C. Finke gest. Tagebuch . Berlin , bei Ferdinand Dümmler . 1835 . Buch der Liebe . In dieses Buch möcht ich gern schreiben, von dem geheimnißvollen Denken einsamer Stunden der Nacht, von dem Reifen des Geistes an der Liebe wie an der Mittagssonne. Die Wahrheit will ich suchen, und fordern will ich von ihr die Gegenwart des Geliebten, von dem ich wäh- nen könnte er sei fern. Die Liebe ist ein inniges Ineinandersein; ich bin nicht von dir getrennt wenn es wahr ist, daß ich liebe. Diese Wellen die mich längs dem Ufer begleiten, die reifende Fülle der Gelände die sich im Fluß spiegelt, der junge Tag, die flüchtenden Nebel, die fernen Gipfel die die Morgensonne entzündet, das alles seh ich an, und wie die Biene den Honig sammelt aus frischen Tagebuch. 1 Blüthen, so saugt mein Blick aus allem die Liebe, und trägt sie heim und bewahrt sie im Herzen wie die Biene den Honig in der Zelle. So dacht ich am heutigen Morgen da ich am Rhein hinfuhr und durch dies aufgeregte Leben der Natur mich drängte, fort, dem stillen einsamen Abend entgegen, weil es da ist als sage mir eine Stimme, der Geliebte ist da; — und weil ich da die Erinnerungen des Tages wie Blumen vor ihm ausstreue; und weil ich da mich an die Erde legen kann und sie küssen Dir zu lieb, diese schöne Erde die den Geliebten trägt, daß ich mich hinfinden kann zu ihm. Schwalbach, auf der Mooshütte. Namen nennen Dich nicht! Ich schweige und nenne Dich nicht, ob's auch süß wär', Dich bei Namen zu rufen. O Freund! schlanker Mann! weicher hingegossner Gebärde, Schweigsamer! — Wie soll ich Dich umschrei- ben, daß mir Dein Name ersetzt sei? — Beim Na- men rufen ist ein Zaubermittel, den Entfernten zur Er- innerung aufzuregen; hier auf der Höhe, wo die wal- digen Schluchten siebenfaches Echo zurückgeben, wag' ich nicht Deinen Namen preiß zu geben; ich will nicht hören eine Stimme, die eben so heiß so eindringend Dir ruft. O Du! Du selbst! — ich will Dir's nicht sagen, daß Du es selbst bist; drum will ich dem Buch Deinen Namen nicht vertrauen, wie ich dem Echo ihm nicht vertraue. Ach, Deinen Namen berühre ich nicht! so ganz ent- blößt von irdischem Besitzthum nenne ich Dich mein. Ems. Nicht schlafen gehen, ohne mit Dir zu sprechen — so müde wie ich auch bin! Die Augenlieder sinken, und trennen mich von Dir; Mich trennen nicht die Berge und die Flüsse, und nicht die Zeiten, und nicht Deine eigne Kälte, und daß Du nichts weißt von mir, wie ich Dich liebe. — Und mich trennt der Schlaf? — Warum denn trennen? ich wühle mich in Deinen Bu- sen, diese Liebesflammen umzingeln Dein Herz, und so schlafe ich ein. 1* Nein ich will Dich nicht nennen, Du den ich rufe: gieb mir Gehör! Du hörst Dich ja gern beschwätzen — so hör' auch mir zu; nicht wie jene, die von Dir, über Dich schwätzen, zu Dir, in Deinem Anschauen sammeln sich meine Gedanken; wie der Quell, der das Gestein spaltet und niederrauscht durchs Schattenthal, Blum' um Blume anhaucht; so hauch' ich Dich an, süßer Freund! Er murmelt nur, der Bach; er plätschert, er lispelt, wenige Melodieen wechseln seinen Lauf; aber vernimm's mit freundlichem Ohr, da wirst Du jauchzen hören; Klagen, Bitten und Trotzen, und noch wirst Du hören und empfinden, Geheimnisse, feierliche, leuchtende, die nur der versteht, der die Liebe hat. Ich bin nicht mehr müde, ich will nicht mehr schla- fen, der Mond ist aufgegangen mir gegenüber, Wol- ken jagen und decken ihn, immer wieder leuchtet er mich an. Ich denke mir Dein Haus, die Treppe, daß die im Schatten liege, und daß ich an dieser Treppe sitze, und jenseits die Ebene vom Mond beleuchtet. Ich denke, daß die Zeiten jagen und eilen und mannigfach sich ge- stalten wie jene Wolken, und daß der Mensch an der Zeit hängt, und glaubt, mit ihr eile alles vorüber, und das reine Licht, das durch die Zeiten bricht, wie der Mond durch die fliehenden Wolken, das anerkennt er nicht. — O ja doch! — erkenne meine Liebe; und denke, daß, da die Zeit vorüber eilt, sie doch das eine hat, daß im flüchtigen Moment sich eine Ewigkeit erfassen lasse. Schon lange ist Mitternacht vorüber, da lag ich im Fenster bis jetzt, und da ich mich umsehe, ist das Licht tief herabgebrannt. Wo war ich so tief in Gedanken, — ich hab' ge- dacht, Du schläfst, und hab' über den Fluß gesehen, wo die Leute Feuer angezündet haben bei ihrem Linnen, das auf der Bleiche liegt, und hab' ihren Liedern zu- gehört, die sie singen um wach zu bleiben; — ich auch wache und denke an Dich, es ist ein groß Geheim- niß der Liebe, dies immerwährende Umfassen Deiner Seele mit meinem Geist, und es mag wohl manches daraus entstehen, was keiner ahndet. Ja Du schläfst! träumst Du? und ist es Dir wahr, was Du träumst? — wie mir, wo ich zu Deinen Füßen sitze und sie im Schoos halte, und der Traum mir selbst die Zügel hält, daß ich nichts denke, als nur dies, daß ich in Deiner Nähe bin? Liebster! Gestern war ich tief bewegt, und war sehnsüchtig; weil man viel über Dich gesprochen hat was nicht wahr ist, da ich Dich besser kenne. Durch das Gewebe Deiner Tage zieht sich ein Faden, der sie mit dem Überirdischen verbindet. Nicht durch jedes Da- sein schlingt sich ein solcher Faden, und jedes Dasein zerfällt ohne diesen. Daß dein Dasein nicht zerfalle, sondern daß Alles ewige Wirklichkeit sei, das ist wonach ich verlange; Du der Du schön bist, und dessen Gebärden gleichfalls schön sind, weil sie Geist ausdrücken: Schönheit begreifen, heißt das nicht Dich lieben? — und hat die Liebe nicht die Sehnsucht, daß Du ewig sein mögest? — Was kann ich vor Dir, als nur Dein geistig Bild in mich aufne- men! — Ja sieh', das ist mein Tagwerk, und was ich anders noch beginne — es muß alles vor Dir weichen. Dir im Verborgnen dienen in meinem Denken, in mei- nem Treiben, Dir leben, mitten im Gewühl der Men- schen oder in der Einsamkeit Dir gleich nahe stehen; eine heilige Richtung zu Dir haben, ungestört, ob Du mich aufnimmst oder verläugnest. Die ganze Natur ist nur Symbol des Geistes; sie ist heilig, weil sie ihn ausspricht; der Mensch lernt durch sie den eignen Geist kennen, daß der auch der Liebe be- darf; daß er sich ansaugen will an den Geist, wie seine Lippe an den Mund des Geliebten. Wenn ich Dich auch hätte, und ich hätte Deinen Geist nicht, daß der mich empfände, gewiß das würde mich nie zu dem er- sehnten Ziel meines Verlangens bringen. Wie weit geht Liebe? Sie entfaltet ihre Fahnen, sie erobert ihre Reiche; im Freudejauchzen, im Sieges- toben eilt sie ihrem ewigen Erzeuger zu. — So weit geht Liebe, daß sie eingeht, von wo sie ausgegangen ist. Und wo zwei in einander übergehen, da hebt sich die Grenze des Endlichen zwischen ihnen auf. Aber soll ich klagen, wenn Du nicht wieder liebst? — ist dies Feuer nicht in mir und wärmt mich? — und ist sie nicht allumfassende Seligkeit, diese innere Gluth? — Und Wald und Gebirg' und Strand am Fluß, sonnebeglänzt, lächeln mir entgegen, weil mein Herz, weil mein Geist ewigen Frühling ihnen entgegen haucht. Ich will Dich nicht verscherzen schöne Nacht, wie gestern; ich will schlafen gehen in Deinen Schoos; Du wiegst mich dem Morgenlicht entgegen, und die frischge- weckten Blumen pflücke ich dann, mir zur Erinnerung an die Träume der Nacht. So sind freundliche Küsse, wie diese halberschloss'ne Rosen, so leises Flüstern wie der Blüthenregen, so wanken die Gedanken wie die be- wegten Blumen im Gras; so träufelt Zähre auf Zähre, die das Auge füllen mit Übermaaß vom Glück, wie die Regentropfen von den Ästen niederperlen, und so schlägt das sehnende Herz, wie die Nachtigall schlägt vom Mor- genroth begeistert; sie jubelt, weil sie liebt, sie seufzt, aus Liebe, sie klagt um Liebe; drum süße Nacht: schla- fen! dem Morgenroth entgegen schlafen, das mir bringt die süßen Früchte all', die der Liebe reifen. Freund! sie ist nicht erfunden diese innere Welt, sie beruht auf Wissen und Geheimniß, sie beruht auf höherem Glauben; die Liebe ist der Weltgeist dieses Inneren, sie ist die Seele der Natur. Gedanken sind in der geistigen Welt, was Empfin- dung in der sinnlichen Welt ist; es ist Sinnenlust mei- nes Geistes, der mich an Dich fesselt, daß ich Dich denke; es bewegt mich tief, daß Du bist, in diese sinnliche Welt geboren bist. Daß Deine sinnliche Erscheinung Zeugniß giebt von der Ahndung, von der Offenbarung, die ich von Dir habe. Liebe ist Erkenntniß; ich kann Dich nur genießen im Denken, das Dich verstehen, empfinden lernt; wenn ich Dich aber einmal ganz verstehe, gehörst Du dann mein? — kannst Du irgend wem gehören, der Dich nicht verstände? ist Verstehen nicht süßes, sinnliches Übergehen in den Geliebten? — eine einzige Grenze ist; sie trennt das Endliche vom Unendlichen; Verstehn hebt die Grenze auf; zwei die einander verstehen, sind ineinander unend- lich; — Verstehen ist lieben; was wir nicht lieben, das verstehen wir nicht; was wir nicht verstehen, ist nicht für uns da. 1** Da ich Dich aber haben möchte, so denke ich an Dich, weil Denken Dich verstehen lernt. Wenn ich nicht ganz bin, wie Du mich lieben müß- test, so ist mein Bewußtsein von Dir vernichtet. Das aber fördert mich, bringt mich Dir näher, wenn auch mein sinnliches Handeln, mein äußeres Leben sich im Rythmus der Liebe bewegt; wenn nichts Einfluß auf mich hat, als das Gefühl, daß ich Dein gehöre, durch eignen freien Willen Dir gewidmet bin. Ich hab' Dich nicht in diesem äußeren Leben; An- dere rühmen sich Deiner Treue, Deines Vertrauens, Dei- ner Hingebung; ergehen sich mit Dir im Labyrinth Deiner Brust ; die Deines Besitzes gewiß sind, die Deiner Lust genügen. Ich bin nichts, ich habe nichts, dessen Du begehrst; kein Morgen weckt Dich, um nach mir zu fragen; kein Abend leitet Dich heim zu mir; Du bist nicht bei mir daheim. Aber Vertrauen und Hingebung hab' ich in dieser Innenwelt zu Dir; alle wunderbaren Wege meines Gei- stes führen zu Dir, ja sie sind durch Deine Vermittlung gebahnt. Am frühsten Morgen auf dem Johannisberg. Das Sonnenlicht stiehlt sich durch diese Büsche in meinen Schooß und spielt unter dem Schatten der be- wegten Blätter. Warum kam ich denn heute schon vor Tag' hier herauf? Hier, wo die Ferne sich vor mir aufthürmt, und in's Unendlich verliert. Ja so geht es weiter und immer weiter; die Län- der steigen hinter einander am Horizont auf, und wir glauben auf Bergeshöhen an Himmelsrand zu steigen; da breiten sich fruchtbeladne Thale vor uns aus, von dunklen Hügelwänden umschlossen, und die Lämmer wei- den hier wie dort. Und wie die Berge hinter einander aufsteigen, so die Tage, und keiner ist der letzte vor dem der eine Ewigkeit entfaltet. Wo ist der Tag, die Stunde, die mich aufnimmt, wie ich dich, spielender Sonnenschein? — Wiedersehn nimm mich auf! — Du! auf meines Lebens Höhen ge- lagert, von himmelreinen Lüften umwebt, nimm mich auf in deinen Schooß; laß den Strahl der Liebe, der aus meinem Aug' hervorbricht, in deinem Busen spielen, wie dieser Morgensonnenstrahl. Gestern hab' ich mich gesehnt; ich dachte jeden Au- genblick, er sei mir verloren, weil ich Dich nicht hatte. Dich haben einen Augenblick; wie selig könnte mich das machen. Wie reich bist Du, da Du so beseligen kannst, Ewigkeiten hindurch mit jedem Augenblick! Gestern war es früher Morgen, da ich Dir schrieb; ich hatte Buch und Schreibzeug mit, und ging noch vor Tag dem Thal entlang, das von beiden Seiten eng in Bergwände eingelagert ist; da rieseln die Bäche nieder ins sanfte Gras, und lallen wie Wiegenkindchen. Was sollt' ich machen? es war mir im Herzen, auf der Lippe, und im thränenschwellenden Auge; ich mußte Dir's kla- gen, ich mußte Dir's wehmüthig vorhalten, daß ich Dich nicht habe, und da war die Sonne so freundlich; da rauschte es, da bewegte sich's hinter mir; — war es ein Wild? war's ein Anklang aus der Ferne? ich stieg rasch aufwärts, ich wollte Dich ereilen, und auf der Höhe; da öffnete sich dem Blick die weite Ferne; die Nebel theilten sich, es war mir als trätest Du meinen Bit- ten entgegen geheimnißvoll, und schautest mich an, und nähmst mich auf an Deinem mir unerforschten Busen. Jeder ewige Trieb, er erwirbt und erreicht, er ist außer der Zeit. — Was hab' ich zu fürchten? — Diese Sehnsucht, ist sie vergänglich, so wirst Du mit ihr ver- schwinden; ist sie es nicht, so wird sie erreichen, wonach sie strebt, und schon jetzt hab' ich ihr eine Innenwelt, mannigfaltig und eigenthümlich zu verdanken; Wahr- nehmungen und Gedanken nähren mich, und ich fühle mich in einem innig lebendigen Einverständniß mit Dei- nem Geist. Die Natur ist kindlich, sie will verstanden sein, und das ist ihre Weisheit, daß sie solche Bilder malt, die der Spiegel unserer inneren Welt sind, und wer sie an- schaut, in ihre Tiefen eingeht, dem wird sie die Fragen innerer Räthsel lösen; wer sich ihr anschmiegt, der wird sich in ihr verstanden fühlen; sie sagt jedem die Wahr- heit, dem Verzweiflenden wie dem Glücklichen. Sie be- leuchtet die Seele und bietet ihren Reichthum dem Be- dürftigen; sie reizt die Sinne und entzückt den Geist durch übereinstimmende Bedeutung. Ich glaube auch von Dir, daß Du dies manchmal empfunden hast, wenn Du allein durch Wälder und Thäler streifst; oder wenn Du vom Schattenlager die weite Ebene am Mittag überschaust, dann glaub' ich, daß Du die Sprache der Stille in der Natur verstehst; ich glaub', daß sie mit Dir Gedanken wechselt, daß Du in ihr Deine höhere Natur gespiegelt empfindest, und wenn auch schmerzlich oft durch sie erschüttert, so glaub' ich doch nicht, daß Du Dich vor ihr fürchtest, wie an- dre Menschen. So lang' wir Kinder sind im Gemüth, so lang' übt die Natur Mutterpflege an uns; sie flößt Nahrung ein von der der Geist wächst, dann entfaltet sie sich zum Genius; sie forde r t auf zum Höchsten, zum Selbst- verständniß, sie will Einsicht in die inneren Tiefen; und welcher Zwiespalt auch in diesen sein möchte, welcher Vernichtung auch preiß gegeben, — das Vertrauen in die höhere Natur, als in unseren Genius, wird die ur- sprüngliche Schönheit wieder herstellen. Das sag' ich heute vor Schlafengehen zu Dir; zu Dir spreche ich hier, getrennt durch Länder und Flüsse, getrennt, weil Du meiner nicht denkst; und jeder, der es wüßte, der würde es Wahnwitz nennen; und ich rede zu Dir aus meiner tiefsten Seele, und ob Du schon mit Deinen Sinnen mich nicht wahrnimmst, so dringt mein Geist darauf, Dir alles zu sagen; hier aus der Ferne rede ich mit Dir, und mein ganzes sinnliches Leben ist mir nichts gegen diese Geistersprache. Du bist in mitten meines Innern, es ist nicht mehr eins, es ist zu zweien in mir geworden. Am Abend nach dem Gewitter, das vielleicht zu Dir gezogen ist. Leg' dich, brausendes Herz, wie der Wind sich legt, der die Wolken zerreißt; die Donner sind verrollt, die Wolken haben ausgeregnet, ein Stern nach dem an- dern geht auf. Die Nacht ist ganz stille, ich bin ganz allein, die Ferne ist so weit, sie ist ohne Ende; nur da wo ein Lie- bender wohnt, da ist eine Heimath und keine Ferne; wenn Du nun liebtest, so wüßt' ich, wo die Ferne aufhört. Ja, leg' dich Herz! Tobe nicht, halt ruhig aus. Schmiege Dich, wie die Natur sich schmiegt unter der Decke der Nacht. Was hast Du Herz? fühlst Du nicht? ahndest Du nicht? — wie sich's auch füge und wende; die Nacht deckt Dich und die Liebe. Die Nacht bringt Rosen an's Licht. Wenn sich die Finsterniß dem Lichte aufthut, dann entfallen ihrem Schooß die Rosen. Es ist freilich Nacht in dir, Herz. Dunkle geheim- nißvolle Nacht webt Rosen, und ergießt sie alle, wenn's tagt, der Liebe zur Lust in den Schooß. Ja Seufzen, Klagen das ist deine Lust; Bitten, Schmeicheln: nimmt das kein Ende, Herz? Am Abend schreib ich, wenn auch nur wenige Zei- len; es dauert doch bis spät in die Nacht. Viel hab' ich zu denken, manche Zauberformel spreche ich aus eh ich den Freund in meinen Kreis banne. Und hab ich Dich! — dann: — was soll ich da sagen? — Was soll ich Dir neues erfinden, was sollen die Gedanken Dir hier auf diesen Blättern vor- tanze n ? — Am Rhein. Hier in den Weinbergen steht ein Tempel; erbaut nach dem Tempel der Diana zu Ephesus. Gestern im Abendroth sah ich ihn in der Ferne lie- gen; er leuchtete so kühn so stolz unter den Gewitter- wolken; die Blitze umzingelten ihn. So denke ich mir Deine leuchtende Stirne, wie die Kuppel jenes Tempels, unter dessen Gebälk die Vögel sich bargen, denen der Sturm das Gefieder aufblätterte; so stolz gelagert und beherrschend die Umgebung. Heute Morgen, obschon der Tempel eine Stunde Wegs von meiner Wohnung entfernt ist; weil ich am Abend Dein Bild in ihm zu sehen wähnte, dacht' ich hier her zu gehen und Dir hier zu schreiben. Kaum daß der Tag sich ahnden ließ, eilt' ich durch bethaute Wiesen hier her. — Und nun leg' ich die Hand auf diesen kleinen Altar, umkreis't von neun Säulen, die mir Zeugen sind, daß ich Dir schwöre. Was Liebster? — Was soll ich Dir schwören? Wohl, daß ich Dir ferner getreu sein will, ob Du es achtest oder nicht? — oder daß ich Dich heimlich lieben will, heimlich; nur diesem Buch, und nicht Dir es bekennend? Treu sein kann ich nicht schwören, das ist zu selbststän- dig, und ich bin schon an Dich aufgegeben, und vermag nichts über mich; da kann ich für Treue nicht stehen. Heimlich Dich lieben, nur diesem Buch es bekennen? — das kann ich nicht, das will ich nicht; dies Buch ist der Wiederhall meiner Geheimnisse, und an Deiner Brust wird er anschlagen. O nimm ihn auf, trink' ihn, lasse Dich laben; einen einzigen heißen Mittag gehe Dein Blick unter, trunken, ein einziges mal, diesem glühenden klaren Liebeswein. Was soll ich Dir schwören? — Heut' will ich Dir sagen, wie es gestern war: so unter Dach, einer schöneren Vorwelt, vom tausen d farbi- gen Morgenlicht umwebt, die Hand auf diesem Altar, der früher wohl nie unter mystischen Beziehungen be- rührt war; Herr! — da war mein Herz auf eine wun- derliche Weise befangen; — ich fragte Dich zum Scherz, in süßem Ernst: „was soll ich schwören?“ — und da fragt' ich mich wieder: „ist das die Welt in der du lebst?“ und kannst du scherzen mit dir selbst, hier in der einsamen Natur, wo alles schweigt und feierlich Gehör giebt deiner innern Stimme? — Dort im fernen Gefild', wo die Lerche jubelnd aufsteigt, und am Ge- simse des Tempels, wo die Schwalbe ihr Nest birgt und zwitschert? Und ich lehnt' meine Stirne an den Stein, und dachte Dich; ich lief hinab an's Ufer, und sammelte Balsamkräuter, und legte sie auf den Altar; ich dachte: mögten die Blätter dieses Buchs voll Liebe einmal Dei- nem Geist duften, wie diese Kräuter, dem Geist jener schönen Vorwelt, in deren Sinn der Tempel hier gebaut ist. — Dein Geist spricht ja die heilige Ordnung der Schönheit aus wie er, und ob ich ihm was bin, ob ich ihm was bleibe, das ist dann einerlei. Ja süßer Freund! ob ich Dir was bin: was soll ich danach fragen? — weiß ich doch, daß die Lerche nicht umsonst jubelnd aufsteigt, daß der Morgenwind nicht ungefühlt in den Zweigen lispelt, ja daß die ganze Natur nicht unbegriffen in ihr Schweigen versunken ist; was sollt' ich zagen, von Dir nicht verstanden nicht ge- fühlt zu sein? — Drum will ich nicht schwören Dir et- was zu sein; es ist mir gewiß, daß ich Dir bin, was in einstimmender Schönheit ein Ton der Natur, eine geistige Berührung dieser sinnlichen Welt Dir sein kann. Im Juli. Diese Tage, diese Gegenden sie tragen das Antlitz des Paradieses. Die Fülle lacht mich an in der reifen- den Frucht, das Leben jauchzt in mir, und einsam bin ich wie der erste Mensch; und ich lerne wie dieser herr- schen und gebieten dem Glück: daß die Welt soll sein wie ich will. Ich will es, daß Du mich selig ma- chest, nur weil ich Dich weiß und kenne, und weil Dein sittlich Gefühl der Raum ist meiner geistigen Schöpfun- gen; in Dich hinein nur kann ich ja diese Welt der Gefühle legen, Dir nur kann ich diese Phänomene einer erhöhten Rührung erscheinen lassen. — Deine Schönheit ist Güte, die mich nährt, schützt, mir lohnt, mich tröstet und mir den Himmel verheißt; kann ein Christ besser organisirt sein, als ich? — Ich sitze nun einmal mitten in dieser reichen Natur, mit Herz und Seele; so muß ich denn immer wieder von diesem Doppelgespann schreiben. Heute war ich in einem andern Tempel, der an der Höhe liegt, und den herrlichsten deutschen Fluß in seiner glorreichsten Pracht beherrscht, wo man unzählige Orte und Städte sieht, die an seinen Ufern in seinen Gauen weiden. In diesem sonnenhellen Himmel liegen sie da, wie ruhende Heerden. Was soll mir diese Pracht der Natur? was soll mir dies wimmlende Leben, diese mannigfaltige Ge- schäftigkeit, die sich durch die bunten Fluren zieht? — es eilen die Schifflein hin und her aneinander vorüber, jedes hat seiner Reise Ziel; — Wie jener Schiffe eines hast auch Du Dein Ziel; und es geht an mir vorüber, rasch wie des Glücklichen Bahn, schneller am Pfad des einsam Verlassnen vorüber fährt. Und ich höre dann nicht mehr von Dir, daß Du nach mir fragst; und Dei- nem Gedächtniß verhallen, wie meine Seufzer, so die Spuren der Erinnerung. So dacht' ich, dort auf der Höhe im Tempel, wie ich niedersah in das allseitig ausgebreitete Treiben der Menschen; wie ich mir überlegte, daß neue Interessen Dich jeden Augenblick aufnehmen können, und mich gänzlich aus Deiner Welt bannen. Und ich hörte die Wellen brausen in der Tiefe, und Gevögel umflatterte meinen Sitz, der Abendstern winkte, daß ich heimgehen möge. Um so näher dräng' ich mich jetzt an Dich: o öffne Deinen Busen und lasse mich ausruhen von der Thränen bewegten Ahndung, ich sei Dir nichts, ich sei Dir vergessen. O nein, vergesse mich nicht, nimm mich, halt' mich fest und lasse die Stille um uns her den Seegen sprechen über Uns. Du hast mir's beim Abschied damals gesagt, Du hast mir's abgefordert, ich möge Dir alles schreiben, und genau was ich denke und fühle, und ich möchte gern; aber Liebster, die wunderlichen Wege, die mit dämmern- der Fackel der Verstand kaum beleuchtet, wie soll ich die Dir beschreiben? — Diese Träume meines Glückes (denn glücklich träum' ich mich) sie sind so stürmisch so wun- derlich gelaunt, es ist so unscheinbar, was ich mir manch- mal ersinne. Mein Glück, wie ich's mir denke, wie soll ich Dir's beschreiben? Sieh' die Mondssichel am wolkenlosen Himmel, und die breitästige, reich belaubte Linde; denke! sieh' unter ihrem flüsternden Laub, die flüsternd auch, einander umfassen die Beiden; wie einer den andern bedarf und feurig liebend an ihm hinauf reicht, wie je- ner mit freundlichem Willen sich ihm neigt, und diesem Flüstern der Liebe Gehör giebt; und denke noch: die Mondessichel, die Sterne müßten nicht untergehen, bis diese Seelen in einander gesättigt, ihre Schwingen aus- breiten und höheren Welten zufliegen. Dies spräche heute mein Glück aus o lieber Freund, es spräche es einmal in vollem umfassenden Sinn aus. So wie das Aug' die Schönheit erfaßt, so auch der Geist; er umfasset den Inbegriff der innern Schönheit wie der äußern, mit Schmeichelworten bringt er beide in Einklang, und der Leib wirkt magisch auf den Geist der so schmeichelt, und so dieser auf ihn zurück, daß beide in einander aufblühen, und das nennen wir be- geisternde Schönheit. Mein Freund, das ist das Flü- stern der Liebe, wenn Liebende einander sagen, daß sie schön sind. Wo ist denn der Ruhesitz der Seele? wo fühlt sie sich beschwichtigt genug um zu athmen und sich zu be- sinnen? — im engen Raum ist's, im Busen des Freun- des; — in Dir heimathlich sein, das führt zur Besinnung. Ach wie wohl ist mir, wenn ich ganz wie ein Kind in Deiner Gegenwart spielen darf; wenn alles was ich beginne, von dem Gefühl Deiner Nähe geheiligt ist; und daß ich mich ergehen kann in Deiner Natur, die keiner kennt, keiner ahndet. — Wie schön ist's, daß ich allein mit Dir bin, dort wo die Sterne sich spieglen in der klaren Tiefe Deiner Seele. Gönne es mir, daß ich so meine Welt in Dir ein- gerichtet habe; vernichte nicht mit Deinem Willen, was Willkühr nie erzeugen könnte. Ich küsse Deiner Füße Spuren, und will mich nicht herein drängen in Deine Sinnenwelt, aber sei mit mir in meiner Gedankenwelt; lege freundlich die Hand auf das Haupt, das sich beugt, weil es der Liebe geweiht ist. Der Wind rasselt am Fenster; welche Länder hat er schon durchstreift? Wo kommt er her? Wie schnell hat er die Strecke von Dir zu mir durchflogen? hat er keinen Athemzug, in seinem Rasen und Toben, keinen Hauch von Dir mit fortgerissen? Ich habe den Glauben an eine Offenbarung des Geistes; sie liegt nicht im Gefühl oder im Schauen oder im Vernehmen; sie bricht hervor aus der Gesammtheit der auffassenden Organe; wenn die alle der Liebe die- nen, dann offenbaren sie das Geliebte; sie sind der Spiegel der inneren Welt. Ein Dasein im Geliebten haben ohne einen Stand- punkt sinnlichen Bewußtseins, was kann mächtiger uns von unserer geistigen Macht und Unendlichkeit über- zeugen? — Soll- Sollte ich Dir heute nichts zu sagen haben? — Was stört mich denn heute am frühen Morgen? viel- leicht, daß die Sperlinge die Schwalben hier aus dem Nest unter meinem Fenster vertrieben haben? — Die Schwalben sind geschwätzig, aber sie sind freundlich und friedlich; die Sperlinge argumentiren, sie behaupten, und lassen sich ihren Witz nicht nehmen. Wenn die Schwalbe heimkehrt von den Kreisflügen um ihre Hei- math, dann ergießt sich die Kehle in lauter liebkosende Mittheilung, ihr gegenseitiges Gezwitscher ist das Ele- ment ihrer Liebeslust, wie der Äther das Element ihrer Weltanschauung ist. Der Sperling fliegt da und dort- hin, er hat sein Theil Eigensucht, er lebt nicht wie die Schwalbe im Busen des Freundes. Und nun ist die Schwalbe fort, und der Sperling hat ihren Wohnsitz, wo süße Geheimnisse und Träume ihre Rollen spielten. Ach! — Du! meine schlüpfrige Feder hätte schier Deinen Namen geschrieben, während ich im Zorn bin, daß die Schwalbe vom Sperling verjagt ist. — Ich bin die Schwalbe, wer der Sperling ist das magst Du wis- sen, aber ich bin wahrhaftig die Schwalbe. Tagebuch. 2 Um Mitternacht. Gesang unter meinem Fenster; sie sitzen auf der Bank an der Hausthür; der Mond wie er mit den Wolken spielt, hat sie wohl zum Singen gebracht, oder auch die Langeweile der Ruhe; die Stimmen verbreiten sich durch die Einsamkeit der Nacht, da hört man nichts als nur das Plätschern der Wellen am Ufer, die die langen gehaltenen Intervalle dieses Gesangs ausfüllen. Was ist dieser Gesang für mich? warum bin ich in seine Gewalt gegeben, das ich mich der Thränen kaum enthalte? — es ist ein Ruf in die Ferne; wärst Du jenseits, wo seine letzten Töne verhallen, und em- pfändest den Ausdruck der herzlichen Sehnsucht, den er in mir aufgeregt hat, und wüßtest, daß in Dir das Glück der Befriedigung läge! Ach schlafen! nicht mehr dem Gesang zuhören, da ich doch aus der Ferne nicht das Echo des Gleichge- stimmten vernehme! Es ist wenig, was ich Dir hier mittheile: eintöni- ger Gesang, Mondesglanz, tiefe Schatten, geistermäßige Stille, Lauschen in die Ferne, das ist alles, und doch — es giebt nichts, was ein volles Herz Dir mehr zu bie- ten vermögte! Freund! Morgendämmerung weckt mich schon, und ich habe doch gestern tief in die Nacht hinein gewacht. Freund! süßer! Geliebter! es war eine kurze Zeit des Schlafs, denn ich hab' von Dir geträumt; im Wachen oder im Traum, mit Dir, da eilen die Rosse unbändig. drum pocht das Herz und Wange und Schläfe er- hitzt, weil die Zeit so rücksichtslos auf die seligen Mi- nuten vorüberjagt. Wenn die Angst um die Flucht des Besitzes nicht wär', wie wär' da Lieb' und Lust ein tiefer Friede, ein Schlaf, ein Behagen der Ruhe! wenn wir an Gräbern vorüber gehen, und uns besinnen, wie sie da verdeckt liegen und beschwichtigt, die pochen- den Herzen, dann befällt uns feierliche Rührung; wenn aber die Liebe sich einsenken könnte zu zweien, wie sie es bedarf, so tief abgeschieden wie im Grab, und wenn auch die Weltgeschichte über die Stätte hintanzte, — was ging sie uns an? — ja das kann ich wohl fra- gen, aber Du nicht. Was ich träumte? Wir standen aneinander ge- lehnt im nächtlichen Dämmerlicht, das Sternenlicht spie- gelte sich in Deinen Augen. Traumlicht, Sternenlicht. Augenlicht spiegelten in einander. — Dies Auge, das hier folgt den Zeilen, die meine Hand an Dich schreibt, 2* in ungemessene Ferne, — denn ach wie fern Du mir bist das kann ja doch nur Dein Herz entscheiden — dies Auge sah heute Nacht in Deinem Auge den Schein des Mondes sich spieglen. Ich träumte von Dir ; Du träumtest mit mir ; Du sprachst; ich empfinde noch den Ton Deiner Stimme; was Du sagtest, weiß ich nicht mehr; Schmeichelreden waren's, denn mit Deinen Reden gingen Schauer von Wollust durch mich. Gott hat alles gemacht, und alles aus Weisheit und alle Weisheit für die Liebe, und doch sagen sie, ein Liebender sei toll! Weisheit ist die Atmosphäre der Liebe, der Liebende athmet Weisheit, sie ist nicht außer ihm, nein, — sein Athem ist Weisheit, sein Blick sein Gefühl, und dies bildet seinen Nymbus, der ihn absondert von allem, was nicht der Wille der Liebe ist der Weisheit ist. Weisheit der Liebe giebt alles, sie lenkt die Phantasie im Reich der Träume, und schenkt der Lippe die süße Frucht, die ihren Durst löscht, während die Unbegeisterten sich nach dem Boden umthun, dem sie den Saamen anver- trauen möchten, aus dem ihr Glück reifen könnte, um das sie ihre Vorsicht betrügt. Ich aber sauge Genuß aus diesen Träumen, aus diesen Wonnen, die mir ein Wahn von Schmerz, ein eingebildetes Glück erregt; und die Weisheit, die mei- mer Begeistrung zuströmt; sie schifft mich auf ihren ho- hen stolzen Wellen, weit über der Grenze des gemeinen Begriffs, den wir Verstand nennen, und weit über dem Beruf der irdischen Lebensbahn, auf der wir unser Glück suchen. Wie schön, daß die Weisheit der Liebe wirklich meine Träume beherrscht, daß der Gott das Steuer lenkt, wo ich keinen Willen habe, und mich im Schlaf da hinüberschifft zum Ziel, um das ich, es zu erreichen, immer wachen möchte. Warum träumst Du nicht auch von mir? warum rufst Du mich nicht an Deine Seite? warum mich nicht in Deinem Arm halten und freund- lich Deinen Blick in meinen tauchen? — Du bist ja hier; diese sonnigen Pfade sie schlingen sich durcheinander und führen endlich auch zu Dir, o wandle auf ihnen; ihre labyrinthische Verkettungen: sie lösen sich vielleicht auf, da wo Dein Blick den meinen trifft, wie das Räthsel meiner Brust, da wo Dein Geist den meinen berührt. Heute las ich in diesen Blättern; lauter Seufzen und Sehnen. Wie würde ich beschämt vor Dir stehen, wenn Du in diesem Buch läsest! so bleibt es denn verborgen, und nur zu eigener Schmach geschrieben? — Nein, ich muß an Dich denken und glauben, daß dies alles einmal an Deinem Geist vorüberzieht; wenn es auch manchmal in mir ist, als wollt' ich Dich fliehen; Dich und diese selt- same Laune der Sehnsucht; Laune muß ich sie nennen, denn sie will alles und begehrt nichts. Aber dieses Ab- wenden von Dir, wird doppelter Reiz; da sprengt mich's hinaus, die Berge hinan, noch im ersten Frühroth, als könnt' ich Dich erjagen, und was ist das Ende? daß ich mich wieder zum Buch wende. Nun was hat's denn auf sich? die Tage gehen vorüber so oder so, und was könnt' ich versäumen, wenn ich in diesen Blättern mich sammle? Heute war ich früh draußen, ich ging den ersten Feldweg, die Feldhühner schreckten vor mir auf, so früh war's noch; die Wiesen lagen da im Morgenglanz, übersponnen mit Fäden, an denen die Thauperlen auf- gereiht waren. Manchmal hält die Natur Dir die Wage, und ich empfinde die Wahrheit der Worte: „ Weg du Traum, so gold' du bist, hier auch Lieb' und Leben ist .