ANSICHTEN VOM NIEDERRHEIN, VON BRABANT, FLANDERN, HOLLAND, ENGLAND UND FRANKREICH, IM APRIL, MAI UND JUNIUS 1790. VON GEORGE FORSTER . DRITTER THEIL . BERLIN 1794 . IN DER VOSSISCHEN BUCHHANDLUNG . Grabschrift auf G. F. Weltumsegler, du suchtest auf pfadlosem Ocean Zonen, Wo die Unschuld der Ruh böte vertraulich die Hand — Edler Forscher, was fandest du dort? Die Kinder der Erde All’ an Schwachheit sich gleich, alle dem Tode geweiht. Sohn der Freiheit! Du öffnetest ihr die männliche Seele, Ihr die vom Himmel herab sandte der Vater zum Heil — Ach, es wandte die Göttin sich schnell von der blutigen Erde! Forster, du schwebtest mit ihr hin wo dein Glaube sich lohnt. F. Brun, geb. Münter. Vorrede des Herausgebers . Z u dem Verlust, den unsre Litteratur durch Forsters vorzeitigen Tod er- litten hat, gehört es unstreitig auch, daß er seine Ansichten unvollendet las- sen mußte. Ich darf indessen hoffen, mit den gegenwärtigen, aus dem Nach- laß des Verstorbenen geretteten Frag- menten, die er während der Reise, und gleichsam in dem Augenblicke des Anschauens selbst, aufgezeichnet hatte, dem Publikum eine Art von Ersatz für diesen Verlust zu verschaffen. Als Anhang ist die Geschichte der Kunst in England beigefügt, die For- ster für Archenholz Annalen der Brittischen Geschichte (Band III. S. 122. u. f.) geschrieben hat, und die, wenn nun einmal (was wirklich geschieht) seine Schriften gesammelt werden soll- ten, hier ganz am rechten Orte steht. Ihr sind übrigens noch die kurzen No- tizen angehängt, die sich Forster bei seinem letzten Aufenthalte in London in der Shakspear-Gallery und in Sir Ashton Livers Museum aufgezeichnet hatte. Der Herausgeber trug Beden- ken, sie mitten unter den etwas sorg- fältiger gezeichneten Ansichten aufzu- stellen; aber er konnte sie auch nicht verloren gehen lassen, da sie manchem Kunstliebhaber gewiß willkommen seyn werden. In Ansehung der überdachteren Ver- arbeitung, der mühsameren Aneignung, der mannichfaltigeren Kombination der Ideen, die Forster von jener Reise mitgebracht hatte, würde dieser dritte Band freilich mit den zwei ersten keine Vergleichung aushalten; es sind aber Ansichten im eigentlichen Verstande des Wortes, die man hier erhält: es sind Gegenstände von allgemeinem Interesse, die gerade mit der Leichtigkeit und Ab- wechselung hier vorübergeführt werden, mit welcher sie vor den Augen des un- terrichteten und gefühlvollen Reisenden vorübergingen. Durch die eigenthüm- liche Art, wie Forsters Geist gebil- det worden war, lag überhaupt bei ihm der Trieb und die Fähigkeit aufzufassen mit der berufsmäßigen Arbeit, das Auf- gefaßte wieder zu geben, gewissermaßen in fortwährendem Streit. Er war weit mehr für die thätige Betreibung seiner Wissenschaften, für eine rastlose Erfah- rungsjagd in ihrem unermeßlichen Re- vier gemacht, als für den stillen Kreis der Stubengelehrsamkeit; und so wie diese Stimmung seines Charakters einen wichtigen, bisher noch nicht genug in Anschlag gebrachten Einfluß auf seine letzten Schicksale gehabt hat, so kann sie, wenn ich nicht irre, auch die Wir- kung haben, daß man ihn hier mehr in seinem Element erkennen wird, als in der ausgearbeitetern und zusammen- hangenderen Manier der ersten Bände. An dieser Manier haben Deutsche Kritiker in den letzten Zeiten sehr viel auszusetzen gefunden. Wie viel oder wie wenig Grund ihr Tadel hat, gehört nicht hieher zu untersuchen; aber es sind manche traurige Mißverständnisse und Ideenverwechselungen dabei vorge- fallen, die zur Ehre unsrer Litteratur nicht aus unnöthiger Furchtsamkeit un- bemerkt bleiben dürfen. Die Heraus- geber der Jenaischen Allgemeinen Lit- teraturzeitung haben geglaubt, sich über die Einrückung einer Französischen An- zeige von Forsters Tod in ihrem Intelligenzblatte verantworten zu müssen. Hoffentlich wird eine Zeit kommen, wo Männer von ihrem Werthe, die an der Spitze einer Anstalt von so allgemeinem und verdientem Rufe stehen, es nicht überflüßig finden werden, sich über das auffallende Stillschweigen zu verantwor- ten, das die Allgemeine Litteratur-Zei- tung so viele Jahre hindurch über die Forsterschen Schriften beobachtet hat, um endlich zu einer Zeit, wo des Ver- fassers persönliche Verhältnisse sein eig- nes Vaterland gegen ihn aufbrachten, mit Anzeigen loszubrechen, die freilich nicht früher hätten geliefert werden kön- nen, da sie fast jede Zeile, die Forster vor Jahren schrieb, nach dem Maß- stabe dessen, was er späterhin that oder litt, beurtheilen; da sie überall, wo zwischen seinen frühern Meinungen und seinen nachmaligen Handlungen ein Zu- sammenhang wahrzunehmen ist, die ei- nen wechselsweise um der andern wil- len verdammen, und aus dem entgegen- gesetzten Grunde wiederum überall, wo der Schriftsteller nicht mehrere Jahre voraus errieth, was dem Menschen be- vorstand, beide herabwürdigen; da sie sogar die heilige Empfindung des Mit- leidens zu unedeln, oder, wo sie nicht dafür erkannt werden, unverständlichen Persönlichkeiten mißbrauchen. Wahr- lich, es war nicht der Mühe werth, die Anzeigen der Ansichten und der Erin- nerungen zu verspäten, bis der Verfas- ser ein Staatsverbrecher geworden war, wenn man die Grundsätze der Kritik, der litterarischen Ehre und Gerechtigkeit so über den Haufen werfen wollte, sich in diesen Anzeigen gleichsam mit un- ter die Exekutoren des politischen Straf- urtheils, das Georg Forstern traf, zu drängen. Dieses ganze Verfahren hat ein so unwürdiges, ungroßmüthiges, unlittera- risches Ansehen, es widerspricht so sehr den Grundsätzen jener edlen Freimü- thigkeit, durch welche die Allgemeine Litteratur-Zeitung sich sonst so rühm- lich auszeichnet, und ohne welche es um die Wissenschaften gethan wäre, daß eine Erklärung darüber ungleich wich- tiger seyn wird, als die undankbaren statistischen Kritteleien, die Exklamatio- nen u. s. w. über die Anzeige eines zwar zum Theil falsch unterrichteten, zwar republikanischen, aber doch, wie es scheint, von herzlicher Theilnehmung für Forster durchdrungnen Franzosen im Moniteur. Wenn es auf den Grad der Unrichtigkeit und sogar der Gehäs- sigkeit in Zeitungsanekdoten ankäme, so würde die Rechnung zwischen dem Deutschen und dem Franzosen sicher- lich wenigstens aufgehen; wer aber Deutscher und Mensch genug war, um Forstern zu bedauern, daß er von seinem alten Vaterlande losgerissen ward, der mußte es für ein Unglück weniger ansehen, daß in seinem neuen Vaterlande sein Andenken doch nicht mit seinem letzten Athemzuge verhallte; und dieser Gesichtspunkt wäre für die Anzeige im Moniteur unstreitig der rich- tigste und würdigste, dem wahren kol- legialischen Geiste, dem besseren Geiste der Litteratur, um so angemessener ge- wesen, als er von Forsters politi- schem Verhältnisse gegen seine Nation vollkommen unabhängig gewesen seyn würde. Aber eine Deutsche Regierung versagt dem unschuldigen Nachlasse des achtungswürdigen Schriftstellers, der das Unglück gehabt hat, sich als Bürger ih- rer schwersten Ahndung auszusetzen, ihren erhabenen und weisen Schutz nicht; und eine Deutsche Litteraturzei- tung, die bis dahin dem Publikum ihre Schuld abzutragen versäumte, hat seit dem Augenblick seines bürgerlichen To- des angefangen, ihn als vogelfrei zu behandeln! Dies ist aber noch nicht alles: die Kritik der Anzeige im Moniteur ist selbst von Unrichtigkeiten nicht frei; und das ist an der Kritik unstreitig ein größerer Fehler als an der Anzeige. Hätten die Verfasser der ersten gewußt oder überlegt, in welchem Verhältnisse sich Forster nach der Einnahme von Mainz befand, so würden sie es nicht allein für sehr natürlich erkannt haben, daß ein Franzose ihn à la tete de l’uni- versité angestellt glaubte, sondern sie hätten sogar eingesehen, daß kein Fran- zose, der nach der Übergabe dieser Stadt an Custine in Mainz gewesen war, es anders glauben noch wissen konnte. Die erste und hauptsächlichste Quelle von Forsters Unglück war es eben, daß ihm alle Geschäfte der Universität mit dem Französischen General und dem Kommissariat, folglich alle damals vorkommenden Geschäfte der Univer- sität überhaupt, aufgetragen wurden. Man hielt mit Recht dafür, daß seine bekannte Vorliebe für die Sache der Französischen Revolution, und seine ver- traute Bekanntschaft mit der Französi- schen Sprache, wie überhaupt mit jeder Art von ausländischem Geist, ihn vor- züglich dazu geschickt machten, das In- teresse der sich selbst überlassenen Uni- versität gegen die Übermacht der Frem- den so viel als möglich zu schützen, und nach Maßgabe der Umstände bei dieser Gelegenheit sogar auszubreiten. Dies verhinderte ihn, gewisse Plane zu seiner Entfernung von Mainz, die von einigen seiner Freunde aus besorgtem Eifer entworfen wurden, zu genehmi- gen; und ich erinnere mich, daß er ge- gen das Ende des Monats Oktober 1792 in Höchst zu mir sagte: »er habe bisher so wenig für die Universität thun kön- nen, und sei deshalb mit so manchen ungerechten Vorwürfen überladen wor- den, daß es in diesem Augenblicke, wo seine Kollegen seiner bedürften, und ihn dringend aufforderten, der Universität Dienste zu leisten, zu denen er sich nicht untüchtig fühlte, ihm schlechterdings unmöglich wäre, seiner persönlichen Konvenienz zu Liebe, (und aus Furcht vor den gefährlichen Alternativen, zwi- schen denen man voraus sah, daß er sich in Mainz noch gedrängt finden möchte) seinen Posten gerade unter den einzigen Umständen, die ihn darin nützlich und wichtig gemacht hätten, zu verlassen.» Verminderung der Kon- tributionen, und überhaupt manche an- dre Schonung erhielt er für die Univer- sität, deren Dankbarkeit damals manche Rücksichten beseitigte, nach denen er freilich in der Regel nicht dafür gelten konnte, an der Spitze der Universität zu stehen, die aber den fremden An- kömmlingen, bei denen er immer und in allen Angelegenheiten der Universi- tät, als Wortführer und Geschäftsträger derselben auftrat, unbekannt bleiben mußten. Mehrere Personen könnten dies alles bezeugen. Es ist voraus zu sehen, daß es wenige wollen werden, aber es giebt deren, die sich im Noth- falle nicht weigern würden es zu thun; und diese erste Epoche in Forsters traurigen bürgerlichen Mißverhältnissen ist wichtiger, als die psychologischen Erklärungen derselben, auf welche mit zweideutigem Mitleiden angespielt wird, und zu denen sein Tod freilich einen weiten Spielraum öffnen könnte, da er, wenn er gelebt hätte, wenigstens dieser versteckten Wendung der Lieblosigkeit gegen ihn sich entgegen gestellt haben würde, weil sie Andre als ihn treffen konnte. Neuburg, im Jul. 1794. L. F. Huber . ANSICHTEN . I. London . 1. Ausstellung der königlichen Akademie. D ie Überschrift des Verzeichnisses scheint anzudeuten, daß die Akademisten selbst wohl gefühlt haben, wie gering die An- zahl großer Stücke in der diesjährigen Aus- stellung ist. Das: In tenui labor, ist in so fern richtig, wie hier eine große Menge kleiner, unbedeutender Sachen hangen, die III. Theil. A freilich auch ihren Antheil von Arbeit ko- steten. Aber ist auch mehr als Arbeit darin? Vor dieser Frage fürchteten sich die Britti- schen Künstler wohl selbst, als sie ihr zwei- deutiges Motto aufdruckten. Es ist wahr, die Zimmer sind voll; aber, so schönes Licht sie auch, insbesondere das Hauptzim- mer, von oben erhalten, sehr klein, und der Indolenz der Herren Akademiker ange- messen. Eine sehr kleine Anzahl von gro- ßen Gemälden würde sie ausfüllen; daher exhibiren die großen Meister nichts, und lassen dem kleinen Troß mit seinen Staffelei- und Kabinetstückchen den Platz. Reynolds Fleiß ist vor den übrigen doch bemerkenswerth. Wenigstens hangen ver- schiedene Porträte von seiner Meisterhand da, die seine reiche, mannigfaltige Phan- tasie, seinen gebildeten Geist, seinen Sinn für das Idealischschöne, und seine Grazie verrathen. Mistriß Billington’s Apotheose hat großes Verdienst. Die ganze schöne Figur steht da in zauberischer Einfalt; und was hat er nicht alles aus dem Leben ge- hascht, was nicht alles in dieses Gesicht ge- legt, das sie selbst ist, und doch auch sie, in jenen Augenblicken; wo sie mehr als sie selbst ist! Ihr Gewand ist so ganz ohne alle Koketterie des Pinsels einfach schön, daß es nicht das Auge wegzieht von dem schö- nen seelenvollen Kopfe; und selbst die Hände können, meint man, das Notenbuch nicht anders halten. Es ist so recht; und man denkt nicht weiter dran, sondern hängt mit Ruhe und Genuß an diesem Auge, diesen Lippen, diesen Harmonieen himmlischer Ge- stalten, welche sich auf ihrem Antlitze zu einem hohen Einklange verschmelzen. Die kleinen Genien, die ihr Haupt umschweben, mögen nur plärren und gestikuliren; ich A 2 sehe sie nicht und höre sie nicht: und wer könnte das vor einem solchen Wesen! Die sechs andern Porträte haben eigne Kraft im Ausdruck, Mannigfaltigkeit in der Darstellung, und Kennzeichen der festen, geübten Hand des erfahrnen Meisters. — Rigauds Werke verdienen hier die näch- ste Stelle. Simson, der seine Bande zer- reißt, ist eine vortreffliche Akademie; es ist mehr: ein sehr edles Gemälde. Simsons Kopf ist schön gedacht, der Kopf eines schö- nen Mannes, der hohe Indignation haucht, indem er sich von den Folgen einer niedri- gen Ueberlistung befreiet. Die Nebenfigur ist nicht so interessant, und wohl nicht er- schrocken genug, wenn es die Verrätherin seyn soll. Doch in diesen Fällen verzeihet man dem Künstler immer lieber zu wenig als zu viel Ausdruck, wenn er nur Schön- heitssinn blicken läßt. Ein schöner Kopf nach der Natur, von ebendemselben, ist mit Guido’s Engeln ver- wandt; aber er hat mehr rosige Wärme als sie. Des Künstlers eigene Familie ist sehr brav gemalt. Hodges. Auch der Landschaftsmaler kann phantasieren, dichten, und aus den schönen Zügen der Natur das Vollkommenste erle- sen und vereinigen, das Erhabene fassen, und den Zuschauer mit sich fortreißen in idea- lische Welten. Wer wird diesem Künstler Genie absprechen können? Seine Figuren sind indeß nicht mit seinen Landschaftsma- lereien zu vergleichen. Marlow. Außerordentlich schön und treu nach der Natur kopirt. Aussichten! Man möchte bei diesen Bildern oft fragen: ist dies von diesem Meister, jenes von jenem? so unähnlich sehen sie sich, und so wahr ist jedes in seiner Art. — A 3 Hamilton. Salomons Bewirthung der Kö- nigin von Saba! Dieses Stück gehört zu de- nen, von welchen der Künstler zu urtheilen pflegt: sie haben Verdienst. Allein dieses Verdienst ist Machwerk, und sonst nichts. Was läßt sich auch von einem Gastmahl In- teressantes erwarten? Man sitzt bei Tisch und ißt, oder sieht einander an. Warum wählen aber die Maler solche Süjets? Je nun! Sie müssen wohl, wenn sie historische Stücke malen wollen. Der Lord, der die- ses bestellte, that es aus Eitelkeit. Es ist gleichsam nur Carton zu einem Gemälde auf Glas, welches Se. Lordship in dem Fenster der Kirche auf seinem Landsitze anbringen läßt. — Mylord hat das Vergnügen, seiner Eitelkeit zu fröhnen, indem er die Kirche beschenkt; und er selbst sitzt da porträtirt als der weiseste König. Die Königin von Saba ist seine Nichte, Mistriß Howard ; und eine dritte Figur ist ebenfalls aus seiner weiblichen Verwandtschaft. Das giebt denn freilich einen Salomon und eine Königin, die der Kunstliebhaber nicht bewundern kann! — A 4 2. Westminster-Abtei. Messias, am 3 ten Junius . E in Bild von der Beschäftigung der Seli- gen im Himmel. Das Chor der Sängerin- nen sitzt sehr gedrängt; es ist wenig Platz im Himmel: daher muß man sich in Zeiten um Tickets bei den Geistlichen bemühen. Über der Orgel im Fenster stehen die Patriarchen in Glasmalerei, welches die Ähnlichkeit mit dem Himmel noch voll- ständiger macht! Die hellen durchsichtigen Farben — So werden sie dort leuchten und zuhören; und da sie sonst nichts zu thuu haben, so können sie eben so wohl auch nur in Glas gemalt da stehen. Das Orchester ist an dem Amphitheater über dem westlichen Eingange. Zuoberst im Hintergrunde steht die Orgel; noch hö- her, auf einem schmalen Gange, mit dem Gipfel der Orgel gleich, die Heerpauken. Dann folgen die Instrumente, und vorn die Stimmen. Die Bänke sehr hoch über ein- ander; die höchste Bank eine Reihe Knaben. Um eilf Uhr war das Haus schon voll, und alle Bänke besetzt. Ich wurde in einen Gang gepreßt, wo ich anfangs verzweifelte, irgend etwas aufzeichnen zu können; und nur die leidige Wahrnehmung, daß immer mehr Zuhörer zuströmten, konnte mich überzeugen, es sey eine stärkere Kompres- sion möglich. In einem Avertissement wird versprochen, daß man Sorge tragen will, nicht mehr Tickets auszutheilen, als es die Convenience der Gesellschaft erlaube. Mich schauderte, wenn ich bedachte, was Mr . A 5 John Ashley , der assistent conductor , einen ungemächlichen Zustand nennt, da er die- sen noch gemächlich findet. Für den hohen Preis einer Guinee könnte man allerdings Bequemlichkeit verlangen; aber die men- schenfreundliche Absicht, den Fonds für arme Tonkünstler, Söhne von Geistlichen, und das Middlesex-Hospital so viel als mög- lich zu vermehren, ist schon einer kleinen Aufopferung werth. Ueber die Hüte ist hier ein Anathema gesprochen. No Ladies , heißt es in dem Reglement, will be admitted with hats . Aber die Damen wissen sich durch sehr hohen Kopfputz zu rächen, und das Uebel ist oben so groß. Auch Federn sind verboten; doch, da man die Grausamkeit gegen die hoops nicht hat allzu weit treiben wollen, so er- laubt man wenigstens kleine Federn. Eine Dame, die zur royal Society of Musicians geht, ist also in allen Dimensionen, in der Länge und Breite, bestimmt. Man sollte sie durch ein ausgeschnittenes Loch durchschik- ken, und die, welche nicht das Maß hät- ten, zurückweisen. Dieses Verbot von Fe- dern ist in einem Koncert, wo man Genuß für das Ohr sucht, sonderbar, da in allen andern Schauspielen so wenig für eine un- gehinderte Aussicht gesorgt wird. Der An- blick so vieler tausend Menschen in full dreß ist sehr angenehm. Die Damen sind fast alle weiß gekleidet. Ein Viertel vor Zwölf ward das Thor der Abtei geschlossen, und keiner mehr ein- gelassen. Zwei Yeomen mit großen Helle- barden wurden unter die königliche Loge, und zwei unter das Amphitheater gestellt. Die letztern mußten, um sich stattlicher auszunehmen, auf eine Bank steigen, wo sie so sehr gedrängt wurden, daß sie mit dem einen Fuße gewöhnlich in der Luft schwebten. Sie sind, wie wohl aller Hof- staat der Könige, geschmacklos gekleidet: in rothen Mänteln mit blauen Sammetstrei- fen besetzt, den Namen des Königs auf der Brust, und den Namen Gottes an einem Orte, wo er nicht schicklich verherrlicht werden kann. Da diese Yeomen of the guard ihre beschwerliche Stellung nicht lange aus- halten können, so lösen sich mehrere ab. Nur ein Theil der Abtei ist zur Musik bestimmt; der andere ist abgeschlagen: theils um die Monumente nicht beschädigen zu lassen, theils um mehr Eingänge zu gewin- nen. Die Gänge sind mit Argantischen Lam- pen erleuchtet; für gewisse Bedürfnisse der Herren und Damen ist, da die Thüren ver- schlossen sind, sehr schicklich gesorgt. Die königliche Loge ist mit rothem Taf- fent bekleidet, auf den das königliche Wa- pen und andere Verzierungen in Gold ge- stickt sind. Gerade um zwölf Uhr erschien der König von den Prinzessinnen begleitet, und der Herzog von Gloucester mit dem Prin- zen William und seinem jüngeren Sohne. Der König war sehr steif geputzt in Fran- zösischer Kleidung, nicht in der Windsor- Uniform. Er scheint für die Musik wenig Ohr zu haben; denn er war immer beschäf- tigt, mit dem Fernglase seine königliche Neugierde zu befriedigen. Die Musik war in der Ausführung weit vorzüglicher als die vorige, die wir hörten; auch in den Texten und in der Composition mehr Einheit. Bald nach der Ankunft des Königs fing die Musik mit einer prächtigen Ouverture an, gegen die das stille tröstende Recitativ der Mara: comfort ye, my people, saith your God , einen schönen Kontrast machte. Die Sängerin ging mit vieler Kunst von jenen milden wohlthätigen Tö- nen über, zu den befehlenden: prepare ye the way of the lord . Schade, daß in der darauf folgenden Arie der Dichter bei dem Bilde des Wegbaues bleibt, Thäler ausfüllen und Berge abtragen läßt, um dem Gotte einen — high way zu bahnen! Wie viel erhabener ist das Recitativ, das Herr Salle so meister- haft ausführte: This saith the lord of Host … In den Worten I will shake the heavens and the earth, the sea and the dry land sind alle Künste der musikalischen Malerei erschöpft; der Komponist bleibt bei der Handlung ste- hen. In der Handlung: a Virgin shall con- ceive , war dies unmöglich. Die Musik drückt die Freude über die Empfängniß aus; da aber gleich darauf die Jungfrau wie- der selbst den Namen Emanuel ruft, so ist der Effekt zerrissen. Der Komponist durfte, wenn er der obigen Schwierigkeit so aus- wich, nicht auf dem shall call his name ru- hen. Eben dieser Fehler ist auch in der De- klamation, der artikulirten Musik, nur all- zu häufig. Die Schauspieler drücken im Er- zählen erst ihre eigne Empfindung aus, und dann ahmen sie doch wieder die Stimme des Erschlagenen, des Fürchtenden, des Fröhlichen nach. Die schönste Stelle in dem ersten Theile ist von dem Chore: For unto us a Child is born , bis zu der Arie: rejoice o daughter of Zion . Hier ist am meisten Gedachtes in der Komposition. Die Worte: Wundervoll, Richter, Allmächtiger , sind von ungemei- ner Kraft; sie kündigen ein furchtbares We- sen an, bis die sanften Töne: everlasting Father , daran erinnern, daß der Allmäch- tige auch ein gütiger Friedensfürst ist. Zwi- schen dem Recitativ und dem Chor ist eine lange Zwischenmusik, deren Wirkung auf den edleren Theil des Publikums sichtbar war. Alles Liebliche und Harmonische der Tonkunst ist aufgeboten, um die unschul- digen Freuden des Landlebens zu schildern. Endlich beginnen die Worte: there were shepherds abiding in the field .... Die Stimme einer Storace mit jenen Flötentönen ver- schmolzen: dieser Zauber läßt sich nur fühlen. — Der Engel erscheint; die Musik hebt sich nach und nach, und der Lobge- sang Glory to God in the highest, and peace on earth , korrespondirt gleichsam mit dem obigen: for unto us a Child is born . In dem zweiten Theile hat der Text wenig Zusammenhang. Dennoch ist die Musik im Einzelnen nicht minder schön. Miss Cautels erregte in der unpoetischen Arie: but thou didst not leave his soul in hell , allgemeine Bewunderung. Sie zeigte einen Umfang der Stimme, den ich ihr nicht zugetrauet zugetrauet hätte. Die darauf folgenden Dop- pelchöre verfehlen ihre Wirkung nie, be- sonders die Worte: Who is this King of Glory? The Lord strong and mighty, the Lord mighty in battle . Sie erinnerten mich an die Manier der Alten, die eben so ihre Strophen und Antistrophen sangen. Auch ist die Spra- che des Dichters hier kräftig und edel. Mr. Griffiths konnte mit aller seiner Kunst dennoch nicht den Mißklang des thou hast led captivity captive vermeiden. Wie leicht könnte der Text geändert werden! Und die Ketzerei wäre nicht groß, da die Bibel doch nicht zum Gesange bestimmt ist. In den zwei letzten Chören zeigen sich alle Vorzüge eines solchen vollstimmigen Koncerts. Das Chor let us break their bands asunder stürmte mit einer Gewalt ein, daß mehrere Damen vor Schrecken zusammen- fuhren. Aber die Musik der Worte: Halle- III. Theil. B lujah, the lord God omnipotent reigneth , sind viel erhabener und tiefer empfunden. Die feierliche Pause bei der zweiten Wiederho- lung macht, nach dem Donner der Pauken, und dem Schmettern der Trompeten, einen wunderbaren Effekt. Der dritte Theil drückt die Wirkung der Erlösung aus. Madame Mara wetteiferte in der Arie: I know that my redeemer lives . Sie schien einer so glänzenden Versammlung sich doch auch in ihrem Glanze zeigen zu wollen. Sie machte Läufe und Kadenzen, die nur sie unternehmen und ausführen konnte; und wenn alle glaubten, ihre Stimme sei erschöpft, so überraschte sie doch noch mit einem neuen Triller — alles mit einer Leichtigkeit, einem scheinbaren Mangel an Anstrengung, als wenn nur diese Töne ihre Sprache wären. Der Text zu diesem dritten Theil ist auffallend schlecht und zerrissen. Wenn es bei einer geistlichen Kantate einmal des Dichters Wille ist, sie aus biblischen Stel- len zusammen zu flicken, so sollte er doch vorsichtiger in seiner Wahl seyn. Die Orientalischen Bilder: wie ein Topf zer- schlagen, in den twinkling of a use verwan- delt zu werden, die wiederholten Verglei- chungen zwischen Gott und einem Schafe, und so fort, sind uns jetzt eben so widrig als das Italienische Concetto : The sting of death is sin and the strength of sin is the law . Das letzte Chor: Worthy is the lamb , hält man für den schönsten Theil der Musik. Kunstreicher und kräftiger ist er freilich, als das Hallelujah for the Lord ; ob es aber so tief und dauernd auf die Empfindung wirkt? 3. Erziehung und Theater der Engländer. Litteratur. Beaux Stratagem . D ie Engländer haben Gutherzigkeit, Em- pfindsamkeit, Rohheit und Sinnlichkeit bei- sammen. Daher ist in ihren Schauspielen auch so viel Vortrefflichkeit, Naivetät, ne- ben so vieler Indecenz. Die Franzosen neh- men Rücksicht auf die bienséances , und sa- gen öffentlich nichts, was eine honette Frau nicht wiederholen dürfte. Daher sind ihre Weiber wirklich frei im Ausdruck; denn sie sagen alles , was im Publikum gesagt wird. Die Engländer nehmen auf dem Theater, wie in ihren Gesellschaften, keine Rücksicht auf die Weiblichkeit. Sie sind indecent; und die Weiber, die Dinge hören müssen, welche ihnen zu wiederholen nicht ziemt, werden ängstlich, steif, pretiös und prüde. Die Erziehung raubt den Engländern die Gelegenheit, ihr Herz und ihren Geist aus- zubilden und reinen Geschmack zu erlan- gen. Sie sind daher alle geniemäßiger, und haben keine allgemeine Regel des Betragens: immer plump, unfein, unachtsam auf sich und andre, und oft embarassirt in honnetter Gesellschaft; ja fast durchgehends bei hon- netten Frauenzimmern. — Denn ihr vieles Absondern, ihre vielen bloß männlichen Gesellschaften, in denen sie sich gar nicht genieren, gewöhnen sie an keine Egards. Hingegen, sobald das Herz spricht, sobald es auf das Empfinden von sinnlichen Ein- drücken oder zarten Verhältnissen ankommt, sind sie oft auch wahr, naiv, empfindsam. B 3 Die Siddons hatte London längst ver- lassen, ehe wir ankamen, weil ihr Engage- ment schon aus war; und mit ihr sind die schönsten Trauerspiele für dieses Jahr vor- über. Von neuen Stücken ist dies Jahr nichts von einiger Bedeutung erschienen. The Crusade ist eine Art Oper, die man doch selbst nur dramatische Romanze nennt. The haunted Tower , von Cobb , soll eben das- selbe seyn: artige Musik, aber kein Men- schenverstand im Stücke. No Song no Supper , eine musikalische Farce, ist von eben der Art, und wird nur durch die Stimme und das Spiel der Storace , einer Italienischen Sängerin, die vortrefflich Englisch gelernt hat, interessant. Die Musik ist von ihrem Manne komponirt: aus Pleyel, Gretry, Cior- dani zusammen gestohlen, aber sehr hübsch. The Dramatist , von einem jungen Manne, Namens Reynolds , der sich selbst darin ge- schildert hat, ist voll Witz und Anspielun- gen auf hiesige Sitten, aber ohne Dialog. Auf guten Dialog wird gar nicht mehr ge- sehen; Effekt ist alles, was man verlangt. Man geht in die Komödie, um zu sehen , kaum mehr zu hören ; und die Kotzebue , wenn sie sich eine Dosis Salz könnten ein- trichtern lassen, würden auch hier Glück machen. The rivals , von Sheridan , das ich vor der Farce: No Song no Supper , spielen sah, gehört unter die ältern Stücke, und ist schon ins Deutsche übersetzt. Miß Farren spielte die Julie ganz gut; nur bewundert man sie zu viel: ein Fehler, den jetzt alle Zuschauer von allen Nationen gemein ha- ben. In den mehr hochkomischen Rollen reicht sie nicht an die Abington , die aber jetzt nicht mehr spielt. Die Deklamation im Tragischen ist sehr vervollkommt, sehr präcis, rein und deutlich; aber bei Kemble , B 4 dem ersten hiesigen Schauspieler, zu mono- tonisch, und bei Holman (wie man versi- chert, denn ich habe ihn noch nicht gese- hen) zu wild und ranting. Garrick und seine Schule hatten mehr wahres Feuer der Empfindung, oder wußten es besser zu spie- len ; hier ist zu viel Kälte, und zu viel ge- suchter Nachdruck im Hersagen. Dennoch spielt Kemble verhältnißmäßig sehr gut, und was ihm, besonders wo es auf Würde ankommt, sehr nützt: er spricht langsam, wenn der Affekt keine schnelle Sprache for- dert. Seine Deklamation ist nicht Gesang , aber mehr als gemeines Reden . Diese Wür- de, diesen Anstand in Königs- und Helden- rollen, sah ich auf den Deutschen Theatern nie, weil man dort bei diesen Gelegenheiten nicht natürlich genug, oder auch wohl zu natürlich ist; mit Einem Worte: weil man den Sinn eines großen Menschen nicht hat. Ich möchte fast glauben, daß die Familia- rität des Umganges zwischen Menschen aus allen Ständen in England, und das Edle, welches bis in die letzte Klasse hinab hier in Bildung und Charakter so unverkennbar ist — mag es mit Einseitigkeit und Unwis- senheit über gewisse Gegenstände auch noch so sehr versetzt seyn — den Schauspieler hier natürlich veredeln. Allein die allgemeine Klage, die wir über unsre Litteratur füh- ren, höre ich auch hier im Munde der be- sten Köpfe: es fehlt im Publikum an Ge- schmack, und in den schönen Wissenschaf- ten an einem kompetenten Tribunal. Mit Johnsons Tod, so einseitig und schneidend er auch war, hat man nichts mehr, und es geht drunter und drüber in den Gefilden der Litteratur. Wenn schon ein solches Tribu- nal zuweilen ein ungerechtes Urtheil fällt, so ist es doch sehr nützlich, daß etwas in B 5 terrorem da stehe, um die elenden Skriben- ten in Zügel zu halten. Anekdotenjägerei ist jetzt so allgemein, daß man von be- rühmten Männern jedes Visitenkärtchen drucken läßt, wie bei uns; und wenn man einem Gelehrten etwas Schlimmes nachsa- gen kann, so glaubt man, wie bei uns, daß er nun kein großer Mann mehr seyn könne. So einen elenden Begriff macht man sich von menschlicher Größe, daß man sie ver- kennt, wo sie wirklich vorhanden ist, und Friedrich für einen gewöhnlichen Menschen hält, sobald man weiß, daß er physische Bedürfnisse hatte, wie jeder Sterbliche. Muß man denn die großen Gegenstände so mit dem Mikroskop betrachten? Oder muß man von einem berühmten Manne sich nicht mit einem Konterfei seines Kopfes begnü- gen, sondern ein Konterfei von der ganzen nackten Figur verlangen, und alles, was an ihm mißgestaltet und ekelhaft ist, her- vorsuchen? — — An dem herrlichen Lustspiel Beaux Stra- tagem konnte ich recht angenscheinlich den Unterschied zwischen dem Styl der theatra- lischen Darstellung vor zwölf Jahren, und dem jetzigen wahrnehmen. Mr. Lewis als Archer , Mr. Quick als Scrub , und Mrs. Pope , die ehemalige Miß Younge , als Mrs. Sal- len — gaben mir in der That einen sehr schwachen Begriff von Garrick, Weston und Mrs. Barry in eben diesen Rollen. Mr. Lewis war nicht, was er seyn sollte: ein als Bedienter verkleideter Gentleman ; sondern ein Bedienter, der Gentlemans -Manieren affektirte. Scrub sollte ein dummer, un- wissender Bauerlümmel seyn, dem zuwei- len eine Idee bis in das Gehirn trifft; Quich hingegen spielte ihn so, daß er immer zu viel zu ahnden und zu errathen schien. Weston wußte gar wohl, daß man dieser Rolle nicht alle Anlagen nehmen müßte; allein er ließ sie leer an wirklich erworbe- nen Begriffen, an Übung der Geisteskräfte: und dies war die ächte Art, sie zu spielen. Mrs. Pope endlich, eine für mich sehr an- genehme Schauspielerin, hat für die Rolle von Mrs. Sallen weder Lebhaftigkeit, noch Laune genug. Sie spielt sie mit Anstand, aber nicht mit komischem Nachdruck. Die Farce: Love in a camp , war an Platt- heit und Jämmerlichkeit unausstehlich. 4. Westminsterhall. — Warren Hastings Proceß . D ie ganze Halle ist bekanntlich mit Sitzen eingerichtet: rothen für die Peers und ihre Tickets ; grünen für das Unterhaus. Die Verschlage für die Managers heißen: Zim- mer ; sind aber ganz finster, und werden durch Lampen und Lichter erleuchtet. Das Zimmer für den Gefangenen ( Prisonner’s- room ), wo Hastings sitzt, bis er gerufen und vom Blackrod vorgeführt wird, ist wirklich ein finsteres trauriges Loch, und nach vorn zu hat es zwei kleine Fensterchen mit eiser- nen Stangen davor. Im Managers-room sa- hen wir mehr als zwanzig große Folianten von Akten. Überall brannten große Feuer- becken. Jedesmal, bei jeder Sitzung, muß Hastings auf die Knie fallen, wenn er hin- einkommt. Dann heißt ihn der Kanzler auf- stehen, und erlaubt ihm zu sitzen. Die Größe eines Indischen Despoten so ernie- drigt, das mag wohl schmerzen; aber jetzt ist er daran gewöhnt. So stumpft sich je- des Gefühl endlich ab! — Wohlthätige Na- tur, die für unsere Erhaltung sorgt auf Ko- sten unserer Reitzbarkeit! Aber noch un- endlich wohlthätiger in jenen großen See- len, die eine einzige Verletzung ihres Selbst- gefühls nicht wieder ruhig werden läßt. Den 5ten Junius . Ich möchte wohl zu- gegen gewesen seyn, wenn das heilige Volk von Athen so einen Aktus vorhatte, um ei- nen Vergleich mit dem anstellen zu können, der hier vorgeht. So glänzend wie West- minsterhall, war freilich wohl die Ver- sammlung dort nicht; es fehlten die Damen, die hier ungleich zahlreicher als die Manns- personen sind. Welch ein Anblick! Die Hyacinthenflor in Harlem war nicht pracht- voller, und duftete nicht stärker! Fast alles ist weiß: wenigstens lauter weiße Enve- loppen und Kopfzeuge, und beinahe kein anderes als rosenfarbenes und himmelblaues Band. Nirgends ist ein Hut zu sehen; denn hier ist alles full dreß’d , was den Kopf be- trifft. Der Platz, den das Oberhaus selbst einnimmt, ist verhältnißmäßig klein. Die Zuschauer, auf vielen Reihen von Bänken umher und über einander, können vielleicht zweitausend ausmachen. Und wie oft ha- ben nicht schon 2000 Menschen die Stelle von andern 2000 hier eingenommen! Es können wenigstens 500,000 Britten Zeu- gen von dem Gerichte gewesen seyn, wel- ches hier über ihren Mitbürger gehalten wird. Göttliche Publicität! erhabne Würde der Gerechtigkeit, die nicht das Licht scheuet! Daß kein Volk, kein Land, keine Stadt es wage, sich frei zu nennen, so lange ihre Richter bei verschlossenen Thüren über das Schicksal ihrer Mitmenschen entschei- den! Ich hasse das ewige Kreischen von Freiheit, das Gekrächz derer, die nicht wis- sen, was frei seyn heißt, und des goldenen Vorrechtes nicht werth sind; ich hasse die Sklaven, die nur sprechen , und nicht han- deln . Aber kein Ausdruck ist zu hart, um Abschen gegen den Tyrannen zu erwecken, der seines Volkes Vater zu seyn vorgiebt, und es im Verborgenen richtet. Im Verbor- genen richten, ist Meuchelmord ; und kein Zusatz von Umständen, keine Modifikation, kann dieses Verfahren je so weit entschul- digen, daß sie ihm diesen Namen wieder nehmen könnte. Jeder, den ein Rechtsur- theil traf, das im Verborgenen gefällt und motivirt motivirt wurde, ist ein Tyrannenopfer, ge- gen das man alle Gerechtigkeit aus den Au- gen setzte; mithin ist er zurückgestoßen aus dem Bunde der bürgerlichen Gesellschaft, in die Sphäre des natürlichen Lebens, wo je- der sein eigner Vertheidiger und Rächer ist. Um 9 Uhr wurden die Thüren geöffnet, und um halb 12 Uhr fanden wir das Haus schon über die Hälfte voll. Und was ma- chen denn die Damen in einem Hause, wo sie nicht recht hören können, was gespro- chen wird; wo sie nicht verstehen, was sie hören; und bis zwei Uhr, also gegen vier Stunden, warten müssen, ehe es angeht? Kommen sie hin, um sich sehen zu las- sen? Schwerlich; denn man erkennt und trifft einander nicht in diesem großen Saale, wo die Sitze nach verschiedenen Richtungen laufen, und nicht alle einander in’s Gesicht sehen können. Kommen sie, um zu plau- III. Theil. C dern? Eine so große Versammlung so still zu finden, war vielleicht das Erstaunlichste am Ganzen. Man scheint einen Sinn für das Schickliche mitzubringen, der an dem Orte, wo wir uns befanden, kein Gespräch duldet. Wie soll man sich also das Räthsel dieser Erscheinung erklären? Durch Lange- weile, Neugier und guten Ton. In Hastings Verhör geht man, weil es Sitte ist, und weil man wenigstens auf eine entfernte Art zeigen kann, daß man mit eines Lords Fa- milie bekannt ist, und Billets bekommen kann, — wiewohl wir die unsrigen für eine halbe Guinee erkauften, weil wir keinen Lord darum ansprechen mochten. Neu- gier — um doch davon sprechen zu können; um zu sehen, wie man sich heute kleidete; um das Schauspiel einmal genossen zu ha- ben; um zu wissen, wie ein Kanzler auf seinem Wollsack, die Lords in ihren Män- teln, die Herolde in ihren buntgestickten Kleidern, die zwölf Richter und der Spre- cher des Unterhauses in ihren Perücken sich ausnehmen; um den Mann, von dem alle Welt spricht, W. Hastings , oder die be- rühmten Volksredner Burke, Fox und She- ridan , einmal von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Langeweile — doch, bedarf es hier noch einer Erklärung? „Das wäre denn alles,” wird mir man- cher Geck zurufen, der hier mit leichter Mühe zu der Ehre zu kommen hofft, auch einmal den Verdacht eines eigenen Gedan- kens auf sich zu ziehen — „alles, was die gepriesene Publicität wirkt? Ob Weiber hören oder gaffen — die Juristen machen, was sie wollen.” — Nicht also, mein fei- ner Herr! Es giebt unter diesen Damen auch verschiedene, die lebhaften Antheil an dem Processe nehmen. Man sicht sie allemal, C 2 so oft er fortgesetzt wird, mit Papier und Bleistift Bemerkungen aufzeichnen, und den Gang der Sache, die Beschuldigungen, Ver- theidigungen, Gegenaussagen nie aus dem Gesichte verlieren. In England, in einer Republik, zumal in einer so blühenden, so thätigen, die alle individuellen Kräfte her- vorruft und entwickelt, ist der Zusammen- hang des Interesse tausendfältig, und wo man es nicht erwarten sollte, zeigt sich Theilnahme aus eigenem Bedürfnisse. Doch wozu dieser Beweis? Hat man denn verges- sen, daß auch Mannspersonen Zuschauer und Zuhörer sind? daß die Freunde des Angeklagten und der Kläger sich anwesend befinden, und jedes Wort niederschreiben? daß das ganze Unterhaus mit anhört, wie seine Mitglieder den Proceß führen? daß endlich das ganze Oberhaus, der Adel des ersten Landes in der Welt — ein Adel, zu welchem Verdienst unfehlbar den Weg bahnt — hier sitzt, um zu hören, zu ent- scheiden, und zu richten? Um zwei Uhr endlich erschien ein Theil der Mitglieder des Unterhauses auf ihren Sitzen; und bald kam auch das ganze Ober- haus in Procession: voran die zwölf Rich- ter in ihren Perücken und Mänteln, dann die Lords, endlich die Herolde, der Siegel- und der Insignienträger, und der Kanzler. Jeder ohne Ausnahme, wie er dem Thron gegenüber kam, neigte sich gegen densel- ben, obgleich niemand da saß. Hierauf rief der Insignienträger ( Mace-bearer ) drei- mal: Oyés , und befahl den Anwesenden bei Gefangnißstrafe, im Namen des Königs, Stillschweigen an. Hierauf citirte er Ha- stings , zu erscheinen; und nachdem der Usher of the blackrod gegangen war, ihn ab- zuholen, erschien Hastings an seiner Stelle, C 3 machte drei Verbeugungen, knieete nieder, stand aber sogleich wieder auf, und setzte sich in den für ihn bestimmten Lehnstuhl. Der Kanzler eröffnete hierauf die Sitzung indem er den Managers sagte, daß sie fort- fahren möchten. Nun folgten Verhöre von Zeugen; ein Clerk mußte viel vorlesen, wel- ches endlich manchen Zuhörern so viel Lan- geweile verursachte, daß sie sich entfernten. Die Lords sitzen nicht sehr still, verlassen ihre Plätze, sprechen mit einander und mit den Mitgliedern des Unterhauses, und schei- nen unter der Last ihrer Hermelinmäntel bei diesem Wetter nicht sehr beneidenswür- dig zu seyn. Einer von den Managers (Mr. Anstruther ) sprach sehr widrig; er stieß im- mer einige Worte aus, und hielt dann wie- der inne, alles sehr monotonisch. Des Kanz- lers deutliche, volle Baßstimme, ist überall vernehmlich. 5. Zünfte . I n Deutschen Büchern steht bald, England habe Zünfte: bald, England habe keine Zünfte. Beides ist wahr, beides falsch. Man verstehe sich nur! Deutsches Zunft- wesen herrscht in England freilich nicht. Warum? weil das Municipalwesen in Eng- land anders als auf dem festen Lande ist, weil England weniger als Deutschland und Frankreich das Unglück hatte, Italiänisch- ägyptische Laster anzunehmen. — — Die Englischen Zünfte zielen wenig auf die ver- meintliche Vervollkommnung der Künste ab, wie in Deutschland; sie haben bloß po- litische Zwecke: denn keiner braucht sich da einzunften zu lassen, wohin er seines C 4 Handwerks wegen gehört. Ein Buchdrucker kann sich zu den Malern, Bäckern etc. hal- ten. In der city of London und in jeder Stadt, wo Incorporationen sind, darf keiner ein Gewerbe für sich treiben, der nicht zu einer Zunft gehört. In eine Zunft gelangt man, wenn man die Freiheit der Stadt erwirbt, oder Freeman of the city wird. Diese Er- werbung der Freiheit geschieht entweder durch sieben Lehrjahre bei einem incorpo- rirten Meister, oder durch Kauf. Die Frei- heit der Stadt kostet im Durchschnitt dreißig Pfund Sterling. Bei einigen Incorporationen ist sie wohlfeiler, und kostet nur vier und zwanzig Pfund Sterling; deshalb hält man sich gewöhnlich zu einer wohlfeileren Zunft, zum Beispiel zu den Musicians , da es einem Schustergesellen frei steht, sich zu der Zunft zu halten, zu welcher er will. Dieses Ein- zunften als Freeman of the city geschieht durch Einschreiben in der Guildhall (dem Rathhause) und der Zunfthalle. Wer Free- man durch die sieben verflossenen Lehrjahre oder durch Erkaufung der Stadtfreiheit ist, kann für eigne Rechnung, wie wir sagen, als Meister sein Handwerk treiben. Ein Freeman , ob er gleich zu einer Zunft ge- hört (was Volkmann in seinem ersten Theil, Seite 225 fälschlich leugnet), nimmt noch keinen Theil an Parlamentswahlen; dazu ge- hört das Pelzkleid. Ein Freeman , der also auch diesen Vorzug genießen will, muß Li- veryman werden, welches abermal einige Pfunde kostet. Besondere Geschicklichkeit aber, wie Volkman wähnt, gehört gar nicht dazu; die Englischen Zünfte haben Vervoll- kommnung der Zünfte kaum zum Neben- zweck. Keine Zunft ist geschlossen, jeder Meister, er sey Freeman oder Liveryman kann so viele Gesellen halten, als er will. C 5 Meisterstücke kennt man in England auch nicht. Zwischen Lehrjungen und Gesellen ist ebenfalls keine Scheidewand. Gesellen (ich neune die Leute so, die nicht auf eigne Rechnung arbeiten) lassen sich, wenn sie außer Arbeit sind, in der Halle einschrei- ben. Ein Meister, der Gesellen nimmt, muß gerade die nehmen, die zuerst eingeschrieben sind, er mag sie für geschickt halten oder nicht. Will er sich welche auswählen, so muß er ein gewisses Geld dafür erlegen. Das Gesellenlohn ist nur bei einigen Zünf- ten, zum Beispiel bei den Schneidern, durch eine Parlamentsakte bestimmt; ein Meister, der mehr Lohn giebt als vorgeschrieben ist, kann gerichtlich belangt werden. Fast jede Innung hat ihre Armenhäuser. Das Geld dazu fließt aus der Zunftkasse, in welche je- der Geselle, Freeman und Liveryman jährlich einige Schillinge zahlen muß. Ein Geselle, der diese Schillinge nicht gezahlt hat, muß sie alle nachzahlen, wenn er Meister werden will, sei es nach Ablauf der sieben Dienst- jahre oder durch Erkauf der Freiheit. Die Royal Society eine Zunft zu nennen, wie einige Deutsche Schriften thaten, ist sehr lächerlich. Sie ist indeß allerdings eine durch Charter incorporated Society; das heißt: sie gehört zu der allgemeinen Klasse von dem Staat untergeordneten Gesellschaften. In allen Städten, wo keine Incorporatio- nen sind, kann jeder nach Belieben jegliches Gewerbe treiben; zum Beispiel in ganz Westminster, und in den Liberties der cor- porirten Städte. Dieser Umstand macht al- len auch in ungeschloßnen Zünften noch möglichen Schaden nichtig; denn die Waare des unzünftigen Meisters concurrirt immer mit der Waare des zünftigen. In Westmin- ster zum Beispiel, kann jederman Schneider oder Schuster seyn, oder aus einem Schnei- der morgen ein Schuster werden, u. s. w. Hier ist auch keine politische Verbindung unter den Handwerkern; die Parlamentsglie- der werden in Westminster bloß von den Hausbesitzern gewählt. Ein Jude kann in England alle Handwerke treiben, nehm- lich die, welche von keiner Corporation sind. Daß das Mosaische Gesetz sich auch wohl damit verträgt, zeigen die vielen jü- dischen Handwerker in Westminster, beson- ders die vielen jüdischen Schlächter in Good- mansfield . Man findet einen beschnittenen Schlächter nicht unreinlicher, als einen unbe- schnittenen. Auf dem platten Lande kann jegliches Gewerbe getrieben werden, und nur in der Gerichtsbarkeit corporirter Städte muß ein Handwerker sich zu einer Incorporation die- ser Stadt halten. Das Unwesen eines blauen Montags ist in England so arg als in Deutschland. Warum ist genaue Kenntniß des Eng- lischen Zunftwesens in Deutschland so nöthig? — 6. The Monster . Den 12. Mai. W ie sich die Neuigkeiten hier jagen! Wie immer frische Nahrung für das gefräßige Thier mit achtmal hunderttausend Schlün- den herbeigeschafft werden muß! Gestern ist der König von Schweden an einem Gal- lenfieber gestorben; heute ersticht man die Kaiserin von Rußland; die Spanier haben Jamaika weggenommen; Frankreich rüstet zwanzig Linienschiffe aus. Bald erschallen wieder durch die ganze Stadt lauter Frie- densgerüchte! Diese widersprechenden Er- dichtungen sind auf den nächsten Kreis um die Londoner Börse berechnet; die öffent- lichen Fonds steigen und fallen, je nachdem man dieses oder jenes Gerücht wahrschein- lich zu machen weiß; authentische Briefe, gerichtliche Aussagen von Schiffskapitainen, Ministerconfidencen, nichts wird dabei ge- spart, um Wirkung hervorzubringen; und wenn es endlich nun einmal gelingt, dieje- nigen, die sich die Weisesten und Vorsich- tigsten dünken, zu übertölpeln, so ist der Gewinn schon entschieden. — Man fragt sich also schon immer bei jeder neuen Mähre, wohin sie zielt, und welchen Effekt auf die Barometer des öffentlichen Kredits sie haben könne; und wahrlich! künstlich muß der Mäkler seyn, der jetzt noch seinen Zweck erreichen will. — Allein der größere Kreis des Publikums, der zur bestimmten Stunde seines Frühstücks die Zeitung liest, und die Zeit theils mit dieser Lektüre, theils mit der Conversation, wozu sie den Stoff giebt, zu tödten sucht, hat noch einen ganz andern Heißhunger nach Neuigkeiten, und eine gesegnete Gabe der Verdauung, die mit dem Wunderglauben in eine Klasse gesetzt zu werden verdient. Seit vier Wochen spricht ganz London von dem Ungeheuer; die Zei- tungen sind voll davon; die Theaterdichter unterhalten das Volk davon auf der Bühne; die Damen fürchten sich davor; der Pöbel sieht jeden Vorübergehenden schärfer darauf an, ob er nicht in ihm das Ungeheuer ent- decken könne; alle Wände sind mit Ankün- digungen und Darbietungen einer Beloh- nung für denjenigen, der das Ungeheuer greifen wird, beklebt; freiwillige Sub- skriptionen sind eröffnet worden, um es fan- gen zu lassen; Mrs. Smith , eine Dame du bon ton , hat es mit einem Pistol hinters Ohr geschossen, — es hat sich verkleidet, geht in vielerlei Gestalten umher, verwundet schöne Frauenzimmer mit einem eigends er- fundenen Instrument, mit Haken in Blumen- sträußern sträußern verborgen, mit Packnadeln, u. s. f. — und dieses Ungeheuer ist nichts mehr und nichts weniger als — ein Unding, womit man die müßigen Einwohner von London amüsirt. Ein Taschendieb, der vermittelst eines Instruments die Taschen umzukehren und auszuleeren gelernt hatte, konnte viel- leicht eine Dame verwundet haben, indem er dieses Kunststück an ihren Taschen pro- bierte; dieser unbedeutende Zufall war hin- reichend, um eine ganze Geschichte von einem Ungeheuer darauf zu gründen, wel- ches gegen weibliche Schönheit wüthete, und eine Verschwörung zwischen mehreren Geschöpfen dieser Art wahrscheinlich zu machen, die aus Bosheit, oder Rache, oder verkehrtem Geschmack, das ganze Geschlecht, oder doch den schöneren Theil desselben, vernichten sollten. III. Theil. D 7. Naturgeschichte. Banks . A ußer der Botanik ist alles kläglich be- stellt; die Mineralogie am schlechtesten. Es giebt fast gar keine Liebhaberei, und schlechthin keine Kenntniß. Hawkins ist der einzige Mineraloge. Mr. Greville zeigt acht oder vierzehn Tage lang an seinem Ka- binet. Mr. Macie und die übrigen, studieren Mineralogie nur um der Luftchymie wil- len, und wissen von den neuen Entdeckun- gen nichts. Greville ist in der Opposition, und hat nichts zu leben. Raspe arbeitet in Schottland, ist aber auch nicht mit den neuen Entdeckungen, und überhaupt mit der heutigen Form der Wissenschaft be- kannt. Zoologen giebt es sehr wenige. Pen - nant war nicht tief; Latham hat seine Vö- gel vollendet; Yeats hat ein Insektenkabinet. Botanik hingegen ist en vogue. Martyn übersetzte Rousseau’s Briefe, und that vier und zwanzig neue hinzu, zierte sein Werk- chen mit Kupfern, und die Damen kauften es, so dürr auch der Inhalt ist. Curtis las den Damen Botanik, schrieb für sie ein bo- tanisches Magazin, und gab seine Flora Londinensis heraus. Smith liest auch Bota- nik, und fährt fort, Linné’s Kräuterbuch, welches er an sich gekauft hat, zu publici- ren. Dickson giebt Moose, Farrn und Schwämme heraus. Bauer , der vortreffli- che Zeichner, den der junge Jacquin nach England brachte, wird die seltenen Pflanzen des Hortus Kewensis herausgeben; sie sind herrlich gezeichnet: klar, richtig, deutlich und schön. Eine Mrs. Margaret Meen ist ihm indeß zuvorgeeilt, und hat auf dem D 2 allergrößten Atlasformat eine Nummer von vier Blättern herausgegeben, welche seltene und gemeine Pflanzen zugleich enthält, z. B. Strelitzia Regina , und die Solandra speciosa; dann aber auch Plumbago rosea und Cypri- pedium album . Die Ausführung ist nicht zu rühmen. Nichts ist botanischrichtig ge- zeichnet, und die vier Pflanzen kosten 16 Shilling. Das große Werk von Banks ist noch im- mer ein Gegenstand, der die Konversation lebendig erhält. Er wird, sagt und schreibt er seinen Freunden, es nie verkaufen, son- dern nur wenige Exemplare abziehen lassen, und sie verschenken. — Es sollen schon beinahe alle 17 bis 1800 Platten fertig seyn. Woran der fernere Aufschub liegt, weiß kein Mensch zu sagen; Dryander selbst scheint es nicht sagen zu können oder zu wollen. 