Die teutschen Volksbuͤcher. Naͤhere Wuͤrdigung der schönen Historien-, Wetter- und Arzneybuͤchlein, welche theils innerer Werth, theils Zufall, Jahrhunderte hindurch bis auf unsere Zeit erhalten hat . Von J. Goͤrres, Professor der Physik an der Secondärschule zu Coblenz. Heidelberg , bey Mohr und Zimmer . 1807 . An Clemens Brentano . I ch gieng in Waldes Nacht, den Bach entlang, es rauschte der Strom so gar gespraͤchig. Was habt ihr Wellen mir zu sagen, habt in tiefen Kluͤften Wunderbares ihr gesehen, das ihr mir vertrauen moͤgtet? Da steht der alte graue Fels, dem ihr ent- quollen seyd, ein dunkeles Geheimniß liegt her um ihn, koͤnnt ihr das Wort mir geben? Es rauschten die Wellen staͤrker, aber ich verstand ihr Rauschen nicht. Euere Stimme hoͤr ich wohl, aber Zungen habt ihr keine, die Elemen- tensprache kenn ich nicht! Da ward der Bach gar zornig, er sog mehr Wasser an, und zog reissend nun einher, seine Stimme war ein gewaltig Brausen. Aber ich verstand die Elementensprache nicht! Ich war gar bestuͤrzt, und gieng an der zuͤr- nenden Creatur hinauf, bis da, wo die Silber- schlange ihre Hoͤhle im dunkeln alten Felsen hatte. Da saß ein Moͤnch, in sich versenkt, und blickte in die klare Welle nieder. Der Bach glitt ruhig hin, und wand sich schmeichelnd um seine Fuͤße her. Kannst du, lieber Moͤnch! mir nicht des Baches dunkele Toͤne deuten? Viel Menschen- weisheit tausch ich gegen der Elemente Wis- sen um. Es sah der Moͤnch mich schweigend an. Ich kannte wohl schon eher dich, was ist’s das deine Seele treibt? Das dunkele Wort, das Leben hat, und nimmer bleibende Gestalt, treibt meine Seele um! Das Wort ist gut, aber wo ist dein Streben hingerichtet? Die Pforten des Aufgangs such ich immer- dar, wo die starken Geschlechter wohnen! Wo steht Phosphorus, ich such’ ihn lange schon ver- gebens? Der Moͤnch stand auf, und winkte ernst, ich folgte ihm von ferne nach. Es oͤffnete der alte Fels sich, wie er angeklopft, wir standen an dem Thor von Erz, vor der Springwurzel wich es prasselnd auseinander. Ein weiter Dom war uns geoͤffnet, dunkel glimmte Lampenschein, spiegelglatt zog der Cry- stallboden in die ferne Daͤmmerung sich hin. Tritt auf den Spiegel, sprach der Moͤnch, sind deine Suͤnden dir vergeben, und ist dein Streben rein, dann wird der Crystall dich tragen, sonst sinkst du unten in die Grabgewoͤlbe nieder. Ich trat zagend auf die Spiegelbahn, es krachte unter meinen Fuͤßen sehr, der Moͤnch gieng neben hin, und sah mich forschend an; ich ermannte mich, mein Streben war ja rein; wir schritten hin, der Crystall war nicht gebrochen. Wir kamen, tief in des Domes Grund, in die daͤmmernde Capelle, wo Friedrich Barbarossa saß; der Bart war durch den Tisch ihm durchge- wachsen. Um ihn draͤngten sich die alten Helden Alle. Es gruͤste sie der Moͤnch, ich neigte mich; sie sahen verwundert auf. Reinold . Wer bringt uns Diesen her? Siegfried . Er meldet uns Bottschaft aus Alberich’s Reich. Carolus magnus . Monjoye S. Denis, sie haben große Maͤnner oben! Octavianus . Hornvilla hat, wie man sagt, ein zahlreich Geschlecht erzielt, das auf den Burgen wohnt. Lionell . Es sind die Loͤwen Katzen wohl geworden, und spinnen und mausen sehr geschickt? Florenz . Er soll mir meine Ochsen wieder- geben, der Kauf ist nichtig, ich war nicht majorenn! Heinrich der Loͤwe . Sie haben Feuer in meinem Hause angelegt, des Teufels Drohung will in Erfuͤllung gehen, weil ich den Faͤhrlohn ihm nicht entrichtet. Herzog Ernst . Eben hat der alte Greiff die Meinigen, in Ochsenhaͤute eingenaͤht, den Jungen zum Futter hingetragen. Wolfdieterich . Steht der Klee recht fett im Rosengarten, das Vieh muß schoͤne Wam- pen haben? Hagene . Sie muͤssen den Nibelungen- Hort, den ich in den Strom versenkt, jetzt doch aufgefunden haben, es ist viel Geld und Geldes- werth? Ich sah beschaͤmt am Boden nieder. „Es ist nicht gastlich von euch Ritter, daß ihr so den Fremdling gruͤst, der euch ehrt und liebt“. Aengstigt ihn nicht, sprach der Moͤnch, es ist eben der Heillosen Keiner. Da sah Barbarossa auf. Was suchst du bei den Todten, Fremdling? Ich suche das Leben, man muß tief die Brunnen in der Duͤrre graben, bis man auf die Quellen stoͤßt. Das Leben ist nicht mehr bei uns, wir haben es als Erbe euch zuruͤckgelassen, ihr habt uͤbel damit hausgehalten. Dann laßt aus euern Thaten von neuem den Lebensgeist mich ziehen. Von unsern Thaten sind die Schatten nur uns hinabgefolgt, willst du mit ihnen sprechen, lies in diesen Buͤchern. Der Moͤnch schlug die Buͤcher auf und deutete, ich las. Die Ritter sprachen fort, aber mit Geisterstimmen, Geistersprache, die Worte gestalt- los, vernehmlich dem Ohre aber unverstaͤndlich. Ich las lange, lange fort; es schien keine Sonne unten, unter den Helden war unaufhoͤr- lich unruhige Bewegung. Endlich schien, was sie ruͤhrt und regte, voruͤbergegangen, sie wurden still und ruhig, da schloß der Moͤnch des Buches Krempen. Ich sah auf und blickte an der ehrwuͤrdigen Versammlung hin. Im Kreiße saßen die edeln Gestalten traurig da, sie waren nicht mehr zornig. Geh hin, du wirst Vieles anderst finden. Erzaͤhle was du gesehen und vernommen hast! sprach Friederich. Ich neigte mich, uͤber den Crystallboden fuͤhrte mich der Moͤnch zuruͤck, die Pforten fuhren von neuem prasselnd auseinander, wir giengen durch den Berg dahin, es schien die Sonne wieder, der Moͤnch verschwand. Ich sah mich außen um, wie war Alles anderst da geworden! Die alten Bilder waren aus den Nischen herausgeworfen, sie lagen in schmaͤhliger Verstuͤmmlung umhergestreut; die alten Eichen waren hohl geworden von der Zeit, und vom Sturme umgeweht; es wuͤrfelten Krieger um Purpurmaͤntel; alle Marksteine waren aus- gegraben. Wollen die Jahrhunderte im Sturmschritt voruͤbereilen? Haben sie unten den Becher mir gereicht, in dem man das Leben in einem Zuge schnell vertrinkt; hab’ ich in der Vergangenheit meine Zukunft vorweggelebt? Deckt mir graues Haar den Scheitel, kennen mich denn Jene die mich lieben nicht, ist mein vaͤterlich Haus denn auch in Schutt zerfallen, und stehen verwundert die Nachbarn um den suchenden Wandrer her, der sich in der Zeit verspaͤtet hat, und nach der laͤngst versunknen Jugend fragt? Wanderer, die du suchst, sind nicht mehr hienieden, dort weht Gras uͤber ihren und ihrer Kinder Graͤber! O wie bin ich alt geworden, wie schlaͤgt das Herz mir zoͤgernd in der Brust, wie ist Alles um mich her so alt geworden, o Knabe auf raschem Roße mit dem Wunderhorn, wie bist du alt geworden! Es sieht die junge Generation mich so altklug und verstaͤndig an, geht nur, ihr seyd wackere Kinder, der Himmel wird euch Ruhe und Ueberfluß verleihen und ein gemaͤchlich Leben. So muß ich denn fuͤr die Enkel niederschreiben, was die Unterirdischen mir aufgetragen, und was mein flimmernd Gedaͤchtniß mir nicht versagt. D ie Schriften, von welchen hier die Rede ist, begrei- fen weniger nicht als die ganze eigentliche Masse des Volkes in ihrem Wirkungskreis. Nach keiner Seite hin hat die Literatur einen größeren Umfang und eine allge- meinere Verbreitung gewonnen, als indem sie über- tretend aus dem geschlossenen Kreise der höheren Stände, durchbrach zu den untern Classen, unter ihnen wohnte, mit dem Volke selbst zum Volke, Fleisch von seinem Fleisch, und Leben von seinem Leben wurde. Wie Halm an Halm auf dem Felde in die Höhe steigt, wie Gräser sich an Gräser drängen, wie unter der Erde Wurzel mit Wurzel sich verflicht, und die Natur einsilbig aber unermüdet immer dasselbe dort, aber immer ein Anderes sagt, so thut auch der Geist in diesen Werken. Wie sehen wir nicht jedes Jahr in der höheren Literatur die Geburten des Augenblicks wie Saturn seine Kinder verschlingen, aber diese Bücher leben ein unsterblich unverwüstlich Leben; viele Jahrhunderte hindurch haben sie Hunderttausende, ein ungemessenes Publikum, 1. beschäftigt; nie veraltend sind sie, tausend und tausendmal wiederkehrend, stets willkommen; unermüdlich durch alle Stände durchpulsirend und von unzählbaren Geistern aufgenommen und angeeignet, sind sie immer gleich belustigend, gleich erquicklich, gleich belehrend geblieben, für so viele viele Sinne, die unbefangen ihrem inwohnen- den Geiste sich geöffnet. So bilden sie gewissermaßen den stammhaftesten Theil der ganzen Literatur, den Kern ihres eigenthümlichen Lebens, das innerste Fun- dament ihres ganzen körperlichen Bestandes, während ihr höheres Leben bey den höheren Ständen wohnt. Ob man wohlgethan, diesen Körper des Volksgeistes als das Werkzeug der Sünde so geradehin herabzuwür- digen; ob man wohlgethan, jene Schriften als des Pöbelwitzes dumpfe Ausgeburten zu verschmähen, und darum das Volk mit willkührlichen Beschränkungen und Gewaltthätigkeiten zu irren, das ist wohl die Frage nicht! Denn wir tadeln ja auch die Biene nicht, daß sie im Sechseck baue, und die Seidenraupe nicht, daß sie nur Seide und nicht Tressen und Purpurkleider webe, und beginnen allmählig jetzt die Welt zu achten, wie ohne Menschenweisheit sie die Natur zu ihrem Bestand geordnet, und zur schönen humanen Duldung wohl gelangt, lassen wir leben was athmen mag, weil es sich nicht geziemt, des Herren Werke zu vernichten. Von dieser toleranten Gesinnung der Gebil- deten gegen die Ungebildeten wäre es, dünkt uns, gut und gelegen in der Untersuchung auszugehen; jene aber, die das Postulat nicht zuzugeben gesonnen sind, werden es zugleich mit begründet finden, wenn bewiesen worden, was bewiesen werden sollte. Das nämlich ist die Frage, ob diese Schriften bei ihrer äußeren Verbreitung wohl auch eine gewisse angemes- sene innere Bedeutsamkeit besitzen; ob nicht zu spär- lich für den höhern Sinn der Funken der bildenden Kraft in ihnen glimme; ob nicht, das Alles zugegeben, das Höhere, sobald es aus der Oberwelt in die pflan- zenhafte, gefesselte Natur des Volks herabgestiegen, dort seine ganze innere Lebendigkeit verliere, und in ein unnützes Geranke verwildert, nur noch als schäd- lich Unkraut üppig wuchre? Wahr ist’s, schmackloses Wasser führen die Ströme und die Brunnen nur, die aus schlechter Erde quellen, während der Feuer- wein nur auf wenigen sonnigten, hochaufstrebenden Gebürgen reift; man hat recht gut und recht scharf- sinnig bemerkt, daß die Feldblumen wenig Reize für den gebildeten Dilettanten besitzen, und es ist ein kläg- lich Ding um Alles, was die Natur weggeworfen, es ist kaum des Aufhebens für den bemittelten Menschen werth, was aber wirklich kostbar ist, das versteckt sie recht tief und geizig in die vielen Falten ihres weiten Mantels, und nur wer die Wünschelruthe hat, der mag zu dem Verborgenen gelangen. Wahr scheints ferner auch, das Volk lebt ein sprossend, träumend, schläfrig Pflanzenleben; sein Geist bildet selten nur und wenig, und kann nur in dem Strahlenkreise der höheren Weltkräfte sich sonnen, seine Blüthe aber blüht Alles unter die Erde in die Wurzel hinab, um dort wie die Kartoffel eßbare Knollen anzusetzen, die die Sonne nimmer sehen. Nicht ganz so ungegründet zeigt sich daher wohl die Besorgniß, es sey da unten nichts zu suchen, als werthloses Gerölle, Kieselsteine, die die Ströme in den langen Zeitläuften rund und glatt gewälzt, schmutzige Scheidemünzen, die vielfältiges Betasten abgegriffen. Aber Manches mögte doch die- ser Ansicht wieder entgegenreden. Für’s erste könnte es scheinen, als ob die künstliche Differenz der Stände, weil keineswegs die Natur unmittelbar sie gegründet, und in scharfen Umrissen abgegränzt, auch auf keine Weise von so gar mächtigem Einfluß wäre. In jedem Menschen sind, dünkt uns, eigentlich alle Stände; diese Zeit hat uns gelehrt, wie sie in einzelnen Indi- viduen alle der Reihe nach erwachten, bis endlich oben gar Kronen aus dem Unscheinbaren erblühten. In den obern Ständen sehen wir daher den Bauer und den Bürger hinter der äußeren Eleganz versteckt, im Bauer aber in der Regel den guten Ton so zu sagen ins Fleisch geschlagen, und dort zum Tonus des Mus- kels werden. Man sollte denken, daß der eingesperrte Bauer dort wohl auch einmal, wenn er sich durchge- schlagen, auf bäuerisch sich erquicken mögte, und wie- der daß wohl auch in den unteren Ständen, besonders an Sonn- und Festtagen, wenn der Wo- chenschmutz abgerieben, und der Körper im Staate auch zu Staatsactionen aufgelegt sich fühlt, der kniende Herr im Menschen sich aufrichten, und um sich blicken, und auch nach den goldenen Aepfeln lüstern mögte, die oben in dem dunkeln Laube hängen. Wir wollen indessen keineswegs auf diesem fußen: jene würden schamhaft darum sich verbergen, daß sie in einem schwachen Momente sich überrascht; diese würde man als eitle Parvenus verlachen und in Spott entlassen. Aber eines wollen wir vorzüglich in’s Auge nehmen, daß wir die Pöbelhaftigkeit, als Solche rein schlecht und verwerflich unterscheiden von Volksgeist und Volkes- sinn, die in ihrer Ausartung und Verderbniß nur in jenen übergehen. Wir werden dann der alten Bemer- kung uns erinnern, wie diese Pöbelhaftigkeit durch alle Stände greifend keineswegs allein auf die Unteren sich be- schränkt. Wenn wir das lärmende Marktvolk in unserer feinen Literatur die Kunstwerke umsummen und stier und dumm begaffen sehen, und dann in dem bösen Pfuhle, der sich um die hohen Bilder sammelt, die schönen Formen in mißfälligen Verzerrungen wie- derscheinen, dann wittern wir Pöbelluft; die Schlech- tigkeit im Volke hat ihre Repräsentanten zum großen Convente abgesendet, und die sitzen nun im Rathe zu Gericht über Leben, Kunst und Wissenschaft, und legen ihren Comittenten periodisch Rechenschaft von ihrem Thun und Lassen ab, und es ist ein Geist und ein Willen und eine Gesinnung, die unter den ver- bundenen Brüdern und Freunden herrschen. So hat das Böse, das Schlechte, das Gemeine seine Kirche, seinen sichtbaren Statthalter auf Erden, betraute Näthe, Priester, Ritter, Layen, alles Janhagel, feiner, gröber, bestialisch, geschliffen, pfiffig, dumm, alles Janhagel. Von dieses Volkes Büchern reden wir nicht, es würde zu weitläuftig seyn, und wir würden uns zu hoch versteigen müssen. Aber es giebt ein anderes Volk in diesem Volke, alle Genien in Tugend, Kunst und Wissenschaft, und in jedem Thun sind dieses Volkes Blüthe; jeder, der reinen Herzens und lauterer Gesinnung ist, gehört zu ihm; durch alle Stände zieht es, alles Niedere adelnd, sich hin- durch, und jeglichen Standes innerster Kern, und eigenster Character ist in ihm gegeben. Jedem Stande kann nämlich ein Idealcharakter inwohnend gedacht werden, höher hinauf gestimmt in den höheren Stän- den; tiefer verleiblicht, aber immer noch vollkommen im Volke. Körperliche Gesundheit ist so vollendet in sich und achtbar, wie innere Geistesharmonie, und Eines jedesmal durch das Andere bedingt. Von die- sem heiligen Geiste, der im Volke wohnt, und nichts zu schaffen hat mit unheil gem Pöbel, reden wir jetzt, ob er darum weil er derber, sinnlicher im Nie- dersteigen geworden ist, verwerflich sey. So ist der Geist, der z. B. am französischen Volke übrig bleibt, nachdem man Alles, was die Verruchtheit von Jahrhun- derten ihm eingebrannt, mit jenem Pöbel von ihm abge- schieden, ein harmloser, gutmüthiger, leichter, heiterer Lebensgeist; gewandt und rasch in allen Aeußerungen, für das Gute leicht empfänglich und berührsam. Das ist der herrliche Geist, der in den englischen Matrosen wohnt, nachdem man alle Bestialität in die Schlacken hin- eingetrieben, diese kräftige, energische, unermüdliche, brave Natur, die wie Damascenerstahl im Sturmes- braus gehärtet gegen den Ankampf aller Elemente federt, und stolz und wild und siegreich mit dem Meere ringt. Das der Spanier stolzer, hoher Bar- bareskensinn, der tönendes Erz im Busen trägt, und weil er Würdiges nicht vollbringen kann, lieber auf seinem innern Reichthum ruht, und jede ungeziemende Thätigkeit verschmäht. So erkennen wir endlich auch den ächten innern Geist des teutschen Volkes, wie die älteren Mahler seiner besseren Zeit ihn uns gebil- det, einfach, ruhig, still, in sich geschlossen, ehrbar, von sinnlicher Tiefe weniger in sich tragend, aber dafür um so mehr für die höhern Motive aufgeschlos- sen. Gerade die Demüthigung, die diesem Charakter durch das Ungeschick der Führer bereitet worden ist, muß die innere Scheidung in dem Wesen der Nation vollenden; sich lossagend von dem, was die Verwor- renheit der nächst vergangenen Zeit ihr aufgedrungen, muß sie zurückkehren in sich selbst, zu dem was ihr Eigenstes und Würdigstes ist, wegstoßend und preis- gebend das Verkehrte; damit sie nicht gänzlich zer- breche in dem feindseligen Andrang der Zeit. Nachdem wir das Alles auf diese Weise erwogen, wird der Gedanken einer Volksliteratur uns keines- wegs mehr so nichtig und in sich selbst verwerflich scheinen, als es so geradehin auf den ersten Blick den An- schein gewann. Nachdem wir einen inwendigen Geist in allen Ständen wohnend, und gleich einem schlackenlosen Metallkönig durch alle Verunreinigung von Zeit und Gelegenheit durchblickend anerkannt, wird auch die Idee näher uns befreundet, daß im allgemeinen Ge- dankenkreise die untersten Regionen auch etwas gelten und bedeuten mögten, und daß der große Literatur- staat sein Haus der Gemeinen habe, in dem die Na- tion sich selbst unmittelbar repräsentire. Giebt es aber nun wirklich einen Kreis von Schriften, die der Ge- nius jener Völker, die wir aufgezählt, gleichmäßig anerkennt, die viele einander folgenden Generationen immer wieder von neuem sanctionirt, die den Besten immer wohlgefallen, die die Menge niemal sinken lassen, und nach denen Alle nimmer zu verlangen aufgehört, dann thun wir klug, nicht mehr so ganz wegwerfend abzuurtheilen; die Verachteten mögten uns unter die Augen treten, und uns entgegen fragen, was wir denn selber bedeuteten, und worauf unser Dünkel denn wohl sich gründen mögte? So aber ist’s wirklich mit den Büchern, die wir im Auge ha- ben, beschaffen: so weit teutsche Zungen reden, sind sie überall vom Volke geehret und geliebt; von der Jugend werden sie verschlungen, vom Alter noch mit Freude der Rückerinnerung belächelt, kein Stand ist von ihrer Einwirkung ausgeschlossen, während sie bei den Untern die einzige Geistesnahrung auf Lebenszeit ausmachen, greifen sie in die Höheren, wenigstens durch die Jugend ein, in der überhaupt aller 2. Standesunterschied sich mehr ausgleicht, und die in ihnen oft für ihre ganze künftige Existenz den äuße- ren Anstoß findet, und den Enthusiasmus ihres Lebens saugt. Aber keineswegs auf diesen großen nationellen Kreis haben sie ihre Wirksamkeit beschränkt; wie bei den Teutschen, so finden wir sie auf gleiche Weise bei den Franzosen in allgemeinem Umlauf; wie dort Cöln und vorzüglich Nürnberg sie zu tausenden nach allen Richtungen hin vertreiben, so ist hier Troyes der allgemeine Stapelplatz, von wo aus sie, in gleicher Menge, nur in der Form häufig sorgfältiger und correcter wie bei den Teutschen, sich über die Nation verbreiten, und einen unzuberechnenden Einfluß auf ihren Geist und Character üben. Und auch damit noch ist der Wirkungskreis dieser Bücher nicht begränzt; während die Holländer und die Engelländer die Mei- sten in ihrer Sprache besitzen, haben nicht minder die Spanier und die Italiäner sie theils in die Ihrige übersetzt, theils Manche selbst für sich producirt, so daß vielleicht sechszig und mehr Millionen Menschen um ihre Existenz wissen, und mehr oder weniger an ihnen sich erfreuen. Nimmt man nun noch hinzu, daß während im Jahrhunderte dreimal die Generatio- nen wechseln, diese Bücher drei, vier und mehrere Jahrhunderte überlebten; Manche wie wir sehen werden, bis in die grauesten Zeiten des Alterthums hinaufrei- chen, dann gewinnen sie ein wahrhaft ungemessenes Publicum, und sie stehen keineswegs mehr als Gegen- stände unserer Toleranz uns gegenüber, sondern viel- mehr als Objecte unserer höchsten Verehrung und unserer wahrhaftigen Hochachtung; als ehrwürdige Alterthümer, die durch das läuternde Feuer so vieler Zeiten und Geister unversehrt durchgegangen sind. Man glaube nur nicht, daß ein Schlechtes für sich diese Prüfung der Menge und der Zeit bestehen könne; es kann mit unterlaufen, von dem Guten durchge- schleppt, aber nimmer sich für sich selbst allein be- haupten. Die Nation ist nicht einem todten Felsen ähnlich, dem der Meisel willkührlich jedes Bild ein- graben kann, es muß etwas ihm Zusagendes in dem seyn, was man von ihr aufgenommen wissen will; ein dunkler Instinct für das Gute ist keiner Creatur versagt, und damit fühlt sich leicht, was gut und ge- deihlich was schädlich und giftig ist, heraus, und kräftig, und ohne sich zu besinnen, stößt die Menge alles ab, vor dem dieser dunkle Trieb sie warnt. Und wenn auch einzelne Irrungen unterlaufen, wenn das Schlechte, das Kraftlose augenblicklichen Eingang findet, bald erwacht der innere Eckel und Ueberdruß, und die Zeit spült in ihrem Strome alles wieder weg, und gleicht alle Fehler wieder aus. Was aber diese Probe besteht, was Allen zusagt, Individuen und Geschlechtern, was Allen, eine widerhaltende, kräftige Nahrung giebt, wie Brod, das muß nothwendig Brodeskraft in sich besitzen, und lebensstärkend seyn. Wenn daher auch der Zufall bei der Wahl dieser Schriften gewal- tet zu haben scheint, indem man dem Volke sie gebo- ten, bey der Aufnahme hat er keineswegs vorgeherrscht; ein großes fortdauerndes Bedürfniß muß im Volk bestehen, dem jede Einzelne für sich zusagt, und das daher fortdauernd sie erhält: nur gerade das Schlechte mag durch den Zufall oben schwimmend eine Weile erhalten werden, muß aber nothwendig auch über lang oder kurz von ihm zerrieben werden. Und dies Bedürfniß ist gerade das unvertilgbar der mensch- lichen Ratur eingepflanzte Streben, zu sättigen den Geist mit Gedanken, und mit Empfindungen das Ge- müth; ein Streben, das gerade am überraschendsten auf dieser Stufe siegreich sich offenbart, wo es schei- nen sollte, als ob der dunkle sinnliche Trieb, und die Lust, die mit seiner glücklichen Befriedigung verbun- den ist, alle die Kräfte fesseln müßte, deren Spiel- raum in Regionen fällt, wo das körperliche Bedürf- niß nichts zu suchen hat. Aber durchbrechend durch die feste Corallenrinde, in der das Leben gegen die unfreundliche Natur sich wahren muß, drängt der innere verschlossene Geist die Fühlhörner hinaus in die weite freye Umgebung, und es ist rührend zu se- hen, wie er um sich tastend, und Alles umher begrei- fend, und nach allen Richtungen sich windend, nach Weltanschauung ringt, und auch sich ergötzen mögte in dem freundlichen Strahl, der die Seele aller Crea- turen ist. Es ist daher ein anderer Hunger und ein anderer Durst, als jener blos sinnliche, der hier sich im Volke regt; nicht nach körperlicher Speise sehnt er sich, damit er in Leibliches sie wandle, sondern nach dem höheren Geiste lüstert ihn, den der Genius ausgegossen aus seiner Schaale in die rohe Materie, und der als ihre Seele sie sich nun zugestaltet hat. In die Tiefe zieht das Thier im Menschen die Lei- besnahrung zu sich nieder, und wiederkäuend und assimilirend die Lebenslymphe erstarkt es, und gewinnt Breite und Raum auf Erden; aber der Gott im Menschen mag nur den feinsten Wohlgeruch der Dinge, den zarten Duft, der aus ihnen unbegreiflich und un- sichtbar athmet, er nährt sich nur mit den Lebens- geistern, die im Innersten der Wesen verborgen woh- nen, die er dann einsaugt mit allen Nerven, und sich aneignet als eines höheren Himmels Speise, und in der Aneignung selbst verklärt. Dieser Geist muß sich vom Thiere losgerungen haben, zum Centauren muß das rein Thierische sich hinaufgesteigert haben, in dem das Menschliche siegreich das Animalische über- ragt und bändigt, wenn irgend der Drang nach jener feinern Nahrung in ihm lebendig werden soll. Daß aber im Volke jener Drang und die Mittel zu seiner Befriedigung sich finden, beweißt eben, daß in ihm längst schon jene Umwandlung vorgegangen ist; daß es längst schon die Region der dumpfen Stupidität verlassen hat, in die seine Verhältnisse es unlösbar gefesselt zu haben scheinen; daß nun in den untersten Classen der Gesellschaft das Bessere siegreich sich offen- hart, und daß oben auf dem durch und durch sinn- lichen Körper ein menschlich Antlitz entsprossen ist, das über die wagrechte Thierlinie sich erhebend hin- aufstrebt zum Himmel, und Anderes denn das Ir- dische schon sucht und kennt. Auf zwiefach verschiedene Weise aber hat jene in- nere im Volke wach gewordene Poesie sich im Volke sebst geäußert. Einmal im Volkslied , in dem die jugendliche Menschenstimme zuerst thierischem Gebelle entblüht, wie der Schmetterling der Chrysalide, in un- gekünstelten Intonationen die Tonleiter auf- und nie- dersteigend freudig sich versuchte, und in dem die ersten Naturaccente klangen, in die das verlangende, freudige, sehnende, in innerem Lebensmuth begeisterte Gemüth sich ergossen. Eintretend in die Welt, wie der Mensch selbst in sie tritt, ohne Vorsatz, ohne Ueberlegung und willkührliche Wahl, das Daseyn ein Geschenk höherer Mächte, sind sie keineswegs Kunstwerke, sondern Naturwerke wie die Pflanzen; oft aus dem Volke hinaus, oft auch in dasselbe hineingesungen, bekunden sie in jedem Falle eine ihm einwohnende Genialität, dort produc- tiv sich äußernd, und durch die Naivität, die sie in der Regel characterisirt, die Unschuld und die durchgän- gige Verschlungenheit aller Kräfte in der Masse, aus der sie aufgeblüht, verkündigend; hier aber durch ihre innere Trefflichkeit den feinen Tact und den gera- den Sinn bewährend, der schon so tief unten wohnt, und nur von dem Besseren gerührt nur allein das Bessere sich aneignet und bewahrt. Wie aber in die- sen Liedern der im Volke verborgene lyrische Geist in fröhlichen Lauten zuerst erwacht, und in wenig kunst- losen Formen die innere Begeisterung sich offenbart, und bald gegen das Ueberirdische hingerichtet, vom Heiligen spricht und singt, so gut die schwere wenig gelenke Zunge dem innern Enthusiasm Worte geben kann; dann aber wieder der Umgebung zugewendet, von dem Leben und seinen mannichfaltigen Beziehun- gen dichtet, jubelt oder klagt und scherzt: so muß auf gleiche Weise auch der epische Naturgeist sich bald ebenfalls dichtend und bildend zu erkennen geben, und auch mit seinen Gestaltungen den ihm in dieser Region gezogenen Kreis anfüllen. Jenen religiösen und pro- fanen Gesängen, in denen des Volkes Gemüth sein Inneres ausspricht, werden daher auch bald andere Gedichte im Character jenes ruhigen Naturgeistes sich gegenüberstellen, in denen das Gemüth was es durch seine Anschauung in der Welt gesehen, mahlt und verkündigt, und gleichfalls bald als heilige Geschichte das Ueberirdische bedeutsam bezeichnet, bald als Ro- mantische dem unmittelbar Menschlichen näher ge- rückt, durch Schönheit, Lebendigkeit, Größe, Kraft, Zauber oder treffenden Witz ergötzt. Diese Dich- tungen sind die Volkssagen , die die Tradition von Geschlecht zu Geschlechte fortgepflanzt, indem sie zu- gleich mit jenen Liedern, durch die Gesangweise die sich dem Organe eingeprägt, einmal gebildet, vor dem Untergange sich bewahrten. In den frühesten Zeiten entstanden die meisten dieser Sagen, da wo die Na- tionen, klare frische Brunnen der quellenreichen, jun- gen Erde eben erst entsprudelt waren; da wo der Mensch gleich jugendlich wie die Natur mit Enthusi- asmus und liebender Begeisterung sie anschaute, und von ihr wieder die gleiche Liebe und die gleiche Begeisterung erfuhr; wo Beyde noch nicht alltäglich sich geworden, Großes übten und Großes anerkannten: in dieser Periode, wo der Geist noch keine Ansprüche auf die Umgebung machte, sondern allein die Empfindung; wo es daher nur eine Naturpoesie und keine Naturge- schichte gab, mußten nothwendig in diesem lebendigen Naturgefühle die vielfältig verschiedenen Traditionen der mancherlei Nationen hervorgehen, die kein Lebloses anerkannten, und überall ein Heldenleben, große gigan- tische Kraft in allen Wesen sahen, überall nur großes, heroisches Thun in allen Erscheinungen erblickten, und die ganze Geschichte zur großen Legende machten. Lebendig wandelten diese Gesänge mit den Liedern, vom Ton beseelt, im Leben um; da aber, als die Er- findung der Schreibkunst und später der Buchdruckerey dem Ton das Bild unterschob, da wurde freilich das Leben in ihnen matter, aber dafür in demselben Maaße zäher, und was sie an innerer Intensität verlohren, gewannen sie wenigstens an äußerer Extension wieder. So wurden die Lieder in jenen fliegenden Blättern fixirt, die sie wie auf Windes-Fittig durch alle Länder trugen; und was im Munde des Volkes allmählig mehr und mehr verstummte, das bewahrte das Blatt wenig- stens für die Erinnerung auf. Jene andern Gesänge aber, ihrer Natur nach mehr ruhend, bestimmt, mehr 3. an das Bild als an den Ton gebunden, und daher Zauberspiegeln gleich, in denen das Volk sich und seine Vergangenheit, und seine Zukunft, und die andere Welt, und sein innerstes geheimstes Gemüth, und Alles was es sich selbst nicht nennen kann, deutlich und klar ausgesprochen vor sich stehen sieht; diese Gebilde mußten vorzüglich in jenem äußeren Fixirenden ein glückliches Organ für ihre freie Entwicklung finden, weil sie ihrer Natur nach mehr im Extensiven sind, und nun, indem die Schranken, die die enge Capacität des Gedächtnisses ihnen zog, gefallen waren, sich frei nach allen Nich- tungen verbreiten konnten. So sind daher aus jenen Sagen die meisten Volksbücher ausgegangen, indem man sie, aufgenommen aus dem mündlichen Verkehr in den Schriftlichen, in sich selbst erweiterte und vollendete: nur Eines haben sie bei dieser Metamarphose eingebüßt; die äußere poetische Form, die man als bloßes Hülfs- mittel des Gedächtnisses jetzt unnütz geworden wähnte, und daher mit der gemeinen Prosaischen verwechselte. So gut nämlich wie der alten griechischen Sage von der Einnahme Trojas ist es wenigen Späteren geworden, daß sie nämlich einen Homer gefunden hätten, der aus dem Munde der Nation sie übernehmend, während er extensive zum großen Epos sie erweiterte, sie zugleich auch in ihrer innern Form verklärte, und das große Werk nun in Tafeln von Erz gegraben im großen Tempel der Nation aufgestellt. Die Tradition selbst aber, nach- dem sie auf diese Weise ein bleibendes Organ gefunden, verlor nun als Solche sich allmählig; während Andere Jahrhunderte hindurch umsonst auf die gleiche Erlösung wartend, von der fortschreitenden Kultur erreicht, in sich vergangen sind, und noch Andere in den entlegneren Gegenden, wo die Zeit das alte Dunkel noch nicht auf- geklärt, in der Dämmerung stillen Lichtern gleich, schweben, und auf eine bessere Zukunft verzweifelnd harren, weil die Misgunst der Umstände nicht wollte, daß die Vergangenheit ihnen Körper und Bestand gege- ben hätte. Von vielen dieser Volksbücher sagt ihre Geschichte ausdrücklich, daß sie auf solche Weise entstan- den sind; Andere tragen unverkennbar den Character dieser Abkunft in ihrem ganzen Wesen, und wenn man bei noch Anderen auf besondere historische Quellen sich be- ruft, dann findet man, wenn man die Natur dieser Quellen genauer prüft, immer wieder, wie sie zuletzt auf jene Sagen sich beziehen, und aus ihnen sich gesammelt haben. Was aber die Didactischen, Lehrenden unter den Volksbüchern betrifft, so sind sie eben ihres innern reflec- tirenden Characters wegen durchaus modern, und in demselben Grade mehr modern, wie das Verständige in ihnen mehr vorherrscht. Und in den Aeltesten herrscht es noch am meisten vor; jene wunderbare Ansicht von seltsamen Eigenschaften der Naturproducte, z. B. in den Kräuterbüchern dieser Zeit, die die Physik bei ihrem Fortschreiten völlig vernichtet hat, ist in dem Grade poetisch, wie sie unwissenschaftlich ist; und gerade weil sie so alt sind, ist so viel von Poesie in ihnen, so wenig hingegen von Wahrheit. Denn in dem Maaße, wie die Na- turkraft im einzelnen Menschen und im ganzen Volke in jugendlicher Fülle, und in raschem Lebensmuth vor- herrscht, in dem Maaße wird er auch von dem Lebens- rausch besessen, und er taucht mit seinem ganzen Wesen unter in dem frischen warmen Quelle, und ist lauter Phantasie, und Empfindung und Poesie. Wenn aber, nachdem das Ganze in kräftiger Fülle sich geründet hat, die Natur im Menschen zur Vollendung reift: dann sammelt er sich in sich selber wieder, und reißt sich von sich selber los, und tritt nun in seiner Freiheit dieser Natur und seiner ganzen Vergangenheit, eben so als einem Gegenständlichen gegenüber, wie vorher das Ob- ject selbst der ganzen äußern Natur sich entgegensetzte, und mit diesem Gegensatz erwacht zuerst die Reflection und das Nachdenken, und mit ihnen die freie, klare Er- kenntniß, und des Gedankens weites, schrankenloses Reich ist dann geöffnet. Alle diese Schriften sind daher nicht von früherer mündlicher Ueberlieferung ausgegan- gen, mithin auch nicht wie die rein Poetischen aus dem Volke selbst hervorgewachsen, und auch keineswegs so tief mit seiner innersten Natur verwachsen, wie es Diese sind. Sie ordnen sich am nächsten jenen spätern Versuchen der Neuern bey, diese Literatur zu erweitern durch andere der großen Masse fremde Combinationen, mit denen vorher nie das Volk vertraut gewesen, die daher auch in ihrer Wirkung so wenig gedeihlich und so oft unnütz gewesen sind Ich rechne dahin unter Andern die neuen Leipziger Volks- bücher bei Solbrig , mehrere aus Musäus abgedruckte Volkssagen sind zwar nicht unzweckmäßig gewählt, obgleich der in ihnen herrschende Ton keineswegs eigentlicher Volkston, und ihre Naivetät nicht Volksnaivetät ist. Alles andere aber ist meist so leer, so gehaltlos und fatal, daß die fade Speise nothwendig den Instinct des Volkes eckeln mußte. . Das Volk hat sie nicht mit der Liebe umfassen können, wie jene Früheren, mit denen es gleichsam aufgewachsen, und in welchen es erstaunt auf einmal sein eigenstes Eigenthum erkannte, und klar und deutlich im Worte ausgesprochen fand, was es wohl oft mit schwerer, dicker Zunge undeutlich nur articuliren konnte. Fragen wir aber nun noch nach dem allgemeinen Character, der alle diese Schriften gemeinschaftlich bezeichnet, dann müssen wir uns vor Allem überzeugen, daß, sollten diese Gebilde Wurzel greifen in der Menge, und eine eigene selbstständige Existenz in ihr gewinnen, eine innere Sympathie zwischen ihnen und der Nation selbst, bestehen mußte; es muß ein Moment für diese Wahlverwandschaft in ihnen seyn, und ein gleiches Entsprechendes im Volke, und im Zug und Gegenzug konnte dann Alles in Liebe sich verbinden, und eins werden in der allgemeinen Lust und Vertraulichkeit. Wir sahen eben wie das Element, welches das Volk zur Bildung hergegeben, jene uralte Sagenpoesie war, die wie ein leises Murmeln fortlief durch alle Geschlech- ter, bis der Letzten Eines sie zur vollen Sprache bil- dete; das parallel gegenüber eingreifende Moment in den Büchern aber ist der durchaus stammhafte, sinn- lich kräftige, derbe, markirte Character, in dem sie gedacht und gedichtet sind, mit Holzstöcken und starken Lichtern und schwarzen Schatten abgedruckt, mit wenigen festen, groben, kecken Strichen viel und gut bezeichnend. So nur kann die Poesie dem Volke etwas seyn, nur für den starken, derbanschlagenden Ton, hat dieser grobgefaserte Boden Resonanz, und die starke Fiber kann dem tief Einschneidenden nur ertönen. Nur dadurch wird die Poesie zur Volkspoesie, daß sie seinen Formen sich eingestaltet; hat die Natur in diesen Formen ihre bildende Kraft offenbaren wollen, dann darf die Kunst auf keine Weiße sich scheuen ihr zu folgen in dieser Metamorphose, und im Worte wieder auszuprägen, was jene stumm und still gestaltete. Aber doch ist nicht so ganz gleichmäßig in allen diesen Bil- dungen ohne Unterschied derselbe Geist herrschend; durch die ganze fortlaufende Entwickelung der Zeit ist die Kunst von ferneher der Nation gefolgt, und die vorzüglichsten Epochen dieser allmähligen Entwickelung sind durch eben so viel vorstechende Werke bezeichnet. Als die etruscischen Satyren, und die oscischen Atellanen zuerst eingeführt wurden in Rom , da nahm das Volk sie freudig und willig auf; überrascht, fand es seine ganze Natur in diesen rohen, wilden, barbarischen Gestaltungen widerscheinend; die Kunst rang mit seiner Kraft und seiner innern Energie, und es rang wieder mit dem Geiste, der so derb anzufassen wußte, und es gewann Geschmack dem Schimpfspiel ab zwischen seinen Kräften und den Kräften des frem- den wunderbaren Zaubers, und alle Poesie war noch ganz Volkspoesie im eigentlichen Sinn, und in Allem war große, feste, kernhafte Alpennatur. Nicht auf dieser Stufe von Gediegenheit hat in neuern Zeiten sich das Volk erhalten; schon dadurch daß eben ein höherer Anflug aus der Masse sich heraus verflüchtigte, und gerade das Geistigste ihm entführte, mußte der Rückstand im Gegensatz mit diesem Flüchtigen gewis- sermaßen einen mehr phlegmatischen und minder elastischen Character annehmen, und manche der ältesten Volksbücher, die dem früheren, antiken Volksgeist rein zusagten, sind dem Gegenwärtigen fremd geworden; und manche Neuere, indem sie jenem veränderten Genius sich anschmiegten, traten zugleich in einer Form hervor, die nicht ganz mehr mit jener Nor- malen zusammenstimmen will. Es ziehen keine Bären mehr durch unsere Wälder, keine Elennthiere und keine Auerochsen; mit Ihnen ist daher auch das Bärenhafte, was die ältesten Sagen und Bildungen bezeichnet, gewichen, und wie die Sonnenstrahlen durch die ge- lichteten Wälder Bahn sich brachen, hat auch in der entsprechenden Kunstentwicklung ein milderer Geist Platz gegriffen, der manchmal rein für sich in einzelnen Bildungen dasteht, manchmal mit jenem Früheren sich verschmelzend, einen gewissen mittelschlägigen Charac- ter bildet. Nicht mehr des Ursen und des Bären unbändige Wildheit spricht daher aus diesen Büchern, wohl aber ein rascher, gesunder, frischer Geist, wie er das Reh durch’s Dickigt treibt, und in den andern Thieren des Waldes lebt; es ist nichts Zahmes, Häus- liches, Gepflegtes in Ihnen, Alles wie draußen im wilden Forst geworden, geboren im Eichenschatten, erzogen in Bergesklüften, frei und frank über die Höhen schweifend, und zutraulich von Zeit zu Zeit zu den Wohnungen des Volkes niederkommend, und von dem freien Leben draußen ihm Kunde bringend. Das ist der eigentliche Geist jener Schriften, fern von Jenem, den man in den neuesten Zeiten in den Noth- und Hilfsbüchern als eine feuchtwarme, lindernde Bähung seinen Preßhaftigkeiten aufgelegt, und die, obgleich vielleicht den augenblicklichen Bedürfnissen entsprechend, doch eben dadurch Zeugniß geben von dem chronisch-krankhaften Geist der Zeit. Wenn man, was wir in diesen wenigen Blättern über den Charakter und das Wesen dieser Bücher beigebracht, erwägt; wenn man, so oft die Hoffart auf unsere feinere Poesie uns übernehmen will, bedenkt, wie es das Volk doch immer ist, was uns im Früh- linge die ersten, die wohlriechendsten und erquickend- sten Blumen aus seinen Wäldern und Hegen bringt, wenn auch später freilich der Luxus unserer Blumen- gärten sich geltend macht, deren schönste Zierden aber immer irgendwo wild gefunden werden; wenn man sich besinnt, wie überhaupt alle Poesie ursprünglich doch immer von ihm ausgegangen ist, weil alle In- stitution und alle Verfassung, und das ganze Gerüste 4. der höheren Stände, immer sich zuletzt auf diesen Boden gründet, und in den ersten Zeiten die gleiche poetische, wie politische und moralische Naivetät herr- schend war, dann können wir wohl endlich voraus- setzen, daß jedes Vorurtheil gegen dies große Organ im allgemeinen Kunstkörper verschwunden sey′ und wir haben uns Bahn gemacht zur gehörigen Würdigung dieser Schriften im Einzelnen. Wir gehen daher ohne weitern Aufenthalt zur Betrachtung der besonderen Bildungen dieses Faches über, um zu sehen, in wiefern was wir so eben im Allgemeinen ausgesprochen, auch im Einzelnen sich bewährt. Die Ordnung aber, die wir bei dieser Bücherschau befol- gen, wird Diese seyn, daß wir nämlich mit den Leh- renden, dem Alter nach Jüngsten beginnen, von dort aus zu den Romantischen, und dann zu den Religiö- sen übergehen, und endlich mit einem großen Blick auf das durchlaufene Gebieth von der gewonnenen Höhe hinab enden. 1. Albertus magnus von Weibern und Geburten der Kinder, sammt denen dazu gehoͤrigen Arzneien; und Unterricht, wie sich sowohl die Gebaͤhrenden zu verhalten, als auch die Hebammen ihrer Pflicht gemaͤß, oder andere dabei benoͤthigte Personen ihren Dienst recht versehen sollen. Nebst einer Erklaͤrung von den Tugenden der vornehmsten Kraͤu- ter, und von Kraft und Wirkung der Edel- steine, von der Art und Natur etlicher Thiere, aus Apollinaris groͤßerm Kraͤuter- buch gezogen; auch ein bewaͤhrtes Mittel fuͤr die Pestilenz, und wie man sich wegen des Aderlassens verhalten soll. Aufs neue verbessert und den Landleuten zum Nutzen eingericht, mit dazu dienlichen Figuren. Gedruckt in diesem Jahr. Das erste Buch von Weibern und Geburten der Kinder, ist eine moderne Umarbeitung des Albertischen, wahrscheinlich durch die Endterische Verlagshandlung in Nürnberg veranstaltet, und enthält eine faßliche Auseinandersetzung der Erscheinungen der Schwan- gerschaft, und eine ganz verständige Anleitung für die Hebammen auf dem Lande, nach der sie in den meisten Fällen sich richten können; erläutert durch Holzschnitte, die die verschiedenen Lagen der Kinder in der Gebärmutter vorstellen. Das andere Buch von etlichen namhaften Kräutern und ihrer Tugend hin- gegen ist noch das Alte, und contrastirt seltsam mit dem Vorigen. Die Verbena, zwischen zwei Liebesper- sonen geworfen, stiftet großen Verdruß und Uneinig- keit; Lamium bei sich getragen, macht gütig und gnadenreich; Metel mit Martagon gemischt, giebt die Springwurzel, vor der alle Schlösser aufspringen, und mehr dergleichen, wissenschaftlich unsinnig, prak- tisch unschädlich, weil alle Angaben der mancherlei Eigenschaften auf Curiositäten und Neckereien hinaus- laufen, die, da das Ganze keinen weitern Grund in der Wirklichkeit hat, sich selbst ohne irgend einigen Nachtheil zerstören. Das dritte Buch handelt von den Eigenschaften und Wirkungen etlicher Edelsteine. Es war eine seltsame kindisch naive Zeit, in der man glauben konnte, daß der Magnet unter das Haupt einer Frau gelegt, wenn sie unkeusch wäre, sie aus dem Bette fallen mache; daß ein Stein Ophthalmus, in ein Lorbeerblatt gewickelt, Unsichtbar- keit gebe; daß der Stein Meda gestoßen und in Wasser zergangen, dem die Hände abfallen mache, der sich darin wasche; daß der Agat den Menschen gewaltig mache, daß der Saphir Friede und Einigkeit bewirke, und mehr dergleichen. Die Zeit für diesen Glauben ist vorüber, aber man dulde ihn immerhin, da ohne- hin dergleichen Dinge in der öffentlichen Meinung stillschweigend als Mährchen gelten, und niemand weiter mehr berücken. Dasselbe ist beim vierten Buche der Fall, das von den Kräften und allerlei Tugen- den einiger Thiere handelt. Im fünften Buche von viel köstlichen Arzneimitteln, besonders Aqua vitae, das ist vom lebendigen Wasser, oder vom Wasser des Lebens, meist unschädliche Tincturen und Latwergen aus dem Pflanzenreiche, selten mit Gewürzen ver- setzt, daher nicht leicht dem Mißbrauche unterworfen, und allenfalls nur negativ schädlich, durch Verhin- derung des Bessern, das aber dem Landmann nur selten geboten werden kann. Albertus magnus war übri- gens bekanntlich scholastischer Philosoph, von 1254 an Provinzial der Dominikaner in Deutschland, 1260 Bischof zu Regensburg bis 1280, wo er starb in Cöln. Diesem Umstand besonders, nebst seiner großen Celebrität, ist es wohl zuzuschreiben, daß in diesem Buche ein Theil seiner Schrifften als Volksbuch in so allgemei- nen Umlauf gekommen. Ein und zwanzig Foliobände füllen diese Schriften, vom Dominikaner Peter Jammy gesammelt, und 1687 herausgegeben, wor- unter sein Werk von der Natur der Dinge und von den Geheimnissen der Weiber, zu diesem Buche zu- nächst die Veranlassung und den Stoff gegeben. 2. Der barmherzige Samariter, oder freund-bruͤ- derlicher Rath, allerhand Krankheiten und Gebrechen des menschlichen Leibs, innerlich und aͤußerlich zu heilen, mit geringen und verachteten Mitteln und Arzneien, die eine lange Zeit daher bewaͤhrt erfunden worden, und nunmehr aus schuldiger christlicher Liebe aufrichtig, dem gemeinen verlassenen Mann zum Besten an das Tageslicht gege- ben durch Eliam Baynon den juͤngern, V. D. M. sammt einem Anhang fuͤr die Hebammen, in allen zustoßenden Faͤllen zu gebrauchen. Ganz neu gedruckt. Keineswegs so verwerflich, als es auf den ersten oberflächlichen Blick wohl scheinen mögte. Ein alter, ehrlicher, wahrscheinlich schwäbischer oder schweitzeri- scher Arzt, der es herzlich gut mit dem Volke meint, unter dem er eine ausgebreitete Praxis gehabt zu ha- ben scheint, theilt hier seine Erfahrungen, seine Ent- deckungen und sogar seine Arcana in einer treuherzi- gen, gutmüthigen, altväterischen Sprache mit; eine Materia medica, nach den Hilfsmitteln des Volkes eingerichtet, eine Diätetik für das Verhalten bei den verschiedenen Krankheiten, und eine faßliche Patholo- gie der gewöhnlichen Zufälle, wie sie in den untern Ständen herrschen. Natürlich ist er Humeralpatholog aus der Schule des Hippocrates und Galenus; allein gerade diese Schule ist ihrer durchgängigen Plastizität wegen beynahe einzig auch für die populäre Darstel- lung geeignet. Gerade das Greifbare an der Krank- heit, ihr Leib und ihr äußerer Körper ist’s, was der gemeine Mann an ihr begreift, und wenn er belehrt werden soll über sein Verhalten im sündhaften Zu- stande seines Organismus, dann muß die Sünde ihm nothwendig Fleisch werden, damit er sie erkennen und ausrotten möge. Ich weiß recht gut, was man gegen die Popularisirung der Heilkunde eingewendet hat; aber wer hinter die schönen Worte sieht, der findet nur zu oft die Unlauterkeit verborgen, die sie eingege- ben hat. Still und verhüllt, wie die Natur in den Eingeweiden der Erde wirkt, so wirkt sie auch in den Tiefen des menschlichen Körpers, die Menschen und ihr Verstand sind über Beide gleich wenig Meister noch geworden. An der Oberfläche pflügen, säen, graben, ärndten sie, aber das matteste Zucken des großen Körpers, das schwächste Erdbeben, vermag keine Menschenkraft noch zu bändigen. Nach vielen Jahrhunderten des Dünkels und der Hoffart, ist denn auch die Heilkunde bald so weit gekommen, daß sie weiß wie wenig sie vermag, und daß auch im Leben die Natur ihren großen Gang durchgeht, wie die hö- heren Gestirne es gebieten, unbekümmert um die klei- nen Zauberkreise, die Formeln, und alles Prickeln des Verstandes. Es ziemt ihr daher wohl auch, die hohe Sprache gegen die sogenannte quacksalbernde Empirie abzulegen: seitdem die Bücherweisheit Ge- meingut geworden ist, kennen wir unsere Schwäche wechselseitig, die vornehme Miene will sich nicht mehr behaupten lassen, wir thun daher wohl, wenn wir leben und leben lassen, eingedenk, daß wir allzumal unsern Besitz als ein höheres Geschenk vorgefunden haben, und daß der, dem der Himmel ein Besseres verliehen, wohl auch außer der Facultät damit wuchern soll. Die Volksempirie in der Medizin, derb und ein- schneidend wie der Volkswitz, beide gern auf die Sa- burra sich werfend, sollte daher Gnade finden vor der medizinischen Eleganz der obern Stände. Es ist dabei ein unveräußerliches Recht, nach Willkühr über physi- sches Wohl und Weh seines eigenen Körpers zu verfü- gen, und mithin ein gegründeter Anspruch des Volkes, Unterricht zu empfangen, in dem was damit in Bezie- hung steht, um auch außer der Innung für sich selbst seines Lebens Gang reguliren zu können. Und in neun und neunzig Fällen auf hundert, wird eine Arz- ney aus dem vorliegenden Buche von einem nur einigermaßen auf sich selbst aufmerksamen Menschen sich verordnet, wenigstens eben so heilsam seyn, als eine Andere von dem Schlendrian der gewöhnlichen Aerzte auf geradewohl hin vorgeschriebene Kunstgerechte. Denn die Heilmittel des Samariters sind meist einfach, und im schlimmsten Falle unschädlich; Kräuter und inländische Gewächse, Hollunderschößlinge statt der Sennesblätter, Mastix, gewürzhafte Kräuter und er- weichende; von chemischen Bereitungen allein Spiesglas, 5. heroische Mittel, Gifte selten, und dann nur in kleineren Dosen. Freilich ist auch mitunter man- cherlei Unsinns darin, von dem man allerdings das Buch reinigen sollte, obgleich keiner, der sehr gefähr- lich werden könnte; Menschenkoth und Koth jeder Art, spielt noch in der Materia medica seine Rolle; man- cherlei Wunderliches läuft mitunter, z. B. die Sa- chen, welche das Gesicht stärken, sind mancherlei: als schöne grüne Wiesen und Gärten, grüne Gläser, der Stein Saphir, grüne und blaue Vorhänge und Teppiche, klare Wasser, ein Sack voll Ducaten, die man oft ansieht und zählt; lieblich Frauenzimmer weidet die Augen und stärket sie; Blumen, so blaue Farbe haben, daraus man Kränze macht und in Zim- mern aufhängt: als Borragen, Augentrost, Ritter- sporn u. s. w. Aber es ist auch Manches darin ent- halten, Arzneien und Handgriffe, die eine ernste Er- wägung verdienen, und es dürfte sich eben gerade kein Arzt schämen, einen Blick hineinzuwerfen, wäre es auch nur um Manches, was er über den neuern Theorien vergessen, sich wieder zurückzurufen, und manchen ge- nialen Einfall, womit sich die neuere Heilmittelkrä- merei brüstet, dort ganz einfältig und bescheiden unter anderm Unscheinbaren wiederzufinden. 