dann einfach, theils reich antik. Auch die Vorderwand der ziemlich hohen und bedeutenden Crypta und das Halbrund der Tribuna sind incrustirt; an letzterem erscheinen die Säulen aus Einem Stein und antik, während die grossen Säulen der Kirche aus lauter Stücken zusammengesetzt sind. Die fünf Fenster der Tribuna sind mit grossen durchscheinenden Marmorplatten geschlossen. Die Steinschranken und das Pult des Chores gehören zu den prächtigen Decorationsstücken derselben Art wie die Sachen im Baptisterium zu Pisa; die Bodenplatten im Hauptschiffe vorn, mit Romanische Architektur. Arezzo. Genua. Niellen ähnlich denen des florentinischen Baptisteriums Wogegen die pisanischen Boden-Mosaiken (Battistero, Dom, S. Pierino) nebst denen von S. Frediano zu Lucca noch fast ganz der christlich-römischen Technik folgen, wie sie oben S. 95 u. 96 geschildert wurde. , tragen das Datum 1207, welches wohl das des Ausbaues der ganzen Kirche sein möchte. (Ob sie von S. Zeno in Verona, s. unten, bedingt ist?) Man sollte kaum glauben, dass auf ein System von Kirchenfas- saden wie die genannten noch eine Missbildung habe folgen können a wie die Vorderseite der sog. Pieve vecchia zu Arezzo, vom Anfang des XIII. Jahrhunderts Das Datum der Portalsculpturen, 1216, gilt doch wohl annähernd für die ganze Fassade. . Mit einer solchen Anstrengung ist kaum irgendwo jeder Anklang an Harmonie, an vernünftige Entwicklung durchgehender Motive vermieden worden wie hier. Das Innere ist bei Weitem besser und durch die fast antiken korinthischen Capitäle in- teressant; das Äussere der Chornische dagegen wieder der Fassade würdig. In Genua vermischt sich der romanische Styl Frankreichs mit der von Pisa ausgehenden Einwirkung. Die betreffenden Kirchen sind meist Basiliken mit einer Art von Querschiff, auch wohl mit einer (unbedeutenden und meist veränderten) Kuppel; die Säulen theils antik, theils in Schichten von schwarz und weiss abwechselnd; die Capitäle theils antik, theils antikisirend. An den Fassaden ist nirgends das reichere toscanische System von Galerien, sondern nur das ein- fachere von Wandpfeilern, mit Abwechslung der Farbenschichten, zu bemerken. (Die auch oft nur aus moderner Romantik aufgemalt sind.) Zur gothischen Zeit behielt man diese ganze, für die reiche Stadt etwas dürftige Bauweise bei und ersetzte nur einen Theil der Rundbogen durch Spitzbogen. Durch plastischen Reichthum sind nur die beiden Portale der b Seitenschiffe des Domes (XII. Jahrhundert?) einigermassen ausge- zeichnet. (Das Innere des Domes ein Umbau vom Jahr 1308, mit c Benützung der ältern Säulen.) S. Maria di Castello ist nach den Basiliken etc. von Genua. fast durchaus antiken Säulen und Capitälen zu schliessen die älteste dieser Kirchen (XI. Jahrhundert?). Die Kreuzgewölbe sämmtlicher Schiffe wohl neuer. — S. Cosmo (XII. Jahrhundert?), die Säulen a schichtenweise von schwarzem und weissem Marmor, die Capitäle roh antikisirend. — S. Donato , XII. Jahrhundert (die Fassade etwas b später), die hintern Säulen sammt Capitälen antik; die vordern von abwechselnd schwarzen und weissen Marmorschichten mit roh antiki- sirenden Capitälen; auf dem Chorquadrat ein achteckiger Thurm. (Moderne Bemalung des Innern mit gothischen Zierrathen ohne Sinn). Unbedeutend und nur mangelhaft erhalten: S. Stefano , S. Tom- c maso etc. Aus gothischer Zeit und zwar noch aus dem Anfang des XIII. Jahrhunderts: S. Giovanni di Prè , Pfeilerkirche, zweistöckig mit d Benützung eines Abhanges; in neuerer Zeit umgekehrt orientirt, so dass das Querschiff und der ehemalige Chor jetzt der Hauptthür nahe sind. — Etwas später: S. Matteo , innen mehr durch die geschmack- e volle Umbildung Montorsoli’s als durch die alte Anlage merkwürdig. S. Agostino und S. Maria in via lata , beide innen verändert, f ruinirt und aufgegeben. Die Thürme sind meist von dem einfachsten romanischen Typus, der im ganzen Abendlande galt. Die neuern zeichnen sich ausser der Mittelpyramide noch durch vier Eckpyramiden nach französischer Art aus. Von Klosterhöfen , welche im Ganzen nicht die starke Seite des enggebauten Genua sind, findet man einen rohen und sehr alten (XI. Jahrhundert?) links neben S. Maria delle Vigne, mit Würfelca- g pitälen auf stämmigen Säulen und mit weitern Bogen; sodann einen wenig neuern mit kleinen Rundbogen auf je zwei Säulchen, Erdge- h schoss und Obergeschoss, neben dem Dom links. — Schon weit aus der gothischen Zeit (1308) und doch kaum erst spitzbogig: der nied- i liche, ebenfalls doppelsäulige Kreuzgang von S. Matteo (links). Eine ganz andere, weit von allem bisherigen abweichende Gruppe von Gebäuden bietet Venedig dar. Der eigenthümliche Genius der handelsreichen Lagunenstadt spricht sich darin von allem Anfang an B. Cicerone. 8 San Marco in Venedig. ganz deutlich aus; die tiefsten nationalen Züge liegen klar zu Tage. Mit schwerer Einschränkung, durch Pfahlbau im Wasser, erkauft der Venezianer den Hort, wo seine Schätze unangreifbar liegen können; je enger desto prächtiger baut er. Sein Geschmack ist weniger ein adlicher als ein kaufmännischer; das kostbarste Material holt er aus dem ganzen verwahrlosten Orient zusammen und thürmt sich daraus seine Kirchenhallen und Paläste. Das Vorbild Constantinopels und der eigene patriotische Ehrgeiz drängen allerdings auf das Bedeutende und Grosse hin, allein vorwiegend bleibt das Streben, möglichsten Reichthum an den Tag zu legen. a Die Marcuskirche, begonnen 976, ausgebaut während des XI. und XII. Jahrhunderts, dem Schmuck nach fortwährend vervollständigt bis ins XVII. Jahrhundert, ist nicht als Cathedrale von Venedig (S. Pietro hatte diesen Rang) sondern als Prachtgehäuse für die Ge- beine des Schutzheiligen, das Palladium des Inselstaates, errichtet. Auch für die Bauform möchte diess nicht unwesentlich sein. Die monumentale Absicht war hier nicht minder gross als bei den Erbauern des Domes von Pisa, die Mittel wohl ohne Zweifel grösser, zumal in Betreff der Stoffe, welche seit den römischen Zeiten im gan- zen Abendland kaum wieder so massenhaft kostbar aufgewandt wor- den sind wie an S. Marco. Im Orient, wo man die prächtigen Steinarten zusammensuchte, standen auch diejenigen Kirchen, welche auf die damaligen Venezianer den grössten Eindruck machten: die Kuppelbauten des byzantinischen Styles; diesen wünschte man etwas Ähnliches an die Seite zu stellen. Nicht zunächst von der Sophienkirche, welche nur eine Hauptkuppel mit zwei grossen angelehnten Halbkuppeln hat, sondern von den in allen Formen vorkommenden mehrkuppeligen Kirchen der Griechen entnahm man die Anordnung der fünf einzelnen Kuppeln über den Kreuzarmen und der Mitte; byzantinisch sind auch die grossen Seiten- bogen, welche, durch Säulenreihen abgetrennt, die Nebenschiffe sämmt- licher Haupträume bilden; ebenso die um den ganzen vordern Kreuz- arm herumgeführte Aussenhalle; endlich die zahlreich angewandten Nischen, in welche zumal an den hintern Theilen und an der Aussen- halle die Wandfläche aufgeht, eines derjenigen Elemente des altrömi- schen (und jedes grossen) Gewölbebaues, an welchem die Orientalen San Marco in Venedig. von jeher mit Vorliebe festgehalten hatten. Die halbrunden Abschlüsse der Hauptmauern, welche uns so befremdlich vorkommen, sind ur- sprünglich nichts als die äussere nach orientalischer Art dachlose Ge- stalt der Seitenbogen, auf welchen die Kuppeln ruhen; in decora- tivem Sinn wurden sie dann auch an den untergeordneten Räumen reihenweise wiederholt. (Die jetzige Verzierung derjenigen an S. Marco mit Blattwerk, Giebeln und Zwischenthürmchen stammt erst aus dem XIV. Jahrhundert.) Die Höhe der Kuppeln ist, wie man leicht bemerkt, eine falsche, d. h. der innern Schale nicht entprechende. Nach der Mosaikabbil- dung (am äussersten Frontportal links) zu urtheilen, war sie es von jeher. Vom Detail ist die Bekleidung sämmtlicher untern Wandflächen mit kostbaren Steinarten und die der obern mit Mosaik noch ganz im Sinne des ersten Jahrtausends, das sich immer auf den Stoff verliess, wenn es einen höhern Eindruck hervorbringen wollte. Alles dasjenige Detail dagegen, welches das Leben und die Entwicklung der Bau- masse plastisch darzustellen hat, ist überaus ärmlich; die Gesimse jedes Ranges sind kaum zu bemerken; die Bogen, Kuppelränder u. s. w. im Innern haben nicht einmal ausgesprochene Profile, sondern nur einen unbestimmten Mosaikrand; am Aeussern bestehen die Profile theils in blosser Verzierung, theils in ausdrucklosem und willkürlichem Bandwerk. Dies Alles sind echt byzantinische, oströmische Eigenthüm- lichkeiten; ebenso auch die Bekleidung der äussern Wandflächen mit zerstreuten Reliefs und Mosaikzierrathen, die namentlich in den obern Halbrundwänden der Palastseite den Charakter einer vor Alter kindisch gewordenen Kunst zeigen. — Wie dieselbe in Betreff des Details bei- nahe nur das Längstvorhandene aufbraucht, ist namentlich in Einer Beziehung interessant zu verfolgen. Die Leidenschaft, möglichst viele Säulen an und in dem Gebäude aufzustellen, verlangte auch eine reiche Auswahl von Capitälen. Und so ist an S. Marco angebracht, was die sieben letzten Jahrhunderte an Capitälformen producirt hatten, eine wahre baugeschichtliche Re- petition. Von antiken habe ich kein einziges entdecken können, wäh- rend von den Säulen wahrscheinlich sehr viele antik sind; dafür ist jeder Grad von frühmittelalterlicher Nachahmung und Umbildung der 8* San Marco in Venedig. antiken Capitäle irgendwie repräsentirt. Die grossen Capitäle über den Hauptsäulen im Innern sind von der in Ravenna üblichen Art der korinthischen, zum Theil auch der Composita-Ordnung; der Akanthus ist zwar zu sehr ermattet, um noch jenen schönen elastischen Um- schlag der römischen Zeit hervorbringen zu können, allein seine Blätter sind doch eigenthümlich lebendig gezackt; an einigen statt der Voluten Widderköpfe. — Sonst findet man ausser dieser gewöhnlichsten ravennatischen Form auch die mit einzeln aufgeklebt scheinenden Blät- tern, die zu Ravenna an S. Apollinare in Classe und an der Hercu- lesbasilica vorkommt, sogar mit seitwärts gewehten Blättern. Korin- thisirende mit bloss einer Blattreihe kommen besonders an den kleinern Säulen der Fassade vor; darunter auch solche mit Stieren, Adlern etc. an den Ecken. Im Gegensatz zu diesen vom Alterthum abgeleiteten Bildungen macht sich dann das ganz leblose, nur durch ausgesparte vegetabilische und kalligraphische, z. B. gitterartige Verzierungen äusserlich berei- cherte Muldencapitäl geltend, das in Ravenna schon seit dem VI. Jahr- hundert auftaucht. Von den vielen Variationen, in welchen es hier vorkömmt, ist die rohste die an mehreren Wandsäulen des Innern, die interessanteste, die an den bogentragenden Wandsäulen in der Vor- halle; da letztere ein zaghaftes Nachbild ionischer Voluten unter sich haben, so scheinen sie eher für eine Art von vermittelnden Consolen als für eigentliche Capitäle gelten zu sollen. Neben dieser Form kommt auch das echte abendländische Würfelcapitäl, doch nur ver- einzelt vor. — Endlich offenbaren die Capitäle der acht freistehenden Säulen in der Vorhalle den Charakter absonderlicher Prachtarbeiten irgend einer Bauhütte von Constantinopel; es sind diejenigen mit den noch antik schönen Löwenköpfen und Pfauen. — Die beiden vierecki- gen Pfeiler aussen an der Südseite, welche aus einer Kirche in Pto- lemais stammen, sind eine Trophäe aus der Zeit der Kreuzzüge. — Einzelne Renaissancecapitäle kamen bei Ausbesserungen hinzu. Der Eindruck des Gebäudes ist von der historisch-phantastischen Seite ungemein bedeutend. Der Inselstaat, ein Unicum in der Welt- geschichte, hat hier geoffenbart, was er in den ersten Zeiten seiner höhern Blüthe für schön, erhaben und heilig hielt. Er hat das Ge- bäude auch später immer respectirt und sich selbst auf dem Gipfel San Marco in Venedig. seiner Macht (um 1500) wohl gehütet, es etwa durch eine Renaissance- kirche zu ersetzen. Sanct Marcus war Herr und Mittelpunkt der Stadt, des Staates, der Flotten, die auf allen Meeren fuhren, der fernsten Colonien und Factoreien; geheimnissvolle Bande walteten zwischen dem ganzen venetianischen Dasein und diesem Bau. In den fünf letzten Jahrhun- derten ist Niemand mehr darin begraben worden; es hätte geschienen, als dränge sich ein Einzelner in dem Raume vor, der allen gehörte. Die einzige Ausnahme, zu Gunsten des Cardinals Giov. Batt. Zeno, wurde gemacht als die Kunstbegeisterung einen Augenblick stärker war als jede andere Rücksicht (1505—1515). Rein als Bauwerk betrachtet, ist S. Marco von Aussen ziemlich nichtig und ungeschickt. Die Kuppeln heben sich in der Wirkung ge- genseitig auf; die Fassade ist die unruhigste und zerstreuteste die es giebt, ohne wahrhaft herrschende Linien und ausgesprochene Kräfte. Anders verhält es sich mit dem Innern. Man wird dasselbe vor allem grösser finden, als der Eindruck des Äussern erwarten liess, trotz der Bekleidung mit Mosaiken auf Goldgrund, die sonst ein Gebäude eher verkleinert und trotz der Aussenhalle, welche für den Effect des In- nern natürlich in Abrechnung kömmt. Diese scheinbare Grösse be- ruht auf den einfachen, gar nicht (wie am Äussern) in kleine Motive zersplitterten Hauptformen; die Mittelräume sind wirklich gross und gleichsam aus Einem Stück, die Nebenschiffe versprechen eine bedeu- tendere Ausdehnung, als sie in der That besitzen. Auch die Kuppeln gewähren hier eine Bereicherung der Perspective und eine scheinbare Erweiterung des Raumes. Sodann macht die ernste, gediegene Pracht sämmtlicher Baustoffe, hier im Dienste grösserer Einfachheit, immer eine grosse Wirkung. Ihr jetziges Hauptlicht hat die Kirche erst im XIV. Jahrhundert, durch das grosse Rundfenster des südlichen Quer- schiffes erhalten; vorher war sie nach byzantinischer Art ziemlich dun- kel; die wichtigsten Gottesdienste gingen wohl bei starker Lampenbe- leuchtung vor sich. — Noch grösser als die bauliche Wirkung ist aber die malerische im engern Sinn, welche S. Marco zum Lieblingsbau der Architekturmaler gemacht hat. Sie beruht auf den geheimnissvollen Durchblicken mit scharfabwechselnder Beleuchtung Die dunkeln, satten Farben des meisten Steinwerkes wären reflexlos ohne die eigenthümliche Spiegelglätte der Flächen desselben. , auf der gedämpf- Romanische Architektur. Alte venez. Bauten. ten Goldfarbe der sphärischen und cylindrischen Flächen, und auf der ernsten Farbigkeit aller plastischen Gegenstände; abgesehen von dem hier sehr stark mitwirkenden historisch-phantastischen Eindruck. Diesem Gebäude kann schon desshalb in und um Venedig nichts mehr gleichkommen, weil nur Ein politisch-religiöses Palladium, nur Ein Leichnam des Evangelisten vorhanden war. Von den Kirchen der umliegenden Inseln wurden diejenigen auf a Torcello schon bei einem frühern Anlass (S. 91, a; 94 a) erwähnt. b Der Dom (S. Donato) in Murano aus dem XII. Jahrhundert, eine ge- wölbte Säulenkirche mit Querschiff auf Pfeilern, ist in der innern De- coration mit aller Anstrengung der Pracht von S. Marco genähert; Säulen von griechischem Marmor, ein ähnliches Bodenmosaik u. s. w. Aussen dagegen zeigt die Chorseite, auf welche Art sich dieser Styl ohne Marmorbekleidung in Backstein zu helfen suchte. c Von weltlichen Gebäuden dieses Styles ist der sog. Fondaco de’ Turchi , ein alter Privatpalast, das bedeutendste; eine lange Log- gia mit überhöhten Rundbogen über einer starken Säulenhalle im untern Stockwerk giebt ihm ein bedeutendes Ansehen. (Mit den Türken hat das Gebäude erst seit 1621 zu schaffen.) Ausserdem: Palast Farsetti , jetziges Municipio (nahe bei der Post) mit einer durchgehenden Stellung von Doppelsäulchen im ersten Stock und einer viersäuligen Halle im Erdgeschoss, deren Basen um- gekehrte Capitäle sind. (Innen ein schönes Treppenhaus des Barock- e styls.) — Noch bedeutender der anstossende Palast Loredan , mit bunten Incrustationen. (Soll in einen Gasthof verwandelt werden). f — Ein kleiner Palast zwischen Palast Micheli und Palast Civran hat sogar von jenen kleinen Zierfensterchen, wie sie an S. Marco vor- kommen. Diese sämmtlichen Gebäude mögen uns etwa das Venedig des vier- ten Kreuzzuges (1202) vergegenwärtigen helfen. Zwischen Venedig und Toscana, in der Lombardie und stellen- weise die ganze Via Aemilia abwärts bis ans adriatische Meer Lombardischer Kirchenbau. entwickelt sich, nicht ohne nordische Einwirkung, derjenige Styl des Kirchenbaues, welcher von Manchen als der lombardische schlechtweg bezeichnet wird. Mit grossem Unrecht würde man aber diese Benen- nung (wie schon geschehen) auf den romanischen Styl überhaupt aus- dehnen; der Norden hat hier gewiss eher gegeben als empfangen, und seine Bauten sind viel strenger in einem bestimmten Sinne durchge- führt als die lombardischen; sie geben gerade das Wesentliche: den Gewölbebau mit gegliederten Pfeilern , ungleich consequen- ter und edler. — In Einer Beziehung aber bleiben die italienischen originell: im Fassadenbau . Die romanische Architektur des Nor- dens hatte von frühe an die Thürme , zu zweien, zu vieren, als wesentliche Bauglieder an den Ecken der Kirche angebracht; seit dem Vorgang normannischer Baumeister nach der Mitte des XI. Jahrhun- derts wurden die Thürme sogar zum Hauptmotiv aller bedeutendern Kirchenfassaden. In Italien dagegen blieb der Thurm als Nebensache auf der Seite stehen, und die Fassade war auf irgend eine andere Weise zu decoriren. Wir sahen, wie die Toscaner durch Anwendung des Marmors, durch mehrere Stockwerke von Säulenstellungen zu wir- ken wussten; ihre Fassade ist immer der wenigstens annähernde Aus- druck der Kirche, d. h. eines hohen Mittelschiffes und niedrigerer Neben- schiffe. In Oberitalien dagegen wird die Frontwand nur allzu oft als ein Gegenstand beliebiger Bildung und Decoration vor die Kirche hin- gestellt; ohne Absatz steigt sie empor, als wären alle drei Schiffe gleich hoch; Galerien laufen querüber und am Dachrand auf und nie- der; als Strebepfeiler dienen vorgesetzte Säulen, deren Capitäle in der Regel nichts tragen; Bogenwerk, Wandsäulchen, Sculpturen oft ohne allen Sinn füllen den Raum wohl oder übel aus. (Der Portalbau ist oft von grosser Pracht, seine Gliederung theils nordisch mit schräg einwärts tretenden Säulenreihen, theils südlich mit vorgesetzter Halle von zwei Säulen, in der Regel auf Löwen, theils aus beiden Motiven zusammengesetzt.) Auch an den übrigen Aussenseiten macht sich eine willkürlichere Verzierung geltend als an den bessern Kirchen des Nordens. — Über der Kreuzung der beiden Arme wird wo möglich eine achteckige Kuppel angebracht, mit Galerien ringsum, flach gedeckt. Mehr als im Norden und in Toscana ist hier eine unbarmherzige Modernisirung über das Innere der Kirchen ergangen. Während die Romanische Architektur. Oberitalien. Fassade das reinste Mittelalter verspricht, wird man beim Eintritt in die Kirche beinahe regelmässig durch einen Umbau im Barockstyl enttäuscht. Die historische Pietät, welche seit dem XVI. Jahrhundert manche toscanische Kirche als Werk einheimischer Künstler rettete, fiel weg bei Gebäuden, die man als Werke eines aufgedrungenen bar- barischen Styles betrachtete Es ist unglaublich, welche Vorurtheile oft selbst den gebildetsten Italienern in Betreff der „maniera gotica“ und der vermeintlichen „Zerstörungen durch die Barbaren“ ankleben. Sie halten Dinge für barbarisch, die der schönste Ausdruck und Überrest ihres eigenen städtischen Geistes im Mittelalter sind und beklagen einen Ruin, bei dem vielleicht kaum im hundertsten Fall ein Germane das Brecheisen geführt hat, durchaus auf Rechnung des Nordens. Wo man wieder für das Gothische Partei nimmt, wie z. B. in Mailand, ge- schieht es in einer solchen Weise, dass es besser unterbliebe. . a Die allzu berühmte Kirche S. Michele in Pavia muss zuerst genannt werden, weil ihr vermeintliches Alter — man verlegte sie in die Zeit des langobardischen Königreiches — zu dem irrigen Zuge- ständniss einer Priorität Oberitaliens in dem betreffenden Styl Anlass gab. Der ganze jetzige Bau, auch innen leidlich erhalten, stammt aus der letzten Zeit des XI. Jahrhunderts. Die Fassade ist ganz beson- b ders gedankenlos. — Später und etwas belebter: die der Augusti- nerkirche . c S. Ambrogio in Mailand , vom gewölbten Vorhof aus (S. 77, f.) ein bedeutender Anblick, mit einer untern und obern Vorhalle, ent- spricht im Innern durch keine Art von Schönheit dem classischen ge- schichtlichen Ruhm. Ungeschickte und frühe Umbauten (die jetzige Gestalt aus dem XII. Jahrhundert); geringes Licht; Anzahl wichtiger Alterthümer. d S. Fedele in Como , beträchtlich verbaut, aber wegen der ab- gerundeten Kreuzarme mit Bogenstellungen als mittelalterliche Nach- bildung von S. Lorenzo in Mailand merkwürdig. e Der Dom von Modena in seiner jetzigen Gestalt begonnen 1099; aussen mit einer ringsum laufenden Galerie, von welcher je drei Bo- gen durch einen grössern Bogen auf Wandsäulen eingefasst werden; im Innern abwechselnd Säulen mit antikisirenden Capitälen, und starke Pfeiler mit Halbsäulen; die obere Galerie (von jeher) bloss scheinbar, Oberitalische Kirchen. indem ihr Raum noch zu den Seitenschiffen gehört; hohe Crypta auf Säulen mit romanischen Capitälen; ihr Eingang ein Lettner von ge- raden Steinplatten auf Säulchen, deren vordere Reihe auf Stützfiguren (Zwerge auf Löwen) ruht. Hinten drei Tribunen. Der Oberbau neuer. Das Detail durchgängig befangen, doch nicht roh. Der Dom von Cremona , XII. Jahrhundert. a Der Dom von Piacenza , begonnen 1122, erhielt im XIII. Jahr- b hundert eine Erhöhung, welche sich schon von aussen durch den Back- stein im Gegensatz zum Marmor des Unterbaues kundgiebt. Innen macht jetzt das Hauptschiff den Eindruck einer französischen Kirche des Übergangsstyles; man hatte für nöthig gefunden, die alten (Säulen oder) Pfeiler zu schweren Rundsäulen zu verstärken; je zweien ihrer Intervalle entspricht nun eine Abtheilung des hohen Kreuzgewölbes. Die Lösung der Kuppelfrage ist hier viel weniger gelungen als in Pisa; die Kuppel entspricht — sehr unharmonisch — zweien Schiffen des dreischiffigen Querbaues, welcher übrigens mit dem pisanischen die halbrunden Abschlüsse gemein hat. Unter dem Chor eine weitläufige fünfschiffige Crypta mit dreischiffigem Querbau; die Kreuzung ist durch eine Lücke markirt, die vier Säulen entsprechen würde. Der Dom von Parma , ein Bau des XII. Jahrhunderts, mit ge- c gliederten Pfeilern, einschiffigem Querbau (der in Nischen schliesst), und hoher weiter Crypta, erhielt, wie es scheint, im XIII. Jahrhun- dert einen höhern Oberbau wie der Dom von Piacenza, doch ohne dabei seine innere Galerie einzubüssen wie dieser. Das Detail der alten Bestandtheile erscheint durchgängig, zumal in der Crypta, noch sehr unentwickelt. Der Anblick von der hintern Seite vorzüglich be- deutend. Am Dom von Ferrara gehören dem Urbau von 1135 nur noch d der untere Theil der Fassade und die beiden Seitenfassaden an. Die letztern sind vorherrschend (die nördliche fast ganz) von Backstein; eine obere Galerie, mit birnförmigen Giebelchen über den je vier und vier zusammengehörenden Bogen entspricht zwar nicht der weiter un- ten angebrachten, wo je drei Bogen von einem grössern Bogen einge- fasst sind, ist aber doch wohl ebenfalls aus dem XII. Jahrhundert. — Chor und Thurm Renaissance; das Innere vollständig (und zwar nicht schlecht) modernisirt. Der Oberbau der Hauptfassade ist eine wun- Romanische Architektur. Kirchen von Verona. derliche Decoration, noch romanisch gedacht, aber in bereits gothischen Formen, aus dem XIII. Jahrhundert. Vielleicht der edelste romanische Bau Oberitaliens ist die schöne a Kirche S. Zeno in Verona , die in ihrer jetzigen Gestalt 1139 be- gonnen wurde. In der Fassade spricht sich früher als sonst irgendwo die Neigung zum Schlanken und Strebenden aus, nicht bloss durch die verticalen Wandstreifen, sondern noch deutlicher durch die Unter- ordnung der horizontalen Galerie, welche von jenen durchschnitten wird statt sie zu durchschneiden. — Das Innere ist eine unverkenn- bare Vorstufe desjenigen von S. Miniato; eine Basilica abwechselnd auf Säulen und Pfeilern; über letztern sollten sich oben grosse Bogen als Mitträger eines Sparrendaches wölben; allein sie wurden nur über zwei Pfeilern ausgeführt, indem beim weitern Verlauf des Baues eine Erhöhung der Obermauer und ein Holzgewölbe sie unnütz machten. Die Crypta ist hoch und ausgedehnt, wie in den meisten oberitalischen Hauptkirchen dieser Zeit. Die Capitäle der Säulen scheinen fast alle im Mittelalter nach antiken Vorbildern gemeisselt, die hintersten moder- nisirt. (Antik: vielleicht das vorletzte rechts.) Die Bildung des De- tails ist durchweg ziemlich streng und gut. — (Das Innere von S. Mi- niato ist unläugbar schöner: je zwei Säulen zwischen den Pfeilern, statt bloss einer oder zweien, so dass die Pfeiler mit ihren Bogen grosse Quadrate abschliessen; eine geringere Länge und eine nicht bloss relativ, sondern auch (wenn wir nicht irren) absolut grössere Breite des Mittelschiffes; endlich eine vollständige Durchführung derjenigen Bedachung, welche in S. Zeno beabsichtigt und wieder aufgegeben wurde.) — Der anstossende Klosterhof mit einem eigenthümlichen Aus- bau ist gleichzeitig mit der Kirche. Die übrigen alten Basiliken Verona’s , welche wir bei diesem Anlass nachholen, zeigen einige interessante Eigenthümlichkeiten. So b hat S. Lorenzo ein oberes Stockwerk von Galerien und aussen an der Fassade zwei antik scheinende Rundthürme. Das Innere, abwech- selnd Pfeiler und Säulen, letztere zum Theil mit antiken Capitälen, gehört doch wohl erst unserm Jahrtausend an; das Tonnengewölbe c vielleicht ursprünglich. — S. Zeno in Oratorio , zwar klein und gedrückt, doch nicht sehr alt, mit einem Kuppelchen vor der Tribuna. d — In S. Maria antica haben nur noch die Säulen ihre ursprüng- Verona. Mittelitalien. liche Gestalt. — S. Giovanni in Fonte , das Baptisterium, ist eine a einfache Basilica, etwa XII. Jahrhundert. — S. Stefano , Pfeiler- b basilica von schwer zu ermittelndem Alter, mit Polygonkuppel aus romanischer Zeit; der auf hoher Crypta stehende Chor mit einem wun- derlichen Umgang. (Das Grab der jüngern Placidia ist der Altar un- mittelbar rechts vom Hochaltar.) Am Dom ist die Fassade (XII. Jahrhundert) zwar besser und c sinnvoller als die der Cathedralen von Piacenza bis Modena, doch der- jenigen von S. Zeno noch nicht zu vergleichen. Sehr interessant ist die gleichzeitige Aussenverzierung der Tribuna; engstehende Wand- streifen mit einem geraden Gesimse, welches mit zierlicher Schüch- ternheit die Antike nachahmt. (Die Ausbauten an den Seitenschiffen ähnlich, aber erst aus dem XV. Jahrhundert.) Im Süden ist der Dom S. Ciriaco zu Ancona Angeblich von Margheritone von Arezzo entworfen, doch wohl älter. (XII. und d XIII. Jahrhundert) ein eigenthümliches Gemisch lombardischer und orientalischer Bauweise: ein griechisches Kreuz, nach jeder Richtung dreischiffig; die Mittelschiffe und ihre Fronten erhöht; gewölbter Säu- lenbau; in der Mitte eine Kuppel; an der Fronte gegen die Stadt ein reiches Portal. — Die Kirche S. Maria della Piazza ebenda zeigt e in ihrer einzig erhaltenen Fassade (XII. Jahrhundert) die Bogenstel- lungen, die an den lombardischen Kirchen noch immer einen Anschein von Sinn haben, zur bunten Spielerei entwürdigt. — Ähnlich, jen- seits vom Apennin, die Fassade des Domes von Assisi (XII. Jahr- f hundert, mit einer viel ältern Crypta); am Portal das Decorative auf- fallend gut gearbeitet. — In S. Flaviano vor Montefiascone ist g der romanische Styl überhaupt nur noch wie von Hörensagen gehand- habt. (Als Doppelkirche sehenswerth.) — Die Seitenfassade des Domes h von Foligno und die Hauptfassade des Domes von Spoleto haben i schon eher etwas einfach Imposantes. — Aber auch einzelne ziemlich streng romanische Bauten kommen noch weit abwärts, bis nach Apu- lien vor; freilich ist nichts von dem Belang irgend einer rheinischen Cathedrale darunter. Gothische Architektur. Da der Maasstab, nach welchem wir verfahren, nicht der der historischen Merkwürdigkeit, sondern der des bestimmten Stylbildes ist, so müssen hier eine Menge Gebäude nn entschiedener, disharmoni- scher Bildung ungenannt bleiben. Italien ist ganz besonders reich an wunderlich zusammengeflickten, theilweise aus alten Resten, theilweise aus Zubauten aller Jahrhunderte bestehenden Kirchen; die Unterschei- dung dieser verschiedenen Bestandtheile könnte ganze Abhandlungen erfordern, ohne dass das künstlerische Verlangen dabei die geringste Nahrung fände. Wir beschränken uns auf eine allgemeine Bemer- kung, welche bei der Altersbestimmung vieler Gebäude zum Leitfaden dienen kann: noch während der ganzen Herrschaft des germanischen oder gothischen Baustyls in Italien (XIII. und XIV. Jahrhundert) wurde unaufhörlich, zumal bei kleinern und entlegenern Bauten, an dem Rund- bogenstyl aus Gewohnheit festgehalten. Da man ferner selbst an Haupt- bauten dem gothischen Styl sein echtes Detail nur mit Widerstreben und Missverstand abnahm, so bildete sich überhaupt keine so kennt- liche, bis in das geringste Gesims, Blatt oder Thürmchen charakteri- stische Formation aus, wie in der nordischen Gothik. Rechnet man hinzu, dass die Italiener, selbst wo sie das Meiste beibehielten, doch den Spitzbogen bald wieder aufgaben, so wird es nicht mehr befrem- den, wenn ihre Kirchen des XIV. Jahrhunderts bisweilen von viel frühern nur unwesentlich oder fast gar nicht abweichen. Das Eindringen der germanischen oder gothischen Baufor- men aus dem Norden war für die italienische Kunst ein Schicksal, ein Unglück, wenn man will, doch letzteres nur für die Ungeschickten, die sich auch sonst nicht würden zu helfen gewusst haben. Wenn man z. B. am Baptisterium von Florenz das XIII. Jahrhundert auf dem besten Wege zu einer harmonischen Schönheit in antikisirenden For- men findet, so wird man sich auch bald überzeugen, dass unter der kurz darauf eingedrungenen gothischen Zierform das Grundgefühl un- verletzt blieb und sich gerade unter dieser Hülle auf das Herrlichste ausbildete. Kirchen von Neapel. Die ersten gothischen Baumeister in Italien waren Deutsche. Es ist auffallend und beinahe unerklärlich, dass sie das aus dem Norden Mitgebrachte so rasch und völlig nach den südlichen Grundsätzen um- bilden konnten. Sie gaben gerade das Wesentliche, das Lebensprineip der nordischen Gothik Preis, nämlich die Ausbildung der Kirche zu einem Gerüst von lauter aufwärtsstrebenden, nach Entwicklung und Auflösung drängenden Kräften; dafür tauschten sie das Gefühl des Südens für Räume und Massen ein, welches die von ihnen gebildeten Italiener allerdings noch in weiterm Sinn an den Tag legten. Ein einziges Gebäude macht, so viel mir bekannt ist, eine unbe- dingte Ausnahme: der Chorumgang von San Lorenzo in Neapel , a unter Carl von Anjou ohne Zweifel unter dem Einfluss eines mitge- brachten französischen Baumeisters Wenn auch Vasari einen Florentiner Maglione, Schüler des Nic. Pisano, als Baumeister nennt. errichtet. Wer sich für einen Augenblick in den Norden versetzen will, wird in dieser hohen, schlan- ken Halle mit ihrem Capellenkranz sein Genüge finden; die Formen sind allerdings nicht von deutschgothischer Reinheit und der Chor selbst modernisirt. (Leider ebenso der hübsche Capitelsaal.) S. Do- b menico maggiore hat vom nordischen Styl wenigstens die enge Pfeilerstellung und die steilen Spitzbogen; S. Pietro a Majella c ebenso, doch für Italien minder auffallend; am Oberbau des Domes d (aussen am Querschiff etc.) macht sich das Festungsartige der fran- zösich-englischen Cathedralen geltend. An S. Giovanni maggiore e ein stattliches Portal von noch beinahe französisch-gothischer Bildung. (An S. Chiara das Gothische theils nie ganz ausgebaut, theils bis ins Unkenntliche entstellt.) Diesen vereinzelten französischen Einfluss abgerechnet hat überall das südliche Grundgefühl den Sieg behalten. Die gothischen Formen, losge- trennt von ihrer Wurzel, werden nur als ein decoratives Gewand über- geworfen; Spitzthürmchen, Giebel, Fensterstabwerk u. dgl. sind und bleiben in Italien nie etwas Anderes als Zierrath und Redensart, da ihnen die Basis fehlt, deren Resultat und Ausdruck sie sind, nämlich das nordische Verhältniss des Raumes zur Höhe und die strenge Ent- wicklung der Form nach oben. Der nothwendige Ausdruck des Weit- Gothische Architektur. räumigen dagegen, welches die Italiener bezweckten, ist die Horizon- tale; während sie im Norden nur als überwunden angedeutet wird, tritt sie hier als herrschend auf. Natürlich ergeben sich hiebei oft schreiende Widersprüche mit dem auf das Steile und Hohe berechne- ten Detail, und diejenige Kirche, die von dem letztern am wenigsten an sich hat, wird auch am wenigsten Störendes haben. — Genau be- sehen möchte die grosse Neuerung, die aus dem Norden kam, wesent- lich ganz anderswo liegen als in der Behandlung der Formen. Nach- dem schon lange in der Lombardie der gegliederte Pfeilerbau in der Art der romanischen Baukunst des Nordens ausgeübt worden war, drang er jetzt (XIII. Jahrhundert) erst recht über den Apennin. Die Säulenbasilica wich endlich auch in Mittelitalien, nicht vor dem ästhe- tischen, sondern vor dem mechanisch-constructiven Ruhm der nordi- schen, jezt ins Gothische oder Germanische umgebildeten Bauweise. Die Wölbung im Grossen, bisher den Kuppeln und Nischen vorbe- halten, dehnt sich jetzt erst über das ganze Gebäude aus und zwar sogleich in einem andern Sinn als im Norden, zu Gunsten der Weit- räumigkeit, die dann bald zur Schönräumigkeit wird. Ist es ohne Lästerung erlaubt, etwas zu Ungunsten des herrlichen germanischen Styles zu sagen und den Italienern in irgend einem Punkte dieser Frage ein grösseres Recht zuzugestehen? — so möchte ich zu bedenken geben, ob an den nordischen Bauten nicht des organischen Gerüstwesens zu viel sei, und ob nicht wegen der ungeheuern Kosten, die dasselbe nach sich zieht, manche Cathedrale unvollendet geblieben. Man wird z. B. an vielen italienischen Bauten dieses Styles vielleicht mit Befremden die Strebepfeiler, die im Norden so weit vortreten, kaum als Wandbänder angedeutet finden, die denn natürlich keines Abschlusses durch Spitzthürmchen bedürfen; der Grund ist einleuch- tend: ihre nordische Ausbildung hatte das constructive Bedürfniss eines Widerlagers für die Gewölbe unendlich überschritten und wurde daher im Süden als Luxus beseitigt. Die nordische Gothik hatte ferner den Thurm zum Führer, zum Hauptausdruck des Baues gemacht und die ganze Kirche mehr oder weniger nach seinem Vorbilde stylisirt; — die Italiener fanden dieses Verhältniss weder nothwendig noch natürlich und stellten ihre Thürme fortwährend getrennt oder in anspruchloser Verbindung mit der Kirche auf; den ursprünglichen Zweck der Thürme, Allgemeine Züge. als Glockenbehälter (Campanili) liessen sie weder der Sache noch dem Wort nach in Vergessenheit kommen. Nun stand ihnen für die Fas- sade jede Form frei; die Folge war eine bereicherte Umbildung der Fassaden ihrer romanischen Kirchen, meist als isolirtes Prachtstück behandelt, das mit dem übrigen Bau nur äusserlich zusammenhängt und ihn schon an Grösse zu überragen pflegt. Wenn man von der Pracht des Materials, der Marmorsculpturen und Mosaiken an den wenigen wirklich ausgeführten Fassaden dieser Art ( Siena, Orvieto ) nicht mehr geblendet ist, so wird man gerne zugestehen, dass in ihnen nicht das grösste Verdienst des Baues liegt, gerade weil sie am meisten mit gothischen Elementen, die hier decorativ gemissbraucht werden, erfüllt sind. Am ganzen übrigen Bau aber wird man das Gothische selbst als Zierform nur wenig ange- wandt, ja vielleicht auf Fenster und Thüren beschränkt finden; selbst die Hauptbogen, welche das Oberschiff tragen, sind seit dem XIV. Jahrhundert und bisweilen schon früher wieder rund . — Und das Oberschiff selbst, wozu die in Deutschland gebräuchliche Höhe, die das Doppelte der Seitenschiffe beträgt? Zu den engen Pfeilerstellun- gen des Nordens gehörte sie als nothwendige Ergänzung; über den weitgespannten Intervallen der italienischen Kirchen wäre sie schon mechanisch bedenklich und für das Gefühl überflüssig gewesen, und so erhielt das Mittelschiff nur diejenige Überhöhung, welche der Kirche ein mässiges Oberlicht sicherte. (Am Dom von Perugia sogar die drei Schiffe gleich hoch, wie an der Elisabethkirche zu Marburg, S. Stephan in Mainz etc.) Die Fenster, welche in den Cathedralen des Nordens die ganze verfügbare Wandfläche in Anspruch nehmen und recht eigentlich als Negation derselben geschaffen sind, durften in Italien wieder auf eine mässige Grösse herabgesetzt werden, da man hier gar nicht den Anspruch machte, alles Steinwerk nur so weit zu dulden, als es sich in strebende Kräfte auflösen liess; die Wand- fläche behielt ihr Recht wie der Raum überhaupt. — Endlich zeigt die Pfeilerbildung, dass wenigstens die mittelitalienischen Baumeister im Stande waren, das Detail nach dem Ganzen ihres Baues nicht bloss zu modificiren, sondern neu zu schaffen. Die herübergekomme- nen Deutschen, wie der Meister Jakob, welcher S. Francesco zu Assisi und den Dom von Arezzo schuf, halten noch einigermassen an dem Gothische Architektur. Dom von Mailand. Säulenbündel der nordischen Gothik fest; die gebornen Italiener aber organisiren ihre Stützen bald für jeden besondern Fall eigenthümlich. Unglücklicher Weise macht gerade das berühmteste, grösste und a kostbarste gothische Gebäude Italiens, der Dom von Mailand , in den meisten der genannten Beziehungen eine Ausnahme zum Schlech- tern. Entworfen und begonnen in spätgothischer Zeit (1386) durch Heinrich Arler von Gmünd, aus einer Künstlerfamilie, welche da- mals einen europäischen Ruf genoss, beruht diese Kirche von allem Anfang an auf dem verhängnissvollsten Compromiss zwischen der ita- lienischen Compositionsweise und einem spät aufflammenden Eifer Vielleicht des gereisten Gian Galeazzo Visconti in Person? — für die Prachtwirkung des nordischen Details. (Wozu noch kömmt, dass die leblose Ausführung des Gothischen zum Theil erst den letzten Jahrhunderten, ja dem unsrigen angehört, nachdem eine Zeit lang im Styl der spätern Renaissance an dem Gebäude war fortgebaut worden.) Italienisch und zwar speciell lombardisch ist die Fassade gedacht, und alle Spitzthürmchen können ihr den schweren und breiten Charakter nicht nehmen; italienisch ist auch die geringe Überhöhung der mitt- lern Schiffe über die äussern. Im Übrigen herrscht das unglücklichste Zuviel und Zuwenig der nordischen Zuthaten; der Grundplan mit der verhältnissmässig engen Pfeilerstellung ist wesentlich nordisch; aussen weit vortretende Strebepfeiler, mit hässlichem Reichthum or- ganisirt; die giebellosen Fenster nordisch gross, so dass das Oberlicht aus den kleinen Fenstern der mittlern Schiffe nicht dagegen aufkom- men kann und das Gebäude damit den Charakter einer Kirche gegen den einer Halle vertauscht; die Pfeilerbildung im Innern eine Remi- niscenz nordischer Säulenbündel, aber von sinnloser Hässlichkeit; ihre Basen wahrhaft barbarisch; statt der Capitäle ganze Gruppen von Sta- tuen unter Baldachinen, dergleichen eher überall als dort hingehört. Am ganzen Bau ist dann das nordische Detail, auf dessen decorative Wirkung es abgesehen war, dergestalt mit vollen Händen vertheilt, dass man z. B. über die leere Gedankenlosigkeit des Chorabschlusses, über die willkürliche Bildung der (geringen) Kuppel und der Quer- Dome von Mailand und Genua. fronten mit angenehmer Täuschung hinweggeführt wird. Man denke sich aber diesen Reichthum der Bekleidung hinweg und sehe zu was übrig bleibt. Der Dom von Mailand ist eine lehrreiche Probe, wenn man einen künstlerischen und einen phantastischen Eindruck will von einander scheiden lernen. Der letztere, welchen man sich ungeschmälert er- halten möge, ist hier ungeheuer; ein durchsichtiges Marmorgebirge, hergeführt aus den Steinbrüchen von Ornavasco, prachtvoll bei Tag und fabelhaft bei Mondschein; aussen und innen voller Sculpturen und Glasgemälde und verknüpft mit geschichtlichen Erinnerungen aller Art — ein Ganzes, dergleichen die Welt kein Zweites aufweist. Wer aber in den Formen einen ewigen Gehalt sucht und weiss, welche Ent- würfe unvollendet blieben, während der Dom von Mailand mit riesi- gen Mitteln vollendet wurde, der wird dieses Gebäude ohne Schmerz nicht ansehen können. Bei diesem Anlass muss auch noch der Fassade des Domes von a Genua gedacht werden. Sie ist ein fast ganz getreues Nachbild älterer französischer Cathedralfronten des XIII. Jahrhunderts, nur mit denjeni- gen Modificationen, welche der Stoff — schichtenweis wechselnder weisser und schwarzer Marmor — nothwendig machte. In den obern Theilen, zumal dem einen ausgeführten Thurm, wird das französische Muster wieder vernachlässigt. Innen folgt auf den gewaltigen Unter- bau der Thürme mit sonderbarem Contrast eine schlanke spitzbogige Basilica, sogar mit doppelter Säulenstellung, (jetzt) mit Tonnengewöl- ben bedeckt. (Anfang des XIV. Jahrhunderts.) Nach Beseitigung der bisher genannten, unter Ausnahmsbedin- gungen entstandenen Kirchen gehen wir zu den wahrhaft italienisch- gothischen über, in welchen der nordische Styl weder unmittelbar, noch in erzwungenem Mischgrad zur Geltung kömmt. Vielmehr durch- dringen sich hier Nordisches und Südliches auf vielartige, immer auf geistreiche Weise. Als es noch kaum in Deutschland selber gothische Kirchen gab, B. Cicerone. 9 Gothische Architektur. Kirchen von Assisi. erbaute Meister Jacob der Deutsche (1218—1230?) die Doppelkirche a S. Francesco zu Assisi . Sie ist eine der wenigen Kirchen Ita- liens, welche das System der nordischen Bildung des Pfeilers (als Säulenbündel) in einiger Reinheit aufweisen. Allein schon die Ge- wölberippen sind ohne die nordische Schärfe, vielmehr als breit profi- lirte Träger gemalter Ornamente gestaltet, und in der Gesammtdispo- sition hat das italienische Raumgefühl mit seinen möglichst grossen Quadraten das Feld behalten. (Die genannten Ornamente der Gewöl- bebänder und Rippen sind, beiläufig gesagt, das bestimmende Vorbild für die ganze Gewölbedecoration der mittelitalischen Gothik Eine freiere Ausfüllung und Einfassung der Glieder mit Laubwerk auf weis- * sem Grunde wurde z. B. in S. Anastasia zu Verona versucht, doch nicht mit besondern Glück. gewor- den, wie sie es mit ihrer lebensvollen Eleganz verdienten; im dritten Gewölbe der Oberkirche, vom Portal aus gezählt, ist sogar noch die ganze dazu gehörende Deckenmalerei von Cimabue erhalten.) Die Mauern der Oberkirche sowohl als der Unterkirche sind mit ihren nur mässigen Fenstern hauptsächlich den Fresken gewidmet. Die Stre- bepfeiler aussen an der Mauer nicht eckig, sondern halbrund, Wen- deltreppen enthaltend. An der schönen Hauptpforte (unten links) ein merkwürdiges Schwanken zwischen antiker und gothischer Einzelbil- dung. Das Innere der Oberkirche als Ganzes höchst würdig und im- posant. (Die Crypta unter der Unterkirche durchaus modern.) — b S. Chiara in Assisi giebt ähnliche Motive einfacher wieder; die grossen Strebebogen nur des Abhanges wegen errichtet. Diese Gebäude warfen ein weites Licht über die Gegend und tru- gen zum Sieg des gothischen Styles in Mittelitalien nicht wenig bei. Mit S. Francesco nahm der ganze grosse Orden, der von dem dort begrabenen Heiligen den Namen führt, Partei für die Neuerung, und daneben durfte auch der Dominicanerorden nicht zurückbleiben. Die wichtigsten Kirchen der beiden mächtigen Genossenschaften werden noch besonders zu nennen sein; hier ist nur auf den allgemeinen Ty- pus aufmerksam zu machen, der sich für ihre Gotteshäuser feststellte. Die nordischen Bettelordenskirchen des XIII. und XIV. Jahrhunderts sind bekanntlich dreischiffige flachgedeckte Säulenkirchen mit möglichst Bettelordenskirchen. Dom von Arezzo. schlankem, gewölbtem, hochfenstrigem, polygon abschliessendem Chor, dessen Dach ein dünnes Spitzthürmchen trägt. Die umbrischen und toscanischen dagegen Die oberitalischen s. unten. haben in der Regel nur ein breites, bisweilen ganz ungeheures Schiff mit sichtbarem Dachstuhl (S. Francesco und a S. Domenico in Siena, S. Francesco in Pisa etc. Auch wohl S. Francesco in Viterho vor dem Umbau des Hauptschiffes. und einen Querbau, b an welchen sich hinten fünf, sieben, ja bis eilf quadratische Capellen anschliessen, deren mittelste, etwas grössere, den Chor ausmacht. Bei geringern Kirchen fehlt der Querbau und es schliessen sich bloss drei Räume, ein grösserer und zwei kleinere, an das Schiff an; bei ganz grossen dagegen hat der Querbau Capellen an beiden Seiten und wohl auch noch an beiden Fronten. Von aussen sind diese Gebäude ganz schlicht, meist Ziegelbau mit Wandstreifen und Bogenfries; ihre Fassa- den harren fast ohne Ausnahme noch der Incrustation; höchstens ein Portal mit gemalter Lunette ist fertig, und noch dazu aus späterer Zeit. Von den backsteinernen Glockenthürmen ist der von S. Fran- c cesco zu Pisa einer der besten. — Übrigens war diese Kirchenform nur Gewohnheit, nicht Gesetz, und gerade einige der berühmtesten Ordenskirchen richten sich danach nicht. Wir nennen zunächst diejenigen Gebäude, in welchen noch von der nordischen Tradition her der Pfeiler mit Halbsäulen gegliedert auftritt. Von demselben Jacob dem Deutschen, welcher S. Francesco baute, wurde in demselben Jahre 1218 auch der Dom von Arezzo be- d gonnen, welchen dann nach Unterbrechungen der einheimische Künst- ler Margheritone 1275—1289 vollendete. Dieses schöne Gebäude wäre, wenn obige Annahmen zuverlässig sind Die frühen und unentwickelten Formen des Aeussern dienen vollkommen zur Bestätigung. Der Abstand von der nur zwei Jahre früher begonnenen Pieve ist noch immer gross genug. , das frühste unter denjeni- gen, welche die italienische Raumbehandlung in gothischen Formen ausdrücken; das Mittelschiff, nicht bedeutend über die Seitenschiffe emporragend, trägt an seinen Obermauern Rundfenster; die weitge- stellten schlanken Pfeiler sind schon gemischt aus vier halbachtecki- gen Hauptträgern und vier dazwischen gesetzten Halbsäulen. 9* Gothische Architektur. S. Maria novella. Die nächste Verwandtschaft mit dieser Cathedrale offenbart die a berühmte Dominicanerkirche S. Maria novella in Florenz , in ihrer jetzigen Gestalt begonnen 1278 unter Leitung der Mönche Fra Sisto und Fra Ristoro. Hier finden wir einen etwas anders gegliederten Pfeiler, bestehend aus vier Halbsäulen und vier Eckgliedern dazwi- schen, welche als Theile achtkantiger Pfeiler gedacht sind. Wiederum aber ist die durchsichtige, schlanke Weiträumigkeit offenbar das Haupt- ziel gewesen, das denn auch hier ohne alle Schlaudern und Veranke- rungen in hohem Grade erreicht worden ist. (Auch aussen treten die Strebepfeiler nur sehr wenig vor.) Hier zum erstenmal ist die mög- lichste Grösse der einzelnen Theile als leitendes Princip festgehalten; ein Gewölbe-Quadrat des Hauptschiffes entspricht nicht zweien des Nebenschiffes, wie im Norden, sondern einem Oblongum, und diese Anordnung bleibt bei allen italienischen Gewölbekirchen dieses Styles eine stehende. Über so wenigen so weit auseinanderstehenden Pfei- lern bedurfte und vertrug die Obermauer des Mittelschiffes, wie be- merkt, nur noch eine geringe Höhe. (Zu den Räthseln gehört hier die ungleiche Entfernung der Pfeiler von einander; die zwei hintersten, gegen das Querschiff hin, stehen am engsten, 35 Fuss im Lichten, die vordern Intervalle schwanken zwischen 44 und 46 Fuss. Eine Schein- verlängerung der Perspective war kaum der Zweck; die hintersten sind die ältesten.) Der links hinten stehende Thurm unterscheidet sich kaum von romanischen Thürmen; Eckstreifen, Bogenfriese und Bogen- fenster auf Säulchen Bei diesem Anlass mag als artiges Curiosum das sechsseitige Thürmchen der * Abbadia in Florenz erwähnt werden. Es stammt aus dem XIV. Jahrhun- dert, und seine Bogenfriese sind spitzbogig. . — Die sog. Avelli an der Mauer neben der (spätern) Fassade sind als Collectivgrab des florentinischen Adels schön und einfach gedacht. — Die Kreuzgänge und innern Räume des Klo- sters sind, gegen frühere italienische Klosterhöfe gehalten, ebenfalls weitbogig und weiträumig, und als malerischer Anblick von grossem Reiz. (Durchgängig, auch in den innern Räumen achteckige Säulen, theils schlanker, theils schwerer; die Bogen nähern sich meist dem sogenannten Stichbogen.) b Der Dom von Siena , unstreitig eines der schönsten gothischen Dom von Siena. Gebäude Italiens, empfängt den Beschauer gleich mit einer Reihe von Räthselfragen, welche der Verfasser so wenig als die meisten Andern zu lösen im Stande ist. Wurde die sechseckige Kuppel, welche oben zu einem total unregelmässigen, schief gezogenen Zwölfeck wird und ohnehin den Bau auf jede Weise unterbricht, zuerst (XII. Jahrhun- dert) gebaut? Wesshalb die schiefen und krummen Linien im Haupt- schiff und vollends die schiefe Richtung und die unregelmässigen Pfei- lerintervalle im ganzen Chor? hat man vielleicht auf vereinzelte Stücke Felsgrund mehr als billige Rücksicht genommen? Was war von der Un- terkirche San Giovanni vorhanden, als man den obern Chor begann? (Vgl. S. 103 ff.) — Wie dem auch sei, es spricht sich in dem ganzen Gebäude der italienische Bausinn schön und gefällig aus. So besonders an den Aussenwänden der Seitenschiffe; das Massenverhältniss der Fen- ster zu den Mauern (ein Begriff, welchen die consequente nordische Gothik gar nicht anerkennt) ist hier ein sehr wohlthuendes; die Strebe- pfeiler, nur mässig vortretend, laufen oben nicht im Thürmchen, son- dern in Statuen aus; der schwarze Marmor, nur in seltenen Schichten den weissen unterbrechend, übertönt nicht die zarten Gliederungen, und das Kranzgesimse kann energisch wirken (XIV. Jahrhundert). Die Fassade (1284) Dass die Fassade von Siena eine primitivere Anlage zeigt als diejenige von Orvieto, lehrt der Augenschein. Dass sie von Giovanni Pisano entworfen sei, läugnet Rumohr ohne einen Gegenbeweis zu leisten. Er meint: Vasari habe den Giovanni von Siena, welcher 1340 die Hinterfassade geschaffen, mit Giovanni Pisano verwechselt und darauf hin diesem die Hauptfassade zugeschrieben. Ich kann mich nur auf Romagnoli berufen, welcher die sie- nesischen Urkunden auch kannte und sich (Cenni, p. 14) dahin ausspricht: Giovanni Pisano habe 1284 die jetzige Hauptfassade begonnen und sei drei Jahre später zum Bürger der Stadt ernannt worden, beides laut dem Costi- tato III. Senese. , mit ihrem majestätischen Reichthum, hat ganz die überströmende Energie des Giovanni Pisano (der wenigstens das Modell schuf) und konnte desshalb (einige Jahre später) von dem Baumeister des Domes von Orvieto an ruhiger Eleganz der Linien überboten werden. Die gothischen Einzelformen sind übrigens in ver- hältnissmässig reiner Tradition gehandhabt. Im Innern hebt allerdings die Abwechselung des weissen und des Gothische Architektur. Dom von Siena. schwarzen Marmors (die in dem später erbauten Chor weislich ein- geschränkt ist) die architektonische Wirkung theilweise auf; die An- wendung der Papstköpfe als eine Art von Consolen unter dem Ge- simse war vielleicht eine — allerdings übel getroffene — Aushülfe, als man sah, dass neben dem durchgehenden Schwarz und Weiss nur das allerderbste Gesimse ins Auge fallen würde. An sich betrachtet sind aber die Pfeiler mit ihren Halbsäulen (XIII. Jahrhundert?) gut gegliedert und leicht, und der Raum schön eingetheilt, mit Ausnahme der unerklärlichen Kuppel. Aber an diesem Bau machte Siena nur sein Lehrstück. Ganz an- ders gedachte man die gewonnenen Erfahrungen zu benützen, als im Jahr 1321 der neue Anbau begonnen wurde, ein colossaler dreischiffi- ger Langbau, dem das Bisherige nur als Querschiff dienen sollte. Die- ser neue Dom Rumohr (Ital. Forschungen II, S. 123 ff.) ist bei diesem Anlass in einen Irr- thum gerathen, vor welchem ihn gerade die von ihm entdeckten und mitge- theilten Urkunden am ehesten hätten schützen müssen. Derjenige Neubau (novum opus), von welchem schon im XIII. Jahrhundert die Rede ist, war nicht der neue Dom, sondern, wie ich glaube, der Chorbau des alten; wahr- scheinlich war derselbe bisher dem Chorbau von Pisa ähnlich und wurde im XIII. Jahrhundert durch den jetzigen ersetzt (wobei dem Agostino und Agnolo von Siena das Anrecht auf die Hinterfassade S. Giovanni ungeschmälert blei- ben mag). Von diesem Chorbau gilt das Protocoll vom Jahr 1260, a. a. O. S. 128. Dagegen ist in dem Protocoll vom Jahr 1321, a. a. O. S. 129 f. offenbar der neue Dom gemeint: „dessen Fundamente jetzt eben gelegt wer- den“ und der somit unmöglich dasjenige Gebäude sein kann, über dessen ge- rissene Wölbungen im Jahr 1260 Rath gehalten wurde. Weiter ist von den „morae“ dieses neuen Domes die Rede, was R. durch „Pfeiler“ übersetzt, allein es sind die Strebepfeiler der Substructionen gegen den Palazzo del magnifico hin gemeint; sie senkten sich bereits und man fand sie nicht dick genug. Einen Augenblick war Muth und Lust zum Weiterbau völlig verlo- ren. Allein schon in dem Protocoll von 1322, a. a. O. S. 133, trägt eine grosse und frische Begeisterung den Sieg davon; man thut das Gelübde, nicht nur den neuen Dom zu bauen, sondern auch den alten damit in Harmonie zu setzen. In den nächstfolgenden Jahren muss dann dasjenige Gebäude ent- standen sein, dessen unfertige Ruine wir bewundern. Die 1339 beschlossene Verlängerung der navis ecclesiæ gegen die Piazza Manetti hin (a. a. O. S. 135) bezieht sich wahrscheinlich wieder auf den alten Dom; es heisst: de novo fiat et , angefangen vom Maestro Lando, wäre bei weitem Dom von Siena. S. Giovanni. das schönste gothische Gebäude Italiens und ein Wunder der Welt geworden. Nirgends ist die Raumschönheit vollkommener als in den wenigen vollendeten Hallen dieser Ruine; die Schlankheit der Pfeiler, die weite und leichte Spannung ihrer Rundbögen (freilich um den Preis eiserner Verbindungsstangen erkauft) und der Adel der Decoration stellen den alten Dom beinahe in den Schatten. In Folge des schwar- zen Todes (1348) blieb das Unternehmen liegen, doch muss man aus den Ornamenten des vordern Rundfensters schliessen, dass noch im XV. Jahrhundert wieder einmal an einer Fortsetzung gearbeitet wurde. Meister, wie Cecco di Giorgio und Bernardo Rosellino, haben offenbar diesem Werke viel zu danken. Gleichzeitig mit diesem Bau entstand auch die Fronte der Unter- kirche San Giovanni. Diese ist, namentlich was die Gliederung der a Streben betrifft, das am meisten nordisch-gothische Stück des ganzen Domes; leider unvollendet. Die ganze Fassade lehnt stark um einen Fuss rückwärts und die Streben verringern sich (abgesehen von ihren geringen Absätzen) desshalb unmerklich nach oben zu. Von grosser extendatur longitudo etc.; ausdrücklich wird einbedungen, dass der neue Dom desshalb nicht dürfe liegen bleiben. Diese navis ist aber wohl wiederum der schon im XIII. Jahrhundert begonnene neue Chorbau; mit dessen bisherigen Gewölben man ohnehin unzufrieden war; die neuen „certi modi et ordines magnæ pulchritudinis“ sind dann nichts anderes als jene Aufsätze, welche den Chorpfeilern ein schlankes Ansehen geben, jene schönen Oberfenster, endlich jene Hinterfassade, welche die Fronte der Unterkirche S. Giovanni bildet. Dass die letztere von Agostino und Agnolo von Siena entworfen sei, wird Vasari doch nicht rein aus der Luft gegriffen haben; allerdings lautet der Werkverding vom Jahr 1340 (Rumohr, a. a. O. S. 139) auf Giovanni, Ago- stino’s Sohn, allein dieser verpflichtet sich doch nur „in præsentia et de vo- luntate et cum consilio, consensu et ex auctoritate prædicti mei patris præ- sentis et consentientis“. So spricht nur ein Abhängiger und wenn auch in der Urkunde von keinem zu befolgenden Entwurf des Vaters die Rede ist, so darf man doch getrost einen solchen voraussetzen. Rumohr war der grösste Kunstforscher, den wir seit Winckelmann ge- habt haben. Allein er war nicht frei von der Untugend, die Tradition um jeden Preis in die Schule zu nehmen; er hatte viele Prädilectionen und An- tipathien, und wer ihm näher nachgehen könnte, würde ihn noch auf man- cher Willkür betreten. Es liegt diess weder in unserer Aufgabe noch in un- serer Fähigkeit. Gothische Architektur. Dome von Orvieto und Neapel. Schönheit sind die Portale, ruhiger durchgeführt als die der grossen Fassade. Freilich übertrifft das einzige Seiten-Portal des Neubaues sie alle mit einander. Der Thurm, offenbar einer der ältesten Theile, macht keine künst- lerischen Ansprüche. Die Zunahme der Fensterbögen nach Stockwer- ken (von 1—6) ist der möglichst naive Ausdruck des allmäligen Leich- terwerdens der Masse. a Der Dom von Orvieto , innen eine imposante Säulen-Basilica mit sichtbarem verziertem Dachstuhl, edel gebildeten Fenstern, Quer- schiff und geradem Chorabschluss, muss um seiner Fassade willen hier beim Dom von Siena erwähnt werden. Als Meister wird Lorenzo Maitani von Siena, als Gründungszeit das Jahr 1290 genannt. Die Fassade ist im besten Sinne des Wortes eine veredelte Reproduction derjenigen von Siena. Das plastische gothische Detail, mit welchem es doch nie ernstlich gemeint war, wird hier möglichst beschränkt und durch Mosaikverzierung und Reliefsculpturen ersetzt, d. h. die Fläche behält ihr südliches Vorrecht vor dem nur angelernten Schein- organismus. Wenige grosse ruhige Hauptformen genügen hier, um einen unermesslichen Reichthum von Farben und Gestalten schön zu umfassen. Auch alle rein baulichen Glieder, die Simse der drei Gie- bel, die wenigen Spitzthürmchen etc. sind ganz mit Mosaikmustern angefüllt, so dass diese Fassade das grösste und reichste polychroma- tische Denkmal auf Erden ist. (Bis auf die Stufen und Prallsteine vor der Kirche.) Bei einer so starken Absicht auf materielle Pracht ist die Schönheit der Composition ein doppeltes Wunder. (Die Neben- fassaden und die Säulen im Innern haben abwechselnde weisse und dunkle Marmorschichten. Edle Bildung der Bogenprofile und des Haupt- gesimses im Innern.) Einen schwachen Nachklang dieser dreigiebligen Anordnung ge- b währte einst die Fassade des Domes von Neapel (1299), deren Nebengiebel jetzt durch Streben mit der höhern Mauer des Mit- telschiffes zu einer empfindlichen Unform verbunden sind. (Auch die Giebelsculpturen zum Theil modernisirt.) Im Innern Pfeilerbau Aufhören des Säulenbündels. Niccolò Pisano. mit eingeklebten antiken Säulen, immer zwei übereinander an der In- nenseite des Pfeilers; flache Decke. Einen weitern und bedeutenden Schritt thut inzwischen die tos- canische Baukunst mit der Umbildung des Säulenbündels, den sie doch niemals nordisch lebendig formirt hatte, zum viereckigen, achteckigen oder runden Pfeiler . Erstere Form ist ohne Frage die schönere und reichere, letztere aber für den vorliegenden Fall die wahrere . Der Säulenbündel steht in engem Zusammenhang mit dem Schlanken und Engen nordischer Gothik; er ist nicht bloss das Correspondens von so und so viel Gewölbegurten und Rippen (die man ja zum Theil beibehielt), sondern ein wesentlicher Ausdruck des Strebens nach oben. Wo letzteres nicht als leitendes Princip galt, musste er dem Pfeiler weichen; immerhin aber behielt auch dieser noch eine Andeutung des Tragens verschiedener Lasten, in Gestalt von schmalern polygonen Trägern in den einwärts tretenden Ecken. Statt eines eigentlichen Capitäls werden nunmehr zwei oder drei Blattreihen ganz schlicht um das obere Ende des Pfeilers auf allen vier oder acht Seiten (oder im Kreis, wenn es ein Rundpfeiler ist) herumgelegt; vorzüglich aber ge- winnt die Basis jetzt erst eine consequente Bildung. Schon hier begegnen wir dem sonst hauptsächlich als Bildhauer berühmten Niccolò Pisano (geboren zwischen 1205 und 1207, lebte noch 1277), als einem Anfänger alles Grossen und Neuen. In seiner frühern Zeit muss er noch der romanischen Bauweise zugethan gewe- sen sein, wenn S. Nicola in Pisa von ihm ist; übrigens hätte er a schon hier das nordische Princip der Verjüngung und Umgestaltung des Thurmes nach oben auf merkwürdige Weise geahnt und nur sehr befangen ausgedrückt. (Rund, dann Achteck, weiter eine sechszehn- seitige Bogengalerie um einen runden Kern, endlich ein Sechseck.) Von seinen gothischen Bauten hat S. Trinità in Florenz schon b viereckige Pfeiler, deren Stellung jedoch mit Rücksicht auf die Capel- lenreihen rechts und links neben den Seitenschiffen eine enge ist, so dass jeder Capelle ein Intervall entspricht. Sodann entwarf Niccolò um 1250 die grosse Franciscanerkirche S. Maria de Frari in Ve- c nedig . Das Misstrauen, welches man in seine Urheberschaft setzt, Gothische Architektur. Kirchen von Venedig. ist kaum zu rechtfertigen, wenn auch dieselbe nicht urkundlich ge- sichert sein sollte. So viel wird Jedermann zugeben, dass diese gran- diose Kirche kein einheimischer venezianischer Gedanke ist, dass sie auf das Stärkste contrastirt mit aller sonstigen venezianischen Raum- behandlung. — Das Innere ruht auf hohen Rundpfeilern; die Anord- nung ist hier schon ganz italienisch, so dass das Mittelschiff aus mög- lichst grossen Quadraten besteht, die Seitenschiffe aus oblongen Ab- theilungen. Sonderbarer Weise geschieht der Abschluss des prächti- gen Chores mit seinen Doppelfenstern und derjenige der sechs Capel- len an der Rückseite des Querschiffes nicht durch ein Fenster, sondern durch einen Pfeiler Man erinnere sich der Galerien lucchesischer Fassaden, wo auch ein Säul- chen statt eines Intervalles auf die Mitte trifft. Vgl. S. 107. . Am Äussern ist der Backstein noch ohne das Raffinement der spätern Gothik behandelt; Stein ist nur an den weni- gen Baldachinen über den Giebeln und an den (kenntlich frühgothi- schen) Portalen gebraucht. Der Abschluss der Fassadengiebel in sonderbar geschwungenen Mauerstücken ist eine venezianische Zuthat; die echten alten geraden Linien Niccolò’s laufen noch wohlerhalten darunter hin. Die Nebenseiten erinnern ganz an S. Maria novella. Um dieselbe Zeit soll „von Dominicanern, welche Niccolò’s Schü- a ler waren“, S. Giovanni e Paolo in Venedig erbaut worden sein. Diese Kirche ist die höhere Stufe der ebengenannten; sie ver- meidet die Übelstände derselben. Die Verhältnisse sind beträchtlich schlanker und schöner; die hintern Abschlüsse geschehen durch Inter- valle (Fenster), nicht durch Pfeiler. Über der Kreuzung wurde eine Kuppel angebracht. Nur die Fassade weicht von der edeln Einfach- heit der Frari ab; sie sollte mit Marmor incrustirt werden und blieb unvollendet. Endlich soll Niccolò Pisano auch die berühmte Kirche des heil . b Antonius in Padua (il Santo) erbaut haben, welche 1256 be- gonnen wurde. Dass der Santo den Frari in der Anlage auf keine Weise gleicht, wäre kein Beweis gegen Niccolò’s Urheberschaft; die Aufgabe war hier eine andere, nämlich die, ein Gegenstück zur Mar- cuskirche zu schaffen; eine Grabkirche zu Ehren des grossen neuen Heiligen von Oberitalien. Griff man vielleicht in einem nur halb be- II Santo in Padua. wussten mystischen Drang zu der uralten vielkuppeligen Anlage? Un- terscheiden wollte man das Gebäude jedenfalls von andern Francis- canerkirchen. Es entstand keine glückliche Schöpfung. Die Fassade ist vielleicht die allermatteste des ganzen gothischen Styles. Im Innern kam das Hauptschiff auf lauter dicke viereckige Pfeiler zu stehen; nicht bloss die Kuppelträger, sondern auch die Zwischenstützen haben diese Form. Das Polygon des Chores zeigt wohl eine gewisse Ähnlichkeit der Verhältnisse mit demjenigen an den Frari, aber die Einzelbildung ist aussen und innen ungleich geringer, der Umgang und Kapellenkranz roh in Entwurf und Ausführung. Immerhin mochte der Bau mit seinen damals niedri- gen Kuppeln, mit seiner (beabsichtigten oder durchgeführten) voll- ständigen Bemalung, mit einer Masse stylverwandten Schmuckes aller Art gerade den Eindruck hervorbringen, welchen die Andacht am Grabe des Heiligen vorzugsweise verlangte. Im XV. Jahrhundert erst baute man die Kuppelräume, welche bisher von aussen kaum sichtbar oder doch anspruchlos gestaltet sein mochten, zu eigentlichen Kuppeln mit Cylindern aus. Abgesehen von der eminent hässlichen Bedachung der mittlern Kuppel war diese ganze Neuerung überhaupt sinnlos. Die Kuppeln stehen einander nicht nur im Wege (für das Auge), son- dern sogar im Lichte und bilden schon von Weitem eine widerliche Masse. Den einzigen möglichen Vortheil, den eines starken Oberlich- tes, hat man nicht einmal benützt. Später wurde dann das ganze Innere mit Ausnahme weniger Capel- len überweisst und mit modernen Denkmälern angefüllt; ein Schick- sal, vor welchem S. Marco gänzlich bewahrt geblieben ist. Der erste Eindruck ist durchaus weihelos und zerstreuend. Dagegen haben die vier Klosterhöfe einen imposanten Charakter durch die Höhe und weite Spannung ihrer Bogen; sie scheinen eher für Tempelritter als für Mendicanten gebaut. Über S. Margherita in Cortona , welches von Niccolò und a seinem Sohne Giovanni Pisano erbaut sein soll, vermag ich keine Aus- kunft zu geben. S. Domenico in Arezzo ist eine ganz geringe Kirche. b Dem Giovanni allein gehört dann, wie bemerkt, wenigstens der Entwurf zu der prächtigen Fassade von Siena (S. 133), wonach c er unter den Italienern der erste gewesen wäre, der sich mit der deco- Gothische Architektur. Giovanni Pisano. Arnolfo. rativen Seite des Gothischen näher befreundete. Ausserdem war von a ihm S. Domenico in Perugia erbaut, gegenwärtig mit Ausnahme des viereckigen Chores modernisirt. In Pisa selbst findet sich von b Giovanni das Kirchlein S. Maria della Spina — ein Reliquienbe- hälter im Grossen und mehr durch Stoff und Reichthum (zum Theil in französisch-gothischer Art), als durch reine Gothik ausgezeichnet; — c und das herrliche Campo santo (1283). Die Bauformen, so edel und grandios z. B. das Stabwerk der hohen, rundbogig schliessenden Fensteröffnungen Nach Andern wäre diess Stabwerk erst beträchtlich später eingesetzt. sein mag, werden hier immer nur als Nebensache erscheinen neben der monumentalen Absicht, die dem damaligen Pisa eine der höchsten Ehrenstellen in der ganzen Geschichte moderner d Cultur zuweist. — Unter den übrigen Kirchenbauten Giovanni’s ist der Ausbau des Domes von Prato von Bedeutung. Indess war es nicht dem Niccolò Pisano, sondern einem seiner Schüler, dem Florentiner Arnolfo del Cambio (gewöhnlich A. di Lapo genannt) beschieden, von jener neuen Behandlung des Pfeilers aus dem ganzen Styl eine neue Wendung zu geben. Seine Bauten fallen sämmtlich in die letzten Jahre des XIII. Jahrhunderts. e Das wichtigste derselben ist der Dom (seit 1296). Die Flo- rentiner verlangten von dem Meister das Unerhörte und nie Dage- wesene, und in gewissem Betracht hat er es geleistet. Wer mit dem Maassstab des Kölner Domes an das Gebäude herantritt, verderbt sich ohne Noth den Genuss. Von strenger Harmonie ist bei einem secun- dären und gemischten Styl wie dieser italienisch-gothische, a priori nicht die Rede, aber innerhalb der gegebenen Schranken ist hier eigen- thümlich Grosses geleistet. — Wir beginnen mit dem Langhaus. Ar- nolfo war zunächst kein angenehmer Decorator Oder wer sonst nach ihm die Incrustation leitete. ; die Incrustation der ganzen obern und untern Mauern der Schiffe ist eine endlose Wieder- holung einförmiger Motive; die Fenster und Thüren haben nicht bloss etwas Strenges, sondern durch das Überwiegen der Mosaikbänder etwas Lebloses (zumal wenn man damit die schönen spätern Thüren Dom von Florenz. zunächst beim Querschiff vergleicht); die Gesimse sind am Tüchtig- sten charakterisirt. Im Innern liegt das Unerhörte in der Raumein- theilung; möglichst wenige und dünne Pfeiler mit Spitzbogen um- fassen und überspannen hier Räume, wie sie vielleicht überhaupt noch nie mit so wenigen Stützen überwölbt worden waren. Ob diess ein höchstes Ziel der Kirchenbaukunst sein dürfe, ist eine andere Frage; die Wirkung ist aber, wenn man sich allmälig mit dem Gebäude ver- traut macht, eine grossartig ergreifende, und wäre es noch mehr, wenn nicht eine unglückliche Galerie auf Consolen ringsum laufend die sämmt- lichen Gewölbegurte grade bei ihrem Beginn durchschnitte und auch die Obermauer des Mittelschiffes unschön theilte S. Petronio in Bologna, das Nachbild, hat sie nicht. Sollte sie etwa spätere Zuthat sein? Die Bildung der Pfeiler und ihrer Capitäle ist eigenthümlich streng; nur in dieser Ge- stalt passte sie zu den ungeheuern Spitzbogen, welche darauf ruhen; Säulenbündel würden kleinlich disharmonisch erscheinen. Mit dem Kuppelraum und den drei hintern Kreuzarmen verdun- kelt sich das Bewusstsein Arnolfo’s; es ist eine missrathene Schöpfung, wozu die Ruhmsucht der Florentiner ihn mag getrieben haben. Auf einmal wird mit dem nordischen Verhältniss der Stockwerke ein Pact geschlossen und dem Capellenkranz Den Arnolfo doch nicht mit nordischem, polygonem Reichthum bilden durfte, weil sonst der Unterbau viel zu unruhig geworden wäre. Zwischen den vier- eckigen Capellen musste er keilförmige Mauermassen hineinschieben. um die drei Kreuzarme nur etwa die halbe Höhe des Oberbaues gegeben, mit welchem er durch hässliche schräg aufsteigende Streben in Verbindung gesetzt wird. Die drei Kreuzarme und als vierter das Hauptschiff bilden im Innern vier grosse Mündungen gegen den achteckigen Kuppelraum, dessen vier übrige Seiten äusserst unschön durch schräge Mauermassen dar- gestellt sind; zwei der letztern haben Durchgänge nach den Seiten- schiffen des Langhauses, die beiden übrigen enthalten die Sacristei- thüren und die Orgeln. Um eine riesigere Kuppel zu haben als irgend eine andere Stadt, verzichtete man auf das System von vier Pfeilern mit Pendentifs; um diese Kuppel möglichst gros s erscheinen zu lassen, hatte man auch den Kreuzarmen jenen niedrigern Capellenkranz ge- Gothische Architektur. Dom von Florenz. geben. — Und inzwischen starb der Baumeister und es vergingen über 100 Jahre, ehe man sich wirklich an die Kuppel wagte. Nach der Abbildung einer Idealkirche zu schliessen, welche in den Fresken der Capella degli Spagnuoli bei S. Maria novella (1322) vorkömmt, hätte Arnolfo eine etwa halbkugelförmige Kuppel beabsichtigt, deren Ge- simse dem Hauptgesimse des Langhauses entsprochen hätte, und die mit den Kreuzarmen im Ganzen eine Pyramide gebildet haben würde; vielleicht eine harmonischere Gesammtform als die jetzige, durch den Cylinder erhöhte Kuppel Brunellesco’s mit den von ihr einigermassen gedrückten Anbauten darbietet. — Der unangenehme Eindruck des ganzen Kuppelraumes wird durch das wenige und zerstreute Licht, durch die schon beim Langhaus genannte Galerie und durch die Be- malung der Kuppel noch verstärkt; ein widriges Echo steigert ihn ins Unleidliche. Man darf nur nicht vergessen, dass ohne dieses Lehr- stück keine Kuppel von S. Peter vorhanden wäre. a Die Fassade wurde 1332 nach einem herrlichen Entwurfe Giotto ’s begonnen. Das wenige, was davon vollendet war und 1588 wieder weggenommen wurde, sieht man theilweise dargestellt in einem der Frescobilder Poccetti’s im ersten Klosterhof von S. Marco. (Wand vom Eingang rechts, sechste Lunette. Die Darstellung des Domes in einem Frescobild desjenigen Kreuzganges, welcher sich unmittel- bar an der Südseite von S. Croce hinzieht, ist sehr verdorben und unbedeutend.) — Ein schweizerischer Architekt, der zu früh verstor- bene Joh. Georg Müller von Wyl, hat nach diesen und andern Indicien eine Fassade entworfen, wie sie für dieses Gebäude nicht vollkom- mener gedacht werden könnte Im Stich mitgetheilt in der von Ernst Förster verfassten Biographie des Ver- storbenen. . b Noch eine andere Gewölbekirche auf viereckigen Pfeilern, S. Ma- ria maggiore in Florenz , wird Arnolfo zugeschrieben. Schlank, das Mittelschiff oben ohne Fenster; statt der Capitäle blosse Simse, sowohl an den Pfeilern als an den darüber emporsteigenden Wand- c pilastern. — Derselben Schule gehört S. Remigio an, mit kaum über- höhtem Mittelschiff, auf achteckigen Pfeilern mit Blättercapitälen. Sodann baute Arnolfo selbst (seit 1294) die gewaltigste aller Santa Croce. Giotto’s Campanile. Bettelordenskirchen: Santa Croce . Die Aufgabe war, mit möglichst a Wenigem, wie es sich für die Mendicanten ziemt, ein Gotteshaus für ein ganzes Volk zu bauen, welches damals den Kanzeln und Beicht- stühlen der Franciscaner zuströmte. Arnolfo ist hier, wie überall, streng und kalt im Detail, allein seine Disposition ist grossartig. Bei der ungeheuern Grösse des Gebäudes war es constructiv wünsch- bar, wenn nicht nothwendig, die Mauern der Nebenschiffe nicht durch blosse angestützte Balken, sondern durch gewölbte Bogen mit den Mauern des Hauptschiffes zu verbinden, und ihnen über diesen Bogen eigene Dächer, damit auch eine Reihe eigener Giebel zu geben. Die Pfeiler sind achteckig. An der hintern Seite des Querschiffes ziehn sich zehn Capellen von halber Höhe hin; in ihrer Mitte der polygone Chor; ausserdem sind höhere Capellen an beiden Enden und an der nähern Seite des Querschiffes angebaut. Die Ansicht von hinten (am besten sichtbar vom Garten des Marchese Berte aus) zeigt die Mauern des Chores und der Capellen mit steilen Giebeln gekrönt, welche in- dess kein Dach hinter sich haben. Der Thurm ganz erneut; die Fas- sade ohne Incrustation; der vordere Klosterhof, mit etwas abgeflach- ten Rundbogen, achteckigen Säulen, eigenthümlichen Basen, gilt für Arnolfo’s Werk. Überblicken wir seine Thätigkeit, so ist das, was ihm Ruhm und Bedeutung gab, gewiss mehr das Constructive, als das Formale an seinen Werken. Er geht in der weiten Spannung seiner Gewölbe und Decken, endlich in dem Entwurf seiner Kuppel über alles bisher bekannte, namentlich aber über alle nordische Gothik (die etwas ganz anderes wollte) hinaus. Wo Er die Baukunst in formaler Beziehung vernachlässigt, da trat Giotto mit seinem hohen Sinn des Masses als Vollender in die Lücke. Ausser dem Entwurf zur Domfassade schuf er den prächti- gen „ Campanile “ (seit 1334; nach seinem Tode 1336 seinem Ent- b wurf gemäss vollendet von Taddeo Gaddi; die Sage von einem beab- sichtigten Spitzdach, das über dem starken Hauptgesimse keinen rechten Sinn mehr hätte, lassen wir auf sich beruhen.) Von einer Entwicklung aus dem Derben ins Leichte, wie sie etwa das Lebens- princip eines Thurmes von Freiburg im Breisgau ausmacht, sind hier nur Andeutungen vorhanden, nur so viel als streng nothwendig war; Gothische Architektur. Florenz. Orsanmicchele. das dritte und vierte Stockwerk sind z. B. so viel als identisch; nur das Grösserwerden der Fenster in den obern Stockwerken ist eine nachdrückliche Erleichterung. Aber an feinern Abwechslungen der Incrustation sowohl als der plastischen Details gewährt dieser schöne Bau ein stets neues Studium. Die Gliederung in Farben und Formen ist durchgängig ungleich leichter und edler als bei Arnolfo; die Fen- ster vielleicht das schönste Detail der italienischen Gothik. Endlich zwei Gebäude in Florenz, welche nur in bedingtem Sinne zu den Kirchen gehören. a Das eine ist Orsanmiechele . Als städtischer Kornspeicher 1284 von Arnolfo begonnen und 1337 von Taddeo Gaddi umgestaltet und in die Höhe gebaut, giebt das edle und stattliche Gebäude mit seinen feinen Gesimsen und seinem Consolenkranz ein Zeugniss von der schönen Seite desjenigen monumentalen Sinnes, welcher die dama- ligen Florentiner beseelte. Bei Anlass des schwarzen Todes 1348 wurde einem sehr wirksamen Gnadenbild zu Ehren die bisher offene untere Halle vermauert und zur Kirche umgeschaffen durch Andrea Orcagna . Ihm gehört das zierliche Füllwerk der jetzigen Fenster, b sowie der berühmte Tabernakel im Innern. Was den baulichen und decorativen Theil betrifft, so wird man dieses Werk des höchsten Luxus niemals neben gute deutsche Altaraufsätze, Sacramenthäuschen u. dgl. stellen dürfen; es ist gerade die schwächste Seite, von wel- cher sich hier die italienische Gothik producirt. Statt des Organischen, an dessen volle Strenge bei vollem Reichthum unser nordisches Auge gewöhnt ist, giebt es hier Flächen, mit angenehmen aber bedeutungs- losen Spielformen, zum Theil aus buntem Glas nach Cosmatenart, aus- gefüllt. Die Kuppel zwischen den vier Giebeln ist wie eine Krone gestreift; das Mosaik erstreckt sich selbst auf die Stufen. (Die Ne- c benkirche der Certosa bei Florenz , ein griechisches Kreuz ohne Nebenschiffe von reizender Anlage, wird nebst dem festungsartigen Unterbau des Klosters ebenfalls Orcagna zugeschrieben.) Sodann steht auf dem Domplatz, dem Thurm gegenüber, das zier- d liche Bigallo . Eine jener Confraternitäten zu frommen und mild- thätigen Zwecken schmückte nach guter italischer Sitte aus eigenen Mitteln ihr Local auf das Beste aus, in einer Zeit, da kein heiliger und kein öffentlicher Raum ohne Verklärung durch die Kunst denk- Confraternitäten. Dom von Lucca. bar war. Hier entstand nun zwar keine Palastfassade wie an meh- reren der sog. Scuole zu Venedig, welche eben solche Bruderschafts- gebäude sind, sondern nur ein verziertes kleines Haus, dessen Reiz ausschliesslich in der prächtigen Behandlung anspruchloser Formen liegt. Der unbekannte Urheber möchte ein Nachfolger Orcagna’s ge- wesen sein. Die Dachconsolen sind in ihrer Art classisch und mögen hier statt derjenigen vieler andern Gebäude genannt werden. Strenger und reicher ist die Fassade der Fraternita della Mi- a sericordia zu Arezzo (hinter der Pieve vecchia) ausgebildet; ein wahrer und in seiner Art reizender Übergangsbau, indem das obere Stockwerk den gothisch begonnenen Gedanken in den Formen der Renaissance vollendet. Endlich bieten die neuern Theile des Domes von Lucca (das b Langhaus und das Innere des Querschiffes) ein ganz sonderbares und in seiner Art schönes Schauspiel. Es ist die Pfeilerbildung des Domes von Florenz, angewandt auf Verhältnisse, welche denen des Domes von Siena ähnlich sind. Nicht ein möglichst grosses Quadrat des Haupt- schiffes, sondern das (doch nicht ganz vollkommene) Quadrat der Ne- benschiffe bildet wieder die Basis; doch wird die Vielheit der Pfeiler durch ihre Schlankheit ausgeglichen; die Bogen fast alle rund; oben Reihen grosser Fenster mit reichem Stabwerk, welche in eine dunkle Galerie über den Nebenschiffen hineinblicken lassen; drüber kleine Rundfenster. Die Galeriefenster gehen sogar als blosse Stütze und Decoration quer durch das Querschiff und theilen auch seine beiden Arme der Länge nach. (Am Gewölbe des Hauptschiffes sind die gleichzeitig gemalten Medaillons mit Halbfiguren auf blauem Grund, an den Gewölben der Seitenschiffe eine Renaissancebemalung erhalten.) Aussen mischt sich wieder Siena, Florenz und das Streben nach Har- monie mit den ältern Theilen ganz eigenthümlich zu einem schönen Ganzen. (Alles etwa vom Ende des XIV. Jahrhunderts.) B. Cicerone. 10 Gothische Architektur. Kirchenstaat. Südlich über Toscana hinaus begegnet man, hauptsäch- lich in Perugia und Viterbo, einer Anzahl kleiner gothischer Kirchen, welche selten mehr als ihre Fassade, etwa noch ihren einfachen Thurm in alter Form aufweisen. Ihre zum Theil hochmalerische Lage, ein- zelnes tüchtiges Detail und der Ernst des Materials machen ihren Werth a aus. (Ein besonderes zierliches Kirchlein in Viterbo , unweit vom Palazzo Communale.) Sonst offenbart sich an mehrern eine ganz wun- derliche Ausartung der Incrustation, welche nicht mehr einrahmend, auch nicht mehr schichtenweise, sondern schachbrettartig, selbst ge- gittert zwischen rothem und weissem Marmor abwechselt. (So schon b an S. Chiara in Assisi .) Am Dom von Perugia ist ein Anfang gemacht, dessen Durchführung das ganze Gebäude mit einem Teppich- muster würde überzogen haben. (Das Innere weiträumig, aber mit schwerem Detail, die drei Schiffe von gleicher Höhe, die Pfeiler acht- eckig.) c Das einzige gothische Gebäude Roms, S. Maria sopra Mi- nerva , begonnen um 1370, repräsentirt einen damals längst besei- tigten Stand der baulichen Entwicklung und bleibt hinter der fast um 100 Jahre ältern Schwesterkirche S. Maria novella zu Florenz beträcht- lich zurück. Die jetzige Restauration mit Stuckmarmor, Gold und Fresken wird die Kirche nur noch schwerer erscheinen lassen als sie in der weissen Tünche war. Ausserdem hat noch das Innere der d Capelle Sancta Sanctorum beim Lateran eine gothisirende Beklei- dung von gewundenen Säulchen mit Spitzbogen, um 1280 vermuthlich von dem Cosmaten Adeodatus erbaut. Sie dient alten Malereien zur Einfassung. — Einzelne gothische Bogen und Bogenfriese kommen hin und wieder vor. — Von Klosterhöfen dieses Styles hat Rom meines e Wissens nur die wenig bedeutenden bei Araceli. — Als Klosterbau f im Grossen ist S. Francesco zu Assisi (XIII. und XIV. Jahrhun- dert) unvergleichlich, weniger in Betreff der Höfe als der Aussenseite, welche mit ihren Substructionen und Gängen wie eine Königsburg über der Landschaft thront. In sehr kenntlichem Wetteifer mit den Florentinern begannen die g Bolognesen 1390 die Kirche ihres Stadtheiligen S. Petronius , nach S. Petronio in Bologna. dem Plan eines angesehenen Mitbürgers, Antonio Vincenzi . Das Gebäude sollte ein lateinisches Kreuz von 608 Fuss Länge werden, der in gerade Fronten ausgehende Querbau 436 Fuss lang; das Ganze durchaus dreischiffig und ausserdem mit Capellenreihen zu beiden Seiten; über der Kreuzung sollte eine achteckige Kuppel von 250 Fuss Höhe entstehen, flankirt von vier Thürmen. Sonach hätte man die Florentiner überholt in der riesenhaften vierarmigen Ausdehnung, auch durch die Zugabe der Capellenreihen ringsum; man wäre hinter ihrer (damals übrigens noch nicht erbauten) Kuppel zurückgeblieben, um nicht ebenfalls die innere Perspective durch schräge Mauermassen statt schlanker Pfeiler aufheben zu müssen; man hätte dies aber we- nigstens nach aussen reichlich ersetzt durch den Effect der vier Thürme. Gegenüber nordischen Cathedralen wäre man durch die sinnlose Aus- dehnung des Querbaues im Nachtheil gewesen, auch hätte die Ver- stärkung der Pfeiler unter der Kuppel, selbst wenn sie sich auf das Unentbehrliche beschränkte, immer den Blick in den Chor etwas be- einträchtigt. Der runde Chorabschluss endlich hätte schwerlich eine erträgliche Gestalt bekommen. Von all diesem ist nun bloss das Langhaus und ein Ansatz zum Querschiff wirklich ausgeführt, und auch dieses nur mangelhaft, mit bloss theilweiser Vollendung der Aussenflächen, in ungleichen und zum Theil sehr späten Epochen (bis tief ins XVII. Jahrhundert). So wie das Gebäude vor uns steht, ist es die Frucht eines Com- promisses zwischen nordischer und südlicher Gothik, doch in einem viel bessern und strengern Sinn als der Dom von Mailand. Zur Basis des Innern nahm man die Anordnung des Langhauses von Florenz mit möglichst grossen Pfeilerweiten und Hauptquadraten, steigerte aber die Höhe. Den oblongen Abtheilungen der Nebenschiffe entsprechen je zwei etwas niedrigere Capellen mit gewaltigen Fen- stern; wenn dieselben sämmtlich mit Glasgemälden versehen waren, so blieb den obwohl an Umfang kleinern Rundfenstern der Neben- schiffe und des Hauptschiffes, d. h. dem Oberlicht, dennoch die Herr- schaft. Die Pfeiler und ihre Capitäle sind viel weniger scharf und schön gebildet als in Florenz, wirken aber durch ihre Höhe besser; zudem sind die Bogen schlanker, die Obermauer durch keine Galerie durchschnitten. (S. 141 u. Anm.) 10* Gothische Architektur. Oberital. Mendicantenkirchen. Aussen ist durchgängig nur das Erdgeschoss ausgeführt; den obern Theilen fehlt die Incrustation, welche in reicher Form, theils in Stein, theils in Backstein beabsichtigt war. Die untern Theile der Seiten- schiffe zeigen einfache Pfeiler und ziemlich reines Fensterstabwerk mit Ansätzen zu Giebeln. Die Fassade (von Marmor) ist so wie sie aus- sieht nicht gut begonnen; ihre Wandpfeiler sind schräg profilirt, die- jenigen gegen die Ecken hin sogar rund. Man ist auch nie recht damit zufrieden gewesen. a Ein Zimmer am Ende des linken Seitenschiffes, das auf Verlan- gen (am besten um Mittag) geöffnet wird, enthält mehr als 30 Ent- würfe verschiedener, zum Theil hochberühmter Architekten vom XV. bis zum XVII. Jahrhundert für eine Fassade von S. Petronio, grossen- theils in einem gothischen Styl, dessen Gesetze sie nicht mehr kannten. Man kann z. B. sehen, welche Begriffe sich Giulio Romano und Bal- dassar Peruzzi von der Gothik machten. So viel ich habe (bei schlech- tem Licht) sehen können, sind die Entwürfe in modernem Styl, z. B. von Alberto Alberti und Palladio, bei weitem erfreulicher. Eine ver- kleinerte Herausgabe in Umrissen würde sich gewiss lohnen. Die Bettelordenskirchen der Via Aemilia weichen über- haupt sowohl von den toscanischen als von den deutschen ab. Es sind ganze durchgeführte backsteinerne Gewölbekirchen mit Anbauten und Querbauten aller Art, hinten mit Chorumgang und aussen abge- rundetem Capellenkranz, dergleichen im Norden nur Hauptkirchen und vornehmere Klosterkirchen zu haben pflegen Letztere unterscheiden sich hier fast gar nicht von den Mendicantenkirchen. . Obschon die Seiten- schiffe nur etwa die halbe Höhe des Hauptschiffes haben, so ist doch in der Regel eine Fassade nach lombardischer Art vorn angesetzt, deren obere Ecken also blind sind. Die Stützen sind Rundsäulen, achteckige Säulen, Pfeiler mit Säulen, Säulenbündel, je nach der Stärke des nor- b dischen Einflusses. (In den Servi zu Bologna wechseln runde und achteckige Säulen.) Der möglichst vielseitige Chorabschluss (aussen durch ebensoviele Strebebogen repräsentirt) macht eine bedeutende Kirchen nördlich vom Po. Wirkung. In Bologna : S. Francesco (innen neuerlich gothisch re- a staurirt, mit einem der schönsten Backsteinthürme des gothischen Sty- les); — S. Domenico (sehr lang, innen modernisirt); — S. Martino b maggiore (Carmeliterkirche von 1313); — Servi (vom Jahr 1383, mit c einem Porticus vorn und an der linken Seite, der sich durch unge- meine Dünnheit und weite Stellung der Säulen auszeichnet; der Bau- meister war der General des Servitenordens Fra Andrea Manfredi von Faenza, der damals auch die Aufsicht über den Bau von S. Pe- tronio führte); — S. Giacomo maggiore (Eremitanerkirche vom Ende d des XIII. Jahrhunderts, wovon der hintere Theil und die Fassade noch erhalten). Beiläufig ist hier auch das Chorherrenstift S. Giovanni e in monte zu nennen, als eine der ältesten spitzbogigen Kirchen Italiens (1221? Kuppel, Chor und Fassade neuer). — In Modena : S. Fran- f cesco. — In Piacenza : S. Francesco (eine der mächtigsten Kirchen g dieser Classe, mit dem bedeutendsten und bestgebildeten äussern Strebe- h werk von Backstein); — S. Antonio (mit eigenthümlicher Vorhalle, i die eine schöne Innenthür enthält); — il Carmine etc. Nördlich vom Po folgen eine Anzahl von Ordenskirchen und auch einzelne Pfarrkirchen und Cathedralen eher demjenigen Typus, welchen Niccolò Pisano in den Frari zu Venedig aufgestellt hatte: mit weitgestellten Rundsäulen oder Pfeilern, sodass grosse mittlere Quadrate und in den Seitenschiffen oblonge Räume entstehen; über den grossen Bogen ein nur ganz mässiges Oberschiff; der Chor ohne Umgang; der Querbau mit zwei bis vier Capellen an der Hinterwand. Eigenthümlich ist: die Vermeidung der Seitenfenster. Ein schönes und frühes Beispiel gewährt S. Lorenzo in Vi- k cenza ; auch die Fassade gut und schon desshalb beachtenswerth, weil sie zeigt, wie man sich ungefähr diejenige von S. Giovanni e Paolo zu Venedig nach der ursprünglichen Absicht vollendet zu den- ken hat. (Sonderbare schiefe Wölbung der Seitenschiffe, wahrschein- lich um die kleinen Rundfenster möglichst hoch oben anbringen zu können, etwa mit Rücksicht auf gegenüberstehende, lichtraubende Ge- bäude?) — S. Corona in Vicenza, von ähnlicher Anlage, nur alter- l Gothische Architektur. Verona. Venedig. thümlicher und gedrückter; von aussen bietet der tüchtige Backstein- bau mit Anbauten und Umgebung einen malerischen Anblick Der Dom von Vicenza , innen einschiffig mit Capellen auf beiden Seiten, gehört dagegen zu den gedanken- und principlosen Gebäuden der italienischen Gothik; die Marmorfassade hat eine jener matratzenartigen Incrustationen, wie sie sonst hauptsächlich in Mittelitalien vorkommen. Der Chor geringe Re- naissance. . a S. Anastasia in Verona (Dominicanerkirche), nach 1261 be- gonnen, hat eine nur theilweise und spät incrustirte Fassade, ist aber in Betreff des Innern eine der schönsten und schlanksten Kirchen die- ser Gattung, mit reinem Oberlicht und trefflicher Vertheilung des innern Schmuckes. Auch der äussere Anblick malerisch. (Das Kirch- lein links vor der Fassade heisst S. Pietro martire.) b Das Innere des Domes von Verona verbindet eine ähnliche An- lage mit gegliederten schlanken Pfeilern statt der Rundsäulen. Diese Gliederung nähert sich schon etwas derjenigen im Dom von Mailand, allein die Leichtigkeit der Bildung und die Wohlräumigkeit des Ganzen lassen diess vergessen. Da die Seitenschiffe fensterlos blieben, brach man in die (ältere) Fassade grosse gothische Fenster ein. Die einschiffigen gothischen Kirchen Verona’s theilen mit den üb- rigen die schöne, malerisch glückliche Behandlung des Äussern. Nichts, was nicht auch anderswo vorkäme, aber Alles vorzüglich hübsch bei- sammen und selbst durch Unsymmetrie reizend. Einen solchen Anblick c gewährt besonders S. Fermo mit seiner aus Backstein und Marmor gemischten Fassade, dem Vorbogen des Seitenportals, den Giebeln und Spitzthürmchen des Chores und Querbaues. Im Innern das voll- ständigste Beispiel eines grossen Holzgewölbes, aus je drei Reihen Consolen mit zwei halben und einem mittlern ganzen Tonnengewölbe bestehend; den constructiven Werth können nur Leute vom Fach be- d urtheilen. S. Eufemia ist von Aussen weniger bedeutend und im Innern ganz erneuert. Die gothischen Kirchen Venedigs sind mit Ausnahme der bei- den genannten von keinem Belang; meist auf Säulen ruhend, deren Capitäle insgemein von auffallend roher Bildung sind. Sie wiederholen Herzogthum Mailand. etwa aussen im Kleinen den Chorbau von S. Giovanni e Paolo, nur mit bloss je einer Capelle zu beiden Seiten des Chores. Die einzige schöne Fassade findet sich an S. Maria dell’ Orto; — einfach gut in Back- a stein: diejenige von S. Stefano. Die Liebhaberei für rundtheilige und b wunderlich ausgeschwungene Mauerabschlüsse, welche sogar den er- habenen einfachen Giebel der Frari nachträglich nicht verschonte, hat an S. Apollinare, S. Giovanni in Bragora und anderwärts ihr Genüge c gefunden. — Im Carmine (1348) sind vom alten Bau nur noch die 24 d Säulen und die Chorabschlüsse kenntlich. — S. Giacomo dall’ Orio, e wunderlich durcheinander gebaut. Die Decken bestanden wohl ehemals durchgängig aus jenen eigen- thümlich und nicht unschön construirten Holzgewölben, deren eines (erneuert) noch in S. Stefano vorhanden ist. (Vorige Seite, c.) f Die gothischen Kirchen des alten Herzogthums Mailand , zum Theil von grossem decorativem Reichthum, stehen den toscani- schen und manchen der ebengenannten in all dem, was die Seele der Architektur ausmacht, beträchtlich nach. Man fühlt, dass die grossen Fragen über Raum, Verhältnisse und Gliederung nicht hier entschie- den werden, wo man sich noch mit der alten lombardischen Unform der in ganzer Breite emporsteigenden Fassaden begnügt und auch im Innern die Schiffe kaum in der Höhe unterscheidet, wo der Säulen- bündel in gedankenloser Weise beibehalten oder mit besonders schwe- ren Rundsäulen vertauscht wird, wo endlich das Detail schon des wechselnden Stoffes wegen beständig im Ausdruck schwankt. Neben dem Stein kommt nämlich in Oberitalien der Backstein, oft in sehr reicher Form und schönen, geschickten Motiven, zur häufigen Anwen- dung; — der Architekt wird eine Menge vortrefflicher Einzelideen darin ausgedrückt finden, — aber der Steinbau wurde darob an seinen eige- nen Formen irre. Vom Dom zu Mailand , welcher theils Ergebniss, theils Vor- bild dieser Bauentwickelung ist, war oben schon die Rede. Der Dom von Monza , im XIV. Jahrhundert so wie er jetzt ist, g von Marco di Campione neu erbaut, fünfschiffig, wiederholt in seiner Marmorfassade lauter Ziermotive, welche eigentlich dem Backsteinbau Gothische Architektur. Herzogthum Mailand. angehören. Dieselbe ist das nächste Vorbild, zugleich das Geripp der Mailänder Fassade. Das Innere hat dicke Rundsäulen mit weitge- a spannten Bogen, ist übrigens total verkleistert. — An S. Maria in Strata zu Monza ist die einzig erhaltene obere Hälfte der Fassade ein wirklicher und höchst eleganter Backsteinbau. b In Mailand geben die gothischen Theile von S. Maria delle Grazie — Fassade und Schiff — den mittlern Durchschnitt lombar- discher Kirchen dieses Styles. (Sonstige gothische Kirchen in Menge, c eine der grössten S. Eustorgio , eine der edelsten S. Simpliciano .) d — Der sehr elegante Thurm von S. Gottardo (am kaiserlichen Pa- last), aus Stein und Backstein gemischt, giebt mit Ausnahme der Spitz- bogenfriese kein einziges Motiv, welches nicht schon im romanischen Styl vorkäme. Achteckig; die Ecken so leicht als das Übrige. e S. Francesco zu Pavia zeigt bei einer tollen, schachbrettarti- gen Verzierung der Fassade doch ein gewisses Gefühl für bedeutende Wirkung. f Der Dom von Como ; die ältern Theile, von einem im Jahr 1396 begonnenen Bau, gehören zur besten lombardischen Gothik; die Pfei- ler ungleich besser gebildet, ihre weite Stellung Die beiden ersten Intervalle sind noch eng, so dass die Nebenschiffe hier in regelmässige Quadrate zerfallen wie im Dom von Mailand. Erst vom dritten Intervall an beginnt die Schönräumigkeit im Sinne des Italienisch-Gothischen. italienischer als im Dom zu Mailand. Die Fassade, eine der wenigen in der Mitte be- deutend erhöhten, hat auch sonst wohlthuende Verhältnisse, aber eine spielende Decoration. (Auflösung der Wandpfeiler in Kästchen mit Sculpturen etc.) Querschiff und Chor 1513 von Tommaso Rodari bei- gefügt, sind von trefflichster Renaissance. S. unten. In dieser Zeit wurden auch die Aussenseiten und Strebepfeiler des Langhauses in- crustirt; die Spitzthürmchen der letztern eine höchst zierliche Über- setzung aus dem Gothischen in die Renaissance. (Ähnliches beson- ders an französischen Kirchen dieser Zeit, S. Eustache in Paris etc.) g Die berühmte Certosa von Pavia , in demselben Jahr 1396 von Marco di Campione begonnen, hat dieselben Vorzüge vor dem Dom von Mailand; schlanke, edelgebildete Pfeiler von weiter Stellung. Der Hauptnachdruck liegt indess auf der Fassade, welche die prächtigste Profanbau. Oberitalien. des Renaissancestyls ist, wovon unten; aus dieser Zeit auch Quer- bau und Chor. In Betreff des gothischen Profanbaues hat wohl Oberitalien im Ganzen das Übergewicht durch die grosse Anzahl von damals mäch- tigen und unabhängigen Städten, welche in der Schönheit ihrer Stadt- häuser und Privatpaläste mit einander wetteiferten. Dem Style nach sind es sehr verschiedenartige Versuche, etwas Bedeutendes und Gross- artiges zu schaffen; eine unbedingte Bewunderung wird man vielleicht keinem dieser Gebäude zollen, da das gothische Detail nirgends in reinem Verhältniss zu dem Ganzen steht. Allein als geschichtliche Denkmale, als Maassstab dessen, was jede Stadt an Repräsentation für sich verlangte und ihrer Würde für angemessen hielt, machen be- sonders die öffentlichen Paläste einen oft sehr grossen Eindruck. An den Anfang dieser Reihe gehört schon zeitlich als ganz früh gothisches Gebäude und vielleicht auch dem Werthe und dem Ein- druck nach der Pal. Communale zu Piacenza ; unten eine offene a Halle von Marmorpfeilern mit primitiven, aus reinen Kreissegmenten bestehenden Spitzbogen, oben ein Backsteinbau mit gewaltigen Rund- bogen als Einfassung der durch Säulchen gestützten Fenster; die Fül- lung mit einem auf die einfachste Weise hervorgebrachten Teppich- muster. (Der grosse Saal im Innern völlig entstellt.) Eines der früh- sten Gebäude, in welchen das freistädtische Selbstgefühl sich auf ganz grossartige monumentale Weise ausspricht. Von den berühmten Bauten Cremona’s kann der Verfasser nicht b aus eigener Anschauung berichten. Mailand besitzt ein Backsteingebäude einziger Art, aus der letz- ten gothischen Zeit, schon mit Renaissance gemischt: die alten Theile der Fassade des grossen Hospitals , angeblich von Antonio Fila- c rete , einem Florentiner; es sind die reichsten und elegantesten gothi- schen Fenster, die sich in diesem Stoff bilden liessen. Der stattliche Palazzo pubblico in Como , mit Steinschichten ver- d schiedener Farben (beim Dom) folgt in der Anlage dem Palast von Piacenza, nur in viel kleinerm Maassstab. Gothischer Profanbau. Oberitalien. a Ebenso derjenige in Bergamo , dessen offene untere Halle auf Pfeilern und (innen) auf Säulen ruht. In Parma und Modena nichts von Belang. Dagegen besitzt Bologna eine Anzahl von Denkmälern, welche die oberitalische und die toscanische Weise zu einem merkwürdigen b Ganzen vereinigen. — Vor Allem ist die Loggia de’ Mercanti (oder la Mercanzia) ein sehr schönes Beispiel gothischen Backstein- baues, angeblich vom Jahr 1294, doch wohl ein Jahrhundert neuer und vielleicht von der Loggia de’ Lanzi in Florenz (s. unten) bedingt. Der Sinn ist wesentlich ein anderer: es sollte die Fronte einer Art von Börse und Handelsgerichtslokal werden. — Das Material lud dazu ein, die Pfeiler als reiche Säulenbündel zu construiren; andererseits hängt damit die zaghafte Bildung des Hauptgesimses zusammen. Eine empfindliche Disharmonie liegt darin, dass (dem mittlern Baldachin zu Liebe) die Fenster nicht auf die Mitte der beiden untern Spitzbo- gen kommen. (Die Seitenfronten modern.) Den Eindruck einer jener grossen Familienburgen des Mittelalters c giebt, ebenfalls im Backsteinbau, am ehesten der Palazzo Pepoli , wo ausser den reichprofilirten gothischen Thorbogen noch ein gewal- tiger Hof mit Hallen an der einen Seite und vorgewölbten Gängen an den drei übrigen erhalten ist. Nimmt man den zierlichern Hof des d Hauses Nr. 373 hinzu, so vervollständigt sich einigermassen das Bild des bolognesischen Privatbaues im XIV. Jahrhundert. — Das riesige e Schloss, welches jetzt Palazzo Apostolico heisst, hat an der Vor- derseite noch einige reiche grosse Fenster; der erste Hof ruht fast nach altflorentinischer Weise auf achteckigen Pfeilern mit Blätter- capitälen und nicht völlig halbrunden Bogen. f Der Palazzo della ragione zu Ferrara , vom Jahr 1326, ein merkwürdiger gothischer Backsteinbau, hat bei der vor 20 Jahren unternommenen Erneuerung eine fast völlig neue Oberfläche erhalten. g Der Palazzo della ragione zu Padua ist mehr wegen der unge- heuern Grösse seines gewölbten obern Saales als aus irgend einem andern baulichen Grunde merkwürdig. (Die jetzige Gestalt nach 1420.) Sehr unglückliche Beleuchtung; die Vertheilung der Fresken Miretto’s nicht architektonisch motivirt; die äussere Halle von zwei Stockwer- ken interessant als diejenige Form, welche Palladio anderthalb Jahr- Venedig. Dogenpalast. Adelspaläste. hunderte später an der sog. Basilica zu Vicenza neu belebt zu repro- duciren hatte. Venedig hat vor Allem seinen weltberühmten Dogenpalast , a begonnen um 1350 von Filippo Calendario . Es ist schwer mit einem Gebäude zu rechten, welchem abgesehen von Grösse und Pracht auch noch durch historische und poetische Vorurtheile aller Art ein so grosser Phantasie-Eindruck gesichert ist. Sonst müssten wir be- kennen, dass die ungeheure, rautenartig incrustirte Obermauer die bei- den Hallenstockwerke, auf welchen sie unmittelbar ruht, in den Boden drückt. Man hat desshalb auch immer gemeint, das untere derselben habe wirklich durch Auffüllung des Bodens etwas von seiner Höhe eingebüsst, bis Nachgrabungen diess als irrig erwiesen. Jedenfalls ist schon die Proportion desselben zum obern unentschieden, geschweige denn zum Ganzen; entweder müsste es derber und niedriger, oder höher und schlanker sein als es ist. Auch hier offenbart sich der Mangel an demjenigen Gefühl für Verhältnisse, welches sich nur da entwickelt, wo die Architektur festen Boden und grossen freien Raum zur Verfügung hat. — An sich aber wirkt das obere Hallenstockwerk ausserordentlich schön und hat als durchsichtige Galerie in der Kunst des Mittelalters nicht mehr seines Gleichen. — Die Fenster der Ober- mauer und die Zinnen des Kranzgesimses sind blosse Decoration, dagegen die Porta della Carta (s. unten) ein sehr werthvoller und tüchtiger Bau des sich schon zur Renaissance neigenden spätgothischen Styles (1439). Dieses wunderbare Gebäude ist nun theils Nachbild, theils Vor- bild einer bedeutenden Palastbaukunst, die im XIV. und während der ersten Hälfte des XV. Jahrhunderts in Venedig blühte. Sie unter- scheidet sich von der sonstigen italienischen (florentinischen, sienesi- schen) dadurch, dass sie sich nicht aus dem Bau fester Familienbur- gen entwickelt, welche dem politischen Parteiwesen als Schauplatz und Zuflucht zu dienen haben. Vielmehr ist es hier der ruhige Reich- thum, der sein heiteres Antlitz am liebsten gegen den grossen Canal wendet. Das Erdgeschoss war (wenigstens früher) den Waarenlagern und Geschäften gewidmet; einfache Bogenthore öffnen sich für die Landung der Barken und Gondeln; ausnahmsweise auch etwa eine Gothischer Profanbau. Paläste von Venedig. offene Halle. In den obern Stockwerken aber, die zur Zeit des byzan- tinischen Styles (S. 118) nur überhöhte Bogenfenster auf Säulen ge- habt hatten, entwickelt jetzt der gothische Styl ein keckes Pracht- motiv; über und zwischen den Spitzbogen folgen nämlich ebenfalls durchbrochene Rosetten, die noch mit zum Fenster gehören. In der Mitte drängen sich eine Reihe von solchen Fenstern zu einer grossen Loggia zusammen, womit die einzelnen Fenster auf beiden Seiten vor- trefflich contrastiren Auffallend bleibt es. dass die Loggia stets aus einer geraden Zahl von Fen- stern (4, 6, 8) besteht, so dass eine Säule auf die Mitte trifft. Vgl. S. 107, unten, und S. 138 oben. . Rechnet man hinzu die Bekleidung der Haus- ecken mit gewundenen Säulen, die der Wandflächen mit bunten Stein- arten, die der Fenster mit birnförmigen Giebeln und die des Dachran- des mit moresken Zinnen, so ergiebt sich ein überaus fröhliches und zierliches Ganzes. Aber zu dieser leichten und luftigen Bauweise ge- hört auch der Wasserspiegel und das bewegte Leben der Canäle; wo solche Paläste oder ihre Rückseiten auf blossen Plätzen (Campi) stehen, wirken sie auffallend geringer und das Auge kann den Jubel nicht mehr recht begreifen. Vor einer Nachahmung in den Strassen unserer nordischen Städte wird sich jeder besonnene Architekt wohl hüten. a Das niedlichste dieser Gebäude ist die Ca Doro ; sie zeigt, in welchen Dimensionen dieser Styl am glücklichsten wirkt. Aus der grossen Zahl der übrigen Paläste nennen wir diejenigen am Canal grande, vom Marcusplatz beginnend: — (Rechts) das jetzige Albergo dell’ Europa; nahe dabei ein kleines Gebäude, an welchem auch die reichen Balcons noch wohl erhalten sind. — (Rechts) Palast Barbaro, — und Palast Cavalli, letzterer besonders energisch in der Fenster- b bildung. — (Links) die aneinander stossenden Paläste Giustiniani, — c und der grosse Palast Foscari , welcher die Wendung des Canals d beherrscht, mit achtfenstrigen Loggien. — (Links) Palast Pisani a S. Polo, ebenfalls einer der bedeutendsten. — (Links) Palast Ber- nardo. — (Rechts) Palast Bembo. — Nach dem Rialto: (Rechts) Palast Sagredo — dann die genannte Ca Doro. In andern Gegenden der Stadt ist beinahe kein ansehnlicher Ca- nal, kein grösseres Campo, an welchem nicht irgend ein Gebäude die- Vicenza. Verona. Genua. Florenz. ser Art in die Augen fiele. Ich erwähne noch den Palast neben der Aquila d’oro, die Gebäude bei S. Polo, Albergo Danieli, u. s. w. Für Aquarellmaler: Palast Cigogna bei S. Angelo Raffaele, an sich gering. Eine Anzahl ähnlicher Gebäude findet man auch in Padua und in dem kleinen Vicenza , welches doch von jeher eine verhältniss- mässig bedeutende Baugesinnung offenbart. Unter den vicentinischen Palästen wird man z. B. zwei in der Nähe von Palast Barbarano mit a Vergnügen besuchen; sie haben ausser der Fassade auch noch ihre alten Hofhallen, Treppen, Balustraden etc. wenigstens stückweise. Ein arti- ges Häuschen, Nr. 1666, mit teppichartigen Arabesken bemalt. U. S. w. b In Verona finden wir an den gothischen Palästen zwar auch den venezianischen Typus wieder, aber in einer andern Nuance, mit vorherrschender Berechnung auf Mauerbemalung. Auch die steinerne Staffage im obern Theil der Fenster hat eine eigenthümliche Gestalt. — (Der Hof des Municipio daselbst, unter dem grossen Thurm auf c Piazza delle Erbe, theils romanisch, theils gothisch, gewährt mit seiner hallenbedeckten Marmortreppe wenigstens einen malerischen Anblick.) Genua besitzt von diesem Styl nichts von Bedeutung. Die Gothik der paar Häuser auf Piazza S. Matteo beschränkt sich im Grunde auf die Bogenfriese, ebenso an mehrern andern Gebäuden der alten Stadt- theile. Die Höfe, auf welchen hier der Accent gelegen haben muss, sind überall verbaut. Für Architekten wenigstens ein halberhaltenes Specimen: in dem anonymen Strassengewirr um Madonna delle Vigne das Haus Nr. 463; eine sculpirte Thür führt in ein Höfchen mit Spitz- d bogenhalle und niedlicher Freitreppe, welche noch ihre gothische Ba- lustrade hat; die Fassade abwechselnde Schichten, schwarz und weiss. Florenz ist sehr reich an einzelnen Bestandtheilen, zumal untern Stockwerken mittelalterlicher Familienburgen, die man nur in uneigent- lichem Sinne als Paläste bezeichnen könnte. (Ganze Gassen entlang z. B. um Piazza de’ Peruzzi, Borgo S. Croce etc.) Eine künstlerische Form ist fast nirgends durchgeführt; die einfachen meist achteckigen Pfeiler, die hin und wieder die wenigen Bogen des Hofes stützen, Gothischer Profanbau. Florenz. haben anspruchlose Blättercapitäle. Diese Steinhäuser waren Vesten und mussten in bürgerlichen Wirren Vieles aushalten können; gerne behalf man sich unter dieser Bedingung so eng es anging. (Die Gänge auf starken Consolen rings um einen kleinen Hof hervorragend, in a einem vollständigen Beispiel Palast Davanzanti, Via di Porta rossa Nr. 1125.) Belehrend ist die hier klar zu Tage liegende Entstehungs- weise der modernen Rustica (Bossagen): weit entfernt, sie als ein Mittel der ästhetischen Wirkung zu benützen, meisselte man den Qua- der gern glatt, wenn Zeit und Mittel es zuliessen; blieb er einstwei- len roh, so wurden doch um der genauen Zusammenfügung willen seine Ränder scharf und sorgfältig behauen. Eine völlige Gleichmäs- sigkeit der Schichten oder gar der einzelnen Steine wurde selbst an öffentlichen Gebäuden nicht erstrebt. Erst die Renaissance fand, dass man die Rustica als künstlerisches Mittel behandeln und durch Ab- stufung aus dem Rohern in das Feinere zu bedeutungsvollen Contra- sten der einzelnen Stockwerke benützen könne. (Vgl. S. 36, Anm.) Von Privatgebäuden des XIV. Jahrhunderts, in welchen die Säu- lenhalle des Hofes schlankere Verhältnisse und einen Anfang räumli- b cher Schönheit zeigt, nenne ich beispielshalber Palazzo Conte Capponi c (Via de’ Bardi) und Palazzo Conte Bardi (Via del fosso 187), dessen Hof auf zwölf sehr schlanken Säulen mit überhöhten Rundbogen ruht, angeblich ein Gebäude des Brunellesco, und in diesem Fall ein frühes Jugendwerk. Von Arnolfo , dem Erbauer des Domes, rührt bekanntlich auch d Palazzo Vecchio her (vom Jahr 1298). Grösse, Erinnerungen, Steinfarbe und phantastischer Thurmbau geben diesem Gebäude einen Werth, der den künstlerischen bei Weitem übertrifft. Das ganze Innere nebst dem Hinterbau ist spätern Ursprunges. — Dem Agnolo Gaddi e gehört die jetzige Gestalt des Palazzo del Podestà (oder del Bargello, vom Jahr 1345) zu, welcher an malerischer Wirkung zumal des Hofraumes seines Gleichen sucht, in Beziehung auf das Detail aber ebenfalls nicht viel mehr bietet als Zinnen, spitzbogige Fenster mit mässigem Schmuck, sehr bescheidene Gesimse, und im Hof ein (jetzt vermauertes) Stück Halle. Bei weitem das schönste gothische Profangebäude der Stadt ist f Orcagna’s Loggia de’ Lanzi (begonnen 1376). Hier begegnen Loggia de’ Lanzi. Pisa. wir wieder demjenigen Raum- und Formgefühl, welches S. Maria novella, S. Croce und den neuen Dom von Siena schuf. Der Ort, wo die Obrigkeit ihre feierlichsten Functionen vollzog, wo sie vor dem Volk auftrat und mit ihm redete, in einer Zeit, da die Florentiner sich als das erste Volk der Welt fühlten — eine solche Räumlichkeit durfte nicht in winzigem und niedlichem Styl angelegt werden. Mög- lichst wenige und dabei grossartige Motive konnten allein der „Maje- stät der Republik“ einen richtigen Ausdruck verleihen. Die einfache Halle von drei Bogen Breite umfasst einen ungeheuern Raum, mit ge- waltigen Spannungen, über leicht und originell gebildeten Pfeilern; ihr Oberbau hat unabhängig von antiken Vorbildern gerade diejenige Form getroffen, welche für Auge und Sinn die hier einzig wohlthuende ist: über breiter Attica tüchtige Consolen und eine durchbrochene Balustrade. Von dem als Kornspeicher erbauten Orsanmicchele ist schon oben (S. 144) die Rede gewesen. Die Thore von Florenz, meist aus dem XIII. Jahrhundert, über- a raschen durch den mächtigen Ernst der Construction, die Grösse der Pforte und die Höhe des stadtwärts schauenden Bogens. — Nebst den meisten andern italienischen Stadtthoren dieser Zeit entbehren sie der überragenden Seitenthürme, welche häufig an deutschen Stadtthoren vorkommen; in Italien z. B. am Arco dell’ Annunziata zu Lucca, an b der interessanten Porta della Vacca in Genua, an einem andern Bin- c nenthor daselbst, etc. Die wenigen daran angebrachten Decorationen durchgängig solid und einfach; im Bogen gegen die Stadt Fresco- gemälde, die Mutter Gottes und die Schutzpatrone darstellend. In Pisa ist das Doganengebäude unweit der mittlern Brücke ein d ernsterer steinerner Zierbau, das jetzige Caffe dell’ Ussero gegenüber e am Lungarno ein leichterer backsteinerner (XIV. Jahrhundert, mit einzelnen Veränderungen der Fenster im Renaissancestyl). Die Flä- chen, wie sie sich durch die Einrahmung mit Pilastern, Bogen etc. ergaben, sind ganz naiv mit gothischem Blattwerk ausgefüllt, nach einem schon wesentlich modernen Gefühl. Einzelne Details von fein- ster Eleganz. Gothischer Profanbau. Siena. Pistoja. Ganz Siena ist voll von gothischen Privatgebäuden und Palästen des XIV. Jahrhunderts; keine Stadt Italiens oder des Nordens, weder Florenz und Venedig, noch Brügge und Nürnberg ist in dieser Be- ziehung reicher. Man findet sie von Stein, von Backstein und gemischt, a wie z. B. der Palazzo Pubblico ; sonst mögen noch Palazzo Tolo- b mei, Palazzo Saracini und als zierlichster Backsteinbau Palazzo c Buonsignori genannt werden. — Sie können dem jetzigen Archi- tekten nicht viel helfen; denn wenn er auch ihre nur mässigen Pro- file und Zierformen, wenn er selbst die beträchtliche Höhe ihrer Stock- werke nachbilden dürfte, so würde man ihm doch nicht leicht den Luxus des Materials gestatten, auf dessen echter, unverkürzter An- wendung ganz wesentlich der Effect beruht. In Mörtel und (wenn es hoch kommt) Zink nachgeahmt würden diese Formen und Massen nicht viel bedeuten. Die durchgehende Form der Maueröffnungen ist der Spitzbogen, welcher in der Regel drei durch Säulchen geschiedene Fenster ent- hält. Der Bogen selbst bleibt eine müssige Verzierung; oft darunter noch ein sog. Stichbogen (Kreissegment). Eine freie Nachahmung der Loggia de’ Lanzi ist die Loggia d degli Uffiziali am Casino de Nobili in Siena (1417). Sie hat im Kleinen dieselbe Schönräumigkeit; die Hauptglieder der Pfeiler sind hier Halbsäulen; das obere Stockwerk ist in seiner jetzigen Gestalt wohl ein Jahrhundert neuer, passt aber trefflich zum untern. Endlich sind die Brunnen , eigentlich grosse, mit massigen Spitz- bogen überwölbte Wasserbehälter, für Siena bezeichnend. Der Kunst- e werth ist bei Fonte Branda (1193) wie bei Fonte nuova und den übrigen gering, der malerische Eindruck aber durch die phantastische Umgebung, namentlich der erstern, einer der besten dieser Art, die man aus Italien mitnimmt. f In Pistoja sind Palazzo del Commune und Palazzo de’ g Tribunali (ehemals del Podestà) aus dem XIV. Jahrhundert; beide mit Spitzbogen über den Fenstern. Der letztgenannte Palast hat eine stattliche untere Halle mit breiten Kreuzgewölben; vier weite Rund- bogen schliessen den Hof ein. Dieser ganze Raum ist überdiess sehens- werth der zahllosen gemalten Wappen wegen; man ist in den jetzigen italienischen Wappen gewohnt, eine gänzliche heraldische Gesetzlosig- Perugia. Viterbo etc. keit, eine beständige Verwechselung der Wappengegenstände mit Sym- bolen und Emblemen anzutreffen, die von Hause aus etwas ganz an- deres sind; hier dagegen sind alte Wappen sammt Helmzierden und Zu- thaten echt heraldisch und mittelalterlich gehandhabt. Leider hat eine neuere Restauration Einiges im Styl von Theaterdecorationen hinzugefügt. Besonders edel und glücklich ist die Fensterbildung am Palazzo a del Commune zu Perugia , wo je 3 oder 4 durch Säulchen ge- trennte Fenster zusammen in ein gutprofilirtes Quadrat eingerahmt sind. Diese Fenster sind, wie auch das prachtvolle Portal, als Ein- zelschmuck nicht sehr regelmässig in die durchaus glatte Quaderfronte eingesetzt und so der Anspruch auf organische, strenge Gesammt- composition ganz geflissentlich vermieden. Zwei Consolenfriese und oben ein Bogenfries sind die einzigen durchgehenden Glieder. Weiter nach Süden besitzt Viterbo ein artiges gothisches Pa- b lästchen (wenn ich nicht irre, das Vescovato) in der Nähe des Domes. Die Brunnen , wofür diese Stadt namhaft ist (Fontana grande c 1206—1279 etc.), sind wie die meisten italienischen Brunnen des Mittelalters, Breitbauten, während in der nordischen Gothik auch der Brunnen ein Stück Kirchenbau, und zwar ein Abbild des Kirchthurms darstellen muss. Der schönste italienische Brunnen dieser Zeit ist der d dreischalige zu Perugia, den wir bei Anlass der Sculptur wieder er- wähnen müssen. (Die Brunnen von Siena verlangten als grosse Was- serbehälter einer Bergstadt jene besondere Form.) Von den gothischen Profanbauten der Mark Ancona und der Ro- magna von Bologna abwärts bedaure ich keine Rechenschaft geben zu können. In Ancona ist, wenn ich mich recht erinnere, die Börse e ein stattlicher Backsteinbau dieser Zeit. In Ravenna nichts von Be- lang. Rimini soll Mehreres enthalten. Rom besitzt mit Ausnahme der Minerva und einiger Flickbauten an ältern Kirchen überhaupt nichts von germanischem Styl; Neapel wenigstens keinen Profanbau von höherer künstlerischer Bedeutung. Dergleichen Gebäude reichen in der Regel so weit damals ein freies municipales Leben reichte. B. Cicerone. 11 Gothische Architektur. Schlösser. An Schlössern dieser Epoche, und zwar oft ungeheuer grossen, ist zumal in Mittel- und Unteritalien kein Mangel. Sie gehören nicht der Kunstgeschichte an, nehmen aber in der Geschichte des Kriegs- baues ohne Zweifel eine bedeutendere Stelle ein als unsere nordischen Adelsschlösser. Der grosse Aufschwung kam in den italienischen Fe- stungsbau allerdings erst während des XV. Jahrh., als Päpste, Fürsten und Republiken sich auf alle Weise gegenseitig sicher zu stellen suchten. Aus dieser Zeit stammt der jetzige Bestand vieler jener „rocche“, welche die italienischen Städte, auch Thalschluchten und Flüsse beherrschen; bedeutende Baumeister wie Bern. Rosellino und Andere waren ihr Le- benlang vorzugsweise mit solchen Aufgaben beschäftigt und auch das Ausland zog die italienischen Ingenieure an sich. Ausser Stande, das Militärische an diesen Bauten zu beurtheilen, nenne ich nur um des hoch- malerischen Anblicks willen die von Filippo Maria Visconti (um 1445) a errichteten Festungswerke von Bellinzona , bestehend aus drei Schlös- sern und deren Verbindungsmauern nebst einer Mauer bis an den Ti- cino. Von den frühern viscontinischen Bauten ist das schicksalsbe- b rühmte Castell von Pavia auch architektonisch als Palast ausgezeichnet, c von den spätern das Castell von Mailand, welches im XVI. Jahrhun- dert als die vollkommenste Veste der Welt galt; von dem alten Bau sind nur die unzerstörbaren Eckthürme und ein Theil der dazwischen liegenden Mauern ganz kenntlich erhalten, die innern Theile meist umgebaut. — Von den Angioinen-Schlössern im Königreich Neapel d wird wohl das colossale Castel nuovo der Hauptstadt (unter Carl von Anjou angeblich nach einem Plan des Giovanni Pisano begonnen) e den unbestreitbaren Vorzug behalten. Die stattlichen Mauern und Thürme Neapels vom Carmine bis über Porta Capuana hinauf sind erst aus der Zeit Ferdinands I. von Aragon (1484). — Über die Thore von Florenz s. Seite 159. — Von den Thürmen, welche das Abzeichen städtischer Adelswohnungen waren, hat sich in Pavia (noch jetzt) am meisten, in Florenz einer oder der andere, in Bologna die durch f ihre Schiefheit allzuberühmte Garisenda und die weniger schiefe aber viel höhere Torre degli Asinelli erhalten. (Erstere wenigstens ab- sichtlich so gebaut.) Ebenda noch einige andere. g Ausser aller Linie steht endlich das Castell von Ferrara , bei weitem der bedeutendste Anblick, welchen Italien in dieser Gattung Decoration. gewährt. Steinfarbe, Wassergräben, Vor- und Rückwärtstreten der einzelnen Theile, treffliche Erhaltung ohne entstellende Zuthaten — Alles trägt dazu bei, die Burg des Hauses Este zu einem malerischen Gegenstand zu machen, wie er sonst nicht wieder vorkömmt. Es sei noch eine Schlussbemerkung über die gothischen Profan- gebäude überhaupt gestattet, die sich auch auf unsere nordischen be- zieht. Nur wo sehr reichliche Mittel vorhanden waren, wird man eine gegliederte Gesammtcomposition durchgeführt finden; sonst begnügte sich das Mittelalter mit einzelnen reichornamentirten Theilen , die oft ganz unsymmetrisch an dem sonst schlichten aber massiven Bau ver- theilt sind. Und solche Gebäude machen gerade oft die allerschönste Wirkung. Sie geben ein unmittelbares Gefühl des Überflusses, wäh- rend sog. durchcomponirte Gebäude unserer Zeit so oft den Gedanken rege machen, es habe am Besten gefehlt. Kleinere, decorative Arbeiten sind in Italien, wie angedeutet, nicht die starke Seite dieses Styles. Von einem der wichtigsten Werke, dem Tabernakel Oreagna’s, ist schon die Rede gewesen; anderes wird unten bei Anlass der Sculptur zu erwähnen sein. — In der Anord- nung ist der echte Organismus des Gothischen durchgängig missver- standen oder geflissentlich bei Seite gesetzt. Aber das von diesem Zwang befreite Detail ergeht sich oft in einem eigenthümlichen har- monischen Reichthum des Stoffes, der Form und der Farbe. Die Cos- maten (Seite 96) hatten ein System von Zierformen geschaffen, wel- chem man gerade jetzt am wenigsten entsagen wollte und das man mit den gothischen Grundformen oft auf die ansprechendste Weise verband. Die Fassade von Orvieto zeigt, wie weit dieses Streben bis- weilen führte. — Von kleinern Werken sind besonders Altartaber- nakel und Grabmäler der Beachtung werth. Der erstern enthält Rom vier bedeutendere: in S. Paul (kurz a vor 1300, von Arnulfus, vermuthlich Arnolfo del Cambio), in S. Cecilia b (von demselben), in S. Maria in Cosmedin (von dem Cosmaten Adeo- c 11* Gothische Decoration. Altäre. Grabmäler. a datus, nach 1300) und im Lateran (gegen 1370) Ausser demjenigen in der Kirche die Reste eines ältern im Klosterhof, von dem genannten Adeodatus. . Die mosaicirten Thürmchen, die südlich flachen Giebel u. s. w. sind nichts als Bastard- formen, aber die sichere und delicate Behandlung des Einzelnen, das prächtige Material, der monumentale Sinn und die Liebe, womit das Ganze vollendet ist, geben diesen Werken einen bedeutenden Werth. — Viel lebendiger gothisch und in plastischer Beziehung rei- cher durchgeführt (gewundene Säulen mit Blattwerk in den Rinnen etc.) b erscheint der erzbischöfliche Thron im Dom von Neapel, der vielleicht ursprünglich auch als Altartabernakel diente. In Oberitalien beginnt schon statt des frei und vierseitig com- ponirten Altartabernakels hie und da der nordische Altarschrein , d. h. eine Wand mit einfacher, doppelter oder dreifacher Nischenreihe für (meist hölzerne) Statuetten und mit geschnitzten Pyramiden als Abschluss; das Ganze bemalt und vergoldet. In einzelnen Fällen kamen solche Altäre sogar fertig aus dem Norden. Natürlich hat die spätere Zeit mit ihren vermeintlich so viel effectreichern grossen Altar- gemälden und Marmorgruppen diese bescheidenern Arbeiten grossen- theils von den Altären verdrängt; man muss zufrieden sein, wenn sie c überhaupt noch vorhanden sind. Im Dom von Piacenza ist z. B. ein prächtiger ehemaliger Altaraufsatz über dem Hauptportal angebracht. d Ein anderer in S. Petronio zu Bologna. (4. Cap. links.) An den berühmtern Kanzeln dieser Zeit ist das Architektoni- sche in der Regel der Sculptur untergeordnet, ebenso an den Pracht- gräbern von Heiligen. Die übrigen Grabmäler , als einer der ersten Anlässe zur Ent- wicklung einer neuen Sculptur hochbedeutend, sind in der baulichen Anordnung höchst verschieden. Gemeinsam ist ihnen ein Hauptmotiv, welches in neuern Grabdenkmälern meist ganz übergangen wird, nämlich der Sarcophag . Um und an diesen setzt sich der ganze übrige Schmuck in vielen Variationen an, während im Norden die Grabplatte — gleichviel ob liegend oder stehend — die Grundform bleibt, weil auch Bischöfe und Fürsten insgemein in die Erde gesenkt wurden. Die älteste Weise, den Sarcophag monumental bedeutend Gräber von Padua. zu machen, ist seine Aufstellung auf kurzen Säulen, wie z. B. der ver- meintliche Sarcophag des Trojaners Antenor in Padua aufgestellt ist; a man vergleiche auch das bescheidene Grabmal Gregors X († 1276) im b Dom von Arezzo. — Auch, wenn ich mich recht entsinne, das Grab c des Cardinals Anchera († 1286) in einer Nebencapelle rechts in S. Pras- sede zu Rom. — Oder der Sarcophag wird hoch an einer Wand auf Consolen angebracht, welche dann oft prächtig und kraftvoll gestaltet sind; vgl. die Gräber in mehreren älteren Kirchen Venedigs, im Dom von Florenz, im rechten Querschiff von S. Maria novella und im Kreuz- d gang von S. Croce daselbst u. s. w. In Padua sind die Grabmäler dieser Art eigenthümlich und nicht unschön aus allen drei Künsten gemischt. Über dem auf Consolen schwebenden Sarcophag, der bisweilen schöne Eckfiguren und eine fein individuelle Portraitstatue aufweist, wölbt sich ein Spitzbogen mit quadratischer Einfassung; auch dieser hat an den Ecken Statuetten, in der Leibung gemalte oder Relieffiguren; die Innenfläche des Bogens aber und seine Füllungen gehören regelmässig der Malerei an, welche die erstere meist mit einer thronenden Maria zwischen Heiligen, oder mit Mariä Krönung u. dgl. geschmückt hat. Ausser dem malerischen Werthe dieser Darstellungen, in welchen sich die paduanischen Giottes- ken mit mehr Glück und Liebe bewegen, als in den grossen Fresken- cyclen, ist auch die Sculptur mit ihrem oft sehr kenntlichen pisanischen Nachklang nicht zu verachten. An den beiden stattlichsten Gräbern dieser Art, von Mitgliedern der Fürstenfamilie Carrara, in den Ere- e mitani (rechts und links von der Thür) sind leider die Malereien ver- loren gegangen. Wohlerhaltene findet man z. B. in andern Theilen derselben Kirche, sodann im Santo (Durchgang rechts zum ersten f Klosterhof), im rechten Querschiff des Domes u. a. a. O. g Ausserhalb Padua’s kommen ähnliche, zum Theil recht schöne Gräber vor, z. B. in S. Corona zu Vicenza (Capelle rechts vom Chor); h sodann in Verona, nur dass hier der Oberbau insgemein wieder die Giebelform annimmt. Wo antike figurirte Sarcophage vorhanden sind, bedient man sich derselben in einzelnen Fällen und verziert sie mit sonderbaren Zu- sätzen, wie das Grabmal Savelli im Querschiff von Araceli zu Rom zeigt. i Endlich werden grössere Architekturen bei wachsendem Gräber- Gothische Decoration. Grabmäler. luxus zur Sitte. Blosse gothische Giebel auf gewundenen Säulchen über dem als Sockel behandelten Sarcophag stehend kommen z. B. a in S. Croce zu Florenz (Querschiff) vor, in Fällen wo statt einer Hinterwand der Durchblick verlangt wurde. Sonst ist die in Mittel- italien mehrmals und in trefflichem Styl vorkommende Gestalt die einer vollständigen gothischen Nische mit einem Gemälde oder Mosaik; unten steht darin der Sarcophag, mit der liegenden Statue des Verstorbenen, zu deren Haupt und Füssen Engel schützend das Leichentuch halten. So an b den beiden schönen cosmatischen Gräbern des Cardinal Consalvo († 1299) in S. Maria maggiore, rechts vom Hauptaltar, und des Bischofs c Durandus in S. Maria sopra Minerva zu Rom In S. Domenico zu Orvieto soll das schöne Grabmal eines Cardinals de Braye von Arnolfo herrühren. . — An den nea- politanischen Gräbern ist insgemein dieses Motiv mit einem der obengenannten in eine nicht eben glückliche Verbindung gebracht; der Sarcophag wird auf Säulen oder statt deren auf Caryatiden (allego- rische Tugenden) gestellt, so dass die darauf liegende Statue kaum mehr sichtbar ist; die beiden Engel aber, der geringen Höhe der Ni- sche wegen meist nur klein, machen sich hier mit dem Wegziehen des (steinernen) Nischenvorhanges mehr als billig zu thun. Der Giebel über der Nische hat dann noch seine besondere Ausbildung und seine Statuetten, ja oft noch einen besondern Baldachin, der das Ganze um- schliesst. Ausserdem erreicht das bauliche Gehäuse namentlich an den d Angioinengräbern in S. Chiara und S. Giovanni a Carbonara einen ausserordentlichen doch niemals reinen und schönen Reichthum. Diese und das zwar von Giotto aber nicht eben glücklich angeordnete e Grabmal Tarlati im Dom von Arezzo werden bei der Sculptur wieder zu erwähnen sein. Rom hat seine ältern Papstgräber in Bruchstücken, wobei die bauliche Einfassung durchweg verloren ging, in die Crypta von S. Peter, die Sagre grotte vaticane, verwiesen. Das Grab Gregors VII im Dom von Salerno ist modern; im Dom von Perugia ruht der grosse Inno- cenz III mit zwei Amtsnachfolgern unterhalb einer bescheidenen In- schrifttafel (im rechten Querschiff). Allein in S. Domenico zu Pe- f rugia (linkes Querschiff) ist wenigstens ein Papstgrab ersten Ranges Denkmäler der Scaliger. erhalten, dasjenige Benedicts XI († 1304) von Giovanni Pisano; ein prächtiger Innenbau unter einem Baldachin auf gewundenen und figu- rirten Säulen, alles mit reicher und dabei gemessener Mosaicirung. Ein ebenfalls prächtiges Papstgrab im Cosmatenstyl ist dasjenige Ha- a drians V († 1276) in S. Francesco zu Viterbo . Endlich beschliesst Verona den Kreis italisch-gothischer Gräber- formen mit den berühmten Denkmälern der Scaliger , bei S. Ma- b ria antica. Neben mehrern einfachern zeichnen sich diejenigen des Can Grande (1329), des Mastino II (vor 1351) und des Can Signorio (vor 1375) als Freiarchitekturen aus; das zu Grunde liegende, verschie- denartig ausgebildete Motiv ist der erhöhte Sarcophag mit liegender Statue unter einem Baldachin auf Säulchen, der mit einer Reitersta- tue gekrönt ist. Culturgeschichtlich sind diese Gräber eben so merk- würdig als in Betreff der Kunst. Ausserhalb der Kirche, in mehr politisch-monumentaler als in religiöser Absicht von den Gewaltherr- schern Verona’s noch bei Lebzeiten errichtet, sind sie die Vorstufe jener ganz profanen Reiterdenkmäler, wie sie später von den Venezia- nern als politische Belohnung für ihre Feldherrn gesetzt wurden. Hier sind die Reiterstatuen noch klein auf dem Gipfel angebracht; das Grab eines Generals und Verwandten der Scala, des Sarego, links im Chor c von S. Anastasia (1432), stellt Ross und Reiter schon beträchtlich grösser und als die Hauptsache dar (wovon unten.) — Das übrige Figürliche an den Gräbern der Scaliger, selbst an dem prächtigen des Can Signorio ( von Bonino da Campiglione ) ist ebenfalls mehr sachlich als künstlerisch wichtig. Die sechs Helden, welche in den Baldachinen des letztern prangen, sind noch als heilige Krieger zu ver- stehen (die Heiligen Georg, Martin, Quirinus, Sigismund, Valentin und Ludwig IX); wenige Jahrzehnde später wären es schon eher jene un- bestimmten römischen Heroen, welche an den Dogengräbern der Lom- bardi Wache zu halten pflegen. Renaissance. Die Ursprünge der modernen Baukunst und Decoration, bei wel- chen wir dem innern Werthe und den Architekten zu Gefallen etwas umständlicher verweilen wollen, heissen in der jetzigen Kunstsprache die Renaissance . Schon die betreffenden Künstler selbst glaubten an eine mögliche Wiedergeburt der ganzen antiken Architektur und meinten diesem Ziele wirklich sich zu nähern; in der That aber be- kleideten sie nur die von ihnen selbst geschaffenen Compositionen mit den antiken Detailformen. Die römischen Baureste, so grosse Begei- sterung ihnen im XV. Jahrhundert gewidmet wurde und so viel reich- licher als jetzt sie auch vorhanden waren, gaben doch für die Lösung der damaligen Aufgaben zu wenige unbedingte Vorbilder. Für mehr- stöckige Bauten z. B. war man fast einzig auf die römischen Theater und auf das damals noch vorhandene Septizonium Severi (am Fuss des Palatin) angewiesen, welches letztere denn allerdings einen be- deutenden Einfluss ausübte; für Prachtbekleidung von Mauern fand man nichts Besseres vor als die Triumphbogen. Von irgend einer Unterscheidung der Epochen war noch nicht die Rede; man nahm das Alterthum als Ganzes zum Muster und berief sich auf das Späteste wie auf das Frühste. Es wird bisweilen bedauert, dass Brunellesco und Alberti nicht auf die griechischen Tempel statt auf die Bauten von Rom stiessen; allein man vergisst dabei, dass sie nicht eine neue Compositionsweise im Grossen, sondern nur eine neue Ausdrucksweise im Einzelnen von dem Alterthum verlangten; die Hauptsache brachten sie selbst mit und zu ihrem Zweck passten gewiss die biegsamen römischen Formen besser. Ihre Eigenschaften und Epochen. Die Renaissance hatte schon lange gleichsam vor der Thür ge- wartet; in den romanischen Bauten Toscana’s aus dem XII. und XIII. Jahrhundert zeigt sich bisweilen eine fast rein antike Detailbildung. Dann war der aus dem Norden eingeführte gothische Styl dazwischen gekommen, scheinbar allerdings eine Störung, aber verbunden mit dem Pfeiler- und Gewölbebau im Grossen und daher eine unvergleichliche Schule in mechanischer Beziehung. Während man, so zu sagen, unter dem Vorwand des Spitzbogens die schwierigsten Probleme bewältigen lernte, entwickelte sich, wie oben erläutert wurde (S. 125 ff.), das eigen- thümlich italienische Gefühl für Räume, Linien und Verhältnisse, und dieses war die Erbschaft, welche die Renaissance übernahm. Sie wusste dieselbe gar wohl zu würdigen und Michelangelo hat nicht vergebens S. Maria novella „seine Braut“ genannt. Für das XV. Jahrhundert kommt noch eine besondere Richtung des damaligen Formgeistes in Betracht. Der phantastische Zug, der durch diese Zeit geht, drückt sich in der ganzen Kunst durch eine oft übermässige Verzierungslust aus, welche bisweilen auch in der Ar- chitektur die wichtigsten Rücksichten zum Schweigen bringt und scheinbar der ganzen Epoche einen wesentlich decorativen Charakter giebt. Allein die bessern Künstler liessen sich davon im Wesentlichen nicht übermeistern; und dann hat auch diese Verzierungslust selber nach Kräften eine gesetzmässige Schönheit erstrebt; sie hat fast hun- dert Jahre gedauert ohne zu verwildern, und ihre Arbeiten erreichen gerade um das Jahr 1500 ihre reinste Vollendung. Wir können zwei Perioden der eigentlichen Renaissance trennen. Die erste reicht etwa von 1420 bis 1500 und kann als die Zeit des Suchens charakterisirt werden. Die zweite möchte das Jahr 1540 kaum erreichen; es ist die goldene Zeit der modernen Architektur, welche in den grössten Aufgaben eine bestimmte Harmonie zwischen den Hauptformen und der in ihre Grenzen gewiesenen Decoration er- reicht. — Von 1540 an beginnen schon die ersten Vorzeichen des Barockstyls, welcher sich einseitig an die Massen und Verhältnisse hält und das Detail willkürlich als äussern Scheinorganismus behan- delt. Auch die allerhöchste Begabung, in einem Michelangelo, Palla- dio, Vignola, Alessi, Richini, Bernini, hat nicht hingereicht, um etwas Renaissance. Verhältniss zum Stoff. in jeder Beziehung Mustergültiges hervorzubringen; von ihrem unver- gänglichen relativen Werth wird weiter die Rede sein. Es lässt sich voraussehen, dass die Renaissance noch lange in der heutigen Architektur eine grosse Rolle spielen wird. Durch ihren scheinbaren Mangel an Ernst empfiehlt sie sich für jede Art von Prachtbekleidung; man glaubt mit ihr durchzukommen ohne irgend eine Consequenz mit in den Kauf nehmen zu müssen. Ich verkenne daneben nicht die erfolgreiche Bemühung geistvoller Architekten, die Formen der Renaissance zu reinigen, sie namentlich mit der griechi- schen Profilbildung in Zusammenhang zu bringen. Und wenn ein Vor- bild für Bauten, wie sie unser Jahrhundert bedarf, rückwärts und auswärts gesucht werden soll, so hat dieser Styl, der allein ähnliche Aufgaben ganz schön löste, gewiss den Vorzug vor allen andern. Nur suche man ihm zuerst seinen Ernst und dann erst seine spielende Zierlichkeit abzugewinnen. Man ergründe vorzüglich auch sein Ver- hältniss zum Material; der gewöhnliche Baustein spricht sich eigen- thümlich kräftig aus; einen bestimmten Ausdruck des Reichthums wird man dem Marmor, einen bestimmten dem Erz, einen andern dem Holz, und wiederum einen verschiedenen dem Stucco zugemuthet fin- den; und zwischen all diesem bleibt noch ein besonderes Gebiet für die Malerei unverkürzt übrig. Äusserst beherzigenswerth bleibt es, dass kein Stoff sich für etwas ausgiebt, was er nicht ist. Es giebt z. B. keine falsche, von Mörtel nachgeahmte Rustica vor den mittlern Jahrzehnden des XVI. Jahrhunderts; wer in den guten Zeiten der Renaissance nur mit Mörtel zu bauen vermag, gesteht es zu und be- gnügt sich mit der Derbheit der steinernen Fenstergewandungen und Gesimse. Aufgemalte Rustica kommt freilich schon frühe vor, al- lein dann in rein decorativem Sinne, nicht mit der Absicht zu täu- a schen. (Ein sehr frühes Beispiel, vielleicht noch aus dem XIV. Jahr- hundert, am Palast Conte Bardi in Florenz, via del fosso, N. 187). Sie ist auch ganz anders behandelt als das, was etwa an modernen Häusern von dieser Art (mit Schlagschatten etc.) hingemalt wird. Ihre Mängel. Einzelne grosse Befangenheiten hängen selbst den florentinischen Baumeistern an. Die Ecken ihrer gewölbten Räume z. B. bedurften entweder gar keiner besondern Form oder aber eines vortretenden Pfeilers, auf welchem dann die von beiden Seiten herkommenden Bo- gen, die Träger des Gewölbes ruhten; wenigstens eines abschliessenden Pilasters. Statt dessen schlug man oft einen Mittelweg ein und liess einen ganz schmalen Pfeilerrand mit einzelnen Bestandtheilen eines Capitäls aus der Ecke hervorgucken. Ueber die äussere Bekleidung der Kirchen, abgesehen von der Fassade, ist man erst spät ins Klare gekommen. Die Profilirung hat lange den Charakter der Willkür und trifft das Wahre und Schöne mehr durch unbewussten Takt als ver- möge eines Systems. In der Behandlung der Kranzgesimse kommen unglaubliche Schwankungen vor. An den venezianischen Bauten geht bisweilen durch die grösste Pracht ein auffallender Mangel an organi- schen Gedanken hindurch. Das Gefühl für schöne Verhältnisse der Flächen zu einander, für schöne Contraste ihrer Bekleidung (durch Rustica, Pilaster u. s. w.) macht gar oft einer blossen eleganten Ein- rahmung Platz, die alle vier Seiten mit demselben zierlichen Profil umzieht und sich weiter um nichts kümmert; so z. B. an manchen oberitalischen Bauten, u. s. w. An allen Enden offenbart sich der Hauptmangel dieses ganzen Styles: das Unorganische . Die Formen drücken nur oberflächlich und oft nur zufällig die Functionen aus, welchen die betreffenden Bautheile dienen sollen. Wer aber auf dem Gebiet der Baukunst nur in dem streng Organischen die Schönheit anzuerkennen vermag, hat auf dem italischen Festlande mit Ausnahme der Tempel von Pästum überhaupt nichts zu erwarten; er wird lauter abgeleitete und schon desshalb nur wenig organische Style vorfinden. Ich glaube indess, dass es eine bauliche Schönheit giebt, auch ohne streng organische Bildung der Einzelformen; nur dürfen letztere nicht widersinnig ge- bildet sein, d. h. ihren Functionen nicht geradezu widersprechen; es darf z. B. nicht das Schwere auf das Leichte gesetzt, nicht das con- structiv Unmögliche durch künstliche Mechanik erzwungen werden. Wo ein Reiz für das Auge vorliegt, da liegt auch irgend ein Element der Schönheit; nun übt offenbar ausser den schönen, strengen Formen auch eine gewisse Vertheilung der Grundflächen (Räume) und Wand- Renaissance. Entwürfe. flächen einen solchen Reiz aus, selbst wenn sie nur mit leidlichen, widerspruchslosen Einzelformen verbunden ist. Ja, es werden Auf- gaben gelöst, Elemente der Schönheit zu Tage gefördert, welche in den beiden einzigen streng organischen Stylen, dem griechischen und dem nordisch-gothischen, nicht vorkommen, und sogar nicht vorkom- men konnten. Was insbesondere die Renaissance, sowohl die frühere als die spätere, in dieser Beziehung Grosses geschaffen hat, soll im Folgenden kurz angedeutet werden. Natürlich blieb auch in der Blüthezeit der Renaissance das Beste und Grossartigste unausgeführter Entwurf. Wir erfahren durch Nach- richten, auch wohl durch Zeichnungen welche die grösste Sehnsucht rege machen, wie Brunellesco einen grossen Palast für die Mediceer, Rosellino eine neue Peterskirche sammt Umgebung und Residenz, Bra- mante einen neuen Vatican entwarf, zahlloser anderer Projekte der grössten Meister nicht zu gedenken. Die Sammlung der Handzeich- a nungen in den Uffizien enthält von dieser Gattung wenigstens einiges vom Wichtigsten. Für Architekten, welche mit der oft nur andeutenden Ausdrucksweise des Zeichners, namentlich mit den perspectivischen Halbansichten von Interieurs rasch vertraut sind, hat die Besichtigung derselben einen grossen Werth. Eine facsimilirte Herausgabe des Besten würde sich gewiss lohnen. Noch eine andere Quelle kann uns das Bild dieses Styles ergänzen helfen. So reich auch eine Anzahl besonders kleinerer Gebäude mit dem heitersten Schmuck ausgestattet ist, deren Venedig vielleicht die zierlichsten enthält, so konnten doch Marmor und Erz nicht alle Phan- tasien verwirklichen, denen sich die decorative Neigung des XV. Jahr- hunderts hingab. Wer auch diese Phantasien kennen lernen will, be- trachte die in vielen damaligen Bildern dargestellten Baulichkeiten; sie sind bunt, überladen, bisweilen unmöglich, und doch nicht nur oft von grossem Reiz, sondern auch zur Kenntniss des Baugeistes jener Zeit unentbehrlich, wobei nicht zu vergessen ist, dass viele Maler zugleich Baumeister waren. Mantegna und seine ganze Schule ist sehr reich an Hintergründen von Hallen mit Reliefs; von den Ferra- resen ahmte ihn Mazzolino hierin mit Übertreibung nach; Pinturicchio Idealdarstellungen von Gebäuden. ergiebt durchgängig Vieles, Dom. Ghirlandajo Einiges und Gutes (Chor a von S. M. novella in Florenz); selbst ein Maler dritten Ranges wie Domenico di Bartolo verleiht seinen Werken (Fresken im Hospital b della Scala zu Siena) ein grosses Interesse durch solche Zuthaten. Sandro Botticelli und Filippino Lippi waren vollends unermüdlich darin. Vorzüglich aber offenbaren die Fresken des Benozzo Gozzoli im Campo santo zu Pisa den Geist der Renaissancebauten in reichem c Masse. Ausserdem möchte ich noch auf die kleinen Legendenbilder Pisanello’s in der Sacristei von S. Francesco de’ Conventuali zu Pe- d rugia aufmerksam machen, welche einen ganzen Cursus idealer Re- naissance ohne Phantasterei gewähren. In Rafaels Sposalizio (Brera e in Mailand) findet sich dann ein gesetzmässig schönes Zusammenwirken der geschichtlichen Composition und des baulichen Hintergrundes, wel- cher hierauf rasch seinen überreichen Schmuck verliert und in die Dienstbarkeit des malerischen Ganzen tritt. Daneben scheidet sich (schon mit Baldassare Peruzzi’s Malereien im ersten obern Saal der f Farnesina in Rom) eine sog. Prospectmalerei als eigene Gattung aus. Mehrere der grössten Historienmaler haben indess fortwährend dem baulichen Hintergrund alle Sorgfalt zugewendet, wo der Gegen- stand denselben irgend zuliess. So vor allem Rafael, welcher schon wegen der Räumlichkeit der „Schule von Athen“ und des „Heliodor“ g den grössten Architekten beizuzählen sein würde. Dann zeigt sich Andrea del Sarto in seinen Fresken (Vorhalle der Annunziata zu Flo- h renz) als ein Meister einfach edler Baukunst. Von den spätern sind die Venezianer in dieser Beziehung am reichsten; Paul Veronese zu- mal, obschon alle seine Prachthallen das einzige Gebäude der Schule von Athen nicht aufwiegen. In der Zeit der entarteten Kunst nahm dieser Bestandtheil der Malerei schon als Hülfsmittel der Illusion einen neuen, beträchtlichen Aufschwung und unsere bedeutendsten Historien- maler könnten wohl einen Pater Pozzi, einen Luca Giordano und dessen Schüler um ihre ungemeine Fertigkeit in der Linien- und Luftper- spective architektonischer Gründe beneiden. Sehr edel, obwohl etwas kalt, ist die Architektur in den Bildern Nic. Poussin’s (auch wohl Claude Lorrain’s) gestaltet. Ausser den Gemälden sind auch die Intarsien (eingelegten Holz- arbeiten) an den Chorstühlen mancher Kirchen sehr belehrend; mit Frührenaissance. Brunellesco. Dom von Florenz. Vorliebe wurden darin architektonische Ansichten dargestellt, oft von a reicher, phantastischer Art; die besten vielleicht in S. Giovanni zu Parma. Auch wo die Intarsien geschichtliche Scenen enthalten, sind die baulichen Hintergründe bisweilen wichtig; so an den Chorstühlen b von S. Domenico in Bologna. Der erste, welcher nach emsigem Studium der Ruinen Roms, mit vollem Bewusstsein dessen was er wollte, die Bauformen des Alter- thums wieder ins Leben rief, war bekanntlich Filippo Brunellesco c von Florenz (1377 — 1446). Die Kuppel des Domes , als grösstes mechanisches Meisterwerk alles bisher (1421) geleistete überbietend, ist für die grosse Stylveränderung die sich an Brunellesco’s Namen knüpft, wenig bezeichnend; die äussere Decoration an der einzigen Seite des Achtecks, wo sie wirklich ausgeführt ist, rührt von Baccio d’Agnolo her, und die Lanterna ist ebenfalls später. — Arnolfo, der ursprüngliche Baumeister, scheint (S. 142) eine nicht sehr hohe Kuppel beabsichtigt zu haben, welche die drei Arme des Kreuzes nur mässig überragt hätte; erst Brunellesco erhob den Cylinder (sog. Tambour) mit den Rundfenstern und darüber die gewaltige Spitzkuppel. In der Wirkung steht sie tief unter der Kuppel von S. Peter; allein die Vergleichung ist eine ungerechte. Fürs Erste würde sie ohne die abscheulichen Malereien der Zuccheri, mit einer einfachen, dem Or- ganismus folgenden Decoration in heller Färbung Brunellesco selbst beabsichtigte allerdings eine Mosaicirung. , einen ganz andern Anblick von innen gewähren und nicht mehr einer flachen dunkeln Decke gleichen; sodann ist hier zum erstenmal der Cylinder bedeu- tend behandelt und eine Aufgabe der Construction gelöst, welche man später sowohl mechanisch überbieten als auch in reichern und freiern Formen ausdrücken konnte, welche aber das erste Mal am schwie- rigsten war. Brunellesco war zudem auf alle Weise durch Arnolfo’s Unterbau gebunden. d Während des Dombaues begann Brunellesco auch S. Lorenzo (1425). Auf einmal wird die Form einer Basilica oder Säulenkirche in einem neuen und edeln Geiste belebt; die Säule erhält wieder ihr S. Lorenzo. S. Spirito. Cap. de’ Pazzi. Gebälkstück und ihre antike Bildung, die Bögen ihre verzierten Pro- file; den gewölbten Seitenschiffen schliessen sich die Capellen als nie- drigere Nischen reihenweise an, alles mit streng durchgeführter Be- kleidung von Pilastern und Gesimsen, dergleichen damals wohl noch an römischen Nischenbauten erhalten war. Die Decke des Haupt- und Querschiffes (wohl nicht mehr die alte) ist flach; über der Kreuzung eine einfache Kuppel ohne Cylinder, welche weislich keinen Anspruch macht, da sie bei ihrer Kleinheit die Kirche doch nicht beherrschen könnte. Die reichen Rundformen sparte Brunellesco für die Sacristei auf, welche über ihrem Quadrat eine polygone niedrige Kuppel und über dem zierlichen Ausbau für den Altar eine kleine Flachkuppel hat. — Aussen am Oberschiff ein regelmässiges römisches Gebälk über der sonst glatten Mauer; Brunellesco konnte sich auf die Römer berufen, welche ebenfalls die Gebälke über blosse Mauern hingeführt hatten (Tempel des Antonin und der Faustina). Die Fassade, für welche nach Brunellesco auch Rafael und Michelangelo Entwürfe machen mussten, ist vor lauter grossen Absichten ein Rohbau ge- blieben. Auch der erste Klosterhof soll nach Brunellesco’s Entwurf gebaut sein. Lange nach Brunellesco’s Tode (1470) wurde eine zweite Basilica S. Spirito , nach seinen (wie man glaubt, sehr frei benützten) Zeich- a nungen begonnen. Hier sind die Capellennischen mit den Nebenschiffen gleich hoch und dafür wie für alles Detail ist Brunellesco kaum ver- antwortlich zu machen. (Die übertrieben grossen Portalakroterien; das Zusammentreffen zweier Fenster in einer Ecke aussen!) Auch die kleinliche Kuppel mit Cylinder über dem Kreuz (die er an S. Lo- renzo vermied) ist vielleicht nicht sein Gedanke; wohl aber die Her- umführung der Nebenschiffe um Querbau und Chor, trotz der oft getadelten Zweitheiligkeit der Abschlüsse. Unser Auge ist an Schluss- Intervalle von ungerader Zahl zu sehr gewöhnt, um dieser Freiheit leicht gerecht zu werden; an sich ist der perspectivische Durchblick dieser hintern Theile sehr schön. Für die ganze Entwicklung der Renaissance von grosser Bedeu- tung ist die Capelle des Geschlechtes Pazzi , im vordern Klosterhof b von S. Croce in Florenz. Die polygone Flachkuppel mit Rundfenstern über dem griechischen Kreuz ist in dieser Gestalt eine Lieblingsform Frührenaissance. Brunellesco. Hallen und Höfe. a von Brunellesco’s Nachfolgern geworden. (Giuliano da San Gallo ahmte sie u. a. nach in der Madonna delle Carceri zu Prato.) Höchst anmuthig ist die Vorhalle, ein Tonnengewölbe auf Säulen, in der Mitte durch einen Hauptbogen und eine Kuppel mit glasirten Casset- b ten unterbrochen. (Sie gab u. a. Ventura Vitoni das Motiv zur Vor- halle der Umiltà in Pistoja.) Obwohl vernachlässigt und unvollendet wird dieses Gebäude, abgesehen von den Reliefs des L. della Robbia, immer als einer der reinsten Klänge aus dem XV. Jahrhundert wir- ken. (Das Innere schwer sichtbar, da die Pazzi den einzigen Schlüssel besitzen.) c Als städtischer Zierbau ist die Halle des Findelhauses auf Piazza dell’ Annunziata (links, von der Kirche kommend) ein wahres Muster anspruchloser Schönheit. Es sollte keine Wachthalle und kein politischer Sammelort, sondern nur ein weiter, sonniger Warteraum sein, der nun mit seiner harmlosen Decoration (den Medaillons mit den Wickelkindern des Luca della Robbia) und seinem einfachen obern Stockwerk die anmuthigste Wirkung macht. (Der Hof wohl nicht von Brunellesco, aber auch nicht viel später.) — Die Halle gegenüber eine Nachbildung von Antonio da Sangallo d. ä. — Ursprünglich von Bru- d nellesco, aber mehrfach verändert: die Halle auf Piazza S. Maria novella; — dieser und der vorigen wenigstens sehr ähnlich: die ver- e manerte Halle an der Via S. Gallo, welche jetzt die Rückseite der Dogana bildet. Von vollständigen Klosterhöfen glaube ich, nach Fantozzi’s f Vorgang, dem Brunellesco den zweiten Kreuzgang von Santa Croce in Florenz mit Sicherheit beilegen zu dürfen. Es ist einer der schön- sten der Renaissance, mit vollständig durchgeführten Bogenprofilen und Gesimsen, die Füllungen mit Medaillons; das obere Stockwerk flach gedeckt auf Säulen mit trefflichen Consolen. — An Bauten die- ser Art gab Brunellesco den Säulen kein Gebälkstück, weil die dünnen und zarten Verhältnisse des Ganzen dadurch übertrieben worden wä- ren und weil die Höhe wohl eine gegebene war. Wie Brunellesco, allerdings mit reichlichen Mitteln von dem grossen Cosimo ausgestattet, eine ländliche Chorherrnresidenz als g Villa gestaltete, zeigt die sog. Badia am Fuss des Berges von Fie- sole , eine halbe Stunde von Florenz. (Architekten, welche wenig Badia von Fiesole. Pal. Pitti. Zeit übrig haben, dürfen eher Fiesole selbst als dieses Gebäude über- gehen.) Es ist ein unregelmässig schönes, dem Bergabhang folgendes Aggregat von Einzelbauten; ein reizender oblonger Hof, die untere Halle gewölbt, die obere (unvermauert) flach gedeckt; gegen Süden hinaus nach dem Garten eine Halle, deren oberes Stockwerk besonders schöne Consolen über den Säulen hat; die übrigen Räume unten sämmtlich gewölbt mit Wandcapitälen oder Consolen; — nur einfach entwickelt und ohne die Verfeinerung der letzten Zeiten des XV. Jahr- hunderts aber rein und schön erscheint das Decorative, wie z. B. die Kanzel im Refectorium und der Brunnen in dessen Vorsaal; — die Aussenmauern durchgängig glatt und nur mit den nothwendigsten Gliederungen versehen. — Die Kirche, an deren Fassade ein Stück a des ältern Baues im Styl von S. Miniato beibehalten ist, bildet ein einschiffiges Kreuz mit Tonnengewölben, über der Kreuzung selbst mit einem Kuppelsegment; Alles ist mit absichtlichster Einfachheit behandelt; die Nebencapellen öffnen sich als besondere Räume mit besondern Pforten gegen das Langschiff; das Äussere ist glatt mit wenigen Wandstreifen und sparsamen Consolen; die ganze Kirche einzig schön in ihrer Art. (Vgl. S. 86, c. 110, c.) Endlich entwarf und begann Brunellesco den Palazzo Pitti b (fortgeführt von L. Fancelli, der Hof von Ammanato, die Vorbauten aus neuer Zeit; das Innere durchgängig später eingetheilt als die Fassade). Vor allen Profangebäuden der Erde, auch viel grössern, hat dieser Palast den höchsten bis jetzt erreichten Eindruck des Er- habenen voraus. Seine Lage auf einem ansteigenden Erdreich und seine wirklich grossen Dimensionen begünstigen diese Wirkung, im wesentlichen aber beruht sie auf dem Verhältniss der mit weniger Abwechselung sich wiederholenden Formen zu diesen Dimensionen. Man frägt sich, wer denn der weltverachtende Gewaltmensch sei, der mit solchen Mitteln versehen, allem bloss Hübschen und Gefälligen so aus dem Wege gehen mochte? — Die einzige grosse Abwechselung, nämlich die Beschränkung des obersten Stockwerkes auf die Mitte, wirkt allein schon colossal und giebt das Gefühl, als hätten beim Vertheilen dieser Massen übermenschliche Wesen die Rechnung ge- führt. (Man vergleiche z. B. die beträchtlich grössere Fassade des c Palastes von Caserta zwischen Capua und Neapel, von Vanvitelli.) B. Cicerone. 12 Frührenaissance. Brunellesco. Michelozzo. Aber Brunellesco verstand auch den reizvollsten Zierbau, wie der a Pal. Quaratesi (ehemals Pazzi, Via del Proconsole, N. 476) be- weist. Die Fenster der Fassade und des auf Bogenhallen ruhenden Hofes sind mit Laubwerk eingefasst, die Bogenfüllungen mit Me- daillons verziert, welche antike Köpfe enthalten; Rustica nur am un- tern Stockwerk, dessen Aussenseite offenbar einem ältern Bau angehört. Die Capitäle im Hof mit Delphinen und Candelabern. Von den antiken Capitälen hat Brunellesco mit Vorliebe die ein- fachern Formen der korinthischen und der Composita-Ordnung nach- geahmt, und zwar in eigenthümlicher Umgestaltung; für die obern Stockwerke brauchte er die ionische, freilich nach sehr geringen rö- mischen Vorbildern, worin der Missverstand überwogen haben muss. Von dem vollständigen korinthischen Capitäl hatte er einen nur man- gelhaften Begriff und bildete z. B. die Stengel der Mitte ebenso zu Voluten aus wie die der Ecken. (Cap. Pazzi, Findelhaus, selbst S. Lorenzo * Das angefangene Polygon bei den Angeli (Gamaldulenserkloster) in Florenz ist eine formlose Ruine geblieben. . Was Brunellesco angefangen hatte, führte der Florentiner Michelozzo weiter, nicht mit bahnbrechenden, genialen Neuerungen, wohl aber mit vielem Verstand und Geschick für die Behandlung des einzelnen Falles im Verhältniss zu den vorhandenen Mitteln. Er er- b baute den gewaltigen Palazzo Riccardi (damals Medici) und stufte dabei zum erstenmal die Rustica nach Stockwerken ab, vom Rohern zum Feinern. Wohl sehen die zierlichen Fenster der zwei obern Stock- werke etwas gedrückt aus zwischen dem ungeheuern Quaderbau des Erdgeschosses und dem grossen Hauptgesimse; wohl sieht man den Baumeister bei der Behandlung des erwähnten Hauptgesimses schwan- ken und irre gehen sowohl in den Formen als in der Dimension; allein ohne diesen Palast hätten Bern. Rosellino und Benedetto da Majano später die ihrigen nicht zu Stande gebracht. Der Hof mit seiner Säu- lenhalle, den beiden Gesimsen drüber und den rundbogigen Fenstern der obern Stockwerke ist das Vorbild für zahllose Hofbauten des XV. Jahrhunderts geworden. Florentin. Bauten des XV. Jahrhunderts. Michelozzo selbst bildete den vordern Hof des Palazzo vec- a c hio ähnlich, nur mit Ausnahme der stärkern untern Stützen (deren Stuccoverzierung übrigens sammt dem ganzen Arabeskenwerk der Ge- wölbe erst vom Jahr 1565 ist). Der Hof des Pal. Corsi (ehemals b Tornabuoni, unweit Pal. Strozzi) hat unten eine sehr geräumige Säu- lenhalle (Composita) mit stark überhöhten Bogen, dann ein Gesimse mit Medaillons und Fenster, endlich oben eine offene Halle (korin- thisch). Die Villa Ricasoli bei Fiesole zeigt nur noch in ihrer S. Mi- c chaelscapelle, die nahe Villa Mozzi nur noch in ihrer allgemeinen An- d lage die Erfindung Michelozzo’s; in der letztern hat die hübsche untere Halle eine viel spätere Bekleidung. Die Klosterbauten Michelozzo’s sind einfach und zeichnen sich neben denjenigen Brunellesco’s auf keine Weise aus. In S. Croce e gehört ihm das (völlig schlichte) Noviziat, der Gang bei der Sacristei (mit stattlichen halbgothischen Fenstern) und die an dessen Ende ge- legene Capelle Medici. Im Dominicanerkloster S. Marco sind von f ihm beide Kreuzgänge und mehrere Treppen nebst der Sacristei, bei deren Bau er sich gewiss mit sehr Wenigem behelfen musste. Da im Ganzen die von Michelozzo ausgebildete Bauweise ihre Herrschaft in Florenz sehr lange behauptete, so wollen wir eine An- zahl Bauten, deren Urheber nicht genannt werden, gleich bei diesem Anlass aufzählen. — Von Klöstern erinnert das sehr einfache Monte g Oliveto (vom Jahr 1472, vor Porta S. Frediano) am unmittelbarsten an des Meisters Styl; die Kirche wiederholt das Motiv seiner Sacri- steien und Capellen in grösserm Massstabe: Kreuzgewölbe auf Wand- consolen und ein Chorraum mit niedriger Kuppel; der ionische Kloster- hof ist wohl etwas neuer. — Die Klosterbauten der Badia, besonders der h vordere vermauerte Säulengang mit zwei trefflichen Capellen und ein hinter der Sacristei gelegener reizender kleiner Hof mit gewölbter ioni- scher Doppelhalle scheinen von zwei verschiedenen Architekten her- zurühren. — Von mehrern Meistern, deren aber keiner genannt wird, sind die vier Höfe der sehr sehenswerthen Certosa, eine starke halbe i Stunde vor Porta Romana; der zweite ist eine der reizendsten kleinen Doppelhallen; der vierte oder Gartenhof liefert den merkwürdigen 12* Frührenaissance. Florenz. Kirchen und Klöster. Beleg, wie sehr bisweilen auf Bemalung der architektonischen Glieder mit Arabesken (hier weiss auf braun) gerechnet wurde. Die (neuere) a Hauptkirche selbst gering und ungeschickt. — Vom Anfang des XVI. Jahrhunderts der kleine Hof des Scalzo (unweit S. Marco), phan- tasievoll in wenigen Formen durch die blosse Stellung der Säulen. — b Ein anderer artiger kleiner Hof als Eingang der Confrat. di S. Pietro c martire (unweit der Annunziata, selten offen). — Ein Klosterhof bei d S. Girolamo 1528. — Baulich nicht bedeutend die beiden Höfe von Og- nissanti; in den vordern ragt das linke Querschiff der Kirche auf e gothischen Bogen malerisch herein. — Die drei kleinern Höfe von S. Maria novella, aus verschiedenen Zeiten des XV. Jahrhunderts. — f Der zweite Klosterhof al Carmine (1490), unten gewölbt, oben mit flachem Gebälk auf Consolen, beide Stockwerke ionisch. — Aus dem g XVI. Jahrhundert die jetzige Gensdarmerie, ehemals Kloster S. Ca- h terina, auf Piazza S. Marco. — Die Kirche San Felice, vielleicht von i Michelozzo selbst. — Die zierliche Sacristei von S. Felicita (1470), k mit besonders hübschem Chörchen. — Der schöne Vorhof der Annun- ziata, möglicher Weise von dem ältern Antonio San Gallo (s. unten), von welchem der mittlere Bogen an deren Aussenhalle herrührt. (Der Rest dieser Aussenhalle erst seit 1600 von Caccini.) Von Palästen und Privatgebäuden Der Verfasser kennt die Landhäuser um Florenz nicht genau genug, um sie hier dem Styl nach einreihen zu können. (Villa Michelozzi auf Bellosguardo hat wenig Altes mehr an sich.) Immerhin muss er den Architekten die Wan- derungen vor sämmtlichen Thoren der Stadt in möglichst weitem Umkreis dringend anempfehlen. Von den stattlichen (nur ausnahmsweise prächtigen) Villen bis zum Bauernhause herab werden sie hier eine Fülle ländlich- schöner Baugedanken antreffen, die eben nur in der Heimat der modernen Baukunst so beisammen sind. Was in der römischen Umgegend vorhanden ist, zeigt theils mehr den schloss- und palastartigen Charakter, theils mehr bäurische Formlosigkeit. Die Gebäude um Neapel sind bei oft grossem male- rischem Reiz insgemein klein und formlos, diejenigen um Genua auffallend städtisch. Die Villen der Venezianer an der Brenta, zum Theil Anlagen des Palladio, sind dem Verfasser nur aus Abbildungen bekannt. — Florenz allein möchte in seiner Umgebung mehr praktisch Anregendes in dieser Gattung besitzen als das ganze übrige Italien. Doch muss auch den Villen in der dieses Styles sind hier zu l nennen: Pal. Giugni-Canigiani (Via de’ Bardi N. 1333) mit einem Hof Paläste. auf ältern Pfeilern, welche zum Theil Würfelcapitäle tragen; die Treppe mit ihrem Geländer von ionischen Säulchen gewährt einen malerischen Anblick. (Der Ausbau gegen den Garten XVI. Jahrhundert.) — Der einfach malerische Hof von Pal. Cerchi (borgo S. Jacopo N. 1762). — a Derjenige von Pal. Casamurata (Via delle Pinzochere, N. 7717). — b Aus späterer Zeit und sehr stattlich: Pal. Magnani, ehemals Ferroni c (Via de’ Serragli N. 2797). — Etwa gegen 1500: der Hof des Pal. Cepperello (Corso, N. 814) mit weit gespannten dünnen Bogen auf d Composita-Säulen und zartem Detail. — Ungefähr aus derselben Zeit der Hof des Pal. Incontri (Via de Pucci N. 6118). — Ebenso Pal. e Ginori (Via de’ Ginori N. 5145), dessen Aussenseite schon dem unten f zu nennenden Pal. Guadagni entspricht Der alte unvollendete Palast in der Via delle Terme, vorgeblich von Bru- * nellesco begonnen, ist erst im vorigen Jahrhundert zum Palazzo del Com- mune gemacht worden. . Die im Ganzen vorherrschende Form ist: Säulenbau um den Hof oder um einen Theil desselben; an der Wand Consolen, in deren Bil- dung jeder Architekt neu zu sein suchte; an einer Seite des Hofes ein vorgewölbter Gang im ersten Stock; die Gesimse, eines über den Bogen und eines unter den Fenstern, sehr mässig; ihr Zwischenraum oft mit Medaillons, Wappen u. dgl. verziert und ebenso auch die Bo- genfüllungen über den Säulen; die Fenster der obern Stockwerke bis zu Anfang des XVI. Jahrhunderts fast durchgängig halbrund; die Treppen mit Tonnengewölben und fortlaufenden Gesimsen; alle Aus- läufe von einzelnen Gewölbekappen durch das ganze Gebäude auf Consolen gestützt. (Dies gilt auch von den Klosterbauten). Durchgän- gig ist das Bedeutende mit mässigen Mitteln geleistet. Als einzelnes kleines Prachtgebäude ist hier einzuschalten die streng- schöne Grabcapelle des Cardinals von Portugal († 1459), von Anto- g Brianza und um Varese (nördlich von Mailand) im Ganzen ein schöner, echt ländlicher Styl zugestanden werden. Es ist überhaupt ein Irrthum zu glau- ben, dass die malerische Bauweise in Italien südwärts unbedingt zunehme; die subalpinen Thäler und Ortschaften enthalten schon Manches, das südlich nicht mehr schöner und nicht häufig so schön vorkömmt. Frührenaissance. L. B. Alberti. nio Rosellino , welcher sonst vorzüglich als Bildhauer berühmt und von dem gleichnamigen Bernardo (s. unten) zu unterscheiden ist. Noch ganz der frühern Renaissance gehört auch der grosse Flo- rentiner Leon Battista Alberti an (geb. 1398). Er ist der erste encyclopädische Theoretiker der italienischen Kunst, ausserdem aber auch einer der ersten Architekten seiner Zeit. Sein wichtigstes Ge- a bäude, die Kirche S. Francesco in Rimini , eigentlich nur Ausbau einer gothischen Klosterkirche, deren Bogen im Innern er bloss im neuen Styl überkleidete, zeigt in der Fassade und in den Aussenseiten höchst originelle und (soweit sein Bau reicht) eigenthümlich schöne b Formen. In Mantua ist am S. Andrea noch die von ihm angege- bene Grundform, namentlich in der edeln Vorhalle, doch nur mit grossen c Veränderungen erhalten. In Florenz rührt der grosse runde Chor- bau der Annunziata von ihm her (durch totale Verkleidung und Vermalung im Barockstyl unkenntlich gemacht; doch mögen die ge- wölbten untern Capellen sich von jeher unschön mit dem grossen Rund geschnitten haben; die Kuppel ohne Lanterna). An der reich- d incrustirten Fassade von S. Maria novella musste er sich einer schon begonnenen gothischen Decoration anschliessen, deren sehr leise Gliederung ihm jeden nachdrücklichen plastischen Schwung verbot und ihn zum Ersatz durch Mosaicirung nöthigte; am untern Stock- werk ist die ungemein schöne mittlere Thür mit dem cassettirten Bo- gen von ihm; im obern Stock gab er das erste bedenkliche Beispiel jener falschen Vermittelung mit dem untern mittelst verzierter Voluten, wahrscheinlich weil ihm die von beiden Seiten angelehnten Halbgiebel (die er doch in Rimini brauchte) zu der sonstigen decorativen Haltung des Ganzen zu strenge schienen. Sein schönstes Bauwerk in Florenz, e der Pal. Ruccellai (Via della vigna nuova), zeigt zum erstenmal die später so beliebt gewordene Verbindung von Rustica und Wandpila- stern in allen drei Stockwerken; auch die dreibogige Loggia gegen- über ist von ihm. Im Auftrag derselben Familie errichtete Alberti f 1467 in der nahen Kirche S. Pancrazio (jetzt Lotteriegebäude) den köstlichen kleinen Zierbau des „heiligen Grabes“. An Pal. Stiozzi- Siena. Cecco di Giorgio und Bern. Rosellino. Ridolfi (Via della Scala 4317), ehemals auch der Familie Ruccellai a gehörig, scheint von Alberti’s Bau nichts Bedeutendes mehr erhalten. Ehe weiter von der florentinischen Architektur die Rede sein kann, müssen wir einen Blick auf Siena werfen, dessen Bauten ge- rade für die Zeit von 1450 an besonders bezeichnend sind. Ich schreibe das Folgende nur für geübte Augen, denn wem nur riesenhafte Mas- sen oder decorativer Reichthum einen Eindruck machen, für den ist in Siena ausser dem Dom überhaupt nicht viel zu geniessen. Ganz besonders entzieht sich die mässige Frührenaissance an kleinen Bauten dem flüchtigen oder abgestumpften Blick. Es sind hauptsächlich die Baumeister des Aeneas Sylvius Picco- lomini (Pius II), welche die Heimath des Papstes und deren Umge- bung zu verschönern unternahmen: Cecco di Giorgio Romagnoli, der die sienesische Kunstgeschichte aus den Urkunden kannte, unterscheidet einen Maler und Decorator Francesco di Giorgio um 1460 (welchem die Vollendung der vorgebauten Capelle am Pal. pubblico, einige Ornamente in S. Francesco und die Gemälde in der Academie angehören) von dem berühmten Baumeister Cecco di Giorgio Martini, den er bis ins XVI. Jahr- hundert leben lässt. — Milizia nennt den berühmten Baumeister Francesco und setzt dessen Lebenszeit in die Jahre 1423—1470, wonach ihm wichtige sienesische Bauten nicht mehr angehören könnten. Rumohr (Ital. Forschun- gen II, S. 177 ff.) lässt den Francesco di Giorgio nur als Festungsbaumei- ster gelten und erkennt sonst einzig den herzoglichen Stall zu Urbino als dessen Werk an. Alle übrigen Gebäude, welche demselben in Pienza, Siena u. a. a. O. zugeschrieben werden, seien von Bernardo Rosellino, welchem insbesondere „ein feiner Sinn in der allgemeinen Anlage und vornehmlich in der Zusammenstellung ganzer Gebäudegruppen“ vindicirt wird. Für den Palast zu Urbino werden ein Dalmatiner Luciano und der unten vorkommende Bac- cio Pintelli als Architekten genannt. — Ich bin oben im Text den Annahmen Romagnoli’s gefolgt ohne desshalb zwischen ihm und Rumohr entscheiden zu wollen. von Siena und Bernardo Rosellino von Florenz; der letztere hatte schon für Nicolaus V bedeutende Aufträge ausgeführt. Beide gemeinschaft- lich schufen das alte Corsignano (seitwärts von der Strasse von Rom nach Siena, einige Miglien östlich von Torrenieri und S. Quirico), zu Pienza , zur „Stadt des Pius“ um; dort sollen noch ein grösserer b Frührenaissance. Siena. Palast, eine Bischofswohnung, die Kirche und die Hallen des Platzes eine vollständige Baugruppe edler Frührenaissance darstellen. Leider kann der von Rom Abreisende aus bekannten Gründen nur mit un- verhältnissmässigen Opfern seine Etappen selber bestimmen und so wird Pienza selbst bei mehrmaligen Reisen dem Kunstfreund in der Regel entgehen. Ähnlich verhält es sich mit Urbino , wo Cecco di a Giorgio den berühmten Herzogspalast baute. Von Rosellino werden eine Anzahl Bauten in der Mark Ancona nahmhaft gemacht. b In Siena ist von Rosellino der Palast Nerucci ; als Cecco’s c Hauptwerke erscheinen die Paläste Piccolomini (jetzt del Governo) d und Spannocchi (alles 1460—1472). Der gemeinsame Styl dieser Bauten beruht noch auf dem mittelalterlichen Fassadenprincip und die antikisirende Verzierung (Gesimse, Consolen, Eierstäbe u. s. w.) ist nichts weniger als rein gehandhabt; allein Brunellesco hatte das Gefühl für schöne Verhältnisse der Stockwerke geweckt und Miche- lozzo (an seinem Pal. Riccardi in Florenz) eine gesetzmässige Abstu- fung der Rustica, der Fenster und der Gliederungen zum erstenmal durchgeführt und diese Fortschritte eigneten sich die Sienesen für ihre Bauten an. Der Charakter einer ernsten Pracht wird wohl selten in so mässigen Dimensionen so bedeutend erreicht worden sein. Nichts Einzelnes, z. B. keine mittlere Loggia, drängt sich vor; das ganze wirkt gleichmässig imposant; der Moment, da das Schloss zum Palaste wird, drückt sich hier eigenthümlich schön aus. (Der ehemals reizende Hof des Pal. del Governo ist schon lange etwas verbaut.) Cecco wusste sich auch kleinern Aufgaben anzupassen und er- e scheint dann für die jetzige Architektur besonders lehrreich. Der Pal. della Ciaja (jetzt Costantini, wenn ich richtig gehört habe), der nur ein elegantes Privathaus sein sollte, ist ohne Rustica, mit einfach zier- lichsten Gesimsen und Fensteraufsätzen und edler Pforte eines der f liebenswürdigsten Gebäude von Siena; der Pal. Bandini-Piccolo- mini (von Backstein mit steinernen Einfassungen) kann vollends als kleines Renaissancehaus im vorzugsweisen Sinne gelten. — In der g Loggia del Papa (1460) gab sich Cecco seiner Neigung für dünne, zarte Bogen von weiter Spannung über die Gebühr hin; ebenso zei- h gen seine beiden einfachschönen Klosterhöfe bei S. Francesco , wie er im Gewölbebau um jeden Preis (noch mehr als Brunellesco) den Siena. Benedetto da Majano. Eindruck des Leichten und Schwebenden hervorzubringen strebte. — Der Palazzo del Magnifico ist der Lage wegen etwas formlos; den a Pal. de’ Diavoli (vor Porta Camollia) kenne ich nicht. — Von den b Kirchen soll die Osservanza (½ Stunde vor Porta Ovile) ganz von c Cecco erbaut sein; in der Stadt gehören ihm die köstlichen kleinen Fassaden von S. Caterina und Madonna delle Nevi an. Die d Sacristei im Carmine kenne ich nicht. Das Kirchlein Fontegiusta — zwölf Kreuzgewölbe von vier e Säulen und acht Wandsäulen gestützt, mit einem obern Stockwerk, das innen nicht sichtbar ist — rührt von Franc. Fedeli aus Como (1479) her. — In Cecco’s spätern Jahren war vielleicht der junge Baldassare Peruzzi sein Schüler. Von irgend einem trefflichen Meister gegen 1500 muss die De- coration des obern Oratoriums in S. Bernardino herrühren. Pilaster, f Friese und Flachdecke gehören zum Geschmackvollsten der Blüthe- zeit. — Die Decoration im untern Raum von S. Caterina etwas später g und nicht mehr so rein. Das Resultat zu ziehen aus der speciell toscanischen Palastbau- kunst war indess nicht den Bauherren von Siena, sondern dem Flo- rentiner Benedetto da Majano bestimmt. Nach seinem Entwurf (ob noch bei seinen Lebzeiten, ist ungewiss) begann 1489 der Bau des Palazzo Strozzi . Mit Ausnahme des ausser aller Linie stehenden h Pal. Pitti ist dieses majestätische Gebäude die letzte und höchste Form, welche ein Steinhaus ohne verbindende und überleitende Glie- der durch den blossen Contrast in der Flächenbehandlung erreichen kann. Dieser Contrast ist hier ohne Vergleich glücklicher gehand- habt und die Fenster zu den Flächen besser vertheilt als am Pal. Riccardi; das weltberühmte Kranzgesimse (nur an der hintern Seite und an einem Theil der Nebenfassaden ganz ausgeführt) und der bei aller Enge und Tiefe doch schöne Hof wurden später nach Cronaca’s Entwurf hinzugefügt. Es folgte das ältere Brüderpaar Giuliano und Antonio di San Gallo , deren Ruhm durch die ausgebreitetere Thätigkeit ihres Neffen, des jüngern Antonio, mit Unrecht etwas in den Schatten geräth. Dem Frührenaissance. Die Brüder San Gallo. Giuliano werden wir in Rom wieder begegnen; Florenz besitzt von ihm a den noch in seiner Vermauerung reizenden Klosterhof von S. Maria Maddalena de’ Pazzi (wunderlich ionisch Nach Massgabe eines in Fiesole gefundenen antiken Capitäls. mit geradem Gebälk, die b rundbogigen Haupteingänge ausgenommen) und den Pal. Gondi (Piazza S. Firenze). Die Fassade desselben giebt das florentinische Princip in anspruchloser Gestalt wieder; das Erdgeschoss hat starke, das mittlere schwache, das oberste keine Rustica; die Fenster sind einfach rundbogig und lassen bis zu den Gesimsen einen weiten und bedeutend wirkenden Raum übrig. Der Hof mit seinem Springbrunnen und der zierlichen Treppe ist vielleicht der eleganteste dieses Styles; die Capitäle sind von reicher, wechselnder Bildung und die Gesimse c fein profilirt. Ungleich einfacher und nur durch Vermuthung dem Giuliano zugeschrieben: Pal. Antinori. — In Prato erbaute Giuliano d die kleine Madonna delle Carceri , welche allein schon den Aus- flug dahin reichlich lohnen würde; ein griechisches Kreuz, aussen nur einfach (und sehr unvollständig) mit Marmor incrustirt; in der Mitte eine niedrige Kuppel mit zwölf Rundfenstern; die vier Arme mit Tonnengewölben; das innen rings herumgehende Hauptgesimse hat einen glasirten Fries, weisse Festons und Candelaber auf blauem Grunde; die Wände mit zierlichen Eckpilastern. — (Die mediceische e Villa Poggio a Cajano soll ebenfalls noch erhalten sein.) In Giul. da San Gallo’s Styl scheint mir auch der Hof des Pal. f Fossi in Florenz (Via del Fosso, N. 8020) mit seinen ebenfalls ab- wechselnden und sehr zierlichen Capitälen entworfen zu sein; doch ist kein Grund vorhanden, denselben dem Meister selbst beizulegen. Der ältere Antonio di San Gallo lebte weit in das XVI. Jahr- g hundert hinein und sein einziges Hauptgebäude, die Madonna in Monte Pulciano , gehört schon dem ganz entwickelten Styl an. Es ist die Madonna delle carceri seines Bruders auf einer erhöhten Stufe; mit sehr erhöhter Kuppel; in den vordern Ecken des griechischen Kreuzes erheben sich zwei Thürme (nur der eine ganz ausgeführt), und zwar getrennt von der Kirche; sie sollten dieselbe nicht be- herrschen, sondern nur den Eindruck verstärken; ihre Höhe ist der- jenigen der Kuppellaterne nicht ganz gleich; ihr Organismus besteht Die Brüder San Gallo. aus scharf vortretenden Pilastern an den Ecken und Säulenstellungen an den Wänden; das Äussere der Kirche selbst hat bloss Eckpilaster. Innen: Tonnengewölbe mit Rosettenbändern, die Kuppel durch eine sehr schlanke und enge Stellung korinthischer Säulen im Cylinder vorbereitet. Ein halbrunder Ausbau am hintern Kreuzarm enthält die (ovale) Sacristei. — In derselben Stadt soll auch der Palast des Car- a dinals del Monte, in San Sovino (wo Antonio später lebte) der Palast des Cardinals von Santa Prassede und mehr als eine Kirche von Antonio’s Erfindung sein. In Cortona wird ihm, wenn ich nicht irre, der Dom Nach Andern wäre mit der „Madonnenkirche“, die er für Cortona entworfen, nicht der Dom, sondern die kleine Madonna del Calcinajo gemeint, und auch * diese wäre nicht nach seinem Entwurf ausgeführt, sondern das jetzige Ge- bäude (am Fusspfad von Camugia nach Cortona hinauf) wäre noch das 1485 von Francesco di Giorgio begonnene. Es sieht indess mehr dem XVI. Jahr- hundert ähnlich. b zugeschrieben, eine einfach edle Basilica, welche ihr Tonnengewölbe über dem Mittelschiff wohl erst in späterer Zeit erhalten hat. — Wenn in Arezzo die Kirche dell’ Annunziata dieselbe ist, welche bei Kunst- c historikern Madonna delle lagrime heisst, so rührt auch diese herrliche Kirche grossentheils von Antonio her und zwar in diesem Fall aus seiner frühern Zeit. Das Äussere ist Rohbau geblieben; im Innern scheidet sich ein von Säulen getragener Vorraum höchst malerisch aus; dann folgt die dreischiffige Pfeilerkirche mit lauter Tonnen- und Kuppelgewölben; endlich über dem Kreuz die niedrige Kuppel. Die Capitäle an den Pfeilern sehr zierlich mit Delphinen und Masken; alles übrige Detail einfach. Endlich giebt als sicherer Bau Antonio’s die erhaben über dem d Abgrund thronende Veste von Cività Castellana. Hier muss eine ganz eigenthümliche Erscheinung eingeschaltet werden. Als sich die Renaissance von dem alten, rituellen Langbau nicht mehr gebunden hielt und sich ihrem freien Schönheitssinn über- liess, als man von dem Kirchenbaumeister vor Allem ein schönes und phantasievolles Gebäude verlangte, da schuf (um 1509) ein sonst wenig Frührenaissance. Vitoni. Cronaca. a bekannter Architekt in Pistoja, Ventura Vitoni , die Kirche Madonna dell’ Umilta. Das Achteck, welches gleichzeitig Cronaca und Bramante nicht mehr für Baptisterien, sondern für Sacristeien an- wandten, ist hier in bedeutender Grösse, mit einer eleganten Innen- bekleidung korinthischer Pilaster und zierlicher Fenster, zum Haupt- raum einer Kirche geworden, die nur leider erst in später Zeit (durch Vasari) ihre Kuppel erhalten hat, dunkel wie die florentinische. (Vi- toni’s Kuppel hätte vielleicht derjenigen von S. Maria delle Grazie zu Mailand ähnlich werden sollen.) Ausserordentlich fein und edel ist besonders die Vorhalle gedacht, zwei Tonnengewölbe und in der Mitte eine kleine Kuppel, über einer Pilasterarchitektur, unten herum Sockel und Sitze von Marmor. Die äussere Incrustation fehlt oder b ist ärmlich modern. — Von demselben Baumeister das einfach niedliche Kirchlein S. Giovanni della Monache in Pistoja. Den Beschluss der toscanischen Frührenaissance macht der schon c öfter genannte Cronaca (1454—1509). Die Vollendung des Pal. Strozzi durch das schöne Gesimse, dessen Formen er nach einem in Rom gefundenen Fragment in vergrössertem Massstab bildete, war in doppelter Beziehung ein Ereigniss: in Beziehung auf die Form, die hier zum erstenmal das römische Vorbild mit ganzem vollem Ernst nachahmte; sodann in Beziehung auf die Verhältnisse. Hatte man bis- her geschwankt, ob das Kranzgesimse bloss im Verhältniss zum ober- sten Stockwerk oder zum ganzen Gebäude zu bilden sei, hatten viele florentinische Paläste durch das weit vorragende Dach mit seinen consolenartig abgestuften Balken das Kranzgesimse geradezu ersetzt oder gleichsam für unnöthig erklärt, so wurde hier ein Muster hin- gestellt, dessen grandioser und wohlthuender Wirkung sich kein Auge entziehen konnte. Sein Verhältniss zur Höhe und Form des Baues ist an sich ein rein willkürliches, weil seine Bildung das Resultat eines ganz andern Ensemble ist, nämlich irgend einer altrömischen Säulenhalle, die zu diesem Gesimse bei weitem nicht so hoch sein dürfte als der Palast Strozzi; gleichwohl wirkt es schön und richtig zu dieser Art von Wandfläche. Cronaca. Andrea Sansovino. Cronaca behandelte aber auch andere Gattungen von Gebäuden mit feinem Sinn. So sollte Pal. Guadagni (Piazza S. Spirito a N. 2086) nur ein stattliches florentinisches Haus werden und erhielt diesen Charakter rein und vollständig. Der Quaderbau beschränkt sich auf das Erdgeschoss, die Ecken und die Fenstereinfassungen; mit bescheidenen Mitteln ist die Abstufung der Stockwerke trefflich durchgeführt; das oberste ist eine offene Säulenhalle, welche das weit vorgeschrägte Dach trägt. — Der Hof trefflich in der Art des Giul. da S. Gallo; an der Treppe schon der strengere Organismus, wie wir ihn bei Baccio d’Agnolo werden ausgebildet finden. — Die Sacristei b von S. Spirito ist ein höchst reizender Zierbau; achteckig, unten mit Nischen, die Wände mit Pilastern eingefasst (doch so, dass die Ecken selbst frei bleiben); viereckige Fenster an den Oberwänden, runde in den Lunetten, über welchen die einzelnen Kappen der Kup- pel beginnen. — Wiederum von einer ganz andern Seite zeigt sich Cronaca in der Kirche San Francesco al Monte (vor Porta c S. Miniato), welche Michelangelo „das schöne Landmädchen“ zu nennen pflegte. Es ist die einfachste Bettelordenskirche, deren Dachstuhl selbst bis ins Chor hinein sichtbar ist; schlichte Pilaster trennen unten die Capellen, oben die Wandflächen um die Fenster, — allein gerade in dieser absoluten Schmucklosigkeit treten die reinen Ver- hältnisse ernst und bedeutend hervor. — Ob zu dem Umbau des Klo- d sters der Annunziata, welcher diesem Meister zugeschrieben wird, auch der vordere Kreuzgang und die Sacristei gehört, weiss ich nicht an- zugeben; beide bieten keine Formen dar, die nicht schon seit Miche- lozzo vorkämen. Hier müssen wir auch den grossen Bildhauer Andrea (Contucci da Monte) Sansovino († 1529) anschliessen, wegen eines köstlichen kleinen Baues, der dem Charakter nach eher noch dem XV. Jahr- hundert angehört als dem XVI., in welchem er errichtet wurde. Es ist dies der oblonge Durchgang zwischen der Kirche und der Sacri- e stei von S. Spirito in Florenz; sechs Säulen auf jeder Seite, vor der Wand stehend, tragen ein Tonnengewölbe; dass sie der (sehr rei- chen) Cassettirung desselben nicht entsprechen, benimmt dem Ge- Frührenaissance. Pisa. bäude seinen wesentlich malerischen Werth nicht. — Was in Monte Sansovino noch von Andrea vorhanden sein mag, ist mir nicht näher bekannt. Wir werden ihm als Decorator wieder begegnen. a In Pisa ist der Hof der Universität ein einfach schöner Klo- sterhof der frühern Renaissance, in der Art des Brunellesco; unten Bo- genhallen, oben Säulen mit Holzgebälk, die nur ihre ehemaligen Con- solen nicht mehr über sich haben. Beide Ordnungen ionisch; das mittlere Gesimse sehr zart. Dass Pisa, beiläufig gesagt, von da an im Gefolge von Florenz mitgeht, hat seinen Grund in der politischen Abhängigkeit seit Anfang des XV. Jahrhunderts. Die politische und die geistige Hegemonie der Florentiner setzte sich zu gleicher Zeit durch. b Die Trovatelli, auf dem Wege nach dem Dom; wenige, aber schöne und originelle Fenster und eine zierliche Rundbogenthür, Mitte des XV. Jahrhunderts. c Der Hof des erzbischöflichen Palastes , etwa vom Ende des XV. Jahrhunderts, zeigt eine Übertragung des Klosterhofbaues Brunellesco’s in den weissen Marmor und in grössere Verhältnisse. Die obere Ordnung hatte indess ehemals gewiss Consolen und Gebälk von Holz; erst später wurden die Säulen mit Marmorpfeilern eingefasst, mit einem Marmorgebälk bedeckt und ihre Zwischenräume mit Fen- stermauern geschlossen. (Der Aussenbau tüchtig modern.) d Die beiden Klosterhöfe von S. Francesco sind von der stattlichen Art dieser Zeit. e Ein Privatgebäude (Casa Toscanelli) in der mit Hallen versehenen Strasse Borgo wird wenigsten den Architekten von selbst in die Augen fallen. Auf einer Bogenhalle von fünf Säulen ruhen zwei Stockwerke in Backstein mit Fenstern im Halbrund. Die Gesimse, Archivolten etc. einfach und zart; es ist nicht möglich mit Wenigerem einen so bedeu- tenden Eindruck hervorzubringen als hier geschieht. Allerdings ist Raum und Stoff nicht gespart. Lucca. Arezzo. Perugia. Narni. In Lucca ist der Palazzo pretorio ein schönes derbes Ge- a bäude — unten mit einer Säulenhalle, welche sich an den geschlos- senen Theilen als Pilasterreihe mit Bogen fortsetzt. Wenn die obern Fenster nicht unzweckmässig verzierte Einfassungen hätten, so wäre man versucht, den Palast dem Cecco di Giorgio zuzuschreiben. Noch eine kleine Nachlese auf den Strassen über Perugia und über Siena nach Rom. An das gothische Carmeliterkirchlein S. Maria bei Arezzo (vor b Porta Romana eine Viertelstunde links) ist eine grosse Vorhalle im florentinischen Styl angebaut, welche zum ganz Malerischen in dieser Art gehört; sieben Bogen vorn, zwei auf jeder Seite und zwei rechts und links an die Fassade anschliessend; das Kranzgesimse allerdings etwas willkürlich gebildet mit einem vorspringenden steinernen Dach- rand von lauter Rosetten; die Bogenfüllungen mit gemalten Verzie- rungen ausgefüllt. (Laut Vasari von Benedetto da Majano .) In Cortona einige sehr mässige Fassaden. Wichtiger scheint das nahe Montepulciano durch die genannten Bauten. In Monte Fiascone und in dem zierlichen Viterbo, sowie auch in Orvieto habe ich bei flüchtigem Besuche keine bedeutendern Renaissancebauten be- merkt Die Kirche della Quercia in Viterbo soll nach der Zeichnung Bramante’s er- * baut sein. . Das oben genannte Pienza muss den Beschreibungen nach all die eben genannten Städte in dieser Beziehung übertreffen. In Perugia ist die Fassade der Confraternita von S. Bernar- c dino (bei S. Francesco) als vorherrschend figurirtes Werk hier nur vorläufig zu nennen. Von sehr schöner Frührenaissance (angeblich von Agostino della Robbia und Polidoro di Stefano): Die stattliche d Porta S. Pietro . (Das Hauptgesimse fehlt.) Am Dom von Narni , jener wunderlichen Basilica mit Flach- e bögen, ist ein artiger Porticus vom Jahr 1497 angebracht. Viel präch- tiger ist die Vorhalle am Dom von Spoleto : fünf Bogen auf Pfeilern, f die mit schlanken Säulen bekleidet sind, an beiden Enden noch be- sondere Kanzeln zum Vorzeigen von Reliquien und zur Predigt; Ge- Frührenaissance. Rom. Giul. da Majano. bälk und Balustrade reich und zierlich; die Bogen des Gewölbes innen auf Consolen ruhend. (Angeblich von Bramante.) In Rom , zu der Zeit als Brunellesco die dortigen Alterthümer zeichnete, existirte kaum ein einheimisches Kunstleben. Der päpst- liche Stuhl, der nach langer Kirchentrennung einmal wieder seine un- bestrittene Stelle an der Tiber einnahm, fand keine gewerbreiche und kunstliebende Bürgerschaft, sondern ein verwildertes und verkomme- nes Volk vor, und alle geistigen Bestrebungen, die das neubefestigte Papstthum schützt und begünstigt, tragen einstweilen den Charakter einer unstäten Colonie, eines beständigen Wechsels. So ist es denn auch unläugbar, dass die neue Bauweise zuerst durch fremde, und zwar florentinische Künstler durchgesetzt wurde. Unter Eugen IV. erschien Antonio Filarete , der mit Donatello’s Bruder Simon die ehernen Pforten von S. Peter goss. Dann kam a Giuliano da Majano , der Erbauer des Palazzo di Venezia und der Vorhalle von S. Marco. Das Äussere des Palastes, für wel- ches dem Künstler der Quaderbau versagt gewesen sein muss, ist nicht massgebend, obwohl die Verhältnisse der Stockwerke zu einan- der immerhin bedeutend wirken. Allein der ausgeführte Theil der Halle um den grössern Hof und die analog gebildete Vorhalle von S. Marco (mit einer sehr schönen Innenthür) bezeichnen eine wichtige Neuerung; es sind die ersten consequent durchgeführten Pfeilerhallen mit Halbsäulen, unten dorisch-toscanisch, oben korinthisch. Ohne Schwierigkeit wird man darin die ins Hohe und Schmale gezogenen Formen des Colosseums wieder erkennen, von dem auch die Steine entlehnt sein sollen; nur hat Giuliano die Attiken der verschiedenen Stockwerke dieses Gebäudes für Basamente angesehen und desshalb hier auch der untern Ordnung Piedestale gegeben. Ganz ausgeführt, wäre dieser Hof eine der grössten Zierden von Rom. (Der kleinere Hof, unten mit achteckigen, oben mit runden Säulen, in der Richtung gegen Piazza Trajana hin, ist vielleicht eher von Baccio Pintelli.) — Von Leon Battista Alberti’s und Bernardo Rosellino’s Thätigkeit sind in Rom keine bleibenden Spuren mehr erhalten; es war dem Floren- tiner Baccio Pintelli bestimmt, fast alles das zu bauen oder zu Baccio Pintelli. entwerfen, was aus der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts in Rom auf unsere Zeit kommen sollte An S. Giacomo degli Spagnuoli (1450) ist nur noch das reiche Portal be- * merkenswerth, bei S. Salvatore in Lauro der aus derselben Zeit stammende ** graziöse Klosterhof, beides anonyme Werke. . Baccio war vielleicht ein geübter Techniker, allein keiner von den- jenigen Künstlern, welche die neue Formenfreiheit genial und schön zu handhaben wussten. Sein wichtigstes Werk, die Kirche S. Ago- a stino , ist in Betreff des Innern ein ziemlich nüchterner Versuch hohen Gewölbebaues auf Pfeilern mit kleiner Kuppel, wobei er wie Brunellesco die untern Wände in Nischen auflöste. Mit der phanta- sievollen Annunziata von Arezzo könnte dieses (überdiess unangenehm beleuchtete) Gebäude keinen Vergleich aushalten. An der Fassade macht sich jene bei Alberti zuerst bemerkte Verbindung des obern Stockwerkes mit den hervorragenden Theilen des untern auf eine recht üble Weise bemerklich; die beiden Voluten haben nämlich die Ge- stalt eines colossal vergrösserten Winkelblattes des ionischen Capi- täls. — An S. Maria del Popolo ist die Fassade oben umgebaut, b sonst aber schlicht und gut; das Innere, hier ein Pfeilerbau mit Halb- säulen, von jeher etwas gedrückt, hat durch moderne Verkleisterung allen höhern baulichen Reiz verloren, und die achteckige Kuppel kann gegen die sonstige breite Masse nicht mehr aufkommen. — Einer kleinern Aufgabe, wie S. Pietro in Montorio , genügte Baccio c recht wohl; dieses Kirchlein, einschiffig gewölbt, mit Querschiff, Ca- pellen als Wandnischen und polygonem Chorabschluss, bildet ein sehr tüchtiges Ganzes und würde mit der ursprünglichen Decoration einen trefflichen Effect machen. — Beim Bau der sixtinischen Capelle d lag vielleicht ein bindendes Programm und die Rücksicht auf die schon vorhandenen vaticanischen Bauten vor; sonst liesse sich schwer den- ken, dass für die päpstliche Hauskirche eine so absolut schlichte Form gewählt worden wäre. — Mehrere ältere Kirchen sind von Baccio mit Fassaden versehen worden; so S. Pietro in Vincoli, SS. Apo- e stoli . Er berief sich vielleicht auf die mittelalterliche Kirche S. Saba f oder auf das frische Beispiel von S. Marco und legte eine gewölbte Doppelhalle vor die Kirche, mit weitgespannten Rundbogen, unten auf achteckigen Pfeilern, oben auf Säulen. Diess macht zwar keinen kirch- B. Cicerone. 13 Frührenaissance. Rom. Anima. lichen, aber immerhin einen heitern und angenehmen Eindruck. — a Sonst erbaute Baccio auch den Ponte Sisto und hatte Antheil an b dem Hospital von S. Spirito (die Kuppel beim mittlern Eingang? Der Glockenthurm der Kirche? welcher der erste und vielleicht der beste des neuen Styles in Rom ist; vgl. S. 85, b.) Bloss durch Ver- muthung wird ihm auch das kleine Schiff und der achteckige Kup- c pelraum von S. Maria della Pace zugeschrieben, alles mit Capel- lennischen. Pietro da Cortona hat später dem Äussern einen ganz neuen Sinn gegeben. Die achteckigen Pfeiler, von welchen die Rede war, sind in die- ser Zeit das Zeugniss für das gänzliche Ausgehen der bequem und für Jedermann zur Hand liegenden antiken Säulen; über die noch verfügbaren begann damals schon eine höhere Aufsicht, sei es, dass sie erhalten oder vernutzt werden sollten. Der unverjüngte achteckige Pfeiler kann in jeder Steinhütte geliefert werden und die toscanische Baukunst hatte ihn in der gothischen Zeit und schon früher auf alle Weise angewandt. In Rom ist vielleicht eines der frühesten Bei- d spiele der Hof des Governo vecchio, malerisch unregelmässig, von mehrern Stockwerken, etwa aus der ersten Hälfte des XV. Jahrhun- e derts. — Etwas später: der Hof von Pal. Sforza-Cesarini (unweit der Chiesa nuova). — Wiederum später und sehr hübsch: der Hof des f Hospitals S. Giovanni de’ Genovesi (im Trastevere). g Im Jahr 1500 begann der Bau von S. Maria dell’ Anima . Das Innere ist dergestalt durch moderne Stuccatur verändert, dass nur die halbrunden Wandnischen sich noch deutlich als florentinisches Eigenthum zu erkennen geben. Die Fassade wird dem einen ältern San-Gallo, Giuliano, zugeschrieben; die Verbindung von Backstein- flächen und drei Ordnungen korinthischer Pilaster über einander, ob- wohl rein decorativer Natur, wirkt doch edel; bei der bescheidenen Bildung der Pilaster und Gesimse kann die schöne Mittelthür kräftig heraustreten. Für eine schmale Strasse und für beschränkte Mittel ist hier das Mögliche geleistet; eine spätere Zeit hat bei ähnlichen Aufgaben mit den dreifachen Kosten ganze Säulen nebst einer Be- gleitung vielfach abgestufter Wandpilaster dahinter und weit vortreten- den Gebälken darüber aufgewandt und einen Schattenwurf erreicht, der diesem Gebäude fehlt, allein hier stehen die Ziermittel gerade im rich- Rom. Neapel. tigen Verhältniss zu der harmlosen Composition des Ganzen. Von Giuliano da San-Gallo ist auch der schöne, weitbogige Klosterhof in a S. Pietro in Vincoli (der Brunnen später); als Decorator im Sinne der edelsten Renaissance lernt man ihn kennen durch die herrliche Flach- b decke von S. Maria maggiore, die er im Auftrag Alexanders VI. entwarf. Vielleicht noch aus dem XV. Jahrhundert, jedenfalls aus nicht viel späterer Zeit stammen die alten Theile in den Höfen der Paläste c Strozzi (bei der Kirche delle Stimmate) und della Valle (von Loren- d zetto); letzterer Hof ist noch in seiner Vernachlässigung einer der schönern der Frührenaissance. In den Abruzzen soll Aquila ein vorzügliches Gebäude der Re- naissance besitzen an der Fassade von S. Bernardino, von Cola della e Matrice , 1525. (In der Kirche selbst, wie ich durch Mittheilung eines Freundes vernehme, ein grosses Altarwerk von Robbia.) In Neapel trat mit den aragonesischen Königen die Renaissance an die Stelle der vom Haus Anjou gepflegten gothischen Bauweise. Die Anregung kam ohne Zweifel von aussen; Alfons von Aragonien berief den Florentiner Giuliano da Majano nach Neapel. Leider ist der schöne luftige Sommerpalast Poggio Reale, den man u. a. aus Serlio’s Abbildung und Plan kennt, von der Erde verschwunden; man lernt Giuliano nur noch als grossen Decorator kennen, zunächst im Triumphbogen des Alfons. Die Einrahmung dieses hohen weissen f Marmorbaues zwischen zwei dunkle Thürme des Castello nuovo Gegenwärtig ist das Castell nur mit besonderer Erlaubniss zugänglich. — Galanti nennt als Urheber des Bogens einen Pietro di Martino aus Mailand. wirkt schon an sich sehr bedeutend; die Ornamente sind prächtig und selbst edel; die Composition aber, unorganisch und spielend, lässt das frühe Jugendalter dieses Styles nicht verkennen. Jahrzehnde später baute Giuliano die Porta Capuana ; ein Bogen mit Säulen g eingefasst, ebenfalls zwischen zwei Thürmen, mit hohem Fries und Attica, vielleicht das schönste Thor der Renaissance. 13* Frührenaissance. Neapel. Zu derselben Zeit nahm auch ein einheimischer Künstler, An- drea Ciccione , der bisher gothisch gebaut (wie u. a. sein Grabmal für König Ladislaus beweist) die neue Bauweise an. Von ihm ein- a fache ehemalige Klosterhöfe bei Monte Oliveto und S. Severino b (derjenige mit den Fresken des Zingaro), auch die Kirche Monte- c oliveto selbst, unter deren Anbauten sich zwei einfach schöne Ca- pellen (rechts und links vom Portal) Vielleicht von Antonio Rosellino, der für die eine derselben die wichtigen Sculpturen schuf. Sie entsprechen so ziemlich der von ihm erbauten Capelle in S. Miniato bei Florenz. und eine Sacristei (links hin- ten) von florentinischem Styl befinden. Das artige viereckige Kirchlein d des Pontanus, an der Strada de’ Tribunali, soll lange nach Ciccione’s Tode, erst 1492, nach seiner Zeichnung errichtet sein; über kräftigem Sockel Composita-Pilaster und schlichte Fenster; der Aufsatz un- vollendet, das Innere glatt. Zaghaft und selbst ungeschickt tritt der florentinische Palastbau e mit Rustica auf in dem von 1466 datirten Pal. Colobrano , Strada S. Trinità. (Ehemals Pal. Diomede Carafa, jetzt Wohnung des Mi- nisters Santangelo.) — Aber noch vor dem Ende des XV. Jahrhun- f derts erbaute der Neapolitaner Gabriele d’Agnolo den Palast Gravina , dessen ehemalige, durch den jetzigen Umbau in ihren letzten Resten bedrohte Anlage von grösster Schönheit war: das Erdge- schoss gewaltige Rustica, das obere Stockwerk glatte Wände mit korin- thischen Pilastern; über den kräftig eingerahmten Fenstern Medaillons mit Büsten, dann das Hauptgesimse. (Das jetzige kaum das ursprüng- liche.) Durch die Vermehrung der Stockwerke und das Herausbrechen neuer Fenster geht der ganze Sinn des Baues verloren. — Von Gian- francesco Mormandi , um welchen sich Florenz und Neapel g streiten, ist der Pal. della Rocca , Strada S. Trinità; wenigstens die einfachen untern Stockwerke des Hofes, Bogen auf Pfeilern, mit der mächtigen gewölbten Einfahrt, die schon damals und seither im- mer für das prunkliebende Neapel bezeichnend war. An der Kirche h S. Severino ist von Mormandi’s Bau (1490) noch die einfache flo- rentinisch schöne Aussenseite links erhalten. — Gut erhalten ist aus i derselben Zeit der niedliche Palast Alice , Strada S. Trinità, dessen Urheber ich nicht anzugeben weiss. Neapel. Genua. Von den zeitlich spätern Renaissancekirchen (die doch noch dem Styl des XV. Jahrhunderts folgen) verdient S. Caterina a For- a mello , 1523 von Antonio Fiorentino (aus la Cava) erbaut, auch S. Maria la nuova (gleichzeitig, obwohl das Datum der Voll- b endung später lautet) wenigstens einen Blick. Merkwürdiger als beide ist S. Maria delle Grazie , bei den Incurabili, erbaut 1500 (eher c später) von Giacomo de’ Santi , welcher noch Ciccione’s Schüler gewesen sein soll; die Capelleneingänge zu beiden Seiten des Schiffes haben nämlich die Gestalt antiker Triumphbogen und sind fast über und über mit reichen und schon ziemlich schwülen Zierrathen bedeckt. Die obern Mauern u. s. w. gehören einem Umbau an. Die wenigen Thürme dieses Styles, z. B. der von S. Lorenzo (da- d tirt 1487) sind höchst einfach; glatte Wände, an den Ecken Pilaster, die Entwicklung nach oben fast null. Die obern Theile des Thurmes e von S. Chiara, aus welchen die Neapolitaner ihre Priorität in der Re- naissance beweisen wollten, sind nicht vom jüngern Masuccio — XIV. Jahrhundert — sondern frühstens aus dem XVI. Jahrhundert. In Genua nehmen die Bauten des XV. Jahrhunderts überhaupt keine bedeutende Stelle ein; was man davon sieht, ist überdiess nicht frei von lange nachwirkender Gothik, wie z. B. die Capelle Johannis f d. T. im Dom beweist, ein Werk der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. — Ein artiger Säulenhof der Frührenaissance in Pal. Centurione g (unweit links von S. Matteo, N. 138.) Von Kirchen zeigt S. Teodoro die verkleisterten Anfänge einer h gutgemeinten Innendecoration (links vom Eingang); S. Caterina am i Hospital Pammatone, vom Jahr 1520, könnte sogar vor der Vergypsung eine hübsche Kirche dieses Styles gewesen sein; das Portal mit schö- nen Medaillonköpfen ist von einfacher lombardischer Renaissance. Von kleinern Privathäusern ist noch eine recht ansehnliche Zahl in den ältern Stadttheilen erhalten. Es wäre fruchtlos, in dem Gewirr von Gässchen Strassennamen anzugeben, die kein Plan ent- hält und die nur der Nachbar weiss; selbst die Hausnummern sind zum Theil am Erlöschen, als gingen sie einer baldigen Erneuerung entgegen. Ich kann dem Architekten nur rathen, die ganze Umge- Frührenaissance. Genua. Oberitalien. a bung von 1) Madonna delle Vigne , 2) S. Giorgio zu durch- streifen; die Stunde die er darauf wendet, wird ihn nicht reuen. Man kennt die betreffenden Häuser durchgängig an ihren oft höchst zier- lichen Portalen im Styl der lombardischen Renaissance, welche freilich nur zu oft das Einzige daran sind, was sich erhalten hat. Innen eine insgemein nur kleine Vorhalle, die aber mit ihrer einfach stucchirten Wölbung und mit der seitwärts angelegten Treppe und deren Säul- chen einen oft ganz malerischen Raum ausmacht. (Unweit S. Giorgio, N. 1393, auch N. 1372; unweit der Vigne, auf Piazza Cambiaso, N. 396 ein artiges Höfchen mit Treppe, vom Anfang des XVI. Jahrhun- derts; das bedeutendste dieser Art N. 487 Strada della Posta vecchia, kenntlich an dem Thürrelief eines Trionfo in paduanischer Manier; der kleine Hof wenigstens theilweise erhalten, die Säulentreppe fast ganz, mit ihren Kreuzgewölben — statt der florentinischen Tonnen- gewölbe —, ihren kleinen Madonnennischen, und der untern Belegung der Mauer mit buntglasirten Backsteinplatten, welche die schönsten Teppichmuster enthalten. Diess ist eines der wenigen noch kenntlichen moresken Elemente im genuesischen Häuserbau; vielleicht bot die Stadt in jener Zeit noch mehr dergleichen dar, aber die alten Höfe der bedeutendern Familienpaläste sind alle verschwunden.) Ein etwas grösseres Gebäude dieses Styles, wie er sich in die ersten Jahrzehnde des XVI. Jahrhunderts hinein mag gehalten haben, b ist Pal. Bruso, rechts neben S. Pancrazio N. 653. Eine Ableitung der oberitalienischen Renaissance aus ihren wahren Quellen ist der Verf. nicht im Stande zu geben. Allem An- schein nach hätte die westliche Lombardie die Priorität für sich; Lombarden , die man nach dieser ihrer Heimath benannte, brachten den Styl bald nach 1450 halbfertig nach Venedig. Demnach ist mit den Bauten des alten Herzogthums Mailand unbedingt der Anfang zu machen. Wir gestehen jedoch, dass uns hier eher die Bequemlichkeit der topographischen Aufzählung bestimmt, indem wir, wie gesagt, eine Entwicklungsgeschichte des betreffenden Styles in diesen Gegen- den doch nicht liefern könnten. Wir beginnen mit Mailand und der Umgegend, verfolgen dann die Via Emilia von Piacenza bis Bologna, Mailand. Frühe Bauten Bramante’s. wenden uns über Ferrara nach Venedig und schliessen mit den Bau- ten der alten venezianischen Terraferma, bis Bergamo gerechnet. Un- endlich Vieles, zum Theil von grossem Werthe, liegt abseits in Landstädten; wir geben was wir gesehen haben. Wie zunächst in Mailand die Renaissance begann, ist nach den starken Umbauten der folgenden Jahrhunderte schwer zu ermitteln. Einzelne florentinische Einflüsse sind wohl nachweisbar; so baute z. B. Antonio Filarete das Ospedale maggiore in Mailand, allein wie wir sahen, noch in einem vorherrschend gothischen Decorations- styl; von Michelozzo dagegen existirt hinten an S. Eustorgio eine a Capelle eleganten florentinischen Styles in der Art Brunellesco’s; was er an S. Pietro in Gessate beigefügt hat (Chor, Sacristei und Capitel- b haus), hat Verfasser dieses nicht gesehen. Jedenfalls beginnt die fort- laufende Reihe grösserer Bauten erst mit den Sforzas und das Be- deutendste entsteht erst unter Lodovico Moro. Und zwar hält man fast die sämmtlichen Bauten aus dem letzten Viertel des XV. Jahr- hunderts für frühere Arbeiten des grossen Bramante von Urbino, dessen Name in diesen Gegenden allerdings ein Gattungsbegriff zu werden scheint. (Bramante wurde geboren in Brunellesco’s Todesjahr 1444, kam nach Mailand als Ingenieur unter Giangaleazzo Sforza 1476, ging nach Rom vor 1500 und starb daselbst 1514; er war bekanntlich Oheim oder Verwandter Rafaels.) Ohne entscheiden zu können, wie Vieles ihm wirklich angehört, stellen wir die ihm zugeschriebene Gruppe von Bauten hier zusammen; mehrere darunter offenbaren schon die freie Grossartigkeit seiner spätern, römischen Schöpfungen; andere sind noch befangener. Jedenfalls ist sein früherer Styl (diese Gebäude als die seinigen angenommen) bedingt von derjenigen reichen und üppigen Renaissance, wie sie an der Certosa von Pavia (die Fassade 1473) ihren Triumph feiert; zugleich aber muss auch der schöne und sorgfältige Backsteinbau der Lombarden (S. 151 ff.) einen grossen Ein- druck auf ihn gemacht haben. Beides findet sich vereinigt in Chor, Kuppel und Querbau von S. Maria delle Grazie zu Mailand In den umliegenden Städten und Flecken gelten u. a. als von Bramante ent- worfen oder erbaut: in Busto Arsizio: eine Rotunde; — in Legnano: die . Das Innere hat eine mo- c Frührenaissance. Mailand. Bramante. derne Mörtelbekleidung und wirkt nur noch durch das Allgemeine der Raumschönheit; im wohlerhaltenen Äussern dagegen spricht sich der echte Geist der Frührenaissance mit seiner ganzen anmuthigen Kühn- heit aus. Auf engem Unterbau (so dass der südliche Querarm nicht in die Strasse hinaustreten durfte) wollte Bramante eine bedeutende polygone Flachkuppel mit leichter offener Galerie errichten; in schö- ner und geistvoller Weise bereitet er das Auge darauf vor. Elegant abgestufte Einrahmungen theilen den Unterbau — Chor und Quer- arme mit runden Abschlüssen, hinter welchen noch gerade Obermauern emporragen — in schlank scheinende Stockwerke; Pilaster, Wand- candelaber, Gesimse und Medaillons grossentheils von Stein, die Fül- lungen von Backstein. Die genannten runden Abschlüsse der Quer- arme sind für die Lombardie eine traditionelle Form, die schon mit alten Beispielen wie S. Lorenzo in Mailand, S. Fedele in Como etc. zu belegen ist; der Meister, welcher sich hier vielleicht zum ersten Mal darauf einlässt, sollte später dieselbe Anlage in viel höherem Sinne an der Consolazione zu Todi und an S. Peter in Rom wie- dergeben. a Ebenfalls früh ist S. Satiro in Mailand; die Kirche nicht ohne verwirrende neuere Ausschmückung, die achteckige Sacristei da- gegen (unten mit Nischen, oben mit einer Galerie, im mittlern Fries Putten und Medaillons) ein köstlicher wohlerhaltener Bau, der Cro- naca’s berühmter Sacristei (S. 189, b) zwar nicht an reiner Eleganz des Details gleichkommt, sie aber an Strenge und Bedeutung übertrifft. b An S. Eustorgio wird die Kuppel einer Capelle (ich weiss nicht, c welcher) dem Bramante zugeschrieben, im grossen Hospital der Hof d rechts vom Haupthof, im Ospedale militare das alte Gebäude über- e haupt, im Kloster von S. Ambrogio einer der Seitenhöfe. Die be- treffenden Gebäude sind zum Theil als Casernen schwer zugänglich; an S. Ambrogio habe ich nur das sehr schöne Fragment einer schlan- ken Hofhalle links neben der Kirche im Gedächtniss; den Abbildungen zufolge müssten rechts zwei prachtvolle Renaissancehöfe vorhanden Hauptkirche; — in Canobbio am Lago maggiore: eine Kirche; — in Lodi: die Incoronata; — in Pavia: die ehemalige Klosterkirche Canepanova und der (doch nur von ihm fundamentirte) Dom. — Weiter nach Südosten: der Dom zu Carpi, von Andern dem Peruzzi zugeschrieben. Certosa von Pavia. sein. Von den Klosterhöfen bei S. Simpliciano soll wenigstens ein a Theil Bramante’s Werk sein; das bekannte Lazareth vor Porta orien- b tale wird ihm nur durch Vermuthung zugeschrieben; das für seinen Zweck hübsch gedachte Capellchen in der Mitte des Hofes ist wohl bestimmt neuer. Den Schritt in das Einfache würde die herrliche Kirche S. Ma- c ria presso S. Celso in Mailand bezeichnen, wenn sie dem Bra- mante sicher beizulegen wäre. Den edeln Eindruck des Backsteinvor- hofes mit seinen Pfeilern kann selbst die bombastische Marmorfassade des Galeazzo Alessi nicht total stören; das Innere ist eine dreischif- fige Pfeilerkirche mit Chorumgang und cassettirtem Tonnengewölbe; der Charakter ist der einer einfachen Pracht. Von einem mailändischen Schüler Bramante’s, Giov. Dolce- buono , rührt das einfache Innere von S. Maurizio oder Monastero d maggiore her, welches man hauptsächlich wegen der Fresken Lui- ni’s aufsucht. — S. Nazaro hat noch seinen wunderlichen achteckigen e Vorbau vom Jahr 1518 mit den Sarcophagen der Familie Trivulzi in den oben herumgehenden Nischen; eine Construction zu welcher of- fenbar die Sacristei von S. Satiro Anlass gab. Schon vor Bramante’s Ankunft in Mailand hatte Ambrogio Borgognone die Fassade der Certosa von Pavia begonnen f (1473). Neben derjenigen des Domes von Orvieto ist sie das erste decorative Prachtstück Italiens und der Welt. Der bauliche Gedanke — ein fünftheiliges Erdgeschoss und ein dreitheiliges Obergeschoss, beide mit Galerien abgeschlossen — ist ziemlich gering, die Anordnung des obern Mittelfensters passt nicht harmonisch zum Uebrigen; der ohne Zweifel beabsichtigte plastische und ornamentale Schmuck über der obersten Balustrade fehlt. Allein die unermessliche Pracht und zum Theil auch der feine decorative Geschmack, welche das Erd- geschoss beherrschen, haben ein in seiner Art unvergleichliches Ganzes hervorgebracht. Schon die Basis des Sockels beginnt mit Puttenreliefs und Kaiserköpfen; am Sockel selbst wechseln Reliefs und Statuen in Nischen; die Pilaster sind beinahe in Nischen aufgelöst, in welchen sich Statuen befinden; was sonst von Flächen übrig bleibt, ist mit Figuren und Zierrathen in Relief völlig bedeckt, Alles in weissem Marmor. Das auf Säulen vortretende Portal ist edel gedacht; vollends Frührenaissance. Lugano. Como. aber gehören die vier grossen untern Fenster zu den grössten Trium- phen aller Decoration; ihre Innenstützen sind reiche Candelaber, ihre Akroterien mit betenden Engeln geschmückt. Das Langhaus ist gothisch (S. 152.) Über Querbau und Chor kann ich aus schon ziemlich alter Erinnerung nicht urtheilen; jeder der drei Arme schliesst mit drei Nischen nach drei Richtungen; wenn diese Anordnung erst der Renaissance angehört, so wäre sie für viele der unten genannten oberitalischen Kirchen ein nahes und bedeuten- des Vorbild gewesen. Die in vier Galerien abgestufte Kuppel ist entschieden erst aus dieser Zeit, ihr Abschluss noch neuer. a An der Cathedrale von Lugano ist die marmorne Fassade ein graziöses kleines Excerpt aus derjenigen der Certosa; quadratisch, mit einem höhern Erdgeschoss und einem niedrigern Obergeschoss, in dessen Mitte ein Rundfenster; Friese, Pilaster und theilweise auch die Wandflächen mit Sculpturen geschmückt. b Es folgt der im Jahr 1513 von Tommaso Rodari begonnene Ausbau des Domes von Como (vergl. S. 152): Chor, Querbau und Aussenseiten des Langhauses, vielleicht das schönste Specimen hö- herer Renaissancebaukunst in diesen Gegenden. Die drei Abschlüsse im halben Zehneck; das Äussere einfach edel gegliedert; im Haupt- fries an den Strebepfeilern Urnenträger für den Wasserablauf. (Die achteckige Kuppel in ihrer jetzigen Gestalt von Juvara Die Decoration der vordern Theile des Langhauses, möglicher Weise eben- falls von Rodari aus früherer Zeit, gehört mehr der buntern und befange- nern Frührenaissance an. So die Nordthür, die Ausseneinfassungen der Fen- ster und die geistreichen Renaissance-Spitzthürmchen, welche über den Strebe- pfeilern des Querbaues und Chores, also an dem Bau der mehr classischen Zeit nicht mehr vorkommen. Hienach möge man verbessern, was S. 152 in zu allgemeinen Ausdrücken vom ganzen Bau gesagt ist. Die Inschrift über den Beginn des Hinterbaues steht an der Rückseite des Chores. .) Innen ist Chor und Querbau umzogen von einer Doppelordnung korinthischer und Composita-Säulen, welche ein herrliches Doppelsystem von Fen- stern einfassen; die übrig bleibenden Flächen zwar nüchtern decorirt, aber trefflich eingetheilt; unter den untern Fenstern Nischen mit (oder doch für) Statuen. Die Wölbungen mit prachtvollen roth-weiss-goldenen Cassetten. Bei der durchgängigen Einfachheit, welche auf reine Total- Grundzüge des lombardischen Kirchenbaues. wirkung ausgeht und z. B. keine Arabesken an Pilastern und Friesen zulässt, gehört diess Gebäude wie S. Maria presso S. Celso zu Mai- land schon eher der classischen Zeit als der Frührenaissance an. Schon die genannten Bauten geben einige gemeinsame Züge kund, die auch für die folgenden wesentlich sind. Die Lombardie war schon in der vorigen Periode das Land des grossartigen und verfeinerten Backstein baues gewesen und behielt jetzt dieses Material bei, abgesehen natürlich von Gebäuden des äussersten Luxus wie z. B. die Fassade der Certosa. Zweierlei Consequenzen hievon sind: 1) die Vorliebe für den Pfeilerbau mit Stucchirung; dieser gestattete kühne Gewölbe; die Säule und mit ihr die flachgedeckte Basilica kom- men zur Renaissancezeit im Ganzen selten vor. 2) Die Vorliebe für reiche, kecke Dispositionen, hauptsächlich runde Abschlüsse , grosse Nischen u. s. w., die im Backstein, wo man es im Detail nicht so genau nimmt, ungleich leichter darzustellen sind als im Stein, der eine sehr consequente Durchführung des Details und eine hier müh- same Messung verlangt. Diese reichen Formen sind gleichsam ein Ersatz für den mangelnden Adel des Materials. — Weitere Folgen sind: die stets einfache und befangene Bildung der Säule , wo sie vorkömmt, wie z. B. an vielen (doch nicht den meisten) Kloster- höfen; die Decoration des Innenpfeilers , den man doch ein- mal nicht roh lassen wollte, durch gemalte oder selbst erhabene Ara- besken; eine ähnliche Behandlung der Gesimse, der Gewölbe (Rippen sowohl als ganze Kappen, Halbkuppeln u. s. w.). Die Kuppel bleibt noch längere Zeit die mittelalterliche, polygone, aussen flach- gedeckte, mit Galerien umgebene. Man sieht an der Certosa von Pavia recht deutlich, wie sie sich steigern und verklären möchte, es aber nicht über die Vervielfachung der Galerien hinaus bringt. Die Dauer der Frührenaissance ist hier eine längere als in Mit- telitalien; Bramante (oder wer es sonst war) drang mit der gross- artigen Vereinfachung der Formen, die man z. B. an S. Maria presso S. Celso bemerkt, zunächst nicht durch. Der Bruch erfolgt hier erst gegen die Mitte des XVI. Jahrhunderts und dann ziemlich unvermittelt. Die nächste bedeutende Gruppe von Kirchen, welche der Verfas- Frührenaissance. Piacenza. Parma. ser aus Anschauung kennt, besteht aus S. Sisto in Piacenza , S. Giovanni in Parma (1510) und der Steccata in Parma (1521), die beiden letztern (und wohl gar auch die erstere) von Bernardino a Zaccagni aus Torchiara. Die älteste ist S. Sisto In dieser Kirche befand sich ehemals die berühmte Madonna di S. Sisto, welche daher den Namen der Sixtinischen führt. (In Dresden.) Als Schluss der schönen Kirche, in dem trefflichen Licht, welches jetzt die Copie geniesst musste sie eine einzige Wirkung machen. ; für die moderne Fassade entschädigen zwei gute ionische Kreuzgänge. Das Innere ist von glänzend naivem Reichthum der Disposition und Ausführung; eine Säulenkirche mit Tonnengewölben und zwei Querschiffen, über deren Mitte Kuppeln; die Seitenschiffe mit lauter kleinen Kuppel- gewölben; seitwärts davon Capellen in Nischen auslaufend, welche indess von aussen durch eine gerade Mauer maskirt sind. Von ganz besonders seltsamer Composition sind die beiden Schlusscapellen des vordern Querschiffes: griechische Kreuze auf vier Säulen ruhend, mit Kuppelchen und vier Eckräumchen, an den Enden Hauptnischen, in den Eckräumen kleinere Wandnischen, und diess Alles so klein, dass b man sich kaum darin drehen kann. — S. Giovanni in Parma hat eine ähnliche Disposition, doch lauter Pfeiler (von schöner schlanker Bildung) und nur Ein Querschiff; ausserdem (links) zwei prächtige Klosterhöfe mit bemalten Bogenfüllungen und Friesen (die Fassade e modern). — La Steccata endlich bildet ein einfaches griechisches Kreuz mit runden Abschlüssen, Mittelkuppeln und vier etwas niedri- gern Eckräumen, welche zu besondern Capellen abgeschlossen sind. (Die Verlängerung des Chores neuer.) Es ist eine der schönsten, wohlthuendsten Baumassen, welche die neuere Kunst geschaffen hat, übrigens von aussen wie alle diese Kirchen möglichst einfach; die einzige reichere Form ist die Galerie um die Kuppel. Die gemeinsamen Eigenschaften dieser Kirchen sind nun 1) Eine wahrhaft prächtige architektonische Bemalung aller Bauglieder des Innern, theilweise auch der Bauflächen, wie denn in S. Sisto der Fries über den Hauptbogen durch eine ganze hohe Attica mit lauter allegorischen Malereien grau in grau vertreten ist. (Von dieser Be- malung unten ein Mehreres.) 2) Eine merkwürdig schlechte Beleuch- Parma. Modena. Bologna. tung. In S. Sisto und S. Giovanni kommt das meiste Licht durch die Fenster der untern Capellenreihen, die zu beiden Seiten der Al- täre in den halbrunden Nischen angebracht sind; an der Steccata hat der Meister sogar seine Fenster ohne alle Noth so weit unten als möglich angebracht. Von den Kuppeln hat leider gerade diejenige von S. Giovanni, mit Coreggio’s Fresken, das kümmerlichste Licht durch vier kleine Luken. In der Steccata geht dem Innern, das sonst so schön gedacht ist, sein bester Reiz durch diesen Mangel ganz verloren. Um sich den Eindruck des Ganzen einigermassen zu vervollstän- digen, denke man sich bei S. Sisto und S. Giovanni eine Backstein- fassade dieses Styles hinzu, wie sie z. B. S. Pietro in Modena a recht schön darbietet. Wie einst die gothischen, so reproducirt in dieser Epoche der Backstein die antiken Formen in einer oft eigen- thümlich reizenden Weise. In Modena ist ausser der eben erwähnten Backsteinfassade von S. Pietro nichts von höherer Bedeutung vorhanden; der zweite Klo- b sterhof daselbst (ionische Halle) hat ein sonderbar niedriges Ober- geschoss. Für Architekten: Pal. Coccapane (Strada Rua del muro), c Backsteinbau mit reichen Gesimsen aussen und im Hof, gemalten Frie- sen und Decken in den untern Hallen. — Pal. Rangoni (jetzt Bellin- d tani, Hauptstrasse) hat rechts noch ein sehr entstelltes Höfchen mit oben herumgehenden offenem Pfeilergang. Von andern Renaissancebauten der Gegend können zwei Gebäude an der Via S. Antonio zu Piacenza und ein grosser halbzerstörter Klosterhof links neben S. Quintino in Parma für Architekten einiges Interesse bieten. Die Madonna della Campagna in Piacenza (an einem e Ende der Stadt) scheint eine frühe Nachahmung der Steccata zu sein. Das bischöfliche Seminar in Parma, beim Dom, ist eine gute, jetzt f vermauerte Doppelhalle. Bologna besitzt aus dieser Zeit keine bedeutende Kirche, aber einzelne sehr werthvolle Bruchstücke von solchen. Die ganze fröh- liche Naivetät der Frührenaissance lebt z. B. in der zierlichen Back- steinfassade der Madonna di Galliera (nahe bei S. Pietro), vom g Frührenaissance. Bologna. Kirchen. a Jahr 1470. In den allerkleinsten Dimensionen repräsentirt diesen Styl das aufgehobene Kirchlein S. Spirito. — An der Kirche Corpus Do- b mini (oder la Santa) ist von dem Bau des Jahres 1456 (?) ebenfalls nur die Fassade und vollständig nur die prächtigste Backsteinthür erhalten. Sie zeigt gerade in ihrem Reichthum den tiefen Unterschied zwischen oberitalischer und toscanischer Decoration. — Eine vollstän- dige, aber nur einschiffige Kirche (angeblich von 1447, doch eher erst c nach 1500) ist S. Michele in Bosco; namentlich aussen gut und ge- diegen; das Portal dem Peruzzi beigelegt; von den Anbauten mehrere d einfach gut. — An S. Bartolommeo di Porta ravegnana ist auf zwei Seiten die reiche Pfeilerhalle des Formigine erhalten, vom Jahr 1530 und doch noch Frührenaissance, wie Alles was noch auf vor- herrschende Einzelwirkung ausgeht. (Das Innere, eine Säulenkirche mit Tonnengewölben, vielleicht aus derselben Zeit, aber modernisirt.) e — In S. Giacomo maggiore ist das ganze Langhaus ein sehr schö- ner Einbau vom Jahr 1497 in die ältere Kirche; einschiffig, mit je drei Bogencapellen zwischen den vortretenden Wandpfeilern. — An f der anstossenden S. Cecilia gewährt die kleine Kuppel von aussen einen zierlichen Anblick. Wie langsam und gegenüber welchem Widerstand die Renais- g sance in Bologna eindrang, beweist z. B.: die Annunziata (vor Porta S. Mammolo), welche noch in den 1480er Jahren gothisch erbaut wurde. Der Weiterbau von S. Petronio hielt hier den gothischen Styl überhaupt lange am Leben. Einzelne Capellen , oft sehr hübsch mit eigenen polygonen Kup- h peln und Eckpilastern nach florentinischer Art: In S. Martino maggiore, i die erste links; — in der Misericordia (vor Porta Castiglione), die letzte rechts; überhaupt ist das Innere dieser gothischen Kirche im k Jahr 1511 umgebaut; — in S. Stefano: ein hübsches Capellchen links l neben dem sog. Atrio di Pilato; — in S. Giacomo maggiore: die Ca- pella Bentivoglio (Chorumgang), datirt 1486, durch ihre halb- m moderne Bemalung entstellt; — in S. Giovanni in Monte: an jedem Ende des Querbaues eine. Bologna. Faläste. Für Paläste der Frührenaissance (die wir hier, wie bemerkt, noch über die ersten Decennien des XVI. Jahrhunderts ausdehnen müssen) ist Bologna eine der wichtigsten Städte Italiens. Allerdings treten zwei beinahe durchgehende Beschränkungen ein, welche eine florentinische oder venezianische Entwickelung des Palastbaues hier unmöglich machen: der Backstein und die Verwendung des Erd- geschosses zur Strassenhalle. Letzterer Gebrauch, an sich sehr schön und für Sommer und Winter wohlthätig, hat eben doch das Aufkom- men jeder streng geschlossenen Composition verhindert; es entstanden fast lauter Horizontalbauten, bei welchen das Verhältniss der Länge zur Höhe gar nicht beachtet, keine Mitte bezeichnet und z. B. die Thür ganz willkürlich angebracht wird. Innerhalb dieser Schranken aber äussert sich die Renaissance hier äusserst liebenswürdig, ja es giebt in ganz Italien wenige Räume, wo der Geist des XV. Jahrhunderts uns so ergreift, wie in einzelnen Hofräumen von Bologna. Das Detail ist meist gerade so reich als der Backstein es gestattete; allerdings liegt zwischen hier und Rom wie- der ein Gebirge mehr, und die antiken Formen werden schon mehr wie von Hörensagen reproducirt. — Die Backsteinsäulen des Erd- geschosses, meist mit einer Art einblättriger korinthischer Capitäle, tragen reichprofilirte Bogen; über einem Sims setzen dann die rund- bogigen Fenster des Obergeschosses an, oft sehr prächtig, mit einer Art von Akroterien seitwärts und oben; in dem (bisweilen noch be- malten) Fries finden sich runde, auch rundschliessende, auch vier- eckige Luken. Das Kranzgesimse mit seinen kleinen und dichtstehen- den Consolen tritt nur mässig vor. — In den Höfen, wo sie wohl erhalten sind, entspricht den untern Säulen oben die doppelte Zahl von Säulchen (seltener Pilaster mit Zwischenbogen), welche eine Ga- lerie um den grössten Theil des Hofes bilden; oder auch Fenster, die den äussern ähnlich sind. Die Friese, Einfassungen u. dgl. meist um einen Grad reicher als aussen. Diese Bauweise dauerte bis gegen die Mitte des XVI. Jahrhun- derts, und gerade aus dieser spätern Zeit giebt es Beispiele von be- sonderer Schönheit. Der Baumeister Formigine bemühte sich da- mals, den jetzt sandsteinernen Capitälen eine möglichst reiche und abwechselnde, oft figurirte Bildung zu geben. In den Höfen bemerkt Frührenaissance. Bologna. Paläste. man oben statt der Säulen hie und da kleine Pilaster mit dazwischen- gesetzten Bogen. Aussen wird auch wohl durch viereckige Fenster (statt halbrunder) der eindringenden Classicität ein Zugeständniss ge- macht. — Wir zählen einige bezeichnende Beispiele aus dem XV. und XVI. Jahrhundert auf. a Pal. Fava , N. 590, sehr schön; im Hof auch ein offener Ver- bindungsgang auf reichen Consolen. — Ähnlich das Haus N. 1060. — Das phantastisch schöne kleine Eckhaus N. 496 Via delle Grade. — b Der Pal. Bevilacqua , eins der wenigen Gebäude dieser Zeit, welche unten keine Halle, sondern eine ganze und zwar steinerne Fassade haben, deren Quadern denn auch mit ganz besonderm Nach- druck behandelt, nämlich jeder einzeln verziert sind; auch alle übrigen Details sehr reich, das Gesimse eines der wirksamsten. Der Hof, mit Ausnahme der Säulen ganz von Backstein, ist der schönste dieses Styles. Man hat auf verschiedene Baumeister gerathen; wenn aber c der reiche Porticus an S. Giacomo (um 1483) urkundlich von Gas- pero Nadi erbaut ist, so wird man ihm wenigstens auch den Hof von Pal. Bevilacqua zuschreiben dürfen, der in der Zierweise mit d jenem Porticus fast völlig übereinstimmt. — Der Pal. del Podesta (1485, von Fioravanti) sieht dem Werk einer unreifen Begeisterung für Pal. Bevilacqua ähnlich; das zahme obere Stockwerk passt nicht zu den facettirten und geblümten Quadern und den derben Halbsäulen der Pfeiler des Erdgeschosses. (Der rechts davon gelegene Portico e de’ Banchi rührt in seiner jetzigen Gestalt erst von Vignola her, der auf eine sehr geschickte Weise eine Menge kleiner Räume und Fensteröffnungen einer neuen grossartigen Haupteintheilung zu sub- ordiniren wusste.) — f Der Platz vor S. Stefano ist fast mit lauter Gebäuden dieser Gattung umgeben; darunter N. 94, neben Pal. Isolani, noch halb- gothisch (oben eine Art Bogenfries mit Köpfchen ausgefüllt); beson- ders artig N. 80. g Der zierliche Palast auf dem Platz der beiden schiefen Thürme (eigentl. Pal. dell’ arte degli Stracciaiuoli) mit dem Datum 1496, soll von Niemand anders als von Francesco Francia entworfen sein. Wenn man in den mehr decorativ als architektonisch gehandhabten Formen den „Goldschmied“ wieder erkennen will, so haben wir nichts Bologna. Paläste. dagegen einzuwenden (1620 umgebaut). — Wiederum einfach und sehr a tüchtig: Pal. Fibbia, N. 580. — Artige Höfe: N. 1063, N. 1079, N. 2501 (letzterer mit gemaltem Puttenfries). Ausserdem ist der grosse Porticus der Putte di Baracano unweit b Porta S. Stefano beachtenswerth, als Fassade einer wohlthätigen An- stalt aus den letzten Jahren des XV. Jahrhunderts. Dem reinern Classicismus nähert sich dieser Styl z. B. in Pal. Bolognini N. 77 unweit S. Stefano (vom Jahr 1525), mit den Pracht- c capitälen des Formigine und den Medaillonköpfen des Alf. Lombardi. Den bolognesischen Hofbau in classischer Umbildung zeigt sehr schön Pal. Malvezzi-Campeggi, N. 2598, von Formigine . Für die Fas- d saden dagegen wusste dieser Meister, als der römisch-florentinische Einfluss nach Bologna drang, keinen rechten Rath; an dem genannten Gebäude behielt er für Friese, Pilaster und Füllungen wenigstens eine öde calligraphische Spielerei bei, und an Pal. Fantuzzi gab er den e gekuppelten Halbsäulen beider Stockwerke eine ganz widersinnige Ru- sticaoberfläche. Naiver verläuft sich die alte bolognesische Zierlust in den Barockstyl an dem Pal. Bolognetti (jetzt Savini, N. 1310), vom f Jahr 1551, mit einer allerliebsten untern und obern Halle und Treppe. Das beste Gebäude dieses Übergangsstyles aber möchte wohl Pal . g Buoncompagni sein (N. 1719, hinter dem erzbischöflichen Palast), vom Jahre 1545; im Hof erlöschende mythologische Grisaillen des Girol. da Treviso. Von Klosterhöfen der Renaissance sind zu nennen: der von h S. Martino maggiore; derjenige der Certosa, welcher jetzt den Haupt- i hof des Camposanto ausmacht, mit besonders reichen und schönen Capitälen, etc. etc. Die völlige modern-classische Umbildung tritt dann ein mit Bart. Triachini (Pal. Malvezzi-Medici, N. 2492, eines der besten Ge- k bäude Bologna’s), mit Francesco Terribilia (die alte Universität, l jetzige Bibliothek, der durchaus mit Rustica bekleidete Klosterhof bei m S. Giovanni in Monte etc.); sie neigt sich dem Barockstyl entgegen mit Pellegrino Tibaldi und seinem Sohn Domenico , von wel- chen unten. B. Cicerone. 14 Frührenaissance. Ferrara. Kirchen. Ferrara besitzt zunächst einen der wichtigsten Renaissance- a thürme Italiens, den Campanile des Domes . (Anfang des XVI. Jahrhunderts.) Mit Marmor, und zwar schichtenweise roth und weiss incrustirt, mit derb vortretenden Eckpilastern und Säulenstellungen dazwischen wirkt dieser Bau ganz imposant, obschon man es den Säulen ansieht, dass der Baumeister beim Backstein aufgewachsen war. (Die Fensterbogen setzen unschön ohne Mittelplatte auf.) — Die Tribuna der Kirche ein guter Backsteinbau, innen mit reich scul- pirten Wandpilastern. b Südlich gegenüber die aufgehobene, sehr verbaute Kirche S. Ro- mano, von früher und schlichter Renaissance. c S. Francesco (1494, wahrscheinlich von einem gewissen Pietro Benvenuti ) gehört noch zu der oben mit S. Sisto zu Piacenza be- gonnenen Reihe. Aussen mager vertheilte Pilaster mit hübschen Friesen (Putten, Medaillons haltend); innen Säulenkirche mit lauter Kuppelgewölben und den beiden Seitenschiffen entlang mit hübsch eingefassten Capellenreihen, durch deren Fenster wiederum das meiste Licht kömmt. Auch die Ornamentirung in ähnlicher Weise an Frie- sen, Bogenfüllungen etc., sowie an den Pfeilern der Kreuzung auf- d gemalt, wie in jenen Kirchen. — Von demselben Geschlecht: S. Be- nedetto (um 1500 von Gianbatt . und Alberto Tristani ), die Fassade mit jenen von L. B. Alberti (S. 182, d) zuerst gebrauchten, von Pintelli (S. 193, a) nachgeahmten Seitenvoluten und mit Marmorpilastern; alles Übrige schlichter Backstein; die Capellenreihen auch aussen rund, ebenso die Abschlüsse des Querbaues. Innen Tonnengewölbe (in der Mitte des Langhauses durch eine Flachkuppel unterbrochen; über der Kreuzung die Hauptkuppel; die Nebenschiffe mit lauter kleinen Kup- pelgewölben. Die prächtige und doch weislich gemässigte decorative Bemalung ist an den untern Theilen überweisst oder nie vorhanden gewesen. — Eine der besten dieser Reihe, obschon ebenfalls durch e das vorherrschende Unterlicht beeinträchtigt: die Certosa S. Cri- stoforo (1498 — 1553) einschiffig mit Kuppelgewölben, geradlinigen Capellenreihen, Mittelkuppel und Querbau; die Gliederungen aussen nobel von Backstein (mit Ausnahme der noch nicht incrustirten Fas- sade), innen sämmtlich von Marmor; über den Capellenreihen eine hohe Attica wie in S. Sisto zu Piacenza (hier leer). — S. Maria in Kirchen. Klosterhöfe. Paläste. Vado (seit 1475 erbaut von Biagio Rossetti und Bartol. Tri- a stani ) ist in der Bildung des Äussern den bisher genannten analog, innen eine Säulenkirche mit Flachdecke, ohne Capellenreihen und Un- terlicht, desshalb von schöner Wirkung. (Die Hauptfassade erneuert, die Querbaufronte ursprünglich und der Fassade von S. Benedetto ähnlich. — Die Nebenschiffe haben Kreuzgewölbe.) — Endlich S. An- b drea , mit noch gothischer Fassade von 1438; innen Pfeilerkirche mit flacher Decke über niedriger Obermauer; die Nebenschiffe mit Kreuzgewölben; Capellenreihen mit Seitenlicht durch je 2 Fenster; diess Alles etwa um 1500. — Von S. Giorgio ist wenig mehr als c der schiefe Backsteinthurm aus dieser Zeit erhalten (1485, von Bia- gio Rossetti ). Als griechisches, gleicharmiges Kreuz mit Eckräumen wurde S. d Spirito 1519 gegründet; nach mancherlei Schicksalen jetzt sehr ver- ändert. — Noch zu Ende des XVI. Jahrhunderts baute Alberto Schiatti das einfache und sehr artige Kirchlein la Madonnina in e dieser Form (unweit Porta romana). Von den Kreuzgängen blieb dem Verfasser zufällig derjenige f der Certosa (jetziges Camposanto) unzugänglich; — drei durch offene Durchblicke zu einer sehr schönen Wirkung vereinigte finden sich g neben S. Benedetto (davon einer auf Pfeilern, die andern auf Säulen); — ein ähnlicher bei S. Giorgio vor Porta romana; — ein vermauerter h bei S. Maria in Vado. i Von Profanbauten dieses Styles ist in Ferrara nicht so viel bedeutendes erhalten als man erwarten möchte. Die schönsten Bauten der Herzoge vom Hause Este sind untergegangen; ihr Castell ist als malerischer, imposanter Anblick ohne Gleichen, kann aber nicht als Palast gelten. Von den sonstigen fürstlichen Gebäuden zeigt der jetzige Pal. Communale allerlei interessante Reste, aber nichts zu- k sammenhängendes mehr, mit Ausnahme des hinten angebauten herzog- lichen Arsenals, welches aussen ein schlichter Backsteinbau mit Pi- lastern, innen eine regelrechte Basilica (nur ohne Tribuna) ist. — Die angefangene Halle aussen im Erdgeschoss des Palastes, gegen das Castell hin, ist erst von Galeazzo Alessi (s. unten), der längere Zeit in Alfonso’s II. Diensten stand. — Der Palazzo Schifa-noja , vom l Herzog Borso seit 1470 ausgebaut, ist architektonisch nicht bedeutend, 14* Frührenaissance. Ferrara. Paläste. ausgenommen das schöne Portal mit dem Wappen darüber. — Das a Wichtigste ist immer der Pal. de’ Diamanti (jetziges Ateneo, mit der städtischen Galerie), begonnen 1493 für Sigismondo von Este, mit der facettirten Bekleidung, den sculpirten Pilastern und den sehr schön gebildeten Fenstern versehen in der ersten Hälfte des XVI. Jahrhun- derts, mit dem Kranzgesimse vollendet 1567 für Cardinal Luigi d’Este. Die schönen Verhältnisse des Ganzen leiden nur durch die Disharmonie zwischen den zarten Pilastern und der energisch sein sollenden Qua- derbehandlung. — Der letzte estensische Zierbau gehört schon dem classischen Styl an und verräth die Einwirkung des Palazzo del Te b in Mantua: nämlich la Palazzina (1559), ein ehemals köstliches Gartenhaus, nur Erdgeschoss mit Fenstern, Portal und vier Pilastern, hinten mit (jetzt vermauerter) Loggia und einem links anstossenden, jetzt meist unzugänglichen „teatro“. Das Ganze im kläglichsten Verfall. Die Privatpaläste des Adels sind hier, wie in den Städten kleiner Fürsten überhaupt, nie so wichtig als in den ehemaligen Haupt- städten der Republiken. Das argwöhnische Regiment, auch wohl der finanzielle Druck des Hauses Este im XV. und XVI. Jahrhundert liess keine grosse bauliche Machtäusserung aufkommen. Der einzige c bedeutende Hof aus dem XV. Jahrhundert, der des Pal. Scrofa (Corso di Porta romana) ersetzt aber zehn Paläste, obwohl er nur zur Hälfte gebaut und in drohendem Verfall begriffen ist. Er zeigt den bolognesischen Hofbau vortrefflich in das Schlanke und Leichte übertragen, welches die Hallen Ferrara’s, deren Säulen durchgängig von Marmor sind, überhaupt kennzeichnet. — Die fehlende Fassade d mag man sich ergänzen durch die äusserst zierliche des Pal. Ro- verella (der dafür nur einen unbedeutenden Hof hat). Über dem heitern Eindruck dieses Gebäudes übersieht man es gerne, dass z. B. die Arabesken des obern und des untern Frieses derber und massiger gebildet sind als die der Pilaster, und dass die Fenster sich auf die damit eingefassten Flächen nicht gut vertheilen. Die Pforte marmorn; drüber ein grosser Erker, woran diess bei der Post gelegene Gebäude e leicht kenntlich ist. — Pal. de’ Leoni, beim Pal. de’ Diamanti, hat an seinen Eckpilastern die schönsten Arabesken Ferrara’s, ausserdem ein stattliches Portal mit einem von Putten umgebenen Balcon; sonst sind f Fassade und Hofhalle ganz einfach. — Pal. Bevilacqua und Pal. Zatti Venedig. Mastro Bartolommeo. auf Piazza Ariostea, beide mit vorderer Strassenhalle, der erstere mit einem der bessern Höfe. Weiter im XVI. und XVII. Jahrhundert begegnet man hier eini- gen kleinern Palästen, welche durch harmlose Zierrathen in den Wandflächen selbst (Trophäen, Büsten, Motto’s etc.) ein Echo der frühern Zierlust offenbaren; Pal. Bentivoglio; Pal. Costabili. Das beste Gebäude des etwas strengern Classicismus, Pal. Crispo (um die a Mitte des XVI. Jahrhunderts von Girolamo da Carpi entworfen) lässt es bei blossen Denksprüchen bewenden, die aber das ganze Ge- bäude bedecken. — Das einfache Haus des Ariost, Strada Mirasole, b N. 1208. In Venedig drang der neue Styl im Verhältniss zu den Um- ständen spät durch. Die paduanische Malerschule und die einheimi- schen Sculptoren hatten schon die naturalistische Darstellungsweise ansehnlich ausgebildet, während Baukunst und Decoration noch an den gothischen Formen mehr oder weniger festhielten. Der Chorbau von S. Zaccaria wurde (1457) gothisch begonnen fast zu derselben Zeit da Mantegna schon seine heilige Euphemia malen konnte. Die Ein- fassungen der Prachtaltäre, welche von der muranesichen Malerwerk- statt ausgingen, sind noch bis nach 1450 gothischen Styles; Mastro Bartolommeo meisselt Statuen im Styl des XV. Jahrhunderts für seine noch gothischen Zierbauten. Seine Porta della Carta am Dogen- c palast und die dazu gehörende Halle bis zur Riesentreppe hin (um 1439) zeigen diesen Styl in seinem Verscheiden und doch noch in eigenthümlich schöner Weise hehandelt; das spätgothische, starkge- bauschte Blattwerk bildet schon Friese, die im Geist des neuen Jahr- hunderts gedacht sind. Sogar das Dogengrab Franc. Foscari († 1457) d im Chor der Frari (rechts) ist noch gothisch, ein Werk der Bildhauer- familie Bregno. An den Chorstühlen mehrerer Kirchen hält sich das Gothische bis um 1470. (S. unten.) Auch das ganze Portal von S. Giovanni e Paolo gehört dieser späten, vegetabilisch prächtigen e Gothik an. Als aber die Renaissance hereinbrach, fand sie in dem reichen Venedig eine Stätte ganz eigenthümlicher Art. Die edlern Steingat- Frührenaissance. Venedig. Die Lombardi. tungen, deren ihre Decoration bedarf, um völlig zu gedeihen, wurden ihr hier bereitwillig zugestanden; von Backstein und Stucco ist keine Rede mehr, wenigstens an decorativen Theilen nicht. Der neue Styl kam gerade in die Zeit der grössten Macht des Staates und eines grossen Reichthumes der Vornehmen hinein. Ihm schien eine Haupt- rolle zugedacht, wenn es sich darum handelte, der Inselstadt einen dauernden Ausdruck festlicher Freude und Herrlichkeit zu verleihen. Es fehlte an nichts als an Platz und — an wahrhaft grossen Bau- meistern Die meisten wichtigern Bauten werden der Künstlerfamilie der Lombardi bei- gelegt, von welchen man einen ältern Martino Lombardo, einen Pietro L. mit zwei Söhnen Antonio und Tullio , einen Sante L. und einen spä- ten Tommaso L. namhaft macht, anderer dieses Namens nicht zu gedenken. Allem nach zu urtheilen, waren sie wirklich Lombarden, und verläugnen auch in ihren Sculpturen diese Herkunft nicht. — Girolamo Lombardi aus Fer- rara steht, wie der gleichnamige Alfonso , (von welchem bei Anlass der Sculptur ein Mehreres) in keinem Zusammenhang mit ihnen. . Auf eingerammten Pfählen wird nie von selbst eine freie und grossartige Architektur sich entwickeln. Die einzigen bisherigen Ge- bäude, welche grossartig gedacht heissen können, die Kirchen S. Gio- vanni e Paolo und S. Maria de’ Frari, waren Niccolò Pisano’s Gedan- ken; dem Dogenpalast, so gross auch sein älterer (vorderer) Theil ist, wird man es immer ansehen, dass sein Erbauer unter den Ein- drücken einer kleinräumigen Pracht aufgewachsen war Man vergleiche damit z. B. das Stadthaus von Piacenza. . Und diese Beschränkung ging nun auch der venezianischen Renaissance nach und alle folgenden Baustyle, die in den Lagunen geherrscht haben, sind mehr oder weniger derselben unterlegen. Wir werden weiter unten finden, dass auch ein Jacopo Sansovino sich beugte. Der einzige Andrea Palladio leistete erfolgreichen Widerstand. Von jenen grossartigen baulichen Dispositionen, wie wir sie in Brunellesco’s Basiliken finden, von dem mächtigen Ernst florentinischer und sienesischer Palastfassaden, von der toscanischen und römischen Wohlräumigkeit des Hallenbaues giebt kein Gebäude Venedigs im Styl der Frührenaissance einen Begriff. Man war weder des Platzes genug- sam Herr noch des festen Bodens sicher. Um so ergiebiger ist das Decorativer Charakter. damalige Venedig an einzelnen überaus netten decorativen Effecten zu Nutz und Frommen des jetzigen Platz sparenden Privatbaues. Die Composition im höhern Sinn, nämlich nach Verhältnissen, ist an Kir- chen und Palästen meist null, aber das Arrangement geschickt und die Phantasie reich und durch kein Bedenken gehemmt. Das Äussere wird an Kirchen und Palästen mit zwei, drei Ordnungen von Pila- stern bekleidet, ohne dass man sich auch nur die Mühe nähme, die obern Ordnungen durch grössere Leichtigkeit zu charakterisiren, oder einen Gegensatz in den Flächen auszudrücken (S. Maria de’ miracoli, Seitenfronte der Scuola di S. Marco etc.). An den Hauptfassaden sind die Pilaster wohl mit Arabesken oder mit Nischen ausgefüllt, cannelirt, in der Mitte durch Scheiben von rothem oder grünem Marmor unter- brochen u. dgl.; überall sonst haben sie ihr eigenes vertieftes Rahmen- profil, welches ihnen die Bedeutung einer Stütze, eines Repräsentan- ten der Säule benimmt und sie selber zum blossen Rand eines Rahmens um das betreffende Mauerfeld macht. Von einem nothwendigen Grad- verhältniss zwischen der Pilaster- und der Friesdecoration trifft man kaum eine Ahnung. Für den obern Abschluss der Kirchenfassaden erlaubte man sich fortwährend die fröhliche runde Form in verschie- denen Brechungen; seit dem Bau von S. Marco war die venezianische Baukunst daran gewöhnt und hatte auch in der gothischen Zeit da- mit barock genug zu schalten gewusst. — Auch an den Palastfassaden behielt man die bisherige Anordnung (Seite 155) bei, nur im neuen Gewande. Die schöne Wirkung der offenen Loggien in der Mitte der Hauptstockwerke ist nicht das Verdienst des neuen Styles, sondern das einer alten Sitte. Die zwischen den Fenstern, Thüren, Gesimsen und Pilastern übrigbleibenden Flächen wurden mit bunten Steinschei- ben in symmetrischer Zusammenstellung, an den Kirchen auch wohl mit Nischen, Sculpturen u. s. w. ausgeschmückt. Im Innern sind die Paläste grössern Theils verbaut; was von Treppen and Sälen einigen Eindruck macht, ist durchgängig spätern Ursprunges. Das Erdgeschoss ist weder entschieden als blosser Sockel- bau, noch als mächtiges Grundstockwerk behandelt, und diese Halb- heit raubt natürlich der untern Halle jede höhere architektonische Bedeutung, wenn sie auch — in Verfall und Verkommenheit — oft Frührenaissance. Venedig. Kirchen. ein ganz malerisches Interieur gewährt. Höfe sind entweder nicht vor- handen oder ohne Belang * Bei diesem Anlass ist vorläufig auf Pal. Pisani an Campo S. Stefano hinzu- weisen, welcher zwar von Renaissance nicht mehr als die Zwischenhalle sei- ner beiden Höfe besitzt, als vollständigster Privatbau der Barockzeit aber von Interesse ist. Die grossen Schifflaternen in den untern Hallen dieser und anderer Paläste sind Ehrenzeichen des Seecommando’s der Inhaber. . Das Innere der Kirchen ist je nach der Aufgabe sehr verschieden. a Die älteste des betreffenden Styles ist wohl unläugbar S. Zac- caria , begonnen 1457 (von Einigen dem Martino Lombardo zu- geschrieben). Der Chorbau ist noch zum Theil gothisch, Umgang und Capellenkranz von gleicher Höhe damit. Die gewölbten drei Schiffe ruhen auf Säulen über hohen geschmückten Piedestalen, der Chor nach Art einiger romanischen Kirchen auf Säulengruppen. Im Detail wagt hier die Frührenaissance höchst unsichere und barocke Formen. (Wulste der Säulen, mittlere Simse des Capellenkranzes u. s. w.) Die Fassade ist mit Ausnahme des Erdgeschosses wohl um mehrere Jahrzehnde neuer; in ihren vielen Stockwerken und runden Abschlüs- sen zeigt sie zuerst jene nur in Venedig so ausgebildete Vielleicht durch kleinliche Römerbauten, wie Porta de’ Borsari in Verona, geweckte. Schreiner- phantasie, welche die Bauformen aus reinem Vergnügen an ihrer Wir- kung vervielfacht, ohne sie zum Ausdruck von Verhältnissen zu be- nützen. Diese Wirkung aber, erhöht durch das Material und ein grosses decoratives Geschick, ist für den flüchtigen Blick eine sehr angenehme. b Nahe mit diesem Bau verwandt, nur einfacher, ist S. Michele (1466), welches Martino’s Sohn, Moro Lombardo , angehört. Flach- gedeckte Säulenkirche, schon vorn durch einen fast gleichzeitigen Lettner unterbrochen; hinten drei Tribunen ohne Umgang. An der Fassade ist ausser den runden Abschlüssen die unbeholfene Rustica- bekleidung bemerkenswerth, eine florentinische Anleihe. c Es folgt das kleine Juwel unter den venezianischen Kirchen: S. Maria de’miracoli , 1480 unter Mitwirkung des Pietro Lom- bardo erbaut. Es dauert eine Weile, bis das von einem „allerliebst“ zu nennenden Eindruck beherrschte Auge sich gesteht, dass der bau- Miracoli. Typus von S. Giov. Crisostomo. liche Gehalt des Gebäudes fast null ist. Der grosse runde Abschluss, mit buntem Scheibenwerk ausgefüllt, erdrückt die beiden delicaten Pilasterordnungen; der mittlere Bogen der obern wird auf barbarische Weise breit gezogen, um der Thür unten zu entsprechen. Auch am Chor tragen runde Abschlüsse das Quadrat, auf welchem sich die kleine Kuppel erhebt. Innen hat das Schiff ein Tonnengewölbe; die bemalte Cassettirung ist sehr verschwärzt und geht ihrem Untergang entgegen. Der Chorbau, auf zierlicher Treppe mit Balustraden bedeu- tend erhöht (um darunter die Sacristei anzubringen), ist in Betreff seiner innern Gestalt ein florentinischer Gedanke auf venezianischem Boden. Die Pilasterbekleidung des Innern und Äussern ist fast ohne alle Abstufung als blosse Decoration mitgegeben; von dem Werth ihrer Ornamente wird unten die Rede sein. S. Giovanni Crisostomo , 1483 von Tullio Lombardo erbaut, a wiederholt die Anlage kleiner frühvenezianischer Kirchen (Seite 94, b) in einem neuen und höhern Sinne; das griechische Kreuz mit seiner Flachkuppel wird durch glückliche Abstufung in Haupträume und Eck- räume, durch Schlankheit der Pfeiler zu einem perspectivisch reizen- den Innenbau. Aussen zwar runde Mauerschlüsse u. a. Spielereien, aber einfaches und gutes Detail, wie auch im Innern. — Eine in den meisten Beziehungen entsprechende Nachbildung, S. Felice, ist etwa b 50 Jahre jünger. — Auch S. Giovanni Elemosinario ist (1527, von c Scarpagnino ) nach diesem Vorbild gebaut. — S. Maria Mater d Domini (von Sansovino vollendet) nähert sich durch Verlängerung des vordern Kreuzarmes wieder mehr der Langkirche und hat minder leichte Stützen. — S. Maria Formosa mit ihren tiefen, durch Zwi- e schenfenster verbundenen Capellen, durch welche das meiste Licht kömmt, ist ein unglückliches Gebäude. — Eine moderne Nachahmung des Systemes von S. Giovanni Crisostomo, vom Jahr 1806, bietet S. Maurizio. Auch die demolirte Kirche S. Geminiano (von Sansovino) f hatte dieselbe Anlage. Um 1500 wurde die Kirche S. Fantino begonnen; der Urheber g ist unbekannt. Als sehr glücklich gedachter Binnenraum bildet sie die Vorstufe zu S. Salvatore (s. d.); nur dass statt der Kuppelge- wölbe noch Kreuzgewölbe angewandt sind. Der Chor wurde 1564 von Sansovino hinzugebaut. — Neben all diesen dem Centralbau sich Frührenaissance. Venedig. Thürme. nähernden Anlagen entstand noch 1509 eine einfache weitbogige Ba- a silica: S. Pietro e Paolo in Murano. Schliesslich sind ein paar niedliche kleine Bauten des Guglielmo b Bergamasco hier mit zu erwähnen: die Capella Cornaro (rechts) an SS. Apostoli, mit vier reichen Ecksäulen und einer Kuppel, — und c das sechseckige Capellchen bei S. Michele (1530), mit einfachen Eck- säulen aussen, doppelten innen und einer Kuppel; ein geistlicher Pavillon. Die Kreuzgänge dieses Styles, soweit sie noch zugänglich sind, bedeuten künstlerisch nicht viel. (Bei den Frari, S. Giovanni e Paolo, Carmine etc. * Ausserdem enthält Treviso, wie man sagt, treffliche Bauten der Lombardi: den Dom, die Madonna grande und S. Polo. Auch ihre Sculpturen in dieser und andern Kirchen derselben Stadt werden gerühmt. . Auf dem venezianischen Thurmbau lag damals wie in allen Zeiten die Verpflichtung einer Mauerdicke ohne Unterbrechung. Man wusste aus Erfahrung, dass der Thurm trotz aller Fundamentirung sich irgendwie senken würde und wagte desshalb nur ganz oben eine freie durchsichtige Pfeilerstellung; alles Übrige wurde nur festes Mauer- werk, mit kleinen Nothfenstern. Es ist merkwürdig, dass die Renais- sance nicht dennoch eine äussere Decoration versucht, dass sie sich fast durchaus mit Wandstreifen und etwa Einem Zwischengesims be- d gnügt hat. Der einzige etwas reichere Thurm ist der isolirt stehende e bei S. Pietro in Castello (1474). Ein anderer ganz origineller steht bei S. Maria dell’ Orto. Später (1510) gab Bartolommeo Buono dem f Campanile von S. Marco sein hübsches Obergeschoss sammt Spitze. — g Wenn die Torre dell’ Orologio (1496 von Pietro Lombardo ) wirk- lich erst nach mehrern Jahrzehnden ihre Seitenflügel erhalten hat, so war sie bisdahin der einzige Thurm mit vollständiger Pilasterbeklei- dung in mehrern Stockwerken. Von den übrigen Thürmen des XVI. h Jahrhunderts ist der bei S. Giorgio de’ Greci einer der elegantesten. (Wohl mit der Kirche von Jac. Sansovino .) Zwischen den Kirchen und Palästen stehen die Scuole , d. h. Bru- derschaftshäuser, in der Mitte. In Venedig vorzüglich waren die geist- Scuola di S. Marco etc. lichen Zünfte oder Confraternitäten durch Schenkungen und Vermächt- nisse zu einem grossen Reichthum gelangt, welcher damals wie aller corporative Besitz noch nicht beim ersten besten Gelüste oder Bedürf- niss des Staates für gute Beute erklärt werden konnte; vielmehr durfte und musste er sich am hellen Tage zeigen. Vor allem durch Schön- heit des Locales. Die Scuola di S. Marco , bei S. Giovanni e Paolo, erbaut a 1485, hat eine der prächtigsten Fassaden des ganzen Styles. (Man nimmt an, Martino Lombardo habe den baulichen Entwurf, Pietro Lombardo das Decorative geliefert; die Bildwerke theils von Mastro Bartolommeo, theils von Tullio Lombardo). Vom Innern hat nur noch die untere Halle ihre alte Gestalt; schlanke Säulen auf hohen gut- verzierten Piedestalen tragen eine Holzdecke; vorzüglich gebildete hölzerne Consolen vermitteln beides. Das Gebäude ist jetzt als Ein- gangshalle mit dem zum Spital eingerichteten Dominikanerkloster ver- bunden. — Die Fassade ist eins der wichtigsten geschichtlichen Denk- male des alten venezianischen Lebens, dessen ganze elegante Fröh- lichkeit sich darin ausgesprochen hat. Wenn es sich aber um den Kunstgehalt handelt, so rechne man etwas nach, wie z. B. Bogen jeden Grades unter sich und mit Giebeln abwechseln, wie sinnlos die Fenstersäulen mit handbreiten und dabei über und über verzierten Pilastern begleitet sind, wie wenig die Stockwerke sich unterscheiden, wie der Fries und das Ornamentband zwischen den Capitälen mit ein- ander concurriren u. s. w. Wir sagen dies nicht, um dem Beschauer den Genuss zu verderben, sondern um den grossen toscanischen Bau- meistern neben den venezianischen Decoratoren ihren Vorrang nicht zu schmälern. Die letztern haben übrigens hier in der wunderbaren Fröh- lichkeit der obern Abschlüsse und deren durchbrochen gearbeiteten Zierrathen etwas in seiner Art Einziges hingestellt. Ein graziöser Rest eines Bruderschaftsgebäudes, um einige Jahre älter (1481) und ebenfalls vom Styl der Lombardi, ist der kleine Vor- b hof von S. Giovanni Evangelista ; zwei Wände mit Pilastern; hinten die Mauer mit der Thür nach dem innern Hof — diese ein- fachen Elemente sind mit liebevollster Pracht behandelt. (Hinten im Hof das schon etwas mehr dem classischen Styl genäherte Frontstück einer Kirche, vom Jahr 1512). Frührenaissance. Venedig. Scuole etc. a Aber dies Alles wurde überboten durch die Scuola di S. Rocco , begonnen 1517 nach einem Entwurf des Pietro Lombardo (?), aus- geführt durch eine Reihe von Architekten bis auf Sansovino herab. Hier handelt es sich nicht mehr allein um decorirte Pilaster; blumen- geschmückte Säulen treten sammt ihren Gebälken in zwei Stockwerken vor; pomphafte Fenster, ein reichfigurirter Oberfries, eine Jncrustation mit farbigen Steinen vollenden den Eindruck mährchenhafter Pracht; auch die übrigen Seiten des ganz frei stehenden Gebäudes sind reich ausgestattet; im Innern ist die ganze untere Halle, das reichere Ab- bild derjenigen in der Scuola di S. Marco, sowie die Treppe noch b aus dieser Zeit. (Die nahe Kirche S. Rocco erhielt ihre Fassade später nach dem Vorbilde derjenigen der Scuola.) Einem Eindruck von diesem Range gegenüber ist es vielleicht vergebliche Mühe, auf den Mangel aller wahren Verhältnisse aufmerksam zu machen. Das Formenspiel, mit welchem der Blick abgefertigt wird, ist ein zu an- genehmes. c Einfacher und kleiner: die Scuola bei S. Spirito; — von Jac. Sansovino (s. unten): Scuola di S. Giorgio de’ Schiavoni; — von dessen Schüler Aless. Vittoria: Scuola di S. Girolamo. — Noch die späte Ba- rockzeit sucht sich in Gebäuden dieser Art der Pracht jener erstge- nannten auch äusserlich zu nähern: Scuola di S. Teodoro; — Scuola del Carmine etc. Vor den Palästen mögen einige andere Profanbauten erwähnt werden, welche ebenfalls für die Baugesinnung des damaligen Vene- digs bezeichnend sind. Wie die Frührenaissance überhaupt auch in ihren Kriegsbauten einen heitern Eindruck erstrebt, so ist diess auch hier bei der Pforte d des Arsenals (1460) der Fall. Merkwürdig sind an diesem Zier- gebäude die noch fast byzantinisch gebildeten Blätter an den Capitälen. — Gegen Ende des XV. Jahrhunderts erbaute Bartolommeo Buono e aus Bergamo die „ alten Procurazien “ am Marcusplatz als Amts- wohnung für die Procuratoren von S. Marco und als grossen Inbe- griff einer Menge von Bureaux. Die innere Einrichtung ist jetzt nir- gends mehr zu erkennen, immer aber wird dieses Gebäude verglichen mit dem Ernst der in ähnlichem Zweck etwa 80 Jahre später erbau- Öffentliche Bauten. Dogenpalast. ten Uffizien zu Florenz den grossen Unterschied der Zeiten bezeich- nen; ohne eigentliche Pracht, z. B. ohne plastischen Schmuck, als blosser Horizontalbau mit Hallen verschiedenen Ranges, giebt es doch in hohem Grade den Eindruck eines glänzenden, fröhlichen Daseins. — Ein anderer, etwas späterer Bergamaske, Guglielmo , errichtete für eine Corporation 1525 am Rialto den Palazzo de’ Camer- a linghi , jetzigen Appellhof, in dem prächtigen Styl der Privatpaläste, aber etwas gedankenlos. — Der gegenüberliegende Fondaco de’ b Tedeschi , jetzige Dogana, von Fra Giocondo da Verona 1506 erbaut, ist zwar ohne diese plastische Pracht, als einfache grosse Waarenhalle und Factorei mit vielstöckigem Pfeilerhof erbaut, allein Tizian und seine Schüler bemalten die sämmtlichen Aussenmauern, sodass dieser Fondaco, wohl erhalten, eins der ersten Gebäude Ita- liens sein würde. Leider ist dieser malerische Schmuck bis auf we- nige Spuren (an der Canalseite) verloren. — Als städtische Bureaux und Waarenhalle sind auch die einfachen Fabbriche Vecchie c (ebenfalls beim Rialto) 1520 von Scarpagnino erbaut Mit Übergehung eines, wie Vasari versichert, ungleich schönern Planes von Fra Giocondo. , welchen in der Folge 1555 Jac. Sansovino die etwas reichern, mit Pilaster- ordnungen bekleideten Fabbriche nuove beifügte. Auch diese d Gebäude machen trotz der absichtlichen Schlichtheit immer einen stattlichen, venezianischen Eindruck. Auf ihrem Höhepunkt angelangt (seit 1500) erhielt die venezia- nische Renaissance die Aufgabe, den grossen Hof des Dogenpa- e lastes mit der erdenklichsten Pracht auszuschmücken; es geschah durch Antonio Bregno und Antonio Scarpagnino . An zwei Seiten kam nur das Erdgeschoss und das zunächst folgende Hallen- stockwerk zu Stande; die dritte wurde nebst der entsprechenden Rückseite gegen den Canal ganz vollendet. Wahrscheinlich mussten eine Menge von Wünschen und Meinun- gen berücksichtigt werden; wahrscheinlich wurde selbst der Plan mehrmals geändert. Näher verantwortlich sind die Architekten wohl nur für die beiden untern Geschosse — eine rundbogige Halle auf Frührenaissance. Venedig. Paläste. Pfeilern und drüber eine spitzbogige auf Pfeilern mit vorgesetzten Säulen — und auch hier waren sie gebunden durch die Verhältnisse, welche Calendario dem Aussenbau gegeben hatte. Man darf nicht mit allzufrischen Erinnerungen von einem Pal. di Venezia in Rom, einem Pal. Riccardi in Florenz, vollends nicht von den Bauten Bra- mante’s hereintreten. Die sämmtlichen obern Stockwerke des Hinter- baues sind dann blosse Decoration eines unter schwankenden Ent- schlüssen allmälig zu Stande gekommenen Innern. Die unabsichtliche Unsymmetrie, welche auf diese Weise in die Fassade kam, ist beinahe ein Glück zu nennen, da die Architekten wohl ohnehin für eine wahre Composition im Grossen nicht ausgereicht hätten. Es kommt dabei freilich zu krausen Extremen; Fenster desselben Stockwerkes von verschiedener Höhe, doppelte Friese u. a. m., was man über dem ungeheuern Reichthum der Decoration vergessen muss. Die Canal- seite ist einfacher und am Sockel facettirt. — Die artige kleine Fas- sade links von der Riesentreppe hat Guglielmo Bergamasco 1520 hineingebaut; sie möchte leicht das Beste am ganzen Hofe sein. a Von den Privatpalästen ist Pal. Vendramin-Calergi da- tirt mit der Jahrzahl 1481 und dem Namen des Pietro Lombardo . Die Säulenordnungen, welche vor die Fassade gesetzt sind, die grossen halbrunden Fenster, das bedeutend vorragende Gesimse und der be- trächtliche Massstab geben diesem Gebäude ausser der ungemeinen Pracht auch einen gewissen Ernst, ohne dass in den Verhältnissen irgend eine höhere Aufgabe gelöst wäre. Die Adler im obern Fries entsprechen auf nicht eben glückliche Weise den Säulen. Die Pilaster des Erdgeschosses, welche der cannelirten mittlern und der glatten obern Säulenordnung entsprechen, sind für ihre Function viel zu zart gebildet. Alle andern Paläste dieses Styles werden als „in der Art der Lombardi“, „aus der Zeit der Lombardi“ bezeichnet, aber ohne nähere Beziehung. Am Canal grande, von Marcusplatz aus beginnend, ist b die Reihenfolge diese: (Links) der kleine Pal. Dario, fröhlich unsym- metrisch, mit bunten Rundplatten in verschiedener Anordnung verziert. c — (Links) Pal. Manzoni-Angarani , besonders reich und schön, Venedig. Paläste. Padua. mit einem Guirlandenfries über dem Erdgeschoss. — (Rechts) Pal. Contarini delle Figure, 1504, von kleinlich spielender Composition, a mit einem unglücklichen Giebel über der mittlern Loggia; an den Mauerflächen aufgehängte Schilde und Trophäen. — (Rechts) Pal. Corner-Spinelli , vielleicht das einzige dieser Gebäude, welches b ein höher gereiftes Gefühl für Composition verräth; ein hohes Erd- geschoss mit Rustica; darüber in zwei Stockwerken die Fenster ähn- lich jenen an Pal. Vendramin, aber schön vertheilt. — (Links) Pal. Grimani a S. Polo, klein, zierlich, aber wieder etwas gedankenlos. c — Jenseits des Rialto ist nur der genannte Pal. Vendramin von Be- d deutung. In andern Stadttheilen finden sich noch eine Anzahl mehr oder weniger reicher Fassaden. Eine gute an Pal. Trevisan hinter dem e Dogenpalast; — eine artig spielende an Pal. Malipiero, auf Campo f S. Maria Formosa, von Sante Lombardo zu Anfang des XVI. Jahrhunderts erbaut. In Padua ist gerade die frühere Renaissance baulich nicht so vertreten, wie man es nach der weitgreifenden decorativen Wirksam- keit der dortigen Künstler erwarten sollte. Das schönste Gebäude dieser Gattung, die Loggia del Consiglio auf dem Signorenplatz, g ist von dem schon oben genannten Ferraresen Biagio Rossetti er- baut. Die freie untere Säulenhalle, wozu das obere Stockwerk mit seinen Fenstern so glücklich eingetheilt ist, der edle Marmor, die Ge- diegenheit der wenigen Zierrathen, die Lage über der Treppe, der Contrast mit dem venezianischen Engbau — diess Alles giebt zusam- men einen köstlichen Eindruck. An den Privatgebäuden macht sich das damalige Schicksal Pa- dua’s als venezianische Landstadt (seit 1405) empfindlich geltend. Hundert Jahre später unterworfen, könnte es eine Physiognomie haben wie Bologna. Statt dessen sind seine Portiken dürftig, seine Palazzi sehr mässig. Ein heiteres kleines Gebäude ist die sog. Casa di Tito h Livio (Pal. Cicogna), unweit vom Dom, an deren Fassade allerlei kleine farbige Marmorplatten symmetrisch um die Fenster herum ver- theilt sind; ein grosses sehr elegantes Mittelfenster beherrscht das Frührenaissance. Vicenza. Ganze. (Wahrscheinlich war die Fassade einst bemalt.) — Mit Fal- conetto tritt dann der Styl des XVI. Jahrhunderts in sein Recht. In Vicenza übersieht man zu leicht neben den Bauten Palla- dio’s die schönen Werke der frühern Renaissance, die doch als all- gemeine Zeugnisse eines schon früher vorhandenen Bausinns es erst recht erklären, wie ein solcher Meister aufkommen und eine so glän- zende Laufbahn in der eigenen Heimath finden konnte. a Im Hof des Vescovato (beim Dom) ist eine zierliche kleine Halle vom Jahr 1494 erhalten; unten Rundbogen, oben eine Fensterreihe mit Pilastern und geradem Gebälk. — Unweit von der Basilica Pal- b ladio’s findet sich das steinerne Häuschen N. 1828, noch halb- gothisch obwohl vom Jahr 1481, kenntlich an dem Motto: Il n’est rose sans espine; eines der allerniedlichsten Gebäude dieser Art, mit kleeblattförmig vortretenden Balcons, deren Consolen aus Laubwerk, Greifen, Füllhörnern bestehen; die obern Fenster mit Candelabern ein- gefasst, ihre Zwischenräume mit gemeisselten Arabesken verziert. Ein gleichzeitiger Nebenbau von Mauerwerk war mit farbigen Arabesken c bemalt. — Ein grösserer Palast, dessen freie untere Halle durch Auf- höhung des Bodens halb vergraben worden ist, steht beim Ponte de’ d Giangioli. — Das Haus N. 1944, mit dem Motto: Omnia prætereunt, redeunt, nihil interit, ist unten mit einer sonderbaren, gitterartigen Verzierung überzogen, sonst von guten Verhältnissen. — Schon aus e der classischen Zeit stammt dann das Häuschen N. 1276, ein ganz merkwürdiger Versuch, selbst in den allerkleinsten Dimensionen mo- numental bedeutend sein zu wollen. Mit der Fassade gelang es; mit dem Höfchen doch nicht mehr. Von da bis auf Palladio ist eine zwar nicht reichliche, aber doch nie zu lang unterbrochene Reihe von mehr oder weniger stattlichen Privatgebäuden vorhanden, welche die Vorstufen seiner Werke bilden. Verona war die Vaterstadt eines der berühmtesten Architekten der Frührenaissance, des Fra Giocondo (geb. um 1435, starb nach 1514). Seine Thätigkeit gehörte meist dem Auslande an, doch hat er Verona. Brescia. in der Heimath wenigstens ein wichtiges Gebäude, den Palazzo a del Consiglio (am Signorenplatz) hinterlassen. Bei grosser Eleganz ist dasselbe doch in der Anordnung weniger gelungen als die ähn- liche Loggia del Consiglio zu Padua; viertheilig, sodass ein Pfeiler auf die Mitte trifft; die Flachrundgiebel der obern Fensterreihe an das Gesimse stossend; die Sculpturnischen in der Mitte nicht gut an- gebracht. Vorzüglich fein und gediegen ist das bauliche Detail (Ge- simse, Archivolten etc.), weniger das bloss decorative. Die Spuren der gemalten Arabesken an sämmtlichen Mauerflächen sind so weit erhalten, dass man sich das Untergegangene hinzudenken kann. — Sonst gilt z. B. noch das schöne Portal von S. Maria della Scala als b Werk Fra Giocondo’s; anderes ist weder bedeutend, noch sicher von ihm. Von den Privatpalästen der Frührenaissance ist kein einziger baulich wichtig; der Ersatz hiefür lag in der speciell veronesischen Sitte, die Fassaden von oben bis unten zu bemalen, wovon bei spä- terem Anlass. Von den Kirchen ist S. Nazario e Celso gothisch angefangen c und gegen 1500 ausgebaut; S. Maria in Organo vom Jahr 1481 (die d Fassade 1592); erstere dreischiffig mit Pfeilern, letztere eine Säulen- kirche mit Tonnengewölbe, einigermassen an S. Sisto in Piacenza erinnernd, nur dass der Fries über den Bogen mit vollfarbigen Ge- schichten bemalt ist. (Viereckige Kuppel.) Beide Kirchen sind mehr durch ihre decorativen Zuthaten bedeutend. Brescia besitzt vor Allem einen höchst ansehnlichen Palazzo e communale , der 1508 von einem einheimischen Künstler, For- mentone , erbaut oder doch begonnen wurde. Das Erdgeschoss, nach lombardischem Brauch mehr als zur Hälfte eine offene Halle bildend, hat innen Säulen, aussen Pfeiler mit sonderbar hineingestell- ten Wandsäulen (an den Seitenfronten nur glatte Pilaster); in den Bogenfüllungen tiefe Medaillons mit Büsten römischer Kaiser u. s. w.; der Fries trägt bereits tüchtige Löwenköpfe. Das Obergeschoss tritt, wie am Pal. del Podestà zu Bologna, beträchtlich zurück; die Ba- lustrade, welche einigermassen vermitteln sollte, ist nur vorn aus- B. Cicerone. 