8. Kapitain Bligh. Reisen nach Nordwest- Amerika . C ook gebrauchte den Kapitain Bligh bei sei- ner letzten Reise, um Landkarten zu ma- chen und Aussichten aufzunehmen; und er hat fast alles, was während dieser langen Reise in diesem Fache gearbeitet worden ist, allein gethan. Nach seiner Rückkehr kamen seine Zeichnungen in die Hände der Admi- ralität. Roberts erhielt von dieser den Auf- trag, die Karten für den gedruckten Bericht der Reise darnach auszusuchen und zusam- menzutragen. Aber er hatte zu eben der Zeit das Kommando über einen Zollhaus- Kutter bekommen, und fand das Handwerk, Schleichhändler zu verfolgen, einträglicher, D 3 als das Kartenmachen. Dnrch seine Nach- lässigkeit ward die Herausgabe des Werkes verzögert, und die Admiralität mußte ihm einen gemessenen Befehl zuschicken, her- aufzukommen, und seine Arbeit zu vollen- den. Die elende Generalkarte ist die Frucht dieses übereilten Geschäfts, außer einer Menge Fehler in andern Karten. Kapitain Bligh hat versichert, daß zwischen den Ori- ginalzeichnungen und den herausgegebenen Karten ein sehr großer Unterschied sei. Die Canadischen Kaufleute und die Hud- sonsbay-Kompagnie sind einander entge- gen. — Ein gewisser Turner ward von der letzteren ausgeschickt, um geographische Entdeckungen zu machen. Er war ein gu- ter Astronom, nahm viele Längen und Brei- ten, und bestimmte unter andern die Lage von Hudsons house . Hernach brauchte ihn die Kompagnie in Handelsgeschäften; da hatte er über die Branntweinfässer zu befeh- len, fing an zu trinken, und gerieth darüber mit seinen Rechnungen in Unordnung. Die Kompagnie hat ihn dessen ungeachtet noch- mals ausgeschickt; und wenn er nur seinen Branntwein bald austrinkt, so kann er noch etwas leisten. Die Canadier stahlen ihm das erstemal seine Journale; wenigstens will man wis- sen, daß ein ungetreuer Beamter diese Jour- nale an die Canadier verkauft hat. Diese haben drei Leute nach Westen geschickt, wovon einer über den Slavelake (Sklaven- see) bis nach Cooks River , und von da nach Kamtschatka gekommen ist. D 4 9. Dr. Johnson. Warton . A ls man Johnson fragte, was der König mit ihm gesprochen hätte, sagte er: The questions of His Majesty were multifarious ; (so sehr war er gewohnt, Lateinische Wörter in der Englischen Sprache zu adoptiren, und sogar im gemeinen Leben einzuflicken) but, thank God! he answered them all himself Se. Majestät fragten mancherlei; aber, Gott- lob! Sie beantworteten alles selbst.“ . Warton spricht in seinem Buche über Englische Dichter lang und breit über ein Miniaturportrait von Milton , welches Sir Joshua Reynolds für 100 Guineen gekauft haben soll. T. Brand Hollis behauptet: es sei das Porträt von John Selden , und ärgert sich, daß Warton mit keinem Worte der vier Köpfe von Milton in den Memoirs of Mr. Hollis erwähnt, die doch ächt sind. D 5 10. Etwas von den Sitten. Veränderung der Sitten. Nägel. Ranelagh. Boxing. Dr. Mayersbach . D ie Verschiedenheit des Essens am östli- chen und westlichen Ende der Stadt ist be- merkenswerth. Der ganz Fremde würde in- deß wenig Unterschied finden; denn über- all geht es gleich steif und unbeholfen zu. Man sitzt vor Tische unbeweglich im Stuhl, spricht wenig, schlägt die Arme über ein- ander, uud hat Langeweile, bis zur Tafel gerufen wird. Dann ziehen die Weiber wie die Kraniche ins Speisezimmer; niemand führt sie. Man fodert zu trinken, wie in einem Wirthshause, oder macht Partie mit jemand, um ein Glas zu trinken; und nach Tische werden Gesundheiten getrunken. Auch erscheint, sobald die Damen sich ent- fernt haben, überall der Nachttopf. Suppe ist nirgends zu sehen. Man setzt noch im- mer Gläser mit Wasser auf den Tisch, und jedermann spült sich, Angesichts der ganzen Gesellschaft, den Mund und wäscht sich die Hände. Bis Thee und Kaffee im Neben- zimmer servirt werden, sitzt man am Tisch, und trinkt Wein. — Nur im Westen giebt es Servietten, die in der City durchgehends wegbleiben. Kleine Schüsseln findet man auch nur an dem vornehmen Ende der Stadt; am östlichen ißt man mancherlei durch ein- ander und mit einander. Die Engländer pflegen ihre Hospitalität zu rühmen, und nennen ihr Land das gast- freieste in der Welt. Ausländer hingegen beklagen sich, daß, wenn sie zu Hause den durchreisenden Engländern alle erdenkliche Höflichkeit erwiesen haben, diese, wenn man sie in England besucht, den Fremden zu einem Mittagsessen im Wirthshause bitten, und ihn alsdann seine Zeche mit einer hal- ben, oder gar mit einer ganzen Guinee be- zahlen lassen. Anfänglich lachte ich selbst über diesen, wie es mir vorkam, ganz ver- kehrten Begriff von Hospitalität. Allein ich habe der Sache nachgedacht, und finde man- ches zu erinnern, was sie in ein ganz ande- res Licht stellen kann. Erstlich also, ist es wenigstens von den Einwohnern auf dem Lande sehr buchstäblich wahr, daß sie ge- gen Fremde, die ihnen empfohlen werden, die Gastfreiheit in einem hohen Grade aus- üben. Zweitens sind die Veranlassungen zu einem Mittagsmahl in dem Wirthshause in London häufiger als anderwärts, indem so mancher daselbst kein Haus hält, sondern Jahr aus Jahr ein täglich in ein öffentliches Wirthshaus geht, um dort zu essen. Drit- tens glaubt mancher seinem Gaste mehr Frei- heit zu lassen, wenn er ihn an eine Tafel führt, wo er seinen freien Willen behält, und fordern kann, was ihm beliebt, als wenn er ihn nöthigte, sich nach seinem Ge- schmacke zu richten. Endlich auch in Lon- don selbst, sind die Fälle gar nicht selten, daß Fremde in den Häusern ihrer Bekann- ten bewirthet werden, wie es mir selbst vielfältig widerfahren ist. — Mehr aber, als dies alles, ließe sich noch zur Entschul- digung oder Rechtfertigung des Englischen, mir sonst so paradox scheinenden Begriffes von Hospitalität sagen, der zuletzt auf die Definition hinausläuft, daß man in England für Geld haben kann, was man will. Schöne Gastfreundschaft! sagte ich, als ich diesen Ausdruck zum erstenmal hörte; und tausend Ausländer für Einen werden in Versuchung seyn, denselben Ausruf zu thun. Ich ge- stehe gern, daß ich nicht mehr so verächt- lich von dieser Gastfreiheit urtheile, wel- she jedem für Celd verschafft, was er nur an Bequemlichkeit und Genuß verlangen kann. Es ist nichts Geringes, den Fremd- ling, den Reisenden, den Käufer, der im Laden etwas kaufen will, mit Freundlich- keit und Dienstfertigkeit aufzunehmen. Diese Attention ist aber in England recht ei- gentlich zu Hause. Kauft man für eine bloße Kleinigkeit, für zwei Schilling z. B., in einem Laden, so ist der Kaufmann erbötig, das Gekaufte selbst nach Hause zu schicken; gleichviel, ob in die nächste Straße, oder durch den ganzen Diameter der unermeßli- chen Hauptstadt zu gehen ist. Kauft man für mehrere Pfund Sterling, so wird man fast unfehlbar von dem Kaufmann zu Tische gebeten. Im Laden präsentirt man dem Käu- fer einen Stuhl, ein Glas Wein, eine Tasse Chokolade, oder andere Erfrischungen. Um eine Kleinigkeit abzusetzen, läßt sich der reichste Kaufmann keine Mühe verdrießen; man mag hundert Stücke Zeug um- und durchwühlen: er wird nicht müde, im- mer wieder andere herbeizuschaffen. — In den Wirthshäusern ist alles Aufmerksamkeit, und der gewöhnlichste Passagier wird wie der erste Lord bewirthet. Die Aufwärter laufen an den Wagen, so bald sie jemand ankommen sehen; der Wirth selbst erscheint und bewillkommt seine Gäste. Er bedient sie bei Tisch, und das Kammermädchen sorgt bestens dafür, daß die Betten frisch und rein sind. Fährt man fort, so ist man wieder eben so mit dem Wirthe, der Wir- thin, und den Aufwärtern umgeben. Jedes hat im Hause sein bestimmses Amt. Boots ist bei der Hand, Schuh und Stiefeln abzu- ziehen, zu putzen, und dem Fremden Pan- toffeln zu präsentiren. Kommt man zu Pferde an, so hat der Horseler , oder wie das Wort gewöhnlich ausgesprochen wird, Ostler , die Sorge für die Pferde. Will man ausfahren, so hat jeder Gastwirth mehrere nette Post- chaisen und etliche Züge Pferde im Stall, deren sich ein Deutscher Edelmann nicht schämen dürfte. Fast Jahr aus Jahr ein brennt ein Feuer in dem Kamin; und die Wirthshäuser sind schon darauf eingerich- tet, daß man, außer dem Schlafzimmer, für jede Gesellschaft ein besonderes Wohn- zimmer hat, ohne daß die Kosten darum besonders erhöhet würden. — Tische und Stühle sind durchgehends vom schönsten Mahagonyholz, mit roßhaarnen Küssen; und der Teppich von der vortrefflichen Wollenmanufaktur in Wiltshire, oder we- nigstens nigstens ein Schottischer, liegt den Winter hindurch in jedem Zimmer; so wie vor jedem Bette Jahr aus Jahr ein, und in den zierlichern Gasthöfen auf allen Treppen, ein schmaler Streif von eben diesem Tuche liegt. Des Silberzeugs, des Tafelgeschirrs ist kein Ende; nur Servietten muß man nicht erwar- ten. Wahrlich das Land ist gastfrei zu nen- nen, wo es Menschen sich so angelegen seyn lassen, andern das Leben bequem und angenehm zu machen, Reisende nach einem beschwerlichen Cahotage zu erquicken, und ihnen einigen Ersatz zu verschaffen für die liebe Heimath, von der sie sich entfernen müssen. Wer empfunden hat, wie der Rei- sende in andern Ländern in sich selbst zu- rückgetrieben wird; wie er so gar keine Theilnahme erweckt, so gar kein freundli- ches Gesicht ihn bewillkommen sieht, für sein Herz so gar keine Nahrung findet, wenn III. Theil. E er sich einmal von den Seinigen entfernt; wie es den Gastwirthen gar nicht um seine Bequemlickkeit, sondern lediglich um ihren Gewinn zu thun ist: der muß den Vorzug des Reisens in England empfinden, wo ihn so manches freundliche Wort, so viel ächte Urbanität in den Sitten der Menschen, mit denen er auf der Reise umzugehen genöthigt ist, unaufhörlich mit dem ganzen Geschlechte versöhnt und in eine zufriedene Stimmung versetzt. Ein gutes Gesicht, und Bereit- willigkeit, jeden seiner Wünsche zu erfül- len, lassen sich wahrlich nicht mit dem Gelde erkaufen, das er für seine Zehrung zahlt. Allein die Begriffe, daß man als Gastwirth verbunden sei, für die Bequem- lichkeit und das Wohl der Gäste zu sorgen, daß man wirklich die Rechte der Hospitali- tät an ihnen ausüben müsse, und ein schönes Gefühl von Unabhängigkeit und Gleichheit, womit man sich bewußt ist, daß man nicht bloß vom Fremden lebt, sondern ihm auch wirklich das geben kann, was seine Börse nicht bezahlt: — dies wird schon mit der Muttermilch eingesogen, und mit den An- fangsgründen der Erziehung in den Gemü- thern entwickelt. Dazu kommt noch, daß hier nicht leicht ein hungriger Abentheurer einen Gasthof anlegt, sondern daß dieses Geschäft insgemein den Besitz eines ansehn- lichen Vermögens voraussetzt; daß folglich die Gastwirthe selten so gröblich unwissend wie in andern Ländern sind, und im Gegen- theil die Erziehung, die ihrem Vermögen angemessen war, genossen haben; mithin, daß die Ueberzeugung, Zufriedenheit und Glück müsse nur in einer bestimmten Ge- schäftigkeit gesucht werden, den Entschluß: leitet, auf irgend eine Art das Vermögen anzulegen und zu einem gemeinnützigen E 2 Endzwecke damit zu wirthschaften. Dieser Geist der Thätigkeit unterscheidet den Eng- länder, wie mich dünkt, am meisten von allen andern Nationen. Ein Deutscher, ein Franzos, ein Italiener von gewöhnlichem Schlage, der dreißig- oder vierzigtausend Thaler hätte, würde sich erniedrigt glauben, wenn er ein Gewerbe oder eine Hantie- rung triebe; der Engländer fängt damit erst recht an, und hält das Geld nur für eine Federkraft in seinen Händen, wodurch er für seine Thätigkeit Platz gewinnen, und in eigenem Wirken und Schaffen sich selbst gefallen kann. Ich weiß, es giebt auch auf dem festen Lande einige Ausnahmen; allein zu geschweigen, daß diese eigentlich, wie immer, die Regel bestätigen, so ist doch in den Gelenken unserer Gastwirthe eine natür- liche Steifigkeit, die sich nur durch die Zau- berkraft einer Equipage mit Sechsen, oder eines adlichen Wapenschildes vertreiben läßt. Die Huldigung, die sie dem Reich- thum leisten, möchte man ihnen noch ver- zeihen: sie hat wenigstens einen Gegenstand; allein die Furcht vor der privilegirten Klasse der Nation ist ein Schandfleck von ange- stammter Niederträchtigkeit, der die mensch- liche Natur entehrt, am meisten da, wo der Adel durch keinen Zügel, weder durch Ei- gennutz, noch durch Begriffe von Ehre und Schande, sich gehalten fühlt, mithin, weil er die oberste Stelle ohne sein Verdienst be- sitzt, dem eigenthümlichen Werthe nach auf die allerunterste Stufe hinabgesunken ist, und die Verachtung aller übrigen, die alle besser und edler sind als er, in vollem Maße verdient. Es sind nun zwölf Jahre verflossen, seit- dem ich in England war. In diesem Zwi- E 3 schenraume kann eine wesentliche Verände- rung der Sitten in einem Volke Statt finden, dessen Wirksamkeit einen so raschen Um- schwung hat. — A priori läßt sie sich sogar erwarten, und a posteriori möchte man aus allerlei Auftritten in der neuesten Geschichte sich davon versichert halten. — Bei einer sehr genauen Untersuchung ließen sich un- streitig auch einige Abweichungsgrade be- stimmen, die vielleicht in der Folge mit wachsender Geschwindigkeit zunehmen, und wesentlichere Umwandelungen auf die Bahn bringen können; allein für den allgemeinen Eindruck ist gleichwohl der Zwischenraum, den ich hier angegeben habe, noch zu unbe- deutend, und England ist noch das alte , wie seine Einwohner es emphatisch zu nen- nen pflegen. Ich darf dieses mit desto grö- ßerer Zuversicht sagen, da ich wirklich eine merkliche Veränderung erwartet hatte, und mich in dieser Erwartung sehr getäuscht finde. Ich bin so wenig fremd in London, weder in Absicht auf die Phraseologie, noch im Punkte der Lebensart und Sittenstim- mung, daß diese Identität der erneuerten Eindrücke mit den alten Vorstellungen mich gewissermaßen in der Eigenschaft des Be- obachters stört, indem mir das gewohnt und alltäglich in der Erinnerung scheint, was ich mit Rücksicht auf Dich, da Du nie in England warst, als merkwürdig, und von unserer Art zu leben verschieden, anzeich- nen sollte. Um mit der Sprache anzufangen, so ist es zwar gewiß, daß die Bücherspra- che epigrammatischer geworden ist, und daß auch im gemeinen Leben manche neue Wörter, zumal in Beziehung auf Indien, in Cours gekommen sind; allein die Ausspra- che ist völlig unverändert, und die große Masse der Redensarten, die Sprichwörter, E 4 die Benennungen der Dinge, bleiben die- selben. Fast ein wenig höflicher, als sonst, scheint mir der gemeine Mann zu sprechen, wie er auch in Absicht auf fremde Kleider- tracht, ausländische Sitten und Sprachen, die sich seinen Sinnen auf den öffentlichen Straßen darstellen, toleranter geworden ist. Diese Ausbildung ist unstreitig eine Folge der in England so allgemeinen Zeitungs- lektüre, und ein Beweis für die Milde des ächtenglischen Charakters, der am Ende der Vernunft doch immer Gehör giebt, so laut auch seine Vorurtheile, seine üblen Ge- wohnheiten und seine Leidenschaften zu- weilen dagegen reden. Die Toleranz gegen die Ausländer, und zumal die Franzosen, scheint auch mit ei- nem größeren Umfange in Befolgung und Nichtbefolgung der Moden, als ehedem, in Verbindung zu stehen. So stark auch die Nachahmung wirkt, so sieht man doch un- zählige Menschen in den Straßen, die sich in ihrer Kleidung nicht irre machen lassen, sondern ihren Rock noch so tragen, wie sie ihn vor zwanzig Jahren zu tragen gewohnt waren. Vielleicht ist auch die schnelle Suc- cession der Moden schuld, daß sie nicht all- gemein werden können, sondern sich bloß auf die höheren Kreise der verfeinerten Ge- sellschaft einschränken. Eine bekannte all- gemeine Revolution in der Kleidung der Mannspersonen, ist die Abschaffung des De- gens, den man sonst überall zu sehen gewohnt war, und jetzt nur noch bei Hofe sieht; die allgemeine Einführung der kurzen Westen, und jetzt die fast gänzliche Vertauschung der dreieckigen gegen runde Hüte. Das Mi- litair und die Officiere von der Flotte tragen fast ganz allein ihre dreieckigen Uniform- hüte. Kinder kleidet man noch, wie ehe- E 5 dem. Ihr rund geschnittenes, ins Gesicht gekämmtes Haar, wird in der Welt Mode bleiben, wo nur immer der Menschenver- stand genug aufdämmert, um die Absurdität einer koëffirten Diminutivfigur zu empfin- den. Ganz junge Kinder, bis ins vierte Jahr, erhalten aber hier noch immer keine Strüm- pfe, obgleich das Klima augenscheinlich diesen plötzlichen Übergang von Wärme zur Kälte verbietet. Es ist aller Erfahrung zu- wider, daß der menschliche Körper diese Extreme zu gleicher Zeit ausstehen kann, ohne eine größere oder geringere Zerrüt- tung seiner Organisation zu erleiden. Von der Blutwärme, die das Kind vor der Ge- burt überall umschloß, ist der Übergang zur Temperatur der atmosphärischen Luft in England, zumal im Winter, so groß, daß ich mich nicht wundern würde, wo- fern künftige Physiologen in der plötzlichen Kälte, der man die zarte Organisation des Kindes aussetzt, die erste Veranlassung zu der in England so häufigen Gicht entdecken sollten. Allein in diesen Theil der Erzie- hung mischen sich die Ärzte; mithin die Theorie, die Systemsucht, und die gelehrte Rechthaberei. Gesunder Menschensinn läßt sich in dieser Gesellschaft nicht antreffen. Die gewöhnlichste Haube der Frauen- zimmer hat einen ungeheuer breiten Strich , und ist überhaupt so weitläuftig, daß ich eher alles von ihr sagen und glauben möch- te, als daß sie schön sei, und ziere. Die vornehmste Frau und das gemeinste Mäd- chen tragen diese Haube; mit dem Unter- schiede, daß diese nie ohne dieselbe gese- hen wird, da sie hingegen bei jener nur das tiefste Negligé andeutet. Hohe Hüte von Filz, von allen Farben: weiß, rosenroth, braun, grün, himmelblau, und col de ca- nard , — am meisten aber schwarz, mit ei- nem runden schmalen Rand, und hohem spitzer zulaufenden Kopf, einer Bandkokarde oder einem Federbusch zuoberst, und einem goldenen, oder seidenen, farbigen und mit Gold gewirkten Bande unten, sind jetzt die all- gemeine Tracht des Frauenzimmers, fast von allen Ständen. Zum vollen Anzuge gehört es aber noch jetzt, wie immer, daß man ohne Hut erscheint; und in diesem Falle ist eine sehr vollständige Frisur mit vielen Locken im Toupet, und einem Bande oder einer Agraffe von Juwelen im Haar, oder eine hohe, sich vorn über thürmende, tur- banähnliche Haube, der Putz, womit Junge und Alte prangen. Die Hüte sind an Gestalt völlig denen ähnlich, die man auf Rubens und Vandyks Porträten bemerkt. Die Hau- ben sind äußerst verunstaltend; und es fehlt nicht viel, so werden sie den Fontangen ähn- lich seyn, die man in Ludwigs XIV . Zeiten trug. — Viele, zumal junge Frauenzimmer, gehen ungepudert; es ist indeß keine allge- meine Mode, und am wenigsten zur vollen Kleidung anwendbar. — Eine Art Negligé ist es auch, wenn man vollständig frisirt ist, statt der Haube aber nur ein kleines Küs- sen oben auf dem Kopfe trägt, welches der Haube eigentlich zum point d’appui dient, und wie Vesta’s oder Cybelens Thurm aus- sieht. Dabei trägt man noch immer die ekel- haft großen Halstücher, so zusammengeschla- gen, daß die obersten Falten mit dem Munde in gleicher Höhe stehen, und es beinahe so viel Kunst erfordert, einen Bissen, ohne das Halsbollwerk zu beschmutzen, in den Mund zu steuern, als mit Chinesischen Stäbchen zu essen. Ein anderer Gräuel des hiesigen Anzuges sind die Schnürbrüste, die so allge- mein wie jemals getragen werden, und jetzt nur wegen der fürchterlich hohen Florbusen eine Exkrescenz vor der Brust bilden, welche wenigstens diesen zarten Theil vor Beschä- digung sichert, aber zur Schönheit der weib- lichen Figur nichts beiträgt. Poschen gehö- ren nur zum vollen Anzuge. Sonst hängt das Kleid so lang und schlank an den Schen- keln hinunter, wie nur etwas hangen kann. Große baumwollene Tücher tragen die mitt- leren Stände, und Shawls , in Nottingham, nach den Indischen verfertigt, die vornehme- ren, gegen die kalte Luft. Diese Shawls wer- den jetzt weit länger gemacht, als ehemals, weil man sie, nachdem sie über die Brust zusammengeschlagen worden sind, hinten in einen Knoten schlägt, und die Zipfel wie eine Schärpe herabhangen läßt. Große Flor- tücher mit Blonden oder gehackten Spitzen gehören zum vollen Anzuge, der sehr oft aus Crepflor, oder überhaupt ganz weißen Zeugen besteht. Um die Taille schließt ein elastischer Gürtel, den die Erfindsamkeit der Englischen Putzhändler einen Cestus nennt, mit einem Schlosse, oder nach der neuesten Mode, drei Schleifen und brillantir- ten Knöpfen von Stahl. Anstatt dieses Putzes tragen viele Frauenzimmer eine zur Taille passende ausgeschweifte Binde von seidenem Stoff, und ein breit seidnes Band als Schärpe. Unmöglich kann ich alle die eleganten oder doch prätensionsvollen Negligés und Kara- kos beschreiben, in denen die Petite-Mai- tressen auf der Schaubühne, in den Logen, und in Ranelagh und Vauxhall erscheinen. Genug die unermüdete Anstrengung der Fa- brikanten in Nottingham und Manchester erfindet immer neue Stoffe, und die Mode- händlerinnen geben sich die Tortur, um nicht minder erfinderisch zu seyn, als ihre Französischen Nachbarinnen. Die Schuhe der Engländerinnen haben das Besondere, daß die Absätze weiter nach hinten stehen, als an unsern Französisch- Deutschen Damenschuhen. Man trägt jetzt zierliche Rosetten von Stahl darauf, die sehr gut kleiden. Die Herren haben ihre Schnal- len meistens mit Springfedern, so daß das Herz von dem Theile der Schnalle, der bloß für das Auge dient, gänzlich getrennt ist, und nur an Einem Charnier, und dann durch eine Feder, damit zusammen hängt. Durchgehends bemerke ich, daß die Eng- länder jetzt die Nägel ungeheuer lang wach- sen lassen; am längsten und spitzigsten die, welche in Ostindien gewesen sind, woher auch die Mode augenscheinlich nach Europa herüber gekommen ist. Man hat wenigstens eben so vornehm scheinen wollen, als ein vornehmer vornehmer Indier, dessen Nägel die Stelle seines Stammbaums vertreten. Es ist aber eine häßliche Mode, und ein wahres Em- blem der Faulheit, da man mit solchen Kral- len unmöglich irgend ein Geschäft verrich- ten kann, das nur einige Anstrengung erfor- dert. Aber auf dem Sofa zu sitzen und dem lieben Himmel den Tag zu stehlen: dazu sind sie ersonnen. Erst um 10 Uhr fängt jetzt die Gesell- schaft an, sich in Ranelagh einzufinden. Das Coup d’oeil ist immer zauberisch. Die Verthei- lung der Lichter gießt so etwas Festliches, Heiteres umher, daß die trübste Seele dadurch erhellet werden muß. Im Garten war mir so wohl zu Muth; es war so dunkelblau der Himmel, so niedlich das Blinkern der Lam- III. Theil. F pen, so balsamisch erquickend der Duft von unzähligen Eglantin-Rosenhecken, herbei- gewehet von einem mildsäuselnden West; die Töne des Orchesters in der Rotonde ver- hallten dort so gedämpft; — es war der erste ungetrübte Genuß, seitdem ich in England bin. Mendoza , der nur durch Verabredung den Kampf mit Humphries als Sieger beste- hen konnte, da ihm sonst Humphries in fünf Minuten zu Grunde richten würde, — be- gegnete neulich einem Bauerkerl, und schlug ihn. Der Bauer nahm es übel, und wider- stand. Er schlug ihn nochmals nieder, weil er agiler, als der Bauer war. Hierauf ent- schloß sich der Bauer zu einem ordentlichen Kampf, zog seine Kleider aus, und drang auf seinen Gegner dergestalt ein, daß diesem seine Geschwindigkeit nichts half, sondern er eine gewaltige Tracht Schläge bekam. Dr. Mayersbach , dieser Quacksalber, ist wieder hier, wohnt in Red lion square , und hat noch immer Zulauf wie ehedem. Er war Postschreiber in —, und wußte nichts von der Medecin; allein er associirte sich mit einem gewissen Apothekergesellen, Na- mens Koch , der die Hallischen Medikamente zu bereiten gelernt hatte, und ward in Eng- land durch Lord Baltimore’s Empfehlung als Arzt bekannt. Durch die elendesten Kün- ste erwarb er sich die Reputation, aus dem Urin alle Krankheiten wissen zu können. Ein Londoner Arzt, Dr. Lettsom , schickte ihm etwas Urin von einer Kuh zu, worauf er sogleich die Patientin für eine schwangere Frau erklärte — wie er es von dem Bedien- F 2 ten des Doktors erfahren hatte. — Sein Zu- lauf war unglaublich. Nachdem er sich ein schönes Vermögen erworben hatte, ging er nach Deutschland zurück. Jetzt ist er wie- der da, und das liebe London läßt sich aufs neue von ihm betrügen. II. Reise nach Windsor. Slough. 1. Windsor . E ine schöne Lage, eine herrliche Aussicht, und immer nur die ewige Wiederholung des Schönen und Herrlichen, die es einem so begreiflich macht, daß der unvergeßli- che Lessing sich die Langeweile so lebhaft mit der allgenugsamen Existenz in Verbin- dung denken konnte! Was ist es denn nun mehr, daß ich von dem Dach des Gefangen- thurms in Windsor zwölf Graßchaften die- ses Feenreichs überschaute? — Der blaue Strich da ist Bedfordshire ; jener ist Sussex ; diese kleine Erhabenheit liegt in Kent ; dort neben Harrow könnte man an einem hellen F 3 Tage die Spitze der Paulskirche sehen! — Ich sehe beinahe rings um den Horizont ei- nen dunkelblauen Kreis, worin ich keine Gegenstände mehr unterscheide; diesseits ist alles ein herrlicher Wald von schönem, dunkelgrünem Laube, mit lieblichen Gefil- den von lichtem Grün durchwirkt. Zu mei- nen Füßen windet sich die Themse, ein wasserarmes, seichtes, schmales Flüßchen, über ihre halbtrockenen Kieselbetten hin. Jenseits, umringt von säulenförmigen Ul- mengruppen, liegt das Gothische, klöster- liche Eton , in dessen finstern Hallen die Blüthe der Brittischen Jugend ihre erste Er- ziehung erhält. Welch eine Erziehung! — Ist es möglich, daß dieses eiserne Joch von freigebornen Kindern getragen wird? Ich meine nicht das Joch des Unterrichts und der Disciplin; beide, so unzweckmäßig sie sind, so mechanisch sie den Menschen ma- chen, lassen noch die Möglichkeit eines unbefleckten Charakters übrig. Nein, ich denke an die entsetzliche Tyrannei, welche die älteren Buben hier über die späteren Ankömmlinge ausübten. Dadurch gerathen sie unwiederbringlich in einen Abgrund von Niederträchtigkeit, aus welchem sie nur, vermöge eines günstigen Schicksals, sich zu tugendhaften Männern entwickeln; oder sie müssen ungewöhnlich reiche An- lage hineinbringen, um beim Selbstdenken zu edlen, großen Vorstellungen zu kom- men. — — Wohin gerathe ich? — Wind- sors hohe Thürme liegen unter mir, und streben umsonst zu gleicher Höhe mit die- sem, auf welchem ich stehe, hinan. Die Pri- vatwohnung des königlichen Paars ( Queen’s Lodge ) mit dem Nebengebäude, welches den zahlreichen Sprößlingen ihres gesegne- ten Ehebettes gewidmet ist ( Royal Nursery ), F 4 einfach und rein auf seinen Rasenplätzen, steht zwischen mir und dem dunklen Park, der sich über den nahen Hügel hinwegzieht. Hier senkt sich das kleine, nette Städtchen Windsor am Rücken des Hügels gegen die Themse hinab; und alles, alles lacht, grünt und lebt um mich her. Etwa hundert Stufen tiefer kam ich auf die Terrasse des Schlosses. Eine auf dem Hügel erbauete Mauer läuft weit über den fernen Horizont hinaus; die ganze Gegend liegt unter mir und ihr, und neben dem schönen breiten Gange steigen nun die ho- hen Mauern des Schlosses, wie ein Feen- pallast, in die Lüfte. Die Zimmer . Das Bett der Königin ist schön mit Blu- men gestickt. Eben so schöne und noch schönere Blumenstickerei sieht man auf dem Thron im Drawing-room . Die alten Zimmer enthalten allerlei Ge- mälde von wenig Werth. Die zwei neuen Zimmer sind sehr geschmacklos bunt. Wests Gemälde bleiben weit unter meiner Erwar- tung. Nur zwei sind groß: die Schlachten von Crecy und Poitiers; beide stellen den Zeitpunkt nach geendigter Schlacht vor. Sie haben hölzerne Pferde, und überhaupt eine gewisse Steifigkeit, einen gänzlichen Mangel an Haltung. Die Stiftung des Or- dens ist auch ein großes Gemälde. Es sind einige schöne Weiber in dem Gefolge der Königin; allein das Ganze sieht aus, als hätte der Künstler, um die Costümen der Zeit anzubringen, eine Menge Manequins gemalt. — Die übrigen Stücke sind klein. Die Schlacht bei Nevils-croß finde ich schlecht erzählt. Das Pferd der Königin bäumt sich so, daß sie wahrscheinlich, anstatt so ker- F 5 zengrade zu sitzen, herunter gefallen wäre. Und ein Pferd ist es — daß Gott erbarme! Hinter der Königin sieht man den Bischof zu Pferde im Harnisch. Es giebt keine he- terogenere Figur in der moralischen so wohl als in der physischen Welt. Die St. Georgs-Kapelle ist sehr schön. Prächtige Fascikel von Gothischen Pfeilern schießen auf in einer langen unabsehlichen Reihe, und breiten oben ihre Arme umher, dem schönen Gewölbe zur Stütze. Alles ist neu aufgeputzt; die ganze Kapelle neu ge- pflastert; auch die Orgel neu. — West hat sich am Altar übertroffen. Es ist unstreitig das Schönste, was er je malte. Sein Chri- stus hat Leben, Geist und Ausdruck; großer Adel, hoher Schwung, kühner Enthusias- mus und erhabene Ruhe liegen in diesem Kopfe. Johannes ist ein vollkommen glück- licher Schwärmer, in der Demuth und Hin- gebung; Judas ein Meis t erstück von Größe und Kraft, bei seiner Bosheit: schön ge- dacht; edel mußte er seyn, wenn gleich nicht rein. — Die übrigen interessiren weniger. Darüber, nach Wests Zeichnung, das Fenster von Jarvis gemalt, die Auferste- hung: ein weit größeres Werk, was die Dimensionen betrifft; nur nicht so einfach in Gedanken und Größe des Dichters, als jenes, — doch immer mit vieler Beson- nenheit gemalt. Man sieht, daß diese Ge- genstände fähiger sind, diesen Künstler zu begeistern, als profane Geschichte. Seine Liebe für den König, sein vertrauter Um- gang mit ihm, seine eigene Neigung viel- leicht — und was sonst alles konnte zusam- men wirken, um ihn für diese Scenen zu begeistern, und seinen Vorstellungen unge- wöhnliche Energie zu verleihen! In der Flämischen Schule sucht man umsonst nach dem Edeln dieses Altarblattes. Es schadet ihm indeß, wenn man in eben jenen Zim- mern, die ich vorhin erwähnte, die hohe Einfalt von Raphaels Cartons bewundert hat. Ich mag diese Bilder nicht; sie sind in Absicht des Gegenstandes zum Theil wi- drig, wie der Tod des Ananias, wo Petrus wirklich etwas vom Giftmischer hat, und der andere mit dem Finger drohende Apo- stel etwas vom gemeinen Pfaffen, — weil allerdings die Sache ziemlich pfäffisch ist — ferner die Heilung der Blinden und Lahmen im Tempel, von deren ekelhaften Gestalten ich noch jedesmal, so oft ich diese Cartons (nun zum drittenmal, und im Kupfer noch öfter) betrachte, den Kopf abwenden mußte. — Ich sage: ich mag sie nicht; allein ich bewundere sie wegen ei- ner Kraft, die kein anderer Künstler er- reicht. Paulus, dem die Griechen in Klein- Asien opfern, ist aber auch ein schönes Bild; und Paulus, der den Athenern vom unbekannten Gotte predigt, ist eine göttli- che Figur. — Der Fischzug gehört zu den minder edlen. — 2. Slough . ( Herschels Teleskop ). D as Herschelsche Teleskop sieht man von weitem, wenn man hierher kommt, denn das Gestell ist wenigstens so hoch, als der Tubus lang ist, also 40 Fuß. Balken stre- ben gegen Balken in entgegengesetzter Rich- tung; und zwischen ihren Fugen bewegt sich das Seherohr, dessen Durchmesser 4 Fuß 10 Zoll beträgt, von der wagrechten in die senkrechte Lage mit der Leichtigkeit, daß ein einziger Arm es heben und richten kann. Man hat Musik in dem Teleskop gemacht. Das ganze Gestell liegt auf einigen Krei- sen von Steinplatten, und rollt, vermittelst angebrachter Walzen, darüber hin. Zwischen den Balken hängt noch zu je- der Seite des Rohrs ein hölzernes Haus. Eins heißt: the Observatory; hier sitzt Miß Herschel , und schreibt die Beobachtungen ihres Bruders auf. Das andere, the Work- house , ist der Aufenthalt des Bedienten, der die Bewegung des Instruments verrichtet, und dazu, vermittelst eines 40 Fuß langen Sprachrohrs, von seinem vor der Öffnung des Tubus sitzenden Herrn die jedesmaligen Befehle erhält. Eine Gallerie ist vorn vor dieser Öffnung angebracht, und auf dersel- ben ein Sitz für den Astronomen, welcher nun zu unterst an der obern Öffnung des Seherohrs mit seinem Okularglase die Ge- genstände, die sich 40 Fuß tiefer in dem großen Hohlspiegel zeigen, wieder auffaßt und beobachtet. Die Gallerie mit dem Sitze des Beobachters wird durch einen leichten Mechanismus wagerecht erhalten. Dies ganze Werk nun, welches mit den zwei Hauschen, den Balken, und der Vorrichtung, um es den ganzen Kreis des Horizonts beschreiben zu lassen, gegen 60000 Pfund wiegt, drehet ein Mensch, ein schwächliches Frauenzimmer sogar, mit einer Hand. Eine Scheibe mit Gradabthei- lungen bestimmt dem Aufwärter, wie er alles stellen soll; ein Quadrant, unten am Rohr befestigt, und mit seiner Wasserwage versehen, mißt die Grade der Höhe über dem Horizont; Gegengewichte von Blei verur- sachen, daß in jeder Höhe das Instrument gleich leicht bewegt werden kann. Der große Metallspiegel hat 4 Fuß 2 Zoll im Durchmesser, und wiegt über 2000 Pfund. Er ist in der Röhre mit einer Blechkappe bedeckt, welche abgenommen, und hierauf der Spiegel selbst mit Hülfe eines Krahns ausgehoben werden kann, um von neuem geputzt und poliert zu werden. Der vorige, dessen Politur ich sah, ist nicht zerbrochen, sondern sondern nur nicht concav genug geschliffen: (ein Fehler, dem man noch abhelfen könnte) er war aber nicht so schwer. Es ist zum Erstaunen, welche Kunst und wie viel Genie in den Erfindungen liegt, die Bewegungen des Instruments nicht nur möglich, sondern auch leicht zu machen, und wie glücklich der vortreffliche Erfinder alle Schwierigkeiten überwunden hat. Was man bei einem gewöhnlichen Instrumente mit eigner Hand bei dem Beobachten leicht verrichten kann, das hält hier so schwer, daß man daran beinahe verzweifeln möchte, wenn nicht Herschels mechanisches Genie so reich an Hülfsmitteln wäre. Man glaubt, am Rande eines Zauberkreises zu stehen, wenn man den Kieselgang an dem Cirkel von Stein betritt, und die Walzen sieht, auf denen sich von einer schwachen Hand 60000, Pfund umschwingen lassen! Der Tubus III. Theil. G selbst ist ganz mit Eisenblech überzogen, eisengrau mit Oelfarbe angestrichen. Bei kleinen Teleskopen hat man die Vor- richtung oft gemacht, daß das ganze Dach des Observatoriums, wo sie stehen (wie ich bei dem kleinen Instrument in Oxford be- merkte), umgedrehet werden kann, wo- durch es denn möglich wird, in allen Ge- genden des Himmels, durch die im Dache befindliche Öffnung zu beobachten. Allein ein Haus zu bauen, das ein Instrument von 40 Fuß Höhe in sich faßte, und Raum für dessen Beweglichkeit gäbe, wäre nicht leicht thunlich gewesen. Wie geschickt hat der Künstler nicht dieser Unbequemlichkeit abzuhelfen gewußt, indem er auf dem Ge- stelle des Instruments selbst die nöthigen Zimmer zur Beobachterswerkstatt anbrachte! Er konnte nicht das Haus über dem Instru- ment bewegen; wohlan! so versetzte er es auf das Instrument en miniature , und schob es mit demselben herum. Große eiserne Barren liegen am Ende der Röhre unter dem Objektivspiegel oder Re- flektor; und hier bewegt sich auch der Tu- bus auf einer dicken eisernen Achse, die an jedem Ende auf einer kleinen Walze ruhet. Vermöge der eigenthümlichen Bewegung, welche der Beobachter diesen Walzen mit- theilen kann, ist er im Stande, ohne das Te- leskop selbst durch den größern Mechanis- mus fortrücken zu lassen, dem Rohr eine kleine Bewegung seitwärts oder aufwärts mitzutheilen, vermöge deren er ein Objekt vier bis fünf Minuten verfolgen kann, ehe er das Rohr stellen läßt. Dieser Vortheil ist von unbeschreiblicher Wichtigkeit bei dem Beobachten; denn das Stellen unterbricht jedesmal die Beobachtung, hingegen diese kleine unmerkliche Veränderung der Rich- tung hindert nicht, daß man fort betrachte. G 2 Das zwanzigfüßige Teleskop ward früher als das vierzigfüßige aufgerichtet; und da es dieselbe Vorrichtung, nur im Kleinen, er- heischte, so gab es dem Erfinder die Abän- derungen und Zusätze zu dem Mechanismus des großen an die Hand. Ein zehnfüßiges, welches wir ebenfalls sahen, soll sehr scharf die Objekte darstellen. Ein ganz kleines drittehalbfüßiges, womit Miß Herschel neu- lich den Kometen entdeckte, ist sehr porta- tiv; sie trägt es bald hier-, bald dorthin mit sich herum, auf den Boden, in den Garten, — und nennt es her little Sweeper , weil sie da- mit den Himmel kehrt. Herschel nennt seine Schwester: His little Comet-catcher . — Dr. Herschel macht noch immer dergleichen Te- leskope, unter andern jetzt ein siebenfüßiges für den Herzog von Orleans. — Er läßt jetzt vermöge eines Mechanismus das Schleifen des Spiegels von zwei Arbeitern verrichten, wo- zu er sonst zwanzig brauchte. So simplifi- ciren sich nach und nach die schwersten Operationen! Er kann mit dem großen Te- leskop nicht in den Mond sehen, weil dieser ihn blendet und fast eben so wie die Sonne Flimmern vor den Augen verursacht. Schon im zwanzigfüßigen ist der Mond sehr blen- dend, und länger als eilf Minuten hält man es nicht aus. Saturns Ring bleibt schon im zwanzigfüßigen immer sichtbar. Die Bewegung des Teleskops geschieht auf dem Durchmesser des Gestells, in gera- der Linie, dergestalt, daß es bei einem kleinen Winkel, den es mit dem Horizonte macht, mit seiner Achse nahe an der Peri- pherie des Gestelles liegt, hingegen dem Centro näher rückt, so wie es sich in die Höhe richtet. G 3 3. Richmond . R ichmond — fürwahr ein reicher Hügel! von dessen Höhe, über dieses Gärtchen mit weißen und rothen Rosen, mit Nelken über- schüttet, und von weißem Geländer zierlich eingefaßt, das Auge hinunter streift durch das wilde blühende Rosen- und Holunder- gebüsch; dann längs den hohen Wänden von schlanken tausendförmigen Ulmen die abgemäheten Wiesen, die duftenden Hen- kegel besucht, und zwischen den mit Laub umwundenen Stämmen die halbversteckten Wohnungen erblickt, von deren Dächern über die dunkeln Wipfel der bläuliche Rauch hindampft. Höher jetzt und dichter, mit immer üppigerem Schatten, reihen sich die Bäume mit mannichfaltigem Grün, daß zwischen ihnen die fernen Wiesen kaum wie zarte Linien erscheinen. Und vor dem ganzen Hügel rechts her windet sich die Themse mit ihren Inseln, und hier und dort einem segelnden Kahn zwischen grasreichen Weiden, hinab nach Pope’s Häuschen, Twickenham; und an ihren grü- nen Ufern, auf hervorspringenden Land- spitzen, sehe ich durch die glatten reinen Stämme der rund bewipfelten Baumgrup- pen hin auf den smaragdfarbigen Sammet- teppich, an dessen Rande sich aus dem Ge- sträuch in mancherlei Lagen und Gestalten die Hütten und Palläste glücklicher Bewoh- ner — solcher, meine ich, die glücklich seyn könnten — erheben. Dann verliert sich das Auge in unabsehlichen Schatten und Reihen über Reihen von palmenähnli- chen Ulmen, bis an den heiligen Kreis, wo G 4 die blauumnebelten Hügel den Horizont begränzen. — Daß es auch eben ein grauer Tag seyn muß, der mich in dieses Reich- thums Fülle nicht vollkommen schwelgen läßt! Blickte wenigstens nur verstohlen die Sonne aus den Wolken, liebäugelte mit diesem Wasserspiegel, beleuchtete in blen- dendem Glanze diese jenseits der Themse so schön sich ausbreitende Ebene mit ihren Bäumen und Heerden, und zöge dann die dunkeln Schlagschatten über den Saum der glühenden Landschaft! — — III. Reise in das Innere von England. 