3. Bauernpractika, oder Wetterbuͤchlein, wie man die Witterung eines jeden Jahrs eigentlich erlernen und erfahren mag; durch Aufmerk- samkeit der Zeiten von Jahr zu Jahr waͤh- rende. Jetzt wieder aufs neue mit etlichen nuͤtzlichen Stuͤcken vermehrt, und mit schoͤ- nen Figuren geziert, samt einem Bauern- compaß, allen Ackerleuten, Boten, Schiff- leuten, Kaufleuten, so zu Wasser und Land reisen, nuͤtzlich zu wissen, durch Henericum von Uri. Gedruckt in diesem Jahr. Abgedruckt aus einem älteren Buche unter glei- chem Titel und völlig gleichen Inhalts, das zu Frank- furt am Main 1570 erschien, und wahrscheinlich noch andere Vorgänger von anderen Verfassern hat. Zuerst wie die Witterung des ganzen Jahrs in Weyhnachten zu erkundigen sey. Man kennt das alte astrologisch meteorologische Dogma, daß die Natur der zwölf Monathe des Jahrs vorgebildet werde durch die zwölf Nächte, die der Christnacht oder eigentlich dem Win- tersolstitium folgen. Dies Dogma gründete sich auf die alte mythologische Ansicht, daß das Jahr gleich- sam mit dem Wintersolstitium gebohren werde, und daher in der zarten Jugend schon, wie am Menschen, die spätere Entwickelung sich spiegeln müsse, eine An- nahme, die, da sie der durchgängig cyklischen in sich gleichen Natur aller Himmelsbewegungen, in deren Wiederkehr das Jahr sich bildet, widerspricht, wissen- schaftlich unstatthaft ist, obgleich ein eigner poetischer Reiz, wie in allem Prophetischen, darin liegt. — Dann von den zwölf Monathen des ganzen Jahrs mancher- lei Bauernregeln in Versen. Ferner Cisio Janus für die Layen. Mehrere Hexameter, dessen Worte jedesmal die ersten Silben der unbeweglichen Feste andeuten, die auf jeden Tag des Monaths fallen, und zwar so, daß die Zahl der ersten Silbe von dem Namen des Festes oder des ganzen Wortes, den Mo- natstag anzeigt, auf welchen dasselbe fällt. Der Rame selbst ist, wie Eschenburg im literarischen Anzeiger schon gezeigt, verstümmelt aus Circumcisio Ianuarii, weil das Beschneidungsfest als das Erste, das Jahr eröffnet; der Cisio janus aber lateinisch, schon am Anfange des vierzehnten Jahrhunderts in der römischen Kirche herrschend, und in der Folge von Melanchthon verbessert, teutsch aber gedruckt schon um 1470 vor- kommend. Der gegenwärtige ist oft artig, leicht und meist scherzhaft gewendet. Z. B. für den Novem- ber: All Heiligen fragen nach gutem Wein, Willibrodus sprach, lauffet hin, Martin schenkt jetzt guten Most, Und hat dabei viel guter Kost, Cäcilia, Clemens fragten Catharina das, Advent hieß kommen Andreas. Eine nützliche Laßtafel dient für mancherlei Gebre- chen der Menschen, samt einem Unterricht, wie sich dieselben halten sollen im Aderlassen, Schröpfen oder Köpfeln, ist von Jahr zu Jahr recht und wahrhaftig. Alles so, wie das ganze Aderlaßmännchen auf die ältere Medizin gegründet, die hier von dem Grundsatze ausgieng, daß wenn allgemeine Krankheiten durch gleich allgemeine Aderlässe aus den größeren Gefässen geheilt werden, locale Krankheiten durch gleich locales Blutlassen gehoben werden müssen. Dieser Grundsatz an sich selbst physiologisch durchaus richtig, da in jedem einzelnen Organ auch im Kreislauf, durchaus ein selbstständiges Prinzip, obgleich dem Allgemeinen un- tergeordnet hervortritt, hat freilich in der Anwendung zu mancherlei Täuschungen Veranlassung gegeben, die mit dem Zustande der älteren Medizin zu den Zei- ten Avicennas zusammenhiengen, die aber darum gar nicht die Neuere rechtfertigen, daß sie das Ganze als grundlosen Aberglauben verwarf. Auf ähnlichem Grunde beruht die folgende Rubrick: Regiment, wie man sich in einem jeglichen Monat halten soll, und der sieben Planeten Eigenschaft, und was in eines je- den Stand zu thun und zu lassen sey, auch wenn sich schön, feucht oder naß Wetter begeben. Ein astrologisches Schema, nach dem jeder, der Glauben daran hat, sein Leben und seinen Wandel reguliren mag; eine Art von physischem, kathegorischen Impe- rativ, der immerhin neben dem Moralischen bestehen mag. Wenn einmal Ordnung seyn soll im menschli- chen Thun und Treiben, dann mag auch wohl einmal die Ordnung des Himmels, und der Lauf der Ge- stirne als Regulativ erscheinen, und gerade dieses könnte für die unteren Volksklassen tauglicher als je- des Formale seyn, weil ohnehin seiner Willkühr in allen seinen Verhältnissen wenig überlassen bleibt, und diese überhaupt in allen ihren Aeußerungen oft sehr unbehülflich sich zu benehmen pflegt. Daher ist denn auch bei allen Nationen diese Naturethik jeder andern Intellectualen voran gegangen. Folgen weiter etliche nützliche Aufmerkungen und Regeln für die Weinhäcker, Gärtner und Bauersleute, wie sie nach des Mon- des Schein und Lauf sich richten sollen; dann vom Baden, Purgiren, von den Winden, welche man zu meiden hat; von ihrem Entstehen, ihrer Natur und Beschaf- fenheit, von Regen, Thau, Reif und Schnee, von den Jahrszeiten. Endlich Sonnenuhr oder Liniencom- paß in des Menschen linker Hand, für Ackerleute, Boten, Schiffleute, mit einem Holzschnitte dabei; der Kunstgriff, auf die Hand eine Sonnenuhr zu zeich- nen, die für die angegebnen Stände recht brauchbar seyn mag. Das Ganze ist daher durchaus unschädlich, unschuldig, dagegen nach manchen Seiten von viel- fachem Nutzen für die Classe, der es ursprünglich be- stimmt ist. 4. E. L. M. eines alten Einsiedlers Traumbuch, zum Nutzen derenjenigen entworfen, welche in dem Lotto gluͤcklich zu werden gedenken. Samt den Schluͤssel zum Lotto, oder aller- neust entdecktes Geheimniß im Lotto zu ge- winnen. Aus einem uralten Manuseript eines genuesischen Astrologen. Koͤln bey Ch. Everaͤrts, und Achen bei Dreisse. Wer irgend dem Zufall etwas abgewinnen will, der ent- sagt der eignen freien Selbstbestimmung; wohin die Winde und die Sterne ihn führen wollen, da zieht er willig hin. Insofern im Schlafe der gleiche Zustand der Aufhebung aller Willkühr und selbständigen Freiheit eintritt, und im Traume ein gleiches Hingeben an das phantastische Spielen der Constellationen, ist der Schlaf allerdings der angemessenste Zustand, um Glücksspiele zu spielen: der schlafende Mensch muß dem Glücke ein wohlgefälliger Anblick da liegen. Daher mag es wohl gekommen seyn, daß man von eher so viel auf die Bedeutung der Träume rechnete; da, wo es auf Schicksalswirkung und Eintreffen glücklicher Zufälle ankam. In dunkler Mitternacht glaubte man, träte das Schicksal nahe an den Men- schen, und flüsternd verkünde es ihm in Glück und Unglück sein Verhängniß. Daraus sind denn auch diese Bücher erwachsen, indem der wachende Geist vermessen jene Träume arithmetisch deutete, und jeder gesehenen Gestalt irgend eine besondere Zahl, Edel- gesteinen z. B. 71, Eidexen 13, Fenerwerk 61 unter- legte. So hat das Ganze denselben Werth und Character wie alle Astrologie, nicht ganz leer im Grunde, aber durchaus nichtig in aller Anwendung; allerdings unnütz, und Gegenstand der Polizei, wenn diese vor- her die öffentlichen Hazardspiele zerstört haben wird. So lange aber die Regierungen nichts unanständiges darin finden, Bank zu halten, wird auch dieser kleine Kobold nicht aufhören, unter dem Volke zu rumoren. 5. Die Wissenschaft oder die Kunst der Liebe, nebst verschiednen Liebs- und anderen Briefen, wie auch moralischen und scherzhaften Ge- sundheiten zu einem angenehmen und er- laubten Zeitvertreibe. Koͤln am Rheine. Ein Zweig von Ovids pontischem Gewächs auf die teutsche Pelzweide gepfropft. Die Kunst der Liebe als ehrsames Gewerk getrieben, beschrieben für die Junggesellen, die Meister werden wollen in der In- nung, alles tugendsam, geziert, steif, im Volksme- nuettenton, die Philisterey im Sonntagsputz. Die Lie- beserklärung, die Blüthe des Ganzen, wie folgt: Ach 6. meine Allerliebste! ich kann nicht länger mehr ver- schweigen, mein Herz, welches fast für Liebe zersprin- get, euch zu offenbaren, denn diese ist so unaussprech- lich groß, daß es meine Zunge nicht wohl kann aus- sprechen, obwohl es mir die größte Blöd- und Schamhaftigkeit verwehrt, so werde ich doch durch den Gott Cupido mit Gewalt dazu gezwungen, ja wenn ich solches E. L. nicht zu erkennen geben thäte, würde mein Herz vor Leidwesen ersterben, und mein junges Leben bald ein Ende nehmen, dieweilen sie mein Herz durch ihr liebliches Gesicht, freundliche Reden, und höfliche Geberden ganz eingenommen, darum bitte ich meine Allerliebste, sie wolle mir nicht ungütig nehmen, daß ich so kühn hievon rede, denn ich werde durch das Feuer der Liebe, welches in mir entzündet ist, mit Gewalt hiezu angefacht. — Ein zierliches Fächer- gemählde, wie man sicht, hier den Honoratioren zum beliebigen Gebrauche aufgestellt. In dem beigefügten Briefwechsel ist eine schöne Titulaturstufenfolge zu bemerken: Mademoiselle, schönstes Kind, schönste Be- herrscherinn, schönste Huldinn, meiner Augen Sonne, allerschönste Seele, allerholdseligste Beherrscherinn meiner Affectionen, allerschönste Freud auf Erden, alleräußerste Hoffnung meines Lebens. 6. Neu verbesserter Muͤller Ehrenkranz Oder recht gemessener Urkund, Von dem wahrhaften Cirkelsgrund, So dem Muͤhlhandwerk zu Ehren gethan, Ein Muͤhlknappe, Namens Georg Bohrmann. Sein Mitconsortem damit zu beschenken, Auf daß sie auch seiner am besten gedenken; Doch man wohl einander sein Dichten und Schreiben Der Presse des Drucks thut einverleiben, Dieweil ja wie Sirach auch solches beweiset, Ein jegliches Werk seinen Meister stets preiset. Gedruckt in diesem Jahr. Ohne allen Zweifel das Trefflichste unter allen ähnlichen Büchern, die das Gilden und Innungswe- sen in Teutschland hervorgebracht hat; das Ganze mit einer Ruhe, einer stillen Innigkeit, einer festen, glei- chen, besonnenen Haltung, und einer treuherzigen Ehrlichkeit abgefaßt, die als eigentliche Virtuosität in ihrer Art erscheint. Es ist dabei ein Fluß in der Rede, eine Leichtigkeit in dem freilich einfachen Vers- bau, eine Ungezwungenheit im Reim, und dabei eine innere Vollendung und äußere Abglättung, die auf ein in bestimmtem Bewußtseyn durch höhere Bildung producirtes Kunstwerk der neuern Zeit schließen lassen sollte, wenn andere Kennzeichen nicht verriethen, daß es einer frühern Zeit, und der Name des Verfassers, daß es dem Müllergewerke selbst angehöre. Der Verfasser, arm und unvermögend, sagt in einem Liede von sich: Bei meinem Beruf und Stande, Will ich geduldig seyn, Im ganzen Sachsenlande, Bleibt mein Gedächtniß rein, Von Niedercolmitz in Meißen, Schreib ich mich noch zur Zeit, Thu mich darbey befleißen, Auf Ehr und Nedlichkeit, Gott der mich hat erschaffen, Steh ich zu Dienst allein, Wer mich will Lügen strafen, Der thuts aus falschem Schein. Die Schrift fängt an wie ein Gedicht, über die Natur der Dinge, mit einem Holzschnitte, worauf einerseits ein Stangen-Zirkel abgebildet ist, von Engeln mit einer Krone überschwebt, abwärts der heilige Geist in einem Herzen, rechts Betlehem, rund umher allerley mystische Sprüche; anderwärts ein Kreis, im Mittelpunkt die Erde mit der Axe, die in die beiden Polarsterne im äußeren Kreis ausgeht, in der verläng- ten Aequatorialaxe aber auf der einen Seite die Sonne im Zeichen der Waage, auf der Andern der Mond, der eben in den Erdschatten treten will, rund umher Sterne vertheilt, und die Umschrift: Ergo der Him- mel ist durch’s Wort des Herren gemacht, und all sein Heer durch den Geist seines Mundes, Psalm 36, v. 6. Dann auf der folgenden Seite ein Adler schwe- bend über einem Triangel mit der Einschrift Jehova, und der Umschrift: im Anfang war das Wort ꝛc. Dabey Nota Bene. Hier mag ein jeder nehmen abe, Was Waag und Cirkel in sich habe, Weil auch fast unter der hellen Sonnen, Kein einzig Ding mag werden gefunden, Welch’s nicht sollt haben des Cirkels Figur Denn ja auch die ganze Creatur, Ist durch des Cirkels Bild geschaffen Als noch der Mensch tief lag entschlafen, Verborgen in dem Crdenklos, Hier spürt man Gottes Allmacht groß. Dann weiter hin für die folgende Figur: Hier seht ihr lieben Brüder, sehet, Wie die Welt in dem † stehet, Und wie die göttlich Majestät, So weißlich Alles geordnet hat, Daß solches auch der klügste Mann Vollkömmlich nicht ergründen kann, Ja es wird solches hier auf Erden, Genugsam nicht erforschet werden. Der Polus gleicht einem Magnet, Weil er stets unbeweglich sieht. Der Wirbel, der das Firmament Sich drehet gegen Decident, Wenn Sonn, Erd, Mond, centrales seyn, So hat die Erd keinen Mondenschein, Wenn der Mond thut in’s Mittel kommen, Wird ihr der Sonnenschein benommen, Doch nur so weit, wie ich euch meld, Als damals des Mondes Schatten fällt. O Gott wie ist deine Macht so groß, Meine Zung und Feder sind viel zu bloß, Von deinem g’ringsten Werk zu schreiben Drum will ich solches lassen bleiben, Bis ich werd kommen in jene Zeit, Der unverrückten Ewigkeit, Da das Stückwerk wird hören auf, Dann folgt die Wissenschaft darauf. Weiter folgt eine Geschichte des Müllergewerks aus der heiligen Schrift, mit einem recht guten Dialog zwischen Müller, Herrschaft, Mühlgast und Mühlknappe; eine Satyre vom selbstwachsenen Müller; dann eine poetische Reisebeschreibung durch die besten Mühlen in der Lausitz, Schlesien, Mähren, Ungarn, Böhmen, Thüringen, Franken, wo dem Reisenden besonders Nürnberg wohl gefällt, von dem er sagt: Nun dieser lieben schönen Stadt, Die mir so wohl gefallen hat Und mich, wenn ich dahin gekommen, Ganz willig auf- und angenommen, Wünsch ich von Gottes Gütigkeit, Glück, Heil und Segen jederzeit. Vor allen rühmt er die Mühle zu Arnstadt vor dem Thüringer Wald, mit sechszehn Gängen, jeder nach einem Thiere genannt, von einem Grafen zur Lust erbaut. Ach wär ich nur vom Grafen-Geschlecht Eine solche Mühle wär mir nur schon recht, Ach leider, leider: daß Gott erbarm, Meine Eisen gehen noch selten warm. Weiter gehts nach Brandenburg, dann stellt er einen Triangel der drei besten Müller auf, die je gelebt, worunter einer Hans Fromolt. Bei welchem in der Mühle zu Plauen, Ich mich selbst brauchen ließ zum bauen. Dann schließt er fromm und treu mit Gott dem Weltbaumeister: Die Erde ist im Weltcentrum Und schwebt in freier Luft herum, Dennoch thut sie aus ihren Schranken, Gleich einem Magnet niemals wanken, Denn allda sieht man abermal, Auch weder Säule, Stuhl noch Pfahl, Sondern eine überschwere Last Ist in subtilen Wind gefaßt, Nicht minder findet sie Ruhe genung In ihrem eignen Mittelpunct. Weiter folgen zwei Lieder und dann Schlußreden an das löbliche Mühlhandwerk, wie alles andere gut geründet, ruhig, bedeutsam, gar still und sinnig, so daß es zu wünschen wäre, daß das Buch nicht blos, wie es scheint, auf Nordteutschland in seinem Wirkungs- kreise sich beschränkte. 7. Etliche schoͤne neue gewoͤhnliche Spruͤche eines ehrsamen Zimmerhandwerks, dessen sich nach vollbrachter Auffuͤhrung eines neuen Baues, bei Aufsteckung des Strauses oder Kranzes, in Gegenwart vieler Zuschauer zu bedienen pflegen. Ganz neu herausgegeben, und auf diese Manier zum Druck befoͤrdert. Ge- druckt in diesem Jahr. Koͤln und Nuͤrnberg. Mystische Ansicht des Hauses als einer sichtbaren Kirche, Ceremoniel beim Strausaufstecken, dann die Sprüche herabzusagen vom Giebel, meist abgeschmackt und albern; manchmal aber auch nicht ohne Naivetät und einen gewissen Handwerksburschen-Witz. 7. 8. Des ehrloͤblichen Beckenhandwerks Gewohnheiten, wie sich ein jeder auf der Herberg und bei dem Handwerk zu verhalten habe. Allen denen, so sich auf die Wanderschaft begeben wollen, zum Besten in Druck gebracht. Zu finden in Nuͤrnberg. Wie ein Bursche in allen Verhältnissen gegen Mei- ster und Brüder sich benehmen soll, weitschweifig und etwas steif, aber keineswegs ohne eine gewisse bürgerliche häusliche Heimlichkeit. Am Ende zwei sehr mittel- mäsige Lieder von dem uralten löblichen Beckerhand- werk. 9. Des loͤblichen Handwerks der Kuͤrschner Urspung, Alterthum und Ehrenlob. Dann gruͤndliche Beschreibung alles desjenigen, was bei dem Aufdingen, Lossprechen und Meisterwerden nach ihren Artikulsbriefen von langer Zeit her, bei ihren Zuͤnften in Acht genommen wird, wie auch die Examinirung bei den Gesellen machen, auf das treulichste vorgestellet von Jacob Wahrmund. Zuvor niemals also gedruckt. „Der Kürschner und Fellenbereiter hat sich sonder- bar seines ehrlöblichen Handwerks zu rühmen und zu erfreuen, als eines solchen Standes, welcher billig der allerälteste, ja von Anfang der Welt her sich zäh- let, auch von Gott selbst eingesetzt und angefangen ist, dergleichen Ehre wenig andere, außer dem Schnei- der, Metzger oder Fleischhacker sonsten sich zumessen können gehabt zu haben. Dann sobalden wir nur die heil. Schrift eröffnen und aufschlagen, findet sich gleich von Anfang das löbl. Kürschnerwerk aus selbi- ger wie ein heller Diamant hervorleuchtend, nämlich in dem dritten Capitel des Buchs der Schöpfung, da unsere erste Stammeltern, Adam und Eva, durch den leidigen Sündenfall in dem Paradiese aus dem Stand der Unschuld getreten, und von Gott abgewichen waren, da stehet in dem Text: und Gott der Herr machte Adam und seinem Weibe Röcke von Fellen, und zog sie ihnen an, als zu lesen im 21ten Versicul ged. Cap. Also hat dann der unendlich Gott und Herr aller Herren das löbliche Kürschner-Handwerk allhier gleichsam ge- weihet und eingesetzt, daß er den ersten Meister abgabe, und Kürschner-Arbeit gemacht, so Röcke von Fellen waren. O welch eine Ehre und sondere Gnade Gottes ist doch das diesem löblichen Handwerk, daß es sich so eines schönen und berühmten Mitmeisters und ältesten Vorgehers von ihrer Zunft, nämlich des großen und unendlichen Gottes, ja des Schöpfers aller Welten selbsten billig mit Wahrheitsgrund zu rühmen hat und vermag.“ Von diesem Fundamente aus wird dann das Handwerk durch die ganze profane und heilige Geschichte verfolgt, und dabey angeführt, daß Conradus Pellica- nus, Conrad Gesner, der deutsche Plinius, Theodor Zwinger, Kürschnerssöhne gewesen seyen. Nun folgen übliche Redensarten und Cerimonien bei Zusammen- künften mit Lehrjungen, Gesellen und Meistern, beim Aufdingen und Lossprechen: die Lade, zwei Meister, Beisitzer, die Umschauer u. s. w. Der Lehrjunge muß aus einem reinen und keuschen Ehebett gebohren seyn. Verfertigung des Meisterstücks, Formeln eines Lehr- briefs. Am Schluß der Kürschner Loblied. So sind ähnliche Schriften auch bei den andern Gewerken im Umlauf, die wir hier nicht anführen dürfen, weil in allen im Ganzen dieselbe Form, derselbe Geist und Gedankengang herrscht. Ein Geist der Zucht und ernsten Strenge, des gemeinschaftlichen Zusam- menhaltens, der steifen aber durchaus rechtlichen Ehr- barkeit; dabei ein kleiner Anflug von Enthusiasm in dem durchaus speciellen familienartigen Patrotism der Glieder in der Gilde, ist der von älteren Zeiten auf diese Körperschaften vererbte Geist, der freilich mit den andern Geistern allen weggegangen ist, um dem Geist- losen Raum zu machen. 10. Des vortrefflich welterfahrnen auch hoch und weitberuͤhmten Herren Doctor und englaͤndi- schen Ritters Johannis de Montevilla, ku- rieuse Reisebeschreibung, wie derselbe in das gelobte Land Palaͤstinam, Jerusalem, Egypten, Tuͤrkey, Judaͤam, Indien, Chi- nam, Persien und andern nah und fern an- und abgelegene Koͤnigreiche und Provinzen zu Wasser und Land angekommen, und fast den ganzen Weltkreis durchzogen seye. Von ihme selbst beschrieben. Koͤln am Rhein und Nuͤrnberg. Ein zweifaches Interesse hat dieses Buch. Vorerst muß ein eigner Reiz auf einer Reise liegen, die vor bei- nahe fünfhundert Jahren nach dem gelobten Lande gieng; um eine Zeit, wo der religiöse Enthusiasmus eben noch wie ein glühender Sommer über Europa hieng, und Heerhaufen und Nationen wie Gewitter hinübergetrieben hatte zum heiligen Grabe, um dort auf die Unglaubigen sich zu entladen; wo der hohe Vatikan mit den Heiden um die heilige Sion den blu- tigen Kampf gerungen hatte; wo alle christlichen Völker nach dem wundervollen Himmelszeichen blickten, das im Orient aufgegangen war, und über den Gräbern der Heiligen stand; wo die ganze Christenheit mit in- brünstig frommer Andacht vor jenen geheiligten Stät- ten lag, an denen der Himmel mit der Erde in unmittel- bare Gemeinschaft getreten war, und Diese daher den Frommen in einem überirdisch verklärten Lichte nach- glänzte und schimmerte: — eine Stimme, die aus dieser wunderbar erregten Zeit zu uns herübertönt, muß eine eigene Rührung in uns wecken. Jede Stelle war dort von dem Göttlichen und seinen Verkündigern berührt; dort erscheinen Fußstapfen noch dem festen Steine eingedrückt; dort weinen die Felsen der Martern wegen, denen sie Zeugen waren; dort wogt das galiläische Meer noch, auf dem der Herr umwandelte; dort der Thabor, Oreb, Sinai, Jordan, Golgatha, das Thal Mambre, die Wüste, dort die Geburts- und Schädel- stätte. Zu allen diesen Wunderspuren der neuen Re- ligion nun noch die der Aeltern; die ganze historisch religiöse Schaubühne des alten Testamentes, das eben- fals ganz in diesem Lande und seiner Nähe spielt; da- zu endlich die Naturwunder der Gegend selbst, die Wüsten, das todte Meer, der Weg durch Aegypten, der Nil, ein Paradiesesfluß, und auf dieser zauberrei- chen Stelle nun die Himmelsinsel in Mitte der irdi- schen Wüste, und dabei das wilde kräftige Leben, was in der Gegenwart und der Vergangenheit dort geglüht: das Alles zusammen mußte jeden ergreifen und begei- stern, der irgend noch des Enthusiasms fähig war. Das ist das religiöse Interesse, was in diesem Buche liegt, aber es hat außer dem Wissenschaftlichen, daß es über den Zustand von Asien in jener fernen Zeit uns Aufschlüsse giebt, noch ein drittes Poetisches, das man zwar bisher wenig beachtete, das aber nichts destoweniger, wie die Folge ergeben wird, einen gros- sen Einfluß auf den Gang der romantischen Poesie gewonnen hat. Montevilla drang zwar, nicht der erste Reisende der neuern Zeit, bis an die Gränze der be- kannten Welt vor, aber vor allen seinen Vorgängern hat ihm ein günstiges Geschick eine größere Celebrität verschafft, so, daß er darum seiner Zeit und der gan- zen Folge als der Erste galt. Im Alterthume, als die ganze bekannte Welt nicht weit über den Kreis des mittelländischen Meeres hinausreichte, da war auch in diesem Kreise das Feld der Erkenntniß und der verstän- digen Beobachtung beschlossen, gegen die Gränzen hin, und außer den Säulen des wandernden Hercules fieng das Reich der Poesie, der Fabel und der Mythe an. So lagen daher noch innerhalb desselben die Wunderinseln der Circe und Calypso, die Abentheuer der Scylla und Charybdis, die Bergriesen in Sizilien und die Sonnenrinder, jenseits aber Elisium, und der Tartarus. Indem in der neuern Zeit der Kreiß des Verstandes und der Erkenntniß sich immer mehr er- weiterte, indem der Geist seine Wirkungssphäre immer mehr und mehr verbreitete, und doch die Poesie ihre Ansprüche keineswegs aufgeben wollte, mußte noth- wendig das Wunderland weiter und weiter in die Ferne weichen, schon mit den Eroberungen Alexanders war es nach Indien übergegangen. Indem aber in den neueren Zeiten das Christenthum an die Stelle der alten Mythe trat, mußte auch das Elysium dem Paradiese weichen, und wie die alte Zeit ihrem Hados seinen Standpunkt jenseits der Säulen des Hercules gab, so suchte die Neue ihr Paradies jenseits den Säulen Alexanders im Morgenlande, wo es ohnehin schon die heiligen Bücher an den Ursprung der vier Flüsse hingewiesen, und diese Gegend mußte daher nothwendig zum Mittelpunkte des ganzen romantischen Fabelkreises werden. Und so ist sie es denn auch in den frühesten Zeiten schon geworden, die Herolde dieser neuen Wunderwelt aber waren die Heldengedichte und Romane über Alexander. Dieser gewaltige Mensch, der mit starker Faust die große Asia an die stärkere Europa band, der mit seinem Heere den ganzen wei- ten Welttheil durchkämpfte und besiegte, der unver- geßlich daher dem Andenken aller der vielen Völker- schaften sich einprägte, mit denen er in Berührung gekommen war, mußte als ein würdiger Gegenstand der neuen Poesie erscheinen, und wie er die Brücke zwischen den beiden Welttheilen war, so auch die Brücke zwischen beiden Zeiten werden, und das Me- dium, in dem der Uebergang der einen Mythe in die An- dere geschah. Die Fabeln, die in den ältesten Zeiten schon über den Zug Alexanders nach Indien im Um- lauf waren, gaben dabei die Basis aller nachfolgenden Dichtungen her. Was Strabo von den Ameisen 8. erzählt, die groß wie Füchse, das Gold aus den Mi- nen ziehen, dem Bericht des Megasthenes gemäß, der als Gesandter des Königs Seleucus am Ganges war; was Ctesias von dem Martichore erzählt, einem Thiere das ein Menschengesicht trägt, dann von den Cynocephalen und den Quellen, die flüssiges Gold ausströmen; was sich bei Plinius und Solinus von den Scyriten, den Astomen, die nur vom Geruche leben, den Pigmäen u. s. w. findet, begründete schon einen Fabelkreis, den man in der Folge nur erwei- tern durfte, um die Poesie der Zeit in ihn zu bannen. Schon bey Julius Africanus, der im dritten Jahr- hundert lebte, findet sich die Fabel vom Nectanebo dem ägyptischen König, angeblichen Vater Alexanders, und in den frühern Zeiten schon rundet das Ganze sich zum Epos, in der Alexandriade des Arianos in vier und zwanzig Gesängen, in der des Kaysers Hadrian und des Soterichos aus der Oasis in Libyen, der die Eroberung von Theben besang. Aber ganz eigentlich zur Vollendung kam erst diese romantische Heracleide, in dem Werke des falschen Callisthenes, dessen Ver- sasser, wahrscheinlich ein neugriechischer Mönch, wie man glaubt gegen das zehnte Jahrhundert lebte, von dem aber das Original, wie es scheint untergegangen ist, und nur noch in den Nachbildungen lebt. Mit allgemeinem Beifall wurde dies Werk im Orient und Occident aufgenommen, und La Croix in seinem examen critique des historiens d’ Alexandre le grand, zählt vierzehn verschiedne Ausgaben im La- teinischen, jede beinahe von der andern durch willkühr- liche Erweiterungen und Interpolirungen verschieden, worunter die Historia Alexandri magni de prae- liis (1489) die meiste Celebrität erlangt zu haben scheint. Ganz im neuern Mönchsgeist ist das Werk geschrieben, in der äußern Form ungeschickt und un- gelenk; man mögte sagen alle die schönen, reinen Um- risse der antiken Bilder seyen mit der steifen Kutte verdeckt, aber über der Verhüllung steht ein heiteres, verklärtes Auge, und eine feuervolle Phantasie brennt aus ihm hervor. Der Dichter sammelte die alten Sagen, die im Orient und Occident nach und nach über den Gegenstand sich gebildet hatten, und indem er diese Traditionen nur zu einem Ganzen aneinan- derreihte, entstand das sonderbare Werk, vielleicht das Erste eigentlich Romantische, das den Geist der neuen Poesie, den neugriechischen Gemählden gleich, mit wenigen geraden, kunstlosen aber scharfen, treffenden Zügen bezeichnete, und zuerst die ältere farbenlose Plastik in ein modernes Farbenspiel sublimirt. Zu- sprechend dem Geist der Zeit, nahm es diese auch dankbar auf; mächtig drang in ihm der Orientalism in die Ideenmasse des Occidents ein; viele Heldengedichte, Romane und Romanzen giengen in den Hauptsprachen aus ihm hervor, worunter der Roman d’ Alexandre le grand et de Cliges son fils noch in das Ende des zwölften Jahrhunderts fällt. Aber vorzüglich auch Montevilla trug zur Verbreitung und Aufnahme die- ser neuen poetischen Weltanschauung bei; indem er die meisten jener Fabeln als Gesehenes und Erlebtes in seine Reise brachte, accreditirte er sie auch dem Verstande durch die Wahrheit der unläugbaren That- sachen, mit denen er sie zusammenband, und gab so dem phantastisch Flüchtigen eine gewisse Realität für die wirkliche Welt, ohne die es doch immer nicht leicht zum allgemeinen Volksglauben wird. Das Paradies, erzählt der Roman, liegt im fernen Indien auf dem Berge von Adamanten, und reicht hinauf zum Monde; zwölf Thore hat der Pallast, 2500 Staf- feln von Saphir der Zugang, innen liegt auf goldnem Bett ein Greis weiß von Haupte als eine Taube; im Garten aber sieht der Baum der Sonne mit goldnen, der des Mondes mit silbernen Blättern, und wahrsagen Alexandern, der dann an den Eingang die beiden Marmorsäulen setzt; das Alles hat Monte- villa beinahe wörtlich, aber wie in eigner Ansicht erfahren, aufgenommen. Eben so das düstre Höllen- thal, wo der Teufel in Gestalt eines greulich, finster, grausamlichen Hauptes unter Donnern und Blitzen schwebt, und in das der Reisende selbst hineingegan- gen, trifft auch Alexander in seinem Zuge schon, das Sandmeer, und die Bäume, die Morgens aus der Erde kommen, zur Nacht aber wieder in die Erde kriechen, sind eben dorther entlehnt. Die Erzählung von dem dunkeln Lande, aus dem beständig Menschen- stimmen tönen, und in das die Nachkommenschaft ei- nes heidnischen Königs, der die Christen verfolgte, auf ihr Gebeth vom Himmel gebannt und gefangen wohnt; die alt persische Sage, die auch der Koran schon erwähnt, von den Geschlechtern Gog und Ma- gog, und den drei und zwanzig Königen, die alle Alexander zwischen zwei Berge, die auf sein Gebeth einander sich genähert, eingeschlossen, und mit einer Pforte versperrt, an der das Eisen bricht und das Feuer erlischt; der goldne Baum mit den künstlichen Vögeln, die im Laube singen; der Vogel Phönix, die Greifen, die Riesen und die Zwerge, die Meerweiber und Meermän- ner, die Amazonen, und alle jene Fabeln über die seltsamen Menschen, die wir oben angeführt, finden sich in dem Romane beynahe mit den gleichen Worten wie in der Reise wieder, und Montevilla, indem er sie in sein Werk verflocht, wurde bei der allgemeinen Ver- breitung, die dasselbe in seinem Zeitalter gewann, zum unmittelbaren Organe jener neuen Mythe und zu ih- rem Zeugen; er erscheint daher gleichsam als der Odysseus der neuern Zeit, der vom fernen Fabellande Kunde brachte, und wahrhaften Bericht, wie er es be- funden. Indem aber in der Folge bei dem Sinken der Poesie und dem abstracteren Character, den die Religion annahm, die Mythe ihre Bedeutung verlohr, da blieb der Reise nichts als allein das geographisch Scientifische zurück, und als der Verstand sie nun zum Object seiner Anschauung nahm, mußten alle jene Fabeln ihm als reine Lügen erscheinen, und so kam er in der spätern Zeit in den Ruf des größten Lügners und Aufschnei- ders unter allen Reisenden. Diese Beschuldigung ist indessen keineswegs gegründet; was er selbst sah, be- schreibt er genau und treu, und seine Autorität ist durchaus gültig, und sein Zeugniß wahrhaftig. Was er über den Zustand Palästinas sagt, wird Alles be- stätigt durch den Bericht seines Zeitgenossen, des Mönchs Proccardus, der auch eine Reise nach dem gelobten Land geschrieben. Bei dem was er über die entlegneren Gegenden beigebracht, muß man Rücksicht nehmen auf seine Vorgänger, die dieselben Gegenden wie er besucht und beschrieben haben. Montevilla reiste im Jahre 1322 von St. Alban aus, kam in Aegyp- ten in die Dienste des Sultans Melek Madarons; er diente ihm in seinen Kriegen, und dieser gewann ihn lieb, und wollte ihn durch Verheyrathen an sich fesseln; er schlug es indessen aus, weil er die Religion hätte wechseln müssen. Bei dem großen Landverkehr, der damal durch die Häfen des mittelländischen Meeres mit Indien gerrieben wurde, kam es ihm in den Sinn, auch dieß Land zu besuchen, und er führte den Einfall aus, und er und vier Andere mit ihren Knechten dienten dem Chan von Chatay Thiaut fünfzehn Monate lang in seinem Kriege gegen den König von Manthi, und das allein, wie er sagt, um den Reichthum, die Ordnung und das Regiment seines Staates zu besehen. Er er- zählt, wie er durch seine Beobachtungen am Astrolab gefunden habe, daß er auf diesen Reisen von der Hälfte der Erdoberfläche von 180° nordwärts 72° gesehen habe, und überdem 33 Grade von dem südlichen Quadranten, „und hätten wir Schiffe gefunden und Gesellschaft um weiter zu gehen, ich meine, sagt er, wir hätten die Rundheit der Erde umfahren.“ Nach vielen Jahren kehrte er zurück, und schrieb nun bey eintretender Kränklichkeit drei und dreißig Jahre nach seiner Ausreise 1355 die Reise. Aber über ein halbes Jahrhundert war ihm der Venetianer Marco Polo darin zuvorgekommen. Dieser hatte mit seinem Vater siebenzehn Jahre lang von 1275 an am Hofe des großen Chan Cublai verweilt, wußte sich bei ihm in großes Ansehen zu setzen, so daß er in den mannigfaltigen Geschäften, zu denen er gebraucht wurde, beinahe alle die Gegenden besuchte, die später auch Montevilla sah, und kehrte im Jahr 1295 über Indien nach Venedig zürück. Sein Aufenthalt an die- sem Hofe fiel eben in die Periode des höchsten Glanzes jenes großen Tartarreiches, das der Schrecken der gan- zen alten Welt im Mittelalter war. Nie hat die Ge- schichte eine größere Herrschaft gesehen. Während die Gränzen nordwärts bis ans Eismeer gingen, und des großen Chan’s Untergebne dort auf Hundeschlitten Zobel, Hermeline und blaue Füchse zum Tribut für ihren Fürsten jagten, hatte er südwärts von dem größten Theile von Indien sich Meister gemacht, und die Edel- gesteine, die Perlen und Gewürze dieses Landes strömten gegen Rindenassignaten in seinen Schatz, und selbst die Inseln erfuhren häufig die Stärke seines Arms; während er auf gleiche Weise ostwärts China eroberte, und Ar- meen über das Meer zur gleichen Bezwingung Japans oder Zipangri’s aussendete, drang er westwärts durch das eiserne Thor in Vorderasien ein, zerstörte das Reich der Caliphen in Bagdad, kämpfte oft und heftig mit den Sultanen in Aegypten um Syrien und Palästina, und ergoß sich nordwestwärts verheerend über Polen, Ungarn, gegen das Herz von Oesterreich hin, und alle Staaten des weiten Asiens binnen jenen fernen Gränzen gehorch- ten dieser ungeheuern, gigantesken, wilden Macht, die an Umfang weit die römische Weltherrschaft und das alte persische Reich übertraf. Marco Polo’s Be- richt Unter andern im Novus orbis Regionum ac Insularum veteribus incognitarum. Basileae apud J. K. Hervagium 1532. von allem was er dort gesehen, von Sitten, Gebräuchen, Begebenheiten und Merkwürdigkeiten ist treu, einfach, und wahrhaftig, und es ist kaum zu bezweifeln, daß Montevilla ihn bei Abfassung seiner Reise vor sich liegen hatte. Die Erzählung von dem Alten vom Berge, der ein Paradies für Meuchelmör- der angelegt hatte, findet sich genau so, wie er sie er- zählt, bei M. P. Eben so die Erzählung vom großen Rubin des Königs von Ceylon, Die vom Grabmahl des heiligen Thomas, und das meiste was die Berichte über die Sitten der Tartaren beibringen, und über den Hofstaat des großen Chans ist meist völlig gleich- lautend in Beiden. Auch der Priester Johannes kömmt bei Marco Polo schon vor, und er nennt ihn Uncha, einen indischen König, dem vorher die Tartaren zinsbar 9. waren. Vom Fabelhaften hat er dabei nur einen leich- ten Anflug; geschwänzte Menschen, und Menschen mit Hundeköpfen erwähnt er einmal, so auch der Ge- genden Gog und Magog, aber ohne von den eingeschlos- senen Juden etwas zu erzählen; er beschreibt den Baum des Lebens, aber ohne weiter etwas von ihm beyzubringen, als seine Blätter seyen oben grün und unten weiß. Dann erzählt er am Ende noch: auf den Inseln süd- wärts von Madagascar, solle der wunderbare Vogel Ruc leben, mit zwölf Schritte langen Schwungfe- dern, der einen Elephanten durch die Luft fortführen könne, der aber doch kein Greif sey, sondern zwei Füße wie andere Vögel habe. Außer M. P. scheint Montevilla auch den Haython gekannt zu haben, der aus der Familie der Könige von Armenien, an allen den zahlreichen Kriegen der Tartaren mit den Sulta- nen von Aegypten Antheil nahm, am Ende Prämon- stratenser-Mönch wurde, und de Tartaris Liber schrieb. Die Erzählung vom ersten Ursprung des Tartarreiches mit Changischan, und seine folgenden Feldzüge und Begebenheiten, sind wörtlich daraus entlehnt; eben so die Entthronung des Califen von Bagdad und sein Hungertod; endlich die ganze Geschlechtsfolge der Sulta- ne von Aegypten, und alles was es über ihre Geschichte beigebracht. Auch die Erzählung von der Provinz Hamsen in Georgien, die drei Tagreisen im Umkreis mit Nacht und Dunkel bedeckt, obgleich bewohnt ist, wie im Alexander. Nachdem man alles das als fremdes Ei- genthum von Montevilla’s Berichte abgezogen, bleibt ihm immer noch ein bedeutendes unzubestreitendes Eigen- thum zurück. So beschreibt er richtig und genau die Brutöfen in Aegypten, den Gewinn des Balsams und die Kennzeichen des Aechten und Unächten, die Brief- tauben; ferner den Fundort, das Ansehen, die ver- schiedene Güte und die Bearbeitung der mancherley Diamanten; eben so die Niederlage des venetianischen Handels auf Ormus; er schildert ausführlich und genau die Sitten und die Religion der indischen Bölkerschaf- ten und Inseln, die er alle der Reihe nach durchgeht; er beschreibt den Wachsthum, die Sammlung und die verschiednen Arten des Pfeffers; er spricht vom heiligen Thomas und den Thomaschristen; von den Gymnosophisten, wie sie bei den Götterfesten sich unter die Wagen werfen; wie die Weiber nach dem Tode ihrer Männer sich mitverbrennen; wie man südwärts des Aequators einen andern Polarstern sehe, weswe- gen die Erde rund seyn müsse; er giebt ausführliche Nachricht über die Crocodile, den Hippopotamus, den Elephanten, die Giraffe, die Klapperschlange, die Papageyen, das Chameleon, den Cocos und den Baumwollenstrauch. Er schildert mit großer Lebhaftig- keit und Anschaulichkeit den Glanz, die ungeheure Pracht und die Sitten des Hofes von Cathay und die Macht des Landes, was eine der interessantesten Par- thien des Buches ist. Er kennt die Mirage, indem er erzählt, auf der Insel Ceylon erscheine das Meer wohl so hoch, daß es den Anschein gewinne, als hinge es in den Wolken; eben so kennt er die langen Nägel und die kleinen Füße der Chinesen. Um aber das alles in ihm zu finden und zu erkennen, darf man ihn durchaus nicht in den corrupten Uebersez- zungen und im Volksbuche, sondern muß ihn in einem der älteren Manuscripte lesen. Das, worauf das Ge- genwärtige sich bezieht, ist ein Pergamentcodex vom Jahr 1420, aus dem Lateinischen und Französischen, in dem M. schrieb ins Niederteutsche, sehr correct und sorgfältig übersetzt. Vergleicht man damit die ältere teutsche Uebersetzung, die der Domherr von Metz, Otto von Demeringen um 1483 gemacht, die dann in die neuere teutsche Sprache übertragen im Reiß- buch des heiligen Landes von 1609 sich findet, aus dem nun das Volksbuch wieder ein genauer Ab- druck ist, dann findet man, daß Beide kaum einander mehr ähnlich sehen. Nie ist ein Schriftsteller so miß- handelt worden: außer dem, daß nach der grundlosesten Willkühr alles verrenkt und verschoben ist, daß man die ganze Ordnung des Buches umgekehrt, hat der Uebersetzer sich jede Art von freventlicher Verstümmlung erlaubt. Beinahe kein einziger Orts- oder Personalna- men ist unverkrüppelt geblieben, und diese Mißhand- lung hat häufig den höchsten Unsinn hervorgebracht. Außer dem, daß der große Chan zum großen Hund geworden ist, steht z. B. gleich auf der ersten Seite statt Cypern, Cypion; statt Bulgarien, Balgerland; statt Adrianopel, Napoli. Während es im Originale heißt: die Dornencrone liegt gar köstlich verziert in einem crystallnen Gefäße; verstümmelt die Uebersetzung: gar köstlich verschmiedt in einer Crystalle. Meleckman- ser spielte einst Schach, und sein Schwerdt lag bei ihm, und der Ritter, der mit ihm spielte, ward zornig und tödtete ihn damit, so erzählt M.; sein Uebersetzer aber: als Lachim einst spielte mit dem Ritter Schatzabel, wurden sie uneins ꝛc. Ganz zum unkenntlichen Non- sens ist das historische Register der ägyptischen Sultane geworden; die fünf ägyptischen Provinzen, die das Original richtig Sahit, Demesre, Resich, Alexandria und Damiette nennt, heißen hier Erzbisthümer Saste, Moset, Resch, Alexandria, Danuten, und so ist in der ganzen Folge nicht ein einziger Eigennahmen, der sich gleich geblieben wäre. Und wieder während der Uebersetzer ganz willkührlich was ihm gefällt, weg- läßt, und darunter häufig das Wichtigere, schiebt er bei jeder Gelegenheit die Thaten des Ogier aus den Heldenromanen Carls des Großen bis nach Indien ein, von dem M. nichts weiß. So ist denn das Ganze zu dem verworrenen Galimathias geworden, den das ge- genwärtige Volksbuch darstellt: gleich als hätte es ein Nachtwandler auf seinen nächtlichen Wanderungen, ungeschickt herumtappend, und beständig von confu- sen Nückerrinnerungen aus dem Tage geirrt, geschrie- ben, so muß es jedem erscheinen, der es in seiner ge- genwärtigen Gestalt erblickt. Immerhin würde er ver- dienen, daß irgend jemand seiner sich annähme und ihn edirte; die Geographie des Mittelalters hat kaum ein interessanteres Denkmal aufzuweisen. Wir selbst aber haben uns hier länger bei ihm aufgehalten, theils eben jener inneren Wichtigkeit wegen, theils um, indem wir in ihm schieden, was ihm selbst und was der Poesie, was Marco Polo, Haython, was dem Uebersetzer angehört, an ei- nem auffallenden Beispiel zu zeigen, wie seltsam durch- einanderlaufend die verschiednen Richtungen in den Werken dieser Zeit sich verschlingen und durchkreutzen, und wie schwer es hält, diese verworrene Mannigfaltig- keit in ihre Elemente zu decomponiren, und irgend eine besondere Ansicht durch das Gewirre aller der ineinan- dergeknüpften Fäden zu verfolgen. 10. Fortunatus mit seinem Seckel und Wuͤnschhuͤtlein, wie er dasselbe bekommen, und ihm darmit ergangen. Nuͤrnberg und Coͤln. Schnell und wie der Gedanke flüchtig durch die Welt zu eilen, und einen nimmer leeren Geldseckel zu besiz- zen, sind zwei kindische Wünsche, die jeden wohl einmal schon beschlichen haben: in den Siebenmeilenstiefeln hat der Erste schon in früheren Zeiten gar bescheiden sich ausgesprochen; die Nürnberger Buden zeigen den an- dern im Ducatenmännchen ausgeschnitzt; das Huhn mit den goldnen Eyern ist eine zweite Variation des rei- chen Themas, und die ganze Weltgeschichte ist eigentlich ein Argonautenzug nach diesem goldnen Vließ. Das ist denn auch dieses Romanes Gegenstand, man hat ihn den Engelländern ursprünglich zugeschrieben; und man muß gestehen, daß das Werk ihrem ganzen Wesen, Thun und Treiben am meisten zusagt, und daß Fortu- natus einigermaßen symbolisch dies Volk repräsentirt, das in seinen Flotten auch ein Wünschhütlein besitzt, durch das die ganze Welt ihm zugänglich wird, und mit ihm dem unerschöpflichen Seckel, aus dem es immer- fort nur schöpft, und Silberströme gießt. Das schwere Gold, — das immer in die Tiefe strebt und zieht, und in dem eine unendliche Trägheit wohnt, und durch In- fusion in den übergeht, der sich ihm ergiebt, — hat die Poesie hier beflügelt, indem sie dem Metallkönig den leicht beschwingten, hebenden Federhut aufsetzt, und nun fliegt der neue Hermes leicht schwebend über Län- der und Völker hin, und wenn er den Stab schüttelt, dann umwinden die beiden Schlangen sich grimmig eng und fest, und unmuthig werfen sie die goldnen Kro- nen ab, und indem sie sich jedesmal von neuem häuten, wächst der goldne Schmuck ihnen immer wieder zu, unten aber fällt das Metall wie eine astralische Lehens- tinctur hinab, und die müden, matten, schmachtenden Herzen werden davon erquickt, und Lust und Freuden schießen überall in die Höhe, und die Menschen stellen sich in das fallende Tropfen wie in den Mayregen hin, um zu wachsen in Ansehen und Vermögen, und den herrlichen Balsam recht durch alle Poren einzusaugen. Am Ende aber erwürgen sie die Schlangen, um den Eyerstock zu allem dem Golde mit einemmal zu fin- den, und die ganze Glorie und das wonnenvolle Leben ist zu Ende, und die Ermordeten kehren als Feuer- schlangen wieder, die die Mörder an ihren empfind- lichsten Theilen wunden. Das ist der Gang des Buches in dem die Fabel rasch wie ein leichter Wind von Land zu Lande eilt; in dem die Einbildungskraft keine Unkosten scheut, und die drei Einheiten auf keine Weise achtet; in dem die Erfindung glücklich, die Handlung gut angelegt und trefflich gehalten und durchgeführt erscheint; in dem überhaupt ein leichter, freier Geist sich kecklich offenbahrt. Wenn auch das Gedicht eben nicht gerade in der besten Zeit geworden ist, wenn die Poesie auch oft in das Abentheuerliche und das Gedicht in die Reisebeschrei- bung sich verliert, so ist das Ganze doch höchst schätz- bar, und in sich rund und vollendet. Die Meynung Fortunatus sey ein ursprünglich engelländisches Gedicht hat unläugbar vieles für sich; vor Allem, wie wir schon berührt, den Geist des ganzen Werks, jenen unruhig strebenden Gold- und Handels- geist; dann daß die Hauptscene des Romans in Engel- land und Hibernien liegt, und zweimal dahin wieder- kehrt, und mit Wohlgefallen bei dortigen Scenen ver- weilt, z. B. beim Abentheuer in St. Patricius Fegfeuer in Irland; endlich daß das Gedicht schon in sehr alten Zeiten in der engelländischen Literatur in dramatischer Form sich findet. Inzwischen ist auch Manches was 10. diesen Gründen widerspricht. Quadrio in seiner Storia d’ogni Poesia erklärt ihn für einen spanischen Ro- man, dessen Verfasser man nicht kenne, der ins Fran- zösische von D’alibray Rouen 1670, und dann ins Italiänische 1676 unter dem Titel Avvenimenti di Fortunato, et de suoi figli. Napoli, übersetzt worden sey. Dasselbe sagt auch die Histoire des Aventures heureuses et malhereuses de Fortunatus avec sa bourse et son chapeau. Troyes chez Garnier, wo es heißt: Si Fortunatus doit sa gloire À celui qui est son auteur, Il n’en doit, à ce qu’on peut croire, Gueres moins a son traducteur, Car l’un est cause qu’il s’envole Dans la region espagnole, L’autre etc. Das teutsche Buch von Fortunato und seinem Seckel ganz kurzweilig zelesen, gedruckt und vollendet in der kayserlichen Stat Augsburg durch Heinrich Steyner 1530, zeigt gleichfalls überall die Spuren eines gleichen Ursprungs. So nennt Rupert in der Verschneidungsge- schichte das Thor an dem Aufenthaltsorte des Grafen von Flandern, durch das Fortunatus entkommen könne, Porta de Vacha, das ist die Küport. Ferner die Stadt in Cypern, die Fortunatus seiner Braut zur Morgengabe kauft, soll Larcho nube, ist als vil gesprochen als ein Regenbogen, heißen; das Getränk, das Agrippina dem Andolosia giebt, wird Mandolles genannt, ist ein stark Getränk, sobald man es trinkt, entschläft ein Mensch als ob er todt sey sieben oder acht Stund, sagt der Text; endlich Zoyelier, das spa- nische Joyelero für Juwelenhändler u. s. w. So ist’s daher außer allem Zweifel, daß Franzosen, Italiäner und Teutsche den Roman aus dem Spanischen herge- nommen haben, daß er aber dort einheimisch sey, da- gegen spricht durchaus der Geist des ganzen Werks, indem kaum irgend eine Spur der spanischen Natur darin zu finden ist. In sich gekehrt und auf sich allein ruhend erscheint diese Natur; wenig von jenem zer- streuenden, unstäten, zerfließenden nordischen Geiste ist in ihr, der zerrinnen mögte in die ganze umgebende Welt, und Alles durchdringen und erkundigen. Wollte man allenfalls ihn aus der Zeit herleiten, wo durch die Entdeckung von America der spanische Character eine andere Wendung nahm, und die ganze verborgene Heftigkeit des Nationaltemperaments sich heißgierig dem Gold entgegen wandte, dann steht damit in zernichtendem Widerspruch die Beschränkung der Szene des Romans auf die alte Welt und den Norden von Europa, so daß die Abfassung nothwendig in eine frühere Zeit als jene Epoche fallen muß. Die Periode, in der die Dichtung selber spielt, ist jene Zeit, wo Bre- tagne noch ein unabhängiges Herzogthum war (bis 1483) wo die Mauren noch das Königreich Grenada besaßen (1480), wo die Türken Constantinopel noch nicht eingenommen hatten (1453), wo Cypern als ein christliches Königreich bestand, die Mameluckensultane Aegypten regierten, und der Wütherich Dracole Weyda die Wallachey beherrschte. Vorzüglich die letzte Angabe fixirt diese Epoche gegen das Jahr 1440, wo dieser Weyda sein Wesen unter den Wallachen und in Sie- benbürgen trieb. Im Ganzen deutet alles bisher Beygebrachte auf einen nordischen Ursprung des Gedichts, daß es aber eigentlich engelländischer Abkunft sey, dagegen spricht besonders eine Stelle, da nämlich, wo Andolosia sich an den engelländischen Hof begiebt: „da thett er so manige ritterliche That, das er für all ander gelobett ward, und wye wol es also ist, das kain Volk auff Erdtrich ist, das stolzer und hochfertiger, nyemant keinen Ehren gunnen noch zülegenn mag, dann ynen selbst, noch dann sagtten sy große Ehr von Andolosia, von der großen Künheit, so er in streyten begangen het, doch so sagtten sy, es wer ymmer schad, daß er nicht ein englisch Mann were, wann sy vermaynen, daß kain besser Volk auff Erdtrich sey, dann sy“. Eine Stelle, die ohne Zweifel wohl kein Engelländer geschrieben haben würde, wenn sie anderst nicht späterer Zusatz ist. Alles zusammen gegeneinander erwogen, scheint es, daß die Abfassung des Romanes mit der Zeit, worin er spielt, durchaus zusammenfällt, und der Ort mit der Gegend wo Fortunatus den Glückseckel erhïelt. Nachdem er in London nämlich beinahe gehenkt wor- den wäre, gieng er nach Bretagne, „das ist ein starkes Land und hat viel hoher Gebürg und groß Wald“. In diesem Walde verirrte er sich, und da erschien ihm Fortuna und begabte ihn, und nun ritt er auf die Hochzeit des Herzogs von Bretagne mit des Königs Tochter von Arragonien, nachdem er vorher von dem Waldgrafen geplündert worden war. An diesem Hofe lebte wahrscheinlich der Verfasser, der also ein Breton war, und von dort aus gieng alsdann die ganze fol- gende Reise des Fortunatus und mithin der eigentliche Roman aus, indem er da den Leopoldus fand. Man kennt die bedeutende Rolle, die diese Herzoge in der Geschichte der Poesie gespielt; indem sie von der Normandie aus, die selbst wieder ursprünglich eine brittische Colonie war, Engelland eroberten und be- herrschten, und bei Hofe ihre Sprache eingeführt; wie unter ihnen beinahe der ganze romantische Kreis der Ge- dichte von König Artur, den Rittern der Tafelrunde, Merlin u. s. w. sich ausgebildet hat, und beinahe alle Glieder dieser großen Gruppe von dort ausgegangen sind. Was diese Annahme zu begünstigen scheint, ist die Vermu- thung, daß der Dichter irgend einen verhaßten Räuber in der Geschichte des Waldgrafen brandmarken wollte; weil nachdem er das Ganze weitläuftig erzählt, ein persönlicher Haß dadurch hervorzubrechen scheint, daß er nachdem die ganze Erzählung zu Ende, noch den Namen des Grafen beifügt: „und nam also die roß und gelt Fortunato unredlichen ab, alls man yr noch vil findet, die den leutten das Ir nemen wider alle recht; dieser Waldgraf was genannt Graf Artel- hyn der Waldgraf von Nundragon .