Phantasien im Bremer Rathskeller. „Guter Wein ist ein gutes, geselliges Ding, und „jeder Mensch kann sich wohl einmal davon begei¬ „stern lassen.“ Shakespeare. Phantasien im Bremer Rathskeller; ein Herbstgeschenk fuͤr Freunde des Weines von Wilhelm Hauff . Stuttgart, bei Gebruͤder Franckh. 1827. Gedruckt bei Heinrich Mäntler jun . Den zwoͤlf Aposteln im Rathskeller zu Bremen in dankbarer Erinnerung der Verfasser. Im Herbst 1827. „Mit dem Menschen ist nicht auszukom¬ men,“ sagten sie, als sie in meinem Gasthof die Treppe hinabstiegen, und ich konnte es noch deutlich hoͤren. „Jetzt will er wieder schlafen von neun Uhr an, und leben wie ein Murmel- Thier; wer haͤtte das gedacht vor vier Jahren!“ Sie hatten nicht Unrecht, die Freunde, daß sie mich in Unmuth verließen. Gab es ja doch heute Abend eines der glaͤnzendsten, musikali¬ schen, tanzenden und declamirenden Butter¬ brode in der Stadt und hatten sie sich nicht alle moͤgliche Muͤhe gegeben, mir, dem Landfrem¬ den, einen angenehmen Abend dort zu ver¬ schaffen? Aber es war wahrhaftig unmoͤglich; ich konnte nicht gehen. Warum sollte ich einen tanzenden Thee besuchen, wo sie nicht tanzte, warum ein singendes Butterbrod, wo ich, (ich wußte es zum Voraus) haͤtte singen muͤssen, ohne von ihr gehoͤrt zu werden; warum einen trauten Kreis von Freunden durch Truͤbsinn und finsteres Wesen stoͤren, das ich nun heute nicht verbannen konnte. O Gott! ! ich wollte ja lieber, daß sie mir auf der Treppe einige Secunden fluchten, als daß sie sich von 9 Uhr bis 1 Uhr langweilten, wenn sie nur mit mei¬ nem Koͤrper sich unterhielten und bei der Seele umsonst anfragten, die einige Straßen weiter auf Unserer Lieben Frauen-Kirchhof nachtwandelte. Aber das that mir wehe, daß mich die gu¬ ten Gesellen fuͤr ein Murmelthier hielten und dem Drang nach Schlafe zuschrieben, was aus Freude am Wachen geschah. O nur Du, ehr¬ licher Hermann, wußtest es mehr zu wuͤrdigen. Hoͤrte ich denn nicht, wie Du unten auf dem Domhof sagtest, „Schlaf ist es nicht, denn seine Augen leuchten. Aber entweder hat er wieder zu viel oder zu wenig Wein getrunken, das heißt, er trinkt noch welchen und — al¬ leine.“ Wer verlieh Dir denn diese prophetische Kraft? oder konntest Du ahnen, daß meine Augen wacker waren, weil sie heute Nacht al¬ ten Rheinwein schauen sollten, konntest Du wissen, daß ich gerade heute von dem Patent und Erlaubnißschein, vom Rathe auf meine Person ausgestellt, Gebrauch machen werde, um die Rose und eure zwoͤlf Apostel zu begruͤßen? Und uͤberdieß, war denn heute nicht mein Schalttag? Meines Erachtens ist es reine uͤble Ge¬ wohnheit, die ich von meinem Großvater an¬ genommen, naͤmlich hie und da Einschnitte zu machen in den Baum des Jahres und sinnend dabei zu verweilen. Wenn der Mensch nur Neujahr und Ostern, nur Christfest oder Pfing¬ sten feiert, so kommen ihm endlich diese Ruhe¬ punkte in der Geschichte seines Lebens so all¬ taͤglich vor, daß er daruͤber hinweg gleitet ohne Erinnerung. Und doch ist es gut, wenn die Seele, sonst immer nach aussen gerichtet, auch einmal auf ein paar Stunden einkehrt im ei¬ genen Gasthof ihrer Brust, sich bewirthet an der langen Table d'Hôte der Erinnerung und nachher gewissenhaft die Rechnung ad notam schreibt, wie Frau Hurtig dem Ritter. Der Großvater nannte solche Tage seine Schalttage. Nicht daß er etwa ein Banket veranstaltete mit seinen Freunden, oder den Tag lustig und in Freuden lebte, in Saus und Brauß; nein, er kehrte ein bei sich, und seine Seele schmaußte in der Kammer, die sie seit fuͤnf und siebzig Jahre kannte. Noch jetzt, da er laͤngst im kuͤh¬ len Friedhof ruht, noch jetzt kann ich es seinem hollaͤndischen Horaz ansehen, welche Stellen er an solchen Tagen gelesen; noch jetzt, als waͤre es gestern geschehen, sehe ich sein großes blaues Auge sinnend auf den vergelbten Blaͤt¬ tern seines Stammbuchs weilen; und wie deut¬ lich sehe ich, wie dieses Auge nach und nach sich fuͤllt, wie eine Thraͤne in den grauen Wim¬ pern zittert, wie der gebietende Mund sich zu¬ sammenpreßt, wie der alte Herr langsam und zoͤgernd die Feder ergreift und „einem seiner Bruͤder, der geschieden,“ das schwarze Kreuz unter den Namen malt. „Der Herr haͤlt seinen Schalttag,“ pflegten die Diener uns zuzuwispern, wenn wir Enkel laut und froͤhlich wie gewoͤhnlich die Treppe hinanstuͤrmten; „der Großvater haͤlt seinen Schalttag,“ fluͤsterten wir uns zu, und glaub¬ ten nicht anders, als er bescheere sich selbst den heiligen Christ, weil er ja doch niemand habe, der ihm den Christbaum anzuͤnde. Und war es nicht so, wie wir in kindischer Einfalt glaubten? Zuͤndete er nicht den Christbaum seiner Erinnerung an, flammten nicht tausend flimmernde Kerzen auf, die Lieblingsstunden eines langen Lebens, und schien er nicht, wenn er am Abend des Schalttags still und ruhig im Sessel saß, sich kindlich zu freuen an den Gaben der Vergangenheit? Es war sein Schalttag wieder eingetreten, als sie ihn hinaustrugen. Ich mußte weinen, als ich dachte, daß der alte Mann seit langer Zeit zum erstenmal wieder in die freie Luft komme. Sie fuͤhrten ihn den Weg, auf dem ich so oft an seiner Seite gegangen war. Aber nicht lange, so beugten sie uͤber die schwarze Bruͤcke, und legten ihn tief in die Erde. „Nun haͤlt er seinen rechten Schalttag,“ dachte ich, „aber wundern soll es mich doch, wie der alte Herr wieder da herauf kommen will, denn sie haben doch viele Steine und Rasen auf ihn hinab geworfen.“ Er kam nicht wieder. Aber sein Bild blieb in meinem Gedaͤchtniß, und als ich herangewachsen war, gehoͤrte es zu mei¬ nen liebsten Beschaͤftigungen, seine feine, offene Stirne, das klare Auge, den gebietenden und doch so freundlichen Mund mir vorzumalen. Mit seinem Bilde stiegen tausend Erinnerungen auf, und seine Schalttage waren mir die Lieb¬ lingsstuͤcke in der langen Bildergallerie. Und ist denn heute nicht der erste September, den auch ich mir zum Schalttag erwaͤhlte? Und ich sollte Butterbrod verzehren in seiner Ge¬ sellschaft und allerlei Arien absingen hoͤren mit beigefuͤgtem Applaus und Gezwitscher? Nein! Heraus mit dir, koͤstliches Recept, das kein Arzt der Erde so koͤstlich mischt! Hinab zu dir, alte, wahrhaftige Apotheke, um „nach Vor¬ schrift, jedesmal einen Roͤmer voll zu neh¬ men.“ Es schlug 10 Uhr, als ich die breiten Stu¬ fen des Rathskellers hinabstieg; ich durfte hof¬ fen, keinen Zecher mehr zu finden, denn es war Werktag bei andern Leuten und draussen heulte der Sturm, die Windfahnen stimmten sonderbare Weisen an und der Regen rauschte auf das Pflaster des Domhofs. Aber der Raths¬ diener maß mich mit fragenden Blicken vom Kopf bis zum Fuß, als ich ihm die Anweisung auf einigen Wein darreichte. „So spaͤt noch, und heute, in dieser Nacht?“ rief er. „Mir ist es vor zwoͤlf Uhr nie zu spaͤt,“ entgegnete ich, „und nachher ist es wohl fruͤhe genug am Tage.“ „Aber muß es denn —“ wollte er eben fragen, doch Sigill und Handschrift seiner Obern fiel ihm wieder ins Auge, und schweigend, aber nicht ohne Zoͤgern schritt er voraus durch die Hallen. Welch' herzerquickender Anblick, wenn sein Windlicht uͤber die lange Reihe der Faͤßer hinstreifte, welch' sonderbare Formen und Schatten, wenn es an den Schwibbogen des Kellers zitterte und die Saͤulen im dunkeln Hintergrunde wie geschaͤftige Kuͤper um die Faͤßer schwebten! Er wollte mir eines jener kleineren Gemaͤcher aufschließen, wo hoͤchstens 6—8 Freunde, eng zusammen geruͤckt, den Be¬ cher kreisen lassen koͤnnen. Doch, mit trauten Gesellen liebe ich ein solches heimliches Plaͤtz¬ chen; der enge Raum draͤngt Mann an Mann, und die Toͤne, die hier nicht verhallen koͤnnen, klingen traulicher; aber allein und einsam liebe ich freiere Raͤume, wo der Gedanke, gleich den Athemzuͤgen, sich freier ausdehnt. Ich waͤhlte einen alten gewoͤlbten Saal, den groͤ߬ ten in diesen unterirdischen Raͤumen zu mei¬ nem einsamen Gelage. „Erwarten Sie Gesellschaft?“ fragte der Mann an meiner Seite. „Ich bin allein.“ „Sie koͤnnten ungebeten welche haben,“ setzte er hinzu, indem er sich scheu nach den Schatten umsah, die seine Lampe warf. „Wie meint Ihr das?“ fragte ich ver¬ wundert. „Ich meinte nur so;“ antwortete er, in¬ dem er einige Kerzen anzuͤndete und einen gro¬ ßen Roͤmer vor mich hinsetzte. „Man spricht mancherlei vom ersten September, der Herr Senator D. waren uͤbrigens schon vor zwei Stunden da und ich erwartete Sie nicht mehr.“ „Der Herr Senator D.? warum? fragte er nach mir?“ „Nein, er hieß mich nur die Proben her¬ ausnehmen.“ „Welche Proben, mein Freund?“ „Nun die von den Zwoͤlfen und der Rose;“ erwiederte der alte Mann, indem er anfing, einige niedliche Flaͤschchen mit langen Papier¬ streifen an den Haͤlsen hervor zu ziehen. „Wie! rief ich, man sagte mir ja, ich koͤnnte den Wein von den Faͤßern selbst trinken.“ „Ja, aber nur im Beiseyn eines Herrn vom Senat. Darum hieß mich der Herr Doctor die Zungenproͤbchen herausnehmen und so will sie Ihnen einschenken, wenn's ge¬ faͤllig.“ „Nicht einen Tropfen,“ unterbrach ich ihn, „hier kein Glas voll; nein, das ist der aͤchte Genuß vom Faß zu trinken, und ist es mir nicht mehr moͤglich, so will ich doch am Faße trinken. Kommt Alter, nehmet die Proben mit, ich will das Licht tragen.“ Ich stand schon einige Minuten und sah dem wunderlichen Treiben des alten Dieners zu. Bald stand er still, sah auf mich und raͤusperte sich, als wollt er sprechen, bald nahm er die Proben vom Tische und packte sie in seine weiten Taschen , bald nahm er sie zoͤ¬ gernd wieder heraus um sie auf den Tisch zu 2 setzen. Es ermuͤdete mich; „nun, sollen wir bald gehen?“ rief ich voll Sehnsucht nach dem Apostelkeller; „wie lange wollt Ihr noch an Euren Glaͤschen hier aus- und einpacken?“ Der ernste Ton, in welchem ich dieß sagte, schien ihm Muth zu machen. Ziemlich bestimmt antwortete er, „es geht nicht, — nein! heute geht es nicht mehr, Herr!“ Ich glaubte hierin einen jener gewoͤhnlichen Kniffe zu sehen, womit Hausverwalter, Ca¬ stellane oder Kellermeister dem Fremden Geld abzuzwacken suchen, druͤckte ihm ein hinlaͤng¬ liches Geldstuͤck in die Hand, und nahm ihn beim Arm, ihn fortzuziehen. „Nein, so war es nicht gemeint,“ ent¬ gegnete er, indem er das Geldstuͤck zuruͤckzu¬ schieben suchte; „so nicht, fremder Herr! ich will es nur gerade heraus sagen; mich bringt man nicht mehr in den Apostelkeller in dieser Nacht, denn wir schreiben heute den ersten Sep¬ tember.“ „Und welche Thorheit wollt Ihr daraus folgern?“ „Nun, in Gottes Namen, Sie koͤnnen denken davon was sie wollen; es ist dort nicht geheuer in dieser Nacht, das macht, es ist der Jahrestag der Rose .“ Ich lachte, daß die Halle droͤhnte. „Nein! in meinem Leben habe ich doch so manchen Spuck erzaͤhlen gehoͤrt, aber einen Weinspuck nie! Schaͤmt Ihr Euch nicht mit Euern weißen Haaren, noch solches Zeug zu schwatzen? Doch hier ist nicht lange zu spaßen. Hier ist die Vollmacht des Senats; im Keller darf ich trinken heute Nacht, ohne nach Zeit und Raum zu fragen. Darum im Namen des Rathes heiß' ich Euch folgen. Schließe den Keller des Bachus auf.“ Dieß wirkte; unwillig, aber ohne etwas zu entgegnen nahm er die Kerzen und winkte mir zu folgen. Es ging zuerst wieder durch den großen Keller, dann durch kleinere, bis der Weg in einem engern schmalen Gang zu¬ sammenlief. Dumpf toͤnten unsere Schritte in diesem Hohlweg, und unsere Athemzuͤge toͤnten, wenn sie an den Mauern sich brachen, wie fernes Gefluͤster. Endlich standen wir vor einer Thuͤre, die Schluͤssel rasselten, sie gaͤhn¬ te aͤchzend auf, der Schein der Lichter fiel in das Gewoͤlbe, mir gegenuͤber saß Freund Bachus auf einem maͤchtigen Weinfaß. Er¬ quickender Anblick! Sie hatten ihn nicht zart und fein dargestellt, die alten Bremer Kuͤnst¬ ler, nicht zierlich als einen griechischen Juͤng¬ ling; sie hatten ihn nicht alt und trunken sich gedacht, mit graͤßlichem Bauch, verdrehten Augen und haͤngender Zunge, wie ihn die ge¬ mein gewordene Mythe hin und wieder got¬ teslaͤsterlich abconterfeit. Schmaͤchlicher An¬ thropomorphismus; blinde Thorheit des Men¬ schen! weil einige seiner, im Dienst ergrauten Priester also einhergehen, weil ihnen voll guten Muthes der Leib anschwoll, die Nase von dem brennenden Wiederschein der dunkel¬ rothen Fluth sich faͤrbte, das in stummer Wonne aufwaͤrts gerichtete Auge stehen blieb, — so legten sie dem Gott bei, was seine Diener schmuͤckt! Anders die Maͤnner von Bremen. Wie froͤh¬ lich und munter reitet der alte Knabe auf dem Faß! das runde, bluͤhende Gesicht, die klei¬ nen muntern Weinaͤuglein, die so klug und neckend herab sehen, der breite, laͤchelnde Mund, der sich an mancher Kanne schon versuchte; der kurze kraͤftige Hals, das ganze Koͤrperchen von behaglichem, gutem Leben strotzend! Ganz besondere Kunst hat aber der Meister, der dich geschaffen, auf Arme und Beinchen gelegt. Meint man nicht, dein kraͤftiges Aermlein werde sich bewegen, du werdest mit den run¬ den Fingerchen ein Schnippchen schlagen, und der breite, laͤchelnde Mund werde sich aufthun zu einem munteren Juheisa, Heisa, He! „Ist man nicht versucht zu glauben, du wer¬ dest im tollen Weinmuth die runden Knie beu¬ gen, den Waden anlegen, mit dem Fersen stauchen und das alte Mutterfaß in Galopp setzen, daß alle Rosen, Apostel und andere gemeinere Faͤßer mit Hussa und Halloh dir nachjagen durch den Keller?“ „Herr des Himmels!“ rief der Rathsdie¬ ner, indem er sich an mir fest klammerte, „seht Ihr nicht wie er die Augen verdreht und mit dem Fuͤßchen baumelt?