1. Weg nach Birmingham . D er Weg von London nach Bath wird am häufigsten besucht; daher ist er allmählich mit vielen Häusern von netter Bauart be- setzt worden. Mehrere fanden hier Nah- rung, baueten und meublirten sich nied- lich; andere ahmten nach, bekamen Ge- schmack an Gärtnerei, an zierlichem Ameu- blement u. s. w. Bath ist eine artige Stadt, und ganz von Kalk ( Free-stone ) gebauet. Aspler-stone , eine kompakte Art, kann mit einer Axt ge- G 5 brochen werden, härtet sich aber in der Luft. Er wird von 20 bis 30 Meilen her- geschafft; der gemeine Free-stone findet sich auf der Stelle, wie auch Backsteinthon. Der Sandstein (bläuliche), der zu Platten für die Fußbänke gebraucht wird, bricht un- ter dem Kalk ( Free-stone ), einem wahren Hammit oder Rogenstein. Er ist sehr hart und kompakt; doch läßt sich das Korn er- kennen. Im Hammit sind hier und da sehr schmale Spatklüfte, etwa ¼ Zoll breit. Die Bauleute unterscheiden sehr die verschie- denen Arten nach Dichtigkeit und Zusam- menhang, wo der Mineralog nur geringe Varietät sieht. Der Luxus ist in Bath so groß, als in London. Man rechnet 800 neu erbauete Häuser, und Häuser, an denen noch ge- bauet wird. Man lebt hier übrigens bloß für Ergötzlichkeiten, nicht für Politik. Miß Pulteney , eine Dame von zwanzig tausend Pfund Einkünften, hat eine große Besitzung, Laura-place , welche jetzt be- bauet wird. Das Erdreich fing an nach- zusinken von dem Absturze des Berges; daher bauet man jetzt mit Faschinen, rammt Pfähle ein, u. s. w., um zu verhindern, daß die Häuser nicht in Gefahr kommen. Der Weg von Bath nach Bristol ist hü- geliger, als der bisherige. Wir fanden an einem Orte in der Mauer eines Hauses große cornua Ammonis befestigt. Bristol ist ein häßlicher, schmutziger, schlecht gebaueter Ort; hat aber eine sehr schöne Lage an der Avon . Längs diesem Flusse laufen die Quays eine ziemliche Strecke hinabwärts; und hier liegen die kleinen Fahrzeuge, deren jedoch keine große Anzahl vorhanden zu seyn scheint. Hier sind auch die Werfte, wo neue Schiffe erbauet, und alte ausgebessert werden. Unter andern sah ich hier einen so genann- ten dry Dock . Vermittelst einer Schleuse wird bei der Fluth das auszubessernde Schiff hineingelassen; dann läßt man das Wasser ablaufen, und schließt die Schleuse, so daß das Schiff auf dem Trockenen bleibt, und die Zimmerleute überall bequem beikom- men können. Die Seiten dieses Bassins sind stufenweis ausgearbeitet, so daß man von einer Stufe zur andern bis auf den Bo- den hinab kommen kann. Die Ebbe steigt und fällt hier in der Avon sehr ansehnlich, ob sie gleich erst mehrere Englische Meilen unterhalb der Stadt ihre Mündung in den großen Severn- fluß hat. Dort gehört die Fluth zu den stärksten, die es in der bekannten Welt giebt. — Es ist indeß sehr merkwürdig, daß die weiten Mündungen der Englischen Flüsse mit ihrer inländischen Größe nicht in Verhältniß stehen; denn nur wenige Meilen hinaufwärts sind sie gemeiniglich sehr unbedeutend, so z. B. die Themse bei Maidenhead , die Severn bei Glocester , u. s. f. — Eigentlich kann es also wohl von ihnen heißen: sie ergießen sich in große Meerbusen, die wegen ihrer Tiefe und Weite der Schifffahrt viele Bequemlich- keiten verschaffen. Der Handel von Bristol ist bekanntlich seit einigen Jahren sehr in Abnahme gera- then, fast in dem Verhältnisse, wie der von Liverpool gestiegen ist. Die Ursachen dieses Verfalles liegen tiefer, als daß ich sie hier entwickeln könnte. Vielleicht gehört die unbequeme Einfahrt in die Rhede, Kings road , vielleicht auch die Emancipation von Irland unter die wesentlichsten. Wir übernachteten im white Lion , einem elenden Wirthshause, wo wir indeß doch eine Bristolsche Zeitung im Kaffeezimmer fanden, wie denn nicht bloß diese, dem Range nach zweite oder dritte Handelstadt in England, sondern beinahe jedes kleine Landstädtchen mit dieser Bequemlichkeit versehen ist. Den andern Morgen (8. Jun.) mußten wir schon um halb vier Uhr heraus, und um vier Uhr ging der Postwagen nach Bir- mingham durch das schöne Glocestershire ab. — Einige Meilen von Bristol, in der Gegend von Stone, auf einer Anhöhe, zeigte sich uns plötzlich der ganze schöne lang ausgestreckte Meerbusen des Severnstroms, der Sommerset und Glocestershire von dem Fürstenthum Wales trennt. Dieser Pro- spekt ist einer der reichsten in der Welt; und wäre es nicht trübe auf den Hügeln und am Horizont gewesen, so müßten wir hier einen Anblick ohne seines Gleichen gehabt haben: denn schon bei allem Nachtheiligen des bewölkten, halb in Ne- bel geschleierten Morgens entzückte er uns. Der Busen der Severn lag mehrere Deutsche Meilen lang, so weit das Auge reichte, vor uns da, und dehnte sich immer mehr aus, wie er sich dem Ocean nahte. Die Berge von Wales hüllten ihre Gipfel in die Wol- ken; aber die niedere Gegend blieb sicht- bar, und auf ihr leuchteten in Sonnenblik- ken, welche verloren durch die Wolken schlüpften, einzelne Thürme, Landhäuser oder Städtchen. Das Wasser, wo es uns am nächsten war, verlor sich hinter einem schönbewachsenen Hügel, und kam wieder jenseits desselben als ein schöner See zum Vorschein. Der Rhein im Rheingau hat nirgends diese Breite. Diesseits war der Vordersaum eine zauberische mit hellbe- laubten Eschen bepflanzte Anhöhe, und ein unendliches Thal, welches sich gegen den Severn hin in eine Ebene verflächte, ausge- legt in köstliche Wiesen, und umzäunt mit lebendigen Hecken, und hoch emporstre- benden Buchen, Ulmen und Eichen. Hät- ten wir dazu die Verzierung des Lichts und Schattens gehabt, so wäre dies der reizend- ste Prospekt gewesen, den ich je gesehen. Nun kamen wir durch das fette Gloce- stershire, das wegen seiner Viehzucht und wegen seiner Käse berühmt ist. Eine Frau aus der hiesigen Gegend, die mit uns rei- sete, zeigte uns mehrere Bauern von ihrer Bekanntschaft, die an dem Wege wohnten und vier-bis fünfhundert Pfund Sterling an jährlichen Einkünften haben. Sie gehen aber ganz bäurisch gekleidet, folgen ihrem Vieh, und füttern es; ihre Weiber und Töchter Töchter melken und machen Käse. Mancher Bauerhof in dieser Gegend hat siebzig und mehr Kühe, und in einer Familie von zehn Kindern hält man nur eine Magd. Die Wohnungen der Landleute in dieser Pro- vinz haben ein schlechtes, vernachlässigtes Ansehen, und sind mit ihrem Reichthum in keinem Verhältniß. Mir ist es wahr- scheinlich, daß Menschen, die sich bestän- dig mit der Viehzucht beschäftigen, für die Annehmlichkeit einer netten, reinlichen, zierlich möblirten Wohnung wenig Sinn haben können, weil sie bei ihrer unrein- lichen Beschäftigung theils nicht darauf verfallen, theils auch, wenn sie alle Be- quemlichkeit hätten, sie nicht genießen, ihrer nicht froh werden könnten, ohne ihr Gewerbe zu vernachläßigen, und solcher- gestalt in eine Lebensart überzugehen, die von ihrer jetzigen Sparsamkeit das Wider- III. Theil. H spiel wäre. Wo es einmal Sitte geworden ist, den Vorzug eines Individuums vor dem andern in der Zahl seiner Heerden zu su- chen, da wird nicht mehr der Endzweck, weshalb man überhaupt Viehzucht treibt, nämlich froher bequemer Genuß des Le- bens, im Auge behalten, sondern das Mit- tel wird Zweck, und das Leben ist mehr nicht als ein emsiges Bemühen, durch frü- he und späte Anstrengung und karge Fru- galität, jeden Sohn und jede Tochter mit einer eben so großen Habe auszustatten, als der Hausvater ursprünglich hatte. Mich dünkt, diese Stimmung muß den Kreis der Ideen verrengen, muß für den Kopf und das Gefühl nachtheilig wirken, und, wo nicht geradezu eine unmoralische Engherzigkeit, doch eine üble Einseitigkeit im Denken zu- wege bringen, die vielleicht auch hier wirk- lich sichtbar genug ist. Ihr kann man es zu- schreiben, daß der Anbau dieser schönen reichen Provinz so sehr vernachläßigt wird; daß über das Bestreben reicher zu werden, der Landmann die Vortheile einer neuen, weisen, einträglichern Methode nicht ein- sehen will, lieber bei seinem alten Her- kommen hartnäckig bleibt, und es ja nicht wagt, sein Vieh anders als er es bisher ge- wohnt war, zu füttern, aus Furcht, der Käse möchte schlechter ausfallen, oder was der albernen Einwendungen mehr sind. Wir sahen hier das schönste Rindvieh von der Welt bis an den Bauch in Blumen auf der Weide gehen, so daß einem Deutschen Oekonomen, wie z. B. dem Edlen Herrn vom Kleefehle , das Herz über diese Ver- schwendung der Grundstücke geblutet hätte. Bald möchte man glauben, daß auf dieser Insel alles, auch selbst das Vieh, im Ge- nusse schwelgen soll; denn sicherlich H 2 könnte man, bei einer zweckmäßig einge- richteten Stallfütterung, von dem Ertrage derselben Oberfläche zwanzigmal so viel Kühe und Schafe ernähren, und der Land- mann folglich zwanzigmal reicher seyn, als er ist. Mir scheint indeß in dieser Unvollkom- menheit der Englischen Landwirthschaft eine sehr glückliche Aussicht für die Zu- kunft zu liegen. Der Umlauf der Begriffe ist zu stark in diesem Lande, und die öko- nomischen Schriftsteller schreien schon seit funfzig Jahren zu laut über die Vorurtheile, welche noch in diesem Fache der Engli- schen Staatswirthschaft obwalten, als daß man nicht, sobald die Veranlassung näher gelegt wird, auch hier eine Veränderung treffen sollte. Es kommt sicherlich ein Zeitpunkt, wo man den Ackerbau und die Viehzucht nach den Regeln einer gesunden Theorie einrichten, und in ein gehöriges Gleichgewicht mit den Kräften der Natur in diesem Lande bringen wird. Alsdann — welch eine glückliche Aussicht für Eng- land! — alsdann, wenn sein auswärtiger Handel (der, nach dem unabänderlichen Laufe der Dinge, einmal abnehmen und in mehrere Hände vertheilt werden muß), den Manufakturen keinen Absatz mehr dar- bietet, — alsdann wird der Reichthum des Landmannes und die Anzahl seiner Produkte in dem Maße zugenommen haben, daß er die Fabrikwaaren in einem ungleich größeren Verhältnisse verbraucht, und Eng- land wird in sich selbst, in seiner eignen Unabhängigkeit, schöner aufblühen, als es mit Hülfe seiner allumfassenden Schifffahrt und seines auswärtigen Debits je blühte! Die Wiesen in Glocestershire sind für das Auge schön, was auch der Landwirth H 3 daran tadeln mag. Einen üppigeren Gras- wuchs wird man nirgends sehen: nirgends so schöne Abwechselung und Mannigfal- tigkeit der Lagen, der Gestalt der Felder, und der hohen, prachtvollen Bäume, die sich um jedes Feld, mit lebendigen Hek- ken verbunden, erheben. Hügel und Thal sind mit dem anmuthigsten Grün bekleidet, und man fährt zwischen zwei Gebirgsrei- hen, der einen links jenseits der Severn, der andern rechts in Worcestershire; beide so schön und reich, als möglich. Gloce- ster selbst ist ein ärmlicher, unansehnli- cher Ort. — Tewksbury , das Vaterland des besten Englischen Senfs, ist, dem äußeren Ansehen nach, schon etwas besser, und Worcester ein sehr nettes Landstädtchen. Die Gothischen alten Kirchen in diesen Städten sehen sich sehr ähnlich; es sind lange einfache Gebäude, aus deren Mitte sich ein viereckiger, Gothisch verzierter Thurm erhebt. Das Landvolk spricht in diesen Gegenden einen groben, indeß noch ziemlich verständlichen Dialekt, und scheint mir etwas bäurischer, als auf der westlichen Route und um London zu seyn. Auch herrschte in den Physiognomieen weniger Schönheit, weniger Phantasie; besonders dünkte mich der Mangel bei dem andern Geschlechte auffallend sichtbar. Nachdem wir in Worcester zu Mittage gegessen hatten, kamen wir durch Droit- wich (wo beträchtliche Salzpfannen sind) nach Bromsgrow , einem niedlichen Land- städtchen, und von da über einen hohen Bergrücken, mit einer unabsehbaren öden Gemeintrift, — in Warwickshire und nach Birmingham . Diesen letzten Theil der Reise, von Droitwich an, hatten wir ein junges Frauenzimmer zur Gefährtin, deren H 4 Anzug keine gemeine Herkunft, wenigstens keinen Mangel verrieth, und die uns den Wagen mit Wohlgerüchen aller Art er- füllte. Sie war nicht uneben gebildet, und nicht kokett, aber mit einer vornehmen An- maßung reichlich begabt, die nur durch ihre Liebe zur Konversation ein wenig ge- zügelt werden konnte. Ich war boshaft ge- nug, sobald ich es merkte, mit meinen Worten äußerst sparsam zu seyn, ohne ins Unhöfliche zu verfallen; und diese Sprö- digkeit gelang so gut, daß die schöne Dame wirklich ihr pretiöses Wesen um vieles herunter stimmte, und ihre Reisegesell- schafter wohl beinahe für Geschöpfe von gleicher Natur mit sich selbst gelten ließ. Es zeigte sich, daß sie wirklich sehr wohl erzogen war, sehr viele Kenntnisse besaß, und ihre Wißbegierde auf nützliche Gegen- stände gerichtet hatte. Wunderbar, daß bei solchen Vorzügen ein so lächerlicher Stolz sich in ihren Charakter mischen, und ihr einen kalten Egoismus eingießen konn- te, der die Menschen von ihr entfernen mußte! Ich kann mir die Entstehung des- selben indeß leicht erklären. Wenige Men- schen wissen sich selbst Würde zu geben, ohne den Anstrich von Kälte und Gering- schätzung gegen Andere zu bekommen; und in seiner Würde muß ja das Englische Frauenzimmer sich behaupten, wenn es auch darüber in die unerträglichste Prüde- rie verfallen sollte. Unser Dämchen nahm ihren Hut ab, warf ihn mit Würde , oder doch mit dem Etwas, das hier Würde vor- stellen sollte, vor sich hin auf den Sitz, schüttelte ihre blonden Locken um sich her, daß sie, wie Jupiters Haar, die Atmo- sphäre mit Ambraduft erfüllten, und spielte mit dem Kutschfenster, welches sie ohne H 5 Unterlaß bald aufzog, bald niederließ, um ihre Alleinherrschaft im Wagen, die ihr niemand streitig machte, zu behaupten. Dann sprach sie von Bath, und versicherte: es sei, ohne gute Gesellschaft, der lang- weiligste Ort von der Welt; und im Som- mer könne man es dort gar nicht aushalten. Sie pries hierauf das Wetter, und den Weg als zum Reiten vortrefflich, weil es ein wenig geregnet und der Staub sich gelegt hatte. Reiten mußte bekanntlich ein so vornehmes Frauenzimmer! Einen jungen Menschen, der ihr Begleiter war, entdeck- ten wir erst bei dem Absteigen in Birming- ham. Er hatte draußen auf der Kutsche ge- sessen, kam aber jetzt zu uns ins Zimmer, und trank mit seiner Schönen und uns einen Thee, worauf wir Abschied nahmen, und sie sich zu ihren Verwandten führen ließ. Birmingham kündigt sich nicht sehr vortheilhaft an. Es wimmelte zwar von Menschen auf den Straßen; allein sie sahen alle so ungewaschen und zerlumpt aus, daß wir wohl merkten, wir kämen in eine große Fabrikenstadt. Die Straßen in eini- gen Quartieren der Stadt sind enge, kothig, und mit elenden Häusern bebauet, die den armen Handwerkern und Tagelöhnern zum Aufenthalte dienen. Mitten in der Stadt sieht man indeß ansehnlichere Häuser und schönere Straßen; unter andern giebt es hier, wie in andern Städten Englands, vor- treffliche Wirthshäuser. Ich bemerkte ins- besondere die Shakspear-Tavern , ein statt- liches Gebäude, wo äußere und innere Ele- ganz vereinigt sind. Indeß fiel sie mir nicht sowohl wegen dieser Eleganz, als wegen ihrer Benennung auf. Wie schön, und in welchem vortheilhaften Lichte, erscheint nicht die allgemeine Kultur in diesem Lan- de selbst darin, daß die großen Männer, die es hervorgebracht hat, auf diese Art mit den Helden in eine Klasse gesetzt werden! Wann wird man es sich wohl in Deutsch- land einfallen lassen, einen Gasthof anzule- gen, mit Lessings, Göthens, Schillers, Wie- lands Kopfe zum Schilde? — Dies ist ge- wiß keine so gleichgültige Sache, wie man denkt. Der Genius eines Volkes zeigt sich auch in diesen Dingen. Die Phantasie der Holländer erhebt sich nicht leicht über den Gaaper (Maulaffen): ein Lieblingsschild, das man auf allen Straßen sieht, und das einen Kopf mit schrecklich weit aufgerissenem Maule vorstellt. Das gekrönte Butterfaß ( t’ gekroonte botervat ) und das goldene A B C sind ebenfalls Beweise von Hollän- discher Erfindungskraft. In England sieht man Pope und Dryden, Ben Johnson, Shak- speare , u. s. f. 2. Birmingham und Soho . B irmingham am Rea liegt unter 52° 33′ N. B., hundert sechzig Meilen von London, fast in der Mitte von England, zwischen Lich- field, Coventry und Worcester. Ungeach- tet des Kohlendampfes und der metallischen Ausdünstungen, ist Birmingham, selbst nach den Aussprüchen des unglückweißagenden Doktors Price , eine der gesundesten Städte in England, da es einen trockenen Boden hat, und auf Hügeln liegt, die vom Winde bestrichen werden. Dabei sind die Arbeiter nicht so zusammen gedrängt, wie in eini- gen Deutschen Manufakturstädten, zum Bei- spiel Aachen, Berlin und Schmalkalden, wo einer dem andern die Luft vergiftet. Vor 1676 war Birmingham noch keine Mar- ket town , während daß Wolverhampton längst dieses Privilegiums genoß. Im Jahre 1690 hatte es, nach der Anzahl der Gestorbenen und Gebornen zu rechnen, kaum viertau- send Einwohner; 1778 waren, nach Thom. Hanson , schon siebentausend zweihundert Häuser, und zwei und vierzigtausend fünf hundert und funfzig Einwohner. 1789 zählte man gar sechzigtausend Einwohner und eilf- tausend Häuser. Also hat die Bevölkerung in einem Jahrhundert funfzehnmal zuge- nommen. Birmingham hatte vor dem Jahre 1690 allerdings schon Manufakturen, aber nur in groben Eisenarbeiten, Nägeln u. d. gl. Gleich nach der Revolution stieg die Indu- strie. Es wurden Gewehrfabriken angelegt. Die Regierung ließ sich die Waffen für die Armee aus Birmingham liefern, und gab Verbote gegen Französische Metallwaaren. Nun wurden Knöpfe, Schnallen, Uhrketten u. s. w. in England selbst verfertigt. Bir- mingham und London wetteiferten in der Fabrikation derselben. Aber die Hauptstadt, in der das Geld immer wohlfeiler, und der Arbeitslohn immer theurer wurde, mußte bald weichen. In der Mitte dieses Jahrhun- derts war noch kein Kaufmann in Birming- ham, der direkte Verbindung mit dem Aus- lande hatte. Die Londoner Negozianten trieben den commerce d’entrepôt mit Bir- minghamer Fabrikaten. Jetzt verschreiben Russische und Spanische Kaufleute ihre Be- dürfnisse unmittelbar aus Birmingham. Be- quemere Ausfuhr durch Verbindung schiff- barer Kanäle und Flüsse, ist für keine Art der Manufakturen so nothwendig, als für Metallfabriken, die eine Menge Brennmate- rialien, und schwere, rohe, unverarbeitete Waaren bedürfen...... Birmingham hat seit 1768 eine bequeme Ausfuhr nach allen Meeren, welche die Insel umfließen. Die Steinkohlen sind seit dem Abzuge des Old Canal (1786) nach den Kohlengruben von Wednesbury beinahe um die Hälfte wohlfei- ler geworden. Gegenwärtig (1790) kosten 112 Pfund nur 5 Penny. Die Kohlenschiffe sind ungemein lang und schmal, die Kohlen selbst mürbe und stark mit Adern von Schwefelkies durchzogen. Die neu eröff- nete Schifffahrt von Wednesbury nach Lon- don hat auch Gelegenheit zu einem Absatze jener Steinkohlen nach der Hauptstadt gege- ben, wodurch die Newcastler gezwungen sind, ihren Kohlenpreis zu erniedrigen. (Zu einem ähnlichen Zwecke schlug der Berli- nische Minister Heinitz einen Kanal im Forste Schweidniz vor, um den großen Ma- nufakturen eine wohlfeilere Feuerung zu verschaffen). Der Old Canal wurde 1772 bis bis Autherley verlängert, wodurch eine Ver- bindung mit der Savern, nach Shrewsbury, Glocester und Bristol, und mit der Trent nach Gainsborough, Hull und London, ent- standen ist. Ein Arm dieses verlängerten Kanals führt auch in die Grand Line , die durch Staffordshire fließt, und nach Man- chester und Liverpool geht. England hat den natürlichen Vorzug, daß nicht etwa, wie in Deutschland und selbst in Schottland, die Abdachung nach einer Seite geht, sondern daß es in der Mitte der Insel (Derbyshire) am höchsten (nach Bilkington , ungefähr 1500 bis 2500 Fuß über die Meeresfläche) erhoben ist. Daher laufen die Englischen Flüsse nach allen Weltgegenden aus. Die Kunst brauchte diese Ströme nur unter sich zu verbinden, um England auch von innen schiffbarer als alle anderen Europäischen Staaten zu machen. III. Theil. I Noch scheint eine direktere Schifffahrt nach London zu fehlen; aber auch dieser Mangel wird durch den new Canal ersetzt, der durch Tacely, Fishenwik, Tannworth, Polesworth, Atherstone, Nuncaton und Co- ventry nach Oxford, und von da durch die Themse nach London führt. Da Birmingham keine chartred privileges hat, so schickt es auch keine Repräsentan- ten ins Parlament. Daß 60,000 Menschen, deren Wohl in so manchen auswärtigen po- litischen Verhältnissen gegründet ist, und die wiederum einen so wesentlichen Ein- fluß auf den Reichthum Englands haben — daß diese 60,000 keinen Antheil an den öffentlichen Berathschlagungen nehmen dür- fen, während daß die armseligen Einwoh- ner von Oldborough über die Herrschaft des Meeres entscheiden: dieses Recht, oder Unrecht, ist weder in dem republikanischen System des Plato , noch in andern klugen Träumereien neuerer Weisen gegründet. Der Fehler einer ungleichen Repräsentation ist der Englischen Verfassung zu oft vorge- worfen, um ihn hier nochmals zu rügen. Nur die triviale Widerlegung, „daß Eng- land sich bei dieser Verfassung bisher wohl befunden habe”, verdient eine eben so tri- viale Antwort: daß jedes endliche Gute kein höheres ausschließt, und daß es Un- wissenheit verräth, Werke des Zufalls, wie doch alle Regierungsformen der bekannten Welt sind, für vollendete Werke mensch- licher Überlegung zu halten. Der Verfasser des present state of Birmingham hält den Mangel der Repräsentation für einen der größten Vorzüge dieser Manufakturstadt, weil die Industrie der Arbeiter nie durch Partheigeist und Elektionen gestört wird. Nach einer gewissen Moral, die in allen I 2 Übeln einen Trost findet, mag dieses Rai- sonnement sehr philosophisch seyn; auch konnte ein Einwohner von Aachen, der Deutsche Zunftideen nach England über- trägt, dazu verleitet werden. Wie unbe- trächtlich aber im Ganzen diese nach sieben Jahren erst wiederkehrende Störung gegen den schöneren, edleren Gewinn an inneren Kräften ist, das kann nur der fühlen, den eigene Erfahrung gelehrt hat, wie sehr die Arbeit gewisser mechanischen Künste die Seele stumpf läßt; wie streng auch in den freiesten Ländern die Disciplin einer großen Manufaktur ist, und wie sehr der durch stete Nahrungssorgen gedrückte Geist es be- darf, wenigstens periodisch erweckt, auf größere Zwecke geleitet, und des wohlthä- tigen Gefühls von seinem eigenen Werthe kundig zu werden. Soho , die kleine Manufakturstadt der Herren Bolton, Watt und Fothergill , liegt eine halbe Englische Meile von Birmingham in einer angenehmen Gegend, die durch Wasser und Hügel durchschnitten ist. Die Gebäude sind nicht prächtig, weniger schön als die Preußischen Seidenmanufakturen an der Oder bei Frankfurt, aber auch nicht so kleinlich als die Frankenthaler. Sie sind solid, geräumig, wohl erleuchtet, und ihrem Zwecke gemäß eingerichtet. An tausend Menschen werden hier beschäftigt, worunter viele Kinder, und zum Polieren auch Weiber sind. Der wöchentliche Ge- winn eines gemeinen Arbeiters ist im Durch- schnitt ungefähr vierzehn Schilling bis eine Guinee, folglich zwei- bis dreimal so groß als in Deutschland: ein Satz, dessen Noth- wendigkeit sich nach der hiesigen Wohl- feilheit des Geldes, und der Theurung der I 3 Bedürfnisse gleichsam demonstriren läßt. Das Asbeitslohn muß in den verschiedensten Beschäftigungen der Menschen, sobald sie von keiner besondern Geschicklichkeit ab- hangen, gleich seyn. So weit ich es be- rechnen konnte, pflegte es im nördlichen Deutschland ungefähr sieben bis neun Gro- schen täglich zu betragen. Sobald eine Art der Arbeit vortheilhafter als die andere wird, so zieht die Hoffnung größeren Gewinnstes mehrere Menschen an, und durch die Con- currenz der Arbeiter fällt unmittelbar darauf der Lohn für die Arbeit. Das ist der natür- liche Gang der Dinge. In despotischen Regie- rungen, wo das Gesetz seinen einzigen Zweck, Hindernisse zu entfernen, verfehlt, und da- durch selbst Hindernisse verursacht, kann ein Zweig der Industrie bisweilen gewinn- reicher seyn, als der andere. Aber auch die- ser Vorzug ist gewöhnlich nur momentan. Um sich von den mannichfaltigen Be- schäftigungen in Soho einen Begriff zu ma- chen, muß man die Manufakturen als aus zwei fast ganz abgesonderten Theilen beste- hend, betrachten. Erstlich die Knopfma- cherei. Diese Arbeit ist die einträglichste, und ernährt den größten Theil der Fabri- kanten. Das rohe Materiale, das Kupfer, kommt aus Cornwall und aus den neuen un- erschöpflichen Kupferwerken der Insel An- glesey. Es wird durch Walzen und Streck- werke zu Lamellen gezogen, und die ein- zelnen Knöpfe, wie bei Stückelung der Münzen, durch einen mit Schrauben und Schwungeisen niedergedrückten scharfen Stempel ausgeschlagen. Zu dem Glätten des Randes sind einige Menschen bestimmt, welche den ausgeschlagenen Knopf zwischen zwei bewegliche Wellen spannen, und in- dem sie — — — — — ( Caetera desunt ). I 4 3. Theater in Birmingham . E s ist ein herrliches Ding um ein Theater für Reisende, die den langen Abend an einem fremden Orte, ohne Bekanntschaft, nicht besser hinzubringen wissen. Wir waren hier in diesem Falle; denn um 12 Uhr Mit- ternacht sollten wir abreisen, und der ganze Abend war noch vor uns. Zum Glück ward heute das Theater hier eröffnet. Ein schö- nes, mit vieler Zierlichkeit erbauetes Schau- spielhaus, verkündigte von außen viel Un- terhaltung. Wir gingen hinein, und fanden ein sehr artiges Amphitheater, fast ein we- nig zu viel mit Zierathen im Geschmack von Wedgwoods terra cotta beladen, und mit einem scheußlichen Plafond-Gemälde verunziert, wo Terpsichore in einer verzerr- ten Stellung, mit einem Fuß in den Wol- ken, tanzte, Thalia auf beiden Knieen, und Melpomene , um sich leichter erstechen zu können, auf dem Rücken lag, ein geschun- dener Apoll , und eine Pallas Shakespeare’s Brustbild en medaillon empor hielten, und ein Schiff, der Himmel weiß woher und zu welcher Absicht, in den Lüften segelte. — Als der Vorhang in die Höhe ging, zählten wir vierzehn Personen im Parterre; doch in der Folge erschienen mehrere, und füllten das Haus noch ziemlich. — Lange vorher hatte sich indeß das Krethi und Plethi auf der Gallerie des Privilegiums seine Unge- duld zu äußern, bedient, und uns hatte der Lärm von einer geringen Anzahl Menschen lächerlich geschienen, da der von den Thea- tern in London nur widrig ist. — Die Stücke, womit man debütirte, waren nicht die I 5 glänzendsten des Englischen Theaters: the Country girl und the Romp ; jenes ist eine Farce in fünf Akten, dieses in einem Akt. Eine Madam Davis aus Manchester spielte die Rolle des unerzognen Landmädchens mit außerordentlicher Kraft und einer uner- schöpflichen Beweglichkeit; sie kam fast nie aus dem Springen und Hüpfen, und ihre Stimme hatte eben so viel Modulation, als ihre Beine und Arme Schwung- und Schnellkraft. Ein wenig chargirt waren ihre Rollen allerdings; allein der Dichter mochte einen Theil der Schuld haben. Von den übrigen Schauspielern mag es hinrei- chendes Lob seyn, zu sagen, daß sie mich lebhaft an gewisse Truppen in Deutsch- land erinnerten; zum erstenmal seitdem ich Deutschland verließ! 4. Leasowes . H och in den Ulmenwipfeln sauste der Wind, rauh und kühl streifte er an uns vorüber, und die grauen Wolken von vie- len Schattirungen jagten sich, stürzten sich schnell über einander her, ließen Sonnen- blicke durchfallen, und das Blau des Him- mels zeigte sich von Zeit zu Zeit durch zer- rißne Oeffnungen des Gewölkes. Da um- fing uns ein dunkler Schattengang von aller- lei Laubwerk. Noch saußte der Wind über uns; aber er berührte uns nicht mehr: wir vernahmen das sanfte Rieseln des Wald- bachs, an dem unser Pfad sich hinschlän- gelte, und stiegen an mancherlei Gebüschen hinab in das Thal, bis wo sich der Bach zu einem stillen Flüßchen sammelte und leise dahin schlich im Gebüsche. Bald, zwi- schen den überhangenden Zweigen, öffnete es sich in einen stillen Wasserspiegel, des- sen Gränze man nicht übersah. — Wenige Schritte brachten uns an den lieblichen See. Hinter uns war ein schöner Grashügel, vorn ein Dorfkirchthurm, und seitwärts blökende Lämmer mit ihren Müttern. Hier stürzte sich ein neues Gewässer ins Becken. Eine Moosgrotte am Bach, der in unend- lichen Kaskaden zwischen dem Gebüsch und grünen Kräutern silbern herabfällt. Am Sitze steht die Inschrift: Gulielmo Shenstone qui hujusce ruris amoenitates nec cratas olim nec cocnitas ingenio suo indagavit litteris exornavit moribus commendavit sedem cum rivo dedicat E. M. Und gegenüber auf einer Anhöhe zwischen Taxus und hohen Eichen eine schöne Urne: Genio loci . Weiter durch einen Kranz von Eichen, Buchen und Weißpappeln, wand sich der Pfad hinan um eine Waldwiese, längs den Gränzen dieses Zaubergebiets, längs Hügeln mit Acker, Weide und Schatten gekrönt, bis wir an einen schönen Grashügel kamen, wo, umringt von hohen Fichten, ein alter Krug auf einem hölzernen Gestelle steht. — Hier schwebte das Auge hin an die äußerste Gränze des Horizonts, und ruhete zuerst auf den Wrokin , dem fernen Gebirg’ im blauen Nebelduft, und zog sich dann näher in die durch einander kreuzenden Berge und Thäler. Diese zeigten in unbeschreiblicher Man- nichfaltigkeit ihre Zierde von hundertfältig schattirtem Grün, und ihre stets abwech- selnden Umzäunungen, ihre schönen For- men, ihre Waldungen, ihre hoch empor- strebenden schwarzen Thurmspitzen, ihre weißen von der Sonne beschienenen Kirch- thürme, Windmühlen, große weit ausge- breitete, in den Thälern ruhende Dörfer, zerstreuete Wohnungen, und den unnenn- baren Reichthum in ewig abgeänderter Schönheit des Wuchses, der Gruppirung und des Laubes emporstrebender Bäume. Näher endlich unter unsern Füßen das ganze liebe Dichterland, und große Hügel- rücken prangend mit grünen Saaten, und der Bach, der sich breit um den Hügel win- det, von Erlen beschattet, die ihre Zweige in das Wasser senken, und Reihen schlan- ker, junger, leichtbewipfelter Eichbäume, die den Umkreis in allerlei Richtungen durchschneiden, und blühendes Gebüsch, welches die Wohnung des Eigenthümers halb versteckt. Einige Schritte weiter öffnet sich eine neue Aussicht. — Ein Sitz in einem Gothi- schen offenen Kapellchen, zu beiden Seiten mit hohen Eichbäumen, deren Äste sich gatten. Zwischen ihnen geht die Aussicht über eine beschränkte, aber nicht minder schöne Gegend von großem Reichthum. Bei einer weit ausgebreiteten Wiese, wo man das Wasser im Gebüsche halb versteckt sieht, giebt ein kleines Wäldchen rechts, Lions walk , dichten Schatten. Das Wasser bildet einen Teich, der sich an den Gipfeln unter die Bäume zieht, und von mehreren Seiten kleine rieselnde Zuflüsse aus den Ge- büschen erhält. Unter den verflochtenen Wurzeln einer schönen Buchengruppe, an einem moosigen Felsen, läuft ein silbernes Fädchen Wasser, und stürzt sich einige Schuhe tief plätschernd hinab. Über die Wurzeln der Bäume stiegen wir den Hügel hinan. Wie braust der Sturm, wie stürzt der Regen hinab! Kaum schützen uns hier die dichten Buchenschatten. Auf dem Sitze steht: Hîc latius otia fundit Speluncae vivique lacus, hîc frigida Tempe Mugitusque boum mollesque sub arbore somni. Hilf Himmel, welch ein Guß! Dieser dicht belaubte Gang schützt uns nicht mehr! Dort seh ich ein Sacellum . Wir wollen die Laren um Erlaubniß bitten, an ihrem Heerde zu stehen. Es ist Pans Tempel. Pan primus calamos cera conjungere plures. Edocuit; Pan curat oves, oviumque magistros. Auf dieser modernden Bank läßt es sich ru- hen und verschnaufen, und den langen, lan- gen geraden Pfad durchsehen, den wir so schnell hierher durchlaufen sind. Hier kön- nen wir uns trösten über die plötzliche schneidende Kälte in diesen Irrgängen. Ist es es doch, als paßten sich Ort und Wetter und Benennung! Siehe da ein heller Sonnen- blick! Wir eilen weiter. Wir steigen herab an der Gränze, längs Wiesen und Schatten, die sich weit hinter den Wohnhäusern hin ziehen. Plötzlich ein Wald! Ein Pfad windet sich schnell hinab in die jähe Tiefe; unten rauscht kühner und mächtiger der klarste Waldstrom dieses Or- tes; ein schäumender Sturz über die dickbe- mooste Felsenbank aus einer heiligen Grotte mit Epheu bekleidet, mit Stechpalmen um- wunden, schleunigt seinen Lauf; und im- mer wieder stürzt die Welle mit neuer Ju- gendkraft die Bahn der Zeit sich hinab. Wer ist der Schutzgeist dieser Schatten? wem spielt die Najade? wen verkündigt diese feierliche Stille des Waldes? Ha! ein Obelisk! III. Theil. K Genio P. Virgilii Maronis lapis iste cum luco sacer esto . Und ein Sitz! Celeberrimo Poetae Jacobo Thomson frope fontis illi non fastidite G. S. Sedem hanc ornavit . Quae tibi, quae tali reddam pro carmine done? Nam neque me tantum venientis sibilus austri, Nec percussa juvant fluctu tam litora, nes quae Saxosas inter decurrunt flumina valles. Am Baum: Sweet Najad in this crystal wave Thy beauteous limbs with freedom lave, By friendly shades encompast, fly The rude approach of vulgar eye; Yet grant the courteous and the kind To trace thy footsteps unconfin’d, And grant the swain thy charms to see, Who formd these friendly shades for thee . R. Dodsley . Diesen wunderschönen Hügel krönt eine Gruppe blühender, dickbelaubter Roßkasta- nien. Wir müssen uns ihren heiligen Schat- ten nahen. Wie? diese Schatten verbergen einen Tempel? Umhüllt mit blühendem Geisblatt, umpflanzt mit Kiefern und Tan- nen, steht hier eine alte Abtei in Gothi- schem Geschmack, deren Inneres zum Wohnhaus einer alten Dienerschaft einge- richtet ist. Ein Zimmerchen hat der Be- sitzer für sich. — K 2 5. Hayleypark . D ieser prächtige Landsitz ist jetzt das Ei- genthum des Lords Westcote , eines Bruders von dem berühmten Lord George Lyttelton der die Anlage machte. Es hält schwer, ihn mit den lieblichen Leasowes zu verglei- chen; denn er ist in einem ganz andern Styl, und mußte es nach seiner Bestimmung, zum Aufenthalt der Dannhirsche, auch seyn. — Hier ist alles festlicher, geputzter, weit- läuftiger, als in den Leasowes . Um das Wohnhaus des Lords ( Hall ) zieht sich ein sammetweicher Grasplatz ( Lawn ) weit hin- auf an den Hügel, hier und dort durch ein- zelne Gruppen von Buchen mit üppigem Wuchs, von Laube strotzend, verziert. — In der Ferne auf einem hohen mit Gras bedeckten Berge steht ein prächtiger Obe- lisk, der in der ganzen Gegend sichtbar ist. Die Bäume im Walde stehen weitläuftig gepflanzt, und sind alle vom stolzesten Wuchse; königlich streben sie empor, ragen an den Gehängen der Hügel stufenweis über einander hinaus, und bilden gleichsam Wolken von grünem Laube, welche in unaussprechlicher Fülle über dem grünen Rasen sich thürmen. — Das Gras zwischen ihnen ist so sammetweich, als auf den Wiesen um das Haus, und mit Waldkräu- tern fast ganz unvermischt: das schönste Futter für die niedlichen Dannhirsche, die hier mit ihrem bunten Fell, ihren muntern Köpfchen, schlanken Körpern und schlanke- ren schnellen Füßen in Heerden von meh- rern Hunderten den Fremden ganz nahe kommen lassen, ehe sie sich in leichten K 3 Sprüngen, als flögen sie dahin, von ihm entfernen. — Dieses festliche geputzte An- sehen giebt mir einen Vergleich an die Hand, den ich nicht vergessen will. Die Leasowes fand ich in einem reitzenden Ne- gligé, wie eine Schöne, die ihrer natürli- chen Grazie mit kaum merkbarer Kunst Ein- heit zu geben, und Blick und Gedanken auf sie beständig zurückzuführen weiß. Bei Hayleypark fiel mir der Herr Ceremonien- meister in Bath wieder ein, der eine statt- liche, wohlgewachsene Dame vom Lande in ein schweres Full-dreß Atlaskleid vom schönsten Gewebe und Dessein wohl ein- gepackt hat, und sie mit aller ihrer Herr- lichkeit steif da sitzen und keuchen läßt. — Noch ein anderer Vergleich — denn eine Idee giebt die andere — läßt sich aus der Dichtkunst hernehmen, weil hier doch von Dichtern die Rede ist. Hayleypark ähnelt einer modernen Pindarischen Ode mit ihrer gemessenen Zahl von Strophen, Antistro- phen und Epoden, die weiter nichts als diese Abtheilungen und der hochtrabende Gang ihrer Verse zu einem Gedichte machen; die Leasowes sind die schöne ungekünstelte Ergießung des kühnen Dichtergenies in einem glücklichen Augenblick. Jeder Schul- meister in einer Lateinischen Schule weiß ein Recept, nach welchem man eine Ode verfertigen kann; und in der That sind die Ingredienzien, bis auf das Eine, das Genie des Dichters, überall zu haben. Eben so läßt sich von jedem Gärtner lernen, daß zu einem schönen Englischen Park Bäume und blühendes Gebüsch, rieselnde Waldbäche, schlängelnde Pfade, Tempelchen, Moos- sitze, Inschriften, Denksäulen, Begräbniß- urnen, und, so Gott will, auch Ruinen, ge- hören. Dies alles findet man denn in so K 4 manchem Garten in England, wie in so manchem auf dem festen Lande, der im Englischen Geschmacke seyn soll. Allein, daß dies Alles auch ein Ganzes bilden sollte, daran wird selten gedacht; weil man sicher glaubt, diese Absicht werde schon durch die Hecke, die das Grundstück vom nach- barlichen Gebiete trennt, vollkommen er- reicht. Was ich hier sage, soll dem guten Lord Lyttelton zu keinem Vorwurfe gerei- chen. Friede sey mit seiner Asche! Nemo dat quod non habet . — Aber jetzt können wir wohl sagen, was uns besser gefällt, so wie er es sich selbst herausnehmen konnte, seinen Freund Alexander Pope den elegan- testen, lieblichsten Englischen Dichter, den angenehmsten Lehrer der Weisheit, und wer weiß was alles, zu nennen. — Ich finde in seiner Anlage nicht die Einheit, die einen Zauber durch das Ganze haucht; wohl aber einzelne schöne Partieen, die, wenn sie schicklicher an ihrem Orte wären, wirklich Effekt haben, und entzücken wür- den. So z. B. ist die Urne zu Pope’ns An- denken, die am Pfade steht, schön und in herrlichem Geschmack. Allein warum just dort? fragt man immer, und fragt umsonst. Liegt er etwa dort begraben, oder ward er dort erschlagen? Denn sonst hat die Stelle schlechterdings nichts Auszeichnendes, nichts das auf den elegantissimum dulcissimumque poëtam hindeutete. — Die Grotte des Ere- miten, mit der schönen Stelle aus Milton’s Penseroso , sollte in tiefes heiliges Dunkel vergraben seyn, um die Schwermuth zu bezeichnen, die der herrschende Gedanke ist. Statt dessen steht sie an einem Orte, wo man aus dem Park ins freie Feld geht. — Die Inschrift: Omnia vanitas , findet man in einem Häuschen, welches in einer ganz K 5 beschränkten Gegend steht. Vielleicht wäre sie an dem schönen Thurm, wo man die halbe Welt überschaut, weit treffender ge- wesen. — Dieser Thurm ist in der That das Schönste im ganzen Garten. Er ist sehr hoch und auf einer Seite mit Epheu höchst malerisch bekleidet; es hängt mit dicht verflochtenen Zweigen wie ein Pelzman- tel daran herab, und übersteigt seine höchsten Zinnen. Oben hat man eine Aus- sicht, deren Umfang wie ihr Reichthum unermeßlich ist. Die Mawbernhills in Wor- cestershire, die Blackmountains in Südwa- les, Radnorthump in Radnorshire, dreißig Englische Meilen entfernt, die Haberleyhills in Worcestershire, die Cleehills und der Wrekin in Shropshire, endlich Dudley und Rowley liegen alle umher; und ein un- endlicher Garten Gottes zu den Füßen des Wanderers, der auf dieser Warte schaut, streckt sich weit und breit bis hin an jene Gebirge. Eine Rotonda, eine Säule, auf welcher eine Statue zu Fuß des verstorbe- nen Prinzen von Wales steht, ein bedeckter Sitz Thomson zu Ehren, eine Kaskade, die zwischen überhangenden Wipfeln der Bäu- me in ein Becken stürzt, sind liebliche Par- tieen dieses großen Lustgartens, den auch ein gutes anmaßungsloses, und gleichwohl der Würde des Besitzers angemessenes Wohnhaus ziert. Ein Leichenhof ist in diesem Garten angebracht; doch auch der steht nicht an seiner Stelle: die Idee ist nicht eingeleitet, nicht vorbereitet. Ein schönes Pfarrhaus, wie eine Kirche in Go- thischem Geschmack, außerhalb des Parkes, doch daran stoßend und damit zusammen- hangend, macht ebenfalls eine angenehme Verzierung. Das häufigere Wasser in den Leasowes ist dort auch besser benutzt worden, so wie die tieferen Gründe zwi- schen den Bergen vieles zur natürlichen Schönheit dieses Lieblingsplätzchens bei- tragen, was man daher von Hayley nicht einmal fordern kann. 6. Reise von Birmingham nach Derby . U m 12 Uhr Mitternacht, den 12. Junius, reisten wir in der Manchesterkutsche mit vier andern Passagieren ab. Es ward schon um 2 Uhr hell. Um 6 Uhr, Morgens, kamen wir in dem kleinen Städtchen Uttoxeter an, welches aber Utcheter , oder auch wohl Hutcheter ausgesprochen wird. Zwischen diesem Orte und Cheadle vermehrte sich die Kutschgesellschaft bis zu dreizehn Personen, indem fünf auf der Kutschimperiale, und einer neben dem Kutscher auf dem Bocke saß. In Cheadle , einem kleinen Orte, frühstückten wir. Es brechen daselbst Stein- kohlen, deren es überhaupt in Staffordshire einen großen Überfluß giebt. Auch ist da- selbst eine Schmelzhütte, wo Garkupfer gesotten wird, und eine Messingdrath-Fa- brik. Zwischen diesem Orte und Litchfield, im Dorfe Taue, ist eine große Manufaktur von Linnenband ( tape ). Mitleid und ein wenig ausländische Artigkeit gegen ein Frauenzimmer, das weder schön, noch ein- nehmend war, bewogen mich hier, ihr meinen Platz im Wagen einzuräumen, und bis Leake, zehn Englische Meilen weit, oben auf der Imperiale zu sitzen. Dieser Sitz ist im Sommer bei gutem Wetter, we- gen der freien Luft und der freien Aussicht, so angenehm, daß kein Mensch im Wagen würde sitzen wollen, wenn man Sorge trüge, die Sitze draußen so bequem einzu- richten, als es mit leichter Mühe geschehen könnte. Geflissentlich läßt man also diese Sitze sehr ungemächlich; und ich fand sie so in dem Grade, daß ich es mir nicht leicht anders als aus Noth werde gefallen lassen, je wieder draußen Platz zu nehmen. Man sitzt zwar auf dem Kutschkasten erträglich, aber sehr hart, und hält sich an einem krum- men Eisen, das wie ein Geländer am Rande befestigt ist; die Füße aber muß man gegen einen festen Punkt am Kutschbock stemmen, welches dem ganzen Körper eine sehr hef- tige Erschütterung mittheilt. Man sitzt kei- nen Augenblick fest, und, so bald man den eisernen Griff losläßt, keinen Augenblick sicher. Nie sitzt man bequem, und daher kann man kaum fünf Minuten in einerlei Stellung aushalten. Kurz, ich weiß nur die Pein eines Deutschen Postwagens, die damit zu vergleichen wäre. Die zehn Meilen wur- den jedoch überstanden, und die Aussicht auf die Vorberge von Derbyshire entschädigte und zerstreuete mich. Die schöne reiche Ge- gendvon Staffordshire fing an, hinter Cheadle allmählich zu verschwinden. Wir fuhren bergan, und sichtbarlich ward alles Laub- holz und alles Gesträuch krüppelhafter um uns her; es zeigten sich große Heiden, Sandsteinfelsen, und einzelne darauf umher irrende Schafe, mit ihrem Pelz in Lappen herabhangend. — In Leak, einem kleinen wohlgebaueten Landstädtchen, dem seine Manufakturen von gesponnenen Knöpfen und Bändern viel Aktivität geben, setzten wir uns in eine Postchaise, und fuhren nach Buxton. Gleich Anfangs ging es in einem fort bergan. Hecken von lebendigem Ge- sträuch hatten wir schon eine geraume Strecke Weges nicht gesehen; alle Befriedi- gungen und Abmarkungen des Eigenthums bestanden aus Mauern von lockern, bloß auf einander gepackten Steinen. Die ganze Gegend ward öde und traurig um uns her; die Bäume verschwanden ganz und gar, und die die Oberfläche der Felsen war mit der ver- dorrten Heide des vorigen Jahres, in großen schwarzen Flecken, und dazwischen mit groben Gräsern bewachsen. Der röthlich graue Sandsteinfels, aus welchem das hie- sige Gebirge besteht, ist ziemlich grobkör- nig, und nicht allzufest von Gefüge, we- nigstens an den Orten, wo er zu Tage aus- steht und der Verwitterung ausgesetzt ist. In ein Paar Stückchen dieses Sandsteins wurden wir kleine Bläschen Bleiglanz ge- wahr. Er bildet hier sehr hohe und breite Bergrücken, zwischen denen an einigen Or- ten ein nicht minder hohes Kalkgebirge ru- het. Die Kühlung der Luft, und der Zu- stand des Pflanzenwachsthums, ließen uns auf eine sehr ansehnliche Höhe dieser Sand- steinberge schließen, und unser ununterbro- chenes Berganfahren scheint die Sache außer. Zweifel zu setzen. Etwa vier Englische III. Theil. L Meilen von Leak, an einem Orte, der, glaub’ ich, Upper Hulme heißt, stellte sich uns einer der bewundernswürdigen An- blicke dar, die man nur in hohen Gebirgs- gegenden sehen kann. Das Sandsteinge- birge zog sich hier als ein hoher Kamm von Mitternacht nach Mittag herab; drei bis vier hoch aufgethürmte, bogenförmige, aber wie Messerrücken zusammengedrückte Gipfel standen furchtbar in einer Reihe da, und hoben ihre nackten, schwarzen, zer- klüfteten Häupter in malerischen Formen der Zerstörung empor. Es waren so wohl wagrechte, etwas in die Teufe streichende Ablosungen, als senkrechte Spalten der Verwitterung an ihnen sichtbar, so daß der Fels, bald schiefrig, bald säulenähnlich zertrümmert, sich aus einander gab. Auf einander ruhende Gelenke von Felsen, von ungeheurer Größe; Zacken oder Zinken, die in schräger Richtung spitzig und kühn hinaufliefen, und leicht fünfzig Fuß lang seyn mochten; überhangende Gewölbe von moderndem Stein, die den Einsturz droh- ten, und unter deren Obdach alle andere Gegenstände vor Kleinheit verschwanden; abgerissene, hinunter gestürzte Felsmassen, die in ihrem Fall einen Pallast zerschmet- tert hätten, und rings umher eine Saat von kleineren und größeren Steinen, die nicht von der belebenden Hand Deukalions und Pyrrhens geworfen, sondern von dem Ge- nius der Unfruchtbarkeit und der Zwie- tracht, oder im Titanenkriege, herabge- schleudert schienen. Die herausstehenden schroffen Spitzen und Trümmer dieser Fel- senkämme sind insgesammt nach Morgen gerichtet; gegen Abend hin verliert sich der Fels unter einer sumpfigen Decke von Torf, die an einigen anderen Stellen des L 2 Sandsteingebirges nur wenige Fuß dick ist, aber dennoch gestochen und zum Nutzen verwendet wird. Es ließe sich also muth- maßen, daß entweder plötzliche Revolu- tionen, oder allmähliches Anspühlen der Regengüsse, die von Morgen her kommen, hier das Phänomen, wovon wir eben spra- chen, hervorgebracht haben müsse. Schreck- licher Zeitpunkt, den man ohne Schauder nicht denken kann! Wie sah es damals in der Welt um die Sicherheit des Menschen- geschlechtes aus, als die Berge sich wälz- ten aus ihrer Stätte! — Ich stieg auf einen der höchsten hinaus ragenden Punkte dieses Gebirges. Die höchste Gegend umher war weit und breit in die Farben der erstorbenen Natur gekleidet; die Thäler und niedrige- ren Bergrücken prangten noch mit grünen- den Wiesen, aber ohne die schöne Zierde der Baume, und überall mit todten Stein- mauern, wie mit Lavagüssen, umzäunt. Von den Kalkbergen, die sich durch ein leb- hafteres Grün und hervorstehende weiße Felspunkte verriethen, dampften hier und dort die Kalköfen. Näher um uns her wei- deten einzeln etliche Schafe, die jetzt ihr Winterkleid ablegten, und halb nackt, halb bepelzt, die Lappen hinter sich her schlepp- ten; zwischen dem Heidekraute, das noch nicht wieder grünte, und dem häufigen har- ten Moose, fanden sie einige Grashalme und einige Futterkräuter. Fern wie das Auge hier reichte, unaufgehalten durch die zu- nächst umliegenden Berge, die insgesammt niedriger sind, sahen wir nach allen Seiten die langen Bergrücken reihen weis sich ein- ander umgürten. Ihre Gehänge sind meh- rentheils ziemlich gewölbt, und verflächen sich gelinde in die geräumigen flachen Thä- ler. Weit in Nordosten ragte die hohe L 3 Kuppe des Mam Tor bei Castleton über den umliegenden Horizont. Unten rollte unser Wagen einsam auf einem gebahnten Wege, durch die unermeßliche Leere. Wir stie- gen wieder hinab, und blickten mit Stau- nen vom Fuß dieser hoch über unsern Häuptern furchtbar hinaus schwebenden Felsmassen nach ihren drohenden kühnen Gipfeln und Zacken. Wie still, wie ruhig ist alles in der Natur mitten unter die- sen Schrecknissen! Tausendjähriges Moos wächst auf den Spitzen des Gebirges, wohin sich der verwegenste Fuß von Menschen und Thieren nicht wagt. Die kleine Tor- mentille, die Hyacinthe, das gelbe Veil- chen, blühen zwischen den Klippen, die, von dem Gipfel abgerissen, einst donnernd hinunterstürzten. Das Vieh wandert fried- lich und sicher über die Abgründe, und schwebt gleichsam in der Luft auf einem morschen Gewölbe. Wir selbst, hier unter der Wölbung, die jeden Augenblick zusam- menstürzen und uns zerschmettern könnte, standen sorglos, und verließen uns auf die Baukunst der Natur; wir würden hier Schutz gegen den Gewittersturm gesucht haben, wenn er uns überrascht hätte. Um 3 Uhr kamen wir endlich zu Buxton an, und stiegen im White Hart ab, wo eben die Gesellschaft zu Tische gehen wollte. Es ist hier gewöhnlich — zum erstenmal sah ich es in England — à table d’hôte zu speisen. Die Gesellschaft bestand aus etwa zwanzig Personen, Herren und Damen von Stande, die hierher kommen, theils um wirk- lich das Bad ihrer Gesundheit wegen zu brauchen, theils um dem Todfeinde der Reichen, der Langenweile, zu entfliehen, die sie von Bath nach London, von Lon- don nach Buxton, und von hier auf ihr Land- L 4 gut verfolgt, und wie eine Harpye unab- lässig an ihnen zehrt. — Hier sind allerlei Mittel dieses immer wieder wachsende Un- geheuer zu tödten: öffentliche Zimmer, öffentliche und Privatbäder, gemeinschaftli- cher Tisch, ein Schauspielhaus, Karten, Bälle, Promenaden, die Poolshöhle unter der Erde, und eine öde, nackte Gegend, welche die Anwesenden zu einiger Anstren- gung nöthigt, um sich Unterhaltung zu er- sinnen, und sie einander näher bringt, um das gemeinschaftliche Bedürfniß zu befrie- digen und dem gemeinschaftlichen Peiniger mit vereinten Kräften Widerstand zu leisten. Im Julius und August ist es hier am voll- sten; dann giebt es hier mehrere Hundert Badegäste. Auch jetzt wäre die Gesellschaft schon zahlreicher, wenn das Parlament nicht so lange Sitzungen hielte, wodurch eine müßige Menge in London zurückge- halten wird, die sonst früher dieses Berg- thal, Bristol und Tunbridgewells, Brigh- ton, Margate, Harrowgate, Cheltenham und noch einige andere Orte der Art, überschwem- men. — Der Herzog von Devonshire , Eigen- thümer der meisten Grundstücke in dieser Gegend, hat vieles zur Verschönerung des Ortes und für die Bequemlichkeit der Bade- gäste gethan. Der Crescent , ein halb mond- förmiges Gebäude von großer Eleganz, welches lauter Arkaden, und oben eine Reihe gereifelter Dorischer Pilaster hat, enthält öffentliche und einzelne Bäder, Affemblee-, Tanz- und Spielzimmer, und Bequemlichkeiten aller Art. Dieses Ge- bäude ist zwar nicht so groß wie der Grescent in Bath, aber dem Endzwecke voll- kommen angemessen, ob es gleich, wie die meisten modernen Gebäude in England, in den Verhältnissen gegen alle Regeln der L 5 Baukunst sündigt. Unweit dieses Gebäu- des ist ein kleiner Spaziergang, von einigen hundert Bäumen und Sträuchen angenehm beschattet, und in der That desto angeneh- mer, je öder die umliegende Gegend ist. Etwas höher liegt ein kreisförmiges Ge- bäude