“ So würde daher dieser Roman der nordfranzösischen Lite- ratur angehören, und bei der Verbindung dieses Lan- des einerseits mit Engelland, andrerseits mit Spanien, eben durch jene arragonische Heyrath, die alsdann als ein historisches Factum angenommen werden müßte, würde sein Uebergang nach jenen beiden Reichen in früherer Zeit, und weiterhin das spätere Vergessen seines eigentlichen Ursprungs leicht erklärlich seyn. Geht man aber auf die eigentliche Quelle der Fa- bel des Romans zurück, dann findet man diese in dem Buche Gesta romanorum, die nach der Stelle die Warton in des Theologen Glassius Philologia sacra aufgefunden, und die Eschenburg beibringt, gegen das Jahr 1340 von Berchorius oder Bercheur in der Abtey St. Eloi in Poitou geschrieben wurden. Unter den mannigfaltigen einheimischen, persischen, indischen, neugriechischen Volkssagen, die in diesem Buche ge- sammelt und mit moralischen Nutzanwendungen versehen sind, findet sich auf dem Blatte IX und X der alten teutschen Ausgabe ohne Jahrzahl auch Folgende: „Darius, ein gewaltiger König zu Rom, hatte drei Söhne; als er starb, vermachte er den ersten Beiden Reich und Haabe, dem jüngsten, Jonathan, aber drei Kleinot, ein Fingerlin, ein Hefftlin und ein edles Tuch, Alles vom Zauberer Virgilius. Das Erste machte den, der ihn trug bei jedermänniglichen beliebt; das Hefft- lin hatte die Tugend, wer es am Herzen trug, und dessen er begehrt, das geschah. Das Tuch aber hatte die Eigenschaft, wer darauf saß, und begehrt, wo er in der Welt wollt seyn, da war er zur Hand. Mit dem Ringe zog Jonathan zuerst von seiner Mutter aus, eine Jungfrau gewann ihn lieb, lebte mit ihm, und forschte ihn aus, woher es doch kommen möge, daß er ohne Gold und Silber doch so wohl lebe, und jedermann ihn lieb habe. Er entdeckte ihr die Macht des Ringes, sie schwatzte ihm denselben ab, unter dem Vorwande, ihn zu bewahren, und als er ihn wie- der foderte nach einiger Zeit, that sie bestürzt, und gab vor, die Diebe hätten ihn gestohlen. Er erschrack und weinte bitterlich, und gieng nach Hause, und klagte sein Unglück seiner Mutter. Sie gab ihm mit War- nungen und guten Ermahnungen das Heftlin. Er zog von neuem aus, und die Jungfrau begegnete ihm wie- der, sie lebten in Jubel und Freude miteinander, und der Jungfrau gelang es, sich auch des Heftlins zu be- mächtigen, indem sie versprach, es diesmal besser zu bewahren. Der nämliche Vorwand wie beim Fingerlin. Jonathan gieng nun zornig zur Mutter, und die gab ihm das Tuch mit der Erinnerung: es sey das Letzte von seinem Erbe. Er eilte hin in das Haus der Jungfrau, die empfieng ihn schön; eines Tags aber breitete er sein Tuch auf im Hause, und bat die Jungfrau, daß sie zu ihm säße. Da sie das thät, da wünschte er sich ans Ende der Welt in eine Wild- niß. Da sie erstaunt und verzagt ihn ansah, da fo- derte er ihr drohend das Entwendete zurück, und sie versprach alles, sobald sie wieder heimgekehrt wären. Er aber entschlief in Freuden, und sie zog das Tuch unter ihm weg, und fuhr nach Hause. Als Jonathas erwachte, that er jämmerlich und verfluchte sich und das Weib, als er aber sich aufmachte und fortgieng, fand er einen Baum voll schöner Früchte, und weil er hungrig war, aß er und ward plötzlich aussätzig. Da er nun klagte und weinte, da fand er einen andern Baum, und dacht, ich will die Frucht auch essen, ob ich etwann stürb, als er aber zur Stund aß, da wurde er rein vom Aussatz. Er kam als er fortzog in eine Stadt, wo der König am Aussatze lag, heilte ihn mit seinen Feigen, und gewann viel Guts. Er gieng dann wieder zum Ort, wo die Jungfrau wohnte, fand sie krank, bot sich ihr als Arzt an, gab aber vor, daß sie zuvör- derst ihre Sünden beichten müsse. Sie beichtete den Raub der drei Kleinote, die zu ihrem Kopfe lägen, nun gab er ihr die Feigen, sie wurde zur Stunde noch kränker und starb, er aber nahm die Kleinote und fuhr freudig von dannen.“ Man sieht, daß wenn Fortunatus nicht von diesem Buche ursprünglich ausgegangen ist, Beide wenigstens aus einer und derselben Quelle schöpften. Wir haben seine eigentliche Abfassung in die erste Hälfte des fünf- zehnten Jahrhunderts versetzt, um dieselbe Zeit mogte Montevillas Reise in allgemeinen Umlauf gekommen seyn, und die Geister zu erwärmen beginnen. Es war 11. daher natürlich auf den Gedanken zu fallen, die Poesie des Reisens in eine Dichtung zu übertragen, und dazu bot sich eben die Idee von jenem Zaubermantel leicht und glücklich dar. Die Reise des Fortunatus geht bei- nahe in alle jene Gegenden, die auch Montevilla be- suchte; nach Aegypten, Arabien, Indien wo der Pfef- fer wächst, in die Tartarey und zum Priester Johannes. Ausdrücklich sagt das teutsche Buch bei Gelegenheit der indischen Reise: „wöllicher aber das gern wissen will, der leß das Buch Johannem de Montevilla, und andere mehr Bücher, deren die solliche Land alle durch- zogen sind.“ Es ist zwar möglich, daß diese Stelle Zusatz des teutschen Uebersetzers ist, der auch mit ächt teutschem Fleiße bei den europäischen Reisen überall den Meilenzeiger beigefügt hat; indessen verräth der abentheuerliche Reisegeist, der in diesem Buche schon erwacht, und gleichsam symbolich den Entdeckungsgeist der nächstfolgenden Hälfte des Jahrhunderts vorbedeu- tet, unläugbar den Einfluß jener älteren Reisen in die Poesie, den wir oben auseinandergesetzt, und der ro- mantischen Ideen, die von ihnen aus sich in die Literatur verbreitet haben. 12. Eine lesenswuͤrdige Historie vom Herzog Ernst in Bayern und Oesterreich, wie er durch wunderliche Unfaͤlle sich auf gefaͤhrliche Reise begeben, jedoch endlich vom Kaiser Otto, der ihm nach dem Leben gestanden, wiederum begnadigt worden. Zuvor niemals abgedruckt. Nuͤrnberg und Augsburg. Herzog Ernst entzweyt sich mit seinem Vater dem Kayser Otto, erwählt nach Christi Geburt 933, wird von Land und Leuten durch ihn verjagt, wallfahrtet nach Jerusalem, mit seinem Vetter Herzog Wezelo, geräth zu den Agripinen, Menschen mit Kranich- köpfen, mit denen er sich um eine entführte Prinzessin herumschlägt, leidet dann Schiffbruch am Magnet- berge, läßt sich mit seinen Gefährten in Ochsenhäute eingenähet von einem Greifen zu seinem Neste durch die Luft wegführen, fährt auf einem Floße durch den Carfunkelberg, gelangt zu den Armaspen, Leuten mit einem Auge, bekämpft dort die Riesen und Sciopoden, geht nach Indien, besiegt da für die Pygmaen die Kraniche, dann den König von Babylon, und erreicht endlich von diesem geleitet Jerusalem, von wo aus er in der Folge wieder nach Teutschland geht, und mit seinem Vater sich versöhnt. Der Roman ist von ei- nem alten Gedichte von Heinrich von Veldeck des gleichen Namens und Inhalts ausgegangen, das man in Prosa aufgelößt, und das sich in der Gothaischen Bibliothek im Manuscripte findet, und sich wieder auf ein latei- nisches Buch, als seine ursprüngliche Quelle zurück be- zieht. Man sieht aus dem angegebenen Inhalt, wie nahe verwandt auch dieses Buch mit jenen fabelhaf- ten Sagen ist, wie es vom Alexander und den ältern orientalischen Traditionen ausgegangen, die um diese Zeit durch die Uebersetzung des Callisthenes in Westeu- ropa in allgemeinen Umlauf gekommen waren. Alle jene fratzenhafte, mißgebohrne Menschenarten finden sich schon bei Solinus und Plinius in seiner Beschrei- bung von Indien; vom Magnetberge erzählt Monte- villa uns weitläuftig in seinen Reisen, wie um ihn her die festgewordenen Schiffe gleich Felsen und kleinen Inseln stehen; die Riesen sind aus der gleichen Quelle geschöpft, und die Luftfahrt findet sich im Alexander schon, der von einem Greifen sich geharnischt hinauf in die Höhe viele Tagreisen hoch tragen läßt, daß das rothe Meer einer Schlange gleich unter ihm zu seinen Füßen liegt. Das Ganze, einigermaßen ein Pendant zu Lucians wahrer Geschichte, die aber in ihrer Art vollendeter ist, erscheint nur von mittlerm Werth, anfangs besonders schleppend, in der Folge wohl rascher voran schreitend, im Allgemeinen aber doch matt, und wenn man das, was dem Dichter gegeben war, ab- rechnet, leer und mit geringer Erfindung gedacht und durchgeführt. 13. Riesengeschichte, oder kurzweilige und nuͤtzliche Historie vom Koͤnig Eginhard aus Boͤhmen, wie er des Kaysers Otto Tochter aus dem Kloster bringen lassen, und hernach viel Ungluͤck im Koͤnigreich Boͤhmen entstanden ist. Item wie die großen Riesen dasselbe Koͤnigreich uͤberfallen, und was vor wun- dersamer Streit mit ihnen vorgegangen. Auch wie der Ritter Julius die koͤnigliche Tochter sich zu einem ehlichen Gemahl er- worben, und durch seine ritterlichen Thaten endlich das Koͤnigreich an sich gebracht hat. Alles sehr nuͤtzlich und lehrreich beschrieben von Leopold Richtern, gebuͤrtig zu Lambach in Oberoͤsterreich. Gedruckt in diesem Jahr. Nuͤrnberg. Der Herausgeber sagt, er habe dieß Buch auf einer Reise in einem einsamen Schlößlein an der Nabe auf- gefunden, und solches den ehrsamen Junggesellen, ab- sonderlich aber dem tugendsamen Frauenzimmer zu Lieb an den Tag bringen wollen. Der Dichtung aber liegt eigentlich der folgende Vorgang aus der böhmi- schen Chronik zu Grunde: Gegen das Jahr 1009 machte Herzog Ulrich sich einmal zur Sommerszeit auf, und ritt in weiten Wald auf die Jagd; er kam zu fern von seinen Dienern, verirrte sich, band sein Roß an, stieg auf eine hohe Fichte, und ward auf einem Berge eines Schlosses gewahr. Er machte sich mit seinem Schwerdte Bahn bis zu ihm hin, und fand das Schloß unbewohnt, die Zugbrücken aufgezogen, stieg hinein, die Gewölbe waren mit Wein gefüllt, und in den Zimmern fanden sich viel Harnische und vermoderte Kleider. Als er nach Drschtka zurückkam, und sich darnach erkundigte, kannte niemand die Existenz des Schlosses, und da bat ihn einer seiner Diener, Namens Przym, um das Schloß, und er belehnte ihn damit, und es heißt Pzimda bis auf den heutigen Tag. Es hatte aber, wie die teutschen Chronicken sagen, diese Bewandtniß mit dem gefundnen Schloß: Heinrich der Erste regierte 920 und hatte eine schöne Tochter Helena, die Al- bertus, ein Graf von Altenburg, freyte; da aber Bei- der Stand zu ungleich war, verkaufte er seine Graf- schaft dem Kaiser, und suchte in der Wildniß einen gelegenen Ort zur Ausführung seiner Pläne. Er kam an jene Stelle, ließ den Wald ausreutten, und das Schloß erbauen, das er dann auf viele Jahre proviantirte mit Nahrung, Gewehren und Geschoß. Dann berief er alle Arbeiter und ander Gesinde in eine Stube vor dem Schlosse, versperrte sie aufs härteste, und zündete das Gebäude an, daß sie Alle verbrannten, damit niemand von der Existenz des Schlosses etwas erführe. Er gieng dann wieder an Kaisers Hof, und diente wie zuvor. Bald entführte er mit ihrem Willen des Kai- sers Tochter, sie saß hinter ihm auf sein Roß, und zusammen ritten sie in den Wäldern lange in der Irre, bis sie das Schloß endlich erblickten, da giengen sie hinein, und lebten miteinander in Freuden. Das ge- schah Anno 925. Nach fünf Jahren aber hielt der Kaiser Hof in Regensburg, er verirrte sich gleicherweise auf der Jagd bei einem Nebel, ritt eine Weile an einem Flüßchen aufwärts, und sah endlich ein Schloß auf einem Berge; er drang mit Mühe heran, und kam endlich gegen Abend vor das Thor. Er rief und schrie mit Macht, weil er in drei Tagen nichts gegessen, und vom kalten Regen schier naß geworden war. Helena wurde begierig wieder einen Menschen zu sehen, und lief heraus, sie beriethen sich unter einander, und end- lich ließen sie den Bittenden herein, da sie ihn nicht kannten, weil er sich in den fünf Jahren Haar und Bart wachsen lassen. Er aber kannte sie wohl, und gab sich auf Befragen für einen Ritter von Hungarn aus. Helena fragte ihn um den Kayser, und er be- richtete ihr, er sey seit einem Jahre schon gestorben; und als sie darüber ihre Freude bezeigte, fragte er: und wenn ihr den Kaiser löblicher Gedächtniß, sowohl in euerer Gewalt, als ihr mich habt, bekämet, wie wolltet ihr ihn aufnehmen? Dem antwortete sie: ich wollt es mit meinem Liebsten dahin bringen, daß er den Morgen nicht erleben sollt. Der Kaiser zog am Mor- gen ab, nahm Ort und Gelegenheit wahr, wurde in Regensburg mit Freuden empfangen, versammelte viel Volks, das er mit Holzäxten bewaffnete, ließ Wege durch den Wald hauen, rückte vors Schloß, und als der Graf hervorkam und nach dem Urheber des Ge- tümmels fragte, ward ihm zur Antwort, der Kaiser welcher das Brod mit euch gessen, hat befohlen, daß wir euch und seiner Tochter auf Tod und Leben absagen sollen. Der Graf wehrte sich, aber weil alle Armbruste vermodert waren, nur mit Steinen. Helena drohte sich zu ermorden. Der Kaiser ließ sich endlich besänfti- gen, als sie ihm selbst zu Fuße fielen und um Gnade baten; sie zogen mit gegen Regensburg, nachdem sie das Schloß beschlossen, das Frauenberg heißt, und das denn Ulrich in der Folge gefunden. Dies geschah 930. Böhmische Chronica Wenceslai Hagecii S. 131 — 133. Auch die Chronica Bohemiae von Peter Beck- lern, Frankf. 1695. erzählt Kap. 6 etwas abweichend die wunderliche Geschichte Herzog Brzetislai, Udalrici Sohn, welcher ein kaiserlich Fräulein, Juttam, aus dem Kloster zu Regensburg entführt, woraus ein weit- aussehendes Kriegsfeuer mit dem Kaiser entstanden, so aber bald gedämpft worden. Aus dieser Tradition ist das gegenwärtige Volksbuch mit einigen Abänderungen geworden. Die Kaiserstochter heißt Adelheit, der Kai- ser selbst Otto; an die Stelle des Grafen von Alten- burg ist König Eginhard getreten, das Schloß heißt Schildheiß, und die Begebenheit ist insofern geändert, daß der Kaiser den König verjagt, daß er auf jenes Schloß sich zurück ziehen muß, wo er sie in der Folge findet, ohne sie zu erkennen, während die Tochter an 12. seinem Wehrgehenke den Vater erkennt, und nun mit dem König bei Nacht ihm zu Füßen fällt. Das Abentheuer auf dem Schlosse, und die Riesengeschichten sind ein- gelegt. Diese Riesen, die angeblich im Lande Kalmukey und in der Tartarey wohnten, deren König Butschko ist, und unter denen vorzüglich der Riese Scharmack sich auszeichnete, in dessen Nacken alle Monathe drei Pfund Haare wachsen, deuten ebenfalls wieder nach der allgemeinen geographischen Fabelquelle hin. Das Ganze ist nicht ohne Geist, obgleich häufig mit vieler Nach- lässigkeit geschrieben. Das Riesenwesen besonders ist recht gut dargestellt, insofern die Kraft in ihrem Ue- bermaße unter sich selbst erliegt, und als Plumpheit erscheint. Wenn das Buch von einem älteren Gedichte ausgegangen ist, dann würde dessen Verlust für die Kunst zu bedauern seyn. 14. Wahrhafte Beschreibung von dem großen Helden und Herzogen Heinrich dem Loͤwen, und seiner wunderbaren hoͤchst gefaͤhrlichen Reise. Auf Begehren vieler Liebhaber aufs neue aufgelegt. Braunschweig und Leipzig. Zunächst Auszüge aus der Chronik über ihn und die folgenden Herzoge. Dann folgt ein Gedicht, von dem der Verfasser sagt, daß er es von Wort zu Wort anhero setze, wie es ihm in einem alten Manuscripte von gewis- ser Hand überreichet, und auf Begehren vieler Liebha- ber mit eingedruckt worden. Das Gedicht, wahrschein- lich dasselbe, dessen Spangenberg gedenkt, und von dem Koch erzählt, daß es im Verzeichnisse der Handschriften auf der Wolfenbüttler Bibliothek unter der Aufschrift: altteutsches Gedicht von Heinrich dem Löwen scriptum anno 1585 sich finde, auf der Bibliothek selbst aber fehle, ist recht brav, gefällig und leicht erzählt, und berichtet in einer geschmeidigen, herzlichen Sprache, wie der Herzog auf der See in große Noth kam, daß sie übereinander das Loos werfen, und sich der Reihe nach aufessen mußten, bis endlich nur er und ein Knecht allein übrig blieben, wo dann ihn das Loos endlich traf; wie aber der Knecht ihn nicht schlachten wollte, sondern ihn in die Ochsenhaut einnähete, daß der Greif kam und ihn wegtrug zu den Jungen, die er tödete, und dann im Walde einen Lindwurm erlegte, den er im Kampfe mit einem Löwen fand; wie der gerettete Löwe ihm dann folgte auf einem Floße über die See; wie Satan ihm dort erschien, wie er ihn führte durch die Lüfte hin, vermeynend er soll seyn werden, und ihn vor Braunschweig niederlegte, wo er dann entschlief; wie der Teufel dann hinfuhr, um auch den Löwen zu holen, wie er ihn brachte, der Löwe aber nun thät laut aufschreien, weil der Teufel ihn allzufest hatte umfangen, und wie darüber der Herzog zu seinem Glück erwachte, denn so der Herr geschlafen, wär er kommen um Leib und Seel; wie er dann hineingieng zur Her- zogin, die er als Braut wiederfund, wie es der Teufel ihm verkündigt, und wie er durch einen Ring sich ihr zu erkennen gab, und endlich nachdem er noch viele Jahre mit ihr zugebracht, stirbt. Das Buch in etwas modernem Anstrich, aber ganz im Geiste der altsteinernen Ritterbilder, die auf den Grabmählern mit gefaltenen Händen knien, während oben über aufgehangene Strauß- eneier und Greifenklauen in dem dunkel dämmernden Gewölbe schweben, und von den Thaten der Gestor- benen im heiligen Lande als stumme Zeugen mimisch Zeugniß geben, und ein gothisch Bogenwerk, wie ein Gewächs aus dem wunderbaren Drachen- und Greifen- land dasteht, und als eine Laube die Schlafenden um- schattet, wo starr der Tod die Zweige und die Blätter versteinert hält, daß sie nicht schwanken und nicht sich regen können, wenn die Jahrhunderte wie Nachtwinde durch das Gezweige ziehen, und der Orgel majestätisch Tönen sie durchbraust, während die großen, altfrän- kischen Messingbuchstaben der Inschrift von dem feuchten Hauch getrübt, erdunkeln, und das Gedächtniß der Thaten, die man ihnen anvertraut, sich wirrt und er- blaßt, und sie nur mehr dunkel sprechen können von der frühen Vergangenheit, und die Wahrheit am Me- tall in Farben erblühend wieder zur Fabel wird. 15. Eine wunderschoͤne Historie von dem gehoͤrnten Siegfried, was wunderliche Ebentheuer die- ser theure Nitter ausgestanden, sehr denk- wuͤrdig und mit Lust zu lesen. Aus dem Franzoͤsischen ins Teutsche uͤbersetzt, und von neuem wieder aufgelegt . Gedruckt in diesem Jahr. Coͤln und Nuͤrnberg. Nach Süden und dem heiligen Fabellande deutete, was wir bisher in diesem romantischen Kreise betrachtet; hier lenkt der Magnetstab der Poesie gegen das nordische Eisenland sich hin, und wie ein Nordschein, schießend, fliegend, strahlend, ergießt sich die Kunst von den Schneefeldern nieder, und ein Geist des Heroismus und der Energie braußt wie Windessturm hinab, und stählt und stärkt die ankämpfende Kraft. Die Niebe- lungen sind in diesem Geiste gebildet; ein kräftig, wil- des Heldenwerk, jenem alten, starken, unzerstörbaren Mauerwerke gleich, das wie eines todten Riesen Kno- chen zerstreut hier und dort aus der Erde ragt, und von dem die alte Sage erzählt, daß ein stärkeres Geschlecht sie gegründet und gebaut. Wie ein gewaltiger Strom ergießt sich die Dichtung von dem Norden nieder, und wie er niedersteigt, schwillt er stärker und immer stärker an, und dunkler und dunkler färben sich die Wellen, und er wird zu Blute endlich, und stürzt sich in einen Ozean von Graus, und Tod, und Mord, und Ver- derben und Untergang. Eine der Quellen aber, aus der der ganze Strom seinen Ursprung zuerst genommen, scheint dieser Roman vom gehörnten Siegfried zu seyn; selbst in seiner Zerrissenheit, Lückenhaftigkeit und Ver- krüppelung, in der er hier als Volksbuch erscheint, noch unendlich schätzbar. Wie Siegfried, der Held aus den Niederlanden, seinen Vater Sieghard verläßt, im Walde den Drachen tödtet, mit seinem Fette sich bestreicht, daß von dem erstarrenden Blute sich ihm der ganze Leib mit einer Horndecke überzieht, zwischen den Achseln ausgenommen; wie er dann des Königs Gilibaldus Tochter, die ein Drache entführt, errettet, sie zur Ehe nimmt, und endlich vom grimmen Hagenwald an der Quelle erschlagen, und in der Folge durch seine Gattin gero- chen wird, das ist der Gegenstand des Romans. Die erste Hälfte desselben ist im Epos postulirt; die Be- werbung um Chriemhilde, des Königs Tochter, abwei- chend erzählt; der Tod Siegfrieds durch Hagene weiter ausgeführt, und dann die Rache durch die ganze Folge des Gedichtes, ebenfalls bedeutend abweichend durchge- führt. Wie die Sprache im Epos ist, so ist sie auch im Romane, einfältig, derb und gedrungen, aber im Romane natürlich kärglicher und minder inhaltsreich als im größeren Gedicht; die Darstellung erscheint in ihm ohne allen Schmuck, aber kräftig und gediegen; die Erzählung treuherzig und gläubig, und dabei ohne alle Prätension; der Kampf mit dem Drachen auf dem Dra- chenstein kräftig und Interesse erweckend dargestellt: das Ganze aber in der anspruchlosen, unmanierirten Form, in der es hier erscheint, erfreulich, und in seiner Unbe- fangenheit, wie unmittelbar aus einem starken, kräf- tigen, untergegangenen Leben aufgefaßt, und daher in seiner Art eines der besseren Volksbücher seiner Gat- tung. Für das Alter des Gedichtes zeugt die Erscheinung, daß nicht bloß die Tradition, auf die es sich gegründet, verlohren ist, sondern auch die Tradition seiner Grün- dung selbst. Die Geschichte der Literatur weiß nichts über seine Entstehung zu erzählen; so viel scheint sich zu ergeben, daß es ein ursprünglich teutsches Werk ist. Der Zusatz auf dem Titel: aus dem Französischen über- setzt, widerspricht dem keineswegs, denn die französische Literatur kennt das angebliche Original nicht, und keine Bibliothek, die ihren eignen Reichthum kennt, hat bisher etwas dergleichen aufgewiesen. Und doch ist die- ses gänzliche Versiegen aller Geschichte wunderbar, wenn man bedenkt, wie Siegfried, der Held der neuern Zeit, in der Liebe und der Anschauung des ganzen Mittelalters lebte, und gewissermaßen eines der großen Organe war, in denen von Zeit zu Zeit wiederkehrend, die Poesie immer von neuem sich verkörpert, und dadurch in fortlaufender Palingenesie sich gegen den Tod und den Untergang bewahrt. Wie ihn daher die Niebelun- gen als ihren Helden feiern, so hat das Heldenbuch, in Opposition mit dem ganzen burgundischen Helden- kreise ihn eben auch zum kräftigen Gegensatz seines Helden, des Dieterich von Bern, gewählt, und das Ge- dicht verwendet viele Motive, bis Dieser sich nur zum Kampfe mit dem furchtbaren Gegner entschließt, und ein großer Zorn muß ihm seinen Beistand leihen, daß er dem Helden nicht erliegt, daß er siegreich ihn besteht. Denn spricht Dieterich zu Hiltebrant: Er erschlug vor einem Steine Ein Trachen so freysan Dem mochten all Fürsten gmeine Doch nicht gesigen an Seyfried der hürnin Könige Hat gar viel Recken erschlagen Roch weiß ich auch drei Dinge Davon will ich nicht sagen. Er trägt ein Schwerdt so herte Daß schneidet alle bandt Kein Harnisch sich davor erwerte Es ist Menung genanndt Das ander ist ein Bringe Da merk du mich gar recht Die macht von Stahel ringe Der Meister Eckenbrecht. Er machet sie nach Künsten Und auch nach Meisterschaft Er wißt daß der Held in brünsten Gewünne große Kraft 13. Goldes und Edelgesteine Daß lage gar viel daran Es ward nie Schwerdt so reyne Daß ihn gewinnen kann. Das Dritt wendet mir mein macht Er ist ein hürnin Mann Und hett er auch Fleisch und Blut, Ich wöllt ihn gern bestahn Daß ich mit ihm solt fechten, Ich were ein thummer Mann Wo ich dein Rath mehr spechte Mein Huld müßt verlohren han. Er schlägt endlich gar den alten Hiltebrant, weil dieser ihm Vorwürfe macht, uud als er nun mit Siegfried ficht, wird er hart bedrängt, bis endlich Wollfhart ihm zuruft: Hiltebrandt sey todt von dem Schlage, da sagt das Gedicht: Herr Dieterich von Beren Ergriff sein grimmer Zorn Er schlug Seyfried den Keren Durch Harnisch und durch Horn Daß ihm das rote Blute, Ward fließen in das Graß Seyfried durch die Rosen wuthe Mit Flucht er kaum genaß Dietrich mit verwegem Sinne Schlug auf den Rysen groß Daß er der Königinne Ward fliehen in ihr Schooß. So war Siegfried groß in seiner Zeit, die Fabel hatte ihn in ihren Gigantenkreis aufgenommen, Al- brich mit seinen Zwergen war ihm befreundet, und so wohnten die Riesen und die Zwerge friedlich bei- einander. In der Folge aber vermischten im Muth- willen Beide sich miteinander, und es entstand ein Mittelschlag, der die Erde baute, und die Riesen wichen und die Zwerge mußten wandern, nachdem sie vorher jeder einen Silbergroschen in den Opfer- stock geworfen, und das ist bis auf den Tag noch das Kapital, mit dem wir Wucher treiben. 16. Schoͤne Historie von den vier Heymonskindern Adelhart, Ritsart, Writsart und Reinold, samt ihrem Noß Bayart, was sie fuͤr ritterliche Thaten gegen die Heiden zu Zei- ten Caroli magni Koͤnig in Frankreich, und ersten roͤmischen Kayser begangen ha- ben. Dem ist beigefuͤgt das Leben des hei- ligen Reynoldi, des juͤngsten von den vier Ge- bruͤdern, was er fuͤr Wunderzeichen und Mi- rakeln durch Zulassung Gottes gethan hat. Koͤln am Rhein und Nuͤrnberg. Wie ein Eichbaum stolz und fest steht dies Werk in der Umgebung einer großen, historischen Vergan- genheit unter den Rittergedichten da. Was die un- tergegangene Heraeleide den Griechen mag gewesen seyn, das dies Gedicht der neuern Zeit. Wie Hercu- les abgebildet wird, fest und grandios, mit gewaltigem torosem Muskelbau, breiter hochgewölbter Brust, aber klei- nem Kopfe und niedrer Stirn, im Ausdruck einer innern bornirten Intelligenz bei überschwenglicher Lebens- und Muskelkraft, dabei mit der Miene von kecker Ruhe und Sicherheit, und der gutmüthigen, ehrlichen Herz- haftigkeit, so erscheint Reinold in dem Werke. Wie ein Löwe stark und kühn, trotzig, auffahrend, fest auf- tretend und zermalmend wohin er trifft, dabei doch wieder besonnen, und in ruhig bescheidner Haltung; rasch und wild im Ausbruch, dann wieder barmherzig, mitleidig und mild und gerecht; zornig, und dann wieder fromm, zutraulich und ehrlich, so durchaus characte- risirt sich der Held von dem Augenblicke an, wo sein Vater ihn entdeckt, und er nun ergrimmt zu ihm spricht: „wenn ihr mein Vater nicht wäret, ich wollte euch dermaßen schlagen, daß ihr müßt liegen bleiben!“ weil er so freundlich an seine Brust und Wangen ihn drückt, daß ihm die Nase blutet, bis zu dem Momente, wo er ihn selbst gefangen auf sein Pferd aufbindet, und er ihn dem Carl zuführt, um ihn zu lehren, daß er seine Kinder fange. Und diesen muthigen, kecken Heldenjüngling nun, und bei ihm ein gleiches Hel- denpferd, das Roß Bayard, und dabei die gute Klinge Florenberg, überdem noch drei tapfere Brüder und den Vetter Malagis, in allen Künsten der Nigro- mantia erfahren, diesem Bunde, setzte der Dichter voraus, müsse die Welt nicht widerstehen können. Und als Repräsentant dieser Welt mußte ihm keiner taug- licher seyn, als der Herr des ganzen Occidents, Carolus magnus, der, nachdem er die Sachsen bezwungen, und den großen Raubstaat der Hunnen zerstört — bald am Nordmeer der Normänner und Dänen wilde Kraft bekämpfte, bald jenseits der Alpen die italiänischen Völker überwältigte, und dann wieder jenseits der Py- renäen mit den Sarazenen siegreich rang; dem daher beinahe der ganze Westen gehorchte; um dessen Freund- schaft der Osten sich bewarb; der der stolzen Byzanz gegen- über eine occidentalische Roma gründete, und mit dem orientalischen Kaiserreich sich in das Erbe der Römer, die Weltherrschaft, theilte, während beiden gegenüber das geistliche Reich des Pabstes wieder in religiöser Einheit sie verband. So ist also das Epos der Kampf jenes Bundes mit diesem Regenten, und mit der höchsten Hal- tung und Ruhe entwickelt nun das Gedicht diesen Kampf durch 16 Jahre hindurch, in dem mannigfaltigsten Wechsel der Begebenheiten, und mit dem ganzen Zauber der Romantik ausgestattet. Es ist gar nicht zu verkennen, daß dem Dichter Homers Ilias vorgeschwebt; außerdem daß, wie wir gleich sehen werden, wenn wir von dem französischen Romane des gleichen Namens reden, unmittelbare Hinweisungen auf dies Gedicht sich finden, sind die einzelnen Helden mehr oder weniger, obgleich in durchaus freien Verhältnissen, den Helden der Iliade nachgebildet. Während Reinold in allen seinen Bezieh- ungen, so weit die Fabel es erlaubt, der Hector des Ge- dichtes ist, und der alte Heymon der Priamus, erscheint hingegen Carl als Agamemnon, trefflich gehalten, und zwar im teutschen Volksbuche, indem er Hugo von Bourbon tödtet, zuerst zornig und hingerissen von frem- der, bewußtlos ihn treibender Gewalt; dann wieder königlich und gerecht, indem er großmüthig Beleidigung verzeiht, bis Reinold seinen Sohn Ludwig schlägt, wo er nun aufgereizt zur Wuth, wild und unversöhnlich bis zum Eigensinn erscheint, und diese Unversöhnlichkeit auch da noch fort behauptet, wo die Brüder aus der Gefangenschaft ihn entlassen, und am Ende noch gegen das Roß Bayard den tiefen Groll und Haß hinwendet, das als Sühnopfer getödtet wird; dabei oft pedantisch bei- nahe und gothisch befangen, in dem Stile wie das Bild- nerwerk an Dagoberts Grabe gedacht, im Ornate der Zeit, unbehülflich oft, aber scharf und bestimmt gezeich- net. So wunderlich fremd, und strenge und dunkel wie der Heerführer ist auch seine Umgebung; die ganze Genossenschaft ein Granitsäulengang, ein trotziger, fester, kecker Heldenadel, wie er den griechischen Fürsten umgab; ergeben ihrem König, aber auch wieder stark und kräftig auf eignen Füßen stehend, und durchaus in heroischer Indivi- dualität scharf und streng gehalten. Der Geist dieser Genos- senschaft aber concentrirt sich im Achilleus-Roland. Die ganze wunderbare Reizbarkeit eines stolzen, durch und durch muthigen Gemüthes; dieser Heroismus im dunkeln, tiefen Impulse einer verhüllten im innern Menschen wohnenden Macht lebend, und daher in seinen Ausbrüchen lyrisch launenhaft erscheinend; dieser reine Sinn für Ehre und Rechtlichkeit in Wort und That; diese hohe Exaltation der Liebe und des Hasses; dies reiche Metall im innersten Busen erklingend bey jedem Schwerdtesschlag; dieser herrische, unbeugsame Character, der bis zur wilden Ungezähmtheit früher bei Heymon gieng: Alles erscheint in wunderbarer Objectivität in diesem Roland dargestellt, und erinnert überall an den Helden der alten Zeit, der hier in der allgemeinen Metempsichose in romantisch freien Formen wiederkehrt. Alle höhere Intelligenz aber erscheint durch das ganze Werk als Zauberey, und wie List und Verschlagenheit im Odysseus ihren Reprä- sentanten fanden, so finden sie ihn hier in dem Schwarz- künstler Malagys, in dem nun wunderbare romantische Feueradern durch das Ganze schiessen, in der Szene z. B. auf der Brücke, wo die beiden Bettler einen goldnen Becher mit Edelsteinen besetzt zwischen sich stehen haben, in dem Malagys einen köstlichen Zaubertrank von dem allerköstlichsten Wein und allerlei Kräutern und Speze- reien bereitet, und der König nun ein Schnittlein be- gehrt, weil der Pabst zu Rom die Messe darüber gelesen, und er Entledigung seiner Sünden hofft, und dann die Knechte mit gefalteten Händen kommen, und auch Schnittlein zu sich nehmen. Dann wieder das seltsam Humoristische in der Szene, wo Malagys dem Konige aufwartet, und dieser ihm ein Bißlein von einem Pfauen in den Mund stecken will, und er ihn nun in den Daumen beißt also hart, aus Rache, daß er vorher mit dem Fuße ihn gestoßen. Und so erscheint das Ganze dann wie ein großer Basaltsäulenweg, ein Riesendamm über die Wogen der Zeit mit den scharfen Crystallen hervorbrechend, aus einer großen eisernen Geschichte heraus, wo das Leben ganz hinter das Metall zurück- getreten ist, und der Held in der Rüstung nun wie großes Naturwerk fest und unerschütterlich dasteht. Was wir bisher von diesem Gedichte ausgesagt, ist zwar im Allgemeinen von dem teutschen abgezogen; es gilt aber auch vom Französischen, obgleich dies bedeut- end in der Handlung und der Natur der Begebenheiten abweicht von Jenem. Auch in Frankreich ist nämlich das schöne Kunstwerk zum allgemein gelesenen Volks- buch geworden, und geht dort in der neuesten Ausgabe unter dem Titel: Histoire des quatre fils Aymon, très-nobles et très-vaillans Chevaliers. À Troyes de l’im primerie de la Citoyenne Garnerin 135. S. 4., um, und schon gleich der Anfang ist ganz verschieden von dem Teutschen, und allerdings der Zorn Carls besser und gründlicher motivirt. Der Kaiser kehrt von einem Feldzuge in Italien gegen die Sarazenen zurück; bei dem Pfingstlager beschuldigt er vor den Pairs den 14. Herzog Beuves d’Aigremont, und seine drei Brüder, daß sie ohne Unterstützung ihn gelassen, und sendet ihm seinen Sohn Lohier nebst hundert Reutern, mit der Drohung, wenn er sich nicht auf St. Johann an seinen Hof verfüge, werde er Aigremont belagern, sein Land verheeren, ihn und seinen Sohn aufhenken, und sein Weib verbrennen. Lohier entledigt sich seines Auftrags, es kömmt aber darüber zum Streite zwischen ihm und dem Herzog, und er wird getödtet mit seinen Begleitern bis auf zwanzig, die der Herzog mit der Leiche an Carl zurücksendet. Darüber entsteht ein Krieg, an dem Aymon von Dordogne mit seinen vier Söhnen Regnault, Richard, Alard, Guichard, die der Kaiser eben erst zu Rittern geschlagen, keinen Antheil nimmt, seiner Ver- wandtschaft mit dem Herzog wegen; indessen wird Aigre- mont geschlagen, und weil er vor Carl sich demüthigt, läßt dieser ihm Gnade widerfahren. Auf Veranlassung Ganelons wird er indessen, als er sich an den Hof bege- ben will, meuchelmörderisch auf dem Weg ermordet. Beym nächsten Pfingstlager kömmt Heymon mit seinen Söhnen nach Paris, und macht dem Kaiser Borwürfe, daß er sein gegebenes Wort gebrochen; dieser rechtfer- tigt den Mörder, daß er Gleiches mit Gleichem nur vergolten. Als aber die vier Söhne vor ihn kommon, da sagen sie: „Sire! Ihr habt uns zu Euch entboten, aber wißt, daß wir Euch nicht lieben, denn ihr habt unsern Onkel erschlagen“. Der König aber wird roth vor Zorn, und sagt zu Regnault: „Unseliger! entferne dich; ohne die Andern würde ich dich in ein so dunkles Gefängniß werfen, daß du auf lange nicht mehr das Licht erblicken solltest“. R. geht aufgebracht weg, und als er mit Berthelot, dem Neffen des Königs Schach spielt, entsteht ein Streit unter ihnen, in dem B. den R. verwundet, und Dieser Jenen dafür tödtet, worüber ein allgemeines Gefecht zwischen den beiden Partheyen sich entzündet, während dessen die Brüder sich entfernen, und mit Malagys Dordogne gewinnen, von wo aus sie, nachdem sie sich mit Geld versehen, nach den Ardennen eilen, und dort das Schloß Mont- fort bauen. Von allem dem erwähnt das teutsche Buch nichts; der Tod Hugo’s von Bourbon fehlt dagegen hier, und der Krieg mit Heymon, und wie Carl ihn um Verzeihung bittet, und seine Schwester Aya ihm zur Gemahlin giebt; und die Szene, wie Reinold den Koch des Königs tödtet und die Gäste aus den Betten wirft, und sogar Carls Sohn Ludwig schlägt und umbringt; und endlich auch die ganze Geschichte von Heymons Ver- hältnissen in seiner Ehe, und wie er seine Söhne zu Rittern schlägt. Dagegen ist wieder das zunächst Fol- gende allein dem französischen Werke eigen. Carl nämlich, als er den Bau von Montfort gewahrt, be- lagert das Schloß mit einem Heere, bei dem auch der alte Heymon, seiner Lehnspflicht getreu, sich befindet, und es wird von beiden Seiten in den Ausfällen mit Erbitterung gefochten, wobei aber die Brüder immer siegreich sind. Hernier erbietet sich endlich die Feste mit List zu gewinnen; er meldet sich als Verfolgter und Ueberläufer vor dem Schlosse und wird aufgenommen; ersieht darin die Gelegenheit, und öffnet um Mitternacht die Thore; Alard’s Pferd wird indessen darüber unruhig, die Brüder erwachen; es kömmt zum Gefechte zwischen den Eingedrungenen und den Belagerten, das damit endet, daß Jene, da es R. gelingt, die Pforte wieder zu schließen, Alle vernichtet werden, bis auf Hernier und zwölf andere, die man dem Feuer überliefert. Indessen hat das angelegte Feuer alle Lebensmittel und die Hofgebäude verzehrt; die Brüder müssen daher das Schloß räumen, und ziehen ab um Mitternacht. Als Carl ihre Entfernung gewahr wird, verfolgt er sie bis an eines Flusses Ufer, wo er endlich ermüdet absteht, und seine Ritter entläßt. Die Brüder haben indessen jenseits eine schöne fruchtbare Gegend gewonnen, in der sie ausruhen; aber Heymon, als er mit seinen Ge- fährten heimkehren will, stößt dort auf sie, greift sie an, und R. muß sich endlich mit fünfzig, die ihm von 500 allein übrig geblieben sind, auf einen Berg flüchten; endlich, nachdem H. fortgewüthet, schmilzt auch diese Zahl wieder bis auf 14 ein; R. zieht sich damit über einen Fluß zurück; und als er die vielen Gebliebenen überdachte, da konnte er seine Thränen nicht zurückhalten, und die Geschichte sagt, Heymon sein Vater habe auch geweint. Nachdem er einen Strom von Thränen vergossen, sagt er: „Wehe meine Kinder! wie schmerzt es mich, daß ich euern Untergang verschuldete; künftig werdet ihr flüchtig umherirren; an Allem wirds euch fehlen, und ich werde euch nicht unterstützen können!“ Er zieht darauf nach Paris zurück; als er aber Carln ansagt, was er gethan, da erzürnt sich Dieser, und sagt: „Eure Entschuldigung ist übel; nie hat ein Rabe seine Jungen noch gefressen“. Heymon erbietet sich zum Zweikampf; „nie“, sagt er, „habt ihr euere treusten Ritter geliebt; immer habt ihr die Schmeichler vorgezogen, und immer ist nur Uebles davon entstanden“. Er kehrt darauf erbittert nach Dordogne zurück. — Die Brüder aber irren nun elend und von Allem entblößt in den Ardennen umher, Sat- tel und Zeug auf ihren Pferden verfaulen, und sie selbst werden schwarz und unkenntlich. Endlich entschließen sie sich ihre Mutter aufzusuchen, und wie sie Diese wie- derfinden, mag sie ihre Söhne kaum erkennen, so elend waren sie in den sieben Jahren geworden. Heymon kehrt indessen von der Jagd zurück, und wird sehr er- zürnt gegen seine Kinder, wie er sie erblickt, und sagt: „Elende! ihr seyd keinen Heller werth.“ „Vater“, sagt R., „ihr habt sehr Unrecht gehabt, uns Böses anzu- thun; neulich habt ihr uns unser schönes Schloß Mont- fort genommen; dann habt ihr in den Ardennen uns unsere 500 Ritter bis auf 14 erschlagen: weil ihr uns aber so übel wollt, so haut uns die Köpfe ab; ihr wer- det Freund sein von Carl, und Feind von Gott“! H. fühlt wohl die Stärke von dem was R. gesagt; er seufzt daher tief, und sagt: „Denkt darauf, bald euch von hier zu entfernen“! R. erwiedert: „Ihr sprecht sehr hart; ihr habt uns so viel Leute erschlagen, daß wir nirgend anderst hin, als in euer Land kommen können“. Aber H. will nicht seine Einwilligung dazu geben; da wird R. aufgebracht, und zürnt: „Ich er- kenne jetzt euern bösen Willen, und ich fühle, daß ihr nur unsern Untergang wollt. Wenn ihr denn gänzlich entschlossen seyd, uns von hinnen zu treiben, so sollt ihr’s auch theuer bezahlen müssen“! und damit zieht er erbittert und bleich sein Schwerdt halb aus der Scheide; Alard aber läuft hinzu, um ihn zu umfassen, und spricht; „Laß, ich bitte dich, deinen Zorn; unser Vater ist unser Herr; er kann thun, was ihm gut dünkt; wir müssen ehrerbietig ihm gehorchen; hüthe dich Hand an ihn zu legen; das wäre wider Gottes Befehl“! „Bru- der“, sagt R., „es fehlt wenig, daß ich ihn nicht schelte, wenn ich sehe, daß der, welcher uns verthei- digen sollte, uns vielmehr verfolgt.“ Da fängt Hey- mon zu weinen an: „Wie bin ich unglücklich, daß ich des Gutes nicht genießen kann, das mir Gott gegeben hat; wie wäre ich glücklich, wenn meine Kinder Frieden hätten mit dem Kaiser Carl; nie hatte Priam muthigere Söhne“! Dann sagt er zu R.: „Du bist groß wie Hector; ich verlasse mich daher auf dich“; dann wendet er sich zur Herzoginn: „Ich will nicht mehr seyn mit Carl; gieb Gold und Silber, Pferd und Waffen meinen Kindern“. — Das Alles fehlt größtentheils im Teutschen; nun aber fällt die Geschichte wieder ein. Die Brüder kommen zum König Yon von Gascogne, verjagen die Sarazenen, bauen das Schloß Montauban; Regnault nimmt des Königs Schwester Clarice zur Ehe; Roland kömmt an Hof mit 30 Rittern, vertreibt die Sarazenen, die Cöln belagern; Carl setzt, um ihm ein tüchtiges Pferd zu verschaffen, seine Krone zum Preise aus, den R. ge- winnt, und belagert endlich die Brüder mit einer Ar- mee, die Roland anführt, im Schlosse von Montalban; — im Ganzen wie im Teutschen, nur Alles bestimm- ter und mehr ausgeführt. Roland lagert sich auf dem Platze von Balan ç on, und geht dann auf die Jagd, während welcher R. zu seinem Zelte dringt, und den goldnen Drachen ihm entführt, und ihn auf dem höchsten Thurm aufpflanzt, daß Carls ganze Armee ihn erkennt. — Dann der Verrath des Königs Yon, ebenfalls wie- der besser motivirt: wie die Brüder wehrlos in Schar- lachmänteln mit Hermelin verbrämt, und mit Rosen in den Händen, auf die Ebene von Vaucouleurs auf Maulthieren ziehen, und wie es dann zum harten Ge- fechte kömmt, und Malagys endlich sie vom Untergange rettet; — Alles wieder mit vielen eingeschobnen Episo- den, die im Teutschen fehlen. Die weitere Folge ziemlich harmonirend, wie Yon Rolanden abgejagt, Richard aber dagegen gefangen wird. Da ißt Mala- gys ein Kraut, wovon er aufschwillt wie eine Kröte; reibt sich darauf mit einem andern Kraute, und wird schwarz wie eine Kohle, und so geht er zu Carls Lager, und wird von ihm gespeis’t, weil er Uebels redet von den Heymonskindern, wobei Carl Richarden mit einem Stocke schlägt, und dieser dafür bei der Mitte des Körpers ihn umfaßt und niederwirft: am folgenden Tage aber befreit R. seinen Bruder Richard vom Galgen, und Ripus und seine zwölf Gesellen werden dafür gehenkt. Dann folgt der Zweikampf mit Carl, und wie R. auf einen Augenblick ihn zum Gefangenen macht, nachdem er vorher das Roß Bayard um Versöhnung ihm angeboten, wobei aber dieser unversöhnlich bleibt. R. überfällt dann den König in seinem Lager, raubt den goldnen Adler von seinem Zelte; Malagys wirft die Lanze nach ihm und wird gefangen. Carl aber sammelt die Pairs um sich, und will die Krone niederlegen; diese aber besänftigen ihn, und versprechen auf’s neue Treue, und erbieten sich, ihm Regnault und Malagys gefangen auszuliefern. Malagys wird vorgeführt, Carl freut sich darüber; der Gefangene erlangt mit Mühe Aufschub seiner Hin- richtung bis auf den folgenden Tag gegen Bürgschaft der Pairs. Um sich seiner zu versichern, läßt Carl des Nachts hundert Fackeln anzünden; er bewacht ihn ge- fesselt an eine Säule mit Ketten und einem eisernen Halsband sammt allen Pairs. M. aber bezaubert sie Alle, daß sie einschlafen, zerreißt seine Ketten, nimmt Roland seinen Durandal, Olivier sein Hauteclair, und allen andern Pairs ihre Schwerdter; reibt dann mit einem Kraute des Königs Rase , entzaubert ihn damit, kündigt ihm an was er gethan, und entweicht. — Alles wohl auch im Teutschen, aber anderst erzählt. Carl schickt Gesandte, worinn er R. Frieden bietet, wenn er Richarden ihm ausliefere, daß er nach seinem 15. Willen mit ihm thue; die Gesandten bereden die Brüder, mit ihnen zu Carln zu ziehen; dieser, davon unterrichtet, schickt ihnen Roland entgegen, daß er sie fange; es kömmt zum Zweikampf zwischen ihm und Regnault, worinn auf Carls Gebet, der für Jenen fürchtet, eine Wolke die beiden Kämpfer umhüllt , daß sie sich einander aus dem Gesicht verlieren. Roland be- gleitet endlich R. nach Montauban zurück, zum höchsten Erstaunen Carls, der ihnen bis zum Thore folgt, und ruft: „Reg. was du gethan, ist bös gethan; so lange ich lebe wirst du den Frieden nit haben.