“ „Alter, Ihr seyd verruͤckt!“ sagte ich, einen scheuen Blick nach dem hoͤlzernen Wein¬ gott werfend, „es ist der Schein der Kerzen, der an ihm hin und her flackert.“ Dennoch war mir wunderlich zu Muthe, ich folgte dem Alten aus dem Bachus-Keller. Und war es denn auch der Schein der Kerzen, war es auch Taͤuschung, als ich mich umsah? Nickte er mir nicht mit dem runden Koͤpfchen, streckte er mir nicht das eine seiner Beinchen nach und schuͤttelte und kruͤmmte sich vor heimlichem La¬ chen? Ich rannte unwillkuͤhrlich dem Alten nach und schloß mich dicht hinter ihm an. „Jetzt zu den zwoͤlf Aposteln,“ sprach ich zu ihm, „wie sollen uns dort die Proben mun¬ den!“ Er antwortete nichts; kopfschuͤttelnd ging er weiter. Man steigt vom Keller einige Stu¬ fen aufwaͤrts, zum kleinen Kellerlein, zum unterirdischen Himmelsgewoͤlbe, zum Sitz der Seligkeit, wo die Zwoͤlfe hausen. Was seyd ihr Trauergewoͤlbe und Gruͤfte alter Koͤ¬ nigshaͤuser gegen diese Katacomben! Pflan¬ zet Saͤrge neben Saͤrge, ruͤhmet auf schwar¬ zem Marmor die Verdienste des Mannes, der hier einer „froͤhlichen Urstaͤnd“ entgegen¬ schlaͤft, stellt einen schwazhaften Cicerone an, in Trauermantel und florumhaͤngtem Hute, laßt ihn die absonderliche Herrlichkeit dieses oder jenes Staubes ruͤhmen, laßt ihn erzaͤh¬ len von den trefflichen Tugenden eines Prin¬ zen, der in der Bataille so und so gefallen, von der holden Schoͤnheit einer Fuͤrstin, auf deren Sarge die jungfraͤuliche Myrthe sich um die kaum erbluͤhte Rosenknospe schlingt — es wird euch an die Sterblichkeit mahnen, es wird euch vielleicht eine Thraͤne kosten; aber kann es euch also ruͤhren, wie der Anblick dieser Schlafkammer eines Jahrhunderts, die¬ ser Ruhestaͤtte eines herrlichen Geschlechtes? Da liegen sie in ihren dunkelbraunen Saͤrgen, schmucklos, ohne Glanz und Flitter. Kein Marmor ruͤhmt ihr stilles Verdienst, ihre an¬ spruchlose Tugend, ihren vortrefflichen Cha¬ rakter; aber welcher Mann von einigem Ge¬ fuͤhl fuͤr Tugenden dieser Art fuͤhlt sich nicht innig bewegt, wenn der alte Rathsdiener, dieser Aufwaͤrter in den Katacomben, dieser Kuͤster der unterirdischen Kirche, die Kerzen auf die Saͤrge stellt, wenn dann das Licht auf die erhabenen Namen der großen Todten faͤllt! Wie regierende Haͤupter fuͤhren auch sie keine langen Titel und Zunamen; einfach und groß stehen die Namen auf ihren braunen Saͤrge geschrieben. Dort Andreas, hier Johannes, in jener Ecke Judas, in dieser Petrus. Wen ruͤhrt es nicht, wenn er dann hoͤrt: dort liegt der Edle von Nierenstein, geboren 1718, hier der von Ruͤdesheim, geboren 1726. Rechts Paulus, links Jacob, der gute Jacob! Und ihre Verdienste? Ihr fraget? Seht ihr denn nicht, wie er eingießt in den gruͤnen Roͤmer, wie er das herrliche Blut des Apo¬ stels mir darreicht? Gleich dunkelrothem Golde blinkt es im Glase. Als ihn die Sonne auf¬ zog auf den Huͤgeln von St. Johannes, da war er blond und helle; ein Jahrhundert hat ihn gefaͤrbt. Welche Wuͤrze des Geruches! welche Namen leg' ich dir bei, du lieblicher Duft, der aus dem Roͤmer aufsteigt? Nehmet alle Bluͤthen von den Baͤumen, pfluͤcket alle Blumen in den Fluren, fuͤhrt Indiens Ge¬ wuͤrz herbei, besprengt mit Ambra diese kuͤh¬ len Keller, loͤset den Bernstein in blaͤuliche Woͤlkchen auf — mischet aus ihnen alle die feinsten Duͤfte, wie die Biene ihren Honig aus den Bluͤthen saugt, wie schlecht, wie ge¬ mein, wie unwuͤrdig gegen die zarte Blume deines Kelches, mein Bingen und Lauben¬ heim , gegen deine Duͤfte Johannes und Nierenstein von 1718! „Ihr schuͤttelt den Kopf, Alter? tadelt Ihr meine Freude an euren alten Gesellen? Da, nimm diesen Roͤmer, alter Mensch, trink auf das Wohlseyn dieser Zwoͤlfe! Komm, stoß an, sie sollen leben!“ „Gott soll mich bewahren, daß ich einen Tropfen trinke in dieser Nacht,“ erwiederte er, „man soll mit dem Teufel kein Spiel treiben. Aber wenn Ihr sie alle durchgekostet, wollen wir weiter gehen. Mir graut in diesem Keller.“ „Gute Nacht denn, Ihr alten Herren vom Rheine, gute Nacht und herzlichen Dank fuͤr euer Labsal. Und wenn ich dir, mein ern¬ ster feuriger Judas, wenn ich dir, mein sanfter, lieblicher Andreas, dir, mein Jo¬ hannes, dienen kann, so kommt, kommt zu mir.“ „Herr des Himmels!“ unterbrach mich der Alte, und schlug die Thuͤre zu und drehte hastig die Schluͤssel um, „seyd Ihr von den Paar Tropfen schon betrunken, daß Ihr den Teufel heraufschwoͤrt?! Wißt Ihr denn nicht, daß die Weingeister aufstehen diese Nacht und einander besuchen, wie immer am ersten Sep¬ tember? Und sollt' ich meinen Dienst ver¬ lieren, ich laufe davon, wenn Ihr noch solche Worte sprecht. Noch ist es nicht zwoͤlf Uhr, aber kann denn nicht alle Augenblicke einer aus dem Faß kriechen mit graͤulichem Ge¬ sicht und uns zu Tode schrecken?“ „Alter, du faselst! Doch sey ruhig; ich will kein Wort mehr sprechen, daß deine Weingespenster nicht wach werden. Doch jetzt fuͤhre mich zur Rose.“ Wir gingen weiter, wir traten ein in das Gewoͤlbe, in das Ro¬ sengaͤrtlein von Bremen. Da lag sie, die alte Rose ; groß, ungeheuer, mit einer Art von gebietender Hoheit. Welch ungeheures Faß; und jeder Roͤmer ein Stuͤck Goldes werth! Anno 1615! wo sind die Haͤnde, die dich pflanzten! wo die Augen, die sich an deiner Bluͤthe erfreuten? wo die froͤhlichen Menschen alle, die dir zujauchzten, edle Traube, als man dich abschnitt auf den Hoͤhen des Rhein¬ gaus, als man deine Huͤllen abstreifte und du als goldener Born in die Kufe stroͤmtest? Sie sind dahin, wie die Wellen des Stro¬ mes, der an deinem Rebenhuͤgel hinabzog. Wo sind sie, jene alten Herren der Hansa, jene wuͤrdigen Senatoren dieser alten Stadt, die dich pfluͤckten, duftende Rose, dich ver¬ pflanzten in diese kuͤhlen Raͤume zum Lab¬ sal ihrer Enkel? Gehet hinaus auf Angarii Friedhof, gehet hinauf zur Kirche Unserer lie¬ ben Frauen, und gießet Wein auf ihre Grab¬ steine! Sie sind hinunter, und zwei Jahrhun¬ derte mit ihnen! Nun, auf euer Wohlseyn, alte Herren von Anno 1615, und auf das Wohl eurer wuͤrdigen Enkel, die so gastfreundlich dem Fremdling die Hand und dieses Labsal boten! „So! Und jetzt gute Nacht, Frau Rose;“ setzte der alte Diener freundlicher hinzu, in¬ dem er sein Koͤrbchen zusammen raͤumte; „jetzt gute Nacht und Gott befohlen; hier heraus, nicht dort um die Ecke, hier heraus geht der Weg aus dem Keller, werthgeschaͤtzter Herr. Kommt, stoßet Euch nicht hier an die Faͤsser, ich will Euch leuchten.“ „Mit nichten, Alter, erwiederte ich, jetzt geht das Leben erst recht an. Das alles war nur der Vorschmack. Gib mir zweiundzwanz'¬ ger Ausstich, so etwa zwei bis drei Flaschen, in das große Gemach dort hinten. Ich hab' ihn gruͤnen sehen diesen Wein, und war dabei als sie ihn kelterten; hab ich das Alter bewun¬ dert, so muß ich meiner Zeit nicht minder ihr Recht anthun.“ Er stand da mit weit geoͤffneten Augen, der Jammermensch; er schien seinen Ohren nicht zu trauen. „Herr,“ sprach er dann feierlich, „sprechet nicht solch' gottlosen Scherz. Heute Nacht wird nun und nimmermehr was dar¬ aus; ich bleibe um keine Seligkeit.“ „Und wer sagt denn, daß du bleiben sollst? Dort setze den Wein hinein und dann mach' in Gottes Namen, daß du fortkoͤmmst; ich will nun einmal diese Gedaͤchtnißnacht hier feiern und habe mir deinen Keller ausersehen; dich habe ich nicht von Noͤthen.“ „Aber ich darf Euch nicht allein im Keller lassen,“ entgegnete er, „ich weiß wohl, nehmt mir nicht unguͤtig, daß Ihr den Keller nicht bestehlet, aber es ist einmal gegen die Ord¬ nung.“ „Nun, so schließe mich ein in jenes Gemach; haͤnge ein Schloß davor, so schwer als du willst, daß ich nimmer heraus kann, und mor¬ gen fruͤh um sechs Uhr kannst du mich auf¬ wecken und dein Schlafgeld holen.“ Der Mann des Kellers versuchte noch man¬ cherlei Einreden, doch umsonst; er setzte end¬ lich drei Flaschen und neun Kerzen vor mich hin, wischte den Roͤmer aus, schenkte mir den zweiundzwanziger Ausstich ein und wuͤnschte mir, wie es schien mit schwerem Herzen, gute Nacht. Richtig schloß er auch die Thuͤre zwei¬ mal ab, und haͤngte, wie es mir schien, mehr aus zaͤrtlicher Angst fuͤr mich als aus Vor¬ liebe fuͤr seine Keller noch ein Haͤngeschloß vor. Eben schlug die Glocke halb Zwoͤlf. Ich hoͤrte ihn ein Gebet sprechen und davon eilen. Seine Schritte hallten immer ferner und fer¬ ner im Gewoͤlbe; doch als er oben das Aussen¬ thor des Kellers zuschlug, hallte es wie Ka¬ nonendonner durch die Gaͤnge und Hallen. So waͤre ich denn allein mit dir, meine Seele, tief unten im Schooße der Erde. Oben aus der Erde schlafen sie jetzt und traͤumen, und auch hier unten, rings um mich her, schlummern sie in ihren Saͤrgen, die Geister des Weines. Ob sie wohl traͤumen, von ihrer kurzen Kindheit traͤumen, und der fernen Berge, der Heimath, gedenken, wo sie groß wurden, und des Stromes, des alten Vaters Rhein, der ihnen allnaͤchtlich freundlich ein Wie¬ genlied murmelte? Gedenket ihr der wonnigen Tage, da die milde Mutter, die Sonne, euch aus dem Schlum¬ mer kuͤßte, da ihr in klarer Fruͤhlingsluft die Aeuglein oͤffnetet zum Erstenmal, und hinab¬ schautet ins herrliche Rheingau? Und als der Mai einzog in sein deutsches Paradies, ge¬ denket ihr noch wie euch die Mutter anthat mit gruͤnen Kleidchen von Laubwerk, und wie der alte Vater baß sich dessen freute, herauf lugte aus seinem gruͤnen Bette und euch zu¬ winkte und munter rauschte am Lurlei ? 3 Und gedenkst denn auch du der Rosentage deiner Jugend, o Seele? der sanften Reben¬ huͤgel der Heimath, des blauen Stromes und der bluͤhenden Thaͤler des Schwabenlandes? O Wonnezeit voll holder Traͤume! wie reich bist du behaͤngt mit Bilderbuͤchern, Christ¬ baͤumen, Mutterliebe, Osterwochen und Oster¬ eiern, mit Blumen und Voͤgeln, Armeen aus Blei und Papier und den ersten Hoͤs'chen und Collet'chen, in welche sich deine kleine sterb¬ liche Huͤlle, stolz auf ihre Groͤße, kleiden ließ. Und wie dich der selige Vater auf den Knieen schaukelte, und dir der Großvater gerne das lange Meerrohr mit dem goldenen Knopf abtrat, um es dir als Reitpferd zu leihen! Und ruͤcke mit dem naͤchsten Glase um einige Jahre vorwaͤrts! Erinnerst du dich des Morgens, als sie dich hineinfuͤhrten zu einem wohlbekannten Mann, dessen Gesicht so blaß geworden war, dessen Hand du weinend kuͤ߬ test, weinend ohne zu wissen warum? denn konntest du glauben, daß die harten Maͤnner, die ihn in einen Schrank legten und mit schwar¬ zen Tuͤchern zudeckten, konntest du glauben, daß sie ihn nicht mehr zuruͤckbringen wuͤrden? Sey ruhig, auch er schlummert nur ein Weil¬ chen. — Und gedenkst du des geheimnißvollen Freudelebens ins Großvaters Buͤchersaal? Ach, damals kanntest du noch keine Buͤcher als den schnoͤden kleinen Broͤder, deinen aͤrgsten Feind; wußtest nicht, daß jene Folianten noch zu etwas anderem in Leder gebunden seyen, als um Huͤtten und Staͤlle daraus zu erbauen fuͤr dich und dein Vieh? Gedenkst du noch des Frevels, wie roh du mit der deutschen Literatur, in kleinerem Format, umgingst? Hast du nicht deinem Bru¬ der den Lessing an den Kopf geworfen, wo¬ fuͤr er dich freilich mit Sophiens Reisen von Memel nach Sachsen erbaͤrmlich zudeckte? Da¬ mals dachtest du freilich nicht daran, daß du einst selbst Buͤcher machen werdest! Tauchet auch ihr auf, aus dem Nebel verschwundener Jahre, ihr Mauern des alten Schlosses; wie oft dienten deine halbverfal¬ lenen Gaͤnge, dein Keller, dein Zwinger, deine Verließe der froͤhlichen Schaar zum Tum¬ melplatz ihrer Spiele! Soldaten und Raͤuber, Nomaden und Caravanen! Wie wohl war uns oft in der untergeordneten Rolle eines Kosacken, waͤhrend Andere — Generale, Pla¬ tow's, Bluͤcher's, Napoleon und dergleichen vorstellten und sich pruͤgelten? Ja, waren wir nicht zu Zeiten sogar ein Pferd, dem Freunde zu gefallen? O Himmel, wie schoͤn ließ es sich dort spielen! Wo sind sie hin, die Gespielen deiner Kindheit, die Genoßen jener goldenen Tage, wo kein Rang, kein Stand, kein Ansehn gilt; Grafen und Barone machen jetzt wohl die große Tour, oder dienen an Hoͤfen als Kammerherren; arme Teufel pilgern als Hand¬ werksbursche durch's Reich, den schweren Buͤn¬ del auf dem Ruͤcken, ohne Schuhe an den Fuͤßen, haschen nach Pfennigen aus dem Kutschenschlag, die sie mit dem vom Regen gebraͤunten Hut kuͤnstlich aufzufassen wissen; und die Liebe druͤckt sie oft noch schwerer als das Buͤndel auf dem Ruͤcken. Andere Kame¬ raden, Seelen, die sich in der Schule durch geordneten Fleiß in Humanioribus hervorge¬ than, sitzen jetzt schon auf einer Pfarre, im Schlaf- oder Chorrock bei der Frau Liebsten. Andere sind Amtleute, wieder andere Apothe¬ ker, einige Referendaͤre und dergleichen, und nur wir beide, ausschweifend aus dem ge¬ woͤhnlichen Gang der Dinge, sitzen hier im Bremer Rathskeller und thun uns guͤtlich im Weine. Und was sind denn wir absonder¬ liches geworden? Doctor? Das kann Jeder werden, der vernuͤnftig genug ist eine Disser¬ tation zu schreiben. Doch ich trinke das vierte Glas, Seele. Das vierte! Fuͤhlst Du nicht einen gewissen Nexus zwischen dem Wein und der Zunge? zwischen der Zunge und dem Gaumen? hier, behaupte ich, ist ein Scheideweg und daran ein Wegezeiger aufgestellt. Naͤmlich auf der einen Seite steht „ Weg nach dem Magen .“ Eine breite fahrbare Straße; es geht so schnell, so glitschend bergab! daher auch der gemeinere Stoff gewoͤhnlich diesen Weg nimmt. Der andere Arm des Zeigers heißt: „ in den Kopf .