von großer Pracht, ebenfalls vom Herzoge von Devonshire errichtet. Wer hätte, nach den schönen Dorischen Säulen, die rings um das erste Geschoß gehen, wohl erwartet, daß dieses Gebäude die Bestim- mung hat, den Pferden der Badegäste (die etwa mit eignen Pferden herkommen) einen Aufenthalt zu verschaffen! Es ist hier Platz für 112 Pferde, und an zwei Sei- ten geht in einem halben Viereck eine Wa- genremise um den Stall, in gehöriger Ent- fernung von dem Gebäude. Der Herzog verpachtet diesen Stall und die Remisen an einen Menschen, der wieder einzelne Stal- lungen vermiethet und zugleich eigne Lehnpferde hält. Auf diese Art wird all- mählich der Zeitpunkt herannahen, wo das Kapital, welches der Bau kostete, sich er- setzt, und alsdann reine Interessen abwirft. Buxton liegt in einem von den flachen Thä- lern des hiesigen Gebirges, und in einer trau- rigen Gegend, wo man weit und breit, außer dem angepflanzten Spaziergange, keine Bäume sieht. Man geht über ein paar Fel- der, die durch Mauern von auf einander gelegten Steinen abgesondert sind, nach dem Eingange einer Kalkhöhle, welche Pool’s hole heißt. Drei alte Weiber stan- den hier schon bereit, uns in den unterir- dischen Schlund zu führen, gaben jedem von uns ein Licht in die Hand, und gin- gen selbst mit brennenden Lichtern vor uns her. Ich dachte lebhaft an die Zauber- schwestern im Makbeth; und die unterirdi- schen Stygischen Gewölbe, wohin sie uns führten, waren wahrlich gemacht, um dieser Idee ihren gehörigen Grad der Lebhaftig- keit zu geben. Man kommt durch einen engen, niedrigen Eingang in verschiedene Höhlen, die sich bis 669 Yards in den Felsen hinein winden, und an einigen Stellen eine beträchtliche Höhe haben. Die berühmte Baumannshöhle am Harz ist an Größe mit dieser nicht zu vergleichen; hingegen hat sie einen wesentlichen Vorzug in Absicht des Sinters, den die Wasser darin absetzen. Die dortigen Stalaktiten, auf hartem rothem Marmor abgesetzt, sind schneeweiß; die hiesigen überziehen einen groben, grauen, dichten Kalkstein, und sind von einer schmutzigen Farbe, ohne irgend etwas Aus- zeichnendes an Gestalt: denn die vorgebli- chen Aehnlichkeiten mit einer Schildkröte, einer Speckseite, einem Löwen, einer Or- gel, einem Sattel, u. s. f., gehören zu den Absurditäten, die man von unwissenden Menschen zu hören gewohnt ist. — Wir gingen, immer über Schutt und lockere Steine, die von den durchhin strömenden Fluthen irgendwo losgerissen, und in dem Boden der Höhle zurückgelassen, oder auch von oben hinabgestürzt waren, ungefähr 569 Yards tief hinein. Jenseits dieser Stelle kann man noch bis an den Bauch im Wasser 100 Yards weiter gehen, wo die Höhle sich schließt, oder wenigstens nicht weiter gangbar ist. — Von oben träufelt es bestän- dig in allen Theilen der Höhle; folglich ist es auf dem Boden überall unbequem und feucht zu gehen. Nicht fern vom Eingange hat die Höhle einen Querschlag oder ein doppeltes Gewölbe. Man geht durch das höhere hinein, und kommt durch das un- terste wieder heraus. Ein kleiner Bach rie- selt aus der Höhle hervor, und führt das Wasser aus ihrem Hintergrunde ab. Es giebt in derselben weder Petrefakte noch Knochen; nur muß man sich nicht durch die Sprache der hiesigen Führer irren lassen, die den Sinter ein Petrefakt nennen, so wie unsere Megären, oder eigentlich die Hekate dieses Avernus selbst, nach der Analogie des Wortes icicle (Eiszapfen), ein neues Wort bildete, und die Stalaktiten watericles nannte. Beim Austritt aus dem unterirdi- schen Gange umringte uns eine Schaar von Weibern und Kindern, die so ungestüm bettelten, daß wir froh waren, mit dem Verlust einiger Shillings von ihnen los- zukommen. Die angenehme Tischgesellschaft im weißen Hirsch, konnte uns nicht verleiten, die Nacht hier zuzubringen, zumal da wir schlechthin gar keinen Bekannten unter diesen Herrschaften hatten, die doch den Nationalcharakter durch einen Trunk Was- ser in Buxton nicht, so wie die Griechi- schen Helden und Halbgötter ihr Gedächt- niß in einer Schale voll Lethe, ertränkt zu haben schienen. Sobald wir uns also mit einem Thee erfrischt hatten, den man in der Regel fast in allen Englischen Wirths- häusern vortrefflich und mit dem vortrefflich- sten Rahm oder Sahne bekommt, fuhren wir zwölf Englische Meilen weiter nach Castle- ton , dem Hauptsitze der sogenannten Wun- der des Piks in Derbyshire. Ueber die An- zahl dieser Wunder ist man nicht einig; man zählt ihrer in Büchern sieben, weil dies eine geheimnißvolle und wunder- schwere Zahl ist, mithin der Wunder auch im Pik nicht weniger seyn dürfen. Allein die hiesigen Einwohner wissen nichts von dieser mystischen Sieben, und bringen bald sechs bald nur fünf Wunder heraus: näm- lich die drei unterirdischen Höhlen, Peak’s hole, Eldenhole und Poole’s hole; den Brun- nen, der in Zeit von ein paar Stunden steigt und fällt; und den höchsten Berg in dem ganzen Gebirge, dem seine Wallisische oder Kambrische Benennung Mam Tor , der Mut- terberg, geblieben ist. Bei dieser Gelegen- heit erinnert es sich am besten, daß das hiesige Gebirge sehr uneigentlich den Na- men eines Piks ( Peak ) trägt, indem hier nirgends ein Spitzberg zu sehen ist, wel- cher, wie die von Teneriffa, Piko, u. s. f., den mit diesem Worte insgemein ver- knüpften Begriff erweckte. Allein ich ver- muthe wohl, daß hier eine weit ältere und allgemeinere Bedeutung des Wortes peaked zum Grunde liegt, vermöge deren es alles was hoch und steil ist, bezeichnen kann. Das hiesige Gebirge ist gewissermaßen ein, drei- dreitausend Fuß über die Meeresfläche er- höhtes plateau , worin zwar Berge und Thäler, aber gleichwohl keine sehr beträcht- liche Unebenheiten bemerklich sind: eine einzige hohe Gebirgsmasse, in mehrere klei- nere auf ihrer Oberfläche ausgespühlt. Wir kamen bei dem Lustwäldchen von Buxton und hernach bei einigen in den Dörfern angepflanzten Bäumen vorbei. Es fiel äußerst auf, wie wenig die ganze Vege- tation hier noch vorgerückt war. Die Bü- chen, und etliche andere Bäume, insbeson- dere aber die Eschen, kamen eben erst aus ihren Knospen hervor. Dieser Baum erin- nerte uns hier herum durchgehends, daß der Frühling hier eben begönne. Der kalte Wind und der kalte Gewitterregen gaben ein bestätigendes Zeugniß. Unser Weg war indeß noch immer ziemlich gebahnt, und dicht vor Castleton zog er sich romantisch III. Theil. M durch einen tiefen, tiefen Abgrund, wo ungeheure Felsmauern zu beiden Seiten furchtbar in der Höhe schwebten, und auf der einen Seite des Weges einen hervor- springenden Winkel bildeten, wo gegen- über ein hineingehender war. Die unge- heure Höhe dieser Riesenmanern, ihre ma- lerische Gestalt, die Schafe die sich oben am Rande sehen ließen, der abschüssige Weg, den wir nur mit gehemmtem Rade zurücklegen durften, und das eintretende Dunkel des Abends machten diese Natur- scene feierlich und eingreifend. Bald her- nach langten wir zu Castleton an, und nah- men unser Quartier im Castle-inn , wo wir die beste Bedienung fanden, und nach einem so ermüdenden Tagewerke die Nachtruhe unser Hauptaugenmerk seyn ließen. Den 13. Jun. Einen Tag wie den heuti- gen in dem unbeständigen Klima dieses Ge- birges schenkt der Himmel den auserwähl- testen Naturforschern nicht; allein wir sind gute Kinder, und hatten schon längst einen schönen Spieltag abverdient. Wenn Neu- seeland, und das Feuerland, wenn die Eis- felder des Südpols, und vor allem die Ebe- nen von Taheiti mit den Lustgärten der Freundschaftsinseln ihre Eindrücke in der Einbildungskraft zurückgelassen haben: dann muß der Tag schon reich an Wundern seyn, der unvergeßlich genannt zu werden ver- dient. Was ich heute sah, hab’ ich noch nie gesehen. Dies ist zu wenig gesagt. Ich will hinzusetzen, daß es alle meine Erwar- tungen und Vorstellungen weit überstieg; und auch dann spreche ich mehr zu meiner eigenen Erinnerung, als zur Belehrung An- derer, die nicht wissen können, was ich zu erwarten oder mir vorzustellen ver- mochte. Schon unser Erwachen war Ge- M 2 nuß der romantischen Gegend. Aus dem kleinen Gärtchen unsers Gasthofes erblick- ten wir längs dem Gipfel des steilen daran stoßenden Berges, die ehrwürdigen Trüm- mer einer uralten Burg. Eine Mauer mit Überbleibseln von Thürmen an jeder Ecke, erstreckte sich längs dem jähen Gehänge; in der Mitte war sie eingestürzt, und über der Öffnung hatte sich ein Hügel von Schutt und Gräsern gebildet. Aus der Mitte des innern Bezirkes hob sich ein schöner vier- eckter Thurm, der einst mit Quadersteinen ganz bekleidet gewesen war, jetzt aber von unten hinaufwärts diese Bekleidung schon verloren hatte, An jeder Ecke ging ein zarter schlanker Pfeiler in die Höhe; über ihm sprang die Mauer einen Stein dick wei- ter hervor, und bildete ein etwas vorste- hendes Viereck. Die Zinnen des Thurmes waren eingestürzt; aus seinen zerrissenen Wänden sproßten Bäume und Pflanzen. Epheu schlang sich üppig über seine Vor- mauern und längs den Ritzen und Spalten. Rechts öffnete sich hart an der Burgmauer selbst ein tiefer weiter Schlund, dessen senkrechter Absturz aus einer weißen Fel- senwand bestand, auf welcher bogenförmig ein Hügel sich wölbte; und längs dem Rande desselben strebte malerisch ein schö- ner Hain von Buchen, Eschen und Fichten empor, und krönte mit seinen Schatten die ganze Bogenlinie des hinabgleitenden Hü- gels. In diesem Schlunde, dessen untere Gegend der Schloßberg uns hier verdeckte, sollten wir den Eingang zu der unermeß- lichen Höhle des Piks antreffen. M 3 7. ΟΙΣ ΘΕΜΙΣ ΕΣΤΙ. Castleton . S tille! heilige Stille umher! Auch ich bin der Geweiheten einer, und spreche von der unterirdischen Weihe, und schweige von den unaussprechlichen Dingen. Ich war im Reiche der Schatten, und durchwandelte die Nacht des Erebus. Die stygischen Vögel umflatterten mein Haupt mit furchtbarem Gekrächz. Die Erde öffnete ihren Schooß, und umfing mich. Felsen wölbten sich über mir, und der Abgrund stürzte hinab in schwindelnde jähe Tiefe, neben dem engen schlüpfrigen Pfade. Ich sah die furchtbaren Schwestern, mit allen Schrek- ken der Hölle, mit Macht und Mißgestalt gerüstet, die Fäden des Lebens spinnen und messen. Das Auge der Unterwelt liehen sie einander, und hoben es hoch empor, um mich zu schauen, — Parzen und Furien zugleich. In Charons Nachen ausgestreckt, schwamm ich unter dem tief hinabgesenk- ten Felsengewölbe an das jenseitige Ufer des schwarzen Kokytus. Ich ging durch alle Elemente des stets sich wandelnden Chaos. Ein Staubbach netzte mein Haupt. Kalte Lüfte weheten mich an, und immer, immer rauschte es neben mir und über mir und unter mir, wie der Sturz der Wald- bäche über den zerklüfteten Felsen. Meine Lampe erlosch; ich versank in die ewige Finsterniß des Tartarus. Mir war es, als nähme mich ein Riese auf seine Schultern, und trüge mich durch die gähnenden Schlün- de. Plötzlich durchleuchtete ein Blitz die schauerlichen Bogen des Felsens; ein kra- M 4 chender Donner betäubte mein Ohr; die Gewölbe wankten hin und her, und zitter- ten über mir, und dreimal kehrten die rol- lenden Donner durch die Schneckengänge des Gewölbes wieder. Da öffneten sich die Grüfte in der Höhe, und helles erquicken- des Licht strömte durch die schwarzen Hal- len; siebenfach war das Licht, sieben glän- zende Funken wie Sterne: und der Chor der Wissenden stimmte nun an den hohen be- lehrenden Hymnus. Mir ward die Schale voll des schäumenden Göttertranks; ich ko- stete vom Quelle des Lebens, und mein Dankopfer floß den unterirdischen Mächten. Neue Kraft durchströmte die Adern des Er- matteten, und der Hierophant begann nun die Weihe. — Fünf Tage, nachdem Lady Craven in die Höhle von Antiparos gestiegen war, kam Dr. Sibthorpe daselbst an. Sein Führer erzählte ihm: die Lady habe beim Hinab- steigen sehr gezittert; sobald sie aber in die herrliche Grotte mit den wunderschönen Stalaktiten gekommen sei, habe sich plötz- lich eine so lebhafte Begeisterung ihrer be- mächtigt, daß sie auf der Stelle die Feder ergriffen, und ein Gedicht auf dieses ent- zückende Schauspiel der Unterwelt verfer- tigt habe. Ich kann mir einen sehr lebendigen Begriff von diesem Uebergange aus einem Extrem der Empfindung zum andern machen, und physisch ist die Spannung die natür- lichste Reaktion, die auf jene gewaltsame Er- schlaffung der Furcht unausbleiblich folgen muß. Daher sind die ärgsten Poltrons im- mer so viel tapfrer, als andere Leute, sobald die Gefahr überstanden ist. M 5 8 Von Castleton bis Middleton . S teil geht der Weg von Castleton in einem Winkel von 38 Graden an dem Gehänge eines noch weit steileren Berges hinauf. Das schöne Thal von Castleton mit seinen unzähligen Wiesen und Weiden, die doch wieder durch lebendige Hecken begränzt sind, hat in der Mitte einen lieblichen run- den Hügel, rechts von dem kleinen Dörf- chen Hope , und windet sich dann nach Osten um den Berg, an der entgegengesetz- ten Seite von hohen Sandsteinrücken umge- ben. — Sobald man oben ist, sieht man das ganze Kalkgebirge in einer erstaunlich gro- ßen Ausdehnung flach vor sich liegen, und wir fuhren gegen neun Englische Meilen auf dieser erhabenen Ebene, fast ohne eine bedeutende Vertiefung anzutreffen. Die Ge- birgszüge umher gingen sichtbarlich von Abend nach Morgen; und wo wir schroff emporstehende Wände sahen, waren es, so viel wir aus der Farbe, und nach der Ana- logie von Mam Tor schließen konnten, Sandsteinmassen. — Die Gänge streichen meistens in derselben Richtung von Abend gegen Morgen, und setzen, wie es die Haldenzüge zu erkennen gaben, oft mehrere Englische Meilen über die Ebene fort. Wei- ter hin nach Middleton sahen wir jenseits des Thals auf der Morgenseite einen mitter- nächtigen Gang. Die Gänge gehen an den meisten Orten unter einem sehr wenig von der Perpandikularlinie abweichenden Win- kel in die Teufe. Eine Englische Meile vor Middleton ging es endlich wieder berg- ab durch eine romantische Kluft, wo die Felsmassen von weißem Kalkstein, mit ih- ren regelmäßigen, zum Theil über manns- hohen Schichten, bekleidet mit Epheu und Strauchwerk, Moos und blühenden Pflänz- chen, wie Thürme auf einer langen Strecke zu beiden Seiten hervorragten. Augenschein- lich ward hier alles durch die Gewalt der Fluthen einst abgestürzt und durchgerissen; allein die öde Oberfläche des Kalkgebirges nährt keinen Bach; und wo ehedem die Wogen des Meeres wüthend hindurch strömten, da fuhren wir jetzt auf dürrem Boden und gebahntem Wege. — 9. Matlock . E ndlich ist sie hinabgesunken hinter die himmelan strebenden Berge im Westen, diese Sonne, die mich blendete, wärmte, bezauberte durch ihre vermannichfaltigte Beleuchtung dieses Wunderthals, seiner Felsen und sei- ner Haine. Sei mir gegrüßt, holde Dämme- rung, und du blauer Abendhimmel, mit den Purpurstreifen im Westen, und will- kommner als sie, göttliche Kühle, rau- schend in dem wogenden Meere von Wip- feln, lauter als die lispelnden Fluthen der sanften Derwent, und überstimmt nur von einzelnen schmetternden Tönen der Nachti- gallenchöre, die in jenem Schatten das Lied der glücklichen Liebe singen! Gebt mir stillen Genuß; umrauscht mich sanft zur nachsinnenden, nachempfindenden Ruhe! Ich bin des Schauens für heute satt, und erliege unter der Unerschöpflichkeit der Natur; ich sehne mich nach mir selbst. — Des heutigen Tages tausendfaltige Bilder einen Augenblick nur im Vorübergehen auf- zufassen, ohne sie festhalten zu können, ist Herabwürdigung zum leblosen Spiegel: sie alle zu verzehren, alle ins eigene Wesen verwandeln zu wollen, stürmisches Schwel- gen, ohne Zweck, wie ohne Empfindung. Wie wohl ist mir in dieser Einsamkeit! Hier will ich nicht mehr mit umherspähen- dem Blick den Gegenständen nachjagen; nicht mit Anstrengung und Spannkraft ha- schen, was mir links und rechts entfliehen will; nein, ich entbinde meine Sinne ih- res Dienstes, und überlasse mich leidend dem all-eindringenden Berühren der Natur. Ich will nicht mehr unterscheiden, nicht zergliedern die Gestalten, die Töne, die Farben ihres Himmels und ihrer Erde; Ein Lied, Ein unnennbares, untheilbares Bild ströme sie mir durch Aug’ und Ohr, und fülle meine lechzende Seele mit der Wonne, die keine Zunge stammeln kann! Dies ist die allgemeine Zauberei der schönen Na- tur, Allen fühlbar, wenn gleich nicht von Allen erkannt; die wohlthätige Macht, die uns Alle hält und nährt und erfreuet, und deren Wirkungen die Vernunft nicht fassen kann; denn des Genusses Gränze ist Zergliederung des Eindrucks. Dennoch! — wunderbares Gesetz der Menschenform! — dennoch sind die Weiseren unter uns glück- lich nur wie ein Kind, das, wenn es die Blume sieht, ihrer lieblichen Gestalt und Farbe einen Augenblick froh wird, sie dann bricht und zerpflückt. Heilige Pfle- gerin! mehr Blüthen als wir zerstören kön- nen, schufst du um uns her; und den Quell der ewig wiederkehrenden, ewig sich ver- jüngenden Wesen verbargst du vor unserm verzehrenden Geiste? O, ich wähne dir nachzuwandeln auf deinem verborgenen Pfade, und Absicht und Mittel, wie in dem Lebensgang eines Menschen, darauf zu erblicken. Er ist nicht ohne Zweck, dieser Trieb des Forschens und Sonderns, den du in uns legtest, der schon im Kinde sich regt, der bis ins Alter uns begleitet. Du durch- bebst die Saiten der thierischen Bildung, du führst den Aetherstrom des Lebens in ihren Adern umher, und das ferne Geblöke, das jetzt aus den Triften emporsteigt und in den säuselnden Abendwind tönt, — und diese Jubelgesänge in den hochbelaubten Buchenästen, sind der Widerhall deiner alles erquickenden Freude. Aber ein anderer Genuß Genuß wartet des sinnenden, sondernden Menschen: im Labyrinthe der Gefühle sucht er das empfindende Wesen; im unendlichen Meere von Bildern den Seher; in der duld- samen Materie den gebietenden Willen; in Allem außer ihm, sich selbst. Ich finde hier Ähnlichkeit mit dem Plauenschen Grunde bei Dresden. Die Par- tie der Brücke in Plauen ist romantischer, und fehlt hier; auch hat es einen schönen Effekt, daß die Felsenwände an einigen Orten bis ins Wasser senkrecht stehen, und folglich größere einfachere Wände bilden; der Kontrast des Lichtes wird durch die großen winklichten Brüche des Thales ro- mantischer und lieblicher; die Mühlen sind dort angenehme ländliche Bilder. Die Aussicht nach Darand ist wegen des weißen Thurms und der malerischen Gipfel des III. Theil. N Sonnen- und Königsteins, des weit durch das Thal sichtbaren sich schlängelnden Flüßchens, und vor allem des Reichthums der goldenen Saaten, von entzückender Schönheit. Hingegen hat Matlock den Vorzug, daß es zwischen ungleich höheren Bergen liegt; daß in den schönen Partien das Thal noch enger zusammentritt, und daß die Vegeta- tion ohne allen Vergleich reicher, üppiger, und eigentlich mit verschwenderischer Hand auf die Felsenmassen hingeworfen ist. Die Derwent läuft ruhig und auf ebenem Bette, außer wo sie über Kiesel in gelinden Fällen hinrieselt. Die Bäume mit dem dicksten Laube wölben sich über sie hinaus; ihre Zweige stehen wie Schirme über einander; die untersten tauchen ihre Spitzen in den Fluß, und der ganze mit Wald gekrönte Berg spiegelt sich im Wasser, wie man von der andern Seite die weißen Gebäude darin erblickte. Die weißen Felsmauern kommen nur hier und dort mit hervorsprin- genden Ecken durch das Gebüsch, welches aus ihren Klüften mit unbeschreiblicher Üppigkeit herauswächst, zum Vorschein. An andern Stellen zeigen sie sich von einer unermeßlichen Höhe. Die Gebirge im We- sten sind einige der höchsten in Derby- shire. Die Abrahams-Höhe (nach der bei Quebek so genannt, wo Wolfe und Mont- calm blieben) hinan, geht ein schlängelnder Pfad, dessen Länge zwar ermüdet, wofür man aber, wenn man ihn zurücklegt, mit einer herrlichen Aussicht über den ganzen Lauf der Derwent durch alle Win- dungen des Thals, über die schönen, rei- chen Hügel und Thäler mit ihren Heerden, u. s. f. über das nahe Dorf Matlock, belohnt wird. Die Natur ist hier so verschwende- N 2 risch mit den schönsten Formen der Land- schaft, der Bäume, mit Licht und Grün, daß man sich umsonst nach einer ähnlichen Gegend im Gedächtniß umsieht. Die schö- nen Aussichten bei Münden im Hannöveri- schen haben den Vorzug der breiteren Weser und der am Zusammenflusse der Werre und Fulda malerisch liegenden Stadt mit ihren alten Thürmen; hingegen fehlen ihnen die hiesige endlose Abwechselung und die schö- nen Felswände, die sich zwar wieder bei Allendorf an der Werre, jedoch ohne die Begleitung des reichen, unbezahlbaren Schattens finden lassen. Die Badehäuser sind zum Empfange der Gäste sehr bequem angelegt, und eben nicht gar theuer. — Das Bad ist lau und sehr erfrischend; ich badete Nachmittags mit der besten Wir- kung, und fühlte mich außerordentlich dadurch gestärkt. Das Wasser ist nur reines Quellwasser. — Die Haine sind insbesondere wegen der vielerlei Arten von Bäumen so wunderschön; Eichen, Eschen, Buchen, Hainbüchen, Tannen und Lärchen wechseln mit einander ab. 10. Chatsworth . V on Middleton an geht es im Thale der Derwent hinab, welches immer schöner und reicher wird. Der Kontrast, nachdem wir so geraume Zeit nichts als öde Gebirgs- rücken gesehen hatten, war über alle Be- schreibung erfreulich. — Wir hatten schöne Weiden, Saatfelder, herrliche malerische Umzäunungen und Raine, mit hochstäm- migen Eichen, Eschen und Buchen, Lin- den und Ahorn, auch hier und dort längs den Höhen ein Wäldchen. Je näher an Chats- worth, desto reicher wird die Gegend. Die Waldung an beiden Seiten des Thals, so wohl hinter dem Hause als gegenüber, ist dicht und überschwänglich an Wuchs; zwi- schen dem Laubholze streben überall schlan- ke Tannen und pyramidische schwarze Fich- ten in die Höhe. Der herzogliche Park liegt auf einer Anhöhe am linken Ufer der Der- went, in welcher wir Gruppen von Kühen sich kühlen sahen, indeß die schönen Wie- sen zu beiden Seiten mit diesen malerischen Heerden bedeckt waren. Man fährt auf ei- ner steinernen Brücke über den Fluß durch den Park nach dem Schlosse. Beides, Park und Schloß, sind vor achtzig Jahren auf der Stelle, wo das alte Schloß Chatsworth stand, angelegt worden, und haben viel von der Pracht jener Zeit. Das Schloß ist ganz ei- nes so großen Englischen Peers würdig. Auf die Architektur mag ich mich nicht ein- lassen; die ist nun einmal in England, auch da, wo sie Geld genug gekostet hat, nicht fehlerfrei. Die Zimmer sind reich, doch nicht mit dem Geschmack, den wir in N 4 Schooneberg bewunderten, möblirt; viele haben auch noch das alte Amenblement, von achtzig Jahren her. — Der Bau ist erst kürz- lich ganz fertig geworden; denn man hat nach- und angebauet. — Ein Theil des Ge- bäudes heißt noch: the Queen of Scot’s apart- ment . Die Zimmer der unglücklichen Marie sollen wirklich in dieser Gegend gestanden haben. Das Einzige, was man aus jenen Zeiten aufbewahrt hat, ist ihr Bett mit Vor- hängen und Decke von rothem Sammet mit Gold. Wer kann sich entbrechen, bei dem Anblick eines Bettes, worin diese unglück- liche Prinzessin so oft geschlafen, geruhet, gesonnen, geweint, gewacht, geträumt — und den ganzen Kreis ihrer regen Leiden- schaften durchlaufen haben mag, in Gedan- ken zuweilen sich in jene Zeiten zu ver- setzen, und für die schöne Dulderin den Athem ein wenig gepreßt zu fühlen? Der Garten hat eine schöne Kaskade, mit allerlei davon abhängigen Fontainen und Wasserkünsten. Die höchste Fontaine soll achtzig Fuß hoch springen; sechzig glaube ich selbst, daß sie bei stillem Wetter in die Höhe gehen kann. — Für die Phantasie ist hier keine außerordentliche Nahrung, we- nig Sublimes, Romantisches, Poëtisches; aber eine reiche, geschmückte Natur, und ein Aufenthalt, wo man ein Vermögen von 40 bis 50,000 Pfund Sterling wohl genießen kann. — So schön als jenseits, ist auch das Thal unterhalb Chatsworth, welches sich immer weiter südostwärts zieht. Die Sandstein- gebirge umschlingen es überall auf der öst- lichen und südlichen Seite. Innerhalb sieht man Kalkgebirge. Endlich öffnet sich eine Reihe Hügel gegen den Fluß, und ihre ab- gestürzten senkrechten Felswände stehen ro- N 5 mantisch, mit Waldung bekleidet, an sei- nen Ufern. Vom Dorfe Matlock, zwei Eng- lische Meilen weit bis nach Matlock Bath, zieht sich dieses verengte wunderschöne Kalkthal in verschiedenen Krümmungen, und läßt hier und da dreieckige Wiesen in den Zwischenräumen der Hügel. — Dros- seln und Nachtigallen hielten hier ihr im- merwährendes Koncert im Walde. 11. Fortsetzung der Reise . Den 15. Jun. V on Matlock fuhren wir heute um 1½ Uhr Nachmittags ab. Der Weg ging bis Crom- ford , wo ein neuer schiffbarer Kanal ange- legt wird, in dem schönen Derwentthale fort. Gerade Cromford gegenüber, an einer sehr schön gewählten Stelle, bauet sich jetzt Sir Richard Arkwright ein neues Landhaus. Hinter Cromford kamen wir auf einen sehr hohen Bergrücken von Sandstein, von dem wir nicht nur rechts das nahe, in einem reichen Kessel gelegene niedliche Städt- chen Wirksworth , sondern auch vor uns und links das ganze südliche Derbyshire, nebst Nottingham und Leicestershire, und einen Theil von Warwickshire übersahen. Jen- seits dieses Berges kamen wir an verschie- denen Orten vorbei, wo man die Erdschol- len mit einem Schälpfluge abstach, und zum Dünger verbrannte. Derbyshire hat in die- ser Gegend schon viel angenehme Abwech- selung, ob es gleich nicht so fett ist, als an- dere Provinzen. Die Stadt Derby (16 Mei- len), die wir um 4 Uhr erreichten, ist von geringer Bedeutung. Man hatte eben heute die so genannte Canvaß vorgenommen, d. i. die Herren, welche Parlamentsglieder als Repräsentanten der Stadt werden wollen, waren zu allen Stimmgebenden herumgelau- fen, sie um ihre Stimme zu bitten. Eine Formalität, der sie sich unterwerfen müssen. Den 16. Jun . Um 8 Uhr Morgens reise- ten wir von Derby ab, nach Burton , einem kleinen eilf Meilen entlegenen Städtchen. Der Weg ging noch über Gebirge von Sand- stein, die also auch von der Südwestseite den Kalkdepot des Piks umgeben. An eini- gen Stellen bemerkten wir viel Sand. Zwi- schen Atherstone und Burton übersahen wir vom Gipfel eines nicht gar hohen Hügels wieder das schöne Warwickshire; allein wir blickten in die weite Ferne, weil eine Ebene vor uns lag. — Hier sind wir auf klassi- schem Grunde. Links blieb uns in einer Entfernung von drei bis vier Meilen Bosworth liegen, wo der Herzog von Richmond , her- nach Heinrich VII , den König Richard den Dritten schlug, welcher auf der Wahlstatt blieb. — Von Derby nach Burton sind eilf Meilen; nach Allerstone zwanzig; nach Co- ventry vierzehn Meilen. Coventry mit seinen drei langen spitzen Thürmen, worunter die berühmte Kathedralkirche oder Coventrycroß die größte ist, hielt uns nur eine halbe Stunde Nachmittags auf, während daß wir aßen. Von da eilten wir durch eine, wie Berkshire angebaute und überaus schöne Gegend nach Warwick . Unterweges blieben uns rechts, in einer schönen schattenreichen Gegend, die Überreste von Killingworth- Schloß in drei großen Thurmmassen liegen. Aber das Schloß von Warwick (zehn Meilen) verdiente näher gesehen zu werden. Wie erinnerte mich hier alles an die thaten- reiche, charaktervolle Englische Geschichte: an den Warwick , der größer als ein König war, indem er Könige absetzte oder machte; und — vor allem — an den unsterblichen Dichter, der das Große dieser Idee so ganz zu fassen, und in seinem King Henry the Sixth so göttlich darzustellen gewußt hat! — Gleich bei dem Eingange in die Stadt über dem Stadtthor, erinnerte mich der wilde Eberskopf auf einem Speer (seit undenkli- chen Zeiten das Wapen der Warwicks ) an den großen Ritter, der dieses sieg- reiche Panier so oft vor sich wehen ließ. Wir besahen das Schloß. Unter allen Überresten des zehnten Jahrhunderts hat keins in England sich so herrlich erhal- ten. — Der jetzige Graf wohnt sogar darin, und hat sich die Zimmer sehr schön einrich- ten lassen, auch einige Nebengebäude in demselben Geschmack, um der Gleichför- migkeit willen, aufgeführt. Die Mauern sind an einigen Orten vier Ellen dick. Eine Enfilade von Zimmern enthält etliche schöne, und etliche lehrreiche Porträts, z. B. die Königin Elisabeth, Essex , die Königin Marie von Schottland , die Gemahlin Karls I , und diesen unglücklichen König selbst; die Infantin von Parma , und viele andere mehr. Elisabeth sieht ihrem Vater doch sehr ähnlich, und dieser Zug ist ihrem Charakter nicht günstig. Essex hat eine fausse ressemblance von Herrn Koch , dem Schauspieler in Mainz. — Marie von Schott- land ist entweder nicht getroffen, oder in einer sehr späten Periode ihres Lebens gemalt. Die Aussicht aus den Fenstern ist sehr reich und lieblich. Die Rüstkammer erinnert an den kriege- rischen ritterlichen Genius der ehemaligen Bewohner dieser Burg. Wir sahen das lederne Wams, welches Robert Lord Brooke an hatte, als er bei Lichfield erschlagen ward. Auch Südsee-Sachen giebt es hier; ferner eine schöne Büste in Marmor von Edward dem schwarzen Prinzen , nach einem Gemälde; einen schönen Kopf der Pallas; Glasmalerei nach Rubens; Anna und Maria Boleyn von Holbein , vortrefflich erhalten. Den Garten sahen wir nicht, denn wir eilten (acht Meilen) nach Stratford , wo wir um 7 Uhr ankamen, und die elende Hütte Hütte wo Shakespear geboren ward, den Stuhl in welchem er zu sitzen pflegte, und vermuthlich dichtete, das Stadthaus mit seiner Statue in einer Nische von außen, sein Porträt inwendig, von Garrick hin geschenkt, — und sein Grabmal in der Kir- che besahen. Der Stuhl ist jetzt in die Wand gemauert, damit er nicht ganz zer- fallen möge. Seit funfzehn Jahren, daß ich ihn nicht sah, ist er sehr beschädigt. Den 17ten Jun., um halb 10 Uhr Vormit- tags, fuhren wir weiter durch Shipston und Chapel nach Woodstock , und — fast ermüde ich es zu schreiben — wieder durch eine schöne liebliche Gegend. England hat keine Waldungen, weiß jeder Schüler in der Geographie und Länderkunde zu erzählen; — aber daß beinahe ganz England wie Ein fortwährender Lustwald aussieht, wo Wie- sen und Triften, Äcker und Anger, und III. Theil. O die lieblichen Ufer der Flüsse mit dem herr- lichsten blühenden Gebüsch und den schat- tenreichsten Bäumen in ewiger Abwechse- lung prangen, das sollte man dabei zu erin- nern nie vergessen: Wie manchen schönen Landsitz Englischer Landedelleute fuhren wir nicht heute vorbei! wie manches in Haine gleichsam vergrabenes Dorf! Hier hatte einer sein niedliches Haus auf einen reichbeblümten Rasen gebauet. Dahinter zog sich ein kleiner Wald; seitwärts wölbte sich eine zierliche weiße Brücke über einen Graben; jenseits der Heerstraße stürzte sich ein Flüßchen einige Schuh tief über einen Damm; und auf dem schönen Teiche, der vor dem Rasenplatze seinen Spiegel ausbreitete, und um grasreiche Ufer, zwischen den Blumen der Wiese, erblickten wir manchen schönen Schwan, an dessen stolzer Form der Eigenthümer dieses Güt- chens vermuthlich sein Vergnügen fand. — O Natur, was ist erquickender und zugleich erlaubter, als deine Werke zu lieben und ih- rer froh zu werden! Was kann unschuldiger seyn, als die Freude an diesem schönen, in seiner Pracht des Gefieders stolz daher segelnden Vogel! Wenn es einen Genuß auf Erden giebt, den keine Macht verbieten, keine sich ausschließend zueignen darf, der allen ewig gemein bleiben muß, und zu dem man berechtigt ist, indem man Sinn dafür hat: — so ist es der Genuß dieses Anblicks. — Doch ich vergesse, daß der Schwan ein königlicher Vogel ist, und daß es Länder giebt, wo niemand einen Schwan halten darf, als der König, d. i. derjenige, der wahrscheinlicher Weise nicht zu em- pfinden weiß, wie liebenswürdig die Natur in diesem Thiere ist. — Ich gönne den Großen das Wild, das sie hegen: es ist O 2 billig, daß diejenigen unter ihnen, die nicht durch Wohlthaten des Herrscheramtes würdig sind, wenigstens zum Scheine fort- fahren den Nutzen zu stiften, weshalb man sie zuerst als Beschützer der Wehrlosen über Andere erhob; und wenn es heutiges Tages keine Raubthiere mehr giebt, um derent- willen man Heroen oder Halbgötter zu Hülfe ruft, so mögen ihre Abkömmlinge meinetwegen Hirsche in ihren Parks ein- sperren, oder ihren Unterthanen verbieten einen wilden Eber zu tödten, damit sie an einem gesetzten Tage ihn vor ihrem Richter- stuhl vorbei jagen lassen, und mit eignen Händen erlegen können, wie der Kaiser von China jährlich einmal den Pflug mit hoher Hand berührt, zum Zeichen, daß vor meh- rern tausend Jahren ein Kaiser durch dieses Werkzeug den Namen eines Landesvaters verdiente. Aber, daß ein Mensch sich erfrecht, allen andern den Besitz eines zah- men Vogels zu verbieten: das scheint so arg, als wollte er ihnen die Fenster an den Häusern, oder die Augen im Kopfe ver- schließen; und daß Menschen dies von einem dulden, beweiset nur, wie tief die Menschheit sinken kann. So kamen wir um drei Uhr nach Wood- stock , wo die ganze Stadt in Bewegung war, weil die Wahl zweier Repräsentanten heute vor sich ging. Alles, bis auf die Straßenjungen, trug Kokarden, gleichviel von welcher Farbe; die Frauenzimmer, jung und alt, häßlich und schön, reich und dürftig, hatten ihre Feierkleider an, und von allen Seiten ertönte ein ewiges Huzzah! Vor unserm Gasthofe weheten hoch in der Luft drei große, weiß-seidne Fahnen, worin die Wapen der Bürgerschaft und der neuen Parlamentsherren, nebst allerlei em- O 3 blematischen Verzierungen in Farben prang- ten; denn heute speiste die Bürgerschaft mit den neugewählten in dem Gasthofe, nach- dem man diese letztern, wie die Sitte es mit sich bringt, in große Armstühle gesetzt und herumgetragen hatte. Uebrigens war hier keine Uneinigkeit, keine Gegenparthei; der Einfluß des Herzogs von Marlborough ist in Oxfordshire so unwiderstehlich, daß man die Parlamentsglieder, sowohl für Wood- stock als für die Grafschaft selbst, ohne Widerrede nach seinem Wunsche wählt. Sein ältester Sohn, der Marquis Blandford , wird in diesem Parlamente die Grafschaft Oxford, und ein jüngerer, Lord Henry Spencer , die Stadt Woodstock repräsentiren. Die Betrachtungen, die sich bei dieser Ver- anlassung über die Konstitution von Eng- land machen lassen, und die wir wirklich zu machen uns nicht enthalten konnten, will ich nicht alle hierher setzen. So viel ist indeß gewiß, daß die blinden Verthei- diger und übertriebnen Lobredner eben so weit vom Ziele sind, als die plumpen Tad- ler dieser berühmten und in der That merk- würdigen Verfassung. — 12. Blenheim . W ie mag dem großen Churchill zwischen diesen unaufhörlichen Apotheosen zu Muthe gewesen seyn! Etwa wie Ludwig XIV bei den ewigen Fêten und Vergötterungen in Versailles? Die menschliche Natur kann das nicht ertragen. Ludwigs Schicksal ist be- kannt. Seine Imbecillität datirte von diesem Zeitpunkte. Marlborough ward aber auch kindisch und furchtsam vor seinem Ende; und ich möchte nicht dafür schwören, daß nicht die Tapeten das Ihrige dazu gethan haben. Wie aber, wenn er in dem Augen- blicke, da er seiner Geisteskräfte noch nicht beraubt war, mitten unter diesen ungeheu- ren Bildern seiner Größe das Loos der Menschheit tragen, und in körperlichem Schmerz sich winden, von Gicht oder Kolik gequält werden mußte; wie klein und ver- ächtlich mochte er sich da fühlen! Ich für mein Theil bin froh, daß ich nicht Marl- borough bin, und seine Thaten gethan habe, um so zu Schanden gemacht zu werden mit der Geschwätzigkeit des Ruhmes. Ich ge- stehe, der üble Geschmack, womit man ihn in der großen Halle zwischen den kleinen lachenden Faun und die Mediceische Venus hingestellt hat, ist mir wegen der Lächer- lichkeit noch die willkommenste von allen diesen Vergötterungen. Ich lache heute über diese Eitelkeit — indeß vielleicht morgen ein Recensent dafür meinen Leichtsinn und meine Fühllosigkeit straft —; allein, zwi- schen heute und morgen habe ich beides, gelacht und geweint: über mich selbst, über ihn, und über die ganze Welt. Ist es nicht O 5 Thorheit, die Schriftsteller richten zu wol- len wegen einzelner Empfindungen eines Augenblicks, wo man vielmehr ihre Offen- herzigkeit, das Herz des Menschen aufzu- decken, bewundern sollte? Wenn sie einen Fehler dabei begehen, so ist es nur eine un- schickliche Wahl in der Darstellung der Eindrücke, die ihr Gefühl bestürmten. Die schnellen tausendfachen Übergänge in einer empfänglichen Seele zählen zu wollen, die sich unaufhörlich jagen, wenn Gegenstände von außen, oder durch ihre lebhafte Phan- tasie hervorgerufen, auf sie wirken, wäre wirklich verlorne Mühe. 13. Oxford . Den 18. Jun. E inen Englischen Musensitz erkennt man leicht an den schwarzen viereckten Biretten der Studierenden, und an ihren langen schwarzen Mänteln mit kurzen weiten, oder sehr langen engen Ermeln. Man glaubt, die Schüler eines Jesuiter-Kolle- giums zu sehen; und in gewisser Rücksicht sieht man sie in der That. Ich wurde sehr lebhaft an Wilna in Litthauen erinnert, als ich diese possierlichen Gespenster an mir vorüber flattern sah. Ich weiß wohl, die Kleidung allein thut nichts zur Sache; sie ist aber auch nicht so gleichgültig, als man denkt: sie steht in unmittelbarer Verbindung mit Gesetzen, For- malitäten und Zwangssystemen, welche eine Falte in den Charakter biegen, deren Spur auf Zeitlebens unauslöschlich bleibt. Die monastische Ordnung, welche auf den Englischen Universitäten eingeführt ist, hat man oft in Deutschland als musterhaft gepriesen — weil man sie nicht kannte. Die Strenge geht hier so weit, daß man kein Gesetz mehr beobachten kann. Dieser Fall ist in England nicht selten. Die Ge- setze gegen die Katholiken sind so drückend, daß man sie schlechterdings nicht mehr in Ausübung bringt; und dennoch hat man nicht den Muth, sie abzuändern. Kein Volk hängt so blindlings an alten Formen, wie das Englische; es knüpft den Begriff seiner politischen Existenz daran. Sagt ihm, die Abschaffung eines einzigen Gesetzes gegen die Katholiken sei gefährlich, so rottet sich der Pöbel noch heute zusammen, und Gor- dons Wahnsinn wirkt zum zweitenmal eine furchtbare Empörung. — Die Studenten in Oxford müssen sich so manchen Erbärm- lichkeiten unterziehen, daß sie im Wesent- lichen mehr Freiheit genießen, als andere Studenten auf Deutschen Universitäten; und wohl dem Lande, daß dem also ist! Zwi- schen dem blinden Gehorsam des Schulkna- ben, und dem freien Willen des Mannes, muß es einen Mittelzustand geben, in wel- chem der Mißbrauch der Selbstherrschaft so wenig üble Folgen für das Gemeinwesen hat, als möglich. Sonst wird, wenn der Jüngling auch noch Sklav bleibt, erst der Mann im Amte sich seinen Ausschweifun- gen überlassen, und sein Toben wird von üblen Folgen für das gemeine Beste seyn. Wenn hingegen ein Student seine Freiheit mißbraucht, so schadet er höchstens sich selbst, und gewinnt unter seines Gleichen bald so viel Erfahrung, als er zur Lebens- nothdurft bedarf. Ich weiß zwar wohl, daß es theoreti- sche und praktische Erzieher giebt, welche den Zögling nie genug einzuschränken und zu fesseln glauben: Menschen, die sich vor- stellen, man dürfe die menschliche Seele im Erziehungsinstitute treiben, wie man Spar- gel im Lohbeete treibt, und die dann auch wirklich nur saft- und kraftlose, ekelhafte Geschöpfe in die Welt liefern, unfähig, sich auf einen Augenblick von ihren aus- wendig gelernten Regeln zu entfernen, und selbstständig zu denken, Maschinen in jeder Bedeutung des Wortes! An ihren Werken müssen wir sie erkennen. Es ist eine leichte Kunst, Maschinen aus Menschen zu schnitzen; aber die menschliche Natur in ihrer Würde zu lassen, und Kräften, die eine höhere Hand schuf und in die einzelnen Keime legte, zu ihrer freien vollkommenen Ent- wickelung behülflich zu seyn, anstatt ihnen unwürdige, verunstaltende Fesseln anzule- gen: — das ist die große Kunst, wozu die wenigsten Erzieher Geduld, Billigkeit und Selbstverläugnung genug besitzen. Anstatt den Zögling den Gebrauch seiner Anlagen zu lehren, wollen sie immer nur, daß er sie nach ihrer Art gebrauchen soll, und ma- chen ihn zur schlechten Kopie eines elenden Originals. Ihr kurzsichtiger, enger Egois- mus ist nicht zufrieden, Menschen in ver- schiedenen Graden der Intension, ihrer ver- schiedenen Organisation und der damit ver- knüpften Kräfte genießen zu sehen, und sich des mannigfaltigen, unerschöpflichen Reichthums der Natur zu freuen; sondern es ist ihr armseliger Ehrgeitz, nach ihrem Bilde alles um sich her modeln zu wollen. Ich brauche nicht zu sagen, wie sehr diese Methode auf die Verewigung der Vorur- theile und Irrthümer abzwecken muß: denn ich behaupte sogar, daß, wenn ein solches Unding, wie ein vollkommnes System , mög- lich wäre, die Anwendung desselben bei der Pädagogik für den Gebrauch der Vernunft dennoch gefährlicher als jedes andere wer- den müßte. Die Idee des Unverbesserlichen zieht einen lähmenden Mechanismus nach sich, welcher mit dem Chinesischen Sitten- gesetz am besten exemplificirt wird und den Begriff von Tugend ganz aufhebt. Der Erzieher hätte meines Erachtens wenig Ver- dienst um die Menschheit, der die Jugend dahin gebracht hätte, alles zu thun oder zu lassen, je nachdem es dem gewohnten Her- kommen gemäß ist oder nicht, oder, was auf Eins hinausläuft, nachdem es mit den Regeln, die er von seinem Lehrer lernte, über- übereinstimmt, oder ihnen widerspricht. Alle dogmatische, alle geistliche Erziehung hat mehr oder weniger diese Tendenz, und ihr nachtheiliger Einfluß, der allerdings hier durch viele andere Umstände gemildert wird, äußert sich doch wirklich noch kenntlich genug in der Denkart und den Handlungen der Engländer. Es ist ihnen freilich eben nicht anzusehen, daß sich alle nach dem Geläute des Tom richten müssen, so wenig es den jungen Edelleuten einen Adelstolz einflößt, daß sie bei den Mahl- zeiten an einem eigenen Tische sitzen, und durch allerlei kleine Vorrechte, wie z. B. den Gebrauch der kollegialischen Bibliothe- ken, vor den Bürgerlichen ausgezeichnet werden. Unstreitig ist ihre Anzahl zu un- bedeutend, als daß sie unter sich bleiben, und die große Masse der Studirenden ganz entbehren könnten; daher müssen sie ihre III. Theil. P Vorrechte fahren lassen, und wenigstens im Umgange sich der Vorzüge entäußern, welche die monastisch-pfäffische Einrich- tung ihnen mit Hinsicht auf einen mög- lichst zu unterstützenden Despotismus ver- lieh. Hingegen ist es sehr die Frage, ob da, wo die Eigenliebe des großen Haufens der Studenten nicht in Kollision kommt, nicht der Grund zu jener blinden Anhäng- lichkeit an religiöse Vorurtheile gelegt wird, wodurch die Engländer sich aus- zeichnen, und worauf unter andern ihr Be- harren bei der unsinnigen testact beruhet. Ich meines Theils begreife nicht, wie junge Männer der Alternative des Aberglaubens oder des Unglaubens entgehen können, wenn sie sich hier sechs bis acht Jahre lang viermal täglich zum Gebet in der Kapelle ih- res Kollegii einstellen müssen. Dieses Opus operatum , wovon sich die guten Wirkungen in der Kapelle von Christchurch College , drei Schritte weit vom Altar, an den in die Bank geschnitzten Eselsköpfen, Namen u. s. f. erkennen lassen, muß einen geistigen Stumpfsinn bewirken, wenn es wirklich zur Gewohnheit wird. Wer schön erhaltene Gothische Gebäude sehen will, komme hierher. Oxford nimmt sich, nach London, vielleicht unter allen Städten Englands aus der Ferne — und fast möchte ich hinzusetzen, auch in der Nähe — am besten aus. Ein Wald von Gothi- schen Thurmspitzen ragt aus den schatten- reichen Gängen und Gefilden an der Kam und Isid hervor, und zwischen ihnen prangt mit allem Pomp der modernen Baukunst der Dom von Radcliffs Rotonda, und das schöne Achteck seiner Sternwarte. Wandelt man P 2 auf den reinlichen, wohlgepflasterten, und meistens mit guten neuen Häusern bebaue- ten Straßen, so erstaunt man, überall die weitläuftigen Klostergebäude zu erblicken, welche der Brittischen Jugend, aber noch mehr dem theologischen Wohlleben, gewid- met sind. Aus einem geräumigen Vorhof, aus einer Halle tritt man in die andere, und es giebt hier Kollegia, wie z. B. das von Christchurch, die aus vier großen an ein- ander stoßenden Vierecken bestehen. Der Umfang dieser prächtigen Werke des Alter- thums ist so ungeheuer, daß man nicht weiß, ob man mehr über die Verwegenheit des Eifers, oder über den Mißbrauch der Kosten erstaunen soll. Die große westliche Facciate des größern Vierecks in Christ- church College hat eine Länge von 382 Fuß, und seine Gothischen Thürmchen steigen leicht und kühn in die Luft. Nichts kann einen angenehmeren Effekt machen, als der schöne weite Bogen, der sich über dem Thor von Merton College wölbt, mit den Schnirkeln und Verzierungen, die den in- nern Raum des Bogens füllen, und den ho- hen krausen Gipfeln des breiten, viereckten Thurms, durch den Ulmenhain gesehn, der dieses Gebäude umgiebt. Allsouls College ist beinahe das shönste Gothische Gebäude an Einfachheit und schlanker Kühnheit seiner rund um das Viereck aufsteigenden Pfeiler, und der beiden hohen, wie Cypressengipfel sich verlängernden Thürme. Nirgends war mir die Ähnlichkeit dieser Bauart mit ei- nem angepflanzten Walde so auffallend, als hier und vor dem Stufengange, der zum großen Speisesaale in Christchurch College führt. Hier ruhet der Mittelpunkt des Ge- wölbes auf einer zarten schlanken Säule, de- ren Äste sich oben palmenförmig ausbrei- P 3 ten, zierlich wölben, und den Wölbungen des Schwibbogens nach allen Seiten hin ent- gegen streben. Die Gothische Bauart, wie auffallend auch ihre Mißverhältnisse sind, ergreift die Phantasie auf eine unwiderstehliche Weise. Wie leicht schießen diese schlan- ken Säulen so himmelhoch hinan! Durch welche Zauberkraft begegnen sich ihre hö- her sprossenden Äste, und schließen den spitzen kühnen Bogen! Romantische Größe, schauervolle Stille, lichtscheue Schwer- muth und stolzes Bewußtseyn füllten die Seele, die sich in diesen Formen gefiel, und in ihnen sich äußerte; — denn diese For- men wecken jene Gefühle in einem Sinne, der sie wieder auffaßt. — Die Kollegia sind indeß nich auf einmal zu ihrer jetzigen Größe und Pracht gediehen. Dies läßt sich schon im voraus- vermuthen, und oft giebt es auch der bloße Anblick, und die heterogene Einmischung Römischer Architektur zwischen den altgo- thischen Steinmassen. Peckwater court in Christchurch College ist ein modernes mit Radcliffe’s Vermächtniß erbautes Viereck; Magdalen College hat ebenfalls eine moderne Partie, u. s. f. Allein sehr alt sind freilich die hiesigen Gebände nicht. Magdalen Col- lege ward als ein Hospital von Heinrich III gestiftet, erst 1456 in ein Collegium ver- wandelt, und von Wolsey endlich mit dem Thurme verziert. Wolsey hat auch Christ- church College erbauet. Von University Col- lege ward der Bau erst 1634 angefangen, und durch Dr. John Radcliffe vollendet. Allsouls College ward 1437 gegründet; Bra- senhose College in 1507. Hertford College fing man erst vor siebzig