15 Frührenaissance. Brescia. Bergamo. geführt. Die Wanddecoration — dünne Pilaster mit derben Arabesken, Schilde mit schwarzen Halbkugeln, Einrahmungen von grauem Mar- mor — hat einen spielend decorativen Charakter. Zu diesem Ganzen componirte später Jacopo Sansovino den reichen vegetabilischen Fries mit Putten und das Kranzgesimse, Palladio aber die schönen Fenster, deren Obersims mit Consolen seinen Styl leicht verräth. (Die Attica modern, der kleine Anbau rechts wohl ebenfalls von Formentone.) Von einfacherer, älterer Renaissance sind die links gelegenen a Prigioni, in der Mitte durch eine hübsche Durchgangshalle unter- brochen. — Privatpaläste sind wenige oder keine aus dieser Zeit vor- b handen; Pal. Longo, an sich nicht eben bedeutend, gehört schon dem Styl des XVI. Jahrhunderts an. Endlich eine der wunderlichsten Kirchen der Frührenaissance: c S. Maria de’ miracoli . Die Fassade, im Styl der Lombardi, hat ganz die engräumige venezianische Pracht, welche deren Bauten be- zeichnet; das heiterste Detail — unterhöhlt gearbeitete Arabesken, runde Freibogen als obere Mauerabschlüsse etc. — kann den Mangel an Composition nicht ersetzen. Innen ein griechisches Kreuz mit vier Eckräumen; sonderbarer Weise haben hier diese letztern und der mittlere Kreuzraum Tonnengewölbe, während 4 Kuppeln (zwei höhere und zwei niedrigere) auf die 4 Kreuzarme vertheilt sind; der Chor ein hinterer Anbau mit Tonnengewölbe. Candelaberartige Säulen zwi- schen den Hauptpfeilern isoliren die einzelnen Räume; die Durchblicke gewähren mit dem eigenthümlichen Lichteinfall ganz angenehme Ar- chitekturbilder, wozu der Reichthum des Einzelnen — hier eher im Styl eines Scarpagnino — ebenfalls beiträgt. Unter den Versuchen im Gebiet des Vielkuppelsystems ist diess Gebäude einer der ge- wagtesten. (Die obern Theile des ganzen Innern sind durch Rococo- stuccaturen nicht gerade entstellt, doch ihres wahren Charakters be- d raubt.) — An S. Maria delle grazie verdient der artige kleine Hof mit dem Brünnchen wenigstens einen Blick. e In Bergamo ist die an S. Maria maggiore angebaute Capelle Coleoni innen stark erneuert, aussen eine bunte, reiche und in ihrer Decoration der Renaissance. Art graziöse Composition, aus schwarzem, weissem und rothem Mar- mor, mit einer Menge von Sculpturen und den feinsten Prachtara- besken. Der Oberbau hat etwas Spielendes. Es mag nicht sehr methodisch scheinen, wenn wir bei einem so vorzugsweise decorativen Baustyl die Werke der Decoration im engern Sinne besonders aufzählen, zumal da manche derselben von den nämlichen Künstlern herrühren, welche die Schicksale der Bau- kunst im Grossen bestimmten. Vielleicht aber wird man uns einst- weilen der Übersicht zu Gefallen beipflichten. Die Anfänger der Decoration dieses Styles sind nur zum Theil Architekten; ausser Brunellesco hat auch der Bildhauer Donatello und wahrscheinlich auch der paduanische Maler Squarcione einen bedeu- tenden Antheil an diesem Verdienst; der letztere war selbst in Grie- chenland gewesen, um antike Fragmente aller Art zu erwerben. Die Gunst, welche die neue Zierweise fand, ist um so erklärlicher, als das Decorative gerade die schwächste und am meisten mit Willkür behaftete Seite der bisher herrschenden italienischen Gothik gewesen war; zudem musste die begeisterte Anerkennung, welche der gleich- zeitig neu belebten Sculptur entgegen kam, auch derjenigen Kunst zu Statten kommen, welche für die möglichst prächtige Einrahmung der Sculpturen sorgte. In der technischen Behandlung der Stoffe, des Marmors, Erzes, Holzes, waren die Fortschritte für beide Künste ge- meinsam. Die Gegenstände waren dieselben, wie bisher, allein die Behand- lung und der Aufwand wurden offenbar bedeutender. Wenn man einzelne wenige Prachtarbeiten der gothischen Zeit, wie die Gräber der Scaliger in Verona, die Gräber der Könige Robert und Ladislas in Nea- pel, den Altartabernakel Orcagna’s in Florenz ausnimmt, so hat schon an äusserm Reichthum die Renaissance das Übergewicht. Man ver- gleiche nur in Venedig die gothischen Dogengräber mit denjenigen des XV. und des beginnenden XVI. Jahrhunderts. Die Schmuckliebe 15* Renaissance-Decoration. ist überhaupt grösser geworden, was sich z. B. schon in der Malerei auf das Deutlichste zeigt. Über die wichtigern Gattungen der betreffenden Denkmäler ist vorläufig Folgendes anzudeuten: Die freistehenden Altäre mit Tabernakeln auf Säulen kommen fortwährend, doch minder häufig vor. Eine besonders grosse Ausdehnung gewinnt der sculpirte Wand- altar ; unten, an der Vorderseite des Tisches mit Reliefs, oben über dem Tische mit Statuen oder Reliefs in reicher architektonischer Ein- fassung versehen. Bisweilen wird die ganze betreffende Wand als grosse Prachtnische mit Bildwerk und Ornamenten aller Art ausgebildet. Steinerne Chorschranken , Balustraden u. dgl. erhalten oft eine überaus prachtvolle Decoration. Sängerpulte und Orgellettner werden ebenfalls nicht selten mit dem grössten Luxus ausgestattet. Die Kanzel dagegen verliert den umständlichen Säulenbau und steht entweder auf Einer Säule oder hängt auch nur an einem Pfei- ler des Hauptschiffes. Der reichste decorative und figürliche Schmuck wird fortwährend daran angebracht. Die Bodenmosaiken , wo sie noch vorkommen, wie in der sixtinischen Capelle und in den Stanzen des Vaticans, in der Grab- capelle des Cardinals von Portugal in S. Miniato bei Florenz, in der Capelle des Pal. Riccardi daselbst, u. a. a. O., wiederholen die be- kannten Ornamente der altchristlichen Zeit und des Cosmatenstyles. (Eine besondere Gattung sind die von Marmor verschiedener Farben a eingelegten Geschichten, welche den Boden des Domes von Siena ausmachen, und von welchen auch im Mittelschiff des Domes von b Lucca ein Muster, das Urtheil Salomo’s, vorkömmt.) Im Ganzen wandte man die vorhandenen Mittel nicht mehr auf einen Luxus des Fussbodens, dessen übermässige Pracht den Blick von den Bauformen abgezogen hätte. Die grossen Baumeister fühlten, dass eine einfache Abwechselung von Flächen, in Marmorplatten von 2 oder 3 Farben ausgedrückt, am ehesten in Harmonie stand mit dem Gebäude selbst Eine besondere Gattung, deren seltene alte Beispiele gleich hier vorweg zu erwähnen sind, bilden die glasirten Ziegelböden , welche Teppichmuster nachzuahmen scheinen, zum Theil aus der florentinischen Fabrik der Rob- . Renaissance-Decoration. Ein ausserordentlicher Luxus, dessen Fülle jetzt noch in Er- staunen setzt, wurde auf die Grabmäler verwandt. Gegen das manierirte italienisch-gothische Grab gehalten, ist das Renaissancegrab in jeder Beziehung im Vortheil. Der bisherige Sarcophag auf Säulen oder Tragfiguren, mit seiner unsichtbar hoch angebrachten liegenden Statue, der Tabernakel auf Säulen mit seinem Gemälde im tiefen Schatten, seinen allzuhoch aufgestellten Statuetten, seinen Vorhang- ziehenden Engeln u. s. w. — Diess Alles wurde schön und sinnvoll in vernünftigen Verhältnissen umgestaltet. Das Ganze bildet in der Regel eine nicht zu tiefe Nische, in welcher unten der Sarcophag steht; auf diesem liegt entweder unmittelbar oder über einem zier- lichen Paradebette die Statue. Im obern Halbrund findet man ins- gemein eine Madonna mit Engeln in Hochrelief, oder auch die Ge- stalten von Schutzheiligen. Die Pfosten der Nische, die Enden des Sarcophages, die Ansätze und die Mitte des obern Bogens erhalten dann noch je nach Umständen eine Anzahl von Statuetten oder Re- lieffiguren, welche Heilige, Kinderengel (Putten), Allegorien etc. dar- stellen. An Gräbern von Kriegern und Staatsmännern, die zumal in Venedig und Neapel vorherrschen, macht sich eine sehr vielgestaltige Composition, bisweilen auch schon ein Missbrauch der Allegorien geltend. In den Sacristeien und in der Nähe der Klosterrefectorien finden sich oft reichverzierte Brunnen . Das Gitterwerk einzelner Kirchenräume ist nicht selten mit vielem decorativem Geschick behandelt. Die wenigen ehernen Kirchenpforten , die man hauptsächlich um ihrer Sculpturen willen betrachtet, sind durchgängig (Ghiberti’s Thüren) in decorativem Betracht nicht minder bewundernswerth. Die Holzdecoration (Chorstühle, Sacristeischränke etc.) wird unten im Zusammenhang erörtert werden. bia , von welchen z. B. Rafael die (jetzt ganz ausgetretenen) Bodenplatten * für die Loggien bezog. Etwas besser erhalten: einige Reste in den Stanzen des Vaticans. Aus früherer Zeit: diejenigen in der Capella Bentivoglio, in S. Giacomo maggiore zu Bologna; — und diejenigen in der fünften Capelle links zu S. Petronio ebenda, letztere sechseckige Plättchen mit Ornamenten und Figuren. — In Neapel dauert die Sitte noch heute. Renaissance-Decoration. Die Arabeske. In profanen Gebäuden ist aus begreiflichen Ursachen weit weniger von dem alten Zierrath zu finden, als in Kirchen, und das Wenige (einzelne Thüren, Kamine u. dgl.) ist nicht immer leicht sichtbar. Da die Wände fast bis unten mit Teppichen bedeckt wurden, so con- trastirten sie nicht wie bei ihrer jetzigen Nacktheit gegen die ge- a schnitzte und vergoldete Decke. In einzelnen Beispielen (sixtinische b Capelle, Sala de’ Gigli im Pal. vecchio zu Florenz) wurde auch für den Anblick bei weggenommenen Teppichen durch bloss gemalte ge- sorgt. — Wir rechnen übrigens im Nachstehenden nicht nur die gemal- ten Einfassungen von Räumen, Oeffnungen und Gemälden, so weit sie von sprechender Bedeutung sind, ebenfalls zu dieser Gattung, sondern die Decorationsmalerei im weitern Sinne. Mit einer Übersicht der Denkmäler der letztern wird vorliegender Abschnitt schliessen. Die Architektur und das Arabeskenwerk an diesen Ziergegen- ständen ist noch bis über die Hälfte des XV. Jahrhunderts hinaus einfach im Vergleich mit dem spätern Raffinement, ja selbst befangen und unsicher. Vielleicht waren es weniger die grossen Baumeister, als die Bildhauer und Maler, welche die Ausbildung dieses Kunst- zweiges bis zur höchsten und edelsten Eleganz übernahmen. (Wobei freilich nicht zu vergessen, wie oft die drei Künste damals in Einer Hand beisammen waren, sodass nur der Zufall über die grössere Be- schäftigung und Anerkennung in einer derselben entschied.) Die Arabeske des XV. und beginnenden XVI. Jahrhunderts ist eine fast selbständige Lebensäusserung der damaligen Kunst; von ver- hältnissmässig gewiss sehr wenigen, bloss plastischen antiken Vor- bildern (Thürpfosten, Friesen, Sarcophagen) ausgehend, hat sie das Höchste erreicht aus eigenen Kräften. Ich glaube, ohne es beweisen zu können, dass dem Desiderio da Settignano ein wesentlicher Theil dieses Verdienstes angehört. An den ihm zugeschriebenen Werken ist die Arabeske und das Architektonische vielleicht am Frühsten ganz edel und reich gebildet. Von seiner Werkstatt ging dann Mino da Fiesole aus, der ihm eine ausserordentliche Gewandtheit und De- licatesse in der Behandlung des Marmors verdankte. Mino’s Stellung Die Ausartung. in Rom erleichterte wahrscheinlich die rasche Verbreitung der ohnehin leicht mittheilbaren Decorationsmotive, die man denn auch an weit auseinander gelegenen Orten bisweilen fast identisch wieder findet. Eine grosse Umwandlung trat, wie wir sehen werden, mit der Entdeckung der Titusthermen ein. Das neue, aus Malerei und Plastik wunderbar gemischte System, welches man ihnen, vielleicht auch an- dern Resten entnahm, fand seinen reichsten und schönsten Ausdruck in den Loggien des Vaticans. Von dieser Leistung an geht es rasch abwärts. Sowohl die ge- malte, als die in Marmor und Stucco gebildete Decoration wird fast plötzlich nicht mehr mit derjenigen Liebe zum Einzelnen behandelt, welche ihr bisher zu Statten kam; sie geräth in eine völlige Abhän- gigkeit von den grossen baulichen Gesammteffekten, welche sich nicht mehr durch zierliches Einzelnes wollen stören lassen; sie muss der Architektur ihre inzwischen empfindungslos und willkürlich gewordene Profilirung, ihre Behandlung der Flächen u. s. w. nachmachen, anstatt durch Reichthum gegen ein einfacheres Ganzes contrastiren zu dürfen. (Diess ersetzt sich gewissermassen durch den grössern Massstab der plastischen Figuren, welche jetzt erst in bedeutender Menge lebens- gross und selbst colossal verfertigt werden.) — Innerhalb der Ver- zierungsweise selbst zeigt sich ebenfalls grosse Entartung. Das von Rafael so genau abgewogene Verhältniss des Figürlichen zum bloss Ornamentistischen und beider zur Einrahmung geräth ins Schwanken; ersteres wird unrein und oft burlesk gebildet (z. B. die Masken jetzt als Fratzen); letzteres verliert in den vegetabilischen Theilen den schönen, idealen Pflanzencharakter, dessen Stelle jetzt eine conven- tionelle Verschwollenheit einnimmt; ein allgemeiner Stoff, einem ela- stischen Teige vergleichbar, wird in Gedanken willkürlich voraus- gesetzt. (Sehr kenntlich ausgesprochen in den sog. Cartouchen, bei welchen man sich vergebens frägt, in welchem Material sie gedacht seien.) — Im Verlauf der Zeit wird die ganze Gattung wieder von der Architektur und von der Sculptur absorbirt; d. h. die Gegen- stände selbst, Altäre, Kanzeln, Grabmäler, Thürpfosten u. s. w. werden fortdauernd in Masse gefertigt, aber sie haben keinen eigenen, abge- schlossenen Styl mehr, sondern sind Anhängsel der beiden genannten Künste. Renaissance-Decoration. Stein und Metall. Wir greifen hier absichtlich tief in das XVI. und selbst in das XVII. Jahrhundert hinab, um eine Menge von Einzelheiten mit einem Mal vorzubringen, die sich bei den spätern Epochen der Baukunst (wo sie der Zeit nach hingehören) sehr zerstreut ausnehmen würden. Dem Styl nach ist es ohnediess meist ein Nachklang der Frührenais- sance, für deren schönen und reichen Anblick die Decoration des spätern Systemes keinen rechten Ersatz gewährte, und die man daher stellenweise reproducirte. Verschollen und verschwunden sind natürlich alle jene prächtigen Decorationen des Augenblickes, von welchen Vasari eine so grosse Menge mitten unter den bleibenden, monumentalen Kunstwerken auf- zählt. Die Begeisterung, mit welchen er die Bauten und Geräthe für Festzüge, die Triumphbogen und Theater für einmalige Feierlichkeiten schildert, lässt uns die Fülle von Talent ahnen, dessen Entfaltung und Andenken mit dem hinfälligen Stoff, mit Holz, Leinwand und Stucco unwiederbringlich dahingegangen ist. Auch die Aufzählung der decorativen Werke beginnt wie die der Bauwerke billig mit Florenz, und zwar mit Brunellesco selbst. Ohne völlige Sicherheit, aber mit grosser Wahrscheinlichkeit kann man a ihm den Entwurf zu der Lesekanzel des Refectoriums und zu dem b Brunnen von dessen Vorraum in der Badia bei Fiesole zuschreiben; in der leichten, edeln, auf das Ganze gehenden Zierweise spricht sich mehr der Architekt als der Bildhauer aus. In der Kirche sind die c Aufsätze der beiden Thüren des Querschiffes sicher von ihm; von dem artigen Giessbecken mit zwei Putten in dem hintern Nebenraum rechts, durch welchen man in die Kirche geführt wird, lässt sich diess weniger behaupten. Die Leibung einer Thür im Hof mit einfach edeln Arabesken ist wohl wieder von seiner Erfindung. — Nach diesen d Werken zu urtheilen, kann der sehr prächtige, fein incrustirte Orgel- lettner von S. Lorenzo mit seinen kleinlichen Motiven nicht von Bru- e nellesco entworfen sein. Aber der köstliche Brunnen in dem linken Nebenraume der Sacristei, mit den Drachen an dem Brunnstock und Die Florentiner. den Löwenköpfen an der untern Schale möchte vielleicht sein Bestes in dieser ganzen Gattung und eines der trefflichsten Zierwerke der Frührenaissance überhaupt heissen dürfen. Ghiberti geht als Decorator in Erz sogleich weit über die Schranken der Arabeske hinaus, am Anfang noch mit einiger Scheu, zuletzt ohne Rückhalt. Die Pfosten seiner drei Thüren haben an der a Innenseite nur flache Arabesken, die späteste (mit den Thürflügeln Andrea Pisano’s) gerade die schönsten; an den Aussenseiten dagegen stellte er Fruchtgewinde und Vögel, auch Köpfe u. a. m. in voller unter- höhlter Arbeit dar, an der Nordthür noch mässig, an der Ostthür sehr reich und schön, an der spätesten, südlichen schon überreich und na- turalistisch, als wäre der Guss über den Gegenstand selbst gemacht worden. An den Pforten der Ostthür sind die Einrahmungen zwar zum Stoff und zur Function trefflich gedacht, in der Einzelform aber nicht ohne einen barocken Anklang. An den beiden Reliquienkasten b (s. unten) ist das Ornament mehr als billig untergeordnet. Donatello ist in seinen Decorationen überaus gewagt. (Ein- fassung seiner Annunziata in S. Croce, nach dem fünften Altar rechts, c des wunderlichen Madonnenreliefs in der Capelle Medici ebenda, mit d buntem Glas; reiche Nische an Orsanmichele mit der Gruppe Veroc- e chio’s.) Es ist mehr die muthwillige Seite der Frührenaissance, welche mit ihrem von Rom geholten Reichthum noch nicht Haus zu halten weiss. Von seinem Bruder, dem schon genannten Simone , rührt das prächtige eherne Gitter an der Capelle der Madonna della Cintola im f Dom von Prato her, mit den durchsichtigen Friesen und Seitenfriesen von Rankenwerk und Figürchen, und den Palmetten und Candelabern als Bekrönung; ebenso die Einrahmung der Hauptpforten von S. Peter g in Rom. — Ausserdem stammt wohl von Simone ein gewisser ein- facherer Typus von Grabmonumenten, welcher schon seit Mitte des XV. Jahrhunderts, vielleicht zuerst am Grabe des Gianozzo Pandol- h fino († 1457) in der Badia und dann noch öfter recht schön vor- kömmt. Er besteht in einer halbrunden, mit Laubwerk eingefassten Nische, in welcher der mehr oder weniger verzierte Sarcophag auf- gestellt ist; die Wand darunter wird durch wohl eingefasste farbige Steinplatten als eine Art Unterbau charakterisirt. (S. Croce, Capella i Renaissance-Decoration. Stein und Metall. a del sagramento; S. Annunziata, fünfte Capelle rechts; Dom von Prato, hinterste Capelle links u. s. w.) b Ein sehr artiger Zierbau Michelozzo ’s ist das Sacellum des vordern Altars in S. Miniato mit seinem Tonnengewölbe voll glasirter Cassetten. Viel prachtvoller, nur leider durch einen barocken Auf- c satz des vorigen Jahrhunderts entstellt, der Tabernakel in der Annun- ziata zu Florenz (links vom Eingang); mit farbigem Fries, Cassetten- d werk etc. (Womit zu vergleichen: seine unruhig reiche Decoration in der Capelle des Pal. Riccardi.) Von einem Schüler Donatello’s, dem oben (Seite 183) als Bau- e meister genannten Bernardo Rosellino ist das Grabmal des Lio- nardo Aretino im rechten Seitenschiff von S. Croce; bei aller Pracht noch etwas befangen, sodass der noch ganz rechtwinklich gestaltete Sarg auf schweren Stützen ruht; auch das Postament kleinlich, der Teppich der Bahre mit Raffinement verziert. Die Bronzedecorationen, welche von Verocchio und Ant. Pol- lajuolo vorhanden sind, haben bei jenem etwas Schwülstiges und f Schweres (mediceischer Sarcophag, in der Sacristei von S. Lorenzo in Florenz), bei diesem etwas barock Spielendes (Bronzegrabmal Six- g tus IV in der Sacramentscapelle von S. Peter in Rom). Beide aber und Pollajuolo zumal, entwickeln einen glänzenden Reichthum an Zierformen; der letztere hat sich nur durch das Motiv eines Parade- bettes zu weit führen lassen, während der erstere das Motiv des Gitters (Strickwerk) auch auf den Sarg ziemlich unglücklich anwandte. Ein bedeutender neuer Anstoss war inzwischen in die Renaissance gekommen durch Desiderio da Settignano . Das einzige grosse h Werk desselben, das Grabmal des Carlo Marzuppini im linken Seiten- schiff von S. Croce (nach 1450), wurde früher hauptsächlich wegen der naturalistischen Wahrheit einzelner Ornamente bewundert; wir erkennen darin den höchsten decorativen Schwung und Styl, der durch griechische, nicht bloss römische Muster geläutert scheint. Hier ist alle Willkür verschwunden; die glücklichste Unter- und Überord- nung macht auch den vollsten Reichthum geniessbar. Was vielleicht später nicht wieder in dieser Reinheit und Pracht erreicht wurde, ist vor- züglich das Rankenwerk am Sarcophag. — Auch an dem Wandtabernakel i der Schlusskapelle des rechten Querschiffes in S. Lorenzo ist das wenige Die Florentiner. Ornament sehr schön. (Das Christuskind von Baccio da Montelupo.) Wahrscheinlich eher von Desiderio als von Verocchio ist auch die prächtige eherne Basis, welche jetzt in den Uffizien (zweites Zimmer a der Bronzen) eine antike, ebenfalls eherne Statue trägt. Sie will nicht ein freies Ornament, sondern ein reich verziertes Postament von we- sentlich architektonischem Charakter sein. Die Reliefs auf zwei Sei- ten sind ebenfalls trefflich und würden dem Desiderio entsprechen. Desiderio’s Schüler war nun der in Florenz und Rom vielbeschäf- tigte Mino da Fiesole , durch welchen, wie es scheint, die floren- tinische Renaissance erst recht weit in Italien herumkam. Mino hat in einzelnen florentinischen Arbeiten seinen Lehrer nahezu erreicht; man wird namentlich in den beiden Grabmälern der Badia (des Ber- b nardo Giugni 1466 und des Grafen Hugo 1481, im rechten und linken Kreuzarm der Kirche) eine Fülle des herrlichsten decorativen Lebens in beinahe griechischen Formen, in den edelsten Profilen bemerken. Auch der Altar in der Capelle del miracolo in S. Ambrogio ist or- c namentistisch von ähnlichem Werthe. In der Annunziata hat die köst- d liche Sacristeithür etwas von Mino’s Styl. Allein die römischen Arbeiten entsprechen dieser Schönheit nicht ganz. Bei Anlass der römischen Renaissance wird wieder davon die Rede sein. Von Benedetto da Majano ist die Kanzel in S. Croce, schon e in decorativer Beziehung eines der grössten Meisterwerke, leicht und prachtvoll. Wahrscheinlich um das zarte Gebilde nicht zu stören, versteckte der Meister die Treppe kunstreich in den Pfeiler selbst, an dessen Rückseite das schöne Thürchen mit eingelegter Arbeit den Eingang bildet Die decorativ und plastisch so viel geringere Kanzel in S. Maria novella, * von Maestro Lazzero, ist als Vorstufe dieser zu vergleichen. . — In ihrer Art ebenfalls vom Allertrefflichsten: die Marmorthür in der Sala de’ Gigli des Pal. vecchio, mit zart figurirtem f Fries und Capitälen. — Von den Prachtthoren, die Benedetto’s Bru- der Giuliano in Neapel errichtete, ist schon Seite 195 die Rede gewesen. — Als Decoratoren in Holz werden Beide noch einmal zu nennen sein. In der Sagr. nuova des florent. Doms, wo das Getäfel von ihnen ist, kann der marmorne Brunnen, der so viel geringer ist als Renaissance-Decoration. Stein und Metall. ihre Marmorarbeiten, kaum auf ihre Rechnung kommen. (Eher auf a die eines gewesenen Buggiano, von welchem der Brunnen in der Sa- grestia vecchia und der Reliefmedaillon Brunellesco’s ebenda herrührt.) Dem Giuliano da San Gallo werden die beiden schönen Grä- b ber der Capelle Sassetti in S. Trinità zugeschrieben. Sie sind vielleicht die schönsten des (S. 233, h) bei Anlass des Simone di Donatello erwähn- ten Typus und überdiess durch zierliche Reliefs interessant. (Copien nach Motiven antiker Sarcophage etc.) Von unbekannten Meistern sind die Zierarbeiten der Certosa. Sehr ausgezeichnet und früh, ja an diejenigen Brunellesco’s erinnernd: der c Brunnen des dritten Hofes als Sarcophag auf verschlungenen Drachen d ruhend; das Lesepult im Refectorium. Den Auslauf der Marmordecoration in das Derbe, Schattige und Kräftige zeigen hier die Arbeiten des Benedetto da Rovezzano : e die zu seinen Reliefs in den Uffizien (Gang der toskanischen Sculp- f tur) gehörenden Einfassungen, das Kenotaphium des Pietro Soderini g († 1522) im Chor des Carmine, das Kamin im Saal des Pal. Roselli h del Turco und das Grabmal des Oddo Altoviti in der nahen Kirche SS. Apostoli (linkes Seitenschiff). Die Arabeske sucht mit der nachdrück- licher gewordenen architektonischen Profilirung Schritt zu halten; sie vereinfacht sich und verstärkt ihr Relief. — Von Benedetto ist auch die Decoration der Kirchthür. — Noch eher der Frührenaissance zu- i gewandt: die ebenfalls dem Benedetto zugeschriebene Thür der Badia (gegen den Pal. del Podestà hin). Auch ganz späte Arbeiten sind nicht zu übersehen. So beweisen k die beiden marmornen Orgellettner in der Annunziata — reiche Balustra- den mit Consolen über Triumphbogen — dass selbst die Detailformen der Frührenaissance zu solchen Zwecken bis gegen Ende des XVI. Jahrhunderts hie und da wiederholt wurden, als es daneben längst ein neues (aber freudloseres) Ornament gab. — Dagegen giebt das l Piedestal von Benv. Cellini ’s Perseus an der Loggia de’ Lanzi den beginnenden Barockstyl in seiner zierlichsten Gestalt. — Bandi- m nelli in den decorativen Theilen seiner Basis vor S. Lorenzo ver- fährt ungleich schöner und mässiger. Die Florentiner. Neben all diesen Bemühungen, dem Marmor und Metall das reichste und edelste decorative Leben mitzutheilen, gab die Schule der Robbia das lehrreiche Beispiel weiser Beschränkung. Ihr Stoff, der gebrannte und glasirte Thon, hätte zur Noth eine Art von Con- currenz gestattet, allein in dieser goldenen Kunstzeit giebt sich kein Material für das aus, was es nicht ist, sondern jedes lebt unverhohlen seinen innern Bedingungen nach. — Die Robbia, welche lieber schön brennen und zart und gleichmässig glasiren als grosse Platten auf einmal fertig machen wollten, setzten ihre Arbeiten aus vielen Stücken zusammen und verhehlten die Fugen nicht, während der Marmor in den grössten Blöcken bearbeitet wurde. Ausserdem konnten sie mit demselben auch in der Schärfe der Behandlung nur mühsam wetteifern. Ihre Arabesken sind daher bescheiden. Allein sie ersetzen, was abgeht, durch Kraft und Tiefe der Modellirung, durch reichliche Anwendung von Fruchtkränzen, welche Strenge und Fülle in hohem Grade ver- einigen, hauptsächlich aber durch die drei oder vier Farben (gelb, grün, blau, violett), welche lange Zeit und absichtlich ihre ganze Pa- lette ausmachen. Das bloss Plastische, das farbige Plastische und das bloss Gemalte wechseln in klarster und bewusstester Abstufung. Es genügt einstweilen, auf ein Meisterwerk wie der Sacristeibrunnen in a S. Maria novella hinzuweisen. (Vgl. Seite 228, Anmerkung.) Die Fahnen- und Fackelhalter an einzelnen Palästen, durchgängig von geschmiedetem und gefeiltem Eisen, mit herabhängenden Ringen, beweisen in ihrer einfach schönen Behandlung ebenfalls die allgemeine Kunsthöhe, welche jedem Stück sein besonderes Recht wiederfahren liess. Da sie zu dem Ernst der Rusticabauart passen mussten, so ist es leicht, sie an Pracht zu überbieten, aber für ihre Function bedurf- ten sie der derben Form. An Pal. Strozzi sind auch noch die ge- b waltigen und dabei reichen Ecklaternen des Caparra (eig entlich Nic. Grosso) erhalten; eine ähnliche auch an Pal. Guadagni. Es ist, als c ginge aus der Ecke des Gebäudes ein Strahl von Strebekraft in das Eisenwerk hinein. Renaissance-Decoration. Stein und Metall. In Pisa folgt die Renaissance hier wie im Grossen der florenti- nischen. a Vielleicht das Schönste von Allem ist hier das Weihbecken im rechten Seitenschiff des Domes; Italien enthält reichere, aber kaum b ein edleres. — Möglicher Weise von derselben Hand: das Lesepult, auf einem Adler ruhend, am Chor. Im XVI. Jahrhundert arbeitete ein gewesener Stagi (wie man c behauptet, unter dem Einfluss Michelangelos) das Grabmal des Ga- maliel, Nicodemus und Abdias im rechten Seitenschiff, die Nische mit d einem heiligen Bischof im rechten Querschiff des Domes und das e Grabmal Dexio im Campo santo; lauter schwüles, überladenes Ara- beskenwerk, das schon an die gleichzeitige neapolitanische Schule (um 1530, s. unten) erinnert. Benedetto da Rovezzano mit seiner einfachern Derbheit war auf einer richtigern Spur gewesen. Von Stagi oder eher von einem unbekannten Meister: die beiden figurirten Ca- f pitäle auf der Osterkerzensäule und auf der gegenüberstehenden, im Chor des Domes. g In S. Sisto: zwei einfach schöne marmorne Weihbecken. (Bei h diesem Anlass sind die beiden in S. Marco zu Florenz nachzuholen). In Lucca ist, abgesehen von wenigen ältern Sachen, wie z, B. i das energische Portal des erzbischöflichen Palastes, der grosse Bild- hauer Matteo Civitali auch für die Decoration der erste und der letzte. Seine Behandlung verräth die Schule Settignano’s und die Genossenschaft des Mino da Fiesole, aber er ist durchgängig ernster, architektonischer, auch weniger fein und elastisch als die beiden. Im k Dom ist von ihm der Zierbau des Tempietto (1484), eine Aufgabe, die vielleicht andere Zeitgenossen graziöser gelöst hätten, ohne doch einen höhern Eindruck hervorzubringen. Sodann die Kanzel (1498), die Einfassung des Grabmals des Petrus a Noceto (1472) und viel- leicht auch die ganze untere Einfassung der Sacramentscapelle, beides im rechten Querarm, sowie die schönen decorativen Theile seines Re- gulus-Altares (1484), zunächst rechts vom Chor. Auch die Marmor- pilaster in der hintersten Capelle des linken Querarmes werden ihm i zugeschrieben. — In S. Salvatore ein Marmorrahmen um ein Altar- Pisa. Lucca. Siena. bild. — In S. Frediano der neuere Taufbrunnen (als Nische) in der a Nähe des Alten. Die Weihbecken der lucchesischen Kirchen meist schön. In Siena empfängt uns die Renaissance gleich beim Eintritt in den Dom mit den beiden marmornen Weihbecken, deren eines von b Jacopo della Quercia herrührt. (Einen antiken Fuss hat keines von beiden). Es giebt einfach schönere Weihbecken des entwickeltern Styles in andern Kirchen von Toscana, aber keine prachtvollern. Die Aufeinanderfolge von Flachsculpturen, stützenden Statuetten, Festons, Adlern und Wasserthieren als Trägern der Schalen etc. giebt einen wahrhaft reichen und festlichen Eindruck. Die Fische im Innern der Schalen wird man der übergrossen Verzierungslust zu Gute halten So weit ich mich erinnere, ist auch das eine Weihbecken im Dom von Or- * vieto von ähnlichem Styl und Werth. . Als eine Familie von Decoratoren in Marmor, und zwar wohl un- abhängig von den gleichzeitigen Architekten, lernt man zunächst die Brüder Marzini kennen, deren Werke in die Jahre um 1500 fallen. Noch etwas alterthümlich: die Steinbank rechts in der Loggia des c Casino de’ Nobili, mit besonders schöner Rückseite (vorgeblich nach dem Entwuf Peruzzi’s, der aber damals wohl noch zu jung war. Die Bank links ist von einem ältern Meister.) Von höchster Pracht und d Vollendung: die kleine Fronte der Libreria im Dom (mit einem Re- e lief des Urbano von Cortona) und der unvergleichliche Hauptaltar der Kirche Fontegiusta (1517), an welchem nicht bloss die Ornamente der ebengenannten Arbeit vollkommen gleich am Werthe, sondern auch die Figuren von höchster Bedeutung sind. Die Engel und Engel- kinder, der Fries von Greifen, ganz besonders das Relief der Lu- nette — der todte Christus mit drei Engeln — gehören zum Schön- sten und Ausdruckvollsten, was die Sculptur der rafaelischen Epoche geschaffen hat. An keinem der damaligen römischen Grabmäler wüsste ich z. B. eine Lunette von diesem Werthe nachzuweisen. — (In S. Martino soll sich ein anderer sculpirter Altar derselben Meister befinden. Renaissance-Decoration. Stein und Metall. Mehr durch seine Ornamente und Proportionen im reinsten Styl der Blüthezeit als durch seine (zum Theil auch sehr guten und als Jugend- a arbeiten Michelangelo’s geltenden) Figuren behauptet der grosse Altar Piccolomini im Dom (linkes Seitenschiff, zunächst vor der Fronte der Libreria) eine classische S telle unter den damaligen Zierbauten. Als Meister wird ein gewesener Andrea Fusina von Mailand genannt, der das Werk in Rom gearbeitet haben soll. Ein Triumphbogen um- giebt die Nische, in welcher sich der zierliche Altar erhebt. (Dem- b selben Andrea soll auch das schöne Denkmal des Erzbischofes Birago in der Passione zu Mailand, hinten rechts, angehören.) Sodann hat Baldassare Peruzzi in der aus Stucco bestehen- c den Wandbekleidung der runden Capelle San Giovanni (im Dom, lin- kes Seitenschiff) den besten Geschmack in der Verzierungsweise der Blüthezeit bekundet. Er hatte die Sculpturen des Neroccio, die Fres- ken Pinturicchio’s einzurahmen und zugleich den Organismus seines Baues zu behaupten. (Die Kuppel leider später; das Portal ein pomp- haftes und überladenes Werk, schwerlich nach Peruzzi’s Erfindung.) Von einfachern Altareinfassungen enthält z. B. S. Domenico zwei. In der Regel hat der Barockstyl mit seinen weit und schattig vortre- tenden Säulen und Giebeln diese mässigen, flachen Pilasterarchitek- turen verdrängt oder verdunkelt. — Reich, aber schon von zweideu- d tigem Styl: die Treppe zur Kanzel im Dom. Ausserdem ist Siena classisch für die bronzenen oder eisernen Fahnenhalter und Fackelhalter mit Ringen, welche im XV. Jahrhun- dert an den toscanischen Palästen angebracht wurden. Zwar über- treffen die genannten Laternen am Palast Strozzi in Florenz an Ruhm e alles von dieser Gattung, doch dürften diejenigen am Palazzo del Magnifico zu Siena (1504), von Ant. Marzini , ihnen im Styl über- legen sein, wie sie denn zu den schönsten Erzzierrathen der Renais- f sance gehören; eherne auch an Pal. della Ciaja; an den übrigen Palästen (auch Piccolomini) ist das Mate rial meist Eisen. — Es ist nicht bloss die Schönheit des einzelnen Stückes, mit seinen Akanthus- blättern und seinen energischen Profilen, was uns diese Kleinigkeiten werth macht, sondern viel mehr der Rückschluss auf den Humor und die echte Prachtliebe jener Zeit, die Monumentales verlangte in Fäl- len, wo wir uns mit dem Flitter des Augenblickes zufrieden geben. Siena. Perugia. Das hübsche kleine Weihbecken in der Sacristei des Domes zu a Siena, emaillirt und auf einen Engel gestützt, von Giov. Turini , und das noch einfachere bronzene in der Kirche Fontegiusta (zweite b Säule links) von Giov. delle Bombarde (1480) haben durch den- selben monumentalen Ernst, der auch im Kleinen sich nicht zur leeren Niedlichkeit bequemt, eine Bedeutung die weit über den absoluten Formgehalt hinausgeht. Lorenzo Vecchietta , als Bildhauer nur ein manierirter fleissi- ger Nachfolger des Quercia und Donatello, als Maler den bessern Zeitgenossen weit nachstehend, hat als Decorator in Marmor und in Bronze einen eigenthümlichen Werth. Das eherne Ciborium (Sacra- c menthäuschen) auf dem Hochaltar des Domes, wovon sich in der Academie (Grosser Saal) die Originalzeichnung befindet, hat durch d seine originelle energische Bildung auf die ganze sienesische Zierweise Einfluss gehabt; er selbst bildete (vorher oder später) den marmornen e Aufsatz des Taufbrunnens in San Giovanni ähnlich; ein kleineres bron- zenes Ciborium in der Kirche Fontegiusta (2. Altar rechts), schöner f als diese beiden Arbeiten und in seinen untern Theilen fast griechisch lebendig, ist entweder von ihm oder von einem Schüler. Guss und Ciselirung sind durchgängig trefflich. — Das Marmorciborium auf dem g Hochaltar von San Domenico giebt dasselbe Motiv freilich im aller- reinsten und schönsten Styl der Blüthezeit wieder, sodass man es den Sienesen kaum verargen kann, wenn sie darin eine Jugendarbeit Michelangelo’s Im Dom von Forli wird ebenfalls das Ciborium dem Michelangelo zugeschrieben. * erkennen wollen. Auch Jacopo della Quercia selbst muss hier noch einmal erwähnt werden, wegen des glücklich gedachten Eisengitters an der h Capelle des Palazzo pubblico. Auf dem Wege von Florenz nach Rom sind ausser den genannten und noch zu nennenden Arbeiten hier noch einige anzuführen, die ich an keiner besondern Stelle unterzubringen weiss. In S. Domenico zu Perugia, 4. Capelle rechts, ist die ganze Al- i tarwand mit einer grossen Decoration von Stuccaturen und Gemälden B. Cicerone. 16 Renaissance-Decoration. Stein und Metall. dieses Styles bedeckt. (Etwa um 1500.) Nur als Specimen merk- würdig; das Gemalte, z. B. die Engel und Putten der obern Lunette passen durch ihren grössern Massstab nicht zu den Wandstatuetten der Madonna und der beiden anbetenden Engel. a Im Dom von Spello der Tabernakel des Hauptaltars, eine Kuppel auf vier Säulen, in graziöser und früher Renaissance. b Im Dom von Narni, rechts, eine Altarnische sammt dem zunächst davor stehenden Bogen, beide als Triumphbogen in Stucco behandelt; noch XV. Jahrhundert. In Rom beginnt, abgesehen von einigen frühern Arbeiten des Filarete und Anderer, der reichere Luxus des Marmorornamentes mit den 1460er Jahren und erreicht ein Jahrzehnd später eine unbe- schreibliche Fülle und Pracht. Ich bin nicht im Stande, das Beste und Reinste aus dem Gedächtniss näher zu bezeichnen, oder die Ent- wicklung dieses Zweiges der Ornamentik historisch zu verfolgen, glaube aber, dass das grösste Verdienst, wenn nicht der Erfindung, doch der Verbreitung dieser eleganten Formen dem Mino da Fie- sole angehört, welcher damals (s. unten) in Rom eine ganze Anzahl von marmornen Gräbern u. a. Prachtarbeiten schuf. Man beachte, dass von seinem Hauptwerke, dem Grabmal Pauls II., nur die figür- lichen Theile (in der Crypta von S. Peter) gerettet, die decorativen dagegen untergegangen sind. — Unter den Grabmälern sind diejenigen spanischer Prälaten, welche durch Calixt III. und wohl noch durch Alexander VI. nach Rom gezogen worden sein mögen, vorzüglich zahlreich. — Pollajuolo’s Arbeiten wurden schon genannt. c Von Portaleinfassungen ist diejenige an S. Marco des Giu- d liano da Majano (S. 192) selber würdig. Auch diejenige an S. Giacomo degli Spagnuoli sehr schön. e Die Sängertribune der Capella Sistina, mit ihrer edeln, ern- sten Pracht, ist für diese gegebene Stätte und Ausdehnung ein voll- kommen vortreffliches Werk zu nennen. Auch die Marmorschranken, welche den Vorraum vom Hauptraum trennen, sind vom Besten; f ebenso die Balustrade der Capella Carafa in S. Maria sopra Minerva. Rom. An den marmornen Altären überwiegt das Figürliche; doch sind auch die triumphbogenartigen Architekturen, welche dasselbe ein- fassen, nicht ohne Bedeutung. Der sehr grosse Hauptaltar von S. Sil- a vestro in Capite und der Altar Innocenz VIII in der Pace (eine der b Capellen links im Achteck) sind vergoldet und nicht von reiner Form. Der herrliche Altar Alexanders VI in der Sacristei von S. M. del c Popolo ist auch in decorativer Beziehung der edelste dieser Gattung. Andere Altäre derselben Kirche, z. B. derjenige der 4. Capelle rechts d und derjenige im Gange vor der Sacristei bieten nur drei einfache e Nischen mit Predella und Aufsatz. An den Grabmälern bemerkt man wieder diejenigen Elemente, welche die florentinischen Decoratoren geschaffen hatten, allein man- nigfach neu combinirt. Eine bestimmte Abweichung liegt dann in der fast durchgehenden Ausschmückung der Seitenpfosten der Nische mit kleinen Nischen, welche allegorische Figuren enthalten. Sodann kommt das schöne Motiv einer über dem Sarcophag stehenden Bahre mit Teppich, welche die liegende Gestalt des Verstorbenen trägt, häufiger vor als in Florenz. Weit die grösste Anzahl dieser Gräber enthält (seit S. Peter seinen derartigen Schmuck eingebüsst hat) S. Maria del popolo . f Vor allem die beiden Prälatengräber im Chor, welche der grosse Andrea Sansovino seit 1505 arbeitete. Sie geben gleich die höchste und letzte Form, welche das architektonisch angelegte Wandgrab er- reichen kann; der Triumphbogen, auch sonst für Gräber oft ange- wandt, ist nirgends mehr mit dieser leichten Majestät behandelt; unter den Arabesken sind die des Sockels von den allerschönsten der ganzen Renaissance. — Die übrigen Prachtgräber, meist ebenfalls von Car- dinälen und Bischöfen, füllen fast sämmtliche Capellen der Kirche an; alle Arten von Anordnung und Schmuck sind hier durch irgend ein Specimen repräsentirt. Die besten Ornamente vielleicht an dem Grab- g mal Lonati (um 1500) im linken Querschiff, und an dem Grabmal h Rocca (starb 1482) in der Sacristei. — In der Vorhalle von S. Gre- i gorio ist das einfache Grabmal Bonsi (rechts) eines der schönst- geordneten; die beiden Brüder, welchen es gesetzt ist, sind durch zwei Reliefbüsten an der Basis des Sarcophages verherrlicht. Gegen- über das Grabmal Guidiccioni, erst vom Jahr 1643, aber mit Benützung 16* Renaissance-Decoration. Stein und Metall. der allerschönsten Arabesken, Capitäle etc. von einem Monument der a Blüthezeit. — In der Kirche Araceli ist das Grabmal Gio. Batt. Savelli (1498, im Chor, links) sowohl plastisch als decorativ aus- gezeichnet; am Sarcophag Genien mit Fruchtschnüren, unten Sphinxe. b — In S. Maria sopra Minerva (Capella Carafa) zeigt sich der späte Pirro Ligorio als tüchtigen Decorator an dem Grabe Pauls IV, während in zahlreichen Grabmälern des XV. Jahrhunderts die da- malige Zierweise verewigt ist; in dieser Beziehung eins der besten c das des Petrus Ferrix (starb 1478) im ersten Klosterhof. — In SS. d Apostoli enthält der Chor das prächtige Grab des Nepoten Pietro Riario (starb 1474), decorativ dem Grab Savelli ähnlich. — Eine An- e zahl Grabmäler in dem bedeckten Hof hinter S. Maria di Monserrato. f — In S. Pietro in Montorio contrastirt das schöne Grabmal links von der Thür (1510, von Dosio ) mit den bloss plastischen Denkmälern Ammanati’s, welche den Querbau einnehmen; — ebenso in S. Maria g della Pace das Ornament der beiden links stehenden Grabmäler Ponzetti (1505 und 1509), beinahe von sansovinischer Schönheit, mit h den späten überladenen Arabesken, womit Simone Mosca um 1550 die Fronte der 2. Capelle rechts überzog. Im Kreuzgang bei der i Pace das decorativ vortreffliche Grab des Bischofs Bocciaccio (starb 1497). — Unter den Gräbern in S. Clemente hat das einfache des k Brusato (rechtes Seitenschiff) die schönsten Arabesken. — Andere Grabmäler in vielen ältern Kirchen zerstreut. Schon lange vor der Mitte des XVI. Jahrhunderts hört diese reiche Marmorornamentik an den römischen Gräbern fast völlig auf und macht einer Verbindung von blosser Architektur und Sculptur Platz. Bei Anlass der letztern werden wir darauf zurückkommen. So weniges Neapel an vollständigen Bauten der Blüthezeit m o- derner Baukunst aufzuweisen hat, so reich ist es dagegen an de co- rativen Einzelheiten, zum Theil der besten Renaissance, vom Triump h- bogen des Alfons an. l Eine ganze Schule dieses Styles gewährt die Crypta des Domes (1492), eine kleine unterirdische Basilica von drei gleich hohen flachgedeckten Schiffen, über und über mit Ornamenten be- Rom. Neapel. deckt. (Oft gezeichnet, abgegossen und nachgeahmt.) Hier verräth sich nun die Renaissance nach ihren tiefsten Eigenschaften; sie ge- nügt völlig, wo sie spielen darf; — alle Pilaster und die blossen Gewandungen, sowohl die horizontalen als die verticalen, mit ihren Arabesken, Blumen, Schilden, Guirlanden u. s. w. sind von der schön- sten, leichtesten Wirkung; dagegen ist das Bauliche nur wenig orga- nisch, die Profile zu dünn, das Tragende zu decorativ. Die mensch- lichen Figuren, die ohnediess auf keine Weise den Ornamenten ebenbürtig sind, auch lastend an der Decke anzubringen, war ein ganz speciell neapolitanischer Gedanke. Das Übrige sind Nischen, Altäre und Grabmäler, in unüberseh- licher Menge; an diesen Aufgaben bildete sich eine ganze grosse Decoratorenschule, welche jedoch erst im XVI. Jahrhundert und durch- schnittlich erst in den nicht mehr reinen Werken durch bestimmte Künstlernamen repräsentirt ist: Giovanni (Merliano) da Nola, Girolamo Santacroce, Domenico di Auria , und eine Reihe Geringerer bis auf Cosimo Fansaga hinab, der noch in bernini- scher Zeit die Art der ältern Schule nicht ganz verläugnete. — Als Bildhauer ist selbst Giov. da Nola nur untergeordneten Ranges; das Wenige plastisch Ausgezeichnete wird bei Anlass der Sculptur er- wähnt werden. Als Decoratoren, ob von aussen abhängig oder nicht, wird man diese Künstler immer achten müssen, weil die Verbindung des Baulichen und des Figürlichen in ihren Werken im Ganzen eine sichere und glückliche ist, selbst wo die Figuren gering sind und nur gleichsam in den Kauf gegeben werden. Was die Altäre betrifft, so dauern fürs Erste aus dem Mittel- alter noch die den Altartisch bedachenden Tabernakel fort: reiche Bogen und Giebel auf 4 oder nur 2 Säulen und dann hinten an- gelehnt. In S. Chiara, zu beiden Seiten des Portals, ein gothischer a und einer der Frührenaissance. — Sodann bildet sich gerade in Neapel der sculpirte Altar, mit Statuen und Reliefs in einer Wandarchitektur, oft Alles innerhalb einer grossen Nische, mit dem vollsten Luxus aus. Zum Zierlichsten gehören die Altäre zu beiden Seiten der Thür von b Monte Oliveto (von Nola und Santa Croce); — prachtvoll und um- ständlich eine grosse Nische mit Altar in S. Giovanni a Carbonara c (die Figuren zusammengesucht); ebenda noch Mehreres von ähnlicher Renaissance-Decoration. Stein und Metall. a Art; — in S. Lorenzo, 4. Capelle rechts, der Altar Rocchi, ausge- zeichnet durch höchst delicate und schwungvolle Ornamente; — An- b deres in S. Domenico maggiore, 7. Capelle links (Altar von Nola) u. a. a. O. — In den neapolitanischen Grabmälern verewigt sich eine krie- gerische Aristocratie, wie in den römischen vorzugsweise eine hohe Priesterschaft; der Bildhauer durfte eher von dem altüblichen Motiv eines mit gefalteten Händen auf dem Sarcophag liegenden Todten ab- gehen und den Verstorbenen in der Haltung des Lebens darstellen, wobei auch die decorative Anordnung des Ganzen eine sehr ver- schiedenartige wurde. Den florentinischen Typus trägt sehr deutlich das dem Antonio c Rosellino zugeschriebene Grabmal der Maria d’Aragona (1470) in der Kirche Monte Oliveto (Capelle Piccolomini, links vom Eingang). d Selbst von Donatello will Neapel ein Grabmal besitzen, dasjenige des Bischofs Rinaldo Brancacci († 1427) in S. Angelo a Nilo; vielleicht dürfte sich die Theilnahme des berühmten Florentiners an diesem Werke doch nur auf Einzelnes, etwa auf die beiden obern Engelkinder beschränken; die Anordnung des Ganzen ist eher neapolitanisch und bildet den Übergang von den Masuccio’s zur neuern Art. — Als rit- e terliches Grab bezeichnet denselben Übergang dasjenige des Sergianni Caracciolo in der Chorcapelle von S. Giovanni a Carbonara. f Ornamentistisch besonders werthvoll: im rechten Querschiff von S. Maria la nuova, das Grab des Galeazzo Sanseverino († 1477); — g in S. Domenico magg. u. A. die Gräber in der Capelle del Crocefisso, h namentlich die zweite Gruftcapelle links; im rechten Querschiff der- selben Kirche das Grab des Pandono († 1514); — im Kreuzgang von i S. Lorenzo der Sarcophag des Pudericus u. A. m.; — im Chor von k Monteoliveto besonders das Grab des Bischofs Vaxallus von Aversa, etc. — Man begegnet durchschnittlich denselben theils hoch, theils flachgearbeiteten Arabesken, welche damals in ganz Italien herrschend waren, wie denn die ganze neapolitanische Renaissance wenig ganz eigenthümliches hat. Ich hätte darüber kurz sein dürfen, wenn diese Fragmente aus der Morgenfrühe der modernen Baukunst nicht gerade hier einen besondern Werth hätten. Das von massenhaften Barock- bauten ermüdete Auge sucht sie mit einer wahren Begier auf. Neapel. Genua. Giovanni da Nola (s. d. Sculptur) ist vielleicht im Detail nirgends mehr ganz rein, bei seinen Schülern tritt vollends jener Schwulst ein, der das Architektonische wie das Vegetabilische des wahren Cha- rakters beraubt. Als Ganzes wirken ihre Arbeiten immer; selbst den (früher sehr überschätzten) Brunnen des Domenico di Auria bei a S. Lucia wird man glücklich gedacht finden. Einzelne gute Portale des XV. Jahrhundert findet man am Gesù b nuovo, an dem Bau neben der Annunziata, einfachere an S. Angelo c a Nilo, an S. Arpino, u. a. a. O. In Genua setzte sich die Zierweise der Renaissance wie der betreffende Styl der Architektur und selbst der Sculptur nur langsam durch. Er drang weniger von Toscana als von Oberitalien her ein. Das frühste, noch halbgothische Denkmal, die Fronte der Johan- d nescapelle im Dom, ist erst 1451 begonnen und das Ganze, ab- gerechnet die neuern Veränderungen, 1496 vollendet. Dieses einst gewiss vorzüglich interessante Ziergebäude hat durch barocke Zu- thaten im Innern seinen besten Reiz verloren; in der leichten und schönen Anlage tönt er noch nach. Sodann ist Genua vorzüglich reich an marmornen Thürein- fassungen , welche mit Arabesken oft reichen lombardischen Styles, wenigstens mit Medaillonköpfen und prächtigem Obersims verziert sind. Es war eine der wenigen möglichen Arten, dem kajütenhaften Woh- nen in engen Strassen einen bessern Ausdruck zu verleihen. Die besten, die mir zufällig vorgekommen sind, finden sich an einem Hause e auf Piazza S. Matteo, an einem andern auf einem Plätzchen hinter S. Giorgio, N. 1200, und im Hausflur eines grossen Gebäudes auf Piazza Fossatello (von einer Kirche entlehnt?). Vgl. oben S. 198. Der marmorne Orgellettner in S. Stefano ist eine leidliche, wahr- f scheinlich florentinische Arbeit, vom Jahr 1499. In S. Maria di Castello bildet die Nische des 3. Altars rechts, g mit dem schönen Bilde des Sacchi (1524), der Innenbekleidung von glasirten Platten, und der äussern Einfassung ein sehr artiges Ganzes. Schon mehr antikisirend, in zum Theil sehr schöner Ausbildung, die Decorationen des Montorsoli in S. Matteo, hauptsächlich die h Renaissance-Decoration. Stein und Metall. beiden einfachen Heiligensarcophage an den Wänden des Chores, auch die Altäre an beiden Enden des Querschiffes. — Ob die beiden a ungeheuern Prachtkamine in den grössern Sälen des Pal. Doria auch von ihm sind, ist mir nicht bekannt. Endlich siegt das Bemühen des reinen Classicismus auch hier b für einen kurzen Augenblick. Der Tabernakel der Johannescapelle im Dom, von Giacomo della Porta (1532) ist eines der schönsten Decorationsstücke dieser Art, zumal was die Untensicht der Bedeckung betrifft. (Die Sculpturen an den Säulenbasen sind von Giacomo’s Bru- der Guglielmo.) Mit der Decoration der oberitalischen Denkmäler (Venedig ausgenommen) können wir uns kürzer fassen. Die Seltenheit des Marmors nöthigte zur Arbeit in Sandstein, Kalkstein, Stucco, Terra- cotta. Zwar könnte ein fester künstlerischer Wille auch in diesen unedlern Stoffen ein Höchstes erreichen, allein die Durchschnittsbildung wird doch immer unter solchen Umständen eine geringere bleiben. Der weisse Marmor allein fordert den Künstler unablässig zum Fort- schritt, zur Verfeinerung auf. Den Übergang von der florentinischen Weise zur oberitalischen, hauptsächlich paduanischen, macht Bologna . Den vom Norden Kom- menden mag die heitere Pracht, zumal der Backsteinzierrathen, wohl zunächst blenden, allein das praktische Studium wird doch erst bei den Marmorsachen von Florenz und Rom seine Rechnung finden. Nicht nur sind die bolognesischen Arbeiten oft bunt und überladen (man analysire nur einen Pilaster mit Putten, Delphinen, Candelaber, Schalen, Bändern, Fruchtgehängen etc.), sondern auch im Ausdruck des Einzelnen unfein, nicht empfunden, zumal die Sandsteinzierrathen Was die backsteinernen betrifft, so glaube ich, dass dieselben, wo sie sich identisch wiederholen, in hölzernen Modeln gepresst sind. . Im XVI. Jahrhundert suchte der Baumeister Formigine sich etwas mehr der reinern antiken Form zu nähern und manche der von ih m angegebenen Capitäle sind sehr schön (S. 207), allein in den Ara- besken war er kaum wahrhaft lebendiger als die frühern. — Wir Bologna. zählen nur Einiges von dem auf, was noch nicht bei Anlass der Ar- chitektur genannt wurde. Zunächst eine Anzahl Marmorschranken , theils mit Gittern, theils mit enggestellten Säulchen oben, welche zum Verschluss der Capellen in S. Petronio dienen. Das älteste, noch gothische Beispiel, a 4. Capelle links; — reiche und frühe Renaissance, 7. Capelle links; — später und eleganter, 10. Capelle rechts; — das schönste 4. Ca- pelle rechts, vom Jahr 1483; — einfach 6. Capelle rechts; — das späteste, von Formigine, 8. Capelle rechts. — In S. Michele in bosco: b die Mauern zu beiden Seiten des Chorgitters, die Pilaster und Thüren des Chores, vom Bessern des oberitalischen Styles. Einzelne Altarnischen mit und ohne Schranken: in S. Martino c maggiore die erste rechts (1529); in Madonna di Baracano die Ein- d fassung der Hauptaltarnische, von der Bildhauerin Properzia de’ Rossi, die hier dem Formigine nachfolgt: — in SS. Vitale ed Agricola die e Stuccoeinfassungen um die Fresken der grossen Capelle links, mit guten, bloss vegetabilischen Arabesken. Die Grabmäler sind sammt und sonders im Styl der Arabesken weit geringer als die bessern florentinischen und römischen. Die an den Backstein und Sandstein gewöhnte Decoration konnte sich in die Vortheile des Marmors, wo sie an diesen kam, nicht hineinfinden. Eine ganze Anzahl aus verschiedenen Kirchen stehen jetzt im Campo- f santo bei der Certosa; andere noch in den Kirchen selbst. Ausnahms- weise arbeitet wohl ein Florentiner irgend ein Prachtstück in seiner heimischen Art, wie z. B. Francesco di Simone das Grabmal g Tartagni (1477) in S. Domenico (Durchgang zur linken Seitenthür); allein dieses ist doch nur eine plastisch und decorativ befangene Nach- ahmung des Grabmals Marzuppini (S. 234, h) und das Meiste, was sonst vorkömmt, ist noch viel geringer. Als prächtige decorative Erscheinung ist das Stuccograbmal des Lodov. Gozzadini im linken Seitenschiff der Servi (statt des 3. Altars) h trotz seines Schwulstes diesen Marmorsachen vorzuziehen; von einem unbedeutenden Bildhauer jener Zeit, Giov. Zacchio . Auch das einfachere Grabmal des Giac. Birro im Klosterhof von S. Domenico i ist eines von den glücklich angeordneten des beginnenden Barockstyls. Renaissance-Decoration. Stein und Metall. Ein Gegenstück zu den metallenen Fackelhaltern der toscanischen Paläste (welche hier durch diejenigen am Pal. del Podestà nur mit- telmässig repräsentirt sind) bilden die sehr stattlichen ehernen Thür- hämmer , als springende Thiere u. dgl. in reicher Einfassung gebildet. An den zahlreichen Palastpforten, wo sie vorkommen, reichen sie allerdings nicht über das XVI. Jahrhundert und kaum in dasselbe hinauf. a In Parma haben die zierlichen Pilaster an der Fassade von S. b Sepolcro das Datum 1505. — Im Dom: die Marmorschranken der 4. Capelle rechts; dann unterhalb der Treppe gegen die südliche und die nördliche Seitenthür hin zwei Grabmäler, das eine (der Familie Carissimo) mit dem Namen des Sculptors Gio. Franc. da Grado be- zeichnet, beide von den schönern Arbeiten der reifern oberitalischen Renaissance, ohne Figürliches. Im rechten Querschiff das rothmar- morne Denkmal des Barthol. Montinus 1507. c Im Dom von Reggio nennt sich gleichzeitig (1508) der Gold- schmied Barthol. Spanus als Verfertiger eines einfachen bischöflichen Nischengrabes mit der guten Statue des (schlafend dargestellten) Ver- storbenen; Capelle links vom Chor. Anderes der Art dritte Ca- pelle rechts. In Ferrara , wo man von jeher dem Marmor weniger entfrem- det war, steht die Bildung der Arabeske durchschnittlich etwas höher als in Bologna. Man lernt sie z. B. auf eine sonderbare Weise ken- nen an den Eckbekleidungen mehrerer sonst ganz schlichten Paläste, einer Art Programme einer künftigen durchgängigen Marmorbeklei- d dung, zu welcher dann Zeit und Mittel fehlten. Die schönsten an Pal. de’ Leoni, der auch eine vorzügliche Thür aufweist (S. 212, e). — Die e Pfeilerbasen in der Carthause S. Cristoforo haben ebenfalls sehr schöne Arabesken, wobei man sogar den Namen Sansovino’s zu nennen wagt. f In Modena ergiebt der Dom ausser einem guten Nischengrab (Molza, Capelle links vom Chor) ein paar merkwürdige grosse Altar- nischen in beiden Seitenschiffen. Die schönste die des ersten Altares rechts, deren Füllungen von Dosso Dossi ausgemalt sein sollen. Parma. Ferrara. Venedig. Venedig besitzt einen ungemeinen, aber einseitigen Reichthum an Ornamenten dieses Styles. Zwar liess es der gediegene Pracht- sinn an weissem und farbigem Marmor, an Stoffaufwand aller Art nicht fehlen, sodass die äussere Aufforderung, schön zu bilden, so stark war als in Florenz und Rom. Allein sei es die grössere Ent- fernung von den römischen Alterthümern, sei es das Bewusstsein, dass der Besteller doch nur Pracht und Glanz zu würdigen verstehe — das Ornament kömmt nur in einzelnen Richtungen zu wahrhaft hoher Blüthe. Ihm fehlte auch die rechte Pflegemutter: die strengere Architektur, welche den Sinn für Verhältnisse im Grossen wie im Kleinen wach gehalten hätte. Man muss hier das Ornament weniger an einzelnen Prachtarbei- ten, an Gräbern und Altären aufsuchen; die vornehmern Gräber gehen nämlich schon frühe über die blosse Nischenform hinaus und werden grosse, ausgedehnte, selbst triumphbogenartige Wandarchitekturen mit Säulenstellungen und Statuen, neben welchen die Arabeske nur gleich- sam in den Kauf gegeben wird; auch die Altäre nehmen eine mehr umständliche architektonische Bildung an. Während aber so die Zier- denkmäler zu Bauten werden, bleibt gerade die eigentliche Architektur, wie wir sahen, in ihrem Wesen decorativ, und so findet sich das Wich- tigste von Arabesken hauptsächlich an der Aussenseite der Gebäude. Der aufmerksame Beobachter wird bald bemerken, dass die bloss vegetabilischen, hauptsächlich für Friese passenden Arabesken im Schwung der Zeichnung und in der zugleich zarten und kühnen Re- liefbehandlung den grossen Vorzug haben vor den mehr figürlichen, einen aufwärts strebenden Stamm umspielenden, welche anderweitig die Hauptverzierung der Pilaster sind. Es scheint, als hätte die Schule der Lombardi diess gefühlt; sie gab wenigstens auch den Pilastern sehr oft blosses Rankenwerk, ohne jene Schilde, Vasen, Greifen, Harpyjen, Täfelchen, Putten u. s. w. Später, zu Anfang des XVI. Jahrhunderts, folgen dann auch treffliche Pilasterbekleidungen der letztern Art, allein nur um bald einer öden Manier Platz zu machen. Im Ganzen ist man sich nur wenig klar darüber, dass tra- gende Glieder anders decorirt werden müssten als getragene. Unter den bessern, an Gebäuden vorkommenden Arabesken sind etwa beispielshalber folgende zu bezeichnen. Renaissance-Decoration. Stein und Metall. a Die Portalpilaster an S. Zaccaria. — In S. Maria de’ miracoli b hauptsächlich die Arabesken an der Balustrade über den Chorstufen, an den Basen der Chorpilaster (mit Sirenen und Putten hübsch figu- rirt) und am Gesanglettner; die Friese der Chorschranken; die Pilaster der Thüren; das Übrige hat an sich nur mittlern Werth, hilft aber mit zum Eindruck eines in seiner Art einzigen Reichthums. — An der c Scuola di S. Marco alle horizontalen und bogenförmigen Bauglieder mit dem schönsten Rankenwerk, auch die (zum Theil restaurirten) durchbrochenen Zierrathen und die Akroterien vorzüglich; die meisten d Pilaster kaum mittelmässig. — Am Vorhof von S. Giovanni Ev. das e Wenige sehr schön. — Am Hinterbau des Dogenpalastes (von Bregno und Scarpagnino ) das Beste wohl die Arabeskenflächen im zweit- obersten Stockwerk, die Pfeiler über der Riesentreppe und wahr- scheinlich auch viele Fensterpilaster; wenigstens sind diejenigen an der Canalseite, welche man in der Sala dello Scudo und in der Sala de’ Rilievi genau betrachten kann, die bestornamentirten in Venedig, von einem fast reinen Gleichgewicht des Ornamentalen und Figürlichen. f — An der Scuola di S. Rocco ist das reiche Ornament durchgängig g unrein, zumal an der Treppe. — Eine schöne Thür ist aussen am h Gebäude der Academie (Westseite) eingemauert. — An S. Michele: die Pilaster der Pforte, die Basen der Chorpilaster, u. A. m. Als nicht sehr frühe und doch noch ganz primitive Renaissance i ist die marmorne Choreinfassung in den Frari (1475) geschichtlich bemerkenswerth. In der Decoration und im Entwurf einzelner Denkmäler ist offenbar Alessandro Leopardo der erste und der allein mit den k Florentinern vergleichbare. Seine Basis der Reiterstatue des Feld- herrn Coleoni bei S. Giovanni e Paolo, datirt 1495, ist mit bewun- dernswerthem Takt componirt; leicht und schlank, mit sechs vorge- lehnten Säulen, mit schönfigurirtem Fries und Sockel, hebt sie das ihr anvertraute, nichts weniger als colossale Bildwerk ausserordent- lich, ohne doch durch allzugrosse eigene Ansprüche den Blick zu zer- l streuen. Weltberühmt sind dann Leopardo’s drei eherne candelaber- artige Fussgestelle für die Flaggenmaste auf dem Marcusplatz, ebenfalls von glücklicher Composition und vortrefflichem Styl des Einzelnen. m (Bei den Ornamenten der Capella Zeno in S. Marco möchten andere Venedig. Hände gewaltet haben, ausgenommen etwa an der Basis der Madonna, welche Leopardo’s nicht unwürdig wäre.) Für alles Übrige werden bestimmte Namen überhaupt nicht oder doch ohne genügende Sicherheit genannt, bis mit Guglielmo Ber- gamasco und J. Sansovino eine näher documentirte Reihe — freilich von geringerm ornamentalem Interesse — beginnt. Im Dogenpalast enthalten die Sala de’ Busti und die Camera a a letto noch prächtige Marmorkamine aus der Schule der Lombardi; über gewundenen Säulchen und herrlichen Consolen etwas zu schwere Friese (sogar ein doppelter) und neuere Aufsätze. Die Brunnen gaben in Venedig als blosse Cisternenmündungen kein geeignetes Motiv zu besonderm Schmucke her; doch musste den beiden im Hof des Marcuspalastes eine Gestalt verliehen werden, die b mit der Umgebung in Harmonie stand, was allerdings erst zur Zeit der beginnenden Barockformen (1556 und 1559, durch Conti und Alberghetti ) geschah. Der eine ist ein vorzügliches Denkmal phantastisch reicher Decoration in der Art des Benvenuto Cellini, mit glücklicher Mischung des Zierrathes und des Figürlichen. — Von Sa- cristeibrunnen hat derjenige bei den Frari einen guten Marmorfries. c — Ein ganz einfacher und sehr guter ist in der Hofhalle der Academie eingemauert. Von Altären sind die beiden des Pietro Lombardo im Quer- d schiff von S. Marco decorativ wohl die zierlichsten. An Grabmälern hat wohl etwa der Sarcophag eine gute Rankenverzierung (Grab Soriano in S. Stefano, links vom Portal, e u. a. m.), dagegen sind die Arabesken der baulichen Einfassung, wie bemerkt, selten mehr als mittelmässig. Die Einfassung selbst ist als grosses Gerüst in der Frührenaissance meist sehr gut gedacht; ja man könnte Denkmäler wie die Dogengräber im Chor von S. Gio- f vanni e Paolo (Vendramin 1478, von Aless. Leopardo ) und von S. Maria de’ Frari (Denkmal Tron 1472, von den Bregni ) harmo- g nischer finden als die Kirchenfassaden desselben Styles, zu welchen die organisirende Kraft nicht ausreichte; die genannten Gräber sind überdiess auch im Ornament gut. — Aber mit dem XVI. Jahrhundert wird dieses Gerüst auffallend einfacher, grösser und derber, mit vor- tretenden Säulen, Simsen und Giebeln; die Einzeldecoration muss Renaissance-Decoration. Stein und Metall. weichen, um den Statuen das fast alleinige Vorrecht zu lassen. Ebenso ergeht es den Altären, Emporen u. s. w. Guglielmo Bergamasco hat a z. B. in S. Salvatore den Hochaltar und den zweiten Altar links, Jac. Sansovino ebenda das Dogengrab Venier und den Orgellettner in die- ser Weise gestaltet; viel einfacher und ärmer im Detail als seine Biblioteca ist. — Ein schönes Grabmal, bloss Sarcophag mit Büste b und Untersatz, in S. Stefano (Capelle links vom Chor), dem Sanmicheli zugeschrieben, sucht Reichthum und strengern Classicismus zu vereini- gen. Man mag es vergleichen mit seinen veronesischen Monumenten, c z. B. dem an der Aussenmauer von S. Eufemia. — Von verzierten d Grabplatten eine Anzahl z. B. im Chorumgang von S. Zaccaria. Für die bronzenen Leuchter gab der berühmte des Andrea Riccio im Chor des Santo zu Padua das verlockende Beispiel eines endlos reichen Schmuckes. Die beste spätere Arbeit ist der Leuchter e neben dem Hochaltar der Salute, von Andrea d’Alessandro Bresciano, mit nicht weniger als sechs Ordnungen von allerdings hübschen Fi- gürchen, von den Sphinxen der Basis an gezählt. — Ein Werk der- selben Hand sind wahrscheinlich auch die sechs Leuchter auf dem Altar. f Von geringerm Werth und schon vorherrschend barock: die Leuch- ter in S. Stefano (Capelle rechts vom Chor, aus den Jahren 1577 und g 1617); diejenigen in S. Giovanni e Paolo (Capelle del Rosario), wel- h chen auch die silbernen Leuchter in der Capelle des heil. Antonius im Santo zu Padua nur zu ähnlich sind u. s. w. In Padua enthält die Kirche il Santo billig das Prächtigste. i Gleich beim Eintritt bemerkt man zwei schöne Weihbecken, das eine mit einer guten gleichzeitigen Statuette des Täufers, das andere mit derjenigen Christi, welche später von Tiziano Aspetti gearbeitet ist. Dann folgt im linken Seitenschiff das pomphafte Grabmal des Antonius k de Roycellis († 1466), von florentinischer Ordnung. Der ganze Chor ist mit reichen Marmorwänden umgeben, deren Ornament freilich nicht zum besten gehört; er enthält dann, links neben dem Altar, eines der berühmtesten Decorationsstücke der ganzen Renaissance: den grossen l ehernen Candelaber des Andrea Riccio (1507). Padua. Dieses Werk resumirt das ganze ornamentale Wissen und Können der damaligen Paduaner; an Fleiss, Gediegenheit, Detailgeschmack hat es kaum seines Gleichen. Allein es ist des Guten zu viel; die Gliederung hat wohl doppelt so viele Absätze oder Stockwerke als ein antiker Leuchter bei gleicher Grösse haben würde, und diese ein- zelnen Abtheilungen sind untereinander zu gleichartig im Massstab. Verbunden mit der dunkeln Farbe wird dies doppelt fühlbar. Man sehe den Candelaber aus einer Entfernung von zehn Schritten an und denke sich z. B. den gleich grossen vaticanischen daneben, beide als Silhouetten wirkend Sonst ist wohl das Grabmal Turriani in S. Fermo zu Verona (Capelle neben * dem linken Querschiff) ganz von Riccio; die bronzenen Reliefs rings um den Sarcophag sind in Paris geblieben und schmücken jetzt die Thür der Salle des Cariatides im Louvre; das Decorative — eine untere bauchige Säulchen- stellung, drüber eherne Sphinxe, welche den Sarcophag tragen — ist zwar sorgfältig und zierlich, aber im Ganzen zu möbelhaft gedacht für ein Grabmal. . Ausserdem ist die Capella del Santo nichts als Ein Prachtstück a von Renaissance. Ich sehe nicht ein, warum man dieses Werk dem J. Sansovino zuschreibt, während sich Matteo und Tommaso Garvi an dem Eckpilaster rechts ausdrücklich nennen Die Inschrift ist wohl so zu lesen: Matthæus et Thomas sculptores et archi- tecti fratres Garvi de Allio Mediolanensi faciebant. Am Pilaster links steht allerdings der Name des Girol. Pironi, aber nur an dem Nebenstreifen. . Ausser der Architektur und der glänzenden, aber nicht ganz reinen Decoration fast sämmtlicher Bauglieder gehört ihnen wahrscheinlich auch ein grosser Theil des plastischen Einzelschmuckes an; so die (allzu) reiche Figurirung der äussern Eckpilaster, deren Styl kenntlich die Schule des Leopardo verräth; die Propheten in den Bogenfüllungen nach innen und nach aussen; die Putten an den innern und äussern Frie- sen; vielleicht sogar die fünf Heiligenstatuen auf der obern Brüstung. Wenn aber etwas Decoratives dem Jac. Sansovino bleiben soll, so sind es am ehesten die herrlichen von Tiziano Minio ans geführten Ara- besken der gewölbten Decke. Wem die Reliefhalbfiguren der Apo- stel in den Lunetten derselben zugeschrieben werden müssen, mag dahin gestellt bleiben. Renaissance-Decoration. Stein und Metall. Vicenza ist besonders reich an grossen und prächtigen Ein- rahmungen der Altarbilder durch Architekturen in Marmor oder Terracotta. Da man hier und in Verona zur gothischen Zeit und auch noch später den Seitenschiffen der Kirchen keine Fenster oder nur ganz geringe runde Luken gab, so war ein genügender a Raum für solche Decorationen vorhanden. Zunächst enthält S. Lo- b renzo deren mehrere von Werthe; hauptsächlich aber S. Corona. Hier ist der fünfte Altar links eines der prachtvollsten Phantasiewerke, welche in dieser Gattung überhaupt vorhanden sind, und wenn nicht die Überfülle den lombardischen, die bunten Marmorscheiben der Pi- laster den venezianischen Charakter verriethen, so wäre er auch eines der schönsten. c In Verona enthält S. Fermo mehrere gute, darunter eine Nach- d ahmung des Arco de’ Gavi (Seite 36). — Im Dom sind diese Taber- nakel merkwürdiger Weise oben spitzbogig geschlossen, wahrschein- lich um mit dem Bau in einiger Harmonie zu bleiben; übrigens meist gering, mit Ausnahme desjenigen über dem Grab der heil. Agatha (Schluss des rechten Seitenschiffes) vom Jahr 1508, welcher in den Ara- besken seiner äussern Pilaster das Höchste an Delicatesse, Schwung und Reichthum erreicht, aber in Verbindung mit derselben Überfülle, welche so manche lombardische Decoration verderbt. (Das Figürliche e überdiess nicht vom Besten.) — In S. Anastasia eine Reihe der reich- sten und grössten; die innere Pilasterordnung durchgängig mit stren- gern Arabesken in dunkelm Stein, die grössere äussere Ordnung mit dem reichsten Rankenwerk in hellerm Marmor; einer der Besten der dritte rechts; in anderer Weise architektonisch bedeutend derjenige des rechten Querschiffes; zweie links (der erste und vierte) werden bei Anlass der Sculptur vorkommen. f In Bergamo kann die Fassade der Capelle Coleoni an S. Ma- ria maggiore (Seite 226, e) beinahe eher für ein grosses Decorations- stück als für ein Bauwerk gelten. Es giebt reicher verzierte Fassa- den, wie z. B. diejenige der Certosa von Pavia, bei welchen gleichwohl Herzogthum Mailand. die Architektur viel mehr ihr Recht behauptet, als an diesem bunten, graziösen und kindlich spielenden Zierbau. Am Dom von Como sind die Tabernakel der Denkmäler der a beiden Plinius (das eine datirt 1498) decorativ merkwürdig, weniger wegen der barock-reichen Candelabersäulen, als wegen der Consolen mit den magern nackten Tragfiguren, welche offenbar den Schlussstei- nen römischer Triumphbogen nachgebildet sind. Die Thür des nörd- lichen Seitenschiffes, zum Theil von dem Architekten Tommaso Rodari, aber aus dessen früherer Zeit, ist auf das Reichste überladen in der lombardischen Art jener Epoche. Vielleicht von derselben Hand wie die Pliniusdenkmäler ist dann der überaus prächtige Schnitzaltar (der zweite rechts) im Innern, von welchem ein Mehreres bei Anlass der Sculptur; das Decorative ist als Ganzes nicht gut und im Detail nir- gends rein, obwohl nicht geistlos; die Candelabersäulchen zu zart für die vortretenden Gesimse. An der Cathedrale von Lugano sind die Arabeskenpfosten der b drei Hauptpforten zwar, zumal im Verhältniss zu ihrer baulichen Func- tion betrachtet, sehr überfüllt, auch zum Theil nicht mehr rein in der Composition, aber von der elegantesten vegetabilischen Arbeit, schwung- voll und stark unterhöhlt. Von der Certosa von Pavia wurde das Wenige, was wir nach alternden Erinnerungen und nach Abbildungen vorbringen durften, bei Anlass der Architektur (Seite 201, b) gesagt. Das im Querbau befind- liche, sehr prächtige Grabmal des Giangaleazzo Visconti wurde 1490 c von einem gewissen Galeazzo Pellegrini entworfen, der sonach der Urheber des Decorativen sein möchte; an den plastischen Theilen wurde bis 1562 von sehr verschiedenen Händen gearbeitet. Von Marmor und Erz wenden wir uns zu der Decoration in Holz , welche in der Renaissance eine so bedeutende Stelle einnimmt. Die mittelalterliche Kirchendecoration hatte ein Princip, welchem sie aus allen Kräften nachlebte: die Zubauten, wodurch sie die Har- B. Cicerone. 17 Renaissance-Decoration in Holz. monie des gothischen Gesammtbaues stören musste, so reich und pracht- voll als möglich zu gestalten; gleichsam zur Entschuldigung und zum Ersatz für den unterbrochenen Rhythmus des Ganzen. Daher wirken noch so manche Wendeltreppen, Lettner, Balustraden etc. im Innern der Kirchen als Prachtstücke ersten Ranges; namentlich aber wurde das Stuhlwerk im Innern des Chores mit stets neuem Raffinement in den reichsten gothischen Zierformen und mit einem oft werthvollen figürlichen Schmuck ausgearbeitet. Italien besitzt nun zwar aus seiner gothischen Kunstperiode keine Chorstühle wie die des Ulmer Mün- a sters; diejenigen der Oberkirche von S. Francesco zu Assisi würden z. B. in Deutschland geringe Figur machen; ebenso die ältern Theile derjenigen im Dom von Siena, das Stuhlwerk in S. Agostino zu Lucca, in S. Domenico zu Ferrara (1384), in den Servi zu Bologna (1390), b in S. Zeno zu Verona, selbst dasjenige im Dom von Reggio. (Am c ehesten behaupten noch die Chorstühle im Dom von Orvieto einen unabhängigen Werth, weniger wegen des Architektonischen, als wegen der eingelegten Ornamente und Halbfiguren des Pietro di Minella aus Siena um 1400). — Allein zur Zeit der Renaissance warf sich die Decoration mit einem Eifer gerade auf diese Gattung, welcher das Versäumte gewissermassen nachholte. Das Stuhlwerk und die Lese- pulte in einzelnen Kirchen und Capellen, auch wohl in weltlichen Ge- bäuden, sowie die Orgellettner und die Wandschränke in den Sacri- steien aus dieser Zeit, erreichen das Mögliche innerhalb der Grenzen dieser Gattung und einzelne davon werden auf immer als classische Muster dienen. Alle Luxusschreinerei unserer Tage pflegt dieselben — zugestandener Massen oder nicht — wenigstens theilweise nachzuah- men, wie der Blick auf die beliebtesten Prachtmöbel der Ausstellung von London beweist. Nur findet sie nicht immer nöthig, diesen Vor- bildern ausser dem Detail auch das Princip abzusehen, welches mit so grosser Sicherheit das Architektonische und das Decorative zu schei- den und zu verbinden wusste. Als Nebengattung der Architektur richtet sich diese Holzschnitzerei natürlich nach den persönlichen und Schuleinflüssen derselben: den- noch stellen wir hier der Übersicht zu Liebe die wichtigern Werke der ganzen Gattung nach den wenigen Städten zusammen, welche der Verfasser daraufhin hat durchforschen können. — Sie besteht, wenn Die Urheber. man das rein Architektonische, die Stützen, Gesimse u. s. w. abrech- net, aus zwei Darstellungsweisen: dem ausgeschnitzten Relief (vom flachen bis zum stark vortretenden und unterhöhlten) und der glatten eingelegten Arbeit (Intarsia, Marketterie), welche sowohl jede aus- schliesslich, als auch beide gemischt angewandt wurden. Zu figür- licher Darstellung wurde mit Vorliebe (doch nicht allein) die Intarsia gebraucht. Stellenweise Vergoldungen kommen je später, desto häu- figer vor. Den meist lombardischen Klosterbrüdern und Handwerkern, welche als Urheber dieser zum Theil so wunderschönen Arbeiten genannt werden, will man bisweilen deren Erfindung nicht recht zutrauen; Manche glauben dem Werk eine Ehre anzuthun durch die Annahme, dasselbe sei „nach der Zeichnung Rafaels etc.“ ausgeführt. Dies ist derselbe Irrthum, der bei der Beurtheilung der griechischen Vasen, der pompejanischen Malereien und bei so vielen andern Punkten der vergangenen Kunst sich geltend macht; man unterschätzt das Kunst- vermögen, welches in gesundern Zeiten über das ganze Volk verbreitet war. In einzelnen Fällen soll jedoch die Mitwirkung bedeutender Künstler nicht in Abrede gestellt werden. Die Holzschnitzerei hielt sich bis gegen die Mitte des XVI. Jahr- hunderts in ziemlich reinen Formen, empfand aber doch auf die Länge eine unvermeidliche Mitleidenschaft unter den grossen seitherigen Schick- salen der Architektur. Als diese offenkundig das Detail zu misshan- deln und den äusserlichen Effect zum höchsten Ziel zu machen anfing, da verfiel auch die Nebengattung ins Barocke und später, der Har- monie mit den Baulinien zu Gefallen, in das Glatte und Ärmliche. Doch giebt es noch aus dem XVII. Jahrhundert treffliche Arbeiten dieser Art und im XVIII. Jahrhundert flösste der Rococo dem Stuhl- und Schrankwerk bisweilen sein eigenthümliches neues Leben ein. In Florenz finden sich von dieser Gattung keineswegs die präch- tigsten Beispiele, aber dafür eine Reihe, welche die Stylübergänge klar macht und der Entwicklung der Architektur wahrnehmbar folgt. Laut Vasari hätte Brunellesco auch hier einen bestimmenden Ein- fluss ausgeübt. 17* Renaissance-Decoration in Holz. Zum Alterthümlichsten innerhalb der Renaissance, mit einzelnen noch gothischen Details gehört das schöne Stuhlwerk in der Capelle a des Pal. Riccardi und dasjenige im Chor von S. Miniato. — Auch die b einfache, mit einem englischen Gruss figurirte Intarsia-Thür der Sa- cristei in der Badia von Fiesole ist wohl noch aus der ersten Hälfte des XV. Jahrhunderts. Unter dem Einfluss Brunellesco’s und Dona- c tello’s entstand ohne Zweifel das Täfelwerk in der Sacristei von S. Lo- renzo; mit vortrefflicher einfacher Intarsia. Darauf folgte wohl zunächst die bedeutende und als Ganzes clas- sisch zu nennende Leistung der grossen Decoratoren Giuliano und d Benedetto da Majano : das Getäfel der Sagrestia nuova im Dom, mit Donatello’s Fries von festontragenden Putten (gegenwärtig grau bemalt). Einfache, das Innere der Wandschränke oder blosse Orna- mente darstellende Intarsia, von schlanken Pilastern unterbrochen, mit e mässigen Gesimsen. — Dem Benedetto allein wird die prächtige In- tarsia-Thür in der Sala de’ Gigli des Pal. Vecchio zugeschrieben, deren Marmoreinfassung von ihm ist. (Sie stellt u. a. die Gestalten Dante’s und Petrarca’s dar.) — Vom Ende des XV. Jahrhunderts f ist dann das herrliche Getäfel in der Sacristei von S. Croce, wel- ches als Einfassung für Giotto’s Bildercyclus vom Leben Christi und des heil. Franciscus gearbeitet wurde, der jetzt theils in der Acade- mie aufgestellt, theils im Auslande zerstreut ist. Nirgends mehr ist wohl die Intarsia mit so feinem Bewusstsein abgestuft, vom fast bloss kalligraphischen Band bis zum reichbewegten Hauptfries; das Relief beschränkt sich auf die Pilaster und die Hauptglieder des Gesimses. (Ebenda auch älteres und befangeneres Getäfel.) — Die Thür zur Sa- cristei und die zur nahen Capelle Medici — geschnitzte Rosetten mit Intarsiarahmen eingefasst — sowie die (der freien Luft wegen) ganz geschnitzte Thür der Capella de’ Pazzi im ersten Klosterhof könnten wohl von demselben Meister sein. — Noch sicherer liesse sich diess g vermuthen von dem einfach edeln Stuhlwerk im Chor der Badia, wo auch noch das (wohl einzige) Mittelpult aus dieser Zeit erhalten ist, sechseckig, drüber eine kurze decorirte Stütze, welche den (neuern) h Obertheil trägt. — Einfachere Thüren z. B. an S. Felice, am Pal. Guadagni etc. (Von Giul. und Antonio da S. Gallo sind keine sichern Schnitzarbeiten vorhanden.) Florenz. Die Rücken der Chorstühle in S. Maria novella, eine (frühe) Ar- a beit des Baccio d’Agnolo (s. unten) beschliessen das XV. Jahr- hundert in dieser Gattung glanzvoll, mit einer Reihenfolge der reinsten und vorzüglichsten Arabesken. (Auch die aufgesetzten Pilaster Intar- sia. — Die Stühle selbst später nach einer Zeichnung des Vasari er- neuert). — Jedenfalls erst XVI. Jahrhundert: der mit weiss und Gold b bemalte Orgellettner in S. M. Maddalena de’ Pazzi. — Aus der Mitte dieses Jahrhunderts stammt wohl die Thür, welche jetzt in den Uffi- c zien (Gang der toskanischen Sculptur) angebracht ist; lauter starkes, im neuen Sinn antikisirendes Reliefornament, aber noch von schöner Bildung Die Decoration der Bibl. Laurenziana siehe unten bei Anlass der Bauten Michel-Angelo’s. . — Noch das Stuhlwerk in der Hauptkirche der Certosa d und die vom Jahr 1590 datirte Thür offenbaren einen gewissen Wider- stand gegen den andringenden Barockstyl. — Von den Arbeiten des XVII. Jahrhunderts zeigen z. B. die Beichtstühle und Thüren in S. Mic- e chele e Gaetano diesen Styl zwar siegreich, aber besonders tüchtig und ernst gehandhabt. Ferner ist Florenz der classische Ort für Bilderrahmen ; hier erfährt man am vollständigsten, wie die grossen Maler (und auch die Bildhauer) des XV. Jahrhunderts ihre Werke eingefasst wissen wollen. Das Kunstwerk steht in einem mehr oder weniger architektonischen Sacellum von einer Staffel, zwei Pilastern und einem oft reich bekrön- ten Obergesimse, die Pilaster mit Reliefarabesken insgemein Gold auf Blau, das Gesimse mit ganz vergoldeten; bei Nischen für Sculpturen kommt noch sonstiger baulicher Schmuck hinzu. Der grösste Schatz dieser Art sind die Rahmen der meisten Altargemälde im Querschiff f und Hinterbau von S. Spirito; hier allein kann man inne werden, wesshalb ein Sandro, ein Filippino in glatten oder wenig verzierten goldenen Hohlrahmen keinen ganz vollständigen Eindruck macht, in- dem nur diese Prachteinfassung das überreiche Leben des Bildes schön ausklingen lässt Noch deutlicher wird ein ähnliches Verhältniss zugestanden in den Marmor- rahmen einiger altvenezianischen Altarbilder, wo der Rahmen die perspecti- visch berechnete Fortsetzung der im Bilde dargestellten Architektur ist; man sieht von der Nische hinter dem Marienthron her die beiden (gemalten) Bo- . Andere vorzügliche Rahmen u. a. in S. M. Mad- Renaissance-Decoration in Holz. a dalena de’ Pazzi. — Ein einfach schöner um die Nische eines von Lionardo del Tasso gearbeiteten S. Sebastian in S. Ambrogio (links). — Von Caroto , einem tüchtigen Decorator des XVI. Jahrhunderts, b die Nische um die Madonna des Alberto di Arnoldo im Bigallo. (Ar- chivraum.) — Wie oft und wie stark der kostbaren Holzschnitzerei durch Stucco nachgeholfen wurde, weiss ich allerdings nicht anzugeben. Endlich mögen hier einige geschnitzte Decken angeführt wer- den, in deren Pracht die Renaissance bisweilen keine Schranken kannte. Sie sind sämmtlich auf starkfarbig (mit Teppichen, Malereien etc.) de- corirte Wände berechnet und sehen, wo diess mangelt, um so schwerer aus, da die Vergoldung meist erblichen und das Holz stark nachge- c bräunt ist. Die reichste, noch aus dem XV. Jahrhundert, ist die der Sala de’ Gigli im Pal. vecchio (sechseckige Cassetten, ringsum ein Löwenfries); die der anstossenden Sala d’Udienza, von Marco del Tasso, scheint etwas neuer. Einfacher und leichter die Decken in d Privatgebäuden, z. B. im Pal. Guadagni (Vorsaal des ersten Stockes). Andere Decken florentinischer Künstler sind bei Anlass Roms zu er- wähnen. — Nach dem Entwurf Michelangelo’s soll dann die sehr e schöne Decke der Bibl. Laurenziana gearbeitet sein; sie hat viel grös- sere Eintheilungen und eine freiere vegetabilische Verzierung; unten wiederholt der Ziegelboden dieselbe Zeichnung. (Fantozzi schreibt auch die vergoldete Decke in der Kirche der Benedictinerinnen von S. Apollonia, Via S. Gallo N. 5747, dem M. Angelo zu; der Verfasser hat sie nicht gesehen.) Auf diesem Princip baute Segaloni weiter, f der 1625 die Decke der Badia entwarf, eines der trefflichsten Werke dieser Art, von glücklich gemischtem architektonischem und vegetabi- lischem Reichthum, freilich ohne alle organische Verbindung mit dem g Gebäude. — Die Decke der Annunziata, von Ciro Ferri, im späten und schon flauen Barockstyl. gen auf die beiden (gemeisselten) Pilaster zukommen. Der grosse Giov. * Bellini in S. Zaccaria zu Venedig ist ein sprechendes Beispiel, ebenso der- ** jenige in S. Giovanni e Paolo (erster Altar rechts). — Über die florentini- schen Rahmen ist eine Stelle bei Vasari (Leben des Fra Bartolommeo) be- lehrend. Pisa. Lucca. Siena. Pisa hat einige zwar späte, aber vorzügliche Arbeiten, zumal Intarsien aufzuweisen. Im Dom ist zunächst der Bischofsstuhl gegenüber der Kanzel 1536 a von Giov. Batt. Cervellesi (bei Vasari: Cervelliera) gearbeitet, ein Prachtstück der durch die Antike besonnen gewordenen Intarsia, das gerade in dieser Art seines Gleichen sucht. — Das Stuhlwerk im untern Theil des Chores ist etwas älter (angeblich von Giul. da Ma- jano) ebenfalls lauter reiche Intarsia, mit Propheten, baulichen An- sichten, Musikinstrumenten, Thieren u. s. w. Die plastisch trefflichen geschnitzten Ausläufe lassen auf den Meister des Stuhlwerkes der Badia in Florenz rathen. — Die beiden Throne über den Chorstufen stattlich im beginnenden Barockstyl um die Mitte des Jahrhunderts. Von geschnitzten Decken ist die sehr glänzende und noch streng eingetheilte des Domes vom Ende des XVI. Jahrhunderts. Ausge- arteter und schon mehr als ein freies Prachtstück behandelt: diejenige b von S. Stefano de’ Cavalieri (nach 1600). In Lucca : der Orgellettner rechts im Dom vom Jahr 1481, derb c geschnitzt; ausser der Holzfarbe Gold und Blau. (Allerlei neuere Zu- thaten.) Die drei vordern Thüren des Domes, die mittlere von grösster Vortrefflichkeit. (In der Sacristei fünf Intarsiatafeln.) Die Thür des erzbischöflichen Palastes, älter und einfacher. (Innen d eine treffliche Balkendecke auf geschnitzten Consolen.) Der Orgellettner links im Dom, gute Barockarbeit, von Sante e Landucci 1615. In Siena gehört das Stuhlwerk der obern Capelle des Palazzo f pubblico, von Domenico di Niccolò (1429), der frühsten Renais- sance an; die Intarsia an den Wänden stellt Figuren mit den Artikeln des christlichen Glaubens dar. (Die Orgeleinfassung später und sehr schön.) — Aus der Blüthezeit des Styles sind die Intarsien des Fra g Giov. da Verona (1503) zu erwähnen, welche, aus einer andern Kirche entlehnt, in die Rücklehnen der Stühle zu beiden Seiten der Chornische des Domes eingelassen sind; sie stellen theils heilige Ge- räthschaften und Symbole, theils Ansichten von Gebäuden und Gassen Renaissance-Decoration in Holz. a im Sinne jener Zeit dar. — Ganz einfach und schön das Stuhlwerk im Chor der Hospitalkirche della Scala, von Ventura di Giuliano. Vom allerreichsten und tüchtigsten beginnenden Barockstyl das in b dieser Art klassische Stuhlwerk in der Chornische des Domes, sammt Pult, 1569 von Bart. Negroni , genannt Riccio. Wenn auch Handwerker, sonst namenlos, in dieser Gattung bis- weilen das Herrlichste leisteten, schlossen sich doch berühmte Künst- ler nicht gegen die Übernahme von Zeichnungen ab. So hat Bal- dassare Peruzzi , der so manche kleine Kirche mit ein paar tausend Backsteinen zum Kunstwerk schuf, auch die Holzdecoration c nicht verschmäht. Von ihm ist der edelprächtige Orgellettner (rechts) in der genannten Kirche della Scala, auf den stolzen Consolen, ent- d worfen; in seinem Geist schufen die beiden Barili (1511) denjenigen im Dom über der Sacristeithür. Die schönste in Siena vorhandene Holzdecoration, freilich ganz e architektonisch gedacht, sind wohl die acht eichenen Pilaster aus dem Palazzo del Magnifico (um 1500), jetzt in der Academie (vierter Raum); Werke des Antonio Barile . Wenn die Arabesken, von Thierfüssen beginnend, ihre Gefässe, Genien, Pane, allegorische Fi- guren, Seepferde u. s. w., zu einem solchen Ganzen bildet wie hier, so vermisst man den weissen Marmor kaum. f In Perugia steht das Stuhlwerk und Pult des Cambio obenan; keine Behörde der Welt sitzt so schön wie die Herren Wechselrichter der Hauptstadt von Umbrien. Mitten im Reichthum der durchgebil- deten Renaissance (nach 1500) wird auf das Edelste das Mass beob- achtet und der Unterschied der profanen Bestimmung von der hei- g ligen festgehalten. — Zunächst folgt das berühmte Stuhlwerk im Chor von S. Pietro, vollendet von Stefano da Bergamo um 1535 (mit Ausnahme der vordern Zusätze mit dem Datum 1556 und der Chiffre S. D. A. S.). Der untere Theil der Sitzrücken Intarsia, das Übrige Relief, von grosser Pracht und sehr edelm Geschmack. Die Erfindung wird ohne irgend einen bündigen Grund beharrlich Rafael zugeschrie- ben, der doch in seiner letzten, höchstens dem Beginn dieses Werkes entsprechenden Zeit selbst die Decoration der vaticanischen Loggien Siena. Perugia. Rom. grossentheils seinen Schülern überlassen musste. Die einzelnen rafae- lischen Motive, als Mittelfiguren der Wandstücke (die Caritas und Fides aus der vaticanischen, damals noch in Perugia befindlichen Predella, der Christus aus Perugino’s und Rafaels Auferstehung im Vatican, selbst der Heliodor, u. A. m.) beweisen, als bunte Auswahl von Reminiscenzen, gerade gegen Rafaels Urheberschaft. — Von einem a gleichzeitigen, sehr tüchtigen Holzschnitzer die Chorstühle von S. Do- menico und vielleicht auch diejenigen von S. Agostino (für welche b man eben so willkürlich Perugino in Anspruch nimmt); an beiden Orten die Intarsia besser als das Relief. — (Die Chorstühle des Do- c mes glaube ich nach flüchtiger Erinnerung in dieselbe Zeit versetzen zu können.) — Der Übergang in das Barocke macht sich kenntlich an dem sehr zierlichen Stuhlwerk eines durch Gitter abgeschlossenen Raumes im Dom, rechts vom grossen Portal. — In allen bedeutendern Kirchen und Sacristeien der Stadt und Umgegend eine Menge Besseres und Geringeres dieser Art; zusammen ein vollständiger Cursus der Decoration in Holz. In Rom findet sich von dieser Art nur sehr Weniges, aber Be- deutendes aus der guten Zeit, nämlich die Thüren der Zimmer Rafaels d im Vatican, unter Leo X. geschnitzt von Giovanni Barile und mit Intarsia versehen von Fra Giov. da Verona . Es lässt sich denken, dass das Verhältniss der beiden Gattungen und die Grenze dessen, was sie neben den Fresken zu leisten hatten, bei dieser Auf- gabe besonders gründlich erwogen wurde. — Die Pforten in den Loggien u. a. a. O. im Vatican stammen meist erst aus spätern Pon- tificaten her. — Das Stuhlwerk in S. Eusebio soll eine gute Arbeit e vom Ende des XVI. Jahrhunderts sein. — Dasjenige der Capella del Coro in S. Peter erst aus der Barockzeit. Daneben besitzt Rom vielleicht die beiden edelsten Holzdecken der Renaissance. Die eine (von Giuliano da Majano ?) in S. f Marco, noch früh und bescheiden aus der Zeit Pauls II.; die andere, von Giuliano da San Gallo , in S. Maria maggiore, Stiftung g Alexanders VI., von dem schönsten und dabei weise gemässigten Reichthum goldener Zierrathen auf weissem Grund, den man sonst Renaissance-Decoration in Holz. nur zu selten angewandt findet. — In allen nicht gewölbten Kirchen wurden dann fortwährend stattliche und prächtige Decken angebracht, allein der Barockstyl verräth sich ausser dem Detail auch in der oft bizarren, der wirklichen (und vom Auge verlangten oder voraus- gesetzten) Balkenlage widersprechenden Eintheilung; die bunte Be- malung (ausser dem Gold mit Blau und Roth) vollendet den schweren Eindruck. a Meist um das Jahr 1600: die Decken in S. Maria in Trastevere, S. Crisogono, Araceli, Lateran, S. Cesareo, S. Martino a’ monti etc. Weit erquicklicher erscheinen die farblosen und auf die Holzfarbe b berechneten Decken, z. B. in S. Lorenzo fuori le mura (hinten), und c die sehr stattliche im grossen vordern Saal des Pal. Farnese. Neapel ist reich an stattlichem Stuhl- und Schrankwerk etc. aus der Barockzeit, besitzt aber doch auch Einiges aus der frühen und schönen Renaissance, sowohl Intarsia als Schnitzarbeit. Dahin d gehören die Chorstühle von Monte Oliveto, namentlich aber eine An- zahl von Thürflügeln, deren Behandlung für den Architekten wenigstens e nicht ohne Interesse ist. So diejenigen von Monte Oliveto, die Thür welche in S. Severino nach der Sacristei führt, die Thür an S. Arpino (Strada Trinità), die einfachern Pforten mehrerer Paläste (Colobrano- Carafa, della Pianura in einer Seitengasse rechts neben S. Paolo, f u. a. m.). Die Pforten der Crypta im Dom sind von Erz gegossen, wahrscheinlich nach Angabe des Architekten. Den Übergang in das Barocke bildet auch hier Giovanni da g Nola mit den ungemein reichen Sacristeischränken der Annunziata (um 1540). Das Schnitzwerk, welches die ganze Geschichte Christi darstellt, ist eine mühselige und styllose Zugabe zu dem schon sehr unreinen Ornament. h In der Provinz Salerno enthält die Carthause S. Lorenzo di Pa- dulla ein sehr umfangreiches Chorgestühl mit lauter biblischen Ge- schichten in Intarsia. (Mittheilung eines Freundes.) i In Genua ist das Stuhlwerk des Domchors eine sehr bedeutende Arbeit aus dem Anfang des XVI. Jahrhunderts, von dem Bergamasken Neapel. Genua. Oberitalien. Francesco Zabello , welchem wenigstens die ausgedehnten bibli- a schen Geschichten in den Intarsien der Rücklehnen zugeschrieben werden. Allein diese sind gerade der geringere Theil; eigenthümlich und reich belebt erscheint eher das Decorative, zumal das durch- brochene und figurirte Rankenwerk über den Lehnen, die Friese und runden Bedachungen. — In den meisten übrigen Kirchen Neueres und nicht von dem Belang, den man bei dem sonstigen Luxus er- warten würde. Bologna besitzt vor Allem die schönsten figurirten Intarsien von ganz Italien, in dem berühmten Stuhlwerk des Chores von S. Domenico, einer Arbeit des Dominicaners Fra Damiano da Ber- gamo (um 1530). Das Decorative tritt hier bei aller Gediegenheit doch weit zurück hinter dem unermesslichen Reichthum und der tüch- tigen Ausführung des Malerischen. Schon die oben herumlaufende Inschrift ist durchzogen und umspielt von hunderten von tanzenden und spielenden Putten. An den Stuhlrücken sind dann die Geschichten des alten und neuen Testamentes dargestellt, nicht Duzendarbeit, nicht Reminiscenzen, sondern lauter originelle Compositionen voll Geist und Leben. Die vermuthlich frühern erinnern mehr an die umbrische, die spätern mehr an die römische Schule. Die vordere Stuhlreihe (die im Jahr 1744 einer nothwendigen Restauration scheint unterlegen zu sein) enthielt vermuthlich in ihren kleinern Rückenfeldern die Ge- schichte des H. Dominicus, wenigstens sind in der Sacristei noch einige etwa daher gerettete Felder dieses Inhaltes, nebst einigen der grössern biblischen Reihe, in das Schrankgetäfel eingelassen. (Eben- falls mit Fra Damiano’s Namen.) Neben dieser unvergleichlichen Arbeit ist alles übrige Schnitz- werk Bologna’s untergeordneter Art. Doch mag man im Palazzo b apostolico (Vorsaal des zweiten Stockwerkes) die Thür mit Relief- ornamenten nicht übersehen, welche u. a. das stets schönheitverkün- dende Wappen Papst Julius II. enthalten. Aus derselben Zeit möchte c das einfach gute Stuhlwerk der Misericordia herrühren. — In S. Pe- d tronio ist das sehr ausgedehnte des Chores von unbedeutender Bildung; dagegen enthält die achte Capelle rechts Stücke des alten Stuhlwerkes Renaissance-Decoration in Holz. aus S. Michele in Bosco, von dem Olivetanermönch Fra Raffaele da Brescia , mit guten Reliefpilastern und Intarsien perspectivischen a Inhalts; in der fünften Capelle links sind die Intarsiaornamente des Stuhlwerkes (von Giacomo de Marchis und seinen Brüdern, 1495) b sogar von florentinisch schöner Bildung. — In S. Michele in Bosco: die beiden Beichtstühle rechts, wohl des Fra Damiano würdig. — In c S. giovanni in Monte erscheint das Stuhlwerk des Paolo Sacca (1523), eine saubere und tüchtige Arbeit, technisch wie eine Vorstufe des Letztern (die Intarsien bloss Bau- und Schrankansichten). — We- d niger bedeutend: das Stuhlwerk der Certosa, theils vom Jahr 1539, theils (nachgeahmt) 1611. Die sehr zahlreichen Bilderrahmen aus der Werkstatt des Formigine können mit dem schönen Styl der oben genannten flo- rentinischen keinen Vergleich aushalten. Überhaupt steht in Bologna die Reliefschnitzerei durchgängig tiefer als die eingelegte Arbeit. e In Parma hat der Dom ein noch halbgothisches Stuhlwerk vom Jahr 1473, bezeichnet: Cristoforo Lendenari . Dieser harmlose Meister fand einen Verehrer und Nachahmer („cultor“) in Lucchino Bianco von Parma, welcher das Getäfel der Sacristei, wenigstens einen Theil desselben, schnitzte. (Meist Intarsia.) — Weit das Präch- f tigste aber sind die Chorstühle von S. Giovanni, als deren Verfertiger Zucchi und Testa genannt werden. In der Anordnung halbrunder Muscheln oben, in der Behandlung der Reliefarabesken, in den zu Drachen belebten und durchbrochenen Seitenstützen haben diese vor- züglichen Arbeiten etwas mit dem Gestühl in Genua gemein, in den höchst saubern Intarsien der Rücklehnen, welche lauter bauliche An- sichten von originellster Renaissance darstellen, sind sie von einzigem Werthe. (Vgl. S. 173.) g Im Battistero: Stuhlwerk von ähnlichem Styl und wohl von den- selben Händen wie in S. Giovanni. h Gute Rahmen dieses Styles: um das Altarbild im Battistero, um die Bilder in der ersten und zweiten Capelle rechts in S. Gio- vanni. Wie die Schule Corregio’s einrahmte, zeigt z. B. das erste Parma etc. Venedig. Bild rechts in S. Sepolcro (eine heil. Familie von Girolamo Mazzola,) a wo sich auch eine der stattlichsten Barockdecken mit herabhängendem Zapfenwerk und gewaltigen Consolen befindet. Von Thüren ist die mittlere des Domes vorzüglich schön, auch b die zu beiden Seiten und die etwas strengern des Battistero (in alter Form erneuert). In Modena enthält der Domchor ein Stuhlwerk, welches dem c des Domes von Parma ähnlich und von demselben Lendenari 1465 gefertigt ist. Das umfangreiche Stuhlwerk im Dom von Ferrara (1498—1525) d ist in der Decoration flüchtig neben den bessern bolognesischen Ar- beiten; die Intarsien überdiess sehr verdorben. — Ein ähnliches Stuhl- werk in S. Andrea daselbst. In dem reichen Venedig , das die Bergamasken so nahe unter der Hand hatte, ist die in Rede stehende Gattung lange nicht so ver- treten, wie man erwarten sollte. Die Prachtliebe selbst verhinderte zum Theil das Aufkommen der Holzschnitzerei: statt manches Ge- täfels findet man eine Bekleidung mit kostbaren Marmorarten. Die Chorstühle der Kirchen aber sind grossentheils neuer. Nicht sehr alt, aber doch noch halbgothisch sind diejenigen in e den Frari, 1468 von Marco da Vicenza geschnitzt; mit keckem durchbrochenem Laubwerk, hohen geschwungenen Giebeln und Spitz- thürmchen. Die Relief-Halbfiguren der Rücklehnen sind bedeutender als die darunter befindlichen Intarsien (bauliche Ansichten u. dgl.). — Ganz in derselben Art, nur einfacher: das Stuhlwerk in einer f grossen Nebencapelle rechts an S. Zaccaria; dasjenige im Chor von S. Stefano. Es folgt das Getäfel und Schrankwerk hinten in der Sacristei von g S. Marco, seit 1520 verfertigt von Antonio und Paolo da Man- tova, Vincenzo da Verona u. A., mit guten geschnitzten Ein- fassungen und grossen Intarsien; diese stellen unten das Innere der Schränke dar, oben Stadtansichten, die mit den Wunderthaten des S. Marcus staffirt sind, gute Compositionen in sorgfältiger Ausführung, doch mit Fra Damiano’s Stuhlwerk nicht zu vergleichen. — Schöne Renaissance-Decoration in Holz. a Intarsiaarabesken der guten Zeit sieht man an dem Getäfel im Chor der Kirche (gegen das Schiff zu). Mit dem Beginn der Barockzeit fanden reiche, geschnitzte Histo- rien oder Brustbilder, begleitet von buntquellendem Ornament hier einen ausgesprochenen Vorzug. Dieser Art ist das Stuhlwerk des b Niederländers „Alberto di Brule“ im Chor von S. Giorgio maggiore, das noch spätere Wandgetäfel in der Cap. del rosario und im linken Seitenschiff von S. Giovanni e Paolo, dasjenige in den obern Sälen der Scuola di S. Rocco, im Chor des Carmine etc. Bei grossem Luxus und einer oft raffinirten Behandlung des Figürlichen ist das Decorative doch ohne rechte Freudigkeit, als wäre es nur eine Ne- bensache. Dafür sind in Venedig noch eine Anzahl geschnitzter Decken der Frührenaissance vorhanden, dergleichen man vielleicht sonst nir- gends beisammen findet. Da es sich nicht um heilige, sondern um Palasträume u. dgl. handelte, so durfte auch die Decoration hier we- niger ernst architektonisch, mehr reich und spielend verfahren. Daher überwiegt nicht die Balkenlage und Einrahmung, sondern der Zier- rath; nicht die Cassette, sondern die Rosette, als Schild, Blume etc. mit der grössten Pracht — in der Regel gold auf blau — stylisirt. c Zwei dergleichen finden sich in den vom Brand des Jahres 1574 un- berührt gebliebenen Zimmern des Dogenpalastes (Sala de’ Busti und Camera a letto, beide zur jetzigen Antikensammlung gehörend); ein d sehr reicher, mit figurirten Mittelfeldern, und ein ganz vergoldeter mit Cherubim in der Academie (Räume des alten Klosters der Carità). — e Von Kirchendecken dieses Styles ist die (beträchtlich erneuerte) in S. Michele erhalten, mit quadratischen Cassetten. Ein schönes Stück einer Holzwölbung in S. Giacomo dall’ Orio (rechtes Querschiff). Von Gemälderahmen ist wohl nach den noch gothischen der f muranesischen Altarbilder (Academie, zweite Nebencapelle rechts an S. Zaccaria, sowie Pinacoteca zu Bologna) als einer der schönsten der g ganzen Renaissance derjenige zu nennen, welcher das Bild Giov. Bel- lini’s in der Sacristei der Frari umgiebt (1488); oben Sirenen und Candelaber. Andere geringere: zweite Capelle links vom Chor, um den Johannes Donatello’s; dritte Capelle links vom Chor, um das Bild des Basaiti. Venedig. Padua. Verona. Über die Marmorrahmen mancher venezianischen Altarbilder vgl. S. 261, Anm. 2. Ihre Arabesken sind nirgends von besonderm Werth. In Padua ist das höchst prachtvolle Stuhlwerk im Chor von S. a Giustina, mit zahllosen Historien, erst aus der beginnenden Barock- zeit; dasjenige in der nahen Capella S. Prosdocimo (Capitelhaus) da- gegen von früher Renaissance mit guten Intarsien (Ansichten u. dgl.). Der Rahmen um das Bild Rumanino’s ist dieses schönsten Gemäldes von Padua nicht unwürdig. — Sehr grosse Intarsiatafeln mit Figuren b findet man in der Sacristei des Santo. Von Holzdecken hat diejenige im Obergeschoss der Scuola del c Santo gemalte Cassettirungen der guten Zeit. Mit Verona gelangen wir in die Gegenden, wo die grössten Virtuosen dieser Gattung heimisch waren. Einiges sehr Bedeutende haben sie auch an Ort und Stelle hinterlassen. Ein bescheidenes, aber graziöses Stuhlwerk der Frührenaissance findet sich hier im Chor von S. Anastasia, mit bloss decorativen In- d tarsien. — Allein dasselbe verschwindet neben den Arbeiten des in diesem Fach berühmten Fra Giovanni da Verona . In der Kirche seines Klosters, S. Maria in organo, ist von seiner Hand Man glaubt, auch der Thurm der Kirche sei nach Giovanni’s Entwurf gebaut. zunächst e der grosse hölzerne Candelaber (Capelle rechts vom Chor), von schön- stem Detailgeschmack, doch nicht ganz glücklich componirt; der Tem- pietto am obern Theil, mit den Statuetten auf Sphinxen und Harpyjen giebt einen unklaren Contour. Sodann das Stuhlwerk des Chores (1499), im Geschnitzten und Durchbrochenen wie in den Intarsien (welche oben Stadtansichten und Schrankbilder, unten Arabesken ent- halten) von gleichmässiger Schönheit und Gediegenheit ohne Raffine- ment; auch der Chorpult in echter Form erhalten. Ferner das Getäfel der linken Wand in der Sacristei, später, reicher, ja z. B. in den can- delaberähnlichen Wandsäulchen schon ziemlich überladen. — Neben diesen Arbeiten des Giovanni befinden sich andere Stücke, nämlich Renaissance-Decoration. Holz. Prachtgeräthe. a die Wandsitze vor dem Hochaltar und das Getäfel der rechten Wand in der Sacristei, welche in der Holzarbeit nur schlicht, aber durch die aufgemalten Landschaften des Caroto und Brusasorci merk- würdig sind. b In Brescia enthält der Chor von S. Francesco ein noch halb- gothisches Stuhlwerk, mit kalligraphisch zierlichen Intarsien, und einen der prachtvollsten Gemälderahmen des ganzen Styles. c In Bergamo endlich ist wenigstens ein Prachtstück und zwar des Fra Damiano selbst, erhalten: das hintere Stuhlwerk im Chor von S. Maria maggiore, mit den geistvollsten Intarsien, bestehend aus Puttenfriesen verschiedener Ordnung und sehr schönen historischen Mittelfeldern. — Das vordere Stuhlwerk desselben Chores, von den Brü- dern Belli , ist etwas älter; der ringsum gehende Aufsatz bildet eine leichte hölzerne Bogenhalle mit geschnitzten Akroterien (Meerwundern, Candelabern etc.). Die Intarsien der Sitzrücken, welche kirchliche Ge- räthe und Symbole zu Stillleben geordnet darstellen, könnten wiederum von Fra Damiano sein. Den Beschluss der plastischen Decoration machen die Schmuck- sachen, Gefässe und Prachtgeräthe hauptsächlich des XVI. Jahrhunderts, deren Styl wesentlich durch einen weltbekannten Künst- ler, den Florentiner Benvenuto Cellini (1500—1572) sein Ge- präge erhielt. Der einzige Ort, wo documentirte Sachen Benvenuto’s in einiger d Anzahl beisammen sind, der Tesoro des Pal. Pitti in Florenz, ist dem Verfasser unzugänglich geblieben. Indess ergiebt sich ein Bild des Styles aus den Vasen, Schalen u. a. Schmuckgegenständen, welche e (nebst Neuerem) in den Uffizien, Abtheilung der „Gemme“ aufgestellt f sind; Einiges findet sich auch in der Galerie des Pal. Pitti (Durch- g gang zu den hintern Zimmern); dann im Museum von Neapel (Abthei- lung der Terracotten, zweiter Saal), so wie zerstreut a. a. O. Manches von diesen Prachtgegenständen ist auch älter als Benvenuto oder sonst von seiner Art unabhängig. Styl des Benvenuto Cellini. Das gegebene Motiv war in der Regel: irgend ein kostbares Mi- neral, hauptsächlich Agate, Jaspen, Lapislazuli, auch wohl schöne Glasflüsse in mehr oder weniger freier, selbst phantastischer Form zum Gefässe zu bilden und mit Henkeln, Fuss, Rand, Deckelgriff etc. von Gold mit Email oder Edelsteinen zu versehen; oder man fasste eine Vase von Bergkrystall mit eingeschliffenen Ornamenten oder Ge- schichten auf dieselbe Weise ein; Seemuscheln u. dgl. erhielten meist einen geringern Schmuck. Ausserdem giebt es noch hie und da ganz metallene Goldschmiedearbeit mit Email und Edelsteinen aus die- ser Zeit. In dem vegetabilischen Ornament, in der Bildung der Arabeske darf man hier wohl nirgends mehr die unabhängige, elastische Schön- heit der frühern Renaissance suchen, allein innerhalb der Grenzen der Gattung hätte diese wohl überhaupt kaum eine Stelle gefunden. Das Wesentliche ist der vollkommene Einklang der reichen Formen und der Farben; der Gefässprofile und der Einfassungen und Zuthaten, der hier erreicht ist; allerdings scheinbar nur ein conventioneller Ein- klang, der aber gleichwohl classische Gültigkeit erlangt hat. Kostbare Steinarten, bei deren Bildung der Künstler schon auf die Form des eben vorhandenen Stückes Rücksicht nehmen, und die er zu irgend einem Phantasiemotiv verarbeiten musste, gestatteten in der goldenen Einfassung nichts streng Architektonisches, auch keinen zu grossen plastischen Reichthum, sondern verlangten gerade die delicaten Hen- kel, Ränder etc. von Gold und Email, welche wir hier sehen. Und zwar wechselt insgemein flacheres Email auf Gold mit Relieforna- menten rings um die Edelsteine. In den Farben ist mit feinstem Sinn das Richtige getroffen: zu Lapislazuli u. dgl. eine Einfassung von Gold und Perlen; zu rothbraunem Agat eine Einfassung von weissen Emailzierrathen und Diamanten auf schwarzem Grunde u. s. w. Eine Hauptconsequenz der freien Gefässform aber war die phantastische (und doch noch nicht fratzenhafte) Ausbildung einzelner Theile der Einfassung zu Masken, Nymphen, Drachen, Thierköpfen u. dgl., und hier scheint Benvenuto vorzüglich in seinem Elemente gewesen zu sein. Statt der reinen Arabeske gab er Leben und Beweglichkeit. Von den geschliffenen Crystallsachen ist einiges bloss ornamen- tistischer Art, wie z. B. die herrlich mit Gold und Roth emaillirte B. Cicerone. 18 Renaissance-Decoration. Styl des Benvenuto. a Deckelschale in den Uffizien (mit den verschlungenen Buchstaben H und D, Heinrich II. und Diane de Poitiers?), das Bedeutendste aber figurirt; so (ebenda) eine Art von Trajanssäule mit reicher Basis, zwei Schalen mit Nereidenzügen, eine Flasche mit Bacchanal, u. s. w. Ausserdem befindet sich hier ein berühmtes Denkmal: das Käst- chen Clemens VII mit den in den Crystall geschliffenen Passions- geschichten des Valerio Vicentino . Wie die Robbia, so ist Valerio durch seinen Stoff zu einer Einfachheit der Darstellung ge- nöthigt worden, deren Mangel die Reliefs der grössten Meister jener Zeit nur bedingt geniessbar macht. So glaubt man eines der reinsten Denkmäler damaliger Sculptur vor sich zu sehen; es fragt sich aber, ob Valerio im Marmor ebenso einfach und bedeutend geblieben wäre. Vielleicht dem hohen Werthe dieser Compositionen zu Liebe wurde die Einfassung des Kästchens eine nur schlicht architektonische. (Zu b vergleichen mit den Relieftäfelchen Verschiedener im ersten Zimmer der Bronzen, ebenda.) c Anders das farnesische Kästchen des Joannes de Bernardi im Museum von Neapel, an welchem die reiche, bewegte Metalleinfassung das Übergewicht hat über die Crystallschliffe (Jagden, Thaten des Hercules etc.). Als decoratives Ganzes einzig in seiner Art, ist es im Einzelnen bei trefflicher Arbeit doch minder erfreulich als das ebengenannte Da wir diesen Kleinsculptoren, welche zugleich Medailleurs waren, weder hier noch bei Anlass der Sculptur einen Abschnitt widmen können, so müssen wir auf die Lebensbeschreibung des Valerio Vicentino und der Übrigen bei Vasari, sowie auf die Anmerkungen der Herausgeber verweisen. . Leider ist von den erzgegossenen Prunkgegenständen, nach wel- chen Benvenuto’s Lebensbeschreibung die Lust rege macht, nichts Sicheres mehr erhalten * In der Bibliothek des Museums zu Neapel wird dem Benvenuto der Deckel ** eines Messbuches, in Mantua (Sacristei von S. Barbara) ein Becken, im Schatz von S. Peter zu Rom eine Reihe von Leuchtern zugeschrieben. — Unter den † Bronzen der Uffizien (I. Zimmer) ist nur „Helm und Schild Franz I.“ von ihm, und auch hier liessen sich Zweifel erheben. . — Die welche bald nach ihm kamen, erbten das feine Gleichgewicht seiner Behandlung nicht, wurden auch wohl Kostbare Stoffe. Majoliken. der sinnlosen spätmediceischen Liebhaberei für das Seltene und Schwie- rige unterthan. (Apostelstatuetten von kostbaren Steinen und Exvoto- a relief Cosimo’s II in den Uffizien.) — Von dieser Sinnesweise sonst kunstverdienter Regenten ist dann die florentinische Mosaiktechnik in „harten Steinen“ (pietre dure) ein unvergänglich zu nennendes Denk- mal. Wir dürfen die unglaublich kostspieligen Arbeiten dieser Fabrik aus dem XVII. und XVIII. Jahrhunderte übergehen, da der selbstän- dige und eigenthümliche künstlerische Zug darin ungemein schwach ist. Das beste sind vielleicht einzelne Tischplatten mit Ornamenten auf schwarzem Grunde; von Arbeiten grössern Massstabes nennen wir bei diesem Anlass die Reliefverzierungen von feinen Steinen in b der Madonnencapelle der Annunziata, die Wappen in dem grossen c Kuppelanbau von S. Lorenzo und das Chorgeländer im Dom von Pisa. d Das römische Mosaik, welches nicht auf dem principiellen Luxus harter Steine, sondern auf der mittelalterlichen Glaspaste beruhte und eine natürliche Fortsetzung des alten, nie ganz vergessenen Kirchen- mosaikes war, konnte denn auch bis auf unser Jahrhundert ganz andere Dienste leisten. Zur Zeit des Maratti, unter der Leitung des Cristofari, gab es die grössten modernen Altarbilder mit der Wirkung des Originals wieder. (Altäre von S. Peter.) Einen Übergang von der plastischen Decoration zur gemalten bil- den u. a. die sog. Majoliken , überhaupt die glasirten Geschirre des XVI. Jahrhunderts, in dessen zweiter Hälfte hauptsächlich zu Castel Durante im Herzogthum Urbino eine ganze Schule mit diesem Kunst- zweig beschäftigt war. — Der Verfasser kennt die wichtigste Samm- lung, die der Apotheke der Kirche von Loretto, nicht aus Anschauung; f eine Menge der besten Geschirre befinden sich ohnediess im Ausland (Sammlungen in Paris, Berlin etc.); in Italien bewahrt z. B. das Museum von Neapel (zweiter Saal der Terracotten), die Villa Albani g bei Rom (am Billardsaal) u. a. Sammlungen noch manches Gute. h Es sind fast die Farben der Robbia (S. 237), gelb, grün, blau, violett, auf welche sich die Majolikenmaler beschränkten; in diese trugen sie Geschichten und Ornamente über, erstere grossentheils nach Compositionen der römischen Schule, auch Rafaels selbst, wesshalb 18* Renaissance-Decoration. Majoliken. die Sage nicht ermangelt hat, sogar ihn persönlich zum Geschirrmaler zu machen. (Einer der Urbinaten dieses Kunstzweiges hiess überdiess Raffaele Ciarla, was Spätere unrichtig verstanden.) Auch Gio. Batt. Franco lieferte viele Zeichnungen. Unseres Erachtens ist indess das Ornament bei Weitem das Wichtigere, sowohl die kecke plastische Bildung des Gefässes selbst mit Thierfüssen, Fruchtschnüren, Muschel- profilen etc., als die aufgemalten Zierrathen. Für die letztern war die Beschränkung in den Farben offenbar eine jener wohlthätigen Schran- ken, welche das Entstehen eines festen und sichern Styles begünstigen. Das schon etwas vorgerückte XVI. Jahrhundert verräth sich allerdings in einzelnen barocken Formen, allein im Ganzen ist das Ornament doch vom besten dieser Zeit (namentlich wo es zart und dünn auf einem vorherrschenden weissen Grunde steht). Was giebt diesen einfachen Geschirren einen solchen Werth? unsere jetzige Fabrication liefert ja ihre Sachen viel sauberer und raffinirter. — Die Majoliken sind eben keine Fabricate, sondern Hand- arbeit, aus einer Zeit allverbreiteten Formgefühls; in jeder Scherbe lebt ein Funke persönlicher Theilnahme und Anstrengung. Sodann sind sie wirkliche Gefässe; das Schreibzeug (es giebt deren sehr schöne) will keinen Altar, die Butterbüchse kein Grabdenkmal vor- stellen. a Im Museum von Neapel (a. a. O.) ist auch noch das einfach prächtige Service des Cardinals Alessandro Farnese (blau mit auf- gemalten Goldornamenten) zu beachten. Von der gemalten Decoration endlich und von ihren wich- tigsten Leistungen muss hier in einigem Zusammenhang die Rede sein. (Der Verfasser bedauert, diesem Capitel aus Mangel an Kenntnissen bei weitem nicht die wünschbare Reichhaltigkeit geben zu können.) Die Gattung als solche ruht hauptsächlich auf den Schultern eini- ger grossen Historienmaler, deren Sache sie auch in Zukunft sein und immer wieder werden wird. Alle blossen Decoratoren, welches auch ihr Schick und ihre Keckheit sein möge, können sie auf die Länge Einfassungen von Fresken. nicht fördern, ja nicht einmal auf der Höhe halten; von Zeit zu Zeit muss der Historienmaler im Einklang mit dem Architekten die Rich- tung im Grossen angeben. Die Gattung ist entstanden als Einfas- sung um historische Fresken, als deren Begränzung im baulichen Raum. Schon die Malerei des XIV. Jahrhunderts hatte gerade diese Arabesken sehr schön in ihrer Art ausgebildet und mit Polygonen, Medaillons u. dgl. unterbrochen, aus welchen Halbfiguren (Propheten, Sibyllen u. dgl.) hervorschauen. Die meisten der unten zu nennenden Fresken dieser Zeit sind so umgeben. Das XV. Jahrhundert konnte eine solche Einfassung noch viel weniger entbehren; wie der Pracht- rahmen für das Tafelbild, so war die Wandarabeske für das Fresco nichts anderes als die nothwendige Form, in welcher der überreiche Lebensinhalt des Gemäldes harmonisch auszuklingen strebte. Ausser- dem aber wurde sie auch zur blossen Decoration von Bautheilen nicht selten angewandt. Sie will während des XV. Jahrh. meist noch die Architektur und Sculptur nachahmen; daher ihre Einfarbigkeit, grau in grau, braun in braun, u. s. w. etwa mit einzelnen aufgesetzten Goldverzierungen; auch wiederholt sie die uns vom Marmor her bekannten Motive, nur reicher und mit stärkerem Aufwand figürlicher Zuthaten. In letztern scheute man sich auch an der heiligsten Stätte nicht vor der antiken Mythologie. Wo der Raum es zuliess, wurden über Gesimsen und Postamenten noch allegorische Figuren, Putten u. dgl. meist in der- selben Farbe hingemalt. An den gewölbten Decken aber, und bald auch an den Wand- pfeilern etc. versuchte man gegen Ende des Jahrhunderts reichere Far- ben, z. B. Gold auf Blau, und colorirte endlich die einzelnen Gegen- stände theils nach dem Leben, theils conventionell. Einzelne Künstler setzten auch die Zierrathen plastisch, in Stucco auf. Bisweilen wird sogar die Wirkung der Fresken durch eine so reiche und bunte Ein- fassung beeinträchtigt. Abgesehen von den in den Bildern selbst und zwar sehr reich- lich (S. 172 etc.) dargestellten Architekturen giebt die Einfassung von Filippo Lippi’s Fresken im Dom von Prato eines der frühern Bei- a spiele der Gattung; ebenso die Einrahmungen des Benozzo Gozzoli b im Camposanto zu Pisa. Domenico Ghirlandajo ist hierin meist sehr Renaissance. Einfassungen von Fresken. a mässig, Filippino Lippi in den Fresken der Cap. Strozzi in S. Maria b novella zu Florenz und der Cap. Carafa in der Minerva zu Rom da- gegen schon viel reicher, und die peruginische Schule geht vollends oft über das Maass hinaus. Von Pinturicchio sind fast alle (un- ten zu nennenden) Fresken reich mit gemalten Pilastern, Gesimsen c u. s. w. verziert; die erste, dritte und vierte Capelle rechts in S. Maria del Popolo und die Gewölbemalereien im Chor geben eine umständ- liche Idee von seiner Behandlungsweise; an den Gewölben eines der d Zimmer, welche er im Appartamento Borgia des Vaticans ausmalte, sind hochaufgesetzte Stuccozierrathen, Gold auf Blau mit naturfarbi- gen Figuren (vielleicht von Torrigiano?) angebracht, Alles in dem nur beschränkt antikisirenden, heitern Styl des Jahrhunderts. (Später, e in der Libreria des Domes von Siena finden wir ihn viel behutsamer.) f Ein sehr bedeutendes Denkmal dieser Art sind dann Perugino’s Fresken im Cambio zu Perugia. Die untern Zimmer im Pal. Colonna g zu Rom, welche nach der Beschreibung noch bezeichnender sein möch- ten, sind dem Verfasser nicht bekannt. Von einem Zeitgenossen Pe- h rugino’s sind die decorativen Malereien in der hintern Kirche von S. Lorenzo fuori le mura. Eine ganz besondere Vorliebe für diese Zierrathen verräth auch i Luca Signorelli , der in der Madonnencapelle des Domes von Orvieto reichlichen und originellen Gebrauch davon machte und selbst einzelne seiner Staffeleigemälde (z. B. eine Madonna in den Uffizien) mit einfarbigen Medaillons versah. Er hatte ein tiefes Gefühl von dem Werthe der Gattung, und wollte in den kleinen Figuren des deco- rativen Theiles seiner Fresken in Orvieto ein mythologisches Gegen- bild zu seinen Weltgerichtscompositionen darstellen. Kein Maler des spätern Italiens hat wohl die Sache so ernst genommen. Peruginer und Sienesen haben auch die Eintheilung und Ver- k zierung der Decken in zwei vaticanischen Zimmern zu verantworten. In der Stanza dell’ Incendio liess Rafael die Arbeiten seines Lehrers ganz, in der Camera della segnatura von den Malereien Soddana’s einen Rest und vielleicht die Gesammtanordnung bestehen. Im XVI. Jahrhundert dauert der bisherige Styl ausserhalb Roms l noch einige Zeit fort. So z. B. in Franciabigio’s Einfassungen um die Malereien A. del Sarto’s im Scalzo zu Florenz. — Ridolfo Ghir- Decorirende Malerei. Mantegna. landajo’s gemalte Ornamente in der Sala de’ Gigli und in der Cap. a S. Bernardo des Palazzo vecchio sind in dieser Art mittelmässig, zu- mal die letztern, wo die figurirten und die ornamentirten Felder einander ganz gleichartig sind (Grau auf Gold). — Besonders zierlich und mit grosser Absicht behandelt sind die Einfassungen der Fresken b A. Aspertini’s in S. Frediano zu Lucca (links). Es ist schwer, in dieser Gattung die Grenzen der Decoration scharf zu bestimmen. Neben der bloss einfassenden Arabeskenmalerei tritt, wie man sieht, hauptsächlich an den Gewölben eine decorirende Ma- lerei auf, deren Inhalt, abgesehen von einzelnen örtlichen oder all- gemein symbolischen Beziehungen, ein wesentlich freier ist. Der kirchliche Bilderkreis nämlich, welche sich zur Zeit der Giottes- ken auch über die Gewölbe erstreckt hatte, verliert seinen Allein- werth; neutrale, bloss für das Auge angenehme Figuren und Scenen, Reminiscenzen aus der alten Mythe und Geschichte nehmen selbst an geweihter Stätte seine Stelle wenigstens theilsweise ein. Es ist das Wesen der Renaissance, dem Schönen, Lebendigen und Charakter- vollen, auch wenn es beziehunglos ist, den Vorzug zu geben. Beträchtlich grösser als in Mittelitalien war der Aufschwung der gemalten Decoration in Oberitalien, dessen Backsteinbau gewisser- massen darauf als auf einen Ersatz für die mangelnden Quader an- gewiesen war (Seite 204). Zudem hatte hier die am meisten deco- rativ gesinnte Schule, die von Padua ihren Sitz. Erhalten ist wenigeres als man erwarten möchte, doch wenigstens Ein wichtigstes und um- fassendes Beispiel. Der grosse Andrea Mantegna , als er in den Eremitani zu c Padua eine gothische Capelle von der gewöhnlichen Form (eines Qua- drates und eines polygonen Ausbaues) mit den Geschichten der Heili- gen Jacobus und Christophorus auszmalen hatte, gab auch den ein- fassenden und bloss baulichen Theilen einen Schmuck, der in der Art dieser Zeit classisch heissen kann. Die je sechs Bilder der beiden Seitenwände erhielten zunächst gemalte Rahmen grau in grau mit Renaissance. Decorirende Malerei. Verona. Fruchtschnüren, Köpfen u. s. w.; über diese hängen oben prachtvolle farbige Fruchtschnüre herunter, an welchen Putten herumklettern. Von den dunkelblauen Gewölben heben sich die Rippen als grüne Laub- wulste mit grauen Arabesken eingefasst ab; im Polygon schwingt sich von Rippe zu Rippe die reichste Fruchtschnur mit weissen Bändern; im Quadrat umgeben ähnliche Fruchtschnüre die Medaillons mit den Evangelisten auf Goldgrund. Der übrige blaue Raum dient als Hin- tergrund für die Gestalten des Gottvater, einiger Apostel und (im Quadrat) rother geflügelter Putten mit Spruchbändern. (Alles so weit erhalten, dass man sich den Eindruck des Ganzen herstellen kann.) Ungleich tiefer steht bei aller Pracht und Zierlichkeit die Deco- a ration der Capella S. Biagio (links) an S. Nazario e Celso zu Verona, ein frühes Werk des in der Folge als Architekt berühmten Giov. Maria Falconetto . (Auch das Figürliche zum Theil von ihm, zum Theil von Franc. Morone.) Weder in dem viereckigen Unterbau und dem polygonen Ausbau noch in der Kuppel folgt Einfarbiges, Mehr- farbiges, Goldfarbiges mit der rechten Consequenz aufeinander; aber die Detailwirkung ist noch in dem kläglichen Zustande des Ganzen eine sehr angenehme. In der Kuppel zwei Kreise Cassetten für Engel- gestalten; der Cylinder mit steinfarbener Pilasterstellung für Heilige; der Fries darunter ein Nereidenzug auf farbigem Grunde; an den Zwickeln die farbigen Evangelisten zwischen steinfarbenen scheinbaren Reliefs etc. Den Ausgang der paduanischen Weise in die der classischen Zeit bezeichnet dann recht schön und würdig die Gewölbeverzierung in b der Sacristei von S. Maria in organo zu Verona, von Franc. Mo- rone , welcher wenigstens die eigentlichen Malereien geschaffen hat. Eine Auswahl von guten gemalten Arabesken für schmale Wand- c streifen bietet S. Nazario e Celso in Verona (Füllungen an den Pfei- lern zwischen den Seitenaltären); Fruchtschnüre mit und ohne Putten, goldene Candelaber, Ziergeräthe aller Art etc. auf dunklem Grunde. (Um 1530?) Für Parma scheint ein im historischen Fach unbedeutender Ma- ler, Alessandro Araldi († 1528), der Hauptrepräsentant der von Parma. Ferrara. Padua ausgegangenen Zierweise gewesen zu sein. Von ihm ist in a dem Kloster S. Paolo zu Parma, hinter dem Gemach mit den Fresken Coreggio’s, das Gewölbe einer Kammer mit Arabesken, Panen, Meer- wundern, kleinen Zwischenbildern etc. auf blauem Grunde ausgemalt; in den Lunetten ringsherum heil. Geschichten. Diesen oder einen ähn- lichen Styl zeigen nun auch die ältern Verzierungen der Pilaster und b Gewölberippen in S. Giovanni, auch die schöne mosaicirte Nische des c rechten Querschiffes im Dom (mit Goldgrund). Auch in S. Sisto zu d Piacenza gehört Manches an den betreffenden Bautheilen derselben Art an. — Mit der grossen Umwälzung aber, welche Coreggio in die Malerei jener Gegend brachte, drang auch in diese Gattung ein an- derer Styl ein; die Putten (Kinderengel) verdrängen das Vegetabili- sche mehr und mehr und füllen endlich die Pilaster, Friese etc. fast ganz an. Von den Schülern Coreggio’s hat sich Girolamo Mazzola durch die Bemalung des Gewölbes im Hauptschiff des Domes viel- e leicht einen grössern Namen verdient, als durch seine Altarbilder, und wenn man darüber streiten kann, ob die Kappen eines mittelal- terlichen Gewölbes überhaupt bemalt werden sollen, so wird man doch zugeben, dass die Aufgabe wohl selten schöner gelöst worden ist. (Farbige Medaillons mit Brustbildern, Putten, Fruchtkränze, zweifarbige Einrahmungen der Gewölberippen u. s. w.) Die neuern Malereien in S. Giovanni, hauptsächlich der Fries, sind weniger glücklich, indem f hier Vollfarbiges (Sibyllen, Putten u. s. w.) und Einfarbiges (heilige Geschichten), noch dazu von verschiedenem Massstab, auf Einer Fläche vereinigt sind. Die Pilasterverzierungen etc. in der Steccata scheinen g von geringern Händen zu sein, ebenso die neuern Bestandtheile in h S. Sisto zu Piacenza. Ferrara hat in dieser Beziehung Einiges nicht bloss aus der guten Zeit, sondern auch von einem grossen Künstler aufzuweisen. Im Erdgeschoss des erzbischöflichen Seminars sind noch die grau in i grau gemalten Decken zweier Gemächer von Garofalo (bez. 1519) erhalten, welche einen frisch von Rom gebrachten Schwung verrathen, noch nicht in der Art der Loggien, sondern der Stanzen. Der Styl der Ornamente ist der Zweifarbigkeit vortrefflich und ohne Schwere Renaissance. Decorirende Malerei. a angepasst. — Darauf folgt, ebenfalls noch vom Besten, die Bemalung von S. Benedetto; ausser einem durchgehenden Fries mit Genien sind vorzüglich die Tonnengewölbe mit ihren von reichen Bändern eingefassten Cassetten beachtenswerth; dies Alles ist nur grau in grau mit wenigem Goldbraun; die Farbigkeit wurde aufgespart für die Flachkuppel, und die figürliche Composition in vollen Farben für die Hauptkuppel und die drei Halbkuppeln der Abschlüsse. (Diese von Vincenzo Veronesi ausgemalt.) Die untern Theile sind weiss geblieben, oder überweisst. Den Ausgang der Gattung in sinnlosem Schwulst zeigen hier die b von Girolamo da Carpi in S. Francesco gemalten Zierrathen (um 1550, c Seite 210) und vollends diejenigen in S. Paolo (1575). Von den Arabesken profaner Gebäude sind diejenigen, welche die zahlreichen Malereien Dosso Dossi’s und seiner Schule im Castell umgeben, nicht von höherer Bedeutung. Freier und angenehmer er- d geht sich dieselbe Schule in den Deckenmalereien der sämmtlichen eini- germassen erhaltenen Räume der Palazzina (Seite 212, b); der allerdings erst von den Loggien abgeleitete Styl offenbart hier durch den Rauch der Schmiedewerkstatt hindurch, als welche das Gebäude jetzt dient, seinen unzerstörbaren Reiz. Von venezianischen Arbeiten gehört die Mosaicirung des Sacri- steigewölbes in S. Marco hieher, von welcher unten. Die grosse Veränderung, welche zunächst in Rom mit diesem De- corationstyl eintritt, datirt wohl hauptsächlich von der Entdeckung der Thermen des Titus, welche man nicht nach den erhaltenen Resten in den jetzt zugänglichen Theilen, sondern nach ihrem damaligen Be- stande würdigen muss. Die rafaelische Kunstgeneration lernte hier in den ersten Jahren des XVI. Jahrhunderts eine Menge neuen my- thologischen und allegorischen Stoffes, einen neuen antiken Styl, eine neue Eintheilung der baulichen Flächen und Glieder, neue Farben- werthe, eine neue Abwechslung von Stuccorelief und Zeichnung in bestimmtem Verhältniss zu den Farben, endlich den überaus dauer- Loggien des Vaticans. haften antiken Stucco selber kennen. Sie verarbeitete diese Elemente auf glänzend geniale Weise, so dass ihre Werke neben den antiken eine ganz selbständige Gültigkeit behalten. Die Verzierung der Loggien im zweiten Stockwerk des Cortile a di San Damaso im Vatican geschah im Auftrag des vor Allem pracht- liebenden Leo X. — Rafael’s Verdienst bleibt es, dass die Loggien die schönste und nicht etwa bloss die prachtvollste Halle der Welt wurden. — Hier ist es der Mühe werth, dass sich das Auge nach Kräften anstrenge, um sich Alles, was noch irgend kenntlich ist, an- zueignen. Nicht die Unbill der Witterung, sondern der elendeste Muth- wille hat hier den grössten Schaden angerichtet; es hat eiserner Werk- zeuge bedurft, um den Stucco des Giovanni da Udine von Wänden und Pfeilern abzulösen. — Die grossen Kupferstiche, welche noch colorirt bisweilen im Handel vorkommen, gewähren zwar eine sehr schätzbare Aushülfe, allein sie geben die Detailzeichnung und die Wirkung des Ganzen doch nur ungenügend wieder. Von den Gemälden wird unten die Rede sein. Für die Ausfüh- rung des Decorativen bediente sich Rafael hauptsächlich des genannten Giovanni da Udine , eines Malers der venezianischen Schule. Wie viel demselben vorgezeichnet, wie viel seinem eigenen Ermessen über- lassen wurde, ist gänzlich unbekannt; Rafael war damals mit Auf- trägen überladen, und gleichwohl muss nicht bloss die Anordnung des Ganzen, sondern auch die Zeichnung sehr vieler Einzelheiten von ihm herrühren. Eine genaue Rechenschaft über seinen Antheil wird aller- dings nie zu geben sein Laut Vasari hätte er freilich Alles selber vorgezeichnet; unter den Execu- tanten wäre Perin del Vaga der beste gewesen. . Man sieht die Tausende einzelner Figuren- motive durch, die alle von Einem Geiste durchdrungen und im rechten Stoff an der rechten Stelle angebracht sind, und fragt sich immer von Neuem, welcher Art die geistige Verbindung zwischen Rafael und seinen Ausarbeitern gewesen sein möchte. Vergebens wird man sich in andern Kunstschulen nach etwas Ähnlichem umsehen. Damit konnte es nicht gethan sein, dass der Meister seine Leute auf die antiken Reste ähnlicher Art, zumal auf die Titusthermen verwies, denn so viele einzelne Figuren und Gruppen, so viel decoratives Detail von Renaissance. Decorirende Malerei. Loggien. dorther entlehnt sein mag, so ist eben die Composition im Ganzen eine völlig neue und originelle. Gerade das Wesentliche, die aufstei- gende Pilasterverzierung, gewährten die antiken Vorbilder nicht, oder ganz anders. Das grosse Geheimniss, wie das Unendlich-Viele zu einem har- monischen Eindruck zu gestalten sei, ist hier vermöge der Gliederung und Abstufung gelöst. Die Hauptpilaster, die Nebenpilaster, die Bögen, die Bänder und Gesimse verschiedenen Ranges erhalten jede Gattung ihr besonderes System von Verzierung; die Architektur bleibt noch immer die Herrin des Ganzen. Was die Fenster der Mauerseite von Wandfläche übrig liessen, wurde durchsichtig gedacht und erhielt auf himmelblauem Grunde jene unübertrefflich schönen Fruchtschnüre, in welchen der höchste decorative Styl sich mit der schönsten Natur- wahrheit verbindet, ohne dass nach einer optischen Illusion gestrebt worden wäre, die das Auge hier gar nicht begehrt. Innerhalb der viereckigen Kuppelräume ist die Umgebung der je vier Gemälde sehr frei und verschiedenartig verziert, wie dies bei einer Reihenfolge iso- lirter Räume angemessen war. Eine Analyse dieses Ganzen würde ein umfangreiches Buch wer- den. Wie hier Stuccatur und Malerei, Figur und Ornament, die Far- ben der Gegenstände und ihrer Gründe sich zu einander verhalten (oder verhielten), davon muss das Auge sich im Detail überzeugen Auch die Mitwirkung der einst glasirten Bodenplatten (S. 228, Anm.) ist dabei in Erinnerung zu bringen. . Wer sich die Aufgabe setzt, bei jedem Besuch des Vaticans etwa eine Abtheilung des Ganges genau durchzusehen, der wird einen bleibenden Eindruck davon tragen und vielleicht in einer Anzahl von Figuren und Gruppen die unmittelbare rafaelische Zeichnung erken- a nen. (Die Gewölbemalereien in dem Gang zunächst unter diesen Log- gien sind ganz von Giov. da Udine ; sie stellen Rebenlauben dar, mit andern Pflanzen schön durchflochten und mit Thieren belebt.) Ein ähnliches decoratives Gefühl, nur in einem andern Stoff anders ausgesprochen, offenbart sich in den wenigen erhaltenen Randarabesken Tapeten. Appartamento Borgia, etc. Villa Madama. der rafaelischen Tapeten (erste Reihe). Auch hier nimmt man eine a bedeutende Mitwirkung des Giov. da Udine an. Ganz kleine, isolirte Figuren und Ornamente wären hier nicht schön und deutlich genug darzustellen gewesen; daher grössere Figuren; auch bildet jedes Rand- bild ein Ganzes, sowohl in decorativer Beziehung, als vermöge des durchgehenden allegorisch-mythologischen Inhaltes. Das Vorzüglich- ste: die Parzen. Eine wesentlich andere Aufgabe gewährte die grosse gewölbte b Decke des vordern Saales im Appartamento Borgia . In den daran stossenden Zimmern hatte Pinturicchio, wie gesagt, die Gewölbe im Styl der frühern Renaissance verziert; seine Arbeit erscheint erstaun- lich unfrei, wenn man in den vordern Saal tritt, den Giov. da Udine und Perin del Vaga unter Rafaels Beihülfe verzierten. Die Verthei- lung der Farbenflächen, die edle Mässigung der Ornamente, welche an einer Decke so wesentlich ist, die vortreffliche Bildung des Details geben diesem Saal einen hohen Werth, auch wenn man nicht wüsste, dass die Figuren der Planetengottheiten von des Meisters eigener Er- findung sind. Die vier Victorien um das päpstliche Wappen sind einer der höchsten Triumphe figürlicher Decoration. In den Stanzen hatte Rafael, wie gesagt, frühere Deckenverzie- c rungen angetroffen und ganz (Stanza dell’ incendio) oder theilweise (camera della segnatura) geschont. Was er mit der Decke der Sala di Costantino vorhatte, ist unbekannt. In der Stanza d’Eliodoro sucht er durch den ziemlich einfachen blauen Teppichgrund der vier Decken- bilder den Eindruck des Leichten hervorzubringen. Auch dürfen hier die bloss architektonischen Einfassungen der Kuppelbilder in der Ca- d pella Chigi (S. Maria del popolo zu Rom) nicht übergangen wer- den. Sie sind in ihrer Einfachheit vom edelsten Decorationsstyl gerade dieser Gattung; durchweg vergoldet; zu den Mosaiken vortrefflich stimmend. — Höchst meisterhaft hat Giovanni da Udine in der Far- e nesina die Festons gemalt, welche die Geschichten der Psyche einfassen. Endlich die untere offene Vorhalle der Villa Madama bei Rom. f Die Ausführung des Gebäudes gehört notorisch dem Giulio Romano, welchem man die trefflichen Friesmalereien der untern Zimmer, auch den schönen Fries mit Festons, Candelabern und Amoren, schwerlich streitig machen wird. Aber in der Vorhalle, welche von Giovanni Renaissance. Decorirende Malerei. Genua. da Udine decorirt ist, weht der Geist der Loggien noch so rein, dass Rafael, der den Bau schwerlich erlebte, doch als der moralische Ur- heber erscheint. In einzelnen der eingesetzten Historien glaubt man auch Motive seiner Erfindung zu erkennen. Vielleicht wurde die Decoration nie ganz vollendet; im vorigen Jahrhundert wurden die herabgefallenen Theile durch Rococozierrathen ersetzt, und gegenwär- tig lässt der Besitzer Alles zur Ruine werden. Die Stuccaturen in den untern Hallen des schönen Pal. Massimi, wahrscheinlich von Giovanni da Udine, gehören ebenfalls noch zum Besten dieser Zeit. Ohne Zweifel arbeitete Giovanni unter dem Ein- fluss des Baumeisters Peruzzi . a Was wir nun noch beizufügen haben, ist neben diesen Leistungen nur von bedingtem, immer aber noch von beträchtlichem Werthe. Es sind meistens gewölbte Decken, denn die Pilaster überliess man fortan fast durchgängig der Architektur; ausserdem ist bei diesem Anlass eine besondere Gattung von Mauerdecoration im Grossen zu erörtern. b Von Rafaels Schülern malte Perindel Vaga * Seine Malereien in verschiedenen Räumen der Engelsburg sind nebst den Stuccaturen des Raff. da Montelupo dem Verfasser unzugänglich geblieben. Laut Vasari führte Perino eine Unzahl kleinerer decorativer Werke jeder Gattung aus, wovon noch Manches, jetzt namenlos, vorhanden sein könnte. den Pal. Doria in Genua aus. Das Decorative ist noch sehr schön, aber zum Theil überzierlich und bei Weitem nicht mehr in dem grossen und freien Geist der Loggien und des Ap. Borgia gedacht. In der untern Halle die Flachdecke mit schweren, wirklichen römischen Geschichten be- deckt, statt des luftigen Olymps der Farnesina; in der Galeria die Gewölbeverzierungen im Einzelnen überaus elegant und vom feinsten Farbensinn beseelt (gemalte Mittelbilder; die Eckfelder Reliefdeco- ration grau auf blau, grau auf Gold u. s. w.; prächtige Motive in den Bändern) aber nicht mehr sicher der Architektur subordinirt; im Saal der Giganten eine höchst reiche und glücklich originelle Einrahmung; in den (einzig noch sichtbaren) neun Zimmern der Stadtseite theils ähnliches, nur einfacheres Arabeskenwerk als Einfassung mythologi- scher und allegorischer Gegenstände an Zwickeln und Kappen der Perin del Vaga und Schule. Giulio Romano. Gewölbe, theils farblose Stuccaturen Für die Stuccoarbeit überhaupt brauchte Perin den Silvio Cosini aus Fiesole. . Die Wände, mit Ausnahme der Galeria, waren sämmtlich auf Behängung mit Teppichen berechnet. Perino fand in Genua selbst eine nicht unbeträchtliche Nachfolge, die ihn aber doch nirgends erreichte und ihm nur die Effecte absah. Das Umständlichste in dieser Art ist die innere Decoration des Pal. a Spinola (Strada S. Caterina); auch das Erdgeschoss von Pal. Palla- vicini (Piazza Fontane amorose). Sonst wiederholt sich in den un- b tern Hallen und an den Treppen der ältern Paläste ein System etwas magerer Arabesken und sparsamer Phantasiefiguren auf weissem Grunde, wie diese meist etwas dunkeln Räume es verlangten; oft dienen die Decorationen als Einfassungen um mythologische und historische Mittel- bilder; andere Male herrscht sogar das Gemälde mehr als für diese Räume billig vor und namentlich mehr in historisch wirklicher Raum- behandlung, als die Deckenmalerei leicht verträgt. Von den ältern und bessern Arabesken geben folgende Gebäude an den untern Hallen, Treppen und obern Vorsälen einen Begriff: Pal. Imperiali (Piazza Campetto); — Pal. Spinola (Str. S. Caterina c N. 13); — Pal. Lercari (jetziges Casino, Str. nuova); — Pal. Carega d (jetzt Cataldi, gegenüber). In der aus Stuccaturen und Malereien gemischten Gewölbever- zierung der Kirchen geht Montorsoli mit der Decoration von S. e Matteo voran; auch hier war Perin del Vaga, speciell die Galeria des Pal. Doria, Anhalt und Vorbild. Die schwebenden Putten womit Luca Cambiaso die Felder der Nebenschiffgewölbe bemalte, sind an sich zum Theil trefflich, aber viel zu gross für die kleinen Räume, an deren Rändern sie sich bei jeder Bewegung stossen müssten. — Eine ganz endlose Pracht von Gewölbeverzierungen und grossen histori- schen, daher schwer lastenden und ohnediess nur improvisirten Ge- wölbfresken verdankt dann Genua der Künstlerfamilie der Carloni und ihren Nachtretern. Das Ornamentale ist und bleibt durchgängig um einen Grad besser als in Neapel. Parallel mit der Thätigkeit Perino’s geht die des Giulio Ro- mano , der in seinem berühmten Hauptbau, dem Palazzo del Te in f Mantua , ein nicht minder glänzendes System von Decorationen aller Renaissance. Decorirende Malerei. Venedig. Art aufstellte. Durch ein Missgeschick an dem Wiederbesuch Man- tua’s verhindert, darf ich über dieses sehr einflussreiche Werk nichts Näheres angeben. Auch Jacopo Sansovino hat in dieser Gattung wenigstens a Eine wichtigere Arbeit angegeben und geleitet: die Scala d’oro im Dogenpalast zu Venedig (1538). Als Ganzes steht diese Leistung aber wiederum eine beträchtliche Stufe tiefer als die Arbeiten des Perin del Vaga. Schon die gemeisselten Arabesken der Pilaster sind schwül- stig und unrein; ebenso an den Tonnengewölben die Stuccoeinfassungen des Aless. Vittoria, der sonst in den kleinen Relieffeldern manches Hübsche anbrachte, ebenso wie Battista Franco in den gemalten Fel- dern allegorischen und mythologischen Inhaltes. (Franco besass gerade für solche einzelne Figuren und kleine Compositionen von idealem Styl eine entschiedene Begabung, wie auch seine Gewölbemalereien b in S. Francesco della Vigna, erste Capelle links, darthun. Vgl. S. 276.) Das Ganze ist bei blendender Pracht schon im Princip nicht glücklich, indem die gemalten Arabeskenfelder im Loggienstyl von den neben- hergehenden Stuccaturen erdrückt werden. c Wenige Jahre vorher (1530) hatte noch die Frührenaissance mit schönen Mosaikzierrathen auf Goldgrund das Gewölbe der Sacristei von S. Marco geschmückt. Einem Teppichmuster ähnlich, schlingt sich reiches weisses Ornament um Medaillons mit Heiligenfiguren; derber farbig sind die Ränder der Gewölbekappen verziert; in der Mitte concentrirt sich der Schmuck zur Form eines Kreuzes. Es giebt ausserdem eine von Sansovino oder von Falconetto ent- worfene, von Tiziano Minio ausgeführte ganz harmonische und vor- d züglich schöne Decoration: nämlich die weisse, wenig vergoldete Stuc- catur am Gewölbe der Capelle des H. Antonius im Santo zu Padua (S. 255). Leicht und doch ernst, trefflich eingetheilt; leises und doch vollkommen wirksames Relief der Zierrathen und des Figürlichen. e Ganz in der Nähe steht Pal. Giustiniani (N. 3950), dessen etwa gleichzeitige beide Gartenhäuser, von Falconetto erbaut, eine theils stucchirte, theils gemalte Decoration — Ornamente und Figuren — enthalten, welche man ihrer Schönheit wegen von Rafael erfunden glaubt. Es ist wenigstens anzunehmen, dass der ausführende Künstler Spätere Arabeskenmaler und Stuccatoren. ( Campagnola ) ohne Kenntniss der Loggien dieser Schöpfung nicht fähig gewesen wäre. Giovanni da Udine selber soll in seinen alten Tagen als Glasmaler die Fenster der Bibl. Laurenziana in Florenz und die des a geschlossenen Ganges im dritten Hof der Certosa mit jenen Arabesken b ausgefüllt haben, welche zwar sehr hübsch und für das Tageslicht vortheilhaft, aber doch ein so matter Nachhall der Loggien sind, dass man sie lieber einem Andern zutrauen möchte. — Es sind von den letzten Glasgemälden (bis 1568 Also schwerlich von Giovanni, der schon 1564 starb. — In einem Zimmer des Pal. Grimani zu Venedig (bei S. Maria formosa) sollen noch Decoratio- * nen von Giovanni, nebst Gemälden des Salviati erhalten sein. Quadri’s „otto giorni“ melden nichts davon. der italienischen Kunst, Reparaturen und moderne Arbeiten ausgenommen; auch wollen sie bloss zarte Zierrathen rings um ein kleines einfarbiges Mittelbild oder Wappen vorstellen. Kehren wir zur gemalten Mauerdecoration der Interieurs zurück. Sie hatte inzwischen das Schicksal der Geschichtsmalerei getheilt und sich zum schnellen und massenhaften Produciren entschlossen. Ihr höchstes Princip wird die Gefälligkeit, das angenehm gaukelnde Spiel vegetabilischer, animalischer und menschlicher Formen nebst Schilden, Gefässen, Masken, Cartouchen, Täfelchen, auch ganzen eingerahmten Bildern, auf meist hellem Grunde. Nicht die Phantasie ist es, die da fehlt; eine grosse Fülle von Concetti aller Art strömt den Decoratoren zu; Laune und selbst Witz stehen ihnen reichlich zu Gebote; als Maler gehören sie noch immer dem furchtlosen XVI. und XVII. Jahr- hundert an; aber das Gleichgewicht ist verloren, die schöne Verthei- lung des Vorrathes nach Gattungen und Functionen im architektonisch gegliederten Raume. Sie glaubten der Werth der Loggien beruhe auf dem Reichthum, während doch die Gesetzlichkeit dieses Reichthums das Wesentliche ist. B. Cicerone. 19 Renaissance-Decoration. Malerei und Stucco. a Hieher gehören u. a. die im Jahr 1565 ausgeführten Arabesken im vordern Hof des Pal. vecchio in Florenz , hauptsächlich von Marco da Faenza . — Einen viel grössern Aufwand von Geist ver- b rathen die Deckenarabesken im ersten Gang der Uffizien von Poccetti , welcher auch die Perlmutter-Incrustation der Tribuna angab. (Um 1581.) Sie sind vielleicht die wichtigste von diesen spätern Leistungen, überreich an trefflichen Einzelmotiven, die in unsern Zeiten sich erst recht würden ausbeuten lassen, aber als Compositionen im (allerdings wenig günstigen) Raum sehr unrein. (Die Fortsetzung im entschiede- nen Barockstyl bis in den Rococo hat wieder ihren besondern Werth.) Und doch ist Poccetti an anderer Stelle auch in der Anordnung noch c einer der Besten, wie das mittlere Gewölbebild in der Vorhalle der d Innocenti, die Deckenfresken in der Sacramentscapelle und St. Anto- e ninscapelle zu S. Marco, die Halle des Seitenhofes links in Pal. Pitti u. a. zum Theil mit Stuccatur gemischte Malereien beweisen. In Rom concurrirte mit den Arabesken eine andere Gattung: die theils reine, theils zur Einfassung von eigentlichen Gemälden die- nende, vorherrschend architektonische Stuccatur . Überaus prächtig und monumental wirkt vor Allem die mit wappenhaltenden Genien f und reichstem Cassettenwerk stucchirte Sala regia im Vatican, von Perin del Vaga und Daniel da Volterra ; ein kleines Specimen g derselben Art bietet die hinterste Capelle des linken Querschiffes in S. Maria del Popolo. Auch der figurirte und ornamentale äussere h Schmuck des Palazzo Spada zu Rom, von dem Lombarden Giulio Mazzoni (gegen 1550) gehört hieher. Wie schon Giulio Romano seine grossen mythologischen Bilder gerne in Stuccosculpturen einrahmte, i zeigt der grosse Saal desselben Pal. Spada; eine unrichtige Übertra- gung in einen kleinen Massstab ist die sog. Galeriola daselbst. Von sonstigen tüchtigen römischen Stuccaturen des sinkenden XVI. Jahr- k hunderts nennen wir beispielshalber: das Gewölbe von S. Maria a’ monti; — den hintern Raum rechts an S. Bernardo; — in S. Pudenziana: die Prachtcapelle links, von Franc. da Volterra, mit Mosaiken nach l Fed. Zucchero; — in S. Peter: das nur zweifarbig stucchirte Gewölbe der Vorhalle, von Maderna , welchem eine besondere Vorliebe für diese Gattung vorgeworfen wird. Bald herrscht mehr der Stucco, bald mehr das Fresco vor. Letzteres ist nur zu oft mit schweren historischen Rom. Venezianische Decken. Gegenständen in naturalistischem Styl überladen, die am wenigsten a an ein Gewölbe gehören. Eine Menge einzelner Prachtcapellen an Kir- chen geben den Beleg hiezu. — Blosser Stucco, und noch sehr schön, an den Treppengewölben im Palast der Conservatoren auf dem Capitol. Wenn hier der allgemeine Verfall der Gattung sich in den nach- rafaelischen Gängen der Loggien von Pontificat zu Pontificat urkundlich verfolgen lässt, so hat die bloss gemalte Arabeske in Rom vielleicht nicht einmal diejenige Nachblüthe aufzuweisen, die Poccetti für Flo- renz repräsentirt. Die Malereien in der Sala ducale des Vaticans, in b der vaticanischen Bibliothek, in der Galeria geografica ebendaselbst c sind den florentinischen kaum gleichzustellen und interessiren mehr durch die Ansichten römischer Gebäude und die Landschaften des Matthäus und Paul Bril , welche wenigstens in der Geschichte der Landschaft eine bestimmte Stelle einnehmen. — Von Cherubino Alberti und seinem Bruder Durante ist zu wenig vorhanden; die Decke der Cap. Aldobrandini in der Minerva verräth einen sehr tüchtigen De- d corator; ebenso die der Sagrestia de’ Canonici im Lateran. Im Ganzen aber unterliegt die römische Arabeske zu sehr dem Sachlichen, den geschichtlichen und symbolischen Zuthaten, und ver- liert darob ihre Heiterkeit. Wie sollte sie z. B. in der Gal. geografica e zwischen der ganzen Kirchengeschichte (in den Bildern des Tempesta) mit ihrem echten Spiel aufkommen können? Rafael hatte in den Log- gien so weislich das Heilige von der Arabeske getrennt gehalten. Auch in Venedig war bald von der Decoration, wie sie noch in der Scala d’oro und in den oben (S. 288, d und e) genannten paduani- schen Werken lebt, grundsätzlich keine Rede mehr. Man gewöhnte sich daran, die Gewölbe weiss zu lassen (Kirchen Palladio’s) die flachen Decken aber mit grossen Oelgemälden zu überkleiden. (Räume des Do- genpalastes seit den Bränden von 1574 und 1577, Scuola di S. Rocco, viele f Sacristeien, kleinere Kirchen etc.) Die Zweckmässigkeit von Decken- gemälden überhaupt und den hohen Werth mancher der betreffenden insbesondere zugegeben, bedurfte es doch eines idealen Styls, um selbst die idealen allegorischen Scenen erträglich zu machen, geschweige denn die schwer auf dem Auge lastenden historischen. Statt dessen 19* Renaissance-Decoration. Fassadenmalerei. wird eine naturalistische Illusion erstrebt; die einzelnen Geschichten machen den Anspruch, durch Goldrahmen hindurch als wirkliche Vor- gänge gesehen zu werden, wovon bei Anlass der Malerei das Nähere. Die Rahmen selber bilden eine bisweilen grossartige Configuration, allein ihre Profilirung ist schon höchst barock und (zu Vermeidung des Schattens) meist flach. Nebenfelder werden wohl mit einfarbigen Darstellungen (bronzefarben, blaugrau, braun) einfacherer Art aus- gefüllt, allein die starke goldene Einrahmung macht jeden zartern decorativen Contrast zu den farbigen Hauptbildern unmöglich. — Im- merhin sind wenigstens die Räume im Dogenpalast von den präch- tigsten dieser Zeit; das stattliche untere Wandgetäfel, die Thüren mit ihren Giebelstatuen, die pomphaften Kamine mit allegorischen Figuren oben und Marmoratlanten unten vollenden den Eindruck von Macht- fülle, der in diesen Sälen waltet. Wenn es sich aber um wohlthuende, reine Stimmung handelt, so wird diese in den Räumen der rafaelischen Zeit sich eher finden lassen. Ausser diesen Wand- und Deckenverzierungen gab es schon seit Anfang der Renaissance eine Verzierung der Fassaden , wie sie dem schmucklustigen Jahrhundert zusagte Für diese ganze Gattung vgl. bei Vasari die Biographien des Vincenzo da S. Geminiano, des Peruzzi, des Polidoro und Maturino, des Fra Giocondo und Liberale, des Christofano Gherardi genannt Doceno (für die ganze ge- malte Decoration wichtig), des Sanmicheli, des Garofalo und anderer Lom- barden, des Taddeo Zucchero, etc. — Dieser Quelle zufolge muss das Er- haltene zum Verlorenen in einem winzigen Verhältniss stehen. Die Fassa- denmalerei bestimmte noch um 1550 offenbar die Physiognomie mancher Städte in wesentlichem Grade. . Die Mörtelflächen zwischen den Fenstern, auch Bogenfüllungen, Friese etc. wurden, wo man es vermochte oder liebte, mit Ornamenten oder mit Geschichten bedeckt. Diess geschah theils al Fresco, theils allo Sgraffito (d. h. die Wand wurde schwarz bemalt, ein weisser Überzug darauf gelegt und dann durch theilweises Wegschaben des Rom. Genua. letztern die Zeichnung hervorgebracht). Natürlich haben alle diese Arbeiten mehr oder weniger gelitten, auch wohl totale Erneuerungen erduldet. Es ist eine sshwierige Frage, wie weit die architektonische Composition auf diesen Schmuck rechnete; an der Farnesina zu Rom a z. B., für welche bestimmte Aussagen existiren, vermisst doch das Auge denselben nicht, obschon er verschwunden ist (mit Ausnahme der Bogenfüllungen auf der Tiberseite im Garten, welche noch Victo- rien, Abundantien etc. von rafaelischer Erfindung enthalten). In Rom war das Sgraffito und das einfarbige Fresco damals sehr beliebt; doch hat sich von Polidoro da Caravaggio und seinem Gehülfen Ma- turino nicht viel mehr erhalten, als der Fries mit der Geschichte der b Niobe (an dem Hause Via della maschera d’oro, N. 7), welcher als grosse mythologische Composition eines der besten Werke der rafae- lischen Schule ist; ausserdem Einiges an Pal. Ricci (Via Giulia). c Ein Hauptsitz der Gattung aber wurde, wiederum wohl durch Perin del Vaga, Genua , wo noch an der Gartenseite des Pal. Doria d Aussenmalereien von der Hand Jenes erhalten sind Den S. Georg von Carlo Mantegna, an der Stadtseite des Pal. di S. Giorgio, * kann man kaum mehr erkennen. . Die genuesischen Paläste, welchen bei dem vorherrschenden Engbau die kräftigere archi- tektonische Ausladung versagt war, bedurften am ehesten eines Er- satzes durch Malereien. Das Ornament nimmt hier nur eine unter- geordnete Stelle ein; es sind vorherrschend ganze grosse heroische und allegorische Figuren, selbst Geschichten, in mässiger architekto- nischer (d. h. bloss gemalter) Einrahmung. Das Vollständigste und Beste was mir aus der Zeit Perins selber in dieser Art vorgekommen ist, sind die Malereien am jetzigen päpstlichen Consulat (Piazza dell’ e Agnello, N. 643); zwischen Friesen von Trophäen und andern von Putten sieht man Heldenfiguren, Schlachten, Gefangene, mythologische Siege etc. noch recht gut dargestellt. Auch die grau in grau gemalten Siege des Hercules, an der Rückseite des Pal. Odero (jetzt Mari, f von Salita del Castelletto aus sichtbar) sind von ähnlichem Werthe. Dann folgt Pal. Imperiali (Piazza Campetto), vom Jahr 1560, mit g seinen theils bronze- theils naturfarbenen Aussenmalereien; — Pal. h Spinola (Str. S. Caterina, N. 13); — die Stadtseite des Gasthofes Croce Renaissance-Decoration Fassadenmalerei. a di Malta; — Pal. Spinola (Str. nuova), sehr vollständig durchgeführt, auch im Hofe. — Der Inhalt ist bisweilen speciell genuesisch; be- rühmte Männer und Thaten der Republik. Oft aber auch sehr all- gemein, sodass man in Ermanglung anderer Gedanken z. B. mit den zwölf ersten römischen Kaisern vorlieb nahm, die in der Profankunst dieser Zeit ja ein förmliches Gegenstück zu den zwölf Aposteln bilden — der architektonisch sehr bequemen Zahl zu Liebe, in der uns nun einmal ihre Biographien bei Sueton überliefert sind. (Man hat sie im XVI. und XVII. Jahrhundert auch unzählige Male neu in Marmor dargestellt.) Eine andere, eigenthümliche Ausbildung dieses Zweiges zeigt Florenz , wo wiederum der schon genannte Poccetti darin das Beste scheint geleistet zu haben. Schon die Frührenaissance hat hier in bloss ornamentalen Sgraffiti einiges Treffliche aufzuweisen, wie b z. B. die Fassaden Borgo S. Croce N. 7894 und Via de’ Guicciardini N. 1696 beweisen, beide wohl noch aus dem XV. Jahrhundert. In der Folge wurden phantastische Figuren, Pane, Nymphen, Medaillons in dem noch schönen beginnenden Barockstyl, auch ganze grosse hi- storische Compositionen einfarbig an den Fassaden angebracht, wo sie zu den derben Fenstereinfassungen, Nischen mit Büsten, Wappen c u. dgl. recht glücklich wirken. Haus via della Scala N. 4372; meh- rere Paläste Ammanati’s, wie Pal. Ramirez, Borgo degli Albizzi N. 440 u. s. w. (Wozu noch der grosse Palast auf Piazza S. Stefano in Pisa zu rechnen.) — Aber auch die Bemalung in Farben wurde nicht selten versucht, und hat sich verhältnissmässig besser gehalten als man denken sollte. Wir nennen nur die Fresken (nach Salviati) d an Pal. Coppi, Via de’ Benci N. 7912 und den sehr auffallenden Pal. e del Borgo auf dem Platz vor S. Croce, dessen Malereien unter Lei- tung und Theilnahme des in seiner Art grossen Giov. da San Gio- vanni zu Stande kamen. Ihr Zweck war gleichsam, die mangelnde Raumschönheit der nordisch fensterreichen Fassade zu ersetzen. (Die f zwei kleinern, farbig bemalten Paläste in Pisa auf dem genannten Platz sind sehr verwittert.) Florenz. Venedig. Verona. Das Anmuthigste dieser Richtung ist vielleicht der Fries mit Ge- nien in dem hübschen kleinen Hof der Camaldulenser (Via degli Alfani) a links von der Kirche, nach 1621. In der zweifarbigen Malerei tönt hier ein Echo der Robbia nach, obwohl die Formen der Putten schon manirirt sind. Mit der völligen Ausbildung des Barockstyles (seit etwa 1630) nahm diese Art von Decoration auch in Florenz ein Ende; man scheint sie als etwas Kleinliches oder Kindisches verachtet zu haben; mit ihr zehrt die Architektur das letzte freie Zierelement auf. An ihre Stelle tritt, wo man der Decoration bedurfte, die Perspectiven- malerei, in welcher sich einst schon Baldassare Peruzzi auf seine Weise versucht hatte. Wir werden bei Anlass der spätern Epochen darauf zurückkommen. Venedig besitzt in dieser Gattung nur noch Weniges und im Zustande fast totaler Zerstörung durch die Feuchtigkeit, aber von so grossen Meistern, dass man gerne auch die Trümmer aufsucht. So war der Fondaco de’ Tedeschi am Rialto (jetzige Dogana), ein grosses b einfaches Gebäude des Fra Giocondo vom Jahr 1506, vollständig be- malt von Tizian und seinen Schülern; hie und da ist noch ein schwacher Schimmer zu erblicken. Etwas besser erhalten sind die Malereien an der Oberwand des Klosterhofes von S. Stefano, von c Giov. Ant. Pordenone , theils alttestamentliche Geschichten, theils vorzüglich schön belebte nackte Figuren (meist Kinder) und Tugenden. Dieser Rest ist vielleicht die bedeutendste Aussenmalerei der goldenen Zeit, welche überhaupt erhalten ist und wiegt alles Gleichartige in Genua weit auf. Endlich muss Verona vor allen Städten Italiens durch Menge und Werth bemalter Fassaden ausgezeichnet gewesen sein. Eine be- sondere climatische Ursache oder irgend ein innerer Fehler des Mör- tels hat leider bei weitem das Meiste davon zerstört und auch das Erhaltene ist nur dürftig erhalten, ungleich weniger als z. B. ähnliche Malereien in Florenz. An vielen Häusern ist nur etwa das Haupt- Renaissance-Decoration. Fassadenmalerei. bild seines religiösen Inhaltes wegen geschont und (freilich auch durch Übermalung) gerettet worden, während man die unscheinbar gewor- denen Malereien der ganzen übrigen Fassade der Übertünchung Preis gab. Und doch wäre gerade das Ganze dieser Decoration unentbehr- lich; mehr als irgendwo in Italien ist das Architektonische darauf berechnet, ja der Renaissancebau tritt aus keinem andern Grunde in Verona so mässig und einfach auf, als weil ihm die Malerei zur we- sentlichen Ergänzung diente. Schon zur Zeit des gothischen Styles war es in diesen Gegenden zur Gewohnheit geworden, die Wandflächen mit regelmässig, teppich- artig wiederholten buntfarbigen Ornamenten zu bedecken und diese mit reichern, bewegtern Friesen und Bändern zu umziehen; das Mit- telalter konnte des Bunten viel vertragen, zumal da letzteres unter der Herrschaft eines gesetzmässigen Farbensinnes stand. Zur Zeit der Renais- sance dauerte ein ähnlicher Schmuck fort: nur tritt jetzt das Figürliche erst in sein volles Recht. Man begnügt sich nicht mehr mit dem ein- zelnen Bilde einer Madonna zwischen zwei Heiligen, sondern die ganze Fassade wird zum Gerüst für ruhige und bewegte, heilige und pro- fane, einfarbige und vielfarbige Darstellungen. Und zwar sind es grossentheils Arbeiten von sehr tüchtigen, selbst hie und da von grossen Künstlern. Schon im XIV. Jahrhun- dert schuf z. B. ein Stefano da Zevio die Fresken einer thronenden a Madonna zwischen Heiligen und einer Geburt Christi an dem Hause N. 5303 Das jetzige Telegraphenamt. — Ich bedaure, nur nach den Hausnummern citiren zu können, die in Verona wie in mehrern andern Städten Italiens auffallend und sträflich vernachlässigt, ja halbe Gassen entlang nicht mehr sichtbar sind. ; noch ist genug davon erhalten, um die süsse Schönheit der Jungfrau, den Jubel der blumenbringenden Engel zu erkennen. Im folgenden Jahrhundert hat Andrea Mantegna selber diese Fassa- denmalerei nicht verschmäht und seine besten veronesischen Nachfolger fanden daran eine ganz wesentliche Beschäftigung; bis gegen Ende des XVI. Jahrhunderts folgen dann die veronesischen Schüler der Venezianer. Es erhellt hieraus schon, welchen Werth diese bemalten Fassaden auch in technischem Betracht haben müssen; mehrere der- selben enthalten von den bestcolorirten Fresken der damaligen Zeit. Verona. Von Mantegna selbst soll Casa Borella , N. 1310, bemalt a sein; die grössern Wandflächen, durch goldfarbige Pilaster mit Ara- besken abgetheilt, enthalten geschichtliche Scenen, auf baulichem Hintergrunde mit blauem Himmel; ein Fries ist mit Fruchtschnüren und Putten belebt, die Räume über den Fenstern mit Medaillons, welche Halbfiguren enthalten und von Putten auf dunklem Grunde begleitet sind. — Wie hier durchgängige Farbigkeit, so herrscht da- gegen an Pal. Tedeschi, N. 962 (bei S. Maria della Scala) das Be- b streben, die Wirkung dem Relief zu nähern durch einfarbige Dar- stellung und zwar in gelb. Der Inhalt ist, wie es diese Schule ganz besonders liebte, classisch-historischer Art: die Allocution eines Kai- sers. Nur die Arabesken über den Fenstern sind gelb auf blau. — (N. 835, wieder mit Malereien Mantegna’s selbst, hat Verfasser dieses c nicht finden können.) — Noch aus dem XV. Jahrhundert stammt auch die Bemalung des Häuschens N. 4800 mit farbigen Novellenscenen, eingefasst von farbigen Pilastern und grauen Friesen; — ebenso der Fries von N. 73 (bei Ponte della Pietra): auf violettem Grund stein- farbige Putten in allen möglichen Verrichtungen des Pizzicarol- Gewerbes darstellend. — Aus der besten Zeit, etwa bald nach 1500, sind die Malereien zweier kleinen Häuser auf Piazza delle Erbe ; d eines mit Mariä Krönung, zwischen festonhaltenden Putten etc.; — und ein anderes, wo das obere Bild eine biblische Scene, das untere eine Madonna zwischen Aposteln, der Zwischenfries einen von Putten begleiteten Medaillon enthält, wahrscheinlich eine der schönsten Arbei- ten des Caroto . — Wie sonderbar aber bisweilen in dieser goldenen Zeit Heiliges und Profanes gemischt wurden, zeigen die Malereien eines Hauses zwischen diesem Platz und der Aquila nera, von Ali- prandi und Andern: man sieht den Sündenfall nach Rafaels Bild in den Loggien, eine Madonna mit S. Antonius von Padua, weiter oben aber tanzende Bucklige, eine Bauernhochzeit und eine Wasserfahrt. — Ganz farbig, wie an den drei letztgenannten Häusern, sind auch die colossalen mythologischen Malereien des Cavalli an einem Eckhaus der Piazza delle Erbe (Casa Mazzanti), worunter sich auch eine Dar- stellung des Laocoon befindet. — Es ist zu bemerken, dass an all diesen Fassaden kein Versuch vorkömmt, eine perspectivisch gemalte Architektur mit scheinbar an Balustraden und Fenstern sich bewegen- Renaissance-Decoration. Fassadenmalerei. den Figuren illusionsmässig zu beleben. Hans Holbein, der dieses Ziel mehr als einmal verfolgte, muss die Anregung dazu anderswoher empfangen haben. a Der Palazzo del consiglio, erbaut von Fra Giocondo da Verona, hat an den freien Mauerflächen nur gemalte Ornamente, diese aber durchgängig Bei diesem Anlass nennen wir einige Häuser, an welchen nur noch die Haupt- * bilder erhalten sind: N. 2987 auf Piazza Brà: Madonna von Monsignori; — N. 2988: Madonna von Caroto; — N. 5522 jenseits Ponte delle navi: Ma- donna mit Heiligen, Hauptwerk von Franc. Morone; — N. 4562: der Ge- kreuzigte mit Gottvater zwischen zwei Heiligen, von Bart. Montagna; — das Haus neben N. 1140 unweit Ponte nuova: treffliche Pietà mit Heiligen. Man- ches Gute ist dem Verfasser entgangen. . Gegen die Mitte des XVI. Jahrhunderts hin gewinnt die Gattung eine neue Ausdehnung und einen fast ausschliesslich mythologischen Inhalt; die einfarbige Darstellung, und zwar nach Stockwerken und Abtheilungen in den Tönen wechselnd (grün, roth, grau, violett, gold- braun etc.), beginnt entschieden vorzuherrschen. Allerdings büssten die venezianisch geschulten Maler hiebei einen ihrer besten Vortheile ein, ohne dass ein Ersatz eingetreten wäre durch jene höhere classi- sche Auffassung, wie sie etwa in Polidoro’s Niobidenfries lebt. Allein je nach der Begabung des Einzelnen kam es doch zu sehr bemerkens- werthen Schöpfungen. Unter diesen ist vorzüglich die Bemalung zu nennen, womit Do- b menico Brusasorci den Pal. Murari della Corte völlig be- deckte. (N. 4684, jenseits Ponte nuovo.) Die Strassenseite enthält in farbigen, die Fluss- und Rückseite in einfarbigen Bildern und Friesen eine ganze Mythologie, die Geschichten der Psyche, die Centauren- und Lapithenkämpfe, die Hochzeit des Seegottes Benacus (Lago di Garda) mit einer Nymphe, Tritonenzüge etc.; von Histori- schem den Triumph des Paulus Aemilius und die Gestalten berühmter Veroneser. — Ausserdem gehört zum Bessern: die Bemalung von N. 1878, Opfer und Waffenweihe, von Torbido: — N. 5502, Allegorisches und eine Scene aus Dante, von Farinati; — N. 5030, Casa Murari bei SS. Nazario e Celso, mit umständlichen mythologischen Malereien und farbigen Friesfiguren, von Canerio und Farinati; — N. 1579 grosse Verona. Brescia. — Die Hochrenaissance. Fassade mit lauter Einfarbigem in der Art von Palazzo Murari; — N. 4195, Casa Sacchetti mit einfarbigem Fries von Battista dal Moro. a U. A. m. Mit dem Ende des XVI. Jahrhunderts stirbt die Gattung aus. Sie theilt das auffallende Schicksal der ganzen Kunst des veneziani- schen Gebietes, welche es nach 1600 in keiner Weise mehr zu einer Nachblüthe brachte, wie wir sie in Bologna, Florenz, Rom und Nea- pel anerkennen müssen. In Brescia war diese Fassadenmalerei einst ebenfalls sehr im Schwunge; ein bedeutender Localmaler, Lattanzio Gambara , hat sogar die beiden Häuserreihen einer Strasse (eines Theiles des jetzigen b Corso del teatro) mit fortlaufenden farbigen Darstellungen mytholo- gischen Inhaltes versehen. (Manches von ihm ausserdem in Thorhal- len, Höfen etc., z. B. N. 318.) Neuerer Umbau hat das Meiste zerstört. Ungefähr mit dem XVI. Jahrhundert nimmt die moderne Bau- kunst einen neuen und höchsten Aufschwung. Die schwierigsten con- structiven Probleme hatte sie bereits bewältigen gelernt; das Handwerk war im höchsten Grade ausgebildet, alle Hülfskünste zur vielfältigsten Mitwirkung erzogen, der monumentale Sinn in Bauherrn und Bau- meistern vollkommen entwickelt, und zwar gleichmässig für das Pro- fane wie für das Kirchliche. Die Richtung, welche die Kunst nun einschlug und bis gegen die Mitte des Jahrhunderts mehr oder weniger festhielt, ging durchaus auf das Einfachgrosse. Abgethan ist die spielende Zierlust des bunten XV. Jahrhunderts, die so viel Detail geschaffen hatte, das zum Eindruck des Ganzen in gar keiner Beziehung stand, sondern nur eine locale Schön- heit besass; man entdeckte, dass dessen Wegbleiben den Eindruck der Macht erhöhe. (Was schon Brunellesco, San Gallo, Cronaca gewusst und sich stellenweise zu Nutze gemacht hatten.) Alle Gliederungen des Äussern, Pilaster, Simse, Fenster, Giebel werden auf einen keines- Hochrenaissance. weges trockenen und dürftigen, wohl aber einfachen Ausdruck zurück- geführt und die decorative Pracht dem Innern vorbehalten; auch hier waltet sie nicht immer und wir werden gerade einige der ausgezeich- netsten Innenbauten so einfach finden als die Aussenseiten. Sodann lässt sich ein gewisser Fortschritt in das Organische nicht verkennen. Die Gliederungen (Pilaster, Simse u. dgl.) hatten bisher wesentlich die Function des Einrahmens versehen; ja die Frührenais- sance hatte ganze Flächen und Bautheile mit vierseitigen Rahmen- profilen umzogen (Dom von Como etc.), in der Absicht, den Raum zu beleben. Jetzt erhalten jene Glieder von Neuem ihren eigentlichen, wenn auch ebenfalls nur conventionellen Werth; man sucht sie deut- licher als Stütze etc. zu charakterisiren und holt von Neuem Belehrung bei den Trümmern des Alterthums. Brunellesco hatte deren Formen nachgezeichnet, jetzt erst mass man genau ihre Verhältnisse und lernte sie als Ganzes kennen. Sie als Ganzes zu reproduciren, lag nicht im Geist und nicht in den Aufgaben der Zeit, man baute keine römischen Tempel und Thermen, — aber dazu fühlte man sich mächtig genug, mit Hülfe der Alten einen eben so imposanten Eindruck hervorzu- bringen wie sie. Die Muster waren dieselben, die schon das XV. Jahrhundert beschäftigt hatten: für freie Säulenhallen die Tempel Roms, für Wand- und Pfeilerbekleidungen die Halbsäulensysteme der Thea- ter, die Triumphbogen, die Pilaster des Pantheons, die Wölbungen der Thermen u. s. w., wobei im Einklang mit der beginnenden Kunst- archäologie die Epochen der Blüthe und des Verfalls schon beträcht- lich mehr unterschieden wurden als früher. Man latinisirte noch ein- mal die Bauformen, wie damals viele Literatoren es mit der Sprache versuchten, um in dem antiken Gewande die Gedanken des Jahrhun- derts auszusprechen. Der bedeutendste dieser Gedanken war hier im Grunde die neue Vertheilung der baulichen Massen; jetzt erst entwickelt sich die (schon bei Brunellesco verfrüht ausgebildete) Kunst der Verhältnisse im Grossen . Jener neuerwachte Sinn für die organische Bedeutung der echten antiken Formen muss sich diesem Hauptgedanken ganz dienstbar unterordnen Auf den ersten Anschein möchte man glauben, dass die Anwendung der an- tiken Säulenordnungen zu bestimmten Verhältnissen genöthigt habe. Allein . Die Verhältnisse. Was sind nun diese Verhältnisse? Sie sollen und können ur- sprünglich nur der Ausdruck für die Functionen und Bestimmungen des Gebäudes sein. Allein das erste Erwachen des höhern monumen- talen Baues giebt ihnen eine weitere Bedeutung und verlangt von ihnen nicht bloss das Vernünftige, sondern das Schöne und Wohl- thuende. In Zeiten eines organischen Styles, wie der griechische und der nordisch-gothische waren, erledigt sich nun die Sache von selbst; eine und dieselbe Triebkraft bringt Formen und Proportionen untrenn- bar vereinigt hervor. Hier dagegen handelt es sich um einen secun- dären Styl, der seine Gedanken freiwillig in fremder Sprache aus- drückt. Wie nun die Formen frei gewählt sind, so sind es auch die Verhältnisse; es genügt, wenn beide der Bestimmung des Baues eini- germassen (und sei es auch nur flüchtig) entsprechen. Dieses grosse Mass von Freiheit konnte ganz besonders gefährlich wirken in einer Zeit, die mit der grössten Begier das Ausserordentliche, Ungemeine von den Architekten verlangte. Es gereicht den Bessern unter ihnen zum ewigen Ruhm, dass sie diese Stellung nicht missbrauchten, vielmehr in ihrer Kunst die höch- sten Gesetze zu Tage zu fördern suchten. Dadurch, dass sie es ernst nahmen, erreichte denn auch ihre Composition nach Massen eine dauernde, classische Bedeutung, die gerade bei der grossen Freiheit doppelt schwer zu erreichen war. Etwas an sich nur Conventionelles drückt hier einen Rhythmus, einen unläugbaren künstlerischen Gehalt aus. Die Theorie, welche Stockwerke und Ordnungen messend und beur- theilend den Gebäuden nachging, umfasste gerade dieses freie Ele- ment aus guten Gründen nicht; man wird bei Serlio, Vignola und Palladio keinen Aufschluss in zusammenhängenden Worten, nur bei- läufige Andeutungen finden; dagegen eine Menge Recepte für Einzel- verhältnisse, zumal der Säulen. Die constructive Ehrlichkeit und Gründlichkeit, welche noch keinen pikanten Widerspruch zwischen den Formen und den baulichen Func- tionen erstrebte, war ebenfalls der Reinheit und Grösse des Eindruckes thatsächlich behandelte man diese Ordnungen ganz frei und gab ihnen die- jenige Ausdehnung zum Ganzen, diejenigen Intervalle zu einander, welche zweckdienlich schienen. Hochrenaissance. Grossräumigkeit. förderlich. Bei diesem Anlass muss zugestanden werden, dass manche Bauherren an Material und Baufestigkeit zu ersparen suchten, was sie an Raumgrösse aufwandten. Vielleicht haben die beiden folgen- den Jahrhunderte im Ganzen solider gebaut als das XVI., das ihnen an künstlerischem Gehalt so weit überlegen bleibt. Erst mit dem XVI. Jahrhundert wird der Aufwand an Raum und Baumaterial ein ganz allgemeiner; es beginnt jene allgemeine Gross- räumigkeit, auch der bürgerlichen Wohnungen, jener weite Hochbau der Hallen und Kirchen, welcher schon aus technischen Gründen den Wölbungen und Kuppeln den definitiven Sieg über die Säulenkirche verschafft und auch an profanen Gebäuden die Pfeilerhalle in der Regel an die Stelle der Säulenhalle setzt. (Das XVII. Jahrhundert verfolgt diese Neuerung noch weiter, bis in die Übertreibung). — Diess hindert nicht, dass auch in kleinen Dimensionen, bei beschränktem Stoff und äusserst bescheidener Verzierung bisweilen Unvergängliches geleistet wurde. Ein mitwirkender, doch nicht bestimmender Umstand zu Gunsten des Pfeilerbaues war das Seltenwerden disponibler anti- ker Säulen, welches z. B. schon früher in Rom den Pintelli (Seite 194) zur Anwendung des achteckigen Pfeilers veranlasst zu haben scheint. Vollends so grosse antike Säulen, wie sie zu dem jetzigen Baumass- stab gepasst haben würden, gab man nicht mehr her oder hob sie für einzelne Prachteffecte im Innern auf, für Verzierung von Pforten, Tabernakeln u. s. w. — Ausserhalb Roms blieb namentlich in Florenz der Säulenbau weit mehr in Ehren; wir werden sehen aus welchen Gründen. Die Wahl der Formen im Grossen war jetzt noch freier als im XV. Jahrhundert. Wenn nur etwas Schönes und Bedeutendes zu Stande kam, das der Bestimmung im Ganzen entsprach, so fragte der Bauherr nach keiner Tradition; es war in dieser Beziehung ganz gleich, ob eine Kirche als Basilica, als gewölbte Ellipse, als Achteck gestaltet wurde, ob ein Palast schlossartig oder als leichter durch- sichtiger Hallenbau zu Stande kam. Der moderne Geist, der damals nach jeder Richtung hin neue Welten entdeckte, fühlt sich zwar nicht im Gegensatz gegen die Vergangenheit, aber doch wesentlich frei von ihr. Bramante’s spätere Werke. Die erste Stelle wird hier wohl dem grossen Bramante von Urbino nicht streitig gemacht werden können (geb. 1444, welches das Todesjahr Brunellesco’s ist; † 1514; bekanntlich Oheim oder Ver- wandter Rafaels). Er hat noch den ganzen Styl des XV. Jahrhun- derts in schönster Weise mit durchgemacht und in den letzten Jahr- zehnden seines Lebens den Styl der neuen Zeit wesentlich geschaffen. An Höhe der Begabung und an weitgreifendem Einfluss ist ihm bis auf Michelangelo keiner zu vergleichen. Seine frühere Thätigkeit gehört der Lombardie an (Seite 199). Es ist mir nicht möglich zu entscheiden, wie vieles von den ihm dort zugeschriebenen Bauten ihm wirklich gehört; in der Umgegend von Mailand wird sein Name, wie gesagt, ein Gattungsbegriff. — Fra- gen wir, was er aus dieser oberitalischen Tradition mitbrachte, so ist es (im Gegensatz die Florentiner) die Vorliebe gegen den ge- gliederten Pfeiler, für kühnwirkende halbrunde Abschlüsse und hohe Kuppeln, Elemente, welche die lombardische Frührenaissance aus ihrem Backsteinbau (S. 151, 203) entwickelt hatte. Seine Grösse liegt nun darin, dass er in der spätern Zeit seines Lebens diess Alles seinem hohen Gefühl für Verhältnisse dienstbar machte. Von den Gebäuden, welche Bramante kurz vor und unter Julius II, überhaupt in seiner spätern Lebenszeit ausführte, sind die ausserhalb Roms gelegenen dem Verfasser nicht oder nur aus Abbildungen be- kannt: die Kirche von Loretto mit Ausnahme der Kuppel; die Santa a casa in dieser Kirche; der bischöfliche Palast daselbst; S. Maria del b Monte in Cesena; endlich S. Maria della Consolazione in Todi . Die c letztere muss, nach den Stichen zu urtheilen, eines der in sich voll- kommensten Gebäude Italiens sein; über vier (von innen und aussen mit zwei Pilasterstellungen bekleideten) Halbrotunden, welche die Arme eines griechischen Kreuzes bilden, erhebt sich eine hohe Kuppel (deren Cylinder ebenfalls von innen und aussen mit Pilastern versehen ist). Das Ganze durchaus ein Hochbau, beträchtlich schmaler als hoch, selbst die Lanterna ungerechnet. Unter den römischen Bauten gilt als die frühste, vom Jahr 1504, der Klosterhof bei S. M. della Pace (links von der Vorderseite d der Kirche, durch eine Strasse davon getrennt) Ganz in der Nähe zwei gute Häuserfassaden derselben Zeit. * . Dieser kleine ver- Hochrenaissance. Rom. Bramante. nachlässigte Hof ist an und für sich schon eine Revolution des ganzen bisherigen Hallenbaues. Unten Pfeiler mit Pilastern und Bogen; oben Pilasterpfeiler mit geradem Gebälk, das in der Mitte jedes Intervalls durch eine Säule unterstützt wird; — in dieser Form motivirte Bra- mante die Nothwendigkeit, das obere Stockwerk von seinem bisherigen Holzgesimse mit Consolen (S. 177, oben) zu befreien und ihm eine mo- numentale Bildung zu geben, die mit dem Erdgeschoss in reinster Har- monie steht. (Baupedanten tadeln jede Säule über der Mitte eines Bogens, allein hier ist durch das bedeutende Zwischengesimse mit At- tica und durch die Schmächtigkeit der Säule jedes Bedenken gehoben.) Es folgt Bramante’s einzig ganz ausgeführtes und erhaltenes Mei- a sterwerk: die schon früher begonnene aber erst später vollendete Cancelleria mit Einschluss der Kirche S. Lorenzo in Damaso. Die gewaltige Fassade, welche beide Gebäude mit einander umfasst, zeigt eine ähnliche Verbindung von Rustica und Wandpilastern wie Alber- ti’s Pal. Ruccellai in Florenz, aber ungleich grandioser und weniger spielend. Das Erdgeschoss, hoch und bedeutend, bleibt ohne Pilaster; sie beleben erst, je zwei zwischen den Fenstern, die beiden obern Stockwerke. Das stufenweise Leichterwerden ist sowohl in der Gra- dation der Rustica und in der Form der Fenster als auch in jener obern Reihe kleiner Fenster des obersten Stockwerkes ausgedrückt; letztern zu Gefallen hätten die Baumeister der höchsten Blüthezeit noch kein besonderes Stockwerk creirt, wie Spätere thaten. Gestalt und Profilirung der Fenster, der Gesimse Von den Thüren ist die störend barocke des Palastes von Domenico Fon- tana, die sehr schöne der Kirche von Vignola, dem man sie kaum zutrauen würde. , sowie alles Einzelnen sind an sich schön und in reinster Harmonie mit dem Ganzen gebildet. Allerdings gowöhnt sich das Auge in Rom leicht an den starken und wirksamen Schattenschlag der Barockbauten und vermisst diesen an Bramante’s mässigen Profilen; allein mit welcher Aufopferung aller Hauptlinien pflegt er erkauft und verbunden zu sein. — An den Sei- tenfassaden Backsteinbau statt der Rustica. Der Hof der Cancelleria ist der letzte grossartige Säulenhof Roms. Bramante benützte dazu wahrscheinlich die Säulen der alten (fünf- schiffigen oder zweistöckigen) Basilica S. Lorenzo in Damaso, die er Bramante. Cancelleria. Pal. Giraud. abbrach. Das Mittelalter hatte sie auch nur von irgend einem antiken Gebäude genommen, und wir dürfen vermuthen, dass sie ihre jetzige, dritte Bestimmung harmonischer erfüllen als die zweite. Es sind 26 im Erdgeschoss, 26 im mittlern Stockwerk, mit leichten, weiten Bogen; das Obergeschoss wiederholt das Motiv desjenigen der Fassade, nur mit je einem Pilaster zwischen den Fenstern, statt zweier. Der wun- derbare Eindruck des Hofes macht jedes weitere Wort überflüssig. Die Kirche S. Lorenzo endlich, wie sie Bramante neu baute, a ist trotz moderner Vermörtelung noch eines der schönsten und eigen- thümlichsten Interieurs; ein grosses gewölbtes Viereck, mit Hallen trefflich detaillirter Pfeiler auf drei Seiten; hinten die Tribuna; mit fast ausschliesslichem Oberlicht durch das mächtige Halbrundfenster links; reich an malerisch beleuchteten Durchblicken verschiedener Art. Wir wissen nicht war es Bramante’s eigne Überzeugung von der abgeschlossenen Vollkommenheit seiner Fassade, oder das Verlangen des Bauherrn, was ihn bewog, das Wesentliche derselben an dem schönen Palast auf Piazza Scossacavalli zu wiederholen. (Später Pal . b Giraud , jetzt Torlonia benannt). Das Wichtigste aber sind die Unter- schiede zwischen beiden; es wird nicht bloss ein Stück aus dem lan- gen Horizontalbau der Cancelleria wiederholt, sondern die geringere Ausdehnung zu einer ganz neuen Wirkung benützt; das Erdgeschoss höher und strenger, die obern Geschosse niedriger, die Fenster des mittlern grösser gebildet. Das Portal auch hier neuer und schlecht Die Portale der Renaissance haben vorzüglich, seit das Fahren allgemeine Sitte wurde, den breitern Barockportalen weichen müssen. In Neapel (S. 196, g) waren es von jeher breite und hohe Einfahrten. ; der Hof ein überaus einfacher Pfeilerbau mit Bogen und Pilastern. Auf die einfachsten Elemente reducirt findet man Bramante’s Pa- lastbauart in dem zierlichen kleinen Hause eines päpstlichen Schrei- c bers Turinus gegenüber dem Governo vecchio. Wenn wir hier auf Bramante wenigstens rathen dürfen, so ist dagegen der ihm wirklich zugeschriebene Pal. Sora (jetzt Caserne, unweit Chiesa nuova) das d Werk eines Stümpers jener Zeit. Endlich war Bramante der glückliche Meister, welcher dem vati- e canischen Palast seine Gestalt geben sollte. Seit Nicolaus V hatten die grössten Architekten (S. 172) Pläne gemacht; durch Un- B. Cicerone. 20 Hochrenaissance. Bramante. Vatican. beständigkeit, anderweitige Beschäftigung und baldigen Tod der Päpste hatte es jedoch bei einzelnen Stückbauten sein Bewenden gehabt, haupt- sächlich in der Nähe von S. Peter (Appartamento Borgia, Cap. Si- stina, Cap. Nicolaus V etc.); Innocenz VIII legte in beträchtlicher a Entfernung davon das Lusthaus Belvedere an (nach der Zeichnung des Antonio Pollajuolo). Die Verbindung des letztern mit den übrigen Theilen und eine gänzliche Umbauung der letztern mit neuen Gebäu- den war nun Bramante’s Aufgabe. Allein nur in dem vordern dreiseiti- b gen Hallenhof, dem Cortile di San Damaso, ist seine Anlage einiger- massen vollständig ausgeführt (zum Theil durch Rafael, zum Theil lange nach seinem Tode) und erhalten. Die Aufeinanderfolge der Motive von den starken untern Pfeilern, zu den leichtern der bei- den mittlern Stockwerke und zu den Säulen des obersten ist sehr schön behandelt, überdiess finden sich hier Rafaels Loggien und eine Aussicht über Rom, die nicht zu den vollständigen aber zu den schön- sten gehört. Doch dieser Hof sollte bei Weitem nicht das Haupt- motiv des Gesammtbaues bilden. Dieses war vielmehr denjenigen Bauten vorbehalten, welche den c grossen hintern Hof und den Giardino della Pigna umgeben. Man denke sich die Querbauten der vaticanischen Bibliothek und des Brac- cio nuovo hinweg und an deren Stelle ungeheure doppelte Rampen- treppen die aus dem tiefer gelegenen untern Hof in den genannten Giardino hinaufführen; man setze an die Stelle der Seitengalerien, welche nur in bastardmässiger Umgestaltung und Vermauerung vor- handen sind, diejenige grandiose Form ununterbrochener Bogenhallen und Mauerflächen, welche Bramante ihnen zudachte, so entsteht ein Ganzes, das seines Gleichen auf Erden nicht hat. Man kann den Backsteinbau mit mässigem Sims- und Pilasterwerk, den Bramante theils anwandte theils anwenden wollte, leicht an Pracht und Einzel- wirkung überbieten; für das grosse Ganze war er fast vollendet schön gedacht. Er ist ferner abgeschlossen durch eine Hauptform, vor deren imposanter Gegenwart jeder Mittelbau neuerer Paläste gering und un- frei erscheinen würde, so gross und reich er auch wäre Eine Centralform von analoger Empfindung ist es, was z. B. dem Tuilerien- hof fehlt und immer fehlen wird. Kein Schmuck kann Composition und Li- nien im Grossen ersetzen. . Wir mei- Vatican. S. Pietro in Montorio. nen jene colossale Nische mit Halbkuppel, über welcher sich ein halb- runder Säulengang mit tempelartigen Schlussfronten hinzieht. Sie ist wohl factisch nur eine Schlussdecoration, allein sie könnte der feier- lichste Eingang zu einem neuen Bau sein. (Die Aussennischen des alten Roms, S. 56 Anm.) Am untern Ende des Hofes entspricht ihr ge- wissermassen eine nur unvollständig ausgeführte Exedra. Endlich ist die schöne flache Wendeltreppe am Belvedere Der eine Eingang, den man sich an den Tagen des nichtöffentlichen Besu- ches kann öffnen lassen, ist in der Nähe des Meleager. nach a Bramante’s Plan ausgeführt; in der Mitte auf einem Kreise von immer acht Säulen ruhend, die von den schwerern zu den leichtern Ordnun- gen übergehen. Von dem grossen Tribunal- und Verwaltungsgebäude, welches b Julius II durch Bramante wollte ausführen lassen, sind noch Anfänge von Mauern des Erdgeschosses an mehrern Häusern der Via Giulia sichtbar. Nach der sehr derben Rustica der gewaltigen Steinblöcke zu urtheilen, hätte der Palast einen wesentlich andern Charakter als alle bisher genannten erhalten. Was Bramante für einen Antheil an dem jetzigen Bau von S. Peter hatte, wird bei Anlass Michelangelo’s zu erörtern sein. — Nur ein Kuppelbau ist in Rom nach seinem Plan ausgeführt: das runde Tem- c pelchen, welches im Klosterhof von S. Pietro in Montorio die Stelle der Kreuzigung Petri bezeichnet; ein schlanker Rundbau, unten mit dorischem Umgang und zwölf kleinern Nischen, innen mit vier grössern und mit dorischen Pilastern; das Obergeschoss innen und aussen einfach, die Kuppel als Halbkugel; zu unterst eine Crypta. Allein die Absicht Bramante’s wird erst vollständig klar, wenn man weiss, dass rings um dieses schöne Gebäude nur ein schmaler freier Raum und dann ein runder Porticus von viel grössern Säulen beab- sichtigt war; die vier abgeschnittenen Ecken hätten dann vier Capel- len gebildet. Der Meister wollte also sein Tempietto aus einer be- stimmten Nähe, in einer bestimmten Verschiebung, eingefasst (für das Auge) durch Säulen und Gebälk seines Porticus betrachtet wissen. Es wäre somit das erste Denkmal eines ganz durchgeführten per- spectivischen Raffinements. — Auch das Nischenwerk ist hier von 20* Hochrenaissance. Bramante’s Nachfolger. ganz besonderer Bedeutung. Die runde Form (vgl. S. 303) sollte sich an diesem so kleinen Bau in den verschiedensten Graden und Ab- sichten wiederholen und spiegeln, als Hauptrunde des Kernbaues, des Umganges, des grössern Porticus, als Kuppel, dann als Nische des Innern, des Äussern, der Porticuswand und selbst der Porticuscapellen — Alles streng zu einem Ganzen geschlossen. Das Nischenwerk der bisherigen Renaissance erscheint gegen diese systematische Aufnahme und Erweiterung altrömischen Thermen- und Palastbaues gehalten wie ein blosser befangener Versuch. Ohne dass sich eine eigentliche Schule an Bramante angeschlos- sen hätte (womit es sich in der Baukunst überhaupt anders verhält als in Sculptur und Malerei), lernten doch die Meister des XVI. Jahr- hunderts alle von ihm. Ganz besonders hatte er in dem Grundriss von S. Peter, den man (was Kuppelraum und Kreuzarme betrifft) viel- fach änderte aber nie völlig umstiess, ein Programm grandiosen Pfei- lerbaues mit Nischen aufgestellt, wonach alle Künftigen sich zu achten hatten. Die toscanische Schule, mit all ihren bisherigen Kuppeln und Gewölbekirchen, war hier durch ein neues System der Massenbelebung, ein neues Verhältniss von Nischen und Eckpilastern überflügelt; sie hatte sich noch immer stellenweise auf den Säulenbau verlassen; Bra- mante gab ihn im Wesentlichen auf. Seine Pfeiler mit Pilastern, wenigstens an Aussenbauten, sind viel- leicht die einfachsten, welche die Renaissance gebildet, ohne Canne- lüren, mit nur sehr gedämpftem Blattwerk etc. der Capitäle; und wenn die Schönheit in der vollkommenen Harmonie des Einzelnen zum Ganzen besteht, so sind sie auch die schönsten. Allein schon die nächsten Nachfolger begnügten sich damit nicht gerne. Sie behielten aus der frühern Renaissance die Wandsäulen, wenigstens zur Fensterbekleidung bei, auch wohl zur Wandbekleidung. Demgemäss traten dann auch die betreffenden Gesimse weit und stark- schattig hervor. Man vergass zu leicht das, wovon der grosse Meister allein ein völlig klares Bewusstsein scheint gehabt zu haben: dass näm- lich einem abgeleiteten, mittelbaren Styl wie dieser, sobald die Zeit der naiven Decoration vorüber ist, nur die gemessenste Strenge und Rafael. Öconomie auf die Dauer zu helfen im Stande ist, dass er dadurch allein den mangelnden Organismus würdig ersetzen kann. Gleich derjenige, welcher Bramante am nächsten stand, Rafael , ging in seinen Palästen über dieses Mass hinaus. Sein Schönheitssinn sicherte ihn allerdings vor Klippen und Untiefen. Von den wenigen nach seinem Entwurf ausgeführten und wirk- lich noch vorhandenen Gebäuden ist Pal. Vidoni in Rom (auch a Stoppani und Caffarelli genannt, bei S. Andrea della Valle) arg ver- baut, sodass das Rustica-Erdgeschoss, auf dessen starken Contrast mit den gekuppelten Säulen des obern Stockwerkes Alles ankam, fast nirgends mehr die ursprünglichen Öffnungen zeigt; auch die obern Theile sind modernisirt. — Besser erhalten, aber zweifelhaft ist Pal. b Uguccioni (jetzt Fenzi) auf Piazza del Granduca in Florenz. Auch hier unten derbste Rustica und dann ein ionisches und ein korinthi- sches Obergeschoss mit gekuppelten Wandsäulen. (Von Andern dem Palladio zugeschrieben; die Ausführung wahrscheinlich erst lange nach Rafaels Tode). — Ganz sicher ist der herrliche Pal. Pandolfini , jetzt c Nencini, ebenda (Via S. Gallo), von Rafael entworfen, aber erst etwa ein Jahrzehnd nach seinem Tode ausgeführt und wohl nicht ohne Veränderungen, etwa an der Gartenseite. Es sind die Formen eines nur bescheidenen Gebäudes in grossen Dimensionen und mächtigem Detail ausgedrückt; Rustica-Ecken; die Fenster oben mit Säulen, unten mit Pilastern eingefasst und mit Giebeln bedeckt; über einem Fries mit grosser Inschrift ein prächtiges Hauptgesimse; nach einem bedeutenden Rusticaportal neben dem Gebäude wiederholt sich das untere Stockwerk als Altan, eines der reizendsten Beispiele aufge- hobener Symmetrie. — Von Anbauten an römischen Kirchen ist die ganz einfache Vorhalle der Navicella und die köstliche Capella Chigi d in S. Maria del Popolo von Rafael angegeben. e Diese ausgeführten Bauten werden von den früher (S. 173) ge- nannten Architekturen in seinen Gemälden natürlich weit übertroffen. Von den Werken eines andern Urbinaten, der vermuthlich zu Bramante in einiger Beziehung stand, Girolamo Genga (1476—1551) können wir nur die Namen (nach Milizia) angeben, für Die, welche Hochrenaissance. Giulio Romano. a die Romagna besuchen: ein Palast auf Monte dell’ Imperiale bei Pe- saro, die Kirche S. Giovanni Battista in dieser Stadt, das Zoccolanten- kloster in Monte Barroccio, der bischöfliche Palast in Sinigaglia. (Die Fassade des Domes von Mantua wird eher von Giulio Romano sein.) b Von Girolamo’s Sohn Bartolommeo war einst ein Palast des Her- zogs von Urbino zu Pesaro, die Kirche S. Pietro zu Mondavio vor- handen, auch eine Anzahl Gebäude auf Malta. Was von all diesen Bauten noch existirt, können wir nicht angeben. In der zweiten Generation ist Bramante’s Vaterschaft noch sehr kenntlich bei dem berühmten Giulio Romano (1492—1546), der als Baumeister eher an jenen als an Rafael anknüpft. (Wobei zu be- denken bleibt, dass wir Rafael von dieser Seite nur wenig kennen.) Giulio’s frühere Bauthätigkeit gehört Rom, die spätere Mantua c an. Das wichtigste und älteste Werk der römischen Periode ist die Villa Madama Vasari sagt: Manche glauben , der erste Entwurf rühre von Rafael her. am Abhang des Monte Mario (für Clemens VII, da- mals noch Cardinal Giulio de’ Medici erbaut, aber nie vollendet und jetzt allmälig zur Ruine verfallend, nachdem schon längst der Garten auf- gegeben worden). Das gerade Gegentheil von dem was der Durch- schnittsgeschmack unserer Zeit ein freundliches Landhaus zu nennen pflegt. Kaum je zum Wohnen, eher nur zum Absteigequartier be- stimmt; möglichst Weniges in möglichst grossen Formen, von einer einfachen Majestät, wie sie dem vornehmsten der Cardinäle und schon halb designirten Nachfolger auf dem päpstlichen Stuhl gemäss zu sein schien. Nur Eine Ordnung von Pilastern; ja in der Mitte, wo die dreibogige Halle mit den oben (S. 285, f) erwähnten Arabesken sich öffnet, nur Ein Stockwerk, über hoher, malerisch ungleich vortreten- der Terrasse; das Wasserbecken unten dran ehemals durch Ströme aus den Nischen belebt. Auf der Rückseite eine unvollendete Exedra mit Wandsäulen und Fenstern, ein Kreissegment bildend, wahrschein- lich bestimmt einen Altan zu tragen In einer alten, doch verdächtigen Restauration ist die Exedra zur runden Halle erweitert, welche erst den Mittelbau des vermuthlichen Ganzen bildet (??). . d Das kleinere Casino der Villa Lante auf dem Janiculus ist gegen- wärtig unzugänglich und auch durch Abbildungen nicht bekannt. — Rom und Mantua. Peruzzi. Der Pal. Cicciaporci an der Via de’ Banchi, nur halbvollendet und a vernachlässigt, ist ein schöner und eigenthümlicher Versuch Giulio’s, ohne Wandsäulen und stark vortretende Glieder, mit bescheidenem Baumaterial einen neuen und bedeutenden Eindruck hervorzubringen. — Die Reste des Pal. Maccarani auf Piazza S. Eustachio geben in b ihrem jetzigen Zustand nur den dürftigsten Begriff von der Absicht des Künstlers. — Welchen Antheil er an der Kirche Madonna dell’ c Orto im Trastevere gehabt haben mag, ist aus der heutigen Gestalt derselben schwer zu entnehmen. Die spätere Lebenszeit Giulio’s verstrich bekanntlich in Mantua . Es ist dem Verfasser nicht vergönnt gewesen, die schönen, aber ziem- lich frühen Jugendeindrücke, die ihm diese Stadt hinterlassen, zu er- neuern; er muss sich damit begnügen, Giulio’s Hauptwerke zu nennen. Der Palazzo del Te (abgekürzt aus Tajetto), ein grosses fürstliches d Lusthaus, ist die bedeutendste unter den erhaltenen Anlagen dieser Art aus der goldenen Zeit, aussen fast zu ernst mit Einer dorischen Ordnung, innen mit Hof, Garten und Zubauten das vollständigste Bei- spiel grossartiger Profandecoration. (Vgl. S. 212, b.) Am alten Pa- e lazzo ducale ist ein Theil von Giulio; unter seinen übrigen Palästen wird besonders sein eigenes stattliches Haus gerühmt. Von den man- f tuanischen Kirchen gehört ihm das jetzige Innere des Domes und die g (in der Nähe der Stadt gelegene?) Kirche S. Benedetto, eine hoch- h bedeutende Anlage, wenn sie noch erhalten ist. (Von einem Nach- folger, Giambattista Bertano, ist 1565 die Kirche S. Barbara erbaut, i mit einem schönen Thurm von vier Ordnungen.) Auch der grosse Baldassare Peruzzi (1481 — 1536) gehört zu denjenigen, auf welche Bramante einen starken Eindruck gemacht hatte. Seine Thätigkeit theilt sich hauptsächlich zwischen Siena und Rom, und zwar mit mehrmals wechselndem Aufenthalt. In Siena wer- den ihm eine ganze Anzahl meist kleiner Gebäude, auch einzelne Theile solcher zugeschrieben; bedrängt und sehr bescheiden wie er war, ent- zog er sich auch untergeordneten Aufträgen nicht. (Seine decorativen Arbeiten S. 240, 264.) Laut Romagnoli wären von ihm die Paläste Pollini k und Mocenni nebst dem Innern von Villa Saracini; der Arco alle due l Hochrenaissance. Peruzzi. Farnesina. a porte; das Kloster der Osservanza ausserhalb der Stadt; die Kirchen S. Sebastiano und del Carmine, die Fassade von S. Marta, das Meiste an S. Giuseppe, der jetzige Innenbau der Servi (oder Concezione) und der kleine Hof hinten über S. Caterina. So vieles mir von diesen Bauten bekannt ist, sind es lauter Aufgaben, bei welchen mit sehr sparsamen Mitteln, hauptsächlich durch mässiges Vortreten backstei- nerner Pfeiler und Gesimse in schönen Verhältnissen, das Mögliche geleistet ist, mehrmals mit genialer Benützung des steil abfallenden Erdreichs. Für das flüchtige Auge ist hier kein auffallender Reiz ge- boten; man muss die äusserste Beschränkung des Aufwandes mit erwägen, um das Verdienst des Baumeisters zu würdigen. Vielleicht b wird das in seiner Armuth so reizend schöne Höfchen bei S. Caterina, in welchem der Geist Bramante’s lebt, am ehesten den Beschauer für c diese unscheinbaren Denkmäler gewinnen * In der Villa Santa Colomba, die dem Collegio Tolomei gehört, soll sich eine vorzüglich schöne Wendeltreppe von Peruzzi erhalten haben. . (In der Concezione dürfen die spitzbogigen Gewölbe der Seitenschiffe der Basilica nicht befrem- den; Peruzzi hatte das Gothische studirt und sogar für S. Petronio in Bologna eine Fassade dieses Styles entworfen. S. 148, a.) In Rom hatte er bedeutenden Antheil am Bau von S. Peter (s. d unten bei Michelangelo). Sodann gehört ihm die berühmte Farnesina , die er im Auftrag des sienesischen Bankiers Agostino Chigi erbaute. Es ist unmöglich, eine gegebene Zahl von Sälen, Hallen und Ge- mächern anmuthiger in zwei Stockwerken zu disponiren als hier ge- schehen ist. Neben der vornehm grandiosen Villa Madama erscheint diese Farnesina als das harmlos schönste Sommerhaus eines reichen Kunstfreundes. Durch die besonnenste Mässigung der architektonischen Formen behält der mittlere Hallenbau mit den vortretenden Seiten- flügeln eine Harmonie, die ihm eine Zuthat von äussern Portiken mit Giebeln u. dgl. nur rauben könnte. Die einfachsten Pilaster fassen das obere und das untere Stockwerk gleichsam nur erklärend ein; das einzige plastische Schmuckstück, das denn auch wirkt wie es soll, ist der obere Fries. (Über die Bemalung s. S. 293, a.) Die klei- nen Mittelstockwerke (Mezzaninen) sind (wie in der guten Zeit über- haupt, zumal an einem kleinen Gebäude) verhehlt; die Fenster des Palazzo Massimi etc. untern sind ganz ungescheut zwischen den Pilastercapitälen, die des obern im Fries angebracht. Die malerische Ausstattung, deren Ruhm das Bau- werk als solches in den Schatten stellt, wird unten zur Sprache kommen. Der Raum war hier frei, Licht und Zugang von allen Seiten ge- geben. Aber Peruzzi wusste, ohne Zweifel von seinen sienesischen Erfahrungen her, auch im Engen und Beschränkten gross und be- deutend zu wirken; Bedingungen solcher Art steigerten seine Kräfte, ähnlich wie ungünstige Wandflächen für Fresken diejenigen Rafaels. Eines der ersten Denkmäler Italiens bleibt in dieser Hinsicht der Pal. a Massimi zu Rom; an einer engen, krummen Strasse, die denn aller- dings die strengern Fassadenverhältnisse unanwendbar machte. Peruzzi concentrirte gleichsam die Krümmung, machte sie zum charakteristi- schen Motiv in Gestalt einer schönen und originellen kleinen Vorhalle, die schon in den wachsenden und abnehmenden Intervallen ihrer Säulen und in ihrem Abschluss durch zwei Nischen diese ihre ausser- gewöhnliche Bestimmung ausspricht. Von ihr aus führt ein Corridor in den Hof mit Säulen und geraden Gebälken, der mit seinem kleinen Brunnen und dem Blick auf die Treppe ein wiederum einzig schönes und malerisches Ganzes ausmacht. Die Decoration, durchgängig stren- ger classicistisch als die oben angeführten Sachen in Siena, verräth die späteste Lebenszeit des Meisters. (Ausgeführt von Udine.) Ebenso der kleine Palast an der Strasse, welche von Pal. Mas- simi gegen Pal. Farnese führt; nach den Lilien zu urtheilen, möchte b er ebenfalls für die Farnesen gebaut sein. Die Urheberschaft Peruzzi’s wird bezweifelt; jedenfalls würde ihm dieses trotz Vermauerung der Loggien und Verunzierung aller Art noch immer schöne Gebäude keine Unehre machen. Als enger Hochbau mit vielen Fenstern nähert es sich etwas den genuesischen Palästen. Der Hof von Pal. Altemps, vorn und hinten mit reichstucchirten c Pfeilerhallen, auf der Seite mit Pilastern, wird ebenfalls dem Peruzzi zugeschrieben. — Bei diesem Anlass ist am besten aufmerksam zu machen auf einen schönen Palast, dessen Namen und Erbauer ich d nicht habe erfragen können, Via delle coppelle N. 35 Möglicher Weise vom jüngern San Gallo, der laut Vasari unweit S. Agostino einen Palast für Messer Marchionne Baldassini gebaut hat. Perin del Vaga malte darin einen Saal. . Der beschei- Hochrenaissance. Peruzzi. dene und elegante Pilasterhof steht etwa zwischen Giulio Romano und Peruzzi in der Mitte. a Wenn in Bologna die grossartige Fassade des Palazzo Albergati von Peruzzi ist, so muss ihm irgend einer der bolognesischen Deco- ratoren das Erdgeschoss verdorben haben. Die Fenster, auf einfach derbe viereckige Einfassung berechnet, bilden mit ihrem jetzigen nied- lichen Rahmen von Cannelüren, Consolen u. s. w. keinen echten Ge- gensatz mehr zu den gewaltigen Fenstern des Obergeschosses. Auch die Thüren und der Sims über dem Sockel sind Peruzzi’s unwürdig. b — Die Fassade des Pal. Fioresi, mit ihren dünnen Säulchen unten vor den Pfeilern, oben vor der Wand, ist bestimmt nicht von ihm entworfen, sondern eine rechte Frührenaissanceform. (Das Innere viel später, übrigens gut disponirt, besonders die Treppe.) c Hieher ist auch am ehesten Pal. Spada einzureihen, dessen Ur- heber (um 1540) nicht genannt wird. Dieses eigenthümliche Gebäude muss uns ein verlorenes ähnlicher Art ersetzen, nämlich das Haus, welches Rafael nach seinem oder Bramante’s Entwurf für sich selbst im Borgo unweit S. Peter erbaute. Pal. Spada erscheint nach Allem zu urtheilen, wie eine Copie davon. Es ist ein geistvoller Versuch, ein architektonisches Gefühl durch die Sculptur, durch Statuen in Nischen, und freibewegten vegetabilischen Schmuck, nämlich Frucht- schnüre von Genien getragen etc. auszudrücken. (Wenn ich nicht irre, so kam die Idee von ähnlich bemalten Fassaden, S. 293, her und ist als Übertragung dieser zu betrachten.) Am Pal. Spada ist das Erdgeschoss als ruhige Basis behandelt, aussen Rustica, innen eine schöne dorische Pfeilerhalle; erst die obern Stockwerke entwickeln aussen und innen jene plastische Pracht. Der Executant war, wie ge- sagt, ein Lombarde, Giulio Mazzoni * Casa Crivelli, Via S. Lucia, ist nur ein sehr geringes Specimen dieser Gattung. — S. unten, S. 316, e, die Villa Pia. . d (In der Nähe, gegen Ponte Sisto zu, zwei gute einfache Renais- sancehäuser.) Der jüngere San Gallo. Neben Bramante, Giulio und Peruzzi erscheint der jüngere Antonio da San Gallo († 1546) als ein sehr ungleiches und viel- leicht innerlich nie ganz selbständiges Talent. Dagegen wurde ihm Gunst und hohe Stellung in reichem Masse zu Theil. Seine Arbeiten zeugen immer von der goldenen Zeit, weil sie wenig Falsches und Überladenes haben; allein sie sind meist etwas nüchtern. — Die acht- eckige Kirche S. Maria di Loreto (auf Piazza Trajana) ist innen a durch neuere Stucchirung, aussen durch die abgeschmackte Lanterna des Giovanni del Duca entstellt, war aber von jeher keine der edlern Renaissancekirchen. — Das Innere von S. Spirito einfach und tüchtig; b die nahe gelegene Porta schon sehr empfindungslos. — Das Innere von c S. Maria di Monserrato ist nach allen (auch ganz neuerlichen) Re- d staurationen kaum mehr sein Eigenthum; der ehemals schöne kleine Hof dahinter (den der Verfasser zum letztenmal in vollem Umbau be- griffen sah) war es vielleicht nie. — Dagegen ist Pal. Sacchetti (Via e Giulia) unstreitig von ihm und sogar zu seiner eigenen Wohnung er- baut, überdiess wohl erhalten; von allen Gebäuden jener Zeit vielleicht dasjenige, das bei grossen Dimensionen und einem gewissen Luxus am wenigsten Eigenthümliches hat. — Was wäre vollends aus Pal. Far- f nese geworden, wenn nicht Michelangelo später den Bau auf seine Schultern genommen hätte? Der colossale Massstab allein hätte das Gebäude nicht gerettet. Die kleinen, eng an einander gerückten Fen- ster stehen zu den enormen Mauermassen im allerschlechtesten Ver- hältniss, und ihre prätentiöse Bekleidung mit Säulen lässt diess nur noch empfindlicher bemerken. Alle Hallen und Treppen des Innern haben etwas Schweres und Gedrücktes, und eine abscheuliche Ge- simsbildung. Nur die schöne dreischiffige Eingangshalle mit dem herr- lich cassettirten Tonnengewölbe in der Mitte macht eine auffallende Ausnahme; der Hof aber ist von Michelangelo (auch das untere Stock- werk, so viel davon nicht einwärts schaut), der bekanntlich auch das grosse Kranzgesimse des Palastes angab. — An der Sala regia des g Vaticans ist bloss die allgemeine Anordnung von San Gallo; die bedeu- tende Wirkung beruht aber wesentlich auf den Stuccaturen (S. 290 f) und auf den Wandgemälden (als Ganzes, denn im Einzelnen sind sie nicht zu rühmen). Mit der anstossenden Capella Paolina verhält es Hochrenaissance. San Gallo. a sich ähnlich. — Die beiden kleinen Kirchlein auf den Inseln des Bol- sener Sees kenne ich nicht aus der Nähe. Endlich werden diesem Meister eine Anzahl von Schloss- und b Festungsbauten zugeschrieben. Wenn das majestätische Hafen- castell von Civita vecchia wirklich von ihm ist (man traut es ge- wöhnlich dem Michelangelo zu), so würde er in der Kunst, mit we- nigen Formen gross zu wirken, einer der ersten gewesen sein. Er übertraf hier noch die seinem Oheim, dem ältern Antonio zugeschriebene c Veste von Cività castellana. Das Castell von Perugia kam vor seiner theilweisen Zerstörung (1849) diesen beiden im Styl nicht gleich. Die d Festungsmauern von Nepi sind wenigstens in ihrem seculären Verfall höchst malerisch; die Bauten in Castro kenne ich nicht. (Das Castell von Palo auf der Strasse nach Cività vecchia soll von Bramante sein.) Von dem als Archäolog in zweideutigem Ruf stehenden Pirro e Ligorio (starb 1580) ist die um 1560 erbaute Villa Pia im grossen vaticanischen Garten. Mit der passenden vegetabilischen Umgebung wäre sie der schönste Nachmittagsaufenthalt den die neuere Baukunst geschaffen hat; kein Sommerhaus wie die Farnesina und Villa Ma- dama, sondern nur ein päpstliches Gartenhaus nebst Vorpavillon, zwei kleinen getrennten Eingangshallen, kühlenden Brunnen und einem köst- lich unsymmetrisch angebauten Thurm mit Loggia, Alles terrassen- förmig abgestuft. Hier tritt denn auch die reiche plastische Fassaden- verzierung, als scheinbarer Ausdruck ländlicher Zwanglosigkeit in ihr bestes Recht. In Florenz hat gerade der kurze Moment der höchsten Blüthe keine Denkmäler ersten Ranges zurückgelassen. Doch ist derselbe (abgesehen von den beiden rafaelischen Palästen) durch einen höchst ansprechenden Künstler in kleinern Bauten vertreten, durch Baccio d’Agnolo (1460—1543). Er übernahm die Palastarchitektur ungefähr da, wo sie Cronaca gelassen; das Äussere überschreitet fast nie die Formen, welche dieser am Pal. Guadagni entwickelt hatte und ist meist weniger bedeutend. In den Höfen ist das bisherige florentini- sche Princip mit der einfachsten Eleganz durchgeführt; selbst die reichern Säulenordnungen scheinen Baccio zu bunt und er beschränkt Florenz. Baccio d’Agnolo. sich meist auf die sog. toscanische, welcher er aber bisweilen durch eine feine Blattlage um den Echinus eine leise Zierlichkeit zu geben sucht. Eine Ausnahme bildet zunächst die mehr plastisch durchgeführte a Fassade von Pal. Bartolini (jetzt Hôtel du Nord, bei S. Trinità). Die Ecken bedeutend als Pilaster mit Rustica behandelt, zwischen den Fenstern Nischen; über den Fenstern (als frühstes und desshalb viel- verspottetes, bald mit Übertreibung nachgeahmtes Beispiel) Giebel, abwechselnd rund und gradlinig, etwa von den Altären des Pantheons entlehnt; bisher nur an Kirchen gebräuchlich; die Fenster noch mit besonders derb gegebenen Steinkreuzen; das schwere und rohe Ge- simse angeblich auch von Baccio. — Ein anderes höchst originelles Gebäude ist der kleine Pal. Serristori auf dem Platz S. Croce; Baccio b musste hier das Recht des Überragens der obern Stockwerke, zwar nicht vorn aber auf beiden Seiten nach den Nebengassen, benützen und mit seinem classischen Detail in Einklang bringen; es ist lehr- reich zu sehen, wie ihm diess gelang. Andere Paläste sind aussen schlicht, zeigen aber den Organismus des Hofes vorzüglich fein und angenehm durchgeführt. So vor Allem Pal. Levi (Via de’ Ginori N. 5146), wo die Schlusssteine der Bögen c noch Acanthusconsolen bilden. — Pal. Roselli del Turco, bei SS. Apo- stoli, ist für Architekten sehenswerth wegen der schönen und nach- drücklichen Gliederung der innern Räume, besonders der Treppe (Consolen, Gesimse, Steinbalken, Lunetten). Von Einzelheiten sind der stattliche eiserne Ring an der Ecke und das figurirte Kamin im vordern Saal nicht zu übersehen. Nur unscheinbar in seinem jetzigen Zustande, aber für Architekten wichtig ist endlich ein Lusthaus, welches von Baccio für die Familie d Strozzi-Ridolfi erbaut und 1638 von Silvani vergrössert wurde. Ab- sichtslos unregelmässig, mit Säulenhof, Nebenhof, Gartenhalle und Thurm bildet es eine für ergänzungsfähige Augen sehr reizende halb- ländliche Anlage. (Via Gualfonda oder Chiappina, N. 4432.) Von Kirchen Baccio’s ist mir nur das Innere von S. Giuseppe f (1519) bekannt; eine schlichte korinthische Pilasterordnung mit Ge- simse umzieht die Bogeneingänge der ebenfalls ganz einfachen Ca- pellen; am Oberbau scheint Manches verändert. — Die von Baccio Hochrenaissance. Florentiner. entworfene (und auf der einen Seite schon ausgeführte) Umkleidung a der Domkuppel mit Galerie und Gesimse, die recht gut für diese Stelle gedacht war, blieb unvollendet, weil Michelangelo sagte, es sei ein Heuschreckenkäfig, dergleichen die Kinder in Italien aus Binsen flechten. — Die Zeichnung zum Fussboden des Domes wird u. a. Künstlern auch dem Baccio zugeschrieben; es ist das bedeutendste Werk dieser Art, welches aus der Blüthezeit vorhanden ist. — Der Thurm von b S. Spirito wird nur in Florenz bewundert; derjenige von S. Miniato ist nur unvollkommen erhalten. — In S. Maria novella steckt der, wie c man sagt schöne, Orgellettner Baccio’s in dem jetzigen hölzernen verborgen. Mehrere Gebäude, deren Urheber nicht genannt wird, zeigen eine d grosse Ähnlichkeit mit seinem Styl. So u. a. der kleine mittlere Hof des (sonst neuern) Pal. Bacciochi (Via de’ Pucci N. 6117). e Von Baccio’s Sohn Domenico rührt der stattliche Pal. Buturlin (einst Niccolini, Via de’ Servi N. 6256) her; die Fassade wiederholt noch den Typus des Pal. Guadagni; innen ein schöner zwölfsäuliger Hof und darüber der Oberbau; die Formen um einen Grad kälter als in den Bauten des Vaters. Ein Nachahmer Baccio’s, dessen Thätigkeit bis gegen Ende des XVI. Jahrhunderts reicht, Giov. Ant. Dosio (geb. 1533), muss we- gen eines vorzüglichen Gebäudes schon in dieser Reihe genannt werden: f wegen des Pal. Larderel (Via de’ Tornabuoni N. 4191), welchen man wohl nicht den schönsten Palast, allein das edelste Haus der floren- tinischen Architektur heissen könnte. Es ist die Vereinfachung des Pal. Bartolini, streng der Horizontale unterworfen, mit dreimaliger toscanischer Ordnung an den Fenstersäulen. — Dosio’s übrige Bauten g folgen dem Styl der Zeit, so die Capelle Gaddi in S. Maria novella (zweite d. l. Querschiffes) der Säuleneinschachtelung des Michelangelo (die tüchtigen Stuccaturen der Decke von Dosio’s eigener Hand); auch die Capelle Niccolini in S. Croce hat nichts eigenthümliches; h wohl aber der in seiner Einfachheit merkwürdig malerische Hof des Arcivescovato, welcher mit äusserst Wenigem einen bedeutenden Ein- druck hervorbringt. Sonst trägt in Florenz noch den kenntlichen Stempel der goldenen i Zeit der Mercato nuovo des Bernardo Tasso 1547 (nicht von Paduaner. Buontalenti). Edler, grossartiger und einfacher liess sich die Aufgabe für dieses Klima nicht wohl lösen, als durch diese Halle gesche- hen ist. Dem Bildhauer Baccio da Montelupo wird die Kirche S. Pao- a lino in Lucca zugeschrieben, die dem Styl nach um 1530 fällt. Innen und aussen der einfachste, sogar trockene Pilasterbau; nur die Front- wände innen mit vorgekröpften Säulen verziert. Es ist Brunellesco’s Badia von Fiesole ins XVI. Jahrhundert übertragen, selbst in Betreff der Anordnung der Seitenschiffe. In Padua wurde während der ersten Jahrzehnde des XVI. Jahr- hunderts die Kirche S. Giustina erbaut von Andrea Riccio , eigent- b lich Briosco, den wir schon als Decorator und Erzgiesser genannt haben. Nach seinem berühmten Candelaber im Santo zu urtheilen (Seite 254), würde man einen schmuckliebenden, im Detail wirkenden Baumeister der Frührenaissance in ihm erwarten, allein die Justinen- kirche giebt nicht als grossartige Disposition in ungeheurem Massstab. Die Grundlage ist eine ähnliche wie in den oben (Seite 203 ff.) erwähnten Kirchen südlich vom Po, verbunden mit dem in der Nähe Venedigs unerlässlichen Vielkuppelsystem, allein die Durchführung geschieht mit lauter Mitteln, die auf das Ganze berechnet, also über die Früh- renaissance hinaus sind. Die Nebenschiffe wurden mit ungeheuern Tonnengewölben be- deckt, welche unmittelbar die jedesmalige Hochkuppel oder Flach- kuppel tragen; hohe Durchgänge durchbrechen unten die Stützwände; Reihen von tiefen Capellen schliessen sich auf beiden Seiten an. Die Querarme sind rund abgeschlossen, ebenso ihre Seitenräume und die des beträchtlich verlängerten Chores, sodass das Auge überall auf Nischen trifft. Von den Kuppeln würde die mittlere mit ihren vier kleinen Eck- kuppeln genügen und wahrscheinlich auch dem Künstler genügt haben. Hochrenaissance. Padua. Die paduanische Sitte zwang ihn, noch drei andere Kuppeln rechts, links und hinten beizufügen, die er zwar etwas kleiner und weniger schlank als die mittlere bildete; gleichwohl sind sie derselben im Wege, decken sich, schneiden sich unschön und tragen zur Wirkung des Innern sehr wenig bei. Immerhin sind die Thorheiten der Bau- meister des Santo nach Kräften vermieden. Eine auffallend geringe, rohe Bildung und dunkle Färbung der Pilastercapitäle, auch der Ge- simse macht es nöthig, das Auge etwas an dieses Innere zu gewöhnen welches nicht nur an Grösse, sondern auch an Wohlräumigkeit eines der ersten der goldenen Zeit ist. Aussen ist die Fassade noch nicht incrustirt. Die Seitenschiffe haben lauter einzelne Flachgiebel, den grossen Tonnengewölben des Innern entsprechend. Seit der Mitte des Jahrhunderts wurde dann von Andrea della a Valle und Agostino Righetto der jetzige Dom zu Padua erbaut. Dass ein Entwarf von Michelangelo zu Grunde liege, ist kaum glaub- lich, da die Verwandtschaft mit den nahen oberitalischen Bauten viel grösser ist, als diejenige mit den seinigen; wohl aber mag man bei der Behandlung der kuppeltragenden Tonnengewölbe und ihrer Eck- räume auf sein Modell von S. Peter hingeblickt haben, welches damals einen noch ganz frischen Ruhm genoss. Das Langhaus wird zuerst durch ein kürzeres Querschiff mit kleinerer Kuppel unterbrochen, dann durch ein grösseres mit einer (modernen) höhern Kuppel und runden Abschlüssen. Die Seitenschiffe sind lauter kleine Kuppelräume mit anstossenden Capellen. Die Bildung der Pilastercapitäle und Gesimse zeigen die Übelstände derjenigen von S. Giustina in noch höherm Grade. Die Wirkung dieses Innern hängt, wie bei so vielen Kirchen, vom Schliessen und Öffnen der Vorhänge ab. Hat man die Kirche bei ge- schlossenen Vorhängen der Kuppelfenster und offenen der (weitherab- reichenden) Chorfenster gesehen, so glaubt man in ein ganz anderes Gebäude zu treten, wenn das Verhältniss ein entgegengesetztes ist. Die Bequemlichkeit der Sacristane, welche sich mit den Vorhängen in der Kuppel nicht gerne abgeben, raubt bisweilen einem Gebäude jahrelang seine beste Bedeutung. — Die Fassade ebenfalls nackt. Falconetto. Wie aus Trotz gegen den venezianischen Engbau sind diese Kir- chen in colossalem Massstab angelegt. Mässiger verfuhr in dem zur Provincialstadt gewordenen Padua der Profanbau, welcher sich hier in den ersten Jahrzehnden des XVI. Jahrhunderts hauptsächlich an den Namen des Veronesers Giov. Maria Falconetto (1458 — 1534) knüpft. Was er am Pal. del Capitaniato gebaut hat, möchte sich a etwa in Betreff der Fassade gegen den Signorenplatz auf die mittlere Pforte mit dem Uhrthurm, in Betreff derjenigen gegen den Domplatz (jetziges Leihhaus) auf das obere Stockwerk über der (mittelalterlichen) Bogenhalle beschränken; beides keine Bauten von höherm Belang. So- dann gehören ihm mehrere Stadtthore: P. S. Giovanni, P. Savona- b rola etc. Das erstgenannte (1528) ahmt, aussen mit Halbsäulen, innen mit rohgelassenen Pilastern, die Form eines einfachen antiken Triumph- bogens nach, selbst in der Anordnung der Fenster Die übrigen Thore von Padua sind etwas früher, z. B. Porta S. Croce und * Porta Livia von 1517; Porta Portello soll von Gugl. Bergamasco sein. . Die Kirche delle c Grazie, welche ihm zugeschrieben wird (unmöglich mit Recht) ist ein geringer Barockbau; die kleine Musikhalle, die er gebaut haben soll, la Rotonda genannt, habe ich nicht erfragen können Einen wunderlichen Rundbau — breiter Umgang mit Nischen um ein ganz ** schmales Kuppelchen auf acht Säulen — findet man allerdings in Gestalt der Kirche S. Maria del Toresino; noch aus dem XVI. Jahrhundert mit Aus- nahme der Fassade. . Weit das Schönste, was Falconetto hinterlassen hat, findet sich am Palast Giustiniani , ehemals Cornaro, beim Santo, N. 3950. Der Hof dieses von Aussen unscheinbaren Gebäudes wird von zwei im rechten Winkel stehenden Gartenhäusern begränzt (datirt 1523), d die noch im äussersten Verfall jenen unzerstörbaren Charakter der Lustgebäude des goldenen Zeitalters an sich tragen. Das eine mit Wandsäulen, das andere mit Pilastern in zwei Stockwerken; jenes einen obern und einen untern Saal, dieses ein köstliches achteckiges Gemach mit Nischen, ein paar Nebenräume, und oben eine offene Log- gia enthaltend; die Räume grossentheils voll der herrlichsten Malereien und Arabesken (S. 288, e). Der Geist des wahren Otium cum dignitate, der in diesen Räumen lebt, wird freilich heutzutage so selten, dass ein volles Verständniss des Gebäudes eine gewisse Anstrengung er- B. Cicerone. 21 Hochrenaissance. Verona. Sanmicheli. fordert. Unser Geschlecht sucht in seinen derartigen Zierbauten nicht den Genuss, sondern die Abspannung oder die Zerstreuung, daher ist ihm entweder das Formloseste oder auch das Bunteste willkommen. Das Vorbild Falconetto’s hielt in Padua noch einige Zeit die a bessere Architektur aufrecht. Der obere Hof im Pal. del Podesta und mehrere einfache Privatpaläste geben hievon Zeugniss. Auch der b vierte Klosterhof bei S. Giustina, dessen Bogenpfeiler unten mit ioni- schen, oben mit korinthischen Halbsäulen bekleidet sind, ist ein gutes Gebäude. (Es soll sich unter den Höfen dieses Klosters einer von Pietro Lombardo befinden, was kaum auf einen von den fünfen passen kann, welche ich gesehen habe, ausgenommen etwa auf den zweiten, c noch halb mittelalterlichen. Sonst sind mir nur die einfachen Renais- sancehöfe beim Seminar bekannt.) In Verona ist die Blüthezeit der Baukunst repräsentirt durch Michele Sanmicheli (1484—1559), welcher seine wesentlichen Anregungen schon frühe in Rom fand und auch seine ersten Gebäude d im Kirchenstaat ausführte. (Dom von Montefiascone; S. Domenico (?) in Orvieto; auch Privatgebäude an beiden Orten.) Später wurde ihm hauptsächlich als Festungsbaumeister Ruhm und reichliche Beschäf- tigung zu Theil, doch blieb ihm nicht nur Zeit und Anlass für Pracht- bauten übrig, sondern er durfte auch den Festungsbau selbst mit einer Majestät der Ausführung behandeln, welche nur selten wieder so ge- stattet und noch seltener wieder erreicht worden ist. Im Dienst seines Souverains, der Republik Venedig, vergrösserte und verbesserte er fast alle Befestigungen, welche dieselbe nah und e fern (bis Cypern) besass. Bei Venedig selbst gehört ihm die Forti- fication des Lido; in Verona die wichtigsten Basteien und Thore . Der militärische Werth seiner Neuerungen wird sehr hoch angeschla- gen; wir haben es nur mit dem Styl seiner Thore zu thun. — Von unfertigen Römerbauten, wie zum Beispiel das Amphitheater von Ve- rona, abstrahirte er (vielleicht von allen Architekten zuerst?) die Be- fugniss, nicht bloss Flächen, sondern auch Gliederungen (Säulen, Wand- säulen, Pilaster etc.) mit Rustica zu bekleiden; sein Zweck war, den ernsten, trotzigen Charakter des Festungsbaues mit der Schönheit des Thore und Paläste. dorischen Säulensystems und seiner Verhältnisse zu verbinden. Aller- dings entstanden Zwitterformen, indem die regelrecht gebildeten Ge- bälke und Capitäle zu dem roh gelassenen Übrigen nie passen können, allein Sanmicheli war der Künstler dazu, dieses vergessen zu machen. Porta nuova zeigt sowohl an den beiden Fronten als (und hauptsäch- a lich) in der Durchfahrt mit deren Seitenhallen eine imposante Anwen- dung seines Princips ohne alles Schwere und Plumpe, in vortrefflichen Verhältnissen. Porta Stuppa (oder Palio), schon lange zugemauert, b eine quer über den Weg gestellte Halle von fünf Bogen mit (nicht ganz richtig erneuerter) Attica, wirkt durch Einheit des Motives in diesen gewaltigen Dimensionen noch grossartiger. (Man bemerkt, wie Sanmicheli durch sehr schlanke Bildung seiner dorischen Halbsäulen die rohe Bossirung derselben wieder aufzuwägen suchte.) Porta c S. Zeno, anspruchsloser, ist ebenfalls von ihm; Porta S. Giorgio da- d gegen (1525) der unbedeutende Bau eines weniger Entschlossenen. Von dieser einseitigen Beschäftigung her behielt Sanmicheli (und nach ihm fast die ganze spätere veronesiche Architektur) eine Vorliebe für das Derbe auch an den Erdgeschossen der Paläste . Er behandelte sie mit lauter Rustica, ohne sich doch entschliessen zu können, ihnen in diesem Fall den entschiedenen Charakter eines blossen Sockelgeschosses zu geben, wie Palladio nachmals und wie z. B. Rafael und Giulio Romano schon um dieselbe Zeit thaten. Gleichwohl wirken diese Gebäude immer sehr bedeutend durch die mächtige Behandlung des Obergeschosses mit seinen wenigen und grossen Theilen und der ern- sten Pracht seiner Ausführung. Das frühste dieser Gebäude in Verona möchte Pal. Bevilacqua e sein; oben mit spiralförmig cannelirten Säulen, zwischen welchen ab- wechselnd grosse triumphbogenartige und kleinere Fenster mit Ober- luken sich öffnen. — Pal. Canossa; aussen einfacher; das ganze Erd- f geschoss eine offene Halle, durch welche man in einen Pilasterhof nach Art der römischen Schule hinausblickt, dessen Hintergrund die herr- liche Landschaft jenseits der Etsch bildet. (Das kleine Mittelstock- werk oder Mezzanin gehört aussen noch zum untern Rusticageschoss; im Hof bildet es schon ein nicht glückliches besonderes Glied.) — Es folgt der einfach herrliche Pal. Pompei; hier gab Sanmicheli die untere g Ordnung auf und verlieh dem Erdgeschoss schon mehr den Charakter 21* Hochrenaissance. Verona. Sanmicheli. eines blossen Unterbaues; die obere dorische Ordnung fasst fünf grosse Fensterbogen (über welchen Masken) ein; der Hof ist nicht bedeutend. a Pal. Verzi, auf Piazza Brà N. 2989, der einfachste. — Die alte Gran- b Guardia auf demselben Platz ist nicht von Sanmicheli, sondern von seinem Verwandten Domenico Cortoni; die beiden Stockwerke stehen in keinem guten Verhältniss zu einander. c In Venedig ist von Sanmicheli der Pal. Grimani (jetzige Post), welcher in der grossartigen Eintheilung der Fassade über alles Mass venezianischer (auch Sansovinischer) Raumbehandlung hinausgeht, da- bei gleichwohl auch den Eindruck des Phantastisch-Festlichen erreicht, welchen die Baukunst am Canal grande verlangt. Im Erdgeschoss emancipirt sich der Meister von seiner continentalen Derbheit, und vollends die untere Halle ist wohl die einzige wahrhaft würdige in d ganz Venedig. — Auch Pal. Corner-Mocenigo, auf Campo S. Polo ist sein Werk. Ebenso Pal. Soranzo in Castelfranco (zwischen Padua und Treviso), wenn er noch vorhanden ist. Von einzelnen Portalen in Verona werden die beiden auf dem Sig- e norenplatz, an der Polizei und am Tribunalgebäude, ihm beigelegt. f Von seinen Kirchenbauten ist dem Verfasser die berühmte Ma- g donna di Campagna wegen ihrer Entfernung, die Rundcapelle bei S. Bernardino wegen Verwendung der Kirche zum Kriegsmagazin un- h zugänglich geblieben. — An S. Giorgio in Braida soll nach Einigen bloss der Thurm, nach Andern der Kuppelraum oder gar das Ganze von Sanmicheli sein; einschiffig und ohne Querbau, gleichwohl aber von reicher und bedeutender Gliederung des Innern. (Vortretende Pfeiler mit Halbsäulen; im Cylinder der Kuppel ein Kreis von 20 i Pilastern; der Chor etwas enger, mit rundem Abschluss.) An S. Maria in Organo (Seite 225, d) ist die unvollendete Fassade nach seinem Entwurf gebaut (1592). Nur mit einigem Widerstreben reihe ich hier den grossen Baumei- stern der Blüthezeit auch den Florentiner Jacopo Sansovino an. (Geb. 1479, † 1570; er hiess Tatti, erhielt aber jenen Beinamen von dem gros- sen Andrea Contucci-Sansovino, dessen vertrauter Schüler in der Sculp- tur er war.) Alle Andern in dieser Reihe haben ihre Bauwerke frei und Venedig. Jacopo Sansovino. grossartig nach einer innern Nothwendigkeit zu gestalten gewusst; Jacopo dagegen, der mitten unter den erhabensten Bauten von Rom und Florenz die erste Hälfte seines Lebens zugebracht hatte, bequemt sich in der Folge als bauliches Factotum von Venedig zu allen Spie- lereien und Liebhabereien der dortigen Frührenaissance und hilft diesel- ben verewigen. Es muss ihm bei grossen Gaben des Geistes und Her- zens doch am wahren Stolz gefehlt haben, der lieber eine glänzende Bestellung ausschlägt, als sie gegen besseres Wissen durchführt. In Rom ist von ihm das Innere von S. Marcello am Corso und a der Pal. Niccolini an der Via de’ Banchi angegeben; ersteres immer b eines der bessern unter den kleinern Interieurs dieses Styles. — In Venedig bekam er eine Menge von Aufträgen und genoss bis an seinen Tod eine künstlerische Stellung parallel mit seinem Altersge- nossen Tizian. — Unter seinen Kirchen ist wohl die beste S. Giorgio c de’ Greci (1550); einschiffig mit Tonnengewölbe (das in der Mitte von einer Kuppel unterbrochen wird), aussen ein schlanker Hochbau von zwei Ordnungen, zu welchen vorn noch eine Art von Oberbau als dritte kommt. In der Behandlung des Ganzen erkennt man leicht die Überlegenheit des an die Rechnung im Grossen gewöhnten Florenti- ners; allein derselbe lässt sich doch herbei zu der venezianischen Be- handlung des Pilasters (mit Rahmenprofil) und zu einer überaus klein- lichen Verzierung jener obersten Ordnung der Fassade, dergleichen ihm in Rom nicht durchgegangen wäre. — Gleichzeitig baute er (1551) die Fassade der nahen Scuola di S. Giorgio degli Schiavoni, in dem- d selben schreinerhaften Geist, wie die meisten Scuole von Venedig. Das Innere von S. Francesco della Vigna (1534) ist ein wahrer e Rückschritt ins Oberitalienische, wenn man S. Marcello in Rom (1519) damit vergleicht. Nüchterne Pilaster; tiefe Seitencapellen, aus welchen das meiste Licht kömmt. — An S. Martino (1540) sieht man, dass f Sansovino bei geringern Mitteln seine Tüchtigkeit wieder fand; er hat einem quadratischen flachgedeckten Raum durch glückliche Ein- theilung der Wände in niedrigere und höhere Capellen Bedeutung zu geben gewusst. (Aussen fehlt die Incrustation). — Wiederum von ge- ringerer Anlage: S. Giuliano (1555.) — Die Fassade von S. Sebastiano g ist aber doch hoffentlich nicht von ihm; so tief kann er nicht gefallen h Hochrenaissance. Venedig. Jac. Sansovino. a sein. In Padua kann S. Francesco von ihm nur umgebaut, nicht er- baut sein. b Die Loggia unten am Marcusthurm (1540), ehemals der Warte- raum für die Procuratoren, welche während der Sitzungen des grossen Rathes die Wache zu befehligen hatten, ist im Grunde mehr eine plastische Decoration als ein Gebäude. Dass die Attica viel zu hoch ist, würde man weniger empfinden, wenn die vorgekröpften Gebälke die beabsichtigten Statuen erhalten hätten. c Von Sansovins Palästen ist offenbar der frühste Pal. Corner della Ca grande (am Canal gr. rechts); man könnte sagen, es sei sein letz- tes Gebäude von römisch-modernem Gefühl der Verhältnisse; unten Rustica, die beiden obern Stockwerke mit Bogen zwischen Doppel- d säulen (1532). — Wenige Jahre später (1536) begann er die Biblio- teca an der Piazzetta Jetzt theilweise Palazzo reale. , welche man wohl als das prächtigste pro- fane Gebäude Italiens bezeichnen darf. Hier zuerst erfuhren die Venezianer, welche Fortschritte das übrige Italien seit den letzten Jahrzehnden in der Ergründung und Neuanwendung der echten römi- schen Säulenordnungen gemacht hatte; alle bisherige venezianische Renaissance war eine Nachfolge des Alterthums auf blosses Hören- sagen hin neben diesem einzigen Werke. Von dem römischen Pila- sterbau mit Halbsäulen, wie man ihn von den Theatern und Amphi- theatern her kannte, war hier nicht bloss das Allgemeine abstrahirt, sondern die sicherste Künstlerhand hatte diese Formen mit der ge- diegensten plastischen Pracht durch und durch belebt. Wir dürfen glauben, dass Venedig sich an der grandios energischen Behandlung der Halbsäulen und Gesimse, an dem derben Schattenschlag der Glie- derungen, vorzüglich aber an dem ungeheuern Reichthum des Figür- lichen kaum satt sehen konnte. Allein das Gebäude ist seinem inner- sten Wesen nach eben nicht mehr als eine prächtige Decoration, wie die Venezianer sie gerade haben wollten. Mit dem Programm, eine Bibliothek auf diesen Raum zu bauen, hätte sich etwas Bedeutenderes, durch Verhältnisse und Eintheilung Sprechendes componiren lassen. Man braucht nicht einmal an Bramante, nur z. B. an Peruzzi zu den- Die Biblioteca und ihre Nachahmungen. ken, ja nur an Palladio’s Basilica zu Vicenza. Immerhin ist es eine der glänzendsten Doppelhallen auf Erden, wenn nicht die glänzendste. Die Bewunderung war denn auch so gross, dass später (1584) Scamozzi zum Bau seiner „neuen Procurazien“, welche von der a Biblioteca aus den Marcusplatz entlang gehen, geradezu das Motiv dieser letztern wiederholte. Zum Unglück aber bedurfte sein Bau eines dritten Stockwerkes, welches er aus eigener Macht hinzu com- ponirte. Kein Zeitgenosse hätte etwas viel Besseres hingesetzt; aber man durfte auf Sansovins Halle überhaupt nichts setzen, da ihr de- corativer Sinn mit den beiden Stockwerken vollkommen abgeschlossen ist. — Die zweite Fortsetzung, auf der Seite gegenüber S. Marco, (zum Theil an der Stelle der demolirten Kirche S. Geminiano) ist in ihrer jetzigen Gestalt aus der Zeit Napoleons. (Von Soli , der indess nicht ganz dafür verantwortlich ist.) — Als das anerkannte Prachtstück von Venedig übte der Bau Sansovins eine dauernde Herrschaft über die Phantasie der Spätern aus. Es ist nicht schwer, denselben, mit einem Erdgeschoss von facettirter Rustica vermehrt, wieder zu erkennen, z. B. in der reichen und mächtigen Fassade von Pal. Pesaro am Canal grande b (schief gegenüber von Ca Doro), erbaut von Longhena (um 1650); ebenso in dem Pal. Rezzonico desselben Architekten, mit einem Erd- c geschoss von Rustica mit Säulen. Schon Scamozzi hatte in den etwas öden Formen seines Pal. Contarini dagli Scrigni eine Art von Repro- d duction versucht. (Beide letztgenannten Paläste am Canal grande links nicht weit von Pal. Foscari.) Selbst an Kirchen kehrt jene für unübertrefflich gehaltene Anord- nung von Wandsäulen und Fenstersäulen in zwei Stockwerken noch ganz spät wieder. So an S. Maria Zobenigo, 1680 von Sardi er- e baut, der sein Vorbild an erstickendem Reichthum zu übertreffen wusste. (Die Wandsäulen verdoppelt; die Piedestale oben mit See- schlachten, unten mit Festungsplänen in Relief bedeckt.) Die übrigen Paläste Sansovin’s sind wenig mehr als Umkleidungen der venezianischen Renaissance mit seinen strengern Formen. So Pal. f Manin, unweit vom Rialto, u. a. m. Hochrenaissance. Venedig. Spavento. a Die Fabbriche nuove wurden schon erwähnt (S. 221, c). An der Zecca, einem seiner spätern Gebäude, hat Sansovino durch Rustica- halbsäulen an allen Fenstern seiner zwei obern Stockwerke einen Ein- druck des Ernstes hervorgebracht, der mit der Biblioteca zu contra- stiren bestimmt ist. Der Hof ist vielleicht bedeutender als die Fassade; b wie der schöne Hof der Universität zu Padua (1552, eine doppelte Halle mit geraden Gebälken) verräth er noch die frühern, festländi- schen Inspirationen des Meisters. Von seinen unmittelbaren Schülern hat Alessandro Vittoria c an dem einfachen Pal. Balbi (Canal grande, links, bei Pal. Foscari) am meisten Takt und Geschmack bewiesen. — Als Gegenstück zu der Zecca, d. h. als ernstere Coulisse zum Dogenpalast, wie es die Zecca für die Biblioteca ist, erbaute später Giovanni da Ponte d (1512—1597) die Carceri. Ob die berühmte Seufzerbrücke, ebenfalls von ihm ist, weiss ich nicht anzugeben; einstweilen pflegt man ihm, e vielleicht nur seinem Namen zu Ehren, die berühmte Brücke Rialto zuzuschreiben. (Abgesehen von dem mechanischen Verdienst, das wir nicht beurtheilen können, ist es ein hässlicher und phantasieloser Bau. Ein neuerer Sammler scheint den wahren Autor, einen gewissen An- drea Boldù , ausgemittelt zu haben.) f An der schönsten modernen Kirche Venedigs, S. Salvatore, hat Sansovino nur die Ausführung leiten helfen; entworfen ist sie von Giorgio Spavento unter Theilnahme des Tullio Lombardo, vollen- det schon 1534, mit Ausnahme der beträchtlich spätern Fassade. Hier trägt das in S. Marco halbunbewusst, an S. Fantino bewusster aus- gesprochene Princip seine reifste Frucht; drei flache Kuppeln hinter- einander ruhen auf Tonnengewölben, deren Eckräume, von schlanken Pfeilern gebildet, ebenfalls mit kleinen Kuppelgewölben bedeckt sind. So entsteht eine schöne, einfach reiche Perspective, die das Gebäude grösser scheinen lässt, als es ist. Allerdings trägt hiezu auch die Farblosigkeit und das einfache Detail, sowie die glückliche Verthei- lung des Lichtes bei. (Welche letztere man doch erst einer spätern Durchbrechung der anfangs dunkeln Kuppeln verdanken soll.) Michelangelo. Florenz. S. Lorenzo. An das Ende dieser Reihe gehört der grosse Michelangelo Buonarroti (1474—1563); seine bauliche Wirksamkeit begann erst verhältnissmässig spät, als seine bedeutendern Zeitgenossen schon ihre Systeme ausgebildet hatten, und sie bezieht sich als Vorbild mehr auf das jüngere Geschlecht, welches dann über ihm selbst die Alten vergass. Michelangelo hat sich nicht zur Architektur gedrängt. Seine dä- monisch gewaltige Formenbehandlung in der Sculptur und Malerei brachte die Bauherren darauf, von ihm auch Rath, Entwurf und Lei- tung für die Gebäude zu verlangen. Der erste Auftrag (1514 durch Leo X) war eine Fassade für S. Lorenzo in Florenz: sein Plan a wurde allen andern, auch demjenigen Rafaels, vorgezogen. Man be- wahrt eine Skizze desselben noch im Palazzo Buonarroti, den er selbst viele Jahre bewohnte und den sein Neffe, der als Dichter bekannte Michelangelo Buonarroti der jüngere zu einem Museum für das An- denken des Oheims eingerichtet hat. (Via Ghibellina N. 7588, sichtbar Donnerstags.) Der untere Theil der Fassade wäre mit grandios zwi- schen Säulenstellungen angeordneten Reliefs bedeckt worden; in Be- treff des obern, dem Mittelschiff entsprechenden, lässt die Zeichnung Zweifel zu; die Vermittlung zwischen beiden, die von andern Bau- meistern in grossen Voluten gesucht wurde, sollte hier bloss durch colossale Statuen geschehen. — Beträchtlich später, jedenfalls erst unter Clemens VII, kam wenigstens die Bekleidung der Innenseite der b Fassade zu Stande, wobei der Gang zu Vorzeigung von Reliquien das Hauptmotiv lieferte; Michelangelo hatte die Einsicht, der Gliederung der Kirche Brunellesco’s sich anzuschliessen, sodass er nicht für die (übrigens glücklichen) Verhältnisse dieses Säulen- und Pilasterbaues verantwortlich ist. Ganz frei gestaltend treffen wir ihn erst in der berühmten Grab- c capelle der Mediceer (sog. Sagrestia nuova) am rechten Quer- schiff derselben Kirche. Keinem Künstler ist je freiere Hand gelassen worden; man kann kaum entscheiden, ob er die Capelle für seine Denkmäler baute oder die Denkmäler für die Capelle meisselte (um 1529). Als Ganzes ist sie ein leichtes, herrliches Gebäude, welches das Princip brunelleschischer Sacristeien auf das Geistvollste erweitert und erhöht darstellt. Es ist nicht bloss die reinere und vollständigere Hochrenaissance. Michelangelo. Handhabung einer untern und einer obern Pilasterordnung, was hier den ganzen Fortschritt des XVI. Jahrhunderts im Verhältniss zum XV. klar macht, sondern vor Allem ein höheres Gefühl der Verhältnisse. Man übersieht daneben einzelne schon überaus bedenkliche Füllfor- men, z. B. die Nischen über den Thüren u. dgl.; man rechtfertigt die Schrägpfosten der obern Fenster vielleicht sogar durch altetruskische Vorbilder und die Ausfüllung der beiden Grabnischen mit einer spie- lenden Architektur durch den Vortheil, dass die Figuren um so viel grösser scheinen. Der Contrast des dunkeln Steinwerkes mit dem geweissten Mauerwerk kommt wohl überhaupt nicht auf Michelange- lo’s Rechnung Eine Zeitlang waren bedeutende Theile der Capelle in der That bemalt und stucchirt, und zwar von der Hand des Giovanni da Udine. . Seine wahre Grösse liegt hier wie überall in den Verhältnissen, die er nirgends, auch nicht von den antiken Bauten copirt, sondern aus eigener Machtfülle erschafft, wie sie der Gegenstand gestattet. Sein erster Gedanke ist nie die Einzelbildung, auch nicht der con- structive Organismus, sondern das grosse Gegeneinanderwirken von Licht- und Schattenmassen, von einwärts- und auswärtstretenden Partien, von obern und untern, mittlern und flankirenden Flächen. Er ist vorzugsweise der im Grossen rechnende Componist. Vom De- tail verlangt er nichts als eine scharfe, wirksame Bildung. Die Folge war, dass dasselbe unter seinen Händen ganz furchtbar verwilderte und später allen Bravour-Architekten für die gröbsten Missformen zur Entschuldigung dienen konnte. Noch im Auftrag Clemens VII begann Michelangelo im anstossen- a den Kloster die Biblioteca laurenziana . Die Vorhalle mit der Treppe ist jenes ewig lehrreiche Bauwerk, in welchem zuerst dem Sinn aller Einzelformen absichtlich Hohn gesprochen wurde. Zwischen einwärts vortretenden Mauermassen mit barocken (blinden) Fenstern stehen je zwei Säulen dicht an einander wie in engen Wandschrän- ken; darunter gewaltige Consolen; das obere Stockwerk ist unvollendet. Die berühmte Treppe, von Vasari nach einer Zeichnung Michelangelo’s hineingebaut, sollte monumental aussehen und doch jenen Wandorga- nismus nicht stören, daher ihre Isolirung; dem unbeschadet dürfte sie S. Lorenzo. Römische Bauten. etwas weniger halsbrechend gefährlich sein. — Das Ganze hat wohl einen bestimmten Sinn, der sich deutlicher aussprechen würde bei vollendetem Oberbau. Der Künstler hat mit allen, auch den ver- werflichsten Mitteln das Gefühl des Strebenden hervorzubringen ge- sucht; wir wissen aber nicht mehr, was er damit wollte. Eine baldige Nachahmung blieb nicht aus; Ammanati stellte Säulen in enge Wand- a nischen an der Fassade der Jesuitenkirche S. Giovannino; Giov. da Bologna an den Wänden seiner eigenen Gruftcapelle hinten in der b Annunziata u. s. w. Das Gebäude der Laurenziana selbst ist wieder baulich einfach c und würdig, und wenn hier das Detail der Verzierung wirklich, wie man annimmt, von Michelangelo angegeben ist, so besass er im Kleinen den feinsten Schönheitssinn, den er im Grossen der Bizarrerie aufopferte. Die holzgeschnitzte Decke, deren edles und reiches Ver- zierungsmotiv sich in der Zeichnung des Backsteinbodens wiederholt, soll „nach seiner Idee“ von Tasso und Caroto, das einfach classische Stuhlwerk von Ciapino und del Cinque, die bloss zweifarbigen lichten Arabesken der Fenster, wie oben bemerkt, von Giov. da Udine aus- geführt sein. Die Thür, eines der ersten Beispiele perspectivischen Scheinreichthums durch Verdoppelung der Glieder, ist erweislich von Michelangelo. Seine römische Thätigkeit ging zum Theil mit Plänen verloren, die nicht ausgeführt wurden. (Entwurf zu einem Palast für Julius III an der Ripetta, fünf Pläne für S. Giovanni de’ Fiorentini, welche sämmtlich nicht mehr vorgefunden wurden, als im vorigen Jahrhun- dert die jetzige Fassade, von Galilei, zur Ausführung kam. U. a. m.) Doch sind ausser dem Bau von S. Peter, den er erst nach 1546 über- nahm, einige Bauten von ihm ausgeführt vorhanden, welche die Grösse und Richtung seines Geistes gerade an sehr verschiedenen Aufgaben darthun. Von ihm ist zunächst am Pal. Farnese das bewundernswürdige d grosse Hauptgesimse (dessen Wirkung er vorher durch hölzerne Mo- delle erprobte) und die beiden untern Stockwerke des Hofes. Diese imposantesten Palasthallen Rom’s sind, wie ohne Mühe zu erkennen ist, den beiden untern Ordnungen des Marcellustheaters fast genau nachgebildet, nur dass die Metopen mit Waffen und der ionische Fries Hochrenaissance. Michelangelo. Rom. mit Fruchtschnüren und Masken ausgefüllt wurden. Nirgends mehr hat sich Michelangelo so völlig dem Alterthum angeschlossen; hier lag die Genialität darin, sich unterzuordnen. (Die hässlichen Doppelgesimse in den Hallen kommen wohl noch auf Sangallo’s Rechnung S. 315, f.) Das oberste Stockwerk des Hofes scheint von Giacomo della Porta hinzugefügt. Als dieser die Loggia an der Hinterseite des Palastes zu bauen hatte, wusste er keinen andern Rath, als das grandiose Motiv von Michelangelo’s Hofe nach aussen zu wiederholen, und er that wohl daran, nur hätte er das Gesimse mit den anstossenden Stücken des grossen Gesimses nicht so vermitteln dürfen. — Die grandiose Absicht, den Blick aus dem Hofe zu einem architektoni- schen Durchblick bis an die Longara zu erweitern, blieb ohne Folge. a Aus den letzten Lebensjahren Michelangelo’s rührt sodann Porta Pia her. (Der Oberbau erst neuerlich und wohl nicht genau nach seiner Absicht vollendet.) Ein verrufenes Gebäude, scheinbar reine Caprice; aber ein inneres Gesetz, das der Meister sich selber schafft, lebt in den Verhältnissen und in der örtlichen Wirkung der an sich ganz willkürlichen Einzelformen. Diese Fenster, dieser starkschattige Thorgiebel u. s. w. geben mit den Hauptlinien zusammen ein Ganzes, das man auf den ersten Blick nur einem grossen, wenn auch verirrten Künstler zutrauen wird. Innerhalb der Willkür herrscht eine Ent- schiedenheit, welche fast Nothwendigkeit scheint. b Der Umbau der Diocletiansthermen zur Kirche S. Maria degli Angeli ist durch einen neuen Umbau des vorigen Jahrhunderts un- kenntlich geworden. Erhalten blieb jedoch in dem dazu gehörenden Carthäuserkloster der einfache hundertsäulige Gartenhof, dessen mitt- lere Cypressen sogar von Michelangelo gepflanzt sein sollen. Die für den Orden traditionelle Anlage findet sich, wenn auch nicht in der- selben Ausdehnung, mehrfach wieder, aber dann mit reichem Detail, das zu der Gesammtwirkung gar keine Beziehung hat. (Aufgemalte c Ornamente am Gartenhof der Certosa bei Florenz, plastische an dem d von S. Martino in Neapel.) Hier ist nur gegeben, was zum Ganzen beiträgt. Auch die jetzige Anordnung und zum Theil auch die Gestalt der capitolinischen Bauten rührt von Michelangelo her. So wie sie sind, entsprechen sie gewiss nicht seinem ursprünglichen Gedanken, Capitolinische und andere Bauten. sondern sind in Ermanglung eines Bessern allmälig unter schwanken- der Benützung seiner Entwürfe zu Stande gekommen. Er selbst legt schon 1536 die beiden Flachtreppen an, deren vordere mit den Ba- a lustraden zu beiden Seiten und oben an der Terrasse so wesentlich für die Wirkung des Ganzen ist. Im Jahr 1538 erhielt unter seiner Leitung die Reiterstatue Marc Aurels ihren jetzigen Platz in der Mitte der ganzen Anlage. Wahrscheinlich gehört ihm auch der Ent- wurf zum jetzigen Senatorenpalast, und gewiss dessen herrlich an- b gelegte Doppeltreppe, welche mit dem Brunnen und den beiden Flussgöttern ein wahrhaft einziges plastisch-architektonisches Ganzes bildet und für die Treppe der Laurenziana reichlich entschädigt. Zu den beiden Seitenpalästen, die erst ein Jahrhundert später (derjenige c des Museums zuletzt) im Detail nach dem Geschmack dieser Zeit aus- geführt wurden, lag ein Plan von ihm vor; sie sind zu originell ge- dacht, zu richtig im Verhältniss zum Senatorenpalast, als dass man die Idee einem Andern beimessen möchte. Für alles Einzelne aber, namentlich für das hässliche Mittelfenster des einen, ist derselbe Gio- vanni del Duca verantwortlich, welcher auf Sangallo’s Kirche an Piazza Trajana die barocke Laterne setzte. Auch die schräge Richtung auf den Senatorenpalast zu, wurde am ehesten wohl von Michelangelo angegeben. Die beiden hintern Hallen über den Treppen nach Araceli d und dem tarpeischen Berge hin sind von Vignola entworfen. Eine theilweise Benützung von Michelangelo’s Ideen trat bei vielen Gebäuden ein; manches wird auch nur sagenhaft mit seinem grossen Namen in Verbindung gebracht. So soll z. B. die Sapienza e in Rom, welche theils von Giac. della Porta, theils erst gegen 1650 erbaut wurde, auf einem Entwurf Michelangelo’s beruhen und wenn man die grandiose Wirkung des Pfeilerhofes (ohne den Oberbau) und der hintern Fronte in Betracht zieht, so gewinnt die Behauptung Glauben. — Porta del popolo ist viel zu zahm für Michelangelo, zu- f mal an der Aussenseite. — In S. Maria maggiore ist der zweite Anbau von der Hauptfronte kommend links (Cap. Sforza) von Giac. della g Porta oder Tiberio Calcagni nach einem willkürlich veränderten Plan Michelangelo’s ausgeführt. Ausserhalb Rom’s wird bei Anlass der Madonna di Carignano in Genua, einem notorischen Bau des Alessi, nur eine Nachahmung des Hochrenaissance. Bau von S. Peter. ursprünglichen Plans von S. Peter, und zwar eine trefflich modificirte, zuzugeben sein. — Wie weit beim Dom von Padua Michelangelo’s Angaben befolgt wurden, vgl. S. 320, a. — Die ihm zugeschriebene a Decke des Laterans steht so weit unter derjenigen der Laurenziana, dass eine andere Angabe, wonach sie von Giac. della Porta entworfen ist, ungleich mehr Glauben verdient. Erst als Greis erhielt Michelangelo durch Paul III den Auftrag b zur Vollendung der S. Peterskirche , von welcher hier im Zu- sammenhang die Rede sein muss. Ohne auf die Geschichte des Baues im Einzelnen, auf den Wechsel der Entwürfe näher einzugehen, be- schränken wir uns auf dasjenige, was wirklich ausgeführt und noch vorhanden ist. Bramante hatte das Gebäude 1506 angefangen, mit der Absicht ein griechisches, gleicharmiges Kreuz mit grosser mittlerer Kuppel zu errichten. Ihm gehört die Abrundung der Kreuzarme zu Tribunen, die er (S. 303) in der Lombardie gelernt und später auch an der Madonna della Consolazione zu Todi in Anwendung gebracht hatte. Schon in ver- schiedenen Gestalten ist uns diess griechische Kreuz mit abgerundeten Armen begegnet, z. B. (S. 204, c) an der Steccata in Parma (1521); es galt seit Bramante ohne Frage als die vollkommenste Kirchenform, sodass z. B. Leo X unter den Plänen für S. Giovanni de’ Fiorentini demjenigen des Jacopo Sansovino (s. dessen Leben bei Vasari) den Vorzug gab, weil er diese Gestalt hatte. — Die Theorie wird über diese Grundform sich immer in verschiedene Ansichten spalten; sicher aber würde dieselbe, nach Bramante’s Plan ausgeführt — vier Halb- runde mit quadratisch vortretenden Ecken — an sich eine grosse Wirkung machen, zumal wenn man den Bau in des grossen Meisters Weise organisirt denkt. (Dazu zwei Seitenthürme und eine sechs- säulige Vorhalle.) Von Rafaels neuem Entwurf ist nichts Ausgeführtes vorhanden. — Von Baldassare Peruzzi stammt die Flankirung der Kuppel mit vier kleinen Kuppeln (wovon später nur die beiden vordern aus- geführt wurden). Die Combination mehrerer Kuppeln ist eine vene- zianische, aus dem Orient übernommene Idee; die Renaissance fühlte Michelangelo. indess, dass die Kuppeln einander nicht gleich oder ähnlich (wie an S. Marco in Venedig und am Santo in Padua) sondern einander sub- ordinirt sein müssten (wie diess Andrea Riccio 1521 an der prächtigen Justinenkirche zu Padua zuerst und zaghaft durchführte). Aber auch so modificirt ist der Gedanke wohl kein glücklicher; die grosse Form einer Hauptkuppel müsste möglichst einfach und deutlich mit ihrem quadratischen Unterbau contrastiren; will man die vier Ecken des letztern noch besonders hervorheben, so sind vier Thürme, wie sie Galeazzo Alessi an der Kirche Carignano zu Genua auf den vier Eckräumen (einstweilen auf zweien) anbrachte, das Richtigere und weniger störende. Allerdings gewinnt die scheinbare Grösse der Hauptkuppel durch Zuthat kleinerer Trabanten von einer analogen und dabei reichen Form, allein diess sind keine architektonischen Prin- cipien. Nach der Zwischenherrschaft des jüngern San Gallo trat Michelangelo ein. Es bedurfte seines ganzen schon gewonnenen Ruhmes und seiner Verzichtung auf jeden Lohn, um seinem Entwurf den Sieg zu sichern. Eine der Frescoansichten des damaligen Roms in der vaticanischen Bibliothek stellt den Bau ungefähr so dar, wie Er ihn haben wollte: ein gleicharmiges Kreuz, dessen vorderer Arm in der Mitte der Fassade eine nur viersäulige, aber in riesigem Mass- stab gedachte Vorhalle aufweist. Die Kuppel hätte diesen vordern Arm des Kreuzes ebenso völlig beherrscht, als die gleich langen drei übrigen Arme. — Von dem jetzt vorhandenen Gebäude hat Michel- angelo zunächst die Aussenseiten der hintern Theile des Unterbaues mit Pilastern und Attica zu verantworten. Sie sind eine bizarre, willkürliche Hülle, die Bramante’s Entwurf schmerzlich bedauern lässt; die vier Ecken zwischen den halbrund heraustretenden Tribunen sind durch schräge Wände abgestumpft; die Fenster zeigen eine Bildung, die an Caprice mit der Porta Pia wetteifert Milizia sucht wenigstens die Verantwortung wegen der Attica auf Carlo Ma- derna zu schieben. . Viel gemässigter ver- fuhr Michelangelo im Innern, dessen Organismus (Pilaster, Nischen, Gesimse, auch wohl die Angabe des Gewölbes) wenigstens soweit ihm angehört, als nicht späterer, zumal farbiger Schmuck einen neuen Hochrenaissance. Bau von S. Peter. Sinn hineingebracht hat. (Wem das sehr bizarre Nischenwerk in den drei Tribunen zur Last fällt, weiss ich nicht anzugeben; die Stuccaturen ihrer Halbkuppeln sind erst aus dem vorigen Jahrhun- dert.) Das hier ausgesprochene System ist es, welches einen so un- geheuern Einfluss auf den Innenbau der ganzen katholischen Welt ausgeübt hat und als Kanon in tausend Variationen nachgeahmt wurde. Als einfaches Gerüst ist diese Bekleidung grossartig gedacht; das Vor- und Zurücktreten des Gesimses ist verhältnissmässig sparsam gehandhabt, sodass dem letztern seine herrschende Wirkung bleibt; die Pilaster sind ebenfalls noch einfach; erst die Nachahmer wollten durch Vervielfältigung der Glieder die Wirkung überbieten. Die Cas- settirung der grossen Tonnengewölbe, zwar erst beträchtlich später, aber doch wohl nach der Absicht des grossen Meisters ausgeführt, ist in ihrer Art classisch zu nennen und unbedenklich als das beste De- tail der ganzen Kirche zu betrachten, während die Einzelbildung der Pilaster und Gesimse doch nur von mittlerm Werthe ist. Die Kuppel Michelangelo’s, an Form und Höhe derjenigen der frühern Baupläne gewaltig überlegen, bietet vielleicht von aussen die schönste und erhabenste Umrisslinie dar, welche die Baukunst auf Erden erreicht hat. Hier zuerst ist der Cylinder in colossaler Grösse zum Ausdruck tragender Kräfte (in Gestalt der gekuppelten Säulen mit vorgekröpftem Gebälk) erhoben: über das Wie? wird man wohl streiten, aber schwerlich innerhalb dieses Styles eine andere Lösung angeben können. (Was an Ste. Geneviève in Paris möglich war, der offene Säulengang ringsum, war bei den viel grössern Verhältnissen von S. Peter unmöglich und wäre constructiv jedenfalls werthlos.) Endlich ist die überhöhte Schale mit der Lanterna im Gedanken wohl abhängig vom Florentiner Dom, aber in der Ausführung und in den Verhältnissen unvergleichlich viel schöner, erstere schon durch die Rundung. Ins Innere fallen durch die grossen Fenster des Cylinders jene Ströme von Oberlicht, welche die Kirche wesentlich beherrschen. Die Wände des Cylinders und der Schale sind auf das Glücklichste or- ganisirt durch Pilaster, Attica und Gurte, welchen sich die Mosaiken sehr zweckmässig unterordnen. Wenn man sich das schlechte spätere Nischenwerk der vier Hauptpfeiler sammt ihren Statuen hinwegdenkt Michelangelo und Maderna. und das Ganze überhaupt auf seine wesentlichen Formen reducirt, so übt es einen architektonischen Zauber, der sich bei jedem Besuch erhöht, nachdem der historische Phantasieeindruck längst seine auf- regende Kraft verloren hat. Hauptsächlich das harmonische Zusam- menwirken der zum Theil so ungeheuern Curven verschiedenen Ranges, welche diese Räume um- und überspannen, bringt (wie ich glaube) jenes angenehm traumartige Gefühl hervor, welches man sonst in keinem Gebäude der Welt empfindet, und das sich mit einem ruhigen Schweben vergleichen liesse. (Das Innere grosser gothischer Kathe- dralen giebt den entgegengesetzten Eindruck eines unaufhaltsam raschen „Aufwärts!“ — der ebenfalls unvergleichlich ist in seiner Art.) Die nächsten Seitenräume und Eckcapellen sind wohl in der An- lage nach Michelangelo’s Entwurf gebaut, aber ihr ganzer Schmuck, sowohl die Marmorbekleidung der Pfeiler und Wände als die Mo- saiken und Statuen sind spätern Ursprunges und die Farbenwirkung ist gewiss eine ganz andere als die, welche er beabsichtigte. Doch im Grossen wich erst Carlo Maderna , auf Geheiss Pauls V (seit 1605), von dem Plane Michelangelo’s ab; durch den Weiterbau des vordern Armes wurde das Kreuz wieder ein lateinisches und die Kirche auch nach der Längendimension die grösste der Welt. Unter dem Einfluss der damaligen Bauprincipien wurde das Mittel- schiff möglichst weit und gross bei einer doch im Verhältniss nur mässigen Länge; Maderna’s Pfeiler stehen beträchtlich weiter aus- einander als die der hintern, ältern Theile. Dafür wurden die Neben- schiffe nur klein, und zwar in ovale Kuppelräume getheilt, an welche sich Capellen, d. h. ziemlich flache Nischen anschliessen. Im dritten Buche des Serlio sieht man, welche ganz andere Bedeutung Rafael in seinem Plan eines lateinischen Kreuzes diesen Partien im Verhält- niss zu dem ungleich schmälern Mittelschiff zugedacht hatte. In Ma- derna’s Bau verhindert überdiess die beträchtliche Breite der Pfeiler den reichern Einblick in die Nebenschiffe, sodass diese für die Wirkung im Grossen kaum in Betracht kommen. — Aussen ging der vordere Anblick der Kuppel für jeden nahen Gesichtspunkt verloren, und es musste eine neue Fassade componirt werden, diessmal als breite Fronte, indem die Rücksicht auf die drei übrigen abgerundeten Arme des Kreuzes wegfiel. Von aller Beziehung zur Kuppel und zum Rest B. Cicerone. 22 Hochrenaissance. Michelangelo. des Baues überhaupt abgelöst, fiel sie aus wie sie zu Anfang des XVII. Jahrhunderts ausfallen musste, als ungeheure Decoration, deren Theile auf alle Weise vor- und rückwärts, aus- und einwärts treten ohne Grund und Ursache. Selbst mit Anschluss an dasjenige Motiv, welches Michelangelo an den übrigen Aussenseiten der Kirche durch- geführt, hätte sich etwas viel Grossartigeres machen lassen. Aber derselbe Maderna schuf auch das Innere der Vorhalle, welches eine der schönsten modernen Bauten in ganz Rom ist. Die vorgeschriebene Einfachheit in Gliederung und Farbe lässt die Wirkung der Verhält- nisse ungestört. Nach Maderna’s Tode kam der noch junge Bernini über das Gebäude (1629). Von den Glockenthürmen, welche an beiden Enden der Fassade (wo das Auge sie nicht verlangt) prangen sollten, baute er einen und musste ihn wieder abtragen. Beträchtlich später, schon als Greis (1667) legte er die berühmten Colonnaden an, bei Weitem das Beste was er überhaupt gebaut hat. Die Bildung des dorischen Details ist nicht nur einfach, was sie bei der hundertmaligen Wieder- holung der Formen durchaus sein musste, sondern kalt; allein fast gar nicht barock. (Die Säulen der äussern Curven sind dicker als die der innern.) Was die Gesammtanlage betrifft, so ist vor allem Maderna seinem Nachfolger den grössten Dank schuldig; Bernini hat das Mögliche gethan, um die Fassade zu heben und gross scheinen zu lassen. Diess geschah namentlich durch die Annäherung der beiden nächsten Hallenenden, über welche sie so weit emporragt, während zugleich das Auge über das (in der That ziemlich starke) Ansteigen des Platzes getäuscht und damit in der Meinung erhalten wird, sie stehe beinahe auf demselben Plan mit den Colonnaden. Träten die Hallen- enden weiter auseinander als die Fassade breit ist, so würde jene Vergleichung wegfallen. In dem elliptischen Grundplan der Colonna- den selbst liegt wiederum eine Scheinvergrösserung, indem das Auge ihn eher für rund hält, ihm also eine Tiefe zutraut, die er nicht hat. — Die Stelle ist richtig gewählt; wenn S. Peter ein Atrium haben sollte, von welchem aus die Kuppel sichtbar war, so musste dasselbe in einige Entfernung zu liegen kommen, selbst ohne die mitbestim- mende Rücksicht auf den schon vorhandenen Vorbau des vaticanischen Palastes. — S. Peter in Rom. Ausserdem drückte Bernini auch dem Innern durch die von ihm hineingesetzten plastischen Werke (und mittelbar durch die Nach- ahmungen seiner Schüler und Nachfolger) ganz entschieden seinen Stempel auf. Leider blieb es dabei nicht; er bekleidete die Pfeiler der Seitenschiffe mit jenen Engeln, welche Papstbüsten, Tiaren etc. tragen, mit jenen pamfilischen Tauben u. s. w. auf buntem Marmor- grund; er war es auch, welcher die vier Kuppelpfeiler mit jenen kläglichen Nischen und Loggien versah, welche diesen wichtigsten Theilen des Gebäudes Einfachheit und Nachdruck rauben. Die vier Statuen mussten entweder wegbleiben oder gigantisch gross (und dann in anderm Styl!) gebildet werden; gegenwärtig sind sie viel kleiner als die drüber an den Zwickeln der Kuppel angebrachten Evangelisten in Mosaik. Es ist eine alte Klage, dass S. Peter innen kleiner aussehe, als es wirklich ist. Ich weiss nicht, ob Jemand, der ohne diess Vor- urtheil zum erstenmal hineintritt, die Kirche nicht doch ungeheuer gross finden würde; jedenfalls hängt viel von der Beleuchtung und von der Menschenzahl ab. Am Ostermorgen weiss Jeder, dass er sich im grössten Binnenraum der Welt befindet. Auch in der Abenddäm- merung wachsen die Dimensionen, nicht nur weil (wie überall) das Einzelne verschwindet, sondern weil Farben und Vergoldung erblei- chen, welche bei Tage die betreffenden Flächen dem Auge nähern und damit kleiner scheinen machen. Was davon noch unter dem Ein- fluss Michelangelo’s zu Stande kam (wenn auch erst lange nach seinem Tode), nämlich die Mosaicirung der Kuppel und die Cassettirung der Tonnengewölbe, lässt sich architektonisch wohl völlig rechtfertigen; grell wirkt erst Bernini’s Incrustation und naturalistisch die Kuppel- mosaiken der Nebenräume, welche indess für die Wirkung des Ganzen nicht in Betracht kommen. Entschieden verkleinernd für das ganze Gebäude erscheint dann der Effekt des entsetzlichen Tabernakels und der Cathedra Petri, beides Arbeiten des Bernini. Hier allein wird das Auge zu einer falschen Rechnung beinahe genöthigt (S. 80). Die Weih- beckenengel, von welchen man gewöhnlich spricht, täuschen nicht lange und nicht stark genug, um den Eindruck des Ganzen mit zu bestimmen. 22* Architektur von 1540 bis 1580. Keine kunstgeschichtliche Eintheilung hält nach Jahr und Datum vollkommen Stich und bei den langelebenden Architekten des XVI. Jahrhunderts ist eine schärfere Stylabgrenzung nach Epochen vollends misslich. Doch wird man in denjenigen Bauten, welche etwa zwischen 1540 und 1580 fallen, einen vom Frühern abweichenden Charakter nicht verkennen. Es ist die Zeit der grossen Theoretiker, eines Vignola, Serlio, Palladio, Scamozzi; ihre Absicht ist wohl ganz die ihrer Vor- gänger: das Alterthum zu reproduciren, allein ihre Mittel sind andere. Die Ausdrucksweise erscheint einerseits schärfer : vortretende Halb- säulen- und Säulensysteme statt der früher herrschenden Pilaster und Wandbänder; demgemäss eine derbe Bildung der Fenster und Portale; auch im Innern namentlich der Kirchen eine stärkere Bekleidung mit den classischen Einzelformen, während früher das Gerüst des Baues wie es war eher nur auf irgend eine harmonische Weise decorirt wurde. Von einer andern Seite ist diese selbe Ausdrucksweise um einen beträchtlichen Grad kälter ; statt des reichen Details der Frührenaissance, statt des einfach harmonischen Details der Blüthe- zeit finden wir hier ein zwar noch verhältnissmässig reines, aber schon kaltes und gleichgültiges Detail. Vom Ende des XVI. Jahr- hunderts an beginnt dann der Barockstyl, welcher das Detail miss- handelt, weglässt oder vervielfacht, je nachdem es zu willkürlichen Effekten verwerthet wird. Die Zeit von 1540—1580 ist im Vergleich mit der frühern mehr die des rechnenden, combinirenden Verstandes, gleichwohl aber voll Geist und Originalität. Sie rechnet sehr im Grossen, und wer etwas in ihren Werken finden will, muss ihren Gesammtcompositionen und Dispositionen nachgehen und die Säulenordnungen für das nehmen, was sie hier sind: für eine conventionelle Bekleidungsweise. Auch ohne sie können die Umrisse und Verhältnisse des Ganzen Seele und Bedeutung haben. — Die Gesinnung der Bauherren, welche jetzt mehr als je zuvor auf das Grossräumige ging und dieser Rücksicht jede andere nachsetzte, stand in völligem Einklang mit der Richtung der Architekten. Vignola. Die Bauten Michelangelo’s, der mit der goldenen Zeit begann und durch seine spätere Willkür schon den ganzen Barockstyl einleitete und zu rechtfertigen schien, wurden bereits aufgezählt. Von den zu- nächst zu nennenden Baumeistern waren mehrere seine unmittelbaren Schüler und Executanten, andere seine Anhänger, alle mehr oder we- niger von ihm berührt. Man darf sie darob bewundern, dass sie seine Extravaganzen noch nicht mehr im Sinne eigener Willkür aus- beuteten. An ihrer Spitze steht Giacomo Barozzi von Vignola (1507—1573), dessen Handbuch der Säulenordnungen (Trattato degli ordini) die Ar- chitektur der letzten zwei Jahrhunderte völlig beherrscht hat und noch jetzt stellenweise einen grossen Einfluss ausübt, nachdem seit hundert Jahren die echten griechischen Ordnungen bekannt und abgebildet sind. Als ausübender Künstler begann er mit einigen Bauten in Bo- logna; ausser den oben (S. 208, e) genannten Banchi wird eine Casa a Bocchi und in dem nahen Minerbio ein Palazzo Isolani genannt, über dessen Vorhandensein ich keine Kunde habe. — Sein frühster Colossal- bau, der Pal. Farnese in Piacenza, ist interessant als eines der ersten b Gebäude, in welchen durchaus kein herrschendes Einzelmotiv vor- kömmt, sondern nur die Verhältnisse sprechen, und zwar beim ein- fachsten Detail, das überdiess nur stellenweise wirklich ausgeführt ist. Die Abstufung der Stockwerke ist der (allerdings nicht genügende) Gehalt des ungeheuern Gebäudes, welches übrigens nicht zur Hälfte vollendet und jetzt eine Caserne ist. In Rom hatte er grossen Antheil an der prächtigen Villa, welche c Papst Julius III (1550—1555) an der Via Flaminia baute und die noch jetzt als Vigna di Papa Giulio benannt wird. Wer die Urheber und Erfinder der einzelnen Motive dieses ehemals grossen Ganzen sind, lässt sich nicht mehr ausmitteln; Vasari, der an mehrern Stellen (in den Biographien des Taddeo Zucchero zweimal und in der Übersicht seiner eigenen Werke) davon spricht, schreibt die Haupt- ideen dem baulustigen Papste zu, sich selber aber die Redaction der- selben; diese habe Michelangelo durchgesehen und verbessert, Vignola aber bloss ausgeführt; ausschliesslich von ihm (Vasari) sei der Ent- wurf zu dem Brunnen unten (d. h. im hintern Hof), welchen dann Vignola und Ammanati ausführten. Abgesehen von seinen Urhebern Architektur von 1540 bis 1580. interessirt uns das Gebäude in ähnlichem Sinne wie Ligorio’s Villa Pia (S. 316, e), als letzte Villa der Renaissance. An Reiz und Anmuth kommt es der Farnesina, an Würde der Villa Madama, an Vollstän- digkeit der Ausführung Die sehr ausgedehnten Gartenanlagen mögen während des kurzen Pontificates blosse Anfänge, ja blosse Entwürfe geblieben sein. Der betreffende Grund und Boden ist längst anders vertheilt. und Erhaltung dem Palazzo del Te aller- dings bei Weitem nicht gleich; man glaubt die schwankenden und zum Theil kleinlichen Einfälle des Bauherrn noch jetzt zu erkennen, doch bleibt das Ganze sehr sehenswerth. An der Strasse selbst (10 Minuten vor Porta del Popolo) beginnt die Anlage mit einem nicht grossen aber grossartig gedachten, übrigens unvollendeten Pa- last, in dessen Fenstereintheilung und Säulenloggia sich am ehesten Vignola’s Erfindung verräth. Von hier führt ein Seitenweg rechts zwischen den Gartenmauern zur eigentlichen Villa hinan, deren Fas- sade ein schlechtes Gemisch abwechselnder Bauentschlüsse ist; auch die Gemächer im Innern verdienen höchstens wegen der Fresken der Zuccheri einen Blick. Gegen den Hof bildet das Gebäude eine halb- runde Säulenhalle; dann folgen rechts und links stuccoverzierte Hof- wände und hinten eine offene (jetzt mit Glasthüren verschlossene) Säulenhalle, durch welche man in den hintern Brunnenhof sah Derselbe wird auf Nachfrage bei den dort casernirten Carabinieri geöffnet. . Dieser enthält in zwei Stockwerken Nischen und Grotten und in sei- ner Mitte eine halbrunde Vertiefung mit Brunnenwerken, zu welcher Treppen hinabführen. Zur Ergänzung des Eindruckes gehört der Schatten aussenstehender Bäume (und die Bekanntschaft mit dem Cha- rakter Julius III wie ihn Ranke schildert). Von Vignola allein ist (oder war!) alles Architektonische an den a Orti Farnesiani auf dem Palatin: Portal, Grotten, Rampentreppen, Brunnen und oberer Doppelpavillon in glücklich gedachter perspecti- vischer Folge. Blieben die Trümmer ihrem natürlichen Verfall über- lassen, so hätten sie ihre bestimmte Ruinenschönheit; leider kommt moderne absichtliche Zerstörung hinzu. Die wenige noch erhaltene Decoration zeigt, dass die Renaissance vorüber ist, dass der mehr auf Gesammteffekte ausgehende Styl die Oberhand erhalten hat. (Die Vignola und Vasari. Rustica soll hier das Ländliche ausdrücken.) — Ob Porta del Popolo, a wenigstens die Aussenseite, dem Vignola mit grösserm Recht als dem Michelangelo zugeschrieben wird, bleibe dahingestellt. — Bei Weitem das Wichtigste, was von Vignola vorhanden, ist das grosse ebenfalls farnesische Schloss Caprarola , dreissig Miglien von Rom, aussen b fünfeckig, innen mit rundem Hof, alle Gemächer mit historischen Fresken ausgemalt von den Zuccheri. Ehemals ein Wallfahrtsort für alle Künstler und Kunstfreunde, jetzt kaum je von Solchen besucht, die ihr Leben in Rom zubringen. Auch der Verfasser hat das Ge- bäude auf der Strasse von Rom nach Viterbo aus weiter Ferne an- sehen müssen. Von Vignola’s Kirchenbauten ist das kleine Oratorium S. Andrea c an der Strasse nach Pontemolle die bekannteste; quadratischer Unter- bau mit Pilastern, runder Oberbau mit niedriger Kuppel. Als land- schaftlicher Gegenstand seit der Geburtstunde der modernen Land- schaft überaus beliebt, hätte das kleine Gebäude selbst die Kritik eines Milizia entwaffnen dürfen. — Die Kirche Madonna degli Angeli d in der Ebene unterhalb Assisi zeigt noch den grossartigen Grundriss Vignola’s, Gewölbe und Kuppel aber sind neuer. — Endlich ist der Gesù in Rom (1568) ein höchst einflussreiches Gebäude geworden; e hier zuerst war möglichste Höhe und Weite eines gewölbten Haupt- schiffes und Beschränkung der Nebenschiffe auf abgeschlossene Capellen in derjenigen Art und Weise durchgeführt, welche nachher der ganze Barockstyl adoptirte. Frühere einschiffige Kirchen mit Capellenreihen, deren wir eine Menge angeführt haben, gewähren im Verhältniss den Capellen eine viel grössere Tiefe und dafür dem Hauptschiff eine ge- ringere Breite. Die nächste bedeutende Wirkung äusserte der Gesù auf Maderna’s schon erwähnten Ausbau von S. Peter (Seite 337). Giorgio Vasari (1572—1574), unschätzbar als Kunstschrift- steller, vielseitig und gewandt wie irgend ein Künstler seiner Zeit, scheint sich am Meisten in der Malerei zugetraut zu haben. Unser Urtheil und unser Gefühl sind aber seinen Gemälden fast durchgängig abhold, während von seinen Gebäuden wenigstens zweie zu den besten seiner Zeit gehören. Architektur von 1540 bis 1580. a Von der Vigna di Papa Giulio war eben die Rede. Wir über- gehen auch die Gebäude am Platz der Stephansritter in Pisa: den unbedeutenden Palast und die in auffallend unangenehmen Verhält- nissen erbaute Kirche, sowie den von Vasari grossentheils erneuten b Innenbau des Pal. vecchio in Florenz; er selber spricht mehr als ge- nug von den Treppen und besonders von dem grossen Saal, dessen beide Schmalseiten allerdings perspectivisch treffliche Abschlüsse sind. c Die ganze Tüchtigkeit des Meisters zeigt erst das Gebäude der Uffi- zien , nach seinem Entwurf 1560 von ihm selbst begonnen, von Pa- rigi, Buontalenti u. A. vollendet. Zur richtigen Beurtheilung ist es wesentlich zu wissen, dass schon vorhandene Mauern benützt werden mussten, dass der Verkehr zwischen Piazza del Granduca und dem Arno nicht gehemmt werden durfte und dass die „Uffizj“, d. h. Bu- reaux, die verschiedensten Bestimmungen hatten (Verwaltung, Kassen, Tribunale, Archive), also kein Motiv zu einer mehr geschlossenen, centralen Composition gegeben war. Das Erdgeschoss bildet eine der schönsten Hallen von Italien; in Harmonie mit allen übrigen Formen des Baues gab ihr Vasari ein gerades Gebälk und sparte die Bogen für die hintere Verbindungshalle, wo sie denn auch ihre imposante Wirkung thun. Beim Organismus der obern Stockwerke ist zu er- wägen, dass es sich nicht um einen fürstlichen Palast, sondern um einen engen, hohen Nutzbau mit sehr bestimmten Zwecken handelte. Auch bei der Anlage der Treppen, welche noch ziemlich steil sind, war Vasari nicht frei; doch that er das Mögliche, um auch hier und in den Vestibulen schöne Räume zu schaffen. Einzelne Barockformen an Thürgiebeln etc. fallen vielleicht nicht ihm zur Last. Endlich ein origineller, höchstens an Venezianisches (Seite 328, f) d erinnernder Kirchenbau Vasari’s: Die Abbadia de’ Cassinensi zu Arezzo , aussen roh gelassen, wie leider so viele zumal toscanische Kirchen; innen ein Tonnengewölbe der Länge nach, durchkreuzt von zwei Querschiffen ebenfalls mit Tonnengewölben; über den Kreuzun- gen niedrige Kuppeln (deren eine in der Folge von dem bekannten Meister der Perspective, dem Jesuiten Pozzo, mit der täuschenden Innensicht einer Hochkuppel ausgemalt worden ist); die vier niedri- gern Nebenräume, welche so entstehen, sind durch Säulenstellungen gegen das Hauptschiff geöffnet, die in der Mitte einen Bogen tragen; Vasari. Ammanati. ihre Wölbung bildet jedesmal eine kleine Flachkuppel. Die Abwesen- heit jeglicher Decoration lässt diesem graziösen Bau seine volle, un- gestörte Wirkung. Die Vorliebe für den Säulenbau, welche sich in diesen Werken gegenüber dem römischen Pfeilerbau behauptet, ist auch später in Florenz heimisch geblieben. Die nächsten Gründe sind: das grosse und stets verehrte Beispiel Brunellesco’s, der Besitz einer geeigneten Steinart (Pietra serena), besonders aber die Bescheidenheit in dem florentinischen Palastbau zur Zeit der mediceischen Grossherzoge. Auch die reichsten Geschlechter in Florenz dürfen nicht auftreten, wie z. B. päpstliche Nepotenfamilien in Rom. Den florentinischen Privatpalästen giebt in dieser Zeit Barto- lommeo Ammanati (1511—1586) einen neuen und mehr hausartigen Charakter; im Innern bleibt der Säulenhof der Frührenaissance, nur mit freudloserem Detail; die Fassaden, mit energisch barocken Fen- ster- und Thüreinfassungen und Rustica-Ecken, sind zum Theil auf Bemalung mit Arabesken und Historien (vgl. Seite 294) berechnet. Beispiele: Pal. Ramirez und Pal. Vitali, beide in Borgo degli Albizzi a zu Florenz u. s. w. Ammanati ist allerdings berühmter durch einen der grössten Pfeilerhöfe, denjenigen des Pal. Pitti, dessen drei Reihen b von Bogen auf Pfeilern mit Rusticahalbsäulen der drei Ordnungen bekleidet sind, ein in Formen und Verhältnissen hässliches Gebäude; — sein Pfeilerhof mit einfachen Pilastern im Collegio romano zu Rom c zeigt, dass er sich in ähnlichen Aufgaben ein anderes Mal glücklicher zu bewegen wusste. — Rom besitzt auch Ammanati’s beste Fassade, d die des Pal. Ruspoli (Caffe nuovo), an welcher nur die Höhe des Erdgeschosses (sammt Kellergeschoss) getadelt wird. (Die einst be- rühmte Treppe von parischem Marmor, hinten rechts, ist viel später, vom jüngern Martino Lunghi erbaut.) — Von Ammanati’s Klosterhöfen in Florenz hat der zweite bei S. Spirito, auf Säulen mit origineller e Abwechslung von Bogen und geraden Gebälken, den Vorzug vor dem öden hintern Pfeilerhof bei den Camaldulensern (agli Angeli) etc. f Allein dieses und die nüchterne Jesuitenkirche S. Giovannino und so g vieles Andere darf man vergessen über Ammanati’s reinstem Meister- Architektur von 1540 bis 1580. a werk: der Dreieinigkeitsbrücke . Die edle, für das Auge über- aus wohlthuende Spannung der drei Bogen, welche mit dem denkbar angemessensten Detail bekleidet sind, soll nach Ansicht derer, welche den Arno kennen, zugleich die technisch zweckmässigste sein. Eine ganze tüchtige Generation von Architekten schloss sich an die beiden genannten an und hielt die schlimmern Excesse des Ba- rockstyls längere Zeit von Florenz ferne. Giov. Antonio Dosio (geb. 1533) wurde bereits erwähnt (Seite 318). — Von dem Bildhauer b Giov. da Bologna (1524—1608) ist die S. Antoninscapelle in S. Marco (links), eingeleitet durch zwei einfache Bogen auf Säulenstellungen, eine der besten Bauten dieser Art (vgl. S. 290, d). — Bern. Buonta- c lenti (1536—1608), bisweilen überaus nüchtern, wie z. B. am gross- herzoglichen Palast in Siena, erhebt sich doch z. B. in der Fassaden- d halle des Spitals S. Maria la nuova in Florenz zum Grossartig-Leichten; das Obergeschoss, dessen Fenster zu nahe an das Gesimse stossen, e ist später so verändert worden. Am Unterbau des Palazzo non finito (1592) führt er den beginnenden Barockstyl mit einem eigenen pla- f stischen Ernst ein, während sein Pal. Ricardi (Via de’ Servi N. 6280), g vom Jahre 1565, noch der Spätrenaissance angehört. — Matteo Ni- h getti , († 1649) hat zwar die sehr barocke Fassade von Ognissantt, aber auch den niedlichen Säulenhof vorn links bei den Camaldulensern i geschaffen; was an SS. Michele e Gaetano (1604—48) Gutes ist, ge- hört gewiss eher ihm als seinem Mitarbeiter Don Giovanni Medici; an k der Capella Medicea bei S. Lorenzo (wovon unten) ist freilich gar nichts Gutes; und hier wird der Prinz wohl das Übergewicht gehabt haben. — Der Maler Luigi Cigoli (1559—1613) begann in Vasari’s l Geist den perspectivisch trefflich beabsichtigten Säulenhof des Pal. non finito, und noch ganz spät hat Gherardo Silvani (1579—1675) in m seinem Seminar bei S. Frediano den alten Styl der Klosterhöfe getreulich n nachgeahmt. Von ihm ist auch der stattliche Säulenhof bei den Camal- dulensern vorn rechts; wie er im Fassadenbau den Ammanati repro- o ducirt, zeigen Pal. Fenzi (Via S. Gallo N. 5966) und der einst durch p seine (jetzt veräusserte) Galerie berühmte Pal. Rinuccini. Allerdings war gleichzeitig mit den Bemühungen der Genannten Spätere Florentiner und Mailänder. der Barockstyl schon stellenweise in seiner vollen Thätigkeit. In der abgelegenen Via del Mandorlo bemerkt man ein hohes, schmales, ver- a rücktes Gebäude: unten statt der Rusticabekleidung gemeisselte Fels- flächen und Relieftrophäen, eingefasst von regelrechten glatten Glie- derungen, oben Backstein und Pietra serena in wüster Zusammen- stellung. Es ist das Atelier, welches sich schon 1579 der damals weltberühmte Maler Federigo Zucchero zu bauen wagte. An- deres der Art bei Anlass des Barockstyls. — Wie lange aber auch im einzelnen Fall das Gute und Tüchtige nachwirkt, zeigt z. B. das Innere von S. Felicita in tröstlicher Weise, ein Nachklang der bessern b Zeit des XVI. Jahrhunderts und zwar vom Jahr 1736, das Werk des Architekten Ruggieri . Ausserhalb Florenz ist mir zufällig Pal. Coltroni zu Lucca in die c Augen gefallen, mit einem einfachen aber malerischen Treppenhof, der dem toscanischen Säulenbau um 1600 alle Ehre macht. Zu Bologna sind aus dieser Zeit die etwas nüchternen aber gut disponirten Bauten des Pellegrino Tibaldi (1522—1592) und seines Sohnes Domenico zu bemerken: der Chor von S. Pietro, die jetzige d Universität, der Hof des erzbischöflichen Palastes; vorzüglich und im e Verhältniss zu dem kleinen Raum grossartig: Pal. Magnani. — Dieser f Pellegrino Tibaldi ist identisch mit dem Architekten Pellegrini , welcher in Mailand zur Zeit des Carlo Borromeo viel beschäftigt wurde. Als Baumeister des Domes schuf er die moderne Fassade, g wovon später nur die Thüren und die nächsten Fenster beibehalten worden sind, prächtige und für den Styl dieser Zeit bezeichnende De- corationsstücke, die ich, offen gestanden, der Gothik dieses Gebäudes vorziehe. — Die Kirche S. Fedele, ebenfalls von ihm, mit Doppelordnung h am ganzen Äussern und einfacher vortretender Ordnung im Innern, hat lange als classisches Muster gegolten und grossen Einfluss ausge- übt. — Die sehr barocke Rundkirche S. Sebastiano erbaute er in Folge i eines städtischen Gelübdes an den Pestheiligen vom Jahr 1576. — Im erzbischöflichen Palast ist der vordere Hof mit seiner hohen Doppel- k halle von Rustica ein weit besseres Gebäude als Ammanati’s drei- stöckiger Hof im Pal. Pitti (Seite 345, b); hier wird endlich mit der Architektur von 1540 bis 1580. mürrischen Rustica Ernst gemacht, sei es dass der Baumeister oder dass San Carlo selber für diesen Hof den Charakter einer düstern Majestät verlangte; nur ein unteres und ein oberes Stockwerk, aber von enormer Höhe; die Bauglieder (Schlussteine, Consolen, Gebälk- theile etc.) nicht classisch, sondern in angemessener barocker Umbil- dung gegeben. Der hintere Hof und die Fassade gegen Piazza Fontana später, ebenfalls tüchtig. a Aus derselben Zeit ist der Hof des erzbischöflichen Seminars, von Giuseppe Meda , eine schöne, unten dorische, oben ionische Doppelhalle, mit geradem Gebälk, deren Säulen abwechselnd enge und b weite Intervalle haben. — Vincenzo Seregno’s Collegio de’ nobili (auf Piazza de’ mercanti), vom Jahr 1564, erinnert in der Behandlung der untern Stützen schon sehr an Galeazzo Alessi , dessen mai- ländische Bauten nun im Zusammenhang mit den genuesischen zu besprechen sein werden. In dieser Zeit (1540—1600) setzte sich nämlich auch der Typus der genuesischen Paläste, hauptsächlich durch oberitalienische Bau- meister fest, welchem dann Alessi seine volle Ausbildung gab. c Noch ausserhalb der Linie steht gewissermassen der grosse Pa- last, den Gio. Angelo Montorsoli (seit 1529?) für den berühmten Andrea Doria baute. Von Architektonischem ist hier nur das Noth- wendige gegeben, indem die Hauptwirkung der (jetzt aussen fast durchgängig verlorenen und durch gelben Anstrich ersetzten) Bema- lung mit Figuren und Historien vorbehalten war. Die dünnen Fen- stereinfassungen, der Mangel an Pilasterwerk und die mässige Profi- lirung überhaupt geben jetzt dem Gebäude einen Anschein von Früh- renaissance. Als freier Phantasiebau ohne strenge Composition wird es mit seinen luftigen Hallen an beiden Enden und mit den in den Garten vortretenden Altanen auf Portiken immer einen so bezaubern- den südlichen Eindruck machen, wie kaum ein anderer grosser Palast Italiens. Die mit Hallen bedeckten Treppen am Ende des Gartens und die Brunnen mit Ausnahme eines sind aus derselben Zeit * Gleichzeitig: Pal. Mari, ehemals Odero, nicht die Fronte gegen Str. nuovis- sima, sondern der obere Hof, in welchen man von der Salita del Castelletto . Genua. Montorsoli. Castello. Auf Montorsoli folgte der Bergamaske Gio. Batt. Castello . Sein Pal. Imperiali (Piazza Campetto), erbaut 1560, giebt einen voll- a ständigen Begriff von der gemischten Compositionsweise der auf Hoch- bau in engen Strassen berechneten genuesischen Paläste; Reichthum der Ausstattung muss hier die strengern Verhältnisse ersetzen, die man von unten doch nicht gewahr würde. (Bemalung mit bronzefarbenen und colorirten Figuren, Putten und Laubwerk in Relief etc.) Die untere Halle, der Hof und die malerisch seitwärts angelegte Treppe offenbaren zuerst ohne Rückhalt die Herzlosigkeit der genuesischen Säulenbildung und Profilirung, die nach Florenz und Rom das Auge empfindlich berührt. — An Pal. Carega (jetzt Cataldi, Str. nuova) b versuchte Castello noch einmal eine durchgängige Pilasterbekleidung und bei den nicht allzuschmalen Fensterintervallen ging es damit noch ziemlich glücklich; Spätere wagten bei den lichtbedürftigen, hochfenstri- gen Fassaden dasselbe nicht ungestraft; ihre Pilaster wurden eine magere Decoration, die überdiess sinnlos ist, weil der enge Mauer- pfeiler schon an sich wie ein Pilaster wirkt. Das Vestibul, von sehr schöner Anordnung, ist eines der frühesten von denjenigen, welche die beiden Anfänge der Doppeltreppe zum Hauptmotiv haben. An vielen andern Palästen dauert indess die einfache, seitwärts, etwa neben oder hinter dem Hof angebrachte Treppe fort. — Als glückli- chen Decorator (in Verbindung mit Montorsoli) erwies sich Castello bei der zierlichen innern Ausschmückung von S. Matteo; eine der we- c nigen mittelalterlichen Kirchen, welche bei solchen Anlässen gewonnen haben. Von Rocco Pennone , ebenfalls einem Lombarden, sind die ältern Theile des Pal. Ducale, hauptsächlich die (ehemals stattlichen) d Doppelhallen der Seitenhöfe, die hintere Fronte und, wie man annimmt, auch die berühmte Treppe. Darf man sie in der That in die Zeit bald nach 1550 setzen, so ist sie die erste von den ganz sanft ge- neigten, ungeheuer breiten; sie hätte dann auch vorzugsweise die Be- geisterung der Genuesen (und des Auslandes) für diesen Theil des Palastbaues geweckt. gelangt; die Halle mit etwas schweren Säulen und lauter kleinen Kuppel- gewölben. Architektur von 1540 bis 1580. Alle Treppen Bramante’s und der Florentiner sind daneben steil und schmal. Genua suchte fortan wie schon früher in den Vestibulen und Treppen den Ersatz für die Kleinheit der Höfe; man unterbrach willig jede vordere Verbindung der untern Stockwerke, um dieser Partie auf jede Weise Nachdruck und Majestät zu geben; der per- spectivische Durchblick zwischen den Säulen der Treppenhalle oder des Hofes wurde selbst bei den engsten Dimensionen eine Hauptsache; wo möglich kam hinten als Schlusspunkt eine Brunnennische zu stehen. An der Strada nuova thaten einander die Besitzer den Gefallen, ge- meinschaftliche Hauptaxen mit den je gegenüberliegenden Gebäuden anzunehmen, sodass die Durchblicke durch die Portale sich verdoppeln. Gleichzeitig etwa mit Castello war in Genua der Peruginer Ga- leazzo Alessi (1500—1572) aufgetreten, der in Rom mit Michel- angelo in Verkehr gestanden hatte, seinem Wesen nach aber mit dem nur wenig jüngern Vignola parallel erscheint. Sein Verdienst ist demjenigen der meisten grossen Baumeister dieser Zeit analog: wenig bekümmert um den organischen Specialwerth des Details, jeder Auf- gabe durch Anordnung und Verhältnisse eine grosse Physiognomie abgewonnen zu haben. Wo es darauf ankam, wo Raum und Mittel (und guter Wille des Bauherrn) vorhanden waren, konnte er auch im Detail reich und elegant sein, wie kein anderer Baumeister des a beginnenden Barockstyls; der schöne Pal. Marini in Mailand, sowohl Fassade als Hof, übt in den ausartenden Einzelformen noch den Zauber der Frührenaissance * Die Kirche S. Vittore daselbst ist, wenn ich mich recht erinnere, innen mit ** neuerer Stucchirung versehen; die Fassade von S. Celso auffallend barock. . Von seinen genuesischen Bauten im Ganzen gilt diess weniger; er fügte sich in die wirklich vorhandenen und in die bloss angenommenen Verhältnisse; auch sein Säulenbau ist kaum edler als der der Andern. Allein er behandelte was er gab, gross- artig und besonnen, und wo man ihm Licht und Raum gönnte, schuf er Werke die in dieser Art kaum mehr ihres Gleichen haben. b Am Dom gehört ihm nur die einfache achteckige Kuppel und die Pilasterstellung darunter (1567); die Chorverkleidung soll ihm der Genua. Galeazzo Alezzi. genannte Pennone verdorben haben. Dagegen ist die berühmte Kirche a S. Maria di Carignano wesentlich sein Werk. Sie muss uns jetzt hauptsächlich die Bauzeit vergegenwärtigen, da an S. Peter nach Michelangelo’s Plan gearbeitet wurde, da die Kuppel über dem griechischen, d. h. gleicharmigen Kreuz als die für den Kirchenbau erhabenste Form galt. Die Lage auf steilem Vor- gebirg über der Stadt erhöht den Werth des Gebäudes ungemein, und seine Umrisse wirken schon von Weitem sehr bedeutend. Bei den so ungleich kleinern Dimensionen gab Alessi seiner Kuppel mit Recht nicht vier Arme, sondern ein grosses Quadrat zur Unterlage, und flankirte sie nicht mit vier Nebenkuppeln, welche hier ganz klein aus- gefallen wären, sondern mit vier (in der That zwei) Eckthürmen. (Die vier Kuppeln sind wohl im Innern vorhanden, aussen jedoch nur durch Lanterninen angedeutet.) — Aber das Einzelne des Aeussern durchgängig dem Alessi selber zuzutrauen, erscheint fast unbillig. Auch wenn die hässlich hohen Giebel in der Mitte der Fronten un- entbehrlich wären wegen des Lunettenfensters, das sie enthalten, so könnte doch der Meister nicht diese Thürme mit ihren glatten Pi- lastern über das so viel zartere und reichere Erdgeschoss gesetzt haben. Auch die Kuppel zeigt sehr willkürliche, barocke Formen. (Das Hauptportal neuer.) Das Innere dagegen, glücklicher Weise und hoffentlich absichtlich farblos, ist ein wunderbar harmonischer Bau, der den Sinn mit dem reinsten Wohlgefallen erfüllt. Vier Tonnen- gewölbe, eine Mittelkuppel, vier Eckkuppeln und eine Tribuna, alles auf Pfeilern mit einer Ordnung von (leider zu schwer gebildeten) ko- rinthischen Pilastern ruhend; die höchste Verbindung von Reichthum und Einfachheit; der Raum scheinbar grösser als er wirklich ist. — Das Ganze im Grunde ein Bau der rein ästhetischen Begeisterung für die Bauformen als solche, und für jede andere ideale Bestimmung eben so geeignet als für den Gottesdienst. Das Thor, welches zum Molo vecchio führt, charakterisirt recht b die Mitte des Jahrhunderts; auf der Stadtseite fast bramantisch ein- fach, auf der Seite des Molo consequent und absichtlich barock. (Ru- sticasäulen etc.) — Die stattliche Loggia de’ Banchi ist erst viel später c nach einem Entwuf Alessi’s, ausgeführt. Architektur von 1540 bis 1580. Galeazzo’s Paläste sind zum Theil Engbauten, an welchen nur a durch energisches Detail zu wirken war; so Pal. Centurione an Piazza Fossatello etc. — An der Strada nuova, die mit ihren 20—24′ Breite b etwas mehr Spielraum gewährte, giebt Pal. Cambiaso den Durchschnitt dessen, was er unter solchen Umständen für thunlich hielt; ohne Pi- lasterbekleidung, dafür durchgängige Rustica, mit strengem Mäander- sims über dem Erdgeschoss; die Höhenabwechselung der Stockwerke c vortrefflich wirksam. — Pal. Lercari (jetziges Casino), vor dem d Säulenhof ein (ehemals) luftiger Loggienbau. — Den Pal. Spinola, welcher zunächst folgt, überliess er, was das Äussere betrifft, der Bemalung; innen ist Vestibul, Treppe, Oberhallen, Hof und Garten von imposanter Gesammtdisposition. — Auf der andern Seite ist Pal. e Adorno der geringste Bau Alessi’s; — viel besser Pal. Serra, an welchem er, mit Ausnahme des Kellergeschosses in Rustica, nur eine glatte Mauer, an dieser aber Thür, Fenster, Balcon und Gesimse von Mar- mor in den wohlthuendsten Verhältnissen anbrachte; das Vestibul jetzt farblos, aber ebenfalls schön gedacht. — Andere Paläste hat der Ver- fasser nicht Zeit gehabt auszumitteln; Manches, das die Baugeschichte dem Alessi zuschreibt, ist wohl durch Umbau zu Grunde gegangen oder entstellt. Auf Piazza delle Vigne wäre der ehemalige Palast de Amicis N. 422 Alessi’s nicht unwürdig. f Von seinen Sommerpalästen und Villen war Pal. Sauli (Borgo S. Vincenzo) unvergleichbar schön. Der Verfasser sah bei frühern Reisen diess Gebäude in seiner tiefsten Entwürdigung, doch noch im Wesentlichen erhalten. Im März 1853 fand er es im Beginn des Abbruches und weidete seine Blicke zum letztenmal an dem wun- derbaren Hallenhof, in welchem mit ganz einfachen Mitteln auf be- schränktem Raum durch die blosse Disposition der höchste Phantasie- eindruck hervorgebracht war. Zu Anfang des folgenden Jahres hatten die neuen Besitzer den Palast bereits zu einem Scheusal umgestaltet. Die sardinische Regierung ist ausser Schuld; die Stadtbehörde des sich allgemach americanisirenden Genua hätte das Unglück verhin- dern müssen. g Es bleibt noch ein Sommerpalast übrig: Villa Pallavicini, zwi- schen Acquasola und dem sog. Zerbino, an der Salita a San Barto- Genua. Alessi; Lurago; Bianco. lommeo. (Jetzt an der Inschrift: Collegio italiano kenntlich und als Dameninstitut im Innern unzugänglich.) Isolirt auf hohen Garten- terrassen, mit einwärts tretenden Bogenhallen in der Mitte, und prachtvoller durchbrochener Balustrade oben, macht das Gebäude die glänzendste Wirkung, von der man nicht sogleich inne wird, dass sie auf der weisesten Oeconomie der Mittel beruht, auf der schönen und schlichten Flächeneintheilung, auf der sorglichen Handhabung der Pi- laster beider Ordnungen (ionisch und korinthisch), welche nur an den Hauptfronten cannelirt und nur an den Haupttheilen derselben reich- lich angebracht sind. (Die dorische Ordnung für eine Grotte an der Hauptterrasse verspart.) Was von den Villen der Umgebung erhalten ist, vermag der Verfasser nicht anzugeben. (In S. Pier d’Arena: Villen Spinola, Ler- a cari, Doria, Grimaldi, Imperiali.) In S. Martin d’Albaro hat er Villa b Giustiniani vergebens zu erfragen gesucht. Das sog. Paradiso, über der Strasse dahin, soll ebenfalls von Alessi sein. — Am See von Pe- rugia ist das Schloss von Castiglione ein, wie es heisst, ausgezeich- c neter Bau von ihm. Wiederum von einem Lombarden des XVI. Jahrhunderts, Rocco Lurago , ist der berümte Pal. Doria-Tursi (jetziges Municipio, d Str. nuova). Hier zum erstenmal tritt jene gänzliche Verwilderung des decorativ misshandelten Details ein, in der Absicht auf Effect im Grossen. (Hässliche und rohe Pfeiler und Gesimse, colossale Fratzen als Masken über den Fenstern etc.) Allein die Composition ist vor- züglich wirksam; die Fassade setzt sich rechts und links in durch- sichtigen Altanhallen fort; innen ist die Unebenheit des Bodens zu einer prächtigen Treppenwirkung mit Ausblick in den Hallenhof hin- auf benützt, an dessen Ende dann die Haupttreppe, vom ersten Ab- satz an in zwei Armen, emporsteigt. Doch die höhere, veredelte Stufe desselben Hofbaues gewährt erst der Palast der Universität (Str. Balbi), von dem Lombarden Bar- e tolommeo Bianco (als Jesuitencollegium begonnen 1623). Auf die sehr ausgeartete Fassade folgt hier unerwartet ein Hofraum, den die Phantasie kaum reicher und schöner denken kann; durch Verdoppelung B. Cicerone. 