“ Dahin ziehen die Geister, die sich schon im Faß lange genug bei dem schnoͤden gemeineren Stoff gelangweilt haben, und jetzt, da sie freien Lauf nehmen koͤnnen, schielen sie nach dem Wegezeiger rechts hinauf. Waͤhrend die Masse links hinabstroͤmt, steigen sie auf¬ waͤrts und finden sich im Wirthshaus zur Zir¬ beldruͤse wieder zusammen. Es sind friedliche, verstaͤndige Leute, diese Geister. Sie erhellen dein Haus, o Seele, so lang ihrer vier oder fuͤnf beisammen sind, nachher moͤchte ich wohl fuͤr nichts stehen, denn sie raufen sich dann und treiben allerhand Unfug im Gehirn. Wie schoͤn ist die vierte Lebensperiode, die wir mit dem vierten Glas beginnen wollen! Du bist vierzehn Jahre alt, o Seele! Aber was ist mit dir vorgegangen in der kurzen Zeit? Du spielst keine Knabenspiele mehr, Soldaten und alles dieses Gezeuge liegt hinter dir, und du scheinst mir viel zu lesen. Du bist hinter Goͤthe und Schiller gerathen und ver¬ schlingst sie, ohne alles zu verstehen; oder wie? du verstehst jetzt schon alles? du willst meinen, du koͤnnest Liebe verstehen, weil du im letzten Sonntagsklubb Elvire hinter der Commode im Dunkeln gekuͤßt, und Emmas Zaͤrtlichkeit zuruͤckgewiesen hast? Barbar! ahnest du nicht, daß dieses dreizehenjaͤhrige Herz auch den Werther und sogar etwas von Clauren gelesen haben kann, und Liebe fuͤr dich fuͤhlt? Aber die Scene aͤndert sich. Sey mir gegruͤßt, Du Fel¬ senthal der Alb! Du blauer Strom, an wel¬ chem ich drei lange Jahre hauste. Die Jahre lebte, die den Knaben zum Juͤngling machen. Sey mir gegruͤßt, du kloͤsterliches Dach, du Kreuzgang mit den Bildern verstorbener Aebte, du Kirche mit dem wundervollen Hochaltar, ihr Bilder alle in schoͤnes Gold des Morgen¬ roths getaucht! Seyd mir gegruͤßt, ihr Schloͤßer auf den Felsen, ihr Hoͤhlen, ihr Thaͤler, ihr gruͤnen Waͤlder. Jene Thaͤler, jene Kloster¬ mauern waren das enge Nest, das uns aufzog, bis wir fluͤgge waren, und ihrer rauhen Albluft danken wir es, daß wir nicht verweichlichten. Ich komme ans fuͤnfte Glas, ins fuͤnfte Seculum unseres Lebens. Ich schluͤrfe euch ein, lieblichen Erinnerungen, wie ich dieß Glas edeln Rheinweins schluͤrfe; ihr duftet auf in herrlicher Schoͤne, Jahre meiner Jugend, wie das Aroma aufsteigt aus dem Roͤmer; mein Auge wird wacker, o Seele, denn sie sind um mich, die Freunde meiner Jugend! Wie soll ich dich nennen, du hohes, edles, rohes, bar¬ barisches, liebliches, unharmonisches, gesang¬ volles, zuruͤckstoßendes und doch so mild er¬ quickendes Leben der Burschenjahre? Wie soll ich euch beschreiben, ihr goldenen Stunden, ihr Feierklaͤnge der Bruderliebe? Welche Toͤne soll ich euch geben, um mich verstaͤndlich zu machen? welche Farben Dir, du nie begriffe¬ nes Chaos! Ich soll dich beschreiben? Nie! Deine laͤcherliche Aussenseite liegt offen, die sieht der Laie, die kann man ihm beschreiben, aber deinen innern, lieblichen Schmelz kennt nur der Bergmann, der singend mit seinen Bruͤdern hinabfuhr in den tiefen Schacht. Gold bringt er herauf, reines, lauteres Gold, viel oder wenig, gilt gleich viel. Aber dieß ist nicht seine ganze Ausbeute. Was er geschaut, mag er dem Laien nicht beschreiben, es waͤre allzu sonderbar und doch zu koͤstlich fuͤr sein Ohr. Es leben Geister in der Tiefe, die sonst kein Ohr erfaßt, kein Auge schaut. Musik ertoͤnt in jenen Hal¬ len, die jedem nuͤchternen Ohr leer und bedeu¬ tungslos ertoͤnt. Doch dem, der mit gefuͤhlt und mit gesungen, gibt sie eine eigene Weihe, wenn er auch uͤber das Loch in seiner Muͤtze laͤchelt, das er als Symbolum zuruͤckgebracht. Alter Großvater! jetzt weiß ich, was Du vor¬ nahmst, wenn „der Herr seinen Schalttag feierte.“ Auch du hattest deine trauten Gesellen seit den Tagen deiner Jugend, und das Wasser stand dir in den grauen Wimpern, wenn du einen beisetztest im Stammbuch. Sie leben! Wirf die Flasche weg, Mensch, stich eine neue an zu neuer Freude. Das sechste! Wer kann dich berechnen, o Liebe? Es ging uns, wie es so manchem Erden¬ sohn ergeht. Wir lasen von Liebe und glaub¬ ten zu lieben. Das wunderbarste und doch natuͤrlichste an der Sache war, daß die Perio¬ den oder Grade dieser Art Liebe sich nach un¬ serer Lectuͤre richteten. Haben wir nicht Vergi߬ meinnicht und Ranunkeln gebrochen, und des Doktors Tochter in G. verschaͤmt uͤberreicht, und uns einige Thraͤnen ausgepreßt, weil wir lasen: „das schoͤnste sucht er auf den Fluren, womit er seine Liebe schmuͤckt“— „aus seinen Augen brechen Thraͤnen?“ haben wir nicht à la Wilhelm Meister geliebt, d. h. wir wußten nicht mehr, war es Emeline oder Camilla, die Zarte, oder gar Ottilie? Haben nicht alle drei in zierlichen Schlafmuͤtzen hinter den Jalousien hervorgeschaut, wenn wir Staͤndchen brach¬ ten im Winter, und die Guitarre weidlich schlugen, obgleich uns der Frost die Finger krumm bog? Und nachher, als es sich zeigte, wie sie alle nur schnoͤde Coquetten seyen, haben wir da nicht die Liebe thoͤrigter Weise verschwo¬ ren, und uns vorgenommen, erst dann zu heirathen, wenn die Schwaben klug werden, d. h. im vierzigsten? Wer kann dich berechnen, verschwoͤren, o Liebe? Du tauchst nieder aus dem Auge der Geliebten und schluͤpfst durch unser Auge ver¬ stohlen in das Herz. Und dennoch so kalt konntest du bleiben, wenn ich meine Lieder sang, wolltest den Blick nicht erwiedern, den ich so oft nach dir aussandte? Ich moͤchte ein General seyn, nur daß sie meinen Namen in der Zeitung laͤse, daß es ihr bange wuͤrde, wenn sie laͤse: „der General Hauff hat sich in der letzten Schlacht bedeutend hervorgethan, und acht Kugeln ins Herz bekommen, — woran er aber nicht gestorben.“ Ich moͤchte ein Tam¬ bour seyn, nur daß ich vor ihrem Haus mei¬ nen Schmerz auslassen und fuͤrchterlich trom¬ meln koͤnnte, und faͤhrt sie dann erschrocken mit dem Koͤpfchen durchs Fenster, so will ich gerade das Gegentheil russischer Fellraßler machen und vom Fortissimo abwaͤrts trommeln und piano und im leisen Adagio-Wirbel ihr zufluͤstern, „ich liebe dich.“ Ein beruͤhmter Mensch moͤchte ich seyn, nur daß sie von mir hoͤrte und stolz zu sich sagte: „ der hat dich einst geliebt;“ aber leider reden die Leute nicht von mir, hoͤch¬ stens wird man ihr morgen sagen: „gestern Nacht ist er auch wieder bis Mitternacht im Weinkeller gelegen!“ Und wenn ich vollends ein Schuster oder Schneider waͤre! doch dieß ist ein gemeiner Gedanke und deiner unwuͤrdig, Adelgunde! Jetzt wacht wohl keiner mehr, als der Hoͤch¬ ste und Niedrigste dieser Stadt, naͤmlich der Thurmwaͤchter hoch oben auf der Domkirche und ich tief unten im Rathskeller. Waͤr' ich doch der auf dem Thurme! in jeder Stunde wollte ich das Sprachrohr ansetzen und dir ein Lied hinabsingen ins Schlafkaͤmmerlein; doch nein! das wuͤrde ja den suͤßen Engel aus sei¬ nem Schlummer wecken, aus seinen holden, lieblichen Traͤumen. Doch hier unten hoͤrt mich niemand, da will ich eines singen. Seele! komme ich mir denn nicht gerade vor, wie ein Soldat auf dem Posten, dem das Heimweh recht schwer und tief im Herzen liegt? Und hat nicht einer meiner Freunde dieß Lied gedichtet? Steh' ich in finstrer Mitternacht So einsam auf der fernen Wacht, Dann denk' ich an mein fernes Lieb', Ob es mir treu und hold verblieb. Als ich zur Fahne fortgemuͤßt, Hat sie so herzlich mich gekuͤßt, Mit Baͤndern meinen Hut geschmuͤckt, Und weinend mich ans Herz gedruͤckt. Sie liebt mich noch, sie ist mir gut, Drum bin ich froh und wohlgemuth, Mein Herz schlaͤgt warm in kalter Nacht, Wenn es ans ferne Lieb' gedacht. Jetzt bei der Lampe mildem Schein Gehst du wohl in dein Kaͤmmerlein, Und schickst dein Nachtgebet zum Herrn Auch fuͤr den Liebsten in der Fern'. Doch wenn du traurig bist und weinst, Mich von Gefahr umrungen meinst; Sey ruhig; steh' in Gottes Hut, Er liebt ein treu Soldaten-Blut. Die Glocke schlaͤgt, bald naht die Rund, und loͤst mich ab zu dieser Stund': Schlaf wohl im fernen Kaͤmmerlein Und denk' in deinen Traͤumen mein! Und denkt sie auch wohl meiner in ihren Traͤumen? Die Glocken summten dumpf auf den Thuͤrmen, sie begleiteten meinen Gesang. Schon Mitternacht? Diese Stunde traͤgt eige¬ nen, geheimnißvollen Schauer in sich; es ist, als zittere die Erde leise, wenn sich die schlum¬ mernden Menschen unter ihr auf die andere Seite legen, die schwere Decke schuͤtteln und den Nachbar im Kaͤmmerlein neben an fragen, „ists noch nicht Morgen?“ Wie so ganz an¬ ders zittert der Ton dieser Mitternachtsglocke zu mir hernieder, als wenn er am Mittag durch die hellen klaren Luͤfte schallt. Horch! ging da nicht im Keller eine Thuͤre? Sonder¬ bar; wenn ich nicht so ganz allein hier unten waͤre, wenn ich nicht wuͤßte, daß die Menschen nur oben wandeln, ich wuͤrde glauben, es toͤnen Schritte durch diese Hallen. — Ha! es ist so; es koͤmmt naͤher; es tastet an der Thuͤre hin und her, es faßt und schuͤttelt die Klinge; doch die Thuͤre ist verschlossen und mit Riegeln verhaͤngt; mich stoͤrt heute Nacht kein Sterb¬ licher mehr. Ha, was ist das? die Thuͤre springt auf! Entsetzen! — Vor der Thuͤre standen zwei Maͤnner, und machten gegenseitig Complimente uͤber den Vor¬ tritt; der eine war ein langer, hagerer Mann, trug eine große, schwarze Lockenperuͤcke, einen dunkelrothen Rock nach altfraͤnkischem Schnitt, uͤberall mit goldenen Tressen und goldgespon¬ nenen Knoͤpfen besetzt; seine ungeheuer langen und duͤnnen Beine stacken in engen Beinklei¬ dern von schwarzem Sammt mit goldenen Schnallen am Knie; daran schloßen sich rothe Struͤmpfe und auf den Schuhen trug er goldene Schnallen. Den Degen mit einem Griff von Porzellain hatte er durch die Hosentasche ge¬ steckt; er schwenkte, wenn er ein Compliment machte, einen dreispitzigen kleinen Hut von Seide, und die Lockenschwaͤnze seiner Peruͤcke rauschten dann wie Wasserfaͤlle uͤber die Schul¬ tern herab. Der Mann hatte ein bleiches, ab¬ gehaͤrmtes Gesicht, tiefliegende Augen und eine große feuerrothe Nase. Ganz anders war der kleinere Geselle anzuschauen, dem jener den Vortritt goͤnnen wollte. Seine Haare waren fest an den Kopf geklebt mit Eiweiß und nur an den Seiten waren sie in zwei Rollen gleich 4 Pistolenhalftern gewickelt; ein ellenlanger Zopf schlaͤngelte sich uͤber seinen Ruͤcken; er trug ein stahlgraues Roͤcklein, roth aufgeschlagen, stack unten in großen Reiterstiefeln und oben in einer reichgestickten Bratenweste, die uͤber sein wohlgenaͤhrtes Baͤuchlein bis auf die Knie her¬ abfiel, und hatte einen ungeheuern Raufdegen umgeschnallt. Er hatte etwas Gutmuͤthiges in seinem feisten Gesichte, besonders in den Aeuglein, die ihm wie einem Hummer hervor¬ standen. Seine Manoeuvres fuͤhrte er mit einem ungeheuern Filshut aus, der auf zwei Seiten aufgeklappt war. Ich hatte, nachdem ich mich von dem er¬ sten Schrecken erholt, Zeit genug, diese Be¬ merkungen zu machen, denn die beiden Herren machten wohl mehrere Minuten lang vor der Schwelle die zierlichsten Pas. Endlich riß der Lange auch den zweiten Fluͤgel der Thuͤre auf, nahm den Kleinen unter dem Arm und fuͤhrte ihn in mein Gemach. Sie hingen ihre Huͤte an die Wand, schnallten die Degen ab, und setzten sich, ohne mich zu beachten, stillschwei¬ gend an den Tisch. „Ist denn heute Fastnacht in Bremen?“ sprach ich zu mir, indem ich uͤber die sonderbaren Gaͤste nachdachte; und doch kam mir ihre ganze Erscheinung so un¬ heimlich vor, besonders wußte ich mich in ihre starren Blicke, in ihr Schweigen nicht zu fin¬ den; ich wollte mir eben ein Herz fassen und sie anreden, als ein neues Geraͤusch im Keller entstand. Schritte toͤnten naͤher, die Thuͤre ging auf und vier andere Herren, nach dersel¬ ben alten Mode wie die ersten gekleidet, traten ein. Mir fiel besonders der eine auf, der wie ein Jaͤger gekleidet war, denn er trug Hetz¬ peitsche und Jagdhorn, und schaute ungemein froͤhlich um sich. „Gott gruͤß Euch, Ihr Herren vom Rhei¬ ne!“ sprach der Lange im rothen Rocke im tiefen Baß, indem er aufstand und sich ver¬ beugte. „Gott gruͤß Euch,“ quickte der Kleine dazu, „haben uns lange nicht gesehen, Herr Jacobus!“ „Frisch auf! hollah und guten Morgen, Herr Matthaͤus, rief der Jaͤger dem Klei¬ nen zu, und auch Euch guten Morgen, Herr Judas! Aber was ist das? wo sind die Roͤmer, wo Pfeifen und Tabak? ist der alte Maueresel noch nicht wach aus seinem Suͤndenschlaf?“ „Die Schlafmuͤtze!“ erwiederte der Kleine, „der schlaͤferige Bengel, droben liegt er noch in Unser lieben Frauen-Kirchhof, aber das Don¬ nerwetter, ich will ihn heraus schellen!“ Da¬ bei ergriff er eine große Glocke, die auf dem Tische stand, und klingelte und lachte in grel¬ len, schneidenden Toͤnen. Auch die drei an¬ dern Herren hatten Huͤte, Stock und Degen in die Ecken gestellt, sich gegenseitig gegruͤßt und an den Tisch gesetzt. Zwischen dem Jaͤger und dem rothen Judas saß einer, den sie An¬ dreas nannten. Es war ein uͤberaus zierlicher und feiner Herr, auf seinen schoͤnen, noch ju¬ gendlichen Zuͤgen lag ein wehmuͤthiger Ernst und um die zarten Lippen schwebte ein mildes Laͤcheln; er trug eine blonde Peruͤcke mit vie¬ len Locken, was mit seinen großen braunen Augen einen auffallenden, aber angenehmen Contrast bildete. Dem Jaͤger gegenuͤber saß ein großer wohlgemaͤsteter Mann, mit roth¬ ausgeschlagenem Gesicht und einer Purpurnase. Er hatte die Unterlippe weit herabhaͤngen und trommelte mit den Fingern auf seinem dicken Bauch, sie hießen ihn Philippus. Ein starkknochiger Mann, fast wie ein Krieger anzuschauen, saß neben ihm; ein mu¬ thiges Feuer brannte in seinen dunkeln Augen, ein kraͤftiges Roth schmuͤckte seine Wangen und ein dichter Bart umschattete den Mund. Er hieß Herr Petrus. Wie unter aͤchten alten Trinkern, so wollte unter diesen Gaͤsten das Gespraͤch nicht recht fortgehen ohne Wein; da erschien eine neue Gestalt in der Thuͤre. Es war ein kleines, altes Maͤnnlein mit schlotternden Beinen und grauem Haar; sein Kopf sah aus wie ein Tod¬ tenkopf, uͤber den man eine duͤnne Haut ge¬ spannt, und seine Augen lagen truͤbe in den tiefen Hoͤhlen; er schleppte keuchend einen gro¬ ßen Korb herbei, und gruͤßte die Gaͤste demuͤ¬ thig. „Ha! siehe da, der alte Kellermeister Bal¬ thasar, riefen die Gaͤste ihm entgegen; frisch heran, Alter, setz' die Roͤmer auf und bring' uns Pfeifen! Wo steckst Du nur so lang, es ist laͤngst Zwoͤlf voruͤber.