“ So ein Gang, wenn ich wieder unter die Menschen komme, macht mich einsam. Ach, die zahmen Menschen, ich verstehe ihren Geist nicht. Geist lenkt, er deutet, er fliegt voran auf immer neuen Wegen oder er kommt entgegen wie die Leiden- schaft und senkt sich in die Brust und regt sich da. Geist ist flüchtig wie Äther, drum sucht ihn die Liebe, und wenn sie ihn erfaßt dann geht sie in ihm auf. Das ist meine List daß die Liebe dem Geist nachgeht. Dir geh' ich nach auf einsamen Wegen, wenn's still und ruhig ist dann lispelt jedes Blatt von Dir, das vom Wind gehoben wird, da lasse ich meine Ge- danken still stehen, und lausche, da breiten sich die Sinne aus wie ein Netz um Dich zu fangen, es ist nicht der große Dichter, nicht Dein weltgepriesener Ruhm! in Deinen Augen liegt's, in dem nachlässigen und feierlichen Be- wegen Deiner Glieder, in den Schwingungen Deiner Stimme, in diesem Schweigen und Harren, bis die Sprache aus der Tiefe Deines Herzens sich zum Wort entfaltet; wie Du gehst und kommst und Deinen Blick über alles schweifen läßt, dies ist es und nichts anders was mich erfreut, und keine glänzende Eigenschaft kann diese Leidenschaft erregenden Zeichen überwiegen. Da streif ich hin zwischen Hecken, ich dräng' mich durch's Gebüsch, die Sonne brennt, ich leg mich in's Gras, ich bin nicht müde, aber weil meine Welt eine Traumwelt ist. Es zieht mich hinüber nur Augenblicke, es hebt mich zu Dir, den ich nicht mit Menschen ver- gleiche. — Mit den Streiflichtern und ihren blauen Schatten, mit den Nebelwolken die am Berg hinziehen, mit dem Vögelgeräusch im Wald, mit den Wassern die zwischen Gestein plätschern, mit dem Wind, der dem Sonnenlicht die belaubten Äste zuwiegt; mit diesem vergleich ich Dich gern, da ist's als wenn Deine Laune hervorbräche! — Das Summen der Bienen, das Schwärmen der Käfer trägt mir Deine Nähe zu, ja selbst das ferne Gebell der Hunde im Nachtwind, weckt mir Ahndungen von Dir; wenn die Wolken mit dem Mond spielen, wenn sie im Licht schwimmen, ver- klärt: da ist alles Geist, und er ist deutlich aus Deiner Brust gehaucht; da ist's als wendest Du Geist Dich mir entgegen, und wärst zufrieden von dem Athem der Liebe wie auf Wellen getragen zu sein. Sieh! so lieb ich die Natur, weil ich Dich liebe, so ruh ich gern in ihr aus und versenk mich in sie, weil ich gern in Dein Andenken mich versenke. Ach da Du nirgends bist, und doch da bist, weil ich Dich mehr empfinde als alles andere; so bist Du gewiß in diesem tausendfachen Echo meines Gefühls. Ich weiß einen! wie mit Kindeslächeln hat er sich mit der Weisheit, mit der Wissenschaft befreundet. Das Leben der Natur ist ihm Tempel und Religion; alles in ihr ist ihm Geisterblick, Weissagung, ein jeder Ge- genstand in ihr ward ihm zum eigenthümlichen Du , in seinen Liedern klingt die göttliche Lust sich in allem zu empfinden, alle Geheimnisse in sich aufzunehmen, sich in ihnen verständlich zu werden. Wenn der Saame in die Erde kommt, wird er le- bendig, und dies Leben strebt in ein neues Reich in die Luft. Wenn der Saame nicht schon Leben in sich hatte, konnte es nicht in ihm geweckt werden, es ist Leben was 2** in's Leben übergeht. — Wenn der Mensch nicht schon Seeligkeit in sich hätte, könnte er nicht selig werden. Der Keim zum Himmel liegt in der Brust wie der Keim zur Blüthe im verschlossnen Saamen liegt. — Die Seelig- keit ist so gut ein Erblühen in einem höheren Element, wie jener Pflanze, die aus dem Saamen durch die Erde in ein höheres Element in die Luft geboren wird. Al- les Leben wird durch ein höheres Element genährt, und wo es ihm entzogen ist, da stirbt es ab. Erkenntniß, Offenbarung ist Saamen eines höheren Lebens, das irdische Leben ist der Boden in dem er ein- gestreut ist, im Sterben bricht die ganze Saat an's Licht. Wachsen, blühen, Früchte tragen von dem Saa- men, den der Geist hier in uns gelegt hat, das ist das Leben nach dem Tod. Du bist der Äther meiner Gedanken, sie schweben durch Dich hin und werden von Dir im Flug getragen wie die Vögel in der Luft. An Dich denken, im Bewußtsein von Dir verwei- len, das ist ein Ausruhen vom Flug, wie der Vogel ausruht im Nest. Geist im Geist ist unendlich, aber Geist in den Sin- nen im Gefühl ist Unendliches im Endlichen erfaßt. Meine Gedanken umschwärmen Dich wie die Bie- nen den blühenden Baum. Sie berühren tausend Blü- then und verlassen eine, um die andre zu besuchen, und jede ist ihnen neu; so wiederholt sich auch die Liebe und jede Wiederholung ist ihr neu. Liebe ist immerdar erstgeboren, sie ist ewig ein ein- ziger Moment, Zeit ist ihr nichts, sie ist nicht in der Zeit da sie ewig ist; sie ist kurz die Liebe. Ewigkeit ist eine himmlische Kürze. Nichts Himmlisches geht vorüber, aber das Zeitliche geht vorüber am Himmlischen. Hier auf dem Tisch liegen Trauben im Duft, und Pfirsich im Pelz und buntgemalte Nelken; die Rose liegt vorne und fängt den einzigen Sonnenstrahl auf der durch die verschlossenen Fensterladen dringt. Wie glüht die Rose! Psyche nenne ich sie; — wie lockt das glühende Roth den Strahl in den innersten Kelch! wie duftet sie; — hier lobt das Werk den Meister. Rose wie lobst du das Licht! — wie Psyche den Eros lobt. — Unendlich schön ist Eros, und seine Schönheit durchleuch- tet Psyche, wie das Licht die Rose. — Und ich, die da wähnt von Deiner Schönheit eben so durchleuchtet zu sein, trete vor den Spiegel ob es mich auch wie sie verschönt. Der Strahl ist dem Abend gewichen, die Rose liegt im Schatten ich durchstreife Wald und Flur, und auf einsamen Wegen denk' ich an Dich, daß Du auch wie Licht mich durchdringst. Sehnsucht und Ahnung liegen in einander, eins treibt das andre hervor. Der Geist will sich vermählen mit dem Begriff: ich will geliebt sein, oder ich will begriffen sein, das ist eins. Darum thut der Geist wohl, weil wir fühlen, wie aus dem irdischen Leben das geistige in's himmlische übergeht und unsterblich wird. Die Liebe ist das geistige Auge, sie erkennt das Himmlische, es sind Ahnungen höherer Wahrheiten die uns der Liebe begehren machen. In Dir seh ich tausend Keime die der Unsterblich- keit aufblühen, ich mein' ich müsse sie alle anhauchen. — Wenn Geister einander berühren das ist göttliche Elec- trizität. Alles ist Offenbarung; sie giebt den Geist, und dann den Geist des Geistes. Wir haben den Geist der Liebe, und dessen Geist ist der Liebe Kunst. Alles ist nichtig, nur der Wille reicht drüber hin- aus, nur der Wille kann göttlich sein. Wie begierig ist die Seele nach Wahrheit, wie durstet sie, wie trinkt sie! — wie die lechzende Erde die tausend Pflanzen zu nähren hat den fruchtbaren Ge- witterregen trinkt; die Wahrheit ist auch elektrisch Feuer wie der Blitz. — Ich fühl den weiten wolken- durchjagten Himmel in meiner Brust; ich fühl den feuch- ten Sturmwind in meinem Kopf; das weiche Heranrol- len der Donner, wie sie steigen, mächtig, und das elek- trische Feuer des Geistes begleiten. — Das Leben: eine Laufbahn die mit dem Tod abschließt durch die Liebe, durch den Geist; ein geheim, verborgen Feuer das sich bei diesem Abschluß in's Licht ergießt. Ja elektrisch Feuer! das glüht das braus't, und die Funken, die Gedanken, die fahren zum Schornstein heraus. Wer mich berührt im Gefühl meiner Geistigkeit mit dem zusammen erbraus't der Geist gewitterhaft und spielt im Pulsschlag der Stürme im elektrischen Zittern der Luft. Das hab' ich gedacht wie wir mit einander sprachen und Du meine Hand berührtest. Gerschieben nach dem Gewitter wie sich's nach dem Sturm noch einmal erhellen wollte und die Nacht dem nachträglichen Tag das Regiment abnahm. Schon manch Vorurtheil hab' ich gelöst, so jung wie ich bin, wenn ich auch das eine lösen könnte, daß die Zeit nichts verjährt, Hunger und Durst werden auch nicht älter; so ist's auch mit dem Geist, in der Gegen- wart bedingt er schon die Zukunft. Wer Ansprüche an die Zukunft macht, wer der Zeit voraneilt, wie kann der der Zeit unterworfen sein? Ich hab' bemerkt an den Bäumen, immer ist hinter dem abwelkenden Blatt schon der Keim einer zukünfti- gen Blüthe verborgen; so ist auch das Leben im jun- gen frischen kräftigen Leib die nährende Hülle der Gei- stesblume; und wie sie welkt und abfällt in der irdischen Zeit, so drängt sich aus ihr hervor der Geist als ewige himmlische Blüthe. Wenn ich im späten Herbst im Vorübergehen das todte Laub von den Hecken streifte, da sammelte ich mir diese Weisheit ein; ich öffnete die Knospen ich grub die Wurzeln aus, überall drängte sich das Zukünftige aus der gesammten Kraft des Gegenwärtigen hervor; so ist denn kein Alter, kein Absterben, sondern ewiges Opfern der Zeit an das neue junge Frühlingsleben, und wer sich der Zukunft nicht opferte, wie unglücklich wär der! — Zum Tempeldienst bin ich geboren, wo mir nicht die Luft des Heiligthums heimathlich entgegenweht da fühl ich mich unsicher als hab ich mich verirrt. Du bist mein Tempel wenn ich mit Dir sein will reinige ich mich von des Alltäglichen Bedrängniß wie einer der Feierkleider anlegt; so bist Du der Eingang zu meiner Religion. Ich nenne Religion das was den Geist auf der Le- bensstufe des Augenblicks ergreift und im Gedeihen wei- terbildet wie die Sonne Blüthen und Früchte. Du siehst mich an wie die Sonne und fächelst mich an wie der Westwind, unter solchen Reizungen blühen meine Gedanken. Diese Lebensepoche mit Dir zieht eine Grenze, die das Ewige umfaßt, weil alles was sich innerhalb ihrer bildet das Überirdische ausspricht sie zieht einen Kreis um ein inneres Leben; nenne es Religion, Offenbarung über alles was der Geist Unermeßliches zu fassen vermag! Was wacht das weckt! gewiß in Dir wacht was mich weckt. Es geht eine Stimme von Dir aus die mir in die Seele ruft. — Was durch diese Stimme geweckt wird ist Geheimniß; erwachtes Geheimniß ist Erleuchtung. Manches sehe und fühl ich was schwer ist auszu- sprechen. Wer liebt lernt wissen, das Wissen lehrt Lieben, so wachse ich vielleicht in die Offenbarung die jetzt noch Ahndung ist. Ich habe das Gefühl von dem Zeitpunkt an wo mir's so freudig in die Sinne kam, meine Gedanken mein geistiges Leben in Deinen Busen zu ergießen, als habe ich mich aus tiefem Schat- tenthal erhoben in die sonnigen Lüfte. In dem Garten wo ich noch als Kind spazierte da wuchs die Jungfrauenrebe hoch empor an plattem Gestein. Damals hab ich oft ihre kleine Sammtrüssel betrachtet mit denen sie sich anzusaugen strebt, ich be- wunderte dies unzertrennliche Anklammern in jede Fuge, und wenn der Frühling erschöpft war, und die Som- mergluthen dem jungen weichen Keimleben dieser zarten Pflanze einfeuerten, da fielen allmählig ihre zierlichen rothgefärbten Blätter zum Schmuck des Herbstes in's Gras. Ach ich auch! absterbend aber feurig werd' ich von Dir Abschied nehmen; und diese Blätter werden wie jenes rothe Laub auf dem grünen Rasen spielen der diese Zeiten deckt. Ich bin nicht falsch gegen Dich; — Du sagst: „ Wenn Du falsch bist, Du hättest keine Ehre davon ich bin leicht zu betrügen .“ Ich will nicht falsch sein, ich frage nicht ob Du falsch bist, sondern wie Du bist will ich Dir dienen. Den Stern der dem Einsamen jeden Abend leuchtet, den wird er nicht verrathen. Was hast Du mir gethan was mich zur Falschheit bewegen könnte, alles was ich an Dir verstehe das be- glückt mich; Du kannst weder Aug noch Geist beleidi- gen, und es hat mich weit über jede kleinliche Bedin- gung erhoben, daß ich Dir vertrauen darf; und aus dem tiefsten Herzen kann ich Dir immer nur den reinen Wein einschenken in dem Dein Bild sich spiegelt. Nicht wahr, Du glaubst nicht, daß ich falsch bin? — Es giebt böse Fehler die an uns he r vorbrechen wie Fieber; es hat seinen Verlauf und wir emfinden in der Genesung daß wir schmerzlich krank waren; aber Falsch- heit ist ein Gift das sich in des Herzens Mitte erzeugt, könnte ich Dich nicht mehr in dieser Mitte herbergen, was sollte ich anfangen? In meinen Briefen wollte ich Dir nichts sagen, aber hier im Buch da lasse ich Dir die Hand in meine Wunde legen und es thut weh, daß Du an mir zwei- feln kannst; ich will Dir erzählen aus meinen Kinder- tagen, aus der Zeit eh ich Dich gesehen hatte. Wie mein ganzes Leben ein Vorbereiten war auf Dich; wie lange kenne ich Dich schon, wie oft hab' ich Dich ge- sehen mit geschlossenen Augen, und wie wunderbar war's wie endlich die wirkliche Welt sich in Deiner Gegenwart an die lang gehegte Erwartung anschloß. In den hängenden Gärten der Semiramis bin ich erzogen, ich glattes braunes feingegliedertes Rehchen, zahm und freundlich zu jedem Liebkosenden, aber un- bändig in eigenthümlichen Neigungen. Wer konnte mich vom glühenden Fels losreißen in der Mittagssonne? — wer hätte mich gehemmt die steilsten Höhen zu erklet- tern und die Gipfel der Bäume? wer hätte mich aus träumender Vergessenheit geweckt mitten unter den Leben- den, oder meine begeisterten Nachtwanderungen gestört, auf nebelerfülltem Pfad! — Sie ließen mich gewähren die Parzen und Musen und Grazien, die da alle eingeklemmt waren im engen Thal, das vom Geklapper der Müh- len dreifaches Echo in den umgrenzenden Wald rief, vom Goldsandfluß durchschnitten, dessen Ufer jenseits eine Bande Zigeuner in Pacht hatte, die Nachts im Wald lagerten und am Tag das Gold fischten, diesseits aber durch die Bleicher benutzt war und durch die wie- hernde Pferde und Esel die zu den Mühlen gehörten. Da waren die Sommernächte mit Gesang der einsamen Wächter und Nachtigallen durchtönt, und der Morgen mit Geschrei der Gänse und Esel begonnen; da machte die Nüchternheit des Tags einen rechten Abschnitt von dem Hymnus der Nacht. Manche Nächte hab' ich da im Freien zugebracht, ich kleines Ding von acht Jahren; meinst Du das war nichts? — mein Heldenthum wars, denn ich war kühn und wußte nichts davon. Die ganze Gegend, so weit ich sie ermessen konnte war mein Bett; ob ich an Ufers- rand von Wellen umspühlt, oder auf steilem Fels, vom fallenden Thau durchnäßt schlief, das war mir einerlei. Aber Freund! wenn die Dämmerung wich, und der Morgen seinen Purpur über mir ausbreitete, und mich, nachdem ich dem Gesang der steigenden Lerche schon im Traum gelauscht hatte, unter tausendfachem Jubel aller befiederten Kehlen weckte, was meinst Du wie ich mich fühlte? — nichts geringer als göttlicher Natur fühlt' ich mich, und ich sah herab auf die ganze Menschheit. Solcher Nächte zwei erinnere ich mich, die schwül wa- ren wo ich aus den beklommenen Schlafsälen zwischen den Reihen von Tiefschlafenden mich schlich und hinaus in's Freie eilte, und mich die Gewitter überraschten, und die breite blühende Linde mich unter Dach nahm; die Blitze feuerten durch ihre tiefhängenden Zweige; dies urplötzliche Erleuchten des fernen Waldes und der ein- zelnen Felszacken erregte mir Schauer, ich fürchtete mich und umklammerte den Baum der kein Herz hatte was dem meinen entgegen schlug. O lieber Freund! — hätte ich nun den lebendigen Pulsschlag gefühlt unter dieses Baumes Rinde, dann hätte ich mich nicht gefürchtet; dies kleine Bewegen, dies Schlagen in der Brust kann Vertrauen erregen, und kann den Feigen zum Helden umwandeln; denn wahrlich! — fühlt' ich Dein Herz an meinem schlagen und führtest Du mich in den Tod, ich eilte triumphirend mit Dir! Aber damals in der Gewitternacht unter dem Baum da fürchtete ich mich, mein Herz schlug heftig, das schöne Lied: „ Wie ist Natur so hold und gut die mich am Busen hält “ das konnte ich damals noch nicht singen, ich empfand mich allein mitten im Gebraus der Stürme, doch war mir so wohl, mein Herz ward feurig. — Da läuteten die Sturmglocken des Kloster- thurms, die Parzen und Musen eilten im Nachtgewand mit ihren geweihten Kerzen, in das gewölbte Chor, ich sah unter meinem sturmzerzausten Baum die eilenden Lichter durch die langen Gänge schwirren; bald tönte ihr ora pro nobis herüber im Wind, so oft es blitzte zogen sie die geweihte Glocke an, so weit ihr Schall trug, so weit schlug das Gewitter nicht ein. Ich allein jenseits der Klausur, unter dem Baum in der schreckenvollen Nacht! und jene alle, die Pflege- rinnen meiner Kindheit, wie eine verzagte verschüchterte Heerde, zusammen gerottet in dem innersten feuerfesten Gewölb ihres Tempels, Litaneien singend um Abwen- dung der Gefahr. Das kam mir so lustig vor unter meinem Laubdach, in dem der Wind raste und der Don- ner wie ein brüllender Löwe die Litanei sammt dem Geläut verschlang; an diesem Ort hätte keines von je- nen mit mir ausgehalten das machte mich stark gegen das einzige schreckenvolle gegen die Angst, ich fühlte mich nicht verlassen in der allumfassenden Natur. Der herabströmende Regen verdarb ja nicht die Blumen auf ihrem feinen Stengel, was sollte er mir schaden, ich hätte mich schämen müssen, vor dem Vertrauen der klei- nen Vögel, hätt' ich mich gefürchtet. So hab ich allmählig Zuversicht gewonnen und war vertraulich mit der Natur, und hab' zum Scherz manche Prüfung bestanden, Sturm und Gewitter zog mich hinaus und das machte mich freudig; die heiße Sonne scheute ich nicht, ich legte mich in's Gras unter die schwärmenden Bienen mit Blüthenzweigen im Mund und glaubte fest sie würden meine Lippen nicht stechen, weil ich so befreundet war mit der Natur; und so bot ich allem Trotz was andre fürchteten, und in der Nacht in schauerlichen Wegen im finstern Gebüsch, da lockte es mich hin da wars überall so heimlich und nichts war zu fürchten. Oben im ersten und höchsten Garten stand die Klo- sterkirche auf einem Rasenplatz der am felsigen Boden hinab grünte und mit einem hohen Gang von Trauben umgeben war, er führte zur Thüre der Sacristey vor dieser saß ich oft wenn ich meine Geschäfte in der Kirche versehen hatte, denn ich war Sacristan, ein Amt, dem es oblag den Kelch in dem die geweihten Hostien be- wahrt wurden zu reinigen und die Kelchtücher zu wa- schen, dies Amt wurde nur dem Liebling unter den jung- fräulichen Kindern vertraut, die Nonnen hatten mich einstimmig dazu erwählt. In dieser Thürwölbung saß ich manchen heißen Nachmittag, links in der Ecke des Kreuzbaues das Bienenhaus unter hohen Taxusbäumen, rechts der kleine Bienengarten, bepflanzt mit duftenden Kräutern und Nelken, aus denen die Bienen Honig saugten. In die Ferne konnte ich von da sehen; die Ferne die so wunderliche Gefühle in der Kinderseele erregt, die ewig eins und dasselbe vor uns liegt, bewegt in Licht und Schat- ten, und zuerst schauerliche Ahnungen einer verhüllten Zukunft in uns weckt; da saß ich und sah die Bienen von ihren Streifzügen heimkehren, ich sah wie sie sich im Blumenstaub wälzten und wie sie weiter und wei- ter flogen in die ungemessene Ferne; wie sie im blauen Sonnedurchglänzten Äther verschwebten, und da ging mir mitten in diesen Anwandlungen von Melancholie auch die Ahndung von ungemessenem Glück auf. Ja die Wehmuth ist der Spiegel des Glücks; Du fühlst, Du siehst in ihr ausgesprochen ein Glück nach dem sie sich sehnt. Ach und im Glück wieder durch al- len Glanz der Freude durchschimmernd diese schmerzliche Wollust. Ja das Glück ist auch der Spiegel dieser aus unergründlichen Tiefen aufsteigenden Wehmuth. Und jetzt noch in der Erinnerung wie in den Kindertagen, füllt sich meine Seele mit jener Stimmung, die leise mit der Dämmerung hereinbrach und dann wieder nachgab, wenn das Sonnenlicht mit dem Sternenlicht gewechselt hatte und der Abendthau meine Haare losringelte. Die kalte Nachtluft stählte mich, ich buhlte, ich neckte mich mit den tausend Augen der Finsterniß, die aus jedem Busch mir entgegen blitzten. Ich kletterte auf die Ka- stanienbäume und legte mich so schlank und elastisch auf ihre Äste; wenn dann der Wind durchschwirrte und jedes Blatt mich anflüsterte, da wars als redeten sie meine meine Sprache. Am hohen Traubengeländer, das sich an die Kirchenmauer anlehnte stieg ich hinauf, und hörte die Schwalben in ihrem Nestchen plaudern; halb träu- mend zwitschern sie zwei- dreisylbige Töne und aus tiefer Ruhe seufzt die kleine Brust, einen süßen Wohl- laut der Befriedigung. Lauter Liebesglück, lauter Be- hagen, daß ihr Bettchen von befreundeter Wärme durch- strömt ist. O Weh über mich, daß mir im Herzen so unend- lich weh ist, blos weil ich dies Leben der Natur mit angeschaut habe in meinen Kindertagen; diese tausend- fältigen Liebesseufzer, die die Sommernacht durchstöhnen, und inmitten dieser ein einsames Kind, einsam bis in's innerste Mark, das da lauscht, ihren Seeligkeiten, ihrer Inbrunst, das in dem Kelch der Blumen nach ihren Ge- heimnissen forscht, das ihren Duft in sich saugt wie eine Lehre der Weisheit, das erst über die Traube den See- gen spricht ehe es sie genießt. Aber da war ein hoher Baum mit feinen phanta- stischen Zweigen, breiten Sammtblättern, die sich wie ein Laubdach ausdehnten; oft lag ich in seiner kühlen Umwölbung und sah hinauf wie das Licht durch ihn äugelte, und da lag ich mit freier Brust in tiefem Schlaf; ja mir träumte von süßen Gaben der Liebe, Tagebuch. 3 gewiß! sonst hätte ich den Baum nicht sogleich verstan- den da ich erwachte. Weil eben die reife Frucht sich von seinen Zweigen gelöst hatte und im fallen auf meine Brust ihr Saft mich netzte; dies schöne dunkle überreife Blut der Maulbeere, ich kannte sie nicht, ich hatte sie nie gesehen, aber mit Zutrauen verzehrten sie meine Lippen wie Liebende den ersten Kuß verzehren. Und es giebt Küsse von denen fühl' ich, sie schmecken wie Maulbeeren. Sag' sind das Abentheuer? — und würdig, daß ich sie Dir erzähle? Und soll ich Dir noch mehr erzählen von diesen einfachen Ereignissen, die so gewöhnlich sind wie der Athem, der die Brust hebt? und doch fanden sie auf der reinen, noch unbeschriebenen Tafel der Erinnerung einen unverlöschbaren Eindruck. Sieh', wie dem Kind' in den Windeln die ganze sinnliche Natur zur Nah- rung seiner Kräfte gedeiht, bis es mannbar wird und mit seinen Gliedern das Pferd regiert und das Schwert, so gedeiht auch das Empfinden der Geistigkeit des Naturlebens zur Nahrung des Geistes. Nicht jetzt noch würde ich jene Sonnenstrahlen mit dem Auge der Erinnerung auffangen, nicht mich der Wolkenzüge als erhabener Begebnisse erinnern, die Blumen der ver- schwundenen Frühlinge würden mir nicht heute noch mit ihren Farben und Formen zulächlen, und die reifen Früchte, denen ich liebkoste, eh' ich sie genoß, würden mich nicht nach verschwundenen Jahren wie aus den Träumen seeliger Genüsse, mahnen an die heimliche Lust. — Sie lachten mich an diese runden Äpfel, die gestreif- ten Birnen, und die schwarzen Kirschen, die ich mir aus den höchsten Zweigen erkletterte. O keine Erinnerung brennt mehr in meinem Herzen, auf meinen Lippen, die dieser den Rang abliefe; nicht Du, nicht andre haben für die süße Kost der Kirsche auf höchstem Gipfel im brennen- den Sonnenlicht gereift, oder der waldeinsamen Erdbeere unter bethautem Gras aufgefunden, mich nur einmal ent- schädigt. Drum weil er denn in den Geist so tief einge- graben ist, der Genuß kindlicher Jugend, so tief wie die Flammenschrift der Leidenschaft, so ist er wohl auch eine göttliche Offenbarung und er bedingt viel in der Brust in der er haftet. Gedanken sind auch Pflanzen, sie schweben im gei- stigen Äther, die Empfindung ist ihre Muttererde, in der sie ihre Wurzeln ausdehnen und nähren; der Geist 3* ist ihre Luft, in dem sie ihre Blüthen ausbreiten und ihren Duft; der Geist, in dem viele Gedanken ihre Blü- then treiben, der ist ein gewürziger Geist, in seiner Nähe athmen wir seine Verklärung. Die ganze Natur ist aber ein Spiegel von dem, was im Geistesleben vor- geht. Keinen Sommervogel hab' ich umsonst nachge- jagt; mein Geist empfing dadurch die Befähigung, ei- nem verborgenen, idealischen Reiz nachzujagen, und hab ich das klopfende Herz in die hohen Kräuter der blü- henden Erde gedrückt: ich lag am Busen einer göttli- chen Natur, die meiner Inbrunst, meiner Sehnsucht kühlenden Balsam zuträufelte, der alles Begehren in geistiges Schauen umwandelte. — Die wandelnden Heerden in der Abenddämmerung mit ihrem Geläut', die ich oben von der Mauer herab mit stillem Entzücken betrachtete; die Schalmey des Schäfers der in Mondnächten seine Schafe von Triften zu Triften leitete, das Bellen des Hundes in der Ferne, die jagenden Wolken, die aufseufzenden Abendwinde, das Rauschen des Flusses, das sanfte Anklatschen der Wellen am steinigen Ufer, das Einschlafen der Pflan- zen, ihr Einsaugen des Morgenlichtes, das Kämpfen und Spielen, der Nebel, — o sag', welcher Geist hat mir das geistig noch einmal geboten? — Du? — hast Du Dich so traulich an mich geschmiegt wie die Abend- schatten? hat Deine Stimme wehmüthig freundlich in mich eingedrungen wie jene ferne Rohrpfeife? hat der Hund mir angeschlagen, es nahe sich einer auf heimli- cher Fährte dem mein Herz entgegenschlägt? und habe ich nach glücklichen Stunden, wie jene schlaftrunkne Natur mit dem Bewußtsein befriedigter Sehnsucht, mich der Ruhe hingegeben? Nein! nur in dem Spie- gel der Natur hab' ich's erfahren, und die Bilder einer höheren Welterscheinung gesehen. So nimm denn jene Mittheilungen als Ereignisse hohen Genusses und rei- zender Liebesbegebenheiten auf, was hab' ich alles durch sie ahnden und begreifen gelernt! und was können wir mehr vom Leben fordern, was kann es Besseres in uns vorbereiten, als die Befähigung zur Seeligkeit! Wenn also Sinne und Geist so bewegt war durch das Regen in der Natur, wenn die Begierde gespannt war durch ihr Schmachten, wenn ihr Dursten, ihr Trinken, ihr Brennen und Verzehren, ihr Erzeugen und Ausbrüten das Herz durchströmte; sag', was hätte ich da nicht erfahren im Liebesglück; und welche Blume würde mir im Paradies nicht duften? und welche Frucht mir nicht reifen? Darum nimm sie auf, diese Hieroglyphen höherer Seeligkeit, wie sie mein Gedächtniß nach einander auf- zeichnet. O sieh' doch, das Buch der Erinnerung blättert sich ja grade in Deiner Gegenwart an diesen merkwürdigen Stellen auf; Du! — Du wirst mir vielleicht im Paradiese die Äpfel vom unverbotenen Baum pflük- ken; an Deiner Brust werde ich dort aufwachen, und die Melodieen einer beseeligenden Schöpfung werden meine Lust in Deinen Busen hauchen. Eins bewahr' im Herzen: daß Du mir den reinsten Eindruck von Schönheit gemacht hast, dem ich unmittel- bar gehuldigt habe, und daß nichts dem ursprünglichen in Deiner Natur Eintrag thun könne, und daß meine Liebe innig mit diesem einverstanden ist. Nur so weit geht die Höhe der Seeligkeit, als sie begriffen wird; was der Geist nicht umfaßt, das macht ihn nicht glücklich, vergebens würden Cherubim und Seraphim ihn auf ihren Schwingen höher tragen; er vermögte nie, sich da zu erhalten. Ahndungen sind Regungen die Flügel des Geistes höher zu heben; Sehnsucht ist ein Beweis, daß der Geist eine höhere Seeligkeit sucht; Geist ist nicht allein Fas- sungsgabe, sondern auch Gefühl und Insti n kt des Höhe- ren, aus dem er seine Erscheinung, den Gedanken ent- wickelt; der Gedanke aber ist nicht das Wesentliche, wir könnten seiner entbehren, wenn er nicht für die Seele der Spiegel wär', in dem sie ihre Geistigkeit erkennt. Der verschlossne Saame und die Blüthe, die aus ihm erwächst, sind einander nicht vergleichbar, und doch ist sein erstes Keinem die Ahndung dieser Blüthe, und so wächst und gedeiht er fort mit gesteigerter Zuversicht, bis Blüthe und Frucht seinen ersten Instinkt bewährt, der, wenn er verloren gehen könnte, keine Blüthe und Früchte tragen würde. Und wenn ich's auch in's Buch schreibe, daß ich heute traurig bin, kann mich's trösten? wie öde sind diese Zeilen! ach sie bezeichnen die Zeit des Verlassen- seins! Verlassen! war ich denn je vereint mit dem, was ich liebte? War ich verstanden? — ach warum will ich verstanden sein? — alles ist Geheimniß, die ganze Natur, ihr Zauber, die Liebe, ihre Beseligung, wie ihre Schmerzen. Die Sonne scheint, und treibt Blüthe und Frucht, aber ihr folgen die Schatten, und die winterliche Zeit. — Sind denn die Bäume auch so trostlos, so verzweiflungsvoll in ihrem Winter, wie das Herz in seiner Verlassenheit? — sehnen sich die Pflan- zen? ringen sie nach dem Blühen, wie mein Herz heute ringt, daß es lieben will, daß es empfunden sein will? — Du mich empfinden? — Wer bist Du, daß ich's von Dir verlangen muß? — Ach! — die ganze Welt ist todt; in jedem Busen ist's öde! gäb's ein Herz, einen Geist, der mir erwachte! — Komm! laß uns noch einmal die hängenden Gär- ten, in denen meine Kindheit einheimisch war, durchlau- fen; laß Dich durch die langen Laubgänge geleiten zu dem Glockenthurm, wo ich mit leichter Mühe das Seil in Schwung brachte, um zu Tisch oder zum Gebet zu rufen; und Abends um sieben Uhr läutete ich dreimal das Angelus, um die Schutzengel zur Nachtwache bei den Schlafenden zu rufen. O damals schnitt mir das Abendroth in's Herz, und das schweifende Gold, in das sich die Wolken senkten; o ich weiß es noch wie heute, daß es mir weh that, wenn ich so einsam durch das schlafende Blumenfeld ging, und weiter, weiter Himmel um mich, der in beschwingter Eile seine Wolken zusam- men trieb, wie eine Heerde, die er weiter führen wollte, der rothes und blaues und gelbes Gewand entfaltete, und dann wieder andre Farben, bis die Schatten ihn übermannten. Da stand ich und sah die verspäteten Vögel mit rascher Eile nach ihrem Nest fliegen; und dachte: wenn doch einer in meine Hand flög, und ich fühlte sein klein Herzchen pochen, ich wollte zufrieden sein; ja ich glaubte ein Vögelchen nur, das mir zahm wär', könne mich glücklich machen. Aber es flog kein Vogel in meine Hand, ein jeder hatte schon anders ge- wählt, und ich war nicht verstanden mit meiner Sehn- sucht. Ich glaubte doch damals, die ganze Natur be- stehe blos aus dem Begriff aufgeregter Gefühle, davon komme das Blühen aller Blumen, und dadurch schmelze sich das Licht in alle Farben, und darum hauche der Abendwind so leise Schauer über's Herz, und deßwegen 3** spiegle sich der Himmel, umgränzt vom Ufer, in den Wellen. Ich sah das Leben der Natur, und glaubte, ein Geist der der Wehmuth die meine Brust erfüllte entsprach, sei dies Leben selbst; es seien seine Regun- gen, seine Gedanken, die dies Tag- und Nach t wandlen der Natur bilde; ja und ich junges Kind fühlte, daß ich einschmelzen müsse in diesen Geist, und daß es al- lein Seligkeit sei, in ihm aufzugehen; ich rang, ohne zu wissen was Tod sei, dahin aufgelöst zu sein; ich war unersättlich die Nachtluft mit vollen Zügen einzu- athmen, ich streckte die Hände in die Luft, und das flatternde Gewand, die fliegenden Haare bewiesen mir die Gegenwart des liebenden Naturgeistes; — ich ließ mich küssen von der Sonne mit verschlossenen Augen, und dann öffnete ich sie und mein Blick hielt es aus; ich dachte: läßt Du Dich küssen von ihr, und solltest nicht vertragen können sie anzusehen? Von dem Kirchgarten führte eine hohe Treppe, über die das Wasser schäumend hinabstürzte, zum zwei- ten Garten, der rund war, mit regelmäßigen Blumen- stücken ein groß Bassin umgab, in dem das Wasser sprang; hohe Piramyden von Taxus umgaben das Bas- sin, sie waren mit purpurrothen Beeren übersäet, deren jede ein krystallhelles Harztröpfchen ausschwitzte; ich weiß noch alles, und dies besonders war meine Lieblingsfreude, die ersten Strahlen der Morgensonne in diesen Harz- diamanten sich spieglen zu sehen. Das Wasser lief aus dem Bassin unter der Erde bis zum Ende des runden Gartens, und stürzte von da wieder eine hohe Treppe hinab in den dritten Garten, der den runden Garten ganz umzog, und grad' so tief lag, daß die Wipfel seiner Bäume wie ein Meer den runden Garten umwogten. Es war so schön, wenn sie blüthen, oder auch wenn die Äpfel und die Kirschen reiften, und die vollen Äste herüber streckten. Oft lag ich unter den Bäumen in der heißen Mittagssonne, und in der lautlosen Natur wo sich kein Hälmchen regte, fiel die reife Frucht neben mir nieder in's hohe Gras; ich dachte: „dich wird auch keiner finden!“ da streckte ich die Hand aus nach dem goldnen Apfel und berührte ihn mit meinen Lippen, damit er doch nicht gar umsonst gewesen sein solle. Nicht wahr, die Gärten waren schön! — zauberisch! Da unten sammelte sich das Wasser in einem steiner- nen Brunnen, der von hohen Tannen umgeben war; dann lief es noch mehrere Terrassen hinab, immer in steinerne Becken gesammelt, wo es denn unter der Erde bis zur Mauer kam, die den tiefsten alle andern um- gebenden Garten einschloß, und von da sich in's Thal ergoß, denn auch dieser letzte Garten lag noch auf einer ziemlichen Höhe; da floß es in einem Bach weiter, ich weiß nicht wohin. So sah ich denn von oben hinab seinem Stürzen, seinem Sprudlen, seinem ruhigen Lauf zu; ich sah, wie es sich sammelte und kunstreich empor- sprang und in feinen Strahlen umherspielte; es ver- barg sich, es kam aber wieder und eilte wieder eine hohe Treppe hinab; ich eilte ihm nach, ich fand es im klaren Brunnen von dunklen Tannen umgeben in denen die Nachtigallen hausten; da war es so traulich, da spielte ich mit bloßen Füßen in dem kühlen Wasser. — Und dann lief's weiter verborgen, und wie es sich au- ßerhalb der Mauer hinabstürzte, das sah ich mit an und konnte es nicht weiter verfolgen, ich mußt' es halt dahin laufen lassen. — Ach es kam ja Welle auf Welle nach, es strömte unaufhaltsam die Treppe hinab; der Wasserstrahl im Springbrunnen spielte Tag und Nacht und versiegte nimmer, aber da wo es mir entlief, da grade sehnte sich mein Herz nach ihm, und da konnte ich nicht mit; und wenn ich nun Freiheit gehabt hätte und wäre mit gezogen durch alle Wiesen, durch alle Thäler, durch die Wüste, wo der Bach mich am End' hingeführt haben möchte! Ja Herr, ich sehe dich brausen und strömen, ich seh dich kunstreich spielen, ich sehe dich ruhig dahin wan- deln, Tag für Tag und plötzlich deine Bahn lenken hinaus aus dem Reich des Vertrauens, wo ein lieben- des Herz seine Heimath wähnte, unbekümmert daß es verwaist bleibe. So hat denn der Bach, an dessen Ufern ich meine Kindheit verspielte, mir in seinen krystallnen Wellen das Bild meines Geschickes gemalt, und damals hab' ich's schon betrauert, daß die mir sich nicht verwandt fühlten. O komm nur, und spiel' meine Kindertage noch einmal mit mir durch, du bist mir's schuldig, daß du meine Seufzer in deine Melodieen verhallen läßt, so lange ich nicht weiter gehe, als meine kindliche Sehn- sucht am Bach; die es auch geschehen lassen mußte, daß er sich losriß und sich energische Bahn brach in die Fremde. — In der Fremde, wo es gewiß war, daß mein Bild sich nicht mehr in ihm spiegelte. Heute haben wir grünen Donnerstag, da hab' ich kleiner Tempeldiener viel zu thun; alle Blumen, die das frühe Jahr uns gönnt, werden abgemäht, Schnee- glöckchen, Krokus, Maaslieb und das ganze Feld voll Hyazinthen schmücken den weißen Altar, und dann bring' ich die Chorhemdchen und zwölf Kinder mit auf- gelösten Haaren werden damit bekleidet; sie stellen die Apostel vor. Nachdem wir mit brennenden blumenge- schmückten Kerzen den Altar umwandelt haben, lassen wir uns im Halbkreis nieder, und die alte Äbtissin mit ihrem hohen Stab von Silber, umwallt vom Schleier und langem, schleppendem Chormantel knieet vor uns, um uns die Füße zu waschen. Eine Nonne hält das silberne Becken, und gießt das Wasser ein, die andre reicht die Linnen zum Abtrocknen; indessen läutet es mit allen Glocken, die Orgel ertönt, zwei Nonnen spie- len die Violine, eine den Baß, zwei blasen die Posaune, eine wirbelt auf den Pauken, alle übrigen stimmen mit hohen Tönen die Litanei an: „Sanct Petrus, wir grü- ßen dich — du bist der Fels auf den die Kirche baut.