Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch von Jacob Burckhardt. Basel, Druck und Verlag der Schweighauser'schen Verlagsbuchhandlung. 1860. Luigi Picchioni zum siebenundsiebzigsten Geburtstag gewidmet. Erster Abschnitt . Der Staat als Kunstwerk. I m wahren Sinne des Wortes führt diese Schrift den Vorbemer- kung. Titel eines bloßen Versuches, und der Verfasser ist sich deutlich genug bewußt, daß er mit sehr mäßigen Mitteln und Kräften sich einer überaus großen Aufgabe unterzogen hat. Aber auch wenn er mit stärkerer Zuversicht auf seine Forschung hinblicken könnte, so wäre ihm der Beifall der Kenner kaum sicherer. Die geistigen Umrisse einer Cultur- epoche geben vielleicht für jedes Auge ein verschiedenes Bild, und wenn es sich vollends um eine Civilisation handelt, welche als nächste Mutter der unsrigen noch jetzt fortwirkt, so muß sich das subjektive Urtheilen und Empfinden jeden Augenblick beim Darsteller wie beim Leser einmischen. Auf dem weiten Meere in welches wir uns hinauswagen, sind der möglichen Wege und Richtungen viele, und leicht könnten dieselben Studien, welche für diese Arbeit gemacht wurden, unter den Händen eines Andern nicht nur eine ganz andere Benützung und Behandlung erfahren, sondern auch zu wesentlich verschiedenen Schlüssen Anlaß geben. Der Gegen- stand an sich wäre wichtig genug, um noch viele Bearbei- tungen wünschbar zu machen, Forscher der verschiedensten Standpuncte zum Reden aufzufordern. Einstweilen sind wir zufrieden, wenn uns ein geduldiges Gehör gewährt und dieses Buch als ein Ganzes aufgefaßt wird. Es ist die wesentlichste Schwierigkeit der Culturgeschichte, daß sie Cultur der Renaissance. 1 1. Abschnitt. ein großes geistiges Continuum in einzelne scheinbar oft willkürliche Categorien zerlegen muß, um es nur irgendwie zur Darstellung zu bringen. — Der größten Lücke des Buches gedenken wir in einiger Zeit durch ein besonderes Werk über „die Kunst der Renaissance“ abzuhelfen. Politischer Zu- stand im XIII. Jahrh. Der Kampf zwischen den Päpsten und den Hohenstaufen hinterließ zuletzt Italien in einem politischen Zustande, welcher von dem des übrigen Abendlandes in den wesent- lichsten Dingen abwich. Wenn in Frankreich, Spanien, England das Lehnssystem so geartet war, daß es nach Ab- lauf seiner Lebenszeit dem monarchischen Einheitsstaat in die Arme fallen mußte, wenn es in Deutschland wenigstens die Einheit des Reiches äußerlich festhalten half, so hatte Italien sich ihm fast völlig entzogen. Die Kaiser des XIV. Jahrhunderts wurden im günstigsten Falle nicht mehr als Oberlehnsherrn, sondern als mögliche Häupter und Verstärkungen schon vorhandener Mächte empfangen und geachtet; das Papstthum aber mit seinen Creaturen und Stützpunkten war gerade stark genug, jede künftige Einheit zu verhindern ohne doch selbst eine schaffen zu können. Macchiavelli, Discorsi L. I. c. 12. Die nothwen- dige Vielheit. Zwischen den beiden waren eine Menge politischer Gestal- tungen — Städte und Gewaltherrscher — theils schon vor- handen theils neu emporgekommen, deren Dasein rein that- sächlicher Art war. Die Herrschenden und ihr Anhang heißen zusammen lo stato, und dieser Name durfte dann die Bedeutung des gesammten Daseins eines Territoriums usurpiren. In ihnen erscheint der moderne europäische Staatsgeist zum erstenmal frei seinen eigenen Antrieben hingegeben; sie zeigen oft genug die fessellose Selbstsucht in ihren furchtbarsten Zügen, jedes Recht ver- höhnend, jede gesunde Bildung im Keim erstickend; aber wo diese Richtung überwunden oder irgendwie aufgewogen 1. Abschnitt. wird, da tritt ein neues Lebendiges in die Geschichte: Der Staat als berechnete, bewußte Schöpfung, als Kunstwerk. In den Stadtrepubliken wie in den Tyrannenstaaten prägt sich dieß Leben hundertfältig aus, und bestimmt ihre innere Gestalt sowohl als ihre Politik nach außen. Wir begnügen uns mit der Betrachtung des vollständigern, deutlicher aus- gesprochenen Typus desselben in den Tyrannenstaaten. Der innere Zustand der von Gewaltherrschern regierten Der Staat Friedrichs II. Territorien hatte ein berühmtes Vorbild an dem Norman- nenreiche von Unteritalien und Sicilien, wie Kaiser Frie- drich II. es umgestaltet hatte. Höfler: Kaiser Friedrich II., S. 39 u. ff. Aufgewachsen unter Ver- rath und Gefahr in der Nähe von Saracenen, hatte er sich frühe gewöhnt an eine völlig objective Beurtheilung und Behandlung der Dinge, der erste moderne Mensch auf dem Throne. Dazu kam eine nahe, vertraute Kenntniß von dem Innern der saracenischen Staaten und ihrer Verwal- tung, und jener Existenzkrieg mit den Päpsten, welcher beide Parteien nöthigte, alle denkbaren Kräfte und Mittel auf den Kampfplatz zu führen. Friedrichs Verordnungen (besonders seit 1231) laufen auf die völlige Zernichtung des Lehnstaates, auf die Verwandlung des Volkes in eine willenlose, unbewaffnete, im höchsten Grade steuerfähige Masse hinaus. Er centralisirte die ganze richterliche Ge- walt und die Verwaltung in einer bisher für das Abend- land unerhörten Weise; kein Amt mehr durfte durch Volks- wahl besetzt werden, bei Strafe der Verwüstung des betref- fenden Ortes und Degradation der Bürger zu Hörigen. Die Steuern, beruhend auf einem umfassenden Kataster Mohammeda- nische Einwir- kung. und auf mohammedanischer Routine, wurden beigetrieben mit jener quälerischen und grausamen Art, ohne welche 1* 1. Abschnitt. man dem Orientalen freilich kein Geld aus den Händen bringt. Hier ist kein Volk mehr, sondern ein controlirbarer Haufe von Unterthanen, die z. B. ohne besondere Erlaubniß nicht auswärts heirathen und unbedingt nicht auswärts studiren durften; — die Universität Neapel übte den frühsten bekannten Studienzwang, während der Orient seine Leute wenigstens in diesen Dingen frei ließ. Echt mohammedanisch dagegen war es wiederum, daß Friedrich nach dem ganzen Mittelmeer eige- nen Handel trieb, viele Gegenstände sich vorbehielt und den Handel der Unterthanen hemmte. Die fatimidischen Khalifen mit ihrer Geheimlehre des Unglaubens waren (wenigstens Anfangs) tolerant gewesen gegen die Religionen ihrer Unter- thanen; Friedrich dagegen krönt sein Regierungssystem durch eine Ketzerinquisition, die nur um so schuldvoller erscheint, wenn man annimmt, er habe in den Ketzern die Vertreter frei- sinnigen städtischen Lebens verfolgt. Als Polizeimannschaft im Innern und als Kern der Armee nach außen dienten ihm endlich jene aus Sicilien nach Luceria und nach No- cera übergesiedelten Saracenen, welche gegen allen Jammer taub und gegen den kirchlichen Bann gleichgültig waren. Die Unterthanen, der Waffen entwöhnt, ließen später den Sturz Manfreds und die Besitznahme des Anjou leicht und willenlos über sich ergehen; letzterer aber erbte diesen Re- gierungsmechanismus und benützte ihn weiter. Die Herrschaft Ezzelino's. Neben dem centralisirenden Kaiser tritt ein Usurpator der eigenthümlichsten Art auf: sein Vicarius und Schwieger- sohn Ezzelino da Romano. Er repräsentirt kein Regierungs- und Verwaltungssystem, da seine Thätigkeit in lauter Kämpfen um die Herrschaft im östlichen Oberitalien aufging, allein er ist als politisches Vorbild für die Folgezeit nicht minder wichtig als sein kaiserlicher Beschützer. Alle bisherige Eroberung und Usurpation des Mittelalters war entweder auf wirk- liche oder vorgegebene Erbschaft und andere Rechte hin oder gegen die Ungläubigen oder Excommunicirten voll- bracht worden. Hier zum erstenmal wird die Gründung eines Thrones versucht durch Massenmord und endlose 1. Abschnitt. Scheußlichkeiten, d. h. durch Aufwand aller Mittel mit alleiniger Rücksicht auf den Zweck. Keiner der Spätern hat den Ezzelino an Colossalität des Verbrechens irgendwie erreicht, auch Cesare Borgia nicht, aber das Beispiel war gegeben, und Ezzelino's Sturz war für die Völker keine Herstellung der Gerechtigkeit und für künftige Frevler keine Warnung. Umsonst stellte in einer solchen Zeit S. Thomas von Einfluß Frie- drichs und Ezzelino's. Aquino, der geborene Unterthan Friedrichs, die Theorie einer constitutionellen Herrschaft auf, wo der Fürst durch ein von ihm ernanntes Oberhaus und eine vom Volk ge- wählte Repräsentation unterstützt gedacht wird. Dergleichen verhallte in den Hörsälen, und Friedrich und Ezzelino waren und blieben für Italien die größten politischen Erscheinungen des XIII. Jahrhunderts. Ihr Bild, schon halb fabelhaft wiedergespiegelt, ist der wichtigste Inhalt der „hundert alten Novellen“, deren ursprüngliche Redaction gewiß noch in dieß Jahrhundert fällt. Cento novelle antiche, Nov. 1, 6, 20, 21, 22, 23, 29, 30, 45, 56, 83, 88, 98. Ezzelino wird hier bereits mit einer scheuen Ehrfurcht geschildert, welche der Niederschlag jedes ganz großen Eindruckes ist. Eine ganze Literatur, von der Chronik der Augenzeugen bis zur halbmythologischen Tragödie, schloß sich an seine Person an. Scardeonius, de urbis Patav. antiqu., im Thesaurus des Grä- vius VI., III., p. 259. Die größern und kleinern Gewaltherrschaften des Herrscher des XIV. Jahrh. XIV. Jahrhunderts verrathen es häufig genug, daß Ein- drücke dieser Art nicht verloren waren. Ihre Missethaten schrien laut und die Geschichte hat sie umständlich verzeich- 1. Abschnitt. net, aber als ganz auf sich selbst gestellte und danach orga- nisirte Staaten haben sie immerhin ein höheres Interesse. Die bewußte Berechnung aller Mittel, wovon kein da- maliger außeritalischer Fürst eine Idee hatte, verbunden mit einer innerhalb der Staatsgrenzen fast absoluten Macht- vollkommenheit, brachte hier ganz besondere Menschen und Lebensformen hervor. Sismondi, hist. des rép. italiennes, IV, p. 420; VIII, p. 1. s. Das Hauptgeheimniß der Herr- schaft lag für die weisern Tyrannen darin, daß sie die Finanzen. Steuern möglichst so ließen, wie sie dieselben angetroffen oder am Anfang eingerichtet hatten: eine Grundsteuer, ba- sirt auf einen Kataster; bestimmte Consumosteuern, und Zölle auf Ein- und Ausfuhr, wozu noch die Einnahmen von dem Privatvermögen des herrschenden Hauses kamen; die einzige mögliche Steigerung hing ab von der Zunahme des allgemeinen Wohlstandes und Verkehres. Von Anleihen, wie sie in den Städten vorkamen, war hier nicht die Rede; eher erlaubte man sich hier und da einen wohlberechneten Gewaltstreich, vorausgesetzt daß er den ganzen Zustand unerschüttert ließ, wie z. B. die echt sultanische Absetzung und Ausplünderung des obersten Finanzbeamten. Franco Sacchetti, novelle. (61, 62) , Mit diesen Einkünften suchte man auszureichen um Der Hof. den kleinen Hof, die Leibwache, die geworbene Mannschaft, die Bauten — und die Spaßmacher sowohl als die Leute von Talent zu bezahlen, die zur persönlichen Umgebung des Fürsten gehörten. Die Illegitimität, von dauernden Gefahren umschwebt, vereinsamt den Herrscher; das ehren- vollste Bündniß, welches er nur irgend schließen kann, ist das mit der höhern geistigen Begabung, ohne Rücksicht auf die Herkunft. Die Liberalität (Miltekeit) der nordischen Fürsten des XIII. Jahrhunderts hatte sich auf die Ritter, auf das dienende und singende Adelsvolk beschränkt. Anders der monumental gesinnte, ruhmbegierige italienische Tyrann, 1. Abschnitt. der das Talent als solches braucht. Mit dem Dichter oder Gelehrten zusammen fühlt er sich auf einem neuen Boden, ja fast im Besitz einer neuen Legitimität. Weltbekannt ist in dieser Beziehung der Gewaltherrscher von Verona, Can Grande della Scala, welcher in den aus- gezeichneten Verbannten an seinem Hofe ein ganzes Italien beisammen unterhielt. Die Schriftsteller waren dankbar; Petrarca, dessen Besuche an diesen Höfen so strenge Tadler gefunden haben, schilderte das ideale Bild eines Fürsten Das damalige Ideal des Herrschers. des XIV. Jahrhunderts. Petrarca, de rep. optime administranda, ad Franc. Carraram. (Opera, p. 372, s.) Er verlangt von seinem Adressa- ten — dem Herrn von Padua — Vieles und Großes, aber auf eine Weise als traute er es ihm zu. „Du mußt nicht Herr deiner Bürger, sondern Vater des Vaterlandes sein und jene wie deine Kinder lieben, Erst hundert Jahre später wird dann auch die Fürstinn zur Landes- mutter. Vgl. Hieron. Crivelli's Leichenrede auf Bianca Maria Visconti, bei Muratori, XXV, Col. 429. Eine spöttische Ueber- tragung hievon ist es, wenn eine Schwester Papst Sixtus IV. bei Jac. Volaterranus (Murat. XXIII. Col. 109) mater ecclesiae genannt wird. ja wie Glieder deines Leibes. Waffen, Trabanten und Söldner magst du gegen die Feinde wenden — gegen deine Bürger kommst du mit dem bloßen Wohlwollen aus; freilich meine ich nur die Bürger welche das Bestehende lieben, denn wer täglich auf Veränderungen sinnt, der ist ein Rebell und Staatsfeind und gegen solche mag strenge Gerechtigkeit walten!“ Im Einzelnen folgt nun die echt moderne Fiction der Staats- allmacht; der Fürst soll für Alles sorgen, Kirchen und öffentliche Gebäude herstellen und unterhalten, die Gassen- polizei aufrecht halten, Mit dem beiläufigen Wunsch, es möchte das Lagern der Schweine in den Gassen von Padua verboten werden, da der Anblick an sich unerfreulich sei und die Pferde davon scheu würden. Sümpfe austrocknen, über Wein 1. Abschnitt. und Getreide wachen, die Steuern gerecht vertheilen, Hülf- lose und Kranke unterstützen, und ausgezeichneten Gelehrten seinen Schutz und Umgang widmen, indem dieselben für seinen Nachruhm sorgen würden. Gefahren der Tyrannis. Aber welches auch die allgemeinen Lichtseiten und die Verdienste Einzelner gewesen sein mögen, so erkannte oder ahnte doch schon das XIV. Jahrhundert die geringe Dauer, die Garantielosigkeit der meisten dieser Tyrannien. Da aus innern Gründen politische Verfassungen wie diese genau um so viel haltbarer sind als das Gebiet größer ist, so waren die mächtigern Gewaltherrschaften stets geneigt, die kleinern zu verschlingen. Welche Hekatombe kleiner Herrscher ist nur allein den Visconti in dieser Zeit geopfert worden! Dieser äußern Gefahr aber entsprach gewiß fast jedesmal eine innere Gährung, und die Rückwirkung dieser Lage auf das Gemüth des Herrschers mußte in den meisten Fällen überaus verderblich sein. Die falsche Allmacht, die Auf- forderung zum Genuß und zu jeder Art von Selbstsucht von der einen, die Feinde und Verschwörer von der andern Seite machten ihn fast unvermeidlich zum Tyrannen im übeln Sinne. Wäre nur wenigstens den eigenen nächsten Blutsverwandten zu trauen gewesen! Allein wo Alles ille- Mangelhaftes Erbrecht. gitim war, da konnte sich auch kein festes Erbrecht, weder für die Succession in der Herrschaft noch für die Theilung der Güter bilden, und vollends in drohenden Augenblicken schob den unmündigen oder untüchtigen Fürstensohn ein entschlossener Vetter oder Oheim bei Seite, im Interesse des Hauses selbst. Auch über Ausschluß oder Anerkennung der Bastarde war beständiger Streit. So kam es, daß eine ganze Anzahl dieser Familien mit unzufriedenen, rach- süchtigen Verwandten heimgesucht waren; ein Verhältniß das nicht eben selten in offenen Verrath und in wilden Familienmord ausbrach. Andere, als Flüchtlinge auswärts lebend, fassen sich in Geduld und behandeln auch diese Sachlage objectiv, wie z. B. jener Visconti, der am Garda- see Fischnetze auswarf; Petrarca, rerum memorandar. liber III. p. 460. — Es ist wahrscheinlich Matteo II. Visconti und der damals in Mailand herrschende Erzbischof Giovanni Visconti gemeint, um 1354. der Bote seines Gegners fragte 1. Abschnitt. ihn ganz direct: wann er wieder nach Mailand zurückzukehren gedenke? und erhielt die Antwort: „nicht eher als bis die Schandthaten Jenes über meine Verbrechen das Ueber- gewicht erlangt haben werden“. Bisweilen opfern auch die Verwandten den regierenden Herrn der allzusehr beleidigten öffentlichen Moral, um dadurch das Gesammthaus zu retten. Matteo Villani, V, 81: die geheime Ermordung desselben Matteo II. Visconti durch seine Brüder. Hie und da ruht die Herrschaft noch so auf der Gesammtfamilie, daß das Haupt an deren Beirath gebun- den ist; auch in diesem Falle veranlaßte die Theilung des Besitzes und des Einflusses leicht den bittersten Hader. Bei den damaligen florentinischen Autoren begegnet Der Pomp. man einem durchgehenden tiefen Haß gegen dieses ganze Wesen. Schon das pomphafte Aufziehen, das Prachtcostüm, wodurch die Gewaltherrscher vielleicht weniger ihrer Eitel- keit Genüge thun als vielmehr Eindruck auf die Phantasie des Volkes machen wollten, erweckt ihren ganzen Sarcas- mus. Wehe wenn ihnen gar ein Emporkömmling in die Hände fällt wie der neugebackene Doge Agnello von Pisa (1364), der mit dem goldenen Scepter auszureiten pflegte und sich dann wieder zu Hause am Fenster zeigte „wie man Reliquien zeigt“, auf Teppich und Kissen von Goldstoff ge- lehnt; knieend mußte man ihn bedienen wie einen Papst oder Kaiser. Filippo Villani, istorie XI, 101. — Auch Petrarca findet die Tyrannen geputzt „wie Altäre an Festtagen“. — Den antiken Triumphzug des Castracane in Lucca findet man umständlich be- schrieben in dessen Leben von Tegrimo, bei Murat. XI, Col. 1340. Oefter aber reden diese alten Florentiner 1. Abschnitt. in einem erhabenen Ernst. Dante De vulgari eloquio, I, c. 12: … qui non heroico more, sed plebeo sequuntur superbiam etc. erkennt und benennt Abscheu der Florentiner. vortrefflich das Unadliche, Gemeinverständige der neufürst- lichen Hab- und Herrschgier. „Was tönen ihre Posaunen, Schellen, Hörner und Flöten anders als: herbei zu uns, ihr Henker! ihr Raubvögel!“ Man malt sich die Burg des Tyrannen hoch und isolirt, voller Kerker und Lausch- röhren, Dieß zwar erst in Schriften des XV. Jahrh., aber gewiß nach frühern Phantasien: L. B. Alberti, de re aedif. V, 3. — Franc. di Giorgio, Trattato, bei Della Valle, Lettere sanesi, III., 121. als einen Aufenthalt der Bosheit und des Elends. Andere weissagen Jedem Unglück, der in Tyrannendienste gehe Franco Sacchetti, Nov. 61. und bejammern am Ende den Tyrannen selbst, wel- cher unvermeidlich der Feind aller Guten und Tüchtigen sei, sich auf Niemanden verlassen dürfe, und den Unter- thanen die Erwartung seines Sturzes auf dem Gesicht lesen könne. „So wie die Tyrannien entstehen, wachsen und sich befestigen, so wächst auch in ihrem Innern verborgen der Stoff mit, welcher ihnen Verwirrung und Untergang bringen muß.“ Matteo Villani, VI, 1. Der tiefste Gegensatz wird nicht deutlich her- vorgehoben: Florenz war damals mit der reichsten Ent- wicklung der Individualitäten beschäftigt, während die Ge- waltherrscher keine andere Individualität gelten und gewähren ließen als die ihrige und die ihrer nächsten Diener. War doch die Controle des einzelnen Menschen bis auf's Paß- wesen herab schon völlig durchgeführt. Das Paßbureau von Padua um die Mitte des XIV. Jahrh. als quelli delle bullette bezeichnet bei Franco Sacchetti, Nov. 117. In den letzten zehn Jahren Friedrichs II., als die persönlichste Con- trole herrschte, muß das Paßwesen schon sehr ausgebildet gewesen sein. Das Unheimliche und Gottverlassene dieser Existenz 1. Abschnitt. bekam in den Gedanken der Zeitgenossen noch eine besondere Farbe durch den notorischen Sternglauben und Unglauben mancher Herrscher. Als der letzte Carrara in seinem pest- verödeten Padua (1405) die Mauern und Thore nicht mehr besetzen konnte, während die Venezianer die Stadt umzingel- ten, hörten ihn seine Leibwachen oft des Nachts dem Teufel rufen: er möge ihn tödten! Die vollständigste und belehrendste Ausbildung dieser Die Visconti; Bernab ò . Tyrannis des XIV. Jahrhunderts findet sich wohl unstreitig bei den Visconti in Mailand, von dem Tode des Erz- bischofs Giovanni (1354) an. Gleich meldet sich in Ber- nab ò ganz unverkennbar eine Familienähnlichkeit mit den schrecklichsten römischen Imperatoren; Corio, Storia di Milano, Fol. 247, s. der wichtigste Staats- zweck ist die Eberjagd des Fürsten; wer ihm darein greift, wird martervoll hingerichtet; das zitternde Volk muß ihm 5000 Jagdhunde füttern, unter der schärfsten Verantwort- lichkeit für deren Wohlbefinden. Die Steuern werden mit allen denkbaren Zwangsmitteln emporgetrieben, sieben Töch- ter jede mit 100,000 Goldgulden ausgestattet und ein enormer Schatz gesammelt. Beim Tode seiner Gemahlinn (1384) erschien eine Notification „an die Unterthanen“, sie sollten, wie sonst die Freude, so jetzt das Leid mit ihm theilen und ein Jahr lang Trauer tragen. — Unvergleich- lich bezeichnend ist dann der Handstreich, womit ihn sein Neffe Giangaleazzo (1385) in seine Gewalt bekam, eines jener gelungenen Complotte, bei deren Schilderung noch späten Geschichtschreibern das Herz schlägt. Auch z. B. dem Paolo Giovio. Viri illustres, Jo. Galeatius. Bei Gianga- Giangaleazzo. leazzo tritt der echte Tyrannensinn für das Colossale ge- waltig hervor. Er hat mit Aufwand von 300,000 Gold- 1. Abschnitt. gulden riesige Dammbauten unternommen, um den Mincio von Mantua, die Brenta von Padua nach Belieben ableiten und diese Städte wehrlos machen zu können, Corio, Fol. 272, 285. ja es wäre nicht undenkbar, daß er auf eine Trockenlegung der Lagunen von Venedig gesonnen hätte. Er gründete Cagnola, im Archiv. stor. III, p. 23. „das wun- derbarste aller Klöster“, die Certosa von Pavia, und den Dom von Mailand, „der an Größe und Pracht alle Kirchen der Christenheit übertrifft“, ja vielleicht ist auch der Palast in Pavia, den schon sein Vater Galeazzo begonnen, und den er vollendete, weitaus die herrlichste Fürstenresidenz des damaligen Europa's gewesen. Dorthin verlegte er auch seine berühmte Bibliothek und die große Sammlung von Reliquien der Heiligen, welchen er eine besondere Art von Dessen letzte Pläne. Glauben widmete. Bei einem Fürsten von dieser Sinnes- art wäre es befremdlich, wenn er nicht auch im politischen Gebiet nach den höchsten Kronen gegriffen hätte. König Wenzel machte ihn (1395) zum Herzog; er aber hatte nichts geringeres als das Königthum von Italien So Corio, Fol. 286 und Poggio, hist. Florent. IV, bei Murat. XX., Col. 290. — Von Plänen auf das Kaiserthum redet Cag- nola. a. a. O . und das Sonett bei Trucchi, Poesie ital. inedite II, p. 118: Stan le città lombarde con le chiave In man per darle a voi .... etc. Roma vi chiama: Cesar mio novello Jo sono ignuda, et l'anima pur vive: Or mi coprite col vostro mantello etc. oder die Kaiserkrone im Sinne, als er (1402) erkrankte und starb. Seine sämmtlichen Staaten sollen ihm einst in einem Jahre außer der regelmäßigen Steuer von 1,200,000 Goldgulden noch weitere 800,000 an außerordentlichen Subsidien bezahlt haben. Nach seinem Tode ging das Reich, das er durch jede Art von Gewaltthaten zusammengebracht, in Stücken und vor der Hand konnten kaum die ältern Bestandtheile 1. Abschnitt. desselben behauptet werden. Was aus seinen Söhnen Gio- van Maria (st. 1412) und Filippo Maria (st. 1447) ge- worden wäre, wenn sie in einem andern Lande und ohne von ihrem Hause zu wissen, gelebt hätten, wer weiß es? Doch als Erben dieses Geschlechtes erbten sie auch das un- geheure Kaptial von Grausamkeit und Feigheit, das sich hier von Generation zu Generation aufgesammelt hatte. Giovan Maria ist wiederum durch seine Hunde be- Giovan Maria. rühmt, aber nicht mehr durch Jagdhunde, sondern durch Thiere die zum Zerreißen von Menschen abgerichtet waren und deren Eigennamen uns überliefert sind wie die der Bären Kaiser Valentinians I. Corio, Fol. 301 u. ff. Vgl. Ammian. Marcellin. XXIX, 3. Als im Mai 1409 während des noch dauernden Krieges das verhungernde Volk ihm auf der Straße zurief: Pace! Pace! ließ er seine Söldner ein- hauen, die 200 Menschen tödteten; darauf war bei Galgen- strafe verboten, die Worte Pace und Guerra auszusprechen und selbst die Priester angewiesen, statt dona nobis pacem, zu sagen tranquillitatem! Endlich benützten einige Ver- schworne den Augenblick, da der Großcondottiere des wahn- sinnigen Herzogs, Facino Cane, todtkrank zu Pavia lag, und machten den Giovan Maria bei der Kirche S. Got- tardo in Mailand nieder; der sterbende Facino aber ließ am selbigen Tage seine Officiere schwören, dem Erben Filippo Maria zu helfen, und schlug selber So Paul. Jovius, viri illustres, Jo. Galeatius, Philippus. noch vor, seine Gemahlin möge sich nach seinem Tode mit diesem ver- mählen, wie denn auch baldigst geschah; es war Beatrice di Tenda. Von Filippo Maria wird noch weiter zu reden sein. Und in solchen Zeiten getraute sich Cola Rienzi auf den hinfälligen Enthusiasmus der verkommenen Stadt- bevölkerung von Rom eine neue Herrschaft über Italien zu 1. Abschnitt. bauen. Neben Herrschern wie jene ist er von Anfang an ein armer verlorener Thor. Herrscher des XV. Jahrh. Die Gewaltherrschaft im XV. Jahrhundert zeigt einen veränderten Character. Viele von den kleinen Tyrannen und auch einige von den größern, wie die Scala und Car- rara, sind untergegangen; die mächtigen haben sich arron- dirt und innerlich characteristischer ausgebildet; Neapel er- hält durch die neue aragonesische Dynastie eine kräftigere Richtung. Vorzüglich bezeichnend aber ist für dieses Jahr- hundert das Streben der Condottieren nach unabhängiger Herrschaft, ja nach Kronen; ein weiterer Schritt auf der Bahn des rein Thatsächlichen, und eine hohe Prämie für das Talent wie für die Ruchlosigkeit. Die kleinern Tyrannen, um sich einen Rückhalt zu sichern, gehen jetzt gern in Dienste der größern Staaten und werden Condottieren derselben, was ihnen etwas Geld und auch wohl Straflosigkeit für manche Missethaten verschafft, vielleicht sogar Vergrößerung ihres Gebietes. Im Ganzen genommen mußten Große und Kleine sich mehr anstrengen, besonnener und berechneter ver- fahren und sich der gar zu massenhaften Gräuel enthalten; sie durften überhaupt nur so viel Böses üben als nach- weisbar zu ihren Zwecken diente — so viel verzieh ihnen auch die Meinung der Unbetheiligten. Von dem Capital von Pietät, welches den legitimen abendländischen Fürsten- häusern zu Statten kam, ist hier keine Spur, höchstens eine Art von hauptstädtischer Popularität; was den Fürsten Italiens wesentlich weiter helfen muß, ist immer Talent Contrast mit Carl d. Kühnen. und kühle Berechnung. Ein Character wie derjenige Carls des Kühnen, der sich mit wüthender Leidenschaft in völlig unpractische Zwecke hinein verbiß, war den Italienern ein wahres Räthsel. „Die Schweizer seien ja lauter Bauern, und wenn man sie auch alle tödte, so sei dieß ja keine Ge- nugthuung für die burgundischen Magnaten, die im Kampfe umkommen möchten! Besäße auch der Herzog die Schweiz 1. Abschnitt. ohne Widerstand, seine Jahreseinkünfte wären deßhalb um keine 5000 Ducaten größer ꝛc.“ De Gingins: dépêches des ambassadeurs milanais, II, p. 200 (N. 213). Vgl. II, 3 (N. 144) und II, 212 (N. 218). Was in Carl Mittelalter- liches war, seine ritterlichen Phantasien oder Ideale, dafür hatte Italien längst kein Verständniß mehr. Wenn er aber vollends den Unteranführern Ohrfeigen ertheilte Paul. Jovius, Elogia. und sie dennoch bei sich behielt, wenn er seine Truppen mißhandelte um sie wegen einer Niederlage zu strafen, und dann wieder seine Geheimräthe vor den Soldaten blamirte — dann mußten ihn die Diplomaten des Südens verloren geben. Ludwig XI. aber, der in seiner Politik die italienischen Fürsten innerhalb ihrer eigenen Art übertrifft, und der vor Allem sich als Bewunderer des Francesco Sforza bekannte, ist im Gebiet der Bildung durch seine vulgäre Natur weit von jenen Herrschern geschieden. In ganz merkwürdiger Mischung liegt Gutes und Böses in den italienischen Staaten des XV. Jahrhunderts durchein- ander. Die Persönlichkeit der Fürsten wird eine so durch- gebildete, eine oft so hochbedeutende, für ihre Lage und Aufgabe so characteristische, Dieser Verein von Kraft und Talent ist es, was bei Macchiavell virtù heißt und auch mit scelleratezza verträglich gedacht wird, z. B. Discorsi I, 10, bei Anlaß des Sept. Severus. daß das sittliche Urtheil schwer zu seinem Rechte kömmt. Grund und Boden der Herrschaft sind und bleiben ille- Illegitimität; Einmischung der Kaiser. gitim und ein Fluch haftet daran und will nicht davon weichen. Kaiserliche Gutheißungen und Belehnungen ändern dieß nicht, weil das Volk keine Notiz davon nimmt, wenn seine Herrscher sich irgendwo in fernen Landen oder von einem durchreisenden Fremden ein Stück Pergament gekauft 1. Abschnitt. haben. Hierüber Franc. Vettori, arch. stor. VI, p. 293, s. „Die Be- „lehnung durch einen Mann der in Deutschland wohnt und von „einem römischen Kaiser nichts als den eiteln Namen hat, ist nicht „im Stande einen Bösewicht zum wahren Signore einer Stadt zu „machen.“ Wären die Kaiser etwas nütze gewesen, so hätten sie die Gewaltherrn gar nicht emporkommen lassen, — so lautete die Logik des unwissenden Menschenverstandes. Seit dem Römerzuge Carls IV. haben die Kaiser in Italien nur noch den ohne sie entstandenen Gewaltzustand sanctionirt, ohne ihn jedoch im Geringsten anders als durch Urkunden garantiren zu können. Carls ganzes Auftreten in Italien ist eine der schmählichsten politischen Comödien; man mag im Matteo Villani M. Villani, IV, 38. 39. 56. 77. 78. 92; V, 1, 2. 21, 36, 54. nachlesen, wie ihn die Visconti in ihrem Gebiete herum und endlich daraus weg escortiren, wie er eilt gleich einem Meßkaufmann, um nur recht bald für seine Waare (die Privilegien nämlich) Geld zu erhalten, wie kläglich er in Rom auftritt, und wie er endlich ohne einen Schwertstreich gethan zu haben, mit seinem vollen Geldsack wieder über die Alpen zieht. Ein Italiener war es, Fazio degli Uberti (Dittamondo, L. VI., cap. 5, um d. J. 1360) welcher Carl IV. noch einen Kreuzzug nach dem heiligen Lande zumuthen wollte. Die Stelle ist eine der besten in dem betreffenden Gedichte und auch sonst bezeichnend. Der Dichter wird durch einen trotzigen Turcomannen vom heil. Grab weggewiesen: Coi passi lunghi e con la testa bassa Oltre passai e dissi: ecco vergogna Del cristian che'l saracin quì lassa! Poscia al pastor (den Papst) mi volsi per rampogna: E tu ti stai, che sei vicar di Cristo Co' frati tuoi a ingrassar la carogna? Similimente dissi a quel sofisto (Carl IV.) Che sta in Buemme (Böhmen) a piantar vigne e fichi, E che non cura di sì caro acquisto: Sigismund kam wenigstens das erstemal (1414) in der guten Absicht, 1. Abschnitt. Johann XXIII. zur Theilnahme an seinem Concil zu be- wegen; damals war es, als Kaiser und Papst auf dem hohen Thurm von Cremona das Panorama der Lombardie genossen, während ihren Wirth, den Stadttyrannen Gabrino Fondolo, das Gelüste ankam, beide herunter zu werfen. Das zweitemal erschien Sigismund völlig als Abenteurer; mehr als ein halbes Jahr hindurch saß er in Siena wie in einem Schuldgefängniß, und konnte nachher nur mit Noth zur Krönung in Rom gelangen. Was soll man vol- lends von Friedrich III. denken? seine Besuche in Italien Friedrich III. in Italien. haben den Character von Ferien- oder Erholungsreisen auf Unkosten derer, die ihre Rechte von ihm verbrieft haben wollten, oder solcher denen es schmeichelte einen Kaiser recht pomphaft zu bewirthen. So verhielt es sich mit Alfons von Neapel, der sich den kaiserlichen Besuch 150,000 Gold- gulden kosten ließ. Das Nähere bei Vespasiano Fiorent. p. 84. Vgl. 150. In Ferrara Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 215. s. hat Friedrich bei seiner zweiten Rückkehr von Rom (1469) einen ganzen Tag lang, ohne das Zimmer zu verlassen, lauter Beförderungen, acht- zig an der Zahl, ausgespendet; da ernannte er cavalieri, conti, dottori, Notare, und zwar conti mit verschiedenen Schattirungen, als da waren: conte palatino, conte mit dem Recht dottori, ja bis auf fünf dottori zu ernennen, conte mit dem Recht Bastarde zu legitimiren, Notare zu creiren, unehrliche Notare ehrlich zu erklären u. s. w. Nur verlangte sein Kanzler für die Ausfertigung der betreffenden Che fai? perchè non segui i primi antichi Cesari de' Romani, e che non siegui, Dico, gli Otti, i Corradi, i Federichi? E che pur tieni questo imperio in tregui? E se non hai lo cuor d'esser Augusto, Che nol rifiuti? o che non ti dilegui? etc. Cultur der Renaissance. 2 1. Abschnitt. Urkunden eine Erkenntlichkeit die man in Ferrara etwas stark fand. Haveria voluto scortigare la brigata. Was Herzog Borso dabei dachte, als sein kaiserlicher Gönner dergestalt urkundete und der ganze kleine Hof sich mit Titeln versah, wird nicht gemeldet. Die Hu- manisten, welche damals das große Wort führten, waren je nach den Interessen getheilt. Während die einen Annales Estenses, bei Murat. XX, Col. 41. den Kaiser mit dem conventionellen Jubel der Dichter des kaiser- lichen Roms feiern, weiß Poggio Poggii Hist. Florent. pop., L. VII, bei Murat. XX, Col. 381. gar nicht mehr, was die Krönung eigentlich sagen solle; bei den Alten sei ja nur ein siegreicher Imperator gekrönt worden und zwar mit Lorbeer. Das Kaiser- thum und die Intervention. Mit Maximilian I. beginnt dann eine neue kaiser- liche Politik gegen Italien, in Verbindung mit der allgemeinen Intervention fremder Völker. Der Anfang — die Belehnung des Lodovico Moro mit Beseitigung seines unglücklichen Neffen — war nicht von der Art, welche Segen bringt. Nach der modernen Interventionstheorie darf, wenn Zweie ein Land zerreißen wollen, auch ein Dritter kommen und mithalten, und so konnte auch das Kaiserthum sein Stück begehren. Aber von Recht u. dgl. mußte man nicht mehr reden. Als Ludwig XII. 1502 in Genua erwartet wurde, als man den großen Reichsadler von der Fronte des Hauptsaales im Dogenpalast wegtilgte und alles mit Lilien bemalte, frug der Geschichtschreiber Senarega Senarega, de reb. Genuens., bei Murat. XXIV, Col. 575. überall herum, was jener bei so vielen Revo- lutionen stets geschonte Adler eigentlich bedeute und was für Ansprüche das Reich auf Genua habe? Niemand wußte etwas anderes als die alte Rede: Genua sei eine camera imperii. Niemand wußte überhaupt in Italien irgend welchen sichern Bescheid über solche Fragen. Erst als Carl V. Spanien und das Reich zusammen besaß, konnte er mit 1. Abschnitt. spanischen Kräften auch kaiserliche Ansprüche durchsetzen. Aber was er so gewann, kam bekanntlich nicht dem Reiche, sondern der spanischen Macht zu Gute. Mit der politischen Illegitimität der Dynasten des Die uneheliche Erbfolge. XV. Jahrhunderts hing wiederum zusammen die Gleich- gültigkeit gegen die legitime Geburt, welche den Ausländern, z. B. einem Comines, so sehr auffiel. Sie ging gleichsam mit in den Kauf. Während man im Norden, im Haus Burgund etwa, den Bastarden eigene bestimmt abgegrenzte Apanagen, Bisthümer u. dgl. zuwies, während in Portugal eine Bastardlinie sich nur durch die größte Anstrengung auf dem Throne behauptete, war in Italien kein fürstliches Haus mehr, welches nicht in der Hauptlinie irgend eine unechte Descendenz gehabt und ruhig geduldet hätte. Die Arago- nesen von Neapel waren die Bastardlinie des Hauses, denn Aragon selbst erbte der Bruder des Alfons I. Der große Federigo von Urbino war vielleicht überhaupt kein Monte- feltro. Als Pius II. zum Congreß von Mantua (1459) reiste ritten ihm bei der Einholung in Ferrara ihrer acht Bastarde vom Haus Este entgegen, Aufgezählt im Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 203. Vgl. Pii II. Comment. II, p. 102. darunter der regierende Herzog Borso selbst und zwei uneheliche Söhne seines ebenfalls unehelichen Bruders und Vorgängers Leonello. Letzterer hatte außerdem eine rechtmäßige Gemahlin gehabt, und zwar eine uneheliche Tochter Alfons I. von Neapel von einer Africanerin. Marin Sanudo, vita de' duchi di Venezia, bei Murat. XXII, Col. 111 3 . Die Bastarde wurden auch schon deß- halb öfter zugelassen, weil die ehelichen Söhne minorenn und die Gefahren dringend waren; es trat eine Art von Seniorat ein, ohne weitere Rücksicht auf echte oder unechte 2* 1. Abschnitt. Geburt. Die Zweckmäßigkeit, die Geltung des Individuums und seines Talentes sind hier überall mächtiger als die Gesetze und Bräuche des sonstigen Abendlandes. War es Denkweise des XVI. Jahrh. doch die Zeit da die Söhne der Päpste sich Fürstenthümer gründeten! Im XVI. Jahrhundert unter dem Einfluß der Fremden und der beginnenden Gegenreformation wurde die ganze Angelegenheit strenger angesehen; Varchi findet, die Succession der ehelichen Söhne sei „von der Vernunft ge- boten und von ewigen Zeiten her der Wille des Himmels“. Varchi, stor. Fiorent. I, p. 8. Cardinal Ippolito Medici gründete sein Anrecht auf die Herrschaft über Florenz darauf, daß er aus einer vielleicht rechtmäßigen Ehe entsproßt, oder doch wenigstens Sohn einer Adlichen und nicht (wie der Herzog Alessandro) einer Dienstmagd sei. Soriano, relaz. di Roma 1533, bei Tommaso Gar, relazioni, p. 281. Jetzt beginnen auch die morganatischen Gefühlsehen, welche im XV. Jahrhundert aus sittlichen und politischen Gründen kaum einen Sinn gehabt hätten. Condottieren als Staaten- gründer. Die höchste und meistbewunderte Form der Illegitimität ist aber im XV. Jahrhundert der Condottiere, der sich — welches auch seine Abkunft sei — ein Fürstenthum erwirbt. Im Grunde war schon die Besitznahme von Unteritalien durch die Normannen im XI. Jahrhundert nichts anderes gewesen; jetzt aber begannen Projecte dieser Art die Halb- insel in dauernder Unruhe zu erhalten. Die Festsetzung eines Soldführers als Landesherrn konnte auch ohne Usurpation geschehen, wenn ihn der Brodherr aus Mangel an Geld mit Land und Leuten ab- fand; Für das Folgende vgl. Canestrini, in der Einleitung zu Tom. XV. des Archiv. stor. ohnehin bedurfte der Condottiere, selbst wenn er für den Augenblick seine meisten Leute entließ, eines sichern Ortes, wo er Winterquartier halten und die nothwendigsten Vorräthe bergen konnte. Das erste Beispiel eines so aus- 1. Abschnitt. gestatteten Bandenführers ist John Hawkwood, welcher von Papst Gregor XI. Bagnacavallo und Cotignola erhielt. Als aber mit Alberigo da Barbiano italienische Heere und Heerführer auf den Schauplatz traten, da kam auch die Gelegenheit viel näher, Fürstenthümer zu erwerben, oder wenn der Condottiere schon irgendwo Gewaltherrscher war, das Ererbte zu vergrößern. Das erste große Bacchanal dieser soldatischen Herrschbegier wurde gefeiert in dem Her- zogthum Mailand nach dem Tode des Giangaleazzo (1402); die Regierung seiner beiden Söhne (S. 13) ging haupt- sächlich mit der Vertilgung dieser kriegerischen Tyrannen dahin, und der größte derselben, Facino Cane, wurde sammt seiner Wittwe, sammt einer Reihe von Städten und 400,000 Goldgulden ins Haus geerbt; überdieß zog Bea- trice di Tenda die Soldaten ihres ersten Gemahls nach sich. Cagnola, archiv. stor. III, p. 28: et (Filippo Maria) da lei (Beatr.) ebbe molto texoro e dinari, e tutte le giente d'arme del dicto Facino, che obedivano a lei. Von dieser Zeit an bildete sich dann jenes über alle Maßen unmoralische Verhältniß zwischen den Regierungen und Verhältniß der Condottieren zum Brodherrn. ihren Condottieren aus, welches für das XV. Jahrhundert characteristisch ist. Eine alte Anecdote, Infessura, bei Eccard, scriptores II, Col. 1911. Die Alterna- tive, welche Macchiavell dem siegreichen Condottiere stellt, s. Dis- corsi, I, 30. von jenen die nirgends und doch überall wahr sind, schildert dasselbe un- gefähr so: Einst hatten die Bürger einer Stadt — es soll Siena gemeint sein — einen Feldherrn, der sie von feind- lichem Druck befreit hatte; täglich beriethen sie, wie er zu belohnen sei und urtheilten, keine Belohnung, die in ihren Kräften stände, wäre groß genug, selbst nicht wenn sie ihn zum Herrn der Stadt machten. Endlich erhob sich Einer und meinte: Laßt uns ihn umbringen und dann als 1. Abschnitt. Stadtheiligen anbeten. Und so sei man mit ihm verfahren ungefähr wie der römische Senat mit Romulus. In der That hatten sich die Condottieren vor Niemand mehr zu hüten als vor ihren Brodherren; kämpften sie mit Erfolg, so waren sie gefährlich und wurden aus der Welt geschafft wie Roberto Malatesta gleich nach dem Siege den er für Sixtus IV. erfochten (1482); beim ersten Unglück aber rächte man sich bisweilen an ihnen wie die Venezianer am Carmagnola (1432). Ob sie auch den Alviano 1516 vergiftet, und ob die dafür angege- benen Gründe richtig sind? vgl. Prato im Archiv. stor. III, p. 348. — Von Colleoni ließ sich die Republik zur Erbin einsetzen und nahm nach seinem Tode 1475 erst noch eine förmliche Confis- cation vor. Vgl. Malipiero, Annali Veneti, im Archiv. stor. VII, I, p. 244. Sie liebte es, wenn die Condottieren ihr Geld in Venedig anlegten, ibid. p. 351. Es zeichnet die Sachlage in mo- ralischer Beziehung, daß die Condottieren oft Weib und Kind als Geiseln geben mußten und dennoch weder Zu- trauen genossen noch selber empfanden. Sie hätten Heroen der Entsagung, Charactere wie Belisar sein müssen, wenn sich der tiefste Haß nicht in ihnen hätte sammeln sollen; nur die vollkommenste