“ Der alte Mann gaͤhnte einigemal etwas unanstaͤndig und sah uͤberhaupt aus wie einer, der zu lange geschlafen. „Haͤtte beinahe den er¬ sten September verschlafen, kraͤchzte er, ich schlief so hart, und seitdem sie den Kirchhof gepflastert haben, hoͤre ich auch ziemlich schlecht. Wo sind denn aber die andern Herren? fuhr er fort, indem er Pocale von wunderlicher Form und ansehnlicher Groͤße aus dem Korb nahm und auf den Tisch setzte, wo sind denn die an¬ dern? Ihr seyd erst eurer sechs und die alte Rose fehlt auch noch.“ „Setze nur die Flaschen her, rief Judas, daß wir endlich was zu trinken bekommen; und dann gehe hinuͤber, sie liegen noch im Faß, poch' an mit deinen duͤrren Knochen und heiße sie aufstehen, sage, wir sitzen schon alle hier.“ Aber kaum hatte Herr Judas also gespro¬ chen, als ein großes Geraͤusch und Gelaͤchter vor der Thuͤre entstand. „Jungfer Rose hoch, hussa, hoch! und ihr Schatz, der Bachus hoch!“ hoͤrte man von mehreren Stimmen rufen; die Thuͤre flog auf, die gespenstigen Gesellen am Tische sprangen in die Hoͤhe und schrieen, „sie ists, sie ists, Jungfer Rose und Bachus und die Andern, hollah! jetzt geht das Freudenle¬ ben erst recht an;“ und dabei stießen sie die Roͤmer zusammen, lachten, und der Dicke schlug sich auf den Bauch und der blaße Keller¬ meister warf die Muͤtze geschickt zwischen den Beinen durch an die Decke und stimmte ein in das Jucheisa, heisa he! daß mir die Ohren gellten. Welch ein Anblick! der hoͤlzerne Ba¬ chus, so auf dem Faß im Keller geritten, war herabgestiegen, nackt, wie er war; mit seinem breiten freundlichen Gesicht, mit den klaren Aeuglein gruͤßte er das Volk und trippelte auf kleinen Fuͤßchen in das Zimmer; an seiner Hand fuͤhrte er ganz ehrbarlich wie seine Braut eine alte Matrone von hoher Gestalt und weid¬ licher Dicke. Noch weiß ich nicht bis dato, wie es moͤglich war, daß dieß alles so gesche¬ hen, aber damals war es mir sogleich klar, daß diese Dame niemand anders sey, als die alte Rose, das ungeheure Faß im Rosenkeller. Und wie hatte sie sich koͤstlich aufgeputzt, die alte Rheinlaͤnderin! Sie mußte in der Jugend einmal recht schoͤn gewesen seyn, denn wenn auch die Zeit einige Runzeln um Stirne und Mund gelegt hatte, wenn auch das frische Roth der Jugend von ihren Wangen verschwunden war, zwei Jahrhunderte konnten die edlen Zuͤge des feinen Gesichtes nicht voͤllig verwischen. Ihre Augbraunen waren grau geworden, und einige unziemliche graue Barthaare wuchsen auf ihrem spitzigen Kinn, aber die Haare, die um die Stirne schoͤn geglaͤttet lagen, waren nußbraun und nur etwas weniges mit silber¬ grau gemischt. Auf dem Kopf trug sie eine schwarze Sammtmuͤtze, die sich enge an die Schlaͤfe anschloß; dazu hatte sie ein Wamms vom feinsten schwarzen Tuche an und das Mie¬ der von rothem Sammt, das darunter hervor¬ schaute, war mit silbernen Hacken und Ketten geschnuͤrt. Um den Hals trug sie ein breites Halsband von blitzenden Granaten, woran eine goldene Schaumuͤnze befestigt; ein weiter fal¬ tenreicher Rock von braunem Tuch fiel um ihre wohlbeleibte Gestalt, und ein kleines weißes Schuͤrzchen mit feinen Spitzen besetzt, wollte sich recht schalkhaft ausnehmen. An der einen Seite hing ihr eine große lederne Tasche von Leder, an der andern ein Buͤndel gewaltiger Schluͤssel — kurz, sie war eine so ehrbare Frau, als je eine Anno 1618 in Coͤlln oder Mainz uͤber die Straße ging. Aber hinter der Frau Rose kamen noch sechs jubelnde Gesellen, die Dreispitzenhuͤte schwin¬ gend, die Peruͤcken schief auf den Kopf ge¬ setzt, mit weitschoͤßigen Roͤcken und langen, reich gestickten Westen angethan. Ehrbarlich und sittsam fuͤhrte unter dem allgemeinen Jubel Bachus seine Rose oben an die Tafel; sie verbeugte sich mit großem Anstand gegen die Gesellschaft und ließ sich nieder, an ihrer Seite nahm der hoͤlzerne Ba¬ chus Platz, und Balthasar, der Kellermeister, hatte ihm ein tuͤchtiges Polster untergeschoben, weil er sonst gar klein und niedrig dagesessen haͤtte. Auch die andern sechs Gesellen nahmen Platz, und ich merkte jetzt, daß es wohl die zwoͤlf Apostel vom Rheine seyen, die hier um die Tafel saßen, sonst aber im Apostelkeller in Bremen liegen. „Da waͤren wir ja,“ sagte Petrus, nach¬ dem der Jubel etwas nachgelassen, „da waͤren wir ja, wir junges munteres Volk von 1700, und alle wohlbehalten wie sonst. Nun auf gutes Wohlseyn, Jungfer Rose, auch Sie hat gar nicht gealtert und ist noch so stattlich und huͤbsch wie vor fuͤnfzig Jahren, gutes Wohl¬ seyn, Sie soll leben und Ihr Liebster Herr Bachus daneben.“ „Soll leben, die alte Rose soll leben!“ riefen sie und stießen an und tranken; Herr Bachus aber, der aus einem großen silbernen Humpen trank, schluckte zwei Maas rheinisch ohne viele Beschwerden hinunter, und er ward zusehends dicker davon und groͤßer, wie eine Schweinsblase, die man mit Luft fuͤllt. „Mich gehorsamst zu bedanken, werthge¬ schaͤtzte Herrn Apostel und Vettern, antwortete Frau Rosalia, in dem sie sich freundlich ver¬ neigte; seyd Ihr noch immer solch ein loser Schaͤcker, Herr Petrus? ich weiß von keinem Schatz nicht, und Ihr muͤßt ein sittsam Maͤgd¬ lein nicht so in Verlegenheit setzen.“ Sie schlug die Augen nieder als sie dieß sagte, und trank ein maͤchtiges Paßglas aus. „Schatz,“ erwiederte ihr Bachus, indem er sie aus seinen Aeuglein zaͤrtlich anblickte und ihre Hand faßte, „Schatz, ziere dich doch nicht so; du weißt ja wohl, daß dir mein Herz zugethan schon seit zweihundert Herbsten, und daß ich dich carressire vor allen andern. Sag an, wann wollen wir endlich feiern das Beilager?“ „Ach, Ihr loser Schalk,“ antwortete die alte Jungfrau und wandte sich erroͤthend von ihm ab. „Man kann ja nicht neben Euch sitzen eine Viertelstunde, ohne daß Ihr anfan¬ get mit Euren Carressen. Und ein ehrbares Maͤdchen muß sich ja schaͤmen, wenn man Euch nur ansieht. Was laufet Ihr denn fast nackt im Keller? Haͤttet wohl ein Paar Bein¬ kleider entlehnen koͤnnen auf heute. Da Bal¬ thasar, rief sie, indem sie ihre weiße Schuͤrze abband, lege dem Herrn diese Schuͤrze um, es ist gar zu unanstaͤndig!“ „Wenn Du mir einen Kuß gibst, Roͤs¬ chen,“ rief Bachus in verliebter Laune, „so laß ich mir den Fetzen um den Leib binden, obgleich es ein schlimmer Verstoß gegen mein Costuͤm ist; aber was laͤßt man sich nicht ge¬ fallen schoͤner Frauen wegen?“ Balthasar hatte ihm die Schuͤrze umgebun¬ den und er neigte sich zaͤrtlich gegen die Rose, „wenn nur das junge Volk hier nicht dabei waͤre,“ fluͤsterte sie beschaͤmt, indem sie sich halb zu ihm neigte; — aber unter dem Ju¬ beln und Jauchzen der Zwoͤlfe hatte der Wein¬ gott sein Schuͤrzenstipendium nebst Zinsen ein¬ genommen. Dann leerte er seinen Humpen wieder, und ward um zwei Faͤuste breiter und groͤßer, und hub an mit einer rauhen Wein¬ stimme zu singen: Vor allen Schloͤssern dieser Zeit Lob' ich ein Schloß zu Bremen, An seinen Hallen hoch und weit Darf sich kein Kaiser schaͤmen; Gar seltsam ist es ausstaffirt, Mit schmuckem Hausrath ausgeziert, Doch hat daselbst vor allen Eine Jungfrau mir gefallen. Ihr Auge blinkt wie klarer Wein Ihre Wangen sind nicht bleiche‚ Wie praͤchtig ihre Kleider seyn, Von lauter schwerem Zeuche; Von Eichenholz ist ihr Gewand Von Birkenreifen ihre Band', Das Mieder, das sie zieret. Mit Eisen ist geschnuͤret Doch ach, man hat ihr Schlafclosett Mit Riegeln wohl versehen, Dort schlummert sie im Rosenbett, Und ich muß draussen stehen; Drum poch' ich an die Kammerthuͤr, Steh auf mein Schatz und komm herfuͤr, Damit ich mit dir kose, Mach auf herzliebe Rose. So steig ich jede Mitternacht Zu ihrer Kammer nieder; Nur einmal hat sie aufgemacht Jetzt will sie nimmer wieder; Und seit ich einmal sie gekuͤßt Mein Herz von Sehnsucht trunken ist, Nur einmal Rosamunde , Kuͤß mich, daß es gesunde. „Ihr seyd ein Schaͤcker, Herr Bachus,“ sagte Rosa, als er mit einem zaͤrtlichen Triller geendet hatte. „Ihr wißt wohl, daß mich Buͤrgermeister und Rath unter gar strenger Clausur halten und nicht erlauben, daß ich mit jedwedem mich einlasse.“ „Aber mir koͤnntest du doch zuweilen das Kaͤmmerlein oͤffnen, lieb Roͤschen!“ fluͤsterte Bachus; „mich geluͤstet nach der suͤßen Speise deines Mundes.“ „Ihr seyd ein Schelm,“ rief sie lachend, „Ihr seyd ein Tuͤrke und habt es mit vielen zugleich; meinet Ihr ich wisse nicht, wie Ihr mit der leichtfertigen Franzoͤsin scharmirt, mit dem Fraͤulein von Bourdeaux, und mit dem Kreidengesicht, der Champagnerin; geht, geht, Ihr habt einen schlechten Charakter und ver¬ stehet Euch nicht auf treue deutsche Minne.“ „Ja, das sag ich auch! rief Judas, und fuhr mit der langen knoͤchernen Hand nach der Hand der Jungfer Rose, das sag ich auch; drum nehmet mich zu Eurem Galan, liebwer¬ theste Jungfer, und lasset den kleinen, nack¬ ten Kerl seiner Franzoͤsin nachziehen.“ „Was?“ schrie der Hoͤlzerne und trank im Zorn einige Maas Wein, „was? mit dem jungen Fant von 1726 willst du dich abgeben, Roͤschen? Pfui, schaͤme dich; was mein nacktes Costuͤm betrifft, Herr Naseweis, so kann ich eben so gut, wie Er, eine Peruͤcke aufsetzen, einen Rock umhaͤngen und einen Degen an die Seite stecken; aber ich trage mich so, weil ich Feuer im Leibe habe und mich nicht friert im Keller. Und was Sie da sagt, Jungfer Rose, mit den Franzoͤsinnen, so ist das gaͤnz¬ lich erlogen. Besucht habe ich sie zuweilen und mich an ihrem Geiste erlustirt, aber weiter gar nichts; dir bin ich treu, liebster Schatz, und dir gehoͤrt mein Herz.“ 5 „Eine schoͤne Treue, Gott erbarm's!“ er¬ wiederte die Dame; „was hoͤrt man nur aus Spanien, wie Ihr es dort mit dem Frauen¬ zimmer habt. Von der suͤßlichen Metze der Xeres will ich gar nichts sagen, das ist eine bekannte Geschichte, aber wie ist es denn mit der Jungfer Dentilla di Rota , und mit der von San Lucas ? Und dann mit der Sennora Pietro Ximenes ?“ „Alle Teufel, Ihr treibt die Eifersucht auch gar zu weit,“ rief er aͤrgerlich, „man kann doch alte Verbindungen nicht ganz aufgeben. Und was die Sennora Pietro Ximenes betrifft, so seyd Ihr sehr ungerecht, ich be¬ suche sie ja nur aus Freundschaft fuͤr Euch, weil sie Eure Verwandte ist.“ „Was macht Ihr da fuͤr Fabeln? unsere Verwandte? murmelten Rose und die Zwoͤlfe untereinander, wie das?“ „Wißt Ihr denn nicht,“ fuhr er fort, „daß diese Sennora eigentlich eine Rheinlaͤnderin ist? Der ehrsame Don Pietro Ximenes hat sie heimgefuͤhrt als blutjunges Rebstoͤcklein aus dem Rheingau nach seiner Heimath Spanien, und dort hat sie sich angesiedelt und seinen Fa¬ milien-Namen angenommen. Noch jetzt, ob¬ gleich sie den suͤßen, spanischen Charakter angenommen, noch jetzt hat sie große Aehn¬ lichkeit mit Euch, wie die Grundzuͤge des Ge¬ sichtes sich in der Familie nicht ganz verlieren. Dieselbe Farbe und jener suͤße Duft, jenes feine Aroma ist ihr eigen und macht sie zu Eurer wuͤrdigen Baase, werthgeschaͤtzte Jung¬ fer Rose.“ „Sie soll leben, soll leben!“ riefen die Apostel und stießen an, „Baase Ximenes in Hispanien soll leben!“ Jungfer Rose mochte ihrem Galan nicht ganz trauen und stieß mit bitter suͤßer Miene an; doch schien sie nicht ferner mit ihm ha¬ dern zu wollen, sondern sprach weiter: „Und auch ihr, meine lieben Vetter vom Rhein, seyd ihr alle hier? Ja, da ist ja mein zarter, feiner Andreas, mein muthiger Judas, mein feuriger Petrus. Guten Abend, Johan¬ nes, wische dir den Schlaf fein aus den Aeug¬ lein, du siehst noch ganz truͤbselig aus. Bar¬ tholomaͤus, du bist unmaͤßig dick geworden und scheinst traͤge zu seyn. Ha, mein mun¬ terer Paulus, und wie froͤhlich Jacobus um sich schaut, noch immer der Alte. Aber wie, Ihr seyd ja zu Dreizehn am Tische, wer ist denn der dort in fremder Kleidung, wer hat ihn hieher gebracht?“ Gott, wie erschrack ich! Sie schauten alle verwundert auf mich und schienen mit meiner Anwesenheit nicht ganz zufrieden. Aber ich faßte mir ein Herz und sagte: „Mich gehor¬ samst der werthen Gesellschaft zu empfehlen. Ich bin eigentlich nichts weiter als ein zum Doctor der Philosophie graduirter Mensch, und halte mich gegenwaͤrtig hiesigen Orts in dem Wirthshause zur Stadt Frankfurt auf.“ „Wie wagst Du es aber, hieher zu kom¬ men in dieser Stunde, graduirtes Menschen¬ kind?“ sprach Petrus sehr ernst, indem er Blitze aus seinen Feueraugen auf mich spruͤhte. „Du haͤttest wohl denken koͤnnen, daß Du nicht in diese noble Societaͤt gehoͤrst.“ „Herr Apostel,“ antwortete ich, und weiß noch heute nicht, woher ich den Muth bekam, wahrscheinlich aus dem Wein; „Herr Apostel, das Du verbitte ich mir vor's Erste, bis wir weiter bekannt sind. Und was die noble So¬ cietaͤt betrifft, in die ich gekommen seyn soll, so kam sie zu mir, nicht ich zu ihr, denn ich sitze schon seit drei Stunden in diesem Gemach, Herr!“ „Was thut Ihr aber so spaͤt noch im Raths¬ keller, Herr Doctor,“ fragte Bachus etwas sanfter als der Apostel, „um diese Zeit pflegt sonst das Erdenvolk zu schlafen.