Jahren an wie- der aufzubauen. Watham College ward P 4 erbauet 1613; Trinity 1594; Balhol 1284; St. John’s 1557, und später; Worcester 1714; Exeter 1316; Jesus 1571; Lincoln (1717) — Oriel 1324. — Corpus Christi 1706; Merton 1610; Pembroke 1620. Der Aufwand im Innern dieser Gebäude ist nicht minder ungeheuer, und nicht min- der gothisch als die barbarische Pracht ihrer Mauern und ihrer unermeßlichen Säle. Marmorne Statüen der Stifter und Wohlthäter sieht man überall; Portraits der berühmten Gelehrten und Staatsmänner, die in den verschiedenen Kollegien jedes- mal studierten, verzieren die Wände. Dazu kommt noch, daß fast jedes Kollegium sei- nen eignen Garten hat. — Magdalen College hat sogar einen Park mit vierzig Stück Dam- hirschen, von denen die Herren sich güt- lich thun. Es ist allerdings eine schöne Sache um diese schattenreichen Gänge, die- sen Ακαδημειαις bei jedem Kollegium, der Betrachtung und Philosophie geweihet; allein diejenigen, die des Umherlaufens in Gärten am meisten bedürften, sind eben die, welche davon ausgeschlossen sind — Nur die wohlbeleibten und mit reichlichen Einkünften versehenen Fellows haben Er- laubniß dieses Heiligthum zu betreten, und ihnen wird vermuthlich auch allein das feiste Wildpret zu Theil. Die Glasmalerei ist ein anderer Luxus in diesen Gebäuden; beinahe eine jede Ka- pelle hat etwas von dieser Art aufzuweisen, und eine wetteifert darin mit der andern. Einige Fenster sind so alt, daß man das Datum ihrer Verfertigung nicht weiß; die meisten sind aus dem 16ten, 17ten und An- fang des 18ten Jahrhunderts. Einige, zu- mal in Allsouls-College, sind von ausgezeich- neter Schönheit, und noch immer fährt man P 5 fort in dieser kürzlich wiedererfundenen Kunst neue Stücke ausarbeiten zu lassen, und die ungeheuren Einkünfte der Kollegien für bunte Glasscheiben zu verthun. Eine Seltenheit von ganz besonderer Art sind die emblematischen in Stein gehauenen Figuren, welche in dem Viereck von Mag- dalen College rund umher an den Wänden angebracht sind. Die bizarren Erfindungen des Sicilianischen Prinzen, von welchem Brydone erzählt, können nicht toller ausse- hen, und man brauchte ihretwegen nicht so weite Reisen zu thun. Hier giebt man sie für Allegorieen aus. Vielleicht sollen auch jene Sicilianischen einen Sinn haben, und es kommt nur darauf an, daß jemand sich die Mühe giebt ihn herauszubringen, und hinterdrein auszurufen: if this be mad- neß, yet there’s method in’t. Christchurch College . Dieses Kollegium war anfangs ein Non- nenkloster unter S. Frideswiden; hernach ward ein Mannskloster von Regularibus, Augustinern, daraus; und erst spät bei der Aufhebung desselben stiftete Wolsey das Kollegium, welches in der Folge, als man in Oxford ein Bisthum stiftete, sammt der dazu gehörigen Kirche zum Kapitel und zur Kathedralkirche erhoben ward. In der Ka- pelle zeigt man noch Monumente vom Jahre 740 und älter. Die hiesige Bildergalerie soll 35000 Pfund gekostet haben; der General Guise hat sie hierher geschenkt. Auf die Vortreff- lichkeit und Ächtheit einer Damaskener- klinge hätte er sich vielleicht besser ver- standen; denn diese Bilder sind großen- theils Kopieen, so viel man sich auch dar- auf zu gute thut, und zum Theil sehr schlechte Kopieen. Das beste ist unstreitig ein verblichener Carton von Andrea del Sarto, eine heilige Familie, von exqui- siter Zeichnung. Annibal Caracci’s Bild von seiner Familie, als Fleischer ge- kleidet, war mir wegen der plumpen Phantasie des Malers merkwürdig. Dieser Mensch konnte nicht dichten. Hier ist ein Fleischerscharrn mit großen Fleischstücken abgebildet, und die Söhne des alten Caracci’s sind die Metzger. — Dies ist auch der ganze Charakter seiner Werke; Fleisch und Blut konnte er nachbilden, aber nicht den leben- digen Geist. Es sind allerdings unter die- ser zahlreichen Sammlung einige Originale; allein es ekelt einen über allen Ausdruck, den Führer je zuweilen eine Kopie einge- stehen zu hören, oder mit dem Ausdruck: nach Raphael, nach Titian, nach Guido, der Lüge zu entgehen, indeß er sich bei diesen Geständnissen das Recht vorbehält, die ärgsten Sudeleien für Meisterwerke von der Hand der größten Künstler auszugeben. Von Holbein sah ich hier ein paar schöne Köpfe, wie denn überhaupt seine besten Arbeiten in England anzutreffen sind. Es ist in diesen weniger Härte, als ich ihm sonst zugetrauet hätte, und eine unüber- treffliche Treue. Kein Strich, kein Zug ist vergessen; aber von dem Seinen ist nichts hinzugekommen: denn was der Künstler hinzuthun soll, Genie in der Darstellung und Idealisirung, das hatte er nicht. Fleiß und Anstrengung sind unverkennbar. Eine sehr zahlreiche Sammlung von Ge- mälden befindet sich in einem akademischen Gebäude, neben der Bodleyischen Biblio- thek. Hier ist ein Gemisch von Gutem, Mittelmäßigem und Schlechtem zusammen gehäuft, dessen vorzüglicher Werth nur darin besteht, daß selbst ein schlechtes Por- trät doch einige Idee von einem berühmten Manne, den es vorstellen soll, erweckt. Was hier außer den Porträten vorhanden ist, verdient keine Erwähnung. In Megdalen College wird die Kapelle jetzt reparirt. Wir sahen daher das schöne Altarblatt in der alten Bibliothek, wo die Bücher noch, nach der beliebten Methode der Klosterherren, an Ketten liegen. Der Guido ist in der That dieses Ganges werth, und eins der vortrefflichsten Werke von diesem Maler. Es ist ein Christus, der sein Kreuz trägt, in Lebensgröße In dem Ko- pfe liegt ein wunderbarer Reichthum von Seelenausdruck, der den Zuschauer, wel- cher auch von dem dargestellten Gegen- stande nichts wüßte, doch mit Entzücken über den Dichtergeist des liebevollen Künst- lers erfüllen muß. Es ist fast der vollen- detste Christuskopf, den ich je gesehen habe. Man erstaunt, daß der Künstler die- ses Interesse unter den übrigen nachtheili- gen Umständen der darzustellenden Ge- schichte erwecken konnte. Die Stellung un- ter dem schweren Holze, das Christus trägt; die unmalerische Figur dieses Holzes selbst; die Entstellung der Gesichtszüge durch die livide Farbe, welche von den Wunden der Dornenkrone verursacht wird; der Strick um den Leib, der auf der Erde schleppt: — alles scheint sich verschworen zu haben, den edlen Gegenstand unter den ungünstig- sten Verhältnissen so unedel als möglich erscheinen zu lassen. Dennoch hat der Geist des Künstlers gesiegt, wo er ungefesselt blieb. Schade nur, daß er gerade diesen Zeitpunkt wählte! Doch wie oft ist es der Fall, daß der Künstler wählen darf? Ein Mönch oder ein Pfaffe, oder, was noch ärger als beide ist, ein Andächtler, bestimmt das Süjet, und dem Maler bleibt nur das Ver- dienst übrig, die neue Schwierigkeit, die aus der Wahl eines unschicklichen Gegen- standes entspringt, durch seine Kunst zu überwinden. In Allsouls College sieht man ein Altarblatt von Rafael Mengs. Es ist ein Heiland im Garten, nach der Auferstehung. Magdalene liegt vor ihm auf den Knieen, und seine Linke gebietet ihr, ihn nicht zu berühren. Dieses berühmte Noli me tangere ist unstrei- tig besser gemalt als der Guido; allein es läßt den Zuschauer kalt, weil ihm die thea- tralische Stellung nicht den Ausdruck ersetzt. Es ist fast nicht möglich einen schönern Körper als den des Heilands zu sehen; jeder Zug ist der Natur abgeborgt; das Ganze ist — eine sehr schöne Akademie. Auch wüßte ich nicht, daß Rubens etwas wahrer und und schöner kolorirt hätte. Ich finde die Draperie edel, die Verkürzung des Arms meisterhaft, den Christus-, oder besser, den bärtigen Bacchuskopf von großer Schönheit, und selbst die knieende Magdalene hat genug von einer Niobes-Tochter, um vor Kenneraugen Gnade zu finden. Allein dieser behagliche Christus-Kopf sagt mir nichts, erzählt nichts von seiner Geschichte; und die Magdalene mit den Thränen im Auge, scheint zu weinen, weil sie zurückgestoßen wird, nicht weil sie ein Wunder ahndet. Die Ausführung und Vollendung dieses schönen Gemäldes geht übrigens bis in die geringsten Details. Die Blumen und Kräuter, die Cypressen in der Mitte, und die Wipfel der Palme in der einen Ecke des Bildes zeugen von der Sorgsamkeit des Künstlers, auch in diesen hors d’œuvres nichts was täuschen konnte zu vernachlässigen. III. Theil. Q Botanischer Garten zu Oxford . Der Garten enthält fünf acres. Henry d’Anvers Earl of Darby kaufte den Grund von dem Magdalen-College, und schenkte ihn der Universität. Das Thor am Eingang, von Inigo Jones gebauet, ist mit den Statüen Karls des Ersten, Karls des Zweiten, und des Grafen von Darby geziert. Dillenius, der von Gießen berufen wurde, Scheuchzer, der erste, der vor Leers Gräser kannte, Sherard, der sich lange in Smyrna aufhielt, waren Aufseher dieses Gartens. Dr. Sherard, aus dessen Stiftung der Prof. Botanices ein Gehalt bekommt, führte ein eignes Gebäude im Garten auf; der geräumige Saal darin dient zur Büchersammlung, zu den Herba- rien, und zu den öffentlichen Demonstratio- nen. Die Büchersammlung ist wahrschein- lich die vollständigste in Europa. Am reich- sten ist sie an ältern Schriften, die Sherard aufs mühsamste bis zum Jahre 1726 sam- melte. An neuern Schriftstellern wird sie bis jetzt noch von der Banksischen Biblio- thek übertroffen; doch hat Professor Sib- thorpe (of Lincoln College) auch diesem Man- gel abzuhelfen gesucht. Rudbeck’s campi Elisti sind vollständig hier; sie existiren außerdem nur in Upsal und bei Sir Joseph Banks, alle andere Exemplare sind verbrannt. Die Orchis, Serapias, und Irisarten sind in Holzschnitten vortrefflich darin abge- bildet. Eine Sammlung ausgemalter Zeichnun- gen von Japanischen Pflanzen ist überaus sauber, und ohne Vergleich deutlicher als die oft citirte Sudelei von Menzel, die man Flora Japanica nennt. Ein Japanese, der nach Oxford kam, hat mehrere dieser Pflan- zen benannt. Q 2 Etliche Volumina Indischer Pflanzen- zeichnungen, die Boerhave kaufte, und die noch ungestochen sind. Herbaria. Das von Dillenius, aus dem viele Pflanzen durch Raub in die Heinische Sammlung kamen. Originalzeichnungen von Dillenius zum hortus Eltamensis, zur histo- ria muscorum, ebenfalls noch ungestochen. Sammlung von Kryptogamisten, aufgeklebt, eben so wie sie in der historia muscorum ge- stochen sind. — Herbarium von Sherard, nebst dem Banksischen und Linnéischen wohl das erste in der Welt. Als Dr. Sherard Kon- sul zu Smyrna war, schickte er junge Leute durch den ganzen Orient, um Pflanzen zu sammeln; auch vergrößerte er seine Samm- lung ansehnlich durch Ankauf aller Dublet- ten aus dem Tournefortschen Herbarium, und durch Geschenke. Sir Joseph Banks erstaunte, als er von der Südsee zurückkam, hier Pflanzen aus Neuholland zu finden. Sie waren von Dampier hierher geschenkt. Dr. Sibthorpe ist damit beschäftigt, das große Sherardische Herbarium nach dem Linnéi- schen System zu ordnen. Es enthält auch viele Pflanzen von Vaillant, Bocconi, und Micheli Fiorentino. — Herbaria von Morison und Scheuchzer. Der botanische Garten enthält einzelne Seltenheiten; im Ganzen aber weder eine solche Varietät von Pflanzen, als der Göt- tinger oder Salzwedelsche, noch so alte und prächtige Exemplare, als der Berliner oder Amsterdammer. Eine große Zierde dieses Gartens ist die vollständige Sammlung in- ländischer Englischer Gewächse, welche auf einem eigenen Quartiere kultivirt wer- den. Mehr Grasarten sind wohl kaum in Erlangen zu finden, als hier. Zwei Ge- wächshäuser, größer als die Göttinger, Q 3 aber ohne Vergleich kleiner als die Berli- ner. Eine neue Grasart, deren Blätter wie Citronen riechen, vermuthlich eine Agrostis, hat nie geblühet. Aus dem Archipelagus hat Sibthorpe viele neue Species gebracht, neue Hesperis, Thymus, Verbascum, Campanula, neue Gräser — alle wohlriechend. Nach- dem er den größten Theil von Spanien, Frankreich, Deutschland und der Schweiz durchreist war, ging er mit Bauer (dessen Bruder mit dem jungen Jacquin nach Lon- don zu Banks kam) von Wien nach Neapel; von Neapel im Sommer auf einem Engli- schen Schiffe nach dem Archipelagus. Dort schifften sie mit einem kleinen Boote, das von fünf Mann gerudert wurde, von einer Insel zur andern. Sie besuchten den Pelo- ponnes, einen kleinen Theil von Macedo- nien (wegen der Unsicherheit), Negro- pont, Rhodus, Cephalonia, das dürre Cy- pern u. s. w. und Candia, die pflanzen- reichste Gegend im Ionischen Meere. Den Winter brachten sie in Pera zu, wo ihnen Hawkins nachkam; und den zweiten Som- mer gingen sie mit Hawkins und einem Eng- lischen Kapitain auf einem Venetianischen Schiffe wieder nach den Griechischen Inseln und Klein-Asien. Im Herbst kehrten sie über Italien zurück. Morina Persica bedeckt den ganzen Parnaß. Der Helleborus der Alten ist eine neue Species, ein Mittelding zwi- schen Helleborus niger und viridis; doch dem letzteren näher. Arbutus Andrachne ist es, dessen Dioscorides erwähnt, nicht Arbutus Unedo, wie die Kommentatoren glauben. Es ist der gemeinste, aber wegen seiner glatten, vielfarbigen Rinde, auch der schön- ste Baum auf den Griechischen Inseln. We- der Dianthus caryophyllus, noch Rosa centi- folia, fand Sibthorpe irgendwo wild, wohl Q 4 aber den seltenen, und über alle Beschrei- bung prächtigen Dianthus fruticosus und Dianthus arboreus . Bei Paros, an einem Tempel, fand Sibthorpe noch denselben Laurus nobilis , den Pausanias beschreibt. Überhaupt wird Sibthorpe an 500 neue Spe- cies aus dem Griechischen Meere herausge- ben. Zeichnungen brachte er gegen 1000 mit. Lizari ist korrumpirt von Rizari , schlecht- weg die Wurzel , wegen der Wichtigkeit der Pflanze. Diese wahre Rubia tinctorum fand Sibthorpe noch eben da in der Gegend von Athen, wo Dioscorides ihre Kultur be- schreibt. — Ein Grieche versicherte Sibthor- pe’n im Archipelagus, daß der obere Theil der Euphorbia Apios Erbrechen, der untere Durchfall verursache. Das große Specimen von Myrtus Pimenta im Oxfordischen Gar- ten hat folia decussata opposita . Die Tür- ken essen die Frucht vom Prunus Laure- ceracus. Sibthorpe selbst konnte nicht ausfin- dig machen, welche Gattung von Papaver das Opium giebt. Es scheint ihm Papaver orientale zu seyn. Er zeigte Ladanum vor, das er selbst vom Cistus creticus gesam- melt; auch ächtes Balsamum Meccae , das dem Englischen Gesandten aus dem Serail geschenkt war. Sibthorpe glaubt, es komme von Amyris Opobalsamum : eine Fabel, die ja schon Gleditsch widerlegt hat. Der botanische Kursus in Oxford dauert nur sechs Wochen. 14. Dover . Den 28sten Jun. Abends 9 Uhr. D iesen Spaziergang am Strande gäb’ ich nicht um vieles! Es war etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang; der Himmel blau und heiter und wolkenleer über uns. Das Meer rauschte auf den Kieseln des abschüssi- gen Strandes fast ohne Wellen; denn ein sanfter Morgenwind hauchte nur längs sei- ner Oberfläche hin, und die Ebbe milderte die Gewalt der majestätisch anprellenden großen Kreise, die der Krümmung des Ufers parallel in schäumenden Linien verrausch- ten. — Hinter uns hing Shakspeare’s Fel- sen hoch und schauervoll in der Luft: eine thurmähnliche senkrecht abgestürzte Masse, fünfhundert Fuß über der Meeresfläche erhaben, weiß, und nur mit etwas daran hangendem Grün verziert. Links auf einer ähnlichen doch etwas mindern Höhe, über dem Kieselstrande, straub- ten sich im magischen Lichte der Dämme- rung die malerischen Thürme des Schlosses von Dover, gleichsam vor dem Sturz, an dessen Rande sie standen. Und jenseits des blauen Meeres, das links und rechts im un- absehlichen Horizont sich verlor, lag Frank- reichs weiße und blaue Küste in manchen hervorspringenden Hügeln vor uns hinge- streckt. So wie wir dieses Schauspiel be- trachteten, und von einem Gegenstande zum andern unsre Blicke wandern ließen, wachten neue Empfindungen in uns auf. — Plötzlich, indem ich die felsenähnlichen Spitzen des Schlosses betrachtete, that mein Reisegefährte einen Schrei — des Erstaunens und Entzückens. Ich wandte mich um, und sah über dem Ufer von Calais ein auflo- derndes Feuer. Es war der Vollmond, wel- cher göttlich aus dem Meere stieg, und all- mählich sich über die Region der dichtern Dünste erhob. Welch ein Anblick von un- beschreiblicher Einfalt und Pracht! Bald höher und höher emporschwebend, schickte er von Trankreichs Ufer bis nach Albion herüber einen hellen Lichtstreif, der, wie ein gewässertes Band, zwischen beiden Ländern eine täuschende Vereinigung zu knüpfen schien. Im Dunkel das längs der Felsenwand unter dem Schlosse herrschte, flimmerte ein Licht romantisch hervor; über Shakspeare’s Cliff hing ein schöner Stern im weißesten Glanze nieder. O Natur! die Größe womit du die Seele erfüllst, ist heilig und erhaben über allen Ausdruck. Shakspeare’s Cliff nannten uns die Knaben, wie sie am Strande spielten, bei diesem ge- liebten Namen. IV. Rückreise von England . 1. Fahrt von Dover nach Calais . Am 29. Jun. Z ur Rechten von Dover am Ufer ist Shakspear’s Felsen ; zur linken Dover Cliff , sehr abgestürzt. Auf der Fläche in der Mitte des Busens ist die Stadt gebauet, und hinter der Stadt sieht man wieder einen ho- hen Kreidefelsen, der nackt und fast ohne alle Vegetation ist. Am Ufer liegen unzäh- lige abgerundete Feuersteine. In dem Kanale giebt es unzählige Delphin. Phoeaena, sechs bis sieben Fuß lang, die sich wälzen, u. s. w. Sie sollen Sturm pro- phezeien, weil sie nur bei stiller See zum Vorschein kommen. Die Franzosen essen sie, und machen auch Oehl daraus. Am Ufer findet man keine Conchylien, keine Zoophyten, auch bei Calais nicht, da sie doch bei Dünkirchen so häufig sind. Die Fluth treibt sie wohl durch den Kanal, und wirft sie an die vorstehende Belgische Küste. Während der Überfahrt bei Sonnen- schein bemerkten wir sonderbare leuchtende Punkte im Wasser, die eigenthümliches Licht zu haben schienen. Die Ufer von Calais sind niedrig, und haben nicht, wie die entgegengesetzten, vorstehende Kreidefelsen; daher kann man von Dover aus wohl die hohen Felsen bei Boulogne, aber nicht die Küste von Calais sehen. Auf dieser Küste liegen auch keine Feuersteine. 2 Auf der Reise nach Paris . D en 30. Jun. setzten wir in einer plum- pen, schweren, achtsitzigen Französischen Kutsche die Reise durch die Picardie fort. Die Kreideberge zu beiden Seiten des Kanals ähneln sich vollkommen. Welche Kata- strophe zerriß sie? Abstürze auf beiden Sei- ten zeigen sich hier und da; doch mehr in einem fort an der Englischen Küste. Wir sahen den Ort, wo der unglück- liche Pilatre du Rosier mit seinem Gefährten Romain hinunterstürzte. Seine Geliebte er- wartete ihn in Dover, ward wahnsinnig, und starb. Schon schwebte er weit über dem Kanal, als plötzlich der Wind sich in der obern Region änderte, und ihn wieder über das Land führte. Auf einmal sah man den Ballon Feuer fangen, und stürzen. In Boulogne sur mer , einer ziemlich gro- ßen Stadt, an einem kleinen unbequemen Fischerhafen, frühstückten wir. Die un- endliche Munterkeit der Französischen Sol- daten, in einer Schenke uns gegenüber, er- götzte uns sehr. Sie sangen ohne Aufhören. Der Franzose, der bei uns war, ließ von Zeit zu Zeit aus dem Wagen oder aus dem Fenster des Gasthofes ein lautes: Vive la Na- tion! erschallen, welches mit allgemeinem Jauchzen erwiedert ward. Die Kutsche fährt langsam, höchstens anderthalb Lieues in einer Stunde. — Der Weg ging durch eine schöne, reich be- bauete, offne Gegend. Die Landschaft hat einen andern Charakter, als die Englische, weil die Felder nicht mit lebendigen Hek- ken umzäunt sind. Zwischen Zwischen Abbeville und Amiens ist ein großer Torfmoor. Den Jahrmarkt, der eben in Amiens war, fanden wir sehr ärmlich, und hörten große Klage über den Stillstand der Plüchefabriken und anderer Wollenma- nufakturen, wegen des Kommerztraktates. Die Stadt ist ansehnlich, und hat schöne Promenaden. Es giebt in der Picardie viele Englische Schafe. Die beste Wolle findet man bei Calais; doch ist sie schlechter, als die Eng- lische. Liegt die Ursache hiervon im Kli- ma? Schwerlich. Oder in der Behandlung? der Fütterung? Die Weiden sind hier frei- lich gewiß schlechter, als am Avon. III. Theil. R 3. Rückreise von Paris . V on Paris reisten wir den 6. Julius über Livry und Cloye nach Meaux , welches eine alte, sehr schöne Kathedralkirche hat. Die Straße ging durch eine reiche Gegend, mit schönem Anbau und einer herrlichen Allee von Bäumen längs dem Wege. — La Ferté sous Jouarre ist hübsch gelegen. — Hier giebt es viele Berge, Sandstein; wenig An- bau. Die Marne und ihre Ufer sind sehr schön. Bei La Ferté ist eine Manufaktur von Mühlsteinen. — Chateau Thierri hat eine herrliche Lage — Ein großes Thal der Marne, in welchem die Stadt und die Masse von Thürmen aus dichtem Gebüsche her- vorragen. Das Schloß steht in der Mitte auf einem Hügel. Die besonders schönen Ul- men machen die Aussicht vorzüglich pitto- resk und reich. — Der Fleiß und die Ar- beitsamkeit des Landvolkes in dieser Ge- gend geben gute Hoffnungen für die Zu- kunft, wenn es Früchte seiner Arbeit ern- ten wird, und sie nicht mehr von Andern verschlungen seyn werden. Den 7. Jul . Wir fuhren um drei Uhr ab. Die gestrige Diligence von Metz war voll Deputirter, die nach Paris zogen; auch begegneten uns viele Extraposten mit diesen Herren. Ein reitzendes Thal von weitem Umfange öffnete sich vor uns, mit Kalkhü- geln umgeben, worauf der Weinbau sehr stark getrieben wird. Die Hügel sind schön gelegen, und haben einen vortheilhaften Abhang; ihr kreidenartiger Boden scheint ebenfalls dem Weinbau zuträglich zu seyn. Im Thale, welches eine große, breite, und R 2 mehrere Meilen lang zwischen den Hügeln sich hinziehende Ebene bildet, schlängelte sich die Marne zwischen Sandufern, wie ein Band von Silberstoff, indem die Mor- gensonne sie beschien. Die Äcker, Wiesen und Triften dieses Thals sind von großem Reichthum und unbeschreiblicher Schön- heit; über die Rebenhügel ragt ein höherer, wieder mit Korn bebaueter Rücken hervor, der oben mit Waldung, und zuweilen mit Städten und Dörfern gekrönt ist. Dieses Thal reicht bis Epernay , welches sehr ma- lerisch am Fuße der östlichen Hügel liegt, wo sie sich auf einer unabsehlichen Ebene verlieren. Wir erreichten diesen Ort um 10 Uhr, und setzten uns schon um halb eilf zu Tische, nachdem wir etwa zwölf Lieues zurückgelegt hatten. Nach Chalons flogen wir auf einer acht Lieues langen Ebene von herrlichem Getreidebau, und um vier Uhr kamen wir dort an, um unser Nachtlager zu halten. Chalons hat alte schöne Kirchen; ein prächtiges Hôtel de ville ; eine schöne, feste, einfache Brücke über die Marne; schöne, regelmäßig angepflanzte Promena- den; viele gute Gebäude. Aber die Straßen sind todt, und die Einwohner fehlen. Über- haupt giebt es in Frankreich mehr große Städte, als in England. Aber der Schmutz in den Wirthshäusern, die schlechte Bedienung, das grobe Tischzeug machen das Reisen hier ungleich beschwerlicher. Das Volk in die- ser Gegend ist im Ganzen phlegmatischer, als in der Picardie. Man findet im Allge- meinen unter den Franzosen vielleicht weni- ger Naturgaben — Phantasie ausgenommen — als unter den Engländern, aber mehr Kultur durch gesellschaftlichen Umgang: daher mehr Leichtigkeit und Artigkeit, und zugleich mehr Gleichgültigkeit gegen R 3 Reinlichkeit, Bequemlichkeit u. s. w., we- niger Luxus. Den 8. Jul . Die Ebene geht gegen sechs bis acht Lieues fort; sie ist überall bebauet, und man sieht fast nirgends einen Baum. Ein, fünf Viertel-Lieues langes Dorf liegt längs dem Wege in einiger Entfernung rechts, an einem Bach, überall mit Pappeln und Weiden umgeben, die denn hier zur Feuerung dienen. Das Erdreich ist hier sehr arm; kaum drei bis vier Zoll tief, so ist man auf der Kreide. Daher wird schnell gepflügt und viel bestreift; es scheint viel brach zu liegen. Man brennt in der hiesigen Gegend Steinkohlen, die unweit Sainte Ménéhould und bei Troies gegraben werden. Bei Sainte Ménéhould (10 Lieues von Chalons ) fangt es wieder an hügelig zu werden. Ein Wald von Obstbäumen erstreckt sich fast ein Paar Lieues zwischen Sainte Ménéhould und Clermont ; dieser letztere Ort verkauft in guten Jahren für 12000 Livres Kirschen. — Auf den Bergen von Clermont findet man schöne Waldungen, wovon die vielen Glas- hütten um Clermont guten Gebrauch machen. Das Erdreich ist grauer Kalkmergel. Von Clermont , wo wir zu Mittag aßen, bis Verdun , fährt man fünf Lieues, und über ein Mergelgebirge, welches aus lang- gestreckten wogigen Rücken besteht, und wovon das Gestein näher nach Verdun zu immer grauer wird, und in Thommergel überzugehen scheint. Hier liegt sehr viel Land brach, weil das Erdreich nicht ergie- big ist. Man sieht indeß doch schöne reiche Saaten, welche oft ganze Ebenen oder Rü- cken, meilenweit ohne etwas das den An- blick unterbricht, bedecken. Bei Verdun liegen einige sehr schöne Rebenhügel, wor- auf guter Wein wächst. Verdun ist kleiner als Chalons , aber ungleich schöner gelegen und besser gebauet. Die Festungswerke werden nicht mehr unterhalten. Die Stadt liegt auf Hügeln, die Citadelle sehr hoch. Die Maas fließt langsam mitten durch die Stadt. Die Wälle, die mit Linden und Hagebuchen herrlich bepflanzt sind, machen den schönsten Spaziergang; die Citadelle mit ihren hohen Wällen und Gräben, und schönen Gebäuden, der Fluß, die Stadt un- ter den Füßen — geben ein schönes Ge- mälde. In Verdun macht man berühmte Dragéen von allerlei Art. Der bischöfliche Pallast, das Hôtel de Ville und einige Kir- chen sind in der That nicht übel. Den 9 ten Julius . Bis Mauheule kamen wir über ebenes, wogiges, schön bebautes Land. Die hohe Ebne ist schön gelegen. Hier giebt es keinen Weinbau, aber köstliche Wiesen und Äcker. Von Mauheule bis zu dem Dorfe, wo wir zu Mittag aßen, hatten wir meistens dieselbe Gegend. Schönen Effekt machen in Lothringen die flachwinkeligen Dächer. Überhaupt sind die Dörfer hübsch, und es scheint Wohlstand unter den Leuten zu seyn. In Mauheule wollte man für ein But- terbrot nichts von uns nehmen. Wir langten um halb drei Uhr in Metz an. Ungefähr anderthalb Lieues vorher kommt man durch eine tiefe Schlucht, wel- che zum Theil durch einen zwanzig bis dreißig Schuh hohen Steindamm ausgefüllt ist, über einen Bergrücken, an dessen jen- seitigem jähem Absturz sich das weite schö- ne Moselthal öffnet. Hier zeigten sich viele schöne Dörfer in Gärten gelegen, Nußbäume, köstliche Rebengebirge rings- um: eine herrliche Aussicht auf die Mosel und Metz. In der Schlucht ein fester splittri- ger hornartiger Sandfels, darüber gelber Sandstein, mit Austerschalen, die noch ihr Email hatten. Metz ist eine schöne große und gut gebauete Stadt. Das Gouvernement ist prachtvoll; der bischöfliche Pallast un- vollendet. Um die alte Kathedralkirche gehen viele Alleen, Gräben und Wälle. Die Festung wird für die beste in Frankreich gehalten. ANHANG . a I. Geschichte der Kunst in England. Vom Jahre 1789 . M it ganzen Nationen verhält es sich oft, wie mit einzelnen Menschen; will man sie mit Billigkeit richten, so muß man ihre Handlungen gegen ihre Kräfte abwä- gen, und nicht von verschiedenen Kraft- massen gleiche Resultate verlangen. Eine ruhige, partheilose Untersuchung würde uns auch bald belehren, daß diese Kräfte selbst, von Organisation, vom Klima und anderen Lokalumständen zwar immer nicht unabhängig, durch Verfassungen gleich- a 2 wohl am wesentlichsten afficirt, und ent- weder zur Wirksamkeit hervorgerufen, oder zur Unthätigkeit gebunden werden kön- nen. Wollte man demnach Vergleichun- gen wagen, so würde unseres Bedünkens, unter übrigens gleichen Umständen, der Maßstab der Vollkommenheit kein ande- rer seyn, als der Grad der Annäherung zu jenem Ziele der Menschheit, welches wir in der Perfektibilität unserer Anlagen so deutlich erkennen. Irrthum und Wahrheit sind für uns fast so unzertrennlich wie Seele und Leib, wie die Kraft und die Schranken des Daseyns; allein von mensch- lichen Dingen menschlich zu reden, bliebe doch das Land, das Volk, die Verfassung, unserer höchsten Achtung werth, wo das wenigste Vorurtheil herrscht, wo der mei- ste Gemeinsinn, der thätigste Verstand, der blühendste Wohlstand, sich gleich- förmig ausgebreitet haben und nicht etwa nur eine privilegirte Klasse von Menschen auf Kosten des großen Haufens beglücken. Hätte mancher schwarzgallichte Kritiker, der überall nur Mängel in England zu er- blicken weiß, auf diese allgemeine Span- nung und Entwickelung aller Geisteskräfte, diesen schnellen Umlauf der Begriffe, die- sen sittlichen Reichthum durch alle Stände Rücksicht genommen; wahrlich, er hätte betroffen schweigen, oder bewundern müs- sen, was er jetzt mit aristarchischem Tadel herabzuwürdigen sucht. Der ungeheure Zulauf, den man in London überall, wo etwas Besonderes zu sehen ist, bemerkt; dieses rastlose Ringen nach neuen Vorstel- lungen aller Art, mag ich weder zur Wißbegierde erhöhen, noch zur langweili- gen Neugier erniedrigen. Wie unbillig wäre es aber, nach dem Glück, welches die unzähligen Schaustellungen dort ma- chen, Schaustellungen, die man sieht, um sie gesehen zu haben, und wo nur der große und kleine Pöbel seine Bewunderung zollt, ein allgemeines Urtheil über den Kunstsinn der Engländer zu fällen? Aus- sprüche von dieser und ähnlicher Konse- quenz hat man sich indessen erlaubt. — Doch ein jeder habe seine Weise; wir wollen zufrieden seyn, wenn man uns die unsrige läßt. Die Fortschritte der Kunst im moder- nen Europa, und insbesondere ihr letztes Aufblühen in England, lassen sich nicht nach dem Maßstab ächtgriechischer Kunst beurtheilen. Dies glauben wir, nach dem bereits Gesagten, im voraus als ausge- macht annehmen zu dürfen. Was in Grie- chenland geschah, konnte nur einmal ge- schehen; dieselben Verhältnisse kommen in dem ganzen Leben der Menschengat- tung nicht wieder. Unsere neuere Kunst ist eine Pflegetochter des Luxus, und das Conventionelle ist ihr höchstes Gesetz; weil unsere Künstler, anstatt den Geschmack des Publikums zu bilden, von dem Strom der heutigen Sitten, der erkünstelten Bedürf- nisse, der weichlichen Bequemlichkeit, an Ketten unauflöslicher Verhältnisse fortge- rissen werden, und sich nach den Launen reicher Käufer richten müssen. Die bürgerlichen Kriege verhinderten in England, wie ehedem im alten Rom, das Emporkommen der bildenden Künste. Die Epoche des höchsten Wohlstands, des über- schwänglichen Reichthums, den der Besitz beider Indien, die Schifffahrt und der Handel nach allen Weltgegenden in Eng- land zusammenhäuften, sah endlich die erste Morgenröthe des Künstlergenies her- vorschimmern. Allein so oft die Lüstern- heit nach großen Reichthümern sich früher als der Sinn für das Schöne entwickelt, so oft leidet der Nationalgeschmack unter diesen Verhältnissen. Die Römer, deren Kunstepoche sich erst mit dem Verlust ihrer Freiheit anfängt, befanden sich in diesem Falle; und wenn sie unter ihren Cäsarn manches große, manches edle Kunst- werk vollbrachten, so dürfen wir auch nicht vergessen, welche göttliche Muster sie vor Augen hatten, und wie geläufig ihnen die erhabenen Vorstellungen der Griechen geworden seyn mußten, nach- dem die Schätze der Kunst aus Sicilien, Griechenland und Kleinasien in Rom zu- sammengeflossen waren. Bedenkt man aber, wie sehr das Klima von Italien und die Natur überhaupt den Künstler dort be- günstigen, so wird man bald gewahr, wie es größtentheils an jenen politischen Ver- hältnissen lag, daß Rom in Absicht der Kunst kein zweites Athen werden konnte. Ein anderes Klima, eine andere Natur, und weit verschiedene Sitten, äußerten im Norden ihren Einfluß auf die Erzeugnisse des geschäftigen Triebes, der so gern die Bilder von empfangenen Eindrücken wie- der sinnlich zu machen sucht. Von dem Ilissus, und selbst von der Tiber, bis an die Themse war der Abstand zu groß. Im schönen Ideal des Griechen hätte der Brit- te, wenn ihn nicht etwa der Anblick einer andern Natur im südlichen Europa für dasselbe vorbereitete und humanisirte, die Wahrheit der Natur vermißt, oder verkannt. Die Freiheit hat überdies ihren besondern Eigensinn; ihr Land mit seinen Produkten, ihre Sitten, ihre Moden sogar, sind ihr heilig; und Trotz sei dem ge- boten, der Vollkommenheit, es sei in welcher Hinsicht es wolle, außer den Gränzen der glücklichen Insel sucht! Wie schwer mußte es da nicht halten, dieses Volk für eine ihm fremde Größe der Kunst empfänglich zu machen! Von den Niederlanden und aus Deutsch- land wanderte die Kunst zuerst nach Eng- land hinüber. Die Talente eines Holbein, Rubens, Vandyk und Kneller fanden bei ein- zelnen gebildeten Menschen des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts großen Bei- fall, und wurden zum Theil reichlicher als in ihrem Vaterlande belohnt. Allein diese Verpflanzung fremder Künstler blieb von eingeschränkter Wirkung, bis die Engländer häufiger das Ausland und zwar hauptsächlich Italien besuchten, und dorther theils den Geschmack an besseren Kunst- werken, theils kostbare Sammlungen zu- rückbrachten. Das Glück der fremden Künstler und die ihnen erwiesene Achtung, die Ver- vielfältigung guter Muster, die Läuterung des Geschmacks und mit demselben das steigende Bedürfniß vorzügliche Kunst- werke selbst zu besitzen: dies alles zu- sammengenommen, mußte endlich eine Brittische Künstlerschule ins Daseyn rufen. Im Jahre 1754 entstand schon eine Pri- vatgesellschaft, welche die Aufmunterung der bildenden und mechanischen Künste, der Manufakturen, des Handels und des Landbaues zum Augenmerk hatte. So heterogen diese Gegenstände scheinen, so gehören sie doch alle in den großen Plan der allgemeinen Staatswirthschaft, und das Merkwürdige des Unternehmens besteht nur darin, daß einzelne Patrioten hier das- jenige thaten, was man anderwärts der Regierung zu überlassen pflegt. Die edle Absicht, der Industrie neue Bahnen zu er- öffnen, ist schon an sich der Bemühung freier Menschen werth, und wird nur noch wichtiger in einem kleinen, volk- reichen Staate, dessen Seele diese Industrie geworden ist. Goldene und silberne Denk- münzen und Palletten wurden von dieser Gesellschaft unter junge Zeichner, Bossi- rer, Kupferstecher und andere Künstler, die sich rühmlich ausgezeichnet hatten, ausgetheilt, und dergleichen Preisverthei- lungen werden noch jährlich fortgesetzt. Die Brittischen Künstler selbst traten zu einem ähnlichen Endzweck zusammen; sie bemühten sich ihre Schüler zum Wett- kampf anzufeuern, und fingen an, nach dem Muster des Auslands, in jährlichen Schaustellungen ihre eigenen Fortschritte dem Publikum bekannt zu machen. Endlich fand die Kunst in Georg dem Dritten einen eifrigen und freigebigen Be- schützer. Er hatte gefühlt, wie weit die einheimischen Künstler noch hinter denen auf dem festen Lande zurückgeblieben wa- ren, und sah die Nothwendigkeit des Bei- spiels ein, um das Nationalgenie zur Nach- eiferung zu entflammen. In dieser wohl- thätigen Absicht stiftete er, vor etwa zwanzig Jahren, die königliche Akademie der Künste, und besetzte die meisten Stel- len darin mit geschickten Ausländern. Die Italiener: Cipriani, Carlini, Zuccarelli, Zuc- chi, Bartolozzi ; die Deutschen, Zoffani, Moser und seine Tochter, Meyer, Angelika Kauffmann ; der Schwede Nollekens , gehör- ten alle zur ersten Stiftung. Im Sommerset- Pallast, der seit Kurzem erst wieder aus seinen Ruinen nach einem modernen Plan hervorgestiegen ist, ward ein großer Flü- gel den Hörsälen der Akademie und einer reichen Sammlung von den besten Ab- güssen antiker Bildsäulen und Brustbilder eingeräumt. Die Würde eines Akademi- kers ward eine ehrenvolle Auszeichnung, und der Ritterschlag, womit die Könige aus dem Hause Stuart das Verdienst eines Rubens und Vandyh , eines Lely und Kneller geadelt hatten, mußte auch dem Präsiden- ten der Akademie, Sir Josua Reynolds , sei- nen Glanz verleihen. In der Künstlerschule, welche unter Aufsicht der Akademie hervorzukeimen be- gann, wurden besoldete Lehrer angestellt, und der berühmte Doktor Hunter lehrte daselbst die Zergliederungskunst, diese er- ste, unentbehrlichste Grundlage der arti- stischen Vorkenntnisse. Die Akademie hatte inzwischen an der größeren Gesell- schaft der Brittischen Künstler ( Society of Artifts ) eine thätige, und zum Theil auf- gereitzte Nebenbuhlerin, und England ver- dankt den Ruhm, den seine Künstler sich erworben haben, großentheils der Eifer- sucht, womit diese beiden Partheien ihre Kräfte anstrengten, um es einander zuvor- zuthun. Ihre jährlichen Schaustellungen stritten lange um den Vorzug, und das Publikum, welches nicht frei von allem Vorurtheil gegen die Ausländer war, und zugleich mit der Vorstellungsart der ein- heimischen Künstler sympathisirte, sträubte sich lange, der Akademie die Palme zuzu- erkennen. Indessen gewannen die akade- mischen Schaustellungen mit jedem Jahre sichtbarlich an vorzüglicher Behandlung und an der Zahl der Stücke; es traten einige der stärksten Gegner über; die Schale sank, und in dem Augenblick war die alte Künstlergesellschaft gesprengt. In der That ist die öffentliche Schaustellung ein vortreffliches Mittel, die Fähigkeit der Künstler zu prüfen. Hier, wo das Schlechte und Mittelmäßige neben dem Meisterhaf- ten sogleich in sein Nichts zurücksinkt, hier den Sieg davon getragen, und die Forderungen des schwer zu befriedigenden Kenners erfüllt zu haben, ist ein Lob, um welches der Künstler es der Mühe werth achtet, seine Phantasie und alle seine Kräfte aufzubieten. Oft versucht auch der bloße Dilettant, den Künstlern von Profession nachzueifern, und man hat in allen Schau- stellungen sogar Frauenzimmer gesehen, die den Pinsel zu führen wußten; ja, noch neuerlich gaben Miß Boyle und Mrs. Damer auch das Beispiel einer seltnen Ge- schicklichkeit in der Führung des Ham- mers und des Meißels. Seitdem die Aka- demie das Feld allein behalten hat, und von von den Ausländern viele weggestorben, oder abgegangen und durch Einheimische ersetzt worden sind, will man es an ihren Exhibitionen bemerkt haben, daß der Ei- fer nachzulassen scheint, und durch eine neue Rivalität wieder geweckt zu werden verdiente. Indessen, dieser Vorwurf sey gegrün- det oder nicht, so viel ist wenigstens ge- wiß: die Entstehung einer eigenthümli- chen, durch den besondern Charakter ihrer Werke ausgezeichneten, Brittischen Künst- lerschule, verdankt man lediglich der Stif- tung der königlichen Kunstakademie. Der Stolz, und wenn das Wort nicht zu hart klingt, die Mißgunst der Künstler auf dem festen Lande, scheint den Engländern un- gern diesen Namen einer Schule zuzuge- stehen; allein die Dauer hat ihn bereits bestätigt, und der überhandnehmende Ge- b schmack an Englischen Kunstwerken druckt ihm sogar ein ehrenvolles Siegel auf, wel- ches dadurch noch bedeutender wird, daß in unsern Zeiten kein anderes Volk durch die Zahl seiner Künstler, den Werth und die Mannichfaltigkeit ihrer Werke, auf den Besitz einer Künstlerschule Anspruch macht. Der Charakter der Brittischen Schule ward theils durch die Stimmung der Na- tion, theils durch ihre ausländischen Leh- rer bestimmt. Zwischen dem Kunstgefühl des einzelnen Menschen, und dem Ge- schmack eines ganzen Volkes, findet man aber nicht leicht die Granzen des gegen- seitigen Eigenthums. Der feinere Sinn, welcher das Erbtheil weniger Glücklichen ist, deren Anlage und Ausbildung zweck- mäßig zusammenstimmten, läßt sich vom großen Haufen nicht erwarten; und selbst in Athen war nicht ein jeder Bürger ein Kunstkenner, viel weniger ein Künstler. Aber wahr ist es dessen ungeachtet, daß Ein Volk vor dem andern empfänglicher ist, mehr Einfalt, Wärme und Adel der Empfindung hat, und, was vielleicht nicht minder wichtig seyn kann, durch Verhält- nisse richtiger geleitet wird. Im Norden von Europa ist der bedeckte menschliche Körper in seinen Verhältnissen theils we- niger bekannt, theils wirklich minder schön. Der Britte, dessen Nahrung haupt- sächlich in Fleisch und starkem Biere be- steht, wird fleischig, saftreich, mit Fett durchwachsen, und bietet folglich keine so bestimmt gezeichnete, keine so straffe Muskeln dar, als der Körper des äußerst mäßigen, nackten, hagern Süd-Europäers, bei dem die festen Theile mit den flüßi- gen mehr im Gleichgewichte stehen. Eine b 2 unmittelbare Folge dieser Verschiedenheit der Sitten und der Organisation ist die den Brittischen Künstlern so oft und mit so großem Rechte vorgeworfene Inkor- rektheit der Zeichnung: ein Fehler, dem das fleißigste Studium ihrer übrigens wohl- gebauten akademischen Figuren nicht ab- helfen kann. Die Antike zwar, könnte diesen Mangel ersetzen; allein der junge Künstler wird zu wenig für den Fleiß be- lohnt, den er etwa darauf wenden möchte, indem sein Richter nicht sowohl Styl , als nur Effekt von ihm verlangt. Der Britti- sche Kenner selbst beurtheilt die Kunst nur nach einer ihm geläufigen Natur; und da ihm das Nackte fremd ist, so läßt er sich eine konventionelle Charakteristik anstatt desselben gefallen, oder fordert sie wohl gar, weil er die angenommenen Zeichen besser versteht, als die Wahrheit des Le- bens, die ihm, gegen die Auswüchse der Manier gehalten, nicht Ausdruck genug zu haben scheint. Kein Wunder also, wenn unter den bildenden Künsten in England die Bild- hauerei auf der niedrigsten Stufe der Ver- vollkommnung steht. Auf Einheit des Ge- genstandes und dessen Einfalt eingeschränkt, bleibt die höchste Harmonie der Umrisse ihre wesentlichste Vollkommenheit; und gerade sie ist es, die weder der Künstler noch das Publikum recht ergriffen zu haben scheint. Dies sey indeß kein Vorwurf, der die Englischen Bildhauer ausschließen- der Weise treffen soll. Ihre Kunst mußte fallen mit dem Sturz der Griechischen Mythologie, mit den Sitten und dem Co- stume des Alterthums. In der That wäre es Vermessenheit zu behaupten, daß es dem Meißel der Neuern jo gelingen dürfte, die Meisterwerke des Griechischen zu er- reichen; und die Zweckwidrigkeit des Versuchs, der Bildhauerkunst moderne Gegenstände unterzuschieben, bedarf nicht erst eines Beweises. Unsere erträglichsten Statuen sind diejenigen, wo der Künstler es wagen durfte, sich über die Formen des Gothischen und des heutigen Zeitalters hinwegzusetzen, und einem Deutschen oder Gallischen Fürsten das Sagum des Römi- schen Feldherrn, einem christlichen Heili- gen ein Griechisches Gewand anzulegen. Dadurch geht aber alles Charakteristische verloren, oder es entsteht in vielen Fällen eine heterogene Mischung des Alten und Neuen, die das Gefühl des Kenners belei- digt. Wo nun gar der Held in Ritter- rüstung erscheint, oder die Wahl auf em- pörende Gegenstände fällt, deren Werth bloß religiöse Nebenbegriffe bestimmen, dort sind die Geschöpfe des Bildhauers nur von relativer Vortrefflichkeit, welche mit der Antike keinen Vergleich aushalten kann. Die Kräfte unserer Bildhauer ver- schwendet aber der kleinliche Egoismus der Zeitgenossen größtentheils an Mauso- leen, die mit dem Wunderwerke, welches Artemisia ihrem Gemahl errichten ließ, nur den Namen gemein haben, und wo die Decenz, die Eitelkeit, der Wahn, und tausend Bedenklichkeiten dem Genie Fes- seln anlegen, und es in einen engen Kreis von anmuthslosen Bildern bannen. In England müßte die Bildhauerkunst wahr- scheinlich betteln gehen, wenn sie nicht die Kirchen mit Grabmählern füllte, an denen Grazie und Schönheit, Erfindung und Anordnung, den Zuschauer selten mehr befriedigen, als die Armseligkeiten an dem prunkvollen Grabe des Marschalls von Sach- sen in Strasburg, oder die matte Nahlische Erfindung zu Hindelbank. Die berühm- testen Bildhauer in England, Bacon und Banks , müssen, wie die vom zweiten Ran- ge, Wilton, Moore und Andere, dieser Thorheit des Zeitalters fröhnen. Die bei- den ersteren sind Künstler von einigem Verdienst. Man sah vor wenigen Jahren einen Mars in Marmor, von Bacon’s Hand, der viel Kraft, Kenntniß des Nackten und des Alterthums verrieth; und nicht min- der glücklich fand man das Modell eines Achilles von Banks . Versuche dieser Art zeigen, was der Künstler hätte werden können, hätte er zu Alexanders oder zu Augusts Zeiten gelebt; gelebt in Ideen, die ihn begeistern, und dem Kenner die Au- gen öffnen müssen. Wer bewundert heut zu Tage einen Mars oder Achill? Wer fühlt die Macht des zerstörenden Gottes, wer den Zorn des Helden, beide in männ- licher Schönheit erhaben? Allein der bes- sere Künstler fühlt es tief, daß nur Werke dieser Art ihm genügen können, weil er nur an ihnen seine Kunst erschöpft. An ihnen entschädigt er sich daher auch für die dem falschen Geschmack geopferte Zeit und Kraft. Das von Bacon für Ster- ne’s Eliza , die bekannte Mrs. Draper , in der Kathedralkirche zu Bristol verfertigte Denkmahl zeichnet sich jedoch von den ge- wöhnlichen Werken dieses Faches vor- theilhaft aus, und das Grabmahl des Dr. Markham wird ebenfalls unter seine besten Arbeiten gezählt. Den berühmten Männern ihrer Insel, Staatsmännern, Helden und Gelehrten ha- ben ihre Freunde oder ihre Verwandten in einer Ecke der Westminsterkirche bekannt- lich dergleichen Denkmählergeweihet. Diese Anerkennung des Verdienstes um den Staat und seine Bürger, dieser public Spirit , der gewöhnlich nur Privatpersonen beseelt, er- greift auch zuweilen ganze öffentliche Corpora, und selbst die Repräsentanten des gesammten Volkes. So hat man die Stadt London ihrem patriotischen Beckford in dem Rathhause eine Statue errichten sehen, und so verewigte die Nation neulich in der Westminsterkirche die Verdienste des in Indien verstorbenen Generals Coote , und ihrer Seehelden, Lord Robert Manners , Ca- pitain Blair , und Capitain Baynes . Britan- nia, vom Ruhme begleitet, empfängt aus des Oceanus Händen die Namen dieser Edlen, die den Tod fürs Vaterland star- ben. So ließ die Marine-Societät, welche die Aufnahme der Seehandlung zu ihrem Augenmerk gewählt hat, fast zu gleicher Zeit dem in England berühmten Freunde der Nothleidenden, dem Kaufmann Jonas Hanway , in derselben Kirche von den Ge- brüdern Moore ein Denkmahl errichten; und nur die jungfränliche Bescheidenheit des rechtschaffenen Howard , der die Leiden der Menschheit im Kerker so rührend darstellt, und so dringend um die Minderung ihres Elendes fleht, konnte die ihm zugedachte Ehre eines ihm bei seinen Lebzeiten zu errichtenden Standbildes verbitten. So ward jüngst, bei der Gedächtnißfeier der errungenen Freiheit, im Taumel patrioti- scher Freude beschlossen, daß auf jener Runnemede, wo König Johann die Magna Charta unterschrieb, hinfort eine Denksäule den Triumph der Menschheit verkündigen sollte. Endlich, um ein Monument nicht zu vergessen, von welchem Britten nur mit Begeisterung sprechen, so weihte der König und das Parlament mit einem großen Aufwand von Kosten dem ruhmvollen Pitt dem Vater des jetzigen Premierministers, unter dessen Staatsverwaltung Großbrit- tannien den höchsten Gipfel seiner Wohl- fahrt und seines Glanzes erstieg, ein alle- gorisches Kunstwerk, welches unter vielen andern in der