innere Güte hätte sie davon abhalten können, absolute Frevler zu werden. Und als solche, voller Hohn gegen das Heilige, voller Grausamkeit und Verrath gegen die Menschen, lernen wir manche von ihnen kennen, fast lauter Leute denen es nichts ausmachte, im päpstlichen Banne zu sterben. Zugleich aber entwickelt sich in manchen die Persönlichkeit, das Talent, bis zur höchsten Virtuosität und wird auch in diesem Sinne von den Soldaten aner- kannt und bewundert; es sind die ersten Armeen der neuern Geschichte wo der persönliche Credit des Anführers ohne Die Familie Sforza. weitere Nebengedanken die bewegende Kraft ist. Glänzend zeigt sich dieß z. B. im Leben des Francesco Sforza; Cagnola, im Archiv. stor. III, p. 121, s. da ist kein Standesvorurtheil, das ihn hätte hindern können, 1. Abschnitt. die allerindividuellste Popularität bei jedem Einzelnen zu erwerben und in schwierigen Augenblicken gehörig zu be- nützen; es kam vor, daß die Feinde bei seinem Anblick die Waffen weglegten und mit entblößtem Haupt ihn ehrerbietig grüßten, weil ihn jeder für den gemeinsamen „Vater der Kriegerschaft“ hielt. Dieses Geschlecht Sforza gewährt überhaupt das Interesse, daß man die Vorbereitung auf das Fürstenthum von Anfang an glaubt durchschimmern zu sehen. Wenigstens bei Paul. Jovius, in seiner Vita magni Sfortiæ (Viri illustres), einer der anziehendsten von seinen Biographien. Das Fundament dieses Glückes bildete die große Jacopo Sforza. Fruchtbarkeit der Familie; Francesco's bereits hochberühmter Vater Jacopo hatte zwanzig Geschwister, alle rauh erzogen in Cotignola bei Faenza, unter dem Eindruck einer jener endlosen romagnolischen Vendetten zwischen ihnen und dem Hause der Pasolini. Die ganze Wohnung war lauter Ar- senal und Wachtstube, auch Mutter und Töchter völlig kriegerisch. Schon im dreizehnten Jahre ritt Jacopo heim- lich von dannen, zunächst nach Panicale zum päpstlichen Condottiere Boldrino, demselben welcher dann noch im Tode seine Schaar anführte, indem die Parole von einem fahnen- umsteckten Zelte aus gegeben wurde, in welchem der ein- balsamirte Leichnam lag — bis sich ein würdiger Nachfolger fand. Jacopo, als er in verschiedenen Diensten allmählig emporkam, zog auch seine Angehörigen nach sich und genoß durch dieselben die nämlichen Vortheile, die einem Fürsten eine zahlreiche Dynastie verleiht. Diese Verwandten sind es, welche die Armee beisammen halten, während er im Castel dell 'uovo zu Neapel liegt; seine Schwester nimmt eigenhändig die königlichen Unterhändler gefangen und rettet ihn durch dieses Pfand vom Tode. Es deutet schon auf Seine Aus- sichten. Absichten von Dauer und Tragweite, daß Jacopo in Geld- sachen äußerst zuverlässig war und deßhalb auch nach 1. Abschnitt. Niederlagen Credit bei den Banquiers fand; daß er überall die Bauern gegen die Licenz der Soldaten schützte, und die Zerstörung eroberter Städte nicht liebte; vollends aber, daß er seine ausgezeichnete Concubine Lucia (die Mutter Fran- cesco's) an einen Andern verheirathete, um für einen fürst- lichen Ehebund verfügbar zu bleiben. Auch die Vermäh- lungen seiner Verwandten unterlagen einem gewissen Plan. Von der Gottlosigkeit und dem wüsten Leben seiner Fach- genossen hielt er sich ferne; die drei Lehren, womit er seinen Francesco in die Welt sandte, lauten: rühre keines Andern Weib an; schlage keinen von deinen Leuten oder, wenn es geschehen, schicke ihn weit fort; endlich: reite kein hartmäu- liges Pferd und keines das gerne die Eisen verliert. Vor Allem aber besaß er die Persönlichkeit wenn nicht eines großen Feldherrn doch eines großen Soldaten, einen mäch- tigen, allseitig geübten Körper, ein populäres Bauerngesicht, ein wunderwürdiges Gedächtniß, das alle Soldaten, alle ihre Pferde und ihre Soldverhältnisse von vielen Jahren her kannte und aufbewahrte. Seine Bildung war nur italienisch; alle Muße aber wandte er auf Kenntniß der Geschichte und ließ griechische und lateinische Autoren für Franc. Sforza und Giacomo Piccinino. seinen Gebrauch übersetzen. Francesco, sein noch ruhm- vollerer Sohn, hat von Anfang an deutlich nach einer großen Herrschaft gestrebt und das gewaltige Mailand durch glänzende Heerführung und unbedenklichen Verrath auch erhalten (1447—1450). Sein Beispiel lockte. Aeneas Sylvius Aen. Sylvius: De dictis et factis Alphonsi, Opera, Fol. 475. schrieb um diese Zeit: „in unserm veränderungslustigen Italien, wo nichts fest steht und keine alte Herrschaft existirt, können leicht aus Knechten Könige werden“. Einer aber, der sich selber „den Mann der Fortuna“ nannte, beschäftigte damals vor allen die Phantasie des ganzen Landes: Giacomo Pic- cinino, der Sohn des Nicol ò . Es war eine offene und brennende Frage: ob auch ihm die Gründung eines Fürsten- 1. Abschnitt. thumes gelingen werde oder nicht? Die größern Staaten hatten ein einleuchtendes Interesse es zu verhindern, und auch Francesco Sforza fand, es wäre vortheilhaft, wenn die Reihe der souverän gewordenen Soldführer mit ihm selber abschlösse. Aber die Truppen und Hauptleute, die Untergang des Letztern. man gegen Piccinino absandte, als er z. B. Siena hatte für sich nehmen wollen, erkannten Pii II. Comment. I, p. 46, vgl. 69 ihr eigenes Interesse darin, ihn zu halten: „Wenn es mit ihm zu Ende ginge, dann könnten wir wieder den Acker bauen“. Während sie ihn in Orbetello eingeschlossen hielten, verproviantirten sie ihn zugleich und er kam auf das Ehrenvollste aus der Klemme. Endlich aber entging er seinem Verhängniß doch nicht. Ganz Italien wettete was geschehen werde, als er (1465) von einem Besuch bei Sforza in Mailand nach Neapel zum König Ferrante reiste. Trotz aller Bürgschaften und hohen Verbindungen ließ ihn dieser im Castel nuovo ermorden. Sismondi X, p. 258. — Corio, Fol. 412, wo Sforza als mit- schuldig gilt, weil er von P.'s kriegerischer Popularität Gefahren für seine eigenen Söhne gefürchtet. — Storia Bresciana, bei Murat. XXI, Col. 902. — Wie man 1466 den venezianischen Groß- condottiere Colleoni in Versuchung führte, erzählt Malipiero, An- nali veneti, arch. stor. VII, I, p. 210. Auch die Condottieren, welche ererbte Staaten besaßen, fühlten sich doch nie sicher; als Roberto Malatesta und Federigo von Urbino (1482) an Einem Tage, jener in Rom, dieser in Bologna starben, fand es sich, daß Jeder im Sterben dem Andern seinen Staat empfehlen ließ! Allegretti, Diarii Sanesi, bei Murat. XXIII, p. 811. Gegen einen Stand der sich so Vieles erlaubte, schien Alles erlaubt. Francesco Sforza war noch ganz jung mit einer reichen calabresischen Erbin, Polissena Ruffa, Gräfin von Montalto, verheirathet worden, welche ihm ein Töchterchen 1 Abschnitt. gebar; eine Tante vergiftete die Frau und das Kind und zog die Erbschaft an sich. Orationes Philelphi, Fol. 9, in der Leichenrede auf Francesco. Spätere Ver- suche der Con- dottieren. Vom Untergang Piccinino's an galt das Aufkommen von neuen Condottierenstaaten offenbar als ein nicht mehr zu duldender Scandal; die vier „Großstaaten“ Neapel, Mailand, Kirche und Venedig schienen ein System des Gleichgewichtes zu bilden, welches keine jener Störungen mehr vertrug. Im Kirchenstaat, wo es von kleinen Tyran- nen wimmelte, die zum Theil Condottieren gewesen oder es noch waren, bemächtigten sich seit Sixtus IV. die Nepoten des Alleinrechtes auf solche Unternehmungen. Aber die Dinge brauchten nur irgendwo in's Schwanken zu gerathen, so meldeten sich auch die Condottieren wieder. Unter der kläglichen Regierung Innocenz VIII. war es einmal nahe daran, daß ein früher in burgundischen Diensten gewesener Hauptmann Boccalino sich mit sammt der Stadt Osimo, die er für sich genommen, den Türken übergeben hätte; Marin Sanudo, vite de' Duchi di Ven., bei Murat. XXII, Col. 1241. man mußte froh sein, daß er sich auf Vermittlung des Lorenzo magnifico hin mit Geld abfinden ließ und ab- zog. Im Jahr 1495, bei der Erschütterung aller Dinge in Folge des Krieges Carls VIII. versuchte sich ein Con- dottiere Vidovero von Brescia; Malipiero, Ann. Veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 407. er hatte schon früher die Stadt Cesena durch Mord vieler Edeln und Bürger ein- genommen, aber das Castell hielt sich und er mußte wieder fort; jetzt, begleitet von einer Truppe, die ihm ein anderer böser Bube, Pandolfo Malatesta von Rimini, Sohn des erwähnten Roberto und venezianischer Condottiere, abgetreten, nahm er dem Erzbischof von Ravenna die Stadt Castel- nuovo ab. Die Venezianer, welche Größeres besorgten und ohnehin vom Papst gedrängt wurden, befahlen dem Pan- dolfo „wohlmeinend“, den guten Freund bei Gelegenheit zu 1. Abschnitt. verhaften; es geschah, obwohl „mit Schmerzen“, worauf die Ordre kam, ihn am Galgen sterben zu lassen. Pan- dolfo hatte die Rücksicht, ihn erst im Gefängniß zu erdrosseln und dann dem Volk zu zeigen. — Das letzte bedeutendere Beispiel solcher Usurpationen ist der berühmte Castellan von Musso, der bei der Verwirrung im Mailändischen nach der Schlacht bei Pavia (1525) seine Souveränetät am Comer- see improvisirte. Im Allgemeinen läßt sich von den Gewaltherrschern Die kleineren Herrschaften. des XV. Jahrhunderts sagen, daß die schlimmsten Dinge in den kleinern und kleinsten Herrschaften am meisten sich häuften. Namentlich lagen hier für zahlreiche Familien, deren einzelne Mitglieder alle ranggemäß leben wollten, die Erbstreitigkeiten nahe; Bernardo Varano von Camerino schaffte (1434) zwei Brüder aus der Welt, Chron. Eugubinum, bei Murat. XXI, Col. 972. weil seine Söhne mit deren Erbe ausgestattet sein wollten. Wo ein bloßer Stadtherrscher sich auszeichnet durch practische, ge- mäßigte, unblutige Regierung und Eifer für die Cultur zugleich, da wird es in der Regel ein solcher sein, der zu einem großen Hause gehört oder von der Politik eines sol- chen abhängt. Dieser Art war z. B. Alessandro Sforza, Vespasiano Fiorent. p. 148. Fürst von Pesaro, Bruder des großen Francesco und Schwie- gervater des Federigo von Urbino (st. 1473). Als guter Verwalter, als gerechter und zugänglicher Regent genoß er nach langem Kriegsleben eine ruhige Regierung, sammelte eine herrliche Bibliothek und brachte seine Muße mit ge- lehrten und frommen Gesprächen zu. Auch Giovanni II. Bentivoglio von Bologna (1462—1506), dessen Politik von der der Este und Sforza bedingt war, läßt sich hieher zählen. Welche blutige Verwilderung dagegen finden wir in den 1. Abschnitt. Häusern der Varani von Camerino, der Malatesta von Rimini, der Manfreddi von Faenza, vor Allem der Baglioni von Perugia. Ueber die Ereignisse im Hause der letztern gegen Ende des XV. Jahrhunderts sind wir durch ausge- zeichnete Geschichtsquellen — die Chroniken des Graziani und des Matarazzo Archiv. stor. VXI, Parte I. et II. — besonders anschaulich unterrichtet. Die Baglionen von Perugia. Die Baglionen waren eines von jenen Häusern, deren Herrschaft sich nicht zu einem förmlichen Fürstenthum durch- gebildet hatte, sondern mehr nur in einem städtischen Primat bestand und auf großem Familienreichthum und thatsäch- lichem Einfluß auf die Aemterbesetzung beruhte. Innerhalb der Familie wurde Einer als Gesammtoberhaupt anerkannt; doch herrschte tiefer verborgener Haß zwischen den Mit- gliedern der verschiedenen Zweige. Ihnen gegenüber hielt sich eine gegnerische Adelspartei unter Anführung der Fa- milie Oddi; Alles ging (um 1487) in Waffen und alle Häuser der Großen waren voller Bravi; täglich gab es Gewaltthaten; bei Anlaß der Beerdigung eines ermordeten deutschen Studenten stellten sich zwei Collegien in Waffen gegeneinander auf; ja bisweilen lieferten sich die Bravi verschiedener Häuser Schlachten auf offener Piazza. Ver- gebens jammerten Kaufleute und Handwerker; die päpst- lichen Governatoren und Nepoten schwiegen oder machten Bertreibung der Oddi. sich bald wieder davon. Endlich müßen die Oddi Perugia verlassen und nun wird die Stadt eine belagerte Feste unter der vollendeten Gewaltherrschaft der Baglionen, wel- chen auch der Dom als Caserne dienen muß. Complotten und Ueberfällen wird mit furchtbarer Rache begegnet; nach- dem man (im J. 1491) 130 Eingedrungene zusammenge- hauen und am Staatspalast gehenkt, wurden auf der Piazza 35 Altäre errichtet und drei Tage lang Messen gelesen und Processionen gehalten um den Fluch von der Stätte weg- zunehmen. Ein Nepot Innocenz VIII. wurde am hellen Tage auf der Gasse erstochen, einer Alexanders VI. , der 1. Abschnitt. abgesandt war um zu schlichten, erntete nichts als offenen Hohn. Dafür hatten die beiden Häupter des regierenden Hauses Guido und Ridolfo häufige Unterredungen mit der heiligen wunderthätigen Dominicanernonne Suor Colomba von Rieti, welche unter Androhung großen künftigen Un- heils zum Frieden rieth, natürlich vergebens. Immerhin macht der Chronist bei diesem Anlaß aufmerksam auf die Andacht und Frömmigkeit der bessern Peruginer in diesen Schreckensjahren. Während (1494) Carl VIII. heranzog, führten die Baglionen und die in und um Assisi gelagerten Verbannten einen Krieg von solcher Art, daß im Thal alle Gebäude dem Boden eben, die Felder unbebaut lagen, die Bauern zu kühnen Räubern und Mördern verwilderten, und Hirsche und Wölfe das emporwuchernde Gestrüpp be- völkerten, wo letztere sich an den Leichen der Gefallenen, an „Christenfleisch“, gütlich thaten. Als Alexander VI. Absichten des Papstes. vor dem von Neapel zurückkehrenden Carl VIII. (1495) nach Umbrien entwich, fiel es ihm in Perugia ein, er könnte sich der Baglionen auf immer entledigen; er schlug dem Guido irgend ein Fest, ein Turnier oder etwas dergleichen vor, um sie irgendwo alle beisammen zu haben, aber Guido war der Meinung, „das allerschönste Schauspiel wäre, alle bewaffnete Mannschaft von Perugia beisammen zu sehen“, worauf der Papst seinen Plan fallen ließ. Bald darauf machten die Verbannten wieder einen Ueberfall, bei welchem nur der persönlichste Heldenmuth der Baglionen den Sieg gewann. Da wehrte sich auf der Piazza der achtzehnjährige Simonetto Baglione mit Wenigen gegen mehrere Hunderte, und stürzte mit mehr als zwanzig Wunden, erhob sich aber wieder, als ihm Astorre Baglione zu Hülfe kam, hoch zu Roß in vergoldeter Eisenrüstung mit einem Falken auf dem Helm; „dem Mars vergleichbar an Anblick und an Thaten sprengte er in das Gewühl.“ 1. Abschnitt. Damals war Rafael als zwölfjähriger Knabe in der Lehre bei Pietro Perugino. Vielleicht sind Eindrücke dieser Tage verewigt in den frühen kleinen Bildchen des heil. Georg und des heil. Michael; vielleicht lebt noch etwas davon unvergänglich fort in dem großen St. Michaelsbilde, und wenn irgendwo Astorre Baglione seine Verklärung ge- funden hat, so ist es geschehen in der Gestalt des himm- lischen Reiters im Heliodor. Zwietracht im Haus der Baglionen. Die Gegner waren theils umgekommen theils in pani- schem Schrecken gewichen, und fortan keines solchen Angriffes mehr fähig. Nach einiger Zeit wurde ihnen eine partielle Versöhnung und Rückkehr gewährt. Aber Perugia wurde nicht sicherer noch ruhiger; die innere Zwietracht des herr- schenden Hauses brach jetzt in entsetzlichen Thaten aus. Gegenüber Guido, Ridolfo und ihren Söhnen Gianpaolo, Simonetto, Astorre, Gismondo, Gentile, Marcantonio u. A. thaten sich zwei Großneffen, Grifone und Carlo Barciglia zusammen; letzterer zugleich Neffe des Fürsten Varano von Camerino und Schwager eines der früheren Verbannten, Jeronimo dalla Penna. Vergebens bat Simonetto, der schlimme Ahnungen hatte, seinen Oheim kniefällig, diesen Penna tödten zu dürfen, Guido versagte es ihm. Das Complott reifte plötzlich bei der Hochzeit des Astorre mit Peruginer Bluthochzeit. der Lavinia Colonna, Mitte Sommers 1500. Das Fest nahm seinen Anfang und dauerte einige Tage unter düstern Anzeichen, deren Zunahme bei Matarazzo vorzüglich schön geschildert ist. Der anwesende Varano trieb sie zusammen; in teuflischer Weise wurde dem Grifone die Alleinherrschaft und ein erdichtetes Verhältniß seiner Gemahlin Zenobia mit Gianpaolo vorgespiegelt und endlich jedem Verschworenen sein bestimmtes Opfer zugetheilt. (Die Baglionen hatten lauter geschiedene Wohnungen, meist an der Stelle des jetzigen Castells.) Von den vorhandenen Bravi bekam Jeder 15 Mann mit; der Rest wurde auf Wachen ausgestellt. In der Nacht vom 15. Juli wurden die Thüren eingerannt und der Mord an Guido, Astorre, Simonetto und Gis- 1. Abschnitt. mondo vollzogen; die Andern konnten entweichen. Als Astorre's Leiche mit der des Simonetto auf der Gasse lag, verglichen ihn die Zuschauer „und besonders die fremden Studenten“ mit einem alten Römer; so würdig und groß war der Anblick; in Simonetto fanden sie noch das Trotzigkühne, als hätte ihn selbst der Tod nicht ge- bändigt. Die Sieger gingen bei den Freunden der Familie herum und wollten sich empfehlen, fanden jedoch Alles in Thränen und mit der Abreise auf die Landgüter beschäftigt. Aber die entronnenen Baglionen sammelten draußen Mann- schaft, und drangen, Gianpaolo an der Spitze, des folgen- den Tages in die Stadt, wo andere Anhänger, so eben von Bareiglia mit dem Tode bedroht, schleunig zu ihm stießen; als bei S. Ercolano Grifone in seine Hände fiel, überließ er es seinen Leuten, ihn niederzumachen; Barciglia und Penna aber flüchteten sich nach Camerino zum Hauptanstifter des Unheils, Varano; in einem Augenblick, fast ohne Ver- lust, war Gianpaolo Herr der Stadt. Atalanta, Grifone's noch schöne und junge Mutter, Atalanta Ba- glione. die sich Tags zuvor sammt seiner Gattin Zenobia und zwei Kindern Gianpaolo's auf ein Landgut zurückgezogen und den ihr nacheilenden Sohn mehrmals mit ihrem Mutter- fluche von sich gewiesen, kam jetzt mit der Schwiegertochter herbei und suchte den sterbenden Sohn. Alles wich vor den beiden Frauen auf die Seite; Niemand wollte als der erkannt sein, der den Grifone erstochen hätte, um nicht die Verwünschung der Mutter auf sich zu ziehen. Aber man irrte sich; sie selber beschwor den Sohn, denjenigen zu ver- zeihen, welche die tödtlichen Streiche geführt, und er ver- schied unter ihren Segnungen. Ehrfurchtsvoll sahen die Leute den beiden Frauen nach, als sie in ihren blutigen Kleidern über den Platz schritten. Diese Atalanta ist es, für welche später Rafael die weltberühmte Grablegung ge- 1. Abschnitt. malt hat. Damit legte sie ihr eigenes Leid dem höchsten und heiligsten Mutterschmerz zu Füßen. Der Dom, welcher das meiste von dieser Tragödie in seiner Nähe gesehen, wurde mit Wein abgewaschen und neu geweiht. Noch immer stand von der Hochzeit her der Triumphbogen, bemalt mit den Thaten Astorre's und mit den Lobversen dessen, der uns dieses Alles erzählt, des guten Matarazzo. Es entstand eine ganz sagenhafte Vorgeschichte der Baglionen, welche nur ein Reflex dieser Gräuel ist. Alle von diesem Hause seien von jeher eines bösen Todes ge- storben, einst 27 miteinander; schon einmal seien ihre Häuser geschleift und mit den Ziegeln davon die Gassen gepflastert worden u. dgl. Unter Paul III. trat dann die Schleifung ihrer Paläste wirklich ein. Fortwirken des Fluches. Einstweilen aber scheinen sie gute Vorsätze gefaßt, in ihrer eignen Partei Ordnung geschafft und die Beamten gegen die adlichen Bösewichter geschützt zu haben. Allein der Fluch brach später doch wieder wie ein nur scheinbar gedämpfter Brand hervor; Gianpaolo wurde unter Leo X. 1520 nach Rom gelockt und enthauptet; der eine seiner Söhne, Orazio, der Perugia nur zeitweise und unter den gewaltsamsten Umständen besaß, nämlich als Parteigänger des ebenfalls von den Päpsten bedrohten Herzogs von Ur- bino, wüthete noch einmal im eigenen Hause auf das Gräßlichste. Ein Oheim und drei Vettern wurden ermordet, worauf ihm der Herzog sagen ließ, es sei jetzt genug. Varchi, stor. fiorent. I, p. 242, s. Sein Bruder Malatesta Baglione ist der florentinische Feld- herr, welcher durch den Verrath von 1530 unsterblich ge- worden, und dessen Sohn Ridolfo ist jener letzte des Hauses welcher in Perugia durch Ermordung des Legaten und der Beamten im Jahr 1534 eine nur kurze aber schreckliche 1. Abschnitt. Herrschaft übte. Den Gewaltherrschern von Rimini werden wir noch Die Malatesten von Rimini. hie und da begegnen. Frevelmuth, Gottlosigkeit, kriegerisches Talent und höhere Bildung sind selten so in einem Menschen vereinigt gewesen wie in Sigismondo Malatesta (st. 1467). Aber wo die Missethaten sich häufen wie in diesem Hause geschah, da gewinnen sie das Schwergewicht auch über alles Talent und ziehen die Tyrannen in den Abgrund. Der schon erwähnte Pandolfo, Sigismondo's Enkel, hielt sich nur noch weil Venedig seinen Condottiere trotz aller Ver- brechen nicht wollte fallen lassen; als ihn seine Unterthanen (1497) aus hinreichenden Gründen Malipiero, Ann. Veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 498 . in seiner Burg zu Rimini bombardirten und dann entwischen ließen, führte ein venezianischer Commissär den mit Brudermord und allen Gräueln befleckten wieder zurück. Nach drei Jahrzehnden waren die Malatesten arme Verbannte. Die Zeit um 1527 Untergang der Kleinen. war wie die des Cesare Borgia eine Epidemie für diese kleinen Dynastien, nur sehr wenige überlebten sie und nicht einmal zu ihrem Glück. In Mirandola, wo kleine Fürsten aus dem Hause Pico herrschten, saß im Jahr 1533 ein armer Gelehrter, Lilio Gregorio Giraldi, der aus der Ver- wüstung von Rom sich an den gastlichen Heerd des hoch- bejahrten Giovan Francesco Pico (Neffen des berühmten Giovanni) geflüchtet hatte; bei Anlaß ihrer Besprechungen über das Grabmal, welches der Fürst für sich bereiten wollte, entstand eine Abhandlung, Lil. Greg. Giraldus, de vario sepeliendi ritu . — Schon 1470 war in diesem Hause eine Miniaturkatastrophe vorgefallen, vgl. Diario Ferrarese , bei Murat. XXIV, Col. 225. deren Dedication vom April jenes Jahres datirt ist. Aber wie wehmüthig lautet die Nachschrift: „im October desselben Jahres ist der un- Cultur der Renaissance. 3 1. Abschnitt. glückliche Fürst durch nächtlichen Mord von seinem Bruder- sohn des Lebens und der Herrschaft beraubt worden, und ich selber bin in tiefem Elend kaum mit dem Leben davon- gekommen“. Eine characterlose Halbtyrannie, wie sie Pandolfo Pe- trucci seit den 1490er Jahren in dem von Factionen zer- rissenen Siena ausübte, ist kaum der nähern Betrachtung werth. Unbedeutend und böse, regierte er mit Hülfe eines Professors der Rechte und eines Astrologen und verbreitete hie und da einigen Schrecken durch Mordthaten. Sein Sommervergnügen war, Steinblöcke vom Monte Amiata herunter zu rollen, ohne Rücksicht darauf, was und wen sie trafen. Nachdem ihm gelingen mußte, was den Schlausten mißlang — er entzog sich den Tücken des Cesare Borgia — starb er doch später verlassen und verachtet. Seine Söhne aber hielten sich noch lange mit einer Art von Halbherrschaft. Die Aragonesen von Neapel. Alfons der Große. Von den wichtigern Dynastien sind die Aragonesen gesondert zu betrachten. Das Lehnswesen, welches hier seit der Normannenzeit als Grundherrschaft der Barone fort- dauert, färbt schon den Staat eigenthümlich, während im übrigen Italien, den südlichen Kirchenstaat und wenige andere Gegenden ausgenommen, fast nur noch einfacher Grundbesitz gilt und der Staat keine Befugnisse mehr erb- lich werden läßt. Sodann ist der große Alfons, welcher seit 1435 Neapel in Besitz genommen (st. 1458), von einer andern Art als seine wirklichen oder vorgeblichen Nach- kommen. Glänzend in seinem ganzen Dasein, furchtlos unter seinem Volke, von einer großartigen Liebenswürdigkeit im Umgang, und selbst wegen seiner späten Leidenschaft für Lucrezia d'Alagna nicht getadelt, sondern bewundert, hatte er die eine üble Eigenschaft der Verschwendung, Jovian. Pontan. de liberalitate , und: de obedientia, 1. 4 . Vgl. Sismondi X, p. 78, s . an welche sich dann die unvermeidlichen Folgen hingen. 1. Abschnitt. Frevelhafte Finanzbeamte wurden zuerst allmächtig, bis sie der bankerott gewordene König ihres Vermögens beraubte; ein Kreuzzug wurde gepredigt, um unter diesem Vorwand den Clerus zu besteuern; bei einem großen Erdbeben in den Abruzzen mußten die Ueberlebenden die Steuer für die Umgekommenen weiter bezahlen. Unter solchen Umständen war Alfons für hohe Gäste der prunkhafteste Wirth seiner Zeit (S. 17) und froh des unaufhörlichen Spendens an Jedermann, auch an Feinde; für literarische Bemühungen hatte er vollends keinen Maßstab mehr, so daß Poggio für die lateinische Uebersetzung von Xenophon's Cyropädie 500 Goldstücke erhielt. Ferrante, Tristano Caracciolo: de varietate fortunæ , bei Murat. XXII. — Jovian. Pontanus: de prudentia, 1. IV; de magnanimitate, 1. I.; de liberalitate, de immanitate. — Cam. Porzio, con- giura de' Baroni, passim. — Comines, Charles VIII, chap. 17 , mit der allgem. Characteristik der Aragonesen. der auf ihn kam, galt als sein Bastard Ferrante. von einer spanischen Dame, war aber vielleicht von einem valencianischen Marranen erzeugt. War es nun mehr das Geblüt oder die seine Existenz bedrohenden Complotte der Barone, was ihn düster und grausam machte, jedenfalls ist er unter den damaligen Fürsten der schrecklichste. Rastlos thätig, als einer der stärksten politischen Köpfe anerkannt, dabei kein Wüstling, richtet er alle seine Kräfte, auch die eines unversöhnlichen Gedächtnisses und einer tiefen Ver- stellung, auf die Zernichtung seiner Gegner. Beleidigt in allen Dingen, worin man einen Fürsten beleidigen kann, indem die Anführer der Barone mit ihm verschwägert und mit allen auswärtigen Feinden verbündet waren, gewöhnte er sich an das Aeußerste als an ein Alltägliches. Für die Sein Zwang- staat. Beschaffung der Mittel in diesem Kampfe und in seinen auswärtigen Kriegen wurde wieder etwa in jener moham- 3* 1. Abschnitt. medanischen Weise gesorgt, die Friedrich II. angewandt hatte: mit Korn und Oel handelte nur die Regierung; den Handel überhaupt hatte Ferrante in den Händen eines Ober- und Großkaufmanns, Francesco Coppola, centralisirt, welcher mit ihm den Nutzen theilte und alle Rheder in seinen Dienst nahm; Zwangsanleihen, Hinrichtungen und Confiscationen, grelle Simonie und Brandschatzung der geistlichen Corporationen beschufen das Uebrige. Nun über- ließ sich Ferrante außer der Jagd, die er rücksichtslos übte, zweierlei Vergnügungen: seine Gegner entweder lebend in wohlverwahrten Kerkern oder todt und einbalsamirt, in der Tracht die sie bei Lebzeiten trugen, Paul. Jovius, Histor. I, p. 14 , in der Rede eines mailändischen Gesandten; Diario Ferrarese , bei Murat. XXIV, Col. 294 . in seiner Nähe zu haben. Er kicherte, wenn er mit seinen Vertrauten von den Gefangenen sprach; aus der Mumiencollection wurde nicht einmal ein Geheimniß gemacht. Seine Opfer waren fast lauter Männer, deren er sich durch Verrath, ja an seiner königlichen Tafel bemächtigt. Völlig infernal war das Verfahren gegen den in Dienst grau und krank gewor- denen Premierminister Antonello Petrucci, von dessen wach- sender Todesangst Ferrante immerfort Geschenke annahm, bis endlich ein Anschein von Theilnahme an der letzten Baronenverschwörung den Vorwand gab zu seiner Verhaf- tung und Hinrichtung, zugleich mit Coppola. Die Art wie dieß Alles bei Caracciolo und Porzio dargestellt ist, Alfonso von Calabrien. macht die Haare sträuben. — Von den Söhnen des Königs genoß der ältere, Alfonso Herzog von Calabrien, in den spätern Zeiten eine Art Mitregierung; ein wilder, grau- samer Wüstling, der vor dem Vater die größere Offenheit voraus hatte, und sich auch nicht scheute, seine Verachtung gegen die Religion und ihre Bräuche an den Tag zu legen. Die bessern, lebendigen Züge des damaligen Tyrannenthums muß man bei diesen Fürsten nicht suchen; was sie von der damaligen Kunst und Bildung an sich nehmen, ist Luxus 1. Abschnitt. oder Schein. Schon die echten Spanier treten in Italien fast immer nur entartet auf, vollends aber zeigt der Aus- gang dieses Marranenhauses (1494 und 1503) einen augen- scheinlichen Mangel an Race. Ferrante stirbt vor innerer Sorge und Qual; Alfonso traut seinem eigenen Bruder Federigo, dem einzigen Guten der Familie, Verrath zu, und beleidigt ihn auf die unwürdigste Weise; endlich flieht Er, der bisher als einer der tüchtigsten Heerführer Italiens ge- golten, besinnungslos nach Sicilien und läßt seinen Sohn, den jüngern Ferrante, den Franzosen und dem allgemeinen Verrath zur Beute. Eine Dynastie, welche so regiert hatte wie diese, hätte allermindestens ihr Leben theuer verkaufen müssen, wenn ihre Kinder und Nachkommen eine Restau- ration hoffen sollten. Aber: jamais homme cruel ne fut hardi , wie Comines bei diesem Anlaß etwas einseitig und im Ganzen doch richtig sagt. Echt italienisch im Sinne des XV. Jahrhunderts er- Der letzte Bis- conti. scheint das Fürstenthum in den Herzogen von Mailand ausgebildet, deren Herrschaft seit Giangaleazzo schon eine völlig ausgebildete absolute Monarchie darstellt. Vor Allem ist der letzte Visconti, Filippo Maria (1412—1447) eine höchst merkwürdige, glücklicher Weise vortrefflich geschilderte Petri Candidi Decembrii Vita Phil. Mariae Vicecomitis , bei Murat. XX . Persönlichkeit. Was die Furcht aus einem Menschen von bedeutenden Anlagen in hoher Stellung machen kann, zeigt sich hier, man könnte sagen mathematisch vollständig; alle Mittel und Zwecke des Staates concentriren sich in dem einen der Sicherung seiner Person, nur daß sein grausamer Egoismus doch nicht in Blutdurst überging. Im Castell von Mailand, das die herrlichsten Gärten, Laubgänge und Tummelplätze mit umfaßte, sitzt er ohne die Stadt in vielen 1. Abschnitt. Jahren auch nur zu betreten; seine Ausflüge gehen nach den Landstädten, wo seine prächtigen Schlösser liegen; die Barkenflottille die ihn, von raschen Pferden gezogen, auf eigens gebauten Canälen dahin führt, ist für die Hand- habung der ganzen Etikette eingerichtet. Wer das Castell betrat, war hundertfach beobachtet; Niemand sollte auch nur am Fenster stehen, damit nicht nach außen gewinkt würde. Ein künstliches System von Prüfungen erging über die, welche zur persönlichen Umgebung des Fürsten gezogen werden sollten; diesen vertraute er dann die höchsten diplo- matischen wie die Lakaiendienste an, denn Beides war ja hier gleich ehrenvoll. Und dieser Mann führte lange, schwierige Kriege und hatte beständig große politische Dinge unter den Händen, d. h. er mußte unaufhörlich Leute mit umfassenden Vollmachten aussenden. Seine Sicherheit lag nun darin, daß keiner von diesen keinem traute, daß die Condottieren durch Spione und die Unterhändler und höhern Beamten durch künstlich genährte Zwietracht, namentlich durch Zusammenkoppelung je eines Guten und eines Bösen irre gemacht und auseinander gehalten wurden. Auch in seinem Innersten ist Filippo Maria bei den entgegengesetzten Polen der Weltanschauung versichert; er glaubt an Gestirne und an blinde Nothwendigkeit und betet zugleich zu allen Noth- helfern; er liest alte Autoren und französische Ritterromane. Und zuletzt hat derselbe Mensch, der den Tod nie wollte erwähnen hören Ihn ängstigte, quod aliquando „non esse“ necesse esset . und selbst seine sterbenden Günstlinge aus dem Castell schaffen ließ, damit Niemand in dieser Burg des Glückes erbleiche, durch Schließung einer Wunde und Verweigerung des Aderlasses seinen Tod absichtlich beschleunigt und ist mit Anstand und Würde gestorben. Franceseo Sforza. Sein Schwiegersohn und endlicher Erbe, der glückliche Condottiere Francesco Sforza (1450—1466, S. 24) war vielleicht von allen Italienern am Meisten der Mann nach 1. Abschnitt. dem Herzen des XV. Jahrhunderts. Glänzender als in ihm war der Sieg des Genies und der individuellen Kraft nirgends ausgesprochen, und wer das nicht anzuerkennen geneigt war, durfte doch immerhin den Liebling der Fortuna in ihm verehren. Mailand empfand es offenbar als Ehre, wenigstens einen so berühmten Herrscher zu erhalten; hatte ihn doch bei seinem Einritt das dichte Volksgedränge zu Pferde in den Dom hineingetragen, ohne daß er absteigen konnte. Corio, Fol. 400 ; — Cagnola, im Archiv. stor. III, p. 125 . Hören wir die Bilanz seines Lebens, wie sie Papst Pius II , ein Kenner in solchen Dingen, uns vor- Sein Glück. rechnet. Pii II. Comment. III, p. 130 . Vgl. II. 87. 106. Eine andere, noch mehr ins Düstere fallende Taration vom Glücke des Sforza giebt Caracciolo, de varietate fortunæ , bei Murat. XXII, Col. 74 . „Im Jahr 1459, als der Herzog zum Fürsten- congreß nach Mantua kam, war er 60 (eher 58) Jahre alt; als Reiter einem Jüngling gleich, hoch und äußerst imposant an Gestalt, von ernsten Zügen, ruhig und leut- selig im Reden, fürstlich im ganzen Benehmen, ein Ganzes von leiblicher und geistiger Begabung ohne Gleichen in unserer Zeit, im Felde unbesiegt — das war der Mann der von niedrigem Stande zur Herrschaft über ein Reich emporstieg. Seine Gemahlin war schön und tugendhaft, seine Kinder anmuthig wie Engel vom Himmel; er war selten krank; alle seine wesentlichen Wünsche erfüllten sich. Doch hatte auch er einiges Mißgeschick; seine Gemahlin tödtete ihm aus Eifersucht die Geliebte; seine alten Waffen- genossen und Freunde Troilo und Brunoro verließen ihn und gingen zu König Alfons über; einen andern, Ciar- pollone mußte er wegen Verrathes henken lassen; von seinem Bruder Alessandro mußte er erleben, daß derselbe einmal die Franzosen gegen ihn aufstiftete; einer seiner Söhne 1. Abschnitt. zettelte Ränke gegen ihn und kam in Haft; die Mark An- cona, die er im Krieg erobert, verlor er auch wieder im Krieg. Niemand genießt ein so ungetrübtes Glück, daß er nicht irgendwo mit Schwankungen zu kämpfen hätte. Der ist glücklich, der wenige Widerwärtigkeiten hat.“ Mit dieser negativen Definition des Glückes entläßt der gelehrte Papst seinen Leser. Wenn er hätte in die Zukunft blicken können oder auch nur die Consequenzen der völlig unbeschränkten Fürstenmacht überhaupt erörtern wollen, so wäre ihm eine durchgehende Wahrnehmung nicht entgangen: die Garantie- losigkeit der Familie. Jene engelschönen, überdieß sorgfältig und vielseitig gebildeten Kinder unterlagen, als sie Männer wurden, Galeazzo Maria. der ganzen Ausartung des schrankenlosen Egoismus. Galeazzo Maria (1466—1476), ein Virtuose der äußern Erscheinung, war stolz auf seine schöne Hand, auf die hohen Besoldun- gen die er bezahlte, auf den Geldcredit den er genoß, auf seinen Schatz von zwei Millionen Goldstücken, auf die namhaften Leute die ihn umgaben, und auf die Armee und die Vogeljagd die er unterhielt. Dabei hörte er sich gerne reden, weil er gut redete, und vielleicht am allerfließendsten wenn er etwa einen venezianischen Gesandten kränken konnte. Malipiero, Ann. veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 216. 221. Dazwischen aber gab es Launen wie z. B. die, ein Zimmer in einer Nacht mit Figuren ausmalen zu lassen; es gab entsetzliche Grausamkeiten gegen Nahestehende, und besin- nungslose Ausschweifung. Einigen Phantasten schien er alle Eigenschaften eines Tyrannen zu besitzen; sie brachten ihn um und lieferten damit den Staat in die Hände seiner Brüder, deren einer, Lodovico il Moro, nachher mit Ueber- gehung des eingekerkerten Neffen die ganze Herrschaft an sich riß. An diese Usurpation hängt sich dann die Inter- vention der Franzosen und das böse Schicksal von ganz Lodovico Moro. Italien. Der Moro ist aber die vollendetste fürstliche Cha- racterfigur dieser Zeit, und erscheint damit wieder wie ein Naturproduct, dem man nicht ganz böse sein kann. Bei 1. Abschnitt. der tiefsten Immoralität seiner Mittel erscheint er in deren Anwendung völlig naiv; er würde wahrscheinlich sich sehr verwundert haben, wenn ihm Jemand hätte begreiflich machen wollen, daß nicht nur für die Zwecke sondern auch für die Mittel eine sittliche Verantwortung existirt; ja er würde vielleicht seine möglichste Vermeidung aller Bluturtheile als eine ganz besondere Tugend geltend gemacht haben. Den halbmythischen Respect der Italiener vor seiner politischen Force nahm er wie einen schuldigen Tribut Chron. venetum , bei Murat. XXIV, Col. 65 . an; noch 1496 rühmte er sich: Papst Alexander sei sein Caplan, Kaiser Max sein Condottiere, Venedig sein Kämmerer, der König von Frankreich sein Courier, der da kommen und gehen müsse wie ihm beliebe. Malipiero, Ann. Veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 492 . Vgl. 481. 561. Mit einer erstaunlichen Besonnenheit wägt er noch in der letzten Noth (1499) die möglichen Ausgänge ab, und verläßt sich dabei, was ihm Ehre macht, auf die Güte der menschlichen Natur; seinen Bruder Cardinal Ascanio, der sich erbietet, im Castell von Mailand auszuharren, weist er ab, da sie früher bittern Streit gehabt hatten: „Monsignore, nichts für ungut, Euch traue ich nicht, wenn Ihr schon mein Bruder seid“ — be- reits hatte er sich einen Commandanten für das Castell, diese „Bürgschaft seiner Rückkehr“ ausgesucht, einen Mann, dem er nie Uebles, stets nur Gutes erwiesen. Seine letzte Unterredung mit demselben, echt und merkwürdig, bei Senarega, Murat. XXIV, Col . 567. Derselbe verrieth dann gleichwohl die Burg. — Im Innern war Innere Regie- rung. der Moro bemüht, gut und nützlich zu walten, wie er denn in Mailand und auch in Como noch zuletzt auf seine Be- liebtheit rechnete; doch hatte er in den spätern Jahren (seit 1496) die Steuerkraft seines Staates übermäßig an- 1. Abschnitt. gestrengt und z. B. in Cremona einen angesehenen Bürger, der gegen die neuen Auflagen redete, aus lauter Zweck- mäßigkeit insgeheim erdrosseln lassen; auch hielt er sich seitdem bei Audienzen die Leute durch eine Barre weit vom Leibe, Diario Ferrarese , bei Murat. XXIV, Col. 336. 367. 