23 Architektur von 1540 bis 1580. der Säulen bekommen die Intervalle durchgängig ein leichteres, das Ganze ein reicheres Ansehen; die untere Vorhalle ist mit Seitenhallen versehen und nicht so lang wie dort, der Aufblick in den Hof freier; die Doppeltreppe hinter dem Hof scheint sich in luftige Höhen zu verlieren. Mit besonnerer Benützung der Mauer hinter dem obern Garten liesse sich die Wirkung noch steigern. Andere Paläste aus verschiedenen Zeiten, an welchen wenigstens die Disposition der untern Theile den Architekten interessiren wird: a An Strada S. Caterina (von der Piazza delle Fontane amorose nach der Acquasola) Pal. Fransoni N. 22; — Pal. Pessagno N. 306, einer von den ältern, mit Aussendecoration von Andrea Semini; — Pal. Spinola N. 13, einer der wichtigsten von den ältern, der Hof mit schöner Doppelhalle, die Treppe noch seitwärts. (S. 287, 293, h.) b Auf Piazza dell’ Annunziata: Pal. Negrotto, die Halle eine Nach- ahmung derjenigen von Pal. Carega, das Äussere mit unglücklicher neuerer Pilasterverzierung. c An Strada nuova: Pal. Raggio, mit ovalem Vestibul und einem sehr glücklich im Barockstyl gedachten Brunnen im Hofe, wo Licht und Wasser gemeinschaftlich von oben einfallen (sollten), während vorn eine schattenwerfende Balustrade herumgeht. Die Stuccobild- werke sind allerdings in solchem Zustande, dass man darin schwer Phaetons Fall erkennen wird. — Die beiden Pal. Brignole baulich nur durch Grösse ausgezeichnet. d An Strada Balbi hauptsächlich Bauten der spätern Zeit, mit einem Platzaufwand, den man einem Galeazzo noch nicht gegönnt hatte: Pal. Balbi (der zweite links, von unten kommend), mit Durchblick durch Säulenhallen in den Orangengarten; — Pal. Durazzo (der dritte) e mit einfachem Säulenhof; — Pal. Reale (ehemals Marcello Durazzo, der vierte) mit reicher, aber in den Verhältnissen ganz schlechter Fassade, mit Rusticapilastern zwischen eng gedrängten Fenstern und einem zu den letztern doppelt unpassenden Riesenthor; auf der See- seite mit prächtigen Altanbauten, deren mittlere Verbindung als Bogen f mit einer Fontaine drüber den Hauptprospect bildet. — Pal. Filippo Durazzo (der erste rechts), von Bartol. Bianco, mit gewaltigem Thor, Balcon und Altanhallen; die schöne Treppe (hinten, links) von Taglia- fico zu Ende des vorigen Jahrhunderts erbaut. Paläste von Genua. Palladio. Strada de’ Giustiniani: Pal. Negrotto (jetzt Consulat von Buenos- a Ayres), mit einer trotz aller Vermauerung noch interessanten Disposi- tion. — Erst aus dem vorigen Jahrhundert: Pal. Balbi (Str. nuovissima b N. 16) von Gregorio Petondi, merkwürdig durch den auf unregel- mässigem und sehr unebenem Terrain um jeden Preis erstrebten per- spectivischen Effekt der Halle und Treppe, welche als Brücke quer über den Hof geht; — Pal. Penco, nahe hinter S. Pietro in Banchi, mit trefflich perspectivisch gedachtem Vestibul und einer stattlichen Treppe, welche nahezu den Hof ausfüllt; — Pal. Salvagi (jetzt Pi- nelli) bei Croce di Malta; — Pal. Defornari (Piazza S. Domenico); — Pal. Casanova (Via Luccoli) mit malerisch wirkendem Hofe; u. s. w. Den Beschluss dieser Reihe bildet der grosse Andrea Palladio von Vicenza (1518—1580). Kein Architekt des XVI. Jahrhunderts hat dem Alterthum eine so feurige Hingebung bewiesen wie er, keiner auch die antiken Denkmäler so ihrem tiefsten Wesen nach ergründet und dabei doch so frei producirt. Er beinahe allein hat sich nie an einen decorativen Einzeleffekt gehalten, sondern ausschliesslich von der Disposition und von dem Gefühl der Verhältnisse aus seine Bauten organisirt. Michelangelo, von welchem dasselbe in gleichem Umfange gilt, steht bei vielleicht höherer Anlage und bei grossartigern Auf- gaben, wie z. B. die St. Peterskirche, doch unter der Botmässigkeit seiner eigenen Grillen; Palladio ist durch und durch gesetzlich. Er wollte in vollstem Ernst die antike Baukunst wieder in’s Leben rufen, während Michelangelo nichts weniger im Auge hatte, als eben diess. Die antiken Reste gaben freilich keine Gesammtvorbilder gerade für das, was die Zeitgenossen von Palladio verlangten: für Kirchen und Paläste; letztere zumal mussten einen von allem römischen Pri- vatbau weit abweichenden Charakter tragen: den des Schlosses, der adlichen Residenz. Was Palladio bei seinem wiederholten Aufenthalt in Rom sich fruchtbringendes aneignen konnte, bestand daher weniger in dem Frontenbau, als in den innern Dispositionen und in der Glie- derung der Wände, hauptsächlich der innern. Er widmete vor Allem den damals noch wohl erhaltenen Thermen das emsigste Studium; keiner seiner Vorgänger hat die Grundrisse der antiken Trümmer so 23* Architektur von 1540 bis 1580. gekannt wie er. Die Frucht hievon war, dass er das Ganze und die wirksame Aufeinanderfolge der einzelnen Glieder des antiken Binnen- raumes (Säulenstellungen, Pilaster, Nischen u. s. w.) mit einer Sicher- heit und Originalität für jeden einzelnen Fall neu und anders repro- duciren konnte wie kein Zeitgenosse. — Im Detail hielt er sich fern von der ornamentalen Pracht der Kaiserbauten; sei es, dass er eine Verdunkelung des Hauptgedankens durch dieselbe fürchtete, oder dass er die vorhandenen Mittel lieber auf die Grossartigkeit der Anlage wandte, oder dass er dem frühern Alterthum auf diese Weise näher zu kommen hoffte. Seine Capitäle, Gesimse u. s. w. sind meist einfach, das Vegetabi- lische möglichst beschränkt, die Consolen ohne Unterblätter u. s. w. Oft entsteht dadurch ein Eindruck des Nüchternen und Kalten, wie er gerade auch den frühern Römerbauten mag eigen gewesen sein; allein das Detail wird wenigstens nie verachtet und barock gemisshandelt, wie bei den Spätern; ein hoher Respect vor dem Überlieferten schützte den Meister vor den Abwegen. Er ist der letzte und vielleicht höchste unter denjenigen Archi- tekten des XVI. Jahrhunderts, welche in der Kunst der Proportionen und Dispositionen gross und eigenthümlich gewesen sind. Was bei der Einleitung zu dieser Periode gesagt wurde, kann hier mit ganz besonderer Beziehung auf ihn zum Schlusse wiederholt werden: die Verhältnisse sind hier nicht streng organischen, nicht constructiven Ursprunges und können es bei einem abgeleiteten Styl nicht sein; gleichwohl bilden sie ein echtes künstlerisches Element, das seine sehr bestimmte Wirkung auf den Beschauer äussert und das aus- gebildetste Gefühl im Künstler selbst voraussetzt. Wir dürfen bei unserer jetzigen Kenntniss der echten griechischen Bauordnungen die copirten römischen Einzelformen Palladio’s völlig verschmähen, aber derjenige Baumeister muss noch geboren werden, welcher ihm in der Raumbehandlung — sowohl der Grundfläche als des Aufrisses — irgendwie gewachsen wäre. Allerdings liess ihm bei den Palästen der vicentinische Adel eine Freiheit, wie sie jetzt Keinem mehr ge- gönnt wird; die Bequemlichkeit wurde der Schönheit des Grundrisses, der Fassade und des Hofes mannigfach aufgeopfert. Um diesen Preis erhielt Vicenza und die Umgegend eine Anzahl von Gebäuden, welche Palladio. Basilica. Privatpaläste. in bescheidenen Dimensionen grossartig gedacht, mit vollkommener Consequenz durchgeführt und alle von einander unabhängig sind. Palladio’s erstes grosses Gebäude war die sog. Basilica in a Vicenza, d. h. die Umbauung des mittelalterlichen Palazzo della ra- gione mit zwei ringsumgehenden Stockwerken von offenen Bogenhallen, wobei er auf die Wandeintheilung (Fenster u. dgl.) des alten Baues eine lästige Rücksicht zu nehmen hatte. Gleichwohl — und trotz einzelnen empfindlichen Ungeschicklichkeiten seines eigenen Details — kam eines der grossartigsten Werke des XVI. Jahrhunderts zu Stande, das z. B. in Venedig Sansovins Biblioteca vollkommen in den Schatten stellen würde. Ernst und in hohem Grade monumental, wie es sich für ein öffentliches Gebäude ziemt, hat diese Aussenhalle doch das reichste Grundmotiv, welches in seiner durchgehenden Wieder- holung (oben wie unten) ganz mächtig wirkt: die Räume zwischen den mit vortretenden Säulen bekleideten Pfeilern enthalten nämlich innere Bogen, welche zu beiden Seiten auf je zwei Säulen einer klei- nern Ordnung ruhen. — Im Bau seit 1549. (Das Motiv dieser Halle fand eine allgemeine Bewunderung und wurde auf verschiedene Weise neu verwerthet. In dem Teatro Far- b nese zu Parma brauchte es der Baumeister, Giambatt. Aleotti , 1618, für zwei obere Reihen von Logen. Der Hof des Palazzo Du- c cale zu Modena erhielt durch Anwendung desselben den Charakter eines der schönsten Höfe von Italien, während an der Fassade der nämliche Baumeister, Bartol. Avanzini , 1634, seine eigene kläg- liche Originalität offenbarte.) Welche Vorgänger Palladio in der Anlage von Privatpalästen vorfand, wurde oben (S. 224) erörtert. Das Vorbild Giulio Romano’s und seiner mantuanischen Paläste mag für diese Gegenden besonders wichtig gewesen sein; man erkennt z. B. Giulio’s Vorliebe für bloss Eine Ordnung von Halbsäulen oder Pilastern (über einem Rustica- Erdgeschoss) in dem Pal. Trissino dal vello d’oro (am Thor gegen d Monte Berico hin), einem in dieser Art recht schönen vorpalladiani- schen Gebäude vom Jahr 1540, auch in der Fassade des bischöflichen e Palastes (1543? welches wenigstens das Datum des Hofes ist); und wenn Pal. Annibale Tiene (jetzt Bonini, am Anfang des Corso) eine f reiche vollständige Doppelordnung hat, so ist vielleicht nicht ausser Architektur von 1540 bis 1580. Acht zu lassen, dass er das Werk eines Dilettanten aus Palladio’s Zeit ist (des Marcantonio Tiene) und sich in der Hofhalle deutlich als solches verräth. Palladio selbst hat an Palästen sowohl als, wie wir sehen werden, an Kirchen fast immer nur Eine Ordnung ange- wandt, mochten es Pilaster, Halbsäulen oder freistehende Säulen sein, mochten sie einer oder zweien Fensterreihen zur Einfassung dienen; das Erdgeschoss behandelte er nur als Basis, mit derber Rustica. Die wenigern Formen konnten um so grösser und grossartiger gebildet werden. a Mit zwei Ordnungen versah er in Vicenza nur den Pal. Barba- rano und den Pal. Chieregati. Ersterer, vom Jahr 1570, ist sein reichst- verziertes Gebäude, nicht ohne Rücksicht auf die etwas enge Gasse so entworfen. (Von dem Obergeschoss entlehnte Scamozzi sein Motiv für dasjenige der Procurazien in Venedig, S. 327, a). Eine gewölbte Säulenhalle führt in den Hof, dessen einer ausgeführter Flügel das Lieblingsmotiv Palladio’s aufweisst: eine obere und untere Halle mit enger Säulenstellung und geraden Gebälken, Alles nur Backstein und b Mörtel. — Zu Pal. Chieregati (vor 1566, einem seiner schönsten Ge- danken, könnte er durch das Septizonium Severi angeregt worden sein; die Fassade besteht mit Ausnahme des mittlern Theiles des Oberge- schosses aus lichten Säulenhallen, einer dorischen und einer ionischen, erstere mit steinernen, letztere mit hölzernen Gebälken; nach dem (unvollendeten) Hofbau hin eine grossartige Loggia; das Bewohnbare verhältnissmässig sehr gering. (Jetzt Eigenthum der Stadt.) Unter den Palästen mit Einer Ordnung ist wohl der schönste Pal. c Marcantonio Tiene 1556, jetzige Dogana, ausgezeichnet durch die nur unvollständig ausgeführte Säulenhalle des Hofes, welche sich über einer Rusticahalle erhebt. (Der Hinterbau, gegen Pal. Barbarano, von d hübscher Frührenaissance.) — Pal. Porto (1552), ion. Ordnung, mit einer Attica, welche die Fenster eines obern Stockwerkes enthält. — Pal. Val- e marana, zwischen den Composita-Pilastern (1566) je ein oberes und ein unteres Fenster, über letzterm ein Relief; eine dritte Fensterreihe in der Attica; kein glückliches Ganzes. Vom Hinterbau nur eine untere ionische Halle ausgeführt. (Ein zweiter Pal. Valmarana, unweit Pal. Chieregati, ist ganz unbedeutend.) — Pal. Schio, die Loggia in einem Garten Valmarana und andere Gebäude hat Verfasser dieses nicht ge- Palladio. Paläste etc. Teatro. sehen und weiss nicht, ob sie noch vorhanden sind. — Bei Pal. Cal- a dogni, vom Jahr 1575, wird Palladio’s Urheberschaft nur vermuthet. — Pal. Ercole Tiene am Corso, von Jahr 1572, scheint einen ältern, b hinter der Zeit zurückgebliebenen Architekten anzugehören. Auch Pal. Gusano, jetzt Gasthof (Hôtel de la ville) ist nicht von Palladio. — Das köstliche kleine Häuschen unweit Pal. Chieregati, welches als c die eigene Wohnung des Meisters gilt, baute er 1566 für einen ge- wissen Pietro Cogolo unter besonders lästigen Raumbedingungen. Wer heut zu Tage so viel Luxus aufwendet, verlangt mehr Platz. (Das mittlere und obere Stockwerk offenbar auf Malereien berechnet.) Von öffentlichen Gebäuden wird dem Palladio ausser der Basilica das Fragment auf Piazza del Castello mit ziemlicher Wahr- d scheinlichkeit zugeschrieben. (Jetzt als „altes Seminar“ bezeichnet, eigentlich ein angefangener Palast für die Familie Porto.) Eine un- tere Fensterreihe ist nicht eben glücklich zwischen die Piedestale der Compositasäulen verwiesen; doch würde die Fassade, fortgesetzt und vollendet gedacht, wohl imposant wirken. (Fruchtschnüre von Capi- täl zu Capitäl; kleine Fenster oben im Fries.) — An der Loggia del e Delegato, gegenüber der Basilica, hat Palladio mit Unrecht seine grossen Formen an eine kleinräumige Aufgabe gewandt; dergleichen gelang der Frührenaissance besser. Die Seitenfassade, wo er den Säulen nur die Höhe des untern Stockwerkes gab und das Ganze mehr decorativ behandelte, lässt vermuthen, dass er den Fehler er- kannt habe (1571). — Von dem einfachen Triumphbogen, welcher den f Stationenweg nach dem Monte Berico eröffnete, weiss ich nicht, ob er die Ereignisse des Jahres 1848 überdauert hat; er war erst nach Palladio’s Tode, aber vielleicht nach seiner Zeichnung errichtet und entsprach in den Verhältnissen am ehesten dem Titusbogen. Auch das berühmte Teatro olimpico , nächst der Basilica der g Stolz Vicenza’s, wurde erst nach dem Absterben des Meisters ausge- führt (1580). Am ehesten hat man sich bei der Säulenhalle über der halbelliptischen Stufenreihe für die Zuschauer an seine Zeichnung ge- halten; die schwere Doppelordnung und Attica der Scena selbst kann kaum so von ihm entworfen sein. Die fünf (eigentlich sieben) per- spectivisch ansteigenden und sich verengenden Gassen, in welche man von der Scena aus gelangt, sind noch wohl erhalten. — Dieser merk- Architektur von 1540 bis 1580. würdige Versuch eines Theaterbaues in der Art der Alten ist in jener Zeit lange nicht der einzige; wir dürfen z. B. bei vielen Theaterbau- ten des Augenblickes, deren Vasari eine ganze Anzahl erwähnt, eine ähnliche Anlage voraussetzen. Allein des Erhaltenen ist ausserordent- lich wenig; das oben (S. 357, b) genannte Teatro Farnese in Parma er- scheint bereits als ein Mittelding zwischen antiker und moderner An- lage; die Scena ist schon ein auf Verwandlungen berechneter Tiefbau. a Von den Villen Palladio’s geniesst die Rotonda der Marchesi Capra, eine Miglie von der Stadt, mit ihrem runden Mittelbau und ihren vier ionischen Fronten den grössten Ruhm. Es ist wohl auf- fallend, dass weder er noch seine Bauherrn jemals sich von der Idee eines schloss- oder tempelähnlichen Prachtbaues mit bedeutender Centralanlage haben losmachen können, dass trotz der in der Haupt- sache klaren Schilderungen der antiken Schriftsteller vom Landbau und des Plinius Niemand eine echte antike Villa, d. h. ein Aggregat von niedrigen, nicht symmetrisch geordneten Einzelbauten hat bauen oder besitzen mögen, dass z. B. auch Palladio’s nächster Nachfolger Scamozzi die Villa Laurentina des Plinius so grundfalsch restauriren konnte. — Die übrigen Villen Palladio’s kennt der Verfasser nur aus b ziemlich alten Abbildungen; ausser der nahe bei Vicenza befindlichen Villa Tornieri sind es nach der damaligen Bestimmung der Orte und Besitzer hauptsächlich folgende: Villa Sarego, in Collogneso la Miga (Gebiet von Vicenza); Villa Pisani bei Montagnana (Gebiet von Pa- dua); Villa Tiene in Cicogna; Villa Barbaro in Masera (Gebiet von Treviso); Villa Emo in Fanzola (dasselbe Gebiet); Villa Repetta in Campiglia (Gebiet von Vicenza); Villa Pisani in Bagnolo (dasselbe Gebiet); Villa Badoer in la Fratta (Polesina); Villa Valmarana in Lisiera (Gebiet von Vicenza); Villa Sarego in S. Sofia (5 Miglien von Verona); Villa Tiene in Quinto (Gebiet von Vicenza?); endlich Villa Trissino zu Meledo (Gebiet von Vicenza), wo das Motiv der Rotonda, mit grossen Vorhallen vermehrt, wiederholt ist — vieler andern zu ge- schweigen. Der Mittelbau, hier öfter mit doppelter, als offene Loggia behandelter Ordnung, pflegt die Anbauten und die mit Portiken um- zogenen Ökonomiegebäude völlig zu beherrschen. Im Innern ein grosser Reichthum an originellen und schönen Dispositionen, auch der Trep- Palladio. Villen. Kirchen. pen. Die Ausführung ohne Zweifel sehr einfach, die Säulen aufge- mauert. (Noch soll nahe bei Vicenza, zu Cricoli, die schöne vor- a palladianische Villa der Trissini wohl erhalten existiren.) In seinen Kirchenbauten , deren wichtigste sich sämmtlich zu Venedig befinden, ist Palladio — zunächst in Betreff der Fassaden — gegenüber dem bisherigen vielgliedrigen System der Venezianer, welchem sich noch Jacopo Sansovino anbequemt hatte, ein grosser Neuerer. Sein Beispiel, das in Venedig mehr bewundert wurde als völlig durchdrang S. Pietro di Castello, 1596 von Smeraldi begonnen, soll nach einem Entwurf * Palladio’s, vom Jahr 1557, erbaut sein. , hat dafür in andern Gegenden eine starke Nach- folge gefunden. Seit seinen Kirchenbauten war unter den strengern Architekten nur Eine Stimme darüber, dass die Fassade nur aus Einer Säulenordnung, nicht aus zweien oder gar dreien bestehen solle, welches die Übung der frühern Renaissance gewesen war. Erst in Verbindung mit den grossen Halbsäulen schien nun auch der Gie- bel seinen wahren Werth zu erhalten; man wusste jetzt, dass er sich auf das Ganze, nicht bloss auf das obere Stockwerk bezog und konnte ihm die gehörige Vorragung und Schattenwirkung geben. Die Fronten der Seitenschiffe wurden dann in Halbgiebeln abgeschlossen, die sich an die Fassade auf beiden Seiten anlehnen. (Gleichzeitig nahm auch Michelangelo für das Äussere von S. Peter nur Eine Ordnung an.) Offenbar glaubte man mit dieser Annäherung an die Art antiker Tempelfronten einen grossen Fortschritt gemacht zu haben. Und ge- genüber der ausartenden Frührenaissance war es wirklich so. Einen viel bedeutendern monumentalen Eindruck machen Palladio’s Fassaden gewiss; sie bereiten würdiger auf ein Heiligthum vor als die meisten Kirchenfronten seiner nächsten Vorgänger. Im Grunde gehen sie aber weiter und wiilkürlicher von dem Zweck der Fassade ab: ein bau- licher Ausdruck des Ganzen zu sein. Jede Form entspräche baulich dem Innern eher als gerade diese Tempelhalle. Ausserdem hat sie besondere Übelstände; ihren vier Säulen, wenn sie die antiken Ver- hältnisse beibehalten und doch dem Höhenverhältniss des Mittelschiffes entsprechen sollen, muss mit Piedestalen nachgeholfen werden; ihre Architektur von 1540 bis 1580. Intervallflächen harmonisch zu verzieren ist unmöglich, weil dieselben durch die Schwellung der Säulen eine nicht-winkelrechte Form haben und im Grunde doch nur ein Ersatz sind für den freien Durchblick einer offenen Säulenhalle * Wesshalb die Alten sie klüglich unverziert liessen. Siehe z. B. den Tempel der Fortuna virilis in Rom. . Palladio musste ihnen Nischen mit Sta- tuen geben. Endlich ist das Anlehnen der Halbgiebel mit ihrem schiefen und ihrem wagerechten Sims (der dann über dem Portal wieder zum Vorschein kömmt) nie ganz schön zu bewerkstelligen. Als grosser Künstler brachte freilich Palladio eine Art von Har- monie hinein. Die strenge Einfachheit seines Details, die beständige Berechnung der Theile auf das Ganze bringt bei ihm immer einen zwingenden Eindruck hervor. In Betreff des Innern belebt er die Anordnung der frühern Re- naissance durch einen imposanten Organismus von kräftigen Gliedern, namentlich Halbsäulen, und durch Verhältnisse, welche die einzig wahren scheinen, so lange man sie vor Augen hat. Auch hier herrscht Eine Ordnung. Durch ausdrückliche Verfügung des Meisters oder durch einen glücklichen Zufall blieben diese Kirchen ohne Vergoldung und Bemalung. (Irgend eine decorative Gliederung der Gewölbe möchte Palladio doch wohl beabsichtigt haben.) a Die Kirche S. Giorgio maggiore in Venedig, herrlich isolirt der Piazzetta gegenüber gelegen, ist das frühste dieser Gebäude (be- gonnen 1560). Schon von aussen bilden Kirche, Querschiff, Thurm und Kloster eine malerische Gruppe. Der Eindruck des Innern ist besonders schön und feierlich. Die Hauptordnung hat, wie gesagt, Halbsäulen; die von ihr eingefassten Bogen ruhen auf Pilastern; unter der ganz einfachen Kuppel treten dann auch in der Hauptordnung Pilaster hervor; in den Seitenschiffen eine kleinere Ordnung von Halb- säulen. Die Querarme schliessen im Halbrund. Der Durchblick in den hintern Mönchschor durch eine schöne Säulenstellung mit geradem Gebälk ist durch die darüber gesetzte Orgel verdorben. — Das Kloster mit seinem vielbewunderten Refectorium ist gegenwärtig als Caserne schwer zugänglich. b Die Fassade von S. Francesco della Vigna (1568) wiederholt das Venedig. Palladio’s Kirchen. Motiv derjenigen von S. Giorgio; nur treten die Gesimsstücke der Halbgiebel und dasjenige über der Thür hier weiter hervor als die Wandsäulen selbst. (Das Innere von J. Sansovino.) Es folgt die Kirche del Redentore in der Giudecca (1576), a Palladio’s vollkommenster Kirchenbau; einschiffig mit nicht sehr tiefen Seitencapellen, sodass an der Fassade die Hauptordnung — diessmal 2 Säulen zwischen 2 Pilastern — mehr über die untern Halbgiebel vorherrschen konnte; statt der Postamente eine herrliche Treppe mit Balustraden, aber nur in der Mitte und zwar absichtlich so angeord- net, dass man den Sockel zu beiden Seiten sehe; über dem Haupt- giebel eine horizontale Attica, an welche sich obere Halbgiebel — der Ausdruck für die Strebepfeiler des Tonnengewölbes — anlehnen. Bei einem etwas entferntern Gesichtspunkt steigt die Kuppel vortrefflich über die Fassade empor. Das Innere (mit Tonnengewölbe) von grosser perspectivischer Schönheit, bei den einfachsten Formen; reizvoller Ein- blick in die Capellen mit ihren Nischen, in die lichtreichen abgerun- deten Querarme, in die einfache Pilasterordnung der Kuppel; endlich der erhabene Durchblick in den hintern Mönchschor durch eine Säulen- stellung im Halbkreis. Das organische Gerüst besteht theils aus Halb- säulen, theils aus Pilastern, welchen Palladio dieselbe Schwellung und Verjüngung zu geben pflegte, wie den Säulen. (Das Kloster höchst einfach, für Mendicanten.) Erst nach des Meisters Tode wurde (1586) die kleine Kirche des b Nonnenklosters delle Zitelle , ebenfalls in der Giudecca ausgeführt, mit ungenauer Benützung seines Entwurfes. Ich weiss nicht, ob das Auge, dass sich in Venedig an Zierbauten wie die Scuola di S. Marco, S. M. de’ Miracoli u. dgl. gewöhnt hat, für diese einfache Fassade mit zwei Pilasterordnungen, einem Halbrundfenster und einem Giebel noch einige Aufmerksamkeit übrig haben wird; vielleicht ist aber nirgends mit so wenigen Mitteln Grösseres erreicht, und nicht umsonst wurden und werden diese Formen und Verhältnisse noch fortwährend mehr oder weniger treu nachgeahmt. Im Innern ruht die Kuppel auf einem Quadrat mit abgestumpften Ecken; ein Vorraum und ein Chor; über den Seitenaltären die vergitterten Nonnenplätze — Alles zeugt von Raumersparniss. (Die Vereinigung von je zwei Architektur von 1540 bis 1580. Pilastern unter Einem Capitäl gehört ohne Zweifel zu den Verän- derungen.) a Noch später (1609) benützte man einen Entwurf Palladio’s für eine andere Nonnenkirche, S. Lucia (beim Bahnhof). Die raum- sparende und dabei grossartig originelle Anlage des Innern (das Äussere unbekleidet) ist nicht leicht zu beschreiben, wer aber die wenige Schritte entfernte Kirche der Scalzi und deren empfindungs- losen Pomp damit vergleicht, wird in S. Lucia die Hand des hohen Meisters erkennen. Ausser diesen Kirchen hinterliess Palladio in Venedig unvollendet b (auf immer) das Kloster der Carità (1561), in welchem sich jetzt die Academie befindet. Man sieht das kleinere dreiseitige Erdgeschoss einer Pfeilerhalle mit Pilastern, und die eine Seite eines grossartigen Hofbaues — zwei Geschosse mit Pfeilerhallen und Halbsäulen, und ein Obergeschoss mit Mauer und Pilastern. Es ist das Gebäude, von welchem Göthe mit so vieler und gerechter Begeisterung spricht. Kein weisser Marmor, fast nur Backsteine, für welche Palladio eine Vor- liebe hatte, weil er wohl wusste, dass die Nachwelt kein Interesse hat, sie abzureissen wie die Quaderbauten. Der gerechte Stolz, womit Vicenza und das östliche Oberitalien überhaupt auf Palladio hinblickten, gewährte diesen Gegenden auch die beste Schutzwehr gegen die Excesse des Barockstyls. Während der schlimmsten borrominesken Zeit verdunkelte sich wohl Palladio’s Ruhm zu einer mehr bloss historischen Anerkennung, aber mit dem XVIII. Jahrhundert wurden seine Gebäude von Neuem als Muster anerkannt, nachgeahmt, ja wiederholt. Das Ausland, hauptsächlich England, mischte sich in die Frage und nahm Partei für ihn auf das Nachdrücklichste. Wie Vignola für die Bildung des Details, so war Palladio für die Composition das Orakel und Vorbild der strengern Architekten seit 1700: ja er herrscht in der classischen Schule Ober- italiens bis auf den heutigen Tag. Die Schattenseiten dieses grossen Einflusses sind nicht zu ver- hehlen. Unvermeidlich brachten die Nachfolger die entlehnten Motive auch da an, wo sie nicht hinpassten, bloss um des Effectes willen; Nachfolge Palladio’s. Scamozzi. die palladianischen Formen der Palastfronten, Höfe, Kircheninterieurs u. s. w. wurden äusserlich gehandhabt, als grossartigste Decoration, die sich vorbringen liess, und zwar oft in ganz knechtischer Nach- ahmung bestimmter Bauten; umsonst lehrten die Urbilder, dass der Meister jede einzelne Aufgabe anders und immer neu zu lösen ge- wusst hatte. Dennoch überwog der Vortheil. Unläugbar blieb man auf dieser Fährte den wahren und ewigen Gesetzen der Architektur näher als wenn man dem Barockstyl folgte. Bei der grossen Einfachheit des Details in diesem System erhielt sich auch eher der Sinn für die Wirkung der Verhältnisse, welche nun einmal die Seele der modern- italienischen Baukunst sind. Jeden Augenblick kann sich dieser Styl wieder der echten wenigstens römischen, wenn nicht griechischen Bil- dung nähern; es ist, so zu sagen, noch nicht viel an ihm verdorben. Ja, wenn sich Auge und Sinn darüber Rechenschaft geben, wie sehr schon das Einfach-Grossräumige — in wenigstens nicht unedeln Formen — auf die Stimmung wirkt, wie sehr das Gefühl „im Süden zu sein“ davon bedingt ist, so lernt man diese Nachfolge Palladio’s erst vollkommen schätzen. Ihr verdankt das moderne Oberitalien, hauptsächlich Mailand, jene Bauphysiognomie, die man kalt undherz- los, aber niemals kleinlich schelten kann. Sie hat das Bedürfniss nach dem Grossen und Monumentalen wach gehalten und damit für jede höhere Entwicklung in der Baukunst einen günstigen Boden vorbe- reitet. Ein grosser Gedanke trifft wenigstens in jenen Gegenden auf keine meschine Baugesinnung. In Vicenza selbst war und blieb Palladio „das Palladium“, wie Milizia in seinen Briefen sagt, und wie man aus Göthe’s italienischer Reise noch deutlicher ersieht. Schon ein (nicht sehr dankbarer) vi- centinischer Zeitgenosse, Vincenzo Scamozzi (1552—1616), zeigt sich in seinem bedeutendsten Gebäude, Pal. Trissino am Corso, wesent- a lich von Palladio abhängig. (Von ihm auch Pal. Trento unweit vom Dom, und in Venedig der schon genannte Ausbau der Procurazien, b sowie ein Pal. Cornaro am Canal grande, dann mehrere Villen u. s. w. c Scamozzi ist durch sein grosses Werk „Architettura universale“ be- kannter als durch seine eigenen Bauten). Aber noch viel später galt Palladio in der Heimath als Vorbild. Theils nach vorhandenen Zeich- Der Barockstyl. nungen von ihm, theils wie gesagt mit Nachahmung seiner Bauten wurden eine ganze Anzahl von Villen und Palästen errichtet, bis die französische Invasion den Wohlstand der venezianischen Landstadt tief a erschütterte. Dahin gehört Pal. Cordellina, jetzige Scuola elementare etc., mit schöner Doppelordnung an der Fassade und im Hof, um 1750 von b Calderari erbaut; Pal. Losco am Corso, mit nur zu zahmer Rustica am Erdgeschoss u. A. m. c In Verona sind die Dogana (1753, von Pompei ) und das Museo d lapidario (1745, von demselben) sehr unmittelbare Zeugnisse der Be- geisterung für den palladian. Hallenbau mit geraden Gebälken und e echt antiken Intervallen; S. Sebastiano (von unbekanntem Urheber) ist ein relativ classisches Gebäude aus der Zeit, da sonst überall der f Barockstyl herrschte. — In Brescia der Hof des Pal. Martinengo. Wir hören mit den 1580er Jahren auf, die Künstler einzeln zu charakterisiren. Statt dessen mag hier ein Gesammtbild des seitdem aufgekommenen Barockstyls folgen, so gut wir es zu geben im Stande sind. Man wird fragen: wie es nur einem Freunde reiner Kunstgestal- tungen zuzumuthen sei, sich in diese ausgearteten Formen zu versen- ken, über welche die neuere Welt schon längst den Stab gebrochen? Und woher man nur bei der grossen Menge des Guten in Italien Zeit und Stimmung nehmen solle, um auch an diesen späten Steinmassen einige mögliche Vorzüge zu entdecken? Hierauf ist zu antworten, wie folgt. Wer Italien nur durchfliegt, hat vollkommen recht, wenn er sich auf das Allerbeste beschränkt. Für diejenigen, welche sich einige Zeit gönnen, ist es bald kein Geheimniss mehr, dass der Ge- nuss hier bei weitem nicht bloss in dem Anschauen vollkommener Formen, sondern grösserntheils in einem Mitleben der italienischen Culturgeschichte besteht, welches die schönern Zeiten vorzieht, aber keine Epoche ganz ausschliesst. Nun ist es nicht unsere Schuld, dass der Barockstyl ganz unverhältnissmässig vorherrscht und im Grossen den äussern Eindruck wesentlich bedingt, dass Rom, Neapel, Turin Seine Repräsentanten. und andere Städte mit seinen Gebilden ganz angefüllt sind. Wer sich irgend eines weitern Gesichtskreises in der Kunst rühmen will, ist auch dieser Masse einige Aufmerksamkeit schuldig. Bei dieser Be- schäftigung des Vergleichens wird man vielleicht auch dem wahren Verdienst gerecht werden, das manchen Bauten des fraglichen Styles gar nicht abzusprechen ist, obwohl es ihnen bisweilen in Bausch und Bogen abgesprochen wird. Diese Verachtung wird man bei gebilde- ten Architekten niemals bemerken. Dieselben wissen recht wohl In- tention und Ausdruck zu unterscheiden und beneiden die Künstler des Barockstyles von ganzem Herzen, ob der Freiheit, welche sie genossen und in welcher sie bisweilen grossartig sein konnten. Noch weniger aber als ein allgemeines Verwerfungsurtheil liegt uns eine allgemeine Billigung nahe. Unsere Aufgabe ist: aufmerksam zu machen auf die lebendigen Kräfte und Richtungen, welche sich trotz dem meist verdorbenen und conventionellen Ausdruck des Einzelnen unverkennbar kund geben. Die Physiognomie dieses Styles ist gar nicht so interesselos wie man wohl glaubt. Die einflussreichsten Architekten waren: zunächst ein vielbe- schäftigter Schüler Michelangelo’s: Giacomo della Porta ; dann jene Colonie von Tessinern, welche Rom seine jetzige Gestalt gab: Domenico Fontana (1543—1607) nebst seinem Bruder Giovanni und seinem Neffen Carlo Maderna (1556—1639), welchen noch der Nebenbuhler Bernini’s, Francesco Borromini (1599—1667) und der späte Carlo Fontana (1634—1714) beizuzählen sind. Dann einige Lombarden: die drei Lunghi (der Vater Martino , blühte um 1570, der Sohn Onorio 1569—1619, der Enkel Martino † 1657); Fla- minio Ponzio († unter Paul V); Cosimo Fansaga 1591—1678, meist in Neapel thätig; die Bolognesen Domenichino (1581—1641) und Alessandro Algardi (1602—1654), jener sonst mehr als Maler, dieser als Bildhauer berühmt; die Römer Girol. Rinaldi (1570—1655), sein Sohn Carlo (1611—1641) und Giovanni An- tonio de’ Rossi (1616—1695); ferner der bekannte Maler Pietro da Cortona (1596—1669); gleichzeitig mit diesen und Allen über- Der Barockstyl. legen: Giov. Lorenzo Bernini von Neapel (1589—1680); alle Spätern von ihm abhängig: Guarino Guarini von Modena (1624 bis 1683), der das jetzige Turin begann; der Decorator Pater An- drea Pozzo (1642—1709); die drei Bibbiena von Bologna, deren Blüthe nach 1700 fällt; die Florentiner Aless. Galilei (1691—1737) und Ferdinando Fuga (geb. 1699); endlich die beiden mächtigsten Architekten des XVIII. Jahrhunderts Filippo Juvara oder Ivara von Messina (1685—1735), und Luigi Vanvitelli von niederlän- discher Herkunft zu Neapel geboren (1700—1773) Der Verfasser bekennt, Juvara’s Hauptbau, die Superga bei Turin, gar nicht, und Vanvitelli’s Schloss von Caserta nur von aussen gesehen zu haben. . — Das Locale verliert hier fast alle Bedeutung; einige der Genannten führen ein kos- mopolitisches Wanderleben, Andere liefern wenigstens Zeichnungen und Pläne für weit entfernte Bauten. Innerhalb des Styles, welchen sie gemeinsam repräsentiren, giebt es natürlich während der zwei Jahrhunderte von 1580 bis 1780 nicht nur Nuancen, sondern ganz grosse Veränderungen, und bei einer voll- ständigen methodischen Besprechung müsste mit Bernini unbedingt ein neuer Abschnitt beginnen. Für unsere rasche Übersicht ist eine weitere Trennung um so weniger räthlich, als die Grundformen im Ganzen dieselben bleiben. Die Barockbaukunst spricht dieselbe Sprache, wie die Renaissance, aber einen verwilderten Dialekt davon. Die antiken Säulenordnun- gen Die Capitäle insgemein in gefühllos schwülstiger Umbildung. S. 17, Anm. , Gebälke, Giebel u. s. w. werden mit einer grossen Willkür auf die verschiedenste Weise verwerthet; in ihrer Eigenschaft als Wandbekleidung aber wird ihnen dabei ein viel stärkerer Accent ge- geben als vorher. Manche Architekten componiren in einem bestän- digen Fortissimo. Säulen, Halbsäulen und Pilaster erhalten eine Be- gleitung von zwei, drei Halb- und Viertelspilastern auf jeder Seite; eben so viele Male wird dann aber das ganze Gebälk unterbrochen und vor- geschoben; je nach Umständen auch der Sockel. In Ermanglung einer organischen Bekleidung verlangt man von Dem, was zur Zeit der Re- naissance doch wesentlich nur Decoration war, dass es Kraft und Die Ausdrucksweise im Detail. Leidenschaft ausdrücke; man will sie erreichen durch Derbheit und Vervielfachung. Von der perspectivischen Nebenabsicht, die sich da- mit verbindet, wird bei den Fassaden die Rede sein. Eine nahe Folge dieser Derbheit war die Abstumpfung des Auges für alle feinern Nuancen. Auf eine merkwürdige Weise tritt diess zu Tage, sobald der Ausdruck der Pracht verlangt wird. Man sollte erwarten, dass die Baukunst der römischen Kaiserzeit all ihren vege- tabilischen und sonstigen plastischen Reichthum hätte herleihen müs- sen, die Cannelirungen ihrer Säulen, die ornamentirten Basen, die Blätterreihen ihrer Architrave, den Prachtschmuck der Friese, endlich jene plastische Detailfülle ihrer Kranzgesimse, zumal Consolen und Rosetten. Dies Alles kommt aber nur stellenweise und kaum je vollständig zur Anwendung, meist dagegen nur in dürftigem Excerpt. In ganz andern Dingen wird der Reiz für das Auge gesucht, welcher der Pracht entsprechen soll: die Bauglieder selbst, ohne ornamentales Detail, aber mit durchgehenden, oft sinnlosen Profilirungen aller Art überladen, kommen in Bewegung; hauptsächlich die Giebel beginnen seit Bernini und Borromini sich zu brechen, zu bäumen und in allen Richtungen zu schwingen. An einzelnen besondern Prachtstücken, wie Altäre u. s. w. werden gewundene Säulen beinahe zur Regel. Wie die Farbigkeit der Steine und Metalle zur Mitwirkung benützt wurde, soll weiter erörtert werden. Endlich bringt um 1700 der Pater Pozzo diese ganze neue Art von Decoration in ein System, das, im Zusammenhang mit jener durchgehenden perspectivischen Ab- sicht vorgetragen, wahrhaft lehrreich ist, obschon die Mittel, einzeln genommen, zum Theil abscheulich heissen müssen. Wo dann eine wahre bauliche Function deutlich markirt werden soll, weiss dieser Styl sich natürlich nur noch in unverhältnissmässig massiven Formen auszusprechen. Man vergleiche, um mit einem klei- nen Beispiel zu beginnen, die colossalen Deckenconsolen in S. Maria a in via lata zu Rom mit den so mässigen, welche in alten Basiliken den Dachstuhl tragen. Selten aber ist es mit dem Ausdruck von Functionen ernstlich ge- meint. Vielmehr bekommen die einzelnen Formen ein von allem Or- ganismus unabhängiges, später ein krankhaftes Leben. Man findet z. B. bei Pozzo eine Sammlung von Thür- und Fensteraufsätzen, wie sie B. Cicerone. 24 Der Barockstyl. um 1700 für classisch galten und oft genug wirklich ausgeführt wur- den; es sind Fieberphantasien der Architektur. — Allein auch die schlimmsten dieser Formen haben eine Eigenschaft, die für den ganzen Styl wichtig und bezeichnend ist: nämlich ein starkes Relief und so- mit eine starke Schattenwirkung. Untauglich zum Ausdruck des wahr- haft Organischen, des Constructiven, sind sie im höchsten Grade wirk- sam zur Eintheilung von Flächen, zur Markirung bestimmter Stellen. Sie können diejenige lebendig gebliebene Seite der Architektur dar- stellen helfen, welche als das Gebiet der Verhältnisse zu bezeich- nen ist. Der Hauptschauplatz auf welchem diese Frage der Verhältnisse durchgefochten wird, sind in dieser Zeit unläugbar die Kirchen- fassaden . Ich weiss, dass man leicht in Versuchung geräth, keine einzige auch nur recht anzusehen. Sie sind schon in der Renaissance- zeit, ja in der italienischen Gothik blosse vorgeschobene Decorationen und werden jetzt vollends rein conventionelle Zierstücke, die mit dem Ganzen gar keinen Zusammenhang haben. Ihre Verhältnisse, ob schön oder hässlich nach damaligem Massstab, dürften uns gleichgültig sein. Allein als reine Fiction ergreifen sie den Beschauer doch bisweilen, trotz der oft so verwerflichen Ausdrucksweise, und nöthigen ihn, der Absicht des Baumeisters nachzugehen, seine Rechnung — nicht von Kräften und Lasten, wohl aber von Massen und Formen — nachzu- rechnen. Man entsinnt sich dabei, dass es zum Theil die Zeitgenossen der grössten Maler des XVII. Jahrhunderts waren, welche so bauten, ja Maler wie Domenichino, Bildhauer wie Bernini selbst. Seit Palladio werden die Fassaden mit Einer Ordnung (Seite 361) häufiger, ohne jedoch im Ganzen das Übergewicht zu gewinnen. Für Rom z. B., welches den Ton im Grossen angab, mochte die wider- a wärtige Fassade von S. Carlo al corso eher zur Abschreckung, als zur Empfehlung dieser Bauform dienen. (Angeblich von Onorio Lun- ghi, in der That vom Cardinal Omodei .) Auch diejenige Maderna ’s b an S. Francesca Romana steht weit unter Palladio. Der überwiegende Typus, welchen seit etwa 1580 Giac. della Porta , Dom. Fontana, Mart. Lunghi d. ä. etc. geschaffen hatten, blieb immer derjenige Die Kirchenfassaden. mit zwei Ordnungen, und zwar früher eher von Pilastern, später eher von Halbsäulen und vortretenden ganzen Säulen. Das breitere untere Stockwerk und das schmalere obere werden auf die bekannte Weise vermittelt, durch Voluten oder durch einfach einwärts geschwungene Streben; doch ist der Abstand zwischen beiden nicht mehr so bedeu- tend, wie zur Zeit der Renaissance, indem jetzt die Anlage der Kir- chen überhaupt eine andere und die Nebenschiffe zu blossen Capellen- reihen von geringer Tiefe geworden sind (wovon unten). Hie und da wird die Strebe ganz graziös gebildet, mit Fruchtschnüren ge- schmückt etc. (S. M. in Campitelli zu Rom, von Rinaldi ); andere a Architekten geben der obern Ordnung dieselbe Breite wie der untern, lassen jedoch den Giebel bloss dem Hauptschiff entsprechen. Innerhalb dieser gegebenen Formen bemühen sich nun die Bessern, in jedem einzelnen Fall die Verhältnisse und das Detail neu zu com- biniren. Die Harmonie, welche sie nicht selten erreichen, ist eine rein conventionelle, wie die Elemente, aus welchen sie besteht, wirkt aber eben doch als Harmonie. Das mässige Vor- und Zurücktreten einzelner Wandtheile, die engere oder dichtere Stellung der Pilaster oder Säulen, die Form, Grösse und Zahl der Nischen oder Fenster wird im Zusammenhang behandelt und bildet ein wirkliches Ganzes. Dass die gedankenlosen Nachtreter und Ausbeuter in der Majorität sind, kann auf Erden nicht befremden, nur darf man nach ihnen nicht die ganze Kunst beurtheilen. Ich möchte die Behauptung wagen, dass die Bessern dieser Fassaden in der Gesammtbehandlung consequenter sind, als diejenigen der Renaissance. Die römischen vom Ende des XVI. und Anfang des XVII. Jahr- hunderts erscheinen in der Gliederung noch einfach und mässig; blosse Pilaster, meist noch ohne Nebenpilaster; Halbsäulen nur am Erdge- schoss, ja selbst nur an den Portalen. Von Giac. della Porta : Il Gesù, S. Caterina de’ Funari; S. Luigi de’ Francesi, letztere be- b sonders nüchtern. — Von Mart. Lunghi d. ä.: S. Girolamo de’ c Schiavoni; S. Atanasio. — Von Vincenzo della Greca : SS. Do- d menico e Sisto, seiner Zeit viel bewundert. — Von Carlo Maderna : S. Susanna und S. Giacomo degli Incurabili, beide weit besser als die e Fassade von S. Peter (Seite 337) für welche seine Kräfte nicht hin- reichten. — Von Gio. Batt. Soria : S. Carlo a’ Catinari, die tüchtige f 24* Der Barockstyl. a Vorhalle von S. Gregorio u. m. a. — In Neapel konnte schon vor b 1600 eine Missform entstehen, wie die Fassade des Gesù nuovo, mit ihrer facettirten Rustica, und um 1620 eine so gedankenlose Marmor- wand, wie die der Gerolomini; beide wären in Rom unmöglich ge- wesen. (Schon der Travertin nöthigte die Römer zu gleichmässiger Behandlung, während Neapel zwischen Marmor und Mörtel schwankt.) c Mit Algardi ’s Fassade von S. Ignazio und Rinaldi ’s säulen- reicher Fronte von S. Andrea della Valle zu Rom beginnt die derbere Ausdrucksweise der Fassade von S. Peter ihre Früchte zu tragen: das Vor- und Rückwärtstreten der einzelnen Flächen, die stärkere Abwechslung der Gliederungen nebst der entsprechenden Brechung der Gesimse. (Diejenige von S. Ignazio ist immer eine der besten dieser d Classe.) An Rinaldi ’s sehr interessanter Fassade von S. M. in Cam- pitelli hat das untere Stockwerk Säulen und Halbsäulen von viererlei verschiedenem Rang auf eben so vielen Axen. Hier offenbart sich besonders deutlich das Vorwärts- und Rückwärtstreten der Mauer- körper als ein malerisches Princip; Abwechslung in den Linien und starke Schattenwirkung werden leitende Rücksichten, im geraden Gegensatz zu aller strengern Architektur. e Reine Prahlerei ist dagegen eine Fassade wie die von S. Vin- cenzo ed Anastasio bei Fontana Trevi, mit ihren gegen das Portal hin en échelon aufgestellten Säulen. (Von Mart. Lunghi d. j.) Um die Mitte des XVII. Jahrhunderts, mit dem Siege des ber- ninischen Styles, tritt dann jene eigentliche Vervielfachung der Glieder, die Begleitung der Pilaster und Halbsäulen mit zwei bis drei zurücktretenden Nebenpilastern vollständiger ein. Der Zweck derselben war nicht bloss Häufung der Formen; viel- mehr treffen wir hier auf einen der durchgreifendsten Gedanken des Barockstyls: die scheinbare perspectivische Vertiefung. Das Auge ge- niesst die wenn auch nur flüchtige Täuschung, nicht bloss auf eine Fläche, sondern in einen Gang mit Pfeilern auf beiden Seiten hinein zu sehen. Theilweise denselben Zweck, nur mit andern Mitteln erstrebt, darf man auch in der verrufenen Biegung der Fassaden erkennen. Auch hier wird eine Scheinbereicherung beabsichtigt, wenn die Wand sammt all ihrer Decoration rund auswärts, rund einwärts oder gar in Wellen- Die Kirchenfassaden. Ihre Schwingung. form Ein werther Freund, den ich aus der Ferne herzlich grüsse, pflegte zu sagen, solche Fassaden seien auf dem Ofen getrocknet. geschwungen wird. Das Auge hält, zumal beim Anblick von der Seite, die Biegung für stärker als sie ist und setzt die ihm durch Verschiebung unsichtbaren Theile reicher voraus als sie sind. Sodann ist auch hier ein malerisches Princip thätig: dasjenige, die homogenen Bauglieder, z. B. alle Fenstergiebel, alle Capitäle desselben Ranges dem Beschauer auf den ersten Blick unter ganz verschiedenen Ge- sichtspunkten vorzuführen, während die strengere Architektur ihre Wirkung im geraden Gegentheil sucht. Ich weiss nicht, war es noth- wendige Consequenz oder nicht, dass die Giebel ausser der Schwin- gung nach aussen auch wieder eine nach oben annahmen, sodass ihr Rand eine doppelt bedingte, meist ganz irrationelle Curve bildet; so viel ist sicher, dass diese Form zu den abschreckendsten der ganzen Baukunst gehört, zumal wenn die Giebel gebrochen sind. — Es wird damals theoretisch zugegeben, dass die runde Form unter allen Um- ständen die schönste sei Es ist hier noch einmal hinzuweisen auf Bernini’s Colonnaden von S. Peter (S. 338), als deren Caricatur etwa die Halle von S. Micchele in Mailand * (von Francesco Croce) zu nennen wäre, welche aus vier grössern und vier dazwischen vertheilten kleinern Kreissegmenten besteht. ; ohne darauf zu achten, welche Vorbedin- gungen die wahre Baukunst macht und machen muss. Francesco Borromini ist für diese geschwungenen Fassaden der berüchtigte Name geworden, obschon die übelsten Consequenzen erst von der missverstehenden Willkür der Nachahmer gezogen wur- den. Sein Kirchlein S. Carlo alle quattro fontane (1667) enthält in a der That weder innen noch aussen andere gerade Linien als diejeni- gen an den Fensterpfosten etc. — An S. Marcello am Corso ist die b Fronte von Carlo Fontana ; S. Luca von Pietro da Cortona ; S. Croce unweit vom Pantheon aus dem XVIII. Jahrhundert. — Eine Seite kann man diesen Fratzengebilden immerhin abgewinnen: sie sind wenigstens wirkliche Architektur, können schöne und grossartige Hauptverhältnisse darstellen und stellen sie bisweilen wirklich dar. Dies wird man am Besten inne beim Anblick gleichzeitiger venezia- nischer Kirchenfassaden (S. Moisè, Chiesa del Ricovero, S. Maria c Zobenigo, Scalzi), welche zwar geradlinig aber keine Architektur mehr, Der Barockstyl. sondern marmorne Schreinerarbeit sind. Die kleinlichsten Gedanken der venezianischen Frührenaissance spuken hier in barocken Wulst gehüllt fort; es ist die Fantasie jener Schränke von Ebenholz, Elfen- bein und Email (Studioli), die damals mit schwerem Aufwand für die Paläste der Grossen beschafft wurden. Der Platzmangel nöthigte wohl zu einer concentrirten Pracht, allein diese konnte sich auch im Ba- rockstyl würdiger ausdrücken als durch solche Puppenkasten. Übrigens war die Herrschaft dieser Fassadenform in Italien keine lange und keine durchgehende; im XVIII. Jahrhundert sind die wich- tigsten Fassaden wieder alle geradlinig; so die sehr colossale von S. a Pietro in Bologna und die sich schon dem neuern Classicismus nä- b hernde am neuen Dom von Brescia; in Rom diejenige von S. Gio- c vanni de’ Fiorentini, welche Aless. Galilei in Ermanglung der durch Nachlässigkeit verlorenen Zeichnungen Michelangelo’s entwarf, ohne sich in die der ältern Zeit angehörige Anlage mit breiten Neben- schiffen wieder hineinfinden zu können. Von ihm ist auch die Fas- d sade des Lateran’s Die hintere Fassade gegen den Obelisken, wo früher die Benedictionen er- theilt wurden, ist eine gute Doppelhalle aus der Zeit Sixtus V. , wo das vorgeschriebene Motiv einer obern Log- gia über einem untern Vestibul wahrhaft grossartig von einer riesigen Halle Einer Ordnung eingefasst ist, die sich oben in fünf Bogen, unten in fünf Durchgängen mit geradem Gebälk öffnet. (Lehrreiche Parallele mit der in jeder Beziehung schlechtern Fassade von S. Peter.) Fuga , e welcher einige Jahrzehnde später (1743) nach einem ähnlichen Pro- gramm die Fassade von S. Maria maggiore baute, kehrte zu dem System zweier Ordnungen zurück, und schuf ein Werk, welches zwar durch reiche Abwechselung und durch den Einblick in Loggia und Vestibul malerisch wirkt, aber selbst abgesehen von den sehr aus- gearteten Einzelformen kleinlich und durch die Seitenbauten gedrückt erscheint. Gleichzeitig entstand freilich noch viel Schlechteres, z. B. f die gewundene Fassade und Vorhalle von S. Croce in Gerusalemme (von Gregorini ). Und doch hatte für kleinere Kirchen mit Vor- halle und Loggia schon Pietro da Cortona um 1680 ein so tüch- g tiges Muster aufgestellt wie S. Maria in via lata (am Corso). Ausser jenen geschwungenen Fassaden kommen übrigens noch Fassaden. Perspectivische Reizmittel. viel kühnere Mittel der Scheinerweiterung vor. Derselbe Pietro da Cortona wusste der kleinen und übel gelegenen S. M. della Pace a ein majestätisches Ansehen zu geben, indem er vor die Fassade eine kleine halbrunde Vorhalle, um die hintere Hälfte der Kirche aber eine grosse, hohe, decorirte Halbrundmauer hinstellte, deren vordere Ab- schlüsse durch reichmotivirte Zwischenbauten mit der Kirche verbun- den sind. Das Auge setzt nicht nur hinter dieser Mauer ein grösseres Gebäude voraus, sondern es würde auch von den beiden contrastirenden Curven und der schönwechselnden Schattenwirkung auf das ange- nehmste berührt werden, wenn die Einzelformen etwas reiner wären. — Bernini , als er um die Kirche von Ariccia ebenfalls eine Halb- b rundmauer anlegte, brauchte die List, dieselbe nach hinten hin all- mälig niedriger werden zu lassen, damit das Auge ihr eine weitere Entfernung und grössere Ausdehnung zutraue; er rechnete nicht dar- auf, dass nach 200 Jahren eine Brücke über das Thal würde geführt werden, von welcher aus sein Betrug sich durch die Seitenansicht verräth. Wir werden ihn noch auf andern Erfindungen dieser Art betreten. Die Seitenfassaden , wie überhaupt das ganze Äussere mit Ausnahme der Hauptfassade und Kuppel, sind in der Regel blosse Zugabe. Nicht nur wurden die vorhandenen Mittel durch möglichste Grossräumigkeit (und Pracht) des Innern und durch möglichsten Hoch- bau in Anspruch genommen, sondern die Kunst hat, auch wo das Geld ausreichte, auf eine höhere Durchbildung dieser Theile beinahe verzichtet. Höchstens werden die beiden Ordnungen der Fassade, zu Pilastern ermässigt, so gut es geht zur Einrahmung und Theilung der Mauerflächen benützt. Wo Strebepfeiler an die Mauer des Ober- schiffes hinansteigen, sind sie meist von todter oder sehr barocker Gestalt. Die tüchtigste Physiognomie zeigen die Aussentheile einiger oberitalischen Kirchen, vermöge des Backsteins, der hier ungescheut zu Tage tritt; so z. B. an S. Salvatore in Bologna (von Magenta ). c Der blosse Mörtel dagegen offenbart die ganze Formlosigkeit. Von den römischen Kirchen bietet nächst S. Peter der Hinterbau von S. Maria maggiore wenigstens eine grosse und malerisch gut disponirte d Travertinmasse dar. Der Barockstyl. Die Thürme sind in diesen Zeiten am leidlichsten, wo sie nur als kleine, schlanke Campanili von anspruchloser, leichter Bildung neben die Kirche hingestellt werden. Man gewöhnt sich bald daran, diesen durchsichtigen Pfeiler als Trabanten der Kuppel hübsch zu finden und vermisst ihn ungern wo er fehlt. — Sobald dagegen diese Naivetät wegfällt, sobald der Thurm als solcher etwas bedeuten soll, geht der hier ganz entfesselte Barockstyl in die unglaublichsten Phan- tasien über. Borromini baut in Rom Thürme von ovalem Grund- a plan (S. Agnese in Piazza navona), mit zwei convexen und zwei concaven Seiten (Kloster der Chiesa nuova), mit spiralförmigem Ober- bau (Sapienza) u. s. w.; endlich giebt er gleichsam ein Manifest aller b seiner Stylprincipien in dem Thurm von S. Andrea delle Fratte. Wenn in diesem Wahnsinn Methode und künstlerische Sicherheit ist, so fehlt dieselbe ganz in dem (vielleicht) grössten Barockthurm Italiens: dem- d jenigen an S. Sepolcro in Parma. Neben diesem abscheulichen Ge- bäude kann selbst die Nüchternheit mancher andern Thürme will- kommen sein. Viel grössere Theilnahme wurde dem Äussern der Kuppeln zugewandt, welche das Vorbild der Peterskuppel nach Kräften re- produciren. Ein wesentlich neues Motiv kommt wohl kaum vor, ob- wohl sie unter sich äusserst verschieden sind in den Verhältnissen und im Detail des mit Halbsäulen umgebenen Cylinders und in dem Wölbungsgrad der Schale. Ich glaube nicht, dass eine in Italien vorhanden ist, welche dem ungemein schönen, beinahe parabolischen Umriss von Mansard’s Invalidenkuppel gleichkömmt; doch haben die meisten spätern mit dieser genannten die bedeutendere Höhe und Schlankheit gemein. Auch hier offenbart sich der principielle Hoch- bau des Barockstyles. In Neapel ist die verhältnissmässige Niedrig- keit der Kuppeln durch die vulcanische Beschaffenheit der Gegend vorgeschrieben. Die wichtigsten Neuerungen erfuhr die Anlage des Innern . Zu- nächst muss von dem weitern Schicksal der bisher üblichen Formen die Rede sein. Säulenkirchen kommen zwar noch vor, aber nur als Aus- nahme und nach 1600 kaum mehr; nicht nur war die ganze ange- Thürme. Kuppeln. Basiliken. Griech. Kreuz. nommene Gliederung auf Mauermassen und Pfeilerbau berechnet, wobei Säulen nur als vorgesetzter Schmuck zur Anwendung kamen, nicht nur verabscheute man jetzt im Ganzen die Bogenstellungen auf Säulen, sondern auch das Raumgefühl des Barockstyls fand bei engen Intervallen jeglicher Art seine Rechnung nicht mehr. Dennoch ge- hören gerade die paar Basiliken zu den bessern Gebäuden des Styles; die Gerolomini (oder S. Filippo) in Neapel (von Giobatt. Cavagni a 1597); die Annunziata in Genua (von Giac. della Porta ), bei b welcher man sich durch die schwere Vergoldung und Bemalung des Oberbaues nicht darf irre machen lassen, u. a. m. In S. Siro und in c Madonna delle Vigne zu Genua (1576 und 1586) stehen je zwei Säu- len zusammen, wobei der Baumeister durch Anbringung eines Gebälk- stückes und durch grössere Zwischenweiten sein Gewissen beruhigen konnte; ein Motiv das damals auch bei allen Säulenhöfen befolgt oder wenigstens verlangt wurde. Sodann musste das griechische Kreuz , wie Bramante es für S. Peter beabsichtigt, Michelangelo schon so viel als durchgesetzt hatte, einen grossen Eindruck auf alle Architekten machen. Mehr als ein halbes Jahrhundert hindurch (bis 1605) wusste man von nichts Anderem, als dass diese Kirche aller Kirchen ein griechisches Kreuz werden und bleiben solle, welches von seiner Kuppel nach allen Seiten hin beherrscht worden wäre. In dieser Gestalt kannten die grossen Baumeister von 1550—1600 S. Peter; auch wir können uns den Eindruck vergegenwärtigen, sobald wir uns innen an das eine Ende des Querbaues stellen, oder aussen in die Gegend neben der Sacristei. — Damals entlehnte hier Galeazzo Alessi , wie wir sahen (S. 351), die Grundform für seine Madonna di Carignano; spä- ter, nach 1596, wurde die Madonna della Ghiara in Reggio ent- d worfen, deren schönes Innere nur durch die vollständige Bemalung der Gewölbe und Kuppel über dem hellfarbigen Unterbau schwer er- scheint. Beide Gebäude schliessen allerdings nicht in halbrunden, sondern in lauter geradlinigen Fassaden, letzteres mit Ausnahme des Chores. In Rom ist das Innere von S. Carlo a’ Catinari (1612, von e Rosati ) ein schöner Bau dieser Art. Noch in ganz späten Re- dactionen, wie S. Agnese in Piazza navona zu Rom (Inneres von Carlo Rinaldi ) und S. Alessandro in Zebedia zu Mailand wirkt f Der Barockstyl. wenigstens die nicht zu verderbende Raumschönheit eines so gestal- a teten Innern. An dem besten derartigen Bau des vorigen Jahrhun- derts, an dem herrlichen Dom von Brescia , von welchem noch weiter die Rede sein wird, ist jener Hauptvortheil, die Herrschaft der Kuppel über das ganze Äussere, ohne Noth Preis gegeben, und zwar bloss zu Gunsten jener ungeheuern vorgesetzten Fassade (S. 374, b). Allerdings ist die Kuppel das späteste, allein sie war von jeher beab- sichtigt. Von den Armen des griechischen Kreuzes ist hier der hin- terste (Chor) beträchtlich verlängert. (Ferrara, vgl. S. 211, d und e.) Für einzelne besonders angebaute Prachtcapellen wurde das griechische Kreuz die beinahe allein übliche Form, nur dass die Kup- pel sehr die Hauptsache ausmacht, und die vier Arme mit ihren Tonnengewölben ihr nur als Stützbogen dienen. Capellen wie diejenigen b Sixtus V und Pauls V in S. Maria maggiore zu Rom wurden schon durch ihre Pracht mustergültige Vorbilder; ein wahrhaft schöner Bau c ist aber die eben so reiche, nur weniger bunte Cap. Corsini im La- teran. (Die Cap. Corsini im Carmine zu Florenz, 1675 von Silvani erbaut, gehört ebenfalls zu den bessern dieser Art.) Die ausgeschweif- ten Grundpläne borrominesker Capellen, die meist auf Ellipsen zu- rückzuführen sind, zeigen erst den wahren Werth des griechischen Kreuzes. Allein der Gottesdienst war so sehr an Langbauten und auch an deren Verbindung mit Kuppeln über der Kreuzung gewöhnt, dass eine Art von mittlerem Ausweg für längere Zeit zur Regel wurde. Es ist hier wieder an Vignola und an seine Kirche del Gesù in Rom zu erinnern (S. 343, e). Wenn schon einer der nächsten Schüler Michel- g angelo’s, Giacomo della Porta , beim Bau von S. Maria a’ monti sich diesem Vorbild im Ganzen anschloss, wenn dann Maderna’s vor- deres Langhaus von S. Peter mit einer (trotz der Nebenschiffe) ana- logen Anlage das natürliche Muster für hunderte von Kirchen noth- wendig werden musste, so kann die grosse Verbreitung dieses Systemes nicht mehr befremden. Das Innere der Barockkirchen wird, wie schon vorläufig ange- deutet, vorzugsweise 1) ein Weitbau und 2) ein Hochbau . Neuere Gestalt des Langhauses. Das Hauptziel des Barockstyls ist: möglichst grosse Haupträume an Einem Stücke zu schaffen. Dieselben Mittel, mit welchen die Re- naissance lange, mässig breite Hauptschiffe, geräumige Nebenschiffe und Reihen tiefer Capellen zu Stande gebracht, werden jetzt darauf verwandt, dem Hauptschiff und Querschiff die möglichste Breite und Höhe zu geben; die Nebenschiffe werden entweder stark reducirt oder ganz weggelassen; die Capellen erhalten eine oft bedeutende Höhe und Grösse, aber wenig Tiefe. (Natürlich mit Ausnahme der zu be- sondern Cultuszwecken eigens angebauten.) — Man sieht, dass es sich wieder um eine Scheinerweiterung handelt; das Auge soll die Ca- pellen, obschon sie blosse Nischen geworden sind, für Durchgänge zu vermuthlichen Seitenräumen ansehen. Der Breitbau zog den Hochbau nach sich. Man findet fortan über dem Hauptgesimse fast regelmässig eine hohe Attica, und über dieser erst setzt das Tonnengewölbe an. Nun tritt auch jene Vervielfachung der Gliederungen (S. 368) in ihr wahres Licht. Ausser der perspectivischen Scheinbereicherung liegt ihr das Bewusstsein zu Grunde, dass der einzelne Pilaster bei den oft ungeheuern Entfernungen von Pfeiler zu Pfeiler nicht mehr genügen würde. (D. h. dem Auge, und nur als Scheinstütze, denn constructiv hat er ohnehin keine Bedeutung.) Ferner ergiebt sich nun noch ein letzter und entscheidender Grund gegen den Basilikenbau. Die Säulen hätten bei den Verhältnissen, die man jetzt liebte, in enormer Grösse errichtet werden müssen. Kein Wunder dass jetzt auch die Halbsäulen, welche noch Palladio so gerne zur Bekleidung der Pfeiler verwandte, im Ganzen selten werden. Es setzt sich der Gebrauch fest, die Säulen überhaupt nur noch zur Ein- fassung der Wandaltäre anzuwenden, in welcher Function sie dann gleichsam das bewegliche Element des Erdgeschosses ausmachen. Ihr möglichst prächtiger Stoff (bunter Marmor und, wo die Mittel nicht reichten, Stuckmarmor) löst sie von der Architektur des Ganzen ab, doch wollen sie vor der Zeit Bernini’s die Linien des Gebäudes noch nicht ohne Noth stören; ja der Hauptaltar richtet sich bisweilen mit seinen Freisäulen nach der Hauptpilasterordnung der Kirche, und ebenso die Altäre der Capellen nach der Pilasterordnung der letztern Der Barockstyl. a (S. Ambrogio in Genua); erst seit der Mitte des XVII. Jahrhunderts hören alle Rücksichten dieser Art auf, wovon unten Mehreres. Der vordere Arm der Kirche ist im Verhältniss zum Ganzen sel- ten lang Es versteht sich, dass hier blosse Umbauten, welche sich an die Form älte- rer Kirchen anzuschliessen haben, eine durchgängige Ausnahme machen. So * das von Borromini umgebaute Innere des Laterans etc. ; er überschreitet in der Regel nicht drei Pfeilerintervalle; b fünf sind schon sehr selten. (Chiesa nuova in Rom, 1599 von Mart. Lunghi d. ä.) Man wünschte schon sich von der Kuppel nicht zu weit zu entfernen, abgesehen davon, dass die Kirche auch ohne ein langes Hauptschiff gross und kostbar genug ausfiel. Den mittlern Ty- pus dieser Art vertreten nächst dem Gesù in Rom: das Innere von c S. Ignazio (von Domenichino ), S. Andrea della Valle (von Ma- derna ) u. s. w., nebst unzähligen Kirchen der ganzen katholischen Welt. Schon diese Anlage gewährt, Hauptschiff, Querschiff und Chor zusammengerechnet, einen verhältnissmässig grössern ununterbroche- nen Freiraum als irgend ein früherer Baustyl. Zwar ragen die Quer- schiffe nur wenig hervor, meist nur so weit als die Capellen des Hauptschiffes, allein der Beschauer wird über diese geringe Tiefe we- nigstens so lange getäuscht, bis er in die Nähe der Kuppel gelangt und anderweitig hinlänglich beschäftigt ist. Und auch diese Anordnung ist dem Barockstyl noch nicht inter- essant genug. Er unterbricht oft das Hauptschiff mit einem vor- läufigen kleinern Querschiff , das eine flache Kuppel oder auch nur ein sog. böhmisches Gewölbe trägt. — Schon die Renais- sance hatte stellenweise etwas ähnliches versucht (Dom von Padua S. 320, a, S. Sisto in Piacenza S. 204, a), aber in unschuldigern Absich- ten; sie wollte nur Räume von bedeutendem Charakter schaffen; der Barocco dagegen offenbart hier eine ihm (zumal nach 1600) eigene Scheu vor grossen herrschenden Horizontalen ohne Unterbrechung, und zieht es vor, das Langhaus zu negiren. Auch seine Neigung zur Scheinerweiterung kommt dabei in Betracht; das Auge leiht den durch das Vortreten der Pfeiler abgeschnittenen Armen dieses vordern Quer- baues wiederum eine Grösse die sie nicht haben. Endlich ist das rein malerische Princip der möglichsten Abwechselung in Formen und Be- leuchtungen mit jener Scheu vielleicht eins und dasselbe. Unterbrechung des Langhauses. Rundbau. Die bessern Kirchen dieser Art bieten eine prachtvolle Aufein- anderfolge verschiedenartiger, sich steigernder Coulissen dar (sit venia verbo), welchen der Chor zur Schlussdecoration dient Das Gleichniss vom Theater ist kein unbilliges. In dem Werke des Pozzo wird aus der Identität der Principien des Innenbaues und derjenigen der theatralischen Decoration kein Hehl gemacht. — Ganz etwas Anderes ist es, wenn der bizarre Tacca in SS. Stefano e Cecilia zu Florenz den blossen * Chorraum als eine Theaterscena im ältern Sinn (ohne Coulissen) behandelt. . Man be- trachte z. B. ohne Vorurtheil das Innere von S. Pietro in Bologna a (vom Pater Magenta , nach 1600); das Hauptschiff ist trotz schwe- rer Ungeschicklichkeiten von grandiosem Effect; hauptsächlich aber bieten die Nebenschiffe eine Abwechselung grosser und kleiner, hel- lerer und dunklerer Räume auf einer und derselben Axe dar, deren Durchblick das Auge mit Entzücken erfüllt. Von demselben Meister ist S. Salvatore ebenda. Kleiner, später und überladener: Corpus Domini (oder la Santa). Ein ziemlich würdiges Interieur dieser Art ist auch dasjenige des Domes von Ferrara (1712, von Mazzarelli ). b War man einmal so weit gegangen, gab man zudem das ganze Äussere mit Ausnahme der Fassade und etwa der Kuppel Preis, so blieb das Feld für noch viel kühnere Combinationen offen. Namentlich wurden in der borrominesken Zeit Rundräume , runde Abschlüsse mit Halbkuppeln, ja Verbindungen von elliptischen, halbrunden und irrationell geschwungenen Räumen beliebt. Dieser Art sind in Rom Borromini ’s eigene verrufene Interieurs von S. Carlo alle 4 fon- c tane und von der Kirche der Sapienza; in Genua mag man bei Ge- legenheit einen wundersamen Excess dieser Art in der kleinen Kirche d neben S. Giorgio beobachten. Bernini hat sich nie so tief einge- lassen; seine elliptische Kirche S. Andrea in Rom (Via del Quirinale) e zeigt Eine sehr deutlich festgehaltene Hauptform, welcher sich die Capellen gleichmässig unterordnen. Das ansprechendste Interieur die- ser freieren Art hat wohl unter den römischen Kirchen S. M. in f Campitelli (von Rinaldi 1665); auf einen Vorderraum in Gestalt eines griechischen Kreuzes folgt ein Kuppelraum und eine Chornische; durch sinnreiche Vertheilung vortretender Säulen und Oekonomie des Lichtes ist ein grosser perspectivischer Reiz in dieses (gar nicht sehr Der Barockstyl. ausgedehnte) Ganze gebracht. — In kleinern Kirchen findet man über- haupt die originellsten Ideen, freilich oft im allerbarocksten Ausdruck. Übrigens wünschte man auch in dem gewöhnlichern Typus, wie er seit dem Gesù in Rom sich festgestellt hatte, immer neu zu sein. So suchte der Barockstyl z. B. für das Aufstützen der Kuppel auf die vier Hauptpfeiler oder Mauermassen unablässig nach einem leich- tern und elegantern Ausdruck als ihn etwa S. Peter darbot. Es wur- den vor den Pfeiler nach beiden Seiten hin Säulen mit vorgekröpftem Gebälk — doch nur als Scheinträger — aufgestellt, u. s. w. Eine der a geistvollsten Lösungen des Problems bietet der Dom von Brescia , wo in den Pfeiler zwei Winkel hineintreten, vor welchen freistehende Säulen angebracht sind; keine Kuppel scheint leichter und sicherer zu schweben als diese. Die Beleuchtung der Kirchen ist, rein vom baulichen Gesichts- punkt aus, fast durchweg eine glückliche: bedeutendes Kuppellicht (wenn die Vorhänge nicht geschlossen sind!), Fenster im Tonnen- gewölbe des Hauptschiffes, grosse und hoch angebrachte Lunetten- fenster in den Querschiffen, kleinere in den Capellen; also lauter Oberlicht, gesteigert je nach der Bedeutung der betreffenden Bau- theile. Aber die Altargemälde kommen dabei erstaunlich schlecht weg; von denjenigen in den Seitencapellen ist kein einziges auch nur erträglich beleuchtet. — Wo Seitenschiffe angebracht sind, erhalten sie womöglich eigene Kuppelchen, welche ihnen durch Cylinderfenster und Lanterninen wenigstens so viel Licht zuführen, dass die an- stossende Seitencapelle nicht ganz dunkel bleibt. Dieses ganze Formensystem offenbart sich am Vollständigsten und von der günstigsten Seite in solchen Kirchen, welche entweder farb- los oder doch nur mässig decorirt sind. Wie in der nächstvorher- gehenden Epoche S. Maria di Carignano in Genua, so verdient in b dieser der oftgenannte Dom von Brescia — hell steinfarbig von unten bis zu den einfachen Cassetten der Kuppelschale hinauf — den Vor- zug der Schönheit vor mehrern Kirchen, die in der Anlage eben so c trefflich, dabei aber überladen sind. Der Dom von Spoleto (um 1640) verdankt seine Wirkung sogar einzig der Farblosigkeit. Einzelne vor- Beleuchtung. Decoration. Jesuitenstyl. nehmere Orden, die ihren Gottesdienst so zu sagen nur für sich halten und keine Gemeinde um sich zu sammeln suchen, bauten sich wohl- räumige, weisse Kirchen, in welchen nur der Marmorboden und die Ausstattung der Altäre den Reichthum verrathen. So in Rom S. Gre- a gorio (Camaldulenser), SS. Giovanni e Paolo (ehemals Jesuaten) etc. Die Carthäuser dagegen scheinen für ihre noch grössere Abschliessung einen Ersatz in der vollen Pracht der Kirchen zu suchen. Die Je- suiten endlich sind für die bunte Überladung der ganzen Decora- tion sprichwörtlich geworden. Es ist nicht zu läugnen, dass manche ihrer Kirchen hierin wahre Extreme sind und dass der Pater Pozzo ihrem Orden angehörte. Nur darf man diess nicht so verstehen, als hätte es eine speciell jesuitische Kunst gegeben. Je nach den Bau- meistern (die nur geringsten Theiles vom Orden waren) sind ihre Kirchen sehr verschieden und selbst die buntesten sind mit einer con- sequenten Solidität verziert, welche andern Kirchen oft fehlt. Das malerische Grundgefühl des Barockstyls, welches so viel Abwechselung in Haupt- und Nebenformen verlangte, als sich irgend mit der unentbehrlichen Bedingung aller Architektur (der mechanischen Wahrscheinlichkeit) vereinigen liess, musste in der Decoration sein volles Genüge und seinen Untergang finden. Das Übel ist nicht die Buntheit an sich, denn diese könnte ein strenge geschlossenes System bilden, sondern das Missverhältniss der einzelnen Decora- tionsweisen zu einander . Schon in dem architektonischen Theil zeigt sich die Rastlosigkeit, welche kein Stückchen Wand mehr als blosse Wand existiren lässt. Was neben den Altären übrig bleibt, wird zu Nischen verarbeitet, deren Grösse und Gestalt zu der umgebenden Pilasterordnung — sei es die des Hauptschiffes oder die der Capellen — in gar keinem rationellen, nothwendigen Verhältniss steht. Wesshalb denn auch grössere und kleinere abwechseln. Oft klemmen zwei Pilaster eine obere und eine untere Nische in ihre Mitte ein; es genügt, die Pfeiler des Schiffes von S. Peter mit einem Pfeiler Palladio’s, z. B. im Re- b dentore zu Venedig zu vergleichen, um zu sehen, wie eine Nische als blosser Lückenbüsser und wie anders sie als ernsthaftes Motiv wirkt. (Wobei wir die höchst bizarre Einfassung mancher Nischen nicht ein- mal in Betracht ziehen.) Der Barockstyl. Pilaster, Friese, Bogenleibungen u. s. w. hatten schon zur Zeit der Renaissance oft einen reichen ornamentalen Schmuck (gemalt oder stucchirt) erhalten, der nach strengern architektonischen Gesetzen we- nigstens den erstern nicht gehörte, sich aber durch die naive Freude daran und durch den schönen Detailgeschmack entschuldigen lässt. Der Barockstyl beutet diesen Vorgang mit absichtlichem Missverstand aus, um bei solchem Anlass seine Prachtstoffe anbringen zu können. Er geräth wieder in diejenige Knechtschaft derselben, welche mit dem ersten Jahrtausend (Seite 77, 115) hätte auf immer beseitigt sein sollen. Es beginnen, namentlich in Jesuitenkirchen, die kostbarsten Incrustationen mit Marmoren aller Farben, mit Jaspis, Lapis Lazuli u. s. w. Ein glücklicher Zufall verschaffte den Decoratoren a des Gesù in Rom jenes grosse Quantum des kostbarsten gelben Mar- mors, womit sie ihre Pilaster ganz belegen konnten; in andern Kirchen erschien gewöhnlicher Marmor zu gemein, und der kostbare Jaspis etc. war zu selten, um in grossen Stücken verwendet zu werden; man gab dem erstern vermeintlich einen höhern Werth und dem letztern eine glänzende Stelle, indem man beide zu Mosaikornamenten vermischte. Und dieselbe Zeit, die sonst so gut wusste was Farbe ist, verfing sich nun hier in einer barbarischen Gleichgültigkeit, wo es sich um die Farbenfolge verhältnissmässig einfacher Formen und Flächen handelte. b Die plumpe Pracht der mediceischen Capelle bei S. Lorenzo in Florenz (S. 275, a—d) steht ausserhalb dieser Linie; wohl aber kann man z. B. c die Incrustation von S. Ambrogio in Genua als normal betrachten, d. h. als eine solche wie man sie gerne überall angebracht hätte. Hier sind die Pilaster der Hauptordnung unten roth und weiss, oben schwarz und weiss gestreift, Capitäle und Gesimse weiss, nur der Fries hat weisse Zierrathen auf schwarzem Grund; an der untern Ordnung ist in Marmor aller Farben jenes kalligraphisch gedankenlose Cartouchen- werk angebracht. Einzelne besonders verehrte Capellen, auch die Chöre von Kirchen ganz mit spiegelblankem gelbem, gesprenkeltem, buntgeadertem Marmor zu überziehen, unter den Nischen vergoldete Bronzereliefs herumgehen zu lassen, die Trauer z. B. in Passions- capellen durch feinen dunkeln Marmor, ja durch Probirstein auszu- drücken, wurde eine Art von Ehrenpunkt sobald die Mittel ausreichten. d (Chor von S. M. Maddalena de’ Pazzi in Florenz; rechtes Querschiff Interieurs. Incrustationen. Sculpturen. von S. Carlo in Genua; Capellen in allen reichern Kirchen Roms.) In a S. Peter zu Rom füllte Bernini (S. 339) die untere Ordnung vollends mit Reliefzierrathen in Mosaik an. Den reichsten Schmuck erhielten insgemein die Theile, welche dem Auge die nächsten waren, Sockel, Piedestale von Altarsäulen etc. (Mosaikwappen der Mediceischen Capelle in Florenz, in S. Ambrogio b in Genua etc.; Capellenschranken in S. Martino zu Neapel). Wer aber die Stoffe nicht hatte, ahmte sie in Scagliola oder Stuck- marmor nach , wenn nicht an den Bautheilen selbst, doch wenig- stens an den Altären. Welch undankbare Opfer man sich doch bisweilen auferlegte, lehrt z. B. die Jesuitenkirche in Venedig. Das Teppich- c muster, grüngrau auf weiss, welches die Flächen zwischen den Pi- lastern, ja auch die Säulen im Chor deckt, wird Niemand beim ersten Blick für etwas Anderes, als für eine aufgemalte Decoration halten. Dann denkt man vielleicht an Stucco oder Scagliola, bis das Auge sich zuletzt überzeugt, dass es sich um ein unendlich kostspieliges Marmormosaik handelt. Zu dieser Art von Polychromie wollte dann das Plastische nur noch im derbsten Ausdruck passen. Die antike Architektur hatte die Bogenfüllungen mit Relieffiguren, z. B. am Titusbogen mit Victo- rien beseelt, an welchen man nicht bloss den herrlichsten plastischen Styl, sondern die vollkommenste Harmonie der Anordnung und des Reliefmasses mit den Bauformen bewundert. Die Renaissance ahmte dergleichen zuerst schön und massvoll (Altar Alexanders VI in der d Sacristei von S. M. del Popolo), dann mit kecker Umwandlung des Reliefs beinahe in Freisculptur (Jac. Sansovino’s Biblioteca, S. 326) nach. Der Barockstyl aber gab auch die Harmonie mit der Form der Bogenfüllung Preis und liess grosse allegorische Figuren in dieselbe hineinsitzen, so gut es ging. Mit ihrer naturalistischen Auffassung empfindet das Auge um so peinlicher ihren Anspruch, wirklich da zu sitzen, wo kein menschliches Wesen sitzen kann. (S. Peter in Rom; e S. Ambrogio in Genua etc.) Bloss gemalte Figuren desselben natu- ralistischen Styles (z. B. diejenigen des Spagnoletto in S. Martino zu f Neapel) sind an dieser Stelle erträglicher, weil sie wenigstens hinter dem Bogen sitzend gedacht sind und nicht herunter zu fallen drohen. — In der Folge überlud der Barockstyl noch alle Gesimse, nament- B. Cicerone. 25 Der Barockstyl. lich die Altargiebel u. dgl. mit Heiligen und Putten von Marmor und Gyps. Von irgend einem Verhältniss zwischen diesen Decorations- figuren und den Statuen der Nischen ist a priori nicht die Rede, da schon die Nischen selber kein bewusstes Grössenverhältniss mehr zum Gebäude haben. Oberhalb der Gesimse beginnt endlich der Raum, in welchem die entfesselte Decoration ihre Triumphe, bisweilen auch wahre Orgien feiert. Seit der altchristlichen Zeit hatte die Gewölbemalerei in Italien nie ganz aufgehört, allein sie hatte sich entweder auf die Kup- peln und auf die Halbkuppeln der Tribunen beschränkt, oder (wie in der Schule Giotto’s) sich der baulichen Gewölbeeintheilung strenge untergeordnet. Zur Blüthezeit der Renaissance hatten in den besten Gebäuden nur Kuppeln und Halbkuppeln figürliche Darstellungen; die übrigen Gewölbe waren cassettirt. Michelangelo, der das Gewölbe der Sistina ausmalte, zog doch für die Hauptgewölbe von S. Peter die vergoldete Cassettirung vor; Coreggio malte nur Kuppeln und Halbkuppeln aus. Auch der Barockstyl begnügte sich noch bisweilen mit einfacher Ornamentirung seiner Tonnengewölbe, doch bald riss die Deckenmalerei Alles mit sich fort; vielleicht zum Theil, weil die handfesten Maler sie schneller und wohlfeiler lieferten als die Stucca- toren ihr sehr massives und kostspieliges Cassettenwerk. Es blieb noch immer der vergoldeten Stuccaturen genug übrig, in Gestalt von Einrahmungen aller Art um die Malereien, auch von Fruchtschnü- ren an Gesimsen, Archivolten u. s. w. Oft sind diese Theile das Beste der ganzen Decoration. (Festons mit besonderer Beziehung auf die Gärtner und Lebensmittelhändler als Stifter, in S. Maria dell’ a Orto zu Rom, Trastevere.) Es giebt Beispiele solcher Einrahmungen, in welchen die unbewegten architektonischen und die bewegten vege- tabilischen Theile mit einem dritten Bestandtheil zusammen ein über- aus glückliches Ganzes ausmachen; dieses dritte ist die Muschel, ein organisches Gebilde und doch in festem Stoff, das gleichsam die Mitte einnimmt zwischen jenen beiden. Freilich entsteht noch öfter eine bombastische Fratze als ein schönes Ornament. Doch wir kehren zur Gewölbemalerei zurück. Decorationsmalereien. Pozzo. Dieselbe drängt sich auf jede Weise ein. Zuerst in die Casset- ten, an die Stelle der Rosetten; sie treibt die Cassette nach Kräften zum Bilde auseinander. In den Kirchen Neapels um 1600 sind die Gewölbe bereits in eine Anzahl meist viereckiger Felder getheilt, alle voll historischer und allegorischer Darstellungen. (Gesù nuovo u. s. w.; a als profanes Gegenstück: Vasari’s Deckengemälde im grossen Saal des Pal. vecchio zu Florenz; alles je naturalistischer, desto unleidlicher.) Dann schafft sie sich bequemere grosse Cartouchen von geschwun- genen Umrissen und füllt dieselben mit ihren Scenen an (Annunziata b in Genua). Endlich nimmt sie das ganze Gewölbe als Continuum in Anspruch. Auch jetzt noch besannen sich die bessern Künstler und suchten dem grossen Vorbild in der Sistina (s. d. Malerei) jene wun- dersame Abstufung von tragenden, füllenden und krönenden Figuren, von ruhigen Existenzbildern und bewegten Scenen abzugewinnen. (Domenichino: Chor von S. Andrea della Valle; als profanes Beispiel: c Galerie des Palazzo Farnese in Rom, von Annib. Caracci.) Im Gan- zen aber schlägt Coreggio’s verführerisches Beispiel siegreich durch; schon hatte man die Kuppeln mit jenen in Untensicht gegebenen Glo- rien, Empyreen und Himmelfahrten anzufüllen sich gewöhnt; jetzt er- hielten fast alle Gewölbe der Kirche solche Glorien, umrandet von Gruppen solcher Figuren, welche auf der Erde zu stehen censirt sind. Der Styl und die illusionäre Darstellungsweise wird uns bei Anlass der Malerei beschäftigen; hier constatiren wir nur die grosse Abtre- tung, welche sich die Architektur gefallen lässt. — Es war ein rich- tiges Bewusstsein, welches den Pater Pozzo dazu trieb, diesen Ge- stalten und Gruppen einen neuen idealen Raum zur Einfassung und zum Aufenthalt zu geben, welcher gleichsam eine Fortsetzung der Architektur der Kirche ist, eine möglichst prächtige Hofhalle, über welcher man den Himmel und die schwebenden Glorien sieht. Es gehörte dazu allerdings seine resolute Meisterschaft im perspectivischen Extemporiren von Figuren und Baulichkeiten, seine Herrschaft über die Nuancen des Tones und die ganze volle Sorglosigkeit in allen höheren Beziehungen. Sein Gewölbe in S. Ignazio zu Rom ist uner- d reicht geblieben; er selber hat in S. Bartolommeo zu Modena Gerin- geres geleistet. Andere Male begnügt er sich mit der blossen per- spectivisch gemalten Architektur (Scheinkuppel in der Badia zu Arezzo; e 25* Der Barockstyl. a Saal in der Pinakothek zu Bologna u. A. m.; umständliche Anwei- sungen in seinem Lehrbuch.) Aus der spätesten Zeit des Styles ist b das Gewölbe im Carmine zu Florenz (um 1780, von Stagi ) eine nicht zu verachtende Arbeit, man glaubt aus einem tiefen Prachthof durch eine grössere und zwei kleinere Öffnungen in den Himmel zu schauen. — Gleichzeitig mit Pozzo arbeiteten Haffner und Colonna in vielen Städten Italiens die baulichen Theile der Deckenmalereien. Natürlich konnten sich die Maler nie ein Genüge thun. Welche Kunstgriffe erlaubte man sich bisweilen, um die täuschende Wirkung auf das Äusserste zu treiben! — Die Maler, trotz ihrer „blühenden Palette“, vermochten doch ihren Glorien natürlich nie die Helle des Tageslichtes, geschweige denn den Glanz des Paradieses zu geben; man hatte die Fenster neben der Malerei zur Vergleichung. Es ge- schah nun das Mögliche um sie zu verstecken und nur auf das be- malte Gewölbe, nicht auf die Kirche abwärts wirken zu lassen. Man- sard in seinem Invalidendom baute zwei Kuppeln über einander, die obere mit Seitenfenstern, die untere mit einer Öffnung, welche gross genug war, um die Malereien der obern, nicht aber die Fenster sehen c zu lassen. Am wunderlichsten half sich der Baumeister von S. An- tonio zu Parma (der jüngere Bibiena , um 1714). Er baute im Langhaus zwei Gewölbe übereinander, gab dem obern starkes Seiten- licht, und liess im untern eine Menge barocker Öffnungen, durch welche man nun die himmlischen Personen und Engel an der obern Decke hell beleuchtet erblickt. Als Scherz liesse sich der Gedanke auf ansprechendere Weise verwerthen. Die daneben noch immer, hauptsächlich in Venedig und Neapel üblichen, mit einem System von Einzelgemälden überzogenen Flach- decken erschienen als ein „überwundener Standpunkt“ neben solchen Kühnheiten; der Ton dieser Ölgemälde war schwer und dunkel neben den fröhlichen Farben des Fresco. Als endlich in Venedig Tiepolo die Glorienmalerei in Fresco einführte, ging er mit kecker Übertrei- bung über alles Bekannte hinaus. Die erstaunlichsten Excesse beginnen überhaupt erst mit dem XVIII. Jahrhundert. In der Absicht, das Raumverhältniss der himm- lischen Schwebegruppen recht deutlich zu versinnlichen und den Be- schauer von deren Wirklichkeit zu überzeugen, liess man die Arme, Decorationsmalereien. Das Ensemble. Altäre. Beine und Gewänder einzelner Figuren über den gegebenen Rahmen hervorragen (auf vorgesetzten ausgeschnittenen Blechstücken). Die Figuren der Kuppelpendentifs z. B. sind seitdem in der Regel mit solchen Auswüchsen behaftet. Ganz drollig wird aber die Prätension auf Täuschung, wenn einzelne Engelchen und allegorische Personen ganz aus dem Rahmen herausgeschwebt sind und nun, an irgend einem Pilaster weislich festgenietet, ihre blechernen Füsse und Flügel über die architektonischen Profile hinausstrecken. Wen dergleichen inter- essirt, der durchgehe die Kuppelchen der Nebenschiffe in S. Am- a brogio zu Genua, einer der belehrendsten Kirchen im Guten wie im Schlimmen. Von dieser Art und Massenhaftigkeit ist die Decoration, welche „zusammenwirken“ soll. Es ist überflüssig, näher zu erörtern, wie hier Eines das Andere übertönt und aufhebt, wie die einzelnen Theile, jeder von besondern Präcedentien aus, ihrer besondern Entartung entgegeneilen und wie sie einander gegenseitig demoralisiren, die Farbe die bauliche und die plastische Form und umgekehrt. Keines nimmt Rücksicht auf die Mass- und Gradverhältnisse der andern. Und doch sind Wohlräumigkeit und gedämpftes Oberlicht so mächtige Dinge, dass man in manchen dieser Kirchen mit Vergnügen verweilen kann. Selbst die decorative Überladung hat ihre gute Seite: sie giebt das Gefühl eines sorglosen Reichthums; man hält sie für lauter Improvisation höchst begabter Menschen, welche sich nur eben diessmal hätten gedankenlos gehen lassen. Die geschichtliche Betrachtung modificirt freilich diess Vorurtheil. Die übelsten Eigenschaften des Styls culminiren allerdings in dem centralen Prachtstück der Kirchen: dem Hochaltar, und in den Al- tären überhaupt. Der Wandaltar, zur Zeit der Renaissance so oft ein Kunstwerk hohen Ranges, verarmt hauptsächlich in Rom durch den Gebrauch äusserst kostbarer Steinarten zu einem colossalen, form- losen Rahmen mit Säulenstellungen. (Cap. Pauls V in S. M. maggiore; b linkes Querschiff des Laterans etc.) Gegen die Mitte des XVII. Jahr- hunderts nimmt er dann die borrominesken Schwingungen des Grund- plans, die Brechungen und Schneckenlinien des Giebels an, welche Der Barockstyl. schon an den Fassaden, nur gemässigter, vorkommen. — Noch schlim- mer geberdet sich der isolirte Altar, welcher, von der Rücksicht auf die Wand entbunden, eine wahre Quintessenz aller übelverstandenen Freiheit enthält. Ohne Oberbau wird er ein ganz formloses Gerüst a in Gestalt eines grossen Kreissegmentes (Hochaltar von S. Chiara in Neapel); mit einem Oberbau oder Tabernakel, als sog. Altare alla romana, bietet er vollends die abschreckendsten Formen dar. Ber- nini’s Frechheit stellte mit dem ehernen Tabernakel von S. Peter die Theorie auf: der Altar sei eine Architektur, deren sämmtliche Einzelformen in Bewegung gerathen. Seine gewundenen und geblüm- ten Säulen Die gewundenen Säulen des frühmittelalterlichen Altarraumes, wovon einige * jetzt in der Capella del Sagramento, entschuldigen ihn nicht. Siehe Rafaels Fresco: die Schenkung Constantin’s. , sein geschwungener Baldachin mit den vier Giebel- schnecken haben grösseres Unheil gestiftet, als die Fassaden Borro- mini’s, welche um Jahrzehnde später, ja vielleicht nur Weiterbildungen des hier zuerst ausgesprochenen Princips sind. — Ausserhalb Roms wird der Altare alla romana meist als Prachtgehäuse für eine Statue oder Gruppe behandelt. Und hier begegnen wir noch einmal dem Pozzo, welcher in der ganzen Altarbaukunst sein Äusserstes gelei- stet hat. Vier Säulen erschienen ihm viel zu mager; man muss in b der Jesuitenkirche zu Venedig sehen, wie er zehn Säulen mit ge- schwungenen Gebälkstücken zu einer Art von Tempel verband; noch c schrecklicher aber ist sein Hochaltar a’ Scalzi ebenda. Unter seinen d Wandaltären ist der des heil. Ignatius im linken Querschiff des Gesù in Rom berühmt durch ungemeine Pracht des Stoffes und Vollstän- digkeit des Schmuckes (Nebengruppen, eherne Communionbank etc.). Andere in S. Ignazio u. s. w. Die Klöster der mächtigern Orden nehmen in dieser Zeit den Charakter einfacher Pracht, vor Allem der Grossräumigkeit an. Ausser den Jesuiten verstanden sich hierauf besonders die Philippiner (Padri dell’ oratorio); an grossartigen Benedictinerabteien dieser Zeit möchte dagegen Deutschland beträchtlich reicher sein als Italien. Altäre. Klöster. Hallen. Wer würdige, bequem geordnete Räume gerne besucht, wird in den Capitelsälen, Refectorien und Sacristeien dieser Klöster sein Ge- nüge finden; das eichene, oft geschnitzte Getäfel der untern Theile der Wand, die hoch angebrachten Fenster, die Stuccaturen und die bisweilen werthvollen, oft brillanten Fresken der gewölbten Decke und des obern Theiles der Mauern geben den Eindruck eines Gan- zen, welches in dieser Einfachheit, Fülle und Gleichartigkeit nur einer wohlgesicherten Corporation und zwar nur einer geistlichen angehören kann. Die Corridore sind gewaltig hoch und breit, die Treppen geben oft denjenigen der grössten Paläste nichts nach. Die Hallen der Höfe unterliegen, wie der meiste Hallenbau die- ser Zeit, einer öden, interesselosen Pfeilerbildung; auch zeigt ihre übergrosse Einfachheit, dass ihnen lange nicht mehr derjenige Werth beigelegt wird, wie zur Zeit der Renaissance. Indess giebt es ein- zelne höchst glänzende Ausnahmen; und zwar sind es die wenigen Fälle, da der Barockstyl sich entschloss, Bogen auf Säulen zu setzen. Im Einklang mit den übrigen Dimensionen wurden die Bogen gross und weit, mussten daher auf je zwei mit einem Gebälkstücke ver- bundene Säulen zu ruhen kommen (S. 377, c). Wir fanden diese Hal- lenform bereits in dem herrlichen Universitätsgebäude zu Genua (S. 353, e); ein anderes Beispiel, ebenfalls ein früheres Jesuitencollegium, ist der Hof der Brera in Mailand, einer der mächtigsten des ganzen a Styles, von Richini; mit der Doppeltreppe und den zahlreichen Denkmälern des untern und des obern Porticus einer der ersten gross- artig südlichen Baueindrücke, welche den vom Norden Kommenden erwarten. An den Palästen dieser Zeit ist, was zunächst die Fassaden anbelangt, das Gute nicht neu und das Neue nicht gut. Die bessern von denjenigen, welche nur die Traditionen aus der Zeit des Sanso- vino, Vignola, Alessi und Palladio wiederholen, sind zum Theil schon bei Anlass dieser ihrer Vorbilder genannt worden. Der Barockstyl. Im Allgemeinen haben diejenigen ohne Pilasterbekleidung das Übergewicht; bei der bedeutenden Grösse und Höhe der Gebäude war es aus ökonomischen und baulichen Gründen gerathen, darauf zu verzichten; auch waren die Pilasterordnungen nicht leicht in Einklang zu bringen mit den Fenstern der kleinen Zwischenstockwerke (Mez- zaninen), welche zur Zeit der Renaissance entweder halb verhehlt, d. h. in die Friese verwiesen, oder doch ganz anspruchlos angebracht wur- den, jetzt dagegen sich einer gewissen Grösse und Ausschmückung erfreuen sollten, sodass das Mezzanin ein eigenes Stockwerk wird. Paläste mit Einer Ordnung, wie die Nachfolger Palladio’s sie ent- warfen, passten z. B. für die pompliebenden römischen Fürstenfamilien nicht mehr. Die unschöne und leblose Einrahmung der Mauertheile in Felder, welche seit dem XVII. Jahrhundert häufig vorkömmt, soll eine Art von Ersatz bieten, da einmal das Auge die verticale Glie- derung nicht gerne völlig entbehrt. Das Detail unterliegt theils einer reich barocken, theils einer wüsten und rohen, missverständlich von der Rustica abstrahirten Bildung; auch wo es verhältnissmässig rein bleibt, sieht man ihm die Theilnahmlosigkeit an, womit es, bloss um seine Stelle zu markiren, gebildet wurde. An den Kranzgesimsen tritt, während man vor demjenigen des Pal. Farnese in Rom (S. 331, d) noch immer die grösste Verehrung zu empfinden vorgab, eine er- staunliche Willkür zu Tage, indem Jeder neu sein wollte. — Eine wirkliche Neuerung waren, beiläufig gesagt, die grossen Portale; die Zeit des Reitens begann der Zeit des Fahrens Platz zu machen. — Der einzige mögliche Werth der Gebäude liegt natürlich nur in den Proportionen. a Die beste römische Fassade dieser Zeit ist die des Pal. Sciarra, von Flaminio Ponzio, vermöge der einfachen aber nachdrücklichen Detailbildung und der reinen Verhältnisse der Fenster zur Mauermasse, sowie der Stockwerke unter sich. Durch grossartige Behandlung des Mittelbaues in drei Ordnungen mit offenen Bogenhallen zeichnet sich b Pal. Barberini aus (von Maderna und Bernini ). Die Fassade des d Quirinals gegen den Platz (von Ponzio ) zeigt wenigstens eine gross- artige, noble Vertheilung der Fenster. Der berühmte Domenico Fontana ist gerade in dieser Be- ziehung niemals recht glücklich; seine Fenster stehen entweder zu Paläste. eng oder sie haben einen kleinlichen Schmuck, der zu den ungeheuren Fassaden in keiner Beziehung steht. (Pal. des Laterans in Rom; Mu- a seum — einst Universität — und Palazzo reale in Neapel.) Sein Werth liegt in den Dispositionen. Die meisten übrigen römischen Paläste dieser Zeit sind als grosse Herbergen des hohen Adels und seiner obern und niedern Dienerschaft erbaut; Zahl und Ausdehnung der Stockwerke sind Sache der Con- venienz, und damit auch die Composition im Grossen. Die eine Fas- sade ist besser als die andere, allein keine mehr eine freie künstleri- sche Schöpfung, obwohl die Grösse des Massstabes und die Solidität des Baues immer einen gewissen Phantasieeindruck hervorbringen. — Die Fassaden Neapels stehen in jeder Beziehung um ein Bedeutendes tiefer; in Florenz, Venedig und Genua herrschen die aus der vorher- gehenden Periode ererbten Typen weiter. (Seite 327, 345, 354.) Die Höfe der Paläste werden jetzt häufiger geschlossen als mit Hallen versehen und haben dann eine ähnliche Architektur wie die der Fassade, oder ihre Hallen zeigen einen nicht bloss schlichten, son- dern gleichgültigen Pfeilerbau. Wo aber Säulenhöfe verlangt wer- den, kommt es gerade wie in jenen Jesuitencollegien zu einzelnen, leichten, prächtigen Bogenhallen auf gedoppelten Säulen. So im Pal. Borghese zu Rom (von Mart. Lunghi d. ä.); oft erhält wenigstens b die eine Seite eine hohe, gewaltige Loggia; so im Pal. Mattei (von c Maderna ). Der grosse Hof des Quirinals (von Mascherino ) wirkt d ganz imposant durch die einfache durchgehende Pfeilerhalle, welche an der Seite der päpstlichen Wohnung sich zu einer offenen Loggia steigert. Wo der Zweck des Gebäudes einfache Säulen mit Bogen rechtfertigte, entstand auch wohl noch eine Halle im Sinne der frü- hern Renaissance, wie z. B. der grosse Hof im Ospedale maggiore e zu Mailand (von Richini ); ein trotz manchem barocken Detail schönes und majestätisches Bauwerk. Bei dem so grossen perspectivischen Raffinement des Barock- styles konnten auch die Höfe nicht leer ausgehen. Der Durchblick vom Portal her sollte jenseits des Hofes womöglich nicht nur auf einen bedeutenden Gegenstand, etwa Brunnen mit Statuen, sondern auf eine Architektur auslaufen, welche wenigstens scheinbar in weite Tiefe hineinführte. Auch wo die Hinterwand des Hofes nur eine schlichte Der Barockstyl. Mauer ist, wird irgendwie für ein solches Schaustück gesorgt, und wenn man es auch nur hinmalen müsste. Wo ein hinterer Durch- gang ist, wird er mit grossartigen Formen umgeben und auf diese Weise irgend eine bedeutende Erwartung geweckt. Der Hof der a Consulta beim Quirinal (von Fuga ) giebt, vom vordern Portal aus gesehen, ein solches Scheinbild, dem das Ganze des Hofes gar nicht b entspricht. Im Pal. Spada zu Rom hat Borromini von der linken Seite des Hofes aus nach einem Nebenhof einen Säulengang ange- legt, dessen wahre Länge das Auge nicht gleich erräth. — Wie schon in der vorigen Periode, z. B. in den Palästen von Genua, auf solche Durchblicke hingearbeitet wurde, ist oben (Seite 350) nachzulesen. — c Am Palast von Monte Citorio in Rom (von Bernini und Carlo Fontana ) ist der ganze halbrunde Hof mit der Brunnenschale in der Mitte nur auf den Durchblick aus dem Vestibul berechnet. Der Stolz der damaligen Paläste sind aber vorzugsweise die Treppen. Wer irgend die Mittel aufwenden kann, verlangt breite, niedrige Stufen, bequeme Absätze, steinerne (selten eiserne) Balustra- den und eine reiche gewölbte Decke. Als das Ideal der Treppenbau- d kunst galt Bernini’s Scala regia im Vatican mit ihren ionischen Säulenreihen und ihrer kunstreich versteckten Verengerung. Man wird in der That zugeben müssen, dass auf einem so geringen Raum nichts Imposanteres denkbar ist. In den Palästen der neuen Nepotenfamilie e Corsini zu Rom (von Fuga) und zu Florenz sind dagegen den Dop- peltreppen eigene grosse Gebäude gewidmet; es war das einzige, wo- durch man die Paläste vor denjenigen des ältern Adels ganz ent- f schieden auszeichnen konnte. Die Treppe des Pal. Lancellotti in Velletri (von Mart. Lunghi d. ä.) ist schon um der Aussicht willen, die g von ihren Bogenhallen eingefasst wird, einzig auf Erden. — In eini- gen Palästen von Bologna (z. B. Pal. Fioresi) erblickt man durch eine Öffnung des Plafonds die hellbeleuchtete, mit einem Frescobilde versehene Decke eines obern Raumes. Wiederum eines jener Mittel, durch welche der Barockstyl die Voraussetzung einer viel grössern Ausdehnung und Pracht zu erwecken weiss, als wirklich vorhanden ist. (Vgl. Seite 380, u. m. a. Stellen.) Was an obern Vestibulen, Vorsälen u. s. w. Gutes ist, beruht meist auf der Wiederholung früherer Motive. Paläste. Treppen. Säle. Die Gemächer und Säle des Innern zeigen zweierlei Gestalt. Die frühere (etwa 1580—1650 herrschende) hat folgende Elemente: eine flache geschnitzte oder mit Ornamenten (zweifarbig, mit etwas Gold) bemalte Sparrendecke; unterhalb derselben ein breiter Fries mit Historien oder Landschaften in Fresco; über dem Kamin ein grösseres Frescobild; der Rest der Wand entweder vertäfelt oder (ehemals) mit Tapeten, etwa gemodelten Ledertapeten, bezogen. Die spätere Gestalt zeigt Säle mit verschalten Gewölben, an welche die Fresken verlegt werden; die Wand entweder ganz mit Tapeten bedeckt, oder auch mit grossen Perspectiven bemalt. — In den Palä- sten von Bologna herrscht der erstere Typus vor; in denjenigen von Genua mischen sich beide Gattungen; in Rom enthält z. B. Pal. Cos- a taguti ausgezeichnete Beispiele beider, Pal. Farnese aber ausser dem b grossen Saal (S. 296, c) die berühmte Galeria des Annibale Caracci, welche eines der wenigen ganz architektonisch und malerisch durch- geführten Prachtinterieurs dieser Zeit ist. Phantasiereiche Prachtsäle wird man durchschnittlich eher in den Villen zu suchen haben, wo das doppelte Licht, von vorn und von der Rückseite, benützt wurde und wo das Erdgeschoss nicht durch die Einfahrten in Anspruch genommen war. In dem Casino der Villa c Borghese (von Vasanzio ) kömmt noch ein Luxus der Incrustation hinzu, welcher dem hintern Saal einen wahrhaft einzigen Stoffwerth giebt. (Die Verwendung der Steine besonnener und geschmackvoller als in irgend einer Kirche.) Das Prachtstück der Paläste war jetzt nicht der grosse, mittlere, quadratische, sondern ein schmaler länglicher Saal, etwa mit Säulen- stellungen und bemaltem Gewölbe, la galeria genannt. Sehr statt- lich im Palazzo reale zu Genua, im Pal. Doria zu Rom und im Pal. d Colonna ebenda (von Antonio del Grande ). — Von eigentlichem Rococo findet man in Italien nicht eben viele Proben, da die pla- stische Durchführung der Wanddecoration, wo sie versucht wurde, zu viele inländische Vorbilder fand; doch ist der berühmte Saal des Pal. Serra in Genua (Str. nuova), von dem Franzosen de Wailly, e auch nach Versailles noch sehr sehenswerth als eine der schönsten und ernsthaftesten Schöpfungen dieses Styles, schon mit einem Anflug des wiedererwachenden Classicismus. Der Barockstyl. Die Gesimse machen nicht selten einen phantastischen Über- gang zu den gemalten Gewölben, durch barocke Steigerung, Schwin- gung und Unterbrechung; die Stuccofiguren, welche aus ihrem Laub- werk hervorkommen, werden schon in die am Gewölbe gemalte Hand- lung gleichsam mit hineingezogen. Weit das Bedeutendste dieser Art a sind die von Pietro da Cortona angegebenen Gesimse in den von ihm gemalten Sälen des Pal. Pitti zu Florenz. Wenn diese ganze Decorationsweise ein Irrthum ist, so wird wohl nie ein Künstler mit grösserer Sicherheit geirrt haben. Andere Rahmen als diese Gesimse darbieten, lassen sich zu diesen Malereien gar nicht ersinnen. Wie die damalige Baugesinnung im Grossen zu rechnen gewohnt war, zeigt sich besonders an einigen Bauten in Rom, welche ausser- halb Italiens und vollends in unserm Jahrhundert kaum denkbar wären. Die Architekten mögen sich z. B. fragen, in welcher Form b gegenwärtig eine grosse Treppe von Trinità de’ Monti nach dem spa- nischen Platz hinab angelegt werden würde? und ob man es wohl wagen würde, Rampen und Absätze anders als in rechten Winkeln an einander zu setzen? Specchi und De Santis, welche (1721 bis 1725) die jetzt vorhandene Treppe bauten, wechselten beneidens- werth leichtsinnig mit Rampen und Absätzen der verschiedensten Grade und Formen und sparten die interessantern Partien, nämlich die Ter- rassen, für die obern Stockwerke Auf diese Weise liess sich auch am ehesten die bedeutend schiefe Richtung der Treppe (aufwärts nach links) verdecken. . Sie fanden eine Vorarbeit in c der 1707 erbauten Ripetta, welche vielleicht praktischer, aber nicht leicht malerischer hätte angelegt werden können. — Wiederum eine d ganz einzige Aufgabe gewährte Fontana di Trevi . Einst hatten Domenico Fontana die Acqua Felice bei den Diocletiansthermen, Gio- vanni Fontana die Acqua Paolina aus geistlos decorirten colossalen Wänden mit Nischen hervorströmen lassen und dem Wasser erhöhte Becken gegeben. Niccolò Salvi dagegen ersetzte das Architekto- nische durch das Malerische; um das Wasser in allen möglichen Functionen und Strömungsarten und doch überall mächtig (nicht in kleinlichen Künsten) zu zeigen, liess er es aus einer Gruppe von Fel- Stadttreppen. Brunnen. Wahl der Bauplätze. sen entspringen und legte das Becken in die Tiefe, als einen See. Die Sculpturen und die das Ganze abschliessende Palastfassade sind wohl blosse Decorationen, letztere aber mit dem triumphbogenartigen Vortreten ihres Mittelbaues, wodurch Neptun als Sieger verherrlicht wird, giebt doch dem Ganzen eine Haltung und Bedeutung, welche jenen beiden andern Brunnen fehlt. Die Brunnen auf öffentlichen Plätzen und in Gärten (s. unten) haben meist sehr barocke und schwere Schalen ( Bernini’s Bar- a caccia, auf dem spanischen Platz etc.) Doch giebt es einige, in welchen die einfache Architektur mit dem springenden und ablaufen- den Wasser ein vortreffliches Ganzes ausmacht; so die beiden unver- gleichlichen Fontainen vor S. Peter (von Maderna ), diejenigen im vor- b dern grossen Hof des Vaticans, im Hof des Palastes von Monte Gior- dano u. s. w. Von solchen, deren Hauptwerth auf plastischen Zuthaten beruht, wird bei Anlass der Sculptur die Rede sein. Endlich ein Vorzug, wonach die bessern Baumeister aller Zeiten gestrebt haben, der aber damals besonders häufig erreicht wurde. Schon abgesehen von den perspectivischen Reizmitteln am Ge- bäude selbst ist nämlich anzuerkennen, dass der Barockstyl sehr auf eine gute Wahl des Bauplatzes achtete. In tausend Fällen musste man natürlich vorlieb nehmen mit dem Raum, auf welchem eine frühere Kirche, ein früherer Palast wohl oder übel gestanden hatte. Wo aber die Möglichkeit gegeben war, da wurden auch be- deutende Opfer nicht gescheut, um ein Gebäude so zu stellen, dass es sich gut ausnahm. Man wird z. B. in Rom bemerken, wie oft die Kirchen den Schluss und Prospecteiner Strasse bilden; w ie vorsich- tig die Jesuiten den Platz vor S. Ignazio so arrangirt haben, dass er c ihrer Fassade zuträglich war; wie Vieles geschehen musste, um der Chorseite von S. Maria maggiore die Wirkung zu sichern, die sie jetzt d (wahrlich nicht Styleshalber) ausübt; wie geschickt die Ripetta (1707) zu der schon früher vorhandenen Fronte von S. Girolamo hinzu- e geordnet ist u. dgl. m. Auch in dem engen Neapel hat man um je- den Preis den wichtigern Kirchen freie Vorplätze geschaffen, ja selbst in Genua. Der Hochbau wird selbst bei geringen Kirchen da ange- Der Barockstyl. wendet, wo man damit einen bedeutenden Anblick hervorbringen, einen Stadttheil beherrschen konnte. Wie schmerzlich würde das Auge a z. B. in Florenz S. Frediano, in Siena Madonna di Provenzano ver- missen, die doch vermöge ihres Styles keinerlei Theilnahme erwecken. b In Venedig hat schon Palladio sein schönes Inselkloster S. Giorgio maggiore so gewendet, wie es der Piazzetta am besten als Schluss- decoration dienen musste. Vollends sind die Dogana di mare (1682) c und die Kirche della Salute (1631) mit aller möglichen perspectivi- schen Absicht gerade so und nicht anders gestaltet und gestellt wor- den. Longhena , der die Salute baute, wusste ohne Zweifel, wie sinnwidrig die kleinere Kuppel hinter der grössern sei, aber er schuf mit Willen die prächtigste Decoration; ausser den beiden Kuppeln noch zwei Thürme; unten ringsum Fronten, die theils von S. Giorgio, theils von den Zitelle (Seite 363, b) geborgt sind; überragt von unge- heuern Voluten und bevölkert von mehr als 100 Statuen. Wie sich der so vielgebrochene Umgang des Achtecks im Innern ausnehmen würde, kümmerte den Erbauer offenbar wenig. (Das Achteck selbst ist innen ganz nach S. Giorgio stylisirt; dahinter folgt ausser dem zweiten Kuppelraum noch ein Chor.) Und wie grundschlecht die ganze Decoration von hinten, von der Giudecca aus sich präsentiren müsse, war ihm vollends gleichgültig. Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts werden zuerst Anläufe, dann ernstliche Versuche zur Erneuerung des echten Classicismus ge- macht. Es sind für Italien weniger die Stuart’schen Abbildungen der Alterthümer von Athen, als vielmehr neue ernstliche Studien der rö- mischen Ruinen, welche im Zusammenhang mit andern Bewegungen des italienischen Geistes den Ausschlag geben. Ganz speciell war das Detail des Barockstyls dermassen ausgelebt, dass der erste Anstoss ihm ein Ende machen musste; schon etwa seit 1730 hatte man lieber ganz matte, leere Formen gebildet, als jenen colossalen Schwulst wiederholt, zu welchem seit Pozzo und den Bibiena Niemand mehr die erforderliche Leidenschaft und Phantasterei besass. Der Cultus Palladio’s in Oberitalien (Seite 364) kam der neuen Regung nicht wenig zu Hülfe. Anfänge des neuen Classicismus. Bisweilen zeigt sich dieses Neue in wunderlicher Zwittergestalt. Die Kirche und der Vorplatz des Priorato di Malta in Rom geben a vollständig denjenigen Haarbeutelstyl wieder, welchen man um 1770 in Frankreich „à la grecque“ nannte; ein Werk desselben Piranesi, der um die genaue Kenntniss des echten römischen Details sich so grosse Verdienste erwarb. — Der grösste italienische Baumeister dieser Zeit ist wohl Michelangelo Simonetti, welcher unter Pius VI im Vatican u. a. die Sala delle muse, Sala rotonda und Sala a croce b greca nebst der herrlichen Doppeltreppe errichtete; edle und für Auf- stellung von Antiken auf immer classische Räume, welche die Stim- mung des Beschauers leise und doch mächtig steigern. (Eine nicht unwürdige Nachfolge aus unserm Jahrhundert: der Braccio nuovo, von Raffaelle Sterni ). — Die Familie Pius VI baute durch Mo- relli den Pal. Braschi, welcher die Compositionsweise der vorigen c Periode merkwürdig in classisches Detail übersetzt zeigt, vorzüglich aber durch seine prächtige Treppe berühmt ist. Ausserhalb Rom ist nicht eben vieles von diesem Styl vorhanden, oder das Bessere ist dem Verfasser entgangen. In Bologna wird man mit Vergnügen den Pal. Ercolani besuchen, welcher zwar seine Ga- d lerie eingebüsst, aber Venturoli’s herrliches grosses Treppenhaus mit Pfeilerhallen oben ringsum beibehalten hat. In Genua ist ausser dem schon genannten Treppenhaus Tagliafico’s im Pal. Filippo e Durazzo (S. 345, f) die jetzige Fronte des Dogenpalastes, ein schönes f Werk des Tessiners Simone Cantoni, zu erwähnen; der Saal des ersten Stockwerkes entspricht freilich seinem Ruhm nicht ganz. Seit 1796 wurde Italien in Weltschicksale hineingezogen, welche seinen Wohlstand vorläufig zernichteten und einen starken Riss in seine Geschichte machten. Wir versagen uns die Schilderung seiner Kunst im laufenden Jahrhundert. Im XVII. Jahrhundert bildete sich der italienische Gartenstyl zu seiner höchsten Blüthe aus, dem wir hier als wesentlicher Ergän- zung zur modernen Architektur eine besondere Betrachtung schuldig Villen und Gärten. sind. (Der Verfasser ersucht um Nachsicht wegen seiner mangelhaften Kenntniss des Gegenstandes.) Die Anfänge dieses Styles sind unbekannt. Man liest wohl von einzelnen prächtigen Anlagen aus dem XV. Jahrhundert und die Hin- a tergründe damaliger Malereien (Benozzo Gozzoli im Campo santo zu Pisa etc.) geben auch eine Art von Phantasiebild, allein keine dieser Anlagen ist irgend kenntlich erhalten. Im XVI. Jahrhundert möchte Bramante’s ursprünglicher Ent- b wurf zu dem grossen vaticanischen Hof (Seite 306) eine bedeutende Anregung zu grandioser künstlerischer Behandlung der Gärten gege- ben haben, besonders durch die Doppeltreppe mit Grotten, deren Stelle jetzt die Bibliothek und der Braccio nuovo einnehmen. Der jetzige c grosse Garten hinter dem Vatican rührt auch noch aus dem XVI. Jahr- hundert her und giebt wenigstens einen Begriff von den Hauptprin- cipien der spätern Gartenkunst: Anlage in architektonischen Linien, welche mit den Gebäuden in Harmonie stehen; ein tiefliegender wind- geschützter Prunkgarten mit figurirten Blumenbeeten und Fontainen; umgeben durch hochliegende Terrassen (als stylisirten Ausdruck des Abhanges) mit bedeutender immergrüner Vegetation, besonders Eichen. Vielleicht hat gerade die Villa Pia ihre echte alte Umgebung nicht mehr (Seite 316, e). Das reichste, durch Naturvorzüge ewig unerreichbare Beispiel eines d Prachtgartens bietet dann die schon 1549 angelegte Villa d’Este in Tivoli. Der steile Abhang und die vom Gewaltigen bis ins Nied- liche unter allen Formen benützte Wassermasse des Teverone waren Elemente, die anderswo sich nicht wieder so zusammenfanden. Das zu Grunde liegende Gefühl ist übrigens noch ganz das phantastische des XVI. Jahrhunderts, welches steile Absätze und den Abschluss der Perspective durch wunderliche Gebäude und Sculpturen liebte. e Als kleinere Anlage aus nicht viel späterer Zeit ist der schöne Garten des Pal. Colonna in Rom zu nennen. Die drei bedeutendsten rö- mischen Gartenanlagen des XVI. Jahrhunderts sind freilich unterge- gangen (bei Villa Madama, bei Vigna di Papa Giulio und die Orti Farnesiani auf dem Palatin, eine Schöpfung Vignola’s), sodass ein Durchschnittsurtheil kaum zu geben ist. Der Garten an der Farnesina im Trastevere hat keinen höhern Zusammenhang mit dem Gebäude. Villen und Gärten. In Genua ist der Garten des Pal. Doria eine ziemlich alte a Anlage (seit 1529); die Treppen zum Theil mit Bogenhallen bedeckt; die Gestalt der Hauptfontaine (mit der Statue des Andrea Doria als Neptun) vielleicht der älteste erhaltene Typus dieser Art. In Florenz entstand der Garten Boboli unter der Leitung des b Bildhauers Tribolo und später des Architekten Buontalenti, schon zur Zeit Cosimo’s I. Die Wasserarmuth des Hügels, welche nur wenige Fontainen und ein Becken in der Tiefe gestattete, wird vergütet durch die Schönheit der Aussicht; das Motiv des Circus an der Stelle des Prunk- gartens, mit der Umgebung von Eichen-Terrassen, ist grossartig und glücklich als Fortsetzung der Seitenflügel des Hofes in’s Freie ge- dacht; zu den hintern, tiefliegenden Theilen mit Gian Bologna’s Insel führt jene steile Cypressenallee, die als solche kaum mehr ihres Glei- chen hat, während es anderwärts viel schönere einzelne Cypressen giebt. Sie ist ein wahrhaft architektonischer Gedanke. Prachtgärten wurden eine mediceische Leidenschaft und der schon genannte Buontalenti legte für Cosimo und Francesco deren mehrere an, worunter der berühmte von Pratolino. Die ganze Gat- c tung blieb, beiläufig gesagt, fortwährend ein Zweig der Baukunst und eine Sache der Architekten, welchen sie auch von Rechtswegen ge- hörte. (Wenn auch Ludwig XIV seinen besondern Gartenmeister Le Notre hatte, so sind doch dessen Anlagen so architektonisch als irgend welche jener Zeit; in Rom gehört ihm Villa Ludovisi, s. unten.) Die berühmten Anlagen der letzten Herzoge von Ferrara sollen sämmtlich untergegangen oder unkenntlich geworden sein. Vom Ende des XVI. Jahrhunderts an bildet sich das System der italienischen Gartenkunst vollständig aus. Das Bunte und Kleinliche verschwindet oder wird versteckt und dann oft in grosser Masse an- gewendet; die Wasserorgeln, Windstösse, Vexirstrahlen und was sonst von dieser Art die Besitzer glücklich machte, bekommen ihre beson- dern Grotten, der Garten aber wird harmonischer als früher den grossen Linien und Perspectiven, den möglichst einfachen Contrasten gewidmet. Auch in den Wasserwerken herrscht das Barocke nicht B. Cicerone. 26 Villen und Gärten. so vor, wie man wohl annimmt und einzelne davon sind so schön und ruhig componirt, so zur Umgebung gedacht, dass sich nichts Vollkommneres in dieser Art ersinnen lässt. Das Ganze hat nun einen Zweck, welcher demjenigen des sog. englischen Gartens geradezu ent- gegengesetzt ist. Es will nicht die freie Natur mit ihren Zufälligkeiten künstlich nachahmen, sondern die Natur den Gesetzen der Kunst dienstbar machen. Wo man krumme Wege, Einsiedeleien, Chinoiserien, Stroh- hütten, Schlossruinen, gothische Capellen u. dgl. antrifft, da hat mo- dernste Nachahmung des Auslandes die Hände im Spiel gehabt * Man versäume nicht, sich zur Villa Torlonia vor Porta Pia Einlass zu verschaffen. Sie enthält den ganzen Cursus der romantischen Gartenkunst gegenüber der classischen in den ältern Villen. . Der Italiener theilt und versteht die elegische Natursentimentalität gar nicht, wovon diess die Äusserungen sind oder sein sollen. Das Wesentliche des italienischen Gartens ist vor Allem die grosse, übersichtliche, sym- metrische Abtheilung in Räume mit bestimmtem Charakter. Zunächst ist der genannte Prunkgarten und seine Umgebung von Terrassen mit Balustraden und Rampentreppen der reichsten architektonischen Ausbildung fähig, durch halbrunden Abschluss (als sog. Teatro), durch Abstufung, durch Grotten und Fontainen; insgemein steht er im nächsten Zusammenhang mit dem Gebäude der Villa. Dann wer- den Thäler und Niederungen stylisirt durch Absätze, und das in stets gerader Linie durchfliessende Wasser zu Bassin’s erweitert und wo- möglich zu Cascaden aufgesammelt, deren mässiges Träufeln durch architektonischen und mythologischen Schmuck motivirt wird und daher nicht lächerlich erscheint, wie der künstliche Naturwasserfall des eng- lischen Gartens bei ähnlicher Armuth. Oder es wird eine Niederung als Circus gestaltet (und sogar als solcher gebraucht). Oder ein ganzes Thal, eine ganze Gegend wird auch einer bestimmten Vegetation über- lassen, doch nicht bis zum vollen Eindruck des Ländlichen; den Pi- a nienhain der Villa Pamfili z. B. wird Niemand für einen wild ge- wachsenen Pinienwald halten. Sodann erhalten die (sämmtlich gerad- linigen) Gänge, die womöglich auf bedeutende Ausblicke, auch auf Brunnen und Sculpturen gerichtet sind, entweder eine blosse Einfassung oder eine Überwölbung von immergrünen Bäumen; im erstern Fall Villen und Gärten. dichte Cypressenhecken und Lorbeern, im letztern vorzugsweise Eichen. Diese Einfassung macht zugleich die der Öconomie überlassenen Stücke des Gartens unsichtbar. Es wird hier durchaus im Gros sen gerechnet; indess ist nicht zu läugnen, dass ohne die Mitwirkung des Irrationellen, der Bergfernen, der ländlichen oder städtischen A ussichten, auch wohl des Meeres und seiner Küsten der Eindruck vielleicht ein schwerer und drücken- der sein würde. Ein solcher ist (mindestens für mein Gefühl) der des Gartens von Versailles, dessen letzte Perspectiven sich in die unbe- deutendste aller Gegenden verlaufen. Auch die vollkommenste Ebene, wenn sie nur durch Berglinien beherrscht wird, kann sich zum italie- nischen Garten eignen, während hier das so bedeutend behandelte Terrassenwerk die mangelnde Aussicht nicht ersetzt. Der Contrast der freien Natur oder Architektur, welche von aussen in den italieni- s chen Garten hereinschaut, möchte geradezu eine Grundbedingung des Eindruckes sein. Wir beginnen diese zweite Reihe mit der einst herrlichen Villa a Montalto-Negroni auf dem Viminal und Esquilin, angelegt seit etwa 1580, noch in ihrem verwilderten und zum Theil ausgeholzten Zustande schön und ehrwürdig. Das untere Casino ein Bau Dome- nichino’s; sonst im Ganzen mehr das Ländliche als das Bauliche vor- herrschend; bedeutende Mitwirkung der Kirche S. Maria maggiore; vom Cypressenhügel aus eine grandiose Aussicht auf die Campagna. Villa Aldobrandini bei Frascati (der Garten wahrscheinlich b mit dem Palast von Giacomo della Porta angelegt) ist dagegen ein prächtiges, durch hohe natürliche Vortheile begünstigtes Haupt- b eispiel des strengen Styles. Der Prunkgarten auf hoher Terrasse, zu welcher Rampen emporführen; an dessen Rückseite der Palast, an Masse und Styl sehr verschieden von den Casini römischer Stadtvillen, welche blosse Absteige- und Fest-Hallen sein wollen. Dahinter das mächtige Teatro mit Grotten und Fontainen, und über demselben die Eichen, durch deren Mitte die von einer obern Fontaine herunterkom- mende Cascade fliesst; einer Menge Nebenmotive nicht zu gedenken. ( Villa Mattei auf dem Cölius, 1582, ist gegenwärtig und auf c längere Zeit unzugänglich.) 26* Villen und Gärten. a Villa Medici auf Monte Pincio, jetzige Académie de France, ebenfalls vom Ende des XVI. Jahrhunderts; das Gebäude, von Anni- bale Lippi, zeigt wenigstens auf der Rückseite den Charakter der rö- mischen Casini schon ziemlich vollendet: luftige Hallen und Bekleidung der Wandfläche mit antiken Reliefs. Der Prunkgarten (und seine Fort- setzung in grossen einfachen Laubgängen) ist überragt von einer hohen Eichenterrasse, aus welcher eine Stufenpyramide (nicht etwa ein Hü- gel mit Spiralgängen nach Art englischer Gärten) als Belvedere em- porsteigt. b Der Garten des Quirinalischen Palastes, einfach und grossartig, wahrscheinlich von Carlo Maderna (nach 1600), wel- cher wenigstens die Grottenpartie mit den Spielwassern etc. entwarf und sie in eine Ecke links unter der Terrasse des Prunkgartens ver- wies. Das Casino (von Fuga) ist spät und für seine Bestimmung schwer und meschin. c Villa Mondragone bei Frascati, der Riesenbau Paul’s V und seiner Familie, einst (wenigstens dem Entwurf nach) eines der voll- ständigsten Specimina des strengen Styles, ist gegenwärtig in trauri- gem und unschönem Verfall und lohnt den Besuch auch wegen der (von andern Punkten aus reichern) Aussicht kaum. d Villa Borghese vor Porta del Popolo; der ältere Theil mit dem Casino des Vasanzio (S. 395, c), an welches sich der Prunkgarten seitwärts anschliesst, umfasst ausser den mehr ländlichen Theilen und dem (in neuerer Zeit angelegten) Circus auch noch einen besondern archi- tektonisch angelegten Eichenhain, dessen Aesculaptempel, inmitten eines kleinen Sees, indess von neuerem Datum ist. Der zwecklose Vandalismus des Jahres 1849 hat die Hälfte des Hains gefällt. — Die neuern Theile der Villa, bei demselben Anlass verheert, waren in ein- zelnen Partien mehr mit Absicht auf malerisch landschaftliche Wir- kung im Sinn der Schule Poussins angelegt. e Auch Villa Pamfili vor Porta S. Pancrazio hat 1849 stark ge- litten, doch glücklicher Weise nicht in den wesentlichen Theilen. Die Anlage, von Algardi (nach 1650), war durch die grossartigsten Vor- theile, durch herrliche hohe Lage und den Wasserreichthum der Acqua Paolina unterstützt. Ein System von Eichenhallen, rings um eine Wiese, fasst den Blick auf das Casino ein, welches mit antiken Sculp- Villen und Gärten. turen fast bedeckt ist. Hinter demselben, von Eichenterrassen umge- ben, folgt der tiefliegende Prunkgarten und dann eine noch tiefere Fläche, welche ehemals in dichter Laubnacht eine wunderbare Fülle von springenden Wassern längs einer Terrasse und eines Teatro ent- hielt, gegenwärtig aber durch eine höchst unglückliche englische Partie ersetzt wird. Zu beiden Seiten dieser Hauptanlage, namentlich rechts, dehnen sich die mehr ländlichen, aber noch immer in einfachen ar- chitektonischen Gesammtlinien gegebenen grossen Nebenpartien aus: die Anemonenwiese und das Thal mit dem Laghetto; den Abschluss macht jener berühmte Pinienhain, der an gleichartiger Macht der Bäume und Kronen in Italien wohl seines Gleichen sucht. Villa Conti (jetzt Torlonia) bei Frascati macht vielleicht von a allen den reinsten und wohlthuendsten Eindruck, während sie an Ausdehnung und Zahl der Motive von vielen andern Gärten über- troffen wird. Nur eine obere (dichte) und eine untere (lichte) Eichen- terrasse, aber von den herrlichsten Wasserwerken belebt und mit der schönsten Aussicht. Villa Ludovisi auf Monte Pincio, von Le Notre angelegt, b mit einzelnen grandiosen Partien (vorn) und angenehmen Schatten- gängen. Die neuern Theile von buntestem sog. englischem Styl. Der Garten des Pal. Barberini in Rom, ehemals herrlich. c Aus dem XVIII. Jahrhundert stammt zunächst der Garten Cor- d sini am Abhang des Janiculus; nur Ein Motiv ist von strengerm Styl, dieses aber erhaben schön, nämlich die Cascade mit Fontaine zwischen den Ahornbäumen. Villa Albani vor Porta Salara, Gebäude und Garten angelegt e von Carlo Marchionne unter der Leitung des Cardinals Alessan- dro Albani; direktes Übergewicht der architektonischen Linien und der Architektur selbst, unter bedeutender und hier einzig durchgän- giger Mitwirkung antiker Sculpturen; die Eichen nur als Abschluss und Hintergrund; Einzelnes schon mit rein malerischer Absicht angelegt; der Blick auf das Sabinergebirge sehr mit in Rechnung gebracht, und desshalb die vordern Theile ganz licht mit blossen Cypressenhecken. Der Garten des Priorato di Malta auf dem Aventin mit einem f einfachen Laubgang, der direkt auf die Kuppel von S. Peter gerichtet ist. Vielleicht von Piranesi, der wenigstens die Gebäulichkeiten angab. Villen und Gärten. Eine Menge kleinerer Villen verdanken einen bisweilen unbe- schreiblichen Reiz wesentlich ihrer Lage und Aussicht. (Die ruinirte a Vigna Barberini bei S. Spirito; die ebenfalls ganz vernachlässigte Villa Spada hinter der Acqua Paolina, nebst den übrigen Villen des b Janiculus; Villa Spada oder Mills auf dem Palatin, deren erbärmliches jetziges Casino diese Stelle nicht ewig verunzieren wird; der Garten der Passionisten auf dem Coelius u. a. m.). Andere, auch in wenig bevorzugter Lage, enthalten doch einzelne Elemente von grossem Reiz oder erwecken durch ihren Charakter dieselbe Stimmung, welche jene grössern und berühmtern Anlagen hervorrufen. (Mehrere ganz c anspruchlose an der Strasse von den Diocletiansthermen nach Porta S. Lorenzo, andere an der Strasse von S. Maria maggiore nach dem d Lateran; in der Nähe des letztern Villa Massimi und Villa Altieri, letztere mit schönen Laubgängen und einer grossen Pinie, sowie auch Villa Wolkonski, deren Hauptwirkung auf den Trümmern des Aquä- ductes beruht.) Nicht eine Anlage, sondern nur ein wonnevoller Ort war der e Cypressenhain der Villa Poniatowski, nutzlos dem Boden eben gemacht im Jahr 1849. Die Baumfeindschaft ist im heutigen Italien ein populärer Zug. Von den neapolitanischen Villen reicht keine bedeutende über das vorige Jahrhundert hinauf. Die zum Theil ältern Anlagen auf dem Vomero sind im Gartenstyl den römischen auf keine Weise f zu vergleichen, auch ganz wasserlos, allein so gelegen, dass die Aus- g sicht auch die prächtigste Einrahmung würde vergessen machen. Flo- ridiana ist völlig modern, Belvedere zum Theil; Villa Patrizi und Villa Ricciardi (diese mit doppeltem Blick, gegen das Meer und gegen Camaldoli) sind älter; die traumhafte Herrlichkeit der Aus- sicht haben sie mit dem ganzen Höhenzug gemein. Von den Bour- h bonenvillen des vorigen Jahrhunderts nimmt der Park von Caserta, nicht durch Aussicht, allein durch die Anlage, den ersten Rang ein. Ausserdem Capodimonte, Quisisana bei Castellamare, Portici u. s. w. i — Als moderne Gründung ist der hintere Theil der Villa reale in Neapel seiner vielartigen tropischen Vegetation gemäss mit Recht in landschaftlichem, nicht in architektonischem Sinne angelegt. Villen und Gärten. In Genua hemmen die starken Winde den edlern Baumwuchs und die Wasserarmuth der Höhen ringsum fügt eine weitere Ein- schränkung hinzu. Der Garten des Pal. Doria ist, wie bemerkt, a eine alte Anlage; wirksames Terrassenwerk mit Grotten bietet wohl dieses und jenes Landhaus, doch die Gartenanlagen sind vegetabilisch ganz gering. Die kleine Villa des Marchese di Negro ist mehr ein entzückender Punkt als ein wichtiger Garten. Das Schönste was mir bekannt ist, gewährt der Garten des schon genannten Pal. Palla- b vicini ausserhalb Aquasola, welcher eine obere und eine untere Ter- rasse mit Grotten etc. bildet. Hinter dem Palast sind es aber doch eben nur magere Cypressen statt der römischen Eichen (S. 352, g). Eine sehr ansehnliche Terrassenanlage verspricht (wenigstens von aussen) die Villa Durazzo, jetzt Grappallo, al Zerbino. — Die Villen der Um- c gebung, unter welchen sich sehr prachtvolle befinden sollen, sind mir nicht hinlänglich aus eigener Anschauung bekannt; die des Marchese Pallavicini in Pegli ist von modernem englischem Gartenstyl. Auch über die alten venezianischen Villengärten an der Brenta und deren jetzigen Bestand vermag ich keine Auskunft zu geben. Auf dem altvenezianischen Festland geniesst der Garten Giusti d in Verona wegen seiner Cypressenterrassen einen gerechten Ruhm; im alten Herzogthum Mailand der ungeheure Park von Monza e (voriges Jahrhundert) und vor Allem die borromeischen Inseln. f (Die Anlagen seit 1671.) In Betreff der Isola bella lässt sich wohl nicht läugnen, dass die Aufgabe, wenn das Bauliche so vorherrschen durfte, sich phantasiereicher hätte lösen lassen, als durch zehnfache, immer kleiner werdende Wiederholung eines und desselben Motives, allein wer mag hier unter dem noch immer unwiderstehlichen Phan- tasieeindruck mit dem Erfinder rechten? — Isola madre mit ihrer mehr ländlich vertheilten, mit Durchblicken auf die Dörfer am See abwechselnden und dabei hochsüdlichen Vegetation wird je nach Stimmung und Geschmack mehr Gefallen erregen. In den Villen am Comersee, welche fast sämmtlich durch steile g Ufer bedingt sind, ruht das Hauptgewicht bei weitem mehr auf Architek- tur und Aussicht, als auf planmässigen Gärten. Das bedeutendste Ter- rassenwerk hat wohl Villa Sommariva, den schönsten Garten Villa Melzi. SCULPTUR. N ur schwer und allmälig öffnet sich dem Laien das Verständniss für die Sculptur. Die Gesetze und Bedingungen, unter welchen sie das Schöne hervorbringt, sind so vielfältig und liegen zum Theil so versteckt, dass sehr viel Zeit, Übung und Verkehr mit Bildhauern dazu gehört, um sich auch nur in den Vorhallen dieser Kunst zurecht- zufinden. Viele unter den antiken Werken sprechen freilich so laut und von selbst, dass auch der gleichgültigste Beschauer auf irgend eine Art davon angeregt wird; daneben bleibt aber vielleicht das Allertrefflichste unbemerkt, wenn Auge und Sinn nicht eine gewisse Vorschule durchgemacht und nach bestimmten Vorsätzen suchen und forschen gelernt haben. Es giebt einen Weg zum Genuss an der Hand der antiken Kunst- geschichte. Sie lehrt epochenweise, wie das Schöne geworden, welchen Zeiten, Schulen und Künstlern die Schöpfung und Ausbildung der wichtigsten Elemente desselben angehört; sie weist in den wenigen vorhandenen Urbildern und in den zahlreichern Wiederholungen diese ihre Resultate oft mit völliger Sicherheit nach. Allein diess setzt be- trächtliche Studien und einen bereits sehr geschärften Blick voraus. Wer unvorbereitet aus dem Norden in die Galerien Italiens tritt, wird sich die Schätze derselben auf eine andere Art aneignen müssen. Die Griechen verlangten von ihren Künstlern nicht Originalität im heutigen Sinne, d. h. nicht ewig abwechselnde Aufgaben und Dar- stellungsweisen; wenn für irgend einen Gegenstand der höchste Aus- Antike Sculptur. Die Masse und ihr Inhalt. druck einmal gefunden war, so genügte es Jahrhunderte hindurch, diesen frei zu reproduciren oder auch ohne Weiteres zu wiederholen. Es bildeten sich stehende Typen oder Darstellungsweisen, und (was momentane Stellung oder Bewegung anbetrifft) stehende Motive . An diese halte sich der Laie, ihnen suche er zunächst das Mögliche abzugewinnen. Das geschichtliche Interesse wird sich mit der Zeit von selbst hinzufinden, wenn man unter den verschiedenen Exempla- ren derselben Darstellung das Bessere und das Geringere, das Frühere und das Spätere mit einander vergleichen gelernt hat. Eine Anzahl glänzender Ausnahmen abgerechnet, besteht der un- geheure Vorrath der Museen Italiens nicht aus Originalwerken alt- griechischer Künstler, sondern aus Werken der römischen Zeit vom letzten Jahrhundert der Republik abwärts. Zum Theil sind es Ori- ginalarbeiten der betreffenden Zeit, wie z. B. die Bildnissstatuen und Brustbilder von Römern, die Bildwerke der Triumphbogen und Ehren- säulen u. s. w.; in weit überwiegender Masse aber finden sich die Wiederholungen älterer idealer Typen und Motive, meist von griechi- scher Erfindung. Die ausführenden Künstler selbst sind fast sämmt- lich unbekannt, doch giebt man sich gerne der Vermuthung hin, dass bis tief in die Kaiserzeit hinein eine treffliche Colonie griechischer Sculptoren in Rom und Italien geblüht habe. Immerhin müssen wir uns darein fügen, aus der Blüthezeit der griechischen Cultur eine Menge blosser Künstlernamen fast ohne Denkmäler, aus den letzten Zeiten des Alterthums dagegen eine gewaltige Menge von Denkmälern fast ohne Künstlernamen zu kennen. — Der Unterschied zwischen griechischer und römischer Kunst wird, wie aus dem Gesagten er- hellt, zwar im Ganzen sehr bemerklich, an dem einzelnen Denkmal aber nicht immer leicht nachzuweisen sein. Die ehemalige Bestimmung und Aufstellung dieser Bildwerke war eine sehr verschiedene und entsprach wohl im Ganzen ihrem Werthe oder ihrer äussern Beschaffenheit. Die Colossalstatue gehörte ins Freie, wo sie sich herrschend selbst zwischen mächtigen Bauten gel- tend machen konnte. Selten kommen eigentliche Cultusbilder vor, während der übrige Schmuck der Tempel, die Reliefs ihrer Friese, Herkunft und Bestimmung. die Statuen ihrer Giebel und Portiken in Menge übrig geblieben sind. Die Bildnisse stammen wohl aus den Vorhallen der Reichen und Vor- nehmen, zum Theil auch von öffentlichen Plätzen, während das ganze Privathaus und die Villa des Wohlhabenden noch ausserdem reiche Fundorte von Göttern, Heroen, Brunnenfiguren und andern idealen Gestalten geworden sind. Bei Altären und Sarcophagen ergiebt sich die Herkunft schon aus der Bestimmung; marmorne Candelaber und Vasen mochten ebensowohl zu heiligem Gebrauch in Tempeln als zur Zierde in Palästen dienen; Hermen standen wohl meist im Freien, namentlich in Gärten. Endlich lieferten die römischen Thermen das Köstlichste, selbst Prachtarbeiten griechischer Kunst, wie z. B. den Laocoon; nur mit Mühe kann sich die Phantasie ein Bild entwerfen von der Fülle plastischen Schmuckes, welche diese Stätten des öffent- lichen Vergnügens, welche auch Theater, Cirken und öffentliche Hallen verherrlichte. — Für so verschiedene Zwecke wurden begreiflicher Weise auch sehr verschiedene Kräfte in Anspruch genommen, und es ist ein grosser Unterschied der Behandlung zwischen dem Hauptwerk eines wichtigen Saales in kaiserlichen Thermen oder Palästen, und der Statue, welche für das hohe Dach eines Porticus oder die ent- fernten Laubgänge eines bescheidenen Gartens geschaffen wurde. Zu gleicher Zeit meisselten vielleicht der Künstler und der Steinmetz nach demselben Vorbilde, und der Eine brachte ein Werk voll des edelsten Lebensgefühles, der Andere eine auf die Ferne berechnete Decora- tionsfigur zum Vorschein. Und dennoch wird auch die letztere, so roh und so spät sie sei, den göttlichen Funken des griechischen Ge- nius, der in der Erfindung waltet, nie ganz verläugnen können. Noch auf eine weitere Verkettung von Umständen, welche den Genuss antiker Bildwerke oft sehr beeinträchtigen, muss hier vor- läufig aufmerksam gemacht werden. Nur äusserst wenige Statuen nämlich sind ganz unverletzt gefunden worden; die meisten haben sehr bedeutende Restaurationen aus den letzten Jahrhunderten. Das ungeübte Auge unterscheidet gar nicht so leicht als man denken sollte, das Neue von dem Alten. Nun gehören gerade die sprechenden Theile, Kopf, Hände, Attribute, oft nur dem Hersteller an, und dieser hat Antike Sculptur. — Restaurationen. lange nicht immer das Richtige getroffen; er giebt z. B. einer ehe- maligen Flora Kornähren und einer ehemaligen Ceres Blumen in die Hand; er restaurirt einen Mars als Mercur und umgekehrt. Der Laie darf daher die bessern literarischen Hülfsmittel, welche dergleichen Täuschungen aufdecken, nicht verschmähen, wenn er zu einiger Kennt- niss dieses Gebietes gelangen will. Bisweilen musste nach einem ver- hältnissmässig geringen aber an Kunstwerth ausgezeichneten Rest das Ganze einer Statue neu gedacht und danach das viele Fehlende er- gänzt werden. Dieser Art sind z. B. Thorwaldsens unübertreffliche Restaurationen an mehreren von den äginetischen Figuren so wie am barberinischen Faun in der Münchner Glyptothek; auch der rechte Arm des Laocoon (von wem er auch sein möge) gehörte zu den grössten Aufgaben in diesem Fache. Wie aber, wenn man an vielen Statuen zwar antike, aber nicht ursprünglich dazu gehörige, sondern anderswo gefundene Köpfe an- träfe? Diese Ergänzungsweise ist z. B. gerade in den römischen Mu- seen sehr häufig und lässt sich insgemein schwer, ja in einzelnen Fällen ohne besondere Nachrichten ganz unmöglich entdecken. Vor dem opfernden Römer z. B., der die Toga über das Haupt gezogen a hat (Vatican, Sala della Biga), wird Niemand von selbst auf einen solchen Gedanken gerathen. So weit die modernen Galerieverwaltungen und Restauratoren; man kann ihre Thätigkeit und ihr Glück nur bewundern, wenn sie so das Rechte treffen, wie in dem letztgenannten Fall. Allein schon im Alterthum kamen Dinge analoger Art vor. Nicht nur wurden bei politischen Umschwüngen und Regierungswechseln die Köpfe von Bildnissstatuen abgeschlagen und neue aufgesetzt, sondern die Bild- hauer müssen wenigstens in der römischen Zeit viele kopflose Statuen im Vorrath gearbeitet haben, welchen erst nach geschehener Bestellung ein Porträtkopf aufgesetzt wurde. Diess stimmte trefflich zu der seit Alexander aufgekommenen Sitte vieler Grossen, sich in Gestalt einer Gottheit abbilden zu lassen, und vollends zu der spätrömischen Ge- wohnheit, die Statuen aus mehrern Steinarten zusammenzusetzen. Es war am Ende ganz gleichgültig, welcher Marmorkopf in die alabasterne oder porphyrne Draperie hineingesenkt wurde. Werth derselben. Diess Alles darf den Beschauer zu einiger Vorsicht stimmen. Es ist Echtes und Wohlerhaltenes genug vorhanden, um bei fortgesetzter Beobachtung zu einem ausgebildeten Urtheil zu gelangen. Wer an irgend einer Restauration Anstoss nimmt, bemühe sich, eine bessere auszudenken; gewiss eine der edelsten Thätigkeiten, zu welchen der Anblick antiker Werke den sinnenden Geist anregen kann. Den Restauratoren wird begreiflicher Weise ihr Geschäft häufig sehr erleichtert durch das Vorhandensein besser erhaltener Exemplare desselben Werkes. Über die Herstellung z. B. des Satyrs mit dem Beinamen des „Berühmten“ (periboetos), der sich in allen Sammlun- gen, oft mehrfach, vorfindet, kann gar kein Zweifel obwalten. Für Manches aber sind die Künstler auf Analogien, namentlich auf die Reliefs beschränkt, wo sich wenigstens der Typus derjenigen Gestalt, die sie unter den Händen haben, vollständig vorfindet. Für Einzel- bildung und Bewegung namentlich der Arme und Beine ist natürlich Jeder auf sein Gefühl und sein Studium der Alten angewiesen. Marmorne und andere steinerne Zierrathen, wie Candelaber und Vasen, sind, wie oben bemerkt, oft zu zwei Drittheilen nach irgend einem Fragment restaurirt; von den Vasen ist namentlich der Fuss nur selten alt, die Henkel und der obere Rand meist nach Massgabe der Ansätze ergänzt. Reliefs sind bisweilen nach geringen Ansätzen von Füssen, Geräthen, Gewandsäumen u. dgl. um mehrere Figuren vermehrt worden. Je neuer die Auffindung und Restauration eines Werkes ist, desto gewissenhafter (im Allgemeinen gesprochen) wird man dasselbe be- handelt finden. Die grossen Fortschritte der Alterthumswissenschaft und des vergleichenden Studiums seit hundert Jahren haben hier den heilsamsten Einfluss ausgeübt. Die Restaurationen früherer Künstler, z. B. in der alten farnesischen und mediceischen Sammlung waren oft nicht bloss an sich stylwidrig und selbst sinnlos, sondern leider auch mit einer Überarbeitung und Glättung des ganzen Werkes verbunden, welches man mit den neuen Zuthaten in Harmonie bringen wollte. Da die Antiken damals nicht zur Belehrung in öffentlichen Museen, sondern als Zierrath in den Palästen der Grossen aufgestellt wurden, Antike Sculptur. Typen. Tempelstyl. so verlangte man durchaus den Eindruck eines unversehrten Ganzen. Eine Menge Torsi, die man jetzt als Fragmente aufstellen würde, sind in jener Zeit zu vollständigen Statuen restaurirt worden. Die medi- ceische Sammlung enthält deren besonders viele. Die Typen oder Darstellungsweisen der Gestalten der alten Kunst, namentlich der Götter und Heroen, erhielten ihre bleibende Ausbildung in der höchsten Blüthezeit des Griechenthums, im V. und IV. Jahr- hundert v. Chr., von Phidias bis Lysippus. Auch später zwar kam noch manche einzelne neue Gestalt, manche mehr auf das Zierliche gerichtete Auffassungsweise hinzu, und selbst die Zeit Hadrians schuf noch aus dem Bilde eines Menschen das Antinous-Ideal; doch über- wiegen bei weitem die aus jener frühern grossen Epoche überkomme- nen, mehr oder weniger frei wiederholten Typen. Daneben erhielt sich aus den Zeiten vor Phidias, ja zum Theil aus hohem Alterthum ein früherer, feierlich-befangener Styl, der sog. hieratische oder Tempelstyl . Werke aus der alten Zeit der wirklichen Herrschaft desselben sind in Italien äusserst selten; ausser den Metopen des Tempels von Selinunt u. a. sicilischen Bruchstücken a wird man etwa noch das Relief eines verwundeten Kriegers im Mu- seum von Neapel (Nebenraum des dritten Ganges) und dasjenige der b Leucothea in der Villa Albani zu Rom (Zimmer der Reliefs) namhaft machen können. Sehr häufig sind dagegen die später und absichtlich in diesem Styl gearbeiteten Sculpturen, namentlich die Reliefs an Al- tären; auch Statuen dieser Art kommen nicht selten vor, und für ge- wisse Typen, wie z. B. für den bärtigen Bacchus blieb die hieratische Darstellungsart sogar die allein herrschende. Was konnte die Griechen und später die Römer bewegen, neben ihrer freien und grossen Kunst diese befangnere Gattung mit Willen festzuhalten? Zuerst war es gewiss die Ehrfurcht vor den Ceremonien, welche sich seit unvordenklichen Zeiten an Götter, Weihgeschenke und Altäre dieses Styles geknüpft hatten. Später erhielt derselbe den Reiz des Alterthümlichen und Einfachen und die Kunst bemühte sich, Tempelstyl. hier innerhalb absichtlicher Schranken eine eigenthümliche Aufgabe in Umriss und Modellirung zu lösen. Zuletzt wurde daraus eine Sache ästhetischer Feinschmeckerei, ja vielleicht einer bewussten Reaction gegenüber dem überladenen unruhigen römischen Relief. Vielleicht sind die meisten erhaltenen Werke im Tempelstyl nicht älter als das Kaiserreich, und man hat namentlich die Zeit Hadrians dafür im Ver- dacht, schon weil sie sich ausserdem der Nachahmung des ägypti- schen Styles mit so vielem Eifer hingab. Die Kennzeichen des Tempelstyles prägen sich leicht ein. Das Gesetz des Contrastes der Gliedmassen, welches erst der Stellung des Leibes Freiheit und Anmuth giebt, wird hier geflissentlich bei Seite gesetzt und statt dessen die möglichste Symmetrie der beiden Schul- tern, Arme, Lenden etc. erstrebt. Die Bewegungen sind steif und entweder gewaltsam oder überzierlich, so dass die Götter auf den Fussspitzen gehen, Fackeln und Stäbe nur mit zwei Fingern anfassen u. dgl. Das Haar ist in unzählige symmetrische Löckchen geordnet; die Gewandung besteht in vielen höchst regelmässigen Fältchen, welche an jedem Saum oder Aufschlag als Zickzack von genau eben so vie- len Ecken auslaufen. Der Ausdruck der Köpfe, wo sie gross genug gebildet sind, besteht in einem kalten, maskenhaften Lächeln; die Stirn ist flach, die Nase spitz, die Ohren hoch oben, die Mundwinkel aufwärts gezogen, das Kinn auffallend stark. (Man vergleiche die Abgüsse der echten altgriechischen Giebelgruppen des Tempels von Ägina in der lateranischen Sammlung mit den spätern Nachahmungen a dieses Styles: die schreitende Pallas Wenn diese nicht doch uralt ist. in Villa Albani (Zimmer der b Reliefs, wo noch mehreres der Art); mehrere Köpfe in der Galeria c geografica des Vaticans; — der schreitende Apoll mit dem Reh auf der Hand im Museo Chiaramonti ebenda; — die schreitende her- d culanensische Pallas im Museum von Neapel (zweiter Gang) mit moder- nem Kopf; — eine Bronzestatuette ebenda (kleine Bronzen, drittes Zimmer); — die halb-ägyptische, halb-hieratische Isisstatuette ebenda (ägyptische Halle); — die schreitende Artemis mit rothbesäumtem Kleide ebenda (in einem verschlossenem Zimmer hinter der Halle des Tiberius). Antike Sculptur. Tempelstyl. Im Relief verlangte der Tempelstyl die möglichste Symmetrie selbst in der Bewegung und eine gleiche Entfernung gleichbedeuten- der Figuren von einander. — Unter den schönern Arbeiten dieser Art a sind zu nennen: ein Altar mit bacchischen Figuren und ein (vielleicht doch uraltes?) Relief der drei Grazien im Museo Chiaramonti (Vati- b can); — ein viereckiger Zwölfgötteraltar im sog. Kaffehaus der Villa Albani; — eine Platte mit vier Göttern im Zimmer der Reliefs ebenda; Apolls Erscheinung beim Tempel zu Delphi, über der Thür des Haupt- c saales ebenda; — ein runder Zwölfgötteraltar in der obern Galerie des capitolinischen Museums; u. A. m. Wie will man aber beweisen, dass diese Arbeiten nicht wirklich uralt, sondern blosse Nachbildungen in einem veralteten Style sind? Es dauerte in der That lange, bis die Archäologie in dieser Sache klar sah. Jetzt kann sich jedes fähige Auge überzeugen, dass die betreffenden Bildhauer eben doch nicht allen Reizmitteln der Kunst ihrer Zeit entsagen mochten, dass sie die Härte der alten Musculatur, den sonderbaren Ausdruck der Köpfe wesentlich milderten und dass auf diese Weise ein sehr merklicher Widerspruch zwischen der alter- thümlichen Auffassung und der weichen Ausführung in das Werk hineinkam. Bisweilen wird es dem Beschauer noch leichter gemacht, d wenn z. B. eines der erwähnten Reliefs (im Hauptsaal der Villa Al- bani und anderswo), welches Apolls Trankopfer nach dem Siege im Kitharspiel darstellt, einen korinthischen Tempel zum Hintergrunde hat. Hier springt der Anachronismus in die Augen, weil Jedermann weiss, dass diese Säulenordnung ungleich spätern Ursprunges ist als dieser Sculpturstyl zu sein vorgiebt. In den Typen der Götter herrscht nun hier, wie sich von selber versteht, eine ältere Art. Die männlichen Gestalten erscheinen in der Regel bejahrt, selbst Hermes und Dionysos bärtig; die Bekleidung ist im Ganzen vollständiger und anders anschliessend; mancher einzelne Schmuck macht sich geltend, dessen die vollendete Kunst entbehren konnte. Das Nähere muss hier übergangen werden. Lange Zeit nannte man diesen Styl mit Unrecht den etruski- schen . Allerdings kam er in den Fundorten Etruriens, das über- Etruskische Kunst. haupt eine früh überlieferte griechische Kunstübung merkwürdig fest- hielt, ebenfalls und zwar nicht selten zum Vorschein; allein diess beweist nicht gegen seinen allgemeinen griechischen Ursprung. Wir werden bei Anlass der Vasen auf eine ähnliche Erscheinung stossen. Die etruskische Kunst selber übergehen wir, da sie mehr n ur lehrreiche Seitenbilder zur Geschichte des Schönen als einen un- mittelbaren Genuss desselben gewährt. Nur mittelst einer langen, zweifelreichen Forschung könnten wir uns und dem Leser klar machen, was und wie Vieles hier der alten religiösen Gebundenheit, dem eigen- thümlichen Volksgenius, den uralten griechischen Cultureinflüssen, der spätern Einfuhr griechischer Kunstwerke und Einwanderung griechi- scher Künstler, endlich der Mitleidenschaft unter den Schicksalen und dem Zerfall der römischen Kunst angehört. Die meist kleinen und sehr zahlreichen Gegenstände, um welche es sich handelt, sind z. B. im Vatican zu einem besondern Museo etrusco vereinigt; Mehreres vom Wichtigsten findet sich in den Uffizien zu Florenz (verschlossner a Gang gegen Ponte vecchio hin; und zweites Zimmer der Bronzen); auch im Collegio Romano zu Rom, in den Sammlungen von Volterra b und Cortona, sowie im Museum von Neapel (letztes Zimmer der c kleinen Bronzen) steht viel Etruskisches beisammen. Wer die Hauptfundorte, jene alten Nekropolen von Toscanella, Cervetri, Vulei, Chiusi etc. bereist, wird wohl noch Manches an Ort und Stelle in Privatbesitz antreffen und sich ausserdem einen Begriff von dem prachtvollen Begräbnisswesen jenes räthselhaften Volkes machen können Wenn Jemand im Museo etrusco beim Anblick der Terracottenköpfe mit der langen Oberlippe und dem eigenthümlich starren Kinn an die Nationalphy- siognomie vieler Engländer erinnert wird, so wollen wir bekennen, dass es uns und Andern auch so gegangen ist. . — Was diese u. a. Sammelpunkte dem Forscher des Schönen immer sehr werth macht, sind die vielen einzelnen Reste und Elemente griechischer Kunst, welche er zwischen und an den etruskischen Reliquien wahrnehmen wird. Mit dem Museo etrusco des Vaticans ist z. B. eine herrliche Sammlung von gemalten Vasen verbunden, welche vielleicht kaum zur Hälfte etruskischen Fundorten B. Cicerone. 27 Antike Sculptur. Anordnung nach Typen. und nur geringsten Theiles eigentlich etruskischer Kunst, vielmehr a fast durchgängig griechischen Thonmalern angehören; der grosse Saal des Museo aber enthält u. a. Schätzen eine ovale eherne Lade mit Amazonenkämpfen in Relief Bei diesem wunderschönen Toilettengeräth, welches einer vornehmen Etrus- kerin in das Grab mitgegeben wurde, erinnert man sich gerne an die be- rühmte Lade des Kypselos, deren vermuthliche Gestalt (nach der Beschrei- bung bei Pausanias) so viel zu denken giebt. und eine Auswahl von Spiegeln mit eingegrabenen Linearzeichnungen schönen griechischen Styles. Vollends b möchte die runde Lade (oder Cista) des Collegio romano, mit der Landung der Argonauten, alle Linearzeichnungen des griechischen Al- c terthums übertreffen. In Florenz enthält der genannte Seitengang der Uffizien unter der grössten vorhandenen Sammlung etruskischer Aschenkisten einige (z. B. die erste links) mit Reliefs von griechischer Schönheit. Die Anordnung der antiken Sculpturen nach Typen, welche nun- mehr folgt, soll keineswegs als die einzig mögliche oder als besonders methodisch gelten, sondern nur als derjenige Leitfaden, welcher am leichtesten in die Sache hineinführt. Der Werth der plastischen Aus- führung, welchen der Nichtkünstler doch erst nach längern Studien richtig beurtheilen lernt, ist nicht unser Hauptmassstab bei der folgen- den Aufzählung; der Gedanke, das Motiv müssen hier wichtigere Rücksichten bleiben. Wir werden uns nicht scheuen, selbst sehr geringe und späte Arbeiten zu nennen, sobald sie zufällig die einzigen bekannten oder zugänglichen Exemplare vorzüglicher alter Kunst- gedanken sind. Mit diesen, selbst in ihrer dürftigsten Aeusserung, wo keine bessere vorhanden ist, suche man um jeden Preis das Gedächt- niss zu bereichern, ohne desshalb den Blick auf die Ausführung hintanzusetzen. Wir beginnen unsere Andeutungen billig mit dem Vater der Götter und der Menschen, in dessen Gestalt ja der Hellene gewiss das Hochste an Macht und Herrlichkeit ausgedrückt haben wird. Von demjenigen Zeus. Gesammtbilde allerdings, dessen Anblick die Griechen zur Bedingung jedes glücklichen Lebens machten, von dem olympischen Zeus des Phidias, sind uns nur kümmerliche Reminiscenzen erhalten. Eine solche erkennt man z. B. in dem colossalen Jupiter aus dem Hause Verospi (Vatican, am Ende der Büstenzimmer), welcher mit nacktem Ober- a leib, den Donnerkeil in der Rechten (statt der Siegesgöttin bei Phi- dias) und den Scepter in der Linken thront. Von dem Haupte des Zeus aber, wie es der Meister gebildet, ist glücklicher Weise ein ziemlich nahes Abbild auf unsere Zeit gerettet in der berühmten Büste von Otricoli (Vatican, Sala rotonda). Hier erkennt man b jenen Ausdruck wieder: „friedlich und ganz mild“, das erhabene Haupt in Gnade und Erhörung geneigt mit leisem Lächeln. Von den Locken war genug vorhanden, um das Fehlende (auch das ganze Hinter- haupt) trefflich zu restauriren. Die Züge sind in der That keines Menschen Züge; vielmehr erscheinen diejenigen Elemente des Ant- litzes, welche zu bestimmten Zwecken des Ausdruckes dienen, nach höhern Gesetzen verändert und hervorgehoben. So dient die Ver- dichtung in der Mitte des Stirnknochens (oder der Stirnhaut) dazu, das gewaltigste Wollen und zugleich die höchste Weisheit anzudeuten. Die Augen, von ganz wunderbarem Bau, liegen tief und treten doch hervor; die Nase (etwas restaurirt) bildet mit der Stirn nicht einen einwärts, sondern einen leise auswärts tretenden Winkel, worin die Lei- denschaftslosigkeit ausgedrückt liegt. (Dieses anscheinende Paradoxon kann hier nicht entwickelt werden; ich verweise nur auf den griechi- schen Kunstgebrauch des Gegentheils, der Stülpnase, z. B. bei den Barbaren und den Satyrn, wozu beim Silen noch die aufwärts her- vortretende Stirn kömmt.) Die Lippen endlich (leider auch nicht ganz alt) vereinigen Süssigkeit und Majestät in einem Grade, wie kein ir- discher Mund. — An diesem Haupt sind nu n Locken und Bart von höherer Bedeutung als an irgend einem andern. In ihnen wallt und strömt gleichsam eine überschüssige göttliche Kraft aufwärts und ab- wärts. Die Stirnlocken namentlich sind hei mehrern göttlichen Ge- stalten wie ein Sinnbild geistiger Flammen. Dieser Zeus wäre mit glatten oder kurzen Haaren nicht mehr Zeus, wie Apoll ohne seinen Krobylos (Lockenbund über der Stirn) nicht mehr Apoll wäre. 27* Antike Sculptur. Zeus. Serapis. Was sonst von Zeusköpfen vorkömmt, steht tief unter diesem a Werke. So z. B. selbst der schöne im Museum von Neapel (Halle des Tiberius), wo sich auch (Halle des Jupiter) die kolossale, etwas de- corationsmässig behandelte Halbfigur des Zeus aus dem Tempel von Cumä befindet. (Die Nase schlecht restaurirt; Haar und Bart ge- b waltig und meist alt.) Noch ein schöner Kopf in der Villa Albani c (Vorhalle des Kaffehauses); ein anderer, sehr colossaler, in den Uffi- d zien zu Florenz (Halle der Niobe); ein tüchtiger römischer in der Ga- lerie von Parma. Von den Brüdern des Zeus gleicht ihm am meisten Hades oder Pluto, der Herr der Unterwelt, in seiner spätern (doch immer noch griechischen) Personification als Serapis , mit dem Scheffel (modius) e auf dem Haupt * Als eigentlicher Pluto: z. B. in einer rohen Statue der Villa Borghese (Fauns- zimmer). . Eine schöne Büste (in der Sala rotonda des Vaticans) lässt uns das Zeusideal, aber mit einem düstern Zuge der Trauer er- kennen. Unter den dichten Locken treten die sanft blickenden Augen tief einwärts. Kein Entsetzen, nur ein leiser Schatten der ewigen Nacht sollte über den Beschauer kommen. Überdiess war ja Serapis in seiner spätern Bedeutung auch ein Genesungsgott und vertrat sogar die Stelle des Asklepios. (Eine geringere Büste, von Basalt, im Zim- f mer der Büsten; ungleich besser diejenige der Villa Albani im sog. g Kaffehause.) (Eine fleissige, kleine Bronze in den Uffizien, II. Zim- h mer d. Br., Eckschrank rechts.) Noch ein schöner, sanfttrauriger Kopf in der Galerie zu Parma. Mit Serapis wurde in späterer Zeit, wie gesagt, der Heilgott As- klepios identificirt, der auf diese Weise zu ganz Zeus-ähnlicher Bildung gelangte — abgesehen natürlich von seinem besondern Attri- but, dem Schlangenstab, auf den er sich mit der einen Schulter stüzt. i — Die Statuen sind meist von geringer Arbeit; so die schwarz-mar- morne im grossen Saal des capitolinischen Museums. Vielleicht die k beste von allen im Museum von Neapel, zweiter Gang. Der schöne Asklepios. Poseidon. Wassergötter. Asklepios im Braccio nuovo des Vaticans trägt die sehr feinen, be- a sonnenen Bildnisszüge irgend eines berühmten Arztes, vielleicht eines Leibarztes des Augustus. — Von den beiden im zweiten Gang der b Uffizien zu Florenz gleicht der eine dem neapolitanischen; der andere ist offenbar eine Porträtstatue, wie schon die hohen Schultern andeu- ten und wie die individuelle Stellung es noch wahrscheinlicher macht. Das Übrige hat der Restaurator gethan. — Auch in dem Asklepios im Palast Pitti (inneres Vestibul oberhalb der Haupttreppe) könnte c man eher einen griechischen Philosophen erkennen; mit nacktem Oberleib, den linken Ellbogen auf eine Keule gelehnt, mit der linken Hand, die eine Rolle hält, den Bart berührend, die Rechte auf die ausgeladene Hüfte gestützt, schaut er mit dem Ausdruck des Sinnens vorwärts. Die Arbeit ist einfach und noch sehr tüchtig. Wer sich weiter überzeugen will, wie die griechische Kunst ideale Verwandtschaften auszudrücken und mit typischen Unterschie- den zu verschmelzen wusste, vergleiche den Kopf des Poseidon (Vatican, Museo Chiaramonti) mit dem otricolanischen Zeus. Die an- d gebornen Züge sind bei beiden Brüdern dieselben, aber der Ausdruck des Meergottes ist unruhig, düster bis zu einem Anflug von Zorn, das Haar wirr und feucht. (Eine vollständige, aber in der Arbeit sehr unbedeutende Statue im Vatican, Galeria delle statue; eine andere im e Museum des Laterans). Auch die übrigen Götter der grössern Wasser , also mit Ausnahme der Tritonen und der Quellgottheiten, sind grossentheils von Zeus Geschlecht und gleichen ihm, nur ins Befangene und dann bald in das wohlig Geniessende, bald ins Schreckliche oder ins Beküm- merte hinein. Sie haben sein gewaltiges Haar, aber nicht wallend, son- dern feucht darniederhängend; seine in der Mitte erhobene Stirn, aber niedriger; seinen Bart, aber nicht lockig, sondern nass und oft mit Schuppen, ja mit kleinen Fischen durchzogen; seine grossartigen Lippen, aber mit bornirtem Ausdruck. Ihr Bau (wo es nicht blosse Köpfe oder Masken sind) ist überaus mächtig und breit und entwickelt sich in ihrer liegenden, etwas aufgelehnten Stellung ganz besonders majestätisch. Antike Sculptur. Wassergötter. a Die schönste dieser Gestalten ist der Nil (im Braccio nuovo des Vaticans), wahrscheinlich aus der Zeit des Augustus, welcher be- kanntlich erst Ägypten unterwarf. Beneidenswerthe Symbolik der Alten, welche die 16 Ellen, um die der Nil alljährlich zu wachsen pflegt, durch 16 der niedlichsten Genien personificiren durfte! Heiter klettern sie an dem Gott herum und spielen mit seinem Krokodil und Ichneumon; einer guckt sogar oben aus seinem Füllhorn heraus; ihre Schalkhaftigkeit ist gleichsam nur ein anderer Ausdruck für die stille Seligkeit des gewaltigen Stromgottes. b Die treffliche vaticanische Statue des Tigris (Sala a croce greca) erhält durch den von Michel Angelo oder einem seiner Schüler re- staurirten Kopf ein besonderes Interesse des Contrastes. Im Hof des capitolinischen Museums liegt als Brunnengott der c colossale Marforio (wahrscheinlich ein Rhenus aus der Zeit Domitians.) Er trägt die Züge des Zeus, aber in das Bornirte umgestaltet; Leib und Beine sind (absichtlich) viel zu kurz für den gewaltigen Ober- d körper. — Die beiden Wassergötter an der Treppe des Senatorenpala- stes auf dem Capitol und die beiden in der untern Vorhalle des Mu- e seums von Neapel sind theils gute, theils leidliche Decorationsarbeiten. Der düstere Ausdruck erscheint bedenklich geschärft und deutet f auf Sturm in dem florentinischen Kopfe des Oceanus (Uffizien, Halle der Niobe); er geht über in das Erschrockene, ich möchte sagen Ausge- g scholtene, in der höchst colossalen Maske eines Wassergottes im Museo h Chiaramonti im Vatican; eine ähnliche in Villa Albani (Nebenräume i rechts.) Auch dem Oceanus (Büste in der Sala rotonda des Vaticans, mit Trauben im Haar, Delphinen im Bart, Schuppen an Braunen und Wangen) ist sichtbarlich nicht ganz wohl zu Muthe. Schon ruhiger k ist der Ausdruck der zwei colossalen Masken in Villa Albani hinter dem Kaffehaus. Ein merkwürdiges Gegenbild zu Zeus bildet die frühere, aber von der Kunst fortwährend und zwar annähernd oder ganz im Tem- pelstyl festgehaltene Darstellung des bärtigen Dionysos . Neben Zeus, den Gott der sittlichen Weltordnung, stellt sich hier ein König und Gott der Naturfreude mit einem Ausdruck seligen Genusses, dem Bärtiger Dionysos. Herakles. wir freilich im Leben bei Männern reifern Alters kaum je begegnen, der aber doch seine volle innere Wahrheit hat. Die breiten, wohl- gerundeten (doch keineswegs plumpen) Formen und der stilljoviale Ausdruck des Kopfes, der heitre Blick, die charakteristischen gleich- mässigen Hauptlocken mit der Binde, sowie der ebenfalls gelockte Bart — diess Alles ist schon in den Hermen oder Büsten zu erken- nen, deren viele Tausende in den Gärten und Häusern der Alten ge- standen haben müssen. (Eine ganze Anzahl im Garten etc. der Villa a Albani; — vier im Palast Giustiniani zu Rom, unten; — mehrere, b darunter auch wohl Büsten des bärtigen Hermes, in der Galeria geo- c grafica des Vatican. Vieles davon ist sehr rohe Arbeit.) Ein Prie- ster dieses Bacchus, wie üblich mit den Zügen und dem Costüm des Gottes selber dargestellt, findet sich in Villa Albani (rechts vom Pa- d last am Ende der Nebengalerie.) Auf eine geheimnissvolle Höhe gehoben, treffen wir diesen Typus wieder in einer berühmten vaticanischen Statue (Sala della biga) mit e dem Namen (wahrscheinlich des Künstlers): Sardanapallos . In ein herrliches weites Gewand gehüllt, mit der Rechten auf ein Scepter gestützt (diess unvollständig restaurirt), schaut der bejahrte Dionysos voll hoher, innerer Wonne in die von ihm beherrschte Welt. (Nahe mit diesem Werk verwandt, aber ungleich geringer: Kopf und Brust f eines bärtigen Bacchus im Museum von Neapel, Halle des Tiberius.) Von den Söhnen des Zeus, abgerechnet die eigentlichen Götter, ist der mächtigste Herakles. In seinem Antlitz ist auch noch etwas übrig geblieben von den Zügen seines Vaters, namentlich in der Stirn (sehr auffallend in einem Kopfe des verklärten Herakles; Vatican, g Büstenzimmer); sonst herrscht darin eine jeder Mühe gewachsene Kraft und Leidenschaft vor. (Letztere in der Adlernase bisweilen ange- deutet.) Seine höchste und bleibende Kunstform erhielt Herakles durch den grossen Lysippos, zu Alexanders Zeit. Wir lernen sie kennen vor Allem in dem weltberühmten Torso des Atheners Apol- h lonios (am Eingang des Belvedere im Vatican). Nach dem Hymnus Winckelmanns und den bekannten Streitfragen über die vermuthliche Antike Sculptur. Herakles. Urgestalt des Werkes Man denkt sich Herakles emporschauend gegen eine zu seiner Linken stehende Hebe. wage ich nur, den Beschauer auf die unge- meine Leichtigkeit und Elasticität dieser Bildung, auf den Ausdruck der höchsten Kraft ohne Schwere aufmerksam zu machen. Liegt hierin eine Andeutung, dass Herakles verklärt, etwa in seiner Verbindung mit Hebe, der ewigen Jugend, abgebildet sei, so a spricht der farnesische Herakles (Colossalstatue des Atheners Glykon im Museum von Neapel, Halle des farnesischen Stieres) einen ganz andern Sinn aus. Hier ist es der noch in Kämpfen und Wan- derungen begriffene, nur für einen Augenblick ausruhende Held, mit den erbeuteten Äpfeln der Hesperiden (diese sammt der rechten Hand restaurirt, wohl richtig). In der wahrhaft gewaltigen Musculatur, in dem Ungeheuern, namentlich der Arm- und Schulterbildung wirkt noch die letzte Anstrengung nach; um so stärker erscheint der Aus- druck der Ruhe durch das Aufstützen auf die Keule links und die Ausschwingung des Leibes rechts, sowie durch die Senkung des Haup- tes und die reine Horizontale der Schultern charakterisirt, während Stellung und Gestalt der Beine dem Ganzen doch die Leichtigkeit eines Hirsches geben. Die Arbeit ist mit derjenigen des Torso aller- dings nicht zu vergleichen. Am Kopf sehr starke Restaurationen. Unzählige, meist spätere Arbeiten, stellen den Heros und seine b Mythen dar; auch z. B. als kleine Bronzefigur kommt er sehr häufig vor. (Uffizien, II. Zimmer d. Br., 3. Schrank.) In der Sala degli c Animali des Vaticans allein sind vier Thaten des Heros in nicht ganz d lebensgrossen Gruppen dargestellt. In der Villa Borghese ist ein ganzes Zimmer solchen Überresten geweiht; man trifft Herakles als Herme, als Kind, auch als Knecht der Omphale, in ihren weiblichen e Gewändern. Im Museum von Neapel (zweiter Gang) findet sich das von irgend einer guten Gruppe des Mars und der Venus entlehnte Motiv auf Herakles und die heroische Siegerin übertragen; ein sehr artiges römisches Werk. f Herakles, der als Stellvertreter des Atlas den Weltglobus trägt im Museum von Neapel (Halle der berühmten Männer), ist eine gute, aber stark ergänzte Arbeit. Die unten zu besprechende Gruppe des Die Dioskuren. Herakles mit Antäus giebt den Helden mehr fleischig als musculös und entfernt sich wieder um eine Stufe weiter von dem verklärten Herakles als die meisten übrigen Bildungen. (Hof des Pal. Pitti.) a Endlich blieb ein wesentlich genrehafter Moment, der den Zeus- sohn in rein physischer Gewaltigkeit darstellt, der kleinern Bildung in Erz vorbehalten. Ich meine die köstliche Bronze des „ trunkenen b Herakles “ im Museo zu Parma. An dieser rückwärts taumelnden von allen Seiten glücklich gedachten Figur erkennt man das ganze Muskelwesen des farnesischen Herakles, nur im Dienste einer ganz andern Macht, als bei den zwölf Arbeiten. Gefunden in Veleja, und doch vielleicht griechischen Ursprunges. Es war nicht mehr als billig, dass auch die vorzugsweise so genannten „Zeussöhne“ (Dioskuren) Kastor und Polydeukes in ihrem Typus an den Vater erinnerten. Diess ist in der That der Fall mit den beiden weltberühmten Colossen auf dem Platze des Qui- c rinals in Rom; die Bildung von Stirn, Lockenansatz, Nase und Lip- pen ist deutlich dem Zeusideal entnommen, wovon man bei Betrach- tung der Abgüsse sich am Besten überzeugen kann; nur erscheint Alles in den jugendlichen und heroischen Charakter übertragen. — Bekannt- lich galten diese Rossebändiger einst als Arbeiten des Phidias und Praxiteles; gegenwärtig betrachtet man sie aus überzeugenden Grün- den als römische Nachahmung nach einer Gruppe vielleicht aus der Schule des Lysippos, und giebt starke Willkürlichkeiten in der Ein- zelbehandlung zu, z. B. im Ansatz der Hälse. — Ihre Bildung im Gan- zen vereinigt mit unbeschreiblicher Wirkung das Schlanke und das Gewaltige; ihre momentane Bewegung spricht wunderbar schön aus, wie es für sie eine leichte Mühe sei, die bäumenden Pferde zu len- ken; Stallknechte mögen das Thier zerren und sich aufstemmen, Dios- kuren bedürfen dessen nicht. Die Pferde sind auch verhältnissmässig kleiner gebildet, wie sich überhaupt in der alten Kunst der Massstab mehr nach der relativen Bedeutung der Figuren als nach ihrem phy- sischen Grössenverhältniss richtet. — Ehemals standen sie parallel, ohne Zweifel mit Recht; ihre jetzige Gruppirung mit der Brunnenschale und dem Obelisken passt vielleicht besser zum Platze. Antike Sculptur. Hera. a Die beiden Dioskuren der Capitolstreppe, sonderbar bedingte Werke Wahrscheinlich für einen ganz bestimmten Standort berechnet. — Es wäre sehr wünschenswerth, über das perspectivische Gesetz, welches solchen Ano- malbildungen zu Grunde liegt, eine zusammenhängende Belehrung zu erhal- ten, und zwar von einem Bildhauer. Vgl. S. 422, c. aus noch ziemlich guter Zeit, scheinen ganz geschaffen, um den Werth der quirinalischen ins hellste Licht zu stellen. Hera , die Schwester und Gemahlin des Zeus bedurfte einer entsprechend grossartigen Persönlichkeit, in welcher die Königin der Götter zu erkennen sein sollte. Die reife Schönheit eines mächtigen Weibes ist denn auch nie bedeutender dargestellt worden, als in die- sem Typus, der doch zugleich eine unbegreifliche Jugendlichkeit aus- spricht. Die Statuen sind meist spät, verrathen aber ein herrliches b Vorbild, wie z. B. die colossale in der Sala rotonda des Vaticans. c (Kleineres Ex. in der Villa Borghese, Zimmer der Juno; ein anderes d in der Galeria delle Statue des Vaticans; noch ein anderes, mit mo- e dernem Kopf, im Museum von Neapel, Halle der Flora.) Das nasse Anliegen des feinen Untergewandes ist bisweilen allzu absichtlich dazu benützt, die bedeutenden Formen des Oberleibes hervortreten zu lassen; sonst aber wird die milde Majestät des bediademten Hauptes und die imposante Stellung, womit der Körper sich nach der Rechten ausladet, immer die Herrscherin auf das Deutlichste erkennen lassen. Eine eigene Aufgabe gewährte dem römischen Bildhauer die Juno f Lanuvina. (Colossalstatue ebenfalls in der Sala rotonda des Vaticans.) Als Schützerin der Heerden hat sie Haupt und Leib mit einem Thier- fell bedeckt; mit dem (restaurirten) Speer in der Hand schreitet sie zu gewaltiger Abwehr aus. Ohne Zweifel hat der Bildner ein uraltes Tempelbild von Lanuvium in dem Styl griechisch-römischer Zeit re- produciren müssen; die Züge aber sind junonisch. Diese göttlichen Züge lernt man nun weit besser als aus irgend einer Statue, aus zwei berühmten Colossalköpfen kennen. Der eine, g die Juno im Hauptsaal der Villa Ludovisi in Rom, erschien einst Göthe „wie ein Gesang Homers“, und in der That wird die Seele griechisches Mass und griechische Schönheit selten so vernehmlich zu Hera. sich reden hören. Der andere, im Museum von Neapel (Halle des a Tiberius), giebt in schöner frühgriechischer Arbeit einen ältern, stren- gern Typus wieder, dem zur vollen Majestät noch die Anmuth fehlt, aus einer Zeit, da die griechische Kunst noch nicht ihre volle har- monische Grösse erreicht hatte; es ist noch die homerische, er- barmungslose Hera Wovon ein gemilderter Nachklang auch in der oben erwähnten borghesischen Statue zu erkennen ist. , während aus der Ludovisischen eine königliche Milde hervorblickt. Verweilen wir noch bei diesem Haupte, so oft und so lange die Strenge des Besitzers die Thür offen lässt! Die göttliche Anmuth liegt wesentlich in der Linie des Mundes und in den nächstliegenden Theilen der Wangen, auch in den nur mässig grossen, mild umrandeten Augen (wie hart und scharf sind die Augen- lieder der neapolitanischen!). Das einzige Leiden ist die Restauration der Nasenspitze, welche man sich auf irgend eine Art verdecken möge. Von diesem hohen Typus führen verschiedene Pfade abwärts in das Kluge und Schlaue, in das bloss Liebliche, selbst in das Buhle- rische. Eine beträchtliche Anzahl von Büsten geben die Belege hiezu. Wir nennen bloss diejenigen, welche sich zugleich noch merklich an die hohe Grundgestalt anschliessen. In demselben Hauptsaal der Villa Ludovisi; eine tüchtige römische b Juno mit Schleier, Diadem und gewirktem Unterkleid. Im Vorsaal: eine geringere aus römischer Zeit, und ein uralter, sehr colossaler Kopf. — Ein schöner und milder römischer Kopf im Braccio nuovo c des Vaticans. — Ein anderer in der obern Galerie des Museo capi- d tolino. — Eine freundlich-galante Juno im Museum von Neapel (Halle e des Tiberius, in der Nähe der berühmtern). — Eine der strengern, aus römischer Zeit, in den Uffizien zu Florenz (Halle d. Hermaphr.). f — Eine sehr schöne, vielleicht griechische Büste, flüchtig gearbeitet, sehr abgerieben und durch eine moderne Nase abscheulich entstellt, findet sich im Dogenpalast zu Venedig (Sala de’ Busti). Am Diadem g Palmetten und zwei Greifen. Antike Sculptur. Demeter. Die eigentliche Matrone unter den Göttinnen, die mütterliche in vorzugsweisem Sinne war einst Demeter . Die frühere Kunst gab ihr daher, neben dem Jugendlichen, was allen Göttinnen eigen ist, zwar nicht die königliche Würde der Hera, aber doch eine hohe Gra- vität, einen gewaltigen Gliederbau und eine völlige Bekleidung (selbst bisweilen einen Schleier). So finden wir sie in der grandiosen (in a den Attributen ergänzten) Colossalstatue des Vaticans (Sala rotonda) dargestellt; ihre Stellung ist die so mancher Statuen des ältern Typus: mächtiges Vortreten des einen Fusses (auf welchem der Körper ruht), Nachziehen des andern, also beinahe ein Vorschreiten, wie es insbe- sondere der wandernden Göttin geziemt, die ihre verlorene Tochter sucht. Ein späterer Typus zeigt die Göttin ohne das Matronenhafte, vielmehr mit dem süssesten Reiz eines schlank zu nennenden jungen Weibes angethan. Nur die Ähren in der Hand deuten an, um wen b es sich handelt. Dieser Art ist die Statue der Villa Borghese (Zimmer der Juno). Ganz ungesucht und mühelos scheint hier der Bildhauer das herrlichste denkbare Gewandmotiv als Ausdruck des edelsten Leibes, und die stille, sinnende Schönheit eines Kopfes erreicht zu haben, der zwischen Aphrodite und den Musen die Mitte hält. c An diese Statue erinnert eine schöne, als Flora restaurirte Ge- wandfigur im Vatican (Galeria delle Statue), die ihr jedoch nicht gleich kömmt. Dagegen könnte die als Hygiea restaurirte Statue im d Dogenpalast zu Venedig (Sala de’ Busti) eher eine Demeter jenes äl- tern Typus gewesen sein. Zu den reichen, vollen, mütterlichen Bildungen gehört auch Isis , die schon zur griechischen Zeit aus dem ägyptischen Götterkreis in die classische Kunst hereinkam. Fast junonisch herrlich erscheint sie e uns in dem prächtigen Colossalkopf der Villa Borghese (Hauptsaal); f mehr jungfräulich in einem reizenden Köpfchen des Vaticans (Büsten- zimmer; statt des Lotos ein Lockenbund über der Stirn). Die voll- ständigen Statuen werden bald für die Göttin selbst, bald für eine blosse Priesterin ausgegeben; ein Zweifel, welcher desshalb unlösbar Isis. Ares. bleibt, weil überhaupt Priester und Priesterin beim feierlichen Opfer das Costüm ihrer Gottheit trugen. Isis ist in dieser Beziehung sehr leicht zu erkennen an dem Sistrum (wo es nicht restaurirt ist), einem birnförmig gebogenen, mit einigen Drähten oder Stäbchen durch- zogenen Lärminstrument von Erz, und an dem vor der Brust zusam- mengeknüpften Fransengewand. Eine späte, aber noch sehr schöne Statue im Museo Capitolino (Zimmer des sterbenden Fechters); zwei a geringere im Museum von Neapel (Halle der farbigen Marmore). b Von dem Gott des Kampfes, den die römische Kunst überdiess als Vater des Romulus zu verherrlichen hatte, besitzt man auffallender Weise keine völlig sichere Statue von guter Arbeit. Im untern Gang c des capitolinischen Museums steht ein prächtig geharnischtes und be- helmtes Colossalbild, dessen Züge wohl den Sohn des Zeus zu ver- rathen scheinen, das aber eben seiner pomphaften Bekleidung wegen doch wohl eher ein Porträt heissen mag. (Es galt früher für Pyrrhus.) Die gute nackte Statue eines reifen, fast stämmigen Mannes mit Helm d und kurzem Mantel, im grossen Saale desselben Museums, ist wohl unstreitig ein Mars, aber mit dem Angesicht Hadrians. Die mehrfach (z. B. gerade hier) vorkommende Gruppe von Mars und Venus ist durchgängig von später Arbeit und stark restaurirt. Selbst die herr- liche Statue der Villa Ludovisi wird von Manchen als Achill in e Anspruch genommen, mag aber einstweilen als ein ruhender, zur Milde gestimmter Kriegsgott gelten; mit dem Schwert in der Hand, den Schild zur Rechten, sitzt er auf einem Fels, den linken Fuss auf einen Helm gestützt; vor ihm ein Amorin; sein Typus ist im Ganzen dem des Hermes ähnlich, nur mit männlich strengern, härtern Zügen, zumal im untern Theile des Gesichtes. Die Stellung wunderbar leicht, von allen Seiten die schönsten Linien darbietend. Man glaubt auf ein Original des Skopas schliessen zu dürfen. — In der Nähe die Statue f eines ebenfalls nackten, auf dem Boden sitzenden Helden, welche eine belehrende Vergleichung des bloss Heroischen mit dem Göttlichen des Ares gewährt. In vollständiger Rüstung, ausschreitend und mit einer Waffe aus- holend, ist Mars hauptsächlich in den etruskischen Erzfiguren dar- Antike Sculptur. Hermes. a gestellt. (Museo etrusco des Vaticans: der bekannte Mars von Todi; b Uffizien in Florenz, zweites Zimmer der Bronzen, zweiter Schrank: mehrere kleine Figuren dieser Art; doch auch ein ganz kleiner ver- stümmelter Mars des schönen Typus.) Die antike Mythologie gewährte der Kunst oft an einer und der- selben Gottheit viele Seiten und Charakterzüge, die sich darstellen liessen, je nachdem die verschiedenen Entwicklungsperioden des Grie- chenthums, auch wohl die localen Mythen, eine göttliche Gestalt ver- schieden hatten bilden helfen. Endlich aber pflegt sich die Kunst einer jener Seiten entschieden zu bemächtigen und die andern zu vergessen oder nur als Anklänge leise anzudeuten. Reichlichen Beleg hiefür liefert Hermes . Ursprünglich ein unter- irdischer Gott des Gedeihens und des Seegens ward er später der Herr des Gewinns und Verkehrs, ein Bote der Götter, wandelnd vom Olymp bis zur Unterwelt, nach welcher er auch die Menschenseelen geleitet. Kaum eine Gottheit wurde häufiger gebildet; an allen Strassen begegnete man einem Pfeiler mit seinem bärtigen Haupt, sodass dergleichen Pfeiler mit Köpfen überhaupt den Namen „Her- men“ erhielten, gleich viel wen sie darstellten. Da er aber als Gott des Gedeihens auch der Schützer der Gym- nasien war, so wurde später aus dem raschen, rüstigen Götterboten das Ideal eines nur mit dem kurzen Mantel (Chlamys) bekleideten Jünglings der Ringschule, und bei diesem Typus hielt die Kunst stille. Von seiner Botenschaft her blieb ihm bisweilen ein Ansatz von Flü- geln an den Fussknöcheln, auch wohl am Haupt, so wie der Reise- hut; von seinem Heroldsamte bisweilen der Schlangenstab; von seiner Eigenschaft als Kaufmann der Geldbeutel in der Linken; — allein auch ohne diess Alles ist und bleibt er Hermes und zwar gerade in den besten Beispielen. c Weit die erste Stelle nimmt unter diesen der vaticanische Hermes (Belvedere) ein; derselbe welcher früher unbegreiflicher Weise als „vaticanischer Antinous“ bezeichnet wurde. Es ist ein ewig junges Urbild der durch Gymnastik veredelten Leiblichkeit, wie die breite, herrliche Brust, die kräftigen und doch feinknochigen Glie- Hermes. der, die leichte, ruhige Stellung diess vernehmlich ausdrücken. Allein in der ganzen Gestalt waltet ein wahrhaft göttlicher Sinn, der sie über jene Einzelbedeutung weit emporhebt. Sie hat, ich möchte sagen, ein höheres, zeitloseres Dasein als alle menschlichen Athleten, in welchen die Wirkung der letztvorhergegangenen, die Erwartung der nächsten Anstrengung mit angedeutet scheint. Und welch ein wunderbares Haupt! es ist nicht bloss der freundlich-sanfte, feine Hermes, sondern wahrhaftig der, welcher „den obern und den untern Göttern werth“ ist, der Mittler der beiden Welten. Darum liegt auf diesem Jünglingsantlitz ein Schatten von Trauer, wie es dem unsterb- lichen Todtenführer zukömmt, der so viel Leben untergehen sieht. Die süsse, jugendliche Melancholie, welche im Antinous zweideutig gemischt waltet, ist hier mit vollkommener Reinheit ausgedrückt. Die Statue ist stark verstümmelt, geglättet und zweifelhaft re- staurirt. Möge sie wenigstens fortan bleiben wie sie ist. (Eine viel a geringere Wiederholung im grossen Saal des Pal. Farnese.) Noch mancher treffliche Hermes steht in den römischen Galerien, allein keiner der diesem irgend nahe käme. Zur Vergleichung diene z. B. der Hermes mit der Inschrift INGENVI (Vatican, Galeria delle b statue), und derjenige des Braccio nuovo, gute römische Arbeiten. c Im letztgenannten Theile des Vaticans stehen (hinten) auch zwei be- mäntelte Hermen, deren Köpfe wirklich Hermes vorstellen. — Im grossen Saal des capitolinischen Museums glaubt man in der Statue d eines vorgebeugten Jünglings, welcher (in der jetzigen Restauration) den Zeigefinger der Rechten wie horchend erhebt, und den linken Fuss auf ein Felsstück setzt, einen Hermes zu erkennen. Es ist ein stattliches, lebensvolles Werk, etwa aus hadrianischer Zeit. — Ein römischer Hermes, wenigstens mit einem Nachklang jener schönen e Trauer, im Hauptsaal der Villa Ludovisi. Im Museum von Neapel, Abtheilung der grossen Bronzen, bieten f zunächst zwei Köpfe eine interessante Parallele dar. Der eine, alter- thümlich streng, mit einer Reihe von Löckchen wie Korkzieher, zeigt uns den kalten conventionellen Ausdruck des frühern griechischen Typus, während der andere sich der seelenvollen Schönheit des vati- canischen Gottes nähert. Dann findet sich hier die unvergleichliche g Statue des angelnden Hermes . Er hat schon lange gesessen und Antike Sculptur. Hermes. ist darob etwas eingesunken; allein sein Blick sagt, dass er noch lauert und seine ganze leichte Stellung und der Bau seiner Glieder lässt ahnen, mit welcher Elasticität er aufspringen wird. Die Kunst wird keine sitzende nackte Jünglingsfigur mehr schaffen, ohne dieses Erzbild wenigstens mit einem Blick zu Rathe zu ziehen. Ist es aber wirklich Hermes? Was er an den Füssen angeschnallt hat, sind keine Sandalen, sondern Flügel, die ihm also nicht von Hause aus angehören; sodann hat sein Kopf wohl den Hermestypus, aber auf einer niedri- gern Stufe, und vollends geben ihm die abstehenden Ohren etwas Genrehaftes. Vielleicht haben wir irgend einen unbekannten Mythus oder auch nur einen unergründlichen Scherz vor uns. a In den Uffizien zu Florenz kann eine ausgezeichnet wohlerhaltene römische Statue (im ersten Gang) gerade zum Beleg des Gesagten dienen, insofern hier die Flügel unmittelbar über dem Knöchel aus dem Fuss herauswachsen. Von viel grösserer Bedeutung ist der leider b sehr stark und zwar als Apoll restaurirte sitzende Hermes im zweiten Gange. Der Gott ist sehr jugendlich, etwa fünfzehnjährig gedacht, aber in grösserm Verhältniss ausgeführt, sodass man ihn in seinem verstümmelten Zustande leicht verkennen konnte, indem seine spätere gymnastische Bildung hier nur leise angedeutet ist. Ein Blick auf den ebenso jugendlichen Apoll, etwa den Sauroktonos, zeigt freilich den gründlichen Unterschied; hier wollen alle Formen nur das leichteste Dasein ausdrücken, während im Hermes die Rüstigkeit und Elasticität ein wesentlicher Zug ist, selbst wo er ruht wie hier. (Schöne römische Arbeit; in der Nähe eine ähnliche, viel geringere Statue mit dem echten Hermeskopfe; die Lyra, deren Erfinder Hermes war, ist hier antik.) c — Noch knabenhafter und fast genreartig ist Hermes dargestellt in einer Statue der Inschriftenhalle ebenda, einem guten römischen Werke. Er steht auf einen Stamm gelehnt; im ursprünglichen Zustande hielt er etwas mit der rechten Hand, auf die seine Blicke gerichtet sind. d — Ob der gute römische Torso von Basalt (in der Halle des Her- maphr. ebenda) einen Hermes oder einer Satyr vorstellte, ist schwer zu entscheiden. Vom Geschlecht des Hermes als Schützers der Ringschulen sind alle Athleten griechischer Erfindung. Man erwarte hier nicht den zum Athleten. Discobolen. Gladiator abgerichteten römischen Sklaven. Der griechische Jüngling übte sich in allen Gattungen der Gymnastik freiwillig, weil ihm die gleichmässige Ausbildung des ganzen Menschen Lebenszweck war. Und so stellte ihn die Kunst dar, edel bewegt oder edel stehend, ela- stisch ohne alles Tänzerliche, mit irgend einer äussern Andeutung des eigentlich Gymnastischen; der ganze Leib aber ist in allen Theilen durchgearbeitet und der Weichlichkeit abgerungen ohne doch in der reichen Musculatur irgendwie absichtlich zu erscheinen. Eine innere Schwungkraft scheint ihn zu beleben. Der in der Regel kleine Kopf mit kurzem Haar sitzt frei und schön auf dem Nacken; der Ausdruck ist ernst und sanft und klingt sehr deutlich an den des Hermes an. Im Braccio nuovo des Vaticans bereiten die Athleten der Halb- a rotunde, mittelgute Arbeiten, auf den vor drei Jahren gefundenen „ Apoxyomenos “ am Ende des Saales vor. Wenn die Kenner in demselben auch nicht das berühmte Original des Lysipp finden und im Einzelnen Manches tadeln wollen, so bleibt die Statue doch eine der besten dieser Art. Die so schwer auf schöne Weise zu gebende Bewegung der Arme und die dadurch begründete Linie des Körpers sind hier Wunder der Kunst. Sehr reizende Motive gewährten sodann die Discobolen oder Scheibenwerfer; sei es dass sie gebückt im Augenblick des Werfens, oder stehend und sich zum Wurf vorbereitend gebildet wurden; immer geschah es mit dem höchsten, durch die ganze Gestalt verbreiteten Ausdruck des Momentes. Der Vatican enthält (in der Sala della biga) b sehr ausgezeichnete Beispiele, einen stehenden, mit Auge und Geberde sein Ziel messenden, nach Naukydes, und einen gebückten, nach My- ron; von letzterm ein noch schöneres Exemplar im Palast Massimi c zu Rom. Ein sehr zusammengestückelter stehender, von ursprünglich guter Arbeit, im Braccio nuovo des Vaticans. Eine geringere Wieder- d holung des myronischen in den Uffizien, zweiter Gang. e Bei weitem am häufigsten aber sind ruhig stehende Athletenbil- der, ohne Andeutung einer besondern Thätigkeit. Bei ihrer oft stark restaurirten Beschaffenheit und dem meist geringen Werth ihrer Aus- führung (als Decorationsfiguren) ist es nöthig sich zu erinnern, dass man doch vielleicht manches Nachbild nach jenen hunderten der schön- sten Athletenstatuen im Hain von Olympia vor sich hat. — Zu diesen B. Cicerone. 28 Antike Sculptur. Athleten. Ringer. ruhig stehenden Athleten gehört vielleicht, wie wir sehen werden, der a sog. capitolinische Antinous. Andere Arbeiten von Werth: der Athlet mit Salbgefäss in der Galeria delle Statue des Vaticans; der schlanke, b kurzhalsige, einem alterthümlich strengen Original nachgebildete, im grossen Saale des capitolinischen Museums; der das Stirnband Um- c legende (Diadumenos) im grossen Saal des Palastes Farnese, nach einem berühmten Motiv. — Vier Athleten im ersten Gang der Uffi- d zien zu Florenz, zum Theil willkürlich restaurirt und von jeher nicht viel mehr als Decorationsarbeit, aber vielleicht nach Originalen der grossen alten Zeit, worauf der breite, gewaltige Typus und beson- ders die Bildung des Kopfes und Halses hinweist. Ein ähnlicher im e Pal. Pitti (inneres Vestibul oberhalb der Haupttreppe.) f Von den Bronzen des Museums von Neapel (Abtheilung der grossen Bronzen) gehören ausser mehrern schönen Köpfen hieher die beiden trefflichen Statuen der gebückt laufenden Jünglinge. Bei Wer- ken von so lebensvoller, wenn auch einfacher Arbeit hat der geringste Zug seine Bedeutung. Es wird also eine sehr aufmerksame Betrach- tung wohl dahin gelangen zu entscheiden, ob eigentliche Wettläufer, ob Discuswerfer die ihrer entrollenden Scheibe nachblicken, ob end- lich Ringer gemeint sind, welche sich den Punkt des Angriffs er- sehen. Kenner des jetzigen Ringkampfes versichern das Letztere. g Ein sehr tüchtiger bronzener Athlet, der sog. Idolino, steht in den Uffizien (zweites Zimmer der Bronzen) auf einer prächtigen Basis aus der Renaissancezeit, von Verocchio oder Settignano. — h Ebendaselbst (sechster Schrank) die Statuette eines Ringers in voller Bewegung; am aufgehobenen rechten Ellbogen ist noch die Hand seines fehlenden Mitringers erhalten. Diese wahrscheinlich erst aus römischer Zeit stammenden Exem- plare lassen auf die Verehrung schliessen, welche jenen ebenfalls ehernen Athletenbildern der griechischen Kampfstätten noch immer gewidmet wurde. Die spätere Sculptur muss nach den Siegerstatuen von Olympia wie nach einer Sammlung von Urkunden der Kraft und Anmuth emporgeblickt haben. Die beiden Ringer in der Tribuna der Uffizien zu Florenz werden bei Anlass der Gruppen behandelt werden. Gladiatoren. Krieger. Bekanntlich nahmen, wenigstens in Sparta, auch die Mädchen an gewissen Wettkämpfen Theil, und es ist zu glauben, dass sich die Sculptur die darstellbaren Motive nicht entgehen liess, welche dabei zum Vorschein kamen. Erhalten ist, wenigstens in guter alter Copie, eine zum Auslauf bereite Wettläuferin (im obern Gang des Vaticans); a eine graziöse, nichts weniger als amazonenhafte Gestalt, in welcher das Jungfräuliche vortrefflich ausgedrückt ist. Die kurzgeschnittenen Stirnhaare gehörten zur Sache; auch die Büste ist so ausgeweitet wie der Wettlauf es erfordert, die Beine von einer fast scharfen Aus- bildung. Überaus traurig ist der endliche Ausgang des Athletenbildens. Das kaiserliche Rom begeisterte sich nämlich so sehr für die Wagen- führer seiner Cirken und die Gladiatoren seiner Amphitheater, dass deren leibhafte Abbildungen mit Namensbeischrift Mode wurden. Die- ser Art sind schon die Mosaikfiguren aus den Caracallathermen in b einem obern Saale des Laterans und vollends die aus dem IV. Jahr- c hundert stammenden im Hauptsaal der Villa Borghese. Selbst an Sarcophagen (z. B. einem im ersten Gang der Uffizien) kommen Wa- d genführer mit Namen vor. Auch die alten Griechen waren von der persönlichen Darstellung bestimmter Athleten ausgegangen, allein sie hatten dieselbe auf eine allgemeine Höhe des Schönen gehoben und sie bald nur als vielgestaltige Äusserungen des Schönen dargestellt. Es kann nicht befremden, dass die Statuen von hellenischen Kriegern bisweilen schwer von den Athletengestalten zu trennen sind. Über eine der berühmtesten Statuen des Alterthums, den bor- ghesischen Fechter (im Louvre), hat man sich lange Zeit nicht ganz einigen können, ob darin ein Ringkämpfer oder ein Krieger zu erkennen sei; die Stellung spricht für das letztere, die Formen des Körpers aber sind die der vollendetsten Athletik, wie sie kaum an einer andern Statue vorkommen. (Von einem römischen Gladiator kann gar nicht die Rede sein.) Eine Anzahl von Statuen aber stellen ohne Zweifel wirkliche Krieger dar, mögen sie nun besonders gearbeitet sein oder irgend einer Schlachtgruppe angehört haben. Ersteres gilt wohl von dem 28* Antike Sculptur. Krieger. Heroen. a schönen, ausruhend auf der Erde sitzenden Krieger der Villa Ludo- visi (Hauptsaal), von griechisch scheinender Arbeit, den wir schon bei Anlass des nahen Ares erwähnten. Vier Marmorbilder des Museums von b Neapel (erster Gang, leider wie so Manches aus der alten farnesischen Sammlung stark überarbeitet) waren vielleicht eher Theile einer Gruppe und zwar am ehesten einer Giebelgruppe, wie ihre ausschliessliche Be- rechnung auf die Vordersicht andeutet * Einer Gruppe gehörte auch wohl der schlecht restaurirte knieende Krieger in den Uffizien zu Florenz (zweiter Gang) an, ehemals vielleicht ein gutes Werk. . Einer dieser Kämpfer sinkt tödtlich verwundet zusammen; einer, mit besonders schön entwickeltem Körper, ist im Anspringen begriffen; ein dritter legt aus; ein vierter, sehr jugendlich und mit kurzem Mantel bekleidet, scheint sich, bereits verwundet, zu vertheidigen. Die Motive sind sämmtlich von höherm Werthe als die übrigens noch immer gute Ausführung; es sind schöne griechische Einzelgedanken aus einer jener Kampfscenen, die das be- deutendste Factum in einer geringen Anzahl von Figuren gleichsam verdichtet und concentrirt darstellen mussten. Dass das Urbild ein sehr altes war, beweist der einzig echt erhaltene Kopf des zweiten, dessen regelmässige Haarlöckchen und starkes Kinn noch unmittelbar an die Ägineten erinnern. — In demselben Gang finden sich noch mehrere Kriegerstatuen theils von geringerm Werth, theils von über- c wiegend modernen Bestandtheilen. — In der Halle des farnesischen Stieres findet sich auch eine jener seltenen Statuen aus dem trojani- schen Heldenkreise (colossal, schon in antiker Zeit (?) restaurirt und mit einem Bildnisskopf versehen); der fast nackte Krieger trägt einen todten Knaben, den er an dem einen Fusse hält und über die Schul- ter hängen lässt, eilig aus dem Kampfgewühl; es ist wahrscheinlich Hektor, der dem Achill die Leiche des Troilos entrissen. Hier ist die Bildung allerdings keine athletische mehr, sondern eine im höhern Sinn heroische, soweit die antike Beschaffenheit sich erkennen lässt; die Bewegung und das Motiv der beiden Körper verrathen ein vor- treffliches Urbild. — Noch viel berühmter aber muss eine oft wieder- holte Gruppe: Aiax (n. a. Menelaos) mit dem Leichnam des Patroklus gewesen sein, welche bei Anlass der Gruppen zu besprechen sein wird. Heroen. Jäger. Meleager. Der trefflichste Achill ist mit der ältern borghesischen Sammlung in den Louvre übergegangen. Vielleicht ist mit einer tüchtigen He- a roenstatue der Villa Albani (Vorhalle des Kaffehauses) Achill gemeint. — Einen wunderschönen Kopf des Achill, von griechischer Arbeit, b findet man im Camposanto zu Pisa (N. 78). Von Odysseus haben wir nichts Sicheres, als die kleine Statue des Museo Chiaramonti (Vatican), welche ihn darstellt, wie er dem c Kyklopen die Schale reicht. Eine stramme, kräftige Figur; in den Zügen mehr der Energische, Vielduldende als der Schlaue. Als Bildnissstatue eines Kriegers aus der historischen Zeit ist jedenfalls der Alcibiades in der Sala della biga des Vaticans zu d betrachten, auch wenn die Benennung sehr zweifelhaft bleiben sollte. Es ist ein sehr schöner Akt der Vertheidigung; der Beschauer er- wartet, dass sie erfolgreich sein werde, weil in der ganzen Gestalt nicht nur physische Macht, sondern hohe geistige Entschiedenheit waltet. Auf die Krieger folgen die Jäger und zwar zunächst ihr mythi- sches Urbild, Meleager . Die berühmte vaticanische Statue (Be- e vedere), ein vorzügliches Werk der Kaiserzeit, wenn auch nicht in allen Theilen gleichmässig belebt, giebt uns diesen Typus in seiner vollkommenen Ausbildung, sehr dem Hermes genähert, selbst in Ge- stalt und Zügen des jugendlichen Kopfes, und doch wieder wesent- lich von ihm verschieden. Die Jagd verlangt und bildet einen Körper anders und einseitiger als die Athletik; ihr genügt das Schlanke und Rasche; eine für jede Probe durchgearbeitete Musculatur wäre über- flüssig. So schön und leicht nun diese Gestalt dasteht, so unbeholfen und zweideutig ist die Stützung unter dem linken Arm (Eberkopf und Tronco). Vielleicht hatte der Künstler ein ehernes Urbild vor sich und musste sich in Marmor helfen, wie er konnte. Eine kleine Wie- derholung von rosso antico im Museum von Neapel (Halle der farbi- f gen Marmore). Eine stark überarbeitete lebensgrosse Statue im Haupt- g saal der Villa Borghese. Weit von dieser Auffasung entfernt und durch den Contrast be- lehrend: die Statue eines Jägers im grossen Saal des Museo capitolino. h Antike Sculptur. Pallas. Hier handelt es sich nicht um einen mythischen Heros, sondern nur um einen besonders geschickten und begünstigten römischen Jagd- sclaven, der denn auch wie er war, von der Hand eines guten Künst- lers (vielleicht der augusteischen Zeit), vor uns steht. Ob „Polyti- mus der Freigelassene“, wie an der Basis zu lesen ist, auf den Jäger Bildhauer oder Eigenthümer geht, wollen wir nicht entscheiden. Wenn sich in jeder Gottheit irgend eine Seite des griechischen Wesens ideal ausdrückt, so ist Pallas Athene eine der höchsten Versinnlichungen dieser Art. Aus der Lichtjungfrau, welche die dämo- nischen Mächte bekämpft und das Haupt der besiegten Gorgo an der Brust trägt, war schon bei Homer und Hesiod eine Schützerin jeder verständigen und kräftigen Thätigkeit, die Begleiterin, der Genius des „Griechen als solchen“ geworden, wie wir den vielduldenden Odysseus wohl nennen dürfen; sie ist der Verstand des Zeus und aus seinem Haupte geboren. Weder der Peloponnes noch Jonien hätten sie herr- lich genug gebildet; als Schutzherrin von Athen erhielt sie ihren Typus durch die grössten Künstler dieser Stadt, vorzüglich durch Phi- dias; aus ihrer Gestalt scheint Athen selber vernehmlich zu uns zu sprechen. Die ältere Kunst hob an ihr wesentlich das Kriegerische hervor; erregt, selbst stürmisch schreitet die bewaffnete, strenge Jungfrau mit ihren fast männlichen Formen und Geberden einher. So die schon a erwähnte hieratische Statue in der Villa Albani (Reliefzimmer). — Eine späte Nachahmung eines ruhigern Tempelbildes, im Hauptsaal b der Villa Ludovisi, interessirt hauptsächlich durch den Künstlernamen: Antiochos von Athen. Einen viel entwickeltern Typus, in welchem indess noch immer die kriegerische Stadtherrscherin vorwaltet, finden wir in einer Statue c des Museums von Neapel (Halle der Flora) ausgedrückt. Das Haupt, von mächtigen, fast junonischen Formen, trägt einen Helm, dessen reicher Schmuck sammt der umständlich behandelten Aegis der ganzen Gestalt noch etwas Buntes giebt. Man vergleiche mit dieser Statue die in der In- d tention übereinstimmende im Hauptsaal der Villa Albani, welche bei sehr vorzüglicher griechischer Arbeit noch etwas Heftiges und Befangenes hat; Pallas. die Statur untersetzt, der Helm, in Form eines Thierfelles, wie eine Haube anliegend. (Eine schöne kleine Bronze der Uffizien: Bronzen, a II. Zimmer, 1. Schrank, zeigt ähnliche Auffassung.) Sehr eigenthümlich, als kriegerisches Mädchen, erscheint Pallas in einer schön gedachten, aber nur mittelgut ausgeführten Statue der Uffizien (Verbindungsgang); b das vortrefflich übergeworfene, mit der Linken an der Hüfte festge- haltene Gewand reicht nur bis an die Waden. Der echte, wenigstens alte Kopf schaut, seit das Halsstück neu eingesetzt ist, etwas senti- mental aufwärts. Die volle Herrlichkeit der Göttin spricht sich jedenfalls erst in demjenigen Typus aus, welcher in zwei (nicht sehr von einander ab- weichenden) Statuen erhalten ist: der Pallas Giustiniani im Braccio c nuovo des Vaticans, und der Pallas von Velletri Eine andere Pallas von Velletri im Louvre ; es ist die colossale mit erhobe- nem rechtem Arm. in der obern Ga- d lerie des capitolinischen Museums. In langem einfach gefaltetem Ge- wand und Mantel steht sie ruhig da; von den Waffen hat die letzt- genannte Statue sogar nur den schlichten hohen Helm und den Speer. Ihr länglich ovales Antlitz mit dem strengen Blick und Mund ist bei hoher Schönheit weit entfernt von aller Bedürftigkeit, von aller Liebe; das unbeschreiblich Klare ihrer Züge wirkt indess doch nicht wie Kälte, weil eine göttliche Macht darin waltet, die Vertrauen erregt. Gerade die gänzliche Einfachheit der ganzen Darstellung lässt diesen Ausdruck so überwältigend hervortreten. — Ob wir hier einen der Typen des Phidias oder einen etwas spätern vor uns haben, mag un- entschieden bleiben — jedenfalls wird man den Künstler glücklich preisen, der das Wesen der Pallas Athene zuerst so empfand. (Die Pallas von Velletri in der Arbeit ungleich; die giustinianische leider stark geglättet. Eine ähnliche Figur, von guter römischer Arbeit, mit modernem Kopfe, im Pal. Pitti zu Florenz, inneres Vestibul ober- e halb der Haupttreppe). Eine Menge einzelner Büsten der Göttin halten im Ganzen diesen spätern, ruhigen Typus fest. Man wird im Braccio nuovo des Vati- f cans eine sehr schöne, in der Höhe stehende vielleicht nicht sogleich als modern erkennen; der Kopf ist aber in der That einem antiken Antike Sculptur. Roma. Tyche. a Bruchstück zu Liebe hinzugearbeitet. — Im Museo Chiaramonti eine Colossalbüste mit eingesetzten Augen und Drahtwimpern, etwas leere römische Prachtarbeit. Ebendort ein kleines gutes Köpfchen. In den b Büstenzimmern eine vortreffliche grosse Büste. Im Museum von Nea- c pel (Halle des Jupiter) zwei gute Büsten. Von der kriegerisch gerüsteten Pallas geradezu entlehnt wäre der Typus der Göttin Roma , wenn wir die einzige vorhandene Statue d über dem Brunnen auf dem Capitol wirklich als solche in Anspruch nehmen dürfen. — Ganz sicher ist dagegen das Relief an der Palast- e Treppe der Villa Albani; die schlanke, amazonenhafte Roma, in kur- zem Gewand bis an die Knie, das Haupt behelmt, thront hier auf Trophäen. Bei nicht eben geistvoller Ausführung ist sie als die stets rüstige, sprungfertige Siegerin doch glücklich charakterisirt. — f Die sitzende Colossalstatue im Garten der Villa Medici soll ebenfalls eine Roma sein. Bei diesem Anlass sind noch einige andere locale Personificationen zu nennen. Auch die Provinzen wurden bisweilen an Siegesdenkmalen charakterisirt. Von grössern Bildwerken dieser Gattung sind uns nur g eine Anzahl Hochrelieffiguren erhalten (eine im untern Gang des Museo Capitolino, eine im Hof des Conservatorenpalastes, mehrere im Museum von Neapel, Halle des Jupiter), leblose römische Decorationsarbeiten. h An einem berühmten Altar aus Puteoli (Museum von Neapel, Halle des Tiberius) sind vierzehn asiatische Städte als allegorische weibliche Figuren dargestellt, wobei die Kunst sich begreiflicher Weise sehr auf die Attribute stützen musste; überdiess ist der Marmor sehr verwittert. — Diess Alles kommt kaum in Betracht neben einer kleinen, wunder- i schönen Figur des Vaticans (oberer Gang), welche die Tyche oder Stadtgöttin von Antiochien vorstellt. Ganz bekleidet sitzt sie mit aufgestücktem Arm und übereinandergeschlagenen Füssen auf einem Fels, unter ihr die nackte Halbfigur des Flussgottes Orontes. (Nach- ahmung eines Werkes aus der Diadochenzeit.) Hier endlich ist vor Allem ein schönes lebendes Wesen dargestellt und die geographische Symbolik untergeordnet. In Antiochien, wo das Urbild stand, wusste Amazonen. ja doch Jedermann, welche Göttin gemeint war. (Zwei kleine Bronze- a wiederholungen in den Uffizien, II. Zimmer d. Br., 4. Schrank.) In eigenthümlicher Seitenverwandtschaft zu Pallas Athene ste- hen, dem Typus nach, die Amazonen , deren höchste Ausbildung ja vielleicht wesentlich demselben grossen Bildner angehört, welchem das höchste Ideal der Stadtgöttin von Athen seine Züge verdankt, Phidias. Der herrliche Gedanke, männliche Kraft in weiblichem Leib darzu- stellen, gehört ganz der Zeit der hohen Kunst an, sowie die zierlich und buhlerisch gewordene Kunst sich charakterisirt durch die Schö- pfung des Hermaphroditen, welcher durch die Vermengung des sinn- lich Reizenden der beiden Geschlechter ein vermeintlich Höheres re- präsentiren soll. — Die Sage von dem kriegerischen asiatischen Frauen- volk und von seinen Kämpfen mit den griechischen Helden gab nur den Anlass zu dem hohen künstlerischen Problem, welches Polyklet, Phidias, Ktesilaos, Dositheus u. A. jeder auf seine Weise löste. Aus- geschlossen blieb wie bei Pallas in dem strengen ovalen Kopf jeder Ausdruck des Liebreizes; bei aller Entfaltung der Kraft gehen aber doch die Formen nie über das Weiche und Weibliche hinaus. Das leichte aufgeschürzte Gewand deckt nur einen Theil der Brust und die Hüften bis zum Knie; es fliesst so um die Gestalt, dass jede Nuance der Bewegung sich darin klar ausdrückt. Diess war sehr wesentlich, denn das Heroische liess sich im Weibe, wenn es schön bleiben sollte, überhaupt nur als Rüstigkeit, Bewegungsfähigkeit dar- stellen. — Bei den einzelnen auf uns gekommenen Motiven ist nie zu vergessen, dass die Künstler diese Heroinnen als Gattung, als Volk dachten, und dass wir lauter Episoden eines grössern Ganzen vor uns sehen. Das schönste Motiv, die den Speer zum Sprung auf- stützende Amazone des Phidias, kann man leider nirgends rein ge- niessen, indem sie (Exemplare im Braccio nuovo und in der Gale- b ria delle statue des Vaticans, sowie im Museo Capitolino, Zimmer des c sterbenden Fechters) statt des Speeres mit einem Bogen restaurirt zu werden pflegt, doch bleibt der Ausdruck und die imposante Haltung des Kopfes, und in dem Körper das so kräftige und zugleich so an- muthige sich Anschicken zum Sprunge. — Die verwundete Amazone Antike Sculptur. Apoll. a des Ktesilaos, in einer Wiederholung des Sosikles, im grossen Saale des Museo capitolino. b Eine interessante kleine Bronzewiederholung der Amazone des Phi- dias findet sich in den Uffizien (Bronzen, II. Zimmer, 2. Schrank; mit restaurirtem Arm.) c An der bekannten Statuette des Museums von Neapel (grosse Bronzen), welche eine behelmte kämpfende Amazone zu Pferd dar- stellt, ist der Typus nur wenig zu erkennen. Die Gestalt Apolls wie wir sie aus den Statuen der Blüthezeit und deren Nachahmungen kennen lernen, ist das gemeinsame Resultat sehr verschiedener mythischer Grundanschauungen und einer bestimm- ten künstlerischen Absicht auf eine Darstellung des Höchsten. Apoll ist ein kämpfender Gott, welcher Ungeheuer und trotzige Menschen zernichtet, er ist zugleich der Gott alles heilvollen, harmonischen Da- seins, dessen Sinnbild und Beihülfe Musik und Dichtung sind; als Theilhaber an der höchsten Weisheit gehört ihm auch vorzugsweise die Weissagung und deren Ausdruck, die Orakel. Die ausgebildete Kunst aber konnte diese Charakterzüge nicht alle einzeln darstellen; sie gab als gemeinsames Symbol aller Ordnung und alles Heiles ein Bild der höchsten, man könnte sagen, centralen Jugendschönheit, wie dies dem Geiste des Griechen gemäss war. Kithara, Lyra, Bogen und Köcher bleiben nur als Attribute; das wahre Kennzeichen des Apoll ist eine Idealform, welche von jeder Spur einer Befangenheit, eines Bedürfnisses vollkommen rein ist, und nicht bloss zwischen dem gymna- nastischen Hermes und dem weichen Dionysos, sondern zwischen allen Göttergestalten die höchste Mitte hält. Schlanke Körperformen, mit so viel Andeutung von Kraft als die jedesmalige Bewegung verlangt; ein ovales Haupt, durch den mächtigen Lockenbund über der Stirn noch verlängert erscheinend; Züge von erhabener Schönheit und Klarheit. Von den in Italien vorhandenen Statuen gewähren allerdings nur wenige eine volle Anschauung dieses Ideals; die meisten sind römi- sche, sogar nur decorative Arbeiten. Doch befindet sich darunter der d vaticanische Apoll (in einem besondern Gemach des Belvedere); als Sieger über den Drachen Python, vielleicht über die Niobiden, ja Apoll. Apollino. als Vertreiber der Erinnyen gedacht — je nachdem man einer Erklä- rung beipflichtet — wendet er sich, nachdem sein Pfeil getroffen, mit hohem Stolz, selbst mit einem Rest von Unwillen hinweg. (Die de- klamatorisch restaurirte rechte Hand möge man sich wegdenken.) Wahrscheinlich Nachahmung eines Erzbildes, wie der Mantel andeutet, zeigt diese Statue eine Behandlung des Einzelnen, die man am ehe- sten der ersten Kaiserzeit zutrauen will und die gegenwärtig nicht mehr so mustergültig erscheint, wie zur Zeit Winkelmanns. Einer unvergänglichen Bewunderung bleibt aber der Gedanke des Ganzen würdig, das Göttlich-Leichte in Schritt und Haltung, sowie in der Wendung des Hauptes. (Welches übrigens, der Wirkung zu Liebe, weit nach der rechten Schulter sitzt.) Noch im Kampfe begriffen, die Sehne des Bogens anziehend So schliesst man aus der Haltung der Hände, denn der Bogen ist nicht mehr erhalten. , a finden wir Apoll in einer Bronzestatue des Museums von Neapel (grosse Bronzen). Hier ist er ungleich jugendlicher, schlank, als Knabe, doch mit einem ähnlichen unwilligen Ausdrucke des Köpf- chens gebildet. Die schöne Bewegung seines Laufes wird durch das über den Rücken und dann vorn über die Arme geschwungene Stück- chen Gewand gleichsam noch beschleunigt. Am häufigsten repräsentirt ist der Typus des angelehnt ausru- henden Apoll, welcher den rechten Arm über das Haupt schlägt und mit der Linken meist die Kithara hält. Dieses Motiv mit seinem fast genrehaften Reiz kam, wie wir denken möchten, ursprünglich nur einem sehr jugendlichen Apoll zu, und so stellt auch die berühmte florentinische Statue (Uffizien, Tribuna), welche mit Recht der „ Apol- b lino “ genannt wird, den Gott auf der Grenze des Knaben- und Jüng- lingsalters dar. Leider musste dieses Werk in neuerer Zeit, schwerer Verletzungen wegen, einen Kittüberzug annehmen, welcher die echte Epidermis völlig verhüllt; allein die praxitelische Schönheit schimmert noch deutlich durch. Der Ausdruck des leichtesten Wohlseins ist hier mit einem hohen Ernste verbunden, welcher die Gestalt auf den ersten Blick von bloss halbgöttlichen Wesen unterscheidet. Die lebensgrossen, ja colossalen Statuen desselben Motives sind Antike Sculptur. Apoll. Sauroktonos. wohl nur spätere und an sich keinesweges glückliche Einer der vielen Belege dafür, wie wenig der Massstab Sache der Willkür ist. Je feierlicher, symmetrischer ein Motiv ist, desto eher wird es Ver- grösserungen und Verkleinerungen ertragen; je momentaner und genrehafter, desto weniger; sodann dürfen Unausgewachsene, für welche die Kindes- und Knabengrösse ein Theil des Charakters ist, nicht bedeutend vergrössert werden — anderer und gewichtiger Seitenursachen nicht zu gedenken. Lehr- * reich sind in dieser Beziehung die vergrösserten Marmorcopien berühmter Antiken in der Villa reale zu Neapel. Wenn vielerlei Ungleichartiges, noch dazu in freiem Raume, gleichmässig wirken soll, so wird man allerdings dem Massstab Gewalt anthun müssen; das Auge wird aber den einzelnen Fall auch leicht errathen, wo diess geschehen ist. Das riesenhafte Herakles- kind im grossen Saale des Museo capitolino gehört ebenfalls hieher — um von den Weihbeckenengeln in S. Peter zu schweigen. Vergrösserun- gen, welches auch ihre Umbildung ins Erwachsene und Volle sein a möge. So die zum pythischen Apoll mit Schlange und Dreifuss um- geschaffene, colossale halbbekleidete Figur von dieser Haltung, im b grossen Saal des Museo capitolino, und die ähnliche grosse Basalt- statue im Museum von Neapel (Halle der farbigen Marmore); besser c und ganz nackt die grosse Statue im Zimmer des sterbenden Fechters (Museo capitolino); — ehemals hatte dieselbe Stellung der jetzt mit d aufgestrecktem Arm restaurirte Apoll am Ende des ersten Ganges der Uffizien, vielleicht eine Arbeit hadrianischer Zeit; auch derjenige im e Dogenpalast zu Venedig, Corridojo, leidlich römisch. Eine vom Apollino ganz verschiedene und doch wieder unendlich schöne Bildung des jugendlichen Apollon verdanken wir sicher dem grossen Umbildner des Erhabenen in das Lieblich-Reizende, Praxi- teles. Es ist derjenige Apoll, welcher, mit der Linken leicht an einen Baumstamm gelehnt, einer an diesem emporkriechenden Eidechse auf- lauert. (In der Rechten, wo sie richtig restaurirt ist, hält er den Pfeil, womit er das Thier zu tödten gedenkt, sobald es hoch genug ge- krochen sein wird; daher sein Name Sauroktonos , Eidechsentötder.) Die noch beinahe knabenhaften, überaus schlanken Formen, die fast weiblich schönen Züge des Kopfes und die leichte ruhende Stellung, welche an den Satyr periboëtos desselben Meisters erinnert, geben diesem genrehaften Motiv einen hohen Reiz. So musste das Far niente eines jungen Gottes gebildet werden. Ein sehr schönes, stark Apoll. Sogenannter Adonis. restaurirtes Exemplar im Vatican, Galeria delle statue. Ungleich ge- a ringer das kleine bronzene in der Villa Albani (Zimmer des Aesop). b Eine ähnliche Statue, aber mit Lyra, Dreifuss u. s. w. aus Marmor c verschiedener Farben ergänzt, in den Uffizien zu Florenz (zweiter Gang). Diesem berühmten Motiv glauben wir den sog. Adonis des Mu- d seums von Neapel (in der danach benannten Halle) an die Seite stel- len zu dürfen. Abgesehen von den restaurirten Armen und Beinen bleibt ein jugendlicher Torso übrig, minder weich als Dionysos, min- der athletisch als Hermes, mit einem reichlockigen Haupt, dessen Züge am ehesten sich den apollinischen nähern. Eine Ahnung sagt uns, dass auch dieses schöne, geniessende Wesen in die Reihe praxi- telischer Bildungen zu setzen sein möchte; über seine besondere Be- nennung darf man im Zweifel bleiben. Die vorzügliche Arbeit könnte wohl griechisch sein Eine sehr schöne kleine Bronze, welche mich in der Auffassung an diese Statue erinnerte, findet sich im Museo zu Parma. Ebendort noch ein guter * ganz kleiner Apoll. . — Vielleicht der trefflichste Apoll Roms, nach dem belvederischen und dem Sauroktonos, ist derjenige im Musen- e zimmer der Villa Borghese . (Von parischem Marmor; bis an die Knie das Meiste alt.) An demjenigen im grossen Saal des Palazzo f Farnese sind die alten Theile ebenfalls sehr schön. Als Führer der Musen nimmt der Gott eine Gestalt und Haltung an, welche nur im Zusammenhang mit den Musen selbst ihren vollen Sinn offenbart (S. unten.) Von den einfachen, stehenden Apollobildern ohne besondere Be- ziehung ist dasjenige im Palast Chigi zu Rom nennenswerth, welches g noch mehr dem kräftigen als dem reichschönen Typus nahe steht. Noch alterthümlicher, vielleicht nach einem frühgriechischen Werke, ein h zweiter Apoll im grossen Saal des Museo capitolino. Eine kleine flo- rentinische Bronze (Uffizien, II. Zimmer d. Br., 1 Schrank) stellt den i Apoll ebenfalls in früherer Art, mit der Rechten über die Schulter in den Köcher greifend, dar. Ein bis jetzt nicht erklärter Moment der Ruhe ist ausgedrückt in dem nackt mit gekreuzten Beinen stehenden, scheinbar mit dem linken Oberarm auf sein lang herabfallendes Gewand gelehnten Apoll; am Antike Sculptur. Artemis. untern Ende des Gewandes der Schwan. (Ich kenne davon fünf Exem- a plare: Museum von Neapel, zweiter Gang; — Museo capitolino, grosser Saal; — Uffizien in Florenz, erster — und zweiter Gang, das letztere vielleicht am besten gearbeitet; — grosser Saal des Palazzo vecchio in Florenz.) Ob das Gewand irgend eine Stütze verhüllend gedacht ist, von der doch wenigstens in den vorhandenen Wiederholungen gar keine Andeutung erscheint? Ob ein ehernes Original vorlag, dessen Stütze dem Copisten in Marmor nicht genügen konnte? Jedenfalls muss das Urbild von hohem Werthe gewesen sein, wie schon die öftere Wiederholung und die höchst anmuthige Stellung zeigt. Das zweite florentinische Exemplar hat einen fast weiblichen und doch echten Kopf. Die Schwester Apolls hat wie in den Grundbedeutungen (als Kämpferinn gegen Thiere und Frevler und als Lichtspenderin) so auch in der Gestalt Ähnlichkeit mit ihm. Die Kunst der Blüthezeit bildete sie indess nicht zu einem so allseitigen Ideal aus wie den Bruder; der Aphrodite blieb es vorbehalten, die „Wonne der Götter und der Men- schen“ zu werden, während in Artemis Bewegung und Thätigkeit zu sehr vorherrschten. Ihre sehr zahlreichen, aber fast durchgängig stark restaurirten Statuen lassen sich auf zwei merkbar verschiedene Typen zurückführen. Der eine ist der einer reifen Jungfrau von reicher, voller Bildung, welche sich bisweilen in der Rundung und den Zügen des Hauptes der siegreichen Aphrodite nähert. Die Gestalt ist wohl die der Jäge- rin, allein ohne alles Amazonenhafte, von milden Formen. So sehen b wir sie, ganz bekleidet, in der liebenswürdigen Statue des Braccio nuovo (Vatican); es ist Diana , die den schlafenden Endymion be- schleicht, ängstlich und behutsam, in denkbar schönster Bewegung. — Die meisten Statuen stellen sie jedoch bloss in dem bis über die Kniee aufgeschürzten Untergewand, hurtig schreitend, begleitet von einer Hirschkuh, auch wohl von einem Hunde dar. So das mittel- c mässige, aber des Kopfes wegen charakteristische Werk im Museum von Neapel (zweiter Gang). Bisweilen sind ihre Locken über der Stirn zu einem Bunde (Krobylos) geknüpft, wie es der Jägerin und auch dem streitbaren Apoll zukömmt, (der schönen Wirkung halber Artemis. indess auch bei den Aphroditenbildern von der knidischen abwärts zur Regel wurde.) Der andere Typus, der sich viel enger an den des Apoll an- schliesst, musste da entstehen, wo die Geschwister als zusammenge- hörig dargestellt oder gedacht wurden, also bei ihrem gemeinsamen Kampf, z. B. gegen die Niobiden. So ist das getreue Gegenstück zum Apoll von Belvedere die Diana von Versailles (im Louvre) dem Bru- der dermassen entsprechend gebildet, dass man an einer Zusammen- gehörigkeit beider kaum zweifeln mag. Ausser den sehr schlanken Verhältnissen hat die Göttin mit ihm hier auch den Ausdruck des Unwillens gemein, der in dem schmalen weiblichen Kopfe sich fast zu scharf und höhnisch ausspricht; ihre nicht menschlich ungestüme, sondern übermenschlich unaufhaltsame Bewegung zeigt, dass sie erst zum Kampf oder zur Jagd eilt, während Apoll seinen siegreichen Pfeil schon entsandt hat. Von den italienischen Sammlungen enthält das Museum von Neapel (grosse Bronzen) den Oberleib einer Diana, welche a zu dem ebendort aufgestellten laufenden Apoll (S. 443, a) gehörte und zugleich stark an die Statue des Louvre erinnert. Als Lichtbringende (lucifera), als Luna (Selene) erscheint Diana in der Regel ganz bekleidet So schon in der ihres Werthes halber zuerst genannten Diana des Braccio nuovo, welche ja als Selene gedacht ist. mit (meist restaurirten) Fackeln in den Händen. (In der körperlichen Bildung bald mehr dem erstgenannten bald mehr dem letztgenannten Typus entsprechend.) Die Kunst bemühte sich hier, das Eilige und Leichte des Schrittes in einem reichen, rau- schend bewegten Gewande auszudrücken. Wir besitzen von zwei ge- wiss sehr vorzüglichen Originalen, einem stark ausschreitenden und einem in kleinen Schritten gleichsam schwebenden, nur Nachbildungen von bedingtem Werthe. Statuen im Museo Chiaramonti und im Ga- b binetto delle Maschere des Vaticans; die letztere mit einem ähnlichen c fast bittern Ausdruck, wie die Tödterin der Niobiden; die reichen Haare nicht aufwärts gebunden, sondern offen zurückwallend. — Eine wirklich schwebende (auf einem zurücktretenden Tronco ruhend) im d Kaffehaus der Villa Albani; ihr Kopf vom ernst-lieblichen Typus. Eine schlecht restaurirte Schreitende im Pal. Riccardi zu Florenz (Vor- e zimmer der Acad. della Crusca). Antike Sculptur. Aphrodite. Die Siegreiche. Bei einem Vergleich mit den flatternden Gewändern der Bernini- schen Schule wird man selbst den manierirtesten Dianenbildern dieser Art im Verhältniss das schöne und edle Masshalten zugestehen, das die antike Kunst nie ganz verlässt. a Schliesslich ist eine schöne kleine Bronze der Uffizien (II. Zim- mer d. Br., 4. Schrank) nicht zu übersehen. So wie Apoll unter den Göttern, so bezeichnet Aphrodite unter den Göttinnen die Sonnenhöhe griechischer Idealbildung, nicht in ihrem ältern, königlich matronenhaften Typus, sondern in der- jenigen Gestalt, die sie erst in der Zeit nach Phidias empfing. Und zwar scheint sich zunächst diejenige Darstellung ausgebildet zu haben, welche wir aus der Venus von Melos (im Louvre) kennen lernen; vielleicht aus Scheu, zu frühe in den gewöhnlichen Liebreiz zu ver- fallen, gestaltete die Kunst sie als Herrin selbst über göttliches Ge- schick, als Venus victrix , wahrscheinlich mit den Waffen des Ares in den Händen, vielleicht auch eine Palme umfassend Bekanntlich fehlen der Venus von Melos die Arme und auch die Fortsetzung der Basis bleibt zweifelhaft. , und von den Hüften an bekleidet. Ihr Bau ist nicht bloss schön, sondern ge- waltig, mit einem Anklang an das Amazonenhafte; ihr Haupt trägt göttlich freie und stolze Züge, die wir im Leben nicht wohl ertragen würden. — Eine nur sehr bedingte Reproduction hievon ist die Ve- b nus von Capua im Museum von Neapel (zweiter Gang), aus spä- terer, versüssender Kunstepoche. Die widerliche Restauration der Arme und den ganz willkürlich neben sie gestellten Amor denke man sich hinweg, — denn von letzterm sind auch die Füsse nicht alt, wie man behaupten will, sondern nur die untere Platte der Basis, welche indess ganz etwas anderes, etwa eine Trophäe getragen haben wird, oder irgend einen Gegenstand den die Göttin mit der Hand be- rührte. In der Behandlung der Formen steht diese Aphrodite mehrern der unten zu nennenden lange nicht gleich. (In spielender Umdeutung c braucht die spätere Kunst den Gedanken in der guten römischen Statue einer nackten sehr jugendlichen Venus, welche sich das Schwert des Mars umhängt; Uffizien, Verbindungsgang.) Aphrodite. Die Knidische. Es kann nicht befremden, dass die römische Kunst sich dieses Motives geradezu bediente, um die Victoria, den weiblichen Genius des Sieges darzustellen. Dieser Art ist die herrliche eherne Victoria a im Museo patrio zu Brescia ; schon im Typus des Kopfes der Göt- tin genähert, vergegenwärtigt sie uns vielleicht ziemlich genau die Haltung und Bewegung der siegreichen Aphroditen, nur dass sie auf den Schild schreibt und auch am Oberleibe mit einem (vorzüglich schön behandelten) leichten Gewande bekleidet ist. Sie steht mit dem linken Fuss auf einem (restaurirten) Helm, und stützt den (restau- rirten) Schild auf die vom Überschlag des Mantels bedeckte linke Hüfte. Auf Münzen des I. Jahrh. n. Chr. sind Victorien dieses Typus nicht selten. Einen andern Sinn zeigt der von Praxiteles und seiner „ knidi- schen Aphrodite “ abgeleitete Typus. Das Göttliche geht hier rein in den wunderbarsten weiblichen Liebreiz auf, der sich in gross- artigen Formen unverhüllt, aber ohne alle Lüsternheit offenbart. Die Herrin ist hier zuerst mit einem bloss menschlichen Motiv, nämlich als baden Wollende oder Gebadete dargestellt; darauf deutet das Salbengefäss, auf welches sie bisweilen mit der einen Hand das Ge- wand legt; mit der andern, auch wohl mit einem Theile des Gewandes deckt sie den Schooss, nicht ängstlich, auch nicht buhlerisch, sondern wie es der Göttin geziemt. Oft hat sie beide Hände frei, die eine vor der Brust, die andere vor dem Schooss. Die Leichtigkeit und zugleich die Ruhe ihrer Stellung ist nicht mit Worten auszudrücken; sie scheint herbeigeschwebt zu sein. Das Schmachtende ist in den noch immer grandiosen Zügen des hier schon etwas schmalern Hauptes nur eben angedeutet. Die verschiedenen Einzelmotive, welche wir so eben bezeichneten, sind meist in mehrern Beispielen nachweisbar, von welchen sich manche bis in die späteste Römerzeit hinein verlieren. Wir nennen nur die wichtigern Exemplare: Die vaticanische (Sala a croce greca) mit modernem blecher- b nem Gewande; der herrliche Kopf noch sehr an die Venus victrix erinnernd. B. Cicerone. 29 Antike Sculptur. Aphrodite. a Diejenige im Palast Chigi zu Rom, Copie von Menophantos nach einer berühmten Statue in Troas; mit der linken das Gewand vor den Schooss ziehend, die Rechte vor der Brust. b Diejenige im Herakleszimmer der Villa Borghese. c Die capitolinische (in einem verschlossenen Zimmer des Mu- seo capitolino); beide Hände frei; ziemlich stark vorwärts gebeugt, sodass die obern Theile des Hauptes dem Licht zu Gefallen etwas flach zurückliegend gebildet werden mussten; die Rückseite von un- vergleichlicher naturalistisch-schöner Bildung. Fast unverletzt er- halten. d Diejenige im Hauptsaal der Villa Ludovisi, sehr durch Politur verdorben und wohl nie von besonders guter, eher von schwülstiger Arbeit, verräth in der grossartigen Auffassung des Kopfes ein treff- liches Urbild. Die Haltung kommt der Venus Chigi am nächsten. e Diejenige im Palast Pitti zu Florenz (inneres Vestibul oberhalb der Haupttreppe); der linke (richtig restaurirte) Arm nach dem Salb- gefäss gewandt, der rechte vor dem Schooss. Gute römische Arbeit. f Diejenige im Dogenpalast zu Venedig (Coridojo), der capitolini- schen nahe verwandt, von mittlerer römischer Arbeit; der Kopf noch mehr alterthümlich. Von diesen Aphroditenbildern unterscheidet sich eine dritte Gat- tung, an deren Spitze die mediceische Venus steht. Hier erreicht der Liebreiz seine höchste Stufe durch das Mädchenhafte, welches sich in den noch nicht vollständig ausgebildeten Formen und in dem feinen Köpfchen ausspricht. Der kleinere Massstab gehört wesentlich dazu, um diesen Charakter zu vervollständigen. Von der Göttin sind wir hier allerdings wieder um eine Stufe weiter entfernt, und ein ernster Blick mag sich wohl gerne zurückwenden von dem Mädchen zu jenen reifen göttlichen Weibern, zur siegreichen und zur knidischen Aphro- dite. Allein auch hier hat die Kunst ein Höchstes gegeben. g Die mediceische Venus , in der Tribuna der Uffizien zu Flo- renz, ist ein Werk des Atheners Kleomenes, Sohnes des Apollodorus (die jetzige Inschrift neu, aber Copie einer gleichlautenden echten), vielleicht aus dem II. Jahrhundert v. Chr. — Hier ist kein Gewand Aphrodite. Die Mediceische. Spätere Motive. und kein Salbgefäss mehr beigegeben; die Kunst wagt es, die Göttin nackt zu bilden um ihrer blossen Schönheit willen, ohne Bezug auf das Bad. Der unumgängliche Tronco ist hier als Delphin gebildet, weniger um auf die Geburt der Venus aus dem Meere anzuspielen, als um den weichen Linien dieses Körpers etwas Analoges zur Be- gleitung anzufügen. Ob nun die Statue selbst das höchste denkbare Ideal weiblicher Schönheit darstelle — diess wird je nach dem Ge- schmack bejaht oder bestritten werden. Sehr verglättet und mit af- fektirt hergestellten Armen und Händen, gestattet sie überhaupt kein unbedingtes Urtheil mehr; selbst am Kopf möchte das Kinngrübchen von moderner Hand verstärkt sein; zudem fehlt die ehemalige Ver- goldung der Haare und das Ohrgehänge, nebst der farbigen Füllung der Augen. Für all Das, was übrig bleibt, wollen wir den Beschauer nicht weiter in einem der grössten Genüsse stören, die Italien bie- ten kann. (Die Attitude, bald in mehr mädchenhaften, bald in frauenhaften Formen ausgedrückt, wurde eine der beliebtesten. Eine grosse Menge von Wiederholungen, in der Regel nicht mehr als Decorationsfiguren, finden sich überall. Zwei überlebensgrosse z. B., die eine mit dem a zur Stütze dienenden Gewand hinten herum, stehen im ersten Gang der Uffizien und gewähren mit ihren leeren Formen einen interessan- ten Vergleich, wenn man sich von der Vortrefflichkeit der mediceischen überzeugen will.) Dieser Typus erst eignete sich zur Verarbeitung in eine Anzahl herrlicher Stellungen; die Göttin musste sich von dem Cultusbild möglichst weit entfernen und ganz zum schönen Mädchen werden, da- mit die Kunst völlig frei damit walten konnte. In den bessern Fäl- len aber bleibt sie Aphrodite und über alles Genrehafte weit erhaben. Wir nennen hier zuerst die kauernde Venus (Vénus accrou- b pie), deren schönstes Exemplar (Vatican, gabinetto delle maschere) den Namen Bupalos trägt. (Nicht derjenige des VI. Jahrhunderts v. Chr., sondern jedenfalls ein weit späterer dieses Namens.) Es ist nicht eine aus dem Meer aufsteigende, sondern eine im Bad sich waschende; die Basis trägt noch in ihren alten Theilen die Andeutung der Wellen, auf welchen die Göttin ruht — denn nie hätte die griechische Kunst einer gemein-wirklichen Illusion zu Liebe irgend einen Theil der Kör- 29* Antike Sculptur. Aphrodite. per unter dem (marmornen) Wasser versteckt. Bei sehr bedeutenden Restaurationen bleibt doch die Art, wie die Glieder sich decken und ihre Linien sich schneiden, unerreichbar schön. Der Körper ist, bei einer scheinbar leichten Behandlung, voll des edelsten Lebens. (Die a Epidermis leider stark verletzt, der Kopf überarbeitet?) — Ein viel geringeres, stark restaurirtes Exemplar in den Uffizien zu Florenz. (Verbindungsgang.) b Es folgt Aphrodite Kallipygos, im Museum von Neapel Gegenwärtig eingeschlossen und, wie man hört, selbst den Begünstigten un- sichtbar. Abgüsse überall, u. a. im Palazzo Camuccini zu Rom, auf der Treppe. . Der Kopf und mehrere andere Theile sind modern und schlecht, das Übrige aber von merkwürdiger Vollendung und raffinirtem Reize. Die Ab- sichtlichkeit der ganzen Darstellung rückt dieses Bild in das Gebiet des Buhlerischen, wenn man es auch nicht obscön nennen kann. Ähnlich verhält es sich mit zwei charmanten ehernen Figürchen c derselben Sammlung (kleine Bronzen, drittes Zimmer, auch in Florenz, d Uffizien, zweites Zimmer der Bronzen, zweiter Schrank): einer die Sandalen ausziehenden und einer im Abtrocknen begriffenen Venus. Das Stehen auf einem Beine, hier mit der anmuthigsten Wendung des Körpers verbunden, hat mehr genrehaft Wahres als Ideales und ver- mag uns die Göttin nicht als solche näher zu bringen. e Reiner empfunden ist eine andere Statuette (bei den grossen Bronzen), welche Aphrodite, von den Hüften an bekleidet, mit ihrem Haarputz, etwa mit dem Trocknen der Haare nach dem Bade be- schäftigt darstellt. Ein höchst zierliches Figürchen, von bester Arbeit. f Ähnlich eine Marmorfigur (freilich mit restaurirten Armen und Locken) im Braccio nuovo des Vaticans; aus guter römischer Zeit. Bei andern sehr zierlichen kleinen Bronzen, welche die Göttin in ähnlicher Hand- lung, aber ganz nackt darstellen, bleibt es zweifelhaft, ob sie nicht g erst die Haare auflöst. (Uffizien, zweites Zimmer der Bronzen, zweiter Schrank.) — Eine zum Bade sich vorbereitende Aphrodite des jugend- h lichen Typus ist wohl auch dargestellt in der florentinischen sog. Venus Urania (Uffizien, Halle der Inschriften). Abgesehen von den Restau- rationen möchte ihre Geberde am ehesten darin bestanden haben, dass sie das um die Hüften leicht geschürzte Gewand mit der Linken und Aphrodite. Venus genitrix. die Haare mit der Rechten aufzulösen im Begriffe war. Die Aus- führung ist vorzüglich schön, doch schwerlich mehr griechisch, die erhaltenen Theile des Köpfchens von einem Reiz, der an die Psyche von Capua erinnert. (Nach neuerer Annahme ein praxitelisches Motiv, die sog. coische Venus.) Die spätere Zeit hat noch einige Motive mehr hinzugefügt, die weder im Gedanken noch in der Ausführung zu den glücklichen ge- hören. Vielleicht strebte z. B. derjenige Bildhauer originell zu sein, welcher die Venus der Villa Borghese (Zimmer der Juno) bildete, a die sich mit dem Schwamme wascht, während ein Amorin zusieht; oder der Erfinder derjenigen kauernden Venus, welche den Delphin b am Schweif hält, im Vorsaal der Villa Ludovisi. — Häufig ist das Gewand über dem Schooss zusammengeknüpft, lässt vorn die Beine frei und dient hinten als Stütze (S. 451, a); — oder die Göttin ist im Begriff, es mit beiden Händen um sich zu nehmen. (Beispiele von die- c sen beiden Motiven im Museo Chiaramonti des Vaticans.) Das Mütterliche tritt in den bisher genannten Bildungen der Aphro- dite nirgends hervor. Mit ihrem Sohne Eros wurde die Göttin kaum je zu einer Gruppe verbunden (wenigstens haben wir keine solche). Die geflügelten Kinder, welche ihr beigegeben werden, sind Eroten, Amorine, nicht Darstellungen des eigentlichen Eros. Ein ganz besonderer Typus aber blieb der mütterlichen Seite der Göttin vorbehalten, vielleicht aus alter Zeit stammend, jedenfalls aber erst unter den Kaisern häufig wiederholt. In vielen Sammlungen (z. B. ganz gut im Junozimmer der Villa Borghese, auf der Treppe d des Museums von Neapel, als Statuette auch im zweiten Gang des- selben, in der Inschriftenhalle der Uffizien zu Florenz u. a. a. O.) e findet man das Bild einer ganz bekleideten Frau von reifer Schönheit, deren Formen durch das dünne, eng anliegende Untergewand deut- lich erscheinen; das Obergewand zieht sie eben mit dem einen Arm vom Rücken herüber, als wollte sie sich verhüllen „Aphrodite den Mantel lüftend.“ [Br.] . Es ist Venus die Erzeugerin ( genitrix ), die Schützerin des gesetzlichen Fort- lebens der Familie, und zugleich durch Anchises die Ahnfrau des Antike Sculptur. Danaide. julischen Geschlechtes; ihr gelobte Cäsar bei Pharsalus jenen Tempel, von welchem noch in Torre de’ Conti unterhalb des Esquilins die kümmerlichen Reste vorhanden sind. — An den Statuen dieser Gat- tung ist der Kopf natürlich meist das Porträt irgend einer Kaiserin; wo die Göttin selber gemeint ist, trägt sie matronale, aber noch ju- gendlich schöne Züge, wie z. B. die wohlerhaltene und als Decora- tionsfigur gut gearbeitete florentinische Statue beweist. An den spätern Typus der Aphrodite, wie er sich in der medi- ceischen, in der Vénus accroupie u. s. w. zeigt, schliessen sich eine Anzahl halbgöttlicher Wesen verschiedener mythologischer Bedeutung an. Sie sind sämmtlich halb oder ganz bekleidet, denn die Nacktheit ist nur der Göttin und der Buhlerin eigen. Ihre Züge haben bei grossem Reiz und vieler Ähnlichkeit doch nicht das Göttliche der Aphrodite, lassen vielmehr eine Umbildung derselben in das Niedliche und Graziöse erkennen. (Der Kopf schmal und länglich, doch bis- weilen auch jugendlich rund mit kurzem Näschen; der untere Theil des Gesichtes ins Enge gezogen.) Das Wesentliche aber ist das Motiv der Stellung und Bewegung. a So wird man z. B. zugestehen, dass die vaticanische Da- naide (Galeria delle Statue), welche das Schöpfgefäss vor sich hält, sich schöner neigt als die Kunst diess Motiv sonst dargestellt hat. Die sanfte Bewegung, welche Hals, Rücken, Leib und Hüften beseelt und sich in der Gewandung fortsetzt, hat nicht mehr ihres Gleichen; die Arme sind restaurirt, allerdings trefflich. In den halbgeschlossnen Augen ist der Schmerz über die vergebliche Arbeit leise angedeutet. b (Ein ungleich geringeres und stark restaurirtes Exemplar im Tyrtäus- zimmer der Villa Borghese.) Diesen nämlichen Typus, welchen man etwa als den der Nym- phen bezeichnen könnte, spricht eine niedrig sitzende bekleidete c Figur Der Kopf ist eine Restauration, aber wahrscheinlich eine antike. aus, welche den einen Arm aufstützt und vor sich abwärts schaut. (Vatican, Galeria delle statue; ein zweites Exemplar im obern Stockwerk des Palastes Barberini zu Rom.) Man glaubte in ihr die trauernde Dido zu erkennen, allein es ist wohl eher eine liebliche, Nymphen. Brunnenfiguren. träumerisch auf das Wasser schauende Nymphe, vielleicht ein weib- liches Gegenstück zu dem sich im Quell spiegelnden Narciss. Das zerstreute Dämmern nicht nur im Ausdruck des Gesichtes, sondern auch der ungesucht nachlässigen Stellung wird dem Beschauer recht klar durch den Vergleich mit einer gegenübersitzenden, alterthümlich a gearbeiteten Penelope; dieses ist die Sinnende, Rechnende und War- tende; als Matrone ist sie mit verschleiertem Haupt gebildet. Hier glauben wir auch die sog. „ Psyche “ aus dem Amphi- b theater von Capua (jetzt im Museum von Neapel, Halle des Jupiter) unterbringen zu dürfen. Es ist nur ein Oberleib mit der einen Hüfte, durch neuere Politur verdorben und jetzt in einer unrichtigen Axe aufgestellt, aber von einer Süssigkeit der Bildung, die alle Blicke fesseln muss. Für Aphrodite ist namentlich der untere Theil des Kopfes zu mädchenhaft, auch liegen die Augen wohl zu tief im Schat- ten. Wir wollen nicht die Handlung und Stellung errathen, dürfen aber eine Nymphengestalt ahnen, welche der Danaide und der Dido in der Erfindung ebenbürtig war. Einzelne Köpfe sind oft sehr schwer mit Bestimmtheit auf diesen Typus zurückzuführen. Ich glaube z. B. in einem Kopf des Museums c von Neapel (grosse Bronzen) eine Gefährtin der Jägerin Artemis zu erkennen, ohne doch dieser Benennung sicher zu sein. Es ist der schöne strenge Mädchenkopf mit aufwärts zu einem Kranz gebundenen Haaren, welcher jetzt Berenice heisst. Als Quellgottheiten eigneten sich die Nymphen vorzüglich zu Brunnenfiguren . In mehrern Sammlungen sieht man dergleichen, meist von kleinerm Massstab, Muschelbecken vor sich hinhaltend, oder auf Urnen gelehnt, immer halb bekleidet; fast lauter Decorationsarbei- ten, mittelmässig in der Ausführung und selbst oft im Gedanken. Man wird indess wohl eine Nymphe des Museums von Neapel (Halle d des Adonis) ausnehmen müssen, welche wenigstens hübsch gedacht ist, als eine zum Baden sich Vorbereitende; sie lehnt mit dem linken Arm auf die Urne und greift mit der Rechten nach der Sandale des linken Fusses, den sie über das rechte Knie gelegt hat. (Diese Ex- tremitäten sind nebst dem Kopf neu, aber ohne Zweifel richtig re- staurirt. Die Arbeit an sich gering römisch.) Ein besseres Exemplar e in den Uffizien (Verbindungsgang). — Auch eine sehr schlecht gear- Antike Sculptur. Nymphen. Cleopatra. a beitete schlummernde Nymphe im Vatican (Belvedere, zwischen dem Apoll und den Canova’s) weist auf ein reizendes Original hin. — Noch ein ganz einfach schönes Motiv ist die halbnackte stehende Nymphe, welche mit der Linken auf die Urne lehnt und die Rechte auf die ausgeladene Hüfte stützt. Ich weiss mich keines andern einiger- massen erhaltenen Exemplares zu erinnern, als desjenigen im Pal. b Pitti (Nebenhof links, beim Ajax), welches freilich eine geringe rö- mische Arbeit ist. An der ähnlichen ehemals schönen Statue der c Galerie von Parma ist gar zu Vieles modern. Ins Matronale geht der Nymphentypus über in der Amme des Dionysos, Leukothea ; sie wird völlig bekleidet und mit Binden um das Haar dargestellt. Ich kenne von vollständigen Darstellungen nur d die schöne, ungemein noble Bronzefigur in den Uffizien (Bronzen, zweites Zimmer, Eckschrank rechts). Eine treffliche Marmorstatue in e der untern Halle des Pal. Ceperello zu Florenz (Corso N. 814) möchte ich ebenfalls für eine Götteramme halten, schon der starken Brüste wegen. Der Kopf neu aufgesetzt, aber dazu gehörend. Die sog. Sapphoköpfe zeigen dieselbe Art, das Haar zu binden. Den bekleideten Nymphengestalten des gewaltigern Typus müssen f wir eine in ihrer Art einzige Statue beigesellen: die vaticanische Cleopatra , richtiger die schlummernde Ariadne (Vatican, Galeria delle statue). Schon das Alterthum hat, wie die nebenan aufgestellten kleinen Wiederholungen beweisen, dieses Motiv in beiderlei Sinn ge- braucht, doch ist Ariadne das Ursprüngliche, und der erste Blick lässt eine Schlafende, nicht eine Sterbende erkennen. (Sie ist etwas zu sehr nach vorn gesenkt, was namentlich dem über das Haupt gelegten rechten Arm ein zu schweres Ansehen giebt und den ganzen Anblick etwas verfälscht.) Als Motiv der Ruhe wird diess Werk auf ewig die Sculptur be- herrschen. Es ist nicht möglich ein lieblich-grandioses Weib auf majestätischere Weise schlummernd hinzustrecken. Die Art, wie der Kopf durch die Lage der Arme die höchste Bedeutung erhält, die ungemeine Würde in der Kreuzung der Beine, endlich die unerreich- bare Pracht und die weise Aufeinanderfolge der Gewandmotive wer- den nie genug zu bewundern sein. — Der noch streng-schöne Ge- sichtstypus lässt uns eine Ariadne erkennen, die noch nicht in den Farnesische Flora. Victorien. Kreis ihres Retters Dionysos aufgenommen ist; ihre spätere, bacchi- sche Gestalt wird uns weiter beschäftigen. Hier müssen wir eines der ruhmwürdigsten Werke des Alter- thums einschalten, die sog. farnesische Flora (Museum von Nea- a pel, in der danach benannten Halle). Man deutet sie gegenwärtig als eine Hore; da Kopf, Arme, Attribute und Füsse modern sind, so bleibt nur so viel mit Sicherheit anzunehmen, dass ein halbgöttliches Mittelwesen gemeint sei. Colossal und für einen decorativen Zweck berechnet, zeigt diess herrliche Bild doch durchaus lebendige Arbeit, sowohl in dem von zwei Schulterspangen und einem Gürtel gehalte- nen Unterkleid, als in dem leicht herumgelegten Obergewande und in den nackten Theilen. Bei einer sehr reichen Körperbildung giebt die ganze Gestalt im höchsten Grade den Eindruck des leichten Einher- wallens, eine wahre Göttin des innigsten Wohlseins. Eine andere colossale Statue derselben Sammlung (untere Vor- b halle) ist wohl wirklich eine Flora, allein römisch-decorativ behandelt, als schwere Gesimsfigur; doch ist hier der grandiose Kopf alt. (Ob der als Gegenstück aufgestellte „Genius des römischen Volkes“, eben- falls seltsam schwer gebildet, von Alters her zu einer Reihe solcher Figuren gehörte, ist mir nicht bekannt. Vgl. S. 426, a, und Anm.) Von Pomonen wüsste ich kein irgend ausgezeichnetes Exemplar anzuführen. Dasjenige in den Uffizien (erster Gang), auf welches c beispielshalber verwiesen werden mag, ist eine unbedeutende rö- mische Gartenfigur mit modernem Kopf. Leider ist auch keine recht gute Victorienstatue zu nennen Wie es sich mit der Victoria des Museo patrio zu Brescia verhält, wurde bei Anlass der siegreichen Aphrodite (S. 449, a) erörtert. , ob- wohl es deren einst vortreffliche (freilich von Erz oder edeln Metallen) gegeben haben muss, und zwar sowohl schwebende (d. h. scheinbar auf den Zehen stehende mit wehendem Gewande in der Art der Diana lucifera), als stehende. Eine geringe der letztern Art, welche doch auf ein gutes Urbild schliessen lässt, in den Uffizien (erster Gang); d eine der erstern Art im Pal. Riccardi (Vorzimmer der Acad. della Antike Sculptur. Leda. Musen. Crusca). — Um so reichlicher sind die Victorien im Relief und in a der Malerei vertreten; die schönsten am Titusbogen. — Einige kleine Bronzefiguren geben wohl am ehesten einen Begriff von den schwe- b benden Victorien; eine treffliche im Museum von Neapel (bei den c grossen Bronzen); eine andere in den Uffizien (zweites Zimmer der Bronzen, vierter Schrank); diese letztere hat wie diejenigen am Titus- bogen nackte Schenkel, zur Andeutung ihrer raschen Botenschaft. Geringere Exemplare ziemlich häufig. Bei diesem Anlass mag noch eines mythisch berühmten Weibes gedacht werden, das nur zu oft plastisch dargestellt worden ist, näm- lich der Leda mit dem Schwan. Ich brauche die betreffenden Sta- tuen nicht näher zu bezeichnen; sie sind nicht einmal recht gewaltig sinnlich, sondern meist so flau und langweilig, dass ihre Aufstellung in den meisten Sammlungen gar kein Hinderniss gefunden hat, wess- halb man ihnen denn auch überall begegnet. Der Schwan sieht bis- weilen eher einer Gans ähnlich und man hat desshalb andere Deu- tungen zu Hülfe gezogen; wer aber beachtet, in welchen Fällen das Thier klein gebildet ist, wird vielleicht mit uns der Ansicht sein, dass diess aus demselben ästhetischen Grund geschah, um dessentwillen die Panther des Bacchus in kleinerm Verhältniss gebildet wurden. d (Die gemeinste aller Leden, im Dogenpalast zu Venedig, Camera a letto, ist ein Werk des XVI. Jahrhunderts.) Wenn die eben aufgezählten weiblichen Bildungen ein mytholo- gisch Gegebenes verherrlichten, so zeigt uns eine andere Reihe, die der Musen , wie die Griechen das Symbolische lebendig zu machen wussten, wie frei sie sich dabei bewegten und welche Grenzen sie innehielten. Statt sich ängstlich zu bemühen, jede Muse einzeln von Kopf bis zu Fusse ihrem Fache gemäss zu charakterisiren, begnügten sie sich mit Attributen und drückten in den Gestalten selbst fast nur das Allgemeine einer schön vergeistigten Weiblichkeit aus. (Verstüm- melte Musenstatuen sind desshalb kaum mit völliger Sicherheit zu restauriren, wenn man nicht ein Vorbild mit erhaltenen antiken Attri- buten vor sich hat.) Es ist das persönlich gewordene Sinnen, nicht das Phantasiren oder das Grübeln (wie in Albrecht Dürers Melan- Musen. Apollo Musagetes. cholia), sondern ein ruhiges Schweben in geistigem Glück. Diese meist feierlich bekleideten Gestalten sind theils beschäftigt, theils ruhend und hinausblickend (doch nicht in die Höhe!) gebildet; wir finden sie sitzend, aufgelehnt, frei stehend, auch feierlich vortretend, meist aber wird Stellung und Draperie so sehr den Ausdruck erhöhen helfen, dass man auch ohne den Kopf die Statue für nichts anderes als für eine Muse oder doch für ein ursprüngliches Musenmotiv erkennen würde. Einzelne Sarkophage, welche die Musen sämmtlich darstellen (einer a im Museo capitolino, Zimmer der Kaiser) geben uns eine Idee von den (unter sich verschiedenen) Statuengruppen, welche das Alterthum hervorbrachte und dann wiederholte. — Unter den erhaltenen Statuen finden wir zwar vielleicht in Italien keine, welche der Polymnia des Berliner Museums oder der Melpomene des Louvre völlig gleichkäme, allein doch manche achtungswerthe Exemplare. In der vollständig- sten Gruppe, aus der Villa des Cassius (Vatican, Sala delle b Muse ) wird man, was die Arbeit betrifft, Vieles vermissen, allein die schöne Abstufung des Sinnens, ohne alle gewaltsam auffahrende Inspi- ration, mit Genuss verfolgen können. Die in der Erfindung lieblichste dieser Figuren, die sitzend sich aufstützende Euterpe, ist allerdings nebst der Urania erst später anderswoher hinzugekommen. (Euterpe wird sonst, z. B. in den beiden Exemplaren zu Neapel, stehend mit über einander geschlagenen Füssen gebildet.) Dagegen gehört ursprünglich zu dieser Gruppe, und zwar als deren bestgearbeitete Figur, der im langen Gewand und wehenden Mantel mit der Lyra einherschreitende, lorbeerbekrönte Apollo Mu- c sagetes . (Copie nach Skopas.) Nirgends tritt Apoll so als Schützer und Anführer aller hohen Begeisterung auf wie hier; der allgemeine musische Ausdruck concentrirt sich in dieser höchst jugendlichen, fast weiblichen Gestalt ganz wunderbar. Er allein ist innerlich und äusserlich bewegt; bald werden die Musen dem Festreigen folgen müssen, den er eben antritt. — Ganz in der Nähe steht wie zur Vergleichung ein anderer Musagetes, in welchem Schritt und Gewandung affectirt er- scheinen und der einen ihm nicht gehörenden weiblich bacchischen Kopf trägt. In demselben Saal findet man noch eine Muse in kleinerm Mass- d stab, mit der Bezeichnung als Mnemosyne. Leider hat diese reizend Antike Sculptur. Musen. gedachte verhüllte Figur einen restaurirten Kopf. — Von den vier be- a treffenden Statuen des Musenzimmers in der Villa Borghese ist nur etwa die Melpomene besser gearbeitet als das entsprechende vaticani- sche Exemplar; gerade so viel, um das Verlangen zu steigern nach dem gewiss wunderbaren Original dieser Jungfrau mit dem Weinlaub im Haar und mit dem auf den Fels gestützten linken Fuss. — In der b Villa Ludovisi mehrere gering ausgeführte Musenstatuen von gutem c Motiv. — An der Treppe des Conservatorenpalastes auf dem Capitol eine vorgebliche Urania, jedenfalls sehr schön als Gewandstatue. Eine anregende Vergleichung mit den Musen gewähren, am Ein- d gang der Sala rotonda des Vaticans, die zwei grossen Büsten, in wel- chen die (sonst als Musen personificirten) Comödie und Tragödie be- sonders dargestellt sind; Köpfe von reifer Anmuth und mildem Ernst, aber ohne Liebreiz. e Im Museum von Neapel empfängt uns, und zwar gleich in der untern Vorhalle, eine jener colossalen Musen , wie sie wohl öfter zum Schmuck von grossen Theatern gearbeitet worden sind. Die flüch- tige Arbeit und die Berechnung auf eine Nische deuten klar auf eine derartige decorative Bestimmung hin. (Sie ist nur für die Vorder- ansicht gedacht, wie das Zurücktreten des Oberleibes gegen Hüften und Schenkel und selbst die Profilansicht des Kopfes beweist.) Man nennt sie Urania, und die linke Hand mit dem Globus, welche diesen Namen veranlasst, ist wohl wirklich alt; dem Typus nach ist sie eine, zwar nicht ganz ebenbürtige, Schwester der Pariser Melpomene. Alles ist gross und einfach gegeben, das lange Kleid mit der geraden vor- dern Falte, der auf den Schultern mit Spangen befestigte Mantel, das Vortreten des linken, die Beugung des rechten Fusses. Der Kopf ist mehr den göttlichen Bildungen genähert und scheint zwischen Hera und Aphrodite in der Mitte zu stehen. — Diess war an sich nicht noth- wendig, denn dass auch das Mädchenhaft-Liebliche des eigentlichen Musentypus sich in höchst colossalem Massstab darstellen lässt, zeigt f der schöne Kopf der Villa Borghese (Hauptsaal) welcher wohl mit Unrecht als Juno gegolten hat. — (Von ähnlicher Art, aber geringer, g die colossale Muse im Hof des Pal. Borghese zu Rom, die auch wohl als Apollo Musagetes bezeichnet wird.) Musen. Weiter enthält im Museum von Neapel die Halle der farbigen a Marmore einen sitzenden Apollo Musagetes mit porphyrnem Gewand und weissmarmornen Extremitäten. Die spätere römische Kunst liebte solche Zusammensetzungen, schon weil die harten Stoffe und ihre Bearbeitung viel Geld kosteten. Wenn das Auge die aus dem Far- bencontrast und der Politur entstehende Blendung überwunden hat, so entdeckt es in den meisten derartigen Bildwerken, und so auch in diesem, eine geistige Leerheit, welche da ganz am Platze ist, wo der Stoff mehr anerkannt wird als die Form. Diese Buntheit ist eine der begleitenden Ursachen des Unterganges der antiken Sculptur gewesen. In der darauf folgenden „Halle der Musen“ steht Mehreres b unter dieser Kategorie beisammen, was erst durch Restauration und willkürliche Deutung den betreffenden Sinn erhalten hat. So vielleicht selbst die treffliche Gewandstatue, welche hier und anderwärts Poly- hymnia heisst u. s. w. Die unzweifelhaften Musen, z. B. Melpomene und die eine Euterpe, sind von ganz geringer Arbeit, mit Ausnahme der sog. Terpsichore, in welcher man mit leichter Mühe eine verklei- nerte Reduction nach einer jener grandiosen Colossalstatuen erkennt, dergleichen die Urania in der Vorhalle eine ist. Das hochgegürtete Untergewand und der langwallende Mantel sind von ganz ähnlicher Anordnung wie bei dieser. In den Uffizien zu Florenz : erster Gang: eine mit Recht oder c Unrecht als Urania restaurirte Statue, mit dem majestätischen Motiv des vorn über die Brust, dann über die Schulter geschlagenen, end- lich von hinten hervor unter den Ellbogen geklemmten Obergewandes (wie die angebliche Euterpe im Vatican, Galeria delle Statue). Der Kopf schön und echt. — Ebenda, aus derselben Reihe, Kalliope. Im Dogenpalast zu Venedig: Corridojo: zwei Musen vom Theater d von Pola, decorative römische Copien nach einem alten griechischen Typus, als Karyatiden mit fast geschlossenen Füssen, symmetrischer Haltung, strenger und gewaltiger Bildung. Das ehemalige Motiv der Arme zweifelhaft. Bei Anlass der Musen sind am besten diejenigen zahlreichen weib- lichen Statuen zu besprechen, welche unter dem sehr allgemeinen Na- Antike Sculptur. Weibliche Gewandstatuen. men von Gewandstatuen zusammen gefasst werden. Für eine kritische Aufzählung (worauf hier kein Anspruch gemacht wird) wäre es unerlässlich, zu ermitteln, welchen göttlichen oder menschlichen Gestalten die verschiedenen Gewandungstypen zukamen. Die Schwie- rigkeit einer solchen Forschung leuchtet ein, wenn man erwägt, dass weit die meisten dieser Statuen gefunden wurden ohne Hände und Attribute, auch kopflos oder mit solchen Köpfen, die ihnen schon im Alterthum willkürlich gegeben worden waren: dass endlich schon das Alterthum häufig vorhandene Göttertypen zu Porträtbildungen benützte. So viel ist immerhin gewiss, dass eine Anzahl von Motiven der Stellung und Gewandung, hauptsächlich aus der spätern Zeit der griechischen Kunst, ein canonisches Ansehen genossen und um ihrer Schönheit willen beständig wiederholt wurden. Hauptsächlich ge- währte der Chor der Musen, in den verschiedenen Auffassungen, die wir nachweisen können, einen Vorrath der schönsten Vorbilder für die Drapirung von Bildnissfiguren, sodass beim einzelnen Torso schwer zu entscheiden sein wird, ob er für eine Musenstatue oder für ein als Muse stylisirtes Bildniss gearbeitet worden. Ausserdem sind unter der Masse der „Gewandstatuen“ Stellungs- und Drapirungs-Motive von Göttinnen, symbolischen Personificationen, Priesterinnen, Theil- nehmerinnen an Festzügen, selbst eigentlichen Genrefiguren begriffen; manche Motive gehören auch ganz ursprünglich der porträtirenden Kunst an und geben ideal aufgefasste griechische und römische Trach- ten wieder. — Wenn aus dem ganzen Alterthum keine andern Kunst- werke erhalten wären, so würden schon diese Gewandtorsen (selbst die gering ausgeführten nach guten Motiven) uns den höchsten Be- griff von der alten Kunst geben. Es ist keine ruhig-grossartige und keine einfach-liebliche Stellung des beseelten Weibes, welche hier nicht in und mit einer theils prächtigen, theils schlichten Gewandung aus- gesprochen wäre. Haltung und Gewandung wären beide für sich schön, aber es ist der hohe Vorzug der antiken Kunst, dass sie ganz untrennbar zusammengedacht sind und nur mit einander existiren. Zu den reichsten Motiven gehört das schon bei den Musen vor- kommende, auf verschiedene Attituden angewandte: theilweise Auf- hebung des Gegensatzes zwischen Ober- und Untergewand, vermöge Durchscheinens des letztern durch das erstere. Weit entfernt von der Weibliche Gewandstatuen. Künstelei, welche z. B. im vorigen Jahrhundert bei mehreren Bild- hauern zum peinlichsten Streben nach Illusion führte, ist hier der Contrast des Feinern und des Derbern und das Übereinander der Fal- tung zwar mit der höchsten Kunst, aber ohne alle falsche Bravour behandelt; man sieht (wenigstens bei den bessern Exemplaren) immer, dass es dem Künstler vor Allem um die Hauptsache, um das schöne und sprechende Hervortreten der Gestalt im Gewande zu thun war und dass er jene Zierlichkeiten nur als Mittel zum Zwecke brauchte. Eine wunderbare und räthselhafte (römische?) Figur, die sog. Pudicitia , mag hier zuerst genannt werden. Sie fasst mit der rech- a ten Hand in der Nähe des Halses den Schleier, dessen Ende über den nach rechts hinübergelegten linken Arm herabfällt. Will sie sich ver- schleiern oder hat sie sich eben entschleiert? — Das Auge bleibt in einer angenehmen Ungewissheit. Das Zurücktreten der rechten Schul- ter Welches ja nicht etwa als Nachbildung eines zufällig schmalschultrigen weib- lichen Individuums aufzufassen ist. , die Stellung der Füsse tragen mit zu diesem reizvollen Eindruck bei. (Das schönste Exemplar im Braccio nuovo des Vaticans, ein geringeres im Hof des Belvedere; andere überall.) b Unter den übrigen zahlreichen Motiven, wovon immer eines rei- zender und sprechender ist als das andere, nennen wir beispielshalber dasjenige, wobei der Überschlag des Obergewandes erst über die Brust, dann über die Schulter geschwungen und von hinten hervor unter dem Arm geklemmt wird (Seite 461, c). Von vielen Beispielen eines der schönsten: die als Euterpe restaurirte Gestalt in der Galeria delle c statue des Vaticans. Wieder eine besondere Aufgabe ist in der verhüllten Gefäss- trägerin (Museo capitolino, Zimmer des sterbenden Fechters) gelöst, d die man für Pandora oder Psyche mit der Büchse, für Tuccia mit dem Sieb u. s. w., mit dem meisten Recht aber als Trägerin eines Heilig- thums in einem Festzuge erklärt hat. Für uns ist diese nur flüchtig gearbeitete Statue ein jedenfalls sehr schöner Versuch mehr, ein neues Motiv von Haltung und Geberde in feierlicher Gewandung auszudrücken. Allerdings zieht in demselben Raum die sog. Flora am schnellsten e die Blicke auf sich, eine schöne Römerin, mit einem Kranz um das Antike Sculptur. Weibliche Gewandstatuen. Haupt; über dem feinen Unterkleid ein eigenthümliches Obergewand, welches wahrscheinlich dem äussern Effect zu Liebe so gebildet ist: mit sehr weiter oberer Öffnung, sodass es bei jeder Bewegung auf beide Arme herabfallen müsste; von einem schweren Stoffe, welcher so tiefe, schattige „Augen“ bildet, wie sie sonst kaum an einem antiken Ge- wande vorkommen; im Ganzen macht sich der Eindruck wie von einem schön drapirten Modell geltend. Den männlichen Togafiguren stehen am meisten parallel eine An- zahl mächtiger Gestalten von betenden oder opfernden Frauen ( Oran- tinnen ). Weniger wegen der Ausführung als wegen der vollstän- a digen Erhaltung nennen wir hier die eherne sog. Pietas des Museums von Neapel (grosse Bronzen). Das Untergewand tritt sehr beschei- den zurück; weit die Hauptsache ist der gewaltige Mantel, welcher die ganze Figur sammt dem Haupte umwallt. Von den ausgestreck- ten Armen klemmt der linke mit dem Ellbogen die beiden Hauptenden zusammen, welche hierauf in zwei Zipfeln unterhalb des linken Knies auslaufen; ein drittes Ende, dessen innerer Umschlag schön über die Brust hinläuft, fliesst dann über den linken Arm hinunter. — An Mar- morexemplaren ist bisweilen die Arbeit besser, das Motiv aber der Verstümmelungen wegen unverständlicher. — Gut erhalten, bis auf die b Hände (deren jetzige Restauration allerdings die Orantinn nicht mehr erkennen lässt) und die Gewandenden rechts vom Beschauer, erscheint eine Marmorfigur dieser Art in derselben Sammlung (Halle des Ti- berius), welche man unbedingt den herrlichsten römischen Gewand- statuen beizählen darf. Die bronzene Pietas würde daneben ins tiefe Dunkel zurücktreten. Sehr häufig kommt dasjenige Motiv vor, welches unter den Mu- sen vorzüglich der Polyhymnia eigen ist: das Obergewand ver- hüllt bereits die linke Seite und den linken Arm, so dass von der Hand nichts oder nur Fingerspitzen sichtbar sind; hinten herumge- schlagen, soll es mit der erhobenen Rechten eben noch einmal über die linke Schulter gelegt werden. (Schön an zwei Statuen junger Rö- c merinnen, vielleicht von der Familie des Balbus, im Museum von d Neapel, erster Gang, und an einer Kaiserin, dritter Gang). — Auch e an der sog. Iphigenia, welche in der Kirche S. Corona zu Vicenza neben dem 5. Altar links sich befindet. — Die florentinische Priesterin Weibliche Gewandstatuen. (Uffizien, Halle der Inschriften) ist wiederum eigenthümlich reizend a verhüllt; aus dem weiten Obergewande, welches die ganze Gestalt umgiebt, sieht nur die Linke (mit der restaurirten Schale) heraus; die Brüste und der untergeschlagene rechte Arm sind im Gewande vorzüglich edel ausgedrückt. — Eine köstliche Priesterin findet sich auch unter den halblebensgrossen Statuen in einem der hintern Säle b der Galerie des Pal. Pitti. (Mit den Wandfresken des Pietro da Cortona.) Das Untergewand wird als Hauptausdruck der Stellung behan- delt in drei sitzenden Statuen aus der frühern Kaiserzeit, welche man für Bildnisse theils der ältern, theils der jüngern Agrippina erklärt. (Museo capitolino, Zimmer der Kaiser; Villa Albani, untere Halle des c Palastes; wozu als Erzänzung die bejahrte Sitzende mit verschlunge- nen Händen gehört, Museum von Neapel, dritter Gang.) Wenn es d nun misslich bleibt, physiognomisch Partei zu nehmen für Bilder, welche entweder eine der tugendhaftesten oder eine der lasterhafte- sten Römerinnen darstellen — und beide Taufen sind unsicher! — so haben wir doch jedenfalls denjenigen allgemeinen Typus vor uns, in welchem sich die grossen Damen des Tacitus und Juvenal mit Vor- liebe abbilden liessen. Das bequeme Auflehnen auf dem Sessel, die schöne Entwicklung der schönen Glieder, die sich dabei ergiebt, muss- ten dieses Motiv sehr in Gunst setzen Diesen Agrippinenstatuen gleichen im Motiv zwei unbekannte Römerinnen der * Uffizien zu Florenz (Anfang des ersten Ganges), beide von untergeordne- ter Arbeit. . Freilich scheinen diese Sta- tuen nur gut, bis man die sitzenden Frauen der parthenonischen Giebel (Abgüsse im Lateran und anderswo) damit vergleicht. Mit welch an- derm Lebensgefühl fliessen hier die leichten Gewänder über die gött- lichen Gestalten! Eine sehr eigenthümlich und gut gedachte sitzende Spätrömerin müssen wir indess hier noch erwähnen. Man sieht in der obern Ga- e lerie des capitolinischen Museums eine ganz eingehüllte Gestalt, mit der verhüllten Rechten das Gewand an das Kinn ziehend, die offene Linke unterschlagend. Die Statue soll Julia Mäsa vorstellen, die Grossmutter der ungleichen Vettern Elagabal und Alexander Severus. B. Cicerone. 