“ Dann geht es zum Paulus, und so die Reihe durch werden alle Apostel begrüßt, bis alle Füße gewaschen sind. — Nun siehst Du, das ist ein Tag, auf dem wir uns schon ein Vierteljahr lang halb selig gefreut haben. Die ganze Kirche war voll Menschen, sie drängten sich um unsere Prozession und weinten Thränen der Rührung über die lachenden, unschuldigen Apostel. Von nun an ist der Garten wieder offen, der den Winter über unzugänglich war; jedes läuft an sein Blumengärtchen, da hat der Rosmarin gut überwintert, die Nelkenpflänzchen werden unter dem dürren Laub hervorgescharrt, und so manches junge Keimchen meldet den vergessnen vorjährigen Blumenflor. Erdbeeren wer- den verpflanzt, und die blühenden Veilchen sorgfältig herausgehoben und in Scherben versetzt; ich trage sie an mein Bett, und lege den Kopf dicht an sie heran, damit ich ihren Duft die ganze Nacht ein- und ausathme. O was erzähle ich dies alles dem Mann, der fern ab von solchen Kindereien seinen Geist zu andern Sphä- ren trägt! warum Dir, dem ich schmeichlen, den ich lok- ken will; Du sollst mir freundlich sein, Du sollst Dir unbewußt, mich allmählig lieben; während ich so mit Dir plaudere, könnte ich Dir nun nichts anders sagen- was Dir wichtiger wär', was Dich bewegte, daß Du mich „geliebtes Kind“ nenntest, mich an's Herz drücktest in süßer Regung über das, was Du vernimmst? Ach ich weiß nichts besseres, ich weiß keine schönere Freuden als die jener ersten Frühlinge, keine innigere Sehnsucht als die nach dem Aufblühen meiner Blumen- knospen, keinen heißeren Durst, als der mich befiel, wenn ich mitten in der schönen blühenden Natur stand, und alles voll üppigem Gedeihen um mich her. Nichts hat freundlicher und mitleidiger mich berührt als die Son- nenstrahlen des jungen Jahr's, und wenn Du eifersüch- tig sein könntest so wär' es nur auf diese Zeit, denn wahrlich ich sehne mich wieder dahin. Eine Sonne geht uns auf, sie weckt den Geist wie den jungen Tag, mit ihrem Untergang geht er schlafen; wenn sie aufsteigt erwacht ein Treiben im Herzen wie der Frühling, wenn sie hoch steht glüht der Geist mäch- tig, er ragt über das Irdische hinaus und lernt aus Offenbarungen; wenn sie sich dem Abend neigt, da tritt die Besinnung ein, ihrem Untergang folgt die Er- innerung; wir besinnen uns in der Schattenruh auf das Wogen der Seele im Lichtmeer, auf die Begeistrung in der Zeit der Gluth, und mit diesen Träumen gehen wir schlafen. Manche Geister aber steigen so hoch, daß ihnen die Liebessonne nimmermehr untergeht, und der neue Tag schließt sich an den versinkenden an. Die einsame Zeit ist allein was mir bleibt; wessen ich mich erinnere das war in der Einsamkeit erlebt, und was ich erlebt habe das hat mich einsam gemacht; die ganze weite Welt umspielt in allen Farben den einsa- men Geist, sie spiegelt sich in ihm, aber sie durchdringt ihn nicht. Geist ist in sich und was er wahrnimmt, was er aufnimmt das ist seine eigne Richtung, sein Vermögen; es ist seine höchste Offenbarung, daß er erfasse was er vermag. Ich glaub' im Tod mags ihm wohl offenbar werden, früher hat er nur ungläubige Anschauungen davon; hätte ich früher geglaubt so hätte der Geist auch zu erreichen gestrebt was er unnöglich wähnte und hätte erlangt wonach er sich sehnte, denn Sehnsucht ist ein heilig Merkmal der Wahrhaftigkeit ihres Ziels, sie ist Inspiration und macht den Geist kühn. Dem Geist soll nichts zu kühn sein, denn weil er alles vermag; er ist der Krieger dem keine Waffe versagt, er ist der Reiche dessen Fülle Unendliches spendet, er ist der See- lige dem alles Wollust ist; ja wohl, Geist ist die Gottheit! Die Brust saugt die Luft in sich und ent- läßt sie wieder, um sie wieder zu trinken, und das ist Leben. — Der Geist trinkt sehnend die Gottheit, und haucht sie wieder aus um sie abermals zu trinken und das ist sein Leben; alles andre ist Zufall, ist Spur, Geschichte des Geistes, aber nicht sein Leben, Darum ist der Geist einsam weil ihn nur ein ein- ziges belebt, das ist die Liebe. Die Liebe ist das All. Der Geist ist einsam weil die Liebe alles allein ist. Die Liebe ist nur für den, der ganz in ihr ist. Liebe und Geist schauen sich einander an, denn sie sind in sich al- lein und können nur sich sehen. Ich war auch einsam damals in der Kindheit, die Sterne äugelten mich an, ich begriff sie, die Liebe spricht durch sie. Die Natur ist die Sprache der Liebe, die Liebe spricht zur Kindheit durch die Natur. Der Geist ist Kind hier auf Erden, drum hat die Liebe die süße, see- lige, kindliche Natur als Sprache für den Geist ge- schaffen. Wär' der Geist selbstständig, vielleicht führte die Liebe eine andre Sprache. — Die Natur lenkt und reicht dar was der Geist bedarf; sie lehrt, sie erzählt, sie er- findet, sie tröstet, sie beschützt und vertritt seine Unmün- digkeit, vielleicht wenn sie den Geist aus der Kindheit herausgeleitet hat, lenkt sie ihn nicht mehr, sie läßt ihn dann selbstständig walten, vielleicht ist das jenseitige Leben der Frühling des Geistes, so wie dieses seine Kindheit ist. Denn wir sehnen uns ja nach dem Früh- ling, nach der Jugend bis zum letzten Augenblick, und dieses Erdenleben ist nur ein Vorbilden für das Jugend- leben des Geistes, sie entläßt ihn aus der Kindheit, wie das Saamenkorn den Keim entläßt in's Ätherleben. Blühen ist Geist, es ist Schönheit, es ist Kunst, und sein Duftausströmen ist abermals Streben in ein höheres Element. Komm mit Freund! scheue nicht den feuchten Abend- thau, ich bin ein Kind und Du bist ein Kind, wir lie- gen gern unter freiem Himmel, und sehen den gemäch- lichen Zug drr Abendwolken, die im purpurnen Gewand dahin schwimmen. O komme! — kein seligerer Traum, kein beglückenderes Ereigniß als Ruhe! stille Nuhe im Dasein; beglückt daß es so ist, und kein Wähnen es könne anders sein, oder es müsse anders kommen. Nein! nicht im Paradies wird es schöner sein, als diese Ruhe ist die keine Rechenschaft giebt, kein Überschauen des Genusses, weil jeder Augenblick ganz selig ist. Solche Minuten erleb' ich mit Dir, nur weil ich Dich denke an meiner Seite in jenen Kinderjahren; da sind wir eines Sinnes, was ich erlebe spiegelt sich in Dir, und ich lerne es in Dir begreifen, und was erlebte ich wenn ich's nicht in Dir anschaute? — In was empfindet sich der Geist, durch was besitzt er sich, als nur dadurch, daß er die Liebe hat? — Ich habe Dich Freund! Du wandelst mit mir, Du ruhst an meiner Seite, meine Worte sind der Geist den Deine Brust aushaucht. Alle sinnliche Natur wird Geist, aller Geist ist sinn- liches Leben der Gottheit. — Augen Ihr seht! — Ihr trinkt Licht, Farben und Formen! — O Augen, Ihr seid genährt durch göttliche Weisheit, aber alles tragt Ihr Der Liebe zu Ihr Augen, daß die Abendsonne ihre Glo- rie über Euch spielen läßt, und der Wolkenhimmel eine heilige Farbenharmonie Euch lehrt, in die alles ein- stimmt: die fernen Höhen, die grüne Saat, der silberne Fluß, der schwarze Wald, der Nebelduft, das giebt Euch Ihr Augen die Mutter Natur zu trinken, während der Geist den schönen Abend verlebt im Anschauen des Ge- liebten. O Ihr Ohren, Euch umtönt die weite Stille, in ihr erhebt sich das leise Heranbrausen des Windes, es naht sich ein zweites, es trägt Euch Töne zu aus der Ferne, die Wellen schlagen seufzend an's Ufer, die Blät- ter lispeln, nichts regt sich in der Einsamkeit was nicht sich Euch vertraute Ihr Ohren. Ihr werdet getränkt durch das ganze Walten der Natur, während Ohr und Aug und Sprache und Genuß im Busen des Freundes tief versunken ist. Ach paradiesisches Mahl, wo die Kost sich in Weisheit verwandelt, wo Weisheit Wollust ist, und diese Offenbarung wird. Diese Frucht! duftend, reif, niedersinkend aus dem Äther! — welcher Baum hat sie abgeschüttelt von den überreichen Ästen? während wir Wange an Wange ge- lehnt, ihrer und der Zeit vergessen. Diese Gedanken, sind sie nicht die Äpfel die der Baum der Weisheit trägt und die er Liebenden in den Schooß schüttelt, die in seinem Paradiese wohnen und in seinem Schatten ruhen. — Damals war die Liebe in der Kindesbrust, die ihre Gefühle wie der junge Keim seine Blüthen, dichtgefaltet und verschränkt umschloß. Damals war sie ! — und ihrem Drängen dehnte sich der Busen, und öffnete sich ihre Blüthen zu entfalten. Ein Nönnchen wurde eingekleidet, eine andre ha- ben wir begraben, während den drei Jahren, als ich im Kloster war; dem einen hab ich den Cypressenkranz auf den Sarg gelegt, sie war die Gärtnerin und hatte lange Jahre den Rosmarin gepflegt, den man ihr auf's Grab pflanzte; sie war achtzig Jahre alt, und der Tod berührte sie sanft, während sie Absenker von ihren Lieb- lingsnelken machte, da hockte sie am Boden und hielt die Pflanzen in der Hand, die sie eben einsetzen wollte; ich war der Vollstrecker ihres Testaments, denn ich nahm die Pflanzen aus der erstarrten Hand und setzte sie in die frisch aufgewühlte Erde, ich begoß sie mit dem letz- ten Krüglein Wasser, was sie am Madlenenbrünnchen geholt hatte, die gute Schwester Monika! wie schön wuchsen diese Nelken! dunkelroth waren sie und groß. — Da mich später der, der mich liebt und kennt , einer dunklen Nelke verglich, da dachte ich an die Blu- men, die ich junges Kind aus der erstorbenen Hand des hohen Alters entnommen und eingepflanzt hatte, und ob es wohl so kommen werde, daß auch mich der Tod beim pflanzen der Blumen überrasche; der Tod, der triumphirende Herold des Lebens, der Befreier von ir- discher Schwere. Aber jene andre Nonne, jung und schön, deren lange goldne Flechten ich auf goldnem Opferteller zum Altar trug: — ich hab' nicht geweint, da man die alte Gärtnerin zu Grabe trug, obschon sie meine Freundin gewesen war, und mir manche Gartenkunst gelehrt hatte. Es kam mir so natürlich vor und so behaglich, daß ich nicht einmal darüber verwundert war; aber damals, als ich im Chorhemdchen mit einem Kranz von Rosen auf dem Kopf, mit brennender Kerze als Geleitengel, unter dem Geläute aller Glocken, vor der in alle üppige Pracht gekleideten jugendlichen Braut Christi einherschritt; da wir an das Gitter kamen, vor welchem der Bischof stand, der ihr die Gelübde abnahm, und er fragte, ob sie sich Christo vermählen wolle, und man ihr auf ihr Bejahen die mit Perlen und Bändern durchflochtenen Haare abschnitt, welche ich auf einem goldenen Teller empfing, da fielen meine Thränen auf diese Haare, und da ich hin zum Altar trat, um sie dem Bischof zu über- reichen, da schluchzte ich laut und alles Volk weinte mit. Die junge Braut legte sich an die Erde, es wurde ein Leichen-Tuch über sie gebreitet, die Nonnen wallten von allen Seiten herbei, je zu zweien Blumenkörbe tra- gend. Ich streute die Blumen auf das Leichen-Tuch, während ein Requiem gesungen wurde. Sie wurde als Todte eingesegnet und Gebete über sie gesprochen; das irdische Leben war beendet, ich hob als Auferstehungs- engel die Todtendecke auf; das himmlische Leben be- ginnt, die Nonnen umringen sie, in ihrer Mitte wird sie vom weltlichen Staat entkleidet, Ordenskleid Man- tel und Schleier werden ihr angelegt, worauf sie in die Hände des Bischofs die Gelübde des Gehorsams, der Keuschheit und der Armuth ablegt. Ach wie war ich beklommen, da der Bischof ihr das Kruzifix reichte, um es als ihren Bräutigam zu küssen. Ich wich nicht von ihrer Seite; am Abend, da die Nonne allein in ihrer Zelle saß, kniete ich noch vor ihr, mit meinem verwelkten Rosen- kranz auf dem Kopf; sie war eine Französin, eine Gräfin D'antelot. „Mon enfant,“ fragte sie, „mon cher ange gardien, pourquoi as tu pleuré ce matin l'orsqu'on ma coupé les cheveux?“ ich schwieg eine Weile still aber dann dann fragte ich leise: „Madame, est-ce que Jesus Christ a aussi une barbe noire?“ Diese schöne Frau war mit vielen andern hohen Damen und Rittern, die Ordensbänder und Sterne hat- ten und aus Frankreich vertrieben waren in unser Klo- ster gekommen; diese zogen alle weiter, sie allein blieb zurück, sie wandelte viel im Garten, sie hatte einen blitzenden Ring am Finger, den sie küßte wenn sie in der dunklen Allee allein war. Da las sie ihre Briefe mit leiser Stimme und mit einem feinen weißen Tuch trocknete sie die weinenden Augen. Ich belauschte sie, ich liebte sie und weinte heimlich mit. Einmal trat ein schöner Mann in glänzender Uniform mit ihr in den Garten. Sie sprachen zärtlich miteinander. Der Mann hatte einen schwarzen Bart, er war größer als sie, er hielt sie in seinen Armen und sah auf sie herab, und seine glänzenden Thränen blieben in seinem schwarzen Bart hängen; das sah ich, denn ich saß in der dunkeln Laube an deren Eingang sie standen. Er seufzte tief und laut, er drückte sie an's Herz, und sie küßte die glänzenden Thränen im schwarzen Bart auf. Noch oft wandelte die schöne Frau in diesen ein- samen Alleen, noch oft sah ich sie, weinend unter dem Tagebuch. 4 Baum wo er Abschied genommen hatte, und endlich nahm sie den Schleier. Coblenz. Ich habe mehrere Tage nicht in's Buch geschrieben, wie hab' ich mich danach gesehnt! Im Wandern durch fremde Straßen hab' ich Deiner gedacht. Hier der Spiel- und Tummelplatz Deiner Jugendjahr, da üben der Eh- renbreitstein; er heißt wie die Basis Deines Ruhms, so muß der Würfel heißen auf dem Dein Denkmal einst stehn wird. Gestern fielen mir wunderliche Gedanken aus den Wolken, ich hätte sie gern aufgeschrieben, ich war nicht allein, ich mußte sie halt mit den wechselnden Wellen im Strom dahin ziehen lassen. Alles was dem Wesen der Liebe nicht zusagt ist Sünde, und alles was Sünde ist sagt dem Wesen der Liebe nicht zu. Die Liebe hat eine persönliche Gewalt die ein Recht an uns übt; ich unterwerfe mich ihrer Rüge, sie, und sie allein ist die Stimme meines Gewissens. Welche Anregungen auch im Leben vorkommen, welche Wendungen auch ein Geschick nimmt, sie ist der Weg der Modulation der alle fremde Tonarten harmo- nisch auflös't, sie giebt die Erkenntniß den Takt einer wahrhaft sittlichen Größe. Sie ist strenge und diese Strenge erregt leidenschaftlich für die Liebe, ich brenne vor Begierde zu thun was ihr gemäß ist. Ich will gern jedes Gefühl, jede Regung an ihr abmessen. Jetzt geh ich schlafen; könnt' ich Dir beschreiben wie wohl mir ist! Wenn heut' der Tag wäre, wo ich Dich wiedersähe! Heute! in wenig Sekunden trätest Du hier in meine vier Wände, in denen ich schon seit einem Sommer das Zauberhandwerk treibe, Dich zu besitzen; ja und man- chen Augenblick warst Du mein, meine Liebe zog Dich heran. Ich sah in die Ferne, im Herzen sah ich nach Dir, und erkannte Dich. Etwas sich aneignen, etwas be- sitzen, dazu gehört eine große Kraft; etwas besitzen, wenn auch nur Minuten lang, erzeugt Wunder; was Du besitzest im Geist, das erkennst Du, was Du er- 4* kennst, das nimmt Dich ein, was Dich einnimmt, das erschließt Dir eine neue Welt. Der Geist will Selbstherrscher sein! der eigne Be- sitz ist seine wahre Kraft; jede Wahrheit, jede Offenba- rung ist ein Berühren des eigenen Geistes, durchdringst Du ihn, schmilzt Deine Seele in Deinen Geist: dann hast Du alles was Du vermagst, und jede Offenbarung und Dein Leben ist Dein fortwährendes Wissen, und Dein Wissen ist Dein Sein, Dein Erzeugen, alle Er- kenntniß ist Liebe, drum ist es so selig zu lieben, weil im Lieben der Besitz liegt der eignen göttlichen Natur. Hast Du geliebt? es war eine Spur göttlicher Na- tur, Du hobst die Grenze Deines Seins auf und dehn- test Dich aus im Besitz Deiner Liebe. Dieses Ausdehnen ist der Kreislauf Deiner geistigen Natur; was Du liebst, daß ist ein Reich in das Du geboren bist, daß Du ver- magst in ihm zu leben. Ach es ist so groß, so unend- lich das Reich der Liebe, und doch umschließt es das menschliche Herz. So wollen wir dann das Kloster verlassen, in dem kein Spiegel war, und in dem ich also während vier Jahren vergeblich die Bekanntschaft meiner Gesichts- züge, meiner Gestalt gesucht haben würde, doch ist es mir in dieser ganzen Zeit nie eingefallen daran zu denken, wie ich wohl aussehe, es war mir eine große Über- raschung, wie ich im dreizehnten Jahr zum erstenmal mit zwei Schwestern, umarmt von der Großmutter, die ganze Gruppe im Spiegel erblickte. Ich erkannte alle, aber die eine nicht, mit feurigen Augen, glühenden Wangen, mit schwarzem, fein gekräuseltem Haar; ich kenne sie nicht, aber mein Herz schlägt ihr entgegen, ein solches Gesicht hab' ich schon im Traum geliebt, in diesem Blick liegt etwas, was mich zu Thränen bewegt, diesem Wesen muß ich nachgehen, ich muß ihr Treue und Glauben zusagen; wenn sie weint, will ich still trauern, wenn sie freudig ist, will ich ihr still dienen, ich winke ihr, — siehe, sie erhebt sich und kommt mir entgegen, wir lächeln uns an, und ich kann's nicht län- ger bezweifeln, daß ich mein Bild im Spiegel erblickt. Ach ja, diese Prophezeihung ist mir wahr gewor- den, ich habe keinen andern Freund gehabt als mich selber, ich habe nicht um mich, aber oft mit mir geweint; ich habe gescherzt mit mir, und das war noch rührender dnß am Scherz auch kein andrer Theil nahm, hätte mir damals einer gesagt es sucht jeder in der Liebe nur sich, und es ist das höchste Glück sich in ihr finden, ich hätt' es nicht verstanden, doch ist in diesem kleinen Ereigniß eine hohe Wahrheit verborgen, die gewiß nur wenige fassen: finde Dich, sei Dir selber treu, lerne Dich verstehen, folge Deiner Stimme, nur so kannst Du das Höchste erreichen. Du kannst nur Dir treu sein in der Liebe, was Du schön findest das mußt Du lieben oder Du bist Dir untreu. Schönheit erzeugt Begeistrung, aber Begeistrung für Schönheit ist die höchste Schönheit selbst. Sie spricht das erhöhte, verklärte Ideal des Geliebten durch sich selbst aus. Gewiß die Liebe erzieht eine höhere Welt aus der Sinnenwelt; der Geist wird durch die Sinne genährt, gepflegt und getragen, er wächst und steigt durch sie zur Selbstbegeistrung zum Genie, denn Genie ist das überirdische selige Leben einer durch die sinnliche Natur erzeugten himmlischen Begeistrung. Du erscheinst mir wie dies himmlische Erzeugniß meiner Sinnenwelt, wenn ich so vor Dir stehe und Dir ausspreche wie ich Dich liebe, und doch wenn ich so vor Dir stehe dann, fühl ich wie Deine sinnliche Er- scheinung mich verklärt und zur himmlischen Natur in mir wird. Jetzt bin ich dreizehn Jahr alt, jetzt rückt die Zeit an, die aus dem Schlaf weckt, die jungen Keime haben Trieb, und rücken aus ihrer braunen Hülle hervor ans Licht, und die Liebe des Kindes neigt sich den aufkei- menden Geschlechtern der Blumen; sein Herz glüht ver- schämt und innig ihren vielfarbigen duftenden Reizen entgegen, und ahndet nicht, daß während dem eine Keimwelt von tausendfältigen Geschlechtern der Sinne und des Geistes sich aus der Brust hervor, dem Leben, dem Licht entgegen drängt. — Siehst Du wohl, hier bestätigt, was ich sage: die Liebe zu der aufkeimenden Blüthenwelt der sinnlichen Natur erregt die schlafenden Keime einer geistigen Blüthenwelt; indem wir die sinn- liche Schönheit gewahr werden, erzeugt sich in uns ein geistig Ebenbild, eine himmlische Verklärung dessen, was wir sinnlich lieben. — So war meine erste Liebe, im Garten: in der Geisblattlaube war ich jeden Morgen mit der Sonne und drängte mich dem Aufbrechen ihrer röthlichen Knospen entgegen, und wie ich in die erschloss- nen Kelche blickte, da liebte ich und betete die Sinnen- welt in den Blüthen an, und ich mischte meine Thrä- nen mit dem Honig in ihren Kelchen. Ja, glaub's, es war mir ein besonderer Reiz, die Thräne, die unwill- kührlich mir in's Auge gedrungen, da hinein zu betten, so wechselte die Lust mit der Wehmuth. Die jungen Feigenblätter, wie sie zuerst so rein und dicht gefaltet aus dem Keim hervorsteigen und vor der Sonne sich ausbreiten: Ach Gott! Du! warum schmerzt die Schön- heit der Natur? nicht wahr, weil die Liebe sich untüch- tig fühlt sie ganz zu umfassen, so ist die glücklichste Liebe von Wehmuth durchdrungen, weil sie ihrer eignen Sehnsucht kein Genüge thun kann, so macht mich Deine Schönheit wehmüthig, weil ich Dich nicht genug lieben kann. — O verlasse mich nicht, sei mir nur so weit willig gesinnt, wie der Thau den Blumen gesinnt ist; Morgens weckt er sie und nährt sie, und Abends reinigt er sie vom Staub und kühlt sie von der Hitze des Ta- ges. So mache Du es auch, wecke und nähre meine Begeistrung in der Frühe, und kühle meine Gluth und reinige mich von Sünden am Abend. Hast Du mich lieb? — Ach! ein Herabneigen Dei- nes Angesichts auf mich, wie die wogenden Zweige der Birke, — wie schön wär' das! — oder auch, daß Du mich anhauchtest im Schlaf, wie der Nachtwind über die Fluren hinstreift; mehr nicht, mein Freund, verlang' ich von Dir, daß der Athem des Geliebten Dich berührt, welche Seligkeit kannst Du dieser gleichstellen? — So hell und deutlich hab' ich damals nicht gefühlt, wie ich heut' in der Erinnerung fühle, ich war so un- mündig wie die junge Saat, aber ich wurde vom Lichte genährt und dem Selbstbewußtsein entgegen geführt, wie jene, wenn sie durch die Ähre ihrer selbst gewiß wird; und heute bin ich reif, und streue die goldnen Fruchtkörner der Liebe zu Deinen Füßen aus, mehr nicht besagt mein Leben. Die Nachtigall war anders gegen mich gesinnt wie Du, sie stieg herab von Ast zu Ast und kam immer näher, sie hing sich an den äußersten Zweig, um mich zu sehen, ich wendete leise mich zu ihr, um sie nicht zu scheuchen, und siehe da! Aug' in Nachtigallenaug', wir 4** blickten uns an und hielten's aus. Dazu trugen die Winde die Töne einer fernen Musik herüber, deren all- umfassende Harmonie wie ein in sich abgeschlossnes Gei- steruniversum erklang, wo jeder Geist alle Geister durch- dringt, und alle jedem sich fügen; vollkommen schön war dies Ereigniß, dies erste Annähern zweier gleich unbewußten, unschuldigen Naturen, die noch nicht er- fahren hatten, daß aus Liebesdurst, aus Liebeslust das Herz im Busen stärker und stärker klopft. Gewiß, ich war freundlich und gerührt durch dies Annähern der Nachtigall, wie ich mir denke, daß Du allenfalls freund- lich bewegt werden könntest durch meine Liebe, aber was hat die Nachtigall bewogen, mir nachzugehen, warum kam sie herab vom hohen Baum und setzte sich mir so nah', daß ich sie mit der Hand hätte haschen können, warum sah sie mich an und zwar mir in's Auge? — das Aug' spricht mit uns, es antwortet auf den Blick, die Nachtigall wollte mit mir sprechen, sie hatte ein Gefühl, einen Gedanken mit mir auszutau- schen. (Gefühl, ist der Keim des Gedankens,) und wenn es so ist, welchen tiefen, gewaltigen Blick läßt uns hier die Natur in ihre Werkstatt thun: wie bereitet sie ihre Steigerungen vor, wie tief legt sie ihre Keime, wie weit ist es noch von der Nachtigall bis zu dem Bewußtsein zwischen zwei Liebenden, die ihre Inbrunst so deutlich im Lied der Nachtigall gesteigert empfinden, daß sie glauben müssen, ihre Melodieen seien der wahre Aus- druck ihrer Empfindungen. — Am andern Tag kam sie wieder, die Nachtigall, ich auch, mir ahndete sie würde kommen, ich hatte die Guitarre mitgenommen, ich wollte ihr was vorspielen, an der Pappelwand war's, der wilden Rosen-Hecke ge- genüber, die ihre langen schwankenden Zweige über die Mauer des Nachbargartens hereinstreckte und mit ihren Blüthen beinah bis wieder an den Boden reichte; da saß sie und streckte ihr Hälschen, sah mir zu, wie ich mit dem Sand spielte. Nachtigallen sind neugierig, sagen die Leute, bei uns ist's ein Sprüchwort: du bist so neugierig wie eine Nachtigall; aber warum ist sie denn neugierig auf den Menschen, der scheinbar gar keine Beziehung auf sie hat? — was wird einstens aus dieser Neugierde sich erzeugen? — O! nichts umsonst, alles braucht die Natur zu ihrem rastlosen Wirken, es will und muß weiter gehen in ihren Erlösungen. Ich stieg auf eine hohe Pappel, deren Äste von unten auf zu einer bequemen Treppe rund um den Stamm gebil- det waren; da oben in dem schlanken Wipfel band ich mich fest an die Zweige mit der Schnur, an der ich die Guitarre mir nachgezogen hatte, es war schwül, nun regten sich die Lüfte stärker und trieben ein Heer von Wolken über uns zusammen. — Die Rosenhecke wurde hochgehoben vom Wind und wieder niedergebeugt, aber der Vogel saß fest; je brausender der Sturm, je schmet- ternder ihr Gesang, die kleine Kehle strömte jubelnd ihr ganzes Leben in die aufgeregte Natur, der fallende Re- gen behinderte sie nicht, die brausenden Bäume, der Donner übertäubte und schreckte sie nicht, und ich auch auf meiner schlanken Pappel wogte im Sturmwind nie- der auf die Rosenhecke, wenn sie sich hob, und streifte über die Saiten, um den Jubel der kleinen Sängerin durch den Takt zu mäßigen. Wie still war's nach dem Gewitter! welche heilige Ruhe folgte dieser Begeistrung im Sturm! mit ihr breitete die Dämmerung sich über die weiten Gefilde, meine kleine Sängerin schwieg, sie war müde geworden. Ach, wenn der Genius aufleuchtet in uns, und unsere gesammten Kräfte aufregt, daß sie ihm dienen, wenn der ganze Mensch nichts mehr ist, als nur dienend dem Gewaltigen, dem Höheren als er selbst, und die Ruhe folgt auf solche Anstrengung, wie mild ist es da, wie sind da alle Ansprüche, selbst etwas zu sein, aufgelöst in Hingebung an den Genius! So ist Natur, wenn sie ruht vom Tagwerk: sie schläft, und im Schlaf giebt es Gott den Seinen. So ist der Mensch, der unterworfen ist dem Genius der Kunst, dem das elektrische Feuer der Poesie die Adern durchströmt, den prophetische Gabe durchleuchtet, oder der, wie Beet- hoven eine Sprache führt, die nicht auf Erden, sondern im Äther Muttersprache ist. Wenn solche ruhen von begeisterter Anstrengung, dann ist es so mild, so kühl, wie es heute nach dem Gewitter war in der ganzen Natur, und mehr noch in der Brust der kleinen Nach- tigall, denn die schlief wahrscheinlich heute noch tiefer als alle andren Vögel, und um so kräftiger und um so inniger wird ihr der Genius, der es den Seinen im Schlaf giebt, vergolten haben, ich aber stieg nach ein- geathmeter Abendstille von meinem Baum herab, und durchdrungen von den hohen Ereignissen des eben Er- lebten, sah ich unwillkührlich die Menschheit über die Achsel an. Alles ändert sich, die Menschen denken anders, wenn sie älter sind, als in der Jugend. Ach! — was werde ich denn einstens denken, wenn mich dies irdische Leben so lange bewahrt, bis ich älter in ihm werde! vielleicht gehe ich, statt zu dem Freund, dann in die Kirche, viel- leicht bete ich dann, statt zu lieben! Ach, wie werd' ich's dem Lieben gleichthun im Beten? — ich weiß nicht, Küssen ausdrücken. — Hab' ich je Andacht empfunden, so war's an Deiner Brust, Freund! — Tempelduft, den Deine Lippen hauchen, Geist Gottes, den Deine Augen predigen, es strömt von Dir aus eine begeisternde Macht, Deine Gewande, Dein Antlitz, Dein Geist, alles strömt eine Heiligung aus. O Du! — Deine Kniee fest an meine Brust drückend, frag' ich nicht mehr, was das für eine Seligkeit sein möge, die im Himmel dem Frommen bereitet ist. — Gott von Angesicht zu Angesicht schauen? — wie oft hab' ich mit geschlossnen Augen Deiner Nähe mich gefreut. Vielleicht dringt Gott durch den Gelieb- ten in unser Herz, — ja Geliebter! — was haben wir im Herzen, als nur Gott? — Und wenn wir ihn da nicht empfänden, wie und wo sollten wir seine Spur suchen? — Was fasle ich vom Frühling, was spreche ich von heiteren Tagen, von Genuß und Glück? — Du! — das Bewußtsein von Dir verzehrt mir jede Re- gung; ich kann nicht lächeln zum Scherz, ich kann nicht mich freuen, ich kann nicht hoffen mit den an- dern, daß ich Dich kenne. Daß ich Dich weiß, macht meine Sinne so still. O heute ist ein wunderbarer Tag! — heute leide ich Schmerzen, so schwer ist die Seele! Du bist nah, ich weiß es, gar nicht fern ist der Weg zu Dir, aber mich trennt der kleine Raum, wie die Unendlichkeit, der Moment der Sehnsucht ist es, der gefühlt und befrie- digt sein will, und wenn der Geliebte den nicht ahndet, wenn er die Liebe versäumt was kann mich ihm nah bringen! Ach, schauerlicher Tag, der heute in Erwar- tung und Sehnsucht verging! Wen mache ich zum Vertrauten? wer fühlt mensch- lich mit mir? — wem klag' ich über Dich? — wer ist mein Freund? — wer darf's wagen auf diesen Stu- fen hinan zu steigen, auf denen ich mich aller menschli- chen Berührung enthoben habe? — wer darf die Hand mir an die Stirn legen und sagen: der Friede sei mit dir? — Dir klag ich's, den ich suche, Dir ruf ich's zu, über die Klüfte, denk' nur, mit heißem Ruderschlag überfliege ich die Zeit, das Leben; ich jage sie hinter mich die Mi- nuten der Trennung, und nun, Ihr Inseln der Seligen, findet mein Anker keinen Grund. Wildes Gestad'! — feindseliger Strand! — Ihr lasset mich nicht landen, nicht nahen des Freundes Brust, der kennt die Geheim- nisse und den göttlichen Ursprung und meines Lebens Ziel. Er hat, daß ich ihn schauen lerne, des Lichtes unbefleckten Glanz mir im Geiste geweckt, er hat beglei- tend in raschen Liedern die Genüsse, die Leiden der Liebe, mich gelehrt zwischen beiden voranschreitend, den Schick- salsschwestern, mit leuchtender Fackel des Eros zu be- strahlen den Weg. Heute ist ein andrer Tag: die böse Furcht ist ge- stillt, es tobt nicht, es braust nicht mehr im Herzen, die Klage unterbricht nicht mehr der Liebe glanzerfüllte Stille. — Ach heute ist die Sonne nicht hinab, ihre letz- ten Strahlen breiten sich unter Deine Schritte; sie wan- delt die Sonne, sie steht nicht still, sie führt Dich ein bei mir, wo Dämmerung Dir winkt und der von Vio- len geflochtene Kranz. O liebster! — dann steh' ich schweigend vor Dir, und der Duft der Blumen wird für mich sprechen bei Dir. Ich bin freudig wie der Delphin, der auf weitru- hendem Meeresplan ferne Flöten vernimmt; er jagt muthwillig die Wasser in die glänzende Stille der Luft- höhen, daß sie auf der glatten Spiegelfläche einen Perlenrausch verbreiten; jede Perle spiegelt das Univer- sum und zerfließt, so jeder Gedanke spiegelt die ewige Weisheit und zerfließt. Deine Hand lehnte an meiner Wange, und Deine Lippe ruhte auf meiner Stirn, und es war so still, daß Dein Athem verhauchte, wie Geisterathem. Sonst eilt die Zeit den Glücklichen, aber diesmal jagte die Zeit nicht; eine Ewigkeit, die nie endet ist diese Zeit, die so kurz war, so in sich, daß ihr kein Maaß kann ange- legt werden. An milden Frühli n gstagen, wo dünnes Gewölk der jungen Saat den fruchtbringenden Regen spendet, da ist es so wie jetzt in meiner Brust; mir ahndet, wie dem kaum gewurzelten Keim seine künftige Blüthe ahn- det, daß Liebe ewige, einzige Zukunft sei. Gut sein begnügt die Seele, wie das Wiegenlied die Kinderseele zum Schlaf befriedigt. Gut sein ist die heilige Ruhe, die der Saame des Geistes haben muß ehe er wieder gezeitigt ist zur Saat. — Der Geist aber ahndet, daß Gutsein die Vorbereitung zu einem tiefen unerforschlichen Geheimniß ist. Das hast Du mir an- vertraut Goethe! — gestern Abend beim Sternenhim- mel am offnen Fenster, wo ein Lüftchen nach dem an- dern hereinschwirrte und wieder hinaus. — Wenn also die Seele gut ist: das ist eine Ruhe, ein Einschlafen im Schooß Gottes, wie der Saame im Schooß der Na- tur schläft eh er keimt. Wenn aber der Geist das Gute will, so will er die Gottheit selbst; so will er jenes Geheimniß der Güte als Speise und Nahrung und Vorbereitung seiner nahen Verwandlung; so pocht er an, wie der verborgne Strom im Felsenschooß, daß er an's Licht will. Solchen kühnen Muth hat Dein Geist, daß seinem Dringen Thor und Riegel aufgethan wur- den, und daß er hervorbrausen durfte, über alle Zeiten hinweg wo Geist in Geist greift, Well in Well gebo- ren, Well in Well verloren. Solcherlei Gespräche führten wir gestern Abend, und Du sagtest noch: „kein Mensch würde glauben, daß wir beide so mit einander sprechen. Wir sprachen auch von der Schönheit: Schönheit ist wenn der Leib von dem Geist, den er herbergt ganz durchdrungen ist. Wenn das Licht des Geistes von dem Leib den er durchdringt ausströmt und seine Formen umkreis't das ist Schönheit. Dein Blick ist schön, weil er das Licht Deines Geistes ausströmt und in diesem Lichte schwimmt. Der reine Geist bildet sich einen reinen Leib im Wort, das ist die Schönheit der Poesie. Dein Wort ist schön weil der Geist, den es herbergt hindurch dringt und es umströmt. Schönheit vergeht nicht! der Sinn, der sie in sich aufnimmt hat sie ewig und sie vergeht ihm nicht. Nicht das Bild das sie spiegelt, nicht die Form, die ihren Geist ausspricht, hat die Schönheit: nur der hat sie, der in diesem Spiegel den eignen Geist ahndet und ersehnt. Schönheit bildet sich in dem, der sie sucht, und im Bilde wiederzugeben sucht, und in dem, der sie erkennt und sich ihr gleich zu bilden sehnt. Jeder ächte Mensch ist Künstler, er sucht die Schön- heit, und sucht sie wiederzugeben so weit er sie zu fassen vermag. Jeder ächte Mensch bedarf der Schönheit als der einzigen Nahrung des Geistes. Die Kunst ist der Spiegel der innersten Seele, ihr Bild ist es wie sie aus Gott hervorging, was die Kunst Dir spiegelt. Alle Schönheit ist eine Erkenntniß Deiner eignen Schönheit. Die Kunst ist es, die Dir ein sinnliches Ebenmaaß des Geistes vor die leiblichen Augen zaubert. Jeder Lebenstrieb ist Schönheitstrieb, sieh die Pflanze ihre Triebe alle sind erfüllt mit der Sehnsucht zu blü- hen, und die Befriedigung dieser Sehnsucht lag schon im Saamenkorn vorbereitet; also ist wohl Sehnsucht die sicherste Gewährleistung. Wer sich nach ewiger Schönheit sehnt, der wird sie haben und genießen. Alles was ich hier sage schriebst Du mir in's Herz, wenn ich's noch nicht mit rechter Freiheit ausspreche? — weil ich's nicht ganz zu fassen vermag. Gestern Abend da streifte Dein Aug' über die fer- nen Gebirge und da sagtest Du: „die Leidenschaft, die in's Herz geboren ist soll auch wachsen und gedeihen, denn es ist keine Begierde der nicht das göttliche gegen- überstände um sie seelig zu machen.“ Sie haben mich eingeführt in ihren Tempel die Genien, und hier stehe ich verzagt, aber nicht fremd, diese Lehren sind mir verständlich, diese Gesetze ge- ben mir Weisheit, das Trachten der Liebe ist nicht Trachten vergänglicher Menschen. Alle Blumen, die wir brechen, werden unsterblich im Opfer, — ein lie- bend Herz entschwingt sich feindseligem Loos. Ich soll Dir erzählen von den Zeiten, wo ich Deinen Namen noch nicht hatte nennen lernen? gewiß Du hast Recht, wissen zu wollen, was mich auf Dich vorberei- tete, ich sagte Dir, daß Blumen und Kräuter zuerst mich ansahen, daß ich erkannte, im Blick sei eine Frage, eine Forderung, die ich nur mit zärtlichen Thränen beant- worten konnte, dann lockte mich die Nachtigall, und ihr selbstständig Handlen, ihr Gesang, ihr Annähern und Zurückziehen lockte mich noch mehr als das Leben der Blumen, ich war ihr näher im Gemüth, ihr Umgang hatte etwas reizendes; aus meinem Bettchen konnte ich ihr nächtlich Lied hören, ihr melodisch Stöhnen weckte mich, ich seufzte mit ihr, und legte ihrem Gesang Ge- danken unter, auf die ich tröstende Antworten erfand. Ich erinnere mich, daß ich damals unter blühenden Bäumen Ball spielte, ein junger Mann, der ihn fing, brachte mir ihn und sagte: „du bist schön!“ — Dies Wort brachte mir Feuer in's Herz, es glühte auf, wie meine Wangen, aber ich dachte auf die Nachtigall, de- ren Gesang mich wahrscheinlich nächtlich verschöne und in diesem Augenblick brach die heilige Wahrheit in mei- nem Geiste auf, daß alles, was über das Irdische er- hebt, Schönheit erzeugt, und ich widmete mich der Nach- tigall mit mehr Eifer, mein Herz hielt pochend still, und ließ sich von ihren Tönen berühren wie von göttlichem Finger — ich wollte schön sein und Schönheit war mir göttlich, ich neigte mich vor dem Gefühl der Schönheit, und überlegte nicht, ob es äußerlich war oder innen. — Indessen hab' ich bis heute immer in der Schönheit, wo sie sich mir zeigte, eine nahe Verwandtschaft gefühlt, in Bildern und Statuen, in Gegenden, in schlanken Bäumen. Obschon ich nun nicht schlank bin, so regt sich doch etwas in meinem Geist, was dieser Schlank- heit entspricht, und ob Du auch lächelst, ich sage Dir, während ich mit dem Blick ihre himmelanstrebenden Wipfel verfolge, scheinen mir meine Eingebungen auch Himmel anstrebend, und wie im Windesrauschen die weichen Zweige hin- und herwogen, so wogt ein Gefüh- gleichsam als belaubtes Gezweig eines hohen Gedan- kenstammes in mir. Und so wollte ich nur sagen, daß alle Schönheit erzieht, und daß der Geist, der wie ein treuer Spiegel ihre Schönheit fasset durch dasselbe, aber auch zu dem höheren Aufschwung kommt, der geistig diese selbe Schönheit ist, nämlich allemal ihre göttliche Offenbarung. — So denke denn Du, wie Du mir ein- leuchten mußt, da Du schön bist. Schönheit ist Erlö- sung. Schönheit ist Befreiung vom Zauber, Schönheit ist Freiheit, himmlische; hat Flügel und durchschneidet den Äther. — Schönheit ist ohne Gesetz, vor ihr schwin- det jede Grenze, sie löst sich auf in alles, was ihren Reiz zu empfinden vermag, sie befreit vom Buchstaben, denn sie ist Geist. — Du bist empfunden von mir, Du machst mich frei vom Buchstaben und vom Gesetz. — Sieh diese Schauer die mich überwogen, es ist der Reiz Deiner Schönheit, der sich auflöst, mir im Gefühl, daß ich selber schön bin und Deiner würdig. Der Sommer geht vorüber, und die Nachtigall schweigt, sie schweigt, sie ist stumm und läßt sich auch nicht mehr sehen. Ich lebte da ohne Zerstreuung die Tage hindurch; ihre Nähe war mir eine liebe Gewohn- heit, es schmerzt mich, sie zu entbehren, hätte ich doch etwas, was sie mir ersetzt! vielleicht ein ander Thier, — an die Menschen dachte ich nicht, im Nachbargarten ist ein Reh in einer Umzäunung, es läuft hin und her an der Bretterwand und seufzt, ich mache ihm eine Öffnung, wo es den Kopf durchstecken kann. Der Winter hat al- les mit Schnee bedeckt, ich suche ihm Moos von den Bäumen; wir kennen uns, wie schön sind seine Augen; welche tiefe Seele sieht mich aus diesen an, wie wahr, wie warm! es legt gern den Kopf in meine Hand und sieht mich an, ich bin ihm auch gut, ich komme so oft es mich ruft; in den kalten hellen Mondnächten hör' ich seine Stimme, ich springe aus dem Bett, mit bloßen Füßen lauf' ich durch den Schnee, um dich zu beschwich- tigen. Dann bist du ruhig, wenn du mich gesehen hast, wunderbares Thier, das mich ansieht, anschreit, als wenn es um Erlösung bäte. Welch festes Vertrauen hatt' es auf mich, die ich nicht seines Gleichen bin! armes Thier, du und ich sind getrennt von unsers Gleichen, wir sind beide einsam, und wir theilen dies Gefühl der Einsam- keit; p wie oft hab' ich für dich in den Wald gedacht, wo du lang auslaufen konntest, und nicht ewig in die Runde, Runde, wie hier in deinem Verschlag; dort liefst du doch deines Weges immer zu, und konntest mit jedem Schritt hoffen, endlich einen Gefährten zu treffen, hier aber war deines Ziels kein Ende, und doch war alle Hoffnung abgeschnitten. Armes Thier! wie schaudert mich dein Geschick, und wie nah verwandt mag es dem meinen sein! Ich auch lauf' in die Runde, da oben seh' ich die Sterne schimmern, aber sie halten alle fest, keiner senkt sich herab, und von hier aus ist es so weit bis zu ihnen, und was sich lieben lassen will, das soll mir nah kommen; aber so war mir's in der Wiege gesungen, daß ich mußte einen Stern lieben und der Stern blieb mir fern; lange Zeit hab' ich nach ihm ge- strebt und meine Sinne waren aufgegangen in diesem Streben, so daß ich nichts sah, nichts hörte und auch nichts dachte, als nur meinen Stern, der sich nicht vom Firmament losreißen werde, um sich mir zu neigen. — Mir träumt, der Stern senkt sich tiefer und tiefer, schon kann ich sein Antlitz erkennen, sein Strahlen wird zum Auge, es sieht mich an und meine Augen spiegeln sich in ihm. Sein Glanz umbreitet mich, von allem auf Erden, so weit ich denken kann, so weit mich meine Sinne tragen, bin ich getrennt durch meinen Stern. Tagebuch. 