“ „Euer Excellenz,“ erwiederte ich, „das hat seinen guten Grund. Ich bin ein portirter Freund des edlen Getraͤnkes, das man hier unten verzapft, habe auch durch die Verguͤn¬ stigung eines wohledlen Senats die Permission erhalten, denen Herren Aposteln und der Jung¬ frau Rose meinen Besuch abzustatten, was ich auch geziemendst gethan.“ „Also Ihr trinkt gerne Rheinwein?“ fuhr Bachus fort; „nun das ist eine gute Eigen¬ schaft und sehr zu loben in dieser Zeit, wo die Menschen so kalt geworden sind gegen diese goldene Quelle.“ „Ja, der Teufel hole sie All'!“ rief Judas, „keiner will mehr einige Maas Rheinwein trin¬ ken, außer hie und da solch' ein fahrender Doctor oder vacirender Magister, und diese Hungerleider lassen sich ihn erst noch aufwich¬ sen.“ „Muß ganz gehorsamst depreciren, Herr von Judas,“ unterbrach ich den schrecklichen Rothrock. „Nur einige kleine Versuche habe ich gethan mit dero Rebenblut von 1700 und etlichen Jahren, und den hat mir allerdings der wackere Buͤrgermeister einschenken lassen; was Sie aber hier sehen, ist etwas neuer und in baarer Muͤnze von mir bezahlt.“ „Doctor, ereifert Euch nicht,“ sagte Frau Rose, „er meint's nicht so boͤse, der Judas, und er aͤrgert sich nur und mit Recht, daß die Zeiten so lau geworden.“ „Ja!“ rief Andreas, der feine, schoͤne Andreas,“ ich glaube, dieses Geschlecht fuͤhlt, daß es keines edlen Trankes mehr werth ist, drum sollen sie hier ein Gesoͤff von allerlei Schnaps und Syrup brauen, heißen es Ch â teau Marget, Sillery, St. Julien und sonst nach allerlei pompoͤsen Namen, und credenzen es bei ihren Gastmahlen, und wenn sie es sau¬ fen, bekommen sie rothe Ringe um den Mund, dieweil der Wein gefaͤrbt war, und Kopfweh den andern Tag, weil sie schnoͤden Schnaps getrunken.“ „Ha, was war das fuͤr ein anderes Leben,“ fuͤhrte Johannes die Rede fort, „als wir noch junge, blutjunge Gesellen waren, Anno 19 und 26. Auch Anno 50 ging es noch hoch her in diesen schoͤnen Hallen. Jeden Abend, es mochte die Sonne scheinen in hellem Fruͤhling, oder schneien und regnen im Winter, jeden Abend waren die Stuͤbchen dort gefuͤllt mit frohen Gaͤsten. Hier, wo wir jetzt sitzen, saß in Wuͤrde und Hoheit der Senat von Bre¬ men . Stattliche Peruͤcken auf dem Haupt, die Wehre an der Seite, Muth im Herzen und jeder einen Roͤmer vor sich. „Hier, hier, nicht oben auf der Erde, hier war ihr Rathhaus, hier die Halle des Senats; denn hier beim kuͤhlen Weine beriethen sie sich uͤber das Wohl der Stadt, uͤber ihre Nachbarn und dergleichen. Wenn sie uneinig in der Meinung waren, so stritten sie sich nicht mit boͤsen Worten, sondern tranken einander wa¬ cker zu, und wenn der Wein ihre Herzen er¬ waͤrmt hatte, wenn er froͤhlich durch ihre Adern huͤpfte, da war der Beschluß schnell zur Reife gediehen, sie druͤckten sich die Haͤnde, sie waren und blieben immer Freunde, weil sie Freunde waren des edlen Weines. Am andern Morgen aber war ihnen ihr Wort heilig, und was sie Abends ausgemacht im Keller, das fuͤhrten sie oben im Gerichtssaal aus.“ „Schoͤne, alte Zeiten!“ rief Paulus; „da¬ her koͤmmt es auch, daß noch heut zu Tage jeder vom Rath ein eigenes Trinkbuͤchlein, eine jaͤhrliche Weinrechnung hat. Den Herren, die alle Abende hier saßen und tranken, war es nicht genehm, allemal in die Tasche zu fahren und ihr Geldseckelein heraus zu kriegen. Aufs Kerbholz ließen sie es schreiben und am Neu¬ jahr ward Abrechnung gehalten, und es gibt einige wackere Herren, die noch jetzt oft Ge¬ brauch davon machen, aber es sind deren we¬ nige.“ „Ja, ja, Kinder,“ sprach die alte Rose , „sonst war es anders, so vor fuͤnfzig, hundert, zweihundert Jahren. Da brachten sie Abends ihre Weiber und Maͤdchen mit in den Keller, und die schoͤnen Bremerkinder tranken Rhein¬ wein oder von unserem Nachbar Moseler, und waren weit und breit beruͤhmt durch ihre bluͤ¬ henden Wangen, durch ihre purpurrothen Lip¬ pen, durch ihre herrlichen blitzenden Augen; jetzt trinken sie allerlei miserables Zeug, als Thee und dergleichen, was weit von hier bei den Chinesen wachsen soll und was zu meiner Zeit die Frauen tranken, wenn sie ein Huͤstlein oder sonstige Beschwer hatten. Rheinwein, aͤchten gerechten Rheinwein koͤnnen sie gar nicht mehr vertragen; denkt Euch ums Himmels Willen, sie gießen spanischen Suͤßen darunter, daß er ihnen munde, sie sagen, er sey zu sauer.“ Die Apostel schlugen ein großes Gelaͤchter auf, in das ich unwillkuͤhrlich einstimmen mußte, und Bachus lachte so graͤßlich, daß ihn der alte Balthasar halten mußte. „Ja die guten alten Zeiten!“ rief der dicke Bartholomaͤus; „sonst trank ein Buͤrger seine zwei Maas, und es war als haͤtt' er Wasser getrunken, so nuͤchtern blieb er, jetzt wirft sie ein Roͤmer um. Sie sind aus der Uebung ge¬ kommen.“ „Da trug sich vor vielen Jahren eine schoͤne Geschichte zu,“ sagte Fraͤulein Rose und laͤchelte vor sich hin. „Erzaͤhle, erzaͤhle, Jungfer Rose, die Ge¬ schichte!“ baten alle; sie aber trank bedeutend viel Wein, damit sie eine glatte Kehle bekam, und hub an: „Anno 1600 und einige zwanzig, dreißig Jahre war ein großer Krieg in deutschen Lan¬ den von wegen des Glaubens; die einen woll¬ ten so und die andern anders, und statt daß sie bei einem Glase Wein die Sache vernuͤnftig besprochen haͤtten, schlugen sie sich die Schaͤdel ein. Albrecht von Wallenstein, des Kaisers General-Feldmarschall, hauste schrecklich in protestantischen Landen. Deß erbarmte sich der Schweden Koͤnig, Gustav Adolph, und kam mit vieler Mannschaft zu Roß und zu Fuß. Es wurden viele Bataillen geliefert, sie hetzten sich herum am Rhein und an der Donau, ge¬ schah aber weiter nicht viel, weder vor- noch ruͤckwaͤrts. Zu der Zeit war Bremen und die andern Hansestaͤdte neutral, und wollten es mit keiner Parthei verderben. Dem Schweden lag aber daran, durch ihr Gebiet zu ziehen und sich freundlich mit ihnen einzulassen, darum wollte er einen Gesandten an sie schicken. Weil aber im Reich bekannt war, daß man in Bre¬ men alles im Weinkeller verhandle, und die Rathsherren und Buͤrgermeister einen guten Schluck haͤtten, so fuͤrchtete sich der Schweden¬ koͤnig, sie moͤchten seinem Gesandten gar sehr zusetzen mit Wein, daß er endlich betrunken wuͤrde und schlechte Bedingungen einginge fuͤr die Schweden.“ „Nun befand sich aber im schwedischen La¬ ger ein Hauptmann vom gelben Regiment, der ganz erschrecklich trinken konnte. Zwei, drei Maas zum Fruͤhstuͤck war ihm ein Kleines, und oft hat er Abends zum Zuspitzen ein halb Imi getrunken und nachher gut geschlafen. Als nun der Koͤnig voll Besorgniß war, sie moͤchten im Bremer Rathskeller seinem Gesandten allzu sehr zusetzen, so erzaͤhlte ihm der Kanzler Oxen¬ stierna von dem Hauptmann, Gutkunst hieß er, der so viel trinken koͤnne. Deß freute sich der Koͤnig und ließ ihn vor sich kommen.“ „Da brachten sie einen kleinen, hageren Mann, der war ganz bleich im Gesicht, hatte aber eine große, kupferrothe Nase und hell¬ blaue Lippen, was ganz wunderlich anzusehen war. Der Koͤnig fragte ihn, wie viel er sich wohl zu trinken getraue, wenn es recht ernst¬ lich zuginge. „O Herr und Koͤnig, antwortete er, so ernstlich bin ich noch nie daran gekom¬ men, habe mich bis dato auch noch nicht ge¬ eicht; der Wein ist nicht wohlfeil, und man kann taͤglich nicht uͤber sieben, acht Maas trin¬ ken, ohne in Schulden zu gerathen.“ — „Nun, wie viel meinst Du denn fuͤhren zu koͤnnen?“ fragte der Koͤnig weiter. Er aber antwortete unerschrocken: „wenn Euer Majestaͤt bezahlen wollen, moͤchte ich wohl einmal zwoͤlf Maͤs¬ chen trinken, mein Reitknecht, der Balthasar Ohnegrund, kann es aber noch besser.“ Da schickte der Koͤnig auch nach Balthasar Ohne¬ grund, dem Knecht des Hauptmann Gutkunst, und war der Herr schon blaß gewesen und ma¬ ger, so war es der Diener noch mehr, der ganz aschenfarb aussah, als haͤtt' er sein Lebenlang Wasser getrunken.“ „Da ließ nun der Koͤnig den Hauptmann und Ohnegrund, den Reitknecht, in ein Zelt setzen und einige Faͤßlein alten Hochheimer und Nierensteiner anfahren, und wollte haben, die beiden sollten sich eichen lassen. Sie tran¬ ken von Morgens eilf Uhr bis Abends vier Uhr ein Imi Hochheimer und anderthalb Imi Nie¬ rensteiner, und der Koͤnig ging voll Verwunde¬ rung zu ihnen ins Zelt, um zu sehen, wie es mit ihnen stehe. Die beiden Gesellen waren aber wohl auf und der Hauptmann sagte: „so, jetzt will ich einmal die Degenkuppel abschnal¬ len, dann geht's besser;“ Ohnegrund machte aber drei Knoͤpfe an seinem Koller auf. Da entsatzten sich alle, die dieß sahen, der Koͤnig aber sprach: „kann ich bessere Gesandte finden nach der froͤhlichen Stadt Bremen als diese?“ Und alsobald ließ er dem Hauptmann praͤchtige Kleider und Waffen geben, wie auch Ohnegrund, dem Reitknecht, denn dieser sollte den Schreiber des Gesandten vorstellen. Der Koͤnig und der Kanzlar unterrichteten den Haupt¬ mann, was er zu sagen haͤtte bei der Unter¬ handlung, und nahm beiden das Versprechen ab, daß sie auf der ganzen Reise nur Wasser trinken sollten, damit nachher das Treffen im Keller um so glorreicher wuͤrde; Gutkunst aber, der Hauptmann, mußte seine rothe Nase mit einer kuͤnstlichen Salbe anstreichen, auf daß sie weiß aussah, damit man nicht merke, welch' ein Kunde er sey.“ „Ganz elendiglich vom vielen Wassertrin¬ ken kamen die beiden nach der Stadt Bremen, und nachdem sie bei dem Buͤrgermeister gewe¬ sen, sagte dieser zum Senat: „o! was hat uns der Schwede fuͤr zwei bleiche, magere Gesellen geschickt; heute Abend wollen wir sie in den Rathskeller fuͤhren und zudecken. Ich nehme den Gesandten auf mich ganz allein, und der Doctor Schnellpfeffer muß auf den Schreiber.“ So wurden sie denn Abends nach der Betglocke feierlichst in den Rathskeller gefuͤhrt, der Buͤr¬ germeister fuͤhrte Gutkunsten, den Hauptmann, der Doctor Schnellpfeffer, was auch ein gu¬ ter Trinker war, fuͤhrte den Reitknecht am Arm, der als Schreiber angethan sich recht zuͤchtiglich geberdete; hinter ihnen gingen viele Rathsherren, die zur Verhandlung geladen waren. Hier in diesem Gemach setzten sie sich um den Tisch und verspeißten zuerst Ha¬ senbraten und Schinken und Haͤringe, um sich zum Trinken zu ruͤsten. Dann wollte der Ge¬ 6 sandte ganz ehrbar mit der Verhandlung an¬ fangen und sein Schreiber zog Pergament und Feder aus der Tasche; aber der Buͤrgermeister sprach: „mit nichten also Ihr edlen Herren; so ist es nicht Gebrauch in Bremen, daß man die Sache also trocken abmacht; wollen ein¬ ander vorerst auch zutrinken nach Sitte unserer Vaͤter und Großvaͤter.“ „Kann eigentlich nicht viel vertragen,“ antwortete der Hauptmann, „dieweil es aber seiner Magnificenz also ge¬ faͤllig, will ich ein Schluͤcklein zu mir neh¬ men.“ Nun tranken sie sich zu und hielten ein Gespraͤch uͤber Krieg und Frieden und uͤber die Schlachten, so geliefert worden; die Raths¬ herren aber, um den Fremden mit gutem Beispiel voranzugehen, tranken sich weidlich zu und bekamen rothe Koͤpfe. Bei jeder neuen Flasche entschuldigten sich die Fremden, wie sie gar den Wein nicht gewohnt waͤren und er ihnen zu Kopf steige; deß freute sich der Buͤr¬ germeister, trank in seiner Herzenslust ein Pa߬ glas um das andere, so daß er nicht mehr recht wußte was zu beginnen. Aber, wie es zu gehen pflegt in diesem wunderbaren Zu¬ stand, er dachte: „jetzt ist er betrunken, der Gesandte, und auch dem Schreiber hat der Doctor tuͤchtig zugesetzt;“ und sprach daher: „Nun wollen wir anfangen mit unserem Ge¬ schaͤft.“ Das waren die Fremden zufrieden, thaten, wie wenn sie voll Weines waͤren und tranken auf ihrer Seite den Herren weidlich zu.“ „Da wurde nun gesprochen und getrunken, gehandelt und wieder getrunken, bis der Buͤr¬ germeister mitten im Satz einschlief und der Doctor Schnellpfeffer unter dem Tische lag. Da kamen denn die andern Rathsherren und tranken den Fremden zu und fuͤhrten die Ver¬ handlung fort; aber trank der Hauptmann laͤsterlich, so machte es sein Reitknecht nicht schlimmer; fuͤnf Kuͤper mußten immer hin und herlaufen und einschenken, denn der Wein verschwand von dem Tisch als waͤre er in den Sand gegossen worden. So geschah es, daß die Gaͤste nacheinander den ganzen Rath unter den Tisch tranken bis auf Einen.“ „Dieser Eine aber war ein großer starker Mann, mit Namens Walther , von wel¬ chem man allerlei sprach in Bremen, und waͤre er nicht im Rath gesessen, man haͤtte ihn laͤngst boͤser Kuͤnste und Zauberei ange¬ klagt. Herr Walther war seines Zeichens ei¬ gentlich ein Zirkelschmidt gewesen, hatte sich aber hervorgethan in seiner Gilde, war unter die Aeltermaͤnner gekommen und nachher in den Senat. Dieser hielt aus bei den Gaͤsten, trank zweimal soviel als beide, so daß ihnen ganz unheimlich wurde, denn er war so ver¬ staͤndig, wie zuvor, waͤhrend der Hauptmann schon truͤbe Augen bekam und glaubte, es gehe ihm ein Rad im Kopf herum. So oft der Senator Walther ein Paßglas getrunken, fuhr er mit der Hand unter den Hut, und dem Reit¬ knecht kam es vor, als sehe er ein blaͤuliches Woͤlkchen, ganz fein wie Nebel, aus seinem rabenschwarzen Haar hervorsteigen. Er trank wacker darauf los, bis der Hauptmann Gut¬ kunst selig entschlief und sein Haupt ganz weich auf des Buͤrgermeisters Bauch legte.“ „Da sprach der Senator Walther mit son¬ derbarem Laͤcheln zu dem Schreiber des Ge¬ sandten: „Lieber Geselle, du fuͤhrst einen maͤch¬ tigen Zug, ich vermeine aber, daß du mit dem Roßstriegel besser fortkommst als mit der Feder.