30 Antike Sculptur. Weibliche Gewandstatuen. Über dem Ausdruck tiefen Sinnens in Haupt und Stellung vergisst der Beschauer gerne die nur mittelmässige Ausführung. a Ebenfalls Kaiserinnen scheinen dargestellt in den sog. Vesta- linnen der Loggia de’ Lanzi in Florenz. Vier derselben (von der offenen Seite des Gebäudes an gerechnet 2, 4, 5 und 6) zeigen das grandiose Motiv eines Obermantels, der von der rechten Schulter schief herab gegen das linke Knie, und mit seinem aufgenommenen Ende über den linken Arm geht; darunter das ermellose Brustkleid und das an den Hüften aufgenommene Unterkleid, dessen Bauschen wieder auf die Schenkel herabfallen. Die Stellung ist in jeder dieser colossalen Figuren besonders nuancirt, die Behandlung für die wahr- scheinlich späte Zeit vorzüglich. Auch die einfache griechische Idealgewandung wurde um ihrer Schönheit willen noch lange, und nicht bloss bei Göttinnen, reprodu- cirt. Es ist ein schlichtes langes Kleid, über den Hüften meist so gegürtet, dass etwas herabhängende Bauschen über dem Gürtel ent- stehen; dann ein Oberkleid, auf den Schultern geheftet und zu beiden Seiten offen oder nur wenig geschlossen, vorn herabhängend bis in b die Nähe des Gürtels, auf den Seiten etwas länger. Fünf eherne Sta- tuen im Museum von Neapel (grosse Bronzen), nicht sehr alt aber alterthümlich, stellen diesen Typus mit verschiedenen Attituden ver- bunden dar; man glaubt sie als Schauspielerinnen erklären zu dürfen. Die Arbeit erhebt sich nicht über die rohe Decoration. (Spuren von c Bemalung.) Eine ähnliche Marmorfigur z. B. im Vorsaal der Villa Ludovisi zu Rom. Die gänzliche Einhüllung der Gestalt in ein Gewand wurde eben- d falls nicht selten dargestellt; alterthümlich streng z. B. in zwei Sta- tuen mit Bildnissköpfen, im untern Gang des Museo capitolino. e In der Galerie zu Parma sind von den Gewandfiguren weit die besten N. 10, mit dem Motiv der sog. Polyhymnia, sehr verstümmelt, und N. 7, sog. ältere Agrippina, mit der linken das Gewand aufnehmend. Eine grosse Anzahl schöner Motive müssen wir übergehen um der Kürze willen. (Von den weniger bekannten Sammlungen muss f hier, wegen mehrerer guter Gewandstatuen, das Casino der Villa Pam- fili bei Rom genannt werden; sonst verweisen wir noch auf den zwei- Kanephoren und Karyatiden. ten Gang des Museums von Neapel und auf den Braccio nuovo des a Vaticans.) Wer im Süden der Gestalt und den Bewegungen des Volkes auch nur einen Blick gönnt, wird z. B. an jedem Brunnen überrascht werden durch die ungemeine Anmuth des Hebens und Tragens der Wassergefässe, der Waschkörbe u. dgl. Auch hat die Kunst von jeher derartige Motive von Schönheit und Kraft sich zu eigen gemacht; Raphael gab ihnen die Unvergänglichkeit in einer tragenden Figur seines Incendio del borgo (Vatican); Michel Angelo in der unerreich- baren Gruppe der Judith und ihrer Magd (Cap. Sistina). — Die Alten aber hatten das Glück, diesen Motiven in einer feierlichen, erhabenen Sphäre zu begegnen: bei den Processionen nämlich, wenn die Jung- frauen der Stadt und die Tempeldienerinnen, auf dem Haupt die Körbe mit den Heiligthümern oder Opfergeräthen, einherwandelten. Daraus entstand der Typus der Korbträgerinnen ( Kanephoren ). Die eine Hand leicht an den Korb erhoben, die andere eingestützt oder im Gewand verhüllt, mit langsamem, bloss angedeutetem Schritte, frei vorwärtsblickend kommen sie uns entgegen. So die herrliche bacchi- b sche Kanephore der Athener Kriton und Nikolaos in der untern Halle der Villa Albani ; neben ihr treten vier andere (ebendort) als flüch- c tige römische Arbeiten weit in den Hintergrund. Noch viel ernster und feierlicher aber gestaltet sich dieser Typus in der Karyatide ; die festlichen Jungfrauen tragen über ihrem zum Capitäl gewordenen Korb das Gesimse eines Tempels. Ausser den auf der athenischen Akropolis (am Erechtheion) erhaltenen Karyatiden besitzt Rom (Vatican, Braccio nuovo) ein stark restaurir- d tes Exemplar, welches der Sage nach einst im Pantheon soll ange- bracht gewesen sein; an Grösse und Ernst offenbar eher ein griechi- sches als ein römisches Werk. Von nicht viel geringerm Werthe ist e die Karyatide im Hof des Palazzo Cepperello in Florenz. — Auf merk- würdige Weise ist in der Jungfrau zugleich die architektonische Stütze, die Stellvertreterin der Säule charakterisirt; man hätte sie, soweit es sich um die Tragkraft handelte, viel leichter bilden können; allein 30* Antike Sculptur. Eros. wenn das mechanische Bewusstsein sich dabei beruhigt hätte, so hätten Auge und innerer Sinn sich nicht zufrieden gegeben. Unter den Knabengestalten nimmt Eros die erste Stelle ein. Wir kennen ihn als Statue nur unter demjenigen Typus, welchen ihm die vollendete griechische Kunst des IV. Jahrhunderts verlieh und welche die Folgezeit wiederholte. Eine der anmuthigsten Darstellungen, vielleicht nach Lysippos, welche den jugendlichen Körper in leichter Anstrengung zeigt, der sog. bogenspannende Eros , ist leider nur in entweder sehr zer- stückten oder bloss mittelgut gearbeiteten Exemplaren auf unsere Zeit a gelangt. Die beste Arbeit zeigt in seinen alten Fragmenten der va- b ticanische (Museo Chiaramonti); dann folgt derjenige im runden Saal c der Villa Albani und derjenige in der obern Galerie des Museo ca- d pitolino. Der besterhaltene im Dogenpalast zu Venedig, Camera a letto; der Kopf eine antike Restauration. Trotz dieser Mehrzahl vor- handener Copien kann man über das ursprüngliche Motiv einige Zweifel hegen. (Neuerlich als „bogenprüfender Amor“ bezeichnet.) Diesem kindlich schalkhaften Schützen steht ein jugendlicher Gott der Liebe gegenüber. Ungleich ernster und in den Formen entwickel- ter erscheint nämlich Eros, offenbar nach Praxiteles, in dem vatica- e nischen Torso (Galeria delle statue, früher als „ vaticanischer Genius “ benannt). Das schmale Haupt, mit den zusammengewun- denen Locken über der Stirn, drückt eine Sehnsucht aus, die sich weder in das Schmachtende noch in die Trauer verliert, sondern eben in ihrer ruhigen Mitte das Wesen dieses Gottes ausmacht. Die Formen des Körpers sind von einer jugendlichen Schönheit, die für die Sculptur massgebend geworden ist. (Am Rücken die Ansätze für die Flügel. f Ein geringeres, aber bis an die Kniee erhaltenes Exemplar im Mu- seum von Neapel, Halle des Adonis). g Die schöne Statue, welche in den Uffizien zu Florenz (Halle des Hermaphr.) „ der Todesgenius “ heisst, aber als Eros restaurirt ist, vereinigt die frühe Jugend des bogenspannenden Eros mit einem Ausdruck des Ernstes ohne Sehnsucht. Er blickt nicht „hinaus“, son- dern links abwärts und hält die rechte Hand auf die linke Schulter. Amor und Psyche. Paris. Ganymed. (Ungleiche Arbeit, von der Hälfte der Schenkel abwärts restaurirt.) Ob Schlaf, Tod, oder der Sohn Aphroditens gemeint ist, wollen wir nicht entscheiden. Die erst spät (II. Jahrhundert n. Chr.) vorkommende Gruppe Amors , der die Psyche liebkost, ist bei einem schönen Ausdruck doch in den Linien der beiden Körper sowohl als in ihrer Durch- bildung nur von mittlerem Werth. Selbst das vorzügliche capitolini- a sche Exemplar (im verschlossnen Zimmer der Venus) macht hievon nur eine bedingte Ausnahme; das florentinische (Uffizien, Halle des b Hermaphr.) ist ziemlich gering. Noch später, an zahllosen Sarcopha- gen, werden die beiden Kinder immer jünger, endlich blosse sog. Putten, und in der Arbeit immer roher. Der neuern Kunst blieb hier ein Feld offen, auf welchem Canova und Thorwaldsen neu sein konnten. Dem Eros-Typus nahe verwandt, doch fast nur in geringen Exem- plaren vorhanden, erscheinen zwei andere Knabengestalten, die schön- heitberühmten Söhne des Königshauses von Ilion, die Hirten vom Ida. Zunächst der jugendliche Paris , in einer späten römischen Statue c des Museums von Neapel (zweiter Gang); er ruht aufgelehnt, die Füsse übereinander, den Apfel in der Rechten hinter sich haltend; zwei Wurfspiesse lassen ihn zugleich als Jäger erkennen; neben ihm ein Hund. Es liegt in dieser Figur etwas von dem schönen Müssig- gang ruhender Götter und Satyrn, aber die Ausführung ist sehr be- fangen. (Über den erwachsenen Paris in der Galeria delle statue des Vaticans s. unten.) — Sodann Ganymed . Die alte Kunst muss zunächst in einem sehr ausgezeichneten Werke (wahrscheinlich von Leochares) das Aufwärtsschweben eines schlanken jugendlichen Körpers verbun- den mit dem Ausdruck der Hingebung dargestellt haben, als Gany- med der vom Adler behutsam emporgetragen wird (natürlich an einen Tronco angelehnt und jedenfalls für die Sculptur ein zweifelhafter Ge- genstand). Ein kleines römisches Exemplar im obern Gang des Va- d ticans. (Der einst viel genannte venezianische Ganymed, im Dogen- e palast, Camera a letto, ohne Tronco und jetzt schwebend aufgehängt, ist eine mittelmässige römische Arbeit.) — Neben dieser mehr idealen Antike Sculptur. Ganymed. a Darstellung heben andere Statuen mehr den Hirtenknaben oder den Mundschenken hervor; so diejenige des Museums von Neapel (zweiter Gang): Ganymed auf den Adler gelehnt und mit ihm sprechend, eine b gute Arbeit mit schlecht restaurirter Handbewegung. (In der Nähe ein weit schlechterer Ganymed.) Ein anderes, ebenfalls schlecht re- staurirtes Exemplar in den Uffizien, erster Gang. — Auch Ganymed den Adler tränkend kommt wenigstens in Reliefs vor. — Eine schöne c kleine Brunnenstatue mit restaurirten Armen, auf den (nicht vorhan- denen) Adler herabschauend gedacht, im Braccio nuovo des Vaticans, d am Stamm der Name des Künstlers Phaidimos; — eine unbedeutende im Gabinetto delle Maschere ebenda; — ein sehr schöner Gedanke in e einer mittelguten Statue des obern Ganges ebenda: Ganymed die Schale emporreichend; er und der Adler, welcher hier nicht als Hülle, sondern als Attribut des Zeus neben ihm steht, schauen aufwärts wie zu dem Gott empor. Es ist kein irdisches Aufwarten, sondern ein feierliches Kredenzen bezeichnet. (Der Arm mit der Schale neu, aber dem alten Ansatz nach wohl richtig ergänzt.) Raphael hat diess ähnlich empfunden, im Hochzeitsmahl der Farnesina, wo Ganymed sich auf ein Knie niederlässt. f Die schöne lebendige Statue kleinern Massstabes in den Uffizien (Halle des Hermaphr.) hat einen Kopf und einen Adler von Benv. Cellini, stellte aber wohl ursprünglich Ganymed dar. Bildung und Stellung sind von gleicher Anmuth. (Kinderstatuen ziehen das Verhältniss zum Adler ins Drollig- g Kindliche; so die sehr meisterhaft gedachte des kleinen Ganymed, welcher den Adler nach hinten umfasst, im obern Gang des Va- ticans.) Der Bilderkreis der Götter wird glorreich ergänzt durch Dio- nysos , den Gott der hohen Naturwonne. Nachdem ihn die Kunst lange als bärtigen Herrscher gebildet (S. 422), erhielt er zur Zeit des Skopas und Praxiteles die süsseste Jugend und sein bisher bloss bur- leskes Gefolge (man vgl. die Satyrn auf den ältern Vasen) eine reiche charakteristische Abstufung bis ins Schöne hinein. Ihm, dem reinsten Grundton und Mittelpunkt dieses gestaltenreichen Schwarmes (Thia- Dionysos. sos), wurde eine Schönheit zugedacht, zu deren vollem Ausdruck männliche und weibliche Formen gemischt werden mussten. So ent- stand der wunderbare Typus unbestimmter, zielloser Seligkeit, dessen tiefster Zug (wie bei der Aphrodite) eine leise Sehnsucht ist. Einem solchen Dasein kam vor Allem eine leichtruhende Stellung zu, welche die Entwicklung eines reichen Körpermotives begünstigte, so das Auf- lehnen auf einen Rebenstamm, der später zu einer jungen Satyrgestalt belebt wurde; auch wohl eine leichtgewendete sitzende Haltung. Der Thyrsus, wo er vorkömmt, dient der Gestalt zur Zier mehr als zur Stütze. Das Haupt, meist etwas geneigt, ist von einem Kranz von Weinlaub oder Epheu beschattet und von herrlichen Locken umgeben, die eine Stirnbinde zusammenhält. Mit Ausnahme eines Thierfelles ist Dionysos in der Regel nackt, doch auch nicht selten von den Lenden an mit einem Gewande bekleidet. In den italienischen Sammlungen wird wohl dem sitzenden Torso a des Museums von Neapel (Halle des Jupiter) der unbestrittene Vor- rang bleiben, indem hier die milden und reichen Formen des Gottes schöner und einfacher behandelt sind als sonst irgendwo. Ein anderer b schöner sitzender Torso im Vatican (Galeria delle Statue). Der Torso eines stehenden Bacchus von sehr guter römischer Arbeit, als Apoll c restaurirt, in der innern Vorhalle der Uffizien zu Florenz. Die volle dionysische Schönheit aber konnte nicht ergreifender hervorgehoben werden, als durch den Contrast mit einem bestimmten Begleiter aus dem Gefolge des Gottes. Die Kunst personificirte den Weinstock (Ampelos), auf welchen der Gott sich lehnte, zu einem Satyr, mit welchem er in verschieden charakterisirte Beziehungen (des Sprechens, des Aufstützens) gesetzt wird; bisweilen mischt sich ganz deutlich ein Zug des Humors ein: Ampelos kann die Stimmung seines Herrn nicht recht fassen und macht sich seine Gedanken darüber. Die vielleicht ehemals beste Gruppe dieser Art, ein sehr schönes aber übel d zugerichtetes Werk in der Villa Borghese (Hauptsaal) zeigt den voll- ständigern Typus des Gottes in seiner edelsten Gestalt; Ampelos jedoch ist grossentheils zerstört. Gut erhalten oder restaurirt, aber viel weniger hoch aufgefasst: Dionysos mit dem ausschreitenden e Ampelos in der Sala rotonda des Vaticans; — ähnlich, aber kleiner und geringer im Dogenpalast zu Venedig, Corridojo; — grossartig und f Antike Sculptur. Dionysos. a schwülstig mit einem frechen Ampelos, im Hauptsaal der Villa Lu- b dovisi; — kleiner und von guter römischer Arbeit in den Uffizien (Halle der Inschriften), durch die Restauration, welche auch die Basis umfasst, vielleicht zu viel nach links (vom Beschauer) geneigt; — roh c decorativ und für einen baulich bedingten Gesichtspunkt berechnet, in der Galerie zu Parma Dieses sehr colossale Exemplar wurde nebst dem gegenüber aufgestellten Herakles in den farnesischen Gärten auf dem Palatin gefunden. Herakles ist ebenso für eine bestimmte Untensicht gearbeitet. (Vgl. S. 427, Anm.) — * Bei diesem Anlass ist ein ebenda befindlicher guter Torso eines Jägers oder Kriegers nachzuholen. ; — endlich als Seitenstück: Dionysos mit d dem geflügelten Eros, im zweiten Gange des Museums von Neapel. e — Bei den grossen Bronzen derselben Sammlung: eine treffliche Sta- tuette des Bacchus mit dem Thyrsusstab. Die überwiegende Menge der Bacchusfiguren sind unbedeutende römische Arbeiten; bisweilen von gutem Motiv, aber schwerer Aus- führung, indem die Kunst den Ausdruck der reichen und weichen dionysischen Natur im Breiten und Üppigen suchte. So die Statuen f von Tor Marancio im obern Gang des Vaticans; diejenigen im zweiten g Gange des Museums von Neapel (worunter eine stark ergänzte bes- h sere). Mehrere, auch von den bessern, in der Villa Borghese. Als Herr der Unterwelt thront Dionysos, neben sich die gerettete Seele eines Mädchens, in einer sehr späten, nur sachlich merkwürdigen i Gruppe der Villa Borghese (Faunszimmer). — Wo der Gott einen seiner Panther bei sich hat, wird man das Thier verhältnissmässig immer sehr klein gebildet finden. Man hat es desshalb auch schon als Luchs u. s. w. classificiren wollen. Die griechische Kunst aber, welche selbst die Söhne Laocoons in einem kleinern Verhältniss bil- dete als den Vater, erlaubte sich auch die Freiheit, die bis über sechs Fuss langen Tiger und Panther auf ein Mass zu reduciren, woneben der Gott bestehen konnte. Schliesslich müssen wir die zwei köstlichen florentinischen k Bronzefiguren (Uffizien, zweites Zimmer der Bronzen, dritter Schrank) erwähnen, welche den Bacchus als einen schlanken Knaben darstellen; das einemal hebt er mit beiden Händen Trauben empor; das andermal schlägt er beide Arme über das nach links abwärts- Ariadne. blickende Haupt, mit einem Ausdruck süssester Melancholie, den wohl kein Marmorbild des Gottes so wiedergiebt. In den Reliefs, auch an Sarcophagen, wo man den Gott in den verschiedensten Stellungen und Handlungen kennen lernt, erscheint er nicht selten mit der von ihm geretteten Ariadne, welche, einmal in seinen Kreis aufgenommen, nur ihm ähnlich gebildet werden konnte. Selbständige Statuen dieser dionysischen Ariadne kommen wohl nicht vor, doch hat man einen der schönsten Köpfe des Alterthums (im Museo capitolino , Zimmer des sterbenden Fechters) lange a Zeit so benannt, bis neuere Forscher darin einen ganz jugendlichen Dionysos zu erkennen glaubten. Wie dem auch sei, Augen, Wangen und Mund dieses Werkes geben gerade das Schönste und Süsseste der bacchischen Bildung, die Verlorenheit in sanfter Wonne, mit einer unbeschreiblichen Leichtigkeit wieder. Im anstossenden Faunszimmer b findet sich ein geringerer, doch noch immer schöner Kopf, bei welchem man ebenfalls über die Benennung im Zweifel bleiben kann. (Die Augen zur Ausfüllung mit irgend einer andern Steinart bestimmt, wie an vielen Köpfen.) Die schöne Statue, welche in den Uffizien zu Florenz (erster c Gang) Ariadne heisst, hat einen antiken bacchischen, ihr aber nicht angehörenden Kopf; der Leib möchte vielleicht der einer Muse gewesen sein. Ihre fast verticale linke Seite zeigt zwei Ansätze; sie muss sich auf Etwas gelehnt haben. (Beide Arme sind wegzudenken.) Von derjenigen Stimmung, welche in Dionysos rein und göttlich waltet, gehen die einzelnen Äusserungen wie Radien in die Personen seines Gefolges aus. Es ist die Naturfreude auf allen ihren Stufen, je nach der edlern oder gemeinern Art des Einzelnen. Man muss sich diesen „Thiasos“ immer als Ganzes, als Zug oder Scene denken, wie er in mehrern ganz trefflichen Reliefs und sehr vielen meist mittel- guten oder geringen Sarcophagbildern, auch auf vielen Vasen sich stückweise darstellt. Allein schon die Kunst der besten Zeit, schon Meister wie Praxiteles haben die einzelnen Gestalten dieses Ganzen Antike Sculptur. Satyrn. als Episoden einzeln gedacht und behandelt und von den Nachahmun- gen gerade dieser Werke sind die Galerien voll. Diese sämmtlichen Gestalten haben leisere oder derbere Anklänge an das Thierische, ja Bestandtheile von Thieren an sich. Nur so wurden sie geschickt zu dem vollkommen wohligen Genuss und zu dem endlosen Muthwillen, in welchem sie sich ergehen. Die Hauptschaar besteht aus Satyrn . (Der römische und italie- nische Name „Faun“ kann nur verwirren und wird am besten ganz beseitigt.) Ihre Abzeichen sind die mehr oder weniger bemerkliche Stülpnase, die etwas gespitzten Ohren, oft auch ein Schwänzchen und zwei Halsdrüsen; als Kleidung etwa ein Thierfell. Allein schon in- nerhalb dieser Gattung ist die reichste Abstufung zu bemerken. Der edelste, dem Dionysos am nächsten stehende, ist der vom Flötenspiel ausruhende, an einen Baumstamm gelehnte (bisweilen be- kränzt); eines der anmuthigsten und beliebtesten Motive der alten Kunst, wahrscheinlich Nachbildung des praxitelischen Satyros pe- a riboëtos . Das beste römische Exemplar im Museo capitolino (Zim- b mer des sterbenden Fechters); andere gute: im Braccio nuovo des c Vaticans und in der Villa Borghese (Zimmer des Fauns). — Zwei d geringe römische Wiederholungen im Pal. Pitti zu Florenz (inneres Vestibul über der Haupttreppe) geben dem Periboëtos einen kleinen Pan bei, durch welche Zuthat die Einsamkeit verloren geht, die für den geistigen Ausdruck der Figur so wesentlich ist. — Das Über- wiegen des Genusslebens zeigt sich beim Periboëtos nur in dem vollen Rund der Züge und in dem etwas vortretenden Bauch, die Malice nur in einem kaum bemerklichen Zuge des Gesichtes. Sein jüngerer Bruder ist der Satyrknabe , welcher die Flöte eben ansetzen oder weglegen will (was der Restaurationen wegen selten zu entscheiden ist), angelehnt mit gekreuzten Beinen. Gute e Exemplare im Braccio nuovo des Vaticans, in der obern Galerie des f Museo capitolino und anderswo; ein geringeres im runden Saal der g Villa Albani; keines wohl der Anmuth des Originals entsprechend. h Ein Fragment in der Galerie zu Parma. (Auch der sog. Amorstorso daselbst ist wohl eher von satyresker Bildung.) Die Satyrknaben und Kinder, von welchen einzelne treffliche Köpfe vorkommen, sind theils von harmlosem, theils auch schon von nichtsnutzigem, spöttischem Satyrn. Ausdruck; ein noch fast unschuldiges, heiter lachendes Köpfchen in der obern Galerie des Museo capitolino; eine ganze Anzahl, von ver- a schiedenem Ausdruck, im Museo Chiaramonti (Vatican). b Zu den edlern Satyrn gehört insgemein auch noch derjenige, welcher den jungen Dionysos auf der Schulter tragen darf. Sein leichtes Ausschreiten und Lachen, und der schlank-elastische, wie von innern Federkräften bewegte Körperbau unterscheiden ihn indess we- sentlich vom Periboëtos und nähern ihn schon den übrigen Satyrn. Meist stark restaurirt, lässt er Zweifel übrig in Betreff der Haltung seiner Arme und der Gestalt des Bacchuskindes. Treffliches, aber sehr überarbeitetes Exemplar im Museum von Neapel (zweiter Gang); an- c dere im Braccio nuovo des Vaticans und in der Villa Albani (Ne- d bengalerie rechts). Das Kind ist wohl bisweilen als blosser junger Bacchant gedacht. — In der Stellung sehr ähnlich der hie und da vorkommende Satyr, welcher ein Zicklein trägt. Wie das Flötenspiel dem idyllischen, einsam ausruhenden Satyr zukömmt, so die Klingplatten und das Tamburin der bereits in Bewegung gerathenen bacchischen Schaar. Aus den hier zu nennenden Gestalten spricht bald ein heitrer, bald ein wilder Taumel, der als zweites, dämonisches Leben den oft meisterhaft gebildeten Körper durchbebt. Der heftigste denkbare Eifer des Musicirens spricht sich in der berühmten florentinischen Statue aus (Uffizien, Tribuna); e die Bewegung zeigt freilich, dass in dieser Musik die Melodie dem in wildem Taktiren vortrefflich ausgesprochenen Rhythmus untergeordnet ist. Der Kopf und die Arme sammt Klingplatten von Michelangelo restaurirt; das Übrige trotz der verletzten Oberfläche einer der besten Satyrstypen. Ganz anders und wiederum in seiner Art unvergleich- lich der Klingplattenspieler der Villa Borghese (in der Mitte des f Faunszimmers); ein ältlicher Virtuose des Spieles und des Tanzes zugleich, dreht er sich mit wirbelnder Schnelligkeit auf beiden Füssen herum; seine sennig ausgetanzten Glieder und seine originell hässlichen Gesichtszüge sind auf das Geistvollste behandelt. Wüster und wilder ist die Geberde des colossalen Tänzers der- selben Sammlung (Hauptsaal), welchem der Hersteller einen Hirten- g stab in die Hände gegeben hat. Die Arbeit, so weit sie alt ist, kann noch immer für trefflich gelten, doch wirkt gewisses Detail, wie z. B. Antike Sculptur. Satyrn. die schwellenden Bauchadern u. dgl. in dem grossen Massstab schon a nicht mehr angenehm. (Ein dritter grosser Satyr, im Faunszimmer, b ist mehr als zur Hälfte neu.) — Zwei fast identische Statuetten, sprin- gende Satyrn mit Klingplatten, sich stark zurückbeugend, im obern Gang des Vaticans; vielleicht Nachbildungen eines berühmten Origi- c nals. Ein eifriger Bläser der Doppelflöte, kleine Bronze in den Uffi- zien, zweites Zimmer der Bronzen, dritter Schrank. Bisweilen ist es mehr ein blosses fröhliches Aufspringen als ein eigentlicher Tanz, was der Bildner geben wollte. So vielleicht in der d herrlichen Statuette des Museums von Neapel (grosse Bronzen); aufwärts blickend, mit den Fingern der einen Hand in der Luft schnal- zend schwebt der nicht mehr junge Gesell mit, ich möchte sagen, hör- barem Jubelruf dahin. Sehr wesentlich ist endlich das Verhältniss der Satyrn zum Wein, dessen Werth, Bereitung und Wirkung an und mit ihnen hauptsäch- lich dargestellt wird. (Weinbereitende Genien und Eroten sind in der Regel eine spätere, schwächere Schöpfung.) Die Reliefs geben den betreffenden Bilderkreis vollständig; wir müssen uns auf die Sta- tuen beschränken. Schon an der Traube (hat der Satyr seine lüsterne Wonne; er hält sie empor und besieht sie mit einem Gemisch von Lachen und Begier, das die Kunst gerne raffinirt behandelte. Ein Meisterwerk e der sog. Fauno di rosso antico , in dem Faunszimmer des Museo capitolino, spät und zur Hälfte neu, aber in den erhaltenen Theilen classisch für die Behandlung des Satyrleibes. Eine Wiederholung in f Marmor, im grossen Saal desselben Museums; ein gutes Exemplar g wiederum in rosso antico, im Gabinetto delle Maschere des Vaticans. Andere a. a. O. Wenn in diesem Typus die Frechheit des ausgewachsenen Satyrs kenntlich vorherrscht, so verknüpfen andere Statuen dieselbe Handlung mit einer jugendlichern und edlern Körperbildung und einem harm- losern Ausdruck; es sind schlanke, ausschreitende Gestalten in der Art des Satyrs mit dem Bacchuskind; leider fast sämmtlich stark re- staurirt, doch so beschaffen, dass man ein ausgezeichnetes Urbild ver- muthen darf, in welchem ein eigenthümliches Problem elastisch- jugendlicher Form und Bewegung schön muss gelöst gewesen sein. Satyrn. Drei Exemplare von ungleichem Werthe im zweiten Gang des Mu- a seums von Neapel; eines von parischem Marmor, mit echtem, edelm Kopf, aber sonst von schwankender Behandlung, in den Uffizien zu b Florenz (erster Gang). — Hieher gehören auch noch folgende Werke. Auffallend ideal, und desshalb vereinzelt stehend: der schöne Satyr c mit dem Füllhorn, im Hauptsaal der Villa Ludovisi. — An dem vor- geblichen „Bacchus mit Faun“ im zweiten Gang der Uffizien zu Flo- d renz ist nichts als der Torso der erstern Figur alt; von guter Arbeit, vermuthlich einer der edlern jungen Satyrn. Der daneben kauernde kleine „Faun“ sammt allem Übrigen ist neu. — Ein sehr schöner Sa- tyrstorso desselben Ranges, doch mehr ausgewachsen, nach rechts e lehnend, ebenda (Halle des Hermaphr.; nicht restaurirt, aber geglät- tet). — Im Palast Pitti (äusseres Vestibul über der Haupttreppe) zwei f Satyrn, welche ihre Panther mit emporgehaltenen Trauben necken, ein öfter vorkommendes, aber bisweilen nur vom Restaurator herrüh- rendes Motiv. Einzelne Satyrsköpfe , ganz in Weinlaub eingehüllt, drücken das lüsterne Lauern vortrefflich aus; die Behandlung der Augen und das Zähnefletschen nähern sie der Maske. Ein Beispiel im Museo g Chiaramonti des Vaticans; Haar, Bart und Schnurrbart bestehen aus lauter Trauben und Weinlaub. Die Frechheit, welche der genossene Wein erregt, giebt sich in zwei nur einfach als Brunnenfiguren ausgeführten, aber gut gedachten sitzenden Satyrn mit Schläuchen kund. (Im Braccio nuovo des h Vaticans.) Schon das Ausstrecken ihrer (theils alten, theils richtig restaurirten) Beine ist so sprechend, dass diese Theile allein nur zu weinfrechen Satyrn passen könnten. — Zu den frechen und boshaften Satyrn gehört, beiläufig gesagt, auch der kleine Torso im Museum von i Neapel (Halle des Jupiter), welcher einst aus spitzem Munde Wasser spritzte. Eine andere, vorzüglich gut repräsentirte Schattirung ist die Wein- seligkeit. Nirgends wird dieser Seelenzustand köstlicher dargestellt, als in dem auf dem Schlauch liegenden bärtigen Satyr , k welcher mit der aufgehobenen Rechten der ganzen Welt ein Schnipp- chen schlägt. (Museum von Neapel , grosse Bronzen.) Das eigen- thümliche elastische Leben des Satyrleibes ist in der bewegten Linie, Antike Sculptur. Satyrn. Marsyas. die von der aufgestützten linken Schulter nach dem rechten Schenkel a geht, sehr energisch ausgesprochen. — Womit ein guter, aber stark überarbeiteter Satyr im Vatican (Galeria delle Statue) zu verglei- chen ist. Arme, alte, verstossene Satyrn mit mürrischem Ausdruck müssen inzwischen Schläuche halten und schleppen. (Meist Brunnenfiguren.) b Ein solcher im runden Saal der Villa Albani. Als Träger eines c Wasserbeckens ihrer drei dieser Art, im obern Gang des Vaticans. d Auch ein jugendlicher, brutal-fröhlicher Schlauchträger kommt vor. Endlich überwältigt der Schlaf den trunkenen Satyr. Ein Werk, das dem berühmten „barberinischen Faun“ in der Münchner Glypto- thek gleich käme, besitzt Italien in dieser Gattung nicht. Der bronzene des Museums von Neapel (grosse Bronzen) ist bei seinen starken Restaurationen und der etwas conventionellen Behandlung des Ur- sprünglichen nur durch das Motiv interessant. Er schläft sitzend auf einem Felsstück, den rechten Arm über das Haupt gelegt, den linken hängen lassend, als wäre ihm eben das Trinkgefäss entglitten. Ein bestimmter Satyr, Marsyas , hat durch sein bekanntes Schick- sal der antiken Kunst Anlass gegeben zu einem der wenigen Motive körperlicher Qual, welche sie behandelt hat. Vielleicht wäre auch dieses unterblieben, wenn nicht gerade der Satyrsleib mit seiner elasti- schen Musculatur in der Stellung eines an den Armen Aufgehängten eine besonders interessante Aufgabe dargeboten hätte. Es gab eine namhafte Gruppe im Alterthum, welche Apoll, einen oder zwei Skla- ven und den unglücklichen Satyr dargestellt haben muss; davon sind e die jetzt vorhandenen Marsyasfiguren, u. a. eine in der Villa Albani f (im Kaffehaus), zwei in den Uffizien zu Florenz (Anfang des zweiten Ganges) Einzelwiederholungen, die freilich mit ihrer geringen Aus- führung keinen Begriff geben von dem grossen Raffinement, welches wir im Urbilde voraussetzen dürfen. — Den bereits Geschundenen darzustellen war erst die Sache der neuern Kunst, die in ihrem S. Bartholomäus durch das höchstmögliche Leiden Eindruck machen g wollte. (Statue des Marco Agrato im Chorumgang des Domes von Mailand.) Bei Michelangelo (im jüngsten Gericht der Sistina) zeigt der Heilige seine abgezogene Haut zwar auch vor, allein er hat zu- gleich eine andere am Leibe. Leidender Satyr. Silen. Einen andern leidenden Satyr glauben wir in dem vorzüglichen Colossaltorso der Uffizien (Halle des Hermaphr.) zu erkennen. a Nach einem Ansatz des linken Schenkels zu urtheilen, muss er ge- sessen oder gelehnt haben, während doch die Formen des Leibes die grösste Erregung zeigen. Welcher Art sein Leiden war, ob ihm ein Dorn ausgezogen wurde u. dgl., ist schwer zu errathen. Als derber und wilder Satyr giebt er sich durch die herculische Bildung von Brust und Rücken, durch den auswärts geschobenen Bauch mit kräf- tigen Adern zu erkennen. Einer der alten Satyrn (ja eine ganze Gattung derselben) führt den Namen Silen . Er könnte der wohlmeinende Vater der ganzen Schaar sein, allein sein unverbesserlicher Weindurst macht ihm zu oft die stützende Hülfe der Jüngern nöthig und bringt ihn um alle Ach- tung. Der alte, fette, kahle Buffone kann sich nicht einmal immer auf seinem Eselchen halten, sondern muss auf einem Karren mit- gefahren werden; dafür wird er geneckt ohne Erbarmen. Diese seine Privatleiden erfährt man jedoch fast nur aus Vasen und Reliefs; in den Statuen macht er etwas bessere Figur. Die Haarlöckchen, die über seinen ganzen Leib verbreitet sind, die Behandlung der Extre- mitäten, ja die fast angenehme Hässlichkeit seines Kopfes selbst geben ihm bisweilen etwas sehr Distinguirtes. So wird man z. B. dem Silen b der Villa Albani (im sog. Kaffehaus) schon seiner niedlich gestellten Füsse wegen zugestehen, dass er eigentlich zum Geschlecht der feinern Schwelger gehöre. (Ein anderes, sehr gutes, aber weniger erhaltenes c Exemplar in der Sala delle Muse des Vaticans.) — Im Ganzen aber sind Silen und sein Schlauch gar zu unzertrennlich, als dass dem Alten gründlich zu helfen wäre. Er reitet darauf und hält das weiche Gefäss an zwei Zipfeln (Statuette im Museum von Neapel, grosse d Bronzen), während dessen Mündung, wie in der Regel, als Brunnen- öffnung dienen muss; er liebkost den theuren Behälter (Statuette ebenda), gerade wie er es sonst mit dem kleinen Panther des Bacchus macht (Statuette ebenda). Eine kleine Marmorfigur im obern Gang e des Vaticans stellt den komischen Moment dar, in welchem er den Schlauch und das Trinkhorn beim besten Willen nicht mehr in Ver- bindung bringen kann. Antike Sculptur. Silen. Pan. a Die Folgen zeigen sich in einer kleinen Statue des Museums von Neapel (zweiter Gang); Silen, wahrscheinlich schrecklich gefoppt, bittet knieend und mit gefalteten Händen um Gnade. (Dasselbe Motiv nicht selten auf Vasen.) — Als Brunnenfigur drückt er auch wohl b sitzend mit aller Kraft auf einen Traubenbüschel, in welchem die Mündung angebracht ist. (Uffizien, Halle der Inschriften.) Bisweilen aber offenbart Silen eine höhere Natur; er ist der Er- zieher und Hüter des Bacchus während der bedrohten Jugend desselben gewesen. Mit dem göttlichen Kinde auf den Armen, freund- lich ihm zulachend, erscheint er wieder als schlanker bärtiger Satyr in beginnendem Greisenalter, von gemässigter herakleischer Bildung. Von seinen Zügen sind alle wesentlichen Elemente, aber sehr veredelt c beibehalten. Eine gute Statue im Braccio nuovo des Vaticans; Köpfe d im Museum von Neapel (erster Gang) und in der obern Galerie des e Museo capitolino; — bei weitem die beste Statue dieses Typus, in der Detaildurchführung als classisch geltend, ist mit der alten borghe- sischen Sammlung in den Louvre übergegangen. Eine bedeutende Stufe tiefer nach der Thierwelt zu finden wir die Pane . Das einsame halbgöttliche, halbthierische Waldwesen hat sich, den vorhandenen Kunstwerken nach, längst in den Kreis der dionysischen Genossen begeben und sich dort zu einem ganzen Ge- schlecht vervielfacht. Als einzelne Figur ist er fast nur in unter- geordneten Werken decorativer Art auf unsere Zeit gekommen, an welchen man immerhin den meisterhaft gedachten Übergang aus den Ziegenfüssen in den satyrhaften Menschenleib und die geistvolle Ver- mischung menschlicher und thierischer Züge im Gesicht studiren kann. f (Ein seitwärts ins Affenmässige gehender Ausdruck in einem gut gear- beiteten Köpfchen des Vaticans, Büstenzimmer.) — Zwei grosse Pane als g Gesimsträger, im Hof des Museo capitolino; eine sehr chargirte Pans- h maske als Brunnenöffnung ebenda, im Zimmer des Fauns. — Häufig ein kleiner Pan im Mantel mit der vielröhrigen Hirtenflöte in der Hand, i von drolligem Ausdruck des Wartens und Zusehens. (In dem ge- k nannten Hof; auch im Garten der Villa Albani; derjenige im Garten l der Villa Ludovisi ist ein Werk des X VI. Jahrhunderts, aber nicht von Michel Angelo, sondern von einem affektirten Nachahmer des- selben.) Pan. Centauren. Von Gruppen ist die des Pan und Olympos in leidlichen Nachahmungen eines ausgezeichneten Werkes vorhanden. Der Con- trast in Stellung und Bildung zwischen dem Waldgott und dem ganz jungen Satyr, welcher bei ihm die Musik lernt, hatte für die Kunst denselben ungemeinen Reiz, welchen sie auf einer andern Stufe in der Zusammenstellung von Centauren als Lehrern mit jungen Helden wiederfand. (Die besten Exemplare besitzt Florenz: eines, unsichtbar, a in dem Magazin der Uffizien; eines im ersten Gang der Uffizien, mit dem echten Kopf des Olympos von angenehm leichtfertigem Aus- druck; ein Olympos ohne den Pan, im zweiten Gang der Uffizien, b roh, aber gut erhalten; — ein anderes gutes Exemplar im geheimen c Cabinet des Museums von Neapel; — geringere in der Villa Ludovisi d zu Rom, Vorsaal; — und, zur Hälfte neu, in der Villa Albani, unter- e halb des Kaffehauses. Andere a. a. O.) Von einem sehr artigen Motiv: Pan der einem Satyr einen Dorn f aus dem Fusse zieht, ist u. a. ein kleines und bedeutend ergänztes Exemplar im obern Gange des Vaticans erhalten. Pan in anderer Gesellschaft ist bisweilen von derjenigen Art, welche in den italienischen Sammlungen nicht leicht aufgestellt wird. Ein Hermaphrodit, den zudringlichen Pan abwehrend, kleine Gruppe, g in den Uffizien (Halle des Hermaphroditen); hier ist der ganze Pan neu, angeblich von Benv. Cellini. Nicht dem Ursprung, wohl aber der spätern kunstüblichen Form zu Liebe müssen wir noch die Centauren hieher rechnen. Auch sie, ehemalige Jäger und wilde Entführer, gerathen in den dionysi- schen Kreis hinein, dem sie durch ihre Weinlust von jeher nahe ge- standen. Bisweilen ziehen sie auf den Reliefs den Wagen des Gottes an der Stelle der Panther; auf ihrem Rücken etwa ein kleiner bacchi- scher Genius, der sie zügelt oder mit ihnen spricht. Dieser bacchi- schen Natur gemäss tragen auch die beiden (nächst einem Werk des Louvre) ausgezeichnetsten Centaurenstatuen (von Aristeas und Papias h aus Aphrodisias, im grossen Saale des Museo capitolino ) auf ihrem Pferdeleib den Oberkörper eines ältern und eines jüngern Satyrs Der borghesische Centaur im Louvre, auch derjenige im Thiersaal des Vati- * cans hat einen Amorin auf dem Rücken, der ihm beide Hände gefesselt hat. . B. Cicerone. 31 Antike Sculptur. Bacchantinnen etc. Die Arbeit, obwohl erst aus hadrianischer Zeit, ist vorzüglich, und die Übergänge aus den menschlichen in die thierischen Formen sind mit einem Lebensgefühl gegeben, welches an die Wirklichkeit solcher Wesen glauben macht. (Die Ähnlichkeit des ältern mit den Gesichts- zügen des Laocoon bleibt immer auffallend; jedenfalls sollte ein Ge- gensatz des Alters und der Jugend, der Heiterkeit und des Trübsinns dargestellt werden.) Es versteht sich übrigens, dass die Marmorstatue nicht die geeig- nete Form war, um den Centauren in voller bacchantischer Bewegung zu zeigen. Eine Anzahl wunderbarer kleiner pompejanischer Gemälde geben uns erst einen vollen Begriff von Dem, was man Satyrn und Centauren zutraute. Von den weiblichen Gestalten des dionysischen Kreises sind viele in Gemälden und Reliefs, aber nur wenige in Statuen nachweisbar. Schon die Bildung der Ariadne als Statue ist, wie wir sahen, zwei- a felhaft; ob sie oder eine blosse bacchische Tänzerin in einer wunderschön bewegten und bekleideten vaticanischen Figur (Ga- binetto delle Maschere) dargestellt sei, lassen wir dahingestellt; das mit Epheu bekränzte Haupt, von dionysischer Süssigkeit, ist alt und b echt. — Eine junge Satyrin in der Villa Albani (Nebengalerie rechts), zeigt in ihrem zwar aufgesetzten, aber doch wohl echten Köpfchen die Merkmale ihrer Gattung, auch das Stumpfnäschen, in das Mäd- chenhafte übersetzt; ihr schwebender Tanzschritt veranlasste, vielleicht mit Recht, eine Restauration der Hände mit Klingplatten. — Eine ruhig c stehende, mit einem Thierfell über dem Gewande, in der untern Halle des Conservatorenpalastes auf dem Capitol; leider ist an dieser schön ge- d dachten Statue der Kopf zweifelhaft. — Eine hochausschreitende schlanke Bacchantin mit einem Luchs, unter Lebensgrösse, an Kopf und Armen kläglich restaurirt, zeigt noch ein schönes Motiv in geringer römischer e Ausführung. (Uffizien, Verbindungsgang.) — Eine hübsche nackte Bac- chantin mit Thierfell, im Dogenpalast zu Venedig (Corridojo), trägt Nach vorhandenen Spuren war diess Motiv auch an beiden capitolinischen wiederholt. [Br.] Der Thiasos. Meergottheiten. jetzt einen Dianenkopf. — Endlich giebt es Sileninnen. Eine in ihrer a Art vortreffliche auf der Erde sitzende Alte (in der obern Galerie des Museo capitolino) offenbart ein Verhältniss zur Amphora, welches wenigstens eben so innig ist, als das des Silenus zum Schlauch; ihr mageres Haupt ist vergnüglich aufwärts gerichtet; ihr offener Mund und ihr Hals sind lauter Schluck und Druck. — In der Villa Albani sogar eine Panisca; Centaurinnen kommen wenigstens in den pompejanischen Gemälden vor. Alle diese Gestalten sind nun immer nur Bruchstücke eines gros- sen Ganzen, welches die Phantasie aus ihnen und aus den Reliefs und Gemälden, auch wohl aus den Schilderungen der Dichter mühsam wie- der zusammensetzen muss. Allerdings so wie Skopas und Praxiteles den bacchischen Zug im Geiste an sich vorbeigehen sahen, so wird ihn weder die Combination des Künstlers, noch die des Forschers je wieder herstellen. Noch die spätere griechische Kunst wurde nicht müde, diesen Gestaltenkreis mit neuen Scenen und Motiven zu bereichern. Als die Griechen den Orient erobert hatten, symbolisirten sie ihre eigene That, indem sie Dionysos als den Eroberer von Indien und seinen Zug als einen Triumphzug darstellten, in welchem gefangene Könige des Ostens, Wagen voller Schätze und asiatische Zugthiere mit abgebildet wurden. Unermüdlich wurden bacchische Opfer, Gastmäler, Feste, Tänze u. s. w. von Neuem variirt, und die ganze Decoration von Häusern und Geräthen vollkommen mit bacchischen Gegenständen und Sinnbildern durchdrungen. Nun die merkwürdige Parallele zum bacchischen Gestaltenkreis. Schon bei Anlass des Poseidon wurde angedeutet, wie die alte Kunst das Element der Fluth von seiner trüben, zornigen Seite aus symbolisirte. Allerdings bildet sich später der Zug der Meergott- heiten nach dem Vorbilde des Bacchuszuges zu einem rauschenden, selbst theilweise fröhlichen Ganzen um (wahrscheinlich in Folge einer berühmten Arbeit des Skopas), und die Tritonen entlehnen von den 31* Antike Sculptur. Tritonen. Satyrn die Ohren, von den Centauren die pferdeartigen Vorderfüsse, welche ihrem Oberleib erst die rechte Basis im Verhältniss zum Fisch- schwanze geben. Allein der Triton, selbst der ganz jugendliche, be- hält doch meist einen trüb-leidenschaftlichen Ausdruck, der sich in den tiefliegenden Augen, den eigenthümlich geschärften und geboge- nen Augbraunen, dem schönen aber gewaltsam zuckenden Mund und a in der gefurchten Stirn offenbart. So der grossartige vaticanische b Tritonstorso (Galeria delle Statue). Ganz in der Nähe (Saal der Thiere) steht die wohlerhaltene Gruppe eines Tritons, welcher eine Nereide entführt, mit Amorinen auf dem Schweif, vortrefflich erfun- den, aber von sehr ungleicher Ausführung. Hier ist das Profil des Halses zu einer Art von Halsflosse geschärft, welche den Ausdruck von Leidenschaft und Anstrengung sichtbar steigert. (Wahrscheinlich eine Brunnengruppe.) Die schön belebte Jünglingsgestalt auf dem Delphin reitend, im c ägyptischen Zimmer der Villa Borghese, zeigt allerdings in Kopf und Geberde den Ausdruck der Fröhlichkeit und Elasticität. Allein es ist in dieser durchaus menschlichen Figur kein Triton dargestellt, son- dern wahrscheinlich Palämon , und zudem ist der Kopf (vom Satyrs- typus) der Statue fremd. Als eine der erfreulichsten Brunnenstatuen — das Wasser kam aus dem Mund des Delphins — verdient sie noch eine besondere Beachtung. Nicht immer aber wird in den Tritonen das Jugendliche mit dem schönen und herben Trübsinn dargestellt; es giebt auch alte, bärtige, mit lachendem oder komisch-grämlichem Ausdruck, Silene der Fluth, d wenn man will. Solche sind verewigt in dem Mosaik der Sala ro- tonda des Vaticans (aus den Thermen von Otricoli). Die von allem Wetter gebräunten Seeleute, meist mit hübschen jungen Nereidenweib- chen hinter sich auf dem geschwungenen Schweif, haben es hier m it allerlei Meerungeheuern zu thun, als da sind Seepferde, Seegreifen, Seeböcke, Seestiere, Seedrachen u. dgl.; diese Meerwunder werden geneckt, gefüttert und gezäumt. Es sind Scenen aus dem Stillleben der persönlich gewordenen Seewelt, hier von drolliger Art. An den Sarcophagen haben dagegen auch die alten Tritonen in der Regel den ernsten und trüben Ausdruck. Nereiden. Der Hermaphrodit. Bei den nackten oder beinahe nackten Nereiden versteht es sich von selbst, dass die Kunst sie nur heiter mädchenhaft bilden durfte. Bedeutende Statuen sind kaum vorhanden, wohl aber reizend gedachte (meist gering ausgeführte) Statuetten, welche diese zierlichen Wesen auf Seewiddern reitend darstellen (Beispiele a. m. Orten). Das einzige bedeutendere Marmorwerk, die florentinische Nereide auf a dem Seepferd (zweiter Gang der Uffizien) lässt trotz Verstümmlung und Restauration ein so reizendes Motiv erkennen, dass man in dieser römischen Brunnenfigur die Nachahmung einer Gestalt des Skopas zu finden glaubt. Als die antike Kunst, wahrscheinlich in der praxitelischen Zeit, nach immer wirksamern Ausdrucksweisen des Schönen suchte, gerieth sie auf die Schöpfung des Hermaphroditen , wobei ihr ein schon vorhandener Mythus entgegen kam. Es war aber bei dieser Aufgabe kein rechtes Gedeihen. Man konnte den Dionysos der weichen Weib- lichkeit, die Amazone der männlichen Heldengestalt sehr nähern und dabei den strengsten Gesetzen der Schönheit in vollstem Mass genügen; es fand dabei eine echte Durchdringung dessen statt, was am Manne und was am Weibe schön dargestellt werden kann. Hier dagegen werden auch die äusserlichen Kennzeichen der Geschlechter in Einer Gestalt vereinigt, als ob die Schönheit in diesen läge und sich nun doppelt mächtig aussprechen müsste. Man vergass dabei, dass alles Monströse schon a priori die geniessende Stimmung zerstört, indem es wenn auch nicht den Abscheu, so doch Unruhe und Neugier an deren Stelle setzt; dass ferner das Schöne nur an bestimmten Charakteren und nur im Verhältniss zu denselben vorhanden und denkbar ist und bei willkürlichen Mischungen zerfliesst Centauren, Tritonen, Seepferde etc. sind nicht monströs, nicht nur weil der mythische Glaube die Evidenz ersetzt und die Spannung beseitigt — was sich auch beim Hermaphroditen behaupten liesse — sondern weil sie keinen Anspruch darauf machen, streng organische Wesen zu sein. Sie sind sym- bolisch kühn gemischt, aber nicht aus widersprechenden Charakteren in Eins geschmolzen. . Es geschah nun zwar das Mögliche, um über die Formen dieses Wesens den grössten sinnlichen Antike Sculptur. Antinous. Reiz auszugiessen; man erfand auch (z. B. auf Reliefs) für den Her- maphroditen besondere Situationen, indem man ihn mit allerlei Leuten aus dem Gefolge des Dionysos zusammenbrachte, allein er blieb ein Ding aus einer fremden, abstracten Welt. Da man keine bezeich- nende Action von ihm wusste, so liess die Kunst ihn am liebsten schlafen, ja sie erhob ihn zum Charakterbild des unruhigen Schlafes einer schön gewendeten jugendlichen Gestalt. So die vorzügliche Sta- a tue im Louvre, von welcher die beiden in der Villa Borghese und in b den Uffizien (in den danach benannten Räumen) Wiederholungen sind; die letztgenannte die bessere, aber schlechter erhaltene. (Ein Torso c im Museo Chiaramonti des Vaticans ist der eines laufenden, wahr- scheinlich vor Pan oder einem Satyr fliehenden Hermaphroditen.) Der letzte Gott, welcher eine höhere Kunstform erhielt, war der vergötterte Liebling des Kaisers Hadrian, Antinous . Es handelte sich darum, die Bildnissähnlichkeit des für Hadrian freiwillig (im Jahr 130 n. Chr.) gestorbenen Jünglings im Wesentlichen festzuhalten und zugleich sie in eine ideale Höhe zu heben. Züge und Gestalt eigneten sich mehr dazu als der geistige Ausdruck; es ist eine volle, reiche Bildung, breitwölbig in Stirn und Brust, mit üppigem Munde und Nacken. Der Ausdruck aber, so schön er oft in Augen und Mund zu jugendlicher Trauer verklärt ist, behält auch bisweilen etwas Böses und fast Grausames. Ausser den zahlreichen Büsten, welche den Antinous insgemein d in der Art eines jungen Heros darstellen (z. B. in der Sala rotonda des Vaticans) giebt es eine Anzahl von Statuen, in welchen er ent- weder schlechthin als segenverleihender Genius, bisweilen mit dem Füllhorn, oder in der Gestalt einer bestimmten Gottheit personificirt e ist. Dahin gehört der Antinous als Vertumnus im Braccio nuovo, und f als grosse Halbfigur in Relief in der Villa Albani, der Antinous als g Osiris im ägyptischen Museum des Vaticans, vor allen der pracht- h volle Antinous als Bacchus im Museum des Laterans (ehemals im Pal. Braschi ), eine der elegantesten Colossalstatuen der spätern i Zeit; von den attributlosen heroischen Statuen ist die des Museums von Neapel (Halle der Flora) unstreitig eine der schönsten. Fremde Göttertypen. Die schöne capitolinische Statue (Zimmer des sterbenden a Fechters) führt wohl mit Unrecht den Namen des Antinous. Kopf und Körper sind am ehesten die des Hermes oder eines Athleten, nur nicht von so schlanker, eher gedrungnerer Form als gewöhnlich; von der prachtvollen Üppigkeit des Antinous ist dieses Werk jedenfalls weit entfernt Eher hat es etwas von dem Ausdruck der Trauer, die sonst im Antinous, aber auch im Hermes vorkömmt. [Br.: Antinous als Adonis]. . Der sog. Antinous des Vaticans (Belvedere) ist, wie oben bemerkt, ein Hermes. In den spätern Kaiserzeiten, als ein düsterer Aberglaube die Rö- mer auf den Cultus des Fremden als solchen hintrieb, büssten meh- rere Gottheiten ihre frühere schöne Kunstform ein. So zunächst Isis . In einer colossalen Büste des Vaticans (Museo Chiaramonti) finden b wir sie fast unkenntlich wieder, mit öden starren Zügen unter einem schweren Schleier, der wieder an ihre altägyptische Kopftracht er- innert, mit plumpem Schmuckbehäng auf der Brust. Gespenstisch, maskenhaft und dabei ganz roh ist auch der Kopf der „grossen Mutter“ (Cybele) im untern Gang des Museo ca- c pitolino gearbeitet. Der Cultus des III. Jahrhunderts bedurfte der schönen Kunstform nicht mehr, mit welcher es übrigens auch an den bessern Darstellungen der Cybele (eine auf dem Löwen reitende, in Villa Pamfili bei Rom; eine kleine sitzende im Museum von Neapel, d zweiter Gang) nie war genau genommen worden. (An dem schönen Kopf gegenüber ist die Mauerkrone ganz willkürlich aufgesetzt; eine Replik desselben, ohne allen Ansatz, im Musenzimmer der Villa Borg- e hese.) Nur um die Leidensgeschichte der spätern römischen Kunst zu bezeichnen, mögen hier noch ein paar Missbildungen dieser Art ge- nannt sein, wie z. B. der hundsköpfige Anubis in römischem Ober- f kleid (Museum von Neapel, ägyptische Halle); die Äonen (vaticani- g sche Bibliothek); die vielbrüstige ephesinische Diana (oberer Gang h des Vaticans, und — gelb mit schwarzem Kopf und Extremitäten — im Antike Sculptur. Barbaren. Phryger. Sklaven. a Museum von Neapel, Halle der farbigen Marmore, sowie — weissmar- b morn mit schwarzen Zuthaten — im Kaffehaus der Villa Albani) etc. In dreierlei Typen hat die antike Kunst den Fremden, den Bar- baren personificirt und als stehendes Element der Darstellung ge- braucht. Der edelste dieser Typen ist der des Asiaten, speciell des Phry- gers . Er unterscheidet sich in den ältern Werken, wie z. B. den tro- janischen Figuren der Äginetengruppen, nur durch die charakteristische Tracht — Ermelkleid, Hosen und phrygische Mütze — von den Ge- stalten der classischen Welt. Später, als man mit allem Asiatischen durchgehends den Begriff der Weichlichkeit verband, wurden die Er- mel und Hosen weit und faltig und ein reichwallender Mantel kam c hinzu. Dieser Art ist der sitzende Paris des Vaticans (Galeria delle statue), ein sehr glücklich gedachtes Werk, aber von unbedeu- tender Ausführung. (Paris als Knabe, s. oben.) Auch für die asiati- schen Gottheiten, die in den Kreis römischer Verehrung aufgenommen wurden, nahm später die Kunst diesen längst fertigen Typus in An- spruch, wie die häufigen Gruppen des Mithras auf dem Stier knieend d (die beste freistehende im Vatican, Saal der Thiere, viele Reliefs überall) e und einzelne Gestalten des Attys beweisen. (Diejenige der Uffizien, erster Gang, ist stark restaurirt und überarbeitet.) Ganz anders verfuhr die Kunst mit (scytischen?) Sklaven , welche meist in komisch-charakterisirender Absicht gebildet wurden, als alte, stotternde, schlotterbeinige, dummpfiffige Individuen, wie sie hie und da dem griechischen Hause zur Erheiterung dienen mochten. Eine solche Figur ist z. B. der sog. Seneca im Louvre, ebenso der Sklave mit dem f Badegefäss, im obern Gang des Vaticans. Auch einzelne gute Köpfe kommen vor; man glaubt das Stammeln des fremden Knechtes aus dem offenen Munde zu hören. — Possierliche Sklaven waren auch als g kleine Bronzen ein beliebter Gegenstand; mehrere der Art z. B. in den Uffizien (II. Zimmer d. Br., 6. Schrank). Endlich bildeten Griechen und Römer ihre Feinde ab, als Käm- pfende und als Überwundene. Der Typus, von welchem die griechische Kunst hiebei ausging, war nicht der des Persers, sondern der des Barbaren. Kelten. Kelten , dessen Heere im III. Jahrhundert v. Chr. Griechenland und Kleinasien in Schrecken setzten. Die einzelnen Siege, welche man über sie erfocht, scheinen besonders von den kunstliebenden Königen von Pergamus durch Denkmäler verewigt worden zu sein. Von die- sen letztern stammt wahrscheinlich die Ausbildung desjenigen Barbaren- typus her, welchen dann auch die Römer adoptirten und für Dacier, Germanen u. s. w. fast ohne Unterschied brauchten. Das Kennzeichen des Barbaren aber war nach antiker Ansicht die Unfreiheit , also in leiblicher Beziehung der Mangel an edlerer Gymnastik, in geistiger eine düstere, selbst dumpfe Befangenheit. Wie weit hierin das Vorurtheil, wie weit die wirkliche Wahrnehmung sich geltend machte, geht uns nichts an. Genug, dass die vorhandenen Bildwerke eine durchgehende, obwohl verschieden abgestufte Bildung des Kopfes und des nackten Körpers zeigen. An der Spitze stehen die beiden grossen tragischen Meisterwerke: der „ sterbende Fechter “ (im Museo capitolino, in dem nach ihm a benannten Zimmer), und „ der Barbar und sein Weib “ im Haupt- b saal der Villa Ludovisi. (Dass es sich nicht um einen Gladiator und nicht um Arria und Pätus handle, hat man längst eingesehen.) Beide- male sind es nackte Gestalten, vielleicht Einzelwiederholungen aus be- rühmten Schlachtgruppen. In dem sterbenden Kelten ist die vollste Wahrheit des Momentes, nämlich des letzten Ankämpfens gegen den Tod, auf merkwürdige Weise in den edelsten Linien ausgesprochen, und wenn es keine Niobiden gäbe, so würde man sagen, es sei un- möglich schöner zu sinken. Um so beharrlicher aber hat der Künst- ler die barbarische (oder für barbarisch angenommene) Körperbildung durchgeführt, damit ja Niemand einen gefallenen griechischen Helden zu sehen glaube. An Brust, Rücken und Schultern wird man wahr- haft gemeine Formen bemerken, die diesen Typus auf das Stärkste z. B. vom Athletentypus unterscheiden. Das struppige Haar, der Knebelbart und der eigenthümliche Halszierrath vollenden diesen Ein- druck — und doch bleibt noch eine ganz besondere Racenschönheit übrig, welcher ihre volle künstlerische Gerechtigkeit wiederfährt. — Die ludovisische Gruppe, ein glänzendes Werk des hohen Pathos, stellt einen Kelten dar, welcher sein Weib getödtet hat und nun auch sich ersticht, um der Gefangenschaft zu entgehen. Die Restaurationen und Antike Sculptur. Barbaren. Kelten. Überarbeitungen haben den keltischen Charakter doch keineswegs ver- wischt. (Den rechten Arm wird man leichter tadeln als besser re- stauriren können; kläglich vermeisselt ist nur die Frau, zumal an der Vorderseite, welche gegen die unberührten Theile, z. B. die Füsse, stark absticht; leider geht uns dabei der einzige ganz sichere Typus einer Barbarin theilweis verloren.) Von wunderbar ergreifender Art ist in dieser Gruppe das Momentane, in der verzweifelten und gewaltigen Geberde des Mannes und seiner Verbindung mit der bereits todt zu- sammengesunkenen Frau; dem Geist der alten Kunst gemäss, sind die Schrecken des Todes bei ihr nur angedeutet in den gebrochenen Augen, in einem leisen Zuge des Mundes und in der unvergleichlich sprechenden Stellung der Füsse. Diese nämlichen Kelten sind dann auch in ihren Kämpfen mit Griechen und Römern an einigen Sarcophagen abgebildet. Nicht des eigenen Kunstwerthes halber, sondern weil sich darin vielleicht ein Nachklang jener grossen Schlachtgruppen zu erkennen giebt, mögen a hier die betreffenden Sarcophage in den untern Zimmern des capi- b tolinischen Museums und der Vorhalle der Villa Borghese (andere a. a. O.) vorläufig genannt werden. Als unmittelbare Reste einer guten römischen Nachahmung einer c jener Gruppen darf man vier halblebensgrosse Statuen von Sinkenden und Liegenden im Museum von Neapel (erster Gang) in Anspruch nehmen: ein todter Barbar in Mütze und Hosen, mit Schild und krum- mem Säbel; ein todter, nackter, griechischer Kämpfer; eine todte Bar- barin als Amazone gebildet; und ein sterbend Sinkender, fast in der Stel- lung des Fechters, nur umgekehrt; sämmtlich von trefflichster Erfindung und befangener Ausführung. Wenn man noch die gegenüberstehenden Reiterstatuen desselben Massstabes (einen griechischen Anführer und eine sterbend vom Pferde sinkende Barbarin oder Amazone) hinzu- rechnen will, so ist auf die starken Restaurationen dieser Beiden billige Rücksicht zu nehmen. Eher noch gehört zu jenen vieren ein halbknieen- d der Kämpfer im obern Gang des Vaticans, trotz des kleinern Mass- stabes. Ausserdem lieferten die römischen Triumphbogen u. a. Sieges- denkmale eine Anzahl von Reliefs, Statuen und Köpfen gefangener Barbaren. Wo sie bekleidet gebildet sind, tragen sie Mützen, Ermel, Barbaren. Kelten. Hosen und Mäntel wie die Asiaten, wahrscheinlich weil die Kunst von den griechischen Zeiten her daran gewöhnt war. Am Triumph- bogen des Septimius Severus, wo es sich um wirkliche Asiaten, Par- ther etc. handelt, ist auf das gelockte Haar noch ein besonderer Accent gelegt. Ob in den beiden trefflichen Statuen der Hofhalle des Con- a servatorenpalastes auf dem Capitol eine besondere illyrische Nuance der Tracht zu bemerken ist, wie behauptet wird, mag dahingestellt bleiben. Sonst lernt man den Typus des Gesichtes am bequemsten kennen aus den drei colossalen Dacierköpfen des Braccio nuovo im b Vatican; die düstre, bedeckte Stirn, das tiefliegende Auge, die lange, schräg herab reichende Nase (wo sie alt ist), der Schnurrbart, der halboffene Mund, endlich die Bildung der Unterlippe und des Kinns sind hier höschst bezeichnend gebildet. Anderwärts ist das struppige Haar mehr hervorgehoben, auch nähert sich die Nase der Stülpnase, der Bart einem schmalen Knebelbart. Als Besiegte liessen sich die Barbaren trefflich zu tragenden und stützenden Figuren brauchen, wie einst schon im grossen Tempel von Agrigent riesige Africaner als Atlanten das Gesimse des Innen- baues trugen. Eine kleine Nachbildung von diesen mag man etwa in den vortrefflich gedachten Figuren erkennen, welche im Tepidarium c der Bäder von Pompeji den Sims stützen. Dagegen sind in zwei knieenden Tragfiguren von weiss und violettem Marmor (Paonazetto) d im Museum von Neapel (Halle der farbigen Marmore) trotz ihrer schwarzen Köpfe und Hände keine Africaner, sondern Barbaren vom kunstüblichen Keltentypus dargestellt. Eine ähnliche knieende Figur, mit einem (restaurirten) Gefäss auf der Schulter, im obern Gang des Vaticans, könnte vielleicht als einer e der Knechte gelten, welche den Priamus mit Geschenken in das Zelt Achills begleiteten. Nur mit grossem Bedenken wage ich der schon früher vorgekom- menen Vermuthung beizutreten, dass eine der berühmtesten Barbaren- statuen, der Schleifer (l’arrotino) in der Tribuna der Uffizien zu f Florenz , ein modernes Werk sei. Es ist ein betagter, niederkauern- der Mann, der ein breites Messer auf einem am Boden liegenden Steine schleift und dabei empor sieht und horcht; man nimmt ihn für einen scythischen Sclaven Apolls und seine Aktion für eine Vorbe- Antike Sculptur. Barbarinnen. reitung zum Schinden des Marsyas. Die Gründe für die Modernität lassen sich natürlich nur an Ort und Stelle vollständig entwickeln; ich glaube aber behaupten zu dürfen, dass eine solche Behandlung des Haares, ein solcher Kopfbau, ein solches Auge, endlich eine solche Draperie in der alten Kunst schwer mit Parallelen zu belegen sein werden. Das Linien-Motiv und im Ganzen auch die Behandlung ist von einer Vortrefflichkeit, die man allerdings am liebsten den Alten zutraut, wenn auch ersteres zur dargestellten Thätigkeit nicht voll- kommen passt. Jedenfalls würde, höchstens Michelangelo ausgenom- men, sich wohl kein Neuerer dazu melden dürfen Der gelehrte Gori sah vor mehr als einem Jahrhundert im Besitz eines Bild- hauers zu Florenz ein kleines Thonexemplar des Arrotino, von Michelan - gelo, „der darin die Fehler des Originals glücklich verbessert hatte“. Mus. florent. III, p. 95. . In Betreff der Barbarenfrauen wurde schon angedeutet, dass ihre Darstellung im Ganzen dem Amazonentypus folgt. Diess gilt in a beschränktem Sinne auch von der kolossalen Statue in der Loggia de’ Lanzi zu Florenz in welcher man neuerlich Thusnelda, die Ge- mahlin des Arminius, zu erkennen glaubt; sie hat das Schlank-Gewal- tige, auch die Bildung des Kopfes mit den Amazonen gemein, nur das lange Untergewand unterscheidet sie. Herrlich ist der Ausdruck des tiefen, aber gefassten Schmerzes in der plastisch unübertrefflichen Stellung und in dem ruhigen Antlitz mit den aufgelösten Haaren und den klagenden Augen niedergelegt; auch das vorzüglich schöne Ge- wand zeigt, dass wir eine Statue der besten Zeit, wahrscheinlich von dem Triumphbogen eines Fürsten des augusteischen Hauses vor uns haben. In allen italienischen Sammlungen wird man die Kinderstatuen in einem sehr starken Verhältniss vertreten finden; es sind ihrer im Ganzen wohl mehrere Hunderte. In den antiken Häusern und Gärten müssen sie eine der beliebtesten Zierden gewesen sein und man darf sich Nischen, Brunnen, Lauben oft vorzugsweise durch sie belebt und motivirt denken. Von den neuern Kinderstatuen unterscheiden sie sich sämmtlich durch die Abwesenheit alles Träumerischen und Sen- Kinderstatuen. timentalen, was die jetzige Sculptur so gerne in das kindliche Wesen hineinträgt; sie geben durchweg das Drollige, Schalkische, Lustige, auch wohl das Zänkische und Diebische, vor Allem aber diejenige derbe Gesundheit und Kraft, welche ein Hauptattribut des Kindes sein sollte. Oft und mit Vorliebe ist z. B. Herrschaft und Sieg des Knäbchens über kleinere Thiere dargestellt. — Die Arbeit erhebt sich nur ausnahmsweise über das Decorative, den Gedanken aber wird man meistens frisch und trefflich nennen dürfen. Die grösste Menge von Kinderfiguren findet sich zu Rom beisammen im Museo Chiara- monti und im obern Gange des Vaticans; mehrere treffliche im Mu- seo capitolino und in der Villa Borghese; eine Anzahl geringer im Palazzo Spada u. a. a. O.; ausserdem ergiebt das Museum von Neapel einzelnes Wichtige, die Uffizien in Florenz fast nur Geringes. (Einige gute kleine Bronzen daselbst, II. Zimmer der Bronzen, 2. und 6. a Schrank.) Zwei gute Köpfchen im Museo zu Parma. b Zunächst sind es einige göttliche Wesen , welche sich die Phantasie gerne in ihrer frühen Jugend vorstellte. Die Kunst hütete sich wohl, etwa durch absichtliche Vergeistigung den künftigen Gott anzudeuten; sie gab nur ein Kind, mit äussern Andeutungen in Tracht und Attributen. So der öfter vorkommende kleine Hermes (Vatican, c Mus. Chiar. und oberer Gang); auch wohl der kleine Bacchus, wenn man von den vielen Kindern mit Trauben (ebenda) eins oder das an- dere auf ihn deuten darf. Sehr häufig sind die Heraklisken, von zweierlei Art: entweder wirkliche Momente aus der Jugend des He- rakles, wie das Schlangenwürgen (in einem zweifelhaften Marmorwerk d der Uffizien, Halle des Hermaphroditen, nach welchem das eherne Exemplar im Museum von Neapel, Abtheilung der grossen Bronzen, e jedenfalls nur moderne Copie ist); oder komische Übertragungen des ausgewachsenen Heros mit Keule und Löwenhaut in die kindliche Gestalt — bisweilen schwer zu unterscheiden von blossen Kindern, die mit den genannten Attributen ihr Spiel treiben. In der Villa Borg- f hese (Zimmer des Herakles) zwei dergleichen, einer ruhend, der an- dere mit der Keule drohend; ein dritter sogar als Herme; mehrere in den genannten Räumen des Vaticans; einer, zwar als Kind, aber co- g lossal vergrössert, im grossen Saal des Museo capitolino, ein höchst h widerlich-komisches Werk von Basalt. — Sodann werden mehrere gött- Antike Sculptur. Kinderstatuen. liche Wesen überhaupt nur in Knabengestalt gedacht, wie der kleine Genesungsgott Telesphorus , der aus seinem Mäntelchen mit Ka- a puze oft so schalkhaft vergnüglich herausschaut. (Vatican, in den b genannten Räumen; Villa Borghese, Zimmer der Musen); — ferner Harpocrates , aus dem am Finger lullenden Isiskind zum schön jugendlichen Gott des Schweigens umgedeutet (in der vielleicht nur c sieben bis achtjährig gedachten, aber in grösserm Massstab ausge- führten Statue des Museo capitolino, grosser Saal; ein für die hadria- nische Kunstepoche bezeichnendes Werk, effektreich, aber schon mit d etwas leeren Formen). — Sehr artig ist der kleine Phrygier mit Tam- burin und Hirtenstab, den man als Atys oder als Paris in Kindes- alter erklären kann. (Mus. Chiaram.) — An Kunstwerth übertrifft wohl e sämmtliche vorhandene Kinderstatuen der Torso der Villa Borghese (Zimmer des Hermaphroditen) welchen man des Gefässes wegen als wasserholenden Hylas erklärt, ein überaus schön und lebendig ge- arbeitetes Körperchen. Unter dem grossen Vorrath der Übrigen geben sich manche, und zwar meist die spätern und schlechtern, durch ihre Flügel als Genien und Eroten zu erkennen. Für die Sculptur macht dieser Unterschied von den blossen Genrefiguren nicht viel aus; wohl aber für die Malerei, welche ihre Genien darf schweben lassen und von dieser Befugniss in Pompeji den ausgedehntesten Gebrauch gemacht hat. Zum Theil noch aus guter Zeit stammen eine Anzahl Reliefs, welche die Be- schäftigungen Erwachsener auf geflügelte Kinder übertragen; Jagden, Circusspiele, Weinlesen, Wettrennen dieser Art kommen häufig vor; f im Museo Chiaramonti trifft man z. B. einen Fries, welcher eine Jagd von Genien gegen Panther und Böcke darstellt. (Eines schönen Re- g liefs im Chor von S. Vitale in Ravenna kann ich mich nicht mehr genau erinnern.) Die bessern Kinder sind fast durchgängig die nichtgeflügelten. Es liegt ein Schatz von harmloser und drolliger Naivität in diesen zum Theil oft wiederholten Motiven. Kinder mit Früchten sind theils im ruhigen Bewusstsein des bevorstehenden Genusses, theils als eilige h Diebe dargestellt (Mus. Chiar. und oberer Gang des Vaticans); als Brunnenstatuen dienten vorzugsweise kleine Amphorenträger (oberer Gang ebenda), Knaben mit Delphinen, auch Satyrkinder mit Schläu- Kinderstatuen. chen, Krügen u. s. w. (Museum von Neapel, grosse Bronzen.) Anderes a ist Travestie des Treibens der Erwachsenen, so die kleinen Ringkäm- pfer, Fackelläufer, Trophäenträger (Mus. Chiar. und oberer Gang des b Vaticans); vorzüglich lustig ist das Spiel der Kinder mit tragischen Masken dargestellt, z. B. in dem kleinen Jungen, welcher den Arm durch den Mund der Maske steckt (Villa Albani, Kaffehaus), und c vollendet trefflich in einem Knaben des Museo capitolino (Zim- d mer des Fauns), welcher das unbequeme Ding anprobiren will und es einstweilen quer über den Kopf sitzen hat. Das Verhältniss zu den Thieren ist theils das des frohen Besitzes (der Knabe mit den Vögeln e im Schürzchen, Mus. Chiaram.; die Knaben mit Enten, Hähnen, Haus- f schlangen u. s. w., oberer Gang des Vaticans, obere Galerie des Museo g capitolino; Villa Borghese, Zimmer der Musen und des Hermaphro- h diten; Uffizien, Halle des Hermaphroditen), theils das des Schutzes, i wie z. B. in dem zierlichen Mädchen des Museo capitolino (Zimmer k des sterbenden Fechters), welches ihr Vögelchen vor einem Thier schützt (der rechte Arm und die Schlange restaurirt); theils aber das der siegreichen Bändigung, wie z. B. in dem bewundernswerthen Kna- l ben mit der Gans (Museo capitolino, Zimmer des Fauns); auch wohl das der muthwilligen Quälerei, wie z. B. in dem Knaben, der m einer Gans die Hände vor den Hals hält und ihr auf den Rücken knieet (Museum von Neapel, Halle des Adonis, stark restaurirt). Sonst wurden auch wohl weinende und lachende Kinder als Gegenstücke gefertigt; in den genannten Sammlungen dergleichen von geringer Ar- beit. Einzig in seiner Art und mit drollig absichtlicher Hervorhebung eines bestimmten Typus: der (weissmarmorne) Mohrenknabe als Bade- n diener, oberer Gang des Vaticans. — Es versteht sich, dass auch Kinderporträts vorkommen, niedlich in kleiner Toga drapirt, oft mit dem runden Amulet, der Bulla, auf der Brust. Eine artige Basaltfi- o gur dieser Gattung in den Uffizien (Halle der Inschriften). Das vorausgesetzte Alter der Kinderstatuen ist in der Regel das dritte bis fünfte Jahr und überschreitet nur selten das siebente oder achte Jahr. Von ältern bekleideten Mädchen ist die graziöse Knö- chelspielerin ein Beispiel, von der ich in den italienischen Samm- lungen kein Exemplar kenne. Die Darstellung des Nackten wich dem Zeitraum zwischen dem Kindesalter und dem ausgebildeten Knabenalter Antike Sculptur. Kinder. Statuetten. gerne aus; sie scheute die harten, magern, unreifen Formen und die unsichere Haltung; den Wiederbeginn ihres Gestaltenkreises bezeich- net sie glorreich durch den praxitelischen Eros. Vielleicht gehört aber doch eine der berühmtesten Statuen in diese a Zwischenzeit: der Dornauszieher . (Bronzenes Hauptexemplar im Pal. de’ Conservatori auf dem Capitol, Eckzimmer; Wiederholungen b in den Uffizien zu Florenz, Verbindungsgang, u. a. a. O.) Hier stehen allerdings die knabenhaften Arme und Beine in einem Widerspruch mit dem ausgebildeten Rücken, so dass man versucht ist eine indi- viduelle Bildung anzunehmen, welche diese Contraste wirklich ver- einigte. Wie dem auch sei, die Einfachheit des Motives, das span- nende Interesse, welche es doch zugleich erregt, und die Schönheit der Hauptlinien, von welcher Seite man das Werk betrachte, geben dem Ganzen einen Werth, der über die Einzelausführung weit hin- ausgeht. c In demselben Lebensalter ist etwa auch der bronzene Opfer- knabe dargestellt, welcher sich im capitolinischen Museum (Zimmer der Vase) befindet; ein edler Typus, leicht und anständig in der Stel- lung, die Arbeit eher flüchtig als genau. Die Begeisterung für die Sculptur war im Alterthum so allge- mein verbreitet, dass wer es irgend vermochte, wenigstens kleine Sta- tuetten von Erz, Thon oder Marmor erwarb. Manches dieser Art diente wohl als Hausgottheit, und in mehr als einem Gebäude zu Pompeji sieht man noch die kleinen Nischen von Mosaik oder Stucco, welche zur Aufnahme solcher Figuren dienten; das Meiste aber war d gewiss nur als Gegenstand des künstlerischen Genusses im Hause auf- gestellt. Wie harmlos mögen sich in dem kleinen Hof der Casa della Ballerina zu Pompeji die marmornen Thierchen und Statuetten aus- genommen haben, als der Brunnen noch floss und die Laube darüber noch grünte! Weit die erste Stelle nehmen eine Anzahl Bronzefigürchen griechischer Kunst ein, die nur leider gar zu selten ihren Weg in die öffentlichen Sammlungen finden, vielmehr insgeheim nach dem Aus- e lande gehen. Die einzige grosse Sammlung, im Museum von Neapel Statuetten. (kleine Bronzen, besonders das dritte Zimmer) enthält doch nur We- a niges von erstem Werthe, wie die Pallas, den behelmten Jüngling, mehrere tanzende Satyrn, das verhüllte Weibchen etc., zwischen zahl- reichen römischen Arbeiten. Auch bei den Terracotten desselben b Museums (fünftes Zimmer der Terracotten) scheint das Beste zu fehlen. (Die Krugträgerin und die verhüllte Tänzerin — beide von erstem Range — wird man in Italien nur in Abgüssen vorfinden.) — Die flo- rentinische Sammlung (Uffizien, zweites Zimmer der Bronzen) enthält c manches Vorzügliche, zugleich in etwas günstigerer Aufstellung. — Es würde uns sehr weit führen, wenn wir näher auf den Styl dieser kleinen Meisterwerke und seine Bedingungen eingehen wollten; viel- leicht wendet sich ihnen die Vorliebe des Beschauers sehr rasch zu und in diesem Falle wird er erkennen, wie die Kunst auch in diesem bisweilen winzigen Massstabe kein einziges ihrer hohen, bleibenden Gesetze aufgab. Die kleinsten Figürchen sind plastisch untadelhaft gedacht; das Nette und Zierliche der Erscheinung diente nicht zum Deckmantel für lahme Formen und Linien. Man fühlt es durch, dass nicht ein Decorator den Künstler spielt, sondern dass eine Kunst die des Grössten fähig ist, sich zu ihrem eigenen Ergötzen im Kleinen ergeht. (Es ist natürlich von den bessern und ältern die Rede, denn die römischen sind zum Theil allerdings lahme Fabrikarbeit.) In den römischen Sammlungen findet sich eine bedeutende An- zahl marmorner Statuetten , welche trotz der meist nur mittel- guten Arbeit doch ein eigenthümliches Interesse haben. Sie sind näm- lich wohl fast durchgängig (und selbst wo man es nicht direct beweisen kann) kleine Wiederholungen grosser Statuen und dienen somit zum unfehlbaren Beleg für die Werthschätzung, in welcher die grossen Ori- ginale standen. Ausserdem beachte man die Einfachheit der Arbeit, welche mit dem Geleckten und Auspolirten moderner Alabastercopien in offenem Gegensatze steht. Offenbar verlangte man im Alterthum von dem Copisten nur, dass er das Motiv des Ganzen mit mässigen Mit- teln wiedergebe; das Übrige ergänzte die Phantasie und das Gedächt- d niss. (Hauptstellen: das Museo Chiaramonti und der obere Gang e des Vaticans, sowie die hintern Räume der Villa Borghese. Manches f auch im Dogenpalast zu Venedig, Camera a letto.) B. Cicerone. 32 Antike Sculptur. Gruppen. Für die höchste und schwierigste Aufgabe der Sculptur, für die Bildung freistehender Gruppen , hat das Alterthum uns wenigstens eine Anzahl von mehr oder weniger erhaltenen Beispielen hinterlassen, in welchen die ewigen Gesetze dieser Gattung abgeschlossen vor uns liegen, obwohl es nur arme, einzelne Reste von einem Gruppenreich- thum sind, von welchem sich die jetzige Welt keinen Begriff macht. Unter jenen Gesetzen sind einige, die auf den ersten Blick einleuch- ten: der schöne Contrast der vereinigten Gestalten in Stellung, Kör- peraxe, Handlung u. s. w.; die wohlthuenden Schneidungen und Deckungen; die Deutlichkeit der Action für die Ansicht von mehrern oder allen Seiten etc. etc. Schwer aber (und nur dem Bildhauer selbst möglich) ist das Nachfühlen und Nachweisen des Gesetzmässigen in allem Einzelnen. Wir begnügen uns daher, nur flüchtig auf den Kunst- gehalt der in Italien vorhandenen antiken Gruppen hinzudeuten, und beginnen mit dem Einfachsten (obwohl die Kunst vielleicht umgekehrt mit dem quantitativ Reichsten, den Giebelgruppen der Tempel, mag begonnen haben.) Zum Einfachschönsten gehören einige Werke, welche zwei Ge- stalten in ganz ruhiger geistiger Gemeinschaft darstellen. Das Aus- gezeichnetste in dieser Art, die sog. Gruppe von San Ildefonso , (die Genien des Schlafes und des Todes, nach der üblichsten Erklä- rung, traulich aneinander gelehnt) befindet sich jetzt in Madrid; ein a Abguss u. a. in der Académie de France zu Rom. b Ein ähnlicher schöner Sinn lebt in einer nur mittelmässig gear- beiteten Gruppe des Museums von Neapel (zweiter Gang), welche Orest und Elektra darstellt; sie stützt den linken Arm in die Hüfte und legt ihm den rechten über die Schulter; er lässt den rechten Arm hängen und gesticulirt mit dem linken. Contrast und Verbindung des nackten und des bekleideten Körpers sind hier von schönster Erfin- dung, der Ausdruck des trauten Verkehres vortrefflich mit wenigen Mitteln wiedergegeben. Wie hier Bruder und Schwester, so sind in einem berühmten c Werke der Villa Ludovisi zu Rom (Hauptsaal) Mutter und Sohn, in einem erregtern Moment, vielleicht des Abschiedes oder des Wieder- Gruppen des schlichten Verkehrs; der Liebe. sehens, dargestellt. Die gewöhnliche Bezeichnung, ebenfalls auf Orest und Elektra lautend, ist der ungleichen Grösse wegen jedenfalls un- statthaft, während den Namen Penelope und Telemach nichts ernstlich widersprechen würde Die frühere Deutung „Papirius und seine Mutter, die ihm das Senatsgeheim- niss abfragen will“ — ging wohl gar nicht so weit am rechten Ziel vorbei. Nur wäre die Verewigung solch eines historischen römischen Einzelfactums ohne Beispiel in der alten Kunst. . Die Mutter ist die ungleich bessere Figur, nicht bloss durch den reinern Ausdruck gemüthlicher Hin- gebung, sondern auch in Beziehung auf die Arbeit; ihr Gewand er- scheint in der Erfindung wie ein Prachtstück der spätern griechischen Kunst. Der Name des Bildhauers, am Unterkleid, lautet; Menelaos, Schüler des Stephanos. Ein höheres und ein untergeordnetes göttliches Wesen, das eine träumerisch versunken, das andere stützend und mit schalkhaftem Ausdruck zur Bewegung auffordernd, sind in den Gruppen des Bac- chus und Ampelos zusammengesellt (S. 471, 472). Nur weicht gerade das beste Exemplar beträchtlich von der Anordnung der übrigen ab und lässt doch zugleich bei seinem trümmerhaften Zustande kein ge- naueres Urtheil zu. Lehrer und Zögling, allerdings von eigener Art, finden sich ver- bunden in den schon (S. 481) genannten Gruppen des Pan und des jungen Satyrs Olympos , welcher Unterricht im Spiel der Syrinx erhält. — Die ebenfalls erwähnte kleine vaticanische Gruppe des Pan, welcher einem Satyr einen Dorn aus dem Fusse zieht, lässt wie diese ein gutes, nicht mehr vorhandenes Urbild bedauern. Von Liebespaaren sind fast nur Amor und Psyche (S. 469) mit der Absicht auf vollen Ausdruck tieferer Innigkeit gearbeitet worden, oder Anderes der Art ist uns verloren gegangen. Gegenstände dieser Art lagen der antiken Kunst bei weitem nicht so nahe als der jetzi- gen; auch sind „Amor und Psyche“ eine ihrer späteren Schöpfungen. Mit grosser Meisterschaft bildete sie dagegen Vereinigungen von mehr sinnlicher Art, dergleichen in italienischen Sammlungen nicht leicht ans Tageslicht gestellt werden. Den Triton, welcher eine Ne- reide entführt, haben wir bereits an seiner Stelle erwähnt (S. 484, b). In der Gruppe „ Mars und Venus “ wozu meist noch ein 32* Antike Sculptur. Gruppen. Die Grazien. kleiner Amorin kömmt (grosses Exemplar im grossen Saal des Museo a capitolino, S. 429, d, kleine im Museo Chiaramonti des Vaticans und im b Tyrtäuszimmer der Villa Borghese) ist das Verhältniss der Liebenden ein ungleiches; die Göttin sucht den Schmollenden oder zum Gang in die Schlacht Gerüsteten bei sich festzuhalten. Die Gruppe scheint nicht selten zu Porträtbildungen degradirt worden zu sein und ist überhaupt nur in geringer Ausführung vorhanden. — Herakles und Omphale, offenbar ein später Einfall, sind in der schon erwähnten (S. 424, e) Gruppe des Museums von Neapel (zweiter Gang) diesem an sich gu- ten Motiv nachgebildet. c Hermes mit der Nymphe Herse , im grossen Saal des Pal. Farnese zu Rom, bis ins Unkenntliche restaurirt. — Diess gilt noch von einer Anzahl durchschnittlich sehr gering gearbeiteter Liebespaare in verschiedenen Sammlungen. Bisweilen haben die Restauratoren sogar Figuren zu Gruppen vereinigt, welche gar nicht zusammen- gehörten. d In der Libreria des Domes von Siena steht die stark verstüm- melte, vielleicht ziemlich späte Gruppe der drei sich leicht umarmt haltenden Grazien , offenbar nach einem herrlichen Original; in den Contrasten und in der Schneidung der Linien ist noch das Nachbild von grossem Reize Der Gegenstand kommt auch als Relief und als pompejanisches Gemälde vor. . Rafael wurde durch dieses Werk zu einem bekannten Bilde angeregt, welches sich jetzt in England befindet; mit grossem Rechte wandte er als Maler die mittlere Figur, die in der Gruppe vom Rücken gesehen wird, um, und zeigte alle drei von vorn; mit grossem Unrecht folgte ihm Canova als Bildhauer hierin nach und brachte eine gegensatzlose Gruppe hervor, welche einzig auf die Vorderansicht berechnet ist. (Galerie Leuchtenberg.) Von Gruppen des Kampfes ist in den italienischen Samm- e lungen eine der bedeutendsten vorhanden: die beiden Ringkämpfer in der Tribuna der Uffizien zu Florenz . Stark überarbeitet und von verschiedenen Händen restaurirt, wie wir das Werk jetzt vor uns sehen, lässt es nur noch ahnen, dass der Moment mit höchster künst- lerischer Berechnung aus der grossen Zahl möglicher Momente ge- wählt war, von einem Bildhauer der alle Geheimnisse der Ringschule Gruppen des Kampfes. Ajax und Patroclus. kennen musste. Noch ist der Unterliegende nicht hoffnungslos; der Beschauer wartet gespannt auf den Ausgang. Die beiden verschlun- genen Körper sind für die Ansicht von allen Seiten deutlich ent- wickelt. Von der Gruppe „ Herakles und der Centaur Nessus ,“ a im ersten Gange ebenda, ist die ganze erstere Figur neu und auch von der letztern ein Theil. — Von einer viel wichtigern florentinischen Gruppe, Herakles und Antäus (im Hofe des Palazzo Pitti) ist b fast die Hälfte von Michelangelo (?) restaurirt und die alten Theile zeigen eine stark verwitterte Oberfläche; in seinem Urzustand war das Werk vorzüglich, wenn die (immerhin nur römische) Ausführung einigermassen der Composition entsprach; Herakles hat seinen Gegner von der Erde aufgehoben und erdrückt ihn in der Luft, während An- täus vergebens die Hände des Helden von seinem Leib wegzureissen strebt; ein Gestus, welcher vielleicht in der Ringschule nicht selten vorkam und in verschiedenen Gestalten dargestellt wurde (z. B. in zwei Amorinen, Uffizien, Verbindungsgang), hier aber in ausgezeich- c net schöner und energischer Weise durchgeführt war. Die einseitige Bewunderung dieser Gruppe hat im XVI. Jahrhundert auf Bandinelli, Giov. di Bologna und ihre Mitstrebenden einen grossen Einfluss ge- habt. (Eine kleine Bronze, Uffizien, zweites Zimmer der Bronzen, d dritter Schrank, stellt dieselbe Gruppe mit einer zuschauenden Pallas vermehrt dar.) Vgl. S. 425, a. Scenen nach dem Kampfe , vielleicht als Episoden grösserer Giebelgruppen zu betrachten, sind die beiden berühmten Werke: der Barbar und sein Weib, in der Villa Ludovisi zu Rom (wovon S. 489, b die Rede war) und die Gruppe des Ajax mit dem Leichnam des Patroclus . Letztere muss ein hochbewundertes Werk aus der Zeit des Phidias zum Original gehabt haben, welches vielfach nach- gebildet wurde. Vier Exemplare davon sind stückweise erhalten: 1) der sog. Pasquino, an einer Ecke von Pal. Braschi zu Rom, bei e aller Verstümmelung von so einfach grandioser Arbeit, dass neuere Kenner ihn in die Zeit des Phidias selbst versetzen, nachdem schon Bernini ihn für die bestgearbeitete Antike in Rom erklärt hatte. 2) Der gewaltig leidenschaftliche Kopf des Ajax und die Schulter sowie die (vorzüglich gearbeiteten) nachschleppenden Beine des Pa- f Antike Sculptur. Gruppen. Laocoon. a troclus, im Vatican (Büstenzimmer). 3) Die vollständigste Gruppe in einem Hof des Pal. Pitti in Florenz (links von dem grossen Hofe), vielleicht noch griechische Arbeit; am Kopf des Ajax nur der Helm zum Theil neu, am Patroclus der Oberleib beinahe mit den ganzen Armen, ausserdem die sämmtlichen untern Theile nebst Basis und b Tronco. 4) Das Exemplar in der Loggia de’ Lanzi zu Florenz, ge- ringer und eben so stark restaurirt * Ajax allein, fast in derselben Haltung, in einer Bronze des Museo zu Parma. . — Die Aufgabe war eine der erhabensten: der vorzugsweis stürmisch gedachte unter den Heer- führern vor Ilion, mitten im Kampf, und doch der Gegenwehr ent- sagend, um einen Sterbenden zu retten; ein Motiv gewaltiger leiblicher Anstrengung und grosser geistiger Spannung zugleich; — als pyra- midale Gruppe eng beisammen und doch auf das Klarste auseinander- gehalten und durch die schönsten Contraste belebt. Doch es sollten noch höhere Aufgaben gestellt und gelöst werden. c Die Gruppe des Laocoon im Belvedere des Vaticans ist durch die grössten Geister unserer Nation beschrieben und mit einer Tiefe gedeutet worden wie vielleicht kein anderes Kunstwerk der Welt. Der Gegenstand ist allbekannt, ebenso die Namen der Künst- ler, Agesander, Polydorus und Athenodorus von Rhodus; dagegen schwankt die Zeitbestimmung noch immer zwischen dem III. Jahr- hundert v. Chr. und der Zeit des Titus, in dessen Thermen (1506) das Werk gefunden wurde. Restaurirt ist der rechte Arm des Lao- coon, die rechte Hand und das rechte Bein des ältern Sohnes, der rechte Arm des jüngern Sohnes, das Meiste an der einen (obern) Schlange, nebst mehrern Enden der sonst erhaltenen Extremitäten. Manche Stellen zeugen von der Wirksamkeit moderner Schabeisen. Wir haben das Werk nicht zu erklären, sondern nur davon zu reden, wie der Einzelne es sich am ehesten geistig zu eigen machen könne. Das Erste, worüber man genau ins Klare kommen muss, ist der Moment, dessen Wahl und Bezeichnung an sich schon ihres Gleichen nicht mehr hat. Man wird finden, dass derselbe aus einem unver- gleichlichen Zusammenwirken einer Anzahl Momente verschiedenen Grades besteht. In und mit diesen entwickeln sich die Charaktere zu einem Ausdruck, welcher in dem Kopfe des Vaters seinen höchsten Laocoon. Toro Farnese. Gipfelpunkt erreicht. Bei weiterer Betrachtung wird man inne wer- den, wie die dramatischen Gegensätze zugleich die schönsten plasti- schen Gegensätze sind, und wie die Ungleichheit der beiden Söhne an Alter, Grösse und Vertheidigungskraft ausgeglichen wird durch jene furchtbare Diagonale, welche in der Gestalt Laocoons sich aus- drückt; die Gruppe erscheint schon als Gruppe absolut vollkommen, obschon sie nur für die Vorderansicht bestimmt ist. Das Einzelne der Durchführung ist dann noch der Gegenstand langen Forschens und stets neuer Bewunderung. Sobald man sich Rechenschaft zu geben anfängt über das Warum? aller einzelnen Motive, über den Mischungsgrad des leiblichen und des geistigen Leidens, so eröffnen sich, ich möchte sagen, Abgründe künstlerischer Weisheit. Das Höchste aber ist das Ankämpfen gegen den Schmerz, welches Winckelmann zuerst erkannt und zur Anerkennung gebracht hat. Die Mässigung im Jammer hat keinen bloss ästhetischen, sondern einen sittlichen Grund. Die figurenreichste Freigruppe der alten Kunst ist endlich die des farnesischen Stieres in der danach benannten Halle des a Museums von Neapel; ein Werk des Apollonius und Tauriscus von Tralles, welche vielleicht der rhodischen Schule des III. oder II. Jahr- hunderts v. Chr. angehörten. So wie sie jetzt vor uns steht, ist sie dergestalt mit antiken und modernen Restaurationen versehen, dass man nicht einmal für die wesentlichsten Umrisse eine sichere Bürg- schaft hat. Der Moment wäre nach dem jetzigen Zustande der, dass das vom Haar der Dirce ausgehende Seil dem wilden Stier schon um das rechte Horn geschlungen ist und ihm erst um das linke ge- schlungen werden soll, wesshalb die beiden Jünglinge (Zethus und Amphion) das Thier an der Stirn und an der Schnauze festhalten; die von hinten zuschauende Antiope soll (wenn man aus dem Schwei- gen des Plinius urtheilen darf) eine spätere, römische Zuthat sein, in welchem Fall die ganze Basis umgearbeitet sein müsste. Von dem ursprünglichen Detail sind die erhaltenen Stücke der beiden Brüder von sehr tüchtiger lebensvoller Arbeit; die untere Hälfte der Dirce mit der herabgesunkenen, grossartig geworfenen Gewandung würde den besten griechischen Resten ähnlicher Art kaum nachstehen. Auch beim jetzigen Zustande wird man die Sonderung der Figuren, Antike Sculptur. Gruppen. die Contraste in den Momenten der Anstrengung und des Leidens, die Aufthürmung des Ganzen auf Felsstufen verschiedener Höhe min- destens geschickt und glücklich nennen müssen. Allein das Ganze richtet sich durchaus nur an den äussern Sinn. Dass die beiden Brüder sich aus Mutterliebe an der bösen Dirce rächen, erfahren wir aus der Mythologie, allein nicht aus dem Kunst- werk, welches an sich nichts als eine Brutalität vorstellt. Diese wird uns allerdings vorgeführt mit einer Energie und einem Reichthum von Mitteln, welche die Kunst sich erst an ganz andern Gegenständen hatte erwerben müssen, ehe sie dieselben an einer solchen Bravour- arbeit missbrauchen konnte. Den Beschluss würde die weltberühmte Gruppe der Niobe machen, wenn nicht gerade die Zusammenstellung der vorhandenen Figuren zur Gruppe so überaus streitig wäre. Es gab im alten Rom in oder an dem Tempel des Apollo So- sianus eine aus Griechenland gebrachte Gruppe, welche den Untergang der Niobiden (bekanntlich durch die Geschosse des Apoll und der Artemis) darstellte und welche die Einen dem Skopas, die Andern dem Praxiteles zuschrieben. Im Jahr 1583 fand man in der Villa Palombara zwischen S. Maria maggiore und dem Lateran wirklich eine Anzahl Statuen dieses Inhalts auf; es sind diejenigen, welche a später nach Florenz kamen und jetzt nebst anderweitig gefundenen im Niobe-Saal der Uffizien aufgestellt sind. Allein die Arbeit steht nicht nur durchgängig beträchtlich unter derjenigen Höhe, welche man dem Styl eines Skopas oder Praxiteles zuschreiben darf, sondern auch die einzelnen Statuen sind unter sich höchst verschieden in Güte und Styl, selbst in der Marmorgattung, und treten somit auf die Stufe einer alten Copie von verschiedenen Händen zurück. Es muss be- b merkt werden, dass die beiden Ringer in der Tribuna und das Pferd c in der innern Vorhalle derselben Galerie mit diesen Statuen gefunden wurden. Inzwischen entdeckte man an verschiedenen Orten Köpfe und Figuren, welche theils Wiederholungen der florentinischen, theils mit Wahrscheinlichkeit demselben Cyclus einzuordnen sind: d Vatican: Museo Chiaramonti: die eilende Tochter, ohne Kopf und Arme; ein schöner Kopf (509), Ariadne benannt, gehört vielleicht Niobe. auch hicher; — Galeria delle Statue: eine niedersinkende Tochter, a nebst dem Knie eines Bruders, auf das sie sich stützt (auch als Ce- phalus und Procris bezeichnet); — oberer Gang: ein fliehender Sohn. b Museo capitolino: obere Galerie: ein fallender und ein knieender c Sohn, auch zwei Töchter, wovon die eine als Psyche Eine gegeisselte Psyche. [Br.] umgebildet ist; ein colossaler Kopf der Mutter, nebst einem oder zwei andern Köpfen dieses Typus; — grosser Saal: die Statue eines alten Weibes, d welche man für die Amme der Töchter ausgiebt. Museum von Neapel: Halle des Tiberius: vielleicht ist eine ste- e hende, ganz bekleidete Statue eine Niobide. Ausserhalb Italiens ist der sog. Ilioneus in der Münchner Glypto- thek nach allgemeiner Ansicht ein Niobide und zwar gemäss der Vor- trefflichkeit der Arbeit (die alle florentinischen etc. Figuren weit über- trifft) vielleicht ein echter Bestandtheil der Originalgruppe. Andere Statuen, welche theils Niobiden gewesen sind, theils durch die Restauratoren dazu gemacht wurden, könnten wir nicht ohne Weitschweifigkeit und Unsicherheit besprechen. Wie man sich nun diesen Vorrath als Ganzes zu denken habe, darüber gehen die Ansichten dergestalt auseinander, dass nicht einmal durchgängig die Giebelgruppe eines Tempels darin anerkannt wird, während Manche aus nicht zu verachtenden Gründen den Vorrath in zwei Giebelgruppen vertheilen. In diesem Fall bestände der Mittel- punkt in der einen aus der Mutter, in der andern aus dem Pädagogen; jene würde die Töchter, diese die Söhne enthalten haben. Das echte alte griechische Meisterwerk wird man sich nie mehr genau vergegenwärtigen können. Schon die alten römischen Wieder- holer sind zu willkürlich damit umgegangen und haben daneben auch einzelne Motive z. B. als Musen, als Psychen benützt. Eine Wieder- holung des Ganzen war so kostspielig, dass mehr als ein Besteller sich vielleicht mit einer Art von Excerpt begnügte; wer ein paar Statuen hatte, liess sich vielleicht die fehlenden hinzuarbeiten so gut er sie um billigen Preis haben konnte. Gewiss sind auch einzelne Figuren und Köpfe um der Schönheit des Motives willen besonders ausgeführt worden. Antike Sculptur. Gruppen. Solange man genöthigt ist, die florentinischen Exemplare zu Grunde zu legen, wird man das Ganze nie in einer Giebelgruppe vereinigen können. Das Dasein und der grosse Massstab des Pädagogen macht diess unmöglich. Ich glaube, dass er für dieses oder ein ähnliches Exemplar von einem römischen Wiederholer, der zwei Gruppen aus dem Ganzen machte, geschaffen worden ist; man brauchte eine grosse Figur als Mittelpunkt für die Söhne, und in dieser zweiten Redaction wurde dann das Werk weiter wiederholt. Das abscheuliche alte Weib in der capitolinischen Sammlung, das man als Amme mit den Niobiden in Verbindung bringt, kommt allerdings an den Sarcophagen, z. B. a demjenigen im Dogenpalast zu Venedig, wieder vor, und mag in der That an irgend einem andern, wieder anders angeordneten Exemplar der Gruppe als Gegenstück des Pädagogen gedient haben. In dem florentinischen Exemplar fände sie schon des kleinen Massstabes we- gen kaum eine Stelle. Ob die beiden fraglichen Gruppen als Giebel- gruppen eines Tempels dienten, bleibt höchst ungewiss; sie konnten auf irgend eine Weise im Freien arrangirt sein, und für diesen Fall erinnere man sich wieder an das dabei gefundene Pferd * An dem venezianischen Sarcophag sind drei Söhne reitend und einer vom Pferde stürzend gebildet. Dem Pädagogen entspricht ein Mann im Hirtenkleid. und an die beiden Ringer. Letztere (s. oben) sind wohl sicher keine Niobiden gewesen, allein man wusste im Alterthum, dass auch zwei Söhne der Niobe im Akt des Ringens abgebildet worden waren, und der Er- werber oder Besitzer des (jetzt florentinischen) Vorrathes stellte zu seinen Niobesöhnen auch die beste Ringergruppe die er besass oder bekommen konnte. Wer den Pädagogen hinzuthat, der war auch weitern Ergänzungen gewiss nicht abgeneigt. Daran aber wird man kaum zweifeln dürfen, dass das alte Ori- ginal die Giebelgruppe eines Tempels bildete, und zwar eine einzige. Man beachte die ausschliessliche Berechnung der meisten Statuen auf den Anblick von vorn. Unter den florentinischen Figuren mögen den Urbildern am näch- sten stehen: die grösste Tochter; die Mutter mit der jüngsten Tochter; der jüngste Sohn; der bergan flüchtende Sohn (mit dem Fusse vor dem Felsstück); der rettende Sohn mit dem Gewand über dem Haupt Antike Sculptur. Gruppen. (in dem Exemplar welchem das vaticanische Fragment angehört, eine an seinem Knie niedergesunkene Schwester schützend); — von den Töchtern ist mit Ausnahme der genannten keine in der Arbeit mit der verstümmelten laufenden Statue des Museo Chiaramonti (S. 305, d) zu vergleichen und zwei oder drei sind ganz gering, was auch von der Ausführung in mehrern Söhnen gilt. Der Pädagog ist eine nicht zu verachtende römische Arbeit, nur unangenehm restaurirt. Der sog. Narciss ist mit Recht in neuerer Zeit der Sammlung als verwundeter Niobide beigesellt worden. Vom todten Sohn ist in München ein noch besseres Exemplar. Wenn nun vielleicht an keiner der florentinischen Statuen ein griechischer Meissel gearbeitet hat, so sind sie doch von grossem und bleibendem Werthe. Das überaus grandiose Motiv der Mutter ver- einigt die höchste Gewalt des Momentanen mit der grössten Schön- heit der Darstellung; sie flieht, schützt und fleht; das Heraufziehen des Gewandes mit der Linken, so erfolglos es gegen Göttergeschosse sein mag, ist gerade als unwillkürliche Bewegung so sprechend. (Diese Theile ergänzt, aber richtig.) Die ganze Gewandung, noch in der Nachbildung vorzüglich, muss im Urbild von einer Herrlichkeit gewesen sein, die vielleicht keine Antike unter den vorhandenen wie- dergiebt; hier ist Alles Bewegung und doch kein Flattern; der herr- lichste Körper drückt sich darin aus. Den Kopf geniesst man besser in Einzelabgüssen. (Vielleicht wird bisweilen mehr hineinphantasirt als in diesem Exemplare wirklich ist.) — Nach der Mutter wird man wohl dem Sohne mit dem Gewand über dem Haupt den Preis geben. Einer genauen Beachtung ist der Typus werth, welcher in diesen Gestalten durchgeführt ist. Mutter und Töchter, soweit ihre Köpfe echt sind, haben diejenige grossartige, reife Schönheit, welche sich der siegreichen, auch wohl der knidischen Aphrodite nähert; selbst die jugendlichsten zeigen einen matronalen Anflug, wovon man sich durch Vergleichung mit der mediceischen Venus leicht überzeugen kann; es ist das frühere Schönheitsideal der griechischen Kunst über- haupt, welches sich zu erkennen giebt. — Die Söhne sind gemässigt athletisch gebildet und ihr Gesichtstypus steht zu demjenigen des Hermes in einem ähnlichen Verhältniss wie der mehrerer jugendlicher Athleten, abgesehen von dem zum Theil meisterhaft mit wenigen Antike Sculptur. Bildnisse. Zügen gegebenen Ausdruck des Momentes. Zwei davon sind in dop- pelten Exemplaren aufgestellt. Die vorgeschlagene Zusammenstellung der Niobiden mit dem Apoll vom Belvedere und der Diana von Versailles kann nur befangenen Gemüthern zusagen. Beide sind ihrem Typus nach viel spätern Ur- sprunges als das Original der Niobiden. Und der Grieche verstand das Schicksal der letztern auch ohne eine solche erklärende Zuthat, welche nur zerstreuen konnte. Eine an so vielen Idealbildungen grossgewachsene Kunst wie die griechische war, konnte auch Bildnisse schaffen wie keine andere. Sie gab dieselben im höchsten Sinne historisch , indem sie die zu- fälligen Züge den wesentlichen unterordnete oder wegliess, indem sie den Charakter des ganzen Menschen ergründete und von diesem aus den ganzen Menschen wieder belebte, nicht wie er wirklich war, son- dern wie er nach dem geistigen Kern seines Wesens hätte sein müs- sen. Allerdings gehörten hiezu auch griechische Aufgaben: ausge- zeichnete Männer und Helden, welchen von Staatswegen oder von bewundernden Privatleuten Statuen gesetzt wurden. Aus solchen Einzelgestalten konnten wahre Typen für jede erhöhte Menschendar- stellung werden, und in der That hat die Kunst sich noch lange an diese Motive höchsten Ranges gehalten und sie bisweilen auf viel spätere Menschen übergetragen. Wir betrachten zunächst die ganzen Statuen , deren in Italien eine bedeutende Anzahl erhalten ist. Der Streit über die Namen- gebung berührt uns nicht, sobald wir im einzelnen Falle sicher sind, das Standbild eines berühmten Griechen vor uns zu haben. Einigen der betreffenden Werke liegen überdiess erweislich gar keine bei Leb- zeiten gemachten Bildnisse zu Grunde, sodass die Kunst den ganzen Charakter aus eigenen Mitteln schaffen musste; bei noch mehrern lässt sich diess wenigstens vermuthen. Statuen berühmter Griechen. Für die werthvollste Statue dieser Art galt lange Zeit der sog. Aristides, jetzt Aeschines des Museums von Neapel Eine Wiederholung des Motivs, aus römischer Zeit, im Hof des Dogenpala- * stes zu Venedig, unterhalb der Uhr. (Halle der a Flora), bis in Terracina der sog. Sophokles gefunden wurde (im Museum des Laterans , wo ein Abguss des Aeschines, wie in Nea- b pel einer des Sophokles, zur Vergleichung in der Nähe steht). Von diesen beiden ruhig stehenden, ganz ähnlich in Ein Gewand drapirten Gestalten wird der Sophokles schon wegen der edlern Züge einen Vorzug behalten; ausserdem hat das Gewand des Aristides einige gesuchte Zierlichkeiten, namentlich in der Gegend beider Hände, einige überflüssige Augen und Falten, zumal über dem Bauch, während das- jenige des Sophokles einfach nur das Nöthige, dieses aber schön und leicht giebt; endlich laufen beim Aristides die Falten von der linken Hüfte auf das vortretende rechte Knie zu und nehmen der Figur auf diese Weise das Gleichgewicht; beim Sophokles, wo sie denselben Gang nehmen, wird diess harmonisch aufgehoben durch das Vortreten des linken Knies. Die Büchse mit den Schriftrollen steht bei jenem neben dem linken, bei Sophokles neben dem rechten Fusse. Beide sind unzweifelhaft von griechischem Meissel geschaffen. Diess gilt auch noch von einigen unter den Folgenden, doch nicht von allen, indem auch die Römer aus geschichtlicher und literarischer Pie- tät solche Statuen nach griechischen Originalen arbeiten liessen, haupt- sächlich zum Schmuck ihrer Bibliotheken. Zunächst mögen einige mehr oder weniger zweifelhafte genannt werden; so der Alcibiades (S. 436, d) und der Phocion Aristomenes der Messenier. [Br.] im Vatican c (Sala della Biga), letzterer eine einfach schöne bärtige Heldenfigur in Helm und derber Chlamys, nach ihrer Wiederholung als Statuette (im obern Gang des Vaticans) zu urtheilen ein beliebtes und bekanntes Motiv; — der nackte, stehende, enthusiastische Tyrtäus (in dem hier d danach benannten Eckzimmer der Villa Borghese), von flüchtiger aber guter Arbeit, mit zweifelhaften Restaurationen Alcæus. [Br.] ; — der halbnackte e Lykurg im Vatican (Sala delle Muse) u. s. w. — Mehrere sehr be- rühmte, aber auch wohl nicht ganz sichere Philosophen im sog. Kaffe- f Antike Sculptur. Statuen berühmter Griechen. haus der Villa Albani. — Um so sicherer ist mit einer verstümmelten a Statue, in einem obern Zimmer des Palastes dieser Villa, Aesop ge- meint; ein concentrirter Idealtypus des geistvollen Buckligen, nackt und in seiner Art meisterhaft gebildet. Sehr ausgezeichnet durch den innern Ausdruck mühsam errunge- b ner rednerischer Grösse: der Demosthenes im Braccio nuovo des Vaticans Statt der Rolle in den Händen richtiger mit verschränkten Fingern zu re- stauriren. [Br.] ; — von dem ebendort befindlichen Euripides gehört der Kopf wirklich diesem Dichter und der Rumpf jedenfalls einem be- rühmten Griechen, beides aber hing nicht ursprünglich zusammen. — Ebendort noch ein namenloser Philosoph. c Zeno der Stoiker, im Museo capitolino (Zimmer des sterbenden Fechters); kurzer Hals, strammer Schritt, starke Brust, angezogener Mantel, heftige Züge — ein wahres Specimen griechischer Charakte- ristik, die den ganzen Mann in lauter Charakter zu verwandeln wusste (die Benennung sehr unsicher). — Bei diesem und den zunächst vor- her Genannten kann man sich, beiläufig gesagt, überzeugen, dass schon die Griechen, und sie gerade am Bewusstesten, an gewissen Bildnissstatuen eine Idealtracht darstellten. Man würde sehr irren, wenn man glaubte, Euripides und Demosthenes seien wirklich halb- nackt in den Gassen von Athen herumgegangen. Allein diese Ideal- tracht ist eine vereinfachte wirkliche, es ist der Mantel ohne das Unterkleid. Und nicht jede Tracht lässt sich so vereinfachen! mit der unsrigen wollen wir nicht einmal zum Versuche rathen. Unter den sitzenden , meist ganz bekleideten Statuen nehmen d die beiden Komödiendichter im Vatican (Galeria delle Statue): Me- nander und Posidippus eine bedeutende Stelle ein; zumal der Erstere, der in Stellung und Miene so fein philiströs, so ernst und gemüthlich erscheint; je nach den Umständen wird er als Buffone oder als hohe geistige Macht auftreten. e Im Palast Spada zu Rom (erster unterer Saal): Aristoteles , horchend, nachdenkend, mit scharfen, grämlichen, ehemals schönen Zügen (die Augen ungleich); Stellung und Gewand ganz anspruchlos. Die Benennung gilt für sicher. Statuen und Köpfe berühmter Griechen. Im Vorsaal der Villa Ludovisi zu Rom: eine unbekannte, vor- a trefflich drapirte Statue (mit römischem Kopf?), bezeichnet als das Werk des Zenon, Sohnes des Attinos, von Aphrodisias. Unter mehrern Statuetten dieser Art (Einiges im obern Gang des b Vaticans, u. a. a. O.) müssen zwei im Museum von Neapel (Halle der Musen), die eine mit der Inschrift: Moschion , besonders hervor- c gehoben werden; köstliche, lebensvolle Figuren, Geberden und Ge- wandungen; nicht in feierlichem Reden, sondern etwa in ruhigem Dociren gedacht, bequem rückwärts gelehnt, in beiden Händen Schrift- rollen. Endlich der zweifelhafte Anakreon im Musenzimmer der Villa d Borghese, und „Aristides der Smyrnäer“ im Museo cristiano des Va- e ticans, beide in ihrer Art bedeutend. In den Uffizien zu Florenz könnte der „Jupiter“ (im zweiten f Gange) vor der Restauration ein griechischer Philosoph gewesen sein, allerdings nur in römischer Ausführung. (Stehend, mit nackter Brust, die in den Mantel gehüllte Linke auf die Hüfte stützend.) Viel zahlreicher als die ganzen Statuen sind natürlich die er- haltenen Köpfe berühmter Griechen, dergleichen noch in römischer Zeit ganze Reihen müssen nachgearbeitet worden sein. Die echte griechische Form für Bildnisse, welchen man keine ganze Statue widmen wollte, war die Herme , d. h. ein beinah oder völlig manns- hoher Pfeiler (und zwar ein senkrecht geschnittener), dessen oberes Ende der Kopf sammt einem sehr genau bemessenen Theil der Brust und des Schulteransatzes bildete. Allein unter den „berühmten Grie- chen“ stehen in den Galerien blosse Köpfe mit Hals, Köpfe mit rö- mischer oder moderner Gewandbüste, eigentliche Hermen, Fragmente von Statuen u. s. w. beisammen, ein Gemisch das wir um so weniger auseinander scheiden können, da nur das Bedeutendste hier mit Namen erwähnt werden darf. An der Spitze der griechischen Porträtbildungen steht billig der Typus Homers . Von einem wirklich überlieferten Bildniss kann natürlich keine Rede sein; die Kunst hat diesen Kopf allein geschaf- fen. (Schönstes Exemplar im Museum von Neapel , Halle des Ti- g berius; ein gutes nebst geringern im Philosophenzimmer des Museo h Antike Sculptur. Köpfe berühmter Griechen. a capitolino; ein guter Bronzekopf in übelm Zustande: Uffizien in Flo- renz, Bronzen, zweites Zimmer.) Ich gestehe, dass mir gar nichts eine höhere Idee von der griechischen Sculptur giebt, als dass sie diese Züge errathen und dargestellt hat. Ein blinder Dichter und Sänger, mehr war nicht gegeben. Und die Kunst legte in Stirn und Wangen des Greises dieses göttliche geistige Ringen, diese Anstren- gung voll Ahnung und dabei den vollen Ausdruck des Friedens, welchen die Blinden geniessen! An der Büste von Neapel ist jeder Meisselschlag Geist und wunderbares Leben. Auf Homer muss zunächst folgen die berühmte eherne Büste b des Museums von Neapel (grosse Bronzen), welche man für das Bildniss Plato’s hält. Beim ersten Blick wird der Beschauer eher an einen bärtigen Bacchus denken, allein Manches deutet darauf hin, dass eine historische Person dargestellt sei, und zwar am ehesten ein Weiser oder Gesetzgeber. Nicht ideal, sondern individuell ist z. B. schon die Linie des Profils, die Furchung der Stirn, die Partien der Wangen zunächst der Nase; menschlich jedenfalls die Bildung der Schlüsselbeine. Das Vorhandene als Fragment einer Statue ge- dacht, wird man auf eine sitzende Stellung, einen aufgestützten linken, einen herabhängenden rechten Arm schliessen dürfen. In den per- sönlichen Formen aber lebt ein übermenschlicher Ausdruck der Ruhe und Geisteshoheit, wie der eines milden Herrschers. Der ungeheure Nacken, welcher göttlichen Bildungen entnommen scheint, fügt das Gefühl unwiderstehlicher Kraft hinzu. Das sehr schön alterthümlich gebildete Haupt- und Barthaar dagegen zeigt die Tracht einer be- stimmten Zeit in möglichster Veredelung, sowie die Sculpturen von Ninive eine Haartracht in feierlicher Erstarrung erkennen lassen. Die grosse Masse der Übrigen steht hauptsächlich an folgenden c Orten beisammen: Im Vatican: Sala delle Muse, Büstenzimmer und d Galeria geografica; — Museo capitolino: das schon genannte Philo- e sophenzimmer; — Villa Albani: untere Halle des Palastes, und Ne- f bengalerie rechts; — Museum von Neapel: Grosse Bronzen, erster g Gang der Marmore, Halle der berühmten Männer, und Halle des Ti- h berius; — Uffizien in Florenz: Halle der Inschriften; — u. a. a. O. Das Interesse, welches der Beschauer diesen Köpfen widmen wird, hängt natürlich meist von der historischen Theilnahme für die Köpfe berühmter Griechen. Menschen ab. Nun sind leider auch hier bei weitem die meisten Be- nennungen (selbst manche der in griechischen Buchstaben eingegra- benen) streitig oder höchstens nur wahrscheinlich; man errieth z. B. bestimmte Philosophen aus dem physiognomischen Einklang ihrer Lehre mit bestimmten Köpfen, eine Methode, welche doch immer sehr fragliche Resultate abwerfen wird. Aus Gemmen und aus Münzen der Heimathstädte berühmter Griechen mit deren flüchtigem Profilkopf wurden die Namen für eine Anzahl von Büsten ermittelt. Der capi- tolinische Äschylus soll seinen Namen bloss dem kahlen Haupt ver- a danken, welches allerdings für den grossen Tragiker schon seiner Todesart wegen ein wahres Abzeichen sein musste. Wir wollen einige der sicher benannten und zugleich berühmtern bezeichnen. Einige der sieben Weisen Griechenlands , ideale Cha- b rakterhermen, im Musensaal des Vaticans, flüchtige Nachahmungen (wie man annimmt) nach Lysippos. Ebendaselbst: Perikles und Aspa- sia. Anderswo auch Miltiades und Themistokles. Sokrates in reicher Abstufung, vom feinsten Ausdruck bis zur rohen Brunnenmaske, in allen Sammlungen. Von den Tragikern ist in Büsten nur Euripides (in vielen Exemplaren) ganz sicher, von den übrigen Dichtern vielleicht nicht einmal der capitolinische Pindar; der sehr schöne Bronzekopf c sammt Schultern, welcher im Museum von Neapel (grosse Bronzen) d Sappho heisst, kann auf diesen Namen so viel oder wenig Anspruch machen, als die übrigen Büsten, die man so benennt. Von den Ty- pen der Philosophenköpfe werden etwa zwölf unbedingt aner- kannt, von den namhaftern Rednern Isokrates, Lysias und Demo- sthenes, sammt der zweifelhaften Statue des Äschines. (Hübsche und sichere Köpfchen von Epikur, Zeno, Demosthenes u. A. bei den klei- e nen Bronzen des Museums von Neapel; dagegen die Büsten des He- raklit und Demokrit bei den grossen Bronzen bezweifelt werden; der f schöne sog. Archytas ebenda ist vollends willkürlich so benannt.) Zu- verlässig und bedeutend: die marmorne Doppelherme der beiden Ge- g schichtschreiber Herodot und Thucydides in demselben Museum (Halle des Tiberius). In den Uffizien zu Florenz enthält die Halle der Inschriften u. a. h einen schönen Hippokrates, einen geringern Demosthenes, eine namen- lose griechische Herme, einen bezeichneten Solon, einen Aristophanes, B. Cicerone. 33 Antike Sculptur. Diadochenköpfe. a (flüchtig und sehr verdorben, trotz der griechischen Inschrift eine späte Arbeit), einen Alcibiades, welcher der vaticanischen Statue (Sala della biga) gleicht, einen jener Köpfe, welche Sappho zu heissen pflegen, u. A. m. Von den bessern Büsten dieser Art, d. h. von denjenigen, welche nicht späte Duzendnachbildungen sind, gilt durchgängig, was schon bei Anlass der ganzen Statuen gesagt wurde: sie stellen den Menschen so umgegossen dar, wie er nach seinem tiefsten Wesen hätte sein müs- sen, und verdienen desshalb den Namen — nicht von „idealisirten“, sondern von Idealbildnissen im besten Sinne. Es wird nicht etwas conventionell für schön Geltendes von aussen in den Kopf hineinge- bracht, sondern das persönliche Ideal, was innen in Jedem verborgen lag, wird entwickelt. Vielleicht hatte die griechische Kunst schon einen bedeutend schwerern Stand, als sie seit Alexander die Fürsten der neuen grie- chischen Reiche, seine Nachfolger ( Diadochen ) verherrlichen musste. Hier galt es nun allerdings lebende Zeitgenossen, und zwar zum Theil Menschen von abscheulichem oder verächtlichem Charakter; und diese wollten überdies in einer ganz besondern Weise idealisirt sein, indem sie sich oft als bestimmte Götter abbilden liessen. Die griechische Sculptur that nun das mehr als Mögliche. Ohne von den bezeichnen- den Zügen des Betreffenden wesentlich abzugehen, gab sie dieselben mit einer eigenthümlichen Grösse und Offenheit wieder, wie sie etwa in einzelnen guten Stunden konnten ausgesehen haben. Das Ver- schmitzte, Kleinlich-Bösartige, das wir z. B. bei den spätern Ptole- mäern vermuthen, wird hier gar nicht dargestellt, weil der Ausdruck eines göttlich waltenden Herrschers das wesentliche Ziel war. Viel- leicht die nächste Analogie in der ganzen Kunstgeschichte gewähren eine Anzahl von Bildnissen Tizians, in welchen die Menschen des XVI. Jahrhunderts auch so gross und so frei von allem Momentanen und kleinlich Charakteristischen vor uns erscheinen, wie sie vielleicht selten oder nie sich wirklich ausnahmen. Die höchst prunkhaften und zum Theil colossalen Statuen, welche in Antiochien, Alexandrien, Pergamus u. a. damaligen Residenzen er- richtet wurden, sind freilich alle verloren und unser obiges Urtheil ist auf eine Anzahl von Köpfen im Museum von Neapel beschränkt, Bildnisse Alexanders des Grossen. welche vielleicht nur spätere Copien gleichzeitiger Bildnisse sind. (Der marmorne Ptolemäus Soter im ersten Gang; die übrigen fünf Ptole- a mäer nebst der zweifelhaften Berenice (Seite 455, c) bei den grossen b Bronzen.) Es erscheint ewig lehrreich, wie hier die Unregelmässig- keiten der Gesichtszüge ganz unverholen zugestanden und doch mit einem hohen Ausdruck durchdrungen werden konnten. (Ob der wun- derlich gelockte Frauenkopf wirklich den weibischen Ptolemäus Apion darstellt, wollen wir nicht entscheiden; von der berühmten Kleopatra ist unseres Wissens nur das sehr zweifelhafte Köpfchen im Philoso- c phenzimmer des Museo capitolino vorhanden.) Ein Räthsel ist und bleibt aber das Bild des Gründers aller Dia- dochenherrlichkeit, Alexanders des Grossen selbst. Man weiss, wie sehr er dafür besorgt war, dass seine Züge nur in hoher Auf- fassung und meisterlicher Ausführung auf die Nachwelt kommen möch- ten und wie Lysippos gleichsam ein Privilegium hiefür besass. Und in der That zeigen die beiden berühmten Colossalköpfe des Museo d capitolino (Zimmer des sterbenden Fechters) und der Uffizien in Florenz (Halle des Hermaphroditen) einen vergöttlichten Alexander, und zwar, wie man bei dem erstern annimmt, als Sonnengott. (We- nigstens war er in einem der Lysippischen Werke, wovon dieses eine Nachahmung sein möchte, so gebildet.) Es ist ein mächtig schönes Haupt mit aufwärts wallenden Stirnlocken, aber woher dieser Zug der Wehmuth? wir denken uns Alexander vielleicht wohl gerne so, mit einem Vorgefühl des nahen Todes mitten in den Herrlichkeiten des eroberten Asiens, allein für die griechische Kunst wäre solch eine sentimentale Andeutung etwas auffallend. Noch viel deutlicher findet sich dieser Ausdruck in dem florentinischen Kopfe (Uffizien, Halle e des Hermaphroditen). Hier ist der Schmerz ungemein stark in den aufwärtsgezogenen Augbraunen, in der Stirn, im Munde ausgedrückt; der Sohn Philipps wird zu einem jugendlichen Laocoon. Die einfach grandiose Arbeit übertrifft bei weitem die des capitolinischen Kopfes. (Man benennt dieses ausserordentliche Werk wohl mit Unrecht als „sterbenden Alexander“; der „leidende“ möchte richtiger sein; eine genügende Erklärung giebt es nicht.) Von der Reiterstatue, welche in Alexandrien dem Gründer zu Ehren errichtet war, wissen wir nichts mehr; dagegen ist von einem 33* Antike Sculptur. Kaiserstatuen im Harnisch. im Kampfgewühl zu Pferde streitenden Alexander — wahrscheinlich einer sehr ausgezeichneten Gruppe — wenigstens eine kleine Erinne- a rung vorhanden in der sehr lebendig gedachten Bronzestatuette des Museums von Neapel (grosse Bronzen; ein lediges Pferd, wel- ches in der Nähe des Reiters aufgestellt ist, könnte der Arbeit nach wohl dazu gehören und ebenfalls aus jener Gruppe wiederholt sein). Ausser diesen Idealbildungen hat sich aber auch noch ein lebens- treues Porträt erhalten, u. a. in einer (bezeichneten) Büste des Lou- vre. Der Gypsabguss z. B. in der Académie de France bietet eine anregende Vergleichung zunächst mit dem capitolinischen Kopfe dar. Die Bronze in Neapel gleicht ihm in den Zügen mehr als jenen beiden Idealköpfen. Unter allen römischen Bildnissen kommen natürlich die der Kaiser und ihrer Angehörigen vorzüglich häufig vor. Die Gelegen- heiten, Statuen und Büsten der Herrscher aufzustellen, waren der ver- schiedensten Art; die Foren und Basiliken der Städte mussten von Rechtswegen damit versehen sein, die Gebäude jedes Kaisers enthiel- ten gewiss die Bildnisse seiner ganzen Familie, und auch mancher Privatmann mochte es gerathen finden, seinem Herrn ein Denkmal zu setzen. Im III. Jahrhundert wurden bereits die Bilder der frühern guten Kaiser, zumal das des Marc-Aurel, aus historischer und reli- giöser Verehrung vervielfacht. Unter den ganzen Statuen sind die geharnischten die häufig- sten. Der Brustpanzer und die unten daran befestigten Schuppen sind, oft überreich, mit getriebener Arbeit, Victorien, Löwenköpfen u. dgl. geschmückt; von dem Kriegermantel (Paludamentum) erscheint ein Bausch auf der linken Schulter; das Übrige zieht sich hinten abwärts und kommt über dem linken, auch wohl über dem rechten Arm wie- der zum Vorschein; die Rechte wird meist gesticulirend, auch etwa mit einer Waffe restaurirt. Sehr oft, ja in der Regel, ist nur der Rumpf alt oder ursprünglich; dem Kopfwechsel war gerade diese b Gattung am meisten unterworfen. (Der prächtig geharnischte L. Ve- rus, im Vatican, Galeria delle Statue; eine Anzahl von den besten in c der untern Halle des Palastes der Villa Albani; andere im Museum Togati. Reiterstatuen. von Neapel, dritter Gang. Aus sehr gesunkener Zeit: Constantin d. Gr. a in der Vorhalle der Kirche des Laterans, und, sammt seinem gleich- b namigen Sohn, auf der Balustrade der grossen Capitolstreppe.) c Mit der Toga liessen sich die Kaiser theils in gewöhnlicher Stel- lung, theils als Opferer abbilden, wobei das Gewand über den Kopf gezogen wurde. (Gute Beispiele: der erstern Art: der Claudius und d vorzüglich der Titus im Braccio nuovo des Vaticans; auch noch der Nerva ebenda; der Augustus in der innern Vorhalle der Uffizien zu e Florenz, mit aufgesetztem Kopf; weniger gut der Hadrian ebenda; — der letztern Art: der sog. Genius des Augustus, in der Sala rotonda f des Vaticans; der Caligula im Hauptsaal der Villa Borghese. Ein g junger Römer, welcher die Toga auf gewöhnliche Weise und auf der Brust eine Bulla oder Amulet trägt, ist im Museum von Neapel, drit- h ter Gang, vielleicht mit Unrecht unter die Kaiser und ihre Angehöri- gen gerathen, da sein Kopf aufgesetzt ist.) Zu den eigentlich historischen Darstellungen gehört auch noch die einzige vollständig vorhandene Reiterstatue Nebst dem zweifelhaften Caligula im grossen Saal des Pal. Farnese, und * dem gering gearbeiteten Fragment eines Nero bei den grossen Bronzen des ** Museums von Neapel. dieser Art: die des Marc-Aurel auf dem Platze zwischen den capitolinischen Palästen, i vortrefflich gedacht und von sehr würdiger Gewandung und Geberde, nur durch das unförmliche Pferd (vielleicht Abbildung des kaiserli- chen Streitpferdes) in Nachtheil gesetzt. (Der Kopf zu vergleichen mit dem ebenfalls guten colossalen Bronzekopf im Hauptsaal der Villa k Ludovisi.) — Von der bei Statius besungenen Reiterstatue Domitians giebt etwa der riesenhafte Marmorkopf im Hof des Conservatoren- l palastes eine Idee, der uns jetzt nur noch als Beispiel für die Be- rechnung des Colossalen auf die Ferne interessiren kann. (Ein anderer nicht minder riesenhafter Imperatorenkopf im Giardino della Pigna des m Vaticans.) Neben diesen Porträtbildungen im engern Sinn versuchte die Kunst, so lange sie noch lebendig war, auch ein erhöhtes Dasein, ein übermenschliches Walten in den Kaisern auszudrücken. Vielleicht schloss sie sich dabei an diejenigen Motive an, welche von den Künst- Antike Sculptur. Ideale Kaiserstatuen. lern der Diadochenhöfe ausgebildet worden waren; vielleicht schuf sie das Ihrige aus eigenen Kräften. Es entstanden thronende Gestalten mit nacktem, ideal gebilde- tem Oberleib, dessen leise Einwärtsbeugung eine majestätische und völlig leichte Haltung des Hauptes vorbereiten hilft. Der eine Arm wird durch ein hohes Scepter gestützt, das freilich selten richtig re- staurirt ist. Das Gewand zeigt sich nur als Bausch über der linken Schulter, zieht sich dann hinten herum und bedeckt, rechts wieder hervorkommend, als mächtige Draperie die Kniee. Ein Fragment im a Museum von Neapel (Hof vor der Halle des farnesischen Stieres) zeigt, wie die Füsse dieser meist sehr zertrümmerten Bilder Sie wurden, wie so vieles Colossale, aus mehrern Stücken zusammengesetzt, die später schon durch die blosse Vernachlässigung wieder auseinander fielen, selbst ohne absichtliche Zerstörung. für eine Auf- stellung auf hoher Basis berechnet wurden; sie ruhen auf einem schma- len, schräg vorgeschobenen Schemel. Die schönsten Exemplare dieser Art sind noch in ihrem frag- mentirten Zustande, die Fürsten des augusteischen Hauses, bekannt b unter dem Namen der „ Kaiserstatuen von Cervetri “, im Mu- seum des Laterans. Namentlich zeigt die Gestalt des Claudius, dass die römische Kunst auf diesem Gebiet grösserer Dinge fähig war, als man ihr gewöhnlich zutraut. — Theilweise ebenfalls noch von hohem c Werthe: die erste und besonders die zweite sitzende Statue des Ti- d berius im Museo Chiaramonti; der Nerva (?) in der Sala rotonda des Vaticans; letzterer sehr zusammengeflickt, aber von ganz beson- ders mächtigem Gewandmotiv; — die beiden mit modernen (ganz will- e kürlich gebildeten) Köpfen im Museum von Neapel (dritter Gang) etc. Manche einzelne Kaiserköpfe in den römischen u. a. Sammlungen zeigen nicht sowohl durch ihre Grösse als durch das eigenthümlich Hohe der Behandlung, dass sie solchen halbidealen Bildwerken an- gehörten. Endlich wurden die Kaiser als Heroen oder Götter fast oder ganz nackt und stehend abgebildet; die Hände sind so selten alt, dass wir keine völlige Gewissheit darüber haben, ob die vorherrschende Haltung wirklich die der jetzigen Restaurationen war: nämlich die Kaiser als Heroen. Kaiserinnen. Rechte zum Sprechen erhoben oder einen Globus haltend, die Linke das Schwert und einen Bausch des Gewandes fassend. Die werth- vollste Statue dieser Art ist der berühmte colossale Pompejus (im a Palast Spada zu Rom), wahrscheinlich dasselbe Bild, zu dessen Füssen der ermordete Cäsar niedersank. Wir rechnen ihn der heroi- schen Auffassung nach hieher, obschon er kein Kaiser war Ebenso ist hier der Colossalstatue des M. Agrippa zu gedenken, welche sich zu Venedig im Hof des Pal. Grimani (unweit S. Maria Formosa) be- * findet. Nur decorativ behandelt, aber ein grossartiges Beispiel heroisch- idealer und doch getreuer Bildnissauffassung. Die starken Restaurationen fallen in die Augen; doch scheinen alt und nur neu angesetzt: Tronco, Ba- sis, Cista und vielleicht der Delphin, welcher den Seehelden bezeichnet. . Was folgt, ist grossentheils untergeordnet oder durch den Kopfwechsel weit empfindlicher entstellt als die Geharnischten. Zum Besten gehören ein paar Statuen des L. Verus (im Braccio nuovo des Vaticans, im b dritten Gang des Museums von Neapel u. a. a. O.), abgesehen von den unangenehmen Zügen. Von den grossen Bronzen dieser Art im Museum von Neapel erhebt sich keine über das Mittelmässige, auch c der Germanicus nicht; von den marmornen (im dritten Gange) sind d ausser Verus noch mehrere von mittelguter Arbeit; der colossale Ale- xander Severus aber (in der untern Vorhalle) schon äusserst leblos. e Sehr ansprechend die Statue eines jungen Prinzen von ähnlichem Typus, f im Museo Chiaramonti des Vaticans. — Geringere nackte Kaiserkin- der: die Bronzestatue im hintern Saal der Villa Borghese; der Prinz g im Verbindungsgang der Uffizien zu Florenz. — Im Allgemeinen wer- h den die halbnackten Thronenden schon desshalb den Vorzug vor den nackten Stehenden haben, weil das Auge bei jenen einen Porträtkopf erwartet und erträgt, da sie wirklich nur erhöht aufgefasste Bildnisse sein wollen, bei diesen dagegen sich auf einen heroischen Idealkopf gefasst macht, statt dessen aber wohlbekannte Züge findet. Die Kaiserinnen sind durch keinerlei besondern Schmuck von den Statuen anderer römischer Damen unterschieden Selbst das Diadem möchte wohl auch andern Frauen zugekommen sein, ebenso der oft sehr absonderlich scheinende Haarputz. Vgl. S. 521, Anm. 2. . Das Preis- würdigste wurde bei Anlass der weiblichen Gewandstatuen beiläufig erwähnt; die Kaiserinnen als Göttinnen, z. B. häufig als Venus, zeigen Antike Sculptur. Kaiserköpfe. denselben bedenklichen Contrast zwischen Wirklichem und Idealem, wie die nackten Kaiserstatuen. Wahrhaft unzählbar sind die Köpfe und Büsten römischer Kaiser und ihrer Angehörigen. Wir können uns hier um so weniger auf Näheres einlassen, als der Beschauer gewöhnlich schon durch ein mitgebrachtes historisches Interesse auf das Bedeutende von selbst hin- geführt wird. Einige Bemerkungen mögen indess am Platze sein. Eine eigene grosse Sammlung von Kaiserbüsten ist in der Stanza a degli imperatori des capitolinischen Museums aufgestellt. Aus den bessern Jahrhunderten finden sich dort meist geringere Exemplare, dafür ist die Kaiserreihe des III. Jahrhunderts dort repräsentirt wie sonst nirgends, allerdings durch Beihülfe sehr gewagter Taufen. Die besten b Colossalköpfe in der Sala rotonda des Vaticans. Auch die grosse flo- c rentinische Kaisersammlung (Uffizien, erster und zweiter Gang) enthält viele geringe und unsichere Köpfe (selbst moderne, wie Otho und Nerva). Man wird beständig die bessern Büsten der übrigen Ga- lerien mit zu Rathe ziehen müssen. Vergebens sucht man zunächst in den öffentlichen Sammlungen von Rom und Neapel ein vollkommen würdiges Bildniss des grossen Cäsar ; keines wiegt die Basaltbüste und den Kopf der Togafigur des d Berliner Museums auf. Die Statue in der untern Halle des Conserva- torenpalastes auf dem Capitol, auf welche man gewöhnlich verwiesen wird, ist eine wahrhaft geringe Arbeit. Ein Kopf, der mich trotz seiner sehr flüchtigen Ausführung immer von neuem anzog, steht im e Museo Chiaramonti des Vaticans; es ist Cäsar als Pontifex maximus, die Toga über das Haupt gezogen, mit den ernsten, leidenden Zügen seiner letzten Jahre. Zu den bessern Köpfen gehört auch die floren- f tinische Marmorbüste (Uffizien, erster Gang, stark abgerieben und re- staurirt); der in der Nähe befindliche Bronzekopf stellt eine andere Person vor. g Der schönste Kopf des Augustus ist wohl unstreitig der bron- zene in der vaticanischen Bibliothek. Büsten und Statuen von allen h Altersstufen (von August als frühreifem Jüngling im Museo Chiara- monti an) und allen Auffassungsweisen finden sich überall. Kaiserköpfe. Das augusteische Haus , lauter normale und charaktervolle Köpfe, blutsverwandt erscheinend trotz der vorherrschenden Verbindung durch Adoptionen, ist überall stark bedacht. Die Köpfe des Tiberius sind fast alle gut; von Caligula der feinste in der obern Galerie des capi- a tolinischen Museums; auch der basaltene im Kaiserzimmer trefflich; b Claudius bei weitem am besten in der genannten Statue des Laterans; Nero fast durchgängig zweifelhaft: als Knabe in einem schönen Köpf- chen von bösartigem Ausdruck (Museum von Neapel, dritter Gang); c als Sieger des Gesanges in zwei halbcolossalen Köpfen (Vatican, Zim- d mer der Büsten, und — wenn ich richtig errathe — im Museum von e Neapel, Halle des Tiber, mit dem Namen Alexanders des Grossen). Von Vitellius in Italien vielleicht kein Kopf von dem Werthe desje- nigen in Berlin; ein guter im Dogenpalast zu Venedig (Sala de’ f Busti) Wo sonst manches Verdächtige und selbst Neue beisammensteht. Der schöne jugendliche Kopf mit dem Eichenkranz entspricht unter den Kaisern am ehe- sten dem Augustus. . Vespasian und Titus , wegen üblicher Verwechselung in den Galerien hier nicht zu trennen: meisterlicher Colossalkopf im Mu- g seum von Neapel (dritter Gang); gute Büste im Hauptsaal der Villa h Borghese. Trajan , dessen sonderbare Kopfbildung nirgends verhehlt wird: am ansprechendsten in der vaticanischen Büste (Belvedere, Raum i des Meleager). Hadrian : am häufigsten vorhanden und sehr oft gut. Plotina und die ältere Faustina, Colossalköpfe in der Sala rotonda, k interessant für die Behandlung des Lieblichen in diesem Massstab An den Kaiserinnen stört oft der modemässige Haarputz, welcher sogar an einzelnen Büsten zum Abnehmen und Wechseln eingerichtet ist. . Antoninus Pius : trefflich in der Colossalbüste der Villa Borghese l (Hauptsaal), geringer in derjenigen des Museums von Neapel (dritter m Gang) und in der sehr penibeln des Museo capitolino (grosser Saal). n Eine auffallende Menge von Colossalköpfen u. A. der bisher Genann- ten und Anderer im Garten der Villa Albani. Von Marc-Aurel und o Lucius Verus eine bedeutende Anzahl Köpfe überall, wovon wir das Beste nicht anzugeben im Stande sind. Von Commodus ein wahrscheinlich echter, trefflicher, obwohl flüchtig behandelter Kopf im p Museum von Neapel (dritter Gang). Pertinax , gute Colossalbüste q in der Sala rotonda des Vaticans. Septimius Severus , häufig als Antike Sculptur. Kaiserköpfe. Statue, vielleicht nirgends von besonderm Werthe. Seine Gemahlin Julia Domna , die letzte Römerin, von welcher uns die Kunst ein a wahrhaft schönes und geistvolles Bild hinterlassen hat: Büste in der b obern Galerie des Museo capitolino; auch eine gute Colossalbüste in der Sala rotonda des Vaticans. Caracalla , auffallend häufig und gut, wahrscheinlich einem vorzüglichen Original zu Liebe wiederholt, c vielleicht am feinsten durchgeführt in einem Kopf der Büstenzimmer des Vaticans. Ein furchtbares Haupt, ein „Feind Gottes und der Men- schen“, bei dessen Verworfenheit und falscher Genialität der Gedanke erwachen muss: es ist Satan. Bei diesem Kopfe steht die römische Kunst wie vor Entsetzen still; sie hat von da an kaum mehr ein Bildniss von höherm Lebens- gefühl geschaffen. Die Auffassung wird zusehends ärmlich und ein- förmig, die Formen ledern und flau oder peinlich. Die Theilnahme schwindet ausserdem durch die Unsicherheit der Bennungen, für welche man auf die schwankenden Gesichtszüge ungeschickter Münzen ange- d wiesen ist. Von der capitolinischen Büste Diocletians und von e der neapolitanischen des Probus (Museum, 3. Gang) möchte man wenigstens wünschen, dass sie echt wären. Die Köpfe des IV. Jahr- hunderts sind zum Theil schon ganz puppenhaft, die drei capitolini- f schen des Julianus Apostata nur durch ein mittelalterliches Zeug- niss bewährt. Neben diesem Vorrath von Herrscherbildnissen existirt noch ein viel grösserer von „ Incogniti “, Männern und Frauen, welchen man durch Beilegung interessanter Namen, zumal aus der letzten Zeit der Republik einen willkürlichen Werth beizulegen pflegt. Ohne hier- auf weiter einzugehen, machen wir nur aufmerksam auf das Denkmal, welches die Römer der Kaiserzeit hiemit ihren eigenen Personen und ihrem Nationaltypus gesetzt haben. Die Büste, und vollends die Sta- tue, hat für einen auf das Dauernde gerichteten Sinn den stärksten Vorzug vor dem gemalten (oder daguerreotypirten!) Bilde, in welchem die jetzige vielbeschäftigte Menschheit vor der Nachwelt aufzutreten gedenkt. Freilich gehört Schädelbau und schwammloses Fleisch und ein lebendiger Ausdruck dazu, der nur durch beständigen Verkehr mit Römische Porträtkunst. Menschen, nicht mit Büchern und Geschäften allein sich dem Antlitz allmälig aufprägt. Wie in allen guten Zeiten der Kunst, so wusste auch bei den Römern der Bildhauer nichts von künstlichem Versüssen und Inte- ressantmachen derer, welche sich abbilden liessen. Es giebt eine grosse Menge von Grabdenkmälern meist untergeordneten Werthes, welche Mann, Weib und Kind in erhabenen Halbfiguren innerhalb einer Nische darstellen. (Eine Auswahl im Vatican: Gal. lapidaria; ein sehr schö- a nes im Zimmer der Büsten; eine ganze Anzahl im Hof des Palazzo b Mattei; in der Villa Borghese, Zimmer des Tyrtäus, drei ganze Figu- c ren in Relief, eine Mutter mit zwei Söhnen darstellend; ebendort zeigt die liegende Statue einer Jungfrau, dass auch die späte Kunst wah- rer Schönheit ihr Recht anzuthun suchte; — eine Anzahl geringerer Grabmonumente im Museum von Neapel, Halle des farnesischen Stie- d res.) In diesen bescheidenen Denkmalern hat die Naivetät, womit auch die hässlichen und unbedeutenden Züge, ja die weitabstehenden Ohren wiedergegeben sind, etwas wahrhaft Rührendes und Gemüth- liches. — Aber auch in den Büsten und Standbildern der besten römischen Arbeit ist so wenig Geschmeicheltes, dass man der römi- schen Kunst schon eine allzu herbe und nüchterne Darstellung des Wirklichen vorgeworfen hat. Der Vergleich mit jenen halbidealen griechischen Köpfen und Statuen von Fürsten, Dichtern und Philo- sophen ist indess ein unbilliger, weil der römische Künstler nicht längst- verstorbene grosse Männer, sondern den Ersten Besten porträtiren musste; an seinen vergötterten Kaisern hat er bisweilen das irgend Mögliche von höherer monumentaler Auffassung geleistet, und wenn wir die Statuen eines Virgil, eines Horaz aus der Kaiserzeit besässen, so würden wir darin vielleicht etwas ebenso Hohes ausgedrückt fin- den als in den Aristides, Euripides, Demosthenes u. s. w., welche als Muster von Idealbildnissen mit Recht gefeiert werden Die halbideale Statue einer römischen Dichterin (wenn wir eine unlängst ge- fundene Figur unter Lebensgrösse im Braccio nuovo des Vaticans richtig so * deuten) würde zu einer solchen Annahme einigermassen berechtigen. . Ihre theil- weise Nacktheit und sehr frei gewählte Gewandung hätte sich der römische Künstler zu analogen Zwecken auch aneignen können. Antike Sculptur. Togafiguren. Überdiess besass er bei ganzen Statuen, wenigstens angesehener Personen, auch einen Vortheil. Die würdigste Tracht, die je eines ernsten Mannes Leib bedeckte ist immer die weite herrliche römi- sche Toga mit ihrem doppelten Überschlag über die linke Schulter. Der linke Arm kann frei darunter hervorsehen oder sich darin ver- hüllen; der rechte bleibt nebst der rechten Schulter entweder ganz frei zur edelsten Geberde, oder die Toga zieht sich noch oben längs der Schulter hin, oder sie wird beim Opfer über das Haupt gezogen und lässt dieses dann mit unbeschreiblicher Würde aus dem tiefen Schatten heraustreten. Das linke Bein ist in der Regel das tragende, das rechte das gebogene. Als diese Gewandung in den Bereich der Kunst gezogen war, liess man sie nicht mehr los. Tausende von Statuen wurden nach diesem Motiv bis in die spätesten Zeiten geschaffen. An denjenigen aus den bessern Jahrhunderten wird der Beschauer mit stets wachsen- der Bewunderung die freie Art und Weise innewerden, mit welcher die einzelnen Künstler das Gegebene behandelten. Er wird vielleicht dabei mancher unserer jetzigen Porträtstatuen und ihrer Cavallerie- mäntel gedenken, welche letztern nebst dem blossen Kopf die Ver- muthung erregen, dass der Betreffende sich während einer Standrede im Winter habe abbilden lassen. Von dem sehr bedeutenden Vorrath dieser selbst im schlechtesten Fall betrachtenswerthen Gestalten brauchen wir bloss eine zu er- a wähnen: den sitzenden sog. Marcellus im Philosophenzimmer des capitolinischen Museums ; jedenfalls das Bild eines ausgezeich- neten Staatsmanns und Redners. Hier wirkt nicht bloss das schöne und wunderbar behandelte Kleidungsstück, sondern der Charakter der Stellung, welche sich in jeder Falte ausspricht. So sass nur Dieser und kein Anderer! möchte man sagen. Andere Togafiguren werden noch bei Gelegenheit erwähnt wer- den. (Diejenigen von Kaisern s. S. 516.) Für den ersten Anlauf b empfehlen wir den Togatus (aus dem Grabe der Servilier) am Anfang c des Museo Chiaramonti und den schönen greisen Opferer in der Sala della Biga des Vaticans. (Vgl. S. 412, a.) Römische Porträtköpfe. Welches nun immer die Ausstattung und Gewandung sei, es bleibt eine Thatsache, dass die bessern römischen Bildnisse ganz rück- sichtslos den Charakter und die Züge der Betreffenden, aber mit einem hohen Lebensgefühl aussprechen. Allerdings ist der Genuss dieser Werke nicht für Jedermann leicht zugänglich. In den grossen italienischen Sammlungen stehen die Büsten meist entweder so dicht und bunt durcheinander oder so unscheinbar zwischen Statuen zerstreut, dass nur selten ein Beschauer ihnen die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken wagt. Köpfe von Göttern und Göttinnen, von griechischen Philosophen und Dichtern, von rö- mischen Kaisern und Privatleuten, zusammen wohl viele Tausende an Zahl — welches Auge vermöchte diese ganze Heerschaar zu mustern und durch Vergleichung das Beste und das Gute von dem Geringern zu scheiden? welches Gedächtniss könnte sich diess Alles einprägen? — Vom Streit über die Namengebung, welcher diess Gebiet (wie be- merkt) unaufhörlich bedroht, muss vollends der Nicht-Archäologe auch hier ganz absehen, wenn er nicht Zeit und Lust verlieren will. Es bleibt ihm nichts übrig, als bei guter Stimmung und Musse diese Köpfe einzeln, wie sie ihm gefallen, nach ihrem geistigen Aus- druck und nach der Kunst des Bildhauers zu durchforschen. Isolirt gesehen, gewinnen wenigstens die bessern davon ausserordentlich. Im Thronsaal des Palazzo Corsini zu Rom steht auf einem Pfeiler der a Kopf eines Römers, den mitten im Vatican nur Wenige beachten würden, der aber hier mit seiner edeln Individualität, seinem Aus- druck des Kummers alle Blicke auf sich zieht. An solch einem Bei- spiel kann man inne werden, wie viel Treffliches anderswo dem Auge entgeht, z. B. in dem langen Museo Chiaramonti, in den Büstenzim- b mern und in der Galeria geografica des Vaticans, im Zimmer der Vase c des Museo capitolino, wo die „Incogniti“ beisammen stehen, in den d meisten Räumen der büstenreichen Villa Albani, in den verschiedenen e Abtheilungen des Museums von Neapel, in der Inschriftenhalle und f Hermaphroditenhalle der Uffizien zu Florenz, im Hof des Pal. Riccardi g ebenda, u. a. a. O. Es ist nun unsere Sache, den Leser auf eine Auswahl des Merk- würdigsten unter den meist anonymen oder pseudonymen Römerköpfen aufmerksam zu machen. Wir nehmen dabei nicht sowohl den Kunst- Antike Sculptur. Römische Porträtköpfe. werth als das physiognomische Interesse zum Massstab, ungewiss ob der Leser uns gerne auf diesen Pfaden folgen wird. a Im Vatican : Braccio nuovo: der sog. Kopf des Sulla; — Mus. b Chiaramonti: der sog. Marius, treffendes Bild eines etwas galligen Al- ten; — der (wahrscheinlich richtig benannte) Cicero, N. 422, nicht N. 697; — und der sog. Ahenobarbus mit dem feinen und klugen Aus- c druck des fetten Angesichtes; — Büstenzimmer: einige interessante d Frauenköpfe. — Im Museo capitolino : erstes unteres Zimmer: ein Mann von Jahren (jetzt für Hadrian ausgegeben, aufgestellt auf einem Hercules-Altar), wundervoll wahr in dem zweideutig Verbis- e senen des Ausdruckes; — Zimmer des sterbenden Fechters: der beste Kopf des Marcus Brutus, Mörders des Cäsar, von widerlichem, ob- f wohl nicht geistlosem Ausdruck; — Zimmer des Fauns: der sog. Ce- thegus, ein noch junger, vornehm abgelebter Spätrömer; — Philo- g sophenzimmer: hier muss man wohl von den meisten Taufen mit Römernamen absehen und sich einzig mit dem geistigen Inhalt be- gnügen; Virgil als idealer, wahrscheinlich göttlicher Kopf gehört gar nicht hieher; ein kahler, delicater sauertöpfischer Alter heisst Cato; ein (auch sonst öfter vorkommender) trauernder, entbehrungsvoller Kopf (squalidum), die Haare in der Stirn, wird überall Seneca ge- tauft; der sog. Cicero ist ein ansehnlicher grosser Beamter mit klaren, wohlwollenden Zügen; der sog. Pompejus ein leidenschaftlicher, sehr vornehmer junger Herr, dessen Gleichen der Leser wohl schon öfter begegnet sein wird. U. s. w. [Braun S. 170 ff. erkennt u. a. den Aeschylus (N. 82), den Marcus Agrippa (N. 16), den Terenz (N. 76), den Corbulo (N. 48) als richtig benannt an, hält aber (nach Visconti) den Cicero (N. 75) eher für einen Asinius Pollio.] . Mitten unter diese sehr bunte Schaar hat sich ein ganz schöner jugendlicher Heldenkopf (N. 59) verirrt, mit einem leisen Anflug des Barbarentypus; wenn Jemand in ihm den Germanen Arminius erkennen will, so wird ein alterthumskundi- ger Freund, den ich hier nicht nennen darf, nichts dagegen einzu- h wenden haben. — Im Palast der Conservatoren (Eckzimmer) die vorgebliche Bronzebüste des alten L. Junius Brutus, ein höchst charakteristischer Römerkopf. i Im Museum von Neapel : Grosse Bronzen: schönes Exemplar des schon bezeichneten Seneca; Lepidus (wenig sicher, allein voll in- Römische Porträtköpfe und Statuen. dividuellen Lebens); Scipio Africanus d. ä. (in allen Sammlungen, oft mehrfach, vorhanden; weit das beste Exemplar, von den übrigen be- trächtlich abweichend, im Besitz des Jesuitencollegiums zu Neapel), a das wahre Urbild eines alten Römers; — Marmorwerke erster Gang: b der vorgebliche Sulla, von vorn gesehen auffallend durch seine Ähn- lichkeit mit Napoleon, dessen Stirn jedoch weder eine so edle Form noch eine so bedeutend durchgebildete Modellirung hatte; ebenda die Statuen der Familie Balbus aus Herculanum, in der Gewandung ge- ring, in den Köpfen sehr ausgezeichnet, besonders die Mutter, deren kluge, ruhige, hochbedeutende Züge eine ehemalige Sinnlichkeit nicht verläugnen; — zweiter Gang: die Reiterstatuen der Balbus Vater und c Sohn, in den Köpfen wiederum sehr bedeutend, ausserdem als einzig erhaltene Consularstatuen zu Pferde merkwürdig durch die ungemeine typische Einfachheit der Composition, wobei auch einige Nüchternheit mit unterläuft; — Halle der berühmten Männer: mehrere gute Ano- d nyme und Falschbenannte; — Halle des Tiberius: ebenso; das Beste e der sog. Aratus, geistreich seitwärts emporblickend; ein liebenswür- diges Frauenköpfchen mit verhülltem Kinn, fälschlich als Vestalin bezeichnet. In den Uffizien zu Florenz : innere Vorhalle: ein gutes f Exemplar des sog. Seneca; — erster Gang: Marcus Agrippa, classi- g sche Züge mit dem Ausdruck tiefer Verschlossenheit; — Halle der h Inschriften: ein feiner durchgebildetes Exemplar desjenigen Kopfes, welcher in der capitolinischen Sammlung Cicero heisst; der „Triumvir Antonius“ eine flüchtige Arbeit, die aber etwas von derjenigen Art von Grösse hat, welche wir jenem Manne zutrauen; ein anonymer Römer, welcher mit Ausnahme des noch etwas behaarten Kopfes an jenen grandiosen Scipiokopf der PP. Jesuiten in Neapel erinnert; — Halle des Hermaphroditen: zwei tüchtige Köpfe von so zu sagen philiströ- i sem Ausdruck; eine schöne Frau von demjenigen matronalen Typus, welchen man insgemein der Livia zuschreibt, mit zahlreichen gerollten Löckchen; — zweites Zimmer der Bronzen, sechster Schrank: einige k sehr gute kleine Bronzeköpfchen und Statuetten, worunter die winzige aber vortreffliche eines sitzenden Mannes in der Toga. In der untern Halle des Palazzo Riccardi : ausser einer l Anzahl von Idealköpfen (worunter ein schöner und ein geringerer Antike Sculptur. Masken. Apoll, zwei Athleten, eine sog. Sappho) ein guter römischer Porträt- kopf, verschrumpft und sauer blickend, in einem Nebengang rechts. a Im Camposanto zu Pisa : (bei XL) Marcus Agrippa, weni- ger erhalten aber ebenso echt als der florentinische Kopf. (Ebenda mehrere gute Götterköpfe. Der angebliche Brutus, bei IV, ist offen- bar modern.) Vergebens sucht man Auskunft über den Ursprung und ersten Gebrauch der so häufigen und zum Theil so trefflichen marmornen Masken . Wenn die Archäologie nichts dagegen hat, so wollen wir einige harmlose Vermuthungen aufstellen, die neben jedem erwiesenen Thatbestand in ihr Nichts zurückzutreten bereit sind. In den heitern Tagen des alten Athens muss mit der beginnenden Blüthe der Tragödie und der Komödie auch die Kunst, tragische und komische Masken für die Bühne zu machen, eine beträchtliche Höhe erreicht haben. Der Grieche ertrug bekanntlich auf dem Theater lieber ein künstliches Gesicht und eine künstliche Leibeslänge (mit- telst der Kothurne) als die persönliche Physiognomie irgend eines Schauspielers; diese hätte ihm selbst bei der grössten Schönheit nie die typisch-idealen Züge geboten, welche einmal von den tragischen und komischen Charakteren unzertrennlich schienen. Welches Schau- spielers Antlitz hätte für den gefesselten Prometheus und für seine Peiniger Kratos und Bia ausgereicht? — Die Masken aber, wo man sie auch aufbewahrte, müssen, selbst nur einfach an der Wand auf- gehängt, ein bedeutendes, monumentales Aussehen gehabt haben, das man bleibend festzuhalten versucht sein musste; Keinem jedoch kann dieser Gedanke früher und eher gekommen sein, als dem Masken- macher selbst, der ja ein bedeutender und gewiss in hohen Ehren gehaltener Künstler war, — vielleicht zugleich Bildhauer in einer Zeit, die noch so wenig die Kunstgattungen trennte. Ausser dem Theater wurden eine Menge Masken gebraucht bei Aufzügen, Processionen und Festlichkeiten aller Art; wie konnte man dergleichen besser ansagen als durch das Aushängen von Masken an Schnüren oder Laubgewin- den? — An irgend einem Gebäude, das mit solchen Bestimmungen Masken. zusammenhing, am ehesten wohl an einem Theater möchte denn auch die erste aus Stein gemeisselte Maske, zur Verewigung des festlichen Eindruckes angebracht worden sein — wo und wie? können wir schwer errathen; vielleicht als Akroterion (Eckzierde), bald vielleicht auch in vielfacher Wiederholung innerhalb eines Frieses, als Metope einer dorischen Halle. — Doch die Personen der Tragödie, Götter und Menschen der heroischen Zeit, hatten schon eine so bedeutende, rein ideale Stellung als Hauptgegenstände der Kunst, dass ihnen un- ter dieser neuen Form nicht viel abzugewinnen war, und daher darf man sich wohl das Vorherrschen der komischen Masken erklären. Diese eigneten sich vollständig zur Dienstbarkeit unter der Architektur und mussten sich denn auch im Verlauf der Zeit jeglichen Dienst ge- fallen lassen. Zu Wasserspeiern an Gebäuden und zu Brunnenmündungen schickte sich zwar auch die barockste Bildung ihres Mundes nur wenig; das erstere Amt blieb in der guten Zeit wenigstens den Lö- wenköpfen vorbehalten; für das letztere schuf die Kunst eine beson- dere Welt von Brunnenfiguren. Dagegen waren sie mit ihrer dä- monischen Drolligkeit wie geschaffen zu Gluth- und Dampfspeiern in warmen Bädern; in grossem Flachrelief ausgedehnt konnten sie auch mit Augen, Nasenlöchern und Mund das ablaufende Wasser in Bädern wie in Höfen unter freiem Himmel aufnehmen (als Impluvien). Viel- leicht die meisten aber waren blosse freie Decoration an Gebäuden verschiedener Art. Man wird ihren Styl im Ganzen hochschätzen müssen. Sie sind die einzigen Caricaturen, die der hohen Kunst angehören, die Gränz- marken des Hässlichen im Gebiet des Schönen. Desshalb ist hier selbst bei der stärksten Grimasse doch nichts Krankhaftes, Verküm- mertes, Peinliches oder Verworfen-Bösartiges zu bemerken. Was dem Ausdruck zu Grunde zu liegen scheint, ist die vielfach variirte An- strengung des Schreiens, auf eine Reihe komischer Typen übertragen. Meist auf die Ferne berechnet, ist ihre Arbeit flüchtig, derb, energisch; in den neuern Sammlungen demgemäss hoch und fern, an Gesimsen und Giebeln aufgestellt, entgehen sie dem Auge nur zu leicht. Vielleicht die grösste Anzahl findet sich beisammen in der Villa a Albani (untere Halle des Palastes, Vorhalle des Kaffehauses etc.); B. Cicerone. 34 Antike Sculptur. Masken. Medusa. in Massstab und Arbeit meist so gleichartig, dass sie von einem und a demselben Gebäude stammen könnten. — Andere im Vatican (be- b sonders im Hof des Belvedere, auch im Appartamento Borgia). Diese möchten alle als blosse Decoration gedient haben. Als Dampfspeier sind zunächst vier fast vollständige Köpfe im Museum c von Neapel (Marmorwerke, zweiter Gang) zu nennen, ideal, nicht carikirt, und noch von sehr guter Arbeit. Andere Dampfspeier da- gegen zeigen den komischen Ausdruck des Herauspressens der Luft d aus dem Munde; so die rothmarmornen an der Treppe der Villa e Albani und in der Villa Ludovisi (Vorraum), beide im Profil, Flach- relief. Als Impluvium oder Wasserablauf diente die grandiose aber sehr f verstümmelte Bocca della verità in der Vorhalle von S. Maria in Cosmedin zu Rom; wahrscheinlich ein Oceanus. Ebenso eine treffliche g Pansmaske der Villa Albani (Nebenräume rechts). — Ein gutes Hoch- h relief, drei tragische Masken zusammengruppirt, in den Uffizien, zwei- ter Gang. (Auf der Rückseite eine Satyrsmaske in Flachrelief.) Endlich giebt es eine Gestalt des griechischen Mythus, welche nur als Maske vorkömmt: das Tod und Entsetzen bringende, ver- steinernde Gorgonenhaupt, die Medusa . Die ältere Kunst bildete sie als eine Grimasse, die höchstens denjenigen Widerwillen hervor- bringen kann, welchen etwa die Kriegsdrachen der Chinesen erregen mögen. Später aber (durch Praxiteles?) kam derjenige Typus auf, i den wir z. B. in den colossalen vaticanischen Medusenmasken (aus hadrianischer Zeit, im Braccio nuovo) bewundern. Unter den schlangenähnlichen Locken treten gewaltige, breitgebildete Köpfe her- vor, schön und erbarmungslos, zugleich aber selbst von geheimem Entsetzen durchbebt; nur so konnte diese Empfindung auch in dem Beschauer erregt werden. Für die Behandlung des Dämonisch- Schrecklichen in der griechischen Kunst die wichtigste Urkunde. — k Leider findet man an der Treppe des Pal. Colonna in Rom von dem berühmten porphyrnen Colossalrelief eines Medusenhauptes nur noch l den bemalten Gypsabguss. — Medusa im Profil, Hauptsaal der Villa Ludovisi. Im Ganzen haben unter den Masken diejenigen der Komödie, wie bemerkt, das grosse Übergewicht; sie herrschen auch wohl in Komische Schauspieler. Trophäen. Thiere. den pompejanischen Malereien vor. Einzelne Statuen komischer Schauspieler sind gleichsam als eine Weiterbildung der Masken zu betrachten; sie stellen einen Moment einer bestimmten Rolle, z. B. eines Davus, eines Maccus dar, und nicht den berühmten Komiker N. N. in dieser und jener Rolle. (Die besten im obern Gang des Va- a ticans, andere in der Villa Albani, Kaffehaus Letztere zusammen, wenn sie richtig geordnet würden, eine komische Scene vorstellend. [Ansicht Brauns.] ; manche als kleine b Bronzefiguren in den betreffenden Sammlungen.) — Für die Malerei waren ganze Theaterscenen und Proben ein nicht ungewöhnlicher Ge- genstand, wie mehrere antike Gemälde und Mosaiken des Museums von Neapel beweisen (u. a. die beiden zierlichen Mosaiken des Dio- c medes, erster unterer Saal links). In Rom geben die einfachern Mo- saiken am Boden der Sala delle Muse im Vatican einen ziemlich ge- d nauen Begriff von dem Auftreten tragischer Schauspieler. Von andern leblosen Gegenständen hat die römische Kunst bis- weilen die Trophäen mit ganz besonderer Schönheit gebildet, sowohl im Relief (Basis der Trajanssäule) als in runder Arbeit (Balustrade e des Capitols). Die plastische Gruppirung des Unbelebten hat vielleicht f überhaupt keine höhern Muster aufzuweisen als diese. Die Thierbildungen der alten Kunst zeigen eine reiche Scala der Auffassung, vom Heroischen bis zum ganz Naturalistischen. In den edlern und gewaltigeren Thiergattungen lebt eine ähnliche Hoheit der Form wie in den Statuen von Göttern und Helden; in den ge- ringern wird man mehr jene naivsten Züge des Lebens bewundern, die das Thier in seinem Charakter zeigen. — Dieser ganze Kunstzweig muss eine grosse Ausdehnung gehabt haben; von noch vorhandenen Resten ist z. B. die grosse Sala degli Animali im Vatican erfüllt, g und auch im Museo Chiaramonti findet sich Vieles, lauter römische h Arbeiten, die zum Luxus des Hauses, zum Schmuck der Brunnen und Gärten gedient haben mögen. Den Vorzug behaupten natürlich die grossen, monumentalen Thiergestalten. 34* Antike Sculptur. Thiere. Pferde. Die Pferde der antiken Sculptur beweisen zunächst, dass die damalige Pferdeschönheit eine andere war als die, welche die jetzigen Kenner verlangen. Wo Mensch und Pferd beisammen sind, wie z. B. auf den parthenonischen Reliefs, wird man das Thier schon im Ver- hältniss kleiner gebildet finden, aus Gründen des Styles, nicht wegen Kleinheit der Race. Sodann galt eine andere Bildung des Kopfes, des Nackens, der Brust und der Croupe, namentlich aber ein gedrun- generes Verhältniss der Beine für schön, als jetzt. Aus Mangel an Specialkenntnissen kann der Verfasser hierauf nicht näher eingehen; die Denkmäler selbst sind so bekannt, dass sie kaum der Aufzählung bedürfen. Bei weitem das Schönste ist und bleibt wohl der eine par- thenonische Pferdekopf, dessen überall verbreitete Abgüsse man ver- gleichen möge; Alles was zum Ausdruck der Energie, ja des edelsten Feuers dienen kann, ist scharf und wirksam hervorgehoben und in die Hautfläche ein Leben und eine Bedeutung hineingezaubert, der- gleichen bei einem sterblichen Thiere wohl nicht vorkömmt. — Als griechische Arbeit galten bekanntlich lange Zeit die vielgewanderten a vier Bronzepferde über dem Portal von S. Marco in Venedig ; gegenwärtig hält man sie doch nur für römisch, etwa aus neronischer Kunstepoche; jedenfalls gehören sie zu den besten und sind als ein- ziges erhaltenes Viergespann (wahrscheinlich von einem Triumphbogen) b unschätzbar zu nennen. — Die stark restaurirten Pferde der Colosse von Monte Cavallo in Rom sind ohne Zweifel Nachahmungen griechischer Vorbilder wie die Statuen, in ihrem jetzigen Zustand aber nicht massgebend. (Der Kopf des einen sehr ausgezeichnet.) — Rö- mische Pferde erscheinen im Ganzen, neben denjenigen des Phidias und seiner Schule, roh und im Detail wenig oder nur naturalistisch c belebt, in der Bewegung aber bisweilen trefflich. — Im Museum von Neapel verdienen die marmornen Pferde der beiden Balbi (nach mei- nem Urtheil) unbedenklich den Vorzug vor dem (sehr zusammen- d geflickten) ehernen herculanensischen Pferde sowohl als vor dem colossalen ehernen Pferdekopf aus dem Palast Colobrano (Abtheilung der grossen Bronzen); von den ebenda befindlichen bronzenen Sta- tuetten übertrifft das Pferd Alexanders und das freisprengende das- e jenige der Amazone. — In Rom ist das Pferd Marc Aurels auf dem Capitol gut gearbeitet und lebendig bewegt, an sich aber ein Löwen. Hunde. widerliches Thier, ohne Zweifel einem Streitross des Kaisers getreu nachgebildet. — In Florenz (Uffizien, innere Vorhalle) das bei der a Niobidengruppe gefundene Pferd, mittelmässige Decorationsarbeit. — Das 1849 im Trastevere gefundene eherne Pferd, welches vorläufig b im Museo capitolino aufbewahrt wird, habe ich nicht gesehen. Unter den Löwen hat der grösste von den vor dem Arsenal c zu Venedig aufgestellten den Altersvorzug (er stammt bekanntlich aus dem Piräus). Der liegende Löwe, auf der andern Seite der Thür, soll auf dem Wege vom Piräus nach Athen seine Stelle gehabt haben. Er scheint wenig jünger und doch durchgebildeter als der sitzende, hat aber einen modernen Kopf und starke Verletzungen. (Die beiden kleinern gering.) — Als der schönste gilt der schreitende Löwe in Re- d lief, an der grossen Treppe des Palazzo Barberini zu Rom. — Ein schreitender Löwe in vollständiger Figur, von guter römischer Arbeit, e aber durch plumpe moderne Beine entstellt, befindet sich an der Treppe des Museums von Neapel. — Der eine vor der Loggia de’ f Lanzi in Florenz ist wohl besser. (Der andere modern, von Flami- nio Vacca.) — Von einer sehr bedeutenden Gruppe, welche den Sieg des Löwen über das Pferd darstellte, ist diejenige im Hof des Con- g servatorenpalastes auf dem Capitol ein treffliches, nur zu sehr be- schädigtes Exemplar, diejenige im Vatican (Sala degli Animali) ein h schwacher Nachklang; auch die übrigen Löwen dieses Saales sind nicht von Bedeutung. — An gewaltigem Ernst und an grandioser Behandlung möchten die beiden grossen Granitlöwen des ägypti- i schen Museums im Vatican wenigstens alle ruhenden Bildungen dieser Gattung hinter sich lassen. Wo das momentane Leben des Thieres Preis gegeben und seine Bedeutung als Symbol einer gött- lichen Naturkraft hervorgehoben wird, wie im alten Ägypten, da allein sind solche Charaktere möglich. Von den Hunden wurde die grosse derbe Gattung der Mo- lossen mit Vorliebe dargestellt. Nachahmungen eines Werkes dieser Art sind die beiden am Eingang der Sala degli Animali des Vaticans, k und die beiden in der innern Vorhalle der Uffizien, von ungleicher l Güte der Ausführung, aber sämmtlich von grandiosem Ausdruck. (Sie sind nicht als Pendants gearbeitet, wie schon die fast identische Wen- dung beweist.) Sonst genossen die Windhunde am häufigsten das Antike Sculptur. Wölfin. Eber. Rinder etc. a Vorrecht einer plastischen Darstellung. Sehr schön und naiv (in der Sala d. Anim.) die Gruppe zweier Windhunde, deren einer das Ohr des andern spielend in den Mund nimmt. Anderswo (auch in Neapel) einer der sich am Ohre kratzt. b Die bekannte capitolinische Wölfin (Eckzimmer des Conserva- torenpalastes), vom Jahr d. St. 458, pflegt als etruskisches Werk betrachtet zu werden. Die Haare heraldisch, der Leib noch ziemlich leblos, die Beine kräftig und scharf. (Aus dem Mittelalter, in wel- ches man sie aus nicht zu verachtenden Gründen hat verweisen wollen, kann sie doch nicht wohl sein; als die italienische Kunst des XIII. oder XIV. Jahrhunderts ähnliche Beine zu bilden vermochte, bildete sie das Haar nicht mehr heraldisch. Die wichtigsten Ver- gleichungen für diese noch schwebende Frage: der Löwe vor dem Dom von Braunschweig; die Löwen des Niccolò Pisano unter den Kanzeln des Battistero zu Pisa und des Domes von Siena etc.) — c Anspringend und sehr lebendig: die Chimära von Arezzo in den Uf- fizien (Bronzen, zweites Zimmer), mit etruskischer Inschrift; das Haar in symmetrisch gesträubten Büschen. d Zum Allertrefflichsten gehört der florentinische Eber (Uf- fizien, innere Vorhalle); er richtet sich majestätisch auf; seine Borsten kleben buschweise zusammen vom Schweiss und von der Feuchtigkeit seines Lagers und bilden zumal an der Brust einen prächtigen Aus- e druck innerer Kraft. — Das Mutterschwein von Alba (Sala d. Anim.) ist daneben ein sehr geringes Werk. f Von Rindern ist in riesiger Grösse der farnesische Stier (s. d.), doch nur mit starken Restaurationen erhalten. Ausserdem enthält das g Museum von Neapel (grosse Bronzen) ein kleines bronzenes Rind, von mittelguter Arbeit. Die Erinnerung an Myrons berühmte Kuh sucht man, vielleicht vergebens, aus kleinen Bronzen verschiedener Galerien zusammen. h Die beiden niedlichen Rehe des Museums von Neapel (grosse i Bronzen) stehen ziemlich vereinzelt. Der graumarmorne Hirsch im lateranensischen Museum ist ebenfalls eine gute Arbeit. Die Vögel sind für die Freisculptur in Marmor nur ausnahms- weise ein geeigneter Gegenstand; indess ergab sich wenigstens für den Adler mehr als eine Gelegenheit, die nicht zu umgehen war. Von Adler etc. Fabelthiere. den sämmtlichen Darstellungen des Ganymed zeigt allerdings vielleicht keine einzige den Adler mit vollkommenem Lebensgefühl durchgebil- det, wenn es auch an guten Motiven nicht fehlt (S. 468, u. f.). Als Symbol an römischen Denkmalen wurde wieder aus andern Gründen der Adler nur decorativ behandelt. Irgend einmal aber hatte sich die Kunst ernstlich des Königs der Vögel angenommen und ihn auf immer so stylisirt, wie er bis heute plastisch pflegt gebildet zu werden, nämlich mit beträchtlicher Verstärkung der untern Theile (eine Art starkbefie- derter Knie) und mit grossartig umgebildetem Kopf. Eines der besten Exemplare bleibt immer der Reliefadler in der Vorhalle von SS. Apo- a stoli zu Rom. Für den Begriff der quantitativen Ausdehnung, welche diese Thiersculptur erreicht hatte, sorgt, wie gesagt, die Sala degli Ani- b mali. Hier findet sich der Elephant wenigstens in verkleinertem Re- lief, der Minotaurus, von einem Kameel der riesige Kopf, auch das Haupt eines Esels (ohne besondern Humor), mehrere Krokodile, Pan- ther, Leoparden (mit eingelegten Flecken); dann Gruppen des Kampfes und der Beute, wie die von Löwe und Pferd (s. oben), Hund und Hirsch, Panther und Ziege, Bär und Rind etc.; kleine Amphibien und Seethiere, oft von farbigem Marmor; von Vögeln namentlich Pfauen u. a. m. Manches hat den Charakter blosser Spielerei. Ausserdem wird man in den Sammlungen kleiner Bronzen (z. B. Museum von Neapel, drittes Zimmer, Uffizien in Florenz, zwei- c tes Zimmer der betreffenden Abtheilung, sechster Schrank) eine grosse d Anzahl und zwar gerade der schönsten und lebensvollsten Thier- motive vorfinden; am letztgenannten Ort u. a. einen trefflichen Stier mit menschlichem Angesicht, von griechisch scheinender Arbeit. Auch hier giebt sich die antike Kleinsculptur nicht als Fabrikantin artiger Nippsachen, sondern als eine des Grössten fähige Kunst zu erken- nen (S. 496, 497). Eine Anzahl von Thieren konnte ihrer Natur nach bloss in der Malerei und höchstens im Relief zu ihrem Rechte kommen. Diess sind ausser den Fischen die sämmtlichen fabelhaften Wasser- wesen , Seestiere, Seepanther, Seeböcke, Seegreife u. s. w., welche den Zug der Tritone und Nereiden begleiten; die Tritone selbst sind, wie oben (S. 484) bemerkt, aus einem menschlichen Oberleib mit dem Antike Sculptur. Delphine. Reliefs. Untertheil eines Pferdes und einem geringelten Fischschwanz zusam- mengesetzt. Es bleibt hier nur zu wiederholen, dass die Übergänge aus dem einen Bestandtheil in den andern so meisterlich unbefangen und die Verhältnisse der Bestandtheile zu einander so wohl abgewo- gen sind, dass der Beschauer, weit entfernt etwas Monstruöses darin zu finden, an das Dasein solcher Wesen zu glauben anfängt. Der Delphin , sehr häufig als Brunnenthier, auch als Begleiter der Venus dargestellt, ist unter den Händen der Kunst zum „Fisch an sich“, zum allgemeinen Sinnbild der feuchten, bewegten Tiefe ge- worden, und hat mit dem wirklichen Delphin nicht einmal eine flüch- tige Ähnlichkeit Der den Eros umschlingende Delphin im Museum von Neapel (Halle des Ado- nis) ist eines der wenigen Absurda der antiken Kunst. . Dieser gehört zu den formlosesten Fischen; wer ihn im Mittelmeer nicht zu sehen bekommen hat, kann sich hievon a z. B. in der Naturaliensammlung der Specola in Florenz überzeugen, deren vortrefflich ausgestopfte Thiere für mehrere Punkte unseres Capitels zur entscheidenden Vergleichung dienen mögen. Wenn wir hier die wichtigern Reliefs in kurzer Zusammen- stellung auf die Statuen folgen lassen, so geschieht diess nur des beschränkten Raumes wegen. Abgesehen von seinem unschätzbaren mythologischen Werthe hat das antike Relief das Höchste was die Kunst je in diesem Zweige leisten kann, völlig erschöpft, sodass alles Seitherige daneben nur eine bedingte Geltung hat. — Die höchste Gattung, die Friese und Metopen griechischer Tempel, wie sie das brittische Museum besitzt, darf man in Italien freilich nur in Gestalt von Abgüssen suchen (zu Rom im Museum des Laterans, zu Florenz in verschiedenen Räumen der Academie etc.), aber auch nicht über- sehen; die römischen Friessculpturen sind daneben selbst im besten Falle nur von untergeordnetem Werthe. Dagegen hat die Kunst- liebhaberei der Römer eine beträchtliche Anzahl einzelner, meist klei- nerer Werke aus Griechenland hergeschleppt oder von griechischen Innere Gesetze des Reliefs. Künstlern in Rom und Italien arbeiten, auch wohl copiren lassen. Es sind Tafeln, runde und viereckige Altäre und Piedestale, runde Tem- pelbrunnen (röm. Name: Puteal), Basen von Dreifüssen, Marmorvasen u. s. w. Von den im sog. Tempelstyl gearbeiteten, welche einen nicht geringen Theil der Gesammtzahl ausmachen, haben wir oben des Beispiels halber einige genannt; ungleich wichtiger sind immer die Werke des entwickelten griechischen Styles. Um die Entstehung dieser Darstellungsweise zu begreifen, wird man sich einen architektonischen Rahmen hinzudenken müssen. Es ist die Sculptur in ihrer Abhängigkeit von den Bau- werken , die sie schmücken aber nicht beherrschen soll Das Extrem des Missbrauches siehe S. 385. . An den griechischen Tempeln nun rief der Aussenbau mit seinen starken, scharfschattigen Formen das Hochrelief hervor, welches die mensch- liche Gestalt bis zu drei Viertheilen heraustreten lässt; an der Innen- seite der Halle dagegen und an der Cella fand das Basrelief in dem gemeinsamen Halblicht seine Entstehung. Eine scharfe Scheidung zwischen beiden darf man natürlich bei spätern Werken, die ohne specielle Rücksicht auf bauliche Aufstellung entstanden sind, nicht verlangen. Ein weiteres architektonisches Gesetz, welches im Relief lebt, ist die Beschränkung des darzustellenden Momentes auf wenige, möglichst sprechende Figuren, welche durch Entfernung oder deut- liche Contraste auseinander gehalten werden. Die Vertiefung des Raumes wird nur sehr beschränkt angenommen, die Verschiebung der Gestalten hintereinander nur mässig angewandt. Zur römischen Zeit glaubte man das Relief durch masslose Aufschichtung von Figuren, durch Annahme mehrerer Pläne hinter einander zu bereichern, wobei jene Unzahl von Arbeiten entstand, die man nur betrachten mag so lange nichts Griechisches daneben steht. Die Bezeichnung des Örtlichen ist entweder eine kurz andeu- tende, welche durch einen Pfosten ein Haus, durch einen Vorhang ein Zimmer markirt, oder eine symbolische, welche das Wasser durch eine Quellgottheit, den Berg durch einen Berggott persönlich macht. Ausgeführte Darstellungen von Landschaften und Gebäuden, perspecti- Antike Sculptur. Reliefs. visch geschoben, giebt das Relief (seltene Ausnahmen abgerechnet) nicht vor dem XV. Jahrhundert. (Ghiberti’s zweite Bronzethür am Battisterio von Florenz; die Scuola di S. Marco in Venedig, mit den Sculpturen der Lombardi etc.) In der Darstellung der Figuren fand die griechische Kunst nach längerm Suchen zwischen Profil und Vorderansicht diejenige schöne Mitte , welche bei der lebendigsten Profilbewegung doch den Körper in seiner Fülle zu zeigen und namentlich den Oberleib auf das Wohlthuendste zu entwickeln wusste. Die freistehende Giebelgruppe wird die Lehrerin des Reliefs; ihre Fortschritte sind gemeinsam Die schwierige Frage der Verkürzungen , welche vielleicht nicht absolut lösbar ist, wurde auf sehr verschiedene Weise gelöst, bald durch wirkliches Heraustreten der betreffenden Theile, bald durch ver- stecktes Nachgeben. Starke Verstümmelungen verhindern oft jedes unbedingt sichere Urtheil. Das durchgehende Grundgesetz des Reliefs ist, wie man sieht, die grösste Einfachheit . Die Mittel der Wirkung sind hier so be- schränkt, dass das geringste Zuviel in Schmuck, Kleidung, Geräthe u. s. w. den Blick verwirrt und das Ganze schwer und undeutlich macht. — Wir wählen nun aus der Masse des Vorhandenen nur die- jenigen Werke aus, welche diese höhern Bedingungen deutlich er- füllt zeigen, nämlich die griechischen und die nahen und unverkenn- baren, auch mehrfach vorkommenden Nachbildungen von griechischen. Der Bequemlichkeit des Auffindens zu Liebe mögen sie nach den Ga- lerien geordnet folgen; die Anordnung nach dem Styl oder nach den Gegenständen würde in einer Kunstgeschichte den Vorzug verdienen. a Im Vatican : Museo Chiaramonti, am Anfang: ein sitzender Apoll; gegen das Ende: wandelnde bacchische Frauen . b Belvedere, im Raum des Apoll: die zwei Tempeldienerinnen mit herrlich wallenden Gewändern, einen widerspänstigen Opferstier führend. c Galeria delle Statue: Mehreres Treffliche, u. a. zwei Reliefs von griechischen Grabmälern. (Auch ein modernes Werk, vorgeblich von Michel Angelo.) Köstliche Fragmente in die Piedestale mehrerer Sta- tuen eingemauert. Reliefs. Gabinetto delle Maschere: Der trunkene Bacchus; — ein Opfer , a letzteres von schöner griechischer Arbeit. (In der anstossenden Loggia b scoperta, welche man sich kann öffnen lassen, einige Fragmente von Werth und ein ganz origineller Bacchuszug mit Centauren, die sich gegen das Aufsitzen von Satyrn wehren.) Sala delle Muse: Der Tanz der Kureten; — die Pflege des jun- c gen Bacchus. — (Aus später römischer Zeit: Fries mit Kämpfen der Centauren und Lapithen, ungeschickte Nachahmung griechischer Tem- pelmetopen der Blüthezeit; statt der Triglyphen Bäume). Oberer Gang: Zwei schöne, grossentheils restaurirte bacchische d Vasen; an der einen tanzende Kureten und ein Satyr; an der andern weinkelternde Satyrn und ein aufspielender Silen. U. A. m. Grosser und nächstfolgender Saal des Appartamento Borgia: Das e runde Puteal aus der Sammlung Giustiniani, mit der umständlichen Darstellung eines Bacchanals, römische, vielleicht moderne Arbeit nach guten Motiven; — Nymphe, ein Satyrkind tränkend; — vorgeblicher Hippolyt mit Phädra (ein Grabrelief von griechischer Erfindung), u. A. m. Im Museo capitolino : Zimmer der Vase: Die Einnahme von f Ilion, Miniaturrelief in feinem Stucco [Br.]: Aus einem Stein, welcher zwischen dem Marmor und dem lithographi- schen Muschelkalk in der Mitte steht. , mit zarten griechischen In- schriften; vielleicht als Geschenk für einen fleissigen Knaben oder zum Memoriren für ein vornehmes Kind gearbeitet, ähnlich wie die Apo- theose des Herakles in der Villa Albani (s. unten). Obere Galerie: Treffliche Vase mit Bacchanten, in Form eines g Eimers. — Runde Ara mit schreitenden Götterfiguren im Tempelstyl, jetzt der grossen Vase (Seite 67, i) als Basis dienend. Grosser Saal: Altar mit der Geschichte des Zeus (als Basis h des riesigen Herakleskindes); die erhaltenen Theile vom besten Relief- styl, obwohl kaum griechisch. Philosophenzimmer: Mehreres Gute, u. a. die Bestattung der Leiche i eines Helden. (Meleager? — dasselbe in grösserm Massstab im Hof k des Palazzo Mattei, rechts, oben.) Kaiserzimmer: Die Befreiung der Andromeda; — der schlafende l Endymion (s. unten bei der Sammlung Spada). Antike Sculptur. Reliefs. a Erstes unteres Zimmer: Ara mit den Thaten des Hercules, je drei auf einer Seite, römische Arbeit zum Theil nach alten griechischen Motiven. b In der Villa Albani : Untere Halle des Palastes: der gestürzte Kapaneus (?), spätrömisch nach einem trefflichen griechischen Urbild; eine sehr verwitterte runde Ara mit den einfach schönen Gestalten der verhüllten Horen , die einander am Zipfel des Schleiers fassen. c Treppe: Die schon (Seite 440, e) geschilderte Roma; — Artemis, drei Niobiden verfolgend; — Philoktet (?). d Runder Saal: Die schöne Marmorschale mit dem Gefolge des Bacchus im Hochrelief, dem Raum gemäss lauter liegende und leh- nende Figuren von unbeschreiblicher Frische der Erfindung. e Zimmer des Äsop: Die Apotheose des Herakles, von feinem Stucco mit Miniaturinschriften, wie das capitolinische Relief; — Satyr und Bacchantin , öfter vorkommende Motive rasender bacchischer Be- wegung, von grösster Schönheit. f Zimmer der Reliefs: Die Kämpfer , ein vom Pferde gesprun- gener tödtet einen auf der Erde liegenden. Von allen Reliefs italie- nischer Sammlungen ist dieses in Rom selbst ausgegrabene Werk vielleicht das einzige, welches unmittelbar an Phidias und seine Schule erinnert; mit allen Verstümmelungen übertrifft es an grandiosem Styl und Lebensfülle bei Weitem Alles, was sonst von dieser Gattung in Italien vorhanden ist. — Aphrodite auf einem Seepferd; — zwei sprin- gende Satyrn; u. A. m. g Hauptsaal: Herakles bei den Hesperiden; — Dädalus und Icarus; Ganymed den Adler tränkend, gute römische Arbeiten; u. A. m. h Im anstossenden Zimmer: Zethus, Antiope und Amphion , s. d. Museum von Neapel, S. 541, h. i Nebenräume des Palastes zur Rechten: Artemis und eine weib- liche Figur; — eine Familie, Mann, Frau und Sohn; — opfernde Mutter mit drei Kindern ; — Dädalus und Icarus (hier von ro- them Marmor); — eine grosse Schale mit den Arbeiten des Herakles, welche wie die dürftige Nachahmung etwa eines Tempelfrieses aus- sehen; — zwei einzelne Figürchen, vielleicht Palästriten. k Im sog. Kaffehaus: Theseus, durch Ägeus als Sohn erkannt, spät- römisch nach griechischer Erfindung. Reliefs. In der Villa Borghese : Hauptsaal: Die beiden Reliefs mit a Pan und Satyrn. Zimmer der Juno: Cassandra, spätrömisch nach bester griechi- b scher Erfindung. Mehreres Treffliche. Zimmer des Herakles: Schöne Vase, mit der Reliefdarstellung c eines Tanzes nackter Kureten und verhüllter Frauen; Pan musicirt. In der Villa Ludovisi : Hauptsaal: das Urtheil des Paris, d grosses Relief nach griechischen Motiven. Im Palast Spada zu Rom, zweiter unterer Saal: Acht grös- e sere Reliefs , wozu noch die beiden im Kaiserzimmer des Museo capitolino gehören; sämmtlich von bester römischer Arbeit und den edelsten, lebendigsten Motiven, doch mehr malerisch als plastisch em- pfunden und vielleicht Nachbildungen von Gemälden. Andeutungen hievon: das starke Heraustreten einzelner Glieder, die Menge der Bei- werke, auch die weit vertieft gedachten Hintergründe. In der Villa Medici : eine Anzahl guter Relieffragmente nebst f geringern, an der Hinterwand gegen den Garten. Im Eingang zum Pal. Giustiniani : zwei gute Grabreliefs, sog. g Todtenmahle. Im Museum von Neapel : Nebenraum des dritten Ganges: h Orpheus, Eurydice und Hermes , schöne griechische Arbeit, stark verletzt; nicht der Ausführung, aber dem Inhalt nach identisch mit jenem etwas geringern Relief der Villa Albani, wo die Namen Zethus, Antiope und Amphion beigeschrieben sind, nach einem dritten Exemplar im Louvre, welches sie in antiker aber lateinischer Schrift enthält. Durch den Zweifel über den eigentlichen Inhalt verlieren wir einigermassen das Interesse an diesem für die Reliefbehandlung classischen Werke; ist aber wirklich das kurze Wiedersehen und der letzte Abschied Eurydicens dargestellt, so giebt die ungemeine Mässi- gung und leise Abstufung des Pathos in den drei Gestalten viel zu denken. — Eine Nymphe , die einen zudringlichen Satyr abwehrt, leider fast zur Hälfte neu; — mehrere griechische Grabreliefs, nicht von den besten, doch als Repräsentanten dieser in italienischen Samm- lungen seltenen Gattung zu schätzen, so das des Protarchos etc.; — verkleinerte, römische Nachahmung der Basis eines griechischen Sie- gesdenkmals (Tropäons) mit zwei Karyatiden und einer sehr nied- Antike Sculptur. Reliefs. a lichen, sitzenden Figur „Siegeszeichen zu Ehren von Hellas, nach Besiegung der Karyaten“ — so lautet die Inschrift. Die Frauen des besiegten Volkes, also die Karyatiden, wurden, wie an neuern Denkmälern z. B. Sklaven und Überwundene, als Stützfiguren für das Obergesimse der Basis behandelt. Wahrscheinlich war das Original-Tropäon ein sehr bekanntes und berühmtes, so dass „Karyatide“ der Gattungsname für die Stützfiguren überhaupt werden konnte. Vgl. S. 467. ; — Zeus auf einem Thron mit Sphinxen; — Orest in Delphi, römisch nach einem trefflichen Original; — eine An- zahl von Marmorscheiben (disci) mit flüchtigen, aber zum Theil schön gedachten flachen Reliefs; — Stück aus einem bacchischen Thiasos mit den öfter vorkommenden Motiven der Bacchantin mit Tamburin und eines Satyrs mit Flöten; der folgende Satyr meist ergänzt; — sodann eines der herrlichsten bacchischen Reliefs, welche überhaupt vorhanden sind: der bärtige Dionysos hält Einkehr bei einem zechend auf dem Ruhebett gelagerten Liebespaar; ein Satyr stützt ihn, ein anderer zieht ihm die Sandalen ab; draussen vor der Thür des Hauses Silen und die übrigen Gefährten des Gottes; — endlich ein kleines sehr liebenswürdiges Werk: der Ritt durch die Nacht (Jüngling und Bacchantin mit Fackeln zu Pferde, ein Führer voran). b Halle des Jupiter: Helena wird von Aphrodite unter dem Schutz der Peitho (Göttin der Überredung) bewogen, dem Paris zu folgen, welcher mit Eros sprechend gegenübersteht; sehr schöne, wenn auch nicht frühe griechische Arbeit; — Bacchus mit einem Theil seiner Be- gleiter, griechisches Motiv von unbedeutender Ausführung. c Halle der Musen: Die berühmte Vase von Gaeta , mit dem Na- men des Künstlers: Salpion von Athen; fast lauter auch sonst bekannte Motive (Hermes, welcher der Leukothea das Bacchuskind übergiebt — an ein Relief der Sala delle Muse im Vatican erinnernd; die lehnende halbnackte Bacchantin — aus einem Relief der Villa Albani; zwei Satyrn und die tanzende Bacchantin — aus dem eben erwähnten Re- lief des dritten Ganges im Museum von Neapel; ausserdem Silen und eine Bacchantin mit Thyrsus). Die Ausführung, obwohl trefflich, hat doch etwas Conventionelles; die starken Verstümmelungen rühren aus der Zeit her, da das Gefäss als Pflock für die Schiffseile diente. — Herrliches bacchisches Hochrelief von kleinem Massstab; — Flachrelief von sieben weiblichen Figuren. Reliefs. Halle des Adonis: (Als Basis einer Venus) Puteal von tüchtiger a römischer Arbeit, mit weinbereitenden Satyrn. Abtheilung der Terracotten, viertes Zimmer: Kleine Reliefs in ge- b brannter Erde, gefunden zu Velletri, einen alt-volskischen Styl re- präsentirend. In den Uffizien zu Florenz : Verbindungsgang: Runde Basis c mit der Vorbereitung zu Iphigeniens Opfer, flüchtige, etwa spätgrie- chische Arbeit (bez. Kleomenes); — kleine dreiseitige Basis (über einem prächtigen Dreifuss aufgestellt, zu welchem sie nicht gehört) mit drei Gewandfiguren schönen griechischen Styles. Erster Saal der Malerbildnisse: Die berühmte mediceische d Vase mit dem Relief von Iphigeniens Opfer; stark restaurirt, die Ar- beit der unberührten Theile ungefähr wie an der Vase von Gaeta; die Composition hochbedeutend in wenigen Figuren concentrirt. Halle der Inschriften: Das grosse Relief der drei Elemente, noch e von mittelguter römischer Arbeit. Halle des Hermaphroditen: Reliefdarstellung eines Rundtempels, f sachlich merkwürdig wegen des Gitterwerkes, welches die Säulen ver- bindet; — drei Bacchantinnen mit Zicklein, Thyrsus etc., ein öfter vorkommendes griechisches Motiv; — Dionysos in Delphi (?), schöne, vielleicht griechische Arbeit; — kleinere Wiederholung des vaticanischen Reliefs der beiden Tempeldienerinnen mit dem Stier (s. Belvedere, Raum des Apoll); — Genius, den Donnerkeil Jupiters schleppend, gut römisch; — römisches Opfer eines Feldherrn, haupt- sächlich durch die unberührte Erhaltung interessant; — drei wan- delnde bacchische Frauen , denjenigen im Museo Chiaramonti entsprechend. Im Camposanto zu Pisa : N. 56 lebensgrosses römisches Re- g lief einer Wöchnerin und einer Amme mit dem Säugling, decorativ gute Arbeit; — N. 52 verwitterte Marmorvase mit bacchischen Re- liefs, von flüchtig conventioneller, aber noch spätgriechischer Aus- führung und sehr schöner Erfindung. Im Museo lapidario zu Verona : eine bedeutende Anzahl h von Sculpturen, worunter mehrere gute Sepulcralreliefs. Im Dogenpalast zu Venedig : Sala de’ rilievi: mehrere kleine i Sepulcralreliefs von geringer Ausführung, aber zum Theil griechisch Antike Sculptur. Reliefs römischer Denkmäler. a scheinender Erfindung; in demjenigen mit Attis und Cybele z. B. eine sehr schöne Dienerin; — treffliches römisches Relief einer Seeschlacht in reichfigurirten Schiffen; — Putten mit den Waffen des Mars, rö- misch; — ausgezeichnete vierseitige Ara mit bacchischen Scenen von nur flüchtiger römischer Arbeit, aber schön erfunden. — Camera b a letto: drei Horen mit verschlungenen Händen eine Herme umschrei- tend, vielleicht altgriechisch, in römischer Zeit als Fussgestell für eine marmorne Cista benützt; — dreiseitiger Untersatz mit vortrefflichen c bacchischen Figuren. — Corridojo: zwei Dreifussbasen mit dem be- kannnten römischen Motiv waffenschleppender Genien. (Zwei andere mit Hierodulen scheinen verdächtig.) Nach diesen Schätzen zum Theil ersten Ranges folgen eine An- zahl Arbeiten, welche wenigstens einen Vorzug, nämlich das feste Datum, vor ihnen voraus haben: die Sculpturen der Kaiser- bauten in Rom. Schon überfüllt, doch noch von schöner und nobler Arbeit: die d Bildwerke des Titusbogens , namentlich die beiden Reliefs mit dem Triumphzug wegen Judäa’s; in den Bogenfüllungen die schönsten e schwebenden Victorien Noch früher, höchst wahrscheinlich von einem Triumphbogen des Claudius: die Relieffragmente in der Vorhalle der Villa Borghese; aus der Zerstörung leuchten noch Züge der grössten Schönheit hervor. . — Am Forum des Nerva (oder Domitian) Hochreliefs von tüchtiger, energischer Zeichnung, auf die Ferne be- rechnet. — Aus Trajans und Hadrians Zeit: die sehr ausgezeich- f neten ältern Bildwerke am Constantinsbogen , zumal die Kampf- scenen, doch ebenfalls nicht mehr rein im Geiste des Reliefs gedacht; (diejenigen des Bogens von Benevent sind dem Verfasser nur aus g Abbildungen bekannt;) — die ungeheure Spirale der Trajanssäule , durchweg trefflich gearbeitet und reich an einzeinen der besten Zeit würdigen Motiven, doch als Gesammtaufgabe in hohem Grade geeig- net, das nur an einer unvergleichlichen Mythologie grossgewachsene Relief durch tödtlich trockene historische Erzählung gleichartiger Facta h auf immer zu ermüden. — Vom Forum Trajans stammen ein paar herr- liche Friesstücke (Genien in halber Figur mit Arabesken, sowie Greife Reliefs römischer Denkmäler. und Gefässe) und ein gutes Relieffragment im grossen Saal des Appar- a tamento Borgia (Vatican). Von einem Gebäude aus trajanischer Zeit: vier Stücke einer Procession , in den Uffizien zu Florenz (äussere b Vorhalle); abgesehen von der Überfüllung, welche sich in diesen Flach- arbeiten besonders empfindlich macht, von ausserordentlicher Schön- heit; vielleicht gehört das herrliche Hochrelief eines Stieropfers, wel- ches dabei aufgestellt ist, in dieselbe Kunstepoche. — Aus der Zeit Marc-Aurels : die schon beträchtlich geringern und überdiess schlech- c ter erhaltenen Reliefs der Antoninssäule und die fleissigen, aber etwas leblosen Sculpturen wahrscheinlich von einem Triumphbo- d gen , jetzt an der Treppe und in der obern Halle des Conservato- renpalastes auf dem Capitol eingemauert; weit das beste darunter ist die Apotheose einer Kaiserinn, entweder der ältern oder der jüngern Faustina Dieses und das gegenüber angebrachte Relief, Marc Aurel als Redner, stam- men von einem ganz andern Denkmal, dem zerstörten Arco di Portogallo, her. [Br.] . An der Basis des Denkmals des Antonius Pius, jetzt im e Giardino della Pigna des Vaticans, ist die Apotheose des Kaisers (rituell nach ältern Vorbildern) ebenfalls auffallend besser als die Reiterschaaren zu beiden Seiten. — Am Bogen des Septimius Se- f verus : Alles von abschreckender Überfüllung und Ungeschicklichkeit; die Heereszüge im Zickzack angeordnet; — der gleichzeitige Bogen g der Goldschmiede blosse Steinmetzenarbeit. — Am Constantinsbo- h gen tritt in Allem, was nicht vom Bogen Trajans geraubt ist, der offene Bankerott des Reliefs und der Sculptur überhaupt zu Tage; puppenhafte Ungeschicklichkeit des Einzelnen und eine völlig leblose Anordnung. Ebenso in den Porphyrsärgen der Helena und i Constantia . (Vatican, Sala a croce greca.) Überblickt man diesen traurigen Gang der Kunst im Ganzen, so wird es recht klar, wie wenig Geschichtliches als solches dem Relief darf zugemuthet werden. Man rechne einmal unter all den Thatsachen, welche in diesen Siegesdenkmälern verherrlicht sind, diejenigen zu- sammen, in welchen ein sinnlich wahrnehmbarer dramatischer Moment durch die Hauptpersonen selbst dargestellt ist, und keine blosse Ce- remonie, kein blosses Obercommando; man zähle die Scenen, welche B. Cicerone. 35 Antike Sculptur. Sarcophage. sich einigermassen durch Abwechselung von Geschlecht, Alter und Charakteren in dieser sonst auf so abgemessene Mittel beschränkten Gattung annehmbar machen liessen; — und es werden ihrer nur we- nige sein. Man vergleiche diese Bilder dacischer und parthischer Kriege mit den Kampfschilderungen der Ilias, und man wird inne werden, wie schön hier der Dichter seine einzelnen Momente isolirt und gleichsam in hoher Ahnung für eine künftige Kunst vorbereitet hat. Der siegende Imperator dagegen verlangte seine und seines Heeres Thaten in möglichster Wirklichkeit vor sich zu sehen, und unter solch einer lastenden Masse des äusserlich Gegebenen mussten sich auch die keineswegs sparsam angebrachten symbolischen Zutha- ten und Beziehungen gänzlich verlieren Die Abgüsse von einzelnen Theilen der Spiralsäulen und andern der ge- * nannten Monumente in der Academia di S. Luca (Treppe) und in der Aca- démie de France sind dem Auge viel erreichbarer als die Originale. . Eine besondere Gattung von erhobenen Arbeiten, diejenigen an den wahrhaft unzähligen Sarcophagen , dürften wir ganz mit Still- schweigen übergehen, wenn der absolute Kunstwerth einer Arbeit allein entschiede. Diese Steinsärge sind nämlich fast ohne Ausnahme Werke der Kaiserzeit, und zwar seit dem II. Jahrhundert n. Chr., indem erst damals die Leichenverbrennung ausser Gebrauch zu kom- men anfing. Die Behandlung des Einzelnen ist nur an wenigen dieser Denkmäler wirklich gut zu nennen, an vielen dagegen mittelmässig und an der grossen Mehrzahl kümmerlich. Allein abgesehen von ihrer doppelten religionsgeschichtlichen Bedeutung (indem sie erstens eine Fülle griechischer Mythen und zweitens in diesen Mythen oft Be- ziehungen auf die Unsterblichkeit enthalten), besitzen viele davon auch einen hohen indirekten Kunstwerth. In diese engen Räume sind viel- leicht Erinnerungen und Nachklänge aus griechischen Freigruppen, Giebelgruppen und Tempelfriesen zusammengedrängt; ganz befremd- lich blicken bisweilen die schönsten Gedanken griechischer Composi- tion hinter der befangenen Ausführung hervor. Sodann gewinnen wir fast nur hier (abgesehen von den griechischen Reliefs des brittischen Sarcophage. Museums) einen Begriff von der fortlaufenden Erzählung Die eben bezeichneten Sculpturen der Kaiserbauten geben diesen Begriff auch, aber wir sahen auf wessen Unkosten und in wie unreiner Gestalt. , welche dem ausgedehntern Relief eigen ist, von der höchst unbefan- genen Vereinigung mehrerer Momente zu einer Geschichte. Als Er- gänzung muss man sich allerdings die Allbekanntheit der Gegenstände hinzudenken; immerhin aber gehörte die Gleichgültigkeit des antiken Menschen gegen alle gemeine Illusion und sein offenes Auge selbst für den leisesten symbolischen Wink dazu, um an den vorausgesetz- ten Verschiedenheiten von Zeit und Ort — nicht bloss auf einem und demselben Bilde, sondern in einer und derselben vordern Fläche — keinen Anstoss zu nehmen. Wir lassen einige von denjenigen Sarcophagen, welche in den angedeuteten Beziehungen vorzüglich bezeichnend sind, nach den Auf- bewahrungsorten folgen. Im Vatican : Belvedere, im Gemach des Laocoon: der Triumph a des Bacchus als Siegers über Indien, eine der vollständigsten Dar- stellungen dieser Art (S. 483). — Zwischen dem Laocoon und dem Apoll: einer der besten Nereidensarcophage . Im Hof und in b allen einzelnen Räumen des Belvedere Sarcophage aller Art, welche die geläufigern Mythen vollständig umfassen mögen. Im obern Gang: Niobidensarcophag , welcher ahnen lässt, c wie wenig oder wie viel diese Reliefs sich nach den berühmten Sta- tuengruppen richteten; man bemerke die Anwesenheit der Amme bei den Töchtern und des Pädagogen bei den Söhnen; am Rande des Deckels die schön gruppirten Leichen der Getödteten. — Bacchus der die Ariadne findet; — Luna besucht den schlafenden Endymion; — beide von bester Erfindung. Im Museo capitolino : unterer Gang: ein (absichtlich sehr d zerschundenes) Bacchanal mit schön bewegten Figuren; — die Ge- schichte Meleagers, hier gut und verhältnissmässig früh. Untere Zimmer: eine der schon (S. 490) genannten Schlachten e von Griechen oder Römern und Barbaren, am Rand des Deckels Leichen, Gefangene, trauernde Weiber, Trophäen; — der colossale Sarcophag mit der Geschichte des Achill; angeblich das Grab des 35* Antike Sculptur. Sarcophage. Alex. Severus, dessen anderweitig bekannte Züge indess der einen auf dem Deckel liegenden Gestalt nicht entsprechen. a Zimmer der Vase: zwei Kindersärge, der eine mit dem schönsten vorhandenen Relief der Endymionssage , der andere spät, aber sachlich höchst merkwürdig durch die Darstellung der Schicksale der Menschenseele. (Prometheus, Pallas, Nemesis etc.) — Ausserdem ein guter Bacchuszug. b Obere Galerie: Geburt und Erziehung des Dionysos , zum Theil von den allerbesten Motiven. c Zimmer des Fauns: Kampf zwischen Griechen und Amazonen, am Deckel die Gefangenen, spätes, aber sehr gut erhaltenes Exem- plar; — guter und früher Nereidenzug; — reicher und später Endy- mionssarcophag. d Kaiserzimmer: der schon erwähnte Musensarcophag , nach- weisbar zum Theil nach einer Sammlung von Musenstatuen gearbeitet, was von andern Sarcophagen dieses Inhalts nicht immer gilt. e In der Villa Albani eine grosse Anzahl. Wir nennen nur die wichtigsten, am Ende der Nebengalerie rechts: die Götter bringen Peleus und Thetis Hochzeitsgeschenke, gute Arbeit nach reinen und einfachen Motiven der Blüthezeit. — Tod der Alceste; — ein Me- leagersarcophag , vielleicht der beste. f In der Villa Borghese : Vorhalle: eine der oben erwähnten Schlachten zwischen Griechen oder Römern und Barbaren; — Abschied und Tod eines Jägers. g Junozimmer: ein sehr später Musensarcophag, welcher jedoch die Musen nach dem alten, feierlich-schönen Typus darstellt. h Herakleszimmer: grosser, in zwei Theile getrennter Sarcophag mit den zwölf Arbeiten des Helden, in besondern, durch Säulchen geschiedenen Abtheilungen. i Im Palazzo Corsini zu Rom: erster Saal: einer der schönsten Nereidensarcophage , im Einzelnen vielleicht nicht ohne leben- dige Nachklänge aus einer berühmten Gruppe des Skopas, in welcher die Meergottheiten dargestellt waren, die den vergöttlichten Achill nach Leuke, der Insel der Seligen führten. (Dieses Werk befand sich zur Zeit des Plinius in Rom.) Solche Züge von Tritonen und Ne- reiden offenbaren trotz des ernsten, fast wilden Ausdruckes der männ- Sarcophage. lichen Gestalten (S. 484), in der Bewegung einen wahrhaft bacchischen Charakter. An den vielleicht über hundert Sarcophagen dieses In- haltes, und zwar selbst an den geringsten Exemplaren (mehrere in a der Galeria lapidaria des Vaticans) wird man immer einzelne Motive von ausserordentlicher Schönheit, namentlich in der Verbindung der Gestalten finden. Im Palazzo Farnese : grosser Saal: ein schöner Amazonen- b kampf; — ein besonders reicher bacchischer Sarcophag , dessen Vorderseite dem verdorbenen im untern Gang des Museo capitolino ziemlich genau entspricht. Im Palazzo Mattei : in den Höfen und der offenen Loggia: c unter einer grossen Anzahl von Sarcophagplatten einige gute. — Ebenso d im Hof von Palazzo Giustiniani . Im Museum von Neapel : Halle des Jupiter: guter Bacchus- e zug, zum Theil von sehr burlesken Motiven; — eine Anzahl geringerer Sarcophage. — Zweiter Gang: ein trefflicher, aber sehr zerstörter f Amazonensarcophag , mit Reliefs auf allen vier Seiten; vielleicht eines der frühsten Werke dieser Art. Im Dom von Amalfi : ein Sarcophag mit dem Raub der Pro- g serpina, als griechische Arbeit geltend. In S. Chiara zu Neapel (links): ein Sarcophag mit der Ge- h schichte der Alceste, aus guter römischer Zeit. In S. Lorenzo fuori le mura bei Rom (rechts vom Portal): i Sarcophag mit einer römischen Vermählung, merkwürdig durch Grösse und Vollständigkeit. In S. Vitale zu Ravenna : der schöne Sarcophag mit der k Apotheose des Augustus , am Eingang zur Sacristei. Im Dom von Cortona (links): ein schöner und früher Sar- l cophag mit Centaurenkämpfen. In den Uffizien zu Florenz : erster Gang: das Leben eines m Römers, Horoscop, Erziehung, Vermählung, Opfer, Kinderzucht, Jagd- und Kriegsleben, sachlich interessant; — Phaëtons Fall; — die Ent- führung der Leukippiden , römische Arbeit nach einem grie- chischen Original, einfach und dabei prächtig belebt; — acht Arbeiten des Herakles auf Einer Fläche (ein ähnlicher, roherer, folgt weiter in Antike Sculptur. Sarcophage. a demselben Gang, ein anderer steht im Garten Boboli); — eine grosse Anzahl geringerer Sarcophage nach bekannten Motiven. b Im Camposanto zu Pisa : eine sehr grosse Anzahl Sarco- phage aller Style, von den Pisanern von nah und fern zusammen- geholt, um als Särge für die Ihrigen zu dienen, deren Namen oft dareingemeisselt zu lesen sind. Von erstem Werthe ist wohl nichts darunter; das Beste geben: II. Sarcophag mit einer Schlacht; — V. ein altchristlicher Sarcophag mit dem guten Hirten, aus dem drit- ten wenn nicht zweiten Jahrhundert; — VIII. gutes bacchisches Fragment (mit Centauren); — XX. schöner starkverwitterter Bac- chuszug ; — XXI. Geschichte von Phädra und Hippolyt, gut spät- römisch, mit der Asche der Gräfin Beatrix von Toscana, Mutter der berühmten Mathildis; — XXIX. bacchischer Sarcophag mit der Grab- inschrift Camurenus Myron; — XXXI. Sarcophag mit grossem Schlacht- relief, etwa gleichzeitig mit der Basis der Antoninssäule im Gardino della Pigna des Vaticans. — U. a. m. — Einige von diesen Särgen, die schon vor der Erbauung des Camposanto in Pisa gewesen sein müssen, dienten dem Niccolò Pisano zur Grundlage für seine (kurze) Wiederbelebung des antiken Styles. c Im Dogenpalast zu Venedig : Sala de’ Rilievi: einer der besten und merkwürdigsten Niobidensarcophage (S. 506, *). Die Sammlungen von Gemmen und Münzen , an welchen Ita- lien nach allen Plünderungen noch so reich ist, müssen wir trotz ihres hohen künstlerischen Werthes gänzlich übergehen, weil ihre Zugäng- lichkeit und die dadurch mit bedingte Theilnahme des Reisenden in einem allzu ungleichen Verhältniss zu diesem Werthe steht. Doch muss wenigstens im Allgemeinen mit Nachdruck auf die bestausge- stellte Gemmensammlung hingewiesen werden: die neapolitanische d (Museum, Zimmer der oggetti preziosi, bestentheils aus der farnesi- schen Erbschaft). Die köstlichsten Schätze finden sich unter den sog. Cameen (Steinen mit erhabenen Figuren von anderer, meist hellerer Gemmen und Münzen. Farbenschicht als der Grund). Es sind Reliefmotive, allein nur die ausgesuchtesten, und mit der höchsten Eleganz für den bedingten Stoff und Raum durchgeführt. Hie und da finden sich auch beliebte Sta- tuen in diesem kleinen Massstab abgebildet; so verdankt man z. B. die richtige Restauration des Apollon Sauroktonos einer Gemme. Die antike Kunst, welche hier ins Kleine hineingeht, erscheint dabei in ihrer Art so gross als bei irgend einer ihrer Hervorbringungen; sie hat die Gesetze dieser Gattung auf immer festgestellt und — man möchte fast sagen — sie hat auch deren möglichst schöne Gegenstände erschöpft In Rom ist die vaticanische Bibliothek (nördliches Ende) der Aufbewah- * rungsort einzelner schöner Cameen, mit welchen zugleich Köpfchen und Sta- tuetten aus kostbaren Steinen aufgestellt sind. Von den ebendort befindli- chen Elfenbeinsachen ist Einzelnes (z. B. ein Apollskopf, ein Reliefkopf des Serapis) von grossem Werthe, das Meiste aber spätrömisch. — In Florenz befindet sich die grosse und berühmte mediceische Gemmensammlung in den ** Uffizien. — In der Bibliothek von S. Marco zu Venedig die berühmte Gemme † des Zeus Aigiochos. . In den gewöhnlichen (concaven) Siegelgemmen wird man eine Fülle anmuthiger kleinerer Motive, auch scherzhafter und genrehafter Art finden. — Zum Ankauf feilgebotener Antiken dieser Gattung ist nur unter Beihülfe eines geübten Kenners zu rathen. Von leicht käuflichen Münzen wird der Reisende fast nur römische zu Gesicht bekommen. Kann er unter diesen sich eine Auswahl von Kaisern und Anverwandten des augusteischen Hauses, nicht nach der Seltenheit, sondern nach der Schönheit und guten Erhaltung, ver- schaffen, so ist dieses ein Besitz, der auf immer Vergnügen gewährt. — Mit griechischen Münzen kann man in Unteritalien, und selbst an kleinen, abgelegenen Orten, arg getäuscht werden; das Schöne und Echte darunter gehört aber anerkannter Massen zum Trefflichsten, was es giebt. Sculptur des Mittelalters. Als das Christenthum die antike Sculptur in seine Dienste nahm, war sie bereits in tiefen Verfall gerathen; schon seit dem Ende des II. Jahrhunderts war die Reproduction der frühern Typen zur todten Wiederholung geworden und die ganze Detailbehandlung bedenklich ausgeartet. Die Vorliebe für das Colossale, für kostbare und ausser- ordentlich harte Steinarten lenkte die Mittel und das technische Ge- schick von den höchsten Zwecken ab; der Verfall und die Umbildung der heidnischen Religion that das Übrige. Die Sculptur der constan- tinischen Zeit konnte jedenfalls keine christlichen Typen mehr schaf- fen, welche den Vergleich mit irgend einem Götterbild der bessern Zeit ausgehalten hätten. Vielleicht im stillen Bewusstsein dieser Ohnmacht, vielleicht auch aus Scheu vor der dem Heidenthum so theuern statuarischen Kunst und aus Rücksicht auf das mosaische Gesetz wurde der kirchlichen Sculptur die Anfertigung von Statuen fortan fast gänzlich erlassen. a Werke wie die beiden (sehr geringen) Statuen des guten Hirten in der vaticanischen Bibliothek (Ausbau gegen den Garten), wie die b eherne Statue des heil. Petrus aus dem V. Jahrhundert (in S. Peter) gehören zu den grössten Seltenheiten; letztere ist offenbar mit aller Anstrengung den sitzenden Togafiguren der heidnischen Zeit nach- geahmt. — Von den noch bis ins V. Jahrhundert häufig vorkommen- den weltlichen Ehrenstatuen hat sich fast nichts erhalten, und selbst von den Regenten nach Constantin besitzt Italien nur noch die form- lose eherne Colossalstatue des Kaisers Heraklius zu Barletta. Auf diese Weise war von einer Entwicklung heiliger Typen, wie das Heidenthum sie seinen Göttern gegeben, wenigstens auf plasti- Ihre neuen Bedingungen. schem Gebiete keine Rede mehr. Überdiess würden sich die Gegen- stände — zunächst Christus und die Apostel — lange nicht so zu diesem Zwecke geeignet haben, wie die Heidengötter. Letztere waren recht eigentlich mit der Kunst und durch sie zur vollen Gestalt er- wachsen; ihre ganze Körperbildung sammt Gewand und Attributen stand charakteristisch fest und umfasste den ganzen denkbaren Kreis des Schönen, wie die Alten es verstanden. Die heiligen Personen des Christenthums dagegen waren von vorn herein nicht mythologisch, sondern geschichtlich und längst ohne alles Zuthun der Kunst Gegen- stände des Glaubens, mit welchen sich nicht eben frei schalten und walten liess; sie waren ferner nicht erwachsen aus sittlichen und Naturkräften und boten also bei weitem nicht denselben Reichthum der Charakteristik dar; endlich war ihre Bedeutung eine übersinnliche und geistige und konnte desshalb überhaupt nie in der schönen Kunst- form so rein und ohne Bruchtheil aufgehen wie die Bedeutung der heidnischen Typen. Die Sculptur half sich wie sie konnte und wie der neue Glaube es verlangte. Statt der Gestalten , die sie aus den oben ange- gebenen Gründen weder genügend in Betreff des Styles, noch würdig in Betreff des Gegenstandes zu beseelen im Stande war, schuf sie Geschichten ; das Relief verdrängte die Freisculptur und wurde zugleich seinerseits ein Anhängsel der Malerei, die jetzt mit ihm den- selben Zweck und zugleich viel reichere Mittel hatte. Bald entscheidet das blosse Belieben des kirchlichen Luxus über die Anwendung des erstern oder der letztern. Die Kirche verlangt von der Kunst das Viele ; in ganzen Cyklen geschichtlicher Darstellungen oder wenig- stens in ganzen zusammengehörenden Reihen heiliger Personen will sie symbolisch ihr Höchstes verherrlichen; die beiden Künste, sammt all ihren Nebengattungen, dienen ihr einstweilen bloss als Mittel zum Zweck und müssen ihre innern Gesetze vollkommen Preis geben. Der Styl, wie er sich unter solchen Umständen gestalten musste, bietet dem Auge wenig dar. Allein das geschichtlich-poetische In- teresse kann einen Ersatz schaffen. Höchst merkwürdig ist vor Allem der Ernst und die Kraft, womit die Kirche ihre Bilderkreise vervoll- ständigt und im Grossen wie im Kleinen wiederholt, sodass eine Menge von Typen, nicht bloss für einzelne Personen sondern für Sculptur des Mittelalters. Sarcophage. ganze Geschichten entstehen. Von grosser poetischer Wirkung ist so- dann neben dem geschichtlich Biblischen das Symbolische, welches sich in der Parallelisirung alttestamentlicher und neutestamentlicher Vorgänge, in einer Anzahl eigenthümlicher Gestalten und namentlich in Beziehungen aus der Offenbarung Johannis ausspricht. Man muss nur immer das Ganze, wenigstens so weit es erhalten ist, ins Auge fassen, denn nur als Ganzes will es sprechen und wirken. Allerdings bezieht sich diess Alles mehr auf die Malerei, doch verlangen auch die plastischen Überreste, dass man auf diesen Standpunkt eingehe. Das Einzelne des Styles, wovon bei Anlass der Malerei umständ- licher die Rede sein wird, ist hier mit zwei Worten zu schildern. Bis in das VII. Jahrhundert dauert der antike plastische Styl in mehr oder weniger deutlichen Nachklängen fort; dann erfolgt eine Thei- lung; der eine Weg führt in barbarische Verwilderung der Form, der andere in die byzantinische Regelmässigkeit. Diese schafft ein bestimmtes System von Körperbildungen, Gewandungen, Bewegungen und Ausdrucksweisen, lernt es auswendig und reproducirt es uner- müdlich mit einer Sicherheit, welche fast an diejenige der alten ägyp- tischen Kunst reicht. — Beide Wege berühren und kreuzen sich in Italien bisweilen; hie und da wirken auch frühchristliche, bessere Muster weit abwärts. Von der antiken Kunst noch am nächsten berührt, ja als eine wahre Fortsetzung derselben erscheinen die christlichen Sarcophage . a Die bedeutendste Sammlung derselben befindet sich im Museo cristiano b des Vaticans; andere (z. B. der wichtige des Bassus) in der Crypta von c S. Peter (den sog. Grotte vaticane), im Camposanto zu Pisa (S. 550, b), in sehr vielen italienischen Kirchen (meist als Altaruntersätze), haupt- d sächlich zu Ravenna (Dom, S. Apollinare in classe, S. Vitale etc.) und ausserhalb Italiens besonders im Museum von Arles, einige wich- e tige auch im Louvre. (Derjenige von S. Francesco de’ Conventuali zu Perugia, linkes Querschiff, enthält eines der besten Exemplare des im IV. Jahrhunderts kunstüblichen Christus im Knabenalter; dasselbe gilt f von dem ebenfalls trefflichen in S. Francesco zu Ravenna (Altar der rechten Seitentribuna.) Sarcophage und andere Steinsculptur. Die ältern dieser Sarcophage zeigen ganz dieselbe fortlaufende Erzählungsweise mit Vereinigung mehrerer dichtgedrängter und be- wegter Scenen auf demselben Raum, wie die spätheidnischen Arbei- ten. Der etwas stenographische Vortrag dieser Ereignisse wird selbst dem bibelfesten Beschauer einigermassen zu schaffen machen; auch die beständige Gegenüberstellung von Vorbildern aus dem alten und Gegenbildern aus dem neuen Testament erleichtert das Erkennen nicht immer, weil diese Bezüge zum Theil etwas gezwungen sind. Eine beschreibende Aufzählung und Deutung würde hier sehr weit führen; das Nothwendige in Betreff des Museo cristiano und der Grotten giebt Platner in der „Beschreibung Roms“. Bei abnehmendem Kunstvermögen gab man bald auch das fort- laufende Relief Preis und theilte die einzelnen Vorgänge durch Säul- chen ab. In dieser Form übernahm das Mittelalter den Sarcophag und bildete derselben auch seine Reliquienschreine im Grossen und im Kleinen nach. Mehr und mehr schrumpft die Sculptur zu einer Kleinkunst zusammen und beschränkt sich allmählig auf die Stoffe, mit welchen sie einst in uralten Zeiten begonnen, auf Gold, Silber, Erz und Elfen- bein. Und dabei machen ihr fast in allen Gattungen, die sie noch ver- tritt, das Email, die Malerei und die eingelegte Flacharbeit die Stelle streitig. Steinern bleiben bloss die Sarcophage und die wenigen Re- liefs, welche auch die Byzantiner innen und aussen an ihren Kirchen anzubringen pflegten. (Einige in und an S. Marco in Venedig.) Auch erhielten wohl die Altarschranken (cancelli) und die Kanzeln biswei- len einen flgürlichen Schmuck von Stein. (Sculpirte ehemalige Altar- a schranken mit den Geschichten Simsons und Christi, aus dem XI. oder XII. Jahrhundert, in S. Restituta am Dom zu Neapel, hinten links.) Im Bewusstsein der eigenen Ungeschicklichkeit wandte man bisweilen antike Sarcophage zu verschiedenem Kirchenschmuck an, trotz ihres heidnischen Inhalts (S. 549, g bis l). (Ein altchristl. Sarcophag als Träger b der Kanzel in S. Ambrogio zu Mailand; an der Kanzel selbst der bron- zene Adler und der Evangelist, etwa X. Jahrhundert; die übrigen Figuren ziemlich barbarisch, XII. Jahrhundert.) Vom übrigen Vorrath plastischer Arbeiten wollen wir nur einige bezeichnende Beispiele für jede Gattung anführen. Sculptur des Mittelalters. Altäre. Throne. Die kostbarern Altäre erhielten bis ins XII. Jahrhundert einen Überzug auf allen vier Seiten oder doch auf der Vorderseite des Tisches, womöglich von Goldblech, mit einer Reihe von Figuren oder von ganzen Historien in getriebener Arbeit; die Einrahmungen wurden mit Email, auch mit aufgenieteten antiken Gemmen verziert. Die einzige vollständig erhaltene Bekleidung dieser Art, von einem Künstler Volf- a vinus, aus der ersten Hälfte des IX. Jahrhunderts, umgiebt den Hoch- altar von S. Ambrogio in Mailand, welcher ausserdem durch die gleich- zeitigen, bemalten, ziemlich sorgfältigen Steinsculpturen seines Giebels merkwürdig ist. Als Bild des Kunstvermögens der carolingischen Epoche ergiebt sich daraus eine sonderbare Mischung von classischen Reminiscenzen, eigenthümlichem Ungeschick und byzantinischer Zier- b lichkeit. — Der Altarvorsatz (pala d’oro) von S. Marco zu Venedig, ein Werk des X. Jahrhunderts aus Constantinopel, enthält bloss äusserst saubere Emailgemälde auf zahlreichen Goldplatten; sein bronzener und vergoldeter Deckel dagegen, eine gute venezianische Arbeit des XIV. Jahrhunderts, zeigt in den Hochrelieffiguren der Apostel den ent- c wickelten germanischen Styl. — Ein Altarvorsatz von Elfenbein mit vielen Historien (XII. Jahrhundert) in der Sacristei des Domes von Salerno. — Bei spärlichen Mitteln vertrat auch wohl Stucco, Vergol- dung und Malerei das Relief und Email aus edlerm Stoffe. Ein Al- d tarvorsatz dieser Art, datirt 1215, in der Acad zu Siena, erster Raum. — Über das Bauliche der Altäre vgl. S. 79, 97 u. f. Kleine Hausaltärchen , meist mit schliessbaren Seitenflügeln e (als Triptychen), wurden vorzüglich aus Elfenbein verfertigt. Das Museo cristiano des Vaticans enthält unter mehrern Beispielen aus verschiedenen Jahrhunderten ein sehr ausgezeichnetes byzantinisches Triptychon von der delicatesten Behandlung. Die Anwendung des Elfen- beins zu kleinen Altären hat übrigens bekanntlich nie ganz aufgehört. Bischöfliche Throne erhielten bisweilen eine ganze oder theil- weise Bekleidung mit Elfenbeinplatten, auf welchen Figuren und ganze f Geschichten eingeschnitten sind. Dieser Art ist der Thron des heil. Maximian in der Sacristei des Domes von Ravenna, mit Reliefs von verschiedenen Händen (wie es scheint) des IV. bis VI. Jahrhunderts; das Beste die Einzelgestalten an der Vorderwand unten. Auch der g Thron des heil. Petrus, welcher in Bernini’s colossale Erzdecoration Diptychen. Bücherdeckel. Reliquiarien. über dem hintern Altar von S. Peter in Rom eingeschlossen ist, dürfte nach den Abbildungen zu urtheilen mit Elfenbeinarbeiten aus ver- schiedenen Zeiten geschmückt sein. (Unter andern die Thaten des Hercules und die himmlichen Zeichen.) Oft nahm man mit antiken Steinsesseln vorlieb; auch von dem steinernen Wagen in der Sala a della Biga (Vatican) hat das erhaltene antike Stück (mit den schönen Ornamenten) als bischöflicher Thron in S. Marco zu Rom dienen müssen. Von kleinerm kirchlichen Prachtgeräth sind die sog. Diptychen vorzüglich bemerkenswerth: zwei Elfenbeindeckel, der eine oder beide mit Reliefs versehen, dem jeweiligen Verzeichniss der Katechumenen oder dem der Geistlichen zum Einband dienend. Einige sind für die Kirchen eigens gefertigt und demgemäss sculpirt, andere sind herge- schenkte sog. Consulardiptychen, welche den Consul oder den Kaiser darstellen, indem er das Signal zum Beginn der öffentlichen Spiele giebt. (Mehrere im Domschatz von Monza: das schöne mit Cicero b und einer Muse etwa aus dem IV. Jahrhundert; das eines Kaisers, angeblich Hadrian, mit einer weiblichen Figur nicht viel später; das zweier geputzter Consuln, die nachträglich zu Heiligen gemacht wor- den, etwa aus dem VI. Jahrhundert. — Ein Diptychon des letzten Con- c suls Anicetus in den Uffizien zu Florenz, II. Zimmer der Bronzen, 11. Schrank.) Den Diptychen schliessen sich die übrigen elfenbeinernen Bücher- deckel an, bei welchen man sich die Bücher als liegend, nicht als in Reihen stehend denken muss. (Der untere Deckel wenig oder gar nicht verziert.) Ein schöner und früher im Museo cristiano; andere d hauptsächlich in Bibliotheken. Häufiger kommen Bücherdeckel mit getriebenen Figuren von vergoldeter Bronze und mit Emailzierra- then vor. Von Reliquienkasten wüsste ich kaum einen sculpirten zu nennen, der mit den bessern nordischen Arbeiten dieser Art wetteifern könnte. Das Email überwiegt vollständig zumal in den noch jetzt sehr zahlreich vorkommenden kleinen Reliquienkästchen. — Ein Elfen- beinkästchen mit den Halbfiguren der Apostel in zierlichstem byzantini- e schem Flachrelief des X. bis XII. Jahrhunderts findet man in dem genannten Raume der Uffizien, 14. Schrank. — Ebenda eine runde Sculptur des Mittelalters. Kirchengeräthe. Hostienbüchse mit der Reliefdarstellung der Anbetung der Könige, a vielleicht aus dem VI. Jahrhundert. — Mehrere Reliquiarien ver- schiedener Zeiten im Tesoro von S. Marco. Kreuze, Diademe u. dgl. sind im ersten Jahrtausend sehr bar- barisch und auf die blosse Kostbarkeit hin gebildet worden. (Bei- b spiele im Domschatz von Monza; die eiserne Krone, VII. Jahrhun- dert (?), macht kaum eine Ausnahme.) Von den Kirchenschätzen Italiens sind die beiden genannten von Monza * Die eiserne Krone wird nicht in der Schatzkammer, sondern auf dem Altar ** einer Capelle rechts vom Chor aufbewahrt. — Im Schatz u. a. der Kamm und der Fächer der Königin Theodelinde; das ihr von Gregor d. Gr. ge- schenkte Kreuz; ein anderes Kreuz mit den an Kettchen daran hängenden Goldkugeln; ein goldenes Pultblatt (?) von ihr gestiftet, mit aufgenieteten Gemmen; ihre Krone, d. h. ein Goldreif mit runden emaillirten Knöpfchen und Edelsteinen etc.; endlich das Kreuz von Italien, bedeckt mit Edelsteinen und Email, gestiftet von Berengar I (IX. Jahrhundert). Das Meiste ziem- lich roh und primitiv, das Kreuz von Italien wie nach dem blossen Augen- mass verfertigt. und von S. Marco in Venedig wohl die sehenswerthesten. c In den Domschätzen von Mailand und Neapel überwiegt auf eine trau- rige Weise der schlechteste Silberguss aus den beiden letzten Jahr- hunderten, welcher kaum einen andern Zweck verräth, als das vor- handene Metall zu möglichst massiven Blöcken und damit möglichst d wenig transportabel zu machen. Der Schatz von S. Peter gehört über- haupt nicht zu den reichsten und enthält wenig Altes (dafür aber einige gute Renaissanceleuchter, welche man dem Michelangelo und dem Benv. Cellini zuschreibt). — Einzelne kirchliche Antiquaglien der verschiedensten Style und Gattungen findet man gesammelt in Flo- e renz (Uffizien, II. Zimmer der Bronzen, 14. Schrank und Eckschrank links, wo sich u. a. die berühmte Pax des Maso Finiguerra befindet); f in Neapel (Museum, Abtheilung der Terracotten, II. Saal), in Mailand g (Sammlungen der Ambrosiana), in Brescia (Museo patrio) und ander- wärts. Der plastische Erzguss ist im frühern Mittelalter für Italien nicht von derselben Wichtigkeit, wie für Deutschland. Die einzige Anwendung des Erzes im Grossen, nämlich diejenige für Kirchen- Erzguss. — Erwachen des romanischen Styles. pforten, wurde der Sculptur grossentheils entzogen, indem man die heil. Figuren und Geschichten durch eingelegte Fäden und (für das Nackte) Flächen von Silber oder Gold darstellte. (Thüren von S. Marco a in Venedig, an den Domen von Amalfi, Salerno etc., ehemals auch b an S. Paul bei Rom.) Was daneben von Reliefs an gegossenen Thür- flügeln vorkömmt (hintere Thür am Dom von Pisa, XII. Jahrhundert, c von Bonannus etc.; Pforten von S. Zeno in Verona) lässt diese Ein- d busse kaum bedauern Und doch liegt überall ein Goldkorn, wo man sucht. Der alte Bonannus hat z. B. bei der Transfiguration die drei Jünger mit der Geberde des tiefsten Sinnens, die Hand am Bart, mit geschlossenen Augen dargestellt. . — Der schöne baumförmige Bronze-Cande- laber im linken Querschiff des Domes von Mailand ist sammt seinen e zahlreichen Figürchen wohl erst aus dem XIII. Jahrhundert, dem Zeitalter, da die Sculptur anderweitig wieder zu einem neuen Leben erwacht war. Die Hauptbedingung dieses Erwachens war offenbar die Rück- kehr zur Steinsculptur, und diese konnte erst im Zusammenhang mit einer neuen Entwicklung der kirchlichen Baukunst eintreten. Der entscheidende Schritt geschah in Toscana und der Lombar- dei, während des XI. und XII. Jahrhunderts, hauptsächlich mit der Schöpfung eines neuen Fassaden- und Portalbaues, welcher die Sculp- tur erst mässig und dann im Grossen in Anspruch nahm. Auch das Innere der Kirchen, aus der bisherigen engen Pracht von Gold und Mosaiken in das Grossräumige und Einfache übergehend, verlangte von der Sculptur jetzt wieder marmorne Altäre, Kanzeln und Grab- mäler, während zugleich das Mosaik dem Fresco allgemach die Stelle räumte. Die Aufgabe der Bildhauer war und blieb aber geraume Zeit noch dieselbe wie früher: Ausdruck der kirchlichen Ideen durch das Viele , durch ganze Systeme und Kreise von Gestalten und Historien. Es handelte sich nun darum, ob sie in dauernder Abhängigkeit von der Malerei verharren oder innerhalb der unvermeidlichen Schranken ihre eigenen Gesetze nach Kräften entwickeln würde. Sculptur des Mittelalters. Romanischer Styl. Toscana. Wie in der Architektur, so dürfen wir auch in der Bildnerei die neuen Regungen als einen romanischen Styl bezeichnen, sowie man die auf dem Römischen ruhenden Sprachen des Abendlandes nach ihrer (gerade auch zu jener Zeit vollendeten und literarisch be- thätigten) Umbildung als romanische Sprachen benennt. Die Anfänge dieses romanischen Styles der italienischen Sculptur waren freilich äusserst roh und ungeschickt, sodass gleichzeitige deut- sche Arbeiten in der Regel einen beträchtlichen Vorzug behaupten werden. Dafür haben sich die italienischen Künstler oft mit Namens- unterschrift genannt und dadurch der Kunstgeschichte einen fortlau- fenden urkundlichen Faden an die Hand gegeben, den sie in Deutsch- land vermisst. Diese Namensnennung, bei der selbst materiellen Ge- ringfügigkeit der meisten Werke doppelt auffallend, zeigt dass die Steinsculptur mit der ganzen Wichtigkeit einer Neuerung auftrat. Das Wichtigere ist in Kürze folgendes: a Taufbrunnen in S. Frediano zu Lucea 1151, mit unergründlichen Darstellungen von fleissiger aber noch sehr befangener Arbeit; von Robertus. Ein Werk, welches besser als jede Beschreibung zeigt, wie der romanische Styl einen gewissen ornamentalen, ja kalligraphi- schen Schwung in seine Gestalten, namentlich in die Gewänder bringt. Die Oberschwellen der Portale an S. Andrea und S. Bartolom- b meo in Pistoja , dort 1166 von Gruamons, hier 1167 von Rudolfinus; elend und gering, nur als Präcedentien der pisanischen Schule be- merkenswerth. c Portalsculpturen an S. Salvatore zu Lucca , um 1180 von Bi- duinus, welcher auch diejenigen an der Kirche von Casciano unweit d Pisa fertigte. Die eherne Pforte des Bonannus am Dom von Pisa wurde schon erwähnt; sie fällt nebst den Sculpturen der Seitenpfosten e des Ostportals am Baptisterium in dieselbe Zeit, welche schon viel entwickelter sind. f Schon einen Schritt weiter geht das Relief der Oberschwelle an S. Giovanni zu Lucca. Die oberitalischen Sculpturen sind durchgängig um einen bedeutenden Grad besser und lebendiger, auch diejenigen, welche um ein halbes Jahrhundert älter sind, als die genannten toscanischen. Die Nähe des damals kunstreichern Nordens ist nicht zu verkennen. Modena. Verona. Ferrara. Am Dom von Modena : Aussen an der Fassade die Geschichten a der ersten Menschen, im rechten Querschiff die Passion, von Nicolaus und Guilelmus, seit 1099. Diese Arbeiten sind nebst den Portalsculp- turen bei aller Rohheit merkwürdig als frühste Denkmale wahrhaft romanischen Styles in Italien. An der Fassade von S. Zeno in Verona (seit 1139) Sculpturen b derselben Künstler, Nicolaus und Guilelmus, schon mit höher ent- wickeltem Sinn für Anordnung im Raum und für Reliefbehandlung überhaupt. (Bes. die Erschaffung der Thiere.) Der belehrende Ver- gleich mit den Bronzeplatten der Thür, welche noch ganz barbarisch sind, zeigt, dass diese von der Thür des ältern Baues entlehnt sein müssen. (Im Innern stehen an der Mauer des rechten Seitenschiffes die c Statuen Christi und der zwölf Apostel, etwa vom Anfang des XIII. Jahrhunderts, sorgfältige Arbeiten. Wie gebunden die Kunst sich da- mals fühlte, wenn irgend ein höheres geistiges Verhältniss auszudrücken war! um die ehrfürchtige Unterordnung der Apostel zu bezeichnen, sind sie alle mit einsinkenden Knieen gebildet, am merklichsten die beiden zunächst bei Christus. Es war ein weiter Weg von da bis zu Rafaels Tapete: „pasce oves meas.“) Die Sculpturen am Portal des Domes sind befangener als die an d S. Zeno, die Löwen ganz heraldisch. Im rechten Seitenschiff befindet sich ein Weihbecken romanischen Styles, auf drei burlesken, nackten Tragfiguren (die vierte fehlt). Das XV. Jahrhundert, welches diese halbdämonischen Fratzen nicht mehr als solche verstand, glaubte sie in Gestalt von Buckligen nachahmen zu müssen. Dieser Art ist der ganz tüchtige Gobbo, welcher in S. Anastasia das Weihbecken links e mit so aufrichtiger Anstrengung trägt. (Derjenige rechts ein geringes viel späteres Gegenstück.) Das Taufbecken in S. Giovanni in Fonte (XII. Jahrhundert) zeigt f in seinen Reliefs den saubern und sogar schwungreichen romanischen Styl mit noch ziemlich ungeschickten Motiven verbunden. (Die ein- zelnen Theile von verschiedenem Werthe.) Von den Sculpturen an der Fassade des Domes von Ferrara g gehören diejenigen des Mittelportals selbst noch der Gründungszeit B. Cicerone. 36 Romanische Sculptur. Parma. (1135) und dem befangenern romanischen Styl an. (Die alten Origi- nale der ziemlich täuschend erneuerten Tragfiguren auf Löwen findet man in einem Hofe hinter dem Chor.) Schon freier regen sich die a Gestalten der sechs Monatsbilder an einem Anbau der Fassade rechts. Endlich sind die obern Sculpturen über dem Mittelportal ein wahr- haft bedeutendes Werk des germanischen Styles, etwa um 1300. (Die b untere Halle der Universität enthält einige Fragmente des altchrist- lichen und der spätern Style.) c Mit den Sculpturen am Baptisterium und im Dom von Parma ist man in einiger Verlegenheit, weil zweierlei Style einem und demsel- ben Künstler, Benedetto Antelami , zugeschrieben werden. — Er nennt sich mit vollem Namen und mit dem Datum 1178 in dem Re- lief einer Kreuzabnahme, welches sich jetzt in der dritten Capelle rechts im Dom befindet; eine zierliche, aber noch sehr starre Arbeit, eher byzantinisch als romanisch. Dann hat ein „Benedictus“ im Jahr 1196 d die Sculpturen am Südportal des Battistero gefertigt, und laut diesen wohl auch die der beiden übrigen Portale, von welchen dasjenige ge- gen Süden durch sein fast mithreisches Aussehen die Liebhaber der damaligen Mystik glücklich machen wird. Diese, nebst den Engeln in den Nischen des Innern und den innern Thürreliefs können alle noch wohl von der gleichen Hand sein und würden dann einen all- mäligen Übergang des Antelami zur romanischen Art beweisen. — Aber die schon ungleich lebendiger gebildeten Thiere am Sockel des Gebäudes aussen und die zwölf Hochreliefs mit den Monatsbeschäfti- gungen in einer obern Galerie des Innern zeigen einen so viel höhern Grad künstlerischen Vermögens, dass sie einem Andern angehören müs- sen und dieser wäre dann der bedeutendste Bildhauer Italiens vor oder neben Nic. Pisano gewesen. Lebendig und selbst schön bewegt er- innern diese Gestalten in ihrer plastisch trefflichen Behandlung des Nackten unmittelbar an deutsche Arbeiten des beginnenden XIII. Jahr- hunderts. e Wie wenig aber eine Schwalbe einen Sommer macht, zeigen die beiden ungeschlachten Löwen vor dem Dom, deren Datum 1281 über dem Hauptportal nebst dem nicht nennenswerthen Namen des Bild- hauers zu lesen ist. Sie sind wieder ganz heraldisch und leblos. Sculptur um 1200. Niccolò Pisano. In Rom sind aus dieser Zeit erhalten: Die geschnitzten hölzer- a nen Pforten von S. Sabina; Streben nach lebendigster Bewegung in äusserst befangenen Formen. (Pforte gegen das Kloster.) In all diesen Werken kämpft das Verlangen nach deutlicher und energischer Bezeichnung des Lebens mit einer mehr oder weniger grossen Ungeschicklichkeit; auch in der Formenbildung zeigt sich noch nicht das geringste Bedenken darüber, ob zum Ausdruck des Heiligen solche Gestalten und solche (oft skurrile) Geberden auch wirklich hin- reichten. Um das Jahr 1200 stand die deutsche Kunst wie in allen Beziehungen so auch hierin hoch über der italienischen Erst im XIV. Jahrhundert geht jene Herabstimmung durch die deutsche Gei- sterwelt, die man in zahlreichen Äusserungen nachweisen kann, aber noch nicht in ihrem Wesen ergründet hat. . Auch die meisten Arbeiten von 1200—1250 gehen nicht weit über dieses Niveau hinaus. Als Probe ist die Kanzel in S. Bartolom- b meo zu Pistoja zu nennen, von Guido da Como 1250, mit leblos zierlichen Reliefs. — Oder die meisten von den Sculpturen in der c Vorhalle des Domes von Lucca . — Ungleich besser (aber vielleicht erst vom Ende des Jahrhunderts, obwohl noch vollkommen romanisch): die Reliefs mit dem Stammbaum und der Jugendgeschichte Christi, an d den Pfosten des Hauptportals am Dom von Genua . Das Lunetten- relief mit dem Salvator und der Marter des heil. Laurentius ist viel geringer und auch die steinerne Arca Johannes des Täufers in dessen Altar im Dom erreicht jene Thürpfosten an Schwung, Feinheit und Leben des Reliefs nicht. In dieser Zeit trat nun ein grosser Künstler auf, Niccolò Pi- sano , dessen Wirksamkeit allein schon genügte, um der Sculptur eine ganz neue Stellung zu geben. Sein Styl ist eine verfrühte und desshalb bald wieder erloschene Renaissance; von antiken Reliefs, hauptsächlich Sarcophagen begeistert, erweckt Niccolò die gestorbene Formenschönheit wieder vom Tode. Aus jenen Vorbildern combinirt er mit ungemeinem Takt seine heiligen Geschichten so zusammen, dass sie ein lebendiges Ganzes zu bilden scheinen, und ergänzt und 36* Sculpturen des Niccolò Pisano in Lucca und Pisa, verschmelzt Alles durch einen Natursinn, der wahrscheinlich eben erst durch den Anblick der Antike in ihm geweckt worden war. — Seine Arbeiten erreichen wohl bei weitem das Bessere des Alterthums nicht und können eher geschichtliche Curiosa von erstem Werthe als hohe und eigenthümliche Schöpfungen heissen. Für die Folgezeit hatten sie die grosse Bedeutung, dass durch sie die kindischen und abge- storbenen Formen der Frühern beseitigt waren, und dass der Geist des Jahrhunderts zwar nicht in antikem Gewande wie bei Niccolò selbst, aber in einer durch diesen kurzen Übergang wesentlich geläu- terten Gestalt weiter arbeiten konnte. Niccolò’s frühstes bekanntes Werk ist das Relief der Kreuz- a abnahme über der linken Thür der Vorhalle des Domes von Lucca (1233). Abgesehen von den reinen Formen, welche mit den Arbeiten seiner Zeitgenossen an und zwischen den andern Portalen befremdlich contrastiren, offenbart sich der grosse Künstler durch eine höchst edle und geschickte Composition, welche die Momente der Anstrengung und des Seelenausdruckes vortrefflich vertheilt und damit ein ganz ausgebildetes Liniengefühl verbindet. b Nach langer Zwischenzeit (1260) folgt die weltberühmte Kanzel des Battistero zu Pisa . (Den Inhalt der Darstellungen s. in den Reisehandbüchern.) Die Einwirkung der römischen Vorbilder beson- ders kenntlich in einer Anzahl weiblicher Köpfe (Madonna als Juno etc.), in der Behandlung der Haare, in der Darstellung des Nackten, (wobei sich doch schon ein wesentlich neuer naturalistischer Zug ein- mischt, s. die Fortitudo); auch in der Darstellung der Thiere, z. B. der Pferdeköpfe bei der Anbetung der Könige, und der vier Löwen, auf welchen die Säulen ruhen. Dagegen ist die Gewandung mehr scharf und brüchig als bei den Alten. Im Ausdruck und in der Wahl der Motive zeigt sich viel Geist und Leben, aber das hohe Mass des Reliefs von Lucca fehlt gerade der Composition des Christus am Kreuz auf empfindliche Weise. c An der berühmten Arca , dem Sarg des heil. Dominicus in des- sen Kirche zu Bologna , gelten die Reliefs und die dazwischen be- findlichen Statuetten des Sarcophages selbst als Werke des Niccolò. In Betreff der beiden vordern Reliefs (Belebung des Knaben und Ver- brennung der Bücher) wird man diess wohl zugeben können; die in Bologna und Siena. Bildung des Einzelnen ist hier so vorzüglich und so sehr von antiken Nachklängen beseelt, als an den Arbeiten in Toscana. Dagegen zeigen die Reliefs der Schmalseiten und der Rückseite eine viel geringere Arbeit; wenn sie auch unter Niccolò’s Aufsicht entstanden sein mö- gen, von seiner Hand sind sie nicht. Die Zwischenstatuetten endlich erscheinen schon als Werke des entwickelten pisanischen Styles und könnten bei ihrer Vortrefflichkeit wohl von Giovanni herrühren. (Im Camposanto zu Pisa wird dem Niccolò noch das unvollendete a Relief einer Geburt Christi, N. XVIII, zugeschrieben.) Den Übergang aus der Weise des Niccolò Pisano in die seines Sohnes Giovanni macht die Kanzel im Dom von Siena , an welcher b sie in der That Beide gearbeitet haben (1266? oder eher später?). Das Antikisirende ist hier schon ein halb erlöschender Nachklang und selbst in den ruhigen allegorischen Figuren nur noch stellenweise kenntlich; der jüngere Meister des dramatischen Ausdruckes behält das Feld. Die Löwen und Löwinnen, auf welchen die Säulen hier und an den Pisaner Kanzeln ruhen, sind vielleicht die ersten, und zwar durch antike Anregung ganz lebendig gewordenen Thierbilder des Mittelalters; die architektonische Anordnung des Ganzen vorzüglich. Andern Nachfolgern scheint die Weise Niccolò’s mehr imponirt zu haben als dem eigenen Sohn desselben. So dem Verfertiger der Kanzel von S. Giovanni fuoricivitas in Pistoja (1270), an welcher c sich wieder einige direkte Nachahmungen antiker Sarcophagfiguren finden Laut Vasari von einem Deutschen. . Das Werk als Ganzes ist ziemlich geistlos, zum Beweis dass man ein N. Pisano sein musste, um damals mit der Antike etwas Rechtes anzufangen. Wo diese Zeit eigentlich hinauswollte, zeigt sich klar und voll- ständig in den Malereien Giotto’s und seiner Schule, auf deren Be- sprechung (s. unten) wir hier der Kürze halb verweisen. Indess hat die Sculptur hier nicht nur, wie gewöhnlich, die zeitliche Priorität vor der Malerei voraus, sondern sie offenbart auch ganz eigenthüm- liche Züge, welche Erörterung verlangen. Germanische Sculptur. Giovanni Pisano. Es hatte sich seit der ersten Hälfte des XIII. Jahrhunderts im Norden derjenige Styl gebildet, welchen man gegenwärtig wegen sei- nes innern Zusammenhanges und gleichzeitigen Entstehens mit der germanischen oder gothischen Baukunst den germanischen nennt. Im Wesentlichen ist er eine Umbildung des bisherigen romanischen nach strengern architektonischen Principien; die Sculptur wird von der übermächtig gewordenen Baukunst in die Schule genommen und auf ganz bestimmte Functionen, auf gegebene Räume angewiesen. Eine germanische Statue ist so zu sagen unvollständig ohne die Ni- sche, für welche sie gedacht ist. Sie hat mit ihrer geradlinigen Ein- fassung zu contrastiren durch ausgeschwungene Stellung; sie hat mit der Gliederung, der Schattenwirkung derselben zu wetteifern durch kräftigen und selbst scharfen Faltenwurf, überhaupt durch bestimmte Fassung ohne weiche Zerflossenheit. Was ihr von Schönheit und Ausdruck gegeben werden kann, concentrirt sich im Angesicht. Eine vollständige und allseitige Durchbildung war hiebei zwecklos, sogar unmöglich; doch hinderte diess nicht das Entstehen einer Anzahl Sculpturen vom höchsten relativen Werthe, wie z. B. diejenigen aus dem XIII. Jahrhundert an der Liebfrauenkirche zu Trier, am Strass- burger Münster, in der Vorhalle des Münsters zu Freiburg etc. Von diesen Werken scheint nun der Sohn des Niccolò, Gio- vanni Pisano , den wir schon nebst dem Vater als Architekten kennen, angeregt worden zu sein, entweder durch einen Aufenthalt in Deutschland oder durch herübergekommene deutsche Künstler Deren (laut Vasari) eine Anzahl in seiner Nähe waren. . Allein die italienische Baukunst machte der nordischen im Ganzen gerade diejenigen Zierformen nicht nach, welche im Norden die Um- bildung in den germanischen Sculpturstyl motivirt hatten; und so war auch die Aneignung des letztern selbst eine zwar kenntliche, aber doch freie. Das Vorbild hätte auch lange nicht ausgereicht; Giovanni’s Hauptgattung war, wie wir sehen werden, das reiche und bewegte Relief, das gerade im Norden nur ausnahmsweise zu einer solchen Anwendung gelangte. Bald darauf ging es in der Malerei ähnlich; Giovanni Pisano. auch sie erhielt im Süden ungleich weitere Räume und freiere Auf- gaben als im Norden. Auf der Grenze des neuen Styles stehen die biblischen Reliefs, mit welchen die untern Theile der Fassade von Orvieto (seit a 1290) bedeckt sind. Es ist noch die Schule Niccolò’s, doch schon vorwiegend unter dem Einfluss Giovanni’s. Eine Anzahl ihm selbst zugeschriebener Scenen zeigen zuerst in der italienischen Kunst eine selbständige Composition im höhern Sinne mit kenntlichem Linien- gefühl; diess wohl eher eine Frucht der Thätigkeit seines Vaters als der nordischen Einwirkung. Aber schon zeigt sich auch der Cha- rakteristiker und der Darsteller des dramatischen Ausdruckes um jeden Preis, dem später auch das Heftige und Hastige zur Gewohn- heit wird. Schon etwas früher (um 1280) hatte er die untere Schale des b grossen Brunnens in Perugia Noch zwei Jahre vorher hatte auch der alte Niccolò an diesem Brunnen ge- arbeitet — was? weiss man nicht. mit jener Masse von biblischen, al- legorischen und parabolischen Relieffiguren geschmückt. Vortrefflich lebendige Bewegungsmotive und glückliche Anordnung im Raum geben ihnen einen höhern Werth als die noch etwas schwankende plastische Behandlung. Nur wenige sichere Werke sind aus Giovanni’s reifster Zeit vor- handen. Als Architekt in ganz Italien beschäftigt, brachte er wohl auch seine plastischen Grundsätze überall hin (was freilich eher zu vermuthen als zu beweisen ist), behielt aber gewiss wenig Musse für eigene Arbeiten. Der Hochaltar im Dom von Arezzo ist in decorativer Be- c ziehung ein merkwürdiges Denkmal der Ziellosigkeit, welche dem Italienisch-Gothischen anhing, als es die Consequenzen seiner nordi- schen Vorbilder verschmähte (S. 163); neben deutschen Altarwerken, welche die Kirche selbst in leichter, idealer Durchsichtigkeit nach- ahmen, könnte er auf keine Weise bestehen. In den Reliefs und Statuetten aber, womit das Werk bekleidet ist, erscheint Giovanni Pisano als Bildhauer auf seiner vollen Höhe. Es ist kaum möglich, diese Geschichten der Ortsheiligen und der Maria, diese Halbfiguren Germanische Sculptur. Giov. Pisano. von Propheten und Engeln, diese Apostelgestalten für die gegebe- nen Räume geistvoller zu componiren. a Keine andere Schöpfung bezeichnet aber die Sinnesweise Gio- vanni’s deutlicher als die Kanzel in S. Andrea zu Pistoja (1301), ein kleines Werk, doch überquellend von geistigem Reichthum, der die formale Überladung vergessen lässt. In den Reliefs ist die Klage der Mütter von Bethlehem, die Gruppe der Frauen unter dem Kreuz in ihrer Art unvergleichlich; von den Eckstatuetten geben die Si- byllen, tief erregt von den Einflüsterungen der sie begleitenden Engel, das Höhenmass des Ausdruckes, welcher dem grossen Meister zu Ge- bote stand. Die anatomische Schärfe des Nackten zeigt allerdings u. A., dass sein Ziel ein einseitiges war. — Immerhin möchte diese Kanzel sein reifstes Werk und z. B. derjenigen im Dom von Siena, welche ähnliche Motive unsicherer durchführt, weit vorzuziehen sein. Es folgt das schon bei den Decorationsarbeiten erwähnte Grab- b mal Benedicts XI. († 1304) in S. Domenico zu Perugia , mit der edeln liegenden Statue des Verstorbenen; auch die den Vorhang ziehenden Engel in ihrem lebendigen Schreiten sind vortrefflich; die obern Statuetten schon mehr conventionell. c Das letzte grössere Werk (1311), die Kanzel im Dom von Pisa , wurde später auseinandergenommen; die einzigen sichtbaren Stücke findet man eingemauert theils noch an der Kanzel selbst (man beachte auch die beiden Löwen), theils auf einer der obern Galerien des Do- d mes. (Die sechs Reliefs über den Thronen im Chor, von welchen man die beiden mittlern für Giovanni’s Werk halten könnte, sind von spätern Künstlern der Schule.) Ein Übergang in das Gesuchte und Manierirte ist hier im Ganzen nicht zu verkennen; die Eckfiguren haben schon etwas gewaltsam Interessantes, worin auch die kenntliche Verwandtschaft Giovanni’s mit Michelangelo liegt. Noch in seiner Blüthezeit aber hat Giovanni in der Madonna e zwischen zwei Engeln (Lunette der zweiten Südthür am Dom von Florenz ) den Typus der Himmelskönigin so festgestellt, wie er von der ganzen Sculptur des germanischen Styles reproducirt werden konnte. Es ist eine schöne und reiche Bildung, eine Fürstin, grandios einfach gehalten, aber ohne irgend einen besondern Zug schwärmerischer In- nigkeit. Sonst geht Giovanni, auch wo er ruhig bleibt, nicht auf Giovanni Pisano. eigentliche Schönheit aus; im Nackten ist er Naturalist, in den Köpfen mehr lebendig und (wo der Gegenstand es gestattet) jugendlich voll, als holdselig. Immer aber sind die conventionellen byzantinischen, die rohen romanischen Formen durch seinen Vater und durch ihn ent- schieden beseitigt. In Pisa selbst werden dem Giovanni noch mehrere Madonnen zugeschrieben: diejenige auf dem Vordergiebel des Domes; die thro- a nende Madonna mit Engeln in dem Baldachin über der einen Thür b des Camposanto (für ihn zu leblos). (Vasari führt noch andere Ma- donnen an.) Einen nahen Anspruch auf seinen Namen möchten die Propheten- figuren in den Füllungen zweier Beichtstühle zu S. Micchele in Borgo c haben. Wie weit die ihm beigelegten Arbeiten im Camposanto ihm d angehören, ist schwer zu entscheiden. Am ehesten wohl die edle Statuette des Petrus (bei II.), vielleicht auch die bedeutende Gruppe (N. 47) einer Caritas, über den zusammengestellten Figuren der vier Cardinaltugenden, so viel harte Manier auch darin sein mag; sie könnte etwa für hohe, entfernte Aufstellung berechnet gewesen sein. (Die Nackte von den untern Figuren verräth die Nachbildung eines Venus- motives, in Giovanni’s Formen.) Auch bei dem Heiligen mit der Wage (N. 136) über einer Basis mit den sieben freien Wissenschaften (nebst der Philosophie als Königin) wird man am ehesten an Giovanni denken dürfen. Vollends kann der barocke Hercules (N. 2) kaum von einem andern sein als von dem Sohne Niccolò Pisano’s; Kopf und Seitenprofil des Ganzen sind der Antike entnommen, die magere Bil- dung durchaus naturalistisch. Auch das Weihbecken mit den Statuen der vier Evangelisten im e rechten Querschiff des Domes steht der Art Giovanni’s noch sehr nahe. In Padua findet sich noch ein bezeichnetes Werk Giovanni’s: „Joh’is magistri Nicoli“; nämlich das Grabmal des Errico Scrovegno f hinter dem Altar in Madonna dell’ Arena (1321). Maria, im Gespräch mit dem ganz bekleideten Kinde auf ihrem Arm, und die beiden En- gel sind nicht bloss in der Art, sondern recht sehr in der Manier des Meisters; die Statue des Verstorbenen dagegen ist als eines der frühsten Werke welche seit Untergang der römischen Kunst den Na- Germanische Sculptur. Schule von Pisa. men eines vollendeten Porträts verdienen, von grossem Interesse; im Eifer des neugewonnenen Kunstvermögens hat Giovanni den Kopf und die Hände so im Einzelnen charakterisirt, wie etwa Balth. Denner zu thun pflegt. Von seinen mit Namen genannten Schülern und Nachfolgern wird das Sichere unten aufgezählt. Seine Schule als Ganzes aber giebt sich in den zahlreichen Sculpturen des XIV. Jahrhunderts in und ausser- a halb Pisa kund. In Florenz gehören z. B. die Statuetten mehrerer Gräber zu S. Croce wahrscheinlich hieher; die grosse plastische Werk- statt war eben damals überhaupt Pisa und nicht Florenz, sodass auch die geborenen Florentiner dort Lehre und Anregung empfangen mochten. In Pisa haben, wie es scheint, verschiedene Schüler noch bei Giovanni’s Lebzeiten die vielen Statuetten an der Aussenseite der b von ihm erbauten S. Maria della Spina verfertigt, die denn auch von sehr verschiedener Güte sind. Ganz trefflich und rein einige der zwölf gegen den Christus in der Mitte gewendeten Apostel, auch einiges am vordern Giebel. Noch unter Giovanni’s Einfluss möchte auch die liegende Grab- c statue Heinrichs VII im Camposanto mit dem edel gewendeten Haupt und dem ganz vorzüglich drapirten Kaisermantel gearbeitet sein; die Apostel am Sarcophag zeigen unmittelbar den Styl seiner Schule. (Die sitzende Statue desselben Kaisers am andern Ende des Gebäudes ist nebst ihren Begleitern ein rohes Werk dieser Zeit.) Die spätere Zeit der Schule giebt sich u. a. durch ein zierliches Raffinement der Gewandung kund, wie diess z. B. an der schönen d (verstümmelten) Madonna im Camposanto N. 179 zu bemerken ist, auch an der Gruppe eines Apostels mit zwei Propheten N. 69 u. s. w. Alles in Allem gerechnet, ist Giovanni der einflussreichste Künst- ler seiner Zeit gewesen. Ohne ihn hätte es keinen Giotto gegeben oder einen andern und befangenern. — Giotto verdankt ihm gewiss mehr als seinem Lehrer Cimabue. Arnolfo. Sienesen. Cosmaten. Von den Mitgenossen Giovanni’s, die wir uns hauptsächlich beim Dom von Orvieto um ihn versammelt denken dürfen, ist der als Bau- meister berühmte Florentiner Arnolfo del Cambio mit grösserer Befangenheit auf den germanischen Sculpturstyl eingegangen. Am Brunnen von Perugia beweisen es die Statuetten der mittlern Schale; a sie stehen als fühlten sie Nischen um und über sich. Auch die Fi- guren an den Tabernakeln von S. Paul und S. Cecilia in Rom haben b bei würdiger Gemessenheit doch etwas Unfreies, das von Giovanni’s Art weit abweicht. Agostino und Angelo von Siena , die Erbauer der hintern Fronte des dortigen Domes (S. 135) haben ausser ihrer Mitarbeit in Orvieto nur ein Hauptwerk hinterlassen, von nur zweifelhaftem Werthe. Die Sculptur ist schon seit der Trajanssäule immer in Verlegenheit gewesen, wenn sie eine Übermasse von Thatsachen an einem und dem- selben Denkmal verewigen sollte. So haben sich auch die Beiden we- nig zu helfen gewusst, als sie 1330 das Mausoleum des politisch und kriegerisch berühmten Bischofs Guido Tarlati im Dom von Arezzo c (Seitenschiff links) arbeiteten. Die übliche Form — eine Nische mit Sarcophag und Giebel — behielten sie vergrössert bei und erzählten dem Beschauer in vier Reihen von je vier Reliefs übereinander die Thaten des Helden. Da Vasari’s Aussage sich streng genommen nur auf die Anordnung des Grabes im Ganzen bezieht, so möchte es wohl zweifelhaft bleiben, dass Giotto zu diesen ziemlich ungeschickten Com- positionen die einzelnen Zeichnungen geliefert habe. Viel besser sind die zwischen den Reliefs angebrachten Statuetten. Auch die letzten Cosmaten wurden sowohl decorativ als pla- stisch vom Styl und vielleicht vom persönlichen Einfluss Giovanni’s berührt und die oben erwähnten Prälatengräber in der Minerva und in d S. Maria maggiore zu Rom (S. 166, b und c) möchten leicht zum Lie- e benswürdigsten der ganzen Richtung gehören. Die stille Weihe, welche über diesen nur aus wenigen aber schön geordneten Elementen be- stehenden Denkmälern ruht, hat der ungleich vielseitigere Meister mit seinem Reichthum nie erreicht. — (Die Statue Carls von Anjou, ehe- f mals im untern Saal des Senatorenpalastes auf dem Capitol, wo sie indess 1853 nicht mehr zu finden war, ist ein im Ganzen sehr un- genügendes, aber als Porträt wichtiges Werk, von unbekannter Hand.) Germanische Sculptur. Giotto. Von Giotto selbst, und zwar aus den letzten Jahren seines Le- a bens (1334—36) sind die sämmtlichen Reliefs an den beiden untern Stockwerken des Campanile beim Dom von Florenz entworfen und zum Theil selbst in Marmor ausgeführt (die übrigen von Andrea Pi- sano und Spätern). Composition und plastischer Styl erregen hier ein geringeres Interesse als der Inhalt, welcher eine Art von Ency- clopädie alles profanen und heiligen Thuns der Menschen zu geben sucht. Das Einzelne findet man u. a. in Försters Handbuch verzeich- net. Bei Anlass der Malerei werden wir auf die Anschauungsweise zurückkommen, welche dergleichen Aufzählungen in der damaligen Kunst hervorrief (dergleichen auch der Brunnen von Perugia eine liefert). Jede Kunstepoche braucht einen Gedankenkreis dieser Art, an dem sich die Form entwickeln und äussern kann und der zugleich an sich ein bedeutendes culturgeschichtliches Zeugniss ist. Manche überschätzen ihn wohl auch und legen eine Tiefe hinein, die nicht darin ist. Bei diesem Anlass eine Bemerkung über den Unterschied der christlichen und der antiken Symbolik überhaupt. Die christliche ist nicht volksthümlichen Ursprunges, nicht mit der Religion und mit der Kunst von selbst entstanden wie die antike, sondern durch Combina- tion und Abstraction Gelehrter und Wissender aus den verschiedensten Stellen der Bibel gewonnen. Schon desshalb hat sie nur eine bedingte Gültigkeit in der Kunst erreicht. Nun kam aber noch aus der gelehrten Theologie und Philosophie ein starkes Contingent abstracter allegorischer Begriffe hinzu, welche ebenfalls von der Kunst eine sinnliche Belebung verlangten. Schon im Alterthum kömmt Ähnliches vor, aber anspruch- loser und weniger buchmässig. Wenn man aber inne wird, welchen heiligen Ernst und welche Treue Giotto und die Seinigen diesem Ge- dankenkreise widmeten, so bleibt kein Zweifel, dass sie davon über- zeugt und beglückt waren. Die Gegenstände sind zeitlich bedingt, wenn nur das Gefühl, welches die Künstler daran knüpfen, ein un- endliches ist! — Ihre plastischen Aufgaben waren allerdings viel einfacher als diejenigen auf dem Gebiete der Malerei. Es ist die immer von Neuem dargestellte Madonna zwischen anbetenden Engeln, meist in der Hal- tung, die ihr Giovanni Pisano gegeben, ohne irgend ein Streben nach Andrea Pisano. Nino. besonderm Pathos oder besonderer Verklärung, aber immer schön und bedeutend, und in der Arbeit gewissenhaft; dieser Typus bildet die feste Basis, ohne welche vielleicht die freisten, herrlichsten Madonnen des XVI. Jahrhunderts nicht so vorhanden wären wie sie sind. So- dann wurden biblische und auch legendarische Scenen im Relief be- handelt, und auf diesem Gebiet einzelne Aufgaben so vollendet geist- voll gelöst, wie vielleicht seither nie wieder. Gerade der nächste, den wir hier zu erwähnen haben, Andrea Pisano , übertrug das Darstellungsprincip Giotto’s, unter dessen nächstem Einfluss er arbeitete, mit wahrhaft hohem Bewusstsein in die bedingtern Formen der plastischen Kunst. Von ihm ist die eherne a Südthür am Baptisterium zu Florenz (1330 oder wenig später) mit den Geschichten Johannes des Täufers. Hier ist ein Fortschritt auch über Giovanni hinaus; zwar wird dessen Detailbelebung schon des kleinern Massstabes wegen nicht erreicht, allein die Grenzen des Re- liefs sind hier viel richtiger erkannt und festgehalten. Es ist vielleicht die reinste plastische Erzählung des ganzen germanischen Styles; An- drea giebt das Seinige wunderbar in Wenigem, mit dem sichersten Gefühl dessen was in dieser Gattung überhaupt zu geben war, wäh- rend Giovanni mit seinem Reichthum sich überstürzt hatte. Die Heim- suchung, die Enthauptung, die Überreichung des Hauptes (bloss zwei Figuren), die Grabtragung, die Grablegung des Johannes sind Motive von einfachster Schönheit. Die acht theologischen und moralischen Tugenden in den untern Feldern können ebenfalls in ihrer Art einzig heissen, vor allem die Figur der „Hoffnung“. — Die drei Propheten- b statuen am Campanile (Südseite) sind in ihrer Art viel weniger be- deutend. Andrea’s Sohn, Nino Pisano , erscheint eigenthümlich getheilt. Im Styl der Gewandung möchte er wohl durch Adel, Gemessenheit und schöne Durchführung den Höhepunkt der pisanischen Schule be- zeichnen; auch in den Stellungen seiner ruhigen Figuren hat er nichts von dem Gesuchten, was z. B. den spätern Arbeiten Giovanni’s nach- geht; dafür ist seine Bildung der Köpfe und Hände schon auffallend realistisch. Auf dem Hauptaltar von S. Maria della Spina in Pisa ist c nicht nur der Petrus mit starken Adern der Hände, mit gerunzelter Stirn, sondern auch die Madonna mit allerlei Zügen einer nicht mehr Germanische Sculptur. Pisa. Siena. jungen Frau dargestellt; auf der andern Seite Johannes der Täufer. a — Die gegenüberstehende Reliefmadonna des kleinern Altars (in der Handlung des Säugens) zeigt eine etwas idealere Bildung. — In S. b Caterina (Cap. rechts neben dem Chor) ein Engel Gabriel und eine Madonna, ersterer eine der schönsten pisanischen Statuen, auch letz- tere von trefflicher Arbeit aber einem nichts weniger als hohen Typus (1370). An dem dortigen Erzbischofsgrab (links neben der Thür), vom Jahr 1342, möchten doch wohl nur die untern Reliefs von Nino sein; die obern Figuren sind zu ungeschickt. Weniger eigenthümlich als Nino ist sein Bruder Tommaso Pi- c sano . Von ihm ist der Altar N. 33 im Camposanto und die kleine Madonna N. 172, gute fleissige Arbeiten. Den Ausgang der pisanischen Schule in die Art des XV. Jahr- d hunderts, etwa in der Art des Quercia, bezeichnen ein paar Reliefs in S. Sisto zu Pisa. (Sonstige pisanische Sculpturen s. S. 570.) Die damaligen sienesischen Bildhauer, gleich Agostino und Agnolo mehr von Giovanni Pisano’s Geist als von dem der gleich- zeitigen Maler ihrer Stadt berührt, haben einige nicht unbedeutende e Werke hinterlassen. Die Sculpturen an der Fassade des Domes, theils von dem frühern Bau entlehnt, theils modern, geben keinen Massstab. f Im Dom von Pistoja (rechts) ist das Grabmal des Rechtsgelehrten Cino (1337) eine naive Arbeit des Sienesen Cinello; der Verstorbene g ist als Docent nebst Zuhörern dargestellt Diese Art von Professorendenkmälern ist dann besonders häufig in Bologna * wiederholt worden, wo man dergleichen sowohl vom Styl des XIV. als des ** XV. Jahrhunderts, z. B. im Klosterhof von S. Domenico, im Chorumgang von S. Giacomo etc., mehrere findet. Die bessern zeigen in den Zuhörern einen abwechselnden, bisweilen tief gemeinten Ausdruck. (Staunen, Sinnen, Federspitzen, Nachschreiben u. s. w.). . Im Dom von Florenz sieht man gegen Ende des rechten Seitenschiffes oben auf einem Aus- bau schwebend ein Bischofsgrab von dem Sienesen Lino di Camaino, mit gutem Relief, sonst merkwürdig durch die für diese Höhe mit Recht sitzend, aber als sitzende Leiche gebildeten Bischofsstatue. — Von Lino ist auch das mehr decorativ wichtige Grabmal des Bischofs Siena. Spätere Florentiner. Orcagna. Aliotti im rechten Querschiff von S. Maria novella (die Reste seines a Altars im rechten Querschiff des Domes von Pisa habe ich nicht fin- den können). — Ein ganz später Sieneser, der sich Ego Jacobus magistri Petri de senis 1422 unterzeichnet, und den man nach Va- sari’s (schwerlich richtiger) Annahme für Jacopo della Quercia (s. unten) hält, schuf den Altar der Sacramentscapelle in S. Frediano zu b Lucca, Madonna zwischen vier Heiligen in gothischen Baldachinen, deren Spitzen in Halbfiguren von Propheten auslaufen, anmuthvolle germanische Figuren, deren späte Entstehung sich nur durch das über- mässige Faltenwerk verräth. (Die Reliefs der Predella sind dann wieder für Quercia zu frei und zu entwickelt; sie erinnern eher an die Arbeiten eines Benedetto da Majano.) Von Niccolò Aretino sind zwei unter den Statuen der Pa- c triarchen am Campanile zu Florenz (Ostseite) und die Lunettengruppe an der Misericordia zu Arezzo, mittelgute Arbeiten. Bei weitem d origineller die sitzende Statue des Marcus im Dom zu Florenz (erste e Chorcapelle links). Im Innern des Bigallo zu Florenz (jetziger Archivraum) ist eine f Madonna zwischen zwei manierirten Engeln, von Alberto di Ar- noldo (um 1360), ein mehr fleissiges als geistvolles Werk. (Die kleine Madonna aussen am Gebäude wird dem Nic. Pisano beigelegt, was auf sich beruhen mag. Die Füllfiguren der Architektur, Prophe- ten und Sibyllen, sind ziemlich roh gegebene Schulmotive.) Weit der bedeutendste der Schule in der zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts ist hier wie für die Malerei Andrea ( di Cione , ge- nannt) Orcagna (1329—89). Die Sculpturen seines berühmten und überaus prächtigen Tabernakels in Orsanmicchele (1359) sind schon g sachlich wichtig als Inbegriff dessen, was sich von kirchlicher Sym- bolik an Einem Kunstwerk zusammenstellen liess. Im plastischen Styl ist Orcagna wie A. Pisano dem Giovanni Pisano durch Ruhe und Gemessenheit überlegen; die Figuren stehen auch in einer höhern Linienharmonie mit der Decoration; allein die Formenschönheit er- scheint als eine etwas allgemeine und nicht ganz lebendige. (Das Bedeutendste einige köstliche Füllfiguren an den Pfeilern und das Germanische Sculptur. Goldschmiedearbeit. Relief der Rückseite.) — Nach meinem Dafürhalten haben die Relief- a medaillons der Loggia de’ Lanzi (Tugenden Nach Andern zum Theil von Jacopo di Pietro. und Madonna, nach 1375) einen höhern und reinern Schwung; schon die verwitterten b Aussenstatuetten an den Fenstern von Orsanmicchele, wahrscheinlich ebenfalls von Orcagna, sind denjenigen des Tabernakels zum Theil mindestens gleich an Werthe. (Es stehen ähnliche auch innen am Stabwerk der Fenster, allein so beleuchtet, dass man kaum ihr Da- sein bemerkt.) Von einem Nachahmer Orcagna’s (nicht von Andrea Pisano, wie c man schon gemeint hat) ist der Taufstein im Baptisterium, dessen figurenreiche Reliefs, lauter Taufen darstellend, des Formates wegen sehr langgestreckte Gestalten zeigen. Dabei eine fleissige und nicht geistlose Arbeit. Von einem späten Trecentisten, Simone da Fiesole , mag die d thronende Madonna in Orsanmicchele (Wandnische links) wenigstens erwähnt werden, als Specimen dieser Art. e Prachtarbeiten wie der silbervergoldete Altar im Dom von Pistoja (hintere Capelle rechts, gewöhnlich verdeckt) bilden in den Zeiten einer blühenden Steinsculptur nicht mehr eine die Kunst bestimmende Gattung, sondern hängen von dem Bildungsgrad der Steinsculptur ab und kommen den Werken derselben nicht einmal durchgängig gleich, weil der enge Raum und der kostbare Stoff den Künstler bindet. Eine streng chronologische Besichtigung ist indess bei einem Werke, an welchem das ganze XIV. und XV. Jahrhundert hindurch ciselirt wurde, immer sehr lehrreich. (Das Beste enthält wohl die untere Tafel rechts, von Leonardo di Ser Giovanni, 1366.) Der ehemalige decorative Zusammenhang des Ganzen, als der Altar noch frei stand, f bleibt zweifelhaft. — Den Silberaltar im Baptisterium zu Florenz, von ähnlichem Werth, hat der Verfasser nicht gesehen. Von einem späten Florentiner dieser Richtung, Andrea da Fie- sole (der mit dem 100 Jahre jüngern Andrea Ferrucci nicht zu ver- Bologna und Ferrara. wechseln ist) sind einige Denkmäler in Bologna zu beachten, meist Professorengräber der oben (Seite 574, g) beschriebenen Gattung. So eines des Juristen Saliceti (1403) im Klosterhof von S. Martino mag- a giore; ein anderes des Bartolommeo Saliceti (1412) im Klosterhof von b S. Domenico; (die Eckstatuen und oben der zweite Apostel neben der Madonna fehlen; das Relief der Zuhörer und die Putten an den Con- solen unten sind gut und lebendig, die liegende Statue weniger). Von ähnlichem Styl, doch schon mehr in der Art des XV. Jahr- hunderts, das vortreffliche Grabmal des Juristen Antonio Bentivoglio c im Chorumgang von S. Giacomo maggiore; von den Statuetten sind zumal die der vier Tugenden lebendig und ausdrucksvoll. Die sonstigen bolognesischen Sculpturen germanischen Styles sind meist ebenfalls von Fremden gearbeitet. Unter den Urhebern der ziemlich unbedeutenden Heiligenbrustbilder am Sockel von S. Petronio d wird auch ein Deutscher, Hans Ferrabech genannt, welchem der S. Paulus angehört. Von dem Venezianer Jacopo Lanfrani ist das Denkmal des Taddeo Popoli in S. Domenico, Nebencapelle des e linken Querschiffes, vom Jahr 1347, und dasjenige des Juristen Cal- f derini, † 1348, im dortigen Klosterhof; beides befangene Arbeiten. Sonst geben z. B. die Sculpturen am obern Theil des Dompor- g tals zu Ferrara einen Massstab für dasjenige, was etwa um 1300 unabhängig von den Pisanern in diesen Gegenden erreicht wurde. (Madonna; das Weltgericht als Fries; drüber im Giebel der Welt- richter mit Heiligen und musicirenden Ältesten; weiter unten zu beiden Seiten Abrahams Schooss und der Schlund der Hölle.) Bei mancher Ungeschicklichkeit sind doch Köpfe und Gewandmotive fast durchgängig energisch und in ihrer Weise schön, das Ganze völlig aus Einem Guss. Nächst Pisa ist wohl Venedig derjenige Punkt Italiens, wo die Sculptur des germanischen Styles ihre wichtigste Werkstätte hatte. Alle venezianische Malerei des XIV. Jahrhunderts, sowohl die noch byzantinische als die halb giotteske, steht an innerer Bedeutung hinter der gleichzeitigen Sculptur zurück. Die mangelnde Grossräumigkeit der B. Cicerone. 37 Germanische Sculptur. Venedig. Calendario. Gebäude führte bei sonst reichen Mitteln von selbst auf einen Ersatz durch plastischen Schmuck, und bei einem so durchgehenden Bedürf- niss konnte sich auch eine Schule und eine Tradition entwickeln. Eine gewisse Einwirkung von der pisanischen Schule her ist wohl a nicht zu läugnen. Man sieht am vordern Portal von S. Maria de’ Frari eine treffliche Madonnenstatue, welche von Niccolò Pisano sein soll, der bekanntlich durch den Bau dieser Kirche zuerst den germanischen Baustyl nach Venedig brachte (S. 137, c). Aus der pi- sanischen Schule ist sie jedenfalls, und vielleicht existirt noch Ande- res mehr von dieser Art Vasari hatte eine dunkle Kunde, dass Andrea Pisano an S. Marco gearbei- tet habe. . Ausserdem aber hat der Norden, wie auf Giovanni Pisano, so auch auf die venezianischen Sculptoren einge- wirkt, und zwar auf diese sehr unmittelbar. Man erkennt diesen Ein- fluss in der eigenthümlichen Rundung der jugendlichen Köpfe, in der grössern Strenge der Gewänder, in den ausgeschwungenen Stellungen (vgl. Seite 566), welche bei den Pisanern ebenfalls, aber in einer an- dern Nuance vorkommen. Das Wesentliche aber ist, dass dieser Styl an einer ganzen Anzahl von Werken mit Geist und Leben gehand- habt wurde. Die geschichtlichen Anhaltspunkte sind nur spärlich vorhanden, oder dem Verfasser nicht genügend bekannt. — Der erste notorische Meister ist Filippo Calendario , welcher um 1350 den Dogen- palast erbaute und mit Sculpturen versah. Es sind diess grössere b Relieffiguren an den Ecken (Taufe Johannis, Sündenfall, Engel etc.), und ganz besonders die figurirten Capitäle der untern Ordnung. Wenn auch die geistvollsten und zierlichsten — unläugbar diejenigen zu- nächst bei S. Marco — erst von spätern Meistern sein sollten; so ent- halten doch auch die übrigen (gegen die Riva und die ersten gegen die Piazzetta hin) eine Menge von originell gewendeten, ausdrucks- vollen Figürchen (meist allegorischen Inhaltes). Die Hochreliefgruppe „Salomo’s Urtheil“, an der Ecke gegen S. Marco, ist als Ganzes un- geschickt, im Einzelnen aber sehr würdig und wohl nicht viel später als Calendario Von dem bei Anlass von Bologna erwähnten Venezianer Lanfrani ist in Venedig nichts erhalten. . Venedig. Die Massegne. In die letzten Jahrzehnde des XIV. Jahrhunderts fällt dann die Thätigkeit der Brüder Jacobello und Pierpaolo delle Mas- segne von Venedig. Von ihnen sind die vierzehn Statuen der Apo- a stel mit Maria und S. Marcus, welche in S. Marco auf dem Geländer stehen, das den Chor vom Querbau abschliesst; ebenso das Dogengrab Antonio Venier im linken Querschiff von S. Giovanni e Paolo; ausserdem b möchte ich ihnen das schöne Lunettenrelief über dem Eingang zum Vor- c hof von S. Zaccaria (Madonna mit Johannes dem Täufer und S. Marcus) und in der Taufcapelle von S. M. de’ Frari (sog. Cap. S. Pietro, links) d die fünf Statuen an der Wand über dem Taufbecken, sowie die fünf obern Halbfiguren des dortigen Altars zuschreiben. (Die fünf untern ganzen Figuren sind etwa 60 Jahre neuer.) Vielleicht dürfen wir auch die ehemalige Decke der Pala d’oro im Schatz von S. Marco hieher- e rechnen; sie enthält (in vergoldeter getriebener Arbeit) die Gestalten der Apostel Mit diesen Arbeiten ist der grosse Marmoraltar von S. Francesco in Bologna * welcher ebenfalls dem Jacobello und Pierpaolo von Venedig zugeschrieben wird, kaum zu vereinigen. In dieser auszeichneten Arbeit ist statt des eigen- thümlichen Schwunges der Massegne in Haltung und Gewandung eher eine Zerbröckelung in kleine Motive und eine steife Stellung zu bemerken. Von den Charakterköpfen sind einige recht schön. — Auch dem Agostino und Agnolo von Siena, welchen Vasari den Altar zuschreibt, gleicht der Styl wenig. . — Mit einer meist etwas gedrungenen Bildung wird man in den genannten Werken eine ernste Anmuth, einen gediegenen Aus- druck und jenen idealen Schwung der Gewandung verbunden finden, den die Pisaner durch eine mehr zierliche Lebendigkeit ersetzen. Den Mastro Bartolommeo , welcher den Übergang in den Styl des XV. Jahrhunderts bezeichnet, versparen wir auf die fol- gende Periode. — Von der grossen Menge anonymer Arbeiten germani- schen Styles, welche bis in die ersten Jahrzehnde des XV. Jahrhun- derts herabreichen, sind hauptsächlich diejenigen an S. Marco hervor- zuheben. Und zwar wird es hier wohl gethan sein, den ganzen ältern pla- stischen Vorrath dieses wundersamen Gebäudes im Zusammenhang zu 37* Germanische Sculptur. Venedig. besprechen. Ein grosses Stück der Geschichte der Sculptur lässt sich hier mit Beispielen aus den verschiedensten Jahrhunderten belegen. a Zunächst sollen antike Bildwerke daran vorkommen. Es ist mög- lich, dass unter den Kleinigkeiten, die an der Nordseite eingemauert sind, sich etwas der Art befindet; dagegen sind die beiden Reliefs mit Thaten des Hercules an der vordern Fassade wohl nichts anderes, als sehr merkwürdige Versuche eines wohl noch mittelalterlichen Bild- hauers (XIV. Jahrhundert?), griechische Reliefs nachzuahmen. b Altchristlich ist sodann der Architrav des äussersten untern Fas- sadenfensters links; — er bezeichnet das äusserste plastische Unver- mögen vielleicht des X. Jahrhunderts, das sich nur durch Zusammen- setzung alter (und schlechter) Sarcophagbruchstücke zu helfen wusste, um ein Stück biblischer Geschichte zusammenzubringen. Desselben Styles ist wohl auch die Reliefplatte in der Capelle Zeno (rechts), so wie einiges an der Nordseite der Kirche; der zum Dogengrab (Mo- rosini) benützte Sarcophag in der Vorhalle zeigt diesen Styl gänzlich barbarisirt. Inzwischen griff Byzanz dem plastisch verwahrlosten Venedig unter die Arme, durch übersandte oder von griechischen Bildhauern an Ort und Stelle gearbeitete Reliefs (Seite 555) Die beiden Porphyrreliefs, jedes mit einem sich umarmeaden Fürstenpaar, * aussen bei der Porta della Carta, angeblich von Ptolemais hergebracht und als „Harmodius und Aristogiton“ benannt, sind wohl nichts anderes als Denk- mäler irgend einer byzantinischen Doppelregierung, „concordiæ augustorum“. Ähnliche Darstellungen, aus vielleicht früherer Zeit und eben so barbarisch, ** findet man an zwei Porphyrsäulen in der vaticanischen Bibliothek. . Die Madonna in c der Capelle Zeno (links) und die fast weggeküsste am ersten Pfeiler des rechten Querschiffes gelten als Arbeiten aus Constantinopel; eine Anzahl Reliefplatten mit Madonnen und einzelnen Heiligen in der Kirche (an Pfeilern und Wänden vertheilt), dann die vier Reliefs zwi- schen den fünf untern Hauptbogen der Fassade (Madonna, S. Deme- trius, S. Georg und S. Michael) und diejenigen an den entsprechenden Stellen der Nordseite sind eher venezianisch-byzantinisch, nur dass die letztgenannten sich schon wieder mehr der abendländischen Weise zuneigen. Sculpturen der Marcuskirche. Neben der Thätigkeit der Byzantiner nämlich hatte sich auch der ganz verkommene altchristliche Styl wieder aufgerafft; wir haben bereits erwähnt, wie aus den Elementen des römischen Styles ein neuer ro- manischer entstand, und dieser scheint nun in Venedig geraume Zeit neben dem byzantinischen einhergegangen zu sein. Sein erstes Lebens- zeichen sind die peinlich mit Geschichten bedeckten Säulen, welche a den Tabernakel des Hochaltares tragen; vielleicht eine Reminiscenz der Trajanssäule, nur nicht in der Spiralfolge, die z. B. S. Bernward seinen Reliefs an der Säule auf dem Domplatz zu Hildesheim glaubte geben zu müssen. (Ungefähr gleichzeitig, im XI. Jahrhundert.) An- deres dagegen ist von ausgebildetem, zum Theil sehr gutem romani- schem Styl, wie denn diese merkwürdige Kirche auch im Bereich der Mosaiken neben vorherrschenden byzantinischen Compositionen auch ein ausgedehntes Denkmal romanischer Malerei — die Mosaiken in der Vorhalle — aufweist. Diese romanischen Sculpturen finden sich an der Bogeneinfassung b der mittlern Hauptthür (Tugenden, Sibyllen, Verrichtungen der Monate) und an derjenigen des Portals der Nordseite (Propheten, Engel, Hei- lige, nebst einer noch halbbyzantinischen Geburt Christi in dem birn- förmigen Felde über der Thür). Auch die vier vergoldeten Engel unter der Mittelkuppel und derjenige an dem einen Pult gehören hie- her. — Einen Übergang in den germanischen Styl zeigt dann die Bogen- einfassung der Nische über der mittlern Hauptthür (sitzende und leh- nende Propheten, eine Menge von Gewerken und Verrichtungen, die hiemit in den Schutz des heil. Marcus befohlen werden); auch die vier Statuetten in der Capelle Zeno, dem Altar gegenüber, gehören diesem Übergangsstyl, d. h. etwa der ersten Hälfte des XIII. Jahrhun- derts an. Zwar ist hier nichts, was mit der plastischen Sicherheit und Fülle eines Bened. Antelami (Seite 562) wetteifern könnte, allein als belebte und sorgfältige Arbeiten verdienen zumal die letztgenannten Bogeneinfassungen alle Beachtung. Für den vollendeten germanischen Styl Italiens ist sodann die Marcuskirche eines der wichtigsten Gebäude ausserhalb Toscana’s. Im XIV. Jahrhundert erhielten die halbrunden obern Abschlüsse der c Kirche ihre prächtige Bekleidung mit dem schwungreichen durchbro- chenen Laubwerk, den Spitzthürmchen und einer Menge von Statuen Germanische Sculptur. Venedig. S. Marco. a und Halbstatuen. Von den Figuren auf den mittlern Blumen der Ab- schlüsse sind diejenigen an der Vorderseite modern, mit Ausnahme der mittlern, eines sehr würdigen segnenden Christus; an der Süd- und Nordseite scheinen sie sämmtlich gut germanisch. Ebenso die Statuen in den Spitzthürmchen, welche nur etwas zu weit zurückste- hen; treffliche Arbeiten, die sich dem Styl der Massegne nähern. Die aus dem Laubwerk hervorspriessenden Halbfiguren von Propheten und Sibyllen haben in ihrer Beweglichkeit eher etwas mit den Figür- chen an Calendario’s Capitälen gemein; — ebenso auch die Bogen- einfassung des obern Mittelfensters (Geschichten des alten Testamentes und Heilige unter Baldachinen). Endlich gehen die trefflich belebten Urnenträger unter den Spitzthürmchen als freie Stellvertreter der wasser- speienden Thiere schon beinahe über die geistigen Grenzen des ger- manischen Styles hinaus, und wenn irgend eine Kunde der Vermu- thung zu Hülfe käme, so wären sie erst etwa in die Zeit des Mastro Bartolommeo zu setzen. Im Innern sind die schon erwähnten Apostel der Massegne das Bedeutendste. — Ausserdem enthalten zwei Sacramentschränke rechts und links neben dem Chor (im Durchgang zur Nebencapelle) ein paar artige Figürchen von Propheten und Engeln mit Leuchtern. — Die Sta- b tuen über den Säulenstellungen am Eingang beider Nebencapellen des Chores scheinen von einem ungeschicktern Zeitgenossen der Massegne herzurühren. — Die Capelle S. Isidoro fand Verfasser dieses neuerlich sammt dem daselbst befindlichen Alter unzugänglich. Der schöne Altar c in der Capella de’ mascoli — Madonna mit zwei andächtigen in der Arbeit höchst vollendeten Aposteln — ist wohl erst aus dem XV. Jahrhundert, etwa von einem der alten Weise treugebliebenen Zeit- genossen des Mastro Bartolommeo; die Madonna selbst kein pisanisches Werk, wofür sie gehalten wird, sondern ebenfalls venezianisch. Ausserhalb von S. Marco gebührt der Preis dem Relief einer d Madonna mit zwei anbetenden Engeln, in der Lünette einer Thür am linken Querschiff der Frari. Wendung und Gestalt, zumal des Kin- des, sind von einer lebensvollen Schönheit, wie sie in diesem Styl selten wieder so vorkömmt. e Eine Anzahl Grabmäler vorzüglich in S. Giovanni e Paolo vol- lenden das Bild dieses Styles. Wir nennen das Dogengrab Morosini Lombardei. Genua. Neapel. († 1382) im Chor rechts, mit tüchtiger Bildnissfigur und befangenern Statuetten; — das Dogengrab Corner, im Chor rechts (von dem Ur- heber der S. 582, b genannten Statuen?); — die Grabstatue des Do- gen Michele Steno im linken Seitenschiff, mit dem höhnischen Aus- druck u. a. m. Über die Stylnuancen in den germanischen Sculpturen des alten Herzogthums Mailand fehlte mir die eigene Forschung. Es wäre ein verdienstliches Werk unter den 4000 Statuen des Domes von Mailand a die schönen und alten (deren nicht wenige sind) aufzusuchen und zu bezeichnen. — Die berühmtesten Heiligengräber sind: das des S. Pe- trus Martyr in S. Eustorgio zu Mailand, von Giovanni di Bal- b duccio 1339, — und die ausserordentlich reiche Arca di S. Agostino c im Dom von Pavia, begonnen 1362, vielleicht von demselben Bonino da Campiglione , welcher (S. 167, c) bei den Gräbern der Scali- ger erwähnt wurde. Genua ist an dieser Stelle unglaublich arm im Verhältniss zu seiner schon damaligen Bedeutung. Mit Ausnahme von drei Figuren über dem rechten Seitenportal von Madonna delle Vigne habe ich nur d ein Werk zu erwähnen: ein Bischofsgrab im Dom, zunächst beim zwei- e ten Seitenportal rechts, in der Höhe, mit dem Datum 1336. Der auf vier Löwen ruhende Sarcophag hat ein fast pisanisch schönes Relief: der Auferstandene, welcher von den Jüngern erkannt und angebetet wird. Auch die Grabstatue und die vorhangziehenden Engel sind gut. Die neapolitanische Kunstgeschichte beruft sich hauptsäch- lich auf zwei Namen, Masuccio den ältern im XIII. und Masuccio den Jüngern im XIV. Jahrhundert, welche auch als Architekten thätig waren. Die Handbücher theilen jedem von beiden das Seinige zu; wir haben es hier nur mit dem Schulstyl im Allgemeinen zu thun. Wenn der Anschein nicht trügt, so hat auch hier Giovanni Pi- sano eingewirkt, ist aber nicht ganz durchgedrungen. So weit diese neapolitanische Sculptur von den gemeinsamen Tugenden des germa- nischen Styles, der Würde der Stellung, dem reinen Fluss der Dra- perien, dem Ernst und der Schönheit der Gesichtszüge mit bedingt ist, Germanische Sculptur. Neapel. mag sie wohl Gefallen erregen; was ihr aber eigen, das ist eine ge- wisse Plumpheit und Puppenhaftigkeit, eine monotone Wiederholung derselben Motive, eine Gedankenlosigkeit, die neben den gleichzeitigen toscanischen Sculpturen arg abstechen würde. Hievon machen weder a die Gräber des Hauses Anjou in S. Chiara, noch die keck bemalten in b der Capella Minutoli im Dom (hinten, rechts), noch diejenigen des c Hauses Durazzo im Chorumgang von S. Lorenzo, noch die in S. Do- d menico, eine Ausnahme. Es sind immer die gleichen allegorischen Tugenden und Wissenschaften, die freistehend den Sarg tragen, immer dieselben Relieffiguren am Sarg selber, die nämlichen vorhangziehen- den Engel drüber u. s. w. Die Statuen der Verstorbenen selbst er- scheinen meist etwas besser. — Eine Menge solcher Gräber in allen ältern Kirchen, hie und da mit Farbenschmuck und Mosaiken. Ein e grosses erzbischöfliches Grab vom Jahr 1405 in der letzten Capelle des rechten Seitenschiffes im Dom. Das Beste dieses Styles sind wohl die neun allegorischen Figu- f ren, welche je zu dreien gruppirt den Leuchter der Osterkerze in S. Domenico maggiore tragen. Hier belebt sich Antlitz und Gestalt bis zu freier Anmuth; die Behandlung ist derjenigen des Weihbeckens in S. Giovanni Fuoricivitas zu Pistoja ähnlich, welches dem Giovanni Pisano selbst zugeschrieben wird. Aus dem Anfang des XV. Jahrhunderts kömmt hinzu das grosse g prachtvolle Grabmal des Ladislas und seiner Schwester Johanna II, von Andrea Ciccione, in S. Giovanni a Carbonara. Auch hier ist alles Einzelne viel lebendiger und bedeutender als bei den Masuccj, die Charaktere zumal in den kleinern Statuetten schärfer und energi- scher, so dass sich der Übergang in den eigenthümlichen realistischen Styl des XV. Jahrhunderts nicht verkennen lässt. h Die Portalsculpturen am Dom und an S. Giovanni Maggiore sind bloss als decoratives Ganzes von Bedeutung. i Die Grabstatue Innocenz IV, im linken Querschiff des Domes, mit ihrem höchst ausdrucksvollen, imposanten und feinen Priesterant- litz ist wohl erst lange nach seinem Tode (1254), etwa zu Anfang des XV. Jahrhunderts gearbeitet. Sculptur des XV. Jahrhunderts. Mit dem XV. Jahrhundert erwacht in der Sculptur derselbe Trieb wie in der Malerei (bei welcher umständlicher davon gehandelt wer- den wird), die äussere Erscheinung der Dinge allseitig darzustellen, der Realismus . Auch die Sculptur glaubt in dem Einzelnen, Vie- len, Wirklichen eine neue Welt von Aufgaben und Anregungen ge- funden zu haben. Es zeigt sich, dass das Bewusstsein der höhern plastischen Gesetze, wie es sich in den Werken des XIV. Jahrhun- derts offenbart, doch nur eine glückliche Ahnung gewesen war; jetzt taucht es fast für hundert Jahre wieder unter, oder verdunkelt sich doch beträchtlich. Die Einfachheit alles Äusserlichen (besonders der Gewandung), welche hier für die ungestörte Wirkung der Linien so wesentlich ist, weicht einer bunten und oft verwirrenden Ausdrucks- weise und einem mühsam reichen Faltenwurf; Stellung und Anord- nung werden dem Ausdruck des Charakters und des Momentes in einer bisher unerhörten Weise unterthan, oft weit über die Grenzen aller Plastik hinaus. Aber Ernst und Ehrlichkeit und ein nur theil- weise verirrter, aber stets von Neuem andringender Schönheitssinn hüten die Sculptur vor dem wüst Naturalistischen; ihre Charakter- darstellung versöhnt sich gegen den Schluss des Jahrhunderts hin wieder mehr und mehr mit dem Schönen; es ebnen sich die Wege für Sansovino und Michelangelo. Das Relief aber musste dem Realismus bleibend zum Opfer fallen. Sollte es in Darstellung der Breite des Lebens mit der Ma- lerei concurriren, so war kein anderer Ausweg: es wurde zum Ge- mälde in Stein oder Erz. Bei mehrern Künstlern, zumal bei den Rob- bia, schimmert das richtige Bewusstsein von dem, was das Relief soll, Sculptur des XV. Jahrhunderts. Florenz. deutlich durch; ja es fehlt durchgängig nicht an plastisch untadelhaften Einzelmotiven; im Ganzen aber ist das Relief dieser Zeit eine Neben- gattung der Malerei. Die Überfüllung spätrömischer Sarcophage mochte wohl zur Entschuldigung dienen. Im Ganzen aber wird man erstau- nen, in dieser Sculptur, deren decorative Einfassung lauter antikisi- rende Renaissance ist, fast gar keinen plastischen Einfluss des Alterthums zu entdecken. Mit Ausnahme etwa einzelner Puttenmo- tive ist nur hie und da eine Figur von dort entlehnt; die Behandlung aber, Zeichnung und Modellirung, ist kaum irgendwie vom Alterthum berührt. Die neuen und die in neuer Gestalt fortdauernden frühern Gat- tungen der Denkmäler wurden schon bei Anlass der Decoration (Seite 227, ff.) aufgezählt. Die zeitliche Priorität in Betreff des neuen Styles könnte zwischen dem Sienesen Jacopodella Quercia (1344— um 1424) und dem Flo- rentiner Lorenzo Ghiberti (1378—1455) streitig sein Jedenfalls ist sie auch hier auf Seiten der Sculptur, nicht auf Seiten der Malerei, wenn es sich auch nur um etwa ein Jahrzehnd h a ndelt. . Allein der letztere hat jedenfalls den ganzen Stylwechsel ebenso selbstständig durchgemacht als Jener, und zwar als Führer der mächtigsten Schule; er ist zugleich einer der grössten Bildhauer aller Zeiten. Merkwürdig durchdringt sich in ihm der Geist des XIV. und der des XV. Jahrh. mit einem schon darüber hinausgehenden Zug frei- ster Schönheit, wie er im XVI. Jahrh. zur Blüthe kam. Die beiden Idealismen, Giotto und Rafael, reichen sich über den Realismus hin- weg die Hand, und dabei erscheint Ghiberti durchgängig voll des höchsten Lebensgefühles, wie es selbst in Donatello nicht reichlicher vorhanden ist. — Die Belege zu seinem Entwicklungsgang liegen haupt- sächlich in den gegossenen Bronzereliefs, aus welchen seine meisten Werke bestehen. Die Technik des Gusses gilt hier, beiläufig gesagt, als eine vollendete. Die frühern Arbeiten zeigen noch den Künstler des germanischen Styles, und zwar den geistvollen Erweiterer desjenigen Principes, wel- chem Andrea Pisano nachlebte. Ausser dem Relief mit Isaaks Opfer, Lorenzo Ghiberti. welches mit derselben Darstellung von Brunellesco concurrirte und a dieser an Geschick der Anordnung und an Schönheit des Einzelnen beträchtlich überlegen ist (beide in den Uffizien, I. Zimmer der Bron- zen), sind die Pforten der nördlichen Thür des Baptisteriums (1403 b bis 1427) aus dieser frühern Zeit. Sie stellen in vielen Feldern die Geschichte Christi, unten die vier Evangelisten und die vier grossen Kirchenlehrer (sitzend) dar. Als Reliefs, welche die höchsten Bedin- gungen dieser Gattung nahezu erfüllen, stehen sie unstreitig höher als die viel berühmtern Pforten der Ostthür; sie geben das Ausserordent- liche mit viel Wenigerem; nirgends ist mit der blossen prägnanten Andeutung, wie sie schon der kleine Massstab vorschrieb, Grösseres geleistet; zugleich wird Andrea Pisano hier an Lebendigkeit der Form und des Ausdruckes überholt. Die Räumlichkeit ist schon etwas um- ständlicher als bei ihm, doch noch immer stenographisch. Der Blick muss sich mit Liebe in diese meisterlichen kleinen Gruppen vertiefen, um ihnen ihren ganzen Werth abzugewinnen; dann wird man viel- leicht zugeben, dass Scenen wie hier die Erweckung des Lazarus, die Taufe Christi, die Geburt, die Tempelreinigung, die Anbetung der Könige, Christus als Knabe lehrend nicht mehr ihres Gleichen haben und von den untern Figuren wenigstens der tiefsinnende Johannes nicht. Auch von den beiden von G. herrührenden Reliefs am Taufbrun- c nen zu S. Giovanni in Siena (1417) ist Johannes vor Herodes, wie er aus dem Verklagten zum Ankläger wird, eine dramatische Erzählung ersten Werthes; die Taufe Christi entspricht im Ganzen der eben ge- nannten. — An dem marmornen Sacramentschrank im Chor von S. Maria d la nuova in Florenz ist das Bronzethürchen mit dem herrlich gedach- ten Reliefbild des thronenden Christus ohne Zweifel ein frühes Werk von Ghiberti. Die östlichen Thüren des Baptisteriums, die sog. „Pforten des Pa- e radieses“ (1428—42) enthalten in grössern Feldern die Geschichten des alten Testamentes. Hier spricht das neue Jahrhundert; Ghiberti glaubt, ihm sei dasselbe erlaubt wie (etwas später) Masaccio; er be- freit das Relief wie dieser die Malerei von der bloss andeutenden, durch Weniges das Ganze repräsentirenden Darstellungsweise und übersieht dabei, dass diese Schranke in der Malerei eine freiwillige, Sculptur des XV. Jahrhunderts. Ghiberti. im Relief eine nothwendige gewesen war. Eine figurenreiche Assi- stenz umgiebt und reflectirt jedes Ereigniss und hilft es vollziehen; reich abgestufte landschaftliche und bauliche Hintergründe suchen den Blick in die Ferne zu leiten. Aber neben diesem Verkennen des Zieles der Gattung taucht die neu geborene Schönheit der Einzelform mit einem ganz überwältigenden Reiz empor. Die befangene germa- nische Bildung macht hier nicht einem ebenfalls (in seinen eigenen Netzen) befangenen Realismus Platz, sondern einem neuen Idealismus. Einige antike Anklänge, zumal in der Gewandung, lassen sich nicht verkennen, aber es sind wenige; das Lebendig-Schönste ist G. völlig eigen. Es wäre überflüssig Einzelnes besonders hervorzuheben; der Reiz der Reliefs sowohl als der Statuetten in den Nischen spricht mäch- tig genug zu jedem Auge. a Der eherne Reliquienschrein des heil. Zenobius (1439) unter dem hintersten Altar des Domes enthält auf der Rückseite einen von schwe- benden Engeln umgebenen Kranz, auf den drei übrigen Seiten die Wun- der des Heiligen, in einer ähnlichen Darstellungsweise wie die der letztgenannten Pforten. (Man übersehe die beiden Schmalseiten nicht, b welche vielleicht das Vorzüglichste sind.) — Die einfache und kleinere Cassa di S. Giacinto in den Uffizien (I. Zimmer der Bronzen) zeigt bloss an der Vorderseite schön bewegte Engel. — Auch die Grab- c platte des Lionardo Dati mit dessen grosser Flachrelieffigur im Mittel- schiff von S. Maria novella ist hier schliesslich als trefflichste Arbeit in dieser Gattung zu erwähnen. Nur zwei ganze Statuen sind von Ghiberti vorhanden, die aber d genügen um ihn in seiner Grösse zu zeigen; beide an Orsanmicchele. Die frühere, welche dem Styl der ersten Thür entspricht, ist Johannes der Täufer (1414), ein Werk voll ungesuchter innerer Gewalt und ergreifendem Charakter der Züge, in herben Formen. (Sehr bezeich- nend für Ghiberti’s ideale Sinnesart ist die Bedeckung des bloss an- gedeuteten Thierfelles mit einem Gewande.) Die jüngere ist S. Ste- phanus, eine der zugleich reinsten und freisten Hervorbringungen der ganzen christlichen Sculptur, streng in Behandlung und Linien und doch von einer ganz unbefangenen Schönheit. Es giebt spätere Werke von viel bedeutenderm Inhalt und geistigem Aufwand, aber wohl keines mehr von diesem reinen Gleichgewicht. (Der Matthäus, früher Michelozzo. Die Robbia. ebenfalls dem Ghiberti zugeschrieben, gilt jetzt als Werk des Bau- a meisters Michelozzo ; eine schöne, einfach resolute Arbeit, mit würdigen Zügen, aber von rechts gesehen ungenügend und in der Dra- perie zu allgemein. — Die drei christlichen Tugenden, unten an dem b Denkmal Johanns XXIII im Baptisterium, sind wohl sämmtlich von Michelozzo; vorzüglich edel belebt die „Hoffnung“. In der innern Sacristei daselbst befindet sich die silberne Johannesstatue desselben c Künstlers. Über der Thür der gegenüber vom Baptisterium liegenden Canonica ist der naive kleine Johannes von ihm. Als Bildhauer war d er Gehülfe Donatello’s.) Ghiberti’s Richtung behielt den unmittelbaren Sieg nicht; wir werden sehen, wie der entschiedene Naturalismus Donatello’s die Meisten mit sich fortriss. Was aber später von Schönheit und echtem Schwung der Form und des Gedankens zum Vorschein gekommen ist, das deutet auf Ghiberti zurück und hat seinen Anhalt an den Robbia . Denn neben ihm, den Erzgiesser, war ein Bildner in Thon auf- getreten, wie die Welt keinen grössern gekannt hat, Luca della Robbia (1399— nach 1480), welcher nebst seinem Neffen Andrea (1435—1528), dessen Söhnen Giovanni und Girolamo und meh- rern Verwandten und Mitgenossen eine Schule von mehr als einem Jahrhundert und doch von einem durchaus gemeinsamen Charakter bildet. Bis in die 1530er Jahre hinein wechselt der Styl derselben nur in leisen Übergängen; sie macht wenige Concessionen an den inzwischen so oft und stark geänderten Geschmack; von selbst ist sie dem Schönsten jedes Jahrzehnds seelenverwandt; sie erlischt auf der gleichmässigen Höhe ihres Könnens durch Mangel an Bestellun- gen, indem sie mit dem emporgekommenen sog. grossartigen Styl weder Verhältniss noch Bündniss schliessen kann. Hier liegt eine erbliche Gesinnung zu Grunde, die wie ein Schutzgeist unsichtbar über der Werkstatt gewaltet haben muss. Das erste grosse Werk Luca ’s gehört nicht dem Thon, sondern der Marmorsculptur an; es ist der berühmte Fries, welcher ehe- e mals die eine Orgelbalustrade im Dom schmückte und jetzt in zehn Stücken in den Uffizien (Gang der toscan. Sculpt.) aufgestellt ist: Sculptur des XV. Jahrhunderts. Die Robbia. singende, musicirende und tanzende Knaben und Mädchen verschie- denen Alters. Nirgends tritt uns das XV. Jahrhundert anmuthreicher und naiver entgegen als hier; es ist keine schöne naive Stellung und Geberde im Kinder- und Jugendleben, die nicht hier verewigt wäre. Manche Motive sind auch plastisch von vollendeter Schönheit und Strenge, der Ausdruck durchgängig überaus liebenswürdig Noch eine Marmorarbeit Luca’s wären drei von den Statuen an der Dom- * seite des Campanile (zwei Propheten und zwei Sibyllen; die vierte soll von ** Nanni di Bartolo sein. Ihre Aufstellung macht jede genauere Prüfung un- möglich. — Die beiden halbfertigen Reliefs mit der Geschichte des Petrus befinden sich bei dem Orgelfries in den Uffizien. . a Im Erzguss lieferte Luca die Thüren der Sacristei im Dom. Bei grosser Schönheit des Einzelnen sind sie doch kein ganz harmo- nisches Werk; die Anordnung im Raum, die Wiederholung ähnlicher Motive (je ein sitzender Heiliger mit zwei Engeln etc.), der kleine Massstab, wodurch der Ausdruck mehr in die Geberde als in die Züge zu liegen kam — diess Alles stimmte nicht ganz zu Luca’s Weise, und auch in dem Grad der Reliefbehandlung fehlt Ghiberti’s untrügliche Sicherheit. (Ein Theil der Felder von Maso di Barto- lommeo.) Bei weitem die zahlreichsten Werke der Schule sind die Sculptu- ren von gebranntem und glasirtem Thon , deren Florenz und die Umgegend (nach starker Ausfuhr) noch immer unzählige besitzt; meist Reliefs, doch auch ganze Statuen. Die Glasur, vorherrschend weiss, bei den Reliefs mit hellschmalteblauem Grunde, ist von einer merkwürdigen, wie man sagt, sehr schwer zu erreichenden Zartheit, die auch der leisesten Modellirung beinahe vollkommen folgt. Anfangs wohl aus technischem Unvermögen, in der Folge gewiss aus stylistischen Grundsätzen, hielten sich die Robbia durchschnittlich ausser dem Weiss an vier Farben: gelb, grün, blau, violett Das schon früh vorkommende Braun scheint wie nur aufgemalt. ; erst in der spätern Zeit der Schule gaben sie dem allgemeinen Drang der Zeit nach und führten die Colorirung bisweilen nach dem Leben durch. Allein auch hier noch hielten sie eine sehr bestimmte Grenze fest; alle bloss de- corativen Figuren und Zuthaten blieben auf das bisherige Farben- system beschränkt und auch in den Hauptfiguren will die Färbung, Die Robbia. selbst des Nackten, noch keine Illusion hervorbringen, wie z. B. Wachsbilder; die lebhaften Farben und reichen Details, welche den plastischen Eindruck aufhöben, werden sorgfältig vermieden, sodass der Sculptur und ihren hohen Gesetzen das vollste Vorrecht bleibt Wie roh die Technik noch bei den nächsten Vorgängern in dieser Gattung gewesen war, zeigt z. B. die Krönung Mariä in der Portallunette von S. Ma- * ria nuova, ein Werk des Dello um 1400; statt der Glasur kalte Vergoldung. . Es sind allerdings keine höchsten Aufgaben und Ziele, welche diese Schule verfolgt hat; sie konnte auch nicht die Hauptstätte des Fortschritts im Grossen sein. Allein was sie gab, so bedingt es sein mochte — es war in seiner Art vollendet. Sie lehrt uns die Seele des XV. Jahrh. von der schönsten Seite kennen; der Naturalismus liegt wohl auch hier zu Grunde, aber er drückt sich mit einer Ein- fachheit, Liebenswürdigkeit und Innigkeit aus, die ihn dem hohen Styl nahe bringt und deren lange und gleichmässige Fortdauer gra- dezu ein psychologisches Räthsel ist. Was als religiöser Ausdruck berührt, ist nur der Ausdruck eines tief ruhigen einfachen Daseins, ohne Sentimentalität oder Absicht auf Rührung. — Und, was man ja nicht übersehen möge, jedes Werk ist ein neu geschaffenes Original- werk, keines ein blosser Abguss. Hundertmal wurden die gleichen Seelenkräfte in gleicher Weise angestrengt ohne dabei zu erlahmen. — Bei der folgenden Aufzählung ist es uns unmöglich zu scheiden, was Luca und was den Nachfolgern angehört; schon die vorhandenen Angaben reichen dazu bei Weitem nicht aus. Wir geben nur das Wichtigste. Fürs Erste hat diese Schule das Verhältniss ihrer Gattung zur Bauweise der Renaissance mit Freuden anerkannt und im Einklang mit den grössten Baumeistern ganze grosse Gebäude ver- ziert. — Von Andrea d. R. sind jene unvergleichlichen Medaillons mit Wickelkindern an den Innocenti bei der Annunziata. Man muss a sie alle, wonöthig mit dem Glas, geprüft haben, um von diesem un- erschöpflichem Schatz der heitersten Anmuth einen Begriff zu erlangen. — Ebenso sind von Andrea die Medaillons mit Heiligenfiguren an der b Halle auf Piazza S. Maria novella; die Thürlunette am Ende der Halle selbst (Zusammenkunft von S. Dominicus und S. Franz) ist vom Herr- Sculptur des XV. Jahrhunderts. Die Robbia. lichsten der ganzen Schule. — Aus mehrern Klostergängen, u. a. aus der Certosa sind ganze grosse Reihenfolgen von Heiligenköpfen in a Medaillons nach der Academie gebracht und in deren Hof eingemauert worden; sie sind von sehr verschiedener Güte, die bessern darunter aber sehr würdig und zum Theil von himmlischer wie weltlicher Ju- b gendschönheit. — (Zwei einzelne Köpfe, ein lachendes Weib und ein Bacchus, im Hof von Pal. Magnani.) An Orsanmicchele hat Luca c zwei von den Medaillons mit holdseligen Reliefs ausgefüllt (sitzende Madonna und zwei Wappenengel). — In andern, hauptsächlich klei- nern Bauten übernahm die Schule wenigstens die Cassettirung ein- d zelner Wölbungen, kleiner Kuppeln (Cap. Pazzi bei S. Croce, wo e auch Figürliches; Vorhalle des Domes von Pistoja etc.); auch die f Verzierung des Frieses und der Pendentifs (Madonna delle Carceri in Prato etc.); kleine Gewölbe wurden wohl ganz ihren Sculpturen ge- g widmet (die vier Tugenden und der heil. Geist, Cap. des Cardinals von Portugal in der Kirche S. Miniato etc.). — Ein höchst eigenthüm- liches Denkmal der ganzen Schule gewährt endlich der grosse Fries h des Hospitals del Ceppo zu Pistoja (seit 1525); die Werke der Barm- herzigkeit, hier von Ordensleuten ausgeübt, in zum Theil vortrefflicher dramatischer Erzählung durch figurenreiche Scenen. Hier vorzüglich kann man die Mässigung in der Vielfarbigkeit, und zwar auf ver- schiedenen Stufen erkennen; Consequenz der Färbung war ferner das Verzichten auf allen landschaftlichen und sonstigen perspectivischen Hintergrund, der ohne grosse Buntheit nicht wäre anzubringen ge- wesen Vielleicht hat einst auch im altgriechischen Relief die Farbigkeit einen grossen und zwingenden Einfluss auf die Vereinfachung des Styles geübt. — Das Verhältniss der Robbia zur Decoration ihrer Zeit s. S. 237. . Überhaupt ist diese in ihrer Art einzige Arbeit fast ebenso wichtig durch das was die Künstler mit weisem Bedacht wegliessen als durch das was sie gaben. Das italienische Relief ist rein von sich aus hier dem griechischen näher gekommen als irgendwo mit Hülfe römischer Vorbilder Man vergleiche z. B. die antikisirenden Thonreliefs eines oder mehrerer un- * bekannten Meister (etwa 1530) im Hof des Pal. Gherardesca (Borgo a Pinti) in Florenz. Sie sind schon an Liebe und Fleiss der Behandlung nicht mit . (Das äusserste Relief rechts im Styl beträchtlich moderner.) Die Robbia. Sehr zahlreich sind sodann die Lunetten über Kirchen- und Klosterportalen, welche bisweilen den besten Schmuck des Gebäudes ausmachen. Von ganz kleinem Massstab bis zur Lebensgrösse fort- schreitend, geben sie wohl das Bedeutendste von Einzelbildung, dessen die Schule fähig war. Es sind die halben oder ganzen Figuren der Madonna mit zwei oder mehrern Seitenheiligen, oder mit zwei an- betenden Engeln, auch einzelne Ortsheilige mit Engeln u. A. m. — eine sich immer wiederholende und in diesen Formen nie ermüdende Gattung. Die Madonna ist bisweilen von einer Hoheit, die Heiligen von einem tiefinnigen Ernst, die Engel von einer reizenden Holdselig- keit, welche die meisten übrigen Sculpturen der Zeit in Vergessenheit bringen können. Im Detail ist die Gewandung durchgängig das Ge- ringere; die Bildung des Nackten dagegen, zumal der Hände, oft sehr vorzüglich, freilich durch eine Haltung und Bewegung beseelt, welche viel nachlässigere Arbeiten unvergänglich machen würde. — Ausser Stande, sie dem Styl nach zu ordnen, nennen wir nur die wichtigern Lunetten: Ognissanti in Florenz: Krönung Mariä. a S. Lucia de’ Magnoli: die Heilige mit zwei Engeln. b Badia, Cap. in der Kirche links vom Eingang: eine ehemal. Thür- c lunette, Mad. mit zwei Heiligen, aus den allerletzten Zeiten der Schule (von einem gew. Baglioni?) und so schön als das Frühere. Certosa, dritter Hof: S. Lorenz mit zwei Engeln. d Innocenti, Eingang vom Hof in die Kirche: Verkündigung, mit e einem Halbkreis von Cherubim, eines der edelsten Hauptwerke. Kirche Montalvo a Ripoli, Via della Scala: Mad. mit zwei Hei- f ligen, ebenfalls von höchstem Werthe. (Im stets verschlossenen Innern sollen noch zwei gute farbige Robbia sein.) Dom: die Lunetten beider Sacristeithüren von Luca selbst, die g Himmelfahrt (1446) und die (viel bessere) Auferstehung; beide zeigen ihn von der schwächern, nämlich von der dramatischen Seite. S. Pierino (beim Mercato vecchio): Mad. mit zwei Engeln, sehr h früh und von reiner Schönheit. den Robbia zu vergleichen, vielmehr als gleichgültig decorirender Fries rings um den Hof gelegt, der übrigens sammt Umgang immer ein sehenswerthes Prachtstück bleibt. B. Cicerone. 