5 Nichts hab' ich zu verlieren, nichts hab' ich zu ge- winnen, zwischen mir und jedem Gewinn schwebst Du, der göttlich strahlend im Geist, alles Glück überbietet; zwischen mir und jedem Verlust bist Du, der sich mir menschlich herabneigt. Ich verstehe nur das Eine , an Deinem Busen die Zeit zu verträumen; — ich verstehe nicht Deiner Schwin- gen Bewegung, die Dich in den Äther tragen, da dro- ben in schwindelnder Höhe über mir, im ewigen Blau Dich schwebend erhalten. Mich und die Welt umkleidet Dein Glanz, Dein Licht ist Traumlicht der höheren Welt, wir athmen ihre Luft, wir erwachen im Duft der Erinnerung; ja sie duf- tet uns, sie hebt uns, und trägt unser schwankendes Loos auf ihren spiegelnden Fluthen der Götter allum- fassenden Armen entgegen. Du aber hast's mir in der Wiege gesungen, daß ich Deinem Gesang, der in Träumen mich wiegt über das Loos meiner Tage, träumend auch lausche bis an's End' meiner Tage. Einmal schon, im Kloster hatten mich die Geister bewogen, mich ihnen zu gesellen, in den hellen Mond- nächten lockten sie mich; ich durchwanderte wunderliche dunkle Gänge, in denen ich die Wasser rauschen hörte, ich folgte beklemmt, bis zum Springbrunnen kam ich; der Mond schien in sein bewegtes Wasser und gewan- dete die Geister, die auf seinem wogenden Spiegel sich mir zeigten in Silberglanz; — sie kamen, sie bedeute- ten mein fragendes Herz, und verschwanden wieder, es kamen andere, sie legten Geheimnisse auf meine Zunge, berührten alle Lebenskeime in meiner Brust, bezeichneten mich mit ihrem Siegel, sie verhüllten meinen Willen, meine Neigungen und die Kraft, die von ihnen auf mich ausgegangen war. Wie war das? — wie beriethen sie mich? — durch welche Sprache gab sich ihre Lehre kund? — und wie soll ich Dir darlegen, daß es so war? — und was sie mir lehrten? — Die Mondnacht deckte mich im süßen, tiefen Kin- desschlaf, dann trat sie aus sich selbst hervor und be- rührte mich an meinen Augen, daß sie ihrem Licht er- wachten, und senkte sich mit magnetischer Gewalt in meine Brust, daß ich alle Furcht bezwang, auf Wegen, 5* die nicht geheuer waren, forteilte in tiefer, regungsloser Nacht, bis ich zum Springbrunnen kam zwischen Blu- menbeeten, wo jede Blume, jedes Kraut in täuschender Dämmerung ein Traumgesicht ausdrückte, wo sie buhl- ten und stritten mit der Phantasie. Dort stand ich und sah, wie der von den Lüften bewegte Wasserstrahl hinüber und herüberschwankte und wie die Mondesstrah- len das bewegte Wasser durchwebten, und wie der Blitz mit zingelnder Eile silberne Hieroglyphen in die wogen- den Kreise schrieb; da kniete ich in den feuchten Sand, und beugte mich über dies schwindelnde Lichtweben, und lauschte mit allen Sinnen, und mein Herz hielt still, und ich nahm es an, als ob mir diese schwindenden Strahlenzüge etwas hinschrieben, und mein Herz war freudig, als ob ich sie verstanden hätte, daß ihr Inhalt mir Glück andeute; ich ging zurück durch die langen dunklen labyrinthischen Gänge, vorüber an Bildern von wunderlichen Heiligen in gelassener Ruhe, bis zu mei- nem Bettchen, das im Erker am Fenster eingeklemmt war, da öffnete ich leise das Fenster dem Mondlicht, und ließ es meine Brust anstrahlen; — ja, mich um- armte in jenen glücklichen, glückbringenden Momenten ein freudegeistiges Gefühl, groß, allumfassend, es um- armte von außen mein Herz; mein Herz fühlte sich um- faßt von einer liebenden Gewalt, der es sich anschmiegte im Schlummer, der von dieser Gewalt aus über mich kam. Wie soll ich diese Gewalt nennen? — Lebens- geist? ich weiß es nicht, ich weiß nicht, was ich erfahren hatte, aber ein Begegniß war es mir, ein wichtiges Ereigniß, und ich war im Herzen als wie der Keim, der aus erster Verhüllung an's Licht hervorbricht; ich saugte Licht mit dem Geist, und sah mit diesem, was ich vor- her mit leiblichem Auge nicht gesehen haben würde, al- les was die Natur mir spielend darbot, gab mir eine Erinnerung an ein Verborgenes in mir, die Farben und Formen der Pflanzenwelt sah ich mit tiefem, genießen- dem, verzehrendem Blick, durch den die Nahrung in meinen Geist übergehe. Ach, wir wollen schweigen, wir wollen leisen Ne- belflor über dies Geheimniß ziehen, durch den uns sein Inhalt ahnungsweise durchschimmert, ja wir wollen schweigen, Freund! wir können's ja doch nicht in Wor- ten enthüllen. Aber pflanzt doch der irdische Mensch und säet in den Busen der Erde, die vorher unbefruch- tet war, daß ihre nährenden Kräfte eindringen in die Frucht ihrer Erzeugnisse. Hätte sie Bewußtsein ihres sinnlichen Gefühls, dann würde dies Gefühl zu Geist in ihr werden; — so vergleiche ich den Menschengeist mit ihr, ein vom himmlischen Geistesäther umschwebtes Eiland; es wird aufgelockert und urbar gemacht und göttlicher Saame wird seinen sinnlichen Kräften ver- traut und diese Kräfte regen sich und sprießen in ein höheres Leben, das dem Licht angehört, welches Geist ist, und die Frucht, die dieser göttlicher Saame trägt, ist die Erkenntniß, die wir genießen, damit unsere der Seeligkeit zuwachsenden Kräfte gedeihen. Wie soll ich's noch darlegen, daß dieses leise Schau- ern und Spielen der Lüfte, des Wassers, des Mondlichts mir wirklich Berührung mit der Geisterwelt war? — Wie Gott die Schöpfung dachte, da ward der einzige Gedanke: „Es werde“ ein Baum, der alle Welten trägt und sie reift. So ist auch dieser Hauch, dies Gelispel der Natur in nächtlicher Stille, ein leiser Geisterhauch, der den Geist weckt und ihn besäet mit allen Gedanken, die ewig währen. Ich sah ein Inneres in mir, ein Höheres, dem ich mich unterworfen fühlte, dem ich alles opfern sollte, und wo ich's nicht that, da fühlte ich mich aus der Bahn der Erkenntniß herausgeworfen, und noch heute muß ich diese Macht anerkennen, sie spricht allen selbsti- schen Genuß ab, sie trennt von den Ansprüchen an das allgemeine Leben, und hebt über diese hinweg. Es ist sonderbar, daß das, was wir für uns selbst fordern, gewöhnlich auch das ist, was uns unserer Freiheit be- raubt; wir wollen gebunden sein mit Banden, die uns süß deuchten, und unserer Schwachheit eine Stütze, eine Versicherung sind; wir wollen getragen sein, gehoben durch Anerkenntniß, durch Ruhm, und ahnden nicht, daß wir dieser Forderung das Ruhmwürdige und die Nahrung des Höheren aufopfern; wir wollen geliebt sein, wo wir Anregung zur Liebe haben, und erkennen's nicht, daß wir den liebenden Genius darum in uns ver- drängen. Wo bleibt die Freiheit, wenn die Seele Be- dürfnisse hat, und sie befriedigt wissen will durch äußere Vermittlung? — Was ist die Forderung, die wir außer uns machen anders, als der Beweis eines Mangels in uns? und was bewirkt ihre Befriedigung, als nur die Beförde- rung dieser Schwäche, die Gebundenheit unserer Freiheit in dieser. Der Genius will, daß die Seele lieber ent- behre, als daß sie von der Befriedigung eines Triebes, einer Neigung, eines Bedürfnisses abhänge. Wir alle sollen Könige sein, und je widerspenstiger, je herrischer der Knecht in uns, je herrlicher wird sich die Herrscherwürde entfalten, je kühner und gewaltiger der Geist, der überwindet. Der Genius, der selbst die Flügel regt, sich in den blauen Äther erhebt und Lichtstrahlen aussendet, der Macht hat, die Seeligkeit durch eigne Kräfte zu erzeu- gen. Wie schön, wenn der sich vor Dir beugt und Dich lieben will, der nicht um Liebe klagt, nicht sie fordert, sondern sie giebt. — Ja schön und herrlich: übergehen ineinander, in den Lichtspähren des Geistes, in aller Glorie der Freiheit aus eignem, kräftigem Willen. Die Erde liegt im Äther wie im Ei, das Irdische liegt im Himmlischen wie im Mutterschooß, die Liebe ist der Mutterschooß des Geistes. Es giebt keine Weisheit, keine Erkenntniß des Wah- ren, die mehr will, als die Liebe zu ihr. Jede Wahrheit buhlt um die Gunst des Menschen- geistes. Gerechtigkeit gegen alle beurkundet die wahre Liebe zu dem Einen. Je allseitiger, je individueller. Nur der Geist kann von Sünden frei machen. Willst Du allein sein mit dem Geliebten, so sei al- lein mit Dir. Willst Du den Geliebten erwerben, so suche Dich zu finden, zu erwerben in ihm. Du erwirbst, Du hast Dich selbst, wo Du liebst; wo Du nicht liebst, entbehrst Du Dich. Bist Du allein mit Dir, so bist Du mit dem Genius. Du liebst in dem Geliebten nur den eignen Genius. Gott lieben ist Gott genießen, wenn Du das Gött- liche anbetest, so giebst Du Deinem Genius ein Gast- mahl. Sei immer mit Deinem Genius, so bist Du auf dem graden Weg zum Himmel. Eine Kunst erwerben, heißt dem Genius einen sinn- lichen Leib geben. Eine Kunst erworben haben bedeutet, den Geist nicht mehr Verdienst, als dem Vater eines bedeutenden Kindes. — Die Seele war da, und der Geist hat sie in die sichtbare, fühlbare Welt geboren. Wenn Du einen Gedanken hast, der Dich belehrt, so fühlst Du wohl, es ist Dein liebender Genius, der Dir schmeichelt, der Dir liebkos't. Er will Dich bewe- gen zur Leidenschaft für ihn. Und alle Wahrheit ist Eingebung, und alle Einge- bung ist Liebkosung, ist Inbrunst von Deinem Genius zu Dir, er will Dich bewegen, in ihn überzugehen. Liebst Du, so nimmt Dein Genius eine sinnliche Gestalt an. 5** Gott ist Mensch geworden in dem Geliebten, in welcher Gestalt Du auch liebst, — es ist das Ideal Deiner eignen höheren Natur, was Du im Geliebten berührst. Die wahre Liebe ist keiner Untreue fähig, sie sucht den Geliebten, den Genius, wie den Proteus unter jeg- licher Verwandlung. Geist ist göttlicher Kunststoff, in der sinnlichen Na- tur liegt er als unberührtes Material. Das himmlische Leben aber ist, wenn Gott ihn als Kunststoff benützt, um seinen Geist in ihm zu erzeugen. Drum ist das ganze himmlische Leben nur Geist, — und jeder Irrthum ist Verlust des Himmlischen. Darum ist jede Wahrheit eine Knospe, die durch die himmlischen Elemente blühen und Früchte tragen wird. Darum sol- len wir die Wahrheit in uns aufnehmen wie die Erde den Saamen, als Mittel, durch welches unsere sinnlichen Kräfte in ein höheres Element hinüberblühen. Indem Du denkst, sei immer liebend gegen Deinen Genius, so wird Dir die Fülle des Geistes nie ausgehen. Die echte Liebe empfindet den Geist auch im Leib, in der sinnlichen Schönheit. Schönheit ist Geist, der ei- nen sinnlichen Leib hat. Aller Geist geht aus Selbstbeherrschung hervor. Selbstbeherrschung ist, wenn Deinem Genius die Macht über Deinen Geist gegeben ist, die der Liebende dem Geliebten über sich einräumt. Mancher will sich selbst beherrschen, daran scheitert jeder Witz, jede List, jede Ausdauer, er muß sich selbst beherrschen lassen durch seinen Genius, durch seine ide- alische Natur. Du kannst den Geist nicht erzeugen, Du kannst ihn nur empfangen. Du berührst Dich mit dem Geliebten in allem, was Du erhaben über Dich fühlst. Du bist im Geheimniß der Liebe mit ihm, in al- lem, was Dich begeistert. Nichts soll Dich trennen von diesem göttlichen Selbst, alles, was eine Kluft zwischen Dir und dem Genius bil- det, ist Sünde. Nichts ist Sünde, was mit ihm nicht entzweit, je- der Scherz, jeder Muthwill', jede Kühnheit ist durch ihn sanctionirt, er ist die göttliche Freiheit in uns. Wer sich durch die Äußerung dieser göttlichen Frei- heit beleidigt fühlt, der lebt nicht in seinem Genius, dessen Weisheit ist nicht Inspiration, sie ist After- weisheit. Die Erkenntniß des Bösen ist ein Abwenden aus der Umarmung der idealischen Liebe, die Sünde spiegelt sich nicht im Aug' des Geliebten. Du saugst göttliche Freiheit aus dem Blick der Liebe, der Blick des Genius strahlt göttliche Freiheit. — Es giebt ein wildes Naturleben, daß durch alle Abgründe schweift, den göttlichen Genius nicht kennt, aber ihn nicht verläugnet. Es giebt ein zahmes, culti- virtes Tugendleben, das ihn von sich ausschließt. Wer die Tugend übt aus eigner Weisheit, der ist ein Sklave seiner kurzsichtigen Bildungsanstalt. — Wer dem Genius vertraut, der athmet göttliche Freiheit; dessen Fähigkeiten sind zertheilt in alle Regionen, und er wird sich überall wiederfinden im göttlichen Element. Ich habe oft mit dem Genius gespielt in der Nacht, statt zu schlafen, und ich war müde, und er weckte mich zu vertraulichen Gesprächen und ließ mich nicht schlafen. So sprach der Dämon heute Nacht mit mir, da ich versuchte Dir deutlich zu machen, in welchen wun- derlichen Mittheilungen ich in diesen Kinderjahren be- griffen war; es setzte Gedanken in mir ab, ich erwog sie nicht, ich glaubte an sie, sie waren wohl andrer Art, aber das Eigene hatten sie, wie auch noch jetzt, daß ich sie nicht als Selbstgedachtes, sondern als Mit- getheiltes empfinde. Du bist gut, Du willst nicht, daß ich dies süße Ge- schwätz mit Dir abbreche, es ist doch allenfalls so schön und so verständlich wie das Blinken der Sterne was ich Dir hier sage, und wenn es auch nur wär' eine Melodie, die sich durch meinen Geist Luft machte! sie ist äußerst lieblich diese Melodie und lehrt Dich träumen. O lerne schöne Träume durch mein Geschwätz, die Dich beflügeln und mit Dir den kühlen Äther durch- schiffen. Wie herrlich schreitest Du auf diesen Traumteppi- chen! wie wühlst Du Dich durch die tausendfältigen Schleier der Phantasie, und wirst immer klarer und deutlicher Du selber, der da verdient geliebt zu sein, da begegnest Du mir und wunderst Dich über mich, und gönnst es mir, daß ich zuerst Dich fand. Schlafe! senke Deine Wimpern ineinander, lasse Dich umweben so leise wie mit Sommerfäden auf der Wiese. Umweben lasse Dich mit Zauberfäden, die Dich in's Traumland bannen, schlafe! Und gieb vom weichen Pfühle träumend ein halb Gehör . Am Weinacht Morgen, — das waren drei Jahre eh' ich Dich gesehen habe, — gingen wir bei früher Zeit in die Kirche; es war noch Nacht, eine Laterne leuchtete voran, um durch den Schnee den Fußpfad zu finden, wir kamen an einer verödeten, verfallnen Klo- sterkirche vorüber, der Wind pfiff durch die zerbrochnen Fenster und klapperte mit den losen Dachziegeln; „in diesem Gemäuer hausen die Geister,“ sagte der Later- nenträger, „da ist es unsicher!“ — Am Abend, im Zim- mer der Großmutter, wo eine eben so verödete und verfallene Gesellschaft eine Spielparthie machte, er- innerte ich mich dieser Bemerkung; ich dachte, wie schau- erlich es sein müsse, da allein zu sein, und wie ich um alles in der Welt jetzt nicht dort sein möchte. Kaum hatte ich mir dies überlegt, so war die Frage innerlich, ob ich's nicht wagen möchte? — ich schüttelte den Ge- danken ab, er kam wieder, immer furchtsamer war ich, immer mehr wehrte ich mich gegen diesen unausführba- ren Einfall, immer dringender wurde die Aufforderung dazu. Ich wollte ihr entgehen, und setzte mich in eine andere Ecke des wohlerleuchteten Zimmers, aber da war's grade der offnen Thür eines dunklen Raumes gegen- über, und nun spielten und zingelten Winke in der Finsterniß, sie webten und schwebten bis an mich heran. Ich wickelte mich in den Fenstervorhang vor diesen Scheinwesen in der dunklen Kammer, ich drückte die Augen zu und träumte in mich hinein, da war ein freundlich Zureden in mir, ich solle an die Klostermauer gehen, wo die Geister spuken. Es war acht Uhr Abends, ich überlegte, wie ich's wagen solle, in dieser Stunde einen einsamen weiten Weg zu gehen, den ich nicht ge- nau kannte und den ich selbst bei Tag' nicht allein machen würde. — Es zog mich immer tiefer in einen vertrauten, abgeschlossenen Kreis; die Stimmen der Spielenden vernahm ich wie aus weiter Ferne, wie eine fremde Welt, die außer meinem Kreis sich rege. Ich öffnete die Augen, und sah die wunderlichen, unauflösbaren Räthselgesichter der Spielenden dort siz- zen, vom hellen Kerzenschein beleuchtet; ich hörte die Ausrufungen des L'Hombrespiels wie Bannsprüche und Zauberformeln, diese Menschen mit ihrem wunderlichen Beginnen waren gespensterhaft, ihre Kleidung, ihre Ge- bärden unverständlich, grausenerregend; der Spuk war mir zu nahe gekommen, ich schlich mich leise hinaus. Auf der Hoftreppe athmete ich wieder frei, da lag der reine Schneeteppich zu meinen Füßen, und deckte sanft anschwellend alle Unebenheiten, da breiteten die bereiften Bäume ihre silbernen Zweige unter dem wandelnden Mondlicht aus. Diese Kälte war so warm, so freund- lich, hier war nichts unverständlich, nichts zu fürchten, es war, als sei ich den bösen Geistern da drinnen ent- wischt; hier draußen sprachen die guten um so vernehm- licher zu mir, ich zauderte keinen Augenblick mehr, ih- rem Geheiß zu folgen. Wie es auch werden mag, leise und behend kletterte ich über das Hofthor, jenseits werfe ich mein Kleid über den Kopf um mich zu verhüllen, und in flüchtigen Sprüngen setze ich über den Schnee. Manches begegnet mir, dem ich ausbeuge, mit gestei- gerter Angst und klopfendem Herzen komme ich an, scheu und furchtsam seh ich mich um, aber ich zaudere nicht, den öden Platz zu betreten; ich bahne mir einen Weg durch das zusammengefallne, überschneite Gestein, bis zur Kirchmauer, an die ich den Kopf anlehnte. Ich lausche, ich höre das Klappern der Ziegeln im Dach, und wie der Wind in dem losen Sparrwerk rasselt, ich denke: „ob das die Geister sind?“ — sie senken sich herab, — ich suche meine Angst zu bekämpfen, sie schweben in geringer Höhe über mir, — die Furcht be- schwichtigt sich allmählig; es war, als ob ich die offne Brust dem Hauch des Freundes biete, den ich kurz vorher noch für meinen Feind gehalten hatte. Wie ich zum erstenmal vor Dir stand, — es war im Winter 1807 — da erblaßte ich und zitterte, aber an Deiner Brust, von Deinen Armen umschlossen, kam ich so zu seeliger Nuhe , daß mir die Augenlieder zufie- len und ich einschlief. So ist's wenn wir Nektar trinken, die Sinne sind dieser Kost nicht gewachsen. Da mildert der Schlaf den Sturm der Beseeligung, und vermittelt und schützt die gebrochnen Kräfte; könnten wir umfassen, was uns in einem Moment geboten ist, könnten wir sein verklärendes Anschauen ertragen, so wären wir hell- sehend; könnte sich die Macht des Glückes in uns ausbreiten, so wären wir allmächtig; drum bitte ich Dich, wenn es wahr ist, daß Du mich liebst, begrabe mich in Deinem Denken, decke mir Herz und Geist mit Schlaf, weil sie zu schwach sind, um ihr Glück zu tra- gen. Ja Glück! wer sich mit ihm verständigte, wie mit einem Geist, dem er sich gewachsen fühlte, der müßte durch es seine irdische Natur zur göttlichen verklären. Gestern kam ein Brief von Dir, ich sah das blaue Couvert auf dem Tisch liegen und erkannte ihn von weitem, ich verbarg ihn im Busen und eilte in mein einsames Zimmer an den Schreibtisch, ich wollte Dir gleich beim ersten Lesen die Fülle der Begeistrung nie- derschreiben. Da saß ich und faltete die Hände über dem Schatz und mochte ihn nicht vom warmen Herzen herunternehmen. Du weißt, so hab' ich mich auch nie aus Deinen Armen losgemacht; Du warst immer der erste, und ließest die Arme sinken und sagtest: „nun geh!“ — und ich folgte dem Befehl Deiner Lippen. Hätte ich dem Deiner Augen gefolgt, so wär' ich bei Dir geblieben, denn die sagten: „komme her!“ Ich schlief also ein über dem Bewachen meines Kleinods im Busen, und da ich erwachte, las ich die zwei Zeilen von Deiner Hand geschrieben: „Ich war auch einmal so närrisch wie Du, und damals war ich besser als jetzt.“ O Du ! — von Dir sagt die öffen t liche Stimme, Du seist glücklich, sie preisen Deinen Ruhm, und daß an den Strahlen Deines Geistes Dein Jahrhundert sich zum Äthergeschlecht ausbrüte, zum Fliegen und Schwe- ben über Höhen, und den Flug nach Deinen Winken zu richten; aber doch sagen sie, Dein Glück übersteige noch Deinen Geist. O wahrlich, Du bist Deines Glückes Schmid, der es mit kühnem, kräftigem Schlag eines Helden zurecht schmiedet; was Dir auch begegne, es muß sich fügen, die Form auszufüllen, die Dein Glück bedarf, der Schmerz, der Andre zum Mißmuth und zur Klage bewegen würde, der wird ein Stachel für Deine Begeistrung. Was Andre niederschlägt, das entfaltet Deinen Flug, der Dich den Bedrängnissen enthebt, wo Du den reinen Äther trinkst und die Empsindung des Elends Dich nicht verdirbt. Du nimmst Dein Geschick als Kost nur aus den Händen der Götter und trinkst den bit- teren Kelch, wie den süßen mit dem Gefühl der Überle- genheit. Du läßt Dich nicht berauschen, wie ich mich berauschen lasse auf dem Weg, der zu Dir führt, Du würdest nicht, wie ich, der Verzweiflung hingegeben sein, wenn ein Abgrund Dich von Deinem Glück trennte. Und so hat Unglück nichts mit Dir zu schaffen, Du weißt es zu schaffen, Dein Glück, in jedem kleinem Er- eigniß, wie die allseelige Natur auch der geringsten Blume eine Blüthezeit gewährt, in der sie duftet und die Sonne ihr in den Kelch scheint. Du giebst jedem Stoff, jedem Moment alles, was sich von Seeligkeit in ihn bilden läßt, und so hast Du mir gegeben, da ich doch zu Deinen Füßen hingegeben bin; und so hab' auch ich einen Moment Deines Glük- kes erfüllt. Was will ich mehr! da in ihm eine Auf- gabe liegt, bis zum letzten Athemzug. Ich vergleiche Dich mit Recht jener freundlichen, kalten Winternacht, in der sich die Geister meiner be- mächtigten, in Dir leuchtet mir nicht die Sonne, in Dir funkeln mir tausend Sterne, und alles Kleinliche, was der Tag beleuchtet, schmilzt mir unberührt in seinen vieleckigen Widerwärtigkeiten in erhabenen Massen zu- sammen. Du bist kalt und freundlich und klar und ruhig, wie die helle Winternacht; Deine Anziehungskraft liegt in der idealischen Reinheit, mit der Du die hingebende Liebe aufnimmst und aussprichst, Du bist wie der Reif jener Winternacht, der die Bäume und Sträucher mit allen kleinen Zweigen, Sprossen und Knospen zukünfti- ger Blüthe mit weicher Silberdecke umkleidet. Wie jene Nacht, wechselnd mit Mond- und Sternenlicht, so beleuchtest Du Dein Begreifen und Belehren in tausend sich durchkreuzenden Lichtern, und deckst mit milder Däm- merung und verschmilzst im Schatten; die aufgeregten Gefühle übergießest Du mit idealischen Formen, jede Stimmung wird durch Dein liebendes Verstehen indivi- dueller und reizender, und durch Dein sanftes Beschwich- tigen wird die heftige Leidenschaft zum Genie. Von jenen abentheuerlichen Geister-Nachtwegen kam ich mit durchnäßten Kleidern zurück, vom geschmol- zenen Schnee, man glaubte, ich sei im Garten gewesen. Über Nacht vergaß ich Alles, erst am andern Abend um dieselbe Stunde fiel mir's wieder ein, und die Angst, die ich ausgestanden hatte; ich begriff nicht, wie ich hatte wagen können, diesen öden Weg in der Nacht allein zu gehen, und auf dem wüsten, schaurigen Platz zu verweilen; ich stand an die Hofthüre gelehnt, heute war's nicht so milde und still wie gestern, die Winde hoben sich und braus'ten dahin, sie seufzten auf zu mei- nen Füßen und eilten nach jener Seite, die schwanken- den Pappeln im Garten beugten sich und warfen die Schneelast ab, die Wolken trieben mit ungeheurer Eile, was fest gewurzelt war, schwankte hinüber, was sich ablösen konnte das nahmen die jagenden Winde unauf- haltsam mit sich. — In einem Nu war auch ich über die Hofthür, und im flüchtigen Lauf athemlos bis an die Kirche gekommen, und nun war ich so froh, daß ich da war; ich lehnte mich an das Gemäuer bis der Athem beschwichtigt war, es war, als ob Leib und Seele in dieser Verborgenheit geläutert würden, ich fühlte die Liebkosungen von meinem Genius in der Brust, ich fühlte sie als echte Mittheilungen im Geist. Alles ist göttliche Mittheilung was wir erfahren, alles Erken- nen ist Aufnehmen des Göttlichen, es kommt nur auf die zweifellose, unschuldige Empfängniß unseres Geistes an, daß wir auch den Gott in uns empfinden. Wie ich zum erstenmal vor Dir stand, und mich Dein Blick wie ein Zauberstab berührte, da verwandeltest Du allen Willen in Unterwerfung, es kam mir nicht in den Sinn, etwas Anders zu verlangen, als in dieser Lichtatmo- sphäre, in die mich Deine Gegenwart aufnahm zu ver- weilen, sie war mein Element; ich bin oft aus ihm verdrängt worden, immer durch eigene Schuld. Die ganze Aufgabe des Lebens ist ja das Beharren in ihm, und die Sünde ist das was uns daraus verdrängt. So erlangen wir Seeligkeit, wenn wir auf dem Weg uns zu erhalten wissen, auf dem wir sie ahnden. Nie hatte ich eine bestimmtere Überzeugung von ihr, als wenn ich glaubte von Dir geliebt zu sein. Und was ist sie denn, diese Seeligkeit? — Du bist fern, wenn Du Dich der Geliebten erinnerst, so schmilzt Deine Seele in diese Erinnerung ein und berührt so , liebend die Geliebte, wie die Sonnenstrahlen wärmend den Fluß berühren, wie die leisen Frühlingslüfte, die den Duft und den Blüthenstaub zu dem Fluß tragen, der diese schönen Geschenke des Frühlings mit seinen Wellen ver- mischt. Wenn alles Wirken in der Natur sich geistig in sich selbst fühlt, so empfindet der Fluß diese liebko- senden Berührungen als ein innerlichstes Wesentlich- stes. — Warum sollte ich dies bezweifeln? — warum empfinden wir die Entzückungen des Frühlings, als nur weil er den Rythmus angiebt, mit dem der Geist sich aufzuschwingen vermag? — also wenn Du meiner ge- denkst, so giebst Du den Rythmus an, mit dem meine Begeistrung sich zu dem Begriff von Seeligkeit aufzu- schwingen vermag. Ach ich fühls! mich durchzücken leise Schauer, daß Du meiner gedenken solltest in der Ferne, daß das Be- hagen, die Lust Deiner Tage einen Augenblick erhöht wird durch meine Liebe. Sieh', so schön ist das Geweb' meiner innern Gedankenwelt, wer möchte es zerstören! Musik! jeder Ton in ihr ist wesentlich, ist der Keim ei- ner Modulation, in die die ganze Seele sich fügt, und so verschieden, so in sich abgeschlossen die melodischen Formen sind, in die diese Gedankenwelt sich ergießt: so umfaßt sie doch und vernimmt die Harmonie, wie der Ocean alle Strömungen in sich aufnimmt. So gehört denn auch zu unserm vögelsingenden, blütheschneienden Frühling, wo der Fluß zwischen duf- tenden Kräutern tanzt, und ein Herz im andern lebt, jener kalte vom Wind und Schnee durchkreuzte Win- ter, wo die eisige Luft mir den Athem an den Haaren zu Reif ansetzte, wo ich so wenig wußte, was mich in den Wintersturm hinausjage, als wo der Wind her- kam, und wo er hineilte. Ach, Herz und Sturmwind eilten der Gegenwart zuvor in die Zukunft, also Dir entgegen. — Darum riß es mich so unwiderstehlich aus dem stummen Dasein dem schönen Augenblick entgegen, der mein Leben in allen seinen Aspirationen entwickeln und in Musik auflösen sollte. Es kann dem Winter nichts ungleicher sein als der Frühling, der unter seiner eisigen Decke der Zukunft harrt; es kann dem im Saamen verschlossnen, in der Erde Erde verborgenen Keim nichts fremder sein als das Licht, und doch ist es seine einzige Richtung; der Ge- nius des Lebens treibt aus ihm hervor, um sich mit dem Licht zu vermählen. — Dieses Anschmiegen an eine Geisterwelt, dies Ver- trauen auf die geheime Stimme, die mich so seltsame Wege leitete, die mir nur leise Winke gab, — was war es anders als ein unwillkührliches Folgen dem Geist, der mich reizte, wie das Licht das Leben! Meine verödete Kirche stand diesseits an der Höhe einer Mauer, die tief hinabging, einen Bleichplatz um- schloß, der jenseits vom Mainfluß begrenzt war. Wäh- rend mir vor der Höhe dieser Mauer schwindelte und ich furchtsam ausweichen wollte, hatte ich mich unwill- kührlich hinübergeschwungen, und so fand ich im nächt- lichen Dunkel kleine Spalten in der Mauer, in die ich Hände und Füße einklemmte, und hervorragende Steine, auf denen ich mir hinabhalf; ohne zu bedenken, ob und wie ich wieder hinaufkommen werde, hatte ich den Boden erreicht; eine Wanne, die wohl im Sommer zum Bleichen gedient hatte, und im Herbst war ver- Tagebuch. 6 gessen worden, rollte ich bis zum Ufer, stellte sie da auf und setzte mich hinein, und sah dem Eisgang zu; es war mir eine behagliche, befriedigende Empfindung, so als eingerahmtes Bild der erhabenen Winternatur in's Antlitz zu schauen. Es war, als habe ich einer gehei- men Anforderung Genüge geleistet. — Im Hinaufklet- tern fand ich eben so kleine Lücken und Steine unter Händen und Füßen, wie ich sie brauchte. — Von nun an konnte kein Wetter, kein Zufall mich abhalten, ich überwand alle Schwierigkeiten; ohne zu wissen wie fand ich mich an meiner Geistermauer, an der ich je- den Abend hinabkletterte und in meiner Wanne sitzend dem Treiben der Eisschollen zusah. Eine stieß an's Ufer, ich sträubte mich nicht mehr gegen die dämonischen Eingebungen, zuversichtlich sprang ich drauf und ließ mich eine Weile forttreiben. Dann sprang ich auf die nächste, bis ich endlich in der Mitte des Stromes da- hin segelte. — Es war eine wunderbare Nacht! wa- rum? — jeder Naturmoment ist wunderbar, ist unge- heuer, wo er in seiner Freiheit waltet über den Men- schengeist, ich habe mich ihm preis gegeben, und so wirkte er als höchstes Ereigniß. — Am fernen Horizont schimmerte ein dunkles Roth, ein trübes Gelb, und mil- derte die Finsterniß zur Dämmerung, das Licht, gefes- selt in den Umarmungen der Nacht; dahin schaute ich, dahin trug mich mein eisiger Seelenverkäufer, und der Wind, der sich kaum über die Höhe des Flusses hob, spielte und klatschte zu meinen Füßen mit den Falten meiner Kleider; noch heute empfinde ich den königlichen Stolz in meiner Brust, noch heute hebt mich die Erin- nerung der schmeichelnden Winde zu meinen Füßen, noch heute durchglüht mich die Begeistrung jener küh- nen nächtlichen Fahrt, als wenn es nicht vor sechs Jah- ren, sondern in dieser kalten Winternacht wär', in der ich hier sitze um Dir zu lieb und zum Gedächtniß mei- ner Liebe alles aufzuschreiben. Eine gute Strecke hatte ich mich dahin treiben lassen, da war ich eben so wil- lenlos, als ich den Fluß hinabgeschwommen war, wie- der umgekehrt, ich schritt ruhig von einer nachkommen- den Eisscholle zur andern, bis ich mich glücklich am Ufer befand. Zu Haus' im Bett überlegte ich, wo mich wohl noch diese Wege hinführen möchten; es ahndete mir wie ein Weg, der immer weiter, aber nicht zurück führen werde, und ich war neugierig auf das Abentheuer der nächsten Nacht. Am andern Tag unterbrach eine zufällige Reise in die Stadt meine nächtlichen Geister- wanderungen. Da ich nach drei Wochen zurückkehrte, war dieser mächtige Reiz aufgehoben, und nichts hätte 6* mich bewegen können, sie aus eigener Willkühr zu wa- gen. — Sie lenkten freilich einen Weg, diese freundli- chen Nachtgeister, der nicht wieder umlenkt, sie belehrten mich, wollten mich lehren der Tiefe, dem Ernst, der Weisheit meines Glückes nachzugehen und seine Besee- ligung nur als seinen Abglanz zu betrachten. So machen es die Menschen, während ihr Geschick ihnen einen vorübergehenden Genuß darbietet, wollen sie ewig dabei verweilen, und versäumen so, sich ihrem Glück, das vorwärts schreitet, zu vertrauen, und ahnden nicht, daß sie den Genuß verlassen müssen, um dem Glück nachzugehen und es nicht aus den Augen zu lassen. Nur das Eine ist Glück, was dem idealischen Men- schen in uns entwickelt, und nur in so fern ihn Genuß in den Äther hebt, und ihn fliegen lehrt in ungekannten Regionen, ist er ihm wahre Beseeligung. — Gewiß, ich möchte immer bei Dir sein, in Dein Antlitz schauen, Rede mit Dir wechseln, die Lust würde nimmer versie- gen; aber doch sagt mir eine geheime Stimme, daß es Deiner nicht würdig sein würde, mir dies als Glück zu setzen. Vorwärts eilen in den ewigen Ocean, das sind die Wege, die mir auf eisiger Bahn die Geister vor- schrieben, auf denen ich Dich gewiß nicht verlieren werde, da auch Du nicht umkehrst, und ich nie an Dir vorüberschreiten werde, und so ist gewiß das einzige Ziel alles Begehrens die Ewigkeit. Die Reise nach der Stadt hatte der Krieg veran- laßt. Wir flüchteten vor dem Getümmel der Östreicher mit den Franzosen; es war zu fürchten, daß unser klei- nes Stadtparadies mit seinen wohlgeordneten Lustre- vieren nächstens unter den Hufen kämpfender Reiterei zertrümmert werde. Der Feind war nur flüchtig durch Feld und Wald gesprengt, hatte über den Fluß gesetzt und die heimliche Ruh' des beginnenden Frühjahrs la- gerte schützend über den Saatfeldern, deren junges Grün schon aus dem schmelzenden Schnee hervorragte, da wir wieder zurückkehrten. Die kräftigen Stämme der Kastanienallee, Du kennst sie wohl! manche Träume Deiner Frühlingstage flatter- ten dort mit der jungen Nachtigallenbrut um die Wette, wie oft bist Du dort an Liebchens Arm dem aufgehen- den Mond entgegen geschlendert! Ich mag nicht dran denken; Du wirst Dich der heiteren Aussichten des wim- melnden Lebens auf dem Fluß am Tag, seiner ruheflü- sternden Schilfgestade in warmen Sommernächten und seiner ringsum blühenden Gärten, zwischen denen sich die reinlichen Straßen vertheilen, noch gar wohl erin- nern und auch seiner Bequemheit für Deine Liebesan- gelegenheiten. Seitdem hat sich die Gegend wie die Lebensweise, und auch die Bevölkerung in's wunderbare gespielt, und keiner würde es glauben, der's nicht ge- sehen hat, und jeder, der mit seinem Reisejournal in der Tasche von seiner Reise um die Welt hier durchkäm', würde glauben in die Stadt der Mährchen versetzt zu sein Hierher gehört eine Note. ; eine mystische Nation wandelt in bunter, wun- derbarer Kleidung zwischen den andern durch; die Greise und Männer mit langen Bärten in Purpur und grün und gelben Talaren, die Hälfte des Gewandes immer von verschiedener Farbe, die wunderschönen Jünglinge und Knaben in eng anliegendem Wams, mit Gold ver- brämt, die eine Hose grün, die andre gelb oder roth, dahersprengend auf muthigen Rossen mit silbernen Glöck- chen am Hals, oder am Abend durch die Straße auf der Guitarre und Flöte präludirend, bis sie vor Lieb- chens Fenster halt machen. Denke Dir dies alles und den milden Sommerhimmel, der sich drüber wölbt, und dessen Gränzen eine blühende, tanzende und musizirende Welt umfließt; denke Dir den Fürsten jenes Volkes mit silbernem Bart, weißem Gewand, der vor dem Thor seines Palastes auf öffentlicher Straße auf prächtigen Teppichen und Polstern lagert, umgeben von seinem Hofstaat, wo jeder einzelne ein absonderliches Zeichen seines Amts und Würde an seiner fabelhaften Kleidung hat. Da speis't er unter freiem Himmel, gegenüber den lustigen Gärten, hinter deren zierlichen Gittern hohe Py- ramiden blühender Gewächse aufgestellt sind, und mit feinem Drathflor umzogene Volieren, wo der Goldfasan und der Pfau zwischen den rucksenden Haustauben ein- herstolzieren, und die kleinen Singevögel jubeln, alles von zartem, grünem Rasen umschlossen, wo mancher Wasserstrahl emporschießt; die Knaben in verbrämten Kleidern goldne Schüsseln bringen indessen aus den off- nen Fenstern des Palastes Musik erschallt. Wir Kinder machten manchmal im Vorübergehen da Halt, und sa- hen und hörten dem Verein schöner Jünglinge in Ge- sang, Flöte und Guitarre zu; aber damals wußte ich nicht, daß nicht überall die Welt so heiter lieblich, so reinen Genusses sich ausbreite; und so fand ich es auch nicht wunderbar, wenn die Nacht einbrach und aus dem Nachbarsgarten die herrlichsten Symphonieen her- überschallten, von einem Orchester der ersten Künstler aufgeführt, wenn die herrlichen, großen Bäume mit so viel bunten Lampen geschmückt waren, als Sterne sich am Himmel blicken ließen; da suchte ich einen einsamen Weg und sah den glühenden Johanniswürmchen zu, wie sich die im Flug durchkreuzten, und ich war über- rascht von dem wunderbaren Leuchten, und ich dachte Nachts an diese Thierchen und freute mich auf den an- dern Abend, um sie wieder zu sehen, auf die Menschen aber freute ich mich nicht, — sie leuchteten mir nicht ein, ich verstand und ahndete nicht, daß man sich mit ihnen verständigen könne; — manche Sommernacht auch schwamm die Capelle von blasenden Instrumenten auf dem Main, bald hinab und hinauf, begleitet von vielen Nachen, auf denen sich kaum ein Flüstern hören ließ, so tief ernst hörten sie der Musik zu. Da wurde ich auch mitgeschaukelt auf den sanften Wellen, und sah die wechselnden Schatten und Lichter und Mondstrah- len, und ließ das kühle Wasser über meine Hände lau- fen. So war das Sommerleben, das plötzlich durch die rückkehrenden Kriegsscenen unterbrochen ward. Da war an kein Flüchten zu denken, am Morgen, da wir erwachten, hieß es: „hinab in den Keller! die Stadt wird beschossen, die Franzosen haben sich hereingewor- fen, die Rothmäntel und die Todtenköpfe sprengen von allen Seiten heran, um sie heraus zu jagen!