“ — Alles im Teutschen fehlend. Carl lagert sich mit seiner Armee vor die Thore; Malagys entführt ihn durch Bezauberung von dort nach Montalban, entweicht dann in einen Wald, und wird Einsiedler. Als Carl erwacht und sich gefangen sieht, wird er so wüthend, daß Alle die zuge- gen sind, ihn närrisch geworden glauben, und schwört, wenn er lebe, solle Friede nicht werden, so lange er in Montauban bleibe, bis man ihm Malagys ausgeliefert habe. Er besteht fest auf seinem Sinne, allen Vorstel- lungen der umgebenden Pairs zum Trotze, und schwört bei’m heiligen Denys, daß er nichts von Allem thun werde, bis er M. habe, um mit ihm nach Belieben zu verfahren. Reg. steht endlich auf, und erklärt ihn, gegen den Rath seiner Brüder, im Angesicht aller Barone frei, und Carl reitet auf dem Roß Bayard in sein Lager zurück. Die Belagerung aber wird noch mit größerer Obstination fortgesetzt; der alte Heymon ist gleichfalls wieder bei der Belagerungsarmee, und muß wie die andern Schleudermaschinen bauen, um die Thürme einzuwerfen; es entsteht in der Festung große Noth; alle Pferde sind verzehrt, und nun soll auch Bayard geschlachtet werden. Wie R. aber zu dem Zwecke eintritt in den Stall, seufzt das Pferd tief auf; R. davon gerührt, erklärt, daß er sich lieber selber tödten wolle; die Kinder aber weinen sehr, des großen Hungers wegen. R. giebt ihm etwas Heu, denn er hatte nichts anderst ihm zu geben, und als er zu seinen Brüdern kömmt, findet er Alard, der seinen Sohn Aymonet weinend hält; Richard hält Yon, Clara aber liegt in Ohnmacht. R. reitet darauf hinaus zu seinem Vater ins Lager, und dieser läßt sich bereden, und giebt ihm Lebensmittel mit, Bayard trägt soviel als zwei Pferde tragen mögen; und dann wirft er ihnen noch Fleisch und Brod mit den Wurfmaschinen ins Schloß. Carl aber, erzürnt darüber, gebietet ihm die Armee zu verlassen. Die Noth kehrt daher bald zurück; Bayard wird Blut abgezapft; endlich da auch er entkräftet keines mehr geben kann, verlassen sie Montalban durch einen unterirdischen Weg, den sie entdeckt, und erreichen Dordogne. Als Carl ihre Ent- fernung gewahr wird, folgt er ihnen, und belagert sie von neuem dort, und schwört von dannen nicht zu weichen, bis er die vier Heymonskinder schimpflich ge- henkt habe. Richard von der Normandie, einer der zwölf Genossen, wird bei einem Ausfalle gefangen, und Carl sendet den Duc de Naimes an R. und läßt ihm entbieten, daß wenn er den Gefangenen und R. herausgeben wolle, er ihm Friede schenken werde. R. erwiedert, daß er Richard an der großen Pforte henken lassen werde, und daß er mit Carln eben so verführe, wenn er in seinen Händen wäre. Nun werden die Pairs im Lager schwierig, sie drohen ihn Alle zu verlas- sen, Carl bleibt unversöhnlich; sie führen, nachdem sie alle Vorstellungen umsonst versucht, ihre Drohung wirk- lich aus, und verlassen ihn mit allen ihren Leuten, so daß nur die armen Edelleute zurückbleiben. Reg. hatte eben seinen letzten Boten an Carl gesendet; der Galgen ist errichtet, und der Herzog unter ihm; Carl antwortet, daß er nichts von Allem wolle, und daß er sich nicht erkühnen dürfe, dem Herzog irgend Uebels zu thun. Aber nun hat auch des Königs Starrsinn den höchsten Punkt erreicht, und er bricht sich endlich, da er von Allen sich verlassen sieht, und nicht, wie im Teutschen, weil seine Schwester Aya bittend für ihre Enkel ihm zu Füßen fällt. Er schickt den Genossen einen Boten zu, daß sie zurückkehren sollten, er wolle nachgeben ihren Wünschen, und den Brüdern verzeihen; und als sie darauf wiederkommen, erklärt er, sein Haß sey so groß gegen R., daß er ihn seines Stolzes wegen nicht ertragen könne; wenn er Frieden mit ihm haben wolle, müsse er in schlechter Kleidung über’s Meer hinwandern, und das Roß ausliefern; dann würde er seinen Brüdern ihr Erbe wiedergeben. R. willigt ein, und wandert mit Mal. nach Jerusalem. Der König aber zieht ab nach Lüttich, und als sie auf der Maasbrücke angekommen sind, läßt er Bayard das gute Pferd vorführen, und sagt zu ihm: „Bayard, du hast mich oft erzürnt, jetzt aber will ich Rache an dir nehmen“. Er läßt ihm dar- auf einen Stein an den Hals hängen, und ihn in die Maas werfen, und Bayard geht unter. Als der König das sah, hatte er viele Freude, und sagte: „Ich habe was ich wollte; das Pferd ist verdorben“. Bayard aber schlug den Stein weg, gewann das Ufer, wieherte laut, und dann fing er so schnell zu laufen an, daß es schien, als ob der Blitz ihn vor sich triebe, und ge- wann den Ardennenwald. Carl wurde darüber sehr erzürnt, alle Barone aber waren sehr erfreut darüber. Viele Leute sagen, Bayard sey noch lebend im Ardennen- wald, aber wenn er Menschen sehe, fliehe er, daß man sich ihm nie nähern könne. Dann folgen die Abentheuer mit den Persern vor Jerusalem und in Sicilien; weiter nach der Rückkehr R. in sein Vaterland ein Kampf seiner Kinder mit den Nachkommen Ganelons, und endlich sein Martyrthum und seine Wunderwerke, wie sie auch das Teutsche, aber diesmal weitläuftiger, erzählt Das französische Volksbuch scheint ausgegangen zu seyn aus der Antwerper Ausgabe der Heymonskinder vom Jahre 1561, die 118 Quartblätter stark, aber ohne Titel- blatt vor mir liegt. In der Dedication à très-vertueux personnage Gerard Hesselt, Marchant en la ville d’Anvers, sagt der Verleger Jean Waesberghe, der also auch der Bearbeiter zu seyn scheint: Mestant tombee entre mains, depuis quelque temps, l’histoire des quatre fils Aymon, discours autant beau et recreatif, pour l’antiquité d’iceluy, qu’autre qui se trouve de pareille estouffe: au reste si cor- rompue et deprauée, partie par l’injure du temps, partie aussi par la negligence des hommes, qu’il eut fallu un autre Apollo à deviner le sens d’icelle. Ce que voyant, et afin que la memoire de si hauts et heroiques faits et prouêsses, ne se tournast en oubliance, j’ai bien voulie prendre la peine de r’adresser et restituer en son entier l’histoire sus- diete, au mieux qu’il m’a este possible, corrigeant plu- sieurs grosses fautes quant aux sens, muant plusieurs voca- bles et termes anciens preseritz et aboliz, brief faisant parler ces anciens chevaliers nonveau langage et leur appropriant nou- velle parure, à ce qu’étantz r’encontrez des Dames en cette moderne guise, ils ne soyent tenuz pour etrangers, ain- coys recueilliz et caressez dicelles, et signament de vous etc. . Man sieht aus allem Beygebrachten, wie ein Wesen und eine Seele innewohnt dem Gedichte in einer und der andern Sprache; wie aber dies Wesen in der freien Bearbeitung vielleicht dem Charakter der beiden Nationen sich gefügt, und daher bei den Fran- zosen zusammenhängender, correcter, mehr gerundet, und in redseliger Begeisterung gebohren, aber dafür in etwas monoton, und geschwätzig conversirend erscheint, während es im Teutschen minder gelenk und gefügig geworden ist, derber und in der Form mehr ungeschickt; dafür aber was es im Allgemeinen eingebüßt, im Be- sondern wieder gewonnen hat, durch die geniale, kecke Ungebundenheit, die die Kunst mit festem Arm erfaßt, und sicher und geübt das Rechte immerfort ergreift Beiden hat ein älteres Gedicht zum Grund gelegen, aus dem sie geschöpft, und daß in ihnen sich eben so in zwei verschiedne Richtungen entschied, wie die beiden Na- tionen, die in Carl verbunden waren, sich in der — Das Volksbuch trifft meist nun in allen Wendungen der Worte mit diesem überein, oft aber weicht es auch willkührlich von ihm ab, und erlaubt sich Abkürtzungen und Zusätze. Auf eine ähnliche Weiße scheint auch das teutsche Buch von einem solchen alten besonders am An- fange schadhaften Manuscripte ausgegangen zu seyn, und dann durch mancherley Interpolationen und Auslassungen die gegenwärtige Form erlangt zu haben. Folge der Zeiten geschieden haben. Man giebt gewöhn- lich den Anfang des dreizehnten Jahrhunderts als den Zeitpunkt an, in dem die Heymonskinder gedichtet wor- den seyen; indessen mögte ihre Entstehung wohl in einer noch entferntern Zeit gesucht werden müssen. Betrachtet man nämlich die verschiednen romantischen Dichtungen, die innerhalb dem Kreise der Heldengenossenschaft und um ihren Mittelpunkt, Carl den Großen, sich bewegen, dann sieht man sie durch eine bestimmte Gränze geschie- den, um die sie nach entgegengesetzten Richtungen auch einen entgegengesetzten Character tragen. In der Hei- ligsprechung Carls findet jene sondernde Gränze sich gegeben. Vor dieser Periode nämlich mußte der große Mann mit seinen Zeitgenossen einer verwandten, rein heroischen Zeit auch allein als Heros, als tapferer, kriege- rischer Regent erscheinen. Sobald mehrere Jahrhunderte über ihre Thaten sich hergegossen, sobald eine dämmernde Ferne sie umhüllt, da trat jene Erscheinung ein, die man am Meeres-Ufer bemerkt, und Mirage nennt; wie die fernen Berge, losgerissen von der Erde, auf dem Dufte schwebende Luftbilder hängen, so wurden diese Thaten gleichfalls in die Höhen der Poesie hin- aufgespiegelt, und ein an sich schon romantisches Leben, wurde vollends zum Heldenromane ausgedichtet. So mußten daher diese ersten Gedichte durchaus einen profanen Character tragen; die Geschichte war zur Fabel geworden, aber die Fabel galt auch als Geschichte, und weilte daher durchaus im Kreise des Individuellen und Menschlichen. Anderst hingegen in der spätern Zeit. Gegen das Ende des eilften Jahrhunderts war im westlichen Europa die Geschichte reif geworden; die Religion, die tief und stark in dem Einzelnen wohnte, erhob sich auch im Ganzen, und gewann ein großes äußeres Weltverhältniß; es erwachte ein enthusiastisch religiöser Geist in allen Völkern, und er trat auch aus- senhin kämpfend dem Heydenthum entgegen. So be- gannen um dieselbe Periode die Kreuzzüge. Die Kämpf- enden wollten für ihren Enthusiasm eine Mythe ha- ben, die neue Zeit eine eigene Aera, die Aera einen Anfangspunkt, und der religiöse Heroism einen religiö- sen Helden, und sie fanden ihn in Carl dem Großen, der früher schon den Kampf bestanden hatte, und den die Kirche zu ihrem Schützer sich gewählt. Turpin hatte in seiner Historia de vita Caroli magni et Ro- landi, von der man allgemein glaubt, daß sie um 1095 geschrieben worden sey, durch die Poesie die Apotheose eingeleitet, und die Kirche bestätigte sie, indem sie den alten Vogt von Rom durch Pabst Hadrian um das Jahr 1166 unter die Heiligen aufnahm. Nun mußte die Dichtung, insofern auch in sie Carl als christlicher 16. Heros eindrang und fortlebte, nothwendig einen andern Character annehmen. War er vorher ein Gegenstand, den man mit profaner Unbefangenheit behandelte, dem man allenfalls wohl auch die Rolle eines untergeordneten Gegensatzes anvertrauen konnte, so mußte er hingegen jetzt als der große Held des Glaubens durchaus groß, heilig und ehrwürdig erscheinen; er hatte aufgehört ein Gegenstand der Discussion zu seyn, die Kirche hatte ihn allem Menschlichen entrückt, und seine Geschichte war mit ihm ins Wunderland übergegangen. Jener ersten Periode nun gehören die Heymonskinder an, Carl ist hier durchaus untergeordnete Person; stark durch seine Macht als Individualität aber immer gegen den Helden in den Hintergrund gestellt; häufig in seiner Unbehülflichkeit ein Gegenstand des Witzes; von dem Zauberer oft genarrt; wie jeder andere unheilige Mensch der Macht der Schwarzkunst untergeben, und von ihr endlich gänzlich bemeistert und zum Gefangenen der Brüder gemacht. In seinem Verhältniß zur Umgeb- ung aber bricht durchhin eine aristokratische Opposition hervor, die sogar gewissermaßen zur Rationellen in der ganzen Anlage des Gedichtes geworden zu seyn scheint, das gar nicht seinen Ruhm und seine Ehre zum Ziele hat, weil er beinahe überall den Kürzern zieht, und wie bei Virgil der Accent nicht auf den Griechen, sondern auf den Trojanern liegt Es ist eine merkwürdige, wohl zu beachtende Erscheinung um diese Opposition. Früher schon haben wir einen ähn- lichen Gegensatz des Heldenbuchs gegen die Nibelungen, der Ritter von Veren gegen die Ritter vom Rheine berührt, der wahrscheinlich mit dem Gegensatze der Gothen und Hunnen gegen die germanischen Völker auf irgend eine Weise zusammenhängt: denn bekanntlich war Diete- rich von Vern eine Zeitlang Herr von Rom, ein Gothe, und sein Land lag hinter Ungarn und Panonien, während in den Nibelungen Attila und die Hunnen durchaus die unter- geordnete Rolle spielen. Unläugbar ist auch hier eine gleiche Reaction angelegt. Schon im Leben erfuhr Carl der Große eine Solche von Seiten der französischen Barone, als er den Gedanken faßte, ein occidentalisches Kaiserthum zu consti- tuiren, in dem Frankreich als untergeordnetes Nebenland erscheinen sollte, und so ist es ihm denn auch in der Dicht- ung hier geworden. Offenbar spielt die Handlung im Lager der Trojaner, die eben die Franken schon zu Carls Zeiten, wie die Geschichtschreiber der Zeit berichten, als ihre Stammeltern erkannten; das Leben und die Kraft und die Bewegung ist auf Seiten der Heymonskinder, Carl aber gleichsam nur die Schranke, die nothwendige Bedingung um dies Leben hervorzurufen: wie ein Berg steht sein Zorn und sein Eigensinn vor ihnen da, und diesen Berg haben die Brüder abzutragen. Die Hauptmasse des Lichtes liegt überall auf den kämpfenden Heldenjünglingen; der alte Kaiser aber erscheint eben so im Schatten des Hinter- grundes, mächtig, stark und groß, aber ungewandt und wenig gelenk, einem Elephanten gleich, der sich mit einem . Anderst hingegen in den Gedichten, die auf jene Apotheose folgen; z. B. dem Strickäre oder dem Puech von Chunich Carl und von Rulant gemacht, wie sie diu Heidenschafft übernom- men, und in dem Fragmente über den Krieg Carls des Großen gegen die Sarazenen, das Schilter in seinem Thesaurus mitgetheilt, die aus dem dreyzehnten Jahr- hunderte sind, und von denen man das Letzte dem Wolfram von Eschilbach zugeschrieben. Hier erscheint Carl durchaus als Heiliger; als von Gott gesendet, das Löwen in Kampf einläßt. Selbsi Roland, den die folgen- den Dichtungen zu ihrem Helden gewählt, erscheint in einem zweideutigen Lichte; der Himmel muß auf Carls Gebet eine Nebelwolke senden, um ihn Reynolds Stärke zu entziehen. Was aber diese ganze Opposition eigentlich begründet habe, mögte schwer auszumitteln seyn; ob schon damals so frühe schon der Gegensatz des französischen Characters mit dem Teutschen hervorgetreten ist; ob es drückend für den gallischen Grundstamm der Nation war, von einem exotischen teutschen Geiste beherrscht zu werden, und er sich nun reagirend in der spätern Zeit gegen dies drückende Gefühl gewaffnet habe durch die Poesie, oder was sonst die nächste Veranlassung war: auf jeden Fall ist die Erscheinung nicht leicht zufällig und ohne tiefern Grund. Uebrigens giebt der opponirende Geist sich sehr be- scheiden zu erkennen, überall werden die Lehenspflichten, selbst in der Hitze des Kampfes, geehrt; der eigne Vater streitet deswegen, seinem Schwur gerreu, gegen die Söhne; Carls Befehl hemmt einmal plötzlich das Gefecht, und am Ende geht er immer gewissermaßen siegreich aus dem Kampfe, indem zu seiner Genugthuung das Roß ihm übergeben wird, und sein Gegner das Land verläßt. Heidenthum auszurotten; als der Prophet der neuen Zeit, den der Himmel dem falschen Mahomet entgegen gesetzt, und den er mit Wunderzeichen in seiner Sen- dung unterstützt. Das wir ewiglich müssen sehen, Wie sante Charl sey geschehen. So endet das Gedicht. Als Mensch aber tritt er durchaus groß auf, und königlich, und in seinem tiefen Schmerz um Rolands Tod noch erhaben und ehrwür- dig. Die zwölf Genossen um ihn her aber sind die Apostel, die der Himmel ihm zugesellt, eine Helden- jüngerschaft, die mit dem Schwerdte das Evangelium gegen die Unglaubigen verkündigen; der falsche Gane- lon, der in dem ältern Gedichte nur als tükisch, bös- artiger Mensch erscheint, wird hier zum Verräther Ju- das, der die Religion und ihre Vertheidiger um die Silberlinge verkauft. Dabey ist aller Trotz und alle Persönlichkeit der Kämpfer aufgegangen in die hohe Idee, die sie beseelt. Alle sind ein Wille nur, und ein Arm und des Armes Haupt ist denn der König, in Ih- nen aber lebt des Himmels Kraft, und was sie vermögen kömmt ihnen von oben herab, und alle ihre Tha- ten sind Wunderwerke, und sie wissen, daß Gott in ihnen wirkt, und daß sie ohne ihn ohnmächtig sind und ihre Stärke nichtig ist Man hat auch diesem Gedichte, wie so vielen Andern aus der alten Zeit, weniger Aufmerksamkeit zugewendet, als es verdient. Es ist nicht zu läugnen, daß die reine Nackt- heit der Umrisse auch hier häufig unter dem Ueberflusse eines oft steifen Gewandes sich versteckt; daß wir statt der schönen Formen scharf gebrochne Falten sehen: allein es hat auch unläugbar etwas Großes in der ganzen Anlage, und viele Schönheiten in der Ausführung. Es ist dabei ganz unläugbar, daß es den Nibelungen nachgebildet ist. Die ganze Fortschreitung der Handlung, wie die Christen mit den Sarazenen im Thale Runzefal kämpfen, wie diese immer neue Haufen senden, Hunderttausende nach Hunderrtausenden; wie die Christen sie Alle niedermachen, und Marsilie die Gebliebenen mit neuen Haufen immerfort verstärkt; wie daher die Christen nach und nach zusam- menschmelzen, bis endlich nur noch sechzig übrig sind, die nun, nachdem neue Heidenhaufen andrängen, endlich Alle bis auf den Bischoff Turpin und Roland bleiben, und wie dann, nachdem die Heiden flohen, Roland dem Bischoff die Riemen entband, „und hueb ihm den Helm abe, da gewann er großer Ungehabe, Im viel das haubt von einander, alrest do bevand er, das er zu tode was erslagen“, und wie nun endlich auch Roland aus Er- schöpfung stirbt, — Alles das errinnert unverkennbar an Chriemhildens Rache und das Blutbad in Etzels Pallast. Die folgende Szene, wie die Todten betrauert und begraben werden; die Ausbrüche des Schmerzes in Carl, um Ro- lands Tod; wie er Boten an seine Gattinn sendet, die ihr aber den Tod Rolands verbergen sollen, weil er sie an Kindesstatt annehmen will, — Alles das steht in eben . So wird daher das eigent- liche Heldengedicht hier durchaus mythisch, es reißt sich von der Erde los, und schwebt einer glänzenden Him- melserscheinung gleich in Lüften. So würden daher die Heymonskinder dieser Ansicht gemäß durchaus in jene erste frühere Periode fallen, und dafür scheint auch ihr ganzes massives, rauhes, strenges und schlich- tes Wesen zu sprechen: das Gedicht in seiner modernen solchen Beziehungen der Aehnlichkeit und Analogie zur Klage. Der neuere Ursprung des Gedichtes aber, wenn er sonst noch irgend zweifelhaft wäre, würde aus dem Ein- dringen der Ideen aus dem Alexander und den orientalischen Sagen in dasselbe unmittelbar sich erweisen lassen. Unter den Heidenkönigen, die dem Marsilies zur Hülfe kommen, ist auch: Der Chunich von Funde Die muessen als Hunde Die Erden alles ansehen, In stat das hiren an der Brust. Weiterhin: Ein Chunich chom auch ins lant, Der was Czernoles genannt, Das leut in seinem reiche, Die lebent so revuelleiche, Das ir Gott nit enruhet, Er hat die sunnen da verfluhet, Das si in ihr lant nie geschein, Noch aus ir erde nie vechelein, Weder chorn noch weinreben, Desn will in Got do niht geben Holtz Erde und staine, Zerstörung steht wie eine alte, verwitterte Mauer da, von Epheu überwachsen, gerade in den stärcksten Par- thien allein der Zerstörung der Zeit entgangen. Was aber die Sprache jenes Gedichtes betrifft, so wird, da die französische oder romantische Sprache vor der Hälfte des zwölften Jahrhunderts nicht in die Poesie eingedrungen ist, allein die Lateinische oder die Teut- sche übrig bleiben, in denen, vorzüglich in der ersten, die Poesie um diese Zeit am häufigsten sich offenbarte. Man- ches würde allerdings für das Teutsche sprechen, so z. B. daß Reinolds gutes Schwerd Flammberg im französischen Volksbuch heißt; ferner die Namen der Brüder selbst, die durchaus teutschen Ursprungs sind, bis auf Writsart, oder Wischart der Schnelle, der im Französischen zum Guichard geworden ist — cui prop- ter sensus agiles, animique vigorem, cognomen Ist da swartz as gemaine, Do ist niht den holtz und mos, Si essent niht wen di Ros, Und lebent mit unsinne, Da wonet der tevvel inne. Offenbar dieselbe Schilderung, die die spätern Berichte von der nördlichen Tartarey und den Tartarn uns geben. Einmal auch ist Alexander selbst citirt: Lebt der wunder- leich Alexander, wolt er darninder dringen, er mecht leicht übel gedingen. guiscardus erat — und noch Manches sonst, wenn nicht andere Namen im teutschen Buche wieder eben so auf einen lateinischen Ursprung deuteten, z. B. Montalban, Malagys, und nicht eben jene früher an- gedeutete Opposition auch einen französischen Ursprung mehr als wahrscheinlich machte. Auf jeden Fall ist das ursprüngliche Werk wohl untergegangen, und was davon bis auf uns gekommen ist, mögte etwa im Ganzen in demselben Verhältniß zu ihm stehen, in dem das gegenwärtige Heldenbuch zu den alten Bü- chern steht, aus denen es genommen wurde. Alle französische Bearbeitungen des Gedichtes beziehen sich zuletzt auf die Histoire du noble et vaillant chevalier Reg- nault de Montauban, ou histoire de quatre fils Aymon presentes a Charlemagne Fol. ohne Jahrs- zahl, dann 1508 in 4, dann Lyon 1573, 1583 4, wor- aus denn nach und nach das gegenwärtige Volksbuch geworden ist. Das teutsche Volksbuch hingegen scheint von der alten Uebersetzung ausgegangen zu seyn, die den Titel: Eyn schön lustig Geschicht, wie Keyser Karle der Große, vier Gebrüder Hertzog Aymont von Dor- dens Sün sechzehn jar lang bekrieget ꝛc. Sicmmern 1535 Fol. führt, wenigstens verrathen einzelne Ueber- reste der alten Sprache, z. B. einmal Kopf statt Be- cher im Volksbuch, daß es aus dem altteutschen und 17. nicht von nenem aus dem Französischen übersetzt wor- den ist. Die Fortsetzung des Gedichtes les Provesses et Vaillances du redoute Mabrian, lequel fut roy de jerusalem, et de l’inde la majour apres la mort du Roy Yuon son pere, fils de Regnaut de Montaban. Semblable les faits et gestes des quatre fils Aymon et de leur cousin maugis. Ensemble la mort et martyre d’iceux. a Troyes chez N. Oudot 1625, auch Paris 1525, ist durch- aus neuern Ursprungs. Malagys wird Pabst, lader Carln nach Rom zur Salbung, und läßt vorher in dem Zimmer, das er bewohnen soll, alle die Streiche mahlen, die er früher ihm gespielt; Carl kömmt mit allen Pairs, und dem Verräther Ganelon, und erstaunt über die Bilder, beichtet dem Pabst seine unversöhn- liche Feindschaft gegen Malagys, der ihm nun die Absolu- tion verweigert, wenn er ihm nicht verzeihe; er entdeckt sich ihm dann; Carl, höchst aufgebracht, bietet auf Ganelons Anstiften zur Versöhnung nur auf die Bedingung die Hand, daß er sich in geschmolzen Blei nackend stürzt. Er legt dann das Pabstthum nieder, zieht gegen die Sarazenen, nimmt Neapel ein; es entsteht aber durch Ganelon ein neuer Krieg zwischen Carl und den drei Heymonskindern; Malagys und die Brüder werden end- lich von der Uebermacht auf einen Felsen hingetrieben, und am Ende in einer Höhle mit Rauch erstickt. Dann tritt der Orientalism, der im Strickäre nur leicht erst angedeutet war, völlig hervor; die ganze Geschichte Mabrians lößt sich in Feenwesen auf; die Magnetfel- sen kehren wieder, an denen die Schiffe scheitern; eben so die Greiffe, das Land des Priester Johannes, Groß- und Kleinindien, die Riesen u. s. w. Am Ende des ersten Theiles steht: Cy fini le premier volume de Mabrian composé par maistre Guy Bouuain lieutnant de Chasteau Roux en Berry, ohne das Jahr der Verfertigung, das wahrscheinlich ins fünf- zehnte Jahrhundert fällt. Die Heymonskinber selbst sind übrigens auch in die spanische Sprache übertragen, unter dem Titel: Libro primo del nobile e strenuo cavaliero rinaldo di montalbano. In perpiniano in casa di sanson Arbus, 1585. fol. 17. Kayser Octavianus, das ist eine schoͤne und an- muthige History, wie Kayser Octavianus sein Ehegemahl samt zwey Soͤhnen in das Elend verschicket hat. Und wie selbige wunderbarlicher Weiß bey dem frommen Koͤnig Dagoberto wiederum zusammen kom- men seynd. Aus der franzoͤsischen Sprache in die Hochteutsche uͤbersetzt. Ganz neu gedruckt. Nuͤrnberg. Durch Tieks treffliche Bearbeitung ist dies Buch nun auch in die höheren Kreise eingeführt. Die feste, etwas un- förmliche Masse, die wie eine Irmensäule auf den Märkten stand, hat der Dichter rein ausgeformt und geglättet, und der innere Geist des Bildes ist nun frei geworden, und der formlose Rumpf der Herme hat zu Gliedmaßen sich gerundet, und das Leben hat sich völlig von der Materie losgerissen. Aber keineswegs hat er dem Werke Gewalt angethan; die ganze Fabel hat er in die Palingenesie aufgenommen; ganze Parthien sind ihrem Wesen nach ungeändert geblieben; die Charactere hat er, wie das Volksbuch sie angedeutet, nur ausgeführt und in sich vollendet: die Kaiserin, Florenz, Lion, Marcibilla, den Sultan, — Alle erkennt man in ihren Elementen wieder, besonders den gutherzig-comischen Clemens fand der Dichter am meisten ausgeführt, und er hat ihn daher auch unverändert in seiner alten Form gelassen. Und nicht unwerth war das Buch der Sorg- falt, mit der es in dieser neuen Gestalt wiedergebohren wurde; es ist parthienweise unendlich trefflich und vollendet, und wenn man es an einzelnen Stellen zur prosaischen Rüchternheit sinken sieht, dann muß man sich errinnern, wie nahe in jenen Zeiten Poesie und Prosa aneinander gränzten, wie den einfachen Menschen die Prosa selbst wunderbar und als Poesie erschien; wie aber dagegen auch die Poesie ganz die Prosa des Lebens durchdrang. Der Jugend ist die ganze Welt ein großer Traum; die Gegenstände sind mit brennenden Regenbogen noch umgürtet, die ganze Ratur ein großer Frühling, in dem Alles blüht, was sonst nicht Blüthe trägt; später erst scheiden sich die Jahrszeiten, und die nackten Zweige, die die Blüthen tragen, treten auch hervor, und in den Zweigen die Gefäße und die Saft- röhren, und der Nahrungsapparat, aus dem Alles geworden ist. Der Octavianus ist ohne Zweifel wohl französischen Ur- sprungs, und das Volksbuch bezieht sich auf eine ältere Ausgabe zurück, die unter dem Ramen: Ein schöne und kurzweilige Histori, von Keyser Octaviano, seinem Weib und zweyen Sönen, wie die in das ellend ver- schickt, und wunderbarlich in Frankreich bey dem frommen Künig Dagoberto widerumb zusammen kom- men seind. Newlich aus französischer sprach in Teutsch verdollmetscht. Gedruckt zu Straßburg bey Jacob Fröh- lich im Jahr 1548, in 4. erschienen ist Vaur in seiner Bibliotheca libr. rar. führt eine noch ältere Ausgabe unter dem Titel: Histori von dem Keyser Octa- viano, seinem Weib und zweyen Sünen; uß frantz. Sprach in teutsch verdollmetscht Straßburg 1535. . In der Vorrede heißt es: „Darum hab ich Wilhelm Salzmann mich geflissen dise Histori an den Tag zu bringen, wie- wohl die vor langen zeiten von den gelerten ist zu latein geschriben, darnach über lang in französische Zungen bracht“. Wörtlich genau stimmt bis auf einige moder- nisirte Wörter das teutsche Volksbuch mit dieser Schrift zusammen, die auch unter dem Namen Florent et Lyon längst schon in Troyes gedruckt, und Volksbuch geworden ist. Der Roman selbst aber gehört dem Kreise der romantischen Dichtungen von Carl dem Großen, und zwar der zweiten Periode, an. Sobald nämlich Carl zum Helden der neuern Poesie geworden war, trat er durch seine Person nicht allein in dieselbe ein, sondern man entwarf auch rückwärts einen eignen großen Heldenstammbaum, durch den man ihn mit Constantin durch eine ganze Reihe von Heroen in Verbindung brachte, aus der sich denn die Romantiker die Gegen- stände ihrer Bearbeitung wählten, oder die sie vielmehr eben durch ihre Dichtungen begründeten. In diesem Register, das Quadrio in seiner Storia d’ogni poesia mittheilt, kömmt denn auch Folgendes vor, das wahr- scheinlich mit dem Octavianus in einigem Zusammen- hange sieht: Fioravante nahm Dussolina, die Tochter des Balunte, Königs von Scondia, zur Ehe, aus der einerseits Octavianus vom Löwen und Giberto wilden Angesichts (fier visaggio) gebohren wurden. Octa- vianus vom Löwen folgte dem Balunte im Königreich Scondia, vermählte sich mit Angaria, der Tochter des Sultans von Babylon, und erzeugte mit ihr den Boveto. Giberto aber nahm Sibilla, Königinn von Articano, zur Ehe, aus der Michel gebohren wurde, von diesem Constantin, dann Pipin, endlich Carolus magnus. Wenn man die Willkühr in den Calcul bringt, mit der alle Dichter dieser Zeit die Fabel zu ihren Zwecken behandelten, dann mögte man wohl im Octavianus vom Löwen den Lyon des Gedichtes, im Giberto aber den Florenz desselben finden, wobei dann Sibilla die Marcibilla des Romanes, und Michel der Wilhelm wäre. Daß aber das Buch in die zweyte Periode, also diesseits des zwölften Jahrhunders, fällt, beweis’t sich, wenn man auch den Ton des Ganzen nicht als Grund gelten lassen wollte, durch die Erwähnung des Artus, da wo Florens nämlich ausreitet, um den Riesen zu be- kämpfen, da rufen einige mit spöttigen Worten: „Es ist freylich Artus Gesellen einer, oder aus seiner Ritterschafft, wölche was sye traffen, müßt alles zu grund gehen“. Wenn aber die Romane von Artus, wie man allgemein annimmt, aus der Historia Britonum des G. von Montmouth, geschrieben von 1128—1138, ausgegangen sind, dann können dergleichen Beziehungen nicht jenseits des zwölften Jahrhunderts vorkommen. Noch mehr aber spricht für das jüngere Alter des Gedichtes die Erwähnung des Geschützes, indem es bey der Beschreib- ung, wie sie von Paris ausgerückt zur Bekämpfung der Sarazenen, heißt: „Die Fußknecht zum ersten, darnach der reysige zeug, aber kein Geschütz, dann die Kunst des Schießens ware zu derselbigen zeit noch nicht erfunden.“ 18. Eine schoͤne, anmuthige und lesenswuͤrdige Hi- storie von der geduldigen Helena, Tochter des Kaiser Antonii, welche in aller Gedult so viele Trangsalen und Widerwaͤrtigkeiten mit hoͤchster Leidsamkeit und Staͤrke sowohl bey Hofe, als in ihrer 22jaͤhrigen Wan- derschaft ausgestanden. Allen Weibspersonen zum Beyspiel, denen kurioͤsen Liebhabern aber zum Schroͤcken in Druck gegeben. Koͤln am Rhein und Nuͤrnberg. Der Roman gründet sich auf ein älteres Gedicht unter dem Titel: Von eines Küniges Tochter von Frankreich ein hübsches Lesen, wie der Künig sie selb zu d’ Ee wolt hon, des sie doch got vor im behüt, und darumb sie vil trübsal und not erlidt. zu letst ein Küngin in Engellant ward. Cin großes episches Ge- dicht in 72 Quartblättern. Es erzählt davon, wie ein König von Frankreich seine Tochter zur Ehe nehmen wollte, wie sie deswegen allein in einem Schifflein sich flüchtete, und nach Engelland getrieben wurde, wo der König sie liebgewann, und sie zu seiner Gemahlinn machte. Wie sie dann, als er zu einem Feldzug gegen die Schotten auszog, mit einem Sohne niederkam, und wie als der Marschall, dessen Hut sie anbefohlen war, dem Könige Nachricht davon sandte, seine Mutter den Boten aufhielt, und ihm an die Stelle von des Marschalls Brief einen Andern unterschob, worin sie ihn erzählen ließ, die Königinn sey mit einem Ungethüm, halb Thier halb Mensch, niedergekommen; wie sie dann bey der Rückkehr des Boten die Antwort abermal verfälschte, und dem Marschall im Namen des 18. Königs befahl, die Königinn mit dem Kinde zu verbren- nen; wie der Marschall dann an ihrer Stelle ein großes und ein kleines Kalb verbrannte, und sie mit dem Kinde in dasselbe Schifflein setzte, auf dem sie herge- kommen war. Nach vielen ausgestandenen Mühselig- keiten gelangt die Vertriebene endlich nach Rom; nimmt dort bei einem römischen Bürger Dienste, dem sie das Vieh und die übrigen Hausgeschäfte besorgt; wobei nach einiger Zeit der Pabst ihren Sohn liebge- winnt, ihn zu sich nimmt und ihm Land und Leute schenkt, und endlich als die Könige von Engelland und Frankreich, Beide ihrer Sünden wegen, — jener weil er seine Mutter verbrannt hatte, dieser weil er seiner Tochter Gewalt anthun wollen, — nach Rom gekom- men waren, um Absolution bei ihm zu gewinnen, geschieht die Wiedererkennung, und die Könige führen in Freuden die Wiedergefundene nach Hause. Das Gedicht, wohl 15000 gereimte Verse stark, tfi mit vieler Geläufigkeit und Freiheit in der Form gedichtet, und mit aller der Naivität und Einfalt dargestellt, die alle Werke jener frühern Zeit bezeichnen. Die Handluug , die durch das Ganze geht, ist ohne große Verwicklungen angelegt, so daß sie gegen das Ende sogar ganz in das Historische der Chronik sich verliert. Der Character des Königs von Engelland ist recht brav gehalten, treu, edel, königlich, liebend, entschlossen, kräftig, und doch weich, unbiegsamen Sinnes ohne alle Härte; die Königinn zart, demüthig, unverzagt, fromm und gut; der Marschall aber vor Allen trefflich: die ganze ehrliche, biedere Treuherzigkeit der Zeit vereinigt sich in ihm, und ein gar fromm Gemüth, von allem Truge frei, giebt sich an ihm zu erkennen. Ueber dem Ganzen ruht der altväterliche, einfältigliche Hausgeist, der die früheren Jahrhunderte überschwebt; ein wunderlich ruhig, träumend Wesen, wo es beinahe scheint, als hätte die allgemeine Weltpoesie noch nicht in Menschen- formen sich gestaltet, sondern irrte geisterfrei umher, leise singend und intonirend, und suchte Materie auf, in der sie sich gestalten könnte, wie der junge Bienen- schwarm, der sich eine Wohnung sucht. Es ist eine unendliche Feierlichkeit und eine beinahe schmerzhafte Rührung in dieser Unbeholfenheit, in der Geist im Ueberfluß vorhanden ist, aber das Werkzeug noch nicht gebildet. Wie ein Mensch aus der Erde hervorbrechend, der aber mit den Gliedmaßen zur Hälfte noch von der Haltenden, Fassenden befangen ist, und nun unmuthig die Flügel schwingt, daß die Fesseln ihn nicht lassen wollen, so ist die ganze Poesie dieser Zeit, mehr ein Ausathmen des Gemüthes, als ein Aussprechen. Am Ende des Gedichtes heißt’s: Als man schreibt tusent und vierhundert jar, Und zwen Monat sag ich euch fürwar, Da kam an den Tag die geschicht. Weiterhin: Der Dyß büchlin dann on turen, Also hat gebracht in figuren, Den schliß in deiner Felden schrin, Das helff mir Junckfrow sant Kathrin, Getruckt und seliclich geendt Durch Grüninger als man in nennt Im tusent und fünfhundert jar, Uff Gburt Marie das ist war. Das Volksbuch hat noch viele Ueberreste von der schönen naiven Einfalt des Gedichtes behalten, obgleich in ihm der Plan wesentlich abgeändert ist. Der König von Frankreich erscheint hier als Kaiser Antonius von Constantinopel; der Pabst wird zum Patriarchen von Neapel, und mit der ursprünglichen Fabel sind nun noch mehrere Begebenheiten verflochten, die dem einfachen Gedichte fehlen. Die Königinn gebärt zwei Söhne, die ihr in der Folge in einer Wildniß von einem Löwen und einem Wolfe entführt, und von einem Eremiten wieder gerettet werden. Helena wird vor ihrer Vertreibung die Hand abgehauen, und für sie verbrennt sich freiwillig die Nichte des Herzogs von Glocester, der hier die Rolle des Marschalls übernom- men hat. Nach vielen Abentheuern treffen endlich die verbundenen Könige die Unglückliche mit ihren beiden Kindern in Tours. Noch verwickelter laufen die Be- gebenheiten in dem gleichnamigen französischen Volks- buche durcheinander: Histoire de la belle Heleine de Constantinople Mère de St. Martin de Tours en Tourraine et de St. Brice son frére. A Troyes chez Garnerin. — Le temps vint, que la reine accoucha d’une fille, qui eut nom Heleine. Quand elle eut quinze ans, sa mère trepassa. Et lors- que le roi eut été veuf quelque temps, il eut en volonté, d’avoir sa fille en mariage, car il n’en trouvoit point de si belle, que sa femme et sa fille. Il lui en parla, dont elle fut ebahie, et se jetta a genoux devant son père en pleurant, en le priant, qu’il s’avisa et qu’il y avoit assez d’autres femmes sans elle. Il lui dit, qu’il n’en vouloit point d’autre. Et Heleine lui dit, qu’elle se laisseroit plutot trancher les membres, que de souffrir cela, quelle aimoit mieux courroucer son père, que son createur. In diesem Tone, in dem noch etwas von der Naivetät der ältern Sprache sich aufbewahrt hat, geht es fort und fort durch’s ganze Buch, mit überschwenglicher, nie ermattender, kaum Athem schöpfender Redseligkeit. Abentheuer folgt auf Abentheuer; ein heidnischer Gott von Erz, aus dem der Teufel spricht in Beyern; Sarazenen überall zu Hunderttausenden erschlagen, vier Könige reisen eigends zu diesem Zweck von Schlacht zu Schlacht, und von einer Belagerung zur Andern; Jerusalem wird einge- nommen; König Clovis läßt sich taufen; einer der Könige wird von den Heiden gekreuzigt, der sarazenische Bluthund aber dafür von Gott in Staub zerschlagen, und die Zuschauer werden schwarz wie Kohlen, an der Stelle aber, wo das Kreutz gestanden, steigt in einer Nacht eine große Kirche mit zehn Altären, und über dem Hauptaltar der Körper des heiligen Königs auf, und die Glocken fangen am Morgen an von selbst zu läuten; — dann eilt die Handlung wieder weiter; überall werden Heiden getödtet und bekehrt, Riesen erschlagen, Mauern erstiegen, dann wieder Kinder ausgesetzt. Von Seite 46—84 gehen diese athemlosen Abentheuer ununterbrochen fort; dem teutschen Ueber- setzer, der sonst ziemlich an sein Original sich gehalten hat, mußte g außen vor dieser Volubilität, er hat das Alles daher rein weggestrichen, wodurch freilich der Gang der Geschichte an vielen Orten sichtbar verstüm- melt, und ohne Zusammenhang erscheint. In kurzen, leichten Sätzen hüpft dabei das Buch, wie alle fran- zösischen Volksbücher schnellfüßig daher; Alle sind nicht so planlos wie die Teutschen, sondern zu einem bestimmten Zwecke für den nationellen Stolz geschrieben; überall sind’s nos gens, die Thaten und Wunder wirken; überall ist die eigene Ration auf Kosten der Uebrigen hervorgehoben, und dabei das Ganze häufig mit mora- lischen Reflexionen ausgestattet Mehr als irgend ein Anderes spiegelt diesen Geist die Hi- stoire de Jean de Paris, Rol de France, Troyes. Der Stoff dieses kleinen Romanes ist aus einer Erzählung der Gesta romanorum genommen, und die kleine Novelle ist nun ausgesponnen mit unsäglich gutmüthiger Schwatzhaftig- keit, und aufgeblasen mit einer köstlichen Windbeuteley, einer gar naiven Nationalhoffart, und erscheint nun in seiner prahlenden Großthuerey als die reinste Gasconade, die irgend ein Volk besitzt. Es war einmal ein König in Frankreich, klug und mächtig; der hatte einen Sohn, drei Jahr alt, der hieß Jean, und war mächtig durch sei- nen Adel, denn um diese Zeit wußte man nichts vom Krieg in Frankreich. Eines Tags, wie der König mit seinem Hofe im Pallast war, kömmt der König von Spanien, und wirft sich mit Thränen und Wehklagen zu seinen Füßen; wie das der König von Frankreich sieht, sagt er zu ihm: „lieber Schwager und Freund! mäßigt euern Schmerz, bis wir seine Ursache wissen, denn wir werden euch mit all unserer Macht unterstützen!“ „Sire, sagt der König von Spanien, ich danke euch ergebenst für das gnädige Anerbieten, dessen ihr mich gewürdigt habt, weil . Es geht übrigens von einer ältern Schrifft gleichen Titels aus, die zu Paris in 4. mit gothischen Characteren gedruckt war, ihr und euere Vorfahren immer Beschützer der königlichen Würde, des Adels und des Rechts gewesen seyd, darum bin ich zu euch gekommen, um euch von meinem Unglück zu unterrichten.“ So beginnt das Buch in aller Beschei- denheit. Der Spanier klagt dann, wie seine Granden ihn vertrieben, und die Königinn in Segovia belagern; der Kö- nig sagt ihm Hülfe zu, zieht mit einer Armee nach Spa- nien, und unterwirft die widerspänstigen Barone ihrem König wieder. Beim Abschied nimmt die Königinn ihre halbjährige Tochter auf den Arm, und empfiehlt sie für die Zukunft dem Schutze des Königs von Frankreich mit vielen demuthsvollen Ausdrücken; und da heißt’s: wie der König ihre große Demuth erblickt, hat er Mitleiden mit ihnen und sagt: „Freunde! ich danke euch für die große Zuneigung, die ihr für mich habt, wißt daß euere Tochter nicht auszuschlagen ist, wenn Gott meinem Sohn die Gnade giebt, daß er zu reifen Jahren kömmt, dann verspreche ich, daß mein Sohn keine Andere als euere Tochter haben soll!“ „Sire! sagt die Königinn, glaubt nicht, daß wir, mein Herr Gemahl und ich so eingebildet sind, daß was wir gesagt haben, dahin zielte, daß ihr sie für euern Sohn nehmen solltet, sondern allein für ei- nen euerer Barone, denn es wäre zu viel Ehre, daß ihr derselben euern Sohn gäbet, um so mehr, da wirs nicht verdient haben!“ „Einmal für allemal, sagt der König, es ist gesagt, und wenn es Gott gefällt, daß wir beim Leben bleiben, dann werden wir mehr davon sprechen.“ Der König kehrt zurück, stirbt, und als die Tochter fünf- zehn Jahr alt geworden war, hält der von Engelland um sie an, sie wird ihm bewilligt, und der Graf von Lancaster verspricht sich mit ihr im Namen des Königs. die sich denn wieder zurückbezieht auf ein älteres Ma- nuscript in Versen, das sich in der Pariser Bibliothek in Folio und in 4to findet. Nach vier Monathen soll die feyerliche Vermählung seyn Der König von Engelland landet zu dem Zwecke mit fünfhundert Pferden in der Normandie, und geht vorher nach Paris, um dort Goldstoffe einzukaufen, weil er der- en nicht genug in seinem Lande findet. Die Königin von Frankreich erinnert nun ihren Sohn an das alte Versprech- en der Spanier, und stellt ihm vor, daß es ungeziemend wäre, wenn er von einem andern sich den Rang ablaufen lassen wollte. Der Prinz geht in ihren Wunsch ein, und entwirft einen Plan, den er dabei verfolgen will. Er sammelt eine Armee von 2000 der Vornehmsten des König- reichs, und 4000 Bogenschützen, sammt allem Nöthigen, Wagen und Gepäcke, und sender sie voraus nach Spanien, er selbst setzt sich an die Spitze der vornehmsten und schön- sten Barone, und von hundert andern der ausgesuchtesten Leute, Alle seines Alters, gekleidet wie er selbst, und damit streift er auf der Straße herum, auf der die Engelländer hinziehen. Der König wird ihrer bald gewahr, und er- kundigt sich durch einen Herolden, wer der Herr der Trup- pe sey. Jean de Paris heißt’s, ein reicher Bürgerssohn, der einen Theil seines Vermögens auftreiben wolle. Der König erstaunt über die Pracht und den Wahnsinn eines Privatmannes, und dies Erstaunen wächst fortdauernd auf der Reise, wo sich Jean de Paris ihm beigesellt, und ihn immerfort mit neuer Pracht und neuem Ueberfluß überrascht, weil vorangeschickte Boten immer alle Anstalten zum Empfang ihres Herrn getroffen haben, indessen die Engelländer nir- gend etwas vorfinden. So kömmt der Zug nach Spa- nien, überall widerfährt den Engelländern Unglück ihres 19. 19. Die uͤber die Bosheit triumphirende Unschuld das ist: Hirlanda eine gebohrne Herzogin von Britanien 7 ganzer Jahre als eine Dienstmagd unter dem Vieh, nachmalen wieder nach Hof berufen, doch durch Ver- laͤumdung ihres Schwagers zum Scheiter- hauf verdammt, von ihrem Sohn unbe- kannter Weiße errettet. Vorgestellt in einer anmuthigen Historie gezogen aus des Herren Renatus Cericius franzoͤsischer Geschichte, aufs neue uͤbersehen, vermehrt und zum Druck befoͤrdert von einem Liebhaber der Historien. Coͤln. Die Geschichte nahe verwandt mit der Helena, spielend um 1220 in Bretagne, rührend und einfach Ungeschickes wegen, überall hingegen bewegt sich Jean de Paris leicht wie ein Gott einher. In der Nähe von Burgos bleibt er zurück, der König aber eilt zu seinen Schwie- gerältern, und wird mit Freuden dort empfangen. Jean de Paris aber schickt zwei Herolde an den König, und bit- tet um Unterkunft für sich und seine Leute, und als man erzählt und gut erfunden, vorzüglich denenjenigen arm- seligen Weibern, welche von ihren Männern so übel ihm das bewilligt, hält er seinen Einzug im Angesicht des Hofes, der erstaunt den ganzen langen Zug einrücken sieht, weil er nach des Engelländers Aussage zweihundert Pferde nur erwartet. Statt dessen erscheinen zuerst Herolde mit 200 Pagen und 500 Reutern, man glaubt bei Hofe Jean de Paris sey unter ihnen, wird aber belehrt, das seyen nur die Quartiermeister. Dann folgen 200 Be- waffnete zu Pferde, zwei und zwei; dann ein Zug Wag- en, acht führen die Tapisserie des Herrn, erfährt man auf Befragen; zwanzig Andere mit rothem Sammt bedeckt das Küchengeräthe, 28 Folgende mit Carmoisin und goldnen Frangen die Garderobe, 25 andere mit Silber- geschirr machen den Schluß. Dann folgen 2000 Bogen- schützen mit Gold bedeckt, immer höher steigt das Er- staunen. Ein schöner Mann in Gold gekleidet mit einem Stabe in der Haud auf einem Hengste erscheint mit 200 Pa- gen, die königliche Prinzessinn, die ihn für Jean de Paris hält, verneigt sich höflich gegen ihn, wird aber von einem Pagen bedeutet: Mademoiselle ne bougez pas, car celui, que voici, est le maitre d’hotel en office, et sont quatre fai- sant chacun leur semaine. Dann kömmt der Schwerdt- träger, 600 Notabeln, endlich Jean de Paris, mit einem weißen Stabe in der Hand; die Prinzessinn, als sie ihn erblickt, erröthet, elle lui tendit un couvre chef de plai- sance, qu’elle tenoit, en lui faisant une gracieuse reverence und er selbst verliebt sich auf der Stelle in sie: 500 Mann bilden endlich den Nachzug. Der König, im höchsten Erstaunen über das Gesehene, schickt den Grafen Quanon in seine Wohnung, um ihn zu bewillkommen, und nach Hofe einzuladen, erhält aber vom Kämmerer den Be- scheid: wie, ist der König so krank, daß er nicht hieher mishalten werden, als das herrlichste Beispiel und das fürtrefflichste Muster der Geduld vorgehalten. Der Renatus Cericius, von dem der Titel spricht, ist Rène Ceriziers oder Cerizerius, ein französischer Jesuit, gebohren zu Nantes 1603, der Innocentiae agnitae Historiam schrieb, in der sich diese Geschichte findet, die er wahrscheinlich aus einem älteren Gedichte eines Bretons genommen. 20. Schoͤne anmuthige Historien von Marggraf Wal- thern, darinnen dessen Leben und Wandel, und was sich mit ihm zugetragen, dem Leser kuͤrzlich vor Augen gestellt wird. Aufs neue mit schoͤnen Figuren gezieret und verbessert. Gedruckt in diesem Jahr. In diesem Buche geht der Kreis von Romanen, der sich um den Octavianus hergruppirt, die man kommen kann? ihr könnt Jean de Paris nicht sehen. Die Könige von Engelland und Spanien erheben sich darauf selbst zu ihm. — So prahlt das Buch bis zum Ende hin, Jean de Paris entdeckt wer er sey, nimmt ohne Umstände die Prin- zessin mit, und des Engelländers wird weiter gar nicht gedacht. Intriguen-Romane nennen mögte, in den eigentlichen Liebesroman über, wie die zunächst folgende Magelone ihn ausgebildet zeigt. Es ist die bekannte Geschichte Wal- thers, der eine Bäuerinn zur Ehe nahm, und um ihre Ergebenheit zu prüfen, ihr in der Folge ihre Kinder entführen ließ, und sich sogar zum Scheine von ihr schied, bis endlich Alles, da sie treu, und demüthig und bescheiden blieb, sich zum Guten wendet. Gleich bescheiden, einfältig, arm und herzlich erzählt ist auch das Buch. Nur einmal, wo die Mißhandlung schein- bar auf das Höchste gestiegen ist, und der Marggraf ihr ihre eigene, aber unbekannte Tochter als seine Braut vorstellt, und sie um ihre Meinung fragt, antwortet sie: „Gnädiger Herr! ich glaube nicht, daß ein schöneres Weibsbild zu finden sey, als diese E. Gnaden Braut, und zukünftige Gemahlinn ist; ich hoffe auch, daß ihr innerlich Herz und Gemüthe werde an Tugenden, Liebe und Treue der äußerlichen Schönheit gleichen, und demnach E. Gnaden mit ihr verhoffentlich eine liebliche, friedsame und gesegnete Ehe führen, welches ich euch von Grund meines Herzens und meiner Seelen wünsche. Doch will ich E. Gnaden zum fleißigsten ge- beten und zum treul chsten ermahnet haben, er wolle diese schöne und tugendhafte Gemahlinn verschonen, und sie nicht mit so harten Proben ihrer Liebe, Treue und Gehorsams versuchen, noch mit so großem Herze- leid beschweren und kränken, wie er seine vorige Ge- mahlinn probiret und gekränket haben mögte. Denn dieweil diese viel zärtlicher und herrlicher erzogen ist, und von Creutz und Unglück weniger wissen mögte: als trag ich Sorge, sie mögte nicht mit gleicher Geduld und Beständigkeit ertragen können, was eine andere mögte erduldet haben“. — Das Buch soll sich übrigens auf eine wahre Geschichte gründen, und aus einem alten Manuscripte genommen seyn unter dem Titel: Le parement des Dames de la Bibliotheque de M. Foucault, und Griseldis soll dabei gegen 1025 gelebt haben. Auch Chron kschreiber der Zeit geben die Geschichte als wahr an, so Philippo Foresti da Bergamo im Suplemente seiner Chronik, und erzählt die Begebenheit in seinem Werke de plurimis claris scelestisque mulieribus Cap. 145 weitläuftig. Das Volksbuch selbst, Abdruck eines älteren teutschen Wer- kes, kömmt beinahe wörtlich mit der gleichnamigen Novelle des Boccaz überein, die Petrarca in’s Latei- nische übersezt, und die man selbst auch in octave rime geschrieben, und um 1395 sogar unter dem Titel: Le mystère de Griseldis marquise de saluces, auf’s Theater gebracht hat. Beigefügt ist noch: Eine schöne Historia von des Fürsten zu Salerno schönen Tochter Gismunda, — gleichfalls eine Novelle des Boccaz, die Pietro Arretino und Andere ebenfalls für eine wahre Geschichte ausgeben, rührend und betrübt. Endlich noch einige kleine Historien aus der Geschichte, — Alles um daraus zu sehen, was rechte Liebe kann, auch was es oft für einen Ausgang zu gewinnen pflegt, und daß Eltern nicht allezeit geschwind fahren sollen, herzliche Liebe zu trennen. Auch im Holländischen ist dies Buch nebst der Helena Volksbuch geworden, und ist unter dem Titel im Umlauf: De vrouwe peirle ofte dry voudige historie van helena de verdul- dige, griseldis de zagtmoedige, Florentina de Getrouwe. Antwerpen by J. A. Heiliger 1621. 