38 Sculptur des XV. Jahrhunderts. Die Robbia. a Vorhalle der Academie: eine Auferstehung, trefflicher als die- jenige im Dom; Mariä Himmelfahrt (Luca). b Dom von Prato: Madonna mit zwei Heiligen, einfach und von schönstem Ausdruck. c Dom von Pistoja: Madonna mit Engeln. d (S. Frediano zu Lucca: Lunette beim Taufbrunnen, mit einer Verkündigung, Cherubsköpfen und Putten; ein räthselhaftes Werk, mit der vollen Technik der Robbia, aber ohne Seele und Schönheit, als hätten sie die Arbeit eines Andern ausführen müssen.) Auch ganze Altäre lieferte die Schule; entweder grosse Altar- reliefs mit irgend einem heiligen Vorgang, oder reichgeschmückte Um- gebungen der Nische für das Sacrament; der Kürze wegen rechnen wir die figurirten Nischen hinzu, welche als sog. Tabernakel an Strassen, auch wohl in Klosterhöfen angebracht sind. e Das Wichtigste möchten die drei Altäre in der Madonnencapelle des Domes von Arezzo, und zwar unter diesen der Altar der Drei- einigkeit geben; die Engel um den Gekreuzigten sind von überirdischer Anmuth. (Von Andrea.) f In Florenz: S. Croce, Cap. de’ Medici am Ende des Ganges vor der Sacristei: ausser mehrern kleinern Arbeiten der Altar, Mad. zwi- schen mehrern Heiligen, die Stellungen befangen, der Ausdruck schön und treuherzig. g In der Kirche, vorletzte Cap. des Querschiffes links: Mad. mit Magdalena, Johannes und Engeln, als späte Arbeit wie die meisten folgenden farbenreich; noch sehr schön. h An einem Hause Borgo S. Jacopo N. 1785: ein ehemal. Altar- relief der Verkündigung, ebenfalls spät. i In der Kirche S. Girolamo, Via delle poverine, soll sich ein vor- züglicher Altar befinden. k Misericordia (Domplatz): ein mittelguter Altar. l S. Onofrio: links ein Altar mit Christus als Gärtner. m Hinter dem Kloster rechts, auf der Strasse: ein grosser, durch schmutzige Glasfenster kaum noch zu erkennender Prachttabernakel vom J. 1522, beides farbenreiche Werke. In Florenz selbst wird der Vorzug vor diesen allen dem Taber- n nakel im linken Seitenschiff von SS. Apostoli gebühren, welcher eine Die Robbia. ganze Hierarchie von verschiedenartig beschäftigten Engeln und Put- ten, über die Massen liebliche Gestalten enthält. (Luca.) — Und ebenso trefflich in seiner Art: der Sacristeibrunnen von S. Maria novella, mit a den guirlandentragenden Putten und einer in die Lunette gemalten Landschaft; ein Prachtwerk, haarscharf innerhalb der Bedingungen des Stoffes gehalten. Neben diesen grössern Arbeiten existiren noch eine Menge von kleinern Reliefs für die Andacht; man benützte den unzerstörbaren Stoff statt der Malerei besonders gerne, wenn an Häusern, an Stras- senecken oder sonst im Freien eine Madonna mit Kind, oder das Kind anbetend, oder eine heilige Familie angebracht werden sollten. Dieses Ursprunges sind wohl die meisten der jetzt im Hof der Academie b eingemauerten Reliefs. Man glaubt, das Mögliche an vielartiger und dabei stets frischer Auffassung dieses so eng begrenzten Gegenstandes hier erschöpft zu sehen und besinnt sich, wie Andere auf einen solchen Reichthum hin noch neu sein konnten. Die ganzen Statuen waren für die späteren Robbia zwar tech- nisch keine Sache der Unmöglichkeit, allein doch nichts Leichtes und von Seiten des Styles keine starke Seite, da der Entwicklung der Körper- formen im Grossen die Entschiedenheit fehlte. Die Robbia beschränk- ten sich auch gerne auf Halbfiguren, deren man in Florenz noch eine ziemliche Anzahl vorfindet. (Ganze fast lebensgrosse Statuen u. a. in der Sacramentscapelle von S. Croce; eine sitzende Madonna in einem c Nebenraum von S. Domenico, Via della Pergola.) Ihren schönen d ganzen Sinn offenbaren solche Statuen nur, wenn sie noch in ihrer echten alten Nische mit farbigen, von Putten getragenen Fruchtkrän- zen stehen; so der S. Petrus martyr im Gang vor der Sacristei von e S. Croce; der heil. Romulus (1521) über dem Portal im Dom zu f Fiesole u. s. w. Hier erst hat man das Heilige im Gewande der Lebensfreude, welches ja der durchgehende Gedanke der ganzen Schule ist. Wir knüpfen wieder da an, von wo die Robbia ausgegangen. Zwischen Ghiberti und Donatello steht der Baumeister Filippo Bru- nellesco , der Erwecker der Renaissance (1375—1444). In dem 38* Sculptur des XV. Jahrhunderts. Brunellesco. Donatello. a Abrahamsrelief (Uffizien, erstes Zimmer d. Br.), welches er in Con- currenz mit dem erstern schuf, ist die nackte Figur des Isaak durch ihren strengen Naturalismus ein bedeutendes und frühes Denkmal dieser Richtung. Viel gemässigter und edler spricht sich dieselbe in b B.’s berühmtem Crucifix aus (S. Maria novella, nächste Cap. links vom Chor); es ist eine zwar scharfe aber schöne Bildung, auch in dem geistvollen Haupte. — Doch schon hatte der gewaltige Genosse B.’s die Sculptur zu beherrschen angefangen. Es kömmt in der Kunstgeschichte häufig vor, dass eine neue Richtung ihre schärfsten Seiten, durch welche sie das Frühere am Unerbittlichsten verneint, in einem Künstler concentrirt. So ganz nur das Neue, nur das dem Bisherigen Widersprechende, ist aber selten bei einem Stylumschwung mit derjenigen Einseitigkeit vertreten wor- den, wie der Formengeist des XV. Jahrh. vertreten ist in Donatello (1382 od. 87 — 1466). Seine frühste grössere Arbeit, das grosse Relief der Verkündigung c in S. Croce (nach dem fünften Altar rechts) zeigt noch eine flüchtige Annäherung gegen die Antike hin; aber schon in den Engelkindern auf dem Gesimse meldet sich die spätere Sinnesweise: sie halten sich an einander, um nicht schwindlich zu werden — ein Zug wie er bei keinem Frühern vorgekommen. Auch später noch klingt das Studium antiker Sarcophage u. a. Sculpturen aus seinen Arbeiten heraus; solche Stellen stechen aber befremdlich ab neben dem Übrigen. Donatello war ein hochbegabter Naturalist und kannte in seiner Kunst keine Schranken. Was da ist, schien ihm plastisch darstellbar und Vieles schien ihm darstellungswürdig bloss weil es eben ist, weil es Charakter hat. Diesem in seiner herbsten Schärfe, bisweilen aber auch wo es der Gegenstand zuliess in seiner grossartigen Kraft rücksichtslos zum Leben zu verhelfen, war für ihn die höchste Auf- gabe. Der Schönheitssinn fehlte ihm nicht, aber er musste sich be- ständig zurückdrängen lassen, sobald es sich um den Charakter han- delte. Man musste damals die Stylgesetze neu errathen, und diess geschah überhaupt nur partiell und zaghaft; wer sich aber einer sol- chen Einseitigkeit überliess, dem musste Manches verborgen bleiben, Donatello. Statuen. was andere vielleicht ungleich weniger begabte Zeitgenossen glücklich zu Tage förderten. Als Gegengewicht legt Donatello beständig seine Charakteristik in die Wagschale. Selbst die einfach normale Körper- bildung muss daneben unaufhörlich zurücktreten, während er die Ein- zelheiten der menschlichen Gestalt begierig aufgreift, um sie zur Be- zeichnung des gewollten Ganzen zu verwenden. Nur er war im Stande, die heil. Magdalena so darzustellen, a wie sie im Baptisterium von Florenz dasteht; an der zum länglichen Viereck abgemagerten Figur hängen die Haare wie ein zottiges Fell herunter. Das Gegenstück dazu bilden die Statuen Johannes des b Täufers ; so die bronzene im Dom von Siena (Cap. S. Giovanni); was das sehr umständlich behandelte Thierfell vom Körper übrig lässt, besteht aus lauter Adern und Knochen; ungleich geringer die marmorne in den Uffizien (Ende des 2. Ganges), welche vor lauter c Charakter weder so stehen noch auch nur leben könnte. Ein dritter mehr dem sienesischen entsprechender Johannes findet sich in den Frari zu Venedig (2. Cap. links vom Chor); wenigstens ungesuchter d in der Stellung. Zum Beweis, wie wenig ihm die Schönheit — aller- dings unter den Bedingungen des XV. Jahrh. — fehlte, wenn er nur wollte, dient der jugendliche bronzene David in den Uffizien (I. Zim- e mer der Bronzen). Eine etwas edlere Bildung zeigt der Crucifixus in S. Croce f zu Florenz (Cap. Bardi, Ende d. l. Querschiffes), ein kunstgeschicht- lich (als Muster Späterer) wichtiges Werk, geschaffen in Concurrenz mit Brunellesco (S. 596, b). — (Das bronzene Crucifix sammt den dazu gehörenden Statuen hinten im Chor des Santo zu Padua fand der g Verf. wegen der Fasten verhüllt.) In der Gewandung arbeitete Donatello ganz offenbar nach Mo- delldraperien in einem meist schweren Stoff und ohne die Motive des Mannequin’s sowohl als der Falten lange zu wählen. Wo er nicht durch sonstige sehr bedeutende Züge entschädigt, erscheint er daher in durchschnittlichem Nachtheil gegenüber den stylvollen Gewandfigu- ren des XIV. Jahrh. und vollends Ghiberti’s. So z. B. in dem bronze- nen S. Ludwig von Toulouse über dem mittlern Portal von S. Croce, h dessen Kopf er absichtlich bornirt gebildet haben soll. Sonst sind seine Heiligen in der Regel Porträtköpfe guter Freunde. Die Stellun- Sculptur des XV. Jahrhunderts. Donatello. Statuen. gen, oft von auffallender Steifbeinigkeit, mögen wohl auch bisweilen einer persönlichen Bildung oder dem Modeschritt jener Zeit angehören (über welchen sich höher gesinnte Künstler zu erheben wussten), bis- weilen offenbar dem Mannequin. Zu den bessern und lebensvollern a Gewandstatuen gehören vor Allen die beiden an Orsanmicchele: Mar- cus und Petrus; — viel manierirter, doch für die hohe Aufstellung wirk- b sam drapirt: die vier Evangelisten, worunter der sog. Zuccone, am Campanile (Westseite); ebendort Abraham und ein anderer Erzvater c (Ostseite). — Im Dom werden ihm Apostel- und Prophetenstatuen sehr verschiedener Art mit mehr oder weniger Sicherheit zugeschrieben. In der ersten Nische rechts eine manierirt lebendig gewendete mit Porträtzügen; in derjenigen links eine andere mit den Zügen Pog- gios; in der zweiten rechts die des Ezechias, noch alterthümlich befangen (schwerlich von ihm); in den Capellen des Chores die sitzenden Statuen des Ev. Johannes und des Ev. Matthäus, beide wieder ausgezeichnet. Sie stammen zum Theil von der durch Giotto angefangenen, 1588 weggebrochenen Domfassade. d Ein Unicum ist die bronzene Judith mit Holofernes in der Loggia de’ Lanzi. Das Lächerliche überwiegt hier dergestalt, dass man schwer die nöthige Pietät findet, um die bedeutenden Schwierigkeiten einer der frühsten profan-heroischen Freigruppen nach Verdienst zu würdigen. e Die bronzene Grabstatue Papst Johanns XXIII. im Baptisterium ist ein vortreffliches, ungeschmeicheltes Charakterbild; die marmorne Madonna in der Lunette drüber kalt und unlieblich; die Putten am Sarcophag naiver. f Die vier Stuccofiguren an beiden Enden des Querschiffes von S. Lorenzo (oben) erscheinen wie flüchtige Improvisationen für einen Zweck des Augenblickes und dürften unbeschadet dem Ruhm Dona- tello’s verschwinden. Seiner Sinnesweise nach mussten ihm energische, heroische Ge- g stalten am besten gelingen. In der That hat auch sein S. Georg in einer der Nischen von Orsanmicchele durch leichte Entschiedenheit des Kopfes und der Stellung, durch treffliche Gesammtumrisse und einfache Behandlung den Vorzug vor seinen meisten übrigen Werken. h Der marmorne David in den Uffizien (Ende des zweiten Ganges) sieht nur wie eine befangenere Replik davon aus. Donatello. Reiterbild. Reliefs. Die eherne Reiterstatue des venezian. Feldherrn Gattamelata a vor dem Santo zu Padua, schon technisch ein grosses und neues Wagestück für jene Zeit, war auch in der Darstellung eine Aufgabe, auf welche Donatello gleichsam ein Vorrecht besass, weil ihr kein Zeitgenosse so wäre gewachsen gewesen. In jenen Gegenden war man von den Gräbern der Scaliger her (S. 167, b, c) an Reiterdenkmale gewöhnt; aber erst D. belebt Ross und Mann vollständig und zwar diessmal — wie man gestehen muss — ohne capriciöse Herbheit, in einem beinahe grossartigen Sinne. (Für das Pferd dienten wohl eher die Rosse von S. Marco als die Marc Aurelsstatue zum Muster? — Im Pal. della Ragione steht ein grosses hölzernes Modell, welches b zwar diesem Pferde nicht ganz entspricht, doch aber eine Vorarbeit dazu gewesen sein möchte.) Was D. im Relief für bedeutend und für möglich und erlaubt hielt, zeigen am vollständigsten die beiden Kanzeln in S. Lorenzo, c welche von ihm und seinem Schüler Bertoldo verfertigt sind. In ihren einzelnen Theilen sehr ungleich, selbst was den Massstab der Figuren betrifft, durchaus unplastisch, gedrängt, im Einzelnen oft energisch- hässlich, sind diese Darstellungen doch dramatisch sehr bedeutend. Das Gedränge und die Sehnsucht um den in der Vorhölle erscheinen- den Christus, die Begeisterung des Pfingstfestes, der Jammer und die Hingebung um das Kreuz u. a. m. ist auf ungemein lebendige und geistreiche Weise zur Anschauung gebracht, freilich zum Theil auf Kosten der Grundgesetze aller Plastik; edel und gemässigt ist nur etwa die Grablegung. (Am Obergesimse hat D. ausser Putten u. dgl. sogar die quirinalischen Pferdebändiger in classischem Eifer ange- bracht.) — In der Sacristei ist mit Ausnahme von Verocchio’s Sarco- d phag alles Plastische von ihm, und zwar so glücklich zur Architektur geordnet, dass man ein genaues persönliches Einverständniss mit Bru- nellesco annehmen kann. In die Zwickel unter der Kuppel kamen Rundbilder mit legendarischen Darstellungen, welche freilich mit ihrer malerisch gedachten Räumlichkeit und ihrer zerstreuten Composition ärmlich aussehen; hochbedeutend aber, ja auch plastisch vom Besten sind die vier Rundbilder der Evangelisten in den Lunetten; sie sitzen in tiefem Sinnen oder in Begeisterung vor Altären, auf welchen ihre bücherhaltenden Thiere stehen. Über den beiden Pforten zu den Sculptur des XV. Jahrhunderts. Donatello. Reliefs. hintern Nebenräumen der Sacristei sind auf farbigem Grunde je zwei fast lebensgrosse Heilige dargestellt. Diess Alles ist von Stucco und so auch der ebenfalls D. zugeschriebene Kopf des heil. Laurentius über der Thür zur Kirche; dazu kommen die beiden genannten Pforten von Erz, welche in einzelnen Feldern je zwei Apostel oder Heilige enthalten; flüchtige, aber sehr energische und bedeutend gebildete Fi- gürchen, die schon weit in das XVI. Jahrh. hineinweisen. Der Mar- morsarcophag unter dem Tisch der Sacristei mit den Putten ist wieder nur von mittlerm Werth. — In nackten Kinderfiguren kommt über- haupt D.’s ganze Einseitigkeit zum Vorschein; gerade das was ihn a gross macht, fand hier keine Stelle. Seine Kinder in der Sacristei des Domes (an der Attica) sind in ihrer Hässlichkeit wenigstens naiv; b dagegen hat der Kindertanz in den Uffizien (Gang der tosc. Sculptur) etwas gespreizt Übertriebenes, was sich auch in den musicirenden c und tanzenden Kindern an der Aussenkanzel des Domes von Prato, obwohl bei weitem weniger, bemerklich macht. Neben Robbia wird D. hier immer nicht bloss befangen, sondern unförmlich erscheinen, d trotz einzelner vortrefflicher Intentionen. (An dem Grabmal des Bi- schofs Brancacci in S. Angelo a Nilo zu Neapel scheinen, beiläufig gesagt, wenigstens die oben stehenden Putten von ihm.) e Die Reliefmedaillons im Hof des Pal. Riccardi (Fries über dem Erdgeschoss) erscheinen wie Übersetzungen antiker Cameen und Münz- reverse in den herben Styl des Meisters. — Zu den spätern Werken, f wie die Kanzeln in S. Lorenzo, gehören die ehernen Reliefs am Vorsatz des Hochaltars und des 3. Altars rechts im Santo zu Padua, beide- male eine Pietà, mit Wundern des heil. Antonius zu beiden Seiten; reiche Improvisationen mit einzelnen wunderbaren Zügen des Lebens; wie z. B. die Gruppe der Reuigen, welche den Heiligen umgeben; die der Fliehenden bei der Scene, wo er die Brust des verstorbenen Geiz- halses aufschneidet. Im Chorumgang, und zwar über der hintern Thür in der Chorwand, ist dann noch das Relief einer Grablegung, eine späte und sehr ausdrucksvolle Arbeit des Meisters. (Geringer: die vier Symbole der Evangelisten, in Bronzereliefs, am Eingang des Chores.) Filarete. Nanni di Banco. Donatello übte eine ungeheure und zum Theil gefährliche Wirkung auf die ganze italienische Sculptur aus; er wurde in viel weitern Krei- sen bekannt als Ghiberti, schon durch seinen wechselnden Aufenthalt. Ohne den starken innern Zug nach dem Schönen, welcher die Kunst immer von Neuem über den blossen Realismus und auch über das oberflächliche Antikisiren emporhob, d. h. ohne den starken Geist des XV. Jahrh. wäre Donatello’s Princip eine tödtliche Mode geworden. Aber schon in seiner unmittelbarsten Nähe gab es Künstler, die durch ihn nicht gänzlich unfrei wurden. Von seinem Bruder Simone (dem Verfertiger des Gitters im Dom von Prato, S. 233, f) und von Antonio Filarete wurden 1439—47 die ehernen Hauptpforten von a S. Peter in Rom gegossen; die Hauptfiguren der grossen Vierecke sind flau, wie von einem etwas verkommenen Meister der ältern Schule, und wir dürfen darin speciell das Werk Filarete’s erkennen, — wenngleich die viel bessere eherne Grabplatte Martins V vor der Confession des b Laterans auch von diesem ist. Die Reliefs und Ornamente der Ein- rahmungen dagegen zeigen wohl Simone’s Geist, und erstere sind bei aller Flüchtigkeit trefflich naiv und von den Härten seines Bruders ziemlich frei. Noch auffallender ist diese (immer nur relative) Unabhängigkeit bei Nanni di Banco So dass Rumohr bezweifelt hat, dass derselbe wirklich Donatello’s Schüler gewesen. , von dem im florent. Dom (1. Chorcap. rechts) c die sitzende Statue des Lucas, sowie an Orsanmicchele die Statuen d der HH. Eligius, Jacobus, Philippus und die Gruppe der vier Heiligen herrühren. (Die letztern sind keinesweges zum Behuf ihrer Zusam- menstellung in der Schulterbreite verkürzt Laut Vasari hätte sich Donatello um ein Abendessen zu dieser Correctur verstanden. , stehen auch gar nicht unglücklich bei einander.) Bei ungleicher und meist donatellischer, auch wohl etwas kraftloser Bildung machen sich hier einzelne sehr schöne und freie Motive geltend, welche der Künstler wahrscheinlich der Anregung Ghiberti’s verdankt. — Sonst aber überwiegt der Einfluss Donatello’s. Sculptur des XV. Jahrhunderts. Verocchio. Zu seinen eifrigsten Nachfolgern gehört Andrea Verocchio (1432—88); die Wirklichkeit des Lebens ohne höhere Auffassung geht a ihm bisweilen über den Kopf. In dem Grabrelief der Dame Torna- buoni (Uffizien, Gang der toscanischen Sculptur) giebt er das ganz reelle Elend eines Todes im Kindbett nebst dem Jammer der Um- b gebung. Sein David (ebenda, I. Zimmer der Bronzen) ist gar nichts als das Modell eines gewöhnlichen Knaben und steht sogar hinter dem als Gegenstück aufgestellten bronzenen David des Donatello an Com- position und Form weit zurück. (Merkwürdig ist im Kopf die Vor- ahnung des bekannten lionardesken Ideals.) Ungleich besser und nai- c ver, zumal trefflich bewegt ist der kleine bronzene Genius auf dem Brunnen im Hof des Pal. vecchio. Stellenweise bricht sich immer der ideale Zug Bahn, welchen Ghiberti aus der germanischen Zeit her- übergerettet und nach Massgabe seines Jahrhunderts geläutert hatte. Sobald man sich durch den bei Verocchio ganz besonders umständli- chen, knittrigen Faltenwurf nicht stören lässt, treten bisweilen Motive d von schönstem Gefühl hervor. So theilweise in der Bronzegruppe des Christus mit S. Thomas am Orsanmicchele; die Bewegung des Christus ist mächtig überzeugend, die beiden Köpfe fast grossartig e frei und schön. — Die Madonna am Grab des Lionardo Aretino in S. Croce zu Florenz ist beträchtlich lebloser; die übrigen Sculpturen (Engel, Putten u. s. w.), welche mehr dem Styl Ghiberti’s als dem des Donatello folgen, sollen von dem Erbauer des Grabes, Bernardo Rosellino, selbst herrühren, dessen als Bildhauer berühmtern Bruder Antonio wir bald werden zu nennen haben In dieser Gegend wird wohl der Niccolò Baroncelli aus Florenz ein- zuschalten sein, welcher mit seinem Sohn Giovanni und seinem Eidam Dome- * nico di Paris aus Padua die fünf lebensgrossen Bronzefiguren fertigte, die im rechten Querschiff des Domes von Ferrara stehen. (Der Gekreuzigte, Maria, Johannes, S. Georg und S. Maurelius.) Fleissige, aber harte und doch zugleich flaue Arbeiten, mit einem Anklang an Verocchio, zumal im S. Georg. . f Verocchio fertigte auch das Grabmal des Bischofs Forteguerra (1474), wovon im Dom von Pistoja links vom Eingang noch die wich- tigern Theile — grosse Relieffiguren von Engeln, die den Erlöser um- schweben — erhalten sind. Dieselbe herbe Schönheit, derselbe viel- Verocchio. Pollajuolo. knittrige Faltenwurf wie in der Gruppe zu Florenz. (Vollendet von dem damals noch jungen Lorenzetto, welchem die Figur der Caritas angehört.) Ausserhalb Toscana’s ist von Verocchio nur ein namhaftes Werk vorhanden: die eherne Reiterstatue des Feldherrn Coleoni vor a S. Giovanni e Paolo zu Venedig. Sie wurde von Verocchio bloss modellirt und von Aless. Leopardo gegossen, der auch das schöne Piedestal entwarf (S. 252, k). In der Gestalt und Haltung des Reiters ist Verocchio hier so herb individualistisch als irgend ein damaliger florent. Porträtbildner; wir dürfen glauben, dass Coleoni sich zu Pferde vollkommen so stämmig gespreizt ausnahm; aber auch das Bedeutende des Kopfes und der Geberde — mag sie auch keine glücklichen Linien bilden — ist mit grosser Sicherheit wiedergegeben. Das Pferd ist merkwürdig gemischt; der Kopf nach antikem Vorbild, die Bewegung wahrscheinlich nach dem Pferde Marc Aurels, das übrige Detail nach emsigstem Naturstudium. (Von diesem Coleoni und von Donatello’s Gattamelata sind dann die hölzernen und vergoldeten Reiterstatuen in S. M. de Frari und b S. Giovanni e Paolo zu Venedig abgeleitet. Es wurde mit der Zeit c Sitte, dass die Republik ihre Generale auf diese Weise ehrte. Im Styl ist keine davon besonders ausgezeichnet. Eine aus dem XVII. Jahrh. — die späteste — offenbart schon das damals allverbreitete Streben nach Affect durch heftigen Galopp über Kanonen und verwundete Feinde.) Viel manierirter, aber in der Technik des Erzgusses eben so be- deutend erscheint Antonio Pollajuolo (1431—1498), dessen Haupt- arbeit das Grab Sixtus IV in der Sacramentscapelle von S. Peter d ist. Die liegende Statue ist als hart realistisches Bildniss von grossem historischem Werthe, die sehr unglücklich an den schiefen Flächen des Paradebettes angebrachten Tugenden und Wissenschaften lassen mit ihrem Schwanken zwischen Relief und Statuette und mit ihren gesuchten Formen schon ahnen, auf welchen Pfaden die Sculptur 100 Jahre später wandeln würde. Das eherne Wanddenkmal Inno- e cenz VIII (an einem Pfeiler des linken Seitenschiffes von S. Peter) ist in Anordnung und Ausführung viel befangener als so manches Bessere aus derselben Zeit (1492). Die ehernen Schrankthüren (zu Sculptur des XV. Jahrhunderts. Rosellino. a den Ketten Petri) in der Sacristei von S. Pietro in Vincoli zu Rom plastisch unbedeutend, decorativ artig. Ein Relief der Kreuzigung in b den Uffizien (I. Zimmer der Bronzen) erinnert in den schwungvoll manierirten Formen an die paduanische Schule. — Eines der Reliefs c am Taufbrunnen von S. Giovanni in Siena (Gastmahl des Herodes) von Pietro Pollajuolo möchte an Reinheit des Styles alle Arbei- ten seines Bruders übertreffen. Mehr von Robbia als von Donatello inspirirt erscheint Antonio Rosellino (geb. 1427), der ausserdem in der Delicatesse der Mar- morbehandlung dem Mino da Fiesole (s. unten) verwandt erscheint. Das Wenige, was von ihm vorhanden ist, verräth einen gemüthlichen Florentiner, etwa von derjenigen Sinnesweise, welche unter den Ma- lern dem Lorenzo di Credi eigen ist; die Madonna bildet er schön mütterlich, florentinisch häuslich. Sein Hauptwerk, die von ihm er- d baute Grabcapelle des Cardinals von Portugal († 1459) in S. Miniato (links) enthält dessen prächtiges Monument. Hier tritt das Decorative merkwürdig neben dem Plastischen zurück; über dem Sarcophag mit der sehr edeln Statue des Todten und zwei das Bahrtuch um sich ziehenden Putten knieen auf einem Sims zwei schöne hütende Engel; drüber von zwei in Relief gebildeten schwebenden Engeln getragen das Rundrelief der Madonna; der Vorhang ist bloss als Einfassung e der ganzen Nische behandelt. — Ganz ähnlich ist das Grabmal der Maria d’Aragona in der Kirche Monte Oliveto zu Neapel angeordnet. (Cap. Piccolomini, links vom Hauptportal; ebendaselbst das durchaus ma- lerisch behandelte Altarrelief mit Christi Geburt und einem Engelreigen, welches zwischen Antonio und Donatello streitig ist.) — Von ähnlichen f Grabmälern stammen ohne Zweifel zwei herrliche Madonnenreliefs in den Uffizien (Gang der tose. Sculpt., in dessen weiterer Fortsetzung man wenigstens Eine trefflich naturalistische Büste A.’s findet, die des Matteo Palmieri 1468.) Ebenda ein kleiner laufender Johannes, in Donatello’s Art bis auf das holde Köpfchen Am ehesten bei Rosellino zu nennen, nur viel manierirter: die beiden Re- * liefs der Flucht nach Ägypten und der Anbetung der Könige, in der Galerie zu Parma. . Settignano. Civitali. Der als Decorator gerühmte Desiderio da Settignano (S. 234) ist auch als Bildhauer in einzelnen Theilen seiner Werke so trefflich, dass ihm das auffallend Geringere daran unmöglich zugeschrieben werden kann. An dem Grabmal Marzuppini im linken Seiten- a schiff von S. Croce sind ausser der höchst edel gelegten und behan- delten Statue wohl nur die beiden kräftigen Engelknaben als Guir- landenträger von ihm; an dem Tabernakel von S. Lorenzo (rechtes b Querschiff) gehören ihm nur die drei obersten Engelkinder sicher an Bei diesem oder irgend einem andern Anlass müsste auf den köstlichen Mar- moraltar in dem Carmeliterkirchlein S. Maria, eine Viertelstunde vor Arezzo * aufmerksam gemacht werden. Ich kann aus der Erinnerung nur so viel sagen, dass er mir dem Styl nach zwischen den Robbia und Mino da Fiesole zu stehen scheint. . Ob der grosse Matteo Civitali von Lucca (1435—1501) ein Schüler Desiderio’s war, weiss ich nicht anzugeben, ganz gewiss aber geht er parallel mit dessen zunächst zu erwähnendem Schüler Mino da Fiesole, mit welchem er manche Äusserlichkeiten gemein hat. Nur war in Matteo viel weniger Manier, ein viel grösserer Schönheitssinn, eine Gabe des Bedeutenden, wie wir sie unter den Malern etwa bei D. Ghirlandajo antreffen. Die Härten und Ecken Donatello’s sind bei ihm gänzlich überwunden; wie in der Decoration, so ist er in der Sculptur einer der Einfachsten seiner Zeit. In den Uffizien zu Florenz (Gang der tosc. Sculpt.) ist von ihm c das Relief einer Fides, deren schöner und inniger Ausdruck wohl auffordern mag zum Besuch der classischen Stätte von Matteo’s Wirk- samkeit: des Domes von Lucca . Hier findet man in den beiden d anbetenden Engeln auf dem Altar der Sacramentscapelle (rechtes Quer- schiff) Alles erfüllt, was jene Gestalt verhiess. Mit dem edelsten Styl, den das XV. Jahrhundert seit Ghiberti aufweist, verbindet sich hier der Ausdruck einer inbrünstigen Andacht und hohe jugendliche Schön- heit. Das Grabmal des Petrus a Noceto (1472, ebenda), eine frühere Arbeit, verräth in der Reliefmadonna und den Putten den Mitstreben- den Mino’s, aber schon auf einer ungleich höhern Stufe der Ausbil- dung und des Ausdruckes; auch die liegende Statue ist der ähnlichen Sculptur des XV Jahrhunderts. Civitali. a Arbeit Desiderio’s kaum nachzusetzen. An dem Grabmal Bertini (1479, ebenda) zeigt die Büste einen geistvollern Naturalismus als der der meisten Florentiner. Zunächst rechts vom Chor endlich steht der prächtige S. Regulus-Altar (1484), ein Hauptwerk des Jahrhunderts (die Predella ausgenommen, welche wohl von Mino sein könnte). Die drei untern Statuen entsprechen dem Imposantesten der damaligen Historienmalerei; die Engel mit Candelabern und die thronende Ma- donna oben haben schon etwas von der freien Lieblichkeit eines An- drea Sansovino. — Dagegen genügt der S. Sebastian am Tempietto (linkes Seitenschiff) nicht ganz; es ist keine so vollkommene Bildung, wie sie der Meister in dem bevorzugten Lucca hätte schaffen können. Als Werk seines Alters dürfen wir die sechs Seitenstatuen der b Johannescapelle im Dom von Genua betrachten: Jesajas, Elisabeth, Eva, Habacuc, Zacharias, Adam. — Adam und Eva, leider mit Gyps- draperien der berninischen Zeit verunziert, sind oder waren bedeu- tende naturalistische Gestalten, Adam mit einem grandiosen Ausdrucke flehenden Schmerzes; Eva absichtlich als „Mutter des Menschenge- schlechtes“ reich und stark gebildet. Die übrigen sind theils etwas müde, theils gesuchte Motive; im Zacharias sollte das Anhören einer Offenbarung ausgedrückt werden, was aber bei der ungenügenden Körperlichkeit und wunderlichen Tracht vollkommen missglückte; im Jesajas und in der Elisabeth sind zwar einzelne sehr schöne Gewand- motive, allein die Seele des S. Regulus fehlt; Habacuc ist eine miss- geschaffene Genrefigur. Möglicherweise sind die vier Reliefhalbfiguren der Evangelisten an den Pendentifs der Kuppel, die wieder deutlich an Ghirlandajo erinnern, ebenfalls Werke Civitali’s. Welches nun auch der absolute Werth dieser Sculpturen sei, in dem von Antiken entblössten, vom florentinischen Kunstleben abgeschnit- tenen Genua galten sie als das Höchste. Wenn auszumitteln wäre, dass Matteo selber für längere Zeit hier wohnte, so möchte der halb- c runde untere Theil des Reliefs auf dem 5. Altar rechts im Dom (eine ehemalige Lunette) von einem genuesischen Schüler herrühren. Es stellt die Madonna mit zwei Engeln vor, deren einer den kleinen knieenden Johannes präsentirt; eine sehr gute Arbeit. — Später hat Taddeo Carlone und seine ganze Schule an Matteo’s Statuen beständig Mino da Fiesole. gelernt und sie sogar schlechtweg wiederholt (Statuen in S. Pietro a in Banchi, in S. Siro, S. Annunziata u. s. w.). Einer der weniger begabten aber zugleich wohl der fleissigste aller dieser florentinischen Sculptoren nächst Donatello war Desiderio’s Schüler, der eben erwähnte Mino da Fiesole (geboren nach 1400, hauptsächlich thätig im dritten Viertel des XV. Jahrhunderts). Der einseitige Naturalismus und die bekannten äusserlichen Manieren dieser Kunstepoche werden bei ihm, wie theilweise schon bei Dona- tello selbst, etwas Unvermeidliches; dabei ist seine Ausführung äusserst sauber und genau und bisweilen durch die schönsten Ornamente (Seite 235) verherrlicht. In einzelnen Fällen erhebt er (oder einer seiner Mitarbeiter) sich zu einer grossen Anmuth; meist aber ist seinen Gestalten, abgesehen von der nicht eben geschickten Anordnung im Raum, eine gespreizte Stellung und eine geringe körperliche Bildung eigen; seine Reliefs gehören zu den überladensten, mit flachen und dabei unterhöhlten Figuren. Seine Thätigkeit vertheilte sich auf Florenz und Rom. In Rom scheint er eine bedeutende Werkstatt gehabt zu haben, wenigstens ist in den zahllosen Grabmälern, Marmoraltären und Sacramentschränken, womit sich damals die römischen Kirchen füllten, sein Styl nicht sel- ten zu erkennen; Einiges ist auch bezeichnet oder durch Nachrichten gesichert. Weit das Wichtigste sind die Sculpturen vom Grabmal b Pauls II († 1471), jetzt an verschiedenen Stellen der Crypta von S. Peter eingemauert; die allegorischen Frauen in Hochrelief sind seine anmuthigsten Figuren, wenn auch von etwas gesuchtem Reichthum; die grosse Lunette mit dem Weltgericht merkwürdig als Zeugniss des flandrischen Einflusses auch auf die Sculptur der Italiener; die Grab- statue nur durch das reiche Costüm interessant. — An dem Grabmal des Bischofs Jacopo Picolomini († 1479) im Klosterhof von S. Agostino c ein ähnlich aufgefasstes kleineres Weltgericht. — Sicher von ihm: das Grabmal des Jünglings Cecco Tornabuoni in der Minerva (links d vom Eingang); und der Wandtabernakel für das heil. Oel in der Sa- e cristei von S. Maria in Trastevere. Die Werke seiner römischen Nach- folger sind unten zu erwähnen. Sculptur des XV. Jahrhunderts. Mino. Andrea Ferrucci. a In Toscana sind von ihm: im Dom von Fiesole (Querschiff rechts) ein zierlicher Altar und das prachtvoll decorirte und darin classische b Grabmal des Bischofs Salutati († 1466) mit guter Büste; — im Dom c von Prato die Kanzel; — im Dom von Volterra der Hauptaltar; — d in S. Ambrogio zu Florenz: der prächtige, aber im Einzelnen barocke e Altar der Cap. del Miracolo; — in der Badia zu Florenz , dem classischen Ort für Mino’s heimische Wirksamkeit: ein Rundrelief der Madonna aussen über der Thür; im rechten Kreuzarm das Grab des Bernardo Giugni († 1466), und im linken das noch prachtvollere des Hugo von Andeburg vom Jahr 1481, endlich unweit von der Thür ein Altarrelief mit drei Figuren; fast sämmtlich Arbeiten von bedeuten- dem Rang in Beziehung auf Luxus und Zierlichkeit. Von Freisculpturen sind einige Büsten das Beste: mehrere in den f Uffizien (verschlossener Raum hinter den Sculpturen der toscanischen g Schule); diejenige der Isotta von Rimini im Camposanto zu Pisa, N. XIX. — Von den kleinen Statuen Johannes d. T. und S. Sebastians h in S. Maria sopra Minerva zu Rom (3. Cap. links), welche ihm ohne Sicherheit zugeschrieben worden, ist die letztere beinahe zu gut für i ihn. — Wenn die Colossalstatuen des Petrus und Paulus, ehemals an der Treppe vor S. Peter, jetzt im Gange nach der Sacristei, wirklich von ihm (und nicht von einem gewissen Mino del Reame) sein sollten, so würden sie eine ungemeine Befangenheit in der Freisculptur be- weisen. Von andern fiesolanischen Sculptoren, welche mit Mino in Ver- bindung stehen mochten, ohne doch seine Schule zu bilden, ist An- drea Ferrucci († 1522) der wichtigste. Die von ihm sculpirte Ni- k sche über dem Taufstein des Domes von Pistoja zeigt in mehrern Gestalten Anklänge an Mino’s Styl, aber in das Schöne und Veredelte; der Seelenausdruck in der gesundern Art der umbrischen Malerschule, zumal in dem grossen Hochrelief mit der Taufe Christi; die vier klei- nern Reliefs mit der Geschichte des Täufers wenigstens trefflich com- l ponirt und schön ausgeführt. — In Florenz ist von Andrea das Bild- nissdenkmal des Marsilius Ficinus im rechten Seitenschiff des Domes; m sodann das schöne Crucifix in S. Felicita (4. Cap. rechts), mit dem n edeln reichgelockten Haupt; — der grosse S. Andreas im Dom (Ein- gang zum linken Querschiff, rechts) hat schon etwas academisch Be- Benedetto da Majano. fangenes. — Von A’s Schülern Silvio und Maso Boscoli von Fiesole ist u. a. das Grabmal des Antonio Strozzi, im linken Seiten- a schiff von S. Maria novella. Ein freierer florent. Nachfolger Mino’s ist der Baumeister Bene- detto da Majano (1444—98). Die wenigen erhaltenen Arbeiten verrathen einen der grössten Bildhauer der Zeit. An Schönheitssinn und Geschick ist er dem Mino weit überlegen und erscheint eher als der Fortsetzer Ghiberti’s. Die Reliefs der Kanzel in S. Croce zei- b gen höchst lebendig entwickelte Scenen mit den herrlichsten Motiven (zum Theil auf der Dreiviertelansicht beruhend); die Statuetten in den Nischen unten sind bei winzigem Massstab vom Köstlichsten dieser Zeit. — In der Capelle Strozzi in S. Maria novella (rechtes c Querschiff) ist das Grabmal hinter dem Altar von ihm; über dem Sar- cophag das Rundrelief der Madonna, von Engeln umschwebt, träume- risch süss und holdselig, wie etwa ein frühes Werk des Andrea San- sovino könnte ausgesehen haben. In seinen Freisculpturen ist Benedetto allerdings noch etwas befangen. Sein Johannes der Täufer in den d Uffizien (Ende des zweiten Ganges) ist aber in dieser Befangenheit sehr liebenswürdig durch den naiven Ausdruck; ebenso die Sta- tue des S. Sebastian in einem Nebenraum des Kirchleins der Mise- e ricordia (auf dem Domplatz). Die in demselben Raum (auf dem Altar) befindliche Madonna deutet schon entschieden auf die Weise des XVI. Jahrhunderts, auf Lorenzetto und Jac. Sansovino hin. Seine anmuth- reiche Phantasie erräth das, wozu seine formelle Bildung wohl nicht hingereicht hätte. — Das Denkmal Giotto’s (1490) im rechten Seiten- f schiff des Domes, ein blosser Reliefmedaillon, ist wie andere Ehren- denkmäler dieser Kirche ein Beweis dafür, wie wenig Prunk damals von Staatswegen („cives posuere“) mit dem Andenken verstorbener grosser Männer getrieben wurde; es lebten ihrer noch welche Dagegen haben die in Auftrag des Staates (der „Gemeine“) bloss grau in grau gemalten Denkmäler im Dom von Florenz und anderswo allerdings * das Ansehen, als ob man gern gemocht und nicht gekonnt hätte. Es sind gleichsam Anweisungen auf künftige Marmordenkmäler. Vgl. Vasari im Leben des Lor. di Bicci. . Fast B. Cicerone. 39 Sculptur des XV. Jahrhunderts. Agostino di Guccio. a gegenüber ist, ebenfalls von B.’s Hand, die Büste des Musikers Squar- cialupi, eines Zeitgenossen, welchem der Künstler so wenig als dem b Pietro Mellini (Uffizien, Gang d. tosc. Sculpt.) die natürliche Hässlich- keit erliess. Es wurden damals in Florenz fast so viele Büsten aus Marmor, Thon und Kittmasse (und dann farbig) gebildet als Porträts gemalt; in allen werden die unregelmässigen Züge nicht bloss frei zugestanden, sondern als das Wesentliche und zwar bisweilen grandios c behandelt. Der genannte Gang in den Uffizien und seine meist verschlossene Fortsetzung enthalten eine Anzahl davon, sämmtlich marmorn. Mit Unrecht wurde früher zum Hause der Robbia derjenige be- deutende Künstler gerechnet, welcher 1461 die Fassade der Brüder- d schaft von S. Bernardino in Perugia (neben S. Francesco) baute und mit Sculpturen bedeckte, Agostino di Guccio aus Florenz Wahrscheinlich ist der Augustinus de Florentia, welcher 1442 die Platte mit * vier Reliefs aus der Geschichte des heil. Geminian am Dom von Modena (aussen auf der Südseite, nahe beim Chor) fertigte, dieselbe Person. Das von Donatello unabhängige Leben, die leichte, geschickte und deutliche Be- wegung, die feingefalteten, schwungreichen Draperien geben eine Vorahnung des Werkes von Perugia. . Diese reiche und prächtige Arbeit, aus Terracotta, Kalkstein, weissem, röth- lichem und schwarzem Marmor ist der Geschichte und der Glorie des genannten Heiligen geweiht. Das Plastische ist ungleich; die vor- züglichere Hand verräth sich hauptsächlich in den anmuthig schwe- benden Engeln mit ihren feinfaltigen, rundgeschwungenen Gewändern, sowie in einigen der kleinen erzählenden Reliefs. Offenbar stand der Künstler zur Antike in einem viel nähern Verhältniss als die übrigen Robbia, ja als die meisten Sculptoren seiner Zeit; man wird z. B. eine Figur finden, die das bekannte Motiv einer bacchischen Tänzerin ge- radezu wiederholt; auch ist seine Reliefbehandlung plastischer als die der florentinischen Zeitgenossen insgemein, welche alle mehr von Do- natello berührt erscheinen. An innerlichem Schönheitssinn und tieferm Seelenausdruck ist Luca della Robbia auch ihm überlegen. Montelupo. Rovezzano. Rustici. Um das Ende des XV. Jahrh. arbeitete Baccio da Montelupo die Statue des Ev. Johannes an Orsanmicchele; ein gemässigter und a geschickter Nachfolger Verocchio’s, doch nicht ohne gezwungene Ma- nier. An einem der Dogenmonumente in den Frari zu Venedig (des b Pesaro, 1503) wird ihm die Statue des Mars zugeschrieben. In Benedetto da Rovezzano klingt noch einmal Ghiberti nach. Seine Reliefs mit den Thaten des heil. Johann Gualbert in den c Uffizien (Gang der tosc. Sculpt.), vom Jahr 1515, deuten noch wesent- lich in das vergangene Jahrh. zurück; viel delicates Einzelnes, meh- rere treffliche dramatische Momente (der Transport der Besessenen, die Bannung des Teufels von dem kranken Mönch), aber auch Vieles matt und gedankenlos. — Die Statue des Ev. Johannes im Dom d (Eingang zum Chor, rechts) ist eine fleissige aber äusserst geringe Arbeit. Beide letztgenannten überragt bei Weitem Giov. Franc. Ru- stici , von welchem die Bronzegruppe der Predigt des Täufers über e der Nordthür des Baptisteriums gearbeitet ist. Er war Schüler Ve- rocchio’s und die Neider sagten dem Werke nach, dass ein anderer berühmterer Schüler jenes, Lionardo da Vinci, daran geholfen habe. Wie dem nun sei, es waltet in der Gruppe jener Geist des Hochbedeutenden, welchen wir unter den Malern vorzüglich bei Luca Signorelli wiederfinden. Die innere Aufregung ist in dem Täufer und ganz besonders in den beiden zuhörenden Pharisäern mit ergrei- fender Kraft, in letztern wie verhehlt doch unwillkürlich hervorbre- chend ausgedrückt. Die Gewandung gehört noch mehr dem XV. Jahrhundert an, während das Nackte schon der grandiosen und freien Behandlung der höchsten Blüthezeit würdig erscheint. — Lio- nardo’s eigene Sculpturwerke sind auf klägliche Weise zu Grunde gegangen. In Pisa spielt die Sculptur seit Anfang des XV. Jahrh. keine Rolle mehr; ja man wird selten in der ganzen Kunstgeschichte ein so völliges Aufhören einer blühenden und thätigen Schule so genau mit dem politischen Sturz der betreffenden Stadt (1405) zusammen- gehen sehen. Von einem guten Bildhauer, dessen Formen etwa an 39* Sculptur des XV. Jahrhunderts. Siena. Quercia. a die des Sandro Botticelli erinnern, sind die sieben Tugenden in Re- lief neben dem Hauptaltar in S. Maria della Spina; möglicherweise gehören die noch bessern drei Tugenden an dem Sarcophag des Erz- b bischofes Ricci († 1418, aber das Grab aus späterer Zeit) im Campo santo, bei N. 49, derselben Hand an, ebenso die Reliefstatuetten der Caritas, Misericordia etc. ebenda, N. 90, 94 etc. Den Ausgang ins XVI. Jahrh. belegen die ziemlich guten und c freien Sculpturen des Altars in S. Ranieri. Die Sculptur von Siena seit dem Anfang des XV. Jahrh. ist der gleichzeitigen sienesischen Malerei im Ganzen überlegen, ja sie kann in Betreff der neuen Auffassungsweise sogar gegenüber der flo- rentinischen Sculptur eine zeitliche Priorität in Anspruch nehmen. Ihr wichtigster Meister, Jacopo della Quercia , ist wohl über- haupt der frühste unter Jenen, welche den ausgelebten Styl, der einst von Giovanni Pisano ausgegangen, gegen eine derbere, mehr natura- listische Auffassung vertauschten. Von ihm sind zu Siena: zwei von d den sechs Bronzereliefs am Taufbrunnen in S. Giovanni (Geburt und Predigt des Täufers), noch im Styl des XIV. Jahrh., und die Sculptu- e ren der Fonte gaja auf dem grossen Platz (1419), sein vollständigstes und anmuthigstes Werk im neuen Styl. An dem Grabmal der Ilaria f del Carretto († 1405) im linken Querschiff des Domes von Lucca ist die liegende Statue noch mehr germanisch, der Sarcophag dagegen — nackte Kinder (Putten), welche eine Fruchtschnur tragen — von einer weichen und schönen Lebendigkeit, die den Vorgängern noch fremd g ist. (Die eine Seite von diesem Sarcophag befindet sich in den Uf- fizien zu Florenz, Gang der tosk. Sculptur.) — Der Altar in der Sacra- h mentscapelle zu S. Frediano in Lucca, datirt 1422, kann kaum von Qu. sein, wenn dieser schon 1419 die Fonte gaja gearbeitet hatte; freilich ist es schwer, neben ihm einen zweiten „Jacopo Sohn Pietro’s“ aus blosser Vermuthung anzunehmen, da auch sein Vater Pietro hiess; vielleicht könnte das Werk früher von ihm gearbeitet und erst 1422 aus der Werkstatt gegeben worden sein. (Vgl. S. 575, b.) An der zwei- i ten Thür der Nordseite des Domes von Florenz ist von ihm (eher als von Nanni di Banco) das Giebelrelief der Madonna della cintola, eine Quercia und Schüler in Bologna. grosse feierlich bewegte Composition, im Detail etwas flauer als die Fonte gaja. Während in Toscana die grossen Florentiner ihn allmälig in den Schatten stellten, gewann er durch seinen Aufenthalt in Bologna einen, wie es scheint, weitgreifenden Einfluss auf die oberitalische Sculptur. Hier sind die Sculpturen am Hauptportal von S. Petro- a nio , begonnen 1429, vielleicht seine bedeutendste Arbeit überhaupt; weniger die Statuen der Madonna und zweier Bischöfe in der Lunette, als die Reliefhalbfiguren der Propheten und Sibyllen in der Schrägung der Pforte und des Bogens. Die neue Kunstzeit spricht hier ver- nehmlich aus den scharf individuellen Köpfen und aus dem Momen- tanen der Bewegung. Die fünf Geschi chten aus der Kindheit Christi, am Architrav passen nicht wohl zu Q.’s sonstigen Reliefs; die zehn Reliefs mit den Geschichten der Genesis an den Pilastern der Thür erregen ebenfalls einige Zweifel. Wenn sie aber von Quercia sind, so würden sie eine so früh im XV. Jahrh. unerhörte Freiheit des Styles bezeugen, während sie für das XVI. Jahrh. doch nur die Geltung von manierirten und wenig durchgebildeten Arbeiten haben könnten. Ein bolognesischer Schüler Quercia’s, Niccolò dell’ Arca (st. 1494), fertigte die grosse thönerne, ehemals vergoldete Reliefmadonna b an der Fassade des Pal. Apostolico, die für die Zeit um 1460 kein bedeutendes Werk ist. — Wichtiger war Niccolò’s Theilnahme an der Arca in S. Domenico, von welcher er seinen Beinamen erhielt. Hier c werden ihm mehrere der obern Statuetten und der knieende Engel rechts vom Beschauer Welchen ich glaube für ein Werk des XVI. Jahrhunderts halten zu müssen. zugeschrieben; für die übrigen Statuetten (Niemand sagt genau welche) nennt man einen wohl fünfzig Jahre jüngern Künstler, Girol. Cortellini . Genug dass es angenehme und lebensvolle Figürchen sind, die vielleicht im Abguss eine weite Verbreitung finden würden. (Der heil. Petronius und der Engel unten links vom Beschauer sind anerkanntermassen von Michelangelo.) — Eine sehr tüchtige Arbeit des Niccolò ist auch das bemalte Reiterrelief des d Annibale Bentivoglio (1458) in der gleichnamigen Capelle zu S. Gia- como maggiore (Chorumgang). Sculptur des XV. Jahrhunderts. Schüler Quercia’s. Den Einfluss von Quercia’s Styl wird man vielleicht ausserdem erkennen an den Sculpturen der Fassade von Madonna di Galliera. a Dagegen zeigt er sich da nicht deutlich, wo man ihn erwarten sollte, nämlich in den Propheten und Sibyllen (unten) an den Seitenfenstern b von S. Petronio, welche zum Theil gute Arbeiten verschiedener lom- bardischer Meister des XV. Jahrh. sind * Die ältern nach dem Campo santo versetzten Grabmäler verschiedener Kir- chen hat der Verfasser nur flüchtig gesehen. Es befindet sich darunter das Grabmal Papst Alexanders V. . Von Quercia’s sienesischen Schülern führte Urban von Cor- tona , wie man glaubt nach des Meisters Entwürfen, die Statuen der c HH. Ansanus und Victorius an den mittlern Pfeilern des Casino de’ Nobili in Siena aus, lebendige und resolute Gestalten, die an das Beste von Verocchio erinnern; Ähnliches gilt von dem etwas spätern Ne- d roccio (Statuen in den beiden Seitennischen der runden Cap. S. Gio- vanni im Dom). Vecchietta dagegen hat die naturalistische Härte Donatello’s ohne dessen innere Gewalt; seine Bronzestatue des Er- e lösers, auf dem Hauptaltar der Hospitalkirche della Scala, ist wie ein Andrea del Castagno in Erz; die Grabstatue des Soccino († 1467) in f den Uffizien (I. Zimmer d. Br.) sieht einem von der Leiche genomme- nen Abguss ähnlich, wenn auch die Falten nicht ohne Geschick geordnet sind. Auch die übrigen Sienesen sind nach den in den Gängen der g Academie aufgestellten Fragmenten zu schliessen von keiner Bedeutung (die Cozzarelli , u. A.), wenn nicht die mir unbekannten Sculpturen in der Osservanza ihnen doch einen bessern Platz anweisen. — Spä- ter folgt dann, ganz vereinzelt, der oben bei Anlass der Decoration h (S. 239, e) erwähnte herrliche Altar in Fontegiusta. Die römische Sculptur dieser Zeit ist eine fast ganz anonyme. Doch steht wenigstens am Anfang des Jahrh. der Name des Paolo Romano fest. In ihm regt sich, gleichzeitig mit Quercia, der be- ginnende Realismus wenigstens in so weit, dass seine liegenden Grab- statuen mit Geist und Freiheit individualisirt heissen können. (Grab- Sculpturen in Rom. mäler des Card. Stefaneschi, st. 1417, im linken Querschiff von S. Maria a in Trastevere, — und des Comthurs Carafa im Priorato di Malta; — b vielleicht schon dasjenige des Card. Adam, st. 1398, in S. Cecilia). — c Von zweien Schülern Paolo’s, Niccolò della Guardia und Pier- paolo da Todi das aus einer Anzahl erzählender u. a. Reliefs be- stehende Denkmal Pius II (st. 1464), im Hauptschiff von S. Andrea d della Valle; später als Gegenstück hinzugearbeitet das Denkmal Pius III; beide ungünstig aufgestellt. — Von den sichern Arbeiten des Filarete , A. Pollajuolo Ob die bronzene Grabstatue eines Bischofs in S. M. del popolo (3. Capelle * rechts) von ihm sein mag? und Mino da Fiesole (s. oben) war schon die Rede; sodann ist hier der Abschnitt über das Decorative (S. 242) zu vergleichen. Ausser dem was dort über den römischen Gräberluxus seit 1460 im Allgemeinen gesagt ist (vgl. auch S. 229), muss hier zugestanden werden, dass der schönste Eindruck dieser römischen Sculpturen ein collectiver ist. Sie geben zusammen , in ihrer edeln Marmorpracht, das Gefühl eines endlosen Reichthums an Stoff und Kunst; die Gleich- artigkeit ihres Inhaltes, der doch hundertfach variirt wird, erregt das tröstliche Bewusstsein einer dauernden Kunstsitte, bei welcher das Gute und Schöne so viel sicherer gedeiht, als bei der Verpflichtung, stets „originell“ im neuern Sinne sein zu müssen. An den Grab- mälern ist der Todte in einfache Beziehung gesetzt mit den höchsten Tröstungen; ihn umstehen, in den Seitennischen, seine Schutzpatrone und die symbolischen Gestalten der Tugenden; oben erscheint, zwi- schen Engeln, die Gnadenmutter mit dem Kinde oder ein segnender Gottvater — Elemente genug für die wahre Originalität, welche her- gebrachte Typen gerne mit stets neuem Leben füllt, und dabei stets neue künstlerische Gedanken zu Tage fördert, anstatt bei der Poesie und andern ausserhalb der Kunst liegenden Grossmächten um neue „Erfindungen“ anzuklopfen. Ein ganzes Museum von Sculpturen findet sich in S. Maria del e popolo ; hundert andere Denkmäler sind durch alle ältern Kirchen zerstreut. Wir nennen bloss das Bedeutendere. Sculptur des XV. Jahrhunderts. Rom. a Der Art Mino’s stehen am nächsten: das Grabmal des Bartol. Roverella († 1476) in S. Clemente (rechts), mit werthvollen Reliefs von verschiedenen Händen, die trauernden Putten vorzüglich schön, b die Madonna vielleicht von Mino selbst; — das Grab des jungen Al- bertoni († 1485) in S. M. del popolo (4. Cap. rechts), nahe verwandt c mit dem S. 607, d erwähnten; — der Tabernakel der Nebencapelle links d in S. Gregorio; — die Gräber Capranica und de Coca in S. M. sopra Minerva (hinten rechts), mit ausgemalten Nischen; — die Gräber de e Mella († 1467) und Rod. Sanctius († 1468) in der Halle hinter S. M. di Monserrato. Geringerer Grabmäler, Tabernakel etc. zu geschweigen. Parallel mit diesen Werken gehen diejenigen eines andern Mei- sters oder einer andern Werkstatt, welcher wir das Beste verdanken. Ohne den herrschenden Typus des decorativen Grabes und Altares zu überschreiten, zeigen diese Arbeiten einen höhern Adel des Styles, eine lebendigere Durchführung alles Äusserlichen und einen schönern, oft ganz innigen Ausdruck, der doch nichts mit dem der umbrischen f Maler gemein hat. Die frühsten: das Grabmal Lebretto († 1465) g nächst dem Hauptportal von Araceli; — das des Alanus von Sabina in S. Prassede (eine der Cap. rechts); — dann folgt das prachtvolle h Monument des Pietro Riario († 1474) im Chor von SS. Apostoli, — i mit welchem das ungleich spätere des Gio. Batt. Savelli († 1498) im Chor von Araceli eine bestimmte Stylähnlichkeit hat; — auch die Fi- k guren der beiden Johannes in einem Vorgemach der Sacristei des Laterans gehören hieher. — Den Höhepunkt dieses Styles bezeichnet l dann der Altar Alexanders VI (1492, als er noch Cardinal Borgia war) in der Sacristei von S. M. del popolo, mit den wunderschönen m Engeln in den Bogenfüllungen; — und der kleine Altar des Guiler- mus de Pereriis (1490) im Chorumgang von S. Lorenzo fuori le mura; n — endlich eine einzelne Figur des heil. Jacobus d. ä. im Lateran (an einem Wandpfeiler des rechten Seitenschiffes). — Es ist auffallend, o dass beim Dasein solcher Kräfte das Grabmal Sixtus IV in so (ver- hältnissmässig) geringe Hände fallen konnte, wie die erhaltenen Reliefs zeigen. (Crypta von S. Peter.) Später findet sich auch der umbrische Gefühlsausdruck in einigen p ausgezeichneten Werken; so sind an der Hoftreppe des Nebenbaues links an S. Maria maggiore Fragmente eines Altares eingemauert, Sculpturen in Rom. welche köstliche Nischenfiguren und die besten, naivsten römischen Putten des XV. Jahrh. enthalten; — etwas später (1510) entstand das Grab eines Erzbischofs von Ragusa links vom Portal in S. Pietro a in Montorio, von dem sonst wenig bekannten Bildhauer Gio. Ant. Dosio , mit einer sehr schönen, frei peruginesk empfundenen Madonna. Unter den liegenden Bildnisstatuen der Gräber ist diejenige des b Pietro Mellini († 1483) in der gleichnamigen Capelle in S. M. del popolo besonders bemerkenswerth durch die naturalistische Strenge, womit Kopf und Hände individualisirt sind; — ähnlich die des Cor- c dova († 1486) in der Halle hinter S. M. di Monserrato. Wen die Grabstatue Alexanders VI († 1503) interessirt, findet dieses mittel- d mässige, doch in den Zügen wahrscheinlich sehr getreue Werk in der Crypta von S. Peter. (Die Gebeine liegen im Chor von S. M. di Monserrato.) Die lieblichsten Mädchenköpfe an dem einen Grabe der e Familie Ponzetti (1505 und 1509) in S. M. della Pace (Hauptschiff links); zwei gute Greisenbüsten an dem Grabmal Bonsi, Vorhalle von f S. Gregorio. — Über der Treppe der Villa Albani die liebenswürdig g naturalistische Büste einer angehenden Matrone (der Teodorina Cybò). Noch zu den bessern Arbeiten gehörend, doch ohne tiefere Eigen- thümlichkeit: in S. M. del Popolo: das prächtige Grabmal Lonati h (Querschiff links); — das Grab des Cristoforo Rovere (nach 1479, 1. Cap. rechts); — des Giorgio Costa (1508, 4. Cap. rechts); — des Pallavicini (1507, 1. Cap. links); des Rocca (1482, in der Sacristei); — die letztern vier vielleicht von demselben Künstler, welcher in der Minerva die Grabmäler Sopranzi (1495, letzte Cap. des rechten Seiten- i schiffes) und Ferrix (1478, im ersten Klosterhof), ausserdem vielleicht auch das Grab des Diego de Valdes (1506, in der Halle hinter S. M. k di Monserrato) schuf. Alles Arbeiten von einer gewissen stereotypen Eleganz, mit einzelnen trefflichen Bestandtheilen. Die Masse der übrigen marmornen Grabmäler und Altäre lassen sich meist einer der eben angegebenen Rubriken unterordnen; sie alle zu nennen, fehlt uns der Raum. Es giebt darunter sehr kostbare, welche nur wenig eigenthümliches Leben, und sehr einfache, welche doch irgend einen ganz schönen Zug enthalten. Sculptur des XV. Jahrhunderts. Genua. In Genua drang der realistische Sculpturstyl nur sehr langsam a durch. Man sieht im Dom auf dem 1. Altar rechts das Relief einer Kreuzigung, von guter und fleissiger Arbeit etwa aus der Mitte des Jahrh., und doch kaum von einem fernen Echo der florentinischen b Umwälzung berührt. Ebenso ist (in der 1. Cap. links) das Grabmal des 1461 verstorbenen Card. Giorgio Fiesco in der Anordnung sowohl als in der recht schönen und ausdrucksvollen Behandlung fast noch ein Werk des vorhergehenden Jahrhunderts. — Das Thürrelief mit der c Anbetung der Könige, an dem Hause N. 111 Strada degli orefici, ist vielleicht kaum früher und doch noch fast germanisch; hier nennens- werth als das beste unter sehr vielen. Am frühsten meldet sich der Realismus des XV. Jahrh. — vielleicht selbständig, vielleicht auf eine Anregung hin, die von Quercia herstam- men könnte — in den Ehrenstatuen verdienter Bürger . Wohl ein Duzend derselben aus dieser Zeit stehen theils (nebst neuern) in den d Gängen und im Hauptsaal des Pal. S. Giorgio am Hafen, theils in den e fünf Aussennischen eines Palastes an Piazza Fontane amorose (N. 17, er heisst Pal. Spinola), auch anderswo. Bei ungeschickter Gestalt und Haltung, bei einer bisweilen rohen Draperie ist doch in den Köpfen, auch wohl in den Händen der Ausdruck des individuellsten Lebens hie und da vollkommen erreicht. (Auch für die Trachten von Werth.) Ein kenntlicher florentinischer Einfluss ist vielleicht zuerst an den f erzählenden Reliefs der Aussenseite und der grossen innern Lunetten der Johannescapelle im Dom sichtbar; ungeschickte, selbst rohe Ar- beiten, die man nicht einmal Mino da Fiesole, geschweige denn Matteo Civitali zutrauen möchte, als dessen Arbeit wenigstens die Lunette links gilt. Mit den notorischen Arbeiten Matteo’s (S. 606, b) schliesst dann das Jahrhundert. Woher für Venedig die Anregung zu dem neuen Styl kam, ist schwer zu sagen. Derjenige bedeutende Künstler, welcher in den ersten 4 Jahrzehnden des XV. Jahrh. die Reihe der Renaissancebild- hauer eröffnet, Mastro Bartolommeo , wächst so allmälig in den neuen Styl hinein, dass man annehmen darf, er sei selbständig durch Venedig. Mastro Bartolommeo. den Zug der Zeit darauf gekommen, noch ehe die Antikensammlung des (1394 gebornen) Malers Squarcione in Padua vorhanden war Vasari, im Leben des Scarpaccia, nennt wohl einen florent. Bildhauer Simone Bianco, der sein Leben in Venedig zugebracht habe, giebt aber keine Werke desselben an. . Sein frühstes Hauptwerk, in der entlegenen Kirche der Abbazia a (links vom Portal) ist eine grosse ehemalige Thürlunette; die „Mater misericordiæ“, von jener reichen deutschen Lieblichkeit des Antlitzes, die aus so manchem venezianischen Marmorkopf des XIV. Jahrh. herausschaut, steht zwischen kleinern knieenden Mönchen, deren Ge- berden und Bildnisszüge die tiefste Andacht ausdrücken; Engel halten das Gewand der Jungfrau über ihnen ausgespannt; der übrige Raum ist ausgefüllt durch Laubwerk mit den Halbfiguren von Propheten; das Kind ist als Relief in die colossale Agraffe versetzt, welche den Mantel der Maria zusammenhält — eine in diesem architektonischen Styl und in dieser Zeit vollkommen glückliche Kühnheit Für welche überdiess byzantinische Vorbilder vorhanden waren. . — Zu den Seiten zwei Engelstatuen, decorativ und fast roh wie die Lunette auch, aber von demselben tiefen Ausdruck. (An der Wand gegenüber drei Statuen weiblicher Heiligen, schon dem spätern Styl B.’s näher.) Wenn nun hier noch der germanische Styl, obwohl bereits ge- mildert, vorherrscht, so zeigt die Portal-Lunette an der Scuola di b S. Marco einen ganz ähnlichen Gegenstand entschieden in der neuen Art gebildet. Wir sehen S. Marcus, eine würdige Gestalt, thronend zwischen der knieenden Bruderschaft, deren Vorsteher ihm die linke Hand küsst, während er mit der Rechten segnet. Der Styl der neuen Zeit drückt sich ganz sprechend aus in einem jener neu gewonnenen Reizmittel, die dem XIV. Jahrh. noch ganz fremd waren: S. Marcus sitzt nach links und wendet sich nach rechts (vom Beschauer). — Die Statuen neben und über der Lunette scheinen neuer und restaurirt. Das wichtigste spätere Werk B.’s sind dann die Sculpturen an der Porta della carta des Dogenpalastes (1439). Sowohl in den c vier Tugenden als in den Engeln und Putten oben trifft er hier — wahrscheinlich zufällig — ziemlich nahe mit Quercia zusammen. Mit dem muthwilligen Herumklettern, ja schon mit der Darstellung dieser nackten Kinder ist die Renaissance offen ausgesprochen; von den Tu- Sculptur des XV. Jahrhunderts. Venedig. Rizzo. genden giebt die Fortitudo ein herrliches Motiv, welches so ganz ver- schieden von Ghiberti’s Art und doch parallel mit derselben die Frei- heit des neuen Styles mit der Würde des germanischen verbindet Fast gleichzeitig mit der Porta della carta entstand das Heiligengrab des * Beato Pacifico († 1437) im rechten Querschiff der Frari. Schlecht erhalten und ungünstig in dunkler Höhe befestigt, scheint es der Art des B. ähnlich. . a — (An dem Hauptfenster gegen die Riva hin, welches der Verf. Re- paraturhalber verdeckt fand, will man in den Statuen ebenfalls B.’s Styl erkennen. Ausserdem werden ihm die Apostel und der heil. b Christoph an der Fassade von S. Maria dell’ Orto zugeschrieben; letzterer wohl am ehesten mit Recht; die Apostel scheinen von ver- schiedenen Händen zu sein Von zwei verschiedenen guten Zeit- und Stylgenossen sind in Madonna dell’ ** orto vorhanden: auf dem 3. Altar rechts eine lebensgrosse stehende Madonna, von etwas deutschem Charakter; über der Sacristeithür die Halbfigur einer Madonna, milder und anmuthiger. . Dem wachsenden Kunstbedürfniss der Republik scheinen diese und andere einheimische Kräfte bald nicht mehr genügt zu haben. Donatello erschien in Padua (S. 597 ff); Verocchio wurde für ein grosses Denkmal in Anspruch genommen (S. 603, a). Auch andere Toscaner ar- beiteten früher und später in Venedig, wie z. B. die sonst nicht be- kannten Piero di Niccolò aus Florenz und Giovanni di Martino aus e Fiesole, welche das Dogengrab Mocenigo († 1423) im linken Seiten- schiff von S. Giovanni e Paolo fertigten, offenbar unter Donatello’s Einfluss (und kaum vor 1450); ein Werk das sich durch die Schön- heit der Köpfe an den zahlreichen Statuetten auszeichnet. Die paduanische Malerschule mit ihrem scharfen, fleissigen Mo- delliren, ihren plastischen und antiquarischen Studien musste ihrer- seits ebenfalls auf die Sculptur wirken; keine Malereien des damaligen Italiens haben einen so ausgesprochenen plastischen Gehalt wie die ihrigen, Verocchio etwa ausgenommen. — Wahrscheinlich empfing von ihr aus der veronesische Bildhauer Antonio Rizzo seine Anregung. d Von ihm sind (um 1471) die Statuen Adam und Eva im Dogenpalast (unten gegenüber der Riesentreppe) gearbeitet; ersterer eine vorzüg- Die Bregni, Lombardi und Leopardo. lich tüchtige Bildung, deren Naturalismus gemildert erscheint durch die ergreifende Geberde und Miene des Schuldbewusstseins; bei Eva ist derselbe schon störender. Seit der Mitte des XV. Jahrh. erscheinen dann mehrere Bild- hauerwerkstätten neben einander und in wechselseitiger Einwirkung auf einander. Die wichtigsten derselben sind die der Bregni , der Lombardi und des Leopardo . Die Gesammtheit ihrer Productionen ist schon der Masse nach sehr bedeutend; an innerm Gehalt bilden dieselben das wichtigste Gegenstück zu den Werken der gleichzeitigen Toscaner. Es ist der Realismus des XV. Jahrh. ohne Donatello, ohne die extremen Härten aber auch ohne die entschiedene Kraft der Motive. Es mangelt nicht an Bestimmtheit der Formen, zumal der Gewandung, wohl aber an der unablässigen Beobachtung des bewegten Körpers; daher sind auch der Attituden wenige, die sich um so häufiger wiederholen; die Be- handlung des Nackten ist beträchtlich conventioneller als gleichzeitig bei den Vivarini und bei Mantegna. Den Ersatz bildet ein sehr ent- wickelter Sinn für schöne und anmuthige Formen und für höhern Gefühlsausdruck; noch verhüllt und befangen bei Pietro Lombardo, der in den Köpfen mannigfach die Härten eines Bart. Vivarini theilt; gesteigert bis zum tiefsten und süssesten Reiz bei Leopardo. Die Antike wirkt nur stellenweise direkt ein, dann aber so stark wie vielleicht bei den damaligen Florentinern nirgends. Im Ganzen ist allerdings eher die Malerei der paduanischen Schule als Führerin dieser Sculptur zu betrachten. Mit ihr ist der Ausdruck vieler Köpfe, die Behandlung der Falten und Brüche des Gewandes, auch die Stel- lung vieler Figuren am nächsten verwandt. Auch an Cima, Carpaccio und Giovanni Bellini wird man vielfach erinnert. Angewiesen auf die zum Theil zweifelhaften und unbestimmten Namengebungen, welche bis jetzt im Gange sind, können wir unmög- lich die einzelnen Künstlercharaktere scharf von einander abgrenzen. Unsere Aufzählung macht desshalb keinerlei systematische Ansprüche. Die ältern Bregni, Antonio und Paolo , erscheinen noch wie Schüler des Mastro Bartolommeo an dem Dogengrab Franc. Foscari Sculptur des XV. Jahrhunderts. Venedig. Die Bregni. a († 1457) im Chor der Frari (rechts). Nicht nur ist die Decoration noch gothisch wie bei Jenem, sondern sie gleichen ihm auch in der tüchtigen, an Quercia erinnernden Lebensauffassung. — Gegenüber steht das derselben Künstlerfamilie zugeschriebene Dogengrab Tron († 1472), in der Decoration schon vollkommene Renaissance, im Figür- lichen sehr ungleich und jedenfalls von verschiedenen Händen; die Dogenstatue insbesondere wird als Werk des Antonio namhaft ge- macht. An den beiden Tugenden zu seinen Seiten haben wir die ersten vollständigen Typen derjenigen fleissigen, zierlichen und an- genehmen Gewandstatuen, welche sich in Venedig bis gegen das Jahr 1500 wiederholen; der Schildhalter links ist eine trefflich lebendig ge- wendete Figur, wahrscheinlich von Lorenzo Bregno , welcher die Hauptkraft der Schule wurde. b Von ihm ist wahrscheinlich das Denkmal des Feldherrn Pesaro († 1503) im rechten Querschiff derselben Kirche (über der Sacristeithür) mit den Statuen des Verstorbenen, des Neptun und des Mars — letztere freilich von Baccio da Montelupo , dessen florentinische Lebens- derbheit den Venezianern überlegen erscheint. — An dem Vorbau im c Hof des Dogenpalastes möchte der Schildhalter neben Bandini’s Statue des Herzogs von Urbino ebenfalls eine Arbeit Lorenzo’s sein. — In d S. Giovanni e Paolo ist die Statue des Feldherrn Naldo (rechtes Quer- schiff, über der Thür) vom Jahr 1510 ein ziemlich lebloses Werk. Mit oder bald nach den Bregni traten die Lombardi auf, vielleicht nicht bloss eine Familie, sondern eine Colonie lombardischer Bildhauer, deren Styl, wie wir sehen werden, mit den besten gleich- zeitigen Werken des übrigen Oberitaliens eine nahe Verwandtschaft zeigt. Als Baumeister und Decoratoren werden ihrer fünf oder sechs genannt (S. 214, Anm.); in der Sculptur kommt hauptsächlich Pietro mit seinen Söhnen Antonio und Tullio in Betracht. Was sie gemeinschaftlich hervorbrachten, wird sich jetzt kaum mehr scheiden lassen. Pietro’s Namen, aber von späterer Hand, habe e ich nur an einer Statuette des heil. Hieronymus in S. Stefano (3. Altar links) entdecken können; danach eine ganze grosse Anzahl von Wer- ken näher bestimmen zu wollen, in welchen man die „Schule der Die Lombardi. Lombardi“ oder die „Art der L.“ im Allgemeinen zu erkennen pflegt, wäre ein gewagtes Unternehmen. Als allgemeines Schulgut sind der Betrachtung besonders werth: An der Scuola di S. Marco die obern Statuen zwischen und über a den Rundgiebeln. Im Dogenpalast an dem Vorbau gegenüber der Riesentreppe: die b Figuren auf den Spitzthürmchen , zum Theil auf kugelförmigen von hübschen Putten gehaltenen Untersätzen; diese am besten von der Sala del collegio aus sichtbaren Statuen sind zum Theil sehr geistvoll und lebendig, besonders die Prudentia mit dem Spiegel. An S. Maria de’ miracoli: die sämmtlichen Aussensculpturen; c der Gottvater und die anbetenden Engel über und neben der halb- runden Obermauer nur Decorationsarbeit, aber vorzüglich schön ge- dacht; die Halbfiguren der Propheten und Heiligen in den Bogen- füllungen der obern Pilasterordnung, ebenfalls trefflich ausdrucksvoll und von meisterhafter Arbeit. In der Capella Giustiniani zu S. Francesco della Vigna (links d neben dem Chor) verrathen von den Reliefhalbfiguren an den Wänden die vier Evangelisten einen besonders geistvollen Künstler ( Tul- lio L.?); die übrigen scheinen von demjenigen noch etwas befangenern, aber ernsten und tüchtigen Meister, welcher die Halbfiguren der Pro- e pheten an den Chorschranken der Frari verfertigte. (Der Altar nebst Predella und Vorsatz, sowie der Relieffries mit der Geschichte Christi sind zierliche, aber geringe Arbeiten.) In den Frari könnten die Statuen der Apostel und Heiligen über f den Chorschranken am ehesten ein Werk dieser Schule sein. Ausser- dem wird derselben dort das Grab des Jacopo Marcello († 1484) ver- muthungsweise zugeschrieben (im rechten Querschiff, rechts). In S. Stefano enthält ausser der genannten Arbeit die Sacristei g zwei halbe und zwei ganze Heiligenfiguren des Pietro; letztere für ihn vorzüglich charakteristische Werke. In S. Giovanni e Paolo ist das Dogengrab Mocenigo († 1476) h rechts vom Portal, eine gemeinschaftliche Arbeit des Pietro, An- tonio und Tullio ; ein Haupttypus der frühern Gräber dieser Art, mit lauter Helden, die den Sarg tragen und in Seitennischen stehen, mit Putten welche aus Engeln zu kriegerischen Pagen geworden sind, Sculptur d. XV. Jahrh. Venedig. Die Lombardi. Leopardo. mit Trophäen und Herculesthaten in Relief; das Christliche beschränkt sich auf ein oberes Flachrelief, die Frauen am Grabe, und auf kleine Giebelstatuen des Erlösers und zweier Engel — von schönem Aus- druck, während das Übrige von mittlerm Werthe, der Doge nur durch seinen Porträtkopf ausgezeichnet ist. — Ebendaselbst im linken Sei- a tenschiff das Dogengrab Marcello († 1474); anonym aber ohne Zweifel ebenfalls aus dieser Werkstatt, am ehesten von Pietro selbst, mit vier in seiner Art hübschen Tugenden. b Die vergoldete Madonna an der Torre dell’ Orologio, welche ebenfalls dieser Schule zugeschrieben wird, ist von gutem und mildem Ausdruck, aber in der Anordnung nicht geschickt In Ravenna werden dem Pietro Lombardo oder den Lombardi überhaupt bei- * gelegt: eine Altareinfassung und ein Grabmal in S. Francesco, und ein ** S. Marcus (Hochrelief, datirt 1491) im Dom, ein ausgezeichnetes Werk. . Pietro und Antonio arbeiteten endlich (1505—1515) die Mo- c delle der grossen Bronzearbeiten in der Capella Zeno zu S. Marco gemeinschaftlich mit Alessandro Leopardo , der ebenfalls das Haupt einer be- trächtlichen eigenen Werkstatt war. Ihm wird vor Allem das schönste d der Dogengräber beigelegt, dasjenige des Andrea Vendramin († 1478) links im Chor von S. Giovanni e Paolo. Verglichen mit den Gräbern des P. Lombardo ist schon die Eintheilung besser, ohne jene allzugleichartigen Wiederholungen; die untern Figuren — drei Genien mit Leuchtern am Sarcophag, zwei Helden in Seitennischen und zwei später beigefügte Figuren — haben die nöthige freie Luft über sich; oben folgen nur Reliefs verschiedenen Grades und eine leichte Giebel- verzierung, Sirenen welche einen Medaillon mit dem Christuskinde halten; auch unten an dem herrlich verzierten Sockel sind die Engel mit der Schrifttafel und die beiden Putten auf Meerwundern in Relief gebildet. Dieser Sinn des Masses und der Abstufung bezeichnet hier allein schon den grossen Künstler, ebenso die Behandlung des Ein- zelnen. Zwar sind seine Motive zum Theil kaum entschiedener als die der Lombardi; seine Helden stehen, seine Engel laufen nicht freier und besser; nur in den Tugenden am Sarcophag fällt eine edlere und freier abwechselnde Stellung auf, welche auf einem sehr Leopardo. Die Capella Zeno. unmittelbaren Studium der Antike beruhen muss. Das Beste aber hat L. nicht aus dieser Quelle; ich meine die wunderbare Süssigkeit und Milde der reichgelockten jugendlichen Köpfe, die in dieser Zeit gradezu nur bei Lionardo da Vinci ihres Gleichen findet. Und der eine herrliche Putto, welcher auf seinem Seepferd so wohlgemuth über die Wellen gleitet, ist auch wohl ebenso von Leopardo beseelt, wie die Putten der Galatea es von Rafael sind. Ausserdem sind notorisch von Leopardo die drei Flaggen- a halter auf dem Marcusplatz, deren Figürliches dieselbe Benützung antiker Vorbilder mit grossem natürlichem Schönheitssinn verbunden offenbart Hier oder nirgends sind zwei Reliefs unterzubringen, welche zu den schön- sten in Venedig gehören. In einer Nebencapelle des rechten Querschiffes * von S. Trovaso findet sich ein Altarvorsatz, der in flacher, etwas unterhöhl- ter Arbeit Engelkinder mit den Passionsinstrumenten (ähnlich denjenigen in dem muranesischen Altarbild der Krönung Mariä in der Academie) und seit- ** wärts musicirende Engel darstellt, von der naivsten Anmuth in Köpfen und Geberden und mit grossem, raffinirtem Geschick der Verkürzungen, Man glaubt ein florentinisches Werk vor sich zu sehen, bis man dieselbe Behand- lung in einem Relief der Camera a letto des Dogenpalastes wieder erkennt; † zwei Heilige empfehlen den knieenden Dogen und den Patriarchen der thro- nenden Madonna; es ist die Seele Giovanni Bellini’s in Marmor. Das Chri- stuskind schreitet über der Mutter Knie den Männern freundlich entgegen. Ob diese köstlichen Werke von L. sind, mag zweifelhaft bleiben; aber sie kommen seiner Art näher als der aller Übrigen. . Nach Massgabe dieser Werke hat man nun auszuscheiden, welche Theile der Sculpturen in der Cap. Zeno zu S. Marco ihm gehören. Es b handelt sich um eine der prachtvollsten Grabstätten des XVI. Jahr- hunderts, diejenige des Cardinals Gio. Batt. Zeno. An dem Sarco- phag selbst sind wohl die sechs zum Theil den Deckel haltenden Tugenden von Leopardo; sie erscheinen allerdings freier, ihm mehr gemäss, weniger durch die Antike befangen als diejenigen am Grab- mal Vendramin. Die liegende Statue des Cardinals ist schwer zu definiren. Auf dem Altar sind die Statuen des Petrus und des Täu- fers Johannes wohl am ehesten von Pietro oder Antonio Lombardi, herrliche Köpfe, welche die unvollkommene Stellung wohl gut machen; ebenso das Relief des Thronhimmels (Gottvater mit Engeln). Die be- B. Cicerone. 40 Sculptur des XV. Jahrhunderts. Die Lombardi. rühmte Madonna della Scarpa dagegen, dieser reine Gedanke der gol- denen Zeit Giov. Bellini’s, mag wiederum eher dem Leopardo ange- hören. Vorzüglich schön ist das auf ihrem rechten Knie sitzende Kind, welches sich eben zum Segnen anschickt. Unter diesen gemischten Eindrücken scheinen Pietro Lom- bardo’s Söhne Antonio und Tullio aufgewachsen zu sein. Von Antonio werden meines Wissens nur zwei sichere Einzelarbeiten nam- a haft gemacht: die Statue des h. Thomas von Aquino über dem Grab- mal Trevisan Von wem ist an diesem Grabe die Porträtstatue des jungen, 1528 verstor- benen Alvise Trevisan? Jedenfalls ein Muster des nobeln Liegens eines vor- nehmen Todten. im linken Seitenschiff der Frari, und in S. Antonio zu Padua, Cap. del Santo, das neunte Relief, wovon unten. Er folgt oder geht voran (im Styl) seinem berühmtern Bruder Tullio . Von Leopardo und von dem Studium der Antike zu- gleich berührt, hat er diese Einwirkungen mit der Lehre seines Vaters in einen gewissen Einklang gebracht. Sein grosser Schönheitssinn hat sich zwar in gewisse Manieren verfangen, da die innere Kraft dem- selben nicht gleich stand. (Feine, wie gekämmte Falten, unnütze Zierlichkeiten der Haare, conventionelle Stellungen etc.) An sicherer Naivetät steht er dem Leopardo beträchtlich nach. Allein im günsti- gen Fall hat er Werke hervorgebracht, welche nicht zu den grossar- tigsten, wohl aber zu den ansprechendsten jener Zeit zu rechnen sind. b Zum Frühsten möchten diejenigen Arbeiten in S. Maria de’ mira- coli gehören, welche ich ihm glaube zuschreiben zu müssen; es sind die halben Figuren auf der Balustrade der Chortreppe — worunter Maria und gegenüber der Engel Gabriel vielverheissend erscheinen wie Jugendwerke Rafaels — und die Reliefscheiben an den meisten c Thürpfosten. Dann sind datirt vom J. 1484 die vier knieenden Engel, welche das Taufbecken in S. Martino (links) tragen, schön gedacht, mit andächtigen und anmuthigen Köpfen. Nicht viel später möchte d das grosse Relief in S. Giovanni Crisostomo (2. Altar links) entstanden sein; Christus, von den Aposteln umgeben, legt die Hand Antonio und Tullio Lombardo. auf eine gekrönte Frau; wahrscheinlich eine etwas ungewöhnliche Darstellung der Krönung Mariä, womit auch die oben erscheinende Glorie w ohl stimmen würde. In den Köpfen, zumal der Hauptper- sonen, ist ei ne eigenthümliche classische Idealität erstrebt, die in der damaligen Sculptur sonst kaum vorkömmt. — Von den untern Sculp- turen der Scuola di S. Marco kommen die zwei ziemlich befange- a nen Löwen weniger in Betracht als die zwei Thaten des heil. Marcus, bei welchen dem Künstler nicht bloss römische, sondern griechische Reliefs scheinen vorgelegen zu haben, wie besonders aus der Behand- lung der hinten stehenden Personen erhellt. Womit dann die perspec- tivisch gegebene Halle, die den Raum darstellt, wunderlich contrastirt. — Ebenfalls noch früh: das Dogengrab Mocenigo († 1485) in S. Gio- b vanni e Paolo, links vom Portal; hier ist von den allegorischen Sei- tenfiguren die eine nach einem bekannten antiken Musenmotiv unmit- telbar copirt; in den Sockelrelief sucht Tullio eher seine Manier mit dem süssen Ausdruck Leopardo’s zu verbinden. Von den spätern Arbeiten der beiden Brüder enthält die Capelle des h. Antonius im Santo zu Padua das Wichtigste. Wir lernen hier (im neunten Relief, wo der Heilige ein kleines Kind zum Sprechen c bringt) den Antonio Lombardi als bedeutenden Componisten kennen; von der Schönheit der Antike erscheint er auf unbefangnere Weise durchdrungen und geleitet als Tullio. Letzterm gehören das sechste d und das siebente Relief (wie der Heilige die Leiche eines Geizhalses öffnet und statt des Herzens einen Stein findet; wie er das gebrochene Bein eines Jünglings heilt); das erstere, bez. 1525, muss ein Werk seines hohen Alters sein, und es ist das freiere, weichere von beiden; denn das siebente hat bei bedeutenden Schönheiten auch noch alle Unarten der frühern Werke Tullio’s. Ein Zeitgenosse, vielleicht ebenfalls eher Lombarde als Venezianer, Antonio Dentone , hält in den Bildnissfiguren an dem charakter- vollen Naturalismus fest, während seine Idealfiguren theils eine mehr allgemeine Formenbildung, theils ein Hinneigen zu dem übertriebenen Ausdruck eines Mazzoni verrathen. So das Relief einer Pietà mit e Heiligen, in der Salute (Vorraum der Sacristei), wenn ihm dasselbe 40* Sculptur des XV. Jahrhunderts. Venezianer. a mit Recht beigelegt wird. An dem Grabmal des Feldherrn Melchior Trevisan († 1500) in den Frari (2. Cap., links vom Chor) ist die Por- trätstatue eine der besten in jener herben Art, die beiden gepanzerten Putten dagegen nur allgemeines Schulgut. Ebenso verhält es sich b mit dem Denkmal des Vittor Capello (1480) im linken Querschiff von S. Giovanni e Paolo; der knieende Ritter ist voll Wahrheit und In- nigkeit, die heil. Helena, welche vor ihm steht, ziemlich unsicher in c Haltung und Zügen. Die artige Halbfigur einer Heiligen in der Ab- bazia (Capelle hinter der Sacristei) steht doch nur mit Pietro Lom- bardo parallel. Eine andere gute anonyme Arbeit, welche im Ausdruck an die d Gemälde des Cima da Conegliano erinnert, ist das Bronzerelief einer Madonna mit Heiligen im rechten Seitenschiff von S. Stefano (bei der Sacristeithür). Dagegen erscheinen die Apostel an beiden Wänden des Chores e daselbst, von einem gew. Vittor Camelo , nur als zaghafte Arbeiten eines Schülers der Lombardi. — Von demselben Künstler aber enthält die f Academie zwei kleine bronzene Hochreliefs mit Scenen nackter Käm- pfenden, etwa für ein Feldherrngrab bestimmt; überaus lebendig und dabei für jene Zeit und Schule gar nicht überfüllt, sondern plastisch componirt, im Ganzen von den besten damaligen Reliefs. g Den Pyrgoteles , welcher die Madonna in der Thürlunette von S. Maria de’ miracoli gemacht hat, möchte man für einen begabten Dilettanten halten, der glücklich einen schönen Kopf und ein interes- sant scheinendes Motiv gefunden hat. (Das Kind fasst den Daumen an der Hand der Mutter, auf welcher es sitzt.) Man glaubt, der Künst- ler habe der bekannten griechischen Familie der Lascaris angehört. In Padua hatte Donatello längere Zeit gearbeitet und sein Ein- fluss überwiegt noch das ganze Jahrhundert hindurch, obwohl auch die verschiedenen venezianischen Schulen daneben vertreten sind. Einem seiner toscanischen Schüler, Giovanni von Pisa , gehört h das thönerne Altarrelief der Cap. SS. Jacopo e Cristoforo (Eremitani), Paduanische Nachfolger Donatello’s. Madonna mit sechs Heiligen nebst Predella, Puttenfries u. a. Zu- thaten. Neben die Sculpturen der Lombardi etc. gehalten, zeugt diess Werk bei allen Härten doch deutlich für die siegreiche toscanische Leichtigkeit, alle Lebensäusserungen sich eigen zu machen und dar- zustellen. Auch der Paduaner Vellano war D.’s Schüler und seine Bronze- reliefs an den Chorwänden des Santo (1488) zeigen deutlicher als ir- a gend ein toscanisches Schulwerk, wohin man gelangen konnte, wenn man Donatello’s Freiheiten nachahmte ohne seinen Verstand und seine allbelebende Darstellungsgabe zu besitzen. Es sind ganz kindlich auf- geschichtete Historien in zahllosen, sorgfältigen Figürchen. Dagegen lebte in Andrea Briosco genannt Riccio (Crispus, von seinen gelockten Haaren) der echte Geist der grossen Zeit. Das Figürliche an seinem berühmten ehernen Candelaber im Chor des b Santo (Seite 254, l) ist zwar um so viel glücklicher, je mehr es sich dem Decorativen nähert (Nereidenzüge, Centauren u. s. w.), aber auch die überfüllten erzählenden Reliefs sind geistvoll und originell. In den zwei Reliefs jener von Vellano begonnenen Reihe an den Chorwän- c den, welche dem Riccio angehören, zeigt sich eine ungemeine Über- legenheit. (David vor der Bundeslade; Judith und Holofernes, vom Jahr 1507.) Der Styl des XV. Jahrh. ist wie überall, so auch hier, dann am reizendsten, wenn er sich dem idealen Styl zu nähern beginnt. In derselben Art sind noch eine Anzahl anderer Sculpturen gear- beitet, deren Urheber dem Verfasser nicht bekannt sind. — In S. Fran- cesco sieht man (linkes Querschiff) ein grosses Bronzerelief der thro- d nenden Jungfrau zwischen zwei heil. Mönchen, und (rechtes Querschiff) das ebenfalls bronzene Grabrelief eines Professors, der hinter seinem Schreibtisch, Bücher nachschlagend, abgebildet ist; zu beiden Seiten Putten als Schildhalter, angenehme Werke, wenn auch ohne höheres Leben. — In den Eremitani (rechts und links von der Thür) gewal- e tige Tabernakel von Terracotta, bemalt, mit grossen Statuen und zahl- reichen, auch decorativ nicht werthlosen Zuthaten, der eine (mit dem Gemälde in der Mitte) datirt 1511. In beiden scheint der Styl Dona- tello’s und derjenige der Lombardi gemischt. Sculptur des XV. Jahrhunderts. Padua. Verona. a In der Academie von Venedig sind einige bedeutende Bronze- reliefs aus Riccio’s Schule; das einzige, welches in der That so be- zeichnet ist, eine Himmelfahrt Mariä mit den Jüngern am Grabe, ist in dem kleinen Massstab erhaben gedacht, im Ausdruck tief und innig, in Zeichnung und Composition Ghiberti vergleichbar, überhaupt eines der Meisterwerke italienischer Sculptur; — vier andere, dem Riccio selber zugeschrieben und von 1513 datirt, enthalten die Geschichte der Kreuzerfindung; im Detail sind sie dem erstgenannten wohl ver- wandt, aber viel überfüllter und in manchen Motiven sogar flau uud unrein; — dagegen ist die Thür eines Sacramenthäuschens, welche ohne allen Grund dem Donatello zugeschrieben wird, wohl des Mei- sters der Himmelfahrt Mariä würdig; unter einem Renaissanceportal sieht man eine anmuthige Engelschaar; die mittlern halten ein Kreuz; an der Basis zwei kleine Reliefs mit Passionsscenen. — Von dem b etwas spätern Medailleur Cavino , der die sog. Pataviner-Münzen machte, befindet sich ebenda ein peinlich fleissiges Relief, S. Martin mit dem Bettler. Wie im übrigen Oberitalien der realistische Styl des XV. Jahr- hunderts eindrang, ist der Verfasser nicht im Stande näher anzugeben. Reisende Florentiner, auch wohl die Einwirkung Quercia’s von Bo- logna her mögen Das vollendet haben, wozu der Antrieb schon in der c Zeit lag. Man sieht z. B. in S. Fermo zu Verona (links vom Haupt- portal) das Familiengrab Brenzoni, angeblich von einem Florentiner Giov. Russi , welches in einer schönrealistisch, doch nicht in Do- natello’s Manier belebten Wandgruppe die Auferstehung darstellt; der Sarcophag ist zum Grab Christi umgedeutet, vor welchem die schla- fenden Wächter sehr gut und geschickt angebracht sind; ein Engel hält den Grabstein, andere die Leuchter, Putten ziehen den Vorhang. — Von diesem Geiste berührt mag dann ein Einheimischer das schon d (S. 167, c) erwähnte Reiterdenkmal des Sarego (1432) im Chor von S. Anastasia zu Verona geschaffen haben. Vor und hinter dem Feld- herrn stehen — nicht mehr auf gothischen Consolen, sondern auf na- turalistisch dargestellten Felsstufen — zwei geharnischte Knappen, welche den Vorhang des Baldachins auf die Seite halten; der vor- Verona. Bergamo. dere zieht die Mütze vor dem Herrn; auf dem Gipfel des Baldachins ein Schildhalter. Diess ganze, durchaus profane Werk ist umgeben von einer barock-gothischen Einrahmung; erst über dieser folgen — in Fresco — Engel, Heilige und Legendenscenen. Auch alles Plasti- sche ist bemalt. Was sonst im Westen von Venedig bis ins Herzogthum Mailand hinein von Sculpturen seit etwa 1450 vorkömmt, hat fast durchgän- gig eine nahe Verwandtschaft mit dem Styl der Lombardi, deren Na- men wir desshalb (S. 622) unbedenklich als Landesnamen in Anspruch genommen haben. Es sind dieselben conventionellen Stellungen, Ge- wandmotive, Kopfbildungen, nur nicht eben häufig mit der Präcision eines Pietro Lombardo und noch seltener mit dem süssen Reiz eines Leopardo durchgeführt. In Verona trifft man auf eine Menge Giebelstatuen, hauptsäch- lich über den Renaissancealtären der ältern Kirchen, welche diesen allgemeinen Schultypus wiedergeben. So diejenigen im Dom, in S. Ana- a stasia u. a. a. O.; auch die über dem Portal des bischöflichen Palastes b (dat. 1502); die fünf berühmten Veronesen auf der Dachbalustrade des c Palazzo del consiglio u. s. w. Das Bedeutendste enthalten ein paar Altäre in S. Anastasia: der 4. links mit vier Statuen über einander d auf jeder Seite, von reinem und gutem Ausdruck; der S. Sebastian keine geringe Bildung; — und der erste links, mit bemalten Sta- tuen auf den Seiten und im Giebel, naturalistischer und befangener, aber von bedeutendem Charakter und beseelt von Andacht; die drei Hauptstatuen des Altares selbst wohl von anderer Hand. Im Dom von Brescia (3. Altar, rechts) ist der Marmorschrein e des heil. Apollonius mit seinen Legendenreliefs und Statuetten ein sehr sorgfältiges doch nicht gleichmässig belebtes Werk der Zeit um 1500. In Bergamo enthält die Capelle Coleoni bei S. Maria mag- f giore ausser den reichen Fassadensculpturen das prächtige Grabmal des Feldherrn Bartolommeo Coleoni selbst, theilweise von Antonio Amadeo . Vier auf Löwen ruhende Säulen tragen eine Basis mit Passionsreliefs, ganz von der fleissigen und saubern aber im Ausdruck Sculptur des XV. Jahrhunderts. Bergamo. bis zur gemeinen Grimasse übertriebenen Art, welche wir bei Maz- zoni werden kennen lernen. Auf der Basis sitzen und stehen fünf Heldenstatuen, die zum Bedeutendsten der ganzen oberitalischen Sculp- tur gehören; das Äusserliche der Behandlung ist in der Art der Lom- bardi, die Motive (des Sinnens) aber geistvoller und origineller als die meisten Werke derselben. Geringer sind wiederum die obern Theile die Reliefs am Sarcophag selbst und die Reiterstatue darüber, nebst den Tugenden zu beiden Seiten, von verschiedenen Händen. — Ebenda a das Denkmal der Medea, Coleoni’s Tochter, mit drei köstlichen alle- gorischen Figuren. (Die beiden Engel, welche den Altartisch tragen, bei leichter Anmuth doch ernst aufgefasst, mögen von einem treffli- chen Lombarden zu Anfang des XVI. Jahrh. gefertigt sein.) — An der b Aussenseite der Capelle sind ein paar Putten oben und die Sockel- reliefs mit den Geschichten der Genesis und den Thaten des Hercu- les des herben und tüchtigen Styles wegen bemerkenswerth, die Denk- mäler Cäsars und Trajans aber, welche als Aufsätze der Fenster dienen, sowie die in Medaillons angebrachten Köpfe des Augustus und Ha- drian geben wenigstens einen Begriff von der damaligen Vergötterung des Alterthums. Im Dom von Como lernt man zunächst den Vollender des Baues selbst, Tommaso Rodari , auch als Bildhauer und Decorator ken- c nen; sein Antheil an der nördlichen Seitenpforte Wie dort über die römischen Kaiser, so darf man sich hier über Bacchan- ten, Centauren, Hercules, Genius Imperatoris u. a. Heidenthum nicht ver- wundern. Die Lunettengruppe enthält wenigstens Mariä Heimsuchung. und der von ihm d verfertigte erste Altar des rechten Seitenschiffes (datirt 1492, mit Marmorreliefs) verrathen jedoch ein nur mittelmässiges Talent. Die zahlreichen übrigen Sculpturen an und in diesem schönen Gebäude sind zum Theil bedeutender. — Von mehr oder weniger befangenen lom- bardischen Künstlern der Zeit um 1470—1500 rühren her: die meisten e Bildwerke an der Fassade, also die Statuen in den Nischen der Pi- laster, über dem Hauptportal, in den Fenstergewandungen und weiter oben, sowie die Reliefs der drei Portallunetten; ferner im Innern: die Apostel an den Pfeilern des Hauptschiffes, mittelgute Arbeiten ganz Dom von Como. in der Weise der Lombardi; die Gruppe einer Pietà auf dem 4. Altar links; der Tabernakel ohne Altar am Anfang des rechten Seitenschiffes, datirt 1482 u. a. m. — Von den Lombardi und von der Richtung Do- a natello’s zugleich inspirirt erscheint dann der prächtige grosse Schnitz- altar Ich nenne ihn so, ohne bei der durchgängigen Bemalung und Vergoldung ge- wiss zu sein, dass er wirklich ganz aus Holz und nicht zum Theil aus Stucco u. s. w. bestehe. Vom Norden her kamen damals mehrere Schnitzaltäre nach Oberitalien, wovon einer in S. Nazaro zu Mailand, vordere Capelle links, im * Styl dnrchaus dem St. Evergisilaltar in S. Peter zu Köln entspricht. Eine italienische Nachahmung derselben ist der in Rede stehende. des heil. Abondio (der 2. im rechten Seitenschiff.) Der Meister desselben ist kein grosser Bildhauer, der die lombardische Sculptur über die Schranken des XV. Jahrh. emporgehoben hätte; in seinen Statuen und Reliefs sind Stellungen und Bildungen zum Theil ziem- lich unfrei und unsicher; allein sein Naturalismus schwingt sich bis- weilen zu einer ganz unbefangenen Schönheit auf, so in der würdigen Gestalt des heil. Bischofs und in dem lionardesken Haupt der Ma- donna. — Vielleicht dieselbe Hand verräth sich auch in den Denkmä- lern des ältern und des jüngern Plinius an der Fassade (das eine b datirt 1498), deren sitzende Statuen manierirt und doch nicht ohne freie Schönheit sind; mit grosser Naivetät stellen die Reliefs den äl- tern Plinius dar, wie er zum brennenden Vesuv geht, den jüngern wie er Briefe schreibt, vor Trajan plaidirt etc.; die Putten mit Frucht- kränzen u. s. w. zeigen dieselbe Verwandtschaft mit denjenigen der paduanischen Malerschule, wie die der meisten genannten Decorations- werke Oberitaliens. Das Beste aus dem XV. Jahrh. sind wohl an diesem Gebäude die Urnenträger unter dem Kranzgesimse der Strebepfeiler; einige, c zumal an der Südseite, stehen an origineller Energie denjenigen von S. Marco in Venedig gleich, während andere schon eine spätere und allgemeinere Formenbildung zeigen. Auch die Prophetenstatuen an der Südseite des Äussern sind besser als die der Nordseite. Von den Statuen im Innern ist noch ein guter S. Sebastian im linken Quer- d schiff, etwa um 1530 gearbeitet, nachzuholen; ebenda eine S. Agnes, als Nachahmung einer antiken Gewandfigur; die übrigen Statuen im linken Querschiff sind ziemlich flau, die Apostel im Chor modern. Sculptur des XV. Jahrhunderts. Certosa von Pavia. a An der Fassade der Cathedrale von Lugano sind unten derbere Reliefhalbfiguren von Propheten, in den Friesen dagegen Medaillons mit Halbfiguren von Aposteln und Heiligen angebracht, letztere zum Theil von demselben süssen und innigen Ausdruck, wie die entspre- chenden Figuren an S. Maria de’ miracoli in Venedig, nur freier in den Formen. b Über die Sculpturen endlich, welche die Fassade der berühmten Certosa von Pavia bedecken und auch das Innere dieser unvergleich- lichen Kirche verherrlichen, darf ich aus ziemlich alter Erinnerung und aus wenig getreuen Abbildungen kein Urtheil wagen. Es wer- den vom XV. bis zum XVII. Jahrh. gegen 30 Bildhauer und Deco- ratoren bloss für die Fassade namhaft gemacht, worunter Antonio Amadeo und Andrea Fusina für das XV., Giacomo della Porta und Agostino Busti , genannt Bambaja , für das XVI. Jahrh. die wichtigsten sind. (Am Prachtdenkmal des Giangaleazzo Visconti arbeiteten besonders Amadeo und della Porta.) Die ganze lombardische Sculptur hatte hier ihren Heerd und ihre Schule; von hier könnten selbst die Lombardi ausgegangen sein. Der Verfasser empfindet es als die grössten Mängel dieses Buches, dass er diese Certosa und die Sculpturen von Loretto nicht so besprechen kann, wie das Verhältniss zu allem Übrigen es verlangen würde Ein Ambrogio da Milano nennt sich auf dem Grabmal des Bischofs * Roverella (1475) im Chor von S. Giorgio bei Ferrara (vor Porta romana). Nach der Madonna mit Engeln in der Lunette möchte man einen Schüler der Florentiner aus Rosellino’s Zeit vermuthen; auch die sorgfältigen und glück- lich beseelten fünf Statuetten, sowie die trefflich wahre Grabstatue weisen auf einen solchen Einfluss hin. . Neben all diesen zum Theil sehr realistisch gesinnten Bildhauern Oberitaliens tritt wenigstens Einer auf, der sie in dieser Richtung so weit überholt, dass sie neben ihm noch als Idealisten erscheinen. Seit dem Untergang des architektonisch bedingten germanischen Styles von jeder Rücksicht entbunden, schafft die Kunst hier eine Anzahl von Gruppen, welche als solche weder einem plastischen, noch auch einem Modena. Guido Mazzoni. höhern malerischen Gesetz, sondern nur einem dramatischen folgen. Der Bildner stellt seine bemalten zum Theil lebensgrossen Thonfiguren wohl oder übel zu einem Moment zusammen. Ein gewisser Guido Mazzoni in Modena erwarb sich und der Gattung einen sichern Ruhm, da ihm auch die gemeinste, wenn nur populär ergreifende Ausdrucksweise gelegen kam. Seine Gruppen bedürfen natürlich einer geschlossenen Aufstellung in einer Nische, wie auf einem Theater; nimmt man sie auseinander um sie frei aufzustellen (wie diess mit einer von „Modanino“, d. h. wahrscheinlich von Mazzoni gearbeiteten, a jetzt bronzirten Gruppe in Montoliveto zu Neapel, Cap. neben dem rechten Querschiff, geschehen ist), so wirken die einzelnen Figuren nur lächerlich. Sein Hauptwerk ist in S. Giovanni decollato zu Modena, b der Leichnam Christi auf dem Schooss seiner Mutter, von den An- gehörigen beweint; theilweise eine wahre Caricatur des Schmerzes, in unwürdigen spiessbürgerlichen Figuren und dabei doch nicht ohne wahre realistische Gestaltungskraft; der magere Leichnam ist gar nicht gemein. Eine andere Gruppe, in der Crypta des Domes (Altar rechts) c stellt die von zwei knieenden Heiligen verehrte Madonna dar; dane- ben steht ein ganz abscheuliches weibliches Wesen, das nach der Schürze und dem zerrissenen Ermel zu urtheilen ein Dienstmädchen darstellen könnte; sie hält ein Süppchen für das Kind und bläst schie- lend in den heissen Löffel. Dergleichen geht über allen Caravaggio hinaus. — Wenn man aber inne wird, wie volksthümlich solche Werke sind, so möchte man beinahe wünschen, dass einmal die wahre Sculptur noch einen Versuch dieser Art wagen dürfte. Schliesslich glaube ich dem Mazzoni die Gruppe in S. Maria della d Rosa zu Ferrara (neben der Thür, links, ihrer echten Nischenaufstel- lung beraubt) zuschreiben zu müssen. Es ist wieder die Klage um den todten Christus, welcher hier mit demjenigen in S. Giovanni zu Modena völlig übereinstimmt; auch der furchtbar grimassirende Schmerz sowohl als der plastische Styl der übrigen Figuren ist ganz dersel- ben Art. Es ist Zeit, den Namen Alfonso Lombardi’s (welchen man dem Werk aus blosser Vermuthung beilegt) von diesen zwar energi- schen, aber unleidlichen Missbildungen zu trennen. — (Eine etwas ge- mässigtere Gruppe ähnlichen Styles im Carmine zu Brescia, Ende des e Seitenschiffes.) Sculptur des XV. Jahrhunderts. Neapel. In diesen lombardischen Formenkreis gehört auch wohl der Chri- a stus am Kreuz, welcher in S. Giorgio maggiore zu Venedig (2. Altar rechts) dem Michelozzo zugeschrieben wird. Aber kein Florentiner, selbst nicht Donatello, hätte eine solche Schmerzensgrimasse gebildet. Auch in dem marmorarmen Bologna begegnen wir diesen bemal- b ten Thongruppen als einem sehr alten Brauch. In S. Pietro (Gang zur Unterkirche) ein frühromanischer Gekreuzigter mit Maria und c Johannes; in einer der Nebenkirchen von S. Stefano (S. Trinità, 3. Cap. rechts) eine Anbetung der Weisen, etwa XIV. Jahrh., mehrerer sog. heiliger Gräber nicht zu erwähnen. — Mit Mazzoni verwandt, nur weniger scharf und absurd: der etwas jüngere Vincenzo Onofri ; d von ihm ein heil. Grab, rechts neben dem Chor von S. Petronio; und e das farbige Relief im Chorumgang der Servi (1503), Madonna mit S. Laurentius und S. Eustachius nebst zwei Engeln, eine bessere, gar nicht seelenlose Arbeit; wie denn auch die Grabbüste des berühmten f Philologen Beroaldus in S. Martino maggiore (hinten, links) lebendig und schön behandelt ist. Ausserdem gehört ihm das Grabmal des Bi- g schofs Nacci in S. Petronio (am Pfeiler nach der 7. Capelle links). Abgesehen von den florentinischen Arbeiten (der Altar mit Engel- reliefs und das Grabmal von Rosellino in der Cap. Piccolomini in Montoliveto; der Triumphbogen Giul. da Majano’s im Castell etc.) geben die Sculpturen Neapels den Charakter der damaligen italieni- schen Kunst nur beschränkt wieder. — Die ehernen Pforten des ge- h nannten Triumphbogens, von Guglielmo Monaco aus Neapel — überfüllte Schlachtreliefs mit einzelnen schönen Motiven — dürfen so wenig als Filarete’s Pforten von S. Peter mit dem etwa gleichzeitigen Ghiberti verglichen werden. — Über Reliefs und Statuetten gehen die neapol. Bildhauer dieses Jahrh. überhaupt kaum hinaus. Zu den Aus- i nahmen gehört u. a. die naturalistisch gut gearbeitete knieende Statue des Olivieri Carafa in der Crypta des Domes. Die paar tüchtigen k Bronzebüsten im Museum (Abtheilung der Terracotten, I. Zimmer) scheinen wiederum florentinische Arbeit zu sein. Über die Gruppe der Grablegung in Montoliveto (Capelle rechts, hinten), von „Moda- nino“, vgl. was eben über Guido Mazzoni gesagt wurde (S. 635, a). Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Wenn die grossen Bildhauer des XVI. Jahrh. bei weitem nicht die grossen Maler dieser Zeit aufwiegen, wenn sie nicht zu halten schei- nen, was das XIV. und XV. Jahrh. in der Sculptur versprach, so lag die Schuld lange nicht bloss an ihnen. Die unsichtbaren Schranken, welche zunächst die kirchliche Sculp- tur umgeben und ihr nie gestatten, das zu werden, was die griechi- sche Tempelsculptur war, sind schon oben mehrfach angedeutet wor- den. An ihre Seite trat jetzt allerdings eine profane und eine nur halbkirchliche allegorische Sculptur, allein dieser fehlte die innere Noth- wendigkeit, sie war und blieb ein ästhetisches Belieben der Gebildeten jener Zeit, nicht eine nothwendige Äusserung eines allverbreiteten my- thologischen Bewusstseins. Dafür wird die Sculptur im XVI. Jahrh. eine freiere Kunst als sie je gewesen war. Nehmen wir z. B. die Grabmäler als Massstab des Verhaltens der beiden Künste an, so herrscht in der gothischen Zeit die Architektur völlig vor; das Bildwerk scheint um des Bauge- rüstes willen da zu sein. Zur Zeit der frühern Renaissance ist es statt der Architektur schon eher nur die Decoration, welche als Ni- sche, als Triumphbogen die Sculpturen einfasst; wohl ist sie um der letztern willen vorhanden und dennoch gehört die Gesammtwirkung noch wesentlich dem decorativen, nicht dem plastischen Gebiet an. Dieser bisher immer noch mehr oder weniger bindende Zusammen- hang mit der Architektur nimmt jetzt einen ganz andern Charakter an; die beiden Künste brauchen einander fortwährend, allein die Sculp- tur ist nicht mehr das Kind vom Hause, sondern sie scheint bei der Architektur zur Miethe zu wohnen; man überlässt ihr Nischen und Balustraden, damit mag sie anfangen, was sie will, wenn sie nur die Baulinien nicht auffallend stört. Wo sie kann, richtet sie sogar das Gebäude nach ihren Bedingungen ein. Ganze bisher mehr architek- Sculptur des XVI. Jahrhunderts. tonische Partien, Altäre, Grabmäler u. s. w. werden ihr jetzt oft aus- schliesslich überlassen. Sie ist ferner freier in ihren Mitteln ; die Lebensgrösse ihrer Gestalten, im XV. Jahrh. eher Ausnahme als Regel, genügt jetzt nicht mehr; das Halbcolossale wird das Normale und das ganz Riesenhafte kommt nicht selten vor. Sie ist endlich freier im Typus . Die biblischen Personen wer- den noch einmal nach plastischen Bedürfnissen umstylisirt, und auch die mythologischen nichts weniger als genau den entsprechenden an- tiken Bildungen nachgeahmt. Die Allegorie geht vollends geradezu in das Unbedingte und Schrankenlose. Diese viele Freiheit musste nun aufgewogen werden durch die freiwillige Beschränkung, welche der hohe plastische Styl sich selber auferlegt, durch Grösse innerhalb der Gesetzlichkeit. Der Geist des XV. Jahrh. in der Sculptur war vor allem auf das Wirkliche und Lebendige gerichtet gewesen, das er bald liebenswürdig, bald unge- stüm, oft mit hoher Ahnung der obersten Stylgesetze, oft roh und fessellos zur Darstellung brachte. Dieses Wirkliche und Lebendige sollte nun in ein Hohes und Schönes verklärt werden. Hier trat das Alterthum noch einmal begeisternd und befreiend ein. Ganz anders als zur Zeit Donatello’s und der alten Paduaner, welche der Antike ihren decorativen Schein als Hülle für ihre eigenen Gedanken abnahmen, erforschten jetzt einige Meister das Gesetzmäs- sige der alten Plastik. Es war vielleicht ein kurzer Augenblick; nur sehr wenige thaten es ernstlich; bald überwog äusserliche manie- rirte Nachahmung nach den Werken dieser Meister selbst, wobei so- wohl das Alterthum, als das bisher eifrig gepflegte Studium des Nack- ten halb vergessen wurden; — nichtsdestoweniger blieben von der empfangenen Anregung einige kenntliche Züge zurück: die Absicht auf grossartige Behandlung des Nackten und die Vereinfachung der Zuthaten, hauptsächlich der Gewandung. (Innerhalb der einfachen Draperie hielten sich freilich die vielen und überflüssigen Faltenmo- tive mit Hartnäckigkeit.) Sodann beginnt mit Andrea Sansovino, wie wir sehen werden, die ebenfalls dem Alterthum entnommene bewusste Handhabung des Gegensatzes der einzelnen Theile der Gestalt, das Hervortreten der linken gegen die rechten, der obern gegen die untern Das Relief. Andrea Sansovino. und umgekehrt für die entgegengesetzten Seiten. Dieser sog. Contra- posto wird allerdings bei Manchen nur zu bald der einzige Gehalt des Werkes. Endlich bleiben zahlreiche vereinzelte Aneignungen aus an- tiken Werken nicht aus. Was uns in den manierirten Werken an- stössig erscheint, ist nicht das Antikisiren an sich, womit man noch immer ein Thorwaldsen sein kann, sondern die unechte Verquickung desselben mit fremden Intentionen. Am übelsten ging es dabei dem Relief . Die grosse Masse der vorliegenden antiken Reliefs, nämlich die spätrömischen Sarcophage, schienen jede Überladung zu rechtfertigen; schon das XV. Jáhrhun- dert hatte die Sache so verstanden, war aber noch bedeutend weiter gegangen als die spätesten Römer und hatte, wie wir sahen, Gemälde mit reichem und tiefem Hintergrund in Marmor und Erz übersetzt. Diesen ganzen Missbrauch behielt die Sculptur jetzt mit wenigen Aus- nahmen bei, nur ohne die Naivetät des XV. Jahrh., in anspruchvol- lern und bald ganz öden Formen. Wie das Relief erzählen muss, welches seine nothwendigen Schranken sind, davon hatte schon etwa von 1530 an Niemand mehr auch nur das leiseste Gefühl. Eine Masse von Talent und von äussern Mitteln geht von da an für mehr als volle 200 Jahre an einer ganz falschen Richtung verloren. Der erste und wohl der edelste der Bildhauer, welche das XVI. Jahrhundert vertreten, ist Andrea (Contucci da Monte) San- sovino , geb. 1460 (?), st. 1529. Mit einer milden, schönen Empfin- dungsweise begabt, die sich in ihrer Äusserung etwas an Lionardo da Vinci anlehnt Ausserdem ist auch der Einfluss des Matteo Civitali wahrscheinlich. , wächst er halb unbewusst in die Freiheit des XVI. Jahrh. hinein, sodass man zweifelhaft bleibt, ob die hohe Schönheit der Form und der bei ihm zuerst streng durchgeführte Gegensatz der Theile mehr seiner eigenen innern Ausbildung oder mehr dem Studium der Antiken angehören. Die beiden Prälatengräber (Basso und Sforza Visconti) im Chor a von S. Maria del popolo (1505 ff.) die herrlichsten, welche Rom überhaupt enthält, folgen in der Anordnung noch dem Einrahmungs- Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Andrea Sansovino. system des XV. Jahrh. (Das bald darauf verlassen wurde, um jenen grossen Freigruppen Platz zu machen, mit welchen dann so Wenige etwas anzufangen wussten.) Die allegorischen Figuren stehen noch halblebensgross in ihren Nischen; ihre Schönheit ist aber der genau- sten Betrachtung werth. (Die Gewänder nicht im Verhältniss zum Massstab und desshalb scheinbar schwer drapirt.) Ganz wunderbar edel sind dann die beiden schlummernd liegenden Prälaten gebildet; das auf den Arm gestützte Haupt motivirt die köstlichste Belebung der ganzen Gestalt; dieser Schlaf ist gegenüber den frühern symme- trisch ausgestreckten Grabstatuen vielleicht Naturalismus gegenüber dem strengen Styl; allein er ist so gegeben, dass das Urtheil verstummt. Auch die Madonnenreliefs in den Lunetten und vorzüglich die Engel mit Leuchtern oben sind bewunderswerth. a In der Sacramentsnische von S. Spirito in Florenz (linkes Quer- schiff) sind von Andrea wohl nur die Statuetten der beiden Apostel‘ die Engel mit den Candelabern, das Christuskind oben im gebroche- nen Giebel und möglicher Weise die Reliefs der Predella. Diese Figuren sind in Schönheit und Styl den eben genannten verwandt. Der Rest (die Lunette mit der Krönung Mariä, die Rundreliefs mit der Verkündigung, der Altarvorsatz mit einer Pietà) scheinen von irgend einem Florentiner aus der Schule des Mino oder Rosellino zu sein Vasari behandelt das Ganze als ein durchaus von Andrea gearbeitetes Jugend- werk. Allein wenn wirklich Alles daran von ihm ist, so müssen doch die erstgenannten vollkommenern Theile aus einer spätern Epoche des Meisters herrühren. . b In S. Agostino zu Rom (2. Cap. links) steht, leider im schlech- testen Licht, die Gruppe der heil. Anna mit der Jungfrau Maria und dem Kinde, Stiftung eines deutschen Protonotars, Johann Coricius, vom Jahr 1512. Alles erwogen, ist es das anmuthigste Sculpturwerk des Jahrhunderts, schön und frei in den Linien und Formen und vom holdesten Ausdruck der Mütterlichkeit auf zweierlei Stufen. c Das Höchste aber möchte Andrea erreicht haben in der Gruppe der Taufe Christi über dem Ostportal des Baptisteriums von Florenz . (Den Engel, von Spinazzi, möge man ja wegdenken.) Wel- cher Adel in dieser Gestalt des Christus! und welche Weihe in Aus- druck und Bewegung! In dem Täufer wird man das grandiose Motiv Andrea Sansovino. Rafael. Lorenzetto. der stärksten innern Erregung aus einem Relief von Ghiberti’s Nord- thür in erhöhter Darstellung wiederfinden. (Nach 1500 gearbeitet.) Über den Marmorumbau des heiligen Hauses in der Kirche von a Loretto kann der Verf. nicht aus Anschauung berichten. Bramante gilt als Erfinder der baulichen Anordnung; Andrea Sansovino leitete den plastischen Schmuck und arbeitete selbst einen Theil der Reliefs; die übrigen sind ausgeführt von Tribolo, Bandinelli, Rafael da Mon- telupo, Franc. da Sangallo, Lancia, Girol. Lombardo und Mosca. Nach zuverlässigen Urtheilen sollen die Sculpturen dieser Künstler im Gan- zen mehr ihrem anderweitig bekannten, zum Theil schon beträchtlich manierirten Styl folgen als dem Vorbilde Andrea’s. In der Johannescapelle des Domes von Genua (links) sind die b Statuen des Täufers und der Madonna, (wahrscheinlich frühe) Ar- beiten von ihm; erstere noch etwas herb, letztere aber ungemein schön in Stellung und Motiv, das Kind naiv bewegt und wiederum mit einem kenntlichen lionardesken Anklang. — Von kleinern Sachen möchte ich dem Andrea einen Salvator zuschreiben, welcher in Araceli zu Rom c auf der Spitze eines Grabmals (Lud. Gratus, † 1531) links vom Haupt- portal angebracht worden ist Das Grabmal des Petrus de Vincentia (1504), im Durchgang der Südthür an * der Kirche Araceli, ist mir immer wie eine Vorarbeit Andrea’s zu den oben genannten Prälatengräbern vorgekommen; die Grabstatue sowohl als das Rundrelief der Madonna und die Allegorien zu dessen Seiten scheinen sehr schöne Versuche eines noch nicht ganz geläuterten Strebens, welches erst in jenen Meisterwerken seine Erfüllung fand. Dagegen kann das Grabmal Ar- mellini, 1524, im rechten Querschiff von S. M. in Trastevere, höchstens als ** tüchtiges Schulwerk gelten. . Diese an Zahl geringen Arbeiten repräsentiren uns in der Sculptur fast einzig denjenigen Geist massvoller Schönheit, welchen in der Malerei vorzüglich Rafael vertritt. Auch gleichen ihnen am meisten diejenigen Sculpturwerke, welche Rafael selbst schuf oder unter seiner Aufsicht hauptsächlich durch Lorenzetto ausführen liess. Als eigenhändige (und jetzt wohl einzig vorhandene) Arbeit R.’s gilt gegenwärtig die nackte Statue des Jonas in S. Maria del Popolo d (Cap. Chigi) zu Rom; eine keinesweges vollkommene körperliche B. Cicerone. 41 Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Lorenzetto. Tribolo. Bildung, aber in der Geberde von wunderbarem Ausdruck des wie- dergewonnenen jugendlichen Lebens, das wie vom Schlaf erwacht. (Der Fischrachen ist geschickt und bescheiden angegeben. Im Kopf des Jonas eine Annäherung an die Züge des Antinous.) — Der Prophet a Elias gegenüber zeigt Lorenzetto’s stumpfere Ausführung; — ebenso die b sehr schön gedachte Madonnenstatue auf demjenigen Altar im Pan- theon, welcher Rafaels Grab hinter sich birgt. — Lorenzetto’s eigene c Erfindung möchte der S. Petrus am Eingang der Engelsbrücke sein. — (In der Art Lorenzetto’s scheint auch die sitzende Madonna über d dem Grabmal des Guidiccioni in S. Francesco zu Lucca gearbeitet, deren Urheber ich nicht anzugeben weiss. Die schöne Intention in dem Kopf der Madonna, in Bewegung und Gestalt des Kindes, das sie am Schleier fasst, übertrifft die Ausführung.) Der Zeit nach müsste schon hier Michelangelo genannt werden, allein bei der historischen Stellung, die er gegenüber der ganzen spätern Sculptur einnimmt, ist es nothwendig, zuerst diejenige An- zahl von Künstlern zu besprechen, welche, obwohl meist jünger als er, noch nicht oder noch wenig von seinem Styl berührt wurden. Sie haben theils die Richtungen des XV. Jahrh., dessen Realismus und bunten Reichthum aufgebraucht, theils auch sich der freien und hohen Schönheit stellenweise genähert, meist aber sich der von der römi- schen Malerschule ausgehenden Entartung nicht entziehen können. Zunächst ein paar Florentiner. (Den Bandinelli versparen wir auf die Michelangelisten, zu welchen er wider Willen gehört.) — Tri- bolo (eigentlich Niccolò Pericoli, 1500—1565) war anfänglich Schüler des unten zu nennenden Jacopo Sansovino, allein in einer Zeit, da dieser noch seinem Lehrer Andrea im Styl näher stand als seiner eigenen spätern Manier; zudem muss Tribolo von Anfang an auch Andrea’s Werke gekannt haben und später, durch die Mitarbeit an der Santa casa von Loretto nach dessen Entwürfen, von dem Styl Andrea’s durchdrungen worden sein. Der Verf. hat es besonders an dieser Stelle zu beklagen, dass ihm die Untersuchung der dortigen Sculpturen nicht vergönnt war. Welch ein Meister Andrea Sansovino auch im Relief gewesen sein muss und welchen Einfluss er auf die Seinigen ausübte, lassen die Arbeiten dieses seines Schülers wenigstens Tribolo in Bologna. ahnen. Tribolo bekam noch in jungen Jahren (um 1525) die Seiten- thüren der Fassade von S. Petronio in Bologna zu verzieren. Von a ihm sind an beiden die Propheten, Sibyllen und Engel in der Schrägung der Pforte und des Bogens, sodann die sämmtlichen Pilasterreliefs an der Thür rechts (Geschichten Josephs), und von denjenigen der Thür links das erste, dritte und vierte des linken Pilasters (Geschichten des Moses). In dem kleinen Massstab dieser zahlreichen Gegenstände ist ein reiner und massvoller Styl entwickelt, wie er sonst sehr wenigen Reliefs der damaligen Zeit innewohnt. Die Propheten und Sibyllen verhehlen zwar schon in der Tracht und Körperbildung den Einfluss der Sistina nicht; auch im Motiv selber macht er sich hie und da kenntlich; aber es sind von den reinsten und reizendsten Einzelfiguren der goldenen Zeit. Die erzählenden Reliefs, zwar etwas überfüllt, doch weniger als das meiste Gleichzeitige, geben fast allein einen Be- griff von den Liniengesetzen dieser Gattung, und sind reich an geist- voll prägnanten einzelnen Zügen. (Joseph in den Brunnen gesenkt; an den Midianiter verkauft; die Tödtung des Böckleins; das mit dessen Blut gefärbte Kleid wird dem Jacob vorgewiesen etc.) An diesen in Form und Gedanken trefflichen Arbeiten machte auch der etwas ältere Genosse, Alfonso Lombardi, eine neue Schule durch Von der Lunettengruppe der Thür rechts gehört nur die Madonna dem T. an, * der Christusleichnam in den Armen des Nicodemus ist eine ungeschickte Ar- beit des Malers Amico Aspertini, und der Johannes von Seccadenari, dem die ganze Arbeit der beiden Seitenthüren im Grossen verdungen war. Die obern Pilaster neben den Giebeln sind von geringern lombardischen Meistern reliefirt. . Aus Tribolo’s späterer Zeit möchte das grosse Relief von Mariä b Himmelfahrt (S. Petronio, 11. Cap. rechts), wenigstens dessen untere Hälfte herrühren. Es zeigt, dass er den falschen Ansprüchen und Manieren der Nachahmer Michelangelo’s auch später fern blieb. Von einem trefflichen ungenannten Meister, der aber dem T. offenbar sehr nahe stand, ist das 1526 errichtete Grab der Familie c Cereoli in S. Petronio (innen links vom Hauptportal), und vielleicht auch die Madonna in der 6. Cap. rechts (daselbst) gearbeitet. — Von d Alf. Lombardi wird weiter die Rede sein. Als Tribolo’s Hauptwerk zu Rom gilt das Grabmal Papst Ha- e drians VI (st. 1523) im Chor von S. Maria dell’ anima (rechts), im 41* Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Benvenuto Cellini. Ganzen nicht von glücklicher Anordnung (diese von Peruzzi), und auch im Einzelnen unplastisch überfüllt. Übrigens ist Tribolo’s An- theil vielleicht auf die allegorischen Figuren zu beschränken; die liegende Statue ist bestimmt und das meiste übrige vielleicht von Michelangelo Sanese. Die spätere Thätigkeit T.’s betraf zum Theil Decorationen des Augenblickes, für welche er ein besonderes Talent besass; auch wurde er eines der baulichen Factotum Cosimo’s I (S. 401, b). Was von seinen (auch plastischen) Arbeiten in der Villa Castello unweit Florenz noch erhalten ist, weiss ich nicht anzugeben. In diese Reihe gehört auch Benvenuto Cellini (1500—1572), der durch seine eigene Lebensbeschreibung eine grössere Bedeutung gewonnen hat als durch seine Werke. Von seinem decorativen Ver- dienst ist oben (S. 272) die Rede gewesen; hier handelt es sich um seine Bildwerke. Von grösserm Umfang und selbständiger Bedeutung a ist bloss der eherne Perseus unter der Loggia de’ Lanzi in Florenz. Benvenuto erscheint hier noch wesentlich als der Naturalist des XV. Jahrh., als der geistige Sohn Donatello’s, allein das Motiv ist b ei aller Wunderlichkeit (man sehe die Verschränkung der Medusenleiche) doch nicht nur energisch, sondern auch in den Linien bedeutend, so- dass man die Mängel der an sich sehr fleissigen Einzelbehandlu ng, z. B. die Dürftigkeit des Rumpfes im Verhältniss zu den Extremitäten, darob übersehen mag. Die Statuetten an der Basis sind dagegen idealistisch manierirt in der schlechtesten Art der römischen Sch ule, das Relief ebenso und dabei möglichst unplastisch. — In den Uffizien b (I. Zimmer der Br.) findet man ausser zwei unter sich verschiedenen Modellen zum Perseus, von welchen das wächserne den Vorzug ha ben möchte, die colossale Bronzebüste Cosimo’s I, etwas gesucht in Schmuck und Haltung, aber von vortrefflicher Arbeit. — Seine Restaurationen an- c tiker Werke, wie z. B. an dem Ganymed in den Uffizien (Saal d. Hermaphr.) sehen freilich sehr geziert aus Unter den Elfenbeinsachen im Pal. vecchio, Sala dell’ Udienza, welche nebst * den dort aufgestellten Gegenständen von Bernstein durchschnittlich von ge- ringem Werthe sind, könnte ein S. Sebastian wirklich von ihm herrühren . Sangallo. Danti. Begarelli. Als Werk eines Ungenannten schliessen wir am besten hier den Bacchus an, welcher jenseits Ponte vecchio in Florenz in einer Brun- a nennische steht. Mit Schale und Traube in den Händen vorwärts stürmend und überhaupt energisch belebt, ist er doch nur für den Anblick von links berechnet und stösst ab durch vulgäre, gesucht herculische Bildung. Man vergleiche ihn z. B. mit dem Bacchus Jac. Sansovino’s der ein ähnliches Motiv viel schöner giebt. Francesco da Sangallo (1498—1570) Sohn des Architekten Giuliano, ist einer der weniger bedeutenden Nachfolger A. Sansovino’s. Seine Altargruppe in Orsanmicchele zu Florenz, derselbe Gegenstand b wie die seines Meisters in S. Agostino zu Rom, zeigt seine ganze Inferiorität; die beiden sitzenden Frauen stossen das Kind auf ihren Knieen hervor. — Porträtstatue des Paolo Giovio im Klosterhof von c S. Lorenzo. — Grabmal des Prälaten Angelo Marzi-Medici in der d Annunziata, am Eingang der Rotunde. — Theilnahme an den Sculptu- ren in Loretto. Vincenzo Danti (1530—1567) erscheint in der Bronzegruppe der Enthauptung des Täufers über der Südthür des Baptisteriums e stylistisch halbirt. Einer schönen Inspiration aus den Werken San- sovino’s gehört der knieende Johannes an; der Henker dagegen und das zuschauende Weib sehen den Gedanken und Formen der römi- schen Malerschule nur zu ähnlich. — Die Statue Papst Julius III f beim Dom von Perugia gehört ebenfalls der letztern Art an. In Oberitalien hält Ein Künstler den meisten bisher genann- ten, mit Ausnahme Andrea Sansovino’s das Gleichgewicht: Antonio Begarelli von Modena (st. 1555). Sein Vorgänger ist jener wun- derliche Guido Mazzoni (S. 635), welcher durch seine grossen gri- massirenden Thongruppen weniger eine neue Gattung geschaffen, als eine missachtete Gattung gewissermassen zu Ehren gebracht hatte, sodass sie für Modena eine anerkannte Specialität ausmachte. Den ein trefflicher Pokal mit mytholog. Figuren dagegen, den man ihm zuschreibt, * möchte eine deutsche Arbeit des XVII. Jahrh. sein. Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Oberitaliener. Begarelli hob nicht eine Bekanntschaft mit dem Alterthum, sondern eine nahe und unverkennbare Kunstbeziehung zu Coreggio, wobei man nicht einmal genau sagen kann, welcher Theil der gebende war; sodann die allgemeine Kunsthöhe der Zeit. Seine Einzelformen sind so schön, frei und reich, als diejenigen A. Sansovino’s, denen sie nicht gleichen. Allein diess ganze Vermögen steht im Dienste eines Geistes, der gerade die höchsten Gesetze der Plastik so wenig anerkennt, als Coreggio die der Malerei. Allerdings muss man ihm sein Princip zugeben; er arbeitete seine lebensgrossen Thongruppen nicht für freie Aufstellung, sondern für ganz bestimmte Nischen und Capellen, d. h. als Bilder . An die Stelle des streng geschlossenen Baues der Gruppe tritt eine rein ma- lerische Anordnung für Einen Gesichtspunkt. Allein innerhalb dieser Schranken hätte er wenigstens so streng bleiben müssen als die strengere Malerei es muss; statt dessen überliess er sich bei einem grossen Schönheitssinn doch sehr dem naturalistischen Schick und Wurf, dem blossen Streben nach Lebendigkeit und Wirklichkeit. Sein Gefühl selbst für bloss malerische Linien ist so wenig entwickelt als dasjenige Coreggio’s. Seine Körperbildungen sind meist gering, die Haltung, sobald sie nicht in einem bestimmten Moment aufgeht, unent- schieden und unsicher, sodass er in den zur freien isolirten Aufstel- lung bestimmten Statuen weniger genügt als Manche, die sonst tief unter ihm stehen. Sein vielleicht frühstes Werk in Modena ist die Gruppe der um a den todten Christus Weinenden in S. Maria pomposa (Piazza S. Agostino, 1. Altar rechts). Hier ist er noch am meisten von Mazzo- ni’s Gruppe in S. Giovanni (S. 635, b) abhängig, sowohl in der Anord- nung als in dem grimassirenden Ausdruck. — Vielleicht folgt zunächst b das grosse Hauptwerk in S. Francesco (Cap. links vom Chor): die Kreuzabnahme. Vier Personen, symmetrisch auf zwei Leitern geord- net, senken den Leichnam nieder; unten die ohnmächtige Maria, von drei Frauen gehalten und umgeben; ein knieender und ein stehender Heiliger zu beiden Seiten. (Johannes d. T., Hieronymus, Franciscus und Antonius von Padua.) Dass gerade der Moment der physischen Anstrengung symmetrisch dargestellt ist, wirkt nicht glücklich; dafür ist die Gruppe der Frauen malerisch vortrefflich und im Ausdruck Antonio Begarelli. des Jammers edel und ergreifend zugleich, die Köpfe grandios wie sie nur in der Zeit der hohen Blüthe vorkommen. Die Frau zur Linken der Madonna hat z. B. am ehesten in Rafaels Kreuztragung ihres Gleichen. Der Künstler ist aber auch aller andern Mittel des Ausdruckes völlig Herr; die Hände sind mit der grössten Leichtigkeit schön und sprechend angeordnet Was bei Coreggio durchaus nicht immer der Fall ist. , das Liegen der Maria, das Knieen des Franciscus, das Überbeugen der hinten stehenden Frau zeigen eine vollendete Meisterschaft. In der Gewandung aber verräth sich das selbst malerisch Ungenügende dieses Naturalismus, der nicht er- kennt, dass die Gewandung in der Kunst etwas anderes ist als im Leben, nämlich ein werthvolles Verdeutlichungsmittel der Gestalt und Bewegung, das zudem in der Plastik sehr bestimmten Gesetzen unter- liegt. So drängt sich an dieser Stelle viel Müssiges und Unnützes vor; schon beginnen Mantelenden und Schleier zu flattern, als wehte von Neapel her bereits der berninische Scirocco hinein. Doch ein ganz reifes und herrliches Werk kann diese Schatten- seiten vergessen machen. In S. Pietro (Cap. rechts vom Chor) ist a wieder eine „Klage um den todten Christus“ nur von vier Figuren. Nicodemus hebt den liegenden Leichnam etwas empor, Johannes hält die davor knieende Mutter. Als Bild vollkommen, in der Behandlung des Details einfach und grossartig, erreicht diese Gruppe jene reine Höhe der vollendeten Meisterwerke des XVI. Jahrhunderts. — In der- selben Kirche ist die Altargruppe des rechten Querschiffes (vier Hei- b lige, oben in Wolken Madonna mit Engeln) von B. angefangen, von seinem Neffen Lodovico vollendet; Einzelnes wie die Ekstase des Petrus, die Schönheit des Kopfes der Maria und des Kindes ist auch hier von grossem Werthe. — Dagegen zeigen die sechs lebensgrossen c Statuen, welche frei im Hauptschiff stehen, die ganze Unfähigkeit des Künstlers, eine ruhige Gestalt plastisch zu stellen. — Ebenso verhält es sich mit den vier Statuen im obern Klostergang zu S. Giovanni d in Parma , welche in Detail diese sechs übertreffen und zu den Wer- ken der besten Epoche gehören. Wie unentschieden ist Leib und Haltung dieses Ev. Johannes, dieser Madonna! wie vergnüglich cha- rakterisirt Begarelli die weiten hängenden Ermel des heil. Benedict! Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Oberitaliener. wie lässt er den Schleier der Madonna flattern! Aber auch welche Schönheit in den Köpfen und in der Kindergestalt des Täufers Jo- hannes, der seine Mutter begleitet! Die späteste Zeit Begarelli’s glaube ich (abgesehen von jenem Altar des Querbaues in S. Pietro) zu erkennen in der grossen Gruppe a von S. Domenico zu Modena (Durchgang aus der Kirche in die untere Halle des Academiegebäudes). Es ist die Scene von Martha und Maria, letztere vor Christus knieend, erstere sammt zwei Mägden rechts, zwei Jünger links. Unverkennbar wirkt hier der Geist der römischen Malerschule auf den Künstler ein, wie schon die Draperien beweisen; auch macht sich (z. B. in der Martha, die auch als Ein- zelstatue gut ist) der Gegensatz der entsprechenden Theile des Körpers auf bewusstere Weise geltend. Die Köpfe sind noch meist von naiver Schönheit. b (Ein kleines Presepio B.’s im Dom, unter dem 4. Altar links, in der Regel verschlossen, hat der Verf. nicht gesehen.) Wahrscheinlich hat B. seine Gruppen nicht bemalt. Auch wo die jetzige Beweissung abspringt, kömmt keine Farbe zum Vorschein Schon Vasari sagt, er habe ihnen bloss Marmorfarbe gegeben. Er spricht davon u. a. bei Anlass eines Besuches des Michelangelo in Modena und be- richtet dessen begeistertes Wort: „Wenn dieser Thon Marmor würde, dann wehe den antiken Statuen!“ . Die meisten oberitalienischen Sculptoren der Zeit suchen, im Ge- gensatz zu diesem entschlossenen Realisten, ihre heimische Befangen- heit durch den von Florenz und Rom ausgehenden Idealismus auf- zubessern. Welche von ihnen die Werke A. Sansovino’s und die ebenfalls sehr einflussreichen Deckengemälde der sixtinischen Capelle gekannt haben, ist im Einzelnen nicht immer leicht anzugeben; bei mehrern sind diese Einwirkungen ganz deutlich nachweisbar; Michel- angelo wirkte schon lange als Maler auf die Sculptur, ehe seine plastischen Hauptwerke zu Stande kamen. — Von den 1520er Jahren an muss dann namentlich die Anwesenheit des Tribolo in Bologna der römisch-toscanischen Richtung den Sieg verschafft haben. Alfonso Lombardi. Vielleicht der bedeutendste dieser Reihe nächst Begarelli war der Ferrarese Er stammte eigentlich von Lucca und hiess Citadella. Als Künstler gehört er aber durchaus nach Oberitalien. Alfonso Lombardi (1487—1536), der hauptsächlich in Bologna arbeitete. Auch er beginnt realistisch, sogar mit ähnlichen Aufgaben wie Begarelli. Ein frühes Werk, worin er demselben sehr nahe steht, sind die bemalten (und jetzt neu bemalten) Halbfiguren a Christi und der Apostel in den beiden Querarmen des Domes von Ferrara . Der Künstler erscheint hier noch mehr naturalistisch ge- bunden durch die Präcedentien seiner Schule; er verräth sich z. B. als Schulgenossen eines Lorenzo Costa schon durch die grossen Hände, und als tüchtigen Anfänger durch die zierliche und exacte Arbeit. Allein die grosse lebendige Schönheit mehrerer Köpfe, wie z. B. des Johannes, die bedeutende Geberde z. B. des Thomas, der sich in seinen Mantel hüllt, zeigen welches Aufschwunges Alfonso bereits fähig war. — Ähnliches gilt von der bemalten Thongruppe des von b seinen Angehörigen beweinten Christusleichnams, in der Crypta von S. Pietro zu Bologna, mit vorzüglichen Köpfen Aus derselben Zeit enthält der von Touristen wenig besuchte Wallfahrtsort Varallo (westlich vom Lago maggiore) in der Capella del sacro monte und * (wie man annimmt) auch in einigen der Stationscapellen lebensgrosse farbige Freigruppen, angegeben oder auch ausgeführt von dem berühmten Maler Gaudenzio Ferrari ; die darin dargestellten Vorgänge der Passion sind gleichsam fortgesetzt und erklärt durch Fresken an den Wänden. Wie sie sich zum Styl des Mazzoni oder des Alfonso verhalten, weiss ich nicht an- zugeben. . — Später, und zwar zuletzt unter dem Einfluss Tribolo’s, nähert er sich demjenigen Mass idealer Bildung, welches Andrea Sansovino dieser ganzen Schule vor- gezeichnet hatte. Er wagte sich an Aufgaben wie z. B. der colossale c sitzende Hercules (von Thon) im obern Vorsaal des Palazzo apostolico, der in den Verhältnissen immer beträchtlich besser, in der Stellung ungesuchter ist als Alles was Bandinelli und Ammanati hinterlassen haben. (Stark restaurirt.) — Die grösste Zahl seiner Arbeiten finden sich an S. Petronio : anscheinend noch lombardisch befangen: die d Statuen (englischer Gruss mit Gottvater, und Sündenfall) an der In- nenseite des rechten und linken Seitenportals der Fassade; — freier Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Oberitaliener. a und sehr tüchtig: die Lunettengruppe der Auferstehung Christi, aussen am linken Seitenportal (wenn Christus sich auf einen sitzenden Wäch- ter zu stützen scheint, so hat der Künstler diess wohl nur gethan um sich in einem reichern Linienproblem zu versuchen); — ferner drei von den Reliefs der Geschichte Mosis am rechten Pilaster desselben Portals, in offenbarem und glücklichem Wetteifer mit Tribolo (S. 643) entworfen sowohl als ausgeführt. — Mehr malerisch als plastisch, aber köstlich wie die besten jener Miniaturgeschichten der ferraresischen b Malerschule erscheinen die drei Reliefs am Untersatz der berühmten Arca in S. Domenico , eine der geistvollsten und delicatesten Ar- beiten dieser Gattung. c Eine ungleiche, zum Theil sehr tüchtige Arbeit sind die Me- d daillonköpfe an Pal. Bolognini, N. 77. — Das Grabmal Ramazzotti in S. Micchele in Bosco (rechts vom Hauptportal) ist eines der besten jener oberitalischen Soldatengräber, welche den Geharnischten schlum- mernd und über ihm die Madonna darstellen. In Alfonso’s spätester Zeit entstand dann wahrscheinlich die über e lebensgrosse, figurenreiche Thongruppe im Oratorium bei S. Maria della Vita (zugänglich auf Nachfrage in den links an die Kirche stossenden Bureaux, eine Treppe hoch). Nicht ohne Mühe erkennt man darin eine Darstellung des Todes Mariä; ringsum die Apostel, vorn am Boden die nackte Figur eines Widersachers; ein eifriger Apostel will eben ein schweres Buch auf ihn werfen, wird aber von dem in der Mitte erscheinenden Christus zurückgehalten Vasari sagt: „ein rühmliches Werk, worin u. a. ein Jude auffällt, der die Hände an die Todtenbahre der Madonna legt.“ — Wozu der deutsche Heraus- geber bemerkt: dieses Ereigniss werde erzählt in der Schrift „de transitu virginis“, welche dem Bischof Melito (H. Jahrh.) zugeschrieben wurde, jetzt aber für beträchtlich neuer gilt. Ich will die oben im Text gegebene Deu- tung nicht weiter vertheidigen, da meine Erinnerung an die Gruppe nicht mehr frisch und die genannte Schrift mir nicht zur Hand ist. . Mit die- sem wunderlichen Zug, der uns sonst bei keiner Darstellung dieser Scene vorgekommen ist, bezahlt Alfonso seinen Tribut an die alt- oberitalische Manier des heftigen, grellen Ausdruckes. Sonst ist die Gruppe merkwürdig durch ihren Gegensatz zu denjenigen des Be- garelli; sie macht Anspruch auf plastische, nicht bloss malerische An- Alfonso Lombardi. Da Grado. ordnung und ihre Einzelformen sind durchaus mehr ideal und allgemein (sowohl Köpfe als Gewandung). Nun stehen aber noch 14 Büsten von Aposteln und Heiligen im a Chor von S. Giovanni in Monte über dem Stuhlwerk; ungleich schönere, innigere, lebensvollere Köpfe, die man der Vermuthung nach ohne Anderes dem Begarelli zuschreiben würde, wenn nicht „Alfonso und Niccolò (?) von Ferrara“ als Urheber bezeugt wären. Nach der momentanen Lebendigkeit zu schliessen, möchten sie zu einer Gruppe (Mariä Himmelfahrt? oder etwas Ähnliches) aus Alfonso’s bester mitt- lerer Zeit gehört haben Die Gruppe in S. Maria della Rosa zu Ferrara, die man dem Alfonso zu- schreibt, haben wir oben S. 635, d dem Mazzoni zugewiesen. Sonst gilt in Ferrara die Reliefhalbfigur einer Madonna in S. Giov. Battista (die ich nicht * kenne) als sein Werk, ebenso die Büste des heil. Hyacinth in S. Domenico, ** 5. Cap. links, ohne Zweifel das naturalistische Porträt irgend eines aus- drucksvollen Mönchskopfes. . Eine Mitstrebende des A. Lombardi, ohne Zweifel zuletzt eben- falls unter Tribolo’s Einfluss, war Properzia de’ Rossi (st. 1530). b Von ihr sind u. a. die beiden Engel neben Tribolo’s Relief der Him- melfahrt Mariä in S. Petronio (11. Cap. rechts). Unter den übrigen Bildhauern Oberitaliens ist der schon als De- corator genannte Gio. Franc. da Grado wegen der einfach guten Feldherrngräber in der Steccata zu Parma rühmlich anzuführen. (Eck- c capellen: hinten rechts: Grab des Guido da Coreggio; hinten links: Grab des Sforzino Sforza 1526; vielleicht auch, vorn rechts, das des Beltrando Rossi 1527.) Die Helden mögen auf ihren Sarcophagen stehen, schlafen, oder wachend lehnen, immer sind sie schlicht und in schöner Stellung gegeben; das Detail genügend, wenn auch nicht vor- züglich belebt. Es ist die Art, in welcher auch wohl dem Giovanni da Nola ein vorzüglicher Wurf gelang Von demselben da Grado könnte wohl auch die Statue des h. Agapitus über † dem Altar rechts in der Crypta des Domes herrühren. . — Von sonstigen Parmesa- nern nennen sich drei Brüder Gonzata mit der Jahrzahl 1508 an den vier Bronzestatuen von Aposteln über der hintern Balustrade des d Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Jacopo Sansovino. Domchors; magere, unsicher gestellte, aber im Detail sehr sorgfältige a Figuren. (Der dahinter aufgestellte Marmortabernakel ist eine geringe Arbeit des XV. Jahrh.). Mit Begarelli haben weder da Grado noch die Gonzaten etwas gemein. Ob der Marcus a Grate, welcher den geschundenen S. Bartholo- b mäus im Chorumgang des Domes von Mailand fertigte, ein Sohn des Gio. Francesco war, lassen wir dahingestellt. Der Kunstgeist der zweiten Hälfte des Jahrh. kehrt uns in dieser steifen Bravourarbeit seine widerlichste Seite zu. Von einem der trefflichsten Lombarden der goldenen Zeit, Ago- stino Busti , genannt Bambaja , weiss ich nur soviel zu sagen, dass Fragmente seiner Hauptarbeit, des Denkmals des Feldherrn Ga- c ston de Foix, in der Ambrosiana und in der Brera zu Mailand auf- bewahrt sein sollen. Doch es ist Zeit, auf den bedeutendsten Schüler des Andrea Sansovino zu kommen, auf Jacopo Tatti aus Florenz (1479—1570), der von seiner nahen und vertrauten Beziehung zu dem grossen Mei- ster insgemein Jacopo Sansovino genannt wird. Allerdings lernen wir ihn fast nur durch Werke aus der zweiten Hälfte seines langen Lebens kennen, da er als eine der ersten künstlerischen Grossmächte Venedigs (S. 324) eine grosse Anzahl baulicher und plastischer Werke schuf und eine beträchtliche Schule um sich hatte. Doch ist aus sei- ner frühern römischen Zeit die sitzende Statue der Madonna mit dem d Kinde in S. Agostino zu Rom vorhanden (neben dem Hauptportal), eine Arbeit, in welcher er sich dem Andrea etwa auf die Weise Lo- renzetto’s nähert, mit regem Schönheitsgefühl noch ohne volles Lebens- gefühl, wie der Vergleich mit der nahen Gruppe Andrea’s zeigen mag. — Vollkommen lebendig und von sehr schöner Bildung, aber gesucht in e der Stellung erscheint dann seine Statue des Apostels Jacobus d. ä. im Dom von Florenz (Nische am Pfeiler links gegen die Kuppel). — Zu f diesen frühern Werken mag auch der heil. Antonius von Padua in S. Petronio zu Bologna (9. Cap. rechts) zu rechnen sein, — endlich der Jacopo Sansovino. köstliche Bacchus in den Uffizien (Ende des 2. Ganges). Ju- a belnd schreitet er aus, die Schale hoch aufhebend und anlachend, in der andern Hand eine Traube, an welcher ein kleiner Panisk nascht. Der Bacchus des Michelangelo steht zur Vergleichung in der Nähe; an lebendiger Durchbildung der Einzelform ist er dem Jacopo’s weit überlegen; wer möchte aber nicht viel lieber die Arbeit Jacopo’s er- dacht haben als die Michelangelo’s? — ich spreche von Unbethei- ligten, denn die Künstler würden für letztern stimmen, weil sie mit seinen Mitteln etwas Anderes anzufangen gedächten. (Der dritte dortige Bacchus, eine kleinere Figur auf einem Fässchen stehend, ist b aus derselben Zeit, aber von keinem der Sansovino.) In seinen venezianischen Arbeiten erscheint Jacopo sehr un- gleich; Einzelnes ist unbegreiflich schwach, Anderes dagegen verräth eine tüchtige selbständige Weiterbildung des vom Lehrer Überkom- menen. Zwar neigt sich Jacopo bisweilen ebenso in das Allgemeine, wie die meisten Nachfolger Andrea’s, der seine schöne subjective Wärme auf Niemanden vererben konnte; allein Jacopo ist nur wenig befangen von den Manieren der römischen Malerschule, auch nicht wesentlich von der Einwirkung Michelangelo’s, die erst bei seinen Schülern hie und da hervortritt; er war desshalb im Stande, nebst seiner Schule in Venedig eine Art Nachblüthe der grossen Kunstzeit aufrecht zu halten, die mit der Nachblüthe der Malerei (durch Paolo Veronese, Tintoretto etc.) parallel geht und Jahrzehnde über seinen Tod hinaus dauert. Bei ihm wie bei den Schülern sind nicht die Linien, überhaupt nicht das Bewusstsein der höhern plastischen Gesetze die starke Seite; ihre Grösse liegt, wie bei den Malern, in einer gewissen freien Le- bensfülle, welche über den Naturalismus des Details hinaus ist; sie liegt in der Darstellung einer ruhigen, in sich selbst (ohne erzwungen interessante Motive) bedeutenden Existenz. Ihre Arbeiten können von sehr unstatuarischer Anlage und doch im Styl ergreifend sein; von allen Zeitgenossen sind diese Venezianer am wenigsten conventionell in der Ausführung und am wenigsten affectirt in der Anlage. Hierin liegt wenigstens ein grosses negatives Verdienst Sansovino’s; er ist der unbefangenste unter den Meistern der Zeit von 1530—70. Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Jacopo Sansovino. Für sein schönstes Werk in Venedig glaube ich die Statue der a Hoffnung am Dogengrab Venier († 1556) zu S. Salvatore halten zu müssen (nach dem 2. Altar rechts). Die plastisch vortreffliche, leichte Haltung, die nicht ideale, aber venezianische Schönheit des Kopfes, der ruhig gefasste Ausdruck lässt gewisse Spielereien in Haar- putz und Gewandung wohl vergessen. (Thorwaldsen ist bei einer der allegorischen Statuen am Grabmal Pius VII auf ein ganz ähnliches Motiv gerathen.) — Aber wie viel geringer ist das Gegenstück, die Caritas, mit ihren hart manierirten Putten! (Das Lunettenrelief von anderer Hand.) b Von mythologischen Gegenständen enthält die Loggia am Fuss des Campanile di S. Marco das Beste (um 1540). Die Bronzestatuen des Friedens, des Apoll, Mercur und der Pallas sind zwar, die erst- genannte ausgenommen, im Motiv etwas gesucht, aber von schöner Bildung, namentlich was die Köpfe (zumal des Mercur und der Pax) betrifft. Ganz vorzüglich sind dann einzelne der kleinen Reliefdar- stellungen am Sockel, die zu den so seltenen wahrhaft naiven Kunst- werken mythologischen Inhaltes gehören. (Die obern Reliefs und die Figuren in den Bogenfüllungen gelten als Schülerarbeit.) Übrigens ist Jacopo auch sonst im Relief am glücklichsten wenn es sich um einzeln eingerahmte Figuren handelt. Man findet hinten c im Chor von S. Marco die berühmte kleine Bronzethür , welche in die Sacristei führt, und welche den Meister zwanzig Jahre lang beschäftigt haben soll; ihre beiden grössern Reliefs (Christi Tod und Auferstehung) können bei vielem Geist doch im Styl z. B. nicht neben Tribolo aufkommen, während die Einzelfiguren der Propheten in den horizontalen und senkrechten Einfassungen völlig genügen und zum Theil von hoher Vortrefflichkeit sind. (Was von der Bildnissähnlich- keit der vortretenden Köpfe in den Ecken mit Tizian, Pietro Aretino und S. selber gesagt wird, ist nicht ganz zuverlässig.) — Ebenso fehlt d es den sechs bronzenen Reliefs mit den Wundern des heil. Marcus (rechts und links vom Eingang des Chores an der Brustwehr zweier Balustraden) zwar nicht an geistvollem und energischem Ausdruck der Thatsachen, wohl aber an dem wahren Mass, welches diese Gat- e tung beherrschen muss. — An dem Altar im Hintergrunde des Chores ist das kleine Sacramentsthürchen mit dem von Engeln umschwebten Jacopo Sansovino. Erlöser wiederum eine nicht alltägliche Composition; man wird aber vielleicht die beiden einzelnen marmornen Engel auf den Seiten vor- ziehen. Derselbe Chor enthält auch noch die einzige Arbeit, in welcher a S. dem übermächtigen Einfluss Michelangelo’s einen kenntlichen Tribut bezahlt hat, nämlich die sitzenden Bronzestatuetten der vier Evange- listen auf dem Geländer zunächst vor dem Hochaltar. (Die vier Kirchenlehrer sind von einem Spätern hinzugearbeitet.) Man wird ohne Schwierigkeit den „Moses“ Michelangelo’s als ihr Vorbild er- kennen, aber auch gestehen, dass sie von allen Nachahmungen die freiste und eigenthümlichste sind. Im Dogenpalast empfängt uns Sansovin mit den beiden Co- b lossalstatuen des Mars und Neptun, von welchen die Riesentreppe ihren Namen hat. Ihre unschöne Stellung, zumal beim Anblick von vorn, fällt schneller in die Augen als ihre guten Eigenschaften, welche erst demjenigen ganz klar werden, welcher sie in Gedanken mit den gleichzeitigen Trivialitäten eines Bandinelli vergleicht. Sie sind vor Allem noch anspruchlos und mit Überzeugung geschaffen, ohne ge- waltsame Motive und erborgte Musculatur; es sind noch echte, un- mittelbare Werke der Renaissance, eigene, wenn auch nicht voll- kommene Idealtypen eines schöpfungsfähigen Künstlers, der selbst mangelhafte Motive durch grossartige Behandlung zu heben wusste. Ein anderes bedeutendes Werk ist die thönerne vergoldete Ma- c donna im Innern der Loggia des Marcusthurmes; sie ermuthigt den unten hingeschmiegten kleinen Johannes durch Streicheln seines Haa- res, sich dem segnenden Christuskinde zu nähern. Verkleistert, be- stäubt, verstümmelt und von jeher etwas manierirt in den Formen, ist die Gruppe doch immer von einem liebenswürdigen Gedanken be- lebt. — (Durchaus schlecht: die Madonna in der Capelle des Dogen- d palastes.) Als tüchtiges monumental aufgefasstes Porträt ist die eherne e sitzende Statue des Gelehrten Thomas von Ravenna über dem Portal von S. Giulian etwa mit Tintoretto in Parallele zu setzen. In welche Periode endlich gehört der Johannes über dem Tauf- f becken in den Frari (Cap. S. Pietro, links)? Unplastisch componirt, Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Venedig. aber fleissig, naiv und vom zartesten Gemüthsausdruck sieht das Werk aus, als hätte Sansovin es noch von Rom her mitgebracht. Wen Sansovino von der ältern venezian. Schule noch in Thätig- keit antraf, wissen wir nicht; es scheint eher, dass seine Anstellung mit dem Auslöschen jener zusammenhing. Es mögen um 1530 auch andere Schüler des ältern Andrea Sansovino in Venedig gelebt haben; a von einem solchen sind wohl die drei Reliefs der Verkündigung, An- betung der Hirten und Anbetung der Könige in der kleinen sechs- eckigen Capelle bei S. Micchele . Bei einer nicht besonders ge- schickten Anordnung (sodass man z. B. nicht an Tribolo denken kann) sind sie vielleicht das Holdeste und Süsseste, was Venedig in Marmor darbietet, von einem Reiz der Formen und einem Seelenausdruck in Zügen und Geberden, der Entzücken erregt. — Gewiss war damals auch Guglielmo Bergamasco noch in Thätigkeit, der 1530 eben diese Capelle baute. Sollte er etwa der Urheber der drei Reliefs b sein? die einzige bekannte Statue von ihm, eine heil. Magdalena auf dem Altar der ersten Capelle rechts vom Chor in S. Giovanni e Paolo, würde mit ihrer reichen und süssen Schönheit, selbst mit ihrem bau- schigen und doch nicht unplastischen Gewande zu diesen Arbeiten wohl passen. (Die übrigen Sculpturen des betreffenden Altars eine zum Theil gute Schularbeit der Lombardi.) Jedenfalls gewann Jacopo S. einen Einfluss, der alle Übrigen in Schatten stellte und fast ausschliesslich um ihn eine Schule versam- melte. Bei einem Bau von so grossem plastischem Reichthum wie c die Biblioteca ergab sich, scheint es, die Sache von selbst; aus- drücklich werden Tommaso Lombardo (vielleicht ein Verwandter der ältern Lombardi), Girolamo Lombardo, Danese Cataneo und Alessandro Vittoria als ausführende Schüler genannt. Ich glaube diejenigen Sculpturen, welche noch unter unmittelbarer Auf- sicht und Theilnahme des Meisters zu Stande kamen, finden sich hauptsächlich an der Schmalseite gegen die Riva und etwa an dem ersten Drittel der Seite gegen die Piazzetta. Hier haben die Reliefs in den Bogen, die Flussgötter in den Füllungen des untern, die Göttinnen in denjenigen des obern Geschosses die schönste und kräf- tigste Bildung. (Bei den Flussgöttern ist anzuerkennen, dass sie von Schüler Jacopo Sansovino’s. Campagna. den entsprechenden bronzefarbenen Figuren in der Sistina fast ganz unabhängig erscheinen.) Die beiden Karyatiden, welche die Thür tra- a gen, sind von Vittoria. — Von den Reliefs in den Bogen sind auch wieder die Felder mit einzelnen Figuren die glücklichsten. Zwei frühe Schüler Sansovin’s scheinen Tiziano Minio von Padua und Desiderio von Florenz gewesen zu sein, welche den ehernen Deckel des Taufbeckens in S. Marco verfertigten. Die er- b zählenden Reliefs sind in der Composition vom Besten der ganzen Schule, den Meister selbst nicht ausgenommen. (Die Statue des Täu- fers später, 1565, von Franc. Segala .) — Minio’s Statuen zweier c heiligen Bischöfe hinter dem Hochaltar des Santo in Padua sind bei ihrer jetzigen Aufstellung so viel als unsichtbar. Unter allen Schülern aber ist Girolamo Campagna der be- deutendste und überhaupt einer von den sehr wenigen Bildhauern, welche noch nach der Mitte des XVI. Jahrh. eine naive Liebens- würdigkeit beibehielten. — In S. Giuliano zu Venedig (Cap. links vom d Chor) sieht man sein Hochrelief des todten Christus mit zwei Engeln; die Linien sind nicht mustergültig, die Gewandung schon etwas ma- nierirt, aber Ausdruck und Bildung sehr edel und schön. — In S. Giorgio maggiore ist die bronzene Hochaltargruppe von ihm; die e vier Evangelisten tragen halbknieend eine grosse Weltkugel, auf wel- cher der Erlöser steht. Eher als Evangelisten hätten dämonische Naturmächte, Engel u. dgl. für diese Stellung gepasst, auch kann die lebendige Behandlung und die würdige Bildung der Köpfe nicht ganz vergessen machen, dass es dem Künstler etwas zu sehr um plastisch interessante Motive des Tragens zu thun war; aber der Salvator ist einfach und ganz grossartig. Seine einzeln stehenden Statuen muss man nie streng nach den Linien, sondern nach dem Ausdruck und nach dem Lebensgefühl beurtheilen, wie diess von den gleichzeitigen venez. Malern in noch viel weiterm Sinne gilt. Seine Bronzestatuen des heil. Marcus und f des heil. Franciscus, welche nach dem Gekreuzigten emporschauen (auf dem Hochaltar des Redentore ) sind innerhalb dieser Grenzen vortrefflich, zumal der so schön und schmerzlich begeisterte Marcus; in dem Gekreuzigten bemerkt man bei einer guten und gemässigten B. Cicerone. 42 Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Venedig. Campagna. (weder allzumagern noch hässlichen) Bildung eine etwas zu starke Andeutung des schon eingetretenen Todes durch das Vorhängen der a linken Schulter * Die kleinen Statuetten dieses Altars sind späte, aber für den berninischen Styl recht glückliche Schöpfungen des Bolognesen Mazza, vom Jahr 1679. . — Neben dem Hochaltar von S. Tommaso: die Statuen des Petrus und Thomas, mit würdigen Köpfen. — In S. Ma- b ria de’ miracoli, vor der Balustrade: S. Franz und S. Clara, ersterer vielleicht ein frühes Jugendwerk. Campagna’s Madonnenstatuen genügen weniger; ihre Haltung und Kopfbildung erinnert zu sehr an Paolo Veronese, um ein hohes Da- c sein ausdrücken zu können. An derjenigen in S. Salvatore (2. Altar rechts) sitzt das Kind hübsch leicht auf den Händen der Mutter, und auch die beiden Putten, die sich unten an ihr Kleid halten, sind glück- d lich hinzugeordnet; dagegen erscheint die in S. Giorgio maggiore (2. Altar links) durchaus wie ein spätes und schwaches Werk. Eine e hübsche aber wenig bezeugte Madonna in der Abbazia, Cap. hinter f der Sacristei. In C.’s Vaterstadt Verona steht eine Madonna von ihm an der Ecke des Obergeschosses der Casa de’ Mercanti. Von dem Lieblingsgegenstand der venezian. Sculptur (wie der Bacchus es bei den Florentinern war), dem heil. Sebastian, hat Cam- g pagna am Hochaltar von S. Lorenzo wenigstens eine gute Darstellung geliefert, mit dem Ausdruck des Schmerzes ohne Affectation. Wie schön und tüchtig er sonstige Aktfiguren zu behandeln wusste, h zeigt der colossale Atlant oder Cyclop im untern Gang der Zecca . Das höchst affectirte Gegenstück des Tiziano Aspetti spricht lauter zu Campagna’s Gunsten als Worte es könnten. — Im Dogenpalast stehen i auf dem Kamin der Sala del Collegio seine hübschen und lebendigen Statuetten des Mercur und Hercules. (Geringer die 3 Statuen über k der einen Thür der Sala delle 4 porte.) l In der Scuola di S. Rocco ist bei der Statue des Heiligen (un- tere Halle) das unerlässliche Vorzeigen der Schenkelwunde glücklich als dasjenige Wendungsmotiv benützt, um welches die damalige Sculp- tur so oft in Verlegenheit ist. Im obern Saal sind die Statuen neben dem Altar — Johannes d. T. und wiederum ein S. Sebastian — von geringerem Interesse als die beiden (unvollendeten) sitzenden Prophe- Campagna. Cataneo. ten an den Ecken der Balustrade; hier wirkt Michelangelo ein, aber noch nicht durch den Moses, sondern durch die Figuren der Sistina. — Die beiden Bronzestatuen des Hochaltars in S. Stefano werden a vielleicht mit Unrecht dem C. zugeschrieben; die beiden marmornen Statuen in S. Giovanni e Paolo (hinten am Altartabernakel der Ca- b pella del Rosario) sind offenbar im Missmuth über die ungünstige Aufstellung geschaffen. Auch die h. Justina über dem Thorgiebel des c Arsenals scheint ein geringeres Werk zu sein. An Porträtstatuen ist von C. ein Jugendwerk, der Doge Loredan d auf dessen Grab im Chor von S. Giovanni e Paolo erhalten, und eine treffliche Grabfigur seiner reifsten Zeit, der schlummernde Doge Ci- e cogna († 1595) in der Jesuitenkirche links vom Chor. Von wem ist endlich der schöne Christuskopf in S. Pantaleonef (2. Cap. rechts)? Ich glaube, dass von den Spätern nur Campagna fähig war, die edelste Inspiration eines Giov. Bellini und Tizian so in sich aufzunehmen. Und eine Arbeit der zweiten Hälfte des XVI. Jahr- hunderts wird die Büste doch sein. Endlich möchte wohl die Annunziata (in zwei aus der Wand vor- g tretenden Bronzefiguren) am Pal. del Consiglio zu Verona ein schö- nes frühes Werk des Meisters sein, etwa aus der Zeit des Reliefs von S. Giuliano; Gabriel gleicht den Engeln des letztern, und die Madonna, obwohl zu Vermeidung der Profilsilhouette etwas sonderbar gewendet, ist die schönste weibliche Figur, die C. gebildet haben mag. Von Thomas von Lugano , bekannt unter dem Namen Tom- maso Lombardo , sollen eine Anzahl von Statuen auf dem Dache h der Biblioteca gearbeitet sein. Der S. Hieronymus in S. Salvatore i (2. Alt. links) giebt vielleicht als schwaches und spätes Werk keinen sichern Anhaltspunkt. (Nach Andern von Jacopo Colonna.) Danese Cattaneo scheint ausser J. Sansovino auch andere Florentiner gekannt zu haben; wenigstens sind die Statuen am Dogen- k grab Loredan (1572) bei einer gewissen äusserlichen Süssigkeit von demselben unvenezianischen Geist der Lüge und Affectation beseelt, der die unwahrern Arbeiten eines Ammanati beherrscht. (Die Por- trätstatue, wie gesagt, von Campagna, und früher gearbeitet als der 42* Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Venedig. Vittoria. a Rest; der Doge starb schon 1525.) — Weniger manierirt die Statuen des ersten Altars rechts in S. Anastasia zu Verona. Ammanati selbst war übrigens eine Zeitlang J. Sansovino’s Schü- ler gewesen und hatte z. B. in Padua gearbeitet (wovon unten). Am stärksten repräsentirt von allen Schülern ist Alessandro Vittoria († 1605). Im günstigen Fall dem Campagna beinahe ge- wachsen, hat er doch nirgends die Seele desselben. Er producirte leicht und machte sich mit den Hauptmotiven keine grosse Mühe, wäh- rend Campagna wenigstens gerne plastisch rein gestaltet hätte. Sein an- b genehmstes Werk ist wohl sein eigenes Grabmal in S. Zaccaria (Ende des linken Seitenschiffes), eine vortreffliche Büste zwischen den Alle- gorien der Scultura und Architettura, oben im Giebel eine Ruhmesgöt- c tin, echt venezianische Figuren. Auch die Statue des Propheten über der Hauptthür ist schön und würdig. — Sein bester bewegter Akt ist d der S. Sebastian in S. Salvatore (3. Alt. links, als Gegenstück eines e geringen S. Rochus), seine sorgfältigste Anatomiefigur der S. Hiero- f nymus in den Frari (3. Alt. rechts). Auch S. Catharina und Daniel auf dem Löwen, in S. Giulian, sind wenigstens resolut behandelt. g Geringer und zum Theil sehr manierirt: die Arbeiten im Dogenpalast h (Sala dell’anticollegio, Thürgiebel), an der Biblioteca (die zwei Karya- i tiden der Thür), in S. Giovanni e Paolo (Mehreres), in der Abbazia k (zwei grosse Apostelstatuen), in S. Giorgio maggiore, in S. Francesco della Vigna (2. Cap. links) u. a. a. O. Auch an dem sehr überfüllten l Grabmal Contareno († 1553) im Santo zu Padua (am ersten Pfeiler links) sind mehrere Figuren von ihm. Ein leidlicher Nachahmer des Vittoria, Franc. Terilli , hat die m Statuetten des Christus und Johannes über den beiden Weihbecken des Redentore mit vielem Fleiss gearbeitet. Tiziano Aspetti († 1607) steht wieder um eine grosse Stufe niedriger und nähert sich den schlimmsten Manieren der florentini- n schen Schule. Sein Moses und Paulus, grosse Erzbilder, verunzieren Palladio’s Fassade von S. Francesco della Vigna, seine beiden Engel Aspetti. Dal Moro. den Altar der ersten Cap. links. Sein schlechter Atlant in der Bib- a lioteca wurde schon erwähnt; etwas besser sind die Tragfiguren des Kamins in der Sala dell’ Anticollegio des Dogenpalastes. Im Santo b zu Padua ist mit Ausnahme des Christus auf dem Weihbecken lauter c geringe Arbeit von A. in grosser Menge vorhanden. Den Ausgang der Schule macht Giulio dal Moro , schwächli- cher und gewissenhafter als Aspetti. Das Geniessbarste von ihm sind wohl die Sculpturen der einen Thür der Sala delle quattro porte im d Dogenpalast und die drei Altarstatuen in S. Stefano (Cap. rechts im e Chor). Seine grossen Statuen des Laurentius und Hieronymus am f Grabmal Priuli in S. Salvatore (nach dem ersten Altar links) sind sehr manierirt, und ebenso die mehrfach vorkommenden Statuen des Auferstandenen, wovon z. B. eine in derselben Kirche (nach dem er- sten Altar rechts). Es braucht kaum wiederholt zu werden, dass auch diese Schule, wo ihr Ideales nicht genügt, den Blick durch eine Menge vortreffli- cher Porträtbüsten entschädigt; sie holt damit ein, was das XV. Jahrh. in Venedig mehr als in Florenz versäumt hatte. Die Auffassung ist bisweilen so grossartig frei wie in den tizianischen Bildnissen. Künst- lernamen werden dabei seltener genannt als bei den Statuen heiligen oder allegorischen Inhaltes. Mit dem XVII. Jahrh. tritt in der venezian. Sculptur dieselbe vollkommene Erschlaffung ein, wie in der Malerei nach dem Absterben der Bassano und Tintoretto. Was von da bis zum Eindringen des berninischen Styles geschaffen wurde, ist kaum des Ansehens werth und auch dieser letztere Styl hat von seinen achtbarern Schöpfungen fast nichts in Venedig hinterlassen. Zum Schluss muss hier im Zusammenhang von den neun gros- sen Reliefs die Rede sein, welche die Wände der Antoniuscapelle im g Santo zu Padua bedecken. Die Aufgabe war eine der ungünstigsten, die sich denken liessen: (mit Ausnahme des ersten Reliefs) lauter Wunder, d. h. sinnliche Wirkungen aus einer plastisch unsichtbaren Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Reliefs im Santo. Ursache, nämlich dem Machtwort, dem Dasein, dem Gebet, höchstens dem Gestus des Heiligen. Für die andächtige Menge, welche diese Stätte besucht und die Stirn an die Rückseite des Heiligensarges zu drücken pflegt, ist allerdings über diesen Causalzusammenhang kein Zweifel vorhanden; sie verstand und versteht diese Reliefs, die für sie geschaffen sind, vollkommen, würde aber vielleicht doch bemalte Thon- gruppen in der Art Mazzoni’s (S. 635) noch sprechender finden, als den idealen Styl, durch welchen die Künstler mit namenloser Anstren- gung diese Historien veredelt haben. Die allmählige Bestellung und Ausführung hat in geschichtlicher Beziehung einiges Dunkle. Jedenfalls wollten die Besteller von allem Anfang an nur Grosses und Bedeutendes. Wenn das erste Relief a (die Aufnahme des Heiligen in den Orden), von Antonio Minelli , in der That schon 1512 gearbeitet ist, so hätte man sich gleich zuerst an einen vorzüglichen wahrscheinlich florentinischen Mitstrebenden des ältern Andrea Sansovino gewandt; es ist eines der edelsten und ge- niessbarsten der ganzen Reihe. Um dieselbe Zeit scheinen — mit Übergehung des Riccio und seiner localen Schule — die Brüder An- tonio und Tullio Lombardi , wahrscheinlich als alte und aner- kannte Häupter der venezianischen Sculptur in Anspruch genommen b worden zu sein; sie lieferten das sechste, siebente und neunte Relief (vgl. S. 627, c, d) und gaben wahrscheinlich die architektonischen Hinter- gründe mit Stadtansichten auch für alle übrigen an. (Diess ist zu ver- muthen nach Tullio’s Relief an der Scuola di S. Marco.) Auf dem sechsten steht die Jahrzahl 1525. Darauf trat Jacopo Sansovino mit mehrern seiner Schüler c ein. Sein eigenes Relief, das vierte (Wiedererweckung der Selbst- mörderin) ist auffallend manierirt; welche Epoche seines Lebens dafür verantwortlich sein mag, ist schwer zu sagen; ein Schüler Andrea’s hätte überhaupt nie solche Körper und Köpfe bilden dürfen, wie hier d mehrere vorkommen. Dagegen ist Campagna im dritten Relief (Er- weckung des todten Jünglings) auf seiner vollen Höhe; die nackte Halbfigur höchst edel gebildet und entwickelt, die Linien des Ganzen harmonisch, alles Einzelne sehr gediegen. — Einen andern schon mehr e manierirten Schüler Jacopo S.’s erkennt man dann im zweiten Relief (Ermordung der Frau), welches einem gew. Paolo Stella oder Giov . Reliefs im Santo. Neapel. Maria Padovano beigelegt wird. — Das fünfte (Erweckung des a jungen Parrasio) und das achte (das Wunder mit dem Glase) sind b für Danese Cattaneo , dem sie von Einigen zugeschrieben werden, wohl zu gut und zu wenig affectirt, wesshalb andere sonst wenig be- kannte Namen ( Paolo Peluca, Giov. Minio etc.) eher etwas für sich haben möchten. Alles zusammengenommen, ist die Reihenfolge durch eine grös- sere Einheit des Styles, der Erzählungsweise und Detailbehandlung verbunden, als man bei einer Hervorbringung so Vieler irgend erwar- ten dürfte. Sie ist ein Denkmal der höchsten Anstrengung der neuern Sculptur in der Gattung des erzählenden Reliefs, welches in der be- sten dieser Tafeln so massvoll und rein zur Erscheinung kömmt, wie in wenigen Denkmälern seit dem Zerfall der römischen Kunst. Das übertriebene, grimassirende Pathos der alten Lombarden ist bis auf vereinzelte Spuren (im 2., 5., selbst im 4.) überwunden durch eine ideale und ganz lebendige Behandlung. Neapel , dessen Schicksale gerade zu Anfang des XVI. Jahrh. sehr bewegt waren, verdankt vielleicht seine wenigen ganz ausge- zeichneten Sculpturen nicht inländischen Kräften. — Den stärksten Sonnenblick der rafaelischen Zeit glaube ich hier zu erkennen in einem bescheidenen Grabmal der Cap. Carafa in S. Domenico maggiore c (zunächst rechts vom Hauptportal), mit dem Datum 1513. Über dem Sarcophag, zu beiden Seiten eines Profilmedaillons des Verstorbenen, sitzen zwei klagende Frauen, welche Andrea Sansovino’s würdig wären. — Den schönen frühern Arbeiten Michelangelo’s nähert sich d eine Statue der Madonna als Schützerin der Seelen im Fegfeuer, in S. Giovanni a Carbonara. Der einheimischen Schule, die um diese Zeit mit Giovanni da Nola zu Kräften kam, haben wir oben (S. 247) einen wesentlich de- corativen Werth zugewiesen. Giovanni selbst zeigt weder ein tiefes, durchgehendes Lebensgefühl (so naturalistisch er sein kann) noch ein durchgebildetes Bewusstsein von den Grenzen und Gesetzen seiner Kunst, allein die allgemeine Höhe hebt auch ihn oft über das Ge- Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Neapel. wöhnliche und die Versuche in stets neuen Motiven geben seinen Grab- mälern zumal einen originellen Anschein. a Als Denkmal der ganzen Schule kann die runde Cap. der Carac- cioli di Vico in S. Giovannia a Carbonara gelten, voll von Sta- tuen und Reliefs; von dem Spanier Plata ist die (vielleicht beste) Figur des Galeazzo Caracciolo. — Ein anderes grosses Werk der b Schule ist das Grabmal des berühmten Pietro di Toledo, hinten im Chor von S. Giacomo degli Spagnuoli ; als Ganzes dem Grab- mal Franz I in S. Denis, und zwar nicht glücklich nachgebildet, in der Ausführung reich und sorgfältig; der Statthalter und seine Ge- mahlin knieen auf einem ungeheuern Sarcophag hinter Betpulten; auf den Ecken des noch grössern, peinlich decorirten Untersatzes stehen c vier allegorische Figuren. — Von den Grabmälern Giovanni’s in S. Se- verino ist dasjenige eines sechsjährigen Knaben, Andrea Cicara, zu- d nächst vor der Sacristei am schönsten gedacht; — die drei der vergif- teten Brüder Sanseverino (1516, eine der frühsten Arbeiten) in der Cap. rechts vom Chor wunderlich einförmig, indem die Dreie fast in gleicher Stellung auf ihren Sarcophagen sitzen. — Als das beste Re- e lief des Meisters gilt eine Grablegung in S. Maria delle Grazie bei den Incurabili (in einer Capelle links). — Schularbeiten in vielen Kirchen; f z. B. in S. Domenico magg., 3. Cap. links, das für die damalige Alle- gorik bezeichnende Grab eines gewissen Rota, der in Rom und Flo- renz Beamter gewesen, und dem desshalb Arno und Tiber Lorbeer- g kränze reichen müssen. — Die Altäre des Giovanni und seines Rivalen Girolamo Santa Croce zu beiden Seiten der Thür in Monteoliveto sind im Styl kaum zu unterscheiden. (Derjenige des letztern ist kenntlich am S. Petrus.) Durchgängig das Beste sind, wie in so manchen Schulen, wo das Ideale nicht rein und ohne Affectation zu Tage dringen konnte, die Bildnisse der Mausoleen, sowohl Büsten als Statuen. Neapel besitzt daran einen reichen Schatz auch aus dieser Zeit; ein Marmorvolk von Kriegern und Staatsmännern, wie vielleicht nur Venedig ein zwei- tes aufweist. Wir gelangen zu demjenigen grossen Genius, in dessen Hand Tod und Leben der Sculptur gegeben war, zu Michel Angelo Buonar- Michelangelo. roti (1474 — 1563). Er sagte von sich selbst, einmal er sei kein Maler, ein anderes Mal die Baukunst sei nicht seine Sache, dagegen bekannte er sich zu allen Zeiten als Bildhauer und nannte die Sculp- tur (wenigstens im Vergleich mit der Malerei) die erste Kunst: „Es war ihm nur dann wohl, wenn er den Meissel in den Händen hatte.“ Seine Anstrengungen, dieses fest erkannten Berufes Herr zu wer- den, waren ungeheuer. Es ist keine blosse Phrase, wenn behauptet wird, er habe zwölf Jahre auf das Studium der Anatomie verwandt; seine Werke zeigen ein Ringen und Streben wie die keines Andern nach immer grösserer schöpferischer Freiheit. Der erste Anlauf, welchen Michelangelo nahm, war über alle Massen herrlich. In den Räumen des Palazzo Buonarroti zu a Florenz (Via Ghibellina N. 7588), welche von dem jüngern, als Dich- ter berühmten Michelangelo B. dem Andenken und den Reliquien des grossen Oheims geweiht worden sind Sichtbar jeden Donnerstag. , wird ein Relief aufbewahrt, welches dieser in seinem siebzehnten Jahr verfertigte: „Hercules im Kampf gegen die Centauren“, d. h. ein Handgemenge nackter Figuren, unter welchen auch Centauren vorkommen. Obwohl im Geiste des überreichen römischen Reliefs gedacht, enthält es doch Motive von griechischer Art und Lebendigkeit, Wendungen von Körpern, welche den bedeutendsten momentanen Ausdruck mit der schönsten Form verbinden; dass in dem Menschenknäul vor der mittlern Figur das Mass überschritten wird, geschieht doch nicht auf Kosten der Deut- lichkeit und lässt sich durch die Jugend des Künstlers entschuldigen. Vielleicht noch früher ist das Flachrelief einer säugenden Madonna b im Profil (ebendort) gearbeitet; eine der ersten Arbeiten, welche aus dem Realismus des XV. Jahrh. ganz entschieden hinausgehen in den rein idealen Styl. Wie vollkommen liebenswürdig wusste Michelangelo damals zu bilden! An der Arca di S. Domenico in der Kirche dieses Hei- c ligen zu Bologna ist von ihm der eine knieende Engel mit dem Candelaber (derjenige links vom Beschauer); ein so hold jugendliches Köpfchen, wie es damals nur Lionardo da Vinci zu bilden im Stande gewesen wäre. Den schweren Gewandstoff, der zu einer lebensgros- Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Michelangelo. sen Figur richtig passen würde, und die unverhältnissmässigen Haar- locken nimmt man hier dem Künstler so gerne als Unbesonnenheiten a eines Anfängers hin. — (Auch die Statuette des heil. Bischofs Petro- nius, eine von den vieren zunächst über dem Sarcophag, ist von ihm, aber unmöglich aus derselben Zeit, wie schon das manierirte Gewand zeigt.) Das letzte Werk dieser frühen Periode (1499) des Meisters ist die b Gruppe der Pietà in S. Peter zu Rom (erste Capelle rechts; die Aufstellung im kläglichsten Licht macht die Vergleichung der Gyps- abgüsse nothwendig, deren ich aber keinen öffentlich aufgestellten kenne). Dieser Gegenstand war bisher unzählige Male gemeisselt und gemalt worden, oft mit sehr tiefem und innigem Ausdruck, nur liegt insgemein der Leichnam Christi so auf den Knieen der Madonna, dass das Auge sich abwenden möchte. Hier zuerst in der ganzen neuern Sculptur kann wieder von einer Gruppe im höchsten Sinne die Rede sein; der Leichnam ist überaus edel gelegt und bildet mit Gestalt und Bewegung der ganz bekleideten Madonna das wunderbarste Ganze. Die Formen sind anatomisch noch nicht ganz durchgebildet, die Köpfe aber von einer reinen Schönheit, welche Michelangelo später nie wie- der erreicht hat Das Werk wurde öfter in Marmor und Erz copirt. Schon Luca Signorelli malte davon jene freie Abbildung grau in grau, welche neuerlich im römi- schen Leihhause wieder aufgetaucht ist; wahrscheinlich dachte er nicht daran, dass man dereinst Michelangelo’s Gruppe für eine Copie nach seinem Ge- mälde halten würde, wie schon geschehen ist. . — (Etwa aus derselben Zeit die Madonna in No- tre Dame zu Brügge.) Wie verhielt sich nun Michelangelo’s Geist, als er seiner reifen Epoche und seiner grossen Stellung entgegenging, zu den Aufgaben, welche seine Zeit ihm bot? Bei weitem die meisten waren kirchli- cher Art, oder mussten doch zu einer kirchlichen Umgebung passen. Die freie Altargruppe begann eben erst als Gattung zu gelten; man er- innere sich der Capelle Zeno in S. Marco zu Venedig (1505) und ähn- licher Arbeiten. Die Nischen der Kirchenfassaden füllten sich nur sparsam mit Statuen, die der Pfeiler im Innern etwas häufiger. Was Michelangelo. sonst übrig blieb, waren Grabmäler, deren Allegorien das einzige ganz freie Element der damaligen Sculptur heissen konnten. Denn grosse Sculpturwerke mythologischen Inhalts waren noch ein seltener Luxus, der ausserhalb Florenz einstweilen kaum vorkam. Michelangelo aber war stärker als je ein Künstler von dem Drange bewegt, alle irgend denkbaren und mit den höhern Stylgesetzen ver- einbaren Momente der lebendigen, vorzüglich der nackten Menschenge- stalt aus sich heraus zu schaffen. Er ist in dieser Beziehung das ge- rade Gegentheil der Alten, welche ihre Motive langsam reiften und ein halbes Jahrtausend hindurch nachbildeten; er sucht stets neue Mög- lichkeiten zu erschöpfen und kann desshalb der moderne Künstler in vorzugsweisem Sinne heissen. Seine Phantasie ist nicht gehütet und eingeschränkt durch einen altehrwürdigen Mythus; seine wenigen bibli- schen Figuren gestaltet er rein nach künstlicher Inspiration und seine Allegorien erfindet er mit erstaunlicher Keckheit. Das Lebensmotiv, das ihn beschäftigt, hat oft mit dem geschichtlichen Charakter, den es beseelen soll, gar keine innere Berührung — selbst in den Pro- pheten und Sibyllen der Sistina nicht immer. Und welcher Art ist das Leben, das er darstellt? Es sind in ihm zwei streitende Geister; der eine möchte durch rastlose anatomische Studien alle Ursachen und Äusserungen der menschlichen Form und Bewegung ergründen und der Statue die vollkommenste Wirklichkeit verleihen; der andere aber sucht das Übermenschliche auf und findet es — nicht mehr in einem reinen und erhabenen Ausdruck des Ko- pfes und der Geberde, wie einzelne frühere Künstler — sondern in befremdlichen Stellungen und Bewegungen und in einer partiellen Aus- bildung gewisser Körperformen in das Gewaltige. Manche seiner Ge- stalten geben auf den ersten Eindruck nicht ein erhöhtes Menschliches, sondern ein gedämpftes Ungeheures. Bei näherer Betrachtung sinkt aber dieses Übernatürliche oft nur zum Unwahrscheinlichen und Bi- zarren zusammen. Sonach wird den Werken Michelangelo’s durchgängig eine Vor- bedingung jedes erquickenden Eindrucks fehlen: die Unabsichtlichkeit. Überall präsentirt sich das Motiv als solches , nicht als passend- ster Ausdruck eines gegebenen Inhaltes. Letzteres ist vorzugsweise der Fall bei Rafael, der den Sinn mit dem höchsten Interesse an der Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Michelangelo. Sache und das Auge mit innigstem Wohlgefallen erfüllt, lange ehe man nur an die Mittel denkt, durch welche er sein Ziel erreicht hat. Aber die ungeheure Gestaltungskraft, welche in Michelangelo wal- tete, giebt selbst seinen gesuchtesten und unwahrsten Schöpfungen einen ewigen Werth. Seine Darstellungsmittel gehören alle dem höch- sten Gebiet der Kunst an; da sucht man vergebens nach einzelnem Niedlichem und Lieblichem, nach seelenruhiger Eleganz und buhleri- schem Reiz; er giebt eine grandiose Flächenbehandlung als Detail und grosse plastische Contraste, gewaltige Bewegungen als Motive. Seine Gestalten kosten ihn einen viel zu heftigen innern Kampf, als dass er damit gegen den Beschauer gefällig erscheinen möchte. Damit hängt denn auch ihre unfertige Beschaffenheit eng zusam- men. Er arbeitete gewiss selten ein Thonmodell von derjenigen Grösse aus, welche das Marmorwerk haben sollte; der sog. Puntensetzer be- kam bei ihm wenig zu thun; eigenhändig, im ersten Eifer, hieb er selbst das Werk aus dem Rohen. Mehrmals hat er sich dabei noto- risch „verhauen“, oder der Marmor zeigte Fehler und er liess dess- halb die Arbeit unfertig liegen. Oft aber blieb sie auch wohl unvollendet, weil jener innere Kampf zu Ende war und das Werk kein Interesse mehr für den Künstler hatte. (Ob etwa auch ein Trotz gegen miss- liebige Besteller mit unterlief, ist im einzelnen Falle schwer zu sagen.) Wer nun von der Kunst vor Allem das sinnlich Schöne verlangt, den wird dieser Prometheus mit seinen aus der Traumwelt der (oft äussersten) Möglichkeiten gegriffenen Gestalten nie zufrieden stellen. Eine holde Jugend, ein süsser Liebreiz konnte gar nicht das aus- drücken helfen, was er ausdrücken wollte. Seine Ideale der Form können nie die unsrigen werden; wer möchte z. B. bei seinen meisten weiblichen Figuren wünschen, dass sie lebendig würden? (Die Aus- nahmen, wie z. B. die Delphica in der sixtin. Capelle, gehören frei- lich zum Herrlichsten.) Gewisse Theile und Verhältnisse bildet er fast durchgängig nicht normal (die Länge des Oberleibes, der Hals, die Stirn und die Augenknochen, das Kinn etc.), andere fast durch- gängig herculisch (Nacken und Schultern). Das Befremdliche liegt also nicht bloss in der Stellung, sondern auch in der Bildung selbst. Der Beschauer darf und soll es ausscheiden von dem echt Gewaltigen. Der Bacchus. Der David. Die Zeit des Künstlers freilich wurde von dem Guten und von dem Bösen, das in ihm lag, ohne Unterschied ergriffen; er imponirte ihr auf dämonische Weise. Über ihm vergass sie binnen 20 Jah- ren Rafael vollständig. Die Künstler selber abstrahirten aus dem, was bei Michelangelo die Äusserung eines innern Kampfes war, die Theorie der Bravour und brauchten seine Mittel ohne seine Gedan- ken, wovon unten ein Mehreres. Die Besteller, unter der Herrschaft einer Bildung, welche ohnehin jede Allegorie guthiess, liessen sich von Michelangelo das Unerhörte auf diesem Gebiete gefallen und be- merkten nicht, dass er bloss Anlass zur Schöpfung bewegter Gestal- ten suchte. Die Reihe dieser freien, rein künstlerischen Gedanken beginnt schon frühe (vor der Pietà) mit dem Bacchus in den Uffizien a (Ende des 2. Ganges). Mit dem antiken Dionysos-Ideal, wie wir es jetzt, nach den seither ausgegrabenen Resten und den tiefen Forschungen der Archäologie kennen, darf man diesen Bacchus nicht vergleichen ohne Ungerechtigkeit; er ist hervorgebracht unter der Voraussetzung, einen trunkenen Jüngling darstellen zu müssen, daher mit einem bur- lesken Anflug, mit starren Augen, lallendem Mund, vortretendem Bauche. Vielleicht die erste Statue der neuern Kunst, welche mit der Absicht auf vollkommene Durchbildung eines nackten Körpers geschaffen wor- den ist! ohne Zweifel das Resultat der fleissigsten Naturstudien, und doch abgesehen vom Gegenstand schon durch die bizarre Stellung gründlich ungeniessbar, zumal von links her gesehen. Auf den ersten Blick gefällt der colossale David vor dem Pa- b lazzo vecchio in Florenz (1501—1503) vielleicht noch weniger. Allein der Künstler war auf einen Marmorblock angewiesen, aus welchem schon ein früherer Bildhauer irgend Etwas zu meisseln begonnen hatte; sodann beging er einen Fehler, den der Beschauer in Gedanken wieder gut machen kann, er glaubte nämlich David ganz jung darstellen zu müssen und nahm einen Knaben zum Modell, dessen Formen er colos- sal bildete. (Was hauptsächlich bei der Seitenansicht bemerklich wird.) Nun lassen sich aber nur erwachsene Personen passend vergrössern (S. 444, Anm.), wenigstens bei isolirter Aufstellung, denn in Gesell- schaft anderer Colosse kann auch das colossale Kind seine berech- tigte Stelle finden. Durch ein Verkleinerungsglas gesehen gewinnt der Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Michelangelo. David ungemein an Schönheit und Leben, allerdings mit Ausnahme des Kopfes, der in einer ganz andern Stimmung hinzugearbeitet scheint. Wenn in dieser Statue noch eine gewisse Modellbefangenheit nicht zu verkennen ist, so finden wir Michelangelo einige Jahre später auf der Höhe seines künstlerischen Könnens in dem nach 1504 entworfe- nen, in der nächstfolgenden Zeit stückweise ausgeführten Grabdenk- a mal Papst Julius II für die Peterskirche. Die sehr flüchtige Ori- ginalzeichnung, die von dem Werke doch vielleicht nicht das defini- tiv angenommene Project wiedergiebt, ist in der florentinischen Samm- lung der Handzeichnungen aufbewahrt. Ein hoher Bau in länglichem Viereck sollte an seinen Wänden nackte gefesselte Gestalten (die von Julius wiedererworbenen Provinzen und die durch seinen Tod in Knechtschaft gedachten Künste) und auf seinen Vorsprüngen jeden- falls die sitzenden Statuen des Moses und Paulus enthalten, anderer Zuthaten nicht zu gedenken. Die Symbolik war eine willkürliche, ja eine zweideutige; wer hätte z. B. Moses und Paulus für Allegorien des thätigen und des beschaulichen Lebens genommen? und doch waren sie so gemeint. Aber als plastisch-architektonisches Ganzes gedacht wäre das Grabmal doch immer eines der ersten Werke der Welt geworden. Erst dreissig Jahre später, unter Paul III kam dasjenige Denk- b mal zu Stande, welches jetzt in S. Pietro in Vincoli steht. Es ist kein Freibau, sondern nur noch ein barocker Wandbau daraus ge- worden; die obern Figuren sind von den Schülern nach dem Entwurf des Meisters hinzugearbeitet und zwar nicht glücklich; in dem armen Papst, der sich zwischen zwei Pfeilern strecken muss so gut es geht, ist auch die Anordnung unverzeihlich. Unten aber stehen die für das ursprüngliche Project in der frühern Zeit eigenhändig gearbeiteten Statuen des Moses, nebst Rahel und Lea, letztere wiederum als Sym- bole des beschaulichen und des thätigen Lebens, nach einer schon in der Theologie des Mittelalters vorkommenden, an sich absurden Typik. — Moses scheint in dem Moment dargestellt, da er die Verehrung des goldenen Kalbes erblickt und aufspringen will. Es lebt in seiner Gestalt die Vorbereitung zu einer gewaltigen Bewegung, wie man sie von der physischen Macht, mit der er ausgestattet ist, nur mit Zittern erwarten mag. Seine Arme und Hände sind von einer insofern wirk- Grabmal Julius II. lich übermenschlichen Bildung, als sie das charakteristische Leben dieser Theile auf eine Weise gesteigert sehen lassen, die in der Wirk- lichkeit nicht so vorkömmt. Alles bloss Künstlerische wird an dieser Figur als vollkommen anerkannt, die plastischen Gegensätze der Theile, die Behandlung alles Einzelnen. Aber der Kopf will weder nach der Schädelform noch nach der Physiognomie genügen und mit dem herr- lich behandelten Bart, dem die alte Kunst nichts Ähnliches an die Seite zu stellen hat, werden doch gar zu viele Umstände gemacht der berühmte linke Arm hat im Grunde nichts anderes zu thun, als diesen Bart an den Leib zu drücken. — Rahel , das beschauliche Leben, ist im Motiv ganz sinnlos; sie hat so eben auf dem Schemel nach rechts gebetet und wendet sich plötzlich, noch immer betend, nach links; zudem scheint ihr linker Arm schon oben verhauen. Das Detail sonst trefflich. — Lea , das thätige Leben, mit dem Spiegel in der Hand, zeigt in der Draperie unnütze und bizarre Motive und unschöne Verhältnisse der untern Theile. Die Köpfe haben wohl etwas Grandios-Neutrales, Unpersönliches, welches die Seele wie ein Klang aus der ältern griechischen Kunst berührt, aber auch eine gewisse Kälte. Ausser diesen drei Statuen hat Michelangelo offenbar in sehr verschiedenen Zeiten eine Anzahl von nackten Figuren gemeisselt, welche theils zum Grabmal Julius II wirklich gehören sollten, theils wenigstens damit in Verbindung gebracht werden. Das trefflichste sind die beiden „Sclaven“ im Louvre, die offenbar Stücke aus der Reihe jener Gefesselten sind. Weniger lässt sich dies verbürgen bei den vier (nur theilweise aus dem Rohen gearbeiteten und beträcht- a lich grössern) Statuen in einer Grotte des Gartens Boboli zu Flo- renz (vom Eingang links); es sind höchst lebensvolle Acte des Leh- nens und Tragens; die beiden vordern freilich kaum erst kenntlich Dann eine Gruppe, betitelt „der Sieg“, im grossen Saale des Palazzo b vecchio ; ein Sieger auf einem (unvollendeten) Besiegten knieend, und das während des Kampfes nach hinten gestreifte Gewand wieder hervorziehend, mit einer Wendung und Bewegung, die freilich hie- durch nur nothdürftig motivirt wird. (Spätere Zeit?) Wir kehren wieder in seine frühere römische Epoche zurück und nennen zunächst den Christus im Querschiff von S. Maria sopra c Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Michelangelo. Minerva zu Rom (um 1527). Es ist eines seiner liebenswürdigsten Werke; Kreuz und Rohr sind zu der nackten Gestalt und ihrer Be- wegung edel und geschickt geordnet, der Oberleib eines der schönsten Motive der neuern Kunst; der sanfte Ausdruck und die Bildung des Kopfes mag so wenig dem Höchsten genügen als irgend ein Christus, und doch wird man diesen milden Blick des „Siegers über den Tod“ auf die Gemeinde der Gläubigen schön und tief gefühlt nennen müssen. a Ebenfalls wohl aus dieser Zeit: die nur aus dem Rohen gehauene und in diesem Zustand sehr viel versprechende Statue eines Jünglings, in den Uffizien (zweiter Gang), wahrscheinlich Apoll, der mit der Linken über die Schulter greift, um einen Pfeil aus dem Köcher zu holen. — Dessgleichen, wenigstens aus der ersten Hälfte von Michelangelo’s b Leben: das runde Relief in den Uffizien (Gang der tosc. Sculptur), Madonna mit dem auf ihr Buch lehnenden Kinde, hinten der kleine Johannes; wundervoll in diesen Raum componirt und, soweit die Ar- beit vollendet ist, edel und leicht belebt. Die Arbeiten des vorgerückten Alters möchten etwa mit dem c todten Adonis der Uffizien (zweiter Gang) zu beginnen sein. Der Künstler hat Alles gethan, um die Statue plastisch interessant zu ma- chen; der Körper beginnt auf der rechten Seite liegend und wendet sich nachher mehr nach links; unter den gekreuzten Füssen lagert der Eber, dessen Zahn dem Jüngling die (sehr grelle) Schenkelwunde bei- gebracht hat. Aber der Kopf gehört zu den manierirtesten und der Leib ist von keiner schönen Bildung. Um das Jahr 1529 soll dann die Arbeit an den Statuen der welt- d berühmten mediceischen Capelle (oder Sagrestia nuova) bei S. Lorenzo ihren Anfang genommen haben. Selten hat ein Künstler freier über Ort und Aufstellung verfügen können (vgl. S. 329, c). Die Denkmäler wirken desshalb in diesem Raum ganz vorzüglich, schon wenn man sie nur als Ergänzung und Resultat der Architektur be- trachtet. Um die Figuren gross erscheinen zu lassen, hat der Künstler sie in eine aus kleinen Gliedern gebildete bauliche Decoration einge- rahmt, deren Detail freilich nicht zu rühmen ist. Die Aufgabe selbst enthielt eine starke Aufforderung zu allgemeinen Allegorien; es han- Die mediceischen Grabmäler. delte sich um die Gräber zweier ziemlich nichtswürdigen mediceischen Sprösslinge, für welche Michelangelo am allerwenigsten sich begei- stern konnte. Unter den Nischen mit den sitzenden Statuen derselben brachte er die Sarcophage an und auf deren rund abschüssigen Deckel die weltberühmten Figuren des Tages und der Nacht (bei Giuliano Medici-Nemours), der Morgen- und der Abenddämmerung (bei Lorenzo Medici, Herzog von Urbino). Kein Mensch hat je ergründen können, was sie hier (abgesehen von ihrer künstlerischen Wirkung) bedeuten sollen, wenn man sich nicht mit der ganz blassen Allegorie auf das Hinschwinden der Zeit zufrieden geben will. Vielleicht hätte Cle- mens VII als Besteller lieber ein paar trauernde Tugenden am Grab seiner Verwandten Wache halten lassen — der Künstler aber suchte geflissentlich das Allgemeinste und Neutralste auf. Wie dem sei, diese Allegorien sind nicht einmal bezeichnend gebildet, was denn auch, mit Ausnahme der Nacht, eine reine Unmöglichkeit gewesen wäre. Die Nacht ist wenigstens ein nacktes, schlafendes Weib; man darf aber a fragen: ob wohl jemals ein Mensch in dieser Stellung habe schlafen kön- nen? sie und ihr Gefährte, der Tag , lehnen nämlich mit dem rechten Ellbogen über den linken Schenkel. Sie ist die ausgeführteste nackte weibliche Idealfigur Der Kopf, welcher tief unter dem Übrigen steht, kann kaum von M. A. aus- geführt sein. Michelangelo’s; der Tag, mit unvollendetem Kopf, kann vielleicht als sein vorzüglichstes Specimen herculischer Bildung gelten. Als Motive aber sind gewiss die beiden Däm- b merungen edler und glücklicher, namentlich der Mann sehr schön und lebendig gewendet; das Weib (die sog. Aurora) ebenfalls mehr ungesucht grossartig als die Nacht, wunderbar in den Linien, auch mit einem viel schönern und lebendigern Kopf, der indess noch immer etwas Maskenhaftes behält. In diesen vier Statuen hat der Meister seine kühnsten Gedan- ken über Grenzen und Zweck seiner Kunst geoffenbart; er hat frei von allen sachlichen Beziehungen, nicht gebunden durch irgend eine von aussen verlangte Charakteristik, den Gegenstand und seine Aus- führung geschaffen. Das plastische Princip, das ihn leitete, ist der bis auf das Äusserste durchgeführte Gegensatz der sich entsprechen- B. Cicerone. 43 Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Michelangelo. den Körpertheile, auf Kosten der Ruhe und selbst der Wahrschein- lichkeit. Mit seiner Stylbestimmtheit gehandhabt, brachte dieses Prin- cip das grossartige Unicum hervor, welches wir hier vor uns sehen. Für die Nachfolger war es die gerade Bahn zum Verderben. a Die Statue des Julian ist nicht ganz ungezwungen; wohin wen- det er seinen langen Hals und seine falschen Augen? Ganz vortreff- lich ist aber die Partie der Hände, des Feldherrnstabes und der Kniee. b Lorenzo , bekannt unter dem Namen il pensiero, unvergleichlich ge- heimnissvoll durch die Beschattung des Gesichtes mit Helm, Hand und Tuch, hat doch in der Stellung seines rechten Armes etwas Un- freies. Die Arbeit ist von grösstem Werthe. — Auch mit diesen bei- den Statuen that Michelangelo keinen Schritt in das Historisch-Cha- rakteristische, das seiner Seele widerstrebt haben muss; sie sind vielmehr in seinen Styl vollkommen eingetaucht und können als eben so frei gewählte Motive gelten, wie alles Übrige. c Der kaum aus dem rohen gearbeiteten Madonna lag ursprüng- lich wohl ein ausserordentlich schöner plastischer Gedanke zu Grunde; es fehlte vielleicht nicht viel, so wäre sie die einzig treffliche ganz frei sitzende Madonna geworden (indem fast alle andern nur auf den Anblick von vorn berechnet sind). Allein durch einen Fehler des Marmors oder ein „Verhauen“ des Künstlers kam der rechte Arm nicht so zu Stande, wie er beabsichtigt gewesen sein muss und wurde dann hinten so angegeben, wie man ihn jetzt sieht. Vermuthlich hatte dann das Übrige mit zu leiden und wurde desshalb nur andeu- tungsweise und dürftig vollendet. Ein unruhigeres Kind hat freilich die ganze Kunst nicht gebildet, als dieser kleine Christus ist; auf dem linken Knie der Mutter vorwärts sitzend, wendet er sich sehr künst- lich rückwärts um, greift mit seinem linken Ärmchen an die linke Schulter der Mutter und sucht mit dem rechten ihre Brust. d (Die zwei HH. Cosmas und Damian sind Schülerarbeiten vielleicht nach ganz kleinen Modellen des Meisters.) Aus der spätern Zeit ist wohl auch die angefangene Apostelstatue e im Hof der Academie in Florenz ; sie zeigt auf das Merkwür- digste, wie Michelangelo arbeitete; ungeduldig möchte er das (gequält grossartige) Lebensmotiv, das für ihn fertig im Marmorblocke steckt, Letzte Arbeiten. daraus befreien; aber irgend ein Umstand kommt dazwischen und die Arbeit bleibt liegen Wenn auch Michelangelo schon 1503 für die Querbaucapellen des Domes in Florenz die Statuen der 12 Apostel bestellt erhielt, so kann er doch den vor- liegenden S. Matthäus wohl viel später und für eine andere Bestimmung ge- arbeitet haben. Der Styl nöthigt zu einer derartigen Annahme. . Endlich sorgte Michelangelo eigenhändig für sein Grabmal; es a sollte wieder eine Pietà sein. Damals begann er wahrscheinlich das- jenige Werk, welches jetzt im Hof des Palazzo Rondanini zu Rom (am Corso) steht, und das am besten unbesichtigt bleibt. Wie konnte er, nachdem der Block schon so verdorben war, wie man ihn sieht, doch noch diese Gestalten herauszwingen wollen, auf Kosten der- jenigen Körperverhältnisse, die Niemand besser kannte als Er? Leider ist wohl jeder Meisselschlag von ihm. Später arbeitete er — der Sage nach aus einem Capitäl des Frie- b denstempels, das ihm Papst Paul III geschenkt — diejenige Gruppe, welche jetzt im Dom von Florenz , unter der Kuppel, aufgestellt ist. Er hat den Werth einer monolithen Arbeit überschätzt und dem Marmor, welcher nicht reichte, das Unmögliche zugemuthet, um Fi- guren herauszubringen, die sich der Lebensgrösse wenigstens nähern. Es ist ein höchst unerquickliches Werk, von der rechten Seite ge- sehen unklar, durch die Gestalt des Nicodemus zusammengedrückt. Die Stellung der Leiche dürfte mit jener ersten Pietà in S. Peter nicht von ferne verglichen werden. Eine ganz späte Arbeit soll auch die angefangene Büste des c Brutus in den Uffizien (Halle d. Hermaphr.) sein, angeblich nach einer antiken Gemme, wahrscheinlich aber ein frei geschaffenes Cha- rakterbild und ein Gegenstand, der dem trotzigen Sinne des Meisters nahe lag. Physiognomisch abstossend und dabei grandios behandelt. — Das eigene Bildniss Michelangelo’s, ein schöner Bronzekopf, im d Conservatorenpalast des Capitols (5. Zimmer) gilt als seine Arbeit. Zahllose kleine Modelle seiner Hand sind zerstreut und zu Grunde gegangen; was von der Art in italienischen Sammlungen vorkömmt verdient insgemein wenig Zutrauen. (Der Christuskopf in S. Agnese e bei Rom, in einer Cap. rechts, ist jedenfalls nicht von ihm ausgeführt; — das Relief einer Pietà in der Kirche des Albergo de’ poveri zu f 43* Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Michelangelo. a Genua zweifelhaft; — über eine Gruppe der Pietà in S. Rosalia zu Palestrina ist mir nichts Näheres bekannt; — die Statue Gregors d. b Gr. in einer der Capellen neben S. Gregorio in Rom, von Cordieri vollendet, hat wohl am ehesten Anspruch auf Erfindung und Theil- nahme des Meisters; — als Jugendarbeit wird ihm der kleine nackte c Christus am Grabmal Bandini im linken Seitenschiff des Domes von Siena beharrlich zugeschrieben etc. etc.) Der Beschauer wird merkwürdig gestimmt gegen einen Künstler, dessen Grösse ihm durchgängig imponirt und dessen Empfindungs- weise doch so gänzlich von der seinigen abweicht. Die frucht- bringendste Seite, von welcher aus man Michelangelo betrachten kann, bleibt doch wohl die historische. Er war ein grossartiges Schick- sal für die Kunst; in seinen Werken und ihrem Erfolg liegen we- sentliche Aufschlüsse über das Wesen des modernen Geistes offen ausgesprochen. Die Signatur der drei letzten Jahrhunderte, die Subjectivität , tritt hier in Gestalt eines absolut schrankenlosen Schaffens auf. Und zwar nicht unfreiwillig und unbewusst wie sonst in so vielen grossen Geistesregungen des XVI. Jahrh., sondern mit gewaltiger Absicht. Es scheint als ob Michelangelo von der die Welt postulirenden und schaffenden Kunst beinahe so systematisch gedacht habe, wie einzelne Philosophien von dem weltschaffenden Ich. Er hinterliess die Sculptur erschüttert und umgestaltet. Keiner seiner Kunstgenossen hatte so fest gestanden, dass er nicht durch Michelangelo desorientirt worden wäre — in welcher Weise haben wir schon angedeutet. Aber die äussere Stellung der Sculptur hatte sich durch ihn ungemein gehoben; man wollte jetzt wenigstens von ihr das Grosse und Bedeutende und traute ihr Alles zu. Die Gehülfen des Meisters haben, seit sie das waren, kaum mehr einen eigenthümlichen Werth. Wir nennen zuerst Giov. Angelo Montorsoli (1498—1563), der den Michelangelo schon von dessen frühern Werken, zumal von der Sistina an begleitet und nachahmt, dabei aber auch Einwirkungen von Andrea Sansovino und von den Montorsoli. Lombarden her verräth, und diess Alles mit einer gewissen decora- tiven Seelenruhe zu einem nicht unangenehmen Ganzen verschmelzt. Von der Mitarbeit in der mediceischen Capelle an, wo er den heil. a Cosmas ausarbeitete, wird er ausschliesslich Michelangelist. Von Andrea Doria nach Genua berufen Laut der genuesischen Guida schon 1528, laut Vasari erst nach 1535 oder noch später, was zu andern Daten nicht recht passt. , musste er als Archi- tekt und Bildhauer das sein, was Perin del Vaga als Maler; die in den Künsten durch politische Leiden arg zurückgekommene Stadt bedurfte auswärtiger Kräfte. Die Kirche S. Matteo , das Familien- b heiligthum der Doria, ist ein ganzes Museum seiner Sculpturen Im anstossenden Kreuzgang sind die Überreste der 1797 demolirten Statuen * des Andrea und Giov. Andrea Doria, von den Jahren 1528 (?) und 1577 aufgestellt. Die erstere ist ein vortreffliches Werk von Montorsoli’s Hand, die letztere eine schon manierirte Nachahmung der erstern. . Manches davon zeigt, dass er sich half wie er konnte; in den sitzen- den Relieffiguren der beiden Kanzeln, in den vier Evangelisten der Chorwände ist mehr als eine Reminiscenz aus der Sistina zu be- merken; von den Freisculpturen hinten im Chor ist die Pietà, was die Lage des Leichnams betrifft, nach derjenigen Michelangelo’s in S. Peter copirt, was zu der peruginesken Madonna nicht recht passt; die vier übrigen Statuen (Propheten) haben beinahe die Art des Guglielmo della Porta und der damaligen Lombarden. Die reiche Stucchirung der Kuppel und des Chores (von Gehülfen ausgeführt), die beiden Altäre des Querschiffes (mit den vielleicht von andern Händen gefertigten Reliefs über den Altären), die Reliefs von Tritonen und gefangenen Türken unter den Kanzeln und das Denkmal des Andrea Doria in der Crypta (welches der Verf. nicht sah) vollenden diesen in seiner Art einzigen plastischen Schmuck, dessen Gleichen selten Einem Künstler anvertraut worden ist. Montorsoli hatte bei seiner mässigen Begabung ganz Recht, dass er sich nicht durch das gleichzeitige glänzende Beispiel der mediceischen Capelle irre machen liess. Auf diese Weise hat die Nachwelt etwas Geniessbares erhalten. Eine späte Arbeit M.’s ist dann der 1561 vollendete Hauptaltar c in den Servi zu Bologna. Die drei Statuen der Nischen, der Auf- erstandene mit Maria und Johannes zeigen noch eine schöne sanso- Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Montorsoli. vinische Inspiration; die (ungeschickter Weise viel grösser gebildeten) Statuen über den beiden Seitenthüren und unten an den Seiten des Altares, sowie die sämmtlichen Sculpturen der Rückseite mehr das Öde und Allgemeine der römischen Schule. — Nicht sehr viel früher a arbeitete M. die Statuen des Moses und Paulus in der Capella de’ Pittori bei der Annunziata in Florenz. (Die ebendort befindlichen sitzenden Statuen sind von Verschiedenen nach den gemalten Pro- pheten der sixtinischen Capelle in Thon modellirt; ein Zeugniss mehr für den Einfluss der letztern auf die ganze Sculptur, welche noch heute daraus Belehrung schöpfen kann.) b Das Grabmal Sannazaro’s in S. Maria del Parto zu Neapel, woran die sitzenden Statuen des Apoll und der Minerva (in David und Judith travestirt) von M.’s Hand sind (der Rest von Santacroce) bekenne ich nicht gesehen zu haben. Ein anderer Schüler Michelangelo’s, Rafaelle da Montelupo , c arbeitete nach des Meisters Modellen in der mediceischen Capelle den d heil. Damian und oben am Grabmal Julius II die Statuen des Propheten und der Sibylle (S. 670, b). Von seinen unabhängigen Werken ist die e tüchtige und einfache Grabstatue des Cardinals Rossi (in der Vorhalle von S. Felicita in Florenz) zu nennen. Guglielmo della Porta († 1577) könnte nach seiner frühern und spätern Thätigkeit auf zwei verschiedene Stellen dieser Übersicht vertheilt werden, wenn nicht auf der spätern Zeit, da er den Michel- angelo nachahmte, der beträchtlich stärkere Accent läge. Seine frü- hern Sachen, die den lombardischen Styl am Anfang des XVI. Jahrh. repräsentiren, mit einem kleinen Anklang an A. Sansovino, sind be- sonders zahlreich in Genua vorhanden. Sehr unerquicklich: die f Propheten in Relief an den Säulenbasen des Tabernakels der Jo- hannescapelle im Dom; — höchst fleissig, überladen und von gesuchter g Belebung in Draperie und Fleisch: die sieben Statuen am Altar des linken Querschiffes ebenda; nur die mittlere, ein sitzender Christus, h mit höherer Weihe; — fast roh: die Gruppe Christi und des heil. Thomas, an der Vorhalle von S. Tommaso. — Später, unter dem sehr nahen Einfluss Michelangelo’s, entstand das berühmte Grabmal Della Porta. Clementi. Pauls III im Chor von S. Peter. Die gewonnene Stylfreiheit ist a vortrefflich benützt in der sitzenden Bronzestatue des Papstes, welche Guglielmo’s volles Eigenthum ist; lebenswahr und doch heroisch er- höht. Die beiden auf dem Sarcophag lehnenden Frauen, angeordnet wie die vier Tageszeiten auf den Gräbern von S. Lorenzo, sind diesen an Bedeutung der plastischen Linien nicht zu vergleichen, allein Guglielmo übertraf den Meister wenigstens von der einen Seite, wo ihm leicht beizukommen war, von Seiten der sinnlichen Schönheit. Seine „Gerechtigkeit“ ist zwar darob etwas lüstern und absichtlich ausgefallen; die betagte „Klugheit“ hat mehr von Michelangelo. — Im grossen Saal des Pal. Farnese findet man zwei ähnliche Statuen, b welche wie erste, weniger gerathene Proben derselben Aufgabe aus- sehen, jedoch zu demselben Grabmal gehörten und erst bei dessen Versetzung an die jetzige Stelle davon weggenommen wurden. — Von Guglielmo’s Bruder Giacomo sind die Grabmäler der Cap. Aldo- c brandini in der Minerva (die 6. rechts) wenigstens entworfen; in der Ausführung erinnern sie an Guglielmo. Unter den Lombarden, welche von Michelangelo die Richtung ihres Styles empfingen, ist nächst Gugl. della Porta ein gewisser Prospero Clementi nicht unbedeutend, welcher hauptsächlich in seiner Vaterstadt Reggio um die Mitte des Jahrh. thätig war. Im Dom daselbst (Cap. rechts vom Chor) ist das Grabmal des Bischofs d Ugo Rangoni sein Hauptwerk; sowohl die sitzende Statue als die beiden Putten am Sarcophag und die zwei kleinen Reliefs (Tugenden) an der Basis verrathen den Einfluss Michelangelo’s, ja schon den des della Porta, allein es ist ein solider Rest von Naivetät übrig ge- blieben, der weder arge Manier noch falsches Pathos aufkommen lässt. Dann möchte ich dem Clementi, an dem absurd (als colossales Stundenglas) gebildeten Grabdenkmal des Ch. Sforziano, gleich links vom Eingang, die drei vorzüglich schönen Statuetten des Auferstandenen und zweier Tugenden zuschreiben. Sie verbinden die Art der rö- mischen Schule mit einer noch fast sansovinischen Milde und Mässi- gung. (Viel geringer und wohl von anderer Hand das Grab Maleguzzi, 1583, gegenüber.) — Am Palazzo Ducale zu Modena, beim Portal, die e Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Bandinelli. Statuen des Lepidus und des Hercules, letztere ungeschlacht muscu- a lös. — In der Crypta des Domes von Parma ist von Clementi ein Grab vom Jahr 1542 mit zwei sitzenden Tugenden (hinten, rechts). b — In S. Domenico zu Bologna (Durchgang zur linken Seitenthür) am Grabmal Volta die Statue des heil. Kriegers Proculus, einfach und tüchtig. c Das Grab des Meisters, vom Jahr 1588, im Dom von Reggio (1. Cap. links) ist mit seiner schönen Büste geschmückt. — Den Aus- lauf seiner Schule bezeichnen die Statuen im Querschiff und an der Fassade daselbst. Wenn man sich jedoch in Kürze überzeugen will, welche zwin- gende Gewalt Michelangelo als Bildhauer über sein Jahrhundert und das folgende ausübte, so genügt schon ein Blick auf die florentinische Sculptur nach ihm. Sie ist besonders belehrend, weil die mediceischen Grossherzoge auch die profane, mythologische und monumentale Seite der Kunst mehr pflegten, als diess sonst irgendwo in Italien geschah, ohne dass doch die kirchlichen Aufgaben desshalb aufgehört hätten. Wir haben bis hieher einen florentinischen Künstler verspart, der als Michelangelo’s unedler Nebenbuhler auftrat und doch in seinen meisten Werken ihn gerade von der bedenklichen Seite nachahmte: Baccio Bandinelli (1487—1559). Er ist ein sonderbares Gemisch aus angeborenem Talent, Reminiscenzen der ältern Schule und einer falschen Genialität, die bis ins Gewissenlose und Rohe geht. — Das d Beste, wo er ganz ausreichte, sind die Relieffiguren von Aposteln, Propheten etc. an den achtseitigen Chorschranken unter der Kuppel des Domes; hier sind einige Figuren sehr schön gedacht und stehen trefflich im Raum; alle sind einfach behandelt. — Dagegen zeigt die be- e kannte Gruppe des Hercules und Cacus auf Piazza del Granduca, was er an Michelangelo bewundern musste und wie er ihn miss- verstand. Er glaubte ihm die mächtigen Formen absehen zu können und machte ihm auch die Contraste nach, so gut er konnte; aber ohne alles Liniengefühl und ohne eine Spur dramatischen Gedankens, wozu doch der Gegenstand genugsame Mittel an die Hand gab; es Bandinelli und Schule. ist eines der gleichgültigsten Sculpturwerke auf der Welt. — Adam und a Eva im grossen Saal des Pal. Vecchio, datirt 1551, sind wenigstens einfache Akte, Adam sogar wieder mehr naturalistisch. Die Bildniss- statuen ebendaselbst haben in den Köpfen etwas von der grandiosen Fassung, welche auch den gemalten Porträts der sonst schon manie- rirten Zeit eigen ist, sind aber im Körpermotiv meist gering. (Die Gruppe der Krönung Carls V offenbar von zwei verschiedenen Künst- lern.) — Die Basis auf dem Platze vor S. Lorenzo, mit einem für jene b Zeit plastischen Relief, trägt jetzt die ihr längst bestimmte sitzende Statue des Giovanni Medici, von welcher dasselbe Urtheil gilt. — Ein Bacchus Laut Vasari aus einem missrathenen Adam zum Bacchus umgestaltet. im Pal. Pitti (Vestibul des ersten Stockes) ist im Gedanken c die geringste unter den Bacchusstatuen der damaligen Künstler. — Die beiden Gruppen des todten Christus mit Johannes (in S. Croce, Cap. d Baroncelli) und mit Nicodemus (Annunziata, rechtes Querschiff Letztere von seinem natürlichen Sohn Clemente angefangen, von ihm vollendet. von e ganz leeren Formen und von der schlechtesten Composition; der Haupt- umriss ein rechtwinkliches Dreieck auf der längern Kathete liegend. Ganz kümmerlich ist der sitzende Gottvater (im ersten Klosterhof von f S. Croce) ausgefallen; als das Beste erscheint die nach Michelangelo copirte Hand mit dem Buch. — Etwas besser der Petrus im Dom g (Eingang zum Chor, links). — Ganz mittelmässig: die Nebenfiguren an den Grabmälern Leo’s X und Clemens VII im Chor der Minerva h zu Rom; die ebenfalls unbedeutenden sitzenden Porträtstatuen sind von Raf. da Montelupo und Nanni di Baccio Bigio, einem andern kümmerlichen Rivalen Michelangelo’s, ausgeführt. Baccio’s Schüler Giovanni dall’ Opera hatte Antheil an den Reliefs im Dom und fertigte die Altarreliefs in der Cap. Gaddi in i S. Maria novella (Querschiff links, hinten), welche die darzustellende Thatsache durch tüchtig präsentirte Nebenfiguren in Vergessenheit bringen. — An dem von Vasari componirten Grabmal Michelangelo’s in k S. Croce ist die Figur der Baukunst von ihm; eine recht gute Arbeit. (Die Sculptur von Cioli, die Malerei, mit der Statuette in der Hand, von Lorenzi). Das ganze Denkmal ist, beiläufig gesagt, eines der wenigen, wo die Allegorie völlig in ihrem Rechte ist und deutlich von Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Ammanati. selber spricht, indem sie ein notorisches Verhältniss ausdrückt. Die Allegorien z. B. gerade der meisten übrigen Monumente von S. Croce sind entweder nur durch einen weiten Verstandesumweg zu erkennen oder ganz müssig. Weiter zehrt von Michelangelo der als Baumeister so bedeutende Bartol. Ammanati (1511—92, anfangs Schüler des Jacopo San- a sovino), von welchem der Brunnen auf Piazza del Granduca herrührt. Der grosse Neptun ist ein sehr unglücklicher Akt, ohne Sinn und Handlung, die Tritonen welche ihm als Tronco dienen undeutlich; das Postament würde man ohne die (für diese Last doch gar zu kleinen) Seepferde nicht für ein Räderschiff halten. Von den unten herum sitzenden Bronzefiguren sind die mit möglichster Absicht auf leichtes Schweben gestalteten Satyrn und Pane allein erträglich, übrigens zum Theil den Kranzträgern an der Decke der sixtin. Capelle nachgebildet; b hier sind ihre Attituden müssig. — (Ganz gering die Gypsstatuen im c Baptisterium). — Im linken Querschiff von S. Pietro in Montorio zu Rom sind die Grabmäler zweier Verwandten des Papstes Julius III sammt den beiden Nischenfiguren der Religion und Gerechtigkeit von Amm.; zwischen der manierirten Nachahmung des Michelangelo schim- mern doch einige schönere Züge durch. — Ebenso verhält es sich mit d dem Mausoleum der Verwandten Gregors XIII im Campo santo zu Pisa. — Einige frühere Arbeiten A.’s finden sich in Padua. So der e Gigant im Hof des Pal. Aremberg. Das Grabmal des Juristen Man- f tova Benavides in den Eremitani (links) ist im Styl der allegorischen Figuren ganz der prahlerischen Absicht würdig, mit welcher es gesetzt wurde. (Unten Wissenschaft und Ermüdung, zu beiden Seiten des Professors Ehre und Ruhm, oben drei Genien, deren mittlerer die Un- sterblichkeit bedeutet. Alles bei Lebzeiten.) Unläugbar höher steht der in Florenz vollauf beschäftigte Flamän- der Giovanni da Bologna (1524—1608). Das Gesetz des Con- trastes, das bei Michelangelo oft so quälerisch durchgeführt wird, muss sich bei ihm mit einer Formenschönheit vertragen, die allerdings keine Giovanni da Bologna. gar tiefe Wurzel hat und sich meist mit Allgemeinheiten begnügt. Daneben aber hat Giovanni einen sehr entwickelten Sinn für bedeu- tende, hochwirksame Gesammtumrisse; seine Statuen und vorzüglich seine Gruppen stehen prächtig in der freien Luft und bleiben, so kühn sie auch hinausgreifen, doch immer statisch möglich und wahr- scheinlich; er will nicht, wie Bernini bisweilen, das Unglaubliche dar- stellen. Der eigentliche, meist sehr energische Inhalt berührt uns trotz aller Bravour der Linien und des Baues innerlich weniger, schon weil die Formenbildung eine zu allgemeine ist und das Lebensgefühl sich doch nur auf das Motiv beschränkt. An dem schön gedachten Brunnen auf dem grossen Platz zu Bo- a logna (1564) soll zwar der Entwurf des Ganzen von dem Maler Tommaso Laureti und nur das Plastische von Giovanni herrühren. Allein es scheint, als hätte letzterer schon beim Entwurf sein Wort mitgeredet. Man bemerkt schon ganz seine Art, durch Einziehung nach unten, durch kühne luftige Stellung der Figuren zu wirken; das Verhältniss des Ornamentes zum Figürlichen verräth den vollendeten Decorator. Vom Einzelnen sind die Putten mit den Delphinen aus- gezeichnet gut bewegt, und der Neptun, bei ziemlich allgemeiner herculischer Bildung, doch in den Linien effectreich. Am vollkommensten befriedigt die colossale Gruppe des Oceanus b und der drei grossen Stromgötter auf dem Brunnen der Insel im Garten Boboli , eine möblirende Prachtdecoration ersten Ranges, scheinbar leicht schwebend durch das Einziehen der die Urnen um- schlingenden Beine der Flussgötter an den schlanken Pfeiler in der Mitte der Schale. — Die weltberühmte Gruppe des Raubes der Sa- c binerinnen (Loggia de’ Lanzi), deutlich und interessant für alle Gesichtspunkte, ebenfalls kühn und doch sicher auf dünner, mehrmals eingezogener Unterpartie sich emporgipfelnd; die Einzelbildung aber von störender Willkür. — Hercules und Nessus, ebenda, als Gruppe gut d gebaut und dramatisch lebendig, aber in den Formen gleichgültig. — Die nicht minder berühmte Gruppe „virtù e vizio“ im grossen Saal e des Pal. vecchio ist ein Gegenstück zu Michelangelo’s „Sieg“, und eine zugestandene Allegorie, während bei letzterm die Allegorie nicht mehr näher bekannt und jedenfalls nur ein Vorwand gewesen ist. Ein merkwürdiger Beleg dafür, wie wenig diese Gattung von Ge- Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Giovanni da Bologna. genständen eine gesunde Mythologie ersetzen kann, zumal wenn der Meister das Ziel seiner Kunst nur in äusserer That, nur in kühner Bewegung und starken Linien zu finden im Stande ist. Wie zu er- warten stand, hat die Tugend das Laster durch irgend welche Mittel gebändigt und kniet ihm nun auf dem Rücken. — Von der Colossal- a statue des Apennin in Pratolino kann der Verf. nicht aus eigener Anschauung berichten. Der „Überfluss“ (Copia), auf der höchsten Terrasse des Gartens Boboli, ist ein höchst manierirtes Werk, übri- gens von G. da Bol. nur begonnen. b Die sechs kleinern Bronzestatuen von Göttern und Göttinnen in den Uffizien (I. Zimmer d. Br.) scheinen nur um des Balancirens, um der künstlichen Wendung willen vorhanden zu sein; dagegen ist der durch die Luft springend gedachte Mercur (mit dem einen Fuss auf einem — ehernen — Windstoss ruhend) eine ganz vortreffliche Ar- beit, die an schöner, lebensvoller Bildung alles Übrige von Gio. da Bol. weit übertrifft und von allen Bronzen des XVI. Jahrh. der Antike am nächsten kömmt. c Von kirchlichen Aufgaben sind die Statuen des Altares links vom Chor des Domes zu Lucca ungefähr das Beste. — Der bronzene Lucas d an Orsanmicchele steht dagegen hinter allen Statuen dieser Kirche durch falsche Bravour und Mangel an Ernst zurück. Wie durchgängig in der zweiten Hälfte des XVI. Jahrh. die Bild- nisse das geniessbarste sind (weil frei von dem falschen Ideal und dem Pathos der historischen und symbolischen Aufgaben), so auch e hier. An der Reiterstatue Cosimo’s I auf der Piazza del Gran- duca wird man zwar das Pferd manierirt finden, aber ganz meister- haft edel und leicht ist die Haltung des Fürsten, zumal die Wendung des Kopfes; es war die Zeit des nobeln Reitens! Der Styl des Ein- zelnen ist ernst und vortrefflich. — Die ungleich geringere Reiterfigur f Ferdinands I auf Piazza dell’ Annunziata ist ein Werk aus dem Grei- senalter des Künstlers. — Was nach seinen Entwürfen von Franca- villa in dieser Art ausgeführt würde, ist rohe Decoration, so die g marmorne Statue Cosimo’s I auf Piazza de’ Cavalieri in Pisa, und die h Ferdinands I am Lungarno daselbst. Der Grossherzog hebt die ge- sunkene Pisa mit ihren beiden Putten nicht empor, sondern hindert sie nur an weiterm Sinken. Giovanni da Bologna. Fratzen. In der Behandlung des Reliefs theilte Giovanni die malerischen Vorurtheile seiner Zeit, war aber innerhalb derselben sehr ungleich. Auf derselben Piazza del Granduca ist beisammen sein bestes, die in a den Motiven für ihn vorzüglich reine, wenn auch unplastische Basis des Sabinerinnenraubes, und vielleicht sein allerschlechtestes, die Basis des Cosimo I. — Als Bilder beurtheilt werden die Reliefs an der Haupt- b thür des Domes von Pisa und diejenigen in der hintersten Capelle c der Annunziata zu Florenz (der Gruftcapelle des Meisters) zum Theil geistvoll und trefflich erzählt erscheinen, wenn auch in manierirten Formen; als Reliefs sind sie styllos, so gemässigt sie neben spätern Arbeiten sein mögen. Das schon im XV. Jahrh. vorkommende Aus- wärtsbeugen des Oberkörpers der Figuren, der Untensicht und der Überfüllung zu Liebe, ist in der Annunziata besonders auffallend. Bei den Pisanerthüren war das Vorbild Ghiberti’s (auch in decorativer Beziehung) noch zu übermächtig. Giovanni ist besonders interessant in einzelnen decorativen Sculptur- sachen. Seit dem Absterben der echten Renaissanceverzierung war ein Ersatz des Vegetabilischen und Architektonischen durch Masken, Fratzen, Monstra etc. eingetreten, und diese hat Keiner so treff- lich gebildet als er. Die wasserspeienden Ungeheuer an dem Bassin d um die Insel des Gartens Boboli, der kleine bronzene Teufel als Fackel- e halter an einer Ecke zwischen Pal. Strozzi und dem Mercato vecchio geben genugsames Zeugniss von seinem schwungvollen Humor in die- sen zum Theil geflissentlich manierirten Formen. Sein Schüler Pietro Tacca , von welchem sonst auch die tüchtige bronzene Reiterstatue f Ferdinands I am Hafen von Livorno herrührt, schuf in jenem Fratzen- styl die ebenfalls trefflichen bronzenen Brunnenfiguren auf Piazza dell’ g Annunziata zu Florenz. In diesem Geist sind auch die beiden sog. Harpyjen am Portal von Pal. Fenzi (Via S. Gallo, 5966) von Cur- h radi gearbeitet. Die römische Schule, Bernini nicht ausgenommen, offenbart keine scherzhafte Seite dieser Art. Als sehr glückliche de- corative Gesammtcomposition mag bei diesem Anlass auch die Fontaine zunächst über dem Hof des Pal. Pitti, von Susini , genannt werden. i (Von welchem auch das eherne Crucifix im Chor von SS. Micchele e k Gaetano herrührt; ein blosser Akt.) — Tüchtige Wappeneinfassungen dieser Zeit sind wohl in Florenz häufiger als anderswo. Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Landini. Francavilla. Von Taddeo Landini , einem florentinischen Zeitgenossen des a Giov. da Bologna, rührt unter den Statuen der vier Jahreszeiten am Ponte della Trinità „der Winter“ her; eine tüchtige Arbeit, aber recht bezeichnend für die müssige Gliederschaustellung jener Schule; wenn den Alten so friert, warum nimmt er seinen Mantel nicht besser um? b — Allein derselbe Künstler schuf auch die Fontana delle Tar- tarughe in Rom (1585), welche ohne Frage das liebenswürdigste plastische Werk dieser ganzen Richtung ist. Nirgends wohl ist das Architektonische so glücklich in leichten lebenden Figuren ausge- drückt, als hier in den vier sitzenden Jünglingen, welche die Schild- kröten an den Rand der obern Schale (wie um sie zu tränken) em- porheben, und dabei eine ganz durchsichtige Gruppe bilden. Was man von einer zu Grunde liegenden Zeichnung Rafaels sagt, ist nicht erwiesen, eher könnte von einer Angabe des Baumeisters Giacomo della Porta die Rede sein, wenn nicht gerade die florentinische, von Giovanni da Bol. ausgehende Inspiration sich so deutlich kundgäbe. c Als bescheidene Parallele vergl. man die Lampe im Dom von Pisa mit den vier stützenden Genien, welche echt florentinisch gedacht ist. Ein anderer Nachfolger und Landsmann des Bologna, Pietro Francavilla aus Cambray, fertigte u. a. die Statuen in der Cap. d Niccolini in S. Croce (am Ende des linken Querschiffs), manierirt und doch nicht ohne einen gewissen oberflächlichen Reiz. Mittelgut die e sechs Statuen im Dom von Genua, Cap. rechts vom Chor. Was er nach den Angaben des Meisters ausführte (Statuen in der erwähnten f Grabcap. der Annunziata etc.) ist meist schlechte Arbeit und selbst durch die Motive des Meisters nur selten interessant; eine Ausnahme g zum Bessern machen einige der sechs Statuen in der Cap. S. Antonino zu S. Marco. (Die Reliefs und die bronzenen Engel, alles höchst manierirt, von Partigiani.) Vgl. S. 684, g und h. Weiter gehört hieher Gio. Batt. Caccini , der seit 1600 die h Balustrade und den Tabernakel unter der Kuppel von S. Spirito er- baute und eigenhändig mit den Statuen der Engel und der vier Hei- ligen versah; letztere, beträchtlich besser, repräsentiren das kecke Linienprincip des Gio. Bologna in nicht unedler Weise. Anderes im i Chor der Annunziata u. a. a. O. Von ihm ist auch die schöne Chri- k stusbüste an der Ecke des jetzigen Hôtel d’York (1588). Er war da- Spätere Florentiner. mals 28 Jahre alt und erhielt dafür 100 Ducati, wie ein Chronist bemerkt. Die Reliefs der Schule entsprechen insgemein dem Schlechtesten des Giovanni; sie wären schon als Bilder gering und sind mit ihrer zerstreuten Composition und ihren manierirten Formen als plastische Arbeiten kaum anzusehen. ( Tacca’s Relief am Altar von S. Stefano a e Cecilia; Nigetti’s Silberreliefs am Altar der Madonnencapelle in b der Annunziata, u. dgl. m.) Man kann nichts Stylloseres finden, als die Nischenreliefs an den beiden Enden des Querschiffes im Dom von c Pisa; die Freigruppen drüber sind wieder beträchtlich besser, Werke eines gewissen Francesco Mosca (ebenfalls eines Florentiners um 1600), von dessen oben (S. 244, h) genanntem Vater Simone sich Mehreres, u. a. eine Anbetung der Könige, in der Madonnencapelle d des Domes von Orvieto befindet. — Von dem etwas ältern Vincenzo del Rossi aus Fiesole sind die schwülstigen Sculpturen der ganzen e zweiten Capelle rechts in S. Maria della Pace zu Rom; Simone Mosca arbeitete hier die Ornamente. Die wahre Sinnesweise der Schule zeigt sich weniger in den kirchlichen als in den profanen Werken, an welchen Florenz für diese Zeit ungleich reicher ist als irgend eine andere Stadt. Selbst das höchst Colossale, für welches man hier von jeher Geschmack ge- habt, ist nicht bloss durch den „Apennin“, sondern auch durch den (lächerlichen) Polyphem im Garten des Pal. Stiozzi-Ridolfi vertreten. f Sonst sind es fast lauter Gruppen des Kampfes, zu welchen der an- tike „Hercules mit Antäus“ (S. 501, b) die stärkste Anregung mag ge- geben haben. Der genannte Vincenzo del Rossi versah den gros- sen Saal des Pal. Vecchio mit einer ganzen Reihe von Herculeskämpfen, g welche hier nebeneinander trotz aller Bravour und Leidenschaft den Eindruck der vollkommensten Langenweile hervorbringen. Desselben Rossi Liebesgruppe „Paris und Helena“, im Hintergrund jener Grotte h des Gartens Boboli, wo sich die vier Atlanten Michelangelo’s befin- den, ist als Arbeit nicht verächtlich, aber im Motiv gemein Von Rossi ist auch der Matthäus im Dom (rechts unter dem Eingang zum * Kuppelraum), die manierirteste aller dort befindlichen Apostelstatuen. Der Thomas (Eingang zum linken Querschiff, links) ist kaum besser. . Wie Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Spätere Römer. a weit man in der Allegorie ging, beweisen die Statuen des Novelli, Pieratti u. A. in der Grotte hinten am grossen Hofe des Pal. Pitti, „die Gesetzgebung, der Eifer, die Herrschaft, die Milde“; Moses: dessen Eigenschaften diess sein sollen, steht (von Porphyr gemeisselt) in der Mitte. — Wie weit man aber vom wirklichen Alterthum trotz aller classischen Gegenstände entfernt war, zeigen die beiden lächer- b lichen Statuen des Jupiter und Janus von Francavilla , welche in der untern Halle des Pal. Brignole zu Genua stehen. (Derjenige Pal. dieses Namens, welcher dem rothen gegenüber an der Str. nuova steht.) Nach den grossen Köpfen, kümmerlichen Leibern, forcirten Gewändern und prahlerisch michelangelesken Händen zu urtheilen glaubt man einen echten Bandinelli vor sich zu haben. Neben diesen etwas hohlen und müssigen Schaustellungen, die immerhin ihre Stelle in Nischen oder im Freien wirksam ausfüllen, meldet sich — ausser jenen decorativen Fratzen — bald auch eine eigentliche Genresculptur, von halb pastoralem, halb possenhaftem c Charakter; Figuren von Jaques Callot als Statuen ausgeführt u. dgl. (Garten Boboli etc.) Die künstlerische Nichtigkeit dieser Productionen verbietet uns jede nähere Betrachtung. Sie haben übrigens eine Nach- folge gefunden, welche noch jetzt nicht erloschen ist und in Mailand ganze Ateliers beschäftigt. (Chargen, auch in moderner Tracht, auf Gartenmauern etc.) In Rom macht sich in den ersten Jahrzehnden nach Michelan- gelo’s Tode nicht eine schwülstige Ausbeutung seiner Ideen, sondern eher eine tiefe Ermattung geltend. Ausser den paar Florentinern sind es vereinzelte, wenig namhafte Meister, welche die Altargruppen und die Grabstatuen dieser Zeit fertigten. So Giov. Batt. della Porta , d von welchem in S. Pudentiana (hinten links) die Gruppe der Schlüs- selverleihung gearbeitet ist; — Giov. Batt. Cotignola , von wel- e chem sich derselbe Gegenstand sehr ähnlich behandelt findet in S. Ago- stino (4. Cap. rechts); — die beiden Casignola , von welchen die f thronende Statue Pauls IV über dessen Sarcophag in der Minerva (Cap. Caraffa) gearbeitet ist, mit tüchtig individuellem Kopfe, sonst gesucht und ungeschickt. Die Papstgräber sind überhaupt um diese Zeit ein interessanter Gradmesser für die kirchliche Intention sowohl Spätere Römer und Genuesen. als für das künstlerische Können. Mit dem Grabe Pauls III hört die grosse Freicomposition von einer Porträtstatue und zweien oder meh- rern allegorischen Figuren für längere Zeit auf; die thatenreichen Päpste der Gegenreformation müssen wieder in einer Detailerzählung gefeiert werden, welche wie zur Zeit der Renaissance (S. 615, d etc.) nur durch eine Zusammenstellung vieler Reliefs zu erreichen ist; grosse Architekturen geben den Rahmen dazu her; eine mittlere Nische ent- hält das sitzende oder knieende Standbild des Papstes. Dieser Art sind die riesigen Denkmäler Pius V und Sixtus V, Clemens VIII und a Pauls V in den beiden Prachtcapellen von S. M. maggiore; die Ten- b denz, welche hier wieder über die Kunst die Oberhand hat, brachte es bis zur saubern, sorgfältigen Darstellung des Vielen; in künstleri- scher Beziehung sind diese kostbaren Werke so nichtig, dass wir die Urheber gar nicht zu nennen brauchen. (Einiges Gute am Grabmal Pius V.) Ein vorzugsweise erzählendes Grabmal von etwas besserer Art ist dasjenige Gregors XI, 1574 von Olivieri verfertigt, in c S. Francesca romana, dagegen zeigt dasjenige eines Herzogs von Cleve im Chor der Anima, von dem Niederländer Egidio di Ri- d viere , wiederum nichts als eine gewisse Meisselgeschicklichkeit. — Mit dem Denkmal Urbans VIII von Bernini kehrt dann jene Frei- composition wieder, aber in einem andern Sinne umgestaltet. Die parallel stehende genuesische Sculptur der Zeit von etwa 1560—1630 hängt wie oben (S. 606, c) bemerkt, noch theilweise von den Vorbildern des Civitali, auch von ältern Lombarden ab, doch unter starker indirekter Einwirkung Michelangelo’s. (Zwei Künst- lerfamilien, des Namens Carlone ; ihre Sachen in S. Ambrogio, e S. Annunziata, S. Siro, S. Pietro in Banchi und überall; zugleich die f Thätigkeit Francavillas, S. 688, b). Ob irgend etwas selbständig Bedeu- tendes vorkömmt, weiss ich nicht zu entscheiden, bezweifle es aber. Luca Cambiaso , der sich auch einmal in der Sculptur versuchte, hat in seiner Fides (Dom, Cap. links vom Chor) das gerade nicht g erreicht, was seine Bilder so anziehend macht, deren beste zur Ver- gleichung daneben stehen. B. Cicerone. 44 Barocksculptur. Bis gegen das Jahr 1630 hin hatte die Sculptur die Lebenskräfte desjenigen Styles, der mit Andrea Sansovino begonnen, vollständig aufgezehrt. Sie hatte versucht, in wahrhaft plastischem Sinne zu bil- den; aus den todten Manieren der römischen Malerschule hatten sich einzelne Bessere von Zeit zu Zeit immer zu einem reinern und wah- reren Darstellungsprincip hindurchgekämpft; die eigentliche Grundlage der Plastik, die abgeschlossene Darstellung der menschlichen Gestalt nach bestimmten Gesetzen des Gleichgewichtes und der Gegensätze, schien gesichert. Zu einem reinen und überzeugenden Eindruck aber hatte diese Kunst es im letzten halben Jahrhundert (etwa 1580 bis 1630) doch nicht mehr gebracht. Theils ist des Trübenden zu viel darin (die genannten römischen Manieren, die alten und neuen naturalistischen Einwirkungen, die verlockenden Kühnheiten des Mi- chelangelo, die Principlosigkeit der Gewandung), theils fehlt es an durchgreifenden Künstlerindividualitäten, an wirklichen frischen Kräften, indem sich damals die Besten alle der Malerei zuwandten. Wesshalb thaten sie diess? Weil der Kunstgeist der Zeit sich überhaupt nur in der Malerei mit ganzer Fülle ausprechen konnte. Einige Decennien hindurch hat nun die Malerei einen neuen, die Sculptur noch den alten Styl. Endlich entschliesst sie sich, der Malerei (deren Vorgängerin sie sonst ist) nachzufolgen, deren Auffassungsweise ganz zu der ihrigen zu machen. Das Relief ist schon seit dem XV. Jahrh. ein Anhängsel der Malerei; die Freisculptur war durch die grössten Anstrengungen der Meister der goldenen Zeit vor diesem Schicksal einstweilen bewahrt worden; jetzt unterlag auch sie. — Welches der Geist dieser Malerei war, der fortan auch in den Sculpturen lebt, wird unten im Zusammenhang zu schildern sein. In der Malerei können wir ihm seine Grösse und Berechtigung zugestehen; in der Sculptur gehen die wichtigsten Grundgesetze der Gattung darob verloren und es entsteht kein grösseres, namentlich kein ideales Werk mehr, das nicht einen schweren Widersinn enthielte. Nicht ohne Schmerz sehen wir ganz ungeheure Mittel und einzelne sehr grosse Talente auf die Sculptur verwendet, welche die folgenden anderthalb Jahrhunderte hindurch (1630—1780) über Italien und von da aus über die ganze Welt herrschte. Ihr Sieg war schnell und unwiderstehlich, wie überall, wo in der Kunstgeschichte etwas Entschiedenes das Unentschiedene beseitigt. Die Meister derselben. Übergehen dürften wir sie aber hier doch nicht. Ihre subjectiven Kräfte waren — im Gegensatz zur vorhergehenden Periode — unge- mein gross, ihre Thätigkeit von der Art, dass sie mehr Denkmäler in Italien hinterlassen hat als die Gesammtsumme alles Frühern, das Alterthum mitgerechnet, ausmacht. Sie hat ferner einen sehr bestimm- ten decorativen Werth im Verhältniss zur Baukunst und zur Anord- nung grosser Ensembles, und endlich giebt sie gewisse Sachen so ganz vortrefflich, dass man ihr auch für den Rest einige Nachsicht gönnt. (Vgl. den Abschnitt über die Barockarchitektur; S. 366 u. ff.) Der Mann des Schicksals war bekanntlich Lorenzo Bernini von Neapel (1598—1680), der als Baumeister und Bildhauer, als Günst- ling Urbans VIII. und vieler folgenden Päpste einer fürstlichen Stel- lung genoss und in seinen spätern Jahren ohne Frage als der grösste Künstler seiner Zeit galt. Er überschattet denn auch alle Folgenden dergestalt, dass es überflüssig ist, ihren Stylnuancen näher nachzu- gehen; wo sie bedeutend sind, da sind sie es innerhalb seines Styles. — Nur ein paar Zeitgenossen, die noch Anklänge der frühern Schule auf bedeutsame Weise mit der berninischen Richtung vereinigen, sind hier vorläufig zu nennen: Alessandro Algardi (1598—1654) und der Niederländer Franz Duquesnoy (1594—1644). Ferner ist schon hier auf das starke französische Contingent in diesem Heerlager auf- merksam zu machen, auf die Legros, Monnot, Teudon, Houtton u. s. w., vor Allem auf Pierre Puget (1622—1694), von dem man wohl sagen könnte, er sei berninischer als Bernini selbst gewesen. Wie Ludwig XIV in Person, ebenso waren auch die französischen Künst- ler für den „erlauchten“ Meister eingenommen; auffallend ist trotz- dem, dass sie in Italien selbst so stark beschäftigt wurden und um 1700 in Rom beinahe das Übergewicht hatten. Wir wollen nun ver- suchen, die Grundzüge der ganzen Darstellungsweise festzustellen. Bei diesem Anlass können die besonders wichtigen oder belehrenden Werke mit Namen angeführt werden. Die zwingende Gewalt, welche die Sculptur mit sich fortriss, war der seit etwa 1580 siegreich durchgedrungene Styl der Malerei, wel- 44* Barocksculptur. Porträtbildungen. cher auf den Manierismus der Zeit von 1530 an gefolgt war. Der- selbe zeigt zwei Haupteigenschaften, welche sich durchdringen und gegenseitig bedingen: 1) den Naturalismus der Formen und der Auffassung des Geschehenden , edler in der bolognesischen, gemeiner in der neapolitanischen Schule ausgeprägt; 2) die Anwen- dung des Affectes um jeden Preis. Die Maler verfahren naturali- stisch, um eindringlich zu sein und am Affect erfreut sie wiederum nur die möglichst wirkliche Ausdrucksweise. Dieses Wirkliche, weil es zugleich so wirksam war, eignete sich jetzt auch die Sculptur an. Ihr Verhältniss zur Antike war fortan kein innigeres als z. B. dasjenige, welches wir bei Guido und Guercin finden, die Entlehnung einzelner weniger Formen. Bernini persönlich empfand den Werth der Antiken recht gut und erkannte z. B. in dem verstümmelten Pas- quino die goldene Zeit der griechischen Kunst, allein als Künstler drängte er nach einer ganz andern Seite hin. Es versteht sich nun von selbst, dass er und seine Schule diejenigen Aufgaben am besten löste, bei welchen der Naturalismus im (wenn auch nicht unbedingten) Rechte ist. Hieher gehört das Porträt . Schon in den vorhergehenden Perioden eines echten und halb- falschen Idealismus war die Büste durchgängig gut, ja bald die beste Leistung dieser Kunst gewesen, und diess Verhältniss dauerte nun in glänzender Weise fort. Die Gräber von Rom, Neapel, Florenz, Ve- nedig enthalten viele Hunderte von ganz vortrefflichen Büsten dieser Art, welche den Porträts von Van Dyck bis Rigaud als würdige Pa- rallele zur Seite stehen. Sie geben die Charaktere nicht idealisirt, aber in freier, grossartiger Weise wieder, wie es nur eine mit den grös- sten idealen Aufgaben vertraute Sculptur kann. Wir dürfen um die- ses Reichthums willen den Kunstfreund seiner eigenen Entdeckungs- a gabe überlassen. Im Santo zu Padua, in S. Domenico zu Neapel, im b Lateran und in der Minerva zu Rom wird er sein Genüge finden. In c der Halle hinter S. M. di Monserrato suche man die Grabbüste eines spanischen Juristen Petrus Montoya († 1630), eine edle leidende Phy- siognomie von trefflichster Behandlung. Ausserdem genügt der Naturalismus noch am ehesten in der Dar- stellung des Kindes (zumal des italienischen), in dessen Wesen alle mögliche Schönheit nur unbewusst als Natur vorhanden ist, und dessen Kinder. Idealköpfe. Charakterköpfe. Affecte so einfach sind, dass man sie nicht wohl durch Pathos ver- derben kann (was einzelne Künstler dennoch versucht haben). Al- gardi und Duquesnoy genossen zu ihrer Zeit einen gerechten Ruhm für ihre oft ganz naiven und schönen Kinderfiguren. (Von letzterm ein paar Köpfe an den Grabmälern der zwei hintersten Pfei- a ler in S. Maria dell’ Anima zu Rom.) Von ihren Nachfolgern lässt sich nicht mehr so viel Gutes sagen; die Putten wurden in so be- sinnungsloser Masse decorativ verbraucht, dass die Kunst es damit allmählig leicht nahm. Und doch wird man selbst unter den von Stucco zu Tausenden improvisirten Figuren dieser Art sehr viele wahre und schöne Motive finden, die nur unter der manierirten und sorglo- sen Einzelbildung zu Grunde gehen. Selbst einzelne Idealköpfe der Schule haben einen Werth, der sie doch immer mit guten bolognesischen Gemälden in eine Reihe stellt. Das XVII. Jahrhundert hatte wohl im Ganzen einen andern Begriff von Schönheit als wir und legte namentlich den Accent des Leibreizes auf eine andere Stelle, wovon Mehreres bei Anlass der Malerei; allein desshalb werden wir doch z. B. gewissen Köpfen Algardi ’s (z. B. im rechten Querschiff von S. Carlo zu Genua), oder der Statue der b Mathildis von Bernini (in S. Peter) eine dauernde Schönheit nicht c ganz abstreiten dürfen. Hie und da ist die Einwirkung der (damals noch in Rom befindlichen und vielstudirten) Niobetöchter nicht zu ver- kennen. Anderes ist mehr national-italienisch. Selbst ohne höhern geistigen Adel nehmen sich doch manche Madonnenköpfe, frei behandelt und zwanglos gestellt wie sie sind, recht gut aus. So z. B. mehrere Assunten des Filippo Parodi auf genuesischen Hochaltären. Im Ganzen ist freilich die ideale Form etwas geistesleer. Die sog. Charakterköpfe folgen ganz der Art der damaligen Maler, und zwar nicht der bessern. Bernini selber steht dem Pietro da Cortona viel näher als etwa dem Guercino; seine männlichen Indi- viduen sind von jenem gemein-heroischen Ausdruck, der in der Ma- lerei erst seit der Epoche der gänzlichen Verflachung (1650) herr- schend wurde. An seinem Constantin (unten an der Scala regia im d Vatican) hat man den mittlern Durchschnitt dessen, was er für einen würdigen Typus des Mannes und des Pferdes hielt; sein Pluto (Villa e Ludovisi) ist in der Kopfbildung ein Excess der cortonistischen Richtung. Barocksculptur. Behandlung des Nackten. Auch seine Behandlung der menschlichen Gestalt im all- gemeinen ist mit Recht verrufen, schon abgesehen von der Stellung. Jugendlichen und idealen Körpern gab er ein weiches Fett, das allen wahren Bau unsichtbar macht und durch glänzende Politur vollends a widerlich wird. Die Art, wie Pluto’s Finger in das Fleisch der Pro- serpina hineintauchen (Villa Ludovisi), ist auf jede andere Wirkung berechnet als auf die künstlerische. Seine Jugendarbeit, Apoll und b Daphne (Villa Borghese, oberer Saal) ist bei aller Charakterlosigkeit doch leidlicher, weil sie noch nicht üppig ist. Spätere haben, dem Geschmack ihrer Besteller zu Liebe, nach dieser Richtung hin auf jede Weise raffinirt. Den heroischen und Charakterfiguren gab Bernini eine prahleri- sche Musculatur , die sich mit derjenigen Michelangelo’s zu wett- eifern anschickt, gleichwohl aber nicht den Ausdruck wahrer elasti- scher Kraft hervorbringt, sondern aufgedunsenen Bälgen gleichsieht. Diess kömmt zum Theil wieder von der unglücklichen Politur her (Pluto, V. Lud.). Bei den nicht von ihm selbst ausgeführten Statuen c der grossen Stromgötter (Hauptbrunnen auf Piazza navona) hängt der so viel günstigere Eindruck offenbar mit der anspruchlosern Behand- lung der Oberflächen des Nackten zusammen. Und wo die Aufgabe d ihm wahrhaft gemäss war, wie z. B. der Triton der Piazza Bar- berini, bei welchem jene üble Prätension auf Eleganz ohnediess weg- fiel, da genügt Bernini völlig. Er hat vielleicht überhaupt nichts Bes- seres geschaffen als diese halbburleske Decorationsfigur, welche mit Schale und Untersatz ein so prächtig belebtes Ganzes bildet. Wie so oft in der neuern italienischen Kunst wirken gerade diejenigen Mittel im rein naturalistischen und komischen Gebiet vortrefflich, welche im idealen Alles verderben. Andere Bildhauer waren auch in der Musculatur wahrer und na- turalistischer, in der Epidermis mürber, aber desshalb nicht viel erquick- licher. Eine grosse Schaustellung anatomischen Könnens ist z. B. e Puget ’s S. Sebastian in der S. Maria di Carignano zu Genua; der Heilige muss sich vor Qual krümmen, damit der Künstler das Uner- hörte von Formen an ihm entwickeln könne. Freilich weit die mei- sten Berninesken waren zu sehr blosse Decoratoren, um sich auf eine so ernstliche Virtuosität einzulassen. Gewandung. Amtstrachten. Die Gewandung ist vollends eine wahrhaft traurige Seite dieses Styles. Es bleibt ein Räthsel, dass Bernini zu Rom, in der täglichen Gegenwart der schönsten Gewandstatuen des Alterthums sich so ver- irrte. Allerdings konnten ihm Togafiguren und Musen nicht unbe- dingt zum Vorbild dienen, weil er lauter bewegte , affectvolle Motive bearbeitete, die im Alterthum fast nur durch nackte Figuren reprä- sentirt sind; allein auch seine Aufgaben zugegeben, hätte er die Ge- wandung anders stylisiren müssen. Er componirt diese nämlich ganz nach malerischen Massen, und giebt ihren hohen, plastischen Werth als Verdeutlichung des Körpermotives völlig Preis. In Porträtstatuen, wo der Affect wegfiel und die Amtstracht eine bestimmte Charakteristik der Stoffe verlangte, hat dieser Styl Treffliches aufzuweisen. Seit Bernini’s Papststatuen (Denkmäler Ur- a bans VIII und Alexanders VII in S. Peter) legte sich die Sculptur b mit einem wahren Stolz darauf, den schwerbrüchigen Purpur des ge- stickten Palliums, die feinfaltige Alba, die Glanzstoffe der Ermel, der Tunica etc. in ihren Contrasten darzustellen. Von den Statuen Papst Urbans ist diejenige am Grabe (im Chor von S. Peter) durch beson- ders niedliche Einzelpartien dieser Art, durchbrochene Manschetten und Säume etc., diejenige im grossen Saal des Conservatorenpalastes da- c gegen durch kecke Effectberechnung auf die Ferne merkwürdig. Auch die Cardinalstracht wurde bisweilen gut und würdig behandelt (La- d teran, Cap. Corsini). Fürsten, Krieger und Staatsmänner sind wenig- stens im Durchschnitt besser als Engel und Heilige, wo sie nicht durch antike (und dann schlecht ideale) Tracht und heftige Bewegungen in Nachtheil gerathen wie z. B. die meisten Reiterstatuen. Von den letz- tern, soweit sie dem berninischen Styl angehören, reicht keine an den grossen Kurfürsten auf der langen Brücke in Berlin. (Von Schlüter.) Francesco Mocchi († 1646), der etwa die Grenzscheide zwischen dem e bisherigen und dem berninischen Styl bezeichnet, hat in Ross und Reiter die äusserste Affectation hineinzulegen gewusst. (Bronzedenk- mäler des Alessandro und des Ranuccio Farnese anf dem grossen Platz in Piacenza.) — An Grabmälern in den Kirchen findet man zahl- reiche Halbfiguren, in welchen das lange Haar, der Kragen, die Amts- tracht bisweilen mit dem ausdrucksvollen Kopf ein schönes Ganzes ausmachen. Barocksculptur. Idealtracht. Künsteleien. Die ideale Tracht aber verschlingt den Körper in ihren wei- ten fliegenden Massen und flatternden Enden, von welchen das Auge recht gut weiss, dass sie factisch centnerschwer sind. Die Politur, womit Bernini und viele seiner Nachfolger das ideale Gewand, zumal himmlischer Personen, glaubten auszeichnen zu müssen, verderbt das- selbe vollends. Es gewinnt ein Ansehen, als wäre es — man erlaube die Vergleichung — mit dem Löffel in Mandelgallert gegraben. Thon- figuren sind desshalb oft leidlicher als marmorne. Bisweilen wurde aber auch auf ganz besondere Art mit der Ge- wandung gekünstelt. Eine der unvermeidlichen Sehenswürdigkeiten Neapels sind die drei von allen Neapolitanern (und auch von vielen a Fremden) auf das höchste bewunderten Statuen in der Capelle der Sangri , Duchi di S. Severo; sämmtlich um die Mitte des vorigen Jahrh. gearbeitet. Von San Martino ist der ganz verhüllte todte Christus, eine Gestalt, welche zwar kein höheres Interesse hat, als das Durchscheinen möglichst vieler Körperformen durch ein feines Lin- nen, doch wird der Beschauer weiter nicht gestört. Von Corradini ist die ganz verhüllte sog. Pudicitia, mit welcher es schon viel miss- licher aussieht; ein Weib von ziemlich gemeinen Formen, die sich vermöge der künstlichen Durchsichtigkeit der Hülle weit widriger auf- drängen, als wenn die Person wirklich nackt gebildet wäre * Von demselben Corradini steht eine verhüllte „Wahrheit“ in der Galerie Man- frin zu Venedig. . Von dem Genuesen Queirolo aber ist die Gruppe „il disinganno, die Ent- täuschung“; ein Mann (Porträt des Raimondo di Sangro) macht sich aus einem grossmächtigen Stricknetze frei mit Hülfe eines höchst ab- geschmackt herbeischwebenden Genius. Welche Marter an diesen Arbeiten auch die meisselgewandteste Virtuosenhand ausstehen musste, weiss nur ein Bildhauer ganz zu würdigen. Und bei all der Illusion ist der geistige Gehalt null, die Formengebung gering und selbst elend. Die Capelle ist noch mit andern Arbeiten dieser Zeit angefüllt. Wer von da unmittelbar zur Incoronata geht, kann mit doppeltem Erstaunen sich überzeugen, mit wie Wenigem das Höchste sich zur Erscheinung bringen lässt. Der Affect. Übrigens sind dieses seltene Ausnahmen. Der Barockstyl liebt viel zu sehr das Massenhafte und in seinem Sinn glänzende Improvi- siren, um sich häufig eine solche Mühe zu machen. Welches war nun der Affect , dem zu Liebe Bernini die ewi- gen Gesetze der Drapirung so bereitwillig preisgab? Bei Anlass der Malerei wird davon umständlicher gehandelt werden; denn bei dieser ging ja die Sculptur jezt in die Schule. Genug, dass nunmehr ein falsches dramatisches Leben in die Sculptur fährt, dass sie mit der Darstellung des blossen Seins nicht mehr zufrieden ist und um jeden Preis ein Thun darstellen will; nur so glaubt sie etwas zu bedeu- ten. Die heftige Bewegung wird, je weniger tiefere, innere Nothwen- digkeit sie hat, desto absichtlicher in dem Gewande explicirt. Ging man aber so weit, so war auch die plastische Composition überhaupt nicht mehr zu retten. Die so schwer errungene Einsicht in die for- malen Bedingungen, unter welchen allein die Statue schön sein kann, das Bewusstsein des architektonischen Gesetzes, welches diese stoff- gebundene Gattung allein beschützt und beseelt — diess ging für an- derthalb Jahrhunderte verloren. Schon für alle Einzelstatuen (geschweige denn für Gruppen) wird nun irgend ein Moment angenommen, der ihre Bewegung begründen soll. Bisweilen gab es freie Themata, welche aus keinem andern Grunde gewählt wurden. So Bernini’s schleudernder David (Villa a Borghese), welcher die grösste äussere Spannung einer gemeinen ju- gendlichen Natur ausdrückt. Aber welcher Moment sollte in die zahl- losen Kirchenstatuen, in all die Engel und Heiligen gelegt werden, die auf Balustraden, in Fassadennischen, in Nebennischen der Altäre u. a. a. O. zu stehen kamen? Die Aufgabe war keine geringe! Ber- nini hatte z. B. mittelbar oder unmittelbar für die 162 Heiligen zu b sorgen, welche auf den Colonnaden vor S. Peter stehen, und ähnliche, wenn auch minder ausgedehnte Reihenfolgen kamen bei der Aus- zierung von Gebäuden nicht selten in Arbeit. Die Sculptur ging nun auch hier der Malerei getreulich nach und nahm ihr den ekstatisch gesteigerten , durch Geberden versinn- lichten Gefühlsausdruck ab. Derselbe ist an sich gar wohl dar- Barocksculptur. Ekstasen. stellbar und könnte mit grosser Schönheit und Reinheit gegeben wer- den. Allein wenn er zur Regel wird und bald den einzigen Inhalt und Gehalt auszumachen droht, so ist er der Sculptur gefährlicher als der Malerei, welche letztere durch Farbe und Umgebung viel mehr Abwechselung und neue Motivirung hineinbringen und das Auge be- ständig von Neuem täuschen kann. Mit einer Art von resoluter Verzweiflung geht die Sculptur an ihr Tagewerk. Sie sucht mit aller Anstrengung nach Nebengedanken; sie giebt dem Heiligen einen Putto bei, mit welchem er Conversation machen kann; sie lässt den Apostel heftig in seinem vorgestützten a Buche blättern (lehrreiche Apostelreihe von Monnot, Le Gros u. A. in b den Pfeilernischen des Laterans); Mocchi’s S. Veronica (in S. Peter) c läuft eilig mit ihrem Schweisstuch; Bernini’s Engel auf Ponte S. An- gelo cokettiren ganz zärtlich mit den Marterinstrumenten (der mit der Kreuzinschrift von B. eigenhändig ausgeführt); u. dgl. m. — Im Allge- meinen aber sind und bleiben es einige wenige Motive, welche sich besonders häufig nur versteckt wiederholen. Da macht sich z. B. ein d inspirirtes Auffahren, wie aus einem Traum, bemerklich (Bernini’s e Statuen in S. M. del popolo, Cap. Chigi; in der Capella del voto des Domes von Siena etc.); ein eifriges Betheuern und Schwören (Bernini’s f Longin in S. Peter, auch mehrere der Ordensstifter in den Nischen g der Hauptpfeiler daselbst; unter diesen ist der S. Ignatius Loyola, von Giuseppe Rusconi , durch tiefern Ausdruck und gediegenere Aus- h führung ausgezeichnet; ganz unverzeihlich schlecht der Beato Alessan- dro Sauli von Puget, in S. M. di Carignano zu Genua, u. a. m.) Es ist noch ein Glück für den Künstler, wenn er seinen Heiligen als be- geisterten Prediger darstellen kann. (S. Peter.) Sonst findet sich namentlich ein schwärmerisches Hinsinken oder Hinknieen, theils mit i gesenktem Haupt (Legros, S. Aloys Gonzaga, im rechten Querschiff von S. Ignazio zu Rom), theils mit einem solchen Blick nach oben, dass man wenig mehr als Kinnbacken und Nasenspitze bemerkt. (Eine k Hauptstatue dieser Gattung, der silberne S. Ignatius von Legros, im linken Querschiff al Gesù, ist nur noch durch eine kupferversilberte l Nachbildung vertreten.) Der S. Andreas des Duquesnoy, in S. Peter, welcher es beim blossen sehnsüchtigen Blick und Handgestus bewen- Martyrien. Attribute. den lässt, ist ohnediess auch durch Mässigung der Form ein besseres Werk. Höchst widrig ist denn die Vermischung dieses ekstatischen Aus- druckes mit einem je nach Umständen grässlichen körperlichen Leiden . Die grosse Lieblingsaufgabe, S. Sebastian, welcher nackt und dennoch ein Heiliger ist, wurde jetzt von Puget (Kirche Carig- a nano zu Genua, s. oben) in einer Weise gelöst, welche des rücksichts- losen Naturalismus jener Zeit ganz würdig war. Hatten bisher Maler und Bildhauer das körperliche Leiden des Heiligen entweder wegge- lassen (indem sie den bloss Gebundenen, noch nicht Durchschossenen abbildeten), oder doch würdig dargestellt, so windet sich hier S. Se- bastian wie ein Wurm vor Schmerzen. Das Stärkste aber bietet (ebenda) ein anderer Franzose, Claude David, in seinem S. Bartholo- b mäus; man sieht den nackten, bejahrten Athleten an einen Baumstamm gebunden, halb kniend, halb aufspringend mit schon halbgeschundener Brust; ein heranschwebender Engel zieht das hängende Stück Haut an sich und macht den Beschauer in naseweiser Art auf das Leiden des Heiligen aufmerksam. Also lauter sehnsüchtige Devotion und Passivität, mit Güte oder Gewalt in das Momentane und Dramatische übersetzt — diess ist der Inhalt der kirchlichen Einzelstatuen. Ein weiteres pikant gemeintes Interesse verlieh ihnen z. B. Bernini gern durch allzugrosse Bil- dung im Verhältniss zur Kleinheit der Nische (die erwähnten Sta- c tuen im Dom von Siena); die Ausgleichung liegt in gebückter, son- derbar sprungbereiter Stellung u. dgl. Zu diesem gezwungen Momen- tanen, vermeintlich Dramatischen gehört ganz consequent auch die Bildung der Attribute in demselben Verhältniss zur wirklichen Grösse wie die Figuren. Das frühere Mittelalter hatte dem heil. Laurentius nur ein kleines Röstlein, der heil. Catharina ein Rädlein in die Hand gegeben; jetzt weiss man von einer solchen andeutenden, symbolischen Darstellungsweise nichts mehr; da es sich um eine Situation handelt, an deren Gegenwärtigkeit der Beschauer glauben soll, muss Lauren- tius einen mannslangen Rost, Catharina ein Wagenrad mitbekommen; soviel gehört nothwendig mit zur Illusion. Indess giebt es ein paar Heiligenfiguren, in welchen statt der so oft unechten Ekstase eine ruhige, sogar innig andächtige Stimmung Barocksculptur. Werke von reinerm Ausdruck. ausgedrückt ist So in der vielleicht besten Statue des XVII. Jahrh., a der H. Susanna des Duquesnoy in S. M. di Loretto zu Rom; sie deutet mit der Linken auf die Palme, welche sie in der Rechten hält und blickt sanft nieder. Ohne den bessern Antiken irgendwie ebenbürtig zu sein, hätte dieses Werk doch genügen sollen, um alle Zeitgenossen auf ihren Irrwegen zu beschämen. Oder Houttons b heiliger Bruno (S. M. degli Angeli in Rom, Eingang ins Haupt- schiff); hier ist im Gegensatz zu dem sonst üblichen unwahren Auf- fahren jene demüthige, innige Carthäuser-Devotion ganz einfach dar- gestellt, welche gleichzeitig durch die Maler Stanzioni und Le Sueur c einen unvergänglich schönen Ausdruck fand. Bernini’s heil. Bibiana (in der gleichnamigen stets verschlossenen Kirche) soll wenigstens einen Anflug von ähnlichem einfachem Ernst haben. Sodann giebt es eine Anzahl Martyrien ohne Pathos , in welchen nicht mehr das Leiden, sondern der ruhige Augenblick des Todes dargestellt ist. Was man auch von solchen Gegenständen — namentlich wenn sie plastisch, ohne irgend ein sachliches Gegengewicht vorgetragen werden — denken möge, immerhin sind die hieher ge- hörenden liegenden Statuen Bernini’s zu seinen besten Werken zu d zählen. So die selige Lodovica Albertoni (in S. Francesco a ripa zu Rom, hinten links), und der nach seinem Modell von Giorgini aus- e geführte S. Sebastian (in S. Sebastiano, links). Endlich in S. Cecilia f zu Rom (unter dem Hochaltar) die schöne, in der Art ihres Liegens rührende heil. Cäcilia des Stefano Maderna. Mehrere ähnliche Sta- tuen in andern Kirchen. Von der Bildung einzelner Gestalten gehen wir über zu den Gruppen , deren mehrere bereits beiläufig genannt worden sind. Eine Kunstepoche, welche so grossen Werth auf das Momentane und Dramatische legte und in allen Künsten so sehr auf Pomp und Pracht ausging, musste eine entschiedene Vorliebe für grosse Marmorgruppen haben. Da ihr aber die höhern Liniengesetze gleichgültig waren neben dem Ausdruck der Wirklichkeit und des Momentes, so mussten in der Regel verfehlte Werke zum Vorschein kommen. Profane Gruppen. Brunnengruppen. Grabgruppen. In den Profangruppen wird das Capitel der mythischen Ent- führungsscenen umständlich behandelt; Bernini gab schon in seiner frühen Gruppe „Apoll und Daphne“ (S. 694, b) dasjenige Übermass des a Momentanen, womit jene Zeit glücklich zu machen war; ausserdem ge- hört sein Pluto (S. 694, a) hieher. Mit der Zeit geriethen solche Sujets in die Hände von Garten-Steinmetzen, und fielen dann bisweilen so lächerlich aus, dass man das Anstössige völlig vergisst. Irgend etwas von dem plastischen Ernste des Sabinerinnenraubes von Giov. Bologna wird man im XVII. und XVIII. Jahrh. vergebens suchen. Von den Brunnengruppen ist zum Theil schon die Rede ge- wesen (S. 396 u. f.). In derjenigen auf Piazza Navona (S. 694, c) strebt b Bernini nach dem Ausdruck elementarischer Naturgewalten in Michel- angelo’s Sinne, allein statt eines blossen gewaltigen Seins kann er auch hier sein Pathos nicht unterdrücken, ein Nachtheil, welchen die einfach tüchtige Detailarbeit nicht wieder gut machen kann. Hier lernt man Giov. Bologna’s Brunnen im Garten Boboli (S. 683, b) schätzen, welcher einen streng architektonischen Sinn in plastischen Gestalten ausdrückt und keines irrationellen Elementes bedarf, wie in Bernini’s Werk der mit unsäglicher Schlauheit arrangirte Naturfels ist. Ebenso muss man die Prachtgräber dieser Zeit mit ihrer Art von Gruppenbildung kennen, um Michelangelo’s Gräber in der Sa- cristei von S. Lorenzo ganz zu würdigen. Bernini selber begann die neue Reihe mit dem Grabmal Urbans VIII im Chor von S. Peter, c und endete mit demjenigen Alexanders VII (über einer Thür seitwärts vom linken Querschiff); der Typus des erstgenannten herrscht dann weiter in den Grabmälern Leo’s XI (von Algardi), Innocenz XI (von Monnot), Gregors XIII (erst lange nach dessen Tode errichtet, 1723, von Camillo Rusconi, das beste der Reihe), und Benedicts XIV (von Pietro Bracci), wozu noch dasjenige Benedicts XIII in der Minerva d (ebenfalls von Bracci) und dasjenige Clemens XII im Lateran (Cap. e Corsini) zu rechnen sind. Durchgängig das Beste oder Leidlichste sind natürlich die über den Särgen thronenden, stehenden oder knienden Porträtstatuen der Päpste, zumal bei Bernini selbst. Im Übrigen aber wird die Nische, in welcher der Sarcophag steht, nur als eine Art Schaubühne behandelt, auf welcher Etwas vorgehen muss. Noch Gugl. della Porta Barocksculptur. Grabmäler. hatte seine „Klugheit“ und „Gerechtigkeit“ ruhig auf dem Sarcophag Pauls III lagern lassen, allerdings nicht mehr so unbekümmert um den Beschauer wie Michelangelo’s Tag, Nacht und Dämmerungen Die Grabtypen der Zwischenzeit siehe S. 689. . Seit Bernini aber müssen die zwei allegorischen Frauen eine dra- matische Scene aufführen; ihre Stelle ist desshalb nicht mehr auf dem Sarcophag, sondern zu beiden Seiten, wo sie stehend oder sitzend (und dann auffahrend) ihrem Affect freien Lauf lassen können. Der Inhalt dieses Affectes soll meist Trauer und Jammer, Bewunderung, verehrende Ekstase um den Verstorbenen sein, was denn jeder Bild- hauer auf seine Weise zu variiren sucht. — Die kirchliche Decenz verlangte jetzt eine vollständige Bekleidung, sodass an diesen Gräbern von S. Peter die ausgesuchtesten damaligen Draperiemotive zu finden sind. Die Bravour im Nackten entschädigte sich durch beigegebene Putten. Daneben bringt schon Bernini — wenn ich nicht irre, zum erstenmal seit dem Mittelalter — die scheussliche Allegorie des Todes a in Gestalt eines Skelettes vor; am Grabmal Urbans VIII schreibt dasselbe auf einen marmornen Zettel die Grabschrift zu Ende; am Monument Alexanders VII hebt es die colossale Draperie von gelb und braun geflecktem Marmor empor, unter welcher sich die Thür befindet. Leider fand gerade diese „Idee“ sehr eifrige Nachbeter. Bei Anlass dieses Extremes ist von den Allegorien Einiges zu sagen, weil sie gerade für die Sepulcralsculptur als wesentlichste Ge- dankenquelle betrachtet wurden; auch an Altären spielen sie oft die erste Rolle. Die Prachtgräber und Altäre Italiens sind eben so voll von verzweifelten Versuchen, dieses Element interessant zu machen, wie eine gewisse Gattung der damaligen Poesie. Über die Stelle der Allegorie in der Kunst überhaupt haben wir hier nicht zu entschei- den. Ihre Unentbehrlichkeit in allen nicht-polytheistischen Zeitaltern und die Möglichkeit schöner und erhabener Behandlung zugegeben, fragt es sich nur, wesshalb sie uns bei den Berninesken so ganz be- sonders ungeniessbar erscheint? Diese Gedankenwesen, geboren von der Abstraction, haben eben ein zartes Leben. Selber Prädicate, sind sie wesentlich prädicatlos Allegorien der Grabmäler und Altäre. und vollends thatlos. Der Künstler darf sie zwar als Individuen dar- stellen, welche dasjenige empfinden was sie vorstellen, allein er muss diese Empfindung nur wie einen Klang durch die ruhige Gestalt hin- durchtönen lassen. Statt dessen zieht die Barocksculptur sie unbe- denklich in das momentane Thun und in einen Affect hinein, der sich durch die heftigsten Bewegungen und Geberden zu äussern pflegt. Nun ist es schon an und für sich nichts Schönes um Idealfiguren dieses Styles, wenn sie aber auffahren, springen, einander an den Kleidern zerren, auf einander losschlagen, so wirkt diess unfehlbar lächerlich. Alles Handeln und zumal alles gemeinschaftliche Handeln ist den allegorischen Gestalten untersagt; die Kunst muss sich zu- frieden geben, wenn sie ihnen nur ein wahres Sein verleihen kann. Gleichzeitig mit Bernini dichtete Calderon seine Autos sagramen- tales, wo fast lauter allegorische Personen handeln und welche doch den Leser (um nicht zu viel zu sagen) ergreifen. Aber der Leser steht dabei unter der Rückwirkung desjenigen starken spanischen Glaubens und derjenigen alten Gewöhnung an die Allegorie, welche schon dem grossen Dichter entgegenkam und ihm die zweifellose Sicherheit gab, deren er in dieser Gattung bedurfte und die uns für den Augenblick völlig mitreisst, während wir bei den Berninesken das ästhetische Belieben, die Wählerei recht wohl ahnen. Sodann sind es Dramen, d. h. Reihen fortschreitender Handlungen, nicht einzelne in den Marmor gebannte Momente. Endlich steht es der Phantasie des Lesers frei, die allegorischen Personen des Dichters mit der edel- sten Form zu bekleiden, während die Sculptur dem Beschauer auf- dringt was sie vorräthig hat. — Übrigens empfindet man bei Rubens bisweilen eine ähnliche, zum Glauben zwingende Gewalt der Allegorie wie bei Calderon. Welcher Art die Handlungen der allegorischen Gruppen bisweilen sind, ist am glorreichsten zu belegen mit den Gruppen von Legros a und Teudon links und rechts von dem Ignatiusaltar im Gesù zu Rom: die Religion stürzt die Ketzerei, und der Glaube stürzt die Abgötterei; die besiegte Partei ist jedesmal durch zwei Personen repräsentirt. Was an dieser Stelle erlaubt war, galt dann weit und breit als clas- sisch und fand Nachahmer in Menge. Einem besonders komischen Übelstand unterliegen dabei die weiblichen Allegorien des Barocksculptur. Allegorien. Bösen . Aus Neigung zum Begreiflichen bildete man sie als häss- liche Weiber, und zwar, wie sich bei den Berninesken von selbst versteht, in Affect und Bewegung, im Niederstürzen, Fliehen u. s. w. a Auf dem figurenreichen Hochaltar der Salute in Venedig (von Justus de Curt) sieht man neben der Madonna u. a. eine fliehende „Zwie- tracht“, von einem Engel mit einer Fackel verfolgt, das hässlichste alte Weib in bauschig flatterndem Gewand. Nicht umsonst hatte schon der alte Giotto (Padua, Fresken der Arena) die Laster in männlicher Gestalt dargestellt. — Und dann kann überhaupt nur ein reiner Styl wahrhaft grossartige Allegorien des Bösen schaffen. Allein auch die ruhigern, einzeln stehenden Allegorien unterliegen zunächst der manierirten Bildung alles Idealen. Unter zahllosen Bei- b spielen heben wir die Statuen im Chor von S. M. Maddalena de Pazzi in Florenz hervor, weil sie mit besonderm Luxus gearbeitet sind: Montani’s Religion und Unschuld, und Spinazzi’s Reue und Glaube; der letztere eine von den beliebten verschleierten Figuren in der Art der oben (S. 696, a) genannten. Während sich aber hier wenigstens die Bedeutung der einzelnen Figuren, wenn auch mit Mühe, errathen lässt, tritt in vielen andern Fällen ein absurder vermeintlicher Tiefsinn dazwischen, der mit weit hergeholten pedantischen Anspielungen im Geschmack der damaligen Erudition die Allegorien vollends unkennt- lich macht und sich damit zu brüsten scheint, dass eben nicht der Erste Beste erkenne, wovon die Rede sei. Man suche z. B. aus den c acht lächerlich manierirten Statuen klug zu werden, mit welchen Mi- chele Ongaro die kostbare Capelle Vendramin in S. Pietro di Castello zu Venedig verziert hat! (Ende d. l. Querschiffes.) Mit allen Attri- buten wird man die Bezüge des XVII. Jahrh. erst recht nicht errathen. — Ein anderer Missbrauch, der alle Theilnahme für diese allegorischen Gebilde von vorn herein stört, ist die oben (S. 385 u. f.) gerügte Ver- schwendung derselben für decorative Zwecke, zumal in einer ganz ungehörigen Stärke des Reliefs, welche beinahe der Freisculptur gleich kömmt. Denselben Schwindel, welchen man im Namen der Bogenfüllungstugenden empfindet, fühlt man dann auch für die eigentli- chen Statuen, die auf den Gesimsen von Altartabernakeln stehen, oder vollends für jene Fides, Caritas u. s. w., welche nebst Putten und Engeln auf den gebrochenen Giebelschnecken der Altäre in Pozzo’s Grabmäler als Wandsculpturen. Geschmack (S. 390) höchst gefährlich balancirend sitzen. (Ein Bei- spiel von vielen in S. Petronio zu Bologna, 2. Cap. links.) Was uns a besorgt macht, ist der Naturalismus ihrer Darstellung und die seil- tänzerische Prätension auf ein wirkliches Verhältniss zu dem Raume wo sie sich befinden, d. h. auf ein wirkliches Sitzen, Stehen, Lehnen an einer halsbrechenden Stelle. Für eine Statue des XIV. Jahrh., mit ihrem einfachen idealen Styl, ist dem Auge niemals bange, so hoch und dünn auch das Spitzthürmchen sein mag, auf welchem sie steht. Doch wir müssen noch einmal zu den Grabmälern zurückkehren. Die Nachtreter haben Bernini weit überboten sowohl in der plastischen als in der poetischen Rücksichtslosigkeit. Als sie einmal, wie bei Anlass der Altargruppen weiter zu erörtern ist, die Gattungen der Freisculptur und des Hochreliefs zu einer Zwitterstufe, der Wand- sculptur (sit venia verbo) vermengt hatten, war schlechterdings Alles möglich. Bei der totalen Verwilderung des Styles rivalisirte man jetzt fast nur noch in „Ideen“, d. h. in Einfällen und, wer seine Geschicklichkeit zeigen wollte, in naturalistischem Detail. Hier halten weinende Putten ein Bildnissmedaillon; dort beugt sich ein Prälat über sein Betpult hervor; ein verhülltes Gerippe öffnet den Sarg; abwärts purzelnde Laster werden von einer Inschrifttafel er- drückt, über welcher oben ein fader Posaunenengel mit einem Me- daillon schwebt; für alle Arten von Raumabstufung müssen marmorne Wolken herhalten, die aus der Wand hervorquellen, oder es flattern grosse marmorne Draperien rings herum, für deren Brüche und Bau- schen die Motivirung erst zu errathen ist. Statt aller Denkmäler dieser Art nennen wir nur das der Maria Sobieska im linken Seiten- b schiff von S. Peter, als eines der prächtigsten und sorgfältigsten (von Pietro Bracci). — In Florenz ist die unter Foggini’s Leitung decorirte c (1692 vollendete) Cap. Feroni in der Annunziata (die zweite links) ein wahres Prachtstück berninesker Allegorie und Formenbildung. Als Grabcapelle des (in Amsterdam als Kaufmann reich gewordenen, später in Florenz als Senator festgehaltenen) Francesco Feroni hätte sie nur Eines Sarcophages bedurft; der Symmetrie zu Liebe wurden es zweie; auf dem einen sitzen die Treue (mit dem grossen bronzenen B. Cicerone. 