369 . Das Volk glaubte, er thesaurire. sodaß man sehr laut reden mußte, um mit ihm zu verhandeln. — An seinem Hofe, dem glanzvollsten von Europa da kein burgundischer mehr vorhanden war, ging es äußerst unsittlich her; der Vater gab die Tochter, der Gatte die Gattin, der Bruder die Schwester Preis. Corio, Fol. 448 . Die Nachwirkungen dieses Zustandes sind beson- ders kenntlich in den auf Mailand bezüglichen Novellen und Intro- ductionen der Bandello. Allein der Fürst wenigstens blieb immer thätig und fand sich als Sohn seiner Thaten Denjenigen verwandt, welche ebenfalls aus eigenen geistigen Mitteln existirten: den Gelehrten, Dichtern, Musikern und Künstlern. Die von ihm gestiftete Academie Amoretti, memorie storiche sulla vita ecc. di Lionardo da Vinci, p. 35, s. 83, s . ist in erster Linie in Bezug auf ihn, nicht auf eine zu unterrichtende Schülerschaft vorhanden; auch bedarf er nicht des Ruhmes der betreffenden Männer, sondern ihres Umganges und ihrer Leistungen. Es ist gewiß, daß Bramante am Anfang schmal gehalten wurde; S. dessen Sonette bei Trucchi, Poesie inedite . aber Lio- nardo ist doch bis 1496 richtig besoldet worden — und was hielt ihn überhaupt an diesem Hofe wenn er nicht freiwillig blieb? Die Welt stand ihm offen wie vielleicht überhaupt Keinem von allen damaligen Sterblichen, und wenn irgend Etwas dafür spricht, daß in Lodovico Moro ein höheres Element lebendig gewesen, so ist es dieser lange Aufenthalt des räthselhaften Meisters in seiner Umgebung. Wenn Lionardo später dem Cesare Borgia und Franz I. gedient hat, so mag er auch an diesen das außergewöhnliche 1. Abschnitt. Naturell geschätzt haben. Von den Söhnen des Moro, die nach seinem Sturz Die letzten Sforza. von fremden Leuten schlecht erzogen waren, sieht ihm der ältere, Massimiliano, gar nicht mehr ähnlich; der jüngere, Francesco, war wenigstens des Aufschwunges nicht unfähig. Mailand, das in diesen Zeiten so viele Male die Gebieter wechselte und dabei unendlich litt, sucht sich wenigstens gegen die Reactionen zu sichern; die im Jahre 1512 vor der spanischen Armee und Massimiliano abziehenden Franzosen werden bewogen, der Stadt einen Revers darüber auszu- stellen, daß die Mailänder keinen Theil an ihrer Vertreibung hätten und ohne Rebellion zu begehen sich einem neuen Eroberer übergeben dürften. Prato, im Archiv. stor. III, p. 298 . vgl. 302. Es ist auch in politischer Beziehung zu beachten, daß die unglückliche Stadt in solchen Augenblicken des Ueberganges, gerade wie z. B. Neapel bei der Flucht der Aragonesen, der Plünderung durch Rotten von Bösewichtern (auch sehr vornehmen) anheimzufallen pflegte. Zwei besonders wohl geordnete und durch tüchtige Die Gonzagen von Mantua. Fürsten vertretene Herrschaften sind in der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts die der Gonzagen von Mantua und der Montefeltro von Urbino. Die Gonzagen waren schon als Familie ziemlich einträchtig; es gab bei ihnen seit langer Zeit keine geheimen Mordthaten und sie durften ihre Todten zeigen. Marchese Francesco Gonzaga Geb. 1466, verlobt mit der sechsjährigen Isabella 1480, succedirt 1484, vermählt 1490, st. 1519; Isabellens Tod 1539. Ihre Söhne Federigo 1519—1540, zum Herzog erhoben 1530, und der berühmte Ferrante Gonzaga . Das Folgende aus der Correspondenz Isabellens, nebst Beilagen, Archiv. stor. Append. Tom. II , mit- getheilt von d'Arco. und seine 1. Abschnitt. Gemahlin Isabella von Este sind, so locker es bisweilen hergehen mochte, ein würdevolles und einiges Ehepaar ge- blieben und haben bedeutende und glückliche Söhne erzogen in einer Zeit, da ihr kleiner, aber hochwichtiger Staat oft in der größten Gefahr schwebte. Daß Francesco als Fürst und als Condottiere eine besonders gerade und redliche Politik hätte befolgen sollen, das würde damals weder der Kaiser, noch die Könige von Frankreich, noch Venedig ver- langt oder gar erwartet haben, allein er fühlte sich wenig- stens seit der Schlacht am Taro (1495), soweit es die Waffenehre betraf, als italienischen Patrioten und theilte diese Gesinnung auch seiner Gemahlin mit. Sie empfindet fortan jede Aeußerung heldenmüthiger Treue, wie z. B. die Vertheidigung von Faenza gegen Cesare Borgia als eine Ehrenrettung Italiens. Unser Urtheil über sie braucht sich nicht auf die Künstler und Schriftsteller zu stützen, welche der schönen Fürstin ihr Mäcenat reichlich vergalten; ihre eigenen Briefe schildern uns die unerschütterlich ruhige, im Beobachten schalkhafte und liebenswürdige Frau hinlänglich. Bembo, Bandello, Ariosto und Bernardo Tasso sandten ihre Arbeiten an diesen Hof, obschon derselbe klein und macht- los und die Kasse oft sehr leer war; einen feinern ge- selligen Kreis als diesen gab es eben seit der Auflösung des alten urbinatischen Hofes (1508) doch nirgends mehr, und auch der ferraresische war wohl hier im Wesentlichen übertroffen, nämlich in der Freiheit der Bewegung. Specielle Kennerin war Isabella in der Kunst, und das Verzeichniß ihrer kleinen, höchst ausgesuchten Sammlung wird kein Kunstfreund ohne Bewegung lesen. Federigo von Urbino. Urbino besaß in dem großen Federigo (1444—1482), mochte er nun ein echter Montefeltro sein oder nicht, einen der vortrefflichsten Repräsentanten des Fürstenthums. Als Condottiere hatte er die politische Moralität der Condottieren, woran sie nur zur Hälfte Schuld sind; als Fürst seines kleinen Landes befolgte er die Politik, seinen auswärts ge- 1. Abschnitt. wonnenen Sold im Lande zu verzehren und dasselbe mög- lichst wenig zu besteuern. Von ihm und seinen beiden Nachfolgern Guidobaldo und Francesco Maria heißt es: „sie errichteten Gebäude, beförderten den Anbau des Landes, lebten an Ort und Stelle und besoldeten eine Menge Leute; das Volk liebte sie“. Franc. Vettori, im Archiv. stor. Append. Tom. VI, p. 321. — Ueber Federigo insbesondere: Vespasiano Fiorent. p. 132. s. Aber nicht nur der Staat war ein wohl berechnetes und organisirtes Kunstwerk, sondern auch der Hof, und zwar in jedem Sinne. Federigo unterhielt Der vollkom- mene Hof. 500 Köpfe; die Hofchargen waren so vollständig wie kaum an den Höfen der größten Monarchen, aber es wurde nichts vergeudet, Alles hatte seinen Zweck und seine genaue Con- trole. Hier wurde nicht gespielt, gelästert und geprahlt, denn der Hof mußte zugleich eine militärische Erziehungs- anstalt für die Söhne anderer großer Herrn darstellen, deren Bildung eine Ehrensache für den Herzog war. Der Palast, den er sich baute, war nicht der prächtigste, aber classisch durch die Vollkommenheit seiner Anlage; dort sam- melte er seinen größten Schatz, die berühmte Bibliothek. Da er sich in einem Lande wo Jeder von ihm Vortheil oder Verdienst zog und Niemand bettelte, vollkommen sicher fühlte, so ging er beständig unbewaffnet und fast unbegleitet; keiner konnte ihm das nachmachen, daß er in offenen Gär- ten wandelte, in offenem Sale sein frugales Mahl hielt, während aus Livius (zur Fastenzeit aus Andachtsschriften) vorgelesen wurde. An demselben Nachmittag hörte er eine Vorlesung aus dem Gebiet des Alterthums und ging dann in das Kloster der Clarissen um mit der Oberin am Sprach- gitter von heiligen Dingen zu reden. Abends leitete er gerne die Leibesübungen der jungen Leute seines Hofes auf der Wiese bei S. Francesco mit der herrlichen Aussicht, und sah genau zu, daß sie sich bei den Fang- und Lauf- 1. Abschnitt. spielen vollkommen bewegen lernten. Sein Streben ging beständig auf die höchste Leutseligkeit und Zugänglichkeit; er besuchte die welche für ihn arbeiteten, in der Werkstatt, gab beständig Audienzen, und erledigte die Anliegen der Einzelnen womöglich am gleichen Tage. Kein Wunder, daß die Leute, wenn er durch die Straßen ging, nieder- knieten und sagten: Dio ti mantenga, Signore ! Die Denkenden aber nannten ihn das Licht Italiens. Castiglione, Cortigiano, L. I. — Guidobaldo. Sein Sohn Guidobaldo, bei hohen Eigenschaften von Krank- heit und Unglück aller Art verfolgt, hat doch zuletzt (1508) seinen Staat in sichere Hände, an seinen Neffen Francesco Maria, zugleich Nepoten des Papstes Julius II. übergeben können, und dieser wiederum das Land wenigstens vor dauernder Fremdherrschaft geborgen. Merkwürdig ist die Sicherheit, mit welcher diese Fürsten, Guidobaldo vor Ce- sare Borgia, Francesco Maria vor den Truppen Leo's X. unterducken und fliehen; sie haben das Bewußtsein, daß ihre Rückkehr um so leichter und erwünschter sein werde, je weniger das Land durch fruchtlose Vertheidigung gelitten hat. Wenn Lodovico Moro ebenfalls so rechnete, so vergaß er die vielen andern Gründe des Hasses die ihm entgegen- wirkten. — Guidobaldo's Hof ist als hohe Schule der feinsten Geselligkeit durch Baldassar Castiglione unsterblich gemacht worden, der seine Ecloge Tirsi (1506) vor jenen Leuten zu ihrem Lobe aufführte, und später (1518) die Gespräche seines Cortigiano in den Kreis der hochgebildeten Herzogin (Glisabetta Gonzaga) verlegte. Die Este in Ferrara. Hausgräuel. Die Regierung der Este in Ferrara, Modena und Reggio hält zwischen Gewaltsamkeit und Popularität eine merkwürdige Mitte. Das Folgende bes. nach den Annales Estenses bei Muratori, XX. und dem Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV. Im Innern des Palastes gehen ent- setzliche Dinge vor; eine Fürstin wird wegen vorgeblichen 1. Abschnitt. Ehebruches mit einem Stiefsohn enthauptet (1425); eheliche und uneheliche Prinzen fliehen vom Hof und werden auch in der Fremde durch nachgesandte Mörder bedroht (letzteres 1471); dazu beständige Complotte von außen; der Bastard eines Bastardes will dem einzig rechtmäßigen Erben (Ercole I. ) die Herrschaft entreißen; später (1493) soll der letztere seine Gemahlin vergiftet haben nachdem er erkundet, daß sie ihn vergiften wollte, und zwar im Auftrag ihres Bruders Ferrante von Neapel. Den Schluß dieser Tragödien macht das Complott zweier Bastarde gegen ihre Brüder, den re- gierenden Herzog Alfons I. und den Cardinal Ippolito (1506) welches bei Zeiten entdeckt und mit lebenslänglichem Kerker gebüßt wurde. — Ferner ist die Fiscalität in diesem Staate Fiscalität. höchst ausgebildet und muß es sein schon weil er der be- drohteste unter allen großen und mittlern Staaten von Italien ist und der Rüstungen und Befestigungen in hohem Grade bedarf. Allerdings sollte in gleichem Maße mit der Steuerkraft auch der natürliche Wohlstand des Landes ge- steigert werden, und Marchese Nicol ò (st. 1441) wünschte ausdrücklich, daß seine Unterthanen reicher würden als an- dere Völker. Wenn die rasch wachsende Bevölkerung einen Beleg für den wirklich erreichten Wohlstand abgiebt, so ist es in der That ein wichtiges Factum, daß (1497) in der außerordentlich erweiterten Hauptstadt keine Häuser mehr zu vermiethen waren. Diario Ferr. l. c. Col. 347. Ferrara ist die erste moderne Stadt Europa's; hier zuerst entstanden auf den Wink der Fürsten so große, regelmäßig angelegte Quartiere; hier sammelte sich durch Concentration der Beamtenschaft und künstlich herbeigezogene Industrie ein Residenzvolk; reiche Flüchtlinge aus ganz Italien, zumal Florentiner, wurden veranlaßt, sich hier anzusiedeln und Paläste zu bauen. Allein die in- directe Besteuerung wenigstens muß einen eben nur noch 1. Abschnitt. erträglichen Grad von Ausbildung erreicht haben. Der Fürst übte wohl eine Fürsorge, wie sie damals auch bei andern italienischen Gewaltherrschern, z. B. bei Galeazzo Maria Sforza vorkam: bei Hungersnöthen ließ er Getreide aus der Ferne kommen Paul. Jovius: vita Alfonsi ducis, in den viri illustres. und theilte es, wie es scheint, umsonst aus; allein in gewöhnlichen Zeiten hielt er sich schad- los durch das Monopol wenn nicht des Getreides doch vieler andern Lebensmittel: Salzfleisch, Fische, Früchte, Ge- müse, welche letztere auf und an den Wällen von Ferrara Aemterverkauf. sorgfältig gepflanzt wurden. Die bedenklichste Einnahme aber war die von dem Verkauf der jährlich neu besetzten Aemter, ein Gebrauch der durch ganz Italien verbreitet war, nur daß wir über Ferrara am besten unterrichtet sind. Zum Neujahr 1502 heißt es z. B.: Die Meisten kauften ihre Aemter um gesalzene Preise ( salati ); es werden Factoren verschiedener Art, Zolleinnehmer, Domänenverwalter ( mas- sarî ), Notare, Podest à s, Richter und selbst Capitani, d. h. herzogliche Oberbeamte von Landstädten einzeln angeführt. Als einer von den „Leutefressern“, welche ihr Amt theuer bezahlt haben und welche das Volk haßt „mehr als den Teufel“, ist Tito Strozza genannt, hoffentlich nicht der be- rühmte lateinische Dichter. Um dieselbe Jahreszeit pflegte der jeweilige Herzog in Person eine Runde durch Ferrara zu machen, das sog. Andar per ventura, wobei er sich wenigstens von den Wohlhabendern beschenken ließ. Doch wurde dabei kein Geld, sondern nur Naturalien gespendet. Ordnung und Berechnung. Der Stolz des Herzogs Paul. Jovius l. c. war es nun, wenn man in ganz Italien wußte, daß in Ferrara den Soldaten ihr Sold, den Professoren der Universität ihr Gehalt immer auf den Tag ausbezahlt wurde, daß die Soldaten sich nie- mals eigenmächtig am Bürger und Landmann erholen durften, daß Ferrara uneinnehmbar sei und daß im Castell eine gewaltige Summe gemünzten Geldes liege. Von einer 1. Abschnitt. Scheidung der Kassen war keine Rede; der Finanzminister war zugleich Hausminister. Die Bauten des Borso (1450—1471) Ercole I. (bis 1505) und Alfons I. (bis 1534) waren sehr zahlreich, aber meist von geringem Umfang; man er- kennt darin ein Fürstenhaus, das bei aller Prachtliebe — Borso erschien nie anders als in Goldstoff und Juwelen — sich auf keine unberechenbare Ausgabe einlassen will. Alfonso mag von seinen zierlichen kleinen Villen ohnehin gewußt haben, daß sie den Ereignissen unterliegen würden, Belvedere mit seinen schattigen Gärten, wie Montana mit den schönen Fresken und Springbrunnen. Die dauernd bedrohte Lage entwickelte in diesen Fürsten Ausbildung der Persönlichkeit. unläugbar eine große persönliche Tüchtigkeit; in einer so künstlichen Existenz konnte sich nur ein Virtuose mit Erfolg bewegen, und Jeder mußte sich rechtfertigen und erweisen als den der die Herrschaft verdiene. Ihre Charactere haben sämmtlich große Schattenseiten, aber in Jedem war etwas von dem was das Ideal der Italiener ausmachte. Welcher Fürst des damaligen Europa's hat sich so sehr um die eigene Ausbildung bemüht wie z. B. Alfonso I. ? Seine Reise nach Frankreich, England und den Niederlanden war eine eigentliche Studienreise, die ihm eine genauere Kennt- niß von Handel und Gewerben jener Länder eintrug. Bei diesem Anlaß mag auch die Reise Leo's X. als Cardinal er- wähnt werden. Vgl. Paul. Jovii vita Leonis X, Lib. I. Die Absicht war minder ernst, mehr auf Zerstreuung und allgemeine Welt- kenntniß gerichtet, übrigens völlig modern. Kein Nordländer reiste damals wesentlich zu solchen Zwecken. Es ist thöricht, ihm die Drechslerarbeit seiner Erholungs- stunden vorzuwerfen, da sie mit seiner Meisterschaft im Kanonengießen und mit seiner vorurtheilslosen Art, die Meister jedes Faches um sich zu haben, zusammenhing. Die italienischen Fürsten sind nicht wie die gleichzeitigen nordischen Cultur der Renaissance. 4 1. Abschnitt. auf den Umgang mit einem Adel angewiesen, der sich für die einzige beachtenswerthe Classe der Welt hält und auch den Fürsten in diesen Dünkel hineinzieht; hier darf und muß der Fürst Jeden kennen und brauchen, und ebenso ist auch der Adel zwar der Geburt nach abgeschlossen, aber in geselliger Beziehung durchaus auf persönliche, nicht auf Kasten-Geltung gerichtet, wovon unten weiter zu handeln sein wird. Loyalität. Die Stimmung der Ferraresen gegen dieses Herrscher- haus ist die merkwürdigste Mischung aus einem stillen Grauen, aus jenem echtitalienischen Geist der wohlausge- sonnenen Demonstration, und aus völlig moderner Unter- thanenloyalität; die persönliche Bewunderung schlägt in ein neues Pflichtgefühl um. Die Stadt Ferrara setzte 1451 dem (1441) verstorbenen Fürsten Nicol ò eine eherne Reiter- statue auf der Piazza; Borso genirte sich (1454) nicht, seine eigene sitzende Bronzestatue in die Nähe zu setzen, und über- dieß decretirte ihm die Stadt gleich am Anfang seiner Re- gierung eine „marmorne Triumphsäule“. Ein Ferrarese, der im Auslande, in Venedig, über Borso öffentlich schlecht geredet, wird bei der Heimkehr denuncirt und vom Gericht zu Verbannung und Gütereinziehung verurtheilt, ja beinahe hätte ihn ein loyaler Bürger vor dem Tribunal niederge- stoßen; mit dem Strick um den Hals geht er zum Herzog, Polizei und Be- amtencontrole. und erfleht völlige Verzeihung. Ueberhaupt ist dieß Fürsten- thum mit Spähern gut versehen, und der Herzog in Person prüft täglich den Fremdenrapport, auf welchen die Wirthe streng verpflichtet sind. Bei Borso Jovian. Pontan. de liberalitate. wird dieß noch in Verbindung gebracht mit seiner Gastfreundschaft, die keinen bedeutenden Reisenden ungeehrt wollte ziehen lassen; für Ercole I. Giraldi, Hecatommithi, VI, Nov. 1. dagegen war es reine Sicherheitsmaßregel. Auch in Bologna mußte damals, unter Giovanni II. Bentivoglio, jeder durchpassirende Fremde an dem einen Thor einen 1. Abschnitt. Zettel lösen um wieder zum andern hinauszudürfen. Vasari XII, 166, v. di Michelangelo. — Höchst populär wird der Fürst, wenn er drückende Beamte plötzlich zu Boden schmettert, wenn Borso seine ersten und geheimsten Räthe in Person verhaftet, wenn Ercole I. einen Einnehmer, der sich lange Jahre hindurch vollgesogen, mit Schanden absetzt; da zündet das Volk Freudenfeuer an und läutet die Glocken. Mit Einem ließ es aber Ercole zu weit kommen, mit seinem Polizeidirector oder wie man ihn nennen will ( capitaneo di giustizia ) Gregorio Zampante aus Lucca (denn für Stellen dieser Art eignete sich kein Einheimischer). Selbst die Söhne und Brüder des Herzogs zitterten vor demselben; seine Bußen gingen immer in die Hunderte und Tausende von Ducaten und die Tortur be- gann schon vor dem Verhör. Von den größten Verbrechern ließ er sich bestechen und verschaffte ihnen durch Lügen die herzogliche Begnadigung. Wie gerne hätten die Unterthanen dem Herzog 10,000 Ducaten und drüber bezahlt, wenn er diesen Feind Gottes und der Welt cassirt hätte! Aber Er- cole hatte ihn zu seinem Gevatter und zum Cavaliere ge- macht, und der Zampante legte Jahr um Jahr 2000 Du- caten bei Seite; freilich aß er nur noch Tauben, die im Hause gezogen wurden und ging nicht mehr über die Gasse ohne eine Schaar von Armbrustschützen und Sbirren. Es wäre Zeit gewesen, ihn zu beseitigen; da machten ihn (1496) zwei Studenten und ein getaufter Jude, die er tödtlich be- leidigt, in seinem Hause während der Siesta nieder und ritten auf bereit gehaltenen Pferden durch die Stadt, sin- gend: „Heraus, Leute, laufet! wir haben den Zampante umgebracht.“ Die nachgesandte Mannschaft kam zu spät, als sie bereits über die nahe Gränze in Sicherheit gelangt Theilnahme des Publicums an der Trauer der Fürsten. waren. Natürlich regnete es nun Pasquille, die einen als Sonette, die andern als Canzonen. — Andererseits ist es 4* 1. Abschnitt. ganz im Geiste dieses Fürstenthums, daß der Souverän seine Hochachtung vor nützlichen Dienern auch dem Hof und der Bevölkerung dictirt. Als 1469 Borso's Geheim- rath Lodovico Casella starb, durfte am Begräbnißtage kein Tribunal und keine Bude in der Stadt und kein Hörsaal in der Universität offen stehen; Jedermann sollte die Leiche nach S. Domenico begleiten, weil auch der Herzog mitziehen würde. In der That schritt er — „der erste vom Haus Este, der einem Unterthan an die Leiche gegangen“ — in schwarzem Gewande weinend hinter dem Sarge her, hinter ihm je ein Verwandter Casella's von einem Herrn vom Hof geführt; Adliche trugen dann die Leiche des Bürger- lichen aus der Kirche in den Kreuzgang, wo sie beigesetzt wurde. Ueberhaupt ist das officielle Mitempfinden fürst- licher Gemüthsbewegungen zuerst in diesen italienischen Staaten aufgekommen. Ein frühes Beispiel, Bernab ò Visconti, S. 11. Der Kern hievon mag seinen schönen mensch- lichen Werth haben, die Aeußerung, zumal bei den Dichtern, ist in der Regel zweideutig. Eines der Jugendgedichte Ariosto's, Als Capitolo 19, und in den opere minori, ed. Lemonnier, Vol. I, p . 245 als Elegia 17 betitelt. Ohne Zweifel war dem 19jährigen Dichter die Ursache dieses Todesfalles (S. 47) nicht bekannt. auf den Tod der Lianora von Aragon, Ge- mahlin des Ercole I., enthält, außer den unvermeidlichen Trauerblumen wie sie in allen Jahrhunderten gespendet werden, schon einige völlig moderne Züge: „dieser Todes- fall habe Ferrara einen Schlag versetzt, den es in vielen Jahren nicht verwinden werde; seine Wohlthäterin sei jetzt Fürbitterin im Himmel geworden, da die Erde ihrer nicht würdig gewesen; freilich, die Todesgöttin sei ihr nicht wie uns gemeinen Sterblichen mit blutiger Sense genaht, son- dern geziemend ( onesta ) und mit so freundlichem Antlitz, Verherrlichung fürstlicher Lieb- schaften. daß jede Furcht verschwand.“ Aber wir treffen noch auf ganz andere Mitgefühle; Novellisten, welchen an der Gunst der betreffenden Häuser alles liegen mußte und welche auf diese Gunst rechnen, erzählen uns die Liebesgeschichten der 1. Abschnitt. Fürsten zum Theil bei deren Lebzeiten, In den Hecatommithi des Giraldi handeln I, Nov. 8 und VI, Nov. 1, 2, 3, 4 und 10 von Ercole I, Alfonso I, und Ercole II, Alles verfaßt bei Lebzeiten der beiden letztern — Vieles über fürstliche Zeitgenossen auch im Bandello. in einer Weise die spätern Jahrhunderten als der Gipfel aller Indiscretion, damals als harmlose Verbindlichkeit erschien. Ja lyrische Dichter bedichteten die beiläufigen Passionen ihrer hohen, dabei legitim vermählten Herrn, Angelo Poliziano die des Lorenzo magnifico, und mit besonderem Accent Gioviano Pontano die des Alfonso von Calabrien. Das betreffende Gedicht U. a. in den Deliciæ poetar. italor. verräth wider Willen die scheußliche Seele des Aragonesen; er muß auch in diesem Gebiete der Glücklichste sein, sonst wehe denen die glücklicher wären! — Daß die größten Maler, z. B. Lionardo, die Maitressen ihrer Herrn malten, versteht sich von selbst. Das estensische Fürstenthum wartete aber nicht die Der Pomp der Este. Verherrlichung durch Andere ab, sondern es verherrlichte sich selbst. Borso ließ sich im Palazzo Schifanoja in einer Reihe von Regentenhandlungen abmalen und Ercole feierte (zuerst 1472) den Jahrestag seines Regierungsantrittes mit einer Procession welche ausdrücklich mit der des Frohn- leichnamsfestes verglichen wird; alle Buden waren geschlossen wie an einem Sonntag; mitten im Zuge marschirten alle vom Haus Este, auch die Bastarde, in Goldstoff. Daß alle Macht und Würde vom Fürsten ausgehe, eine persönliche Auszeichnung von seiner Seite sei, war an diesem Hofe schon längst Bereits 1367 bei Nicol ò dem Aeltern erwähnt, im Polistore, bei Murat. XXIV, Col. 848. versinnbildlicht durch einen Orden vom goldenen Sporn, der mit dem mittelalterlichen Ritterthum nichts mehr zu thun hatte. Ercole I. gab zum Sporn noch einen Degen, 1. Abschnitt. einen goldgestickten Mantel und eine Dotation, wofür ohne Zweifel eine regelmäßige Aufwartung verlangt wurde. Das Mäcenat. Das Mäcenat wofür dieser Hof weltberühmt geworden ist, knüpfte sich theils an die Universität, welche zu den vollständigsten Italiens gehörte, theils an den Hof- und Staatsdienst; besondere Opfer wurden dafür kaum gebracht. Bojardo gehörte als reicher Landedelmann und hoher Be- amter durchaus nur in diese Sphäre; als Ariost anfing etwas zu werden, gab es, wenigstens in der wahren Be- deutung, keinen mailändischen und keinen florentinischen, bald auch keinen urbinatischen Hof mehr, von Neapel nicht zu reden, und er begnügte sich mit einer Stellung neben den Musikern und Gauklern des Cardinals Ippolito, bis ihn Alfonso in seine Dienste nahm. Anders war es später mit Torquato Tasso, auf dessen Besitz der Hof eine wahre Eifersucht zeigte. Reste der alten Parteien. Gegenüber von dieser concentrirten Fürstenmacht war jeder Widerstand innerhalb des Staates erfolglos. Die Elemente zur Herstellung einer städtischen Republik waren für immer aufgezehrt, Alles auf Macht und Gewaltübung orientirt. Der Adel, politisch rechtlos auch wo er noch feudalen Besitz hatte, mochte sich und seine Bravi als Guelfen und Ghibellinen eintheilen und costumiren, sie die Feder am Barett oder die Bauschen an den Hosen Burigozzo, im Archiv. stor. III, p. 432. so oder anders tragen lassen — die Denkenden wie z. B. Macchiavell Discorsi I, 17. wußten ein für allemal, daß Mailand oder Neapel für eine Republik zu „corrumpirt“ waren. Es kommen wunderbare Gerichte über jene vorgeblichen zwei Parteien, die längst nichts mehr als alte, im Schatten der Gewalt am Spalier gezogene Familiengehässigkeiten waren. Ein italienischer Fürst, welchem Agrippa von Nettesheim De incert. et vanitate scientiar. cap. 55. 1. Abschnitt. die Aufhebung derselben anrieth, antwortete: ihre Händel tragen mir ja bis 12000 Ducaten Bußgelder jährlich ein! — Und als z. B. im Jahr 1500 während der kurzen Rück- kehr des Moro in seine Staaten die Guelfen von Tortona einen Theil des nahen französischen Heeres in ihre Stadt riefen, damit sie den Ghibellinen den Garaus machten, plünderten und ruinirten die Franzosen zunächst allerdings diese, dann aber auch die Guelfen selbst, bis Tortona völlig verwüstet war. Prato, im Archiv. stor. III, p. 241. — Auch in der Romagna, wo jede Leiden- schaft und jede Rache unsterblich waren, hatten jene beiden Namen den politischen Inhalt vollkommen eingebüßt. Es gehörte mit zum politischen Irrsinn des armen Volkes, daß die Guelfen hie und da sich zur Sympathie für Frank- reich, die Ghibellinen für Spanien verpflichtet glaubten. Ich sehe nicht, daß die welche diesen Irrsinn ausbeuteten, besonders weit damit gekommen wären. Frankreich hat Italien nach allen Interventionen immer wieder räumen müssen und was aus Spanien geworden ist, nachdem es Italien umgebracht hat, das greifen wir mit den Händen. Doch wir kehren zum Fürstenthum der Renaissance Die Verschwö- rungen. zurück. Eine vollkommen reine Seele hätte vielleicht auch damals raisonnirt, daß alle Gewalt von Gott sei, und daß diese Fürsten, wenn Jeder sie gutwillig und aus redlichem Herzen unterstütze, mit der Zeit gut werden und ihren ge- waltsamen Ursprung vergessen müßten . Aber von leiden- schaftlichen, mit schaffender Gluth begabten Phantasien und Gemüthern ist dieß nicht zu verlangen. Sie sahen, wie schlechte Aerzte, die Hebung der Krankheit in der Beseitigung des Symptoms und glaubten, wenn man die Fürsten er- morde, so gebe sich die Freiheit von selber. Oder sie dachten auch nicht so weit, und wollten nur dem allgemein ver- 1. Abschnitt. breiteten Haß Luft machen, oder nur eine Rache für Fa- milienunglück oder persönliche Beleidigungen üben. So wie die Herrschaft eine unbedingte, aller gesetzlichen Schranken entledigte, so ist auch das Mittel der Gegner ein unbeding- tes. Schon Boccaccio sagt es offen: De casibus virorum illustrium, L. II, cap. 15. „Soll ich den Ge- waltherrn König, Fürst heißen und ihm Treue bewahren als meinem Obern? Nein! denn er ist Feind des ge- meinen Wesens. Gegen ihn kann ich Waffen, Verschwörung, Späher, Hinterhalt, List gebrauchen; das ist ein heiliges, nothwendiges Werk. Es giebt kein lieblicheres Opfer als Tyrannenblut“. Die einzelnen Hergänge dürfen uns hier nicht beschäftigen; Macchiavell hat in einem allbekannten Capitel Discorsi III, 6. Womit storie fior. L. VIII. zu vergleichen. seiner Discorsi die antiken und modernen Ver- schwörungen von der alten griechischen Tyrannenzeit an be- handelt und sie nach ihrer verschiedenen Anlage und ihren Chancen ganz kaltblütig beurtheilt. Nur zwei Bemerkungen: über die Mordthaten beim Gottesdienst und über die Ein- wirkung des Alterthums mögen hier gestattet sein. Der Kirchen- mord. Es war fast unmöglich, der wohlbewachten Gewalt- herrscher anderswo habhaft zu werden als bei feierlichen Kirch- gängen, vollends aber war eine ganze fürstliche Familie bei keinem andern Anlaß beisammenzutreffen. So ermor- deten die Fabrianesen Corio, fol. 333. Das folgende ibid. fol. 305. 422, s. 440. (1435) ihr Tyrannenhaus, die Chiavelli, während eines Hochamtes, und zwar laut Abrede bei den Worten des Credo: Et incarnatus est. In Mai- land wurde (1412) Herzog Giovan Maria Visconti am Eingang der Kirche S. Gottardo, (1476) Herzog Galeazzo Maria Sforza in der Kirche S. Stefano ermordet, und Lodovico Moro entging einst (1484) den Dolchen der An- hänger der verwittweten Herzogin Bona nur dadurch, daß er die Kirche S. Ambrogio durch eine andere Thür betrat als dieselben erwartet hatten. Eine besondere Impietät 1. Abschnitt. war dabei nicht beabsichtigt; die Mörder Galeazzo's beteten noch vor der That zu dem Heiligen der betreffenden Kirche und hörten noch die erste Messe daselbst. Doch war es bei der Verschwörung der Pazzi gegen Lorenzo und Giuliano Medici (1478) eine Ursache des theilweisen Mißlingens, daß der Bandit Montesecco sich zwar für die Ermordung bei einem Gastmahl verdungen hatte, den Vollzug im Dom von Florenz dagegen verweigerte; an seiner Stelle verstan- den sich dann Geistliche dazu, „welche der heiligen Orte gewohnt waren und sich deßhalb nicht scheuten.“ So das Citat aus Gallus, bei Sismondi XI, 93. Was das Alterthum betrifft, dessen Einwirkung auf Einwirkung des Alterthums. die sittlichen und speciell auf die politischen Fragen noch öfter berührt werden wird, so gaben die Herrscher selbst das Beispiel, indem sie in ihrer Staatsidee sowohl als in ihrem Benehmen das alte römische Imperium oft ausdrück- lich zum Vorbild nahmen. Ebenso schlossen sich nun ihre Gegner, sobald sie mit theoretischer Besinnung zu Werke gingen, den antiken Tyrannenmördern an. Es wird schwer zu beweisen sein, daß sie in der Hauptsache, im Entschluß zur That selbst, durch dieß Vorbild seien bestimmt worden, aber reine Phrase und Stylsache blieb die Berufung auf das Alterthum doch nicht. Die merkwürdigsten Aufschlüsse sind über die Mörder Galeazzo Sforza's, Lampugnani, Olgiati und Visconti vorhanden. Corio, fol. 422. — Allegretto, Diarî Sanesi, bei Murat. XXIII, Col. 777. Sie hatten alle drei ganz persönliche Motive und doch kam der Entschluß viel- leicht aus einem allgemeinern Grunde. Ein Humanist und Lehrer der Eloquenz, Cola de' Montani, hatte unter einer Schaar von sehr jungen mailändischen Adlichen eine unklare Begier nach Ruhm und nach großen Thaten für das Vater- land entzündet und war endlich gegen die zwei erstgenannten 1. Abschnitt. mit dem Gedanken einer Befreiung Mailands herausgerückt. Bald kam er in Verdacht, wurde ausgewiesen und mußte die Jünglinge ihrem lodernden Fanatismus überlassen. Etwa Der Stadtpatron. zehn Tage vor der That verschworen sie sich feierlich im Kloster S. Ambrogio; „dann, sagt Olgiati, in einem abge- legenen Raum vor einem Bilde des heiligen Ambrosius er- hob ich meine Augen und flehte ihn um Hülfe für uns und sein ganzes Volk“. Der himmlische Stadtpatron soll die That schützen, gerade wie nachher S. Stephan in dessen Kirche sie geschieht. Nun zogen sie noch viele Andere halb in die Sache hinein, hatten im Hause Lampugnani ihr all- nächtliches Hauptquartier und übten sich mit Dolchscheiden im Stechen. Die That gelang, aber Lampugnani wurde gleich von den Begleitern des Herzogs niedergemacht und die andern ergriffen. Visconti zeigte Reue, Olgiati blieb trotz aller Tortur dabei, daß die That ein Gott wohlge- fälliges Opfer gewesen und sagte noch während ihm der Henker die Brust einschlug: Nimm dich zusammen, Giro- lamo! man wird lange an dich denken; der Tod ist bitter, der Ruhm ewig! Catilinarier. So ideal aber die Vorsätze und Absichten hier sein moch- ten, so schimmert doch aus der Art und Weise wie die Ver- schwörung betrieben wird, das Bild gerade des heillosesten aller Conspiratoren hervor, der mit der Freiheit gar nichts gemein hat: des Catilina. Die Jahrbücher von Siena sagen ausdrücklich, die Verschwörer hätten den Sallust studirt, und aus Olgiati's eigenem Bekenntniß erhellt es mittelbar. Man vergleiche in dem eigenen Bericht Olgiati's, bei Corio, einen Satz wie folgenden: Quisque nostrum magis socios potissime et infinitos alios sollicitare, infestare, alter alteri benevolos se facere cœpit. Aliquid aliquibus parum donare; simul ma- gis noctu edere, bibere, vigilare, nostra omnia bona polli- ceri, etc. Auch sonst werden wir diesem furchtbaren Namen wieder begegnen. Für das geheime Complottiren gab es eben 1. Abschnitt. doch, wenn man vom Zweck absah, kein so einladendes Muster mehr wie dieses. Bei den Florentinern, so oft sie sich der Medici ent- Florenz und die Tyrannen. ledigten oder entledigen wollten, galt der Tyrannenmord als ein offen zugestandenes Ideal. Nach der Flucht der Medici im J. 1494 nahm man aus ihrem Palast Dona- tello's Bronzegruppe Vasari, III, 251, Nota, zur v. di. Donatello. der Judith mit dem todten Holofernes und setzte sie vor den Signorenpalast an die Stelle wo jetzt Michelangelo's David steht, mit der Inschrift: exemplum salutis publicæ cives posuere 1495. Ganz besonders aber berief man sich jetzt auf den jüngern Brutus, der noch bei Dante Inferno XXXIV, 64. mit Cassius und Judas Ischarioth im unter- sten Schlund der Hölle steckt weil er das Imperium ver- rathen. Pietro Paolo Boscoli, dessen Verschwörung gegen Giuliano, Giovanni und Giulio Medici (1513) mißlang, hatte im höchsten Grade für Brutus geschwärmt und sich vermessen ihn nachzuahmen wenn er einen Cassius fände; als solcher hatte sich ihm dann Agostino Capponi ange- schlossen. Seine letzten Reden im Kerker, Aufgezeichnet von dem Ohrenzeugen Luca della Robbia, Archiv. stor. I, p. 273. Vgl. Paul. Jovius, vita Leonis X, L. III, in den Viri illustres. eines der wich- tigsten Actenstücke über den damaligen Religionszustand zeigen mit welcher Anstrengung er sich jener römischen Phantasien wieder entledigte, um christlich zu sterben. Ein Freund und der Beichtvater müssen ihn versichern, S. Tho- mas von Aquino verdamme die Verschwörungen überhaupt, aber der Beichtvater hat in späterer Zeit demselben Freunde insgeheim eingestanden, S. Thomas mache eine Distinction und erlaube die Verschwörung gegen einen Tyrannen, der sich dem Volk gegen dessen Willen mit Gewalt aufgedrungen. 1. Abschnitt. Als Lorenzino Medici den Herzog Alessandro (1537) um- gebracht und sich geflüchtet hatte, erschien eine wahrscheinlich echte, mindestens in seinem Auftrag verfaßte Apologie Bei Roscoe, vita di Lorenzo de' Medici, vol. IV, Beilage 12. der That, worin er den Tyrannenmord an sich als das verdienstlichste Werk preist; sich selbst vergleicht er, auf den Fall daß Alessandro wirklich ein echter Medici und also (wenn auch weitläufig) mit ihm verwandt gewesen, unge- scheut mit Timoleon, dem Brudermörder aus Patriotismus. Andere haben auch hier den Vergleich mit Brutus gebraucht, und daß selbst Michelangelo noch ganz spät Gedanken dieser Art nachgehangen hat, darf man wohl aus seiner Brutus- büste (in den Uffizien) schließen. Er ließ sie unvollendet wie fast alle seine Werke, aber gewiß nicht weil ihm der Mord Cäsar's zu schwer auf das Herz gefallen, wie das darunter angebrachte Distichon meint. Das Volk u. die Verschwörer. Einen Massenradicalismus, wie er sich gegenüber den neuern Monarchien ausgebildet hat, würde man in den Fürsten- staaten der Renaissance vergebens suchen. Jeder Einzelne pro- testirte wohl in seinem Innern gegen das Fürstenthum, aber er suchte viel eher sich leidlich oder vortheilhaft unter demselben einzurichten als es mit vereinten Kräften anzugreifen. Es mußte schon so weit kommen wie damals in Camerino, in Fabriano, in Rimini (S. 33), bis eine Bevölkerung ihr regierendes Haus zu vertilgen oder zu verjagen unternahm. Auch wußte man in der Regel zu gut, daß man nur den Herrn wechseln würde. Das Gestirn der Republiken war entschieden im Sinken. Untergang der freien Städte. Einst hatten die italienischen Städte in höchstem Grade jene Kraft entwickelt, welche die Stadt zum Staate macht. Es bedurfte nichts weiter als daß sich diese Städte zu einer großen Föderation verbündeten; ein Gedanke, der in Italien immer wiederkehrt, mag er im Einzelnen bald mit diesen 1. Abschnitt. bald mit jenen Formen bekleidet sein. In den Kämpfen des XII. und XIII. Jahrhunderts kam es wirklich zu großen, kriegerisch gewaltigen Städtebünden, und Sismondi ( II. 174) glaubt, die Zeit der letzten Rüstungen des Lombardenbundes gegen Barbarossa (seit 1168) wäre wohl der Moment ge- wesen, da eine allgemeine italienische Föderation sich hätte bilden können. Aber die mächtigern Städte hatten bereits Characterzüge entwickelt, welche dieß unmöglich machten: sie erlaubten sich als Handelsconcurrenten die äußersten Mittel gegen einander, und drückten schwächere Nachbar- städte in rechtlose Abhängigkeit nieder; d. h. sie glaubten am Ende doch einzeln durchzukommen und des Ganzen nicht zu bedürfen, und bereiteten den Boden vor für jede andere Gewaltherrschaft. Diese kam, als innere Kämpfe zwischen den Adelsparteien unter sich und mit den Bürgern die Sehnsucht nach einer festen Regierung weckten und die schon vorhandenen Soldtruppen jede Sache um Geld unterstützten, nachdem die einseitige Parteiregierung schon längst das all- gemeine Bürgeraufgebot unbrauchbar zu finden gewohnt war. Ueber letztern Punkt s. Jac. Nardi, vita di Ant. Giacomini, p. 18. Die Tyrannis verschlang die Freiheit der meisten Städte; hie und da vertrieb man sie, aber nur halb, oder nur auf kurze Zeit; sie kam immer wieder, weil die innern Bedingungen für sie vorhanden und die entgegenstrebenden Kräfte aufgebraucht waren. Unter den Städten welche ihre Unabhängigkeit bewahr- ten, sind zwei für die ganze Geschichte der Menschheit von höchster Bedeutung: Florenz, die Stadt der beständigen Bewegung, welche uns auch Kunde hinterlassen hat von allen Gedanken und Absichten der Einzelnen und der Ge- sammtheit, die drei Jahrhunderte hindurch an dieser Be- wegung theilnahmen; dann Venedig, die Stadt des schein- 1. Abschnitt. baren Stillstandes und des politischen Schweigens. Es sind die stärksten Gegensätze die sich denken lassen, und beide sind wiederum mit nichts auf der Welt zu vergleichen. Venedig. Venedig erkannte sich selbst als eine wunderbare, ge- heimnißvolle Schöpfung, in welcher noch etwas Anderes als Menschenwitz von jeher wirksam gewesen. Es gab einen Mythus von der feierlichen Gründung der Stadt: am 25. März 413 um Mittag hätten die Uebersiedler aus Padua den Grundstein gelegt am Rialto, damit eine un- angreifbare, heilige Freistätte sei in dem von den Barbaren zerrissenen Italien. Spätere haben in die Seele dieser Gründer alle Ahnungen der künftigen Größe hineingelegt; M. Antonio Sabellico, der das Ereigniß in prächtig strö- menden Hexametern gefeiert hat, läßt den Priester, der die Stadtweihe vollzieht, zum Himmel rufen: „Wenn wir einst Großes wagen, dann gieb Gedeihen! jetzt knien wir nur vor einem armen Altar, aber wenn unsere Gelübde nicht umsonst sind, so steigen Dir, o Gott, hier einst hun- dert Tempel von Marmor und Gold empor!” Genethliacon, in seinen carmina. — Vgl. Sansovino, Venezia, fol. 203. — Die älteste venezian. Chronik, bei Pertz, Monum. IX, p. 5. 6. verlegt die Gründung der Inselorte erst in die longobar- dische Zeit und die von Rialto ausdrücklich noch später. — Die Die Stadt. Inselstadt selbst erschien zu Ende des XV. Jahrhunderts wie das Schmuckkästchen der damaligen Welt. Derselbe Sabellico schildert sie als solches De situ venetæ urbis. mit ihren uralten Kup- pelkirchen, schiefen Thürmen, incrustirten Marmorfassaden, mit ihrer ganz engen Pracht, wo die Vergoldung der Decken und die Vermiethung jedes Winkels sich mit einander ver- trugen. Er führt uns auf den dichtwogenden Platz vor S. Giacometto am Rialto, wo die Geschäfte einer Welt sich nicht durch lautes Reden oder Schreien, sondern nur durch ein vielstimmiges Summen verrathen, wo in den 1. Abschnitt. Portiken Diese ganze Gegend wurde dann durch die Neubauten des beginnen- den XVI. Jahrh. verändert. ringsum und in denen der anstoßenden Gassen die Wechsler und die Hunderte von Goldschmieden sitzen, über ihren Häuptern Läden und Magazine ohne Ende; jenseits von der Brücke beschreibt er den großen Fondaco der Deutschen, in dessen Hallen ihre Waaren und ihre Leute wohnen, und vor welchem stets Schiff an Schiff im Canal liegt; von da weiter aufwärts die Wein- und Oelflotte und parallel damit am Strande, wo es von Facchinen wimmelt, die Gewölbe der Händler; dann vom Rialto bis auf den Marcusplatz die Parfümeriebuden und Wirthshäuser. So geleitet er den Leser von Quartier zu Quartier bis hinaus zu den beiden Lazarethen, welche mit zu den Instituten hoher Zweckmäßigkeit gehörten, die man nur hier so aus- gebildet vorfand. Fürsorge für die Leute war überhaupt ein Kennzeichen der Venezianer, im Frieden wie im Kriege, wo ihre Verpflegung der Verwundeten, selbst der feindlichen, für Andere ein Gegenstand des Erstaunens war. Benedictus: Carol. VIII, bei Eccard, scriptores, II, Col. 1597. 1601. 1621. — Im Chron. Venetum, Murat. XXIV, Col. 26. sind die politischen Tugenden der Venezianer aufgezählt: bontà, innocenza, zelo di carità, pietà, misericordia. Was irgend öffentliche Anstalt hieß, konnte in Venedig sein Muster finden; auch das Pensionswesen wurde systematisch gehandhabt, sogar in Betreff der Hinterlassenen. Reichthum, politische Sicherheit und Weltkenntniß hatten hier das Nach- denken über solche Dinge gereift. Diese schlanken, blonden Die Einwohner. Leute mit dem leisen, bedächtigen Schritt und der beson- nenen Rede, unterschieden sich in Tracht und Auftreten nur wenig von einander; den Putz, besonders Perlen, hingen sie ihren Frauen und Mädchen an. Damals war das all- gemeine Gedeihen, trotz großer Verluste durch die Türken, 1. Abschnitt. noch wahrhaft glänzend; aber die aufgesammelte Energie und das allgemeine Vorurtheil Europa's genügten auch später noch, um Venedig selbst die schwersten Schläge lange überdauern zu lassen: die Entdeckung des Seeweges nach Ostindien, den Sturz der Mamelukenherrschaft von Aegypten und den Krieg der Liga von Cambray. Der Staat. Sabellico, der aus der Gegend von Tivoli gebürtig und an das ungenirte Redewerk der damaligen Philologen gewöhnt war, bemerkt an einem andern Orte Epistolæ, lib. V, fol. 28. mit einigem Erstaunen, daß die jungen Nobili, welche seine Morgen- vorlesungen hörten, sich gar nicht auf das Politisiren mit ihm einlassen wollten: „wenn ich sie frage, was die Leute von dieser oder jener Bewegung in Italien dächten, sprächen und erwarteten, antworten sie mir alle mit Einer Stimme, sie wüßten nichts”. Man konnte aber von dem demorali- sirten Theil des Adels trotz aller Staatsinquisition mancherlei Die Verräther. erfahren, nur nicht so wohlfeilen Kaufes. Im letzten Viertel des XV. Jahrhunderts gab es Verräther in den höchsten Behörden; Malipiero, ann. Veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 377. 431. 481. 493. 530. II, p. 661. 668. 679. — Chron. venetum, bei Murat. XXIV. Col. 57. — Diario Ferrarese, ib. Col. 240. die Päpste, die italienischen Fürsten, ja ganz mittelmäßige Condottieren im Dienst der Republik hatten ihre Zuträger, zum Theil mit regelmäßiger Besoldung; es war so weit gekommen, daß der Rath der Zehn für gut fand, dem Rath der Pregadi wichtigere politische Nach- richten zu verbergen, ja man nahm an daß Lodovico Moro in den Pregadi über eine ganz bestimmte Stimmenzahl ver- füge. Ob das nächtliche Aufhenken einzelner Schuldigen und die hohe Belohnung der Angeber (z. B. sechszig Du- caten lebenslängliche Pension) viel fruchteten, ist schwer zu sagen; eine Hauptursache, die Armuth vieler Nobili, ließ sich nicht plötzlich beseitigen. Im J. 1492 betrieben zwei Nobili einen Vorschlag, der Staat solle jährlich 70,000 Du- 1. Abschnitt. caten zur Vertröstung derjenigen armen Adlichen auswerfen welche kein Amt hätten; die Sache war nahe daran vor den großen Rath zu kommen, wo sie eine Majorität hätte erhalten können — als der Rath der Zehn noch zu rechter Zeit eingriff und die beiden auf Lebenszeit nach Nicosia auf Cypern verbannte. Malipiero, im Arch. stor. VII, II. p. 691. Vgl. 694. 