“ Da erschrack der Schreiber und sprach: „Wie meinet Ihr dieß, Herr! ich will nicht hoffen, daß Ihr mir Hohn sprechen wollt; bedenket, daß ich Seiner Majestaͤt Gesandt¬ schafts-Schreiber bin.“ „Hohoh!“ !“ rief der andere mit schrecklichem Lachen, „seit wann haben denn ordentliche Gesandtschafts-Schreiber solche Kittel an und fuͤhren solche Federn bei der Sitzung?“ Da sah der Reitknecht auf sein Kleid und bemerkte mit großem Schrecken, daß er seinen gewoͤhn¬ lichen Stallkittel an habe, er sah auf seine Hand, und siehe da, statt der Feder hielt er eine ganz gemeine Krazbuͤrste. Da entsetzte er sich und sah sich verrathen, und wußte nicht wie ihm geschah. Herr Walther aber laͤchelte seltsam und hoͤhnisch, und trank ihm einen Hum¬ pen von anderthalb Maas zu auf einen Zug, fuhr dann mit der Hand hinter die Ohren, und der Reitknecht sah ganz deutlich, wie ein fei¬ ner Nebel aus seinem Kopf kam. „Gott soll mich bewahren, Herr! daß ich fuͤrder mit Euch trinke,“ rief er; „Ihr seyd ein Schwarzkuͤnst¬ ler, wie ich nun vermuthe, und koͤnnt mehr als Brod essen.“ „Daruͤber waͤre noch vielerlei zu sagen,“ antwortete Walther ganz ruhig und freund¬ lich, „aber es wuͤrde dir auch nicht viel hel¬ fen, werthgeschaͤtzter Stallknecht und Roßkamm, wenn du mir fuͤrder zusetztest mit Trinken, mich trinkst du nicht unter den Tisch, was maasen ich einen kleinen Hahnen in mein Ge¬ hirn geschraubt habe, durch welchen der Wein¬ dunst wieder herausfaͤhrt. Schau zu!“ Dabei trank er ein großes Paßglas aus, wandte seinen Kopf heruͤber zu dem Reitknecht Ohne¬ grund, strich sein Haar zuruͤck, und siehe da, in seinem Kopf steckte ein kleiner silberner Hahn, wie an einem Faß; da drehte er den Zapfen um und ein blaͤulicher Dunst stroͤmete hervor, so daß ihm der Weingeist keine Be¬ schwerden machte in der Hirnkammer.“ Da schlug der Reitknecht vor Verwunde¬ rung die Haͤnde zusammen und rief: „Das ist einmal eine schoͤne Erfindung, Herr Zau¬ berer! koͤnnet Ihr mir nicht auch so ein Ding an den Kopf schrauben, um Geld und gute Worte?“ „Nein, das geht nicht, antwortete jener bedaͤchtig; da seyd Ihr nicht erfahren ge¬ nug in geheimer Wissenschaft; aber ich habe Euch liebgewonnen wegen Eurer absonderlichen Kunst im Trinken, darum moͤchte ich Euch gerne dienen, wo ich kann. Zum Beispiel, es ist gegenwaͤrtig die Stelle des Kellermeisters vacant allhier. Balthasar Ohnegrund! ver¬ laß den Dienst dieser Schweden, wo es doch mehr Wasser als Wein gibt, und diene dem wohledlen Rath dieser Stadt; wenn wir auch einige Lasten Wein mehr brauchen des Jahrs, die du heimlich saufest, das thut nichts, ein solcher Capitalkerl hat uns laͤngst gefehlt; Balthasar Ohnegrund! ich mach' dich morgen zum Kellermeister, wenn du willst. Willst du nicht, so ist's auch gut; dann weiß aber mor¬ gen die ganze Stadt, daß uns der Schwede einen Reitknecht als Schreiber geschickt.“ Die¬ ser Vorschlag mundete dem Balthasar wie edler Wein; er that einen Blick in dieses unermeßliche Weinreich, schlug sich auf den Magen und sagte: „ich wills thun.“ Nach¬ her machten sie noch allerhand Punkte aus, wie es gehalten werden soll nach Ohnegrunds zeitlichem Hinscheiden mit seiner armen Seele. Er wurde Kellermeister, der Hauptmann Gut¬ kunst aber zog mit zweideutigen Bedingun¬ gen ab ins schwedische Lager, und als nach¬ her die Kaiserlichen in die Stadt kamen, war der Buͤrgermeister und Senat froh, daß sie sich mit dem Schweden nicht zu tief eingelas¬ sen, obgleich keiner recht wußte, wie es so gekommen war.“ So erzaͤhlte die Rose, die Apostel und ich dankten ihr und lachten sehr uͤber die beiden Gesandten, Paulus aber fragte: „und Bal¬ thasar Ohnegrund, der wackere Kunde, was ist aus ihm geworden? blieb er Kellermei¬ ster?“ Die Rose aber wandte sich um mit Laͤ¬ cheln, deutete auf eine Ecke des Gemachs und sagte: „dort sitzt er ja noch, wie vor zwei¬ hundert Jahren, der wackere Zecher.“ Mir graute, als ich hinsah; eine bleiche abgehaͤrmte Gestalt saß in der Ecke, schluchzte und weinte sehr und trank dazu sehr viel Rheinwein; aber es war niemand anders, als eben der Keller¬ meister Balthasar, der aus Unser lieben Frauen Kirchhof herabgekommen war, nachdem ihn Matthaͤus aus dem Schlaf geschellt. „Nun alter Balthasar,“ rief ihm Jacobus zu, „du hast also als Reitknecht gedient beim Hauptmann Gutkunst und warst sogar Ge¬ sandtschaftsschreiber oder Secretaͤr, ehe du Kel¬ lermeister wurdest? was machte denn der Herr, so den Hahnen im Hirnkasten hatte, fuͤr Be¬ dingnisse?“ „O Herr!“ stoͤhnte der alte Kellermeister aus tiefer Seele, und es war, als ob ihn der ewige Tod auf dem Fagott begleitete, so graͤu¬ lich toͤnte es aus seiner Brust, „o Herr! for¬ dert nicht von mir, daß ich es sage.“ „'Heraus damit,“ schrieen die Apostel, „was wollte der mit dem Spiritusableiter? der Weingeistschroͤpfer, was wollte er?“ „ Meine Seele .“ „Armer Kerl,“ sagte Petrus sehr ernst; „und um was wollte er deine arme Seele?“ „Um Wein;“ murmelte er dumpf, und mir war es, als ob eine Stimme ohne Hoff¬ nung spraͤche. „Rede deutlicher, Alter, wie hat er es ge¬ macht mit deiner Seele?“ Er schwieg lange; endlich sprach er: „warum dieß erzaͤhlen, ihr Herren? Es ist grausig, und ihr versteht doch nicht, was es heißt, eine Seele verlieren.“ „Wohl wahr,“ sprach Paulus, „wir sind froͤhliche Geister und schlummern im Weine, und freuen uns ewiger ungetruͤbter Herrlichkeit und Freude; darum kann uns aber auch kein Grauen anwandlen, denn wer hat Macht uͤber uns, daß er uns elend mache oder uns schrecke? darum erzaͤhle!“ „Aber es sitzt ein Mensch am Tisch, der kann es nicht vertragen,“ sprach der Todte, „vor ihm darf ich es nicht sagen.“ „Nur zu, immer zu,“ erwiederte ich, an allen Gliedern schauernd, „ich kann eine hin¬ laͤngliche Dosis Schauerliches ertragen, und was ist es am Ende, als daß Euch der Teufel geholt?“ „Herr, es waͤre Euch besser, Ihr bete¬ tet,“ murmelte der Alte, „aber Ihr wollt es so haben, so hoͤret: der Mensch, der in jener Nacht in diesem Zimmer bei mir saß, — es war ein boͤses Ding mit ihm. Der hatte seine Seele dem Boͤsen verhandelt, und es war da¬ bei bedingt, daß er sich loskaufen koͤnnte durch eine andere Seele. Schon viele hatte er auf dem Korn gehabt, aber allemal waren sie i h m wieder entgangen. Mich faßte er besser. Ich war wild aufgewachsen ohne Unterricht, und das Leben im Kriege ließ mich nicht viel nach¬ denken; wenn ich so uͤber ein Schlachtfeld ritt, und der Mondschein fiel herab, und Freund und Feind niedergemaͤhet da lagen, da dachte ich: sie sind jetzt halt todt und leben nicht mehr; von der Seele hielt ich nicht viel und von Himmel und Hoͤlle noch weniger. Aber weil man so kurz lebt, wollt ich's Leben recht genießen, und Wein und Spiel war mein Ele¬ ment. Das hatte mir der Hoͤllenknecht abge¬ merkt und sprach zu mir in jener Nacht: „so zwanzig, dreißig Jahr zu leben in diesem Kel¬ lerreich, in diesem Weinhimmel zu trinken nach Herzenslust, nicht wahr, Balthasar, das muͤßt' ein Leben seyn?“ Ja, Herr, sprach ich, aber wie koͤnnte ich dieß verdienen? „An was liegt dir mehr,“ fuhr er fort, „hier recht zu leben nach Herzenslust auf der Erde, hier im Keller, oder an den Geschichten, die sich nachher begeben, wo man gar nicht weiß, ob man nur noch lebt und Wein trinkt?“ Ich that einen graͤßlichen Schwur und sagte: „meine Gebeine werden dahin fahren, wo die Gebeine meiner Gesellen liegen; ist der Mensch todt, so fuͤhlt er nicht und denkt nicht; hab' es an manchem Cameraden erlebt, dem die Kugel das Hirn zerschmetterte, darum will ich leben und lustig seyn.“ Er aber sprach zu mir: „wenn du Verzicht leisten willst auf das, was nachher koͤmmt, so ist es ein Leichtes, dich hier zum Kellermeister zu machen, schreib nur deinen Namen in dieß Buͤchlein und thue einen recht tuͤchtigen Schwur dazu.“ „Was nachher mit mir geschieht, das kuͤmmert mich nicht,“ sprach ich; „Kellermeister will ich hier seyn immer¬ dar und ewiglich, so lang ich bin, und der Teufel oder wer will kann das andere haben alles, wenn sie mich einst einscharren.“ „Als ich so gesprochen, waren wir nicht mehr zu Zwei, sondern ein Dritter saß neben mir, und hielt mir das Buͤchlein hin zum Unterschrei¬ ben; der aber, der dieß that, war nicht der Zirkelschmidt, sondern ein Anderer .“ „Wer war es denn? sag' an!“ riefen die Apostel ungeduldig. Die Augen des alten Kellermeisters fun¬ kelten graͤulich und seine bleichen Lippen beb¬ ten; er setzte mehreremal an, um zu sprechen, aber ein Krampf schien ihm die Kehle zuzu¬ schnuͤren. Da blickte er auf einmal fest und muthig in eine dunkle Ecke, trank sein Glas aus und warf es an die Erde; „was hilft alle Reue, alter Balthasar,“ sprach er, indem große Thraͤnen in seinen Wimpern hingen; „der bei mir saß — war der Teufel .“ Es war bei diesen Worten unheimlich, bis zur Verzweiflung unheimlich in dem Gemach; die Apostel schauten ernst und schweigend in ihre Roͤmer, Bachus hatte das Gesicht in die Haͤnde gedruͤckt, und die Rose war bleich und stille. Kein Athemzug ruͤhrte sich, man hoͤrte nur, wie in dem Todtenkopf des Alten die Zaͤhne schaudernd aneinander klapperten. „Mein Vater hatte mich gelehrt, meinen Namen zu schreiben, als ich noch ein kleiner, frommer Knabe war; ich unterschrieb ihn ins Buch, das mir der Andere mit seinen Krallen vorhielt. Von da an ging mir ein Leben auf in Saus und Brauß; in ganz Bremen gab es keinen Mann so froͤhlich als den Kellermeister Balthasar, und getrunken hab' ich, was der Keller Gutes und Koͤstliches hatte. Zur Kirche ging ich nie, sondern wenn sie zusammen laͤu¬ teten, schritt ich hinab zum besten Faß und schenkte mir ein nach Herzenslust. Als ich alt wurde, kam oft ein Grauen uͤber mich und es froͤstelte mir durch die Glieder, wenn ich ans Sterben dachte; hatte zwar kein Weib, das um mich jammerte, aber auch keine Kinder, die mich troͤsteten, da trank ich denn, wenn die Todesgedanken uͤber mich kamen, bis ich von Sinnen war und schlief. So trieb ich's lange Jahre, mein Haar ward grau, meine Glieder schwach, und ich sehnte mich, zu schla¬ fen im Grabe. Da war mir eines Tages, als sey ich erwacht und koͤnne doch nicht recht er¬ wachen ; die Augen wollten sich nicht aufthun, die Finger waren steif, als ich mich aus dem Bette heben wollte, und die Beine lagen starr wie ein Stuͤck Holz. An mein Bett aber tra¬ ten Leute, betasteten mich und sprachen: „der alte Balthasar ist todt.“ „Todt, dachte ich und erschrack, todt und nicht schlafen? todt bin ich und denke ? Mich erfaßte eine unnennbare Angst, ich fuͤhlte, wie mein Herz stille stand, und wie sich doch etwas in mir regte und in sich zu sammen zog und 7 bange, bange war; das war mein Koͤrper nicht, denn der lag steif und todt, was war es denn?“ „Deine Seele!“ sprach Petrus dumpf; „ Deine Seele !“ fluͤsterten die andern ihm nach. „Da maßen sie meine Laͤnge und Breite, um die sechs Brettlein fertig zu machen, und legten mich hinein und ein hartes Kißen von Hobelspaͤhnen unter meinen Schaͤdel, und na¬ gelten die Bahre zu, und meine Seele wurde immer aͤngstlicher, weil sie nicht schlafen konnte. Dann hoͤrte ich die Todtenglocke laͤuten auf der Domkirche, sie hoben mich auf und kein Auge weinte um mich. Sie trugen mich auf Unser lieben Frauen Kirchhof, dort hatten sie mein Grab gegraben, noch hoͤre ich die Seile schwir¬ ren, die sie heraufzogen, als ich unten lag; dann warfen sie Steine und Erde herab und es ward stille um mich her.“ „Aber meine Seele zitterte heftiger, als es Abend wurde, als es zehn Uhr, eilf Uhr schlug auf allen Glocken. Wie wird es dir gehen, wie wird es dir gehen? dachte ich bei mir. Ich wußte noch ein Gebetlein aus alter Zeit, das wollte ich sprechen, aber meine Lippen stan¬ den still. — Da schlug es zwoͤlf Uhr, und mit einem Ruck ward die schwere Grabesdecke ab¬ gerissen und auf meinen Sarg geschah ein schrecklicher Schlag.“ — „Ein Schlag, daß die Hallen droͤhnten, sprengte jetzt eben die Thuͤre des Gemaches auf, und eine große weiße Gestalt erschien auf der Schwelle. Ich war durch Wein und die Schreck¬ nisse dieser Nacht so exaltirt und ausser mir selbst gebracht, daß ich nicht aufschrie, nicht aufsprang, wie wohl sonst geschehen waͤre, son¬ dern geduldig das Schreckliche anstarrte, das jetzt kommen sollte; mein erster Gedanke war naͤmlich: „jetzt kommt der Teufel.“ Habt Ihr je im Don Juan jenen bangen Moment geschaut, wo Tritte dumpf und im¬ mer naͤher toͤnen, wo Leporello schreiend zu¬ ruͤckkoͤmmt und die Statue des Gouverneurs, ihrem Streitroß auf dem Monument entstiegen, zum Gastmal koͤmmt? Riesengroß, mit abge¬ messenem droͤhnendem Schritt, ein ungeheures Schwert in der Hand, gepanzert, aber ohne Helm, trat die Gestalt ins Gemach. Sie war von Stein, das Gesicht steif und seelenlos; aber dennoch that sich der steinerne Mund auf und sprach: „Gott gruͤß Euch, vielliebe Reben vom Rheine; muß doch das schoͤne Nachbars¬ kind besuchen an ihrem Jahrestag. Gott gruͤß Euch, Jungfrau Rose. Darf ich auch Platz nehmen in Eurem Gelaggaden?“ Sie schauten alle verwundert nach der riesigen Statue, Frau Rose aber brach das Stillschwei¬ gen, schlug vor Freude die Haͤnde zusammen und schrie: „Ei, du meine Guͤte! 's ist ja der steinerne Roland, so seit vielen hundert Jahren auf dem Domhofe in der lieben Stadt Bremen steht. Ei, das ist schoͤn, daß Ihr uns die Ehre anthut, Herr Ritter; leget doch Schild und Schwert ab, und machet es Euch bequem; wollet Ihr Euch nicht obenan setzen an meine Seite? O Gott, wie mich das freut!