21. Historia von der schoͤnen Magelona, eines Koͤ- nigs Tochter von Neapolis, und einem Rit- ter genannt Peter mit den silbern Schluͤs- selen, eines Grafen Sohn von Provincia aus franzoͤsischer Sprache in das Teutsche uͤbersetzt durch M. Vitum Warbeck samt einer Vorrede Georgii Spalatini. Nuͤrn- berg. Zart, innig, mild, von einem linden Liebesscheine übergossen; alles Scharfe, Zackigte weggeschmolzen in dem lauen Hauche, ganz der Geist der Troubadours, jener warme befruchtende Südwest, der drei Jahrhun- derte hindurch aus diesem Punkt der Rose fortdauernd über Europa hinwehte, und einen schönen Blüthen- frühling hervorrief in dem ganzen Occident. Wie eine emsige Biene, die zwischen zwei einsam stehenden, fern einander entrückten Palmen, hin und wiederfliegt, und den Samenstaub von Einer zur Andern trägt, und das Ferne aneinanderknüpft, so tritt gleich Anfangs die Amme zwischen die beiden Liebenden Peter und Mage- lone; sorgsam trippelt sie ab und zu, tröstet, räth, beschwichtigt, und hilft; und wie Peter die Geliebte nun entführt, und sie ermüdet in seinem Schooße schläft, und er an ihrer Schöne sich nicht ersättigen kann, und ein Raubvogel nun den rothen Zendul mit den Ringen, vermeinend es wäre Fleisch, erwischt, und davonfliegt, und er ihm nun nacheilend über den Meeresarm vom Sturm verschlagen endlich, bis zum Sultan kömmt — das Alles ist mit Gewandheit und leichtem fröhlichen Sinn erzählt, und wie eine Schwalbe kreisend hin über des Wassers Fläche fliegt, so hier das poetische Schicksal über der Begebenheit. Magelones Pilgerschaft nach Rom und durch Italien, bis sie zur Insel, der Heyden Port genannt, gelangt, und dort ein Spital stifftet, und die Kranken pflegt; wie sie zum Ruf der Heiligkeit gelangt; ihr Verhältniß endlich mit Peters Aeltern, — Alles ist fromm und rührend, und die Wiederfindungs- und Erkennungsszene rundet dann das Ganze trefflich zu. Die teutsche Uebersetzung von Veit Warbeck von 1535 giebt das Jaht 1453 für die Periode der Verfertigung des Werkes an, das sich auf eine wahre Geschichte zu gründen scheint, indem man noch gegenwärtig in der Provence das Grab der Magelone zeigt, und eine Insel bei Marseille ihren Namen, Mage- lone, führt. Die älteste Ausgabe „getruckt zu Augs- purg durch Heinrich Steiner 1535“ (nicht 45 wie bei Koch) ist durch viele Auflagen Leipz. 1611, Rürnberg 1678 z. B. nach und nach ins Volksbuch ganz unverändert übergegangen, bezieht sich aber selbst wieder auf das französische Original: Histoire des deux vrais et parfaits amans Pierre de Provence et la belle Magelone Fille du roy de Naples. 4. Paris. ohne Jahrszahl, in gothischen Characteren, und Avignon 1524. 8. In der spanischen Literatur erscheint sie unter dem Titel: La historia de la linda magelona 20. hy = a del Rey de Naples y de Pierres d. P. Seviglia 1533. 1542. 4. 22. Die nuͤtzliche Unterweisung der sieben weisen Meister, wie Pontianus der Koͤnig zu Rom seinen Sohn Diocletianum den sieben weisen Meistern befiehlt, die sieben freyen Kuͤnste zu lernen, und wie derselbe hernach durch Untreu seiner Stiefmutter siebenmal zum Galgen gefuͤhrt, aber allezeit durch schoͤne Gleichnisse der sieben Meister vom Tode errettet, und ein gewaltiger Meister zu Rom ward. Sehr lustig und nuͤtzlich wider der falschen Weiber Untreu zu lesen. Ganz von neuem aufgelegt. Ruͤrnberg. Wir nähern uns, indem wir zu den sieben weisen Meistern übergehen, einem Werke, das durch graues Alterthum uns Ehrfurcht abgewinnen muß; das ursprünglich ausgegangen von den indischen Gebürgen, dort vor uralten Zeiten als ein kleines Bächlein nieder- rann; das dann durch Asiens weite Felder immer mehr westwärts sich ergoß, und durch manche Jahrtausende hindurch, und wie es immer weiter drang durch Raum und Zeit bis hin zu uns immer mehr anschwoll; aus dem ganze Generationen und viele Nationen getrunken haben, und das mit dem großen Völkerzuge nach Europa übergieng, und nun auch in unserer Zeit und unserer Generation ein so bedeutendes Publicum sich verschaffte, daß es in Rücksicht auf Celebrität und die Größe seines Wirkungskreises die heiligen Bücher erreicht, und alle Classischen übertrifft. Man kennt den Inhalt dieses Buches. Der Kaiser Pontianus über- giebt seinen Sohn den Meistern, damit sie ihn in den freyen Künsten unterweisen; sie nehmen ihn mit sich nach Athen und besorgen seine Bildung. Der Jüng- ling wird weise und in Künsten erfahren; nach sieben Jahren ruft der Kaiser ihn an den Hof zurück, und er ließt in den Sternen, wie dort eine große Gefahr seiner warte, die er dadurch nur abwenden möge, daß er während sieben Tagen unverbrüchliches Stillschweigen bewahre. Er kehrt nun zu seinem Vater zurück, begleitet von seinen Meistern. Der Kaiser erstaunt Anfangs, und wird dann höchlich entrüstet über seine unerklärbare Stummheit. Die Kaiserinn, seine Stiefmutter, verliebt sich indessen in ihn, und weil er ihre Zumuthungen ab- weißt, wird sie erbittert, und verklagt ihn beim Kaiser als Ehebrecher, der ihn nun, weil er sich nicht recht- fertigt, zum Galgen verdammt. Siebenmal soll dies Urtheil vollzogen werden, und jedesmal begegnet dem Ausgeführten Einer der sieben Meister, und wendet die Vollstreckung ab durch eine Erzählung, die er dem Kaiser macht, der dann jedesmal die Kaiserin eine Andere entgegensetzt, und dadurch den Kaiser, den die Vorige zu Gunsten des Verurtheilten entschieden hatte, wieder umstimmt zur neuen Verdammung, so daß der Prinz sieben Tage immerfort zwischen Tod und Leben schwebt, bis er endlich am achten Tage, wo die Sterne zu reden ihm erlaubt, seine Sprache wieder gewinnt, und dann die Schande der Kaiserinn aufdeckt, indem er eine ihrer angeblichen Hoffräulein entkleiden läßt, die nun als Mann befunden wird. So entstehen daher vierzehn verschiedne Rovellen, durch jenen losen Faden nur zusammengehalten, denen denn nun noch die Fünf- zehnte, die der gerettete Prinz erzählt, sich anschließt. Die Meisten darunter sind durchaus vortrefflich, Viele in die spätern Rovellensammlungen aufgenommen, Alle gut erfunden, und anspruchslos erzählt. Die Reunte, wie Kaiser Octavianus von den Römern seines Geizes wegen lebendig begraben worden, herrlich; die mit den Bildern auf dem Thurme, den Brunnen und dem ewigen Feuer von einem wunderlich reizenden Zauber befangen; Galenus von Hippocrates getödtet, astrologisch, seltsam wie ein anatomischer Saal mit Gespensterleichen; die Dreizehnte von der Königinn im Thurme, gediegen komisch und vollendet; die Fünf- zehnte phantastisch, keck und gut gedacht und erzählt. Am Ende nachdem die Geschichte alles Interesse für ihren Helden erweckt, schließt sie abbrechend: „Unlängst hernach starb der Kaiser, und regierte sein Sohn Dio- cletianus nach ihm, welcher seine sieben weisen Meister in großen Ehren bey sich behielt, und wegen seines hohen Verstandes jedermanns Gunst und Liebe erlangte. Sonst war er ein grausamer Tyrann, welcher mit Maximiniano die Christen zwanzig Jahre auf das schrecklichste verfolgte, hernach im 68sten Jahre ward er durch Gift hingerichtet. Also gehen die Tyrannen und Wüteriche mit Erschrecken zu Grund, und nehmen ein erbärmliches Ende.“ Wie sehr das Buch schon im Mittelalter in allge- meinem Umlauf war, beweißt die beinahe wörtliche Aufnahme desselben in die Gesta romanorum. In der teutschen Ausgabe dieses Buches, gedruckt von H. Schobser in der stat Augsburg 1489, findet sich gleich Anfangs auf dem XVI ten Blatte von der Römer „abgot mit dem guldin apfel das virgilius gemacht hat“. Dann folgt von „ Dyocleciano, den sein vatter ertödt wolt haben nach verklagung seines weibes und in sein siben maister bey dem leben behüben, unnd die maister behüben sich auch bey dem Leben mit ir Weißheit“, — und dann vom 36sten Blatte an der Volksroman beinahe wörtlich, nur daß in dem alten Buche die Sprache gediegener und weniger schleppend, geziert und steif erscheint. So wird z. B. die Geschichte, wie die sieben Meister ihren Lehrling prüften, ob er unter ihrer Pflege an Weisheit und Verstand zugenom- men, so erzählt: „Do sprachen sy under einander unß deuchte gut, wir versuchten, wye unser junger gelernet hette, und wye er antwurten künde über unser frage. Do sprach Tantillus (Bancillus im Volksbuche): nun wie versuch wir das; do antwurt im Katho, und jeg- lichen Zipfel seinis pedtes legen wir ein Lorberpaumblat, so werden wir innen, was er kan. De geschahe also, die weile er schlieff, und do er erwachet, da plickt er fast über sich auf, das ersahen dye Maister, die fragten in, warumb er also aufsähe. Do sprach er daz ist nicht ein wunder. aintweder die höhe d’ Kammer hat sich genaigt, oder das erdtrich und mir hat sich erhebt. Do sy dz horten, do sprachen sy, lebt das Kind lenger, er wirt weiß Zum Beweise, in wie mannigfach verschiedenen Formen dieselbe Sache in verschiednen Zeiten und unter andern Umständen wiederkehrt, mag die Erzählung ähnlichen Gehaltes dienen, die M. d’Annoy in ihren Reisen nach Spanien Th. III. p. 64 mittheilt. Es habe sich einst, erzählt sie, ein berühmter Sterndeuter beym verstorbnen König (Philipp IV. ) auf der Terasse des Schlosses befun- den, und der König habe gefragt, wie hoch wohl dieser Ort sey? Der Sterndeuter habe zum Himmel hinaufge- sehen, und eine bestimmte Höhe angegeben. Der König habe befohlen, daß man den gepflasterten Boden der Terasse um drei bis vier Zoll erhöhen solle, und man habe die ganze Nacht daran gearbeitet. Am folgenden Morgen ließ er den Sterndeuter rufen, führte ihn auf die Terasse, und sagte zu ihm: „Ich redete gestern Abend von dem, was ihr mir von der Höhe dieses Orts gesagt habt, aber man behauptete, daß ihr Euch geirrt hättet“. „Ihre Majestät“, sagte dieser, „ich unterstehe mich zu behaupten, daß ich mich nicht geirrt habe“. „Machet euere Beobachtungen noch einmal“, sagte der König, „und dann wollen wir die beschämen, welche sich rühmen, geschickter zu seyn als ihr“. Er fieng alsbald an, seine Beobachtungen zu machen. Der König sah, daß er die Farbe veränderte, und sehr in Verlegenheit war. Endlich wendete er sich wiederum zum Könige, und sagte: „Was ich gestern Ihro Majestät versicherte, ist wahr gewesen; heute aber finde ich, daß die Terasse ein wenig höher, oder der Himmel ein wenig niedriger ist“. Der König lächelte, und sagte ihm, was er ihm für einen Streich habe spielen lassen. . So spielt die Geschichte fort, der Prinz kehrt zurück, wird zum Tode ausgeführt; die erste Novelle der Kaiserinn von dem Baume und dem Schößling fehlt, und nun erzählt der Meister Tantillus die Erste von dem Hunde und dem Falken. Blatt 41 folgt dann, ohne daß die Geschichte fortgeführt wird, das dritte Beyspiel der Kaiserinn im Volksbuche unter dem Titel: „von einem Ritter, der zu großer Armut kummen wz, den sein aigner sun das haubt in dem turen abschlug, damit er sich selber fristet vor dem Tod“. Dann folgt Blatt 43, das fünfte Beyspiel der Kaiserinn, wie Octavianus wegen seines Geizes von den Römern lebendig begraben worden. Weiter Bl. 44 das fünfte Beyspiel der Kaiserinn von einem „Künig der waz ein haiden, der wolte zu rom Sant Peter und Sant Pauls Leichnamm gestohlen haben, und wollte die hinweg haben gefürt“. Dann bricht das Ganze ab mit einer fremden Novelle von Hannibal. Später Blatt 56 folgt erst wieder von einem „Keiser zu Rom, der hete siben Maister, die prachten im zewegen mit ir Zauberkunste, das er rechtwol gesahe in dem Pallast, aber auswendig gar nichts“, die vierte Novelle der Kaiserinn. Die fünfzehnte Novelle aber, so wie sie viele Aehnlichkeit mit dem alten teutschen Gedichte, „der gute Heinrich“ hat, so hat sie auch insbesondere wieder zu einem andern Heldengedichte von Conrad von Wirzburg den Stoff hergegeben, von dem er sagt, daß er ihn aus dem Lateinischen genommen habe, nämlich: „Eine schöne Historia von Engelhart aus Burgunt, Hertzog Dieterichen von Brabant seinem Gesellen, und Engeldrut des Königs Tochter auß Dennmark, wie es ihnen ergangen, und was jammers und not sie erlitten, ganz lustig und kurzweilig zu lesen. Francfurt am M. 1573“. Auch hier streitet Einer der beiden Freunde für den Andern, Einer feyert Bey- lager mit der Braut des Andern, mit zwischengelegtem Schwerdt, und Dieterich bekömmt die Misselsucht (den Aussatz), wo dann Engelhart seine beiden Kinder für ihn schlachtet, die zuletzt wieder lebendig werden, aber jedes mit einem rothen Faden um den Hals. Aus allen dem ergiebt sich, daß der Ursprung des Romanes tief in die alten Zeiten fällt, und wirklich findet man allgemein seinen nächsten und unmittelbaren Ursprung in einem griechischen Romane Dolopathos , den man in den Anfang des dreizehnten Jahrhunderts versetzt. Das war der Titel eines griechischen Manu scriptes, das Huet besaß, in dem die Abentheuer, wie- sie das Volksbuch dem Diocletianus zuschreibt, von Syntipas, einem Sohne des Königs von Persien, erzählt werden, und die Verfertigung des ganzen Werk- es einem Christen mit Namen Moises beigelegt wird. Dieser Roman wurde dann von einem Mönche aus der Abtey Haute-Selve, mit Namen Don Giovanni 21. oder Dam Jehans ins Lateinische unter dem Titel: Dolopathos, oder die sieben weisen Roms übersetzt, und dies Werk findet sich noch auf einigen Bibliotheken als Manuscript. Ins Französische wurde dann eben- fals der Roman übertragen, von dem Mönch und Dichter Hebert , der unter Ludwig VIII, dem Vater des Heiligen, blühte, und gegen 1206 diese Uebersetzung unternahm. Unter dem Namen: Le Livre de sept sages de rome en vers, findet sich von diesem Werke eine Copie auf der Pariser Bibliothek. Um dieselbe Zeit oder nicht viel später wurde er auch wieder in französische Prosa von einem Andern übertragen, und auch davon findet sich auf derselben Bibliothek eine Abschrifft unter dem Titel: Histoire de sept sages et de Marc fils de Caton. Ins Teutsche wurde er später übersetzt, und die älteste gedruckte Ausgabe in dieser Sprache, die Koch anführt, ist von 1474. Im Italiänischen aber erschien das Werk 1542 unter dem Titel: Avvenimenti del Principe Erasto. Venet. und dann von neuem wahrscheinlich unmittelbar aus dem Dolopathos, unter dem Namen: Erasto e i suoi compassionevoli Avvenimenti, opera dotta e morale di greco tradotta in volgare; — eben so ins Spanische: Historia del Principe Erasto Hijo del emperador Diocleziano traduzida de Italiano. Anversa 1573, und ins Englische: The seven wise masters, und überall in zahllos vielen Ausgaben, so daß also das Buch seit dem zwölften Jahrhundert beynahe in den Händen aller europäischen Nationen in allgemeinem Umlauf war. Fragt man aber wieder nach der Quelle, aus der Dolopathos geschöpft, dann wird man abermal weiter zurückgetrieben, und versichert, das Werk sey ganz aus einer Parabel des Indiers Sandeber genommen, und zunächst ins Hebräische übersetzt, daraus ins Arabische, Syrische, und dann endlich in’s Griechische. Betrachtet man diese Angabe genauer, dann findet man, daß hier die Rede von den alten Fabeln des Pilpai oder Bidpai ist, in denen ein indischer König Disles einem seiner Philosophen Sendebar, der alle Anderen an Weisheit übertraf, Fragen vorlegte, die Dieser in Parabeln und Erzäh- lungen beantwortete, die in dem Buche dann gesammelt und der Nachwelt aufbehalten sind. Das aber ist die Geschichte dieses Buches, wie der erste persische Uebersetzer im Lateinischen des Johannes de Capua sie erzählt. In den Tagen der Könige von Edom, war ein König Anastres; dieser hörte, in Indien seyen Berge, auf denen Kräuter wüchsen, mit denen man, wenn sie gesammelt und zubereitet würden, Todte erwecken könne; er schickte daher einen Diener und Philosophen Berosias an die Könige von Indien mit vielen Geschenk- en, um dort die Kunst zu lernen. Dieser zog hin, hielt zwölf Monate da sich auf, sammelte alle Bücher, bereitete die Arzneien; als er aber nun Todte aufer- wecken wollte, mogte es ihm nicht gelingen. Er wurde traurig darüber, und getraute sich nicht zurückzukehren; da sagten ihm die Weisen des Landes, wie es ihnen nicht anderst ergangen sey, bis sie eine Erklärung in einem gewissen Buche der Weisheit gefunden hätten, wie nämlich alles allegorisch zu nehmen sey; die Berge seyen die Weisen, die Pflanzen Wissenschaft und Er- kenntniß, die Arzneyen Bücher, die zu erweckenden Todten aber die Unwissenden. Da er das hörte, suchte er das Buch auf, und übersetzte es aus dem Indischen ins Persische, und als er zurückkehrte, freute sich der König sehr, und unterstützte von nun an die Wissen- schaften, und legte Bibliotheken an. Diese Schrifft, in den neuesten Zeiten im Jahre 1804 in Calcutta von neuem in der Originalsamscritsprache mit indischen Lettern in 4. gedruckt, unter dem Namen Hitô padesa von dem Braminen Wischnu Sarma verfaßt, ist nun das Envvarisuhejli der Perser; der Berosias ist Buzrvieh oder Parzon, Arzt des Cosroes oder Nuschirvan, der ihn nach Indien sandte; die Periode der Uebersetzung endlich etwa das Jahr 530. Das Buch gieng sodann um 760, unter dem Kalifen Almansor, mit dem Titel: Calilah va Dimnah ins Arabische über, wurde weiterhin ins Türkische unter dem Namen: Humajun name, das Eine und das Andere aus jenem alten Persischen übertragen; dann wieder in’s Syrische un- mittelbar aus dem indischen Original Abraham von Echeln in dem Catalog. Librorum Chald. sive Syriacorum, sezt bei der Stelle des Katalogs, wo es heißt: „Bud Peridiotæ exstant orationes de fide, nec non adversus Manichæos, præterea quaestiones græcas, nuncupatus Alpha Miglun, interpretatus etiam est ex indico Idiomate librum Calaileg et Damneg, die Glosse hinzu: „Liber iste tribuitur Isamo quinto Indorum Regi, de quo sie Ismael Sciahinsciah in historia gentium. Isamus et est ille, qui composuit librum Calilah et Damnah. Idem affirmat caelibi librum hunc arabici juris factum fuisse, trecentis ante Alex- andrum Macedonem annis. , weiter eben so chaldaisch, und hebraisch durch den Rabbi Joel, und daraus lateinisch durch Johann von Capua um 1262, unter dem Titel: Directorium humanae vitae, alias Parabolae antiquorum sapientium. Früher aber schon, um das Jahr 1100, hatte es der Mönch Simon Sethus für den Kaiser Alexius Commenus unmittelbar aus dem Arabischen in das Griechische über- setzt. Der Uebersetzer schrieb dabei die ersten 9 Capitel dem Philosophen Secundus, einem Athenienser, der zu Hadrians Zeiten lebte, und durch die Schärfe seiner Ant- worten aus dem Stegreife auf die Fragen des Kaisers sich auszeichnete, obgleich mit Unrecht, zu. Eben so nur etwas später um 1251 gieng das Werk aus derselben arabischen Uebersetzung unmittelbar in das Spanische über, gleich- falls unter dem Titel: Libro de Calila e Dimna, und nun verbreitete es sich durch alle diese Wege, hauptsächlich auf dem des die Lateinischen in die Abend- länder. Und zwar gieng das Buch in das Italiänische durch das Spanische, ins Englische durch das Italiänische, in’s Lateinische wieder aus dem Griechischen durch den Jesuiten Poussin, in’s Französische aus dem Reuper- sischen, das um 1493 unter dem Namen Anvar Schaili erschienen war, aus dem Türkischen von neuem in’s Spanische, endlich unmittelbar aus dem Samskrit durch Wilkes 1787 wieder in das Engelländische über, so daß dies interessante Buch nach und nach die Reise durch den größten Theil der alten Welt gemacht, von einem Geschlechte immerfort auf das Andere vererbt, und von jedem hoch gehalten und werth geachtet. Auch in der teutschen Literatur hat es frühe schon sich eine große Celebrität verschafft; aus dem Lateinischen über- setzt erschien es 1483 zuerst, und später 1548 unter dem Titel: Der altenn weisenn Exempel, sprüch und Un- derweisungen, wie sich einem jeden frommen, ehrliebenden vor der untreuwen, hinderlistigen, geschwinden bösen Welt und Weltkindern zu hüten, vorzusehen, auch Weisheit und Vorsichtigkeit daraus zu lernen, durch schöne alte Beyspiel und weltweise Lehren unvergrifflich uff historien der Gethier gewendt und fürgestellt“. Sieht man auf den Inhalt des Buchs, dann findet man in ihm auf jedem Blatte das Wesen und den Geist der Zeit, in der es entstanden ist. Da der Verstand noch jung war und die Abstraction, und kindisch sie sich über ihr kindisch Lallen freuten; da der, welcher einen ein- fachen Sittenspruch oder eine moralische Sentenz neu in sich gefunden hatte, als Weiser galt, und die Bewun- derung seiner Nation auf sich lenkte: da mußte dies Werk als ein geniales, als ein übermenschliches Pro- duct erscheinen, und die vielen Moralitäten und Weit- schweifigkeiten, die uns wohl langweilig vorkommen, mußten der einfältigen Zeit wie Göttersprüche tönen. Aber was uns noch immer genial erscheint, weil es nun hinter uns liegt, und wir es in der Eile unserer Bildung überflügelten und verlohren, das ist jene schöne unschuldige Raivetät in der Erfindung und der ganzen Behandlung der meisten Fabeln und Erzähl- ungen; jene kindliche Unbefangenheit, in der wir doch durchaus erwachsene und wieder sehr männliche Men- schen umwandeln sehen, und dabei die Ehrlichkeit und das Treuherzige Trockne in der Art wie sie sich ankün- digen, was aber keineswegs wieder öftere Aufblitzungen einer dichterischen Phantasie erstickt Was Alatius in seinem Buche de Simeonis scriptis von ihm sagt, ist im Bösen daher zu scharf, im Guten hinge- gen zu schwach ausgesprochen. Legi ejusdem (Simeonis Sethi) habeoque penes me narrationem indicam, Perzoo medico in gratiam Chosroes regis in perside ex indica lingua in arabicam translatam, quam postea Sethus ex arabica in græcam convertit, cui et præfationem de Auctore Operis, illiusque, inventionem attexuit. Dividitur in quindecim sectiones. In duabus primis Stephanitae et Jchnilatae historiola finitur, in reliquis aliunde, et ex aliis animalibus fabulæ confinguntur. Dictio pedestris, humilis, hiulca, sæpe barbara, incon- cinna, omnia e trivio, sententiæ graves, spissæ, fabellæ non insuaves, rebus accomodatæ, vegetæ, evidentes, fre- quens tamen earum, sicuti et sententiarum, usus narratio- nem sæpissime obstruit, et lectorem turbat. Est nihilominus et Syntipa persa et Erasto, dictione et sententiis cæterisque omnibus accuratior, et brevitate Discursuum et fabularum acutior: proemio et introductione nimis prolixa, affectataque narrationum superaggestione molestior. Wörtlich so würde ein heutiger gewöhnlicher Rezensent etwa urtheilen, und beym größten Rechte das höchste Unrecht haben. . Betrachtet man aber nun das Werk in seiner Beziehung auf das Volks- buch, dann findet man, daß zwar Keines unmittelbar in dem Andern enthalten sey, daß aber der Plan und die Bearbeitung der sieben weisen Meister ohne allen Zweifel von Kelilah und Dimna hergenommen ist. Im zehnten Kapitel nämlich träumt ein indischer König Sedras, es ständen zween rothe Fisch vor ihm auf ihren Schwänzen, und zween Wasservögel flögen nach- einander und fielen ihm in seine Händ; eine Schlange gieng ihm durch seinen linken Fuß; sein ganzer Leib wäre naß von Blut, und er wüsche ihn mit Wasser; er aber stände auf einem weissen Berge, und sähe bey seinem Haupt eine feurige Säule, und dabei einen weissen Vogel, der hacke ihm in sein Haupt. Und er fragte die Weisen und Traumdeuter um Rath, die waren aber alle aus einer Stadt, die er vorher bekriegt und belagert, und worinn er 12000 erschlagen hatte. Diese berathen sich daher, und beschließen, diese Geleg- enheit zu benutzen, um sich zu rächen, und ihm sein bestes Schwerdt und seinen weissen Elephanten abzu- fodern, und sein treustes Gemahl, Hellebat die Königin, und seinen Geheimschreiber, und Billero seinen Rath und Feldherrn, und Kymeron seinen heiligen Freund, zum Tode zu begehren. Als der König auf diese Zumuthung niedergeschlagen wird, forscht ihn Billero über den Grund seiner Trauer aus, und die Königin warnt ihn vor den Weisen, und räth ihm zu Kymeron zu gehen, und ihn um die Deutung des Traums zu bitten. Der König folgt dem Rath, und der weise Mann erklärt ihm, wie die rothen Fische die Könige von Arabien und Emlach bedeuteten, die ihm Geschenke von Edel- 22. steinen senden würden, und die Wasservögel den Kaiser von Griechenland, der ihm zwei Pferde überschicke; die Schlange aber den König von Tharsis, der im Begriffe sey, ihm das beste Schwerdt auf Erden zu verehren; der blutbefleckte Körper deute auf ein roth Purpurkleid, das der König von Seba schicken würde; der weisse Berg einen weissen Elephanten des Königs von Edom, die feurige Säule aber eine goldne Krone des von Edar; den Vogel aber wollte er ihm nicht deuten. Der König gieng hin, und nach sieben Tagen wurde Alles erfüllt, und die Gesandten kamen und brachten die Geschenke, die er unter seine Hofleute ver- theilte. Die Königin aber wählt sich gegen Billero’s Rath die Krone, und der Beischläferin wurde das Purpurkleid zu Theil. Nun aber hatte auf einen Abend Hellebat dem Könige ein Essen bereitet von Reis in goldner Schüssel; und nun kam das Kebsweib im Purpurkleid gegangen, und gefiel dem König mehr als die Königin in ihrer Krone; und er verwieß es ihr, daß sie nicht lieber das Kleid gewählt habe. Diese aber, erbittert aus Eifersucht, nahm die Schüssel mit den Speisen, und schüttete sie dem König auf sein Haupt, und das war der weisse Vogel, den Kymeron nicht deuten wollte. Der König erzürnt, übergab sie dem Billero, daß er ihr das Haupt abschlagen solle; dieser aber bestrich sein Schwerdt mit dem Blute eines Lammes, und gab bei’m König vor, er habe sie getödtet. Der König aber wurde bald traurig und betrübt der bösen That wegen, und er machte Billero Vor- würfe, daß er seinem Befehl gefolgt, der ihm endlich entdeckt, daß die Königin noch lebe, die nun bei ihm in großen Freuden blieb; die Weisen aber wurden ver- brannt. Man sieht in wie naher Beziehung diese ganze Erzählung zu dem Volksbuch steht, aber außerdem sind noch zwei ganze Novellen in ihm beinahe wörtlich aus dem indischen Buch genommen; die Erzählung von dem Weibe und der Krähe nämlich, und die Novelle vom Hunde und der Schlange. Es ist daher begreiflich, wie man zu dem Ausspruch gekommen, der Dolopathos sey aus dem Indischen übertragen, besonders wenn man außerdem noch auf die ganze Einrichtung des Buches selbst reflectirt, in dem immer der König von seinem Weisen alle die verschiednen Novellen und Fabeln sich erzählen läßt. Es ist daher wohl außer allem Zweifel, daß der Verfasser des Dolopathos jenes ältere Buch bei der Verfertigung des Seinigen vor sich liegen hatte, daß er in ihm die erste Idee seines Werkes faßte, und daß er einen Theil seines Inhaltes in dasselbe übertrug, und das Ganze dann mit andern fremdartigen Zusätzen zu der gegenwärtigen Form verband So ist die vierzehnte Erzählung die Matrone von Ephesus, die Xenophon im fünften Buche seiner Ephesiacorum erzählt. . Wie auf diese Weise der Dolopathos aus dem Orient herüberkam, so scheint er auch bald wieder vom Occident rückwärts gegen den Osten sich verbreitet zu haben. Die Sultanin von Persien, die Schech Zade, Lehrer des Kaisers Amurat II, der um 1481 starb, geschrieben hat, befolgt nämlich ganz den Plan und die Form der sieben weisen Meister. Der König Hafekin hat einen Prinzen Nus- gehan, und heirathet in seinem Alter zum zweitenmale die Prinzessin Kan Zade, die den Prinzen zu verführen sucht, und da ihr das nicht gelingen will, ihn bey’m Könige verklagt, der ihn zum Tode verurtheilt. Vierzig Tage aber dauert hier das gebotene Stillschweigen des Prinzen, vierzig Geschichten erzählt daher Kan Zade um ihn zum Tode zu bringen, vierzig Andere die Vezire, denen es endlich auch gelingt, ihn zu erretten. Sonderbar in der Geschichte dieses Buches, und recht characteristisch bezeichnend den Fortgang der Bil- dung des Geschlechtes ist daher besonders die Erscheinung, daß während es in seiner ersten Form und selbst noch in seiner spätern griechischen Erscheinung das Buch der Könige war, und die Fürsten es als Vademecum brauchten und schätzten und liebten, es itzt zum Volks- buch geworden, in den untersten Ständen vor der Ver- gessenheit und dem Untergange sich gerettet hat. 23. Ergoͤtzlicher aber lehrreich und sittsamer auch zulaͤßiger Burgerlust, bestehend in sehr lustigen Begebenheiten, wohl possierlichen Historien, gar annehmlichen Gespraͤchen, und Erzaͤh- lungen: mit vielen merkwuͤrdigen Spruͤchen, neu uͤblichen Gedichten, scharfsinnigen Scherz- Fragen und Antworten. In drei Theile abgetheilt. Dedizirt allen eines melanko- lischen, langweiligen und unfroͤhlichen Gemuͤths behafften, wie dann auch den Aderlassern, Podagraͤmischen, oder auf was Weise die Patienten ihre Zeit hierdurch zu verkuͤrzen suchen. Aufs neue colligirt und beschrieben. Gedruckt in diesem Jahr. Nuͤrnb. Zuerst Anekdoten und kleine Erzählungen in der Manier des Rollwagenbüchlein, von denen Viele wohl auch schon lange Zeiten bei allen Nationen umgegangen sind, und niemal sterben wollen; dann allerlei Lehrstücke, vollständige Uebungen, gar scharfsinnige Sprüche in Versen, häufig aus dem Freydank und dem Renner, manchmal schlecht, oft treffend, manchmal recht brav; z. B. gleich die Wahrheitsklag: Der Gelehrten Wandel ist sehr ehrlich, Im Werk aber ist er spärlich, Sie thäten mich fangen und binden, Begießen mich mit schwarzer Dinten, In mein schneeweisses Angesicht, Daß ich mich kannte selbsten nicht. Sie auch mit Büchern mich schlagen, Und bey den Haaren umher zagen: Mich krazten sehr, allzeit krallten, Und zur Thür hinaus mich brallten. Der Spruch: Gut verloren, nichts verloren, Muth verloren, was verloren, Ehr verloren, viel verloren, Seel verloren, alles verloren. Endlich die Klag unsers Herren Jesu Christi über der Menschen Unglauben und Undankbarkeit: Gott unser Herr so zu uns spricht, Ich bin ewig, ihr sucht mich nicht, Ich bin allmächtig, ihr förcht mich nicht, Ich bin barmherzig, ihr traut mir nicht, Ich bin gerecht, ihr ehrt mich nicht, Ich bin der Weg, geht mich ihr nicht, Ich bin das Licht, ihr seht mich nicht, Ich bin weis, ihr folgt mir nicht, Ich bin das Leben, ihr begehrt mich nicht, Ich bin ein Lehrer, ihr fragt mich nicht, Ich bin schön, ihr liebt mich nicht, Ich bin edel, ihr dient mir nicht, Werdt ihr verdammt, verweißt mir’s nicht! 24. Neu vermehrtes Rathbuͤchlein mit allerhand welt- und geistlichen Fragen samt deren Beantwortungen. Coͤln und Nuͤrnberg. Das Rockenbuͤchlein heiß sonst ich Wer langweilig ist, der kauf mich, Er findet in mir viel kluger Lehr, Mit vexir, rathen und anders mehr. Ganz neu gedruckt. Räthsel unter Rubriken gebracht, über Gott, die Heiligen, die Vögel, Hunde, Handwerker, Tage, Menschen u. s. w., oft unbedeutend und albern, häufig aber auch witzig, treffend, und glücklich. Man führt eines der Räthsel an, worin es heißt: „Ich habe mehr Geld in meinem Seckel, als der Fugger“, zum Be- weise, daß es etwa um die Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts gesammelt worden sey. 25. Dritthalbhundert kurzweilige Fragen samt derer Antwort, womit man die melankolischen Muͤcken vertreiben, und die lange Zeit sehr kurz machen kann. Frankf. und Leipzig. Neue Auflage mit einiger Auswahl aus den ältern Räthselbüchern. 26. Der lustige Kirmesbruder, welcher durch listige Raͤnke auf den Kirmessen die Bauern und andere Personen unterhalten und vergnuͤgt gemacht hat. Nebst einem Anhange von Raͤthseln. Gedruckt zur Kirmeszeit, da sich jeder freut. Nuͤrnberg. Gemeine abgedroschene Spässe, pöbelhafte, zutäp- pische Schalkhaftigkeit, Plattheiten schlecht erzählt, ohne allen Werth. 27. Stechbuͤchlein fuͤr die Junggesellen. Frisch, froͤhlich und frumm, ist aller Juͤnglingen Reichthum, wer in der Liebe will gluͤcklich seyn, muß lieben Eine nur allein. Gedruckt in diesem Jahr, da es gut stechen war. Auf der Kehrseite des Buches: Stechbuͤchlein fuͤr die Jungfern. Jungfernlieb und Rosenblaͤt- ter, verkehrt sich wie Aprillenwetter, Unbe- 23. staͤndigkeit und Wankelmuth, thut in dem Lieben niemal gut. Gedruckt in diesem Jahr. Nuͤrnberg. Ein Witzturnier, Jungfern und Junggesellen ren- nen, ihre Speere sind kleine, spitze Epigramme, mit denen sie sich einander bügellos zu machen ringen, der Kampfrichter aber ist der Zufall. Das Buch enthält ein halb hundert solcher Epigrammen beiderlei Geschlechts; die Spielenden wählen blind Welche sich heraus, und das Ungefähr hat dann dem Ganzen seine Pointe und die allgemeine Lache zuzugeben. Der Witz in dem Buche ist Volkswitz, mit ganzem Leibe mögte er witzig seyn, und so kömmt auch der ganze Leib in’s Spiel. Der Inhalt mehr oder weniger glücklich, die Versisi- cation aber meist leicht und gewandt, und eine frühere Zeit verrathend. Junggesell . Du thust schon tragen einen Degen, Da du solltest das Häuslein fegen, Du thust dich stellen eben prächtig, Bist aber keinem Mägdlein mächtig, Laß dir nicht graußen grober Gesell, Daß man dich zu den Narren stell, Dann schau nur tapfer um dich her, Du findst deines Gleichen noch wohl mehr. Jungfer . Du bist eine lose Schwätzerin, Auf Knaben richtest deinen Sinn, Die aber deiner gar nicht wollen, Weil dir dein Bäuchlein ist geschwollen, Nicht genug ich mich verwundern kann, Daß du dich noch darfst sehen kahn. Hast gewiß dein Tag viel Böß verricht, Weil du keinem Menschen trauest nicht. 28. Der edle Finkenritter, mit dem tapfern Cavalier, Monsieur Hans Guck in die Welt, oder Historia von dem weit erfahrnen Ritter, Herrn Policarpen von Kirrlariffa, genann- ten Finkenritter, wie der dritthalbhundert Jahr, ehe er gebohren ward, viel Land durchwandert, seltsame Dinge gesehen, und zuletzt von seiner Mutter fuͤr todtliegend gefunden, aufgehoben, und erst von neuem gebohren worden. Item von seiner Hoch- zeit, eine satyrische doch lehrreiche Sache, wie sich jeder in den Ehestand schicken soll. Ferner Monsieur Gucks wohlgemeinte und fleißig gesammelte Scherzreden. Gedruckt in der jetzigen Welt. Nuͤrnberg. Eigner, origineller, schwebender, gestaltloser, phantastischer, prahlender, verlogener Witz; zusam- mengesetzt aus dem italienischen Burchiellesco und dem Boschereccio; oft erinnernd an Schelmufkys Ton, mit dem der Finkenritter gleichen Zweck und gleiche Anlage hat. Wie ein Irrwisch fährt der Ritter durch die Welt, hält genaues Diarium von dem was ihm begegnet, und kein Traum geht so frech mit der Wirklichkeit um, als dieser irrende Ritter, dem der Teufel vorn die Straße mit Bratwürsten pflastern, und hinter ihm wieder Alle auffressen muß; vor dem die Lügen schnell wie Pilze aus der Erde schießen, und nachdem sie ihn angelächelt, und er vorbeigesaust, wieder in die Erde sich verkriechen. In der fünften Tagreise heißt’s: „Wie ich mit einem Tuch, zu einem Winterrock also fortzog, so sehe ich einen schönen, weißen, dürren, grünen, langen, gewachsenen Rasen voll Gras, das wär meiner Mutter Kuh gut gewesen, ich hätte es auch gern abgehauen, aber ich hatte keine Sense; so bald begegnete mir Einer, der trug Sensen feil, ich sagte zu ihm: Landsmann wie giebst du mir Eine? Er sagte: „„Ich gebe dir eine um einen Juhey Juho mit lauter Stimme““. Ich schreie den rechten Ju, Juhey, Juho, so laut als ich’s erschreien mögte, daß Berg und Thal davon erschall, gleich als brüllten die Ameisen. Ein Esel gieng ungefähr hinter einer Hecken zu weiden, den hatte ich nicht gesehen, der sprang empor über den Graben, und lief darnach, schrie als Ja! Ja! Ja! vor Schrecken; ich entsetzte mich auch vor ihm, und meinte nicht anderst, denn daß er aller Hasen Mutter wäre; ich nahm von dem die Sense, zog auf den Rasen, und hieb hinein; da schlug ich mit der Sensen an einen Maulwurfhaufen, und in dem Streich hieb ich mir selbst den Kopf ab, der Kopf der lief den Rasen hinab, als gülte es ihm ein gut Gelag, oder zween Scheffel Bier; flugs lief ich ihm nach, stieß mich aber in solcher Eil an einen Ast, daß mir die Stirn blutet; so bald ich ihn erwischte, setzte ich ihn behend wieder auf, dieweil er noch warm war, und setzte das Hintertheil zu vörderst, das thät ich deshalben, wenn ich durch den Wald gieng, daß mich die Reisser nicht in die Augen schlugen, daß ich auch von hinten und vorn sehen kunte. In denen Dingen wollt ich ganz schnell heimlaufen, und lief geschwind wie ein Pfeil auf einen Heller, da stund bald ein starker Wind auf, wehet mir den Kopf wieder herab, jagte ihn weit von mir hinaus, ich sahe wohl, wo er lief, eilte ihm schier eine welsche Meil Wegs nach, bis ich ihn erwischte, da säuberte und putzte ich ihn, und band ihn mit rothen Nesseln auf, wohl zusammen- gebunden und verwahret, also wuchs er mir bald wieder, da war ich stolz, daß ich wieder sehen kunte“. Das kleine Werkchen 14 Blätter stark, ohne Zweifel die Geburt weniger Augenblicke eines Geistes, der in dieser Sternschnuppe sich reinigte, datirt sich wahrscheinlich aus den Zeiten des dreissigjährigen Krieges her, wo der Hang zum Prahlen und Lügen epidemisch in Teutsch- land grassirt haben mag, daß man den Witz dieser Influenza entgegensetzen zu müssen glaubte. Der Hans Guck in die Welt ist fremdartiger Zusatz, eine schlechte poetische Epistel, und dann 400 zeitkürzende Scherzreden; Gassenhauer, aber darum nichtsdestowe- niger meist recht witzig erfunden, spöttisch und scharf. 29. Das lustige und laͤcherliche Lalenbuch, das ist: wunderseltsame, abentheuerliche, unerhoͤrte, und bisher unbeschriebene Geschichten und Thaten der Lalen zu Lalenburg in Misno- potamien hinter Utopia gelegen. Durch M. Aleph, Beth, Gimel, der Vestung Ypsilon- burger Ammtmann. Letzterer Druck, so mit Figuren vermehret ist. Genauer Abdruck einer ältern Schrift unter dem Titel: Die Schiltbuͤrger, wunderseltsame u. s. w. itzundt also frisch, manniglichen zu ehrlicher Zeitver- kuͤrzung aus unbekannten Authoren zusammen- getragen, und aus utopischer auch Rothwelscher in teutsche Sprache gesetzt, Durch u. s. w. Die Buchstaben so zu viel sindt Nimb aus, wirf sie hinweg geschwindt Und was dir bleibt, setz recht zusammen, So hastu des Authors Namen. Gedruckt in Verlegung des Authors der Festung Misnopotamia 1598. Sieben Jahre nachher erschien: Grillenvertreiber, das ist: Neuwe, wunderbar- liche Historien, selzame abentheuerliche Ge- schichten, kauderwelsche Rathschlaͤge und Bedenken, so wohl von den witzenburgischen als auch calecutschen Commissarien und Parlamentsherren unterschiedlich vorgenom- men, beschlossen und ins Werk gesetzt. Erstlich in zwei Buͤcher verfaßt, an Tag geben durch Conradum Agyrtam von Belle- mont. Francfurt am Mayn. Das erste Buch dieser neuen Ausgabe ist beinahe ganz mit dem Vorigen und dem Volksbuche eins, nur im Einzelnen mehr gereinigt für die feinere Gesellschaft. So fehlen dort die Zotenräthsel, die die Bauern vor dem Kaiser sich aufgeben, an deren Stelle singen sie hier Lieder: dagegen ist hinzugekommen der ganze Pro- zeß der beiden Witzenbürger, die sich geschlagen hatten, und einige andere Schwänke. Die Vorrede der vorigen Ausgabe findet ferner sich hier in ein zweites Buch verarbeitet, worin im Ganzen der Witz nicht schlech- terer Art als im Ersten ist. Ein später hinzugekommenes drittes Buch ist aber ganz elend, und ohne Zweifel nicht von dem nämlichen Verfasser. Das Ganze ist unendlich meisterhaft und vollendet in seiner Art, wie der Don Quixotte des Cervantes, immer in gleich trefflicher Haltung fortschwebend, und in dieser Haltung mit wahrer Virtuosität durch- geführt, was gerade bei comischen Werken am häufig- sten fehlt. Der Witz, der durch das Werk durchschillert, ist köstliche, treffende Ironie, die unmittelbar in den Kaiser von Utopia sich eingestaltet hat, und nun das seltsame, wunderliche, ungeschickte Volk in seiner ganzen Objectivität sich entwickeln läßt. Die seltsame, aberwitzige Klugheit, in der die Schildbürger characte- risirt erscheinen, ist durchaus reiner, höher, gediegener als der Volkscharacter im Eulenspiegel; Jener bewegt sich in minder engen Schranken, und zeigt daher nicht die Monotonie wie Dieser, sondern entwickelt sich in bunter Fülle immer sich gleich bleibend, und doch in den mannigfaltigsten Lichtern spielend und wechselnd. Selten strift er an die Zote, ob er gleich dem derben Geist der Zeit entsprechend, sie auf keine Weiße scheut, öfter erhebt er beinahe sich zum Humor. Der Schwank mit dem Salzsäen, der ganze Imbiß des Kaisers bey 24. den Witzenbürgern und seine frühere Bewillkommnung, die Hochzeit, die der Sauhirt seinem Sohne ausrichtet, das Verstecken der Glocken im See, das Abentheuer mit dem Krebse und dem Maushund in dem ersten Buche, dann das Lochausgraben, die Reise der drei Abgesandten nach Witzenburg, so wie die ganze Ver- handlung über das fehlende Rad und den Deichsel, und des Schlottfegers Expedition, um sie in der Stadt zu holen, im Zweiten, gehören zum Trefflichsten, was Witz und Ironie irgend producirten. Dabei ist Alles in einem und demselben Geist empfangen, und daher wie in einem Guß gegossen, selten nur verliert sich der reiche Fluß in allgemeine leere Weitschweisigkeit. Es ist erfreulich, daß das meisterhafte Werk, das die höhere Literatur unverdient der Vergessenheit überge- hen, sich darum nicht hat umbringen lassen, sondern fort- dauernd unter dem Volke sich erhalten hat, und wenn es auch dort als Ganzes wieder zu verlieren sich an- fängt, doch in die Masse eingedrungen in der Tradition fortlebt. Was Tiek in seinen Schildbürgern wieder in die höheren Kreise zurückgeführt hat, ist nur der kleinste Theil des Ganzen, weil er wahrscheinlich das vollständige Werk nicht kannte, überdem ist auch die neuere Sprache nicht so dem Geiste des Werks zusprechend, wie die Alte, sorglose, breite, treuherzige, in der es geschrieben ist, und in der es sich daher weit besser liest. Es wäre wohlgethan, wenn irgend jemand das ganze Werk mit wenigen leichten Veränderungen in seiner ursprünglichen Form und in der alten Sprache herausgeben wollte; es würde gewiß den allgemeinen Beifall wieder gewinnen, den es zugleich als einer der ältesten teutschen komischen Romane verdient. Es mögte leicht übrigens zum Theil aus einem der früheren sogenannten Narren- bücher ausgegangen seyn. 30. Des sogenannten Clausnarrens weyland churf. saͤchsischen gewesenen Hofnarren u. s. w. lustergoͤtzende Historia, darinnen seine Ge- burt, Leben, Wandel und Tod auch kurz- weilige Scherzreden beschrieben, und in unterschiedliche Theile auf’s kuͤrzeste gefaßt sind. Gedruckt in diesem Jahr. Nuͤrnberg. Der Charakter dieses Rarren ist angenommene Einfalt, häufig nicht eben ungeschickte kindische Naivität, freimüthige oft plumpe und unverschämte Wahrhaf- tigkeit, mitunter Tücke und einige äffische Bosheit, besonders wenn er gereizt war; sonst im Ganzen gut- müthiges Hinschlendern in der Narrenkappe durch die Welt. Diese Physiognomie haben denn auch durchaus die hier erzählten Schwänke, häufig unbedeutend, leer und ungelenk, oft aber auch glücklich, bedeutend, treffend und belustigend; das Buch daher zusagend dem Zwecke, für den es unter das Volk verbreitet wurde. Eine komische Wirkung wird besonders auch dadurch hervorgebracht, daß der Herausgeber häufig mit lateinischen, oft corrumpirten Anmerkungen und Erläuterungen, besonders bei etwas obscönen Stellen, dazwischen fährt. 31. Der visirliche Marcolphus, bestehend in einem abentheuerlichen Gespraͤch zwischen dem Koͤnig Salomon und diesem unberichtsamen und groben Menschen. Ganz neu gedruckt. Abdruck eines ältern Buches: Frag und Antwort Koͤnig Salomonis und Marcolphi, wahrscheinlich um 1569 gedruckt in Nürnberg bei W. Newber. Mit recht guten passenden Holzschnitten im Kartenblätterstyle geziert, die dem Volksbuch, das eine nicht völlig getreue, oft sehr verstümmelte Ueber- setzung ist, fehlen. Marcolph, der Vorgänger Eulen- spiegels, nur in einer noch tiefern Potenz, erscheint als ein garstiger, unflätiger Lumpenhund, von dem das Original sagt, wie folgt: „Und die Person Mar- colphi was kurz, dick und grob, und hat ein groß Haupt, und eine preite Stirn, rot gerunzelte harige Ohren, hangende Wangen, groß fließente Augen, der unter Lebs als ein Kalbslebs, ein stinkenden Bart, als ein Bock, plochet Hend, kurz finger und dicke füß, ein spitzige hogerte Nasen und groß Lebsen, ein eselisch augesicht, Har als ein Igel, groß bewrisch Schuch, und ein Schwert um sich gegürt, mit einer zerrissenen Scheiden, seine Kappen was mit Haar geflochten und gezierer mit einem hirschen Gehürn, sein Kleid hat eine schnöde Farb, und war von schnödem Tuch, sein rock ging im bis auf die Scham, und zerrissen Hosen“ u. s. w. Er und seine gleich plastisch bildschöne Frau stehen vor Salomons Thron, alle drei theilen sich einander ihr Geschlechtsregister mit, dann entspinnt sich ein Dialog, in dem Salomon alle seine weisen Sprüche der Neihe nach auslegt, die Marcolph dann aus dem Stegreife parodirt, so daß der weisse König oben majestätisch mit Kron und Zepter in der Sonne auf und niedergeht, während sein Schatten seitwärts in die Pfütze fällt, und dort alle stolze Haltung verliert. Das ganze Gespräch errinnert übrigens auffallend an ein Aehnliches in dem indischen Calilah und Dimnah, Jenes nämlich, das der König mit Billero da beginnt, wo er ihm den Tod der Königin vorwirft. Da heißt’s z. B. „Der König sprach, du soltest schweigen, bis mir der Zorn vergieng. Antwort Billero: drei Ding schweigen, bis Einem der Zorn vergeht: Die Schlang in der Hand ihres Beschwörers, und der Nachts Fische fahen will, und der da hohe Ding betrachtet. Der König sprach, du hast Helebat versaumet, daß du ihr Gerechtigkeit nit hast an den Tag gelegt. Billero antwort: zwey Ding sind, der Gerechtigkeit versaumt wird ohne Schuld: Der ein seiden Kleid anthut und barfuß geht, und der ein Jungfrau zu der Ehe nimmt, und darnach sie wieder von ihm thut, und über ein lange Zeit sie wieder zu ihm nimpt. Der König sprach, jetzt ist mein Feindschaft wider dich in meinem Herzen gewachsen: antwort Billero Es seynd acht Dinge die gegeneinander Feindschaft tragen, der Wolf und der Bauer, die Katz und die Maus, der Habbich und die Taube, der Rabe und die Kröte“, und so fort immer in diesem Tone mehrere Quartseiten hindurch, gerade wie bei Marcolph. Tiefer im Buche ist Marcolph in seiner Wohnung; im Holzschnitte ist König Salomon in seine Thüre eingeritten, und sein Esel sieht halb innen und halb aussen, in dieser Stellung legt er ihm spitzfündige Räthsel vor, die der König ihm nicht lösen kann; er kömmt dann wieder an Hof mit einem Topfe Milch, dem König zum Geschenk bestimmt, den er aber mit einem Kuhfladen bedeckt, statt des Eierkuchen, den er gegessen hat. Er muß dann über Racht mit Salomon wachen, auf den Schlaf ist ihm der Tod gesetzt, er rettet sich aber jedesmal mit Schwänken wieder. Am Morgen hetzt er die Weiber zum allge- meinen Auflauf an, eine Posse, die vorzüglich gut angelegt und gehalten ist; wird vom Hofe gejagt, verleitet dann den König zu einer Jagd, die mit einer Szene von derber Obscönität sich endigt. Er wird darüber zum Tode verdammt, rettet sich aber wieder dadurch, daß er sich die Gnade vorbehält, den Baum auszuwählen, an den er gehangen werden soll, wo er sich dann durch ganz Canann führen läßt, ohne daß ihm einer zu dem Geschäfte anständig wäre. Das Buch ist eine kecke, freie, lebendige, barocke Zote, gleichsam eine Ascaride der Poesie, bei der die Moral doch eben nicht alsogleich sich aufmachen darf, um sie mit Wermuth und Knoblauch abzutreiben. Der Goldkäfer, wenn er wohl auch im Aase und im Miste sich betreten läßt, ist immer doch ein nettes Thier. Auch dies Werk reicht tief in die früheren Jahrhun- derte hinab; aus der Stelle, die Eschenburg in seinen Denkmälern teutscher Dichtkunst aus dem Gu- lielmus Tyrius Historia rerum in partibus trans- marinis gestarum und dem Freydank beigebracht, geht hervor, daß sein Ursprung noch hinter dem zwölf- ten Jahrhundert liegt, und daß es damals schon als Volkstradition umgegangen sey. So sagt nämlich der Erzbischoff von Cypern von ihm: Et hic fortasse est, quem fabulose popularium narrationes Marcolfum vocant, de quo dicitur, quod Salomonis solvebat aenigmata, et ei respondebat aequipollenter ite- rum solvenda proponens. Wahrscheinlich ist das Buch daher neugriechischen Ursprungs, und mit dem Dolopathos etwa von gleichem Alter. Es ist übrigens in den früheren Zeiten in mannigfaltig verschiednen Ausgaben in teutscher und lateinischer Sprache erschie- nen; die Aelteste 1487. 