“ Da war ein Zusammenlaufen auf den Straßen, da erzählte man sich von den Rothmänteln, daß die kein Pardon gäben, alles zusammenhauen, daß sie fürchterliche Schnurrbärte haben, rollende Augen, blutrothe Mäntel, damit das vergossene Blut nicht so leicht zu bemerken sei. Allmäh- lig wurden die Fensterladen geschlossen, die Straßen leer, die erste Kugel, die durch die Straßen flog, eilte alles in die Keller, auch wir, Großmutter, Tante, eine alte Cousine von achtzig Jahren, die Köchin, die Kam- merjungfer, ein männlicher Hausgenosse. Da saßen wir, die Zeit wurde uns lang, wir lauschten — eine Bombe flog in unsern Hof, sie platzte. Das war doch eine Di- version, aber nun stand zu erwarten, daß Feuer aus- brechen könne. Allerlei, was meiner Großmutter unend- lich wichtig war, von Büchern, von Bildern, fiel ihr ein, sie hätte es gern in den Keller gerettet. Der männ- liche Hausgenosse demonstrirte, wie es eine Unmöglichkeit sei, den heiligen Johannes, ein Bild was die wunder- bare Eigenschaft hatte, die Fabel geltend zu machen, er sei ein Raphael, jetzt aus dem oberen Saal herunter 6** zu schaffen, indem es viel zu schwer sei; ich entfernte mich leise, stieg zum Saal, hob das schwere Bild ab, nahm es an der Schnur über den Rücken, und so kam ich, noch eh' die Verhandlung beendigt war, zum Er- staunen Aller und zur großen Freude der Großmutter, zur Kellertreppe herabgepoltert, ich meldete noch, wie ich aus dem Saalfenster gesehen und alles still sei; ich bekam die Erlaubniß noch mehr zu retten, ich bekam die Schlüssel zur Bibliothek um Kupferwerke zu holen, mit freudiger Eile sprang ich die Treppe hinauf, in die Bibliothek hätt' ich längst gern mich eingestohlen, da war eine Sammlung prachtvoller Muscheln, wunderba- rer Steine, getrockneter Pflanzen, da hingen Straußen- eier an den Wänden, Kokusnüsse, da lagen alte Waf- fen, ein Magnetstein, an dem alle Näh- und Strickna- deln hängen blieben, da standen Schachteln voll Brief- schaften, Toiletten mit wunderlichem altem Geschirr und Geschmeid', Zitternadeln mit Sternen von bunten Stei- nen, o ich freute mich, den Schlüssel zu haben, ich holte herunter, was man verlangte, zog den Schlüssel ab, ohne abzuschließen, und dachte mir eine stille, ein- same Nacht, in der ich, alles durchsuchend und betrach- tend, schwelgen wolle. Das Schießen hatte wieder angefangen, einzelne Reiter hörte man in gestrecktem Galopp die furchtbare Stille der Straße unterbrechen, die Furcht im Keller stieg, man dachte jedoch nicht daran, daß ich verletzt werden könne, und ich auch nicht; ich sprach nicht aus, daß ich mich nicht fürchte, und fühlte auch nicht, daß ich Gefahr lief, und so überkam ich das schöne Amt, alle zu bedienen, für alle Bedürfnisse zu sorgen. Ich hörte verschiedentlich die Reiter vor- übersprengen. „Daß mag ein Rothmantel sein!“ dachte ich, lief eilig an's Fenster des unteren Geschosses, riß den Laden auf, — siehe, da hielt er in der mitten Straße mit gezogenem Säbel, langem fliegendem Schnurrbart, dicken schwarzen geflochtenen Haarzöpfen, die unter der rothen Pelzmütze hervor hingen, der rothe Mantel schwebte in den Lüften, wie er die Straße hinabflog, — alles wieder todten still! — ein junger Mensch in Hemd- ärmeln, bloßem Kopf, todtenblaß, blutbespritzt, rennt verzweiflungsvoll hin und wieder, rasselt an den Haus- thüren, klopft an den Läden, keiner thut sich auf, mir klopft das Herz, ich winke — er sieht es nicht. Jetzt eilt er auf mich zu, bittend, — da ertönt der Schall eines Pferdes; er schmiegt sich in die Vertiefung des Hofthors, der Reiter, der ihn suchend verfolgt, sprengt an ihm vorbei, hält einen Augenblick, späht in die Ferne, wendet um und — fort. O, jeder Blick, jede Bewegung des Reiters und des Pferdes haben sich tief in mein Gehirn geprägt, und der arme Angsterfüllte eilt hervor und schwingt sich am schwachen Kinderarm herein in die rettenden Wände, aber kaum, — da ist der Reiter schon wieder, er sprengt an mich heran, ich rühr' mich nicht vom Fenster, er verlangt Wasser, — ich eile in die Küche es ihm zu holen, nachdem er getrunken und nach- dem ich ihn die Straße hinabreiten gesehen erst, mache ich meinen Laden zu, und nun sehe ich mich nach mei- mer geretteten Beute um. Hätte sich der Rothmantel auf seinem Pferde in die Steigbügel gestellt, so hätte er meinen Geretteten entdeckt, dieser küßte mir zitternd die Hände, und sagte mit leiser Stimme: „o mon dieu, mon dieu!“ ich lachte vor Freuden, aber dann brach ich in Thränen aus, denn es rührte mich, der Retter eines Menschen geworden zu sein, so ohne mich zu besinnen, so ohne zu wissen wie. — Und Du auch! — rührt es Dich nicht? — freut es Dich nicht, daß es mir gelun- gen ist? — mehr als alle Schmeichelreden, die ich Dir sagen könnte? — „Sauvez-moi! cachez-moi!“ sagte er, „mon père et ma mère prieront pour vous!“ ich faßte ihn bei der Hand und führte ihn schweigend leise über den Hof nach dem Holzstall: dort untersuchte ich seine Wunde, das Blut abwaschen konnte ich nicht, ich hatte kein Wasser, holen mochte ich auch keins, der Nachbar Andree, dessen Du Dich auch erinnern mußt, war mit mehreren Freunden auf sein Observatorium gestiegen um das Kriegswesen zu beobachten, er konnte mich be- merken. Ein einzig Mittel hatte ich erfunden: ich leckte ihm das Blut ab, — denn es ihm so mit Speichel ab- zuwaschen, schien mir zu unbescheiden; er ließ mich ge- währen, ich zog leise und sanft die anklebenden Haare zurück, — da flog ein Huhn mit großem Geschrei vom oberen Holz herunter, wir hatten es verscheucht von dem Ort, wo es seine Eier zu legen pflegte, ich kletterte hinauf, um das Ei zu holen, die innere weiße Haut legte ich über die Wunde — es mag wohl geheilt ha- ben, ich will's hoffen! — Nun eilte ich wieder in den Keller, die eine Schwester schlief, die andere betete vor Angst, die Großmutter schrieb an einem kleinen Tisch bei Licht ihr Testament, die Tante hatte den Thee be- reitet, ich bekam die Schlüssel zur Speisekammer, um Wein und kalte Speisen zu holen, da dachte ich auch an den Magen meines armen Gefangenen, und brachte ihm Wein und Brod. So ging der Tag vorüber und die Gefahr, der Keller wurde verlassen, mein Geheim- niß fing an mich zu beklemmen; ich beobachtete jeden Schritt der Hausgenossen, der Köchin half ich in der Küche, ich holte ihr Wasser und Holz, unter dem Vor- wand, daß es doch noch gefährlich sein könne unter freiem Himmel, sie ließ sich's gefallen; — endlich und endlich kam die Nacht, der Nachbar hatte Rapport ge- bracht, daß nichts zu fürchten sei vor der Hand, und so legte man sich zur Ruhe, deren man so sehr bedurfte. Ich hatte meine Schlafstätte im Nebenzimmer der Groß- mutter, von da konnte ich den Holzstall, der vom Mond beschienen war, beobachten, ich ordnete nun meinen Plan: für's erste mußten Kleider geschafft werden, die den Sol- daten verläugneten. Wie gut, daß ich die Bibliothek offen gelassen! da oben hing ein Jagdkleid und Mütze — von welchem Schnitt, ob alt- oder neumodisch — wußt' ich nicht. Wie ein Geist schlich ich auf bloßen Strümpfen an der Tante Zimmer vorbei, schwebend trug ich's herunter, damit die metallnen Knöpfe nicht rasselten, er zog es an, es saß wie angegossen — Gott hat es ihm angepaßt! und die Jagdmütze dazu! ich hatte das Geld, was man mir schenkte, immer in das Kissen eines ledernen Sessels gesteckt, weil ich keine Ge- legenheit hatte es zu brauchen. Jetzt durchsuchte ich den Sessel, und es fand sich eine ziemliche Baarschaft zusammen, die ich meinem Geretteten als Zehrpfennig einhändigte. Nun führte ich ihn durch den mondbe- schienenen, blütheduftenden Garten; wir gingen langsa- men Schrittes Hand in Hand bis hinter die Pappel- wand, an die Mauer, wo alle Jahr die Nachtigall in der Rosenhecke ihr Nest baute, es war grade die Zeit, was half's — dies Jahr mußte sie gestört werden. Da wollte er mir danken, da nahm er mich auf seine Arme und hob mich hoch, er warf die Mütze ab und legte den verbundenen Kopf auf meine Brust, was hatte ich zu thun? ich hatte die Arme frei, ich faltete sie über seinem Kopf zum Gebet; er küßte mich, stieg über die Rosenhecken-Mauer in einen Garten, der zum Main führte, da konnte er sich übersetzen, denn es waren Nachen am Ufer. Es giebt unerwartete Erfahrungen, die sind ver- gessen, gleich als ob sie nicht erlebt wären, und erst dann wenn sie wieder aus dem Gedächtnißbrunnen her- aufsteigen ergiebt sich ihre Bedeutung — es ist als ob eine Lebenserfahrung dazu gehörte, ihre Wichtigkeit empfinden zu lernen; es sind andre Begebnisse, auf die man mit Begeistrung harrt, und die schwimmen so gleich- gültig vorüber wie das fließende Wasser. — Wie Du mich fragtest, wer mir den ersten Kuß gegeben habe, dessen ich mich deutlich erinnere, da schweifte mein Be- sinnen hin und her wie ein Weberschiffchen, bis allmäh- lig dies Bild des Erretteten lebhaft und deutlich her- vortrat, und in diesem Wiederhall des Gefühls erst werde ich gewahr, welche tiefe Spuren sie in mir zurück- gelassen! — So giebt es Gedanken wie Lichtstrahlen, die einen Augenblick nur das Gefühl der Helle geben, und dann verschwinden, aber ich glaube gewiß, daß sie ewig sind und uns wieder berühren in dem Augenblick, wo unsere sittliche Kraft auf die Höhe steigt, mit der al- lein wir sie zu fassen vermögen. Ich glaube: mit uns selbst in's Gericht gehen, oder wenn Du willst, Krieg führen mit allen Mächten, ist das beste Mittel höherer Gedanken theilhaftig zu werden. Es giebt eine Art Lum- pengesindel auch im Geist, das alle Befähigung zur Inspiration unterdrückt, und sich wuchernd ausbreitet; dahin gehören die Ansprüche aller Art nach außen: wer etwas von außen erwartet, dem wird es in dem Innern nicht kommen, aller Reiz der nach Außen zur Versündigung wird, kann im Innersten conzentrirt zur Tugend werden; — das Gefühl, das so wie es sich mit der Oberfläche des Lebens berührt, gleich zur Eitelkeit anschießt, in der innersten Seele festgehalten, wird sich zu einer demüthigen Unterwerfung an die Schönheit aus- bilden. Und so könnte wohl jede Verkehrtheit daher entstehen, weil ihr Reiz fehl geht in seiner Befriedi- gung. Alle Ansprüche, aller Reiz, alle Leidenschaft soll befriedigt werden, aber nur durch das Göttliche, und so nicht der Sklave der Leidenschaft, sondern unserer höheren Natur werden. Wenn ich mich über mich selbst stelle und über mein Thun und Treiben, dann kommen mir gleich Ge- danken von denen empfinde ich sie haben eine bestimmte Beziehung auf eine bestimmte Erscheinung in mir, wie gewiß auch bei den verschiednen Epochen in dem Pflan- zenleben die Nahrung eine verschiedne geistige Richtung annimmt, daß zum Beispiel beim Blühen der Nahrungs- stoff, der doch aus denselben Elementen besteht, eine in sich selbst erhöhte geistige Verwandlung vornimmt, denn er äußert sich ja nicht mehr blos vegetirend in dem Leben der Pflanze, sondern duftend wissend in ih- rem Geist. Gedanken dieser Art beglücken mich, wenn ich Frieden mit mir schließe und den Schlaf gleichsam annehme als Versöhnung mit mir selbst; so gestern Abend fühlte ich vor dem Einschlafen, als ob mich mein Inneres in Liebe aufgenommen habe, und da schlief ich die Ruhe bis tief in meine Seele hinein, und wachte von Zeit zu Zeit auf, und hatte Gedanken. Ich schrieb sie, ohne sie weiter zu spinnen, oder ihren Gehalt zu wägen, ja selbst manche, ohne sie ganz zu verstehen, mit Bleistift auf — und schlief dann gleich wieder fort, aber bald weckte mich's wieder auf; diese Gedanken waren wie Ausrufungen meiner Seele in der Empfin- dung von Behagen. Ich will sie hier abschreiben, wie ich sie nach einander erfahren. Ob sie Werth und Ge- halt haben, lasse ich unberührt, aber immer werden sie ein Beweis sein, daß der Geist auch im Schlaf lebendig wirkt. Ich glaub', daß jede Handlung ihre unendlichen Folgen hat; daß uns die Wahrheit Genuß gewährt, daß also jeder Genuß eine Wahrheit zum tiefsten Grunde hat, daß also jeder Genuß durch seine Wahrh e it leegitimirt ist. Ich glaube, daß alle Ahndungen Spiegelungen der Wahrheit sind. Der Geist ist Auge, je schärfer er sieht, je deutlicher wird die Ahndung, je reiner tritt das Spiegelbild der Wahrheit in der Empfindung auf. Die Vielheit soll zur Einheit führen, der Spiegel fasset Alles in einen Strahl zusammen. Das Licht gebärt das allseitige Leben und Streben in die Einheit, in das Reich des Göttlichen. Die Philosophie ist Symbol der Leidenschaft zwi- schen Gott und dem Menschen. Die Liebe ist eine Metamorphose der Gottheit. Jeder Gedanke ist die Blüthe einer Pflanze; was ist dann aber ihre Frucht? — Die Wirkung auf unser Inneres ist ihre Frucht. Zum Denken des wahren Geistes gehört die Un- schuld. Nur mit der unschuldigen Psyche beredet sich der Geist. Der Geist stellt die erkrankte Unschuld her. Die Frucht des Geistes genießen, macht unschuldig, das ist die Wirkung der Frucht. Das Sinnliche ist Symbol des Geistigen, ist Spie- gel einer noch nicht in die geistige Erfahrung getretnen Wahrheit. Geistige Erfahrung ist gebornes Leben. Wenn wir Besitzer der geistigen Wahrheit sind, dann ist das Sinn- liche aufgelöst. Alles Sinnliche ist unverstanden, durch sein Ver- stehen wird es geistig. Geistige Entwicklung macht große Schmerzen, sie ist der Beweis, wie sehr der Geist mit dem Physischen zusammenhängt. Der Geist, der keine Schmerzen macht, ist Leben nach der Geburt. Oft stirbt der Geist, sein Tod ist Sünde. Aber er ersteht wieder zum Leben; die Auferstehung von den Todten macht Schmerzen. Der Geist ist ein Zauberer, er kann Alles! wenn ich mit dem vollen Gefühl der Liebe vor Dich hintrete, dann bist Du da. Was ist denn Zauberei? die Wahrheit des Gefühls geltend machen. — Die Sehnsucht hat allemal Recht, aber der Mensch verkennt sie oft. Der Mensch hat einen sinnlichen Leib angenom- men, damit er in ihm zur Wahrheit komme; das Ir- dische ist da, damit sich in ihm das Göttliche manifestire. Das ganze Wirken der Natur ist nur ein Trieb, der Wahrheit nachzugehen. Die Wahrheit hat keinen Leib, aber das sinnliche Leben ist die Spur ihres Wegs. Manchmal hab' ich den Trieb, mich von Dir, wie ich Dich sinnlich erkenne, abzuwenden, und an das gött- liche Geheimniß Deines Daseins zu appeliren, dann fühl' ich, daß sich alle verschiedenen Neigungen in ei- ner auflösen. Gewiß! die Liebe ist Instinkt einer höheren Gemein- schaft, einer göttlichen Natur mit dem Geliebten. Drum schließt Liebe alle verschiedene Neigungen aus. Wenn wir erst wissen, daß alle äußeren Augen ein inneres Auge sind, das uns sieht, so thun wir Alles dem inneren Auge zu lieb, denn wir wollen in unserer geheimen Handlung der Schönheit gesehen sein. Unser Trieb, schön zu handeln, ist der Trieb, dem innern Auge wohlgefällig zu erscheinen. Drum ist der Trieb nach Anerkenntniß, nach Ruhm, eine verkehrte Befriedigung dieser angebornen, unvertilgbaren Neigung, weil ihr Ursprung göttlich ist. — Was haben wir von allem äußeren Glanz, von dem Gaukelspiel des Beifalls einer unwissenden Menge, wenn wir vor dem Auge des inneren Genius nicht bestehen, wenn unsere Schönheit vor ihm zer r üttet ist! ich will nur für meine Schönheit leben, ich will nur ihr huldigen, denn sie ist der Ge- liebten selbst. — Wenn wir den Blick des inneren Auges umschrei- ben, so haben wir die Kunst und das Wissen. Alles Wissen soll sich zur Kunst erheben, es soll eben so unschuldig die Wahrheit nachahmen wie die bildende Kunst, und so wird sie ein Spiegel der Wahr- heit, ein Bild, in dem wir sie erkennen. Denken ist ein unmittelbares Nachahmen der Wahr- heit es ist nicht sie selbst, sie hat keinen Leib, sie hat nur eine Erscheinung. Suche nur die Wahrheit in Deinem Innern, so hast Du den Vortheil, sie zu finden und Dich zugleich in sie aufzulösen. In Deinem Innern wirst Du ein lebendiges Bewe- gen wahrnehmen, wie das Bewegen des Wassers, es ist nichts als ein Bewegen, sich in die Wahrheit auf- zulösen. Alles Leben lös't sich in eine höhere Wahrheit auf, geht in eine höhere Wahrheit über, wär' es anders, so wär' es Sterben. Schönheit ist eine Auflösung der sinnlichen An- schauung in eine höhere Wahrheit; Schönheit stirbt nicht, sie ist Geist. Alle Disharmonie ist Unwahrheit. — Wenn Du schlafen willst, so ergieb Dich Deinem innern Mond. Schlaf' in dem Mondlicht Deiner Na- tur! Ich glaub', das erzieht und nährt Deinen inneren Menschen, wie das Mondlicht den Geist der Pflanze ernährt und befördert. Wer von selbst seinen Geist der Natur unterwirft, für den giebt es keinen Tod. Der Geist muß so mächtig werden, daß er den Tod des Leibes nicht empfindet. Der Geist braucht nicht zu denken, und kann doch mächtig sein, blos durch die Reinheit des Willens. In allem nur sich sehen, und gegen sich den rein- sten Willen haben, dann ist der Geist mächtig. Auch der sinnliche Schlaf soll so genossen werden, daß er ein geistiger Balsam sei. Vielleicht vererben sich die geistigen Reichthümer wie die irdischen, vielleicht vertheilen die Geister ihre Fähigkeiten auf ihre Nachkommen! „Ich erkenne an dem Gedanken, weß Geistes Kind du bist.“ Dies Sprüch- wort beurkundet meine Bemerkung. Wachsen ist das Gefühl, daß das Uranfänglichste zu seinem Ursprung in die Ewigkeit dringt. Der Genius allein kann die verletzte Unschuld her- stellen. O komm Genius, und befriede Dich mit mir! Hier übermannte mich ein tieferer Schlaf. — Am Morgen fand ich mein beschriebenes Papier, ich erin- nerte mich seiner kaum, aber sehr deutlich erinnerte ich mich des Behagens in der Nacht, und daß es eine Em- pfindung war, wie dem Kind in der Wiege das Schau- keln sein muß, und ich dachte, daß ich oft so träumen möchte. — Nun will ich Dir auch gleich die Geschichte meines zweiten Kusses erzählen; er folgte beinah unmittelbar auf den ersten, und was denkst Du von Deinem Mäd- chen, daß es so leichtfertig geworden! ja diesmal wurde ich leicht fertig, und zwar mit einem Freund von Dir. — Es klingelt, hastig springe ich an die Hausthür, um zu öffnen; ein Mann in schwarzer Kleidung, ernsten An- sehens, etwas erhitzten Augen, tritt ein, — noch ehe er seinen Namen genannt, oder gesagt, was sein Verlan- gen ist, küßt er mich; noch ehe ich mich besinnen konnte, geb' ich ihm eine Ohrfeige, und dann erst seh' ich ihm ergrimmt in's Antlitz und erkenne ein freundliches Ge- sicht, das gar nicht erschreckt und nicht erbittert über mein Verfahren zu sein scheint; um meiner Verlegenheit zu entgehen — denn ich wußte nicht ob ich Recht oder Unrecht gethan hatte — öffne ich ihm rasch die Thüren zu den Zimmern der Großmutter. Da war nun meine Überraschung bald in Schrecken umgewandelt, da diese mit der höchsten Begeistrung ausrief, einmal über das andre: „Ist es möglich? Herder, mein Herder! daß Euer Weg Euch zu dieser Grillenhütte führt? — seid tausend- mal umarmt, und hier folgten diese tausend Umarmun- gen, während denen ich mich leise davonschlich und wünschte, es möge in diesem Schwall von Liebkosungen die eine untergehen, die ihm mit einer Ohrfeige war beantwortet worden. Allein, dem nicht so, er vergaß weder Kuß noch Ohrfeige, er schielte an das Herz der Großmutter von ihren umfassenden Armen gefesselt über ihre ihre Achsel hinaus, nach der Enkelin und machte ihr einen bittenden Vorwurf. Ich verstand ihn sogleich, und machte mich ihm auch verständlich, er solle mich nicht verklagen sonst wolle ich mich rächen, und schlich hinter die Vorzimmer. Allein Herder hatte keine An- dacht mehr für die Großmutter, für ihre schönen Erin- nerungen aus der Schweiz, für ihre Mittheilungen aus den Briefen von Julie Bondeli, für ihre Schmeichelre- den und begeisterte Lobsprüche, für ihre Reden von ge- lehrten Dingen. Er fragte, ob sie ihm nicht ihre En- kelkinder wolle zeigen? so wurden wir ihm denn alle drei feierlich vorgeführt und von der Großmutter zugleich belehrt, wie glücklich wir seien, ihn zu sehen und von ihm gesegnet zu sein. Er war auch gar nicht faul, ging rasch auf mich zu, legte mir die Hand auf den Kopf unter welcher ich ihn drohend ansah, und sagte langsam und feierlich: „diese da scheint sehr selbststän- dig, wenn Gott ihr diese Gabe als eine Waffe für ihr Glück zugetheilt hat so möge sie sich ihrer ungefährdet bedienen, daß alle sich ihrem kühnen Willen fügen, und niemand ihren Sinn zu brechen gedenke.“ Ziemlich verwundert war die Großmutter über diesen wunderli- chen Segen, noch mehr aber, daß er die Schwestern nicht segnete, die doch ihre Lieblinge waren. Wir wur- Tagebuch. 7 den entlassen und gingen in den Garten; — wir tru- gen damals breite Schärpen von blau und weiß ge- flammter Seide, auf dem Rücken waren sie in Schleifen gebunden, die in der vollen Breite, welche wohl eine Elle betrug, ausgebreitet waren, so daß sie gleichsam Schmetterlingsflügel bildeten. Während ich in meinem Blumenbeet arbeitete, haschte mich Einer an diesen Flü- geln; es war Herder, „siehst du, kleine Psyche,“ sagte er, „mit den Flügeln genießt man wohl die Freiheit, wenn man sie zu rechter Zeit zu brauchen weiß, aber an den Flügeln wird man auch gefangen, und was giebst du, daß ich dich wieder los lasse?“ — er ver- langte einen Kuß, ich verneigte mich und küßte ihn, ohne das Geringste einzuwenden. Der Kuß des geretteten Franzosen war ganz im Einverständniß meiner Empfindung, ich kam ihm auf halbem Weg entgegen, und doch war er unmittelbar darauf vergessen, und jetzt erst, nach sechs Jahren, tauchte er aus meiner Erinnerung auf, als eine neue Erscheinung. Herder's Kuß war von meiner Seite ganz willenlos oder eher unwillig angenommen, und doch hab' ich ihn nicht vergessen; ich konnte in erster Zeit den Eindruck nicht verwinden, er verfolgte mich im Traum; bald war mir's, als habe ich wider meinen Willen etwas weggeschenkt, bald überraschte es mich, daß dieser große bedeutende Mann mich so dringend aufgefordert hatte ihn zu küssen, dies war mir eine räthselhafte Erfahrung. Herder sah mich so feierlich an, nachdem er mich geküßt hatte, daß mich ein Schauer befiel; der räthselhafte Name Psyche, dessen Bedeutung ich nicht verstand, versöhnte mich einigermaßen mit ihm und wie denn manches Zufällige, was vielen unscheinbar vorüberschweift, einen tief rührt und eine währende Be- deutung für ihn gewinnt, so war mir dies unbegriffne Wort Psyche ein Talisman, der mich einer unsichtbaren Welt zuführte, in der ich mich unter diesem Namen be- griffen dachte. So lehrte mir Amor das A B C, und in meiner Geisblattlaube in der die Spinnen rund um mich her dem beflügelten Insektenvolk Netze stellten, seufzte die kleine beflügelte Psyche über dieser problematischen Lection. Ach Herr! — im Anfang des Jahres ist die Sonne mild sie schmeichelt den jungen Trieben, dann spaltet sie die Keime und wird immer dringender, die geöffnete Knospe kann sich nicht wieder in die kühle Kammer be- wußtloser Dunkelheit verschließen, ihre Blüthe fällt dem glühenden Strahl, der sie erst lockte als Opfer. 7* Dritter Kuß . Der blinde Herzog von Aremberg, der schöne, des- sen Zügen die geheiligte Würde der Legitimität aufge- prägt war, wollte gegen meinen Willen mir diesen Kuß geben, ich aber war wie die schwankende Blume im Winde, die der Schmetterling vergeblich umtanzt. Laß Dir's erzählen und ausmalen mit diesen bunten Farben aus dem Muschelkasten des Kindes, mit denen ich da- mals noch meine Welt ausmalte, und sie verstand, und Du wirst sie auch verstehen und Dich freuen, daß Du mit mir in den Spiegel siehst, in dem ich mich erkenne und den Genius, der mich zu Dir lenkt. Er war schön der Herzog! — schön für das groß- gewölbte Kinderauge, das noch kein Menschenantlitz er- blickt hatte, dessen Züge Geist ausströmten. Wenn er stundenlang bei der Großmutter saß und sich von ihr erzählen ließ stand ich neben ihm und starrte ihn an; ich war in Betrachtung dieser reinen erhabenen Züge versunken, die dem gewöhnlichen Menschen nie geschenkt werden. Die reine, starke Stirn, deren Mitte eine Feuerstelle hatte für den göttlichen Brand des Zorns, diese Nase, höher, kühner, trotzbietender als sein schauerliches Schick- sal, diese feinen feuchten Lippen, die mehr als alles an- dre, Befehl und Herrscherwürde aussprachen, die Luft tranken und ausseufzten die tiefste Melancholie, diese feinen Schläfe, sich an den Wangen niederschmiegend zum aufgeworfnen Kinn, wie der metallne Helm der Minerva! — Laß mich malen Goethe, aus meinem kleinen Muschelkasten, es wird so schön! sieh sie an, die grellen abstechenden Farben, die der philosophische Ma- ler vermeidet, aber ich, das Kind, ich male so; und Du, der dem Kinde lächelt wie den Sternen, und in dessen Begeistrung Kindereinfalt sich mischt mit dem Seherblick des Weisen, freue Dich der grellen bunten Farben meiner Phantasie. So war er, der schöne, blinde Herzog, so ist er noch jetzt in dem Zauberspiegel der Erinnerung, der alle Bilder meiner Kindheit gefesselt hält, der sie in Perlen reiht und Dir als Opfer zu Füßen legt; so war seine Gestalt oft niedergebeugt im Schmerz um die erblindete Jugend, dann stolz erstreckt, sich aufrichtend, heiter ver- ächtlich ironisch lächelnd, wenn er die tief versunknen Augensterne gegen das Licht wendete. Da stand ich und starrte ihn an, wie der Schäferknabe tief vergessen seiner Heerde und seines Hundes, den an den einsamen Felsen geschmiedeten, von der abgewendeten Welt un- beklagten Prometheus anstarrt; da stand ich und saugte den reinen Thau, den die tragische Muse aus ihrer Urne sprengt, um den Staub der Gemeinheit zu däm- pfen, indem ich in tiefer, bewußtloser Betrachtung über ihn versunken war. — Es war in seinem zwanzigsten Jahr, im tollen, glühenden Übermuth der Jugend, im Gefühl seiner überwiegenden Schönheit, und im gehei- men Bewußtsein alles dessen, was dieser zu Gebot stand, daß er am Tag der Jagd über die gedeckte Tafel sprang, mit seinen Sporn das Tischzeug mit Service und Pracht- aufsatz auf die Erde riß und am Boden zerschmetterte, um seinem liebsten Freund an den Hals zu springen, zu umarmen, mit ihm tausend Abentheuer zu besprechen. Sie theilten sich auf der Jagd, und der erste Schuß, den der Freund that, war in beide Augensterne des Herzogs. Ich habe den Herzog nie bedauert, ich bin nie zum Bewußtsein über sein Unglück gekommen; so wie ich ihn sah, erschien er mir ganz zu sich und seinem Schicksal sich verhaltend, ohne Mangel, wenn ich andre hörte sa- gen: „wie schade, wie traurig, daß der Herzog blind ist!“ so fühlte ich's nicht mit, im Gegentheil dachte ich; „wie schade, daß ihr nicht alle blind seid, um die Ge- meinheit eurer Züge nicht mit diesen vergleichen zu dür- fen!“ Ja Goethe! Schönheit ist ja das sehende Aug' Gottes, Gottes Auge, auf welchem Gegenstand es mit Wohlgefallen ruht, erzieht die Schönheit, und ob der Herzog auch nicht gesehen habe, — er war dem göttli- chen Licht vermählt durch die Schönheit, und dies war allemal nicht das bitterste Schicksal. Wenn ich so neben ihm stand und in Gedanken versunken mit ihm seufzte da fragte er: qui est là? — Bettine! „Amie viens que je touche tes traits, pour les apprendre par coeur!“ und so nahm er mich auf den Schooß, und fuhr mit dem Zeigfinger über meine Stirn, Nase und Lippen, und sagte mir Schönes über meine Züge, über das Feuer meiner Augen, als ob er sie se- hen könne. Einmal fuhr ich mit ihm von Frankfurt nach Offenbach zur Großmutter, ich saß neben ihm, er fragte, ob wir noch in der Stadt seien, ob Häuser da seien und Menschen? — ich verneinte es, wir waren auf dem Land, da verwandelte sich plötzlich sein Ge- sicht, er griff nach mir, er wollte mich an's Herz ziehen, ich erschrack; schnell wie der Blitz hatte ich mich den Schlingen seiner Arme entzogen und duckte nieder in der Ecke des Wagens; er suchte mich, ich lachte heim- lich, daß er mich nicht fand, da sagte er: „Ton coeur est-il si méchant pour mépriser, pour se jouer d'un pauvre aveugle?“ da fürchtete ich mich der Sünde meines Muthwillens, ich setzte mich wieder an seine Seite und ließ ihn gewähren, mich an sich ziehen, mich heftig an sein Herz drücken, nur mit dem Gesicht beugte ich aus und gab ihm die Wange wenn er nach dem Mund suchte. Er fragte, ob ich einen Beichtvater habe? — ob ich diesem erzählen werde, daß er mich ge- küßt habe. Ich sagte naiv schalkhaft: wenn er glaube, daß dies dem Beichtvater Vergnügen machen werde, so wolle ich's ihm erzählen. „Non, mon amie, cela ne lui plaira pas, il n'en faut rien dire, cela ne lui plaira abso- lument pas, n'en dites rien à personne.“ In Offenbach erzählte ich's der Großmutter, die sah mich an und sagte: „mein Kind! ein blinder Mann, ein armer Mann!“ — Im Nachhausefahren fragte er, ob ich der Großmutter gesagt habe, daß er mich geküßt habe; ich sagte „ja.“ Nun, war die Großmutter bös? — „Nein,“ „et bien? est ce qu'elle n'a rien dit?“ — „oui!“ — „et quoi?“ — „ein blinder Mann, ein armer Mann!“ „O oui!“ rief er, „elle a bien raison! ein blinder Mann, ein armer Mann!“ und so rief er ein- mal ums andre: „ein blinder Mann, ein armer Mann!