713 und I, 535. Um diese Zeit wurde ein So- ranzo auswärts als Kirchenräuber gehenkt, und ein Con- tarini wegen Einbruchs in Ketten gelegt; ein anderer von derselben Familie trat 1499 vor die Signorie und jammerte, er sei seit vielen Jahren ohne Amt, habe nur 16 Ducaten Einkünfte und 9 Kinder, dazu 60 Ducaten Schulden, ver- stehe kein Geschäft und sei neulich auf die Gasse gesetzt worden. Man begreift, daß einzelne reiche Nobili Häuser bauten um die armen darin gratis wohnen zu lassen. Der Häuserbau um Gotteswillen, selbst in ganzen Reihen, kommt in Testamenten als gutes Werk vor. Marin Sanudo, vite de' Duchi, Murat. XXII, Col. 1194. Wenn die Feinde Venedigs auf Uebelstände dieser Art Die gesunden Kräfte. jemals ernstliche Hoffnungen gründeten, so irrten sie sich gleichwohl. Man könnte glauben, daß schon der Schwung des Handels, der auch dem Geringsten einen reichlichen Gewinn der Arbeit sicherte, daß die Colonien im östlichen Mittelmeer die gefährlichen Kräfte von der Politik abgelenkt haben möchten. Hat aber nicht Genua, trotz ähnlicher Vor- theile, die sturmvollste politische Geschichte gehabt? Der Grund von Venedigs Unerschütterlichkeit liegt eher in einem Zusammenwirken von Umständen, die sich sonst nirgends vereinigten. Unangreifbar als Stadt, hatte es sich von je- her der auswärtigen Verhältnisse nur mit der kühlsten Ueber- legung angenommen, das Parteiwesen des übrigen Italiens fast ignorirt, seine Allianzen nur für vorübergehende Zwecke Cultur der Renaissance. 5 1. Abschnitt. und um möglichst hohen Preis geschlossen. Der Grundton des venezianischen Gemüthes war daher der einer stolzen, ja verachtungsvollen Isolirung und folgerichtig einer stär- kern Solidarität im Innern, wozu der Haß des ganzen übrigen Italiens noch das Seine that. In der Stadt selbst hatten dann alle Einwohner die stärksten gemeinschaftlichen Interessen gegenüber den Colonien sowohl als den Be- sitzungender Terraferma, indem die Bevölkerung der letztern (d. h. der Städte bis Bergamo) nur in Venedig kaufen und verkaufen durfte. Ein so künstlicher Vortheil konnte nur durch Ruhe und Eintracht im Innern aufrecht erhal- ten werden — das fühlte gewiß die übergroße Mehrzahl und für Verschwörer war schon deßhalb hier ein schlechter Boden. Und wenn es Unzufriedene gab, so wurden sie durch die Trennung in Adliche und Bürger auf eine Weise auseinandergehalten die jede Annäherung sehr erschwerte. Innerhalb des Adels aber war den möglicherweise Gefähr- lichen, nämlich den Reichen eine Hauptquelle aller Ver- schwörungen, der Müssiggang, abgeschnitten durch ihre großen Handelsgeschäfte und Reisen und durch die Theilnahme an den stets wiederkehrenden Türkenkriegen. Die Commandan- ten schonten sie dabei, ja bisweilen in strafbarer Weise, und ein venezianischer Cato weissagte den Untergang der Macht, wenn diese Scheu der Nobili einander irgend wehe zu thun, auf Unkosten der Gerechtigkeit fortdauern würde. Chron. Venetum, Mur. XXIV, Col. 105. Immer- hin aber gab dieser große Verkehr in der freien Luft dem Adel von Venedig eine gesunde Richtung im Ganzen. Und Der Rath der Zehn. wenn Neid und Ehrgeiz durchaus einmal Genugthuung be- gehrten, so gab es ein officielles Opfer, eine Behörde und legale Mittel. Die vieljährige moralische Marter, welcher der Doge Francesco Foscari (st. 1457) vor den Augen von ganz Venedig unterlag, ist vielleicht das schrecklichste Bei- spiel dieser nur in Aristokratien möglichen Rache. Der Rath der Zehn, welcher in Alles eingriff, ein unbedingtes Recht 1. Abschnitt. über Leben und Tod, über Kassen und Armeebefehl besaß, die Inquisitoren in sich enthielt, und den Foscari wie so manchen Mächtigen stürzte, dieser Rath der Zehn wurde all- jährlich von der ganzen regierenden Kaste, dem gran con- siglio neu gewählt, und war somit der unmittelbarste Ausdruck derselben. Große Intriguen mögen bei diesen Wahlen kaum vorgekommen sein, da die kurze Dauer und die spätere Verantwortlichkeit das Amt nicht sehr begehrens- werth machten. Allein vor diesen und andern venezianischen Behörden, mochte ihr Thun noch so unterirdisch und ge- waltsam sein, flüchtete sich doch der echte Venezianer nicht, sondern er stellte sich; nicht nur weil die Republik lange Arme hatte und statt seiner die Familie plagen konnte, sondern weil in den meisten Fällen wenigstens nach Grün- den und nicht aus Blutdurst verfahren wurde. Chron. Venetum, Murat. XXIV. Col. 123, s. und Malipiero, a. a. O. VII, I, p. 175, s. erzählen den sprechenden Fall des Ad- mirals Antonio Grimani. Ueber- haupt hat wohl kein Staat jemals eine größere moralische Macht über seine Angehörigen in der Ferne ausgeübt. Wenn es z. B. Verräther in den Pregadi gab, so wurde dieß reichlich dadurch aufgewogen, daß jeder Venezianer in der Fremde ein geborner Kundschafter für seine Regierung war. Von den venezianischen Cardinälen in Rom verstand es sich von selbst, daß sie die Verhandlungen der geheimen päpstlichen Consistorien nach Hause meldeten. Cardinal Domenico Grimani ließ in der Nähe von Rom (1500) die Depeschen wegfangen, welche Ascanio Sforza an seinen Bruder Lodovico Moro absandte, und schickte sie nach Ve- nedig; sein eben damals schwer angeklagter Vater machte dieß Verdienst des Sohnes öffentlich vor dem gran con- siglio d. h. vor der ganzen Welt geltend. Chron. Ven. l. c. Col. 166. 5* 1. Abschnitt. Verhältniß zu den Condottieren. Wie Venedig seine Condottieren hielt, ist oben (S. 22) angedeutet worden. Wenn es noch irgend eine besondere Garantie ihrer Treue suchen wollte, so fand es sie etwa in ihrer großen Anzahl, welche den Verrath ebensosehr er- schweren als dessen Entdeckung erleichtern mußte. Beim Anblick venezianischer Armeerollen frägt man sich nur, wie bei so bunt zusammengesetzten Schaaren eine gemeinsame Action möglich gewesen? In derjenigen des Krieges von 1495 figuriren Malipiero, l. c. VII, I, p. 349. Andere Verzeichnisse dieser Art bei Marin Sanudo, vite de' Duchi, Mur. XXII, Col. 990 (vom J. 1426), Col. 1088 (vom J. 1440), bei Corio fol. 435—438 (von 1483), bei Guazzo, Historie, fol. 151, s. 15,526 Pferde in lauter kleinen Posten; nur der Gonzaga von Mantua hatte davon 1200, Gioffredo Borgia 740; dann folgen sechs Anführer mit 700—600, zehn mit 400, zwölf mit 400—200, etwa vierzehn mit 200—100, neun mit 80, sechs mit 60—50 ꝛc. Es sind theils alte venezianische Truppenkörper, theils solche unter venezianischen Stadtadlichen und Landadlichen, die meisten Anführer aber sind Fürsten und Stadthäupter oder Ver- wandte von solchen. Dazu kommen 24,000 M. Infanterie, über deren Beischaffung und Führung nichts bemerkt wird, nebst weitern 3,300 Mann wahrscheinlich besonderer Waf- fengattungen. Im Frieden waren die Städte der Terra- ferma gar nicht oder mit unglaublich geringen Garnisonen besetzt. Venedig verließ sich nicht gerade auf die Pietät, wohl aber auf die Einsicht seiner Unterthanen; beim Kriege Auswärtige Politik. der Liga von Cambray (1509) sprach es sie bekanntlich vom Treueid los, und ließ es darauf ankommen, daß sie die Aunehmlichkeiten einer feindlichen Occupation mit seiner milden Herrschaft vergleichen würden; da sie nicht mit Ver- rath von S. Marcus abzufallen nöthig gehabt hatten und also keine Strafe zu fürchten brauchten, kehrten sie mit dem größten Eifer wieder unter die gewohnte Herrschaft zurück. Dieser Krieg war, beiläufig gesagt, das Resultat eines hun- 1. Abschnitt. dertjährigen Geschreies über die Vergrößerungssucht Vene- digs. Letzteres beging bisweilen die Fehler allzukluger Leute, welche auch ihren Gegnern keine nach ihrer Ansicht thörichten, rechnungswidrigen Streiche zutrauen wollen. Guicciardini ( Ricordi, N. 150) bemerkt vielleicht zuerst, daß das politische Rachebedürfniß auch die deutliche Stimme des eignen Inter- esses übertäuben könne. In diesem Optimismus, der vielleicht den Aristokratien am ehesten eigen ist, hatte man einst die Rüstungen Moham- meds II. zur Einnahme von Constantinopel, ja die Vor- bereitungen zum Zuge Carl's VIII. völlig ignorirt, bis das Unerwartete doch geschah. Malipiero, l. c. VII, I, p. 328. Ein solches Ereigniß war nun auch die Liga von Cambray, insofern sie dem klaren Interesse der Hauptanstifter Ludwigs XII. und Julius II. entgegenlief. Im Papst war aber der alte Haß von ganz Italien gegen die erobernden Venezianer aufgesammelt, so- daß er über den Einmarsch der Fremden die Augen schloß, und was die Politik des Cardinals Amboise und seines Königs betraf, so hätte Venedig deren bösartigen Blödsinn schon lange als solchen erkennen und fürchten sollen. Die meisten Uebrigen nahmen an der Liga Theil aus jenem Neid, der dem Reichthum und der Macht als nützliche Zuchtruthe gesetzt, an sich aber ein ganz jämmerliches Ding ist. Venedig zog sich mit Ehren, aber doch nicht ohne bleibenden Schaden aus dem Kampfe. Eine Macht deren Grundlagen so complicirt, deren Die Heimath der Statistik. Thätigkeit und Interessen auf einen so weiten Schauplatz ausgedehnt waren, ließe sich gar nicht denken ohne eine großartige Uebersicht des Ganzen, ohne eine beständige Bilanz der Kräfte und Lasten, der Zunahme und Abnahme. Venedig möchte sich wohl als den Geburtsort der modernen Statistik geltend machen dürfen, mit ihm vielleicht Florenz 1. Abschnitt. und in zweiter Linie die entwickeltern italienischen Fürsten- thümer. Der Lehnsstaat des Mittelalters bringt höchstens Gesammt-Verzeichnisse der fürstlichen Rechte und Nutzbar- keiten (Urbarien) hervor; er faßt die Production als eine stehende auf, was sie annäherungsweise auch ist, so lange es sich wesentlich um Grund und Boden handelt. Diesem gegenüber haben die Städte im ganzen Abendlande wahr- scheinlich von frühe an ihre Production, die sich auf In- dustrie und Handel bezog, als eine höchst bewegliche erkannt und danach behandelt, allein es blieb — selbst in den Blüthe- zeiten der Hansa — bei einer einseitig commerciellen Bilanz. Flotten, Heere, politischer Druck und Einfluß kamen einfach unter das Soll und Haben eines kaufmännnischen Haupt- buches zu stehen. Erst in den italienischen Staaten ver- einigen sich die Consequenzen einer völligen politischen Be- wußtheit, das Vorbild mohammedanischer Administration und ein uralter starker Betrieb der Production und des Handels selbst, um eine wahre Statistik zu begründen. Noch in ziemlich beschränktem Sinne entworfen und doch schon sehr wichtig ist die statist. Uebersicht von Mailand, im Manipulus Florum (bei Murat. XI, 711, s. ) vom Jahre 1288. Sie zählt auf: Hausthüren, Bevölkerung, Waffenfähige, Loggien der Adlichen, Brunnen, Oefen, Schenken, Fleischerbuden, Fischer, Kornbedarf, Hunde, Jagdvögel, Preise von Holz, Heu, Wein und Salz, — ferner Richter, Notare, Aerzte, Schullehrer, Abschreiber, Waffen- schmiede, Hufschmiede, Hospitäler, Klöster, Stifte und geistliche Corporationen. Der unteritalische Zwangsstaat Kaiser Friedrichs II. (S. 3) war einseitig auf Concentration der Macht zum Zwecke eines Kampfes um Sein oder Nichtsein organisirt gewesen. In Venedig dagegen sind die letzten Zwecke Genuß der Macht und des Lebens, Weiterbildung des von den Vor- fahren Ererbten, Ansammlung der gewinnreichsten Industrien und Eröffnung stets neuer Absatzwege. Die Autoren sprechen sich über diese Dinge mit größter 1. Abschnitt. Populationistik. Unbefangenheit aus Vorzüglich Marin Sanudo, in den vite de' Duchi di Venezia, Murat. XXII, passim. . Wir erfahren, daß die Bevölkerung der Stadt im Jahr 1422 190,000 Seelen betrug; vielleicht hat man in Italien am frühsten angefangen, nicht mehr nach Feuerherden, nach Waffenfähigen, nach Solchen, die auf eigenen Beinen gehen konnten u. dgl., sondern nach anime zu zählen und darin die neutralste Basis aller wei- tern Berechnungen anzuerkennen. Als die Florentiner um dieselbe Zeit ein Bündniß mit Venedig gegen Filippo Maria Visconti wünschten, wies man sie einstweilen ab, in der klaren, hier, durch genaue Handelsbilanz belegten Ueber- zeugung, daß jeder Krieg zwischen Mailand und Venedig, d. h. zwischen Abnehmer und Verkäufer, eine Thorheit sei. Schon wenn der Herzog nur sein Heer vermehre, so werde das Herzogthum wegen sofortiger Erhöhung der Steuern ein schlechterer Consument. „Besser man lasse die Floren- tiner unterliegen, dann siedeln sie, des freistädtischen Lebens gewohnt, zu uns über und bringen ihre Seiden- und Wollenweberei mit, wie die bedrängten Lucchesen gethan haben.” Das merkwürdigste aber ist die Rede des sterben- den Dogen Mocenigo (1423) an einige Senatoren, die er vor sein Bett kommen ließ Bei Sanudo l. c. Col. 958. Das auf den Handel bezügliche ist daraus mitgetheilt bei Scherer, Allg. Gesch. des Welthandels, I, 326. Anm. . Sie enthält die wichtigsten Elemente einer Statistik der gesammten Kraft und Habe Venedigs. Ich weiß nicht, ob und wo eine gründliche Er- läuterung dieses schwierigen Actenstückes existirt; nur als Curiosität mag Folgendes angeführt werden. Nach ge- Das Soll und Haben. schehener Abbezahlung von 4 Millionen Ducaten eines Kriegs-Anleihens betrug die Staatsschuld ( il monte ) da- mals noch 6 Mill. Ducaten. Der Gesammtumlauf des 1. Abschnitt. Handels (wie es scheint) betrug 10 Mill., welche 4 Mill. abwarfen. (So heißt es im Text.) Auf 3000 Navigli, 300 Navi und 45 Galere fuhren 17,000, resp. 8000 und 11000 Seeleute. (Ueber 200 M. pr. Galera.) Dazu kamen 16,000 Schiffszimmerleute. Die Häuser von Venedig hatten 7 Mill. Schatzungswerth und trugen an Miethe eine halbe Million ein Hiemit sind doch wohl die sämmtlichen Häuser und nicht bloß die dem Staat gehörenden gemeint. Letztere rendirten bisweilen aller- dings enorm; vgl. Vasari, XIII, 83. v. d. Jac. Sansovino. . Es gab 1000 Adliche von 70 bis 4000 Ducaten Einkommen. — An einer andern Stelle wird die ordentliche Staatseinnahme in jenem selben Jahre auf 1,100,000 Ducaten geschätzt; durch die Handelsstörungen in Folge der Kriege war sie um die Mitte des Jahrhunderts auf 800,000 Ducaten gefunken Dieß bei Sanudo, Col. 963. Eine Staatsrechnung von 1490 Col. 1245. . Verspätung der Renaissance. Wenn Venedig durch derartige Berechnungen und deren practische Anwendung eine große Seite des modernen Staatswesens am frühsten vollkommen darstellte, so stand es dafür in derjenigen Cultur, welche man damals in Italien als das Höchste schätzte, einigermaßen zurück. Es fehlt hier der literarische Trieb im Allgemeinen und ins- besondere jener Taumel zu Gunsten des classischen Alter- thums Ja diese Abneigung soll in dem Venezianer Paul II. bis zum Haß ausgebildet gewesen sein, so daß er die Humanisten sämmtlich Ketzer nannte. Platina, vita Pauli, p. 323. . Die Begabung zu Philosophie und Beredsamkeit, meint Sabellico, sei hier an sich so groß als die zum Handel und Staatswesen; schon 1459 legte Georg der Trapezuntier die lateinische Uebersetzung von Plato's Buch über die Gesetze dem Dogen zu Füßen und wurde mit 150 Ducaten jährlich als Lehrer der Philologie angestellt, dedicirte auch der Signorie seine Rhetorik Sanudo, l. c. Col. 1167. . Durchgeht man aber die venezianische Literaturgeschichte, welche Francesco Sansovino 1. Abschnitt. seinem bekannten Buche Sansovino Venezia, Lib. XIII. angehängt hat, so ergeben sich für das XIV. Jahrhundert fast noch lauter theologische, juridische und medicinische Fachwerke nebst Historien, und auch im XV. Jahrhundert ist der Humanismus im Ver- hältniß zur Bedeutung der Stadt bis auf Ermolao Barbaro und Aldo Manucci nur äußerst spärlich vertreten. Die Bibliothek, welche der Cardinal Bessarion dem Staat ver- machte, wurde kaum eben vor Zerstreuung und Zerstörung geschützt. Für gelehrte Sachen hatte man ja Padua, wo freilich die Mediciner und die Juristen als Verfasser staats- rechtlicher Gutachten weit die höchsten Besoldungen hatten. Auch die Theilnahme an der italienischen Kunstdichtung ist lange Zeit eine geringe, bis dann das beginnende XVI. Jahrhundert alles Versäumte nachholt. Selbst den Kunst- geist der Renaissance hat sich Venedig von außen her zu- bringen lassen, und erst gegen Ende des XV. Jahrhunderts sich mit voller eigener Machtfülle darin bewegt. Ja es giebt hier noch bezeichnendere geistige Zögerungen. Der- Officielle An- dacht. selbe Staat, welcher seinen Clerus so vollkommen in der Gewalt hatte, die Besetzung aller wichtigen Stellen sich vorbehielt, und der Curie einmal über das andere Trotz bot, zeigte eine officielle Andacht von ganz besonderer Fär- bung. Heilige Leichen und andere Reliquien aus dem von den Türken eroberten Griechenland werden mit den größten Opfern erworben und vom Dogen in großer Procession empfangen Sanudo, l. c. Col. 1158. 1171. 1177. Als die Leiche des S. Lu- cas aus Bosnien kam, gab es Streit mit den Benedictinern von S. Giustina zu Padua, welche dieselbe schon zu besitzen glaubten, und der päpstliche Stuhl mußte entscheiden . Vgl. Guicciardini, Ricordi, Nr. 401. . Für den ungenähten Rock beschloß man (1455) bis 10,000 Ducaten aufzuwenden, konnte ihn aber 1. Abschnitt. nicht erhalten. Es handelt sich hier nicht um eine popu- läre Begeisterung, sondern um einen stillen Beschluß der höhern Staatsbehörde, welcher ohne alles Aufsehen hätte unterbleiben können, und in Florenz unter gleichen Um- ständen gewiß unterblieben wäre. Die Andacht der Massen und ihren festen Glauben an den Ablaß eines Alexander VI. lassen wir ganz außer Betrachtung. Der Staat selber aber, nachdem er die Kirche mehr als anderswo absorbirt, hatte wirklich hier eine Art von geistlichem Element in sich und das Staatssymbol, der Doge trat bei zwölf großen Pro- zessionen Sansovino, Venezia, Lib. XII. ( andate ) in halbgeistlicher Function auf. Es waren fast lauter Feste zu Ehren politischer Erinnerungen, welche mit den großen Kirchenfesten concurrirten; das glän- zendste derselben die berühmte Vermählung mit dem Meere jedesmal am Himmelfahrtstage. Florenz. Die höchste politische Bewußtheit, den größten Reich- thum an Entwicklungsformen findet man vereinigt in der Geschichte von Florenz, welches in diesem Sinne wohl den Namen des ersten modernen Staates der Welt verdient. Hier treibt ein ganzes Volk das was in den Fürstenstaaten die Sache einer Familie ist. Der wunderbare florentinische Geist, scharf raisonnirend und künstlerisch schaffend zugleich, gestaltet den politischen und socialen Zustand unaufhörlich um und beschreibt und richtet ihn eben so unaufhörlich. So wurde Florenz die Heimath der politischen Doctrinen und Theorien, der Experimente und Sprünge, aber auch mit Venedig die Heimath der Statistik und allein und vor allen Staaten der Welt die Heimath der geschichtlichen Darstellung im neuern Sinne. Der Anblick des alten Roms und die Kenntniß seiner Geschichtschreiber kam hinzu, und Giovanni Villani gesteht G. Villani, VIII, 36. — Das Jahr 1300 ist zugleich das festge- haltene Datum in der Divina Commedia. , daß er beim Jubiläum des Jahres 1300 die Anregung zu seiner großen Arbeit empfangen und gleich 1. Abschnitt. nach der Heimkehr dieselbe begonnen habe; allein wie Manche unter den 200,000 Rompilgern jenes Jahres mögen ihm an Begabung und Richtung ähnlich gewesen sein und haben doch die Geschichte ihrer Städte nicht ge- schrieben! Denn nicht Jeder konnte so trostvoll beifügen: „Rom ist im Sinken, meine Vaterstadt aber im Aufsteigen und zur Ausführung großer Dinge bereit, und darum habe ich ihre ganze Vergangenheit aufzeichnen wollen und gedenke damit fortzufahren bis auf die Gegenwart und so weit ich noch die Ereignisse erleben werde.“ Und außer dem Zeug- niß von seinem Lebensgange erreichte Florenz durch seine Geschichtschreiber noch etwas Weiteres: einen größeren Ruhm als irgend ein anderer Staat von Italien Dieß schon um 1470 constatirt bei Vespasiano Fiorent. p. 554. . Nicht die Geschichte dieses denkwürdigen Staates, nur Objectives politisches Be- wußtsein, einige Andeutungen über die geistige Freiheit und Objecti- vität, welche durch diese Geschichte in den Florentinern wach geworden, sind hier unsere Aufgabe. Um das Jahr 1300 beschrieb Dino Compagni die städtischen Kämpfe seiner Tage. Die politische Lage der Stadt, die innern Triebfedern der Parteien, die Charactere der Führer, genug das ganze Gewebe von nähern und ent- ferntern Ursachen und Wirkungen sind hier so geschildert, daß man die allgemeine Superiorität des florentinischen Ur- theilens und Schilderns mit Händen greift. Und das größte Opfer dieser Krisen, Dante Alighieri, welch ein Po- litiker, gereift durch Heimath und Exil! Er hat den Hohn über das beständige Aendern und Experimentiren an der Verfassung in eherne Terzinen gegossen Purgatorio VI, Ende. , welche sprich- wörtlich bleiben werden wo irgend Aehnliches vorkommen will; er hat seine Heimath mit Trotz und mit Sehnsucht angeredet, daß den Florentinern das Herz beben mußte. 1. Abschnitt. und allgemeines Raisonnement Aber seine Gedanken dehnen sich aus über Italien und die Welt und wenn seine Agitation für das Imperium, wie er es auffaßte, nichts als ein Irrthum war, so muß man bekennen, daß das jugendliche Traumwandeln der kaum geborenen politischen Speculation bei ihm eine poetische Größe hat. Er ist stolz, der erste zu sein, der diesen Pfad betritt De Monarchia, I, 1. , allerdings an der Hand des Aristoteles, aber in seiner Weise sehr selbständig. Sein Idealkaiser ist ein ge- rechter, menschenliebender, nur von Gott abhängender Ober- richter, der Erbe der römischen Weltherrschaft, welche eine vom Recht, von der Natur, und von Gottes Rathschluß gebilligte war. Die Eroberung des Erdkreises sei nämlich eine rechtmäßige, ein Gottesurtheil zwischen Rom und den übrigen Völkern gewesen, und Gott habe dieses Reich an- erkannt, indem er unter demselben Mensch wurde und sich bei seiner Geburt der Schatzung des Kaisers Augustus, bei seinem Tode dem Gericht des Pontius Pilatus unterzog u. s. w. Wenn wir diesen und andern Argumenten nur schwer folgen können, so ergreift Dante's Leidenschaft immer. In seinen Briefen Dantis Alligherii epistolæ, cum notis C. Witte. Wie er den Kaiser durchaus in Italien haben wollte, so auch den Papst, s. d. Brief S. 35 während des Conclave's von Carpentras 1314. ist er einer der frühsten aller Publi- cisten, vielleicht der frühste Laie, der Tendenzschriften in Briefform auf eigene Hand ausgehen ließ. Er fing damit bei Zeiten an; schon nach dem Tode Beatrice's erließ er ein Pamphlet über den Zustand von Florenz „an die Großen des Erdkreises“, und auch die spätern offenen Schreiben aus der Zeit seiner Verbannung sind an lauter Kaiser, Fürsten und Cardinäle gerichtet. In diesen Briefen und in dem Buche „von der Vulgärsprache“ kehrt unter ver- schiedenen Formen das mit so vielen Schmerzen bezahlte Gefühl wieder, daß der Verbannte auch außerhalb der Vaterstadt eine neue geistige Heimath finden dürfe in der 1. Abschnitt. Sprache und Bildung, die ihm nicht mehr genommen werden könne, und auf diesen Punkt werden wir noch einmal zurückkommen. Den Villani, Giovanni sowohl als Matteo, verdanken Florenti n ische Statistik. wir nicht sowohl tiefe politische Betrachtungen als vielmehr frische, practische Urtheile und die Grundlage zur Statistik von Florenz, nebst wichtigen Angaben über andere Staaten. Handel und Industrie hatten auch hier neben dem politi- schen Denken das staatsöconomische geweckt. Ueber die Geldverhältnisse im Großen wußte man nirgends in der Welt so genauen Bescheid, anzufangen von der päpstlichen Curie zu Avignon, deren enormer Kassenbestand (25 Mill. Goldgulden beim Tode Johann's XXII. ) nur aus so guten Quellen Giov. Villani XI, 20. Vgl. Matt. Villani IX, 93. glaublich wird. Nur hier erhalten wir Bescheid über colossale Anleihen z. B.: des Königs von England bei den florentinischen Häusern Bardi und Peruzzi, welche ein Guthaben von 1,365,000 Goldgulden — eigenes und Com- pagnie-Geld — einbüßten (1338) und sich dennoch wieder erholten Diese und ähnliche Notizen bei Giov. Villani XI, 87. XII, 54. . Das wichtigste aber sind die auf den Staat bezüglichen Angaben Giov. Villani XI, 91, s. — Abweichend davon Macchiavelli, stor. fiorent. lib. II. aus jener nämlichen Zeit: Die Staatseinnahmen (über 300,000 Goldgulden) und Aus- gaben; die Bevölkerung der Stadt (hier noch sehr unvoll- kommen nach dem Brodconsum in bocche , d. h. Mäulern berechnet auf 90,000), und die des Staates; der Ueber- schuß von 300 bis 500 männlichen Geburten unter den 5800 bis 6000 alljährlichen Täuflingen des Battistero Der Pfarrer legte für jeden Knaben eine schwarze, für jedes Mäd- chen eine weiße Bohne bei Seite; dieß war die ganze Controle. ; die Schulkinder, von welchen 8 bis 10,000 lesen, 1000 1. Abschnitt. bis 1200 in 6 Schulen rechnen lernten; dazu gegen 600 Schüler, welche in vier Schulen in (lateinischer) Gram- matik und Logik unterrichtet wurden. Es folgt die Sta- tistik der Kirchen und Klöster, der Spitäler (mit mehr als 1000 Betten im Ganzen); die Wollen-Industrie, mit äußerst werthvollen Einzelangaben; die Münze, die Verprovianti- rung der Stadt, die Beamtenschaft u. A. m. Es gab in dem solid gebauten Florenz bereits eine stehende Lösch- mannschaft, ibid. XII, 35. Anderes erfährt man beiläufig: wie z. B.: bei der Einrichtung der neuen Staatsrenten ( monte ) im Jahr 1353 u. f. auf den Kanzeln gepredigt wurde, von den Franciscanern dafür, von den Dominicanern und Augustinern dagegen Matteo Villani, III, 106. ; vollends Der schwarze Tod. haben in ganz Europa die öconomischen Folgen des schwarzen Todes nirgends eine solche Beachtung und Darstellung ge- funden noch finden können wie hier Matteo Villani, I, 2—7, vgl. 58. . Nur ein Flo- rentiner konnte uns überliefern: wie man erwartete, daß bei der Wenigkeit der Menschen Alles wohlfeil werden sollte, und wie statt dessen Lebensbedürfnisse und Arbeits- lohn auf das Doppelte stiegen; wie das gemeine Volk Anfangs gar nicht mehr arbeiten sondern nur gut leben wollte; wie zumal die Knechte und Mägde in der Stadt nur noch um sehr hohen Lohn zu haben waren; wie die Bauern nur noch das allerbeste Land bebauen mochten und das geringere liegen ließen u. s. w.; wie dann die enormen Vermächtnisse für die Armen, die während der Pest gemacht wurden, nachher zwecklos erschienen, weil die Armen theils gestorben theils nicht mehr arm waren. Endlich wird ein- mal bei Gelegenheit eines großen Vermächtnisses, da ein kinderloser Wohlthäter allen Stadtbettlern je sechs Denare hinterließ, eine umfassende Bettelstatistik Gio. Villani X, 164. von Florenz versucht. Diese statistische Betrachtung der Dinge hat sich in der 1. Abschnitt. Verbindung von Statistik u. Cultur. Folge bei den Florentinern auf das Reichste ausgebildet; das Schöne dabei ist, daß sie den Zusammenhang mit dem Geschichtlichen im höhern Sinne, mit der allgemeinen Cul- tur und mit der Kunst in der Regel durchblicken lassen. Eine Aufzeichnung vom Jahre 1422 Ex annalibus Ceretani, bei Fabroni, Magni Cosmi vita, Adnot. 34. berührt mit einem und demselben Federzug die 72 Wechselbuden rings um den Mercato nuovo, die Summe des Baarverkehres (2 Mill. Goldgulden), die damals neue Industrie des gesponnenen Goldes, die Seidenstoffe, den Filippo Brunellesco, der die alte Architectur wieder aus der Erde hervorgräbt, und den Lionardo Aretino, Secretär der Republik, welcher die antike Literatur und Beredsamkeit wieder erweckt; endlich das all- gemeine Wohlergehen der damals politisch ruhigen Stadt und das Glück Italiens, das sich der fremden Soldtruppen entledigt hatte. Jene oben (S. 71) angeführte Statistik von Venedig, die fast aus demselben Jahre stammt, offen- bart freilich einen viel größern Besitz, Erwerb und Schau- platz; Venedig beherrscht schon lange die Meere mit seinen Schiffen, während Florenz (1422) seine erste eigene Galeere (nach Alessandria) aussendet. Allein wer erkennt nicht in der florentinischen Aufzeichnung den höhern Geist? Solche und ähnliche Notizen finden sich hier von Jahrzehnd zu Jahrzehnd, und zwar schon in Uebersichten geordnet, wäh- rend anderwärts im besten Falle einzelne Aussagen vor- handen sind. Wir lernen das Vermögen und die Geschäfte der ersten Medici approximativ kennen; sie gaben an Al- Der Reichthum der Medici. mosen, öffentlichen Bauten und Steuern von 1434 bis 1471 nicht weniger als 663,755 Goldgulden aus, wovon auf Cosimo allein über 400,000 kamen Ricordi des Lorenzo, bei Fabroni, Laur. Med. magnifici vita, Adnot. 2 und 25. — Paul. Jovius: Elogia, Cosmus. , und Lorenzo magnifico 1. Abschnitt. freut sich, daß das Geld so gut ausgegeben sei. Nach 1478 folgt dann wieder eine höchst wichtige und in ihrer Art vollständige Uebersicht Von Benedetto Dei, bei Fabroni, ibid. Adnot. 200. Die Zeit- bestimmung geht aus Varchi III, p. 107 hervor. — Das Finanz- project eines gewissen Lodovico Ghetti, mit wichtigen Angaben, bei Roscoe, vita di Lor. de Medici, Bd. II, Beilage 1. des Handels und der Gewerbe der Stadt, darunter mehrere, welche halb oder ganz zur Kunst gehören: die Gold- und Silberstoffe und Damaste; die Holzschnitzerei und Marketterie ( Intarsia ); die Arabesken- sculptur in Marmor und Sandstein; die Porträtfiguren in Wachs; die Goldschmiede- und Juwelierkunst. Ja das angeborene Talent der Florentiner für die Berechnung des ganzen äußern Daseins zeigt sich auch in ihren Haus-, Geschäfts- und Landwirthschaftsbüchern, die sich wohl vor denen der übrigen Europäer des XV. Jahrhunderts um ein namhaftes auszeichnen mögen. Mit Recht hat man angefangen, ausgewählte Proben davon zu publiciren z. B. im Archivio stor. IV. ; nur wird es noch vieler Studien bedürfen, um klare all- gemeine Resultate daraus zu ziehen. Jedenfalls giebt sich auch hier derjenige Staat zu erkennen, wo sterbende Väter testamentarisch Libri, histoire des sciences mathém. II, 163, s. den Staat ersuchten ihre Söhne um 1000 Goldgulden zu büßen, wenn sie kein regelmäßiges Gewerbe treiben würden. Für die erste Hälfte des XVI. Jahrhunderts besitzt dann vielleicht keine Stadt der Welt eine solche Urkunde wie die herrliche Schilderung von Florenz bei Varchi ist Varchi, stor. fiorent. III, p. 56, s. zu Ende des IX. Buches. Einige offenbar irrige Zahlen möchten wohl auf Schreib- oder Druck- fehlern beruhen. . Auch in der beschreibenden Statistik wie in so manchen andern Beziehungen wird hier noch einmal ein Muster hin- gestellt, ehe die Freiheit und Größe dieser Stadt zu Grabe 1. Abschnitt. geht Ueber Werthverhältnisse und Reichthum in Italien überhaupt kann Geldwerth in Italien. ich, in Ermangelung weiterer Hülfsmittel, hier nur einige zerstreute Data zusammenstellen, wie ich sie zufällig gefunden habe. Offenbare Uebertreibungen sind bei Seite zu lassen. Die Goldmünzen, auf welche die meisten Angaben lauten, sind: Der Ducato, der Zecchino, der Fiorino d'oro und der Scudo d'oro. Ihr Werth ist annäherungs- weise derselbe, eilf bis zwölf Franken unseres Geldes. In Venedig galt z. B. der Doge Andrea Vendramin (1476) mit 170,000 Ducati für sehr reich. ( Malipiero, l. c. VII, II, p. 666.) In den 1460er Jahren heißt der Patriarch von Aquileja, Lod. Patavino, „fast der reichste aller Italiener“ mit 200,000 Ducaten. ( Gasp. Veronens., vita Pauli II, bei Mur. III, II, Col. 1027.) Anderswo fabelhafte Angaben. Antonio Grimani (S. 67) ließ sich die Erhebung seines Sohnes Domenico zum Cardinal 30,000 Duc. kosten. Er selbst wurde bloß an Baarschaft auf 100,000 Duc. geschätzt. ( Chron. Venetum, Mur. XXIV, Col. 125.) Ueber das Getreide im Handel und im Marktpreis zu Venedig s. bes. Malipiero l. c. VII, II, p, 709, s. (Notiz von 1498.) Schon um 1522 gilt nicht mehr Venedig sondern Genua nächst Rom als die reichste Stadt Italiens. (Nur glaublich durch die Autorität eines Franc. Vettori; s. dessen Storia, im Archiv. stor. Append. Tom. VI, p. 343.) Bandello, Parte II, Nov. 34 und 42, erwähnt den reichsten genuesischen Kaufmann seiner Zeit, Ansaldo Grimaldi. Zwischen 1400 und 1580 nimmt Franc. Sansovino ein Sinken des Geldwerthes auf die Hälfte an. ( Venezia, fol. 151, bis. ) In der Lombardei glaubt man ein Verhältniß der Getreide- preise um die Mitte des XV. zu denjenigen der Mitte unseres Jahr- hunderts annehmen zu müssen wie 3 zu 8. ( Sacco di Piacenza, im Archiv. stor. append. Tom. V, Nota des Herausgebers Sca- rabelli.) In Ferrara gab es zur Zeit des Herzogs Borso reiche Leute bis 50 und 60,000 Ducati. ( Diario Ferrarese, Mur. XXIV, Col. 207, 214, 218; eine fabelhafte Angabe Col. 187.) . Cultur der Renaissance. 6 1. Abschnitt. Die Verfassun- gen. Neben dieser Berechnung des äußern Daseins geht aber jene fortlaufende Schilderung des politischen Lebens einher, von welcher oben die Rede war. Florenz durchlebt nicht nur mehr politische Formen und Schattirungen, son- dern es giebt auch unverhältnißmäßig mehr Rechenschaft davon als andere freie Staaten Italiens und des Abend- landes überhaupt. Es ist der vollständigste Spiegel des Verhältnisses von Menschenklassen und einzelnen Menschen zu einem wandelbaren Allgemeinen. Die Bilder der gro- ßen bürgerlichen Demagogien in Frankreich und Flandern, wie sie Froissart entwirft, die Erzählungen unserer deutschen Chroniken des XIV. Jahrhunderts sind wahrlich bedeu- Für Florenz kommen Angaben ganz exceptioneller Art vor, welche nicht zu durchschnittlichen Schlüssen führen. So jene An- leihen fremder Fürsten, die wohl nur auf ein oder wenige Häuser lauten, factisch aber große Compagniegeschäfte waren . So auch jene enorme Besteuerung unterliegender Parteien; wie z. B. von 1430 bis 1453 von 77 Familien 4,875,000 Goldgulden bezahlt wurden. ( Varchi III, p. 115, s. ) Das Vermögen des Giovanni Medici betrug bei dessen Tode (1428) 179,221 Goldgulden, aber von seinen beiden Söhnen Co- simo und Lorenzo hinterließ der letztere allein bei seinem Tode (1440) bereits 235,137. ( Fabroni, Laur. Med., Adnot. 2.) Von dem allgemeinen Schwung des Erwerbes zeugt es z. B. daß schon im XIV. Jahrh. die 44 Goldschmiedebuden auf Ponte vecchio dem Staat 800 Goldgulden Jahresmiethe eintrugen. ( Va- sari II, 114, v. di Taddeo Gaddi. ) — Das Tagebuch des Buo- naccorso Pitti (bei Delécluze, Florence et ses vicissitudes, vol. II. ) ist voll Zahlenangaben, welche indeß nur im Allgemeinen die hohen Preise aller Dinge und den geringen Geldwerth beweisen. Für Rom geben natürlich die Einnahmen der Curie, da sie europäisch waren, gar keinen Maßstab; auch ist den Angaben über päpstliche Schätze und Cardinalsvermögen wenig zu trauen. Der bekannte Banquier Agostino Chigi hinterließ (1520) eine Gesammt- habe im Werth von 800,000 Ducati. ( Lettere pittoriche, I. Append. 