“ Der hoͤlzerne Weingott, so indessen wieder um ein Erkleckliches gewachsen, warf muͤrrische Blicke bald auf den steinernen Roland, bald auf die naive Dame seines Herzens, die ihre Freude so laut und unverholen ausgelassen. Er murmelte etwas von ungebetenen Gaͤsten, und strampelte ungeduldig mit den Beinen. Aber Rose druͤckte ihm unter dem Tische die Hand und beschwichtigte ihn durch suͤße Blicke. Die Apostel waren naͤher zusammen geruͤckt und hatten dem steinernen Gast einen Stuhl neben dem alten Fraͤulein eingeraͤumt. Er legte Schwert und Schild in die Ecke, und setzte sich ziemlich ungelenk auf das Stuͤhlein, aber ach, dieß war fuͤr ehrsame Bremer Stadt¬ kinder und nicht fuͤr einen steinernen Riesen gemacht, es knackte, als er sich setzte, morsch zusammen, und so lang er war, lag er im Gemach. „Schnoͤdes Geschlecht, das solche Hitschen zimmert, worauf zu meiner Zeit nicht einmal ein zartes Fraͤulein haͤtte sitzen koͤnnen ohne mit dem Sitz durchzubrechen,“ sagte der Heros und stand langsam auf; der Kellermeister Bal¬ thasar aber rollte ein Halbeimerfaß herbei an den Tisch, und lud den Ritter ein Platz zu nehmen. Es knackten nur ein Paar Dau¬ ben als er sich setzte, aber das Faß hielt aus. Dann bot ihm der Kellermeister ein großes Roͤmerglas mit Wein, er faßte es mit der breiten steinernen Faust, aber krach! war es entzwei, daß ihm der Wein uͤber die Finger lief. „Ei, Ihr haͤttet auch die Handschuh von Stein fuͤglich ablegen koͤnnen,“ sprach Balthasar aͤrgerlich, und credenzte ihm einen silbernen Becher, so ein Maas hielt, und in fruͤherer Zeit Tummler genannt wurde. Der Ritter faßte ihn, druͤckte nur einige unbedeu¬ tende Buckeln in den Becher, sperrte das stei¬ nerne Maul auf und goß den Wein hinab. „Wie mundet Euch der Wein?“ fragte Bachus den Gast; „Ihr habt wohl lange kei¬ nen getrunken?“ „Er ist gut, bei meinem Schwert! sehr gut! was ist es fuͤr Gewaͤchs?“ „Rother Engelheimer, gestrenger Herr!“ antwortete der Kellermeister. Das steinerne Auge des Ritters bekam Le¬ ben und Glanz, als er dieß hoͤrte, die gemei¬ selten Zuͤge verschoͤnerte ein sanftes Laͤcheln, und vergnuͤglich schaute er in den Becher. „ Engelheim ! du suͤßer, trauter Name!“ sprach er. „Du edle Burg meines ritterlichen Kaisers; so nennt man also noch in dieser Zeit deinen Namen und die Reben bluͤhen noch, die Karl einst pflanzte in seinem Engelheim? Weiß man denn auch von Roland noch et¬ was auf der Welt, und von dem großen Ka¬ rolus , seinem Meister?“ „Das muͤßt Ihr den Menschen dort fra¬ gen,“ erwiederte Judas, „wir geben uns mit der Erde nicht mehr ab. Er nennt sich Doc¬ tor und Magister, und muß Euch Bescheid ge¬ ben koͤnnen uͤber sein Geschlecht.“ Der Riese richtete sein Auge fragend auf mich und ich antwortete: „Edler Paladin! Zwar ist die Menschheit in dieser Zeit lau und schlecht geworden, ist mit dem hohlen Schaͤdel an die Gegenwart genagelt und blickt nicht vor, nicht ruͤckwaͤrts, aber so elend sind wir doch nicht geworden, daß wir nicht der großen, herrlichen Gestalten gedaͤchten, die einst uͤber unsere Vatererde gingen und ihren Schatten werfen noch bis zu uns. Noch gibt es Her¬ zen, die sich hinuͤberretten in die Vergan¬ genheit, wenn die Gegenwart zu schaal und truͤbe wird, die hoͤher schlagen bei dem Klang großer Namen und mit Achtung durch die Ruinen wandlen, wo einst der große Kaiser saß in seiner Zelle, wo seine Ritter um ihn standen, wo Eginhart bedeutungsvolle Worte sprach und die traute Emma dem treusten sei¬ ner Paladine den Becher credenzte. Wo man den Namen Eures großen Kaisers ausspricht, da ist auch Roland unvergessen, und wie Ihr ihm nahe standet im Leben, so enge seyd Ihr mit ihm verbunden in Lied und Sage und in den Bildern der Erinnerung. Der letzte Ton Eures Hifthorns toͤnt noch immer aus dem Thal von Ronceval durch die Erde und wird toͤnen, bis er sich in die Klaͤnge der letzten Posaune mischt.“ „So haben wir nicht vergebens gelebt, alter Karl!“ sprach der Ritter, „die Nach¬ welt feiert unsere Namen.“ „Ha!“ rief Johannes feurigen Muthes; „diese Menschen waͤren auch werth Wasser aus dem Rhein zu saufen statt des Rebenblutes seiner Huͤgel, wenn sie den Namen des Man¬ nes vergessen haͤtten, der zuerst die Reben pflanzte im Rheingau. Auf, ihr trauten Ge¬ sellen und Apostel, stoßet an, unser herrlicher Stammvater lebe, es lebe Kaiser Karl der Große !“ Die Roͤmer klangen, aber Bachus sprach: „Ja, es war eine schoͤne, herrliche Zeit, und ich freue mich ihrer wie vor tausend Jah¬ ren. Wo jetzt die wundervollen Weingaͤrten stehen vom Ufer bis hinauf an die Ruͤcken der Berge, und hinauf und hinab im Rhein¬ thal Traube an Traube sich schlingt, da lag sonst wuͤster, duͤsterer Wald. Da schaute einst Kaiser Karl aus seiner Burg in Engelheim an den Bergen hin, er sah, wie die Sonne schon im Maͤrz so warm diesen Huͤgel be¬ gieße und den Schnee hinabrolle in den Rhein, wie so fruͤhe die Baͤume dort sich belauben und das junge Gras dem Fruͤhling voraneile aus der Erde. Da erwachte in ihm der Ge¬ danke Wein zu pflanzen, wo sonst der Wald lag.“ „Und ein geschaͤftiges Leben regte sich im Rheingau bei Engelheim, der Wald verschwand, und die Erde war bereit den Weinstock auf¬ zunehmen. Da schickte er Maͤnner nach Un¬ garn und Spanien, nach Italia und Bur¬ gund, nach der Champagne und nach Lothrin¬ gen, und ließ Reben herbeibringen und senkte die Reiser in der Erde Schooß.“ „Da freute sich mein Herz, daß er mein Reich ausbreite im deutschen Lande, und als dort die ersten Reben bluͤhten, zog ich ein im Rheingau mit glaͤnzendem Gefolge; wir lager¬ ten auf den Huͤgeln, und schafften in der Erde und schafften in den Luͤften, und meine Die¬ ner breiteten die zarten Netze aus und fingen den Fruͤhlingsthau auf, daß er den Reben nicht schade; sie stiegen hinauf und brachten warme Sonnenstrahlen nieder, die sie sorgsam um die kleinen Beerlein goßen, schoͤpften Was¬ ser im gruͤnen Rhein und traͤnkten die zarten Wurzeln und Blaͤtter. Und als im Herbst das erste zarte Kind des Rheingaues in der Wiege lag, da hielten wir ein großes Fest, und luden alle Elemente zur Feier ein. Und sie brachten koͤstliche Geschenke und legten sie dem Kindlein als Angebinde in die Wiege. Das Feuer legte seine Hand auf des Kindes Augen und sprach: „du sollst mein Zeichen an dir tragen ewiglich; ein reines, mildes Feuer soll in dir wohnen und dich werth ma¬ chen vor allen andern.“ Und die Luft in zar¬ tem, goldenem Gewande kam heran, legte ihre Hand auf des Kindes Haupt und sprach: „zart und licht sey deine Farbe, wie der goldene Saum des Morgens auf den Huͤgeln, wie das goldene Haar der schoͤnen Frauen im Rhein¬ gau.“ Und das Wasser rauschte heran in sil¬ bernen Kleidern, buͤckte sich auf das Kind und sprach: „Ich will deinen Wurzeln immer nahe seyn, daß dein Geschlecht ewig gruͤne und bluͤhe und sich ausbreite, so weit mein Rhein¬ strom reicht.“ Aber die Erde kam und kuͤßte das Kindlein auf den Mund und wehte es an mit suͤßem Athem. „Die Wohlgeruͤche meiner Kraͤuter,“ sprach sie, „die herrlichsten Duͤfte meiner Blumen habe ich fuͤr dich gesammelt zum Angebinde. Die koͤstlichsten Salben aus Ambra und Myrrhen werden gering seyn ge¬ gen deine Duͤfte, und deine lieblichsten Toͤchter wird man nach der Koͤnigin der Blumen heißen, — die Rosen .“ „So sprachen die Elemente; wir aber ju¬ belten uͤber die herrlichen Gaben, schmuͤckten das Kindlein mit frischem Weinlaub und schick¬ ten es dem Kaiser in die Burg. Und er er¬ staunte uͤber die Herrlichkeit des Rebenkindes, hat es fortan gehegt und gepflegt, und die Rebe am Rhein seinen herrlichsten Schaͤtzen gleich geachtet.“ „Andreas!“ rief Jungfrau Rose, „lieber Vetter, Du hast solch' eine schoͤne zarte Stim¬ me, willst du nicht singen zum Ruhme des Rheingaues und seiner Weine?“ „Wenn es Euch erheitert, edle Jungfrau, und Euch nicht Beschwerde macht, edler Ba¬ chus, wie auch Euch nicht unangenehm ist, mein Herr und Ritter Roland , so will ich eins singen.“ Und er sang eine schoͤne Weise voll zarter Toͤne und Worte, klangvoll und zierlich gefuͤget, so, daß man wohl merken konnte, es sey ein Lied eines alten Meisters von 1400 oder 1500. Verflogen sind seine Worte aus meinem Gedaͤchtniß, aber seine Weise moͤchte ich doch wohl finden, denn sie war ein¬ fach und schoͤn, und Petrus begleitete ihn mit einem sonoren, herrlichen Secund. Die Lust des Gesanges schien uͤber alle herabzukommen, denn als Andreas geendet, sang Judas un¬ aufgefordert ein Lied, und ihm folgten die uͤbri¬ gen. Selbst Rose, so sehr sie sich zierte, mußte ein Lied von 1615 singen, was sie mit ange¬ nehmer, etwas zitternder Stimme vortrug. Mit droͤhnendem Baß sang Roland eine Kriegs¬ hymne der Franken, von welcher ich nur einige Worte verstand, und endlich, als sie alle ge¬ sungen, schauten sie auf mich, und Rose nickte mir zu etwas zu singen. Da hub ich denn an: Am Rhein, am Rhein, da wachsen unsre Reben, Da waͤchst ein deutscher Wein, Da wachsen sie am Ufer hin und geben Uns diesen Labewein. Sie lauschten, als sie diese Worte hoͤrten, sie nickten sich zu und ruͤckten naͤher zusam¬ men, und die entfernteren streckten die Koͤpfe vor, als wollten sie kein Wort verlieren. Mu¬ thiger erhob ich meine Stimme, lauter und immer lauter war mein Gesang, denn es wogte in mir wie Begeisterung, vor solchem Publicum zu singen. Die alte Rose nickte den Text mit dem Kopfe und summte den Chorus leise, leise mit, und Freude und Stolz blickte aus den Augen der Apostel. Und als ich geendet, draͤngten sie sich zu, druͤckten mir die Haͤnde, und Andreas hauchte einen Kuß auf meine Lippen. „Doctor!“ rief Bachus, „Doctor, welch ein Lied! wie geht einem da das Herz auf. Herzens-Doctor hast du das Lied gedichtet in deinem eigenen graduirten Gehirn?“ „Nein, Euer Excellenz! solch ein Meister des Gesanges bin ich nicht. Aber den, der es gedichtet, haben sie laͤngst begraben; er hieß Matthias Claudius!“ „ Sie haben — einen guten Mann begraben ,“ sagte Paulus. „Wie klar und munter ist dieß Lied, so klar und helle wie aͤchter Wein, so muthig und munter wie der Geist, der im Weine wohnet und gewuͤrzt mit Scherz und Laune, die wie ein wuͤrziger Duft aus dem Roͤmer steigen; der Mann hat gewiß verstanden, welch' gutes Ding es um ein Glas lautern Weines ist.“ „Herr, er ist lange todt, das weiß ich, aber ein anderer großer Sterblicher hat gesagt: „guter Wein ist ein gutes, geselliges Ding, und jeder Mensch kann sich wohl einmal von ihm begeistern lassen!“ Und ich denke, der alte Matthias hat auch so gedacht unter gu¬ ten Freunden, haͤtte ja sonst solch' ein schoͤnes Lied nicht machen koͤnnen, das noch heute alle 8 froͤhlichen Menschen singen, die im Rheingau wandeln oder edeln Rheinwein trinken.“ „Singen sie das?“ rief Bachus, „nun seht, Doctor, das freut mich, und so gar miserabel muß Euer Geschlecht doch nicht ge¬ worden seyn, wenn sie so klare, schoͤne Lieder haben und singen.“ „Ach, Herr!“ sprach ich bekuͤmmert; „es gibt der Ueberschwaͤnglichen gar viele, das sind die Pietisten in der Poesie, und wollen solch' Lied gar nicht fuͤr ein Gedicht gelten lassen, wie manchen Froͤmmlern das Vater¬ unser nicht mystisch genug zum Beten ist.“ „Es hat zu jeder Zeit Narren gegeben, Herr!“ erwiederte mir Petrus, „und jeder fegt am besten vor seiner eigenen Thuͤre. Aber weil wir gerade bei seinem Geschlecht sind, erzaͤhl' Er uns doch, wie es auf der Erde ging im letzten Jahr?“ „Wenn es die Herren und Damen interes¬ sirt,“ — sprach ich zoͤgernd. „Immer zu,“ rief Roland, „wegen mei¬ ner koͤnntet Ihr die letzten fuͤnfhundert Jahre erzaͤhlen, denn auf meinem Domhof sehe ich nichts als Zigarrenmacher, Weinbrauer, Pfar¬ rer und alte Weiber.“ Auch die uͤbrigen stimm¬ ten mit ein, ich hub also an: „Was zuerst die deutsche Literatur betrifft“ — „Halt, manum de fabula !“ rief Paulus; „was scheeren wir uns um euer miserables Geschmier, um eure kleinlichen, eckelhaften Gaßenstreite und Kneipenraufereien, um eure Poetaster, Afterpropheten und —“ Ich erschrack; wenn diesen Leuten nicht ein¬ mal unsere wunderherrliche, magnifique Litera¬ tur interessant war, was konnte ich ihnen denn sagen? Ich besann mich und fuhr fort: „of¬ fenbar hat Joco im letzten Jahre, was das Theater anbelangt“ — „Theater? geht mir weg!“ unterbrach An¬ dreas, „was sollen wir von euren Puppenspie¬ len, Marionettenkomoͤdien und sonstigen Thor¬ heiten hoͤren! Meinet Ihr etwa, uns komme viel darauf an, ob einer eurer Lustspieldichter ausgepfiffen wurde oder nicht? Habt Ihr denn dermalen gar nichts interessantes, nichts welt¬ historisches, das Ihr etwa erzaͤhlen koͤnntet?“ „Ach, daß Gott erbarm,“ erwiederte ich, „bei uns ist die Welthistorie ausgegangen, wir haben in diesem Fach nur noch den Bundestag in Frankfurt. Bei unsern Nachbarn hoͤchstens gibt es noch hin und wieder etwas; zum Bei¬ spiel in Frankreich haben die Jesuiten wieder Macht gewonnen und das Scepter an sich ge¬ rissen, und in Rußland sollte es eine Revolu¬ tion geben.“ „Ihr verwechselt die Namen, Freund!“ sagte Judas, „Ihr wolltet sagen, in Ru߬ land sind die Jesuiten wieder eingezogen, und in Frankreich sollte es eine Revolution geben?“ „Mit nichten, Herr Judas von Ischarioth,“ antwortete ich, „so ist es, wie ich gesagt.“ „Ei der tausend!“ murmelten sie nachdenk¬ lich, „das ist ja ganz sonderbar und verkehrt! Und,“ fragte Petrus, „keinen Krieg gibt es nicht?“ „Ein klein wenig, wird aber bald vollends zu Ende seyn, in Griechenland, gegen die Tuͤrken.