“ bis er endlich in einen lauten Schrei der Klage ausbrach, der mir wie ein Schwert durch's Herz drang, aber meine Augen blieben trocken, während sei- nen erstorbenen, Thränen entfielen. Dem Herzog ist seit dem ein feierliches Monument in meinem Herzen errichtet. Wir hatten einen schönen Garten am Haus, Eben- maaß und Reinlichkeit war seine Hauptzierde, an bei- den Seiten liefen Spaliere hin mit ausländischen Frucht- bäumen, im mitten Gang standen diese Bäume so edel, so hoch, so frei von jedem Fehl, sie hingen ihre schlan- ken Äste schwertragend im Herbst an den Boden, es war so still in diesem Garten wie in einem Tempel, im Eingang waren auf beiden Seiten zwei gleichmäßige Teiche, in deren Mitte Blumeninseln waren, hohe Pap- peln begränzten ihn und vermittelten die Nachbarschaft zu den Bäumen in den angränzenden Gärten. Denke doch wie es mir da erging, wie da alles so einfach war und wie ich Deiner bewußt ward. Warum wühlt's mir im Herzen wenn ich mich dran erinnere, daß die Blüthenkätzchen von den Pappeln, und diese braunen klebrigen Schaalen von den Knospen mich beregneten, wie ich da so still in der Mittagsstunde saß und dem Streben der jungen Weinranken nachspührte, 7** wie die Sonnenstrahlen mich umwebten, die Bienen mich umsummten, die Käfer hin- und herschwirrten, die Spinne ihr Netz in's Gitter der Laube hing. — In solcher Stunde bin ich Deiner zum erstenmal inne geworden. — Da lauschte ich, da hörte ich in der Ferne den Lärm der Welt, da dachte ich: du bist außer dieser Welt, aber mit wem bist Du? — Wer ist bei dir? — Da besann ich mich auf nah und fern, da war nichts was mir an- gehörte. Da konnte ich nichts erfassen, mir nichts den- ken was mein sein könne. Da trat zufällig, oder war's in den Wolken geschrieben, Deine Gestalt hervor; ich hatte von Dir nichts weiter gehört als Tadel, man hatte in meiner Gegenwart gesagt: Goethe ist nicht mehr so wie sonst, er ist stolz und hochmüthig, er kennt die al- ten Freunde nicht mehr, seine Schönheit hat gewaltig abgenommen, und er sieht nicht mehr so edel aus wie sonst; noch manches wurde von der Tante und Groß- mutter über Dich gesprochen, was zu Deinem Nachtheil war. Ich hatte es nur im Vergessen angehört, denn ich wußte nicht wer Du seist. — Jetzt in dieser Ein- samkeit und abgeschlossnen Stille unter den Bäumen die eben blühen wollten, da kamen diese Reden mir wieder in's Gedächtniß; da sah ich im Geist wie die Menschen, die über Dich urtheilen wollten, Unrecht hat- ten, ich sagte zu mir selbst: Nein! er ist nicht unschön, er ist ganz edel, er ist nicht übermüthig gegen mich. Trotzig ist er nur gegen die Welt, die da draußen lärmt, aber mir, die freundlich von ihm denkt ist er gewogen und zugleich fühlte ich als ob Du mir gut seist und ich dachte mich von Deinem Arm umfaßt, und getrennt durch Dich von der ganzen Welt, und im Herzen spürte ich Dir nach, und führte freundliche Gespräche in Ge- danken mit Dir, da kam nachher meine Eifersucht wenn man von Dir sprach oder Deinen Namen sagte, es war als habe man Dich aus meiner Brust gerufen. Vergesse nicht Goethe, wie ich Dich lieben lernte, daß ich nichts von Dir wußte als daß man Dich in meiner Gegen- wart böslich erwähnt hatte; die Tante sprach von Dei- ner Freigeisterei und daß Du nicht an den Teufel glaubst ich glaubte auf der Stelle auch nicht an den Teufel, und war ganz Dein und liebte Dich, ohne zu wissen, daß Du der Dichter seist von dem die Welt so Großes spreche und erwarte, das kam alles später; damals wußt' ich nur, daß die Leute Dich tadelten und mein Herz sagte: Nein, er ist größer und schöner als Alle, und da liebte ich Dich mit heißer Liebe bis auf heut und trotzte der ganzen Welt bis auf heut und wer über Dich sprach von dem wendete ich mich ab, ich konnte es nicht anhören. Wie ich aber endlich Deine Herrlich- keit fassen sollte, da dehnten mir große Schmerzen die Brust aus, ich legte in Thränen mein Angesicht auf das erste Buch was ich von Dir in Händen bekam, es war der Meister, mein Bruder Clemens hatte es mir ge- bracht. Wie ich allein war da schlug ich das Buch auf, da las ich Deinen Namen gedruckt, den sah ich an als wie Dich selber. Dort auf der Rasenbank wo ich we- nig Tage vorher zum erstenmal Deiner gedachte und Dich im Herzen in Schutz nahm, da strömte mir eine von Dir geschaffne Welt entgegen, bald fand ich die Mignon wie sie mit dem Freund redet, wie er sich ih- rer annimmt, da fühlt ich Deine Gegenwart, ich legte die Hand auf das Buch und es war mir in Gedanken als stehe ich vor Dir und berühre Deine Hand, es war immer so still und feierlich wenn ich allein mit dem Buch war, und nun gingen die Tage vorüber und ich blieb Dir treu, ich hab' an nichts anders mehr gedacht womit ich mir die Zeit ausfüllen solle. Deine Lieder waren die ersten, die ich kennen lernte, o wie reichlich hast Du mich beschenkt für diese Neigung zu Dir, wie war ich erstaunt und ergriffen von der Schönheit des Klangs, und der Inhalt, den ich damals nicht gleich fassen konnte, wie ich den allmählig verstehen lernte was hat dies alles in mir angeregt, was hab ich erfahren und genossen, und welche Geschicke hab' ich erlebt, wie oft hat Eifersucht gegen diese Lieder mich erregt, und in manchen da fühlte ich mich besungen und beglückt. — Ja warum sollte ich mich nicht glücklich träumen? — welche höhere Wirklichkeit giebt es denn als der Traum? — Du wirst nie im Schooß des ersehnten Glückes fin- den was Du von ihm geträumt hattest. — Jahre ge- hen dahin, daß einer dem andern sich nahe wähnt, und doch wird sich nie die eigenthümliche Natur an's Licht wagen, der erste Augenblick freier unbedingter Bewegung trennt Freundschaft und Liebe. Die ewige unversiegbare Quelle der Liebe ist ja eben daß sie Geheimnisse in ihren kla- ren Wellen führt. Das Unendliche, der Sehnsucht begehr- liche des Geistes ist aber, daß er ewige Räthsel darlege. Drum mein Freund, träume ich, und keine Lehren der Weisheit gehen so tief in mich ein und begeistern mich zu immer neuen Anschauungen wie diese Träume, denn sie sind nicht gebaut auf Mißverständnisse sondern auf das heilige Bedürfniß der Liebe. — Mein erstes Lesen Deiner Bücher! ich verstand sie nicht, aber der Klang, der Rythmus, die Wahl der Worte, denen Du Deinen Geist vertrautest, die rissen mich hin ohne daß ich den Inhalt begriff, ja ich möchte sagen, daß ich viel zu tief mit Dir beschäftigt war als daß die Geschichte Deiner Dichtungen sich hätte zwischen uns drängen können; ach es hatte mir niemand von Dir gesagt er ist der größte, der einzige Mensch unter allen, ich mußte es alles selbst erfahren wie ich Deine Bücher allmählig verstehen lernte, wie oft fühlte ich mich beschämt durch diese machtausübenden Begeistrungen, da stand ich und redete im Spiegel mit mir: „Er weiß von Dir nichts, in dieser Stunde läuten ihm andere Glocken, die ihn da- und dorthin rufen, er ist heiter, der Gegenwärtige ist ihm der Liebste, armes Kind! dich nennt sein Herz nicht,“ da flossen meine Thränen, da hab ich mich ge- tröstet, und hatte Ehrfurcht vor dieser Liebe als vor et- was ganz Erhabnem. Ja es ist wahr, es ist ein höhe- rer Mensch innewohnend, dem sollen wir immer nach- gehen, seinem Willen Folge leistend und keinem andern sollen wir Altäre bauen und Opfer bringen, nichts soll außer ihm geschehen, wir sollen von keinem Glück wis- sen als nur in ihm. So hab ich Dich geliebt indem ich dieser inneren Stimme willfahrte, blind war ich und taub für alles, kein Frühlingsfest und kein Winterfest feierte ich mit, auf Deine Bücher, die ich immer lesen wollte, legte ich den Kopf und schloß mit meinen Armen einen Kreis um sie und so schlief ich einen süßen Schlaf, während die Geschwister in schönen Kleidern die Bälle besuchten, und ich sehnte mich immer früher zum schlafen zu kommen, blos um da zu sein wo ich Dir näher war. So ging die Zeit zwischen sechszehn und achtzehn Jahren hin, dann kam ich zu Deiner Mutter, mit der ich von Dir sprach als ob Du mitten unter uns seist, dann kam ich zu Dir und seit dem weißt Du ja, daß ich nie aufge- hört habe mit Dir innerhalb dieses Kreises zu wohnen, den ein mächtiger Zauber um uns zieht. Und Du weißt von da an alles was in meinem Herzen und Geist vor- geht, drum kann ich Dir nichts anders mehr sagen als zieh' mich an Dein Herz und bewahr mich an demsel- ben Dein Lebe n lang. Gute Nacht, morgen reise ich in die Wetterau. Reise in die Wetterau. Wie es hier aussieht, das muß ich Dir beschreiben. Eine weite Ebne, lauter Korn, von allen Seiten, als wär' die Erde ein runder Teller, aber doch mit einem Rand, denn sanft schwillt die Fläche in die Runde bergan, abwechselnd umkränzt von Wald und Berggipfeln. Da stehe ich in der Mitte im wogenden Korn! hätte ich Pfeil und Bogen und schösse nach allen Richtungen vom Mittelpunkt aus, so würde mein Pfeil einer alten Burg zu fliegen, ich lauf' nach allen Seiten, und wo eine auftaugt, da wandre ich hin; da hab' ich manchen Graben zu überspringen, manch Wasser zu durchwaten, Wälder zu durchkreuzen, steile Klippen zu erklettern; wären's Abgründe, reißende Ströme, Wüsteneien und schwindelhohe Felswände, so wär' ich der kühnste Aben- theurer. — An jeder alten Ruine ein kleines Schwal- bennest von Menschenwohnung angemörtelt, wo wun- derliche steinalte Leute wohnen, abgelöst von den mei- sten Beziehungen mit ihres Gleichen, und doch mit ei- nem herzrührenden wolkendurchblitz t en Blick versehen. — Gestern gingen wir wohl eine gute Stunde durch schön geordnete Traubengänge, bis wir an die steile Höhe ka- men, wo die Festungsmauern beginnen, und das Hinan- steigen nur durch Geübtheit oder Kunstsprünge erleich- tert wird. Da oben haben sich ein paar mitleidige Birnbäume erhalten, und Eichen mit großem breitem Laubdach, und eine Linde im schwimmenden, heißen Dampf ihrer Blüthe. Mitten in dieser ehrwürdigen Ge- sellschaft, den Zeugen früherer Tage, lag auf spärlichem Rasen ein alter Mann mit silbernem Haar und schlief. Das unreife Obst, was von den Bäumen gefallen war, lag gesammelt an seiner Seite, seinen Händen war wahrscheinlich das daneben liegende, sehr zerlesene, offene Gesangbuch entfallen, auf das ein schwarzer Hund mit glühenden Augen die Schnautze gelegt hatte; er machte Miene zu bellen, allein um seinen Herrn nicht zu wek- ken, hielt er an sich, wir auch gingen im weiteren Kreise um das kleine Revier, um dem Hund zu zeigen, daß wir keine böse Absicht hatten. Aus dem Speisekorb nahm ich ein weißes Brod und Wein, ich wagte mich so nah mir der Hund erlaubte, und legte es hin, dann ging ich nach der andern Seite und übersah mir das Thal; es war geziert mit Silberbändern, die in's Kreuz die grünen Matten einschnürten, der schwarze Wald umarmte es, die fernen Bergkuppen umwachten es, die Heerden wandelten über die Wiesen, die Wolkenheerde zog der Sonne nach, von ihrem Glanz durchschimmert, und ließ die blasse Mondessichel allein stehen, dort über dem schwarzen Tannenhorst; so umwandelte ich rund meine Burg und sah hinab und hinauf, überall wun- derliche Bilder, hörte schwermüthige Töne, und fühlte leises, schauerliches Athmen der Natur, sie seufzte, sie umschmeichelte mich wehmüthig, als wolle sie sagen: „weine mit mir!“ — Ach, was steht in meiner Macht ? — was kann ich ihr geben! Da ich zurückkehrte, sah ich im Vorübergehen den Alten unter dem Baum mit dem Hund, der aufrecht vor ihm saß und ihm in den Mund sah, das weiße Brod verzehren, was ich bei ihn gelegt hatte. Gegenüber liegt eine andre Burg, da wohnt als Gegenstück eine alte Frau, umgeben von drei blonden Enkelengels-Köpfchen, wovon das älteste drei Jahr und das jüngste sechs Monat ist. Sie ist nah an siebenzig Jahr und geht an Krücken; im vorigen Jahr war sie noch rüstig, erzählte sie, und hatte vom Schulmeister den Dienst, die Glocken zu läuten, weil die Kirche hö- her lag wie das Dorf, und näher an der alten Burg- ruine; ihr Sohn war Zimmermann, er ging in der kal- ten Weihnachtszeit in den Wald, um Holz zu fällen und zum Bau zu behauen, er kam nicht wieder, — er war erfroren im Wald. Da man ihr die Nachricht brachte, ging sie hinab in den Wald, um ihn noch ein- mal zu sehen, und da fiel sie zusammen und erlahmte, man mußte sie wieder die steilste Anhöhe hinauftragen, von der sie nun nicht wieder herabkommt. „Ich sehe alle Abend die Sterne, die auf mein Grab scheinen wer- den und das freut mich,“ sagte sie, „ich habe Friede geschlossen mit allen Menschen und mit allem Schicksal, der Wind mag brausend daher fahren, wie in der Bi- bel stehet, und den alten Eichen den Hals umdrehen, oder die Sonne mag meine alten Glieder erwärmen, — ich nehme alles dahin. Friede mit allen Dingen macht den Geist mächtig — der wahre Friede hat Flügel, und trägt den Menschen noch bei Leibes Leben hoch über die Erde dem Himmel zu, denn er ist ein himmlischer Bote und zeigt den kürzesten Weg; er sagt, wir sollen uns nirgend wo aufhalten, denn das ist Unfriede; der grade Weg zum Himmel ist Geist, das ist die Straße, die hinüber führt, daß man alles versteht und begreift, wer gegen sein Schicksal murrt, der begreift es nicht, wer es aber im Frieden dahin nimmt, der lernt es auch bald verstehen; was man erfahren und gelernt hat, das ist allemal eine Station, die man auf der Himmels- straße zurückgelegt; ja, ja! das Schicksal des Menschen enthält alle Erkenntniß, und wenn man erst alles ver- standen hat auf dieser irdischen Welt, dann wird man ja doch wohl den lieben Gott können begreifen lernen. Niemand lernt begreifen, denn durch Eingebung vom heiligen Geist, durch eigne Offenbarung lernt man fremde verstehen; — ich erkenne gleich in jedes Menschen Herz, was ihn sticht und was ihn brennt, und weiß auch, wann die Zeit kommt, die ihn heilt; ja ich muß noch täglich weinen über meinen lieben Sohn, der erfroren ist, aber weil ich weiß, daß er die irdische Straße zu- rückgelegt hat, so hab' ich nichts dawider, ich lese auch täglich in diesem Buch, da stehen diese großen Wahr- heiten alle geschrieben.“ Sie gab uns einen alten Ge- sang zu lesen: „O Herr! du führst mich dunkle Wege, am Ende aber seh ich Licht;“ in diesem stand zwar nichts von dem, was sie uns mitgetheilt hatte, als nur einzelne Hauptworte. Im Nachhausegehen vertrieben uns die Gießener Studenten die Grillen, sie hatten sich am Abhang des Berges in großen Weinlauben gelagert, sie sangen, sie jauchzten, Gläser und Flaschen flogen hinab, sie tanz- ten, walzten und wälzten sich den Berg hinunter und durchschallten das Thal mit ihrem grausamen Gebrüll. Die Ammenburg . So nenne ich die kleine Wohnung, die grade so groß ist, den einfachsten Bedürfnissen eines einzelnen Menschen in schöner wohlthuender Ordnung zu genügen, sie ist mit rothen Steinen oben auf eine mit sammtnen Rasen begleitete, kegelrunde Bergkuppe aufgemauert. Vor drei Jahren stand sie noch nicht hier, da war die Liebe der einzige Schutz gegen Wind und Wetter, da kamen sie häufig zusammen vom Frühling bis zum Herbst, von Sonnenuntergang bis zu Sonnenaufgang lagen sie vom Mond belacht auf Blumenrasen zwischen silbernen Bergquellen, im Winter rief ihn die Kriegs- trompete, Armide blieb allein, aber nicht lange, da kam Amor das Kind, sie legte ihn in die Wiege, sie nährte es mit der Milch ihrer Brüste und noch ein anderes dazu. Für den Ammenlohn kaufte sie sich diesen Fleck und baute das kleine Haus und wohnt jetzt mit ihrem goldlockigen Bübchen hier oben, wo sie weit durch's Thal in die Ferne sieht und bei Windstille auch hören kann, wenn die Trommel sich rührt oder die Trompete zwischen den Felswänden schmettert. Vielleicht kehrt er zurück, und erkennt an dem lustigen, buntbemalten Schornstein, der auf das Häuschen aufgepflanzt ist, daß das freudige Liebesglück nicht in Reue zerschmolzen ist. Heute zogen wir nach einer andern Burg. Sie liegt vier Meilen entfernt, ihre stolzen, wohlerhaltnen Thürme streckt sie gen Himmel, als ob sie sie zum Schwur empor hebe; man sieht sie schon von mehreren Meilen, jede Viertelstunde macht sie eine andre Miene, bald treten Wälder hervor, die sie umkleiden, bald weiche Hügel, oft auch schwimmen Dörfer in den frucht- reichen Bahnen ihres langen und weiten Flurengewan- des, die aber bald in seinen Falten wieder versinken. Wir waren alle beritten und zur Jagd gewappnet. Im Wald machten wir Mittag, ein Fuchs wurde verfolgt, das hielt unsere Reise auf. Da wir ankamen stieg der Mond zwischen beiden Thürme herauf, wir aber ritten im finstern Thal durch die kleine Stadt mit holperigen Straßen; in einer großen Eisengießerei übernachteten wir. Am Morgen, vor Tag eilte ich hinaus, ich wollte meine Schöne, die Natur, noch mit verschlossnen Augen überraschen, ich wollte sehen, wie sie auf dieser Seite, in dieser süßen Lage sich ausnähme. O Freund, alle Blumen- kelche voll Thauspiegel, ein Gräschen malt sich im Per- lenschmuck des andern, ein Blümchen trinkt sein Bild aus dem Kelche des Nachbarn, und Du! — und Dein Geist, der erquickende, was kann er mehr sein, was kann er anders sein als reiner Himmelsthau, in dem sich alles in reinster Urschönheit spiegelt; Spiegel! — tiefe weisheitsvolle Erkenntniß ist dein Geist, in dem selbst Du nur Dich spiegelst, und alles Liebe, was der Menschheit durch Dich angethan, ist Spiegel ihrer ( Ide- alität ) reinsten unverkümmerten Natur. Und nun kam ich von meinem Weg um die Burg, die ich zweimal in beflügeltem Lauf, wie Pindar sagt, umkreis't habe, sie liegt auf runder kurzbegraster Kuppe, die Schaafheerde drängte sich wie ein Pelzkragen um ihre Zwinger; ein blöckender Pelzkragen! ich hatte Brod bei mir, das ich unter sie theilte, wie Deutschlands Kaiser unter die Ty- roler, aber sie drängten mich auch, wie jene den Kaiser und schrieen: „mehr Brod! mehr Brod! — blä! blä!“ — ich hatte keins mehr, wie der Kaiser auch; ich war in Gefahr umgerissen zu werden wie er; ich riß mich durch, und im vollem Galopp den Berg hinunter, die ganze Heerde hinter mir drein, mit sammt dem bellen- den Hund, kam ich am Fuß des Berges vor dem Wirths- haus an, dort weckten sie die ganze Reisegesellschaft mit ihrem Geblök, und ich sage Dir, sie wollten mit Gewalt in die Wirthsstube, ich mußte sie zuriegeln, ich glaub' der Bock hätte sie sonst mit seinen Hörnern aufgeklemmt. Ei, hätten's die Tyroler auch so gemacht, der Kaiser hätte Brod schaffen müssen; die machten's aber wie der Schäfer, der blieb verdattert auf dem Berge stehen und sah seine Heerde davoneilen; „Du kannst tausend Dumm- heiten in einen kleinen Raum einpferchen, wie der Schä- fer die Heerde,“ sagte der Bruder Franz, da er mich mit der nachgeeilten Heerde angekommen sah. Bis alles sich reisefertig gemacht hatte, ging ich in den Kuhställen umher. Das Gehöfte ist unendlich groß- man könnte ein Vorwerk drin anlegen, sie rufen von der entferntesten Scheune zur andern mit einem Sprach- rohr. Der Kuhstall inmitten bildet ein Amphitheater, ein Halbkreis von spiegelglatten Kühen, an jedem Ende durch einen Bullen abgeschlossen. An dem Ende, wo ich eintrat, ist der Ochs so freundlich, zärtlich, daß er jeden, der ihm nahe kommt, mit der Zunge zu erreichen sucht, um ihn zu belecken; er muhte mich an in hohem Ton, ich wollte ihn nicht vergeblich bitten lassen, mußte mein Gesicht von seiner schaumigen Zunge belecken las- sen; das schmeckte ihm so gut, er konnte nicht fertig werden, er verkleisterte mir alle Locken, die Deine Hand immer in so schöne Ordnung streichelt. — Jetzt beschreib' ich Dir die Burg, aber flüchtig, denn wo ich nicht in Worten liebkosen kann, da verweile ich nicht lange. — Sie ist besser erhalten wie alle andern, auch selbst die Gelnhäuser ist lange nicht so ganz mehr, und ich begreife nicht, daß man keine Rücksicht darauf nimmt. Sie gehörte ehmals den Herren von Gries- heim, jetzt ist sie an die Grafen Stollberg gefallen. — Die Die Burg ist in ihrem Hauptgemäuer noch erhalten, nur innen ist manches eingestürzt, der Söller ist noch ganz, auf diesem kann man rund um die Burg gehen. Nach allen Seiten sieht man in's Fruchtland, das in der Weite wieder an andern Burgruinen hinaufsteigt. So blüht und reift der ewige Segen zwischen Gräbern und verlassnem Gemäuer, und der Mensch braucht nur sich einzufinden, so ist Er auch da, und umwandelt und umkleidet ihn. Die Sonne schmeichelt's dem lieben Herr- gott ab, daß er seinen Menschenkindern hundertfältige Ähren reifen läßt; die Sonne und der Gott liebkosen einander, und dabei haben die Menschen gutes Spiel, und wer liebt, der stimmt ein in die Liebe Gottes, und durch ihn und in ihm reift auch der göttliche Segen. In der Kapelle stehen noch etliche Säulen mit ih- ren gothischen Capitälen; etliche liegen an der Erde, aber noch ganz erhalten, eins, was ich nur unvollkom- men Dir hier abzeichne. Die Mondessichel hebt das Wappen in die Luft und bildet so das Capital, unter ihr zwei Drachen, die sich verschlingen. Die Leute sa- gen, sie haben goldne Schaumünzen im Rachen gehabt, so sind sie in einer alten Chronik verzeichnet. Ein an- deres ist noch viel schöner; ich wollt' es auch abzeich- nen, aber es war so kalt und feucht da unten, Rosen, Tagebuch. 8 wunderschön in Stein gehauen, bilden einen Kranz, Schlangen winden sich durch und strecken ihre gekrönte Köpfchen aus, und bilden so einen zweiten Kranz; es ist gar zu schön, hätt' ich's mitnehmen können, ich hätte Dir's gebracht! Während ich's durchzeichnen wollte, kam eine kleine Schlange unter dem Gras hervor, und richtete sich vor mir auf, als wollte sie zusehen, wie ich das Bild ihrer Ahnen nachzeichnete, und das erschreckte mich in der Einsamkeit, so daß ich mit einem Schauder davon eilte. In dem äußeren Burgthor sind noch die Thüran- geln, über dem innersten Burgthor auf dem Söller ist ein Steinheerd mit einer kleinen Brandmauer umgeben, die wie eine Nische gebildet ist. Da haben sie das Pech glühend gemacht und durch ein Loch über der Mitte des Thores durchgegossen; alles wurde betrachtet, beach- tet, erklärt, zurecht gerückt, noch manches blieb uner- klärt, die Verwundrung über vorige Zeiten, und daß sie mit ihren Resten noch so derb in unsre hineinreichte, machte uns zu einfältigen Leuten; ja mir ward angst, diese alte grobknochige Zeit könne plötzlich über den Augenblick der Gegenwart kommen und ihn verschlin- gen. O Goethe, mir ist nur eins wichtig, mein Dasein in Dir! und nach diesem komme das End' aller Dinge. Soll ich Dich denn noch weiter mitnehmen auf meinen St r eifzügen, oder ist's genug der eingefallnen Mauern, der Wildniß, die alles überwuchert, des Epheu's, der aus dem kalten Boden hervorsprießt, unermüdlich hinaufklettert an der öden Mauer, bis er die Sonne erblickt, und dann gleich wieder hinabsteigt, mit weit reichenden Ranken nach der feuchten, düsteren Tiefe ver- langt. Gestern war der Himmel blau, heute rubinfarb und smaragden, und dort im Westen, wo er die Erde deckt, jagt er das Licht im Safrangewand vor sich her aus der Schlafstätte. Einen Augenblick kann sich die sehnende Liebe ergötzen daran, daß die ganze Natur schlummernd saugt; ja ich fühl's: wenn die Nacht ein- bricht, daß jedes Wurzelchen trinkt, in jedem liegt Be- gierde, Sehnsucht nach Nahrung, und diese Anziehungs- kraft zwingt die Erde, die ihre Nahrung nicht versagt, jedem lebenden Keim; und so liegt in jedem Blumen- haupt schwärmende Begeistrung, die aus dem Licht der Sterne Träume herabzieht, die es umweben; geh über einen Wiesenteppich in stiller sternenflimmernder Nacht, da wirst Du, wenn Du Dich herabbeugst zur Flur, die Millionen Traumbilder gewahr werden, die da wim- meln, wo eins oft vom andern Eigenheiten, Farben und Stimmungen entlehnt; da wirst Du es fühlen, daß 8* diese Traumwelt sich hinauf schwingt in den Busen des Beschauenden und in Deinem Geist sich als Offenbarung spiegelt; ja die schöne Blume des Gedankens hat eine Wurzel, die saugt aus dem warmen, verborgnen Boden der Sinne ihre Nahrung, und steigt aufwärts zum gött- lichen Licht, dem sie ihr Auge öffnet und es trinkt und ihm ihren Duft zuströmt; ja die Geistesblume ersehnt sich die Natur und die Gottheit, wie jede Erdenblume. Bruchstücke aus Briefen in Goethes Gartenhaus geschrieben. Anno 18 Ich habe Dich heute nur wenig Augenblicke gesehen und mir deucht das ganze Leben gehöre dazu um Dir alles zu sagen. Musik und Kunst und Sprache alles möcht ich beherrschen um mich drinn auszusprechen. Ich sehne mich nach Offenbarung; Du bist's! — Nach Deinem Innern strebt die Liebe sie will sich in seinen Tiefen empfinden. Deine Gegenwart erschüttert mich weil ich die Mög- lichkeit empfinde Dir eine Ahnung meiner Sehnsucht zu geben. Deine Nähe verändert alles äußerlich und innerlich, daß der Athem, den Du aushauchst, sich mit der Luft mische die auch meine Brust trinkt, das macht sie zum Element einer höheren Welt; so die Wände, die Dich umfassen sind magnetisch; der Spiegel, der Dein Bild aufnimmt, die Lichtstrahlen, die an Dir hinstreifen, Dein Sitz, alles hat eine Magie; Du bist weg, aber diese bleibt und vertritt Deine Stelle, ich lege mich an die Erde wo Deine Füße standen, an diesem Fleck und an keinem andern ist mir wohl. — Ist das Einbildung? — Thränen fühl' ich in der Brust Deiner so zu denken, wie ich jetzt denke und diese Wehmuth ist mir Wollust, ich fühle mich in ihr erhoben über's ganze Erdenleben, und das ist meine Religion. — Gewiß! der Geliebte ist das Element meines zukünftigen Lebens aus dem es sich erzeugt und in dem es lebt und sich nährt. — O hätte ich Geist! — hätt' ich den , was für Geheimnisse wollt' ich Dir mittheilen! Offenbarung ist das einzige Bedürfniß des Geistes, denn das höchste ist allemal das einzigste Bedürfniß. Geist kann nur durch Offenbarung berührt werden, oder vielmehr: alles wird zur Offenbarung an ihm. So muß sich der Geist sein Paradies begründen. — Nichts außer dem Geist. — Himmel und Seeligkeit in ihm. — Wie hoch steigt Begeistrung bis sie zum Him- mel sich steigert! Wenn das ganze Leben des Geistes Element wird, so hat er Gewalt über den Himmel. Der Schlüssel zum höheren Leben ist die Liebe, sie bereitet vor zur Freiheit. — Freiheit ist Geisterleben. Denken ist Inspiration der Freiheit. — Der hat Geist, oder ist geistig, der mit sich selbst zusammen kommt. Inspiration dringt darauf, daß der Mensch zu sich selbst komme. — Wenn Du mich begei- sterst so forderst Du Dich selber von mir und meine Begeistrung geht darauf aus, Dich Dir selber zu geben. — Wahre Liebe giebt den Geliebten sich selber. — Wie wahr ist dies, da ich Dich nur denken kann und doch Dir alles geben muß. Was ist Lieben? — Der Wächter auf der Zinne ruft die nahe Morgenstunde. Der regsame Geist ahn- det schlummernd den Tag, er bricht aus seiner Traum- welt hervor, und der junge Tag umfängt ihn mit sei- nem Licht, — und das ist die Gewalt der Liebe, daß alles Wirklichkeit ist was vorher Traum war, und daß ein göttlicher Geist dem in der Liebe Erwachten das Le- ben erleuchte wie der junge Tag dem aus der Traum- welt Erwachten. Liebe ist Erkenntniß, und der ist Besitz. Liegt der Saame in der Erde so bedarf er der Erde. Nun er zum Leben angeregt ist müßte er sterben wenn er ihr entnommen würde. In der Erde erst wandelt sich der Saame um ins Leben, und die Erde wird erst Geist im Saamen. — Wenn Du liebst dringst Du ans Licht wie der Saame, der in der Erde verborgen war. — Warum verbirgt die Natur den Saamen im Schooß der Erde eh sie sein Leben an's Licht entläßt? — Auch das Leben liegt im geheimen Schooß des Geistes ver- borgen, ehe es als Liebe an's Licht dringt. — Der Bo- den aus dem die Liebe entsteigt ist Geheimniß. Geheimniß ist Instinkt der Phantasie; wessen Geist diesen Instinkt hat, der hat den befruchtenden Boden für den Saamen der Liebe. — Phantasie ist die freie Kunst der Wahrheit. Und hier wär' ein gewaltiges mitzutheilen, wenn die Müdigkeit mich nicht überwältigte; es muß mir ge- nügen, daß ich's empfinde, wie die Phantasie die Ver- mittlerin ist zwischen der himmlischen Weisheit und dem irdischen Geist. Jeder Gedanke hat Flügel und fliegt zu dem, der ihn eingiebt; jeder Athemzug, ein Gedanke der zum Ge- liebten fliegt, nur was liebt, ist Gedanke und fliegt. — Ja Gedanken sind geistige Vögel. Wenn ich nicht im Bett wär', so schrieb ich noch mehr, aber so zieht mich das Kopfkissen nieder. In Deinem Garten ist's so schön! Alle meine Ge- danken sind Bienen, sie kommen aus Deinem duftenden Garten zum Fenster hereingeflogen, das ich mir geöffnet habe und setzen da ihren Honig ab, den sie in Deinem blüthenreichen Garten gesammelt haben. — Und so spät es ist, nach Mitternacht schon, so kommen sie doch noch einzeln und umsummen mich und wecken mich aus dem Schlaf; und die Bienen Deines Gartens und die Bienen Deines Geistes summen unter einander. Liebe ist Erkenntniß, Schönheit ist das Geheimniß ihrer Erkenntniß, und so tief ist dies Geheimniß, daß es sich keinem mittheilt als nur dem Liebenden. Glaub's nur! keiner besitzt das Geheimniß von Dir wie ich es besitze, das heißt: keiner liebt Dich wie ich Dich liebe. Wieder ein Bienchen! — Deine Schönheit ist Dein Leben — es wollte noch mehr summen, aber der Wind jagte es wieder zum Fenster hinaus. — Daß ich in Deinem Garten schlafe eine Nacht, das ist wohl ein groß Ereigniß. — Du hast oft hier herrliche Stunden verlebt, allein, und mit Freunden; und nun bin ich al- lein hier und denke dem allen nach, und seh im Geist dem allen zu. Ach und wie ich heute, eh ich in's stille verlassene Haus eintrat, noch den Berg hinaufging zum obersten Baum, der so mit mannigfachem Grün um- wachsen ist, das all von Deiner Hand geleitet wurde, der seine Äste schützend über den Stein verbreitet, in den die Weihe der Erinnerung eingegraben ist! — Dort oben stand ich ganz allein, ein wenig Mondlicht stahl sich durch den Baum, ich fühlte an der Rinde des Bau- mes nach den eingeschnittenen Buchstaben. Ach gute Nacht. — Stehle ich dem Schlaf noch länger die Träume, so werden meine Gedanken Schäume. Da oben sah ich Dein Haus erleuchtet. Ich dachte: wenn Du bei diesem Licht meiner harrtest, und ich käm herab den frischen Mondscheinweg mit so wohl vorbe- reitetem Herzen, und ich träte ein bei Dir, wie freund- lich Du mich aufnehmen würdest. Bis ich herab kam hatte mir meine Einbildungskraft weis gemacht es könne möglich sein, daß Du da seist, und obschon ich wußte, daß dies Licht allein in meiner Kammer brenne, denn 8** ich hatte es ja selber angezündet, so öffnete ich doch mit Zagen die Thür; und wie ich diese stille Einsamkeit ge- wahrte, auf dem Tisch die getrockneten Pflanzen, und an den Wänden die Steine und die Muscheln, und die Schmetterlinge, und das erhabene Dunkel was mit den Strahlen der Lampe spielte: und wie ich da eintrat da blieb ich am Thürpfosten angelehnt stehen und holte erst Athem. Und nun lieg' ich in diesem Bettchen zum Schla- fen, es ist hart das Bett, ein einziger Strohsack und eine wollne Decke drüber, und zum Zudecken eine graue Decke mit bunten Blumen, und kein Mensch weiß, daß ich die Nacht hier zubringe als nur Du. Irdische Jugend ist bewußtlos, sie steigt aus ihrer Knospe, ihre Entfaltung ist ihr Ziel. Bewußtsein der Jugend ist schon über sinnliche Jugend. In Dir bin ich meiner Jugend bewußt. Ich sehe sie alle die goldne Tage, die ich in Dir verlebte, gekrönt ein jeder mit wunderbaren Blüthen. Stolz erhaben ein- her schreitend feurigen raschen Geistes; unberührt, keusch, vor der Gemeinheit sich flüchtend, in höhere Regionen; ein milder Schimmer durchglänzt sie, es ist der Abend- schein Deines Lebens. Ach und der heutige Tag ist auch ein solcher, er schließt sich an die Reihe der verflossenen an: majestäti s ch! triumphirend! obzwar ich allein bin hier im verlassenen Haus, ohne Einrichtung mich zu empfan- gen, hier sind noch die Spuren des vergangenen Winters. Der Geist taucht unter in der Jugend als in einem Meer. Jugend wird sein Element, in ihm wird der Geist zur Liebe. Jugend bereitet den Geist vor zur Ewigkeit, die ewige Jugend ist. Ich glaub' an Deine Gegenwart in diesem einsa- men Gemach, ich glaub', daß Du mich hörst, mich empfin- dest; ich spreche mit Dir. Du fragst, ich antworte Dir. Jeder strebt nach Jugend, weil das Bedürfniß des Geistes Entwicklung in der Liebe ist. Nachdem ich schon ein Weilchen geschlafen habe: Nichts ist dem Genius neu, alles ist ihm Element. In der Liebe ist einer dem andern Genius und wird ei- ner dem andern Element. Du bist mir Element und ich kann die Flügel re- gen in Dir, und das ist das einzige Erkennen, das ein- zige Empfinden, das einzige Haben. Und Du magst Dich tausendfach aus Dir heraus- sehnen, nie wirst Du Dich selbst finden als indem Du Dich in einen andern ergießest; nie wirst Du im Andern sein, als wenn er in Dir ist. Denken sieht und berührt es ist innigste Berührung mit dem Geist des Bedachten. Wenn der Geist zur Musik wird dann wird Philo- sophie zur Empfindung. Schon hundertmal hab ich mich in die graue Decke eingehüllt, und wollte ich schlafen so muß ich die Hand ausstrecken um eine Zeile zu schreiben. Wenn es wahr ist, daß es eine Magie des Lebens giebt, die vermöge der Selbsterleuchtung sich erzeugt, wer wollte dann außer ihren Kreisen stehen. Gute Nacht! — zu Deinen Füßen verschlaf ich sie. Ja ich will glauben, daß Du da bist, und will keine Hand nach Dir ausstrecken, damit ich Dich nicht verscheuche, und doch berührst Du mich, die Luft verän- dert sich, der Schimmer der Lampe, die Schatten, alles gewinnt Bedeutnng . Am 28. August. Den übergehen wir mit Stillschweigen. Du bist mir von Ewigkeit her. Wer wollte läugnen, daß die Sterne uns regieren. Du warst ihrem Einfluß willig, und so haben sie Dich zu sich erhoben, ich weiß alles: heimlich regieren sie Dich auch daß Du mir geneigt bist. Ich seh's an Deinem Blick Du bist mit mir zufrieden. Du sagst nichts, Du schließest Deine Lippen so fest als habest Du Furcht sie mögen gegen Deinen Willen plau- dern. Goethe! es ist mir genügend was Dein Blick sagt, auch wenn er nicht auf mir weilt. Gestern wie ich hinter Dir stand und mit dem Papier rauschte, da sahst Du Dich um, ich merkte es wohl; ich ging leise hinaus und schob die Thür nicht ganz zu, da sah ich Dich rasch den Brief ergreifen, dann ging ich weg, ich wollte Dich nicht länger belauschen, mich überlief ein leises Frösteln wie ich mir vorstellte, daß Du jetzt lesen werdest was ich zu Dir gedacht hatte in letzter Mitter- nacht. — Wie seelig Goethe! — denken: jetzt nimmt er diese Schmeicheleien auf, jetzt spricht sein Geist freund- lich nach was ich für ihn erdacht habe. Es ist schön was ich Dir sage, es sind die Liebesgeister, die mit Dir sprechen, sie umkreisen jubelnd Dein Haupt. Weißt Du wie ich Dich mir denke heute an Dei- nem Geburts-Tag? — Am Meeresstrand, auf goldnem Thronsessel im weißen wollnen Gewand, den Purpur untergebreitet; in der Ferne die weißen Segel auf ho- her See geschwellt vom Wind rasch an einander vor- überfliehend, und Du ruhend im Morgenlicht gekrönt mit heiligem Laub, mich aber seh ich zu Deinen Füßen mit der reinen Fluth, die ich am Meer geschöpft, um sie zu waschen. — So denk' ich mich zu Deinem Dienst in tausend Bildern, und es ist als sei dies die Reife meines Daseins. Hast Du schon in die untergehende Sonne gesehen, wenn sie schon milder leuchtet, so daß ein scharfes Aug' von ihrem Glanz nicht mehr geblendet wird? — hast Du da schon gesehen wie sich ihr eigen Bild von ihr ablöst, und vor ihr am Horizont niedertaucht in die rothe Fluth, und nach diesem Bild immer wieder ein an- deres in leisen Brechungen der Strahlen immer wieder anders färbt? — Meine Seele, wenn der gewaltige Glanz Deiner vollen Erscheinung nicht mehr so stark blendet, und die Ferne sanfte Schleier über Dich webt, sieht solche Bilder, die eins nach dem andern von Dir ab- strahlen, sie tauchen alle unter in meiner Begeistrung wie im Feuerschooß der Natur, und ich kann mich nicht sättigen in dieser schönen Fülle. Den 3. September. So müde wie ich war am späten Abend, so fest wie ich schlief am frühen Morgen hab' ich drei Tage nicht geschrieben. Du hast nicht nach mir gefragt in dieser Zeit, und heut am Abend bin ich zum erstenmal hinausgegangen, und überlege hier auf der Bank, daß Du mich vergißt. Die Vögel sind schon gewohnt, daß ich hier sitze unbeweglich still. — Wie ist's doch so wun- derlich hier im fremden Land! — hierher bin ich gekom- men an den verlassenen Ort um tief in mich selbst zu versinken. Da seh ich Bilder, Erinnerungen früherer Tage, die sich an den heutigen anschließen. Heute wie sie in der frühen Morgenstunde vor dem römischen Haus Musik machten, und wie der Herzog hervortrat und die großen Hunde ungeduldig den Menschen zuvor eilten und ihm an den Hals sprangen, das kam mir so feierlich vor wie er sich freundlich ihren ungestümen Liebkosungen preiß gab, und über sie hinaus dem Volk winkte, das ihn mit Jauchzen begrüßte. Da theiltest Du plötzlich die Menge, das Vivat verdoppelte sich bei Deiner Erscheinung; die beiden hohen Freunde mit ein- ander auf- und abschreiten zu sehen, hoch an Geist und Milde, das war dem Volk ein heilig Schauspiel, und sie sagten alle: welch seltnes Paar! — Und viel Schönes wurde von Euch gesprochen, jede Eurer Bewegungen wurde beachtet: Er lächelt, er wendet sich, der Herzog stützt sich auf ihn! sie reichen einander die Hände! jetzt lassen sie sich nieder ! — so wieder- holte das Volk mit heiligem Schauer alles was zwischen Euch beiden vorging. Ach mit Recht, denn aus Euer beider vereinten Liebe ging sein Glück hervor, das wissen sie alle, und wie Ihr lange mit einander Rede führtet da harrte die Menge schweigend, als ob der Seegen von Jahr- hunderten auf es herabgerufen werde. Ich auch Goethe! — ich glaub dran, daß Euch beiden als Wesen höherer Geschlechter Macht gegeben ist Segen für die Zukunst zu versichern, denn in des Herzogs Brust ist die Milde schon lange als Frucht gereift, das hast Du selbst ge- sagt und Dein Geist strömt Licht aus, Licht der Weis- heit, die Gnade ist und alles gedeihen macht. Als Du weg warst da lies der Herzog mich rufen, er fragte ob Du mich gesehen und begrüßt habest, das mußte ich verneinen, denn Du hattest mich ja über- sehen. Erinnerst Du Dich noch an jenen Geburtstag? — am Abend wo ich hinter dem Pfeiler stand, Du suchtest mich mit dem Blick, und fandst mich auch, ach wie durchglühte das mein Herz, wie ich Dein Spähen be- lauschte, da reichtest Du mir Dein Glas, daß ich draus trinken sollte, und keiner merkte es in der Menge. — Heute bin ich allein, viele