48.) tungsvoll genug, allein an geistiger Vollständigkeit, an viel- 1. Abschnitt. seitiger Begründung des Herganges sind die Florentiner allen unendlich überlegen. Adelsherrschaft, Tyrannis, Kämpfe des Mittelstandes mit dem Proletariat, volle, halbe und Scheindemocratie, Primat eines Hauses, Theokratie (mit Savonarola), bis auf jene Mischformen, welche das me- diceische Gewaltfürstenthum vorbereiteten, Alles wird so beschrieben, daß die innersten Beweggründe der Betheiligten dem Lichte bloß liegen Was Cosimo (1433—1465) und seinen Enkel Lorenzo magnifico (st. 1492) betrifft, so verzichtet der Verfasser auf jedes Urtheil über die innere Politik derselben. Eine anklagende Stimme von Gewicht (Gino Capponi) s. im Archiv. stor. I, p. 315, s. . Endlich faßt Macchiavelli in Die Geschicht- schreiber. seinen florentinischen Geschichten (bis 1492) seine Vater- stadt vollkommen als ein lebendiges Wesen und ihren Ent- wicklungsgang als einen individuell naturgemäßen auf; der erste unter den Modernen, der dieses so vermocht hat. Es liegt außer unserm Bereich, zu untersuchen ob und in welchen Punkten Macchiavell willkürlich verfahren sein mag, wie er im Leben des Castruccio Castracane — einem von ihm eigenmächtig colorirten Tyrannentypus — notorischer Weise gethan hat. Es könnte in den Storie fiorentine gegen jede Zeile irgend etwas einzuwenden sein und ihr hoher, ja einziger Werth im Ganzen bliebe dennoch beste- hen. Und seine Zeitgenossen und Fortsetzer: Jacopo Pitti, Guicciardini, Segni, Varchi, Vettori, welch ein Kranz von erlauchten Namen! Und welche Geschichte ist es, die diese Meister schildern! Die letzten Jahrzehnde der florentinischen Republik, ein unvergeßlich großes Schauspiel, sind uns hier vollständig überliefert. In dieser massenhaften Tradition über den Untergang des höchsten, eigenthümlichsten Lebens der damaligen Welt mag der Eine nichts erkennen als eine Sammlung von Curiositäten ersten Ranges, der Andere mit teuflischer Freude den Bankerott des Edeln und Er- 6* 1. Abschnitt. habenen constatiren, ein Dritter die Sache als einen großen gerichtlichen Proceß auseinanderlcgen — jedenfalls wird sie ein Gegenstand nachdenklicher Betrachtung bleiben bis ans Das Grundübel des Staates. Ende der Tage. Das Grundunglück, welches die Sachlage stets von Neuem trübte, war die Herrschaft von Florenz über unterworfene, ehemals mächtige Feinde wie die Pisaner, was einen beständigen Gewaltzustand zur nothwendigen Folge hatte. Das einzige, freilich sehr heroische Mittel, das nur Savonarola hätte durchführen können und auch nur mit Hülfe besonders glücklicher Umstände, wäre die rechtzeitige Auflösung Toscana's in eine Föderation freier Städte gewesen; ein Gedanke, der erst als weit verspäteter Fiebertraum einen patriotischen Lucchesen Franc. Burlamacchi, den Vater des Hauptes der lucchesischen Pro- testanten Michele B. Vgl. Archiv. stor. Append. Tom. II, p. 176. — Wie Mailand durch seine Härte gegen die Schwester- städte im XI. bis XIII. Jahrh. die Bildung eines großen Despo- tenstaates erleichterte, ist bekannt genug. Noch beim Aussterben der Visconti 1447 verscherzte Mailand die Freiheit Oberitaliens haupt- sächlich dadurch, daß es von einer Föderation gleichberechtigter Städte nichts wissen wollte. Vgl. Corio, fol. 358, s. (1548) auf das Schaffot bringt. Von diesem Unheil und von der unglück- lichen Guelfensympathie der Florentiner für einen fremden Fürsten und der daherigen Gewöhnung an fremde Inter- ventionen hängt alles Weitere ab. Aber wer muß nicht dieses Volk bewundern, das unter der Leitung seines hei- ligen Mönches in einer dauernd erhöhten Stimmung das erste italienische Beispiel von Schonung der besiegten Gegner giebt? während die ganze Vorzeit ihm nichts als Rache und Vertilgung predigt! Die Gluth, welche hier Patriotismus und sittlich-religiöse Umkehr in ein Ganzes schmilzt, sieht von Weitem wohl bald wieder wie erloschen aus, aber ihre besten Resultate leuchten dann in jener denkwürdigen Be- lagerung von 1529—30 wieder neu auf. Wohl waren es „Narren“, welche diesen Sturm über Florenz herauf be- schworen, wie Guicciardini damals schrieb, aber schon er 1. Abschnitt. gesteht zu, daß sie das unmöglich Geglaubte ausrichteten; und wenn er meint, die Weisen wären dem Unheil aus- gewichen, so hat dies keinen andern Sinn als daß sich Florenz völlig ruhmlos und lautlos in die Hände seiner Feinde hätte liefern sollen. Es hätte dann seine prächtigen Vorstädte und Gärten und das Leben und die Wohlfahrt unzähliger Bürger bewahrt und wäre dafür um eine der größten sittlichen Erinnerungen ärmer. Die Florentiner sind in manchen großen Dingen Vor- Die Verfassungsän- derungen. bild und frühster Ausdruck der Italiener und der moder- nen Europäer überhaupt, und so sind sie es auch mannig- fach für die Schattenseiten. Wenn schon Dante das stets an seiner Verfassung bessernde Florenz mit einem Kranken verglich, der beständig seine Lage wechselt um seinen Schmer- zen zu entrinnen, so zeichnete er damit einen bleibenden Grundzug dieses Staatslebens. Der große moderne Irr- thum, daß man eine Verfassung machen , durch Berechnung der vorhandenen Kräfte und Richtungen neu produziren könne Am dritten Adventssonntag 1494 predigte Savonarola über den Modus, eine neue Verfassung zu Stande zu bringen wie folgt: Die 16 Compagnien der Stadt sollten jede ein Project ausarbeiten, die Gonfalonieren die 4 besten auswählen, und aus diesen die Signorie die allerbeste! — Es kam dann doch Alles anders, und zwar unter dem Einfluß des Predigers selbst. , taucht zu Florenz in bewegten Zeiten immer wieder auf und auch Macchiavell ist davon nicht frei ge- wesen. Es bilden sich Staatskünstler, welche durch künst- liche Verlegung und Vertheilung der Macht, durch höchst filtrirte Wahlarten, durch Scheinbehörden u. dgl. einen dauerhaften Zustand begründen, Groß und Klein gleich- mäßig zufriedenstellen oder auch täuschen wollen. Sie exempliren dabei auf das Naivste mit dem Alterthum und entlehnen zuletzt auch ganz officiell von dort die Partei- 1. Abschnitt. namen, z. B. ottimati, aristocrazia Letzteres zuerst 1527, nach der Verjagung der Medici; s. Varchi I, 121 etc. u. s. w. Seitdem erst hat sich die Welt an diese Ausdrücke gewöhnt und ihnen einen conventionellen, europäischen Sinn verliehen, während alle frühern Parteinamen nur dem betreffenden Lande gehörten und entweder unmittelbar die Sache be- zeichneten oder dem Spiel des Zufalls entstammten. Wie sehr färbt und entfärbt aber der Name die Sache! Macchiavelli. Von allen jedoch, die einen Staat meinten construiren zu können Macchiavelli, storie fior. l. III. „Un savio dator delle leggi“ könnte Florenz retten. , ist Macchiavell ohne Vergleich der Größte. Er faßt die vorhandenen Kräfte immer als lebendige, active, stellt die Alternativen richtig und großartig und sucht weder sich noch andere zu täuschen. Es ist in ihm keine Spur von Eitelkeit noch Plusmacherei, auch schreibt er ja nicht für das Publicum, sondern entweder für Behörden und Fürsten oder für Freunde. Seine Gefahr liegt nie in falscher Genialität, auch nicht im falschen Ausspinnen von Begriffen, sondern in einer starken Phantasie, die er offenbar mit Mühe bändigt. Seine politische Objectivität ist allerdings bisweilen entsetzlich in ihrer Aufrichtigkeit, aber sie ist entstanden in einer Zeit der äußersten Noth und Gefahr, da die Menschen ohnehin nicht mehr leicht an das Recht glauben noch die Billigkeit voraussetzen konnten. Tugendhafte Empörung gegen dieselbe macht auf uns, die wir die Mächte von rechts und links in unserem Jahrhundert an der Arbeit gesehen haben, keinen besondern Eindruck. Macchiavell war wenigstens im Stande, seine eigene Per- son über den Sachen zu vergessen. Ueberhaupt ist er ein Patriot im strengsten Sinne des Wortes, obwohl seine Schriften (wenige Worte ausgenommen) alles directen Enthusiasmus bar und ledig sind und obwohl ihn die Florentiner selber zuletzt als einen Verbrecher ansahen Varchi, stor. fiorent. I, p. 210. . Wie 1. Abschnitt. sehr er sich auch, nach der Art der Meisten, in Sitte und Rede gehen ließ, — das Heil des Staates war doch sein erster und letzter Gedanke. Sein vollständigstes Programm über die Ein- Seine Verfaf- sung. richtung eines neuen florentinischen Staatswesens ist niederge- legt in der Denkschrift an Leo X. Discorso sopra il riformar lo stato di Firenze, in den Opere minori p. 207. , verfaßt nach dem Tode des jüngern Lorenzo Medici, Herzogs von Urbino (st. 1519), dem er sein Buch vom Fürsten gewidmet hatte. Die Lage der Dinge ist eine späte und schon total verdorbene, und die vorgeschlagenen Mittel und Wege sind nicht alle moralisch; aber es ist höchst interessant zu sehen wie er als Erbinn der Medici die Republik und zwar eine mittlere Democratie einzuschieben hofft. Ein kunstreicheres Gebäude von Con- cessionen an den Papst, die speciellen Anhänger desselben und die verschiedenen florentinischen Interessen ist gar nicht denkbar; man glaubt in ein Uhrwerk hineinzusehen. Zahl- reiche andere Principien, Einzelbemerkungen, Parallelen, politische Perspectiven u. s. w. für Florenz finden sich in den Discorsi, darunter Lichtblicke von erster Schönheit; er Seine Discorst. erkennt z. B. das Gesetz einer fortschreitenden, und zwar stoßweise sich äußernden Entwicklung der Republiken an und verlangt, daß das Staatswesen beweglich und der Veränderung fähig sei, indem nur so die plötzlichen Blut- urtheile und Verbannungen vermieden würden. Aus einem ähnlichen Grunde, nämlich um Privat-Gewaltthaten und fremde Intervention („den Tod aller Freiheit“) abzuschneiden, wünscht er gegen verhaßte Bürger eine gerichtliche Anklage ( accusa ) eingeführt zu sehen, an deren Stelle Florenz von jeher nur die Uebelreden gehabt habe. Meisterhaft characterisirt er die unfreiwilligen, verspäteten Entschlüsse, welche in Republiken bei kritischen Zeiten eine so große Rolle spielen. Dazwischen einmal verführt ihn die Phan- 1. Abschnitt. tasie und der Druck der Zeiten zu einem unbedingten Lob des Volkes, welches seine Leute besser wähle als irgend ein Fürst und sich „mit Zureden“ von Irrthümern abbringen lasse Dieselbe Ansicht, ohne Zweifel hier entlehnt, findet sich bei Montes- quieu wieder. . In Betreff der Herrschaft über Toscana zweifelt er nicht, daß dieselbe seiner Stadt gehöre und hält (in einem besondern Discorso) die Wiederbezwingung Pisa's für eine Lebensfrage; er bedauert, daß man Arezzo nach der Rebellion von 1502 überhaupt habe stehen lassen; er giebt sogar im Allgemeinen zu, italienische Republiken müßten sich lebhaft nach außen bewegen und vergrößern dürfen, um nicht selber angegriffen zu werden und um Ruhe im Innern zu haben; allein Florenz habe die Sache immer verkehrt angefangen und sich Pisa, Siena und Lucca von jeher tödtlich verfeindet, während das „brüder- lich behandelte“ Pistoja sich freiwillig untergeordnet habe. Siena. Es wäre unbillig, die wenigen übrigen Republiken, die im XV. Jahrhundert noch existirten, mit diesem einzi- gen Florenz auch nur in Parallele setzen zu wollen, welches bei Weitem die wichtigste Werkstätte des italienischen, ja des modernen europäischen Geistes überhaupt war. Siena litt an den schwersten organischen Uebeln und sein relatives Gedeihen in Gewerben und Künsten darf hierüber nicht täuschen. Aeneas Sylvius Aen. Sylvii apologia ad Martinum Mayer, p. 701. — Aehnlich noch Macchiavelli, Discorsi I, 55 u. a. a. O. schaut von seiner Vaterstadt aus wahrhaft sehnsüchtig nach den „fröhlichen“ deutschen Reichsstädten hinüber, wo keine Confiscationen von Habe und Erbe, keine gewaltthätigen Behörden, keine Factionen Genua. das Dasein verderben Wie völlig moderne Halbbildung und Abstraction bisweilen in das politische Wesen hineingriffen, zeigt die Parteiung von 1535, Della Valle, lettere sanesi III, p. 317. Eine Anzahl von Krämern, aufgeregt durch Livius und Macchiavell's Discorsi, verlangen alles . Genua gehört kaum in den Kreis unserer Betrachtung, da es sich an der ganzen Renaissance 1. Abschnitt. vor den Zeiten des Andrea Doria kaum betheiligte, weß- halb der Rivierese in Italien als Verächter aller höhern Bildung Pierio Valeriano, de infelicitate literator., bei Anlaß des Bar- tolommeo della Rovere. galt. Die Parteikämpfe zeigen hier einen so wilden Character und waren von so heftigen Schwankungen der ganzen Existenz begleitet, daß man kaum begreift wie die Genuesen es anfingen um nach allen Revolutionen und Occupationen immer wieder in einen erträglichen Zustand einzulenken. Vielleicht gelang es weil alle, die sich beim Staatswesen betheiligten, fast ohne Ausnahme zugleich als Kaufleute thätig waren Senarega, de reb. Genuens . bei Murat. XXIV, Col. 548. Ueber die Unsicherheit vgl. bes. Col. 519. 525. 528 etc. Die sehr offen- herzige Rede der Gesandten bei der Uebergabe des Staates an Francesco Sforza 1464 s. bei Cagnola, Archiv. stor. III, p. 165, s. . Welchen Grad von Unsicher- heit der Erwerb im Großen und der Reichthum aushalten können, mit welchem Zustand im Innern der Besitz ferner Colonien verträglich ist, lehrt Genua in überraschender Weise. Lucca bedeutet im XV. Jahrhundert nicht viel. Wie nun die meisten italienischen Staaten in ihrem Auswärtige Politik. Innern Kunstwerke, d. h. bewußte, von der Reflexion ab- hängige, auf genau berechneten sichtbaren Grundlagen ru- hende Schöpfungen waren, so mußte auch ihr Verhältniß zu einander und zum Ausland ein Werk der Kunst sein. Daß sie fast sämmtlich auf ziemlich neuen Usurpationen beruhen, ist für ihre auswärtigen Beziehungen so verhäng- nißvoll als für das Innere. Keiner erkennt den andern Ernstes Volkstribunen u. a. römische Magistrate gegen die Miß- regierung der Vornehmen und Beamten. 1. Abschnitt. ohne Rückhalt an; dasselbe Glücksspiel, welches bei Grün- dung und Befestigung der eigenen Herrschaft gewaltet hat, mag auch gegen den Nachbar walten. Hängt es doch gar nicht immer von dem Gewaltherrscher ab, ob er ruhig sitzen wird oder nicht. Das Bedürfniß sich zu vergrößern, sich überhaupt zu rühren ist allen Illegitimen eigen. So wird Italien die Heimath einer „auswärtigen Politik“, welche dann allmälig auch in andern Ländern die Stelle eines anerkannten Rechtszustandes vertreten hat. Die völlig ob- jective, von Vorurtheilen wie von sittlichen Bedenken freie Behandlung der internationalen Dinge erreicht bisweilen eine Vollendung, in welcher sie elegant und großartig er- scheint, während das Ganze den Eindruck eines bodenlosen Abgrundes hervorbringt. Bedrohung Ve- nedigs. Diese Ränke, Liguen, Rüstungen, Bestechungen und Verräthereien machen zusammen die äußere Geschichte des damaligen Italiens aus. Lange Zeit war besonders Ve- nedig der Gegenstand allgemeiner Anklagen, als wollte es ganz Italien erobern oder allgemach so herunterbringen, daß ein Staat nach dem andern ihm ohnmächtig in die Arme fallen müsse So noch ganz spät Varchi, stor. fiorent. I, 57. . Bei näherm Zusehen wird man je- doch inne, daß dieser Weheruf sich nicht aus dem Volk sondern aus der Umgebung der Fürsten und Regierungen erhebt, welche fast sämmtlich bei ihren Unterthanen schwer verhaßt sind, während Venedig durch sein leidlich mildes Regiment ein allgemeines Zutrauen genießt Galeazzo Maria Sforza sagt 1467 dem venezian. Agenten wohl das Gegentheil, allein dieß ist nur ergötzliche Prahlerei. Vgl. Mali- piero, Annali veneti, arch. stor. VII, I, p. 216 u. f. Bei jedem Anlaß ergeben sich Städte und Landschaften freiwillig an Vene- dig, freilich meist solche, die aus tyrannischen Händen kommen, wäh- rend Florenz freiheitsgewohnte Nachbarrepubliken darnieder halten muß, wie Guicciardini (Ricordi, N. 29) bemerkt. . Auch Flo- renz, mit seinen knirschenden Unterthanenstädten fand sich Venedig gegenüber in mehr als schiefer Stellung, selbst 1. Abschnitt. wenn man den Handelsneid und das Fortschreiten Venedigs in der Romagna nicht in Betracht zog. Endlich brachte es die Liga von Cambray (S. 69) wirklich dahin, den- jenigen Staat zu schwächen, den ganz Italien mit vereinten Kräften hätte stützen sollen. Allein auch alle übrigen versehen sich des Allerschlimm- Die Fremden. sten zu einander, wie das eigene böse Gewissen es jedem eingiebt, und sind fortwährend zum Aeußersten bereit. Lodovico Moro, die Aragonesen von Neapel, Sixtus IV. hielten in ganz Italien die allergefährlichste Unruhe wach, der Kleinern zu geschweigen. Hätte sich dieses entsetzliche Spiel nur auf Italien beschränkt! allein die Natur der Dinge brachte es mit sich, daß man sich nach fremder In- tervention und Hülfe umsah, hauptsächlich nach Franzosen und Türken. Zunächst sind die Bevölkerungen selber durchweg für Frankreich eingenommen. Mit einer grauenerregenden Naive- Französische Sympathien. tät gesteht Florenz von jeher seine alte guelfische Sympathie für die Franzosen ein Vielleicht das Stärkste dieser Art in einer Instruction an die zu Carl VII. gehenden Gesandten im J. 1452, bei Fabroni, Cos- mus, Adnot. 107. . Und als Carl VIII. wirklich im Süden der Alpen erschien, fiel ihm ganz Italien mit einem Jubel zu, welcher ihm und seinen Leuten selber ganz wun- derlich vorkam Comines, Charles VIII, chap. 10: man hielt die Franzosen comme saints. — Vgl. Chap. 17. — Chron. Venetum bei Murat. XXIV, Col. 5, 10, 14, 15. — Matarazzo, Cron. di Perugia, arch. stor. XVI, II, p. 23. Zahlloser anderen Aussagen nicht zu gedenken. . In der Phantasie der Italiener (man denke an Savonarola) lebte das Idealbild eines großen, weisen und gerechten Retters und Herrschers, nur war es nicht mehr wie bei Dante der Kaiser, sondern der capetin- 1. Abschnitt. gische König von Frankreich. Mit seinem Rückzug war die Täuschung im Ganzen dahin, doch hat es noch lange ge- dauert bis man einsah, wie vollständig Carl VIII. , Lud- wig XII. und Franz I. ihr wahres Verhältniß zu Italien verkannten und von welch untergeordneten Beweggründen sie sich leiten ließen. Anders als das Volk suchten die Fürsten sich Frankreichs zu bedienen. Als die französisch- englischen Kriege zu Ende waren, als Ludwig XI. seine diplomatischen Netze nach allen Seiten hin auswarf, als vollends Carl von Burgund sich in abenteuerlichen Plänen wiegte, da kamen ihnen die italienischen Cabinete von allen Seiten entgegen und die französische Intervention mußte früher oder später eintreten, auch ohne die Ansprüche auf Neapel und Mailand, so gewiß als sie z. B. in Genua und Piemont schon längst stattgefunden hatte. Die Vene- zianer erwarteten sie schon 1462 Pii II. Commentarii, X, p. 492. . Welche Todesangst Herzog Galeazzo Maria von Mailand während des Bur- gunderkrieges ausstand, als er, scheinbar sowohl mit Lud- wig XI. als mit Carl verbündet, den Ueberfall Beider fürchten mußte, zeigt seine Correspondenz Gingins, dépêches des ambassadeurs Milanais etc. I, p. 26. 153, 279. 283. 285. 327. 331. 345. 359. II, p. 29. 37. 101. 217. 306. Carl sprach bereits einmal davon, Mailand dem jungen Ludwig von Orleans zu geben. in schlagender Versuch eines Gleichgewich- tes. Weise. Das System eines Gleichgewichtes der vier italie- nischen Hauptstaaten, wie Lorenzo magnifico es verstand, war doch nur das Postulat eines lichten, optimistischen Geistes, welcher über frevelnde Experimental-Politik wie über florentinischen Guelfen-Aberglauben hinaus war und sich bemühte, das Beste zu hoffen. Als Ludwig XI. ihm im Kriege gegen Ferrante von Neapel und Sixtus IV. Hülfstruppen anbot, sagte er: „ich vermag noch nicht, „meinen Nutzen der Gefahr ganz Italiens vorzuziehen; „wollte Gott, es fiele den französischen Königen niemals 1. Abschnitt. „ein, ihre Kräfte in diesem Lande zu versuchen! wenn es „dazu kömmt, so ist Italien verloren.“ Nicolò Valori, Vita di Lorenzo. Für andere Für- sten dagegen ist der König von Frankreich abwechselnd Mittel oder Gegenstand des Schreckens und sie drohen mit ihm sobald sie aus irgend einer Verlegenheit keinen beque- mern Ausweg wissen. Vollends glaubten die Päpste, ohne alle eigene Gefahr mit Frankreich operiren zu dürfen, und Innocenz VIII. meinte noch, er könne schmollend sich nach dem Norden zurückziehen, um von da mit einem französi- schen Herr als Eroberer nach Italien zurückzukehren Fabroni: Laurentius magnificus, Adnot. 205, s. . Denkende Menschen sahen also die fremde Eroberung Die Aera der Interven- tionen. schon lange vor dem Zuge Carls VIII. voraus Z. B. Jovian. Pontanus in seinem Charon. Am Ende erwartet er einen Einheitsstaat. . Und als Carl wieder über die Alpen zurück war, lag es erst recht klar vor aller Augen, daß nunmehr eine Aera der Interventionen begonnen habe. Fortan verflicht sich Un- glück mit Unglück, man wird zu spät inne, daß Frankreich und Spanien, die beiden Hauptintervenienten, inzwischen moderne Großmächte geworden sind, daß sie sich nicht mehr mit oberflächlichen Huldigungen begnügen können, sondern um Einfluß und Besitz in Italien auf den Tod kämpfen müssen. Sie haben angefangen, den centralisirten italie- nischen Staaten zu gleichen, ja dieselben nachzuahmen, nur in colossalem Maßstab. Die Absichten auf Länderraub und Ländertausch nehmen eine Zeitlang einen Flug ins Unbe- dingte hinaus. Das Ende aber war bekanntlich ein totales Uebergewicht Spaniens, welches als Schwert und Schild der Gegenreformation auch das Papstthum in eine lange Abhängigkeit brachte. Die traurige Reflexion der Philo- sophen bestand dann einzig darin, nachzuweisen wie alle 1. Abschnitt. die, welche die Barbaren gerufen, ein schlechtes Ende ge- nommen hätten. Verbindungen mit den Türken. Offen und ohne alle Scheu setzte man sich im XV. Jahrhundert auch mit den Türken in Verbindung; es schien dieß ein Mittel politischer Wirkung wie ein anderes. Der Begriff einer solidarischen „abendländischen Christenheit“ hatte schon im Verlauf der Kreuzzüge bisweilen bedenklich gewankt und Friedrich II. mochte demselben bereits ent- wachsen sein, allein das erneute Vordringen des Orientes, die Noth und der Untergang des griechischen Reiches hatte im Ganzen wieder die frühere Stimmung der Abendländer (wenn auch nicht ihren Eifer) erneuert. Hievon macht Italien eine durchgängige Ausnahme; so groß der Schrecken vor den Türken und die wirkliche Gefahr sein mochte, so Die Regierun- gen; ist doch kaum eine bedeutendere Regierung, welche nicht irgend einmal frevelhaft mit Mohammed II. und seinen Nachfolgern einverstanden gewesen wäre gegen andere ita- lienische Staaten. Und wo es nicht geschah, da traute es doch jeder dem andern zu — es war noch immer nicht so schlimm als was z. B. die Venezianer dem Thronerben Alfons von Neapel Schuld gaben, daß er Leute geschickt habe, um die Cisternen von Venedig zu vergiften Comines, Charles VIII. chap. 7. — Wie Alfons im Kriege sei- nen Gegner bei einer Unterredung wegzufangen suchte erzählt Nan- tiporto, bei Murat. III, II, Col. 1073. Er ist der wahre Vor- läufer des Cesare Borgia. . Von einem Verbrecher wie Sigismondo Malatesta erwartete man nichts Besseres, als daß er die Türken nach Italien rufen möchte Pii II. Commentarii X, p. 492. — Was Galeazzo Maria von Mailand 1467 einem venezian. Agenten sagte, war wohl nur Prahlerei. Vgl. Malipiero, ann. veneti, archiv. stor. VII, I, p. 222. — Ueber Boccalino s. S. 26. . Aber auch die Aragonesen von Neapel, welchen Mohammed — angeblich von andern italienischen Regie- rungen Porzio, congiura de' baroni, l. I, p. 4. Daß Lorenzo magnifico die Hand im Spiel gehabt habe, ist schwer glaublich. aufgereizt — eines Tages Otranto wegnahm, 1. Abschnitt. hetzten hernach den Sultan Bajazeth II. gegen Venedig Chron. Venetum, bei Murat. XXIV, Col. 14 und 76. . Ebendasselbe ließ sich Lodovico Moro zu Schulden kommen; „Das Blut der Gefallenen und der Jammer der bei den „Türken Gefangenen schreit gegen ihn zu Gott um Rache“, sagt der Annalist des Staates. In Venedig, wo man Alles wußte, war es auch bekannt, daß Giovanni Sforza, Fürst von Pesaro, der Vetter des Moro, die nach Mailand reisenden türkischen Gesandten beherbergt hatte Malipiero, a. a. O., p. 565. 568. . Von den Päpsten des XV. Jahrhunderts sind die beiden ehren- Die Päpste; werthesten, Nicolaus V. und Pius II. in tiefstem Kummer wegen der Türken gestorben, letzterer sogar unter den An- stalten einer Kreuzfahrt, die er selber leiten wollte; ihre Nachfolger dagegen veruntreuen die aus der ganzen Chri- stenheit gesammelten Türkengelder, und entweihen den dar- auf gegründeten Ablaß zu einer Geldspeculation für sich Trithem. Annales Hirsaug. ad a. 1490, Tom. II, p. 535, s. . Innocenz VIII. giebt sich zum Kerkermeister des geflüchte- ten Prinzen Dschem her, gegen ein von dessen Bruder Bajazeth II. zu zahlendes Jahrgeld, und Alexander VI. unterstützt in Constantinopel die Schritte des Lodovico Moro zur Förderung eines türkischen Angriffes auf Venedig (1498), worauf ihm dieses mit einem Concil droht Malipiero, a. a. O. p. 161. Vgl. p. 152. — Die Auslieferung des Dschem an Carl VIII. s. p. 145, wo es klar wird, daß eine Correspondenz der schimpflichsten Art zwischen Alexander und Baja- zeth existirte, wenn auch die Actenstücke bei Burcardus unterg eschoben sein sollten. . Man sieht, daß das berüchtigte Bündniß Franz I. mit Soliman II. nichts in seiner Art Neues und Unerhörtes war. Uebrigens gab es auch einzelne Bevölkerungen, welchen Die Bevölke- rungen. 1. Abschnitt. sogar der Uebergang an die Türken nicht mehr als etwas besonders Schreckliches erschien. Selbst wenn sie nur gegen drückende Regierungen damit gedroht haben sollten, so wäre dieß doch ein Zeichen, daß man mit dem Gedanken halben- weges vertraut geworden war. Schon um 1480 giebt Battista Mantovano deutlich zu verstehen, daß die meisten Anwohner der adriatischen Küste etwas der Art voraussähen und daß namentlich Ancona es wünsche Bapt. Mantuanus, de calamitatibus temporum, zu Ende des zweiten Buches, im Gesang der Nereide Doris an die türkische Flotte. . Als die Ro- magna unter Leo X. sich sehr bedrückt fühlte, sagte einst ein Abgeordneter von Ravenna dem Legaten Cardinal Giulio Medici ins Gesicht: „Monsignore, die erlauchte „Republik Venedig will uns nicht, um keinen Streit mit „der Kirche zu bekommen, wenn aber der Türke nach Ra- „gusa kommt, so werden wir uns ihm übergeben Tommaso Gar, relazioni della corte di Roma, I, p. 55. .“ Eine Aufgabe Spaniens. Angesichts der damals schon begonnenen Unterjochung Italiens durch die Spanier ist es ein leidiger aber doch gar nicht grundloser Trost, daß nunmehr das Land wenig- stens vor der Barbarisirung durch die Türken-Herrschaft geschützt war Ranke, Geschichten der romanischen und germanischen Völker. — Michelet's Ansicht (Réforme, p. 467), die Türken würden sich in Italien occidentalisirt haben, überzeugt mich nicht. — Vielleicht zum erstenmal ist jene Bestimmung Spaniens angedeutet in der Festrede welche Fedra Inghirami 1510 vor Julius II. hielt, zur Feier der Einnahme von Bugia durch die Flotte Ferdinands d. Cath. Vgl. Anecdota litteraria II, p. 149. . Sich selber hätte es bei der Entzweiung seiner Herrscher schwerlich vor diesem Schicksal bewahrt. Objectivität der Politik. Wenn man nach all Diesem von der damaligen ita- lienischen Staatskunst etwas Gutes sagen soll, so kann sich dies nur auf die objective, vorurtheilslose Behandlung solcher Fragen beziehen, welche nicht durch Furcht, Leiden- schaft oder Bosheit bereits getrübt waren. Hier giebt es 1. Abschnitt. kein Lehnswesen im nordischen Sinn mit künstlich abgelei- teten Rechten, sondern die Macht, welche jeder besitzt, be- sitzt er (in der Regel) wenigstens factisch ganz. Hier giebt es keinen Geleitsadel, welcher im Gemüth der Fürsten den abstracten Ehrenpunkt mit all seinen wunderlichen Folge- rungen aufrecht hielte, sondern Fürsten und Rathgeber sind darin eins, daß nur nach der Lage der Dinge, nach den zu erreichenden Zwecken zu handeln sei. Gegen die Men- schen, die man benützt, gegen die Verbündeten, woher sie auch kommen mögen, existirt kein Kastenhochmuth, der irgend Jemanden abschrecken könnte, und zu allem Ueberfluß redet der Stand der Condottieren, wo die Herkunft völlig gleich- gültig ist, vernehmlich genug von der wirklichen Macht. Endlich kennen die Regierungen, als gebildete Despoten, ihr eigenes Land und die Länder ihrer Nachbarn ungleich genauer als ihre nordischen Zeitgenossen die ihrigen, und berechnen die Leistungsfähigkeit von Freund und Feind in öconomischer wie in moralischer Hinsicht bis ins Einzelste; sie erscheinen, trotz den schwersten Irrthümern, als geborene Statistiker. Mit solchen Menschen konnte man unterhandeln, man Die Unterhand- lung. konnte sie zu überzeugen, d. h. durch thatsächliche Gründe zu bestimmen hoffen. Als der große Alfonso von Neapel (1434) Gefangener des Filippo Maria Visconti geworden war, wußte er diesen zu überzeugen, daß die Herrschaft des Hauses Anjou über Neapel statt der seinigen die Fran- zosen zu Herrn von Italien machen würde, und Jener ließ ihn ohne Lösegeld frei und schloß ein Bündniß mit ihm U. a. Corio, fol. 333. Vgl. das Benehmen gegen Sforza, fol. 329. . Schwerlich hätte ein nordischer Fürst so gehandelt und ge- wiß keiner von der sonstigen Moralität des Visconti. Ein festes Vertrauen auf die Macht thatsächlicher Gründe be- weist auch der berühmte Besuch, welchen Lorenzo magnifico Cultur der Renaissance. 7 1. Abschnitt. — unter allgemeiner Bestürzung der Florentiner — dem treulosen Ferrante in Neapel abstattete, der gewiß in der Versuchung und nicht zu gut dazu war, ihn als Gefan- genen da zu behalten Nic. Valori, vita di Lorenzo. — Paul. Jovius, vita Leonis X, L. I. letzterer gewiß nach guten Quellen, obwohl nicht ohne Rhetorik. . Denn daß man einen mächtigen Fürsten verhaften und dann nach Ausstellung einiger Unter- schriften und andern tiefen Kränkungen wieder lebendig entlassen könne, wie Carl der Kühne mit Ludwig XI. zu P é ronne that (1468), erschien den Italienern als Thorheit Wenn Comines bei diesem und hundert andern Anlässen so objectiv beobachtet und urtheilt als irgend ein Italiener, so ist dabei sein italienischer Umgang, zumal mit Angelo Catto, gewiß sehr in Be- tracht zu ziehen , so daß Lorenzo entweder gar nicht mehr oder ruhmbedeckt zurück erwartet wurde. Es ist in dieser Zeit zumal von venezianischen Gesandten eine Kunst der politischen Ueber- redung aufgewandt worden, von welcher man diesseits der Alpen erst durch die Italiener einen Begriff bekam, und welche ja nicht nach den officiellen Empfangsreden beur- theilt werden darf, denn diese gehören der humanistischen Schulrhetorik an. An Derbheiten und Naivetäten fehlte es im diplomatischen Verkehr auch nicht Vgl. z. B. Malipiero, a. a. O. p. 216. 221. 236. 237. 478, etc. , trotz aller sonst sehr entwickelten Etikette. Fast rührend aber erscheint uns ein Geist wie Macchiavell in seinen „Legazioni“. Mangel- haft instruirt, kümmerlich ausgestattet, als untergeordneter Agent behandelt, verliert er niemals seinen freien, hohen Beobachtungsgeist und seine Lust des anschaulichen Berich- tens. — Von dem Studium des Menschen, als Volk wie als Individuum, welches mit dem Studium der Verhält- nisse bei diesen Italienern Hand in Hand ging, wird in einem besondern Abschnitte die Rede sein. Der Krieg als Kunstwerk. Auf welche Weise auch der Krieg den Character eines Kunstwerkes annahm, soll hier nur mit einigen Worten 1. Abschnitt. angedeutet werden. Im abendländischen Mittelalter war die Ausbildung des einzelnen Kriegers eine höchst vollendete innerhalb des herrschenden Systemes von Wehr und Waffen, auch gab es gewiß jederzeit geniale Erfinder in der Be- festigungs- und Belagerungskunst, allein Strategie sowohl als Tactik wurden in ihrer Entwicklung gestört durch die vielen sachlichen und zeitlichen Beschränkungen der Kriegs- pflicht, und durch den Ehrgeiz des Adels, welcher z. B. Angesichts der Feinde um den Vorrang im Streit haderte und mit seinem bloßen Ungestüm gerade die wichtigsten Schlachten, wie die von Cr é cy und Maupertuis, verdarb. Bei den Italienern dagegen herrschte am frühsten das in solchen Dingen anders geartete Söldnerwesen vor, und auch die frühe Ausbildung der Feuerwaffen trug ihrerseits dazu Feuerwaffen. bei, den Krieg gleichsam zu democratisiren, nicht nur weil die festesten Burgen vor den Bombarden erzitterten, sondern weil die auf bürgerlichem Wege erworbene Geschicklichkeit des Ingenieurs, Stückgießers und Artilleristen in den Vor- dergrund trat. Man empfand dabei nicht ohne Schmerz, daß die Geltung des Individuums, — die Seele der kleinen, trefflich ausgebildeten italienischen Söldnerheere — durch jene von ferne her wirkenden Zerstörungsmittel beeinträch- tigt wurde, und es gab einzelne Condottieren, welche sich wenigstens gegen das unlängst in Deutschland erfundene Pii II, Commentarii L. IV. p. 190 ad a. 1459. Handrohr aus Kräften verwahrten; so ließ Paolo Vitelli Paul. Jovius, elogia. Man wird an Federigo von Urbino erin- innert, „welcher sich geschämt hätte“, in seiner Bibliothek ein ge- drucktes Buch zu dulden. Vgl. Vespas. Fiorent. den gefangenen feindlichen Schioppettieri die Augen aus- stechen und die Hände abhauen, während er die Kanonen als berechtigt anerkannte und gebrauchte. Im Großen und Ganzen aber ließ man die Erfindungen walten und nützte 7* 1. Abschnitt. sie nach Kräften aus, so daß die Italiener für die Angriffs- mittel wie für den Festungsbau die Lehrer von ganz Europa Kenner und Dilettanten. wurden. Fürsten wie Federigo von Urbino, Alfonso von Ferrara, eigneten sich eine Kennerschaft des Faches an, gegen welche selbst die eines Maximilian I. nur oberfläch- lich erschienen sein wird. In Italien gab es zuerst eine Wissenschaft und Kunst des gesammten im Zusammenhang behandelten Kriegswesens; hier zuerst begegnen wir einer neutralen Freude an der correcten Kriegführung als solcher, wie dieß zu dem häufigen Parteiwechsel und zu der rein sachlichen Handlungsweise der Condottieren paßte. Während des mailändisch-venezianischen Krieges von 1451 und 1452, zwischen Francesco Sforza und Jacopo Picinino, folgte dem Hauptquartier des letztern der Literat Porcellio, mit dem Auftrage des Königs Alfonso von Neapel, eine Relation Porcellii commentaria Jac. Picinini, bei Murat. XX. Eine Fortsetzung für den Krieg von 1453 ibid. XXV. zu verfassen. Sie ist in einem nicht sehr reinen aber fließenden Latein im Geiste des damaligen humanisti- schen Bombastes geschrieben, im Ganzen nach Caesar's Vor- bild, mit eingestreuten Reden, Prodigien u. s. w.; und da man seit hundert Jahren ernstlich darob stritt, ob Scipio Africanus maior oder Hannibal größer gewesen Aus Mißverstand nennt Porcellio den Scipio „Aemilianus“, wäh- rend er den Africanus major meint. , muß sich Picinino bequemen, durch das ganze Werk Scipio zu heißen und Sforza Hannibal. Auch über das mailändische Heer mußte objectiv berichtet werden; der Sophist ließ sich bei Sforza melden, wurde die Reihen entlang geführt, lobte Alles höchlich und versprach, was er hier gesehen ebenfalls der Nachwelt zu überliefern Simonetta, Hist. Fr. Sfortiæ, bei Murat. XXI, Col. 630. . Auch sonst ist die damalige Literatur Italiens reich an Kriegsschilderungen und Auf- zeichnungen von Stratagemen zum Gebrauch des beschau- lichen Kenners sowohl als der gebildeten Welt überhaupt, 1. Abschnitt. während gleichzeitige nordische Relationen, z. B.: Diebold Schillings Burgunderkrieg noch ganz die Formlosigkeit und protocollarische Treue von Chroniken an sich haben. Der größte Dilettant, der je als solcher Als solcher wird er dann doch behandelt. Vgl. Bandello, Parte I, Nov. 40. im Kriegswesen auf- getreten ist, Macchiavelli, schrieb damals seine „arte della guerra“ . Die subjective Ausbildung des einzelnen Kriegers Zweikämpfe. aber fand ihre vollendetste Aeußerung in jenen feierlichen Kämpfen von einem oder mehrern Paaren, dergleichen schon lange vor dem berühmten Kampfe bei Barletta (1503) Sitte gewesen ist Vgl. z. B.: De obsidione Tiphernatium, im 2. Band der rer. italicar. scriptores ex codd. florent. Col. 690. Ein sehr be- zeichnendes Ereigniß vom J. 1474. — Der Zweikampf des Mar- schalls Boucicault mit Galeazzo Gonzaga 1406 bei Cagnola, Arch. stor. III, p. 25. — Wie Sixtus IV. die Duelle seiner Gardisten ehrte, erzählt Infessura. Seine Nachfolger erließen Bullen gegen das Duell überhaupt. Sept. Decretal. V. Tit. 17. . Der Sieger war dabei einer Verherrlichung gewiß, die ihm im Norden fehlte: durch Dichter und Hu- manisten. Es liegt im Ausgang dieser Kämpfe kein Gottes- urtheil mehr, sondern ein Sieg der Persönlichkeit und — für die Zuschauer — der Entscheid einer spannenden Wette nebst einer Genugthuung für die Ehre des Heeres oder der Nation. Es versteht sich, daß diese ganze rationelle Behand- Kriegsgräuel. lung der Kriegssachen unter gewissen Umständen den ärgsten Gräueln Platz machte, selbst ohne Mitwirkung des politischen Hasses, bloß etwa einer versprochenen Plünderung zu Liebe. Nach der vierzigtägigen Verheerung Piacenza's (1447), welche Sforza seinen Soldaten hatte gestatten müssen, stand die Stadt geraume Zeit leer und mußte mit Gewalt wieder bevölkert werden Das Nähere Arch. stor. Append. Tom. V. . Doch will dergleichen wenig sagen im 1. Abschnitt. Vergleich mit dem Jammer, den nachher die Truppen der Fremden über Italien brachten; besonders jene Spanier, in welchen vielleicht ein nicht abendländischer Zusatz des Geblütes, vielleicht die Gewöhnung an die Schauspiele der Inquisition die teuflische Seite der Natur entfesselt hatte. Wer sie kennen lernt bei ihren Gräuelthaten von Prato, Rom u. s. w., hat es später schwer, sich für Ferdinand den Catholischen und Carl V. in höherm Sinne zu interessiren. Diese haben ihre Horden gekannt und dennoch losgelassen. Die Last von Acten aus ihrem Cabinet, welche allmälig zum Vorschein kömmt, mag eine Quelle der wichtigsten Notizen bleiben — einen belebenden politischen Gedanken wird Niemand mehr in den Scripturen solcher Fürsten suchen. Das Papst- thum. Papstthum und Kirchenstaat Ein für allemal ist hier auf Ranke's Päpste, Bd. I, und auf Su- genheim, Geschichte der Entstehung und Ausbildung des Kirchenstaates, zu verweisen. , als eine ganz aus- nahmsweise Schöpfung, haben uns bisher, bei der Fest- stellung des Characters italienischer Staaten überhaupt, nur beiläufig beschäftigt. Gerade das, was sonst diese Staaten interessant macht, die bewußte Steigerung und Concentration der Machtmittel, findet sich im Kirchenstaat am wenigsten, indem hier die geistliche Macht die mangel- hafte Ausbildung der weltlichen unaufhörlich decken und ersetzen hilft. Welche Feuerproben hat der so constituirte Staat im XIV. und beginnenden XV. Jahrhundert aus- gehalten! Als das Papstthum nach Südfrankreich gefangen geführt wurde, ging Anfangs Alles aus den Fugen, aber Avignon hatte Geld, Truppen und einen großen Staats- und Kriegsmann, der den Kirchenstaat wieder völlig unter- warf, den Spanier Albornoz. Noch viel größer war die Gefahr einer definitiven Auflösung, als das Schisma hin- 1. Abschnitt. zutrat, als weder der römische noch der avignonesische Papst reich genug war um den von Neuem verlorenen Staat zu unterwerfen, aber nach der Herstellung der Kircheneinheit gelang dieß unter Martin V. doch wieder, und gelang abermals nachdem sich die Gefahr unter Eugen IV. er- neuert hatte. Allein der Kirchenstaat war und blieb einst- weilen eine völlige Anomalie unter den Ländern Italiens; in und um Rom trotzten dem Papstthum die großen Adels- familien der Colonna, Savelli, Orsini, Anguillara u. s. w.; in Umbrien, in der Mark, in der Romagna gab es zwar jetzt fast keine jener Stadt-Republiken mehr, welchen einst das Papstthum für ihre Anhänglichkeit so wenig Dank ge- wußt hatte, aber dafür eine Menge großer und kleiner Fürstenhäuser, deren Gehorsam und Vasallentreue nicht viel besagen wollte. Als besondere, aus eigener Kraft bestehende Dynastien haben sie auch ihr besonderes Interesse und in dieser Beziehung ist oben (S. 28, 44) bereits von den wichtigsten derselben die Rede gewesen. Gleichwohl sind wir auch dem Kirchenstaat als Ganzem Seine besonde- ren Gefahren. hier eine kurze Betrachtung schuldig. Neue merkwürdige Krisen und Gefahren kommen seit der Mitte des XV. Jahr- hunderts über ihn, indem der Geist der italienischen Politik von verschiedenen Seiten her sich auch seiner zu bemächtigen, ihn in die Pfade seiner Raison zu leiten sucht. Die ge- ringern dieser Gefahren kommen von außen oder aus dem Volke, die größern haben ihre Quelle in dem Gemüth der Päpste selbst. Das transalpinische Ausland darf zunächst außer Be- tracht bleiben. Wenn dem Papstthum in Italien eine tödtliche Bedrohung zustieß, so hätte ihm weder Frankreich unter Ludwig XI. , noch England beim Beginn der Rosen- kriege, noch das einstweilen gänzlich zerrüttete Spanien, noch auch das um sein Basler Concil betrogene Deutschland die geringste Hülfe gewährt oder auch nur gewähren können. 1. Abschnitt. In Italien selber gab es eine gewisse Anzahl Gebildeter Stützpunkte. und auch wohl Ungebildeter, welche eine Art von National- stolz darein setzten, daß das Papstthum dem Lande gehöre; sehr Viele hatten ein bestimmtes Interesse dabei, daß es so sei und bleibe; eine gewaltige Menge glaubten auch noch an die Kraft der päpstlichen Weihen und Segnungen Der Eindruck der Benedictionen Eugen's IV. in Florenz, Vespa- siano Fiorent. p. 18. — Die Majestät der Functionen Nicolaus V, s. Infessura (Eccard, II, Col. 1883, seq.) und J. Manetti, Vita Nicolai V. (Murat. III, II, Col. 923). — Die Huldigungen an Pius II, s. Diario Ferrarese (Murat. XXIV. Col. 205) und Pii II. Comment. passim, bes. IV, 201. 204. XI, 562. Auch Mörder vom Fach wagen sich nicht an den Papst. — Die großen Functionen wurden als etwas sehr wesentliches behandelt von dem pomphaften Paul II. (Platina l. c. 321) und von Sixtus IV, welcher die Ostermesse trotz des Podagras sitzend hielt (Jac. Volaterran. diarium, Murat. XXIII. Col. 131). Merk- würdig unterscheidet das Volk zwischen der magischen Kraft des Se- gens und der Unwürdigkeit des Segnenden; als er 1481 die Him- melfahrtsbenediction nicht geben konnte, murrten und fluchten sie über ihn (Ibid. Col. 133). , darunter auch große Frevler, wie jener Vitellozzo Vitelli, der noch um den Ablaß Alexanders VI. flehte als ihn der Sohn des Papstes erwürgen ließ Macchiavelli, Scritti minori, p. 142, in dem bekannten Aufsatz über die Katastrophe von Sinigaglia. — Freilich waren Spanier und Franzosen noch eifriger als italienische Soldaten. Vgl. bei Paul. Jov. vita Leonis X. (L. II.) die Scene vor der Schlacht bei Ravenna, wo das spanische Herr den vor Freude weinenden Le- gaten wegen der Absolution umdrängt. Ferner ( ibid. ) die Franzosen in Mailand. . Allein alle diese Sym- pathien zusammen hätten wiederum das Papstthum nicht gerettet gegenüber von wahrhaft entschlossenen Gegnern, die den vorhandenen Haß und Neid zu benützen gewußt hätten. Und bei so geringer Aussicht auf äußere Hülfe ent- wickeln sich gerade die allergrößten Gefahren im Innern des Papstthums selber. Schon indem dasselbe jetzt wesent- 1. Abschnitt. lich im Geist eines weltlichen italienischen Fürstenthums lebte und handelte, mußte es auch die düstern Momente eines solchen kennen lernen; seine eigenthümliche Natur aber brachte noch ganz besondere Schatten hinein. Was zunächst die Stadt Rom betrifft, so hat man von Die Stadt Rom un- ter Nicolaus V. jeher dergleichen gethan, als ob man ihre Aufwallungen wenig fürchte, da so mancher durch Volkstumult vertriebene Papst wieder zurückgekehrt sei und die Römer um ihres eigenen Interesses willen die Gegenwart der Curie wünschen mußten. Allein Rom entwickelte nicht nur zu Zeiten einen specifisch antipäpstlichen Radicalismus Bei jenen Ketzern aus der Campagna, von Poli, welche glaubten, ein rechter Papst müßte die Armuth Christi zum Kennzeichen haben, darf man dagegen ein einfaches Waldenserthum vermuthen. Wie sie unter Paul II. verhaftet wurden, erzählen Infessura (Eccard II, Col. 1893), Platina, p. 317, etc. , sondern es zeigte sich auch mitten in den bedenklichsten Complotten die Wir- kung unsichtbarer Hände von außen. So bei der Ver- schwörung des Stefano Porcari gegen denjenigen Papst, welcher gerade der Stadt Rom die größten Vortheile ge- währt hatte, Nicolaus V. (1453). Porcari bezweckte einen Umsturz der päpstlichen Herrschaft überhaupt und hatte dabei große Mitwisser, die zwar nicht genannt werden L. B. Alberti: de Porcaria coniuratione, bei Murat. XXV. Col. 309 seqq. — P. wollte: omnem pontificiam turbam fun- ditus exstinguere. Der Autor schließt: Video sane, quo stent loco res Italiæ; intelligo, qui sint, quibus hic perturbata esse omnia conducat … Er nennt sie: extrinsecos impulsores und meint, Porcari werde noch Nachfolger seiner Missethat finden. P.'s eigene Phantasien glichen freilich denjenigen des Cola Rienzi. , sicher aber unter den italienischen Regierungen zu suchen sind. Unter demselben Pontificat schloß Lorenzo Valla seine berühmte Declamation gegen die Schenkung Constan- 1. Abschnitt. tin's mit einem Wunsch um baldige Säcularisation des Kirchenstaates Ut Papa tantum vicarius Christi sit et non etiam Cæsaris … Tunc Papa et dicetur et erit pater sanctus, pater omnium, pater ecclesiæ etc. . Unter Pius II. Auch die catilinarische Rotte, mit welcher Pius II. (1459) kämpfen mußte Pii II. Commentarii IV. p. 208, seqq. , verhehlte es nicht, daß ihr Ziel der Sturz der Priester-Herrschaft im Allgemeinen sei, und der Hauptanführer Tiburzio gab Wahrsagern die Schuld, welche ihm die Erfüllung dieses Wunsches eben auf dieses Jahr verheißen hätten. Mehrere Römische Große, der Fürst von Tarent und der Condottiere Jacopo Piccinino waren die Mitwisser und Beförderer. Und wenn man be- denkt, welche Beute in den Palästen reicher Prälaten bereit lag (Jene hatten besonders den Cardinal von Aquileja im Auge), so fällt es eher auf, daß in der fast ganz un- bewachten Stadt solche Versuche nicht häufiger und erfolg- reicher waren. Nicht umsonst residirte Pius lieber überall als in Rom, und noch Paul II. hat (1468) einen heftigen Schrecken wegen eines wirklichen oder vorgegebenen Com- plottes ähnlicher Art ausgestanden Platina, Vitæ Papar. p. 318. . Das Papstthum mußte entweder einmal einem solchen Anfall unterliegen oder gewaltsam die Factionen der Großen bändigen, unter deren Schutz jene Räuberschaaren heranwuchsen. Sixtus IV. Diese Aufgabe setzte sich der schreckliche Sixtus IV. Er zuerst hatte Rom und die Umgegend fast völlig in der Gewalt, zumal seit der Verfolgung der Colonnesen, und deßhalb konnte er auch in Sachen des Pontificates sowohl als der italienischen Politik mit so kühnem Trotz verfahren und die Klagen und Concils-Drohungen des ganzen Abend- landes verachten. Die nöthigen Geldmittel lieferte eine plötzlich ins Schrankenlose wachsende Simonie, welche von den Cardinals-Ernennungen bis auf die kleinsten Gnaden 1. Abschnitt. und Bewilligungen herunter sich Alles unterwarf Battista Mantovano, de calamitatibus temporum, L. III. Der Araber verkauft Weihrauch, der Tyrier Purpur, der Inder Elfen- bein: venalia nobis Templa, sacerdotes, altaria, sacra, coronæ, Ignes, thura, preces, cœlum est venale, Deusque. . Sixtus selbst hatte die päpstliche Würde nicht ohne Bestechung er- halten. Eine so allgemeine Käuflichkeit konnte einst dem römi- schen Stuhl üble Schicksale zuziehen, doch lagen dieselben in unberechenbarer Ferne. Anders war es mit dem Ne- Der Nepotis- mus. potismus, welcher das Pontificat selber einen Augenblick aus den Angeln zu heben drohte. Von allen Nepoten genoß Anfangs Cardinal Pietro Riario bei Sixtus die größte und fast ausschließliche Gunst; ein Mensch, welcher binnen Kurzem die Phantasie von ganz Italien beschäftigte Man sehe z. B. die Annales Placentini , bei Murat. XX, Col. 943. , theils durch ungeheuern Luxus, theils durch die Gerüchte, welche über seine Gottlosigkeit und seine politischen Pläne laut wurden. Er hat sich (1473) mit Herzog Galeazzo Maria von Mailand dahin verständigt, daß dieser König der Lombardie werden und ihn, den Nepoten, dann mit Geld und Truppen unterstützen solle, damit er bei seiner Heimkehr nach Rom den päpstlichen Stuhl besteigen könne; Sixtus würde ihm denselben, scheint es, freiwillig abge- treten haben Corio, storia di Milano, fol. 416 bis 420. Pietro hatte schon die Papstwahl des Sixtus leiten helfen, s. Infessura, bei Eccard, scriptores, II, Col. 1895. — Laut Macchiav. storie fior. L. VII. hätten die Venezianer den Cardinal vergiftet. Gründe dazu fehlten ihnen in der That nicht. . Dieser Plan, welcher wohl auf eine Sä- cularisation des Kirchenstaates als Folge der Erblichmachung des Stuhles hinausgelaufen wäre, scheiterte dann durch Pietro's plötzliches Absterben. Der zweite Nepot, Girolamo Riario, blieb weltlichen Standes und tastete das Pontificat 1. Abschnitt. nicht an; seit ihm aber vermehren die päpstlichen Nepoten Der Nepot als Fürst. die Unruhe Italiens durch das Streben nach einem großen Fürstenthum. Früher war es etwa vorgekommen, daß die Päpste ihre Oberlehnsherrlichkeit über Neapel zu Gunsten ihrer Verwandten geltend machen wollten Schon Honorius II. wollte nach dem Tode Wilhelms I. 1127 Apu- lien einziehen, als „dem h. Petrus heimgefallen“. ; seit Calixt III. aber war hieran nicht mehr so leicht zu denken und Giro- lamo Riario mußte, nachdem die Ueberwältigung von Florenz (und wer weiß wie mancher andere Plan) miß- lungen war, sich mit Gründung einer Herrschaft auf Grund und Boden des Kirchenstaates selber begnügen. Man mochte dieß damit rechtfertigen, daß die Romagna mit ihren Fürsten und Stadt-Tyrannen der päpstlichen Oberherrschaft völlig zu entwachsen drohte, oder daß sie in Kurzem die Beute der Sforza und der Venezianer werden konnte, wenn Rom nicht auf diese Weise eingriff. Allein wer garantirte in jenen Zeiten und Verhältnissen den dauernden Gehorsam solcher souverän gewordener Nepoten und ihrer Nachkommen gegen Päpste, die sie weiter nichts mehr angingen? Selbst der noch lebende Papst war nicht immer seines eigenen Sohnes oder Neffen sicher, und vollends lag die Versuchung nahe, den Nepoten eines Vorgängers durch den eigenen zu verdrängen. Die Rückwirkungen dieses ganzen Verhält- nisses auf das Papstthum selbst waren von der bedenklich- sten Art; alle, auch die geistlichen Zwangsmittel wurden ohne irgend welche Scheu an den zweideutigsten Zweck ge- wandt, welchem sich die andern Zwecke des Stuhles Petri unterordnen mußten, und wenn das Ziel unter heftigen Erschütterungen und allgemeinem Haß erreicht war, so hatte man eine Dynastie geschaffen, welche das größte Interesse am Untergang des Papstthums hatte. Als Sixtus starb, konnte sich Girolamo nur mit äu- ßerster Mühe und nur durch den Schutz des Hauses Sforza (dem seine Gemahlin angehörte) in seinem erschwindelten 1. Abschnitt. Fürstenthum (Forli und Imola) halten. Bei dem nun (1484) folgenden Conclave — in welchem Innocenz VIII. Innocenz VIII. und die Simonie. gewählt wurde — trat eine Erscheinung zu Tage, welche beinahe einer neuen äußern Garantie des Papstthums ähn- lich sieht: zwei Cardinäle, welche Prinzen regierender Häuser sind, lassen sich ihre Hülfe auf das Schamloseste durch Geld und Würden abkaufen, nämlich Giovanni d'Aragona, Sohn des Königs Ferrante, und Ascanio Sforza, Bruder des Moro Fabroni: Laurentius magn., Adnot. 