4. Nürnberg und 1490. 4. Augsburg teutsch, lateinisch 1485 und 88. Die ältern Ausgaben enthalten dabei außer dem zum Volksbuche gewordnen Theil noch einen Andern, in dem Morolf als Bruder Salomons erscheint, und nun für ihn mancherlei Abentheuer in den verschiedensten Verklei- dungen mit dem Pharao von Aegypten, dem Könige Cyprian, Ysolt u. s. w. um die entführte Salome, Salomons Gemahlin, besteht, und überall die Rolle eines gewandten, listigen, verschlagenen Menschen, aber keineswegs die des eigentlichen Marcolphs spielt. Dieser ist übrigens unter Allen vorzüglich die Lust und der Liebling der Italiäner, die durch drei Generationen, Vater, Sohn und Enkel den Schwank hindurch ge- trieben haben. Astuzie sottilissime di Bertoldo dove si scorge un villano accorto e sagace, il quale dopo vary et strani accidenti, alla fine per il suo raro ed acuto ingegno vien fatt’ uomo di corte, e regio consi- gliero con l’aggiunta del suo Testamento; ed altri detti sententiosi. Opera di giulio cesare della croce in Lucca, per S. et G. D. Marescandoli. Dann: Le Piacevoli e ridicolose semplicita di Ber- toldino figliulo dell’ astuto ed accorto Bertoldo, con le sottili ed argute risposte della Marcolfa 25. sua madre, e moglie di esse Bertoldo, opera piena di moralita, e di spasso di giulio cesare Croce. In Lucca \&c. Endlich: Novella di cacasenno figlio del simplici Ber- toldino, divisa in diversi Ragionamenti, opera onesta, e di spassevole rattenimento. Nuova- mente aggiunta al Bertoldino del Croce. Dal sig. Camillo Scaliggeri dalla Fratta. In jenem ersten Bertoldo, als dessen Verfasser sich 22 Akademiker ankündigen, erscheint er zwar noch von Person beinahe eben so unflätig, wie im Teutschen, aber sonst durchhin reiner, gewitzigter, verschlagener, etwa wie jener Morolf. Das ganze Buch ist daher durchaus feiner, höflicher; alle Zoten sind wegpurgirt; um religiöses Aergerniß zu vermeiden, tritt an die Stelle von König Salomon ein König Alboin aus der Lombardey; der Anfangsdialog ist beinahe ganz weggeschnitten und in ein honettes halbweg witziges Wechselgespräch verwandelt, und statt dessen, was sich keineswegs säuberlich geben lassen wollte, sind andere oft recht witzige Spässe eingelegt. Auch eine unsäglich verwässerte Uebersetzung ist von dem Ber- toldo Fraucfurt 1751 erschienen. Die beiden letztern Schriften aber sind von geringerem Werth und neueres Anhängsel. 32. Der wiedererstandene Eulenspiegel, das ist wun- derbare doch seltsame Historien Tyll Eulen- spiegels, eines Bauern Sohn, gebuͤrtig aus dem Land zu Braunschweig, aus saͤch- sischer Sprache auf gut hochdeutsch ver- dollmetscht, und jetzt wieder aufs Neue mit etlichen Figuren vermehrt und verbessert, sehr kurzweilig zu lesen, samt einer lustigen Zugabe. Jezund abermal ganz frisch gesot- ten und recht neu gebacken. Coͤln und Nuͤrnberg. Aechter, vierschrötiger, gediegener Bauernwitz; ein Kapital von Spaß und Scherz, das immerfort in der Nationalbank stehen bleibt, aus der dann jede Ge- neration ihre Interessen zieht; eine wahre Hauspostille des Spaßhaften, die den Seelenjubel, und die Freude und die laute Lache im Volke nie versiegen läßt. Das Ganze deutet durch seine rhapsodische Form durchgängig auf ein successives Entstehen in verschiednen Zeiten, und ein Erzeugniß einer ganzen Classe, die es als Denk- mal eines nationellen innern Uebermuthes und freudigen Muthwillens nach und nach wie einen Scherbenberg zusammentrug, den nun irgend ein Einzelner vollends ordnete. Was ihm daher die allgemeine Haltung giebt, ist durchaus das immer sich gleichbleibende Gepräge der untern Volksklasse, in der es ursprünglich entstanden war, das man in allen seinen charakteristischen Merk- malen hier wieder findet, bis auf die Ader von boshaf- ter Tücke hin, die durch den ganzen Charakter Eulen- spiegels durchläuft, und die man als den teutschen Bauern eigen allgemein anerkennt. Daher das Mas- sive, Ungeschlachte, für die höheren Stände Unflätige des Witzes, der nur gar zu gern in körperliche Effluvien sich ergießt, obgleich niemal in das eigentlich Obscöne sich verliert. Allein wenn man das anstößig finden wollte, dann bedenke man doch, daß der Scherz des Aristophanes durchgängig von nicht viel mehr sublimirter Art erscheint, und daß das ganze atheniensische Publi- kum keinen Anstand nahm, von den Götterbildern zu der Bühne hinzueilen, und dort an den bizarren Nuditäten des Dichters sich zu ergötzen. Gerade weil unser eeinseitige Cultur uns nach und nach auf eine alberne Ziererey hingetrieben hat, die die Ratur verläugnen will, und sich der Wohlthaten schämt, die sie von ihr empfängt, weil sich alles gerade eben nicht mit eleganter Sauber- keit abthun läßt; für diese ist eben Eulenspiegel eine sehr gute Gegenwucht, und eine ironirende Apostrophe der Verachteten an die Hoffärtigen, die gegen sie fremd und vornehm thun, damit sie sich errinneren, daß sie auch aus Fleisch und Bein gemacht sind, und der Erde angehören. Nicht immer aber verweilt auch der Witz des Buches auf jener untern Stufe, er erhebt sich auch häufig genug in die höhere Sphäre des reinen Scherzes, und der Schwank mit dem Bienenkorbe, mit den zwölf Blinden, denen E. zwölf Gulden giebt, der mit dem Schneiderconvent, mit den Schneiderge- sellen auf dem Laden, mit den Hünern der Bäuerin, der er den Hahn zum Pfande läßt, der mit dem Esel, dem er Hafer zwischen die Blätter eines Buches streut, um ihn lesen zu lehren, sind ehrbar, und von gutem Sterlingswitz. Im ganzen Eulenspiegel erscheint der landstreichende Witz personificirt dargestellt, bei allen Ständen und Gewerben wandelt er umher, und indem er durchaus den Ernst ironisch beim Worte nimmt, geht daraus immer ein verkehrtes Thun, und in ihm der Spaß hervor. So treibt er sich durch alle Classen herum, selbst bei den Fürsten, aber nur auf eine kurze Weile; er will keines einzelnen Menschen seyn, sondern er ist allein Schalk auf seine eigne Faust, und daher der eigentliche wahre Volksnarr, im Gegensatz der früher allgemein üblichen Hofnarren. Als solcher ist er daher auch auf unsere Zeit gekommen, und während die Fürsten die Stelle längst als überflüßig erkannt haben, ist das Volk keineswegs derselben Meinung ge- wesen, und hat sich seinen plebeyischen Tribun in der Schellenkappe nicht nehmen lassen, und man würde im höchsten Grade Unrecht thun, wenn man von dieser Seite irgend gewaltsam störend eingreifen wollte. Man wolle doch nicht die einzige kleine Kapelle ein- reissen, die der Scherz noch in der großen Menge hat! Der Eulenspiegel erschien zuerst um 1483 im Plattteutschen, obgleich diese erste Ausgabe sich nicht erhalten zu haben scheint. Als die älteste bekannte Ausgabe führt Koch die Augsburger in 4. von 1540 in der Wolfenbüttler Bibliothek auf. Der Franzis- kaner Thomas Murner, der zur Zeit der Reformation seine Rolle spielte, soll ihn zuerst ins Hochteutsche über- setzt herausgegeben haben. Die vollständige alte Straß- burger Quartausgabe von 1543 schied sich bald mit Teutschland in einen protestantischen und einen katho- lischen Eulenspiegel, wovon jener, ehrbarer, die stärk- sten Zoten strich, dafür aber nebst den 92 gewöhnlichen Schwänken noch zehn Andere über Papst und Pfaffen- abentheuer enthält. Er wurde, wie v. Murr angiebt, bald in zwei verschiednen Uebersetzungen in lateinische Jamben gebracht, und schon 1559 ins Französische, und später auch in andere Sprachen übertragen. Auch die Holländer haben ihn in ihre Sprache aufgenommen, und er erschien 1613, Rotterdam bei S. v. der Hoeven, unter dem Titel: Historie van Thyl Ulenspieghel van syn schalcke Boeverijen, die im bedreven heeft see ghe noech lije, met schoone Figuren. Wer ihn aber am liebsten gewonnen hat, das scheinen die Bauern der innern Schweiz zu seyn, jene kräftigen mannhaften Bergbewohner, in denen das Fleisch so mächtig vorwiegt, und der Geist nur gerade eben noch wie jener Witz, der in dem Buche herrscht, über dem straffen Muskel steht, die daher selbst gleichsam Zoten, im guten Sinne des Wortes, sind, die die Natur gerissen hat. Von Eulenspiegel selbst sagt man, daß er um 1350 gestorben sey, und zu Möllen bei Lübeck wird sein Grab unter der Linde gezeigt, mit der Eule und dem Spiegel in den Stein eingehauen. Dies Symbol, und sein allegorischer Name deuten eben auf seine Unpersönlichkeit, und die Eule, die er zum Embleme führt, ist durchaus physiognomisch richtig zur Bezeichnung seines Charakters, bösartig, katzenmäßig, schadenfroh, fratzenhaft, glühaugig, diebskniffig ge- wählt. 33. Der immer in der Welt wandernde Jude, das ist: Bericht von einem Juden aus Jerusa- lem, mit Namen Ahasverus, welcher vor- giebt, er sey bey der Kreutzigung Christi gewesen, und bisher durch die Allmacht Gottes beym Leben erhalten worden. Wie auch ein Bericht von den zwoͤlf juͤdischen Staͤmmen, was ein jeder Stamm dem Herrn Christo zur Schmach angethan, und was sie dafuͤr leiden muͤssen. Coͤln am Rhein und Nuͤrnberg. Abdruck einer Schrift, die unter dem Titel er- schienen ist: Gruͤndliche und wahrhaftige Relation, so hiebe- vor auch franzoͤsisch, lateinisch und nieder- laͤndisch ausgegangen, von einem Juden Namens Ahasvero von Jerusalem, der von der Zeit des gecreuzigten Herrn J. C. durch sonderbare Schickung zu einem lebendigen Zeugniß herumgehen muß. Durch Chryso- stomum Dudulaeum Westphalum. 1634. Im Jahr 1547 erschien in der Gegend von Ham- burg ein Mensch baarfuß, in zerrissenem Unterkleid, einem umgürteten Leibrock, welcher ihm bisauf die Knie gangen, und einem Mantel, der bis auf die Füße reichte, etwa fünfzig Jahr alt schien, und sich nun für einen Zeitgenossen von Christus ausgab; erzählte, er sey ein Schuhmacher von Jerusalem gewesen, und wie Christus mit dem Kreutze an seinem Hause vor- beigekommen, habe er dort ruhen wollen, er habe ihn aber weggetrieben; darauf habe Christus gesprochen: „Ich will allhie stehen und ruhen, aber du sollt gehen bis an den jüngsten Tag“; — er habe sich dann auf- gemacht, und wandre nun bis zu diesem Augenblick. Er erzählte dabei aus der Geschichte, was Alles sich seit jener Zeit begeben, und lebte übrigens frugal und 26. eingezogen. Früher schon, im dreizehnten Jahrhundert, hatte ein gleicher Wundermann sich sehen lassen, von dem M. Paris in seiner Geschichte erzählt, und den er dort Cartaphilus nennt (Koch). Um dieselbe Zeit, wie in Hamburg, sollte er auch in Engelland, Spanien, Frankreich, Italien, Ungarn, Persien, Pohlen, Schwe- den zum Vorschein gekommen seyn, so daß er eine eigne Literatur gewann, und sogar 1693 eine Inau- guraldisputation über ihn geschrieben wurde: Disser- tatio historica de Judaeo non mortali, quam adju- vante Deo immortali \&c. certaminis publ. argum. f. Praes. Schulz. Regiom. Pruss, respondens Martin Schmied Slavio Pomer. a. D. 26. Jan. Ann. 1689, der eine Spätere folgte: Diss. in qua le- pidam fabulam de Judaeo immortali examinat Car. Antonius, Helmist 1760. 4., in denen die ver- schiedenen Zeugnisse für und gegen das Factum gesam- melt werden, das Widersprechende in Jenen gezeigt, und das Ganze dann als leere Erdichtung verworfen wird. Was jene zuerst angeführte Schrift enthält, wird denn auch in dem Volksbuche zunächst erzählt; weiterhin folgt eine langweilige Errinnerung an den christlichen Leser von diesem Juden. Sonst noch enthält das Buch einen aberwitzigen Bericht von den zwölf jüdischen Stämmen, welches ein hochberühmter Medicus, der Anfangs ein gebohrner Jud gewesen, in Mantua seinen neuen Glaubensgenossen aufgebunden hat. Das Kostbarste aber, das gleichfalls in jener Schrift enthalten ist, hat der Herausgeber des Volksbuchs doch aufzunehmen sich gescheut, nämlich eine glaubwürdige, vidimirte Copie des Urtheils, was Pontius Pilatus über Christus gefällt, mit allen Motiven und Bewegungsgründen, unterzeich- net durch Räthe und Beamten des großen Raths der Juden, und die Notarii der öffentlichen, peinlichen Justici, angeblich gefunden in der Stadt Aquila in einem Felsen von Marmelstein. Im Ganzen ist nur die Idee poetisch-brauchbar und auch von A. W. Schlegel in seiner Romanze trefflich benutzt, das Geschreibe selbst aber ohne allen Werth und Zweck. 34. Romanusbuͤchlein, vor Gott der Herr bewahre meine Seele, meinen Aus- und Eingang, von nun an bis in alle Ewigkeit, Amen, Hal- leluja. Gedruckt zu Venedig. Von allen Weltgegenden her zusammengetrommel- ter Unsinn in Beschwörungen, Zaubersprüchen und Besprechungen sich ergießend. Es ist ein wunderbar- liches Vertrauen, was die Menschen so lange hin in die Macht des Wortes über die Elemente und das Geisterreich gesetzt. Sie sahen, wie sie mimisch in den untern Organen ihres Leibes die Materie bemeistern konnten; sie schlossen, daß sie durch das höhere Organ gleichfalls wohl das Höhere bändigen mögten. Aber sie vergaßen, daß das Geisterreich das Reich der Freiheit im Guten und im Bösen sey; daß sie die Ele- mente durch ihre Willkühr dadurch körperlich nur be- herrschen, daß sie ihre Kraft gleichsam eintreten lassen in die allgemeine Naturkraft, und durch sie und in ihr nun die Körperwelt bestegen; daß aber das Wort un- mächtig abprallt von jenen Regionen, in denen die Naturkraft nicht mehr gebieten mag, und daß die Geister hoͤherer Ordnung mehr noch der Beschwörung spotten, als der Mensch, und allenfalls nur das Thier sich ihr ge- horchend fügt. Was dumpfe, trübe, übermüthige Be- schränktheit vergangener Zeiten in diesem Felde ausge- brütet, das hat das vorliegende kleine Buch in Eins gesammelt, und der Unsinn ist häufig darin so weit getrieben, daß er als Ironie erscheint, und es den An- schein gewinnt, als wolle der Sammler sich über sein Publikum mockiren. So in dem Spruche gegen die Mundfäule: „Job zog über das Land, der hat den Stab in seiner Hand, da begegnete ihm Gott der Herr, und sprach zu ihm: „„Job, warum trauerst du so sehr““? Er sprach: „„Ach Gott, warum soll ich nicht trauern? Mein Schlund und mein Mund will mir abfaulen““. Da sprach Gott zu Job: „„Dort in jenem Thall, da fließt ein Brunnen, der heilet dir N. N. deinen Schlund und deinen Mund, im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes, und des heiligen Geistes! Amen! Oder gegen das Feuer: Schreibe folgende Buchstaben auf jede Seite eines Tellers, und wirf ihn in das Feuer, sogleich wird es geduldig auslöschen: S. A. T. O. R. A. R. E. P. O. T. E. N. E. T. O. P. E. R. A. R. O. T. A. S. Ein andermal gewinnt das Wort in der seltsamen Fügung und Ideenverbindung einen eigenen, dunkel- schauerlichen, gespenstermäßigen, wahnsinnigen Anstrich, wie in einen Hexenkreis um Mitternacht hineingesprochen, um die Werke der Finsterniß zu vernichten. So z. B. „Gottes Gnad und Barmherzigkeit, die gehe über mich N. N., jetzo will ich ausreiten oder ausgehen, ich will mich umgürten, ich will mich umbinden mit einem sicheren Ring, wills Gott der himmlische Vater, der wolle mich bewahren, mein Fleisch und Blut, alle meine Aederlein und Glieder auf dem heutigen Tag und Nacht, wie ichs vor mir hab, und wie viel Feind meiner waren, sollen sie verstummen, und alle werden wie ein schneeweißer, todter Mann, daß mich keiner schießen, hauen, noch werfen kann, noch überwinden mag, er habe gleich Büchsen oder Stahl in seiner Hand, von allerlei Metall, wie alle böse Wehr und Waffen seyn genannt, meine Büchse soll abgehen, wie der Blitz vom Himmel, und mein Säbel soll hauen, wie ein Scheermesser. Da gieng unsere liebe Frau auf einen sehr hohen Berg; sie sah hinab in ein sehr finsteres Thal, und ihr liebes Kind unter den Juden stehen, so herb, so herb, daß er gefangen, so herb, daß er gebunden so hart, das behüte mich der liebe Herr Jesus Christ, vor Allem was mir schädlich ist, Amen“. Dann folgt wieder einmal gegen den Husten: „Nimm Wachholderbeeren, Zuckerbrod und Wermuth, koche es untereinander, und thue es warm über den Magen. Das Buch wäre wohl, wo es häufig umgeht, allen- falls Gegenstand der Polizei, wenn Diese nicht lieber der Zeit den Unsinn überlassen will, daß sie ihn verzehre. 35. Des durch die ganze Welt berufenen Erzschwarz- kuͤnstlers und Zauberers D. J. Fausts mit dem Teufel aufgerichtetes Buͤndniß, aben- theuerlicher Lebenswandel, und mit Schrek- ken genommenes Ende. Coͤln am Rhein und Nuͤrnberg. Daß Satans Reich groß und mächtig auf Erden sey, hatte man frühe schon verstanden. Was oben am dunkeln Himmel glänzte, blinkte, strahlte, das war den Menschen wohl befreundet und ehrwürdig, aber nicht grauenvoll, schreckhaft: was aber der Erde dunkler Schooß verbarg, was im Erdbeben ihn durchzuckte, was aus geborstenen Rissen dunstig, schwefelflammig, Seuchen-verbreitend sich ergoß, das war ihnen unheim- lich, verdächtig, grausenhaft; da schien ihnen kein Stern herauf, finsterer und immer finsterer wurde die Finsterniß, je tiefer sich die Phantasie in den Abgrund hinabversenkte, bis endlich die Geschreckte selbst erstarrte, und unten ganz unten die Nacht in schwarzen Klumpen gerann; und in dem Abgrund, den nimmer des fernen Himmels Morgenroth erreichte, da brannte der Hölle Pfuhl, da lag der alte Lindwurm mit allen Erdenübeln und schlief, so lange der Sonne Licht der Erde Oberfläche bescheint, und die Gemeinde gottselig fromm vor den Altären kniet; wenn aber die Nacht die Erde nicht mehr mit Himmelslichte tränkt, wenn der Kerzen Schein am Altar erlischt, wenn der Hölle Reich dann weiter wird und freier, wenn die Lebenden schlafen, die Todten aber wachen und wandeln: dann sendet der grimme Wurm die junge Brut hinaus auf Raub und Nahrung, und durch die Lüfte streift dann das Gezücht, und Die Werke der Finsterniß treiben, die treten dann auf den Kreutzwegen in ihren Zauberkreisen mit ihnen in Verkehr, und die ungethümen Kinder der Lüge helfen ihnen Unheil und Böses schaffen. Denn die Fürsten des Himmels, hat man geschlossen, die Sterne, sind an der Astrologen Kreise festgebunden; der Menschen Geist vermag so gleicher Weiße durch nigro- mantischen Zauber die Fürsten der Finsterniß in gleiche Kreise einzubannen, daß sie ihm Rede stehen, daß sie die arge aber übermenschliche Kraft zu seinem Dienst verwenden, daß sie die Geheimnisse und die Schätze der dunkeln Nacht ihm öffnen, daß sie die Naturkräfte ihm dienstbar machen, und ihn durch ihre Macht zum Erdenfürsten erheben, dafür daß er sich selbst und den irdischen Leib ihnen erb- und eigenthümlich verschreibt. Das ist daher das Wesen der Magie, ein furchtbarer Bann, der hinunter in der Erde Abgrund reicht, und wenn des Menschen Thun die Schranken des Irdischen verläßt, wenn er in seinem Treiben sich in sich selber scheidet, und himmelan die Flamme der frommen Gottseligkeit schlägt, und endliche Menschen zu Heiligen des Himmels sich verklären, dann muß in der Scheid- ung der Gegensatz nothwendig sich ebenfalls mit her- vordrängen: während die einfältige, schuldlose Gottes- furcht in stiller Hingebung des Himmels Reich gewinnt, muß der kecke, übermüthige Trotz der Hölle Pforten stürmen, dort wird irdische Mühseligkeit mit himmlischer Glorie dann vergolten, hier irdische Wohlfahrt mit ewiger Höllenqual gebüßt. Daher ist die Magie mit ihrer ganzen Encyclopädie der Goetie, Necromantie, Necyomantie, Anthropomantie, Leconomantie, Gastro- mantie, Captromantie, Onomantie, Hydromantie, Geomantie, Pyromantie, Capnomantie, Ichtiomantie, Tephramantie, mit allen ihren Künsten und Zauber- formeln und Beschwörungen, mit ihren Kreisen und Sprüchen durchaus ein descendenter religiöser Cultus; gottlos schwört das Menschenkind den Himmel ab, und mildthätig nimmt die Hölle ihn dafür zum Heiligen auf. Das war der consequente Volksglauben der Zeit, die in religiöser Genialität so viele Selige dem Himmel- 27. reiche eingebohren hat; er hat auch diesen Faust geboh- ren, der zwar als ein Produkt der jüngeren Zeit erscheint, von dem aber die Propheten der vergangenen Alter wie von einem noch kommenden geweissagt hatten. Eben so ist haupts ächlich auch von ihm, als die religiöse Genialität in eine Poetische sich verlor, jenes neue un- endliche Object der Kunst ausgegangen, an dem sie in den neueren Zeiten so vielfältig sich versucht, die Darstellung des Teufels nämlich. Das Zerrissene, Grundböse in plastischen Umrissen, also in Harmonie darzustellen; das durch seine innere falsche Natur im- merfort Verzerrte zur Ordnung und Einheit zusammen- zuzwingen; das Mißverhältniß selbst in Verhältnisse einzuschließen, und der absoluten Verlogenheit doch eine Kunstwahrheit zu leihen: das ist die schwer zu lösende Aufgabe, gleichsam als ob man fressendes Gift bereiten sollte in einem Becher, der seine Berührung scheut, und davon in Stücke zerspringt. Durchaus fällt daher das Problem jenseits der Gränzen der eigentlichen Kunstschönheit hinaus, gerade der negative Gegensatz alles Schönen muß sich in ihm bilden, und ein vol- lendeter Teufel kann uns unmöglich Liebe abgewinnen, er kann nur auf unsern Haß Anspruch machen; teufel- isch müssen wir ihn selbst erblicken und teufelisch uns an ihm freuen, und dies Erwecken unserer Teufelhaf- tigkeit durch die Aeußere, kann allein die Genialität des Werkes constituiren. Indem wir aber uns an ihm ergötzen, haben wir selbst gleichfalls gewissermaßen schon einen Bund mit ihm geschlossen, Faust’s Sym- pathie mit ihm war eine Gleiche, nur enger; er lebte mit ihm gleichsam in einer umgekehrten Ehe, der nicht Liebe, sondern Feindseligkeit zum Grunde lag, und die daher mit der Vernichtung des Schwächeren, Gehaßten endete. Das Volksbuch über den D. Faust ist Auszug eines größeren Werkes unter dem Titel: Erster Theil der wahrhafftigen Historien von den grewlichen und ab- schewlichen Sünden und Lastern, auch von vielen wunderbarlichen und selzamen Ebentheuern so D. Jo- hannes Faustus, ein weitberuffener Schwarzkünstler und Erzzauberer durch seine Schwarzkunst bis an seinen erschrecklichen End hat getrieben. Mit nothwendigen Errinnerungen und schönen Exempeln, menniglichem zur Lehr und Warnung außgestrichen und erklehret durch G. R. Widman. Gedruckt zu Hamburg 1599. 4. Zweiter Theil Dritter Theil. Früher, wie man glaubt, schon 1587. 8. Berlin herausgekommen. Daß Faust gegen das Ende des Fünfzehnten und den Anfang des sechszehnten Jahrhunderts wirklich existirt habe, geht aus einer Menge historischer Zeugnisse von Augen- zeugen, die ihn gesehen zu haben versichern, hervor. Er lebte gleichzeitig mit Paracelsus, und war, wie es scheint, Freund von ihm und dem gleich berüchtigten Cornelius Agrippa. Melanchthon gedenkt seiner in sei- nen Briefen, und eben so Conrad Geßner als seines Zeitgenossen. Manlius in seinen Collectaneis Loco- rum communium sagt von ihm p. 38: Novi quen- dam nomine Faustum de Kundling, quod est parvum oppidum patriae meae vicinum. Widman führt in der Einleitung mehrere Aeußerungen Luthers über ihn an, und sagt dabei am Ende: „Diese und andere mehr kurzweilige und fröhlich erzählte Gespräch, hab ich aus einem besondern Schreiben, so mir bekannt, wollen erzählen Vorzüglich der gleich folgende Brief des Abt Tritheim aus den Epistolis Familiaribus, edirt von J. Spiegal, Hagenau 1536, geschrieben am 20sten August 1507, giebt über sein ganzes Wesen, Thun und Treiben und über seine vorzüglichsten Schicksale den be- stimmtesten Aufschluß. Homo ille, (sagt er) de quo mihi scripsisti, Georgius Sabellicus, qui se principem necromanti- corum ausus est nominare, gyrovagus, battologus et circum- cellio est: dignus, qui verberibus castigetur, ne temere dein- ceps tam nefanda, et Ecclesiæ sanctæ contraria publice audeat profiteri. Quid enim sunt aliud tituli, quos sibi assumit, nisi stultissimæ ac vesanæ mentis indicia, qui se fatuum, non philosophum ostendit? Sic enim titulum sihi convenientem formavit; magister Georgius Sabellicus, Faustus junior, fons . Aus allen diesen Zeugnissen, obgleich sie sich häufig, sogar in Rücksicht auf sein eigentliches Vaterland, widersprechen, geht so viel necromanticorum, astrologus, magus secundus, chiromanticus, agromanticus, pyromanticus, in hydra arte secundus. Vide stultam hominis temeritatem, quanta feratur insania, ut se fontem necromantiæ profiteri præsumat, qui vere omnium bonarum literarum ignarus, fatuum se potius appellare de- buisset, quam magistrum. Sed me non latet ejus nequitia. Cum anno priore de marchia Brandenburgensi redirem, hunc ipsum hominem apud Geilenhusen oppidum inveni: de quo mihi plura dicebantur in hospitio frivola, non sine magna ejus temeritate ab eo promissa. Qui mox, ut me adesse audi- vit, fugit de hospitio, et a nullo poterat persuaderi, quod se meis præsentaret aspectibus. Titulum stultitiæ suæ, qualem dedit ad te, quem memoravimus, per quendam civem ad me quoque destinavit. Referebant quidam in oppido sacerdotes, quod in multorum præsenna dixerit, tantam se omnis sapien- tiæ consecutum scientiam atque memoriam, ut si volumina Platonis et Aristotelis omnia cum tota eorum philosophia in toto periisset ab hominum memoria, ipse suo ingenio, velut Ezras alter Hebraeus, restituere universa cum præstantiore valeret præstantia. Postea me Neometi (Speyer) existente Herbipolim venit, eademque vanitate actus in plurimorum fertur dixisse præsentia, quod Christi salvatoris miracula non sint miranda, se quoque omnia facere posse, quæ Christus fecit, quoties et quandocunque velit. In ultima quoque hujus anni quadragesima venit Stauronesum (Creutznach, das er anderwarts immer so nennt) et simili stultitia gloriosus de se pollicebatur ingentia, dicens se in Alchemia omnium, qui fuerint unquam, esse perfectissimum, et scire atque posse, quicquid homines optaverint. Vacabat interea munus docendi scolasticum in oppido memorato, ad quod Francisci ab Sickingen Balivi principis tui, hominis mysticarum rerum hervor; daß er als historische Person angesehen, als ein pfiffiger, verschlagener, seinem Jahrhundert impo- nirender, vielleicht auch in geistiger Bildung und tech- nischer Geschicklichkeit wirklich überlegener Mensch erscheint, der besonders seine Wichtigkeit eben durch sein Zeitalter erhielt. Indem nämlich die Reformation den erschlafften religiösen Sinn wieder auf’s Reue weckte, konnte dieser bey dem durchhin nüchternen nor- dischen Charakter, der sie bezeichnete, unmöglich in glühender Andacht sich in religiöse Transcendenz ver- lieren, sie mogte lieber polemisch hervorbrechen, und den Gegensatz des Heiligen dem öffentlichen Abscheu hingeben, wie sie überhaupt den ältern Cultus percupidi, promotione fuit assumtus: qui mox nefandissimo fornicationis genere, cum pueris videlicet, voluptari cœpit- quo statim deducto in lucem fuga pœnam declinavit paratam. Hæc sunt, quæ mihi certissimo constant testimonio de homine illo, quem tanto venturum desiderio præstolaris, Cum venerit ad te, non philosophum, sed hominem fatuum et nimia temeritate agitatum invenies. Auch Conr. Mutianus Rufus in dem Briefwechsel, den Tenzel von ihm herausgegeben hat, schreibt von ihm am 7. Oct. 1513 Folgendes. Venit octavo abhine die quidam chiromanticus Erphurdiam nomine Georgius Faustus, Helmutheus Hedebergensis (Hemitheus Wirtebergensis?) merus ostentator et fatuus. Ejus et omnium divinaculorum vana est professio. Rudes admirantur. — Ego audivi garientem in hospitio. Non castigavi jactantiam. Quid aliena insania ad me. als einen gleich negativ Gewordnen dargestellt, und dem gleichen Abscheu preiß gegeben hatte. So erscheint Faust daher in der Geschichte gleichsam als der allge- meine Repräsentant der ganzen schwarzkünstlerischen, zauberischen Tendenzen, die durch alle Jahrhunderte durch- gegangen waren, jetzt aber an der Gränze, wo das einige Ganze der Religion schismatisch in sich selbst zerfiel, und Haß und Feindschaft in den getrennten Gegensätzen erwuchs, endlich ihren gemeinschaftlichen Sammelpunkt in einem Manne fanden, der bei seinen vielfältigen Reisen in mannigfaltige Berührung mit allen Classen des Volks gekommen war, und überall sich der Gemeinschaft mit dem Bösen rühmte. Schon in den frühesten Zeiten trug sich das Volk mit ähnlichen Erzählungen von Teufelsbannungen, wie sie im Faust sich finden. Außerdem daß das ganze Hexenwesen unmit- telbar damit zusammenhing, in dem durchaus die mystische Verzuckung, aber nicht in die Seligkeiten des Himmels, sondern in den Abgrund der Hölle, auf den Blocksberg oder unter das Hochgericht wiederkehrte, hatte das Volk zu allen Zeiten Menschen, die es im Bunde mit dem Teufel glaubte. Zoronster, Democrit, Empedokles, Apollonius waren in den älteren Zeiten diesem Urtheil nicht entgangen, und in der neuern Zeit mußten Raimund Lullius, Arnold von Villeneuve, Albertus Magnus, Johann Tritheim, H. Cornelius Agrippa, Theophrastus Paracelsus, Hieronimus Car- danus der Reihe nach diesem Verdachte sich preiß geben. Zoroaster, nachdem er viele Bücher von der Zauberet geschrieben, und sich zum Könige durch seine Kunst emporgeschwungen, wurde vom Teufel ersäuft. Robert der Teufel, Herzog der Normandie, im Jahr 768, vermogte in alle Thiergestalten sich zu verwandeln; er that drei Jahre Buße, doch nahm ihn am Ende der Teufel, führte in die Luft, und ließ ihn herabfallen, daß er zerschmetterte Ueber ihn existirt ein französisches Volksbuch: La terrible et merveilleuse vie de robert le diable, lequel apres fut homme de bien. A Troyes, das aber seine Geschichte ganz anderst als die Tradition erzählt. Robert wird vor seiner Geburt von seiner Mutter fluchend dem Teufel übergeben, und die Folgen dieser Verwünschung werden schnell im Charakter des Kindes sichtbar. Gebohren unter Sturm und Ungewitter, vollführt der Knabe bald alles ersinnliche Böse, ist der Schrecken aller Kinder, die ihn den Teufel nennen, ersticht seinen Lehrer. Im siebenzehnten Jahre zum Ritter geschlagen, tödtet er gleich auf dem Turniere Alles was ihm vorkömmt, und sammelt endlich, nachdem er die Verwünschung von aller Welt geworden, eine Räuber- bande, mit der er in der Tiefe des Waldes ein Schloß sich baut, und von da aus das ganze Land in Schrecken setzt. Als er aber eines Tags seine Mutter besucht, und Alles, selbst die Mutter, vor seinem Aublick flieht, entdeckt Diese ihm endlich den Grund seiner Bosheit; er wird erschüttert, . Baian, Fürst in Bulgarien, zu Lothars Zeiten, übte auf gleiche Weise Zauberkünste; am Ende flüchtete er nach Rom, der Pabst legte ihm St. Peters Ketten an, allein der Teufel erwürgte ihn nichtsdestoweniger. So hatte gleichermaßen der kriegerische Pabst Sylvester der Zweite, der Mathematiker, einen Bund mit dem Teufel, der in Gestalt eines schwarzen, zottigten Hundes ihn begleitete, und ihn nach Verlauf seiner Zeit aus der Kirche nahm. So Johann XIII, XIX, XX, XXI; so legte man Gregor VII einen Zauberspiegel bei; er hatte dem und geht, nachdem er seine widerspenstigen Miträuber erschlagen, nach Rom, um vom Pabste Absolution seiner Sünden zu erlangen. Der Pabst verweißt ihn an einen heiligen Eremiten, dem ein Engel im Schlafe Roberts Buße mittheilt, daß er so lange stumm und närrisch um- herziehen, und seine Nahrung den Hunden abjagen müsse, bis ein Zeichen ihm verkündige, daß seine Sünden abge- büßt seyen. Er geht nach Rom, und führt das vorgeschriebene Leben an des Kaisers Hof zum Erstaunen aller Menschen, die ihn aber natürlich nicht kennen. Nach sieben Jahren hetzt des Kaisers Seneschall die Sarazenen gegen seinen Herrn auf, daß sie Rom belagern; der Kaiser rückt mit seinen Leuten ihnen entgegen, Roberten aber erscheint ein Engel im Garten, bringt ihm einen weissen Zelter und gleiche Waffen, und gebietet ihm, damit gegen die Sara- zenen zu ziehen. Er waffnet sich, reitet in die Schlacht, und entscheidet diese zu Gunsten des Kaisers; legt alsdann im Garten an derselben Stelle wieder die Waffen ab, wo er sie angelegt; Pferd und Gezeug verschwinden, und 28. Teufel den Cölibat angelobt, und er nahm ihn in Ge- stalt eines schwarzen Mohren. Benedict IX hatte sieben Stück geschworne Geister in einem Zuckerglase; Paul II verschrieb sich mit Blut aus seinem Daumen dem Teufel in Gestalt eines grauen Männleins, war reich wie kein Pabst, führte ein greulich Leben, und als seine Zeit um war, nahm ihn Satanas von der Seite seiner Concubine weg. So hatte jedes Zeitalter gewis- sermaßen seinen Faust, von jedem wußten die Zeit- genossen irgend etwas Uebermenschliches beizubringen, das nur als Emanation des Bösen ihnen begreiflich er legt sich wieder zu den Hunden hin. Des Kaisers stumme Tochter, die Alles bemerkt hat, erklärt den ganzen Vorgang durch Zeichen, allein man glaubt ihr nicht. Dasselbe wiederhohlt sich bei wiederhohltem Angriffe zum zweiten und drittenmale; der Kaiser, um zu erfahren, wer der weisse Ritter sey, legt ihm einen Hinterhalt; er entrinnt, doch verwundet ihn Einer mit der Lanze, und das Eisen bleibt ihm im Beine stecken. Im Garten zieht er die Lanze heraus, und versteckt sie zwischen zwei Steine. Der Kaiser läßt dann ausrufen, welcher Ritter in weisser Rüstung die Wunde mit der Lanze vorzeige, solle seine Tochter und sein halbes Kaiserthum erhalten. Der Sene- schall zieht eine solche Rüftung an, verwundet sich selber mit dem Eisen, zieht an den Hof, und man sagt ihm die Tochter zu. Am Altare aber gewinnt diese ihre Sprache wieder, erklärt wie Alles zugegangen sey, man findet das Eisen wieder, der Eremit erscheint, um Robert die Abso- lution zu geben, und Dieser erhält des Kaisers Tochter nun. wurde; alle diese Einzelheiten sammelten sich endlich in dem wahren und dem letzten Faust, der als der Heermeister aller vorhergegangenen Zauberer sich an ihre Spitze stellte, und Alles vollbrachte, was Diese gekonnt, und noch ein Mehreres. Faust ist daher ge- wissermaßen mehr Buch als Person, alles was von seinen Zauberkünsten die Geschichte seines Lebens erzählt, ist früher viele Jahrhunderte schon als Tra- dition im Volke umgelaufen, und Faust’s Bildniß war gleichsam das Siegel nur, was man auf die Sammlung Aller gedrückt. Wirklich ist kaum irgend ein Factum in Faust’s Leben, das sich nicht mit einer früheren gleichlautenden Tradition belegen ließe. Wie Faust den Kaiser Maximilian, so bewirthete Albertus Magnus im Jahre 1248 in dieser Sage den Kaiser Wilhelm zu Cöln um Wcynachten, wo Alles von Froste starrte, in einem grünen Garten mit belaubten Bäumen, die alle blühten bey’m Gesang der Rachtigallen. Als ein ander- mal ein Fürst von ihm Austern verlangte, klopfte er nur an’s Fenster, da reichte gleich jemand eine Schüssel voll dar, auf welcher die französischen Lilien gestochen waren. Da man deshalb nachfragte, war zur selbigen Zeit eine Schüssel mit Austern in des Königs Küche wegge- nommen (Thersander). Auch diese Sage ist in den Faust aufgenommen. Vom Erlolfus, Abt von Fulda, erzählte man auf gleiche Weiße, wie er Speiße nach Belieben herbeizuschaffen wisse, und Wein jeder Art aus hölzernen Pflöcken auszuzapfen verstände. Die Erzählung von den vier Gauklern zu Francfurt, die sich enthaupten ließen, ist gleichfalls eine sehr alte Sage; sie wurde schon vom Simon magus erzählt, und eben so vom Johannes Teutonicus, Domherr zu Halberstadt um 1271, der einen seiner besoffenen Cumpane auf seiner Stube enthauptete, den Kopf auf der Schüssel den Uebrigen herunterbrachte, und wie Diese nun bestürzt heraufgelaufen waren, und den Rumpf gesehen, und die Stube voller Blut gefunden hatten, da trafen sie den Getödteten gesund und munter unten wieder am Tische sitzen. Dasselbe erzählt Hondorff in seinem Theat. hist. p. 188, wie Anno 1272 ein zau- berischer Gaukler aus den Niederlanden gen Creutznach gekommen sey, der habe auf öffentlichem Markte seinem Knechte den Kopf abgehauen, und nachdem der Körper eine halbe Stunde auf der Erde gelegen, habe er ihm denselben wieder aufgesetzt. Er fuhr auch mit den Hunden in der Luft herum, und machte ein Geschrei dabei, als wenn er auf die Jagd gienge. Diese Luft- jagd, wie auch Faust sie vor dem italienischen Abge- sandten veranstaltete, wurde eben so dem Scotus zu Francfurt, dm Zoroaster, und dem Robert von der Normandie beigelegt. Auch die Mantelfahrt hatte man frühe schon von Simon Magus und Andern erzählt. Teutonicus hatte drei Pfründen, zu Halberstadt, Mainz und Cöln; er mußte in der Christnacht an jedem Orte eine Christmeß singen, und dafür hatte er in seinem Schreibstüblein einen Roßzaum hängen, und wenn er dem Diener sagte, „Jung nimm den Zaum, geh in den Hof, schüttle ihn“, dann kam alsbald ein Roß hineingelaufen, der Pfaff setzte auf, und fuhr damit davon. Daraus wurde die Geschichte der Pfalzgrafen, die gegen Heidelberg fuhren, die sich aber nicht im Volksbuche findet. Die Erzählung von dem Adelichen aus Dresden, den Faust auf dem Mantel aus der Türkei abholte, und zu seiner Frau zurückbrachte, die sich eben an einen Andern verheirathen wollte, ist aus Heinrich dem Löwen genommen. Das Roßtauscher- Stück ist der alte böhmische Schwank von dem Becker und den Schweinen. Der Fürst Baian zauberte ganze Schwadronen Kriegsvolk herbei, wie Faust als der Ritter von Hard ihn verfolgte; er konnte dabei jede beliebige Gestalt annehmen. Roger Baco trieb, wie Faust, Schiffe stromaufwärts. Von Paracelsus ver- sichern seine Freunde J. Oporin in Basel und G. Wetter, die auf seinen Wanderungen ihn begleiteten, er habe oft den Teufel seinen Freund und Gesellen genannt, und zuweilen, berauscht, um Mitternacht ganze Schwärme böser Geister citirt, und mit seinem Degen sich mit ihnen herumgeschlagen. Wie Faust den Alexander vor dem Kaiser Waximilian citirte, so meldet die französische Chronik, wie Robert von der Rormandie Carl den Großen durch den Zauber herbei- gerufen habe. Zu der Geschichte, wie Faust ein Fuder Heu als Salat um einen Löwenpfennig gefressen, gieng ebenfalls ein Pendant schon in früheren Zeiten um, wie nämlich der Abt Erlolfus einem Wirthe alle Gerichte weggegessen habe, und am Ende des Wirthes Weib selber mit, die jener aber hernach in der Küche wieder unversehrt, so wie die Speisen in der obern Kammer gefunden habe. Auch die Geschichte mit dem aufgefressenen Wirthsjungen ist daher keineswegs allein ihm eigen. Als Carl IV mit der baierischen Prinzes- sin Sophie Beilager feierte, brachte der Braut Herr Vater einen ganzen Wagen voll Schwarzkünstler mit nach Prag. Da es aber am K. Hofe an solchen Leuten auch nicht fehlte, so mußten sie mit einander certiren, wer die Kunst am Besten gelernt hatte. Hier ergriff der böhmische Zauberer Zytho den Meister der baierischen, Ramens Gonin, sperrte das Maul auf, bis an beide Ohren, und fraß ihn mit Haut und Haaren, bis auf die Schuhe, welche, weil sie sehr kothig waren, er wieder von sich spie. Hernach setzte er sich über ein großes Gefäß mit Wasser, und gab den Verschlungenen wieder von sich. (Thersander.) So schlägt daher überall im Faust die Tradition durch; er hat die alten Zauberer alle um sich her citirt, und weil er allein noch unter den Lebendigen ist, darum führt er für sie Alle auch das Wort. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß er selbst sein eigener Compilator gewesen sey, und sich gesammelt habe aus den mannigfaltigen Ueberlie- ferungen der Vergangenheit. Widmann’s Schrift grün- det sich, wie der Herausgeber selber mehrmal sagt, auf ein Autographum von Faust, das eines gelehrten alten Doctoris in Leipzig drei Herren Söhne in seiner Liberey gefunden, und Andern mitgetheilt haben, was er dann weiter aufgestutzt, und mit moralischen An- merkungen versehen, wie denn die zehn schlechten Dis- putationen Faust’s mit dem Teufel über Himmel, Hölle, Geister, Welt und Teufel ganz von ihm zu seyn scheinen. Es wäre indessen auch nicht unmöglich, daß jenes Autographum von Johann Waiger oder Wagner, Faust’s Schüler, sich herschreibe. Faust selbst giebt ihm das Zeugniß, wie er verschwiegen sey, und viel böser Schalkheit in ihm stecke, dabei mit ziemlichen Verstand begabt, wie er in der Schule bei Beckern, Metzgern und andern Handwerksleuten für stumm gegolten habe, im Hause aber fertig redete, dabei Bankert. Er setzte ihn deswegen zu seinem Erben ein, vermachte ihm alle seine Bücher, und in einer Unter- redung vor seinem Tode sagte er ihm ausdrücklich: „Daneben bitte ich dich, daß du meine Kunst, Thaten und was ich getrieben habe, nicht offenbahrest, dann allererst lang nach meinem Tode, alsdann wollest du es fleißig aufzeichnen, es zusammenschreiben, und in ein Historien bringen, darzu dir dein Geist und Auer- hahn helfen wird, was dir vergessen ist, das wird er dich wieder errinneren. Dann man wird diese meine Geschichte von dir haben wollen.“ Ueber Wagner selbst erschien später eben auch wieder eine gleiche Biographie, wie die hier von ihm Gefoderte, unter dem Titel: Des durch seine Zauberkunst bekannten Chr. Wagner Leben und Thaten. Weyland von Fr. Schotus Tolet in teutscher Sprache beschrieben von P. S. M. Berlin 1712, späteres Machwerk, nachgestoppelt, und ohne allen innern Werth. Faust ist übrigens keineswegs der einzige und älteste Zauberroman; früher scheint ihm die Schrifft vorange- gangen zu seyn, die Koch anführt: Lucifers mit seiner Gesellschaft val. Und wie d’ selben geist einer sich zu einem Ritter verdingt, und ym wol dienete. Bamberg 1493. 4. Eben so Theophilus, eine Romanze, wo dieser sich mit Leib und Seele dem Teufel verschreibt, um wohl leben zu können, und die Handschrifft in der Hölle dann niedergelegt wird. Am Ende schließt er jedoch minder tragisch als Faust damit, daß er die Sünde bereut, und Maria ihn aus des Teufels Gewalt befreit. Aber weit älter noch, und in die frühesten Jahrhun- derte fallend, ist die Geschichte des Zauberers Virgilius. Mir ist nur die holländische Uebersetzung desselben zu Gesicht gekommen: Een schone Historie van virgi- lius, van zijn Leuen, Doot, ende van zijn won- derlijcke werken, di hy deede by Nigromantien, ende by dat behulpe des Duyvels. T’ amsterdam by H. S. Muller 1552. Virgil als Jüngling geräth hier in eine Berghöhle; ein Teufel, der darin gebannt ist bis zum jüngsten Tage, wenn ein Mensch ihn nicht befreit, ruft ihn bei Namen, bittet ihn um Hülfe, und verspricht ihn dafür die Schwarzkunst zu lehren. Virgil willigt ein, läßt sich unterrichten, und öffnet dem Teufel dann die enge Oeffnung, in der er eingesperrt ist; Dieser schlüpft hervor, und Virgilius stellt sich erstaunt, daß durch dieses enge Loch die ansehnliche Figur hindurch gekonnt, findet es unmöglich; der Teufel verspricht, um ihn zu überzeugen, den Durchgang noch einmal vorzunehmen, er drängt sich hinein, und Virgilius schließt die Oeffnung, und versperrt ihn von 29. neuem Dasselbe, so wie noch Mehreres aus dem Virgilius, erzählen die Schweizer vom Paracelsus; der Teufel war nach ihnen in einen hohlen Baum verschlossen und einge- zapft, und Theophrastus befreite ihn dafür, daß er ihn zaubern lehrte. . So findet von diesem Faust der Teufel sich dasmal überlistet. Virgilius geht nun hin mit seiner Kunst, und baut sich zunächst ein Castell; seine Feinde hetzen den Kaiser gegen ihn auf, daß er ihn belagert; er aber verzaubert die ganze Armee, daß sie Alle nicht vor- wärts noch rückwärts können, und da ein anderer Nigromant den Bann löst, seine Leute in Schlaf ver- setzt, und die Belagerer nun stürmen, findet V. noch eine stärkere Beschwörung im Buche, daß Alle wie sie stehen auf Leitern, Mauern, und der Kaiser selbst, wie erstarrt bleiben müssen, bis sie sich mit ihm aus- föhnen, und er sie wieder löst. Dann baut er einen Pallast, in dessen vier Flügeln man Alles hört, was in den vier Quartieren von Rom gesprochen wird. Weiter gründete er salvatio Romae, einen Thurm mit Bild- nissen, die nach allen Gegenden die Glocken in den Händen tragen, mit denen jedesmal diejenige läutet, nach deren Weltgegend hin ein Volk die Stadt bedroht. Weiter verfertigt er ein kupfernes Pferd mit einem Reuter von derselben Materie, das Nachts durch die Straßen ritt, und mit einem Flegel alle Diebe tödtete; dann eine Lampe, die immer brannte, bis sie dreihundert Jahre nach seinem Tode von einem Metallmann erschossen wurde, den er mit gespanntem Bogen dabei gesetzt. Dann legt er sich einen Baumgarten an, worin täglich Früchte reiften, Blumen blühten, unsichtbare Vögel sangen, Quellen rieselten in denen Fische spielten; Alles nur mit einer Luftwand, und doch so beschlossen, daß niemand hineindringen mogte. Er verliebt sich weiterhin in des Sultans Tochter von Babylon, führt sie auf ihre Bitte mehrmal durch die Luft in seinen Baumgarten; der Sultan, der einst ihre nächtliche Abwesenheit bemerkte, und sie Morgens wieder im Bette findet, fragt sie um ihr Abentheuer, sie entdeckt ihm des Meisters Kunst. Der Sultan gebietet ihr, ihm, wenn er wiederkehre, einen Schlaftrank zu geben; sie thut, wie er ihr geheißen, und V. wird gefangen, und soll getödtet werden. Da zaubert er dem Sultan den Euphrat auf den Richtplatz, daß er mit seinem ganzen Hofe in ihm schwimmt und zappelt, wie die Fische; er selbst aber baut sich eine Luftbrücke, entführt seine Geliebte, und gründet dann Neapel mit einem Thurme darin, auf dem ein Apfel an einer eisernen Kette hängt, und wenn man ihn erschütterte, dann mußte ein Erdbeben die ganze Stadt erschüttern, wenn man ihn aber wegbrach, dann sollte die Stadt versinken. Er stiftete auch Schulen dort, und las selbst Nigromantie, und nachdem er noch viel Anderes voll- bracht, wollte er wieder sich verjüngen, und nahm seinen getreuesten Knecht, gieng mit ihm in sein Castell, und gebot ihm, ihn in Stücken zu hauen, und alle Gliedmaßen dann, den Kopf zu unterst, das Herz in die Mitte, die Füße zu oberst in eine Tonne zu legen, über der eine ewige Lampe brannte, und diese dann jeden Tag zu erneuen, nach drei Wochen werde er als Jüngling wieder auferstehen. Der Diener ließ sich mit Mühe nur bereden, nachdem aber der Prozeß sieben Tage fortgedauert hatte, vermißt der Kaiser den Meister; er inquirirt auf den Diener, und dieser muß ihn endlich nach vielem Widerstande in das Castell einführen, das Metallriesen mit eisernen Dreschflegeln bewachen; als man aber dort die Stücke in der Tonne findet, wird der Diener als Mörder umgebracht, und ein nacktes Kind wurde da gesehen, und rief vermaladeit sey der Tag, wo ihr hergekommen, und verschwand. Man sieht, wie Alles frischer, romantischer, südlicher, als in dem Nordischen Faust ist, der mehr gegen das Comische oder das Schreckliche hinneigt. Es ist, wie mehrere Spuren andeuten, italiänischen Ursprungs, und entweder unmittelbar von einem Italiäner, oder auch wohl von einem Spanier oder Griechen in Italien geschrieben. Mehreres aus dem Romane, wie z. B. die Salvatio Romae, die auch in den gestis romano- rum und den sieben weisen Meistern vorkömmt, deutet auf einen sehr frühen Ursprung des Werkes, der viel- leicht hinter dem zwölften Jahrhundert liegt. 