45 Barocksculptur. Dogengräber. Bildnissmedaillon) und die Schifffahrt, auf dem andern die Abundantia maritima und der „Gedanke“, ein nackter Alter mit Büchern; über den Särgen stehen dort S. Franciscus, hier S. Dominicus; unter dem Kuppelrand schweben Engel, in der Kuppel Putten. Und über diess Alles ist doch Ein Styl ausgegossen und der Beschauer lässt sich wenigstens einen Augenblick täuschen als gehöre es zusammen. (Das a Altarbild von Carlo Lotti.) In Venedig behielten die Dogengräber von der vorhergehenden Epoche her die Form grosser Wandarchitekturen von zwei Ordnungen bei, nur dass dieselben in noch viel colossalerm Massstab ausgeführt wurden. Das Figürliche concentrirt sich hier nicht zu einer allego- rischen Sarcophaggruppe, sondern vertheilt sich in einzeln aufgestellte Statuen vor und zwischen den Säulen, in Reliefs an den Postamenten u. s. w. Ganze Kirchenwände (am liebsten die Frontwand) werden von diesen zum Theil ganz abscheulichen Decorationen in Beschlag genommen. Unverzeihlich bleibt es zumal, dass die Besteller, was sie an der Architektur ausgaben, an den armen Schluckern sparten, welche die Sculpturen in Verding nahmen, sodass die elendesten Arbeiten des berninischen Styles sich gerade in den venezianischen Kirchen finden b müssen. Eine Ausnahme macht etwa das Mausoleum Valier im rech- ten Seitenschiff von S. Giovanni e Paolo, wofür man wenigstens einen der bessern Berninesken, Baratta, nebst andern Geringern in Anspruch nahm. (Unter den obern Statuen u. a. eine Dogaressa in vollem Co- stüm um 1700.) — Wie weit das Verlangen geht, überall recht be- greiflich und wirklich zu sein, zeigt auf erheiternde Weise das im c linken Seitenschiff der Frari befindliche Grabmal eines Dogen Pesaro († 1669). Vier Mohren tragen als Atlanten das Hauptgesimse; ihre Stellung schien nicht genügend um sie als Besiegte und Galeotten darzustellen; der Künstler, ein gewisser Barthel, gab ihnen zerrissene Hosen von weissem Marmor, durch deren Lücken die schwarzmarmor- nen Kniee hervorgucken; er hatte aber auch genug Mitleid für sie und Nachsicht für den Beschauer, um zwischen ihren Nacken und den Sims dicke Kissen zu schieben; das Tragen thäte ihnen sonst zu wehe. Von den Altargruppen sind zuerst die frei stehenden zu betrachten. Die beste welche mir vorgekommen ist, befindet sich in Freistehende Altargruppen. Wolken. der Crypta unter der Capella Corsini im Lateran zu Rom; es a ist eine Pietà von Bernini. (? Sie fehlt im Verzeichniss seiner Werke bei Dominici.) Die delicate Behandlung des Marmors macht sich in einigen Künsteleien absichtlich bemerkbar, sonst ist an der Gruppe nur die durchaus malerische (und in diesem Sinne gute) Composition zu tadeln; im Übrigen ist es ein ziemlich reines Werk von schönem, innerlichem Ausdruck ohne alles falsche Pathos; im Gedankenwerth den besten Darstellungen dieses Gegenstandes aus der Schule der Caracci wohl gleichzustellen. Wie Bernini am gehörigen Ort seinen Styl zu bändigen und zu veredeln wusste, zeigt auch der Christus- b leichnam in der Crypta des Domes von Capua. Allein diess waren Werke für geschlossene Räume mit beson- derer Bestimmung. Was sollte auf die Hochaltäre der Kirchen zu stehen kommen? Nicht Jeder war so naiv wie Algardi, der für den Hauptaltar von S. Paolo zu Bologna eine Enthauptung Johannis in c zwei colossalen Figuren arbeitete; statt des Martyriums sucht man vielmehr durchgängig eine Glorie an diese feierlichste Stelle der Kirche zu bringen. Die höchste Glorie, welche die Kunst ihren Ge- stalten hätte verleihen können, eine grossartige, echt ideale Bildung mit reinem und erhabenem Ausdruck — diese zu schaffen war das Jahrhundert nicht mehr angethan; der Inhalt des Altarwerkes musste ein anderer sein. Vor Allem musste der pathetische und ekstatische Ausdruck, welchen man die ganze Kirche hindurch in allen Nischen- figuren und Nebenstatuen der Seitenaltäre auf hundert Weisen variirt hatte, in der Altarsculptur consequenter Weise seinen Höhepunkt er- reichen, indem man die Ekstase zu einer Verklärung zu steigern suchte. Hier beginnt die Nothwendigkeit der Zuthaten; die betreffende Haupt- figur, die man am liebsten ganz frei schweben liesse, schmachtet sehn- süchtig auf Wolken empor, welche dann weiter zur Anbringung von Engeln und Putten benützt werden. Als aber einmal die Marmorwolke als Ausdruck eines überirdischen Raumes und Daseins anerkannt war, wurde Alles möglich. Es ist ergötzlich, den Wolkenstudien der da- maligen Sculptoren nachzuforschen; in ihrem redlichen Naturalismus scheinen sie — allerdings irriger Weise — nach dem Qualm von bren- nendem feuchtem Maisstroh u. dgl. modellirt zu haben. Die Altäre italienischer Kirchen sind nun sehr reich an kostbaren Schwebegrup- 45* Barocksculptur. Freistehende Altargruppen. pen Der berühmte jetztlebende amerikanische Bildhauer Crawford, der seine Figu- ren auch gerne schweben lässt, giebt dem Schweben eine Richtung seitwärts, vom Postament weg. Solches geschieht heut zu Tage in Rom, doch glück- licher Weise noch nicht für europäische Kunstfreunde. dieser Art. Es ist hauptsächlich die von Engeln gen Himmel getragene Assunta, wie sie etwa Guido Reni aufgefasst hatte, mit ge- kreuzten oder ausgestreckten Armen und im letztern Fall sogar oft eher declamatorisch als ekstatisch. Oder der Kirchenheilige in einer a Engelglorie. In Genua z. B. kam es so weit, dass fast kein Haupt- altar mehr ohne eine solche Gruppe blieb. Man sieht dergleichen von Puget auf dem Hauptaltar der Kirche des Albergo de’ Poveri, von Domenico und Filippo Parodi und Andern auf den Altären von S. b Maria di Castello, S. Pancrazio, S. Carlo etc. Das Auge hält sie von Weitem für Phantasieornamente und kann sie erst in der Nähe ent- ziffern. Die halbe Illusion, welche sie erreichen, steht im widerlich- sten Missverhältniss zu der ganzen Illusion, nach welcher die Decken- fresken streben; oft bilden sie eine dunkle Silhouette gegen einen lichten Chor; ausserdem steht ihre Proportion in gar keiner Beziehung zu den Proportionen aller andern Bildwerke der Kirche; sie hätten eigentlich höchst colossal gebildet werden müssen. Danken wir gleich- wohl dem Himmel, dass diess nicht geschehen ist. — Eine unterste c Stufe der Ausartung bezeichnet nach dieser Seite Ticciati ’s Altar- gruppe im Baptisterium von Florenz (1732). Von den für schwebend geltenden Engeln trägt der eine die Wolke, auf welcher Johannes d. T. kniet; der andere stützt sie mit dem Rücken; ein Stück Wolke quillt bis über den Sockel herunter. Auf gemeinere Weise liess sich das Übersinnliche nicht versinnlichen, selbst abgesehen von der süss- lich unwahren Formenbildung. — Auf dem Hochaltar der Jesuiten- d kirche zu Venedig sieht man Christus und Gottvater sehr künstlich balancirend auf der von Engeln mit sehr wirklicher Anstrengung ge- tragenen Weltkugel sitzen; es wäre nun gar zu einfach gewesen, die Engel auf dem Boden stehen zu lassen — sie schweben auf Marmor- wolken. Bei solchen Excessen mussten die Klügern auf den Gedanken kommen, dass es besser wäre, die freistehende Gruppe ganz aufzu- Altargruppen als Wandsculpturen. geben, als ihre Gesetze noch länger mit Füssen zu treten. Und nun wird endlich das rein malerische Princip zugestanden in vielen Altar- gruppen, welche nicht mehr frei hinter dem Altar stehen, sondern in einer Nische dergestalt angebracht sind, dass sie ohne dieselbe nicht denkbar wären. Sie sind nämlich ganz als Gemälde componirt, selbst ohne Zusammenhang der Figuren, mit Preisgebung aller plastischen Gesetze. Von den Wänden der Nische aus schweben z. B. Wolken in verschiedenen Distanzen her, auf welchen zerstreut Madonna, Engel, a S. Augustin und S. Monica in Ekstase sitzen, kauern, knieen u. s. w. (Altar des rechten Querschiffes in S. Maria della consolazione in Ge- nua, von Schiaffino um 1718.) Aus den hundert andern Gruppen dieser Wandsculptur heben wir nur noch zwei in Rom befindliche besonders hervor: die Wohlthätigkeit des heil. Augustin (Altar des b linken Querschiffes in S. Agostino), von dem Malteser Melchiorre Gafa, wegen der fleissigen Arbeit und eines Restes von Naivetät — und die berühmte Verzückung der heil. Teresa (im linken Querschiff c von S. M. della Vittoria), von Bernini. In hysterischer Ohnmacht, mit gebrochenem Blick, auf einer Wolkenmasse liegend streckt die Heilige ihre Glieder von sich, während ein lüsterner Engel mit dem Pfeil (d. h. dem Sinnbild der göttlichen Liebe) auf sie zielt. Hier vergisst man freilich alle blossen Stylfragen über der empörenden De- gradation des Übernatürlichen. Da überall die Absicht auf Illusion mitspielt, so scheut sich auch die Sculptur so wenig als die decorirende Malerei (S. 389), ihre Ge- stalten bei Gelegenheit weit aus dem Rahmen heraustreten zu lassen, überhaupt keine architektonische Einfassung mehr anzuerkennen. Es genügt, auf Bernini’s „ Catedra “ (hinten im Chor von S. Peter) zu d verweisen, welche unten als Freigruppe der vier Kirchenlehrer an- fängt, um oben als Wanddecoration um ein Ovalfenster (Engelschaaren zwischen Wolken und Strahlen vertheilt) zu schliessen. Es ist das rohste Werk des Meisters, eine blosse Decoration und Improvisation; er hätte wenigstens nicht zum Vergleich mit der danebenstehenden so- lidern Arbeit seiner eigenen frühern Zeit, dem Denkmal Urbans VIII, so unvorsichtig auffordern sollen. Barocksculptur. Farbige Bemalung. Endlich erkennt der Naturalismus der berninischen Plastik seine eigenen Consequenzen offen an. Wenn einmal die Darstellung eines möglichst aufregenden Wirklichen das höchste Ziel des Bildhauers sein soll, so gebe er die letzten academischen Vorurtheile über Linien, über Gruppenbildung u. dgl. auf und arbeite ganz auf dieses Wirk- liche hin, d. h. er füge die Farbe hinzu! Schon das Mittelalter, dann die realistischen florentinischen Bildner des XV. Jahrh., die Robbia, vorzüglich Guido Mazzoni, waren hierin ziemlich weit ge- gangen; überdiess wird das bemalte Bildwerk eine Verständlichkeit für sich haben und einer Popularität geniessen, um welche man es zu wenig beneidet. Und es entstanden wieder zahllose bemalte Heiligenfiguren von Holz, Stucco und Stein. Wer sich von Bildhauern irgend etwas dünkte, wollte allerdings mit dieser Gattung nichts zu thun haben; die academische Kunst schloss kein Verhältniss mehr mit ihr; sie mied die Verwandtschaft und Concurrenz mit jenen periodisch neu drapirten Wachspuppen, welche z. B. in Glaskasten auf den Altären neapolitanischer Kirchen prangen. Allein bisweilen verspinnt sich doch ein schönes Talent in die bemalte Sculptur und leistet darin Vorzügliches. In Genua lebte um das Jahr 1700 ein Künstler dieser Art, Maragliano , dessen Arbeiten ungleich erfreulicher sind als die meisten Papstgräber in S. Peter. Man überliess ihm meist eine ganze, etwa besonders von oben beleuchtete Nische über dem Altar, in welcher er seine Figuren ohne den Anspruch auf eine plastische Gruppe, vielmehr bloss malerisch ordnete. Mit der Farbe hatte er auch dazu das Recht, während jene Sculptoren in Marmor, die ihre Nischengruppen ähnlich bildeten, ein wüstes Zwitterwesen hervor- brachten. — Gegen das unheimlich Illusionäre der Wachsbilder schützte ihn die plastische und in seinem Sinn ideale Gewandung. Sein Ma- terial ist, wie ich glaube, bloss Holz (bei grössern Figuren von zu- sammengenieteten Blöcken), ohne Nachhülfe mit Stucco. Diese Arbeiten sind gleichsam eine höhere Gattung der Präsepien, welche in Italien noch gegenwärtig um die Zeit des Dreikönigstages in den Kirchen (im Kleinen auch in Privathäusern) aufgestellt wer- den; nur hier mehr künstlerisch abgeschlossen und mit einem bedeu- tenden Talent, mit Fleiss und Liebe durchgeführt. Maragliano ist Maragliano. Das Relief. bisweilen wahr, schön und ausdrucksvoll, wie ich mich nicht erinnere irgend einen seiner Fachgenossen gefunden zu haben. Seine Gattung passte hauptsächlich gut für Capuzinerkirchen, die den reichern Schmuck schon durch die vorgeschriebenen hölzernen Rahmen, Git- ter etc. ausschliessen. Seine besten Altargruppen zu Genua: S. An- a nunziata, Querschiff links; — S. Stefano, im Anbau; — S. Maria della b Pace: im Chor eine grosse Assunta mit S. Franz und S. Bernardin, c in der 2. Cap. rechts S. Franz der die Wundmale erhält, ausserdem linkes Querschiff und 2. Cap. links; (in der 3. Cap. rechts eine Gruppe desselben Styles von Pasquale Navone); — in Madonna delle Vigne, d Cap. links neben dem Chor: ein Crucifix und die in ihrer Art vor- trefflichen Statuen der Maria und des Johannes; — Capuzinerkirche, e Querschiff rechts. — U. a. a. O. Nicht umsonst kam z. B. Legros in der Statue des heil. Stanislas f Kostka (in einer Kapelle des Noviziates S. Andrea zu Rom) auf die (allerdings fehlgegriffene) Zusammensetzung aus verschiedenen Mar- morarten zurück. Wie, wenn man einmal zur Probe versuchte, ber- ninische Sculpturen zu bemalen? ob sie nicht gewinnen würden? Die Gattung starb auch später nie ganz aus; für kleine Genre- figuren von Wachsmasse und von Thon wird sie vollends immer fort- dauern. Es ist bekannt, welche trefflichen Arbeiten in diesem Fache Mexico liefert (Costümbilder und heilige Gegenstände); aber auch Sicilien hat bis auf unsere Zeit wahre Künstler dieser Art, wie Ma- tera und B. Palermo gehabt. Was kann das Relief in dieser Periode bedeuten? Schon seit dem XV. Jahrh. seines einzig wahren Stylprincipes beraubt und zum Gemälde in Marmor oder Erz herabgesetzt, muss es jetzt, mit der manierirt-naturalistischen Auffassung und Formbehandlung der Ber- ninesken, doppelt im Nachtheil sein. Überdiess kann man fragen, was eigentlich noch Relief heissen dürfe, seitdem die Gruppensculptur zu einer Wand- und Nischendecoration geworden? seitdem ganze Capellenwände mit Scenen von stark ausgeladenen lebensgrossen Stuccofiguren bedeckt werden? Man nennt z. B. Algardi’s Attila (S. g Peter, Cap. Leo’s des Grossen) „das grösste Relief der neuern Kunst“; Barocksculptur. Relief. es sollte eher eine Wandgruppe heissen. Übrigens ist Algardi , beiläufig gesagt, immer eines Blickes werth, weil er das Detail gewissenhafter behandelt und einen Rest naiven Schönheitssinnes übrig hat. Nächst ihm ist der Bolognese Giuseppe Mazza insoweit einer der Bessern im Relief, als die bolognesische Malerschule in der Com- position die meisten übrigen Maler überragt. Ausser zahlreichen Ar- a beiten in den Kirchen seiner Vaterstadt hat er in S. Giovanni e Paolo zu Venedig (letzte Cap. des rechten Seitenschiffes) in sechs grossen Bronzereliefs das Leben des heil. Dominicus geschildert; nimmt man die obern zwei Drittheile mit den Glorien weg, so bleiben ganz tüch- tige Compositionen übrig, zumal die mit dem Tode des Heiligen. Dagegen giebt es von Mazza Arbeiten in mehrern Kirchen seiner Vaterstadt, die nicht besser sind als Anderes aus dieser Zeit. Für Florenz sind am ehesten zu nennen die drei grossen Altar- b reliefs des Foggini in der Cap. Corsini im Carmine (Querschiff links). Süssliche Engelchen schieben die Wolken, auf welchen der verhim- melte Heilige kniet; in dem Schlachtrelief sprengen die Besiegten links aus dem Rahmen heraus; überall bemerkt man Reminiscenzen aus Gemälden. Und dabei sind es doch von den tüchtigsten Arbeiten c der ganzen Richtung. — In Rom gewährt S. Peter (ausser dem ge- nannten Relief Algardi’s) noch in einer Anzahl kleinerer Sarcophag- reliefs an den Grabmälern und in Bernini’s Relief über dem Haupt- portal eine Übersicht derjenigen Geschmacksvariationen, welche dann für die übrige Welt massgebend wurden. — Die Reliefs über den d Apostelstatuen im Lateran sind von Algardi und seinen Zeitgenossen entworfen. Um die Mitte des XVIII. Jahrh. beginnt der Styl sich etwas zu bessern; während die Auffassung im Ganzen noch dieselbe bleibt, hören die schlimmsten Excesse des Naturalismus und der davon ab- geleiteten Manier allmälig auf. Das Raffiniren auf Illusion, welches noch kurz vorher (S. 696, a) seine Triumphe über die besiegte Schwie- rigkeit gefeiert, macht einer ruhigern Eleganz Platz. Von diesen Zeit- genossen eines Rafael Mengs sind natürlich nur wenige zu einigem Ausgang des Barockstyls. Namen gelangt, weil ihnen die wahre Originalität fehlte. (In Genua sind mir mehrere Arbeiten des Niccolò Traverso z. B. im Chor a des Angelo Custode aufgefallen.) Das grosse Verdienst Canova’s lag darin, dass er nicht bloss im Einzelnen anders stylisirte als die Vorgänger, sondern die ganze Aufgabe neu im Sinne der ewigen Gesetze seiner Kunst aufzufassen suchte. Sein Denkmal Clemens XIV (im linken Seitenschiff von SS. b Apostoli zu Rom) war eine Revolution nicht bloss für die Sculptur. Wie man immer vom absoluten Werth seiner Arbeiten denken möge, kunsthistorisch ist er der Markstein einer neuen Welt. MALEREI. N ur ärmliche Trümmer sind uns von der antiken Malerei übrig geblieben, doch immer genug um uns ahnen zu lassen, was Griechen und Römer auf diesem Gebiete wollten und konnten. Einige bekannte Geschichten von Parrhasios, Zeuxis und andern grossen Meistern führen leicht auf den Gedanken, dass die Illusion das höchste Ziel der griechischen Maler gewesen. Nichts kann aber irriger sein. Ihnen genügte es vielmehr, wenn der Gegenstand oder das Ereigniss möglichst deutlich mit möglichst wenigen Mitteln dargestellt wurde. Sie haben weder in der Composition, noch in der Durchführung, noch in der Farbe dasjenige System erstrebt, welches der neuern Malerei zur Grundlage dient, allein was sie leisteten, muss dennoch ein Höch- stes in seiner Art gewesen sein. Eine Vorschule der griechischen Malerei gewähren uns gewisser Massen die zahlreichen Gefässe , welche hauptsächlich in den Grä- bern Attica’s, Siciliens, Unteritaliens und Etruriens gefunden worden sind und noch fortwährend gefunden werden. Die bedeutendste Samm- lung derselben, welche es wohl überhaupt giebt, ist diejenige im Mu- a seum von Neapel. Ungleich geringer, doch unter den italienischen noch sehr ausgezeichnet erscheint die vaticanische Vasensammlung, b welche mit dem Museo etrusco und mit der vatican. Bibliothek ver- bunden ist. Ähnlich verhält es sich mit der florentinischen (in den c Uffizien; verschlossener Gang gegen Ponte vecchio hin). Dieser ganze unübersehbare Vorrath gehört, wie man jetzt allge- mein anerkennt, bei Weitem grösstentheils griechischen Thonmalern an, mochten dieselben auch z. B. in Etrurien angesiedelt sein und für Antike Malerei. Etrusker arbeiten. Die Gebräuche, Trachten und Mythen, welche sie darstellen, sind fast ausschliesslich griechisch. Der Zeit nach mögen sie meist in das VI.—III. Jahrh. v. Chr. fallen; zur Zeit der Römer- herrschaft über Italien wurde nicht mehr in diesem Styl gearbeitet und Pompeji liefert z. B. keine Vasen der Art mehr. Zum täglichen Gebrauch für Küche, Tisch und Waschung haben wohl nur die Wenigsten gedient. Ihre Bedeutung ist eine festliche, man erhielt sie als Kampfpreis, als Hochzeitgeschenk u. s. w.; hatte man sie das Leben hindurch als Schmuck in der Wohnung vor sich gehabt, so erhielt sie der Todte zur Begleitung mit in das Grab. Viele aber, und zwar von den wichtigsten, wurden wohl ausschliess- lich für den Gräberluxus des alten Italiens gefertigt. Rings um die Leiche herum pflegen sie in den Gruftkammern gefunden zu werden, leider fast durchgängig in einer Menge von Scherben, die sich nicht immer glücklich zusammensetzen lassen. Es sind Gefässe jeder Gattung und Gestalt, von der riesigen Am- phore bis zum kleinsten Näpfchen. Da sie aber nicht zu gemeinem Gebrauche benützt wurden, konnte man an jeder Form — Amphore, Urne, Topf, Schale, Trinkhorn u. s. w. — das Schöne und Bedeu- tende nach Belieben hervortreten lassen. Mit höchstem Wohlgefallen verweilt das Auge schon bei den Formen und Profilen, welche der Töpfer dem Gefäss gab. Die strenge plastische Durchführung, welche wir an den marmornen Prachtvasen fanden, wäre hier nicht an der Stelle gewesen; was aber von einfach schöner Form mit dem Drehrad vereinbar ist, das wurde angewandt. Freilich sind die von freier Hand gearbeiteten Henkel oft ganz be- sonders schön und lebendig. Die aufgemalten Ornamente tragen ebenfalls nicht wenig zur Be- lebung des Gefässes bei, indem sie gerade für ihre Stelle und Func- tion bezeichnend gebildet sind. Den untern Auslauf der Henkel schmücken oft ganze Büschel von Palmetten (d. h. immer ein oval gespitztes Blatt von geschwunge- nen kleinen Seitenblättern begleitet), in welchen gleichsam die über- schüssige Elasticität sich ausströmt. Am obern Rande der Vase, als Sinnbild des darin Enthaltenen, zieht sich wellenförmiges Blumwerk hin; den Hals umgeben strengere Palmetten oder auch bloss senk- Vasen. rechte Rinnen, die sich dann mit der Ausbauchung des Gefässes in reichern Schmuck verwandeln. Die Bänder zwischen, unter und über den figürlichen Darstellungen bestehen theils wieder aus wellenförmi- gen Blumen, theils aus Mäandern, theils auch aus Reihen von Muscheln u. dgl. Die untere Zusammenziehung der Vase wird etwa durch spitz auslaufendes Blattwerk noch mehr verdeutlicht. Der Fuss ist, wie billig, schmucklos. Diess sind scheinbar nur Nebensachen, allein sie zeigen, dass es sich um eine Vase und nicht um ein beliebiges Prunkstück handelt, was man bei den kostbarsten Porcellanvasen von Sèvres oft vergessen muss. Man sollte denken, die Thonmaler hätten sich es wenigstens bei diesen Zierrathen bequem gemacht und durch Schablonen gemalt. Allein der erste Blick wird zeigen, dass die leichteste, sicherste Hand Alles frei hingezaubert hat, wesshalb es denn auch nicht an einzelnen krummen Linien u. dgl. fehlt. Ebenso ist es mit den Figuren. Der Maler konnte sie zum Theil als Gemeingut der griechischen Kunst auswendig, zum Theil erfand und componirte er sie für die besondere Darstellung. Grosse Künst- ler gaben sich mit dieser Gattung gar nicht ab; es ist ein mittlerer und selbst geringer Durchschnitt des unendlichen griechischen Kunst- vermögens, der sich hier zu erkennen giebt. Und doch selbst bei diesen so äusserst beschränkten Mitteln, diesen zwei, höchstens drei Farben so viel Bewundernswerthes! Wir scheiden zunächst eine ältere Gattung, diejenige mit schwar- zen Figuren auf rothem Grunde aus. Ihr Styl ist bei grosser Zierlichkeit noch ein befangener und entspricht mehr oder weniger dem ältern griechischen Sculpturstyl (S. 414 u. ff.). Die Vasen der reifern (und was Apulien betrifft, auch wohl der sinkenden) Kunst sind die, welche (ausgesparte) röthliche Figu- ren auf (aufgemaltem) schwarzem Grunde zeigen. Mit diesen, auch an Zahl überwiegenden haben wir es hauptsächlich zu thun. Die Darstellungen, welche sie in einer, zwei, bis drei Reihen von Figuren, an den Schalen auf der Unterseite rings um den Fuss, auch innen in der Mitte enthalten, sind zum Theil der Gegenstand einer sehr ausgedehnten gelehrten Forschung. Die seltensten Mythen, die kein Relief und kein pompejanisches Gemälde darstellt, kommen hier Antike Malerei. Vasen. vor. Uns sind jedoch nur einige Andeutungen über die künstlerische Behandlung vergönnt. Im Ganzen folgt dieser Styl dem griechischen Reliefstyl. Es ist eine ähnliche perspectivische Entwicklung der Gestalt, ein ähnliches Princip der Schneidungen, eine ähnliche Erzählungsweise. Die Fi- guren sind meist auseinander gehalten, ihre Haltung und Geberde möglichst sprechend. Bei bekleideten Gestalten wurden erst die Glie- der in raschem Umriss hingezeichnet, dann das Gewand darüber an- gegeben und zwar von den Falten gerade so viel, als dazu diente, die Gestalt selbst und zugleich den Gang des Gewandes zu verdeut- lichen. Die Köpfe sind ohne irgend welche Absicht auf besondern Ausdruck oder besondere Schönheit sehr allgemein behandelt. Die Angabe des Raumes musste bei dem gemeinsamen schwarzen Grunde eine möglichst einfache, symbolische sein. Ein Stern bedeutet hier schon die Nacht, ein kleiner Vorhang das Zimmer, ein paar Muscheln oder Delphine die See, eine krumme Reihe von Punkten das unebene Erdreich, eine Säule mit Gefäss die Ringschule u. s. w. Auch alles Geräthe, wie z. B. Wagen, Tische u. dgl. ist bloss stenographisch an- gedeutet, um den Blick für das Wesentliche frei zu halten. Den höchsten künstlerischen Genuss gewähren in der Regel we- niger die figurenreichen mythischen Compositionen, als vielmehr eine Anzahl einzelner und oft wiederkehrender Figuren , welche eben wegen ihres anerkannten Werthes immer von Neuem frei wiederholt wurden. Der Beschauer wird sie in jeder bedeutendern Sammlung bald herausfinden; wir wollen nur auf einiges Wenige aufmerksam a machen, was sich z. B. bei einem Gang durch das Museum von Neapel darbietet. Aufgestützt sitzende Männer. — Tanzende Satyrn. — Jünglinge der Ringschule, nackt oder in Mäntel gehüllt und aufgestützt. — Schwe- bende geflügelte Genien. — Herrliche springende Bacchanten. — Ein Sprechender, nackt, den einen Fuss auf einem Felsstück. — Sitzende Frauen mit nacktem Oberleib ‚den einen Fuss hinter dem andern, oft von grosser Schönheit. — Schwebende Siegesgöttinnen. — Verhüllte Tän- zerinnen. — Mänaden. — Die Toilette einer Frau oder Braut, welche sitzend den Schleier überzieht oder ablegt; unter den Dienerinnen, welche Schmuck und Körbchen etc. bringen, bisweilen eine sehr schöne Wandmalereien. In Rom. nackte in kauernder Stellung. — Eine Sprechende, bekleidet, gebückt stehend, den einen Fuss auf einen Stein gestützt, mit der Rechten ge- sticulirend. — Eine verhüllt sitzende trauernde Frau. — Schmausende beider Geschlechter. — Die Pferde, ohne alle Genauigkeit, aber im- mer voll Lebens; ein ruhigstehendes und ein dahersprengendes Vier- gespann, in hunderten von Wiederholungen. — Ein trefflich bewegter, schwebender Reiter. Solche und andere einzelne Gedanken der griechischen Kunst, welche diese anspruchlosen Denkmäler in Fülle gewähren, würden allein schon genügen, um dem Geiste jenes Volkes eine ewige Be- wunderung zu sichern. Neben diesem Reichthum kann man nur mit Schmerzen Desjeni- gen gedenken, was uns verloren ist. Von Polygnot und der alten athenischen Schule, von Zeuxis, Parrhasios und den übrigen Joniern, von Pausias und Euphranor, auch von dem grossen Apelles, ja von hundert griechischen Malern, welche noch dem Plinius und Quinti- lian bekannt waren, ist uns keine Linie, kein Pinselstrich, sondern der blosse Name übrig. Vergebens bemüht man sich, aus Andeutungen der Schriftsteller ein Bild der Style dieser Künstler herzustellen, und miss- lich bleibt es immer, aus den vorhandenen pompejanischen und andern Malereien Motive nach bestimmten alten Meistern herausrathen zu wollen. Im Allgemeinen aber ist so viel sicher, dass das Beste, was wir von antiken Malereien besitzen, in der Erfindung weit vorzüglicher ist, als insgemein in der Ausführung. Jene grossen alten Maler leben theil- weise noch, nur anonym und schattenhaft in Copien fort; es rettete sie jener Grundzug alles antiken Kunsttreibens: die Wiederholung des anerkannt Trefflichen. Diess gilt zunächst von denjenigen Überresten, welche zu Rom in einem nach dem Garten hinausgebauten Gemach der vaticanischen Bibliothek aufbewahrt werden. Sowohl die sog. aldobrandinische Hochzeit — ein Werk, welches auch nach der Entdeckung Pom- peji’s seinen hohen, ja einzigen Werth behält — als die fünf Bilder mythischer Frauen deuten auf Originale der besten Zeit zurück. Antike Malerei. Pompejanisches. a (Was sonst zu Rom in den Titusthermen, einzelnen Sammlungen, in b den Columbarien der Via latina und der Villa Pamfili u. a. a. O. vor- handen ist, erscheint theils sehr verdorben, theils von geringem Be- lang. Was von antiken Malereien ausser Rom vorkömmt, ist meist von Pompeji hergebracht.) Bei weitem die wichtigsten Stätten für das Studium der antiken Malerei sind die verschütteten Orte am Vesuv und das Museum c von Neapel . (Unteres Stockwerk, drei Säle links, mehr der anti- ken Decoration, und zwei Säle und ein Vorraum rechts, mehr der eigentlichen Malerei gewidmet, doch keineswegs ausschliesslich (Seite 58 u. ff.); die Aufstellung kläglich, die Besichtigung mühevoll.) Aus einer frühern Periode der griechischen Malerei finden sich d hier (Vorraum rechts) einige Wandmalereien, welche in unteritali- schen Grabkammern gefunden worden sind, Reiter, Tänze von Frauen etc. darstellend. Statt eines durchgeführten Colorites, einer plastischen Mo- dellirung, herrscht noch die einfache, illuminirte Umrisszeichnung, diese aber ist lebendig und zum Theil edel, dem Geist des ältern Griechen- thums entsprechend. In der Behandlung des Profils erkennt man wie- der die Art des griechischen Reliefs, welches den Oberleib so zu wenden weiss, dass er sich in seiner ganzen Wohlgestalt zeigt. (Zu vergleichen mit den treuen Nachbildungen etruskischer Gruftgemälde e frühern und spätern Styles, im Museo etrusco des Vaticans.) Die pompejanischen Malereien und Mosaiken dagegen zeigen allerdings die antike Kunst gewissermassen auf einem Höhepunkte, nur mit folgenden beiden Einschränkungen, die man wohl beachten möge: es ist erstens die Malerei einer nicht bedeutenden Provincial- stadt aus römischer Zeit; zweitens handelt es sich bloss um Wand- decorationen, welche in der Ausführung nothwendig einem andern Princip folgen als die Tafelbilder. Letztere waren gewiss in allem was Illusion, Verkürzung, Beleuchtung, Reflexe etc. angeht, feiner durchgebildet, wenigstens diejenigen aus der Blüthezeit. Die Mosai- ken sind vollends in den Mitteln der Darstellung um so viel beschränk- ter, als man damals nur mit Steinen, noch nicht mit Glaspasten ar- beitete. Grössere Compositionen. Den Vorrath im Ganzen betrachtet, wird man, wie gesagt, an- nehmen können, dass das Beste durchgängig griechischen Originalen nachgebildet sei, welche der Küntsler auswendig lernte und mehr oder weniger frei reproducirte. Von Durchzeichnen und Schabloniren war wohl keine Rede; wer das Einzelne so meisterlich keck hinzumalen wusste, bedurfte auch für die ganze Gestalt der eigentlichen Krücken nicht. Die Malereien von erweislich römischer Composition (z. B. die Scenen des pompejanischen Stadtlebens, im Durchgang vom ersten in a den zweiten der Säle rechts, und die beiden Isisfeste, zweiter Saal, b Fensterwand) stehen, auch wenn die geringe Ausführung bloss zu- fällig sein sollte, jedenfalls in der Erfindung tief unter dem Übrigen. Nehmen wir die grössern Bilder mythologischen Inhaltes (be- sonders im genannten zweiten Saal rechts) als massgebend an, so er- c giebt sich für die Behandlung etwa Folgendes. Das Einzelne ist nir- gends bis zur völligen Wirklichkeit durchgeführt, das Wesentliche aber mit grosser Energie in Wenigem gegeben. Auch in den Köpfen ist neben bedeutenden Zügen viel nur Allgemeines, was indess auf die Rechnung des Ausführenden, auch wohl auf die seiner Technik kom- men mag. Die letztere ist bekanntlich, was das Chemische betrifft, noch ein Geheimniss; der Auftrag erscheint fast durchgängig sehr frei und furchtlos. Der Raum richtet sich durchgängig nicht nach der äussern Wirklichkeit, sondern nach dem höhern Bedürfniss der Composition; die Angabe des architektonischen oder landschaftlichen Hintergrundes er- hebt sich in der Regel nicht weit über eine blosse Andeutung (Iphi- geniens Opfer, daselbst); die perspectivische Vertiefung wird willkür- lich so gedacht, dass die entferntern Figuren wie auf einem erhöhten Plan erscheinen (Erkennung Achill’s, daselbst). Das Licht fällt con- sequent von einer Seite herein. Die künstliche Gruppenbildung der neuern Malerei mit ihren Übergängen in den Formen und ihren Con- trasten in den Lichtmassen fehlt noch völlig; vorwiegend macht sich das Streben geltend, die Gestalten möglichst vollständig sprechen zu lassen und desshalb auseinander zu halten. Figurenreiche Gruppen aber, wo sie vorkommen, erscheinen hoch übereinander geschichtet (der Dichter, welcher den Schauspielern sein Drama einlernt, daselbst). Im Ganzen wird man in diesen und den übrigen grössern Composi- tionen immer grosse Ungleichheiten finden. Es giebt einige, in wel- B. Cicerone. 46 Antike Malerei. Pompejanisches. a chen das Treffliche vorwiegt, so im I. Saal rechts: die Strafe der Dirce, b zwei Göttinnen mit Eroten etc.; II. Saal, ausser den genannten: The- seus als Retter der athenischen Kinder, der Musikunterricht des jungen Satyrs, Medea, Bacchus und Ariadne, Perseus und Andromeda, Chi- ron und Achill, Herakles mit dem Centauren, Achill und Briseis, Mars und Venus etc. Allein neben dem Allerbesten, neben einzelnen Mo- tiven, die nur von den Grössten geschaffen sein können, finden sich auffallend schwache Füllgedanken. Man kann sich der Vermuthung nicht erwehren, als habe man zusammengedrängte oder auch zerpflückte Excerpte aus vorzüglichen Compositionen vor sich. — In Pompeji sind c von grossen Bildern noch an Ort und Stelle: Diana und Actäon (in d der Casa di Atteone), die Vorbereitung eines Heros zum Bade (Casa di Meleagro u. a. m.) Von diesem Urtheil macht allerdings eine glänzende Ausnahme die sog. Alexanderschlacht , das schönste Mosaik des Alterthums. (Gefunden in der Casa del fauno zu Pompeji, jetzt am Boden der e Halle der Flora im Museum zu Neapel.) Es stellt eine Schlacht von Griechen oder Römern gegen Kelten vor. Ich habe nichts gegen den überquellenden Enthusiasmus, womit neuerlich dieses Werk besprochen wird, nur möge man es dann wenigstens richtig deuten und nicht z. B. den Mann auf dem Wagen beharrlich für den Barbarenkönig halten, während doch die ganze Composition sich auf den gestürzten und vom Feind durchbohrten Reiter in königlichem Prachtcostüm bezieht. — Der grösste Werth dieses in seiner Art einzigen Gemäldes besteht nicht in einer tadellosen Zeichnung oder in der Ausdrucksweise des Einzelnen, sondern in der ergreifenden Darstellung eines bedeutenden Momentes mit möglichst geringen Mitteln. Durch die Wendung des Wagens und der Pferde und durch einige sprechende Stellungen und Geberden ist auf der rechten Seite ein Bild der Rathlosigkeit und Be- stürzung gegeben, welches nicht deutlicher und nur in äusserlichem Sinne vollständiger sein könnte. In den Siegern, soweit die linke Seite erhalten ist, drückt sich das unaufhaltsame Vordringen mit der grössten Gewissheit aus. Ob das Ganze für die Ausführung in Mo- saik componirt oder eher einem Wandgemälde nachgebildet ist, bleibt zu entscheiden. Genre. Kleinere mythologische Bilder. Sonst möchten im Allgemeinen die meist kleinen Genrescenen den Vorzug vor den heroischen und grössern haben. Pompeji hat einige kostbare Prachtstücke geliefert, wie die beiden feinen Mosaiken mit dem Künstlernamen Dioscorides, die beliebten Theaterproben dar- a stellend (I. Saal links). Man wird denselben indess einige flüchtige Malereien vorziehen müssen. Weniges möchte an stillem Zauber der Gruppe von drei sich unterhaltenden Frauen (mit einer Säule und Ge- büsch im Hintergrunde) gleichkommen (II. Saal rechts); auf dieser b Bahn war Rafael, als er die zweite Reihe der Geschichten der Psy- che entwarf. Von zaghafter Dilettantenhand scheinen einige rothbraune Zeichnungen auf Marmorplatten (ebenda) herzurühren; darunter ver- räth hauptsächlich das Genrebild der knöchelspielenden Mädchen ein herrliches Original. Gegenüber wird man ein kleines, unscheinbares Bildchen nur mit Mühe finden; es ist die so schön gedachte Scene: „Wer kauft Liebesgötter?“ — Die schmausenden und ruhenden Lie- bespaare (ebenda) weisen ebenfalls auf einen schönen griechischen Gedanken zurück. Auch mehrere unter den kleinern mythologischen Bildern, welche die Mittelfelder an den Wänden gewöhnlicher pompejanischer Häuser bildeten (und zum Theil noch an Ort und Stelle bilden) möchten bis- weilen als harmonisches Ganzes einen besondern und abgeschlossenen Werth haben. So das beste der Narcissbilder, auch das kleine mit c Bacchus und Ariadne (I. Saal rechts); mehrere bacchische Scenen (II. Saal rechts); Venus als Fischerin (mehrmals) u. s. w. Das ver- dorbene Bildchen „Hylas und die Nymphen“ (Fensterwand des II. Saales rechts) zeigt ein sehr glückliches Motiv. Einen Faun, der eine Nym- phe bewältigt und auf den Rücken gelegt hat und sie küsst, nebst einigen andern vorzüglichen Scenen, die nicht anstössiger sind als Manches, was hier ausgestellt ist, wird man in den Abbildungen auf- suchen müssen, wenn sie nicht etwa doch in unsichtbarem Dunkel oben an irgend einer Wand hängen. Den unmittelbarsten und ungestörtesten Eindruck griechischen Geistes machen aber (nach meinem Gefühl) überhaupt nicht die voll- ständigen Gemälde, sondern jene zahlreichen decorativ angewandten einzelnen Figuren und Gruppen , welche theils auf einfarbigem Grunde stehen, theils zur Belebung der gemalten Architektur (Seite 46* Antike Malerei. Pompejanisches. 60 ff.), der Capellchen, Pavillons, Balustraden u. s. w. dienen. Die besten derselben können nur in der Zeit der höchsten griechischen Kunstblüthe erfunden worden und dann Jahrhunderte hindurch von Hand zu Hand gegangen sein, bis sie unter anderm auch in der kleinen Stadt am Vesuv ihre Anwendung fanden. Die Maler lernten sie ohne Zweifel am besten auswendig und reproducirten sie am unbefangen- sten. Unsere jetzige Decoration macht einen so häufigen Gebrauch davon, dass der Beschauer eine Menge alter Bekannter antrifft, viel- leicht allerdings mit Erstaunen über das unscheinbare, anspruchlose Ausschen und den kleinen Massstab der Originale. Das Wichtigste findet sich in den genannten Sälen rechts. a Schon der Vorraum enthält eine Anzahl tanzend schwebender Sa- tyrn, in den Cassetten aus einem Gewölbe, sowie auch schöne schwebende Genien oder Amorine. (Eine andere Reihe von Amori- nen, mit den Attributen der Götter, sämmtlich wundervoll in runder Einfassung componirt, habe ich vergebens überall gesucht und muss b daher auf die Abbildungen verweisen.) Im ersten Saal: (Wand links) die Niobiden in Goldfarbe, je drei am Fuss weisser Dreifüsse auf rothem Grund, unabhängig von den bekannten florentin. Statuen; — (Eingangswand) ein kleines Fragment, die Halbfigur eines Flötenblä- sers und seiner Gefährtin; — (Fensterwand) Tritone, Nereiden, Meer- wunder etc.; — (Hinterwand) Victoria und ein Genius mit darüber schwebenden Gottheiten, vielleicht von guter römischer Erfindung. — In den Durchgängen zum II. Saal: Bacchus; — eine schöne Prie- sterin mit Opfergeräth; — Demeter mit Scepter und Korb; — Jüng- ling, der das Schwert und über sich den Schild hält; — ein Medu- senhaupt auf gelbem Grund; — eine schwebende Gewandfigur mit c Opferschale. — Im II. Saal: (Eingangswand) die berühmten sog. Tänzerinnen, auf schwarzem Grunde; es sind schwebende Figuren ohne weitere Beziehung, von hinreissender Schönheit der Geberde und dem leichtesten Ausdruck des Schwebens in Stellung und Gewandung zugleich; — der den Schreibgriffel an die Lippen Drückende, Halb- figur in Rund (mehrmals vorhanden); — Zeus und Nike, auf rothem Grunde; — (Wand links) Bacchanten, Silene etc. in runder Einfas- sung; — sitzende Götterfiguren auf rothem Grunde; — (Hinterwand) die herrlichen schwebenden Centauren auf schwarzem Grunde, worun- Einzelmotive. Veduten von Bauten. ter die Centaurin, die mit dem jungen Satyr Cymbeln spielt, und der gebundene Centaur, dem die wilde Bacchantin den Fuss in den Rücken stemmt, letzteres Bild vielleicht einer der schönsten Gedanken aus dem ganzen Alterthum; — die nicht minder berühmte Reihe tanzen- der Satyrn, kleine Figürchen auf schwarzem Grunde; — (als Con- trast mag die in der Nähe befindliche Sammlung von Amorinen römi- scher Erfindung dienen, welche in allen möglichen prosaischen Ver- richtungen, selbst als Schuhmacher dargestellt sind); — das sitzende Mädchen mit aufgestütztem Kinn, auf schwarzem Grunde; — Jüng- ling sitzend mit gekreuzten Füssen (eines der vorzüglichsten Motive und mehrmals vorhanden); — Nereiden auf Seepferden und Seepanthern, die selben fütternd; — schöne schwebende Bacchantin mit Thyrsus und Schale, auf schwarzem Grunde; — (Fensterwand) das bessere Exemplar der Medusa u. A. m. Die hier gegebene Auswahl soll nur auf Einiges vom Besten aufmerksam machen; wer länger in diesen Räumen verweilt, wird noch manches andere liebgewinnen. Man lege sich nur immer die Frage vor: Liess sich die betreffende Figur über- haupt schöner denken, deutlicher ausdrücken, anmuthiger stellen? — und in der Regel wird man das Höchste erreicht finden, wenn auch in flüchtiger Ausführung. Einer besondern Aufmerksamkeit sind die landschaftlichen und architektonischen Ansichten werth, deren eine grosse Anzahl vorhanden ist, sowohl hier als in Pompeji selbst, wo man auch noch erkennt, welche Stelle dieselben in der Wanddecoration einnah- men (S. 60, 61, a). Die architektonischen gewähren ein schätzbares Ab- bild nicht nur damaliger Bauten überhaupt, sondern ganz speciell der- jenigen, welche der Küste von Cumä bis Sorrent zur Römerzeit ihren Charakter verliehen; allerdings in phantastischer Steigerung, sodass wir nicht bloss das wirklich Vorhandene, sondern auch das, was man gern gebaut hätte, dargestellt sehen. Die in das Meer hinausragen- den Villen, die prächtigsten Landhäuser mit Hallen umgeben, auch Tempel und Paläste, namentlich aber die schmuckreichsten Hafenbau- ten breiten sich unter uns mit hoch angenommener Perspective voll- ständig aus. Diese Ansichten haben den Ausdruck baulichen Reich- thums zum wesentlichen Gehalt. Antike Malerei. Pompejanische Landschaften. Anders verhält es sich mit den Landschaften. Auch sie vereinigen viele Gegenstände mit hoch genommener Perspective unter einem hohen Horizont und geben von dem Liniensystem der modernen Land- schaft noch keine Ahnung. Manche sind nichts als bunte Zusammen- stellungen wohlgefälliger oder auffallender Gegenstände: Kapellchen, Lusthäuschen, Teiche mit Hallen, Denkmäler mit Trophäen, Hermen, halbrunde Mauern, Brücken u. s. w. auf ländlich unebenem Grunde mit Bäumen untermischt; die Darstellungen von Gärten mit symme- trischen Lauben und Fontainen gehören sogar wesentlich noch in das Gebiet der Architekturbilder. In den bessern Landschaften dagegen ist ganz offenbar ein idyllischer Charakter, eine eigenthümliche Stim- mung erstrebt, die nur einstweilen der mächtigern Mittel entbehrt sich auszusprechen. Um ein kleines einsames Heiligthum der Nymphen oder der paphischen Göttin sieht man Hirten und Heerden, oder ein ländliches Opfer, von Ölbäumen überschattet; auch Gestalten des grie- chischen Mythus beleben bisweilen die Felslandschaft. (Dieser letztern Art sind u. a. die Scenen aus der Odyssee, welche vor einigen Jah- a ren in Rom gefunden wurden und von denen zwei im Museo capito- lino, erstes unteres Zimmer, aufgestellt sind.) Der Eindruck ist dem- jenigen analog, welchen die bukolischen Dichter hinterlassen, und es wäre nicht undenkbar, dass von ihnen auch der Maler sich anre- gen liess. Die Dienstbarkeit dieser ganzen Gattung unter den sonstigen de- corativen Zwecken spricht sich u. a. oft in der Unterordnung unter eine bestimmte Wandfarbe aus. Manche Landschaften sind nämlich braun in braun, grün in grün, auch wohl zu keckem Contrast grün- weisslich auf rother Wand gemalt. — Von einer eingehenden Cha- rakteristik des landschaftlichen Details, etwa des Baumschlags, ist noch nicht die Rede; nur der Ölbaum behauptet seiner auffallenden Bildung wegen ein gewisses Vorrecht. — Auch wo Guirlanden und Buschwerk als Bestandtheil von Decorationen vorkommen, ist bei einer energischen Wirkung doch nur das Nothwendigste von der besondern Gestalt des Laubes angedeutet. Malerei des Mittelalters. Catacombenbilder. Die Geschichte der christlichen Malerei beginnt mit den Gemälden der Catacomben , welche theilweise bis ins III. Jahrhundert hinauf- reichen. Allein bei der gegenwärtigen Lage der Sachen findet man sich wesentlich auf zum Theil alte und sehr freie Abbildungen be- schränkt, wenn man sich den Gesammtcharakter dieser Gattung klar machen will. Vieles ist nämlich durch den Zutritt der Luft und des Fackeldampfes erloschen und unsichtbar geworden und existirt nur in den Sammelwerken fort; Anderes ist überhaupt nicht mehr zu- gänglich (durch Vermauerung) oder nur mit Schwierigkeiten. In dem einzigen Arme der Catacomben Roms, welcher Jedermann gezeigt a wird (mit dem Eingang in S. Sebastiano) sind kaum noch einige dürftige Reste von Arabesken zu erkennen; diejenigen bei S. Agnese, b welche in den letzten Jahren eine wichtige Ausbeute sollen geliefert haben, werden nur auf besondere Verwendung geöffnet. Zu einigem Ersatz dienen die ganz anders angelegten grossen unterirdischen c Räume bei S. Gennaro de’ Poveri in Neapel; hier sieht man noch beträchtliche Überreste von altchristlichen und auch heidnischen Ma- lereien und Arabesken, doch nichts von derjenigen künstlerischen und religionsgeschichtlichen Bedeutung, welche einzelnen nicht mehr sicht- baren Catacombenbildern Roms innewohnte. Zudem überwiegt in Neapel nicht das Altchristliche, sondern die (schon byzantisirenden) Heiligenfiguren etwa vom VII. Jahrh. abwärts. Auf den Styl von Kunstwerken, deren Besseres der Reisende nur im seltensten Fall zu Gesicht bekömmt, dürfen wir uns hier natürlich nicht einlassen. Genug, dass derselbe in Figuren und Arabesken eine mehr und mehr ins Starre und Formlose gehende Ausartung des an- Malerei des Mittelalters. Mosaiken. tiken Styles ist. Die Auffassung und Wahl der Gegenstände ist aller- dings hochwichtig und charakteristisch für das ganze frühere Ver- hältniss des Christenthums zur Kunst; einen nicht geringen Ersatz bieten namentlich die altchristlichen Sarcophage (S. 554), obschon sie a nicht denselben Ideenkreis darstellen; auch die figurirten Böden von Trinkgläsern (bes. im Museo Cristiano des Vaticans) mögen das Bild der ältesten christlichen Kunstübung vervollständigen helfen. Eine fast ununterbrochene, documentirte Reihe von christlichen Malereien gewähren jedenfalls erst die Mosaiken der Kirchen. Wir müssen die Voraussetzungen, unter welchen sie zu betrachten sind, kurz erörtern. Die Kunst ist hier auf jede Weise gebundener als je seither. Nicht bloss ein kirchlicher Luxus, sondern die stärkste Absicht auf monumentale Wirkung und ewige Dauer nöthigt sie, in einem Ma- terial zu arbeiten, welches jede Theilnahme des Künstlers an der Ausführung vollkommen ausschliesst und denselben auf die Fertigung des Cartons und auf die Wahl der farbigen Glaspasten beschränkt. Sodann verlangt und gestattet die kirchliche Aufgabe hier streng nur soviel als zum kirchlichen Zwecke dient, dieses aber soll in der im- posantesten Gestalt ans Licht treten; nur der Gegenstand herrscht, ohne räumliche Umgebung ausser was durchaus zur Verdeutlichung unentbehrlich ist; ohne den Reiz der sinnlichen Schönheit, denn die Kirche wirkt mit einem ganz andern Ausdruck auf die Phantasie; ohne Rücksicht auf die künstlerischen Gesetze des Contrastes in Be- wegungen, Formen und Farben u. s. w., denn die Kirche hat ein ganz anderes Gefühl der Harmonie in Bereitschaft als das, welches aus schönen formellen Contrasten hervorgeht. Ja der Künstler darf nicht mehr erfinden; er hat nur zu redigiren, was die Kirche für ihn erfunden hat. Eine Zeitlang behauptet die Kunst hiebei noch einen Rest der vom Alterthum her ererbten Freudigkeit und schafft inner- halb der strengen Beschränkungen noch einzelnes Grosse und Le- bendige. Allein allmälig dankt man ihr es nicht mehr und sie zieht sich endlich in die mechanische Wiederholung zurück. Diese Wiederholung eines Auswendiggelernten ist dann der durch- gehende Charakter des sog. byzantinischen Styles . In Constan- Mosaiken. Der byzantinische Styl. tinopel nämlich, wo sich mit der Zeit die meiste und prachtvollste Kunstübung der christlichen Welt concentrirte, bildete sich etwa seit Justinian eine gewisse Anordnung der darzustellenden Scenen, eine bestimmte Bildung der einzelnen Gestalten nach Bedeutung und Rang, eine ganz besondere Behandlung alles Einzelnen zum System aus. Dieses System lernte dann Jeder auswendig soweit seine angeborene Fertigkeit es gestattete, und reproducirte es, meist ohne der Natur auch nur einen Blick zu gönnen. Daher findet man z. B. so viele fast identische Madonnen dieses Styles; daher gleichen sich die ver- schiedenen Darstellungen derselben Scene fast ganz, und die einzelnen heiligen Gestalten desselben Inhaltes durchaus. — Es ist ein Räthsel um dieses fast gänzliche Ersterben der Subjectivität Sie flüchtet sich z. B. in die Miniaturen, oder äussert sich darin wenigstens durch Reproduction besserer alter Originale. Allmälig stirbt sie aber wirk- lich ab und löst, wo sie muss, neue Aufgaben, z. B. Martergeschichten etc. durch blosse neue Combination der sonst angelernten Elemente. , zu Gunsten eines bis in alles Detail durchgeführten gleichartigen Typus , und man muss schon die Kunst alter, stillestehender Culturvölker (der Ägypter, Chinesen etc.) zur Vergleichung herbeiziehen, um zu be- greifen, wie das ganze Gebiet der Form einem durchgehenden ge- heiligten Recht unterthan werden konnte. — Die Grundlage des by- zantinischen Systems bilden allerdings antike Reminiscenzen, aber in kaum mehr kenntlicher Erstarrung. Der Ausdruck der Heiligkeit wird durchgehends in der Morosität gesucht, da der Kunst der Weg abgeschnitten ist, durch freie Hoheit der Form den Gedanken an das Überirdische zu wecken; selbst die Madonna wird mürrisch, obschon die kleinen Lippen und die schmale Nase einen gewissen Anspruch auf Lieblichkeit zu machen scheinen; in männlichen Köpfen tritt oft noch eine ganz fatale Tücke hinzu. Die Gewandung, in einer be- stimmten Anzahl von Motiven gehandhabt, hat eine bestimmte Art feiner, starrer Falten und Brüche; wo der Typus es verlangt, ist sie nichts als eine Fläche von Ornamenten, Gold und Juwelen; sonst dient das Gold in Tafelbildern durchgängig und in Mosaiken oft zur Darstellung der aufgehöhten Lichter. Die Bewegungen und Stellungen werden immer todter und haben bereits in Arbeiten des XI. Jahrh., Malerei des Mittelalters. Mosaiken. a wie die ältern Mosaiken von S. Marco, kaum noch einen flüchtigen Anschein von Leben. Dieses Formensystem gewann nun einen grossen Einfluss auch in Italien. Nicht nur waren viele und wichtige Gegenden und Städte, worunter z. B. Rom, das ganze erste Jahrtausend hindurch in einer wenigstens halben und scheinbaren Abhängigkeit vom griechischen Kaiserreich geblieben, sondern die byzantinische Kunst hatte bestimmte Eigenschaften, die ihr zeitweise die Herrschaft über die ganze italie- nische sicherten. Schon die kirchliche Empfindungsart war eine ähn- liche hier wie dort; erst um die Mitte des XI. Jahrh. entschied sich der kirchliche Bruch zwischen Rom und Byzanz für immer. Somit war zunächst kein wesentliches Hinderniss vorhanden. Dann musste das gestörte und verarmte italienische Culturleben von dem (wenig- stens in der Hauptstadt) ungestörten byzantinischen überflügelt werden, auch wenn letzteres nur die Tradition der künstlerischen Technik vor- ausgehabt hätte. Diese aber war in jener Zeit ein entscheidendes Element; die Kirche, die nur durch Prachtstoffe und möglichst reiche Behandlung derselben wirken zu können glaubte, fand ihre Rechnung besser bei den aus Constantinopel kommenden Künstlern und Kunst- werken, deren Art und Bedingungen man kannte, als bei den ein- heimischen. Und so ist vom VII. bis zum XIII. Jahrh. der italienische Maler entweder seiner eigenen Verwilderung bei kleinern Aufgaben überlassen, oder er hilft den Byzantinern bei der Ausführung dessen was sie vorschreiben. In einzelnen Städten, wie Venedig, siedeln sich ganze Colonien von Griechen um eine Kirche herum als Mosai- cisten an, selbst für ein Jahrhundert und drüber. Es war ein er- habener Augenblick im italienischen Leben, als man sie verabschiedete, weil wieder eine einheimische Formenbildung erwacht war, weil man das Heilige wieder aus eigenen Kräften zu gestalten vermochte. Zer- streute byzantinische Einflüsse hielten sich indess noch lange (in Ve- nedig, Unteritalien etc.) und sind noch zur Stunde nicht gänzlich aus- gestorben, weil die byzant. Stylisirung sich mit den heiligen Typen im Volksbewusstsein zu eng verschwistert hatte. Die italienischen Mosaiken zerfallen in zwei ziemlich scharf ge- schiedene Classen: die altchristlichen, bis zum VII. Jahrh., in welchen noch die antike Auffassung, mehr oder weniger absterbend, zu erken- Altchristliche Mosaiken. nen ist, — und die unter dem Einfluss der Byzantiner vom VII. Jahrh. an entstandenen. Dieser Einfluss ist mehr oder weniger mächtig; es herrscht ein grosser Unterschied zwischen dem was herübergekom- mene Griechen in Person gearbeitet haben, und dem was ihnen etwa obenhin nachgemacht wird, aber Jahrhunderte hindurch erscheint keine einzige Figur der Kirchenmosaiken von dem byzantinischen Styl gänz- lich unberührt. Die altchristlichen haben einen zwiefachen hohen historischen Werth. Sie zeigen, wie sich die biblischen Gestalten, hauptsächlich des neuen Testamentes in den Gedanken jener Zeit spiegelten. Bei dem Typus Christi mag eine alte Tradition mitgewirkt haben, doch nicht so bestimmend wie man wohl annimmt. Die Tracht Christi, seiner An- gehörigen und Apostel ist eine ideale, im Ganzen aus der römischen Kunst übernommene. Die übrigen Personen werden durch eine oft prächtige Standestracht charakterisirt. In den Köpfen war ohne Zwei- fel ein Ideal beabsichtigt (wenn auch kein sinnlich schönes), allein die physische Durchschnittsbildung war so sehr gesunken, dass fast lauter eigenthümlich hässliche Gesichter zu Stande kamen. — Zweitens schafft hier (weniger die Kunst als) die Kirche ein System religiöser Ausdrucksweisen und Gedankenreihen, welche ein geschichtliches Denk- mal ersten Ranges ausmachen. Und zwar ist es meist die Ecclesia triumphans, welche sich ausspricht; nicht das Erdenwallen Christi und der Heiligen, sondern ihre apocalyptische Verherrlichung ist das Haupt- thema. Raumlos, im Unendlichen, daher auf blauem Grunde, häufiger (und später durchgängig) auf Goldgrund existiren diese Gestalten; der ihnen beigegebene Erdboden ist entweder eine schlichte Fläche oder durch Blumen, durch Zugabe des Jordanflusses, der Paradiesesströme etc. symbolisch geschmückt. Die Bewegungen sind mässig und feier- lich; es ist mehr ein Sein als ein Thun. — Um den Gedankenkreis zu würdigen, der sich hier entwickelt, muss man die Anschauung jener Zeit entweder theilen oder sich hineinversetzen. Die einfache Gegen- überstellung z. B. von Propheten und Aposteln gilt hier schon als Parallele von Verheissung und Erfüllung; eine einfache schreitende Bewegung, ein Kniebeugen genügt als Symbol der Huldigung; das Malerei des Mittelalters. Mosaiken des V. Jahrh. Aufheben der Arme bedeutet Reden, Beten und Machtäusserung, je nach den Umständen; der Geist des Jahrtausends kömmt Allem so sehr entgegen, dass er die äusserlichste Andeutung an vollwichtige Zahlung nimmt und ihr bereitwillig nachdichtet, ohne irgend einen physiognomischen Ausdruck des Augenblickes, irgend eine äussere Verdeutlichung zu verlangen. Die Kunst ist, wie wir oben sagten, nie gebundener gewesen; die Zeitgenossen haben ihr aber auch nie so viel zu- und vorgegeben. Es würde sehr weit führen, wenn wir diesen Bilderkreis hier schildern wollten; für die römischen Mosaiken giebt Platners Be- schreibung Roms den Inhalt genau; die ravennatischen haben aller- dings Vieles, das in Rom nicht vorkommt, doch kann man auch hier den Inhalt errathen. — Unsere Aufzählung umfasst nur die bedeu- tendern Arbeiten. Nächst den Mosaiken von S. Costanza bei Rom, aus constan- tinischer Zeit, welche oben (S. 65, a) noch bei Anlass der antiken a Ornamentik genannt wurden, sind diejenigen des orthodoxen Bapti- steriums in Ravenna das frühste Hauptwerk (vor 430), ja das einzige in welchem noch die volle decorative Pracht (Einfassungen, Zierfiguren, Abwechselung von Stuccorelief und Mosaik) spätrömischer Arbeiten sich mit einer noch immer bedeutenden und belebten Zeich- nung verbindet; zugleich eines der prachtvollsten Farben-Ensemble’s der ganzen Kunst. b Die biblischen Geschichten, welche in S. Maria maggiore zu Rom an den Obermauern des Mittelschiffes und am Triumphbogen (S. 74) angebracht sind (vor 450, manche stark umgearbeitet oder ganz modern), können als Specimen der damals üblichen Bilderbibel gelten. c In der Grabcapelle der Galla Placidia zu Ravenna sind die herr- lichen farbigen Ornamente auf dunkelblauem Grunde bedeutender als das Figürliche. (Gegen 450.) d Aus derselben Zeit (432—440?) stammt das schon oben (S. 89, a) erwähnte Mosaikornament in der Vorhalle des lateranensischen Bapti- steriums. e Unter Leo dem Grossen (440—462) entstanden die vordern Mo- saiken des Triumphbogens in S. Paul bei Rom , welche wahrschein- Mosaiken des VI. Jahrhunderts. lich gegenwärtig (aus Fragmenten und Abbildungen restaurirt) wieder enthüllt sein werden. Sie sind das frühste erweisliche Prototyp jener in der Folge üblich gewordenen Darstellung der 24 Ältesten (aus der Apocalypse); auch das riesige Brustbild Christi in der Mitte war eines der wichtigsten der altchristlichen Kunst. Die Mosaiken der Tribuna a scheinen im XIII. Jahrh. nach einem Vorbilde des V. Jahrh. gear- beitet; sie enthalten wie fast alle Tribunenmosaiken, den thronenden Christus mit mehrern Heiligen, worunter der Kirchenheilige, auch wohl die Stifter. Anderswo wird Christus auch auf einem Hügel oder auf Wolken stehend (nicht nach neuerer Art schwebend) dargestellt. Letzteres z. B. in dem schönsten Mosaik Roms, demjenigen von b SS. Cosma e Damiano am Forum (526—530). Stark restaurirt, zumal in der Partie links, gewährt dieses grandiose Werk in bereits etwas erstarrenden Formen den Eindruck einer der letzten freien In- spirationen altchristlicher Kunst. Die Ausführung ist noch glänzend und sorgfältig. In Ravenna sind die Mosaiken des Baptisteriums der Arianer c (oder S. Maria in Cosmedin, um 550?) eine blosse Nachahmung des Kuppelbildes im andern Baptisterium. — Aus derselben Zeit (gegen 547) stammen diejenigen der Chornische in S. Vitale , welche u. a. d die glänzenden Ceremonienbilder mit dem Kirchgang Justinians und Theodora’s enthalten; Werke deren sachliche Merkwürdigkeit den Kunstgehalt weit übertrifft; an den Wänden zunächst davor die blu- tigen und unblutigen Opfer des alten Bundes (Abels Opfer, Abrahams Bewirthung der drei Männer, Isaaks Opfer, Melchisedeks Empfang); Geschichten des Moses; Propheten. — An Masse das bedeutendste Mosaikwerk des italischen Festlandes mit Ausnahme der Marcuskirche: die beiden grossen Friese mit Processionen von Heiligen in S. Apol- e linare nuovo , an den Obermauern des Mittelschiffes (553—566). Von den Städten Ravenna und Classis (der alten Hafenstadt Raven- na’s), aus welchen sie hervorschreiten, ist die erstere repräsentirt durch jene hochmerkwürdige Darstellung des damaligen, jetzt bis auf einen geringen Rest (S. 56, *; 92, d) verschwundenen Palastes der ostgothischen Könige. — Wahrscheinlich noch aus dem VI. Jahrh.: f die Mosaiken der Capelle des erzbischöflichen Palastes. Malerei des Mittelalters. Mosaiken des VI. und VII. Jahrh. a Im Dom von Triest enthält die Seitentribune links unten im Halbrund ein paar gute Apostelfiguren in der Art der eben genann- ten. (Die Madonna in der Halbkuppel und die sämmtlichen Mosaiken der Seitentribune rechts gehören schon dem vorgerückten byzantini- schen Styl an.) b In Mailand enthält die Cap. S. Aquilino, ein achteckiger Anbau von S. Lorenzo, zwei Nischen-Halbkuppeln mit Mosaiken, welche Christus zwischen den Aposteln und die auf Abrahams Opfer warten- den Hirten (?) vorstellen, leidliche Werke des VI. oder noch des V. Jahrh. c Streitig ist der Ursprung des Mosaiks in S. Pudenziana zu Rom, welches in unbekannter Zeit nach einem Original etwa des IV. Jahrh. gearbeitet sein muss und noch in seiner starken Überarbeitung immer- hin eine Composition der constantinischen Zeit repräsentiren mag. — d Die Tribuna in S. Teodoro zu Rom (VII. Jahrh.) zeigt eine theilweise Wiederholung des Mosaiks von SS. Cosma e Damiano. — Die Mo- e saiken in der hintern Kirche von S. Lorenzo fuori (578—590), über dem Triumphbogen, sind in jüngster Zeit so viel als neu gemacht worden. Der Übergang in das Byzantinische war begreiflicher Weise ein allmäliger; das Erstarren in den bisherigen Typen war eben der By- zantinismus. In Ravenna bezeichnet diesen Übergang das grosse, sachlich sehr f merkwürdige Mosaik der Tribuna von S. Apollinare in Classe (671—677); ausser der Wiederholung der alttestamentlichen Opfer (aus S. Vitale) findet sich auch hier ein kaiserliches Ceremonienbild. Die Bogenfüllungen über den Säulen des Mittelschiffes sind mit der vollständigsten Sammlung altchristlicher Embleme, theils in altem Mo- saik, theils in moderner Copie (?) geschmückt; die Reihe von Bild- nissen der Erzbischöfe, welche als Fries darüber hingehen, ist fast das einzige (wenigstens in Copie erhaltene) Beispiel jener Porträtfolgen frühmittelalterlicher Kirchen In S. Paul bei Rom wird eben an einer Reihe von Mosaikbildnissen gearbei- t et, welche die Stelle der alten einnehmen soll. Vgl. die Papstköpfe als Consolen im Dom von Siena, S. 134. . Mosaiken des VII. bis IX. Jahrhunderts. In Rom gehören hieher die Tribunenmosaiken in S. Agnese fuori a (625—638), und in einer der Nebencapellen des lateranischen Bapti- steriums, dem sog. Oratorio di S. Venanzio (640—642). Letztere Ar- b beit zeigt schon deutlich, dass der letzte Gluthfunke von Freiheit, von Theilnahme und Freude des Künstlers am eigenen Werk erloschen ist. Kein Wunder, dass derselbe bereits das nicht mehr versteht, was er wiederholt. — Einzelne kleinere Reste: in der kleinen Tribuna c von S. Stefano rotondo (642—649); — auf einem der Altäre links in S. Pietro in Vincoli (S. Sebastian als Votivbild der Pest von 680, d hier noch bekleidet und als Greis gebildet) u. a. m. Ein letztes, obwohl erfolgloses Aufraffen gegen den Byzantinis- mus kann man etwa in den (stark restaurirten) Chormosaiken von S. e Ambrogio in Mailand (832) anerkennen, obwohl auch hier die Inschriften zum Theil griechisch sind. Die Gesichtszüge sind schon in rohen Umrissen, die Gewänder in einem schroffen Changeant (von weiss, grün und roth) gegeben, die Vertheilung der an Grösse sehr ungleichen Gestalten im Raum schon ganz ungeschickt, und doch ist noch viel mehr Leben darin, als in den gleichzeitigen römischen Arbeiten Zugleich interessant als Inbegriff sämmtlicher damaligen Schutzpatrone von Mailand. Christus unter einer Glorie thronend, umgeben von Michael und Gabriel, weiter S. Gervasius und S. Protasius, unten in runden Einfassungen S. Candida, S. Satyrus und S. Marcellina; links die Stadt Tours und S. Am- brosius bei der Bestattung des h. Martin; rechts die Stadt Mailand und S. Ambrosius und S. Augustin an Pulten sitzend. — Es dauerte lange, bis aus solchen Elementen Bilder wie Rafaels Madonna di Foligno und heil. Cä- cilia oder wie die sante conversazioni Tizians entstanden. In einer Nebencapelle rechts von der Kirche enthält die Kuppel das Brust- * bild des heil. Satyrus auf Goldgrund, etwas älter als die Mos. der Tribuna. . Diese versinken nämlich, vom Beginn des IX. Jahrh. an, in eine ganz barbarische Rohheit, welche kulturgeschichtlich nicht ganz leicht zu erklären ist; die byzantinische Kunst nämlich, deren Auffassungs- weise hier vollkommen durchgedrungen erscheint, tritt uns sonst über- all mit einer viel zierlicheren Ausführung entgegen als gerade hier. Das sachlich merkwürdigste dieser Mosaiken, dasjenige aus dem Triclinium Leo’s III (um 800), ist bei seiner Übertragung an die Ca- f Malerei des Mittelalters. Mosaiken des IX. Jahrh. pelle Sancta Sanctorum (oder Scala sancta) einer ganz neuen, wenn auch genau dem alten Zustand nachgeahmten Zusammensetzung unterlegen. (Die beiden Belehnungen zu den Seiten der Halbkuppel: Christus giebt dem heil. Sylvester die Schlüssel, dem grossen Con- stantin eine Fahne; S. Petrus giebt Leo III eine Stola, Carl dem Gr. eine Fahne; die Porträts der letztern haben noch einen Schimmer von Authenticität, sind aber übel gerathen.) — In den nächsten Pontificaten wird von Mosaik zu Mosaik die Arbeit roher und lebloser bis zu un- glaublicher Missgestalt. — Man findet sie in und über den Tribunen a von SS. Nereo ed Achilleo, — S. Maria della navicella (817—824), b — S. Cecilia, — und S. Prassede ; die drei letztern Bauten aus der Zeit Paschalis I (817—824); S. Prassede hat auch noch den mosai- cirten Triumphbogen mit der merkwürdigen Darstellung des himmli- schen Jerusalems und die kleine Capelle (rechts) „orto del paradiso“, deren Inneres völlig mosaicirt ist. — Schon reine Caricaturen: in der c Halbkuppel der Tribuna von S. Marco (827—844). — (Das Mosaik d in S. Francesca romana, angeblich 858—867, würde eher ins XI. oder XII. Jahrh. passen.) In Venedig , wo ein stärkerer Verkehr mit Byzanz und ein grösserer Reichthum herrschte als im damaligen Rom, offenbart auch die Mosaikarbeit nicht bloss die Auffassung, sondern auch die zier- e liche und saubere Ausführung der Byzantiner. Die Marcuskirche mit ihren mindestens 40,000 Quadratfuss Mosaiken ist bei Weitem das reichste occidentalische Denkmal dieser Gattung. Sachlich merkwürdig: die stehend gewordenen, rituellen Darstel- lungen der heiligen Geschichte im byzantinischen Sinn (hauptsächlich an den Tonnengewölben und mehrern Wandflächen des Innern); — die Sammlung von zahlreichen einzelnen byzantinischen Heiligen (hauptsächlich an den Pfeilern und in den Bogenleibungen); — die legendarische Erzählungsweise (in der Cap. Zeno, mit der Geschichte des Marcus, und in einer der fünf halbrunden Wandnischen der Fas- sade, mit der Geschichte der Leiche desselben; hier u. a. die S. 115 erwähnte Abbildung der Kirche; eine andere Geschichte des heil. Leichnams im rechten Querschiff, Wand rechts); — die Taufen der Apostel und die nach besondern Geschäften charakterisirten Engel verschiedenen Ranges (Flachkuppeln der Taufcapelle); — endlich in Mosaiken von S. Marco. den Hauptkuppeln der Kirche: das Pfingstfest, wobei die Anwesenden der fremden Nationen nach Tracht und Aussehen charakterisirt sind (vordere Kuppel); — Christus mit vier Erzengeln, umgeben von Ma- ria und den Aposteln, ringsum die einzige vollständige Mosaikreihe christlicher Tugenden (mittlere Kuppel); — die Wunder der Apostel etc. (Kuppel links). Dem Styl nach sind es Arbeiten sehr verschiedener Zeit; der Über- sicht zu Gefallen mögen sie hier, wie oben S. 579 ff. die Sculpturen im Zusammenhang genannt werden. Den streng byzantinischen völlig a erstorbenen Styl repräsentiren die Mosaiken der sämmtlichen Kuppeln (XI. und XII. Jahrh.) mit Ausnahme derjenigen rechts; als das äl- teste, noch dem X. Jahrh. angehörende Stück gilt der Christus zwi- schen Maria und Johannes, innen über der innern Thür. — Einen wieder etwas gemilderten und belebten byzantinischen Styl zeigen mit zierlichster Ausführung verbunden: die erwähnten Mosaiken der Cap. Zeno, auch jene eine Wandnische der Fassade, u. m. a. Theile. — Bedeutungsvoller Gegensatz hiezu: die Mosaiken der Vorhalle, so- b wohl vor den drei Thüren als auf der linken Seite der Kirche, wichtige Werke des abendländisch-romanischen Styles etwa aus dem XIII. Jahrh. (mit Ausnahme einiger offenbar moderner Zuthaten), die Geschichten von der Weltschöpfung bis auf Moses, in ganz naiv-lebendiger Er- zählung. — Wiederum mehr byzantinisch, obwohl erst vom Ende des XIII. und aus dem XIV. Jahrh.: die genannten u. a. Mosaiken der Taufcapelle. — Ungeschickt giottesk: diejenigen der Capella S. Isi- c doro beim linken Querschiff (um 1350). — Um 1430 diejenigen in der Capella de’ mascoli, von Michiel Giambono , d. h. doch wohl nur d die linke Hälfte des Tonnengewölbes; die rechte verräth eine viel vorzüglichere (vielleicht nicht-venezianische) Hand vom Ende des XV. Jahrh. — Durch die ganze Kirche zerstreut: Compositionen der Vi- e varini, des Tizian, auch viel Späterer. (Die Kuppel rechts; das Pa- radies am vordern Tonnengewölbe; die meisten Halbrunde der Fassade etc.) — Ein geistiges Ganzes, mit strengen Bezügen, mit poetisch- dogmatischer Entwicklung bieten diese Mosaiken nicht dar, auch wenn man nur die ältesten zusammennimmt. Selbst die Umgebung des Hoch- altars hat von jenem System alttestamentlicher Beziehungen auf das B. Cicerone. 47 Malerei des Mittelalters. Byzantinischer Styl. Messopfer, die wir im Chor von S. Vitale fanden, nur das Opfer Kains und Abels aufzuweisen. Von der ganz byzantinischen, ja hauptsächlich von Griechen geüb- ten Mosaikmalerei des Normannenreiches kenne ich auf dem italischen a Festland ausser einigen unbedeutenden Einzelfiguren nur die Mosaiken der einen Seitentribuna im Dom von Salerno (nach 1080); S. Marcus mit vier Heiligen. Bei weitem massenhafter tritt dieser Kunstzweig in den Kirchen Palermo’s und der Umgegend, hauptsächlich im Dom von Monreale auf. Alles in Allem genommen geben gerade diese sorgfältigen spät- byzantinischen Mosaiken Venedigs und Unteritaliens ein merkwürdiges Zeugniss für diejenigen Bedingungen, welche die Kirche Gregors VII an die Kunst stellte. Die Körperlichkeit Christi und der Heiligen ist zur blossen Andeutung eingeschrumpft, aber diese Andeutung wird mit dem grössten Aufwand des Stoffes und mit der emsigsten Sauber- keit zur Darstellung gebracht. Es soll dem Heiligen die möglichste Ehre geschehen; ihm aber Persönlichkeit oder gar Schönheit zu geben wäre überflüssig, da es auch ohne dieses stark genug auf die An- dacht wirkt. Wahrhaft unzählig sind noch jetzt in Italien die Tafelbilder byzantinischen Styles, hauptsächlich die Madonnen. Die wenigsten freilich stammen aus dem ersten Jahrtausend; weit das Meiste sind Copien nach besonders wunderkräftigen Madonnenbildern und theils erst gegen Ende des Mittelalters, theils auch in ganz neuer Zeit ver- fertigt; ausserdem ist zu erwägen, dass es noch hin und wieder grie- chische Gemeinden in Italien giebt, bei welchen die byzantinische Darstellungsweise rituell geblieben ist. — Die eigenthümlichen Lack- farben, die grünen Fleischschatten, das aufgehöhte Gold der Schraf- firungen machen diese Malereien sehr kenntlich. Ich weiss nicht näher anzugeben, ob man im Typus der Madonna verschiedene Abarten un- terscheidet; schwerlich wird man denselben auf so alte Grundlagen zurückführen können, wie diess beim Christustypus gelungen ist. Die sog. schwarze Mutter Gottes ist kein eigener Typus, sondern aus miss- verstandener Wiederholung altersgebräunter Madonnen entsprungen. Tafelbilder. Email. Stickerei. Das Bild in S. Maria maggiore (Cap. Pauls V) war einst (IX. Jahrh. a gewiss hell gemalt; neuere Copien aber, zumal wenn sie noch von sich aus nachdunkeln, werden die Vorstellung der tiefsten braunen Hautfarbe erwecken. Einige besonders instructive byzantinische Tafelbilder finden sich in der Gemäldesammlung beim Museo cristiano des Vaticans, welche b von dem verstorbenen Msgr. Laureani angelegt worden ist und ausser- dem eine grosse Menge zum Theil werthvoller kleiner Bilder aus Giotto’s Schule und aus dem Anfang des XV. Jahrh. enthält. Da Rom gerade für diese Perioden nur wenig Monumentales aufzuweisen hat, so nimmt man eine solche Ergänzung gerne an. — Daselbst u. a. der Tod des heil. Ephrem, im XI. Jahrh. gemalt von dem Griechen Emanuel Tzanfurnari. — Viele byzant. Tafelbilder auch im Museum von c Neapel. Schliesslich sind noch zwei Kunstwerke zu nennen, von welchen das eine gewiss, das andere wahrscheinlich in Constantinopel selbst gefertigt wurde. Die Altartafel ( Pala d’oro , S. 556, b) im Schatz d von S. Marco Wo ich sie 1846 sah. Im Jahr 1854 stand eine verdeckte Tafel auf dem Hochaltar selbst, mit einer im Jahr 1344 (von unbedeutenden venezianischen Künstlern der Richtung Giotto’s) bemalten Rückseite; ob sie die Pala d’oro enthielt, ist mir nicht bekannt. Letztere gehört eigentlich vor den Altartisch. zu Venedig (bestellt 976?) zeigt auf ihren seit dem XIV. Jahrh. neu zusammengesetzten Goldplättchen eine ziemliche Anzahl Figuren und ganze Scenen in Email; der Styl ist ungefähr derselbe wie in den zuletzt genannten Mosaiken, die Ausführung prächtig delicat; in Ermanglung der Farbennuancen, welche dem da- maligen Email nicht zu Gebote standen, sind Lichter und Gewand- falten durch die feinsten Gold-Schraffirungen ausgedrückt. — Sodann sicht man im Schatz von S. Peter zu Rom die sog. Dalmatica e Carls des Grossen , d. h. ein Diaconenkleid wahrscheinlich des XII. Jahrh., welches wenigstens spätern Kaisern bei der Krönung diente. Auf dunkelblauer Seide sind in Gold, Silber und einigen Farben figurenreiche Darstellungen gestickt, vorn Christus in einer Glorie mit Engeln und Heiligen, hinten die Verklärung auf Tabor, 47* Malerei des romanischen Styles. auf den Ermeln Christus als Spender der Sacramente. Ein merk- würdiger Überrest aus der Zeit, da nicht bloss die Kirche, sondern auch der Officiant ganz Symbol, ganz Programm unter der Hülle möglichst kostbarer Stoffe sein musste. Wie in der Architektur und Sculptur, so beginnt auch in der Malerei mit dem zweiten Jahrtausend eine neue Lebensregung, die sich nach einiger Zeit zu einem Styl gestaltet, welchen wir auch hier den romanischen nennen können. (Vgl. S. 99, 559.) Auch hier findet eine Umbildung des längst missverständlich wiederholten Spät- antiken im Geist der neuen Zeit statt. Neben dem in Italien herrschend gewordenen Byzantinismus hatte immer eine verwilderte alteinheimische Kunstübung fortexistirt, haupt- sächlich wohl für die Ausschmückung geringerer Kirchen, welche weder Mosaiken noch griechische Künstler bezahlen konnten. Von dieser Kunstübung, welche man im Gegensatz gegen die byzantinische etwa als eine altlangobardische benennen mag, geht nun die Neuerung aus. Das frühste namhafte Denkmal sind die Wandmalereien meist a legendarischen Inhaltes in dem vermeintlichen Bacchustempel (S. Ur- bano, vgl. S. 29, e) bei Rom, angeblich vom Jahr 1011. Das Haupt- kennzeichen des neuen Styles, die lebhafte Bewegung und die gleich- sam mit Anstrengung sprechende Geberde, ist hier schon deutlich vorhanden. Trotz aller Ärmlichkeit der Ausführung erwacht doch die Theilnahme des Beschauers; die Kunst improvisirt wieder einmal nach den langen Jahrhunderten des Wiederholens und Combinirens. Na- türlich mischt sich angelerntes Byzantinisches auch in diese harmlos erzählende Wandmalerei, und ein paar spätere Arbeiten (die Fresken b der Vorhalle von S. Lorenzo fuori, — und diejenigen der Capelle S. c Silvestro am Vorhof von SS. Quattro coronati, beide vom Anfang des XIII. Jahrh.) unterliegen sogar wieder einer mehr byzantisirenden Manier. Allein der neue Antrieb war inzwischen schon genug er- starkt, um auch in die monumentale Mosaikmalerei einzudringen. In Fresken und Mosaiken von Rom. S. Maria in Trastevere enthält die Halbkuppel der Tribuna und a die umgebende Wand das erste Hauptwerk des romanischen Styles in Italien (1139—1153); bei aller Roheit der Formen begrüsst man doch gerne die neuen Motive, ja das beginnende individuelle Leben; Christus und Maria zusammen thronend, sein Arm auf ihrer Schulter — diess ist auch im Gedanken unbyzantinisch. (Aus ders. Zeit: oben an der Fassade die Jungfrau mit acht Märtyrinnen und zwei andern heil. Frauen; — aus dem Anfang des XIV. Jahrh. und zwar von Pietro Cavallini : die Einzelbilder aus der Geschichte Christi im b untern Theil der Tribuna.) — Auch das Chormosaik von S. Clemente c (vor 1150) ist im Figürlichen schon ganz romanisch; das Rankenwerk in der Halbkuppel ahmt jenes prächtige lateranensische Ornament (S. 89, a) nur in andern Farben und mit Zuthat vieler kleiner Fi- guren nach. Allein aus geschichtlichen Ursachen oder weil der rechte Künstler noch nicht gekommen war, blieb diese neue römische Richtung einst- weilen ohne bedeutende Folge. Den einzigen Kunstaufschwung wel- cher einigermassen für die Zeit Innocenz III und seiner nächsten Nachfolger in Anspruch genommen werden kann, haben wir oben (S. 97, 98) in den bessern Cosmatenbauten erkannt. Die Malerei schreitet durchaus nicht vorwärts. Rückfälle in den Byzantinismus zeigen sich z. B. in der Detailausführung des grossen Nischenmosaiks d in S. Paul (seit 1216), welches als eine neue Redaction des im V. Jahrh. dort angebrachten erscheint Die Mosaiken über der Nische und gegenüber an der Querschiffseite des * Triumphbogens sind (oder waren vor 1823) Arbeiten des XIV. Jahrhunderts. ; — ebenso in jenen soeben S. 740, b, c, genannten Wandmalereien. — Die Mosaiken zweier kleinen Nischen in S. Costanza (1254—1261) sind so roh und geringfügig, e dass auf ihren Styl nicht viel ankömmt. — An dem Mosaik der Fas- sade des Domes von Spoleto, welches 1207 von einem Maler Sol- f sernus verfertigt wurde, verbindet sich wenigstens der byzantinische Styl mit einer gewissen Freiheit und Würde, zumal in den Geberden der Maria und des Johannes; Christus hat die jugendliche Bildung wieder erlangt, welche bei den Byzantinern einer Greisenfigur hatte weichen müssen. Malerei des romanischen Styles. Parma. Je nach den Gegenden hatte der Kampf der beiden Style einen ganz verschiedenen Verlauf. In Venedig tritt der romanische, wie wir sahen, glänzend auf in den Mosaiken der Vorhalle der Marcus- kirche, doch nur um ebenfalls byzantinischen Rückfällen Platz zu a machen. In Parma enthält das Baptisterium in seinen sämmt- lichen Fresken (mit Ausnahme der untern, welche unbedeutend giottesk sind) eine der wichtigsten Urkunden des romanischen Styles; von ver- schiedenen Händen der ersten Hälfte des XIII. Jahrh. ausgeführt, zeigen sie besonders in den erzählenden Theilen, am Rand der Kup- pel, das Eilige und Bewegte, die leidenschaftliche Geberde, welche jenem noch keines physiognomischen Ausdruckes fähigen Styl damals eigen ist. — Einzelne meist ruhige Heiligenfiguren in Fresco, ver- b schieden gemischt aus beiden Stylen, findet man an der Fassade des Domes von Reggio (XII. oder XIII. Jahrh.), — an den Wänden von c S. Zeno in Verona (XII. Jahrh., hinter halb abgefallenen Malereien des d XIV. Jahrh. hervorschauend), — in der Vorhalle von S. Ambrogio zu Mailand (aus verschiedenen Zeiten), u. a. a. O. Bevor von Toscana die Rede ist, fassen wir noch einmal diese Kunstzustände ins Auge wie sie vermuthlich sich entwickelten. Ein jugendlicher Styl, der Vieles zu erzählen hätte, des Ausdruckes aber nur in beschränktester Weise mächtig ist, taucht neben dem rituell geheiligten Styl auf. Er ist noch nicht auf das Schöne und Holdselige gerichtet, aber er empfindet auch keine Verpflichtung auf das Morose und Ascetische; fast absichtslos gestaltet er seine Figuren jugendlich. Ebensowenig ist für ihn ein Grund vorhanden, in der bekannten Auf- einanderfolge byzantinischer Stellungen und Gewandmotive, in den bestimmten Typen heiliger Geschichten u. s. w. eine absonderliche Heiligkeit anzuerkennen; er giebt Alles nach seinen eigenen Antrieben und schafft dabei von sich aus naturgemässere Stellungen, rund- fliessende Gewandung, neue hastige Züge des Lebens. Man lässt ihn an dieser und jener Kirchenwand mit seinen paar Leimfarben ge- währen. Aber die Mosaicisten, welche ihre Technik und den byzan- tinischen Styl für unzertrennlich halten mochten, müssen es eines Tages erleben, dass der neue Styl sich einer der römischen Patriar- Toscana. Guido da Siena. chalkirchen bemächtigt und ebenfalls in Mosaik zu arbeiten anfängt. Von da an scheint ein wahrer Kampf begonnen zu haben; die by- zantinisch Gesinnten behaupten theils mit aller Macht ihren Schlen- drian, theils nehmen sie den neuen Styl in die Lehre, vermischen ihn mit dem ihrigen, suchen ihm seine wahre kecke Physiognomie zu nehmen. In den genannten Werken von Parma und Venedig taucht er ungebändigt wieder empor, allein daneben behauptet sich auch der Byzantinismus, sowohl in seiner schroffen Gestalt als auch mit ein- zelnen Concessionen; sein völliger Sturz tritt erst durch die Schule Giotto’s ein. Was ihn so lange aufrecht hielt war wesentlich seine Verbindung mit der vornehmsten, heiligsten Gattung der Malerei, mit dem Mosaik. Erst als dieses selber zwar nicht seine Fortdauer aber doch seine Herrschaft unwiederbringlich einbüsste, als ganz Italien sich an Fresken zu begeistern im Stande war, — da erstarb auch der byzantinische Styl. In Toscana besass er gerade zu Anfang des XIII. Jahrh., als die höhere Blüthe des Landes (Pisa ausgenommen) erst begann, das un- läugbare Übergewicht. Das Verdienst der toscanischen Maler der nächstfolgenden Zeit, mit welchen man einst nach Vasari’s Vorgang die Kunstgeschichten zu beginnen pflegte, bestand auch nicht sowohl in einem sofortigen Umsturz dieses Styles, als in einer neuen Belebung desselben; innerhalb der byzantinischen Gesammtauffassung wird das Einzelne freier, lebendiger und schöner, bis endlich die Hülle völlig gesprengt ist. Diess gilt zunächst von Guido da Siena . Auch in seiner Va- terstadt herrschte noch der Byzantinismus, wie die ältesten Werke der dortigen Academie beweisen. (Mit Ausnahme etwa des oben S. 556, d erwähnten Altarvorsatzes vom Jahr 1215, welcher eine rohe a romanische Arbeit ist.) Allein Guido’s grosse Madonna vom Jahr 1221 b in S. Domenico (2. Cap. links vom Chor) zeigt innerhalb der rituellen byzant. Anlage nicht nur einen Anfang von Lieblichkeit, sondern auch, namentlich in der Stellung des Kindes, ein Gefühl für Linien und eine lebendige Zeichnung. Die Madonna des Diotisalvi in der Con- c cezione (oder ai Servi, rechts), volle 60 Jahre jünger, ist nicht nur Malerei des romanischen Styles. Giunta. Florentiner. von derjenigen Guido’s abhängig, sondern ein Rückschritt ins Rohe und Starre. Von einem Zeitgenossen Guido’s, von Giunta Pisano , ist bei- nahe unnütz zu sprechen, da die ihm zugeschriebenen Fresken in der a Oberkirche von Assisi leider so viel als erloschen sind. Es war darunter jene phantastische Scene des Simon Magus, der von den Dämonen in der Luft herumgezerrt wird; einzelne byzantinische Minia- turen enthalten Ähnliches, hier aber war, alten Abbildungen zufolge, den Dämonen zum erstenmal Leidenschaft und rechte momentane Ge- walt gegeben. (1848 sah ich von diesem Fresco nur noch einen mat- b ten Schimmer.) Die 5 Halbfiguren von Heiligen in der Academie zu c Pisa tragen Giunta’s Namen kaum mit Recht; der Crucifixus in S. Ra- nieri ebenda ist kaum sichtbar. Eine kenntliche Parallele zu dem Streben des grossen Bildhauers Niccolò Pisano (S. 563) bieten die erhaltenen pisanischen Malereien nicht dar. In Florenz war die Ausschmückung des Baptisteriums die Hauptaufgabe für die erste Hälfte des XIII. Jahrh. und noch für Jahr- d zehnde weiter. Die Chornische, seit 1225 von einem Mönch Jaco- bus mosaicirt, enthält eine vorzüglich bedeutende Neuerung; kniende Figuren auf korinthischen Capitälen sind als Träger des Mittelbildes angewandt, einer der frühsten rein künstlerischen Gedanken, denn wenn diese Träger auch einen symbolischen Sinn haben mögen, so functioniren sie doch hauptsächlich der bessern Raumvertheilung zu Liebe, von der die byzantinische Kunst, im ausschliesslichen Dienst der Tendenz, gar keine Notiz genommen hatte; sie sind die Urväter e der Trag- und Füllfiguren der Sistina. Im Kuppelraum selbst ist der grosse Christus von dem Florentiner Andrea Tafi (1213—1294) innerhalb der byzant. Umrisse eine sehr bedeutende, neu und würdig belebte Gestalt. Die concentrischen Streifen mit biblischen Geschich- ten und Engelchören, welche den Rest der Kuppel einnehmen, ver- rathen vier bis fünf verschiedene Hände; einiges ist rein byzantinisch und darf wohl am ehesten dem Griechen Apollonius zugeschrieben werden, welcher aus Venedig herübergekommen war; anderes ist rein romanisch und erinnert an das Bapt. von Parma; wieder anderes ist von gemischtem Styl. Ausserdem lernt hier die Mosaikmalerei der Architektur dienen an Friesen, Balustraden u. a. Bautheilen. Cimabue. In die Zeit der Crisis, welche sich an diesem Denkmal verewigt, fiel nun die Jugend des Florentiners Cimabue (1240? bis nach 1300). Von einem durchgehenden Gegensatz gegen die Byzantiner ist gerade bei ihm am wenigsten die Rede; noch in seinem letzten grossen Werk, a dem Christus zwischen Maria und Johannes d. T. in der Halbkuppel des Domchores von Pisa, fügte er sich fast ganz der gewohnten Auf- fassung. Allein innerhalb dieser Schranken fängt Schönheit und Leben sich zu regen an. Seine zwei grossen Madonnenbilder machten Epoche in der christlichen Kunst. Das eine, jetzt in der Academie b zu Florenz, erreicht zwar in der freien und geschickten Schiebung der Hauptfiguren nicht einmal den Guido von Siena, aber es zeigt haupt- sächlich in den Köpfen der Engel, dass der Meister von den Ursachen und Elementen menschlicher Anmuth schon ein klares Bewusstsein hatte. Das andere, in S. Maria novella (Cap. Ruccellai, am rechten c Querschiff) ist ungleich vorzüglicher und unbefangener; hier erwacht bereits ein eigentlicher Natursinn, der sich mit conventioneller Be- zeichnung eines abgeschlossenen Kreises von Dingen nie mehr zu- frieden geben wird. — Aber sein ganzes Können offenbarte C. erst in den Fresken der Oberkirche S. Francesco zu Assisi . Leider sind d dieselben sehr zerstört, so dass jedes einzelne Bild eine besondere Anstrengung der Phantasie verlangt. Der erste und letzte genauere Berichterstatter (Carl Witte, im Kunstblatt 1821, Nr. 40—46) muss sie noch in besserm Zustande gesehen haben. Er unterscheidet: 1) Ano- nyme Malereien byzantinischen Styles (welchem sie indess nach sei- ner Schilderung schwerlich entsprechen) über der Galerie in beiden Armen des Querschiffes. 2) Die oben erwähnten Arbeiten des Giunta Pisano, Geschichten der Jungfrau und der Apostel im Chor und Quer- schiff, nebst einer Kreuzigung im südlichen Arme des letztern. (Alles kenntlich an dem durchgängig schwarz gewordenen Bleiweiss.) 3) Eine ebenfalls sonst dem Giunta beigelegte, aber eher dem Cimabue gehö- rende Kreuzigung im nördlichen Arme. 4) Von den Kreuzgewölben des Langhauses enthält das dritte vom Portal an gerechnet noch die oben (S. 130, a) erwähnte Malerei Cimabue’s, deren decorative An- ordnung (Rundbilder Christi, der Maria und zweier Heiligen, auf Engel vom Victorientypus gestützt, mit Festons eingefasst, die aus Gefässen hervorwachsen, welche von nackten Genien getragen werden) bereits Malerei des romanischen Styles. Cimabue. weit über jenen ersten Versuch des Jacobus (S. 744, d) hinausgeht. Das erste Kreuzgewölbe vom Portal an, mit den vier Kirchenvätern, die ihren Schreibern dictiren, schien mir (1848) so erneut, dass ich keinen alten Maler hätte dafür verantwortlich machen mögen; doch kam dem Obengenannten auch 1821 die Farbe hier „vorzüglich frisch er- halten“ vor; der Tradition nach ebenfalls von Cimabue. Im mittlern Kreuzgewölbe über dem Altar sind von demselben die vier Evange- listen gemalt, jeder sitzend schreibend, gegen eine thurmreiche Stadt geneigt, noch ziemlich ungeschickt byzantinisirend. (So lauten meine allerdings nicht an Ort und Stelle gemachten Notizen von 1848; der Obengenannte will diese Figuren schon 1821 nicht mehr vor- gefunden haben.) 5) Die obern Wandbilder des ganzen Langhauses mit sechszehn Geschichten des alten und sechszehn des neuen Testa- mentes, ehemals die Hauptleistung Cimabue’s. Aus dem jetzt fast vollendeten Ruin derselben schaut noch hie und da ein energisches, selbst grossartiges Motiv hervor, das uns ahnen lässt, wie der Mei- ster hier sich von den byzantinischen Compositionstypen fast völlig frei gemacht, wie er die Momente neu und lebendig entwickelt, die Gruppirung zur bedeutungsvollen Mitwirkung herbei gezogen habe; das Detail als solches ist noch nicht individuell belebt, die Köpfe noch a ohne den Ausdruck des Augenblickes. 6) Die untern Wandbilder des Langhauses mit den Geschichten des heil. Franz, Werke verschie- dener Giottesken des XIV. Jahrh., mit einem byzantinischen Nach- klang; wahrscheinlich unter dem Einfluss von Giotto’s Compositionen desselben Inhaltes (an den Sacristeischränken von S. Croce in Flo- renz, jetzt in der dortigen Academie) entstanden; von Rumohr dem Parri Spinello zugeschrieben. Die Umgebung Cimabue’s war in der Anerkennung des Neuen, b welches er repräsentirte, getheilter Ansicht. Der unbekannte Ver- fertiger des Tribunenmosaiks von S. Miniato bei Florenz (1297?) zeigt sich als verstockten Byzantiner; das Erwachen des Natursinns be- schränkt sich auf die Thierfiguren, welche den grünen Wiesenboden c seines Bildes bevölkern. — Dagegen verräth Gaddo Gaddis Lu- nette mit Mariä Krönung innen über dem Hauptportal des Domes trotz der vollen byzantinischen Prachttechnik den tiefen Eindruck, welchen Cimabue’s Madonnen hervorgebracht hatten. — Schon mehr gegen Duccio. Römer. Giotto’s Art neigen die Mosaiken der Querschifftribunen im Dom von a Pisa. (Verkündigung und Madonna mit Engeln.) Um dieselbe Zeit offenbart auch die Schule von Siena ihre künf- tige Richtung. Gleichzeitig mit Diotisalvi trat hier Duccio auf, von welchem das grosse Altarwerk (1310—1311) herrührt, dass jetzt getrennt im b Dom (an beiden Enden des Querschiffes) aufgestellt ist; links die Ma- donna mit Engeln und Heiligen, rechts die Geschichten Christi auf vielen kleinern Feldern Eine Anzahl kleiner Täfelchen in der Academie gelten als Theile der Pre- * della des Bildes. . Wenn die Hervorbringung des Einzel- schönen das höchste Ziel der Malerei wäre, so hätte Duccio das XIII. und das XIV. Jahrhundert, selbst Orcagna nicht ausgenommen, über- holt. Es muss ihn sehr beglückt haben, als er vor seinen erstaunten Zeitgenossen die Schönheit des menschlichen Angesichtes und die ab- gewogene Anmuth holder Bewegungen und Stellungen aus eigenen Mitteln (nicht nach antiken Vorbildern wie Niccolò Pisano) wiederzu- geben vermochte. Seine Technik aber ist noch die der Byzantiner und in den geschichtlichen Compositionen hat er, genau betrachtet, mehr die üblichen Motive derselben mit seinem Styl vom Tode auferweckt als neue geschaffen. — Wie viel oder wenig er ausser diesem Altar- werk schuf, immerhin hat er für ein Jahrhundert der Schule seiner Vaterstadt den Ton angegeben. In Rom zeigt sich um diese Zeit ein ganz bedeutender und eigen- thümlicher Aufschwung, der uns ahnen lässt, dass die Kunstgeschichte eine wesentlich andere Wendung würde genommen haben ohne die Katastrophe, welche den päpstlichen Stuhl für 70 Jahre an die Rhone versetzte. Zwischen 1287 und 1292 fertigte der Mönch Jacobus Toriti die grossen Mosaiken der Altartribunen im Lateran und in c S. Maria maggiore. Das erstere ist noch einförmig und zerstreut in der Anordnung, aber im Ausdruck der begeisterten Anbetung schon Malerei des romanischen Styles. Rom. Neapel. a ganz hedeutend. Das Letztere ist eine der grössten vorgiottesken Leistungen, vorzüglich was die Gruppe im blauen, goldgestirnten Mittelrund betrifft; während Christus die Maria krönt, hebt sie, an- betend und zugleich bescheiden abwehrend, die Hände auf. Zu der schönen, schwungvollen Formenbildung kommt dann noch, hauptsäch- lich in den an Cimabue erinnernden Engeln, ein wahrhaft holder Aus- druck, und in der Anordnung des Ganzen jene seit Cimabue wieder völlig erweckte hohe decorative Fülle und Freiheit. — Auch an den b oben (S. 166, b und c) genannten beiden Grabmälern von dem Cos- maten Johannes sind die bescheidenen Mosaiken ebenfalls würdig und anmuthig in gleichem Grade. — Die erzählenden Mosaiken der c alten Fassade von S. Maria maggiore (bequem sichtbar in der obern Loggia der neuern), gegen 1300 von Philippus Rusuti verfertigt, sind zwar nicht sehr geistreich erfunden, aber wiederum merkwürdig durch die freie, hier an Pompejanisches erinnernde Vertheilung in eine bauliche Decoration. Während in diesen römischen Arbeiten der Byzantinismus schon nahezu überwunden erscheint, herrscht er aber in Neapel noch d weiter. Das schöne Mosaik einer Madonna mit zwei Heiligen in S. Restituta (eine der Cap. links) zeigt diesen Styl (um 1300) in einer ähnlichen edeln Weise belebt wie etwa bei Cimabue. — Von einem Zeitgenossen des letztern, Tommaso degli Stefani (1230—1310), e war eine Capelle des Domes (Cap. Minutoli, am rechten Querschiff) ausgemalt; alte und neue Übermalungen haben jedoch dem Werke seinen Charakter völlig genommen. Diejenige erste grosse Blüthe der italienischen Malerei, welche mit der germanischen Gesammtkunst parallel geht und welche wir auch in diesem Gebiete als germanischen Styl bezeichnen, hat vor der Malerei des Nordens schon einen beträchtlichen äussern Vor- theil voraus; sie ist nicht eine blosse Dienerin der Architektur, son- dern besitzt ein unabhängiges Leben und erhält Wandflächen zur Germanischer Styl. Verfügung, die ihr im Norden wenigstens in Hauptkirchen nicht ge- gönnt wurden und mit welchen wesentlich auf sie gerechnet war. Die Malerei als Gattung zieht den grössten Genius des Jahrhunderts an sich, Giotto . Die Stellung, welche sie gegenüber den übrigen Kün- sten schon im XIII. Jahrh. behauptet, wird durch Seine Leistungen glänzend erweitert; das Vorurtheil zu Gunsten monumentaler Bilder- kreise in Fresco, welches Er und die Seinigen so sehr verstärkten, bildet für alle Folgezeit den festen Boden, ohne welchen auch Rafael und Michelangelo nicht die Aufgaben angetroffen hätten, in welchen sie sich am grössten erwiesen. Giotto lebte 1276—1336. Von seinen wichtigsten Schülern und nähern Nachfolgern, meist Florentinern, sind zu nennen: Taddeo Gaddi (geb. um 1300, st. 1352); Giottino (eigentlich Tommaso di Stefano, 1324—1356); Giovanni da Melano (d. h. Mailand); An- drea Orcagna (richtiger Arcagnolo, eigentlich Andrea di Cione, 1329—1389); dessen Bruder (?) Bernardo ; ferner Angelo Gaddi (st. nach 1394): Spinello von Arezzo (st. nach 1408); Antonio Veneziano; Francesco da Volterra (beide gegen Ende des XIV. Jahrhunderts im Camposanto zu Pisa thätig); Niccolò di Pietro u. a. — Einstweilen nehmen wir auch denjenigen Maler mit hinzu, welcher im Camposanto Symone da Siena heisst, sowie auch die Sienesen Ambrogio und Pietro di Lorenzo , welchen wir in ihrer Heimathschule wieder begegnen werden. Wir zählen nun die wichtigsten Werke nach den Orten auf, je- desmal mit Angabe derjenigen Meister, welchen sie die Tradition zu- schreibt. Wo es wesentlich ist, die Controversen über diese Benen- nungen zu kennen, möge diess in Kürze angedeutet werden. Auch einige der wichtigern Altarbilder sind dabei mit zu nennen. padua . Die Capelle S. Maria dell’ Arena ; das Innere ganz mit den a Fresken Giotto’s bedeckt. (Seit 1303, also sein frühstes grosses Werk.) Das Leben der Jungfrau und die Geschichte Christi in vie- len Bildern; am Sockel grau in grau die allegorischen Figuren der Tugenden und Laster; an der Vorderwand das Weltgericht. (Bestes Licht: Morgens.) Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule. florenz . a S. Croce . Im Chor: Angelo Gaddi , Geschichten des wah- ren Kreuzes. In den zehn Capellen zu beiden Seiten des Chores: 1. Cap. rechts (kleinere Cap. Bardi): Geschichten des heil. Fran- ciscus, durch Bianchi’s Kühnheit und Pietät in den letzten Jahren dem Giotto zurückgegeben, dessen Werk sie ursprünglich waren. Auf dem Altar, stets verdeckt, die dem Cimabue zugeschriebene Ge- stalt des heil. Franciscus. 2. Cap. rechts (Cap. Peruzzi): rechts die Auferstehung eines Hei- ligen, wahrscheinlich von Giotto , links die Überreichung des Haup- tes Johannis d. T., vielleicht von einem zaghaftern Schüler. 5. Cap. rechts: halb erloschene Darstellung vom Kampfe S. Mi- chaels und des himmlischen Heeres mit dem Drachen, grossartig ge- dacht; der Urheber unbekannt. 4. Cap. links (Cap. Baldi): Bernardo Gaddi , Marter der HH. Stephanus und Laurentius. 5. Cap. links (Cap. S. Silvestro): Giottino , rechts drei Wun- der des heil. Sylvester; links Grabnischen mit den nicht unbedeuten- den Fresken eines Weltgerichts und einer Grablegung. b Am Ende des rechten Querschiffes: die grosse Cap. Baroncelli: Altarbild von Giotto ; Fresken mit dem Leben der Maria von Tad- deo Gaddi , von demselben die Figuren am Gewölbe. (Die Mad. della cintola an der Wand rechts ist von Bastiano Mainardi .) Die Malereien Taddeo’s sind von den wichtigsten der Schule, deren Gruppirungs- und Gewandungsmotive hier ganz besonders schön und furchtlos gehandhabt sind. In der rechts anstossenden Cap. del Sagramento: am Gewölbe die Evangelisten und die Kirchenlehrer, von Gherardo Starnina und Taddeo Gaddi . c Im Gange vor der Sacristei: u. a. ein ausgeschnittenes Crucifix, angeblich von Giotto . d In der Cap. Medici am Ende dieses Ganges: eine Anzahl Altar- bilder des XIV. Jahrhunderts. e In der Sacristei: an der Wand rechts die Scenen der Passion, dem Niccolò di Pietro , von Andern dem Angelo Gaddi zuge- Fresken in Florenz. schrieben; die untern meist von einem energischen, aber etwas ver- wilderten Giottesken; oben sehr schön die kieenden Jünger und Engel um den Auferstandenen. — In der Altarcapelle der Sacristei: das Le- a ben der Magdalena und das der Maria, nebst den Gewölbemalereien und dem Altarbild, dat. 1379, aus der Schule der Gaddi . (Von Andern zu kühn dem Taddeo zugeschrieben.) In dem ehemaligen Refectorium des anstossenden Klosters (jetzt b zur Teppichfabrik eingerichtet, zugänglich vom Platze aus, rechts von der Klosterpforte): ein grosses, im Ganzen wohl erhaltenes Abend- mahl von Giotto . Eines der reinsten und gewaltigsten Werke des XIV. Jahrhunderts, bei dessen Anblick ich mich immer vergebens gefragt habe, wesshalb man es so beharrlich dem Giotto abspreche, ohne doch einen andern Meister dafür nennen zu können. Darüber: Der Stammbaum der Franciscaner und einige Scenen aus der Legende des heil. Franz, von geringern Händen. (Fast alle diese Fresken haben Morgens das beste Licht.) S. Maria novella . Cap. Strozzi, am Ende des linken Quer- c schiffes: das Weltgericht (hinten), das Paradies (links) und das Altar- bild (1357) von Andrea Orcagna ; die Hölle (rechts) von dessen Bruder Bernardo . Das Paradies bezeichnend als die höchste Grenze des Holdseligen und Schönen in der Gesichtsbildung, welche die Schule erreicht hat. Chiostro verde: Die ältern Theile der grün in grün gemalten Ge- d schichten der Genesis. (Die spätern von Paolo Uccello .) Anstossend an diesen Kreuzgang: Die berühmte Capella degli e Spagnuoli, ausgemalt nach 1322 bis nach 1355, laut Vasari von Tad- deo Gaddi und Symon von Siena , welchen man sie gegen- wärtig aus Gründen abspricht. (Dass indess wenigstens die Köpfe der Tugenden und Wissenschaften von einem trefflichen alten Siene- ser sind, lehrt der erste Blick.) Ein Hauptdenkmal der Schule, in Beziehung auf die Zusammenstellung des Ganzen, auf den Reichthum der Composition in den biblischen Scenen und auf die Allegorik in den beiden grossen Seitenbildern, dem „Triumph des heil. Thomas von Aquino“ und der „streitenden und triumphirenden Kirche“. (Be- stes Licht: 10—12 Uhr.) Ausser geringern Überresten in verschiedenen Räumen des Klo- Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule. a sters: im sog. alten Refectorium eine thronende Madonna mit vier Heiligen, mehr sienesisch als florentinisch, und: b In einem kleinen gewölbten Gemach der Farmacia rohe Passions- fresken des Spinello Aretino . c S. Miniato al monte . Ausser mehrern geringern Überbleib- seln an den Wänden der Kirche: Die von Spinello mit den Geschichten des heil. Benedict aus- gemalte Sacristei. d S. Felicita , Anbauten hinten rechts: in einem alten Capitelsaal der Gekreuzigte mit den Seinigen, in einem nahen Gang eine Annun- ziata; letztere beinahe Orcagna’s würdig. e Ognissanti . Cap. am Ende des linken Querschiffes: ein sehr verdorbenes Altarbild aus mehrern Tafeln bestehend, von Giovanni da Melano , in der Durchbildung des Einzelnen den meisten Wer- ken der Schule überlegen. f In der Sacristei: Fresco eines Ungenannten, der Gekreuzigte mit Engeln, Heiligen und Mönchen. g S. Ambrogio . Zweiter Altar rechts: Säugende Madonna mit zwei Heiligen, von Angelo Gaddi (?). Dritter Altar recht: Kreuzabnahme, von Giottino. h Bigallo . Im Zimmer des Cassiers: Fresken von dreierlei Hän- den, darunter eine Misericordia von Giottino (?); das naive Bild der Waisenkinder ist von einem zurückgebliebenen Giottesken des XV. Jahrh., Pietro Chelini . i Dom . Die Apostel und Heiligen unter den meisten Fenstern des ganzen Capellenkranzes, ebenfalls von einem der spätesten Giottes- ken, Lorenzo Bicci . — An einem der vordern Pfeiler das schöne, spätgiotteske Bild des heil. Zenobius. k S. Maria la nuova . Aussen neben der Thür die beiden Cere- monienbilder des genannten Bicci, stark erneuert. l Orsanmicchele . Im Tabernakel Orcagna’s das sehr schöne Gnadenbild des Ugolino da Siena , mehr florentinisch als sienesisch. (Erste Hälfte des XIV. Jahrh.) m Pal. del Podestà . In der Dispensa, der ehemaligen Capelle: Reste der Fresken Giotto’s , Scenen aus der Legende der heil. Mag- Fresken in Florenz und Pisa. dalena, Johannis d. T., Weltgericht, Paradies, Alles kaum mehr kenntlich. Einzelne Reste von Fresken, auch Staffeleibilder, in verschiedenen a Kirchen; mehrere der letztern in der Certosa (ältere Seitenkirche). pisa . Das Camposanto . Von der Capelle an der östlichen Schmal- b seite an gerechnet folgen aufeinander: Buffalmaco : Passion, Auferstehung und Himmelfahrt, sehr über- malt. (Der Künstler, der sich stellenweise als einen der allergeist- vollsten Giottesken zeigt, mag einstweilen den Namen beibehalten, den man ihm wegen mangelnder urkundlicher Documente über seine Exi- stenz streitig macht.) Südwand. Andrea Orcagna : Triumph des Todes und Welt- c gericht. Bernardo Orcagna (?): Die Hölle. Ambrogio und Pietro Lorenzetti (auch di Lorenzo, miss- verständlich auch Laurati) von Siena: Das Leben der Einsiedler in der Thebais. „ Symon von Siena “ (d. h. irgend ein florentinisch und sie- nesisch gebildeter Meister des XIV. Jahrh.): die drei obern Bilder der Geschichten des heil. Ranieri. Einzelne Engel- und Frauenköpfe ganz sienesisch; vielleicht auch das Ungeschick in der Anordnung. Antonio Veneziano : Die drei untern Bilder. Spinello Aretino : drei Bilder mit den Geschichten der HH. Ephesus und Potitus. Francesco da Volterra (ehemals dem Giotto beigelegt): die vorzüglich geistvollen Geschichten Hiobs. Nordwand. Pietro di Puccio (ehemals dem Buffalmaco zuge- d schrieben, jedenfalls nicht von dem obenerwähnten Maler der Passions- bilder): Gott als Welterhalter, und die Geschichten der Genesis bis zum Opfer des Noah; sowie auch die Krönung Mariä über dem Ein- gang einer Capelle dieser Seite. (Die übrigen Geschichten des alten Testamentes, von Benozzo Gozzoli , sind unten zu erwähnen.) In S. Francesco : das Gewölbe des Chores, mit den je zu zweien e gegeneinander schwebenden Heiligen, von Taddeo Gaddi . B. Cicerone. 48 Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule. a Im Capitelsaal die sehr zerstörten, ausgezeichneten Passionsscenen des Nic. di Pietro (1392); an der Decke Halbfiguren in Medaillons. b In S. Caterina , Alt. links, eine Glorie des heil. Thomas, von einem gewissen Traini . c Im Carmine (oder wenn mich meine Notizen täuschen sollten, in S. Martino) Fresken des XIV. Jahrh. in einer Nebencapelle rechts und über dem Orgellettner. d Alte Bilder in S. Ranieri, in der Sammlung der Academie und in Privathänden. pistoja . e In S. Francesco al Prato ist das Gewölbe der Sacristei mit vier Heiligen zwischen guten Gurtverzierungen bemalt, etwa in der Art des Niccolò di Pietro. Der anstossende Capitelsaal enthält Fresken von verschiedenen Händen, u. a. von Puccio Capanna ; das Gewölbe ganz der Ver- herrlichung des heil. Franciscus gewidmet; an der Hauptwand Chri- stus am Kreuz, welches in Baumzweige mit Heiligenfiguren ausgeht etc. prato . f Im Dom gleich links die Capella della cintola, ausgemalt von Angelo Gaddi 1365 mit dem Leben der Maria und der Geschichte des Gürtels. Hauptwerk der Schule. Cap. links neben dem Chor: rohe Legenden des XIV. Jahrh. Cap. rechts neben dem Chor: Leben der Maria und Geschichten S. Stephans, unbedeutende Werke des XV. Jahrh.; übermalt. g In S. Francesco : der ehemalige Capitelsaal, ausgemalt von Niccolò di Pietro , Passion und Legenden des Matthäus und An- tonius von Padua. arezzo . h Im Dom : eine Nische des rechten Seitenschiffes, ausgemalt von Spinello , aber sehr übermalt. (Der Crucifixus mit Heiligen.) i Bei S. Agostino , in einer ehemaligen Capelle, oben an der Mauer: Madonna von Spinello , zu einer Verkündigung gehörend. k In S. Domenico : sehr übermalte Fresken des Parri Spinello , Sohn des obigen, neben der Thür; der Gekreuzigte mit Heiligen, und zwei Apostel, beide Gemälde umgeben von Martyrien in kleinern Figuren. Fresken in Arezzo, Siena und Assisi. Im vordern Klosterhof von S. Bernardo : die Geschichten dieses a Heiligen, einfarbig, an die ältere Hand des Chiostro verde bei S. M. novella erinnerd; dem Uccello zugeschrieben. Was in andern Städten Toscana’s vorhanden sein mag, ist nach Allem zu urtheilen nicht bedeutend. Von SIENA, welches seinen be- sondern Styl entwickelte, wird weiter die Rede sein; vorläufig sind hier zu nennen: Spinello’s Fresken, im Pal. pubblico, Sala di Balia; Geschich- b ten des Kaisers Friedrich Barbarossa und des Papstes Alexander III. Der Einritt des Papstes, welchem der Kaiser den Zügel führt, ist eines der besten Ceremonienbilder aus Giotto’s Schule; für einige der übrigen Scenen ist weniger gut zu stehen; der Rest erscheint vol- lends als das Werk eines untergeordneten Malers. In der Academie zu Siena ein paar kleine Tafeln Spinello’s, c u. a. ein Tod der Maria, welche den Giottesken als Componist in seiner ganzen Überlegenheit, verglichen mit den Sienesen, erscheinen lassen. assisi . S. Francesco . Die Oberkirche vgl. Seite 745, d. Die Unterkirche. An dem Hauptgewölbe über dem Grabe die d Allegorien von Armuth, Keuschheit und Gehorsam, nebst der Ver- klärung des heil. Franciscus. Hauptwerke von Giotto . (S. unten.) Im südlichen Querschiff Reste einer grossen und sehr reichen Kreuzigung (angeblich von Pietro Cavallini , der sich aber in den oben S. 741, b genannten Mosaiken noch als einen zu befangenen By- zantiner erweist, um der Urheber dieses Werkes sein zu können); ferner Kreuzabnahme, Grablegung und S. Franz die Wundmale empfangend (angeblich von Giotto ); am Tonnengewölbe kleine Passionsbilder (vielleicht von Puccio Capanna ). Im nördlichen Querschiff Fresken des XV. Jahrh. und eine ältere, geringere Kreuzigung. Die Bilder aus der Geschichte Christi am Tonnengewölbe angeblich von Giovanni da Melano . In der Cap. del sagramento und in der derjenigen des Card. Al- bornoz handwerksmässige Fresken des XIV. Jahrh.; die der letztern dem Buffalmaco zugeschrieben. 48* Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule. a In der Cap. des heil. Martinus die Geschichten dieses Heiligen, in zehn Bildern, angeblich von Puccio Capanna . Über der Kanzel: Krönung Mariä, von Giottino , welchem noch mehreres Einzelne angehört Vorliegendes grösserntheils nach Witte. Ausserdem finde ich in meinen meist flüchtigen Notizen von 1848 noch eine Cap. der h. Magdalena angemerkt, mit Fresken Giottino’s , von geistreichen und lebendigen Motiven. In der Ent- fernung von allen Abbildungen und nähern Nachweisen kann ich diese An- gabe nicht mehr verificiren, rathe aber jedem Kunstfreund, wenn er einen so wundervollen Frühlingstag in Assisi zum Geschenk erhält wie ich im J. 1848, seine Notizen bei Zeiten zu machen. Ein zweiter Besuch im J. 1853, unter strömendem Regen in’s Werk gesetzt, liess mich die frühere Versäum- niss schwer bereuen. Die Unterkirche war nachtdunkel; nur das goldene Gewand des heil. Franciscus schimmerte vom Gewölbe hernieder. . b In S. Chiara : an den vier Feldern des Kreuzgewölbes je zwei heil. Frauen unter Baldachinen, von Engeln umgeben; von Giottino . rom . c In S. Peter , an der Innenseite der Fassade: die Navicella, ur- sprünglich eine Composition Giotto’s , allein durch mehrmalige Er- neuerung, ja ganz neue Zusammensetzung des Mosaikes in moderne Formenbildung übersetzt. d In der Stanza capitolare der Sacristei: Auseinander genommene Tafeln eines Altarwerkes von Giotto . e Im Vatican die schon (S. 739, b) genannte Sammlung älterer Bilder beim Museo cristiano. f Im Lateran : an einem der ersten Pfeiler des äussersten Neben- schiffes rechts: gerettetes Frescofragment Giotto’s : Bonifaz VIII die Indulgenzbulle des Jubiläums von 1300 verkündend, mit zwei Be- gleitern. neapel . g Kirchlein dell’ Incoronata (nicht weit von der Fontana Medina): das Kreuzgewölbe über der Empore links vom Eingang ausgemalt von Giotto ; seine Urheberschaft wird bestritten wegen mehrerer als Porträts gedeuteter Köpfe, welche allerdings ein chronologisches Hin- derniss sein würden; allein diese Deutungen sind auch nicht sicher, so dass es bei Giotto sein Bewenden haben mag. In sieben Gewölbe- Fresken in Rom und Neapel. feldern Darstellung der sieben Sacramente in ihrer Ausübung, im achten (wie es scheint) eine Allegorie Christi und der Kirche. Haupt- werk für die Erzählungsweise in wenigen tiefgegriffenen Zügen, und für die höchste, sprechendste Deutlichkeit der Darstellung. Wohl er- halten und bequem zu besichtigen. (Am Besten Vormittags.) In der- selben Kirche noch verschiedene Überreste des XIV. Jahrh., so in der Cap. links vom Chor am Gewölbe; die Fresken an den Wänden der- selben Cap. XV. Jahrhundert. In S. Chiara das Gnadenbild an einem Pfeiler links, von Giotto , a der einzige Rest seiner umfangreichen Fresken. Es wird vielleicht als ein unberechtigter Versuch erscheinen, wenn wir nach dieser kurzen Aufzählung eine Gesammtcharakteristik der ganzen Schule versuchen, statt den einzelnen Meistern ihre persön- lichen Eigenthümlichkeiten nachzuweisen. Allein abgesehen von dem Gebot der Kürze wüssten wir in der That nicht anders zu verfahren bei Künstlern die gar keine Eigenthümlichkeit als die ihrer Schule repräsentiren wollen . Der Einzelne war hier gar nicht so frei; die Schule musste ihren Bilder- und Gedankenkreis in der gegebenen Form ganz und voll durchleben, hundert Jahre lang, ohne irgend be- deutende Fortschritte oder Änderungen in den Darstellungsmitteln, um dann vor dem Geist des XV. Jahrh., der die Individualitäten erlöste, total zusammenzubrechen. Als Ganzes imponirt sie auch erst in vol- lem Masse, und zwar so, dass man sie den grössten Denkmälern unseres Jahrtausends beizählen muss. Allerdings spricht sie nicht zu dem zerstreuten oder übersättigten Auge; der Gedanke muss ihr entgegenkommen. Es ist dabei gar keine besondere „Kennerschaft“ nothwendig, sondern nur etwas Ar- beit. Nehmen wir z. B. das erste Werk der Schule, das dem Be- sucher der Uffizien zu Florenz in die Augen fällt, es ist Giotto’s b Gethsemane. (Im ersten Gange, in der Nähe der Thür.) Unfreund- lich, scheinbar ohne Lichteffekt, Individualisirung und Ausdruck der Seele, schreckt das Bild Tausende von Besuchern ohne Weiteres ab. Auch wenn man es mit der Loupe untersucht, wird es nicht schöner. Vielleicht aber besinnt sich Jemand auf andere Darstellungen des- Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule. selben Gegenstandes, wo die drei schlafenden Jünger zwar nach allen Gesetzen der verfeinerten Kunst geordnet, colorirt und beleuchtet, aber eben nur drei Schläfer in idealer Draperie sind. Giotto deutete an, dass sie unter dem Beten eingeschlafen seien. Und solcher un- sterblich grossen Züge enthalten die Werke seiner Schule viele, aber nur wer sie sucht, wird sie finden. — Wir wollen vom Einzelnen anfangen. Giotto’s grosses Verdienst lag nicht in einem Streben nach idealer Schönheit, worin die Sienesen (S. 747, b) den Vorrang hatten, oder nach Durchführung bis ins Wirkliche, bis in die Täuschung, worin ihn der Geringste der Modernen übertreffen kann, und worin schon der Bild- hauer Giovanni Pisano trotz seiner beschränkten Gattung viel weiter gegangen war. Das Einzelne ist nur gerade so weit durchgebildet als zum Ausdruck des Ganzen nothwendig ist. Daher noch keinerlei Bezeichnung der Stoffe aus welchen die Dinge bestehen, kein Unter- schied der Behandlung in Gewändern, Architektur, Fleisch u. s. w. Selbst das Colorit befolgt eher eine gewisse conventionelle Scala a als die Wirklichkeit. (Rothe, gelbe und bläuliche Pferde abwechselnd, z. B. bei Spinello im Camposanto in Pisa; die braunrothe Luft in der Geschichte Hiobs, bei der Audienz des Satans, ebenda.) Im Ganzen ist die Färbung eine lichte, wie sie das Fresco verlangt, mit noch hellern Tönen für die Lichtpartien; von der tiefen, eher dumpfen als durchsichtigen byzantinischen Tonweise ging man mit Recht ab. (Die b delicateste Ausführung des Fresco überhaupt bei Antonio Veneziano, Camposanto.) Die Bildung der menschlichen Gestalt erscheint so weit vervollkommnet als zum freien Ausdruck der geistigen und leiblichen Bewegung dienlich ist, letztere aber wird noch nicht dar- gestellt weil oder wenn sie schön und anmuthig ist, sondern weil der c Gegenstand sie verlangt. (Die bedeutendste Menge nackter Figuren, in der Hölle des Bernardo Orcagna, Camposanto, lässt einen Natura- lismus erkennen, dessen Ursprung bei Giovanni Pisano zu suchen d sein möchte. Ähnlich, doch unfreier, die Geschichte der ersten Men- schen, von Pietro di Puccio, ebenda.) Der Typus der Köpfe ist wohl bei den einzelnen Malern und innerhalb ihrer Bilder nach den Gegenständen ein verschiedener, allein doch ungleich mehr derselbe als bei Spätern, welche durch Contraste und psychologische Abstufung Colorit. Formenbildung. Gewandung. Raum. wirkten. Giotto selbst hat einen durchgehenden kenntlichen Typus bei Männern und Frauen, nicht unangenehm, aber ohne Reiz. (Ein Nor- malbild für seine Art der Formengebung und des Ausdruckes ist die grosse Madonna in der florent. Academie, vorzüglich in Betreff der a Profilköpfe der Engel. Ausserdem das Bild in S. Croce. Er indivi- b dualisirt fast am Meisten in seiner frühsten Hauptarbeit, den Fresken c der Arena.) Bei beiden Gaddi kehrt das starke Kinn fast regelmässig wieder (Cap. Baroncelli in S. Croce, Incoronata in Neapel etc.; sonst d ist für Taddeo’s Formenbildung im Detail hauptsächlich die grosse herrliche Grablegung in der florent. Academie zu vergleichen). Andrea e Orcagna geht zuerst auf eigentliche Holdseligkeit aus (Cap. Strozzi in f S. Maria novella), aber durchaus nicht immer, wie denn in dem Welt- gericht des Camposanto eine mehr derbe, entschiedene Bildung vor- g herrscht. Das Individualisiren ist bald leiser, bald nachdrücklicher; vielleicht am absichtlichsten bei Ant. Veneziano. Spinello, welcher überhaupt oft roh zeichnet und an den Stellen, auf welchen kein Ac- cent liegt, sich auch bis in die äusserste Flauheit gehen lässt, hat in seinen Köpfen am wenigsten Einnehmendes. — Der Sinn für Schön- heit, für Melodie, könnte man sagen, concentrirt sich hauptsächlich in der Gewandung , welche bei den heiligen Personen eine wesentlich ideale ist, so wie das Mittelalter sie aus der altchristlichen Tradition übernommen hatte. Sie ist nicht nur der deutliche und nothwendige Ausdruck der Haltung und Bewegung, sondern sie hat noch ihre be- sondere, oft unübertreffliche Linienschönheit, die den Ausdruck des Würdigen und Heiligen wesentlich erhöht. (Giotto’s Abendmahl im h ehemal. Refectorium zu S. Croce möchte wohl das vollkommenste enthalten.) Der Raum ist durchgängig ideal gedacht, und nicht etwa wegen „Kindheit der Kunst“ (die ja hier die grössten Aufgaben löst) un- perspectivisch gegeben. Die Maler wussten recht wohl, dass unter so kleinbogigen Kirchenhallen, zwischen so niedrigen Stadtmauern, Pfor- ten, Bäumen, auf einem so steilen Erdboden etc. keine solchen Men- schen sich bewegen könnten, wie die ihrigen sind. Allein sie gaben was zur Verdeutlichung des Vorganges diente und dieses anspruchlos und schön (der Dom von Florenz als Symbol einer Kirche, Cap. d. i Spagnuoli bei S. Maria novella), meist in Linien die mit der Ein- Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule. rahmung des ganzen Gemäldes zusammenstimmten; auch z. B. die a Pflanzen und Bäume in gerader Reihe (Cap. d. Spagn.; Trionfo della b morte im Camposanto); die Felsen abgestuft zu Erzweckung ver- schiedener Pläne, und schroff geschärft zur Trennung verschiedener Ereignisse. (In dem letztgenannten Bilde. Merkwürdig contrastirt da- selbst der unverkürzte, raumlos dargestellte Teppich unter der Gruppe im Garten mit dem schon naturwahr dargestellten Fussboden unter der Reitergruppe.) — Aber noch in einem andern Sinn ist das Raum- gefühl ein ideales. Der Raum ist nämlich bei Giotto dazu vorhanden, um möglichst mit reichem Leben ausgefüllt zu werden, nicht um selber malerisch mitzuwirken; er gilt durchaus nur als Schauplatz. Wie schon bei Giovanni Pisano, so wird eben hier jeder Vorgang in einer möglichst grossen Anzahl von Figuren entwickelt oder gespiegelt, neben welchen die Nebensachen schon räumlich nicht aufkommen kön- nen. Die Schule hat so viel vom Besten vorräthig, dass sie mit ihrem Reichthum nicht wohin weiss und des Untergeordneten nicht zu be- dürfen glaubt. Endlich lebt sie in einem innigen Verhältniss zur Ar- chitektur, die ihr dafür eine ganz andere Freiheit, zumal grössere Flächen gewährt als im Norden. Bei der Verzierung der Gewölbe- rippen, bei ihrer Einrahmung mit Ornamenten und Halbfiguren arbeiten Maler und Baumeister so zusammen, dass sie Eine Person scheinen. — In den Gewölbemalereien ist, beiläufig gesagt, noch von keiner c Art illusionärer Verkürzung die Rede. (Incoronata in Neapel; Giotto füllt die zusammenlaufenden Winkel seiner acht Dreieckfelder hier jedesmal mit einem schwebenden Engel aus, dessen Goldgewand herr- lich zu dem dunkelblauen Grunde stimmt.) Auf diesen Voraussetzungen beruht nun die ganz neue Auffas- sung der Charaktere und der Thatsachen , welche das grosse Verdienst der Schule ausmacht. In der Intention ist sie nicht heiliger, erhabener als die Byzantiner auch waren, die ja gern in ihren Mu- miengestalten das Übersinnliche und Ewige ausgesprochen hätten. Allein sie bringt diese Intention dem Beschauer unendlich näher, in- dem sie dieselbe mit einem durchaus neugeschaffenen, lebendigen Aus- druck bekleidet. Schon ihren Einzelgestalten, etwa den Evangelisten d in den vier Kappen eines Gewölbes (z. B. Madonnencapelle im Dom von Prato etc. etc.) genügt jetzt nicht mehr symmetrische Stellung, Raumdarstellung. Auffassung der Thatsachen. Buch und Attribut; der hohe Charakter des Darzustellenden drückt sich in der lebensvollen und würdigen Wendung der Gestalt und des Hauptes, in den bedeutenden Zügen, in der freien und doch so feier- lich wallenden Gewandung aus. Wie soll man z. B. den Johannes grösser fassen als diese Schule zu thun pflegt, — ein hochbejahrter Greis, in tiefem Sinnen vor sich hinblickend, indem sein Adler scheu zu ihm emporsieht? Ehe von den grössern Compositionen die Rede ist, muss zu- gestanden werden, dass die Motive des Einzelnen und des Ganzen in dieser Schule sich gerade so wiederholen wie in der antiken Kunst. (Man vergleiche z. B. die drei Leben der Maria in der Cap. Baroncelli a zu S. Croce, im Chor der Sacristei ebenda, und in der Madonnen- b capelle des Domes von Prato.) Die Maler sind desshalb keine Pla- c giatoren und Einer von ihnen hat auch den Andern gewiss nicht dafür gehalten; es war gemeinsames Schulgut, das Jeder nach Kräften re- producirte, nicht knechtisch, sondern lebendig und mit freien Zuthaten. Kirchen und Klöster verlangten die ihnen bekannte und keine andere Erzählungsweise der Passion, des Lebens der Maria, der Geschichten des heil. Franciscus etc. Sie verlangten von dem Künstler noch nicht seine geniale Subjectivität, sondern die Sache; es kam auf das Deut- liche und Schöne, nicht auf das Eigenthümliche an. Daneben aber blieb, wie wir bald sehen werden, noch ein reiches und grosses Feld für freie Aufgaben im Sinne jenes Jahrhunderts offen. Wie viel von jenem Gemeingut hat Giotto selber geschaffen? Die Frage wäre für Jemanden, der alle Werke der Schule nach ein- ander mit Musse untersuchen könnte, nicht unlösbar; wir haben darauf zu verzichten. So viel ist gewiss, dass ein Strom von Erfindung und Neuschöpfung von ihm ausgegangen sein muss. Vielleicht hat kein anderer Maler seine Kunst so gänzlich umgestaltet und neu orientirt hinterlassen als er. Sein Jugendwerk, die Fresken in Madonna dell’ Arena zu d Padua , sind für ihn und die ganze neue Geschichtsdarstellung der Schule in besonderm Grade bezeichnend. Jeder Thatsache ist ihre bedeutendste Seite abgewonnen um auf diese die Darstellung zu bauen. Wir wählen nur einige irdische, zum Theil alltägliche Vorgänge; ihr Werth liegt in dem was sich von selbst zu verstehen scheint, bei Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule. seinen byzantinischen Vorgängern aber sich noch nicht von selbst ver- stand und nicht vorhanden ist. Die tief in sich versunkene Trauer: Joachim bei den Hirten; er kommt zu ihnen gewandelt wie im Traum. — Der liebevolle Empfang: Joachims Heimkehr zur Anna, welche seinen Kopf ganz anmuthig mit beiden Händen fasst und ihn küsst. — Das Harren mit tiefster Er- regung: die vor dem Altar knieenden Freier der heil. Jungfrau, theils in flehendem Gebet, theils in der höchsten Spannung, die würdevollste Gruppe ohne allen äusserlichen Affect. — Das stumme Fragen und Errathen: die wundervolle Gruppe der Heimsuchung. — Die getheilte Handlung der mittlern Figur in der Auferweckung des Lazarus; noch streckt der Dargestellte die rechte Hand gegen Christus, dem er sich unmittelbar vorher flehend zugewandt haben wird; jetzt mit der Ge- berde der höchsten Aufregung wendet er sich gegen Lazarus. — Der geheime Auftrag: die Unterhandlung des Judas mit dem Priester, dessen beide Hände (wie bei Giotto so oft) zu sprechen scheinen. — Der Hohn: in der Gruppe der Verspottung besonders meisterhaft der sich heuchlerisch gebückt Nahende. — Die hohe Mässigung alles Pa- thetischen: in der Gruppe unter dem Kreuz lehnt Maria, zwar ohn- mächtig aber noch stehend, in den Armen der Ihrigen; was diese bekümmert ist nicht (wie bei den Malern des XVII. Jahrh.) die Ohn- macht an sich, sondern der gewaltige Schmerz. — Ein Dialog in Ge- berden: die Soldaten mit Christi Mantel; man glaubt ihre Worte zu vernehmen. — Die Klage um den todten Christus ist ohne irgend einen Zug der Grimasse Wenn es nicht schon etwas zu viel ist, dass Johannes sich auf die Leiche werfen will. gegeben; der Leichnam ist gleichsam ganz in Liebe und Schmerz eingehüllt; Schultern und Rücken liegen auf den Knien der ihn umarmenden Mutter; eine heilige Frau stützt sein Haupt, eine hebt seine rechte, eine seine linke Hand empor; Magda- lena, die Büsserin, auf der Erde sitzend, hält und beschaut die Füsse. — Ein einziges Mal hat Giotto in diesem wunderbaren Bilderkreis über das Ziel geschossen: bei Mariä Himmelfahrt stürzen die Apostel zur Erde nicht sowohl aus Andacht, als getroffen von den Strahlen, die von ihrer Glorie ausgehen. Sonst überall sind die Causalitäten Giotto’s Erzählungsweise. Die Assistenz. höher und geistiger gegriffen als bei Vielen der Grössten unter allen die nach ihm kamen. Was hier an einem monumentalen Werke ersten Ranges gross erscheint, ist es nicht minder an den kleinen, fast skizzenhaften Ge- a schichten Christi in der Acad. von Florenz. (Sie stammen nebst den als Parallele behandelten Geschichten des heil. Franciscus von den Sacristeischränken von S. Croce her; von den ehemals 26 fehlen 6.) Auch hier wird man die prägnanteste Erzählung in den geistvollsten Zügen antreffen. (Zu vergleichen mit der Pforte des Andrea Pisano, S. 573, a.) Mit der Intention, diese unsterblichen Gedanken zu finden, muss der Beschauer an Giotto’s Schöpfungen herantreten. Die Schule hat sie von ihm ererbt und weiter verwerthet. Wo sie aber mit einer so glor- reichen Unmittelbarkeit zu uns reden wie z. B. in den eben genannten Werken und in dem Abendmahl des Refectoriums von S. Croce, da fühlen wir uns in Gegenwart des Meisters selbst. Die Anwesenden , welche ausser den Handelnden die ein- zelnen Scenen beleben, sind keine müssigen Füllfiguren, wie sie die spätere Kunst oft aus rein malerischer Absicht, um das Auge zu vergnügen hinzugethan hat, sondern immer wesentliche Mittel der Ver- deutlichung, Reflexe, ohne welche die Handlung weniger sprechend wäre. Man sehe in der Cap. Peruzzi zu S. Croce die Auferstehung b eines Heiligen (von Giotto?); hier wird das Wunder erst wirklich durch das mit voller dramatischer Grösse gegebene Verhalten der entsetzten und erstaunten Zuschauer. Gegenüber, in der Geschichte des Täufers, erhält die Scene, wo sein Haupt gebracht wird, ihre ganze Gewalt erst durch die beiden Zuschauer, die sich voll innern Grauens aneinanderschliessen. — Hundert anderer Beispiele zu ge- schweigen. Bisweilen treten auch einzelne Figuren und Gruppen aus der Handlung heraus, indem sie nur dazu bestimmt sind, eine Örtlichkeit oder Existenz zu versinnlichen; im Grunde sind es reine Genrefigu- ren . So der Fischer in Giotto’s Navicella (Vorhalle von S. Peter), c obschon man diesen auch als symbolisches Gegenbild zu dem rechts stehenden Christus auffassen kann; eine ganze Fischerscene bei An- d tonio Veneziano (Camposanto, Gesch. des heil. Ranieri) u. dgl. m. Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule. a Ja das Camposanto enthält in dem „Leben der Einsiedler“ von dem Sienesen Pietro di Lorenzo oder Lorenzetti eine grosse chronikartige Zusammenstellung einzelner Züge, von welchen man gerade die besten, am glücklichsten gerundeten als Genre bezeichnen kann; es sind die Motive des Ruhens, sitzenden Arbeitens, ruhigen Redens, Fischens etc. Diesen war der sienesische Existenzmaler viel besser gewachsen, als denjenigen, in welchen es auf erhöhten momentanen Ausdruck ankam. Die Scenen des höhern Pathos überschreiten bisweilen das wahre Mass, wie namentlich einzelne Passionsbilder zeigen. Die räthselhafte b Composition welche im Camposanto dem Buffalmaco beigelegt wird, enthält zwischen herrlichen Gruppen von Anwesenden die carikirt schmerzliche Gruppe der ohnmächtig sinkenden Maria und ihrer Be- gleiterinnen; um das entsetzliche Ende des bösen Schächers zu ver- sinnlichen, hat der Maler unter dessen Kreuz einen Mann abgebildet, der händeringend von dannen eilt. (Die würdigste und an schönen c Zügen reichste giotteske Kreuzigung möchte diejenige in der Cap. d. Spagnuoli sein; einer der bedeutendsten Passionscyclen überhaupt d war der im Capitelsaal von S. Francesco zu Pisa.) Sonst tritt die innere Erregung oft bewundernswürdig wahr und e schön zu Tage. Man sehe (Camposanto, bei Franc. da Volterra) die Geberde edeln Vorwurfes, mit welcher Hiob zu Gott spricht, indem er auf die verlornen Heerden hinweist; oder (bei Symone) die Innig- keit, mit welcher S. Ranieri sein Gelübde bei dem heiligen Mönch ablegt. Das Gewaltigste im Affect hat wohl Orcagna geleistet in der f Gruppe der Krüppel und Bettler (Trionfo della morte, Camposanto), welche vergebens nach dem erlösenden Tode schreien; ihre parallele Geberde mit den verstümmelten Armen wirkt hier, verbunden mit dem Ausdruck ihrer Züge, hochbedeutend. Es ist einer der Fälle, da auch das Widrige vollkommen kunstberechtigt erscheint. Nur so erhielt die Gruppe im Garten ihren deutlichen Sinn als Gegensatz; sie ist, beiläufig gesagt, das ausgeführteste weltliche Existenzbild des germa- nischen Styles, eine Ausführung dessen, was die Miniaturen unserer Minnesingerhandschriften nur erst als Andeutung geben; doch schon mit einem deutlichen Anklang an Boccaz. In der Gruppe der Reiter ist der tiefe Schauder vor den drei Leichen unübertrefflich schön dar- gestellt in dem behutsamen Herannahen, Überbeugen, Sichzurück- Das höhere Pathos. halten; zugleich malerisch eine vorzügliche Composition. — An ein- fachern Aufgaben zeigt z. B. in der Sacristei von S. Miniato bei Florenz a Spinello seine herbe Grösse. Es sind die oft gemalten Geschichten des heil. Benedict, hier auf ihren einfachsten Ausdruck zurückgeführt. Macht und ruhige Autorität liessen sich kaum treffender darstellen, als hier in Geberde und Gestalt des heiligen Abtes durchweg ge- schieht; auch die Verführung und die Busse des jungen Mönches, die Demüthigung des Gothenkönigs, die Gruppe der Mönche um den vom Teufel in Besitz genommenen Stein gehören zu den geistvollsten Ge- danken der florent. Schule. Vieles Andere ist dagegen flüchtig gedacht und roh gegeben. (Überdiess beträchtlich übermalt.) Je nach der Aufgabe erschöpfen diese Maler bisweilen das Mög- liche in edler und geistvoller Äusserung der Seelenbewegung . Ich glaube nicht, dass die Scene des Auferstandenen der seine Wund- male zeigt, jemals wieder so vollkommen gedacht worden ist als in der nur stückweise erhaltenen Gruppe des Buffalmaco (Camposanto). b Statt des einen Thomas sind es mehrere Jünger, die den Auferstan- denen wieder erkennen und seine Wunden verehrend, anbetend, voll zärtlicher Theilnahme betrachten; zugleich bilden sie eine der schönst- geordneten Gruppen der Schule. (Man vergleiche damit Guercino’s c trefflich gemaltes und dabei so roh empfundenes Bild in der vatican. Galerie.) Auch in der zunächst folgenden Himmelfahrt hat die stärkste Übermalung die schönen alten Gedanken nicht gänzlich zerstören kön- nen: noch sind die Apostel kenntlich getheilt zwischen Augenblendung, Erstaunen, Betheurung und hingebender Anbetung. Wenn man aber wissen will, mit wie wenigem sich ein grosser, für jene Zeit erschüt- ternder Eindruck hervorbringen liess, so betrachte man in der Inco- d ronata zu Neapel das „Sacrament der Busse“; fast entsetzt wendet sich der Priester von der beichtenden Frau ab, während die Büsser verhüllt und gebückt von dannen ziehen. Überhaupt ist die Incoronata in dieser Beziehung durchgängig eines der wichtigsten Denkmäler. Die Darstellung des Himmlischen , Heiligen, Übersinn- lichen hat noch ganz dieselbe Grundlage wie zur byzantinischen Zeit; in symmetrischer Gruppirung und Haltung, ganz ernst und ruhig ragt es in die irdischen Vorgänge herab, als etwas sich von selbst Verstehendes, dem noch der volle, auch apokalyptische Glaube ent- Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule. gegenkömmt; bei der idealen Betrachtungsweise des Raumes findet es auch äusserlich von selbst seine Stelle. (Erst das XV. Jahrh. fing an, den Himmel durch Wolkenschichten räumlich zu erklären, und erst Coreggio giebt den Wolken jenen bestimmten cubischen Inhalt und Consistenzgrad, welcher sie zur ganz örtlich berechenbaren Unter- bringung von Engeln und Heiligen geeignet macht.) Es sind die seit der altchristlichen Zeit kunstüblichen Gedanken, die in jeder, selbst in verschrumpft byzantinischer Form imponiren, hier aber in schöner Verjüngung auftreten. Das was so lange Jahrhunderte blosse Andeu- tung gewesen war, gewinnt endlich eine erhabene Wirklichkeit, so- weit eine solche überhaupt im Sinne des Jahrhunderts lag. Hier muss vorläufig von den Weltgerichtsbildern die Rede a sein. Es hatten schon lange, auch im Orient solche existirt, ehe Or- cagna das seinige malte (Camposanto). Allein bei ihm erst ist der Richter nicht bloss eine Function, sondern ein persönlicher Charakter, dem die Wendung und die berühmte Geberde ein imposantes Leben verleihen. Der damalige Glaube wies bereits der Madonna eine für- bittende Theilnahme beim Weltgerichte an; der Maler gab ihr den- selben mandelförmigen Heiligenschein (Mandorla) wie Christus; ihre Unterordnung wird nur dadurch angedeutet, dass ihre Stellung der seinigen fast parallel folgt. Die Apostel sind keine blossen Anwesen- den mehr, sondern sie nehmen den stärksten innern Antheil; wir sehen sie trauernd, erschrocken auf den Richter hinblickend, niedergeschlagen in sich gekehrt, auch mit einander redend. Sogar einer der Engel- herolde kauert furchtsam auf einer Wolke, den Mund mit der Hand verdeckend. Höchst energisch vollziehen dann unten fünf Erzengel das Geschäft des Seelenscheidens; in den beiden, welche die Herüber- strebenden in die Hölle zurückdrängen, ist die herbste Wirkung beab- sichtigt und erreicht. Auch blosse Glorien sind bei dieser Schule immer höchst beach- tenswerth. Die ererbte Symmetrie in der Haltung der Hauptfigur und der Engelschaaren wird mehr oder weniger beibehalten, aber mit gran- diosem Leben durchdrungen. Man kann nichts Eigenthümlicheres sehen, b als (Camposanto, Gesch. des Hiob) die Erscheinung Gottes in ovaler Glorie mit 6 Engeln über einer Landschaft mit grünem Meer, gelber Erde und rothem Himmel; Satan tritt auf einem Fels in Gottes Nähe. Das Übersinnliche. Glorien. Symbolik. Kein Effect des Lichtes und des Raumes könnte den echten, gross- artigen Charakter dieser Theophanie irgend erhöhen. Oder (ebenda) Mariä Himmelfahrt, von Symone: drei Engel auf a jeder Seite, und zwei stärkere, männliche Engel unten tragen und halten den Rand der Mandorla, in welcher die Jungfrau ihrem Sohn entgegenschwebt. Glaubt man ihr nicht viel eher, dass sie wirklich schwebe und ein überirdisches Dasein habe als jenen zahlreichen Ma- donnen der letzten Jahrhunderte auf den mit zerstreuten Engeln be- säeten Wolkenhaufen, mit Lichteffect und Untensicht? — Das Schweben wird aber überdiess in der Schule Giotto’s nicht selten so anmuthig und feierlich dargestellt, dass man die vollendete Kunstepoche vor sich zu haben glaubt. Es sind in Orcagna’s Weltgericht zwei Engel, b die bis auf Rafael schwerlich mehr ihres Gleichen haben. Ausser den biblischen und legendarischen Stoffen erging sich aber die Schule noch in freien, grossen symbolisch-allegorischen Bildern und Bilderkreisen. Sie hing dabei, wie oben bei Anlass der Sculptur (S. 572) angedeutet wurde, von einer gelehrt literarischen und poetischen Bildung ab, welche der stärkere Theil und durch einen Genius wie Dante repräsentirt war. Schon bei dem grossen Dichter aber darf man sich wohl fragen, ob er durch seine Symbolik oder trotz derselben gross ist. Dieselbe war nicht durch und mit Dichtung und Kunst entstanden wie im Alterthum, sondern Dichtung und Kunst mussten sich ihr bequemen. Bei Dante freilich liegt Alles untrennbar durch und in einander; er ist ebensosehr Gelehrter und Theolog als Dichter. Der Künstler dagegen war hier auf etwas ausser seiner Sphäre liegendes angewiesen, er musste dienen, und that es mit hei- ligem Ernst. Wir aber sind nicht verpflichtet, die Empfindungsweise einer zwar strebenden, aber doch nicht harmonischen Zeit und noch viel weniger ihre zu einer wunderlichen Encyclopädie geordneten Bildungselemente zur Norm für uns selber zu machen; vielmehr muss hier neben dem Ewigen, das jene Kunst schuf und dem wir ganz folgen können, auch das Vergängliche und Befangene anerkannt werden. Die Allegorie ist zunächst die Darstellung eines abstracten Begriffes in menschlicher Gestalt. Um kenntlich zu sein, muss sie in Charakter und Attributen diesem Begriff möglichst zu entsprechen suchen; nicht immer kann man durch eine Beischrift nachhelfen. Ich Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule. bekenne, dass mich von allen giottesken Allegorien eine einzige wahr- a haft ergreift, die Gestalt des Todes im Trionfo della morte Orcagna’s; sie ist eben keine blosse Allegorie, sondern eine dämonische Macht. b Die Tugenden und Laster, wie sie z. B. Giotto in der Arena (untere Felder) angebracht hat, sind für uns doch nur culturgeschichtlich in- teressante Versuche, das Allgemeine zu veranschaulichen; in unserer Empfindungsweise finden sie keine Stelle. Wer in Italien allmälig z. B. einige hundert Darstellungen der vier Cardinaltugenden aus allen Epochen der christlichen Kunst durchgesehen hat, wird sich vielleicht mit mir darüber wundern, dass so Weniges davon im Gedächtniss haften bleibt, während historische Gestalten sich demselben fest ein- prägen. Der Grund ist wohl kein anderer, als dass jene nicht durch unsere Seele, sondern nur an unseren Augen vorübergegangen sind. Die drei christlichen Tugenden, Glaube, Liebe, Hoffnung, prägen sich schon viel fester ein, weil sie nicht wesentlich durch äussere Attri- bute, sondern durch gesteigerten Seelenausdruck charakterisirt zu wer- den pflegen und uns daher zum Nachempfinden auffordern. Die Künste c und Wissenschaften, in der Cap. d. Spagnuoli bei S. Maria novella in grosser vollständiger Reihe vorgetragen und von ihren Repräsentanten begleitet, würden uns ohne die sienesisch süssen Köpfe gleichgültig d lassen; Giotto in seinen Reliefs am Campanile, welche ein Jahrzehnd neuer sein können als diese Gemälde, ersetzte nicht umsonst die alle- gorische Figur durch das Bild der entsprechenden Thätigkeit. — Und woher stammte im Grunde die Anregung zu dieser durch das ganze (auch byzantinische) Mittelalter gehenden Lust am Allegorisiren? Sie war ursprünglich das Residuum der antiken Mythologie, welche mit dem Christenthum ihre wahre Bedeutung eingebüsst hatte. Ihr Ahn heisst Marcianus Capella und lebte im V. Jahrhundert. Die Kunst wird die Allegorie nie ganz entbehren können und konnte es schon im Alterthum nicht, allein sie wird in ihren Blüthezeiten einen nur mässigen Gebrauch davon machen und keinen geheimthuenden Haupt- accent darauf legen. (Vgl. S. 702 ff.) Hauptsächlich aber wird sie derartige Gestalten abgesondert dar- stellen und nicht in historische Scenen hineinversetzen. (Vgl. Rafael: e Decke der Camera della Segnatura, und Saal Constantins.) Giotto war kühner: er liess sich, ohne Zweifel durch Dante, verführen, in Allegorien. S. Francesco zu Assisi. der Unterkirche von Assisi u. a. eine wirkliche Vermählungsceremonie a des heil. Franciscus und einer Figur welche die Armuth darstellt ab- zuschildern; beim Dichter bleibt der Vorgang Symbol und der Leser wird darüber keinen Augenblick getäuscht; beim Maler wird es eben doch eine Trauung, und wenn er noch so viele Winke und Beziehun- gen ringsum aufhäuft, wenn auch Christus dem heil. Franz die Armuth zuführt und es dabei geschehen lässt, dass zwei Buben sie misshan- deln, wenn auch ihr Linnenkleid in Fetzen geht u. dgl. m. Die Ver- pflichtung zur Armuth als eine Vermählung mit ihr zu bezeichnen, ist eine Metapher, und auf eine solche darf man gar nie ein Kunstwerk bauen, weil sie als Metapher, d. h. „Übertragung auf eine neue fin- girte Wirklichkeit“ im Bilde ein nothwendig falsches Resultat giebt. Wenn spätere Künstler z. B. die mit der Zeit an den Tag gekommene Wahrheit darstellen wollten, so kam dabei ein absurdes Bild zu Stande wie folgt: ein nackter geflügelter Greis mit Stundenglas und Hippe deckt ein verhülltes Weib auf! — Sobald man eben die allegorischen Figuren in sinnliche Thätigkeit versetzen muss, ist ohne die Metapher beinahe gar nichts auszurichten und mit ihr nur Widersinniges. Auch die übrigen Allegorien des Mittelgewölbes der Unterkirche von Assisi sind an sich so barock als die des XVII. Jahrhunderts. Da verscheucht die Busse mit einer Geissel die profane Liebe und stürzt die Unrei- nigkeit über den Fels hinab. Die Keuschheit sitzt wohlverwahrt in einem Thurm; die Reinigkeit wascht nackte Leute und die Stärke reicht das Trockentuch dar. Der Gehorsam, von der zweiköpfigen Klugheit und der Demuth begleitet, legt einem Mönch ein Joch auf; einer der anwesenden Engel verjagt einen Centauren, womit der Ei- gensinn, d. h. die phantastische Caprice, gemeint ist. Ohne den tiefen Ernst Giotto’s, der auch hier nur das Nothwendige und dieses so deutlich als möglich, — ohne alle versüssende Coketterie — ausdrückt, würden diese Scenen profan und langweilig wirken In den ersten Abschnitten des Vasari wird noch mancher Allegorien aus jetzt nicht mehr vorhandenen Werken umständliche Erwähnung gethan. . Die Kunst empfand das Ungenügende aller Allegorik auch recht wohl. Als Ergänzung schuf sie z. B. jene meist dem Alterthum ent- nommenen Repräsentanten der allgemeinen Begriffe, und gesellte sie B. Cicerone. 49 Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule. a den Allegorien einzeln bei, wovon die genannte Cap. d. Spagnuoli das vollständigste Beispiel liefert. (Auch Dante macht von dieser Reprä- sentation bekanntlich den stärksten Gebrauch.) Solche Figuren, na- mentlich wenn sie nicht besser stylisirt sind als bei Taddeo di Bartolo b (Vorraum der Cap. des Pal. pubblico in Siena), bleiben doch blosse Curiosität; sie geben den Massstab des naiven historischen Wissens jener Zeit, die nach Valerius Maximus und andern Quellen dieser Art neue Ideale proclamirt. Ungleich wichtiger und selbständiger als dieses buchgeborene alle- gorische Element ist in Giotto’s Schule das symbolische . Es giebt hohe, gewaltige Gedanken, die sich durch keinen bloss historischen Vorgang versinnlichen lassen und doch gerade von der Kunst ihre höchste Belebung verlangen. Das betreffende Kunstwerk wird um so ergreifender sein, je weniger Allegorie, je mehr lebendiges, deutliches Geschehen es enthält. Die künstlerische Symbolik spricht theils Grup- pen- und Kategorienweise, theils durch allbekannte historische Cha- raktere. Das Grösste was von dieser Art vorhanden ist, trägt am Wenigsten den Stempel der blossen subjectiven Erfindung; es sind vielmehr grosse Zeitgedanken, die sich fast mit Gewalt der Kunst aufdrängen. Zu diesen Gegenständen gehört schon das ganze Jenseits, obwohl nicht unbeschränkt. Soweit das Evangelium und die Apokalypse in ihren Weissagungen gehen, hat die Kunst noch einen Boden, der mit dem Historischen von gleichem Range ist. Erst mit den einzelnen Motiven, die hierüber hinausgehen, beginnt die freie Symbolik. Das Weltgericht in seinen drei Abtheilungen: Gericht, Paradies und Hölle, hat in dieser Schule drei mehr oder weniger vollständige Dar- c stellungen erhalten: die (sehr zerstörte) Giotto’s Merkwürdiger Weise ist Giotto in der Gruppirung freier als Orcagna; er giebt noch bewegte Schaaren, die ungleiche Luftentfernungen zwischen sich haben. Christus und die Apostel sind noch ohne den momentanen Ausdruck, den ihnen Orcagna verlieh. Nach der zierlich scharfen Behandlung zu urthei- len wäre das Weltgericht der am Frühsten gemalte Bestandtheil der Fresken der Arena. an der Vorderwand d der Arena zu Padua, und die der beiden Orcagna in S. Maria novella e (Cap. Strozzi) und im Camposanto (der unterste Theil von dem schlech- Symbolik. Weltgerichtsbilder. ten Übermaler wesentlich verändert). Die Hölle ist an beiden letztern Orten mit offenbarem Anschluss an Dante nach Schichten oder Bulgen eingetheilt, in welche die einzelnen Sünderclassen nach Verdienst ein- geordnet sind. Ich überlasse es einem Jeden, über Dante’s Unter- nehmen, über diess eigenmächtige Einsperren der ganzen Vor- und Mitwelt in die verschiedenen Behälter seiner drei grossen Räume zu denken wie er will; nur möge man sich im Stillen fragen: wo hätte er dich wohl hingethan? Es ist nicht schwer, diejenigen verschiedenen Höllenbulgen im Gedicht nachzuweisen, wohin z. B. die meisten jetzigen Anbeter des Dichters selbst zu sitzen kämen. Aus dem Gedichte spricht nur zu oft der Geist der unerbittlichen, unauslöschlichen Zwie- tracht, welcher das Unglück Italiens verschuldet hat. Auch in dem symbolischen Inhalt überhaupt, so schwer und künstlich er verarbeitet ist, liegt, wie gesagt, nur der culturgeschichtliche, nicht der poetische Werth der Divina Commedia. Der letztere beruht wesentlich auf der hohen, plastischen Darstellungsweise der einzelnen Motive, auf dem gleichmässig grandiosen Styl, wodurch Dante der Vater der neuern abendländischen Poesie wurde. Die Malerei konnte sich von dieser Seite seines Wesens nur einen Theil aneignen; das Schön-Episodische fiel in den Höllenbildern weg, und es blieb nur die Gruppirung nackter Körper nach Abthei- lungen als künstlerisch dankbares Element übrig. In dem Bilde des Camposanto ist denn auch die eine Gruppe der zusammengekauerten, a die aneinander nagen, von vorzüglicher Bedeutung. Das Bild in S. Maria novella dagegen, welches Vollständigkeit des Höllencyclus b bezweckt und desshalb nur kleine Figuren enthält, ist künstlerisch so viel als nichtig. Das Weltgericht selber bleibt von Dante frei, wie sich von selbst versteht. Die Kunst des XIV. Jahrh. zeigt sich hier in ihrer Be- schränkung gross; sie verzichtete im Wesentlichen darauf, das Raum- lose räumlich, das Passive körperlich und dramatisch interessant zu machen; in regelmässigen Schichten von Köpfen drückte sie diesseits Jubel und Seligkeit, jenseits Jammer und Verdammniss collectiv aus; nur mässig aber bedeutend gewählt sind ihre Episoden; in dem Bilde des Camposanto ist z. B. ein Zug der echtesten Symbolik die Gruppe c der von Teufelshänden gepackten Frauen, welche die Andern (nicht 49* Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule. unwillkürlich, sondern) als Genossinnen und Mitschuldige mit sich reissen; oder die aufs Höchste gesteigerte Inbrunst des auf einer Wolke am Rand einer Reihe knieenden Johannes d. T.; es ist rich- tig und schön gedacht, dass der Vorläufer Christi an diesem höchsten Akt seiner Macht gerade diesen Antheil habe. Von der himmlischen Gruppe ist schon die Rede gewesen. — In S. Maria novella kommt a eine besondere Darstellung des Paradieses hinzu, welche durch die süssere Schönheit ihrer Köpfe vor den mehr sinnlich energischen des Bildes im Camposanto einen gewissen Vorzug hat. Der Unterschied des seligen Daseins gegenüber dem gewaltigen Act des Gerichtes ist dadurch ausgedrückt, dass die Köpfe nicht wie hier im Profil gegen Christus, sondern in ganzer Ansicht gegen den Beschauer gerichtet sind. Mit so leisen Mitteln muss diese Kunst wirken. Die Teufel, wo sie vorkommen (ausser den genannten Bildern b z. B. besonders reichlich in der Cap. d. Spagnuoli, wo Christus im Limbus erscheint), sind reine Caricaturen und Satan selbst am Mei- sten. Vor lauter Teufelhaftigkeit haben sie gar nichts Dämonisches. Von den übrigen symbolischen Compositionen der Schule ist der c Trionfo della morte weit die bedeutendste. Sie bedarf weiterer Er- läuterungen gar nicht, weil hier der symbolische Gedanke rein im Bilde aufgeht. Die Gegensätze sprechen in Gestalt von Gruppen sich klar genug gegeneinander aus. Orcagna war auch als Künstler dem ganzen reichen Gedanken völlig gewachsen. Diess gilt von dem grossen symbolischen Fresco des Ambrogio d Lorenzetti im Pal. pubblico zu Siena, mit der Darstellung der Folgen des guten und des tyrannischen Regimentes, lange nicht im gleichen Masse; doch ist die buchmässige Allegorie wenigstens mit Zügen ech- ter und schöner Symbolik gemischt. (Im Oct. 1853 war die betref- fende Sala delle Balestre nicht zugänglich.) e Dagegen fehlte es den Malern der Capella d. Spagnuoli bei S. Maria novella nicht an der Gestaltungskraft auch für das Bedeu- tendste. Ausser jener grossen allegorischen Darstellung (linke Wand) wo S. Thomas von Aquino in der Mitte aller Wissenschaften und Künste thront, schufen sie an der rechten Wand ein symbolisches Bild: die Bestimmung und Macht der Kirche auf Erden. (Das Ein- zelne ist in den Handbüchern nachzusehen.) Ein überreiches, sorg- Symbolik. Ihre Unfreiheit. fältig und schön durchgeführtes Werk, aber vollkommen aus der Buch- phantasie, nicht aus der Künstlerphantasie entstanden, wesshalb es denn auch eines Buches zur Erklärung bedarf. Wie anders deutlich und ergreifend spricht der Trionfo della morte. Wie anders gross- artig hätte sich auch das Bild der Kirche symbolisch geben lassen! Freilich im Kloster von S. Maria novella hätte sich auch ein Orcagna einem gegebenen dominicanischen Programm aus guten Gründen ohne Widerrede gefügt. Diese theologisirende Phantasie hat noch mehr als einmal der Kunst den echten Gestaltungstrieb verleidet. Man sehe bei Pietro di Puccio (Camposanto) Gott als Schöpfer und Herrn der Welt darge- a stellt. Es ist eine riesige Figur die einen ungeheuern Schild mit den concentrischen Himmelssphären vor den Leib hält; unten schauen die Füsse hervor. Somit ist freilich jeder Gedanke an eine Immanenz Gottes in der Welt beseitigt Wie roh auch jene grosse Zeit noch bisweilen sein konnte, zeigt das Wie- derauftauchen der absurdesten symbolischen Nothbehelfe des frühern Mittel- alters. An der Oberschwelle der Seitenthür von SS. Annunziata in Arezzo * sind die vier Evangelisten zwar als menschliche drapirte Halbfiguren, aber mit den Köpfen ihrer Embleme dargestellt. (Noch Spinello wagte Dasselbe zu malen, in einem jetzt untergegangenen Fresco.) — Auch das allzu um- ständliche Verhältniss des Evangelisten zur Feder ist schon ein frühmittel- alterlicher Nothbehelf, den z. B. Bartolo von Siena wieder aufgriff (dortige ** Acad., erster Gang); Marcus spitzt seine Feder, Lucas besieht sie, Matthäus taucht sie ein, nur Johannes schreibt. Wer hierin tiefere Bezüge findet, dem darf man die Freude nicht verderben. Mit andern Eigenheiten ging auch diese von Siena auf die Peruginer über und kommt bei Pinturicchio von Neuem zum Vorschein. . Oder die Glorie des heil. Thomas von Aquino, auf einem Altar b links in S. Caterina zu Pisa, von einem gewissen Francesco Traini (an sich ein geringes Bild). Hier sollte die geistige Einwirkung, welche der Heilige von verschiedenen Seiten empfangen und auf die Gläubigen ausgeübt, symbolisch dargestellt werden. Der Maler (oder sein Rathgeber) machte diess auf die leichteste Weise mit goldenen Strahlen ab. Von dem oben angebrachten Christus geht je ein Strahl auf jeden der sechs Apostel und drei auf den in der Mitte thronen- den S. Thomas; von jedem Apostel und von den weiter unten stehen- Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule. den Heiden Plato und Aristoteles geht je ein Strahl auf den Kopf des Thomas; von dem Buch des Thomas (der Summa) gehen viele Strahlen auf die unten versammelten Geistlichen; mitten auf der Erde liegt ein widerlegter Ketzer. Das Wesentliche in dieser ganzen Darstellung liess sich schon mit dem blossen Lineal hervorbringen. An einem Traini und seiner Eigenthümlichkeit ging nun nicht eben viel verloren, aber bei Andern darf man es wohl bedauern, dass die Theologie ihnen Gedankengänge vorschrieb, während sie aus eigenen Kräften die gegebenen Grundideen höher verherrlicht haben würden. Glücklicher Weise war Giotto selbst freier gewesen, als er in a einer Abtheilung des oben genannten Gewölbes der Unterkirche von Assisi die Glorie des heil. Franciscus malte: der Heilige als Verklär- ter, im goldgewebten Diaconengewand, mit einer Kreuzfahne, um- schwebt von Engelchören. Diess ist echte, deutlich sprechende Sym- bolik. Die S. 772, e erwähnte Glorie des heil. Thomas von Aquino dagegen musste mit Allegorien vermischt werden, weil der Triumph des gelehrten Heiligen über alle einzelnen Wissenschaften und Kün- ste zur Anschauung kommen sollte. Die Schule Giotto’s ergeht sich nur in Fresco und nur in der bewegten Handlung mit voller Freiheit und Grösse. Ihre Altarwerke , welche fast durchaus nur ruhige Andachtsbilder sind, geben einen sehr beschränkten Begriff von ihrem Wesen, sind aber für die Beur- theilung ihres technischen Vermögens (und Wollens ) von Wich- tigkeit. Die kunstgeschichtlich bedeutendsten derselben wurden bereits oben genannt. Ausserdem enthält fast jede ältere Kirche Toscana’s irgend ein Stück, und dann bilden die aus vielen Kirchen und Klö- b stern vereinigten in der Academie zu Florenz eine ganze grosse Samm- lung (hauptsächlich in der Sala delle Esposizioni) * Ausserdem eine Anzahl in der mediceischen Capelle bei S. Croce, am Ende des Ganges vor der Sacristei. . Wer Zeit und Lust hat, mag sie allmählig nach Manieren und einzelnen Meistern sondern; hier nur einige allgemeine Bemerkungen. Altarwerke. Es handelt sich fast immer um eine thronende Madonna mit En- geln und Heiligen; ausserdem kommt am ehesten die Krönung der Maria durch Christus vor Himmelfahrt und Krönung der als irdisches Weib geborenen Jungfrau war jedem Einzelnen eine Gewähr und damit ein Symbol der seligen Unsterblich- keit. Daher ist diese Darstellung besonders häufig an Gräbern, in Bildern von Familiencapellen u. s. w. . Die Heiligen stehen theils einzeln, theils hintereinander geschichtet seitwärts; in der Regel durch eigene Ein- fassungen, Säulchen etc. getrennt. Die Richtung ist meist die der Dreiviertelansicht, damit die Gestalt ebensosehr dem andächtigen Be- schauer als der Jungfrau zugewandt sei; nur die vor ihr Knieenden sind ganz im Profil dargestellt. Seitenblicke zum Behuf der Abwech- selung kommen noch nicht vor. Die Stellung meist ruhig; nur etwa Johannes d. T. mit erhobenem Arm, als Prediger, oder um auf das Kind hinzuweisen. Maria durchgängig von schlichtem Ausdruck, ohne irgend einen Zug besonders gesteigerten Gefühles; beim Kinde der Anfang eines harmlosen Vergnügens, ohne welches in der That kein gesundes Kind still sitzt, etwa das Spiel mit einem Hänfling. Die Färbung im Ganzen licht, wie sie die Tempera verlangt. Die durch- gehende Grundlage bilden roth, blau und gold. (Die Kreise von Che- rubsköpfen ganz blau und ganz roth.) In der Gewandung sind die gewirkt gedachten Prachtmuster ungleichmässiger angewandt als bei den Sienesen, dafür tritt der würdige und schöne Wurf viel mehr als Hauptzweck hervor. Man kann es verfolgen, wie die Kunst an den verhältnissmässig wenigen Hauptmotiven mit Anstrengung weiterbil- det: es ist der Mantel der thronenden Madonna, derjenige der auf dem einen Knie liegenden Figuren, der mit der einen Hand aufge- fasste Mantel der Stehenden, die strammfallende Kutte der h. Mönche, die schwer gestickte Dalmatica der Diaconen u. s. w. Für die Köpfe spricht die Schule hier ihre Absicht deutlicher aus, als in den meisten Fresken. Wenn ich mich nicht täusche, so tritt viel speciell Floren- tinisches im Oval und in der Bildung der Nase und des Mundes zu Tage. Das momentan Beseelte darf man hier überhaupt noch nicht erwarten. Die Altarstaffeln ( Predellen ) wiederholen so ziemlich in ihren Geschichten die Compositionen der Fresken; sie sind also eine Ver- Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule. kleinerung des Grossen. In der nordischen Kunst sind so oft umge- kehrt die grössern Bilder eine Vergrösserung des im Kleinen als Mi- niatur Gedachten. Zur Beurtheilung dieser Tafelmalerei der Nachfolger Giotto’s und der Sienesen ist es nothwendig, sich das Ganze der Altarwerke zu vergegenwärtigen, die man jetzt in Galerien, Kirchen und Sacristeien meist in ihre einzelnen Theile zersplittert antrifft, — in der Regel weil sie bei irgend einem Umbau der Kirche zu dem Barockstyl der neuen Altäre als in die Breite gehendes Ganzes nicht passen wollten. Ganz erhaltene Beispiele mit möglichst reicher Ausstattung sind sehr selten; a eines findet sich z. B. in der Academie zu Florenz (Saal der Ausstel- b lung); ein noch vollständigeres in S. Domenico zu Cortona, an der linken Wand. Dieses Altarwerk eines nicht gerade bedeutenden Meisters, Lorenzo di Niccolò, hat noch ausser dem Hauptbilde (Krönung Mariä) alle seine Nebenbilder, Fries- und Giebelfüllungen, Oberbilder, Untersatz- bilder (Predellen) und an den Flächen der Seitenthürmchen die sämmt- lichen Täfelchen mit Einzelheiligen; auch alles Architektonische — üblicher Weise die Nachahmung eines Kirchenbaues — ist wohl er- halten. Hier lernt man erst erkennen, für welchen Raum und für welchen Theil eines Gesammtwerkes z. B. Fiesole jene jetzt in alle Welt zerstreuten Tafeln gemalt hat. Dass ein Altar dieser Art, mit einer solchen Menge von Einzeltheilen, einen ruhig-grossen Eindruck machen solle, darf man weder erwarten noch verlangen. Endlich sind in Toscana aus dem XIII. und XIV. Jahrh. eine Menge gemalter Crucifixe , oft von colossaler Grösse erhalten. Sie hingen früher, nach dem Gebrauch der katholischen Welt, frei und hoch über dem Hauptaltar, mussten aber in der Barockzeit jenen be- kannten, pomphaften Architekturen mit Gemälden weichen und er- hielten ihre Stelle z. B. über dem Hauptportal, neuerlich auch in c Sammlungen. (Mehrere in der Acad. zu Siena.) Man wird im Gan- zen finden, dass sie je älter, desto unwürdiger sind, mit weitausge- bogenem, grünlich gefärbtem Leibe. Erst Giotto stellte etwas darin Altarwerke. Crucifixe. Schule von Siena. dar, was dem Sieg über den Tod ähnlich sieht; wenn auch der Cru- cifixus im Gang zur Sacristei von S. Croce in Florenz schwerlich a von ihm sein mag, so wäre doch ein solches Werk ohne seinen Ein- fluss nicht vorhanden. (Zwei andere in der Sacristei selbst.) — An b den vier Enden der Bretter insgemein die vier Evangelisten, oder rechts und links Sonne und Mond als Personen, die ihr Haupt ver- hüllen; die Senkung des Hauptes Christi meist ganz naiv durch schräge Richtung des obern Brettes verdeutlicht. Die Schule von Siena , welche im XIII. Jahrh. mit Guido und Duccio (S. 743, 347) so bedeutende Elemente der Schönheit entwickelt hatte, besass im XIV. Jahrh. keinen Künstler, der Giotto’s Einfluss entweder die Spitze geboten, oder denselben auf fruchtbringende Weise mit der einheimischen Richtung verschmolzen hätte. Sie theilte schon die florentinische Liebe für grosse Bilderkreise in Fresco nicht in besonderm Grade; ihr vorzüglichster Meister zu Giotto’s Zeit, Si- mone di Martino , scheint sich nirgends über das ruhige Andachts- bild erhoben zu haben. Freilich sind seine Madonnen durch ihre Pracht und miniaturartige Feinheit, durch den Schwung der Gewän- der und die eigenthümliche Schönheit der Züge wahre Juwelen der mittelalterlichen Kunst; doch giebt ihnen die conventionelle Bildung des Auges und des Mundes, die bei Duccio noch nicht merklich auf- fällt, immer etwas Befremdliches. (Die unzweifelhaften sind sehr sel- ten In Pisa sollen Reste eines sehr vorzüglichen Altarwerkes an verschiedenen Orten zerstreut sein. Ob die Tafeln in der Academie zu Pisa von ihm sind? * und meist ausserhalb Italiens; von ihm und Lippo Memmi die c grosse Verkündigung in Florenz, erster Gang der Uffizien, datirt 1333; unangenehm durch die Geberde der Madonna.) — Simone’s grosses Fresco d im Pal. pubblico zu Siena (Sala del Consiglio), die Madonna umge- ben von vielen Heiligen, deren einige den Baldachin über ihr tragen, ist so symmetrisch und regungslos, als irgend ein Altarbild, im Ein- Malerei des germanischen Styles. Schule von Siena. zelnen aber von einer Schönheit, nach welcher die Florentiner nicht einmal gestrebt hätten. Von seinem Schüler Lippo Memmi besitzt a Siena wenigstens noch ein sicheres Madonnenbild in der Kirche della Concezione oder ai Servi (im rechten Querschiff, über der Thür zum b Sacristeigang); das grosse Altarwerk in der Academie (erster Raum) gehört ihm nur nach Vermuthung. Sonst giebt die Sammlung der Academie von Siena (erster bis dritter Raum) eine Übersicht der dor- tigen Malerei des XIV. Jahrh., die im Ganzen einen merkwürdigen Stillstand beurkundet, eine ungesunde Befangenheit in der einmal an- genommen Gesichtsbildung und in einzelnen byzantinischen Manieren (aufgesetzte helle Lichter, Prachtmuster der Gewänder und der Gründe, grüne, vielleicht nur durch Verderbniss einer Mineralfarbe so gewor- dene Fleischschatten u. s. w.) Die einzelnen Künstlercharaktere müssen dem Studium an Ort und Stelle überlassen bleiben, da wir es nicht mit den Zurückgeblie- benen, sondern mit den Vorwärtsstrebenden zu thun haben. Unver- meidlich drang von Florenz und von dem übrigen Italien aus die all- verbreitete, zum Gemeingut der Nation gewordene Erzählungsweise Giotto’s auch nach Siena; Ambrogio Lorenzetti malte in der c Sala delle balestre des Palazzo pubblico auch jene grosse symbolische Composition in giottesker Art, die Folgen des guten und des schlech- ten Regimentes; mit seinem Bruder Pietro schuf er sogar im Campo- santo zu Pisa jenes grosse, an guten Einzelheiten so reiche Fresco der Einsiedler in der Thebais; allein hier wie in den Tafelbildern der Schule macht das historisch Erzählende in Composition und Zeich- nung doch einen wesentlich secundären Eindruck. Die chronicalisch d kindlichen, braun in braun gemalten Kriegsbilder in der Sala del con- siglio, welche man dem Ambrogio vielleicht mit Unrecht zuschreibt, mögen ganz ausser Rechnung bleiben; ihr sachliches Interesse ist indess nicht gering. Von dem Besten dieser Reihe, Berna da Siena , enthält die Vaterstadt gerade nichts Nennenswerthes; die e stark übermalten Fresken am Tabernakel des Lateran’s in Rom schei- nen ehemals sehr anmuthig gewesen zu sein; auch seine Arbeiten in f der Cathedrale von S. Gimignano werden gerühmt. Immer wird man bei dieser Schule die reinen Andachtsbilder vorziehen; so giebt z. B. g ein Altarwerk von Pietro Lorenzetti (Acad., erster Raum) wenigstens Schule von Siena. das Hochfeierliche, die Pracht der Goldmuster, die symmetrisch schwe- benden Engelschwärme u. dgl. in früher Vollständigkeit. Das Ende dieser halb von Giotto’s Geist. berührten Malweise verzieht sich mit Bartolo da Siena und seinen Schülern Taddeo di Bartolo und Domenico di Bartolo bis weit in das XV. Jahrh. hinein. Ihre Andachtsbilder (Acad.) zehren von der Inspiration des a Pietro Lorenzetti u. A., wenn sie auch scheinbar reicher sind; Tad- deo’s Fresken in der obern Capelle des Pal. pubblico sind nicht besser b als giotteskes Mittelgut; diejenigen vor dem Gitter (grosse Männer des Alterthums, Planetengottheiten u. s. w.) nicht einmal dieses. Mit Domenico bricht der Styl um und der Realismus des XV. Jahrhun- derts dringt ein, doch einstweilen nur stellenweise, sodass sich im Ganzen noch die alte Auffassung und sehr viel von der alten Detail- bildung behauptet. Die Meister dieses wunderlichen Zwitterstyles (Acad., dritter Raum), ein Giovanni di Paolo, Pietro di Giovanni, Sano c di Pietro, Pietro di Domenico sind neben ihren Zeitgenossen aus an- dern Schulen nicht der Rede werth. Wie es sich mit denjenigen Sienesen verhielt, die sich entschiedener der neuen Auffassung in die Arme warfen, wie Matteo di Giovanni u. a., wird unten kurz berührt werden. Das stolze Siena, das um das Jahr 1300 zur Anführerschaft in der italienischen Malerei berufen schien, sollte erst zwei Jahrhunderte später denjenigen Augenblick erleben, da seine Maler, abgeschlossen und wenig gekannt, das Panier der wahren Kunst höher empor hiel- ten als irgend eine Schule Italiens mit Ausnahme der venezianischen. Ist nun der Maler, welcher im Camposanto zu Pisa, oder der- jenige, welcher in der Cap. degli Spagnuoli zu Florenz Symon von Siena heisst, identisch mit Simone di Martino? Namengebungen sind überhaupt nicht die Aufgabe dieses Buches. An Simone di Martino erinnern die Allegorien der Wissenschaften in der Cap. d. Spagn. we- nigstens im Ausdruck der Köpfe ziemlich direct (S. 751, e); dagegen möchten die Sachen im Camposanto von einem Spätern herrühren, welcher beiden Schulen zugleich angehörte. Malerei des germanischen Styles. Bologna. Ugolino da Siena ist, dem oben (S. 752, 1) genannten Madon- nenbild zufolge, in seinem Styl eher ein Florentiner. Das berühmte a silberne Reliquiarium, mit zwölf Emailbildern, die Geschichte des Fronleichnamsfestes enthaltend (Santo Corporale), im Dom von Or- vieto, für welches ein Ugolino Vieri (1338) genannt wird, kenne ich nur b aus Abbildungen; — die Chorfresken desselben Domes, von Ugolino di Prete Ilario, habe ich nur flüchtig gesehen; sie scheinen wiederum eher florentinisch als sienesisch. Ob die drei Maler identisch sind, weiss ich nicht zu ermitteln. Nach der Aufzählung dessen, was durch Giotto selbst und unter seinem nähern, zum Theil unmittelbaren Einfluss zu Stande kam, ge- hen wir über zur Betrachtung der entferntern Wellenschläge, durch welche Er die damalige italienische Kunst bis weit hinaus bewegt. Sehr wahrscheinlich waren zu seiner Zeit mehrere Localschulen auf einer ähnlichen Bahn wie die seinige; die Zeit, die Ihn reifte, wirkte auch auf sie; allein nur um so unvermeidlicher mussten sie dann unter seine Botmässigkeit gerathen, hier mehr dort weniger. Er hatte von Padua bis Neapel und westlich bis Avignon an so vielen Orten grosse Denkmäler hinterlassen, dass man seine Neuerung überall kannte und sich danach achten konnte; rechnet man noch die Werke seiner Schule hinzu, so war in ganz Italien keine künstlerische Potenz mehr vor- handen, die sich dieser Masse des Grossen und Neuen gänzlich hätte erwehren können. Scheinbar selbständig blieben nur die Unfähigen. Unter den Oberitalienern mussten die Bolognésen der ganzen Einwirkung von der florentinischen Schule aus am unfehlbarsten aus- gesetzt sein. Aber ihre malerische Thätigkeit und Fähigkeit ist im XIV. Jahrh. erstaunlich lahm und geringfügig. Der älteste von ihnen, Vitale , ein Zeitgenosse Giotto’s ist wenigstens in einem Bilde der c Pinacoteca zu Bologna (1320, thronende Maria mit zwei Engeln) süss und holdselig auf sienesische Weise, sodass man an Duccio erinnert wird. Die Übrigen, halbgiottesken, sind in ihren Tafelbildern meist so gering, dass in Florenz von ihnen nicht die Rede sein würde. Bologna. Die Mezzaratta. Und dieselbe Behandlungsweise, dieselbe Talentlosigkeit bleibt das Merkmal der Schule bis über die Mitte des XV. Jahrh. hinaus. Von diesen Madonnen- und Crucifixmalern werden hauptsächlich genannt: Lippo di Dalmasio . Servi, eine der hintersten Cap. des Chor- a umganges: Mad. mit SS. Cosmas und Damian; in derselben Kirche noch mehrere alte Madonnen von verschiedenen Händen. Simone da Bologna . In der vierten jener sieben Kirchen zu b S. Stefano (S. Pietro e Paolo) rechts neben dem Chor: ein Crucifi- xus; — in der siebenten (S. Trinità) an einem Pfeiler: S. Ursula mit ihren Gefährten. (In der ersten dieser Kirchen, beiläufig gesagt, Fres- ken der Kreuztragung — links im Chor, und der Kreuzigung — auf dem Hochaltar, von einem auch der Herkunft nach unbekannten Ma- ler des XV. Jahrh. — In einem Gang an der siebenten Kirche: An- zahl kleiner altbolognes. Bilder.) — In S. Giacomo maggiore, dritte c Cap. des Chorumganges rechts: Simone’s bester Crucifixus, datirt 1370. Einzelnes in der Pinacoteca. d Jacobus Pauli (den man in Bologna beharrlich mit dem unten zu nennenden Giacomo d’Avanzo identificirt). Mehreres in der Pina- e coteca; — an dem grossen Altar in S. Giac. magg., dritte Cap. des f Chorumgangs, rechts, ist von ihm die Krönung Mariä. Die einzige Kirche, in der eine grössere Reihe von Fresken der Schule erhalten ist, liegt vor Porta Castiglione auf dem Wege zur Villa Aldini; es ist die Mad. della Mezzaratta. Hier sieht man, ge- g genwärtig gewissenhaft gereinigt und zugänglich gemacht, Malereien von Vitale (das Presepio), Jacobus (wahrscheinlich Jac. Pauli, u. a. der Teich von Bethesda und die Geschichte Josephs), Simone (der Kranke, welcher durch das Dach hereingelassen wird) Christo- foro oder Lorenzo (Geschichten des Moses) etc. etc. Der Durch- schnitt ist beträchtlich besser als in den Tafelbildern. In S. Petronio enthält die 4. Cap. links unbedeutende Wandfres- h ken (etwa um 1400), dem Buffalmaco oder gar dem Vitale zugeschrie- ben; beides chronologisch unmöglich. Der Maler hat z. B. in seinem Weltgericht schon begreiflicher und wirklicher sein wollen als Or- cagna; seine Heiligen sitzen auf zwölf Reihen Bänken zu beiden Seiten Christi, gleichsam ein Concil bildend. (Neuerlich dem Simone beige- legt.) — Die beiden Fresken in der ersten Capelle links sind gering, i Malerei des germanischen Styles. Oberitalien. ebenso was sonst noch aus dieser Zeit in der Kirche vorhan- den ist. Wie man in Bologna noch 1452 — 1462 malen durfte, zeigen in a der Pinacoteca die Bilder des Petrus de Lianoris , des Mic- chele Mattei und der seligen Nonne Caterina Vigri . (Von b Mattei auch ein besseres Altarwerk in der Academie zu Venedig.) In Modena ist mir weder von Thomas noch von Barnabas , den beiden nach dieser Stadt benannten Malern, etwas zu Gesichte gekommen. c In Parma sind die Fresken jener Zeit im Dom ziemlich unbe- deutend. (Vierte Cap., rechts; — fünfte Cap., links; — Nebenräume der Crypta.) — Das Baptisterium Seite 742, a. d In Ferrara enthält S. Domenico (fünfte Cap., links) eine der schönern Madonnen des XIV. Jahrh., unabhängig von Giotto. e In Ravenna bietet das Gewölbe einer Nebencapelle von S. Gio- vanni Evangelista gute und fleissige, spätgiotteske Malereien. (Evan- gelisten und Kirchenlehrer.) Weit die wichtigste Stätte der oberitalischen Malerei ist in die- ser Zeit Padua , wo Giotto’s grosses Werk (s. oben) den Sinn für monumentale Kunst geweckt haben muss. Die lange dauernde Aus- schmückung des Santo und die Kunstliebe des Fürstenhauses der Carrara kamen ganz wesentlich dem Fresco zu Gute. Vermuthlich ist lange nicht Alles erhalten Oder steckt unter der weissen Tünche z. B. des Santo. ; von Giusto Padovano z. B. lässt sich nichts Beglaubigtes nachweisen. Die chronologisch sichere Reihe f beginnt erst 1376 mit der Capelle S. Felice im Santo (rechts, gegen- über der Cap. des h. Antonius), ausgemalt von den beiden Verone- sen [ Giacomo ?] d’Avanzo und Aldighiero da Zevio. Die sie- ben ersten Bilder aus der Legende des h. Jacobus, dem Letztgenann- ten zugeschrieben, verrathen schon eine eigenthümliche und geistvolle Aufnahme der Stylprincipien Giotto’s. Es ist einer der besten Erzäh- ler, Zeichner und Maler dieser Zeit. Die übrigen Bilder der Legende und die grosse Kreuzigung an der Hinterwand sind Werke d’Avan- zo’s . Dieser, als der erste Individualistiker, thut einen grossen Schritt Padua. Aldighiero und d’Avanzo. über Giotto und seine Schule hinaus. Er führt den physiognomischen Ausdruck seiner einzelnen Gestalten nach Charakter und Moment bis ins Äusserste durch, so dass der Rhythmus der Composition bereits daneben zurücktreten muss. — Im Jahr 1377 begannen die beiden Meister die Ausmalung der Cap. San Giorgio auf dem Platze vor a dem Santo. (Bestes Licht: um Mittag. Die Entdeckung dieser Fres- ken verdankt man Ernst Förster.) Der Antheil Aldighiero’s ist hier nicht näher auszumitteln; jedenfalls kann das Ganze als d’Avanzo’s Werk gelten. In 21 grossen Bildern sind hier die Jugendgeschichten Christi, die Kreuzigung, die Krönung Mariä, und die Legenden des h. Georg, der h. Lucia und der h. Catharina dargestellt. Die Com- position zeigt durchweg die Vorzüge, welche sie bei den besten Giot- tesken entwickelt; ausser der sprechenden Deutlichkeit des Momentes ist auch die Gruppenbildung an sich schön, hauptsächlich aber ist hier in hunderten von Figuren der Charakter des Individuums und der des Augenblickes auf der ganzen grossen Scala vom Höchsten bis zum Niedrigsten wirklich gemacht, und zwar ohne Caricatur, noch innerhalb des Typus jenes Jahrhunderts. In der Schönheit ein- zelner Köpfe ist d’Avanzo sogar den meisten Giottesken überlegen. Endlich geht er über diese hinaus durch seine ungleich genauere Modellirung, durch Abstufung der Töne Seine Palette ist doppelt so reich als die der übrigen Giottesken. , ja (im letzten Bilde der h. Lucia) durch bedeutende Versuche zur Illusion. (Richtigere Bau- perspective, Verjüngung der entferntern Gestalten, und selbst Luft- perspective.) Dieses grosse Beispiel blieb einstweilen in Padua selbst ohne Folge. Die sehr umfangreichen Unternehmungen in Fresco, welche die nächstfolgende Zeit hervorbrachte, gehören im Ganzen zu den schwachen und selbst zu den schwächsten Arbeiten des von Giotto abgeleiteten Styles. Die Fresken des Baptisteriums beim Dom, von b den beiden Paduanern Giovanni und Antonio (1380), sind nur als sehr vollständiger und bequem zu betrachtender Cyclus der für diese Stelle geeigneten heiligen Gestalten und Scenen von Werthe. (Zumal im Vergleich mit den Mosaiken des orthodoxen Baptisteriums von Ravenna ergiebt sich auf merkwürdige Weise der Zuwachs der Malerei des germanischen Styles. Oberitalien. kirchlichen Bilderwelt seit 1000 Jahren.) Von denselben Malern: die a Fresken der Capelle S. Luca im Santo (die nächste nach der Anto- niuscapelle), vom Jahr 1382, mit den Geschichten der Apostel Phi- lippus und Jacobus d. J., ebenfalls roh, doch mit einzelnen glückli- chern und lebendigern Motiven. — Erst aus dem XV. Jahrh.: die b Fresken des ungeheuern Saales im Palazzo della ragione, von Giov. Miretto (nach 1420), ein Riesenunternehmen von beinahe 400 ein- zelnen Bildern, welche den Einfluss der Gestirne und Jahreszeiten auf das (in wahren Genrebildern geschilderte) Menschenleben dar- stellen, voll unergründlicher Bezüge aller Art, aber in den malerischen Motiven entweder ungeschickt und kraftlos oder blosse Reminiscenz von Besserm. (Ehemals galt der Zauberer Pietro von Abano als Er- c finder, Giotto als der Maler.) — Auch die Fresken im Chor der Ere- mitani, nach Zeit und Styl diesen verwandt (früher einem Maler des XIV. Jahrh., Guariento, zugeschrieben) sind nur sachlich merkwürdig, besonders wegen der einfarbigen astrologischen Nebendarstellungen. Über die Malereien paduanischer Grabmäler vgl. S. 165. In Verona ist von Aldighiero und d’Avanzo nichts vorhanden. d Dem oben (S. 296, a) genannten anmuthigen Stefano da Zevio werden die Fresken über einer Seitenthür von S. Eufemia und in einer Aussennische von S. Fermo zugeschrieben. (Der Verf. hat sie 1854 übersehen und weiss nicht ob sie noch vorhanden sind.) — Die e innere Portallunette von S. Fermo enthält eine gute Kreuzigung; die Mauer um die Kanzel eine Anzahl (dem Stefano zugeschriebene) Köpfe von Heiligen und Propheten. — An einzelnen Heiligenfiguren f ist S. Zeno (S. 742, c) ziemlich reich. — Das Meiste ergiebt S. Ana- g stasia; die Portallunette mit S. Zeno und S. Dominicus, welche die Bürger und die Mönche des Klosters der Dreieinigkeit empfehlen, unbedeutend im Styl, aber rührend durch die ehrliche Intention; — sodann in der 2. Cap. rechts vom Chor ein ganz tüchtiges Empfeh- lungsbild (der Familie Cavalli) neben Geringerem; — in der 1. Cap. r. v. Chor zwei Nischengräber mit guten thronenden Madonnen etc. In Mailand ist wenig oder nichts erhalten. Die Fresken der h hintern Capelle in S. Giovanni a Carbonara zu Neapel (mit dem Grabe Späte Paduaner. Mailänder. Marchesaner. des Caracciolo) sind zum Theil von einem Mailänder, Leonardo de Bissuccio (nach 1433), wesentlich noch in giotteskem Styl. Was sonst noch durch die Lombardie und in Piemont zerstreut sein mag, ist entweder dem Styl nach unbedeutend oder dem Verf. nicht bekannt. In Genua scheint damals kaum eine Malerei existirt zu haben. Die paar alten Bilder vom Anfang des XV. Jahrh. in S. a Maria di Castello (1. und 3. Cap. links) machen es begreiflich, dass man für die Verzierung des anstossenden Klosters 1451 einen Deut- schen, Justus de Allamagna , in Anspruch nahm. Für die Gegenden von Bologna bis Ancona muss ich auf die Handbücher verweisen. Nur Ein Künstler, dessen Werke und Ein- wirkung weit über seine Heimath hinausreichen, ist zu nennen: Gen- tile da Fabriano . (St. 1450. — Von seinem vermuthlichen Lehrer oder Vorgänger Alegretto di Nuzio findet man ein gutes Altar- b bild im Museo cristiano des Vaticans.) Das einzige erhaltene Haupt- werk Gentile’s, die Anbetung der Könige in der Academie zu Florenz c (1423), zeigt uns einen Ausweg aus der Darstellungsweise Giotto’s, welcher neben dem XV. Jahrh. gleichsam vorbeiführt. Statt sich dem Charakteristischen, Wirklichen, Individuellen schrankenlos hinzugeben, geht Gentile’s reine Jünglingsphantasie in das Schöne und Holdselige und schafft eine bis zum Wunderbaren (auch durch äussere Mittel der Pracht, z. B. Goldaufhöhung) gesteigerte Wirklichkeit. Es giebt wenige Bilder, bei deren Entstehung sich die Darstellung einer idea- len Welt für den Künstler so ganz von selbst verstand; wenige, die einen so übermächtigen Duft von Poesie um sich verbreiten. Ausser diesem Bilde und einer herrlichen Krönung Mariä, welche sich nebst d vier einzelnen Figuren von Heiligen in der Brera zu Mailand befindet, sind die wenigen in Italien vorhandenen Arbeiten entweder an ab- gelegenen Orten, oder im Dunkel aufgehängt (Seitenflügel eines Al- e tares im Chor von S. Niccolò zu Florenz), oder zweifelhaft (Krönung f Mariä in der Academie von Pisa). Eine kleine, unzweifelhaft echte g Madonna mit Engeln, im Pal. Colonna zu Rom. B. Cicerone. 50 Malerei des germanischen Styles. Venedig. Die Kunstübung Venedigs , mit wenigen Ausnahmen (wie die Mosaiken in der Cap. S. Isidoro und der Cap. de’ mascoli in S. Marco, S. 737, c. u. d.) auf Altartafeln beschränkt, empfand von Giotto’s Einfluss am wenigsten. Die Prachtausstattung, die tiefen Lackfarben, auch die grünlichen Schatten im Fleische und der Farbenauftrag erinnern noch direct an die lange Herrschaft der Byzantiner; in der Süssigkeit ein- zelner Köpfe scheint auch ein sienesischer Anklang zu liegen. (Altar- a werke von Nic. Semitecolo und Lor. Veneziano , 1357 oder b 1367 in der Academie; von Niccolò di Pietro 1394 im Pal. Manfrin.) Gegen die Mitte des XV. Jahrh. gehen aus einer Werkstatt von Murano jene prächtigen Altarwerke hervor, an welchen schon die gothische Einfassung (S. 213), wo sie erhalten ist, die Absicht auf den höchsten Glanz des Reichthums darthut. Sie sind bezeichnet: Johannes und Antonius von Murano ; Johannes aber heisst mehrmals Alamannus und war ohne Zweifel ein Deutscher; Antonius gehörte zu der später berühmten Künstlerfamilie der Vivarini . c Drei Altarwerke, mit den Daten 1443 und 1444 finden sich in S. Zaccaria zu Venedig (2. Nebencap. rcchts ), eine figurenreiche Krönung d Mariä mit dem (neu aufgemalten) Datum 1440 in der Academie ebenda, e ein ähnliches Bild in S. Pantaleon (Cap. links vom Chor), endlich f wiederum in der Academie ein grosses Gemälde vom Jahr 1446: Maria thronend zwischen den vier Kirchenlehrern. Einen kenntlichen deutschen Einfluss offenbart nur etwa diese schöne, stille Maria; in der weichen Carnation liegt eher eine Hinweisung auf Gentile da Fa- briano, welcher sich längere Zeit in Venedig aufhielt. Gegenüber den Staffeleibildern der alten Florentiner ist namentlich die tiefe, durch- sichtige Farbe zu beachten; es ist der Übergang vom byzantinischen Colorit zu demjenigen des Giov. Bellini. Die Gewandung hat noch das Feierliche des germanischen Styles; in der ganzen, individuali- sirenden Auffassung aber meldet sich schon der Einfluss des XV. g Jahrh., welcher endlich in dem grossen Altarwerk der Pinacoteca von Bologna, von Antonio und Bartolommeo da Murano (d. h. Vivarini ), 1450, bereits harte und düstere Charakterköpfe hervorbringt. (Dasselbe weicht auch in der glanzlosern Farbe von obigen Werken ab, gleicht ihnen aber in der miniaturartigen Sorgfalt.) Neapel. Fra Giovanni da Fiesole. Was in Neapel ausser den schon genannten Werken aus dieser Zeit vorhanden ist, hat nur den Werth kunsthistorischer Belege. Von Mastro Simone , einem Zeitgenossen Giotto’s, ist in S. Lorenzo a (Querschiff links) ein von Engeln umschwebter S. Antonius von Pa- dua und (7. Cap. rechts) der heil. Ludwig von Toulouse, welcher seinem Bruder Robert die Krone reicht. — In S. Domenico maggiore: b 2. Cap. r. mittelgute und sehr übermalte Fresken mit der Legende der h. Magdalena; — 6. Cap. r. (del Crocefisso) ausser Zingaro’s Kreuz- tragung u. a. eine säugende Madonna; — 7. Cap. r. eine andere, in einer Grabnische; — in der hintern Capelle gegen Strada della Tri- nità zwei alte Bilder (von Stefanone ?). — Von dem in Neapel sehr gerühmten Colantonio del Fiore , der schon 1374 thätig war und bis 1444 gelebt haben soll, ist nur ein einziges Werk ge- niessbar aufgestellt, die Glorie des S. Antonius abbas, hinten im Chor c von S. Antonio. Wer den weiten Weg (bis vor Porta Capuana) nicht scheut, wird ein Bild finden, das man in Florenz kaum eines Blickes würdigen möchte. Die Thürlunette an S. Angelo a Nilo, von dem- d selben Meister ausgemalt, ist vor Staub nicht mehr kenntlich. Für die Geschichte des Madonnentypus: die Mad. della rosa, in e einer Cap. der linken Seite des Domes von Capua; streng germanisch und vielleicht noch aus dem XIII. Jahrh.; die übrigen neap. Madon- nen jener Zeit noch byzantinisch. Ehe wir zu dem Styl des XV. Jahrh. übergehen, muss von einem florentinischen Meister die Rede sein, in dessen Werken die Richtung Giotto’s, ja der germanische Styl überhaupt noch einmal zu einer herrlichen Erscheinung aufflammt, ja gleichsam den höchsten und letz- ten Gipfel erreicht, von dem seligen (Beato) Fra Giovanni An- gelico da Fiesole (1387—1455). Zu dem Element der Schönheit, welches Orcagna in die Schule gebracht, fügt dieser in seiner Art einzige Meister den Ausdruck überirdischer Reinheit und Innigkeit. Eine ganze grosse ideale Seite des Mittelalters blüht in seinen Werken voll und herrlich aus; wie das Reich des Himmels, der Engel, Heiligen und Seligen im from- men Gemüthe der damaligen Menschheit sich spiegelte, wissen wir 50* Malerei des germanischen Styles. Fiesole. am genausten und vollständigsten durch ihn, sodass seinen Gemälden jedenfalls der Werth religionsgeschichtlicher Urkunden ersten Ranges gesichert ist. Wen Fiesole unbedingt anwidert, der möchte auch zur antiken Kunst kein wahres Verhältniss haben; man kann sich die fromme Befangenheit des Mönches gestehen und doch in der himm- lischen Schönheit vieles Einzelnen und in der stets frischen und be- glückenden Überzeugung die ihm zur Seite stand, eine Erscheinung der höchsten Art erkennen, die im ganzen Gebiet der Kunstgeschichte nicht mehr ihres Gleichen hat. In der dramatischen Erzählung ist Fiesole immer einer der tüchtigsten Nachfolger Giotto’s; da er von Hause aus ein grosser Künstler war, so bemühte er sich sein Leben lang um eine möglichst gleichmässige Beseelung Alles dessen, was er schuf; bei näherer Betrachtung wird man finden, dass er einer der ersten ist, welcher den Köpfen durchgängig das Allgemeine benimmt und sie auf die zarteste Weise persönlich belebt; nur stand seiner Gemüthsart der Ausdruck der Leidenschaft und des Bösen nicht zu Gebote, und seine Verlegenheit wirkt dann (im streng ästhetischen Sinne) komisch. Wie seine Bildung ursprünglich die eines Miniators war, so geben auch seine kleinern , miniaturartig ausgeführten Tafeln beinahe den ganzen Künstler wieder. Obenan stehen die Glorien, wie z. B. das a prächtige Bild in den Uffizien (tosc. Sch.), auch die Umgebung des Erlösers und der Empfang der Seligen in den Weltgerichtsbildern b (das schönste in Pal. Corsini zu Rom, ein anderes in der Acad. zu c Florenz, Saal d. kl. B.), während die Seite der Verdammten auf keine Weise zu genügen pflegt. Von den heiligen Geschichten haben nach meinem Gefühl diejenigen den Vorzug, welchen altübliche Motive der florentinischen Schule zu Grunde liegen, also wesentlich die oftgemal- ten des neuen Testamentes; in den Legenden macht sich die eigene Erfindung oft frisch und schön, oft aber auch befangen ihre Bahn. d (Leben Christi in 35 Bildchen, Acad. v. Florenz, Saal d. kl. B., wo e sich noch mehreres von F. befindet; — Uffizien, tosc. Sch.; — 3 Bild- f chen in einem Wandschrank der Sacristei von S. Maria novella in g Florenz; — Kirche del Gesù zu Cortona: zwei Predellen mit dem Leben der Maria und den Wundern des heil. Dominicus; — vatican. Galerie h die Wunder des heil. Nicolaus von Bari, aus der letzten Zeit und sehr Staffeleibilder. Fresken in S. Marco. ausgezeichnet; — zwei dazu gehörende Stücke und ausserdem die a wundervolle Verkündigung in der Sacristei von S. Domenico zu Pe- rugia, nebst geringern; — u. a. a. O.) Die grössern Staffeleibilder genügen viel weniger. (Statt aller das grosse Altarwerk in den Uffizien, 1. Gang, mit doppelt bemalten b Seitenflügeln, an welchem die klein ausgeführten Engel rings um die lebensgrosse Madonna bei weitem das Beste sind.) Es scheint als habe der Maler eine fromme Befangenheit bei Hauptbildern für Altäre nicht überwinden können, während er in den Predellen, Giebelbildern, Seitenfigürchen u. s. w. sich so frei und schön bewegte; auch wirkt die überfleissige Ausführung bei der noch ungenügenden allgemeinen Körperkenntniss nicht günstig. Die grosse Kreuzabnahme in der Aca- c demie zu Florenz (Hauptsaal) erscheint befangen, vielleicht gerade durch die Masse von Ausdruck, die darin zusammengedrängt ist; die Leiche ist gut modellirt, ihr Herabsenken glücklich gegeben, das Bild überhaupt das Beste unter den Grossen. Auch das Altarwerk in S. d Domenico zu Cortona (hinten, rechts) gehört zu den Bessern. Die bezeichneten Mängel fielen weg bei der Frescomalerei , welche eine gewisse Mässigung in den Darstellungsmitteln unvermeid- lich machte und den Künstler nicht durch den Gedanken, ein Cultus- bild malen zu müssen, ängstigte. Einen wahrhaft einzigen Eindruck machen vor Allem die Ma- lereien, womit Fiesole seinen langjährigen Wohnsitz, nämlich das Dominicanerkloster S. Marco zu Florenz ausschmückte. Hier ist e er zu Hause, hier darf er seine Ideen frisch wie ihn der Geist treibt in den ärmlichen Klostergängen, in den kleinen Zellen besonders werther Ordensgenossen verwirklichen; darum glaubt man auch ge- rade in den Fresken der Zellen die Inspiration deutlicher zu fühlen als in den Altarbildern des Meisters. Mir wurden sieben Zellen, sämmtlich im obern Stockwerk, geöffnet, und ich glaube sagen zu dürfen, dass die sämmtlichen Wandgemälde derselben, wenn auch in befangener Form, die höchste mögliche Lösung der betreffenden Auf- gaben zwar nicht erreichen, aber doch berühren. (Christus in der Vorhölle; — eine Bergpredigt; — die Versuchung in der Wüste; — Christus am Kreuz mit den Seinigen und mit dem weinenden S. Do- minicus; — noch ein Gekreuzigter mit den Seinigen; — die Marien Malerei des germanischen Styles. Fiesole. am Grabe; — Mariä Krönung; — und die Anbetung der Könige, eine späte und reiche Arbeit, die vielleicht einen Wetteifer mit Ma- saccio verräth.) Der überquellende Reichthum an den schönsten und naivsten Köpfen ist gepaart mit einem Geist und einer Tiefe in der Auffassung der Thatsachen, wie sie nur den grössten Meistern eigen a ist. — Die Fresken in den Gängen (der Gekreuzigte mit S. Dominicus, sehr dem Bild im vordern Kreuzgang entsprechend, — der englische Gruss, — und eine thronende Madonna) sind gegenwärtig, da das Kloster theilweise als Caserne dient, mit Brettern bedeckt. Wie Fiesole für eine schon mehr öffentliche Andacht malte, zeigt b sich an den Fresken des vordern Kreuzganges zu ebener Erde. Es sind fünf spitzbogige Lunetten mit Halbfiguren (worunter Christus mit zwei Ordensheiligen besonders schön ist); ferner Christus am Kreuz mit dem heil. Dominicus, lebensgross; endlich das berühmte c Frescobild des anstossenden Capitelsaales: der Gekreuzigte mit den beiden Schächern, seinen Angehörigen und den heiligen Cosmas, Da- mianus, Laurentius, Marcus, Johannes d. T., Dominicus, Ambrosius, Augustinus, Hieronymus, Franciscus, Benedict, Bernhard, Bernardino von Siena, Romuald, Petrus Martyr und Thomas von Aquino. Es ist eine schmerzliche Klage der ganzen Kirche, welche hier in ihren grossen Lehrern und Ordensstiftern am Fuss des Kreuzes versammelt ist. So lange es eine Malerei giebt, wird man diese Gestalten wegen der unerreichten Intensivität des Ausdruckes bewundern; Contraste der Hingebung, des Schmerzes, der Verzückung und des ruhigen in- nerlichen Erwägens (in S. Benedict, der die Schaar der übrigen Or- densstifter wie ein Vater überschaut) werden wohl nirgends mehr wie hier als Ganzes zusammenwirken. Es ist eine bedeutende Thatsache jener unvergesslichen Jahr- hunderte der Kunstgeschichte, dass mehrere der grössten Künstler ihr Bestes und Meistes in späten Lebensjahren, wenigstens erst nach dem fünfzigsten Jahre gaben. Lionardo war nahe an diesem Alter, als er sein Abendmahl in Mailand schuf; Giovanni Bellini’s herrlichste Bilder stammen aus seinen achtziger Jahren; Tizian und Michelangelo haben als Greise noch das Staunenswürdigste hervorgebracht. Es existirt aus dem XVI. Jahrh. ein vielverbreiteter kleiner Stich, welcher einen alten Mann in einem Räderstuhl für Kinder darstellt, mit der Bei- Fresken in S. Marco, in Orvieto, im Vatican. schrift: anchora imparo, noch immerfort lerne ich. Und diess war keine Phrase. Die unverwüstliche Lebenskraft dieser Männer war wirklich mit einer eben so dauernden Aneignungsgabe verbunden. Diess war auch bei Fiesole einigermassen der Fall. Dasjenige worin er so vorzüglich gross ist, die friedensreiche, tiefe Seligkeit heiliger Gestalten, findet sich eben in seinen spätesten Arbeiten mit einer unbeschreiblichen Kraft und Fülle ausgedrückt, zum grossen Unterschied von Perugino, welcher gerade hierin mit den Jahren lahm und äusserlich wurde. Man betrachte Fiesole’s Pyramidalgruppe der a Propheten am Gewölbe der Madonnenkapelle des Domes von Or- vieto und frage sich, ob irgend ein Kunstwerk der Erde, Rafael nicht ausgenommen, die stille selige Anbetung so wiedergebe? (Den Welt- richter, an der Hinterwand, hat er freilich von Orcagna entlehnt, ohne diesen zu erreichen.) Noch später, nach seinem sechszigsten Jahre (1447), malte er im Vatican die Capelle Nicolaus V, — und die b vier Evangelisten am Gewölbe und einer oder der andere von den Kirchenlehrern, wie z. B. S. Bonaventura erscheinen jenen himmli- schen Gestalten noch ganz ebenbürtig. Aber nicht bloss was ihm eigen war, bildete er mit gesteigerter Kraft weiter, sondern auch ge- gen die Fortschritte anderer Zeitgenossen schloss er sich durchaus nicht ab, wie man wohl glauben könnte. Die Geschichten der Hei- ligen Stephanus und Laurentius in der letztgenannten Capelle bewei- sen, dass der alternde Mann noch mit aller Anstrengung so viel von dem, was inzwischen Masaccio u. A. gewonnen, einzuholen suchte als seiner Richtung gemäss war. Die anmuthige Erzählungsweise dieser Fresken zeigt Züge des wirklichen Lebens und ist mit einer äussern Wahrheit der Farbe verbunden wie sich diess von keinem frühern Werke des Meisters so behaupten lässt. Die heftigen Bewegungen, ja schon die starken Schritte pflegen ihm noch immer zu misslingen, dafür wird man aber auf das Beste entschädigt z. B. durch jene junge Frau, welche der Predigt des heil. Stephanus mit ungestörter Andacht zuhört und ihr unruhiges Kind nur mit der Hand fasst um es stille zu machen. Man durchgehe dieses Werk Scene um Scene, und man wird einen Schatz von schönen, geistvollen Bezügen dieser Art darin finden. Abgesehen davon ist es als fast rein erhaltenes Ganzes aus der Zeit der grossen Vorblüthe unschätzbar. Malerei des germanischen Styles. Don Lorenzo. a Fiesole ruht begraben zu Rom in S. Maria sopra Minerva. Viel- leicht wollte man ihm eine Ehre anthun, als man in unsern Tagen die Wölbungen dieser Kirche in seiner Manier bemalte. Es sind auch wieder Apostel und Kirchenlehrer auf blauem goldgestirntem Grunde. Allein er hätte sie nicht gebilligt und auch für den guten Willen gedankt. Ein Zeit- und Standesgenosse Fiesole’s, der Camaldulenser Don Lorenzo , blieb in derselben Richtung beim ersten Anlauf stehen. Es ist zu glauben, dass ihn seine wenigen Werke sehr viel Fleiss b und Besinnens gekostet haben. Bei der Verkündigung in S. Trinità zu Florenz (4. Cap. rechts) ist er dafür belohnt worden; die stille Anmuth und der tiefe Charakter der beiden glücklich gestellten Fi- guren hat dem Bilde eine Art typischer Geltung verschafft und zu c zahlreichen Copien angeregt. Die Anbetung der Könige (in den Uf- fizien) ist ebenfalls vortrefflich angeordnet, und dabei merkwürdig als eines der letzten Gemälde, in welchen die Gewandung des germani- schen Styles noch in ihrem vollen Schwung gehandhabt ist. (Das d Hauptwerk, eine Krönung Mariä, in der Badia von Cerreto, unweit Certaldo.) Malerei des XV. Jahrhunderts. In den ersten Jahrzehnden des XV. Jahrh. kam ein neuer Geist über die abendländische Malerei. Im Dienst der Kirche verharrend, entwickelte sie doch fortan Principien, die zu der rein kirchlichen Aufgabe in keiner Beziehung mehr standen. Das Kunstwerk giebt zunächst mehr als die Kirche verlangt; ausser den religiösen Be- ziehungen gewährt es jetzt ein Abbild der wirklichen Welt; der Künstler vertieft sich in die Erforschung und Darstellung des äussern Scheines der Dinge und gewinnt der menschlichen Gestalt sowohl als der räumlichen Umgebung allmälig alle ihre Erscheinungsweisen ab. ( Realismus .) An die Stelle der allgemeinen Gesichtstypen treten Individualitäten; das bisherige System des Ausdruckes, der Geberden und Gewandungen wird durch eine unendlich reiche Lebenswahrheit ersetzt, die für jeden einzelnen Fall eine besondere Sprache redet oder zu reden sucht. Die Schönheit, bisher als höchstes Attribut des Heiligen erstrebt und auch oft gefunden, weicht jetzt der all- bezeichnenden Deutlichkeit, welche der erste Gedanke der neuen Kunst ist; wo sie aber sich dennoch Bahn macht, ist es eine neugeborene sinnliche Schönheit, die ihren Antheil am Irdischen und Wirklichen unverkürzt haben muss, weil sie sonst in der neuen Kunstwelt gar keine Stelle fände. In diesem Sinne giebt jetzt das Kunstwerk weniger als die Kirche verlangt oder verlangen könnte. Der religiöse Gehalt nimmt eine ausschliessliche Herrschaft in Anspruch, wenn er gedeihen soll. Und diess aus einem einfachen Grunde, den man sich nur nicht immer klar eingesteht; dieser Gehalt ist nämlich wesentlich negativer Art und besteht im Fernhalten alles dessen, was an profane Lebensbe- Malerei des XV. Jahrhunderts. ziehungen erinnert; zieht man diese geflissentlich und principiell in die Kunst hinein, wie damals geschah, so wird das Bild nicht mehr fromm erscheinen. Man rechne nur der Kunst nach, wie wenige Mittel sie hat, um direct auf die Andacht zu wirken; sie kann hohe Ruhe und Milde, sie kann Hingebung und Sehnsucht, Demuth und Trauer in Köpfen und Geberden schildern — lauter Elemente die ohne- hin dem allgemein Menschlichen angehören und nicht auf die christ- liche Gefühlswelt beschränkt sind, die aber allerdings im christlichen Gemüth eine christliche Andacht wecken, so lange dasselbe nicht ge- stört wird durch Zuthaten, so lange ihm von den neutralen, jenes Aus- druckes nicht fähigen Theilen der Menschengestalt und von der äussern Umgebung nur das Nothwendige mitgegeben wird. Sehr wesentlich ist hiebei jene allgemeine Feierlichkeit der Gewandung, welche schon durch ihren Contrast mit der Zeittracht, durch ihre Stofflosigkeit (die weder Sammt noch Seide unterscheiden will ) und noch mehr durch eine geheimnissvolle Ideenassociation die wir nicht weiter verfolgen können, den Eindruck des mehr als Zeitlichen und Irdischen ver- stärken hilft. Jetzt beginnt dagegen ein begeistertes Studium des Nackten und der menschlichen Gestalt und Bewegung überhaupt; auch im Wurf der Gewänder will man den einzelnen Menschen und den gegebenen Moment charakterisiren; die einzelnen Stoffe werden dargestellt, in Staffeleibildern sogar mit unerreichbarem Raffinement; die möglichst reiche Abwechselung der Charaktere und die malerischen Contraste der handelnden Personen werden zum wesentlichen Princip, sodass abgesehen vom kirchlichen sogar der dramatische Eindruck unter der Überfülle leidet. Endlich bildet sich ein ganz neues Raumgefühl aus; wenn die Maler des XIV. Jahrh. die gegebenen Mauerflächen so viel als möglich mit menschlichen Gestalten ausfüllten, so entwickelt sich jetzt die Thatsache, das „Geschehen“, bequem in weiten Räumen, so dass Nähe und Entfernung, Vor- und Rückwärtstreten als wesentliche Mittel der Verdeutlichung dienen können; — wenn das XIV. Jahrh. die Örtlichkeiten nur andeutete soweit sie zum Verständniss unent- behrlich waren, so wird jetzt eine wirkliche Landschaft und eine wirkliche Architektur mehr oder weniger perspectivisch abgeschildert. Einfluss der Flandrer. Bei diesem Interesse für die Einzelerscheinung konnte die Tren- nung der Malerei in verschiedene Gattungen nicht lange ausbleiben; bald nimmt die profane, hauptsächlich mythologische, allegorische und antik-geschichtliche Malerei einen wichtigen Platz ein. Im Norden wird dieser grosse Übergang bezeichnet durch den unsterblichen Johann van Eyck, der sein einsam strahlendes Licht weit über das ganze Jahrhundert, über die ganze deutsche, franzö- sische und spanische Kunst wirft. Er weitete das Gebiet der Malerei dergestalt aus, dass seine Nachfolger nicht nachkommen konnten und sich mit einem viel engern Formenkreis begnügten. Erst beinahe hundert Jahre nach ihm war im Norden das Porträt, das Genrebild und die Landschaft wieder auf dem Punkte wo Er sie gelassen und bildeten sich dann aus eigenen Kräften weiter. Die menschliche Ge- stalt hat geradezu kein Einziger der nächsten Generationen nördlich von den Alpen, auch seine besten flandrischen Schüler nicht, auch nur annähernd so verstanden und so lebendig behandelt wie Er; es muss auf ihnen gelegen haben wie eine Lähmung; als Dürer, Messys und Holbein zu spät erschienen, mussten sie erst eine Last abge- storbener Formen, die Frucht des XV. Jahrh., beseitigen. Die Kunst des Südens nahm bei Zeiten aus den weitverbreiteten Werken des grossen Flandrers Dasjenige an was ihr gemäss war; keine italienische Schule (mit Ausnahme einzelner Meister von Neapel) ist von ihm in den Hauptsachen bedingt, aber auch keine blieb von seinem Einfluss ganz unberührt. Die Behandlung der Gewandstoffe und Schmucksachen, namentlich aber der Landschaft zeigt vielfach flandrische Art; als viel wichtiger noch galt die eingestandener Massen von den Flandrern erlernte „Ölmalerei“, d. h. die neue Behandlung der Farben und Firnisse, welche eine bisher ungeahnte Durchsichtig- keit und Tiefe des Tons und eine beneidenswerthe Dauerhaftigkeit möglich machte. Häufig rechnet man auch den Einfluss antiker Sculpturen zu den wesentlichen Fördernissen, welche die italienische Malerei vor der nordischen voraus gehabt habe. Allein der Augenschein lehrt, dass jeder Fortschritt mit einer unendlichen Anstrengung, welche im Norden fehlte, der Natur abgerungen wurde. Entscheidend zeigt sich diess in der paduanischen Schule, welche sich am Meisten und fast Malerei des XV. Jahrhunderts. Das Fresco. allein von allen mit der Antike abgab und doch, wie wir sehen werden, eigentlich kaum mehr als das Ornamentistische aus derselben ent- lehnte. Es konnte gar nicht im Geist einer mit so unermesslichen Kräften vorwärtsstrebenden Kunst liegen, sich irgend ein Ideal von aussen anzueignen; sie musste von selbst auf das Schöne kommen, das ihr eigen werden sollte. Als Gabe des Himmels besass sie von vorn herein den Takt, die äussere Wirklichkeit nicht in alles Detail hinein, sondern nur soweit zu verfolgen, dass die höhere poetische Wahrheit nicht darunter litt. Wo sie an Detail zu reich ist, sind es nicht kümmerliche Zufällig- keiten des äussern Lebens, sondern Schmuck und Zierrath an Ge- bäuden und Gewändern, die den Überschuss ausmachen. Der Ein- druck ist daher kein ängstlicher, sondern ein festlicher. Wenige geben das Bedeutende ganz gross und edel; viele verfangen sich in der Phantasterei, welche dem XV. Jahrh. überhaupt anhängt, allein die allgemeine Höhe der Formbildung giebt ihren Einfällen eine geniess- bare und selbst erfreuliche Gestalt. Alle diese Fortschritte wären, wie einst diejenigen der Schule Giotto’s, bei einer Beschränkung auf das Andachtsbild und Tafelbild unmöglich gewesen. Abermals ist es Florenz, von wo das neue Licht einer grossartigen Historienmalerei ausstrahlt, die mit ihren Fres- ken Bis auf Giotto wurde — laut jetziger Ansicht — nur in Tempera auf die Mauer gemalt; von Giotto an wurde in Fresco untermalt und al secco darü- bergemalt; erst seit Ende des XIV. Jahrh. begann die eigentliche Fresco- malerei im engern Sinne. die Wände der Kirchen, Kreuzgänge und Stadthäuser über- zieht. Keine andere Schule kann von ferne neben diesem Verdienst aufkommen; die lombardische blieb in dem engen Ideenkreise der Gnadenbilder und Passionsbilder befangen; die venezianische schloss kein wahres Verhältniss zum Fresco und beschränkte sich lange auf Altarbilder und Mosaiken; rechnet man den grossen Andrea Mantegna hinzu, so ging er auch in den Wandmalereien (zu deren Schaden) über das reine Fresco hinaus, dessen höchst solide Handhabung gerade Die neue Auffassung. ein Hauptverdienst der Florentiner ist. Rom zehrte fast ganz von auswärtigen Künstlern; Perugia empfing seine Inspiration zuerst von Florenz und Siena und leistete auf seinem Höhepunkt gerade für das Dramatisch-Historische wenig; Neapel kommt nicht in Betracht. — Toscana allein bietet eine grosse, monumentale Geschichtsmalerei dar, in gesunder, ununterbrochner Weiterbildung, mit fortlaufender Seiten- wirkung auf das Tafelbild, welches sonst wohl vorzeitig in verfeinerter Niedlichkeit untergesunken wäre. Die Gegenstände waren, mit Ausnahme der hinzukommenden Pro- fanmalerei, die alten: das ruhig symmetrische Gnadenbild, die Ge- schichten der Bibel und die Legenden der Heiligen; endlich das häus- liche Andachtsbild. Allein sie sind alle umgestaltet. Von den einzelnen Personen behält Christus im Mannesalter am meisten von dem bis- herigen Typus; der Gekreuzigte erhält eine bisweilen sehr edel durchge- bildete Gestalt und einen Ausdruck, den z. B. die Schulen des XVII. Jahrh. vergebens an Tiefe zu überbieten suchten. Die grösste Ver- änderung geht mit der Madonna vor; wohl bleibt sie in einzelnen feierlichen Darstellungen die Himmelskönigin, sonst aber wird sie zur sorglichen oder stillfröhlichen Mutter, und vertauscht sogar die alt- übliche Idealtracht mit Mieder und Häubchen des Italiens der Renais- sance; das Bild der häuslichen Scene vollendet sich, indem der le- bendig und selbst unruhig gewordene Christusknabe den längst er- sehnten Gespielen erhält an dem kleinen Johannes. In dieser irdisch umgedeuteten Existenz findet denn auch der Pflegevater Joseph erst seine rechte Stelle; ein häuslicher und doch nicht kleinbürgerlicher Ton und Klang beginnt all die früher so feierlichen Scenen zu durch- dringen: die Verkündigung, die Visitation, die Anbetung der Hirten, die Geburt der Maria, die des Johannes u. s. w. Gewiss wurde dem Beschauer das Ereigniss jetzt viel mehr nahe gelegt und vergegen- wärtigt; ob die Andacht dabei gewann oder verlor, ist eine andere Frage. — Auch der Himmel füllt sich mit sprechend individuellen Kö- pfen und Gestalten an, zu beginnen vom Gottvater in pelzverbrämtem Rocke; alle Seligen und Engel dienen jetzt nicht mehr unpersönlich der grossen symmetrischen Glorie des Ganzen, sondern jede Figur ist interessant für sich. Von den erwachsenen Engeln (die oft eine sehr florentinische Tracht erhalten) scheiden sich nunmehr die Schaaren Malerei des XV. Jahrhunderts. Florentiner. kleiner, nackter Flügelkinder (Putten) aus, welche als Gefährten des Christuskindes, als Sänger und Musikanten und als stets dienliche Füll- und Zierfiguren die Kunstwerke jener Zeit beleben. Die höchste Freude der Kunst war es, wenn sie der Natur wie- der eine sprechende Bewegung, einen lebensvollen Moment mehr, und zwar auf schöne Weise abgewann; sie suchte gerade dasjenige, wel- chem die Nordländer aus dem Wege gingen. Einstweilen erfährt man noch wenig von anatomischer Erforschung der Menschengestalt; aber ein rastlos beharrliches Anschauen des täglichen Verkehrs klärte die Künstler auf über das Warum? jeder Bewegung und jedes Ausdrucks; das Studium des Nackten und der Perspective, die man aus dem Nichts schaffen musste, that das Übrige. So erwuchs eine Malerei, welche sich nicht mehr auf Intentionen und Andeutungen zu beschränken brauchte, sondern der Darstellung jeder Thatsache, jedes sinnlichen oder geistigen Vorganges gewach- sen war. In Florenz knüpft sich die grosse Neuerung an den Namen des Masaccio (1404—1443). Unter der Einwirkung des Ghiberti, Do- natello und Brunellesco, welche in der Sculptur das neue Princip ver- traten, führte er dasselbe in die Malerei ein, wo es seine wahren Siege erkämpfen sollte. Eine Jugendarbeit, die er in Rom übernahm, die a Fresken in S. Clemente (Cap. vom Seiteneingang rechts; Passion, und Legende der heil. Catharina), zeigen in ihrer starken Übermalung nur Anklänge dessen, was Masaccio über die Nachfolger Giotto’s empor- hebt; in einigen der besser erhaltenen Köpfe regt sich wenigstens ein persönlicheres Leben. — Der ganze Meister offenbart sich erst im Car- b mine zu Florenz (Cap. Brancacci , am Ende des rechten Quer- schiffes), wo er die von Masolino da Panicale begonnene Freskenreihe weiter zu führen hatte. Wie Masolino’s Eva (im Sündenfall) eine der ersten, ganz schönen nackten Frauengestalten der modernen Kunst ist, so sind Masaccio’s Täuflinge (in der Taufe Petri) die ersten völlig belebten männlichen Acte; schon vollkommen ist die Linienführung zweier nackten und bewegten Gestalten (in der Vertreibung aus dem Paradiese) gehandhabt. Auch in den übrigen Bildern strömt eine bisher Masaccio und Masolino. ungeahnte Fülle der freisten und edelsten Charakteristik auf einmal in die Kunst herein. Hatten schon Giotto und seine Schule ihre dramati- schen Scenen gerne mit einer zahlreichen, theilnehmenden Zuschauer- schaft bereichert, so führt nun Masaccio das damalige Florenz als mit- handelnd oder zuschauend mitten in den Hergang (Erweckung des Königssohnes, wovon Einiges dem Filippino Lippi angehört); er trennt und verbindet die Scenen, Gruppen und Personen nicht mehr nach architektonischen, sondern nach malerischen Gesetzen binnen einer naturwahren Räumlichkeit (Findung des Groschens im Munde des Fisches; die Heilung der Krüppel; das Almosen). Und über dem grossen malerischen Sieg vergass Masaccio das Höchste nicht; seine Hauptperson, der Apostel Petrus, ist durchgängig mit einer Würde und Macht ausgestattet und auf eine Weise gestellt und bewegt, wie diess nur dem grössten Historienmaler möglich war. Vollends gehört nur einem solchen die Einfachheit der ganzen Behandlung an; alle Nachfolger bis auf Lionardo gefallen sich im Besitz der grossen neuen Kunstmittel; Masaccio allein hält zurück und erreicht so den Eindruck eines harmonischen Ganzen. Mit wie Wenigem hat er z. B. die Ge- wänder geschaffen, in denen sich der höchste Styl und der lebendig- ste Wurf verbinden. Die Schwierigkeiten der Modellirung und Ver- kürzung sucht er nicht auf; wo sie aber liegen, überwindet er sie. (Bestes Licht: Nachmittags vier Uhr.) Das einfach grossartige Bild der heil. Anna mit Maria und dem a Kinde, in der Academie zu Florenz, zeigt noch recht den aus einer idealen Richtung hervorgegangen Realisten. Dagegen spricht der als M.’s Vater geltende Greisenkopf in den Uffizien dieselbe Wonne des b ersten vollkommenen Individualisirens aus, welche einen Johann van Eyck beseelt haben muss. M.’s eigenes Porträt (?, ebenda, bei den c Malerbildnissen) erscheint wie eine höchst geistreiche Frescoprobe. Die Lunetten im Kirchlein S. Martino (der Brüderschaft de’ Buo- d nuomini) zu Florenz gelten mit Recht als Werk eines trefflichen Schülers von M.; sie geben eine edle Lebensfülle noch ohne das Ba- rocke und Überladene späterer Florentiner des XV. Jahrh. Als Ju- gendwerk des Filippino Lippi kann ich sie nicht betrachten, da kein Anklang an seinen Lehrer Sandro darin zu erkennen ist. Malerei des XV. Jahrhunderts. Florentiner. Was Masaccio erworben das wird bei Fra Filippo Lippi (1412—1469) im Dienste eines minder hohen und strengen Geistes, einer reichen und fröhlichen Phantasie weiter angewandt. Er lässt sich gehen, aber nicht in Trägheit, sondern in kecken Versuchen des- sen, was wohl seiner Kunst erlaubt sein möchte. Wie ohne alle Scheu noch Rückhalt offenbart er in den Bildnissen, womit er seine Scenen ausstattet, das tiefste Wesen Derer, die er meinte! mit wel- chem Gefühl wird er — zuerst von Allen — die Jugend sinnlich- lieblich, ja schalkhaft bis über die Gebühr, dargestellt haben! Er ist der Erste, welcher sich an der Breite des Lebens, auch an dessen zufälligen Erscheinungen, von Herzen freute. Sein grosses Frescowerk, die Geschichten des Täufers Johannes a und des heil. Stephanus im Chor des Domes von Prato (bestes Licht: 10—12 Uhr) würde schon durch Technik und Colorit Epoche gemacht haben. Nicht alle Scenen sind hoch aufgefasst; der Künst- ler hat zu viel Neues in allen möglichen Beziehungen zu sagen, als dass nicht der tiefere Gehalt unter den oft herrlichen rein malerischen Gedanken leiden müsste. Schöner zumal als bei irgend einem Vor- gänger spricht sich Stellung und Bewegung in den nobeln und leben- digen Gewändern aus, deren mehrere (z. B. in der „Trauer um die Leiche des Stephanus“) bis auf die Zeit Rafaels kaum mehr ihres Gleichen haben möchten. In den vier Evangelisten am Kreuzgewölbe wich Filippo von der symmetrischen Stellung ab; man wird z. B. Fie- sole’s Evangelisten am Gewölbe der Capelle Nicolaus V immer vor- ziehen. b Gegen Ende seines Lebens malte Filippo die Chornische des Do- mes von Spoleto aus. Diese Krönung Mariä ist eines der frühesten ganz frei angeordneten Halbkuppelgemälde; doch klingt die symme- trische Strenge der Frühern noch sehr wohlthuend nach. Maria und Christus an Ernst den Giottesken nicht gleich; Ersatz durch den le- bendigen Ausdruck der Nebengruppen. Von den drei untern Bildern der Tod der Maria hochbedeutend, aber durch ganz andere Mittel als bei den Giottesken. (An beiden grossen Frescowerken half Fra Diamante .) In den Tafelbildern überwiegt die Freude am Schön-Wirklichen; eine kräftige und schalkhafte Jugend; die Madonna florentinisch häuslich; Lippo Lippi. Sandro. das Christuskind durchgängig sehr schön gebildet. In Prato: im Refecto- a rium von S. Domenico: eine Geburt Christi mit S. Michael und S. Tho- mas Aq.; — im Pal. del Commune: Madonna della Cintola und eine b Predella, in einem dunkeln Raum aufgestellt. — Zu Florenz, in der Academie: herrliche Madonna mit vier Heiligen, alle unter einer Ar- c chitektur, für die Gewandung sein schönstes Tafelbild; — ebenda: die grosse Krönung Mariä, spät, wie sein eigenes Greisenbildniss und die gedämpfte, aber ganz klare Farbe beweist; als überfüllt wirkend, weil der Gegenstand — eine Glorie — in einen irdisch greifbaren Raum übertragen ist; dabei reich an wesentlich neuem Leben; — dazu die schöne Predella. — Uffizien: zwei Engel heben der Madonna das nach d ihr verlangende Kind entgegen; sie zögert betend. — Pal. Pitti: grosses e Rundbild der sitzenden Madonna (Kniestück); hinten die Wochenstube der Elisabeth und die Visitation; ein Thema, das recht dazu einlud, die früher durch Goldstäbe zu Einzelscenen getrennten Vorgänge zu Einem Bilde zu verschmelzen, den Hausaltar zum häuslichen Gemälde um- zubilden. — Pal. Corsini: Mehreres. — Im linken Querschiff von f S. Spirito, vierter Alt., eine Trinität mit S. Catharina und S. Magdalena g (angeblich peruginische Schule); — in S. Lucia de’ magnoli, erster h Alt. links, eine Verkündigung; — im linken Querschiff von S. Lorenzo, i Cap. links, eine Verkündigung; — in S. Micchele zu Lucca, rechts, k Madonna mit vier Heiligen; — in der Academie zu Pisa: Madonna l mit zwei Engeln und vier. Heiligen etc. Sandro Botticelli (1447—1515), Filippo’s Schüler, ist im Verhältniss zu dem, was er gewollt hat, nirgends ganz durchgebildet. Er liebte, das Leben und den Affect in einer selbst stürmischen Be- wegung auszudrücken und malte eine oft ungeschickte Hast. Er strebte nach einem Schönheitsideal und blieb bei einem stets wieder- kehrenden, von Weitem kenntlichen Kopftypus stehen, den er hie und da äusserst liebenswürdig, oft aber ganz roh und leblos reproducirt. (Es ist nicht der Kopf der bella Simonetta, wenn das Profilbild im Pal. Pitti, Sala di Prometeo, dieses Mädchen wirklich vorstellt.) Unter m den Florentinern ist S. einer der frühsten, welche der mythologischen und allegorischen Profanmalerei im Sinne der Renaissance eine dauernde Hingebung bewiesen haben. B. Cicerone. 51 Malerei des XV. Jahrhunderts. Florentiner. a Sein schönstes Werk: das eine der beiden Rundbilder (Madonnen mit Engeln) in den Uffizien, mit wundervollen Engelköpfen, ein Juwel an Ausführung; ebenda sein bestcomponirtes Historienbild, eine An- betung der Könige, in den edeln Gewandmotiven dem Besten seines Lehrers nahe stehend, eine merkwürdige Parallele zu flandrischen Bil- dern desselben Inhaltes; dann zwei kleine Geschichten der Judith und die bekannte, so oft gemalte Allegorie des Apelles von der Verläum- dung, Gegenstände zu deren heroischem und idealem Gehalt der hier wunderlich manierirte Realismus nicht ausreichte; — endlich aber die auf einer Muschel über die Fluth schwebende Venus; hiefür studirte Sandro und brachte nicht bloss einen ganz schönen Act, sondern auch einen höchst angenehmen, mährchenhaften Eindruck hervor, der sich b dem mythologischen unvermerkt substituirt. — In der Academie: (Sala delle Esposizioni) der Venusgarten oder wie man das Bild benennen will; in den Formen der nackten Figuren wiederum realistisch un- rein; — sodann (im grossen Saal) eine grosse Krönung Mariä mit vier Heiligen, zum Theil gering, bunt und selbst roh; — viel werth- voller die Madonna mit vier Engeln und sechs Heiligen, eines jener grossen Prachtbilder, in welchen das XV. Jahrh. das Himmlische in eine irdisch-wirkliche, aber noch immer feierliche und würdevolle Hof- haltung umdeutet; die Engel heben nicht nur den Vorhang auf, son- dern sie hängen ihn auch sorgsam an die Pfosten der Architektur. c Einiges im Pal. Pitti, Pal. Corsini u. a. a. O. — In Ognissanti, rechts, d der S. Augustin, Gegenstück zu Ghirlandajo’s Hieronymus. Filippino Lippi (1460—1505) Filippo’s Sohn und Sandro’s Schüler, den er an Geist, Phantasie und Schönheitssinn beträchtlich übertrifft. Wie er aus Sandro hervorwächst, zeigt am besten die e grosse thronende Madonna mit vier Heiligen in den Uffizien (1485). — Ebenda: eine figurenreiche Anbetung der Könige, allerdings neben der vielleicht gleichzeitigen des Lionardo im Nachtheil, auch nicht ohne die Schattenseiten der spätern Werke Filippino’s (bunte Überfüllung, schwere wulstige Gewandung), aber im Ausdruck des scheuen Heran- nahens, der anbetenden Huldigung ungemein schön. (Der kleine S. Hieronymus in der Nische sitzend, ebenda, als „Filippo L.“ be- f nannt, ist eher von Filippino.) — Sein bestes Tafelbild, in der Badia, Cap. links von der Thür, S. Bernhard, den die Madonna mit Engeln Sandro. Filippino Lippi. besucht, ein Werk voll naiver Schönheit, ist allerdings noch aus frü- her Zeit; die Kreuzabnahme in der Academie dagegen, wozu Perugino a die untere Gruppe gemalt hat, — sowie die Madonna mit Heiligen in b S. Domenico zu Bologna (kleine Cap. zunächst rechts vom Chor), da- tirt 1501, gehören zu den spätern Werken, in welchen man bei vie- lem Schönen doch den gleichmässigen Schwung vermisst. — Ein paar Breitbilder mit vielen kleinen Figuren, wie dasjenige mit der todten Lucretia (Pal. Pitti) und die mit der Geschichte der Esther (Pal. To- c rigiani in Florenz) sind Belege für die Art mehrerer damaliger Flo- d rentiner, die profane Historie als figurenreiche Theaterscene zu styli- siren. — Das prächtige Bild in S. Spirito (vom Langhaus kommend der e fünfte Altar des rechten Querschiffes) wird auch F.’s Schüler Raffaellin del Garbo zugeschrieben; es ist eine Madonna mit Heiligen und Dona- toren unter einer Halle mit köstlicher Aussicht auf eine Stadt; die Köpfe zum Theil wehmüthig holdselig wie in den schönsten Bildern des Lorenzo di Credi. Von F.’s Fresken sind die wahrscheinlich frühsten, im Carmine zu f Florenz (S. 798, b) die vorzüglichsten, eine würdige und stylgemässe Fortsetzung der Arbeit Masaccio’s. Die Gruppe des vom Tode erweckten Königssohnes, Petrus und Paulus vor dem Proconsul, Petri Befreiung. Aber auch in den Wunderthaten der Apostel Johannes und Philippus, womit er die Capella Strozzi in S. M. novella (die erste vom g Chore rechts) ausschmückte, kann ich nichts weniger als ein Sinken seines künstlerischen Vermögens erkennen; er erzählt hier nur mehr in seiner Weise, als einer der grössten Dramatiker des XV. Jahrh., aller- dings mit sehr merklichen Unarten z. B. schwerbauschigen, weitflat- ternden Gewändern, conventionellen Köpfen, die aber durch anderes Einzelnes von grösster Schönheit aufgewogen werden. Entschieden geringer sind die Fresken in der Minerva zu Rom (Cap. Carafa), wo h er freilich eine Aufgabe lösen musste, die nicht mehr ins XV. Jahr- hundert gehörte: die Glorie des heil. Thomas, als allegorisches Ce- remonienbild. Parallel mit Sandro und Pilippino geht Cosimo Rosselli , des- sen einziges zu Florenz vorhandenes Fresco (1456) in S. Ambrogio 51* Malerei des XV. Jahrhunderts. Florentiner. a (Capelle links vom Chor) eine Procession mit einem wunderthätigen Kelche dargestellt. Schöne lebendige Köpfe, überfüllte und nicht sehr b würdige Anordnung. — In der Vorhalle der Annunziata zu Florenz die Einkleidung des S. Filippo Benizzi. — In S. M. Maddalena de’ c Pazzi (zweite Cap., links) gehört ihm wahrscheinlich die sonst dem Fiesole zugeschriebene Krönung Mariä. Im Ganzen lebte Cosimo von den Inspirationen Anderer, was in dieser Zeit der befreiten Subjecti- vität nicht mehr so erlaubt war, wie 100 Jahre früher. Des Rosselli Schüler war Piero di Cosimo , welcher zwar bis 1521 lebte und später wesentlich von Lionardo bedingt wurde, der Auffassung nach jedoch noch dem XV. Jahrh. angehört. Sein bestes d Bild, die Conceptio mit sechs Heiligen (Uffizien) ist von ausserordent- licher Gediegenheit der Composition und der Charaktere, ein wahres Kernbild der Schule. Von den vier mythologischen Breitbildern (vgl. S. 803, b) ebenda enthält das späteste, Perseus und Andromeda, ganz reizende Einzelheiten. Paolo Uccello (geb. um 1400, st. nach 1469) ist hier einzu- schieben als Vorläufer Benozzo’s. Die von ihm oder einem Andern in e dem abgestandenen giottesken Styl begonnenen Malereien des Chios- tro verde bei S. M. novella vollendete er mit ein paar Scenen (Sünd- fluth, Opfer des Noah), welche den schon sehr ausgebildeten Realis- mus auf der Bahn der perspectivischen Entdeckung zeigen. — Das grau f in grau gemalte Reiterbild des Feldherrn Hawkwood (Acutus) im Dom von Florenz ist wie das von Castagno gemalte Gegenstück (der Feld- herr Marucci) stark restaurirt, aber edler aufgefasst als das letztere, welches doch nur einen steifbeinigen Kriegsknecht auf einem Acker- g pferd vorstellt. — Ausserdem von U. eine schon ganz lebendige Reiter- schlacht in den Uffizien. Benozzo Gozzoli (geb. 1424, st. nach 1484) zeigt sich als h Schüler Fiesole’s in denjenigen Theilen des Gewölbes der Madonnen- capelle im Dom von Orvieto, welche ihm angehören. (Seine Fresken i in Montefalco (1450) und S. Gimignano (1465) kenne ich nicht.) In k der Capelle des Pal. Riccardi zu Florenz malte er (bei Lampen- licht) den Zug der heil. drei Könige, welcher sich über drei Wände C. Rosselli. Uccello. Gozzoli. D. Ghirlandajo. ausdehnt. (Leidliches Reflexlicht: um zwei Uhr.) Im Camposanto a zu Pisa aber gehört ihm fast die ganze Nordwand (23 Gemälde) mit den Geschichten des alten Testamentes, gemalt 1469—1485. — Be- nozzo kostet mit vollen Zügen die Freude an den blossen schönen Lebensmotiven als solchen; sein wesentliches Ziel ist, ruhende, tra- gende, gebückte, laufende, stürzende Gestalten, oft von grosser jugend- licher Schönheit, mit ganzer momentaner Kraft darzustellen; dagegen bleibt ihm der Hergang an sich ziemlich gleichgültig. Der Beschauer empfindet jene Freude an dem neugebornen Geschlecht von Lebens- bildern mit und verlangt neben der endlos reichen Bescheerung nichts weiter. Die schon erwähnte Ausstattung mit Architekturen, Gärten, Landschaften ist fabelhaft prächtig; auch hier ist Benozzo ein begei- sterter Entdecker neuer Sphären des Darstellbaren. — Seine Staffelei- bilder geben keinen Begriff von seiner Bedeutung. — (Mehrere in der b Acad. zu Pisa, u. a. der Entwurf zur Königin von Saba.) Hier möchte das Frescobild des Lorenzo von Viterbo , in einer Capelle von S. Maria della verita daselbst, einzureihen sein: eine figurenreiche Ver- * mählung der h. Jungfrau, vom Jahr 1469. Alessio Baldovinetti , von welchem in der Vorhalle der Annunziata zu Florenz die Geburt Christi gemalt ist, ein sorgsamer, c nicht eben geistloser Realist, wird hauptsächlich genannt als Leh- rer des Domenico Ghirlandajo (1449—1498), des grössten dieser Reihe. Er gebietet dem sich schon in seinen eigenen Consequenzen verlierenden Realismus Einhalt, im Namen des ewigen Bestandtheiles der Kunst. Auch ihn reizt die Schönheit der lebendigen Erscheinung und er ist ihrer Reproduction vollkommen mächtig, allein er ordnet sie dem grossen, ernsten Charakter der heil. Gestalten, der höhern Bedeutung des dargestellten Augenblickes unter. Die in schönen treff- lich vertheilten Gruppen versammelten Bildnissfiguren, welche den Ereignissen beiwohnen, nehmen an der würdigen und grossen Auf- fassung des Ganzen Theil. Von allen Vorgängern scheint Filippo Lippi, hauptsächlich die Malereien im Dom von Prato, den grössten Malerei des XV. Jahrhunderts. Florentiner. Eindruck auf D. gemacht zu haben; obwohl er denselben an leichtem und edelm Wurf der Gewänder, und ihn und andere in der Stoffdar- stellung und Farbenharmonie nicht erreicht hat, so ist er dafür in an- derm Betracht Allen überlegen, äusserlich auch in den Linien der Com- position, sowie in der Frescotechnik. a In Ognissanti sieht man (links) sein Fresco des S. Hieronymus (1480), wo er in der Schilderung der Örtlichkeit und der Nebensachen b einmal der flandrischen Weise nachgiebt. — Im Refectorium von S. Marco ein Abendmahl, dessen Anordnung noch die alterthümliche, c giotteske ist. — Vom Jahr 1485 die Fresken der Cap. Sassetti in S. Trinità (die hinterste im rechten Querschiff), die Legende des heil. Franciscus darstellend, schon ein reifes Meisterwerk (bestes Licht: d 9 Uhr.) — Endlich die Fresken im Chor von S. Maria novella Sie sind immer schlecht beleuchtet. Die leidlichen Augenblicke, sowohl vor als nach Mittag, hängen von dem Stand der Sonne je nach den Jahreszeiten ab. (1490) mit dem Leben der Maria, des Täufers u. a. Heiligen. Nicht ein bedeutender dramatischer Inhalt ist hier das Ergreifende, sondern das würdige, hochbedeutende Dasein, von welchem wir wissen, dass es die Verklärung der damaligen florentinischen Wirklichkeit ist. Diese anmuthigen, edel-kräftigen Existenzen erheben uns um so viel mehr, als sie uns real nahe treten Ist vielleicht das Fresco einer Pietà mit Johannes und Magdalena, in einer * Ecke der Stadtmauer am Arno, unweit Porta S. Frediano, von Domenico? Noch in Zerfall und Übermalung ein herrliches Werk. . Unter den Staffeleibildern in Florenz sind zu nennen die Anbe- e tung der Könige hinten im Chor der Findelhauskirche (Innocenti); f dann, in der Academie, die Madonna mit den sechs Heiligen und die herrliche Anbetung der Hirten (1485), in holdseliger Bildung, schöner und glücklicher Anordnung ein Hauptwerk jener Zeit. — Einzelnes g in den Uffizien und im Pal. Corsini. — In der Sacristei des Domes h von Lucca eine (frühe) Madonna mit vier Heiligen. Von Domenico’s Brüdern Davide und Benedetto sind keine namhaften selbständigen Arbeiten vorhanden; von seinem Schwager i Bastiano Mainardi (S. 750, b) Fresken in S. Gimignano. Von sei- k nem Schüler Francesco Granacci u. a. in der Academie eine l Himmelfahrt Mariä mit vier Heiligen, in den Uffizien eine den Gürtel Dom. Ghirlandajo. Castagno. Verocchio. L. di Credi. dem S. Thomas herabreichende Madonna, gute Bilder ohne höhere Eigenthümlichkeit. Neben diesen grossen Bestrebungen, im Realismus ein höheres und schöneres Dasein darzustellen, trat auch ein übertreibendes Charakte- risiren auf. Andrea del Castagno’s Bilder (Mitte des XV. Jahrh.) sind gemalte Donatello’s, nur haltungsloser, zum Theil wüst renom- mistisch. (Academie; S. Croce, nach dem 5. Alt. r., Frescofiguren a des h. Franz und Johannes d. T.; Dom, vgl. S. 804, f.) — Antonio Pollajuolo vereinigt eine ähnliche Schärfe wenigstens mit präch- tiger Ausführung. (Uffizien; die Bilder aus der Cap. S. Sebastiano b sollen sich jetzt im Pal. Pucci befinden.) — Auch Andrea Veroc- c chio , der Lehrer Lionardo’s, ist in dem fast einzigen noch vorhande- nen Bilde, der Taufe Christi (in der Academie) auf wahrhaft küm- d merliche Formen und Charaktere gerathen; nur vollendet er diese auf das Fleissigste; sein Modelliren ist Gewissenssache und sucht alle Geheimnisse der Anatomie sowohl als des Helldunkels zu ergründen; auffallender Weise ist die Gewandung daneben ziemlich leblos ge- blieben. Der von Lionardo hineingemalte Engel zeigt einen süssern Kopftypus, der übrigens auch dem Verocchio als Erzgiesser (Seite 602, b) nicht fremd war. Von V.’s Schülern ist schon hier Lorenzo di Credi zu be- handeln (1454—1513), obschon er in der Folge unter den Einfluss seines grössern Mitschülers gerieth. Sein emsiges Streben nach Er- gründung des perspectivischen Scheines der Dinge war doch von dem Lehrer geweckt worden. Jedes seiner Bilder sucht diese Aufgabe auf neue Weise zu lösen; er versucht es mit dem hellsten Licht und mit bloss hingehauchten Übergängen wie mit den tiefsten Schatten. Seine männlichen Charaktere haben, z. B. in dem schönen Bilde der Madonna mit zwei Heiligen (Dom von Pistoja, Cap. neben dem Chor e links), das nervös Verkümmerte jener Taufe Christi des Verocchio; f etwas gemildert auch das ähnliche Bild, welches im Museum von Neapel Ghirlandajo heisst. Dafür offenbart sich in seinen Madonnen, bisweilen (nicht immer!) auch im Bambino, der zarteste Schönheits- sinn, so dass dieselben allerwärts zu den Schätzen gehören. (Acad. Malerei des XV. Jahrhunderts. Toscaner. a v. Florenz; Uffizien; Galerie Borghese in Rom, u. a. a. O.) Seine b einzige grosse Composition, eine Anbetung des Kindes (Acad. v. Florenz), zeigt auf merkwürdige Weise, wie auch ein weniger be- gabter aber beharrlicher Künstler in jener Zeit das Herrlichste leisten konnte, indem sein Sinn für Anmuth der Formen und des Ausdruckes noch nicht durch feststehende Theorien und Vorbilder irre gemacht wurde, sodass er sein Eigenstes geben konnte und musste; — indem jene Zeit noch nicht im Bewegt-Pathetischen rivalisirte, an welchem die nur bedingt Begabten untergehen; — indem endlich der realistische Grundtrieb der Zeit vor dem Langweiligen, d. h. Allgemeinen und Conventionellen schützt. In dem genannten Bilde ist zwar schon etwas von jenem überschüssigen Gefühl, welches in der peruginischen Schule eine so grosse Rolle spielt (s. den Jüngling mit dem Lamme), allein man vergisst dieses und den nicht ganz unbefangenen Bau der Gruppe ob der zauberhaften Schönheit der meisten Gestalten. — Die kleinen c Bilder mit biblischen Scenen in den Uffizien geben keinen Begriff von Lorenzo’s Kunstvermögen. (Ist etwa von ihm die Madonna mit zwei d Heiligen, in S. Spirito, auf einem der 4 Altäre ganz hinten? Angeblich „Manier Sandro’s“.) Ausserhalb dieser Reihe steht der grosse Luca da Cortona , eigentlich Signorelli (1439—1521). Er war der Schüler des Piero della Francesca (von welchem bei der paduanischen Schule die Rede sein wird) nahm aber stärkere florentinische Eindrücke in sich auf. — Dem Ghirlandajo ebenbürtig in der grossartigen Auffassung des Geschehens und der Existenzen, wählt er doch seine Einzelformen weniger und ist stellenweise des Derbsten fähig; andererseits zeigt sich bei ihm zuerst die Begeisterung für das Nackte als eine wesent- lich bestimmende Rücksicht für die Darstellung, selbst für die Wahl der Gegenstände. In diesem Sinne ist er der nächste Vorläufer des Michelangelo. e Seine Fresken im Kloster Monte Oliveto (südlich von Siena), Scenen aus der Geschichte des heil. Benedict, hat Verf. dieses nicht f gesehen. Sein Hauptwerk sind jedenfalls die Fresken in der Madon- nencapelle des Domes von Orvieto (seit 1499), welche mit den- Luca Signorelli. jenigen des Fiesole (S. 791, a) und Benozzo (S. 804, h) zusammen einen Cyclus der „letzten Dinge“ ausmachen: der Antichrist, die Auferstehung der Todten, die Hölle und das Paradies; unten als Brustwehrverzierung die Dichter des (classischen wie biblischen) Jenseits in Rundbildern, umgeben von zahlreichen allegorischen, mythologischen und decorativen einfarbigen Malereien (S. 278, i). Weit entfernt, die angemessensten oder die sachlich ergreifendsten Darstellungen dieses Inhalts zu sein, haben namentlich „Paradies“ und „Hölle“ den hohen geschichtlichen Werth, dass sie die erste ganz grossartige Äusserung des Jubels über die Bezwingung der nackten Form sind. Letztere wird uns hier nicht in reiner Idealität, wohl aber in grosser jugendlich-heroischer Kraft- fülle, in höchst energischer Modellirung und Farbe vorgeführt. Unter seinen Tafelbildern das herrlichste ist dasjenige im Dom a von Perugia (Nebencap. des rechten Querschiffes), die thronende Ma- donna mit 4 Heiligen und einem lautenspielenden Engel; an Ort und Stelle ein wahrer Trost für das von Perugino’s süssen Ekstasen über- sättigte Auge. — Die Bilder in Cortona hingen 1853 alle so, dass ich zum Besuch der Bergstadt nur unter der Voraussetzung, sie seien seitdem besser aufgestellt worden, rathen kann. Leider befindet sich darunter (mit 2 andern Bildern, im Chor des Domes) auch die be- b rühmte Einsetzung des Abendmahls; mit einem kühnen Schritt wandte sich Luca von der üblichen Darstellungsweise ab, räumte den Tisch weg und liess Christus durch die prächtig bewegte Gruppe der Jünger einherschreiten. — Im Gesù, gegenüber vom Dom, eine (späte) An- c betung der Hirten; Anderes a. a. O. — In S. Domenico zu Siena d möchte eine vorgeblich von dem wüsten Manieristen Matteo di Gio- vanni begonnene Anbetung des Kindes (letzter Alt. im Schiff r.) we- sentlich eine liebenswürdige Jugendarbeit Luca’s sein. — In der Aca- demie zu Siena: die Rettung aus dem Brande von Troja, und: der e Loskauf von Gefangenen, letzteres wiederum eine bedeutende Com- position nackter Figuren. — In Florenz enthält die Academie ein buntes f grosses manierirtes Bild seines Alters, Madonna mit 2 Erzengeln und 2 Heiligen; — Pal. Corsini Mehreres; — die Uffizien endlich zwei g merkwürdige Rundbilder: eine heil. Familie, welche die ernste, prunk- h lose, männliche Art des Meisters ganz in sich darstellt; — und eine Madonna, im Hintergrund nackte Hirten, über dem Rund einfarbige Malerei des XV. Jahrhunderts. Toscaner. Reliefbilder — Nacktes und Plastik! auch hier beginnt ein neues Jahr- a hundert. Selbst der tüchtige Greisenkopf in der Galerie Torigiani b zeigt Aktfiguren im Hintergrunde. — Die Geisselung, in der Brera zu Mailand, scheint ein frühes Bild zu sein. — Ein schlecht beleuchtetes c Fresco der Madonna mit 2 Cisterciensern, in der Sacristei von S. Ber- nardo zu Arezzo gehört dem L. schwerlich. Ein grosses Gesammtdenkmal der toscanischen Malerei des XV. Jahrh. bieten die zehn Fresken aus dem Leben Mosis und Christi an d den Wänden der Capella Sistina des Vaticans dar. Sixtus IV (1471 — 1484) liess sie durch die schon oben genannten Maler aus- führen: durch Sandro Botticelli, Cosimo Rosselli, Domenico Ghirlan- dajo und Luca Signorelli, zu welchen noch Pietro Perugino hinzu- kömmt. (Drei Bilder des letztern, an der Altarwand, mussten später dem jüngsten Gericht weichen; die beiden an der Thürwand sind von späten und geringen Künstlern.) Diese Arbeiten sind von bedeutendem Werthe und verdienen eine genauere Besichtigung als ihnen gewöhnlich zu Theil wird Das Licht ist denjenigen an der Südseite nie günstig. An sonnigen Vormit- tagen 10—12 Uhr haben sie wenigstens ein starkes Reflexlicht. Wer übri- gens die Kunstwerke des Vaticans geniessen will, schone die Augen unter- weges, namentlich auf und jenseits der Engelsbrücke und auf dem Platz von S. Peter, und nehme hier lieber den Umweg hinter den Colonnaden herum. . Sie gehören, was Sandro, Cosimo und Pietro betrifft, zu den besten Wer- ken dieser Künstler. Pietro regt sich hier noch mit einer florentini- schen Lebendigkeit, die ihm später nicht mehr eigen ist; der Sturz der Rotte Korah ist Sandro’s bedeutendste Composition; in den dem Luca Signorelli zugeschriebenen sind wenigstens einige Motive von wundervoller Lebendigkeit, die nur sein Werk sein können. Aber die figurenreiche Erzählungsweise jenes Jahrhunderts, die sich hier in breitem Format ergeht, drückt mehr als einmal das wesentliche Factum dergestalt zusammen, dass das Auge sich ganz an die lebensvollen Einzelheiten, an die angenehme Fülle hält, z. B. an die landschaft- lichen und baulichen Hintergründe. Hier, in der Nähe der Propheten und Sibyllen, in der Nähe der Stanzen und Tapeten wird man inne, Capella Sistina. Schule von Padua. warum ein Rafael und ein Michelangelo kommen mussten und wie sehr diese in lauter Leben und Charakter sich selbst verlierende Kunst es nöthig hatte, wieder auf das Höchste zurückgewiesen zu werden. Und doch ist auch dieses Höchste hier stellenweise anzutreffen. In Ghirlandajo’s „Berufung des Petrus und Andreas zum Apostelamt“ ist dem Ereigniss die ergreifendste und feierlichste Seite abgewonnen und zur Hauptsache gemacht; es ist wie eine Vorahnung von Rafaels „Fischzug Petri“ und „Pasce oves meas!“ — Die Pracht der Ausstattung, welche in diesen Gemälden herrscht, entspricht ganz dem Sinne Sixtus IV, der die Vergoldung und das Leuchten der Farben über die Massen liebte. Inzwischen war in Oberitalien die Schule von Padua unab- hängig von den Florentinern und auf einem eigenthümlichen Umwege zum Realismus durchgedrungen. Ihr Gründer, Francesco Squar- cione (1394—1474), hatte in Italien und Griechenland antike Sta- tuen, Reliefs, Ornamentstücke etc. gesammelt, nach welchen in seiner Werkstatt studirt wurde, emsig, aber ganz einseitig. Von irgend einem Eingehen auf das Lebensprincip der antiken Sculptur, welches auch für die Malerei belehrend und theilweise massgebend hätte sein können, war nicht die Rede. Man schätzte an ihr nicht die Verein- fachung der Erscheinung, auch nicht die dadurch erreichte Idealität, sondern den Reichthum der Detailbildung, vermöge dessen vielleicht spätere, raffinirte Sculpturen gerade die meiste Verehrung genossen. Diese Bestimmtheit der Lebensformen, die sich hier vorfand, im Ge- mälde wiederzugeben, war nun das Ziel der Schule; daher ihre pla- stische Schärfe und Härte. Sodann entlehnte die sehr ornament- liebende Schule eine Menge decorative Elemente von den genannten und andern Resten des Alterthums, namentlich römischen Gebäuden. Zugleich aber war auch der realistische Trieb des Jahrhunderts gerade hier sehr stark, und mischte sich auf eine ganz wunderliche Weise mit dem Studium der Antiken. Er gab die Seele, letzteres nur einen Theil der Äusserungsweise her. Vorzüglich in der Gewan- Malerei des XV. Jahrhunderts. Paduaner. dung bemerkt man das Aufeinandertreffen der beiden Richtungen; Wurf und Haltung wollen etwas Antikes vorstellen, welches aber durch facettenartige Glanzlichter, tiefe Schatten und übergenaue Aus- führung der Einzelmotive wirklich gemacht werden soll. — Ausserdem sind die tiefen, saftigen Farben, das sehr entwickelte Helldunkel und die scharfe und kräftige Modellirung durchgehende Verdienste der Schule. Von Squarcione selbst ist nur ein sicheres Bild vorhanden, a eine Madonna mit einem betenden weissen Mönche, im Pal. Manfrin zu Venedig (1447). Wenn die „Sibylle mit Augustus“, in der Pina- b coteca zu Verona auch von ihm sein soll, so wäre sie wohl ein un- geschicktes Bild seines Alters. — Von einem seiner nächsten Schüler, c Marco Zoppo , im Pal. Manfrin eine Madonna hinter einer Brust- wehr stehend, mit musicirenden Putten. Squarcione’s Einfluss reichte zunächst bis nach Toscana hinein durch den schon als Lehrer Signorelli’s erwähnten Piero della d Francesca aus Borgo San Sepolcro. Seine Fresken im Chor von S. Francesco zu Arezzo (bestes Licht: gegen Abend), die Geschichten Constantins und des wahren Kreuzes darstellend, zeigen in ihren er- haltenen Theilen eine so energische Charakteristik, eine solche Be- wegung und ein so leuchtendes Colorit, dass man den Mangel an höherer Auffassung der Thatsachen völlig vergisst. (Rumohr’s ab- e schätziges Urtheil ist mir ein Räthsel.) — Eine Magdalena, neben der Sacristeithür des Domes von Arezzo, ist noch in der Übermalung f trefflich. — (Ein kleiner S. Hieronymus in einer Landschaft, Acad. von Venedig, ist sehr verletzt.) Auf Ferrara wirkte Squarcione zunächst durch Cosimo Tura . g In dem dortigen Palazzo Schifa-noja ist der grosse obere Saal in den 1470er Jahren von ihm (theilweise, ja vielleicht grösserntheils von Piero della Francesca ?) ausgemalt. Eines der wichtigsten cul- turgeschichtlichen Denkmale jener Zeit! es ist das Leben eines kleinen italienischen Gewaltherrschers, Borso von Este, Herzogs von Ferrara, Squarcione. Piero della Francesca. Ferraresen. in derjenigen Weise verklärt, welche dem Sinn des Jahrhunderts zu- sagte. Eine untere Bilderreihe stellt lauter Handlungen Borso’s dar, auch sehr unwichtige, in prächtiger baulicher und städtischer Sce- nerie, in reichen Trachten. Eine zweite Reihe enthält die Zeichen des Thierkreises mit unergründlichen allegorischen Nebenfiguren auf blauem Grunde, eine dritte Götter und Allegorien auf Triumphwagen, von symbolischen Thieren gezogen, nebst Scenen aus dem Menschen- leben, welche allerlei Künste und Verrichtungen darstellen. Das Ganze ist wieder eine von jenen astrologisch-sinnbildlichen Encyclopädien (wie die des Miretto in Padua, S. 784, b), in deren Geheimniss zu sein das Glück der damaligen Gebildeten war. (Die meist brillante Aus- führung bis hoch hinauf so miniaturartig fein, dass man eines Roll- gerüstes zur Besichtigung bedarf. Die Hälfte verloren.) — Von Tura im Chor des Domes von Ferrara eine Verkündigung und ein S. Georg, a mit sehr schönen jugendlichen Köpfen; — in S. Girolamo (1. Cap. 1.) b ein stehender S. Hieronymus. Auch Stefano da Ferrara war Squarcione’s Schüler. An Ort und Stelle sieht man späte Werke, in welchen er mit Garofalo u. A. zu wetteifern scheint (Ateneo: Madonna mit 2 Heiligen; 12 Apostel- c köpfe). Frühere Arbeiten der energischen paduanischen Weise: zwei d Madonnen mit Heiligen, in der Brera zu Mailand. Auch die übrigen Ferraresen des XV. Jahrh. sind sämmtlich mehr oder weniger von Padua abhängig. Wie alle alten Lombarden kön- nen sie sich mit den Florentinern schon desshalb nicht messen, weil die bewegte Darstellung des Geschehens ihre Sache nicht war, sodass sich z. B. selbst ihr Raumgefühl nur unvollkommen entwickelte. Aber der Ernst ihres Realismus, die Bestimmtheit ihrer Formen, die treff- liche Modellirung und das Helldunkel das sie selbst in Tempera- bildern erreichen, geben ihren Werken einen bleibenden Werth. So Francesco Cossa . Seine Madonna mit S. Petronius und e S. Johannes d. Ev. (in der Pinacoteca von Bologna, 1474) ist in den Köpfen bäurisch reizlos, und doch um jener Vorzüge willen ein treff- liches Werk. — Seine grosse Marter S. Sebastians (in S. Petronio f ebenda, 5. Cap. 1.) zeigt dieselben Tugenden mit gemässigten, selbst würdigen und schönen Charakteren. Der italienische Realismus taucht Malerei des XV. Jahrhunderts. Ferraresen. nur für Augenblicke tief unter; immer von Neuem schmiegt er sich dann der Schönheit an. Lorenzo Costa (1460—1535), dessen Hauptwerke sich sämmt- lich in Bologna befinden, gerieth hier in einen merkwürdigen Aus- tausch mit Francesco Francia, dessen Schüler er sich schlechtweg, aber doch nur mit halbem Rechte nennt. Er brachte in dieses Ver- hältniss einen ganz wohlgefesteten Realismus und eine viel grössere Kenntniss mit als Francia damals besass; er beugte sich vor dem Schönheitssinn und dem Seelenausdruck des letztern, behielt aber ge- hörigen Orts eine gesundere Empfindungsweise vor diesem voraus. — a In S. Petronio ist das Altarbild der 7. Cap. 1., thronende Madonna mit vier Heiligen und einer herrlichen Lunette von musicirenden En- geln, jedem Francia gleichzustellen. Ebenda, 5. Cap. 1., die 12 Apo- stel, Gestalten ohne Grossartigkeit, mit gewaltigen, aber gut gezeich- neten Händen und Füssen, dabei sehr ernst ergriffen. — Hinten im b Chor von S. Giovanni in monte: Mariä Krönung mit sechs Heiligen, welche hier, wie in der Schule von Bologna-Ferrara überhaupt, grup- pirt und nicht bloss wie bei den Peruginern in einer Reihe aufgestellt sind. — Ebenda, 7. Cap. r., noch ein Hauptbild, thronende Madonna mit köstlich naiven Musikengeln und Heiligen. Das Bild im Chor ist zugleich eins der ausgezeichnetsten Specimina für die Behandlung der Landschaft, in welcher Costa zuerst eine Ahnung von gesetzmässigen, mit den Figuren in Harmonie stehenden Linien und eine bedeutende Meisterschaft der Töne entwickelt. Es sind meist schöne Thaleinsen- kungen mit reicher Vegetation und Aussichten in eine sanfte, nicht c phantastische Ferne. — An den Fresken, welche ihm in S. Cecilia angehören (s. unten, das 4. Bild 1. und d. 4. r.) ist vielleicht die Land- d schaft gradezu das Beste. — Die Fresken in der Cap. Bentivoglio zu S. Giacomo maggiore erscheinen theils völlig übermalt, theils befangen durch das Sujet, welches über Costa’s Kräfte ging (die beiden uner- gründlich allegorischen Trionfi), theils ungern gemalt (die Madonna mit der hässlichen, barock costumirten Familie Bentivoglio). — Die e Himmelfahrt Mariä in S. Martino (5. Alt. 1.) mag zwischen Costa und irgend einem Peruginer streitig bleiben. — In Ferrara soll sich (ausser f einem nicht bedeutenden Bild im Ateneo) ein berühmtes Werk in der Kirche alle Esposte befinden. — Von seinem Schüler Ercole Grandi Lorenzo Costa u. a. Andrea Mantegna. z. B. mehrere einzelne Figuren in der Sacristei von S. Maria in Vado; a ein S. Sebastian mit 2 andern Heiligen und der Stifterfamilie in S. b Paolo, rechts neben dem Chor. Von Costa und Francia zugleich ist der schwächliche Domenico Panetti abhängig. In Ferrara: Ateneo: eine Heimsuchung, und ein c S. Andreas; — Sacristei von S. M. in Vado: die Fahrt der heiligen d Familie über den Nil, ein gemüthliches Frescobild; — Chor von S. e Andrea: alte Altar- oder Orgelflügel mit dem englischen Gruss und 2 Heiligen, schon in Garofalo’s Art. — Ganz in Francia’s Nachahmung versenkt erscheint Micchele Cortellini : in S. Andrea, 3. Cap. r., f eine thronende Madonna mit 4 Heiligen (1506 Die thätige Stadtbehörde von Ferrara wird auch dieses Bild nächstens in das Ateneo übertragen lassen und an Ort und Stelle durch eine jener treff- lichen Copien ersetzen, womit besonders der Maler Candi den alten Ferra- resen ein doppeltes Dasein verliehen hat. ). — Von Costa’s be- deutendstem Schüler, Mazzolino, wird beim XVI. Jahrh. die Rede sein. Der bedeutendste Träger derjenigen Kunstentwicklung, welche von Padua ausging, ist jedenfalls der grosse Paduaner Andrea Man- tegna (1430—1506). (Vgl. S. 279, c; 297, a.) Sein wichtigstes Werk sind die Malereien aus den Legenden des heil. Jacobus und des heil. Christoph in der Capelle dieser Heiligen in den Eremitani zu Padua. (Ausgeführt mit Hülfe des Bono, g Ansuino und Pizzolo.) Es ist nicht die höhere Auffassung der Mo- mente, wodurch er hier die Florentiner übertrifft; das Flehen des Ja- cobus um Aufnahme ist nicht eben würdig; bei der Taufe des Her- mogenes erscheinen die meisten Anwesenden sehr zerstreut; das Schleppen der St. Christophsleiche ist eine der blossen Verkürzung zu Gefallen gemalte Goliathscene. Aber an Lebendigkeit des Ge- schehens und an vollkommener Wahrheit der Charaktere hat kaum ein Florentiner Ähnliches aufzuweisen. Man betrachte z. B. das wirre Durcheinanderrennen der Widersacher des heil. Jacobus, wo er die Dämonen gegen sie aufruft; oder wie in dem „Gang zum Richtplatz“ das blosse Innehalten des Zuges ausgedrückt ist; oder die Gruppe der auf S. Christoph Zielenden; oder die der bekehrten Kriegsknechte. Malerei des XV. Jahrhunderts. Mantegna. Um der höchst genauen, selbst scharfen Ausführung willen begnügte sich M. (wie überhaupt die paduanische Schule, z. B. die Maler des Pal. Schifa-noja) nicht mit dem Fresco, sondern versuchte von Bild zu Bild andere Malarten. Reichthum der entferntern Gruppen, der baulichen und landschaftlichen Hintergründe, der mit Faltenwerk, Glanzlichtern, Reflexen u. s. w. überladenen Gewandung. — Ganz neu und dem M. eigen erscheint die mehr oder weniger durchgeführte Per- spective, das Festhalten eines Augenpunktes. Er ist neben Melozzo der einzige Oberitaliener dieser Zeit, welcher ein durchgebildetes Raumgefühl besitzt. Mehrere der schon genannten Florentiner müs- sen, wenn auch nur mittelbar, von ihm gelernt haben. — Im Ganzen erinnert er viel an Benozzo, nur erscheint dieser neben ihm wie ein anmuthiger Improvisator neben einem Kunstdichter. a (Andere Fresken in Mantua, Castello di corte, Stanza di Man- tegna; Scenen aus dem Leben des Lodovico Gonzaga.) Unter seinen Staffeleibildern ist die stark restaurirte Gestalt der b heil. Eufemia im Museum von Neapel (1454) das frühste und viel- leicht grossartigste Programm der ihm erreichbaren Idealschönheit. In kleinern Bildern geht seine Ausführung in eine prächtige Miniatur c über. Das dreitheilige Altärchen in den Uffizien (Tribuna) und eine kleine Madonna in Felslandschaft (dies. Sammlung) sind in diesem Betracht wahre Juwelen, obwohl die Charaktere nirgends gross und mit Ausnahme des Madonnenkopfes kaum angenehm sind. — Von d grössern Altarbildern ist nur dasjenige auf dem Hochaltar von S. Zeno zu Verona (Madonna mit Heiligen) in Italien geblieben; ein Haupt- werk für das ganze Empfinden und Können der Schule. — In der e Brera zu Mailand u. a. das grosse Temperabild eines heil. Bernardin mit Engeln (1460?) auch als decoratives Prachtstück merkwürdig. — In Scenen des Affektes ist Mantegna bisweilen derb und unschön, f wie z. B. die Pietà in der vaticanischen Galerie, ein sehr energisches und vielleicht echtes Bild Oder eher von Bartol. Montagna? , zeigt. Manches führt dann entschieden mit Unrecht seinen Namen. Drei g kleine phantastische Legendenbilder im Pal. Doria zu Rom möchten h eher von einem Ferraresen sein; — vier Miniaturbilder im Pal. Adorno Andrea Mantegna. Melozzo da Forli. Vicentiner. zu Genua sind wenigstens höchst bezeichnende Beispiele für die anti- kisirende und allegorische Richtung seiner Schule, welche hier in einen angenehmen Rococo ausmündet: der Triumph der Judith; der Triumph über Jugurtha; Amor von den Nymphen gefesselt; Amor gefangen weggeführt. Einer lebte in dieser Zeit, der in der Darstellung des perspecti- vischen Scheines der Dinge noch über Mantegna hinaus ging: Me- lozzo da Forli , Schüler vielleicht des Squarcione, jedenfalls des P. della Francesca. Man sieht in Rom über der Treppe des Quirinals einen a Gottvater von Engeln umschwebt, in der Stanza capitolare der Sacri- b stei von S. Peter ein paar Bruchstücke von Engelfiguren; — es sind arme Fragmente eines wunderherrlichen Ganzen, nämlich der in Fresco gemalten, im vorigen Jahrhundert zerstörten Halbkuppel des Chores von SS. Apostoli. Die verkürzte Untensicht, damals wohl als grosse Neuerung bestaunt, wurde seit Coreggio tausendmal von Künstlern dritten Ranges überboten und berührt uns jetzt nur historisch; Me- lozzo’s viel grössere Seite ist, dass er zu einer völlig freien, edel sinn- lichen Jugendschönheit durchgedrungen war und sie mit begeisterter Leichtigkeit (vielleicht einst in hundert Gestalten!) vorgebracht hatte. — Das Frescobild in der vaticanischen Galerie, eine Audienz Six- c tus IV, in strengerm paduanischem Styl gemalt, ist bei aller Trefflich- keit doch schwer mit jenen Resten aus SS. Apostoli zu reimen. Die Maler von Vicenza und Verona 1450—1500 sind ebenfalls wesentlich paduanisch gebildet, wenn auch bei Einigen sich ein (mässi- ger) Einfluss des Giov. Bellini zeigt; auf Farbenpracht und Charak- teristik der Venezianer gehen sie nur wenig ein. Für Vicenza ist der mürrische, aber ehrliche und gründliche Bartolommeo Montagna zu nennen. — Drei Bilder in der dor- d tigen Pinacoteca; in S. Corona das Fresco links neben der Thür; — e im Dom vielleicht die Malereien der vierten Capelle links; — ebenda, f fünfte Capelle rechts, zwei Apostel und vielleicht auch die Anbetung des Kindes. — Grössere Altarbilder in der Acad. zu Venedig und in g B. Cicerone. 