Westminsterkirche prangt, und Bacon’s Namen für sich hat. Der große Mann steht in der Nische einer ab- gestumpften Pyramide; unter seinen Füßen trauern die Staatsklugheit und die Bestän- digkeit um seinen Sarg; hier sitzt Britan- nia, zu ihren Seiten das Glück und der Ocean. Doch, wie gesagt: nur als Zeug- nisse des Nationalstolzes, welcher die Be- friedigung seiner Eigenliebe selbst in der Dankbarkeit gegen die großen Männer seines Volkes sucht, können diese ge- schmacklosen Arbeiten einen Werth haben, der ihnen von Seiten der Kunst immer fehlen wird. Allongeperücken und mo- derne Amtskleidungen vermag selbst der talentvolleste Künstler mit den Regeln des Edlen und des Schönen nicht zu reimen; allein das Gold ist hier der Schiedsrichter des Geschmacks geworden, und für Gold verräth man die Kunst. Wirkten nicht diese Verhältnisse der Sitten, mit jenen der Natur und des Him- melsstriches zusammen, so wäre vielleicht außer Italien kein Ort so glücklich wie London mit allem ausgerüstet, was den Bildhauer zu einem hohen Grade der Ver- vollkommnung führen kann. Außer der Sammlung von Abgüssen, welche sich in den Sälen der Akademie dem jungen Zeich- ner darbietet, besitzt der Herzog von Rich- mond eine zweite, die an Vollständigkeit wenige ihres Gleichen hat. Noch ungleich lehrreicher aber sind die Museen einzelner geschmackvoller Privatmänner, die aus dem Schutt des alten Roms, vermittelst des allmächtigen Talismans ihres Goldes, ächte, edle Kunstwerke hervorgezaubert, und nach England herübergeführt haben. Die schöne Villa des Lords Besborough , und die nicht weit davon entlegene des Mr. Browne enthalten einige treffliche Stücke. Den Pallast des Marquis von Lansdowne in London zieren mehrere herr- liche Bildsäulen, unter andern ein Theseus von vorzüglicher Arbeit. Allein vor allen verdient der Antikensaal, den Townley mit gleichgroßem Aufwand, Glück und Ge- schmack den auserlesensten Proben der Bildhauerey vom edelsten Styl gewidmet hat, die Bewunderung des Kenners. Nicht leicht wird man in Italien, die Sammlun- gen des Vatikans und die anbetungswürdi- gen Meisterwerke der Florentinischen Gal- lerie abgerechnet, in einem fürstlichen Pallast so viel Vortreffliches beisammen finden, als eines nicht einmal außerordent- lich begüterten Englanders Liebhaberei hier gleichsam in ein gemeinschaftliches Heilig- thum gestellt hat. Es sind der köstlich- sten Werke des antiken Meißels zu viele, als daß wir sie hier verzeichnen könnten; aber eine Cybele und eine Dione müssen wir wenigstens nennen, beide über Lebens- größe, deren Göttlichkeit den Zuschauer auf den ersten Blick ergreift; einen schö- nen Bacchus, dem Ampelus zur Seite steht; eine Thalia, ganz was sie seyn soll, Grazie; eine Nachahmung der Astragali- zonten des Polyklet; zwei liebliche Faunen; die Brustbilder der Minerva, der Klytie, des Antinous, des Bacchus, des Herkules, des Trajan, des Apollo, des Mark Aurel. Man denke sich diese heiligen Ueberbleibsel der Griechischen Phantasie in einer Reihe von Zimmern, die der klassische Geschmack des Besitzers mit reicher Einfalt verzierte, zwischen Säulen und Vasen, Sarkophagen, Inschriften, Basreliefs, Sphinxen, Löwen, Hetrurischen Urnen, Lampen, Opfergefä- ßen, von Granit und Porphyr, von Erz und Marmor und gebrannter Erde; wo nichts den Eindruck stören kann, den das Gefühl von idealischer Schönheit, hoher Würde und Vortrefflichkeit empfängt! Die kostbare Sammlung von antiken Gemmen, hauptsächlich Intaglien, welche Townley ebenfalls besitzt, ist nicht minder vortrefflich und sehenswerth in ihrer Art. Fragt jemand, warum der Anblick dieser Wunderwerke den Brittischen Künstler nicht zum Nacheifern reitzt? Dem müssen wir antworten, daß zwar die leidenschaft- liche Liebhaberei, aber nicht der ver- schwen- schwenderische Luxus die großen Werke der Kunst bezahlen kann. Locatelli , ein Italienischer Bildhauer, verfertigte für den Grafen von Oxford eine kolossalische Grup- pe, wo Herkules und Theseus den Cerbe- rus hervorschleppen aus den Regionen der Hölle. Nach vollendeter Arbeit forderte der Künstler zweitausend vierhundert Pfund Sterling, oder beinahe funfzehntausend Reichsthaler; allein den Lord überraschte die ungeheure Forderung: er ließ sich vor Gericht verklagen, und als beide Partheien endlich sich dem Spruche der Schiedsrich- ter unterwarfen, mußte Locatelli den ge- hofften Gewinn von seiner Arbeit ver- schwinden sehen. Wenn es demnach zu- weilen einzelne Beispiele von einer unge- wöhnlichen Schätzung des Künstlerver- dienstes giebt; wenn man auch den Eigen- thümern des Gartens zu Vauxhall für c Robillac’s Bildsäule des berühmten Deut- schen Tonkünstlers Händel siebenhundert Pfund Sterling geboten hat, so sind doch diese Fälle zu selten, um das Genie zur Wirksamkeit zu entflammen. Das begreift man aber, daß jene reiche Sammlung von Campanischen fäß en im Brittischen Mu- seum, welche das Parlament bei guter Laune für achttausend Pfund Sterling von dem Ritter Hamilton kaufte, von Englischen Mechanikern eifrig nachgeahmt, die Ur- bilder zu unzähligen Geräthschaften der Bequemlichkeit und des Luxus lieferte. Das Schöne des Alterthums muß nur die Hülle des Nützlichen borgen, so gefällt es noch allenfalls! Wenn es aber mit dem Sinn für das Schöne dahin kommt, dann verfällt man nur gar zu leicht auf ein Nützliches, welches nicht mehr schön ist, auf die tausend Künste der Gewinn- sucht und jeder andern niedrigen Leiden- schaft. — Die Malerei hat in England mehr Lieb- haber als die Bildhauerkunst, in dem Maße, wie es leichter ist, mit dem Pinsel als mit dem Meißel den Forderungen des Auges Genüge zu leisten, und wie man mit gleichem Aufwande leichter eine Ge- mäldegallerie als eine Sammlung antiker Statuen anlegen kann. Gründliche, ge- fühlvolle Kenner sind überall seltene Er- scheinungen; die Litteratoren der Kunst, wenn uns dieser Ausdruck vergönnt ist, die mit dem Zirkel und Maßstab in der Hand, wie Sterne im Tristram Shandy sie schildert, den ganzen Schwall von Ter- minologieen im Munde führen, und alles was zur Beurtheilung eines Gemäldes nö- thig ist, nur nicht Gefühl, besitzen, sind in England unter den Künstlern und den c 2 Liebhabern, wie auf dem festen Lande, häufig genug, und geben den Ton bei den fast wöchentlich vorfallenden Gemäldever- steigerungen. Die Menge der Halbwisser und der reichen Unwissenden ist freilich noch größer; allein mit Unrecht hat man behaupten wollen, daß man in England durchgehends von der Beurtheilung der Malerei nichts wisse, und immer nur von gewinnsüchtigen Mäklern hintergangen werde. Es giebt in London eine große Anzahl von trefflichen Werken Italienischer Meister, die in den Häusern begüterter Privatpersonen zerstreuet und zum Theil wenig bekannt sind. Die Herzoge von De- vonshire, Northumberland und Marlborough nebst vielen andern Adelichen besitzen ein- zelne Stücke und ganze Sammlungen von anerkanntem Werth. Endlich ist der Ge- schmack des Königs an diesem Theile der Kunst in seiner auserlesenen Sammlung sichtbar, welche die Zimmer des Pallasts der Königin ziert. Hier werden auch jetzt die herrlichen Kartons von Raphaels großen Meisterwerken aufbewahrt, die ehedem im Schlosse zu Hamptoncourt zur Vergessen- heit verurtheilt schienen. In einem so reichen Lande, wo man seines Ueberflus- ses froh zu werden weiß, und sich zu- gleich eines hohen Grades der Ausbildung rühmen darf, ist der Handel mit Schilde- reien ansehnlich genug, um eine ganze Klasse von spekulirenden, sowohl auslän- dischen als einheimischen Brocanteurs zu beschäftigen, und zu bereichern. Wenn aber vor Zeiten die Betrügereien dieser Leute ungeahndet hingingen, so ist dieses heut zu Tage nicht so leicht der Fall. Das Eigenthümliche der verschiedenen Meister, die Seltenheit ihrer Stücke, und alle dahin gehörigen Anekdoten, wissen einzelne Kunstverständige in London so genau zu bestimmen, als der schlauste Ita- liener. Dessen ungeachtet findet allerdings auch das Schlechteste seinen Käufer, wie das Beste. Wenn Albano’s Loth und seine Töchter, wegen der ihm eignen Lieblich- keit und Grazie, dem Bischof zu Bristol mehr als dreitausend Thaler entlockt, so genügt es hingegen manchem eitlen Welt- mann ein Bild um des berühmten Namens seines Urhebers willen an sich zu bringen, indeß der ungleich größere Haufe sich an elenden Sudeleien ergötzt, bloß weil Far- ben und Gestalten seinem Blick entgegen- schimmern; seine Zimmer mit illuminir- ten Kupferstichen oder mit Mr. Booth’s neuerfundenen Kopieen von Oelgemälden schmückt, und in Ermangelung der Mit- tel, sich diese Kostbarkeiten zu verschaf- fen, in alle Schaustellungen und Auktio- nen läuft, und vor jedem Bilderladen ganze Stunden lang gaffend stehen bleibt. Wenn man dasjenige, was wir von dem Studium des Nackten und Idealisch- schönen in England bereits gesagt haben, in Erwägung zieht, so wird man mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit vorausbe- stimmen können, in welcher Gattung von Malerei die Englischen Künstler die stärk- sten Fortschritte gethan haben. Wo es darauf ankommt, Götter und Heroen zu schildern, die menschliche Natur geahndet in der Vollkommenheit des Möglichen, oder auch nur ergriffen auf der höchsten Stufe des wirklichen Schönen, auf der Leinwand in die Phantasie der Zuschauer wirken zu lassen: dort stehen sie überall weit vom Ziele zurück. Die Ausländer, die als Mitglieder der neuen Akademie zur Bildung der Englischen Schule beitragen sollten, waren zwar verdienstvolle Künst- ler; allein gerade in diesem edelsten Theile der Malerei gehörten sie nicht zu den Meistern in der Kunst. Cipriani , der sie in der Zeichnung alle übertraf, kämpfte mit seinem Schicksal, und ward nur durch den Grabstichel seines Freundes Bartolozzi bekannt. Die Deutsche Muse, Angelika , verbarg die Inkorrektheit und das Einerlei ihrer allzuschlanken Figuren unter dem Schleier der Grazie und Unschuld. Diese Muster, die Modelle, welche die Venus Pandemos, oder die Herberge der Sänften- träger hergiebt, und die Gipsabgüsse des akademischen Antikensaals, sind die Hülfs- mittel, wodurch der Britte sich in Lon- don zum historischen Maler bildet. Indessen genoß der vorzüglichste Eng- lische Künstler im historischen Fache, Benjamin West , eine geraume Zeit hindurch das Glück, in Italien die Meisterwerke seiner Kunst zu studieren. Dieser Mann, von Geburt ein Nord-Amerikaner, und ein Mitglied der ernsthaften, stillen, stei- fen, aber ehrwürdigen Gemeine der Quä- ker, ist bereits durch die vielen Kupfer- stiche, die nach seinen besten Werken ver- fertigt worden sind, unter uns rühmlich bekannt. Seine älteren Arbeiten, der Ab- schied des Regulus, Scipio’s Enthaltsam- keit, der Eid des Römerfeindes Hannibal, die traurende Agrippina, der betroffene Aegistheus, der heilige Stephanus, der Erzengel Michael, haben in der That bei aller Kälte, allen Mängeln der Zeichnung, allen Fehlern des Kolorits, allem Flick- werk der dem Poussin und andern großen Malern knechtisch nachgemachten Drape- rien, die man einigen dieser Stücke vor- werfen kann, unverkennbare Züge eines edlen, keuschen, für das Große und Reine sehr empfänglichen Einbildungskraft. Seine Gegenstände sind gemeiniglich gut ge- wählt, und haben jene Würde, die sie der Kunst empfiehlt; seine Anordnung ist über- dacht, seine Komposition zuweilen reich; seine Figuren zeichnen sich durch Anstand aus, und es herrscht in seinen Gemälden die Einheit des Gedankens, die sie zu einem Ganzen schafft. Allein zur Wahr- heit der heroischen Empfindung hat er sich nur selten hinaufzuschwingen ge- wußt; seine Gesichter sind oft nur allzu leer an Ausdruck, und verrathen, wie die kalten Stellungen, den mißlungenen Ver- such, durch Uebertragung des Griechischen Marmors auf seine Leinwand, Griechische Erhabenheit und Ruhe der zur Göttlich- keit erhöheten Lebenskraft zu erzwingen. Wir könnten die Charakteristik dieses Künstlers noch kürzer fassen und sagen: daß seine Darstellung des heroischen Schö- nen zwar niemals unedel ist, aber es auch nie erschöpft. Das erhabenste Werk seiner Phantasie ist der Ugolino, den er wahr- scheinlich noch in Italien dichtete; man empfindet mit der Wonne der Wiederer- kennung, daß der Künstler hier Reminis- cenzen aus dem Studium der Antike mit Genie benutzt, und Züge vom Jupiter und vom Laokoon entlehnt hat, ohne der Ori- ginalität seines eigenen Gedankens zu nahe zu treten. Wests neuere Werke haben einen ganz verschiedenen Charakter. Gegenstände, die aus unseren Zeiten und Sitten entnommen waren, hatte er bereits mit großem Glücke behandelt. Sie waren seinen Talenten an- gemessen, sein Gefühl konnte sich leichter hinein versetzen, und sein Publikum ihn besser verstehen. Ein undankbares, an malerischer Grazie verarmtes, ganz außer dem Bezirk des Edlen liegendes Sujet, die erste Zusammenkunft William Penns mit den Wilden in Nord-Amerika, hatte we- nigstens denjenigen Werth, den die ge- treue Darstellung des Costume und einer übrigens moralisch guten Handlung geben kann. Die Glaubensverwandten des Künst- lers fanden sich in diesem Gemälde sehr geschmeichelt, und mit ihrem Beifalle hatte er vielleicht für diesesmal seine Ab- sicht erreicht. Gegen dieses kalte Blatt machte die herrliche Scene, wo der Gene- ral Woulfe , ein junger Brittischer Held, als Sieger vor Quebeck den Tod fürs Va- terland stirbt, den auffallendsten Kontrast. Dieses Meisterwerk in seiner Art, dessen schöne Komposition und rührender Aus- druck allgemein bekannt sind, kann ge- wissermaßen die Hohe bestimmen, die der Brittischen Schule in historischen Gemäl- den erreichbar ist. Ganz bekleidete Figu- ren, Sitten und Gewänder unserer Zeit, und wahre sittliche Empfindung des wirk- lichen Lebens, die einer gewissen Zartheit und eines gewissen Schwunges bei ihrer Lauterkeit und naiven Unbefangenheit wohl fähig ist, setzen das Brittische Künstler- genie in das vortheilhafteste Licht. Mit der Vorstellung der beiden Schlach- ten bei La Hogue und an dem Boyne er- öffnete sich West eine neue Laufbahn. Vielleicht konnte der Vorwurf, daß in seinen bisherigen Arbeiten zu viel Kälte und Monotonie geherrscht, daß es man- chen an Ausdruck und kräftiger Farber- mischung gefehlt habe, zugleich aber auch der ausdrückliche Wunsch des Königs, von seinem Hofmaler die vorzüglichsten Sce- nen der Brittischen Geschichte dargestellt zu sehen, diese Veränderung bewirken. Beide Schlachten kennt man bereits aus den schönen Kupferstichen, die darnach verfertigt sind. Es fehlt ihnen nicht an Handlung und Ausdruck; jene fällt sogar ins Theatralische, und diese hat schon die Verzerrungen einer falschen Charakteristik. Die Wirkung der Farben dieser Stücke ist auffallender, als sie es in Wests früheren Arbeiten war; doch scheint er im Kolorit keine besondere Stärke erreichen zu kön- nen. Die wichtigsten Unternehmungen der Brittischen Truppen während des letzten Krieges in Amerika, hat dieser ge- schickte Maler auf sechs Gemälden vor- gestellt, oder vielmehr von seinem Schü- ler Trumbull , ebenfalls einem gebornen Nord-Amerikaner, der sich auch durch seinen Ausfall der Garnison von Gibraltar gut angekündigt hat, in einer sehr ani- mirten Manier ausführen lassen. Uebri- gens gehört West unter die wenigen Künst- ler, deren Talent nicht nur anerkannt und belohnt, sondern deren Charakter auch ge- ehrt, und deren Umgang selbst von den Großen der Erde gesucht wird. Der Kö- nig, der ihn vorzüglich schätzt, hat ihm die Verzierung der neuen Zimmer im Schlosse zu Windsor aufgetragen, und be- zahlt ihm jedes Stück besonders, unge- achtet ein Jahrgehalt von tausend Pfund Sterling, wie man sagt, mit dem Titel eines königlichen Historienmalers verbun- den ist. Der Fleiß des Malers und die Freigebigkeit des Monarchen erhöhen seine jährliche Einnahmen solchergestalt, bis auf vierfach diese Summe. Wie glücklich ist doch der Künstler, wenn er, anstatt nur immer Madonnen, oder dreifache Kro- nen und Kapuzen zu malen, durch die Wahl des Gegenstandes selbst begeistert wird, der seine Phantasie, sein Herz und seinen Verstand zugleich beschäftigt! Der neuen Gemälde zu Windsor sind sechs an der Zahl, und sie beziehen sich auf die Ge- schichte des großen Königs, Edwards des Dritten . Die Scene des ersten ist bei Cressy, wo Edward nach der Schlacht sei- nen siegreichen Prinzen umarmt, der dem König von Böhmen das Leben und seinen Federbusch mit dem Wahlspruch: Ich dien , fortan dem Wapen des Englischen Thronfolgers, genommen hatte. Die Schlacht bei Nevil’s Croß macht den Gegenstand des zweiten Stücks. Während daß Edward Calais belagerte, siegte seine Gemahlin Philippa über den König David von Schott- land, der eine Diversion hatte machen wol- wollen, und nahm ihn selbst gefangen. Man sieht die Königin auf einem Zelter, umringt von Baronen und Bischöfen, die man an ihren Fahnen und Helmen erkennt; und in der Ferne den Schottischen König, der sich an Sir John Copeland ergiebt. Im dritten Blatt legt Philippa für den Eu- stache von St. Pierre und die sechs beherz- ten Bürger von Calais nach der Uebergabe des Ortes bei ihrem Gemahl eine Fürbitte ein. Das vierte Stück verewigt die Ein- setzung des Ordens vom Hosenbande. Ed- ward mit seinen Rittern knieet am Altar, wo der Bischof von Winchester das Hoch- amt hält. Seitwärts ruhet das Auge auf der knieenden Königin und einer Gruppe von jungen Damen aus den edelsten Ge- schlechtern. Unter den Zuschauern erblickt man den Schottischen König David , einen Marschall von Frankreich nebst andern d vornehmen Französischen Gefangenen, und Edwards jüngere Kinder. Den glorreichen Augenblick, wo nach der Schlacht bei Poitiers, der König Johann von Frankreich mit seinem Sohne Philipp gefangen in das Zelt des schwarzen Prinzen geführt wird, hat West in seinem fünften Gemälde ge- schildert. Das sechste, in der Mitte des Ordenszimmers, ist der Sieg des Schutz- heiligen von England, St. Georg, über den Drachen: eine Scene, die hier ein neues Interesse gewinnt, indem eine schöne weibliche Figur im Vorgrunde durch die Dazwischenkunft des Helden von dem Un- geheuer errettet wird. Außer diesen gro- ßen Arbeiten, welche noch nicht vol- lendet sind, spricht man noch von einem Vorhaben des Königs, das Grabmahl des Kardinals Wolsey von demselben Meister verzieren zu lassen. Durch solche Bestellungen erwirbt sich Georg der Dritte mit Recht den Namen eines Beförderers der Brittischen Kunst. Hier ist das Feld, wo diese Schule durch Sorgfalt, Studium und Genie sich mit Ruhm behaupten kann, wenn es nur mög- lich ist, sie von verdienstloseren, aber einträglicheren Beschäftigungen abzuhal- ten. Allein die ungeheure Anzahl von sechshundert Künstlern, welche London in sich faßt, wird mehr von der Selbst- liebe des Publikums, als von seinem Ge- schmack ernährt. Desto ruhmwürdiger sind die Versuche einzelner Kunstliebha- ber, das Talent auf eine geziemendere Art zu beschäftigen, und zur Behandlung äch- ter Kunstwerke aufzumuntern. Der Alder- mann Boydell , selbst ein geübter Zeichner und Kupferdrucker, der ehedem einen star- ken Handel mit Kupferstichen trieb, ist d 2 der Urheber eines Unternehmens, wodurch er den Geschmack des Publikums zu bil- den, und der Kunst in seinem Vaterlande aufzuhelfen sucht. In Pallmall, einer der Hauptstraßen der Residenzstadt, erbaute er im vorigen Jahr ein Kunstmuseum, welches einen Raum von 140 Fuß in der Länge und 30 in der Breite einnimmt, und aus drei großen, 40 Fuß hohen Zimmern besteht, die ihr Licht von oben erhalten. Unter diesen Zimmern, welche lauter Ge- mälde von Brittischen Künstlern enthalten sollen, wird zu ebener Erde eine ähnliche, ebenfalls in drei Zimmer getheilte Gallerie angelegt, die den Englischen Kupferstichen bestimmt ist. Dieses Gebäude, welches hinfort durch die Benennung der Shak- speare-Gallery seine Bestimmung ankün- digt, ist von dem Baumeister Dance ent- worfen und aufgeführt worden, und die Baukosten desselben hat man auf fünftau- send Pfund Sterling angeschlagen. Die Facciate nach der Straße, die Treppen, das Licht, das Stucco machen ihrem Künst- ler Ehre. Ueber den Eingang kommt in ganz erhobener Arbeit ein allegorisches Kunstwerk von Banks zu stehen, welches den Lieblingsdichter der Britten, ihren unnachahmlichen Shakspeare , vorstellt. Er sitzt auf einem Felsen, und empfängt von der Dichtkunst zu seiner Rechten den Lorbeerkranz. Zur Linken steht die Muse der Malerei, und zeigt auf ihn als ihr Vorbild in der Darstellung der Natur. Es war in der That ein schöner, frucht- barer, patriotischer Gedanke, die Scenen dieses großen Schauspieldichters, des kühn- sten logischen Zeichners der Natur, der je existirte, als Modelle für den Maler aufzustellen, und plötzlich alle durch ei- niges Talent bereits bekannt gewordene Künstler der Brittischen Schule zu einem edlen Wettkampfe zu wecken. Der En- thusiasmus der Nation für ihren Shakspeare , die innige Bekanntschaft aller, selbst der niederen Stände, mit seinen Charakteren, seinen Situationen, seinen für die Dauer gestempelten Ausdrücken, und die lange Gewohnheit auf der Bühne seine göttliche Bezeichnungskunst von geübten Schauspie- lern, und fast alle Hauptrollen in der Per- son ihres bewunderten, unersetzlichen Garricks dargestellt, mit Aug’ und Ohr zu Herzen zu nehmen: dies zusammenge- nommen, mußte eines Theils für die ma- lerische Behandlung ein unbeschreibliches Interesse erregen, und von der andern Seite die Künstler von der Kompetenz ih- rer Richter überzeugen. Shakspeare’s dra- matisirende Phantasie begegnet überdies dem Maler auf halbem Wege, indem sie die hervorspringenden Züge so treffend charakterisirt, und dadurch die Künstler- Phantasie mit scharf bestimmten, lebendi- gen Bildern erfüllt. Die Sitten des mitt- leren Zeitalters, wohin der Dichter den Schauplatz seiner besten Stücke verlegt, und zumal die vaterländische Geschichte, die ihm so reichhaltigen Stoff geliefert hat, begünstigten endlich noch die eigen- thümliche Richtung der Brittischen Schule. Wirkung ist ihr höchstes Ziel, und um dieses zu erreichen, verschmähet sie keine Mittel. Das Schöne ist ihr nur Neben- sache; am liebsten will sie erstaunen und überraschen, niederdrücken durch giganti- sche Größe, oder erschüttern durch die Extreme der Leidenschaft; sie hascht nach der Wahrheit der Natur in ihren gräßli- chen Augenblicken, und erlaubt ihrer Phantasie den verwegenen Flug, nicht in das schöne Feenland des Ideals, sondern in die verbotene Region der Geister und Ge- spenster. Allein was von jeher ein Vorzug der Engländer war, mechanisches Genie, welches zusammensetzt und vervollkomm- net, dies äußert sich auch in einem hohen Grade in den Werken ihrer bildenden Muse. Sie verstehen sich auf das Machwerk des Pinsels, und spielen mit der Farbe, um Wirkung herbeizuzaubern, die, wenn sie gleich nicht immer das lautere Gefühl be- friedigt, doch, wie die Liebe, die Menge der Fehler und Mängel verdeckt. Ein glän- zendes Kolorit, sprechender, aber oft über- triebener Ausdruck, und eine glückliche Zusammenordnung der Figuren, sind die Vorzüge einer übrigens fehlerhaften Ma- nier, die ohne Zeichnung bezeichnen, und ohne Schönheit gefallen will. Von den drei Zimmern seiner Shak- speare-Gallerie eröffnete Boydell dieses Jahr die beiden ersten, die mit einem ansehn- lichen Schmuck von Gemälden prangten. Nach dem Plan des Eigenthümers war es nicht wohl möglich, daß alle hier zur Schau gestellten Stücke von gleichen An- sprüchen seyn konnten. Eine Scene wirkt vor der andern mächtiger, und neben an- erkannten Meistern sollten auch die Zög- linge hier zur Uebung und Bekanntwer- dung Gelegenheit finden. West, Barry und Füeßli haben Scenen aus dem König Lear behandelt. Der erstere schildert die Un- terredung des Königs mit Glosters Sohn Edgar, welcher sich rasend stellt. Diese angenommene Raserei, verbunden mit der Fülle des Gefühls, die ihm der Dichter so freigebig zutheilt, war der Talente eines großen Künstlers würdig. Gloster, Kent und der Hofnarr, der zwar von der Bühne verwiesen, hier aber an seiner Stelle ist, sind im Ausdruck zum Theil verfehlt, und zum Theil übertrieben. Der König selbst ist von kolossalischer Größe, und bei ei- nem Alter von mehr als achtzig Jahren noch mit herkulischer Stärke begabt. Selt- sam genug, daß diese Vorstellung auch bei Barry und Füeßli herrschend gewor- den ist, vielleicht weil alle Drei das Un- geheure mit dem Erhabenen verwechselten. Eine Fackel in Gloster’s Hand wirft das Licht mit malerischem Effekt. Barry , der jetzige Professor der Malerei an der köni- glichen Kunst-Akademie, ein Mann von unbezweifelt gründlichen theoretischen Kenntnissen, der auch zu den besten Zeich- nern der Brittischen Schule gehört, aber den Grazien nicht geopfert hat, und im Kolorit selten glücklich ist, verfällt hier in den Fehler seiner Landsleute, den der Geschmack des Publikums heiligt; mit Vernachlässigung der Anmuth, der Schön- heit und der edlen Größe, buhlt er um jenen verzerrten Ausdruck der an Karika- tur gränzt, und daher die Organe der Menge zu reitzen vermag. Alle Figuren seines Gemäldes sind Kolosse, und unter diesen ist der König ein Riese. Es ist die Schlußscene, wo die drei Töchter des un- glücklichen Fürsten nebst dem Bastard Ed- mund, als Opfer der Leidenschaft und der theatralischen Gerechtigkeit todt umher liegen, Albany und Edgar sich wehmuths- voll dem Anblick dieser Zerstörung über- lassen, und Lear mit der schauderhaften Dumpfheit seines unendlichen Schmerzes sich ganz verlassen und sein Herz verödet fühlt. Eine Venus Anadyomene von dem- selben Meister ist bereits seit langer Zeit in dem Portefeuille eines jeden Kupfer- stich-Sammlers. Sie steigt in der That mit einem schönen Körper aus dem Mee- resschaum hervor; nur Schade, daß die Wahl dieses Augenblicks uns belehren muß, die Göttin selbst sey minder reitzend ge- wesen, ehe die Hand ihrer Gespielinnen sie schmückte und ihre goldenen Locken band. Der Beifall, welchen Füeßlis Gemälde in England erhalten, bezeichnet mehr als alles die Ueberspannung des dortigen Kunst- geschmacks. Dieser junge Schweizer, der sich wegen der Englischen Aussprache jetzt Fuzeli nennt, brachte nebst der Kenntniß akademischer Modelle sein malerisches Kraftgenie mit sich über das Meer; seiner Phantasie ward es wohl unter wilden Traumgestalten und Bildern des Unge- wöhnlichen. Diese Stimmung, die, von reifer Urtheilskraft gezügelt, zu kühner Größe gediehen wäre, verführte ihn nur gar zu bald zu allen Ausschweifungen der Manier. Es ist zwar leicht das Alltägliche zu vermeiden, indem man Kontorsionen darstellt; allein das Lob, welches man dafür einerntet, das Lob der Londoner Zeitungsschreiber, ist wahrlich für den ruhmbegierigen Künstler lose Speise. Au- ßer dem Lear, dem Füeßlis Talente nicht recht angemessen waren, fand er in Shak- spears Traum einer Sommernacht ( Midsum- mernight’s dream ), im Hamlet und Mac- beth die Befriedigung seines Hanges zum Uebernatürlichen, und zugleich das un- fehlbare Mittel, die Bewunderung seines Publikums zu fesseln. Shakspeare’s Magie ist von der erhabenen Gattung, die, auf Volkssage und Volksglauben tief gegrün- det, durch ihre furchtbare Größe dem Leser nicht Raum läßt, von seiner Illusion zurückzukehren. Kein Dichter, sagte schon Ben Johnson , darf seinen Zauberkreis be- treten, keiner wagt es, seine Schrecken nachzubilden. Selbst die Vorstellung auf der Bühne erreichte ihn nicht, obgleich seine Macht über die Gemüther jeden Schlag seines Zauberstabes vor dem Lä- cherlichen sicherte. Allein zwischen der Malerei und der Poësie, dünkt uns, sei eine Scheidemauer gezogen, die der erste- ren nicht gestatte, die phantastischen We- sen des Dichters, „der das luftige Unding mit Namen nennt,“ in materielle Umrisse zu fassen, und den hinschwindenden Ge- bilden der Täuschung Form und Dauer zu verleihen. Dennoch überschritt der Deut- sche Künstler diese Gränze. Der Geist im Hamlet steht auf feiner Leinwand, wie ihn freilich kein Schauspieler vorstellen kann, ein himmelanstrebender Koloß; seine Füße berühren die Woge des Meeres, und sein Haupt reicht an den blaßschimmernden Mond. Wie durch einen Nebel erblickt man die kriegerische Schreckengestalt, und wie Schatten im ungewissen Mondenschein, glaubt man sie immer größer werden zu sehen. Im Macbeth hat ebenfalls der Au- genblick, wo die drei Hexen in der Luft zerrinnen, den Künstler begeistert. Hinge- gen bot ihm das Feenreich, Oberon und Titania mit ihrem Elfengefolge, (im Traum einer Sommernacht) eine lieblichere Gat- tung von luftigen Fabelwesen dar. Die Verwegenheit, solche Spiele der Einbil- dungskraft sichtbar zu machen, würde in- dessen schwerlich hinreichend gewesen seyn, dem Ausländer Füeßli Beifall in England zu erwerben, wenn er sich nicht zu gleicher Zeit so eifrig nach dem Ei- genthümlichen der dortigen Schule gebil- det hätte, daß man ihn nunmehr füglich dazu rechnen kann. Kürzlich hat er ein großes Gemälde angefangen, welches 52 Fuß breit und 38 Fuß hoch ist; er stellt darauf einen Marsch der Schatten in den eliseischen Feldern, nach dem Lucian , vor. Ein solches Sujet mußte für seine Phanta- sie ein herrlicher Fund seyn. Die Seelen der Abgeschiedenen ziehen hier bei Tau- senden in verschiedenen Abtheilungen, vier Mann hoch, mit ihren Fahnen umher. Doch ist ihm die Darstellung geistiger Gestalten nicht ausschließend eigen; sie scheint vielmehr eine Liedlingssache der dortigen Künstler zu werden. Selbst der Präsident der königlichen Akademie, Sir Joshua Reynolds , hat in Boydells Gallerie sowohl einen Macbeth im magischen Au- genblick seiner Visionen, den leidigen Satan Satan in eigner Person, in jener Scene aus Heinrich dem Sechsten vorgestellt, wo der König und die Grafen Salisbury und War- wick um den sterbenden Kardinal Beaufort stehen. Wer sich mit dem Gedanken aus- söhnen kann, daß der gräßliche Tod ei- nes verstockten Bösewichts, mit dessen Seele der Teufel zur Hölle fährt, ein Ge- genstand für die Kunst seyn dürfe, wird in der Komposition das Feierlichgroße, wel- ches Eindruck machen kann, neben Rey- nolds übrigen Vorzügen nicht verkennen. Sein Geschmack in der Wahl und Behand- lungsart, die Kultur seines Geistes, endlich seine Farbengebung, die, wenn sie Dauer hätte, mit Rembrands um die Palme stritte, setzen ihn ohne Widerrede an die Spitze der Brittischen Künstler, und in die erste Klasse aller jetzt lebenden Söhne der Kunst. Ihm war es gegeben, die Stimmung des e Zeitalters mit dem Sinne für Schönheit glücklich zu verbinden, und mit festem Schritte seinen eigenen Weg zum Ruhme zu gehen. Man wird es nicht oft genug wiederholen können, daß die Stufe der jetzigen Kultur mit allen ihren unzertrenn- lichen Verhältnissen keine Maler vom er- sten Range, wie Raphael, Domenichino, Guido, da Vinci erwarten läßt, und daß der Sinn für ihre Größe in dem Grade, wie die Möglichkeit ihr Talent wieder auf- leben zu sehen, sich unter unseren Zeitge- nossen verliert. Allein, wir müssen gleich- wohl gestehen, die Natur sey noch lange nicht erschöpft, und so lange es Menschen giebt, unerschöpflich. Die Gestalten, die sie dem Anschauungsvermögen des Künst- lers vorhält, treu aufgefaßt und versinn- licht, erregen auch alsdann noch Bewun- derung, wenn wir die Vollkommenheit des Ideals an ihnen vermissen; ja, die meisten Menschen werden leichter von dem Individuellen angezogen, welches, seiner Disharmonie ungeachtet, ihnen näher liegt, als das lautere Allgemeine der Abstraktion. Corregio wird seinen Ruhm behaupten, so lange seine Werke bleiben. Grazie, Em- pfindung und die unendliche Zartheit der Liebe wird ewig gefallen, auch da, wo man Zeichnung und die höheren Grade der Schönheit entbehren muß. Vermag nicht auch ohne diesen Zauber, der in Corregio’s Pinselspitze entzückt, die bloße Wahrheit und Wärme des Kolorits, und jenes üppige, zur Schan gelegte Nackte, das von Lebenskraft emporzuschwellen scheint, in Tizians Gemälden die Sinne des Zuschauers gefangen zu nehmen, und sogar den Kenner selbst zu verführen? Laßt uns noch gestehen: die hohe Kultur e 2 des Geistes in einem freien Volke hat ihre eigene Organisation, und es giebt in Eng- land eine weibliche Schönheit und Jung- fräulichkeit der Gesichtszüge, eine Man- nichfaltigkeit des Ausdrucks von Geistes- kraft und von verfeinertem Gefühl im Umriß der männlichen Köpfe, woraus der Künstler sich eine besondere Gattung des Reitzenden, des Einnehmenden, des Inte- ressanten, des Wahren mit Einem Worte, sammeln kann, welches zwar, hauptsäch- lich für die Empfänglichkeit verwandter Brittischer Organe berechnet, dort am meisten gefallen, aber auch auf dem festen Lande eben so wenig, als die Originale, von denen er es abstrahirte, seine Wir- kung verfehlen wird. Sir Joshua Reynolds ist der Maler der Brittischen Grazien; das Naive, Unbefan- gene, das zart und fein Empfindende, das das unschuldsvolle Schalkhafte, das natür- lich ohne Anmaßung Gefallende, stiller heiterer Genuß, sanfte Leidenschaft, umfas- sender Sinn, selbstgeschaffene Gedanken- fülle, Unabhängigkeit und innerer Reich- thum des treuen, festen und stets empfäng- lichen Herzens, die edle Weiblichkeit sei- ner Landsmänninnen, hat seine ätherische Phantasie aus der Natur zu schöpfen, und sein Pinsel oft glücklich darzustellen ge- wußt. Seine Porträte sind Gedanken, in denen man beide, die Seele des Meisters und des dargestellten Gegenstandes, liest; und seine Familienstücke möchte man zu- weilen eine besondere Gattung von elegi- schen und erotischen Gedichten nennen. In diesem Fache besitzt er seine größte Stärke, und durch seine Behandlungsart wird es für die Kunst geadelt; seine Grup- pen und Stellungen sind natürlich und schön; seine Köpfe edel und reich, und seine Gewänder, zumal bei weiblichen Fi- guren, so leicht geworfen, daß man die Mängel nicht ahndet, die sie bedecken müssen. Ungern sieht man daher einen so geschickten, so liebenswürdigen Künst- ler, der auch als Redner und Schriftsteller Verdienste besitzt, aus den Schranken tre- ten, wo er mit Beifall gekrönt, vor sei- nen Zeitgenossen den Vorrang behält, um in der historischen und heroischen Gattung der Malerei sich unter die Menge zu ver- lieren. Zwar wird es ihm leicht, in sei- ner eigenen Schule sich neben West zu stellen, und über den Troß von Engli- schen Historienmalern eine gewisse Ueber- legenheit zu behaupten; aber mit größeren auswärtigen Künstlern verglichen, kann das Blendwerk von Manier gegen die Wahr- heit des Styls nicht bestehen. Sein Gemälde für die große Kaiserin von Rußland , die ihm sowohl die Wahl des Gegenstandes, als die Bestimmung seiner Belohnung ganz überließ, scheint einer so erhabenen Auf- forderung nicht angemessen zu seyn. Es ist indessen lehrreich, und hier, wo wir den Kunstgeschmack der Engländer schil- dern wollen, sogar zweckmäßig, den Kon- trast zwischen dem Urtheile der dortigen enthusiastischen Verehrer des Präsidenten, und dem Tadel eines fremden Kritikers herzusetzen. „Dreisteren Fluges,“ so hebt der Panegyrikus an, „schwang sich die „Phantasie des Künstlers empor, als sie je- „nen Knaben schuf, der mit Götterstärke „die junonischen Schlangen erwürgt. Seht „diese Umrisse, diese Proportionen! Ruft „nicht jede Faser euch entgegen: dieses „Kind ist Herkules! Hier eilt ein schönes „Weib herzu, von Angst und Entsetzen „entstellt. Wie sie ihre Arme nach dem „Säugling ausstreckt! Die bebende Lippe, „die starren, voranstürzenden Augen! Wer „verkannte noch die Mutter? Vier weib- „liche und sieben männliche Figuren, der „Hund, der Hintergrund mit seinen Pallä- „sten, die Luft: alles ist groß und „herrlich in diesem Bilde, alles lebt, „von Wahrheit und von Geist durchath- „met und durchdrungen.“ Jetzt verneh- men wir auch die strenge Herabwürdigung desselben Kunstwerkes aus dem Munde ei- nes Vertrauten der Kunst: „Er (der junge „Herkules) liegt nicht in einem Schilde, „sondern in einer Wiege, oder etwas ähn- „lichem. Der Kopf des Herkules ist alles, „was in diesem Bilde Vorzug verdient. „Der Körper gleicht einem Schlauch, und „würde schicklicher für einen Silenus seyn. „Das Kind ist so ungeheuer groß, daß es „die Mutter, mit Beihülfe einer Magd, „nicht heben kann; doch der letztern ist „weislich eine Menge beigefügt. Schatten „und Licht sind äußerst verwirrt. Juno „in den Wolken ist das Schlechteste im „Bilde.“ S. Meusels Museum für Künstler und Kunst- liebhaber, 4tes Stück, S. 17. Unseres Bedünkens scheiterte Reynolds schon in der Wahl seines Gegenstandes. Ein Kind, dessen unentwickelte Verhält- nisse der Idee des Schönen so sehr zuwi- derlaufen, zur Hauptfigur zu erheben, be- stimmte schon das Schicksal des ganzen Gemäldes. Dieses Kind sollte ein Herkules seyn, folglich mußte seine Kraft der herr- schende Zug des Ganzen bleiben, und durch die Schönheit der Nebenfiguren nicht ver- drängt werden können. Jetzt durfte nur eine unglückliche Bezeichnung hinzukom- men, so war der Ausdruck gänzlich ver- fehlt, und in der That konnte der Künst- ler sich nicht härter an der Hermeneutik seiner Kunst versündigen, als indem er Kraft durch ungeheure Dimensionen anzu- deuten wagte. Daß er, vielleicht aus Ge- fälligkeit gegen den Nationalgeschmack, einen Deus ex machina in den Wolken zeigte, war schon traurig genug; aber ge- wiß noch trauriger, daß seine Juno ihre Göttlichkeit auf dem Olymp zurücklassen mußte, um in seinem Bilde eine müßige Nebenrolle zu spielen. Die Beschäftigung mit diesem Kunstwerke scheint jedoch die Phantasie des edeln Mannes zu ähnlichen Versuchen begeistert zu haben; denn außer seinem vorhin erwähnten Kardinal Beau- fort , hat er auch in die diesjährige aka- demische Schaustellung mehrere Dichtun- gen seiner Muse geliefert, unter andern die Enthaltsamkeit des Scipio, Cupido und Psyche, Cymon und Iphigenia. Eine Au- genkrankheit, die ihn im Sommer mit gänzlichem Erblinden bedrohete, ließ die Eitelkeit aller Schönen und aller liebens- würdigen jungen Herren in den glänzen- den Kreisen der Hauptstadt vor der Gefahr erzittern, ihren Reitzen von Reynolds Pin- sel nicht mehr Gerechtigkeit widerfahren zu sehen; allein zur Beruhigung dieser Trauernden versichert man, daß er bereits wieder zu malen angefangen hat Bekanntlich ist er seitdem gestorben. . Romney , der, von Hayley besungen, als Porträtmaler seinem Muster Reynolds nahe kommt, und dessen Draperieen selbst von strengen Kritikern gelobt werden, hat in der Shakspeare-Gallery eine Scene aus dem Sturm ( the Tempest ) gemalt. Der Dich- ter läßt auch hier eine Art von Mittelge- schöpfen aus dem Geisterreich auftreten, welche die Einbildungskraft eines Engli- schen Malers begeistern kann. Ariel ist ein sanftes, liebevolles, einschmeichelndes Wesen, dem Romney gefällige Reitze ver- leihen durfte. Ein anderes neues Mitglied der Kunst- Akademie, der Maler Northcote , hat diese Sammlung mit mehreren Stücken berei- chert, die sich auf Shakspeare’s historische Schauspiele beziehen. Die von ihm gewähl- ten Scenen sind aus dem König Johann , aus Heinrich dem Sechsten und aus Richard dem Dritten entnommen. Seine Komposi- tionen sind nicht ohne Verdienst. Der zu- gleich mit erwählte Akademiker Opie , der im Kolorit nach Rembrandt arbeitet, im Charakter der Köpfe aber so weit von ihm abweicht, wie die Brittische von der Nie- derländischen Grazie, liefert hier eine Scene aus Romeo und Julie , und eine aus dem Winter-Mährchen ; doch wäre zu wün- schen, daß er in der Zeichnung nicht so gar weit zurückgeblieben wäre. Aus dem letztgenannten Stück hat auch Wheatley den Stoff zu seinem Gemälde entlehnt. Hamilton , der erst dieses Jahr zum Mit- glied der Akademie erkohren ward, wählte die Heirathsscene aus dem Lustspiel Much ado about nothing , und von ihm sieht man in dieser Sammlung noch zwei andere Ge- mälde, das eine aus Love’s Labour lost , das andere aus dem in England vorzüglich beliebten As you like it . Der Reichthum des Dichters, der seine Scenen aus den verschiedensten Verhältnissen des Ortes, des Ranges und Charakters bildete, ist be- sonders anwendbar auf die ganz verschie- denen Talente der Künstler. So gab in diesem Stück die Scene, wo der melancho- lische Jaques im Walde klagt und philo- sophirt, eine schöne Gelegenheit, den trau- rigen, einsamen Hirsch, wovon er spricht, durch den bekannten Thiermaler Gilpin trefflich darstellen zu lassen, denselben Gilpin , der sich mit seinem Entwurf der Swiftschen Houynhms so viel Ruhm er- warb, indem es wirklich schien, als hätte er seinen Pferden verschiedene Charaktere zugetheilt, und ihnen die Gabe der Rede verliehen. Es führte uns zu weit, und ermüdete vielleicht unsere Leser ohne Absicht, wenn wir die sämmtlichen Gemälde der Shak- speare-Gallery hier durchgehen wollten. Josiah Boydell , ein Neffe des Aldermanns, hat mit gutem Erfolg die Scene im Garten erzählt, wo Richard Plantagenet und Som- merset die rothe und weiße Rose pflückten, und dadurch ihren Partheien von York und Lancaster die berühmten Abzeichen gaben, welche sechs und dreißig Jahre lang die Nation entzweiten, und um deren Erhö- hung während dieses Zeitraums in zwölf entscheidenden Schlachten Brittisches Bür- gerblut strömte. Aus dem Titus Androni- cus, einem Trauerspiele, welches vielleicht mit Unrecht Shakspeare’n zugeschrieben wird, hat der junge Kirk eine gräßliche Scene zu mildern gesucht; allein so sehr er auch für das Gefühl der Zuschauer ge- sorgt zu haben glaubt, indem er die ver- stümmelten Arme der Lavinia unter dem Gewande verbirgt, so ekelhaft bleibt dessen ungeachtet auch dieser Anblick, der weder für den Pinsel, noch für das Theater, noch selbst für die Lektüre gehört. Peters , der jetzt den Maler und den geistlichen Seel- sorger in einer Person verbindet, ein Künst- ler, dessen Phantasie ihre Bilder nur aus einer grobsinnlichen Natur entlehnt, und dessen Farbengebung sehr übertrieben, wenn gleich nicht ohne Verdienst ist, schildert hier die Scene aus Much ado about nothing , wo Beatrix die Unterredung zwischen Hero und ihrem Mädchen be- horcht. Den schlauen Ernst der Hero, die scherzlustige Zustimmung der Magd, und die mißtrauische Neugier der Horcherin ganz zu erreichen, hätte vielleicht tieferes Studium des menschlichen Herzens, und größere Fähigkeit, dessen leiseste Bewe- gungen zu fassen und anzudeuten voraus- gesetzt. Eine niedrigere, aber nicht min- der launige Scene dieses Lustspiels, wo Dogberry und Verjuice glänzen, hat Smirk ziemlich humoristisch ausgeführt, und eine andere des Grotesk-komischen, der wohl- beleibte Ritter Falstaff mit seinen Spieß- gesel- gesellen und Rekruten vor dem Friedens- richter Shallow, ist dem Maler Durno nicht übel gerathen. Diese Anzeige ist hinrei- chend, um von dem gemeinnützigen Insti- tut der Shakspeare-Gallery einen richti- gen Begriff zu geben, und jeden Kunstver- ständigen selbst urtheilen zu lassen, wie sehr die eigenen Geisteskräfte der Engli- schen Künstler dadurch zur Thätigkeit ge- weckt werden, und welchen Erfolg man sich von dieser Anstrengung versprechen darf. Das Gegenstück zu Boydells public Spirit , und ein neuer Beweis der allgemeineren Kunstliebhaberei in England ist dort der originale Einfall eines gewissen Macklin , auch die übrigen Brittischen Dichter durch Brittische Künstler erläutern zu lassen, und die in solcher Rücksicht veranstaltete Sammlung von Gemälden dem Publikum f zur Schau zu stellen. Diese Exhibition ward bereits im April des vorigen Jahres eröffnet, und enthielt damals neunzehn Ge- mälde, die hier wenigstens angeführt zu werden verdienen. Gainsboroughs Lavinia, aus Thomsons Jahrszeiten, behauptet vor allen die erste Stelle. Der Geist dieses nunmehr verstorbenen Künstlers, der im Porträt und in der Landschaftmalerei gleich berühmt war, seine Leichtigkeit, sein Chiaroscuro , seine transparenten Farben, und eine große Einfalt der Komposition und Ausführung empfehlen dieses Gemälde. Die Natur hatte diesen Mann zum Maler bestimmt, und schon als Knabe gab er Pro- ben von einer lebhaften Einbildungskraft, und von einem besondern Talent der Nach- ahmung. Er war zu gleicher Zeit ein gu- ter Tonkünstler. An seinen Porträten rühmt man die vollkommenste Aehnlichkeit, wie- wohl es ihm bei seiner leichten, sorglo- sen Manier auf die Striche nicht anzukom- men schien. Er malte in einem halbdun- keln Zimmer mit sehr langen Pinselstecken, weit von der Staffelei, und daher wirkten seine Gemälde erst in einer gewissen Ent- fernung. Unter seinen neuesten Arbeiten verdienen insbesondere die Bildnisse des Prinzen von Wallis , des Marquis von Lans- downe und des Admirals Lord Rodney ge- nannt zu werden. Seine Landschaften sind in einer großen, leichten, einfachen Ma- nier. In der Macklinischen Sammlung be- findet sich noch ein zweites Stück von sei- ner Hand, Hobbinol und Ganderetta, nach dem Idyllendichter Sommerville , welches ebenfalls eine rühmliche Erwähnung ver- dient. Von Sir Joshua Reynolds bewun- dert man hier eine Vestalin , aus Gregory’s Ode to Meditation . Eine etwas schlankere f 2 Gestalt zu diesem schönen Gesichte, hätte dem Beobachter die Idee von Heiligkeit näher gelegt; oder sollte man bei einer Vestalin noch an etwas Irdisches denken? Füeßli hat sich, wie gewöhnlich, an Vi- sionen geübt. Die eine ist der Traum des Prinzen Arthur aus Spensers Fairy Queen ; die andere der Traum der Königin Catha- rina nach S hakspeare’s Heinrich dem Ach- ten . Beide haben alle Fehler und alles An- maßliche seines bekannteren Entwurfes von Theseus und Ariadne. Spenser’s Britomar- tis, welche Amoretten befreiet, ist hier unter Opie’s Händen verunglückt; und Pe- ters hat in seiner nach Milton geschilder- ten Scene aus dem Paradiese eine Eva hin- gestellt, die wahrlich nicht Adams jung- fräuliche Braut, sondern, vielleicht um seine philologischen Studien zu erkennen zu geben, die Mutter der Lebendigen ist. Sansloy, der den Löwen erlegt, eine Spen- serische Allegorie hat Cosway , und die Stunden, nach Gray’s Ode an den Frühling, seine Frau, eine ziemlich glückliche Künst- lerin, ausgeführt. Für die schöne Ode to Mercy von Collins , und für Pope’s Locken- raub sieht man hier ein Paar Stücke von Artaud , von sehr verschiedenem Werthe; der ernste Gegenstand des ersteren überstieg die Kräfte dieses Künstlers. Rigaud , ein Mitglied der Akademie, der zwar aus der Französischen Schweiz gebürtig ist, aber seit langer Zeit mit dem Ruhm eines fleißi- gen Porträtmalers in London arbeitet, hat hier nach dem Vater der Englischen Dicht- kunst, dem alten Chaucer , die Constantia sehr gut geschildert. Dieser anspruchlose Künstler malt mit einem kräftigen, wah- ren Pinsel, der die Kunstgriffe seiner aka- demischen Mitbrüder verschmähet, und vielleicht eben darum das Auge derer nicht auf sich zieht, die sich nur von dick auf- getragenen Lichtern und grellen Kontrasten fangen lassen; und was noch mehr ist, er bleibt der Zeichnung getreuer, als so