130. Ein Kundschafter meldet von diesen beiden: hanno in ogni elezione a mettere a sacco questa corte, e sono i maggior ribaldi del mondo. . So waren wenigstens die Herrscherhäuser von Neapel und Mailand durch Theilnahme an der Beute beim Fortbestand des päpstlichen Wesens interessirt. Noch einmal beim folgenden Conclave, als alle Cardinäle bis auf fünf sich verkauften, nahm Ascanio ungeheure Be- stechungen an, und behielt sich außerdem die Hoffnung Corio, fol. 450. vor, das nächstemal selber Papst zu werden. Auch Lorenzo magnifico wünschte, daß das Haus Medici nicht leer ausgehe. Er vermählte seine Tochter Maddalena mit dem Sohn des neuen Papstes, Franceschetto Cyb ò , und erwartete nun nicht bloß allerlei geistliche Gunst für seinen eigenen Sohn Cardinal Giovanni (den künftigen Leo X. ), sondern auch eine rasche Erhebung des Schwiegersohns Ein höchst bezeichnender Mahnbrief Lorenzo's bei Fabroni, Lauren- tius magn. Adnot. 217 und im Auszug bei Ranke, Päpste, I, p. 45. . Allein in letzterm Betracht verlangte er Unmögliches. Bei Innocenz VIII. konnte von dem kecken, staatengründenden Nepotismus deßhalb nicht die Rede sein, weil Franceschetto ein ganz kümmerlicher Mensch war, dem es, wie seinem Vater dem Papste, nur um den Genuß der Macht im 1. Abschnitt. niedrigsten Sinne, namentlich um den Erwerb großer Geld- massen Um etwa noch neapolitanischer Lehen, weßhalb denn auch Innocenz die Anjou von Neuem gegen den in solchem Betracht harthörigen König Ferrante aufrief. zu thun sein konnte. Die Art jedoch, wie Vater und Sohn dieß Geschäft trieben, hätte auf die Länge zu einer höchst gefährlichen Katastrophe, zur Auflösung des Staates, führen müssen. Verkauf der Be- gnadigungen. Hatte Sixtus das Geld beschafft durch den Verkauf aller geistlichen Gnaden und Würden, so errichten Innocenz und sein Sohn eine Bank der weltlichen Gnaden, wo gegen Erlegung von hohen Taxen Pardon für Mord und Todt- schlag zu haben ist; von jeder Buße kommen 150 Ducaten an die päpstliche Kammer, und was darüber geht, an Franceschetto. Rom wimmelt namentlich in den letzten Zeiten dieses Pontificates von protegirten und nicht prote- girten Mördern; die Factionen, mit deren Unterwerfung Sixtus den Anfang gemacht, stehen wieder in voller Blüthe da; dem Papst in seinem wohlverwahrtem Vatican genügt es, da und dort Fallen aufzustellen, in welchen sich zahlungs- fähige Verbrecher fangen sollen. Für Franceschetto aber gab es nur noch eine Hauptfrage: auf welche Art er sich, wenn der Papst stürbe, mit möglichst großen Kassen aus dem Staube machen könne? Er verrieth sich einmal bei Anlaß einer falschen Todesnachricht (1490); alles überhaupt vorhandene Geld — den Schatz der Kirche — wollte er fortschaffen, und als die Umgebung ihn daran hinderte, sollte wenigstens der Türkenprinz Dschem mitgehen, ein lebendiges Capital, das man um hohen Preis etwa an Ferrante von Neapel verhandeln konnte Vgl. bes. Infessura, bei Eccard, scriptores, II, passim. . Es ist schwer, politische Möglichkeiten in längst vergangenen Zeiten zu berechnen; unabweisbar aber drängt sich die Frage auf, ob Rom noch zwei oder drei Pontificate dieser Art ausgehalten hätte? Auch gegenüber dem andächtigen Europa war es 1. Abschnitt. unklug, die Dinge so weit kommen zu lassen, daß nicht bloß der Reisende und der Pilger, sondern eine ganze Am- bassade des römischen Königs Maximilian in der Nähe von Rom bis aufs Hemde ausgezogen wurde und daß manche Gesandte unterweges umkehrten ohne die Stadt betreten zu haben. Mit dem Begriff vom Genuß der Macht, welcher in Alexander VI. dem hochbegabten Alexander VI. (1492—1503) lebendig war, vertrug sich ein solcher Zustand freilich nicht, und das Erste was geschah, war die einstweilige Herstellung der öffentlichen Sicherheit und das präcise Auszahlen aller Besoldungen. Strenge genommen, dürfte dieses Pontificat hier, wo es sich um italienische Culturformen handelt, übergangen werden, denn die Borgia sind so wenig Italiener als das Haus von Neapel. Alexander spricht mit Cesare öffentlich spanisch, Lucrezia wird bei ihrem Empfang in Ferrara, wo sie spanische Toilette trägt, von spanischen Buffonen angesungen; die vertrauteste Hausdienerschaft besteht aus Spaniern, ebenso die verrufenste Kriegerschaar des Cesare im Krieg des Jahres 1500, und selbst sein Henker, Don Micheletto, so wie der Giftmischer Sebastian Pinzon schei- nen Spanier gewesen zu sein. Zwischen all seinem sonsti- gen Treiben erlegt Cesare auch einmal spanisch kunstgerecht sechs wilde Stiere in geschlossenem Hofraum. Allein die Corruption, als deren Spitze diese Familie erscheint, hatten sie in Rom schon sehr entwickelt angetroffen. Was sie gewesen sind und was sie gethan haben, ist oft und viel geschildert worden. Ihr nächstes Ziel, welches sie auch erreichten, war die völlige Unterwerfung des Kir- chenstaates, indem die sämmtlichen Mit Ausnahme der Bentivoglî von Bologna und des Hauses Este zu Ferrara. Letzteres wurde zur Verschwägerung genöthigt; Lucrezia Borgia heirathete den Prinzen Alfonso. kleinen Herrscher — 1. Abschnitt. meist mehr oder weniger unbotmäßige Vasallen der Kirche — vertrieben oder zernichtet und in Rom selbst beide große Fac- tionen zu Boden geschmettert wurden, die angeblich guelfi- schen Orsinen so gut wie die angeblich ghibellinischen Co- lonnesen. Aber die Mittel, welche angewandt wurden, waren so schrecklich, daß das Papstthum an den Conse- quenzen derselben nothwendig hätte zu Grunde gehen müssen, wenn nicht ein Zwischen-Ereigniß (die gleichzeitige Vergif- tung von Vater und Sohn) die ganze Lage der Dinge Gefahren von außen. plötzlich geändert hätte. — Auf die moralische Entrüstung des Abendlandes allerdings brauchte Alexander nicht viel zu achten; in der Nähe erzwang er Schrecken und Huldi- gung; die ausländischen Fürsten ließen sich gewinnen und Ludwig XII. half ihm sogar aus allen Kräften, die Be- völkerungen aber ahnten kaum was in Mittelitalien vor- ging. Der einzige in diesem Sinne wahrhaft gefährliche Moment, als Carl VIII. in der Nähe war, ging uner- wartet glücklich vorüber, und auch damals handelte es sich wohl nicht um das Papstthum als solches Laut Corio (Fol. 479) dachte Carl an ein Concil, an die Absetzung des Papstes, ja an seine Wegführung nach Frankreich, und zwar erst bei der Rückkehr von Neapel. Laut Benedictus: Carolus VIII. (bei Eccard, scriptores, II, Col. 1584) hätte Carl in Neapel, als ihm Papst und Cardinäle die Anerkennung seiner neuen Krone verweigerten, sich allerdings Gedanken gemacht de Italiæ imperio deque pontificis statu mutando, allein gleich darauf gedachte er sich wieder mit Alexanders persönlicher Demüthigung zu begnügen. Der Papst entwischte ihm jedoch. sondern nur um Verdrängung Alexanders durch einen bessern Papst. Die große, bleibende und wachsende Gefahr für das Pon- tificat lag in Alexander selbst und vor allem in seinem Sohne Cesare Borgia. Simonie. In dem Vater waren Herrschbegier, Habsucht und Wollust mit einem starken und glänzenden Naturell ver- bunden. Was irgend zum Genuß von Macht und Wohl- leben gehört, das gönnte er sich vom ersten Tage an im 1. Abschnitt. weitesten Umfang. In den Mitteln zu diesem Zwecke er- scheint er sogleich völlig unbedenklich; man wußte auf der Stelle, daß er die für seine Papstwahl aufgewandten Opfer mehr als nur wieder einbringen würde Corio, fol. 450. — Malipiero, Ann. veneti, arch. stor. VII, I, p. 318. — Welche Raubsucht die ganze Familie ergriffen haben muß, sieht man u. a. aus Malipiero, a. a. O. p. 565. Ein Nepot wird als päpstlicher Legat in Venedig herrlich empfangen, und macht durch Ertheilung von Dispensen ungeheures Geld; seine Dienerschaft stiehlt beim Abziehen Alles dessen sie habhaft werden kann, auch ein Stück Goldstoff vom Hauptaltar einer Kirche in Murano. , und daß die Simonie des Kaufes durch die des Verkaufes weit würde überboten werden. Es kam hinzu, daß Alexander von seinem Vice-Cancellariat und andern frühern Aemtern her die möglichen Geldquellen besser kannte und mit größerm Geschäftstalent zu handhaben wußte als irgend ein Curiale. Schon im Lauf des Jahres 1494 geschah es, daß ein Carmeliter Adamo von Genua, der zu Rom von der Si- monie gepredigt hatte, mit zwanzig Wunden ermordet in seinem Bette gefunden wurde. Alexander hat kaum einen Cardinal außer gegen Erlegung hoher Summen ernannt. Als aber der Papst mit der Zeit unter die Herrschaft Cesare Borgia. seines Sohnes gerieth, nahmen die Mittel der Gewalt jenen völlig satanischen Character an, der nothwendig auf die Zwecke zurückwirkt. Was im Kampf gegen die römischen Großen und gegen die romagnolischen Dynasten geschah, überstieg im Gebiet der Treulosigkeit und Grausamkeit so- gar dasjenige Maaß, an welches z. B. die Aragonesen von Neapel die Welt bereits gewöhnt hatten, und auch das Talent der Täuschung war größer. Vollends grauenhaft ist die Art und Weise, wie Cesare den Vater isolirt, indem er den Bruder, den Schwager und andere Verwandte und Höflinge ermordet, sobald ihm deren Gunst beim Papst Cultur der Renaissance. 8 1. Abschnitt. oder ihre sonstige Stellung unbequem wird. Alexander mußte zu der Ermordung seines geliebtesten Sohnes, des Duca di Gandia, seine Einwilligung geben Dieß bei Panvinio (Contin. Platinæ. p. 339): insidiis Cæsaris fratris interfectus … connivente … ad scelus patre. Ge- wiß eine authentische Aussage, gegen welche die Darstellungen bei Malipiero und Matarazzo (wo dem Giovanni Sforza die Schuld gegeben wird) zurückstehen müssen. — Auch die tiefe Erschütterung Alexanders deutet anf Mitschuld. Vom Auffischen der Leiche in der Tiber sagte Sannazaro: Piscatorem hominum ne te non, Sexte, putemus, Piscaris natum retibus, ecce, tuum. , weil er selber stündlich vor Cesare zitterte. Welches waren nun die tiefsten Pläne des Letztern? Noch in den letzten Monaten seiner Herrschaft, als er eben die Condottieren zu Sinigaglia umgebracht hatte und factisch Herr des Kirchenstaates war (1503), äußerte man sich in seiner Nähe leidlich bescheiden: Der Herzog wolle bloß Seine Absich- ten Factionen und Tyrannen unterdrücken, Alles nur zum Nutzen der Kirche; für sich bedinge er sich höchstens die Romagna aus, und dabei könne er des Dankgefühles aller folgenden Päpste sicher sein, da er ihnen Orsinen und Co- lonnesen vom Halse geschafft Macchiavelli, opere, ed. Milan. Vol. V. p. 387. 393. 395, in der Legazione al Duca Valentino. . Aber Niemand wird dieß als seinen letzten Gedanken gelten lassen. Schon etwas weiter ging einmal Papst Alexander selbst mit der Sprache heraus, in der Unterhaltung mit dem venezianischen Ge- sandten, indem er seinen Sohn der Protection von Venedig auf den päpst- lichen Thron empfahl: „ich will dafür sorgen, sagte er, daß einst das „Papstthum entweder an ihn oder an Eure Republik fällt.“ Tommaso Gar, relazioni della corte di Roma, I, p. 12, in der Rel. des P. Capello. Wörtlich: „Der Papst achtet Venedig wie Cesare freilich fügte bei: es solle nur Papst werden, wen Venedig wolle, und zu diesem Endzweck brauchten nur die venezianischen Cardinäle recht zusammenzuhalten. Ob er damit sich selbst gemeint, mag dahin gestellt bleiben; jeden- 1. Abschnitt. falls genügt die Aussage des Vaters, um seine Absicht auf die Besteigung des päpstlichen Thrones zu beweisen. Wie- derum etwas mehr erfahren wir mittelbar von Lucrezia Borgia, insofern gewisse Stellen in den Gedichten des Ercole Strozza der Nachklang von Aeußerungen sein dürften, die sie als Herzogin von Ferrara sich wohl erlauben konnte. Zunächst ist auch hier von Cesare's Aussicht auf das Papstthum die Rede Strozzii poetæ, p. 19, in der Venatio des Ercole Strozza: … cui triplicem fata invidere coronam. Dann in dem Trauerge- dicht auf Cesare's Tod p. 31, seq.: speraretque olim solii decora alta paterni. , allein dazwischen tönt etwas von einer gehofften Herrschaft über Italien im Allgemeinen Ebenda: Jupiter habe einst versprochen: Affore Alexandri so- bolem, quæ poneret olim Italiæ leges, atque aurea sæcla referret etc. , und am Ende wird angedeutet, daß Cesare gerade als weltlicher Herrscher das Größte vorgehabt und deßhalb einst den Cardinalshut niedergelegt habe Ebenda: sacrumque decus maiora parantem Deposuisse. . In der That kann kein Zweifel darüber walten, daß Cesare, nach Alexan- ders Tode zum Papst gewählt oder nicht, den Kirchenstaat um jeden Preis zu behaupten gedachte und daß er dieß, und dessen Sä- cularisation. nach Allem was er verübt hatte, als Papst unmöglich auf die Länge vermocht hätte. Wenn irgend Einer, so hätte er den Kirchenstaat säcularisirt Er war bekanntlich mit einer französischen Prinzessin aus dem Hause Albret vermählt und hatte eine Tochter von ihr; auf irgend eine Weise hätte er wohl eine Dynastie zu gründen versucht. Es ist nicht bekannt, daß er Anstalten gemacht, den Cardinalshut wieder und hätte es thun müssen keinen Potentaten der Welt, e però desidera, che ella (Signoria di Venezia) protegga il figliuolo, e dice voler fare tale or- dine, che il papato o sia suo, ovvero della Signoria nostra. “ Das suo kann sich doch wohl nur auf Cesare beziehen. Das Pron. possessivum statt des Personale steht häufig so. 8* 1. Abschnitt. um dort weiter zu herrschen. Trügt uns nicht Alles, so ist dieß der wesentliche Grund der geheimen Sympathie, womit Macchiavell den großen Verbrecher behandelt; von Cesare oder von Niemand durfte er hoffen, daß er „das Eisen aus der Wunde ziehe“, d. h. das Papstthum, die Quelle aller Intervention und aller Zersplitterung Italiens zernichte. — Die Intriganten, welche Cesare zu errathen glaubten, wenn sie ihm das Königthum von Toscana spie- gelten, wies er, scheint es mit Verachtung von sich Macchiavelli, a. a. O. S. 334. Pläne auf Siena und eventuell auf ganz Toscana waren vorhanden aber noch nicht ganz gereift; die Zustimmung Frankreichs war dazu nothwendig. . Doch alle logischen Schlüsse aus seinen Prämissen sind vielleicht eitel — nicht wegen einer sonderlichen dämonischen Genialität, die ihm so wenig innewohnte als z. B. dem Herzog von Friedland — sondern weil die Mittel, die er anwandte, überhaupt mit keiner völlig consequenten Hand- lungsweise im Großen verträglich sind. Vielleicht hätte in dem Uebermaß von Bosheit sich wieder eine Aussicht der Rettung für das Papstthum aufgethan, auch ohne jenen Zufall, der seiner Herrschaft ein Ende machte. Die irrationel- len Mittel. Wenn man auch annimmt, daß die Zernichtung aller Zwischenherrscher im Kirchenstaate dem Cesare nichts als Sympathie eingetragen hätte, wenn man auch die Schaar die 1503 seinem Glücke folgte — die besten Soldaten und Offiziere Italiens mit Lionardo da Vinci als Ober-Inge- nieur — als Beweis seiner großen Aussichten gelten läßt, so gehört doch Anderes wieder ins Gebiet des Irrationellen, so daß unser Urtheil darob irre wird wie das der Zeit- genossen. Von dieser Art ist besonders die Verheerung und Mißhandlung des eben gewonnenen Staates Macchiavelli, a. a. O. S. 326. 351. 414. — Matarazzo, cro- naca di Perugia, arch. stor. XVI, II. p. 157 und 221: „Er , den anzunehmen, obschon er (laut Macchiav. a a O. S. 285) auf einen baldigen Tod seines Vaters rechnen mußte. Cesare doch zu behalten und zu beherrschen gedenkt. So- 1. Abschnitt. dann der Zustand Roms und der Curie in den letzten Ermordungen. Jahren des Pontificates. Sei es, daß Vater und Sohn eine förmliche Proscriptions-Liste entworfen hatten So Pierio Valeriano, de infelicitate literat., bei Anlaß des Gio- vanni Regio. , sei es, daß die Mordbeschlüsse einzeln gefaßt wurden — die Borgia legten sich auf heimliche Zernichtung aller derer, welche ihnen irgendwie im Wege waren oder deren Erb- schaft ihnen begehrenswerth schien. Capitalien und fahrende Habe waren noch das wenigste dabei; viel einträglicher für den Papst war es, daß die Leibrenten der betreffenden geist- lichen Herren erloschen und daß er die Einkünfte ihrer Aemter während der Vacanz und den Kaufpreis derselben bei neuer Besetzung einzog. Der venezianische Gesandte Paolo Capello Tommaso Gar, a. a. O. S. 11. meldet im Jahr 1500 wie folgt: „Jede „Nacht findet man zu Rom 4 oder 5 Ermordete, nämlich „Bischöfe, Prälaten und Andere, so daß ganz Rom davor „zittert, von dem Herzog (Cesare) ermordet zu werden.“ Er selber zog des Nachts mit seinen Garden in der er- schrockenen Stadt herum Paulus Jovius, Elogia, Cæsar Borgia. — In den Commentarii urbani des Raph. Volaterranus enthält Lib. XXII. eine unter Julius II. und doch noch sehr behutsam abgefaßte Charakteristik Alexanders. Hier heißt es: Roma .. nobilis iam carnificina facta erat. , und es ist aller Grund vor- handen zu glauben, daß dieß nicht bloß geschah, weil er, wie Tiberius, sein scheußlich gewordenes Antlitz bei Tage nicht mehr zeigen mochte, sondern um seiner tollen Mordlust ein Genüge zu thun, vielleicht auch an ganz Unbekannten. Schon im Jahr 1499 war die Desperation hierüber so groß und allgemein, daß das Volk viele päpstliche Gardisten wollte, daß seine Soldaten sich nach Belieben einquartirten, sodaß sie in Friedenszeiten noch mehr gewannen als Kriege“. 1. Abschnitt. überfiel und umbrachte Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 362. . Wem aber die Borgia mit offener Vergiftungen. Gewalt nicht beikamen, der unterlag ihrem Gift. Für diejenigen Fälle, wo einige Discretion nöthig schien, wurde jenes schneeweiße, angenehm schmeckende Pulver Paul. Jovius, Histor. II, fol. 47. gebraucht, welches nicht blitzschnell, sondern allmälig wirkte und sich unbemerkt jedem Gericht oder Getränk beimischen ließ. Schon Prinz Dschem hatte davon in einem süßen Trank mit bekommen, bevor ihn Alexander an Carl VIII. aus- lieferte (1495), und am Ende ihrer Laufbahn vergifteten sich Vater und Sohn damit, indem sie zufällig von dem für einen reichen Cardinal bestimmten Wein genossen. Der officielle Epitomator der Papstgeschichte, Onufrio Panvinio Panvinius, Epitome pontificum p. 359. Der Giftversuch gegen den spätern Julius II. s. p. 363. — Laut Sismondi XIII , 246 starb auch der langjährige Vertraute aller Geheimnisse, Lopez, Car- dinal von Capua, auf dieselbe Weise; laut Sanuto (bei Ranke, Päpste, I, S. 52, Anm.) auch der Cardinal von Verona. nennt drei Cardinäle, welche Alexander hat vergiften lassen (Orsini, Ferrerio und Michiel) und deutet einen vierten an, welchen Cesare auf seine Rechnung nahm (Giovanni Borgia); es möchten aber damals selten reichere Prälaten in Rom gestorben sein ohne einen Verdacht dieser Art. Auch stille Gelehrte, die sich in eine Landstadt zurückge- zogen, erreichte ja das erbarmungslose Gift. Es fing an, um den Papst herum nicht mehr recht geheuer zu werden; Blitzschläge und Sturmwinde, von welchen Mauern und Gemächer einstürzten, hatten ihn schon früher in auffallender Weise heimgesucht und in Schrecken gesetzt; als 1500 Prato, arch. stor. III, p. 254. sich diese Erscheinungen wiederholten, fand man darin „ cosa Die letzten Jahre. diabolica “. Das Gerücht von diesem Zustande der Dinge scheint durch das starkbesuchte Und stark vom Papst ausgebeutete. Vgl. Chron. Venetum, bei Murat. XXIV, Col. 133. Jubiläum von 1500 doch endlich weit unter den Völkern herumgekommen zu sein und 1. Abschnitt. die schmachvolle Ausbeutung des damaligen Ablasses that ohne Zweifel das Uebrige um alle Augen auf Rom zu lenken Anshelm, Berner Chronik, III, Seite 146 bis 156. — Trithem. Annales Hirsaug. Tom. II, p. 579. 584. 586. . Außer den heimkehrenden Pilgern kamen auch sonderbare weiße Büßer aus Italien nach dem Norden, darunter verkappte Flüchtlinge aus dem Kirchenstaat, welche nicht werden geschwiegen haben. Doch wer kann berechnen, wie lange und hoch das Aergerniß des Abendlandes noch hätte steigen müssen, ehe es für Alexander eine unmittel- bare Gefahr erzeugte. „Er hätte, sagt Panvinio anders- „wo, Panvin. contin. Platinæ, p. 341. auch die noch übrigen reichen Cardinäle und Prälaten „aus der Welt geschafft um sie zu erben, wenn er nicht, „mitten in den größten Absichten für seinen Sohn, dahin- „gerafft worden wäre“. Und was würde Cesare gethan haben, wenn er im Augenblicke, da sein Vater starb, nicht ebenfalls auf den Tod krank gelegen hätte? Welch ein Conclave wäre das geworden, wenn er sich einstweilen, mit all seinen Mitteln ausgerüstet, durch ein mit Gift zweck- mäßig reducirtes Cardinals-Collegium zum Papst wählen ließ, zumal in einem Augenblick da keine französische Armee in der Nähe gewesen wäre! Die Phantasie verliert sich, so- bald sie diese Hypothesen verfolgt, in einen Abgrund. Statt dessen folgte das Conclave Pius III. und nach Julius II. dessen baldigem Tode auch dasjenige Julius II. unter dem Eindruck einer allgemeinen Reaction. Welches auch die Privatsitten Julius II. sein mochten, in den wesentlichen Beziehungen ist er der Retter des Papst- thums. Die Betrachtung des Ganges der Dinge in den Pontificaten seit seinem Oheim Sixtus hatte ihm einen tiefen Einblick in die wahren Grundlagen und Bedingungen des päpstlichen Ansehens gewährt, und danach richtete er 1. Abschnitt. nun seine Herrschaft ein und widmete ihr die ganze Kraft und Leidenschaft seiner unerschütterlichen Seele. Ohne Si- monie, unter allgemeinem Beifall stieg er die Stufen des Stuhles Petri hinan und nun hörte wenigstens der eigent- liche Handel mit den höchsten Würden gänzlich auf. Julius Seine Reaction. hatte Günstlinge und darunter sehr unwürdige, allein des Nepotismus war er durch ein besonderes Glück überhoben: sein Bruder Giovanni della Rovere war der Gemahl der Erbinn von Urbino, Schwester des letzten Montefeltro Guidobaldo, und aus dieser Ehe war seit 1491 ein Sohn, Francesco Maria della Rovere vorhanden, welcher zugleich rechtmäßiger Nachfolger im Herzogthum Urbino und päpst- licher Nepot war. Was nun Julius sonst irgend erwarb, im Cabinet oder durch seine Feldzüge, das unterwarf er mit hohem Stolz der Kirche und nicht seinem Hause; den Kirchenstaat, welchen er in voller Auflösung angetroffen, hinterließ er völlig gebändigt und durch Parma und Pia- cenza vergrößert. Es lag nicht an ihm, daß nicht auch Ferrara für die Kirche eingezogen wurde. Die 700,000 Ducaten, welche er beständig in der Engelsburg liegen hatte, sollte der Castellan einst Niemanden als dem künftigen Papst ausliefern. Er erbte die Cardinäle, ja Alle Geist- lichen, die in Rom starben und zwar auf rücksichtslose Weise Daher jene Pracht der bei Lebzeiten gesetzten Prälatengräber; so entzog man den Päpsten wenigstens einen Theil der Beute. , aber er vergiftete und mordete Keinen. Daß er selber zu Felde zog, war für ihn unvermeidlich und hat ihm in Italien sicher nur genützt zu einer Zeit da man entweder Ambos oder Hammer sein mußte, und da die Persönlichkeit mehr wirkte als das besterworbene Recht. Wenn er aber trotz all seines hochbetonten: „Fort mit den Barbaren!“ gleichwohl am meisten dazu beitrug, daß die Spanier in Italien sich recht festsetzten, so konnte dieß für das Papstthum gleichgültig, ja vielleicht relativ vortheilhaft erscheinen. Oder war nicht bis jetzt von der Krone Spa- 1. Abschnitt. nien am ehesten ein dauernder Respect vor der Kirche zu erwarten Ob Julius wirklich gehofft hat, Ferdinand der Cath. werde sich von ihm bestimmen lassen, die verdrängte aragonische Nebenlinie wieder auf den Thron von Neapel zu setzen, bleibt trotz Giovio's Aussage (Vita Alfonsi Ducis) sehr zweifelhaft. , während die italienischen Fürsten vielleicht nur noch frevelhafte Gedanken gegen letztere hegten? — Wie Persönlichkeit. dem aber sei, der mächtige originelle Mensch, der keinen Zorn herunterschlucken konnte und kein wirkliches Wohl- wollen verbarg, machte im Ganzen den für seine Lage höchst wünschbaren Eindruck eines „Pontefice terribile“. Er konnte sogar wieder mit relativ gutem Gewissen die Beru- fung eines Concils nach Rom wagen, womit dem Concils- Geschrei der ganzen europäischen Opposition Trotz geboten war. Ein solcher Herrscher bedurfte auch eines großartigen äußern Symboles seiner Richtung; Julius fand dasselbe im Neubau von St. Peter; die Anlage desselben, wie sie Bramante wollte, ist vielleicht der größte Ausdruck aller einheitlichen Macht überhaupt. Aber auch in den übrigen Künsten lebt Andenken und Gestalt dieses Papstes im höch- sten Sinne fort, und es ist nicht ohne Bedeutung, daß selbst die lateinische Poesie jener Tage für Julius in andere Flammen geräth als für seine Vorgänger. Der Einzug in Bologna, am Ende des „Iter Julii secundi“, von Cardi- nal Adriano da Corneto, hat einen eigenen prachtvollen Ton, und Giovan Antonio Flaminio hat in einer der schönsten Elegien Beide Gedichte z. B. bei Roscoe, Leone X, ed. Bossi IV, 257 und 297. — Freilich als Julius im Aug. 1511 einmal in mehr- stündiger Ohnmacht lag und für todt galt, wagten sogleich die un- ruhigsten Köpfe aus den vornehmsten Familien — Pompeo Colonna und Antimo Savelli — das „Volk“ aufs Capitol zu rufen und zur Abwerfung der päpstlichen Herrschaft anzufeuern, a vendicarsi den Patrioten im Papst um Schutz für Italien angerufen. 1. Abschnitt. Julius hatte durch eine donnernde Constitution Septimo decretal. L. I, Tit. 3, Cap. 1 bis 3. seines lateranensischen Concils die Simonie bei der Papstwahl Leo X. verboten. Nach seinem Tode (1513) wollten die geldlustigen Cardinäle dieß Verbot dadurch umgehen, daß eine allge- meine Abrede proponirt wurde, wonach die bisherigen Pfründen und Aemter des zu Wählenden gleichmäßig unter sie vertheilt werden sollten; sie würden dann den pfründen- reichsten Cardinal (den ganz untüchtigen Rafael Riario) gewählt haben Franc. Vettori, im Arch. stor. VI, 297. . Allein ein Aufschwung hauptsächlich der jüngern Mitglieder des heil. Collegiums, welche vor Allem einen liberalen Papst wollten, durchkreuzte jene jämmerliche Combination; man wählte Giovanni Medici, den berühm- ten Leo X. Wir werden ihm noch öfter begegnen, wo irgend von der Sonnenhöhe der Renaissance die Rede sein wird; hier ist nur darauf hinzuweisen, daß unter ihm das Papstthum wieder große innere und äußere Gefahren erlitt. Darunter ist nicht zu rechnen die Verschwörung der Cardinäle Pe- trucci, Sauli, Riario und Corneto, weil diese höchstens einen Personenwechsel zur Folge haben konnte; auch fand Leo das wahre Gegenmittel in Gestalt jener unerhörten Creation von 31 neuen Cardinälen, welche noch dazu einen guten Effect machte, weil sie zum Theil das wahre Ver- dienst belohnte. Pläne auf ganz Italien. Höchst gefährlich aber waren gewisse Wege, auf wel- chen Leo in den zwei ersten Jahren seines Amtes sich be- treten ließ. Durch ganz ernstliche Unterhandlungen suchte er seinem Bruder Giuliano das Königreich Neapel und seinem Neffen Lorenzo ein großes oberitalisches Reich zu verschaffen, welches Mailand, Toscana, Urbino und Ferrara in libertà .. a publica ribellione, wie Guicciardini im zehnten Buch meldet. umfaßt haben würde Franc. Vettori, a. a. O. p. 301. — Arch. stor. append. I, p. 293, s. — Roscoe, Leone X, ed. Bossi VI, p. 232, s. — Tommaso Gar, a. a. O. p. 42. . Es leuchtet ein, daß der Kirchen- 1. Abschnitt. staat, auf solche Weise eingerahmt, eine mediceische Apanage geworden wäre, ja man hätte ihn kaum mehr zu säculari- siren nöthig gehabt. Der Plan scheiterte an den allgemeinen politischen Verhältnissen; Giuliano starb bei Zeiten; um Lorenzo den- noch auszustatten unternahm Leo die Vertreibung des Her- zogs Francesco Maria della Rovere von Urbino, zog sich durch diesen Krieg unermeßlichen Haß und Armuth zu, und mußte, als Lorenzo 1519 ebenfalls starb Ariosto, sat. VI. vs. 106. Tutti morrete, ed è fatal che muoja Leone appresso … das mühselig Eroberte an die Kirche geben; er that ruhmlos und ge- zwungen, was ihm, freiwillig gethan, ewigen Ruhm ge- bracht haben würde. Was er dann noch gegen Alfonso von Ferrara probirte und gegen ein paar kleine Tyrannen und Condottieren wirklich ausführte, war vollends nicht von der Art, welche die Reputation erhöht. Und dieß Alles während die Könige des Abendlandes sich von Jahr Die Großmächte. zu Jahr mehr an ein colossales politisches Kartenspiel ge- wöhnten, dessen Einsatz und Gewinn immer auch dieses oder jenes Gebiet von Italien war Eine Combination dieser Art statt mehrerer: Lettere de' principi I, 46 in einer Pariser Depesche des Card. Bibiena 1518. . Wer wollte dafür bürgen, daß sie nicht, nachdem ihre heimische Macht in den letzten Jahrzehnden unendlich gewachsen, ihre Absichten auch einmal auf den Kirchenstaat ausdehnen würden? Noch Leo mußte ein Vorspiel dessen erleben, was 1527 sich er- füllte; ein paar Haufen spanischer Infanterie erschienen gegen Ende d. J. 1520 — aus eigenem Antrieb, scheint es — an den Grenzen des Kirchenstaates um den Papst 1. Abschnitt. einfach zu brandschatzen Franc. Vettori, a. a. O. p. 333. , ließen sich aber durch päpstliche Truppen zurückschlagen. Auch die öffentliche Meinung ge- genüber der Corruption der Hierarchie war in den letzten Zeiten rascher gereift als früher, und ahnungsfähige Men- schen wie z. B. der jüngere Pico von Mirandola Bei Roscoe, Leone X, ed. Bossi, VIII, p. 105 u. f. findet sich eine Declamation, welche Pico 1517 an Pirkheimer sandte. Er fürchtet, daß noch unter Leo das Böse förmlich über das Gute siegen möchte, et in te bellum a nostræ religionis hostibus ante audias geri quam parari. , riefen dringend nach Reformen. Inzwischen war bereits Luther aufgetreten. Hadrian VI. Unter Hadrian VI. (1521—1523) kamen auch die schüchternen und wenigen Reformen gegenüber der großen deutschen Bewegung schon zu spät. Er konnte nicht viel mehr als seinen Abscheu gegen den bisherigen Gang der Dinge, gegen Simonie, Nepotismus, Verschwendung, Ban- ditenwesen und Unsittlichkeit an den Tag legen. Die Ge- fahr vom Lutherthum her erschien nicht einmal als die größte; ein geistvoller venezianischer Beobachter, Girolamo Negro, spricht Ahnungen eines nahen, schrecklichen Unheils für Rom selber aus Lettere de' principi, I. Rom 17. März 1523: „Dieser Staat steht aus vielen Gründen auf einer Nadelspitze, und Gott gebe daß wir nicht bald nach Avignon fliehen müssen oder bis an die Enden des Oceans. Ich sehe den Sturz dieser geistlichen Monarchie nahe vor mir … Wenn Gott nicht hilft, so ist es um uns geschehen“. . Clemens VII. Unter Clemens VII. erfüllt sich der ganze Horizont von Rom mit Dünsten gleich jenem graugelben Scirocco- schleier, welcher dort bisweilen den Spätsommer so ver- derblich macht. Der Papst ist in der nächsten Nähe wie in der Ferne verhaßt; während das Uebelbefinden der Denkenden fortdauert Negro a. a. O. zum 24. Oct. (soll Sept. heißen) und 9. Nov. 1526, 11. April 1527. , treten auf Gassen und Plätzen predigende Eremiten auf, welche den Untergang Italiens, 1. Abschnitt. ja der Welt weissagen und Papst Clemens den Antichrist nennen Varchi, stor. fiorent. I, 43. 46, s. ; die colonnesische Faction erhebt ihr Haupt in trotzigster Gestalt; der unbändige Cardinal Pompeo Colonna, dessen Dasein Paul. Jovius: vita Pomp. Columnæ. allein schon eine dauernde Plage für das Papstthum war, darf Rom (1526) überfallen in der Hoff- nung, mit Hülfe Carls V. ohne Weiteres Papst zu werden, sobald Clemens todt oder gefangen wäre. Es war kein Glück für Rom, daß dieser sich in die Engelsburg flüchten konnte; das Schicksal aber, für welches er selber aufgespart sein sollte, darf schlimmer als der Tod genannt werden. Durch eine Reihe von Falschheiten jener Art, welche Die Verwü- stung Roms. nur dem Mächtigen erlaubt ist, dem Schwächern aber Ver- derben bringt, verursachte Clemens den Anmarsch des spa- nisch-deutschen Heeres unter Bourbon und Frundsberg (1527). Es ist gewiß Ranke, Deutsche Geschichte, II, 375 ff. , daß das Cabinet Carls V. ihm eine große Züchtigung zugedacht hatte und daß es nicht voraus berechnen konnte, wie weit seine unbezahlten Horden in ihrem Eifer gehen würden. Die Werbung fast ohne Geld wäre in Deutschland erfolglos geblieben, wenn man nicht gewußt hätte, es gehe gegen Rom. Vielleicht finden sich noch irgendwo die schriftlichen eventuellen Aufträge an Bourbon und zwar solche, die ziemlich gelinde lauten, aber die Geschichtforschung wird sich davon nicht bethören lassen. Der katholische König und Kaiser verdankte es rein dem Glücke, daß Papst und Cardinäle nicht von seinen Leuten ermordet wurden. Wäre dieß geschehen, keine Sophistik der Welt könnte ihn von der Mitschuld lossprechen. Der Mord zahlloser geringern Leute und die Brandschatzung der Uebrigen mit Hülfe von Tortur und Menschenhandel zeigen deutlich genug, was beim „Sacco di Roma“ überhaupt möglich war. 1. Abschnitt. Den Papst, der wieder in die Engelsburg geflüchtet Folgen und Re- action. war, wollte Carl V. , auch nachdem er ihm ungeheure Summen abgepreßt, wie es heißt, nach Neapel bringen lassen, und daß Clemens statt dessen nach Orvieto floh, soll ohne alle Connivenz von spanischer Seite geschehen sein Varchi, stor. fiorent. II, 43, s. . Ob Carl einen Augenblick an die Säcularisation des Kir- chenstaates dachte (worauf alle Welt Ebenda, und: Ranke, Deutsche Gesch. II, S. 394, Anm. Man glaubte, Carl würde seine Residenz nach Rom verlegen. gefaßt war), ob er sich wirklich durch Vorstellungen Heinrichs VIII. von Eng- land davon abbringen ließ, dieß wird wohl in ewigem Dunkel bleiben. Wenn aber solche Absichten vorhanden waren, so haben sie in keinem Falle lange angehalten; mitten aus der Ver- wüstung von Rom steigt der Geist der kirchlich-weltlichen Restauration empor. Augenblicklich ahnte dieß z. B.: Sa- doleto Sein Brief an den Papst, d. d. Carpentras 1. Sept. 1527, in den Anecdota litt. IV, p. 335. . „Wenn durch unsern Jammer, schreibt er, dem „Zorn und der Strenge Gottes genuggethan ist, wenn diese „furchtbaren Strafen uns wieder den Weg öffnen zu bessern „Sitten und Gesetzen, dann ist vielleicht unser Unglück „nicht das größte gewesen … Was Gottes ist, dafür mag „Gott sorgen, wir aber haben ein Leben der Besserung vor „uns, das uns keine Waffengewalt entreißen mag; richten „wir nur Thaten und Gedanken dahin, daß wir den wahren „Glanz des Priesterthums und unsere wahre Größe und „Macht in Gott suchen.“ Von diesem kritischen Jahre 1527 an war in der That so viel gewonnen, daß ernsthafte Stimmen wieder einmal sich hörbar machen konnten. Rom hatte zuviel gelitten um selbst unter einem Paul III. je wieder das heitere grund- verdorbene Rom Leo's X. werden zu können. Sodann zeigte sich für das Papstthum, sobald es ein- 1. Abschnitt. mal tief im Leiden war, eine Sympathie theils politischer Verhältniß zu Carl V. theils kirchlicher Art. Die Könige konnten nicht dulden, daß einer von ihnen sich ein besonderes Kerkermeister-Amt über den Papst anmaßte und schlossen u. a. zu dessen Be- freiung den Vertrag von Amiens (18. Aug. 1527). Sie beuteten damit wenigstens die Gehässigkeit aus, welche auf der That der kaiserlichen Truppen ruhte. Zugleich aber kam der Kaiser in Spanien selbst empfindlich ins Gedränge, indem seine Prälaten und Granden ihm die nachdrücklichsten Vorstellungen machten so oft sie ihn zu sehen bekamen. Als eine große allgemeine Aufwartung von Geistlichen und Weltlichen in Trauerkleidern bevorstand, gerieth Carl in Sorgen, es möchte daraus etwas Gefährliches entstehen in der Art des vor wenigen Jahren gebändigten Comunidaden- Aufruhrs; die Sache wurde untersagt Lettere di principi, I, 72. Castiglione an den Papst, Burgos 10. Dec. 1527. . Er hätte nicht nur die Mißhandlung des Papstes auf keine Weise ver- längern dürfen, sondern es war, abgesehen von aller aus- wärtigen Politik, die stärkste Nothwendigkeit für ihn vor- handen, sich mit dem furchtbar gekränkten Papstthum zu versöhnen. Denn auf die Stimmung Deutschlands, welche ihm wohl einen andern Weg gewiesen hätte, wollte er sich so wenig stützen als auf die deutschen Verhältnisse über- haupt. Es ist auch möglich, daß er sich, wie ein Venezianer meint, durch die Erinnerung an die Verheerung Roms in seinem Gewissen beschwert fand Tommaso Gar, relaz. della corte di Roma I, 299. , und deßhalb jene Sühne Das Sühngeld. beschleunigte, welche besiegelt werden mußte durch die blei- bende Unterwerfung der Florentiner unter das Haus des Papstes, die Medici. Der Nepot und neue Herzog, Alessandro Medici, wird vermählt mit der natürlichen Tochter des Kaisers. 