Tage sind seit dem vergan- gen, dort liegt Dein Haus, ich könnte zu Dir gehen und Dich von Angesicht zu Angesicht sehen, doch zieh' ich's vor hier allein in Deinem Garten Dich zu beschwö- ren: o hilf mir Dich denken, Dich empfinden; mein Glaube ist mein Zauberstab, durch ihn erschaff ich meine Welt außer welcher mir alles fremd ist, und ich hege keine Zweifel, daß ich nur in ihr wirklich lebe. Mein Denken ist wunderthätig: ich spreche mit Dir, ich seh in Dich hinein, mein Gebet ist, daß ich meinen Willen stärke, Dich zu denken. In Goethes Garten. Die ganze Welt umher beleuchtet von einer Sonne! Du in mir allein beleuchtet, alles andre im Dunkel. Wie das die Liebe entflammt, wenn das Licht nur auf einen Gegenstand fällt. Das waren Deine Worte gestern: ich solle schreiben und wenn es Folianten wären es sei Dir nicht zu viel. Ach und Du weißt doch, daß meine Sprache nur einen kleinen Umfang an Kenntniß hat. Daß ich zwar glaube jedesmal neu zu empfinden was ich Dir zu sagen habe, aber doch ist es ewig dasselbe. Und Dir? ist es Dir nicht zu viel? — ich hab's versucht, wie ein Maulwurf mich durch's eigne Herz gewühlt, und habe gehofft ei- nen Schatz zu entdecken, der im Dunkeln leuchte, den wollte ich Dir herauf bringen, aber vergeblich! — Es sind keine gewaltigen Dinge, die ich Dir zu sagen habe, es ist Nichts als nur lieblich zu gestehen, und unwider- stehlich dieses Nichts. Liebkosungen bestehen ja in der Mittheilung. — Wenn Du am Bach ruhst unter duf- tigen Kräutern und die Libelle mit ihren krystallnen Augen läßt sich auf Dir nieder, sie fächelt Deine Lip- pen mit ihren Flügeln, wirst Du ihre böse? — Wenn ein kleiner Käfer an Deinem Gewand hinaufklettert und endlich sich im Busen verirrt, nennst Du das allzu keck? — das kleine Thierchen so unbekannt mit dem schlagenden Herzen unter seinen Füßchen? — und ich! bekannt mit diesem erhöhten Takt Deiner Gefühle, bin ich zu tadeln, daß ich mich Dir an's Herz dränge? — Siehst Du! das ist alles was ich Dir zu sagen habe. — Der Abendwind eilt flüchtig über die Gräser bis zu mir herab, die ich am Fuß des Hügels sitze und daran denke, wie ich Dir diese Folianten ausfüllen soll. Denk' ich an Dich so mag ich nicht am Boden weilen. Gleich regt Psyche die Flügel, sie fühlt die irdische Schwere, fühlt sich befangen in manchem was nicht zu ihrem himmlischen Beruf gehört, das macht Schmerz, das macht wehmüthig. Das Licht der Weisheit leuchtet nur in uns selbst. Was nicht innere Offenbarung ist wird nie Früchte der Erkenntniß tragen. Die Seele kommt sich selber ent- gegen in der Liebe, sie findet sich und nimmt sich auf im Geliebten; so finde ich mich in Dir. Was kann mir beglückenderes widerfahren? — Und ist es ein Wun- der, daß ich Deine Kniee umfasse? — Ich möchte Dir alles mittheilen was ich von Dir lerne. — Wenn der Geist wäre, was das Wort wiederholen kann, so hätte der Begriff einen kleinen Umfang. Es ist noch was anders Geist als was in dem Netz der Sprache gefan- gen wird. Geist ist das alles in sich verwandelnde Le- ben; auch die Liebe muß Geist werden. Mein Geist ist fortwährend geschäftig diese Liebe in sich umzusetzen, daraus wird und muß mein unsterblich Leben hervor- gehen oder ich geh unter. — Die Sonne geht unter, ihr Purpurzelt breitet sich über Deinen Garten, ich sitze hier allein und übersehe die Wege, die Du durch diese Auen geleitet hast, alle sind verlassen, nirgend wandelt einer. — so einsam ist's, so ganz bis in die Ferne, und so lange schon hab' ich. darauf gewartet alles soll schweigen, dann wollt' ich ich mich besinnen und mit Dir sprechen — und jetzt fühl ich mich so verzagt in der allmächtigen Stille. — Den Vogel im Busch hab' ich verscheucht, die Glockenblumen schlafen. Der Mond und der Abendstern winken ein- ander, wo soll ich mich hinwenden? der Baum in dessen Rinde Du manchen Namen eingeschnitten hast den hab ich verlassen und bin herab gegangen zur Hausthür und hab die Stirne auf das Schloß gelegt, das Deine Hand wie oft aufgedrückt, und hast mit Freu n den da gesessen und auch einsame Stunden verbracht. Du allein mit Deinem Genius hast's nicht gefühlt das schauervolle der Einsamkeit, glorreich triumphirend im Wettgefühl der Empfindung und Begeistrung gingen sie vorüber diese stillen Abende. O Goethe, was denkst Du von meiner Liebe? — die so ewig an Dich heran braus't wie die Fluth an's Ufer, und möchte mit Dir sprechen und kann nichts sagen, als nur seufzen. Ja! sage doch: was meinst Du das diese Liebe will? — ich selber erstaune oft, wie erwachend aus dem Traum, daß dieser Traum herrsche über mich. Aber bald beuge ich mich wieder unter das Schattendach seiner Wölbungen, und schmiege mich seinem Flüstern, und lasse die Sinne bewältigen durch das Flügelrauschen unbekannter Geister. — Gött- lich will ich sein! göttlich und groß wie Du, frei über den Menschen nur in Deinem Lichte, stehend, nur von Dir verstanden. Pfeile will ich senden: Gedanken, Dich sol- len sie treffen und keinen andern, Du sollst ihre Schärfe prüfen und in diesem heimlichen Verkehr sollen meine Sinne gedeihen, sie sollen herzhaft sein, gesund, rasch, freudig, ewig aufwärts nicht sinkend die Lebensgeister ihrem Erzeuger zuströmend. Es ist Nacht, ich schreib beim Sternenlicht. — Weis- heit ist wie ein Baum, der seine Äste durch das ganze Firmament verbereitet , die goldnen Früchte, die ihr Ge- zweig zieren sind Sterne. Wenn nun eine Begierde sich regt, die die Früchte vom Baum der Weisheit ge- nießen möchte? wie komme ich dazu diese goldnen Früchte zu erlangen? — Die Sterne sind Welten sagt man: ist der Kuß nicht auch eine Welt? — und ist der Stern größer Deinem Auge als der Umfang eines Kusses? — und ist der Kuß geringer Deinem Gefühl als das Um- fassen einer Welt? — Drum: — die Weisheit ist Liebe! und ihre Früchte sind Welten, und der täuscht sich nicht, der im Kuß eine Welt empfindet, ihm ist eine reife Frucht, ein an dem Lichte der Weisheit gereifter Stern in den Busen gesunken. — Der aber Freund! — der von solcher Himmelskost genährt wird, zählt er noch für vollgültig unter den Menschen? — Ich gehe nun schlafen, die Stille der Nacht, die heimliche Zeit verwendet Psyche um zu Dir zu dringen. Oft führt sie der Traum zu Dir, sie findet Dich viel- leicht, durchkreuzt von tausend Gedanken, deren keiner ihrer erwähnt. Doch sie senkt die Flügel und küßt den Staub Deiner Füße bis Dein Blick sich ihr neigt. Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt! Hinab in's Thal, mit Rasen sanft begleitet, Vom Weg durchzogen, der hinüber leitet, Das weiße Haus inmitten aufgestellt, Was ist's worin sich hier der Sinn gefällt? — Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt! Erstieg ich auch der Länder steilste Höhen, Von wo ich könnt' die Schiffe fahren sehen Und Städte fern und nah von Bergen stolz umstellt, Nichts ist's was mir den Blick gefesselt hält. Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt! Und könnt' ich Paradiese überschauen, Ich sehnte mich zurück nach jenen Auen Wo Deines Daches Zinne meinem Blick sich stellt, Denn der allein umgrenzet meine Welt. Gereimt und ungereimt sag' ich Dir dasselbe, und Du ermüdest nicht mich anzuhören. Ich sitze hier auf der Bank in der Dämmerung wo der sinkende Tag vom aufgehenden Mond noch das Licht borgt', und freue mich meine Welt im Zwielicht zu überschauen. Vor wenig Minuten lag alles noch im Sonnenglanz, da war ich unruhig ob ich bleiben oder gehen solle. Jetzt, seit der Mond gestiegen ist weiß ich, daß ich bleibe, in seinem Licht erkenn ich meine Welt , seine Strah- len ziehen mich in ihren Zauberkreis, und was ich auch Unglaubliches für wahr halte, das verneint er nicht wie das Sonnenlicht. Er schmiegt sich schmeichelnd in den Schooß der Thäler, und ich fühle deutlich wie sie ihn liebt, die Natur, und wie er ihr geneigt ist, der Mond. Wär' ich Dir, was die ganze Natur dem Mond ist, der Leben erregend in ihren Pulsen spielt, der leise Lüfte als Boten aussendet, der die samenbeflockten Schwingen des Abendwindes niederbannt in's thauige Gras und seinem befruchtenden Licht ihre Kraft aufregt: dann wär' mein ganzes Sein ein Empfängniß Deiner Schönheit. So viel Blüthen sich ihm erschließen, so viel Schmeichelreden Dir von meinen Lippen fließen, so viel Thautropfen in seinem Licht glänzen, so viel Thrä- nen der Lust sich sammeln unter dem Einfluß Deines Geistes. Ich danke Dir, daß Du gekommen bist, es war so grau und trüb', ich sah mich in der weiten Ferne um, und dachte schon es würde mich überkommen wie das Wetter, wo sparsame Thränen aus den Wolken träu- felten und der Himmel schwer und traurig war und viel düsterer aussah als wenn es noch so sehr geregnet hätte. — Da kamst Du. — Du hast nichts gesagt vom Abschied, und hast mich beschämt, denn ich hatte es auf der Zunge zu klagen, ja es war schöner so, daß wir nicht Abschied nahmen; — wir beide nicht. — Wie hab ich diese Zeit verbracht? — gar zu glücklich! — das Ge- fühl Deiner Nähe hat jeden Athemzug beseeligt, das nenne ich mir himmlische Luft, — und Du? — hab' ich Dir auch nicht mißfallen? — Ach beschäme mich nicht, nicht, vergesse was Dir nicht zusagte, wenn ich manch- mal zu heftig war, und Deine leisen Winke nicht ver- stand. Meine leidenschaftlichen Stimmungen sind ohne Ansprüche, sie sind wie Musik, auch die verlangt keinen irdischen Besitz, aber sie stimmt den Geist, der ihr Ge- hör giebt zum Mitgefühl, zur Nachempfindung, ja klings in Deinen Ohren, in Deinem Herzen noch eine Weile nach, alles was ich Dir sagen durfte. Leidenschaft ist Musik, ein Werk höchster Mächte, nicht außer sondern tief in uns, sie führt uns mit dem idealischen Ich zu- sammen, um dessentwillen der Geist in den Leib ge- boren ist: dies Ich, das allein Leidenschaft entzünden sie gestalten und bilden kann. Der Mensch wird von der Begeistrung erzogen, das ganze irdische Leben ver- hält sich dann zu diesem Geistigen wie der Boden zum Fruchtkorn, das aus ihm emporsteigt um tausendfältig zu tragen. Nur die Ewigkeit giebt Wirklichkeit, denn was ein- mal zu Grunde geht, mags gleich zu Grunde gehn, ob heute oder morgen, das ist einerlei; aber die Liebe trägt alles zum himmlischen Reich, sie ist allumfassend all- durchdringend wie die Sonne, und doch bildet sie jeden geistigen Reiz zu einem in sich abgeschlossnen sich selber anheim gegebenen Eigenthum, sie bewegt den Geist daß Tagebuch. 9 er ganz eigenthümlich das Eigenthümliche fasse. So macht's die Liebe mit mir, in Dir werd' ich meines Gei- stes mächtig, — und Du? — das leuchtende Grün was der Baum in erneuter Frühlingskraft hervortreibt, das giebt Zeugniß, daß die Sonne ihm in's Mark dringt. — Und Du bist erfrischt durch diese Liebe, nicht wahr? — Wer Dich mit leiblichen Augen sieht und sieht Dich nicht durch die Liebe, der sieht Dich nicht, Du erscheinst nur durch sie dem liebenden beschwörenden Geist. Je feuriger, je kräftiger die Beschwörung, je herrlicher Deine Erscheinung, je mächtiger Deine Einwirkung. Lieber Freund! meiner Beschwörung hast Du Dich aufs innigste vergegenwärtigt, ich habe Dich in jedem Gedanken als in einem magischen Kreis umfaßt, und der Inhalt mag sein, welcher er wolle, Du durchwaltest ihn, und wohnst in jeder Gestalt, die mein Geist ausspricht. — Es ist wahr, Zauber ist Zauber, er hebt sich in sich selber auf, und darum läugnen sie seine Wirklichkeit, sie glauben: nur was sinnlichen Leib habe sei wirklich, und ihnen muß Verstand nur als sinnlicher Boden gel- ten. Das Werk Gottes aber ist Magie, die Liebe in unserer Brust, die Unsterblichkeit, die Freiheit, sind ma- gische Erzeugnisse Gottes, sie werden nur durch die Kraft seiner Beschwörung in uns erhalten, sein Hauch ist ihr Leben, sie sind unser Element und in diesem verewigen wir uns, und ob auch Zauber in's Nichts verschwinden könnte, wie leicht! — so ist er doch die einzige Basis der Wirklichkeit, denn er ist Wirkung des göttlichen Geistes. Das Geborenwerden der göttlichen Natur in's ir- dische Leben, und sein Sterben im vorbereiteten Schmerz, ist magische Beschwörungsformel. Schmerz liegt in der Natur als der mächtige Über- gang aus dem Nichts in's magische Leben. Leben ist Schmerz, aber da wir nur soviel Leben haben als unser Geist verträgt, so empfinden wir diesen Schmerz gleichgültig, wär unser Geist stark, so wär der stärkste Schmerz die höchste Wollust. In meiner Liebe, sei's Abschied oder Willkomm, schwankt mein Geist immer zwischen Lust und Schmerz, denn Du machst meinen Geist stark und doch kann er's kaum ertragen. Übergehen in's Göttliche ist immer schmerzlich, aber es ist leben. Jedes Aneignen im Geist ist schmerzlich, alles was wir erlernen, erkennen, macht uns Schmerz im Erwerben, so wie es in uns übergegangen ist so hat es unsern Geist erhöht, und befähigt dies Leben kräftiger zu fas- sen, und was uns früher weh that, das wird jetzt Genuß. 9* Die Kunst ist auch Magie, sie beschwört auch den Geist in eine erhöhte sichtbare Erscheinung, und der Geist geht auch über die Schmerzensbrücke bis innerhalb des magischen Kreises. Genie ist der vorgreifende, wollustahnende, durstende Instinkt, sein Trieb überwindet das schmerzliche Zagen und reizt den Geist zu ewig neuer Energie. — Je lei- denschaftlicher der Genius im Menschen, jemehr wird ihm Seeligkeit Bedürfniß, je gewaltiger überwindet er, je gewisser ist er seiner Befriedigung; — dies bejahest Du mir. — Ich stehe in meiner Liebe zu Dir zwischen diesem Schmerz und dieser genialischen Begierde, die Trägheit meines Geistes zu überwinden und Beseeligung zu empfinden. Manchmal fühlt sich der Geist ganz verlassen, und ein Nichts nimmt die Stelle dieser enthu- siastischen Begeistrung ein, und alles ist verschwunden. Aber wie könnte ich mir dies gefallen lassen. Nein, Du mußt Dich v erzaubern lassen. Wenn Gott mich aus dem Nichts hervorberufen hat, wenn er mein Wesen gebildet hat als reinen Anspruch an die Seeligkeit, so erwerb ich diese in der Magie der Liebe; und aus Bedürfniß, aus göttlich eingeprägter Sehnsucht nach dem Schönen, erhebt der Genius immer wieder die ermüdeten Flügel und hält treu und fest dies Herz zu Deiner Wohnung und die Seele Dich zu empfinden, und den Geist Dich zu fassen und zu bekennen, alles wie Du bist in Deiner innern Wesenheit. Und wenn dies alles wahr ist was ich hier sage, und wir werden einst uns wiedersehen in einem höheren Leben, dann denke, daß mein Genie Deinem Geist ge- wachsen sein werde. An Goethe. Mit einer Gebirgslandschaft als Vignette. 22. März 1832. Hier aus den Bergesschluchten hervor wag' ich's und komme ungerufen, unerwartet, wie manchmal sonst auf Deinen Wegen. Im Böhmer Gebirg wo ich wie ein Stoßvogel auf dem vorragenden Gefels über Dir hing, weißt Du noch? — und wie ich dann nieder klet- terte ganz erhitzt, daß mir alle Adern im Kopf klopf- ten, und wie Deine Hand meine Augenwimper vom Staub reinigte, und die kleinen Reiser und Moose aus meinen Flechten sammeltest, und legtest es sanft neben Dich auf den Sitz? Du weißt's nicht mehr. Schaaren sind an Dir vorübergezogen, die Dich begrüßten mit lautem Ehrenruf, Kränze haben sie vor Dir hergetra- gen, die Fahnen haben sie vor Dir geschwenkt, die Kö- nige kamen und berührten den Saum Deines Mantels und brachten Dir goldne Gefäße und legten Ehrenket- ten um Deine freie Brust. Du weißt's nicht mehr, daß ich Dir die gesammelten Blumen, die wilden Kräuter alle in den Busen pflanzte und die Hand darauf legte um sie fest zu drücken, Du weißt's nicht mehr, daß meine Hand gefangen lag inmitten Deiner Brust, und daß Du mich den wilden Hopfen nanntest, der Wurzel fasse da, und dann hinauf sich ranke, und Dich über- schlinge und umwachse, daß nichts mehr an Dir zu ken- nen sei als blos der wilde Hopfen. Sieh in dieser Doppelwand von Fels- und Bergesschluchten da haust des Wiederhalles froher Ruf; sieh meine Brust ist eine so kunstreich gebildete Doppelwand, daß ewig und ewig, tausendfältig der freudige Schall so süßer Mähre sich durchkreuzt. Wo sollte es ein Ende nehmen dies Leben jugendlicher Lust? — es liegt ja bewahrt und umgeben vom reinsten Enthusiasmus die Nahrung meiner Wiege- zeit. Dein Hauch, dem der Gott Unsterblichkeit einblies, hat ja mir den Athem der Begeistrung eingeblasen. Lasse es Dir gefallen, daß ich Dir noch einmal die Me- lodieen meiner schönsten Lebenswege vorsinge, und zwar im begeisterten Rythmus des augenblicklichen Genusses, wo die Lebensquellen von Geist und Sinne ineinander- strömen, und so einander erhöhen, daß alles Bedeutung gewinne, daß nicht allein das Erfahrne sichtbar fühlbar werde, sondern auch das Unsichtbare, Ungehörte erkannt und erhört werde. Sind's Pauken und Posaunen, die feierlichen Ju- belschlag an die Wolken dröhnen? — sind's Harfen und Zimbeln? — ist's das Gewirr von tausend Instrumen- ten, das auf's Comandowort sich ordnend lös't, in rei- ner Linie Takt sich bildend wendet, die Sprache himm- lischer Influenzen redet, eindringt in den Menschengeist mit Farb' und Licht, die Sinne mit dem Geist ver- mählt? — ist's dieser Erzeugung Kraft, die durch die Adern rinnt das Blut beschwörend, das irdische auszu- stoßen und die reine Frucht himmlischer Liebe, himmli- schen Lichtes zu nähren, zu gebären? — hast Du's nicht vollbracht in mir wenn es noch leuchtet in meiner Seele? — ja es leuchtet wenn ich Deiner gedenke; — oder sind es nur Schallmeien sinnig und wähnend, nur an Phan- tasie streifend, nicht von ihrer Offenbarung ergriffen, was ich diesen Blättern zu vertrauen habe? — Was es auch sei! — bis in den Tod geleite mich der er- sten Liebe Musik. Zu Deinen Füßen pflanze ich den Grundbaß ein, er wachse Dir zum Palmenhain auf, in dessen Schatten Du wandelst. Alles Liebe und Süße was Du mir gesagt hast flüstre von Zweig zu Zweig wie leise Melodieen zwitschernder Vögel; — die Küsse, die Liebkosungen zwischen uns, seien die honigtriefen- den Früchte dieses Haines; das Element meines Le- bens aber: die Harmonie mit Dir, mit der Natur, mit Gott, aus deren Schoos die Fülle der Erzeugung steigt. aufwärts an's Licht, in's Licht, im Lichte vergehend: das sei der Strom, der gewaltige, der diesen Hain umzin- gelt, ihn einsam macht mit mir und Dir. Weißt Du's noch wie Du in der Dämmerung mich wieder bestelltest? — Du weißt nichts, ich weiß alles, ich bin das Blatt auf das die Erinnerung aller Seelig- keit geäzt ist. Ja ich ging um Dein Haus herum und wartete auf die Dämmerung und dachte, wenn ich an die Pforte kam: „ob's wohl schon dunkel genug ist? — und ob er dies wohl für die Dämmerung hält?“ — und aus Furcht Deinen Befehl zu verfehlen ging ich noch einmal um das Haus, und wie ich nun eintrat da schmältest Du, daß ich zu spät gekommen, es sei schon lange dämmerig, Du habest lange schon auf mich gewartet. Dann ließest Du Dir ein weißes woll- nes Gewand bringen und zogst das Tagskleid aus, und sagtest: „nun es gar Nacht geworden über dem Harren auf dich, so wollen wir recht nächtlich und bequem sein und recht feinwollig will ich gegen dich sein, denn du sollst mir heute beichten.“ Da kniete ich vor Dir auf dem Schemel und umfaßte Dich und Du mich. Da sagtest Du: „Vertrau mir doch und sag mir alles was in Deinem Herzen Gewalt geübt hat, Du weißt ich hab Dich nie verrathen, kein Wort, kein Laut von dem was Deine Leidenschaft zu mir gerast hat, ist je über meine Lippen gekommen, so sag' mir doch, denn es ist nicht möglich, daß dein Herz diese ganze Zeit über so ruhig war, sag' mir doch wer war's, kenne ich ihn? — und wie war's? Was hast du noch alles gelernt und er- fahren was Dich meiner vergessen machte?“ — Damals lieber Freund sagte ich Dir die Wahrheit wie ich Dir betheuerte, daß mein Herz ganz still gewe- sen sei, daß nichts seitdem mich berührt habe, denn in demselben Augenblick war mir alles Wahn gegen Dich, und bleiches Schattenbild die ganze Welt, und abge- schiednes todtes schien mir des Schicksals Loos in Dei- ner Nähe, ich konnte es sagen mit vollem Bewußtsein, daß ich Deiner Schönheit gebunden sei, denn ich sah Dich ja an. — Du aber ruhtest nicht und wolltest durchaus wissen die Geschichte, die ich mich vergebens bemühte zu erfinden, denn ich schämte mich beinah, daß 9** mir gar keine Liebesgeschichte widerfahren war. Jetzt besann ich mich auf eine und wollte eben erzählen, und hub an: „Ja! aber glaube nicht, daß Dir die Liebe in den Weg gekommen, damals wandelte ich im Traum, jetzt wache ich wieder; hier im Mondschein an Deiner Brust weiß ich wer ich bin und was Du mir bist, wie ich nur Dir angehöre, wie Du mich bezauberst; aber einmal“ — da begann ich meine Liebesgeschichte von der ich nichts mehr weiß. Und Du, Herrlicher! ließest mich nicht weiter sprechen und riefst: „Nein, nein! du bist mein? — du bist meine Muse! — kein anderer soll sa- gen können, daß du ihm so zugethan warst wie mir, daß er deiner Liebe so versichert war wie ich, ich habe dich geliebt, ich habe dich geschont, die Biene trägt nicht sorgfältiger und behutsamer den Honig aus allen Blü- then zusammen wie ich aus deinen tausendfältigen Lie- besergüssen mir Genuß sammelte.“ — Da fielen meine Haarflechten nieder, Du nahmst sie und nanntest sie braune Schlangen und stecktest sie in Dein Gewand, und zogst so meinen Kopf an Deine Brust, an der ich von Ewigkeit zu Ewigkeit ruhen sollte und des Den- kens und des Treibens mich überheben, das wär' schön, das wär' wahr, das wär' so die rechte süße Faulheit meines Daseins, das ist die Paradiesesfrucht nach der ich schmachte, ruhen und schlafen in dem Bewußtsein, daß ich dem Herrlichsten nahe bin. An meinen Freund. So weit hatte ich gestern geschrieben, dann ging ich Abends spät noch in Gesellschaft, ich hatte den Vor- satz gefaßt alles Liebliche und Tiefbedeutende was ich mit Goethe erlebt, ihm in einem Cyclus solcher Briefe noch einmal darzulegen; jetzt stand mir alles so klar und deutlich vor Augen als wenn mir's eben erst wider- fahren wäre. Meine Seele war tief bewegt von diesen Erinnerungen und fern den Menschen wie der Mond wenn er jenseits ist. Bei solchen Stimmungen bin ich immer auf eine sonderbare Spitze gehoben, nämlich zum Übermuth. — Man war in der Gesellschaft schon von Goethes Tode unterrichtet, ich erzählte, daß ich eben nach Jahren zum erstenmal wieder an ihn geschrieben, sie machten alle trübe Gesichter aber keiner theilte mir die Nachricht mit. Nachts um ein Uhr nach Haus;die Zeitung lag an meinem Bett, ich las die Anzeige seines Todes, ich war allein, ich brauchte keinem Red und Ant- wort zu geben über mein Gefühl; ich konnte so ruhig dabei sein und entgegen sehen allem was es mir brin- gen werde; da war's ganz deutlich, daß diese Liebes- quelle mir nicht versiegt sei mit dem Tod, ich schlief ein und träumte von ihm und erwachte um mich zu freuen, daß ich ihn eben im Traum gesehen, und ich schlief wie- der ein um weiter von ihm zu träumen, und so verging mir diese Nacht voll süßem Trost, und ich war gewiß sein Geist habe sich mit mir versöhnt und nichts sei mir verloren. Wem sollte ich nun wohl dies verwais'te Blatt vererben als dem Freund, der mit so innigem Antheil mich von ihm sprechen hörte, und wenn es ihm auch nur wär' was ein falbes Blatt ist, das der Wind vor seinen Füßen hinwirbelt, er wird doch erkennen, daß es am edlen Stamm gewachsen ist. — Ich will den Ausgang jenes Abends mit Goethe hier auserzählen: Als ich weg ging begleitete er mit der Kerze mich ins zweite Zimmer, indem er mich umfaßte fiel das brennende Licht an die Erde, ich wollte es auf- heben, er aber litt es nicht. „Laß es liegen, sagte er, es soll mir ein Maal in den Boden brennen wo ich dich zuletzt gesehen habe, so oft ich dran vorüber gehe will ich deiner lieben Erscheinung gedenken. Bleib mir treu, bleib mein, sagte er; so küßte er mich auf die Stirn und schob mich zur Thür hinaus. Wäre es nicht unrecht, daß am Fest der Verklärung die Nebel geheimer Vorwürfe aufstiegen und den son- nenhellen Horizont verdunkelten, so würde ich dem Freund hier verklagen, grade die von der er weiß, daß sie gern rein und frei von jedem Fehl in der Liebe erscheinen möchte, ja dies beschämte Herz! sieh wie groß seine Vergehen sind gegen die Liebe, der nicht blos ein Zweig vom hei- ligen Baum des Ruhms anvertraut war, nein, der Baum selbst, der diese Sprossen sich ewig verjüngend treibt, war ihr zur Pflege befohlen, und sie hat sein nicht geachtet, ist nicht geblieben im Schutze dieses Bau- mes, der ohne sie fortgrünte. An Goethe. Aufgefahren gen Himmel! die Welt leer, die Trif- ten öde, denn gewiß ist's, daß Dein Fuß hier nicht mehr wandert. Mag auch Sonnenschein die Wipfel jener Bäume beglänzen, die Du gepflanzt hast! Mag sich das Gewölk theilen und der blaue Himmel sich ihnen aufthun: sie wachsen nicht hinein; aber die Liebe? — wie wär's wenn die ihre Blüthenkrone da oben als Teppich zu Deinen Füßen ausbreite? Wenn sie hinauf- strebte fort und fort, bis ihr Wipfel anstieß an den Schemel Deiner Füße, und dort alle Blüthen entfaltend, ihren Duft nm Dich schwenkend: — wär' das nicht auch zu den Himmelsfreuden zu zählen? — Ich hab' Vertrauen, daß Du mich hörst, daß mein Ruf aufwärts gehe zu Dir. — Hier auf Erden da war's nicht mög- lich. Das Marktgewühl des alltäglichen Lebens ließ die Sehnsucht nicht durchdringen, keine einsame vertrau- liche Zeit kam ihr zu Hülfe, ich selbst sagte mir hundert- mal: es ist alles verloren. — Herr! der mich hört, dem ich vertraue, daß er mich höre: gieb Antwort. — Seit sie Dich todt sagen klopft mir das Herz vor heimlicher Erwartung. Es ist als hättest Du mich dahin bestellt um mich zu überraschen wie sonst im Garten, wo Du aus umbuschten Nebenwegen hervortratst, den reifen Apfel in der Hand, den ich dann vor Dir herwarf, um Dich den Weg zu lenken in die Laube, wo die große Kugel am Boden lag. Da sagtest Du: „Da liegt die Welt zu deinen Füßen, und doch liegst du mir zu Fü- ßen.“ — Ja die Welt und ich wir lagen zu Deinen Füßen, jene kalte Welt über der erhaben Du standest, und ich, die zu Dir hinauf strebte. So kam's auch: die Welt blieb liegen und mich zogst Du an's Herz. An Deinem Herzen mein Freund, das warm schlug, wer kann ermessen wie selig das war. Herr! ist das alles wieder zu erwerben, mit süßem Bewußtsein noch einmal zu durchleben? — O der falschen Welt, die uns trennte und mich weg- führte, mich armes blindes Kind von meinem Herrn. Was hab' ich gesucht? — was hab' ich gefunden? — wer hat mich freudig angelächelt? — Wessen Umarmung hab' ich ausgefüllt mit der liebenden Gewißheit, daß er nichts seligeres umfassen könne? — Du warst zufrieden mit mir, Dich freute es zu sehen wie aus dem Kinderherzen die Quelle der Begeistrung für Dich hervorbrach, warum mußte diese Quelle versiegen? — konnte, sollte nicht der ganze Lebensstrom Deinem Lächeln, Deinem Grüßen und Nicken dahinfließen? — Wo war es schön als nur bei Dir? — Du kanntest die Grazien, ihr ferner Schritt schon gab den Rythmus Deiner Begeistrung. — Das stille Feuer Deiner dunklen Augen, die Ruhe Deiner Glieder, Dein kindlich Lächeln zu meiner List im Erzäh- len, Deine gelehrige Andacht für meine Begeistrung. Ja und Du senktest Dein heilig Haupt zu mir herab und sahst mich an, die ich geweiht war durch Deine Nähe. An den Freund. Vielleicht verscherz' ich Dein bischen Andacht zu mir, daß ich Dich so tief in den Schacht meines Her- zens einsenke wo es so wunderlich hergeht, daß die Leute sagen würden es sei Narrheit. — Ja Narrheit ist die rechte Scheidewand zwischen dem ewig Unsterblichen und dem zeitlich Vergänglichen. Es scheue keiner die irdi- schen Gewande zu versehren am göttlichen Feuer. Du bist mein Freund oder bist Du's auch nicht, ich weiß es nicht, immer muß ich Dich so annehmen, da Du mitten im Geheimniß meiner Brust stehst wie ein Pfeiler an den ich mich anlehne, und wie der gewandte Schwim- mer von gefährlicher Höhe sich in die Fluthen stürzt vor solchen Augen, denen er seine Kühnheit bewähren möchte, so wage ich, weil Du mir Zeuge bist diesen dä- monischen Gewalten mich anheim zu geben, diese Thrä- nenfluth in der ich spiele, diese Frühlingsbegeistrung meiner Liebeszeit zu Goethe und die Vorwürfe, die in mir aufsteigen würden mir das Herz zerreißen wenn ich nicht den Freund hätte, der zuhörte und nachempfände was ich hier ausspreche. Der letzte Act der Blüthezeit ist, daß sie ihren be- fruchtenden Staub mit dem Saamen in ihrem Kelch mische, dann tragen die Lüfte sich spielend mit ihren ge- lösten Blättern und gaukeln eine Weile mit dem Schmuck der Begeistrung. Bald sieht kein Auge mehr von ihrem Glanz, ihre Zeit ist vorüber; der Saame aber quillt und offenbart in der Frucht das Geheimniß der Erzeu- gung. Vielleicht wenn diese Blätter der Begeistrung vom Stamme gelöst dahin wirbeln und wie jene kleinen Blüthenkronen, nachdem sie ihren Duft ausgehaucht, vom irdischen Staub beschwert, flügellahm sich endlich unter die Erde betten, daß es dann in dem Herzen des Freundes, dem sie duften, auch quillt und der Segen dieser schönen Liebe zwischen dem Dichter und dem Kinde sich an seinem Geist bewähre und ihn zu der Schönheit befruchte, deren Abbild in seinen edlen Zügen sich malt. An Goethe. Wie begierig nach Liebe warst Du! wie begierig warst Du geliebt zu sein! — „Nicht wahr, du liebst mich? nicht wahr, es ist dein Ernst, du betrügst mich nicht?“ — so fragtest Du, und ich sah Dich an und schwieg. „Ich bin leicht zu betrügen, mich kann jeder betrügen, betrüge mich nicht, mir ist lieber die Wahrheit und wenn sie auch schmerzt, als daß ich umgangen werde.“ Wenn ich dann aufgeregt durch solche Reden Dir mein Herz aussprach, da sagtest Du: „Ja du bist wahr, so was kann nur die Liebe sagen.“ — Goethe hör' mich an! — Heute spricht auch die Liebe aus mir; heute am dreißigsten März, acht Tage nach dem, wel- chen man als den Tag Deines Todes bezeichnet, seit welchem Tag alle Deine Rechte mir im Busen sich gel- tend machen als läg ich noch zu Deinen Füßen; heute will die Liebe Dir klagen: Du! oben — über den Wol- ken, nicht getrübt durch ihre Schwere, nicht gestört durch ihre Thränen; können Klagen in Dein Ohr dringen? — O löse meine Klagen auf, und erlöse mich, mache mich frei von dieser Sehnsucht erkannt zu werden und daß man meiner auch bedürfen möge, — hast Du nicht mich erkannt? — ja mit prophetischer Stimme schlummernde Kräfte der Begeistrung in mir geweckt, die mir ewige Jugend zusagen, die mich weit über die Fähigkeit der Menschen sich mir zu nähern hinwegtragen? Hast Du mir nicht reichlich ersetzt im ersten Einklang mit meinem Herzen, alles was je mir konnte entzogen werden? Du an den zu denken mir leises Gewittern im Herzen er- regt, wo's gleich elektrisch schauert durch den Geist, wo gleich Schlummer befällt das äußere Leben, und keine Erkenntniß mehr von den Ansprüchen der äußeren Welt. — Wer hat je mein Herz gefragt? — wer hat sich ge- neigt zur Blume, um ihre Farbe zu erkennen und ihren Duft zu athmen? — wem hätte der Klang meiner Stimme (von der Du sagtest: Du fühlest was Echo fühlen müsse, wenn die Stimme eines Liebenden an ih- rer Brust wiederhalle) eine Ahndung gegeben, welche Geheimnisse kraft Deiner dichterischen Segnungen sie auszusprechen vermöge. O Goethe! Du allein hast den Schemel Deiner Füße mir hingerückt, und mir erlaubt in Deiner Nähe meine Begeistrung auszuströmen. — Was jammere ich denn? — daß es so still ist um mich? — daß ich so einsam bin? — nun wohl! — in dieser einsamen Weite, wenn es ein Wiederhall meiner Ge- fühle giebt, kannst nur Du es sein; wenn eine Tröstung mir zuweht aus freier Luft, so ist es der Athem Deines Geistes. Wer würde auch verstehen was wir hier mit- einander sprechen, wer würde sich feierlich fügen dem Gespräch Deines Geistes mit mir. — Goethe! — Es ist nicht mehr süß, unser Zusammensein! es ist kein Ko- sen, kein Scherzen; die Grazien räumen nicht mehr um Dich her auf und ordnen jede Liebeslaune, jede Spiele- rei des Witzes zu heiteren Gedichten. — Die Küsse, die Seufzer, Thränen und Lächeln jagen und necken einan- der nicht mehr, es ist feierliche Stille, es ist feierliche Wehmuth, die mich ganz durchgreift. In meiner Brust ordnen sich die Harmonieen, die Tonarten lösen sich von einander, jede fühlt die Organe ihrer Verwandtschaften in sich mächtig und was sie vermag. So ist es in meiner Brust, weil ich's wage mich vor Dich zu stellen, mitten in Deinen Weg, den Du eilend durchjagst, und Dich zu fragen: Kennst Du mich noch? — die außer Dir niemand kennt? — Siehe in mitten dieser Brust steht der reine Kelch der Liebe, gefüllt bis zum Rand mit herbem Trank, mit bitteren Thränen schmerzlichen Entbehrens. Wenn die Harmonieen übergehen in ein- ander dann wird der Kelch erschüttert, dann strömen die Thränen; sie fließen Dir, der Du die Todtenopfer liebst, der Du sagtest: „ Unsterblich sein, um nach dem Tode tausendfach in jedem Busen zu erwa- chen .“ Ja! damals wollte ich: allein in meinem Bu- sen solltest Du erwachen; und es ist wahr geworden und dicht hinter mir und Dir ist das Leben abgeschlos- sen. Ach ich bin Deiner heiligen Gegenwart nicht ge- wachsen, ich wage zu viel und stürze zusammen und sehne mich nach einer Brust die lebt unter den Leben- den, die meine Geheimnisse aufnimmt und mich wärmt; denn: vor Dir stehen giebt schauerliche Kälte; und die Hände muß ich ringen, daß ich Deiner so verinnigt zu denken wage. Nein! — nicht Dich rufen! — nicht die Hände nach Dir ausstrecken, in dieser seltsamen schauer- lichen Stunde nach Dir forschen über den Sternen, hin- aufsehen, Deinen Namen rufen? — ich wag' es nicht! — O ich fürchte mich! — besser bescheiden den Blick senken auf das Grab was Dich deckt; Blumen sam- meln, sie dir hinstreuen; ja die süßen Blumen der Er- innerung alle wollen wir sammeln, sie duften so geistig, mag sie einer bewahren zu Deinem und meinem Geden- ken, oder mag sie der Zufall verwehen, einmal will ich die süßen Geschichten der Vergangenheit noch durchgehen. Heute erzähle ich Dir wie Du mich in dunkler Nacht unbekannte Wege führtest, das war in Weimar auf dem Markt als wir an eine Treppe kamen und Du zuerst nieder stiegst und als ich unsicher, zu folgen versuchte, mich in Deinen Mantel gehüllt dahin trugst; Herr! ist es wahr? — hast mich in beiden Armen schwebend ge- tragen, wie schön warst Du da, wie groß und edel, wie leuchtete Dein durchdringender Blick dunkel im Glanz der Sterne mich an. Da oben mit beiden Armen Dich umschlingend wie war ich selig! wie lächeltest Du, daß ich so selig war, wie freute es Dich, daß Du mich hat- test, über Dir schwebend mich trugst, wie freute ich mich, und dann schwang ich mich hinüber auf die rechte Schul- ter um die linke nicht zu ermüden. Du ließt mich durch die erleuchteten Fenster sehen, eine Reihe friedlicher Abende von Alt und Jung, bei Lampenschein oder bei hellem Kü- chenfeuer, auch der kleine Hund und das Kätzchen waren da- bei. Du sagtest: „ist das nicht eine allerliebste Bildergal- lerie?