36. Des weltberuffenen Herzogs von Luxemburg, gewesenen koͤnigl. General und Hofmarschals Pacta, oder Verbuͤndtniß mit dem Satan, und das darauf erfolgte erschroͤckliche Ende, wobey auch dessen bey seinem Leben veruͤbte tyrannische Mord- und Frevelthaten kuͤrz- lich beschrieben werden. Gedruckt zu Offen- bach und Nuͤrnberg. Aelter und beinahe gleichlautend mit dieser Novelle ist die Erzählung, die der Abt von Clyniax von einem Grafen von Mascon aus der Lyonischen Provinz macht. Dieser verschrieb und verhieß dem Teufel, daß er wollte ein Feind und Verfolger der Clerisey seyn, und er hielt, was er gelobt, und nahm ihnen all ihre Haabe und ihre Güter. Zu Ende, da er wußte, daß er fort müße, ließ er zurichten ein großes Panketh, und dazu seine Freunde berufen, und da er in den besten Freuden saß, ritt ein großer Mann auf einem schwarzen Pferde in des Pallastes Pforten hinein, zog zum Grafen hin, und sagte, wie er etwas mit ihm zu reden hätte. Da merkt der Graf, wo es hinaus wollte; sagt hierauf zu dem Manne, er sollt ihm vollends diese Zeit seine Freud zulassen, und kommen, wenn die Nacht erst hergehe. Das wollte dieser Mann nicht, da erzürnet sich der Graffe und sprach Er sitze wohl, er wolle ihm von seinetwegen nicht aufstehen. Auf das war der Graff als durch unsichtbare Macht bezwungen, und da er gesehen, daß er nicht dawider thun konnte, ist er von dem Tisch aufgestanden, und hinabgegangen bis zu des Pallast’s Pforten, allda hat er ein ander schwarz gerüstet und gesattelt Pferd gefunden, auf Welches er aus Befehl gedachten unbekannten Mannes von Stundan gesessen. Das hat er geschwind genommen, und vor allen und menniglichen daselbst gegenwärtig und zusehende, den Graffen in die Luft hinauf und hinweggeführt. Es ward von dem großen Geschrei und erbärmlichen Klagen, das der Graff trieb, die ganze Stadt bewegt, und lieffen alle Bürger zu, das Wunderzeichen zu sehen. Er schrie um Hilf, aber er fuhr je länger je mehr in der Luft hinan, daß man ihn nicht mehr sehen konnte, da ist jedermann ganz erschrocken wieder zu Hauß gangen“. — Was hier der Haß der beeinträchtigten Clerisey that, das bewirkte später bey’m Volke die Grausamkeit und die Härte des Herzogs, mit der er seine Kriege führte. Man weiß, was die Memoiren der Zeit von ihm erzählen. Zügellos raubten, plünderten, mordeten und schändeten seine Soldaten; mit der fühllosesten Unmenschlichkeit behan- delte er die unglücklichen Schlachtopfer des Kriegs, und oft hörte man ihn im Scherze sagen, daß er sich dem Teufel ergeben wolle, wenn sein König nur immer siegreich durch ihn sey. Erbittert über seine Mißhand- lungen überantwortete dann das Volk nach seinem Tode sein Andenken wirklich dem Teufel. 37. Der wunderbare Hund, oder der durch List und Bosheit eines Weibes in einen Hund ver- wandelte Amtsschoͤsser, welcher mit seinen Avanturen den Lauf der Welt vorstellet. Aus dem Polnischen ins Teutsche uͤbersetzt von G. P. B. Gedruckt in diesem Jahr. Auszug und Uebersetzung aus der Novelle des Cer- vantes, die beiden Hunde, hier und da mit eingelegten Gedichten, unterhaltend und witzig wie das Original, nicht schlecht übersetzt, gedruckt wahrscheinlich zum Troste der von ihren Beamten gedrückten Bauern, und dadurch hauptsächlich wohl in’s Volk eingegangen. 38. Der wegen seiner kurzweiligen Possen merkwuͤr- dige schlesische Ruͤbezahl, oder das schalkhafte Gespenst. Gedruckt in diesem Jahr. Sammlung der verschiednen schlesischen Volkssagen über diesen Berggeist, zum Theil aus Prätorius, ohne weitere Auswahl zusammengetragen, meistens hinaus- laufend auf Spenden, die der reiche Geist aus seinem verborgenen Vorrathe armen Schluckern gemacht. 39. Eine schoͤne lesenswuͤrdige Historie von dem unschaͤtzbaren Schloß in der afrikanischen Hoͤhle Xaxa, samt einer artigen Historie von einem in der Hoͤlle und Vorhimmel gewesenen versoffenen Bauern. Coͤln. Wie aus festem Kiesel schlug die feste Kraft im Norden den Funken der Poesie hervor, von selbst aber strömt sie im Süden freiwillig sich entladend aus. In den tausend Nächten der arabischen Mährchen hat das Feuergewölke unter dem Strahl des Canopus gestan- den, und wie ein Wetterleuchten hat es die nordische Finsterniß durchblitzt. In der Höhle von Xaxa schim- mert ein Streiflicht dieses großen Feuerwerkes. Der Jude Mattetai eröffnet mit seinen Beschwörungen den Berg, die Unschuld allein aber kann das Schloß ge- winnen, das darin an einer Perlenschnur an der Marmorsäule hängt, und dem die Erdgeister dienstbar sind. Lahmet gewinnt den Zauber, allein die Stunde der Beschwörung ist vorüber, der Berg schließt sich über dem Jüngling mit Krachen wieder. Die Luftgeister aber befreien ihn aus dem Gefängniß, und des Sultans Tochter wird ihm durch die Hilfe der Erdgeister nun 30. zur Gattin. Bald entreißt der arge Mattetai mit den Feuergeistern den kostbaren Schatz ihm wieder, und entführt ihm Schloß und Gattin; aber die Luft- geister helfen Lahmet, daß er das Geraubte zurückge- winnt, und der Zauberer wird gestraft. Das ist der Inhalt des Mährchens, das leicht und lustig durch die Elemente spielt, und, einer Libelle gleich, sich oben über der Erde und dem Leben im Sonnenstrahle wiegt. Ob es daher gleich nicht vom Volke ausgegangen, und daher auch kein eigentliches Volksbuch ist, so hat doch wahrscheinlich diese Leichtigkeit und diese Grazie des Wunderbaren leichten Eingang ihm verschafft, und das Volk hat den Fremdling gerne adoptirt. 40. Wunderbare Geschichte von der edeln und schoͤnen Melusina, welche eine Tochter des Koͤniges Helmus und ein Meerwunder gewesen ist. Nuͤrnberg. In der Gestalt der Feen wohnte die Fabel zum Letzten unter den Menschen. Die Feen waren die Cryptogamisten der Oberwelt. Von dem indischen Gebürge Hemakuta, das zwischen den Meeren des Aufgangs und Niedergangs im Glanze der Morgen- und Abendsonne den goldnen Gürtel bildet, kamen sie herüber, gleich Vögeln eines fremden Himmels nach Europa, und herrschten durch den Aether; großer Kräfte und vielfachen Zaubers Meister; irdische Gestirne, die im Lufthimmel leben; der Erde Nervengeister, die durch die gewaltige Masse auf- und niederschweben, und, Regenten der Naturorgane, sie nach höheren Zwecken lenken und regieren; denen die Materie nicht undurchdringlich ist, deren Fuß die Schwere nicht fesseln mag, und die auf ihrer Bahn die Finsterniß nicht irrt. Die colossale Phantasie der Zeit hatte sie wie ein warmer Sommerhauch den Frühling hervorgelockt: da aber wendeten die Zeiten sich in sich selber, der Verstand gieng auf und trieb sie in Stein und Erd zurück, und in den Körpern gebannt schlafen die Ge- müther wieder, und kalt, aber hell und leuchtend rollt die Materie durch den Raum, weil der Geist in ihr erwacht, und der Gefühle Leben allein im Innersten kocht und treibt. Auf den Mai der Weltgeschichte ist ein heller, kalter Wintertag gefolgt; die Wasser liegen in magnetischer Erstarrung an den Bergen nieder; das Leben ist unter die Erde gegangen, dunkel glimmt es nur noch im verborgnen Samen, der erstarrt im Boden liegt; die Pulse stocken, es geht nur ein leiser Athem aus der Erde, der nicht mehr den Himmel trübt. Die vergangene Zeit ist zum Mährchen geworden, und der Blumenduft niedergeschlagen zu Essenzen, die sie in ihren Büchern als Parfüm bewahren. Aber glorreich wandelt der Geist wie Eisblink in den Schnee- fluren, und beflügelt gleitet er auf dem Eisspiegel um die Erde hin; er athmet frei und tief und keck, und ihm ist wohl, wie ihn das innere Treiben dahin schnellt, und wohl in seinem raschen Muthe, und durstig nach der Weite, und unersättlich trinkt er die Ferne ein. Das ist der Wandel der Zeiten, durch allen Kreislauf aber geht die Ewigkeit pfeilgerade dahin, wo ankommen müssen die eilenden Jahrhunderte. Die Melusine ist, soviel man weiß, das erste Feen- gedicht, und unter Allen das am meisten Verbreitete. Guy Lusignan, der gegen den Anfang des eilften Jahr- hunderts um die Zeit, wo Richard Löwenherz den Kreutzzug nach dem heiligen Lande machte, König in Cypern und Jerusalem war, und an Saladin seine Hauptstadt verlohr, war der Sohn dieser Fee. Sie selbst war Tochter Elinas Königs von Albanien und der Fee Pressine; Raimondin, Sohn des Grafen von For ê t ward ihr Gatte, und sie bauten das Schloß Lusineem (Anagramm von Melusine) und wurden Gründer eines mächtigen Hauses, und zählten Könige und Herzoge unter ihren Söhnen. Bis auf die Zeiten der Catharina von Medicis giengen die Sagen von der Fee in der Gegend um; nach Brantomes Bericht erzählte das Volk von dieser Königin, wie man sie oft an der Quelle baden sähe, in Gestalt eines schönen Weibes in Wittwenkleidern. Andere berichteten, wie sie Samstags um die Vesperzeit, aber selten, weil sie sich da nicht gern sehen lasse, badend halb als schönes Weib, halb als Schlange erscheine; noch Andere, wie sie bisweilen auf einem hohen Thurm sich zeige in schöner Gestalt und auch oft als Schlange. So oft ein großes Unglück dem König- reich bevorstehe, oder ihren Nachkommen, wollte man sie gleichfalls drei Tage vorher ein scharfes, furchtbares Geschrei ausstoßen gehört haben. Alle diese Sagen hatte die Familie seit langen Zeiten schon gesammelt, und in ihren Archiven niedergelegt, und daraus hatte Jean d’Arras das Gedicht in Versen um 1387 gebildet, das 1500 zuerst in Fol. Paris gedruckt wurde, 1584 revidirt in 4, nachher in Prosa aufgelöst und moderni- sirt, und von dieser Umarbeitung von Nodot ist dann das Volksbuch ausgegangen. 41. Zwoͤlf Sybillen Weissagungen, viel wunderbarer Zukunft, vom Anfang bis zum Ende der Welt besagend. Auch der Koͤnigin von Saba dem Koͤnig Salomon gethane Prophe- zeyung. Wie auch merklicher zukuͤnftiger Dinge, von St. Brigitten, Cyrillo, Metho- dio, Joachimo, Bruder Reinhard, Johannes Lichtenberger, und Bruder Jakob aus Hispanien beschrieben. Auf’s neue wieder gedruckt. Coͤln und Nuͤrnberg. Alle Zukunft ist so nothwendig durch die Gegenwart bedingt, wie die Natur jedes Gewächses in der Natur des Samens gegeben ist, aus dem es sich entwickelt. Weissagen heißt, sich hineindenken in die bildende Gottheit, oder vielmehr aufgenommen werden in den Gedanken des fortschaffenden Naturgeistes, und die Gabe daher in diesem Sinne, da sie keinen innern Widerspruch enthält, wie jede höhere Genialität keines- wegs ein Gegenstand der logischen Discussion. Man hat Sterne am Himmel plötzlich hell aufglühen und wieder erlöschen sehen; die Constellationen führten durch ihre wechselseitige Verbindung eine solche Periode einer erhöhten Genialität des Gestirns herbei: auch im Reiche der Geister ist ein solches Aufflammen eines einzelnen Gottbegeisterten denkbar, daß tiefer in ihn sich die Oberwelt herabsenkt, heller der Gedanken in ihm zündet, und prophetisch ein Lichtstrahl die fernen, dunkeln, ungebohrnen Zeiten schon enthüllt, und durch freies Hingeben der Intelligenz in sie vorbildlich vom Welt- geist hineingedacht wird, was erst später nachbildlich in die Wirklichkeit eingebohren wird, so daß also der gewöhnliche Gang des Denkens sich nun umkehrt, und die Reflexion dem Gegenstande voreilt, statt daß sie ihm im gemeinen Lauf der Dinge folgt. Wenn wir dergleichen aedenken, dann wird unser Urtheil über den Gegenstand vorsichtiger und bescheidner seyn. Gerade die historische Weissagerei, die man einzig gelten lassen will, ist, wenn sie über den Kreis, der unmittel- bar den Weissagenden umschreibt, hinausgeht, so nichtig wie die Meteorologie, weil beide von Millionen Fäden nur Wenige beachten, Jene nämlich, die sie gerade selber mit hineingesponnen haben. Allein auch sie in Ehren, wenn sie sich nicht mit Vollendung brüstet, und nur als ein nothwendiges Ziel aller geistigen Ent- wickelung sich geltend macht. In dem gegenwärtigen Buch sind zwölf Sibyllen aufgestellt, wie die Geschichtschreiber sie uns überliefert haben: eine Persica, Lybica, Delphica, Cumeria, Tiburtina u. s. w., und Jeder werden eine Reihe Sprüche meist aus den Propheten des alten Testamentes in den Mund gelegt. An Diese schließt die Königin von Saba sich an, die besonders vom jüngsten Tage weissagt. Die Idee eines jüngsten Tages, gegründet auf die Annahme einer gleichen Perfectibilität des Bösen wie des Guten, und der daraus folgenden Nothwendigkeit der eintretenden Ueberwucht des Lasters über das Gute durch das Eingreiffen einer höheren richterlichen Gewalt abzuhelfen, ist eine der Grundansichten der menschlichen Natur, die besonders in der Entwickelung des Christenthums zu Tage getreten ist. Wieder war es natürlich, da man Christus als das Haupt aller Tugend und alles Guten anerkannte, die sich dann ihm wie die Glieder eines Leibes zur Bildung der Kirche anfügten, daß man auch gleicher- weiße einen Antichrist anerkannte, dessen Leib alle Lügengeister und alle Teufelsapostel angehörten, und der eben am jüngsten Tage besiegt dem Guten erliegen muß. „Hierauf wird bald eine Aenderung und neu Regi- ment, Fried und Einigkeit in der ganzen Christenheit entstehen, sagt die Königin von Saba, und das römische Kaiserthum, als vor das Griechische ein Ende nehmen, und wird sich alsdann der Antichrist nahen geboren zu werden, nämlich zu der Zeit, so ein fremder Kaiser Gewalt über Rom gewinnt, der sich nicht einen römischen Kaiser schreibt, und dennoch ein Christ ist. Unter demselbigen wird der Antichrist zu Babylon geboren voller Teufel, und wird sich heimlich halten, bis ins dreissigste Jahr. Alle verborgenen Schätze werden dem offenbahret, damit wird er die Christen und andere Völker an sich reizen. Der Geiz und die Liebe des Geldes wird so groß auf Erden, daß die bösen Christen Leib und Seele darum geben werden“ u. s. w. Dann folgen die Prophezeyungen der heiligen Brigitta, historisch, verwirrt, doch mit wenig Witz deutbar auf die Zeit. Dann von des heiligen Propheten Predigt und Ermahnung, der Frankreich, Italien und Hispanien durchgezogen ist im Jahr 1509, leeres, emphatisches Mönchsgesalbader. Endlich die Zeichen von dem jüngsten Tage, welche die Zukunft des Herrn verkündigen, aus der Schrift gezogen. Alles zusammen, wie es dasteht, durchaus unschädlich in den Händen des Volkes, und vielmehr von manchen Seiten mög- licherweiße Nutzen gewährend. Panzer führt in seinem Verzeichnisse eine Schrifft 31. an: Offenbahrung der Sibillen Weissagung mit viel andern Prophetien künftiger Ding, die noch bis zu Ende der Welt geschehen sollen. Oppenheim 1516, die wie das Volksbuch zwölf Sibillen in Holzschnitten enthält, und bei jeder eine Weissagung aus einem Propheten, Alles zusammen 6½ Bogen. Ohne Zwei- fel ist daher das Letztere von dem Andern ausgegangen. 42. Der bellende Hund, so die irrgehende Schaafe aufsuchet, und zum wahren Schaafstall Christi zu bringen trachtet, in alle Welt ausgeschicket von F. Niviands. Coͤln am Rhein. Elende pfafsische Controverse, Capuzinade gegen Luther und die Reformation gerichtet, ohne Geist, ohne Witz, ohne Rhetorik; leeres giftiges Geschreibe eines unsinnigen Zeloten, ohne wahren Beruf zur Polemik. 43. Lebensbeschreibung des Heiligen Cristophori. Coͤln am Rheine. Die bekannte Legende des großen Cristophs, wie er ausgieng um dem Stärksten und Mächtigsten zu dienen. Etwas verstümmelt und nachläßig behandelt. 44. Das bis an den juͤngsten Tag waͤhrende Elend, wegen seiner Annehmlichkeit aus dem Fran- zoͤsischen in’s Deutsche uͤbersetzt. Francfurt und Leipzig. Modern und nicht eigentliches Volksbuch, obgleich doch wohl von einer alten Sage ursprünglich ausge- gangen, der Schmidt von Appolda, nur in etwas abweichender Form, sonst correct in Sprache und Darstellung. 45. Eine schoͤne merkwuͤrdige Historie des heiligen Bischoffs Gregorii auf dem Stein genannt. Coͤln am Rheine. Eine der bessern Legenden, religiös untadelhaft und dabei poetisch, romantisch und in ihrer Art vollen- det. Der Stoff derselben sehr alt, indem Hartmann von Aue, der gegen das Ende des zwölften Jahrhun- derts lebte, sie zum Gegenstande seines Gedichtes gewählt zu haben scheint, das unter dem Namen Gregorius in dem Steine auf der Strasburger Biblio- thek sich befand, und von Oberlin und nach ihm von Koch aufgeführt wird. 46. Die durch die Flucht aus dem koͤniglichen Hause erhaltene Jungfrauschaft, vorgestellt in gegenwaͤrtiger kurzer Lebensbeschreibung der seligen Eufemia, genannt Gertrud von Coͤln. Coͤln am Rhein. Wie Eufemia, eine Tochter Eduard des Dritten Königs von Engelland um 1328 aus frommem Abscheu gegen die Ehe von ihren Eltern entwich; nach Cöln kam, dort in einem Spitale die Kranken versorgte; dann verläumdet von einem bösen Weibe und an den Pranger gestellt, erkannt wurde von den Boten, die ihr Vater ausgesandt, um sie zu suchen; gegen Diese aber ihre Person verläugnete, indem sie anspielend auf Christus und die Apostel erklärte, ihr Vater sey als Missethäter gehenkt worden, und ihre Brüder, deren sie zwölf gehabt, seyen keines natürlichen Todes ge- storben; wie sie darauf nach Pforzheim in ein adeliches Frauenkloster kam, dort in Demuth und Frömmigkeit gelebt habe, und endlich selig gestorben sey. Die Legende, wahrscheinlich aus den Bollandisten übersetzt, ist recht gut geschrieben, der Ton einfältig, die Sprache kunst- los: sie kann uns Zeugniß geben von der Macht, die die Religion in jenen Zeiten hatte, und welche unend- liche Freiheit im Menschen liegt, dem Erdprinzipe zu entsagen, alle irdische Wohlfahrt abzustreifen, und durch inneres Aufbrennen sich der irdischen Schwere entge- gen gewaltsam in höhere Regionen zu erheben. 46. Eine schoͤne, anmuthige und lesenswuͤrdige Historie von der unschuldig betrengten heili- gen Pfalzgraͤfinn Genoveva, wie es ihr in Abwesenheit ihres herzlieben Ehegemals ergangen. Coͤln und Nuͤrnberg. Eine stille, einsame Kapelle in tiefer Waldesein- samkeit, der Poesie, der Treue und der Ergebung gebaut, um die rund umher sich eng verschlungenes Dickigt zieht, über der alte Eichen in heissem Som- mertages Brand flüsternd sich bewegen, durch deren Zweige gebrochen dann das Licht durchstreift, und ein Schattengewölke über die Wände gießt, und spielend an ihnen auf und niederzittert, während von innen halbdunkle Kühle, erfrischende Stille herrscht, und hinten in der Nische das Bild der Heiligen dämmernd und freundlich durch das Gitter blickt, in dem Wald- blumen halb welkend niederhängen, und unten auf der Steinstufe der bekannte Alte betend kniet, während Vogelschlag eindringt durch die offene Thüre, und Waldgerüche, und kühles Luftgesäusel und grüner Schein und Baches Rauschen, und Alles feyerlich und betend rund umher, bis auf die Wolken, die einzeln wie Pilger, hell in innerem Verlangen erglänzend, auf blauer Himmelsbahn hinwandeln zum Lande der Verheißung, und die Winde, die wie Stumme der Natur nur im Hauche beten: so blickt das Gedicht mit dem bescheidnen kleinen Glockenthurme aus des Mittel- alters dicht verwachsenem Hain vom fernen, grauen Berg herab, und Jahrhunderte durch läutet das kleine Glöckchen oben fort und fort, zum Trost einladend dem Wandrer zu, daß er zu dem Bilde komme und sich Stärke hohle und freudigen Lebensmuth. Unter allen den verschiednen Büchern dieser Gattung ist die Genoveva durchaus das Geschlossenste und am meisten Ausgerundete; stellenweiße ganz vollendet, und in seiner anspruchlosen Natürlichkeit unübertrefflich aus- geführt, im Ganzen in einem rührend unschuldigen Ton gehalten, kindlich, ungeschmückt, und in sich selbst beschattet und erdunkelnd in heiligem Gefühl. Und so war es denn werth, wie es da ist, zwei treffliche Dichter zu begeistern. Tiek, daß er uns in seinem Gedichte, wie ein Zauberer im Crystalle, die ganze romantische Liebe in einem zarten Luft- und Gluth- und Farbengewebe aus einer lichtklaren Morgenröthe kunstreich zur Gestalt gebildet zeigt, und der Mahler Müller, in seinem Fragmente, die Heilige als eine Hünenjungfrau vom Riesengebürge mahlt, die mit dem Serpent Golo kämpft, der bald in vielfachen Farben brennend und glühend, sie verführerisch umzün- gelt, und sie dann das Schwerd ergreift und zürnt: Sieh her, her, hab ein Schwerd. Ha meines Siegfrieds Schwerd! Will tief in’s Herz mir’s drücken, Anlachen dich. Ich, Ich? Lieber den Teufel als dich! Entweich Scheusal tödtest mich, Hölle sind mir deine Blicke, Verrätherrischer, elender Mann, Lächelstu mich noch einmal an, So stoß ich zu, so ist’s gethan. Dann aber, wenn er Gift und Feuer und Flam- mensprühend, sie und ihr Kind zu vernichten droht, ihm entgegenflammt: Lisber erwürgt’ ich gleich, Diesen mit eignen Armen, Schläng’ diese Lock’ um sein’n Hals, Erdrosselt’ ihn ohn Erbarmen, Als daß ich durch Schand und Schmach, Ihn wollt verfluchen — Erwach Henker, — ich verlache dich. Komm fessel mich, komm tödte mich! Bring alle Marter, Feuer und Schwerd, Vertilg mich heimlich von der Erd, Der Himmel wird’s sehen, — hören die Welt, Mein Siegfried lebt, es lebt mein Held. Unendlich bescheiden steht das Volksbuch hinter diesen Efulgurationen der poetischen Kraft, aber in dem ruhigen, stillen, lieblichen Schein, in dem es strahlt, bricht derselbe poetische Geist, nur leise phosphoreszirend hervor, der in Tieks und Müllers Werken in lichten Flammen aufbrennt und glüht. Das Volksbuch ist gearbeitet nach der Schrifft des Pater Ceriziers: L’innocence reconnue, das in einem pretiösen, geschraubten Tone die Begebenheiten erzählt, und sich dabei auf des Puteanus St. Geno- vevae Iconismus, Raderi Bavaria pia und Aubert le Mires Chronicon belgicum a Julio Caesare ad annum 1636, als seine Gewährsmänner beruft. Der teutsche Bearbeiter, indem er das Buch zum Grunde legte, hat eine ganz verständige Auswahl, und zugleich mit ihr den Ton getroffen, der einer Schrift dieser Art zukömmt. So erzählt der Jesuit, wie der Wolf der Genoveva das Schaaffell gebracht: „Die fromme Gräfinn 32. nahme das Geschenk wohl an; gabe aber zugleich dem Wolfe einen Verweis, daß er das Leder gestohlen, und den armen Leuten gegeben. Ein andermal, als Genoveva zufällig im Wasser ihre Runzeln und Mager- keit erblickt, sey ihr die Königin der Engelen erschienen, und habe sie also angeredt: „Also fein Genoveva, also fein! Wohl schöne Ursache hast du, dich zu beklagen über einen Verlust, der höchlich zu wünschen ist. Ach liebe G., wüßtest du, wie sich mein Sohn verliebe in diese deine schwarzbraune Farb, es würde dir leid seyn, daß du einmal bist weiß gewesen“ u. s. w. Sonst soll noch in früheren Zeiten ein Manuscript über sie von M. Emichius, einem Carmeliten in der Carthause zu Coblenz, aufbewahrt worden seyn. Auch im Closter Laach, nahe bei dieser Stadt und dem Schauplatz ihrer Leiden und ihrem Grabe, bewahrte man ein glei- ches altes Manuscript, das indessen in den letzten Zeiten verloren gieng. 47. Unsers Herren Jesu Christi Kinderbuch; oder merkwuͤrdige, historische Beschreibung von Joachim und Anna, deren Geschlecht, aus welchem sie geboren. Item von ihrer Toch- ter der Jungfrau Maria, und von der Geburt und Auferziehung Christi: wie auch von der Flucht Christi, und was sich sowohl auf ihrer Reise nach Aegypten, als auch bei ihrem siebenjaͤhrigen Aufenthalt daselbst, nicht weniger bey der Ruͤckreise und her- nach zu Jerusalem fuͤr große Wunderwerke zugetragen haben. Ganz frisch aus dem Italiaͤnischen in’s Teutsche uͤbersetzt. Coͤln, Altona und Nuͤrnberg. Gar kindlich lieb, und wunderbar einfältig fromm und zart, eine liebliche Idylle in der Religion. Ein klarer Schein fällt vom Himmel herab unten auf die Erde nieder, und der Schein ist die Feuersäule, die der Verkündiger der Comet, gegen die Erde niedersenkt, und die mit Himmelsäther sie tränkt und sättigt, daß unten in dem Strahle ein neues Paradies erblüht, eine glückselige Oase mitten in der Wüste: mit Himmels- blumen, Himmelsfrüchten muß sich die karge Erde zieren; dichtes saftiges Laubwerk umzieht den Saum der Wunderinsel, und innen glüht’s und blüht’s zart und süß und licht und glanzvoll; Engel fliegen wie bunte Paradiesvögel durch die Zweige, und unten wandelt das göttliche Kind und seine Pfleger; und wie die Wanderer voraneilen, wandelt der Schein mit ihnen und die Zauberwelt, einer leichten bunten Glanzwolke gleich; und Alles ist ein süßes Lächeln der ernsten Natur, die über das kalte, starre Antlitz eine freudige Bewegung kreisen läßt, da sie das Kind erblickt, das, obgleich seiner hohen Abkunft und seiner großen Bestim- mung sich bewußt, doch fromm und spielend bleibt. Gleich den Präsepen, die um Weynachten erblühen, wo nächtlich still die heilige Landschaft für die Feyer wacht und betet, und der Mond ungewöhnlich klar sein Silber im Aether flüssig löst, und unten die drei Könige fern über die Brücke ziehen, und die Hirten sich geschäftig um die Krippe drängen, und wunderbare Schimmer durch die Lüfte auf und nieder- steigen, und irre Töne schweifen und auch den Erlöser suchen, und im Schweifen sich begegnen, und zu Chören sich verbinden und miteinander ziehen, und Alle endlich jubelnd und anbetend über dem stillen Heiligenscheine schweben, der ausströmt von des Kindes Lager: so bietet dies kleine Werk sich dem Beschauer dar, und dem Kinde folgt es bald, wie es dahin wandelt nach Aegypten, und in die Wüste auch, wo es zum Mittleramt sich weiht. Das Werk ist eines Geistes Kind mit allen jenen Bildern der italiänischen Schule, die mit gleicher Liebe den gleichen Gegenstand behandeln. Ein warmes Liebeleben ist darüber ausge- gossen, und ein zartes Blüthenfunkeln und Liebes- stäuben. — Sie sahen aber von ferne einen großen Baum, und Joseph sprach, wir wollen dahin gehen, und allda über Nacht bleiben, sie konnten aber kein Wasser finden. Als er nun zu dem Baum kam, und konnte kein Wasser finden, bekümmerte er sich gar sehr; aber bey dem Baum war viel Gras, daß seine Esel und der Ochs genug zu fressen hatten. Die Jungfrau Maria setzte sich nieder, und nahm das Kind Jesus in ihren Schooß, und stach mit ihrem Finger in die Erde, da sprang eine Quelle auf. Sie lobten Gott und waren froh, daß sie Wasser für sich und ihr Vieh bekommen hatten. Des andern Tages füllten sie ihre Flaschen und Krüge mit Wasser, daß sie auf dem Wege zu trinken hatten. Als sie nun weiter reiseten, so wurde die Maria eines hohen Baumes gewahr, der viele Früchte hatte, und die Früchte waren völlig reif: sie schauete auf den Baum, und wollte von den Früch- ten haben, aber Joseph konnte Alters halber nicht auf den Baum steigen, die Mutter mit dem Kinde stand unter dem Baum. Weil das Kind Gott und Mensch war, so verstand es, was sie begehre. Hierauf ließ sich der Baum gegen Maria nieder, daß sie von der Frucht nehmen konnte, so viel sie wollte. Da sie nun nach Belieben gegessen und ihre Säcke gefüllt hatten, so richtete sich der Baum wieder auf, und breitete seine Zweige wieder aus, und Joseph und Maria lobten Gott für Alles, was sie bekommen hatten, und das Kind Jesus ließ sich Alles gefallen, und seine Eltern waren auch zufrieden, besonders darüber, daß der Ochs und der Esel mit dem vielen Gras so wohl versorgt waren: sie knieten und beugten sich vor dem Kinde Jesu, und erkannten ihn für ihren Herren und Schöpfer. — Als eines Tags die Kinder mit Jesu zum Thore hinaus auf’s Feld gehen wollten, so kamen sie auf einen Platz, da man Leimen gegraben hatte, und Jesus setzte sich auf denselben Platz nieder, und nahm mit seinen Händen von dem Leimen, und machte kleine Vögel daraus, so wie sie auf dem Felde fliegen; da die andern Kinder sahen, daß Jesus solche schöne, kleine Vögel gemacht hatte, so freueten sie sich darüber, und wollten auch solche Vögel nachmachen. Währen- der Zeit kam ein alter Jude, der sahe, daß sie mitein- ander scherzten und spielten, und er strafte sie und sprach: „Ihr halt’t den Sabbath nicht heilig, ihr seyd Teufelskinder, ihr entheiligt den Sabbath, ihr erzürnet Gott“ er sagte auch zu dem Kinde Jesus: „Du bist Schuld daran, die anderen Kinder machen es dir nach, ihr gehet Alle verloren“. Jesus antwortete: „Gott weiß es am Besten, ob du oder wir den Sabbath am besten heiligen, du darfst mich nicht beurtheilen“. Der alte Jud wurde bös, und wollte sich auf der Stelle an dem Kind Jesus rächen; er gieng hinzu, und wollte auf die Vögel treten, die das Kind gemacht hatte: alsbald klopfte Jesus in die Hände, als wenn er die Vögel erschrecken wollte, da wurden sie lebendig, und flogen auf gen Himmel, wie andere Vögel; der alte Jud mußte sie auch lassen fliegen. Das Buch ist eines der sogenannten Apogryphischen, und schon M. Polonus, der um 1266 lebte, führt es als ein allgemein Gelesenes an, und erzählt die ganze oben beygebrachte Begebenheit mit dem Baum, der auf Jesuleins Geheiß sich auf die Erde habe niederge- bogen, und als dem Joseph gedürstet, sey aus der dürren Erde auf dergleichen Befehl eine frische Quelle entsprungen. Weiter, nachdem sie auch auf solcher Reise in einer Höhle eingekehrt, wären zwey abscheu- liche Drachen hervorgekommen, auf deren Anblick die Aeltern heftig erschrocken, auf des Sohnes Befehl aber wären die Drachen ehrerbietig in die Wildniß gewichen. So wäre ihnen auch ein Löwe begegnet, der die ganze Reise vollends bei ihnen geblieben und gedient hätte. Aber aus noch weit ältern Zeiten, und von den ersten Jahrhunderten der Kirche, kommen diese Schrifften her. Die Kirchengeschichte lehrt näm- lich, wie Pabst Gelasius der Erste in dem Concilium, das er zu Rom im Jahre 495 hielt, schon die Apogry- phen von den ächten heiligen Büchern schied, und unter jene insbesondere die folgenden Drey auf- nahm: Liber de infantia Salvatoris. — Liber de nativitate Salvatoris, et de S. Maria, et de obste- trice Salvatoris Im zweyten Bande der Miscellaneen zur Geschichte der teutschen Literatur, der mir eben bey’m Abdruck zu Gesichte kömmt, führt Docen aus der Geschichte der Jungfrau Maria von Bruder Philipp aus dem Kartheuserorden, nach einem Manuscripte des dreyzehnten Jahrhunderts, viele Stellen an, aus denen sich ergiebt, daß entweder das Volksbuch jenes Gedicht nur aufgelöst in Prosa ist, oder daß Beyde aus der gleichen Quelle schöpfend, sich meist wörtlich an sie gebunden haben. Die durchgängige Identität beyder Schrifften bleibt gar nicht dem mindesten Zweifel unter- worfen, wenn man z. B. die hier beigebrachten Stellen vergleicht mit den p. 85 und 88 beigebrachten Fragmenten, wo das Letzte: „Da daz Chint Jesus vogelin macht an- fangt: An einem Tage zesamen giengen, Alles des Chint anviengen, Churzwil unde chintspiel“. Es muß durch unmittelbare Vergleichung mit den apogryphischen Büchern ausgemacht werden, ob das Eine oder das Andere der Fall ist. . 48. Wahrhaftige Beschreibung des juͤngsten Gerichts im Thal Josaphats, wie dasselbe von unserm Herren Jesu Christo gehalten, auch was an demselben fuͤr erschreckliche Tag und Wunderzeichen geschehen werden, solches Alles ist uns von den heiligen Propheten und andern Maͤnnern Gottes geweissagt, und zur treuherzigen Warnung beschrieben, daß wir von unserm boͤsen, gottlosen und suͤndlichen Leben abstehen, rechtschaffene Reu und Buß wuͤrken, damit wir nicht an solchem großen und juͤngsten Tag, vor dem gerechten Richter Jesu Christo, zu seiner Linken unter die Boͤcke und Verdammten, sondern zur Rechten unter die Schaͤflein und Auserwaͤhlten Gottes moͤgen gestellet werden. Gedruckt im Jahr Christi. Nuͤrnb. Was in der Sybillen Weissagungen gedroht und prophetisch angedeutet wurde, das wird hier episch vorgeführt, und in einem dichterischen Gemählde 33. dargestellt. Das Buch ist in gereimten Versen geschrie- ben, obgleich wie Prosa gedruckt, wahrscheinlich aus den letzten Zeiten der Minnesänger, nicht ohne Anmuth und Leichtigkeit gebildet, aber wie die meisten Werke dieser Zeit ohne eigentliche Handlung; die Gestalten in großen bauschigten Gewändern mit scharf gebrochenen Falten und schlichtem gescheiteltem Haare, sind mitten im Feuer des Gedichtes in durchhin ruhiger, unver- rückter Haltung: was an ihnen sich rührt und bewegt ist gleichsam nur das Auge und die Augenbraune, und ohne sich zu verziehen läßt der Mund ganz unmerk- lich schöne Sprüche und Sentenzen fahren. Selbst der Teufel verläugnet diese ruhige Ehrenvestigkeit nicht, auch er hat rund verschnittenes, gleichgestrichenes Haar, nur etwas rußig wie ein Schmidtmeister. Und so führt in ruhigem Hin- und Herdiscuriren sich die große Szene dramatisch wie ein wahres Stillleben auf. Die Propheten Joel, Sophonias, Salomon, Job, Hieronymus thun zuerst ihr Wort, das Gericht müsse nun beginnen, und treten, nachdem sie es gethan, wieder ab. Dann rufen die Engel mit dem großen Zorne zu Gericht, scheiden dann die Bösen von den Guten, und der Herr Jesus Christus spricht zu den Guten; Diese antworten ihm wieder, Replik von Christus: dann nimmt er seine liebe Mutter Maria bei der rechten Hand, und redet die Verdammten an, — Diese bitten um Barmherzigkeit, aber mit Nichten; wiederholte Bitte, abermal versagt; neue Bitte, Replik, Duplik, gänzlich abgeschlagen, die Verurtheil- ten dem Teufel übergeben. Lucifer äußert seine honette Freude, Maria bittet für die Verdammten, wird aber abgewiesen, die Hölle wird geschlossen, und dann spricht Christus also: Die Höll hab ich beschlossen Und den Teufel mit allen Genossen. Den Schlüssel mag mir niemand stehlen, Ich will ihn auch keinem Engel befehlen, Die Höll wird nimmermehr aufgethan, Zu meinen lieben Heiligen will ich gahn: Ich hab heut zorniglichen vollbracht Was ich vor langer Zeit gedacht, Den Sünder hab ich gefangen, Ist mir Keiner nicht entgangen, Die Höll ist wohl beschlossen, Ich will jetzt lassen den Zornen mein, Und euch ergötzen aller Pein, Ihr sollet jetzt fröhlig mit mir gon, In das ewig Himmelreich schon, Dasselbig will ich euch geben, Darinnen sollt ihr immer und ewiglich leben. Dann stehen die heiligen zwölf Apostel der R eihe nach von ihren Stühlen auf, und sagen unserm lieben Herrn Lob und Dank um seine Gnad und Barmherzigkeit, endlich schließt unser Herr, indem er spricht: Maria du liebe Mutter mein, Du solt nehmen die Mägde dem, Die Engel und heiligen zwölf Boten, Groß Ehre haben sie mir erbotten, Nimm hin die Heiligen und Seelen all, Und führ sie hin mit fröhlichem Schall, Du solt sie führen maniglich, Wohl in das schöne Himmelrich, Da sollen sie mit mir und dir gon, Mein Vater wird sie empfangen schon, Ich will euch manche Trachten bringen, Der heilige Geist woll euch vorsingen. Die heiligen Engel führen ihr Saitenspiel, Euer Freud ist aus der Maaßen viel Mehr denn alle Augen mögen sehen, Oder alle Mund und Ohren verjähen Oder aller Menschen Herzen mögen denken, Das Alles will Euch mein Vater schenken, Und das Alles hat bereit, Die hochheilige Dreyfaltigkeit. Panzer führt in seinem Verzeichnisse ein Gedicht an unter dem Titel: Von Sibilla Weissagung und von König Salomonis Weißheit, was Wunders ge- schehen ist, und noch geschehen soll vor dem jüngsten Tag. Nürnberg 1518. 8. zwei Bogen stark, das wohl einerlei mit diesem Volksbuch ist. Docen im ersten Bande seiner Miscellaneen erzählt, wie er es in einer Handschrifft vom Jahre 1428, schon gefun- den; und das wird, wenn sonst die Identität mit dem Volksbuch bewiesen ist, bestätigen, was. wir vorher über den wahrscheinlichen Ursprung desselben permuthet haben. W erfen wir einen Blick auf die ganze Masse der Erscheinungen zurück, die wir an uns vorübergehen sahen, dann drängt ein eignes wunderbares Gefühl sich in uns hervor. In unabsehbar langer Reihe geordnet stehen die Jahrhunderte, die Nächsten mit uns genau befreundet, in Haltung und Gestalt wie wir beschaffen, unsere eigene Sprache uns verständlich sprechend; die Fernern immer seltsamer, immer wunderbarer, immer unverständlicher und geheimnißvoller; in die Weite ein- geschleiert, wollen ihre Züge sich nicht erfassen lassen, und die fremden Laute, die von ihnen herübertönen, verklingen und verschweben in die Weite: bei den Fernsten aber ist alle Form in das Wunder aufgelöst, und sie sprechen in dunkeln Hieroglyphen von der Ewig- keit, wie die Elemente sprechen, sinnvoll und bedeutend, aber nicht mit Menschenzungen, nicht mit artikulirten Tönen. Wie Windes Wehen, wie Kindes Lallen ist ihr Reden, das Ohr horcht den wundersamen Klängen, aber dem innern Sinne ist ihr Verständniß nur gegeben. So kreisen sie jenseits, die Gestalten der Vergangenheit, diesseits aber treiben wir selbst in der Gegenwart uns um, und dazwischen ist der bunte Teppich des Lebens ausgespannt, und eilt vorwärts von der Zeit getrieben- wie der Farbenbogen auf der Regenwolke, und kaum daß wir aufgeblickt, sind wir auch jenseits unter den schwebenden Gestalten, und ein anderes Geschlecht spielt außen im Sonnenscheine. Aber es geht ein rascher wunder- und zaubervoller Othem durch die Zeiten durch, gleich den unterirdischen Windeszügen, die kühl und frisch und immer wach aus dunkeln Höhlen brechen; vor sich treibt er seines Hauches Spiel, geheimnißvolle Blätter her, denen die vergang- enen Geschlechter ihre Weisheit, und des Herzens Gefühle, und der Andacht stille Begeisterung anver- traut, und des Lebens ernste Regel, und wie die Ge- schlechter vorüberziehen, und in Erde sich verhüllen, grünt immer von neuem die Palme mit den Blättern wieder, und wenn die neue Gegenwart dann aus der Erde steigt, sind die Hieroglyphen reif geworden; das dunkelkühle Saußen löst sie von den Zweigen ab, und treibt sie still vor sich an der Erde hin; das ganze Geschlecht aber sammelt die Zauberschriften, und erkennt geliebte Züge wieder; in innerer Brust werden dann Geisterstimmen wach, und in leisem Geflüster sprechen sie mit der Vergangenheit, die vernehmlich antwortet in den Zügen, und aus der Erde hinauf in die Erde hinab wechseln die Generationen bedeutend stumme Worte, und das Fernste ist nun nicht mehr zerflossen, und nebelnd und in den Schatten erdunkelt; wie die Zeit unsterblich, so sind es die Zeiten auch geworden. Wie wäre die Welt so arm, wenn jedes Seyn am Kommenden rein gestorben wäre; wenn der Engel des Lebens mit dem Tode nicht zugleich umwan- delte, und das Köstlichste ewig jung erhielte! Es ist eine herrliche Gabe, daß, während’ das Leben unauf- haltsam forteilt, und in wirbelndem Schwunge den Staub immer neu gestaltet, ihm vergönnt wurde, immer das Beste des Erstrebten mit hinüberzunehmen in den neuen Zustand, und mit dem Erworbenen zu wuchern in der Zukunft. Wie die Seelen wandern von Form zu Form, von Gestalt zu Gestalt in fort- laufender Entwicklung, wenn sie anderst diese Ent- wicklung in eigner Selbstständigkeit in sich wecken und erhalten, so wandert auf die gleiche Weise auch ihr eigenster Besitz mit ihnen; jede neue Generation findet, wenn sie aus der Chrysalide bricht, auch schon die Blüthe blühend und die Nahrung von der Vorherge- gangenen aufgehäuft, in der sie in fortlaufender Meta- morphose gedeihen soll, und kein Besitz geht unter, wie der eigne Besitz nicht untergegangen ist. So leben die Alten und die Uralten noch unter uns, sie die über den großen Wasserfällen wohnen, wo jung und eng und klein der Zeitenstrom, noch eben aus Himmelswasser in dunkler Quelle erst geronnen, über die grauen, ver- witterten, alten Felsen stürzt, und rasch dann durch die wilden Länder eilt: wir aber, die wir unten in der Ebene unsere Heymath haben, wo er in tief gewühltem Bette zum breiten Strom geworden ist, und in viel- fache Canäle getheilt dem Verkehre dient, wir werden die Erbe vermehrt, wenn wir gekonnt, den Geistern des Ozeans überliefern, der ihn und uns in ihm auf- saugen wird. Was in Indiens Tempelhöhlen Köstliches, Wundervolles in den grauen Zeiten aus hoher Begeist- erung in dem großen Erdensabbath erwuchs, wo noch die Steine sich in frohem Wachsthum drängten, und die Diamanten Mann und Weib sich gatteten, und die geniale Erde nur noch Hymnen und Mythen in die Berge dichtete; was der Sonnentempel in Babylon geborgen, und der Perser unterirdisch im Carfunkel- schein und Goldesglanz dunkelglühend Gnomenreich Wunderseltsames gebohren; was die Zauberschlange 34. der Nil, aus dem Paradiese hervorgeschossen, die Aegyptier gelehrt, und diese auf steinernen Tafeln, ein Wunder und ein Räthsel der Zukunft, den Sphinxen zu bewahren übergeben; die ganze Saat von göttlichen Gewächsen, die auf Griechenlands Marmorfeldern geblüht, die der Erdgeist, den der Menschengeist in sich aufgenommen hat, hervorgetrieben, und die wie Naphta brennend, glühend, leuchtend die Begeisterung des Genius in allen Adern durchrinnt; was die Römer gewaltsam von der Natur ertrotzt, sie die mit dem Stoffe und der todten Materie gleich wie mit dem Leben ernst gerungen, und während sie die Völker in Fessel legten, Jene zu brechen sich bemühten, in die sie selbst die Natur geschlagen: Alles ist nicht verloren für die Spätesten, es ist ein Vermächtniß, das die Zeiten einander über- liefern. Jede junge Zeit, wenn sie gebohren wird, findet ihre Wiege mit den Gaben umstellt, die die Weissen aus dem Morgen und dem Mittag und dem Abendlande ihr gebracht; der Lebensgeist der nur im Besten kräftig wohnt, bewahrt auch eben das Beste nur vor dem Verderben, wie nur geistreicher Wein den Wechsel der Jahre überdauert; und so gewinnt die Kunst und jedes menschliche Be- mühen festen Besitz, und die Erde gewinnt ein Leben und in ihm eine Geschichte und ein Gedächtniß der Ver- gangenheit. So muß das Schlechte, nachdem es abermal und unzähligemal wiedergekehrt, doch endlich sterben; denn der Teufel ist nicht unsterblich, wohl aber Gott in uns, und wie unser bestes innerstes Wesen unvergänglich ist, so ist auch, was der Genius in diesem Heiligthum gebildet, unverwüstlich, und auch nicht die Gedanken sterben, wenn einmal ächtes gesundes Leben in ihnen lebte. Viele Zeiten sind vor uns gewesen, um zwei Zeichen hat die Geschichte den Thierkreis zurückweichen sehen in langsam zögernder Bewegung, und auf die vierte Morgenstunde deutet der Zeiger an der großen Sternenuhr, der in einem Menschenalter nur um zwey Minuten rückt. Wie der Thau fallend sich in die Berge zieht, und dort zum Strom zusammen- rinnt; und wie die Ströme dann wieder als Thau auf in Lüfte steigen, so sind die Generationen vor uns in’s Grab hinabgestiegen, und verjüngt wieder aus den Gräbern auferstanden: aber ehe sie der Verwandlung sich hingegeben, ehe sie die Grabeslampe gezündet, haben sie dem Erze, dem Steine und dem Buchstaben anvertraut, was sie gelebt, gebildet, errungen und erfahren; wie die Etrusker haben sie ihre Ruhestätte mit ihrem besten Besitze, Vasen und Geräthe, angefüllt, und wie die Thränengefäße die Symbole dessen, was sie gelitten sammeln, so haben sie ihre Liebe und ihre Hoffnungen und ihr Werthestes in bedeutenden, sinnvollen Zügen den Wänden ihrer Sarcophage eingegraben, und die kommenden Geschlechter sind zu den Gräbern hingeeilt, und haben die verborgenen Schätze dort gehoben, und sie mit dem Ihrigen vermehrt wieder mit hinabgenommen, wenn auch ihre Zeit gekommen war. Und so stehen auch wir vor diesen Sarcophagen und ihren geheimnißvollen Bildern; längst schon ist die Hand vergangen, die sie gestaltet, und in uns hat ein Auge sie zu betrachten sich geformt, das noch nicht war, als sie geworden; eine dunkle Ahndung ergreift uns mit wunderbarer Gewalt, wenn wir den geheimen Sinn zu entziffern uns bestreben: es ist als ob unsere Errinnerung ihre Mutter gefunden hätte; es ist als ob die Sterne wieder uns erschienen, die in der Dunkel- heit geleuchtet, als unsere Kindheit aus der Nacht hervorgegangen war; wir haben den Geist in uns gesogen, so will es im innersten Gemüth uns dünken, der jene Züge formte, wir selber haben sie uns selber zum Andenken in den Stein gegründet; es ist unsere eigene dunkele, verschleierte Vergangenheit, die uns begrüßt; die Aurora des jungen Tages sieht die Abend- röthe des Vergangenen noch am westlichen Himmel stehen. Das ist der wundersame Zauber, den das Alte übt, tiefer noch als das Andenken unserer Kind- heit regt es uns; wie die ferne Zukunft im Schooße des Weibes dunkel sich und schweigend regt, so liegt auch die Ahndung der Vergangenheit wie ein verbor- gener Keim in uns, den die Geschlechte erst befruchten muß, und das alte Leben durchbricht in ihr des Grabes Schranken und erscheint wie ein abgeschiedner Geist dem neuen Leben, und das alte Leben ist ein Schatten nur, der unten im Hados wohnt, die Seele aber wohnt oben in der Gegenwart, und kämpft rasch und thätig fort. Alle aber drängt die innere bildende Kraft sie weiter, oben in der Blüthe wohnt ewig neu die Jugend, unten aber an der Wurzel arbeiten stumm und still die unterirdischen Naturen, und das Alter ziehen sie zu sich nieder, und zerreiben zu neuem Lebenssafte, was sich selber nicht mehr erhalten mag. Darin liegt der Grund der religiösen Gefühle, die das Altexthum in uns erweckt; auf dem Grabeshügel der Vergangenheit werden wir geboren; wie eine Feuerflamme ist das Leben durch die Erde durchgeschlagen, aber die Tiefe nur giebt der Flamme Nahrung, und unten wohnt in dunkler Höhle die Sybille, und hütet die Mumien, die zur Nuhe gegangen sind, und sendet die Andern hinauf, die auf’s neue in des Lebens Kreise treten, und läutet die Todtenglocke, die dumpf aus der Tiefe den Geschlechtern ruft, die niedersteigen sollen in das nächtlich dunkle Reich. Das sind Betrachtungen, die alle Geschichte in uns weckt, die bescheidene Geschichte deren Bildersaal wir in diesen Blättern durchwandelt, konnte sie uns besonders nahe legen. Nicht das Leben und das Wircken welthistori- scher Momente, Eroberer, großer Persönlichkeiten ist uns aufgestoßen, aber wohl das Thun und Treiben der großen Menge, der Gemeinde, hat sich unserer Betrach- tung dargeboten: welche Weltanschauung Diese sich nach und nach gebildet; wie viel sie aus dem Strome des Wissens und der Erfahrung, der durch die Zeiten geht, sich angeeignet; welchen Stock auch sie allmählig sich angelegt, und wie auch bei ihr jede Zukunft mit dem Erwerbe der Vergangenheit gewuchert, das hat sich unserer Anschauung hingegeben. Nicht eng geschlos- sen war der Kreis der Zeiten, in den diese Bildungen uns eingeführt; wir sahen sie hin bis nach Indien reichen, und wie mit dem Verlaufe der Geschichte die Cultur sich mehr nach Westen zog, ziehen sich auch die Kreise enger um unsere Zeit zusammen: vorzüglich aber das Mittelalter ist die Periode, wo die Gestalten sich am dichtesten aneinander drängen, wo hauptsächlich die Stiftung gegründet wurde, von der die gegenwärtige Generation noch die Zinsen zieht. Welch eine wunder- seltsame Zeit ist nicht dies Mittelalter, wie glühte nicht in ihm die Erde liebeswarm und lebenstrunken auf; wie waren die Völker nicht kräftige junge Stämme noch, nichts Welkes, nichts Kränkelndes, alles saftig, frisch und voll, alle Pulse rege schlagend, alle Quellen rasch aufsprudelnd, Alles bis in die Extreme hin lebendig! Der Norden hatte früher seine kalten Stürme ausgesendet, wie Schneegestöber hatten die mitternächt- lichen Nationen über den Süden sich hingegossen, dunkel zog sich’s um die bleiche Sonne her, da gieng der Erdgeist zur tiefen Behausung nieder, da wo in gewölb- ter Halle das Centralfeuer brennt, und legte sich, während außen die Orkane heulten, zum Schlafe nieder; die Erde aber erstarrte, als wäre sie zum Magnetberge geworden, und es wollten nicht mehr die Lebensquellen in den Adern rinnen, und der Blumen- flor des Alterthums verwelkte, und die Zugvögel such- ten an den Wendekreisen eine wärmere Sonne auf. Aber die Fluthen hatten sich verlaufen, die Stürme hatten ausgetobt, der Schnee war weggeschmolzen, wie die lauen Winde wiederkehrten, und war befruch- tend in die Erde eingedrungen; der Archeus war gewekt von dem harmonischen Zusammenklange der Gestirne, wieder hervorgegangen, und hatte das Leben mit hinaufgebracht in unendlich vielen jungen Knospen und Keimen; und es brauste in allem Geäder wieder, und die Todtenkälte war gewichen, und der Winter- schauer, und des Frostes starre Herbigkeit, und es war ein ahndend Sehnen in dem Gemüthe aller Dinge und ein freudig sinnend Verlangen in allem Irdischen, als das Mittelalter begann. Ein großer Erdenfrühling war über den Welttheil ausgebreitet; der schöne Garten in Griechenland, das zweite Paradies, war wohl zer- stört, und bald trat ein Cherub mit dem Flammen- schwerd von Mahomed ausgesendet vor den Eingang hin; die Palläste der Römersiadt waren wohl geschleift und der große Thurm umgeworfen, der aller Völker Sprachen verbinden sollte: aber der ganze weite Welt- theil, der wüst gelegen hatte und verwildert, während jene Kunstgärten blühten, war nun auch wegsam und zugänglich und angepflanzt geworden, und eine Blüth- enwolke hieng berauschend über der weiten Welt, und die Moose sandten oben ihre Düfte dem schwebenden Frühling zu, wie unten die Orangen zu ihm aufduf- teten; in dem Meere von Wohlgeruch aber schwebte die Poesie wie über dem Chaos Eros, und bildete Kunstgestalten aus der Aroma und dem Farbenglanz. Und die alten Götter waren gestorben, wie das Laub gefallen war, und wie Grabeshügel lagen die Schutt- haufen ihrer Tempel weit umher, und über Tod und Grab erhaben und über Endlichkeit und Zeitlichkeit, war siegreich ein anderer Gott hervorgegangen; er hatte den letzten Athem der Sterbenden aufgeathmet, und alle irdischen Lichter waren in seinem Glanz zerronnen, und das Leben war zu seiner ersten Quelle zurückgegangen; wie es aber durchbrach durch des Grabes Nacht, und glorreich gegen Himmel fuhr, da brachte es die neue Zeit aus der Tiefe mit herauf, Elysium und die Unterwelt entwichen von der Erde, die keinen Raum mehr für sie hatte, und die schöne freudige, alte Sinnlichkeit war nun gebrochen, und die Freundschaft des Menschen mit den Elementen aufgehoben, es war Feindschaft zwischen ihm und der Natur geworden, und er sollte der Schlange den Kopf zertreten. Denn es waren andere Geister in ihm aufgestanden, die ein Anderes wollten als die Sinnenfreuden; es waren Flammen in ihm aufgelodert, die das Irdische verzehren wollten, um Höheres zu erlangen, und hohl von innen aufgerieben schwand die sinnliche Natur in sich zusammen; die plastische Fülle magerte mißgestaltet ab, aber auf den Ruinen der irdischen Herrlichkeit wandelten die freudigen Geister, die das Werk der eignen Hinopferung voll- bracht, die sich selbst, ihr Leibliches und alle Lust der Welt dem Ewigen zur Sühne hingeschlachtet, und triumphirend nun über den Gluthen des Schetterhaufens schwebten, auf den sie selbst freiwillig sich hingelegt. 