1. Abschnitt. In der Folge behielt Carl durch die Concils-Idee das Papstthum wesentlich in der Gewalt und konnte es zugleich drücken und beschützen. Jene größte Gefahr aber, die Sä- cularisation, vollends diejenige von innen heraus, durch die Päpste und ihre Nepoten selber, war für Jahrhunderte be- seitigt durch die deutsche Reformation. So wie diese allein dem Zug gegen Rom (1527) Möglichkeit und Erfolg ver- liehen hatte, so nöthigte sie auch das Papstthum, wieder der Ausdruck einer geistigen Weltmacht zu werden, indem Das Papst- thum d. Gegen- reformation. es sich an die Spitze aller ihrer Gegner stellen, sich aus der „Versunkenheit in lauter factischen Verhältnissen“ empor- raffen mußte. Was nun in der spätern Zeit des Clemens VII. , unter Paul III. , Paul IV. und ihren Nachfolgern mitten im Abfall halb Europa's allmälig heranwächst, ist eine ganz neue, regenerirte Hierarchie, welche alle großen, gefähr- lichen Aergernisse im eigenen Hause, besonders den staaten- gründenden Nepotismus vermeidet und im Bunde mit den katholischen Fürsten, getragen von einem neuen geistlichen Antrieb, ihr Hauptgeschäft aus der Wiedergewinnung der Verlorenen macht. Sie ist nur vorhanden und nur zu verstehen in ihrem Gegensatz zu den Abgefallenen. In diesem Sinne kann man mit voller Wahrheit sagen, daß das Papstthum in moralischer Beziehung durch seine Tod- feinde gerettet worden ist. Und nun befestigte sich auch seine politische Stellung, freilich unter dauernder Aufsicht Spaniens, bis zur Unantastbarkeit; fast ohne alle Anstren- gung erbte es beim Aussterben seiner Vasallen (der legiti- men Linie von Este und des Hauses della Rovere) die Herzogthümer Ferrara und Urbino. Ohne die Reformation dagegen — wenn man sie sich überhaupt wegdenken kann — wäre der ganze Kirchenstaat wahrscheinlich schon längst in weltliche Hände übergegangen. Zum Schluß betrachten wir noch in Kürze die Rück- 1. Abschnitt. wirkung dieser politischen Zustände auf den Geist der Nation im Allgemeinen. Es leuchtet ein, daß die allgemeine politische Unsicher- Der Patriotis- mus. heit in dem Italien des XIV. und XV. Jahrhunderts bei den edlern Gemüthern einen patriotischen Unwillen und Widerstand hervorrufen mußte. Schon Dante und Pe- trarca Petrarca: epist. fam. I, 3, p. 574, worin er Gott dafür preist als Italiener geboren zu sein. Sodann: Apologia contra cuius- dam anonymi Galli calumnias, vom J. 1367, p. 1068, s. proclamiren laut ein Gesammt-Italien, auf welches sich alle höchsten Bestrebungen zu beziehen hätten. Man wendet wohl ein, es sei dieß nur ein Enthusiasmus einzelner Hochgebildeten gewesen, von welchem die Masse der Nation keine Kenntniß nahm, allein es möchte sich damals mit Deutschland kaum viel anders verhalten haben, obwohl es wenigstens dem Namen nach die Einheit und einen aner- kannten Oberherrn, den Kaiser hatte. Die erste laute lite- rarische Verherrlichung Deutschlands (mit Ausnahme einiger Verse bei den Minnesängern) gehört den Humanisten der Zeit Maximilians I. an Ich meine besonders die Schriften von Wimpheling, Bebel, u. A. im I. Bande der scriptores des Schardius. und erscheint fast wie ein Echo italienischer Declamationen. Und doch war Deutschland früher factisch in einem ganz andern Grade ein Volk ge- wesen als Italien jemals seit der Römerzeit. Frankreich verdankt das Bewußtsein seiner Volkseinheit wesentlich erst den Kämpfen gegen die Engländer, und Spanien hat auf die Länge nicht einmal vermocht, das engverwandte Portugal zu absorbiren. Für Italien waren Existenz und Lebensbe- Unmöglichkeit der Einheit. dingungen des Kirchenstaates ein Hinderniß der Einheit im Großen, dessen Beseitigung sich kaum jemals hoffen ließ. Wenn dann im politischen Verkehr des XV. Jahrhunderts gleichwohl hie und da des Gesammtvaterlandes mit Emphase Cultur der Renaissance. 9 1. Abschnitt. gedacht wird, so geschieht dieß meist nur um einen andern, gleichfalls italienischen Staat zu kränken Ein Beispiel statt vieler: Die Antwort des Dogen von Venedig an einen florentinischen Agenten wegen Pisa's 1496, bei Malipiero, ann. veneti, arch. stor. VII, I, p. 427. . Die ganz ernsten, tiefschmerzlichen Anrufungen an das Nationalgefühl lassen sich erst im XVI. Jahrhundert wieder hören, als es zu spät war, als Franzosen und Spanier das Land über- zogen hatten. Von dem Local-Patriotismus kann man etwa sagen, daß er die Stelle dieses Gefühles vertritt ohne dasselbe zu ersetzen. Zweiter Abschnitt . Entwicklung des Individuums. I n der Beschaffenheit dieser Staaten, Republiken wie Ty- 2. Abschnitt. rannien liegt nun zwar nicht der einzige aber der mächtigste Grund der frühzeitigen Ausbildung des Italieners zum modernen Menschen. Daß er der Erstgeborne unter den Söhnen des jetzigen Europas werden mußte, hängt an diesem Punkte. Im Mittelalter lagen die beiden Seiten des Bewußt- Gegensatz zum Mittelalter. seins — nach der Welt hin und nach dem Innern des Menschen selbst — wie unter einem gemeinsamen Schleier träumend oder halbwach. Der Schleier war gewoben aus Glauben, Kindesbefangenheit und Wahn; durch ihn hin- durchgesehen erschienen Welt und Geschichte wundersam ge- färbt, der Mensch aber erkannte sich nur als Race, Volk, Partei, Corporation, Familie oder sonst in irgend einer Form des Allgemeinen. In Italien zuerst verweht dieser Schleier in die Lüfte; es erwacht eine objective Betrach- tung und Behandlung des Staates und der sämmtlichen Dinge dieser Welt überhaupt; daneben aber erhebt sich mit voller Macht das Subjective ; der Mensch wird geistiges Individuum Man beachte die Ausdrücke uomo singolare, uomo unico für die höhere und höchste Stufe der individuellen Ausbildung. und erkennt sich als solches. So hatte sich einst erhoben der Grieche gegenüber den Barbaren, der 9* 2. Abschnitt. individuelle Araber gegenüber den andern Asiaten als Racenmenschen. Es wird nicht schwer sein nachzuweisen, daß die politischen Verhältnisse hieran den stärksten Antheil gehabt haben. Das Erwachen der Persönlich- keit. Schon in viel frühern Zeiten giebt sich stellenweise eine Entwicklung der auf sich selbst gestellten Persönlichkeit zu erkennen, wie sie gleichzeitig im Norden nicht so vor- kömmt oder sich nicht so enthüllt. Der Kreis kräftiger Frevler des X. Jahrhunderts, welchen Liutprand schildert, einige Zeitgenossen Gregors VII. (man lese Benzo von Alba), einige Gegner der ersten Hohenstaufen zeigen Physiogno- mien dieser Art. Mit Ausgang des XIII. Jahrhunderts aber beginnt Italien plötzlich von Persönlichkeiten zu wim- meln; der Bann, welcher auf dem Individualismus gele- gen, ist hier völlig gebrochen; schrankenlos specialisiren sich tausend einzelne Gesichter. Dante's große Dichtung wäre in jedem andern Lande schon deßhalb unmöglich gewesen, weil das übrige Europa noch unter jenem Banne der Race lag; für Italien ist der hehre Dichter schon durch die Fülle des Individuellen der nationalste Herold seiner Zeit ge- worden. Doch die Darstellung des Menschenreichthums in Literatur und Kunst, die vielartig schildernde Characteristik wird in besondern Abschnitten zu besprechen sein; hier han- delt es sich nur um die psychologische Thatsache selbst. Mit voller Ganzheit und Entschiedenheit tritt sie in die Geschichte ein; Italien weiß im XIV. Jahrhundert wenig von fal- scher Bescheidenheit und von Heuchelei überhaupt; kein Mensch scheut sich davor, aufzufallen, anders zu sein und zu scheinen In Florenz gab es um 1390 deßhalb keine herrschende Mode der männlichen Kleidung mehr, weil Jeder sich auf besondere Weise zu tragen suchte. Vgl. die Canzone des Franco Sacchetti: contro alle nuove foggie, in den Rime, publ. dal Poggiali, p. 52. als die andern. Die Gewalt- herrscher. Zunächst entwickelt die Gewaltherrschaft, wie wir sahen, im höchsten Grade die Individualität des Tyrannen, des 2. Abschnitt. Condottiere Auch wohl die ihrer Gemahlinnen, wie man im Hause Sforza und in verschiedenen oberitalischen Herrscherfamilien bemerkt. Man vgl. in den Claræ mulieres des Jacobus Bergomensis die Biographien der Battista Malatesta, Paola Gonzaga, Orsina Torella, Bona Lom- barda, Riccarda von Este und der wichtigern Frauen der Familie Sforza. Es ist mehr als eine wahre Virago darunter und auch die Ergänzung der individuellen Entwicklung durch hohe humanistische Cultur fehlt nicht. selbst, sodann diejenige des vom ihm prote- girten aber auch rücksichtslos ausgenützten Talentes, des Geheimschreibers, Beamten, Dichters, Gesellschafters. Der Geist dieser Leute lernt nothgedrungen alle seine innern Hülfsquellen kennen, die dauernden wie die des Augen- blickes; auch ihr Lebensgenuß wird ein durch geistige Mittel erhöhter und concentrirter, um einer vielleicht nur kurzen Zeit der Macht und des Einflusses einen größtmöglichen Werth zu verleihen. Aber auch die Beherrschten gingen nicht völlig ohne Die Unterthanen. einen derartigen Antrieb aus. Wir wollen diejenigen ganz außer Berechnung lassen, welche ihr Leben in geheimem Widerstreben, in Verschwörungen verzehrten, und bloß derer gedenken, die sich darein fügten, reine Privatleute zu blei- ben etwa wie die meisten Städtebewohner des byzantinischen Reiches und der mohammedanischen Staaten. Gewiß wurde es z. B. den Unterthanen der Visconti oft schwer genug ge- macht, die Würde des Hauses und der Person zu behaupten, und Unzählige mögen durch die Knechtschaft am sittlichen Character Einbuße erlitten haben. Nicht so an dem, was man individuellen Character nennt, denn gerade innerhalb Deren Privat- leben. der allgemeinen politischen Machtlosigkeit gediehen wohl die verschiedenen Richtungen und Bestrebungen des Privatlebens um so stärker und vielseitiger. Reichthum und Bildung, so weit sie sich zeigen und wetteifern durften, in Verbin- 2. Abschnitt. dung mit einer noch immer großen municipalen Freiheit und mit dem Dasein einer Kirche, die nicht, wie in Byzanz und in der islamitischen Welt, mit dem Staat identisch war — alle diese Elemente zusammen begünstigten ohne Zweifel das Aufkommen individueller Denkweisen, und gerade die Abwesenheit des Parteikampfes fügte hier die nöthige Muße hinzu. Der politisch indifferente Privatmensch mit seinen theils ernsten theils dilettantischen Beschäftigungen möchte wohl in diesen Gewaltstaaten des XIV. Jahrhunderts zuerst vollkommen ausgebildet aufgetreten sein. Urkund- liche Aussagen hierüber sind freilich nicht zu verlangen; die Novellisten, von welchen man Winke erwarten könnte, schildern zwar manchen bizarren Menschen, aber immer nur in ein- seitiger Absicht und nur so weit dergleichen die zu erzäh- lende Geschichte berührt; auch spielt ihre Scene vorwiegend in republicanischen Städten. Die Republiken. In diesen letztern waren die Dinge wieder auf andere Weise der Ausbildung des individuellen Characters günstig. Je häufiger die Parteien in der Herrschaft abwechselten, um so viel stärker war der Einzelne veranlaßt, sich zusam- menzunehmen bei Ausübung und Genuß der Herrschaft. So gewinnen zumal in der florentinischen Geschichte Franco Sacchetti, in seinem Capitolo (Rime, publ. dal Poggiali, p. 56) zählt um 1390 über hundert Namen von bedeutenden Leuten der herrschenden Parteien auf, welche bei seinen Gedenkzeiten gestorben seien. So viele Mediocritäten darunter sein mochten, so ist doch das Ganze ein starker Beleg für das Erwachen der Individualität. — Ueber die „Vite“ des Filippo Villani s. unten. die Staatsmänner und Volksführer ein so kenntliches persön- liches Dasein wie sonst in der damaligen Welt kaum aus- nahmsweise Einer, kaum ein Jacob von Arteveldt. Die Leute der unterlegenen Parteien aber kamen oft in eine ähnliche Stellung wie die Unterthanen der Tyran- nenstaaten, nur daß die bereits gekostete Freiheit oder Herr- schaft, vielleicht auch die Hoffnung auf deren Wiedergewinn 2. Abschnitt. ihrem Individualismus einen höhern Schwung gab. Gerade unter diesen Männern der unfreiwilligen Muße findet sich z. B. ein Agnolo Pandolfini (st. 1446), dessen Schrift „vom Hauswesen“ Trattato del governo della famiglia. Es giebt eine neuere Hy- pothese, wonach diese Schrift von dem Baumeister L. B. Alberti verfaßt wäre. Vgl. Vasari IV, 54, Nota 5 ed. Lemonnier. — Ueber Pandolfini vgl. Vespas. Fiorent. p. 379. das erste Programm einer vollendet durchgebildeten Privatexistenz ist. Seine Abrechnung zwi- schen den Pflichten des Individuums und dem unsichern und undankbaren öffentlichen Wesen Trattato p. 65, s. ist in ihrer Art ein wahres Denkmal der Zeit zu nennen. Vollends aber hat die Verbannung die Eigenschaft, Das Exil. daß sie den Menschen entweder aufreibt oder auf das Höchste ausbildet. „In all unsern volkreichern Städten, sagt Gio- „viano Pontano Jov. Pontanus de fortitudine, L. II. Siebzig Jahre später konnte Cardanus (de vita propria, Cap. 32) bitter fragen: Quid est patria, nisi consensus tyrannorum minutorum ad opprimen- dos imbelles timidos, et qui plerumque sunt innoxii? , sehen wir eine Menge Leute, die frei- „willig ihre Heimath verlassen haben; die Tugenden nimmt „man ja überall hin mit.“ In der That waren es bei Weitem nicht bloß förmlich Exilirte, sondern Tausende hatten die Vaterstadt ungeheißen verlassen, weil der politische oder öconomische Zustand an sich unerträglich wurde. Die aus- gewanderten Florentiner in Ferrara, die Lucchesen in Ve- nedig u. s. w. bildeten ganze Colonien. Der Cosmopolitismus, welcher sich in den geistvollsten Der Cosmopo- litismus. Verbannten entwickelt, ist eine höchste Stufe des Indivi- dualismus. Dante findet, wie schon erwähnt wurde (S. 76) eine neue Heimath in der Sprache und Bildung Italiens, geht aber doch auch darüber hinaus mit den Worten: 2. Abschnitt. „meine Heimath ist die Welt überhaupt!“ De vulgari eloquio Lib. I, cap. 6. — Ueber die italienische Ideal- sprache cap. 17. Die geistige Einheit der Gebildeten cap. 18. — Aber auch das Heimweh in der berühmten Stelle Purg. VIII, I. u. ff. und Parad. XXV, I. — Und als man ihm die Rückkehr nach Florenz unter unwürdigen Be- dingungen anbot, schrieb er zurück: „kann ich nicht das „Licht der Sonne und der Gestirne überall schauen? nicht „den edelsten Wahrheiten überall nachsinnen, ohne deßhalb „ruhmlos, ja schmachvoll vor dem Volk und der Stadt zu „erscheinen? nicht einmal mein Brod wird mir fehlen!“ Dantis Alligherii Epistolæ, ed. Carolus Witte, p. 65. Mit hohem Trotz legen dann auch die Künstler den Accent auf ihre Freiheit vom Ortszwang. „Nur wer Alles gelernt „hat, sagt Ghiberti Ghiberti, secondo commentario, cap. XV. (Vasari, ed. Le- monnier, I, p. XXIX. , ist draußen nirgends ein Fremdling; „auch seines Vermögens beraubt, ohne Freunde, ist er doch „der Bürger jeder Stadt und kann furchtlos die Wande- „lungen des Geschickes verachten.“ Aehnlich sagt ein ge- flüchteter Humanist: „Wo irgend ein gelehrter Mann seinen „Sitz aufschlägt, da ist gute Heimath Codri Urcei vita, vor dessen Opera. — Freilich grenzt dieß schon an das: Ubi bene, ibi patria. Die Masse neutralen geistigen Genusses, der von keiner Oertlichkeit abhängt, und dessen die gebil- deten Italiener mehr und mehr fähig wurden, erleichterte ihnen das Exil beträchtlich. Uebrigens ist der Cosmopolitismus ein Zeichen jeder Bildungsepoche, da man neue Welten entdeckt und sich in der alten nicht mehr heimisch fühlt. Er tritt bei den Griechen sehr deutlich hervor nach dem peloponnesischen Kriege; Platon war, wie Niebuhr sagt, kein guter Bürger und Xenophon ein schlechter; Dio- genes proclamirte vollends die Heimathlosigkeit als ein wahres Ver- gnügen und nannte sich selber ἄπολις, wie man beim Laertius liest. .“ Vollendung der Persönlichkeit. Ein sehr geschärfter culturgeschichtlicher Blick dürfte wohl im Stande sein, im XV. Jahrhundert die Zunahme völlig ausgebildeter Menschen schrittweise zu verfolgen. Ob dieselben das harmonische Ausrunden ihres geistigen und äußern Daseins als bewußtes, ausgesprochenes Ziel vor sich 2. Abschnitt. gehabt, ist schwer zu sagen; Mehrere aber besaßen die Sache, so weit dieß bei der Unvollkommenheit alles Irdischen mög- lich ist. Mag man auch z. B. verzichten auf eine Gesammt- bilanz für Lorenzo magnifico, nach Glück, Begabung und Character, so beobachte man dafür eine Individualität wie die des Ariosto hauptsächlich in seinen Satiren. Bis zu welchem Wohllaut sind da ausgeglichen der Stolz des Menschen und des Dichters, die Ironie gegen die eigenen Genüsse, der feinste Hohn und das tiefste Wohlwollen. Wenn nun dieser Antrieb zur höchsten Ausbildung der Die Vielseitigen. Persönlichkeit zusammentraf mit einer wirklich mächtigen und dabei vielseitigen Natur, welche sich zugleich aller Ele- mente der damaligen Bildung bemeisterte, dann entstand der „allseitige Mensch“, l'uomo universale, welcher aus- schließlich Italien angehört. Menschen von encyclopädischem Wissen gab es durch das ganze Mittelalter in verschiedenen Ländern, weil dieses Wissen nahe beisammen war; ebenso kommen noch bis ins XII. Jahrhundert allseitige Künstler vor, weil die Probleme der Architectur relativ einfach und gleichartig waren und in Sculptur und Malerei die dar- zustellende Sache über die Form vorherrschte. In dem Italien der Renaissance dagegen treffen wir einzelne Künstler, welche in allen Gebieten zugleich lauter Neues und in seiner Art Vollendetes schaffen und dabei noch als Menschen den größten Eindruck machen, Andere sind allseitig außerhalb der ausübenden Kunst, ebenfalls in einem ungeheuer weiten Kreise des Geistigen. Dante, welcher schon bei Lebzeiten von den Einen Poet, von den Andern Philosoph, von Dritten Theologe genannt wurde Boccaccio, vita di Dante, p. 16. , strömt in all seinen Schriften eine Fülle von zwingender persönlicher Macht aus, der sich der Leser unter- worfen fühlt auch abgesehen vom Gegenstande. Welche Willens- 2. Abschnitt. kraft setzt schon die unerschütterlich gleichmäßige Ausarbei- tung der Divina Commedia voraus. Sieht man aber auf den Inhalt, so ist in der ganzen äußern und geistigen Welt kaum ein wichtiger Gegenstand, den er nicht ergründet hätte und über welchen seine Aussage — oft nur wenige Worte — nicht die gewichtigste Stimme aus jener Zeit wäre. Für die bildende Kunst ist er Urkunde — und wahrlich noch um wichtigerer Dinge willen als wegen seiner paar Zeilen über die damaligen Künstler; bald wurde er aber auch Quelle der Inspiration Die Engel, welche er am Jahrestag von Beatricc's Tode auf Täfel- chen zeichnete (Vita nuova, p. 61), könnten wohl mehr als Di- lettantenarbeit gewesen sein. Lion. Aretino sagt, er habe egregia- mente gezeichnet und sei ein großer Liebhaber der Musik gewesen. . Character des XV. Jahrh. Das XV. Jahrhundert ist zunächst vorzüglich das- jenige der vielseitigen Menschen. Keine Biographie, welche nicht wesentliche, über den Dilettantismus hinausgehende Nebenbeschäftigungen des Betreffenden namhaft machte. Der florentinische Kaufmann und Staatsmann ist oft zu- gleich ein Gelehrter in beiden alten Sprachen; die berühm- testen Humanisten müssen ihm und seinen Söhnen des Aristoteles Politik und Ethik vortragen Für dieses und das Folgende vgl . bes Vespasiano Fiorentino, für die florentinische Bildung des XV. Jahrhunderts eine Quelle ersten Ranges. Hieher p. 359, 379, 401 etc. — Sodann die schöne und lehrreiche Vita Jannoctii Manetti (geb. 1396) bei Murat. XX. ; auch die Töchter des Hauses erhalten eine hohe Bildung, wie denn über- haupt in diesen Sphären die Anfänge der höhern Privat- erziehung vorzüglich zu suchen sind. Der Humanist seiner- seits wird zur größten Vielseitigkeit aufgefordert, indem sein philologisches Wissen lange nicht bloß wie heute der objec- tiven Kenntniß des classischen Weltalters, sondern einer täglichen Anwendung auf das wirkliche Leben dienen muß. Neben seinen plinianischen Studien Das folgende beispielsweise aus Perticari's Characteristik des Pan- dolfo Collenuccio, bei Roscoe, Leone X, ed. Bossi III, p. 197, s., und in den Opere del Conte Perticari, Mil. 1823, vol. II. z. B. sammelt er ein 2. Abschnitt. Museum von Naturalien; von der Geographie der Alten aus wird er moderner Kosmograph; nach dem Muster ihrer Geschichtschreibung verfaßt er Zeitgeschichten; als Uebersetzer plautinischer Comödien wird er wohl auch der Regisseur bei den Aufführungen; alle irgend eindringlichen Formen der antiken Literatur bis auf den lucianischen Dialog bildet er so gut als möglich nach, und zu dem Allen functionirt er noch als Geheimschreiber und Diplomat, nicht immer zu seinem Heil. Ueber diese Vielseitigen aber ragen einige wahrhaft Die Allseitigen; L. B. Alberti. Allseitige hoch empor. Ehe wir die damaligen Lebens- und Bildungs-Interessen einzeln betrachten, mag hier, an der Schwelle des XV. Jahrhunderts, das Bild eines jener Gewaltmenschen seine Stelle einnehmen: Leon (Battista Alberti. Seine Biographie Bei Muratori, XXV, Col. 295, s. Hiezu als Ergänzung Va- sari IV, 52, s. — Ein allseitiger Dilettant wenigstens, und zu- gleich in mehreren Fächern Meister, war z. B. Mariano Socini, wenn man dessen Characteristik bei Aeneas Sylvius (Opera, p. 622, Epist. 112) Glauben schenken darf. — nur ein Fragment — spricht von ihm als Künstler nur wenig und erwähnt seine hohe Bedeutung in der Geschichte der Architectur gar nicht, es wird sich nun zeigen, was er auch ohne diesen speciellen Ruhm gewesen ist. In allem was Lob bringt, war Leon Battista von Kindheit an der Erste. Von seinen allseitigen Leibesübun- gen und Turnkünsten wird Unglaubliches berichtet, wie er mit geschlossenen Füßen den Leuten über die Schultern hinwegsprang, wie er im Dom ein Geldstück emporwarf, bis man es oben an den fernen Gewölben anklingen hörte, 2. Abschnitt. wie die wildesten Pferde unter ihm schauderten und zitterten — L. B. Alberti. denn in drei Dingen wollte er den Menschen untadelhaft erscheinen: im Gehen, im Reiten und im Reden. Die Musik lernte er ohne Meister, und doch wurden seine Com- positionen von Leuten des Faches bewundert. Unter dem Drucke der Dürftigkeit studirte er beide Rechte, viele Jahre hindurch, bis zu schwerer Krankheit durch Erschöpfung; und als er im 24sten Jahre sein Wort-Gedächtniß ge- schwächt, seinen Sachensinn aber unversehrt fand, legte er sich auf Physik und Mathematik und lernte daneben alle Fertigkeiten der Welt, indem er Künstler, Gelehrte und Handwerker jeder Art bis auf die Schuster um ihre Ge- heimnisse und Erfahrungen befragte. Das Malen und Modelliren — namentlich äußerst kenntlicher Bildnisse, auch aus dem bloßen Gedächtniß — ging nebenein. Besondere Bewunderung erregte der geheimnißvolle Guckkasten, in welchem er bald die Gestirne und den nächtlichen Mond- aufgang über Felsgebirgen erscheinen ließ, bald weite Land- schaften mit Bergen und Meeresbuchten bis in duftige Fernen hinein, mit heranfahrenden Flotten, im Sonnenglanz wie im Wolkenschatten. Aber auch was Andere schufen, erkannte er freudig an und hielt überhaupt jede menschliche Hervorbringung, die irgend dem Gesetze der Schönheit folgte, beinah für etwas Göttliches Quicquid ingenio esset hominum cum quadam effectum ele- gantia, id prope divinum ducebat. . Dazu kam eine schrift- stellerische Thätigkeit zunächst über die Kunst selber, Mark- steine und Hauptzeugnisse für die Renaissance der Form, zumal der Architectur. Dann lateinische Prosadichtungen, Novellen u. dgl., von welchen man Einzelnes für antik gehalten hat, auch scherzhafte Tischreden, Elegien und Eclo- gen; ferner ein italienisches Werk „vom Hauswesen“ in vier Büchern Dieses verlorene Werk ist es (vgl. S. 135 Anm.), welches von , ja eine Leichenrede auf seinen Hund. Seine ernsten und seine witzigen Worte waren bedeutend genug, 2. Abschnitt. um gesammelt zu werden; Proben davon, viele Columnen L. B. Alberti. lang, werden in der genannten Lebensschilderung mitgetheilt. Und Alles was er hatte und wußte, theilte er, wie wahr- haft reiche Naturen immer thun, ohne den geringsten Rück- halt mit, und schenkte seine größten Erfindungen umsonst weg. Endlich aber wird auch die tiefste Quelle seines Wesens nahmhaft gemacht: ein fast nervös zu nennendes, höchst sympathisches Mitleben an und in allen Dingen. Beim Anblick prächtiger Bäume und Erntefelder mußte er weinen; schöne, würdevolle Greise verehrte er als eine „Wonne der Natur“ und konnte sie nicht genug betrachten; auch Thiere von vollkommener Bildung genossen sein Wohl- wollen, weil sie von der Natur besonders begnadigt seien; mehr als einmal, wenn er krank war, hat ihn der Anblick einer schönen Gegend gesund gemacht In seinem Werke De re ædificatoria, L. VIII, cap. 1 findet sich eine Definition von dem was ein schöner Weg heißen könne: si modo mare, modo montes, modo lacum fluentem fontesve, modo aridam rupem aut planitiem, modo nemus vallemque exhibebit. . Kein Wunder wenn die, welche ihn in so räthselhaft innigem Verkehr mit der Außenwelt kennen lernten, ihm auch die Gabe der Vor- ahnung zuschrieben. Eine blutige Crisis des Hauses Este, das Schicksal von Florenz und das der Päpste auf eine Reihe von Jahren hinaus soll er richtig geweissagt haben, wie ihm denn auch der Blick ins Innere des Menschen, die Physiognomik jeden Moment zu Gebote stand. Es versteht sich von selbst, daß eine höchst intensive Willens- kraft diese ganze Persönlichkeit durchdrang und zusammen- hielt; wie die Größten der Renaissance sagte auch er: „Die „Menschen können von sich aus Alles, sobald sie wollen.“ Und zu Alberti verhielt sich Lionardo da Vinci, wie Neuern für wesentlich identisch mit dem Trattato des Pandolfini gehalten wird. 2. Abschnitt. zum Anfänger der Vollender, wie zum Dilettanten der Meister. Wäre nur Vasari's Werk hier ebenfalls durch eine Schilderung ergänzt wie bei Leon Battista! Die un- geheuern Umrisse von Lionardo's Wesen wird man ewig nur von ferne ahnen können. Der Ruhm. Der bisher geschilderten Entwicklung des Individuums entspricht auch eine neue Art von Geltung nach außen: der moderne Ruhm Ein Autor statt Vieler: Blondus, Roma triumphans, L. V, p. 117, s., wo die Definitionen der Gloria aus den Alten gesam- melt sind und auch dem Christen ausdrücklich die Ruhmbegier ge- stattet wird. — Cicero's Schrift de gloria, welche noch Petrarca besaß, ist bekanntlich seitdem verloren gegangen. . Außerhalb Italiens lebten die einzelnen Stände jeder für sich mit seiner einzelnen mittelalterlichen Standesehre. Der Dichterruhm der Troubadours und Minnesänger z. B. existirt nur für den Ritterstand. In Italien dagegen ist Gleichheit der Stände vor der Tyrannis oder vor der De- mokratie eingetreten; auch zeigen sich bereits Anfänge einer allgemeinen Gesellschaft, die ihren Anhalt an der italieni- schen und lateinischen Literatur hat, wie hier in vorgreifender Weise bemerkt werden muß; dieses Bodens aber bedurfte es, um jenes neue Element im Leben zum Keimen zu brin- gen. Dazu kam, daß die römischen Autoren, welche man emsig zu studiren begann, von dem Begriff des Ruhmes erfüllt und getränkt sind und daß schon ihr Sachinhalt — das Bild der römischen Weltherrschaft — sich dem italie- nischen Dasein als dauernde Parallele aufdrängte. Fortan ist alles Wollen und Vollbringen der Italiener von einer sittlichen Voraussetzung beherrscht, die das übrige Abend- land noch nicht kennt. Dante. Wiederum muß zuerst Dante gehört werden, wie bei allen wesentlichen Fragen. Er hat nach dem Dichterlorbeer Paradiso XXV, Anfang: Se mai continga etc. — Vgl. Boccac- cio, vita di Dante, p. 49. Vaghissimo fu e d'onore e di pompa, e per avventura più che alla sua inclita virtù non si sarebbe richiesto. 2. Abschnitt. gestrebt mit aller Kraft seiner Seele; auch als Publicist und Literator hebt er hervor, daß seine Leistungen wesent- lich neu, daß er der erste auf seinen Bahnen nicht nur sei, sondern heißen wolle De vulgari eloquio, L. I, Cap. I. Ganz besonders de Monar- chia, L. I. Cap. I, wo er den Begriff der Monarchie darstellen will, nicht bloß um der Welt nützlich zu sein, sondern auch: ut palmam tanti bravii primus in meam gloriam adipiscar. . Doch berührt er schon in seinen Prosaschriften auch die Unbequemlichkeiten eines hohen Ruhmes; er weiß, wie Manche bei der persönlichen Bekanntschaft mit dem berühmten Mann unbefriedigt blei- ben, und setzt auseinander, daß hieran theils die kindische Phantasie der Leute, theils der Neid, theils die eigene Un- lauterheit des Betreffenden Schuld sei Convito, ed. Venezia 1529, fol. 5 und 6. . Vollends aber hält sein großes Gedicht die Anschauung von der Nichtigkeit des Ruhmes fest, wenn gleich in einer Weise, welche ver- räth, daß sein Herz sich noch nicht völlig von der Sehnsucht danach losgemacht. Im Paradies ist die Sphäre des Mercur der Wohnsitz solcher Seligen Paradiso VI, 112, s. , die auf Erden nach Ruhm gestrebt und dadurch den „Strahlen der wahren Liebe“ Eintrag gethan haben. Hochbezeichnend aber ist, daß die armen Seelen im Inferno von Dante verlangen, er möge ihr Andenken, ihren Ruhm auf Erden erneuern und wach halten Z. B.: Inferno VI, 89. XIII, 53. XVI, 85. XXXI, 127. , während diejenigen im Purgatorio nur um Für- bitte flehen Purgatorio V, 70. 87. 133. VI, 26. VIII, 71. XI, 31. XIII, 147. ; ja in einer berühmten Stelle Purgatorio XI, 79—117. Außer gloria finden sich hier beisam- wird die 2. Abschnitt. Ruhmbegier — lo gran disio dell' eccellenza — schon deßhalb verworfen, weil der geistige Ruhm nicht absolut, sondern von den Zeiten abhängig sei und je nach Umständen durch größere Nachfolger überboten und verdunkelt werde. Die Celebrität d. Humanisten. Rasch bemächtigt sich nun das neu aufkommende Ge- schlecht von Poeten-Philologen, welches auf Dante folgt, des Ruhmes in doppeltem Sinn: indem sie selber die aner- kanntesten Berühmtheiten Italiens werden und zugleich als Dichter und Geschichtschreiber mit Bewußtsein über den Ruhm Anderer verfügen. Als äußeres Symbol dieser Art von Ruhm gilt besonders die Poetenkrönung, von welcher weiter die Rede sein wird. Ein Zeitgenosse Dante's, Albertinus Musattus oder Mussatus, zu Padua von Bischof und Rector als Dichter gekrönt, genoß bereits einen Ruhm, der an die Vergötterung streifte; jährlich am Weihnachtstage kamen Doctoren und Scholaren beider Collegien der Universität in feierlichem Aufzug mit Posaunen und, scheint es, mit brennenden Kerzen vor sein Haus um ihn zu begrüßen Scardeonius, de urb. Patav. antiq. (Graev. Thesaur. VI, III, Col. 260). Ob cereis, muneribus oder etwa certis muneribus zu lesen, lasse ich dahingestellt. und zu be- schenken. Die Herrlichkeit dauerte bis er (1318) bei dem regierenden Tyrannen aus dem Hause Carrara in Un- gnade fiel. Petrarca. In vollen Zügen genießt auch Petrarca den neuen, früher nur für Helden und Heilige vorhandenen Weihrauch und überredet sich sogar in seinen spätern Jahren, daß ihm derselbe ein nichtiger und lästiger Begleiter scheine. Sein sammen: Grido, fama, rumore, nominanza, onore, lauter Um- schreibungen derselben Sache. — Boccaccio dichtete, wie er in dem Brief an Joh. Pizinga (Opere volgari, Vol. XVI.) gesteht, perpetuandi nominis desiderio. Brief „an die Nachwelt“ Epistola de origine et vita etc., am Eingang der Opera: „Franc. Petrarca Posteritati salutem“ . Gewisse neuere Tadler von P.'s Eitelkeit würden an seiner Stelle schwerlich so viele Güte und Offenheit behalten haben wie er. ist die Rechenschaft des alten, 2. Abschnitt. hochberühmten Mannes, der die öffentliche Neugier zufrie- den stellen muß; bei der Nachwelt möchte er wohl Ruhm genießen, bei den Zeitgenossen aber sich lieber denselben verbitten Opera, p. 177: de celebritate nominis importuna. ; in seinen Dialogen von Glück und Unglück De remediis utriusque fortunæ, passim. hat bei Anlaß des Ruhmes der Gegenredner, welcher dessen Nichtigkeit beweist, den stärkern Accent für sich. Soll man es aber strenge nehmen, wenn es Petrarca noch immer freut, daß der paläologische Autokrator von Byzanz Epist. seniles III, 5. Einen Maßstab von Petrarca's Ruhm giebt z. B. Blondus (Italia illustrata, p. 416) hundert Jahre nachher, durch seine Versicherung, daß auch kaum ein Gelehrter mehr etwas von König Robert dem Guten wüßte, wenn Petrarca seiner nicht so oft und freundlich gedacht hätte. ihn durch seine Schriften so genau kennt wie Kaiser Carl IV. ihn kennt? Denn in der That ging sein Ruf schon bei Lebzeiten über Italien hinaus. Und empfand er nicht eine gerechte Rührung als ihn bei einem Besuch in seiner Hei- math Arezzo die Freunde zu seinem Geburtshaus führten Cultus der Ge- burtshäuser. und ihm meldeten, die Stadt sorge dafür, daß nichts daran verändert werden dürfe? Epist. seniles XIII, 3. p. 918. Früher feierte und conservirte man die Wohnungen einzelner großer Heiligen, wie z. B. die Zelle des S. Thomas von Aquino bei den Domini- canern in Neapel, die Portiuncula des S. Franciscus bei Assisi; höchstens genossen noch einzelne große Rechtsgelehrte jenes halbmythische Ansehen, welches zu dieser Ehre führte; so benannte das Volk noch gegen Ende des XIV. Jahr- hunderts zu Bagnolo unweit Florenz ein altes Gebäude Cultur der Renaissance. 10 2. Abschnitt. als „Studio“ des Accursius (geb. um 1150), ließ aber doch geschehen, daß es zerstört wurde Filippo Villani, vite, p. 19. . Wahrscheinlich frappirten die hohen Einnahmen und die politischen Ver- bindungen einzelner Juristen (als Consulenten und Deduc- tionenschreiber) die Einbildungskraft der Leute auf lange hinaus. Cultus der Gräber. Zum Cultus der Geburtshäuser gehört der der Gräber berühmter Leute Beides beisammen in der Grabschrift auf Boccaccio: Nacqui in Firenze al Pozzo Toscanelli; Di fuor sepolto a Certaldo giaccio, etc. — Vgl. Opere volgari di Bocc., vol. XVI, p. 44. ; für Petrarca kommt auch noch der Ort wo er gestorben überhaupt hinzu, indem Arquato seinem Andenken zu Ehren ein Lieblings-Aufenthalt der Paduaner und mit zierlichen Wohngebäuden geschmückt wurde Mich. Savonarola, de laudibus Patavii, bei Murat. XXIV, Col. 1157. — zu einer Zeit da es im Norden noch lange keine „classischen Stellen“ sondern nur Wallfahrten zu Bildern und Reli- quien gab. Es wurde Ehrensache für die Städte, die Ge- beine eigener und fremder Celebritäten zu besitzen, und man erstaunt zu sehen, wie ernstlich die Florentiner schon im XIV. Jahrhundert — lange vor S. Croce — ihren Dom zum Pantheon zu erheben strebten. Accorso, Dante, Petrarca, Boccaccio und der Jurist Zanobi della Strada sollten dort Prachtgräber erhalten Der motivirte Staatsbeschluß von 1396 bei Gaye, carteggio, I, p. 123. . Noch spät im XV. Jahrhundert verwandte sich Lorenzo magnifico in Person bei den Spole- tinern, daß sie ihm die Leiche des Malers Fra Filippo Lippi für den Dom abtreten möchten, und erhielt die Antwort: sie hätten überhaupt keinen Ueberfluß an Zierden, besonders nicht an berühmten Leuten, weßhalb er sie verschonen möge; in der That mußte man sich mit einem Kenotaphium be- gnügen. Und auch Dante blieb trotz allen Verwendungen, zu welchen schon Boccaccio mit emphatischer Bitterkeit die 2. Abschnitt. Vaterstadt aufstachelte Boccaccio, vita di Dante, p. 39. , ruhig bei S. Francesco in Ra- venna schlafen, „zwischen uralten Kaisergräbern und Heiligen- „grüften, in ehrenvollerer Gesellschaft als du, o Heimath, „ihm bieten könntest“. Es kam schon damals vor, daß ein wunderlicher Mensch ungestraft die Lichter vom Altar des Crucifixes wegnahm und sie an das Grab stellte mit den Worten: Nimm sie, du bist ihrer würdiger als Jener — der Gekreuzigte Franco Sacchetti, Nov. 121. . Nunmehr gedenken auch die italischen Städte wieder Berühmte Männer des Alterthums. ihrer Mitbürger und Einwohner aus dem Alterthum. Neapel hatte vielleicht sein Grab Virgil's nie ganz vergessen, schon weil sich ein halbmythischer Begriff an den Namen geknüpft hatte. Padua glaubte vollends noch im XVI. Jahrhundert nicht nur die echten Gebeine seines trojanischen Gründers Antenor, sondern auch die des Titus Livius zu besitzen Erstere in dem bekannten Sarcophag bei S. Lorenzo, letztere am Palazzo della ragione über einer Thür. Das Nähere über deren Auffindung 1413 s. bei Misson, voyage en Italie, vol. I. . „Sulmona, sagt Boccaccio Vita di Dante, l. c. Wie die Leiche des Cassius nach der Schlacht bei Philippi wieder nach Parma gelangt sein mag? , klagt, daß Ovid „fern in der Verbannung begraben sei, Parma freut sich, „daß Cassius in seinen Mauern schlummere“. Die Man- tuaner prägten im XIV. Jahrhundert eine Münze mit dem Brustbild Virgil's und stellten eine Statue auf, die ihn vorstellen sollte; aus mittelalterlichem Junkerhochmuth Nobilitatis fastu, und zwar sub obtentu religionis, sagt Pius II. (Comment. X, p. 473). Die neue Gattung von Ruhm mußte wohl vielen Leuten unbequem erscheinen, die an Anderes gewöhnt waren. ließ sie der Vormund des damaligen Gonzaga, Carlo Ma- latesta, 1392 umstürzen und mußte sie, weil der Ruhm 10* 2. Abschnitt. des alten Dichters stärker war, wieder aufrichten lassen. Vielleicht zeigte man schon damals zwei Miglien von der Stadt die Grotte, wo einst Virgil meditirt haben sollte Vgl. Keyßler's Neueste Reisen, p. 1016. , gerade wie bei Neapel die Scuola di Virgilio. Como eignete sich die beiden Plinius zu Der ältere war bekanntlich von Verona. und verherrlichte sie gegen Ende des XV. Jahrhunderts durch sitzende Statuen in zierlichen Baldachinen an der Vorderseite seines Domes. Der Ruhm in der Topogra- phie. Auch die Geschichtschreibung und die neugeborene To- pographie richten sich fortan darauf ein, keinen einheimischen Ruhm mehr unverzeichnet zu lassen, während die nordischen Chroniken nur erst hie und da zwischen Päpsten, Kaisern, Erdbeben und Kometen die Bemerkung machen, zu dieser Zeit habe auch dieser oder jener berühmte Mann „geblüht“. Wie sich eine ausgezeichnete Biographik, wesentlich unter der Herrschaft des Ruhmes-Begriffes, entwickelte, wird bei einem andern Anlaß zu betrachten sein; hier beschränken wir uns auf den Ortspatriotismus des Topographen, der die Ruhmesansprüche seiner Stadt verzeichnet. Im Mittelalter waren die Städte stolz gewesen auf ihre Heiligen und deren Leichen und Reliquien in den Kirchen So verhält es sich auch wesentlich noch in der merkwürdigen Schrift: De laudibus Papiæ (bei Murat. X. ) aus dem XIV. Jahrh.; viel municipaler Stolz aber noch kein specieller Ruhm. . Damit beginnt auch noch der Panegyrist von Padua und M. Savonarola. Padua um 1450, Michele Savonarola De laudibus Patavii, bei Murat. XXIV, Col. 1151, ff. seine Aufzählung; dann aber geht er über auf „berühmte Männer, welche keine Heiligen gewesen sind, jedoch durch ausgezeichneten Geist und hohe Kraft (virtus) verdient haben, den Heiligen ange- schlossen zu werden (adnecti) “ — ganz wie im Alterthum der berühmte Mann an den Heros angrenzt Nam et veteres nostri tales aut Divos aut æterna memoria . Die weitere Aufzählung ist für jene Zeit bezeichnend im höchsten Grade. 2. Abschnitt. Zuerst folgen Antenor, der Bruder des Priamus, der mit einer Schaar flüchtiger Troer Padua gegründet; König Dardanus, der den Attila in den euganeischen Bergen be- siegte, ihn weiter verfolgte und zu Rimini mit einem Schachbrett todtschlug; Kaiser Heinrich IV., der den Dom erbaut hat; ein König Marcus, dessen Haupt in Monselice Legende und Geschichte. aufbewahrt wird; — dann ein paar Cardinäle und Prä- laten als Stifter von Pfründen, Collegien und Kirchen; der berühmte Theologe Fra Alberto der Augustiner; eine Reihe von Philosophen mit Paolo Veneto und dem welt- bekannten Pietro von Abano beginnend; der Jurist Paolo Padovano; sodann Livius, und die Dichter Petrarca, Mussato, Lovato. Wenn an Kriegs-Celebritäten einiger Mangel zu verspüren, so tröstet sich der Autor mit dem Ersatz von gelehrter Seite und mit der größern Dauer- haftigkeit des geistigen Ruhmes, während der Kriegsruhm oft mit dem Leibe begraben werde und, wenn er daure, dieß doch nur den Gelehrten verdanke. Immerhin aber gereiche es der Stadt zur Ehre, daß wenigstens berühmte auswärtige Krieger auf eigenes Begehren in ihr begraben lägen: so Pietro de Rossi von Parma, Filippo Arcelli von Piacenza, besonders Gattamelata von Narni (st. 1442), dessen ehernes Reiterbild „gleich einem triumphirenden Cäsar“ bereits bei der Kirche des Santo aufgerichtet stand. Dann nennt der Verfasser Schaaren von Juristen und Medicinern, Adlige, welche nicht bloß wie so viele „die Ritterwürde empfangen sondern sie auch verdient hatten“, endlich berühmte Mechaniker, Maler und Tonkünstler. Den Beschluß macht ein Fechtmeister Michele Rosso, welcher als der berühmteste seines Faches an vielen Orten gemalt zu sehen war. dignos non immerito prædicabant. Quum virtus summa sancti- tatis sit consocia et pari emantur pretio. 