“ „Ha! das ist schoͤn,“ rief der Paladin, und schlug mit der steinernen Faust auf den Tisch; „hat mich schon vor vielen Jahren geaͤrgert, daß die Christenheit so schnoͤde zu¬ schaute, wie der Muselmann dieß herrliche Volk in Banden hielt; das ist schoͤn, wahrlich! Ihr lebet in einer schoͤnen Zeit und Euer Geschlecht ist edler, als ich dachte. Also die Ritter von Deutschland und Frankreich, von Italien, Spa¬ nien und England sind ausgezogen, wie einst unter Richard Loͤwenherz, die Unglaͤubigen zu bekaͤmpfen? Die Genueser Flotte schifft im Archipel, die Tausende der Streiter uͤberzuse¬ setzen , die Oriflamme naht sich Stambuls Kuͤ¬ sten und Oesterreichs Banner weht im ersten Reihen? Ha! zu solchem Kampfe moͤchte ich selbst noch einmal mein Roß besteigen, mein gutes Schwert Durande ziehen und in mein Hifthorn stoßen, daß alle Helden, die da schlafen, aufstuͤnden aus den Graͤbern, und mit mir zoͤgen in die Tuͤrkenschlacht.“ „Edler Ritter,“ antwortete ich und erroͤ¬ thete vor meiner Zeit, „die Zeiten haben sich geaͤndert. Ihr wuͤrdet wahrscheinlich als De¬ magoge verhaftet werden bei sothanen Um¬ staͤnden und Verhaͤltnissen, denn weder Habs¬ burgs Banner noch die Oriflamme, weder Englands Harfe noch Hispaniens Loͤwen sieht man in jenen Gefechten.“ „Wer ist es denn, der gegen den Halb¬ mond schlaͤgt, wenn es nicht diese sind?“ „Die Griechen selbst.“ „Die Griechen? ist es ?“ rief Jo¬ hannes; „und die andern Staaten, wo sind denn diese beschaͤftigt?“ „Noch haben sie Gesandte bei der Pforte.“ „Mensch, was sagst du,“ sprach Roland starr vor Staunen, „kann man es ignoriren, wenn ein Volk um seine Freiheit kaͤmpft? Heilige Jungfrau, was ist dieß fuͤr eine Welt! Wahrlich, das moͤchte einen Stein erbarmen!“ Er quetschte im Zorn, waͤhrend er die letzten Worte sprach, den silbernen Becher wie duͤn¬ nes Zinn zusammen, daß der Wein darin hoch an die Decke spritzte, fuhr rasselnd auf vom Tisch, nahm seine Tartsche und sein lan¬ ges Schwert, und schritt duͤster mit droͤhnenden Schritten aus dem Gemach. „Ei, was ist der steinerne Roland fuͤr ein zorniger Kumpan,“ murmelte Rose, nachdem er die Pforte klirrend zugeworfen, indem sie etliche Weintropfen, die sie benetzten, vom Busentuch abschuͤttelte;“ will der steinerne Narr auf seine alten Tage noch zu Felde ziehen! wenn er sich sehen ließe, sie steckten ihn gleich ohne Barmherzigkeit als Fluͤgelmann unter die Brandenburger Grenadiere, denn die Groͤße hat er.“ „Jungfer Rose,“ erwiederte ihr Petrus, „zornig ist er, das ist wahr, und er haͤtte koͤnnen auf andere Weise davon gehen; aber bedenket, daß er einst, Furioso , wahnsinnig war und noch ganz andere Sachen gethan, als silberne Becher zerquetscht und Frauenzim¬ mer mit Wein besudelt. Und genau beim Lichte besehen, kann ich ihm seinen Unmuth auch nicht verdenken; war er doch auch ein¬ mal ein Mensch und dazu ein herrlicher Pa¬ ladin des großen Kaisers, ein tapferer Ritter, der, wenn es Karl gewollt haͤtte, allein gegen tausend Muselmannen zu Felde gezogen waͤre. Da hat er sich denn geschaͤmt und ist unmu¬ thig geworden.“ „Laßt ihn laufen, den steinernen Recken!“ rief Bachus, „hat mich genirt, der Bursche, hat mich genirt. Er paßt nicht unter uns, der Luͤmmel von zehen Schuh, er sah immer hoͤhnisch auf mich herab. Die ganze Freudig¬ keit und mein Vergnuͤgen haͤtt' er gestoͤrt. Wir waͤren nicht zum Tanzen gekommen, nur weil er mit seinen steifen steinernen Beinen keinen tuͤchtigen Hopfer haͤtte riskiren koͤnnen, ohne elend umzustuͤlpen.“ „Ja tanzen, heisa, tanzen!“ riefen die Apo¬ stel; „Balthasar spiel auf, spiel auf!“ Judas stand auf, zog ungeheure Stuͤlp¬ handschuhe, die ihm beinahe bis zum Ellbo¬ gen reichten, trat zierlich an die Jungfrau heran und sagte: „Ehrenfeste und allerschoͤnste Jungfer Rose; duͤrfte ich mir die absonderliche Ehre ausbitten mit Ihr den Ersten“ — „ Manum de !“ — unterbrach ihn Bachus pathetisch. „Ich bin es, der den Ball arran¬ girt hat, und ich muß ihn eroͤffnen. Tanze er, mit wem er will, Meister Judas, mein Roͤschen tanzt mit mir. Nicht wahr, Schaͤ¬ zerl?“ Sie machte erroͤthend einen Knix zur Be¬ jahung, und die Apostel lachten den Judas aus und verhoͤhnten ihn. Mir aber winkte der Weingott heroisch zu: „Versteht er Musik, Doctor?“ fragte er. „Ein wenig;“ „Tactfest?“ „O ja, tactfest wohl.“ „Nun so nehme er dieß Faͤßlein da, setze er sich neben Balthasar Ohnegrund unseren Kellermeister und Zinkenisten, nehme er diese hoͤlzernen Kuͤperhaͤmmer zur Hand und be¬ gleite jenen mit der Trommel.“ Ich staunte und bequemte mich; war aber schon meine Trommel etwas außergewoͤhnlich, so war Balthasars Instrument noch auffallen¬ der. Er hielt naͤmlich einen eisernen Hahnen von einem achtfuderigen Faß an Mund, wie ein Klarinett. Neben mich setzten sich noch Bartholomaͤus und Jacobus mit ungeheuern Weintrichtern, die sie als Trompeten hand¬ habten und warteten des Zeichens, der Tisch wurde auf die Seite geruͤckt, Rose und Bachus stellten sich zum Tanze. Er winkte und eine schreckliche, quickende, mißtoͤnende Janitscha¬ ren-Musik brach los, zu der ich im sechsachtel Tact auf mein Faß als Tambour aufschle¬ gelte. Der Hahn, den Balthasar blies, toͤnte wie eine Nachtwaͤchter-Tute und wechselte nur zwischen zwei Toͤnen, Grundton und abscheu¬ lich hohem Falsett, die beiden Trichtertrompe¬ ter bließen die Backen auf und lockten aus ihren Instrumenten Angst- und Klagelaute so herzdurchschneidend, wie die Toͤne der Trito¬ nen, wenn sie die Meermuscheln blasen. Der Tanz, den die beiden auffuͤhrten, mochte wohl vor ein Paar hundert Jahren uͤblich gewesen seyn. Jungfer Rose hatte mit beiden Haͤnden ihren Rock ergriffen und sol¬ chen an den Seiten weit ausgespannt, daß sie anzusehen war, wie ein großes weites Faß. Sie bewegte sich nicht sehr weit von der Stel¬ le, sondern trippelte hin und her, indem sie bald auf-, bald niedertauchte und knixte. Le¬ bendiger war dagegen ihr Taͤnzer, der wie ein Kreissel um sie herfuhr, allerlei kuͤhne Spruͤnge machte, mit den Fingern knallte und Heisa, Juhe! schrie. Wunderlich war es anzusehen, wie das kleine Schuͤrzlein der Jungfer Rose, das ihm Balthasar umgethan, hin und her flatterte in der Luft, wie seine Bein'chen um¬ herbaumelten, wie sein dickes Gesicht laͤchelte vor inniger Herzenslust und Freude. Endlich schien er ermuͤdet, er winkte Ju¬ das und Paulus herbei, und fluͤsterte ihnen etwas zu; sie banden ihm die Schuͤrze ab, faßten solch an beiden Enden und zogen und zogen, so daß sie ploͤtzlich so groß wurde, wie ein Betttuch; dann riefen sie die anderen her¬ bei, stellten sie rings um das Tuch und ließen es anfassen. „Ha, dachte ich, jetzt wird wahr¬ scheinlich der alte Balthasar ein wenig geprellt, zu allgemeiner Ergoͤtzung; wenn nur das Ge¬ woͤlbe nicht so nieder waͤre, da kann er leicht den Schaͤdel einstoßen.“ Da kam Judas und der starke Bartholomaͤus auf uns zu und fa߬ ten — mich; Balthasar Ohnegrund lachte haͤmisch; ich bebte, ich wehrte mich; es half nichts, Judas faßte mich fest an der Kehle und drohte mich zu erwuͤrgen, wenn ich mich ferner straͤube. Die Sinne wollten mir ver¬ gehen, als sie mich unter allgemeinem Jauch¬ zen und Geschrei auf das Tuch legten; noch einmal raffte ich mich zusammen: „nur nicht zu hoch, meine werthen Goͤnner, ich renne mir sonst das Hirn ein am Gewoͤlbe,“ rief ich in der Angst des Herzens, aber sie lachten und uͤberschrien mich. Jetzt fingen sie an, das Tuch hin und her zu wiegen, Balthasar blies den Trichter dazu; jetzt ging es auf- und ab¬ waͤrts, zuerst drei, vier, fuͤnf Schuh hoch, auf einmal schnellten sie staͤrker, ich flog hin¬ auf und — wie eine Wolke that sich die Decke des Gewoͤlbes auseinander, ich flog immer aufwaͤrts zum Rathdach hinaus, hoͤher, hoͤher als der Thurm der Domkirche. „Ha,“ dachte ich im Fliegen, „jetzt ist es um dich ge¬ schehen, wenn du jetzt wieder faͤllst, brichst du das Genick oder zum allerwenigsten ein Paar Arme oder Beine! o Himmel, und ich weiß ja, was sie von einem Mann mit ge¬ brochenen Gliedmaßen denkt! ade! mein Leben, meine Liebe!“ Jetzt hatte ich den hoͤchsten Punkt meines Steigens erreicht, und eben so pfeilschnell fiel ich abwaͤrts; krach! ging es durchs Rathhaus¬ dach und hinab durch die Decke des Gewoͤlbes, aber ich fiel nicht auf das Tuch zuruͤck, sondern gerade auf einen Stuhl, mit dem ich ruͤcklings uͤber auf den Boden schlug. Ich lag einige Zeit betaͤubt vom Fall. Ein Schmerz am Kopfe und die Kaͤlte des Bodens weckten mich endlich. Ich wußte anfangs nicht, war ich zu Hause aus dem Bette gefallen oder lag ich sonst wo? Endlich besann ich mich, daß ich irgendwo weit herabgestuͤrzt sey. Ich un¬ tersuchte aͤngstlich meine Glieder, es war nichts gebrochen, nur das Haupt that mir weh vom Fall. Ich raffte mich auf, sah um mich; da war ich in einem gewoͤlbten Zimmer, der Tag schien matt durch ein Kellerloch herab, auf dem Tische spruͤhte ein Licht in seinem letzten Leben, umher standen Glaͤser und Flaschen, und rings um die Tafel vor jedem Stuhl ein kleines Flaͤschchen mit langem Zettel am Halse; — ha; jetzt fiel mir nach und nach alles wie¬ der ein; ich war zu Bremen im Rathskeller; gestern Nacht war ich herein gegangen, hatte getrunken, hatte mich einschließen lassen, da war —; voll Grauen schaute ich um mich, denn alle, alle Erinnerungen erwachten mit einemmal. Wenn der gespenstige Balthasar noch in der Ecke saͤße, wenn die Weingeister noch um mich schwebten?! Ich wagte verstoh¬ lene Blicke in die Ecken des duͤsteren Zimmers, es war leer. Oder wie? haͤtte mir dieß Alles nur getraͤumt? Sinnend ging ich um die lange Tafel; die Probeflaͤschchen standen wie jeder gesessen hatte; obenan die Rose, dann Judas, Jacobus, — Johannes, sie alle an der Stelle, wo ich sie leiblich geschaut hatte diese Nacht. „Nein so lebhaft traͤumt man nicht,“ sprach ich zu mir, „dieß alles, was ich gehoͤrt, geschaut, ist wirk¬ lich geschehen!“ Doch nicht lange hatte ich Zeit zu diesen Reflexionen; ich hoͤrte Schluͤssel rasseln an der Thuͤre, sie ging langsam auf und der alte Rathsdiener trat gruͤßend ein. „Sechs Uhr hat es eben geschlagen,“ sprach er, „und wie Sie befohlen, bin ich da, Sie heraus zu lassen. Nun —“ fuhr fort, als ich mich schweigend anschickte, ihm zu fol¬ gen, „nun und wie haben Sie geschlafen diese Nacht?“ „So gut es sich auf einem Stuhl thun laͤßt, ziemlich gut.“ „Herr,“ rief er aͤngstlich und betrachtete mich genauer, „Ihnen ist etwas Unheimliches passirt diese Nacht. Sie sehen so verstoͤrt und bleich aus und Ihre Stimme zittert!“ „Alter, was wird mir passirt seyn!“ er¬ 9 wiederte ich, mich zum Lachen zwingend; „wenn ich bleich aussehe und verstoͤrt, so koͤmmt es vom langen Wachen und weil ich nicht im Bette geschlafen.“ — „Ich sehe, was ich sehe,“ sagte er kopf¬ schuͤttelnd; „und der Nachtwaͤchter war heute fruͤhe auch schon bei mir und erzaͤhlte, wie er am Kellerloch voruͤbergegangen zwischen 12 und 1 Uhr habe er allerlei Gesang und Gemurmel vieler Stimmen vernommen aus dem Keller.“ „Einbildungen, Possen! ich habe ein wenig fuͤr mich gesungen zur Unterhaltung und viel¬ leicht im Schlaf gesprochen, das ist alles.“ „Dießmal Einen im Keller gelassen in sol¬ cher Nacht und von nun an nie wieder,“ mur¬ melte er, indem er mich die Treppe hinauf begleitete; „Gott weiß, was der Herr Graͤuli¬ ches hat hoͤren und schauen muͤssen! Wuͤnsche gehorsamst guten Morgen.“ „Doch hat daselbst von allen Eine Jungfrau mir gefallen.“ Der Worte des froͤhlichen Bachus eingedenk und von Sehnsucht der Liebe getrieben, ging ich, nachdem ich einige Stunden geschlummert, der Holden guten Morgen zu sagen. Aber kalt und zuruͤckhaltend empfing sie mich, und als ich ihr einige innige Worte zufluͤsterte, wandte sie mir laut lachend den Ruͤcken zu und sprach: „gehen Sie und schlafen Sie erst fein aus, mein Herr.“ Ich nahm den Hut und ging, denn so schnoͤde war sie nie gewesen. Ein Freund, der in einer andern Ecke des Zimmers am Clavier gesessen, ging mir nach und sagte, indem er wehmuͤthig meine Hand ergriff: „Herzensbru¬ der, mit deiner Liebe ist es rein aus auf im¬ merdar, schlage dir nur gleich alle Gedanken aus dem Sinne.“ „So viel ungefaͤhr konnte ich selbst merken,“ antworte ich; „der Teufel hole alle schoͤne Au¬ gen, jeden rosigen Mund und den thoͤrigten Glauben an das, was Blicke sagen, was Maͤdchenlippen aussprechen.“ „Tobe nicht so arg, sie hoͤren es oben,“ fluͤsterte er; „aber sag' mir um Gotteswillen, ist es denn wahr, daß Du heute die ganze Nacht im Weinkeller gelegen und getrunken hast?“ „Nun ja und wen kuͤmmert es denn?“ „Weiß der Himmel, wie sie es gleich er¬ fahren hat, sie hat den ganzen Morgen geweint und nachher gesagt, vor einem solchen Trun¬ kenbold, der ganze Naͤchte beim Wein sitze und aus schnoͤder Trinklust ganz allein trinke, solle sie Gott behuͤten; Du seyst ein ganz gemeiner Mensch, von dem sie nichts mehr hoͤren wolle.“ „So?“ erwiederte ich ganz gelassen und hatte einiges Mitleiden mit mir selbst. „Nun gut, geliebt hat sie mich nie, sonst wuͤrde sie auch mich daruͤber hoͤren; ich lasse sie schoͤn gruͤßen, Lebe wohl.“ Ich rannte nach Hause und packte schnell zusammen und fuhr noch denselben Abend von dannen. Als ich an der Rolandsaͤule voruͤber kam, gruͤßte ich den alten Recken recht freund¬ lich und zum Entsetzen meines Postillons nickte er mir mit dem steinernen Haupt einen Ab¬ schiedsgruß. Dem alten Rathhaus und seinen Kellerhallen warf ich noch einen Kuß zu, druͤckte mich dann in die Ecke meines Wagens und ließ die Phantasien dieser Nacht noch einmal vor meinem Auge voruͤber gleiten.