“ — so kamen wir von einer Wohnung zur andern aus den finstern Straßen hervor unter die hohen Bäume, ich reichte an die Äste, da rauschten die Vögel auf, da freuten wir uns, wir beide! — Kinder ich und Du. Und nun? — Du ein Geist aufgefahren zu den Him- meln, und ich? — unerleuchtet, unerfüllt, unerwartet, unverstanden, ungeliebt, ja sie könnten mich fragen: wer bist du und was willst du? und wenn ich Ant- wort gäbe würden sie sagen: wir verstehen dich nicht. Du aber erkanntest mich und öffnetest mir die Arme und das Herz und jede Frage war gelöst und jeder Schmerz beschwichtigt. — Dort im Park zu Weimar gingen wir Hand in Hand unter den dichtbelaubten Bäumen, das Mondlicht fiel ein, Du gabst mir viele süße Namen, es klingt noch in meinen Ohren: lieb Herz! mein artig Kind! wie war ich erfreut zu wissen wie ich Dir heiße; dann führtest Du mich an die Quelle, sie kam mitten aus dem Rasen hervor, wie eine grüne krystallne Kugel, da standen wir eine Weile und hör- ten ihrem Getön zu, „sie ruft der Nachtigall“ sagtest Du, „denn die heißt auf persisch Bulbul, sie ruft dich, du bist meine Nachtigall, der ich gern zuhöre.“ Dann gingen wir nach Hause, ich saß an Deiner Seite, da war's so stille, nah an Deinem Herzen; ich hörte es klopfen, ich hörte Dich athmen, da lauschte ich, und hatte keine Gedanken als blos Deinem Leben zuzuhö- ren. — O Du! — hier lang nach Mitternacht, allein mit Dir im Angedenken jener Stunde vor vielen Jah- ren, durchdrungen von Deiner Liebe, daß meine Thränen fließen; und Du! nicht auf Erden, jenseits! — wo ich Dich nicht mehr erreiche. — Ja Thränen! — alles um- sonst. — So verging die Zeit an Deiner Brust, keine Ahndung, daß sie verging, es war alles für die Ewig- keit eingerichtet. Dämmerung — die Lampe warf einen ungewissen Schein an die Decke, die Flamme knisterte und leuchtete auf, das weckte Dich aus Deinem tiefen Sinnen. — Du wendetest Dich nach mir und sahst mich lange an, dann lehntest Du mich sanft aus Deinen Ar- men und sagtest: „Ich will gehen, sieh wie unsicher das Nachtlicht brennt, wie beweglich die Flamme an der Decke spielt, grade so unsicher brennt eine Flamme in meiner Brust, ich bin ihrer nicht gewiß, ob sie nicht auf- lodere, und Dich und mich versehre. Du drücktest meine Hände, Du gingst ohne mich zu küssen. Ich blieb al- lein; erst: wie es sonderbar mit Liebenden ist, war ich ruhig, ich fühlte mich von Glanz umgeben und von Glanz erfüllt, aber plötzlich durchdrang mich der Schmerz, daß Du gegangen warst. Wem sollte ich's klagen, daß ich Dich nicht mehr hatte? ich trat vor den Spiegel, da sah mein blasses Antlitz heraus, so schmerzlich sah das Auge mich an, daß ich vor Mitleid gegen mich selbst, in Thränen ausbrach. Dem Freund. Es ist als ob jeder Athemzug sich wieder aus der Ver- gangenheit erhebe, was ich vergessen zu haben glaubte greift mit Macht in mich ein, und erregt auf's neue das Feuer verhaltner Schmerzen. So weit habe ich in der Nacht geschrieben, heut am Tag schreibe ich noch als psychologische Merkwürdigkeit her auf welche wnnderbare Weise ich mich beschwichtigte, wie die geängstete mit aller Willenskraft der Jugend aus- gerüstete Seele sich half. — Auf dem Tisch vor dem lampe, Spiegel knieend, bei dem unsicheren Flackern der Nacht- lampe, Hülfe suchend im eignen Auge, das mir mit Thränen antwortete, die Lippen zuckten, die Hände so festgefaltet auf der Brust, die bedrängt erfüllt war von Seufzern. Siehe da! — Wie oft hatte ich gewünscht auch einmal vor ihm seine eigne Dichtung ausspre- chend zu dürfen, plötzlich fielen mir die großen gewal- tigen Eichen ein, wie die vor wenig Stunden im Mondlicht über uns gerauscht hatten, und zugleich der Monolog der Iphygenia auf Tauris, der so beginnt: „Heraus in eure Schatten, rege Wipfel, des alten hei- ligen dichtbelaubten Haines.“ — Ich stand aufrecht vor dem Spiegel, es war mir als ob Goethe zuhöre, ich sagte den ganzen Monolog her, laut, mit einer ge- wiß zum höchsten Grad des Kunstgefühls gesteigerten Begeistrung. Oft mußte ich inne halten, das leise ver- haltne Beben der Stimme gab mir die Pausen ein, die in diesem Monolog so wesentlich sind, weil unmöglich die nach allen Seiten sich scharfrichtenden Blicke auf Zu- kunft, Vergangenheit und Gegenwart, die seinen Inhalt ausmachen, alles in einem ununterbrochnen Lauf auf- fassen können. Meine Rührung, mein tief von Goethes Geist erschütterter Geist, waren also Veranlassung mein dramatisches Kunstgefühl zu steigern; ich empfand deut- Tagebuch. 10 lich die Begeistrung der Begeistrung. — Ich fühlte mich wie in einer Wolke gebettet aufwärts schwebend, eine göttliche Gewalt trieb diese Wolke entgegen dem Er- sehnten und zwar in der Verklärung seines eignen Wer- kes welche schönere Apotheose seiner Einwirkung auf mich, war zu erleben? — so waren denn alle Schmerzen der Sehnsucht gelöst in freudiges Flügelrauschen des Gei- stes. Wie ein junger Adler mit den Flügeln der Sonne zuwinkt, ohne sich empor zu schwingen, und im Gefühl seiner Kraft sie auf ihre Bahn zu verfolgen sich genü- gen läßt: so war ich, heiter und froh. — Ich ging zu Bett und der Schlaf fiel über mich her wie ein erquik- kender Gewitterregen. So ist von jeher und bis auf die heutige Stunde alles unbefriedigte Begehren durch Kunstgefühl aufgelöst worden. Jedes in der heiligen Natur begründete sinn- liche Gefühl, alle unbefriedigte Leidenschaft steigert sich schon hier zu der Sehnsucht, überzugehen in eine höhere Welt, wo das Sinnliche auch Geist wird. Ich danke Dir Freund, daß ich Dir alles sagen darf, unter allen Menschen weiß ich keinen zweiten, dem ich diese Blätter hätte vertrauen mögen, ich will nicht zweifeln, daß Du ihren Werth erkennst, sie enthalten das Heiligthum von Goethes Pietät, aus der sein un- endlicher Genius hervorgegangen war, der den Feuer- geist des Lieblings sanft zu lenken verstand, daß er sich stets glücklich fühlte und in vollkommner Harmonie mit ihm. Mein Freund! — Dir ist's geschenkt, das zu Tage komme was sonst nie, nicht einmal in meinen einsamen Träumen sich wiederholt haben dürfte. Ich kann nicht über mich selbst entscheiden was in mir vorgehe, ich fühle mich in einem magischen Kreis von Wunderwahrheiten eingeschlossen, durch diese tiefen Erinnerungen, so daß ich sogar das Wehen der Luft von damals mit zu em- pfinden glaube, daß ich mich umsehe als stände er hinter mir und daß ich jeden Augenblick empfinde wie durch die Berührung des irdischen Geistes von einem himmlischen überirdischen Geist, alles denken in mir ent- steht. So will ich denn mein inniges Zutrauen zu Dir nicht verlieren, und trotz schauerlichen Nachtgespenstern, die Du mir entgegen scheuchst dennoch fortfahren Dir mitzutheilen wozu nur erprobte Treue berechtigt. Von ungemeßner Höhe strömt das Licht der Sterne herab zur Erde, und die Erde ergrünt und blüht in 10* tausend Blumen den Sternen entgegen. Der Geist der Liebe strömt auch aus ungemeßner göttlicher Höhe herab in die Brust, und diesem Geist entgegen lächeln auch die Liebkosungen eines blühenden Frühlings empor. Du ! wie sich's die Sterne gefallen lassen, daß ihr Wieder- schein am frisch begrünten Boden im goldnen Blumen- feld erblühn, so lasse auch Dir es gefallen, daß Dein höherer Geist Dir tausendfältige Blüthen der Empfin- dung aus meiner Brust hervorrufe. Ewige Träume umspinnen die Brust, Träume sind Schäume, ja sie schäu- men und brausen die Lebensfluth himmelan. Sieh, er kommt! — ungeheure Stille in der weiten Natur, — es regt sich kein Lüftchen, es regt sich kein Gedanke; willenlos zu seinen Füßen der ihm gebundne Geist. — Kann ich lieben, — ihn, der so erhaben über mir steht? — Welt, wie bist du enge? — Nicht einmal dehnt der Geist die Flügel, so breitet er sie weit über deine Grenze. Ich verlasse Wald und Aue, den Spielplatz seiner dich- terischen Lust, ich glaubte den Saum seines Gewandes zu berühren, — ich strecke die Hände aus nach ihm! — es war mir als fühle ich seine Gegenwart im blendenden Schimmer, der sich zwischen Thränen malt. — Es ist ja ein so einfacher Weg zwischen den Wolken durch, wa- rum soll ich ihn nicht kühn wandeln? — siehe, der Äther trägt mich so gut wie der Rasen, — ich eile ihm nach, wenn ich ihn auch nicht erreiche, kurz vor mir ist Er diesen Wolkensteig gewandelt, sein Athem verträgt sich noch mit dem Luftstrom, mag ich ihn doch trinken. Nimm mich zurück, hilf mir herab, — das Herz bricht mir, ja das Herz ist nicht stark genug die leiden- schaftliche Gewalt, die sich über die Grenze bäumt, zu tragen. Führ' mich zurück auf die Ebne, wo mein Ge- nius mich Ihm einst entgegen führte in der blühenden Zeit zwischen Kindheit und Jugend, wo sich der Augen- stern zum erstenmal zum Licht erhob, und wo Er mit vollen Strahlen mir den Blick einnahm und jedes andre Licht mir wegdunkelte. O komm herein wie Du zum erstenmal kamst vor das Antlitz des erblassenden verstummten dem Verhäng- niß der Liebe folgenden Kindes, wie es da zusammen- sank, da es das Richtschwerdt in Deinen Augen blitzen sah, wie Du es auffingst in Deinen Armen. Die seit Jahren gesteigerte Sehnsucht nach Dir mit einemmale lösend, der Friede, der mich überkam an Deiner Brust! der süße Schlaf, einen Augenblick, oder war's Betäu- bung? — das weiß ich nicht. Es war tiefe Ruhe wie Du den Kopf über mich beugtest, als wolltest Du mich in seinem Schatten bergen, und wie ich erwachte sagtest Du: „du hast geschlafen!“ lange? — fragte ich. „Nun, Saiten die lange nicht in meinem Herzen geklungen ha- ben, fühlt' ich berührt, so ist mir die Zeit schnell genug vergangen.“ Wie sahst Du mich so mild an! — wie war mir alles so neu! — ein menschlich Antlitz zum er- stenmal erkannt, angestaunt in der Liebe. Dein Antlitz o Goethe, das keinem andern vergleichbar war, zum erstenmal mir in die Seele leuchtend. — O Herrlicher! — Noch einmal knie ich hier zu Deinen Füßen, ich weiß, Deine Lippen träufeln Thau auf mich herab aus den Wolken, ich fühle mich wie belastet mit Früchten der Seeligkeit, die all' Dein Feuergeist in mir gezeitigt, ja ich fühl's, Du siehst auf mich herab aus himmlischen Höhen, lasse mich bewußtlos sein, denn ich vertrag's nicht, Du hast mich aus den Angeln gehoben, wo steh ich fest? — Der Boden wankt, schweben soll ich fortan, denn weil ich mich nicht mehr auf Erden fühle; keinen kenne ich mehr, keine Neigung, keinen Zweck, als nur schlafen, schlafen auf Wolken gebettet an den Stufen Deines himmlischen Thrones, Dein Auge Feuerwache haltend über mir, Dein allbeherrschender Geist sich über mich beugend im Blütherausch der Lie- beslieder. Du! säuselnd über mir, Nachtigallflötend: das Gestöhn meiner Sehnsucht. — Du! stürmend über über mir, wetterbrausend: die Raserei meiner Leidenschaft. Du! — aufjauchzend, himmelandringend die ewigen Hymnen beglückender Liebe, daß der Wiederhall an's Herz schmettert, ja zu Deinen Füßen will ich schlafen, Gewaltiger! Dichter! Fürst! über den Wolken, während Du die Harmonieen ausbreitest, deren Keime zuerst Wur- zel faßten in meinem Herzen. Dem Freund. Gebete steigen gen Himmel, was ist Er, der auch himmelan steigt? — Er ist auch Gebet, gereift unter dem Schutz der Musen. — Eros, der himmlische, leuch- tet vorauf und theilt ihm die Wolken, — ich aber kann's nicht sehen, ich muß mich verbergen. Sein Stolz! — sein heiliger Stolz in seiner Schön- heit. Heute sagte Jemand, das sei nicht möglich, er sei sechzig Jahr alt gewesen wie ich ihn zum erstenmal ge- sehen und ich eine frische Rose. O es ist ein Unterschied zwischen Frische der Jugend und der Schönheit, die der göttliche Geist den menschlichen Zügen einprägt, Schön- heit ist ein von der Gemeinheit abgeschloßnes Dasein, sie verwelkt nicht, sie löst sich nur von dem Stamm, der ihre Blüthe trug, aber ihre Blüthe sinkt nicht in den Staub, sie ist beflügelt und steigt himmelan. Goethe, Du bist schön! ich will Dich nicht zum zwei- tenmal in Versuchung führen, wie damals in der Bi- bliothek, Deiner Büste gegenüber, die in Deinem vierzig- sten Jahr das vollkommne Ebenmaaß Deiner höchsten Schönheit ausdrückte; da standst Du in grünem Man- tel gewickelt an den Pfeiler gelehnt, forschend, ob ich doch endlich in diesen verjüngten Zügen den gegenwär- tigen Freund erkenne, ich aber that nicht dergleichen, ach Scherz, und geheime Lust ließen mir's nicht über die Lippen. „ Nun? “ — fragte er ungeduldig: der muß ein schöner Mann gewesen sein, sagte ich. — „Ja wahrlich! dieser konnte wohl sagen zu seiner Zeit, er sei ein schöner Mann,“ sagte er erzürnt; ich wollte an ihn herangehen, er wies mich ab, einen Augenblick war ich betroffen; — halte Stand wie dies Bild, rief ich, so will ich Dich wieder sanft schmeicheln, willst Du nicht? — nun so laß ich den Lebenden und küsse den Stein so lange, bis Du eifersüchtig wirst. — Ich um- faßte die Büste und küßte diese erhabne Stirn und diese Marmorlippen, ich lehnte Wang an Wange, da hob er mich plötzlich weg und hielt mich hoch in seinen Ar- men über seiner Brust, dieser Mann von sechzig Jah- ren, sah an mir hinauf, und gab mir süße Namen, und sagte die schönen Worte: Liebstes Kind, du liegst in der Wiege meiner Brust Du siehst so ernst, Geliebter! Deinem Bilde Von Marmor hier möcht' ich dich wohl vergleichen; Wie dieses giebst du mir kein Lebenszeichen; Mit dir verglichen zeigt der Stein sich milde. Der Feind verbirgt sich hinter seinem Schilde. Der Freund soll offen seine Stirn uns reichen. Ich suche dich, du suchst mir zu entweichen; Doch halte Stand, wie dieses Kunstgebilde. An wen von beiden soll ich nun mich wenden? Sollt' ich von beiden Kälte leiden müssen, Da dieser todt und du lebendig heißest? Kurz, um der Worte mehr nicht zu verschwenden, So will ich diesen Stein so lange küssen, Bis eifersüchtig du mich ihm entreißest. (Goethe's Werke, 2ter Band, Seite 6.) , dann ließ er mich an die Erde, er wickelte meinen Arm in seinen Mantel und hielt mir die Hand an sein klopfend Herz und so gin- gen wir langsamen Schrittes nach Haus; ich sagte: wie schlägt Dein Herz! — „Die Secunden, die mit sol- chem Klopfen mir an die Brust stürmen,“ sagte er, „sie stürzen mit übereilter Leidenschaft dir zu, auch du jagst 10** mir die unwiederbringliche Zeit vorwärts.“ — So schön fing er die Bewegung seines Herzens in süßen Worten ein, der heilige unwidersprechliche Dichter. — Mein Freund, ich sage Dir gute Nacht. Weine mit mir einen Augenblick — schon ist Mitternacht vor- über, die Mitternacht, die ihn weggenommen hat. Gestern hab' ich noch viel an Goethe gedacht, nein nicht gedacht: mit ihm verkehrt. Schmerz ist bei mir, nicht Empfinden, es ist Denken, ich werde nicht berührt, ich werde erregt. Ich fühle mich nicht schmerzlich be- handelt, ich handle selbst schmerzlich. — Das hat also weh gethan, wie ich gestern mit ihm war. — Ich hab' auch von ihm geträumt. — Er führte mich längs dem Ufer eines Flusses schweigend und ruhig und bedeutsam, ich weiß auch, daß er sprach einzelne Worte, aber nicht was. Die Dämmerung schwärmte wie vom Wind ge- jagte zerrissene Nebelwolken, ich sah das zitternde Blin- ken der Sterne im Wasser, mein gleichmäßiger Schritt an seiner Hand machte mir das Bewegte, Irrende in der Natur um so fühlbarer, das rührte mich, und rührt mich jetzt während ich schreibe. Was ist Rührung? — ist das nicht göttliche Gewalt, die eingeht durch meine Seele wie durch eine Pforte in meinem Geist, eindringt, sich mischt und verbindet mit einer Natur, die vorher unberührt war, mit ihr neue Gefühle, neue Gedanken, neue Fähigkeiten erzeugt! — ist es nicht auch ein Traum, der den grünen Teppich unter Deinen Füßen ausbreitet und ihn mit goldnen Blumen stickt? — und alle Schön- heit, die Dich rührt, ist sie nicht Traum? alles was Du haben möchtest, träumst Du nicht gleich Dich in seinen Besitz? — Ach, und wenn Du so geträumt hast, mußt Du dann es nicht wahr machen oder sterben vor Sehn- sucht? — Und ist der Traum im Traum nicht jene freie Willkühr unseres Geistes, die alles giebt was die Seele fordert? Der Spiegel dem Spiegel gegenüber, die Seele inmitten, er zeigt ihre Unendlichkeit in ewiger Verklärung. Dem Freund. Du willst ich soll Dir mehr noch von ihm sagen, alles? — wie kann ich's? — gar zu schmerzlich wär's von ihm getrennt alle Liebe zu wiederholen; nein! wenn mir's wird, daß ich ihn selbst seh und spreche, wie mir's in diesen beiden Tagen erging, wenn ich zu ihm bitten kann wie sonst, wenn ich hoffen kann, daß er mir wie- der die ewige heilige Rede seines Blickes zuwendet, dann will ich die Erinnerungen, die aus diesem Blick mir zu- winken Dir mittheilen. So wird's auch kommen: es ist nicht möglich, daß, blos weil die leichte Hülle von ihm gesunken, dies alles nicht mehr sein oder sich ändern sollte. Ich will vertrauen und was andre für unmög- lich halten, das soll mir möglich werden. Was wär' die Liebe, wenn sie nichts anders wär' als was die un- regsame Menschheit an sich erfährt: ach sie erfährt nichts als ihren Ablauf. Schon in dem Augenblick, wo wir kühn genug sind, die Ewigkeit zum Zeuge unseres Glük- kes aufzufordern, haben wir die Ahnung, daß wir ihr nicht gewachsen sind, ach und nicht einmal: wir wissen vielmehr gar nichts von ihr. Von ihr wissen und in ihr sein ist zweierlei; gewußt hab' ich von ihr wie ich nicht mehr in ihr war. Dies ist der Unterschied: in ihr leben, da lebt man im Geheimniß, der innere Mensch umfaßt, begreift nicht die Wirkung, die es auf ihn hat. Von ihr leben: da lebt man in der Offenbarung, man wird gewahr wie eine höhere Welt uns einst in sich aufgenommen hatte, man fühlt die Merkzeichen früherer göttlicher Berührung — das was Scherz der Liebe schien, erkennen wir nun als himmlische Weisheit, wir sind er- schüttert, daß der Gott uns so nah war, daß unser ir- disch Theil in ihm sich nicht verzehrte, daß wir noch le- ben, noch sind, noch denken, daß wir nicht auf ewig auf- gegeben haben, was man so gern in glücklicher Stunde, am Busen des Freundes aufgiebt, nämlich was anders zu sein als Tief empfunden von dem Geliebten. Einmal stand ich am Fenster mit ihm, es war Mondschein, die Blätter der Reben schatteten sich ab auf seinem Antlitz, der Wind bewegte sie, so daß sein Aug' bald in Schatten kam, bald wieder im Mondlicht glänzte. Ich fragt: „Was sagt Dein Aug?“ — weil mir's schien als plaudre es. — „Du gefällst mir!“ — Was sagen Deine Blicke? — „Du gefällst mir wie keine andre mir gefällt,“ sagte er; o ich bitte, sage doch, was willst Du mit Deinem durchdringenden Blick? fragte ich, denn ich hielt seine Rede für keine Antwort auf meine Frage. — „Er betheuert, sagte er, was ich sage, und beschwört, was ich nicht wage, daß kein Frühling, Sommer, Herbst und Winter meinen Blick dir soll ver- locken. Denn du lächelst mir ja zu, wie der Welt du niemals lächelst, soll ich dir da nicht beschwören, was der Welt ich nie geschworen?“ Es ist mir häufig nur gleich einem Lichtstreif, der mir durch die Sinne fährt und Erinnerungen in mir erhellt, von denen ich kaum weiß ob sie bedeutend genug sind, daß man sie als etwas Erlebtes bezeichne. — In der Natur ist's auch so, was spiegeln kann, das giebt wieder die Schrift der Liebe, der See malt die hohen Bäume, die ihn umge- ben, grade die höchsten Wipfel in die tiefste Tiefe, und die erhabenen Sterne finden noch tiefere Tiefe in ihm, und die Liebe, die alles erzeugte, bildet zu allem den Grund, und so kann ich mit Recht sagen: unergründ- lich Geheimniß lockt alles zum Spiegel der Liebe, sei es auch noch so gering, sei es auch noch so entfernt. Wie ich ihn zum erstenmal sah, da erzählte ich ihm wie mich die Eifersucht gequält habe, seit ich von ihm wisse; es waren nicht seine Gedichte, nicht seine Bücher, die mich so ganz leidenschaftlich stimmten, ich war viel zu bewegt noch eh ich ihn gesehen hatte, meine Sinne waren viel zu verwirrt, um den Inhalt der Bü- cher zu fassen, ich war im Kloster erzogen und hatte noch nicht Poesie verstehen lernen; aber ich war schon im sechszehnten Jahr so von ihm hingerissen, daß wenn man seinen Namen nannte, man mochte ihn loben oder tadeln, so befiel mich Herzklopfen; ich glaub', es war Eifersucht, ich ward schwindlich, war es bei Tisch wo meine Großmutter manchmal von ihm sprach, so konnt' ich nicht mehr essen, währte das Gespräch länger, so vergingen mir die Sinne, ich ward nichts mehr gewahr, es braus'te um mich her, und wenn ich allein war dann brach ich in Thränen aus, ich konnte die Bücher nicht lesen, ich war viel zu bewegt, da war's gleichsam als erstürzte der Strom meines Lebens über Fels und Ge- klüft in tausend Kaskaden herab, und es dauerte lang ehe er sich wieder zur Ruh sammelte. — Da kam nun einer, der trug einen Siegelring am Finger und sagte, den habe Goethe ihm geschenkt. Das klagte ich ihm, wie ich ihn zum erstenmal sah, wie sehr mich das ge- schmerzt habe, daß er einen Ring so leichtsinnig habe verschenken können, noch eh er mich gekannt. Goethe lächelte zu diesen seltsamen Liebesklagen nicht, er sah milde auf mich herab, die zutraulich an seinen Knieen auf dem Schemel saß. Beim Weggehen steckte er mir den Ring an den Finger und sagte: „Wenn einer sagt, er habe einen Ring von mir, so sage du: Goethe erinnert sich an keinen wie an diesen .“ — Nachher nahm er mich sanft an sein Herz, ich zählte die Schläge. — „Ich hoffe du vergißt mich nicht,“ sagte er, „es wäre undankbar, ich habe ohne Bedingungen alle deine Forderungen so viel wie möglich befriedigt.“ — Also liebst Du mich , sagte ich, und ewig, denn sonst bin ich ärmer wie je, ja ich muß verzweifeln. Heute Morgen hab' ich einen Brief vom Kanzler Müller erhalten, der folgendes über Goethe schrieb: Er starb den seligsten Tod, selbst bewußt, heiter, ohne To- desahnung bis zum letzten Hauch, ganz schmerzlos. Es war ein allmählig sanftes Sinken und Verlöschen der Lebensflamme, ohne Kampf. Licht war seine letzte For- derung, eine halbe Stunde vor dem Ende befahl er: „die Fensterladen auf damit mehr Licht eindringe.“ An Goethe. Heute wollen wir der Leyer andre Saiten aufziehen! Heute bin ich so glücklich! Herr und Meister! Heute ist mir ein so herrlicher überraschender Entschluß aus der Seele hervorgegangen, der mich Dir so nah bringen wird. Du hast mich wie ein läuterndes Feuer durch- griffen und alles überflüssige, alles Unwesentliche wegge- zehrt. Es rauscht so selig durch mich — keine lustvollere, keine jugendlichere Zeit von heut an bis zu Dir hinüber. Wer kann sich mit mir messen? — Was wollen die? — die über mich urtheilen? — Wer mich kennt, wer mich fühlt, will nicht urtheilen. — Wie die Sonne freundlich mit ihren Streiflichtern auf Deinem Antlitz spielt, so spielt die Liebe, die Laune mir am Herzen, und wen ich liebe, dem bringt es Ehre, und wen ich Freund nenne, der kann sich drüber freuen, dem hab' ich Ehre erzeugt, denn er kam gleich nach Dir . Wenn's in mir klopfte und tobte dann strömte mir die Liebes- lust die Melodieen dazu und die Begeistrung nahm sie in den allumrauschenden Ocean der Harmonieen auf. Du hörtest mir zu und ließest die andern den Verstand haben, sich meiner Narrheit zu entsetzen; unterdessen strömte Ewiges durch Deine Lieder, und der Eifersucht Brand theilte die Nebelschauer auseinander, der Sonne kräftiger Strahl lockte Blüthe und Frucht. Ja, ewiger Rausch der Liebe und Nüchternheit des Verstandes, Ihr stört einander nicht, die eine jauchzt Musik, die andre lies't den Text. — Bildet Euch, ur- theilt, macht Euch Namen, nützlich, herrlich und groß. Habt Launen und was Ihr versäumt? — erkennt es nie! Denn ich und Er, der mir im ungemessnen Leben zuströmte, ersetzt mir alles. Du bist oben, Du lächelst herab! O dieses Jahres Frühlingsregen, die Gewitter seiner Sommerzeit, sie kom- men aus Deinem Bereich. Du wirst mir zudonnern, Du wirst Deine gewaltige tiefe Natur mir an's Herz schmettern und ich jauchze mich hinauf. Wenn die Begeistrung den Weg zum Himmel nimmt, dann schwingt sie sich tanzend im Flug, und die Götterjünglinge stehen gereiht und freuen sich ihrer Kühnheit. — Und Du? — Du bist stolz, daß sie der Liebling Deiner irdischen Tage ist, die den Luftocean mit lustbrausender Ungeduld durchrudert, aufspringt mit gleichen Füßen am Himmelsbord, und mit hoch auflo- dernder Fackel Dir entgegen fliegt, sie über Dir schwin- gend, dann sie hinschleudernd in die hallenden Him- melsräume, daß sie dem Zufall leuchte zum Dienst, ihr ist's einerlei wie; sie liegt im Schooß des Geliebten, und Eros, der eifersüchtige, hält Wache, daß nicht ähn- liche Flammen in ihrer Nähe sich zünden. In Böhmen am Waldesrand auf der Höhe da harr- test Du meiner und wie ich Dir entgegen kam den stei- leren kürzeren Weg kletternd, da standest Du fest und ruhig wie eine Säule; der Wind aber, der Bote des heranrückenden Wetters, raste gewaltig und wühlte in den Falten Deines Mantels, und hob ihn und warf ihn Dir über's Haupt und wieder herab, und wehte an beiden Seiten ihn mir entgegen, als wolle er Dich mit herabziehen zu mir, die ich ein kleines Weilchen unweit Deiner Höhe ausruhte vom Steigen, um die klopfenden Schläfe und die erhitzten Wangen zu kühlen, und dann kam ich zu Dir, Du nahmst mich vor Dich an die Brust, und schlugst die Arme um mich in Deinen Mantel mich einhüllend. Da standen wir im leisen Regen, der sich durch das dickbelaubte Gezweig stahl, daß hie und da die warmen Tropfen auf uns fielen. Da kamen die Wetter von Osten und Westen, wenig wurde geredet. Wir waren einsylbig. — „Es wird sich verziehen jen- seits,“ so sagtest Du, „wenn es nur nicht da unten so schwarz herauf käme.“ — Und die Schaaren der Wol- ken ritten am Horizont herauf, — es ward dunkel, — der Wind hob kleine Staubwirbel um uns her, Deine linke Hand deutete auf die Ferne, während die rechte das Gekräut und die bunten Pflanzen hielt, die ich un- terwegs gesammelt hatte. — „Sieh, dort giebt's Krieg! — diese werden jene verjagen; wenn meine Ahndung und Erfahrungen im Wetter nicht trügen, so haben wir ihrer Streitsucht den Frieden zu danken.“ — Kaum hattest Du diese Worte ausgesagt so blitzte es und brach wie von allen Seiten der Donner los; — ich sah über mich und streckte die Arme nach Dir, Du beugtest Dich über mein Gesicht und legtest Deinen Mund auf meinen, und die Donner krachten, prallten aneinander, stürzten von Stufe zu Stufe den Olympos herab, und leise rollend flüchteten sie in die Ferne, kein zweiter Schlag folgte. — „ Hält man das Liebchen im Arm: läßt man die Wetter überm Haupt sich ergehen !“ das waren Deine letzten Worte da oben, wir gingen hinab, Hand in Hand. — Die Nacht brach ein, in der Stadt zündete die Obstfrau eben ihr Licht an, um ihre Äpfel zu beleuchten, Du bliebst stehen und sahst mich lange an. — „So benützt Amor die Leuchte der Alten, und man betrachtet bei einer Laterne seine Äpfel und sein Liebchen.“ — Dann führtest Du mich schweigend bis zu meiner Wohnung, küßtest mich auf die Stirn und schobst mich zur Hausthür hinein. Süßer Friede war die Wiege meiner träumenden Lust bis zum an- dern Morgen. An den Freund. Nach zehn Jahren ward dies schöne Ereigniß, was so deutlich in meinem Gedächtniß eingeprägt blieb Veran- lassung zur Erfindung von Goethe's Monument. Moritz Bethmann aus Frankfurt am Main hatte es bestellt, er wünschte der unwidersprechliche Charakter des Dichters möge drinn ausgedrückt werden. Er traute mir das Ta- lent zu, daß ich die Idee dazu finden würde, obschon ich damals noch nichts mit der Kunst zu schaffen gehabt hatte. — In demselben Augenblick fiel mir Goethe ein, wie er damals am Rand des Berges gestanden, den Mantel un- ter den Armen hervor zusammen geworfen, ich an seiner Brust. — Das Erfindungsfieber ergriff mich, oft mußt' ich mich zerstreuen, um nur nicht mich ganz überlassen zu dürfen dem Gebrause der Imagination und den Er- schütterungen der Begeistrung. Nachdem ich die Nächte nicht geschlafen und am Tag nichts genossen war meine Idee gereinigt vom Überflüssigen und entschieden für's Wesentliche. Ein verklärtes Erzeugniß meiner Liebe, eine Apotheose meiner Begeistrung und sei- nes Ruhms; so nannte es Goethe, wie er es zum er- stenmal sah. Goethe in halber Nische auf dem Thron sitzend, sein Haupt über die Nische, welche oben nicht geschlos- sen sondern abgeschnitten ist, erhaben, wie der Mond sich über den Bergesrand herauf hebt. Mit nackter Brust und Armen. Den Mantel, der am Hals zuge- knüpft ist, über die Schultern zurück unter den Armen wieder hervor im Schooße zusammen geworfen, die linke Hand, welche damals nach den Gewittern deutete, hebt sich jetzt über der Leier ruhend, die auf dem lin- ken Knie steht; die rechte Hand, welche meine Blumen hielt, ist in derselben Art gesenkt, und hält nachlässig seines Ruhms vergessend den vollen Lorbeerkranz gesenkt, sein Blick ist nach den Wolken gerichtet, die junge Psyche steht vor ihm, wie ich damals, sie hebt sich auf ihren Fußspitzen, um in die Saiten der Leier zu greifen, und er läßt's geschehen in Begeistrung ver- sunken. Auf der einen Seite der Thronlehne ist Mig- non als Engel gekleidet mit der Überschrift: „So laßt mich scheinen bis ich werde,“ jenseits Bettina, wie sie, zierliche kindliche Mänade auf dem Köpfchen steht, mit der Inschrift: „Wende die Füßchen zum Himmel nur ohne Sorge! Wir strecken Arme betend empor, aber nicht schuldlos wie Du.“ Es sind jetzt acht Jahre her, daß ein hiesiger Künst- ler Der jüngere Wichmann. die Gefälligkeit hatte, mit mir eine Skizze in Thon von diesem Monument zu machen, es steht in Frankfurt auf dem Museum, man war sehr geneigt es in Thon ausführen zu lassen, da gab Goethe das frank- furter Bürgerrecht auf, dies verminderte zu sehr das Interesse für ihn, als daß man noch mit der Energie, die dazu nöthig war, die Sache betrieben hätte, und so ist's bis heute unterblieben. Ich selbst hab' oft in mich hineingedacht, was meine Liebe zu ihm denn wohl bedeute, und was daraus entspringen könne, oder ob sie denn ganz umsonst gewesen sein solle, da fiel mir's in die- sen letzten Tagen ein, daß ich so oft schon als Kind über- legte, wenn er gestorben wär', was ich da anfangen solle, was aus mir werden solle, und daß ich da immer mir dachte, auf seinem Grab möchte ich ein Plätzchen ha- ben, bei seinem Denkmal möchte ich versteinert sein wie jene Steinbilder, die man zu seinem ewigen Nachruhm aufstellen werde; ja ich sah im Geist mich in ein sol- ches Hündchen, das gewöhnlich zu Füßen hoher Män- ner und Helden als Sinnbild der Treue ausgehauen liegt, darein möcht' ich mich verwandeln. Heute Nacht dachte ich daran, daß ich früher öfter in solche Visionen versunken war und da war mir's so klar, daß dies der Keim sei zu seinem Monument, und daß es mir obliege seine Entstehung zu bewirken. Seit ich diesen Gedan- ken erfaßt habe bin ich ganz freudig, und habe große Zuversicht, daß es mir gelingen werde. Goethe sagte mir einmal folgende goldne Worte: „Sei beständig und was einmal göttlicher Beschluß in dir bedungen, daran setze alle Kräfte, daß du es zur Reife bringest. Wenn die Früchte auch nicht der Art ausfallen, wie du sie er- wartest, so sind es doch immer Früchte höherer Empfin- dung, und die allseitig erzeugende lebennährende Natur, kann und soll von der ewigen göttlichen Kraft der Liebe noch übertroffen werden.“ — Dieser Worte gedenkend, die er damals auf unsre Liebe bezog und, ihnen ver- trauend, daß sie noch heute meine schwache Natur zum Ziel leiten, werde ich verharren in diesem Beschluß, denn solche Früchte erzeugt die Liebe, wenn es auch die nicht sind, die ich damals erwartete, so traue ich doch seiner Verheißung, es werde mir gelingen. Zur Geschichte des Monuments gehört noch, daß ich es selbst zu Goethe brachte. Nachdem er es lange angesehen hatte, brach er in lautes Lachen aus; ich fragte: „Nun! mehr kannst Du nicht als lachen?“ — und Thränen erstickten meine Stimme. — „Kind! mein liebstes Kind!“ rief er mit Wehmuth, „es ist die Freude, die laut aus mir aufjauchzt, daß du liebst, mich liebst, denn so was konnte nur die Liebe thun.“ — Und feier- lich die Hände mir auf den Kopf legend: „Wenn die Kraft meines Segens etwas vermag, so sei sie dieser Liebe zum Dank auf dich übertragen.“ — Es war das ein- zigemal, wo er mich segnete, anno 24 am 5. September. Der Freund weiß daß die Sehnsucht nicht ist, wie der Mensch sich von ihr denkt, wie von dem Brausen des Windes, und von beiden falsch; nämlich, daß beide so sind, und auch wohl wieder vergehen; und die Frage: Warum und woher und wohin, ist ihnen bei der Sehnsucht wie bei dem Wind. Aber: Wie hoch herab senken sich wohl diese Kräfte, die das junge Gras aus dem Boden hervorlocken? — und wie hoch hinauf steigen wohl diese Düfte, die sich den Blumen entschwingen? — ist da eine Leiter angelegt? — oder steigen alle Gewalten der Natur aus dem Schooß der Gottheit herab, und ihre einfachsten Erzeugnisse wie- der zu ihrem Erzeuger hinauf? — ja gewiß! — al- les was aus göttlichem Segen entspringt kehrt zu ihm hinauf! und die Sehnsucht nach Ihm , der erst niedersank wie Thau auf den durstigen Boden des menschlichen Geistes, der hier in seine herrlichste Blüthe sich entfaltete, der aufstieg im Duft seiner eigenen Verklärung; sollte diese Sehnsucht nicht auch him- melan steigen? — sollte sie den Weg zu ihm hinauf nicht finden? — Tagebuch. 11 Dieses Fleisch ist Geist geworden . Diese Worte habe ich als Inschrift des Monu- ments erwählt. Was der Liebende Die zuruft Goethe, es bleibt nicht ohne Antwort. Du belehrst, Du er- freust, Du durchdringst, Du machst fühlbar, daß das Wort Fleisch annimmt in des Liebenden Herz. Wie der Ton hervorbricht aus dem Nichts, und wieder hinein verhallt, der das Wort trug was nie verhallt, was in der Seele klingt und alle verwand- ten Harmonieen aufruft: so bricht auch die Begeiste- rung hervor aus dem Nichts, und trägt das Wort in's Fleisch und verhallt dann wieder. — Der Geist aber, der sich vermählt mit der Weisheit des Wortes, wie jene himmlischen Kräfte sich im Boden vermählen mit dem Saamen aus dessen Blumen sie im Duft wie- der aufsteigen zu ihrem Erzeuger, der wird auch em- porsteigen und ihm wird Antwort ertönen vom himm- lischen Äther herab. Der Zug der Lüfte, die auch aufseufzen und da- herbrausen wie die Sehnsucht, von denen wir nicht wissen von wannen, die haben auch keine Gestalt; sie können nicht sagen: das bin ich oder das ist mein! — aber der Athem der Gottheit durchströmt sie, der giebt ihnen Gestalt, denn er gebärt sie durch das Wort in's Fleisch. — Du weißt, daß die Liebe die einzige Gebärerin ist; — daß, was sie nicht darbringt dem himmlischen Erzeuger, nicht zur ewigen Sipp- schaft gehöre? — was ist Wissen, das nicht von der Liebe ausgeht? — was ist Erfahrung, die sie nicht giebt? — was ist Bedürfniß, das nicht nach ihr strebt? — was ist Handeln, das nicht sie übt? — wenn Du die Hand ausstreckst und hast den Willen nicht die Liebe zu erreichen, was hast Du da? — odee was er- fassest Du? — Der Baum, den Du mit allen Wurzeln in die Grube einbettest, dem Du die fruchtbare Erde zuträgst, die Bäche zuleitest, damit Er, der nicht wan- dern kann, alles habe was ihn gedeihen macht, der blüht Dir , und Deine Sorge schenkst Du ihm darum; ich auch thue alles, damit sein Andenken mir blühe. — Die Liebe thut alles sich zu lieb und doch verläßt der Liebende sich selber und geht der Liebe nach. Ende des Tagebuchs. Gedruckt bei Trowitzsch und Sohn in Berlin.