52 Malerei des XV. Jahrhunderts. Oberitalien. a der Brera zu Mailand. — Treffliche Fresken von ihm (nicht von Franc. b Morone, wie S. 280, a irrig angegeben ist) in SS. Nazaro e Celso zu Verona, Cap. di S. Biagio, 1493; — vier Bilder im Chor derselben Kirche. c Von vicentinischen Zeitgenossen: Bilder in der Pinacoteca und d gute Fresken in S. Lorenzo, Cap. links neben dem Chor. In Verona ist Einiges von Pisanello († 1451) erhalten, der gleichzeitig und sogar unabhängig neben Squarcione den Styl des XV. e Jahrh. beginnen half. (Ruinirtes Fresco einer Verkündigung in S. Fermo, Wand über dem Chor.) — Die Übrigen stehen alle unter Mantegna’s f Einfluss. — Anonyme Fresken in S. Anastasia, Capellen rechts und links vom Chor. — Francesco Buonsignori , ein Geistesverwand- g ter des Montagna: Madonnen mit Heiligen in der Pinacoteca zu Ve- h rona (1488) und in S. Fermo, Cap. neben dem linken Querschiff (1484). Bilder von Girol. Benaglio (1487) und Giov. Franceschini i (1498) in der Pinacoteca; das des letztern ein schönes Werk in der Art Bellini’s. Von Liberale da Verona Bilder in mehrern Kirchen Der Verf. besuchte diese Gegenden das letztemal gegen Ende der Fasten und fand unglücklicher Weise die Kirchenbilder meist verhüllt. — Für die Fassadenmalereien von Verona vgl. S. 296 ff. , Fres- k ken in S. Anastasia, z. B. über dem 3. Alt. rechts; ein grosser S. Se- l bastian in der Brera zu Mailand, hart und scharf, ein vortreffliches Actbild im paduanischen Sinne. — Von Girol. da’ Libri u. a. in m S. M. in Organo, rechts vom Portal, eine schöne Madonna mit Heili- n gen unter Lorbeern; — in der Pinac. eine herrliche Anbetung des (kühn gezeichneten) Kindes mit Heiligen; und eine thronende Ma- donna mit Heiligen. — Franc. Morone nähert sich in zwei schönen o Bildern der Pinac., einem verklärten mit Maria und Johannes d. T. auf Wolken stehenden Christus und einem Gekreuzigten (1498), dem Giov. Bellini am Meisten; — in den edeln Fresken der Sacristei von p S. M. in Organo (Halbfiguren von Heiligen, und in einem Mittelfeld der Decke: der verkürzt schwebende Salvator mit Heiligen) erscheint er als ein ausgebildeter Meister des XVI. Jahrhunderts. Veroneser. Mailänder. Je weiter man nach Westen dringt, desto mehr schwindet die paduanische Kenntniss der Lebensformen und die Lust an deren schar- fer Bezeichnung, hört auch wohl z. B. bei einigen piemontesischen Malern ganz auf. Schon der Brescianer Vincenzo Foppa d. ä. erreicht in seinem Frescobild der Marter S. Sebastian’s (Brera zu Mailand) die Durch- a bildung selbst der Veroneser nicht mehr. — Die Fresken des ältern Vincenzo Civerchio und des Bernardino Buttinone in S. Pietro in gessate zu Mailand (von jenen die Antoniuscap., von diesem b die Ambrosiuscap.) sind dem Verfasser nicht bekannt. — Von Bra- mantino dem ältern, der eine tüchtige paduanische Schule hatte, ist gerade in Mailand nichts von Belang; von Bramantino dem jüngern nicht vieles: eine Madonna von reicher und voller Bildung, mit zwei c Engeln (in der Brera); eine Lunette über der Thür von S. Sepolcro; d dann die Gewölbefresken der Brunocapelle in der Certosa von Pavia. e Bernardo Zenale’s grosse Madonna mit Kirchenvätern und Do- natoren (Brera), bei einigen Härten doch ein treffliches Bild, steht f schon unter Lionardo’s Einfluss. Der vielbeschäftigte Borgognone (eigentlich Ambrogio Fossano, st. nach 1522; vgl. S. 201, f), thut in einzelnen kleinen Frescoscenen bedeutende Würfe (Malereien hinten in S. Ambrogio: Christus unter g den Schriftgelehrten, der Auferstandene mit Engeln, Pietà, Alles über- malt); — bei grossen Aufgaben aber (Chornische von S. Simpliciano) h nimmt sich die Übertragung der Gedanken des XIV. Jahrh. in ziem- lich leblose Formen des XV. ganz matt aus. Eine grosse Himmelfahrt Mariä (Brera) erinnert an abgestandene Peruginer. Einzelne Madonnen, i mit Engeln, die hie und da vorkommen, haben dagegen eine höchst liebenswürdige Gemüthlichkeit. — Bedeutende Fresken in der Certosa k von Pavia. — (Allerlei Malereien dieser alten Schule, auch in der Art Borgognone’s, in Madonna delle grazie bei Locarno, Tessin.) l Von einer Anzahl anderer lombardischer Maler, welche den Styl des XV. Jahrh. mehr oder weniger beibehielten bis über 1530 hinaus, finden sich die meisten Werke in Provincialstädten, welche Verfasser dieses nicht besucht hat: so von Foppa d. j., Civerchio d. j., An- drea da Milano, Girol. Giovenone , dem Piemontesen Macrino d’Alba u. A. Am meisten Interesse sollen die Bilder der beiden 52* Malerei des XV. Jahrhunderts. Oberitalien. a ältern Piazza, Albertino und Martino , in den Kirchen von Lodi und der Umgegend darbieten. Pierfrancesco Sacchi aus Pavia arbeitete hauptsächlich in Genua. Mit seinem einfachen, hie und da peruginischen Gemüthsaus- druck, seiner flandrisch reichen Ausführung bis in das kleinste De- tail hinein, und mit den prächtigen landschaftlichen Hintergründen macht er einen Eindruck, der ausser Verhältniss zu seiner eigentli- b chen Begabung steht. S. Maria di Castello, 3. Alt. rechts, drei Hei- c lige in einer Landschaft; — S. Teodoro, im Chor links, dito; — in d S. Pancrazio, zu beiden Seiten des Eingangs ein segnender Salvator zwischen zwei Heiligen, „in Sacchi’s Manier“ (d. h. wohl von ihm), und: S. Petrus und Paulus, von Teramo Piaggia , der hier völlig als Sac- chi’s Nachahmer erscheint (anderswo dagegen sich der römischen Schule nähert). — Von einem andern Genuesen um 1500, Lodovico e Brea , mehr unter niederländischem Einfluss: die Bilder der 3. Cap. links und des 5. Alt. rechts in S. Maria di Castello. — Bei dem ältern Semino (Antonio) mischen sich Eindrücke von Sacchi, Brea und f Perin del Vaga. Sein Hauptbild, die Marter des heil. Andreas in S. Ambrogio (4. Alt. links) ist befangen, ungeschickt, sehr fleissig und nicht ohne einzelne schöne Züge. In Modena ist mir von Coreggio’s Lehrer Francesco Bianchi- Ferrari zu meinem Bedauern nichts vorgekommen. — Von den alten g Localmalern in der herzogl. Galerie ist Bartol. Bonasia (todter Christus, im Sarg stehend, mit Maria und Johannes, 1485) durch seine kräftige Färbung, Marco Meloni (thronende Madonna mit zwei Heiligen, 1504) durch den Ausdruck in der Art des Francia interes- sant. Auch Bernardino Losco von Carpi (thronende Mad. mit zwei Heil., 1515) ist einer der bessern alten Lombarden; der sogen. „Gherardo di Harlem“ dagegen (grosse, figurenreiche Kreuzigung) einer der harten alten (westlombardischen?) Meister. In Parma hatte Coreggio leichtes Spiel gegen Vorgänger wie Jacobus de Lusciniis, Cristofano Caselli , gen. Temperello, h Lodovico da Parma und Alessandro Araldi . Bilder dersel- ben in der dortigen Galerie; von letzterm auch kleine Scenen al Genua. Modena. Parma. Venedig. fresco in dem bei Anlass der Decoration genannten Raum zu S. Paolo a (S. 281, a) und eine Madonna mit zwei Heiligen in S. Giovanni, erste b Cap. rechts. — Von der Künstlerfamilie der Mazzola , welche sich später ganz zu Coreggio schlug, lebten damals Pierilario , von wel- chem in der Galerie eine thronende Mad. mit drei Heiligen, und der c namhaftere Filippo M., der unter allen von Padua aus angeregten Künstlern einer der härtesten und anmuthlosesten, dabei aber kein geringer Zeichner ist. Grablegung u. A. im Museum von Neapel; das d Altarbild im Baptisterium zu Parma; eine Bekehrung Pauli in der e Galerie. — Vielleicht das angenehmste Bild dieser Schule ist namen- los: eine thronende Madonna mit drei singenden Engeln und zwei f Heiligen, in der Steccata (vordere Eckcapelle links). In Venedig unterscheiden wir während der zweiten Hälfte des XV. Jahrh. zwei Generationen von Malern. Die erste ist von Padua aus unmittelbar abhängig; die Stylprin- cipien der Muranesen bilden sich danach völlig um. Wir haben be- reits (S. 786, g) neben Johannes und Antonius von Murano den Barto- lommeo Vivarini genannt. Dieser ist in seinen besondern Werken ein wahrer Paduaner; in der prächtigen und genauen Ausführung nähert er sich oft Mantegna, bleibt aber in der Farbe kälter. Die Charaktere seiner Altarbilder sind immer ernst, bisweilen höchst wür- dig, bisweilen fast grimmig, selten anmuthig; die decorative Ausstat- tung ist, wie bei diesen paduanisch gebildeten Venezianern überhaupt, ganz besonders reich. (Thronbauten, Fruchtschnüre, Laubhecken, Luxus von Putten etc.) Thronende Madonna mit vier stehenden und vier g als Halbfiguren schwebenden Heiligen etc. (1465) im Museum von Neapel; — in Venedig: Altarwerke in der Academie (1464); — in h S. Giovanni e Paolo, 2. Alt. rechts (mit directen Reminiscenzen nach i Mantegna, vielleicht grössern Theils von dem bald zu erwähnenden Luigi Vivarini); ebenda im rechten Querschiff ein thronender S. Augu- stin (1473); — in S. Giovanni in Bragora eine thronende Madonna k mit Seitentafeln (neben der ersten Cap. links, dat. 1478); — in den Frari ein späteres, milderes Altarwerk (Querschiff rechts, datirt 1482) l und ein vielleicht ganz später thronender S. Marcus mit Engeln und Malerei des XV. Jahrhunderts. Venedig. a Heiligen (Querschiff links); — ein geringeres Werk in S. M. For- mosa (2. Alt., rechts). Die Härte und Strenge Bartolommeo’s mildert sich, nicht ohne den Einfluss Bellini’s, zu einer bisweilen ganz edeln Anmuth und Fülle bei seinem jüngern Bruder oder Verwandten Luigi Vivarini . Meh- b reres in der Academie; — eine Auferstehung in S. Giovanni in Bra- c gora (Eingang des Chores links, dat. 1498); — zwei einzelne Heilige d in S. Giov. Crisostomo (beim 2. Alt., links). — Das herrliche grosse e Altarblatt in der Frari (3. Cap. links vom Chor), der zwischen andern Heiligen thronende S. Ambrosius, wurde erst von Basaiti (s. unten) vollendet und gehört schon wesentlich der folgenden Generation an. — f Dagegen ist eine Madonna mit zwei heil. Barfüssern im Museum von Neapel ein frühes Bild (1485). g Carlo Crivelli’s Werke sind fast nur in der Brera zu Mai- land zu suchen. Hart und streng, wie Bartolommeo, prunksüchtig über die Massen, doch nicht ohne Geschmack, in einzelnen Charak- teren noch dem Johannes Alamannus verwandt, dringt er wenigstens in einer thronenden Madonna (1482) zu grosser Anmuth hindurch. — h Von ihm vielleicht der heil. Papst Marcus in S. Marco zu Rom (Cap. rechts vom Chor). Von Fra Antonio da Negroponte ein schönes Altarbild in i S. Francesco della vigna zu Venedig, rechtes Querschiff; — ein frag- liches Bild in der Sacristei ebenda. Die zweite Generation beginnt mit Gentile Bellini (1421 bis 1501) und Giovanni Bellini (1426—1516), den Söhnen des Gia- como B., welcher bei Squarcione und Gentile da Fabriano gelernt hatte. — Die Jugend und das mittlere Alter der beiden Brüder scheint in abhängigen Stellungen dahingegangen zu sein; von Gentile ist nur Weniges vorhanden, die zahlreichen authentischen Werke Giovanni’s aber beginnen erst mit seinem 60sten Lebensjahre. Von seinen zahl- reichen Schülern nennen wir nur die folgenden: Pierfrancesco Bissolo, Piermaria Pennacchi, Martino da Udine, Girol. di Santa Croce (meist in Padua thätig), Vincenzo Catena , Andrea Previtali, Giambattista Cima da Conegliano u. A. Neben Giov. Bellini’s Die Vivarini. Die Bellini. Historienmalerei. Schule, doch auf verschiedene Weise von ihr abhängig: Marco Ba- saiti, Vittore Carpaccio , Giov. Mansueti, Lazzaro Sebastiani, Boccacino von Cremona , Marco Marziale u. a. Die Grösse dieser Schule ist sammt ihrer Einseitigkeit in allen Ein- zelnen so gleichartig (wenn auch mit grossen Verschiedenheiten) aus- geprägt, dass auch die Besprechung eine gemeinsame sein darf. Noch einmal in diesem Jahrhundert der sonst entfesselten Subjectivität ord- net sich hier der Einzelne den allgültigen Typen unter. Offenbar sind es die Besteller, welche die Schule im Grossen bestimmen. Vor Allem gab sich die Schule mit der erzählenden Malerei fast gar nicht ab und wo sie es that, steht sie mit aller Farbengluth und Einzelwahrheit doch im Gedanken neben den Florentinern unendlich zurück. Selbst in der grossen „Predigt des heil. Marcus in Alexan- a drien“ des Gentile Bellini (Mailand, Brera) handelt es sich um gleichgültig zusammengestellte Figuren von einer gewissen puppen- haften Nettigkeit; ebenso in seinem „Mirakel des heil. Kreuzes“ und b in der „Procession“ mit dieser Reliquie (Acad. von Venedig). An der Fortsetzung dieser Reliquiengeschichte hat dann auch Carpaccio (nebst seinen Schülern Mansueti und Sebastiani) gearbeitet, welcher über- haupt hier der fast alleinige Erzähler ist; in derselben Sammlung sind c von ihm auch acht grosse, figurenreiche Historien der heil. Ursula; in der Scuola di S. Giorgio degli Schiavoni zwei Reihen kleinerer Ge- d schichten der HH. Georg und Hieronymus. Wenn naive Einzelzüge, malerisch bequeme Vertheilung im (baulich und landschaftlich schönen) Raum, lebendige und selbst jugendlich reizende Köpfe, endlich eine oft erstaunliche Leuchtkraft der Farbe zusammen schon ein Historien- bild ausmachten, so hätte C. sein Ziel erreicht. Das Interessanteste an jenen Reliquienbildern bleibt die bunte Schilderung des mittelalter- lichen Venedig. — In den Uffizien: Mansueti’s Christus unter den e Schriftgelehrten. — Viele historische Bilder gingen freilich bei den Bränden des Dogenpalastes unter Der in Venedig gebildete, dann besonders in Padua thätige Bergamaske Gi- rolamo da Santa Croce mag hier nur beiläufig genannt werden. Am bekanntesten durch seine frühern Bilder mit kleinen Figuren (Marter des * h. Laurentius im Museum von Neapel), hat er später sich die Freiheit der . Fresken oder gar Freskencyclen kommen nicht vor. Malerei des XV. Jahrhunderts. Venedig. Die biblischen Ereignisse, welche diese Venezianer malen, sind meist ausgesucht ruhige Scenen, deren Wesentliches sich schon im Halbfigurenbild geben liess. Nicht umsonst hat z. B. das Mahl in Em- maus hier so grosse Gunst genossen, wovon unten. In dieser Schule bildet sich zuerst das venezianische Colorit aus. Möglich, dass sie dabei dem Antonello da Messina , einem Schüler der van Eyck, Einiges verdankte, der sich längere Zeit in Venedig aufhielt. (In Italien kenne ich von ihm kein sicheres Bild a als das Porträt eines schwarzlockigen Mannes im Pelzkleid, in den b Uffizien. Ein anderes, in der Galerie Manfrin, hängt für die Prüfung zu hoch.) Jedenfalls hatten schon die Muranesen (S. 786) den Grund gelegt. Ohne sich irgendwo in raffinirte Detailpracht zu verlieren, findet nun die Schule die Geheimnisse der Harmonie und der Über- gänge sowohl als der möglichst schönen Erscheinung der einzelnen Farbe. In letzterer Beziehung erstrebte sie durchaus nicht eine illu- sionsmässige Stoffbezeichnung; in den Gewändern giebt sie glühende Transparenz, im Nackten aber jenes unbeschreiblich weiche und edle Leben der Oberfläche, welches theils durch die sicherste, nicht in schwarzen Schatten, sondern in lauter farbigen Tönen sprechende Mo- dellirung, theils durch Geheimnisse der Lasirung hervorgebracht wurde und zwar auf hundert verschiedene Weisen †† In den Uffizien ist die dem Bellini zugeschriebene Zeichnung auf Gypsgrund merkwürdig, welche den Leichnam Christi von 7 Personen umgeben darstellt. . Neben diesen Lei- stungen erscheint alles Paduanische wie eine längst überwundene Vorstufe. Der Grösste der Schule, Giov. Bellini, ist es auch im C o- lorit und im Vortrag; andere behalten einige Schärfen (Carpaccio, selbst Cima) oder neigen sich dem weichen Zerfliessen zu. (Bellini selbst geht bisweilen auf duftige Leichtigkeit aus.) * grossen Meister nicht unbefangen aneignen können. Glorie des h. Thomas Becket, in S. Silvestro zu Venedig, 1. Alt. 1.; — grosses Abendmal (1549) ** in S. Martino. über der Thür; — in S. Francesco zu Padua die Fresken der 2. Cap. r. Sein Colorit bleibt venezianisch glühend. — Von einem Lands- † mann Francesco da Santa Croce , eine Kreuzabnahme vom Jahr 1510 im Pal. Manfrin, ein Abendmahl in S. Francesco della vigna, 2. Cap. 1, etc. Colorit. Charaktere. Giov. Bellini. An Fülle von Lebensmotiven erreicht diese Schule die Florenti- ner natürlich lange nicht, allein ihre Gestalten sind doch in der Regel leicht, selbst edel gestellt und bewegt. Der heil. Sebastian als ste- hende Aufgabe hielt die Zeichnung des Nackten in einer bedeutenden Höhe. Die Gewandung gehorcht zwar mehr den Gesetzen des Far- benganzen als einem höhern Liniengefühl; immerhin bleibt sie freier von kleinlichen Motiven und Überladung als z. B. bei Filippino Lippi. Die Hauptsache sind aber dem Venezianer die Charaktere . Nicht zu scharfen und dadurch effectreichen Contrasten, sondern als Töne eines und desselben Accordes stellte er sie zusammen; nicht überir- disches Sehnen, nicht jäher Schmerz, sondern der Ausdruck ruhigen Glückes sollte sie beseelen; dieser, in energischen und wohlgebilde- ten Gestalten ausgesprochen, ist es, welcher den Sinn des Beschauers mit jenem innigen Wohlgefallen erfüllt, das keine andere Schule der Welt auf dieselbe Weise erweckt. Der Typus dieses Menschenge- schlechtes steht der Wirklichkeit noch so nahe, dass man es für mög- lich hält, solche Charaktere anzutreffen und mit ihnen zu leben. Ra- fael verspricht dergleichen nicht; abgesehen von der idealen Form stehen uns seine Gestalten auch durch hohe Beziehungen und Actio- nen ferner. Giov. Bellini wird zwar von den meisten Genannten irgend ein- mal zur günstigen Stunde auch in den Charakteren erreicht, bleibt aber doch bei weitem der Grösste. Wahrscheinlich gehört ihm schon (für Venedig) die neue Anordnung der Altarwerke an: statt der Theilung in Tafeln rücken die einzelnen Heiligen zu einer Gruppe um die thro- nende Madonna, zu einer „santa conversazione“ zusammen, die von einer offenen oder mit einer Mosaiknische geschlossenen Halle (vgl. S. 261, Anm. 2) schön architektonisch eingefasst wird; zudem baut er auch seine Gruppe fast mit derselben strengen, schön aufgehobenen Symmetrie wie Fra Bartolommeo. Drei grosse Altarbilder ersten Ranges sind noch von ihm in Venedig vorhanden: in S. Giovanni e Paolo a (erster Alt. rechts), in S. Zaccaria (zweiter Alt. links, vom Jahr 1505), b und in der Academie. Das Beisammensein der heil. Gestalten, ohne c Affect, ja ohne bestimmte Andacht, macht doch einen übermenschlichen Eindruck durch den Zusammenklang der glückseligen Existenz so vie- ler freier und schöner Charaktere. Die wunderbaren Engel an den Malerei des XV. Jahrhunderts. Venedig. Stufen des Thrones mit ihrem Gesang, Lauten- und Geigenspiel sind nur ein äusseres Symbol dieses wahrhaft musikalischen Gesammtin- haltes. Da dieser Inhalt sich schon im Halbfigurenbild geltend machen konnte, so entstanden hunderte auch von solchen, hauptsächlich für die Privatandacht. Aber nicht nur in der Anordnung der Charaktere zum Bilde, sondern auch in der Auffassung der Einzelnen ist Giov. Bellini das Vorbild aller andern, ihr Befreier geworden. Die Scala auf welcher er sich bewegt, ist bei weitem die grösste. Er konnte burlesk sein a bei der Darstellung der classischen Götterwelt; das unschätzbare sog. Bacchanal in der Sammlung Camuccini parodirt das Göttergelage zur „Festa“ italienischer Bauern Es ist eines seiner letzten Bilder, 1514. Die herrliche Landschaft ist von ihm, allein später durch Tizian über malt, als derselbe dem flüchtig impro- visirten Bilde eine neue Haltung gab. (Laut Harzen’s Beweis.) . (Wo er der Allegorik seiner Zeit in die Hände fiel, ist er, beiläufig gesagt, so absurd als irgend Einer; b fünf kleine höchst saubere Bildchen in der Acad. von Venedig, etwa zu vergleichen mit Pinturicchio’s Allegorien im Pal. Torigiani zu Flo- renz.) In den religiösen Bildern dagegen herrscht eine gleichmässige c Würde und Milde. Das Bild in S. Giov. e Paolo zeigt in den weib- lichen Heiligen ein herrliches Geschlecht reifer Jungfrauen, die noch an Mantegna’s heil. Eufemia erinnern. Die Engel am Throne sind hier wie überall eifrig an ihre Musik hingegeben und völlig naiv, was sie z. B. bei Francia und Perugino nicht immer sind. Sein spätes d Bild, in S. Giovanni Crisostomo, 1. Alt. r. (1513), enthält von seinen e besten männlichen Charakteren. (Seine schönsten nackten Bildungen in dem grossen Altarblatt der Academie.) In der Madonna zeigt sich bei ihm ein Fortschritt aus einem strengen und wenig beseelten Typus f (z. B. das eine Bild in der Brera zu Mailand, mehrere in Venedig) zu einem grossartig schönen, doch noch immer ernsten und auch im Costüm idealen. Dieser vielleicht zum erstenmal vollendet reif in der g Mad. von 1487 (in der Academie) und in dem herrlichen Bilde in der h Sacristei der Frari (1488 Ein wichtiges Bild aus demselben Jahre, in S. Pietro e Paolo zu Murano, * nach dem 2. Alt. r., fand ich verdeckt. ), dann in mehrern Werken der Academie, i der Gal. Manfrin, der Sacristei des Redentore (zwei Bilder, davon Giov. Bellini’s Altarbilder. Sein Christus. eines ein Juwel!), der Galerie von Modena, der Pinac. von Vicenza, a der Brera von Mailand (bez. 1510) u. a. a. O. Wo Heilige anwesend b sind, wird man im Ganzen die weiblichen vorzüglicher finden. Von der höchsten Bedeutung ist aber bei B. durchgängig die Gestalt Christi , welche durch ihn auch bei der folgenden venez. Generation eine so hohe Auffassung beibehalten hat. Schon sein Christuskind ist nicht bloss wohlgebildet, sondern so erhaben und bedeutungsvoll in der Bewegung und Stellung als diess möglich war ohne den Ausdruck der Kindlichkeit aufzuheben. In dem Bild in S. Giov. e Paolo gewinnt die gar nicht ideale Madonna eine überirdische c Weihe durch ihr Sitzen und durch das ruhige Stehen des segnenden Kindes. Auch in dem Altarblatt der Academie ist das Kind ernst d und grandios und contrastirt sehr bedeutsam mit den Musikengeln Freilich hat B. auch die stets unleidliche Scene der Beschneidung gemalt * (S. Zaccaria, Chorumgang, 2. Cap. 1.), und so nach ihm viele Andere. . — Dann wagte B. den erwachsenen segnenden Christus als einzelne e Figur vor einem landschaftlichen oder Teppichgrund hinzustellen, mit der würdigen Männlichkeit, demjenigen Typus des Hauptes, welchen man in einzelnen Bildnissen Giorgione’s und Tizians nachklingend findet. (Galerie von Parma.) — Und nun folgt „Christus in Em- maus“ (S. Salvatore zu Venedig, Cap. links vom Chor), eines der f ersten Bilder von Italien Hier und bei ähnlichen Emmausbildern des Palma vecchio, Tizian u. A. ist die Umgebung ganz irdisch und scheinbar alltäglich, aber man vergleiche z. B. das freche Bild des Honthorst (Gal. Manfrin) um sich zu überzeugen, ** dass es zweierlei Realismus giebt. ; vielleicht der erhabenste Christuskopf der modernen Kunst, nur Lionardo ausgenommen (derselbe Gegenstand, g Gal. Manfrin, wahrscheinlich von einem Schüler). — Endlich scheint der Meister eine höchste Steigerung, eine Verklärung auf Tabor, im Sinne getragen zu haben. Das Bild dieses Inhaltes im Museum von h Neapel, mit dem ehrlichsten Streben nach tiefer Auffassung des Ge- genstandes gemalt, war ein vielleicht früher Versuch dieser Art (eine Nachahmung in S. M. mater Domini zu Venedig, 1. Alt. links). Ist i nun vielleicht die Skizze eines etwas aufwärtsblickenden Christus- kopfes, in der Academie, der Keim einer nicht zu Stande gekommenen k Malerei des XV. Jahrhunderts. Venedig. a Transfiguration? — (Eine schöne Taufe Christi, in S. Corona zu Vi- cenza, 5. Alt. 1.) Die obengenannten Schüler und Zeitgenossen sind nun in der Regel um so viel trefflicher, je mehr sie sich dem Giov. Bellini nähern. Im Ganzen hat hier Cima den Vorzug. Seine Taufe Christi in S. b Giovanni in Bragora (Chor hinten) ist in dem Adel des Christus- kopfes, in der Schönheit der Engel und in der weihevollen Geberde des Täufers unvergleichlich; — auch Constantin und Helena (ebenda, am Eingang des Chores, rechts) sind von schönem Ausdruck. In der c Abbazia (Cap. hinter d. Sacristei) Tobias mit dem Engel; im Carmine d (2. Alt. r.) die wundervolle Anbetung der Hirten und Heiligen. Seine Madonna ist reiz- und lebloser als die des Lehrers; dafür sind die sie umstehenden Heiligen, zumal die Greise, von geistvoller Schönheit. e Treffliche Bilder dieser Art: Pinac. zu Vicenza; Brera (und Ambro- f siana?) zu Mailand; Galerie zu Parma etc. — Die Mad. mit Heiligen g in Lebensgrösse dagegen, in der Academie von Venedig, zeigt neben dem Meisterwerke Bellini’s eine erstaunliche Befangenheit der An- ordnung, theilweise auch der Einzelbildung. Ebenda S. Thomas, das Wundmal Christi berührend. Ein sonst wenig bekannter Giovanni Buonconsigli , zufolge h einem frühern Bild in der Pinac. zu Vicenza (Kreuzabnahme in schö- ner Landschaft), ein tüchtiger Modellirer im paduanischen Sinne, schloss sich später ganz an Bellini’s Weise an, blieb aber bei uned- i lern Charakteren stehen. (Venedig, S. Spirito, 3. Alt. r., Christus mit k 2 Heiligen; — S. Giacomo dall’ orio, rechts von der Hauptthür, die HH. Laurentius, Sebastian und Rochus; beides prächtige Farbenbilder, die Hallen mit Goldmosaik.) Carpaccio ist in seinen kleinern Figuren allerliebst lebendig, doch erreichen seine Köpfe an Schönheit diejenigen Cima’s nicht. Ausser den genannten Bildern, welche im Colorit die glühendern sind, l nenne ich: das Hauptaltarbild in S. Vitale (1514), eine lebhafte Con- versation von Heiligen, welche theils unten, theils über einer Balu- m strade erscheinen; — das Bild mit 3 Heiligen in S. Giov. in Bragora n (nach der 1. Cap. r.); — die Krönung Mariä in S. Giov. e. Paolo Nachfolger Bellini’s. Ihre Charaktere. (links, beim Eingang in die Sacristei); — den Tod Mariä (1508) im a Ateneo zu Ferrara; in diesen beiden Werken kommt er dem Cima am nächsten. — Seine grosse Darstellung im Tempel (1510) und die b Apotheose der heil. Ursula, beide in der Acad. von Venedig, zeigen freilich dass auch bei ihm die Mittel zur völligen Belebung solcher Formen nicht ausreichten. In der „Darstellung“ ist das Kind in Bel- lini’s Art aufgefasst. Von Lazzaro Sebastiani ist in S. Donato zu Murano (über c d. Seitenthür r.) eine ganz schön belebte Scene der Madonna mit zwei Heiligen, welche anbetende Engel und einen Donator herbeibringen. Von Andrea Previtali im Pal. Manfrin eine Madonna mit d beiden Kindern im Freien (1510). Catena’s Hauptwerk, in S. M. mater Domini (2. Alt. r.), sollte e eine Marter der heil. Christina vorstellen, welche mit einem Mühlstein am Hals ertränkt wurde. Man sehe wie der brave alte Venezianer dieses umgeht und denke dabei einen Augenblick an die affectvollen Martyrien des XVII. Jahrh. — Die Köpfe höchst lieblich. Basaiti ist in Zeichnung, Farbe und Charakteren meist flüch- tiger als Cima und Carpaccio; sein männlicher Typus wiederholt sich; das Ganze ist aber meist lebendiger. Seine Berufung der Apostel Ja- f cobus und Philippus (Academie) ist immerhin ein geistreiches und entschlossenes Bild (1510); — der thronende Petrus mit 4 Heiligen g in S. Pietro di castello (3. Alt. r.) war einst trefflich, der S. Georg ebenda (Ende d. l. Seitenschiffes) dagegen von jeher schwach. — Aber bisweilen erhebt sich der Meister zu hohen Leistungen. In der Him- h melfahrt Mariä (SS. Pietro e Paolo zu Murano, links, nahe der Sa- cristeithür, verdorben, doch nicht unrettbar) schilderte er die schönste i Ekstase; — sein S. Sebastian (Salute, Vorraum der Sacristei) ist nur um eines Schrittes Weite von Tizian entfernt; die von Luigi Vivarini k begonnene Glorie des heil. Ambrosius aber (S. 822 e, Frari, 3. Cap. 1. vom Chor) hat offenbar Er erst zu dem Wunderwerke gemacht, das sich fast allein mit jenen 3 Hauptbildern des Giov. Bellini messen kann. Das lauterste Gold venezianischer Charakteristik. Von Pennacchi sind die dem Untergang nahen Halbfiguren in den Cassetten des Tonnengewölbes von S. M. de’ miracoli und die l Malerei des XV. Jahrhunderts. Venedig. Siena. vielleicht schon untergegangenen Deckenmalereien in den Angeli zu Murano, 34 Felder im Ganzen. (Die Kirche war 1854 unzugänglich.) Marco Marziale , ein wenig bekannter Schüler Bellini’s, hat mit einer ganz liebenswürdigen Gewissenhaftigkeit und mit der genre- a haften Art etwa des Carpaccio auch ein Emmaus gemalt (1506, Aca- demie). Gehört vielleicht ihm die vom Jahr 1500 datirte vortreffliche b Fusswaschung, welche im Pal. Manfrin Perugino heisst? oder eher dem Lombarden Gaudenzio Vinci? Endlich Boccaccino da Cremona , in einem spätern Bilde c (thronende Mad. mit 4 Heiligen, in S. Giulian, 1. Alt. 1.) am meisten dem Cima verwandt, verräth früher, in einem höchst vollendeten und d kostbaren Bilde der Academie, eher den Schüler des L. Vivarini. Es ist eine im Freien sitzende Madonna mit 4 Heiligen; eines der frühsten und schönsten Beispiele desjenigen Typus der Santa conversazione mit knieenden und sitzenden ganzen Figuren in landschaftlicher Um- gebung, welcher später von Palma und Tizian mit Vorliebe aufge- e nommen wurde. — Eine Madonna mit Heiligen, in der Brera, ist wiederum spät (1532). Ausser diesen grossen Werkstätten der Kunst in Florenz und Oberitalien kömmt im XV. Jahrh. keine Schule mehr vor, in welcher die Freude an der charakteristisch belebten Gestalt und an dem Reichthum menschlicher Bildungen sich ganz frei und grossartig ge- äussert hätte. Die von Florenz und Padua ausgegangenen Inspira- tionen zogen zwar alle Schulen mit sich, aber es fehlte an deren Grundlage: an den tiefen und angestrengten Formstudien. So glaubte z. B. die Schule von Siena , von Domenico di Bartolo an, die neue Darstellungsweise ohne diese Prämissen mit- machen zu können, ahmte aber nur die florentinischen Äusserlichkeiten auf solch bodenlosem Grunde mit der unvermeidlichen Übertreibung f nach. Domenico’s Fresken in einem Saal des Hospitals della Scala zu Siena (Stiftungsgeschichten und Werke der Barmherzigkeit), sind zwar frei von ganz rohem Ungeschick, allein nur durch Costüms und Bau- Siena. Schule von Umbrien. lichkeiten interessant. Von den Übrigen sind die welche noch halb an der alten Weise festhielten, oben (S. 779) genannt worden. Unter den entschiednern Realisten ist Vecchietta („Lorenzo di Pietro“) als Maler ganz ungeniessbar (S. 241, 614), Francesco di Giorgio (Academie zu Siena: Anbetung des Kindes, und Krönung Mariä) viel- a leicht der am meisten durchgebildete, Matteo di Giovanni (M. da Siena) aber unstreitig der widerlichste. Die drei Redactionen seines „Kindermordes“ (S. Agostino, Nebencap. rechts, 1482, — Concezione b oder Servi, rechts, 1491, — und: Museum von Neapel, mit verfälsch- c tem Datum) sind einer der lächerlichsten Excesse des XV. Jahrh.; Matteo erscheint als der italienische Michel Wolgemuth. (Anderes in der Acad. und in S. Domenico, 2. Cap. 1. vom Chor.) Ein Christus d in einer Engelglorie, unten viele Heilige in reicher Landschaft (1491, e Acad.), von Benvenuto di Giovanni , ist wenigstens ohne die Affectation von dessen Mitschüler Matteo gemalt. Von Fungai, Pacchiarotto etc. wird beim XVI. Jahrhundert die Rede sein. Weiter nach Süden thront das steile Perugia über dem Tiber- thal, Assisi und Spello schweben an Bergabhängen, Foligno liegt in der Ebene, Spoleto schaut nieder auf das Thal des Clitumnus. In diesen Gegenden stand die umbrische Schule auf; ihre Thätigkeit reichte östlich auch in die Bergstädte des Hochapennins und jenseits desselben in die Mark Ancona hinein. In dieser Heimath des heil. Franciscus scheint sich ein stärkerer Zug der Andacht als anderswo in dem profanen Italien der Renais- sance erhalten zu haben. Wenn derselbe nun in der Malerei jenen unerhört intensiven Ausdruck fand, so kommt dabei auch sehr in Betracht die von den eigentlichen Herden der Renaissance entfernte Lage, die Vertheilung der Kräfte auf verschiedene Orte (sodass vor Pietro Alles den Charakter von Localmalerei hat), die mehr ländliche, einfache Sinnesweise der Besteller, mochten es nun Bewohner jener steilen Wein- und Ölstädtchen oder abgelegener Klöster sein, endlich der Einfluss Siena’s, dessen letzte Idealisten, wie Taddeo di Bartolo (S. 779) selbst in Perugia arbeiteten. Wo man den neuen florenti- nischen Styl haben konnte, nahm man Anfangs selbst mit befangenen Malerei des XV. Jahrhunderts. Umbrien. und harten Äusserungen desselben vorlieb, wie die Legendenfresken a des Bened. Bonfigli in einem obern Raum des Pal. del Commune zu Perugia (seit 1454) beweisen, Compositionen, deren eigenthüm- lichster Werth in den sehr gut dargestellten Baulichkeiten besteht. b (Vom Dems. in S. Pietro, hinten links, eine Pietà; in S. Domenico, S. Bernardino, u. a. a. O. in Perugia mehreres.) — Aber eine deutlichere Vorahnung des spätern Schulgenius liegt doch eher in den harmlosen Ma- lereien, welche an einzelnen Häusern der genannten Städte, besonders zu Assisi, auch in und an kleinern Kirchen u. s. w. insgemein die Mutter Gottes und die Schutzheiligen verherrlichen. So ist z. B. das Kirch- c lein S. Antonio in Assisi (an der Strasse, die von S. Francesco nach der Piazza führt, rechts) aussen und innen von verschiedenen Händen bemalt; Einiges ist sienesisch holdselig, Anderes sind Versuche in florentinischem Sinn; zwei Heilige im Bilde der Hinterwand haben auch schon etwas Verzücktes; sonst herrscht eher Das vor, was wir Gemüthlichkeit zu nennen pflegen. Auch Fiorenzo di Lorenzo geht über diese Linie noch nicht d hinaus. (In der Sacristei von S. Francesco de’ conventuali zu Peru- gia: Petrus, Paulus und eine Madonnenlunette.) Erst Niccolò Alunno von Foligno schlägt denjenigen Ton an, welcher dann bei Perugino so mächtig weiterklingt: es ist der Seelenausdruck bis zur schwärmerischen, ekstatischen Hingebung, in Köpfen von zartester, reinster Jugendschönheit. Niccolò’s Bildung war eine ziemlich geringe, seine Malerei bisweilen roh, seine Anord- nung unbehülflich, — allein noch heute dringt bisweilen ein Maler mit eben so beschränkten äussern Mitteln; durch den blossen Aus- druck zu einer hohen; wenn auch nur provincialen Geltung durch. e Von seinen zugänglichern Werken (z. B. im Pal. Colonna zu Rom, f in der Brera zu Mailand, wo sich eine bedeutende Madonna mit En- geln vom Jahr 1465 befindet) ist wohl das wichtigste, eine Ver- kündigung mit Gott-Vater und einer frommen Gemeinde, in S. Maria nuova zu Perugia (Querschiff links); wunderbare Bildung der Köpfe des Gabriel und der Madonna; die Andacht der Engel völlig naiv. g — In Foligno: S. Maria infra portas: verdorbene Fresken; — S. Nic- h colò: Altarbild von mehrern Tafeln, eines der bestausgeführten; auch eine Krönung Mariä mit 2 knieenden Heiligen. — Im Dom von As- Nic. Alunno. Pietro Perugino. sisi: geringe Fragmente eines Altarwerkes, in die Wand eingelassen. — Die übrigen Gemälde in Diruta, S. Severino, Gualdo, Nocera, und a la Bastia unweit Assisi. — Im Ganzen wendet Alunno jene hohe Steigerung des Ausdruckes noch sehr mässig an und gleicht sogar im einzelnen Fall eher den Paduanern. Pietro Perugino (de castello plebis, wie er sich selbst von sei- ner Vaterstadt Città della pieve nennt, eigentlich Vanucci, 1446—1524) ist in seiner frühern Zeit wesentlich ein Florentiner. Wie weit Alunno oder Piero della Francesca oder in Florenz Verocchio und L. di Credi einzeln auf ihn eingewirkt, kommt wenig in Betracht; die Hauptsache war der Eindruck der dortigen Kunstwelt als Ganzes, der ihn völlig bestimmte. Dieser ersten Periode gehören seine Fresken in der sixti- b nischen Capelle, Christi Taufe und die Verleihung des Amtes der Schlüssel (S. 810, d) an, vielleicht auch die Anbetung der Könige in S. Maria nuova zu Perugia (links vom Bilde Alunno’s), Werke welche c bei grosser Tüchtigkeit und Schönheit doch kaum einen Zug von Dem haben, was seine spätern Bilder beseelt. — Aus der schönsten Mitte seines Lebens stammt dann die Anbetung des Christuskindes in der d Gemäldesammlung der Villa Albani (1491) und das Frescobild im Ca- pitelsaal von S. M. Maddalena de’ Pazzi zu Florenz (nur mit erz- e bischöflicher Erlaubniss zugänglich). — Schon vor 1495 liess sich dann Pietro fest in Perugia nieder und eröffnete seine Schule. Von da an beginnt erst jene grosse Reihe von Gemälden, in welchen er den Ausdruck der Andacht, der Hingebung, des heiligen Schmerzes in die tiefsten Tiefen zu verfolgen scheint. Wie vieles in seinen Werken soll man ihm nun als baare Münze abnehmen? — Er kam in Perugia offenbar nur einer bereits herr- schenden Gefühlsrichtung entgegen, die er mit einem ganz andern, durch die gedankenloseste Wiederholung nicht zu tödtenden Schön- heitssinn und mit weit grössern Kunstmitteln zur Darstellung brachte als seine Vorgänger. Als die Leute sich an seinem Ausdruck gar nicht ersättigen konnten, als er inne wurde, was man ausschliesslich an ihm bewunderte, gab er das was er sonst wusste und konnte Preis, vor allem das unablässige florentinische Lebensstudium. Be- B. Cicerone. 53 Malerei des XV. Jahrhunderts. Umbrien. wegte, contrastreiche Gegenstände überliess er dem Pinturicchio, statt sich durch dieselben frisch zu halten. Zu den verzückten Köpfen, welche die Leute von ihm begehrten, gehörten Leiber und Stellungen die in der That nur wie Zugaben aussehen, und die der Beschauer sehr bald auswendig lernt, weil schon der Maler sie auswendig wusste. (Derselbe Pietro zeichnete, sobald er wollte , z. B. seine nackten Figuren trefflich.) Er entzückte seine Leute ferner durch grelle Bunt- farbigkeit und spielend reich ornamentirte Gewandung. (Die Leucht- kraft des Colorites und die so fein gestimmten Einzelpartien in manchen Bildern zeigen wiederum was er konnte, sobald er wollte .) Er stellt seine Heiligen unten ohne Weiteres nebeneinander — während alle andern Schulen sie gruppiren — und ordnet seine Glorien, Krönungen und Himmelfahrten oben nach einem Schema. (Wogegen das Detail, sobald er wollte , das feinste Liniengefühl verräth.) Im Wurf der Gewandung erhebt er sich selten mehr über das Todt-Conventionelle. (In das Sistina sieht man was er früher konnte und wollte .) Unter allen Künstlern, welche ihr Pfund vergruben und zu Hand- werkern herabgesunken sind, ist das Beispiel Pietro’s vielleicht das grösste und kläglichste. Freilich, was man von ihm verlangte, das lieferte er sauber, solid, vollständig, auch in der späten Zeit, da die Kräfte nachliessen, und da keine neue Auffassung mehr von ihm zu fordern war. Was nun die Köpfe betrifft, so ist vor Allem anzuerkennen, dass Perugino aus der gährenden florentinischen Kunstwelt gerade die schön- sten Anregungen in sich aufnahm. Es muss einen göttlichen Augen- blick in seinem Leben gegeben haben, da er zum erstenmal die hol- deste Form mit dem Ausdruck der süssesten Schwärmerei, der Sehn- sucht, der tiefsten Andacht erfüllte. Der Augenblick kehrte biswei- len wieder; noch in spätern Bildern werden einzelne Köpfe auf ein- mal ergreifend wahr, mitten unter andern, welche einen ähnlichen Ausdruck nur mit den gewohnten stereotypen Mitteln wiedergeben. Um hierüber ins Klare zu kommen, muss man einige seiner Köpfe genau nach Typus und Ausdruck analysiren und sich fragen, wie diess eigenthümliche Oval, diese schwermüthig blickenden Taubenaugen, diese kleinen schon beinah vom Weinen zuckenden Lippen hervorge- bracht sind, und ob sie an der betreffenden Stelle irgend eine Noth- Pietro Perugino. wendigkeit oder Berechtigung haben? — Bisweilen überzeugt er; in den meisten Fällen aber macht er uns eine ganz zweck- und ziellose Rührung vor Wir lassen die Frage ganz aus dem Spiel, ob Pietro selber jemals so ge- fühlt hat wie seine Gestalten fühlen. Sie ist eine ganz unstatthafte und be- einträchtigt die ewigen Rechte der Poesie. Auch als Atheist, wofür Vasari ihn ausgiebt — trotz des Schriftröllchens mit dem „Timete Deum“ auf sei- nem Porträt in den Uffizien — hätte Pietro seine Ekstasen malen dürfen und * sie könnten ganz wahr und gross sein; nur hätte ihn dabei eine innere poe- tische Nöthigung bestimmen müssen. (Über die „Gesinnung“ des Künstlers und Dichters cursiren mancherlei unklare Begriffe, wonach dieselbe z. B. da- rin bestände, dass derselbe unaufhörlich sein Herz auf der Zunge trüge und in jedem Werk möglichst vollständige Programme seines individuellen Den- kens und Fühlens von sich gäbe. Er hat aber als Künstler und Dichter gar keine andere Gesinnung nöthig als die sehr starke, welche dazu gehört, um seinem Werk die grösstmögliche Vollkommenheit zu geben. Seine son- stigen religiösen, sittlichen und politischen Überzeugungen sind seine persön- liche Sache. Sie werden hie und da in seine Werke hineinklingen, aber nicht deren Grundlage ausmachen.) . — Warum ist diess bei Fiesole anders? weil eine starke persönliche Überzeugung dazwischentritt, die ihn nöthigt, den höchsten Ausdruck immer so stark zu wiederholen, als er es irgend vermag. — Warum ist bei den Robbia der Ausdruck immer frisch und liebenswürdig? weil sie den Affect bei Seite lassen und im Be- reich einer schönen Stimmung bleiben. — Was nähert den Perugino einem Carlo Dolci? dass Beide einen wesentlich subjectiven, momen- tanen, also nur für einmal gültigen Ausdruck perpetuiren. Wir nennen nur die wichtigern seiner spätern Bilder. In der vatican. Galerie: Die Madonna mit den vier Heiligen, viel- a leicht noch aus der schönen mittlern Zeit; die Auferstehung, grossen- theils von Rafael ausgeführt. Im Dom von Spello, links: eine (bezeichnete) Pietà; der Ausdruck b zumal im Johannes rein und schön hingehaucht. In Perugia: Die Fresken in den beiden Räumen des sog. Cam- c bio , um 1500 von P. mit Hülfe des Ingegno gemalt, bei grosser Schön- heit und Sorgfalt der Behandlung ein durchaus bezeichnendes Werk für P.’s Ansicht von Geschmack der Peruginer; Nebeneinanderstellung isolirter Gestalten auf derselben Linie, Gleichartigkeit des Charakters 53* Malerei des XV. Jahrhunderts. Umbrien. bei antiken Helden, Gesetzgebern und Propheten, Mangel der wahren a Thatkraft und Ersatz durch Sentimentalität. — In S. Agostino sind die acht Täfelchen mit Brustbildern von Heiligen (in der Sacristei) b naiver als die übrigen Bilder. — In S. Pietro enthält die Sacristei wieder eine Reihe Täfelchen mit Halbfiguren, zu welcher einst auch die drei in der vatican. Galerie gehörten; in der Kirche mehrere Co- pien Sassoferrato’s nach ähnlichen Halbfiguren. — Zahlreiche, meist c schwache Bilder in vielen Kirchen, sowie in der Academie, wo auch d die ganze Schule vertreten ist. — In S. Severo hat P. nach Rafaels Tode, im Jahr 1521, den Muth gehabt, unterhalb von dessen Fresco- e bild Heilige auf die Mauer zu malen. — Das Frescobild einer Anbetung der Hirten in einer innern Capelle von S. Francesco del monte soll f ein schönes Werk sein; ebenso dasjenige der Anbetung der Könige in S. Maria de’ bianchi in dem nahen Città della pieve. g In Florenz enthält der Pal. Pitti die berühmte Grablegung (1495), eine Sammlung von passiven Stimmungsköpfen, deren Wirkung bei der Abwesenheit anderer Contraste sich aufhebt; der Kopf Christi höchst unwürdig; das Ganze mehr durch die gleichmässige Vollendung als durch wahre Tiefe ausgezeichnet; — ebenda: Madonna das Kind anbetend, eins der wahrhaft empfundenen Bilder, leider sehr übermalt. h — Uffizien: thronende Madonna mit 2 Heiligen, 1493, schon conventio- i nell; — zwei Bildnisse. — Academie : Grosse Himmelfahrt Mariä , unten 4 Heilige, vom Jahr 1500, in engster Beziehung mit den Fres- ken des Cambio, theilweise conventionell, in einzelnen Köpfen aber von grösster Herrlichkeit; — ebenda: Gethsemane (früh?); die übri- gen Bilder, auch die untere Gruppe in Filippino’s Kreuzabnahme spät und zum Theil ganz fad. k In der Pinacothek von Bologna : Madonna schwebend über vier Heiligen, Prachtbild vom Rang der eben genannten Himmelfahrt. Von den Gehülfen Pietro’s wird Ingegno mit besonderm Nach- druck genannt. Allein die zugänglichern Arbeiten, die man ihm bei- l legt, sind streitig, so die treffliche Frescomadonna in der Capelle des Conservatorenpalastes auf dem Capitol, mit dem mässigen Ausdruck Perugino. Ingegno. Pinturiechio. in der Art Alunno’s. Bei diesem Anlass einige frühe anonyme Fres- ken der umbrischen Schule zu Rom: in SS. Vito e Modesto (1483); a — S. Cosimato in Trastevere etc. b Sodann Pinturicchio (1454—1513). Er stand schon früh mit Pietro in Verbindung (z. B. als Gehülfe bei den Arbeiten in der Si- stina) und ist und bleibt in der Folge derjenige Maler der Schule, welcher vorzugsweise grosse Frescohistorien in Verding empfängt. Anfänglich von der florentinischen Darstellungsweise wenigstens an- geweht, nimmt er dann auch die peruginische Seelenmalerei äusser- lich in sich auf. Ein gründliches Studium hat er nie gemacht; er holt seine Motive zusammen, wo er sie findet, wiederholt sie bis zum zehnten Mal und braucht oft die Nachhülfe Anderer. Zugestandener- massen ein Geschäftsmann und Entrepreneur, gewiss mit geringem Gewinn, geniesst er uns gegenüber die günstige Stellung, dass man wenig von ihm erwartet und dann durch Züge köstlicher Naivetät, durch einzelne schöne Charakterköpfe und merkwürdige Trachten über- rascht und durch die harmlose Art, wie er seine Geschichten als Staf- fage einer prächtigen Örtlichkeit (Gebäude, bunte Landschaften in flan- drischer Art) vorbringt, vergnügt wird. (Die reiche decorative Aus- stattung, S. 278.) Auch er giebt was man damals, und zwar in der Umgebung der Päpste, billigte und haben wollte. Unter Innocenz VIII und Alexander VI malten er und Andere die Lunetten und Gewölbe in fünf Sälen des Appartamento Borgia (Vatican) c aus. Es sind Propheten, Sibyllen, Apostel, thronende Wissenschaften mit Begleitern, Legenden verschiedener Heiligen, endlich Geschichten des n. T.; das Meiste ohne irgend besondern Aufwand von Gedanken. Auch die Fresken in S. M. del popolo (Cap. 1, 3 und 4 rechts, Ge- d wölbe des Chores) bieten nur allgemeines Schulgut. Die Reste in S. Pietro in Montorio und in S. Onofrio (untere Malereien der Chor- e nische) scheinen von noch geringern peruginischen Händen zu sein; eher gehören dem P. die vier Evangelisten am Gewölbe der Sacristei f von S. Cecilia. — Mit viel grösserer Theilnahme sind in Ara Celi g (1. Cap. rechts) die Wunder und die Glorie des heil. Bernardin ge- malt; hier strebt der Meister, wenn auch mit unzulänglichen Kräften, nach florentinischer Belebung. — In der Chornische von S. Croce in Malerei des XV. Jahrhunderts. Umbrien. a Gerusalemme sind die Geschichten des wahren Kreuzes an der unrechten Stelle und in unrichtigem Ton erzählt, zudem schwer über- malt; der segnende Salvator dagegen ein wahrhaft herrlicher Gedanke, b der dem P. eigen sein könnte. — Im Jahr 1501 malte er eine ganze Capelle (links) im Dom zu Spello aus: die Verkündigung, die Anbe- tung der Hirten und Pilger, und Christus unter den Schriftgelehrten; am Gewölbe Sibyllen. Hier, in einem Landstädtchen, liess er sich ganz unbefangen gehen und gab, mitten unter vielem Conventionellen und Handwerklichen, ein paar höchst liebenswürdige Züge, wie z. B. das andächtige Herannahen der Hirten und Pilger, Joseph und Meria im Tempel etc. Reiche, hohe Hintergründe; aufgesetzter Goldschmuck. c — In dem Jahr 1502—1503 malte er mit Hülfe Mehrerer die Libreria (d. h. den Aufbewahrungsort der Chorbücher) im Dom von Siena aus. (Bestes Licht: Nachmittags.) Von der frühern Annahme: dass Rafael ihm dazu alle Entwürfe, ja die Cartons geliefert oder gar selbst Hand angelegt habe, ist man völlig zurückgekommen. (Von den sehr schönen Zeichnungen zu zweien dieser Compositionen, der Landung in Libyen und dem Empfang der Eleonora von Portugal, habe ich d nur die erstere, in der Sammlung der Handzeichnungen der Uffizien, e gesehen; die andere findet sich in Casa Baldeschi zu Perugia. Auch jene halte ich nicht für Rafaels Werk und glaube überhaupt nicht, dass ein Entwurf, so sehr er an Trefflichkeit das ausgeführte Werk überragen möge, desshalb nothwendig von einem andern Künstler sein müsse.) Es ist in diesen Scenen aus dem Leben des Aeneas Sylvius (Pius II) nichts so gut und nichts so schlecht, dass es nicht je nach Stunde und Stimmung von Pinturicchio selbst erfunden und gemalt sein könnte; die Ausführung an sich ist von grosser und gleichmässi- ger Sorgfalt. — Hohe geschichtliche Auffassung, dramatische Stei- gerung der Momente — grossentheils Ceremonienbilder — muss man nicht erwarten, vielmehr sich damit begnügen, dass die lebensfähigen Charaktere und Gestalten hier zahlreicher sind, als sonst bei P. — Das Leben des Papstes ist dem glücklichen Maler unter den Händen zur anmuthigen Fabel, zur Novelle geworden, alles in Trachten und Zügen seiner Zeit, nicht der um 50 Jahre zurückliegenden. Kaum Pius selbst hat Bildnissähnlichkeit; Friedrich III ist „der Kaiser“, wie er Pinturicchio. Spagna. in jedem Mährchen vorkommen könnte. Diese Art von Unbefangen- heit war ein wesentlicher Vortheil für jene Maler Das Abendmahl in Fresco, welches vor einigen Jahren in dem aufgehobenen * Kloster S. Onofrio zu Florenz entdeckt und für Rafaels Werk ausgegeben wurde, ist eine peruginische Production und zwar am ehesten von Pinturicchio. Schon seit Jahren vertheidigten nur noch Nordländer die Autorschaft Ra- faels mit Eifer; in Florenz schwieg man allmälig. In der letzten Zeit war das Werk unzugänglich, aus Gründen, die mit der wahren Beschaffenheit desselben zusammenhängen, wie sie nach Wegnahme eines Überzuges vom Jahr 1844 zum Vorschein kam. . Staffeleibilder von P. im Museum von Neapel (Himmelfahrt Mariä), a Academie von Perugia (treffliches Altarwerk), Pal. Borghese in Rom b (chronikartige Geschichten Josephs) u. a. a. O. Etwa auch die Dar- c stellung im Tempel, in S. Agostino zu Arezzo (links)? ein schönes und d tüchtiges Bild. Unter den eigentlichen Schülern des Pietro war nächst Rafael Giovanni lo Spagna der ausgezeichnetste. Seine Madonna mit Schutzheiligen, im Stadthause von Spoleto , ist einer der allerreinsten e und jugendlichsten Klänge aus der ganzen Schule. — Bilder in zwei Kirchen des seitwärts von der Strasse nach Foligno gelegenen Städt- chens Trevi (Mad. delle lagrime und S. Martino); — eine Madonna f mit Heiligen in der Unterkirche S. Francesco zu Assisi (Cap. der heil. g Magdalena? vgl. S. 756, Anm.); — Fresken in der Kirche S. Jacopo zwischen Spoleto und Foligno, zum Theil aus seiner späten, manie- h rirten Zeit; — dagegen ein frühes Bild (wenn es von ihm ist): die Krönung Mariä im Chor der Zoccolantenkirche von Narni (wenige i Schritte von der nach Terni führenden Strasse); die erhöhte Stimmung der Gestalten, zumal der noch florentinisch schönen Madonna ist noch fern von aller Ekstase. — Im Pal. Colonna zu Rom wird ein tüchti- k ger S. Hieronymus in der Wüste dem S. beigelegt. Die übrigen Schüler Giannicola, Tiberio d’Assisi, Adone Doni , die Alfani, Eusebio di S. Giorgio etc. möge man in den Kirchen von Perugia und der Umgegend aufsuchen. (Vom letztge- nannten zwei gute und eigenthümliche Fresken — Verkündigung und l Wundmale des heil. Franz — im Kreuzgang des Capuzinerklöster- chens S. Damiano bei Assisi.) Sie sind in einzelnen guten Arbeiten Malerei des XV. Jahrhunderts. Marchesaner. origineller und aufrichtiger als der Meister in seinen spätern Durch- schnittsleistungen, meist aber ziemlich schwach, und als die letzten von ihnen das Stylprincip der römischen Schule mit ihrer mangelhaf- ten Formenbildung vereinigen wollten, fielen sie in klägliche Manier. Über die Künstler der Mark Ancona und des Herzogthums Ur- bino ist der Verfasser ausser Stande, aus eigener Anschauung etwas Zusammenhängendes zu berichten. Die einzige Sammlung, welche eine (doch nur sehr unvollkommene) Übersicht gewährt, ist die der a Brera zu Mailand. Der paduanische Schulstyl herrscht z. B. in einer Madonna mit vielen andern Figuren, vom Frate Carnevale (st. nach 1474) noch mit ziemlicher Härte. Von Giovanni Santi , dem Vater Rafaels, den man durchaus in Urbino und der Umgegend aufsuchen muss, findet sich hier bloss eine unbedeutende Verkündigung; — von Marco Palmezzano aus Forli, einem strengen Nachfolger Man- tegna’s, eine Geburt Christi (1492), eine Madonna mit vier Heiligen (1493) und eine Krönung der Maria (wozu noch, in den Uffizien, das b späte Bild des Gekreuzigten in einer bedeutenden Felslandschaft, 1537, kömmt); — von Girol. Genga , der in der Folge Schüler Perugino’s wurde, eine ganz bedeutende Versammlung von sitzenden Heiligen mit einer Glorie darüber, auf dem dunkeln Grunde etc. Wir kehren durch die genannten Gegenden noch einmal nach Bologna zurück, um des Francesco Francia (geb. um 1450, st. 1517) willen, dessen Empfindungsweise wesentlich mit derjenigen des Perugino verwandt oder geradezu von derselben angeregt ist. In der Malerei ursprünglich Schüler des Zoppo di Squarcione (S. 812, c), hatte er bis tief in sein Mannesalter vorzugsweise der Goldschmiedekunst obgelegen, auch wohl Baurisse entworfen (S. 208, g). Dann möchte er zwischen 1480 und 90, am ehesten in Florenz, Perugino kennen gelernt haben, in der besten Zeit des letztern, vielleicht als derselbe jenes Fresco in S. M. M. de’ Pazzi (S. 833, e) malte. (Wohlbemerkt, lauter Hypothesen.) Und so ist denn auch sein frühstes bekanntes Bild, die thronende Madonna mit sechs Heiligen und einem lauten- Bologna. Franc. Francia und Schule. spielenden Engel, vom Jahre 1490 (Pinacoteca von Bologna) das am a meisten perugineske von allen seinen Werken; herrlich gemalt und von derjenigen Innigkeit des zum Theil ekstatischen Ausdruckes, welche dem Pietro selber nur in seiner besten mittlern Zeit eigen ist. Auch eine Verkündigung mit zwei Heiligen (ebenda) gehört wohl in diese Epoche. (Die thronende Madonna zwischen zwei Hallen mit vier Heiligen, sowie die Anbetung des Kindes mit Heiligen und Donatoren, ebenda, sind wohl spätere Bilder.) Auch später noch scheint er be- ständig auf Perugino hingeblickt zu haben. Durch seine Verbindung mit Lorenzo Costa aber (S. 814) kam ein merkwürdig gemischter Styl zum Vorschein, welchen sich auch seine Schüler, darunter Giulio , sein Vetter und Giacomo , sein Sohn, sowie Amico Aspertini , aneigneten. Der gesunde, biswei- len selbst derbe Realismus, welchen hauptsächlich Costa vertrat und welcher auch in Francia selber von Hause aus vorhanden war, steht in einem beständigen Conflict mit der umbrischen Sentimentalität. Diese, auf kräftige, herbere Bildungen übergetragen, nimmt jenen wun- derlichen Ausdruck des „Gekränktseins“ an. Hauptsächlich die weib- lichen Heiligen und die Madonnen scheinen nunmehr dem Beschauer einen Vorwurf darüber zu machen, dass er die Unbescheidenheit hat, sie anzusehen. Doch geht Francia nicht bis in das verhimmelte Schmachten hinauf. Überhaupt bleibt in ihm viel mehr Frisches, selbst Ritterliches als in dem spätern Perugino; er zeichnete sorgsamer und stellte nicht bloss seine Figuren freier und weniger conventionell, son- dern wusste sie auch lebendig zu gruppiren, obwohl sein Liniengefühl ziemlich unentwickelt blieb. Die Gewandung ist vollends bei ihm fast immer lebendig und für jede Gestalt neu empfunden. Als alter Ostlombarde hat er Freude nicht an dem bloss ornamentalen Reich- thum, sondern an der reellen Erscheinung und Modellirung der Trach- ten, Rüstungen, Ornate etc. Er konnte und wollte in diesen Din- gen nicht mehr hinter Mantegna zurückgehen. Freilich ist die Er- zählung, das Geschehen überhaupt, nicht seine starke Seite. Sein allerschönstes Werk in Bologna ist wohl das Altarblatt in b der Cap. Bentivoglio zu S. Giacomo maggiore. Von den Engeln, welche die Madonna umgeben, sind die ihr nächsten höchst liebens- würdig, unter den Heiligen aber ist der S. Sebastian eine der voll- Malerei des XV. Jahrhunderts. Bologna. kommensten Gestalten des XV. Jahrh. — Andere bedeutende Bilder: a Die thronende Madonna mit Heiligen in S. Martino (erste Cap. links), wobei die Landschaft ganz nach ferraresischer (und zwar nach Cos- ta’s) Art angebracht und behandelt ist. — Das Altarbild in der grossen b Cap. links in SS. Vitale ed Agricola, köstliche musicirende und schwe- bende Engel um ein altes Madonnenbild; (die Fresken rechts von Giacomo Francia, links von Bagnacavallo, aus beträchtlich späterer Zeit, doch besonders die Visitation des Letztern noch fast ganz schlicht und gut; in der Maria eine grosse und rührende Bewegung). — In c der Annunziata hinten im Chor eine Verkündigung mit vier Heiligen, auch zwei geringere Bilder zweite Cap. rechts und dritte Cap. rechts. — U. s. w. d Die Fresken in S. Cecilia Ihre Vertheilung ist nach den Urhebern folgende: Altarraum: Fr. Francia Fr. Francia. Lor. Costa Lor. Costa Tamaroccio Tamaroccio Chiodarolo Am. Aspertini Am. Aspertini. Am. Aspertini. , ein Werk der ganzen Schule, darf man nicht mit allzufrischen florentinischen Eindrücken vergleichen; was Erzählendes daran ist, giebt sich als Anleihe von dort zu erkennen, und zwar als eine ziemlich befangene. Allein soweit hier Francia’s eigener Entwurf zu reichen scheint, sind es edle, lebensvolle Gestalten; in seinen eigenen beiden Bildern gilt diess auch von den Köpfen und von der ganzen Behandlung. Aber warum wendet sich Cæ- cilia so vornehm verschämt ab, während Valerian ihr den Ring an- steckt? Die Hand streckt sie ja doch aus! — (Costa’s landschaftliche Gründe, vgl. Seite 814, c.) Von Francesco’s Werken ausserhalb von Bologna könnte der be- e zeichnete S. Stephanus (?) im Pal. Borghese zu Rom (wo auch zwei Madonnen) ein ganz frühes Bild sein; — die thronende Madonna mit f vier Heiligen in der Galerie von Parma etwa aus der Zeit, da er dem Perugino am nächsten stand, die Kreuzabnahme ebenda kaum später; g in der Galerie von Modena eine treffliche grosse Verkündigung, eben- falls früh. — Von dem berühmten Bilde zu München (Maria im Rosen- Die Francia. Aspertini. hag) eine alte Schulcopie in der Pinac. zu Bologna. — Eine spätere a Annunziata in der Brera. b Giacomo Francia’s Hauptwerk, freilich in der Auffassung nicht von seinem Vater, sondern von den Venetianern inspirirt und daher frei von Sentimentalität, ist die prächtige im Freien sitzende Madonna c mit S. Franz, S. Bernardin, S. Sebastian und S. Mauritius, datirt 1526, in der Pinac. zu Bologna. Was sonst dort und anderswo von ihm vorhanden ist, zeigt eine bald reinere, bald gemischtere Reproduction der Gedanken seines Vaters. Eins der frühsten Bilder: die Anbetung d des Kindes, in S. Cristina, erster Altar, rechts. Zeitweise wurde die Werkstatt eine Halbfigurenfabrik und die Veräusserlichung und Gedankenlosigkeit ging so weit, als in den schlimmsten Augenblicken bei Perugino. Das ennuyirte, mürrische Wesen verräth besonders die Madonnen dieser Art von Weitem. Amico Aspertini ging in seinem frühsten Bilde (er nennt es e sein tirocinium), das um 1495 gemalt sein möchte, ganz auf die am meisten perugineske Stimmung des Francia ein. Es ist eine grosse Anbetung des Kindes durch Madonna, Donatoren und Heilige, in der Pinac. zu Bologna. Die Fresken einer Cap. links in S. Frediano zu f Lucca (Geschichten des Christusbildes „volto santo“ etc.), zierlich und genau ausgeführt, mit einzelnem reizendem Detail, verrathen dann Ein- drücke aller Art, wie sie der nie recht durchgebildete und selbstän- dige Phantast unterweges in sich aufnahm. — Als er einmal für Gior- gione begeistert sein mochte, malte er das Bild in S. Martino zu g Bologna (fünfter Altar, rechts), Madonna mit den heil. Bischöfen S. Martin und S. Nicolaus nebst den von diesem geretteten drei Mädchen. — Von seinem Bruder Guido A. eine gute, wesentlich h ferraresische Anbetung der Könige, in der Pinac. zu Bologna. In Neapel waren unter dem letzten Anjou (René) und unter Al- fons von Aragonien Bilder der flandrischen Schule (s. unten) zu einem solchen Ansehen gelangt, dass sich mehrere einheimische Maler un- Malerei des XV. Jahrhunderts. Neapel. mittelbar an denselben bildeten. So Simone Papa d. ä., dessen a Gemälde vom Erzengel Michael (Museum von Neapel) wenigstens be- weist, wie gerne er die van Eyck hätte erreichen mögen. In diese Zeit fällt das Auftreten desjenigen Künstlers, welchen die Neapolitaner als den Vater ihrer Malerei zu feiern pflegen: des Zingaro (eigentlich Antonio Solario). Wenn er aber wirklich 1382 geboren und 1445 gestorben ist, so gehört ihm wohl keines der nach b ihm benannten Werke: die grosse Madonna mit Heiligen (im Museum), c die Kreuztragung (in S. Domenico magg., 6. Cap. r. oder del croce- d fisso, neben dem Altar), S. Franciscus der den Mönchen die Ordens- regel giebt (soll sich in S. Lorenzo befinden), — und die 20 Fresken e eines der Klosterhöfe bei S. Severino (S. 196, b. Bestes Licht: Vormittags). Letztere, welche vielleicht mit keinem der eben genann- ten — immer doch nur mittelguten — Kirchenbilder den Autor gemein haben, sind ein vorzügliches Werk vom Ende des XV. Jahrh., welches sogar eine Bekanntschaft mit damaligen florentinischen und umbrischen Arbeiten voraussetzt. (Auch die Trachten passen erst in diese Zeit.) Das Leben des heil. Benedict ist wohl nie trefflicher dargestellt wor- den, wenn nicht etwa Signorelli’s Fresken in Monteoliveto (Toscana) in Abrechnung zu bringen sind. Der Typus des hier abgebildeten Menschengeschlechtes steht zwar unter dem florentinischen, und hat in Nase, Blick und Lippen etwas Stumpfes, selbst Zweideutiges. Aber eine Fülle von lebendig und bedeutend dargestellten Bildniss- figuren hebt diess auf; schön und würdig bewegen sich die Gestalten auf einem mittlern Plan, hinter welchem der bauliche oder landschaft- liche Grund leicht und wohlthuend emporsteigt. Der Meister kannte z. B. so gut wie Giorgione die reizende Wirkung schlanker, dünn- belaubter Stämme, welche sich vor und neben steilen Felsmassen u. dgl. hinaufziehen; überhaupt ist hier die Landschaft mit vollem Bewusstsein als Stätte bedeutender Ereignisse behandelt, ohne die flandrische Phantasterei und Überfüllung. Nirgends bemerkt man ein Versinken in das Barocke oder ins Flaue; ein gleichmässiger edler Styl belebt Alles Ein anderes Leben des S. Benedict im obern Stockwerk jener ionischen * Doppelhalle (S. 179, h) bei der Badia in Florenz, ist mir immer wie eine Vorübung desselben Malers vorgekommon. . — Der stille Hof, mit der noch in ihren Trüm- Zingaro und seine Schule. mern herrlichen Riesenplatane, eine Oase mitten im Gewühl Neapels, erhöht noch den Eindruck. Unter den Schülern des Zingaro wird ausser dem schon genann- ten Papa d. ä. hauptsächlich der beiden Donzelli gedacht, deren schwankende, obwohl ansprechende Eigenthümlichkeit man in einigen Bildern des Museums verfolgen kann. — Ein Maler von schönem und a mildem Ernst, obwohl von geringer Ausbildung, ist Silvestro de’ Buoni . (Kirche Monteoliveto, Cap. Piccolomini, links vom Portal: b Himmelfahrt Christi mit Seitenheiligen; — S. Restituta beim Dom: c Madonna mit 2 Heiligen; — Anderes im Museum; — in seiner Art: d Dom von Capua, in einer Cap. rechts: Mad. mit 2 Heiligen; — Ca- e thedrale von Fondi, in einer Cap. rechts: ähnliches Bild; — u. s. w.) f Wir würden diesen Maler und seinen Schüler Antonio d’Amato (Bild in S. Severino) nicht nennen, wenn nicht neben den Werken der spä- g tern neapolitanischen Schule das Auge gerade solchen Bildern so dankbar entgegenkäme, in welchen mit einfachen Mitteln nach der Darstellung des Höhern gestrebt worden ist Die schöne Anbetung der Hirten in S. Giovanni maggiore, 1. Cap. r., könnte * etwa von einem neapolitanischen Nachfolger Lionardo’s sein. . Welchen Eindruck können neben diesen Schöpfungen eines ge- waltig aufgeblühten Kunstvermögens die altniederländischen und altdeutschen Gemälde hervorbringen? — Man würde sehr irren, wenn man glaubte, das Italien des XV. und XVI. Jahrh. hätte sie miss- achtet; schon die verhältnissmässig bedeutende Anzahl, in welcher sie durch die italienischen Galerien und Kirchen verbreitet sind, beweist das Gegentheil. Mag es hie und da blosse Luxussache gewesen sein, nordische Bilder zu besitzen — immerhin müssen die damaligen Italie- ner in der nordischen Kunst etwas Eigenthümliches anerkannt und werthgeschätzt haben. Die altflandrische Schule der Brüder Hubert und Johann van Eyck hatte die Richtung des XV. Jahrh., den Realismus, reichlich um ein Altniederländische und altdeutsche Meister. Jahrzehnd früher bethätigt als Masaccio. Schon bei Lebzeiten der beiden Brüder scheinen einige jener Bilder nach Neapel gelangt zu sein, welche dann auf die dortige Schule einen so grossen Einfluss a ausübten. Der heil. Hieronymus mit dem Löwen in seiner höchst wirklichkeitsgemäss dargestellten Studirstube (Museum von Neapel) ist in neuerer Zeit als eines der überaus seltenen Werke des Hubert van Eyck anerkannt worden; möglicher Weise die frühste reali- stische Production, welche überhaupt auf italienischem Boden vor- handen war. Welches Staunen musste die Künstler Neapels ergreifen, als sie die ersten ganz lebenswahr wiedergegebenen Figuren in einer miniaturartig gewissenhaften Örtlichkeit vor sich sahen. Ein solcher Fortschritt in die Wirklichkeit wäre schon an sich immer der popu- lären Bewunderung sicher, auch ohne Huberts tiefen Ernst. (Die An- b betung der Könige in der Kirche des Castello nuovo, im Chor links, ist in neuerer Zeit als das Werk eines spätern Nordländers unter Lionardo’s Einwirkung erkannt worden; früher galt sie als Werk des Joh. v. Eyck.) In der Folge war es dann zunächst die sog. Technik, die den altflandrischen Bildern einen besondern Werth gab, d. h. jener tiefe Lichtglanz der Farben, welcher selbst die prosaisch aufgefassten Cha- raktere und Hergänge mit einem poetisch ergreifenden Zauber umhüllt. Sobald als möglich lernte man den Niederländern das Verfahren ab. Das neue Bindemittel, das Öl (und der nicht minder wesentliche Fir- niss) war dabei lange nicht die Hauptsache; viel höhere Fragen des Colorites (der Harmonie und der Contraste) mögen bei diesem Anlass ganz im Stillen erledigt worden sein. Ferner imponirte die delicate Vollendung, welche aus jedem guten flandrischen Bild ein vollkommenes Juwel macht. Endlich gab die flandrische Behandlung der Landschaft und der in Linien- und Luft- perspective (verhältnissmässig) so vorzüglich wahren Architekturen der italienischen Malerei einen geradezu entscheidenden Anstoss. Für die Auffassung im Grossen gewährten die Niederländer den Italienern nichts, was diese nicht aus eigenen Kräften schon gehabt hätten, wenn auch in anderer Weise. Doch empfand man in den Andachtsbildern der Erstern gar wohl den gleichmässigern, durch kein (über den Gegenstand indifferentes) Schönheitsstreben beirrten Flandrer. J. v. Gent. H. v. d. Goes. Ernst. Zur Zeit Michelangelo’s galten die niederländischen Bilder für „frömmer“ als die italienischen. Die nächsten und die mittelbaren Schüler der van Eyck sind in Italien zum Theil vorzüglich vertreten. Von Justus von Gent das Hauptwerk in S. Agata zu Urbino, a die Einsetzung des Abendmahls, 1474. (Der Justus de Allamagna, welcher 1451 im Kreuzgang von S. Maria di Castello zu Genua, nächst b der Kirche, eine grosse Verkündigung in Fresco malte, ist ein an- derer, wahrscheinlich oberdeutscher Meister jener Zeit, wie bes. die liebliche, reich-blonde Madonna zeigt. Die Rundbilder mit Propheten und Sibyllen am Gewölbe scheinen von einer härtern, ebenfalls deut- schen Hand herzurühren.) Das bedeutendste Werk des Hugo van der Goes ist in S. Maria la nuova zu Florenz an verschiedene Stellen vertheilt vor- c handen: eine grosse Anbetung des Kindes durch Hirten und Engel; auf den Flügelbildern der Donator mit seinen Söhnen und zwei Schutz- heiligen; seine Gemahlin mit einer Tochter und zwei weiblichen Hei- ligen. Maria und die Engel zeigen Hugo’s bekümmerten und doch nicht reizlosen Typus, die Seitenbilder aber die ganze ergreifende flandrische Individualistik. Hier und an ähnlichen Bildern mögen die alten Florentiner die Porträtkunst gelernt haben. — In den Uffizien d gehört dem Hugo, wie ich glaube, das herrliche kleine Bild einer thronenden Madonna mit 2 Engeln, unter einem prächtig verzierten Renaissancebogen. (Dem Memling beigelegt.) Keine damalige italie- nische Schule verfolgte gerade diese Intention, keine hätte ein so leuchtend schönes und zartes Tafelbild geliefert. Mehrere geringere Nachahmungen, z. B. in der Galerie Manfrin zu Venedig, wo sich e übrigens auch eine treffliche kleine Verkündigung findet, die mir wie eine Inspiration Hugo’s mit der Ausführung eines niederrheinischen Malers erschien. — In den Uffizien wird eine thronende Madonna mit f 2 heiligen Frauen und 2 krönenden Engeln dem Hugo wirklich bei- gelegt, welche eher einem andern Niederländer um 1500 gehören könnte. Dagegen steht ihm der Maler eines köstlichen kleinen Bildes vom Tode der Maria in der Galerie Sciarra zu Rom sehr nahe, wenn g dasselbe nicht von ihm selbst ist. Die verkommenen und verdriess- lichen Züge der meisten Anwesenden gehen freilich schon über die Altniederländische und altdeutsche Meister. Grenze hinaus, welche auch ein Castagno und Verocchio nicht über- schritten. „In der Art des Rogier von Brügge “ — so muss ich eine a Kreuzabnahme bezeichnen, welche seit einigen Jahren in der Galerie Doria zu Rom aufgestellt ist Der Verf. hat seit 1847 keine nordischen Kunstsammlungen mehr gesehen und bittet um Nachsicht, wenn er die nach neuern Resultaten mannigfach veränderten Bilderbenennungen derselben in Betreff der Flandrer nicht kennt, somit auch die Bilder in Italien nicht danach benennen kann. Möchte sich bald ein Waagen oder Passavant dieses ganzen Capitels annehmen! . Hier erscheint die nordische Kunst im Nachtheil — nicht durch den bis nahe an die Grimasse gesteigerten Schmerzensausdruck, denn z. B. Guido Mazzoni (S. 635) geht viel weiter und fügt noch die pathetischen Gesten hinzu — wohl aber durch die unschöne Anordnung, die ihr so oft eigen ist, wenn sie die Symmetrie verlässt, und durch die mangelhafte Bildung des zugleich so sorgsam ausgeführten Leichnams. Auch eine andere Grablegung, b in den Uffizien, dem Rogier van der Weyde zugeschrieben, regt zu der Frage an, wie es möglich gewesen, dass die alten Niederländer der Wirklichkeit das Einzelne mit so scharfem Auge absehen, mit so sicherer und unermüdlicher Hand nachmalen, und dabei das Leben des Ganzen, das Geschehen so verkennen konnten. Die Freude des Florentiners an den Motiven der beseelten Bewegung fehlte ihnen fast c ganz. (Noch eine Grablegung, diese wirklich von Rogier van der Weyde, im Museum von Neapel.) d Von Jan Memling besitzt die Galerie zu Turin ein Hauptwerk, die Passion in verschiedenen Momenten auf einer Tafel vereinigt, das Gegenstück zu den sieben Freuden der Maria in der Münchner Pina- e kothek. In den Uffizien: S. Benedict und ein Donator (1487), wun- dervolle Halbfiguren. (Zu vergleichen mit den Porträts eines Mannes und seiner Frau, ebenda, von einem ungleich befangenern flandrischen f Zeitgenossen.) — Eine gute alte Nachahmung nach dem berühmten heil. Christoph (zu München) in der Galerie von Modena. Ebendaselbst von einem Maler, der zwischen Memling und Messys in der Mitte stehen mag: Maria und S. Anna im Freien, dem Kind Früchte reichend. Einem alten Holländer des XV. Jahrh. könnte in der Academie g zu Pisa das Bild der heil. Catharina mit einer Stadtansicht angehören. Rogier. Memling. Wohlgemuth. Q. Messys. Von Deutschen des XV. Jahrh . ist in Italien wenig vorhan- den. Ihre Werke boten gerade das was man an den Flandrern am meisten bewunderte, nur unvollkommen, nur aus zweiter Hand dar, nämlich die feine, prächtige Vollendung, die Farbengluth, das Welt- bild im Kleinen. Doch giebt es im Museum von Neapel mehrere (jetzt a getrennte) Flügelbilder, u. a. Anbetungen der Könige, deren eine von Michel Wohlgemuth herrührt. Es ist etwas Rührendes um diese blonden, haltungslosen Gesellen in ihrem königlichen Putz, wenn man sich dabei an das entschiedene Wollen und Können der gleichzeitigen Italiener erinnert. Eine besondere Andacht sind wir aber der deut- schen Schule des XV. Jahrh. doch nicht schuldig. Sie verharrte bei ihren Mängeln mit einer Seelenruhe, die nicht ganz ehrlich gewesen sein kann. Da es ihr zu unbequem war, das Geistige im Leiblichen, die Seelenäusserung in der Körperbewegung darstellen zu lernen, so ergab sich ein grosser Überschuss an unverwendbarer Phantasie, die sich dann auf das Verzwickte und Verwunderliche warf. Man sieht z. B. in den Uffizien eine Auferweckung des Lazarus mit Seitenbildern b und (bessern) Aussenbildern, datirt 1461, von einem Nicol. Fru- menti , in welchem irgend ein Meister Korn aus der Umgebung der Colmarer Schule zu vermuthen ist. Wer gab nun diesem (gar nicht ungeschickten) Maler das Recht zu seinen abscheulichen Grimassen? Die Lebenszeit Dürers und Holbeins, die den festen und grossen Wil- len zu Gunsten der Wahrheit hatten, ging dann besserntheils mit dem Kampf gegen solche und ähnliche Manieren dahin. Es ist Zeit zu diesen grossen Meistern vom Anfang des XVI. Jahrh. überzugehen. Italien besitzt auch aus dieser Zeit der nordi- schen Kunst beträchtliche Schätze. Zunächst von dem bedeutendsten niederländischen Meister um 1500, Quentin Messys . In S. Donato zu Genua (zu Anfang des c linken Seitenschiffes) eins seiner Capitalwerke: reiche Anbetung der Könige, auf den Seitenflügeln S. Stephan mit einem Donator und S. Magdalena, mit landschaftlichem Hintergrund in der Art Patenier’s. Hier wie bei Messys überhaupt löst sich die Strenge der alten Nie- derländer in eine milde Anmuth der Züge und der Bewegung auf; die Köpfe, wie von einem Bann erlöst, blass, mit dem Lächeln der Genesung; die Farben, befreit von dem Crystallglanz der Frühern, B. Cicerone. 54 Altniederländische und altdeutsche Meister. ergehen sich in sanften Übergängen und Spiegelungen, die Liebe zum glänzenden Detail aber sucht sich ihre neuen Probleme z. B. in ein- zelnen höchst vollendeten Stoffbezeichnungen wie die Jaspissäulen, a der Goldschmuck u. s. w. Die vier altniederländischen und altdeutschen Bilder „in einem besondern * Zimmer“ des Pal. Ducale zu Genua habe ich 1854 vergebens zu erfragen gesucht. . Das Doppelporträt in der Malersamm- lung der Uffizien, bez. 1520, welches dort als das des Messys und seiner Frau gilt, mag von ihm gemalt sein; dass es ihn darstelle, ist b wenigstens nicht unmöglich. Das Porträt eines Cardinals im Pal. Corsini zu Rom ist mindestens ein vortreffliches Werk seiner Richtung. Von der damaligen niederländischen Landschaftmalerei giebt ein c schönes Bild im Pal. Pallavicini (Str. Carlo Felice) zu Genua einen Begriff; es ist die Ruhe auf der Flucht in einer jener heimlichen Waldlandschaften, welche uns eine der schönsten poetischen Seiten der damaligen nordischen Kunst offenbaren. (Nicht wohl von Pate- nier.) — Von Herri de Bles ist nichts in dieser Richtung Bezeich- d nendes zu nennen; sein Thurmbau von Babel (Acad. von Venedig) ist e um der Figuren willen gemalt; in seiner Pietà (S. Pietro in Modena, 2. Alt. r.) scheint gerade die Landschaft halb ferraresisch behandelt. Was sollen wir nun über Lucas von Leyden sagen, der als „ Luca d’Olanda “ ein Gattungsbegriff für die italienischen Cu- stoden geworden ist? Anerkanntermassen gehören ihm die beiden f Eccehomo’s in der Tribuna der Uffizien und in der Capelle des Pa- g lazzo reale zu Venedig (hier mit Pilatus und Schergen, unter Dürers Namen). Es bleibt bedenklich, einem Maler der so verschieden und so Verschiedenartiges gemalt hat, auf Grund dieser beiden Bilder hin hundert andere zu- oder abzusprechen. Welche Autorität der lichte h derbe Profilkopf für sich hat, der in den Uffizien als sein Porträt gilt, i weiss ich nicht. Die Kreuzabnahme die im Pal. Pallavicini, und die k thronende Madonna mit heiligen Frauen, die in der Academie von Venedig seinen Namen führen, sind sicher nicht von ihm. Wie es l sich mit den beiden Altarwerken im Museum von Neapel (einer An- betung der Könige und einer Passion mit Donatoren) verhält, kann ich aus dem Gedächtniss nicht angeben. Eine Menge sogen. Luca’s Luca d’Olanda. Peter Breughel. Niederrheinländer. sind von ganz geringem Belang. — Wenn ein Bild des Gekreuzigten mit Heiligen und Donatoren, in der Academie von Venedig, auf feine a Leinwand gemalt, mit sehr sorgfältigen Köpfen, als „ Martin En- gelbrecht “ benannt wird, so hat man damit vielleicht Luca’s Lehrer Cornelius Engelbrechtsen gemeint. Vom ältesten Breughel besitzt das Museum von Neapel u. a. b zwei Temperabilder auf Leinwand; das eine, mit der Allegorie des von der „Welt“ betrogenen Büssers, ist bezeichnet und von 1565 da- tirt; das andere stellt das Gleichniss von den Blinden dar. — Von denjenigen niederländischen Zeitgenossen Breughels, welche zur italie- nischen Weise übergegangen waren, findet sich in Italien wenig Nen- nenswerthes oder es trägt die italienischen Namen der zu Grunde liegenden Originale. Mehrere der betreffenden Niederländer haben Copien und Pasticcio’s nach Lionardo und Rafael geliefert, die man damals und später täuschend fand. Eine ziemlich grosse Categorie machen diejenigen Bilder aus, welche ich in Ermanglung näherer Specialkenntniss als niederlän- disch-niederrheinische bezeichnen muss. Es ist derjenige, meist an die Behandlung des Quentin Messys erinnernde Styl, welcher in den Jahren 1510—1530 in verschiedenen Nuancen von Flandern bis nach Westfalen herrschte. Das schönste und reichste dieser Gemälde, im Museum von Neapel, Saal der Meisterwerke, ist eine grosse An- c betung des Kindes mit Donatoren, Heiligen, Mönchen, Nonnen und einer Unzahl von Putten, unter prächtigen Renaissanceruinen mit reichem Durchblick, bez. 1512. (Das angebliche Monogramm AD ist darauf nicht zu finden, an Dürer nicht zu denken; die Behandlung am ehesten mit derjenigen des „Todes der Maria“ in München zu ver- gleichen.) Dasselbe Museum enthält noch mehrere kleinere und eben- d falls werthvolle Bilder dieser Gattung. In der Brera zu Mailand ein e dreitheiliges Bild (Geburt, Anbetung der Könige, und Ruhe auf der Flucht). Von einem etwas spätern, noch guten Meister derselben Richtung: die Anbetung des Kindes im Pal. Manfrin zu Venedig (als f Dürer benannt). U. m. a. Zwei kleine Juwelen der Gal. Colonna zu g Rom, Madonnen auf Goldgrund, umgeben von Rundbildern in Miniatur mit den Leiden und Freuden, wage ich nur als niederländisch um 1500 zu bezeichnen. 54* Altniederländische und altdeutsche Meister. Endlich die deutschen Meister der Blüthezeit. Auch sie müssen schon hier erwähnt werden, weil sie in der Entwicklung nur mit den grossen Italienern des XV. Jahrh. parallel gehen. Von Albrecht Dürer bleibt selbst nach Abzug aller falschen Taufen auf „Alberto Duro“ noch eine ganze Reihe echter Bilder a übrig. Dieselbe beginnt mit dem Porträt seines Vaters in den Uffi- zien, und fährt fort mit seinem eigenen phantastisch costumirten Por- trät (ebenda, 1498). Dann folgt ein Meisterbild seiner mittlern Zeit, die Anbetung der Könige (Tribuna ebenda, 1504) und eine vortreff- liche, grün ausgeführte, weiss aufgehöhte Zeichnung der Kreuzigung (1505, ebenda, im vierten Zimmer von der Tribuna rechts, mit einem von Breughel bemalten Deckel verschlossen). — Ein Denkmal seines b Aufenthaltes in Venedig 1506 ist der Christus unter den Schriftgelehr- ten, ein stellenweise wahrhaft venezianisches, zum Theil aber auch ganz barockes Halbfigurenbild, im Pal. Barberini zu Rom. (Beiläufig: c man suche unter den 1502—1511 von Carpaccio ausgeführten Malereien in der Scuola di S. Giorgio degli Schiavoni zu Venedig das Bild des heil. Hieronymus im Studirzimmer, und vergleiche es mit Dürers be- rühmtem Stich vom Jahr 1514, um zu sehen, wie vielleicht das Be- fangene zum Unvergänglichen angeregt hat.) Aus der spätern Zeit d sind die beiden Apostelköpfe der Uffizien (1516, in Tempera), welche zwar Dürers ganze Energie, aber noch nicht den hohen Schwung be- kunden, der seinem letzten Werke, dem Vierapostelbilde in München, e vorbehalten war. Die lebensgrossen Bilder von Adam und Eva (Pal. Pitti), welche um dieselbe Zeit gemalt sein können, wenn sie wirklich von Dürer sind, zeigen als Akte eine wenigstens nicht unschöne Bil- f dung. Sein spätestes in Italien vorhandenes Werk, die Madonna vom Jahr 1526 in den Uffizien, ist schon vom Geiste der eindringenden Reformation berührt, ohne Glorie und Schmuck, herb, häuslich. Diese Werke hängen zum Theil in denselben Sälen, welche Ra- fael, Tizian und Coreggio beherbergen. Soll man ihnen durchaus nur auf historischem Wege gerecht werden, sie gleichsam nur „entschul- digen“ können? Jedenfalls würde Dürer, Arbeit gegen Arbeit ge- halten, neben Rafael kaum verlieren; die wenn auch nur relative Belebung und Befreiung, welche die deutsche Kunst (allerdings zu spät!) ihm verdankte, war ein Unermessliches, das ohne die lebens- A. Dürer und Schule. L. Kranach d. ä. lange Anstrengung eines grossen Geistes gar nicht erreicht worden wäre. Aber auch nach einem absoluten Massstab gemessen behalten diese Gemälde einen hohen Werth. Die Formen, ohne alle Idealität, aber auch ohne abstracte Leere, entsprechen — namentlich in den Bildern wo die Phantasterei der Jugend überwunden ist — im voll- kommensten Grade Dem, was Er damit ausdrücken wollte; sie sind das angemessenste Gewand für seine Art von Idealismus. Alles selbst erworben! ein Mensch und ein Styl, die jeden Augenblick identisch sind! Wie viele im XVI. Jahrh. können sich dessen rüh- men? Wie haben sie einander, ganze Schulen entlang, die Empfindungs- und Ausdrucksweise nachgebetet? Von Dürers Schülern ist Hans Schäuffelin in den Uffizien a durch 8 Bilder mit der Legende des Petrus und Paulus vertreten, welche zu seinen besten Arbeiten gehören. Die Schüler warfen sich wieder in das Phantastische, dessen sich Dürer mit grosser Anstren- gung allmälig entledigt hatte. Bei Albrecht Altdorfer , welchem zwei artige Bilder der Academie von Siena angehören könnten, ge- b winnt dasselbe sogar eine ganz angenehm-abenteuerliche Gestalt, zu- mal in Betreff der Landschaft. — Dem Georg Pens wird in der c Malersammlung der Uffizien ein vortreffliches jugendliches Porträt, angeblich sein eigenes, zugeschrieben. (Sollte etwa der sog. Cesare d Borgia in der Galerie Borghese zu Rom, angeblich von Rafael, sein Werk sein?) Von Lucas Kranach findet man ein frühes und vorzügliches Bildchen (1504) im Pal. Sciarra zu Rom: die heil. Familie mit vielen e singenden und springenden Engelkindern in einer phantastischen Land- schaft nach Art der fränkischen Schule. Sonst ist von ihm in Italien nur Mittelwaare: Adam und Eva in der Tribuna der Uffizien, säch- f sische Herzöge u. s. w. in einem andern Saal. Ein kleiner Ritter S. Georg in bunter Landschaft wiegt diess Alles auf. Von ungenannten Oberdeutschen: ein vorzügliches, leider sehr g verwaschenes C ardinalsporträt im Museum von Neapel, fein und geist- voll aufgefasst wie irgend ein deutsches Porträt der Zeit; — mehrere Porträts aus dem Hause Habsburg (Erzherzog Philipp, Carl V, Fer- dinand I) theils oberdeutsch, theils niederländisch, in demselben Saal h des Museums von Neapel, im Pal. Borghese zu Rom, u. a. a. O. Altniederländische und altdeutsche Meister. Von Nicol. Manuel, Martin Schaffner und Hans Baldung ist mir mit Wissen kein Bild vorgekommen. Dagegen hat der grosse Hans Holbein d. J. mit Dürer und Lucas das Schicksal gehabt, ein Col- lectivname zu werden. Zuerst ist ein Bild zu nennen, welches gerade seinen Namen nicht a trägt, sondern als „Ignoto Tedesco“ in einem der deutschen Säle der Uffizien hängt: der Gekreuzigte (in diagonaler Richtung gestellt) mit Maria, Johannes, Magdalena und der Donatorenfamilie in einer Land- schaft. Wenn die Innenbilder des Altarwerkes der Universitätscapelle im Freiburger Münster von H. sind, so gehört ihm auch dieses fleis- sige, namentlich in der untern Gruppe höchst bedeutende Werk an. Freie, glückliche Anordnung, lebensvolle Modellirung, tiefer Ausdruck. b Dann unter seinem Namen in den Uffizien: 1) das echte, voll- endet treffliche Porträt des 33jährigen Richard Southwell (1528); — 2) der vielleicht echte, licht gemalte Greisenkopf mit flachsweissem Zwickelbart (wovon eine befangenere, fleissige Copie in der Galerie c Brignole zu Genua unter dem Namen Luca d’Olanda); — 3) das sehr zweifelhafte kleinere Porträt eines halb schielenden Mannes auf rothem Grunde, jedenfalls erst um 1550; — 4) zwei kleine Porträts, Mann und Frau, von irgend einem Niederländer; — 5) das Miniaturbild Franz I im Harnisch, zu Pferde, in der Art des Clouet, gen. Janet (von dessen Styl auch sonst Einiges z. B. im Pal. Pitti, auch zu Genua im Pal. Adorno etc. Mehreres, nicht selten unter Holbeins Namen vorkömmt); — 6) das eigene Porträt Holbeins in der Maler- sammlung (d. h. ein mit Kohle und Stiften gezeichneter, mit wenigen Farben getuschter Kopf auf einem Blättchen Papier, welches später in ein grösseres Blatt eingefasst, mit Goldgrund versehen und mit Zuthat eines rohen hellblaugrauen Kittels vollendet wurde. Ursprüng- lich wohl von Holbeins Hand, in der Art mehrerer der von Cham- berlaine herausgegebenen Köpfe; trotz aller Misshandlung und Firnis- sung sind z. B. die Partien um das linke Auge und der Mund noch herrlich. Aber das dargestellte Individuum mit den hellgrauen Augen, der viereckigen Gesichtsform und der brutalen Oberlippe ist nicht Holbein, die Inschrift modern). Hans Holbein. — Glasgemälde. Das Porträt eines vorwärts deutenden Mannes mit breitem Ge- a sicht und flachem Barett, im Pal. Pitti, kann bei trefflicher Charak- teristik doch wegen der Verzeichnung im Kopf und der Absichtlichkeit in der Anordnung der Hände nicht als H.’s Werk gelten. — Das Bild- niss eines Armbrustschützenmeisters(?) im Pal. Guadagni zu Florenz b verhält sich zu H.’s Werken etwa wie diejenigen des Hans Asper. — Das sehr schöne Bildniss des Prospero Colonna im gleichnamigen c Palast zu Rom ist wohl eher von einem Niederländer. — Von den Holbeins im Pal. Borghese ist wenigstens der junge Mann mit Hand- d schuhen wohl echt und vortrefflich. — Von den Porträts des Erasmus hängt dasjenige im Museum von Neapel für jede nähere Untersuchung e zu dunkel; dasjenige in der Galerie zu Parma (1530) erscheint zu f überfleissig und ängstlich um etwas anderes als eine gute (ober- deutsche?) Copie zu sein. Von der augenschädlichen Prüfung der italienischen Glasge- mälde möchte ich am Liebsten ganz abrathen, damit die Sehkraft für die Fresken ungeschwächt bleibe. Weil aber eine ganz ansehn- liche Menge bedeutender Werke dieser Art vorhanden ist, so darf ich sie nicht völlig übergehen. Besondere Studien möge man hier nicht erwarten. Die Glasmalerei mag in Italien während des ganzen spätern Mit- telalters hie und da geübt worden sein, allein im Grossen ist sie doch erst mit dem gothischen Baustyl vom Norden her eingedrungen. Ich entsinne mich keines Glasgemäldes von romanischem Styl. Noch ganz spät sind es transalpinische oder doch im Norden gebildete Künstler, welche mehrere der bedeutendsten Werke ausführen. Wie vieles von den Glasgemälden des Domes von Mailand g noch der Erbauungszeit angehört, weiss ich nicht anzugeben; die der grossen Chorfenster sind modern; die der Südseite, welche noch bei den Ereignissen von 1848 Schaden litten, werden einer Restauration unterliegen müssen. — Für das grosse Chorfenster in S. Domenico zu h Glasmalerei. Perugia (1411) wird ein gewisser Fra Bartolommeo namhaft gemacht; eine Reihe Geschichten und vier Reihen Heilige, von ziem- lich allgemeinem Styl. Von einem in Lübeck erzogenen Toscaner, dem Francesco di Livi aus Gambassi (bei Volterra) rührt ein a grosser Theil der Glasmalereien im Dom von Florenz her (seit 1436); die meisten aber werden dem berühmten Erzgiesser Lorenzo b Ghiberti zugeschrieben, so namentlich die der drei vordern Rund- fenster. Weder die einen noch die andern machen irgend einen be- deutenden, zwingenden Eindruck. Viel eigenthümlicher ist die Kreuz- c abnahme im vordern Rundfenster von S. Croce, angeblich ebenfalls von Ghiberti. Ein höheres Interesse gewinnen die Glasgemälde erst von der Zeit an, da der grosse italienische Realismus des XV. Jahrh. auch sie durchdringt; fortan unterscheiden sie sich von den gleichzeitigen nordischen nicht nur durch den Styl der Zeichnung und Auffassung, sondern auch indem sie freier den decorativen Zwecken dienen und zugleich viel mehr eigentliche Gemälde von abgeschlossener Bedeu- tung sein wollen als im Norden. Aus deutschem und italienischem Realismus mischte sich der Styl des seligen Prediger-Laienbruders Jacob von Ulm (1407 — 1491), d welcher in S. Petronio zu Bologna das prächtige Fenster der 4. Cap. rechts verfertigte (und vielleicht auch dasjenige der 4. Cap. links unter seiner Leitung entstehen sah). Von den übrigen Fenstern dieser Kirche ist dasjenige der 7. Cap. links (Cap. Bacciocchi) vorzüglich schön nach dem energischen Entwurf des Lorenzo Costa gearbeitet; von ähn- lichem Styl das der 5. Cap. links. Für dasjenige der 9. Cap. rechts nimmt man einen Entwurf Michelangelo’s an; die Motive der ein- zelnen Heiligen erinnern aber ganz direct an Bandinelli’s Relieffiguren der Florentiner Chorschranken (S. 680, d); die Ausführung sehr reich- farbig für diese späte Zeit. — Von Costa rührt in Bologna wohl ohne e Zweifel auch das Rundfenster von S. Giovanni in monte her. (Jo- hannes auf Pathmos; die Nebenfenster geringer.) — In S. Giovanni f e Paolo zu Venedig gilt das grosse Fenster des rechten Quer- schiffes als Composition des Bartol. Vivarini , ich weiss nicht mit welcher Sicherheit. (Die Inschrift ist modern; die obere Figurenreihe eher von V.’s Styl als die untere.) Glasmalerei. In Florenz ist das grosse Chorfenster von S. Maria novella, von a Alessandro Fiorentino (etwa Sandro Botticelli?), aus dem Jahr 1491, nur von mittlerm Werthe; dagegen kann das Glasgemälde der nächst anstossenden Cap. Strozzi das beste von Florenz heissen; es scheint mit sammt den Fresken von Filippino Lippi componirt. — Einige gute kleinere Arbeiten auch in S. Spirito, in der Cap. de’ b Pazzi bei S. Croce, in S. Francesco al monte, in S. Lorenzo etc., von c einem kenntlichen gemeinsamen Typus, welcher die Composition eines Florentiners und die Ausführung eines Nordländers zu verrathen scheint. Lucca besitzt in den herrlichen Chorfenstern des Domes vielleicht d das Beste dieser ganzen Richtung; sie erinnern am Meisten an die Fenster der Cap. Strozzi. Auch die übrigen Glasgemälde dieses Do- mes sind von den bessern. — In S. Paolino einiges Gute in der Art e der oben (diese Seite: b, c) genannten, etwa um das Jahr 1530. — Im Baptisterium bei S. Giovanni das Rundfenster mit der Gestalt des f Täufers, erst vom Jahr 1572. In Arezzo sind die schönen Glasgemälde der Annunziata noch g aus dem XV. Jahrh.; im Dom aber begegnet man dem namhaftesten h Glasmaler der rafaelischen Zeit, Wilhelm von Marseille . Es ist derselbe, welcher zu Rom die beiden Seitenfenster des Chores von i S. M. del popolo mit Geschichten Christi und der Maria schmückte, — damals, unter Julius II, wahrscheinlich nach Compositionen eines tüchtigen umbrischen Meisters. Später, im Dom von Arezzo mag er andern Vorlagen oder seiner eigenen Erfindung gefolgt sein; genug, sein Styl ist hier im Ganzen derselbe, welcher die damals in Italien arbeitenden Niederländer charakterisirt. Die Grenzen der Gattung, welche sich möglichst einer architektonischen Ruhe zu befleissigen hat — nicht nur um nicht mit dem Stabwerk gothischer Fenster zu col- lidiren, sondern um nicht zu ihrer ungeheuern Farbengewalt noch andere verwirrende Eindrücke zu häufen — diese Grenzen sind hier, wie so oft in der Glasmalerei des XVI. Jahrh. völlig verkannt; es sind Gemälde auf Glas übertragen Im mittlern Fenster der Fassade der Anima zu Rom soll noch eine Madonna * von Wilhelm vorhanden sein. . Malerei des XVI. Jahrhunderts. a Im Dom von Siena ist das Glasgemälde des grossen vordern Rundfensters — ein Abendmahl — von Pastorino Miccheli 1549 nach einer etwas manierirten und wiederum für diese Gattung wenig passenden Composition des Perin del Vaga ausgeführt. Im Grunde passte die ganze Gattung von jeher sehr wenig zu dem überwiegenden Interesse, welches in Italien der kirchlichen Fresco- und Tafelmalerei zugewandt war; sie hat auch in der Regel den Cha- rakter einer Luxuszuthat. — In den oben (S. 289) erwähnten Fenstern die dem Giovanni da Udine zugeschrieben werden, handelt es sich endlich nur um Arabesken, welche den decorativen Eindruck eines Raumes zu vervollständigen bestimmt sind. Nicht auf Anregung irgend eines äussern Vorbildes, z. B. nicht auf genauere Nachahmung des Alterthums hin, sondern aus eigenen Kräf- ten erstieg die Kunst seit dem Ende des XV. Jahrh. die höchste Stufe, die zu erreichen ihr beschieden war. Mitten aus dem Studium des Lebens und des Charakters, welches die Aufgabe dieses Jahrhunderts gewesen war, erhebt sich neugeboren die vollendete Schönheit. Nicht mehr als blosse Andeutung und Absicht, sondern als Erfüllung tritt sie uns entgegen; erst als die Malerei des XV. Jahrh. jeder Lebens- äusserung gewachsen war, da schuf sie, vereinfacht und unendlich bereichert zugleich, auch dieses höchste Leben. Da und dort taucht es auf, unerwartet, strahlenweise, nicht als blosse Frucht eines consequenten Strebens, sondern als Gabe des Him- mels. Die Zeit war gekommen. Aus den tausend als darstellbar er- wiesenen Elementen, aus der Breite des Lebens, welche von Masaccio bis auf Signorelli das Gebiet der Kunst ausgemacht hatte, aus Zeit und Natur sammeln die grossen Meister das Ewige zu unvergänglichen Kunstwerken, Jeder in seiner Art, so dass das eine Schöne das an- dere nicht ausschliesst, sondern Alles zusammen eine vielgestaltige Offenbarung des Höchsten bildet. Es ist wohl nur eine kurze Zeit der vollen Blüthe, und auch während derselben dauert die Thätigkeit der Zurückgebliebenen fort, unter welchen wir tüchtige und selbst Lionardo da Vinci. grosse Maler bereits genannt haben. Man kann sagen, dass die be- schränkte Lebenszeit Rafaels (1483—1520) alles Vollkommenste hat entstehen sehen, und dass unmittelbar darauf, selbst bei den Grössten, die ihn überlebten, der Verfall beginnt. Allein jenes Vollkommenste ist zum Trost und zur Bewunderung für alle Zeiten geschaffen und sein Name ist Unsterblichkeit. Lionardo da Vinci (1452—1519), der Schüler Verocchio’s, sichert der florentinischen Schule den wohlverdienten Ruhm, dass aus ihrer Mitte zuerst der befreiende Genius emporstieg. Eine wunderbar begabte Natur, als Architekt, Bildhauer, Ingenieur, Physiker und Ana- tom überall Begründer und Entdecker, dabei in jeder andern Be- ziehung der vollkommene Mensch, riesenstark, schön bis ins hohe Al- ter, als Musiker und Improvisator berühmt. Man darf nicht sagen, dass er sich zersplittert habe, denn die vielseitige Thätigkeit war ihm Natur. Aber bejammern darf man, dass von seinen Entwürfen in allen Künsten so wenig zu Stande gekommen und dass von dem Wenigen das Beste untergegangen oder nur noch als Ruine vorhanden ist. Als Maler umfasst er wiederum die am meisten entgegengesetz- ten Begabungen. Rastlos bemüht, sich die Ursachen aller leiblichen Erscheinungen und Bewegungen durch die Anatomie klar zu machen, wendet er sich mit unvergleichlich rascher und sicherer Auffassung ebenso auf den geistigen Ausdruck und verfolgt denselben vom Himm- lisch-Reinen bis in alle Tiefen des Verworfenen und Lächerlichen. Seine Federskizzen, deren Viele in der Ambrosiana zu Mailand aus- a gestellt sind, geben hiezu die reichlichsten Belege. — Zugleich aber ist in ihm die schönste Schwärmerseele mit der gewaltigsten Kraft des Gedankens und mit dem höchsten Bewusstsein von den Bedingungen der idealen Composition verbunden. Er ist wirklicher als alle Frühern wo das Wirkliche gestattet ist, und dann wieder so erhaben und frei wie Wenige in allen Jahrhunderten. Seine frühsten erhaltenen Werke Der Medusenkopf in den Uffizien ist, wie ich glaube, nicht nur nicht die von * Vasari geschilderte Jugendarbeit L.’s, sondern nicht einmal eine Copie da- sind Porträts, und an diesen lässt sich auch seine eigenthümliche Malweise am genausten verfolgen. Malerei des XVI. Jahrhunderts. Lionardo. Einige Worte über die damalige Bildnissmalerei überhaupt mögen hier gestattet sein. Es kommt sehr in Betracht, dass während des XV. Jahrh. und noch die ganze Lebenszeit Lionardo’s und Rafaels hindurch fast nur sehr ausgewählte Charaktere abgesondert gemalt wurden, höchstens mit Ausnahme von Venedig, wo zu Giorgione’s Zeit das Porträt schon zum standesgemässen Luxus der Vornehmen zu gehören anfing. — Im übrigen Italien sind sogar die selbständigen (nicht bloss in Wand- malereien und Kirchenbildern angebrachten) Bildnisse von Fürsten sel- a ten. (Piero della Francesca’s Doppelporträt mit allegorischen Rücken- bildern, in den Uffizien, könnte einen der damaligen Gewaltherrscher b und dessen Gemahlin darstellen; — die Porträts des Mailänders Ber- nardino de’ Conti in der Galerie des Capitols und in einem der päpst- c lichen Wohnzimmer des Vaticans vielleicht fürstliche Kinder; — ebenso d der Mädchenkopf des P. della Francesca im Pal. Pitti; — der Frauen- e kopf Mantegna’s in den Uffizien stellt wenigstens eine Dame von hohem Stande vor.) — Eher noch finden sich eigenhändige Bildnisse f von Künstlern, wie z. B. in der Malersammlung der Uffizien diejeni- gen des Masaccio (S. 799, e), des Perugino (S. 835, Anm.), des Giov. g Bellini (ein anderes in der capitolinischen Galerie), und ebenda in den Sälen der toscanischen Schule das eines Medailleurs und das des Lo- renzo di Credi, (welchem daselbst ausserdem ein Jünglingsporträt von fast peruginischem Ausdruck zugeschrieben wird). Für die Bildnisse hoher Prälaten, selbst der Päpste, ist man bis auf Rafael fast einzig auf die Grabstatuen verwiesen. Die übrigen Porträts sind fast lauter Denkmäler, welche dem literarischen Ruhm, der Liebe, der nahen und vertrauten Freundschaft, auch wohl der grossen Schönheit gesetzt wur- den und welche der Künstler zum Theil schuf, um sie zu behalten. h (Um der Schönheit willen malte Sandro die Simonetta; als alten i Freund scheint Francia das herrliche Bildniss des Vangelista Scappi, in den Uffizien, gemalt zu haben) Bei diesem Anlass ist der Holzschnitte zu den „berühmten Männern“ des Paolo Giovio als erster grosser Porträtsammlung zu erwähnen. Die Vorla- gen derselben, von allen Enden her (für das XIV. und XV. Jahrhundert ge- . nach, vielmehr ein bloss auf Vasari’s Schilderung hin gemachter Versuch, etwas Derartiges hervorzubringen, vielleicht von einem der Caracci. Porträtmalerei. Der Darstellungsart nach sind diese Werke sehr verschieden. Schon Masaccio giebt eine geistvolle Dreiviertelansicht und hebt das Be- deutende leicht und sicher hervor. Andrea del Castagno (Jünglings- a porträt im Pal. Pitti) folgt ihm darin nach Kräften; Sandro dagegen giebt nur ein Profil. Auch die Oberitaliener sind getheilt, P. della Francesca giebt Profilköpfe mit der schärfsten und genausten Modelli- rung, die auch keine Warze verschont, auf einem niedlichen land- schaftlichen Hintergrunde; auch Conti profilirt; Mantegna und Francia (auch Perugino) geben die Köpfe ganz von vorn, und suchen durch schöne Landschaften denselben einen wahrhaft idealen Hintergrund zu verleihen, Mantegna z. B. durch ein Felsgebirg im letzten Abendschim- mer. Der Dreiviertelansicht nähert sich das Bild des Medailleurs (mit b einer Landschaft in Francesca’s Art); auch Lorenzo Costa (Pal. Pitti) c und Giov. Bellini. — Lor. di Credi ist schon von Lionardo abhängig. Der Auffassung nach sind einige dieser Bildnisse edle Meister- werke. Lionardo aber übertrifft sie alle in dem was ihnen eigen ist, in der Modellirung, und leiht den von ihm Dargestellten einen Hauch höhern Lebens, der ihm eigen ist und mit seinem Ideal zu- sammenhängt. Auch er zieht gerne die Landschaft zu Hülfe und vol- lendet damit im Porträt der Gioconda (Louvre) jene völlig traumhafte Wirkung, die dieses Bildniss aller Bildnisse ausübt. In Florenz enthält der Pal. Pitti das Bildniss einer schwarzbe- d kleideten Dame, der Ginevra Benci. Der Meister, welcher sich im wiss grossentheils aus Freskea) gesammelt, befanden sich im Palazzo Gio- vio zu Como. Es waren darunter (laut Vasari, Leben des Piero della Fran- cesca) z. B. eine ganze Anzahl von Köpfen, welche Rafael nach den bild- nissreichen Fresken Bramantino’s in den vaticanischen Zimmern copiren liess, ehe er sie herunterschlug um für den Heliodor und die Messe von Bolsena Raum zu gewinnen; aus Rafaels Nachlass kamen sie durch Giulio Romano an Paolo Giovio. — Im XVII. Jahrh. liessen dann die Mediceer die ganze Sammlung durch hingesandte Maler copiren und diese Copien, die doch immer eine höhere Autorität als die Holzschnitte besitzen, bilden jetzt einen Theil der grossen Porträtsammlung der Uffizien (am Gesims der beiden Gänge). * Eine andere grosse alte Sammlung, die mantuanische, Werke jenes tüch- tigen Veronesers Franc. Bonsignori (geb. 1455), scheint seit der Katastrophe von Mantua 1630 verschollen zu sein. (Vgl. Vasari, im Leben des Gio- condo etc.) Malerei des XVI. Jahrhunderts. Lionardo. Streben nach vollendeter Modellirung nie genug thun konnte, hat bis- weilen, und so auch hier, Farben gebraucht, die später in die Schat- ten z. B. grünliche Töne brachten. Allein die hohe geistige Anmuth in Kopf und Haltung, die Schönheit der Hand bezeichnen recht deut- lich die Zeit, welche die Gabe der Charakteristik nunmehr in der höchsten Richtung anwendet. a Ebenda: der Goldschmied. Ein unendliches Detail (die Partien um den Mund!); die Augenlieder und das geistreich kränkliche Aus- sehen verrathen den Feinarbeiter; ganz wunderbar durchdringt sich damit der wesentlich lionardeske Charakter, den der Maler in dem Kopfe fand oder hineinlegte. b In den Uffizien: der Kopf eines jungen Mannes, von vorn. Wie- derum unendlich wahr und trotz der viel grössern Verschmelzung der Töne wahrscheinlich echt. — Ebenda, aus ungleich späterer Zeit, das höchst grandiose, meisterlich ins Licht gestellte eigene Porträt Lionardo’s; weit der grösste Schatz der berühmten Sammlung von Malerbildnissen. c In der Ambrosiana zu Mailand: das entweder unvollendete oder verwaschene Porträt des Lodovico Moro und das Profilbild seiner Gemahlin, letzteres nicht ganz freudig gemalt; ausserdem einige Pa- stellköpfe, unter welchen das reizvolle Bildniss einer Dame mit nie- dergeschlagenen Augen. Die übrigen Porträts befinden sich im Ausland. Nach diesen Werken, über welchen sein Ideal nur wie ein Duft schwebt, mögen diejenigen kleinern Arbeiten folgen, in welchen sich dasselbe rückhaltlos offenbart. Vorbereitet war es schon in den ju- gendlichen Köpfen Verocchio’s (S. 602); aber erst bei Lionardo er- reicht es seinen vollen Zauber: der lächelnde Mund, das schmale Kinn, die grossen Augen, bald strahlend von Fröhlichkeit, bald leis umschleiert von einem sanften Schmerz. Conventionelle Mienen kom- men im ganzen XV. Jahrh. vor; hier zuerst handelt es sich aber um einen Ausdruck, welchen ein grosser Meister als sein Höchstes giebt. Unläugbar einseitig und der Veräusserlichung unterworfen, aber durch- aus zwingend. Die Madonnen, heiligen Familien u. a. Compositionen, um welche es sich handelt, sind zum Theil naiv bis ins Genrehafte. Allein es Bildnisse. Madonnen. Halbfigurenbilder. beginnt darin dasjenige höhere Liniengefühl, diejenige Vereinfachung, welche in Rafael ihre Vollendung findet. Von dem florentinisch Häusli- chen früherer Madonnen z. B. ist darin nur noch ein Nachklang. — Die bedeutendsten Werke sind wiederum im Ausland, und von den in Italien befindlichen blieben die der mailändischen Privatgalerien dem Verfasser unbekannt. (Madonna des Hauses Araciel in Mailand; eine a Mater dolorosa; wahrscheinlich auch Wiederholungen der Vierge au bas- relief; Porträts etc.) Von den in Italien vorhandenen Werken aber sind nur noch sehr wenige als Originale anerkannt; weit die meisten gelten entweder als Arbeiten der Schüler nach Entwürfen und Gedanken Lionardo’s oder geradezu als Copien derselben nach vollendeten Wer- ken seiner Hand. Diese Schüler, deren eigene Werke mit den Formen und Motiven L.’s noch ganz erfüllt sind, hatten sich ihm in Mailand angeschlossen; hier kommen vorerst Bernardino Luini und Andrea Salaino am meisten in Betracht. Ein Originalwerk Lionardo’s ist zunächst das Fresco der Ma - b donna mit einem Donator auf Goldgrund, in einem obern Gang des Klosters S. Onofrio zu Rom (1482?); noch am meisten florentinisch, sodass sich der Mitschüler des L. di Credi zu erkennen giebt. Eine Madonna, die sich in der Gal. Borghese befinden soll (? — c neben ihr eine Wasserflasche mit Blumen) gilt ebenfalls noch als frühes Werk. In der Brera zu Mailand gilt nur eine unvollendete Madonna als d eigenhändiges Werk. „Eitelkeit und Bescheidenheit“, im Pal. Sciarra zu Rom, verra- e then durch die verschwimmende Modellirung die Hand des Luini, nach den nicht sehr schön, in Parallelen und rechten Winkeln geordneten Händen zu urtheilen ist auch das Arrangement wenigstens dieser Theile schwerlich von Lionardo angegeben. Die Charaktere sind unerschöpf- lich schön. Von der Halbfigur Johannis d. T. (Louvre), mit dem hochschwär- merischen Ausdruck, giebt keine der in Italien vorhandenen Copien einen würdigen Begriff, selbst die mailändischen nicht. „Christus unter den Schriftgelehrten“, ein Halbfigurenbild; das in f England befindliche Original nur von Luini ausgeführt; eine gute Co- Malerei des XVI. Jahrhunderts. Lionardo. pie im Pal. Spada zu Rom. Unfähig, den Sieg von Argumenten über Argumente darzustellen, gab die Malerei hier den Sieg himmlischer Reinheit und Schönheit über das Befangene und Gemeine. Beschrän- kung des Letztern auf wenige Halbfiguren, mit welchen die bedeut- sam vortretende Hauptgestalt sich kaum beschäftigt. (Sonst nur all- zuoft ein Kind in einer grossen Tempelhalle, verloren unter einer Schaar von Menschen, die doch am Ende ihre Majorität auf rohe Art beweisen könnten.) a Ein kleiner segnender Christus, vielleicht am ehesten von Salaino ausgeführt, in der Gal. Borghese, scheint ein unmittelbarer Gedanke des Meisters zu sein. Von dem berühmten Bilde der heil. Anna, auf deren Kniee die sich zu den Kindern abwärts neigende Maria sitzt, ist selbst das Ge- mälde im Louvre nur eine Ausführung von Schülerhand. Eine klei- b nere, von Salaino, in den Uffizien, erscheint im Ausdruck so holdselig als irgend ein Bild des Meisters, auch mit grosser Liebe ausgeführt, offenbart aber nur um so klarer, wie tief die Schüler in der Zeich- nung und Modellirung unter ihrem Vorbilde standen. Ein Originalwerk L.’s ist endlich die braune Untermalung einer c Anbetung der Könige , in den Uffizien ; überfüllt, theilweise nur erster Entwurf, aber hochbedeutend durch den Contrast der rituellen Andacht in den vorn Knieenden mit der leidenschaftlichen in den Nachdrängenden. Fülle des Lebens auf strenger und grossartiger Grundlage. Von demjenigen Werke, durch welches Lionardo am stärksten auf seine Zeitgenossen wirkte, von dem 1503 und 4 gezeichneten Carton der Schlacht bei Anghiari (für den grosssen Saal im Pal. vec- chio zu Florenz), ist nur die Erinnerung an eine einzige Gruppe im Kupferstich gerettet. Endlich hatte er schon vor 1499 zu Mailand das weltberühmte d Abendmahl im Refectorium des Klosters von S. Maria delle grazie vollendet. (Bestes Licht: um Mittag?) Der ruinöse Zustand, der schon früh im XVI. Jahrhundert begann, hat seine einzige Haupt- ursache darin, dass L. das Werk in Öl auf die Mauer gemalt hatte. (Das gegenüberstehende Fresco eines mittelmässigen alten Mailänders, Montorfano, ist ganz gut erhalten.) Schmähliche Übermalungen, zu- Abendmahl von S. M. delle Grazie. mal im vorigen Jahrh., thaten das Übrige. Doch soll nach neuesten Nachrichten wieder einige Hoffnung vorhanden sein, bei deren Weg- nahme gut erhaltene originale Theile zu Tage fördern zu können. — Unter solchen Umständen haben alte Wiederholungen einen besondern Werth. (Sie sind, hauptsächlich in der Nähe von Mailand, sehr zahl- reich; eine z. B. in der Ambrosiana; eine Zurückübersetzung in den a ältern lombardischen Styl, von Araldi, S. 820, h, in der Galerie von b Parma.) Von den noch hie und da (vorzüglich in Weimar!) erhaltenen Originalentwürfen L.’s zu einzelnen Köpfen gilt der Christuskopf in c der Brera als unzweifelhaft. — Das Gemälde selbst gewährt noch als Ruine Aufklärungen, die sich weder aus Morghen’s Stich noch aus Bossi’s Nachbild entnehmen lassen; abgesehen von dem allgemeinen Ton des Lichtes und der Farben, der noch keineswegs verschwunden ist, wird man nur hier den wahren Massstab, in welchem diese Ge- stalten gedacht sind, die Örtlichkeit und die Beleuchtung kennen ler- nen, vielleicht auch noch den Schimmer der Originalität, den nichts ersetzen kann, über dem Ganzen schwebend finden. Die Scene, welche von der christlichen Kunst unter dem Namen des Abendmahls, hauptsächlich als Wandbild in Klosterrefectorien, dargestellt worden ist, enthält zwei ganz verschiedene Momente, beide von jeher und von grossen Künstlern behandelt. Der eine ist die Einsetzung des Sacramentes (eigenthümlich bei Signorelli, S. 809, b). Der andere Moment ist das „Unus vestrum“; Christus spricht die Ge- wissheit des Verrathes aus. Auch hier kann wieder, nach den Wor- ten der Schrift, entweder die Kenntlichmachung des Verräthers durch gleichzeitiges Ergreifen des einzutauchenden Bissens (wie bei Andrea del Sarto, s. unten, Kloster S. Salvi), oder das blosse schmerzliche Wort Christi das entscheidende Motiv sein. Letzteres bei Lionardo. — Die Kunst hat kaum einen bedenklichern Gegenstand als diesen, die Wirkung eines Wortes auf eine sitzende Versammlung. Nur ein Strahl, in zwölfmaligem Reflex. Würde aber der geistige Inhalt da- bei gewinnen, wenn die Zwölfe, leidenschaftlich bewegt, ihre Plätze verliessen, um reichere Gruppen, grössere dramatische Gegensätze zu bilden? Die Hauptsache, nämlich die Herrschaft der Hauptfigur, welche doch nur sitzen und sprechen dürfte, ginge ob dem Handeln der Übrigen unvermeidlich verloren. Selbst der gedeckte Tisch, der B. Cicerone. 55 Malerei des XVI. Jahrhunderts. Lionardo und Schule. wie eine helle Brustwehr die Gestalten durchschneidet, war vom grössten Vortheil; das was die Zwölfe bewegt, liess sich dem Wesent- lichen nach schon im Oberkörper ausdrücken. In der ganzen An- ordnung, den Linien des Tisches und des Gemaches ist Lionardo absichtlich so symmetrisch als seine Vorgänger; er überbietet sie durch die höhere Architektonik seines Ganzen in je zwei Gruppen von je Dreien, zu beiden Seiten der isolirten Hauptfigur. Das aber ist das Göttliche an diesem Werke, dass das auf alle Weise Bedingte als ein völlig Unbedingtes und Nothwendiges erscheint. Ein ganz gewaltiger Geist hat hier alle seine Schätze vor uns aufge- than und jegliche Stufe des Ausdruckes und der leiblichen Bildung in wunderbar abgewogenen Grundsätzen zu Einer Harmonie vereinigt. Den geistigen Inhalt hat Göthe abschliessend auseinandergesetzt. Welch ein Geschlecht von Menschen ist diess! vom Erhabensten bis ins Be- fangene, Vorbilder aller Männlichkeit, erstgeborne Söhne der vollen- deten Kunst. Und wiederum von der bloss malerischen Seite ist Alles neu und gewaltig, Gewandmotive, Verkürzungen, Contraste. Ja sieht man bloss auf die Hände, so ist es als hätte alle Malerei vorher im Traum gelegen und wäre nun erst erwacht. Von den mailändischen Schülern hat Bernardino Luini (st. nach 1529) bei seinen frühsten Arbeiten den Lionardo noch nicht ge- kannt, bei denjenigen seiner mittlern Zeit ihn am treusten reproducirt, bei den spätern aber auf der so gewonnenen Grundlage selbständig weiter gedichtet, wobei es sich zeigt, dass er mit unzerstörbarer Naivetät sich nur das von dem Meister angeeignet hatte, was ihm gemäss war. Sein Sinn für schöne, seelenvolle Köpfe, für die Jugendseligkeit fand bei dem Meister sein Genüge und die edelste Entwicklung, und noch seine letzten Werke geben hievon das herrlichste Zeugniss. Dagegen ist von der grossartig strengen Composition des Meisters gar nichts auf ihn übergegangen; man sollte glauben er hätte das Abendmahl nie gesehen (obschon er es einmal nachgeahmt hat), so linienwidrig und ungeordnet sind seine meisten bewegten Scenen. Auch drapirt er oft ganz leichtfertig und gleichgültig. Dafür besass er stellenweise, Bernardino Luini. was keine Schule und kein Lehrer verleiht, grossgefühlte, aus der tief- sten Auffassung des Gegenstandes hervorgegangene Motive. Über die Umgebung von Mailand hinaus kommen nur kleinere, vereinzelte Bilder von ihm vor. Ausser den genannten (S. 863) ist das Bedeutendste die Enthauptung Johannis , in der Tribuna der a Uffizien, lange dem Lionardo beigelegt, obschon die Bildung der Hände, die etwas allgemeine Schönheit der Königstochter und ihrer Magd, die glasige, verblasene Oberfläche des Nackten deutlich auf den Schü- ler hinwies. Der Henker grinsend und doch nicht fratzenhaft, das Haupt des Täufers ungemein edel. So charakterisirt die goldene Zeit! Der in der Nähe hängende Johanneskopf Coreggio’s gehört daneben dem modernen Naturalismus an. — Im Pal. Capponi zu Florenz: Ma- b donna, das Kind küssend. — Im Pal. Spinola (Strada nuova) zu Ge- c nua: herrliche Madonna mit dem segnenden Kind, nebst S. Stephan und S. Jacobus d. ä., von L. oder einem Mitschüler (nicht wohl C. da Sesto), mit Benützung des rafaelischen Motives des „réveil de l’enfant“ (Museum von Neapel). — Andere Madonnen a. m. O. In Mailand enthalten die Privatsammlungen und die Ambrosiana d Manches von ihm; von den Kirchen ist S. Maurizio ( Monastero e maggiore ) vor Allem sehenswerth, wegen der Fresken des XVI. Jahrh., deren trefflichste (vor Allem die beiden neben dem Haupt- altar) sein Werk sind. In diesen ruhigen Andachtsbildern, wo ihn der Gegenstand vor der Regellosigkeit schützte, ist seine Liebenswür- digkeit übermächtig! Aus der gleichen späten Zeit stammt auch das beste seiner Frescobilder in der Brera , eine thronende Madonna mit f S. Antonius und S. Barbara (1521). Die übrigen Fresken sind zum Theil früh, wie z. B. die noch etwas zaghaften mythologischen und genreartigen, deren Naivetät noch ganz den Vorabend der goldenen Zeit bezeichnet. Auch neun Bilder aus dem Leben der Maria und die schöne Composition der von Engeln getragenen Leiche der heil. Catharina sind frühe Arbeiten. Dann spätere, vollendete Tafelbilder: Madonna mit dem Kind und Madonna mit Heiligen und Donatoren Aurelio Luini , der Sohn Bernardino’s, ist ein Manierist in der Art der römischen Schule; hier ein grosses Fresco mit der Marter des S. Vicenzino. * . 55* Malerei des XVI. Jahrhunderts. Lionardo und Schule. a Im Dom von Como zwei grosse Temperabilder (Altäre rechts und links), die Anbetung der Hirten und die der Könige, mit himmlisch schönen Einzelheiten; in der Sacristei (jetzt wohl wieder in der Kirche) b ein anderes grosses Altarbild. — In der Kirche zu Saronno Fresken c vom Jahr 1530. — Endlich in S. Maria degli angeli zu Lugano an der Hauptwand über dem Choreingang das colossale Frescobild einer Passion (1529), deren Vordergrund der Gekreuzigte nebst den Sei- nigen, den Schächern, den Hauptleuten, Soldaten u. s. w. einnimmt. Mit allen Mängeln Luini’s behaftet ist dieses Gemälde dennoch eines der ersten von Oberitalien, und schon um einer Gestalt willen des Aufsuchens würdig, des Johannes, der dem sterbenden Christus sein Gelübde thut. An mehrern Pfeilern der Kirche schöne einzelne Ma- lereien L.’s; in einer Capelle rechts (provisorisch) die aus dem um- gebauten Kloster hiehergebrachte Frescolunette der Madonna mit beiden Kindern, die letzte von vollster lionardesker Herrlichkeit. (Das Abendmahl nach Lionardo, ehemals im Refectorium des Klosters, ist abgenommen und vorläufig irgendwo untergebracht worden.) Wen diese Schätze einmal Tagelang an das schöne Lugano gefesselt haben, der wird vielleicht bei diesem Anlass auch die idyllisch-wonnige Landschaft kennen lernen und den brillantern Comersee gerne Den- jenigen überlassen, welche nur durch das Brillante glücklich zu ma- chen sind. Marco d’Oggionno (Uggione) ist weit am besten, wo er sich eng an Lionardo anschliesst und dessen Typus mit einer eigenthüm- d lichen herben Schönheit wiedergiebt. Sturz des Lucifer, in der Brera; die dortigen Fresken meist sehr verwildert. Andreo Salaino (S. 863 u. f.) widmete sich am ausschliesslichsten e der Reproduction des Lionardo. Liebliche Madonna in der Gemälde- f sammlung der Villa Albani bei Rom. Bilder in der Brera und Am- brosiana. Francesco Melzi . Gehört vielleicht ihm die herrliche Ma- g donna im Lorbeerschatten, welche in der Brera dem Salaino beige- legt wird? Sonst sind seine Bilder sehr selten; ebenso die des Gio v. Ant. Beltraffio . Cesare da Sesto , der später in die Schule Rafaels überging. Die besten frühern Bilder in mailändischen Privatsammlungen; ein A. Salaino; C. da Sesto; Gaud. Ferrari. schöner jugendlicher Christuskopf in der Ambrosiana. Späteres Haupt- a bild: die Anbetung der Könige im Museum von Neapel. Er hatte die b Art des XV. Jahrh. wohl nie ganz abgelegt, daher noch oder schon wieder viel müssiger und drückender Reichthum in den Nebensachen, auch viele müssig-schöne Motive, dabei Mangel an wahrer Körper- lichkeit und an Raumsinn. Gaudenzio Vinci . Im Chor der obern Kirche zu Arona glaubt c Verfasser dieses das namhafte Altarbild dieses Meisters erblickt zu haben, allein bei nachtdunkelm Mittagsbimmel. (Vgl. Marco Mar- ziale, S. 830, b.) Giov. Ant. de Lagaia . Hauptaltar der Kirche des Semina- d riums zu Ascona (Tessin), das Mittelbild: Madonna mit Heiligen und trefflichen Donatoren (1519). Letztere besonders verrathen eine enge Verwandtschaft mit Luini. Gaudenzio Ferrari (1484—1549), wenn nicht Schüler Lio- nardo’s, doch unter dessen kenntlichem Einfluss, später in den Schulen Perugino’s und Rafaels beschäftigt. Einen vollständigen Begriff von seiner bisweilen grossartigen, oft nur phantastischen und barocken Darstellungsweise sollen nur die Tafeln und Fresken seiner piemon- tesischen Heimath geben. (Dom von Novara; S. Christoforo und S. Paolo e zu Vercelli; — in Varallo: die Capella del sacro monte, wo die Ma- f lerei nur die Ergänzung zu bemalten plastischen Gruppen bildet, der- gleichen auch in den Capellen des Stationenweges stehen, S. 649, *; das Minoritenkloster ebenda mit seinen frühsten Fresken etc.; — dann in der Kirche von Saronno unweit Mailand die späten Fresken der g Kuppel.) — In Mailand enthält die Brera u. a. Fresken mit dem Le- h ben der Maria, zum Theil von sehr edeln und einfach sprechenden Motiven; doch sieht man, wie ein angeborner Naturalismus und eine gewisse Grillenhaftigkeit den Künstler hindern, das zu erreichen, wo- nach er eigentlich strebt: den grossen Styl, und wie seine Manier das nothwendige Resultat dieses Kampfes ist. Das grosse Gemälde von der Marter der heil. Catharina ist bunt, überfüllt, ja gemein chargirt, aber mit einer pomphaften Sicherheit des Sieges vermöge der prächtigen nackten Gestalt der Heiligen gemalt. Sein letztes Fresco, die Geisselung in S. M. delle grazie zu Mailand (in einer Capelle des i rechten Seitenschiffes, 1542) hat wieder etwas wahrhaft grandioses, Malerei des XVI. Jahrhunderts. Schule Lionardo’s. a während zwei späte Temperabilder im Dom von Como mehr eine missverstandene Gewaltsamkeit an den Tag legen. Das allegorische b Bild in der Gal. Sciarra zu Rom ist wenigstens durch seine unge- schickt phantastische Landschaft interessant. Von den Nachfolgern Gaudenzio’s hat Bernardino Lanini c (Brera und verschiedene Kirchen in Mailand) eine sehr gute Zeit, eine wahre Energie in Formen und Farben gehabt. Späteres ist sehr ma- nierirt. — Lomazzo und Figino gehören schon zu den eigentlichen Manieristen. Eine Anzahl Halbfiguren aus dem Gebiete des passiven Aus- druckes (Eccehomo, Mater dolorosa, Magdalena, Catharina etc.) ge- hören theils dem Aurelio Luini, theils einem gewissen Gian Pe- drini , Schüler Lionardo’s, theils dem Andrea Solario , Schüler Gaudenzio’s. Der Behandlung nach sind sie von verschiedenem, zum d Theil von hohem Werth. (Pedrini’s Magdalena, Brera). Diese von überirdischer Sehnsucht oder von heiligem Schmerz bewegten Einzel- charaktere beginnen mit Pietro Perugino und den genannten Mailän- dern und gewinnen von Zeit zu Zeit eine grosse Verbreitung in der Kunst. Man muss diese frühern mit denjenigen eines Carlo Dolci vergleichen, um ihren wahren Werth zu erkennen. Michelangelo Buonarroti (1474—1563), der Mensch des Schicksals für die Baukunst und für die Sculptur, ist es auch für die Malerei. Er hat sich selber vorzugsweise als Bildhauer betrachtet (Seite 665); in einem seiner Sonette sagt er bei Anlass der Decken- malerei in der Sistina: „essendo … io non pittore“. Allein für den Ausdruck derjenigen idealen Welt, die er in sich trug, gewährte die Malerei doch so ungleich vielseitigere Mittel als die Sculptur, dass er sie nicht entbehren konnte. Gegenwärtig verhält es sich wohl im Allgemeinen so, dass wer ihm von Seiten der Sculptur entfremdet ist, von Seiten der Malerei immer wieder den Zugang zu ihm sucht und findet. Michelangelo Buonarroti. Wie er die Formen bildete und was er damit im Ganzen wollte, ist oben bei Anlass der Sculptur angedeutet worden. Für die Ma- lerei kommen noch besondere Gesichtspunkte in Betracht. Michel- angelo lernte zwar in der Schule Ghirlandajo’s die Handgriffe, ist aber in seiner Auffassung ohne alle Präcedentien Diess schliesst nicht aus, dass dem Luca Signorelli ein ähnliches Ziel, wenn auch nur dämmernd vorschwebte. S. 808, f. 809, h. . Es lag ihm ganz ferne, auf irgend eine bisherige Andacht, einen bisherigen kirchlichen Typus, auf die Empfindungsweise irgend eines andern Menschen einzugehen oder sich dadurch für gebunden zu erachten. Das grosse Capital der kirchlichen Kunstbräuche des Mittelalters existirt für ihn nicht. Er bildet den Menschen neu, mit hoher physischer Gewaltigkeit, die an sich schon dämonisch wirkt, und schafft aus diesen Gestalten eine neue irdische und olympische Welt. Sie äussern und bewegen sich als eine von allem Frühern verschiedene Generation. Was bei den Malern des XV. Jahrh. Charakteristik heisst, findet bei ihnen schon desshalb keine Stelle, weil sie als ganzes Geschlecht, als Volk auf- treten; wo aber das Persönliche verlangt wird, ist es ein ideal ge- schaffenes, eine übermenschliche Macht. Auch die Schönheit des menschlichen Leibes und Angesichtes kommt nur im Gewande jener Gewaltigkeit zum Vorschein; es liegt dem Meister mehr daran, dass seine Gestalten der höchsten Lebensäusserungen fähig, als dass sie reizend seien. Wenn man weit aus dem Bereiche dieser Werke entfernt ist und Athem geschöpft hat, so kann man sich auch gestehen, was ihnen fehlt, und wesshalb man nicht mit und unter denselben leben könnte. Ganze grosse Sphären des Daseins, welche der höchsten künstlerischen Verklärung fähig sind, blieben dem Michelangelo verschlossen. Alle die schönsten Regungen der Seele (statt sie aufzuzählen genügt eine Hinweisung auf Rafael) hat er bei Seite gelassen; von all dem was uns das Leben theuer macht, kommt in seinen Werken wenig vor. Zugleich giebt diejenige Formenbildung, welche für ihn die ideale ist, nicht sowohl eine ins Erhabene und Schöne vereinfachte Natur, als vielmehr eine nach gewissen Seiten hin materiell gesteigerte. Keine noch so hohe Beziehung, kein Ausdruck der Macht kann es Malerei des XVI. Jahrhunderts. Michelangelo. vergessen machen, dass gewisse Schulterbreiten, Halslängen u. a. Bildungen willkürlich und im einzelnen Fall monströs sind. Ange- sichts der Werke selbst wird man allerdings immer geneigt sein, dem Michelangelo ein eigenes Recht und Gesetz neben dem aller übrigen Kunst zuzugestehen. Die Grösse seiner Gedanken und Gedanken- reihen, die freie Schöpferkraft, mit welcher er alle denkbaren Motive des äussern Lebens ins Dasein ruft, machen das Wort Ariost’s er- klärlich: Michel più che mortale angel divino. Von seinem ersten grossen Werke, jenem im Wetteifer mit Lio- nardo geschaffenen Carton für den Palazzo vecchio — ebenfalls Scenen aus der Schlacht von Anghiari — sind nur dürftige Erinnerungen auf unsere Zeit gekommen. Baccio Bandinelli hat denselben aus Neid zerschnitten. In der Blüthe seiner Jahre unternahm Michelangelo die Ausmalung a des Gewölbes der sixtinischen Capelle in Vatican (etwa 1508—1511; von welcher Zeit die durchaus eigenhändige Ausführung 22 Monate in Anspruch nahm). (Bestes Licht: 10—12 Uhr.) Die Aufgabe bestand in lauter Scenen und Gestalten des alten Testamen- tes, mit wesentlichem Bezug auf dessen Verheissung. Er stufte die- sen Inhalt vierfach ab: in Geschichten, — in einzelne historische Ge- stalten, — in ruhende Gruppen, — und in architektonisch belebende Figuren. Die Geschichten, welche ein Dasein in einem perspectivisch bestimmten, nicht bloss idealen Raum verlangen, vertheilte er an die mittlere Fläche des Gewölbes. (Eine Ausnahme machen die vier auf sphärische dreiseitige Flächen gemalten Eckbilder der Capelle, welche die wunderbaren Rettungen des Volkes Israel vorstellen: die Ge- schichten der ehernen Schlange, des Goliath, der Judith und der Esther. So wunderbar aber das Einzelne, zumal in der Scene der Judith, gedacht und gemalt sein mag, so findet sich doch das Auge an diesen Stellen schwer in das Historisch-Räumliche hinein.) — Die Propheten und Sibyllen mit den sie begleitenden Genien erhielten ihre Stelle an den sich abwärts rundenden Theilen des Gewölbes; — die Gruppen der Vorfahren Christi theils an den Gewölbekappen über den Fenstern, theils in den Lunetten welche die Fenster umgeben. Diese Theile sind sämmtlich nach einem idealen Raumgefühl com- ponirt. — Diejenigen Figuren endlich, welche schon sehr passend „die Gewölbe der sixtinischen Capelle. belebten, persönlich gewordenen Kräfte der Architektur“ genannt wor- den sind, liess er durch den ganzen Organismus hin immer so und immer da auftreten, wie und wo sie nöthig waren. Unter den Pro- pheten und Sibyllen sind es derbe Kindergestalten in Naturfarbe, welche die Inschrifttafeln hoch in den Händen tragen oder sie mit dem Haupte stützen. An beiden Seitenpfosten der Throne der Pro- pheten und Sibyllen sieht man je zwei nackte Kinder, Knabe und Mädchen, in Steinfarbe welche die Sculptur nachahmt. Über den Gewölbekappen oberhalb der Fenster nehmen liegende und lehnende athletische Figuren in Bronzefarbe die Bogenfüllung ein. Letztere sind je zu zweien fast symmetrisch angeordnet, überhaupt am strengsten architektonisch gedacht. Zuletzt, wo von beiden Seiten die colossalen Gesimse sich nähern und Raum lassen für die Reihe der Mittelbilder, sitzen auf Postamenten nackte männliche Figuren in natürlicher Farbe, je zweie halten die Bänder, an welchen der zwischen ihnen befind- liche Medaillon von Erzfarbe mit Reliefs befestigt ist; einige tragen auch reiche Laub- und Fruchtgewinde. Ihre Stellungen sind die frei- sten und leichtesten; sie tragen nichts, weil es dort nach der idealen Rechnung nichts mehr zu tragen giebt, weil überhaupt die architekto- nischen Kräfte nicht schlechtweg versinnlicht, sondern poetisch sym- bolisirt werden sollten. (Karyatiden oder Atlanten, Kopf gegen Kopf gestemmt, wären z. B. eine Versinnlichung gewesen.) Diese sitzenden Gestalten, isolirt betrachtet, sind von einer solchen Herrlichkeit, dass man sie für die Lieblingsarbeit des Meisters in diesem Raum zu halten versucht ist. Aber ein Blick auf das Übrige zeigt, dass sie doch nur zum Gerüste gehören. In vier grössern und fünf kleinern viereckigen Feldern, der Mitte des Gewölbes entlang, sind die Geschichten der Genesis dar- gestellt. Zuerst unter allen Künstlern fasste Michelangelo die Schöpfung nicht als ein blosses Wort mit der Geberde des Segens, sondern als Bewegung . So allein ergaben sich für die einzelnen Schöpfungs- akte lauter neue Motive. In erhabenem Fluge schwebt die gewaltige Gestalt dahin, begleitet von Genien, welche derselbe Mantel mit um- wallt; — so rasch, dass ein und dasselbe Bild zwei Schöpfungsakte (für Sonne und Mond und für die Pflanzen) vereinigen darf. Aber der höchste Augenblick der Schöpfung (und der höchste Michel- Malerei des XVI. Jahrhunderts. Michelangelo. angelo’s) ist die Belebung Adams. Von einer Heerschaar jener gött- lichen Einzelkräfte, tragenden und getragenen, umschwebt, nähert sich der Allmächtige der Erde und lässt aus seinem Zeigefinger den Fun- ken seines Lebens in den Zeigefinger des schon halb belebten ersten Menschen hinüberströmen. Es giebt im ganzen Bereiche der Kunst kein Beispiel mehr von so genialer Übertragung des Übersinnlichen in einen völlig klaren und sprechenden sinnlichen Moment. Auch die Gestalt des Adam ist das würdigste Urbild der Menschheit. Die ganze spätere Kunst hat sich von dieser Auffassung Gottes des Vaters beherrscht gefühlt, ohne sie doch erreichen zu können. Am tiefsten ist Rafael (in den ersten Bildern der Loggien) darauf eingegangen. Die nun folgenden Scenen aus dem Leben der ersten Menschen erscheinen um so gewaltiger, je einfacher sie die uranfängliche Exi- stenz darstellen. „Sündenfall und Strafe“ sind mit ergreifender Gleich- zeitigkeit auf Einem Bilde vereinigt; die Eva im Sündenfall zeigt, welche unendliche Schönheit dem Meister zu Gebote stand. Als Com- position von wenigen Figuren steht „Noahs Trunkenheit“ auf der Höhe alles Erreichbaren. Die „Sündfluth“ contrastirt zwar nicht glück- lich mit dem Massstab der übrigen Bilder, ist aber reich an den wun- derwürdigsten Einzelmotiven. Die Propheten und Sibyllen , die grössten Gestalten dieses Raumes, erfordern ein längeres Studium. Sie sind keinesweges alle mit derjenigen hohen Unbefangenheit gedacht, welche aus einigen der- selben so überwältigend spricht. Die Aufgabe war: zwölf Wesen durch den Ausdruck höherer Inspiration über Zeit und Welt in das Übermenschliche emporzuheben. Die Gewaltigkeit ihrer Bildung allein genügte nicht; es bedurfte abwechselnder Momente der höchsten gei- stigen und zugleich äusserlich sichtbaren Art. Vielleicht überstieg dieses die Kräfte der Kunst. — Die je zwei Genien, welche jeder Ge- stalt beigegeben sind, stellen nicht etwa die Quelle und Anregung der Inspiration vor, sondern Diener und Begleiter; sie sollen durch ihre Gegenwart die Gestalt heben, als eine überirdische bezeichnen; durch- gehends sind sie in Abhängigkeit von derselben geschildert. — Von unvergleichlicher Herrlichkeit ist der gramverzehrte Jeremias; oder Joel, den beim Lesen die stärkste innere Erregung ergreift; der wie Gewölbe der sixtinischen Capelle. vom Traum erweckte Jesajas; Jonas mit dem Ausdruck eines wieder- gewonnenen mächtigen Lebens; die Sibylla delphica, welche schon die Erfüllung ihrer Weissagung vor sich zu sehen scheint — von allen Gestalten des Meisters diejenige, welche Gewaltigkeit und Schönheit im höchsten Verein offenbart. — Abgesehen von der innern Bedeu- tung ist durchgängig genau auf die Gewänder zu achten, welche von der idealen Aposteltracht durch eine absichtliche (orientalische) Nuance unterschieden, überaus schön geschwungen und gelegt, und in voll- kommenstem Einklang mit Stellung und Bewegung sind, sodass jede Falte ihre (vielleicht hie und da zu bewusst berechnete?) Causalität hat. — (Gewisse dumpfe Töne der Carnation waren Michelangelo eigen und finden sich auch auf seinem einzigen Tafelbilde, wovon unten, wieder.) Von den Vorfahren Christi zeigen diejenigen in den Lunetten die leichteste Meisterschaft in monumentaler Behandlung des ungün- stigsten Raumes. Geschichtlos, wie die meisten derselben sind, existi- ren sie bloss in Beziehung auf ihren göttlichen Abkömmling und zeigen desshalb den Ausdruck des ruhigen, gesammelten Harrens. Schon hier kommen einige wunderbar schöne, einfache Familienscenen vor. — In diesem Betracht sind aber einzelne Darstellungen in den dreieckigen Gewölbekappen vielleicht noch ausserordentlicher; ja es findet sich unter diesen auf der Erde sitzenden Eltern mit Kindern mehr als Ein Motiv des höchsten Ranges, obwohl der Ausdruck nirgends die In- nigkeit oder sonst irgend einen activen Affect erreicht. Dieses ist die Stiftung Papst Julius II. Mit Anspornen und Nach- geben, mit Streit und mit Güte erhielt er was vielleicht kein Anderer von Michelangelo erhalten hätte. Sein Andenken ist in der Kunst ein hochgesegnetes. Viele Jahre später (1534—1541) unter Papst Paul III malte Michelangelo an der Hinterwand der Capelle das jüngste Gericht . a Man muss zuerst darüber im Klaren sein, ob man überhaupt die Darstellung dieses Momentes für möglich und wünschbar hält. So- dann, ob man irgend eine Darstellung würdigen kann, welche nicht durch einen sofortigen Hauptschlag, z. B. einen raffinirten Lichteffect (in Martin’s Manier) die Phantasie gefangen nimmt; schon die Aus- führung in Fresco verbot diess hier. Endlich, ob man die physischen Malerei des XVI. Jahrhunderts. Michelangelo. Kräfte besitzt, dieses ganze ungeheure (stellenweise sehr verdorbene) Bild nach Gruppirung und Einzelmotiven gewissenhaft durchzugehen. Dasselbe will nicht nach dem ersten Eindruck, sondern nach dem letzten beurtheilt sein. Der grosse Hauptfehler kam tief aus Michelangelo’s Wesen her- vor. Da er längst gebrochen hatte mit Allem was kirchlicher Typus, was religiöser Gemüthsanklang heisst, da er den Menschen — gleich- viel welchen — immer und durchgängig mit erhöhter physischer Macht bildet, zu deren Äusserung die Nacktheit wesentlich gehört, so existirt gar kein kenntlicher Unterschied zwischen Heiligen, Seligen und Ver- dammten. Die Bildungen der obern Gruppen sind nicht idealer, ihre Bewegungen nicht edler als die der untern. Umsonst sucht man nach jener ruhigen Glorie von Engeln, Aposteln und Heiligen, welche in andern Bildern dieses Inhaltes schon durch ihr blosses symmetrisches Dasein die Hauptgestalt, den Richter, so sehr heben, vollends aber bei Orcagna und Fiesole mit ihrem wunderbaren Seelenausdruck einen geistigen Nimbus um ihn ausmachen. Nackte Gestalten, wie Michel- angelo sie wollte, können einer solchen Stimmung gar nicht als Träger dienen; sie verlangen Gestus, Bewegung und eine ganz andere Ab- stufung von Motiven. Auf die letztern hatte es der Meister eigentlich abgesehen. Es sind zwar in dem Werke viele und sehr grosse poe- tische Gedanken; von den beiden obern Engelgruppen mit den Mar- terwerkzeugen ist diejenige links herrlich in ihrem Heranstürmen; in den emporschwebenden Geretteten ringt sich das Leben wunderbar vom Tode los; die schwebenden Verdammten sind in zwei Gruppen dargestellt, wovon die eine durch kämpfende Engel mit Gewalt zu- rückgedrängt, durch Teufel abwärts gerissen, eine ganz grossartig dä- monische Scene bildet, die andere aber jene Gestalt des tiefsten Jam- mers darstellt, die von zwei sich anklammernden bösen Geistern wie von einem Schwergewicht hinunter gezogen wird. Die untere Scene rechts, wo ein Dämon mit erhobenem Ruder die armen Seelen aus der Barke jagt, und wie sie von den Dienern der Hölle in Empfang genommen werden, ist mit grandioser Kühnheit aus dem Unbestimm- ten in einen bestimmten sinnlichen Vorgang übertragen u. s. w. — Allein so bedeutend dieser poetische Gehalt sich bei näherer Betrach- tung herausstellt, so sind doch wohl die malerischen Gedanken im Das jüngste Gericht. Die Capella Paolina. Ganzen eher das Bestimmende gewesen. Michelangelo schwelgt in dem prometheischen Glück, alle Möglichkeiten der Bewegung, Stellung, Verkürzung, Gruppirung der reinen menschlichen Gestalt in die Wirk- lichkeit rufen zu können. Das jüngste Gericht war die einzige Scene, welche hiefür eine absolute Freiheit gewährte, vermöge des Schwe- bens. Vom malerischen Gesichtspunkt aus ist denn auch sein Werk einer ewigen Bewunderung sicher. Es wäre unnütz, die Motive ein- zeln aufzählen zu wollen; kein Theil der ganzen grossen Composition ist in dieser Beziehung vernachlässigt; überall darf man nach dem Warum? und Wie? der Stellung und Bewegung fragen und man wird Antwort erhalten. Wenn nun zumal die Gruppe um den Richter mit ihrem Vor- zeigen der Marterinstrumente, mit ihrem brutalen Ruf um Vergeltung einigen Widerwillen erwecken mag; wenn der Weltrichter auch nur eine Figur ist wie alle andern, und zwar gerade eine der befangen- sten; — immer noch bleibt das Ganze einzig auf Erden Für den Zustand des Werkes vor der Übermalung, welche Daniel da Vol- terra auf Pauls IV Befehl unternahm, ist eine Copie des Marcello Venusti im Museum von Neapel, trotz auffallender Freiheiten, die wichtigste Urkunde. . Die beiden grossen Wandgemälde in der nahen Capella Pao- a lina , Pauli Bekehrung und die Kreuzigung des Petrus, aus der spä- testen Zeit Michelangelo’s, sind durch einen Brand entstellt und so schlecht beleuchtet (vielleicht am erträglichsten Nachmittags?) dass man sie besser aus den Stichen kennen lernt. In dem erstern ist die Geberde des oben erscheinenden Christus von einer zwingenden Ge- walt, der gestürzte Paulus eines der trefflichsten Motive des Meisters. Staffeleibilder giebt es bekanntlich keine von seiner Hand, mit einziger Ausnahme eines frühen Rundbildes der heil. Familie b in der Tribuna der Uffizien. Die gesuchte Schwierigkeit (die knieende Maria hebt das Kind vom Schooss des hinter ihr sitzenden Joseph) ist nicht ganz besiegt; mit einer Gesinnung dieser Art soll man über- Malerei des XVI. Jahrhunderts. Michelangelo. haupt keine heiligen Familien malen. Der Hintergrund ist, wie bei Luca Signorelli, mit Aktfiguren ohne nähere Beziehung bevölkert. Der kleine Johannes läuft an der steinernen Brustwehr mit einer spötti- schen Miene vorbei. a Im Pal. Buonarroti zu Florenz (S. 665, a) sind eine Anzahl Zeich- nungen ausgestellt, unter welchen die einer säugenden Madonna besonders schön ist; — ein früherer Entwurf des Weltgerichtes; — ein vielleicht von M. begonnenes grosses Bild der heil. Familie, das er aber den vielen Verzeichnungen und Roheiten zufolge schwerlich b selbst ausgemalt haben kann. — In der Brera zu Mailand die ehemals in Rafaels Besitz befindliche (und ihm selber trotz der von seiner Hand herrührenden Unterschrift „Michelle angelo bonarota“ beigelegte) Tusch- zeichnung des sog. Götterschiessens, il bersaglio de’ Dei ; nackte Gestalten, aus der Luft niedersausend, zielen mit höchster Leidenschaft nach einer mit einem Schilde gegen ihre Pfeile geschützten Herme, indess Amor auf der Seite schlummert; eine herrliche Gruppe, aus bereits knieenden, laufenden und noch schwebenden Figuren zu einem unvergleichlichen Ganzen gebildet. Rafael mochte ein anregendes Pro- blem darin finden, dieselbe durch einen seiner Schüler in Fresco, und zwar von der umgekehrten Seite, ausführen zu lassen; wenigstens ist c diess der Inhalt eines der drei Frescobilder, welche aus der sog. Villa di Raffaelle in den Pal. Borghese zu Rom übergegangen sind. Andere Compositionen existiren nur in Ausführungen von der d Hand der Schüler . — Ich weiss nicht, ob das Bild der drei Parzen, im Pal. Pitti (ausgeführt Nach Ansicht meines verehrten Freundes Hrn. Director Waagen. von Rosso Fiorentino) unbedingt in diese Categorie gehört; Michelangelo hätte einen solchen Gegenstand wohl e gewaltiger aufgefasst. — Mehrmals (z. B. Pal. Sciarra und Pal. Cor- sini in Rom) kommt eine heil. Familie von besonders feierlicher In- tention vor; Maria, auf einer Art von Thron sitzend, legt eben das Buch weg und sieht auf das fest schlafende, grandios auf ihrem Knie liegende Kind; von hinten schauen lauschend herüber Joseph und der f kleine Johannes. — In der Sacristei des Laterans: eine Verkündigung, g von Marcello Venusti ausgeführt. — Christus am Ölberg, nicht eben glücklich in zwei Momente geschieden, u. a. im Pal. Doria zu Rom. Einzelne Compositionen. — Von der Pietà und dem Crucifixus weiss ich kein Exemplar in ital. Sammlungen anzugeben, ebensowenig von den berühmten mytho- logischen Compositionen: Ganymed, Leda, Venus von Amor geküsst; von letzterer soll eine Wiederholung im Museum von Neapel sein Von den gemalten Porträts des M. ist dasjenige in der capitolinischen Gale- * rie (laut Platner von Marcello Venusti) wohl das beste. Dasjenige in den ** Uffizien scheint eine unbedeutende Arbeit des XVII. Jahrh. zu sein. . a Einen höhern Rang nehmen natürlich solche Bilder ein, welche Michelangelo unter seinen Augen ausführen liess, hauptsächlich durch Sebastian dal Piombo. Das wichtigste derselben, die Erweckung des Lazarus, befindet sich in London; — dann folgt die Geisselung b Christi in S. Pietro in montorio zu Rom (1. Cap. r. in Öl auf die Mauer gemalt); hier ist das Unleidliche gross gegeben, die bewegten Schergen heben die duldende Hauptfigur unbeschreiblich wirksam hervor. Die umgebenden Malereien sollen ebenfalls nach M.’s Entwürfen aus- geführt sein. (Eine gute kleine Wiederholung im Pal. Borghese.) — c Endlich wird bei der Kreuzabnahme des Daniele da Volterra d in Trinità de’ monti (1. Cap. l.) immer der Gedanke erwachen, dass Michelangelo das Beste daran erfunden habe, indem alle übrigen Werke des Daniele erstaunlich weit hinter diesem zurückstehen. Gar zu wun- derbar schön ist das Heruntersinken des Leichnams, um welchen die auf den Leitern Stehenden gleichsam eine Aureola bilden; gar zu vor- trefflich motivirt und vertheilt sind die Bewegungen der Letztern. Auch die untere Gruppe um die ohnmächtige Madonna ist vorzüglich, setzt aber schon das pathologische Interesse an die Stelle des rein Tragischen. (Das ganze Bild stark verletzt und restaurirt.) Eine eigentliche Schule hat Michelangelo nicht gehabt; er führte seine Fresken ohne Gehülfen aus. Denjenigen, welche sich (meist in seiner spätesten Zeit) auf irgend eine Weise an ihn anschlossen, wer- den wir unter den Manieristen wieder begegnen. Sein Beispiel war auch in der Malerei das verhängnissvollste. Niemand hätte Das wollen dürfen, was er gewollt und mit seiner riesigen Kraft durchgeführt hatte; Jedermann aber wünschte doch solche Wirkungen hervorzu- bringen wie Er. Als er starb waren alle Standpunkte in den sämmt- lichen Künsten verrückt; Alle strebten ins Unbedingte hinaus, weil Malerei des XVI. Jahrhunderts. Fra Bartolommeo. sie nicht wussten, dass Alles was bei ihm so aussah, durch sein innerstes persönliches Wesen bedingt gewesen war. Die florentinische Malerei blüht mit Lionardo und Michelangelo noch nicht vollständig aus. Die unermesslichen Lebenstriebe, welche das XV. Jahrh. in dieser Weihestätte der Kunst geweckt und aus- gebildet hatte, erreichen noch in zwei andern grossen Meistern eine Vollendung, welche ganz eigener Art und von jenen beiden wesentlich unabhängig ist. Der eine ist Fra Bartolommeo (eigentlich Baccio della Porta, 1469—1517), ursprünglich Schüler des Cosimo Rosselli; seine Be- freiung aus den Banden des XV. Jahrhunderts verdankte er Lionardo; sein positiver Inhalt ist ihm eigen Die beiden wunderschönen kleinen Täfelchen in den Uffizien (Anbetung des Kindes, und Darstellung im Tempel) gelten als frühe Arbeiten, aus der Zeit, da der Meister noch nicht ins Kloster S. Marco getreten war. (Also vor 1500.) Ich kann mich nach öfterer Untersuchung immer weniger in diese Zeitannahme schicken. — Die sichere Reihe der Werke des Frate beginnt dann um 1504 mit der Madonna di S. Bernardo, in der Academie. . Er zuerst hat das hohe Gefühl vollständig zu empfinden und wieder zu erwecken vermocht, welches aus dem Zusammenklang grossartiger Charaktere, reiner imposanter Gewandungen und einer nicht bloss symmetrischen, sondern architek- tonisch aufgebauten Gruppirung entsteht. Seine persönliche Empfin- dung hat nicht immer genügt, um dieses gewaltige Gerüste völlig zu beleben, und hierin steht er dem Lionardo nach, welcher immer Schön- heit, Leben und Charakter an Einem Stücke giebt. Auch würde er für bewegte Compositionen überhaupt nicht ausgereicht haben. Allein was das Altarwerk im engern Sinn verlangt, hat Keiner mit vollkomm- nerer Hoheit dargestellt. Die Freiheit und Grösse seiner Charakterauffassung lernt man im a Einzelnen kennen aus einer Anzahl von Heiligenköpfen al Fresco in der Academie zu Florenz; wozu noch ein herrliches Eccehomo im Fresken und Altarbilder. Pal. Pitti kömmt. Ohne Lionardo’s unendliche Energie sind es doch a so gross aufgefasste Menschenbilder, zum Theil von wahrhaft himm- lischem Ausdruck. Zwei runde Frescogemälde in derselben Academie, b Madonnen, sind bei ihrer flüchtigen Ausführung als Linienprobleme merkwürdig; in dem einen hat er offenbar hauptsächlich die vier Hände und die beiden Füsse schön zu ordnen gestrebt. — Für den Einzel- ausdruck ist sonst seine Kreuzabnahme (Pal. Pitti) das Haupt- c werk. Mit welcher Macht wirken hier die beiden Profile des höchst edel gebildeten Christus und der alles vergessenden Mutter, die ihm noch den letzten Kuss auf die Stirne drücken will! mit welcher un- trüglichen dramatischen Sicherheit ist der Schmerz des Johannes durch Beimischung der körperlichen Anstrengung unterschieden! Kein Kla- gen aus dem Bilde hinaus wie bei Van Dyck; keine vermeintliche Stei- gerung des Eindruckes durch Häufung der Figuren wie bei Perugino. Die übrigen Bilder sind fast sämmtlich grandiose Constructionen, mit strenger und im Einzelnen sehr schön aufgehobener Symmetrie. Wo die Charaktere aus seinem Innern kommen, sind es lauter Werke ersten Ranges. Leider ist die einzige grössere Scene dieser Art, das Fresco eines d jüngsten Gerichtes hei S. Maria la nuova (in einem Verschlag in dem Hofe links von der Kirche) beinahe erloschen. Doch erkennt man in dem herrlichen obern Halbkreise von Heiligen dieselbe Inspi- ration, welche Rafael das Fresco von S. Severo in Perugia (1506) und die obere Gruppe der Disputa (1508) eingab. Wenn es ein spä- tes Werk ist, so entstand es unter der Rückwirkung Rafaels, der wenige Jahre vorher gerade in dieser Beziehung vom Frate gelernt zu haben scheint. Von Altarbildern ist dasjenige im Dom von Lucca (hinterste e Cap. links), eine Madonna mit zwei Heiligen, früh und ganz beson- ders schön und seelenvoll. (Dagegen die grosse späte Madonna della f misericordia in S. Romano zu Lucca, links, zwar im Einzelnen vor- trefflich, als Ganzes aber weniger unbefangen.) — In S. Marco zu g Florenz (2. Alt. r.) ein ebenfalls frühes sehr grosses Bild, welches B.’s Compositionsweise im Augenblick ihrer nahen Vollendung zeigt; die Madonna glänzend edel und leicht gestellt; die beiden knieenden B. Cicerone. 56 Malerei des XVI. Jahrhunderts. Fra Bartolommeo. Frauen ein ewiges Vorbild symmetrischer Profilgestalten; die Putten noch in der Weise des XV. Jahrh. mit Emporheben des Vorhanges beschäftigt, aber schon von dem höhern Geschlecht des XVI. Jahrh.; die Farbe, wo sie erhalten ist, von tiefem Goldton. (In dem an- a stossenden Kloster war 1854 von B. nur die einfach schöne Lunette über dem hintern Eingang des Refectoriums sichtbar: Christus mit b den beiden Wanderern nach Emmaus.) — In der Academie die dem heil. Bernhard erscheinende Madonna (etwa 1504; noch mit einigen herben Zügen der Köpfe); hier ist die Gruppe der Engel um die Ma- donna mit der gewohnten symmetrischen Strenge componirt, aber sehr schön ins Profil (oder Dreiviertelansicht) gesetzt und zugleich ihr Schweben eben so leicht als erhaben ausgedrückt, wovon man sich durch einen vergleichenden Blick auf die nächsten Engeldarsteller des XV. Jahrh. überzeugen kann. — Das Vollkommenste, was B. gelei- c stet, ist dann vielleicht der Auferstandene mit 4 Heiligen (Pal. Pitti); grandioser und weihevoller ist die Geberde des Segnens viel- leicht nie dargestellt worden; die Heiligen sind erhabene Gestalten; die beiden Putten, welche einen runden Spiegel mit dem Bilde der Welt (als Landschaft) halten, schliessen als Basis diese einfache und strenge Composition in holdseligster Weise ab. — Ebenda: ein grosses, reiches Altarbild aus S. Marco (wo jetzt eine Copie steht), welches als offenbar spätes Werk in den Charakteren etwas allgemein, auch durch die braune Untermalung in den Schatten sehr geschwärzt ist, aber ein Wunder der Composition; die Engel, welche den Baldachin tragen, entsprechen strenge der halbkreisförmigen untern Gruppe (vgl. d Rafaels Disputa). — In den Uffizien ist schon ein ganz kleines Rund- bildchen, der Salvator auf zwei Engeln und einem Cherub schwebend, als Construction sehr merkwürdig; noch mehr aber (ebendaselbst) die grosse braune Untermalung des Bildes der h. Anna , der Maria und vieler Heiligen, glücklicher Weise als Untermalung ganz vollen- det, auch in den durchgängig schönen und bedeutenden Charakteren, so dass die vollkommene Architektonik nicht nur überall geistvoll aufgehoben, sondern auch mit dem edelsten individuellen Leben er- füllt ist. e Von einzelnen Gestalten ist der colossale heil. Marcus (Pal. Pitti) die wichtigste. Allein hier betritt der Frate denselben Abweg, auf Altarbilder. Einzelgestalten. Die Schüler. welchem man den Michelangelo findet: er schafft ein ungeheures Mo- tiv aus bloss künstlerischen Gründen; auch in dem Kopf ist etwas falsch Übermenschliches; die Draperie aber, auf welche es eigentlich abgesehen war, ein Wunderwerk. — Die zwei Propheten in der Tri- a buna der Uffizien haben ebenfalls etwas Unreines; — die beiden stehen- den Apostel im Quirinal zu Rom, welche Rafael vollendete, habe ich b seit den Vorbereitungen zum letzten Conclave 1846 nicht mehr ge- sehen und auch damals nur flüchtig. Ein ganz herrliches Bild aber, in welchem Charakter, momentaner Ausdruck und tizianische Farben- kraft zusammenwirken, ist die Figur des h. Vincentius Ferrerius in c der Academie, deren Cartonzimmer ebenfalls noch vorzügliche Einzel- gestalten des Frate enthält. Mit Benützung seiner Entwürfe gemalt, theilweise auch von ihm selbst ausgeführt: die grosse Himmelfahrt Mariä im Museum von Nea- d pel; — auch wohl die grosse thronende Madonna mit 7 Heiligen in e der Academie zu Florenz; — die Pietà (ebenda) ist wohl ein blosses Schülerwerk. Von den Schülern ist nur Mariotto Albertinelli (1475—1520) bedeutend. Vielleicht bevor er den Frate kannte, malte er das schöne Rundbild im Pal. Pitti, Madonna das Kind anbetend, welchem ein f Engel ein Kreuz hinreicht. Dann folgt unter dem beginnenden Ein- fluss des Frate das Altarfresco des Gekreuzigten im Capitelsaal der g Certosa (1505); endlich aus seiner schönsten Zeit die in zwei Figuren wahrhaft melodisch abgeschlossene „ Heimsuchung “ in den Uffizien, h und die thronende Madonna mit zwei knieenden und zwei stehen- i den Heiligen, in der Academie; Werke, welche man nur den grössten Meistern zuzutrauen versucht ist. In den andern Bildern derselben Sammlung geht er mit vollster Anstrengung auf die Constructionsweise seines Meisters ein; mit grösstem Erfolge in der „Dreieinigkeit“; be- fangener, aber zum Theil mit dem schönsten und edelsten Ausdruck in der grossen Verkündigung (1510). Die Nonne Plautilla Nelli interessirt nur da, wo die Motive des Frate (dessen Zeichnungen sie erbte) deutlich aus ihren Bildern hervorsehen. — Der gute Fra Paolino da Pistoja pflegt dem Rückfall ins Schwächlich-Perugineske zu unterliegen. (Madonna della 56* Malerei des XVI. Jahrhunderts. Andrea del Sarto. a cintola in der florentinischen Academie; — Crucifixus mit Heiligen b im Kreuzgang von S. Spirito zu Siena.) Neben Fra Bartolommeo behauptet Andrea del Sarto (1488 bis 1530) sein eigenes Mass von Grösse. Ein wunderbarer Geist, nur einseitig begabt, aber einer der grössten Entdecker im Gebiet der Kunstmittel. Es fehlt ihm im Ganzen dasjenige Element, welches man die schöne Seele nennen möchte. Die Antriebe, welche ihn beherrschen, sind wesentlich künstlerischer Natur; er löst Probleme. Daher die Gleichgültigkeit gegen die höhere Schönheit des Ausdruckes, das Sich- abfinden mit einem herrschenden Typus, der namentlich seine Ma- donnen und seine Putten so kenntlich macht und selbst durch seine Charakterköpfe als bestimmter Bau des Schädels, der Augen, der Kinnbacken hindurchgeht. Wo derselbe zum Gegenstand passt, wirkt c er erhaben; einem jugendlichen Johannes d. T. (P. Pitti, Halbfigur) verleiht er z. B. jene strenge leidenschaftliche Schönheit, die für diese Gestalt wesentlich ist; ja bisweilen nimmt er eine hohe sinnliche Lieb- d lichkeit an, wie z. B. die den Gabriel begleitenden Engel in einer der drei Verkündigungen im Pal. Pitti beweisen; auch giebt es einige Putten von ihm, welche keinem von denjenigen Coreggio’s an Schön- e heit und Naivetät nachstehen, so z. B. in der herrlichen Madonna mit S. Franz und S. Johannes Ev., vom Jahr 1517, in der Tribuna der Uffizien . Sie umklammern die Füsse der Madonna, während das fröhliche Christuskind an ihren Hals emporklettern will. Dann ist Andrea wohl der grösste Colorist , welchen das Land südlich vom Apennin im XVI. Jahrh. hervorgebracht hat. Da er nicht auf einer schon ausgebildeten Schulpraxis fusste, sondern jedesmal mit eigener Anstrengung seine Principien neu zu entdecken hatte, seine Gewissenhaftigkeit aber nicht selten schwankte, so sind seine Arbeiten auch im Colorit sehr ungleich; neben dem eben erwähnten goldtönigen f Wunderwerk in der Tribuna, neben der grossen heil. Familie im Pal. Porträts. Altarbilder. Madonnen. Pitti, neben den paar herrlichen einfachen Bildnissen Welche davon ihn selber vorstellen, lassen wir dahingestellt. Dasjenige mit der Frau (P. Pitti) ist für die verhältnissmässig späte Zeit sehr befangen. * Die Verzeichnung in seiner Hand und das Unlebendige im Kopf der Frau geben Einiges zu denken. , in wel- chen Licht und Farbe und Charakter sich so vollkommen in Eins verschmelzen (P. Pitti, Uffizien) — neben all diesem giebt es auch a sehr bunte und dumpfe Malereien. — Immerhin hat Andrea zuerst von allen Florentinern eine sichere, harmonische Scala, eine tiefe, oft leuchtende Durchsichtigkeit der Farben erreicht; er hat auch zuerst der Farbe einen mitbestimmenden Einfluss auf die Composition des Bildes gestattet. Seine Gewänder fallen nicht umsonst in so breiten Flächen. Man muss dabei zugestehen, dass sie von einer hinreissen- den Schönheit des Wurfes und des Contours sind und als vollkommener Ausdruck des Lebens der Gestalten ganz absichtslos scheinen. Im Wesentlichen aber ist seine Composition ein eben so strenger architektonischer Bau als die des Fra Bartolommeo, welchem er offen- bar das Beste verdankte. Auch hier ist lauter durch Contraste ver- deckte Symmetrie. Da er aber die Seele des Frate nicht hatte, so bleibt bisweilen das Gerüste unausgefüllt. Wie weit steht seine präch- tig gemalte Kreuzabnahme (P. Pitti) hinter der des Bartolommeo zu- b rück! Die Motive, in Linien und Farben classisch, sind geistig fast null, ein unnützer Reichthum. Auch in der schönen Madonna mit den vier Heiligen (ebenda) contrastiren die ungenügenden Charaktere mit dem feierlichen Ganzen. Am meisten geistiges Leben zeigt unter den Bildern des P. Pitti die Disputa della Trinità ; eine eifrigere und zusammenhängendere „heil. Conversation“ als die der meisten Vene- zianer sind; zugleich ein Prachtbild ersten Ranges. Die grossen Assun- ten sind beide spät, gleichen sich und haben viel Conventionelles, aber auch noch grosse Schönheiten. — In den heil. Familien (wovon ausser den florent. Sammlungen auch z. B. Pal. Borghese in Rom mehrere c besitzt; ein schönes und echtes Bild in S. Giacomo degli Spagnuoli d zu Neapel, rechts von der Hauptthür) fällt jene Seelenlosigkeit neben den hohen malerischen Vorzügen oft ganz besonders auf; es ist, als ständen die beiden Mütter und die beiden Kinder in gar keinem inni- gern Verhältniss zu einander. Malerei des XVI. Jahrhunderts. Andrea del Sarto. Als historischer Erzähler hat Andrea gleichwohl Unvergängliches a geleistet. Die Fresken in der Vorhalle der Annunziata , be- gonnen 1510, zeigen zwar zum Theil dieselbe fast zu strenge archi- tektonische Anordnung; in den drei ersten Bildern links, aus der Le- gende des S. Filippo Benizzi, bildet sich die Gruppe coulissenartig ansteigend zur Pyramide; das eigentlich Dramatische, Bedeutend-Mo- mentane kömmt nirgends besonders zu seinem Rechte; in der Anbe- tung der Könige (letztes Bild rechts) wird man die Hauptgruppe sogar befangen finden. Allein es ist durch diese Malereien die won- nigste Fülle neuer Lebensmotive verbreitet; man geniesst mit dem Maler das hohe Glück, schlichte Lebensäusserungen in der reinsten und vollkommensten Form, in edler Abwägung gegen einander, in weiter Räumlichkeit schön vertheilt anschauen zu können. Bei der Betrachtung des Einzelnen prägen sich zumal eine Anzahl von Ge- stalten des 1., 2. und 5. Bildes links unauslöschlich ein; trotz aller Verwitterung wird man im letztgenannten (Bekleidung des Aussätzigen) in der Gestalt des S. Filippo eine der höchsten Schöpfungen der gol- denen Zeit erkennen. Die Geburt Mariä (vorletztes Bild rechts) ist die letzte, in lauter Schönheit aufgehende Redaction dieses Gegenstan- des; noch Domenico Ghirlandajo erscheint neben diesem wunderbaren Reichthum einseitig und herb. Ausser den Bildern der ältern Meister ( Alessio Baldovinetti’s Geburt Christi, letztes Bild links, und Cosimo Rosselli’s Einkleidung des S. Filippo, vorletztes links) haben die Schüler Andrea’s hier noch ihr Bestes geleistet. Am näch- sten steht ihm Franciabigio in der (durch den bekannten Ham- merschlag verstümmelten) Vermählung Mariä, einem Werke des em- sigen und begeisterten Wetteifers. In Pontormo’s Heimsuchung, welche bei Weitem sein Hauptwerk ist, steigert sich die Auffassung Andrea’s und Bartolommeo’s mit äusserstem Kraftaufwand zu einem neuen Ganzen. Nur Mariä Himmelfahrt, von Rosso , zeigt den Styl Andrea’s allerdings im Zustande der Verwilderung. b Ausserdem hat Andrea das einzige Abendmahl geschaffen, wel- ches demjenigen Lionardo’s wenigstens sich von Ferne nähern darf: das grosse, theilweise vortrefflich erhaltene, theilweise sehr entstellte Frescobild im Refectorium des ehemaligen Klosters S. Salvi bei Flo- renz. (Zehn Minuten vor Porta della Croce, von der Strasse links Fresken. Annunziata; S. Salvi; Scalzo. seitab.) Der Moment ist der, dass Christus ein Stück Brod ergreift, um es in die Schüssel zu tauchen, während auch Judas, allein von Allen, bereits ein Stück Brod in der Hand hält. Die Charaktere sind nobel und kräftig aus dem Leben gegriffen, aber von der Hoheit der- jenigen Lionardo’s weit entfernt, welche Jeder eine ganze Gattung von Ausdruck gleichsam in der höchsten denkbaren Spitze darstellen. Auch hat A. der (allerdings ausserordentlich grossen) malerischen Wirkung zu Liebe seinen Leuten sehr verschiedene, zum Theil nichts weniger als ideale Gewänder gegeben; eine Abwechslung, deren schönen Erfolg das Auge empfinden kann lange bevor es sie bemerkt. Unbeschreiblich lebendig ist hier wie bei Lionardo das Spiel der Hände, welche allein schon ausdrücken, wie Christus den fragenden Johannes beruhigt, wie Petrus jammert, wie dem Judas zugesetzt wird. (Bestes Licht: Nachmittags.) — Franciabigio hat in diesem Gegenstande (Abendmahl im Refectorium von S. Giovanni della Calza a in Florenz) den Meister bei Weitem nicht erreicht. Den Höhepunkt von Andrea’s Colorit und Vortrag im Fresco bezeichnet ausser diesem Abendmahl auch die Madonna del Sacco , b in einer Lunette des Kreuzgangs der Annunziata. Endlich aber giebt es eine Reihe einfarbiger Fresken, braun in braun, von seiner Hand, in dem kleinen Hof der Brüderschaft dello c Scalzo (unweit S. Marco). Der Gegenstand ist das Leben des Täu- fers. Mit Ausnahme einiger frühen und zweier von Franciabigio ausgeführten sind sämmtliche Compositionen bei aller Unscheinbarkeit von den mächtigsten und freisten Schöpfungen der reifen Zeit An- drea’s. Das ängstlich Architektonische der frühern Fresken in der Annunziata ist hier durch lauter Geist und Leben überwunden. Die Grenzen der Gattung, welche alle feinere Physiognomik, allen Farben- reiz ausschloss, scheinen den Meister erst recht gereizt zu haben, sein Bestes zu geben. Unter den frühern ist die Taufe des Volkes durch Johannes die höhere (und höchste) Stufe der bekannten Freske Ma- saccio’s; unter den Spätern haben die Heimsuchung, die Enthaup- tung, sowie die Überbringung des Hauptes den Vorzug; unter den allegorischen Figuren die Caritas, welche das Bild im Louvre weit übertrifft. — Aus dieser Inspiration ist auch jene kleine geistvolle Pre- della mit den Geschichten von vier Heiligen in der Academie gemalt. d Malerei des XVI. Jahrhunderts. Schule A. del Sarto’s. a (Wo sich sonst von A. nichts Bedeutendes als das Bild der vier Hei- b ligen befindet.) — Die beiden Geschichten Josephs (P. Pitti) geben in keiner Beziehung einen Begriff von dem Vermögen Andrea’s. c Ausserhalb von Florenz enthält der Dom von Pisa, namentlich im Chor, eine Anzahl prächtig gemalter Einzelfiguren von Heiligen. Von den Schülern und Nachfolgern ist das Beste schon genannt d worden. Von Franciabigio einige Historien (Breitbilder) mit kleinen Figuren in den Uffizien und im Pal. Pitti; gutes Porträt eines Man- e nes im Hut (1517) im Pal. Capponi. — Pontormo (1493—1558) ist f überhaupt nur um seiner Bildnisse willen hochgeschätzt (Pal. Pitti: g Ippolito Medici; — Uffizien: Cosimo der Alte, nach einem Profilbild des XV. Jahrh. trefflich neu redigirt); — seine übrigen Arbeiten sind je früher, um so besser wenigstens gemalt (Uffizien: Leda mit den vier h Kindern in einer Landschaft; — Capella de’ Pittori bei der Annunziata: Fresco einer Madonna mit Heiligen, noch ganz in der Art des Mei- i sters; — Pinacoteca zu Bologna: Madonna mit Kind, hinter einer Bank stehend); — die spätern Werke erscheinen durch unberechtigten Aufwand wirklich oder vermeintlich schöner Formen schon manierirt k (S. Felicita in Florenz 1. Cap. rechts, Kreuzabnahme; — Pal. Pitti: l die 40 Märtyrer); — die Breitbilder mit Historien (Uffizien) sehr zer- streut. — Domenico Puligo verfing sich in die Farben- und Licht- wirkungen Andrea’s; seine Formen wurden darob unbestimmt, sein m Vortrag verblasen. (Pal. Pitti: heilige Familie, säugende Madonna; — n Pal. Corsini in Florenz: Mehreres.) Als einer der frühsten Porträt- maler von Profession möchte er vielleicht mehr als ein Bildniss in Anspruch nehmen können, das jetzt als Werk des Meisters gilt. — Angelo Allori, genannt Bronzino (1499—1571), Schüler Pontormo’s, wird als Historienmaler an keiner andern Stelle als bei den Manie- risten unterzubringen sein. Als Bildnissmaler aber steht er in der bedeutenden und freien Auffassung keinem Zeitgenossen nach, auch den Venezianern nicht, so weit sie ihn in der Farbe übertreffen mö- gen, die bei ihm immer etwas Kalkiges behält. (In seiner Art: Pal. o Doria in Rom: treffliches Porträt des Gianettino Doria; — Museum p von Neapel: die beiden Geometer; — sodann sicher von ihm: Pal. Pontormo. Bronzino. Rosso. R. Ghirlandajo. Pitti: der Geometer, grossartig im Geist eines Sebastian dal Piombo; — a Uffizien: der junge Bildhauer; Dame im rothen Kleid; ein Jüngling b mit einem Brief; rothbärtiger Mann in einer Halle; — sämmtlich so gemalt, als wären sie nur dem bedeutenden Charakter zu Liebe dar- gestellt; dagegen die Dame mit einem Knaben ein blosses, vielleicht mediceisches Porträt. — Pal. Corsini: mehrere Porträts. — Pal. del c commune zu Prato: mediceische Porträts aus Bronzino’s Schule. — d Ähnliche geringere, mit spätern: in dem Gange, der von den Uffizien e nach Ponte vecchio führt.) Von Andrea ist auch Rosso de Rossi (Rosso Fiorentino, st. 1541 in Frankreich) abhängig. Er zeigt schon ganz besonders frühe den Weg, welchen die Entartung einschlagen würde. Die Formen Andrea’s sind bei ihm bis ins Liederliche aufgelockert, um wider- standslos einer Composition durchaus nur nach grossen Farben- und Lichtmassen zu dienen. (Pal. Pitti: grosse Madonna mit Heiligen; — f S. Lorenzo, 2. Altar rechts, Vermählung der Maria; — S. Spirito, auf g einem Altar links: thronende Madonna mit Heiligen.) h Noch einige Meister aus frühern florentinischen Schulen malen sich in dieser Zeit aus. Ridolfo Ghirlandajo , der Sohn Dome- nico’s und später Schüler des Frate, hat in zwei Bildern der Uffizien i (S. Zenobius, der einen todten Knaben erweckt, und das Begräbniss des S. Zenobius) entweder ein grosses Talent bekundet oder einen sehr glücklichen Wurf gethan. Bewegung, Gruppirung, Köpfe und Farben sind ganz der goldenen Zeit gemäss; einige Nachlässigkeiten z. B. in der Gewandung verrathen jedoch durch den Mangel an Ernst schon den künftigen Manieristen; — ein trefflich wahres und derbes Frauenporträt im Pal. Pitti (1509) zeigt, was er in der Ausführung k konnte, wenn er wollte. — Die Fresken in der Sala de’ Gigli des l Palazzo vecchio (Schutzheilige und Helden) erscheinen schon als das Werk einer müden Phantasie, die sich auf das XV. Jahrh. zurück- wirft. Anderes ist geradezu Manier. So schon das von Ridolfo und seinem Oheim Davide gemalte Bild in S. Felice (auf einem Altar links), m eine Madonna del popolo. — Von Micchele di Ridolfo u. a. das Malerei des XVI. Jahrhunderts. Spätere Florentiner. a Bild der tausend Märtyrer, in der Academie; ein blosses fleissiges Actstudium. Von einem zurückgebliebenen Schüler Filippino’s, Raffaellin del Garbo , der sich später vergebens dem grossen Styl zuzuwen- b den suchte, ist eine Auferstehung (Academie) das einzige frühere Bild c von Belang. In der Sacristei von S. Lorenzo eine Geburt Christi. In d der von seinem Meister begonnenen Cap. Carafa in der Minerva zu Rom malte er das Gewölbe; jetzt sehr verdorben. Giov. Ant. Sogliani , ein Schüler des Credi, hat in seinem e schönsten Bilde, auf einem Altar links in S. Lorenzo, welches die des Martyriums harrenden Apostel darstellt, den Meister sowohl als An- drea del Sarto nahezu erreicht. (Auch die Predella, von dem sehr selten vorkommenden Bacchiacca , ist ein geistreiches Werk.) — In f der Academie ausser geringern Bildern eine thronende Madonna mit Tobias, dessen Engel und S. Augustin, ebenfalls dem Credi nahe; — g in den Uffizien: Madonna in einer Landschaft, schon nur schön gemalt; h in der Sacristei von S. Jacopo eine Dreieinigkeit mit Heiligen, welche tüchtig und zum Theil noch ganz edel sind. Giuliano Bugiardini , ein Künstler von schwankender Re- i ceptivität, schliesst sich an D. Ghirlandajo in der Geburt Christi (Sa- cristei von S. Croce) und nähert sich dann in der Behandlung dem k Lionardo (säugende Madonna, in den Uffizien; grosse thronende Ma- l donna mit S. Catharina und S. Antonius von Padua, in der Pinacoteca zu Bologna). Endlich verrückte ihm Michelangelo das Concept. Die m berüchtigte Marter der heil. Catharina in S. M. novella (Cap. Ruccel- lai, beim Cimabue) ist die Marter des gewissenhaften Künstlers selber und ein lehrreiches Denkmal der Gährung, in welche der Meister des Weltgerichtes gewisse Gemüther versetzte. Man ahnt die ganze Qual der Motivjägerei. Über Rafael zu sprechen, könnte hier beinahe überflüssig schei- nen. Er giebt überall so viel, so Unvergessliches, so ungefragt und unmittelbar, dass Jeder, der seine Gemälde sieht, ohne Führer zu- Rafael. rechtkommen und einen dauernden Eindruck mitnehmen kann. Die folgenden Andeutungen sollen auch nur die zum Theil versteckt lie- genden Bedingungen dieses Eindruckes klar machen helfen. Was in Rafaels Leben (1483—1520) als Glück gepriesen wird, war es nur für ihn, für eine so überaus starke und gesunde Seele, eine so normale Persönlichkeit wie die seinige. Andere konnten unter den gleichen Umständen zu Grunde gehen. Er kam bald nach seines Vaters Tode (Giov. Santi st. 1494) in die Schule des Pietro Perugino und arbeitete bei diesem bis etwa 1504. So war seine Jugend um- geben von lauter Bildern des gesteigerten Seelenausdruckes und der fast normalen Symmetrie. Die Schule konnte als eine zurückgebliebene, sehr unentwickelte gelten, sobald es sich um Vielseitigkeit der Zeich- nung und Composition, um das Studium der ganzen Menschengestalt handelte, und selbst der Ausdruck ging gerade damals bei Meister Perugino in eine handwerksmässige Wiederholung des für innig und schön Geltenden über. — Es ist als hätte Rafael das gar nicht ge- merkt. Mit dem wunderbarsten Kinderglauben geht er auf Perugino’s (damals schon nur scheinbare) Gefühlsweise ein und belebt und er- wärmt das erkaltende Wesen. Wo er als Gehülfe in die Bilder des Meisters hineinmalt, glaubt man die Züge aus Perugino’s eigener bes- serer Jugend zu erkennen, so wie er immer hätte malen sollen Diess bezieht sich besonders auf Rafaels Antheil an der Anbetung des neu- * gebornen Kindes in der vatican. Galerie. Hier wird der Kopf des Joseph unbedingt als sein Werk betrachtet; die Köpfe der Engel und der Madonna können wohl nur entweder von ihm oder von Spagna sein. — In der eben- dort befindlichen Auferstehung wird wenigstens der schlafende Jüngling rechts ihm zugeschrieben. — In der Sacristei von S. Pietro zu Perugia ist der das ** Christuskind liebkosende Johannes eine Copie R.’s nach Perugino. ; ebenso verhält es sich mit Rafaels eigenen frühern Arbeiten. In der Krönung Mariä (vatican. Galerie) tritt erst zu Tage, was die a Richtung Perugino’s vermochte; wie ganz anders, wie viel himmlisch reiner giebt hier Rafael die süsse Andacht, die schöne Jugend, das begeisterte Alter wieder, als diess der Meister je gethan hat! — ab- gesehen davon, dass er schon ungleich reiner zeichnet und drapirt. Die kleinen Predellenbilder dieses Altarblattes, in einem andern Saal b derselben Galerie, zeigen schon beinahe florentinisch freie Formen Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael. a und Erzählungsweise. — Auch in der Vermählung Mariä (Mai- land, Brera), mit dem Datum 1504, geht R. über die Composition seiner Schule weit hinaus; die vollkommenste Symmetrie wird durch die schönsten Contraste malerisch aufgehoben; die Momente der Ce- remonie und die der Bewegung (in den stabbrechenden Freiern), die belebte Gruppe und der ernste, hohe architektonische Hintergrund (mit welchem andere Peruginer, wie z. B. Pinturicchio, so viel Kin- derspiel trieben) geben zusammen ein schon fast rein harmonisches Ganzes. (Den Ausdruck der Köpfe wird man vielleicht weniger süss b finden als auf mehrern Kupferstichen.) — Die kleine Madonna im Palazzo Connestabile zu Perugia, eines der ersten Juwelen der Miniaturmalerei, ist besser im Rund gedacht und von schönerer, leich- terer Haltung als irgend ein ähnliches Bild der Schule; über dem vollkommenen Zauber der beiden Figuren und der reizenden Früh- lingslandschaft mit den beschneiten Bergen vergisst man allerdings das Vergleichen * Die Bilder in S. Trinità zu Città di Castello (Dreieinigkeit, und Schöpfung der Eva), — sowie das Crucifix mit den 4 Heiligen, welches noch bei den Erben des Card. Fesch in Rom sein soll, — die Madonna im Hause Alfani zu Perugia, — und den Christus am Ölberg im Pal. Gabrielli zu Rom hat der Verf. nicht gesehen. — Die Madonna im Hause Staffa zu Perugia gilt als Werk eines Mitschülers. . Man kann sagen, dass Rafael, als er gegen Ende des Jahres 1504 diese Schule verliess, nicht nur alle gesunden Seiten der- selben völlig in sich aufgenommen hatte, sondern überhaupt ihren speci- fischen Geist weit reiner und höher in seinen Werken darstellte, als irgend einer seiner Schulgenossen. Er begab sich nach Florenz, welches gerade in jenem Augenblick der Sammelpunkt der grössten Künstler Italiens war; Michelangelo und Lionardo z. B. schufen damals in ihren (verlornen) Cartons die höchsten Wunder der historischen Composition; es war ein grosser Moment der Kunstgährung. Wer sich davon einen Begriff machen c will, suche im linken Querschiff von S. Spirito in Florenz, am zweiten Altar links, das Bild mit der Jahrzahl 1505 auf, welches jetzt ge- wöhnlich dem Ingegno zugeschrieben wird; aus der Madonna und Seine peruginische und erste florentinische Zeit. den Heiligen sehen uns vier, fünf Maler verschiedener Schulen neckend entgegen. Rafael liess sich nicht zerstreuen. Er fand unter den florentinischen Malern wie es scheint sehr bald denjenigen, welcher ihn gerade in seiner Weise am meisten fördern konnte: den grossen Fra Bartolom- meo, der nicht sehr lange vorher nach mehrjähriger Unterbrechung sich von Neuem der Malerei zugewandt hatte. Dieser war meistens mit ähnlichen Aufgaben beschäftigt, wie die Schule von Perugia, näm- lich mit Gnadenbildern, nur löste er malerisch was diese ungelöst liess; er stellte seine Heiligen und Engel nicht bloss symmetrisch neben und durcheinander, sondern er bildete aus ihnen wahre Grup- pen und belebte sie durch Contraste und durch grandiose körperliche Entwicklung. Sein Einfluss auf Rafael war bestimmend; die Ab- rechnung zwischen beiden möchte wohl das Resultat geben, dass Ra- fael ihm die wesentlichste Anregung zur streng-architektonischen und dennoch ganz lebendigen Compositionsweise verdankt habe. (Er hat später, vgl. S. 881, d, auf den Frate zurückgewirkt.) Die frühste Äusserung dieses Einflusses erkennt man in dem Frescobilde womit Rafael 1506 eine Capelle des Klosters S. Se- a vero in Perugia schmückte. Die Verschiebung des Halbkreises von Heiligen, welche auf Wolken thronen, geht schon weit über den pe- ruginischen Horizont; hier ist nicht bloss Abwechselung der Charaktere und Stellungen, sondern höherer Einklang und freie Grösse. Der Contrast der obern peruginischen und der untern florentinischen Engel spricht noch deutlich die damalige innere Theilung des Künstlers aus. In seinen Tafelbildern (vermuthlich) aus den Jahren 1504—1506 hat er noch mehr von der frühern Art an sich, so in der Madonna mit 4 Heiligen und der dazu gehörenden obern Lunette im königl. b Schloss zu Neapel, auch noch in der Madonna del Granduca Als Privatbesitz des Grossherzogs von Toscana ist sie hauptsächlich bei An- lass des Copirens in einem der Säle der Galerie Pitti zu sehen. Den Som- mer hindurch ist diess am häufigsten der Fall. . c Die Letztere hat noch ganz die stumpfe, befangene Draperie Peru- gino’s, ist aber im hohen Ausdruck des Kopfes und in der schönen Anordnung des Kindes schon eine der grössten Machtäusserungen von Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael. Rafaels Seele, sodass man ihr manche spätere, vollkommnere Madonna schwerlich vorziehen möchte. Schon entschiedener florentinisch und mehr bewegt ist die kleine a Madonna mit den Nelken , in der Galerie Camuccini zu Rom. Vielleicht ein Bild der Befangenheit, welche ersten Schritten in einer neuen Richtung eigen ist; eine fast genreartige Mutter des Christus- kindes, im Hauskleid, mit absichtlich gedämpften Farben; übrigens so gedacht und ausgeführt, dass an der Echtheit doch nicht zu zwei- feln ist. (Die beiden zusammengesetzten Täfelchen mit heiligen Frauen in derselben Sammlung stammen noch aus R.’s peruginischer Zeit.) Rafael lebte 1506—1508 zum zweitenmal in Florenz und diese Periode war bereits sehr reich an bedeutenden Bildern, von denen nur die meisten ins Ausland gegangen sind. Doch gewähren die in Italien gebliebenen wenigstens einen genügenden Faden für die Er- kenntniss seiner innern Entwicklung. Auch jetzt sehen wir ihn wählen; von dem festen Grund aus, zu welchem ihm der Frate verholfen Jene Abrechnung zwischen beiden Künstlern ist besonders schwierig, wenn es sich einerseits um Rafaels damals geschaffene heil. Familie in der Münch- * ner Pinakothek, andererseits um die beiden heil. Familien des Fra Barto- lommeo im Pal. Corsini zu Rom und im Pal. Pitti (erstes der hintern Zim- mer) handelt. Hat Rafael die geschlossene pyramidale Gruppe der Maria, der beiden Kinder, der Elisabeth und des abschliessend darüber stehenden Joseph zuerst geschaffen und der Frate ihn unvollständig, mit Weglassung einer Figur nachgeahmt? Oder hat Rafael das unreife Motiv des Frate erst durch seine Zuthat zur Reife gebracht? Die Entscheidung ist bedenklich, die Zusammengehörigkeit der Bilder beider bleibt aber handgreiflich. Ich möchte eher die erstere Vermuthung annehmen. , greift er mit dem sichersten Takte nur nach dem was ihm innerlich gemäss ist. Die Breite des Lebens, welche noch das Thema der meisten damaligen Florentiner ist, berührt auch ihn, aber nur soweit sie das Höchste nicht beein- trächtigt: den Ausdruck der Seele und die allmälig in ihm zur sichern Form gedeihenden Grundgesetze der malerischen Composition. Man vergleiche nur seine damaligen Madonnen mit denjenigen der Florentiner; selbst diejenigen Lionardo’s (Vierge aux rochers, Vierge aux balances im Louvre) werden sich als weniger hoch gedacht, als Madonnen seiner spätern florentinischen Zeit. in einem irdischen Beginnen befangen erweisen, der übrigen nicht zu gedenken. Rafael hat schon durch den architektonischen Ernst seiner Gruppenbildung einen Vorsprung, noch mehr aber durch den hohen Ernst der Form, welcher ihn von allen bloss zufälligen Zügen des Lebens fern hielt. Der Intention nach will seine Madonna nicht mehr sein als ein schönes Weib und eine Mutter, wie bei den Florentinern auch; seine Absicht ist (die eigentlichen Gnadenbilder ausgenommen) nicht erbaulicher als die der letztern; wenn man dennoch das Höchste darin findet, so muss diess andere Gründe haben. Die Antwort liegt in der Madonna del Cardellino (in der a Tribuna der Uffizien; die als Gegenstück aufgestellte Madonna del pozzo scheint von einem Niederländer oder Lucchesen nach rafaelischen Erinnerungen gearbeitet). Die einfachste denkbare Pyramidalgruppe, durch das Überreichen des Hänflings mässig belebt; man wird viel- leicht in den reizenden Formen, dem reinen Ausdruck den vollen Werth des Bildes suchen; dieselben würden aber weniger wirken, ja vielleicht verloren gehen, ohne die haarscharf abgewogene Harmonie der einzelnen Theile in Form und Farbe. Bei Rafael wirkt immer das Einzelne so stark und unmittelbar, dass man darin das Wesent- liche zu finden glaubt, während doch der Reiz des Ganzen unbewusster Maassen das Bestimmende ist. Die höhere Stufe der Mad. del Cardellino ist dann die bekannte Belle Jardinière im Louvre. Ein Räthsel bleibt die Madonna del Baldacchino im Pal. b Pitti. Rafael liess sie bei seiner Abreise nach Rom unvollendet; spä- ter, als sein wachsender Ruhm dem Bilde eine neue Aufmerksamkeit zuwandte, wurde, man weiss nicht durch wen, daran weiter gemalt. Endlich liess Ferdinand, Sohn Cosimo’s III, dasselbe etwa um 1700 durch einen gewissen Cassana mit einem Anschein von Vollendung versehen, hauptsächlich mittelst brauner Lasuren. Die ungemein schöne Anordnung des Kindes zur Madonna (z. B. die Begegnung der Hände), die im grossartigen Styl des Frate zusammengestellten Figuren links (S. Petrus und S. Bernhard) gehören wohl Rafael an; vielleicht auch der Oberkörper des Heiligen mit dem Pilgerstab rechts; dagegen möchte der heil. Bischof rechts von ganz fremder Hand dazu com- ponirt sein. Die beiden köstlich improvisirten Putten an den Stufen Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael. des Thrones gehören ebensosehr der Weise des Frate als der Rafaels an; von den beiden Engeln oben ist der schönere aus dem Fresco von S. Maria della Pace in Rom offenbar entlehnt, woraus hervorgeht, dass der erste Vollender jedenfalls erst nach 1514 über das Bild kam. In seinen florentinischen Bildnissen steht Rafael schon als der grosse Historienmaler da, der aus dem Zufälligen das Charakteri- stische, aus dem Vorübergehenden das Ewige auszuscheiden weiss. Vielleicht an dieser Stelle zeigt sich der einzige kenntliche Einfluss Lionardo’s auf Rafael, sowohl in der Auffassung als in demjenigen Fleiss der Modellirung, welchem kein Detail der Form zu gering ist, sobald es sich um den ganzen und vollen Charakter handelt. Wenn a wir von zwei sehr schönen Köpfen andächtiger Mönche in der flor. Academie (Saal der kleinen Bilder) absehen, welche noch aus der ersten florent. Periode sein könnten, so wären die Bildnisse des An- b gelo und der Maddalena Doni (im Pal. Pitti) seine frühsten be- kannten Arbeiten dieser Gattung (1505). Dasjenige der Frau zeigt einen unverkennbaren Anklang an die Gioconda Lionardo’s (im Louvre), nicht bloss in den Äusserlichkeiten, sondern dem innersten Kerne nach. Manches ist noch unfrei, z. B. die Stellung der Hände, auch die Farbe, allein die Auffassung des Charakters und die Haltung ist völ- lig unbefangen. Von allen Zeitgenossen hätten nur wiederum Lionardo und etwa Giorgione damals etwas ebenso Werthvolles hervorbringen können. c Das Bildniss in der Tribuna der Uffizien, welches ebenfalls Mad- dalena Doni heisst, dem andern Bild aber wie eine ältere, etwas leidende Schwester gleicht, möchte wohl früher, etwa bald nach der Ankunft in Florenz gemalt sein, als R. noch peruginischer dachte und die Gioconda noch nicht kannte. Es ist ein so herrliches und (z. B. in der Anordnung der Hände) bedeutendes Bild, dass die Zweifel an der Echtheit kaum berechtigt scheinen. Unzweifelhaft echt ist jeden- d falls R.’s eigenes Porträt in der Sammlung der Malerbildnisse ebenda (vom Jahr 1506?), von leichter, anmuthiger Haltung und höchst meisterhafter Malerei. — Endlich enthält die Galerie Pitti (unter N. 229, Saal der Iliade) das Bildniss einer Frau von etwa 35 Jahren, Florentinische Porträts. Die Grablegung. in florentinischer Tracht, welches dem R. zugeschrieben wird und jedenfalls von erstem Range ist. Es scheint von einem künftigen Meister des Helldunkels gemalt, was Rafael nie wurde, auch zeigen die Flächen der Leinewand und der Damastermel eher etwa die Behandlungsweise des Andrea del Sarto. Die Modellirung ist wunderbar schön und fleissig, wie sie Andrea’s spätere Arbeiten allerdings nicht mehr auf- weisen. Die Verkürzung der einen Hand hätte der so weit aus- gebildete Rafael unbedingt besser gegeben. — Der Charakter des Kopfes erzählt eine ganze Jugendgeschichte voll Liebe und Güte. Im Jahr 1507 malte Rafael auch sein erstes grosses bewegtes Historienbild; es ist die Grablegung in der Galerie Borghese zu a Rom. Ein Werk der höchsten Anspannung aller Kräfte, noch nicht frei von gewissen Befangenheiten (z. B. in der Anordnung der Füsse), mit einzelnen Gesichtsformen, welche schon auf ein abgeschlossenes und damit der Manier sich näherndes Ideal hindeuten, wovon R. sich später wieder frei machen musste. Aber ein ewig grosses Wunderwerk der Linienführung, der dramatischen und malerischen Gegensätze, und des Ausdruckes. Es genügt z. B. die Vertheilung der physischen An- strengung und der Seelentheilnahme zu verfolgen, um R. allen Zeit- genossen vorzuziehen. Der Christusleichnam ist in Form und Ver- kürzung vollkommen edel. — Die Predella dazu, grau in grau die b Figuren von Glaube, Liebe und Hoffnung in Rundbildern auf grün- lichem Grunde darstellend, mit je zwei Engelknaben zu den Seiten, befindet sich in der vaticanischen Galerie. Es sind scheinbar nur leichte Skizzen, aber schon in Composition und Geberde liegt ein Ausdruck, den man nicht bezeichnender wünschen möchte. Mit mög- lichst Wenigem ist hier möglichst Grosses gegeben. (Die obere Lu- nette, Gottvater mit Engeln, findet sich noch in S. Francesco de’ c Conventuali zu Perugia, wo einst das ganze Werk stand, aber nicht über der Copie desselben von Arpino, sondern über einem Altarbild der rechten Seite, die Geburt Christi von Orazio Alfani.) Mit diesem entscheidenden Werke legitimirte sich Rafael als der- jenige, der allein neben Michelangelo die Gedanken Papst Julius II ganz würdig ausführen konnte. Der Papst berief ihn 1508 nach Rom, B. Cicerone. 57 Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael. wo er die zwölf noch übrigen Jahre seines kurzen Lebens hindurch jene unbegreiflich reiche Thätigkeit entfaltete, die als moralisches Wunder einzig dasteht. Nicht die Höhe des Genies, sondern die Ge- walt der Willenskraft ist das grösste daran; jene hätte ihn nicht vor der Manier geschützt; diese war es, die ihn nie auf den Lorbeern ausruhen, sondern stets zu höhern Ausdrucksweisen emporsteigen liess. — Die grosse Menge der Aufträge, der Ruhm und die alles über- treffende Schönheit der Werke sammelten bald eine Schule um Ra- fael; dieser musste er in der spätern Zeit die Ausführung selbst ganzer grosser Unternehmungen überlassen; es waren Menschen der ver- schiedensten Anlage, zum Theil geringe Charaktere, aber so lange der gewaltige Abglanz von der Gestalt des Meisters auf ihnen ruhte, schufen sie in seinem Geist. Ihre baldige Ausartung nach seinem Tode zeigt noch einmal von der Kehrseite, was Er gewesen sein muss. Wir beginnen mit den noch in Italien vorhandenen Staffeleibildern, welche trotz der inzwischen eingetretenen Gewöhnung des Meisters an die Frescomalerei ihren besondern Charakter vollkommen bei- behalten, sodass in ihnen gerade die höchsten Aufgaben der Ölmalerei, die in R.’s Bereiche lagen, gelöst sind. Als gewissenhaftester aller Künstler that er sich auch in der Technik nie genug. Wenn man aber von ihm die Farbengluth Tizians und das Helldunkel Coreggio’s verlangt, so zeigt diess ein gänzliches Verkennen seines wahren Werthes. Keines seiner Gemälde würde durch das Hinzukommen dieser Eigenschaften irgend wesentlich gewinnen, weil keines darauf gebaut ist. Was man dagegen wohl bedauern darf, ist das spätere Nachschwärzen seiner Schatten, die im Augenblick der Vollendung ge- wiss viel lichter waren. Den Beweis liefert z. B. Andrea del Sarto’s a Copie nach dem Bildniss Leo’s X, welche sich im Museum von Neapel befindet; mit chemisch günstigern Farben in den Schatten ausgeführt, zeigt sie, wie das Original (im Pal. Pitti) ursprünglich gestimmt ge- wesen sein muss. Die Madonnen dieser römischen Zeit sind grösstentheils im Aus- lande. Von der Madonna di Casa d’Alba, einem Rundbilde mit ganzen b Figuren in einer Landschaft, enthält z. B. die Galerie Borghese eine Madonnen der römischen Zeit. alte Copie; ein köstlicher Nachklang der florentinischen Madonnen, nur mehr bewegt. Die Mad. della Tenda in der Turiner Galerie a gilt als eigenhändige Wiederholung des in München befindlichen Bil- des; ebenso ist wohl an der Echtheit des sog. Réveil de l’enfant Der Name passt nicht recht; das Kind ist schon ganz wach und zieht fröh- lich an dem Schleier der Mutter. b im Museum von Neapel nicht zu zweifeln, obschon das in England befindliche Exemplar schöner sein soll. Die unendliche Anmuth die- ses Bildes, womit es den Sinn des Beschauers traumhaft umfängt, hat wieder ihren tiefsten Grund nicht in den sehr schönen Formen und Zügen, sondern in den überaus vollkommenen Linien, im Gang der Bewegung der Mutter und des Kindes, in der Lichtvertheilung. Kein einziges dieser Bilder giebt durch direkte Andeutungen zu erkennen, dass die Mutter Gottes gemeint sei. Es ist nur die reinste Schönheit des Weibes und des Kindes, die den Gedanken an das Übernatürliche erweckt. Die Kunst ist nach anderthalb Jahrtausenden wieder einmal auf derjenigen Höhe angelangt, wo ihre Gestalten von selbst und ohne alle Zuthaten als etwas Ewiges und Göttliches er- scheinen. Und nun stimmt sich Rafael einmal herab und malt vielleicht nur die schönste Italienerin in Gestalt der Madonna della Sedia c (Pal. Pitti). Abgesehen von dem Reiz der Formen und von der nicht wieder so erreichten Composition im Rund wirkt hier der Ausdruck des Mütterlichen, in Verbindung mit der herrlichen Volkstracht, ganz besonders stark. Es ist das Lieblingsbild der Frauen. Von den heiligen Familien ist eine der vorzüglichsten, wie es scheint, spurlos verschwunden: die Madonna aus dem Schatz von d Loretto . Das Exemplar im Louvre ist nicht besser als einzelne andere gute Schulcopien, deren z. B. das Museum von Neapel zwei enthält (eine davon in der Sammlung des Prinzen von Salerno). Das Motiv ist bekannt: Maria hebt von dem ihr entgegenlachenden, auf einer Bank liegenden Kinde das Leintuch auf, während Joseph zu- sieht; im Hintergrunde ein grüner Vorhang; die beiden Halbfiguren meist kaum unter Lebensgrösse. Es ist eine häusliche Scene, aber gereinigt von dem Kleinbürgerlichen der Nordländer, von dem Re- 57* Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael. naissanceprunk der Florentiner, ausgeprägt in den höchsten Formen und Linien. Theilweise von R. componirt und auch ausgeführt ist die Ma- a donna dell’ Impannata (d. h. des Tuchfensters) im Pal. Pitti. Waren vielleicht Maria, Elisabeth, die junge Frau links und das Kind ursprünglich zu einem Rundbilde entworfen, welches sich abwärts etwa bis zum Knie der Elisabeth erstreckt hätte? (wobei das Stehen der Maria auf einem andern Plan als die übrigen nicht so auffallen würde) — oder welches Atelier-Geheimniss waltet hier ob? Der ganz ausserhalb der Gruppe sitzende Johannes ist jedenfalls ein späterer Gedanke, wenn ihn auch Rafael selbst vorgezeichnet haben mag. Über die Theile, die er gemalt hat, herrscht ein Streit, welchen Andere schlichten mögen. Der Moment ist einer der liebenswürdigsten; die beiden Frauen haben das Kind gebracht und überreichen es der Mut- ter; während der Knabe sich noch lachend nach ihnen umwendet, fasst er kräftig das Kleid der Maria, welche zu sagen scheint: „Seht, er will doch am liebsten zu mir.“ b Feierlicher ist die Scene in der Madonna col divino amore (Museum von Neapel). Elisabeth wünscht dass das Christuskind den kleinen links knieenden Johannes segne und führt diesem sachte die Hand; Maria betet wie bestätigend dazu; mit Recht hat sie das auf ihrem Knie sitzende Christuskind losgelassen, denn wer segnen kann, der kann auch fest sitzen Eben so richtig hat diess z. B. der Bildhauer Alessandro Leopardo empfun- * den — wenn die Madonna della Scarpa in S. Marco zu Venedig (S. 626) von ihm ist. Das auf ihrem rechten Knie sitzende Kind schickt sich eben zum Segnen an, und sie lässt die Hände von ihm los. . Gerade an Zügen dieser Art ist die spätere Kunst so arm! — Die Ausführung gilt überwiegend als Schü- lerarbeit. c Ganz in der Nähe hängt Giulio Romano’s Madonna della Gatta , eine in seinen Styl übersetzte Wiederholung des nach Madrid gekommenen Bildes „la perle“ von Rafael. Was der Schüler hinzu- gethan hat, ist lauter Entweihung, die Katze, die Umbildung der Elisabeth zur Zigeunerin, mehrere andere Zuthaten. — Ähnlich ver- d hält es sich mit Giulio’s Madonna della lucertola (Pal. Pitti), nur dass hier wahrscheinlich schon das für rafaelisch geltende Origi- Madonnen und Gnadenbilder der römischen Zeit. nal, ebenfalls in Madrid, nicht ganz von der Erfindung des Meisters ist. Schöner und fleissiger gemalt als die Mad. della Gatta, wirkt das florentinische Bild doch nur wie eine Zusammenstellung von Mo- tiven (ein sog. Pasticcio) nach Rafael. (Die Madonna ai Candelabri, ehemals in Lucca, ist seit langen Jahren nach England verkauft.) Nur wenige Gnadenbilder, in welchen Maria thronend oder verklärt erscheint, sind von Rafael vorhanden. Das frühste derselben, noch mit einem kenntlichen florentinischen Nachklang, ist die Madonna a di Foligno (in der vatican. Galerie) vom Jahr 1512. Als Mutter Gottes mit Heiligen erreicht diess Bild gerade alles Das, was die Florentiner gern erreicht hätten; ein gewaltig erhöhtes geistiges Leben in den Heiligen; der innigste Bezug zum gläubigen Beschauer sowohl als zur Jungfrau; letztere übrigens nur als ideale Mutter, nicht als Königin des Himmels, das Kind sogar mit einem Zug der Unruhe — und doch Beide so hoch über der Madonna del Baldacchino, als die begleitenden Heiligen des Bildes über denjenigen des letztgenannten. Und welcher florentinische Kinderengel, welche frühere Kindergestalt Rafaels selbst würde dem göttlich holden Engelknaben gleichkommen, welcher mit der Schrifttafel vorn zwischen den Heiligen steht? Deut- lich spricht das ganze Bild aus, dass der Meister inzwischen die grosse monumentale Historienmalerei gepflegt und dass diese ihn über die letzten Schranken hinweggeführt hat. Der knieende Donator, Sis- mondo Conti, ist der gleichzeitigen Bildnisse R.’s vollkommen würdig und dabei von einer trostvoll rituellen Andacht beseelt, die sich von der Ekstase des heil. Franz, von der Aufregung des Johannes und Hieronymus merkwürdig unterscheidet. Später, in der sixtinischen Madonna (zu Dresden) erreichte und bezweckte Rafael allerdings ein Höheres; der Ausdruck des Übernatürlichen wird nicht bloss durch ideale Form, sondern durch die visionäre Raumbehandlung, durch das Einherwallen auf den Wol- ken, durch den hochfeierlichen Schwung des Gewandes erzielt. In der Madonna von Foligno ist selbst die sitzend schwebende Haupt- figur noch wie in einem bestimmten Raum behandelt und alles Übrige Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael. vollends irdisch wirklich. Ein Gemälde, das schon seiner Gattung nach — als Processionsfahne — eine Ausnahme bilden mochte (wie diess bei der sixtin. Mad. mit Wahrscheinlichkeit angenommen wird), darf indess nicht als Norm für Altarbilder dienen. Von der Madonna del pesce , welche mit so manchem Mei- sterwerk unter den spanischen Vicekönigen aus Neapel nach Spanien a kam, findet man in S. Paolo zu Neapel (im Durchgang aus der Kirche zur Sacristei) noch eine alte Copie. In dieser höchst liebenswürdigen Composition ist Maria wieder in die Mitte der Heiligen herabgerückt, wie in der Mad. del baldacchino, aber die hohe Auffassung der For- men, der reine Schwung der Composition zeugt von der spätern, voll- endeten Epoche des Meisters. So hat denn Rafael, mit einziger Ausnahme der sixtinischen Ma- donna, überall in seiner Maria nur das Weibliche nach allen Kräften verklärt und es darauf ankommen lassen, ob man die Mutter Gottes, die Königin der Engel, die mit allem Glanz der Mystik gefeierte Her- rin des Himmels darin erkennen werde oder nicht. Er ist immer so wenig symbolisch als möglich; seine Kunst lebt nicht von Beziehun- gen, die ausserhalb der Form liegen, — so sehr ihm auch das Sym- bolische da zu Gebote stand, wo es hingehört, wie die Fresken im Vatican zeigen. Auch sein Christuskind ist mit einziger Ausnahme des grandios unheimlichen Knaben auf dem Arm der sixtin. Madonna nur der reinste Hauch kindlicher Schönheit. Italien ist reich gesegnet in dieser Hinsicht, sodass dem Maler oft nur die Wahl schwer fällt, und seit Lippo Lippi und Luca della Robbia hatte die Kunst uner- müdlich nach der höchsten Beseelung der Kindesgestalt gestrebt; Ra- fael kam und zog das Resultat. Sein Christus- und sein Johanneskind zeigen mit Ausnahme der frühsten, peruginisch-sentimentalen Bilder nichts als das schönste Jugendleben, dessen gesunde Äusserung indess nur bis an die Grenzen des Schalkhaften verfolgt wird und erst bei Giulio Romano (anderwärts bei Andrea del Sarto) in das Muthwillige übergeht, um endlich bei spätern Generationen in das Süssliche zu fallen. Dieses blosse schöne Dasein, welches das Wesen des Kindes ist, hört auf mit der ersten Thätigkeit. Es giebt von R. keine Darstellung Johannes d. T. Vision Ezechiels. des zwölfjährigen Lehrers im Tempel Ein misslicher Gegenstand, insofern dessen Inhalt nie rein in die Darstellung aufgehen kann; man erfährt wohl aus dem Evangelium aber nie aus dem Bilde, wesshalb die Schriftgelehrten so betroffen sind; die Argumente, welche diese Wirkung hervorbrachten, können eben nicht gemalt werden. — Wie sich Lionardo half, s. S. 863, f. — Wir wüssten sehr viel, wenn wir ermitteln könnten, welche Gegenstände Rafael trotz der Wünsche Anderer nicht ge- malt hat und aus welchen Gründen er sie zurückwies. Es giebt von ihm kein Marterbild; sein weitester Grenzstein nach dieser Seite ist die Kreuztragung (lo spasimo di Sicilia), abgesehen von dem frühen Cruxifixus, S. 892, *. ; wohl aber die eines begei- sterten Knaben Johannes (das Original vielleicht das Bild in Darm- stadt; ein anderes neben vielen Copien als wenigstens zum Theil eigenhändig anerkanntes Exemplar in der Tribuna der Uffizien zu Flo- a renz; eine alte Schulcopie in der Pinacothek zu Bologna). Der mäch- b tig strenge Ausdruck des herrlichen Kopfes und der äusserst wirk- same Gegensatz zwischen dem aufrechten Sitzen und der diagonalen Bewegung lässt über die Mischung der Formen hinwegsehen, welche zum Theil knabenhaft, zum Theil mehr ausgebildet männlich sind. Im Ganzen wird man Rafael (auch gegen Tizian) darob Recht geben, dass er den Täufer als Einzelfigur ganz jung bildete; diese Schönheit ist das allein richtige Gegengewicht gegen die Busspredigt, wenn nicht durch Zuthat anderer Figuren eine ganz neue Rechnung eintritt. — Das Rohrkreuz, auf welches Johannes hinweist, bietet in seiner Biegung die einzig harmonische Linie dar. Endlich noch drei Werke der römischen Zeit, welche jedes in seiner Weise für die Darstellung des Übernatürlichen unvergleichlich gross sind. Das eine ist symbolischer Art: die Vision Ezechiels , im Pal. c Pitti; klein, höchst fleissig obwohl nicht miniaturartig ausgeführt. — Das Mittelalter hatte die aus dem alten Testament und der Apoka- lypse entnommenen Symbole dem Wortlaut nach symmetrisch gebil- det, imposant durch den Ernst der Überzeugung, und auch für unser Gefühl überwältigend durch die Ideenassociation, die sich an derar- tige Äusserungen der alten Kirche knüpft. — Rafael übernahm den Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael. Gegenstand und bildete ihn im Geiste der grossartigsten Schönheit um, so weit es bei dem herben Symbol möglich war. Durch die Ver- schiebung der Gestalt des Gottvaters bringt er erst den klaren Aus- druck des Schwebens hervor; die aufgehobenen Arme, von zwei Engel- kindern unterstützt, geben das Gefühl eines ganz übermächtigen Seg- nens; Gottvater thront nur auf dem Adler, denn Löwe und Stier, auf welche seine Füsse sinken, sind bloss geschickt hinzugeordnet; sie blicken nebst dem anbetenden Matthäusengel empor; Gottvater sieht aber nur letztern an. Man kann dieses verschiedene Verhalten zu den vier Sinnbildern willkürlich nennen; hätten wir aber nur viel von die- ser Willkür! — Das Bild möchte etwa in die Zeit der ersten Ab- theilungen der Loggien fallen. (Das florent. Exemplar wird mannig- a fach angezweifelt, dasjenige welches 1852 im Besitz des Capitäns Piela in Venedig war, von geübten Augen vorgezogen.) Das zweite Werk giebt das Übernatürliche durch Spiegelung in d einer Genossenschaft von Heiligen: die berühmte h. Cäcilia (in der Pinacothek von Bologna, gemalt um 1515). Auf der Erde liegen die weltlichen Toninstrumente, halbzerbrochen, saitenlos; selbst die fromme Orgel sinkt aus den Händen der Heiligen; Alles lauscht dem oben in den Lüften nur angedeuteten Engelchor. Dieser wunderbar improvi- sirten, obern Gruppe gab Rafael den Gesang, dessen Sieg über die Instrumente hier dem an sich unmalbaren Sieg himmlischer Töne über die irdischen mit einer wiederum bewundernswerthen Symbolik substituirt wird. Cäcilia ist mit grosser Weisheit als reiche, auch sinnlich gewaltige Bildung gegeben; nur so (z. B. nicht als nervös interessantes Wesen) konnte sie den Ausdruck des vollen Glückes ohne Aufregung darstellen. Auch ihre fürstliche Kleidung ist gerade für den hier gewollten Zweck wesentlich und steigert eben jenen Ausdruck der völligen Verlorenheit in ruhigem Entzücken. Paulus, innerlich erschüttert, stützt sich auf das Schwert; die gefaltete Schrift in seiner Hand deutet an, dass in Gegenwart der himmlischen Har- monien auch die geschriebene Offenbarung als eine erfüllte schweigen dürfe. Johannes, in leisem Gespräch mit S. Augustin, beide verschie- den erregt zuhörend. Magdalena endlich ist (offen gesagt) absichtlich theilnahmlos gebildet, um die leise Scala des Ausdruckes in den vier Übrigen dem Beschauer recht zum Bewusstsein zu bringen, übrigens Die h. Cäcilia. Die Transfiguration. eine der grossartig schönsten Figuren Rafaels. Die wahren Grenzen, innerhalb welcher die Inspiration Mehrerer darzustellen ist, sind in diesem Bilde mit einem Takt festgehalten, welcher den spätern Pfingst- festmalern völlig fremd ist. (Leidlich erhalten und restaurirt, mit Ausnahme der roh über- malten Luft. Hr. Alboresi in Bologna besitzt eine Wiederholung der a Hauptfigur, welche von glaubwürdiger Seite als erste, höchst vortreff- liche Probe von Rafaels eigener Hand bezeichnet wird.) Das dritte Gemälde, das letzte Rafaels, welches er unvollendet hinterliess (1520), ist die Transfiguration , in der vaticanischen b Galerie. Hier wird durch einen dramatischen Gegensatz, den man ungeheuer nennen darf, das Übernatürliche viel eindringlicher darge- stellt als alle Glorien und Visionen der ganzen übrigen Malerei diess vermocht haben. Allerdings sind zwei ganz verschiedene Scenen auf dem Bilde vereinigt, ein Wagestück, das wahrlich nicht Jedem zu rathen wäre; es geschah eben nur hier und nur zu diesem Zwecke. — Unten am Berg die Leute, welche den besessenen Knaben gebracht haben, und die Jünger, rathlos, mitleidig, aufgeregt, selbst im Buch nach Hülfe suchend, auch lebhaft empordeutend nach dem Berg, auf wel- chen ihr Meister gegangen; der Besessene selbst vor Allem merkwür- dig als eine der wenigen Gestalten aus dem Gebiete der Nacht, die Rafael geschaffen und die beim entsetzlichsten Ausdruck doch seine hohe Mässigung so glanzvoll verräth; die jammernde Frau auf den Knieen vorn ist gleichsam ein Reflex des ganzen Vorganges. Niemand von ihnen allen sieht was auf dem Berge vorgeht und der Bibeltext erlaubte es auch gar nicht; die Verbindung beider Scenen existirt nur im Geiste des Beschauers. Und doch wäre die eine ohne die andere unvollständig; es genügt, die Hand vor die obere oder vor die untere zu halten, um zu erkennen, wie sehr das Gemälde ein Ganzes bildet. — Oben schwebt Christus, und wie durch eine mag- netische Kraft zu ihm hingezogen schweben auch Moses und Elias; ihre Bewegung ist keine selbständige. Unten liegen die geblendeten Jünger und links erblickt man die heil. Diacone Stephanus und Lau- rentius, wahrscheinlich nur als Patrone der Kirche, für welche das Bild ursprünglich bestimmt war. — Form und Ausdruck des Christus sprechen eines jener grossen Geheimnisse der Kunst aus, um welche Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael. sich bisweilen lange Jahrhunderte vergebens bemühen. Das Bild, welches sich die gläubige Phantasie von der Verklärung auf dem Berge Tabor macht, ist absolut nicht darstellbar, weil ein helles Leuch- ten der Gestalt, d. h. eine Aufhebung alles Schattens, also auch aller Modellirung des Körpers dabei vorausgesetzt wird; Rafael substituirte das Schweben * Noch bei Giov. Bellini, in jenem wichtigen Bilde (S. 827, h) des Museums von Neapel, sind Christus, Moses und Elias auf dem Berge stehend dargestellt. . Ferner wird die Verklärung ausschliesslich als Machtäusserung in Bezug auf die Anwesenden gedacht; Rafael dage- gen strebte nicht nach dem Ausdruck der höchsten Herrlichkeit, wel- cher am Ende in einer kalten Symmetrie erstarren müsste, sondern nach dem der höchsten Seligkeit; sein Christus ist ganz Wonne und damit schon von selbst herrlicher, als er durch den Ausdruck der Macht irgend hätte werden können; er ist es, selbst abgesehen von den colossalen Contrasten zu den befangenen Jüngern und gar zu der Scene des Jammers unten. Sein emporgerichteter Blick erscheint durch die Vergrösserung und weite Distanz der Augen ausserordentlich ver- stärkt; Rafael ging hierin nicht weiter als die Griechen auch, bei welchen ziemlich oft die Normalbildung irgend einer charakteristischen Schärfung weichen muss Eine ähnliche Behandlung der Augen kommt auch in der sixtin. Madonna vor, sonst aber vielleicht bei R. nirgends; er sparte solche Mittel für die äusser- sten Fälle. In einem der heiligen Diacone auf der Transfiguration rührt diese Bildung wohl von der Hand eines Schülers her. . — Wem nun dieser Christus noch immer nicht genügt, der suche erst darüber ins Klare zu kommen, woran es fehle, und was man von der Kunst überhaupt verlangen dürfe. Es ist möglich, dass in manchen Gemüthern z. B. der Weltrichter des Orcagna, der Cristo della moneta Tizians, der Christus in Rafaels Disputa andere und stärkere Saiten des Gefühls berührt, tiefere Ideen- folgen erweckt, allein für eine Verklärung auf Tabor gab der Meister hier eine so hohe Form, dass wir froh sein müssen, ihm irgendwie folgen zu können. — Die Ausführung gehört in der untern Hälfte wohl fast ganz den Schülern an, entspricht aber gewiss im Ganzen R.’s Absicht, mit Ausnahme natürlich der nachgedunkelten Schatten. Die ungemeine Kraft der Farbe, verbunden mit der fast venezianischen Harmonie wenigstens in der obern Gruppe, zeigt, dass R. bis zum Transfiguration. Porträts der römischen Zeit. letzten Augenblick seines Lebens neue Mittel der Darstellung zu be- wältigen suchte. Als Künstler von Gewissen konnte er gar nicht an- ders. Wer ihm daraus einen Vorwurf macht und von „Abfall“ redet, kennt ihn nach seinem innersten Wesen nicht. Das ewig grosse Schau- spiel, wie Rafael sich als Künstler consequent ausbildet, ist schon an sich mehr werth, als irgend ein Verharren auf einer bestimmten Stufe des Idealen, z. B. auf dem Darstellungsprincip der Disputa, sein könnte. Und überdiess verharrt man nicht ungestraft; die „Manier“ wartet schon vor der Thür. Von der Bestellung des Bildes wissen wir nichts Näheres. Es ist möglich, dass Cardinal Giulio de’ Medici nichts verlangte als einen Salvator mit S. Stephanus und S. Laurentius, und dass Rafael alles Übrige hinzuthat. Schon Fra Bartolommeo hatte in seinem herrlichsten Bilde (S. 882, c) den Salvator zwischen vier Heiligen von freien Stücken als den Auferstandenen dargestellt; Rafael stieg eine Stufe höher und gab den Verklärten. Eine Seite weiter im Evangelium steht die Ge- schichte von dem besessenen Knaben — welch ein Augenblick mochte das sein, da dem Künstler der Gedanke an eine Verbindung beider Scenen aufging! Die Porträts der römischen Zeit Rafaels bilden eine Reihe ganz anderer Art als diejenigen des Tizian, des Van Dyck und An- derer, welche vorzugsweise als Porträtmaler berühmt waren. Zwi- schen den grössten Historienbildern und Fresken gemalt, sind sie in der Auffassung höchst verschieden; jedes trägt den Abglanz derjeni- gen Stimmung, welche in dem betreffenden Augenblick den Historien- maler beseelte. Bekanntlich war er auch in den Fresken nichts we- niger als sparsam mit Bildnissfiguren. Von den in Italien befindlichen Bildnissen ist zuerst zu nennen: Papst Julius II. (Im Pal. Pitti; das Exemplar in der Tribuna der a Uffizien gilt als alte Copie, und ist es auch mit Ausnahme des Kopfes, dessen hohe Vortrefflichkeit wohl nur durch R.’s eigene Arbeit sich erklären lässt.) Die malerische Behandlung ist wunderbar schön und in aller Einfachheit reich; der Charakter so gegeben, dass man die Geschichte des gewaltigen Greises erst durch dieses Bild recht ver- stehen lernt. Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael. Leo X, mit den Cardinälen de’ Rossi und Giulio Medici. (Im a Palazzo Pitti. — Die Copie des Andrea del Sarto im Museum von Neapel, vgl. S. 898 a, wird an Ort und Stelle noch immer für das Ori- ginal ausgegeben, während ausserhalb Neapels schon längst jeder Zweifel in dieser Beziehung verstummt ist.) Etwas über natürliche Grösse, sodass z. B. die nobeln Hände des Papstes nicht so klein scheinen, als sie im Verhältniss gemeint sind. Die Begleitung durch zwei Cardinäle schon bei frühern Papstbildnissen nachweisbar. Der Charakter Leo’s X hier und in den Fresken gewährt eine merkwür- dige Parallele, was auch für Julius II gilt. Durch Lichtwechsel und Stoffbehandlung bilden die vier verschiedenen Roth eine ganz harmoni- sche Scala. Hinten eine ernste Architektur. Die Zuthaten (Glocke, Buch, Vergrösserungsglas) leise, aber wesentliche Winke zur Charak- teristik. b Cardinal Bibbiena (im Pal. Pitti); das Verlebte und Kränk- liche grossartig und geistvoll gegeben; in der vornehmen Liebenswür- digkeit eine Parallele zu Van Dyck’s Cardinal Bentivoglio (ebenda), welcher bei weitem absichtlicher erscheint. c Fedra Inghirami , ein römischer Prälat und Alterthumsforscher. (Pal. Pitti.) Der Thersites Rafaels; gegenwärtig würde er wie alle Schielenden entweder im Profil oder mit Übergehung des Schielens Guercino malte in seinem eigenen Porträt (Uffizien) das eine Auge in den tiefsten Schatten. gemalt werden; Rafael aber umging das Charakteristische nicht, son- dern gab dem starren Auge diejenige Richtung und Form, welche das geistige Forschen auszudrücken im Stande war. Die starke Beleibt- heit ist möglichst edel dargestellt, die Hände nur die eines vornehmen Geistlichen. Wahrscheinlich ein Denkmal collegialischer Achtung, aus der Zeit, als R. die römischen Alterthümer studirte. d „Bartolus und Baldus“ , richtiger: Navagero und Beazzano (Palazzo Doria in Rom). Zwei schwarzgekleidete Halbfiguren auf Einem Bilde; trotz neuerer Zweifel wohl unbedingt echt. Wer konnte zwei bedeutende Männer bewegen, sich zusammen malen zu lassen, wenn der Künstler nicht entweder ein Andenken für sich oder für einen Höhern, etwa für den Papst verlangte? Mehr als in den üb- Porträts der römischen Zeit. rigen Bildnissen herrscht hier der Styl eines historischen Denkmals, eine freie Grösse, welche zu jeder That bereit scheint und in jedem Geschichtsbilde ihre Stelle fände. Die Ausführung, soweit sie unbe- rührt geblieben, ist höchst gediegen. Der Violinspieler (Palazzo Sciarra in Rom). Rafael malte a im Jahr 1518 gewiss keinen Virtuosen auf dessen Bestellung. Wahr- scheinlich ein Günstling des überaus musikliebenden Leo X. Im höch- sten Grade interessant, sodass die Phantasie den Lebensroman dieses Unbekannten von selbst aufbaut. Der Pelz, welchen der junge Mann nöthig hatte, ist mit Raffinement behandelt. Von dem Porträt der Johanna von Aragonien sind alle bes- sern Exemplare im Norden. Einem unbekannten Nachfolger Lionar- do’s hatte die prachtvolle Repräsentation, welche die Seele dieses Porträts ausmacht, so eingeleuchtet, dass er es, mit dem stereotypen Idealkopf seiner Schule, wiederholte. Diess ist das Bild im Pal. Doria b zu Rom. Es stellt nicht mehr jene bestimmte Dame vor und ist nicht von Lionardo, giebt auch weder die Lichtwirkung noch die Neben- sachen des besten Originals (im Louvre) irgend genau wieder. Der süsse und milde Kopf will gar nicht mehr zu all dem Pomp von Seide und Sammet und zu der gebietenden Haltung passen. Die Improvisatorin Beatrice (vermeintliche Fornarina, in der c Tribuna der Uffizien, datirt 1512). Ein Wunder der Vollendung und des Colorites, aus der Zeit der Madonna di Foligno. Scheinbar ein Idealkopf, bis man bemerkt, dass ein nicht ganz schönes Verhältniss des Mundes und Kinns durch glückliche Schiebung verheimlicht wird. Längere Zeit dem Seb. dal Piombo zugeschrieben, jetzt wohl ohne Widerspruch dem R. vindicirt. Vorzüglich schön erhalten Das gleiche Weib ist wohl dargestellt in einem schönen Bilde, welches in * der Galerie zu Modena dem Giorgione beigelegt wird; nur ist das Haar hier goldfarbig, mit einer Blume darin. Mir erschien das Bild wie ein Palma vecchio. An der Brustwehr die Chiffre V. . Die wahre Fornarina , Rafaels Geliebte. (Das als eigenhändig anerkannte Exemplar, mit starken Restaurationen, im Pal. Barberini d zu Rom; Wiederholungen von Schülern im Pal. Sciarra und im Pal. e Borghese.) Der Composition nach unverholen ein sehr schönes Act- f bild; die Haltung der Arme und der Kopfputz sind vom Maler ver- Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael. ordnet und wollen nicht die Individualität charakterisiren. Der Typus, von der lange dauernden römischen Schönheit, ist in mehrern histor. Compositionen Rafaels frei benützt, ohne dass man an eigentliches Mo- dellsitzen zu denken hätte * Die sehr schönen Porträts des Cavaliere Tibaldeo und des Card. Passerini im Museum von Neapel werden R. gegenwärtig abgesprochen. — Der fälsch- lich benannte Cesare Borgia im Pal. Borghese zu Rom könnte wohl (Seite 853, d) ein ganz vortreffliches deutsches Bild sein. — Das weibliche Porträt in ** der Stanza dell’ educazione di Giove des Pal. Pitti, Nr. 245 gleicht wohl etwas der sixtin. Madonna und auch der echten Fornarina, ist aber derge- stalt übermalt, dass man kaum mehr als die Zeit des Costüms bestimmen kann, welche allerdings dem Anfang des XVI. Jahrhunderts entspricht. Natürlich trägt in den italienischen Galerien noch manches Bild den gros- † sen Namen mit Unrecht. Das Bild im Pal. Pallavicini zu Genua ist eine ehe- mals gute, mit neuern Accessorien vergrösserte Schulcopie der Madonna des Museums von Neapel (réveil de l’enfant). †† In der Madonna di San Luca (Sammlung der gleichnamigen Academie zu Rom) gilt nur ein Theil des Lucas als R.’s eigenhändige Arbeit, der Rest *† kaum für seine Erfindung. — Mariä Krönung (in der vaticanischen Galerie das spätere Bild) ist notorisch von Giulio Romano und Francesco Penni ausge- führt. Ersterer hat im obern Theil offenbar einen rafaelischen Entwurf wenig- stens partiell benützt; man erkennt Anklänge, die an die Vierge de Fran- çois I erinnern. Letzterer dagegen hat die untere Gruppe der Apostel selbst erfunden. Mit der untern Gruppe der Transfiguration verglichen, zeigt sie noch einmal auf das Bündigste den Abstand zwischen den Meister und dem †* Schüler. — Der Rafael in der Galerie von Parma scheint mir eine parme- sanische, etwa von Girolamo Mazzola herrührende Reproduction des Vier- heiligenstiches von Marc Anton, wobei der Johannes demjenigen des Coreggio in der Tribuna von S. Giovanni genähert wurde. — Aber schon der Stich selbst ist schwerlich nach „einer Zeichnung Rafaels“ gemacht, wie Vasari sagt, sondern viel eher ein Pasticcio des Marc Anton nach einzelnen Figu- ren aus der Disputa, der zweiten vaticanischen Assunta und den Aposteln von S. Vincenzo alle tre fontane. — Der Rafael in der Galerie von Modena ist ein geringes Bild eines Schülers des Perugino. . Unter den monumentalen Aufträgen, welche Rafael für Ju- a lius II und Leo X ausführte, nehmen die Malereien in den Zimmern des Vaticans (le stanze) den ersten Rang ein. Bei dem uner- Zimmer des Vaticans. schöpflichen Reichthum dieser Werke, bei der Unmöglichkeit, ihren Inhalt oder gar ihren Werth kurz in Worten darzulegen, beschränken wir uns auf eine Reihe einzelner Bemerkungen und vermeiden dabei im Ganzen dasjenige, was die Handbücher ergeben und was der An- blick von selbst lehrt. Die Räume existirten schon und waren bereits theilweise (von Perugino, Soddoma u. A.) ausgemalt, als Rafael dafür berufen wurde. Sie sind von nichts weniger als musterhafter Anlage, sogar unregel- mässig (man beachte z. B. das Gewölbe der Camera della Segnatura) und in Betreff der Beleuchtung nicht günstig. Man besieht sie ge- wöhnlich Nachmittags; doch hat der Vormittag auch gewisse Vor- theile, und das Öffnen der hintern Fensterladen macht einen wesent- lichen Unterschied. Die Technik ist eine ausserordentlich verschiedene. Einer guten Autorität zufolge soll besonders die Disputa und die Schule von Athen in sehr vielen Partien al Secco übergegangen sein; doch sind es der Hauptsache nach sämmtlich Fresken; die beiden einzigen in Öl auf die Mauer gemalten Figuren der Justitia und Comitas im Saal Constan- tins wurden nicht, wie man sagt, von R. eigenhändig, sondern erst nach seinem Tode ausgeführt. Allein innerhalb des Fresco, sowohl dessen was der Meister als dessen was die Schüler malten, herrscht der stärkste Unterschied der Behandlung, oft im nämlichen Bilde. Rafael that sich nie genug und suchte der schwierigen Malweise stets neue Mittel der Wirkung abzugewinnen. Von den vier grossen Fresken der Stanza d’Eliodoro ist jedes in einem andern Colorit durchgeführt; den Gipfel des Erreichbaren glaubt man zu erkennen in den unbe- schädigten Theilen der Messe von Bolsena, und doch wird Niemand den Heliodor und die Befreiung Petri in ihrer Art weniger vollkom- men gemalt nennen. Die Erhaltung ist im Verhältniss zum Alter eine mittlere, aus- genommen die der Sockelbilder, welche Carlo Maratta im Wesentlichen neu malen musste, und einiger durch Risse schwer bedrohten Decken- bilder. Das grösste Unheil in den Hauptbildern ist durch stellenweises Putzen und besonders durch ganz rücksichtsloses Durchzeichnen ent- standen. Die beste Weise, diesem zu begegnen, wäre die genaue, offizielle Aufnahme und Herausgabe aller Umrisse, wofür es hohe Zeit Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael. wäre. Rom ist für die Fortdauer dieser Gemälde, selbst für ihr Fort- leben im Abbild, dem ganzen Abendland und allen künftigen Jahrh. verantwortlich. Eine Restauration wäre nur zu beklagen und würde viel mehr kosten als eine Sammlung von Calquen. — Wie weit die schönsten jetzigen Kupferstiche im Eindruck unter den Urbildern blei- ben, zeigt der erste Blick auf letztere. Die hohen poetischen Ideen, welche den Fresken der Camera a della Segnatura (vollendet 1511) zu Grunde liegen, waren wohl der Hauptsache nach etwas Gegebenes. Abgesehen davon, dass Ra- fael schwerlich genug Gelehrsamkeit besass, um von sich aus die Per- sonen der Disputa oder gar der Schule von Athen Man räth auf Bibiena, Bembo, Castiglione, Inghirami etc. Auch die ganze allegor. Kunst und Poesie von den Trionfi des Petrarca abwärts kommt in Betracht. sachlich richtig zu charakterisiren und zu stellen und dass sich hier die Beihülfe ir- gend eines bedeutenden Menschen aus der Umgebung Julius II Man räth auf Bibiena, Bembo, Castiglione, Inghirami etc. Auch die ganze allegor. Kunst und Poesie von den Trionfi des Petrarca abwärts kommt in Betracht. deutlich verräth, — abgesehen hievon hatte schon lange vorher die Kunst sich an denselben Aufgaben versucht. Die Meister der Capella degli Spagnuoli bei S. M. novella in Florenz hatten die allegorischen Figuren der Künste und Wissenschaften und ihrer Repräsentanten in strenger Parallele, in architektonischer Einfassung vorgeführt. Sechs Generationen später, kaum 15 Jahre vor Rafael, hatte sein Schulge- nosse Pinturicchio in einem der Zimmer, deren Gewölbe er für Ale- b xander VI ausmalte (Appartamento Borgia im Vatican, dritter Raum), jene allegorischen Gestalten thronend in der Mitte ihrer Jünger auf landschaftlichem Hintergrunde dargestellt, anderer Versuche zu ge- schweigen. Aber Rafael hatte zuerst den Verstand, die allegorischen Frauen aus den Wandbildern hinaus an das Gewölbe in einen beson- dern goldenen Mosaikhimmel zu versetzen. Hier konnte er sie auf ganz eigene, ideale Weise stylisiren. (Man weiss, wie später die ver- wilderte Kunst recht ihren Stolz darin suchte, allegorische und ge- schichtliche Personen möglichst bunt durcheinander zu mischen und wie es der ganzen sonstigen Grösse eines Rubens bedarf, um Werke dieser Art, wie z. B. sein Leben der Maria von Medici im Louvre, für uns geniessbar zu machen.) Camera della Segnatura. Es blieben nun für die Gemälde bloss historische Figuren übrig, denn der Gottvater und die Engel in der Disputa, die Musen im Parnass u. dgl. gelten doch wohl als solche. (Der obere Theil der Wand, welche der Jurisprudenz gewidmet ist, enthält allerdings noch eine Allegorie, allein in einem besondern Raum abgetrennt.) Alle Ge- stalten konnten nun gleichmässig, in einem und demselben Style be- lebt werden. Warum hat Rafael in dem Bilde der Gerechtigkeit nicht eine geistig angeregte Gemeinschaft berühmter Juristen dargestellt, wie er diess in den drei übrigen Bildern mit den Theologen, Dichtern und Weltweisen gethan? warum statt dessen zwei einzelne historische Acte der Gesetzgebung? Weil der mögliche Gegenstand einer „Disputa“ von Juristen entweder ausserhalb des Bildes, d. h. unsichtbar geblie- ben wäre, oder, durch sachliche Beziehungen verdeutlicht, aus dem hohen idealen Styl hätte herausfallen müssen. Nach der Ausscheidung des Allegorischen blieb also das Histo- risch-Symbolische als Hauptgehalt der vier grossen Darstellungen übrig. Rafael hat hier ein wahrhaft gefährlich-lockendes Vorbild hinge- stellt. Eine grosse Anzahl von Gemälden analogen Inhaltes sind seit- dem geschaffen worden, zum Theil von grossen Künstlern; sie erscheinen sämmtlich als von Rafael abhängig oder als ihm weit untergeordnet. Wesshalb? Gewiss nicht bloss weil es nur Einen Rafael gegeben hat. Er war von vornherein im Vortheil durch die Unbefangenheit in antiquarischer Beziehung. An sehr wenige überlieferte Porträts ge- bunden, durfte er lauter Charaktergestalten aus sich selber schaffen; in der Disputa z. B. war die Tracht das einzige kenntlich machende Attribut, welches auch völlig genügte. Er musste nicht die Köpfe so und so stellen, damit man sie auf gelehrtem Wege verificiren könne. Diese grössere sachliche Freiheit kam durchaus der Composition nach rein malerischen Motiven zu Gute. Es sind fast lauter Gestalten einer mehr oder weniger entfernten Vergangenheit, die schon nur in ideali- sirender Erinnerung fortlebten Über die Bedeutung der einzelnen Personen in den sämmtlichen Fresken fin- det man bei Platner, Beschreibung Roms, S. 113 ff., gewissenhafte Auskunft. . B. Cicerone. 58 Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael. Die Action, welche diese Bilder beseelt, ist allerdings nur die Sache des grössten Künstlers. Allein man muthete ihm innerhalb sei- nes Thema’s auch nicht das Unmögliche zu, wie z. B. die geistige Gemeinschaft eines Gelehrtencongresses, einer Maleracademie oder überhaupt solcher Personen, deren charakteristische Thätigkeit gar nie gemeinsam vor sich geht, und die, wenn man sie beisammen malt, immer auf das Diner zu warten scheinen. In der Disputa gab R. nicht etwa ein Concilium, sondern ein geistiger Drang hat die gröss- ten Lehrer göttlicher Dinge rasch zusammengeführt, so dass sie um den Altar herum nur eben Platz genommen haben; mit ihnen namen- lose Laien, die der Geist auf dem Wege ergriffen und mit hergezogen hat; diese bilden den so nothwendigen passiven Theil, in welchem das von den Kirchenlehrern erkannte Mysterium sich bloss als Ahnung und Aufregung reflectirt. Dass der obere Halbkreis der Seligen (eine verherrlichte Umbildung desjenigen von S. Severo) dem untern so völlig als Contrast entspricht, ist der einfach erhabene Ausdruck des Verhältnisses, in welchem die himmlische Welt die irdische über- schattet. Endlich imponirt hier im höchsten Grade die kirchliche Idee; es ist kein Bild von neutraler Schönheit, sondern ein gewaltiger In- begriff des mittelalterlichen Glaubens. Den Gegensatz dazu bildet die Schule von Athen , ohne himm- lische Gruppe, ohne Mysterium. Oder ist die wunderschöne Halle, welche den Hintergrund ausmacht, nicht bloss ein malerischer Ge- danke, sondern ein bewusstes Symbol gesunder Harmonie der Geistes- und Seelenkräfte? Man würde sich in einem solchen Gebäude so wohl fühlen! — Wie dem nun sei, Rafael hat das ganze Denken und Wis- sen des Alterthums in lauter lebendige Demonstration und in eifriges Zuhören übersetzt; die wenigen isolirten Figuren, wie der Skeptiker und Diogenes der Cyniker, sollen eben als Ausnahmen contrastiren. Dass die rechnenden Wissenschaften den Vordergrund unterhalb der Stufen einnehmen, ist wieder einer jener ganz einfachen genialen Ge- danken, die sich von selbst zu verstehen scheinen. Trefflichste Ver- theilung der Lehrenden und der Zuhörenden und Zuschauenden, leichte Bewegung im Raum, Reichthum ohne Gedränge, völliges Zusammen- fallen der malerischen und dramatischen Motive. (Wichtiger Carton a in der Ambrosiana zu Mailand.) Camera della Segnatura. Der Parnass , das Bild der „Seienden“ und Geniessenden. Das Vorrecht des lauten, begeisterten Redens hat nur Homer; das der Töne Apoll; sonst wird bloss geflüstert. (Wer an der Violine Anstoss nimmt, mag nur Rafael selbst zur Verantwortung ziehen, denn eine erzwungene Huldigung für den Ruhm eines damaligen Geigenvirtuo- sen, aus welchem Einige sogar den Kammerdiener des Papstes machen, ist dieser Anachronismus gewiss nicht. Wahrscheinlich gewährte das Instrument dem Maler ein lebendigeres, sprechenderes Motiv für seine Figur als eine antike Lyra hätte thun können.) Das Idealcostum ist hier mit grossem Recht auch auf die neuern Dichter ausgedehnt, von welchen nur Dante die unvermeidliche Kaputze zeigt. Der gemein- same Mantel und der gemeinsame Lorbeer heben die Dichter über das Historische und Wirkliche hinaus. Die Musen sind nicht der Ab- wechselung zu Gefallen unter die Dichter vertheilt, sondern als ihr gemeinsames Leben auf der Höhe des Berges versammelt. Auch sie sind nicht antiquarisch genau charakterisirt; R. malte seine Musen. Von den beiden Ceremonienbildern gegenüber ist das geistliche Recht, d. h. die Ertheilung der Decretalen, in dieser kritischen Gattung ein Muster der Composition und Durchführung zu nennen. Der Fi- gurenreichthum ist nur mässig, — der Ausdruck der Autorität beruht nicht in der Vollständigkeit des Gefolges, überhaupt nicht in der Masse. Die Köpfe sind fast lauter Bildnisse von Zeitgenossen. Man darf annehmen, dass R. sie freiwillig und in künstlerischer Absicht anbrachte. — Die Allegorie der Prudentia, Temperantia und For- titudo in der Lunette (deren Analyse bei Platner a. a. O. nach- zusehen) ist eine der bestgedachten; im Einzelnen ist nicht Alles ganz lebendig geworden. Von den allegorischen Frauen am Gewölbe ist die Poesie einer der reinsten und eigensten Gedanken Rafaels. In den übrigen hat er wohl dem Allegoristen, der ihm zur Seite stand, bedeutend nachgeben müssen oder wollen; daher vielleicht auch der Mangel an freudiger Unbefangenheit. Die Eckbilder des Gewölbes, historische Momente in strengerm Styl, beziehen sich jedesmal auf den Inhalt der beiden nächsten Wände; so das herrliche Urtheil Salomonis auf die Ge- rechtigkeit und Weisheit zugleich, der Sündenfall auf die Gerechtigkeit und das Verhältniss zu Gott zugleich. Mit dem Marsyas hat man 58* Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael. einige Noth und es bedarf einer entfernten Beziehung aus Dante um ihn ausser der Poesie auch mit der Theologie in Verbindung zu brin- gen. Die Eva im Sündenfall ist ein Hauptbeleg für die Bildung des Nackten in R.’s mittlerer Zeit. Ebenso der Henker im Urtheil des Salomo. Die Sockelbilder, grossentheils erst von Perin del Vaga an der Stelle eines untergegangenen Getäfels componirt und ausgeführt und später ganz übermalt, zeigen noch, in welchem Sinne R. die decorative Wirkung des ganzen Saales verstanden wissen wollte. Ihre Com- position ist zum Theil ausserordentlich schön, aber in kleinen Abbil- dungen eben so geniessbar als an Ort und Stelle. (Von R. nur die- jenigen unter dem Parnass.) Wären wir nur über die nähern Umstände der Entstehung dieser Fresken nicht so völlig im Ungewissen. Die grossen Fragen: wie viel wurde dem Maler vorgeschrieben? was that er selbst hinzu? für welche Theile hat er vielleicht nur mit Mühe Erlaubniss erhalten? welche Zumuthungen hat er abgewiesen? — diese Fragen sind nie zu beant- worten. Es ist unbekannt, mit wem er in nächster Instanz zu thun hatte. So viel aber geht aus den Werken selbst hervor, dass die rein künstlerischen Beweggründe im Einzelnen meist die Oberhand behielten. Wenn man in andern Bildern jener Zeit, bei Mantegna, Pinturicchio, Sandro u. A., die Unersättlichkeit der Zeitgenossen an Allegorien und Symbolen aller Art kennen lernt, so wird es zur Ge- wissheit, dass Rafael aus eigenen Kräften Mass hielt, wählte, über- und unterordnete. Welche Kämpfe kann die untere Hälfte der Disputa gekostet haben! wenn z. B. irgend ein Theologe sich für vollständige Darstellung aller grossen Kirchenlehrer und Ordensstifter verwandte! — oder wenn Irgendjemandes Lieblingsphilosoph oder Lieblingsdichter durchaus in die Schule von Athen oder auf den Parnass gebracht werden sollte! — anderer Möglichkeiten nicht zu gedenken. Vielleicht die einzige ganz müssigscheinende Figur in diesem Saal ist der junge Herzog von Urbino, welcher in der Mitte der linken Hälfte der Schule von Athen steht. Bei genauerer Betrachtung findet man dass er nicht nur mit seinem weissen Gewande malerisch noth- Camera della Segnatura. wendig, sondern auch als neutrale Gestalt zwischen der obern und der untern Gruppe unentbehrlich ist. Und was will das stille Lächeln dieses wunderbaren Antlitzes sagen? Es ist das siegreiche Bewusst- sein der Schönheit, dass sie neben aller Erkenntniss ihre Stelle in dieser bunten Welt behaupten werde. Neben der Decke der sixtinischen Capelle ist die Camera della Segnatura, welche fast genau zur gleichen Zeit gemalt wurde, das erste umfassende Kunstwerk von reinem Gleichgewicht der Form und des Gedankens. Noch die trefflichsten Florentiner des XV. Jahrh. (Lionardo ausgenommen) hatten sich durch den Reichthum an Zu- thaten (Nebenpersonen, überflüssige Gewandmotive, Prunk der Hinter- gründe u. s. w.) stören lassen; ihr Vieles hebt sich gegenseitig auf; ihre scharfe Charakteristik vertheilt die Accente zu gleichmässig über das Ganze; Fra Bartolommeo, der erste grosse Componist neben Lio- nardo, bewegte sich in einem engbegrenzten Kreise und sein Lebens- gefühl war seiner Formenauffassung nicht völlig gewachsen. — Bei Rafael zuerst ist die Form durchaus schön, edel und zugleich geistig belebt ohne Nachtheil des Ganzen. Kein Detail präsentirt sich, drängt sich vor; der Künstler kennt genau das zarte Leben seiner grossen symbolischen Gegenstände und weiss, wie leicht das Einzel-Interes- sante das Ganze übertönt. Und dennoch sind seine einzelnen Figuren das wichtigste Studium aller seitherigen Malerei geworden. Es lässt sich kein besserer Rath ertheilen, als dass man sie (wo nöthig, auch mit bewaffnetem Auge) so oft und so vollständig als möglich betrachte und nach Kräften auswendig lerne. Die Behandlung der Gewänder, der Ausdruck der Bewegung in denselben, die Aufeinanderfolge der Farben und Lichter bieten wiederum eine unerschöpfliche Quelle des Genusses. Die Stanza d’Eliodoro , wahrscheinlich ganz oder fast ganz a eigenhändig von Rafael ausgemalt in den Jahren 1511—1514, be- zeichnet den grossen Schritt in das Historische. Es ist gewagt, aber erlaubt zu vermuthen, dass er sich nach den dramatisch-beweg - Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael. ten Gegenständen sehnte. Vielleicht hätte man noch gern mehr Al- legorien gehabt — vielleicht wollte im Gegentheil Julius II seine eigenen Thaten in voller äusserer Wirklichkeit dargestellt sehen, etwa Momente aus dem Kriege der heiligen Ligue, den Einzug durch die Bresche von Mirandola, u. dgl. — Beides wären Abwege gewesen, wenigstens für Rafael. Er gab nun Zeitgeschichte und Allegorie zu- gleich, die erstere im Gewande der letztern. Heliodors Züchtigung ist ein Symbol der Vertreibung der Franzosen aus dem Kirchenstaate; die Messe von Bolsena (deren Thatsache ins Jahr 1263 fällt) bedeutet die Überwindung der Irrlehren am Anfang des XVI. Jahrhunderts. Nach dem Tode Julius II (1513) liess sich Leo X diese Art von ver- klärender Darstellung der eigenen Geschichte alsobald gefallen; — vielleicht hatte Rafael schon Entwürfe für die beiden andern Wände gemacht, welche dann ersetzt wurden durch den Attila (Symbol der Verjagung der Franzosen aus Italien) und durch die Befreiung Petri (Leo’s X Befreiung aus den Händen der Franzosen in Mailand, als er noch Cardinal war). — Es war ein grosses Glück, dass die da- malige Ästhetik die Allegorie und die Anspielung für eins und dasselbe hielt, während doch die letztere mit lauter historisch ge- dachten, individuell zu belebenden Gestalten wirken darf. Wie man die Sache ansehe, von irgend einer Seite sind hier Con- cessionen gemacht worden. Die vier Momente liegen geschichtlich gar zu weit und fremd auseinander, als dass nicht zu vermuthen wäre, Rafael habe etwas Anderes gemalt als ursprünglich gewünscht worden war. Auch der gänzliche Mangel an innerm Zusammenhang mit den vier alttestamentlichen Deckenbildern deutet auf einen Wech- sel der Entschlüsse hin, der beim neuen Pontificat ohnediess einge- treten sein muss. Im Grossen ist aber doch das Thema ein gleichartig fortlaufendes, das sich auch in den übrigen Zimmern, allerdings getrübt, fortsetzt: Siege der Kirche unter göttlichem Schutze. Endlich hebt die Be- handlung alle diese Gegenstände auf eine solche Weise, dass man in ihnen nur das Höchste sucht und ihnen nur den erhabensten Sinn zutraut. Mit einer unbeschreiblichen Macht und Herrlichkeit hält Rafael seinen Einzug in das Gebiet der dramatischen Malerei; sein erstes Stanza d’Eliodoro. Gemälde war der Heliodor . Welch ein Athemschöpfen nach den symbolisch bedingten Bildern der Camera della Segnatura! Er hat keine grossartigere bewegte Gruppe mehr geschaffen als die des himm- lischen Reiters, mit den im Sturm zu seiner Seite schwebenden Jüng- lingen und dem gestürzten Frevler nebst dessen Begleitern. Woher die Erscheinung gekommen, wo sie vorübergesaust ist, zeigt der leere Raum in der Mitte des Vordergrundes, welcher den Blick auf die Gruppe um den Altar des Tempels frei lässt. Man bewundert mit Recht die Verkürzung in dem Reiter und in dem Heliodor, aber sie ist nur der meisterhafte Ausdruck für das Wesentliche, nämlich die glücklichste Schiebung der Figuren selbst. Die Gruppe der Frauen und Kinder, deren hundertfältiges Echo durch die ganze spätere Kunst geht, verdient hier im Urbild ebenfalls, dass man sie sich genau ein- präge. Endlich musste dem Papst sein Genüge geschehen; in voller Wirklichkeit auf seinem Tragsessel thronend schaut er ruhig auf das Wunder hin, als käme es ihm gar nicht unerwartet. An dem Bildniss Marc Antons, der als Träger des Sessels mitgeht, hat man den be- stimmten Beweis, dass R. seine Porträtpersonen wenigstens zum Theil freiwillig anbrachte. Die Messe von Bolsena war eine viel einseitigere Aufgabe als der Heliodor. Das Geschehen des Wunders beschränkt sich auf einen ganz kleinen Fleck; es wäre ungefähr dasselbe, wenn ein Dra- matiker die Peripetie seines Stückes auf das Verwechseln eines Ringes oder sonst auf ein scenisch kaum sichtbares Ereigniss bauen müsste. Aber innerhalb dieser Schranken ist das Herrlichste gegeben. Die Wahrnehmung und die Ahnung des Wunders geht wie ein geistiger Strom durch die andächtige Menge links und der Reflex davon belebt auch schon die unten an der Treppe sitzenden Frauen und Kinder; in der Gruppe des Papstes und seiner Begleiter ist es ruhige Gewiss- heit, wie sie den mit tausend Wundern vertrauten Fürsten der Kirche zukömmt, und von diesem Ausdruck durften auch die unten knienden Obersten der Schweizergarde nicht zu weit abweichen. An und für sich sind sie ein Vorbild monumentaler Costümbehandlung. — Die Anordnung neben und über dem nicht einmal in der Mitte der Wand stehenden Fenster scheint für Rafael ein wahres Spiel gewesen zu sein; eben aus der Unregelmässigkeit entwickeln sich für ihn die Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael. schönsten Motive wie von selbst. Bei genauerer Betrachtung wird man aber von dieser Ansicht abgehen und glauben, dass viel Mühe und Nachsinnen dabei war. Die Doppeltreppe, die halbrunden Schran- ken, die Kirchenhalle selbst sind an sich ein architektonisch schönes Bild. Attila und Leo der Grosse ; eine gewaltige Scene fast von lauter Reitern — sollte es nicht nahezu unmöglich sein, neben so viel Thierwelt, so viel physischer Kraftäusserung dem höhern geistigen Gehalt zu seinem Rechte zu verhelfen? Allerdings für die himmlische Erscheinung blieb nicht viel Raum übrig, aber er wurde benützt. Statt wolkenthronender Apostel drohend vorwärts schwebende, gleich- sam eine überirdische Begleitung des ruhig mit den Seinigen daher- ziehenden Papstes. Bei den Hunnen sieht nur Attila was vorgeht, mit der lebendigsten Wendung des Entsetzens; bei seinem Gefolge sind die Rosse ahnungsfähiger als die Menschen, sie werden wild und scheu, wodurch ein prächtiges Leben in die Gruppe kömmt; über ihnen verdunkelt sich der Himmel und ein Sturmwind saust in die Banner. Bei der Bildung der Rosse ist das Ideal unserer jetzigen Pferdekenner allerdings nicht berücksichtigt. Man setze aber in Ge- danken die Pferde eines Horace Vernet an ihre Stelle; sie würden hier unerträglich sein, während wir sie in der Smala etc. mit allem Fug bewundern. Attila’s schwarzer Hengst ist noch ruhig; die angst- volle Geberde des Königs durfte nicht etwa durch das Bäumen seines Thieres mitverursacht scheinen. Petri Befreiung , höchst originell in drei Momenten entwickelt. Auch die Wächter nicht unwürdig; zwar befangen, aber nicht tölpel- haft. In der Scene rechts wird Petrus von dem ausserordentlich schö- nen Engel wie im Traum geführt. Der Lichteffekt mit hoher Mässi- gung gehandhabt; es ist ihm nichts Wesentliches aufgeopfert. Die allegorischen Sockelbilder enthalten noch in ihrer jetzigen Gestalt rafaelische Motive, die nicht zu verderben sind. — In den vier Deckenbildern erkennt man eine ähnliche, nur freiere Vereinfachung des Styles, wie in den Eckbildern am Gewölbe des vorigen Zimmers; wie diese als Mosaiken, so sind sie als Teppiche gedacht. Stanza d’Eliodoro. Stanza dell’ Incendio. In der Stanza dell’ Incendio ist vielleicht nichts von Ra- a faels eigener Hand gemalt; am Gewölbe liess er die Malereien Peru- gino’s stehen, um seinen Lehrer nicht zu kränken. Ohnehin war ja die Zeit der strengen symbolischen Gesammtcompositionen vorbei, wie der Inhalt der Deckenbilder der Stanza d’Eliodoro beweist. Die Anspielung ist hier oberflächlicher als in den Gemälden des vorigen Zimmers. Es sind die Thaten Leo’s III und Leo’s IV, also Scenen des VIII. und IX. Jahrh., die hier nur der Namensgleichheit mit Leo X zu Liebe aus der ganzen Kirchengeschichte ausgewählt und unter den Zügen des Letztern dargestellt sind. Unbegreiflich ist der Reinigungseid Leo’s III; weder Rafael noch der Papst konnten (wie man denken sollte) ein besonderes Verlangen nach die- sem Gegenstand haben, und wenn die unfehlbare Glaubwürdigkeit des päpstlichen Wortes symbolisirt werden sollte, so war manche an- dere Erinnerung dazu besser geeignet und malerisch mindestens eben so dankbar. Immerhin wurde ein stattliches Ceremonienbild daraus, welches wenigstens zeigt, auf welcher Höhe lebendiger historischer Einzeldarstellung die ausführenden Schüler in jenem Augenblicke (bis 1517) standen. Hier lernte Perin del Vaga jene Charakteristik, welche in seinen Helden des Hauses Doria (in der obern Halle des gleich- b namigen Palastes zu Genua) nachklingt. Die Krönung Carls des Grossen dagegen ist erweislich ein politisches Tendenzbild, ein frommer Wunsch Leo’s X, welcher gerne Franz I zum Kaiser gemacht hätte, dessen Züge Carl trägt. Hier ist es wahrhaft schmerzlich, Rafael mit dem gewaltsamen Interessant- machen einer Ceremonie beschäftigt zu sehen; halbnackte Männer schleppen prächtiges Geräth herein; die Köpfe der reihenweis sitzen- den Prälaten müssen sich trotz dem feierlichen Augenblicke zum Theil umwenden, damit der Beschauer nicht gar bloss Infeln erblicke. Und doch ist aus der Scene gemacht was nur Rafael daraus machen konnte und das Einzelne ist zum Theil so schön, dass man es gerne seiner eigenen Hand zutrauen möchte. Seine ganze Grösse als historischer Componist findet er wieder in dem Siege von Ostia . Kampf, Bändigung und Gefangenführung sind hier meisterhaft zu einem höchst energischen und einfach schönen Bilde vereinigt, das nur der Ausführung und der spätern Entstellung Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael. halber weniger in die Augen fällt. Ob der Saracenensieg irgend eine allgemeinere Andeutung der Unwiderstehlichkeit der Kirche, oder eine Anspielung auf die damaligen tunisischen etc. Corsaren enthalten soll, ist nicht auszumitteln. Endlich das berühmte Bild: l’incendio del borgo ; der Auf- gabe nach das misslichste von allen: Leo IV löscht durch das Zeichen des Kreuzes eine Feuersbrunst in der Nähe der Peterskirche. Damit sollte die Allmacht des päpstlichen Segens symbolisirt werden. Mit diesem Ereigniss selber war gar nichts anzufangen, weil das Aufhören des Feuers an sich und vollends die Causalverbindung mit der Ge- berde des Papstes sich nicht sinnlich darstellen liess. Rafael schuf statt dessen das stylgewaltigste Genrebild, welches vorhanden ist: die Darstellung der Fliehenden, Rettenden und hülflos Klagenden. Hier sind lauter rein’ künstlerische Gedanken verwirklicht, frei von der letzten historischen oder symbolischen Rücksicht, im Gewande einer heroischen Welt. Die höchste Wonne der freien Erfindung muss den Künstler dabei beseelt haben; die einzelnen Motive sind immer eines wunderbarer als das andere und ihr Zusammenwirken wiederum unvergleichlich. Ganz gewiss geht es bei einer Feuersbrunst in der Regel anders zu, allein für dieses heroische Menschengeschlecht hätte z. B. die Lichteffektmalerei eines Van der Neer doch nicht hingereicht. Eigentlich brennt nicht der Borgo, sondern Troja; statt der Legende liegt das zweite Buch der Aeneide zu Grunde. Doch darf man auch die schöne entfernte Gruppe um den Papst nicht übersehen. Die Sockelfiguren — Fürsten welche dem römischen Stuhl be- sondere Dienste erwiesen — sind für ihre Stelle sehr glücklich ge- dacht, und mit Recht nicht als sklavenartige Karyatiden, sondern als frei thronende Fürsten gegeben. Giulio führte sie nach R.’s Angabe aus; Maratta musste sie später neu malen. a Bei der Entscheidung über die Sala di Costantino scheint Leo X inne geworden zu sein, dass auf die bisherige Weise nicht weiter gemalt werden dürfe. Mit dem Anspielen auf die eigene Person des Papstes war dem Künstler ein Zwang auferlegt, den er mit all seiner Grösse nicht kann vergessen machen. Man musste die Aufgabe Stanza dell’ Incendio. Sala di Costantino. wieder höher fassen, und das Weltgeschichtliche endlich einmal un- mittelbar geben. So kam der erste aller Historienmaler gegen Ende seines Lebens an die direct geschichtlichen und durch die Zeitentfernung dennoch idealen Aufgaben. Vielleicht hatte es dazu des Incendio be- durft, in welchem er den Papst in den Hintergrund verwiesen hatte. Rafael fertigte, wie es scheint, ausser einem nicht ganz vollstän- digen Entwurf für das Ganze des Saales, die Cartons für die Schlacht, für die Taufe und für die Schenkung Constantins; sodann für vielleicht sämmtliche Tugenden und theilweise auch für die heiligen Päpste, wenn nicht für alle. Von der Decke gehört ihm nichts und von der Fensterwand nur ein Theil an. Die Sockelbilder, zum Theil sehr schön gedacht, sind jetzt wesentlich Maratta’s Werk; ihre Erfindung wurde schon vor 200 Jahren dem Giulio zugeschrieben. — Rafael ge- dachte Alles in Öl, nicht al Fresco zu malen. Von seiner Hand aus- geführt, im Augenblick der Vollendung, wäre diess ein herrlicher An- blick gewesen; gewiss hätte er die verschiedenen Gattungen der Bilder auf das Bedeutungsvollste im Ton auseinander gehalten. Allein mit der Zeit wäre vieles nachgedunkelt, wie die schon erwähnten (S. 911), bald nach seinem Tode und gewiss nach seiner Absicht ausgeführten beiden Allegorien beweisen. Die Ausführung des jetzt Vorhandenen gehört wesentlich dem Giulio Romano; von Franccsco Penni rührt die Taufe, von Raffaelle dal Colle die Schenkung her. Die Decke ist eine späte Arbeit des Tommaso Laureti. Die Erscheinung des Kreuzes , mit welcher wir beginnen, ist wohl nicht von Rafael entworfen. Die Gruppe der Soldaten ist sehr ungescheut aus dem Sturm auf Jericho in der zehnten Arcade der Loggien entlehnt und das Übrige, zum Theil ziemlich frivol, dazu componirt (z. B. der Zwerg). Man möge sich durch den Augenschein überzeugen. Dagegen ist die Schlacht Constantins , in Giulio’s hier vor- züglicher Ausführung, eines der grössten Lebensresultate Rafaels. Man setze sich nur zuerst darüber ins Klare, was dieses Schlachtbild sollte. Die Phantasie wird gewiss rascher aufgeregt durch ein Reiter- gewirr mit Farbencontrasten und Pulverdampf, welches nur Leben und verzweifelte Bewegung giebt, wie bei Salvator Rosa und Bour- Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael. guignon; man gewinnt gewiss rascher ein Interesse für das moderne Schlachtbild, dessen Leben insgemein in einer möglichst wirklichen Hauptepisode besteht. Rafael aber musste einen Angelpunkt der Welt- und Kirchengeschichte als solchen darstellen. Vor allem einen Sieg im Moment der Entscheidung. Auch die brillanteste Episode genügt hiezu nicht; das Heer als Ganzes muss siegen. Diess ist hier zur Anschauung gebracht durch das gleichmässig gewaltige Vordringen der christlichen Reiter und durch die Stellung Constantins genau in der Mitte des Bildes, die er eben im Begriff ist weitersprengend zu überschreiten. Auf diesem Hintergrunde gewinnen erst die pracht- vollen Episoden des Einzelkampfes ihre wahre Bedeutung, ohne aus dem Ganzen herauszufallen. Ruhig, wie ein Princip, thront der Heer- führer in Mitten seiner Schlacht; die Beziehungen einzelner Krieger auf ihn, die Gruppe der Engel über ihm, verstärken seine centrale Bedeutung; ein Krieger zeigt ihm den im Wasser versinkenden Maxentius. — Die Aufeinanderfolge und Auswahl der einzelnen Mo- tive des Kampfes ist der Art, dass keines das andere aufhebt; sie sind nicht nur räumlich wahrscheinlich, sondern auch beim grössten Reichthum dramatisch deutlich. Die Taufe Constantins ist weit mehr als ein blosses Cere- monienbild und steht in der Composition beträchtlich über dem Schwur Leo’s III und der Krönung Carls. Sie ist nicht gegeben als Function, die auf einem Ceremoniale und auf bestimmten Costümen beruht, son- dern als idealer historischer Augenblick. Die ganze Gruppe ist in einer Bewegung, die durch das Stufenwerk des Raumes vortrefflich modificirt wird. Die äussersten beiden Figuren, Zuthaten Penni’s, wirken freilich als Coulissen. Die Schenkung Constantins , die unter jeder andern Hand ein Ceremonienbild geworden wäre, ist hier ebenfalls ein idealer hi- storischer Augenblick. Der Kaiser überreicht dem Papst S. Silvester nicht eine Urkunde, worin man sich die Schenkung der Stadt Rom geschrieben denken müsste, auch nicht ein Stadtmodell, womit sich spätere Künstler in ähnlichen Fällen geholfen haben, sondern eine goldene Statuette der Roma. Sein knieendes Gefolge, welches durch seine Stelle noch den Weg bezeichnet den es gekommen ist, besteht nur aus vier Personen; die Nachdrängenden werden durch Wachen Sala di Costantino. Loggien. abgehalten. Die vordern Gruppen, bei spätern Künstlern oft sogar im besten Fall nur schöne Füllstücke, sind hier der wesentliche und höchst lebendige Ausdruck der Freude des ungenirten römischen Vol- kes. Alle Ergebenheitsmienen von reihenweis aufgestellten Behörden könnten diesen Ausdruck nicht ersetzen; das römische Privatleben sollte seinen persönlichen Jubel aussprechen. Die Architektur der alten S. Peterskirche ist frei und sehr schön benützt. Die Figuren der heiligen Päpste und der Tugenden haben schon grösserntheils den gleichgültigen allgemeinen Styl der römischen Schule und gerathen desshalb in Nachtheil z. B. gegenüber von den Zwischen- figuren an der Decke der Sistina, welche die eigenhändige Macht- übung ihres Meisters in so hohem Grade an der Stirn tragen. Von Rafael selbst und in Öl ausgeführt würden sie gewiss eigenthümlich grandios gewirkt haben. (Der Kopf S. Urbans angeblich von Rafael.) Die obenstehenden Bemerkungen, weit entfernt den geistigen Ge- halt dieser unermesslich reichen Fresken erschöpfen zu wollen, suchen bloss einige wesentliche Anhaltspunkte festzustellen. Nebenbei musste darauf aufmerksam gemacht werden, wie Rafael nur theilweise frei verfügen konnte. Das Einzelne, was hierüber zu sagen war, sind allerdings blosse Vermuthungen, aber der Inhalt des Vorhandenen nöthigt dazu. Diese moralische Seite der Entstehung der Fresken wird über ihrer Vortrefflichkeit zu oft übersehen. Schon bei Anlass der Architektur wurde der vaticanischen a Loggien gedacht, d. h. der ersten Arcadenreihe des zweiten Stock- werkes im vordern grossen Hofe des Vaticans, als des ersten Mei- sterwerkes der modernen Decoration (S. 283, a). Wir gelangen nun zu den biblischen Darstellungen, welche je zu vieren in den Kuppelwöl- bungen der ersten 13 Arcaden angebracht sind. Sie wurden nach Rafaels Zeichnungen ausgeführt von Giulio Romano, Francesco Penni, Pellegrino da Modena, Perin del Vaga und Raffaelle dal Colle. Die Figur der Eva im Sündenfall gilt bekanntlich als R.’s eigene Arbeit. Es ist nicht bekannt, wie gross und wie genau ausgeführt die Ent- Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael. würfe waren, nach welchen er die Schüler arbeiten liess; wahrschein- lich je nach Umständen. Ort und Technik schrieben die grösste Einfachheit vor. Licht- effect, Ausdruck einzelner Köpfe, irgend ein raffinirtes Detail durften nie die Grundlage und Seele des Bildes ausmachen. Was nicht mit deutlichen Beziehungen und Geberden zu erreichen war, musste weg- bleiben. Der menschlich interessante Kern der Scenen, ohne irgend einen bestimmten orientalischen Bezug, musste zum idealen, für alle Zeiten und Länder gültigen und verständlichen Kunstwerk ausgebildet werden. Von der venezianischen Art, den Vorgang in eine Novelle des XVI. Jahrh. zu übersetzen, konnte hier keine Rede sein. Man halte aber die Loggienbilder neben die Umrisszeichnung eines Gior- gione, Palma oder Bonifazio dieser Art, und man wird den Gedanken- unterschied inne werden. Übrigens ist in vielen Loggienbildern die Landschaft so schön und bedeutend als bei den Venezianern, worauf hier ausdrücklich hingewiesen werden muss. (Erschaffung der Eva, Adams Feldbau, Jacob mit Rahel am Brunnen, Jacob mit Laban strei- tend, Joseph als Traumdeuter vor seinen Brüdern, Findung Mosis, u. a. m.) Die Vortrefflichkeit der einzelnen Motive entzieht sich durchaus der Beschreibung; es scheint sich Alles von selbst zu verstehen. Um den Werth jedes einzelnen Bildes ins Licht zu setzen, müsste man jedesmal nachweisen, wie andere Künstler meist mit grössern Mitteln doch nur eine geringere, weniger geistvolle Lösung zu Stande gebracht oder auch gänzlich neben das Ziel geschossen haben. Streitig für un- ser Gefühl sind nur die ersten Bilder, die der Weltschöpfung. Rafael bediente sich hier zum Ausdruck für den Schöpfer desjenigen Typus, welchen Michelangelo in der Sistina zum Leben gerufen hatte; die Kunst hatte jetzt gleichsam das Recht, die in verschiedene Acte ge- theilte Schöpfung als lauter Bewegung darzustellen. Gleich darauf beginnt die Geschichte des ersten Menschenpaares, die hier durch die Bestimmtheit des landschaftlichen Raumes einen von den Darstellungen gleichen Inhaltes in der Sistina wesentlich verschiedenen Grundton erhält. Diese vier Bilder allein offenbaren schon den grössten histori- schen Componisten, wie man beim Durchdenken ihrer Motive zugeben wird. Mit den vier Noah-Bildern beginnt ein neues patriarchalisch- Loggien des Vaticans. heroisches Leben, welches dann in den vier Bildern der Geschichte Abrahams und in den vier folgenden mit der Geschichte Isaaks seine Fülle entfaltet. Abraham mit den drei Engeln, Loth mit seinen Töch- tern fliehend, der knieende Isaak, die Scene beim König Abimelech gehören zu den schönsten Motiven Rafaels. Und doch glaubt man erst in den Bildern der Geschichte Jacobs und vollends derjenigen Josephs das Höchste innerhalb den Grenzen dieser Gattung vor sich zu haben, zumal in der Scene „Joseph vor seinen Brüdern als Traum- deuter.“ — Von den acht Bildern mit der Geschichte des Moses sind die ersten noch sehr schön, und unter den spätern besonders die An- betung des goldenen Kalbes; dazwischen aber tritt mit „Moses auf Sinai“, und „Moses vor der Wolkensäule“ eine starke Verdunkelung ein. Vermuthlich war dem Künstler der vorgeschriebene Gegenstand zuwider; das letztere Bild kann er kaum selber componirt haben. Von den vier Bildern der Eroberung Palästina’s ist der Sturm auf Jericho besonders ausgezeichnet; von den vieren der Geschichte Davids die Salbung, von der Geschichte Salomo’s das Urtheil. Mit den Bildern der letzten Arcade begann Rafael die Geschichten des neuen Testa- mentes; der Anfang, zumal die Taufe Christi zeigt, was wir an der Fortsetzung verloren haben. (Das Abendmahl schwerlich von R.) Eine besondere Beachtung verdient die Behandlung des Übersinn- lichen. Die Kleinheit des Massstabes schrieb eine Wirkungsweise durch lauter Geberde und Bewegung vor. „Die Scheidung des Lichtes von der Finsterniss“ (1. Arc., 1. Bild) ist unter dieser Bedingung ganz vorzüglich grossartig gedacht; die Geberde der vier Extremitäten drückt das Auseinanderweisen und zugleich die höchste Macht aus. Bei den ersten Menschen tritt Gott als weiser Vater auf; der Engel, der sie aus dem Paradiese treibt, zeigt in der Geberde ein tröstendes Mitleid. In starker schwebender Bewegung erscheint Gott dem Abraham, dem Isaak (mit dem Gestus des Verbietens) und dem Moses im feurigen Busche; mit der Himmelsleiter musste auch Rafael sich behelfen wie es ging. In der Gesetzgebung auf Sinai, wo Gott thronend im Profil dargestellt ist, trägt sich die Bewegung auf die heranstürmenden Posau- nenengel über, u. s. w. Mit den Decorationen haben diese biblischen Bilder allerdings nicht den geringsten geistigen Zusammenhang. Allein dieses ornamentale Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael. System vertrug überhaupt nur einen neutralen Inhalt und hätte für religiöse Symbole und Anspielungen kein Gefäss abgeben können. a Rafaels Tapeten Gegenwärtig an zwei Stellen der langen Verbindungsgalerie zwischen dem obern Gang der Antiken und der Gemäldesammlung des Vaticans aufgehängt. bestehen aus zwei Reihen, von welchen je- denfalls nur die erste , mit den zehn Ereignissen aus der Apostel- geschichte, ihm im engern Sinne angehört. Er schuf in den Jahren 1515 und 1516 (also gleichzeitig mit den Entwürfen zur Stanza dell’ incendio) die berühmten Cartons, von welchen noch sieben zu Hamp- toncourt in England aufbewahrt werden. Gewirkt wurden sie in Flan- dern; noch bei R.’s Lebzeiten kam wenigstens ein Theil davon fertig nach Rom. Die Wirker hatten sich an seine Zeichnung gehalten, so genau man sich damals überhaupt an Vorlagen hielt; es kommen Frei- heiten, z. B. in der Behandlung einzelner Köpfe und des landschaft- lichen Grundes vor, die sich ein jetziger Künstler bei seinen Execu- tanten verbitten würde. Die Erhaltung des Vorhandenen ist im Ver- hältniss zu den Schicksalen eine mittlere; doch sind die Farben ungleich abgebleicht und das Nackte hat einen kalt schmutzigen Ton ange- nommen. Dem originalen Schwung und Strich der rafaelischen Hand können die Contouren der Tapeten ohnediess nie gleichkommen. Von ihren nur in wenigen Beispielen erhaltenen Randarabesken ist schon (S. 285, a) die Rede gewesen. Ausserdem haben sie Sockel- bilder in gedämpfter Goldfarbe. Hier zeigt es sich, wie Leo X seine eigene Lebensgeschichte taxirte. Ohne irgend einen Bezug auf die oben stehenden Thaten der Apostel geht sie unten parallel mit, und zwar auch diejenigen Momente, welche nichts weniger als ruhmreich waren, wie die vermummte Flucht aus Florenz, die Gefangennehmung in der Schlacht von Ravenna u. dgl. Das Glückskind findet Alles, was ihm widerfahren, nicht bloss merkwürdig, sondern auch monu- mental darstellbar, und dieser Zug des mediceischen Gemüthes hat noch hundert Jahre später Rubens und seine ganze Schule zur Ver- herrlichung der zweideutigsten Thatsachen in Anspruch genommen (Galerie de Marie de Médicis). Jene Sockelbilder, in schönem und gemässigtem Reliefstyl erzählt, bedurften, beiläufig gesagt, zur örtli- Tapeten der ersten Reihe. chen Verdeutlichung der gleichen Nachhülfe wie das Relief der Alten: nämlich der Personification von Flüssen, Bergen, Städten etc. Auch das allgemeine ideale Costüm war hier, wo kein Detail scharf cha- rakteristisch vortreten durfte, durchaus nothwendig. In den Hauptbildern war Rafael frei und konnte seinen tiefsten Inspirationen nachgehen. Es ist vorauszusetzen, dass er hier selbst die Momente wählen durfte, wenigstens sind sie alle so genommen, dass man keine bessern und schöner abwechselnden aus der Apostel- geschichte wählen könnte. Die Technik der Wirkerei, auf welche er seine Arbeit zu berechnen hatte, erlaubte ihm beinahe so viel als das Fresco. Er scheint mit einer ruhigen, gleichmässigen Wonne gear- beitet zu haben. Das reinste Liniengefühl verbindet sich mit der tief- sten geistigen Fassung des Momentes. Wie sanft und eindringlich ist in dem Bilde „Weide meine Schafe!“ die Macht des verklärten Christus ohne alle Glorien ausgedrückt, indem die Gruppe der Apostel je näher bei ihm, desto mehr zu ihm hingezogen wird; die hintersten stehen noch ruhig, während Petrus schon kniet. Die Heilung des Lahmen im Tempel — einer jener Gegenstände, welche in spätern Bildern durch Überladung mit gedrängten Köpfen pflegen erdrückt zu wer- den — ist hier durch die architektonische Scheidung und durch erha- benen Styl in die schönste Ruhe gebracht. Pauli Bekehrung ist (hier ohne Lichteffect) auf die einzig würdige Weise geschildert, während die meisten andern Darsteller ihre Virtuosität in einem rechten Ge- tümmel zu zeigen suchen. Das Gegenstück bildet die Steinigung des Stephanus. Die Blendung des Zauberers Elymas (leider zur Hälfte verloren) und die Strafe des Ananias sind die höchsten Vorbilder für die Darstellung feierlich-schrecklicher Wunder; das Dämonische hat ruhige Gruppen zum Hintergrunde. Wiederum gehören zusammen: Pauli Predigt in Athen, und die Scene in Lystra, beide von uner- messlichem Einfluss auf die spätere Kunst, sodass z. B. der ganze Styl Poussins ohne sie nicht vorhanden wäre. Das eine ein Bild des reichsten Seelenausdruckes, der sich der mächtigen Profilgestalt des Apostels doch vollkommen unterordnet; das andere eine der schönsten bewegten Volksgruppen, so um den Opferstier geordnet, dass dieser mit seiner Wendung sie unterbricht und doch nichts verdeckt; man empfindet, dass der Apostel ob diesem Auftreten der Masse vor Leid B. Cicerone. 59 Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael. ausser Fassung gerathen muss. — Endlich der Fischzug Petri, ein Bild des geheimnissvollsten Zaubers; der Moment der physischen An- strengung (in welchen beiden Gestalten!) ist in die zweite Barke ver- wiesen, in der vordern kniet Petrus schon vor dem sitzenden Christus und der Beschauer wird nicht durch den Anblick der Fische gestört, über welchen man in andern Bildern den Hauptgegenstand, nämlich den Ausdruck der vollen Hingebung und Überzeugung des Apostels vergessen muss. a Die zweite Reihe der Tapeten, schon in der Technik geringer, ist in Flandern auf den Kauf hin, wahrscheinlich nicht auf Bestellung, gewirkt worden. Es scheint, dass niederländische Künstler aus kleinen Entwürfen Rafaels grosse Cartons machten, welche diesen Tapeten zu Grunde gelegt wurden. Mehrere Compositionen, vorzüglich die gran- diose Anbetung der Hirten, auch die der Könige, der Kindermord, die Auferstehung, zeigen trotz zahlreicher niederländischer Zuthaten die unverwüstliche Erfindung des Meisters, seine hochbedeutende Entwick- lung des Herganges; von mehrern andern dagegen kann ihm gar nichts angehören; es ist Speculation, die sich an den damals noch weltbe- rühmten Namen knüpfte, ehe Michelangelo’s Ruhm Alles übertönt hatte. Ausser diesen grossen päpstlichen Aufträgen übernahm Rafael noch eine Anzahl von Fresken für Kirchen und Privatleute. b Das frühste (1512) ist der Jesajas an einem Pfeiler des Haupt- schiffes von S. Agostino in Rom. (Seit einer unglücklichen Restaura- tion ist R. nur noch für die Umrisse verantwortlich.) Der Einfluss der Sistina, welche nicht lange vorher vollendet war, lässt sich wohl nicht verkennen; stärker aber als Michelangelo spricht Fra Bartolom- meo aus dem Bilde. In der schönen Zusammenordnung des Propheten mit den Putten möchte R. jenen beiden überlegen sein. c Eine ganz andere Art von Concurrenz mit Michelangelo drückt sich in dem berühmten Fresco von S. Maria della Pace (1514) aus Bestes Licht: um 10 Uhr. . Die Aufgabe himmlisch begeisterter Frauengestalten, die sich Tapeten der zweiten Reihe. Sibyllen. Cap. Chigi. das Alterthum in seinen Musen ganz anders gestellt hatte, gehört hier der Symbolik des Mittelalters an, ebenso die Motivirung durch die Engel. Michelangelo war hievon abgegangen und hatte das Überna- türliche ganz in der Gestalt der Sibyllen selbst zu concentriren gesucht, sodass ihnen die Putten nur als Begleitung und Gefolge dienen; später liessen Guercin und Domenichino die Engel ganz weg und ihre Sibylle sehnt sich einsam aus dem Bilde hinaus. Rafael dagegen drückte ge- rade in der Verbindung der Sibyllen mit den Engeln den schönsten Enthusiasmus des Verkündens und Erkennens aus. Man bemerkt lange nicht, dass die Engel von kleinerm Massstabe sind; wie etwa die Grie- chen den Herold kleiner als den Helden bilden mochten. Die Anord- nung im Raum, die durchgehende und so schön aufgehobene Symme- trie, die Bildung der Formen und Charaktere verleihen diesem Werk eine Stelle unter den allergrössten Leistungen R.’s und vielleicht wird es von all seinen Fresken am frühsten die Vorliebe des Beschauers gewinnen. Im Jahr 1516 erbaute und schmückte R. die Capella Chigi , a im linken Seitenschiff von S. Maria del popolo; nach seinen Cartons fertigte damals ein Venezianer, Maestro Luisaccio, die Mosaiken der Kuppel. (Sie gehören als venezian. Mosaiken nicht zu den bestgear- beiteten dieser Zeit.) Der segnende Gottvater mit Engeln, in der Lan- terna, zeigt das bedenkliche Verkürzungssystem, welches damals haupt- sächlich durch Coreggio aufkam, in seiner edelsten Äusserung. Ringsum sind die sieben Planeten und (als achte Sphäre) der Fixsternhimmel unter dem Schutz und der Leitung göttlicher Boten dargestellt. Hier treffen Mythologie und christliche Symbolik auf einander; bewun- dernswürdig hat R. ihre Gestalten im Charakter geschieden und in der Handlung verbunden. Die Planetengötter gewaltig, befangen, leiden- schaftlich; die Engel abwehrend und ruhig waltend. Die Anordnung im Raum, sodass z. B. die Planetengötter nur mit dem Oberleib her- vorragen, ist der Aufgabe so angemessen, als könnte sie gar nicht anders sein. 59* Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael. Für denselben Agostino Chigi (einen reichen sienesischen Bankier), welcher diese Capelle baute, entstand damals das schönste Sommer- a haus der Erde, die Farnesina an der Longara zu Rom. Baldassare Peruzzi erbaute es und malte auch mehrere Räume wenigstens theilweise aus. Zwischen den Arbeiten der Stanza d’Eliodoro liess sich auch Rafael einstweilen (1514) zu einem Frescobilde für seinen Gönner Agostino herbei, und malte in dem Nebenraum links die Galatea , das herr- lichste aller modern-mythologischen Bilder. Hier ist die allegorisch gebrauchte Mythologie kein conventioneller Anlass zur Entwicklung schöner Formen, sondern was R. geben wollte, liess sich überhaupt nur in diesem Gewande ganz rein und schön geben. Welcher bloss menschliche Hergang hätte genügt, um das Erwachen der Liebe in seiner vollen Majestät deutlich darzustellen? Die Fürstin des Meeres ist lauter wonnige Sehnsucht; umzielt von Amorinen, umgeben von Nymphen und Tritonen, welche die Liebe schon vereinigt hat, schwebt sie auf ihrer Muschel über die ruhige Fluth; selbst an die Zügel ihrer Delphine hat sich ein wundervoller Amorin gehängt und lässt sich von ihnen wohlgemuth über die Gewässer ziehen. Im Einzelnen wird man, beiläufig gesagt, hier am besten sich überzeugen können, wie wenig Rafael in seinem Formgefühl von den Antiken abhängig war; nicht nur die Auffassung, sondern jeder Contour ist sein eigen. Und zwar ist seine Zeichnung eine minder ideale, mehr naturalistische als die der Griechen; er ist der Sohn des XV. Jahrhunderts. Es giebt „correktere“ Gestalten aus der David’schen Schule, wer möchte sie aber gegen diese eintauschen? In seinen zwei letzten Lebensjahren (1518—20) schuf dann Ra- b fael die Entwürfe zu der berühmten Geschichte der Psyche für die grosse untere Halle der Farnesina; sie wurden ausgeführt von Giulio Romano, Francesco Penni und (das Decorative und die Thiere) von Giovanni da Udine. Die Schüler haben die Gedanken des Mei- sters in einem conventionellen und selbst rohen Styl wiedergegeben; um zu wissen, wie R. sie dachte, versuche man, sie in den Styl der Galatea zurückzuübersetzen. Für seine Composition erhielt R. eine flache Decke mit abwärts gehenden Gewölbezwickeln. An den Vor- derseiten der letztern stellte er zehn Momente der Geschichte der Psyche dar, an den innern Seiten schwebende Genien mit den Attri- Fresken der Farnesina. buten der Götter, an der mittlern Fläche in zwei grossen Bildern das Gericht der Götter und das Göttermahl bei Psyche’s Hochzeit. Der Raum ist durchgängig ein idealer und durch einen blauen Grund re- präsentirt, seine Trennung nicht scharf architektonisch, sondern durch Fruchtkränze dargestellt, in welchen Giov. da Udine die schon an den Loggienfenstern bewährte Meisterschaft offenbarte. Raum und Format der Zwickel waren für Geschichten von meh- reren Figuren scheinbar so ungeeignet als möglich; Rafael aber ent- wickelte gerade daraus (wie aus der Wandform bei der Messe von Bolsena, der Befreiung Petri, den Sibyllen) lauter Elemente eigenthüm- licher Schönheit. Irgend eine bestimmte Räumlichkeit, ein bestimmtes Costüm durfte allerdings darin nicht vorkommen; das war seine Frei- heit neben dem ungeheuern Zwang, den ihm die Einrahmung aufer- legte. Nur nackte oder ideal bekleidete menschliche Körper, nur die schönsten und deutlichsten Schneidungen, nur die Wahl der prägnan- testen Momente konnten das Wunder vollbringen. Die letztern sind auch in der That nicht alle gleich glücklich und bei allen muss man die Kenntniss der bei Apulejus erzählten Mythe (die damals Jeder- mann auswendig wusste) voraussetzen Eine genügende Inhaltsübersicht giebt Platner, Beschreibung Roms, S. 585 ff. . Aber im Ganzen bezeichnen sie doch den Gipfel des Möglichen in dieser Art. (Besonders: Amor, welcher den drei Göttinnen die Psyche zeigt, die Rückkehr Psyche’s aus der Unterwelt, Jupiter den Amor küssend, Mercur die Psyche emportragend.) — In den beiden grossen, als ausgespannte Teppiche gedachten Deckenbildern mit den olympischen Scenen gab R. nicht jene Art von Illusion, welche mit Schaaren von Figuren in Untensicht auf Wolkenschichten den Himmel darzustellen vermeint, sondern eine Räumlichkeit, welche das Auge befriedigt und für den innern Sinn mehr wahrhaft überirdisch erscheint als alle jene perspectivischen Em- pyreen. Die einzelnen Motive gehören zum Theil zu seinen reifsten Früchten (der sinnende Jupiter und der plaidirende Amor, Mercur und Psyche; im Hochzeitmahl vorzüglich das Brautpaar, der aufwartende Ganymed u. A. m.), und doch fällt nichts Einzelnes aus dem wunder- würdig geschlossenen Ganzen heraus. — Die schwebenden Amorine mit den Abzeichen und Lieblingsthieren der Götter sind wohl im Gan- Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael. zen eine Allegorie auf die Allherrschaft der Liebe, im Einzelnen aber Kinderfiguren von lebendigstem Humor und trefflichster Bewegung des Schwebens im gegebenen Raum. Vielleicht that es Rafael über dieser Arbeit leid um die vielen andern darstellbaren Momente aus der Geschichte der Psyche, welche nur eben hier keine Stelle finden konnten, weil sie eine bestimmte Örtlichkeit und eine grössere Figurenzahl verlangten. Wie dem auch sei, er entwarf eine grössere Reihe von Scenen, deren Andenken — leider nur nach einer spätern Redaction des Michel Coxcie — in Sti- chen und neuern Nachstichen (u. a. in der Sammlung von Réveil) vor- handen ist Von sonstigen Fresken der Schüler R.’s nach seinen Entwürfen sind in Rom * vorhanden: Wanddecorationen mit allegorischen Darstellungen in Bezug auf die Allherrschaft der Liebe, in einem unzugänglichen Raum des Vaticans (dem sog. Badezimmer des Cardinals Bibbiena); — in ähnlicher Weise wie- derholt in einem untern Raum der Villa Spada (Mills) auf dem Palatin; — ** die Reste aus der sog. Villa di Raffaelle, jetzt in der Galerie Borghese (Alexander mit Roxane, und eine Vermählungsscene; das sog. Bersaglio de’ Dei ist nach einer Composition des Michelangelo ausgeführt, vgl. S. 878, b); † — die Planetengottheiten auf Wagen von ihren geheiligten Thieren gezogen, in den Ovalen der Decke des grossen Saales des Appartamento Borgia. — Mehreres Andere gehört schon in der Erfindung den Schülern an; — da- gegen gelten die Überreste aus der Villa Magliana (5 Miglien vor Porta Por- tese) als eigene Arbeiten Rafaels, theils um 1511, theils um 1517. Sie wur- den neuerlich abgesägt und, wie es heisst, verkauft. . So einfach und harmlos als möglich wird darin die Geschichte erzählt; das Auge nimmt die göttliche Schönheit der meisten dieser Compositionen hin, als verstände sie sich ganz von selbst. Das ist es ja überhaupt, was uns Rafael so viel näher bringt als alle andern Maler. Es giebt keine Scheidewand mehr zwischen ihm und dem Verlangen aller seither vergangenen und künftigen Jahrhun- derte. Ihm muss man am wenigsten zugeben oder mit Voraussetzun- gen zu Hülfe kommen. Er erfüllt Aufgaben, deren geistige Prämissen — ohne seine Schuld — uns sehr fern liegen auf eine Weise, welche Giulio Romano. uns ganz nahe liegt. Die Seele des modernen Menschen hat im Ge- biet des Form-Schönen keinen höhern Herrn und Hüter als ihn. Denn das Alterthum ist zerstückelt auf unsere Zeit gekommen und sein Geist ist doch nie unser Geist. Die höchste persönliche Eigenschaft Rafaels war, wie zum Schluss wiederholt werden muss, nicht ästhetischer, sondern sittlicher Art: nämlich die grosse Ehrlichkeit und der starke Wille, womit er in je- dem Augenblick nach demjenigen Schönen rang, welches er eben jetzt als das höchste Schöne vor sich sah. Er hat nie auf dem einmal Ge- wonnenen ausgeruht und es als bequemen Besitz weiter verbraucht. Diese sittliche Eigenschaft wäre ihm bei längerem Leben auch bis ins Greisenalter verblieben. Wenn man die colossale Schöpfungskraft ge- rade seiner letzten Jahre sich ins Bewusstsein ruft, so wird man inne, was durch seinen frühen Tod auf ewig verloren gegangen ist. Die Schüler Rafaels bildeten sich an den grössten Unternehmun- gen seiner letzten Jahre. War es ein Glück für ihre eigene Thätig- keit, dass sie von Anfang an unter dem Eindrucke seiner grossen Auffassung der Dinge standen? konnten sie noch mit eigener naiver Art an ihre Gegenstände gehen? und welche Wirkung musste es auf sie ausüben, wenn sie aus dem Gerede der Welt entnahmen, was man eigentlich an ihrem Meister bewunderte? In letzter Linie kam es dabei sehr auf ihren Charakter an. Der bedeutendste darunter ist Giulio Romano (geb. um 1492, st. 1546). Eine leichte, unermüdliche Phantasie, welche auch Streif- züge in das Gebiet des Naturalismus nicht verschmäht und sich vor- zugsweise in den neutralen Gegenständen, in den Mythen des Alter- thums zu ergehen liebt, zu der kirchlichen Malerei aber gar keine innerliche Beziehung mehr hat und einer grenzenlosen Verwilderung, einer öden Schnellproduction anheimfallen musste. Frühe decorative Malereien: im Pal. Borghese (drei abgesägte a Stücke aus der Villa Lante, mit altrömischen Geschichten in Bezie- Malerei des XVI. Jahrhunderts. Schule Rafaels. a hung auf den Janiculus); in der Villa Madama (Fries von Putten, Candelabern und Fruchtschnüren in einem Zimmer links; s. oben); b in der Farnesina (Fries eines obern Saales). — Frühe Madonnen im c Pal. Borghese, im Pal. Colonna, in der Sacristei von S. Peter, in den d Uffizien; die Mutter mehr resolut, die Kinder mehr muthwillig als bei Rafael; die Melodie der Linien schon beinahe verklungen. — Das viel- e leicht frühste grosse Altarbild: auf dem Hochaltar von S. M. dell’ anima; in einzelnem Detail noch rafaelisch schön. — In der Sacristei f von S. Prassede: die Geisselung, ein blosses Actbild in ziegelrothen Fleischtönen, doch in der Bravour noch sorgfältig. — Die grossartige Porträtauffassung rafaelischer Fresken lebt noch in dem Kopfe des Giu- g liano de’ Medici (Gal. Camuccini, wo sich auch ein späteres Werk, der Entwurf zu einem allegorischen Deckenbilde, findet). — Endlich h das Hauptwerk unter den frühern: Stephani Steinigung , auf dem Hochaltar von S. Stefano zu Genua, höchst fleissig, schön modellirt, in der Farbe noch der untern Hälfte der Transfiguration entsprechend. Die untere, irdische Gruppe, als Halbkreis im Schatten um die lichte, herrlich wahre, jugendlich naive Hauptgestalt componirt, ist noch im- mer eine der grössten Leistungen der italienischen Kunst. Alle haben gerade ihre Steine erhoben und sind zum Werfen bereit, der eine mehr hastig, der andere mehr wuchtig etc., aber das Grässliche wird dem Beschauer erspart. In der himmlischen Gruppe zeigt sich Giulio’s ganze Inferiorität; es fehlt das Architektonische; Christus und Gott Vater decken sich halb; die Engel, unter welchen ein sehr schöner, sind beschäftigt, die Wolken aufzuschlagen. Diese Auffassung des Überirdischen ist eine absichtlich triviale. In den Diensten des Herzogs von Mantua baute und malte Giulio daselbst sein ganzes übriges Leben hindurch. Ich kann nur die Lo- i calitäten nennen: Säle im herzoglichen Palast in der Stadt; sodann die ganze malerische Ausschmückung des von Giulio selbst erbauten k Palazzo del Te (S. 311, d) mit lauter mythologischen und allego- rischen Gegenständen. Hie und da hat er die darzustellenden Momente wirklich grossartig angeschaut, im Ganzen aber sich erstaunlich ge- hen lassen und z. B. den Sturz der Giganten gegen besseres Wissen so dargestellt, wie man ihn sieht. Zwei zierlich in Farben ausgeführte Giulio Romano. Perin del Vaga. Zeichnungen zu der im Pal. del Te gemalten Geschichte der Psyche a findet man in der Gemäldesammlung der Villa Albani bei Rom.) Von den Schülern, die sich in Mantua bei ihm bildeten, ist Giulio Clovio als Miniator berühmt; — von Rinaldo Mantovano das Hauptbild, eine grosse Madonna mit Heiligen, in der Brera zu Mai- b land (Reminiscenz der Mad. di Foligno); — von Primaticcio ist in Italien fast nichts; — von dessen Gehülfen Niccolò dell’ Abbate Fresken im Pal. del Commune zu Modena, (ehemals?) auch im Schlosse c von Scandiano. (Die drei mythologischen Bilder der Gal. Manfrin in d Venedig möchten eher von einem Venezianer herrühren, der zugleich die römische Schule kannte; etwa von Batt. Franco?) Im Ganzen ist Giulio’s Thätigkeit eine sehr schädliche gewesen. Die vollkommene Gleichgültigkeit, mit welcher er (hauptsächlich in vielen Fresken) die von Rafael und fast noch mehr von Michelangelo gelernte Formenbildung zu oberflächlichen Effekten verwerthete, gab das erste grosse Beispiel seelenloser Decorationsmalerei. Perin del Vaga (1500—1547), weniger reich begabt, in den (seltenen) Staffeleibildern schon auffallend manierirt (Einiges im Pal. e Adorno in Genua; die Madonna mit Heiligen im rechten Querschiff des Domes von Pisa mehr Sogliani’s als Perino’s Werk), bleibt doch f dem Rafael näher, sobald eine decorative Abgrenzung und Eintheilung seine Gestalten und Scenen vor der Formlosigkeit behütet. Man sieht im Dom von Pisa, an mehrern Stellen des rechten Querschiffes, sehr schöne Putten als Frescoproben gemalt. In Genua gehört dem Perin die ganze Decoration des Pal. Doria (S. 286, b). Hier erinnert noch g Vieles an die Farnesina; in der untern Halle sind einige der Zwickel- figuren noch ungemein schön; die Lunettenbildchen (römische Ge- schichten) zum Theil durch ihre Landschaften interessant; die vier Deckenbilder (Scipio’s Triumph) freilich schon lastend durch Über- füllung und Wirklichkeit; — in der Galeria wiederum heitere und gut bewegte, aber schon manierirt gebildete Putten, prächtige Gewölbe- decorationen, und an der einen Wand die mehr als lebensgrossen Hel- den des Hauses Doria, unglücklicher Weise sitzend und dennoch in gezwungenen dramatischen Bezügen zu einander, aber dem Charakter Malerei des XVI. Jahrhunderts. Schule Rafaels. nach beinahe noch rafaelisch grossartig Bei diesem Anlass muss ich ein herrliches Bildniss in den Uffizien (Sala del * Baroccio) erwähnen, welches wohl von einem Schüler Rafaels ist: ein Mann von gutmüthigem und doch ruchlosem Charakter, mit Barett, grauem Damast- kleid und Pelz. ; — in dem Saale rechts der Gigantenkampf, widerlich renommistisch wie die meisten Bilder dieser Art; — von den übrigen Sälen enthält wohl derjenige mit den Lieb- schaften des Zeus und den Wissenschaften, sowie derjenige mit den Geschichten der Psyche die geistreichsten Motive. — Die genuesischen Schüler Perins gehören durchaus zu den Manieristen. — (Spätere Fres- a ken Perins in Rom: S. Marcello, 6. Cap. rechts.) Francesco Penni , genannt il Fattore, hat in Rom wenig Namhaftes hinterlassen. b Von einem ungenannten Maler der Schule Rafaels ist in Trinità de’ monti zu Rom die 5. Cap. rechts ausgemalt (Anbetung der Hirten, der Könige, Beschneidung, nebst Lunettenbildern). Neben rafaelischen Nachklängen ist die Verwilderung der Schule hier ganz besonders deutlich in ihren Anfängen zu beobachten; langgestreckte Figuren, ver- drehte Arme u. s. w. — Mehrere andere Capellen zeigen ebenso die Ausartung der Nachahmer Michelangelo’s. (Die 3. Cap. r. mit Ge- schichten der Maria ist z. B. von Daniele da Volterra ausgemalt.) Von allen Schülern hat Andrea Sabbatini oder Andrea da Salerno am meisten von Rafaels Geist. Ausser den Bildern im c Museum von Neapel (Kreuzabnahme, Anbetung der Könige, sieben Kirchenlehrer, S. Nicolaus thronend zwischen den von ihm Geretteten d etc.) und einzelnen in Kirchen zerstreuten (S. Maria della grazie) sind e die Fresken in der Vorhalle des innern Hofes von S. Gennaro de’ Poveri, die man ihm unbedenklich zuschreiben darf, vielleicht das Geistvollste was Neapel Heimisches aus der goldenen Zeit besitzt. (Geschichten des heil. Januarius, leider sehr entstellt.) Andrea denkt einfach und schön und malt nur was er denkt, nicht was aus irgend einem malerischen Grunde irgend einen Effect machen könnte. — Ein Nachfolger, Gian Bernardo Lama , ist im glücklichen Fall eben- falls naiv und einfach, bisweilen aber auch sehr schwach und süsslich. Andrea Sabbatini. Polidoro und die Neapolitaner. (S. Giacomo degli Spagnuoli, 3. Cap. 1., grosse Kreuzabnahme, wie a von einem in Italien geschulten Niederländer; Anderes im Museum.) b — In denselben Styl lenkte später auch Antonio Amato (S. 845, g) ein. Madonna mit Engeln, im Museum. c Eine ganz andere Tendenz brachte Polidoro da Caravaggio nach Neapel (und Sicilien). Er ist noch der Schüler Rafaels in den oben (S. 293, b) genannten Fassadenmalereien, vielleicht auch in den mir nicht bekannten an dem Gartenhause des Pal. del Bufalo. (Vom d Niobe-Fries eine Handzeichnung im Pal. Corsini; drei Bilder grau in e grau sollen sich noch im Pal. Barberini befinden.) Später schlägt er in den grellsten Naturalismus um, dessen merkwürdiges Hauptdenkmal die grosse Kreuztragung im Museum von Neapel ist. Hier zuerst f wird das Gemeine als wesentliche Bedingung der Energie postulirt. Seine kleinern Bilder in derselben Sammlung sind zum Theil aus der- selben Art und aus einem unächten Classicismus gemischt. — Ein Schüler Polidoro’s, Marco Cardisco (im Museum: der Kampf g S. Augustins mit den Ketzern) hat mehr das Ansehen eines entarteten Schülers von Rafael selbst. — Ein Schüler dieses Cardisco, nämlich Pietro Negroni (1506—1569), entwickelt in dem einzigen mir be- kannten Bilde, einer grossen auf Wolken schwebenden Madonna mit h Engeln (Museum) eine wahrhaft befremdliche Schönheit und Gross- artigkeit; man glaubt die denkbar höchste Inspiration eines Giulio Romano vor sich zu sehen. — Andere Meister, wie Criscuolo, Ro- derigo Siciliano, Curia etc. sind meist wenig geniessbar (Museum). Mehrere Schüler des Francesco Francia in Bologna traten in der Folge in Rafaels Schule über oder geriethen doch unter den bestimmenden Einfluss seiner Werke. Die frühern Gemälde des Timoteo della Vite (1470—1523) befinden sich meist in seiner Vaterstadt Urbino und der Umgegend; i einzelne spätere in der Brera zu Mailand (schöne Verkündigung Mariä k mit Heiligen etc.) und in der Pinac. zu Bologna (S. Magdalena betend l vor ihrer Höhle stehend, eine räthselhaft anziehende Gestalt). Als Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafaelisten. a Schüler Rafaels malte er die Propheten über den Sibyllen in der Pace; wie viel ihm aber vorgezeichnet wurde, ist nicht bekannt und am Ende gehören diese Figuren, die ohne die Nähe der Sibyllen als Capitalwerke erscheinen würden, wesentlich ihm selbst. Auch ein anderer Schüler Francia’s und Rafaels, Bartol. Ra- menghi (Bagnacavallo) ist in solchen einzelnen idealen Gestal- b ten bisweilen grossartig (Sacristei von S. Micchele in bosco zu Bo- logna: die Nischenfiguren; vgl. das berühmte Bild der 4 Heiligen in c Dresden), bisweilen auch etwas gewaltsam (S. M. della Pace in Rom: zwei Heilige gegenüber den Propheten des Timoteo). Seine beste Composition s. S. 842, b; dagegen ist die Madonna mit Heiligen in der d Pinacoteca zu Bologna schon ein sehr mittelbares Werk und die Art wie er (in der genannten Sacristei) Rafaels Transfiguration umdeutet, e vollends kümmerlich. (Ein schönes frühes Bild, der Gekreuzigte mit 3 Heiligen, in der Sacristei von S. Pietro zu Bologna.) Innocenzo da Imola dagegen travestirte Rafaels Compositio- nen nicht, sondern „entschloss sich kühn, sie grenzenlos zu lieben“. Von seinen zahlreichen Werken, fast sämmtlich in Bologna, sind einige f wenige früh und naiv (Pinac.: Madonna der Gläubigen) oder frei im rafaelischen Geiste geschaffen (Pinac.: Madonna mit beiden Kindern, S. Franz und S. Clara), die meisten dagegen reine Anthologien aus Rafael, fleissig, sauber und im Arrangement so geschickt als man es bei dem Nicht-Zusammengehörigen billiger Weise verlangen kann. (Pinac.: Heilige Familie sammt Donator und Gattin; — S. Michael g mit andern Heiligen; — S. Salvatore, 3. Cap. 1., der Gekreuzigte mit 4 Heiligen, auf frühern Werken Rafaels beruhend, u. A. m.) Etwas h unabhängiger: S. Giacomo magg., 7. Alt. r., Vermählung der h. Catha- i rina; — Servi, 7. Alt. 1., grosse Verkündigung; — endlich die nicht k zu verachtenden Fresken in S. Micchele in bosco, Cap. del coro not- turno, welche beweisen, wie gerne Innocenzo etwas Einfach-Bedeu- tendes geschaffen hätte Eine ähnliche Aneignung von Motiven Rafaels, nur mehr aus dessen früherer Zeit, findet sich bei einem Luccheser, Zacchia il vecchio . Aus seinen * Bildern (Himmelfahrt Christi, in S. Salvatore zu Lucca; — Assunta, in S. Ago- stino, 1527; — Assunta, in S. Pietro Somaldi, 1532, etc.) tönt Einzelnes aus . Bagnacavallo. Imola. Die Ferraresen. Girolamo da Treviso , venezianisch gebildet, dann in Bo- logna thätig, verräth in den einfarbigen Legendenscenen der 9. Cap. a rechts in S. Petronio ebenfalls Studien nach Rafael. Von Girolamo Marchesi da Cotignola, einst Francia’s Schü- ler, sieht man in diesen Gegenden nur spätere Bilder des freiern und schon manierirten Styles. (Mehreres in der Brera zu Mailand; eine b grosse überfüllte Vermählung Mariä in der Pinac. zu Bologna; Justitia c und Fortitudo, in S. M. in Vado zu Ferrara, hinterste Cap. d. r. d Querschiffes; diese von schönem venezianischem Naturalismus.) Auch die Ferraresen geriethen unter den Einfluss Rafaels, aber die Eigenthümlichkeit ihrer Schule war stark genug, um ein Gegengewicht in die Wagschale zu legen. Einer von ihnen, Lodovico Mazzolino (1481—1530), erwehrte sich dieses Einflusses vollständig. Er behält seinen altoberitalischen Realismus bei, und zwar in Verbindung mit einem venezianisch glü- henden Colorit. Seine meist kleinen Cabinetbilder (je kleiner desto werthvoller) kommen in Ferrara selten, in Italien hie und da (Pal. Borghese und Doria in Rom; Uffizien), im Ausland häufiger vor. e Überladen, auch gedankenlos, in der Zeichnung ohne rechte Grund- lage, im Anbringen von Hallen mit Goldreliefs einer der masslosesten, imponirt M. durch die tiefe saftige Frische der Farben, die mit all ihrer Buntheit eine Art von Harmonie bilden. Von Weitem leuchten sie durch die Galerien. Im Ateneo zu Ferrara ein etwas grösseres f Bild: Anbetung des Kindes mit Heiligen. Benvenuto Tisio , gen. Garofalo (1481—1559), wächst aus demselben Grunde mit Mazzolino. (Bildchen im Pal. Borghese.) Spä- g ter bei mehrmaligem Aufenthalt in Rom und zwar in Rafaels Schule suchte er sich den römischen Styl nach Kräften anzueignen. Er hatte von Hause aus die Anlage zu einem venezianischen Existenzmaler in der Art eines Pordenone oder Palma; nun schuf er Altarblätter in einem idealern Styl als er gedurft hätte. Es ist schwer, Werke von einem so ernsten Streben wie die seinigen nach der höchsten Strenge der Sistina und aus Fra Bartolommeo, ganz besonders aber Rafaels erste vaticanische Krönung Mariä hervor. Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafaelisten. zu beurtheilen, zumal bei der stellenweise ganz venezianischen Pracht, Harmonie und Klarheit der Farben. Und doch ist es eine Thatsache, dass der innere Sinn oft von ihm abgestossen wird, während das Auge sich noch ergötzt. Er ist kein Manierist; selbst die zahllosen kleinen a Bildchen zumal der Gal. Doria und der Gal. des Capitols, sind mit voller äusserer Gewissenhaftigkeit componirt und gemalt. Aber sein Gefühl füllt die Formen nicht aus, die er schafft, sein Pathos ist ein unsicheres, seine idealen Köpfe, zumal die grossen, verrathen eine b geistige Leere. (So der schöne Apostelkopf im Pal. Pitti, die Judith c bei Camuccini zu Rom.) Am ehesten in seinen wenigen Genrebildern d (Eberjagd im Pal. Sciarra; Reiterzug im Pal. Colonna, dem Bagna- cavallo zugeschrieben) ist er ganz der farbenreiche und naive Ferra- rese. — In den spätern Werken verhält er sich zu den Schülern Ra- faels wie früher zu Rafael selbst, auch wird sein Colorit schwächer. Seine Kirchenbilder sind hauptsächlich folgende. e In Rom : Pal. Doria: Heimsuchung, und Anbetung des Kindes, f früh und schön. — Pal. Chigi: Himmelfahrt Christi, und ein Bild mit g drei Heiligen, ebenso. — Pal. Borghese: die Kreuzabnahme, Haupt- h bild. — Im Museum von Neapel: Kreuzabnahme, im Ausdruck stiller i und tiefer. — In der Brera zu Mailand: eine Pietà mit vielen Fi- k guren, und ein Crucifixus, früh. — In der Academie zu Venedig : Madonna in Wolken, mit 4 Heiligen, datirt 1518, vorzüglich. — In l der Galerie zu Modena : zwei thronende Madonnen mit Heiligen, m eine schöne der mittlern Zeit, und eine späte. — In S. Salvatore zu Bologna, 1. Cap. 1.: häusliche Scene bei Zacharias. — n In Ferrara : im Ateneo: Grosses allegorisches Frescobild, als Ganzes nichtig und widerwärtig, reine Buchphantasie, aber mit schö- nen Episoden, mittlere Zeit; grosse Anbetung der Könige vom Jahr 1537 und noch sehr brillant; Gethsemane u. A. m. (Bald wird hier auch das Abendmahl aus S. Spirito aufgestellt werden, wovon man o einstweilen Candi’s Copie sieht.) — Im Dom: zu beiden Seiten des Portals schlichte und edle Frescogestalten des Petrus und Paulus; 3. Alt. 1.: thronende Madonna mit 6 Heiligen, vom Jahr 1524, Haupt- bild; rechtes Querschiff: Petrus und Paulus; linkes: Verkündigung, p spät. — In S. Franceseo, Fresken der 1. Cap. 1.: die beiden Donatoren zu den Seiten des Altars, köstlich früh ferraresisch; der Judaskuss Garofalo. Dosso Dossi. nebst einfarbigen Seitenfiguren, spät. — In S. Domenico: Bilder der a 4. Cap. r. und 4. Cap. 1. — In S. Maria in Vado, 5. Alt. 1.: Himmel- b fahrt Christi, Copie des Carlo Bonone. (In den 2 äussersten Capellen des linken Querschiffes die beiden grossen ehemaligen Orgelflügel, zusammen eine Verkündigung enthaltend, von einem guten Zeitgenos- sen oder Schüler). Dosso Dossi (st. 1560) liess sich weniger von Rafael des- orientiren, dessen persönlichen Einfluss er nicht mehr erfuhr. Er blieb ein Romantiker auf eigene Gefahr und behielt (die späteste Zeit aus- genommen) seine Gluthfarben und seine eigenen bisweilen ungeschick- ten und bizarren, oft aber höchst bedeutenden Gedanken; in den Charakteren steht er nicht selten den grössten Venezianern gleich, am ehesten dem Giorgione. Frühere kleine Bilder sind ganz ferraresisch (Uffizien: Kinder- c mord; Pal. Pitti: Ruhe auf der Flucht, mit herrlicher Landschaft). — d Von den Altarbildern ist das grosse aus einer Madonna mit Heiligen und 5 Nebenabtheilungen bestehende im Ateneo zu Ferrara (aus S. e Andrea, wo man jetzt Candi’s Copie findet) einer der grössten Kunst- schätze Oberitaliens; streng architektonische Anordnung, Adel und Fülle der Charaktere, gewaltige Kraft der Farbe. — Ebenda: eine grosse Verkündigung, und ein Johannes auf Pathmos, von misslunge- nem pathetischem Ausdruck. — In der Brera zu Mailand: ein heiliger f Bischof mit 2 Engeln (1536). — Im Dom von Modena, 4. Alt. 1., Ma- g donna in Wolken, unten S. Sebastian, S. Hieronymus und Johannes d. T., Hauptbild. — In der Galerie zu Modena: grosse Anbetung der h Könige mit phantastisch beleuchteter Landschaft; grosses Carthäuser- votivbild mit der auf Wolken schwebenden Jungfrau. — Ebenda al Carmine, 3. Alt. r.: ein heiliger Dominicaner, ein schönes dämonisches i Weib mit Füssen tretend. — Ebenda in S. Pietro, 3. Alt. r.: Mariä k Himmelfahrt, die Apostel (3 rechts, 3 links und 6 hinten) treten ganz feierlich mit ihren Attributen heran; — andere Bilder dieser Kirche werden theils seiner Schule, theils seinem Bruder Gian Battista zu- geschrieben, so die artige Predella des 5. Alt. r., — die naiv schöne auf Wolken schwebende Madonna mit zwei heil. Bischöfen auf dem Malerei des XVI. Jahrhunderts. Ferrara. Siena. 7. Alt. 1., — die Madonna in Wolken mit S. Gregor und S. Georg, wozu eine landschaftlich köstliche Predella, sicher von Gian Battista, gehört, 2. Alt. 1. — Als Genremaler ist Dosso Dossi besonders in der a Galerie von Modena vertreten, hauptsächlich allerdings nur durch jene zu halbdecorativem Zweck gemalten Ovalbilder mit Essenden, Trin- kenden und Musicirenden, in welchen man doch Giorgione’s Vorbild ahnen kann; ebenda eine Anzahl Porträts, mit welchen die Phan- tasie den Hof von Ferrara wie er in den spätern Zeiten war, be- b völkern mag. — Im Castell von Ferrara hat Dosso mit Hülfe seiner Schule mehrere Räume verziert; es sind meist Arbeiten seiner ganz späten, schon manierirten Zeit, selbst die berühmte Aurora in dem Saal der 4 Tageszeiten; auch die drei kleinen Bacchanale (in einem kleinen Corridor) haben nicht mehr die Frische und Schönheit, die solche Gegenstände verlangen. Nicht das Mythologische, sondern das frei Fabelhafte wäre Dosso’s Fach gewesen. Man sieht im Pal. Bor- c ghese zu Rom ein Bild seiner besten Zeit: Circe (?) im Walde, magi- sche Künste übend. Es ist die lebendig gewordene Zaubernovelle; so dachte Ariost seine Gestalten. Ein Zeitgenosse des Garofalo und Dosso, der Ortolano , hat zu d S. Francesco in Ferrara die Orgelflügel (linkes Querschiff) ganz tüch- tig in der Art des Erstern mit grossen Heiligenfiguren geschmückt. (Die Halbfiguren an der Brustwehr theils von Garofalo selbst, theils von Bonone.) Die Unzulänglichkeit und Erstorbenheit der alten sienesischen Schule muss gegen Ende des XV. Jahrh. sehr unverhohlen als That- sache anerkannt gewesen sein, indem man sonst nicht Pinturicchio von Perugia berufen hätte, um die Libreria und die Capelle San Giovanni im Dom auszumalen. Es scheint sogar, dass einzelne Sienesen nach Perugia in die Schule gingen, wie die frühern Bilder des Domenico Beccafumi (s. unten) beweisen. Sehr eigenthümlich äussert sich die- ser peruginische Einfluss ferner bei dem edeln, männlichen Bernar- dino Fungai , der die schöne Inspiration davon annahm ohne die Fungai. Sodoma. äusserlichen Manieren; seine Bilder in der Academie (3. Raum und a gr. Saal) sind noch sienesisch befangen; die Krönung Mariä mit vier Heiligen in der Kirche Fontegiusta (rechts) nähert sich schon mehr b den Umbriern und den Florentinern; die Lunette über dem Hochaltar ebenda, Mariä Himmelfahrt, hat bereits in den musicirenden Engeln Einzelnes von hoher Schönheit; endlich lebt der Meister weiter in einem Bilde seines Schülers Pacchiarotto (S. Spirito, 3. Cap. 1.); c wiederum eine Krönung Mariä, unten drei knieende Heilige, schön und andächtig, ernst und gemessen wie die Heiligen Spagna’s. — (Das grosse Bild Fungai’s im Carmine, Madonna mit Heiligen, vom d Jahr 1512, hat der Verf. nicht gesehen.) Allein die dauernde Hülfe konnte der Schule nicht durch Meister des passiven Ausdruckes kommen, wie die meisten Peruginer waren, sondern nur durch Theilnahme an der grossen Historienmalerei, die damals durch ganz Italien ihre Triumphe feierte. Und zwar sollte es ein Lombarde sein, Antonio Razzi von Vercelli, genannt il Sodoma (1479—1554), welcher dem Geiste der sienesischen Schule für lange, ja auf mehr als ein Jahrhundert hin eine neue, frucht- bringende Richtung gab. Sodoma hatte sich bei den mailändischen Schülern Leonardo’s gebildet (wie denn noch sein frühstes Bild in Siena, die Kreuzabnahme e in S. Francesco, rechts, vom Jahr 1513, durch Auffassung und Farben- glanz einigermassen an Gaudenzio Ferrari erinnert); später bei mehr- maligem Aufenthalt in Rom nahm er, wie es scheint, den Eindruck Rafaels nachhaltiger in sich auf als die meisten von dessen Schülern und bewahrte denselben als diese ihn schon längst vergessen hatten. Sein Genius hatte allerdings bestimmte Schranken, über welche er nie hinauskam. Ganz erfüllt von der Schönheit der menschlichen Gestalt, die er in rafaelisch anmuthigen Kinderfiguren (Putten) wie in Personen jedes Alters nackt oder bekleidet auf das grossartigste darzustellen wusste, besass er kein Auge für das Mass der historischen Composition. Er füllte seine Räume dergestalt mit Motiven jedes Grades an, dass immer eines das andere verdrängt oder aufhebt. So ist von den beiden grossen Fresken im zweiten obern Saal der Far- f nesina zu Rom, Alexander mit Roxane, und die Familie des Darius, das erstere durch Überreichthum an Schönheiten, das letztere zudem B. Cicerone. 60 Malerei des XVI. Jahrhunderts. Siena. a durch Verwirrung nicht nach Verdienst geniessbar. In S. Domenico zu Siena malte Sodoma (1526) die Capelle der heil. Catharina (rechts) mit Scenen aus deren Leben aus, von welchen wenigstens die figuren- reichste vor lauter Fülle ganz unklar wird, während so viel Einzelnes in Charakteren und Bewegungen unvergleichlich bleibt; die Ver- zierungen der Pilaster und die Putten darüber gehören ganz der gol- denen Zeit an Bestes Licht: gegen Mittag. . — Es ergiebt sich aus dem Gesagten von selbst, dass Sodoma am besten wirkt in isolirten Figuren, deren denn auch einige keinen Vergleich in der Welt zu scheuen haben. Am besten wird b man dessen gewahr in S. Bernardino (oberes Oratorium) wo die vier einzelnen Heiligen S. Ludwig von Toulouse, S. Bernhardin, S. Antonius von Padua und S. Franz als vollkommen, die historischen Compositionen dagegen, Mariä Darstellung, Heimsuchung, Himmel- fahrt und Krönung, nur als bedingte Lösungen dieser Aufgaben er- c scheinen Bestes Licht: Nachmittags. . Im Pal. pubblico sind die drei fast nur von Putten begleiteten Heiligen S. Ansano, S. Vittorio und S. Bernardo Tolomei (in der Sala del Consiglio) so rein und gross als irgend etwas Ähn- d liches aus dieser Zeit, die Auferstehung dagegen (Stanza del Gonfa- e loniere) nur im Detail trefflich. In S. Spirito (1. Cap. rechts) malte Sodoma (1530) um eine Altarnische herum oben S. Jacob zu Pferde als Saracenensieger, unten rechts und links S. Antonius den Abt und S. Sebastian; wiederum von seinen herrlichsten Arbeiten. Von den f in die Academie gebrachten Kirchenfresken wird (4. Raum) das grandiose Eccehomo, der leidende Normalmensch in einem Augenblick der Ruhe, immer den Vorzug behalten vor dem Christus am Ölberg und in der Vorhölle (gr. Saal), obwohl gerade das letztere Bild grosse g Einzelschönheiten hat. (Die Geburt Christi an der Porta Pispini hat der Verf. übersehen; leider war ihm auch der Besuch des Klosters h Monte Oliveto unweit Buonconvento nicht vergönnt, wo sich So- doma in einem grossen Cyclus historischer Fresken von höchstem Werthe verewigt hat. Sind dieselben wirklich aus seiner Jugend, vom Jahr 1502, so müssen sie seinem frühern lombardischen Styl ent- sprechen.) Sodoma. Mit voller Freude hat Sodoma, wie die Grössten seiner Zeit über- haupt, nur in Fresco gearbeitet. Da erging sich seine Hand im frei- sten und sichersten Schwung; mit hohem Genuss wird man diese gleichmässigen, leichten Pinselstriche verfolgen, mit welchen er die Schönheit festzauberte. In Staffeleibildern war er insgemein befange- ner, und brauchte Farben, die einem ungleichen Nachdunkeln unter- worfen sind, sodass z. B. ein ohnehin überfülltes Bild wie seine An- betung der Könige in S. Agostino zu Siena (Nebencapelle rechts) a ungünstig wirkt. In andern Fällen jedoch, wo sich z. B. die Haupt- figuren mehr isoliren, siegt er durch die sehr gewissenhafte Durch- führung der schönen Form. Auferstehung Christi, im Museum von b Neapel (Hauptsaal); das Opfer Abrahams, im Dom von Pisa (Chor); c derselbe Gegenstand in der Brera zu Mailand; der S. Sebastian in d den Uffizien (tosk. Sch.), vielleicht der schönste den es giebt, zu- e mal mit den absichtlichen Schaustellungen der spätern Schulen ver- glichen; hier ist wahres edles Leiden in der wunderbarsten Form ausgedrückt. Seine Madonna ist in der Regel ernst und nicht mehr ganz ju- gendlich, sein Christuskind den frei spielenden Putten seiner Fresken selten an Unbefangenheit und an Werthe gleich. (Pal. Borghese u. f a. a. O.) Ebenso sein Eccehomo (Pal. Pitti und Uffizien) nicht dem- g jenigen in Fresco. Sein eigenes treffliches Porträt in den Uffizien. Die Ornamente und kleinen Zwischenbilder an der Decke der Camera della Segnatura im Vatican bekenne ich nie genau angesehen h zu haben. — Von den Fresken des Conservatorenpalastes auf dem Ca- i pitol werden dem S. neuerlich die sehr kindlichen Scenen aus dem punischen Kriege im 7. Zimmer zugeschrieben; nach meiner Ansicht gehören ihm eher einige Figuren im 4. Zimmer (wenn ich nicht irre, dem der Fasti). Zunächst schlossen sich seinem Styl einige Schüler früherer Sie- neser an; so Andrea del Brescianino (schöne Taufe Christi auf k dem Altar von S. Giovanni, der Unterkirche des Domes von Siena; Madonna mit Heiligen, Acad., gr. Saal) und vorzüglich Jacopo Pac- l chiarotto . Die frühern Bilder des letztern (S. 945, c) verbinden wie 60* Malerei des XVI. Jahrhunderts. Siena. die besten des Fungai den peruginischen Ausdruck mit einer ernst gemeinten, tiefen Charakteristik; dieser Art soll ausser dem genannten a in S. Spirito auch eine Madonna mit Heiligen in S. Cristoforo sein. Später wurde er unter der offenbaren Einwirkung Sodoma’s (auch wohl des Fra Bartolommeo und Andrea del Sarto) einer der wenigen Historienmaler, welche in den nächsten Jahrzehnden nach Rafaels Tode die Ehre der historischen Kunst im höhern Sinn vertraten. Ohne den Sodoma in der schwungvollen Schönheit der einzelnen Gestalten zu erreichen, war er ihm als Componist beträchtlich überlegen; man wird b in S. Bernardino (oberes Oratorium) die Geburt Mariä und den eng- c lischen Gruss, ganz besonders aber in S. Caterina (unteres Oratorium) die Geschichten der Heiligen (die beiden Bilder rechts und das zweite links) dem Andrea del Sarto nicht weit nachsetzen können. Der Mord- anfall auf die Mönche ist als Scene vortrefflich entwickelt, die Heilige an der Leiche der heil. Agnese ein Bild voll des schönsten Ausdruckes. d Von P.’s Bildern in der Academie ist eine Himmelfahrt Christi (gr. Saal) noch etwas befangen; ein grosser „englischer Gruss“, mit der Heimsuchung im Hintergrunde, oben Putten, welche die Vorhänge bei Seite ziehen, wird einem Girolamo del Pacchia zugeschrieben, welcher vielleicht mit Pacchiarotto identisch ist; ein herrliches Bild, welches den Geist der sienesischen und der florent. Schule in reinster Ver- bindung zeigt. Domenico Beccafumi machte in seinem langen Leben die Style mit, die in seiner Umgebung herrschten. Seine Jugendbilder sehen bisweilen denjenigen der peruginischen Schule und Perugino’s selbst zum Verwechseln ähnlich. In seiner zweiten und besten Pe- riode steht er dem Sodoma kaum minder würdig zur Seite als Pac- e chiarotto; dahin gehört das schöne Bild in der Acad. (Saal der Scuole diverse), welches mehrere Heilige in archit. Umgebung und oben eine Erscheinung der Madonna darstellt; ebenso die grandiosen Composi- f tionen in S. Bernardino, Vermählung und Tod der Maria nebst dem Altarbilde. In seiner spätern Zeit kam die Ausartung und falsche Virtuosität der römischen Schule über ihn. (Sturz der bösen Engel, g Acad., gr. Saal; Fresken der Sala del concistoro im Pal. pubblico etc.) Der Charakter war vielleicht dem Talent nicht gewachsen. — Von h dem figurirten Marmorboden des Domes werden die besten Zeichnun- Pacchiarotto. Beccafumi. Peruzzi. gen (im Chor) ihm zugeschrieben, grosse figurenreiche Compositionen, schon ziemlich römisch. — In den Uffizien das Rundbild einer heil. a Familie. Der grosse Baumeister Baldassare Peruzzi ist als Maler entweder vorzugsweise Decorator (S. 173, f) oder in den Manieren des XV. Jahrh. befangen (Deckenbilder des Saales der Galatea in der b Farnesina zu Rom, wo freilich neben Rafael Alles unfrei aussieht). Auf den wenigen Malereien seiner spätern Zeit ruht jedoch Rafaels und Sodoma’s Geist. Das Fresco der ersten Capelle links in S. Maria c della Pace zu Rom, eine Madonna mit Heiligen und Donator, hält diessmal gegenüber von Rafaels Sibyllen wenigstens so weit die Probe aus, dass man in den schönen und klar gegebenen Charakteren und in der freien Behandlung den Künstler der goldenen Zeit auf den ersten Blick erkennt. In der Kirche Fontegiusta zu Siena (links) ist d das einfach grandiose Frescobild des Augustus und der tiburtinischen Sibylle trotz seiner übeln Beschaffenheit ebenso ein ergreifender Klang aus jener grossen Epoche. (Die Malereien im Chor von S. Onofrio e zu Rom, die Mosaiken in der unterirdischen Capelle von S. Croce in f Gerusalemme ebenda, und die wenigen Staffeleibilder Peruzzi’s gehören vorwiegend zu seinen manierirten Sachen.) Von dem Untergang der Republik an (1557) verdunkelt sich auch der künstlerische Glanz Siena’s, doch nur für einige Zeit. Die Nach- blüthe der ital. Malerei, welche gegen Ende des XVI. Jahrh. beginnt, hat gerade hier einige ihrer tüchtigsten Repräsentanten. In Verona repräsentiren vorzüglich zwei Maler die goldene Zeit: Gianfrancesco Caroto , Schüler Mantegna’s, und Paolo Ca- vazzola , Schüler des Franc. Morone; welchen man noch den Giol- fino beigesellen kann. Durch die Verhüllung der Altarblätter wegen der Fasten sah sich der Verf. mit seinem Urtheil beinahe ganz auf die Gemälde derselben in der Pinacoteca zu Verona beschränkt. Caroto’s graue Unter- Malerei des XVI. Jahrhunderts. Verona. a malung einer Anbetung der Hirten ist eine unscheinbare und doch herrliche Schöpfung; der Geist Lionardo’s berührt die Schule des Mantegna; — ebenda eine andere Anbetung des Kindes, eine thro- nende Madonna mit Heiligen auf Wolken, u. A. m. Weit das Wich- b tigste in S. Eufemia. — Von Cavazzola enthält die Pinacoteca das grosse Hauptwerk (1517) einer Passion in drei Bildern; wiederum ein wunderbarer Übergang aus dem Realismus des XV. Jahrh. in die edle, freie Charakteristik des XVI., nicht in leere Idealität; — ausser- dem frühe kleinere Passionsbilder, grandiose Halbfiguren von Aposteln und Heiligen; Christus und Thomas; endlich eine herrliche grosse Ma- donna mit Heiligen (1522), welche in der ganzen Behandlung, auch in der trefflichen Landschaft, an die Ferraresen erinnert. (Von ihm c und Brusasorci sind auch die kleinen Landschaften in S. M. in organo, S. 272, a, mit hohen und schönen Horizonten, im Ton eher kalt als venezianisch oder flandrisch, mit biblischen Scenen staffirt.) Einige d schöne Bilder in der Sacristei von S. Anastasia (Paulus mit andern Heiligen und Andächtigen; die von Engeln emporgetragene Magdalena) e und in einer Nebencapelle links an SS. Nazaro e Celso (grosse Taufe Christi). — Giolfino’s Sachen in der Pinacoteca sind minder be- f deutend als der 4. Alt. l. in S. Anastasia, wenigstens dessen Neben- g malereien. Fresken in S. M. in organo. — Die zum Theil ganz be- sonders schönen Fassadenmalereien dieser Meister sind verzeichnet S. 297 u. 298. Mitten im höchsten allgemeinen Aufblühen erhebt sich ein Maler, welcher die Grundlagen und Ziele seiner Kunst ganz anders auffasst, als alle Übrigen: Antonio Allegri da Coreggio (1494—1534), Schüler des Francesco Mantegna und des Bianchi Ferrari (S. 820). Es giebt Gemüther, welche er absolut zurückstösst und welche das Recht haben, ihn zu hassen. Immerhin möge man die Stätte seiner Wirksamkeit, Parma, besuchen, wo möglich bei hellem Wetter, wäre es auch nur um der sonstigen Kunstschätze und um der freund- Coreggio. lichen und zuvorkommenden Einwohner willen, die das schlechteste Strassenpflaster von Italien wohl vergessen zu machen im Stande sind. Innerlich so frei von allen kirchlichen Prämissen, wie Michelan- gelo, hat Coreggio in seiner Kunst nie etwas anderes als das Mittel gesehen, das Leben so sinnlich reizend und so sinnlich überzeugend als möglich darzustellen. Er war hiefür gewaltig begabt; in Allem, was zur Wirklichmachung dient, ist er Begründer und Entdecker selbst im Vergleich mit Lionardo und Tizian. Allein in der höhern Malerei verlangen wir nicht das Wirkliche, sondern das Wahre. Wir kommen ihr mit einem offenen Herzen ent- gegen und wollen nur an das Beste in uns erinnert sein, dessen be- lebte Gestalt wir von ihr erwarten. Coreggio gewährt diess nicht; das Anschauen seiner Werke wird darob wohl zu einem unaufhörli- chen Protestiren; man ist versucht sich zu sagen: „als Künstler hättest du dieses Alles höher zu fassen vermocht.“ Vollständig fehlt das sitt- lich Erhebende; wenn diese Gestalten lebendig würden, was hätte man an ihnen? welches ist diejenige Gattung von Lebensäusserun- gen, welche man ihnen vorzugsweise zutrauen würde? Aber das Wirkliche hat in der Kunst eine grosse Gewalt. Selbst wo sie das Geringe und Zufällige, ja das Gemeine mit allen Mitteln der Realität darstellt, übt dasselbe einen zwingenden Zauber, wenn auch von widriger Art. Handelt es sich aber um das sinnlich Rei- zende, so erhöht sich dieser Zauber unendlich und berührt uns dä- monisch. Wir brauchten dieses Wort bei Michelangelo’s Postulat einer physisch erhöhten Menschenwelt; mit ganz entgegengesetzten Mitteln bringt Coreggio eine Wirkung hervor, die wiederum nicht an- ders zu bezeichnen ist. Er zuerst stellt in seinen Scenen den Na- turmoment vollständig und vollkommen dar. Das Zwingende liegt nicht in dieser oder jener schönen und buhlerischen Form, sondern darin, dass für die Existenz dieser Form eine unbedingte Überzeu- gung in dem Beschauer hervorgebracht wird vermöge der vollkom- men wirklichen (und durch versteckte Reizmittel erhöhten) Mitdar- stellung von Raum und Licht. Unter seinen Darstellungsmitteln ist das Helldunkel sprichwört- lich berühmt. Das ganze XV. Jahrh. zeigt eine Menge einzelner Versuche dieser Art, allein bloss mit dem Zweck, das Einzelne möglichst vollständig Malerei des XVI. Jahrhunderts. Coreggio. zu modelliren. Bei Coreggio zuerst ist das Helldunkel wesentlich für den Mitausdruck des malerisch geschlossenen Ganzen; in diesem Strom von Lichtern und Reflexen liegt gerade der Naturmoment ausgedrückt. Abgesehen davon wusste Coreggio zuerst, dass die Oberfläche des menschlichen Körpers im Halblicht und im Reflex den reizendsten Anblick gewährt. Seine Farbe ist in der Carnation vollendet und auf eine Weise aufgetragen, die ein ganz unendliches Studium der Erscheinung in Luft und Licht voraussetzt. In der Bezeichnung anderer Stoffe raffi- nirt er nicht; die Harmonie des Ganzen, der Wohllaut der Übergänge liegt ihm mehr am Herzen. Das Hauptmerkmal seines Styles aber ist die durchgängige Be- weglichkeit seiner Gestalten, ohne welche es für ihn kein Leben und keine vollständige Räumlichkeit giebt, deren wesentlicher Mass- stab ja die bewegte und zwar mit dem vollkommenen Schein der Wirk- lichkeit bewegte, also je nach Umständen rücksichtslos verkürzte Menschengestalt ist Es ist kaum anders möglich, als dass C. das Hauptwerk seines einzigen Vor- gängers in dieser Richtung, die Halbkuppel des Chores von SS. Apostoli zu Rom von Melozzo da Forli gekannt habe. (Ansicht Mündlers, von Waa- gen, Kunstblatt 1851, S. 158 gebilligt.) Sonach hätte er Rom überhaupt gekannt. . Er zuerst giebt auch den Glorien des Jenseits einen kubisch messbaren Raum, den er mit gewaltig wogenden Ge- stalten füllt. — Diese Beweglichkeit ist aber keine bloss äusserliche, sondern sie durchdringt die Gestalten von innen heraus; Coreggio er- räth, kennt und malt die feinsten Regungen des Nervenlebens. Von grossen Linien, von strenger architektonischer Composition ist bei ihm nicht die Rede, auch von der grossen, befreienden Schön- heit nicht. Sinnlich Reizendes giebt er in Fülle. Hie und da ver- räth sich auch eine tief empfindende Seele, welche vom Wirklichen ausgehend grosse geistige Geheimnisse offenbart; es giebt Bilder des Leidens von ihm, welche zwar nicht grossartig, aber durchaus edel, rührend und mit unendlichem Geist durchgeführt sind. (Von seinem a Christus am Ölberg eine gute alte Copie in den Uffizien.) Allein es sind Ausnahmen. Frühere Staffeleibilder. Ein frühes Bild ist die Ruhe auf der Flucht , in der Tribuna a der Uffizien, mit S. Bernhard; die Vorstufe der unten zu nennenden Madonna della Scodella. Hier zum erstenmal wird die Scene zum lieblichen Genrebild, was sie bei den Realisten des XV. Jahrh. trotz aller Züge aus der Wirklichkeit noch nicht ist. Einige Befangenheit zeigt sich in dem gleichgültigen Kopf der Mutter und in der Un- schlüssigkeit des Kindes, die von Joseph gepflückten Datteln anzu- nehmen. Die Farbe ist noch ungleich, theilweise merkwürdig vol- lendet. Ebenda, vielleicht ebenfalls noch früh: Madonna im Freien vor b dem auf Heu liegenden Kinde knieend — nicht mehr um es anzu- beten, sondern um ihm lachend mit den Händen etwas vorzumachen; wunderbar gemalt, das Kind auf die anmuthigste Weise verkürzt; die Mutter schon von derjenigen kleinlichen Hübschheit, welche ihr bei C. eigen bleibt. — (Der Kopf Johannis d. T. auf einer Schüssel, ebenda, ist keiner von den grossartig duldenden, nicht der enthauptete Pro- phet, sondern ein schon bei Lebzeiten kränklicher Frömmler — üb- rigens zweifelhaft. So auch der über die nackte Schulter sehende ju- gendliche Kopf derselben Sammlung, vielleicht Copie aus der Schule der Caracci. — Im Pal. Pitti ein unbedeutendes Kindesköpfchen.) c Entschieden sehr früh die grosse Kreuztragung in der Galerie d von Parma; schon mit unbedingtem Streben nach Affect (bis zur Bru- talität) und mit Nichtachtung der Linien zu Gunsten der Formen componirt; der Ausdruck der beiden Hauptgestalten wahr und er- greifend. Von 1518 an, seit welchem Jahre Coreggio in Parma sesshaft war, entstand jene Reihe von Meisterwerken, deren vorzüglichste nach Dresden und Berlin gerathen sind. (Von der Dresdner Magdalena e eine schöne alte Copie bei Camuccini in Rom.) Doch besitzt auch Italien noch mehrere von höchster Bedeutung. Im Museum von Neapel: das kleine Bildchen der Vermählung f der heil. Catharina , leicht und kühn gemalt; dass das Kind ob der befremdlichen Ceremonie fragend die Mutter ansieht, ist ganz ein Zug in der Art Coreggio’s, der die Kinder nicht anders als naiv kennen wollte. (Der Christus auf dem Regenbogen, vatican. Gal., kann doch g nur als caracceskes Bild gelten.) Malerei des XVI. Jahrhunderts. Coreggio. a Ebenda: la Zingarella , d. h. Madonna über das Kind gebeugt auf der Erde sitzend, oben im Palmendunkel schweben reizende Engel. Coreggio hebt in der Maria das Mütterliche hier und auch sonst nicht selten mit einer wahren Heftigkeit hervor, als fühlte er, dass er seinem Typus keine höhere Bedeutung verleihen könne. Die Ausführung vielleicht etwas früher, übrigens von grösster Schönheit. b Auch die grosse Frescomadonna in der Galer ie von Parma zeigt Mutter und Kind innig verschlungen; eines der schönsten Linien- motive C.’s; Köpfe und Hände wunderbar zusammengeordnet (der- gleichen sonst seine starke Seite nicht ist); Hauptbeispiel seines weib- lichen Idealkopfes mit den colossalen Augenlidern und dem Näschen und Mündchen. c Ebenda: die berühmte Madonna della Scodella , eine Scene der Flucht nach Ägypten. Das zauberhafte Licht in dem heimlichen Waldraum, die liebenswürdigen Köpfe und die unbeschreibliche Herr- lichkeit der ganzen Behandlung lassen es vergessen, dass das Bild wesentlich nach den Farben componirt und in den Motiven überwie- gend unklar ist. Was will das Kind, ja die Mutter selbst? was fan- gen die heftig bewegten Engel oben mit der Wolke an? wie hat man sich den Engel, welcher das Lastthier bindet und denjenigen mit dem Rebenzweig vollständig entwickelt zu denken? Man scheue sich nur nicht, Fragen, die man an jeden Maler stellt, auch an Coreggio zu stellen. Wer solche Wirklichkeit malt, ist zur Deutlichkeit doppelt verpflichtet. d Auch die Madonna di S. Girolamo (ebenda) wiegt durch eine fast (doch nicht ganz) ebenso erstaunliche Behandlung die grossen sachlichen Mängel nicht auf. Hieronymus steht affectirt und unsicher wie denn Coreggio im Grossartigen nirgends glücklich ist; das Kind, welches dem im Buche blätternden Engel winkt und mit den Haaren der Magdalena spielt, ist von einer unbegreiflichen Hässlichkeit, ebenso der Putto, welcher am Salbengefäss der Magdalena riecht So dass man sich des Gedankens an eine ganz bestimmte Absicht kaum er- wehren kann. Es ist hier Pflichtsache zu bekennen, dass in Toschi’s Sti- chen die Köpfe nicht selten versüsst sind — diess unbeschadet der hohen Achtung vor dem Meister, welchen ich noch wenige Monate vor seinem Ende in seinem Studio zu begrüssen das Glück gehabt habe. Es wäre sehr zu . Nur Staffeleibilder der vollendeten Zeit. Letztere ist ganz ausserordentlich schön und zeigt in der Art, wie sie sich hinschmiegt, die höchste Empfindung für eine bestimmte Art weiblicher Anmuth. Die Kreuzabnahme , ebenda, vor Allem ein Wunderwerk der a äussern Harmonie. Der Kopf des liegenden Christus von höchst edelm Schmerzensausdruck, die Übrigen aber beinah kleinlich und selbst gri- massirend. Die Ohnmacht ist in der Maria sehr wirklich dargestellt, sodass man z. B. inne wird, wie sie die Herrschaft über den linken Arm verliert. Das Gegenstück (wie obiges auf damascirte Leinwand gemalt): Die Marter des heil. Placidus und der heil. Flavia ; in der b malerischen Behandlung nicht minder ausgezeichnet. Ein verhängniss- volles Bild, dessen übelste Eigenschaften bei den Malern des XVII. Jahrh. nur zu vielen Anklang gefunden haben. Verlangte man von C. diese Scene oder ist er hier freiwillig der erste Henkermaler, wie er anderwärts der erste ganz verbuhlte Maler ist? Höchst seelenruhig und kunstgerecht zieht der eine Henker der süsslichen Flavia die Flechte mit der Linken herunter und stösst sie mit dem Schwert unter die Brust; der andere zielt auf den ganz devot vor ihm knieen- den Placidus; rechts sieht man zwei Rümpfe von Enthaupteten, ja aus dem Rahmen schaut noch der Arm eines Henkers hervor, der einen blutigen Kopf trägt. Auf den ersten Blick erscheint das Ganze erstaunlich modern. Von den Fresken Coreggio’s in Parma sind diejenigen in einem Gemach des aufgehobenen Nonnenklosters S. Paolo die frühsten. c Über dem Kamin sieht man Diana in ihrem Wagen auf Wolken fahrend; am Gewölbe, welches über 16 trefflichen einfarbig gemalten Lunetten mythologischen Inhaltes emporsteigt, ist eine Weinlaube ge- malt und in den runden Öffnungen derselben die berühmten Putten, zu zweien oder dreien in allerlei Verrichtungen gruppirt. Sie sind nicht schön im Raum, auch nicht in den Linien, überhaupt fehlte dem Maler das architektonische Element, das solchen Decorationen zu wünschen, dass die Aquarellcopien der Fresken Coreggio’s, theils von To- schi’s, theils von seiner Schüler Händen, öffentliches Eigenthum würden. Wer sie noch jetzt zu sehen Gelegenheit hat, versäume dieses nicht. Malerei des XVI. Jahrhunderts. Coreggio. Grunde liegen muss; allein es sind Bilder der heitersten Jugend, Im- provisationen voll von Leben und von Schönheit. (Gutes Reflexlicht bei Sonnenschein 10—12 Uhr.) Bald darauf, 1520—1524, malte C. in S. Giovanni, und zwar wohl zuerst die schöne und strenge Gestalt des begeisterten Evangelisten a in einer Thürlunette des linken Querschiffes. — Dann die Kuppel . (Im Februar war um 12 Uhr und gegen 4 Uhr die Beleuchtung am leidlichsten. S. 205, oben.) Es ist die erste einer grossen Gesammt- composition gewidmete Kuppel; Christus in der Glorie, von den auf Wolken sitzenden Aposteln umgeben, und zwar Alles als Vision des unten am Rand angebrachten Johannes. Die Apostel sind echte Lombarden des nobeln Typus, von einer grandiosen Körperlichkeit; der greise, ekstatische Johannes (absichtlich?) unedler. Die völlig durchgeführte Untensicht, von welcher dieses Beispiel das frühste erhaltene und jeden- falls das frühste so ganz durchgeführte ist (vgl. S. 952, Anm.), erschien den Zeitgenossen und Nachfolgern als ein Triumph aller Malerei. Man vergass, welche Theile des menschlichen Körpers bei der Untensicht den Vorrang erhalten, während doch der Gegenstand dieses und der meisten spätern Kuppelgemälde — die Glorie des Himmels — nur das geistig Belebteste vertragen würde. Man empfand nicht mehr, dass für diesen Gegenstand die Raumwirklichkeit eine Entwürdigung ist und dass überhaupt nur die ideale, architektonische Composition ein Gefühl erwecken kann, welches demselben irgendwie gemäss ist. Nun ist schon hier gerade die Hauptgestalt, Christus, wahrhaft froschartig verkürzt; auch bei einzelnen Aposteln rücken die Kniee bis gegen den Hals. Als Raumverdeutlichung, Stütze und Sitz, malerisch auch als Mittel der Abstufung und Unterbrechung dienen die Wolken, welche Coreggio als consistent geballte Körper von bestimmtem Vo- lumen behandelt. — Auch an den Pendentifs (Zwickeln) der Kuppel sitzen die an sich sehr schönen, nur übermässig verkürzten Gestalten — je ein Evangelist und ein Kirchenvater — auf Wolken, während noch Michelangelo seinen Propheten und Sibyllen an ähnlicher Stelle feste Throne gegeben hatte. Die Halbkuppel des Chores derselben Kirche, mit der grossen Krönung der Maria, wurde 1584 abgebrochen. Doch wurde die Haupt- gruppe (Christus und Maria) gerettet und ist gegenwärtig in einem Fresken: S. Paolo; S. Giovanni; Dom. Gange der herzogl. Bibliothek angebracht; ausserdem hatten Annibale a und Agostino Caracci fast das Ganze stückweise copirt (sechs Stücke in der Galerie von Parma, mehrere im Museum von Neapel), und b Cesare Aretusi wiederholte hernach an der neuen Halbkuppel die ganze Composition so gut er konnte. — Ein leidenschaftlicher Jubel durchströmt den ganzen Himmel in dem geweihten Augenblick; die schönsten Engel drängen sich zu einem Heere zusammen. Aber die Madonna selbst ist weder naiv noch schön, Christus eine mittel- mässige Bildung. (Beide in den Copien versüsst und so ohne Zwei- fel auch Johannes d. T.) Endlich malte C. 1526—1530 die Kuppel des Domes aus und c gab sich dabei seiner Art von Auffassung des Übersinnlichen in ganz unbedingtem Masse hin. Er veräusserlicht und entweiht Alles. Im Centrum (jetzt sehr verdorben) stürzt sich Christus der in Mitten einer gewaltigen Engel- und Wolkenmasse heraufrauschenden Maria ent- gegen. Das Momentane ist allerdings überwältigend; der Knäul zahl- loser Engel, welche hier mit höchster Leidenschaft einander entgegen- stürzen und sich umschlingen, ist ohne Beispiel in der Kunst; ob diess die würdigste Feier des dargestellten Ereignisses sein kann, ist eine andere Frage. Wenn ja, so war auch das mit einem bekannten Witz- wort bezeichnete Durcheinander von Armen und Beinen nicht zu ver- meiden, denn wäre die Scene wirklich, so müsste sie sich allerdings etwa so ausnehmen. — Weiter unten, zwischen den Fenstern, stehen die Apostel der Maria nachschauend; hinter ihnen auf einer Brust- wehr sind Genien mit Candelabern und Rauchfässern beschäftigt. In den Aposteln ist Coreggio inconsequent; wer so aufgeregt ist wie sie, bleibt nicht in seiner Ecke stehen; auch ihre vermeintliche Grossar- tigkeit hat etwas merkwürdig Unwahres. Aber ganz wunderschön sind einige von den Genien, auch manche von den Engeln im Kuppel- gemälde selbst, und vollends diejenigen, welche in den Pendentifs die vier Schutzheiligen von Parma umschweben. Es ist schwer, sich ge- nau zu sagen, welcher Art die Berauschung ist, womit diese Gestalten den Sinn erfüllen. Ich glaube, dass hier Göttliches und sehr Irdisches durcheinander rinnen. Vielleicht fasst sie ein jüngeres Gemüth un- schuldiger auf. (Bestes Licht auch für die Besteigung der Kuppel: gegen Mittag.) Malerei des XVI. Jahrhunderts. Coreggio. a Ausserdem sind noch in der Annunziata Reste einer Fresco- lunette der Verkündigung erhalten; eine der einflussreichsten Compo- sitionen. Von monumentalen Malereien mythologischen Inhaltes kenne ich in Italien ausser den Fresken von S. Paolo nur den vom Adler em- b porgetragenen Ganymed , jetzt an der Decke eines Saales in der Galerie zu Modena. Eine von dem Bild in Wien ganz verschiedene Composition, höchst meisterhaft in Wenigem. c Von Staffeleibildern ist die Danae im Pal. Borghese zu nennen. Vielleicht C.’s gemeinste Gestalt dieser Art, weil sie nicht einmal recht sinnlich ist; aber naiv und herrlich gemalt sind die beiden Putten, welche auf einem Probierstein einen goldenen Pfeil prüfen; der be- redte Amor ist vollends der Genien im Dom von Parma würdig. — d (Die Allegorie der Tugend im Pal. Doria zu Rom gilt als echte Skizze, wenn ich nicht irre, für eines der Temperabilder C.’s in der Samm- lung der Handzeichnungen im Louvre.) Wenn Jemand die Gewandtheit bewundert, mit welcher Coreggio unter allen möglichen Vorwänden nur immer das gegeben habe, was ihm am Herzen lag, nämlich bewegtes Leben in sinnlich reizender Form, so ist zu antworten, dass ein solcher Zwiespalt zwischen In- halt und Darstellung, wenn er in C. existirt hat, die Kunst immer und unfehlbar entsittlicht. Der Gegenstand ist keine beliebige Hülle für blosse künstlerische Gedanken. Bei keinem Meister sind die Schüler übler daran gewesen. Er nahm ihnen das, was die Meister zweiten und dritten Ranges in jener Zeit schätzenswerth macht: den architektonischen Ernst der Compo- sition, die einfachen Linien, die Würde der Charaktere. Was aber ihm eigen war, dazu reichten wieder ihre Talente nicht aus, oder die Zeit war dafür noch nicht gekommen. In der That steht sein allbe- wunderter Styl über ein halbes Jahrhundert isolirt da; indem seine sämmtlichen Schüler mit einer Art von Verzweiflung sich der römi- schen Schule in die Arme werfen. Inzwischen erwuchsen aber seine wahren Erben: die Schule der Caracci, deren Auffassung dem tiefsten Kerne nach von der seinigen Seine Schule. abhängig ist. Desshalb, weil die Modernen ihn ganz in sich aufnah- men, erscheinen uns seine eigenen Werke so oft als modern. Selbst was dem XVIII. Jahrh. specifisch eigen scheint, ist in ihm stellen- weise vorgebildet. Die ganze Schule ist in der Galerie und den Kirchen von Parma a stark repräsentirt. Man wird weniges Lobenswerthe von Pomponio Allegri (C.’s Sohn), Lelio Orsi, Bernardino Gatti , Gutes und sehr Fleissiges von Franc. Rondani (Dom, Fresken der 5. Cap., rechts), mehreres noch ganz Angenehme von Michelangelo An- selmi , auch wohl von Giorgio Gandini vorfinden, das Meiste an Zahl jedenfalls von der Malerfamilie der Mazzola oder Mazzuoli, welche sich in diesem Jahrhundert ganz an Coreggio anschloss. Gi- rolamo Mazzola verschmelzt bisweilen einen Zug älterer Naivetät mit der Art Coreggio’s und der römischen Schule zu einem wunder- lichen Rococo. Im Ganzen ist er weniger widerwärtig als sein be- rühmterer Vetter: Francesco Mazzola , genannt Parmegianino (1503—1540). Seine „Madonna mit dem langen Halse“ im Pal. Pitti zeigt mit ihrer b unleidlichen Affectation, wie falsch die Schüler den Meister verstanden hatten, indem sie glaubten, sein Zauber liege in einer gewissen apar- ten Zierlichkeit und Präsentationsweise der Formen, während doch das momentane Leben der reizenden Form die Hauptsache ist. An- derswo ist Parmegianino ergötzlich durch die Manieren der grossen Welt, welche er in die heiligen Scenen hineinbringt. Seine heil. Ca- tharina (Pal. Borghese in Rom) lehnt die Complimente der Engel mit c einem unbeschreiblichen bon genre ab; bei der pomphaften Heiligen- cour im Walde (Pinacoteca von Bologna) giebt die Madonna nur mit d vornehmster Zurückhaltung das Kind der heil. Catharina zum Cares- siren her. Allein im Porträt, wo das vermeintlich Ideale wegfiel, ist P. einer der trefflichsten seiner Zeit. Im Museum von Neapel gehören seine e Bildnisse des „Columbus“, des „Vespucci“ (beide willkürlich so be- nannt), dasjenige des De Vincentiis und das der eigenen Tochter des Meisters zu den Perlen der Galerie, während die Colosse des Pytha- Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig. goras und Archimedes abscheulich, die Lucretia und die Madonna mindestens ungeniessbar sind. Ebenso ist sein eigenes Porträt in den a Uffizien — der wahre bell’uomo von Stande — eines der besten der ganzen Malersammlung, während die heil. Familie (Tribuna) nur durch die phantastisch beleuchtete Landschaft erträglich wird. In einem andern Saal eine ganz kleine Madonna von ihm, eines der besten Li- nienmotive der Schule. Es folgt die Malerei der höchsten Augenlust, die venezianische . Es ist ein denkwürdiges Phänomen, dass sie gerade die höhern Ideale menschlicher Bildung nicht erreicht noch erreichen will, weil diesel- ben über das blosse wonnevolle Dasein hinaus zu einer höhern Thä- tigkeit drängen. Noch merkwürdiger aber ist, dass diese Schule mit dem (verhältnissmässig) geringsten Gehalt an sog. poetischen Gedan- ken durch die blosse Fülle der malerischen Gedanken alle andern Schulen an Werthschätzung erreicht und die meisten weit übertrifft. Ist diess bloss Folge der Augenlust? oder dehnt sich das Gebiet der Poesie weit hinab in diejenigen Regionen aus, welche wir Laien bloss der malerischen Durchführung zuweisen? Gehört nicht schon die dä- monische Wirkung dahin, welche das in Raum und Licht wirklich gemachte Sinnlich-Reizende bei Coreggio ausübt? Bei den Venezia- nern, auf welche er gar nicht ohne Einfluss blieb (schon auf Tizian nicht), ist dieses ebenfalls das Hauptthema, nur ohne die bei Coreggio wesentliche Beweglichkeit; ihre Gestalten sind weniger empfindungs- fähig, aber im höchsten Grade genussfähig. Der sprichwörtliche Vorzug ist hier das Colorit , das schon bei den Malern der vorhergehenden Generation (S. 822) jene hohe Treff- lichkeit erreicht hatte, jetzt aber in seiner Vollendung auftrat. Das höchst angestrengte Studium auf diesem Gebiete war offenbar ein doppeltes: einerseits realistisch, indem alle Spiele des Lichtes, der Farbe, der Oberflächen von Neuem nach der Natur ergründet und dargestellt wurden, sodass z. B. jetzt auch die Stoffbezeichnung der Giorgione. Gewänder eine vollkommene wird; anderseits aber wurde das mensch- liche Auge genau befragt über seine Reizfähigkeit, über Alles was ihm Wohlgefallen erregt. Das dem Laien Unbewusste wurde dem Maler hier klarer als in andern Schulen bewusst. Welche Gegenstände hienach für diese Meister die glücklichsten waren, ist leicht zu errathen. Je näher sie dieser Sphäre bleiben, desto grösser sind sie, desto zwingender die Eindrücke welche sie erregen. Unter den Schülern Giov. Bellini’s, welche die Hauptträger der neuen Entwicklung sind, giebt Giorgione (eigentlich Barbarelli, 1477? — 1511) dieselbe auf eine ganz besonders eindringliche, wenn auch einseitige Weise zu erkennen. Die Belebung einzelner Charaktere durch hohe, bedeutende Auffassung, durch den Reiz der vollkommensten malerischen Durch- führung war schon in der vorigen Periode so weit gediehen, dass eine abgesonderte Behandlung solcher Charaktere nicht länger aus- bleiben konnte. So wie die vorige Periode ihr Bestes schon in jenen Halbfigurenbildern der Madonna mit Heiligen zu geben im Stande ist (S. 824, 826), so giebt nun Giorgione dergleichen Bilder profanen, bloss poetischen Inhaltes und auch einzelne Halbfiguren, die dann schwer von dem blossen Portrait zu trennen sind. Er ist der Urvater dieser Gattung, welche später in der ganzen modernen Malerei eine so grosse Rolle spielt. Allein er malt nicht desshalb costumirte Halbfiguren, weil ihm ganze Figuren zu schwer wären, sondern weil er darin einen abgeschlossenen poetischen Inhalt zu verewigen im Stande ist. Venedig bot in dieser Zeit der erzählenden, dramatischen Malerei nur wenige Beschäftigung; es fehlen die grossen Frescounternehmungen von Rom und Florenz; der Überschuss an derartiger Begabung aber brachte es zu Einzelfiguren wie sie keine andere Schule schafft. Soll man sie historische oder novellistische Charaktere nennen? bald überwiegt mehr die freie Thatfähigkeit, bald mehr das schönste Dasein. Die erste Stelle nimmt die Lautenspielerin im Pal. Manfrin a zu Venedig ein, leicht und mit unglaublicher Meisterschaft hingemalt; ein schönes inspirirt aufwärtsblickendes Weib, erfüllt von künftigem B. Cicerone. 61 Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig. Gesange, in einer Landschaft. — (Ebenda, noch ungleich befangener, a eine Dame in hellem Kleid und Toque.) — Im Pal. Borghese: Saul mit Goliaths Haupt, vor welchem sich der junge David zu entsetzen scheint; oder ist der so düster vor sich hinblickende Geharnischte David selbst und der Andere nur ein Knappe? Hier wo sich der Ein- zelcharakter so trotzig vor den Beschauer hinstellt, ist G. der rechte b Vorläufer Rembrandts. — Eine geringere Inspiration ähnlicher Art: der Geharnischte mit seinem Knappen, in den Uffizien. — Im Pal. c Pitti: Faun und Nymphe, die letztere ein eigenthümliches veneziani- sches Ideal, in der Zeichnung hie und da sorglos. — Ebenda: das Concert , vorzüglich anregend zu Vermuthungen über die geistige Entstehungsweise solcher Bilder; mit Wenigem unergründlich tief er- d scheinend. — (Wiederholung oder Reminiscenz im Pal. Doria zu Rom.) — Ein Johannes d. T. im Pal. Pitti hängt zu dunkel. e Eigentliche Porträts : der Johanniter (Uffizien), einer jener höchst adlichen venezianischen Köpfe, welche sich dem Christuskopf Bellini’s und Tizian’s nähern, auch äusserlich durch das gescheitelte lange Haar, f den blossen Hals etc. — Franciscus Philetus (Pal. Brignole in Genua), ein vortreffliches Gelehrtenbildniss. — (Das Porträt welches im Pal. g Spada zu Rom G. heisst, ist von einem andern trefflichen Venezianer.) Die Hälfte der Werke G.’s befindet sich im Auslande, darunter h auch die wenigen Andachtsbilder, mit Ausnahme des S. Sebastian (Brera zu Mailand), einer in Stellung, Bildung und Farbe sehr ener- gischen und edeln Gestalt, die sich mit übers Haupt gebundenen Armen trefflich lebendig entwickelt. — Dagegen besitzt Italien noch einige „Novellenbilder“ von ihm. Wir dehnen diesen Namen auch über die biblischen Scenen aus, insofern dieselben nicht für Kirche und Andacht gemalt, sondern nur aus dem Drang nach Darstellung eines reichen und farbenschönen Daseins entstanden sind. — Drei frühe kleine Bild- i chen in den Uffizien: das Urtheil Salomonis, eine Sage aus der Ju- gend des Moses (nach Ungers Berichtigung, Kunstbl. 1851, S. 130) und eine Anzahl von Heiligen auf einem Altan an einem See, alle noch mit paduanischer Härte und Glanz gemalt, zeigen auf merk- würdige Weise, wie dem Venezianer das Ereigniss der Vorwand wird zur Darstellung der blossen Existenz auf bedeutendem landschaftlichem Hintergrunde. Aus seiner spätern, goldenen Zeit stammt dann die Giorgione. Sebastiano del Piombo. Findung Mosis (Brera in Mailand, dem Bonifazio zugeschrieben). a Verglichen mit dem Bilde Rafaels (Loggien) wird man das Ereigniss als solches ungleich weniger deutlich und ergreifend dargestellt finden, allein welcher Neid erfasst die moderne Seele, wenn Giorgione aus dem täglichen Leben das ihn umgab, aus diesen geniessenden Men- schen in ihren reichen Trachten eine so wonnevolle Nachmittagsscene zusammenstellen konnte! Die höchste Wirkung liegt analog wie bei den Charakteren Bellini’s (S. 825) darin, dass man das Gemalte für möglich und noch vorhanden hält. — Eine kleinere Findung Mosis im b Pal. Pitti. — Das Bild im Pal. Manfrin, als „Familie G.’s“ bezeichnet, c ist ein eigentliches und zwar frühes Genrebild in reicher Landschaft. Ebenda: der Astrolog ; eine Improvisation mit manchen Nach- lässigkeiten; der Reiz derselben liegt hauptsächlich darin, dass der Phantasiegegenstand so einfach, in einem (für uns) idealen Costüm und in demjenigen idealen Raum (einer freien Landschaft) dargestellt ist, welcher der echten italienischen Novelle zukömmt; in einem sog. Fauststübchen hätte Giorgione keinen Spielraum. — Endlich sein grösstes und zwar ganz phantastisches Werk (Acad. von Venedig): d der Seesturm , erregt und hier personificirt durch schwimmende und auf Schiffen fahrende Dämonen, welche sich vor der Barke mit den drei Schutzheiligen verzweifelnd flüchten. Unter Giorgione’s Schülern ist Sebastiano del Piombo (1485—1547) der wichtigste; als Executanten Michelangelo’s haben wir ihn bereits (S. 879) genannt. Aus seiner frühern, venezianischen Zeit stammt das herrliche Hochaltarbild in S. Giovanni Cri- e sostomo ; der Heilige der Kirche schreibt am Pult, umgeben von andern Heiligen, worunter hauptsächlich die Frauen als allerschönste Typen der Schule (grandios und noch ohne Fett) auszuzeichnen sind. — Ob die Darstellung im Tempel (Pal. Manfrin) von ihm und noch f aus seiner venez. Zeit ist, lasse ich unentschieden; jedenfalls aber ge- hört hieher ein wundervolles Porträt in den Uffizien: ein Mann in g Brustharnisch , Barett und rothen Ermeln, hinter ihm Lorbeer- stämme und eine Landschaft. — Etwa aus dem Anfang seiner rö- mischen Zeit: die Marter der heil. Apollonia (Pal. Pitti); ein Rest h 61* Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig. venezianischen Erbarmens gab ihm den Gedanken ein, die Zangen der Peiniger noch nicht unmittelbar in dem schön modellirten Körper a wühlen zu lassen. — Aus der spätern Zeit: Madonna das schlafende Kind aufdeckend (Museum von Neapel), grossartig im Sinne der rö- mischen Schule, aber gleichgültig neben Rafaels Madonna di Loreto; b — das Altarbild in der Cap. Chigi zu S. M. del popolo in Rom; — endlich mehrere Porträts, sämmtlich über lebensgross, welche uns lehren, wie Michelangelo Bildnisse aufgefasst wissen wollte. Das c wichtigste: Andrea Doria (Pal. Doria in Rom), sehr absichtlich einfach, die alternden Züge schön, kalt und falsch; — ein Cardinal d (Museum von Neapel); — ein Mann im Pelzmantel (Pal. Pitti), von grandiosen Zügen. — Das Bildniss der Vittoria Colonna, welches vor einiger Zeit in Rom auftauchte und allgemeine Bewunderung erregte, hat der Verf. leider nicht gesehen und weiss auch dessen jetzigen Be- sitzer nicht. — (Der einzige Schüler Sebastiano’s, Tommaso Lau- e reti , verräth in den Fresken des zweiten Saales im Conservatoren- palast auf dem Capitol — Scenen der römischen Geschichte, M. Scæ- vola, Brutus und seine Söhne etc. — mehr das Vorbild Giulio’s und Sodoma’s; in seiner spätern Zeit, zu Bologna, erscheint er mehr als f Naturalist in Tintoretto’s Art; Hochaltar von S. Giacomo maggiore etc.) Giovanni da Udine (S. 283 u. f.) ist in dem einzigen beträcht- g lichen Bilde seiner frühern Zeit, einer Darstellung Christi zwischen den Schriftgelehrten nebst den 4 Kirchenlehrern (Acad. von Venedig) ein selbständiger venezian. Meister ohne kenntlichen Anklang an seinen Lehrer Giorgione; eher etwas bunt, aber mit grossartigen Zügen. Ein h Halbfigurenbild der Gal. Manfrin, Madonna mit 2 Heiligen, erscheint in der leichten, schönen Behandlung der Köpfe eher wie eine Ver- klärung des Cima als wie ein Bild aus G.’s Schule. (Ob richtig be- nannt?) — Francesco Torbido , genannt il moro , brachte zuerst den entschiedenen venezianischen Styl aus dieser Schule nach Ve- i rona . Sein einziges Hauptwerk daselbst, die Himmelfahrt Mariä in der Halbkuppel des Domchores, gehört nicht ganz ihm selbst, sondern ist nach Cartons des Giulio Romano ausgeführt, welcher dabei unter Coreggio’s Einfluss stand, und dessen Raumwirklichkeit mit seinem eigenen Styl in Einklang zu bringen suchte, man beachte auf welche Weise. Schüler des Giorgione. Palma vecchio. Nicht Schüler Giorgione’s, wohl aber Ausbilder und Erweiterer dessen was er erstrebt hatte, war Jacopo Palma vecchio (geb. 1476 — 1482), bei welchem die Existenzmalerei bereits ihre höchste Vollendung zu erreichen scheint. Er ist wesentlich der Schöpfer jener etwas überreich, bei ihm aber noch sehr edel und besonders zutrauen- erweckend gebildeten weiblichen Charaktere, wie sie die spätere ve- nezianische Schule vorzüglich liebt. Er producirte mühsam und sein Colorit hat nicht die vollkommene Freiheit mehrerer seiner Schul- genossen, wohl aber die vollste Gluth und Schönheit. Wo er einen dramatischen Inhalt zu geben sucht (Acad. von Venedig: das über- a füllte Halbfigurenbild von der Heilung des besessenen Mädchens, — ebenda: Mariä Himmelfahrt), muss man sich an Ausführung und Ein- zelnes halten; am besten gelang ihm noch die ruhige Scene von Em- maus (Pal. Pitti), wo zwar der Christus schwächlich gerathen, die b Wahrheit und das schöne Dasein alles Übrigen aber erstaunlich ist; man kann nichts echt Naiveres sehen als den aufwartenden Schiffer- jungen, der dem einen überraschten Apostel ins Gesicht sieht. — (Ist vielleicht die Auferstehung in S. Francesco della Vigna zu Venedig, c 2. Cap. l., von ihm?). — Sein Hauptwerk ist die Gestalt der heil. Barbara (mit unbedeutendern Seitenbildern) in S. Maria formosa zu d Venedig, 1. Alt. r., der Kopf von einer wahrhaft centralen venez. Schönheit, das Ganze mit der höchsten Gewalt und Wissenschaft der Farbe und Modellirung vollendet. Allein der unentschiedene Schritt, der unplastische Wurf des Gewandes, die überzierliche Kleinheit der Hand welche die Palme hält — diess Alles verhindert, dass dem Be- schauer dabei rafaelisch zu Muthe wird. — Von grössern Altarbildern ist mir in Venedig nur das ganz verdorbene in S. Zaccaria bekannt e (an einer Wand d. 1. Nebencap. r.), eine thronende Madonna mit Hei- ligen, kenntlich an dem im Profil sitzenden Geigenengel, ehemals sehr schön. — Die übrigen „Sante Conversazioni“ sind theils Halbfiguren- bilder, theils Breitbilder mit knieenden und sitzenden Figuren, für die Hausandacht. Immer derselbe Klang, hier einfacher, dort reicher; hier auf einer höhern, dort auf einer tiefern Gamme von Farben; hier mit schlichtem, dort mit prächtigem landschaftlichem Hintergrund; die Madonna in der Mitte gerne unter dem Schatten eines Baumes. Die köstlichsten Bilder dieser Art: Pal. Manfrin; — Pal. Borghese in Rom; f Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig. a — Museum von Neapel; — noch sehr schöne: Pal. Adorno in Genua; b — Pal. Colonna in Rom (wo noch ein anderes herrliches Bild ähn- licher Art, kenntlich an der zwei Augen auf Nadeln haltenden S. Lu- c cia, als Jugendwerk Tizians gilt); — Pal. Pitti, u. a. a. O. — Ein schönes Altarbild von 5 grössern Figuren (in der Mitte Johannes d. d T.) auf dem 1. Alt. r. in S. Cassiano zu Venedig sieht eher dem Rocco Marconi ähnlich. — Das Porträt eines reichgekleideten Mathematikers e (Pal. Pitti), ein Kopf von der hohen Gattung des Johanniters (Seite 962, e). Rocco Marconi , im Gedanken durchaus von den Genannten abhängig, in der Farbe glühend und transparent wie Wenige, in den Charakteren ungleich, hat sich einmal zu einer grossen Leistung zu- f sammengenommen: die Kreuzabnahme (Acad. von Venedig). Seine Halbfigurenbilder mit dem venez. Lieblingssujet der Ehebrecherin vor g Christo (Pal. Manfrin; — S. Pantaleone, Cap. 1. vom Chor, u. a. a. O.) sind seelenlos aufgeschichtet; — sein Christus zwischen 2 Aposteln h ist das eine mal (Acad. von Venedig) in Anordnung und Charakteren i unfrei, das andere mal (S. Giov. e Paolo, rechtes Querschiff) eines der besten Bilder der Schule, mit den schönsten, mildesten Köpfen, zumal des Christus, der sich dem Christus Bellini’s nähert. — Eine k einzelne Halbfigur (in der Academie) ist wiederum schwächer. Lorenzo Lotto , halb Lombarde halb Venezianer, ist in den Bildern der letztern Art, namentlich wo er sich dem Giorgione nä- l hert, ein trefflicher Meister; so in dem Bilde al Carmine, 2. Alt. l., wo S. Nicolaus mit drei Engeln und zwei Heiligen auf Wolken über einer morgendämmernden Meeresbucht schwebt; noch in äusserster Verderbniss ein herrliches poetisches Werk. — Im rechten Querschiff m von SS. Giov. e Paolo der von Engeln umgebene S. Antonin, dessen Capläne Bittschriften annehmen und Almosen vertheilen. — Madonnen n mit Heiligen mehr in Palma’s Art: Pal. Manfrin; Uffizien etc. — Das o Halbfigurenbild der drei Menschenalter, im Pal. Pitti, sehr ansprechend p in Giorgione’s Art. — In S. Giacomo dall’ Orio ein Altarbild im l. Querschiff, thronende Madonna mit vier Heiligen, ein Werk seines Alters (1546). Rocco Marconi; Lor. Lotto. Tizian. In der Mitte der Schule steht die gewaltige Gestalt des Tizian (Vecellio, 1477—1576), der in seinem fast hundertjährigen Leben alles was Venedig in der Malerei vermochte, in sich aufgenommen oder selbst hervorgebracht oder vorbildlich in der jüngern Generation ge- weckt hat. Es ist kein geistiges Element in der Schule, das Er nicht irgendwo vollendet darstellt; allerdings repräsentirt er auch ihre Be- schränkung. Der göttliche Zug in Tizian besteht darin, dass er den Dingen und Menschen diejenige Harmonie des Daseins anfühlt, welche in ihnen nach Anlage ihres Wesens sein sollte oder noch getrübt und unkennt- lich in ihnen lebt; was in der Wirklichkeit zerfallen, zerstreut, be- dingt ist, das stellt er als ganz, glückselig und frei dar. Die Kunst hat diese Aufgabe wohl durchgängig; allein Keiner löst sie mehr so ruhig, so anspruchlos, mit einem solchen Ausdruck der Nothwendig- keit. In ihm war diese Harmonie eine prästabilirte, um einen philo- sophischen Terminus in einem besondern Sinn zu brauchen. Alle äussern Kunstmittel der Schule besass er wohl in einem besonders hohen Grade, doch erreichen ihn Mehrere im einzelnen Fall. Wesent- licher ist immer seine grosse Auffassung, wie wir sie eben geschil- dert haben. Sie ist am leichtesten zu beobachten in seinen Porträts (vgl. S. 514), in deren Gegenwart man allerdings die Frage zu vergessen pflegt: wie der Meister aus den zerstreuten und verborgenen Zügen diese grossartigen Existenzen möge ins Leben gerufen haben. Wer aber nach dieser Seite hin eindringen will, für den bedarf es keines erläuternden Wortes mehr. — In Venedig: Galerie Manfrin: das Por- a trät des Ariost, im grauen Damastkleide; — Caterina Cornaro. — Academie: der Procurator Sopranzo, dat. 1514 (eher 1543). — In b Florenz: Pal. Pitti: der sog. Pietro Aretino, Urbild eines bestimmten c Typus südländischer Frechheit; — Vesalio (?); — der greise Cornaro; — namenloses Bild eines blonden schwarzgekleideten Mannes mit Kette; — dann das Kniestück des Ippolito Medici im ungarischen (vielleicht vom Maler gewählten?) Kleide; — das sehr verdorbene Carls V im Prachtkleide; — endlich in ganzer Figur: Philipp II; — und ein Mann in schwarzem Kleid, von gemeinen Zügen, aber offen in seiner Art und sehr distinguirt (hinten eine Architektur mit Relief am Sockel). Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig. a — In den Uffizien: Erzbischof Beccadelli von Ragusa (1550); — der Bildhauer, auf eine Büste gelehnt (etwa von Morone??); — der Herzog von Urbino, im Harnisch, vor einer rothen Plüschdraperie stehend; — die ehemals schöne, alternde Herzogin im Lehnstuhl; — ein Ge- harnischter im Profil, noch in der Art des Giorgione; — Caterina Cor- naro als heil. Catharina, mehr ideal und wie aus der Erinnerung ge- b malt als das Bild des Pal. Manfrin. — In Rom: bei Camuccini: der Admiral; — und das wunderbare, frühe, an Giorgione erinnernde Porträt eines Mannes mit feinem Bart und strengen Zügen. — Im Pal. c Corsini: Halbfigur Philipps II, das beste unter dessen Bildnissen. — d Im Pal. Colonna: Onuphrius Panvinius; — (ebenda von einem andern Venezianer, angebl. Girolamo da Treviso: das schöne Bild eines Me- e dailleurs oder Münzsammlers). — Im Museum von Neapel: Paul III (wovon eine verkleinerte, wahrscheinlich eigenhändige Wiederholung bei Camuccini in Rom); — ausserdem mehrere im Dunkel hängende und zweifelhafte Bilder; die beiden Carl’s V scheinen Copien zu sein. Es folgen nun einige Bilder, bei welchen man stets im Zweifel sein wird, wie weit sie als Porträts, wie weit aus reinem künstleri- schem Antriebe gemalt sind, und ob man mehr eine bestimmte Schön- heit, oder ein zum Bilde gewordenes Problem der Schönheit vor sich f hat. — Scheinbar dem Porträt noch am nächsten: la Bella im Pal. Pitti; die Kleidung (blau, violett, gold, weiss) wahrscheinlich vom Maler gewählt, mit dem lieblich üppigen Charakter des Kopfes ge- heimnissvoll zusammenstimmend. — Dann der erhabenste weibliche g Typus den Tizian hervorgebracht hat: la Bella im Pal. Sciarra zu Rom (die Kleidung weiss, blau und roth; trotz der mehr schwärzlichen Schatten in der Carnation unzweifelhaft von T.; unten links die Chiffre h TAMBEND); — und die Flora in den Uffizien, mit der Linken das Damastgewand heraufziehend, mit der Rechten Röslein darbietend. Welches auch die Schönheit des Weibes gewesen sein möge, das die Anregung zu diesen beiden Bildern gab, jedenfalls hat erst Tizian sie auf diejenige Höhe gehoben, welche dieses Haupt gewissermassen als Gegenstück des venezianischen Christuskopfes erscheinen lässt. — (Die i sog. Schiava im Pal. Barberini zu Rom ist wohl nur das Werk eines Nachstrebenden.) — Vielleicht ist auch das schöne Bild von drei k Halbfiguren , welches im Pal. Manfrin Giorgione heisst, eher von Tizian. Porträts. Nackte Gestalten. Tizian: ein junger Nobile, der sich zu einer Dame umwendet, deren Züge an die Flora erinnern, auf der andern Seite ein Knabe mit Fe- derbarett. Die Trachten sind wohl erst diejenigen um 1520. Sodann hat Tizian in einzelnen nackten Gestalten wiederum andere Probleme eines hohen Daseins gelöst, wobei zugleich die male- rische Darstellung einen vielleicht nie mehr erreichbaren Triumph feiert. In der Tribuna der Uffizien die beiden berühmten Bilder, das eine a als Venus bezeichnet durch Anwesenheit des Amor, das andere ohne irgend eine mytholog. Andeutung, doch ebenfalls Venus genannt. Die- ses letztere ist wohl das frühere; der Kopf trägt die Züge der Bella im Pal. Pitti Auch jene Herzogin von Urbino (S. 968, a) trägt denselben Typus. . Gestalten dieser Art sind es, welche so oft unserer jetzigen (zumal französischen) Malerei das Concept verrücken. Warum sind dieses ewige Formen, während die Neuern es so selten über schöne Modellakte hinaus bringen? Weil Motiv und Moment und Licht und Farbe und Bildung mit einander im Geiste Tizians ent- standen und wuchsen. Was auf diese Weise geschaffen ist, das ist ewig. Die wonnig leichte Lage, die Stimmung der Carnation zu dem goldenen Haar und zu dem weissen Linnen und so viel andere Ein- zelschönheiten gehen hier durchaus in der Harmonie des Ganzen auf, nichts präsentirt sich abgesondert. Das andere Bild, in den Linien der Hauptgestalt ähnlich, schildert doch einen andern Typus und er- hält durch den rothen Sammtteppich statt des Linnen, sowie durch den landschaftlichen Hintergrund einen wesentlich neuen Sinn. — Eine dritte liegende Figur, auf einem Lager mit rothem Baldachin, in der b Academia di S. Luca zu Rom, ist durch eine Schrifttafel als Vanitas bezeichnet; ein sehr schönes Werk, dessen nähere Untersuchung der Verf. jedoch versäumt hat. In den einzelnen Gestalten heiligen Inhaltes wird man bei Tizian fast niemals die möglichst würdige und angemessene Darstel- lung des Gegenstandes suchen dürfen, von welchem sie den Namen tragen. Überhaupt gehen tizianische Charaktere, so gross und in ge- wissem Sinn historisch sie an sich sind, doch nicht leicht in irgend eine geschichtliche Bedeutung auf; ihr besonderes Leben überwiegt. Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig. In der bekannten Magdalena z. B. sollte wohl die bussfertige Sünderin dargestellt werden, allein in dem wundervollen Weib, deren Haare wie goldene Wellen den schönen Leib umströmen, ist diess a offenbar nur Nebensache. (Hauptexemplar: Pal. Pitti; — mit ge- b streiftem Überwurf bekleidet, übrigens noch von T. selbst, im Museum c von Neapel; — geringere Exemplare und Copien: Pal. Doria in Rom, u. a. a. O.) — Schon eher ist in dem einsamen Bussprediger Johan- d nes (Acad. v. Venedig) eine strenge Gegenstandswahrheit beobachtet; ein edler Kopf, vielleicht etwas nervös leidend, mit dem Ausdruck des Kummers; er winkt mit der Rechten die Leute herbei. (Rafaels Johannes S. 903.) — Der S. Hieronymus, von welchem Italien we- e nigstens ein gutes Exempalar (Brera zu Mailand) besitzt, ist malerisch genommen ein hochpoetisches Werk, energische Bildung, schöne Li- nien, ein prächtiges Ensemble des Nackten, des rothen Gewandes, des Löwen, mit jenem steilen waldigen Hohlweg als Hintergrund; allein der Ausdruck der begeisterten Ascese ist nicht innerlich ge- nug. — In einzelnen Christusköpfen dagegen hat Tizian das Ideal Bellini’s auf tiefsinnige, überaus geistreiche Weise neu gebildet. Der schönste findet sich in Dresden (Cristo della moneta); derjenige im f Pal. Pitti ist ebenfalls noch ein edles Specimen. — Die grosse Fresco- g figur des S. Christoph im Dogenpalast (unten an der Treppe neben der Capella) ist wohl eines derjenigen Werke T.’s, aus welchen ein frischer, von Coreggio empfangener Eindruck hervorzuleuchten scheint. Nach dem Gesagten kann es nicht mehr zweifelhaft sein, welche unter den grössern Kirchenbildern den reinsten und vollkommen- sten Eindruck hervorbringen müssen; es sind die ruhigen Existenz- bilder, meist Madonnen mit Heiligen und Donatoren. Hier wo Ein Klang, Eine Stimmung das Ganze erfüllen darf, wo die besondere historische Intention zurücktritt, ist Tizian ganz unvergleichlich gross. h Das frühste dieser Bilder, S. Marcus zwischen 4 Heiligen thronend, im Vorraum der Sacristei der Salute , ist ein Wunderwerk an Reife und Adel der Charaktere, in gewaltig leuchtendem Goldton. — Eine i eigentliche Santa conversazione ist dann das grossartige späte Bild der vatican. Galerie ; sechs Heilige, zum Theil von gemässigtem Tizian. Einzelcharaktere. Kirchenbilder. ekstatischem Ausdruck, bewegen sich frei vor einer Trümmernische, über welcher auf Wolken die Madonna erscheint; zwei Engel eilen dem Kind Kränze zu bringen, welche es in seligem Muthwillen her- unterwirft; weiter oben sieht man noch den Anfang einer Strahlen- glorie (deren halbrunder Abschluss, mit der Taube des heil. Geistes, noch vorhanden, aber auf die Rückseite umgebogen sein soll). — Endlich das wichtigste und schönste aller Präsentationsbilder, durch welches T. die Auffassung solcher Gegenstände für die ganze Folge- zeit neu feststellte, nach malerischen Gesetzen der Gruppen- und Farbenfolge, in freier, luftiger Räumlichkeit. Es ist das Gemälde in den Frari , auf einem der ersten Altäre links: mehrere Heilige a empfehlen der auf einem Altar thronenden Madonna die unten knieen- den Mitglieder der Familie Pesaro. Ein Werk von ganz unergründ- licher Schönheit, das der Beschauer vielleicht mit mir unter allen Gemälden T.’s am meisten persönlich lieb gewinnen wird. Einzelne Madonnen mit dem Kinde, im Freien oder vor einem grünen Vorhang u. dgl., kommen hin und wieder vor. Eine kleine, frühe und sehr schöne im Pal. Sciarra zu Rom. Über eine reife Müt- b terlichkeit, allerdings der liebenswürdigsten Art, geht ihr Ausdruck nicht hinaus. Biblische u. a. heilige Scenen sind um so viel harmoni- scher, je einfacher die dargestellten Beziehungen sind. In der Aca- c demie: die Heimsuchung, das frühste bekannte Gemälde des Meisters. — In S. Marcilian, 1. Alt. l., der junge Tobias mit dem Engel, ein d ganz naives Bild kindlicher Beschränktheit unter himmlischem Schutze. — In S. Salvatore, letzter Alt. d. r. Seitenschiffes: eine ganz späte e Verkündigung. — Von den reichern Compositionen nimmt die be- rühmte Grablegung (im Pal. Manfrin) wohl die erste Stelle ein. f Man soll nicht mit dem Vergleichen anfangen; allein hier drängt sich die Parallele mit der borghesischen Grablegung Rafaels unabweislich auf. An dramatischem Reichthum, an Majestät der Linien kann sich das Werk Tizians mit jenem nicht messen; die Stellungen der we- nigsten Figuren werden auch nur genügend erklärt. Aber die Gruppe ist nicht nur nach Farben unendlich schön gebaut, sondern auch in dem Ausdruck des geistigen Schmerzes allem Höchsten gleichzustellen. Kein Zug des Pathos liegt ausserhalb des Ereignisses, keiner über- Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig. schreitet auch die Grenzen des edlern Ausdruckes wie z. B. bei Co- reggio, dessen Grablegung (S. 955, a) nur in der Darstellung des Lichtes und der Räumlichkeit einen Vorzug hat, im Wesentlichen aber Tizian lange nicht erreicht. — Die grosse Kreuzabnahme in der Academie, a das letzte Bild desselben, zeigt in zerfliessenden Formen und etwas gesetzlosen Linien noch einen wahren und grossen Affekt und glühende b Farben. — In der ebenfalls sehr späten Transfiguration (Hochaltar von S. Salvatore) reichten allerdings die Kräfte nicht mehr aus. — Aber in der Mitte seiner Laufbahn sammelte sich Tizian zu einem Altarbild c sonder Gleichen: Mariä Himmelfahrt (Academie, ehemals auf dem Hochaltar der Frari; wegen dieser beträchtlich hohen Aufstellung sind die Apostel schon etwas in der Untensicht dargestellt). Die untere Gruppe ist der wahrste Gluthausbruch der Begeisterung; wie mächtig zieht es die Apostel, der Jungfrau nachzuschweben! in einigen Köpfen verklärt sich der tizianische Charakter zu himmlischer Schönheit. Oben, in dem jubelnden Reigen, ist von den erwachsenen Engeln der welcher die Krone bringt, in ganzer, herrlicher Gestalt gebildet; von den übrigen sieht man nur die überirdisch schönen Köpfe, während die Putten in ganzer Figur, ebenfalls in ihrer Art erhaben, dargestellt sind. Wenn Coreggio eingewirkt haben sollte, so ist er doch hier an wahrer Himmelsfähigkeit der Gestalten weit über- troffen. Der Gottvater ist von weniger idealem Typus als die Chri- stusköpfe Tizians; vom Gürtel an verschwindet er in der Glorie, welche die Jungfrau umstrahlt. Sie steht leicht und sicher auf den noch ideal, nicht mathematisch wirklich gedachten Wolken; ihre Füsse sind ganz sichtbar. Ihr rothes Gewand hebt sich ab von dem gewaltig wehen- den, vorn geschürtzten dunkelblauen Mantel, ihr Haupt ist umwallt von ganz mächtigen Haaren. Der Ausdruck aber ist eine der höchsten Divinationen, um welche sich die Kunst glücklich zu preisen hat: die letzten irdischen Bande springen; sie athmet Seligkeit. d Eine andere Assunta, im Dom von Verona, 1. Alt. l., ist ruhiger gedacht; die Apostel an dem leeren Grabe schauen tief ergriffen, an- betend der hier einsam Emporschwebenden nach. Die Durchführung ebenfalls von hoher Vortrefflichkeit. Tizian. Assunta. Fresken in Padua. Für die eigentliche Historienmalerei giebt es Fresken Tizians aus seiner ganz frühen Zeit (1500—1520?) in zwei Scuole (Bruderschafts- gebäuden) zu Padua. In der Scuola del Santo ist von ihm das a I., XI. und XII. Bild: S. Antonius lässt ein kleines Kind reden zu Bezeugung der Unschuld seiner Mutter; ein eifersüchtiger Ehemann tödtet seine Frau; S. Antonius heilt das zerbrochene Bein eines Jüng- lings. (Die Mitarbeiter waren: für IV, VIII und X Paduaner der frühern Schule; für II, III, IX und XVII der Paduaner Domenico Campagnola , welcher hier ein ausgezeichnetes, mit diesen Werken Tizians rivalisirendes Talent zeigt; für V, VII, XIII, XIV verschiedene Schüler Tizians; von Giov. Contarini VI; von Spätern XV, XVI.) — In der Scuola del Carmine ist von Tizian nur das herrliche V. b Bild: Joachim und Anna. (I, II, III, IV sind von geringern Alt- paduanern; VII, Joachims Vertreibung aus dem Tempel, von einem viel bessern; XII, XIII, XIV (auch VI?) von Campagnola ; IX ist ganz unbedeutend, X und XI von Spätern.) — Als einzige namhafte Frescounternehmungen der Venezianer vom Anfang des XVI. Jahrh. sind diese Malereien zwar in allem was zur Composition gehört mit den grossen gleichzeitigen Florentinern nicht zu vergleichen; in der Scuola del Santo haben auch die Sujets einen schweren innern Man- gel (vgl. S. 661, g). Aber als belebte Existenzbilder mit grossartig freien Charakteren, mit malerisch vollkommen schön behandelten Trachten, mit vorzüglichen landschaftlichen Hintergründen, mit einem Colorit das in Fresco nur hie und da bei Rafael und A. del Sarto seines Gleichen hat, sind besonders die Arbeiten Tizians von höchstem Werthe. Sein Helldunkel in der Carnation ist wahrhaft wonnevoll. Das Bild von Joachim und Anna, in der weiträumigen schönen Land- schaft, gehört unbedingt zu seinen einfach-grössten Meisterwerken. — Man kann nicht sagen, dass er in Gegenständen dieser Art in der spätern Zeit gewonnen habe. In seiner grossen Darstellung der Maria im Tempel (Acad. von Venedig), wird der eigentliche Gegenstand doch c nahezu erdrückt durch die Fülle an Nebenmotiven, die denn freilich mit einer erstaunlichen Frische und Schönheit dargestellt sind. Im strengen Sinne dramatisch sind zwei berühmte Altarbilder Ti- zians. Es war ein nothwendiger wenn auch verhängnissvoller Über- gang in dieser Zeit einer Allem gewachsenen Kunst, dass man anfing, Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig. statt des Heiligen die Legende, statt des Märtyrers das Marterthum a auf den Altar zu bringen. In S. Giovanni e Paolo (2. Alt. l.) sieht man den berühmten S. Pietro martire . Das Momentane ist hier wahrhaft erschütternd und doch nicht grässlich; der letzte Ruf des Märtyrers, die Wehklage seines entsetzten Begleiters haben Raum in die hohen luftigen Baumstämme emporzudringen, welche man sich mit der Hand verdecken möge um zu sehen, wie hochwichtig ein solcher freier Raum für wirklichkeitsgemäss aufgefasste bewegte Sce- nen ist. Das Landschaftliche überhaupt ist hier zuerst mit vollendetem künstlerischem Bewusstsein behandelt, die Ferne in einem zornigen Licht, das den Moment wesentlich charakterisiren hilft. — Die Marter b des heil. Laurentius , auf einem der ersten Altäre links in der Jesuitenkirche, ein unleidlicher Gegenstand, aber durchaus grossartig behandelt; der Kopf des Dulders einer von T.’s bedeutendsten Cha- rakteren; das Zusammenwirken der verschiedenen Lichter auf der in vollster Bewegung begriffenen Gruppe von zauberhafter Wirkung. (Stark restaurirt.) Einmal scheint Tizian dem Coreggio sehr unmittelbar nachge- c gangen zu sein. In der Sacristei der Salute sind die 3 Decken- bilder, der Tod Abels, das Opfer Abrahams, und der todte Goliath, wie ich glaube, die frühsten venezian. Bilder in Untensicht. Eigent- lich lag diese Darstellungsweise gar nicht in der venezianischen Ma- lernatur, welche ja Existenzen entwickeln, nicht durch täuschende Raumwirklichkeit ergreifen will. Es sind noch dazu irdische, nicht himmlische Vorgänge, und daher die Untensicht nur jene halbe, welche von da an in hunderten von venez. Deckenbildern herrscht. Die For- men verschieben sich dabei schon ziemlich hässlich (der knieende Isaac!), doch ist die Malerei noch vorzüglich. Von profaner Historienmalerei ist ausser einem grossen d Ceremonienbilde in der Pinacoteca zu Verona (Huldigung der Vero- neser an Venedig, mit einer Anzahl herrlicher Köpfe; das Meiste wohl von Bonifazio) nichts Bedeutendes mehr vorhanden als das kleine, e vortreffliche Gemälde einer Schlacht (wahrscheinlich derjenigen von Ghiaradadda, im Krieg der Liga von Cambray) in den Uffizien ; das Handgemenge ist auf und an einer hohen Brücke am heftigsten, von welcher sich die vordern Scenen glücklich abheben — ein Motiv, Tizian. Historien. Mythologische Bilder. welches vielleicht Rubens die Anregung zu seiner Amazonenschlacht eingab; einen dramatischen Hauptgedanken muss man hier nicht suchen, so wenig als völlige historische Treue in dem theils antiken, theils Lanzknechtscostum; allein das Ganze wie das Einzelne ist meisterlich belebt. Die mythologischen Darstellungen müssen in jedem mehr realistischen als idealen Styl um so unharmonischer sein, je mehr ihr Inhalt heroisch ist, — und um so harmonischer, je mehr sie sich dem Idyllischen, dem Pastoralen nähern. Tizian scheint diess klarer als die meisten Zeitgenossen empfunden zu haben. Sein Hauptgegenstand sind Bacchanalien, in welchen das schöne und selbst üppige Dasein die höch- sten Momente feiert. Die Originale sind in London und Madrid. Eine gute Copie von „Bacchus und Ariadne“ (wie man sagt, von Nic. Poussin) a findet man bei Camuccini in Rom, eine Episode daraus (angeblich von Tizian selbst, aber eher von einem Nichtvenezianer des XVII. Jahrh.) b im Pal. Pitti. — Von einem berühmten Bilde im Geist von Coreggio’s Leda, nämlich der Darstellung von Calisto’s Schuld, sind mehrere eigenhändige Exemplare in Europa zerstreut; auch dasjenige in der Academia di S. Luca zu Rom, woran etwa ein Drittheil fehlt, schien c mir (bei flüchtiger Betrachtung) ein schönes Originalwerk. — Eine andere vielverbreitete Composition ist wenigstens durch ein spätes, kleines, doch schönes Exemplar bei Camuccini repräsentirt: Venus d sucht den zur Jagd eilenden Adonis zurückzuhalten; ein in Linien, Formen und Farben vorzüglicher Gedanke, zugleich eine rechte Epi- sode idyllischen Waldlebens. — Sodann im Pal. Borghese: das späte e Halbfigurenbild der Ausrüstung Amors; wunderbar naiv und farben- schön. Es ist nicht mythologisch, aber ganz poetisch, dass ein Amo- rin schon für die Erlaubniss zum nächsten Ausflug gute Worte giebt, während dem andern die Augen verbunden werden. Endlich hat Tizian ein paar Bilder ohne alle mythologische Vor- aussetzung gemalt, blosse Allegorien wenn man will, aber von der- jenigen seltenen Art, in welcher der allegorische Sinn, den man aus- sprechen kann, sich ganz verliert neben einer unaussprechlichen Poe- sie. Das eine: die drei Menschenalter , befindet sich, arg über- f Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig. a malt, im Pal. Manfrin; Sassoferrato’s schöne aber minder energische Copie im Pal. Borghese zu Rom. (Hirt und Hirtin auf einer Wald- wiese, seitwärts Kinder, in der Ferne ein Greis.) Das andere, im b Pal. Borghese zu Rom: amor sacro ed amor profano , d. h. Liebe und Sprödigkeit, ein Thema, welches z. B. schon von Perugino behandelt worden war. Diese Bedeutung wird auf alle mögliche Weise klar gemacht: die vollkommene Bekleidung der einen Figur Sie erinnert an die Flora und an die Bella im Pal. Sciarra. , selbst mit Handschuhen; die zerpflückte Rose; am Brunnensarcophag das Relief eines von Genien mit Geisselhieben aus dem Schlaf geweckten Amors; die Kaninchen; das Liebespaar in der Ferne. — Beide Bilder, vorzüglich das letztere, üben jenen traumhaften Zauber aus, den man nur in Gleichnissen schildern und durch Worte vielleicht überhaupt nur entweihen könnte. Unter den Schülern und Gehülfen Tizians begegnen wir zunächst einigen seiner Verwandten. Von seinem Bruder Francesco Ve- c cellio sind z. B. die Orgelflügel in S. Salvatore gemalt; ein Bischof, der knieende Mönche ordinirt, und S. Mauritius in einer Landschaft, in jener grandiosen, freien Darstellungsweise, welche man in den Fres- ken zu Padua bemerkt. — Von seinem Neffen Marco Vecellio eine d farbenglühende Madonna della misericordia im Pal. Pitti, und in e S. Giovanni Elemosinario zu Venedig (links) das Bild dieses Heiligen nebst S. Marcus und einem Stifter. — Von seinem Sohn Orazio Ve- cellio ist wenig Namhaftes vorhanden. Bonifazio Veneziano (1491—1563), ein mässig begabter Nachahmer Tizians, zeigt, wenn man seine Bilder als Ganzes über- sieht, welches in Venedig der Ersatz für die mangelnden Fresken war, nämlich jene grossen, auf Tuch gemalten Geschichten, welche an hei- liger und profaner Stätte in einiger Höhe, etwa oberhalb des Wand- getäfels aufgehängt wurden. Es ist für den ganzen Schulstyl von Bedeutung, dass das Breitbild hier (aus Gründen des Raumes) durchgehends den Vorzug erhielt vor dem Hochbild; die Erzählungs- weise selbst eines Paolo Veronese, welchem man später alle wünsch- Bonifazio Veneziano. bare Raumfreiheit gewährte, ist doch ursprünglich unter jenen Prä- missen entstanden. Erst Tintoretto sprengt diess Vorurtheil einiger- massen. Sodann offenbart Bonifazio glänzend, wie und wesshalb die Venezianer zweiten und dritten Ranges den Florentinern und Römern der entsprechenden Stufe so weit überlegen sind. Die Auffassung des Momentes, so niedrig sie ihn fassen, bleibt wenigstens ganz naiv; der veredelte Naturalismus, welcher die Lebenskraft der Schule ist, treibt sie von selbst auch zu stets neuer Anschauung des Einzelnen; was sie aber von ihren Meistern entlehnen, jene Summe von Reiz- mitteln aus dem Gebiet der Farbe und des Lichtes, das nimmt die Nachwelt auch aus zweiter Hand auf das Dankbarste an. (Floren- tiner und Römer dagegen entlehnen von ihren Meistern Einzelelemente der Schönheit und der Energie zu conventioneller Verwerthung und legen sich auf das Ungeheure und Pathetische.) Einen höhern gei- stigen Gehalt darf man freilich bei wenigen Venezianern suchen, und so auch bei Bonifazio nicht, der bisweilen absolut gedankenlos malt; indess stört er doch nicht durch platte Roheit der Auffassung. Von seinen beiden grossen Abendmahlsbildern enthält dasjenige in S. Angelo Raffaelle (Cap. rechts vom Chor) eine Anzahl schöner, a selbst inniger Köpfe, der Moment des „unus vestrum“ (S. 865) spricht sich noch deutlich aus. In dem andern Abendmahl, in S. M. mater b Domini (linkes Querschiff), das noch schöner gemalt und vielleicht desshalb dem Palma vecchio zugeschrieben worden ist, kam es doch dem Maler schon nicht mehr auf den Moment an; die Apostel, in gleichgültigem Gespräch, achten gar nicht auf Christus. — In der Academie: zwei prächtige Gluthbilder: eine Anbetung der Könige in c schöner Landschaft, und eine Madonna mit beiden Kindern und vier Heiligen; sodann ein gedankenloses Bild der Ehebrecherin; mehrere Einzelfiguren von Heiligen, welche sich nach einer Nische oder son- stigen Einfassung zu sehnen scheinen; endlich die Geschichte vom reichen Mann , höchst anziehend als Novellenbild und im Ganzen wohl B.’s bedeutendste Leistung. (Porträtähnlichkeit des reichen Mannes mit Heinrich VIII). — Im Pal. Manfrin: Grosse Madonna mit Heiligen; d zwei Bilder deren Inhalt die sog. Tafel des Cebes bildet, Allegorien, die eigentlich für diese Schule das Fremdartigste waren und hätten B. Cicerone. 62 Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig. bleiben sollen, da sie ganz für die Verklärung des Besondern, nicht für die Verwirklichung des Allgemeinen geschaffen war. — In der a Abbazia, Cap. hinter der Sacristei, zwei schöne frühe Apostelfiguren. b — Ausserhalb Venedigs sind bemerkenswerth: im Pal. Pitti: ein Chri- c stus unter den Schriftgelehrten; — im Pal. Brignole zu Genua: eine d Anbetung der Könige; — in der Galerie zu Modena: die Gestalten von vier Tugenden. Unter den Schülern Tizians ist am ehesten mit Bonifazio zu ver- gleichen: der schwächere Polidoro Veneziano . — Von Cam- pagnola ausser den genannten Fresken (S. 973) noch Einiges in Padua. — Von Giovanni Cariani Bilder in seiner Heimath Ber- e gamo und in der Brera zu Mailand (Madonna mit S. Joseph, sechs andern Heiligen und vielen Engeln), welche in der nobeln, bedeuten- den Charakteristik auch noch an seinen frühern Lehrer Giorgione er- innern. — Von Calisto Piazza aus Lodi bedeutende Bilder in der f Incoronata daselbst und in mehrern Kirchen von Brescia, sämmtlich dem Verfasser nicht bekannt. — Von Girol. Savoldo aus Brescia g eine grosse Madonna auf Wolken mit vier Heiligen in der Brera zu h Mailand, mehreres im Pal. Manfrin und eine Transfiguration in den i Uffizien, welche den Gedanken Giov. Bellini’s (S. 827, h) in den Styl der neuen Zeit übersetzt zeigt. — Ungleich bedeutender ist ein anderer brescianischer Nachfolger Tizians, Moretto (eigentlich Alessandro Bonvicino) dessen Blüthe das zweite und dritte Viertel des XVI. Jahrh. umfasst. Er scheint früher Schüler jenes Sacchi von Pavia (S. 820) gewesen zu sein, später da- gegen auch Eindrücke der römischen Schule — glücklicher als irgend ein anderer Oberitaliener — in seine Darstellungsweise aufgenommen zu haben. Seine Hauptwerke in Brescia , die ich nicht gesehen zu haben schmerzlich bedaure, schildert Waagen (Kunstbl. 1851) mit fol- k genden Worten: „In dem Hochaltarbilde von S. Clemente entspricht „die Zartheit und die Verklärtheit der religiösen Empfindung, der „wunderbaren Feinheit des dem Moretto so eigenthümlichen Silber- „tones, und gehört der Engel Michael zu den schönsten jugendlichen „Köpfen, welche die neuere Kunst hervorgebracht hat. — Die Krönung l „Mariä in SS. Nazaro e Celso zeigt, welche Höhe er auch in dem „strengen und grossen Kirchenstyl und in der Gluth der Farbe er- Schüler Tizians. Moretto. Moroni. reichen konnte.“ — Als das dritte Hauptwerk bezeichnet Waagen das Bild in S. Eufemia, Maria in der Herrlichkeit, von vier Heiligen ver- a ehrt. — Zunächst ist es eine durchgehende und merkwürdige Wahr- nehmung (zuerst m. W. von Schnaase ausgesprochen und motivirt), dass der venezianische Goldton bei den meisten Malern der Terraferma zum Silberton wird. — Was Moretto insbesondere betrifft, so ist wohl nicht zu läugnen, dass er an höherm Gedankeninhalt und Adel der Auffassung alle Venezianer, gewisse Hauptleistungen Tizians ausge- nommen, aufwiegt. Seine Glorien sind würdiger und majestätischer, seine Madonnen grossartiger in Bildung und Haltung, auch seine Hei- ligen stellenweise von höchst grandiosem Charakter. — Etwas den wichtigsten Bildern in Berlin und Frankfurt gleich zu Schätzendes möchte Italien indess (Brescia ausgenommen) kaum mehr besitzen. — Die grosse Madonna in den Wolken mit drei Heiligen in der Brera b ist ein edles Bild, aber gerade die Hauptfigur hat hier etwas Trübes. (Ebenda mehrere Bilder mit einzelnen Heiligen.) — Das wichtigste Bild in Venedig befindet sich in S. Maria della Pietà (an der Riva) c in einer Nonnentribune über dem Portal; es ist Christus beim Phari- säer, die Scene streng symmetrisch angeordnet. Im Pal. Manfrin die d Einzelfiguren des Petrus und Johannes, auf landschaftlichem Grunde, frühe, fleissige Bilder von schönem Ausdruck. — In den Uffizien: Venus e mit Nymphen in freier Landschaft, hinten über dem Wasser die Piaz- zetta, ein grosses und sorgfältiges Bild, welches zwar in Ermanglung sinnlicher Freudigkeit etwas Gleichgültiges hat wie später bolognesi- sche Bilder dieser Art, dessen negatives Verdienst aber — die Ab- wesenheit römischer Manier und venezianischer Gemeinheit — für jene Zeit ausserordentlich ist. — Ebenda: das Bildniss eines Lautenspielers, ein schöner, tückischer Charakter, in trefflicher Darstellung, doch wohl nicht von M. — Im Pal. Brignole zu Genua das Capitalporträt eines f Botanikers, an einem Tisch mit einem Buch und Blumen, hinten Ge- mäuer, datirt 1533. (Ob richtig benannt? eher wie von einem Schüler des Giorgione.) Moretto’s Schüler war der Bergamaske Gio. Battista Moroni , als Porträtmaler eine höchst eigenthümliche Erscheinung. Weit ent- fernt, den Menschen auf venezianische Art in festlich erhöhter Stim- mung darzustellen, fasst er ihn zwar im höchsten Grade geistreich und 62* Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig. wahr auf, erlässt ihm aber keine einzige von den Falten, welche das a Schicksal in das Antlitz gegraben hat. In den Uffizien ein Schwarz- gekleideter in ganzer Figur, mit einem flammenden Becken (1563), und die unvergleichliche Halbfigur eines Gelehrten, des „Gelehrten als solchen“; das vor ihm liegende Buch ist vielleicht Schuld daran, dass der etwa 45jährige Mann schon wie ein Sechsziger aussieht. — Zwei b andere, nicht ganz so treffliche Gelehrtenporträts im Pal. Manfrin. — c Anderes in der Academie von Venedig u. a. a. O. Von irgend einer andern Seite, etwa von Ferrara oder Bologna her, war Girolamo Romanino in die venezianische Schule gera- then, dessen Thätigkeit ebenfalls meist Brescia angehört. Mit Aus- d nahme einer Grablegung vom Jahr 1510 im Pal. Manfrin, kenne ich nur ein Bild von ihm, welches das schönste Gemälde von ganz Padua ist. e (In der Capella S. Prosdocimo oder Capitelsaal bei S. Giustina.) Ma- donna thronend zwischen zwei Engeln und vier Heiligen, vorn ein Engel mit Laute; in dieser alterthümlichen Anordnung aber lebt die volle Schönheit des XVI. Jahrh. — (Bei diesem Anlass: der Cruci- fixus in einem andern alten Capitelhaus des Klosters, und das Geth- semane in einem hintern Gange desselben sind treffliche Fresken eines ungenannten venezian. Malers nach 1500.) — Von Romanino’s bres- cianischen Schülern wurde Lattanzio Gambara schon als Deco- rator genannt (S. 299, b); Girolamo Muziano , später in Rom Nachahmer Michelangelo’s, behielt noch bis in seine manierirten Sa- chen ein wenigstens halbvenezianisches Colorit; am kenntlichsten viel- f leicht in der „Verleihung des Amtes der Schlüssel“, in S. M. degli Angeli zu Rom (beim Eingang ins Hauptschiff, links.) Nicht Schüler, sondern Nebenbuhler Tizians, übrigens in der Auf- fassung so ganz Venezianer wie alle Übrigen war Giovanni An- tonio (Licino Regillo da) Pordenone (geb. um 1484, st. 1539). Als Frescomaler, bei S. Stefano zu Venedig, wurde er schon (Seite g 295, c) genannt; seine Gewölbefresken in der Madonna di Campagna zu Piacenza habe ich leider nur in tiefer Dämmerung gesehen. Die Romanino etc. Die beiden Pordenone. höhere geistige Bedeutung an irgend einem Vorgange hervorzuheben, war wohl so wenig seine Sache als die der Schule überhaupt, allein er ist ganz besonders frisch und lebendig in der Auffassung des äus- sern Lebens und hat in der Carnation, zumal wo sie im Helldunkel erscheint, eine solche eigenthümliche warme Weichheit (morbidezza, Mürbheit) wie kein Anderer der Schule. — Sein Hauptwerk in Ve- nedig (Academie), S. Lorenzo Giustiniani von andern Heiligen und a Ordensbrüdern umgeben, hat wohl eine etwas gesuchte Dramatik; die santa conversazione sieht trotz aller Blicke und Gesten danach aus, als wüssten die Leute nicht recht, was sie einander zu sagen haben; — eine Madonna mit Heiligen (ebenda) befriedigt als reines und sehr schönes Existenzbild viel mehr; — ebenda fünf schwebende Putten auf Wolken. — Ein herrliches Altarbild, S. Catharina mit S. Seba- b stian und S. Rochus, in S. Giovanni Elemosinario (Cap. rechts vom Chor). — Mehreres in S. Rocco. — In den Angeli zu Murano: das c Hochaltarbild (?). — Im Pal. Manfrin: Vermählung Mariä, und: Be- d schneidung, Halbfigurenbilder von so blasser und allgemeiner Behand- lung, dass man sie dem P. kaum zutrauen mag. — Im Pal. Doria zu e Rom: die Tochter des Herodes mit ihrer Magd, ein herrliches, leid- lich erhaltenes Halbfigurenbild; sie ist von der hohen venezianischen Schönheit, dabei klug und kalt, auch das Haupt des Täufers höchst edel venezianisch. — Im Pal. Pitti: eine santa conversazione in Halb- f figuren, von höchster Pracht und Harmonie der Farbe. — In den Uffi- zien: ein vorzügliches männliches Porträt, eine unförmliche Judith und g eine improvisirte, in den Formen ziemlich stumpfe, aber gluthfarbige Bekehrung des Paulus (Breitbild). Giov. Antonio’s Bruder oder Verwandter Bernardino da Por- denone scheint der Urheber mehrerer Familienbilder zu sein, welche einen Künstler (Bildhauer oder Maler? — vielleicht den Giov. Anto- nio?) umgeben von seinen Angehörigen und Schülern darstellen; eines im Pal. Borghese zu Rom, eines im Pal. Manfrin, ein drittes in Eng- h land; das erstgenannte ein in jeder Beziehung ausgezeichnetes Vor- bild dieser Gattung. — Sein bestes Altarbild, eine thronende Madonna i mit Heiligen, meist Mönchen, in den Frari, erste Cap. links vom Chor; ohne besondern Adel des Gedankens oder des Ausdruckes ein Kleinod durch Farbenpracht und Lebensfülle; — auch ein Halbfiguren- Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig. bild der Madonna mit drei Heiligen, dem Stifter und dessen Gattin, a im Pal. Manfrin, ist behandelt wie der schönste und freiste Palma vecchio; — ebenda eine heil. Familie im Freien, mit einem betenden Mönch. Paris Bordone (1500—1570), zuerst Nachahmer des Giorgione, dann rückhaltlos des Tizian, ist in den Bildnissen bisweilen den Gröss- b ten gleichzustellen. Eine Anzahl in den Uffizien; — eine dicke Frau c und eine Copie nach Tizians Paul III im Pal. Pitti; — im Pal. Brig- d nole zu Genua das wunderbare Porträt eines bärtigen Mannes in schwarzem Kleid mit rothen Ärmeln, an einem rothbezogenen Tisch, in der Hand einen Brief, hinten eine Balustrade; ebenda eine Frau in rosenfarbenem Unterkleid und goldstoffenem Oberkleide Mehrere gute venezianische Porträts dieser goldenen mittlern Zeit der Schule, * beiläufig gesagt, im Pal. Capponi zu Florenz. . — Anderes e im Pal. Manfrin. — Grössere Darstellungen heil. Scenen sind nicht f seine Sache; in dem Abendmahl zu S. Giovanni in Bragora (nach der ersten Cap. rechts) sehen die Geberden aus wie ein Abhub von Re- miniscenzen aus den Werken besserer Meister; — das Paradies (in g der Academie) ist ein ganz schwaches Werk; — eher noch macht das h schön gemalte Halbfigurenbild des Augustus mit der Sibylle (Pal. Pitti) einen poetischen Eindruck; — vollends aber verdankt man dem Bor- i done das am schönsten gemalte Ceremonienbild, welches überhaupt vorhanden sein mag (Acad. von Venedig): der Fischer, welcher dem Dogen in Gegenwart einer erlauchten Versammlung einen Ring über- reicht, den ihm S. Marcus gegeben. Dieses Werk ist gleichsam die reifste, goldenste Frucht der mit Carpaccio’s Historien (S. 823) be- ginnenden Darstellungsweise, auch in Beziehung auf die Prachtbauten, zwischen welchen die Thatsache vor sich geht. Von Battista Franco , der auch in Rom nach Michelangelo studirt hatte, ist oben (S. 288, a) bei Anlass der decorativen Malerei, welcher er seinem Talente gemäss am ehesten angehört, die Rede gewesen. Paris Bordone. Tintoretto. In der zweiten Hälfte des XVI. Jahrhunderts, als alle andern Schulen in den tiefsten Verfall gerathen waren, hielt sich die vene- zianische noch in einer bedeutenden Höhe durch die grössere Vernunft der Besteller, durch die Unerschöpflichkeit des Naturalismus und durch die fortdauernde Praxis der Reizmittel des Colorites. Trotzdem macht sie jetzt einen wesentlich andern Eindruck. Wir versparen das Werk der ganzen Schule, die Ausmalung des Dogenpalastes, auf das Ende und nennen hier zuerst die übrigen Werke der betreffenden Künstler. Der erste, welcher der Schule eine neue Richtung gab, war Ja- copo Tintoretto (eigentlich Robusti, 1512—1594). Früher Schüler Tizians und von Hause aus sehr reich begabt, scheint er ganz richtig empfunden zu haben, woran es in Venedig fehlte, und drängte nun auf eine mächtig bewegte, dramatische Historienmalerei hin. Er stu- dirte Michelangelo, copirte auch bei künstlichem Licht nach Gypsab- güssen und Modellen, nicht um seine venezianische Formenbildung zu idealisiren, sondern um sie ganz frei und gelenk zu machen für jede Aufgabe und um ihr durch die wirksamsten Lichteffecte eine neue Bedeutung zu geben. Glücklicherweise blieb er dabei in seinem tief- sten Wesen Naturalist. Jene Verschleppung der Manieren der römi- schen Schule blieb wenigstens der guten Stadt Venedig erspart. Unter diesen Umständen büsste er bloss das venezianische Colorit in vielen seiner Werke ein, als welches mit der starkschattigen Modellirung an sich unverträglich ist, auch vielleicht bei Tintoretto technischen Neue- rungen unterliegen musste. Man darf sich wohl wundern, dass in so vielen Fällen seine Farbe überhaupt gerettet, ja dass ein Helldunkel vorhanden ist. Manches freilich erscheint ganz entfärbt, dumpf, bleiig. — War er nun aber der Poet, welcher das Recht gehabt hätte zu seinen grossen Neuerungen? Es steckte in ihm neben vielem Grossen doch auch eine gewisse Roheit und Barbarei der Empfindung; selbst seine künstlerische Moralität schwankte oft, sodass er bis in die ge- wissenloseste Sudelei versinken konnte. Es fehlt ihm die höhere Ge- setzlichkeit, die der Künstler, besonders bei Wagnissen und Neuerun- gen, sich selber geben muss. Bei seinen ungeheuern Unternehmungen, die an bemaltem Quadratinhalt vielleicht das Zehnfache von dem aus- machen, was die Frucht von Tizians hundertjährigem Leben ist, kommt Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig. man auf die Vermuthung, dass er dergleichen als Mindestfordernder accaparirt und grossentheils als Improvisator durchgeführt habe. Es giebt von ihm zunächst treffliche Bildnisse, welche in Venedig noch nicht sorglos gemalt werden durften. (Zweifelhafte, aber schöne a im Pal. Pitti; — das con amore gemalte des Jac. Sansovino und das ebenfalls sehr ausgezeichnete eines bärtigen Mannes in rothem Staats- b kleid etc. in den Uffizien; andere überall.) — Sodann sind überhaupt Werke seiner frühern Zeit durch den vollen tizianischen Goldton ebenso schätzenswerth als die irgend eines andern Nachfolgers des grossen c Meisters; so das naive Bild: Vulcan, Venus und Amor, im Pal. Pitti, dessen Gleichen man in Venedig kaum finden wird. Auch die Decken- d stücke aus ovidischen Metamorphosen in der Galerie von Modena sind noch ziemlich farbenreich. In Venedig gehört am ehesten hieher das e Wunder des heil. Marcus , der einen gemarterten Sclaven aus den Händen der Heiden rettet (Academie). Hier geht T. vielleicht zum erstenmal über alle bisherigen venezianischen Absichten hinaus; die Scene ist ungleich bewegter und confuser; der Künstler sucht Ver- kürzungen der schwierigsten Art auf und verräth z. B. in dem häss- lich kopfabwärts schwebenden Heiligen, dass alle höhere Auffassung ihm nichts gilt, sobald er seine äusserliche Meisterhaftigkeit an den Tag zu legen Anlass hat. (Rubens hat viel nach diesem Bilde studirt.) — Dann eine ebenfalls noch schön gemalte aber frivole Darstellung der Ehebrecherin, welcher man es ansieht, dass sie den gemeinen Christus nicht respectirt. (Ebenda.) — Ein anderes Werk der noch f guten Palette: die Geschichten des wahren Kreuzes, im rechten Quer- schiff von S. M. mater Domini. — Auch die grosse Hochzeit von Cana g in der Sacristei der Salute (kleineres Exemplar in den Uffizien); ein stattliches Genrebild von häuslichem Charakter (nicht von fürstlichem wie bei Paolo Veronese), wobei wenigstens das Wunder und seine Wirkung löblicher Weise in den Vordergrund verlegt sind. — Von h den 56 zum Theil colossalen Bildern, womit T. die ganze Scuola di S. Rocco angefüllt hat, ist hauptsächlich die grosse Kreuzigung (in der sog. Sala dell’ albergo) noch schön gemalt und theilweise auch im Gedanken bedeutend. Hier lernt man denn auch die hochwichtige historische Stellung T.’s vollständig kennen; er zuerst gestaltet (be- sonders in der grossen obern Halle) die heilige Geschichte von An- Tintoretto. fang bis zu Ende im Sinne des absoluten Naturalismus um, vielleicht mit dem Zwecke, unmittelbarer zu ergreifen und zu rühren. Für diese Absicht sucht er das Auge durch schöne Köpfe zu gewinnen; dagegen wird er nicht inne, wie der Missbrauch der Füllfiguren den wahren und grossen Eindruck aufhebt; er fällt in seinem Eifer der Verwirk- lichung auf die gemeinsten Züge, wie denn z. B. das Abendmahl kaum je niedriger aufgefasst worden ist; bei der Taufe im Jordan drückt Johannes dem Christus die Schulter herab; bei der Auferweckung des Lazarus sitzt Christus ganz bequem in der Ecke unten. Die mei- sten Bilder, mit Ausnahme der Sala dell’ albergo, sind höchst nach- lässig und schnell gemalt. In denjenigen der untern Halle ist das Landschaftliche zu beachten; scharfe phantastische Lichter an den Rändern der Bäume und Berge. Einen ungeschickten Wetteifer mit Michelangelo findet man am ehesten in dem grossen mittlern Decken- bild der obern Halle, welches die eherne Schlange darstellt. — Mit den Gemälden dieser Scuola gab T. den Ton an für die ganze monu- mentale Malerei Venedigs in den nächsten Jahrzehnden (von den 1560er Jahren an); er selber nahm noch Theil an der Ausschmückung der Capella del rosario (links an S. Giov. e Paolo), welche als Denk- a mal des Sieges von Lepanto errichtet wurde, hauptsächlich aber an derjenigen des Dogenpalastes. Den decorativen Werth dieser Arbeiten haben wir oben (S. 291, f) festzustellen gesucht. Wo sich einmal der ganze Styl so sehr von der Auffassung, die beim Fresco die allein mögliche ist, abgewandt hat, da bleibt in der That kein anderer Aus- weg offen, als dieser. — Im Chor von S. M. dell’ orto zwei Colossal- b bilder, die Anbetung des goldenen Kalbes und die letzten Dinge; roh und abgeschmackt. — Im linken Querschiff von S. Trovaso ein Abend- c mahl, zum gemeinsten Schmaus entwürdigt. — Auf allen Altären von S. Giorgio maggiore Sudeleien, welche dem T. zu ewiger Schmach d gereichen. Von seinen Schülern ist sein Sohn Domenico in seinem Natu- ralismus meist um einen Grad gewissenhafter. — Der Peruginer An- tonio Vascibracci , genannt l’Aliense, brachte T.’s Styl in seine Heimath (10 grosse Geschichten Christi an den Oberwänden des Haupt- e schiffes von S. Pietro de’ Cassinensi in Perugia.) Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig. Neben Tintoretto repräsentirt der grosse Paolo Veronese (eigentlich Caliari, 1528—1588) die schönere Seite der venezianischen Malerei. Er war hervorgegangen aus der bereits von Venedig her berühr- ten Schule seiner Vaterstadt, wo sich immer einige Localmaler, früher mit sehr bedeutenden (S. 818 u. 960), später wenigstens mit nicht zu verachtenden Leistungen (S. 964, i) hervorthaten. Von seinen nächsten Vorgängern findet man in Verona eine Menge Werke. (Von Tor- a bido’s Schüler Giambattista del moro z. B.: in S. Nazaro e Celso die Lunetten über den meisten Altären; in beiden Seitenschiffen von b S. Stefano einfarbige Fresken aus der Legende des Heiligen. — Von c Domenico Ricci , gen. Brusasorci : ebenfalls in S. Stefano die schwachen Kuppelmalereien und das Fresco über der rechten Seiten- thür, der Heilige umgeben von den unschuldigen Kindlein, welche d wie er als „Erstlinge des Marterthums“ bezeichnet werden; zu S. M. in organo die Fresken der Cap. l. vom Chor; in S. Fermo die Lu- e nette des 1. Alt. r., mit der Enthauptung eines heil. Bischofs. — Von f Paolo Farinato : sämmtliche, zum Theil ganz bedeutende Fresken im Chor von S. Nazaro e Celso. — Von Paolo Caliari’s nächstem g Lehrer Giov. Badile : ein Bild in der Pinacoteca, zwei Engel, die den todten Christus ins Grab senken, bez. 1556.) Allein Paolo ver- dankt sein Bestes wesentlich dem Vorbilde Tizians und Venedigs überhaupt. Paolo’s Grösse liegt darin, dass er, den wahren Genius der vene- zianischen Schule erkennend, nicht eine bewegte Historienmalerei auf den anders gearteten Stamm zu pfropfen suchte wie Tintoretto, son- dern die Existenzmalerei auf eine letzte, unübersteigliche Stufe hob und auch das Colorit diesem gewaltigen Problem gemäss zu steigern vermochte. Seine Charaktere sind nicht höher, erhabener als die der bessern Vorgänger, besitzen aber den Vorzug eines so freien, unbefangenen, absichtlosen, lebensfrohen Daseins wie wohl bei keinem andern Maler der Welt Wer brachte die Venezianer etwa seit den 1540er Jahren darauf, den Wei- bern jene oft fast unförmliche Üppigkeit zu geben? Auch der spätere Tizian . In den sante conversazioni befolgt er die Anord- Paolo Veronese. nung der spätern Werke Tizians; die Heiligen sind z. B. zwanglos um das Postament gruppirt, auf welchem die Madonna sitzt. (Acad. a v. Venedig; S. Francesco della vigna, 5. Cap. l.) Das schönste die- b ser Bilder: S. Cornelius, S. Antonius abbas und S. Cyprian nebst einem Geistlichen und einem Pagen, findet sich in der Brera zu Mai- c land. — In den erzählenden Bildern geht der allgemeine vene- zianische Mangel an genügender Entwicklung der Figuren bis zur Unverständlichkeit; Haltung und Schritt aber haben oft etwas son- derbar Schwankendes. Allein Paolo hat, wo er sich anstrengt, edlere dramatische Gedanken als die übrigen Schulgenossen, wie man am besten in S. Sebastiano zu Venedig sieht, welche Kirche eine sehr d grosse Anzahl Bilder von ihm, die trefflichsten und grössten im Chor, enthält. Vollends sind die Hochaltarbilder von S. Giustina zu Padua e und von S. Giorgio in Braida zu Verona , mit den Martyrien der f genannten Heiligen, Meisterwerke ersten Ranges; Paolo dämpft das Ereigniss so weit als möglich zum Existenzbild, mässigt sich im Pathos auf das Behutsamste, meidet die Excesse des Naturalismus, und behält auf diese Weise die nöthige Fassung um seine Farbe in siegreicher Prachtfülle vortragen zu können. Mit seinen weltlichen Bildern verhält es sich nicht anders; die berühmte „ Familie des g Darius “ im Pal. Pisani a S. Polo wirkt nur desshalb so ganz zwingend, weil das Pathos auf das Nothwendigste beschränkt, der Moment zu einer blossen demüthigen Präsentation gedämpft ist. — Er wählt vorzugsweise solche Ereignisse, die sich dem Ceremonien- bilde nähern, wie die Anbetung der Könige (Brera zu Mailand), die h Königin von Saba (mit den Zügen der Elisabeth von England, Uffi- i zien); seine eigentlichen Ceremonienbilder werden wir im Dogenpalast kennen lernen. — Die ganz schwachen erzählenden Bilder übergehen wir; es sind zumeist solche, in welchen auch die Farbe geringern Werth hat. (Ein unglückliches Roth hat z. B. oft alle Lasuren ver- zehrt.) Paolo wird zwar niemals roh wie Tintoretto, allein sehr nach- ist nicht frei davon, und bei Paolo giebt es sogar höchst auffallende Bil- dungen dieser Art. Lüsternheit zu erregen hat sich die Kunst oft herge- geben, allein dass man gerade mit diesem Typus einem Durchschnittsge- schmack Genüge geleistet habe, bleibt räthselhaft. Rubens, der denselben auf seine Weise umdeutete, traf vielleicht schon eher den Sinn seiner Leute. Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig. lässig. — Die Geschichte der Judith (Pal. Brignole in Genua) ist wenigstens noch ein prächtiges Farbenbild. Am berühmtesten sind Paolo’s Gastmähler , dergleichen er vom kleinsten bis zum ganz colossalen Massstab gemalt hat. Sie er- scheinen als nothwendige höchste Frucht der Existenzmalerei, welche hier die letzten historischen Fesseln abschüttelt und nur noch einen Rest von Vorwand braucht, um in ungehemmtem Jubel alle Pracht und Herrlichkeit der Erde, vor Allem ein schönes und freies Men- schengeschlecht im Vollgenuss seines Daseins zu feiern. Für Speise- säle von Fürsten hätte Paolo vielleicht Bacchanalien zu malen gehabt und dabei seine Unzulänglichkeit in der idealen Zeichnung und Com- position sowie im Affect geoffenbart: indem er aber für Klosterre- fectorien malte, ergab sich als sichere Basis irgend ein biblisches Bankett, dessen ceremoniellen Inhalt er durch die schönste Einzel- belebung aufheben konnte. Die prachtvollsten architektonischen Ört- lichkeiten und Perspectiven bilden den Schauplatz, auf welchem sich die sitzende Gesellschaft und die bewegten Episoden in vollem Reich- thum und doch ohne Gedränge ausbreiten können. Die besten und grössten dieser Bilder (im Louvre) sind vielleicht die ersten Gemälde der Welt in Betreff der sog. malerischen Haltung, in dem vollkom- menen Wohlklang einer sonst überhaupt unerhörten Farbenscala Die sehr verschiedenen, zum Theil orientalischen Trachten sind nicht aus Romantik angebracht, sondern um bei der Lösung des ungeheuern Farben- problems freiere Hand zu haben. ; allein die Scala der zu Einem Ganzen vereinigten Existenzen ist im Grunde ein noch grösseres Wunderwerk. Die heiligen Personen und die an sie geknüpften Ereignisse bleiben freilich Nebensache. a Venedig besitzt noch Ein Hauptwerk dieser Art: das Gastmahl b des Levi (Academie). — Eine Hochzeit von Kana in der Brera zu Mailand. — Ebenda: Christus beim Pharisäer. — Andere Gastmähler c in der Galerie von Turin; eines (alte Copie?) im Pal. reale zu Ge- nua. — Nach Paolo’s Tode verwertheten seine Erben seine Motive d zu ähnlichen Bildern; ein grosses, unangenehmes Gastmahl beim Pha- risäer in der Academie zu Venedig. — Paolo selbst, als er einst das Paolo Veronese. Die Bassano. Abendmahl schilderte (S. Giuliano, Cap. links vom Chor), fiel fast in a dieselbe Trivialität wie Tintoretto. Während Paolo die Existenzmalerei bis zu ihren höchsten Con- sequenzen emporführte, konnten auch die niedrigern nicht ausbleiben. Das Genrebild, schon seit Giorgione durch das Novellenbild ange- kündigt, in zahlreichen einzelnen Versuchen bereits vorhanden, wird zu einer besondern Gattung durch Jacopo Bassano (eigentlich da Ponte, 1510—1592) und seine Söhne. Im Colorit sichtlich nach den besten Meistern gebildet obwohl sehr ungleich (vom Glühenden bis ins ganz Dumpfe), ergötzt diese Familie immer durch ihre bäurischen Idyllen in heimlicher Landschaft, welchen eine Parabel Christi, oder eine der vier Jahreszeiten oder ein Mythus u. dgl. weniger zum In- halt als zum Vorwand dient. Die Schafherden und die Geräthschaften, in welchen die Füsse der handelnden Personen fast durchgängig ver- loren gehen, sind oft meisterhaft gemalt. Vieles aber ist reine Fabrik- arbeit. In den Uffizien Einiges vom Bessern, auch das Familiencon- b cert. — Zwei von den Söhnen, Leandro und Francesco , haben auch grosse Bilder heiligen Inhaltes gemalt, bisweilen naiv und rüh- rend im Ausdruck, aber überhäuft, auf grelle Lichteffecte berechnet, roh gezeichnet. (Grablegung, in den Uffizien; — Auferweckung des c Lazarus, in der Acad. von Venedig; — Abendmahl, in S. M. Formosa, d rechtes Querschiff; — Predigt Johannes d. T. in S. Giacomo dall’ Orio, e rechtes Querschiff, — und Madonna mit Heiligen, ebenda beim 1. Alt. l.; — Marter der heil. Catharina, im Pal. Pitti; — Assunta, auf dem f Hochaltar von S. Luigi de’ Francesi in Rom. — Endlich in der Pi- g nacoteca von Vicenza: ein grosses halbrundes Präsentationsbild: S. h Marcus und S. Laurentius empfehlen zwei knieende Beamte der Ma- donna; ein vorzügliches Werk, vielleicht von einem der Söhne.) Das Ausleben der venezian. Schule repräsentirt Jacopo Palma giovine (1544 bis um 1628). Ein gewissenloser Maler von grossem Talent. Was er konnte, zeigt seine Auferweckung des Lazarus in der i Abbazia (Cap. hinter der Sacristei). Seine übrigen Arbeiten, von wel- Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig. chen Venedig wimmelt, sind fast lauter Improvisationen. Wer sie durchgeht, wird neben den schnöden, von Tintoretto erborgten Ma- nieren hie und da einen guten Gedanken und schöne Farbenpartien finden, aber als Ganzes lohnen sie diess Studium nicht. — Ungleich ehrlicher war Alessandro Varotari , gen. Padovanino (1590 bis 1650) auf das wahre Ziel der Kunst gerichtet, brachte es aber nicht über die Nachahmung Tizians und Paolo’s hinaus und vermischte mit diesen Studien einen etwas leblosen Idealismus. Immerhin ist a seine Hochzeit von Kana (Academie) ein höchst achtungswerthes und schönes Werk. Noch später stärkten sich einzelne Talente an dem Vorbild Pao- lo’s und brachten zu guter Stunde sehr ansprechende Werke hervor. So Lazzarini, Angeli, Fumiani , auch Tiepolo (st. 1770), wenn er nicht schmiert. Von Fumiani (st. 1710) ist u. a. die unge- b heure Deckenmalerei in S. Pantaleone merkwürdig, welche nicht mehr aus vielen einzeln eingerahmten Bildern, sondern aus Einer grossen Composition mit perspectivischer Anordnung in Pozzo’s Art (S. 387) besteht, übrigens doch nicht al fresco, sondern auf aufgenagelten Tuch- flächen gemalt ist; Thaten und Glorie S. Pantaleons enthaltend. — Pietro Liberi hängt in den Formen schon sehr von Pietro da Cor- tona ab. Sein Schüler war Carlo Lotti (st. 1698). — Von Piaz- zetta’s Genrebildern wie von den Veduten der beiden Canaletti wird man das Beste ausserhalb Venedigs und Italiens suchen müssen. — Von dem brillanten Orbetto (eigentl. Aless. Turchi aus Verona) ist in öffentlichen Galerien und Kirchen nur Weniges vorhanden. Wie die älteste venezianische Malerei in der Marcuskirche, so hat sich die späteste, die der Nachfolger Tizians im Dogenpalast (Räume des zweiten Stockwerkes) verewigt. Die decorative Anord- nung und Einrahmung wurde oben (S. 291) geschildert; hier handelt es sich wesentlich um die Frage: wie die Künstler ihr Gesammtthema: die Verherrlichung Venedigs, auffassten. c Schon im Atrio quadrato empfängt uns Tintoretto mit einem jener Votivbilder (an der Decke), welche den Dogen mit Heiligen und Allegorien umgeben darstellen, wovon unten. — Die perspectivische Ausgang der Schule. Der Dogenpalast. Untensicht, welche wir fortan in den Deckenbildern aller Säle durch- geführt finden werden, ist selbst bei schwebenden Figuren in der Regel keine absolute sondern eine halbe, eine Art von Schiefsicht. Es liess sich schon fragen, ob an Decken überhaupt, ob vollends an flache Decken figürliche Darstellungen gehörten; ferner wenn es durch- aus grosse reiche Compositionen sein sollten, ob nicht die gewöhnliche einfache Vorderansicht und die ideale, strenge Composition den Vorzug verdienten vor diesen künstlich verschobenen und illusionsmässig an- geordneten Gruppen; die irdischen Ereignisse bleiben in solchen Decken- bildern doch unglaublich, und die himmlischen wollen überhaupt anders angeschaut sein als nach dem Massstab der räumlichen (und obendrein für das Einzelne ganz naturalistischen) Wirklichmachung. Genug — innerhalb des Irrthums, welchen alle Maler des Dogenpalastes theilen, giebt es doch grosse Unterschiede, und Paolo wird uns stellenweise sehr zu vergnügen, selbst zu überzeugen wissen. Sala delle quattro porte . Tizians grosses, spätes, noch a herrlich gemaltes Präsentationsbild, ein rechtes Denkmal der Gegen- reformation; der Doge Ant. Grimani vor der in voller Glorie er- scheinenden Fides knieend. — Die Schlachtenmaler dieses und anderer Säle durften durch freie Phantasietrachten und Episoden aller Art das Historische an ihrem Gegenstand völlig in den Schatten stellen. — Die Ceremonienbilder, so wichtige Facta sie darstellen mögen, wie z. B. die Verbindung mit Persien (Empfang der pers. Gesandten, von Carlo Caliari), sind dramatisch ganz gehaltlos. So auch der Empfang Heinrichs III, von Andrea Vicentino. Zu dieser Art von Auffassung gehört der heitere Fleiss eines Carpaccio, dem man um der Detail- schönheit willen die Abwesenheit aller höhern Dramatik gern zu Gute hält. — In Tintoretto’s Deckenbild ergötzt die ceremoniöse Höflich- keit, mit welcher Jupiter die Venezia aus dem götterreichen Olymp zum adriatischen Meer herab führt. Sala dell’ anticollegio . Die vier mythologischen Wand- b bilder Tintoretto’s sind von seinen bestgemalten, aber freudlos ge- dacht, hässlich in den Bewegungen; man sehe, wie Venus zur Krö- nung der Ariadne herbeischwebt. — Jacobs Rückkehr nach Kanaan ist ein wichtiges Haupt- und Urbild derjenigen Palette, aus welcher Jacopo Bassano und die Bassaniden jene Hunderte von ländlichen Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig. Scenen gemalt haben. — Paolo Veronese: der Raub der Europa, schönster Beleg für die venezianische Umdichtung des Mythologischen in eine theils pomphaft theils anmuthig sinnliche Wirklichkeit; das Vorgefühl der seltsamen Abreise, die eilige Toilette, wozu die Putten Blumen und Kränze bringen, bilden einen köstlichen Moment. — An der Decke eine thronende Venezia Paolo’s, al fresco, das einzige po- litische Bild dieses Saales, wo der venez. Staat sonst nur das Schönste verlangt, das im Bereich seiner damaligen Künstler liegt. a Sala del collegio . Tintoretto’s vier grosse Votivbilder von Dogen, welche, meist steinalt, in ihrer halbbyzantinischen Amtstracht vor der Madonna oder Christus knieen und dabei von zahlreichen Heiligen empfohlen werden. Ihre streng ceremonielle Andacht würde besser in Mosaiken passen als in die oft sehr affectvolle und bewegte heilige Gesellschaft, unter welche sich hier und anderswo auch alle- gorische Personen handelnd mischen. Übrigens ist schon das Breit- format dem überirdischen Inhalt nicht günstig; die Visionen müssen zur ebenen Erde herabrücken. — Viel mehr Wärme zeigt an einem dankbarern Gegenstand (hintere Wand) Paolo Veronese; sein Sieger von Lepanto, Seb. Veniero, kommt in hastiger Begeisterung heran, um von seinen Begleitern S. Marcus, Venezia, Fides, S. Justina dem niederschwebenden Christus empfohlen zu werden. — Die sämmtlichen 11 Gemälde und 6 Chiaroscuri der Decke gehören vollends zu P.’s schönsten und frischesten Malereien; hier u. a. wieder eine thronende Venezia mit zwei andern Göttinnen, welche zeigen wie sich P. bei der Untensicht zu helfen wusste; er gewann seinen allerliebsten Fett- köpfchen gerade diejenigen Reize der Bildung und des Helldunkels, welche sich nur hier offenbaren, ganz meisterlich ab. b Sala del Senato . Hier fahren Tintoretto und Palma giov. mit ihren Votivbildern fort; u. a. eine auf Wolken niederschwebende Pietà von 2 Dogen angebetet. — Das Äusserste von Lächerlichkeit leistet Palma’s Allegorie der Liga von Cambray; die Stierreiterin stellt das „verbündete Europa“ vor. — Noch ein Programm der Orthodoxie, von Dolabella: Doge und Procuratoren beten die Hostie an, die auf einem von Geistlichen und Armen umgebenen Altar steht. — Tinto- retto’s Deckenbild zeigt, wie ihn Michelangelo irre gemacht hatte; statt Paolo’s Naivetät und Raumsinn ein wüstes Durcheinanderschweben. — Malereien des Dogenpalastes. ( Vorzimmer der Capelle : gute Bilder von Bonifazio und a Tintoretto; über Tizians S. Christoph s. S. 970, g.) Sala del consiglio de’ Dieci . Grosse, friesartige Cere- b monienbilder von Leandro Bassano, Marco Vecellio und dem Aliense, in dessen „Anbetung der Könige“ Zug, Gepäck und Episoden zwei Drittheile des Raumes einnehmen. Viele sehr schöne Einzelheiten. — An der Decke fehlt das Mittelbild; ringsum die schön gemalten Al- legorien, welche man durchweg dem Paolo zuschreiben möchte, von welchem doch nur der Alte mit dem reizenden jungen Weib herrührt; das Übrige ist von dem wenig genannten Ponchino, gen. Bazzacco. Sala della Bussola . Die Übergaben von Brescia und Ber- c gamo, mit guten Episoden, vom Aliense. — In der Sala de’ capi geringere allegorische Malereien. Noch immer keine römische Geschichte, welche sonst in italieni- schen Rathspalästen so unvermeidlich ist? Es lag ein gerechter und grossartiger Stolz darin, dass man sie im Dogenpalast zu Venedig ent- behren konnte. Sala del maggior consiglio . In den historischen Wand- d bildern wird der Moment (fast lauter Ceremonien und Schlachten) in der Regel durch Accessorien erstickt. Volksgewühl und Handgemenge, ohne irgend ein Liniengefühl und ohne rechte Naivetät vorgetragen, ermüden den Blick sehr bald. Auch der Kunstverderber Federigo Zuccaro hat sich hier eingedrängt. — Tintoretto’s colossales Paradies galt damals gewiss für schöner als Michelangelo’s Weltgericht und ist jedenfalls viel mehr werth als die Kuppelmalerei des Domes von Flo- renz. Allein der Realismus dieser Gestalten ist mit ihrer voraus- gesetzten Coexistenz im Raume ganz unverträglich; Alles ist dermassen angefüllt, dass auch die fernste Tiefe wieder eine ziemlich nahe Wand von Gesichtern zeigt. Um lauter Lebendiges zu geben, beschränkte T. die Wolken auf das Nothwendigste und liess seine Heiligen in einer Art schweben, baumeln, auf dem Mantel oder auf gar nichts lehnen und liegen, dass dem Beschauer in ihrem Namen schwindlich wird; die fliegenden Engel wirken wahrhaft wohlthätig daneben. Die Composition zerstreut sich in lauter Farben- und Lichtflecke, und nimmt nur in der Mitte einen bessern Anlauf. Aber die grosse Menge vorzüglicher Köpfe, meist auf dem hellen Grunde ihres Nimbus, geben B. Cicerone. 63 Malerei des XVI. Jahrhunderts. Die Manieristen. diesem Werke immer einen hohen Werth. — Von den drei grossen Deckenbildern werden die des Tintoretto und Palma giov. weit über- troffen von demjenigen des Paolo: Venezia, vom Ruhme gekrönt. Schon die Untensicht und die bauliche Perspective sind weit sorg- fältiger gehandhabt; dann hat P. das Allegorische und Historische auf die obere Gruppe beschränkt, wo seine Wolkenexistenz in Linien und Farben ganz harmonisch mit der Architektur in Verbindung ge- bracht ist; auf der untern Balustrade sieht man nur schöne Frauen, weiter unten zwei wachthabende Reiter und Volk, als Zuschauer der himmlichen Ceremonie; höchst weislich sind zwei grosse Stücke Him- mel frei gelassen, ein Athemschöpfen, das Tintoretto dem Beschauer nirgends gönnt; endlich hat Paolo seinem heitern Schönheitssinn einen wahren Festtag bereiten wollen, dessen Stimmung unfehlbar auf den Beschauer übergeht. a Sala dello Scrutinio . Nichts von Bedeutung als das Welt- gericht des jüngern Palma, und auch dieses nur der Farbe halber. Als Ganzes offenbar das Werk allmäliger, wechselnder Entschlüsse, bildet diese Decoration immerhin ein Unicum der Kunst. Ob der Geist, welcher uns daraus entgegenweht, ein vorherrschend wohl- thuender ist, und ob die damalige Kunst im Namen der wunderbaren Inselstadt nicht eher eine andere Sprache hätte reden müssen, darüber mag die Empfindung eines Jeden entscheiden. Im Grossen und Ganzen war die Malerei, mit Ausnahme der ve- nezianischen Schule, schon in kenntlicher Ausartung begriffen etwa vom Jahr 1530 an; ja es liesse sich behaupten, dass nach Rafaels Tode kein Kunstwerk mehr zu Stande gekommen, in welchem Form und Gegenstand ganz rein in einander aufgegangen wären; selbst die spätern Werke der grössten Meister imponiren eher durch alle andern Vorzüge als gerade durch diesen, wie schon oben mehrfach angedeu- tet wurde. Die Schüler der grossen Meister traten nun in das verhängniss- volle Erbe derselben ein. Sie bekamen die Kunst unter früher nie Äussere Bedingungen des Manierismus. erhörten Bedingungen in die Hände; alle zünftige und locale Gebun- denheit hatte aufgehört; jeder Grosse und jede Kirchenverwaltung verlangten für ihre Gebäude einen monumentalen Schmuck von oft ungeheurem Umfang und in grossem Styl. Aufgaben, zu welchen eben Rafael und Michelangelo mit Aufwand aller ihrer Kräfte hin- gereicht hatten, gelangten jetzt bisweilen an den Ersten Besten, wur- den auch wohl das Ziel, nach welchem Ehrgeiz und Intrigue um die Wette rannten. Den wahren Höhegrad des jetzt zur Mode gewordenen Kunst- sinnes sahen die klügern Künstler ihren Gönnern sehr bald ab. Sie bemerkten, dass die Herren vor Allem rasch und billig bedient sein wollten und richteten sich auf Schnelligkeit und die derselben an- gemessenen Preise ein. Sie sahen auch recht wohl, dass man an Michelangelo weniger das Grosse, als die phantastische Willkür und ganz bestimmte Äusserlichkeiten bewunderte und machten ihm nun dieselben nach wo es passte und wo nicht. Ihre Malerei wird eine Darstellung von Effekten ohne Ursachen, von Bewegungen und Muskel- anstrengungen ohne Nothwendigkeit. Endlich richteten sie sich auf Das ein, was die meisten Leute von jeher in der Malerei vorzüglich geschätzt haben: auf Vieles, auf Glänzendes und auf Natürliches. Dem Vielen genügten sie durch Vollpfropfen der Gemälde mit Figuren, auch mit ganz müssigen und störenden; dem Glänzenden durch ein Colorit, das man ja nicht nach dem jetzigen Zustande der meisten betreffenden Bilder beurtheilen darf, indem ehemals eine freundliche Farbe mit hell oder changeant aufgetragenen Lichtern neben der an- dern sass. Das Natürliche endlich wurde theils durch grundprosaische Auffassung und Wirklichmachung des Vorganges, theils durch ganz naturalistische Behandlung einzelner Theile erreicht, welche dann neben dem übrigen Bombast beträchtlich absticht. — Der grösste Jammer aber ist, dass manche der betreffenden Künstler, sobald sie nur woll- ten oder durften, den echten Naturalismus und selbst ein harmonisches Colorit besassen, wie namentlich ihre Bildnisse beweisen. Eine Zeitlang verlangte die Mode lauter Gegenstücke zum jüngsten Gericht , und es entstanden jene Gewimmel nackter (oder enggekleideter) Figuren, die in allen möglichen und unmöglichen Stellungen auf einem Raum, der sie nicht zum dritten Theil beher- 63* Malerei des XVI. Jahrhunderts. Die Manieristen. bergen könnte, durcheinander stürzen. Gemässigt, räumlich denkbar und zum Theil edel ist von diesen Bildern am ehesten Daniel da a Volterra’s Kindermord (Uffizien in Florenz) zu nennen, und bei b Bronzino’s „Christus in der Vorhölle“ * An dem Bilde desselben Inhaltes im Pal. Colonna zu Rom, welches ebenfalls dem B. zugeschrieben wird, müsste jedenfalls die Jahrzahl 1523 falsch sein, wenn sie sich darauf befindet. Es beruht erst auf dem Weltgericht. — Eher von Marc. Venusti? wird man wenigstens den Müssiggang und die Überfülle so vieler gewissenhaft studirter nackter Form beklagen; anderes der Art ist aber vollkommen unleidlich, zu- mal durch Vermischung mit Reminiscenzen aus dem jüngsten Gerichte selbst. — So insgemein die Stürze der Verdammten, die Hinrichtungen c der 40 Märtyrer Ein Sujet, für welches jener verlorene Carton des Perin del Vaga einen be- geisterten Wetteifer geweckt haben muss. — In der Sacramentscapelle zu ** S. Filippo Neri in Florenz ein Bild der Art von Stradanus. , die Marter des heil. Laurentius (grosses Fresco Bronzino’s im linken Seitenschiff von S. Lorenzo in Florenz), die Darstellungen der ehernen Schlange, u. A. m. Auch der Bildhauer d Bandinelli concurrirte und liess Paradiesbilder nach seinen Ent- würfen malen (Pal. Pitti). In der Folge bekam die grosse und freche Improvisation histo- rischer, sowohl biblischer als profaner Gegenstände einen wahren Schwung. Man malte Alles was verlangt wurde und versetzte das Historische mit Allegorie und Mythologie ohne alles Mass. Vasari (1512—1574), bei grosser Begabung beständig bemüht, dem Geschmack seiner Leute zuvorzukommen, in der Ausführung so sauber und or- dentlich als man bei gewissenloser Schnellproduction sein kann, tritt wenigstens die einfachsten Gesetze der Kunst noch nicht geflissentlich e mit Füssen (Fresken in der Sala regia des Vaticans; Gastmahl des f Ahasverus in der Academie zu Arezzo; Abendmahl in S. Croce zu Florenz, Cap. del Sagramento; andere Bilder in ders. Kirche, die unter seiner Aufsicht ihre meisten jetzigen Altargemälde erhielt; Mehreres g in S. Maria novella; sehr gedankenlos die zahllosen Malereien im h grossen Saale des Pal. vecchio). — Auch sein Genosse Francesco Salviati (1510—1563) hat bei aller öden Manier (Fresken der Sala i d’Udienza im Pal. vecchio) noch einen gewissen Schönheitssinn, der Vasari; die Zuccari; Arpino etc. ihn vom Schlimmsten zurückhält. — Ganz im Argen liegen erst die Brüder Zuccaro, Taddeo (1529—1566) und Federigo (st. 1609), indem sie den grössten systematischen Hochmuth mit einer bei ihrer Bildung wahrhaft gewissenlosen Formliederlichkeit verbinden. Erträg- lich und bisweilen überraschend durch Züge grossen Talentes in ihren Darstellungen der Zeitgeschichte (vordere Säle im Pal. Farnese zu a Rom; Sala regia des Vaticans; Schloss Caprarola mit der farnesischen b Hausgeschichte) werden sie in ihren unergründlichen (weil literarisch erarbeiteten) Allegorien (Casa Bartholdy in Rom, und Domkuppel zu c Florenz) komisch bedauernswerth. — Ein anderer grosser Entrepre- neur, hauptsächlich für Rom und Neapel, war in der spätern Zeit des XVI. Jahrh. der Cavaliere d’Arpino (eigentl. Giuseppe Cesari, geb. um 1560, st. 1640); nicht barock, aber mit einer seelenlosen allge- meinen Schönheit oder Eleganz behaftet, die nur selten (Cap. Olgiati d in S. Prassede zu Rom; Zwickelbilder der Cap. Pauls V in S. Maria e maggiore) einer edlern Wärme Platz macht. — Die Mitstrebenden dieser vielbewunderten Meister haben vorzüglich in Rom eine unglaub- liche Menge von Fresken hinterlassen. — Von dem ältern Tempesta und Roncalli dalle Pomarance rühren z. B. die vielen gräss- lichen Marterbilder in S. Stefano rotondo her, merkwürdig als Beleg f dessen, was die Kunst sich wieder von Tendenzgegenständen musste aufbürden lassen, seitdem sie sich selbst erniedrigt hatte. — Von Cir- cignani-Pomarancio, Paris Nogari, Baglioni, Baldas- sare Croce (die 2 grossen Seitenbilder in S. Susanna) enthält fast g jede Kirche die alt genug ist, irgend etwas, das man nur sieht um es baldigst wieder zu vergessen. Denn was nicht empfunden ist, kann auch nicht nachempfunden werden und prägt sich dem Gedächtniss nur äusserlich und mit Mühe ein. Bisweilen entschädigt der mehr decorative Theil, z. B. Füll- und Tragefiguren, den Sinn einigermassen. In Neapel ist einer der besten Manieristen dieser Zeit Simone Papa d. jüng. (Fresken im Chor von S. Maria la nuova). Auch der h stets rüstige, oft wüste Improvisator Belisario Corenzio (überall); der ältere Santafede (Deckenbild in S. Maria la nuova, andere i Deckenbilder von ihm und der ganzen Schule besonders im Dom); k der jüngere Santafede (Auferstehung in der Capelle des Monte di Pietà, gegenüber der Assunta des Ippolito Borghese, beides Haupt- l Malerei des XVI. Jahrhunderts. Die Manieristen. a bilder); Imparato (Dom und S. M. la nuova) u. a. geben zusammen das Bild einer zwar entarteten, aber von der michelangelesken Nach- ahmung nur wenig angesteckten Schule; es fehlt zwar im Componiren an Mässigung und im Ganzen an höherm Geist, allein auch die falsche Bravour fehlt, und die Verwilderung ist keine so unwürdige wie in Rom und anderwärts. Arpino, der eigentlich mit in diese Reihe ge- hört, machte sich es nur zu leicht. — Der einzige Michelangelist, b Marco da Siena , kam von aussen. Seine Bilder im Museum sind meist äusserst widrig; die angenehmern Seiten, namentlich ein brillan- c tes Colorit, entwickelt er in dem „ungläubigen Thomas“ (Dom, 2. Cap. d links) und in der Taufe Christi (S. Domenico maggiore, 4. Cap. r.). ( Cola della Matrice malte noch um 1550 in der Art des XV. e Jahrh.; ein Bild in der Galerie des Capitols.) Ehe wir den Apennin überschreiten, ist es auch in Betreff der bis jetzt Genannten und einiger ihrer Zeitgenossen eine Forderung der Billigkeit, der guten und selbst sehr vorzüglichen Leistungen zu ge- denken. Dieselben beginnen da wo der falsche Pompstyl aufhört. Von der florentinischen Schule, hauptsächlich von den grossen Porträtmalern Bei diesem Anlass mag der bedeutenden Sammlung von Miniaturporträts in * Öl gedacht werden, welche zu Florenz theils in den Uffizien (Säle rechts von ** der Tribuna) theils im Pal. Pitti (Durchgang zu den hintern Zimmern der Galerie) immer mehrere zusammen eingerahmt sich vorfinden. Sie geben eine reiche Übersicht dieser ganzen Kunstgattung für die Zeit von 1550 bis 1650. Es lassen sich Deutsche und Venezianer des XVI. Jahrh., Niederlän- der und Florentiner des XVII. Jahrh. wohl ausscheiden von der dabei am meisten vertretenen Richtung des Bronzino und Scipione Gaetano. — Eine † kleine Sammlung auch im Pal. Guadagni. Bronzino und Pontormo ging fortwährend ein belebender Strahl nach dieser Richtung aus. Die Bildnisse Vasari’s f (sein Haus Jetzt Casa Montauti. in Arezzo; Uffizien und Academie in Florenz) und der g beiden Zuccaro (Pal. Pitti und ein Zimmer in Casa Bartholdy zu Rom, wo die sämmtlichen Mitglieder der Familie in Lunetten al fresco gemalt sind) sind in der Auffassung fast ganz naiv und in der Aus- führung wahr. Dem Federigo gelingt auch auf dem idealen Gebiet Die bessern Leistungen. etwa ein phantastisch schöner Wurf (der todte Christus, von Fackel- a haltenden Engeln beweint, im Pal. Borghese zu Rom), natürlich nur in sehr bedingter Weise. Santi di Tito ist sogar als Historien- maler in dieser Zeit fast ohne Affektation, ja ein einfacher Mensch geblieben. (Mehrere Altarblätter bes. in S. Croce zu Florenz; der b Engelreigen über dem Hauptportal im Dom etc.; der 1. Altar in S. c Marco rechts; Antheil an den Lunetten des grossen Klosterhofes bei d S. Maria novella etc.). Wir werden an diesen Namen wieder an- knüpfen müssen bei der Herstellung der florentin. Malerschule, welche nach den bösen Jahrzehnden 1550—1580 beginnt. Unter den Römern ist Pasquale Cati von Jesi (grosses Fresco in S. Lorenzo in Pa- e nisperna zu Rom) gewissermassen ein naiver Michelangelist, Sicio- lante da Sermoneta (Christi Geburt, in S. Maria della Pace zu f Rom; Taufe Chlodwigs, in S. Luigi, 4. Cap. rechts) ebenfalls inner- g lich wahr und gemässigt. Dann arbeitete in Rom der aus obiger na- politanischer Reihe stammende Scipione Gaetano , dem es in seiner Beschränktheit immer ein solcher Ernst ist, dass eine Anzahl ganz vortrefflich naiver, wenn auch etwas harter Porträts zu Stande kamen (vatican. Biblioth.; Pal. Colonna etc.). In idealen Gegenständen h (heil. Familie, Pal. Borghese; Vermählung der heil. Catharina, Pal. i Doria; Mariä Himmelfahrt, linkes Querschiff von S. Silvestro di Monte k cavallo) ist er nach Vorzügen und Mängeln seiner heimischen Schule verwandt und erfreut durch ein saftiges Colorit. Sogar eine ganze Schule, diejenige von Siena , ist vorherrschend wahr und lebendig geblieben; ein nobler Naturalismus, der seinen An- halt an Andrea del Sarto und Sodoma sucht, beseelt die bessern Werke eines Francesco Vanni (1565—1609; in S. Domenico zu Siena l alles was in der Catharinencapelle nicht dem Sodoma angehört; in S. M. di Carignano zu Genua, Alt. r. neben d. Chor, die letzte Com- m munion der heil. Magdalena, etc.), eines Arcangelo und Ventura Salimbeni (Fresken im Chor des Domes von Siena mit den Ge- n schichten der heil. Catharina und eines heil. Bischofs; im Unterraum von S. Caterina das 2. Bild, r.), eines Domenico Manetti , u. A. m. o Viele der genannten Maler verschiedener Schulen waren mehr oder weniger influenzirt von einem merkwürdigen, meist abseits in seiner Heimath Urbino lebenden Meister, Federigo Baroccio Malerei des XVI. Jahrhunderts. Die Manieristen. (1528—1612). Seine geschichtliche Bedeutung liegt darin, dass er die Auffassungsweise Coreggio’s, als dessen eigene parmesanische Schule sie aufgegeben hatte, bis zum Auftreten der Bologneser fast allein mit Eifer vertrat; freilich genügte seine Begabung dazu keines- weges ganz, und neben echtem Naturalismus und einer wahren Be- geisterung für sinnliche Schönheit muss man sich mancherlei affectirte Mienen und Geberden, glasartige Farben, und ein hektisches Roth an den beleuchteten Stellen der Carnation gefallen lassen. Das schönste a Bild, so ich von ihm kenne, ist der Crucifixus mit Engeln, S. Se- bastian, Johannes und Maria, im Dom von Genua (Cap. rechts vom Chor); — das fleissigste und grösste die „Madonna als Fürsprecherin b der Kinder und Armen,“ in den Uffizien, mit vortrefflichen genrearti- c gen Partien; — das „Noli me tangere“ in der Gal. Corsini zu Rom d und (kleiner) in den Uffizien hat ebenfalls noch eine wahre Naivetät. e — Wogegen die meisten Bilder in der vatican. Galerie und die übrigen in den Uffizien zu den affectirtern gehören; in dem Porträt des Herzogs Guidobaldo II von Urbino konnte gerade B. die kleinliche Hübschheit f und den kriegerischen Aufputz gut wiedergeben. (Uff. und bei Ca- g muccini in Rom.) — Grosse bewegte Kreuzabnahme im Dom von Pe- rugia (rechts). — Die neuflorentinische Schule, von welcher unten die Rede sein wird, schloss sich wesentlich an Baroccio an. In Genua war der Manierismus schon bei den Schülern des Perin del Vaga in vollem Gange. Giov. Batt. Castello, Calvi , die jüngern Semini , auch der etwas bessere Lazzaro Tavarone geriethen ob dem beständigen Fassadenmalen (S. 293) in eine wahre Verstockung; sie bilden einen ganz besonders ungeniessbaren Ableger der römischen Schule. — Ihnen gegenüber stand der einsame Luca Cambiaso (1527—1580 od. 85) der aus eigenen Kräften, ohne Mo- retto und Paolo Veronese zu kennen, ein ähnliches Resultat erreichte: einen gemüthlich veredelten Naturalismus, der auch für den Ausdruck des höhern Seelenlebens ein würdiges Gefäss sein konnte. Sein stets gedämpftes Colorit ist harmonisch und klar; erst in der spätern Zeit, da auch seine Naivetät erlahmte, wird es dumpfer. Seine Madonna ist eine echte, liebenswürdige Genueserin ohne ideale Form, das Kind immer naiv und schön bewegt, die Heiligen voll innigsten Ausdruckes; Altarbilder dieser Art sind in der Regel ein Stück Familienscene, hei- Baroccio. Genuesen. Mailänder. ter ohne Muthwillen. (Dom von Genua: Altar des rechten Querschiffes: a Madonna mit Heiligen; Cap. links vom Chor: sechs Bilder; 3. Alt. r.: S. Gothardus mit Aposteln und Donatoren. — Pal. Adorno: Madonna b im Freien sitzend mit 2 Heiligen. — Uffizien: Madonna als junge c Mutter sich auf das Kind niederneigend.) — Seine ganze Kraft aber hat C. zusammengenommen in der grossen Grablegung (S. M. di Ca- d rignano, Altar links unter der hintern linken Nebenkuppel). Ruhig, ohne alles wilde Pathos, ohne Überfüllung, entwickelt sich der Mo- ment in edeln, energischen Gestalten von tiefinnerlichem Ausdruck; eine frische Oase in der Epoche der Bravour und der Süsslichkeit. — In bewegten Scenen kann der Meister schon wegen des mangelnden Raumgefühls nicht genügen; zudem sind dieselben meist aus seiner spätern Zeit. (Drei Bilder im Chor von S. Giorgio; — Transfigura- e tion und Auferstehung in S. Bartolommeo degli Armeni.) — Seine mythologischen u. a. decorativen Malereien in den Hallen genuesischer Paläste und in S. Matteo (die Putten an den Gewölben) stehen we- f nigstens um ein Beträchtliches höher als die Arbeiten der Schulge- nossen; zwei mytholog. Bilder im Pal. Borghese zu Rom. Von der g schön gebauten Gruppe der Caritas (Berliner Museum) eine Copie von der Hand des Capuccino im Pal. Brignole zu Genua. — Wer die edle h Persönlichkeit des Mannes will kennen lernen, suche im Pal. Spinola i (Str. nuova) das Doppelporträt auf, in welchem er, sich selbst malend, vor der Staffelei abgebildet ist. Im übrigen Oberitalien sind die in diese Zeit fallenden Mitglieder der Malerfamilie Campi von Cremona dem Verfasser nur aus den Bildern der Brera in Mailand bekannt, wonach sie über das Vermö- k gen eines Vasari und Salviati kaum hinauskamen; — Calisto Piazza von Lodi (S. 978) erscheint in den Bildern derselben Sammlung doch nur als ein edlerer Manierist; — unter den Manieristen von Mailand selbst ist Enea Salmeggia , gen. Talpino, immer sorgfältig, bisweilen schön und zart, meist aber zaghaft und kraftlos (Bilder ebenda); — die drei ältern Procaccini dagegen, Ercole geb. 1520, Camillo geb. 1546, Giulio Cesare geb. 1548, höchst resolut, im Einzelnen brillant, im Ganzen wild überladen; sie bilden den Übergang zu der mailän- dischen Schule des XVII. Jahrh., welche mit Ercole Procaccini dem Malerei des XVI. Jahrhunderts. Die Manieristen. Jüngern, Nuvolone und den beiden Crespi eine eigenthümliche Vol- lendung erreicht. In Ferrara geht die ältere Schule in den Manierismus über mit Bastianino (1532—85), einem schwachen Nachahmer des Michel- a angelo; Certosa, Querschiff rechts: die Kreuzerhöhung; — Ateneo: b Madonna mit Heiligen, Verkündigung. — Von Dosso’s Schülern gehört c hieher: Bastarolo (st. 1589); Bilder im Gesù, erster Altar rechts: Verkündigung, erster Altar links: Crucifixus. — Ausserdem der platte d Nic. Roselli ; Altarbilder der Certosa. — Der begabteste, bisweilen angenehm phantastische Manierist von Ferrara war aber Scarsellino , e von welchem in S. Benedetto eine ganze Anzahl von Bildern und in f S. Paolo die Fresken fast sämmtlicher Gewölbe herrühren; in der Halbkuppel des Chores eine grosse, interessante Himmelfahrt des Elias g in einer Landschaft. In den Uffizien: ein vornehmes Kindbett, etwa der Elisabeth, in der Art des Fr. Franck und M. de Vos. Manches h in der Gal. von Modena. In Bologna ist zunächst die sehr bedeutende Kunstübung merk- würdig, welche von Bagnacavallo und Innocenzo da Imola an quanti- tativ beträchtlich zunimmt. Erquickliches wird man freilich aus dieser Zeit wenig finden; doch ist den meisten der betreffenden Maler eine saubere Genauigkeit eigen, welche für jede Schule ein werthvolles Erbe heissen darf, weil sie eine gewisse Achtung der Kunst vor sich selber beweist. Es mag genügen, einige der bessern Bilder zu nen- i nen. Von Lorenzo Sabbatini (st. 1577): in der vierten Kirche bei S. Stefano (S. Pietro e Paolo genannt), links neben dem Chor: Madonna mit Heiligen. — Von Bart. Passerotti (st. 1592): in k S. Giacomo maggiore, fünfter Altar rechts: thronende Madonna mit fünf Heiligen und Donator. — Von Prospero Fontana (1512—1597): l in S. Salvatore das Bild der dritten Cap. rechts; in der Pinacoteca m eine gute Grablegung; in S. Giac. magg., sechster Altar rechts, die Wohlthätigkeit des heil. Alexius. — Von seiner Tochter Lavinia ein n Bild in der Sacristei von S. Lucia. — Von Dionigi Calvaert aus o Antwerpen (st. 1619): ai Servi, vierter Altar rechts, grosses Paradies. p — Von Bart. Cesi (1556—1629): Bilder hinten im Chor von S. Do- q menico, und in S. Giacomo magg., erster Altar links im Chorumgang. — Von den Genannten, sowie von Sammachini, Naldini u. A. Ferraresen und Bolognesen. Bilder in der Pinacoteca. (Über Laureti vgl. S. 964.) — Sie alle a überragt der schon als Baumeister (S. 347) genannte Pellegrino Tibaldi (1527—1591), welchen die Caracci als den wahren Reprä- sentanten des Überganges von den grossen Meistern auf ihre Epoche anerkannten. Er ist einer von den Wenigen, welche dem emsigen Naturstudium treu blieben und die Formen nicht aus zweiter Hand produciren wollten; seine Fresken im untern Saal der Universität ent- b halten u. a. jene vier nackten, auf bekränzten Balustraden sitzenden Füllfiguren, deren Trefflichkeit neben den mythologischen Hauptbil- dern wunderbar absticht; — das grosse Fresco in S. Giacomo mag- c giore aber (Cap. am rechten Querschiff) ist auch in der Verwirklichung eines bedeutenden symbolischen Gedankens („Viele sind berufen, We- nige auserwählet“) beinahe grossartig zu nennen; von den Fresken in der Remigiuscapelle zu S. Luigi de’ Francesi in Rom (vierte Ca- d pelle rechts) gehört ihm das schon manierirtere Deckenbild; die Wand- bilder mit Chlodwigs Heerzug und Eidschwur sind von Sermoneta und Giac. del Conte. Für Ravenna ist Luca Longhi zu nennen, der bisweilen noch in der Art der bolognesischen Nachahmer Rafaels (S. 940) an die beste Zeit erinnert, öfter aber sich in’s Süsse und Schwache neigt. (Refec- torium der Camaldulenser in Ravenna: grosse Hochzeit von Cana.) e Seit den 1580er Jahren beginnt der Manierismus einem neuen, bestimmten Styl zu weichen, der schon als geschichtliche Erscheinung ein hohes Interesse hat. Der Geist der Gegenreformation, welcher da- mals den weiträumigen, prachtvollen Kirchentypus des Barockstyles hervorbrachte, verlangt zugleich von der Malerei eine möglichst auf- regende, eindringliche Behandlung der heiligen Gegenstände; einen höchsten Ausdruck himmlischer Herrlichkeit und frommen Sehnens danach, verbunden mit populärer Begreiflichkeit und lockendem For- menreiz. Bei Anlass der Sculptur, welche 50 Jahre später den Bahnen der Malerei folgte, wurden vorläufig (S. 692) die wesentlichen Mittel Moderne Malerei. Naturalismus und Eklekticismus. dieser modernen Kunst hervorgehoben: der Naturalismus in den Formen sowohl als in der ganzen Auffassung des Geschehenden (Wirk- lichkeit) und die Anwendung des Affectes um jeden Preis. Auf diesen ihren geistigen Inhalt hin werden wir im Folgenden die Ma- lerei von den Caracci bis auf Mengs und Batoni zu prüfen haben und zwar als ein — wenn auch vielgestaltiges — Ganzes. Wo die Kunst so in die Breite geht wie hier, wäre eine Einzelcharakteristik der Ma- ler die Sache eines umfangreichen Buches; wir müssen uns damit be- gnügen, die wichtigern unter den Tausenden in einer vorläufigen Über- sicht zu nennen. Nicht eine Anleitung zur speciellen Kennerschaft, sondern die Feststellung anregender Gesichtspunkte für diese Periode überhaupt muss unser Zweck sein. In den auf die Übersicht folgen- den fragmentarischen Bemerkungen wird wenigstens jedes Hauptwerk bei irgend einem Anlass vorkommen, allerdings oft in beschränkendem Sinn, in nachtheiliger Parallele mit den Werken der goldenen Zeit. Dass diess nicht geschieht um Missachtung zu erwecken, oder gar um von der Betrachtung der betreffenden Werke abzulenken, wird man beim Durchlesen des Ganzen inne werden. Irgend eine syste- matische oder gar eine sachliche Vollständigkeit ist hier nicht zu ver- langen. Die Anfänger der neuen Richtung sind theils Eklektiker , theils Naturalisten im besondern Sinne. — Die Beseitigung der unwah- ren Formen und der conventionellen Ausdrucksweisen schien dieser doppelten Anstrengung zu bedürfen: eines Zurückgehens auf die Prin- cipien der grossen Meister der goldenen Zeit und einer völligen Hin- gebung an die äussere Erscheinung. Der Eklekticismus enthält einen innern Widerspruch, wenn man ihn so auffasst, als sollten die besondern Eigenthümlichkeiten eines Michelangelo, Rafael, Tizian, Co- reggio in Einem Werke vereinigt werden; schon das Verfolgen und Nachahmen der Eigenthümlichkeiten einzelner grosser Meister hatte ja eben die Manieren hervorgerufen, denen man entfliehen wollte. Allein im Sinne eines allseitigen Studiums aufgefasst war er höchst nothwendig. In der neuen Schule von Bologna ist denn auch die Aneignung der Principien der grossen Vorgänger fast von Anfang an eine har- monische und verständige. Es giebt Bilder derselben, welche in der Die Caracci und ihre Schule. Art des Paolo Veronese, des Tizian gemalt sind, und von Coreggio ist sie mit sammt vielen abgeleiteten Schulen dauernd abhängig, allein diess Verhältniss erstreckt sich nur ausnahmsweise bis in die vollständige Reminiscenz und sinkt nie bis zur seelenlosen Ausbeutung. Die Stifter waren Lodovico Caracci (1555—1619) und seine Neffen Annibale (1560—1609) und Agostino (1558—1601), der letztere mehr durch seine Kupferstiche als durch Gemälde einflussreich. Annibale ist es vorzüglich, durch welchen der neue Styl seine Herr- schaft über Italien gewann. Unter ihren Schülern ist der gewissenhafteste Domenichino (eigentlich Domenico Zampieri, 1581—1641), der am Höchsten be- gabte Guido Reni (1575—1642); ausserdem Francesco Albani (1578—1660); der freche Giov. Lanfranco (1581—1647); Giac. Cavedone (1577—1660); Alessandro Tiarini (1577—1658); der Landschaftmaler Giov. Franc. Grimaldi u. A. Schüler des Albani: Gio. Battista Mola; Pierfrancesco Mola; Carlo Cignani; Andrea Sacchi , welcher nach der Mitte des XVII. Jahrh. die letzte römische Schule gründete und u. a. den Carlo Maratta (1625—1713) zum Schüler hatte. Schüler des Guido Reni: Simone Cantarini gen. Simone da Pesaro; Giov. Andrea Sirani und dessen Tochter Elisabetta Sirani; Gessi; Canuti; Cagnacci u. A. Nur kurze Zeit war Guercino (Giov. Francesco Barbieri, geb. 1590 zu Cento, wo noch bedeutende Malereien von ihm sind, st. 1666) in der Schule der Caracci gewesen; er verschmolz später ihre Prin- cipien mit denjenigen der Naturalisten. — Unter seinen Schülern sind Mehrere des Namens Gennari , darunter Benedetto der bedeutend- a ste. (Gal. von Modena.) Bei einem andern Schüler der Caracci, Lionello Spada (1576 bis 1621), hat die naturalistische Art im engern Sinn die Oberhand (Gal. von Parma und Modena); — ähnlich bei Bartol. Schedone b oder Schidone von Modena (st. jung 1615), der sich Anfangs be- sonders nach Coreggio gebildet hatte. (Gal. von Parma.) c Ein mittelbarer Schüler der Caracci, vermuthlich durch Domeni- chino, ist Sassoferrato (eigentlich Giov. Battista Salvi, 1605—1685), ein Eklektiker in ganz anderm Sinne als alle Übrigen. Moderne Malerei. Mailänder. Mit Cignani und Pasinelli geht die bolognesische Schule in das allgemeine Niveau hinüber, welches gegen 1700 die ganze Malerei umfasst. Von den andern Schulen Italiens ist keine ganz unberührt ge- blieben von der bolognesischen Einwirkung, so sehr man sich z. B. in Florenz dagegen wehrte. Zu den eklektischen Schulen wird zunächst gerechnet: die mai- ländische . Aus der Familie der Procaccini gehört hieher Ercole der Jüngere; aus ihrer Schule: Giov. Batt. Crespi , gen. Cerano ; dessen Sohn Daniele Crespi; Pamfilo oder Pompilo , gen. Nu- volone aus Cremona u. A. In Ferrara malte Carlo Bonone (1569—1632), ausschliess- lich angeregt von den Caracci. Wir werden ihn kennen lernen als eine der schönstgestimmten Seelen jener Zeit. Sodann die florentinische Schule, welche zum Theil von ihrer eigenen bessern Zeit her einen höhern Zug gerettet hatte (Santi di Tito, S. 999), auch mit Bewusstsein auf Vorgänger wie A. del Sarto zurückging und dann einen bedeutenden neuen Anstoss durch Baroccio erhielt. — Ihre Richtung ist eine wesentlich andere als die der übrigen gleichzeitigen Schulen; in der Composition ist sie princip- loser und oft überfüllt, in den Farben saftig glänzend und bunt, ob- wohl die Bessern bisweilen eine sehr bedeutende Harmonie erreichen; ihre Hauptabsicht geht auf sinnliche Schönheit; dagegen bleibt ihr der Affect fast völlig fremd. Da wir desshalb ihre Werke nur ausnahms- weise wieder werden zu nennen haben, so mögen hier bei jedem Maler die wichtigsten Kirchenbilder gleich mit angeführt werden; von den übrigen, in den florentinischen Galerien, wird man das Werthvollste leicht finden. Alessandro Allori (1535—1607), der Neffe Bronzino’s, noch a halb Manierist. (In S. Spirito, ganz hinten: die Ehebrecherin; in der b Sacristei: ein Heiliger Kranke heilend; — Chor der Annunziata, erste c Nische links: Mariä Geburt, 1602; — S. Niccolò, rechts vom Portal: Opfer Abrahams). — Ebenso Bernardino Poccetti (1542—1612), welcher S. 290 als Decorator genannt worden ist. Er war nebst Santi Florentiner. di Tito ein Hauptunternehmer jener Lunettenfresken in den florentini- schen Klosterhöfen, meist legendarischen Inhaltes. (Chiostro von a S. Marco; — erster Hof rechts bei den Camaldulensern agli angeli; b — erster Hof links bei der Annunziata, theilweise von ihm; — Chiostro c grande, der hinterste links, bei S. Maria novella, theilweise von ihm; d — grössere Wandfresken im Hof der Confraternita di S. Pietro mar- e tire). Aufgaben, an welchen auch die unten zu nennenden oft Theil nah- men und sich bildeten. Verglichen mit den Malereien der bologn. Chiostri (z. B. S. Francesco oder ai Servi in Bol.), welche so ungleich besser f componirt, so viel unbefangener und meisterhafter gezeichnet sind, behaupten sie doch einen gewissen Vorzug durch das Gemüthliche und Affectlose, sowie durch den grössern Reichthum der Individuali- sirung. — (Wobei immer die drei schönen Lunettenbilder Domeni- chins in der äussern Halle von S. Onofrio zu Rom als das Trefflichste g auszunehmen sein werden.) — Ausserdem von P. ausgemalt ein ganzer h Saal im Hôtel des îles britanniques. — In S. Felicita, erster Altar i links, die Assunta. — Jac. Ligozzi : Hauptantheil an den Lunetten k im Chiostro von Ognissanti; — S. Croce, Cap. Salviati, links am lin- l ken Querschiff: Marter des heil. Laurentius; — S. M. novella, sechster m Altar rechts, Erweckung eines Kindes. — Jac. (Chimenti) da Em- poli (1554—1640), in der Erzählung nirgends bedeutend, wie die Malereien im vordern Saal des Pal. Buonarroti beweisen, ist im Individua- n lisiren der edelste und würdigste dieser Schule. Hauptbild im rechten Querschiff von S. Domenico zu Pistoja: S. Carlo Borromeo als Wun- o derthäter, umgeben von Mitgliedern des Hauses Rospigliosi; — Meh- reres im Chor des Domes von Pisa; — S. Lucia de’ magnoli in Flo- p renz, zweiter Altar links: Mad. mit Heiligen; — Annunziata, Chor, q dritte Nische rechts. U. s. w. — Lodovico Cardi, gen. Cigoli (1559 bis 1613), der beste Colorist und Zeichner der Schule, dessen Werke denn auch grösstentheils in die florentinischen Galerien übergegangen sind. — Von den Altären in S. Croce gehört ihm der sechste rechts, r Christi Einzug in Jerusalem, und die Trinität am Eingang ins linke Querschiff. — Von seinem Schüler Ant. Biliverti u. a. die grosse Vermählung der heil. Catharina sammt Seitenbildern, im Chor der s Annunziata, 2. Nische r. — Andere Schüler wie Domenico Cresti, gen. Pasignano, Gregorio Pagani etc. sind in den Galerien Moderne Malerei. Florentiner. besser repräsentirt. — Francesco Currado (1570—1661); sein a Hauptwerk hinten im Chor von S. Frediano, Madonna mit vielen b Engeln und knieenden Heiligen; ausserdem in S. Giovannino: Franz Xavers Predigt in Indien. — Von Cristofano Allori (1577—1621) wird man in den Kirchen vergebens etwas suchen, das seiner be- rühmten Judith (Pal. Pitti) am Werthe gleichkäme. — Matteo Ros- c selli (1578—1650) hat in der Annunziata die Fresken der ersten Cap. rechts und einen Theil der Lunetten im Chiostro gemalt; — in SS. Mi- d chele e Gaetano: dritte Cap. rechts, und das linke Seitenbild in der e zweiten Cap. links; seine gefälligsten Arbeiten im Pal. Pitti etc. — Von den Schülern Matteo’s bringt Francesco Furini mit der raffi- nirt weichen Modellirung des Nackten ein neues Interesse in die Schule; — Giovanni (Manozzi) da San Giovanni (1590—1636) aber wird, offenbar unter bolognesischer Einwirkung, zumal seines Altersgenossen Guercino, der entschlossenste, liebenswürdigste Impro- visator der ganzen Schule, der im Besitz einer reichen Palette und einer blühenden Phantasie den Mangel höherer Elemente vollständig vergessen machen kann. Von seinen in diesen Grenzen ganz bedeu- tenden Fresken wird noch mehrmals die Rede sein. (Allegorien im f grossen untern Saal des Pal. Pitti; Versuchung Christi im Refectorium g der Badia bei Fiesole; halbzerstörte Allegorie an der Fronte eines h Hauses gegenüber von Porta Romana; Geschichte der heil. Andreas in i S. Croce, 2. Cap. r. vom Chor; in Ognissanti die Malereien der Kuppel und Antheil an den Lunetten des Chiostro; im Gange des linken Ho- k fes bei S. Maria la nuova die kleine Frescofigur einer Caritas; — in l Rom die Halbkuppel von SS. Quattro.) — Endlich Carlo Dolci (1616—1686) ebenfalls aus dieser Schule, welcher den von den Üb- rigen versäumten Affect in mehrern hundert Darstellungen voll Ek- stase wieder einbringt, wovon unten. (Er und alle Vorhergehenden m sind sehr stark vertreten in der Gal. Corsini zu Florenz.) Die Schule von Siena hat in dieser Zeit den Rutilio Manetti (1572—1639), dessen herrliche Ruhe auf der Flucht, über dem Hoch- n altar von S. Pietro in castelvecchio zu Siena, alles Übrige aufwiegen möchte. Am ehesten dem Guercino zu vergleichen. Ein mittelbarer Schüler des Cigoli war Pietro (Berettini) da Cortona 1596—1669, mit welchem die Verflachung des Eklekticis- Florentiner. Naturalisten. mus, die Entweihung der Malerei überhaupt zur hurtigen und gefälli- gen Decoration eintritt. Der moderne Naturalismus im engern Sinne beginnt auf die grellste Weise mit Michelangelo Amerighi da Caravaggio (1569—1609), der einen grossen Einfluss auf Rom und Neapel ausübte. Seine Freude besteht darin, dem Beschauer zu beweisen, dass es bei all den heili- gen Ereignissen der Urzeit eigentlich ganz so ordinär zugegangen sei wie auf den Gassen der südlichen Städte gegen Ende des XVI. Jahrh.; er ehrt gar nichts als die Leidenschaft, für deren wahrhaft vulca- nische Auffassung er ein grosses Talent besass. Und diese Leiden- schaft, in lauter gemeinen energischen Charakteren ausgedrückt, bis- weilen höchst ergreifend, bildet dann den Grundton seiner eigenen Schule sowohl (Moyse Valentin, Simon Vouet, wozu noch als Nach- folger Carlo Saraceni von Venedig zu rechnen ist), als auch der Schule von Neapel . Hier ist der Valencianer Giuseppe Ribera gen. lo Spagnoletto (geb. 1593, verschwunden 1656) der geistige Nachfolger Caravaggio’s im vollsten Sinne des Wortes, wenn auch in seinem Colorit noch frühere Studien nach Coreggio und den Venezianern nachklingen. Neben ihm war ausser dem gen. Corenzio auch Giov. Batt. Caracciolo thätig, welcher sich mehr dem Styl der Caracci anschloss; der grosse Schüler des letztern, Massimo Stanzioni (1585—1656), nahm zugleich auch von Caravaggio so viel an als mit seiner eigenen Richtung verträglich war. (Sein bedeu- tendster Schüler: Domen. Finoglia .) Mittelbare neap. Nachfolger Caravaggio’s: Mattia Preti , gen. il cavalier Calabrese (1613—1699), Andrea Vaccaro u. A. m. Schüler Spagnoletto’s: der Schlachtenmaler Aniello Falcone und der in allen Gattungen thätige Salvatore Rosa (1615—1673), dessen Schüler der Landschaftmaler Bartol. Torregiani , der Histo- rienmaler Micco Spadaro , u. A. — Ein Nachfolger Sp.’s ist auch der bedeutendste sicilian. Maler Pietro Novelli , gen. Morrealese. (Dame und Page, Pal. Colonna zu Rom.) — Schüler des Sp., mehr a aber des Pietro da Cortona war der in seiner Art grosse Schnell- maler Luca Giordano (1632—1705). Von ihm an tritt die Ver- B. Cicerone. 64 Moderne Malerei. Naturalisten. flachung der neap. Malerei ein, welche dann mit Giac. del Po, So- limena (st. 1747), Conca (st. 1764), Franc. di Mura, Bonito u. A. in blosse Decorationsmalerei ausmündet. In Rom, wo sich alle Richtungen kreuzten, kamen 1600—1650 einige Nebengattungen besonders zu Kräften. Ausser der Landschaft- malerei (von welcher unten) ist besonders die Genre- und Schlach- tenmalerei bedeutend repräsentirt durch einen Schüler des Arpino und später des in diesem Fach besonders zu Rom geschätzten Niederlän- ders Piter van Laar, gen. Bamboccio, nämlich Michelangelo Cerquozzi (1602—1660), dessen beste Arbeiten sich im Auslande befinden. Sein Schüler war der Jesuit Jaques Courtois , genannt Bourguignon (1621—1671). Als Blumenmaler trat Mario de’Fiori (st. 1673), als Architekturmaler Gio. Paolo Panini (st. 1764) auf. Seit der zweiten Hälfte des XVII. Jahrhunderts ist Rom zugleich der Hauptsitz der von Pietro da Cortona abgeleiteten, bloss noch decorirenden Schnellmalerei, gegen welche Sacchi und Maratta (Seite 1005) eine nur schwache Reaction bilden. Hier wirkten u. a. Gianfranc. Romanelli (st. 1662), Ciro Ferri (st. 1689), Fi- lippo Lauri (st. 1694), auch der Florentiner Bened. Luti (st. 1724), der Pater Pozzo (S. 387) u. a. m. In Genua schwankt der Styl je nach den Einwirkungen. Gio. Batt. Paggi (1554—1627) erinnert an die damaligen Florentiner a (S. Pietro in Banchi, 1. Alt. l. Anbetung der Hirten; Dom, 2. Cap. l. Verkündigung); — Domenico Fiasella, gen. Sarzana (st. 1669) gleicht mehr dem Guercino; — Bernardo Strozzi , gen. il capuc- cino Genovese (1581—1644) ist hochberüchtigt unter den Nach- folgern des Caravaggio; — Benedetto Castiglione (1616—1670) ein frecher Cortonist; — Valerio Castello ebenfalls, doch in der Farbe wärmer; — Deferrari scheint nach Van Dyck studirt zu haben. — Nur der jung verstorbene Pellegro Piola (1607—1630) hat einen b eigenthümlichen schönen Naturalismus entwickelt. (Bilder im Pal. c Brignole; Puttenfries im Pal. Adorno.) Die Formenbildung im Einzelnen. Die Niederländer, Deutschen, Spanier und Franzosen Rubens (1577—1640); Van Dyck (1598—1641); Rembrandt (1606 bis 1665); Honthorst (1592—1662); Elzheimer (1574—1620); von der Fam. Breughel bes. Jan, der sog. Sammetbreughel (1568—1625); Paul Bril (1554—1626); eine grosse Anzahl niederländischer Genremaler fast nur in den Uffizien repräsentirt. — Velasquez (1599—1660); Murillo (1618 bis 1682). — Nic. Poussin (1594—1665); Moyse Valentin (1600 bis 1632). Andere bei Gelegenheit zu nennen. , von wel- chen Italien viele und zum Theil bedeutende Werke besitzt, werden im Folgenden wonöthig an der betreffenden Stelle mit genannt werden. Innerhalb der Malerei zweier Jahrhunderte (1580 bis um 1780) giebt es natürlich sehr grosse Unterschiede der Richtung, um der so unendlich verschiedenen Begabung der Einzelnen nicht zu gedenken. Ehe von dem Gemeinsamen die Rede sein darf, welches die ganze grosse Periode charakterisirt, muss zunächst auf die Unterschiede in Zeichnung, Formenauffassung und Colorit hingedeutet werden. Die bolognesische Schule begann als Reaction der Gründlichkeit gegenüber vom Manierismus, als Selbsterwerb gegenüber vom einsei- tigen Entlehnen. Ihre Zeichnungsstudien waren sehr bedeutend; bei Annibale Caracci findet man ausserdem ein vielseitiges Interesse für alles Charakteristische, wie er denn eine Anzahl von Genrefiguren in Lebensgrösse gemalt hat. (Pal. Colonna in Rom: der Linsenesser; a Uffizien: der Mann mit dem Affen; eine grosse Reihe von Genrefiguren b in Kupferstichen etc.) Gleichwohl begnügt sich die Schule bald mit einer gewissen Allgemeinheit der Körperbildung und der Gewandun- gen, und zwar ist der Durchschnitt, der sich dabei ergiebt, weder ein ganz schöner noch ein hoher; er ist abstrahirt von Coreggio nur ohne das unerreichbare Lebensgefühl, auch von dem üppig schweren Paolo Veronese, nur ohne dessen Alles versöhnende Farbe. Den umständ- lichsten Beleg gewähren die Fresken der Galerie im Pal. Farnese zu c Rom, von Annibale und seinen Schülern. Bei wie vielen dieser Junonen, Aphroditen, Dianen u. s. w. würde man wünschen, dass sie lebendig würden? Selbst die höchst vortrefflichen sitzenden Aktfiguren sind doch von keiner hohen Bildung. So fruchtbar die Schule an fri- 64* Moderne Malerei. schen Bewegungsmotiven ist, so fehlt ihr doch im Einzelnen das a Schönlebendige. — Albani’s mythologische Fresken in einem Saal des Pal. Verospi (jetzt Torlonia, neben Pal. Chigi) in Rom, der be- deutendste Nachklang der farnesischen Galerie, haben im Detail viel Anmuthiges, aber dasselbe Allgemeine. Wie verschieden ist Guido Reni nicht nur je nach der Lebens- zeit, sondern bisweilen in einem und demselben Werke. Von allen modernen Malern nähert er sich bisweilen am Meisten der hohen und b freien Schönheit und seine Aurora (Casino des Pal. Rospigliosi) ist wohl Alles in Allem gerechnet das vollkommenste Gemälde dieser beiden letzten Jahrhunderte; allein die Horen sind in der Bildung von höchst ungleichem Werthe und mit sammt dem Apoll jener einzigen wunderbaren Gestalt der Morgengöttin nicht zu vergleichen. Der be- c rühmte S. Michael in der Concezione zu Rom (1. Cap. r.) bleibt in Charakter und Stellung unendlich tief unter Rafaels Bild (Louvre). In den weiblichen Köpfen hat sich Guido sehr oft nach Antiken, na- mentlich nach den Niobiden gerichtet, in den weiblichen Körpern aber nicht selten einer buhlerischen Üppigkeit gehuldigt. (Man sehe die d Hände seiner Cleopatra im Pal. Pitti, oder die weiblichen Charaktere in dem Bilde des Elieser, ebenda.) — Auch Domenichino , mit seinem grossen Schönheitssinn, hat sich jener bolognesischen Formen- allgemeinheit nicht entziehen können. Er ist am ehesten frei davon e in den beiden herrlichen Wandfresken der Cäciliencapelle (die 2. r.) in S. Luigi de’ Francesi zu Rom, auch in mehrern der Frescohistorien f zu Grottaferrata (Cap. des heil. Nilus). — In seinen Engeln bleibt er sehr sichtbar von Coreggio abhängig, wie man z. B. aus dem grossen g Bilde der Brera zu Mailand (Madonna mit Heiligen) sieht. — Bei Guercino muss man einige köstliche Gestalten der edelsten Bildung (die ihm zu Gebote stand) ausscheiden von den Schöpfungen des ener- h gischen Naturalisten; so das Bild der Hagar (Brera zu Mailand), die i Vermählung der heil. Catharina (Gal. zu Modena), auch die Cleopatra k (Pal. Brignole zu Genua). — Sassoferrato, stets gewissenhaft, er- scheint auch in diesen Beziehungen von Rafael inspirirt, doch nicht abhängig. Bei Caravaggio und den Neapolitanern steht Zeichnung und Modellirung durchgängig um eine beträchtliche Stufe tiefer, da sie Die Formenbildung im Einzelnen. sich auf ganz andere Wirkungsmittel glauben verlassen zu dürfen. So gemein überdiess ihre Formen sind, so wenig kann man doch im einzelnen Fall darauf bauen, dass sie wirklich aus dem Leben ge- griffen seien; in ihrer Gemeinheit sind sie nur zu oft auch allgemein. Der gewissenhaften Bilder sind in dieser Schule überhaupt wenige. Von Luca Giordano abwärts fällt die Zeichnung der neap. Schule dem liederlichsten Extemporiren anheim. Luca selbst hält sich noch durch angeborene Anmuth in einer gewissen Höhe. Bei Pietro da Cortona ist es nicht schwer, eine durchgehende Gleichgültigkeit gegen die wahre Formendarstellung zu erkennen, so wie der Ausdruck seiner Köpfe zum Erschrecken leer wird. Man ahnt auf einmal, dass der sittliche Halt, welchen die Caracci (zu ihrer ewigen Ehre) der Kunst zurückgegeben, von Neuem tief erschüttert ist. Wenn ein Künstler von dieser Begabung das Beste so offen- kundig Preis gab, so war nur ein noch weiteres Sinken zu erwarten. Der letzte grosse Zeichner, Carlo Maratta , war durch seine Nach- ahmung des Guido Reni zu befangen, durch seinen Mangel an indi- vidueller Wärme zu machtlos, um auch nur sich selber auf die Länge dem Verderben zu entziehen. (Einzelne Apostelfiguren in den obern a Zimmern des Pal. Barberini zu Rom; Assunta mit den vier Kirchen- b lehrern, in S. M. del popolo, 2. Cap. r.) Unmittelbar auf ihn folgen noch ein paar Maler, die in der Formengebung nahezu so gewissen- haft sind als er; man lernt sie z. B. in Pal. Corsini zu Rom kennen, c die Muratori, Ghezzi, Zoboli, Luti, auch den angenehmsten der Cor- tonisten: Donato Creti ; — ganze Kirchen, wie S. Gregorio, SS. d Apostoli sind wieder mit leidlich gewissenhaften Altarbildern eines e Luti, Costanzi, Gauli u. A. gefüllt (von Gauli das Deckenfresco im Gesù, von Costanzi das in S. Gregorio); — ja die höchste Blüthe der römischen Mosaiktechnik , welche gewissermassen nur neben einer gründlichen Ölmalerei denkbar scheint, fällt gerade in die ersten Jahr- zehnde des vorigen Jahrh. (Altarblätter in S. Peter, mosaicirt unter f der Leitung des Cristofaris .) Allein diese späte, mehr locale als allgemeine Besserung ist das rein äusserliche Resultat academischen Fleisses, ein neuer geistiger Gehalt, eine tiefere Anschauung der dar- zustellenden Gegenstände war damit nicht mehr verbunden. Den Gipfelpunkt dieser Art von Besserung bezeichnet dann Pompeo Moderne Malerei. a Batoni (1708—1787; Hauptbild: Sturz Simons des Magiers, in S. M. degli angeli, Hauptschiff, links), bei welchem auch das indivi- duelle Gefühl wieder etwas erwarmt; sein deutscher Zeitgenosse Anton Raphael Mengs (1728—1779) aber ist doch vielleicht der einzige, bei welchem wieder die Anfänge einer tiefern idealen An- schauung wahrzunehmen sind, von welcher aus auch die Einzelformen wieder ein höheres und edleres Leben gewinnen. Sein Deckenfresco b in S. Eusebio zu Rom ist nach so vielen Ekstasen eines verwilderten Affectes wieder die erste ganz feierliche und würdige; seine Gewölbe- c malereien in der Stanza de’ papiri der vaticanischen Bibliothek geben wieder eine Vorahnung des wahrhaft monumentalen Styles; in dem d Parnass an der Decke des Hauptsaales der Villa Albani wagte er mehr als er durfte, und doch wird man auch hier wenigstens die hi- storische Thatsache nicht bestreiten, dass er zuerst nicht bloss die naturalistische Auffassung im Grossen, sondern auch die conventio- nelle Formenbildung im Einzelnen durch Besseres und Edleres ver- drängt hat. Allerdings vermochte er diess nur durch einen neuen Eklekticismus, und man bemerkt wohl die Anstrengung, mit welcher er die rafaelische Einfachheit mit Coreggio’s Süssigkeit zu vereinigen suchte. Dass er aber bereits festen Boden unter den Füssen hatte, e beweisen z. B. seine wenigen Porträts (Uffizien: sein eigenes; Brera: f das des Sängers Annibali; irgendwo, wenn ich nicht irre, in der Pi- nacoteca von Bologna, dasjenige Benedicts XIV). Sie sind gross- artiger, wahrer, anspruchloser als alle ital. Porträts des Jahrhunderts. Nic. Poussin hatte keinen sichtbaren Einfluss auf die ital. Historienmalerei geübt. Im Colorit waren die Venezianer und Coreggio die Vorbilder der ganzen Periode; später wirken auch Rubens und van Dyck, die geistigen Haupterben Tizians und Paolo’s, hie und da ein; Salvator Rosa ist sogar von Rembrandt berührt worden. Die Caracci haben kein Ölgemälde hinterlassen, welches den rechten festlichen Glanz und die klare Tiefe eines guten Venezianers hätte. Die Schatten sind in der Regel dumpf, die Carnation oft schmutzig bräunlich. Ich halte die Fresken im Pal. Farnese bei wei- Das Colorit. tem für die grösste Farbenleistung des Annibale. Mit einer ganz a meisterhaften Freiheit hat er unter dem Einfluss von Michelangelo’s Gewölbemalereien der Sistina (S. 872) seine Darstellung einzutheilen gewusst in Historien und decorirende Bestandtheile; letztere theils steinfarbene Atlanten, theils jene trefflichen sitzenden Aktfiguren, theils Putten, Masken, Fruchtschnüre, bronzefarbene Medaillons etc. Nur bei einer solchen Abstufung nach Gegenständen war die grosse har- monische Farbenwirkung zu erzielen, welche das Ganze trotz einzelner roherer Partien hervorbringt. Alle bessern Maler des XVII. Jahrh. haben hier für ähnliche Aufgaben gelernt; die geringern copirten we- nigstens. In Bologna hatten die Caracci z. B. in den Fresken des Pal. b Magnani (Fries des grossen Saales) einfachere, aber in ihrer Art nicht minder treffliche decorirende Figuren angebracht (sitzende steinfarbene Atlanten, geneckt von naturfarbenen Putten, begleitet von je 2 bronze- farbenen Nebenfiguren halber Grösse); Arbeiten welche in Styl und Colorit viel trefflicher sind als die Historien, denen sie zur Einfassung dienen. Noch die spätesten Nachfolger brachten bisweilen in dieser Gattung Ausgezeichnetes hervor, wie z. B. Cignani’s berühmte acht Putten, je zwei mit einem Medaillon, über den Thüren im Hauptschiff c von S. Micchele in bosco. Selbst den blossen Decoratoren (Colonna, in S. Bartolommeo a porta Ravegnana, und in S. Domenico, Cap. del d rosario, links; — Franceschini, in Corpus Domini; — Canuti, in S. e Micchele in bosco, Zimmer des Legaten etc.) geben solche Vorbilder f bisweilen eine Haltung die andern Schulen weniger eigen ist. — Lei- der sind die vielleicht bestcolorirten Fresken des Lodovico und seiner g Schule, in der achtseitigen Halle welche einen kleinen Hof die- ses Klosters umgiebt, auf klägliche Weise zu Grunde gegangen; man kann die Überreste ohne Schmerz nicht ansehen. (Die Compositionen, zum Theil ebenfalls sehr bedeutend, sind durch Stiche bekannt.) Domenichino ist in der Farbe sehr ungleich; von seinen Fres- ken möchten in dieser Beziehung wohl diejenigen in S. Andrea della h Valle zu Rom, auch sonst Hauptwerke, den Vorzug haben (die Pen- dentifs mit den Evangelisten; das Chorgewölbe mit den Geschichten des Andreas und allegor. Figuren; — ihr Verdienst wird am besten klar durch den Vergleich mit den untern Malereien der Chorwände, vom Calabrese). Moderne Malerei. Der grösste Colorist der Schule war, wenn er wollte, Guido a Reni . Seine Einzelfigur des S. Andrea Corsini (Pinac. von Bologna) möchte in der Delicatesse der Töne unübertroffen sein; vielleicht er- reicht noch hie und da ein Bild seiner silbertönigen maniera seconda eine ähnliche Vollendung, etwa z. B. eine seiner Aktfiguren des S. Sebastian (wovon die schönste ebenda, andere a. m. O.); seine beste Aktfigur im Goldton ist (ebenda) der siegreiche Simson, ein Bild ve- nezianischer Freudigkeit. (Zu vergleichen mit dem von heil. Frauen b gepflegten S. Sebastian seines Schülers Simone da Pesaro, im Pal. Colonna zu Rom.) Von seinen Fresken wird die Aurora um der Haltung willen auf das Höchste bewundert; die grösste Farbenwirkung c übt aber wohl die Glorie des S. Dominicus (in der Halbkuppel der Capelle des Heiligen zu S. Domenico in Bologna). Guercino ist in seinen Farben bisweilen venezianisch klar bis in alle Tiefen, oft aber endet er auch mit einem dumpfen Braun. Das d grosse Bild der heil. Petronilla (Gal. des Capitols), vorzüglich aber e der Tod der Dido (Pal. Spada in Rom) zeigen seine Palette von der kräftigsten Seite; die oben (S. 1012, h) genannten Gemälde sind auch in der Farbe edler gemässigt. Von den Fresken sind diejenigen im Ca- f sino der Villa Ludovisi (Aurora im Erdgeschoss, Fama im Ober- geschoss) vorzüglich energisch in der Farbe, ebenso die Propheten g und Sibyllen in der Kuppel des Domes von Piacenza, nebst den Al- legorien in den Pendentifs. Unter den Naturalisten ist der frühste, Caravaggio , von wel- chem auch Guercin mittelbar lernte, immer einer der besten Coloristen. Freilich schliesst das scharfe Kellerlicht, in welches er und viele Nachfolger ihre Scenen zu versetzen lieben, jenen unendlichen Reich- thum von schönen Localtönen aus, welche nur bei der Mitwirkung der Tageshelle denkbar sind; ausserdem ist es bezeichnend, dass trotz aller Vorliebe für das geschlossene Licht die Naturalisten so wenig auf die Poesie des Helldunkels eingingen. Caravaggio’s Geschichten h des S. Matthäus in S. Luigi de’ Francesi zu Rom (letzte Cap. l.) sind freilich so aufgestellt, dass sich kaum über die Farbenwirkung ur- theilen lässt, mögen auch überdiess stark nachgedunkelt sein; doch Das Colorit. ist so viel (auch aus seinen andern Werken) sicher, dass er mit Ab- sicht auf den Eindruck des Grellen und Unheimlichen ausging und dass die Reflexlosigkeit hiezu ein wesentliches Mittel ist. Bei Rem- brandt dagegen herrscht, trotz allem Abenteuerlichen in Figuren und Trachten, ein tröstlicher, heimlicher Klang vor, weil das Sonnenlicht theils unmittelbar, theils mit dem Goldduft der Reflexe die ganze Räumlichkeit erhellt und wohnbar macht. (Beiläufig: ausser einigen Porträts, wovon unten, scheint nicht bloss die Landschaft in den Uf- a fizien, sondern auch eine Ruhe auf der Flucht, im Pal. Manfrin zu b Venedig ein echtes Werk Rembrandts zu sein.) Von Caravaggio’s Schülern sind die Nichtneapolitaner Carlo Saraceni und Moyse Valentin die farbigsten, auch sonst ziem- lich gewissenhaft. (Von Saraceni: Geschichten des heil. Benno in der c Anima zu Rom, 1. Cap. r. und 1. Cap. l.; Tod der Maria in S. M. d della Scala, links; — von Valentin: Joseph als Traumdeuter, Pal. e Borghese; Enthauptung des Täufers, Pal. Sciarra; Judith, im Pal. f Manfrin zu Venedig.) g Spagnoletto wird oft hart, glasig und grell, trotz seiner ve- nezian. Erinnerungen. So schon in seinem abscheulichen Bacchus vom h Jahr 1626 (Museum von Neapel); sein heil. Sebastian (ebenda) ist merkwürdig als spätestes mit Liebe gemaltes Bild, vom Jahr 1651. Am meisten venezianisch erscheint mir seine geringe Figur des heil. Hieronymus (Uffizien, Tribuna). — Stanzioni ist um ein Bedeu- i tendes milder und weicher; von den Übrigen hat Salvator Rosa , wenn er will, das wärmste Licht und das klarste Helldunkel (Ver- schwörung des Catilina, Pal. Pitti), sonst aber oft etwas Fahles und k Dumpfes. Bei Calabrese und mehrern Andern muss man sich mit einer höchst äusserlichen Farbenbravour begnügen. Pietro da Cortona ist ein so bedeutender Colorist als man es ohne allen Ernst der sachlichen Auffassung sein kann. Seine Farbe ist — man gestatte uns das fade Wort — in hohem Grade freund- lich; in den grossen, mehr decorativ als ernstlich gemeinten Gewölbe- malereien hat er zuerst sich genau nach demjenigen Eindruck gerich- tet, welchen das vom Gedanken verlassene, müssig irrende Auge am meisten wünscht. Vorherrschend ein heller Ton, eine sonnige Luft, bequeme Bewegung der Figuren im lichten Raum, ein oberflächlich Moderne Malerei. a angenehmes Helldunkel zumal in der Carnation. Deckengemälde der Chiesa nuova in Rom (in der Sacristei die Engel mit Marterwerk- b zeugen); Gewölbe des colossalen Hauptsaales im Pal. Barberini; ein c Saal im Pal. Pamfili auf Piazza navona(?); Anzahl von Plafonds im d Pal. Pitti (S. 396, a); Wandfresken in einem der Säle daselbst, wo seine halbe Gründlichkeit widriger erscheint als seine sonstige ganze Flüchtigkeit. Unter den Staffeleibildern giebt etwa die Geburt der e Maria (Pal. Corsini) den günstigsten Begriff von seinem Colorit. Von ihm und von Paolo Veronese geht dann das Colorit des Luca Giordano aus, welcher sich darin vermöge seines unzerstörbaren Temperamentes doch bisweilen zu einer wahren Freudigkeit erhebt. f Im Tesoro zu S. Martino in Neapel hat er die Geschichten der Judith und der ehernen Schlange binnen 48 Stunden an das Gewölbe gemalt; g sein S. Franz Xaver der die Wilden tauft (Museum) ist in 3 Tagen vollendet, — Beides so, dass an dieser Palette noch immer Einiges zu beneiden bleibt. Auch seine übrigen Bilder (wovon im Museum eine Auswahl), ohne einen wirklich sichern Contour, ohne irgend welche Wahl in Formen oder Motiven, üben doch wesentlich durch die Farbe, durch die napolitanische Süssigkeit mancher Köpfe, durch eine gewisse liederliche Anspruchlosigkeit (neben den Prätensionen eines Salvator und Consorten), durch den ganzen angenehmen Schein des Lebens einen grossen Reiz aus. — Seine Nachfolger, im besten Falle brillante Decoratoren mit blühendem Colorit: Solimena: Fres- h ken der Sacristeien von S. Paolo und von S. Domenico maggiore; i grosse Geschichte des Heliodor innen über dem Portal des Gesù k nuovo; — Luigi Garzi: Fresken an Decke und Frontwand von l S. Caterina a formello; — Conca: grosses Mittelbild der Decke von S. Chiara, David vor der Bundeslade tanzend; — Franc. de Mura: m grosses Deckengemälde in S. Severino; — Bonito: kleineres Decken- n bild in S. Chiara, u. s. w. — Beim Verkommen der Localschulen in ganz Italien reisten vorzüglich diese Neapolitaner als Virtuosen der Schnellmalerei herum und drangen auch in Toscana ein, nachdem schon vorher Salvator Rosa daselbst einen grossen Theil seines Lebens o zugebracht hatte. So hat z. B. Conca im Hospital della Scala zu Siena die Chornische mit der Geschichte des Teiches von Bethesda ganz Das Colorit. Die Niederländer. stattlich ausgemalt; der Calabrese bedeckte Chor und Kuppel des a Carmine zu Modena mit seinen Improvisationen etc. Von den Römern hat Sacchi ein kräftigeres und gründlicheres Colorit als Cortona (die Messe des heil. Gregor, und S. Romuald mit b seinen Mönchen, vatican. Galerie; Tod der S. Anna, in S. Carlo a’ c catinari, Altar links). Maratta mit aller Sorgfalt ist hierin auffallend matt; einzelne Köpfe, wie etwa „la pittura“ im Pal. Corsini, gerathen d ihm am ehesten ganz lebendig und schön; seine Madonna mit dem schlafenden Kind, im Pal. Doria, ist auch in der Farbe der reprodu- e cirte Guido. — Von den Florentinern ist der schon (S. 1008) genannte Furini unermüdlich bemüht, das Fleisch seiner weiblichen Akte immer mür- ber und weicher darzustellen (Pal. Pitti: Schöpfung der Eva; Pal. f Capponi: David und Abigail; Pal. Corsini: Aktfiguren und Mytho- g logisches). Die spätern Venezianer (S. 909) sind im besten Falle die Aus- beuter Paolo’s; Tiepolo befleissigt sich dabei eines hellen Silbertons. Man wird vielleicht nach längerer Beobachtung mit uns der An- sicht sein, dass die grössten Meisterwerke des Colorites, welche Italien aus dieser ganzen Periode besitzt, ein paar Bilder von Rubens und Murillo sind. Den Rubens kann man in Italien von seiner frühesten Zeit, d. h. von seinem dortigen Aufenthalt an verfolgen. Die 3 grossen Bilder im Chor der Chiesa nuova zu Rom (Madonnabild von Engeln h umgeben, und zwei colossale Gemälde mit je 3 Heiligen) zeigen wie seine eigenthümliche Charakteristik und sein Colorit sich loszuringen beginnen von den verschiedenen Manieren die ihn umgaben; auch in der Beschneidung auf dem Hochaltar von S. Ambrogio zu Genua i kämpft er noch mit Auffassung und Farbe der Caracci; — schon fast ganz er selbst tritt uns entgegen in dem S. Sebastian, welchem die k Engel die Pfeile aus den Wunden ziehen (Pal. Corsini in Rom), und in der idyllisch naiven Auffindung des Romulus und Remus (Gal. des l Capitols); beide Bilder mit gelblichen Fleischtönen; — die 12 Halb- figuren von Aposteln (Casino Rospigliosi) glaube ich für echte Werke m schon aus seiner beinah vollendeten Zeit halten zu dürfen. — Dann Moderne Malerei. a das Reifste und Herrlichste: die Allegorie des Krieges (Pal. Pitti), wo Farben, Formen und Moment untrennbar als eins empfunden sind; ebenda die eine heil. Familie (mit der geflochtenen Wiege); — dann mehrere eigenhändige Bacchanalien von 3—4 Figuren aus dieser sei- b ner goldenen Zeit: in den Uffizien; im Pal. Brignole zu Genua; im c Pal. Pallavicini ebenda; — ebenfalls wohl eigenhändig: Hercules bei d den Hesperiden, im Pal. Adorno ebenda; — endlich das grosse Mei- e sterwerk auf dem Hauptaltar links in S. Ambrogio ebenda: S. Igna- tius, der durch seine Fürbitte eine Besessene heilt, in Auffassung, Form und Farbe von einem feinblütigen, nobeln Naturalismus, der die Neapolitaner unendlich überragt; in dem Heiligen ist z. B. noch der spanische Edelmann dargestellt; sein Ausdruck wird mächtig gehoben durch das kluge, gleichgültige Wesen der ihn umgebenden Priester f und Chorknaben. — Die beiden grossen Bilder im Niobesaal der Uf- fizien, die Schlacht von Ivry und Heinrichs IV Einzug in Paris, möchten als ganz eigenhändige Improvisationen der besten Zeit einen bestimmten Vorzug haben vor den meisten Bildern der Galerie de Marie de Médicis im Louvre; sie zeigen uns den Prometheus des Colorites gleichsam mitten in der Gluth des Schaffens. g Atelierbilder und spätere Werke: Pal. Pitti: Nymphen im Walde von Satyrn überrascht; die zweite heil. Familie vielleicht Copie eines h Franzosen. — Uffizien: die kleinere Allegorie des Krieges. — Brera i in Mailand: das Abendmahl(?). — Pal. Manfrin in Venedig: treffliche aber doch verdächtige Skizze des Bildes von S. Bavon in Gent. Unter den Porträts sind Juwelen ersten Ranges: eine Dame in k mittlern Jahren, von nichtsnutzigem Ausdruck, mit dem Gebetbuch (Uffizien); ein vornehmer schwarzgekleideter Herr mit Krause und l goldener Kette (ebenda); — die sog. vier Juristen, obwohl nicht ganz glücklich geordnet (Pal. Pitti). — Früh und echt: der Franciscaner m (Pal. Doria in Rom). — Mittelgut: Philipp IV (Pal. Filippo Durazzo in Genua). — Über viele andere Bildnisse wage ich nicht zu urtheilen. Van Dyck hat ausser der für echt geltenden und dann jeden- n falls frühen Grablegung im Pal. Borghese zu Rom fast nichts von idealem Inhalt in Italien hinterlassen als ein paar Köpfe; so die auf- o wärtsblickende Madonna (im Pal. Pitti), deren ungemeine Schönheit p vielleicht eine Anregung von Guido her verräth; eine andere (Pal. Spinola, Das Colorit. Die Niederländer. Str. nuova in Genua) scheint ebenfalls echt, nur sehr misshandelt; — der Coriolan (Pal. Pallavicini ebenda) ist ein Familienbild des betref- a fenden Hauses und überdiess wohl nicht ganz sicher; — eher könnte die sehr übermalte Geschichte der Dejanira (Pal. Adorno, ebenda, Ru- b bens benannt) ein frühes Bild des Van Dyck sein; — der Cristo della moneta (Pal. Brignole) wahrscheinlich echt, eine blosse neue Redac- c tion des tizianischen. Von den Porträts schienen mir u. a. folgende zu Genua echt. Pal. Brignole: Reiterbild des Antonio Brignole; seine Gemahlin; Fried- d rich Heinrich von Oranien; Jüngling in spanischer Tracht an einer Säule; Geronima Brignole mit ihrer Tochter. (Dagegen der Vater mit Knaben zwar trefflich, aber nicht ganz sicher; der sog. Tintoretto, ein schwarz gekleideter Herr im Lehnstuhl, auf Tapetengrund, könnte eher unter Van Dyck’s Einfluss gemalt sein.) — Im Pal. Filippo Du- e razzo: ein Knäblein in weissem Kleide; und das vortreffliche Bild der drei rasch vorwärtskommenden Kinder. — Im Pal. Spinola: Str. nuova: f Kopf mit Krause. (Das grosse Reiterbild für V. zu gedankenlos.) — Im Pal. Adorno: Brustbild eines geharnischten jungen Mannes. — Meh- g rere andere Sammlungen hat der Verfasser nicht gesehen. Im Pal. Pitti: Cardinal Bentivoglio, ganze Figur, sitzend, höchst h vornehm elegant, ein Wunderwerk der Malerei; — die Brustbilder Carls I und Henriettens von Frankreich, blosse Wiederholungen, doch schön und eigenhändig. — Uffizien: eine vornehme Dame, aus der i spätern, blassern Palette; das Reiterbild Carls V, durch schöne und gar nicht aufdringliche Symbolik in eine historisch-ideale Höhe geho- ben. — Im Pal. Colonna zu Rom: das Reiterbild des Don Carlo Co- k lonna, wo sich die Symbolik schon unpassender geltend macht; und Lucrezia Tornacelli-Colonna in ganzer Figur. Zahlreiche Porträts von andern vortrefflichen Niederländern (Franz Hals? Mirevelt?) pflegen in den Galerien auf diese beiden Namen ver- l theilt zu werden (Pal. Doria in Rom, u. a. a. O.) Von Rembrandt ist sehr echt und wunderwürdig in Farbe und Licht: sein eigenes gemeines Gesicht (Pal. Pitti, zwischen dem Ehe- m paar Doni von Rafael); auch der alte Rabbiner (ebenda); — in den Uf- fizien (Malerbildnisse) hat das Bildniss im Hauskleid den Vorzug vor n der dicken Halbfigur mit Barett und Kette; — welche eine blosse Moderne Malerei. Wiederholung eines der beiden trefflichen Greisenporträts im Museum a von Neapel ist. — Im Pal. Doria zu Rom möchte der Kopf eines Sechszigers, mit Mütze, wohl echt sein. (Von einem seiner Nachfol- ger, Gerbrand van den Eckhout, ist Isaac’s Opferung, ebenda.) b Dem Mirevelt wird im Museum von Neapel das Kniestück eines jungen Rathsherrn, und ein Brustbild, beide vorzüglich, zuge- c schrieben. — Dem j. Pourbus im Pal. Pitti das (eher holländische) d Porträt eines jungen Mannes, und in den Uffizien der vortreffliche Kopf des Bildhauers Francavilla (S. 686). — Ein Van der Helst e von erstem Werthe ist das Kniestück eines alten Rathsherrn, im Pal. f Pitti. — Ebenda, von Peter Lely: Cromwell, unendlich tief und wahr aufgefasst, nach der geistigen, wie nach der rohen Seite, mit g einem Züge der Bekümmerniss; die andern Porträts des Lely, im Niobesaal der Uffizien, reichen nicht an dieses Werk. h Es genügt z. B. ein Blick auf die Malersammlung in den Uffi- zien, um sich die volle Superiorität der Niederländer klar zu machen. Die Italiener des XVII. Jahrh. suchen in ihren Porträts vorzugsweise einen bestimmten Geist, eine bestimmte Thatkraft auszudrücken und fallen dabei in das Grelle und Prätentiöse; die Niederländer (hier freilich nur geringere Exemplare) geben das volle Dasein, auch die Stunde und ihre Stimmung; durch Farbe und Licht erheben sie auch das Porträt zu einem der Phänomene des Weltganzen. (Die Fran- zosen von Lebrun an interessiren in dieser Sammlung durch ihren lockern und doch so gutartigen und anständigen physiognomischen Ausdruck.) Ein Flamänder, Sustermans von Antwerpen (1597—1681), hat sein Leben in Florenz zugebracht und hier jene Menge ganz vortreff- licher Porträts geschaffen, welche oft genug an Van Dyck streifen. i (Viele, u. a. der Dänenprinz, im Pal. Pitti; — andere, u. a. Galilei, k in den Uffizien; — dann in den Pal. Corsini und Guadagni etc.) Von ihm und auch wohl von Rembrandt mögen dann die in Florenz ge- l malten Bildnisse Salvator’s inspirirt sein; so im Pal. Pitti: sein eigenes, und die Kniefigur eines Geharnischten, welche ohne Rem- brandt nicht entstanden wäre. — Auch andere Italiener bekennen sich im Porträt fast offen zu ausländischen Vorbildern; Cristofano Allori Das Colorit. Niederländer, Spanier etc. (in dem Bildniss eines Canonicus, Pal. Capponi in Florenz) zu dem a des Velasquez; der Venezianer Tib. Tinelli zu dem des Van Dyck. (Uffizien: Porträt eines geistvollen Bonvivants mit einem Lorbeer- b zweig; Pal. Pitti: ein ältlicher Nobile; Acad. von Venedig: das Bild c des Malers?) — Am ehesten wird man bei den ersten Bolognesen eine eigene Auffassung finden; Bildnisse Domenichino’s (Uffizien; d Pal. Spada zu Rom) und Guercino’s (Gal. von Modena), haben e eine freie, historische Würde. — Die sog. Cenci, vorgeblich von f Guido, im Pal. Barberini, ist immer ein hübsches, durch das Geheim- nissvolle reizendes Köpfchen. — Ein Jünglingsbildniss von Carlo g Dolci (Pal. Pitti) gehört zu seinen besten Arbeiten; — ebenso bei Sacchi das Priesterporträt in der Gal. Borghese. — Das edle, wahr- h haft historische Porträt Poussin’s (Casino Rospigliosi) möchte indess i all diesen leztgenannten vorzuziehen sein. Die grossen Spanier, deren Colorit und Auffassung ebenso von Tizian berührt wurden, wie diess bei den Flamändern der Fall war (aber weniger von Paolo als diese) sind in Italien nur durch einzelne zerstreute Werke repräsentirt. Murillo’s Madonna im Pal. Corsini k zu Rom ist nicht nur höchst einfach liebenswürdig in den Cha- rakteren der Mutter und des Kindes, sondern (bei theilweis sehr grosser Flüchtigkeit) ein Wunder der Farbe. Die beiden Madonnen im Pal. Pitti erreichen diese Wonne des Tones nicht; die eine ab- l sichtlichere (das Kind mit dem Rosenkranz spielend) ist auch in der Malerei weniger lebendig. Von Velasquez nur Porträts: in den Uffizien sein eigenes, fast etwas gesucht nobel, und das gewaltige m Reiterbild Philipps IV sammt Knappen und Allegorien, in offener Landschaft, mit unglaublicher Beherrschung des Tones und der Farbe gemalt; — im Pal. Pitti: ein Herr von leidenschaftlichen Zügen, die n lange aristocratische Hand am Degengefäss; — im Pal. Doria zu Rom: o Innocenz X sitzend; vielleicht das beste Papstporträt des Jahrhun- derts. (Den Murillo’s und Velasquez in der Gal. von Parma ist kaum p zu trauen. — Eine Pietà von Sanchez Coello in S. Giorgio zu Genua, q erster Altar links vom Chor.) Moderne Malerei. In allen Aufgaben idealer Art ist diese moderne Malerei von den höchsten Zielen ausgeschlossen, weil sie zu unmittelbar darstellen und überzeugen will, während sie doch, als Kind einer späten Cultur- epoche, nicht mehr in der blossen Unmittelbarkeit (Naivetät) erhaben sein kann. Ihr Naturalismus möchte alles Seiende und Geschehende als solches handgreiflich machen; er betrachtet diess als Vorbedingung jeglicher Wirkung, ohne auf den innern Sinn des Beschauers zu rech- nen, welcher Anregungen ganz anderer Art zu beachten gewohnt ist. Schon die Wirklichkeit der Bewegung im Raum, wie man sie bei Coreggio vorfand und adoptirte, machte die Kunst gleichgültig gegen alle höhere Anordnung, gegen das Einfach-Grosse im Bau und Gegen- satz der Gruppen und Einzelgestalten. Am meisten Architektonisches hat vermöge seines Schönheitssinnes Guido Reni gerettet. Seine a grandiose Madonna della Pietà (Pinac. von Bologna) verdankt dem symmetrischen Bau der untern wie der obern Gruppe ihre gewaltig- ste Wirkung; ähnlich verhält es sich (ebenda) mit dem Bilde des Ge- kreuzigten und seiner Angehörigen; die edle und grossartige Be- handlung, der schöne Ausdruck allein würden nicht genügen, um diesen Werken ihre ganz ausnahmsweise Stellung zu sichern. (Ein b anderer Crucifixus Guido’s, ohne die Angehörigen, aber ebenfalls von erster Bedeutung, in der Gal. von Modena.) Die Assunta in München, c die Dreieinigkeit auf dem Hochaltar von S. Trinità de’ pellegrini in Rom geben hiezu weitere Belege; selbst das flüchtige Werk der ma- d niera seconda: die Caritas (Pinac. von Bologna). — Lodovico Ca- e racci’s Transfiguration (ebenda) und Himmelfahrt Christi (Hochaltar f von S. Cristina zu Bologna) werden nur durch dieses architektonische Element recht geniessbar; Annibale’s Madonna in einer Nische, an deren Postament Johannes der Ev. und Catharina lehnen, verdankt ebendemselben (nebst der energischen Malerei) eine grosse Wirkung trotz der allgemeinen und wenig edlen Formen; denselben Lebensge- g halt zeigt das ähnliche grosse Bild des Guercino im Pal. Brignole zu Genua. (Derselbe Guercino geht in einem schön gemalten Bilde — h S. Vincenzo zu Modena, zweite Cap. rechts — an dem Richtigen vor- bei.) Ja auch die in Bewegung gerathene Symmetrie, das Processio- nelle, kurz Alles, was das in dieser Schule so oft zur Confusion führende Pathos dämpft, kann hier von höchst erwünschter Wirkung sein; hieher Der Affect im Streit mit der Composition. gehören die beiden Riesenbilder des Lod. Caracci in der Gal. von Parma a (ehemals Seitenbilder einer Assunta), hauptsächlich die Grabtragung der Maria, wo der Ritus, beherrscht von dem meisterlich verkürzten Leichnam, das subjective Pathos vollkommen zurückdrängt. Auch Do- menichino , dessen Composition so überaus ungleich ist, hat in seinem „Tod der heil. Cäcilia“ (S. Luigi in Rom, zweite Cap. rechts) b ein herrliches Beispiel strenger und doch schön aufgehobener Symme- trie geliefert. Von den beiden Bildern der letzten Communion des heil. Hieronymus (Agostino Caracci: Pinac. von Bologna; — c Domenichino: Gal. des Vaticans) hat dasjenige des Domenichino schon d darin einen Hauptvorzug, dass die beiden Gruppen (die des Priesters und die des Heiligen) dem Totalwerth nach wie auf der Goldwage gegen einander abgewogen sind, sodass Bewegung und Ruhe, Ornat und freie Gewandung, Geben und Empfangen etc. sich gegenseitig aufheben; ausserdem ist die Gestalt des Heiligen in die Pietät und Andacht der Seinigen wie gebettet und doch für den Anblick ganz freigehalten. Der grösste Verehrer D.’s, Nic. Poussin, geht dann wieder zu weit, sodass seine Gruppen oft absichtlich construirt erscheinen. (Ruhe auf e der Flucht, Acad. von Venedig.) — Bisweilen überraschen die Mai- länder, so verwildert sonst ihre Composition ist, durch eine gross gefühlte symmetrische Anordnung. Man sehe in der Brera das f grosse Bild des Cerano-Crespi (Madonna del rosario); im Pal. Brig- nole zu Genua den von Engeln gen Himmel getragenen S. Carlo, g von einem der Procaccini, ein ergreifendes Bild, so naturalistisch die Anstrengung der Engel gegeben sein mag. — Sassoferrato befolgte in seiner schönen Madonna del rosario (S. Sabina zu Rom, Cap. h rechts vom Chor) mit vollem Bewusstsein die alte strenge Anordnung. Weit die Meisten aber erkennen die höhern Liniengesetze nur in beschränktem Masse an, die Naturalisten fast gar nicht. Selbst den besten Bolognesen ist eine prächtige Actfigur (womöglich kunstreich verkürzt) im Vordergrunde bisweilen so viel werth als der ganze üb- rige Inhalt des Bildes; einige suchen dergleichen geflissentlich auf ( Schidone’s S. Sebastian, dessen Wunden von Zigeunern beschaut i werden, im Museum von Neapel); die Naturalisten begehren vollends nichts als den leidenschaftlichen Moment. Caravaggio’s Grab- k legung (Gal. des Vaticans), immer eines der wichtigsten und gründ- B. Cicerone. 65 Moderne Malerei. lichsten Bilder der ganzen Richtung, ist der Einheit und Gewalt des Ausdruckes zu Liebe als Gruppe ganz einseitig gebaut. Wie roh aber C. componiren (und empfinden) konnte, wenn ihm am Ausdruck nichts a lag, zeigt die Bekehrung des Paulus (S. M. del popolo in Rom, erste Cap. links vom Chor), wo das Pferd beinahe das Bild ausfüllt. Spag- b noletto’s Hauptbild, die Kreuzabnahme im Tesoro von S. Mar- tino zu Neapel ist in den Linien unangenehm, was man allerdings über der Farbe und dem ergreifenden, obwohl auf keine Weise ver- klärten Schmerz übersehen kann. Dieses Gebiet des Ausdruckes und Affectes, welchem die moderne Malerei so vieles opfert, müssen wir nun nach Inhalt und Grenzen zu durchforschen suchen. Wir beginnen mit den erzählenden Bildern heiligen (biblischen oder legendarischen) Inhaltes, ohne uns doch streng an irgend eine Eintheilung halten zu dürfen. — Auch die Altarbilder gewinnen schon seit Tizian (S. 974) gerne einen erzählenden Inhalt; jetzt ist vollends Alles willkommen, was auf irgend eine Weise er- greifen kann. c Man sieht in S. Bartolommeo a Porta ravegnana zu Bologna (vierter Altar rechts) eines der prächtigsten Bilder des Albani: die Ver- kündigung; Gabriel, eine schöne Gestalt, fliegt der Jungfrau d leidenschaftlich zu. (Man vergleiche das colossale Fresco des Lod. Caracci über dem Chor von S. Pietro in Bologna.) — Die Geburt Christi, das Presepio, früher immer naiv dargestellt, war durch Co- reggio’s heilige Nacht zu einem Gegenstand des aufs Höchste gestei- gerten Ausdruckes und des Lichteffectes geworden. (Welchen letz- e tern man z. B. in zweien der bessern Bilder des Honthorst, Uffizien, nach Kräften reproducirt findet.) Wie völlig missverstand nun z. B. f Tiarini in einem sonst trefflichen Bilde (S. Salvatore zu Bologna, Querschiff links) den stillen, idyllischen Sinn der Scene! Er malt sie höchst colossal und lässt den Joseph ganz declamatorisch auf die Maria hindeuten, damit der Beschauer aufmerksam werde. — Gleich- gültiger werden insgemein behandelt die Anbetungen der Hirten und g der Könige, u. a. von Cavedone (S. Paolo in Bologna, dritte Cap. rechts) der bei aller Tüchtigkeit sehr das Ordinäre herauszukehren Der Affect in der biblischen Geschichte. pflegt. Eine Anbetung der Hirten von Sassoferrato (Mus. von a Neapel) giebt gerade das Gemüthliche, das vorzugsweise sein Element ist; im Jahrhundert des Pathos eine vereinzelte Erscheinung. — Von den Geschichten der heil. Anverwandten werden jetzt vorzugsweise nur die pathetischen, besonders die Sterbebetten behandelt: der Tod der heil. Anna (von Sacchi, in S. Carlo ai catinari zu Rom, Altar b links), der Tod des heil. Josephs (von Lotti, in der Annunziata zu c Florenz, Cap. Feroni, die zweite links; — von Franceschini, in Corpus d Domini zu Bologna, erste Cap. links). Caravaggio dagegen, der oft mit Absicht das Heilige alltäglich darstellte, malt (in einem Bilde e des Pal. Spada zu Rom) zwei hässliche Nätherinnen, womit die Er- ziehung der Jungfrau durch S. Anna gemeint ist. — Bei den Kindbetten ( Lod. Caracci: Geburt des Johannes, Pinac. von Bologna, spätes reso- f lutes Hauptbild) mochte man, wenn auch unbewusst, den Nachtheil em- pfinden, in welchem man sich z. B. gegen die Zeit eines Ghirlandajo be- fand; damals war die Grundauffassung ideal, das Einzelne individuell, jetzt die Grundauffassung prosaisch, die Einzelform allgemein. — (Be- sonders einflussreich müssen die nur unscheinbaren Bilder des Ago- g stino und Lodovico in S. Bartolommeo di Reno zu Bologna, 1. Cap. l., Anbetung der Hirten, Beschneidung und Darstellung, gewesen sein.) — Unter den Jugendgeschichten Christi , die nunmehr in senti- mentaler Absicht bedeutend ausgesponnen wurden, behauptet die Ruhe auf der Flucht immer den ersten Rang, und hier giebt Coreggio’s Ma- donna della scodella (S. 954, c) wesentlich den Ton an. Eine schöne kleine Skizze des Annibale im Pal. Pitti zeigt diess z. B. deutlich; h auch das betreffende unter Bonone’s trefflichen Frescobildern im i Chor von S. Maria in Vado zu Ferrara. U. a. m. Noch einmal trifft Caravaggio den wahren idyllischen Inhalt, wenn auch in sei- ner barocken Art. (Bild im Pal. Doria zu Rom: Mutter und Kind k schlummern, ein Engel spielt Violin und Joseph hält das Notenblatt. Er hat auch eine „Entwöhnung des Bambino“ in seiner derbsten Art l dargestellt; Pal. Corsini.) Bei den Meisten aber wird die Scene zu einer grossen Engelcour im Walde; so schon in dem oben (S. 1008 n,) m erwähnten Prachtbilde des Rutilio Manetti ; vollends aber ist es ergötzlich zu sehen, was ein später Neapolitaner daraus gemacht hat. (Bild des Giac. del Po , im rechten Querschiff von S. Teresa zu Nea- n 65* Moderne Malerei. pel, oberhalb des Museums.) Die Scene ereignet sich auf einer Nil- insel; Joseph wacht auf, es ist eben himmliche Audienz; die Madonna spricht mit einem Engel, der einen Nachen anbietet und überlässt in- zwischen das Kind der Bewunderung und Anbetung zahlreicher Engel verschiedenen Ranges; die ältern darunter meistern die jüngern u. s. w. — In andern Scenen des Jugendlebens Christi ist Sassoferrato a allein fast immer naiv sammt seiner Sentimentalität; eine heil. Fami- lie im Pal. Doria zu Rom; Josephs Tischlerwerkstatt, wo der Chri- b stusknabe die Späne kehrt, im Museum von Neapel. Bei den Bolog- nesen wird bisweilen auf eine nicht ganz gesunde Weise die Handlung des Christus auf das Christuskind übertragen, wie z. B. in einem Bilde c des Cignani (S. Lucia zu Bologna, dritter Altar links), wo der Bam- bino vor den Knieen der Mutter stehend den Johannes und die heil. d Teresa mit Kränzen belohnt. Bei Albani (Mad. di Galliera zu Bo- logna, zweiter Altar links) ist eine Vorahnung der Passion so ausge- drückt, dass das Christuskind affectvoll emporblickt nach den mit den Marterinstrumenten (wie mit Spielzeug) herumschwebenden Putten; unterhalb der Stufen Maria und Joseph, ganz oben Gott-Vater, be- kümmert und gefasst. — Von den zahllosen Josephsbildern ein gutes e von Guercino (S. Giov. in monte zu Bologna, dritte Cap. rechts); das Kind hält dem Pflegevater eine Rose zum Riechen hin. Eine Scene wie Christus unter den Schriftgelehrten (S. 903, Anm.) muss bei der naturalistischen Auffassung noch viel bedenklicher wer- f den als sie schon an sich ist. Salvator Rosa (Museum von Neapel) malt um den hülflosen Knaben herum das brutalste Volk. — Einzelne Bilder der Taufe und der Versuchung werden unten genannt werden. Die Wunder Christi werden fast ganz verdrängt durch die Wunder der Heiligen; an der Hochzeit von Kana wird gerade das Wunder g am wenigsten hervorgehoben (angenehmes grosses Genrebild dieses Inhaltes, von Bonone , Ateneo zu Ferrara.) — Die Vertreibung der h Käufer und Verkäufer aus dem Tempel hat z. B. Guercino in einem gleichgültigen Bilde geschildert (Pal. Brignole zu Genua); lehrreicher i ist es, in der grossen Frescodarstellung dieser Scene, welche Luca Giordano a’ Gerolomini (S. Filippo) zu Neapel über dem Portal gemalt hat, zu sehen mit welchem Wohlgefallen der Neapolitaner eine solche Execution darstellt. — Von den Auferweckungen des Lazarus Der Affect in der biblischen Geschichte. ist die des Caravaggio (Pal. Brignole zu Genua) immer eine der be- a deutendsten Leistungen des gemeinern Naturalismus. — Das Abend- mahl fällt gleich unwürdig aus, ob es als Genrebild oder als Affect- scene behandelt werde. Ersteres ist z. B. der Fall in dem grossen b Bilde des Aless. Allori (Acad. zu Florenz), welches eine ganz schön gemalte, lebendige „Scene nach Tische“ heissen kann. Bei Domenico Piola (S. Stefano in Genua, Anbau links) fehlt es nicht c an Pathos aller Art, allein das „unus vestrum“ geht unter in einem gesuchten Lichteffect und in den Zuthaten (Bettler, Aufwärter, Kin- der, auch ein niederschwebender Reigen von Putten). — Im Chor von S. Martino zu Neapel sind ausser der grossen Geburt Christi von Guido vier colossale Bilder dieser Gattung zu finden, deren zum Theil d berühmte Urheber doch hier nicht auf ihrer rechten Höhe erscheinen: Ribera , die Communion der Apostel; — Caracciolo , die Fusswa- schung; — Stanzioni , figurenreiches Abendmahl; — Erben des Paolo Veronese , Einsetzung der Eucharistie. (So Galanti, dem ich beim Erlöschen meiner Erinnerungen folgen muss.) — Von den Pas- sionsscenen (abgesehen von einzelnen Figuren, wie das Eccehomo, der Crucifixus) ist es hauptsächlich der Moment des Affectes im vorzugs- weisen Sinne, welcher nun tausendmal dargestellt wird: die Pietà, der vom Kreuz abgenommene Leichnam, umgeben von Maria, Johannes, Magdalena und Andern. Die Vorbilder Tizian’s und Coreggio’s be- rechtigten und reizten hier zur höchsten Steigerung des Ausdruckes. Wie bei der Scene unter dem Kreuze, so wird nun auch hier, dem Wirklichkeitsprincip gemäss, die Madonna fast immer ohnmächtig, d. h. der sittliche Inhalt muss mit einem pathologischen theilen. Wo die- ser Zug ausgeschlossen ist, wie z. B. in den Bildern, welche nur die Madonna mit dem Leichnam auf den Knieen darstellen ( Lod. Ca- e racci : im Pal. Corsini zu Rom; Annibale: im Pal. Doria und im f Museum von Neapel), da ist auch der Eindruck viel reiner. — Die g bedeutendste jener vollständigern Darstellungen ist wohl die schon wegen ihrer Anordnung (S. 1025) erwähnte Mad. della Pietà des h Guido (Pinacoteca von Bologna); leider hatte er den Muth nicht, diese Scene, wie Rafael seine Transfiguration in einen bestimmten obern, auf einen zweiten Augenpunkt berechneten Raum zu versetzen (etwa auf einen Hügel), sondern brachte sie als auf einer über den knieen- Moderne Malerei. den Heiligen hängenden Tapete gemalt, als Bild im Bilde an, bloss um raum-wirklich zu bleiben. — Herrlich ist dann (noch in ihrem Ruin) a die Pietà des Stanzioni über dem Portal von S. Martino zu Neapel; den seelenvollsten Bildern des Van Dyck gleich zu achten; auch in der edlen Haltung und Verkürzung des Leichnams alle Neapolitaner, zumal den Spagnoletto (S. 1026, b) übertreffend. — Luca Giordano b (Bild im Museum), der sich hier bemüht, innig zu sein, umgiebt we- nigstens die Leiche nicht mit caravaggesken Zigeunern, sondern mit gutmüthigen alten Marinari. — Von den Grabtragungen wurde die des c Caravaggio schon erwähnt; ein Bild des Annibale in der Galerie zu Parma ist aus der Zeit, da er dem Coreggio völlig zu eigen ge- hörte. — Von den Scenen nach der Auferstehung hat z. B. Guercino d den Thomas gemalt, welcher nicht bloss Christi Wunde berührt, son- dern ein paar Finger hineinschiebt (Gal. des Vaticans). Man frägt sich, wer die Beschauer sein mochten, die an einer so rohen Verdeutlichung und an so unedeln Charakteren Gefallen fanden. Allein man kann e noch viel gemeiner sein. Der Capuccino genovese hat dasselbe Factum (Pal. Brignole) so aufgefasst, als würde über eine Wette ent- schieden. — Die Himmelfahrt Christi wird fast ganz durch diejenige der Maria ersetzt, wovon unten. Aus dem Leben der Heiligen wird zunächst das Affectreiche und Bewegte nach Kräften hervorgehoben Eine Quelle solcher Inspirationen für die ganze Schule waren hauptsächlich jene jetzt erloschenen Fresken bei S. Micchele in Bosco. S. 1015, g. . Ein Hauptbild dieser Art f ist die Belebung eines Knaben durch S. Dominicus, von Tiarini (Cap. des Heiligen, in S. Domenico zu Bologna, rechts); dasselbe ist ange- füllt mit allen Graden der Verehrung und Anbetung. Gegenüber links g das Hauptwerk des Lionello Spada: S. Dominicus, der die ketze- rischen Bücher verbrennt, ein äusserlich leidenschaftliches Thun, dessen Entwicklung in Gruppen und Farben das Beste ist, was einem so entschlossenen Naturalisten gelingen mag. Allein geschichtliche Scenen dieser Art nehmen nur einen geringen Raum ein neben den beiden Hauptgegenständen dieser Zeit; welche oft genug auf Einem Bilde vereinigt sind: den Martyrien und den himmlischen Glorien . Der Affect in den Legenden. Die Martyrien. Für die Martyrien, welche zur Manieristenzeit (S. 997, f) sich von Neuem entschieden in der Kunst festgesetzt hatten, besass man ein grelles Präcedens von Coreggio (S. 955, b). Alle Maler wetteifern nun, nachdrücklich zu sein im Grässlichen. Der einzige Guido hat in a seinem bethlehemitischen Kindermord (Pinac. von Bologna) Mass zu halten gewusst, das eigentliche Abschlachten nicht dargestellt, in den Henkern Härte, aber keine bestialische Wildheit personificirt, die Grimasse des Schreiens gedämpft, ja durch eine schöne wahrhaft architektonische Anordnung und durch edel gebildete Formen das Grässliche zum Tragischen erhoben; er hat diese Wirkung hervor- gebracht ohne Zuthat einer himmlischen Glorie, ohne den verdächtigen Contrast des ekstatischen Schmachtens zu den Gräueln; sein Werk ist denn auch wohl die vollkommenste pathetische Composition des Jahr- hunderts. (Die Kreuzigung Petri, in der vatican. Galerie, scheint un- b freiwillig gemalt.) — Aber schon der sonst mild und schön gesinnte Domenichino, welch ein Schlächter je nach Umständen! Anzufan- gen von seinem frühen Fresco der Marter des heil. Andreas (in der c mittlern der 3 Capellen neben S. Gregorio in Rom); war es Wahl oder glücklicherer Zufall, dass sein Mitschüler Guido (gegenüber) den Gang zum Richtplatz darstellen und jenen herrlichen Moment treffen durfte, da der Heilige von fern das Kreuz erblickt und mitten im Zuge niederkniet? — Domenichino dagegen malt die eigentliche Marterbank und bedarf, um diese und ähnliche Scenen geniessbar zu machen, jener Zuschauer, zumal Frauen und Kinder, welche ihre Herkunft aus Rafaels Heliodor, Messe von Bolsena, Schenkung Roms, Tod des Ananias, Opfer zu Lystra etc. (S. 929) nur wenig verläugnen; von Domenichino aus verbreiten sich diese Motive dann über die meisten Werke der Nachfolger. In seiner Marter S. Sebastians (Chor von d S. M. degli angeli zu Rom, rechts) lässt er sogar Reiter gegen diese Zuschauer einsprengen und zersplittert damit das ganze Interesse. Vom Widrigsten, überdiess unangenehm gemalt, sind seine Marterbilder in e der Pinacoteca zu Bologna; in der Marter der heil. Agnes stimmt die Erdolchung auf dem Holzstoss sammt Zuthaten unsäglich roh zu all dem Geigen, Blasen und Harfnen der Engelgruppe oben; — die Marter des S. Pietro martire ist nur eine neue Redaction der tizianischen; — die Stiftung des Rosenkranzes gestehe ich gar nicht verstanden zu Moderne Malerei. haben; unter den weiblichen Charakteren und Engeln macht sich hier das nette, soubrettenhafte Köpfchen mit dem rothen Näschen, welches dem D. eigen ist, ganz besonders geltend. — Solche Beispiele mussten a schon in Bologna selbst Nachfolge finden. Von Canuti , einem sehr tüchtigen Schüler Guido’s, ist in S. Cristina (4. Alt. r.) die Misshand- lung der Heiligen durch ihren Vater — man sehe wie — gemalt. Auch Maratta , sonst Guido’s treuer Verehrer, holt sich in solchen Fällen doch lieber seine Inspiration aus Domenichino’s S. Sebastian (Marter b des heil. Blasius in S. M. di Carignano zu Genua, 1. Alt. r.). — Guercin ist in Martyrien erträglicher als man erwarten sollte. (Gal. c von Modena: Marter des heil. Petrus, Hauptbild; — Dom von Fer- d rara, Querschiff rechts: Marter des heil. Laurentius, sehr der Restau- ration würdig.) — Von dem Florentiner Cigoli sieht man in den e Uffizien eine mit grosser Virtuosität gemalte Marter des heil. Ste- phanus, der bereits mit Steinen geworfen und mit Fusstritten miss- handelt wird, in Gegenwart pharisäisch ruhiger Zuschauer. — Carlo f Dolci’s heil. Apollonia (Pal. Corsini in Rom) begnügt sich damit, uns die Zange mit einem der ausgerissenen Zähne auf das Niedlichste zu präsentiren. Wahrhaft abscheulich sind in solchen Fällen die eigentlichen Na- turalisten. Caravaggio selber zeigt uns in einem einzigen Kopfe schon die ganze falsche Rechnung des Naturalismus; es ist seine Me- g dusa in den Uffizien gemeint. Stets begierig nach einem Ausdruck des Augenblickes und schon desshalb gleichgültig gegen den tiefern immanenten Ausdruck (den er in der Grablegung gar wohl erreicht), malt er einen weiblichen Kopf im Moment der Enthauptung; könnte derselbe aber z. B. beim Ausreissen eines Zahnes nicht eben so aus- sehen? — Nothwendiger Weise erregt das Grässliche, wie diese Schule es auffasst, mehr Ekel als tiefes Bangen. Er selber sucht in einem seiner bestgemalten Bilder, dem Be- h gräbniss des heil. Stephanus (bei Camuccini in Rom) durch natur- wahre Darstellung des unterlaufenen Blutes Grauen zu erregen; seine i Marter des heil. Matthäus (S. Luigi in Rom, letzte Cap. 1.) wirkt durch die Zuthaten fast lächerlich. Sein Schüler Valentin hat zu viel Geist, um ihm auf diesen Bahnen zu folgen; in seiner Enthaup- k tung des Täufers (Pal. Sciarra zu Rom) tritt ein physiognomisches Marterbilder. Das Ceremoniöse. Interesse an die Stelle des Grässlichen. (Dieselbe Scene, das beste Bild des Honthorst in S. M. della scala zu Rom, rechts, lässt doch a ziemlich gleichgültig.) Andere dagegen malen so crud als möglich. Sujets wie der Mord Abels (von Spada , im Museum von Neapel), b das Opfer Isaaks (von Honthorst , im Pal. Sciarra zu Rom) werden c jetzt ganz henkermässig behandelt, vorzüglich aber die Heldenthat der Judith, wofür eine gewisse Artemisia Gentileschi eine Art Pri- vilegium besass. (Uffizien; Pal. Pitti; Pal. Sciarra); auch der Cavalier d Calabrese leistete das Mögliche (Mus. von Neapel). Andere, le- e gendarische Marterscenen übergehen wir. Durch einen sonderbaren Zufall war gerade die erste grosse römische Bestellung, welche Nic. Poussin erhielt, die Marter des heil. Erasmus , welchem die f Därme aus dem Leib gewunden werden. (Für S. Peter gemalt, jetzt in der Gal. d. Vaticans.) Er brachte ein Werk zu Stande, welches in Betreff des Kunstgehaltes zu den trefflichsten des Jahrhunderts gehört. (Kleine eigenhändige Wiederholung im Pal. Sciarra.) g Während nun um der vermeintlich ergreifenden Wirklichkeit willen nach dieser Seite hin alle Schranken übersprungen werden, zeigen sich dieselben Maler (die ja zum Theil Cavaliere hiessen!) bemüht, in heilige Vorgänge den guten Ton und die bemessenen Formen der da- maligen Gesellschaft hineinzubringen. (Vgl. Parmegianino S. 969, c, d.) Namentlich werden jetzt die Engel dazu erzogen, eine noble Diener- schaft vorzustellen, den Hof der heiligen Personen zu bilden. Im Refectorium der Badia bei Fiesole wird man nicht ohne Heiterkeit h betrachten, wie Christus nach der Versuchung von den Engeln bedient wird; doch sieht dergleichen bei Giov. da S. Giovanni , der das Fresco malte, immer naiv aus. Schon viel wohlerzogener sind die Engel in der grossen Taufe Christi von Albani (Pinac. v. Bologna); i man erinnert sich bei ihrer Dienstfertigkeit unwillkürlich, wie auf mit- telalterlichen Bildern die kleiderhaltenden Engel noch Zeit und Stim- mung zur Anbetung übrig haben. Putten als Lakaien ausserhalb der Scene wartend sieht man auf einer „Vermählung der heil. Catharina“ k von Tiarini (ebenda); ausser der genannten Heiligen wohnen auch S. Margaretha und S. Barbara der Ceremonie bei; der gute Joseph Moderne Malerei. schwatzt inzwischen draussen im Vordergrunde mit den drei kleinen Dienstboten, welche das Rad der Catharina, den Drachen der Mar- garetha und das Thürmchen der Barbara zu hüten haben. — Ein ge- wisses Ceremoniell war schon in den venezianischen Empfehlungs- bildern (S. 992) üblich. Jetzt kommen aber Dinge vor, wie z. B. ein a Condolenzbesuch sämmtlicher Apostel bei der trauernden Madonna; Petrus als Wortführer kniet und wischt sich mit dem Schnupftuch die Thränen ab (gemalt v. Lod. Caracci als Deckenbild der Sa- cristei von S. Pietro zu Bologna). Oder S. Dominicus stellt den heil. b Franz dem heil. Carmeliter Thomas vor, wobei ganz die höfliche Neu- gier herrscht die in solchen Fällen am Platze ist ( Lod. Caracci , in der Pinac.). Wie ganz anders giebt das XV. Jahrh. ein solches Zusammentreffen von Heiligen! (S. 591, b.) In Aless. Allori’s Krö- c nung Mariä (agli Angeli, Camaldulenser, in Florenz, Hochaltar) küsst Maria dem Sohne ganz ergeben die rechte Hand. — Auch S. Antonius von Padua bekömmt das Kind gar nicht immer auf die Arme, son- d dern es wird ihm nur zum Handkuss hingereicht (Bild des Lod. Caracci , Pinac. v. Bologna). Wir wenden uns nun zu denjenigen Bildern, in welchen der Seelenausdruck vor dem erzählenden Element den Vorrang hat, um dann zur Behandlungsweise des Überirdischen überzugehen. Der Ausdruck sehnsüchtiger Inbrunst, ekstatischer Andacht, des Verlorenseins in Wonne und Hingebung war von den grossen Mei- stern der goldenen Zeit auf wenige, seltene Gelegenheiten verspart worden. Zwar macht bereits Perugino recht eigentlich Geschäfte da- mit, allein Rafael malte nur Einen Christus wie der in der Trans- figuration, nur Eine heil. Cäcilia; Tizian nur Eine Assunta wie die in der Academie von Venedig. Jetzt dagegen wird dieser Ausdruck ein Hauptbestandtheil desjenigen Affectes, ohne welchen die Malerei überhaupt nicht mehr glaubt bestehen zu können. Zu einer endlosen Masse vermehren sich nunmehr jene einzelnen Halbfiguren , welche von den frühern Schulen in verschiedener Absicht, z. B. in Venedig als schöne Daseinsbilder waren gemalt wor- den. Jetzt liegt ihr Hauptwerth darin, dass man jenen gesteigerten Affect in Einzelfiguren. Ausdruck ohne weitere Motivirung darin anbringen kann. Die Sehn- suchtshalbfigur bildet fortan eine stehende Gattung. (Ein früheres vereinzeltes Beispiel bei gewissen Nachfolgern Lionardo’s S. 870, d.) Zunächst wird jetzt statt eines schlichten Christuskopfes durchgängig der Dornengekrönte, das Eccehomo gemalt. (Pal. Corsini in Rom, a von Guido, Guercino und C. Dolci ; — Pinac. in Bologna, die b vortreffliche Kreidezeichnung Guido’s .) Das Motiv, wie man es gab, stammt wesentlich von Coreggio, allein die Reproduction ist bisweilen frei, erhaben und tiefsinnig zu nennen. Unter den Madonnen werden die Bilder der Mater dolorosa zahlreicher. Die vielen Halbfiguren von Sibyllen , deren trefflichste von Guercino, Domenichino in und ausserhalb Italien zerstreut sind, haben meist den Ausdruck des Emporsehnens (S. 931). Für Propheten und Heilige aller Art gab es eigene Werkstätten; in sehr verschiedener Weise und doch der Absicht nach eng verwandt arbeiteten besonders Spagnoletto und Carlo Dolci dergleichen. Den erstern möge man in den Ga- lerien von Parma und Neapel verfolgen, den letztern im Pal. Pitti, c in den Uffizien, und besonders im Pal. Corsini zu Florenz, wo man d auch seinen Nachahmer Orazio Marinari kennen lernt. Über Dol- ci’s Süsslichkeit, seiner conventionellen Andacht mit Kopfhängen und Augenverdrehen, seinen schwarzen Schattten und geleckten Licht- partien, der übereleganten Haltung der Hände etc. darf man doch einen bedeutenden angeborenen Schönheitssinn nicht vergessen, auch den Fleiss der Ausführung nicht. — Von den Neapolitanern hat An- drea Vaccaro (Mus. von Neapel) in solchen Bildern am meisten e Ernst und Würde, wie er sich denn selbst in seinem Kindermord (ebenda) zu mässigen weiss. (Sein bestes Bild sonst der Gekreuzigte f mit Angehörigen, in Trinità de’ Pellegrini.) Ob heilige oder profane Personen dargestellt werden, ändert im Ganzen nicht viel. Die Lucretien, Cleopatren, auch die Judith wo sie ekstatisch aufwärts schaut ( Guercino , im Pal. Spada zu Rom), der g siegreiche David in ähnlichem Moment ( Gennari , Pal. Pitti), ja h selbst der sich erstechende Cato ( Guercino , Pal. Brignole in Genua), i u. dgl. m. zeigen nur andere Nuancen desselben Ausdruckes. Auch ganze oder fast ganze Figuren in Einzeldarstellung wer- den sehr häufig, eben diesem Ausdruck zu Liebe. An ihrer Spitze Moderne Malerei. steht S. Sebastian; die besten Bilder glaube ich (S. 1016, a) schon ge- a nannt zu haben (wozu noch der Guercino , Pal. Pitti, zu rechnen sein mag). Dann betende Heilige in Überfluss; der reuige Petrus b (man vgl. Guercino , im Mus. v. Neapel — hier mit dem Schnupf- c tuch! — Guido und C. Dolci , beide im Pal. Pitti; Pierfranc . d Mola im Pal. Corsini zu Rom) auf allen Stufen des Jammers; — büssende Magdalenen aller Art, von der heftigsten Betheurung bis zur e ruhigen Beschaulichkeit ( Cristofano Allori , im Pal. Pitti; Do- f menico Feti , in der Acad. v. Venedig; Guercino , in der vatican. Galerie, motivirt die Rührung der M. dadurch, dass zwei Engel ihr die Nägel vom Kreuz vorweisen müssen); — S. Franz im Gebet (be- g sonders niedrigen Charakters bei Cigoli , Pal. Pitti und Uffizien). — Bei Darstellung der Mönchsandacht hat der Carthäuserorden einen ganz merkwürdigen Vorzug einfacherer Innigkeit (S. 700, b). Was in Le Sueur’s Geschichten des heil. Bruno (Louvre) am Meisten ergreift, findet sich auch in italienischen Carthäuserbildern wieder. Die Ereig- nisse sind nicht günstiger noch ungünstiger für die malerische Behand- lung als diejenigen anderer Orden; es ist dieselbe Art von Visionen, Casteiungen, Thätigkeiten (besonders Schreiben), Gebeten, Wunder- wirkungen durch Geberde, bis auf den Tod auf dem harten Lager oder unter Mörderhänden. Allein die tiefe und stille Seelenandacht, mag sie den Blick nach oben wenden oder demüthig sinnend auf die Brust senken, vergisst hier die Welt und den Beschauer mehr als irgendwo. Man wird in allen Certosen Italiens dieses Gefühl haben; h am schönsten vielleicht bei Stanzioni (zu S. Martino in Neapel, Cap. di S. Brunone, die 2. 1., mit Geschichten und Apotheose des i Heiligen; womit seine „Fürbitte des S. Emidio“ in Trinità de’ Pelle- k grini, sowie das Bild seines Schülers Finoglia im Museum zu ver- gleichen ist: S. Bruno der die Ordensregel empfängt). Auch Guer- l cino’s Madonna mit den beiden betenden Carthäusern (Pinac. von Bologna) ist eines seiner liebenswürdigsten Werke. Die vollkommene Weltentsagung giebt dem Orden in der That einen ganz eigenen Ty- pus. Übrigens mögen auch die weissen Gewänder dieser Ordensleute eine ruhige, feierliche Haltung fast gebieterisch verlangt haben. Meh- rere zusammen, in heftiger Bewegung, gäben gar kein Bild mehr. Desshalb verhält sich auch S. Romuald mit seinen Camaldulensern Die Carthäuserandacht. Ekstasenmalerei. auf dem schönen Bilde des Sacchi (Gal. des Vaticans) ganz eben a so ruhig. Neben dieser immer schönen und gemässigten Andacht entsteht aber eine eigentliche Ekstasenmalerei; eine Glorie oben, unten der oder die Heilige, der Ohnmacht nahe, ringsum Engel als Helfer und Zuschauer. Die Legende des heil. Franz enthält einen in der Kunst berechtigten, desshalb auch von jeher dargestellten Moment, welcher die höchste ekstatische Aufregung voraussetzt: den Empfang der Wundmale. Schmerz und Entzücken und Hingebung so in Eins fliessen zu lassen, dazu war die Malerei des XVII. Jahrh. vorzüglich fähig. (Bild Guer- b cino’s , alle Stimmate zu Ferrara, Hauptaltar.) Allein dass man auch bei andern Heiligen nicht mehr mit der guten und wahren Andacht zufrieden war, bei der Darstellung der Verzücktheit aber keinen hö- heren Moment mehr kannte als das Ohnmächtigwerden (vgl. S. 1029), — das musste zur widrigen Lüge führen. Ein sehr gut gemaltes Bild dieser Art mag statt aller genannt werden: die Ohnmacht des S. Sta- c nislas, im Gesù zu Ferrara, 2. Alt. r., von dem späten Bologneser Giuseppe Crespi . — Nur Eins fehlt, um die Entweihung zu voll- enden: ein lüsterner Ausdruck in den Engeln; Lanfranco , der ge- malte Bernini (S. 709, c), sorgt auch dafür. (Ekstase der S. Margherita d da Cortona, Pal. Pitti.) Das Jahrhundert war in diesen Sachen ganz verblendet. Ein schönes Bild des Cavedone (in der Pinac. v. Bo- e logna), Madonna auf Wolken, das Kind den unten knieenden Heiligen zeigend, enthält zweierlei Ausdruck; in dem heiligen Schmid (S. Eli- gius?) die conventionelle Inbrunst, in S. Petronius aber, mit seinen drei Chorknaben, eine ruhige rituelle Andacht; wie ungleich ergrei- fender die letztere auf uns wirkt — ahnte es der Meister oder nicht? Auch die Madonna wird jetzt dann mit der grössten Vorliebe dargestellt, wenn sie nicht mehr bloss Object der Anbetung ist, sondern selber die überirdische Sehnsucht, den heiligen Schmerz empfindet. Jener schöne Kopf des Van Dyck (S. 1020, o) beweist es allein schon; die Assunten und Schmerzensmütter repräsentiren fast durchgängig ein höheres Wesen als die blosse Mutter des Bambino, welche eben doch dem Naturalismus anheimfällt ohne dabei immer naiv zu sein, wie in Moderne Malerei. jenen herrlichen Bildern Murillo’s. Es giebt gute, in Coreggio’s Art gemeinte Mütter und heilige Familien von den Caracci, zumal An- a nibale. Guido ist sehr ungleich; eine vorzügliche Madonna mit dem schlafenden Kinde soll im Quirinal sein; eine gute frühe heil. b Familie im Pal. Spinola, Str. nuova zu Genua; aber eine seiner wich- c tigsten Madonnen, die er als besonderes Bild (Brera zu Mailand, eine d Nachahmung von Elis. Sirani im Pal. Corsini zu Rom) und dann e als Bestandtheil des grossen Bildes vom Pestgelübde (Pinac. zu Bo- logna) behandelt hat, sieht unleidlich prätentiös aus, als liesse sie das Kind für Geld sehen. Überhaupt wird die Mutter in dieser Epoche f nur zu oft eine missmuthige Custodin des Kindes (Ovalbild des Ma- ratta im Pal. Corsini zu Rom); sie hat oft etwas zu schelten, sodass Musikputten u. dgl. Dienerschaft nur ganz schüchtern mit einer ab- gemessenen Ergebenheit ihre Befehle empfangen und der kleine Jo- hannes sich kaum recht herbeiwagt. Das vornehme, zurückhaltende Wesen, das hier den heiligen Personen zugetraut wird (vgl. S. 1033) findet seine Parallele in damaligen Ansichten über den geistlichen Stand (Ranke, Päpste, III, 120). — Nicht umsonst fühlt man sich immer wieder von Sassoferrato gefesselt, dessen milde, schöne, gewissenhaft gemalte Madonnen ohne Ausnahme ein Mutterherz haben, worüber man den Mangel an Grossartigkeit und an höherm Leben g vergisst. (Beispiele a. m. O., bes. Pal. Borghese in Rom; Brera zu h Mailand; Pal. Manfrin in Venedig; in S. Sabina zu Rom, Cap. rechts i vom Chor, das einzige grössere Altarbild: Madonna del rosario, von k trefflichster Ausführung; — in den Uffizien und im Pal. Doria zu Rom betende Madonnen ohne Kind, demüthig abwärts schauend, ohne die Verhimmelung, durch welche sich z. B. Carlo Dolci von Sasso- ferrato gründlich unterscheidet.) — Unter den Madonnen der Natura- listen wird eines der oben (S. 1010, b) erwähnten Bilder des Pellegro Piola zum Besten und Liebenswürdigsten gehören; Caravaggio dagegen überträgt auch diese einfache Aufgabe in seine beliebte Zi- l geunerwelt (grosse heil. Familie im Pal. Borghese). Ähnlich Schi- m done (Pal. Pallavicini zu Genua). Maratta’s Madonnen sind wie- derum der Nachhall des Guido. Madonna. Glorien und Visionen. Die Santa conversazione (Madonna mit Heiligen) muss sich nun, wie schon bei den spätern Venezianern, irgend einem Affect und Moment bequemen, indem Madonna und das Kind zu einem der Hei- ligen in eine besondere Beziehung treten, wobei sich dann auch die Übrigen irgendwie betheiligen. Unzählige Male geschah diess z. B. unter Coreggio’s Ägide mit dem bedenklichen Sujet der Vermählung der heil. Catharina. Aber noch häufiger wird Mutter und Kind aus der Erdenräumlichkeit hinaus in die Wolken versetzt und mit Engeln umgeben; es beginnt das Zeitalter der Glorien und Visionen , ohne welche zuletzt kaum mehr ein Altarbild zu Stande kömmt. Das Vorbild ist dabei nicht eine Madonna von Foligno, sondern direct oder indirect die Domkuppel von Parma mit der illusionären Unten- sicht, der Wolkenwirklichkeit, den Engelschaaren. Dieser Art sind mehrere Hauptbilder der Pinacoteca von Bologna, wie z. B. Guido’s a schon erwähntes Bild des Pestgelübdes, in dessen unterer Hälfte sieben Heilige knieen, zum Theil von dem bedeutendsten Ausdruck der ihm zu Gebote steht; — Guercino’s Einkleidung des S. Wil- b helm von Aquitanien theilt mit seiner „Begräbniss der heil. Petronilla“ c (Gal. d. Capitols) den Übelstand, dass die himmlische Gruppe ausser Verbindung mit der irdischen bleibt und doch zu nahe auf dieselbe drückt, aber auch die breite, meisterlich energische Behandlung ist in beiden Bildern dieselbe. (Auch wieder ein Beleg für die Vertauschung der Santa conversazione gegen ein momentanes Geschehen; eigentlich mussten nur der heil. Bischof Felix, S. Wilhelm, S. Philipp und S. Jacob mit der Madonna auf Einem Bilde vereinigt werden.) — Luca Giordano ist bei einem solchen Anlass von seinem unzerstörbaren Temperament richtig geführt worden; seine Madonna del rosario (Mus. d v. Neapel) schwebt unter einem von Engeln getragenen Baldachin auf Wolken einher, während vorn S. Dominicus, S. Chiara u. a. Andäch- tige verehrend ihrer harren; diese Übertragung der Glorie in eine himmlische Procession war echt volksthümlich neapolitanisch und das Einzelne ist auch danach gegeben. (Ein anderes grosses Bild von e Luca in der Brera zu Mailand.) — Ins Masslose geht z. B. die Dop- pelvision des Ercole Gennari (Pinac. v. Bol.); Madonna erscheint f auf Wolken dem ebenfalls auf Wolken über stürmischem Meer schwe- benden S. Niccolò von Bari. Auch der Contrast der Glorien mit Mar- Moderne Malerei. tyrien (s. oben), so poetisch er sich anlässt, hat etwas künstlerisch Unechtes. Aber das Überirdische kommt selbst in die einsame Klosterzelle, in das Dasein eines einzelnen heiligen Menschen hereingeschwebt. Hier, in geschlossenen Räumen, ist die örtliche Wirklichmachung in der Regel sehr störend. Es würde wie Spott klingen, wenn wir selbst die besten derartigen Bilder von dieser Seite prüfen und namentlich das Benehmen der hier ganz ungenirten Engel näher schildern woll- a ten. (Pinac. v. Bologna: S. Anton v. Padua, dem Bambino den Fuss b küssend, von Elisabetta Sirani ; — S. Giacomo magg. zu Bologna, 4. Alt. r.: Christus erscheint dem Johannes a S. Facundo, von Ca- vedone .) Wenn ein herberer Naturalist wie z. B. Spagnoletto das Visionäre ganz weglässt, so kömmt wenigstens ein harmloses c Genrebild zu Stande; sein S. Stanislas Kostka (Pal. Borghese) ist ein einfacher junger Seminarist, dem man ein Kind auf den Arm gelegt hat, und der nun ganz gutmüthig aufmerkt wie es ihn am Kragen fasst. Die auf Wolken schwebende Madonna ist in dieser Zeit kaum mehr zu unterscheiden von der Assunta, der gen Himmel fahrenden Maria. (Wie deutlich hatte noch Tizian die Assunta als solche be- zeichnet!) Auch jetzt werden übrigens gewisse Bilder ausdrücklich d als Himmelfahrten gemalt. So das colossale Bild Guido’s in S. Am- brogio zu Genua (Hauptaltar rechts), eines derjenigen Meisterwerke, e welche kalt lassen. Von den Assunten des Agostino und Anni- bale Caracci in der Pinac. zu Bologna ist die erstere, bedeutendere wieder ein rechtes Beispiel der räumlichen Verwirklichung des Über- sinnlichen; das „Aufwärts“ ist durch schiefes Liegen auf einer schö- nen Engelgruppe veranschaulicht; glücklicher Weise giebt auch noch der Kopf den schönen Eindruck der sich in Wonne auflösenden Sehn- sucht. — Die unten am Grabe versammelten Apostel erheben sich selten zu irgend einer reinern Begeisterung. f Einzelne Altarbilder sind auch ganz mit der Glorie angefüllt. In S. Paolo zu Bologna (2. Cap. r.) sieht man eines der trefflich ge- malten Bilder des Lod. Caracci , „il paradiso“; merkwürdig als vollständiges Specimen jener Engelconcerte, durch welchen die Schule sich von ihrem Ahn Coreggio wider Willen unterscheidet. Seine Glorien. Gewölbemalereien. Engel haben selten Zeit zum Musiciren. — Ein eigenthümliches Glo- rienbild des Bonone steht in S. Benedetto zu Ferrara auf d. 3. Alt. a links; der Auferstandene wird von neun auf Wolken um ihn grup- pirten benedictinischen Heiligen verehrt, geküsst, angebetet, bestaunt; die santa conversazione wird zur gemeinschaftlichen ekstatischen Ver- klärung (Parallele: Fiesole’s Fresco in S. Marco, S. 790, c.) Vor allem aber sind die Glorien der Hauptgegenstand für die Kuppel- und Gewölbemalereien (S. 386, ff.). Coreggio’s ge- fährliches und unerreichbares Vorbild wird Anfangs ernst genommen. Es ist unmöglich, einer Arbeit die Achtung zu versagen wie z. B. den Fresken des Lodovico Caracci an dem Bogen vor der Chor- b nische des Domes von Piacenza; diese jubelnden Engel welche Bücher halten und Blumen streuen, haben ein grandioses Leben und einen fast ganz echten monumentalen Styl. Domenichino’s 4 Evangelisten c an den Pendentifs der Kuppel von S. Andrea della Valle zu Rom sind zum Theil grossartiger als irgend eine Pendentifgestalt in Parma; und wenn er mit den allegorischen, noch sehr schön gezeichneten Fi- d guren der Pendentifs von S. Carlo a’ catinari gleichgültig lässt, wenn er in den auffallend geringern Pendentifs des Tesoro im Dom von e Neapel Allegorisches, Historisches und Überweltliches auf anstössige Weise mischt, so geben wir dort der Allegorie als solcher, hier der gedrückten Stimmung des arg misshandelten Meisters die Schuld. — Guido bringt in seinem (sehr übermalten) Engelconcert bei S. Gre- f gorio in Rom (von den 3 Capellen daneben diejenige rechts) wenig- stens einen ganz naiven und heitern Eindruck hervor durch die schö- nen jugendlichen Gestalten ohne Pathos. In der Glorie des heil. Dominicus (Halbkuppel der Cap. des Heiligen in S. Domenico zu Bo- g logna) richten zwar die musicirenden Engel einen conventionellen Blick nach oben, Christus und Maria sind im Ausdruck des Empfan- gens ganz unbedeutend, allein höchst grandios schwebt der Heilige, dessen schwarzer Mantel von Putten ausgespannt wird. — Zu diesen frühen, mit höherer Anstrengung gemalten Glorien gehört auch Bo- none’s schöne Halbkuppel in S. Maria in vado zu Ferrara, anbetende h Patriarchen und Propheten. — Unter den Neapolitanern ist Stan- B. Cicerone. 66 Moderne Malerei. a zioni der gewissenhafteste; an der Flachkuppel der Cap. des heil. Bruno zu S. Martino in Neapel (die 2. 1.) ist trotz der allzu gründ- lich gehandhabten Untensicht das anbetende Aufwärtsschweben des Heiligen, die Wolke von Putten, das Concert der erwachsenen Engel ungemein schön und stylvoll gegeben; — an der Flachkuppel der 2. Cap. r. dagegen hat St. der Auffassung seiner Schule seinen vollen Zoll entrichtet in einem Gegenstande, der über den Horizont derselben ging: Christus in der Vorhölle. — Ausserdem ist hier ein Maler zu beachten, bei welchem man sonst nicht gewohnt ist, Besseres in die- b ser Gattung zu suchen: der Calabrese . Im Querschiff von S. Pietro a Majella hat er in flachen Deckenbildern die Geschichten Papst Cö- lestins V und der heil. Catharina von Alexandrien gemalt, diessmal nicht bloss mit äusserlicher Energie, sondern mit Geist und Beson- nenheit; beinahe würdevoll wird sein Naturalismus in dem Bilde, wo die Leiche der Catharina von fackeltragenden, blumenstreuenden, sin- genden Engeln auf Wolken nach dem Sinaï gebracht wird. Allein nur zu bald gestaltet sich die Gewölbemalerei zum Tum- melplatz aller Gewissenlosigkeit. In Erwägung, dass selten Jemand die physischen Kräfte habe, ein Deckenbild genau und lange zu prü- fen und dass man doch nur für den Gesammteffect einigen Dank ernte, reducirte man sich auf denjenigen Styl, von welchem bei Anlass des Pietro da Cortona (S. 1017) die Rede gewesen ist. Den Übergang macht der gewissenlose Lanfranco , zunächst indem er den Dome- c nichino bestahl (Pendentifs der Kuppel im Gesù nuovo zu Neapel, d auch die in SS. Apostoli daselbst, wo auch all die gleichgültigen, unwahren Malereien der Decke und der bessere „Teich von Bethesda“ über dem Portal von L. sind), dann durch zuerst schüchterneres, bald e frecheres Improvisiren (Gewölbe und Wandlunetten in S. Martino da- f selbst; Kuppel in S. Andrea della Valle zu Rom). Wie er sonst das g Übersinnliche anzupacken gewohnt war, zeigt z. B. sein S. Hierony- mus mit dem Engel (Mus. v. Neapel). Die Nachfolger bekamen nun nicht bloss Kuppeln, sondern Kirchengewölbe aller Art mit Glorien, Paradiesen, Assunten, Visionen zu füllen; ausser den schwebenden, in allen Graden der Untensicht gegebenen Gruppen und Gestalten setzt sich am Rande ringsum ein Volk von andern Gruppen an, wel- ches auf Balustraden, Absätzen u. s. w. steht; für diese schuf Pozzo Kuppel- und Gewölbefresken. (S. 387) jene neue Räumlichkeit in Gestalt prächtiger perspectivischer Hallen. Wo bleibt nun das wahrhaft Überirdische? Mit einer unglaub- lichen Oberflächlichkeit sieht man dem Coreggio das Äusserlichste sei- ner Schwebeexistenz, seiner Leidenschaft, seiner Ekstasen, namentlich seine Wolken und Verkürzungen ab und combinirt daraus jene tau- sende von brillanten Schein- und Schaumscenen, deren illusionäre Wirkung dann noch durch die oben (S. 388, c u. f) geschilderten kümmerlichen Hülfsmittel gesteigert und gesichert werden soll. Wer möchte in diesem Himmel wohnen? wer glaubt an diese Seligkeit? wem giebt sie eine höhere Stimmung? welche dieser Gestalten ist auch nur so ausgeführt, dass wir ein Interesse an ihrem Himmels- dasein haben könnten? Wie lungern die meisten auf ihren Wolken herum, wie lässig lehnen sie davon herab. Ausser den bei obigem Anlass angeführten Arbeiten des Pozzo u. A. sind noch am ehesten folgende zu nennen. Gauli : das grosse a Fresco im Hauptschiff des Gesù in Rom, mit besonders flink gehand- habten Farben und Verkürzungen; der Maler will mit allen Mitteln glauben machen, dass seine Heerschaaren aus dem Empyreum durch den Rahmen herabschwebten gegen den Hochaltar hin. (Ölskizze im b Pal. Spada.) — In Genua die brillantesten: Gio. Batt. Carlone (Fresken von S. Siro etc.), und Carlo Baratta (S. M. della Pace, c Querschiff r., Assumption der heil. Anna). — In Venedig: der hell- farbige Gio. Batt. Tiepolo , der die Untensicht vielleicht am wei- testen treibt, sodass Fusssohlen und Nasenlöcher die charakteristischen Theile seiner Gestalten sind. (Assunta, an der Decke von S. M. della d pietà, an der Riva; Glorie des heil. Dominicus in SS. Giov. e Paolo, e letzte Cap. r.) Wie zuerst Mengs mit seinem einsamen Protest die- ser wuchernden Ausartung gegenüberstand, ist oben (S. 1014) erwähnt worden. Die vollständige Reaction von Seiten eines neuclassischen Styles, den wir nicht mehr zu schildern unternehmen, tritt ein mit Andrea Appiani . (Fresken in S. Maria presso S. Celso in Mailand.) f Die profane Malerei ist in Zeiten eines allverbreiteten Na- turalismus von der heiligen kaum zu scheiden. Vollends die Ge- schichten des alten Testamentes, z. B. in den vielen Bildern von halben 66* Moderne Malerei. und ganzen Figuren, welche aus Guercino’s Werkstatt hervorgingen, werden von den profanen Historien im Styl nicht abweichen. Es giebt z. B. gerade von Guercino ausser den gleichgültigen Historien (z. B. a Ahasver und Esther, bei Camuccini) auch einige vortreffliche wie die oben (S. 1012) genannten, oder wie sein „Salomo mit der Königin von b Saba“ (S. Croce in Piacenza, Querschiff r.). — Geschichten wie die der Susanna, oder der Frau des Potiphar mit Joseph (grosse Bilder c des Biliverti im Pal. Barberini zu Rom und in den Uffizien), oder des Loth und seiner Töchter, Situationen wie die der Judith nehmen von der Bibel nicht mehr als den Vorwand her. (Die Susanna des d Capuccino im Pal. Spinola, Str. nuova, zu Genua.) Die schönste e Judith ist ohne allen Zweifel die des Cristofano Allori (Pal. f Pitti, kleines Ex. im Pal. Corsini zu Florenz, sehr ruinirtes Ex. im g Pal. Connestabile zu Perugia); freilich eine Buhlerin, bei welcher es zweifelhaft bleibt, ob sie irgend einer Leidenschaft des Herzens fähig ist, mit schwimmenden Augenlidern, schwellenden Lippen und einem bestimmten Fett, wozu der prächtige Aufputz vorzüglich gut stimmt. h Edler ist wohl bisweilen Guido’s Judith (z. B. im Pal. Adorno zu Genua); auch die des Guercin (S. 1036); bei beiden hie und da mit dem Ausdruck sehnsüchtigen Dankes. — Auch die Tochter des He- rodes ist als Gegenstand am besten hier zu nennen. (Kalt und pomp- i haft, von Guido , Pal. Corsini in Rom.) Bei Domenichino sind alttestamentliche Historien im Ganzen das allerschwächste. Vier Ovale k al fresco, in S. Silvestro a monte cavallo zu Rom, 1. Querschiff; (im r. Querschiff sieht man das fleissige Hauptbild eines seiner wenigen l Schüler, Ant. Barbalunga , Gottvater in einer Glorie, unten zwei m Heilige); — im Casino Rospigliosi: das Paradies, und der Triumph n Davids (?); — Pal. Barberini: der Sündenfall, aus lauter Reminiscenzen bestehend. — David mit Goliaths Haupt, das Gegenstück zur Judith, unzählige Male, am gemeinsten von Domenico Feti , der ihn auf o dem Haupte sitzen lässt (Pal. Manfrin in Venedig). Die Parabeln des neuen Testamentes, welche durch edle Be- handlung gar wohl einen biblischen Typus erhalten können, erman- geln in dieser Zeit durchgängig einer solchen Weihe, ohne doch durch genrehaften Reiz (wie z. B. bei Teniers) oder durch Miniaturpracht p (wie z. B. Elzheimer’s „verlorner Sohn“ im Pal. Sciarra) zu ent- Scenen des A. T.; Parabeln; Profanmalerei. schädigen. Dem Calabrese , als er die Rückkehr des verlornen Sohnes malte (Museum von Neapel), erschienen offenbar die Präce- a dentien seiner Hauptperson als etwas sehr Verzeihliches. „Es hat eben sein müssen.“ — Domenico Feti (mehrere kleine Parabel- bilder im Pal. Pitti und den Uffizien) ist hier einer der Bessern. b Die eigentlich profane Malerei, mythologischer, allegorischer und historischer Art, wozu besonders noch eine Menge Scenen aus Tasso kommen, kann hier nur kurz berührt werden. Die Caracci gaben mit ihrem Hauptwerk im Pal. Farnese im Ganzen den Ton an. Wie c sie hier die idealen Formen bildeten, ohne reine Grösse und ohne rechtes hinreissendes Leben (S. 1011), aber tüchtig und consequent, so componirten sie auch die Liebesscenen der Götter. Was sie in Bologna von römischer Geschichte u. dgl. in die Friese von Sälen ge- malt haben (Pal. Magnani, Pal. Fava), ist daneben kaum des Aufsu- d chens werth. (Bedeutend sollen Lod. Caracci’s Fresken im Pal. e del Giardino zu Parma sein.) Von den Kaminbildern der Schule wer- den leider die besten ausgesägt, wie ich denn eine schöne improvi- sirte Figur dieser Art von Guido in einem Magazin käuflich gefunden habe. — Bei Camuccini in Rom drei Bilder aus Tasso, von pastoral- f heroischer Auffassung, in leuchtend schönen Landschaften, als Werke des Agostino, Lodovico und Francesco Caracci geltend. — Das Beste und Schönste verdankt man Domenichino . Das Bild der schiessenden und badenden Nymphen (Pal. Borghese in Rom) g zeigt zwar weder ganz reine Formen noch venezianische Lebensfülle, allein herrliche Motive und jenen echten idyllischen Charakter, wel- cher hier wie bei den Venezianern (S. 976) die glücklichste Eigen- schaft mythologischer Bilder ist. Die abgenommenen Fresken aus der Villa Aldobrandini bei Frascati (jetzt ebenda) behaupten diesen selben Charakter durch ihre Anordnung in grossartiger Landschaft. Die Deckenfresken im Hauptsaal des Pal. Costaguti in Rom enthalten zwar h eine unglückliche Allegorie (der Gott der Zeit hilft der Wahrheit, sich zum Sonnengott zu erheben), aber die Formen sind schöner und ge- wissenhafter als bei den andern Malern, die in diesem Palast gemalt haben (Guercino, Albani, Lanfranco etc.) Zwei kleine, sehr hübsche i mythologische Bildchen im Pal. Pitti. — Der nächste, welcher in der Behandlung des Mythologischen von D. lernte, war Albani , dessen Moderne Malerei. a vier Rundbilder der Elemente (Pal. Borghese) die coketteste Lieblich- keit erreichen, deren ein Bologneser fähig war: ein paar hübsche kleine b Bilder in den Uffizien; hübsche Putten am Gewölbe der Chornische c in S. M. della Pace zu Rom. Den tiefsten Eindruck muss aber Do- menichino auch hier auf Nic. Poussin gemacht haben. Sein Triumph d des Ovid (Pal. Corsini in Rom), sein Einzug der Flora (Gal. des Ca- e pitols), sein Zeitgott, der den Horen zum Tanze aufspielt (Academie von Venedig) mit ihren erloschenen Farben und etwas allgemeinen Formen reizen den Blick nicht; wer aber die Kunst geschichtlich be- trachtet, wird dieses Streben, in der Zeit der falschen Prätensionen rein und wahr zu bleiben, nur mit Rührung verfolgen können. Und einmal ist er auch ganz naiv und schön, in der Hirtenscene oder No- f vellenscene des Pal. Colonna; einem Bilde, welches sich gar wohl dem berühmten „Et in Arcadia ego“ (Louvre) gleichstellen darf. — Guercino hat ausser jenen Fresken der Villa Ludovisi (S. 1016, f) eine g Anzahl meist gleichgültiger Historienbilder gemalt (Mucius Scævola, im Pal. Pallavicini zu Genua), unter welchen nur die genannte Dido h auf dem Scheiterhaufen (im Pal. Spada zu Rom) durch Schönheit des Ausdruckes und durch ungemeine Kraft der Farbe sich auszeichnet. — Von einem sonst wenig bekannten Giacinto Geminiani ist in den i Uffizien (I. Gang) eine „Auffindung der Leiche Leanders“, welche die besten Inspirationen eines Guercino und Poussin in hohem Grade zu vereinigen scheint. — Guido lässt mit solchen Scenen in der Regel k sehr kalt. Seine Nausicaa (Mus. von Neapel) hält mit grosser See- lenruhe Hof zwischen ihren Mägden. Seine Entführung der Helena l (Pal. Spada) geschieht wie ein anderer Ausgang am hellen Tage. Das treffliche Bild einer Nymphe und eines Helden, in den Uffizien. — Von der Elis. Sirani , welche Guido’s maniera seconda zu reprodu- m ciren nicht müde wird, findet man eine Caritas mit drei Kindern im Pal. Sciarra. Die Naturalisten malten lieber das Heilige profan als das Profane ideal; sie entschädigten sich durch das Genre. Salvator , der ihnen entrann, um sich in allen möglichen Gattungen zu versuchen, gab in n seinem schon erwähnten Catilina (Pal. Pitti) eine ausgesuchte Ge- Mythologie und Allegorie. sellschaft bösartig gemeinen, vornehm costumirten Gesindels. Carlo Saraceni malt z. B. (Pal. Doria in Rom) die Juno, welche dem a enthaupteten Argus die Augen mit eigenem Finger ausgräbt, um sie auf ihren Pfau überzutragen; der Charakter der Göttin ist dieser Action gemäss. Mit Pietro da Cortona , bei den Neapolitanern mit Luca Giordano , beginnt auch für die mythologische und allegorische Frescomalerei das Zeitalter der reinen Decoration. Pietro’s ungeheures Deckenfresco, welches den Ruhm des Hauses Barberini verherrlicht, und seine Deckenmalereien im Pal. Pitti wurden schon angeführt; um zu errathen, was er eigentlich meint, bedarf es einer beträchtlichen Kenntniss der barberinischen und mediceischen Hausgeschichte. Der Plafond Luca’s in der Galeria des Pal. Riccardi in Florenz zeigt, b wie Cardinal Leopold, Prinz Cosimo (III) u. A. als Lichtgottheiten auf den Wolken daher geritten kommen; ringsum ist der ganze Olymp vertheilt. Wie gerne geht man von da zu Giov. da S. Giovanni , dessen Allegorien (im grossen untern Saal des Pal. Pitti) noch ab- c surder ersonnen, aber doch noch mit Liebe, Schönheitssinn und Far- benglanz ausgeführt sind. — Die Cortonisten und Nachfolger Luca’s noch einmal zu nennen, wie sie sich durch die Paläste von ganz Ita- lien verbreiteten, verbietet uns der Raum. Wer sich von ihrer Styl- complicität einen Begriff machen will, braucht z. B. nur dem beliebten Thema vom Raub der Sabinerinnen nachzugehen und aufzumerken, was an diesem Moment durchgängig und ausschliesslich hervorgeho- ben wurde. Luca selber hat in kleinern Bildern, wie z. B. die Gala- tea in den Uffizien, bisweilen eine Naivetät in Rubens Art. — Im d XVIII. Jahrh. sind dann die oben (S. 1013, c) genannten römischen Maler auch in der profanen Gattung bemüht, regelrechte und fleissige Bilder ohne alle Nothwendigkeit zu Stande zu bringen; in den Plafonds fürst- licher Säle dagegen lässt man sich schon eher auf Cortona’s Manier gehen, sowohl im allegorischen Inhalt als im Malwerk. ( Pal. Co- lonna : in der Galeria die zu Ehren des Marcantonio Colonna alle- e gorisch verklärte Schlacht von Lepanto; ein anderer Plafond, von Luti , zu Ehren Papst Martins V.) Moderne Malerei. Auch mit der Genremalerei welche hesonders bei den eigent- lichen Naturalisten gedieh, dürfen wir uns nicht aufhalten. Caravag- gio , der Schöpfer der neuen Gattung, wählt sich zum Gefäss der- selben das lebensgrosse venezianische Halbfigurenbild und giebt dem- selben einen unheimlich witzigen oder schrecklichen dramatischen a Inhalt auf schlichtem dunkelm Grunde. Seine Spieler (Pal. Sciarra b in Rom), seine lüsterne Wahrsagerin (Gal. des Capitols), seine beiden c Trinker (Gal. von Modena) sind weltbekannt; im Grunde gehören sein „Zinsgroschen“ und „Christus unter den Schriftgelehrten“ auch hie- her. Diese Gattung, bald mehr zur Geschichte, bald mehr zum Fa- milienporträt sich hinneigend, fand rasch durch ganz Italien Anklang, trotz ihrer Armuth und Einseitigkeit. Die Schüler Guercins malten Manches der Art. Der ganze Honthorst geht vorzugsweise darin d auf, nur mehr nach der burlesken Seite hin. (Pal. Doria in Rom, Uf- e fizien in Florenz, wo u. a. sein Bestes, ein Souper von zweideutiger Gesellschaft; Anderes in allen grössern Sammlungen.) Andere Nach- f ahmer: Manfreddi, Manetti, Giov. da S. Giovanni (Alle im g Pal. Pitti), Lionello Spada (grosse Zigeunerscene in der Gal. von Modena); — einiges recht Gute in der Academie von Venedig, ein h Lautenspieler mit Weib und Knabe, eine Gruppe von drei Spielern (etwa von Carlo Saraceni ? welchem die treffliche Figur eines Lau- i tenspielers im Pal. Spinola zu Genua angehört.) Andere gehen ins harmlose Existenzbild zurück; der Capuccino und Luca Gior- k dano malen Köchinnen mit Geflügel (Pal. Brignole in Genua; Pal. l Doria in Rom); der Calabrese aber, vielleicht wie die Letztge- nannten von Niederländern inspirirt, schuf ein grosses stattliches Con- m cert in ganzen Figuren (Pal. Doria. — Eine gute, wirklich niederländi- n sche „Musik bei Tische“ im Pal. Borghese). — Salvators halbe und o ganze Figuren sind insgemein blosse renommistische Möblirbilder. (Pal. Pitti: un poeta; un guerriero.) Neben diesem caravaggesken Genre gab es seit Anfang des XVII Jahrh. in Rom ein anderes im eigentlich niederländischen Sinn. Der Holländer Peter van Laar, genannt Bamboccio, Michelangelo Cerquozzi, Jan Miel u. m. a. nordische und italienische Maler haben in dieser Gattung die wahren Gesetze und Bedingungen erkannt und danach manches Vortreffliche geschaffen. (Der Verfasser kennt Genre und Schlachten. sie nur fragmentarisch. Hauptsammlung hiefür: Pal. Corsini in a Florenz; von Cerquozzi vielleicht das Beste im Ausland; ein gutes kleines Bild des Jan Miel: der Dornauszieher, in den Uffizien). Was b von Jacques Callot gemalt ist, hat bei Weitem nicht den Reiz seiner Radirungen; Manches ist auch nicht sicher benannt. (Les malheurs de la guerre, Reihe von Bildchen im Pal. Corsini zu Rom; c figurenreiche Stadtansichten und noch eine Reihe kleinerer Bildchen, die letztern wohl geringern Theils von ihm, in der Acad. v. Venedig.) d — Dieses Alles wird nun weit überboten durch jene Anzahl von Klei- nodien der eigentlichen holländischen und Antwerpner Schule in den Uffizien, deren Besprechung wir uns versagen müssen. Keine e Sammlung Italiens und nicht eben viele des Nordens können sich an Cabinetsbildern dieser Art mit der genannten messen. In Venedig hat die Academie fast nur zweifelhaft Benanntes; im Pal. Manfrin: f Jan Steen’s Alchymist, noch im Ruin ein Juwel; Gerard Dow’s Arzt wohl nur eine Copie. — Die damalige officielle Ästhetik der Italiener verabscheute im Ganzen das Genre, soweit es nicht, wie ihre übrige Malerei, im Affect aufgehen wollte. Daher der Vorzug jener Halbfi- gurenbilder ohne räumliche Umgebung und ohne Zuthaten. In den kleinern Nebengattungen repräsentirt Castiglione das Thierstück, ohne recht zu wissen, was er wollte, in zum Theil lebens- grossen Möblirbildern (Pal. Colonna in Rom; Uffizien); Mario de’ g Fiori aber eine nur decorativ gemeinte Blumenmalerei (Spiegelcabi- h net im Pal. Borghese). Man vergleiche damit die unendliche Natur- liebe einer Rahel Ruysch und die zwar schon mehr conventionelle, i aber noch höchst elegante Palette eines Huysum (Pal. Pitti). Eine eigenthümliche Gattung der damaligen italienischen Kunst war ihre Schlachtenmalerei ; d. h. die Darstellung des Gewühles als solchen, wesentlich nach Farben und Lichtmassen angeordnet. Ausser Cerquozzi hat Salvator Rosa hierin den Ton angegeben, in welchen sich jedoch ein kenntliches Echo aus der Amazonenschlacht des Rubens zu mischen scheint. Von ihm und seinen neap. Nachah- mern Aniello Falcone und Micco Spadaro Schlachten und Auf- k ruhrsbilder im Museum von Neapel; von ihm eine grössere und eine Moderne Malerei. a kleinere Schlacht im Pal. Pitti, Einiges auch im Pal. Corsini zu Flo- renz. Von dem farbenreichern Bourguignon , in welchem Cer- b quozzi und Rosa zusammentreffen, gelten als echt u. a. zwei Schlachten c im Pal. Borghese, eine grosse im Pal. Pitti, zwei grosse (wahr- d scheinlich Abbildungen bestimmter Ereignisse) und zwei kleinere in e den Uffizien, zwei im Pal. Capponi zu Florenz, und mehrere im Pal. f Corsini ebenda, wo man auch die ganze Schule kennen lernt, die sich an diese Künstler anschloss. Gegenüber dem ganz geistesleer gewor- denen, einst von der Constantinsschlacht abgeleiteten Schlachtbilde der Manieristen (z. B. bei Tempesta) muss diese neue Behandlungsweise ein grosser Fortschritt heissen. Allein neben prächtig hervortretenden Episoden (die sich dann zu wiederholen pflegen) läuft auch ganz ge- dankenloses Flickwerk mit. In einigen Jahrzehnden hatte man sich, wie es scheint, an der Gattung so völlig satt gesehen, dass sie ein- schlief. Oder das unkriegerische Italien überliess sie den Franzosen (Van der Meulen) und den Deutschen, bei welchen Rugendas sie neu und eigenthümlich belebte. Eine der schönsten Äusserungen des europäischen Kunstgeistes dieser Periode ist die Landschaftmalerei. Ihre wichtigsten Entwick- lungen gehen auf italienischem Boden, in Rom, aber grösstentheils durch Nichtitaliener von Statten. Angeregt durch flandrische Bilder hatte sie im XV. Jahrh. die ersten naturgemässen Hintergründe geliefert, nicht um für sich et- was zu bedeuten, sondern um nach Kräften die Stimmung des Be- schauers beim Anblick heiliger Scenen (S. 800—844) und liebevoll ge- malter Bildnisse (S. 861) zu erhöhen. Dann hatte Rafael sie zu einer höhern, gesetzmässigen Mitwirkung herbeigezogen, als er in möglichst Wenigem das Leben der Patriarchen zu schildern hatte (S. 926). g (Von Polidoro und Maturino zwei Frescolandschaften in S. Sil- vestro a Montecavallo zu Rom, in einer Cap. links.) Zu gleicher Zeit erkannte Tizian ihre hohe Unentbehrlichkeit für die Existenzmalerei und legte bei entscheidenden Anlässen (S. 970, e; 974, a) den poetischen Aus- druck wesentlich mit in die landschaftliche Umgebung. Er zuerst hat diesen Theil der Welt in malerischer Beziehung vollkommen ent- Landschaft des XVI. Jahrhunderts. deckt und die enge Verbindung von landschaftlichen und Seelenstim- mungen künstlerisch benützt. Tintoretto und die Bassano gingen ihm nach so weit sie konnten (S. 985). Dosso Dossi kam, vielleicht selb- ständig, fast so weit als Tizian (S. 943, u. f.). Seit dem Ende des XVI. Jahrhunderts ist in Italien schon ein allgemeines Bedürfniss nach landschaftlicher Anregung vorhanden, dem aber die noch regierenden Manieristen, wie es scheint aus Hochmuth, zu genügen verschmähten. Da liess man sich ganze Schiffsladungen von Gemälden aus der grossen Antwerpener Fabrik der Breughel kommen. Jede italienische Galerie enthält ein paar, oft viele von diesen grünen, bunten, überladenen, miniaturartig ausgeführten Bildern, welche mit allen möglichen heiligen und profanen Geschichten staffirt sind. Vier von den allerfleissigsten, ohne Zweifel von Jan, dem sog. a Sammetbreughel (1568—1625), in der Ambrosiana zu Mailand; — ein ganz kleines im Pal. Doria zu Rom vereinigt z. B. folgende Staffage: b Wallfischfang, Austerfang, Eberjagd und eine der Visionen des Jo- hannes auf Pathmos. Dieselbe Galerie, eine der wichtigsten für die c ganze Landschaftmalerei, enthält auch Landschaften der Bassano, u. a. eines sonst nicht genannten Apollonio da Bassano, eine grosse von Gio. Batt. Dossi, staffirt mit einer fürstlichen Begrüssungscene und — beiläufig gesagt — auch einen Orpheus in der Unterwelt und eine Versuchung des heil. Antonius, von dem seltenern Höllenbreughel. Die Antwerpener Bilder sind freilich meist durch ihre Buntheit und durch das Mikroskopische ihrer Ausführung stimmungsloser als die der Bassaniden, welche prächtige scharfe Lichter und duftige Schatten über ihre Felsgebirge mit steilen Städten dahinschweben lassen. Ausser den Gemälden kamen auch Maler aus den Niederlanden, so Matthäus Bril , der z. B. im Vatican (Sala ducale, Biblioteca) d Veduten und freie Compositionen, beide gleich stimmungslos, al fresco malte. (Ein Bild im Pal. Colonna.) Dann sein jüngerer Bruder Paul e Bril (1554—1626), der wichtige Mittelsmann für die Verbindung der niederländischen und der italienischen Landschaft. Seine frühen Bilder sind noch bunt (Pal. Sciarra), erst allmälig wird der Poet zum Künst- f ler und lernt sein Naturgefühl grossartig aussprechen. Ob er dem Annibale Caracci oder dieser ihm mehr verdanke, mag dahingestellt bleiben; jedenfalls ist er der erste Niederländer, in welchem ein hö- Moderne Malerei. a heres Liniengefühl erwacht. (Bilder aus allen seinen Perioden in den b Uffizien; zwei aus der mittlern Zeit im Pal. Pitti. Frescolandschaf- c ten im Anbau rechts bei S. Cecilia in Rom.) Parallel mit ihm ent- wickelt Adam Elzheimer von Frankfurt (1574—1620) eine nicht geringere künstlerische Macht in seinen köstlichen Miniaturen. (Uffi- d zien: Hagar im Walde, Scene aus der Geschichte der Psyche, Hirte mit der Syrinx.) Seine Eichen, seine herrlichen Fernen, seine Fels- abhänge sind naturpoetisch in ganz schönen Linien. Was von Vincke- boms, von Jodocus Momper u. a. Malern dieser Generation in Italien ist, kann Verfasser dieses nicht gehörig sondern; so oft ihn aber das e Glück nach Florenz führt, gehören die beiden Landschaften des Ru- bens (Pal. Pitti) zu seinen grössten Genüssen. Die „Heuernte bei Mecheln“, in den bescheidensten landschaftlichen Formen, giebt eine ganz wonnevolle Mitempfindung des Luft- und Lichtmomentes, wäh- rend die „Nausicaa“ mit ihrer reichen Fels- und Seelandschaft und ihrer phantastischen Beleuchtung uns in den Mitgenuss eines fabel- haften Daseins erhebt. (Nicht als Pendants gemalt, wie die ungleiche Grösse zu allem Überfluss zeigt.) Was von Ruysdael, Backhuyzen und andern Holländern in Italien ist, kommt neben den Schätzen nor- discher Sammlungen kaum in Betracht; das „Schlösschen im Weiher“ f von Andr. Stalbent (Uffizien) und die mürrische Landschaft Rem- g brandts (ebenda) möchten es reichlich aufwiegen. Von Tizian stammt wahrscheinlich die Anregung her, welche in- zwischen die Bolognesen zu ihrer landschaftlichen Auffassung be- geistert hatte. Es ist das Gesetz der Linien, welches sie der nieder- ländischen Regellosigkeit gegenüberstellen, die Öconomie und edle Bildung der Gegenstände, die Consequenz der Farbe. Sie lassen der Landschaft einstweilen nur selten das alleinige Recht; Annibale hat offenbar eine gemischte Gattung erstrebt, in welcher Landschaft und Historie einen gemeinsamen Eindruck hervorbringen sollten. (Mehrere h Halbrundbilder mit Geschichten der Jungfrau, Pal. Doria; eine kleine i Magdalena, ebenda; eine andere im Pal. Pallavicini zu Genua; — von k den übrigen Caracci die oben, S. 1045, f genannten Bilder bei Camuccini; l von Agostino eine Felslandschaft mit Badenden in Guachefarben, Pal. Pitti.) Von Grimaldi , dem Hauptlandschafter der Schule, wird man in Italien wenig zu Gesichte bekommen, leider auch von Dome- Landschaft des XVII. Jahrhunderts. nichino . (Schöne Landschaft mit Badenden im Pal. Torigiani zu a Florenz; zwei stark geschwärzte in den Uffizien; Fresken im Casino b der Villa Ludovisi.) Von Franc. Mola kommt mehrfach ein S. c Bruno in schöner Gebirgsgegend vor (u. a. Pal. Doria). d Salvator Rosa , ein halber Autodidact in der Landschaft, ist hier wahrer und mächtiger inspirirt als in allen übrigen Gattungen; den Werken der Bologneser und der bald zu nennenden Franzosen verdankt er wohl nur seine höhere Ausbildung. Abendliche, oft zornig beleuchtete Felsgegenden und schroffe Meeresbuchten (Pal. Colonna in e Rom), unheimlich staffirt, sind Anfangs sein Hauptgegenstand; dann erhebt er sich zu einer ruhig grandiosen, durch bedeutende Formen und Ströme von Licht überwältigenden Art. (La selva de’ filosofi, f d. h. die Geschichte des Diogenes, im Pal. Pitti; — die Predigt Jo- hannis, und die Taufe Christi, im Pal. Guadagni zu Florenz, Haupt- g bilder; Anderes in den Pal. Corsini und Capponi so wie in den h Uffizien ebenda.) Dazwischen oder später malte er auch frechere Bravourbilder (la pace, im Pal. Pitti) und kalte, sorgfältige, grosse, i überfüllte Marinen (ebenda). Aus welcher Zeit die phantastische Landschaft mit der gespenstischen Leiche des heil. Paulus Eremita sein mag, wage ich nicht zu entscheiden (Brera in Mailand). — Bilder k seines Schülers Bart. Torregiani im Pal. Doria zu Rom. l Der bewussteste von Allen aber, der definitive Schöpfer der land- schaftlichen Gesetze ist Nic. Poussin . Seine wichtigern Land- schaften sind fast alle in Paris, doch findet man im Pal. Sciarra jene m einfach herrliche Flusslandschaft, in welcher S. Matthäus mit dem Engel zwischen Ruinen sitzt. Sein Schüler und Verwandter war Caspar Dughet , genannt Gaspero Poussin oder Pussino (1613—1675). Bei ihm redet die Natur die gewaltige Sprache, welche noch jetzt aus den Gebirgen, Eichwäldern und Ruinen der Umgegend Roms hervortönt; oft erhöht sich dieser Ton durch Sturmwind und Gewitter, welche dann das ganze Bild durchbeben; in den Formen herrscht durchaus das Hochbedeutende, namentlich sind die Mittel- gründe mit einem Ernst behandelt, wie bei keinem Andern. In beiden Seitenschiffen von S. Martino a’ monti zu Rom eine Anzahl von meist n sehr entstellten Frescolandschaften mit den Geschichten des h. Elias; im Pal. Colonna 13 Landschaften in Wasserfarbe, — beide Reihen o Moderne Malerei. bestehen die grosse Probe, ob eine Landschaft bloss durch Linien und Hauptformen, ohne den Reiz leuchtender Farben und Details existiren a könne. — Im Pal. Corsini zu Rom: unter mehrern kaum minder treff- lichen: der Sturm, und: der Wasserfall, letzteres Bild durch unglück- liches Nachdunkeln, zumal des Grünen, sehr benachtheiligt, wie noch b viele andere Bilder Gaspero’s. — In der Academia di S. Luca: meh- c rere treffliche Bilder. — Im Pal. Pitti: vier köstliche kleine Bilder, d welche vorherrschend klar geblieben sind; — in den Uffizien: eine kleine Waldlandschaft. Derjenige Typus, welchen Annibale vorgebildet, die beiden Pous- sin ausgebildet hatten, blieb nun lange Zeit in der Malerei der herr- schende, sodass die Holländer mit ihrer mehr realistischen Land- schaft im Ganzen eine (allerdings glorreiche!) Minorität bildeten. Er stellt eine unbenützte Natur dar, in welcher die Spuren der Men- schenhand nur als Bauwerke, hauptsächlich als Ruinen der Vor- welt, auch als einfache Hütten zum Vorschein kommen. Das Men- schengeschlecht, das wir darin voraussetzen oder auch wohl dargestellt finden, gehört entweder der alten Fabelwelt oder der heiligen Ge- schichte oder dem Hirtenleben an; der Eindruck im Ganzen ist daher ein heroisch-pastoraler. Seine höchste Verklärung erhielt dieser Typus durch den Zeit- genossen der Poussin, Claude Gelée , genannt Lorrain (1600 bis 1682). Er war längere Zeit der Gehülfe des Agostino Tassi, eines e Mitstrebenden des Paul Bril (Werke Tassi’s im Pal. Corsini zu Rom, f in den Uffizien und im Pal. Pitti); seine Höhe erreichte er nach einer höchst prüfungsvollen Jugendzeit in Rom. Seine Landschaften sind im Bau weniger gewaltig als diejenigen des Gaspero, allein es liegt auf denselben ein unausprechlicher Zauber. Claude, als reingestimmte Seele, vernimmt in der Natur diejenige Stimme, welche vorzugsweise den Menschen zu trösten bestimmt ist und spricht ihre Worte nach. Wer sich in seine Werke vertieft — schon ihre gleichmässige schöne Vollendung macht diess zu einer dankbaren Arbeit — für den ist kein g weiteres Wort von Nöthen. — Im Pal. Doria zu Rom: il molino (frühes Bild); der Tempel Apolls (Hauptwerk); Ruhe auf der Flucht. h (Im Pal. Rospigliosi, unsichtbar: u. a. der Tempel der Venus.) — Im i Pal. Sciarra: Reiter an einem Hafen; die Flucht nach Ägypten, bei- Landschaft des XVII. Jahrhunderts. des kleine Juwelen. — Im Pal. Barberini: eine kleine Landschaft. — a Bei Camuccini: ein Seehafen. — Im Museum von Neapel: ein Sonnen- b untergang am Meere; die Grotte der Egeria (fast zu kühl für Claude?). — In den Uffizien: Abendlandschaft mit Brücke, Strom und Gebirg; c abendliche Marine mit Palästen. Von seinen Nachfolgern ist nichts in Italien, das ihm irgend nahe käme. Die Bilder von Swanevelt (im Pal. Doria zu Rom und im d Pal. Pitti), von Joh. Both (ebenda), von Tempesta-Molyn (Pal. e Manfrin in Venedig), bis zu den Improvisationen des Orizzonte f (wovon ein oberer Saal in der Villa Borghese ganz voll ist) und zu g den oft sehr fleissigen Architekturbildern eines Pannini (Pal. Cor- h sini in Rom) geben immer nur einzelne Strahlen des Lichtes, das sich in Gaspero und Claude so mächtig gesammelt hatte. Wer diesen beiden Meistern ausserhalb Italiens wiederbegegnet, dem werden sie vielleicht viel stärker als die glänzendsten modernen Veduten das Heimweh rege machen, welches nur zeitweise schlum- mert, nie stirbt, nach dem unvergesslichen Rom. Der dieses schreibt, hat die Erfahrung gemacht. Er wünscht denen, die ihn lesen, billi- gen und zum Begleiter über die Alpen mitnehmen, das ruhige Glück der Seele, welches er in Rom genossen hat, und dessen Erinnerung ihm selbst aus den schwachen Nachbildungen jener hohen Meister- werke so übermächtig entgegenkömmt. NACHTRÄGE UND BERICHTIGUNGEN. Zu Seite 67, h: a Im Lateranischen Museum ein ganzer Saal mit decorativen Fragmenten. Zu Seite 186, f: Auch das Haus No. 1617 mit seinem schönen achtsäuligen Hof und dessen b edlem Detail könnte wohl von dem Urheber des Pal. Gondi herrühren. Zu Seite 266, c: c Die Decke von S. Agnese fuori. Seite 303, Zeile 14 von oben muss lauten: Ist es (im Gegensatz gegen die Florentiner) die Vorliebe für den etc. Seite 319, Zeile 15 von unten, statt: nicht als, lies: nichts als . Seite 335, Zeile 6 von unten, statt: die vier Ecken, lies: die Winkel der vier Eckräume etc. Zu Seite 726, unten: In den zahlreichen Stillleben (zumal Küchenvorräthen und todten Thieren) erkennt man recht gut eine Kunst, die der Illusion in hohem Grade fähig war, derselben aber in der Wandmalerei wenigstens nicht über eine bestimmte Linie hinaus nachging. Der Besteller verlangte die Sachen, noch nicht ihren möglichst schönen, durch Gruppirung, Hintergrund, Licht, Luft und alle möglichen Kunst- mittel veredelten Schein, wie die Holländer zur Zeit des David de Heem. — Das d zierlichste antike Mosaik Roms, die Schaale mit den Tauben (Museo capit., Zim- mer der Vase) ist vielleicht für den Grad der Illusion, welchen man im äusser- sten Fall und mit den kostbarsten Mitteln erstrebte, eines der belehrendsten Beispiele. Seite 759, Zeile 8 von oben sind die Worte: „Incoronata in Neapel“, zu streichen. Zu Seite 786, d ist beizufügen: Vgl. Seite 625, **. Zu Seite 950, b: Von den Genrebildern des Qu. Messys und seiner Schule, welche am ehe- sten als Antwerpener Comptoirscherze zu bezeichnen sein möchten, finden sich e in Italien mehrere. (U. a. im Pal. Doria zu Rom zwei Geizhälse mit zwei Zu- schauern.) Zu Seite 934, Anmerkung: f Die zwölf Apostel, welche man jetzt in S. Vincenzo alle tre Fontane an den Pfeilern gemalt sieht, wurden von Schülern, vielleicht nur nach den Stichen des Marcanton, ausgeführt. Das Urbild der letztern waren vermuthlich die Apostel, welche Rafael in einem später umgebauten Saal des Vaticans gemalt hatte.