man- cher angehende Englische Maler, dessen kühne Übertretungen die Unwissenheit für Geniestreiche hält. Mallets Amyntor und Theodora, von Stothard gemalt, gehört unter die besseren Stücke dieser Sammlung. Die übrigen sind Hamilton’s zwei Gemälde, Palemon und Arcite, und Arcitens Tod aus dem Chaucer; Addisons Cato, von Brown; Parnell’s Einsiedler von Nixon ; der Hof des Comus, nach Milton , von Martin ; und Jagos Goldfinches , von einem jungen Han- noveraner Ramberg . Außer der Aufmunterung, welche diese Privatmänner, und der König selbst der Englischen Malerschule angedeihen lassen, werden jetzt die Beispiele häufiger, daß der begüterte Adel seine Palläste und Land- häuser von Brittischen Künstlern verzieren läßt. Eine frühzeitige Bekanntschaft mit klassischer Litteratur kann dem wohlha- benden Britten wenigstens die ersten Be- griffe des guten Geschmacks einflößen; der Enthusiasmus der Vaterlandsliebe kann ihn bewegen, die Eingeweiheten der Kunst in seiner Insel zu größeren Werken aufzufor- dern; ein stolzes Gefühl seiner Unabhän- gigkeit und seiner Macht kann ihn von sei- nem Reichthum einen glänzenden Gebrauch machen lassen. Allein es liegt auch schon im Volks-Charakter dieser freien Insula- ner ein gewisser Enthusiasmus für jede Größe und jedes Verdienst um das gemeine Beste, der seine Dankbarkeit gern auf eine unzweideutige Art an den Tag legt. Die Stadt London zeichnete sich von jeher, wenn gleich nicht immer durch guten Ge- schmack, doch wenigstens durch die Wärme ihres Patriotismus in solchen Fällen aus. Sie stellte, wie wir bereits erwähnten, Beckfords Bildsäule in ihrem Rathhause auf, als er ihre Rechte im Senat verfoch- ten hatte; sie beschenkte den Admiral Kep- pel , als das über ihn gehaltene Kriegesge- richt ihn auf die ehrenvollste Art losge- sprochen hatte, mit dem Bürgerrechte in einer allegorisch verzierten Dose, und sie ließ auch neulich zum Andenken der Ret- tung von Gibraltar zwei große Gemälde verfertigen, worauf der Maler Copley nicht allein die Heldenthaten der Land- und Seetruppen, sondern auch die Bildnisse der vornehmsten Officier mit der ihm eig- nen Treue vorgestellt hat. Um diesen End- zweck ganz zu erreichen, mußte er sogar nach Hannover reisen, wo er die Bildnisse der Deutschen Generale, die in Gibraltar mitgedient hatten, zur Ergänzung seines Gemäldes verfertigte. Elliot (der jetzige Lord Heathfield ), die Generale Sir Robert Boyd, Delamotte und Green , und über- haupt achtzehn, sowohl Brittische als Han- növerische Befehlshaber, bilden hier eine Gruppe, die sich mit dem Schauspiele der vernichteten schwimmenden Batterieen und der darauf folgenden Rettung der unglück- lichen Feinde beschäftigt. Unter denen, die sich jenem menschenfreundlichen Werk unterzogen, erkennt man den See-Capitain Sir Roger Curtis , dessen Thätigkeit ein sol- ches Denkmahl verdiente. Das zweite Stück schildert die Ankunft der großen Flotte unter dem Admiral Lord Howe , welche den Transport von Mund- und Kriegesvorräthen im Angesicht der kombi- nirten feindlichen Macht glücklich bis in den Hafen hinein leitet. Auf den Nationalstolz hatte Copley schon zuvor eine glückliche Spekulation gegrün- det, indem er den rührenden Tod des großen Chatham , der zuerst den Namen Pitt durch sein persönliches Verdienst verherrlichte, mit eben der knechtischen Wahrheit, wie hernach den Entsatz von Gibraltar, schilder- te. Lord Chatham verschwendete im Ober- hause die Donner seiner Beredtsamkeit für die Sache der Amerikanischen Staaten ge- gen Norths Ministerium, und verkündigte mit prophetischem Geiste, was bald her- nach in Erfüllung ging. Sein von Krank- heit zerrütteter Körper unterlag mitten in diesem Kampfe seines Geistes gegen die Ungerechtigkeit; er sank sterbend in die Arme seiner umstehenden Freunde. We- der die moderne Kleidung, noch die Män- tel der Parlamentsherren könnten Theil- nehmung für diese Scene erwecken, wenn die Geschichte selbst nicht jedem Britten ins Herz geschrieben wäre. Um sie von Copleys Hand vorgestellt zu sehen, und so viele Porträte als Lords im Parlamente ge- genwärtig waren, zu betrachten, eilte ganz London in die deshalb besonders eröffnete Schaustellung, und jetzt, da wir schrei- ben, wird der nach jenem Gemälde auf Subskription verfertigte Kupferstich von Bartolozzi mit fünf und zwanzig Guineen bezahlt. Der Tod des Majors Pearson , ebenfalls von Copley gemalt, hat, wie die vorhergehenden Stücke, durch die Porträte die darauf vorkommen, einen konven- tionellen Werth. Nach allem, was wir bisher gesagt ha- ben, und etwa noch hinzufügen könnten, läßt es sich gleichwohl nicht läugnen, daß diejenigen Zweige der Kunst, welche dem Maler Gelegenheit geben, seinen inneren Reichthum zu zeigen, mit Erfindung, An- ordnung, Auswahl, mit Gestalten und Far- benschattirungen, die seine Phantasie sich vom Wirklichen abstrahirt hätte, zu glän- zen, theils vom Publikum nicht allgemein geschätzt, theils von Liebhabern nicht ge- sucht, theils auch von den Künstlern selbst noch nicht mit vorzüglichem Glücke be- handelt werden. In dem Grade, wie ein Gemälde sich der bloßen Nachahmung be- kannter oder beliebter Gegenstände nähert, in dem Grade gewinnt es für die Englän- der an allgemeinem Interesse. Die Künst- ler, denen diese Sonderbarkeit des Ge- schmacks nicht unbekannt ist, befleißen sich daher, die Bildnisse solcher Personen aufzustellen, die durch ihre Thaten Ge- genstände des Volks-Enthusiasmus gewor- den sind. Elliot , der Held von Gibraltar, ward von Sir Joshua Reynolds , von Brown und mehreren Andern nach seiner Wieder- kehr ins Vaterland gemalt. Das von Brown verfertigte Porträt, nebst seinem Gegen- stücke, welches den zweiten Commandan- ten der Festung, den ehrwürdigen Sir Ro- bert Boyd , vorstellt, ist nach Spanien be- stimmt, wo man vermuthlich auch begie- rig ist, die Helden, die man nicht besie- gen konnte, näher ins Gesicht zu fassen. Mit ähnlichem Eifer bewarb man sich um Rodneys Bild, der von allen im letzten Kriege angestellten Admiralen allein den Muth, das Glück oder den guten Willen hatte, die Ehre der Brittischen Flagge durch entscheidende Siege zu behaupten. Einem höheren, mit Achtung und Liebe vergesellschafteten Ausdruck des patrioti- schen Hochgefühls widmete sich der Ma- ler Wheatley , indem er den Menschen- freund Howard , in seinem edlen Geschäfte, die Wohnungen des Elends und des Kum- mers zu besuchen, für die akademische Schaustellung schilderte. Die Stimme des Publikums erhebt zuweilen auch den Schau- spieler, wenn vorzügliche Talente ihn aus- zeichnen, zum Gegenstand der allgemeinen Verehrung; und in solchen Fällen schmei- chelt die Kunst dem Modegeschmack, in- dem sie das Porträt des Schauspielers mit seiner glänzendsten Rolle verbindet. Ha- milton erwarb sich vielen Beifall dadurch, daß er die beinahe angebetete Siddons als Isabella, und ihren Bruder Kemble als Ri- chard den Dritten malte. Oft ist es schon hinlänglich, den Liebling des Parterre und des Theater-Paradieses, auch ohne Bezie- hung auf den Charakter, worin er gefiel, mit Wahrheit darzustellen, um theils durch ihn Celebrität zu erlangen, theils, wenn man dieses Mittels nicht mehr bedarf, sich selbst im Namen des Volkes zu einem Pfle- gevater des theatralischen Verdienstes zu erheben. In dieser verschiedenen Rücksicht beeiferten sich Beach, Hamilton, Hoppner, Russel, Wheatley und Sir Joshua Reynolds selbst, die berühmte Mrs. Wells , die das Talent der Nachahmung bis zum höchsten Täuschungsgrade besitzt, für das Publikum abzubilden. Bei der jüngsthin dem Präsi- denten zugestoßenen Augenschwäche be- dauerte man nichts so sehr, als daß nun- mehr das Bildniß der Mrs. Billington , ei- ner andern Lieblings-Aktrice, unvollendet bleiben würde. Opie , der als Portätmaler eine unbestechliche Treue besitzt, und sich dadurch bei dem schönen Geschlechte nicht immer empfiehlt, machte dem Londoner Publikum ein sehr willkommnes Geschenk mit dem charakteristischen Gesicht des Ve- teranen Macklin . Die getreue Nachahmung der Natur bleibt immer noch ein großes Künstlerver- dienst, auch wenn sie mit der Erfindungs- kraft, und dem mächtigen Triebe, die eig- nen Kinder der Phantasie mit wirklicher Gestalt und materiellem Daseyn zu bega- ben, in keiner Verbindung steht. Die Nachahmungskunst ist vielmehr der Grund, den auch der genievolleste Künstler bei seinen Bildern legen muß, er dichte mit dem Meißel oder dem Pinsel in der Hand. Das wirklich Vorhandene muß ihm so ge- läufig seyn, sich so mit seinem Wesen identificiren, daß er es wie ein mechani- sches Triebwerk in seine Theile zerlegen, und diese nach einer willkührlichen Ver- änderung oder Vervollkommnung wieder zusammenfügen könne, zu einem völlig ähnlichen nur zierlicheren, schöneren, ed- leren Ganzen. Jeder wahrhaft große Künst- Künstler im heroischen und historischen Fach, muß wenigstens Porträte malen kön- nen , wenn schon sein Geist diese knechti- sche Nachbildung des Individuellen in der Natur verschmähet, und sich nur in eige- nen Schöpfungen genügt. Zu einem guten Porträt gehören in der That so viele we- sentliche Künstlertalente, daß wir die Ver- messenheit derer, die sich ohne im Besitz derselben zu seyn, dem Gelüste ihrer Phan- tasie überlassen, in keinem vortheilhaften Lichte darstellen können. Wenn man in- dessen nach der ungeheuren Menge von Porträten im Durchschnitt ein allgemeines Urtheil fällen sollte, so scheinen wohl die wenigsten Porträtmaler etwas von den Schwierigkeiten geahndet zu haben, die wir bei ihrem Geschäfte voraussetzen, und eine Menge von Kenntnissen bei dem Ko- pieren nach der Natur dürften ihnen höchst g überflüßig und entbehrlich vorgekommen seyn. Das Wohlgefallen der Menschen an ihrem lieben Selbst, sobald sie es auf ei- ner ausgespannten Leinwand erblicken, mag wohl zu dieser künstlerischen Sorglo- sigkeit nicht wenig mitgewirkt haben. Sir Godfrey Kneller , der Deutsche Maler, den nach Lelys Tode kein anderer Neben- buhler zum Wetteifer reitzte, ward über- müthig genug, die Eigenliebe der Englän- der zu mißbrauchen, seinen Ruhm der Ge- winnsucht aufzuopfern, und eine Porträt- Fabrik, im eigentlichen Wortverstande, anzulegen. Seine Deutschen Handlanger mußten an dem Bilde, wovon er lediglich die Gesichtszüge malte, alles übrige aus- führen. Der eine malte die Perüke, ein anderer den Hut, der dritte den sammet- nen Rock; dieser reichte das Gemälde ei- nem vierten, der die Knöpfe darauf setzte; unter den Händen des fünften kamen die Spitzenmanschetten und das Halstuch hin- zu, und solchergestalt entstand ein Mach- werk und ein Flickwerk, woran es, trotz der Ähnlichkeit der Gesichtszüge, oft un- möglich seyn mochte, das Original zu er- kennen. An Mannichfaltigkeit in den Stel- lungen, an Wahrheit und charakteristischer Zeichnung des Körpers, an Harmonie im Ton der Farben, an Ausdruck in den Zü- gen, Feuer im Auge, kluge Wendung des Gesichts, und Disposition der Schatten und Lichter, um die Ähnlichkeit spre- chender au machen, und die Seele durch ihre körperliche Hülle leuchten zu lassen: an alle diese Erfordernisse der Kunst hatte weder der goldgierige Künstler, noch sein Publikum, welches so gern von ihm ge- malt seyn wollte, je gedacht. Auch Hud- son , der nach Knellern den größten Zu- g 2 lauf hatte, gab allen seinen Bildern die- selbe ruhige, zufriedene, bedeutungsleere Miene; und da er einst ein Porträt mit ei- nem gebieterisch ausgestreckten Arm zu Stande gebracht hatte, posaunten es seine Freunde und seine Schüler durch ganz London umher, daß Hudson eine neue Stellung erfunden hätte. Hayman wagte schon einige Veränderungen, und hatte auch Anlage, wenigstens Dreistigkeit ge- nug, zum historischen Maler, wie man aus seinen Gemälden zu Vauxhall, und aus den nach seinen Zeichnungen verfertigten Kupferstichen zu der großen Ausgabe von Miltons verlornem Paradiese, zum Don Quichotte, und anderen Werken, noch ab- nehmen kann. Allein vor Reynolds Zeiten hatte Eng- land keinen Maler, der dieses Namens werth gewesen wäre; ihn darf man mit Recht für den Vater und Stifter der jetzi- gen Brittischen Künstlerschule halten, die seit dreißig Jahren so große Fort- schritte gethan hat. Als Porträtmaler wird man ihn zwar nicht mit Tizian und Vandyk vergleichen, doch auch nicht weit unter sie setzen. Er hatte mehr dichteri- sche Phantasie und Feinheit als der erste, mehr sogar als der zweite; nur an Wahr- heit übertrafen ihn beide. Sein Geschmack ließ sich nicht fesseln durch das Ungra- ziöse unserer modernen Kleidung; er dra- pirte seine Porträte mit einem ihm eige- nen Sinn für Schönheit und Eleganz. In seinen Stellungen, in seinen Physiognomien und Beleuchtungen liest man eine seltene Gabe, das Eigenthümliche eines jeden Cha- rakters zu entwickeln und im vortheilhafte- sten Licht erscheinen zu lassen. Die meisten seiner Porträte sind daher zugleich als Werke der Einbildungskraft zu betrachten; und wenn der Name des Individuums, nach welchem er malte, längst vergessen ist, wird man immer noch den Geist, der es beseelte, darin erkennen. London ist jetzt an Privatmalern von ausgezeichnetem Verdienste wirklich reicher, als jede an- dere Stadt in Europa. Nächst Reynolds sind die vorzüglichsten: Romney, Dance, Opie, Northcote , der Amerikaner Stewart, Austin, Beechy, Rigaud, Lawrence, Brown, Nixon, Hamilton und Hoppner . Der Tod des vorhin erwähnten Gainsborough wird noch immer bedauert; denn als Porträtma- ler setzte man ihn dem Präsidenten an die Seite. Ein anderer berühmter Künstler in diesem Fache, der Maler Pine , starb neu- lich in Amerika. Der beste Miniaturma- ler in England war ein Deutscher, Jere- mias Meyer , der ebenfalls im Jahr 1788, als Mitglied der Akademie, gestorben ist; Cotes, Humphry, Sheller, Engleheart und Bowyer ersetzen diesen Verlust nicht völ- lig und nicht mit gleichem Glücke. Un- ter den Zeichnern in Pastell verdient Rus- sel vorzüglich genannt zu werden; man be- wunderte in den späteren akademischen Schaustellungen seine Ruth und Naemi, und das mit einer Treue, die uns anekeln würde, nach der Natur kopirte Porträt ei- ner bekannten Bettlerin. Downman ist ein anderer Pastellmaler, dem man bei aller Einförmigkeit seiner Porträte, wenigstens einen hohen Grad von Delikatesse nicht absprechen kann. Zur Verzierung des Pri- vat-Theaters im Pallast des Herzogs von Richmond malte er die Bildnisse der Her- zoginnen von Richmond und von Devonshire , der Lady Duncannon , der Lady Elisabeth Foster , und der beiden Schauspielerinnen Miß Farren und Mrs. Siddons ; und diese Bildnisse wurden in der That eben so viele Meisterwerke in ihrer Art. Von eben dem- selben Künstler hat man auch eine schöne Zeichnung, wo Mrs. Wells und der Schau- spieler Edwin in theatralischen Rollen er- scheinen. Ein weites Feld öffnet sich dem Maler, sobald er die idealischen Höhen des Schö- nen, und die menschliche Gestalt als seinen eigentlichen Gegenstand verlassen, und zu den tausendfältigen Abstufungen der Thier- und Pflanzengebilde hinabsteigen will. Auch in dieser Sphäre kann die schöpferi- sche Phantasie des Künstlers sich noch thä- tig erweisen, und neben der treuen Nach- ahmung bleibt es ihr unbenommen, durch die Zusammenstellung der Formen, die Art des Vortrags, die Distribution des Lichts, ein schönes Ganzes zuwege zu bringen, welches ihr Eigenthum ist, und in den Theilen des Gemäldes nicht gegeben war. Für die Kunst wäre vielleicht schon viel gewonnen, wenn die verschiedenen Gren- zen der Einbildungskraft bei verschiedenen Künstlern, von ihnen selbst erkannt, und ihre Kräfte folglich nicht an Versuche ver- schwendet würden, denen sie nicht ge- wachsen sind. Wie manchem Maler, der sich erkühnte Göttinnen und Helden auf seiner Leinwand hinzuzeichnen, möchten wir zurufen, daß er sich begnügte, die individuellen Züge seiner Zeitgenossen zu kopiren, und Gedanken, die schon in der Natur zur Wirklichkeit gelangten, mit un- verwandtem Blicke zu verfolgen, aufzu- fassen, darzustellen! Manchem andern, der es wagte, das Meisterstück der Natur, den Menschen, den Denker, nachzubilden, möchten wir wünschen, er hätte nur thie- rische Begierden und thierische Leiden- schaften, mit Snyers und Hondecoeter , ge- schildert! Wer endlich auch zu dieser Darstellung lebendiger Kräfte nicht in sich selbst Energie genug fühlt, dem bleibt die Kunst noch übrig, an ihren entseelten For- men sein Talent der Nachahmung zu üben, oder die ruhigen Umrisse von Früchten und Blumen, wie van Huysum , durch den Zauber des Pinsels mit natürlichen Farben glühend, saftreich, durchscheinend, mit frischem Thau betropft, ins Daseyn zu ru- fen. Man wird es nicht von uns erwar- ten, daß wir die Künstler nennen sollen, deren Genie sich nicht über diese Sphäre hinwegschwingt, nachdem wir mit Still- schweigen bei der Klasse von Malern vor- übergegangen sind, die ihr Talent im Gro- tesken, im Darstellen der niedrigsten Ge- werbe des Lebens, oder in der Nachah- mung einer Natur suchen, die der Zeit und der Kräfte des Künstlers unwürdig ist. England hat seinen Stubbs , dessen Talent in lebendiger Schilderung der Thiere nie übertroffen, und selbst von unserm Ridin- ger nicht erreicht worden ist. Sein Tiger, seine kämpfenden Rosse und Stiere, sind hinreichend ihn zu verewigen, wenn auch nicht jeder Liebhaber des Pferderennens die sprechendsten Abbildungen seiner Lieb- lingsrenner, von ihm gemalt, in seinen Zimmern aufbewahrte. Gilpin , dessen Houynhms und Yahus nach Dr. Swifts bekannter Satire, wir bereits angeführt ha- ben, verdient diesem Meister, hauptsäch- lich was die charakteristische Schilderung der Pferde betrifft, an die Seite gestellt zu werden. Elmer malt wildes und zah- mes Geflügel mit einer Treue, die den Niederländischen Malern in diesem Fache auf dem Fuße folgt, und die Deutsche, Marie Moser , ein Mitglied der königlichen Akademie, die sich aber von Jugend auf in England gebildet hat, besitzt in Blu- menstücken eine bewundernswürdige Gabe der täuschenden Darstellung. Die ge- schmackvollen Dekorationen einiger neuen Zimmer im königlichen Pallast zu Windsor sind von ihrer Hand. Ihre Figuren hinge- gen, zu denen sie von Zeit zu Zeit immer wieder zurückkehrt, sind ihr jederzeit mißlungen. Diese hier angeführten Namen, denen wir mehrere, nicht ganz unverdiente hin- zufügen könnten, beweisen wenigstens, daß die Brittische Künstlerschule auch in den kleinsten Nebenzweigen der Malerei etwas geleistet hat. Die Landschaftsmale- rei endlich, wird in England ebenfalls mit großem Glücke behandelt, und be- schäftigt daselbst eine sehr ansehnliche Künstlerzahl. Die Größe des Gegenstan- des und das Mannichfaltige, welches man hier in einem Gemälde zusammenfassen kann, ersetzen zum Theil, was ihm an Würde abzugehen scheint. Die großen Phänomene der Natur erheben die Seele des Zuschauers; und groß ist auch der Künstler, der, wenn er nicht den edleren Gegenstand der Kunst, die allumfassende Menschenvernunft, durch ihre Hülle leuch- ten zu lassen vermag, wenigstens das Re- gen der allgemeinen Lebenskraft im Weltall anschaulich zu machen weiß. Was bei der Darstellung der menschlichen Natur uns fehlerhaft dünkt, das Haschen nach Wirkung mit Hintansetzung der Korrektheit im Umriß, wird in der Landschaftsmale- rei das Wesentliche der Kunst. Der Land- schaftsmaler schildert nur unbestimmtere formlose Gegenstände, oder solche, deren bestimmtere Form durch die täuschende Ferne verloren ging. An ihre Stelle setzt er Zeichen, deren Illusion das Auge in der Natur schon kennen lernte, die es zu entziffern, und unter denen es, wie das Ohr unter den Lauten der Sprache, die Wesen der Natur zu verstehen weiß. Vielleicht also, weil hier alles Manier, oder künstlerische Zeichenschrift bleiben muß, gelingt es den Brittischen Künstlern, den Ausdruck der Natur so glücklich nach- zubilden, und die geschäftige Phantasie des Zuschauers durch Schilderungen, die sie sich ausmalen oder in deren Mitte sie sich hineinträumen kann, zu fesseln und zu er- götzen. An die Namen berühmter Engli- scher Landschaftsmaler können wir indes- sen nicht denken, ohne zuvor einen Aus- länder anzuführen, der seit vielen Jahren in London wohnt, und wo nicht die erste Stelle, doch unstreitig eine der ersten in diesem Fache behauptet. Der Elsasser Loutherbourg gehört in der That zu den genievollesten Künstlern, die es jemals wagten, die Natur im Großen zu kopiren. Er war mit allen zu diesem Fache erfor- derlichen Anlagen und Talenten, vor al- lem aber mit einer hohen komischen Laune begabt, welche seinen Werken auch den Beifall derer erwarb, die für die höhere Schönheit seiner Gemälde keinen Sinn zu haben schienen. Daß die äußerste Reitz- barkeit gegen jedes Mißverhältniß, ohne welche jenes schnelle Auffassen des Lä- cherlichen nicht gedacht werden kann, in Absicht seiner selbst plötzlich verschwin- den konnte, als er im Jahr 1788 ganz un- vermuthet die Rolle eines Wunderthäters zu spielen, und Taube und Blinde zu hei- len begann, gehört zu jenen seltsamen und zugleich schaudervollen Erscheinungen der menschlichen Natur, deren Vervielfälti- gung in unseren Tagen uns belehrt, wie nahe die stärkste Spannung des Nervensy- stems an den Wahnsinn gränzt, und wie traurig das Loos des denkenden Wesens ist, welches befürchten muß, indem es seinen kühnsten Flug nun wagt, aus seiner leichten Sphäre zu stürzen, und ein Spott der verächtlichen Menge zu werden, über deren Häuptern er einst so hoch empor schwebte! Den verstorbenen Gainsborough haben wir bereits als einen verdienstvollen Land- schaftsmaler genannt. Seine Landschaften hatten das Gepräge einer in diesem Fache nur an große Gegenstände gewöhnter Phan- tasie, und waren mit der ihm eigenen Leich- tig- tigkeit und Einfachheit gemalt. Des bereits früher verstorbenen Wilsons Talente ver- erbten sich auf seinen Schüler Hodges , und wucherten bei ihm. Den Grund zu seinem Ruhme legte er durch seine Weltumschif- fung mit Cook , und befestigte ihn durch einen langen Aufenthalt in Bengalen, nach dessen Endigung er im vorigen Jahr unter die Zahl der Akademisten aufgenommen ward. Auf der langen Seereise um die Welt und auf der Fahrt nach Indien ward er mit dem Anblick des Oceans bekannt, und lernte ihn in allen seinen Gestalten schildern. In seinem Gemälde für Boydells Gallerie hat er diese Kenntniß benutzt, um die schaurige Scene lebhaft zu versinnli- chen, wo Antigonus in Shakspeare’s Win- ter’s Tale das Kind und den Bären findet. Die Figuren in diesem Stücke sind von Hamilton . Ein Italienischer Künstler, der h in Seestücken eine bewundernswürdige Stärke zeigt, Domenico Serres , ist durch seinen langen Aufenthalt in England gleich- sam naturalisirt; was Vernet in der Fran- zösischen Schule war, ist Serres in der Englischen. Die Rückkehr des Königs von Neapel, von einer Seereise hat unter an- dern große Verdienste. Das Meer wim- melt von Schiffen und Fahrzeugen, groß und klein, aufgeputzt in ihrer höchsten Herrlichkeit. An den Matrosen in den Booten unterscheidet man die Nationen, zu welchen sie gehören. Die allgemeine Feier; die helle unbewölkte Luft; die Durchsichtigkeit und Flüßigkeit des Meer- wassers, und der malerische Effekt eines großen Leuchtthurms machen dieses Ge- mälde zu einem der vorzüglichsten in sei- ner Art. Wright in Derby ist der Maler eines andern Elements, des Feuers nämlich und des Lichts, dessen Wirkungen er bis zur Tauschung nachzuahmen versteht. Die Girandole auf der Engelsburg zu Rom, der Ausbruch des Vesuv, Feuersbrünste, Ge- witterscenen, Nachtstücke aller Art und von bewundernswürdigem Effekt, erheben diesen Künstler zu einem Liebling der Eng- lischen Kenner. In verschiedenen Fächern der Landschaftsmalerei haben übrigens noch Barret, Marlow, Farrington, Sandby, Bur- geß , ein entschiedenes Talent; und wenn die Verdienste einer Schule nach der An- zahl ihrer Zöglinge berechnet werden könn- ten, so würden wir unsere Leser auf das jährliche Verzeichniß der akademischen Schaustellung verweisen, welches mit meh- reren hundert Namen wenigstens den Grad der Geschäftigkeit beweiset, worin der Geld- umlauf, der Luxus, die Eitelkeit und die h 2 Liebhaberei die Englischen Künstler ver- setzen. Die Malerei und Zeichenkunst sind über- dies die Lieblingsbeschäftigungen eines großen Theils der höheren Stände, und das Dilettanten-Verzeichniß in England prangt mit den Namen des Königs und der Köni- gin , der Kronprinzessin , der Herzogin von Marlborough , der Marquise von Lothian , der Miß North , und vieler der angesehen- sten Personen. Immerhin mag man also beweisen, daß die Kunst zu ihrer Voll- kommenheit in England noch weit zu stei- gen hat, der Geschmack noch einer großen Läuterung bedarf, und daß beide vielleicht, tausend mitwirkender Ursachen wegen, nicht viel höher kommen werden: so ist es wenigstens nicht mehr zu bezweifeln, daß im Verhältniß mit den Zeitgenossen, England allein mehr für die Aufnahme der Malerei und Bildhauerkunst, mehr für die Bildung der Künstler selbst, und die Er- weckung ihres Talents leistet, als ganz Eu- ropa zusammen. Außer England giebt es kein Beispiel von jenen öffentlichen Denk- mählern, wovon die ganze Nation, oder die ansehnlichsten Städte das Verdienst ih- rer Mitbürger um den Staat verewigen. Außer England sucht man umsonst nach Privatmännern, wie Boydell und Macklin , die mit einem regen Eifer für das allge- meine Beste ihre Kapitale daran wagen, um die Kräfte der Künstler zum Wettkampf aufzufordern, und zur Ehre ihres Volks edlere Kunstwerke hervorbringen zu lassen. Außer England endlich findet man unter den wohlhabenden Bürgern und selbst un- ter dem Adel, selten einen Liebhaber der Kunst, der seinen Überfluß dem guten Ge- schmack dienstbar machte, der mit einer Sammlung von antiken Statuen, oder auch nur von Abgüssen, seine Villa zierte, der die Werke großer Meister aus den schönen Jahrhunderten Italiens vom Untergang zu retten, und in seinem Pallast zusammenzu- stellen suchte; ja, was ungleich auffallen- der ist, außer England sieht man nie ei- nen Beschützer der einheimischen Kunst, keinen Fürsten, der die Künstler seines Landes beschäftigte, der sie zu großen Ar- beiten aufmuntern, erhabene Marmorbil- der von ihrem Meißel, und rührende Sce- nen, wo Menschengröße Beispiel giebt und zur Nachahmung aufruft, von ihrem Pin- sel fordern möchte. Vergebens wandern unsere Künstler in das beneidete Italien; vergebens weiden sie ihre Blicke an den Wunderwerken eines Raphael , eines Domenichino , eines Leo- nardo da Vinci , eines Giulio Romano , ei- nes Michel Angelo , eines Bernini , eines Guido , eines Tizian , eines Corregio , eines Caracci ; vergebens studieren sie den edlen Wuchs, den gliederreichen Bau des mensch- lichen Körpers an jenem Volke der Sonne, wie an jenen Überbleibseln des Griechi- schen Meißels, dem Apoll im Belvedere, dem Farnesischen Herkules, dem Laokoon, der Mediceischen Venus, der Niobe und ihren Kindern: — bei der Rückkehr in ihre Vaterstadt müssen sie sich überglücklich schätzen, das Bildniß ihres Landesherrn entwerfen zu dürfen, und mit den Porträ- ten jetztregierender Potentaten, gleichviel nach welchem Kupferstich oder nach wel- chem Tabatierendeckel kopirt, seinen Au- dienzsaal zu schmücken. Unsern Mengs belohnte Don Carlos der Dritte von Spa- nien! Wer aber ruft die Namen so man- cher verdienstvollen Deutschen Künstler aus der Obscurität, worin sie verschmachten, oder zu Porträtmalern hinabsinken müssen, durch Aufträge, die eines Malers würdig sind, hervor? Warum giebt uns Rom und Neapel nicht unsern Trippel , unsern Hackert , unsern Tischbein zurück? Weil die Ver- gessenheit ein härteres Loos für den Künst- ler ist, als die Verbannung; weil dort das Verdienst sich noch der belebenden Huld Katharinens der Großen zu erfreuen hat. Wir haben bisher den Nationalge- schmack der Engländer in Sachen der Kunst mit aller Strenge beurtheilt, und seine Schwächen aufgedeckt. Es giebt heu- tiges Tages Künstler, die sich über die Sphäre der Brittischen Schule hinausge- schwungen haben; es giebt in Deutschland selbst und wie viel mehr noch in Italien! — Liebhaber und Kenner von richtigerem, ächterem Gefühl, als der große Künstler- haufe in London es besitzt. Allein von Ausnahmen kann hier nicht die Rede seyn. Es kömmt darauf an, den Sinn für das Vollkommene der Kunst im Durchschnitt des ganzen Volkes, und ohne Rücksicht auf besondere Klassen, mit dem Kunstsinne des Auslands, oder na- mentlich (weil doch kein Volk sich jetzt so dreist wie das Deutsche Schriftsteller- völkchen die Richtermine anmaßt) mit Deutschem Kunstsinn zu vergleichen. Fra- gen wir den Einwohner von London, wel- ches neue Kunstprodukt seiner Landsleute ihm am besten gefällt; so wird er uns hun- dert für eins zu nennen wissen, die er ge- stern im Vorbeigehen an den Fenstern der Bilderladen begaffte: wir fragen in allen unseren Hauptstädten, und man zeigt uns die Fratzen irgend eines Taschenkalenders. Doch wir müssen billig seyn; nach unse- rer Periode des Nürnbergischen und Augs- burgischen Geschmacks kann auch diese Spielerei schon ein Fortschritt heißen. Wenn Deutscher Patriotismus einst so war- men Antheil an vaterländischen Helden, Staatsmännern und Menschenfreunden neh- men wird, wie das Brittische Volk an den seinigen, dann wird auch der Name des Künstlers, der ihre Thaten oder ihre Ge- sichtszüge verewigen kann, denselben Grad der allgemeinen Achtung erlangen, den wir jetzt an den Zeichner fremder oder er- dichteter Handlungen in den beliebten Mo- natskupferchen und in den Titelblättern unserer genie-witzreichen Moderomane verschwenden. Denselben Gegenstand, welchen der Bildhauer mehreren Sinnen zugleich dar- stellen kann, dessen Erscheinung schildert der Maler dem Auge ganz allein; und hierin liegt vielleicht ein Grund, weswegen es dem ersteren so viel schwerer wird, alle Forderungen zu befriedigen. Wenigstens gilt die Analogie bei einer dritten Kunst, welche mit der Malerei in einem ähnli- chen Verhältnisse steht, wie diese zur Bild- hauerei, und von der es zweifelhaft ist, ob sie der Bildung des guten Geschmacks mehr Vortheil als Nachtheil gebracht haben kann. Die Erfindung, durch Abdrücke von einer Kupfertafel, auf welcher man Zeichnungen eingräbt, die Werke des nachahmenden Pinsels zu vervielfältigen, scheint in der That um so viel leichter einen gewissen Grad der Vollkommenheit zu erreichen, als bei derselben die Schwierigkeit der Far- benmischungen wegfällt, und Licht und Schatten nur als Modifikationen der allge- meinen Behandlungsart hervorgebracht wer- den. Was aber durch die Kupferstecher- kunst an allgemeiner Verbreitung der Haupt- ideen des Malers gewonnen werden mag, das, und noch mehr, verliert man wieder, sobald die leichte und wohlfeile Befriedi- gung der Dilettanten durch gutgestochene Blätter sie gegen das höhere Verdienst des Malers gleichgültig macht, oder wohl gar, wie jetzt, zumal in England, so häufig der Fall ist, den Maler zwingt, nur mit Rücksicht auf den Grabstichel zu arbeiten, und nur von diesem die Verewigung sei- nes Namens zu hoffen. England ist jetzt der Hauptsitz der Kupferstecherkunst, in- deß die Spuren ehemaliger Präeminenz in diesem Fache sich allmählich bei andern Völkern verlieren, und Deutschland erst anfängt, sich von neuem darin hervorzu- thun. Durch den ungeheuren Vertrieb der Englischen Kupferstiche, so wohl in als außerhalb Landes, erlangen wir einen an- schauenden Begriff von der erstaunenden Aktivität, womit die Malerei zu diesem Endzweck in England betrieben wird, von dem Grad ihrer Vollkommenheit, von der Ausbreitung der Kunstliebhaberei über jene Insel, und von der Anerkennung des Brit- tischen Kunsttalents auch im übrigen Eu- ropa. Ohne die Ausländer, an deren Spitze sich Francesco Bartolozzi seit 1765 befindet, und ohne die Landkartenstecher zu zählen, die es in der Kunst, Buchstaben in Kupfer zu graben, den Künstlern aller anderen Na- tionen zuvorthun, arbeiten jetzt in Eng- land ungefähr siebzig Meister in der Kupfer- stecherkunst. Die Söldner der Buchhänd- ler, die Vignettenstecher, die Subalternen aller Art, kommen hier noch, wie billig, nicht in Anschlag. Mit diesen und den Lehrlingen dürfte leicht die Zahl der Kup- ferstecher in England bereits auf dreihun- dert und darüber angewachsen seyn. In einer so zahlreichen Zunft finden sich allerdings die sämmtlichen Schattirungen zwischen dem bloßen Handwerker und dem wahren Künstler von Einsicht und Gefühl. Da indessen der Kupferstecher nur nach- empfinden muß, was die Phantasie des Ma- lers, sein Geist und Herz, auffassen und darstellen konnte; da er eigentlich nicht zu erfinden, sondern nur mit Verstand und Wahrheit nachzuahmen hat, was bereits in seinem ganzen Zusammenhange vor ihm liegt, wobei es sodann zunächst auf die Richtigkeit des Augenmaßes, die Geschick- lichkeit in mechanischen Handgriffen, auf anhaltenden Fleiß und stets gespannte Auf- merksamkeit ankommt: so begreift man leicht, daß es der Betriebsamkeit des Brit- ten vor andern gelingen müsse, in dieser Kunst den Gipfel der Vollkommenheit zu ersteigen, sobald die Früchte der Anstren- gung erringenswerth sind. Dieses müssen sie aber wohl in einem Lande seyn, wo Bartolozzi für eine einzige Platte eine Summe von 6000 Rthlr. erhielt, die so mancher Deutsche Künstler und Gelehrte zu- frieden wäre, seine ganze Habe zu nennen. Bartolozzi ist unstreitig einer der größ- ten und zugleich der fleißigsten Künstler in diesem Fache; gleich vortrefflich in mehreren Manieren, und im Zeichnen so geübt, daß nicht selten die Mängel des in- korrekten Gemäldes, nach welchem er ar- beitet, unter seiner Behandlung im Kupfer- stich verschwinden, oder wenigstens ge- mildert erscheinen. Durch die große An- zahl der von ihm gebildeten, geschickten Zöglinge verdient er mit Recht ein Stifter der Englischen Kupferstecherschule genannt zu werden; auch gehört er zu den ältesten Mitgliedern der königlichen Kunstakade- mie. Seine Talente sind unter Kennern und Liebhabern außerhalb England hin- länglich bekannt; wir wollen uns also nur begnügen, einige seiner neuesten Werke an- zuführen, die er entweder ganz allein, oder zum Theil mit Hülfe seiner zahlreichen Lehrlinge vollendet hat. Das wichtigste für den Nationalstolz der Engländer ist der Tod Chathams von Copley gemalt, den wir bereits oben angeführt haben: ein sehr großes Blatt, dessen gute Abdrücke schon jetzt mit hundert und funfzig Thalern das Stück bezahlt werden. Mit dem Stich der historischen Gemälde desselben Meisters in Guildhall, welche den Entsatz von Gibral- tar betreffen, ist er noch jetzt beschäftigt. Außerdem aber lieferte er im vorigen Jahre noch die Bildnisse des Lords Lansdowne und Ashburton , dieses nach Reynolds und jenes nach Gainsborough ; den Tod des Sir Phi- Philipp Sydney nach einer Zeichnung des verstorbenen Mortimer; zwölf geätzte Blät- ter nach Skizzen von seinem verstorbenen Freunde Cipriani; zwey Scenen aus Fiel- dings Roman, Joseph Andrews, nach He- arne ; Edward den Prinzen von Wallis , der seinem Vater König Edward dem Dritten , seinen Gefangenen, den König von Frank- reich nach der Schlacht bei Poitiers vor- stellt, und die erste Niederlassung der Sachsen in Brittannien unter Vortigern und Rowena , beide nach Rigauds Gemälden; ferner das Bildniß Lord Heathfields und fünf kleine ovale Porträte von bekannten Personen. Ferner übernahm er noch den Stich des Hamiltonschen Kemble in der Rolle Richards des Dritten, des Bacchus, der die Nymphen lehrt, nach der Angelika Kauffmann , und neuerlich das Bildniß der Mrs. Billington nach dem nunmehr vollen- i deten Gemälde des Sir Joshua Reynolds . Allein es ist Zeit, daß wir einige der be- rühmtesten Englischen Kupferstecher nen- nen, einen Sir Robert Strange , den der Kö- nig im vorigen Jahr zum Ritter schlug, einen Woollet unsterblich schon allein durch seinen nach Wests Gemälde gesto- chenen Tod des General Wolfe; ferner Sharpe, Hall, Sherwin, Byrne, Pouncy, Basire, Caldwall, Simon, Ogbourne, Legatt, Fittler , u. a. m., die sich des Grabstichels und Scheidewassers bedienen. Von der sogenannten schwarzen Kunst oder Mezzotinto , die man mit mehrerem Rechte die Englische Manier zu nennen pflegt, indem sie vorzüglich von Engli- schen Künstlern gewählt und vervollkomm- net worden ist, bleiben die Werke des John Raphael Smith , der beiden Green ; und der Kupferstecher Dixon, Dickinson , Facius, Pether, Jones, Watson, Pollard, Earlom, Burke, Collyer, Dupont und Hay- ward vortreffliche Monumente. In Acqua- tinta oder der neuen Erfindung, getuschte Zeichnungen im Kupferstich nachzuahmen, steht Sandby unerreichbar an Weichheit und trefflich nüancirtem Chiaroscuro . Der Maler Barry , der Kupferstecher Jukes , die Geschwister Green und kürzlich Mrs. Pre- stell , haben sich ebenfalls mit gutem Er- folg darin versucht. Von der letzteren hat man einige Blätter, welche Cooks dritte Reise erläutern, nach Zeichnungen des Schweizerischen Künstlers, Weber , der ihn auf dieser letzten Fahrt begleitete. Gilpins herrliche Aussichten in Westmoreland, in Schottland, und an den Ufern des Wye- flusses, sind ebenfalls in dieser angenehmen Manier. Die punktirte Kupferstecherei, das Opus mallei , ist vorzugsweise in den i 2 Händen Englischer Künstler. Man erinnert sich hier gewiß der schönen Arbeiten, die der unglückliche Ryland nach den gefälli- gen Bilderchen der Angelika zu verfertigen pflegte. Die vorhin erwähnten sechs Pa- stellgemälde von Downman konnten nicht größere Bewunderung erregen, als die dar- nach vollendeten Kupferstiche in dieser Ma- nier, wo Bartolozzi, Burke, Collyer, Tomkins und Miß Karoline Watson mit einander einen rühmlichen Wettstreit hielten, und sich selbst zu übertreffen schienen. Unter den kürzlich erschienenen Kupferstichen können wir ein schönes Blatt von Young nicht unberührt lassen, welches eine Scene aus Garricks kleiner Posse Lethe nach Zoffanis Gemälde darstellt, und worin der Schauspieler Parsons in seiner komischen Karikatur erscheint. Duponts Bildniß von Lord Rodney , nach Gainsboroughs Gemäl- de; die Schauspielerin Siddons von Hay- ward nach Reynolds, Sharps Porträt des berühmten Wundarztes John Hunter , und ein Blatt desselben Meisters nach Michel Angelo; Halls, Collyers und Sharps drei Ovale nach Stothard , welche sich auf den Roman, the Sylph and Emma beziehen; Greens Königin Eleonora oder die Geburt Edwards, des ersten Prinzen von Wallis, und dessen Königin Philippa , welche für die Bürger von Calais bittet, ein paar treff- liche Stiche in schwarzer Kunst; Earloms zwölf Blätter nach Cipriani; Stapiers Cleo- patra auf dem Cydnus, dem Mark Anton entgegen schiffend; die niedlichen Aussich- ten von Englischen Landhäusern, von An- gus; die Schraffirungen nach seltenen Zeich- nungen in frelands Sammlung; Burkes Prinz von Wallis nach Cosways Miniatur- gemälde, und die von George Townley Stubbs nach dem berühmten Maler Stubbs vortrefflich gearbeiteten kämpfenden Rosse und Stiere, verdienen unter anderen Pro- dukten der neuesten Kunst erwähnt zu werden. Um den Begriff von der Kunst- liebe der Engländer, insbesondere für Kup- ferstiche, zu ergänzen, denke man sich noch den Luxus dieser Nation in den Verzie- rungen ihrer Bücher hinzu; man erinnere sich an Bells prächtige Ausgabe des Shak- speare , an welcher Cipriani mit andern ge- schickten Malern, und Bartolozzi mit den besten Kupferstechern gearbeitet haben, und man betrachte endlich noch die Kupfer- stiche, welche mit Cooks Reisebeschreibun- gen erschienen, diese Denkmähler der Pracht und Großmuth des Brittischen Vol- kes. Was die Kupferstecherkunst für die Ver- vollkommnung der bildenden Künste Nach- theiliges wirkt, indem sie ihnen die Auf- munterung des Publikums entzieht, müssen wir um des Vortheils willen, daß sie den Geschmack an besseren Kompositionen all- gemeiner verbreitet, schon hingehen lassen. Allein die geschäftige Industrie bleibt frei- lich nicht immer in diesen Gränzen ste- hen; oft, vor lauter Begierde, sich nach dem Eigensinne der Mode zu bequemen und zugleich des eigenen Vortheils wahr- zunehmen, verfällt sie auf Erfindungen, welche nicht einmal jene Entschuldigung für sich haben, und vielmehr dem Kunst- gefühl Vernichtung drohen. Zu diesen Mißbräuchen gehört das in England jetzt so gewöhnliche Gewerbe, die Kupferstiche mit Oel- oder Wasserfarben zu illumini- ren; und irren wir nicht sehr, so dürfte die wichtige Erfindung des Quäkers Joseph Booth , Oelgemählde um einen wohlfeilen Preis zu vervielfältigen, die eine so ge- nannte polygraphische Societät dem Publi- kum nicht dringend genug empfehlen kann, und wovon sie die Proben bereits zum drittenmal zur Schau gestellt hat, der äch- ten Kunst eben so wenig Vortheil bringen. Dieser Polyplasiasmus , wie man ihn nennt, wird mit Hülfe des Pantographs bewerk- stelligt, und zuletzt wird jede Copie mit dem Pinsel aus freier Hand retouchirt und vollendet. Man beruft sich dabei laut auf das Zeugniß der Kenner, die das Original von dem Abdruck nicht haben unterschei- den können, ohne zu bedenken, daß man nach einem solchen Ausspruch berechtigt wäre, entweder den Scharfsinn dieser ver- meinten Kenner, oder den Werth der so vervielfältigten Originale in Zweifel zu ziehen. Daß die gekleckten Sudeleien manches Artisten, wo es auf das mehr und weniger der hingeworfenen Farbenmassen nicht ankommt, auch in der Kopie noch ihren Ausdruck und ihre Wirkung, wenn es anders erlaubt ist, diese Worte hier zu mißbrauchen, unverändert beibehalten kön- nen, läßt sich begreifen; allein wir möch- ten den Corregio , den Tizian , den Vandyk wohl sehen, den die Gemälde-Fabrik des Meister Booth geliefert hätte. Nicht viel reitzender ist die Aussicht, welche die in England so beliebte Karika- tur eröffnet. Wenn die Künste, zufolge einer glücklichen Allegorie des Philoso- phen Hemsterhuis , ihren Ursprung den Göttern verdanken, die sich mit den See- len der Sterblichen vermischen, so ent- sprang gewiß, wie er sehr schön hinzu- fügt, dieses traurige Talent, den Mängeln und Verunstaltungen der Natur nachzu- spüren, und die Bitterkeit des Herzens an Ungeheuern zu weiden, aus der unzüchti- gen Umarmung irgend einer stygischen oder ägipanischen Gottheit. Die Satire des Malers ist zwar mit der des Dichters ge- nau verwandt, und in England fließen beide aus jener glücklichen Verfassung, wo jedweder Bürger ein lebhaftes Interesse an den politischen Auftritten nimmt, und die Handlungen der Diener des Staats ein Ge- genstand der strengsten öffentlichen Sich- tung bleiben müssen. Allein es giebt des- sen ungeachtet einen sehr wesentlichen Unterschied zwischen beiden Gattungen der Satire. Mit der dichterischen verträgt sich die höchste Vollkommenheit der Kunst: die Elemente, aus welchen sie ihre Bilder zusammensetzt, sind logisch rich- tig; ihre Anordnung kann rhytmisch und sonst poetisch schön und vollkommen seyn. Die zeichnende Satire hingegen beleidigt die Grundregeln der Kunst durch jeden unedlen oder verzerrten Zug; sie sündigt wider das Ebenmaß, wider die Schönheit, wider ein jedes Gefühl, das den Urstoff zu diesen Begriffen in sich trägt. Betrach- tet man sie auch in ihren heilsamen Wir- kungen als eine Geißel, welche die Tho- ren züchtigt und den Verbrecher den Lohn seiner Unthaten anticipiren läßt, so hat sie doch auch hierin den großen Fehler, daß sie in ihren Strafen kein Verhältniß be- obachtet, und beide, den Gegenstand, den sie belächeln, so wie jenen, den sie zertre- ten sollte, nur verächtlich macht. Endlich, wie ein jeder Mißbrauch zur ergiebigen Quelle des Uebels wird, so bringt auch dieser das Ungeziemende in seinem Gefol- ge, daß die tadelhafte Handlung von der Person nicht getrennt, ja jene nur vermit- telst dieser geschildert werden kann, wo- durch Satire sich unfehlbar in Pasquill verwandelt. Wenn man, gerüstet mit dieser Theo- rie, sich in das Gewühl der Menschen wirft, die vom frühen Morgen bis in die Nacht die Straßen der lärmenden Haupt- stadt durchströmen; wenn man sie um die Kupferstichladen zu allen Stunden des Ta- ges in großen Haufen, die sich immer wieder ergänzen, versammelt sieht, um die neuesten Erfindungen eines Bunbury oder Gillray anzugaffen; wenn man endlich der Versuchung nachgiebt, mit prüfendem Blick den Gegenstand zu betrachten, der das geschäftige Volk in seinem raschen Gange aufzuhalten und hier zu fesseln ver- mag: alsdann, — welcher Zauber ist es, der plötzlich die Falten der Stirne zertheilt, und Aug’ und Mund zum Ausdruck des heiteren Wohlgefallens spannt? Dem treu- herzigen Volk und dem schalkhaften Satyr des Künstlers möchte man zurufen, daß sie sich immerhin an diesen Ausgeburten des leichtfertigen Witzes und der gutmüthigen Laune ergötzen dürfen. Die heilsame Er- schütterung des Zwerchfells scheint die Hauptabsicht der Englischen Karikatur zu seyn, wodurch die Sittlichkeit und selbst die Kunst wohl schwerlich mehr gefährdet werden, als durch Harlekins und Pantalons Erscheinung auf der Bühne, und deren Macht, die Lache des wohlgenährten Vol- kes zu erregen. Bei einem ärmeren Blut, schärferen Säften, bittrerer Galle, bleibt dieses Mittel unwirksam, und der Witz schal, der nicht von Bosheit trieft. Es giebt allerdings auch boshafte Englische Karikaturen; allein diese sind für den Ho- rizont eines kleinen leidenschaftlichen Krei- ses berechnet, und befriedigen nicht den allgemeinen Geschmack. Die jetzigen Sa- tirenzeichner liefern auch gewöhnlich kei- ne absichtliche Sittengemälde in Hogarth’s Manier, wo Beobachtungsgeist und Kennt- niß des Herzens reichen Stoff zum Nach- denken geben. Sie suchen vielmehr den Ereignissen des Tages, die jedermann im Munde führt, eine lustige Seite abzugewin- nen, und mit dieser nähren sie noch einen Augenblick länger die gute Laune des ge- meinen Mannes. Der Franzose, welcher bei dem Faustkämpfer Humphries eine Lehr- stunde nimmt, ist zum Beispiel ein Ent- wurf, der die vis comica , welche auf Brit- tische Nerven wirken soll, in vollem Maße enthält. Der Redner Burke mit einer ma- gischen Laterne, ist ein anderer glückli- cher Einfall. Hier zeigt er zweien Lords einen Bengalischen Floh zum Berge ver- größert, und mehrere geringfügige Gegen- stände in Ungeheuer verwandelt, in An- spielung auf die Hyperbolen seiner Ankla- ge des ehemaligen Generalgouverneurs Ha- stings . Die Minister und ihre Handlungen sind aber das Hauptziel, wogegen diese Pfeile des Künstlerwitzes gerichtet werden; vorzüglich ist man in abentheuerlichen Vor- stellungen des Staatsministers Pitt , und des bekannten Oberaufsehers der Ostindischen Compagnie, Dundas , beinahe unerschöpflich. Man hat es immer bemerkt, daß der Kit- zel welcher den Witzling antreibt, seine Einfälle an Mann zu bringen, sich durch die Erwägung des Schicklichen nicht zü- geln läßt; über den Sinn für das Lächerli- che geht das Gefühl der Menschlichkeit oft verloren. Die