35. So hatte der Funken, den der alte Prometheus vom Himmel in der Ferula hinweggenommen, des Stengels Mark verzehrt, und wollte nun, leise um die Asche flatternd, sich wieder von der Fessel reißen, in die ihn der Titan gelegt, und wiederkehren zu der Heymath, der ihn die übermüthige Kraft entführt. Das war der Genius, den die neue Religion in die Welt gebohren, und er traf nicht auf ein ermattetes Geschlecht; leben- dige Sinne hatten diese Menschen um das Sinnliche zu genießen, und es galt schweren Kampf zwischen den beiden Welten, bis die Höhere siegte. Und das eben macht die Zeiten so unendlich interessant und rührend, diese starken Naturen demüthig, fromm und hingegeben dem Heiligen zu sehen: denn es ist kein erfreulicher Anblick, wenn die Ohnmacht und die Schwäche gebeugt in kraftloser Andacht verschwimmen; aber wenn die Stärke sich selber zwingt, wenn das Colossale den Nacken von Erz und die geharnischten Knie beugt; wenn die Gewalten, die berufen sind, aufrecht und stolz wie Götter über die Erde hin zu gehen, freiwillig dem Unsichtbaren ohne Heuchelei sich neigen, dann ist’s ein freudiger Triumph der Idealität im Menschen, und ein schöner Sieg des Göttlichen. So war starker, rascher Heldensinn in dieser Zeit, mitten in dem Feudalsystem, das sie itzt so erbittert schmähen, während sie es doch nur in höherer Ordnung in ihren In- stitutionen wiederhohlen, hatte der Geist der antiken Freiheit sich noch erhalten, und die Freyen in einem Ritterthume sich fortgepflanzt, und die ganze Kernhaf- tigkeit der alten Zeit ruhte auf diesen Rittern, die ganze wilde Kraft der Leidenschaft trieb die rohen in sich ungezügelten Gemüther, und ausgleichend und beschwichtigend und glühend schwebte dann die Religion über dem Toben, und beschwor den Sturm, und führte Ebenmaß zurück und Ruhe in die brausende Gährung. Es war ein metallenes Geschlecht, und das Metall im Menschen wurde in ihm durch Feuers Macht zum reinen Silberblick geläutert, und die Schlacken zogen sich in die Knochenasche des gemeinen und des Irdischen nieder. Und was das Alterthum in dem Grade nie gekannt, auch in der Weiblichkeit trat ein Priesterthum hervor, das die Prophetinen der alten nordischen Zeit weissagend vorverkündigt; auch die Schön- heit hatte sich von den Schranken des Sinnlichen losge- wunden, auch sie war triumphirend und verklärt zum Himmel aufgestiegen, und wohnte nun bey Gott; die Geschlechtsverhältnisse aber, die im Alterthume in sich selbst ihre Bedeutung trugen, waren zu Symbolen nun geworden, emblematisch sollten sie das Höhere deuten, und im Fleische den inneren lebendigen Geist ausdrücken. Und es gieng noch ein anderer Cultus und eine andere Andacht in den Heldengemüthern hervor: auch das Schöne hatte seine Kirche, vor dem zarten, anmuthsvollen Bilde beugte die Gemeinde auch die Knie, und der Weyhrauch dampfte, und die Blumen- kränze dufteten, und die Lauten tönten, und die ewige Lampe brannte fort und fort. Die alte, strenge, klare, lichte, plastische Weiblichkeit war im Liebesfeuer zerron- nen, und ein Heiligenschein war hervorgequollen und umfieng nun das Wunderbild, und die Züge wichen in ein mystisch glimmend Licht zurück, und wie mildes Oel floß von ihm die Anmuth aus, und sänftigte die Stürme der Zeit. So giengen Andacht, Liebe, Hel- densinn in einen großen Strom zusammen, und der Strom gieng durch alle Gemüther durch, und befruchtete die reiche Sinnlichkeit, und es erblühte der neue Gar- ten der Poesie, das Eden der Romantik. Es war unterdessen aber auch tief im Süden ein anderer Geist und ein ander Gesetz gereift; wie ein sengend, wirbelnd, glühend Feuer, wie ein heißer Samiel war der wilde Mahomed aus Arabiens Wüsten hervorgebrochen; siedend Löwenblut trug dies Geschlecht in seinen Adern; entflammt von der scheitelrechten Sonne, entflammt von innerer Gluth und Enthusiasm kochte das Volk über die Ufer des weiten Welttheils in die Andern hinüber; Afrika war schon überschwemmt, und wie griechisch Feuer brannte die Masse noch auf dem Meere fort, und hatte bald Europa sogar ergriffen. Früher aber schon hatte sie die heiligen Oerter überfluthet, die Geburtsstätte der neuen Zeit, wo sie jung gewesen war, und ein Kind umwandelte unter den Greisen des Alterthums; hier wo wundervoll das große Himmels- zeichen stand, an dem alle Völker vom fernen Norden herab aufblickten, und das sie wie eine Oriflamme zu einem Volk vereinigte; hier herrschte ein falscher Prophet, und brütete Gift im innersten Herzen selbst der Christenheit, das dann von dort durch alle Adern sich verbreitend sie zerstören sollte. Das mußte wie Aezstoff wund die stolzen, raschen, nordischen Helden nagen; es war unvergleichlich mehr wie Troja und wie goldnes Vließ, nicht die Schönheit war nur gefährdet, die Religion höher und werther ihnen als alles Irdische flehte um Hilfe und um Rettung ihrer Heiligthümer. Plötzlich fuhren Alle, wie von einem Strahl getroffen auf, es galt das Höchste was den Menschen in enthu- siastische Bewegung setzen mag, und was irgend nur der Begeisterung fähig war, nahm Theil an dem großen Zuge um den Glauben und um Rache an seinen Verfolgern; und es wälzten sich Heere zahllos und muthig, alle Lanzen im electrischen Lichte des Enthusiasmus flammend, nach dem heiligen Lande hin. Und es begann der ungeheuere Kampf des eisernen nordischen Ritterthums mit den Löwenschaaren, die Asien und Afrika ihm entgegen gesendet hatte: es faßten sich die Kämpfenden mit Kraft, es galt ob Erzes Macht, ob Feuers Gewalt das Stärkere sey; die ganze alte Welt war des Kampfes Zeuge, und viele aufeinanderfolgende Generationen sahen sein Ende nicht. So kehrten die alten mythischen Götterkriege unter den Menschen um die Götter zurück; so war die Geschichte zu einem großen religiösen Epos geworden, zu dem jede Nation ihren Gesang geliefert; der ganze Westen aber hatte zu einem großen Dome sich gewölbt, und nach Osten hin am Hochaltare da brannte umgeben von ernster Stille und verschwiegner Dunkelheit in mystisch wunderbarem Lichte das heilige Grab, und geöffnet war über der wundervollen Stätte die hohe Kuppel, und ein Strahl der göttlichen Glorie fiel auf den geweihten Stein herab, und aus ihm hervor quoll dann der Segen der Gnade über die frommen Pilger nieder, die um das Heilig- thum sich drängten, und wer den heiligen Gral erblickt, der veraltete nimmermehr, und kein Bedürfniß mogt ihn drängen, und des Todes Stachel stumpfte ab an ihm: im Chore aber erhob sich der Vatikan, und da saß auf hohem Sitz der Oberpriester und lenkte den Dienst, und herrschte über die Andacht der Gemeinde; und die Ritter kamen und legten ihre Trophäen zu den Füßen des Altares nieder. So war’s ein Jauchzen, und ein Jubel und ein freudig Singen diese Zeit; die Pilger zogen in allen Ländern um, und sangen in Chören von den Thaten der Kreutzfahrer, und von der Wildheit der Unglaubigen, und von den Wundern des Landes, und Alles horchte den Gesängen, und den begeisterten Reden der Prediger, und fühlte sich auch erhoben, und wollte auch schauen das Wunderland und die gebene- deyte Erde: das andere Geschlecht aber, was nicht mitwallen konnte auf die weite Fahrt, faßte die Reden und die Lieder um so tiefer im verschloßnen Busen auf, und sie wurden der innerste schlagende Punct des Lebens, und erblühten in dem warmen Reviere schöner noch, wie jene Doppelblumen, die aus Blumenkelchen in die Höhe steigen, denn es war die Liebe, die sie trieb und pflegte. So trieben und drängten sich alle Kräfte zur Ent- wicklung vor, an der Liebe hatte die Andacht sich ge- zündet, an Dieser loderte Jene wieder höher auf; rückwärts wie eine Vergangenheit stand den Kämpfen- den die Liebe im fernen Vaterlande, und ein inbrünstig Sehnen rief sie dahin zurück, vorwärts aber schwebte mit Zukunft und Ewigkeit, die Religion und die Palme winkte und die Myrthe, und die Liebe winkte der Palme zu, und es riß fort mit Zaubers Gewalt. Und die Quellen der Poesie, die im Orient sprangen, und jene die im Occident und im Norden entquollen waren, hatten sich gemischt, und der Orientalism war tief eingedrungen in die nordische Cultur; der Blüthenstaub der südlichen Poesie ward hinüber geweht in die westliche Welt, und es sprangen seltsame Mischlinge hervor, und es wanderten die Blumen von Süden hinauf, wie früher die Völker von Norden hinuntergewandert waren. Ein üppig Quellen und ein rasches Streben riß daher Alles in dem frohen Rausche hin, das ganze Gemüth war aufgeregt und glühte und schimmerte, und die Kunst war ins Herz des Lebens aufgenommen; und wenn die Sänger von Liebe und von Thaten langen, und wenn die Ritter von innerer Herzens- unruh und Thatendrang getrieben auf Abentheuer zogen, und wenn die Prachtdramen, die Tourniere, sie zum gemeinsamen Wetteifer versammelten, überall war’s die innere Begeisterung, die übertrat und die Lebensgluth, die aus allen Pulsen sich ergoß. Ein schöner langer May war über Europa angebrochen, die Auen grünten jung und saftig, der bunte Farben- teppich war darüber hingelegt, und die Nachtigallen schlugen, und die Wohlgerüche zogen mit den Tönen, und in allen Gemüthern war ein tiefes Sehnen nach fremdem Land erwacht und ein kräftig Streben hatten sie aus blauem Aether eingesogen, und gestählt in der Gluth federten die Kräfte, und es trieb der freudige Jugendmuth. Alle europäischen Nationen aber nahmen Theil an diesem Lebensfeste, Alle vereinigte ein einig Band, der gleiche Trieb begeisterte ein jeglich Volk, und es war nur eine Erde und zwei Geschlechter auf dieser Erde. Frankreich, im Herzen Europa’s liegend, hatte frühe schon auch des Herzens Dienst versehen, es hatte zum Chorführer in dem Feiertanz der neuern Zeiten sich erhoben. Geschieden noch in eine Reihe selbstständiger Provinzen, deren jede ihrem eignen Genius folgte, und nicht geschmiedet war an gleiches Maaß und Gewicht einer herrschenden Verfassung, hatte es mit allen Völkern dadurch Berührungspunkte; der rege Trieb, der von ihm ausgieng, verbreitete sich daher über die Andern hin, und es faßte schnell wieder die Impulse auf, die von außen ihm geboten wurden. Die lateinische Sprache, in den früheren Zeiten als allgemeine Sprache herrschend, beförderte dabei unendlich diesen wechselseitigen Verkehr, und an ihr cristallisirten sich dann späterhin die einzelnen Idiome, jedes in dem Geiste des bildenden Volkes an, die daher Alle von ihrer Gründung her in diesem Medium zusammenhiengen. So gestaltete sich zunächst 36. in jenem schönen Südlande, das im ältesten Alterthume, wo Griechenland im vollen Sonnenscheine der Poesie und aller Künste stand, an der Dämmerungs- gränze lag, und schon an einem Reflexe des Lichtes sich erquickte, als noch der ganze Norden in tiefem Dunkel begraben war, die romantische proven ç alische Sprache, und gegen das Ende des zehnten Jahrhun- derts, da eben das barbarische Heldenzeitalter für diese Ritter, die zum Theil aus griechischem Blute entsprossen waren, zu Ende gieng, sangen die Troubadours, jene wunderbar begeisterte Generation, der die Natur selbst, wie den Singvögeln, die Gabe des Gesangs verliehen, und die himmelan sich schwingend in den geklärten Aether, zuerst die kommende neue Zeit mit ihrem Mor- gesang begrüsten. Wilhelm Graf von Poitou führte den Reigen, nachdem eine Menge minder berühmter Künstler vorangegangen, und es folgte nun ein Drän- gen und ein feierlicher Zug aus allen Ständen; Priester, Layen, Könige, Herzoge, Ritter, Frauen, alles stimmte in den Dythirambus ein: als hätte ein Zauber- stab das ganze Geschlecht berührt, Alle fuhren in schöner Begeisterung auf, und die Chöre zogen jubelnd, den Thyrsus schwingend zwei Jahrhunderte lang durch die Wälder, Burgen, Städte, und alle Echo’s waren wach geworden, und alle Stummen der Erde hatten ihre Sprache gefunden, und es es war ein Wogen und ein Rauschen und ein Schlagen der Gesanges Wellen, als hätte ein harmonischer Tonsturm die Zeit ergriffen. Es brach das Zarte durch die Rohheit, und die Liebe durch den Sinnestrieb, und die Religion durch die Weltlichkeit und des Lebens Ueberfülle; in freier Unge- bundenheit spielte der Witz sein frivoles Spiel, und alle bie Richtungen schossen durcheinander, wie bei’m Teppichwürken das Weberschiff durch die aufgezognen Fäden fährt; die bunten Bilder aber, die sich würkten, fielen auf die Erde, und wurzelten in ihr, und wurden neue, phantastisch seltsam zusammengesetzte Blumen. Was so im Uebermuthe der Begeisterung, und im freudigen Lebensrausche sich gebildet, das faßten die Herolde der Dichtkunst auf, und die Conteurs zogen im Lande um, und declamirten die Gedichte, und die Jongleurs stellten sie mimisch und dramatisch dar, die Menetriers aber statteten sie mit dem Zauber der Tonkunst aus. In der Poesie aber hatte sich aller Unterschied der Stände ausgeglichen; die Liebe schlug wie Himmelsblitz aus der Höhe in die Tiefe nieder, und zog sich wie ein Erdenblitz aus den Tiefen funkelnd, sprühend, schimmernd an den erhabnen Gegenständen hinauf, und die Schönheit im Geschlechte fühlte sich eng mit der Schönheit in der Kunst befreundet, und ein Kranz der Freude und der Fröhligkeit schlang sich um den Sänger und seines Herzens Liebe her. Auch die Poesie daher war wieder dankbar und ergeben dem Geschlechte; gern mogte sie der Schönheit, als der höchsten Instanz in Geschmack und Angelegenheiten der Liebe hul- digen, und so traten denn die Minnegerichte in der Zeit hervor; und es waren nicht Pedanten, die in critischen Blättern die Kunstgebilde mit plumper Faust zerpflückten, zarten Händen war die Pflege anvertraut, und was aus warmem innerm Leben hervorgequollen war, fand auch wieder warmes Leben außen vor, von dem es freudig aufgenommen und geborgen wurde. So hatte die Sirene der neuen Zeit in diesem Land begonnen, und ob den Tönen erwachten nun auch die Sirenen, die rund umher in den andern Gebürgen schliefen; sie fielen in die Accorde ein, und schwellend erhoben sich die Gesänge, und flutheten, immer weitere Kreise schlagend, über den ganzen Welttheil hin. Jenseits der Pyrenäen hatten die Spanier, ein schwer, gediegen, gemüthvoll, tonreich Volk sich gesammelt; da trugen die Mauren afrikanische Sonnengluth hin- über in die Zaubernacht, und blutroth begann die Nacht zu flammen, und in dem Brande kämpfte sich der Kampf um den Himmel und den Propheten, und es tönte Schwerdtesschlag heraus und Waffenklirren, Cid’s Schlachtruf dem Kriegsgeschrei voran, und wieder tiefe Stille uud durch die Ruhe Lautenton und der Romanze wunderbarer, gedämpfter Schall, gleich unterirdischer Wasser Rauschen; dann wieder Glocken- ruf und Hymnenfeyer, orientalisch Liebesschmachten und Gegirre unter Brunnenrieseln, und wieder Lanzen- sausen, Todtenklage, Siegsgeschrei. So war das Leben diesem Volke eine große Schule, es hatte ein herrlich, göttlich Heldenthum im Kampfe mit den Hei- den sich errungen, damit trat es in sich vollendet in den Völkerkreis, und es klangen die Gesänge mit den Gesängen der Proven ç alen in eins zusammen; es waren versunken für die Kunst die Pyrenäen, und die Castilianer, und Catalonen und die Arragonier, Alle bildeten sie mit jenen südfranzösischen Dichtern nur einen Chor; und es war ein Leben nur in ihnen und eine Harmonie und ein Wetteifer; und das Reich der Poesie war wie der Kirche Reich nicht an die politischen Gränzen gebunden, sondern reichte hoch oben durch die Lüfte und das Firmament über alle Völker her. Auch im Norden hatte derselbe Geist gezündet, jenseits der Loire in der Rormandie und Bretagne war ein eigner Dichterstamm, die Trouveurs, hervorgegangen; und es klangen in ihnen die Töne der südlichen Sänger weiter, aber durch die Töne rauschten hörbar andere Accorde durch, die nordischer Geist ihnen eingegeben hatte: während die Proven ç alen der Lyrik sich zuwan- den, trat hier mehr herrschend das Epische hervor. Denn wie die Proven ç alen die Spanier in ihren Bund aufgenommen hatten, so kamen diese Dichter unmittel- bar von der Hälfte des eilften Jahrhunderts an, nach der Eroberung von England, mit dem Volke dieses Landes in Verkehr, gaben Impulse und empfiengen welche, und dort, wo früher schon die caledonischen Bar- den gesungen hatten, wo die Poesie vielleicht nie ganz ausgestorben war, blühte sie nun von neuem in den Mynstrels auf, und es war ein neuer Grundton zu dem großen Chorgesang hinzugekommen. Und es dran- gen die Proven ç alen auch über die Alpen vor, und trafen in Italien auf einländische, eigenthümliche, genuine Kunst und Poesie, und vermischten sich mit ihr, und wie später die Normannen in Sizilien sich festsetzten, drangen auch die nordischen Radiationen von Süden wieder reflectirt nach Norden hinauf, und über den Trümmern der alten Zeit durchkreuzten sich alle die mannigfaltigen Bestrebungen, und sogen vom Geiste des Alterthumes ein, der noch aus den Ruinen erquik- kend und belebend dampfte, und es erklang abermal ein neuer Grundaccord, und schmiegte sich den andern bei, und lauter rauschte der Gesang einher. Auch Griechenland war nicht gestorben; die alte Brücke, die Xerxes zwischen Asia und Europa geschlagen, stand noch in diesem Reiche: da wanderten die fantastischen Feuergeburten des Orients in den andern Welttheil hinüber; Susa, Ecbatana, Persepolis, Babylon, Chaldäa und Assyrien, Kleinasien, alle die versunknen Gewalten der untergegangenen Welt gehorchten dem Geisterbann und schritten durch die Kreise, noch einmal hob die uralte Zeit müde ihr eisgraues Haupt aus dem Grab heraus, und sah staunend in die Gegenwart hinein, und die Gegenwart sah staunend die verblichene Gestalt über den Gräbern wankend stehen, wie seltsame Visionen sie umkreisten, und verwitterte Schatten in den Gewölken um sie lagen, und da das alte Haupt zur Ruhe sich hingelegt, und die Schatten versunken waren und die nebelnden Gestalten: da erzähten die Neugriechen in exaltirter nachglühender Phantasie was sie gesehen, wie der Welttheil zur Todtenhalle sich gewölbt, und wie die großen Verstorbnen dort wandel- ten, und wie ihre Schatten noch umgiengen oben in des Tages Licht als Sagen, und die Völker hörten freudig erstaunt sie reden, und von Munde zu Munde pflanzten sich die Traditionen fort, von den Pilgern und den Kreuzfahrern umgetragen, und auch sie sangen in die Poesie der Zeit hinein. Tief im Norden aber, wo der Himmelsdrache den Scheitel eng umkreist, war der dunkle Bogen aufgestiegen, und es schossen da und dort Blitzlichter heraus, und die Dunkelheit sog sie wieder ein, und sandte neue stärkere hervor; und die Lichtsäulen stiegen an den Sternen auf; und eng durchwebte mit den Strahlenschüssen sich der Himmel, und die fahrenden Lichter zischten, und Geister sausten, und ein unerklärbar Getöne zog durch die Lüfte, wie Pfeilgeprassel und Helmgeklirr, und es öffnete sich der mitternächtlich dunkle Bogen, und es stand im lichten Glanz ein neuer Götterhimmel. Die Feuerbrücke und an ihr die Himmelsburg, Thor’s vielgewölbte Halle die Elfenwelt, Asgard, wo in goldnen und silbernen Pallästen die ewigen Götter und die Göttinnen woh- nen, und Walhalla von Gold gebaut, unabsehbar groß, mit fünfhundert vierzig Thoren, mit Lanzen- schaften getäfelt, mit goldnen Schilden gedeckt, wo Odin mit den gefallenen Helden schmaust; Ymer aus dessen Fleisch die Erde geschaffen, aus dem Gehirne der Himmel, aus den Knochen die Felsen, und die Eisriesen von Schnee und Reif zusammengeronnen in der Ferne kämpfend; die Nornen, die das Schicksal regeln aus dem Wunderborne steigend. Und die Wolen zogen weissagend um, und die Walkyren webten in dem Hügel das Gewebe der Schlacht mit Gedärmen der der Menschen, von Männerschädeln die Fäden gezogen, blutige Lanzen die Tritte, Pfeile die Schiffchen, mit Schwerdtern wird das Todesgewebe geschlagen und schnell fliegen sie dann auf eilenden Rossen hinweg. Oben am Pole aber zuckt an dem Hamen des gewaltigen Donnerers die giftige midgardische Schlange, und dazwi- schen tönen Skaldengesänge und Todtengesänge und feiern- der Hymnen Schall. So hatten denn die Wechselchöre von allen Seiten her Teutschland umzogen; es konnte nicht stumm bleiben in dem lauten sangvollen Leben: von allen Gebürgen riefen sie in Strophen und Gegen- strophen antwortend einander zu; was klangbar nur in ihm war, mußte wohl sich regen, es mußte resoniren bei so vielfältiger Berührung. Der alte inländische Bardengesang war mit dem Eindringen des Christen- thums verhallt; es erwachte bald ein anderer Dichter- kreis; am Rheine und in Schwaben, der Provence von Teutschland, wurden die ersten Stimmen laut, es zündete Stimme sich an Stimme an, durch Franken, Thüringen, Sachsen bis nach Oesterreich rauschte bald der Gesang dahin. Die Minnesänger waren aufge- standen, und es war die weisse Rose, die in ihnen blühte, während die Purpurrose sich in den Troubadours entfaltete. Schuldlos, einfach, herzlich, zart und innig war die Liebe, die sie sangen; würdig, ernst 37. und brav und edel der Ton, in dem sie Thaten prießen und Männerstreben; der Geist des Volkes redete aus ihnen. Es hatte die Nation, nachdem sie eifrig für ihre alten Götter und ihren alten Glauben gekämpft, die neue Religion in ihre gothischen Tempel aufge- nommen, und der geheimnißvolle Geist, der unter den hochgewölbten Hallen webte, hatte sich herabgelassen auf die Betenden, und war eingedrungen in die stillen ruhigen Gemüther, und sie waren auch Tempel ihm geworden, und in die Dämmerung goß er seine Strahlen aus. Es war die Gemeinde fromm im Glau- ben, aber keck und frei im Leben, weil Sinn und Lebensmuth sie trieb. Eine sonderbare Verfassung hatte sie sich zugebildet, verschränkter, durcheinander- gewundner Arabeskengeist; ein seltsam, sprossend, rankend Geschlinge vielfach verschiedner Formen, jede fleissig bis in’s Einzelne ausgeschnitzt, nirgend Mono- tonie und herrschende Uebermacht, das Ganze in freier Willkühr erfunden und kunstreich zusammengesetzt. Unabhängiger Sinn war herrschendes Prinzip in der ganzen Construction; während die Ritter daher auf ihren Burgen hausten, und Ritterwerk und Kriegsspiel übten, hatte in den Reichsstädten auch ein Ritterthum der Bürgerlichkeit sich gebildet, und es war ein schönes rasches Leben in diesen nordischen Republiken, ähnlich dem wie es früher in den Griechischen bestanden hatte, und gleichzeitig in den italiänischen Freistädten bestand. Muthiger Sinn für Recht und Ehre trieb diese Helden- bürger, wie Inseln waren ihre Städte reich und blühend über das stürmische Meer der Zeit hervorge- treten, und sie hatten ein Vaterland in ihnen zu bewahren; Jede hatte daher eine Geschichte und ein Ahnenreich gewonnen; kühn kämpften sie jeder Ueber- macht entgegen, römischer Geist der bessern Zeit trat in Kriegesläuften, nichts Seltenes, hervor, und in ruhiger Zeit pflegten sie gleich sorgsam alle Friedens- künste, und wie die Hansestädte mit ächter, vielleicht ausgestorbner, Genialität den Handel trieben, und einen mächtigen Bundesstaat bildeten, so waren die Binnenstädte die unmittelbaren Organe des innern Verkehrs, des Kreislaufs und der Assimilation. Selbst der Bauernstand hatte später etwas in der Schweiz Ritterehre sich erkämpft; eine Hirtenrepublik hatte auf ihren Gebürgen sich gebildet, und wenn auch vielleicht ihr Streben für die Poesie unmittelbar verloren war, so war es das doch keineswegs für die Poesie des Lebens. Und auch die Fürsten blieben bei dem allgemeinen Wetteifer nicht zurück; man weiß, wie die Kunstge- chichte teutsche Kaiser und Fürsten jeder Art unter den Sängern dieser Zeit aufführt. Und so mußte denn in diesen Tagen, wo die Nation noch nicht unter fortdauernden Kriegesplünderungen und Friedensdruck verarmt, mit dem Wohlstand auch eine eigene selbst- ständige Poesie erblühen: es war die Begeisterung der Natur in dem Lande noch nicht erloschen, sie konnte die teutschen Weine treiben; in der Begeisterung, die erwärmend die Kunst anregt, mogte nichts Schlechteres reifen. Während daher die Minnesänger in lyrischem Enthusiasm die Liebe sangen und des Gemüthes Sehnen, und leicht wie den Federball das leichte Wort handhabten, und in zierlich schönen Bogen und reizend gefälligen Formen hin und zurück, sinkend und steigend durch die Lüfte trieben, sangen der Aventüre Meister in größeren Gesängen die epische Kraft, die wie eine Gottheit verborgen in tiefer Menschenbrust wohnt, und That mit That, wie die Natur Welt mit Welt verkettet, bis um den Menschen her sich das Leben wie eine romantische Wildniß zugezogen hat. Und sie boten dem allgemeinen Verein zuerst, was unmittelbar auf ihrem Boden sich erzeugt, das Nibelungen Lied, jenes große Gedicht, wahrscheinlich in naher Berührung mit der nordischen Heldenmythe hervorgegangen, die der Rormänner Züge bis nach Italien hinunter frühe schon verbreitet hatten, und die gerade um diese Zeit, im 12ten und 13ten Jahrhundert, Saemund und Snorre in der Voluspa, der Heimskringla, Edda, Rymbegla und so vielen andern Dämosagen sammelten. Ein großes Denkmal hat sich die große Zeit in diesem Werk gebaut, nicht in Marmor rein und in allen Umrissen plastisch vollendet, wie die Ilias, ist das Ge- dicht gedichtet, sondern eine Rune in festen Granit gedacht, als ob ein ganzes Gebürge, der Athos, zur Bildsäule gebildet wäre, und zum Male einer mächtigen riesenhaften Vergangenheit aufgerichtet, durch den ganzen Welttheil herrschte und durch die ewige uner- gründlich tiefe Zeit. Und es war das Heldenbuch her- vorgegangen, die Gigantomachie der gothischen, vielleicht longobardischen Periode; es hatte in ihm die Poesie den Seidenfaden um ihren Zaubergarten hergezogen, und es freute sich die Nation der rüstigen Kämpfer, die kamen um ihr die Kränze abzugewinnen. Und viel waren deren, die um die Kränze rangen, was die Zeit nur von poetischem Stoffe aus den Tiefen des Gemüths heraufgeworfen hatte, das faßten Diese auf, und eigneten es dem Geiste ihres Volkes an, und sangen es in teutscher Zunge wieder. Die Engelländer boten ihren Artus mit der Tafelrunde, sie und die Franzosen hatten in ihm einen Dichterkreis geöffnet, und die Teutschen schlossen in ihren Gebilden ihn wieder. So war der herrliche Titurell unter Albrechts von Halberstadt Pflege hervorgegangen; so der wundersam verschlungene, abentheuerreiche, thumbe Parcifal des Wolfram von Eschenbach; so der Thaten- und zauber- volle Löwenritter des Hartmann von der Aue, Lancelot vom See von Ulrich von Zezinchoven, der Wigolais des Wirich von Grauenberg, Daniel von Blumenthal und so manche Andere, die untergegangen sind. Die Fran- zosen und die Italiäner aber hatten den Kreis von Carl dem Großen und seinen Genossen gegründet, und die Teutschen nahmen davon Rolands Thaten in ihrem Stricker, und Reinold und Malagis, und Ogier von Dänemark auf. Und während von andern Helden Rudolf von Montfort, und Ulrich von Thür- heim, und Conrad von Würzburg und Vtele außer ihnen in kräftiger, derber, mannhafter Sprache sangen, dichtete Gottfried von Straßburg nach britunschen Mähren den galanten, zierlichen Tristan, und es gestaltete sich die heroisch kindliche Idylle Flore und Blantschiflor, und Lothar und Maller, das schöne Bild treuer Ritterfreundschaft, und im Freydank und im Renner, und dem welschen Gaste, und dem Winds- beck und der Windsbeckin und vielen Andern hatte die Nation ihre Gnomen und didactische Poesie niederge- legt. So war mit kräftiger, nahrhafter Lebensprosa geistreiche und begeistigende Poesie verbunden, und wie Wetterleuchten schlug dann durch das Alles der muthwillige, kecke Scherz hindurch. Zünftig war der Witz in den Hofnarren geworden, die Zeit hatte den Fürsten den erhaben geschliffnen Spiegel zugegeben, aus dem ihr verkleinertes und verschobenes Bild spöt- tisch sie anlachte, und was unter der Schellenkappe der freie Geist gestaltete, war als ein bewußtloses Naturproduct anerkannt. Und dramatisch hatte dieser Geist in den vielen seltsamen, barocken Festen, den Narren- und Eselsfeyern sich offenbart, und es hatte darin die Zeit, die nichts was natürlich und menschlich zu unterdrücken wußte, auch dem Harlekin im Men- schen freien Lauf gelassen, und er sprang mit raschen Sätzen vor, und trieb sein loses Spiel mit, Allem was auf Ehrwürden Anspruch machen wollte. Er brachte zum Dank dafür die zahllosen Schwänke und komischen Erzählungen und in einer Anwandlung von Bitterkeit und Ernst auch selbst Reinecke Fuchs, jenes große Weltpanorama, mit, und Alle sind als ein Vermächtniß dieser Jahrhunderte bis auf uns gekommen. Keine Men- schenkraft war auf diese Weiße stumm geblieben, Alle spra- chen, Alle rangen im gemeinsamen Wetteifer, wie die Sän- ger auf der Wartburg, im Angesichte der Nationen; und es war ein großer kunstreich verschlungener Tanz, in dem sich die ganze Generation bewegte, und in eine schöne wunder- same Arabeske war das Geschlecht verwachsen unten mit dem Blumenreich und oben mit dem Himmelreich, und es sangen alle Vögel in den Zweigen, und die Kinder spielten in den Blumen, und es rührten schöne Frauen die Laute in den Schirmen, und es hasteten geharnischte Ritter durch das Dickigt, und kämpften mit Serpenten, und Eremiten knieten betend, und auf bunten Libellen trieben die Scherze sich umher, es giengen Löwen stolz und freudig an der Minne Zügel, und das ganze Gewächs tränkte Himmelsthau und der Erde Mark, in dem sich auch die Rebe nährt. Und wo ist all dies freudige Leben hingekommen, hat es in der Erde Klüfte sich gezogen, um zum neuen Springquell sich zu sammeln, sind die Zeiten alt gewor- den und senken sie kraftlos das graue Haupt der Erde zu? Nachdem jene hochpoetische Zeit vorüber war, da begann noch einmal jener glühende Feuer- und Farben- regen, in den die wiederauflebende Mahlerei in Italien und in Teutschland und den Niederlanden sich aufge- löst; es waren die fallenden Sterne vor dem jüngsten Tag der Kunst, und nachdem die großen Genien der neuern aufgestanden und wieder hingegangen waren, nachdem Shakespeare das offne Himmelsthor geschlossen hatte, da erfolgte Todesstille und Verkehrtheit auf lange hin: der Antichrist war nun gebohren. Denn ewig beherrscht der Kreis alles Menschenthun, es ist eine Achse in die Mitte der Natur eingeschlagen, und der Stolzeste hat sein Band dort festgeknüpft, an dem ihn das Ver- hängniß in seiner Bahn umtreibt; nur höhere Geister sind freier auch gelassen, und mögen auf des Lichtes Flügeln frei durch die Räume eilen. Mit dem Kreislauf aber ist ewiger Wandel auch und ewige Wiederkehr gegeben; unaufhaltsam dreht sichdas Rad der Dinge jetzt durch den Winter durch und dann wieder durch des Frühlings Blüth- en; keine Macht kann seinen Schwung aufhalten, keine Kraft es in seinem Umlauf fesseln, daß ewig der Tag am Himmel stehe, und nimmer die Sonne sinkt. Es war der junge Frühling alt geworden, seine Blüthen mußten fällen. Es hatte die Erde sich an den Himmel angelegt, wie der Säugling an die Mutterbrust, und sich freud- und leben voll gesogen; sie war erstarkt und sollte sich entwöhnen; die Reformation strebte auf eigene Füße sie zu stellen. Um die gleiche Zeit war die ent- lassene Erde auch zum vollen Selbstbewußtseyn erst gekommen; sie hatte sich in ihrer Kugelform erkannt, es hatte der spähende Verstand eine neue Welt entdeckt, und in ihr das Brod der irdischen Natur, das Gold, Nahrung für das Geschlecht und Ersatz für jene Schätze, denen es entsagt. So wandte der Erdgeist sich vom Aether ab, er kehrte in sich selbst zurück, und suchte in 38. der Tiefe andere Gaben, als jene die der Himmel spendet; es mußte die Poesie entfliehen, Alles mußte gegen die Industrie sich wenden; von dem was früher geblüht, suchte man die Früchte itzt am Boden auf. So ist denn unsere Zeit, nachdem es Abend vielmal und Morgen geworden, auch geworden, und Gott sah, daß sie gut war in ihrer Schlechtigkeit. Kraftlos nicht, aber unendlich betriebsam und verständig hat in ihr der Erdgeist zwischen Gold und Eisen sich getheilt; mit dem Stahle wühlt sie in den eignen Eingeweiden nach dem Bezoar, der sie heilen soll; denn Leichen- blässe liegt auf ihrem Angesicht, und Krämpfe durch- zucken ihr Gebein; wie sollte sie Gesang und Saiten- spiel da mögen! Und es ist rührend, wie immer noch nicht die Sänger weichen wollen; alles Laub ist gelb geworden, jeder Windhauch löst mehr und mehr der dürren, verspäteten Blätter ab, und sie falleu langsam traurig zu den andern Leichen nieder; immer aber sitzen Jene noch auf den kahlen Zweigen, und singen unver- drossen fort, und hoffen, harren, klagen, und immer tiefer sinkt die Sonne, länger weilt nach jedem Tag die Nacht, und die kalten dunkeln Mächte greifen immer tiefer in das Leben ein. Fliegt nach ihren Städten, laßt euch haschen, singt im Käsig, sie streuen euch dafür euer Winterfutter. Nachdem wir viel Hof- farth und Uebermuth getrieben, nachdem wir in Opium unseres Lebens innern Stoff versoffen, ist die Zeit der elegi- schen Stimmung nun gekommen, und wir werden viel thun in der Gattung, ohne daß es irgend besser würde. Aber das werden wir gewonnen haben, daß wir in der Zerknirschung wieder achten lernen die Zeiten und die Geister, die vor uns gewesen, die auch gestritten und getrachtet und gekämpft, und die uns unter andern auch die Ehre zum Erbtheil hinterlassen haben, die uns verkommen ist. Wir standen so hoch und warm in unserer Höhe von Wonneseligkeit so trunken; es war eine gesegnete Zeit, an der alle vorhergegangenen Jahrhun- derte keuchend trugen, wie Atlas an der Himmelskugel; es war so dunkel, ach so fürchterlich dunkel hinter uns in diesem Mittelalter, und um uns her so licht und unaussprechlich klar; es war ein so stolzes Gefühl mit den Ueberbleibseln dieser barbarischen Zeit unser eigen Werk zu vergleichen, und das kindische Lallen der rohen ungeschliffenen Naturmenschen anzuhören, und wie sie schwer und mit gebundenen Füßen nach der Schönheit giengen, die unsere Journale in kinderleichtem Spiel wegpflücken; wir wußten Alles und aus allen Zeiten besser und dauerhafter in unserm eigenen Vater- lande zu vollenden, und konnten unsern poetischen Staat zum geschlossenen Staate machen: da kam der Widersager und versuchte uns, das war ein greuelvoller Anblick, der uns versinken machte, und wir schielen nun nach dem Himmel hin, ob der sich nicht erbarmen mögte. So ist die Hoffart zu Fall gekommen, und so wird’s ewig seyn, bläht euch, treibt euch hohl von innen auf, ihr gewinnt an Breite wohl, aber alle Gediegenheit ist hin, und ein Spott der Winde schwankt ihr ängstlich da: reißt gewaltsam aus dem Leben euch heraus, es wird euch verlassen, wenn es am nöthigsten euch thäte, und wenn ihr eben gerüstet sieht zum Kampfe um Alles und um euere Existenz, dann wird der fatale Schwindel kommen, und ihr seyd impotent und lahm. So wäre es daher verständig wohl, nicht ferner mehr so sehr zu pochen auf das was wir geleistet, und bey unsern Vätern anzufragen, daß sie in unserm Misere uns ihren Geist nicht vorenthalten, und uns erquicken in unserer Noth, mit dem was Gutes und Schönes sie gebildet: sie sind immer die Nächsten uns, und werden es uns nicht entgelten lassen, was wir in den Tagen unseres Stolzes gegen sie verbrochen haben. Auch das wird uns fernerhin wenig zieren, sie herabzusetzen so ganz und gar gegen die alte classische Zeit in Griech- enland; die Griechen mögten sonst, wenn wir so gar knechtisch von unserm und unserer Väter Naturelle denken, uns wohl für Heloten nehmen, die sich mit ihrer Herren Sitte und ihrer Art nach gemeiner Sclaven Weise blähen wollten, und das würde uns wieder sehr empfindlich fallen. Es war wohl allerdings eine herr- liche Zeit, diese Griechische, gerade deswegen weil sie Alles hatte, was uns nach und nach hingeschwunden ist: Lebensmark, und Trotz und freie Besonnenheit im raschen Thun und Treiben; sie mußte Treffliches wohl bilden, und das Trefflichste im engsten Kreise concen- trirt mußte classisch werden. Diese Concentrirung war nicht in der neuen Zeit, dagegen trat das Unendliche ein in sie, und mit dem Uebergang in’s Geisterreich konnte nun physische Geschlossenheit nicht mehr bestehen; im Uebersinnlichen sind nicht begränzte scharf, geschnittne Crystalle, aber es ist unendliche Crystallisirbarkeit, ein schwebend Formenreich, das nur mehr Magnet bedarf, um anzuschießen in die einzelne besondere Gestalt. So war die Aufgabe der neuen Zeit eine Unendliche, ihr könnt von einem endlichen Zeitraum nicht fodern, daß er das ganze Problem nett und rein auf einmal euch löse. Das Mittelalter hat kein rein classisches Werk hervorgebracht, aber es hat die Schulschranken der alten sinnlichen Classicität durchbrochen, und eine Andere, Höhere begründet, an der alle Zeiten zu bauen haben, weil in keiner einzeln die Quadratur des Zirkels gefunden werden kann. Den herrlichen Torso der Kunst hat die alte griechische Zeit gebildet; aber blind war wie die alte Plastik die treffliche Gestalt, das tiefe, schwärmerisch versunkene Auge hat erst die Ro- mantik ihm gegeben, und die nordische Schaam hat freilich dafür den schönen Körper in die Drapperie des Gewands verhüllt, das symbolisch nur die Formen der Gliedmaßen anzudeuten hat. Lassen wir so jeder Zeit ihr Recht, die Zukunft wird uns auch das Unsrige lassen; jede schnöde Herabwürdigung, jede einseitige Aufgeblasenheit ist verwerflich in sich selbst, und muß endlich am eignen Selbstmord sterben. Es würde kläglich seyn, wenn je die Achtung und die Liebe für griechischen Sinn und griechische Kunst unter uns aussterben sollte, besonders itzt, wo beide Nationen sich wenigstens im Unglück gleich geworden sind: aber wenn wir selbst unsere Eigenthümlichkeit nicht geltend zu machen ver- stehen, dann laßt uns vor allem doch nicht so leichtsin- nig das Andenken an Die hingeben, die recht gut die Ihrige zu vertheidigen wußten. Wenn es uns gelingt, einen Theil des Geistes, der in ihren Werken lebt, in uns einzusaugen; wenn wir unsere Frivolität umtauschen gegen den gediegenen Sinn, in dem sie handelten; wenn wir versuchen, da wir nun so vernünftig sind, auch verständig endlich einmal zu werden, um nicht so gar plumb und ungeschickt durch’s Leben durchzustolpern: wenn wir endlich einen Theil unserer übermäßigen Fügsamkeit ablegen und unseres taubensinnigen Langmuths, der Alles wohl sich gefallen läßt, und dann plötzlich und spröde ohne Uebergang und Besonnenheit reißt und bricht: dann mag Alles sich wohl noch zum Besten wenden. Nur wer es werth ist, daß die Geister ihm erscheinen, dem mögen sie sich helfend nahen! Es führt ein leichter Uebergang zu dem Gegenstand zurück, dem uns jener Anflug von Begeisterung ent- führt: aus dem Zeitalter, das wir prießen, sind die Volksbücher meist hervorgegangen, mit deren Anschauung wir uns beschäftigt haben; was wir über sein Wesen ausgesprochen, gilt auch von ihnen, die sie Kinder sind von dieser Zeit und noch stehende Ruinen. Es war die ganze Masse der Nation so bis in’s Innerste erregt, das bis zu den untersten Classen die Begeisterung drang, und wenn die große Menge einmal schwankend sich bewegt, dann legen sich sobald nicht die Wellenschläge wieder: bis heute sind jene Gesangeswellen dem Volke nicht zergangen, während zu ihrer Schande, Jene die sich die Gelehrten nennen, rein das Andenken verloren hatten an die ganze Zauberwelt, in der ihre Vorfahren gewandelt waren. Und so reich war diese Welt, daß nicht die Vornehmen blos reiche, zierliche Kleider zu ihrem An- theil bekommen hatten, und schöne, goldgestickte Wat, in dem sie prangen mogten; auch der gemeinste im Volke erhielt ein weisses reines Gewand zum Feierkleid, und man muß dem Volke Zeugniß geben, daß es die Gabe wohl bewahrt, sorgfältig sie in seine Schränke einge- schlossen, und noch jetzt ihrer an seltnen Tagen sich erfreut; während die höheren Stände alle ihre Pracht sündlich versäumt und hingegeben haben, weil sie immer nur der Mode fröhnend, kein Herz für den alten Plunder haben konnten. So hat die alte Zeit verbannt bei’m Volke sich verbergen müssen, und das Volk ist rein auch allein vom Schimpfe der bösen Zeiten ge- blieben, die sie verdrängten. Wollt ihr sie suchen die Verwiesenen, ihr müßt sie bei’m Volke suchen, wo sie noch im Leben gehen, und im Staube der Biblio- theken, wo sie schon viele Jahrhunderte den Winterschlaf gehalten haben! Wecken wir sie denn aus dem langen Schlummer auf, sie werden Wunder staunen, in welchem Zustand sie die Enkel finden; die kleine Schaamröthe mögen wir immerhin über uns ergehen lassen. Und wenn sie denn nun wachen, und wenn sie unserer sich angenommen haben: dann um’s Himmels Willen! laßt uns das alte Affenspiel nicht wieder auch mit ihnen treiben, und wie Knaben hinter ihnen ziehen, und grimassirend, voll Affectation und hohlem, taubem Enthusiasm, ihre Haltung und ihr Geberdenspiel und Alles ihnen nachstümpern, daß es ein kläglicher Anblick für Götter und Menschen ist. Ernst und würdig sind die Gestalten, zu edel für eine solche Mummerey; wenn wir sie dafür mißbrauchen wollen, dann lassen wir sie lieber unten schlafen. Nimmer läßt sich, was eigen- thümlich einer Zeit und einer Bildungsstufe ist, in einer Andern unmittelbar objectiv erreichen. Es kann wohl das Genie das Vergangene eben auch zum Objecte seiner bildenden Thätigkeit erwählen, es wird alsdann das Wesen des Alten in die Form des Neuen umgebil- det, oder auch hinwiederum das Wesen des Neuen in die alte Form übertragen, und es entsteht eine halb- schlägtige Natur, die aber immer ihre innerste Wurzel in der Gegenwart hat. Das aber ist’s nicht, was vor der Hand uns noth thut, nicht daß wir das Alte um- bilden nach uns selbst, wird an uns gefordert, sondern daß wir uns in etwas nach dem Alten bildeten; daß wir an ihm aus der Zerflossenheit uns sammelten, in der wir zerronnen sind; daß wir einen Kern in uns selbst gestalten und einen festen Widerhalt, damit in uns nicht das eigene Selbst fernerhin verloren bleibt, das wird uns angemuthet. Ernst sollen wir und Würde von diesen ernsten Gestalten lernen, die uns Beide so unendlich im Leben fehlen; im Vertrauen auf uns 39. selbst sollen wir unsere Eigenthümlichkeit ausarbeiten, wie sie die Ihrige ausgearbeitet haben, aber wir selbst aus unserm eignen innern Lebensgrund hervor, nicht wie dummes Blei uns abermal in ihre Formen umgies- sen lassen; in unser Inneres sollen wir einkehren, und dort wo’s bei’m Anschlagen so hohl und hölzern klingt, wieder Natur und Innigkeit und gediegne Festigkeit zurückrufen; jenes unmäßigen Affengenie’s sollen wir in ihrem Angesicht uns schämen und unserer leeren Ziererei, unseres prahlerischen Renommirens: dann werden auch die Götter gnädig seyn, und bessere Zeiten senden. W as hier als ein kleines, selbststaͤndiges Werk erscheint, sollte Anfangs nur als abgerissener Aufsatz in einem periodischen Blatte seine Stelle finden. Gewohnt indessen, was ich ergreife, mit Ernst und Liebe zu umfassen, gab ich bald dem Interesse des Gegenstands mich hin, und die Blaͤtter fuͤgten sich von selbst zu einem Buch zusammen. Es wird sich indessen bei naͤherer Ansicht wohl ergeben, daß nicht ein Wort zuviel im Buch geschrieben ist. Wohl aber moͤgen Manche, die sich darin finden sollten, fehlen. Ein Gegenstand, der tief in die Literatur des fernen Mittelalters greift, fordert, wenn er fuͤr die Betrachtung voͤllig erschoͤpft werden soll, ungewoͤhnliche Hilfsmittel, die mir keineswegs zu zu Gebothe standen. Es war keine oͤffentliche, große Bibliothek, die ich zu dem Zwecke benutzen konnte: blos eine Privatsammlung, die des Her- ausgebers vom Wunderhorn, die aber freilich gerade fuͤr meinen Zweck vollstaͤndiger gesammelt hatte, als wenige Oeffentliche wohl moͤgen, hat mir meist Alles das geboten, was ich in meiner Schrifft verarbeitet habe. Es ist wohl moͤglich, das ganze Gebiet des menschlichen Wissens in seinen allgemeinen, großen Massen zu uͤberschauen; es ist moͤglich, mit dieser großen Weltanschauung auch noch die besondere spezielle Anschauung eines einzelnen Faches bis in seine untersten Elemente zu verbinden, aber dies Detail bis in alle Faͤcher hin zu verfolgen, uͤbersteigt eines Menschen Kraft. Darum ist die Einrichtung getroffen, daß mehrere Menschen sich in die einzelnen Zweige theilen, und Alle zusammen nun diese Atomistik der Wissen- schafft zu vollenden streben. Der strenge Literator wird daher in meinem Buche nicht jene elemen- tarische Vollstaͤndigkeit suchen duͤrfen. Ich habe zwar auch darin nichts von dem aus der Acht gelassen, was mir irgend zugaͤnglich war, und Mancher moͤgte denn doch hie und da durch Resul- tate sich uͤberrascht finden, zu denen ihm gerade die Thatsachen nicht vorgekommen waren. Aber im Gebiethe der Gelehrsamkeit ist’s wie in dem des Reichthums, ein guter Wohlstand will neben Millionen nichts bedeuten, weswegen denn auch die Gelehrten und die Kaufleute im Hochmuth und im Duͤnkel sich oft so aͤhnlich sehen. Ich naͤhere mich daher von der Seite nur mit großer Bescheidenheit den Baͤnken unserer gelehrten Wechsler; ich kann nur auf eine honette buͤrger- liche Wohlhabenheit Anspruch machen. Es ist aber ein Anderes noch im Buche, aus dem aber gerade Jene sich nicht viel zu machen pflegen, das ich etwas hoͤher halte, obgleich ganz moderat, wie sich’s gebuͤhren will. Wenn es darauf ankoͤmmt, aus dem eignen Leben etwas in’s Nachgebildete uͤberzutragen, wenn es darauf ankoͤmmt, das Ein- zelne jedesmal in der Gattung zu sehen, die großen Umrisse durch alle scheinbare Verwirrung zu ver- folgen, jedes aus dem richtigen Gesichtspunkte anzuschauen, Allem sein Recht widerfahren zu lassen, und von jeder kleinlichen Beschraͤnkung fern, das Ganze recht ganz und unzerstuͤckt aufzu- fassen: dann mag ich keineswegs mich unter die Letzten stellen. Aber Das wuͤnschte ich, daß Die- jenigen, die sich fuͤr unsere alte Literatur, und insbesondere fuͤr diesen Zweig derselben interessiren, und die an groͤßeren Bibliotheken auch groͤßere Instrumente ihrer Wirksamkeit besitzen, darauf achteten, was ihnen zur weitern Aufklaͤrung dieses Gegenstandes vorkommen mag. Die Heymonskinder, Siegfried und Andere beduͤrfen noch sehr weiterer Beleuchtung. Der Literarische Anzeiger wuͤrde ein bequemes Medium der Mit- theilung des Aufgefundnen seyn, und die Verlags- handlung wuͤrde es allenfalls auch gern als Anhang zu meiner Schrifft uͤbernehmen. Am Schlusse wuͤnschte ich, daß man meinem Buch das thun moͤgte, was ich an Diesen Buͤchern gethan. Heidelberg im July 1807.