häufigen Karikaturen, wel- che während der Krankheit des Königs er- schienen, und den Partheigeist auf die un- anständigste Weise nährten, sind neue Be- läge dieses Satzes. Wie verächtlich wird die Moralität eines Menschen, der die Zer- rüttung der Organisation mit ihrem Miß- brauche verwechseln, und über jene nicht weniger als über diese spotten kann! Um den ächten Gehalt des Witzes dürfte es auch dann etwas mißlich stehen, wenn die Vorstellungen bis zur Länge von sechs Fuß gedehnt werden, wie es mit dem so- genannten langen Menuet, dem Cotillon, und der Fortpflanzung der Lüge der Fall ist. Diese Stücke enthalten zwar eine lau- nigte Darstellung von Charakteren, die der Natur treu nachgezeichnet sind; allein auf den ungeheuren Dimensionen der Platte kann nur der Müßiggänger aus langer Weile ein Treibjagen nach lustigen Einfällen an- stellen. Daß der Erfinder dieser Karikatu- ren, Bunbury , ein Gentleman ist, der als Dilettant bloß für seinen Zeitvertreib ar- bei- beitet, entschuldigt im Grunde wenig. Wenn Englefield , ein bekannter Zeichner und Kupferstecher, der das Unglück hatte, ohne Arme und Beine geboren zu werden, etwas in seiner Art Unvollkommenes lie- ferte, so wäre es ihm eher zu verzeihen. Dieser arme Mensch verdiente noch unter den Beispielen der Brittischen Industrie erwähnt zu werden, da eine besondere Stärke des Geistes dazu gehört, bei einer so verunglückten Organisation sich lieber Fertigkeiten zu erwerben, als von der Schaustellung seines Körpers leben zu wol- len. Wie weit müßten es gesunde, voll- kommen gebildete Menschen nicht bringen, wenn der Trieb sie beseelte, der in diesem Krüppel so mächtig ward? Die Gränzen der Perfektibilität, sagt ein vortrefflicher Deutscher Schriftsteller, kennen wir so wenig, als die der Anlagen k im Menschen; und man könnte hinzufügen, oft kommt es nur auf die rechte Triebfe- der an, so beginnt eine bis dahin schlafen- de Kraft zu wirken. Noth, sagt das Sprich- wort, ist die Mutter der Erfindung; aber Begierde ist ihre Amme, und Leidenschaft ihre Erzieherin. Dies ist auch der Gang der Industrie. Ist ihr erster Endzweck, die Erhaltung, erreicht, so erwacht erst ein höheres Bestreben, und dieses füllt allmäh- lich die ganze Seele, je näher es dem Ziele kommt. Nirgends erscheint aber die In- dustrie unter so mancherlei Gestalten als in London, auf dem großen Schauplatz, wo die seltensten Fähigkeiten sich entwi- ckeln und zur Reife gelangen. Eine Gat- tung, die wir hier im Sinne führen — denn sie veranlaßte diese Reflexionen — ist die im vorigen Jahre verschiedentlich wiederholte Schaustellung von musikali- schen Kindern. Der junge Crotch aus Nor- wich machte bereits im Jahr 1777 großes Aufsehen. Jetzt erschienen zu gleicher Zeit zwei Brüder, Namens Bryson , aus New- castle gebürtig, von denen einer fünf, der andere nur zwei Jahre alt war, als Virtu- osen auf der Orgel und dem Pianoforte. Der ältere besaß dabei im Dambrett eine solche Stärke, daß wenige Spieler in Lon- don sich mit ihm messen konnten. Einige Monate später trat aber eine kleine dreijäh- rige Miß Hoffmann auf, die alle ihre Vor- gänger übertraf. Sie war Meisterinn auf dem Flügel, dem Pianoforte und der Orgel, und berührte diese Instrumente mit der Delika- tesse (sagt unsere Urkunde) eines Haydn oder eines Just . Wenn auch dieses Lob ein wenig übertrieben wäre, so ist es doch immer merkwürdig genug, daß sie die schwersten Stücke ohne Anstoß spielte, zu k 2 einer Zeit, wo sie kaum erst sprechen ge- lernt hatte. Vielleicht würden diese Bei- spiele von musikalischen Kindern noch häu- figer vorkommen, wenn die Hoffnung, etwas damit zu gewinnen, die Aufmerksamkeit der Erwachsenen mehr darauf richtete. Oder giebt es irgend einen geheimen Kunstgriff, den Kindern die Tonkunst anzuzaubern, der nur den Eingeweihten bekannt ist; etwa eine musikalische Desorganisation ? Wie das Wohlgefallen an der Musik in einem gebildeten Volke zum herrschen- den Geschmack und sogar zur Leidenschaft werden könne, ist schon begreiflicher. Nie hatte diese Kunst in England eine glän- zendere Epoche. Händels Gedächtnißfeier, die einer Apotheose nicht unähnlich sieht, die Italienische Oper, die großen Musiken im Pantheon, alles ist prächtiger als je zu- vor; und mit dem Herzoge von Bucking- ham hat sich der Enthusiasmus auch über Irland verbreitet. Man ist bereits verwöhnt genug, um kein Concert mehr hören zu wollen, wo das Orchester nicht wenigstens aus dreihundert Künstlern besteht. Dem Sänger Marchesi zahlten die Entrepreneurs der Italienischen Oper für einen Winter funfzehnhundert Pfund Sterling, nebst dem Gewinn einer Vorstellung, freiem Tisch und freier Equipage. Die Mara und die Sto- race wurden verhältnißmäßig eben so kö- niglich von diesem Volk von Königen be- lohnt. Noverre erhielt zum erstenmal in England das daselbst ganz ungewöhnliche Zeichen des Beifalls, daß er vom Publi- kum herausgerufen ward, nachdem Vestris sein neues Ballet, Cupido und Psyche, ge- tanzt hatte. Diese Symptome zeugen von etwas mehr als bloßer Modesucht; sie be- zeichnen uns den Reichen und Großen, der Langeweile hat, und die Spannung ei- niger Augenblicke nicht theuer genug be- zahlen kann; sie schildern die unnatürliche Weichlichkeit, zu welcher die Völker auf der höchsten Stufe der Kultur, durch Uep- pigkeit und schwelgenden Genuß entarten. Es ist wahr, wir empfinden mit dem Oh- re, wie mit dem Auge, Harmonie der Tö- ne wie Harmonie der Farben und Gestal- ten; das Vollkommene dringt in unsern in- nersten Sinn, und verschmelzt sich mit ihm, gleichviel durch welches äußere Werk- zeug es aufgefaßt ward. Dennoch sind wir unabhängiger durch das Gesicht, als durch das Gehör; denn das Auge erfaßt einen mannichfacheren Umfang von bestimmte- ren Verhältnissen der Dinge, und mit Hülfe desselben dringen wir gleichsam tiefer in ihr Wesen hinein. Die Erschütterungen durch das Gehör sind auch in demselben Maße gröber und unbestimmter, als die durch die Sehenerven, wie das Medium der Luft körperlicher ist, als jenes des Lichts. Dunkle, leidenschaftliche Gefühle des Ton- künstlers berühren unser Ohr in verschie- denen Folgen von Tönen; dunkle, leiden- schaftliche Gefühle widerhallen in unserem Sinn. Plato hielt daher die Musik für ge- fährlich, und insbesondere verbannte er die weiche Lydische Tonart aus seiner Re- publik. Minder streng als der für Tugend schwärmerische Philosoph, erkennt unser Zeitalter den Werth einer jeden Leiden- schaft, und sicher in seiner Abspannung, besorgt es keine gewaltsame Wirkungen von dem Reitze der Musik. Woliüstiges, schmachtendes, hinsterbendes Girren, vor- getragen mit dem Silberton eines Ent- mannten; mehr braucht es nicht, um ohn- mächtige Nerven zu einem schnell vor- überfliehenden Entzücken zu kitzeln. Diese Musik wird indessen verhältniß- mäßig nur von Wenigen geschätzt; der allgemeine Geschmack ist männlicher, und die Vorliebe für Händel beweist es schon. Das Volk in England ist nicht musikalisch, und seine Nationalmusik, wenn anders die Gassenlieder dahin gerechnet werden dür- fen, ist keinesweges zu rühmen. Seit der Einführung der Deutschen und Italieni- schen Musik fehlt es zwar nicht an gründ- lichen Kennern, wovon der bekannte Dr. Burney als Beispiel genannt werden kann; allein die einheimischen Tonsetzer sind noch selten, und eben nicht sehr berühmt. Wenn man bedenkt, durch welche Aufop- ferungen von mehr als Einer Seite dieser Ruhm mehrentheils errungen wird, so steht man wenigstens an, ob man den Britten über diesen Mangel Vorwürfe ma- chen, oder ob man ihnen dazu Glück wün- schen soll. Die Namen Arne, Shields, Dibdin, Arnold, Jackson , sind indessen nicht ohne musikalisches Verdienst, und es giebt unstreitig mehrere Künstler in die- sem Fache, deren Kompositionen auch vor ausländischen Richtern Gnade finden wür- den. An musikalischen Seltenheiten fehlt es nicht; Billington setzte Youngs Nacht- gedanken in Musik, und ein zweiter Ton- setzer, dessen Excentricität anderweitig be- kannt ist, der reisende Twiß , beschenkte das Publikum mit zwölf neuen Tänzen, die so possierlich wie ihre höchstpossier- lichen Ueberschriften lauten. Bei der all- gemeinen Sitte, die Musik als einen Theil der guten Erziehung anzusehen, konnte es auch nicht fehlen, daß sowohl Sänger und Sängerinnen, als auch Virtuosen auf ver- schiedenen Instrumenten sich in England bildeten, die zuweilen den Ausländern an die Seite gesetzt zu werden verdienen. Harrison durfte sich im Pantheon neben Marchesi hören lassen; Kelly und Mrs. Billington werden in ganz London mit Entzücken genannt; Linley behauptete sei- nen Platz unter den geschicktesten Violi- nisten, und Crosdill ist Meister auf dem Violoncell. Die schwärmerische Neigung des Adels zur Italienischen Musik, verbunden mit der Prachtliebe, die sich jetzt auch bei der Verzierung der Hauptstadt mit an- sehnlichen Gebäuden geschäftig erweiset, führten vor einiger Zeit zu einem großen Entwurf, ein neues Opernhaus zu erbauen. Der Adel hatte bereits, wie man versichert, fünf und zwanzig tausend Pfund Sterling dazu subskribirt, als das bisherige Gebäude ein Raub der Flammen ward, und die Un- möglichkeit, die Vorstellungen fortzuset- zen, jenen Plan für jetzt wieder zernich- tete. So glänzend das Zeitalter eines Jo- nes und Christoph Wrens für die Baukunst in England gewesen ist, so scheint sie doch noch jetzt mit glücklichem Erfolg daselbst studirt zu werden. Wyatt , der Architekt des Pantheons, die Gebrüder Adam , Sir William Chambers , der den neuen Som- merset-Pallast erbaute, Dance, Taylor, Carr, Sandby, Dawkins, Hurst, Payne und einige Andere sind durch ihre Werke in- und außerhalb London als Männer von Ge- schicklichkeit und Einsicht bekannt. Einer von diesen Künstlern, Sir Robert Taylor , starb im November des letztverflossenen Jahres. Er war anfänglich ein Bildhauer, und man zeigt mehrere Stücke von seiner Arbeit, unter andern die Bildsäule der Britannia in der Bank von England, und ein Basrelief im Fronton des Mansionhau- ses. Als Baumeister erwarb er sich aber weit größeren Ruhm und zugleich ein Vermögen von hundert und achtzig tausend Pfund Sterling (mehr als eine Million Rthlr.) Die geschmackvollen Zusätze zum Bankgebäude sind sein größtes, und Asgills Villa zu Richmond sein schönstes Werk. Das Parlament sorgt zuweilen selbst für die Verschönerung der Stadt durch die Baukunst; noch kürzlich bewilligte es 6000 Pfund Sterling zur Reparatur der von Jnigo Jones erbauten kleinen Paulskirche in Conventgarden. Zu gleicher Zeit er- neuerte die Stadt London ihr altes Rath- haus, Guildhall, jedoch mit Beibehaltung der gothischen Architektur, aus Ehrfurcht für das graue Alterthum. Das Mausoleum des Marquis von Rockingham , welches ihm jetzt auf seinem ehemaligen Landsitze Wentworth errichtet wird, ist eins der schönsten Gebäude des Baumeisters Carr , und von vortrefflichem Effekt. Auf ein Dorisches Erdgeschoß folgt das mittlere Korinthische, und über diesem auf zwölf Römischen Säulen die Kuppel. Inwendig hat es zu ebener Erde ein Gewölbe auf zwölf Dorischen Säulen ruhend, mit Sta- tüen berühmter Brittischer Staatsmänner, worunter auch die des Marquis, des Sir George Saville , u. a. m. befindlich sind. Im mittleren Geschosse, welches neunzig Fuß hoch ist, steht nach antiker Art ein prächtiger Sarkophag. Ein zweites Mauso- leum wird jetzt von dem Architekten Wyatt für Lord Darnley zu Cobham er- richtet. London kann sich weder in Ab- sicht der öffentlichen noch der Privatge- bäude mit Italien messen; sogar Paris ist an Pallästen ungleich reicher, wenn es gleich keine Paulskirche aufzuweisen hat. Allein der Brittische Adel glaubt sich nur auf seinen Gütern zu Hause: dort sind seine Stammhäuser, seine geräumigen Woh- nungen, seine Palläste; und nie prangte eine so kleine Insel in allen ihren von der Hauptstadt entfernten Gegenden mit so zahlreichen Landhäusern, wo Pracht und Eleganz sich zur Bequemlichkeit gesellen, wo der Eigenthümer, ermüdet von den lärmenden Lustbarkeiten des Winters, mit- ten in einer schönen Natur die süßeren Vergnügungen des Landes genießt, und wo der abgespannteste Wüstling sich mit der einfachen Bestimmung der Menschheit wieder aussöhnt, oder wenigstens die Som- mermonate hindurch seinen Geist neue Kräfte sammlen läßt, um sie den nächsten Winter desto glänzender zu verschwen- den. Dieser Gedanke, das Land für die rechte Heimath anzusehen, scheint das seinige zur Erhaltung jenes public spirit beizutragen, den die freie Verfassung geboren hat, und der ohne einen lebhaften Sinn für alles Edle und Gute nicht gedacht werden kann. Aus diesem Sinn entspringt die Vermäh- lung der Kunstliebe mit dem Gefühl für Vaterlandsehre, wodurch man sich zuwei- len noch in England über alle Bedenklich- keiten des Eigennutzes hinwegsetzt, um vaterländisches Verdienst zu krönen und Beispiele zur Nachahmung aufzustecken. Rührende Vereinigung des sittlichen mit dem sinnlichen Schönen! Wie viele Züge von menschlicher Vollkommenheit und Größe gehen nicht aus ihr hervor, die man im Lande der Freiheit allein bewun- dern kann! Zwar giebt es einen Gesichts- punkt, aus welchem diese Vorzüge zu un- endlich kleinen Größen hinabsinken. Wol- len wir den Menschen als ein schwaches, inkonsequentes Geschöpf betrachten, so laßt uns nur seine Kräfte und Anlagen be- rechnen, das mögliche Ziel seiner Ver- vollkommnung bestimmen, und dann zür- nend über ihn und seine Führer, den un- geheuren Abstand messen, in welchem er von jenem Ziele zurückbleibt. Allein dem gedemüthigten Selbstgefühl stehet es übel an, zu diesem traurigen Hülfsmittel zu greifen, um die beneidete Größe zu necken, und durch Herabwürdigung dessen was andere thaten, dem Bewußtseyn des eige- nen Unvermögens zu entgehen. II. Artistische Notizen , in London aufgezeichnet. 1. Shakspear Gallery . V on außen hat sie eine hohe schmale Front, mit einem auf zwei Palmyrenisch-Ionischen Pilastern ruhenden Fronton. Die große Füllung zwischen den Pilastern bleibt noch für die Gruppe von Banks . Unter den Pfei- lern zu beiden Seiten sieht man eine Leier en Basrelief , in einem dicken Lorbeerkran- ze. Der Eingang ist bogenförmig mit Glas- thüren. Unten befindet sich ein Kupfer- stichladen, wo ein unermeßlicher Vorrath l von Kupferstichen in Portefeuillen, oder an den Wänden in Rahmen, nebst Kopieen von Gemählden u. s. w. umher hangen, an de- nen zum Theil die Preise bemerkt sind. Man geht eine Treppe hinauf, und kommt in das mittelste Zimmer. Die Enfilade be- steht aus dreyen von ziemlich gleicher Größe; sie erhalten ihr Licht von oben. Die oberen Gemälde hangen schief, um es besser aufzufassen. Erstes Zimmer wenn man herauf kommt . König Heinrich der Achte , Akt V. Scene 4. Opie . Nr. 52. Die Taufe der Prinzessin Elisabeth . Ein großes Stück mit Figuren in Le- bensgröße. Cranmer ist die Hauptfigur; sie hat viel Anstand und Ausdruck, doch ist sie ein wenig zu sehr gewunden, Seine schöne Kleidung gab dem Künstler vielen Vortheil. Das Gesicht ist sprechend und beseelt, aber nicht edel; Rembrandtisch. Heinrichs Portrait, wie er war: fühllos , mit der linken Hand über die Brust ausgespreitzt. Dumm hätte Opie ihn doch nicht machen sollen. Die Herzogin ist zwar hübsch, aber leer — wie die andern Figuren alle. Die Gruppe ist hinter einander geschichtet, breit, die Farben bunt, Licht und Schatten wenig verstanden, die Draperieen fleißig, und, so viel das Costume erlaubt, gut ge- worfen. — Jaques, as you like it . Akt II. Scene 1. Nr. 13. Hodges . Eine schöne romantische Landschaft. Ein Wald- strom kommt aus dunkel beschatteter Tiefe des Waldes fern herab. Vorn an einem Ab- sturz, wo die Fluthen die Erde von den Wurzeln einer knotichten Eiche wegge- l 2 spühlt haben, liegt Jaques mürrisch und melancholisch. Der verwundete Hirsch geht ins Wasser; jenseits steht noch einer, in der Ferne mehrere. Laub, Licht und Schatten und Wasser sind vollkommen gut behandelt, in großen Massen. Das Ganze hat Einfalt und schauerliche Einsamkeit. Hinter der Eiche blickt noch eine Figur hervor. Die Thiere sind schön charakteri- sirt: das verwundete matt und leidend; das gesunde leichtfüßig, horchend, und furchtsam umherblickend. Jaques ist ein roher Entwurf, doch gut harmonierend mit dem andern. Er hebt den Kopf von dem Arme, der ihn stützt, und denkt nach über das Schauspiel, das er eben betrachtete. Beaufort . Reynolds . Viel läßt sich für des Künstlers Arbeit sagen, wenn man sich mit seiner Wahl aussöhnen kann. Der zähne- blökende Kardinal ist meisterhaft, aber ab- scheulich. Die Hände im Krampf sind gut gezeichnet, aber der Arm schlecht verkürzt. Der König steht so, daß er, indem er den Arm gerade in die Höhe hebt, sein Gesicht ganz bedekt. Die zwei andern Köpfe haben viel Ausdruck. Der eine ist gerührt, und sucht ein Auge, dem er sein Gefühl des mitleidsvollen Entsetzens mittheilen kann; der andre blickt unverwandt hin, und scheint zu denken: er stirbt wie er gelebt hat. Im Schatten zwischen den Bettvor- hängen über dem Kopfe des Kardinals sieht ein Teufelskopf mit zwei langen Zähnen und Satyrsohren, nebst einer Kralle auf dem Kopfküssen, hervor. Ich gestehe gern, daß er mich in diesem gräßlichen Bilde nicht so skandalisirt, als Andere. Er gehört gewissermaßen dazu; und da ihn die christ- liche Mythologie einmal hat, und selbst die Künstler verleitet, solche Süjets zu wäh- len, so mag er die Geschichte erzählen hel- fen. Vorn auf einem Tabouret liegt der Kardinalshut. Farbe, Licht und Schatten sind einfach und Rembrandtisch. Hubert und Arthur . Nr. 20. Das Schöne dieses Stückes ist Huberts Gesicht, das wirklich spricht, wie der Dichter ihn bezeichnete: ein für den Knaben schmelzendes Herz; die rechte Hand greift voll Schmerz die Stirn, die linke mit geballter Faust stützt sich auf den Tisch, wo Crucifix, Gebetbuch und Stundenglas schön erzählen. — Die Thür des Gewölbes ist halb offen; vorn das Feuerbecken, und die zwei Kerle, von denen einer das glü- hende Eisen hält. Der Knabe knieet, um- faßt Huberts Knie, und zeigt mit der Lin- ken auf das Eisen, weint, ist aber nicht er- schrocken und nicht so agitirt, wie es die Scene fordert. Daß der Kerl mit dem Ei- sen knieet, ist der Gruppirung wegen gut, sonst aber ein wenig gezwungen. Die Ge- schichte ist übrigens sehr gut behandelt, das Costume gut beobachtet, Licht, Schat- ten und Farbenton sehr gut, und verstän- dig. Eine edle Natur, gut nüancirt durch die verschiednen Klassen von Ständen. Van- dyk fällt einem doch ein. — Johanns Brief liegt auf der Erde mit dem Namen. Troilus und Cressida . Von der Angelika ; in ihrer bekannten antiken Manier, mit allen ihren Vorzügen und Fehlern. Das Stück hat schlechte Zeich- nung des Nackten. Die Wahl ist nicht gut gerathen; die gute Angelika konnte diese buhlerische Scene nicht darstellen. Diomedes ist ganz verfehlt. All’s well that ends well . Wheatley . Mit Figuren in halber Größe. Gar zu flüchtig, gar zu manierirt und theatralisch; eine bloße Skizze. Loves labour’s lost . Nr. 9. Hamilton . Auch sehr leicht traktirt und skizzenähnlich; alle Figuren im Tanzschritt, mit einem Fuß auf der Fuß- spitze zurückstehend, Puppengesichter ohne Ausdruck: wahre moderne Schönheit. As you like it . Nr. 38. Von der Angelika . Kalt. Celia in Mannskleidern, ein wahrer Jüng- ling mit einem Weibergesicht, ein Herma- phrodit. Romeo and Juliet . Nr. 56. Northcote . Es war un- möglich, diese Scene ganz zu verfehlen; doch bei allen Mängeln ist hier viel, was den Beobachter freuet. Die Geschichte ist gut erzählt. Der Mönch steigt die Stufen hinab in die Gruft, stützt die Rechte auf den Spaten, und hält mit der Linken die Fackel in die Höhe, deren brennendes Ende aus dem Bilde hinaus geht. Voll ängstli- cher Besorgniß scheint er Julien sanft zu rufen. — Julie ist eben erwacht; sie liegt halb aufgerichtet auf dem linken Arm, und streckt den rechten dem Mönch entgegen. Die Todten, Romeo und Paris, hat sie noch nicht gesehen. Der letztere liegt halb im Schatten längs den Füßen ihres Lagers. Romeo ist hingestürzt auf seine Knie; ein Arm hängt über ihrem Lager, die Hand krampfhaft geschlossen, der Kopf hinabge- sunken, todt. Die Rechte hält noch das leere Giftglas; er ist also kaum erst gestor- ben. Julie liest im Auge des Mönches ahn- dend, und ist dem Künstler sehr geglückt. Hinter ihr geht ein großes Grab in die Höhe, und darauf liegt in völliger Rüstung mit gefalteten Händen eine Ritterfigur. Dieses Bild ist noch schöner als das von Hubert und Arthur; und so wenig auch alles ausgeführt ist, so guten Effekt thut es doch. Die Figuren (in ganzer Lebensgröße) haben ziemliche Zeichnung; die Composi- tion ist untadelhaft, das Colorit warm, die Draperie in einem edlen Styl. Eine La- terne auf den Stufen, (vermuthlich ließ Ro- meo sie da) ist sehr gut angebracht, um Licht dahin zu bringen. Reynolds ist der Meister, zu dem Northcote auf- blickte: das sieht man. Nr. 48. Josiah Boydell . Hein- rich der Fünfte nimmt die Krone. Aber mich dünkt, er ist ein Dieb. Ich sehe nicht, daß er mit ihr spricht. Sonst ist das Ge- mälde nicht übel behandelt. Nr. 22. Skizzenhafte Figuren in halber Größe, in der Art wie Hamilton . Julia . Opie . Besser als sein Heinrich der Achte. Julie ist schön, aber elend gezeich- net; die Arme hölzern, die Draperie schlecht, das Bett ein Gesudel von Farben. Die Mutter wäre sehr gut, wenn sie nicht so wunderlich ummäntelt wäre, und so schlecht verkürzte Arme hätte; sonst ist der Ausdruck gut getroffen, wahr. Sie ist nur nicht alt genug: ein verzeihlicher Feh- ler; zumal bei Opie , der nicht schmei- cheln kann. Die Ausführung hält in der That keine Kritik aus, und erwartet auch wohl keine. Aber wie Shakespear erzählt, so kann es ihm auch ein Stümper nachsa- gen, und es bleibt noch etwas vom ur- sprünglichen Gehalt. Nr. 37. Ferdinand and Miranda. Tem- pest . Wheatley . Angelika’s Art und Kunst. Nr. 29. Lear . Fuessly . Es sind nicht Menschen, die dieser Künstler phantasiert, sondern Un- geheuer in halbmenschlicher Gestalt, mit einzelnen sehr groß gezeichneten und sehr verzerrten, verunstalteten Theilen und Pro- portionen: ausgerenkte Handgelenke, aus dem Kopfe springende Augen, Bocksphysio- nomien u. s. f. Die Draperien sind nach dem Marmor kopiert, naß, schön, aber hart, und das Nackte entweder eben so sklavisch von der Bildhauerei entlehnt, oder verfehlt. Lear hat einen Jupiters-Bart; es ist aber Jupiter Ammon, der Kretensische, der die Ziegenbocksgestalt hat. Nr. 34. Hamlet . Fuessly . Eine einfache Composition, aber eben so übertrieben. Der Geist macht Eindruck; wäre er nur besser gezeichnet, und nähme er nicht so ungeheure Schritte. Das Mondlicht hinter ihm ist gut; sein Blick vortrefflich, das vorwärts weg ge- streckte Scepter sprechend. Aber der Bart wird nicht zerwühlt vom Winde, sondern der Wind geht aus ihm hervor, und weht ihn nach allen Richtungen. Hamlet sträubt sich brav, und sein Freund hält ihn brav. Michel Angelo hätte in die- ser Art gearbeitet und ein Meisterstück ge- liefert; Füßly ist zu extravagant, um Aus- druck, Kraft und Feuer zu erzwingen. Nr. 3. Merry Wives of Windsor . Akt. I. Sc. 2. Nr. 21. 2. Part of Henry IV . Akt. III. Sc. 2. Durrn . In Rom gemahlt. Battoni’s kalte, trockne Manier nachgeahmt, die Dra- perien Italienisch, so mühsam gefältelt, oder mit so gesuchter Eleganz gezeichnet, daß sie steif sind. Nr. 10. Measure for Measure . Smirke . Karrikatur. Zweites oder Mittel-Zimmer . Nr. 16. Winters-tale . Opie . Die Köpfe haben viel Wärme und Charakter. Nr. 28. Titus Andnroicus . Kirn . Gut gruppirt, mit vielem Stu- dium der Antike. Der Kopf des Markus ist wie ein Periander, oder Plato; Titus mit dem Helm auch antik. Laviniens Kopf ist eine Baccha, und daher der Ausdruck ganz verfehlt. Die Verstümmelung ist ver- hüllt; aber nun weiß man auch nicht, was es seyn soll. Nr. 42. Midsummernights dream . Reynolds . Ein Knabe mit Fauns- ohren sitzt auf einer großen Cypräe oder Schildkrötenschale, (welcher, weiß ich nicht), und hält Viola tricolor in einer Hand, und hebt die andere hoch. Ein häß- licher Einfall, das zu wählen! Nr. 36. Tempest . Fuessly . Miranda ist Kordelia; Pros- pero Lear; Kaliban die Grundfigur für Füß- ly’s Imagination. Nr. 17. Winter-tale . Hodges . Nicht sein bestes Stück. Die Figur des von Bären Gefreßnen ist häßlich. Nr. 12. As you like it . Downman . Nichts Besonderes. Ge- mein. Nr. 5. Comedy of Errors . Rigaud . Schöne Figuren, schönes Costume, sehr edle Komposition. Nr. 2. Merry wifes of Windsor . Peters . Schlecht. Ein Speelhuis. Nr. 6. Much ado about nothing . Peters . Unausgeführt; immer nur lock- re Nymphchen. Nr. 15. Taming of a Shrew . Wheetley . Nr. 18. Winter-tale . Wheetley . Nr. 46. Twelfth night . Hamilton . Nr. 39. Merry wifes of Windsor . Smirke . ut supra . Nr. 93. Antonius and Cleopatra . Tresham . Ein schönes edles Werk der Kunst. Die Karnation ein wenig zu hart: hart; einfach schön; die Komposition im hohen Styl; die Köpfe meisterhaft; die Draperien groß, und mit einem verstän- digen Rückblick auf die Antike gemahlt. In einigen Jahren wird es ein vortreffli- ches Gemälde seyn. Kleopatra vom Schmerz überwunden sinkt in die Arme eines ihrer Mädchen in bittender Stellung. Markus Antonius sitzt, wendet den Kopf weg, legt die Hand an die Stirn, und blickt auf, voll Verzweiflung. Schade, daß das Auge feh- lerhaft aus dem Kopfe starrt! Nr. 50. Boydell . Eine Skizze, aber schwach erzählt. Quo musa tendis? desine pervicax referre sermones Deorum . — Nr. 24. Northcote . Nichts beson- ders Sprechendes. Der Moment ist nicht gut gewählt. Hübsche Leute; Heinrich ist zu jung. m Nr. 10. Fuessly . Hier ist er in sei- nem Elemente. Wie kann ein Künstler über die Gränzen seiner Kunst so unwis- send seyn? Sunt certi denique fines . Was der Dichter sagen kann, darf der Maler nicht darstellen! Nr. 54. Opie . Wie gewöhnlich seine Komposition ist; doch nicht übertrieben: sie ist einfach und warm. Hier erzählt er schlecht; denn die Nüancen der Charaktere sind sehr fein. Nr. 4. Kirk . Zerrissene Komposition. Nr. 26. Northcote . Matt, bis auf den Richard, der über die vor ihm liegen- de Krone hin die Knaben ansieht. Nr. 43. Hodges . Ein liebliches Ge- dicht. Stiller Abend in einem schönen Garten, mit Mondschein, der sich im Was- ser spiegelt. Die Architektur des Hauses im Vorgrunde wird von einer Lampe er- leuchtet. Im Hintergrunde stehen Lusttem- pel, Zypressen, Babylonische Weiden, Te- rebinten. Die beiden Liebenden sehen sich nur im Gespräch. Nr. 30. West . Wunder konnte Shake- spear wirken; denn nur er konnte diesen kalten West begeistern, bis er so dichtete. Unstreitig ist das Stück eins seiner besten Werke, sowohl was Gedanken, als was Komposition, Ausführung und Ausdruck betrifft. Die Köpfe Glosters und Lears sind voll eines edeln Feuers; Edgar blickt fin- ster tiefsinnig hervor, in sich gehüllt; der Narr ist charakteristisch genug; Kent ist ein Schmerzenskopf, und leidet für seinen König, indem er ihn hält. Eine Art von Christuskopf. Nr. 19. Macbeth . Fuessly . Er wiederholt sich. — Die Figuren sind geschunden und in verzerrter m 2 Stellung. Banquo ist abscheulich verzeich- net. Die Hexen oben in der Luft ver- schwinden spottend. Nr. 47. Ricaud . Der Prinz von Wa- les, ein edler Jüngling. Es ist le Bruns Alexander in einem etwas veränderten Ce- stum, mit mehr Jugend und mehr Feuer; eine durchaus überlegte Dichtung. Die Stellung sehr edel, graziös ohne den Fuß so tanzen zu lassen, wie die Herren Ha- milton und West . Percy liegt und stirbt und blickt auf zum Sieger in seiner Ago- nie. Hinten deckt sich Falstaf mit seinem Schilde, und liegt auf der Erde. Heinrich ist schön, kühn, und mild wie ein Gott. In der Ferne Schlachtgetümmel, aber wie ich es mag: es stört nicht. Nr. 51. Stothard . Heinrich hat hier mehr Bewegung und Leben als bei Opie ; sonst ist nichts sehr Besonderes im Stück. Aus dem mittleren Zimmer kommt man durch eine kleine Thür in einen Gang, der, so wie zwei große Zimmer, zu denen er führt, ganz mit Handzeichnungen behängt ist. Es sind Kopieen aller in England ge- wesenen und noch vorhandnen guten Stücke von fremden und einheimischen Künstlern. 2. Sir Ashton Liver’s (Mr. Townley’s) Museum . Dining-room . 1) Candelabrium. Bas-relief . Ein Lotus- stamm aus seinem Calix wiedersprossend, steht auf einem Tripodium mit Löwen- tatzen; oben bildet die Blume das Gefäß für das Feuer. Von den Griffen fallen emblematische Bänder. Es ist 2 Fuß hoch, 20 Zoll breit, und aus dem Frigidi Ga- bii , zwanzig Meilen von Rom. 2) Griechische Inschrift auf einem runden Schilde; 3 Fuß im Durchmesser. Sie enthält die Namen der Epheboi von Athen unter dem Alkamenes , nebst der Tribus, wohin sie gehörten. Dr. Ant. Askew brachte den Schild aus Athen nach England. 3) Cippus sepulchralis . 2 Fuß 1 Zoll. 4) Terminus mit dem Bilde eines jugend- lichen Merkurs . Der Petasus mit Flügeln; an den Seiten der Caduceus und Hahn. 5 Fuß hoch, in Frascati , 1770 gefunden. 5) Hermaphrodit , von der Mitte herabwärts Terme. In der rechten Hand hält er seine Traube, woran ein Ibis pickt, den er un- ter dem linken Arme hält. 3 Fuß, 6 Zoll; im Jahre 1774 am Lago di Nemi ge- funden. 6) Vase, 3 Fuß hoch, mit Griffen. Darauf ein Bacchanal en Bas-relief , und Sym- bole der Eleusinischen Mysterien. 7) Libera oder weiblicher Bacchus , in na- türlicher Größe. Ihr zur Seite springt der Leopard; der Thyrsus liegt auf der Schulter. Epheukranz, lange Tunica und kurzes Kleid darüber. Gürtel über die rechte Schulter zwischen den Brüsten hin. Zu Roma Vecchia 1774 gefunden. 8) Pan . Terme, drapirt, auf der Flöte spie- lend, mit langem spitzem Barte. 3 Fuß 6 Zoll. Aus der Villa Antonini Pii . 9) Septimus Severus . Eine Büste. 10) Isis . Semi-terme. Kopf, Arme, Kör- per verschleiert, nicht das Gesicht. 3 Fuß hoch. Im Jahre 1776 sieben Meilen von Tivoli am Wege nach Praeneste gefunden. 11) Musa bacchans . Nasse Draperie. Na- türliche Größe. Die linke Hand mit den meisten Fingern ganz, sehr weich. Ganz gekleidet. Schöner Kopf, mit einem Epheukranz. 12) Bacchus barbatus . Büste als Terme. Edel und groß. Offner Mund. Vitta. Krauser langlockiger Bart. 13) 2 item . Mit längerem schlichterem Bart und langen Haarlocken, die vorn herüber kommen. Aeltere Manier. Als Philosophen-Kopf in Plato’s Charakter. 14) Junger Bacchus , mit Weinlaub gekrönt. Büste. Bandschleife des Haars, wovon die Enden nach vorn gehen. 15) Paris , schlafend. Sehr schön. Peta- sus mit einer Schnur. 16) Sphynx , sitzend, geflügelt; die Flügel gehen von der Brust zurück über die Schulterblätter. 17) Brunnen von Marmor, mit Bas-relief: Hermaphroditen und Faunen . 3 Fuß hoch, 3 Fuß im Durchmesser. 18) Trunkner Faun . — tibi cum sine cornibus adstas Virgineuum caput est . 19) Junger Bacchus , mit Epheu bekränzt, auf den Androgynen Ampelus sich stüt- zend, nehmlich einen alten Weinstock- stamm mit Früchten und Laub, aus des- sen Mitte eine weibliche Figur heraus- wächst. Ihre Brüste sind Trauben; in einer Hand hält sie an Bacchus Leib ihm eine Traube dar. Seine Linke ruhet über ihrer Schulter auf ihrer linken Traube. Der Leopard springt an den Weinstock hinauf. Eine Vitta auf der Stirn. Schö- nes jungfräuliches Gesicht, mit vorwärts gesenktem Haupte. Schöne Jünglings- figur. Das Pantherfell über die rechte Schulter geknüpft, deckt den linken Arm. Sandalen an den Füßen. 1500 bis 2000 Jahre alt. 20) Libera — oder Ariadne . 5 Fuß 10 Zoll. Nackt bis zur Mitte, unten bekleidet. Im Jahr 1775 in den Ruinen der Seebäder des Claudius zu Ostia gefunden. Ein wahrhaft göttlicher Körper und schöner Kopf, nicht abgebrochen. Hals und Schul- tern schön. 21) Isis , 6 Fuß 6 Zoll. Lotoskelch oder Topf auf dem Kopf: ihr Symbol. Rosen- kränze, und andre Zeichen der Fortpflan- zungskraft daran. Wie jene erste (klei- nere) Libera drapirt. Zwei Meilen jen- seits des Grabes der Cecilia Metella , an der Via Appia , unter dem Pontifikat Sixtus des Fünften , in dessen Villa gefun- den; — vererbt auf die Negroni . 22) Kleiner Bacchus-Knabe von 3 Fuß. Epheukranz, Ziegenfell, die Beine davon in einem Knoten unter dem Bauch. Aus der Villa Antonini Pii . 23) Hadrians Büste , auf einem Theil seiner Villa bei Tivoli gefunden. 24) Bas-relief. Castor , das Pferd lenkend, hinter ihnen ein Hund. 3 Fuß □. Aus Hadriani villa Tiburtina . 25) Büste , ähnlich der Medaille von Gor- dianus Africanus, pater . In der Toga, la- tus clavus. Im Jahre 1770 gefunden. 26) Gruppe. Aktäon von zwei Hunden an- gegriffen, 3 Fuß hoch. Im Jahre 1774 in der Villa Antonini Pii gefunden. 27) Junger Bacchus . Wie oben. Der obere Theil des Ampelus hat die Form eines Genius. Traube auf seiner Wange. Ei- dechse am Stamm. Der Leopard hat ein Epheuhalsband. Gefunden 1772, zu la Storta , erste Poststation von Rom nach Florenz. 28) Alter trunkner Faun oder Silen , ähn- lich dem von Bronze im Mus. d’Ercolan . p. 161. 29) Adonis , weichlicher Jüngling, schlafend auf einem Felsen. Petasus unter dem Kinn zugebunden. Chlamys cum fibula , auf der Schulter befestigt, deckt zum Theil den Körper. Sandalen mit Binden, die bis auf das halbe Bein gehen. Gefunden zu Roma vecchia , 1774. 30) Thaleia , die Hirtenmuse. Reiche Dra- perie. Aeußeres loses Gewand. Die Tu- nica so fein, daß die Gestalt durchscheint. Zu Ostia 1775 gefunden. 31) Bacchantin , oder Mystes . Bas-relief. In der Rechten, die sie über den Kopf hält, ein Dolch; in der Linken eine Hinterhälfte von einem Ziegenbock. 32) Bas-relief. Bacchanalprocession . Die Mystes voran, den Kopf zurückgeworfen, spielt auf dem tambour de basque . Ein Faun folgt ihr, spielt die doppelte Tibia, und dann ein betrunkner Faun, der den Thyrsus in der Rechten trägt, und die Linke mit einer Löwenhaut ausstreckt. Der Leopard zu seinen Füßen. Auch die beiden andern Figuren sind mit Löwen- häuten bedeckt. Im Jahre 1775 am Wege nach Frascati gefunden. 33) Diana , natürliche Größe. Den Spieß werfend, oder eine Fackel haltend ( luci- fera )? Ungewiß, weil der Arm restaurirt ist. Wahrscheinlicher das letzte, weil ihr Haar wie Flammen auf dem Scheitel gebunden ist, wie man es auf Medaillen sieht. Gefunden 1772 bei la Storta , wo der junge Bacchus war. 34) Kolossalischer Kopf des Herkules , von ältester, sehr ängstlich ausgeführter, har- ter Arbeit, die schon vor der siebzigsten Olympiade außer Gebrauch war, 500 Jah- re vor Christi Geburt. Aus der Villa Hadriani . Vermuthlich hatte der Kaiser ihn dahin gestellt als Probe von alter Arbeit. 35) Periander , Tyrann von Korinth, einer der sieben Weisen. In der Villa Sixtus des Fünften . Unbekannt, bis man eben so einen mit dem Namen fand in der Pianura di Cassio bei Tivoli . Street Drawing-room . 1) Apollo Musagetes Kopf . Aehnlich einer Muse, im Haarputz und Charakter des Ge- sichts; gehörte zu einer Statüe, ähnlich der im Mus. Capitol . (Tom. III. tab. 15) gestochenen. Der verstorbne Mr. Lyder Browne brachte ihn von Rom. 2) Apollo Philesias Kopf , gehörte zu einer Statüe, ähnlich der im Mus. Capit . (T. III. tab. 13.) gestochenen. S. Winkelmann Monum. ined. Trattato prelimin. p . 52. 3) Cupido schlafend auf einer Löwenhaut. Gehörte sonst dem Kardinal Alexander Albani . 4) Perikles-Kopf . Die Inschrift auf dem Terminus giebt ihn zuerst an. Dieser Kopf, und ein schlechterer ihm ähnlicher wurden 1780 in der Pianura di Cassio unweit Tivoli gefunden. 5) Antinous-Kopf , über natürlicher Größe. Dieser Kopf mit dem größten Theile der Statüe, zu welcher er gehörte, wurde 1770 in einzelnen Stücken gefunden, die als Steine in einer, während der barbari- schen Zeiten errichteten Mauer gebraucht waren, in den Gründen, die gegenwärtig Tenuta della Tedesca genannt werden, unweit der Villa Pamfill . Die alte Mauer lag zum Theil unter dem Wege, der zum S. Pankrazthore von Rom hinaus nach Palo führt. 6) Ein Priapeischer Genius , ruhet mit Brust und Händen auf dem Ichneumon, und hält die Beine gerade in die Höhe: der Ichneumonschwanz geht auch hinter ihm in die Höhe. Das Thier scheint halb Ichneumon, halb Krokodil, hat kleine Ohren, starkes Gebiß, gekerbten Schwanz. 7) Amazon saucia . Büste. 8) Kolossalische Büste einer Roma , mit Helm. Die Augäpfel fehlen. 9) Faustina . Büste. 10) Genius des Schlafs , mit Flügeln. Eine Keule liegt links neben ihm, eine Ei- dechse kommt unter seiner Löwenhaut an den Daum der linken Hand; eine an- dre auf dem Schwanze der Löwenhaut berührt berührt seine rechte große Zehe. Neben ihm rechts ein Köcher. Dressing-room . Die Wände mit Friesen und mit Bas- reliefs bedeckt; überall umher Köpfe, Bü- sten, Inschriften, ganze Statüen. Büste der Messalina . Lassata viris nec dum satiata recessis . Hier kann man ästhetische Physiogno- mik und Pathognomik studieren. Wie soll man Leidenschaften und Spuren von lange gewohnten Lastern bilden ohne Verzer- rung? Hoc opus hic labor . Kleines Vorzimmer ( hall ) daneben, gleich an der Hausthüre . 1) Schöner Sarkophag von graulich schwar- zem Basalt, welcher ein Granit von n unendlich zarten Theilchen scheint, so fein wie Sandstein, und von der schön- sten Politur. 2) Herrliches Bas-relief. Bekleideter, bärti- ger, fetter Bacchus , unterstützt von einem Faun, indeß ein anderer etwas an sei- nen Sandalen macht. Hinter ihm trägt einer den ungeheuern Thyrsus. Vor ih- nen Trimalcion auf einem Bett. Im Hin- tergrunde Gebäude. Aus der Villa Ne- groni . Findet sich bei Santo Bartolo und im Montfaucon . Library . 3) Zwei Homers-Büsten . Eine göttlich. Die Falten der Stirn gehen quer und schräg aufwärts vom rechten Schlaf. Der Bart voll Geist. Zwei große Büschel Locken über den Ohren. Schöner sprach- reicher Mund. Tiefe, doch sanfte Au- gen, scharfblickend. Falten tief hinal zwischen den Augenbraunen. Zu Bajä 1780 gefunden. 4) Schöne Büste von Perikles mit Helm. 5) Torso einer kleinen Venus . Wunder- schön! Ohne Kopf, äußerst schöne Brüste, Arme, Schenkel. Sie bindet sich die Armilla am Fuß, und der an- dre Arm, so weit er vorhanden ist, scheint auf einer Priapus-Terme geruhet zu haben. Der Körper sowohl als der rechte Schenkel sind vorwärts gerichtet. 6) Cupido , den Bogen spannend. Der Kopf ganz, ein kleines Stück von den Füßen modern, und die Flügel halb re- staurirt. Ueber seinem Köcher hängt eine Löwenhaut, und dient zur Stütze. Der Kopf, die Figur sind, wie nur die Antike sie bilden konnte. Er ward in einer großen Vase gefunden, und Theile n 2 daneben, zu Castel Guido , ehemals Lo- rium , wo Antoninus Pius starb, und Galeria Faustina , seine Gemahlin, eine Villa hatte, deren Andenken noch durch den Namen der dortigen Kirche, Ma- donna della Galeria erhalten wird. 7) Faun , ganze Statüe, klein, hält eine Syringa; ein Ziegenfell hängt über sei- ner Schulter. Linker Arm und beide Beine restaurirt. Trockner Körper, bocks- artig. 8) Faunskopf , schön lächelnd, mit spros- senden Hörnchen. 9) Faun und sträubende Nymphe , von wunderschöner Arbeit. Der weibliche Körper über allen Begriff weich. 10) Dianakopf . Das Haar sehr schön, hin- ten gebunden, und das von der Seite auf die Scheitel. Längliches, kaltes, ernstes Gesicht, sehr schön. 11) Kopf einer Baccha . 12) Marcellus? Portrait gewiß. Ganz mit dem Piedestal. Litibus judicandis De- cemviri St . Büste. 13) Diomedes? Büste. Wildes straubiges Haar. Der Heros blickt so wild und trotzend auf; und so schön ist der Trotz- kopf! so männlich groß! Aus der Villa Hadriani . Im Vatikan ist eine viel schlechtere Kopie. 14) Lucius Verus . Schöne Büste, cum pa- ludamento . Aus der Villa Maffei. Vid. Mus. Maff . 15) Musenkopf mit Lorbeerkranz. Unter- halb Frascati gefunden. 16) Isis oder Fortuna , mit der rechten Hand auf dem Ruder; in der linken korrumpirt. Drei Fuß hoch. Weite Dra- perie. Zu Roma vecchia 1775 gefunden. 17) Zwei Windhunde. 18) Dioskuruskopf . 19) Schöne kleine Statüe der Venus . Nur die Arme restaurirt. Das Kinn etwas schadhaft. 4 Fuß hoch. Zu Ostia 1775 gefunden. — Die allgemeine Idee der Liebesgöttin; der Körper ruhet auf einem Fuß, der andre ist zurückgezogen, und die Schenkel schließen dicht an einan- der: so fließen die Linien göttlich rein zusammen. Am obigen Torso waren die Hüften weit stärker. Hier der Leib in der Nabelgegend etwas eingebogen, der Unterleib schön gewölbt, und die Um- risse des ganzen Körpers so weich, so zart, so symmetrisch, von so lieblichen Formen, daß man erstaunt, wie ein solches Gebilde unter der Hand des Meisters durch Meißel und Hammer entstehen konnte. Anmuth und Lieb- lichkeit der Gestalt ist sicher ganz etwas anders als Ebenmaß; wir haben nur Sinn dafür, und nicht Begriff . Wahr- scheinlicher ist es eine Leda . Der Schna- bel des Schwans berührte das Kinn, wo- von noch die Spur zu sehen ist; er war vermuthlich klein, und sie hielt ihn mit beiden Händen. Die Sandalen sind auch der Leda mehr eigen, so wie die schmächtigere Figur. 20) Kleiner sitzender Herkules . 21) Bas-relief über dem Kamin. Der Cen- taur Nessus und Dejanira . Aus dem Pal- last Verospi . 22) Gegenüber von Bronze ein kleiner Her- kules imberbis , mit den Äpfeln. Hinter ihm der Baum mit der Drachenschlange. Gefunden zu Gebelet in Syrien, unweit Byblos . Dr. Swinney schickte die Stücke 1779 nach London; er hatte sie von ei- nem Griechen in Konstantinopel gekauft. 2 Fuß 6 Zoll hoch. Park Drawing-room . 1) Kopf von Decebalus, kolossalisch. Vom Forum Trajani . What though the field be lost! All is not lost; th’unconquerable will And study of revenge, immortal hate And courage never to submit and yield, And what is else not to be overcome ; That glory never shall his wrath or might Extort from me . Has conditiones Decebalus deductus ad Trajanum invitus accepit. Dio Cassius . 2) Astragalizon . Eine Figur, ein Jüng- ling , der auf dem Boden sitzt, und das Ueberbleibsel eines Arms beißt. Ein Leder um seine Hüften ist ganz Leder in den Falten. Es scheint der Überrest einer Gruppe von zwei jungen Leuten, die sich bei dem Knöchelspiel zanken; ein Knöchel ( talus ) ist noch übrig in der Hand, die zu der fehlenden Figur gehört. Gefunden während des Pontifi- kats Urbans VIII in den Bädern des Titus , wo eine ähnliche Gruppe von Polyklet gestanden haben soll. Der Kar- dinal Franz Barberini , Neffe dieses Papstes, stellte es in seinem prächtigen Pallast auf, wo es blieb, bis 1768, da es nach England gebracht wurde. Es ist gemeine Natur, ein Straßenjunge — aber wie ausgesucht! Der ausgestreckte Fuß ist schön gezeichnet. 3) Kolossalische Büste von Marc Aurel. — Velato capite , mit Ähren gekrönt. Stu- dium Philosophiae serium et gravem red- didit, non tamen prorsus abolita in eo comitate. Jul. Capitolin . 4) Antinous , als Bacchus, kolossalische Büste. Apotheosis. Epheu. 5) Göttlicher Minervakopf , von Marmor. Mr. Townley hat ihr Helm und Aegis von schöner Zeichnung von Bronze ge- geben. Ihr Haar ist zurückgestrichen. Der Hals schön. Wunderbares Vorwärts. streben des ganzen Kopfes, Halses und Blickes, und des sich öffnenden Mundes Aufmerken. Mehr ein Bild menschli- chen Forschens, als göttlichen Wissens. Gefunden 1773 in der Villa Casali , ver- muthlich den Bädern des Olympiodorus . 6) Clytia , Büste, aus einer Sommerblume hervorblühend. Kostet 1000 Pfund Ster- ling. Weiches, schön gescheiteltes Haar, schmachtendes, wunderschönes Gesicht. 7) Kolossalische Büste eines jungen Her- kules . Sehr mächtig. Aus dem Pallast Barberini . 8) Trajans Büste. 1776 gefunden. 9) Eine Isis , aus dem Lotos hervorblü- hend. Aus dem Pallast Laurenzani in Neapel. Ich möchte Worte finden, die diesen Kopf, oder besser das ganze Brust- bild, malten ; denn gemalt müßte es werden, damit man es fühlte. Ich will erst am Äußeren verweilen. Ihr Haar, an der Stirne gescheitelt, fällt zurück, und über die Schläfe, nah an den Aug- braunen vorbei, in nassen wellenförmi- gen Locken und Flechten, die auf dem Nacken sich schlängeln. Das Gewand von feiner Leinwand ist naß, und läßt die Gestalt durchscheinen; es deckt den rechten Arm und zum Theil die Schul- ter, und ist vorn den Arm hinab mit vier runden Spangen zugeheftet; dann fließt es in einer schrägen Wellenlinie über den reichen nährenden Busen, und schlüpft um die Mitte des linken Arms, wo wieder eine Spange zum Vorschein kommt. Die Blätter des Lotoskelches, unten fest vereinigt, gehen erst schräg breiter werdend hinauf, und biegen sich dann schon divergirend in lieblichen Formen um. Aus diesem Kelche steigt die Büste hervor. Bezaubernd ist die rechte Brust, durch das Gewand fühl- bar; an der linken nackten vergehen die Sinne. Den Hals wollüstig emporhal- tend, üppig, voll und weich, neigt sich ihr Haupt kaum merklich zur rechten Seite; schön und voll sind die Wangen; im Munde ist ein Reichthum der Affekt- sprache, der sich nicht ausdrücken läßt; sehen muß man diese dem Sinne entge- genkommende Oberlippe, wie viel Le- ben in ihr verborgen ist, wie viel man- nichfaltige Kraft der Bewegung in ihrer festen Wölbung, und welche Ruhe, welche sanfte, milde, nichts begehrende, aber mild empfindende Form der Schön- heit in allen seinen Proportionen und Theilen! Die feine lange Nase ist noch Isisähnlich, ohne mehr Ägyptisch zu seyn; das Gesicht ist idealisirt: Ägyp- tische Schönheit mit dem schmachtend- melancholischen, sinnenden Ausdruck, mit einem Blick voll Liebe und wär- mender Kraft zu trösten und zu beseelen. 10) Clytia . 11) Liegende Diana , mit nasser Draperie. Klein, sehr schöner Körper. Gefunden in der Villa Verospi , ungefähr in der Lage von Sallusts prächtigen Gärten. 12) Hand von der schönsten Arbeit, die einen noch nicht ganz entwickelten Schmetterling bei den Flügeln hält. Inhalt des dritten Bandes . I. London . 1. Ausstellung der königlichen Akademie S. 1 2. Westminster-Abtei. Messias, am 3. Junius 8 3. Erziehung und Theater der Engländer. Littera- tur. Beaux Stratagem 20 4. Westminsterhall. — Warren Hastings Prozeß 29 5. Zünfte 39 6. The Monstrr 46 7. Naturgeschichte. Banks 50 8. Kapitain Bligh. Reisen nach Nordwest-Amerika 53 9. Dr. Johnson. Warton 56 10. Etwas von den Sitten. Veränderung der Sitten. Nägel. Ranelagh. Boxing. Dr. Mayersbach 58 II. Reise nach Windsor. Slough . 1. Windsor S. 85 2. Slough. (Herschels Teleskop.) 94 3. Richmond 103 III. Reise in das Innere von England . 1. Weg nach Birmingham S. 105 2. Birmingham und Soho 125 3. Theater in Birmingham 135 4. Leasowes 139 5. Hayleypark S. 148 6. Reise von Birmingham nach Derby 157 7. ΟΙΣ ΘΕΜΙΣ ΕΣΤΙ. Castleton 182 8. Von Castleton bis Middleton 186 9. Matlock 189 10. Chatsworth 198 11. Fortsetzung der Reise. Den 15. Jun. 205 12. Blenheim 216 13. Oxford 219 14. Dover. Den 28. Jun. 250 IV. Rückreise von England . 1. Fahrt von Dover nach Calais. Den 29. Jun. S. 253 2. Auf der Reise nach Paris 255 3. Rückreise von Paris 258 Anhang . I. Geschichte der Kunst in England S. 3 II. Artistische Notizen . 1. Shakspeare-Gallery S. 161 2. Sir Ashton Liver’s (Mr. Townley’s) Museum 181