2. Abschnitt. Neben solchen localen Ruhmeshallen, bei deren Aus- Allgemeines Pantheon. stattung Mythus, Legende, literarisch hervorgebrachte Re- nommee und populäres Erstaunen zusammenwirken, bauen die Poeten-Philologen an einem allgemeinen Pantheon des Weltruhms; sie schreiben Sammelwerke: von berühmten Männern, von berühmten Frauen, oft in unmittelbarer Abhängigkeit von Corn. Nepos, Pseudo-Sueton, Valerius Maximus, Plutarch (Mulierum virtutes) u. s. w. Oder sie dichten von visionären Triumphzügen und idealen, olym- pischen Versammlungen, wie Petrarca namentlich in seinem Trionfo della fama, Boccaccio in seiner Amorosa visione, mit hunderten von Namen, wovon mindestens drei Vier- theile dem Alterthum, die übrigen dem Mittelalter ange- hören In den casus virorum illustrium des Boccaccio gehört nur das letzte, neunte Buch der nachantiken Zeit an. Ebenso noch viel später in den Commentarii urbani des Raph. Volaterranus nur das 21ste Buch, welches das neunte der Anthropologie ist; Päpste und Kaiser behandelt er im 22. und 23. Buch besonders. — In dem Werke „de claris mulieribus“ des Augustiners Jacobus Bergomensis (um 1500) überwiegt das Alterthum und noch mehr die Legende, dann folgen aber einige werthvolle Biogra- phien von Italienerinnen. Bei Scardeonius (de urb. Patav. antiq., Græv. thesaur. VI, III, Col. 405, s.) werden lauter be- rühmte Paduanerinnen aufgezählt: Zuerst eine Legende oder eine Sage aus der Völkerwanderung; dann leidenschaftliche Tragödien aus den Parteikämpfen des XIII. und XIV. Jahrh; hierauf an- dere kühne Heldenweiber; die Klosterstifterin, die politische Rathge- berin, die Aerztin, die Mutter vieler und ausgezeichneter Söhne, die gelehrte Frau, das Bauermädchen das für seine Unschuld stirbt, endlich die schöne hochgebildete Frau des XVI. Jahrh., auf welche Jedermann Gedichte macht; zum Schluß die Dichterin und Novel- listin. Ein Jahrhundert später wäre zu all diesen berühmten patavi- nischen Frauen noch die Professorin hinzugekommen. — Die berühm- ten Frauen des Hauses Este, bei Ariosto, Orl. XIII. . Allmälig wird dieser neuere, relativ moderne Bestandtheil mit größerem Nachdruck behandelt; die Ge- schichtschreiber legen Characteristiken in ihre Werke ein, und es entstehen Sammlungen von Biographien berühmter Zeit- 2. Abschnitt. genossen wie die von Filippo Villani, Vespasiano Fiorentino und Bartolommeo Facio Die viri illustres des B. Facius, herausg. von Mehus, eines der wichtigsten Werke dieser Art aus dem XV. Jahrh., habe ich leider nie zu sehen bekommen. , zuletzt die von Paolo Giovio. Der Norden aber besaß, bis Italien auf seine Autoren Der Ruhm im Norden. (z. B. auf Trithemius) einwirkte, nur Legenden der Hei- ligen und vereinzelte Geschichten und Beschreibungen von Fürsten und Geistlichen, die sich noch deutlich an die Le- gende anlehnen und vom Ruhm, d. h. von der persönlich errungenen Notorietät wesentlich unabhängig sind. Der Dichterruhm beschränkt sich noch auf bestimmte Stände und die Namen der Künstler erfahren wir im Norden fast aus- schließlich nur insofern sie als Handwerker und Zunft- menschen auftreten. Der Poet-Philolog in Italien hat aber, wie bemerkt, Die Literatur als Austheile- rin d. Ruhmes. auch schon das stärkste Bewußtsein davon, daß er der Aus- theiler des Ruhmes, ja der Unsterblichkeit sei; und ebenso der Vergessenheit Schon ein lateinischer Sänger des XII. Jahrh. — ein fahrender Scholar der mit seinem Lied um ein Kleid bettelt — droht damit. S. Carmina Burana, p. 76. . Schon Boccaccio klagt über eine von ihm gefeierte Schöne, welche hartherzig blieb um immer weiter von ihm besungen und dadurch berühmt zu werden, und verdeutet ihr, er wolle es fortan mit dem Tadel ver- suchen Boccaccio, opere volgari, Vol. XVI, im 13. Sonett: Pallido, vinto etc. . Sannazaro droht dem vor Carl VIII. feig ge- flohenen Alfonso von Neapel in zwei prächtigen Sonetten mit ewiger Obscurität U. a. bei Roscoe, Leone X, ed. Bossi IV, p. 203. . Angelo Poliziano mahnt (1491) den König Johann von Portugal Angeli Politiani epp. Lib. X. in Betreff der Ent- deckungen in Africa ernstlich daran, bei Zeiten für Ruhm und Unsterblichkeit zu sorgen und ihm das Material „zum 2. Abschnitt. Stylisiren“ (operosius excolenda) nach Florenz zu über- senden; sonst möchte es ihm ergehen wie all Jenen, deren Thaten, von der Hülfe der Gelehrten entblößt, „im großen „Schutthaufen menschlicher Gebrechlichkeit verborgen liegen „bleiben“. Der König (oder doch sein humanistisch ge- sinnter Kanzler) ging darauf ein und versprach wenigstens, es sollten die bereits portugiesisch abgefaßten Annalen über die africanischen Dinge in italienischer Uebersetzung nach Florenz zur lateinischen Bearbeitung verabfolgt werden; ob dieß wirklich geschah, ist nicht bekannt. So ganz leer, wie dergleichen Prätensionen auf den ersten Blick scheinen, sind sie keinesweges; die Redaction, in welcher die Sachen (auch die wichtigsten) vor Mit- und Nachwelt treten, ist nichts weniger als gleichgültig. Die italienischen Humanisten mit ihrer Darstellungsweise und ihrem Latein haben lange genug die abendländische Lesewelt wirklich beherrscht und auch die italienischen Dichter sind bis ins vorige Jahrhundert weiter in allen Händen herumgekommen als die irgend einer Na- tion. Der Taufname des Amerigo Vespucci von Florenz wurde seiner Reisebeschreibung wegen zum Namen des vierten Welttheils, und wenn Paolo Giovio mit all seiner Flüchtigkeit und eleganten Willkür sich dennoch die Unsterb- lichkeit versprach Paul. Jov. de romanis piscibus, Præfatio (1525): Die erste Decade seiner Historien werde nächstens herauskommen non sine aliqua spe immortalitatis. , so ist er dabei nicht ganz fehlgegangen. Unbedingte Ruhmsucht. Neben solchen Anstalten den Ruhm äußerlich zu ga- rantiren, wird hie und da ein Vorhang hinweg gezogen und wir schauen den colossalsten Ehrgeiz und Durst nach Größe, unabhängig von Gegenstand und Erfolg, in er- schreckend wahrem Ausdruck. So in Macchiavell's Vorrede zu seinen florentinischen Geschichten, wo er seine Vorgänger (Lionardo Aretino, Poggio) tadelt wegen des allzurücksichts- vollen Schweigens in Betreff der städtischen Parteiungen. „Sie haben sich sehr geirrt und bewiesen, daß sie den Ehr- 2. Abschnitt. „geiz der Menschen und die Begier nach Fortdauer des „Namens wenig kannten. Wie Manche, die sich durch „Löbliches nicht auszeichnen konnten, strebten danach durch „Schmähliches! Jene Schriftsteller erwogen nicht, daß „Handlungen, welche Größe an sich haben, wie dieß bei „den Handlungen der Regenten und Staaten der Fall ist, „immer mehr Ruhm als Tadel zu bringen scheinen, welcher „Art sie auch seien und welches der Ausgang sein möge Hiezu vgl. Discorsi I. 27. Die tristizia, Verbrechen, kann gran- dezza haben und in alcuna parte generosa sein; die grandezza kann von einer That jede infamia entfernen; der Mensch kann onorevolmente tristo sein, im Gegensatz zum perfettamente buono. .“ Bei mehr als einem auffallenden und schrecklichen Unter- nehmen wird von besonnenen Geschichtschreibern als Beweg- grund das brennende Verlangen nach etwas Großem und Das Herostratische. Denkwürdigem angegeben. Hier offenbart sich nicht eine bloße Ausartung der gemeinen Eitelkeit, sondern etwas wirklich Dämonisches, d. h. Unfreiheit des Entschlusses ver- bunden mit Anwendung der äußersten Mittel und Gleich- gültigkeit gegen den Erfolg als solchen. Macchiavell selber faßt z. B. den Character des Stefano Porcari (S. 105) so auf Storie fiorentine, L. VI. ; von den Mördern des Galeazzo Maria Sforza (S. 57) sagen ungefähr dasselbe die Actenstücke; die Er- mordung des Herzogs Alessandro von Florenz (1537) schreibt selbst Varchi (im V. Buch) der Ruhmsucht des Thäters Lorenzino Medici (S. 60) zu. Noch viel schärfer hebt aber Paolo Giovio Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Marius Molsa. dieß Motiv hervor; Lorenzino, wegen der Verstümmelung antiker Statuen in Rom durch ein Pamphlet des Molza an den Pranger gestellt, brütet über einer That, deren „Neuheit“ jene Schmach in Ver- gessenheit bringen sollte, und ermordet seinen Verwandten 2. Abschnitt. und Fürsten. — Es sind echte Züge dieser Zeit hoch auf- geregter, aber bereits verzweifelnder Kräfte und Leiden- schaften, ganz wie einst die Brandstiftung im Tempel von Ephesus zur Zeit des Philipp von Macedonien. Spott u. Witz. Das Correctiv nicht nur des Ruhmes und der modernen Ruhmbegier, sondern des höher entwickelten Individualismus überhaupt ist der moderne Spott und Hohn, womöglich in der siegreichen Form des Witzes. Wir erfahren aus dem Mittelalter, wie feindliche Heere, verfeindete Fürsten und Große einander mit symbolischem Hohn auf das Aeußerste reizen, oder wie der unterlegene Theil mit höchster symbo- lischer Schmach beladen wird. Daneben beginnt in theo- logischen Streitigkeiten schon hie und da, unter dem Ein- fluß antiker Rhetorik und Epistolographie, der Witz eine Waffe zu werden und die provenzalische Poesie entwickelt eine eigene Gattung von Trotz- und Hohnliedern; auch den Minnesingern fehlt gelegentlich dieser Ton nicht, wie ihre Der Spott und das Indivi- duum. politischen Gedichte zeigen Das Mittelalter ist reich an sogenannten satirischen Gedichten, allein es ist noch nicht individuelle sondern fast lauter allgemeine, auf Stände, Kategorien, Bevölkerungen ꝛc. gemünzte Satire, welche denn auch leicht in den lehrhaften Ton übergeht. Der allgemeine Nieder- schlag dieser ganzen Richtung ist vorzüglich die Fabel vom Reineke Fuchs in all ihren Redactionen bei den verschiedenen Völkern des Abendlandes. Für die französische Literatur dieses Zweiges ist eine treffliche neuere Arbeit vorhanden: Lenient, la satire en France au moyen-âge. . Aber ein selbständiges Element des Lebens konnte der Witz doch erst werden als sein regel- mäßiges Opfer, das ausgebildete Individuum mit persön- lichen Ansprüchen, vorhanden war. Da beschränkt er sich auch bei Weitem nicht mehr auf Wort und Schrift, sondern wird thatsächlich: er spielt Possen und verübt Streiche, die sogenannten burle und beffe, welche einen Hauptinhalt mehrerer Novellensammlungen ausmachen. Die „hundert alten Novellen“, welche noch zu Ende 2. Abschnitt. des XIII. Jahrhunderts entstanden sein müssen, haben noch nicht den Witz, den Sohn des Contrastes, und noch nicht die Burla zum Inhalt Ausnahmsweise kommt auch schon ein insolenter Witz vor, Nov. 37. ; ihr Zweck ist nur, weise Reden und sinnvolle Geschichten und Fabeln in einfach schönem Ausdruck wiederzugeben. Wenn aber irgend etwas das hohe Alter der Sammlung beweist, so ist es dieser Mangel an Hohn. Denn gleich mit dem XIV. Jahrhundert folgt Dante, der im Ausdruck der Verachtung alle Dichter der Welt weit hinter sich läßt und z. B. schon allein wegen jenes großen höllischen Genrebildes von den Betrügern Inferno XXI. XXII. Die einzige mögliche Parallele wäre Ari- stophanes. der höchste Meister colossaler Komik heißen muß. Mit Petrarca beginnen Ein schüchterner Anfang Opera p. 421 u. f., in Rerum memo- randarum libri IV. Anderes z. B.: p. 868, in Epp. senil. X, 2. Der Wortwitz schmeckt bisweilen noch sehr nach seinem mittelalter- lichen Asyl, dem Kloster. schon die Witzsammlungen nach dem Vorbilde des Plutarch (Apophthegmata, ꝛc.). Was dann während des genannten Jahrhunderts sich in Florenz Der floren- tinische Hohn. von Hohn aufsammelte, davon giebt Franco Sacchetti in seinen Novellen die bezeichnendste Auswahl. Es sind meist keine eigentlichen Geschichten, sondern Antworten, die unter gewissen Umständen gegeben werden, horrible Naivetäten, womit sich Halbnarren, Hofnarren, Schälke, liederliche Weiber ausreden; das Komische liegt dann in dem schreien- den Gegensatz dieser wahren oder scheinbaren Naivetät zu den sonstigen Verhältnissen der Welt und zur gewöhnlichen Moralität; die Dinge stehen auf dem Kopf. Alle Mittel der Darstellung werden zu Hülfe genommen, auch z. B. schon die Nachahmung bestimmter oberitalienischer Dialecte. Oft tritt an die Stelle des Witzes die baare freche Inso- lenz, der plumpe Betrug, die Blasphemie und die Unfläterei; 2. Abschnitt. ein paar Condottierenspäße Nov. 40. 41; es ist Ridolfo da Camerino. gehören zum Rohesten und Bösesten was aufgezeichnet ist. Manche Burla ist hoch- komisch, manche aber auch ein bloß vermeintlicher Beweis der persönlichen Ueberlegenheit, des Triumphes über einen Andern. Wie viel man einander zu Gute hielt, wie oft das Schlachtopfer durch einen Gegenstreich die Lacher wieder auf seine Seite zu bringen sich begnügte, wissen wir nicht; es war doch viele herzlose und geistlose Bosheit dabei, und das florentinische Leben mag hiedurch oft recht unbequem Die Witzmacher. geworden sein Die bekannte Posse von Brunellesco und dem dicken Holzschnitzer, so geistreich erfunden, ist doch wohl grausam zu nennen. . Bereits ist der Spaßerfinder und Spaß- erzähler eine unvermeidliche Figur geworden, und es muß darunter classische gegeben haben, weit überlegen allen bloßen Hofnarren, welchen die Concurrenz, das wechselnde Publicum und das rasche Verständniß der Zuhörer (lauter Vorzüge des Aufenthaltes in Florenz) abgingen. Deßhalb reisten auch einzelne Florentiner auf Gastrollen an den Tyrannenhöfen der Lombardie und Romagna herum Ibid. Nov. 49. Und doch hatte man laut Nov. 67 das Gefühl, daß hie und da ein Romagnole auch dem schlimmsten Florentiner überlegen sei. , und fanden ihre Rechnung dabei, während sie in der Vaterstadt, wo der Witz auf allen Gassen lief, nicht viel gewannen. Der bessere Typus dieser Leute ist der des amüsanten Menschen (l'uomo piacevole), der geringere ist der des Buffone und des gemeinen Schmarotzers, der sich an Hoch- zeiten und Gastmählern einfindet mit dem Raisonnement! „wenn ich nicht eingeladen worden bin, so ist das nicht „meine Schuld.“ Da und dort helfen diese einen jungen Verschwender aussaugen Agn. Pandolfini, del governo della famiglia, p. 48. , im Ganzen aber werden sie als Parasiten behandelt und verhöhnt, während höher stehende Witzbolde sich fürstengleich dünken und ihren Witz für etwas wahrhaft Souveränes halten. Dolcibene, welchen Kaiser 2. Abschnitt. Carl IV. zum „König der italienischen Spaßmacher“ er- klärt hatte, sagte in Ferrara zu ihm: „Ihr werdet die Welt „besiegen, da Ihr mein und des Papstes Freund seid; Ihr „kämpft mit dem Schwert, der Papst mit dem Bullensiegel, „ich mit der Zunge! Franco Sacchetti, Nov. 156; vgl. Nov. 24. — Die Facetiae des Poggio sind dem Inhalt nach mit Sacchetti nahe verwandt: burle, Insolenzen, Mißverständnisse einfacher Menschen gegenüber der raffinirten Zote, dann aber mehr Wortwitze, die den Philologen verrathen. — Ueber L. B. Alberti vgl. S. 141. “ Dieß ist kein bloßer Scherz, sondern eine Vorahnung Pietro Aretino's. Die beiden berühmtesten Spaßmacher um die Mitte Arlotto und Gonnella. des XV. Jahrhunderts waren ein Pfarrer in der Nähe von Florenz, Arlotto, für den feinern Witz (facezie), und der Hofnarr von Ferrara, Gonnella für die Buffonerien. Es ist bedenklich, ihre Geschichten mit denjenigen des Pfaf- fen von Kalenberg und des Till Eulenspiegel zu vergleichen; letztere sind eben auf ganz andere, halbmythische Weise entstanden, so daß ein ganzes Volk daran mitgedichtet hat, und daß sie mehr auf das Allgemeingültige, Allverständliche hinauslaufen, während Arlotto und Gonnella historisch und local bekannte und bedingte Persönlichkeiten waren. Will man aber einmal die Vergleichung zulassen und sie auf die „Schwänke“ der außeritalischen Völker überhaupt ausdehnen, so wird es sich im Ganzen finden, daß der „Schwank“ in den französischen Fabliaux Folgerichtig auch in denjenigen Novellen der Italiener, deren Inhalt von dort entlehnt ist. wie bei den Deutschen in erster Linie auf einen Vortheil oder Genuß berechnet ist, während der Witz des Arlotto, die Possen des Gonnella sich gleich- sam Selbstzweck, nämlich um des Triumphes, um der Sa- tisfaction willen vorhanden sind. (Till Eulenspiegel erscheint dann wieder als eine eigenthümliche Nuance, nämlich als der personificirte, meist ziemlich geistlose Schabernack gegen 2. Abschnitt. besondere Stände und Gewerbe.) Der Hofnarr des Hauses Este hat sich mehr als einmal durch bittern Hohn und ausgesuchte Rache schadlos gehalten Laut Bandello IV, Nov. 2 konnte Gonnella auch sein Gesicht in die Züge Anderer verstellen und alle Dialecte Italiens nachmachen. . Die Species des uomo piacevole und des Buffone haben die Freiheit von Florenz lange überdauert. Unter Herzog Cosimo blühte der Barlacchia, zu Anfang des XVII. Jahrhunderts Francesco Ruspoli und Curzio Ma- Die Späße Leo's X. rignolli. Ganz merkwürdig zeigt sich in Papst Leo X. die echt florentinische Vorliebe für Spaßmacher. Der auf die feinsten geistigen Genüsse gerichtete und darin unersättliche Fürst erträgt und verlangt doch an seiner Tafel ein paar witzige Possenreißer und Freßkünstler, darunter zwei Mönche und ein Krüppel Paul. Jovius, vita Leonis X. ; bei festlichen Zeiten behandelte er sie mit gesucht antikem Hohn als Parasiten, indem ihnen Affen und Raben unter dem Anschein köstlicher Braten aufgestellt wurden. Ueberhaupt behielt sich Leo die Burle für eigenen Gebrauch vor; namentlich gehörte es zu seiner Art von Geist, die eigenen Lieblingsbeschäftigungen — Dichtung und Musik — bisweilen ironisch zu behandeln, indem er und sein Factotum Cardinal Bibiena die Cari- caturen derselben beförderten Erat enim Bibiena mirus artifex hominibus ætate vel pro- fessione gravibus ad insaniam impellendis. Man erinnert sich dabei an den Scherz welchen Christine von Schweden mit ihren Philologen trieb. . Beide fanden es nicht unter ihrer Würde einen guten alten Secretär mit allen Kräften so lange zu bearbeiten, bis er sich für einen großen Musiktheore- Baraballo. tiker hielt. Den Improvisator Baraballo von Gaeta hetzte Leo durch beständige Schmeicheleien so weit, daß sich derselbe ernstlich um die capitolinische Dichterkrönung bewarb; am Tage der mediceischen Hauspatrone S. Cosmas und S. Da- mian mußte er erst, mit Lorbeer und Purpur ausstaffirt, 2. Abschnitt. das päpstliche Gastmahl durch Recitationen erheitern, und als Alles am Bersten war, im vaticanischen Hof den gold- geschirrten Elephanten besteigen, welchen Emanuel der Große von Portugal nach Rom geschenkt hatte; während dessen sah der Papst von oben durch sein Lorgnon Das Lorgnon entnehme ich nicht bloß aus Rafaels Porträt, wo es eher als Loupe zur Betrachtung der Miniaturen des Gebetbuches gedeutet werden kann, sondern aus einer Notiz des Pellicanus, wonach Leo eine aufziehende Procession von Mönchen durch ein Specillum betrachtete, (vgl Zürcher Taschenbuch auf 1858, S. 177) und aus der cristal- lus concava, die er laut Giovio auf der Jagd brauchie. her- unter. Das Thier aber wurde scheu vom Lärm der Pauken und Trompeten und vom Bravorufen und war nicht über die Engelsbrücke zu bringen. Die Parodie des Feierlichen und Erhabenen, welche Die Parodie. uns hier in Gestalt eines Aufzuges entgegentritt, hatte da- mals bereits eine mächtige Stellung in der Poesie einge- nommen Auch in der bildenden Kunst fehlt sie nicht; man erinnere sich z. B. jenes bekannten Stiches welcher die Laocoonsgruppe in drei Affen übersetzt darstellt. Nur ging dergleichen selten über eine flüchtige Handzeichnung hinaus; Manches mag auch zernichtet worden sein. Die Caricatur ist wieder wesentlich etwas Anderes; Lionardo in seinen Grimassen (Ambrosiana) stellt das Häßliche dar wenn und weil es komisch ist und erhöht dabei diesen komischen Character nach Belieben. . Freilich mußte sie sich ein anderes Opfer suchen als z. B. Aristophanes durfte, da er die großen Tragiker in seiner Comödie auftreten ließ. Aber dieselbe Bildungsreife, welche bei den Griechen zu einer bestimmten Zeit die Parodie hervortrieb, brachte sie auch hier zur Blüthe. Schon zu Ende des XIV. Jahrhunderts werden im Sonett petrarchische Liebesklagen und anderes der Art durch Nachahmung ausgehöhnt; ja das Feierliche der vier- zehnzeiligen Form an sich wird durch geheimthuenden Unsinn 2. Abschnitt. verspottet. Ferner lud die göttliche Comödie auf das Stärkste zur Parodirung ein, und Lorenzo magnifico hat im Styl des Inferno die herrlichste Komik zu entwickeln gewußt. (Simposio, oder: i Beoni.) Luigi Pulci ahmt in seinem Morgante deutlich die Improvisatoren nach, und überdieß ist seine und Bojardo's Poesie, schon insofern sie über dem Gegenstande schwebt, stellenweise eine wenigstens halbbewußte Parodie der mittelalterlichen Ritterdichtung. Der große Parodist Teofilo Folengo (blühte um 1520) greift dann ganz unmittelbar zu. Unter dem Namen Li- merno Pitocco dichtet er den Orlandino, wo das Ritter- wesen nur noch als lächerliche Rococoeinfassung um eine Fülle moderner Einfälle und Lebensbilder herum figurirt; unter dem Namen Merlinus Coccajus schildert er die Thaten und Fahrten seiner Bauern und Landstreicher, ebenfalls mit starker tendenziöser Zuthat, in halblateinischen Hexametern, unter dem komischen Scheinapparat des damaligen gelehrten Epos. (Opus Macaronicorum). Seitdem ist die Parodie auf dem italischen Parnaß immerfort, und bisweilen wahr- haft glanzvoll vertreten gewesen. Theorie des Witzes. In der Zeit der mittlern Höhe der Renaissance wird dann auch der Witz theoretisch zergliedert und seine prac- tische Anwendung in der feinern Gesellschaft genauer fest- gestellt. Der Theoretiker ist Gioviano Pontano Jovian. Pontan. de Sermone. Er censtatirt eine besondere Be- gabung zum Witz außer bei den Florentinern auch bei den Sienesen und Peruginern; den spanischen Hof fügt er dann noch aus Höf- lichkeit bei. ; in seiner Schrift über das Reden, namentlich im vierten Buch, ver- sucht er durch Analyse zahlreicher einzelner Witze oder fa- cetiæ zu einem allgemeinen Princip durchzudringen. Wie der Witz unter Leuten von Stande zu handhaben sei, lehrt Baldassar Castiglione in seinem Cortigiano Il cortigiano, Lib. II. fol. 74, s. — Die Herleitung des Witzes aus dem Contrast, obwohl noch nicht völlig klar, fol. 76. . Natürlich handelt es sich wesentlich nur um Erheiterung dritter Per- 2. Abschnitt. sonen durch Wiedererzählung von komischen und graziösen Geschichten und Worten; vor directen Witzen wird eher gewarnt, indem man damit Unglückliche kränke, Verbrechern zu viele Ehre anthue und Mächtige und durch Gunst ver- wöhnte zur Rache reize, und auch für das Wiedererzählen wird dem Mann von Stande ein weises Maßhalten in der nachahmenden Dramatik, d. h. in den Grimassen empfohlen. Dann folgt aber, nicht bloß zum Wiedererzählen, sondern als Paradigma für künftige Witzbildner, eine reiche Samm- lung von Sach- und Wortwitzen, methodisch nach Gattun- gen geordnet, darunter viele ganz vortreffliche. Viel strenger und behutsamer lautet etwa zwei Jahrzehnde später die Doctrin des Giovanni della Casa in seiner Anweisung zur guten Lebensart Gal ateo del Casa, ed. Venez. 1789, p. 26, s. 48. ; im Hinblick auf die Folgen will er aus Witzen und Burle die Absicht des Triumphirens völlig verbannt wissen. Er ist der Herold einer Reaction, welche eintreten mußte. In der That war Italien eine Lästerschule geworden Die Lästerung, wie die Welt seitdem keine zweite mehr aufzuweisen gehabt hat, selbst in dem Frankreich Voltaire's nicht. Am Geist des Verneinens fehlte es dem letztern und seinen Genossen nicht, aber wo hätte man im vorigen Jahrhundert die Fülle von passenden Opfern hernehmen sollen, jene zahllosen hoch und eigenartig entwickelten Menschen, Celebritäten jeder Gattung, Staatsmänner, Geistliche, Erfinder und Entdecker, Literaten, Dichter und Künstler, die obendrein ihre Eigen- thümlichkeit ohne Rückhalt walten ließen? Im XV. und XVI. Jahrhundert existirte diese Heerschaar, und neben ihr hatte die allgemeine Bildungshöhe ein furchtbares Ge- schlecht von geistreichen Ohnmächtigen, von geborenen Kritt- lern und Lästerern groß gezogen, deren Neid seine Heka- tomben verlangte; dazu kam aber noch der Neid der Cultur der Renaissance. 11 2. Abschnitt. Berühmten unter einander. Mit letzterem haben notorisch die Philologen angefangen: Filelfo, Poggio, Lorenzo Valla u. a., während z. B. die Künstler des XV. Jahrhunderts noch in fast völlig friedlichem Wettstreit neben einander lebten, wovon die Kunstgeschichte Act nehmen darf. in Florenz; Der große Ruhmesmarkt Florenz geht hierin, wie ge- sagt, allen andern Städten eine Zeitlang voran. „Scharfe Augen und böse Zungen“ ist das Signalement der Floren- tiner Lettere pittoriche I, 71, in einem Briefe des Vinc. Borghini 1577. — Macchiavelli, stor. fior. L. VII. sagt von den jungen Herrn in Florenz nach der Mitte des XV. Jahrh.: gli studî loro erano apparire col vestire splendidi, e col parlare sagaci ed astuti, e quello che più destramente mordeva gli altri, era più savio e da più stimato. . Ein gelinder Hohn über Alles und Jedes mochte der vorherrschende Alltagston sein. Macchiavelli, in dem höchst merkwürdigen Prolog seiner Mandragola, leitet mit Recht oder Unrecht von der allgemeinen Medisance das sichtbare Sinken der moralischen Kraft her, droht übrigens seinen Verkleinerern damit, daß auch er sich auf Uebelreden in Rom. verstehe. Dann kommt der päpstliche Hof, seit lange ein Stelldichein der allerschlimmsten und dabei geistreichsten Zungen. Schon Poggio's Facetiae sind ja aus dem Lügen- stübchen (bugiale) der apostolischen Schreiber datirt, und wenn man erwägt, welche große Zahl von enttäuschten Stellenjägern, von hoffnungsvollen Feinden und Concur- renten der Begünstigten, von Zeitvertreibern sittenloser Prälaten beisammen war, so kann es nicht auffallen, wenn Rom für das wilde Pasquill wie für die beschaulichere Satire eine wahre Heimath wurde. Rechnet man noch gar hinzu was der allgemeine Widerwille gegen die Priester- herrschaft und was das bekannte Pöbel-Bedürfniß, den Mächtigen das Gräßlichste anzudichten, beifügte, so ergiebt sich eine unerhörte Summe von Schmach Vgl. Fedra Inghirami's Leichenrede auf Lodovico Podocataro (1505), in den Anecdd. litt. I, p. 319. — Der Scandalsammler Massa- ino erwähnt bei Paul. Jov. Dialogus de viris litt. illustr. (Tiraboschi, Tom. VII, parte IV. p. 1631.) . Wer konnte, 2. Abschnitt. schützte sich dagegen am Zweckmäßigsten durch Verachtung, sowohl was die wahren als was die erlogenen Beschuldi- gungen betraf, und durch glänzenden, fröhlichen Aufwand So hielt es im Ganzen Leo X. und er rechnete damit im Ganzen richtig; so schrecklich die Pasquillanten zumal nach seinem Tode mit ihm umgingen, sie haben die Gesammtanschauung seines Wesens nicht dominiren können. . Zartere Gemüther aber konnten wohl in eine Art von Ver- zweiflung fallen wenn sie tief in Schuld und noch tiefer in üble Nachrede verstrickt waren In diesem Falle war wohl Cardinal Ardicino della Porta, der 1491 seine Würde niederlegen und in ein fernes Kloster flüchten wollte. Vgl. Infessura, bei Eccard II, Col. 2000. . Allmälig sagte man Jedem das Schlimmste nach und gerade die strengste Tu- gend weckte die Bosheit am sichersten. Von dem großen Kanzelredner Fra Egidio von Viterbo, den Leo um seiner Verdienste willen zum Cardinal erhob und der sich bei dem Unglück von 1527 auch als tüchtiger populärer Mönch zeigte S. dessen Leichenrede in den Anecdd. litt. IV, p. 315. Er brachte in der südlichen Mark Ancona ein Bauernheer zusammen, das nur durch den Verrath des Herzogs von Urbino am Handeln verhindert wurde. — Seine schönen hoffnungslosen Liebesmadrigale bei Trucchi, poesie ined. III, p. 123. , giebt Giovio zu verstehen, er habe sich die ascetische Giovio. Blässe durch Qualm von nassem Stroh u. dgl. conservirt. Giovio ist bei solchen Anlässen ein echter Curiale Wie er an der Tafel Clemens VII. seine Zunge brauchte, s. bei Giraldi, Hecatommithi, VII, Nov. 5. ; in der Regel erzählt er sein Histörchen, fügt dann bei, er glaube es nicht, und läßt endlich in einer allgemeinern Bemerkung durchblicken, es möchte doch etwas dran sein. Das wahre 11* 2. Abschnitt. Brandopfer des römischen Hohnes aber war der gute Ha- Hohn auf Ha- drian VI. drian VI.; es bildete sich ein Uebereinkommen, ihn durch- aus nur von der burlesken Seite zu nehmen. Mit der furchtbaren Feder eines Francesco Berni verdarb er es gleich von Anfang an, indem er drohte — nicht die Statue des Pasquino, wie man Die ganze angebliche Berathung über das Versenken des Pasquino bei Paul. Jov., vita Hadriani, ist von Sixtus IV. auf Hadrian über- getragen. — Vgl. Lettere di principi I, Brief des Negro vom 7. Apr. 1523. Pasquino hatte am St. Marcustag ein besonderes Fest, welches der Papst verbot. sagte — sondern die Pasquillanten selber in die Tiber werfen zu lassen. Die Rache dafür war das berühmte Capitolo „gegen Papst Adriano“, dictirt nicht eigentlich vom Haß, sondern von der Verachtung gegen den lächerlichen holländischen Barbaren; die wilde Drohung wird aufgespart für die Cardinäle, die ihn gewählt haben. Berni und Andere Z. B.: Firenzuola, opere, vol. I, p. 116, im Discorso degli animali. malen auch die Umgebung des Papstes mit derselben pikanten Lügenhaftigkeit aus, mit welcher das heutige Pariser Feuilleton das So zum Anders und das Nichts zum Etwas verkünstelt. Die Biographie, welche Paolo Giovio im Auftrag des Cardinals von Tortosa verfaßte, und welche eigentlich eine Lobschrift vorstellen sollte, ist für Jeden, der zwischen den Zeilen lesen kann, ein wahrer Ausbund von Hohn. Es liest sich (zumal für das damalige Italien) sehr komisch, wie Hadrian sich beim Domcapitel von Saragossa um die Kinnlade des S. Lam- bert bewirbt, wie ihn dann die andächtigen Spanier mit Schmuck und Zeug ausstatten „bis er einem wohlheraus- geputzten Papst recht ähnlich sieht“, wie er seinen stürmi- schen und geschmacklosen Zug von Ostia gen Rom hält, sich über die Versenkung oder Verbrennung des Pasquino beräth, die wichtigsten Verhandlungen wegen Meldung des Essens plötzlich unterbricht und zuletzt nach unglücklicher 2. Abschnitt. Regierung an allzuvielem Biertrinken verstirbt; worauf das Haus seines Leibarztes von Nachtschwärmern bekränzt und mit der Inschrift Liberatori Patriæ S. P. Q. R. geschmückt wird. Freilich Giovio hatte bei der allgemeinen Renten- einziehung auch seine Rente verloren und nur deßhalb zur Entschädigung eine Pfründe erhalten, weil er „kein Poet“, d. h. kein Heide sei. Es stand aber geschrieben, daß Hadrian das letzte große Opfer dieser Art sein sollte. Seit dem Unglück Roms (1527) starb mit der äußersten Ruchlosig- keit des Lebens auch die frevelhafte Rede sichtlich ab. Während sie aber noch in Blüthe stand, hatte sich, Pietro Aretino. hauptsächlich in Rom, der größte Lästerer der neuern Zeit, Pietro Aretino, ausgebildet. Ein Blick auf sein Wesen erspart uns die Beschäftigung mit manchen Geringern seiner Gattung. Wir kennen ihn hauptsächlich in den letzten drei Jahr- zehnden seines Lebens (1527—1556), die er in dem für ihn einzig möglichen Asyl Venedig zubrachte. Von hier aus hielt er das ganze berühmte Italien in einer Art von Belagerungszustand; hieher mündeten auch die Geschenke auswärtiger Fürsten, die seine Feder brauchten oder fürch- teten. Carl V. und Franz I. pensionirten ihn beide zugleich, weil Jeder hoffte, Aretino würde dem Andern Verdruß machen; Aretino schmeichelte Beiden, schloß sich aber natür- lich enger an Carl an, weil dieser in Italien Meister blieb. Nach dem Sieg über Tunis (1535) geht dieser Ton in den der lächerlichsten Vergötterung über, wobei zu erwägen ist, daß Aretino fortwährend sich mit der Hoffnung hinhalten ließ, durch Carl's Hülfe Cardinal zu werden. Vermuth- lich genoß er eine specielle Protection als spanischer Agent, indem man durch sein Reden oder Schweigen auf die klei- nern italienischen Fürsten und auf die öffentliche Meinung drücken konnte. Das Papstwesen gab er sich die Miene 2. Abschnitt. gründlich zu verachten, weil er es aus der Nähe kenne; der wahre Grund war, daß man ihn von Rom aus nicht mehr honoriren konnte und wollte An den Herzog von Ferrara, 1. Januar 1536: Ihr werdet nun von Rom nach Neapel reisen, ricreando la vista avvilita nel mirar le miserie pontificali con la contemplatione delle ec- cellenze imperiali . . Venedig, das ihn beherbergte, beschwieg er weislich. Der Rest seines Ver- hältnisses zu den Großen ist lauter Bettelei und gemeine Erpressung. Seine Publici- stik und sein Werth. Bei Aretino findet sich der erste ganz große Mißbrauch der Publicität zu solchen Zwecken. Die Streitschriften, welche hundert Jahre vorher Poggio und seine Gegner ge- wechselt hatten, sind in der Absicht und im Ton eben so infam, allein sie sind nicht auf die Presse, sondern auf eine Art von halber und geheimer Publicität berechnet; Aretino macht sein Geschäft aus der ganzen und unbedingten; er ist in gewissem Betracht einer der Urväter der Journalistik. Periodisch läßt er seine Briefe u. a. Artikel zusammen- drucken, nachdem sie schon vorher in weitern Kreisen cursirt haben mochten Wie er sich damit speciell den Künstlern furchtbar machte, wäre an- derswo zu erörtern. — Das publicistische Vehikel der deutschen Reformation ist wesentlich die Broschüre, in Beziehung auf bestimmte einzelne Angelegenheiten; Aretino dagegen ist Journalist in dem Sinne, daß er einen permanenten Anlaß des Publicirens in sich hat. . Verglichen mit Voltaire hat Aretino den Vortheil, daß er sich nicht mit Principien belädet, weder mit Aufklärung noch mit Philanthropie und sonstiger Tugend, noch auch mit Wissenschaft; sein ganzes Gepäck ist das bekannte Motto: „ Veritas “ odium parit . Deßhalb gab es auch für ihn keine falschen Stellungen, wie z. B. für Voltaire, der seine Pucelle schmählich verläugnen und Anderes lebenslang ver- stecken mußte; Aretino gab zu allem seinen Namen, und noch spät rühmt er sich offen seiner berüchtigten Ragiona- menti. Sein literarisches Talent, seine lichte und pikante 2. Abschnitt. Prosa, seine reiche Beobachtung der Menschen und Dinge würden ihn unter allen Umständen beachtenswerth machen, wenn auch die Conception eines eigentlichen Kunstwerkes, z. B. die echte dramatische Anlage einer Comödie ihm völlig versagt blieb; dazu kommt dann noch außer der gröbsten und feinsten Bosheit eine glänzende Gabe des grottesken Witzes, womit er im einzelnen Fall dem Rabelais nicht nachsteht Z. B. im Capitolo an den Albicante, einen schlechten Dichter; lei- der entziehen sich die Stellen der Citation. . Unter solchen Umständen, mit solchen Absichten und Verhältniß zu den italien. Fürsten Mitteln geht er auf seine Beute los oder einstweilen um sie herum. Die Art, wie er Clemens VII. auffordert, nicht zu klagen sondern zu verzeihen Lettere, ed. Venez. 1539. Fol. 12, vom 31. Mai 1527. , während das Jam- mergeschrei des verwüsteten Roms zur Engelsburg, dem Kerker des Papstes empordringt, ist lauterer Hohn eines Teufels oder Affen. Bisweilen, wenn er die Hoffnung auf Geschenke völlig aufgeben muß, bricht seine Wuth in ein wildes Geheul aus, wie z. B. in den Capitolo an den Fürsten von Salerno. Dieser hatte ihn eine Zeitlang be- zahlt und wollte nicht weiter zahlen; dagegen scheint es, daß der schreckliche Pierluigi Farnese, Herzog von Parma, niemals Notiz von ihm nahm. Da dieser Herr auf gute Nach- rede wohl überhaupt verzichtet hatte, so war es nicht mehr leicht, ihm wehe zu thun; Aretino versucht es, indem er Im ersten Capitolo an Cosimo. sein äußeres Ansehen als das eines Sbirren, Müllers und Beckers bezeichnet. Possirlich ist Aretino am ehesten im Ausdruck der reinen, wehmüthigen Bettelei, wie z. B. im Capitolo an Franz I. , dagegen wird man die aus Dro- hung und Schmeichelei gemischten Briefe und Gedichte trotz aller Komik nie ohne tiefen Widerwillen lesen können. Ein u. Celebritäten. 2. Abschnitt. Brief wie der an Michelangelo vom November 1545 Gaye, carteggio II, p. 332. existirt vielleicht nicht ein zweites Mal; zwischen alle Be- wunderung (wegen des Weltgerichtes) hinein droht er ihm wegen Irreligiosität, Indecenz und Diebstahl (an den Er- ben Julius II. ) und fügt in einem begütigenden Postscript bei: „ich habe Euch nur zeigen wollen, daß wenn Ihr „ divino (di-vino) seid, ich auch nicht d'aqua bin“. Are- tino hielt nämlich darauf — man weiß kaum ob aus wahn- sinnigem Dünkel oder aus Lust an der Parodie alles Berühmten — daß man ihn ebenfalls göttlich nenne, und so weit brachte er es in der persönlichen Berühmtheit aller- dings, daß in Arezzo sein Geburtshaus als Sehensmürdigkeit der Stadt galt S. den frechen Brief von 1536 in den Lettere pittor., I, Append., 34. . Andererseits freilich gab es ganze Mo- nate, da er sich in Venedig nicht über die Schwelle wagte um nicht irgend einem erzürnten Florentiner wie z. B. dem jüngern Strozzi in die Hände zu laufen; es fehlte nicht an Dolchstichen und entsetzlichen Prügeln L'Aretin, per Dio grazia, è vivo e sano, Ma'l mostaccio ha fregiato nobilmente, E più colpi ha, che dita in una mano. Mauro, capitolo in lode delle bugie. , wenn sie auch nicht den Erfolg hatten, welchen ihm Berni in einem fa- mosen Sonett weissagte; er ist in seinem Hause am Schlag- fluß gestorben. In der Schmeichelei macht er beachtenswerthe Unter- schiede; für Nichtitaliener trägt er sie plump und dick auf Man sehe z. B. den Brief an den Cardinal von Lothringen, Let- tere, ed. Venez. 1539, vom 21. Nov. 1534, so wie die Briefe an Carl V. , Verhältniß zu Herzog Cosimo. für Leute wie den Herzog Cosimo von Florenz weiß er sich anders zu geben. Er lobt die Schönheit des damals noch jungen Fürsten, der in der That auch diese Eigenschaft mit Augustus in hohem Grade gemein hatte; er lobt seinen 2. Abschnitt. sittlichen Wandel mit einem Seitenblick auf die Geldgeschäfte von Cosimo's Mutter Maria Salviati, und schließt mit einer wimmernden Bettelei wegen der theuren Zeiten u. s. w. Wenn ihn aber Cosimo pensionirte Für das Folgende s. Gaye, carteggio, II, p. 336. 337. 345. , und zwar im Ver- hältniß zu seiner sonstigen Sparsamkeit ziemlich hoch (in der letzten Zeit mit 160 Ducaten jährlich), so war wohl eine bestimmte Rücksicht auf seine Gefährlichkeit als spani- scher Agent mit im Spiel. Aretino durfte in einem Athem- zug über Cosimo bitter spotten und schmähen und doch dabei dem florentinischen Geschäftsträger drohen, daß er beim Herzog seine baldige Abberufung erwirken werde. Und wenn der Medici sich auch am Ende von Carl V. durch- schaut wußte, so mochte er doch nicht wünschen, daß am kaiserlichen Hofe aretinische Witze und Spottverse über ihn in Curs kommen möchten. Eine ganz hübsch bedingte Schmeichelei ist auch diejenige an den berüchtigten Marchese von Marignano, der als „Castellan von Musso“ einen eigenen Staat zu gründen versucht hatte. Zum Dank für übersandte hundert Scudi schreibt Aretin: „Alle Eigen- „schaften, die ein Fürst haben muß, sind in Euch vorhan- „den und Jedermann würde dieß einsehen, wenn nicht die „bei allen Anfängen unvermeidliche Gewaltsamkeit Euch „noch als etwas rauh (aspro) erscheinen ließe“ Lettere, ed. Venez. 1539. Fol. 15., vom 16. Juni 1529. . Man hat häufig als etwas Besonderes hervorgehoben, Seine Religion. daß Aretino nur die Welt, nicht auch Gott gelästert habe. Was er geglaubt hat, ist bei seinem sonstigen Treiben völlig gleichgültig, ebenso sind es die Erbauungsschriften, welche er nur aus äußern Rücksichten Mochte es die Hoffnung auf den rothen Hut oder die Furcht vor den beginnenden Bluturtheilen der Inquisition sein, welche er noch 1535 herb zu tadeln gewagt hatte (s. a. a. O. Fol. 37), welche aber seit verfaßte. Sonst aber 2. Abschnitt. wüßte ich wahrlich nicht, wie er hätte auf die Gotteslästerung verfallen sollen. Er war weder Docent noch theoretischer Denker und Schriftsteller; auch konnte er von Gott keine Geldsummen durch Drohungen und Schmeicheleien erpressen, fand sich also auch nicht durch Versagung zur Lästerung gereizt. Mit unnützer Mühe aber giebt sich ein solcher Mensch nicht ab. Es ist das beste Zeichen des heutigen italienischen Geistes, daß ein solcher Character und eine solche Wirkungs- weise tausendmal unmöglich geworden sind. Aber von Seite der historischen Betrachtung aus wird dem Aretino immer eine wichtige Stellung bleiben. der Reorganisation des Institutes 1542 plötzlich zunahmen und Alles zum Schweigen brachten. Dritter Abschnitt . Die Wiedererweckung des Alterthums. Auf diesem Punkte unserer culturgeschichtlichen Ueber- 3. Abschnitt. sicht angelangt, müssen wir des Alterthums gedenken, dessen „Wiedergeburt“ in einseitiger Weise zum Gesammtnamen des Zeitraums überhaupt geworden ist. Die bisher ge- Concurrenz mit andern Kräften. schilderten Zustände würden die Nation erschüttert und gereift haben auch ohne das Alterthum, und auch von den nachher aufzuzählenden neuen geistigen Richtungen wäre wohl das Meiste ohne dasselbe denkbar; allein wie das Bisherige so ist auch das Folgende doch von der Einwirkung der antiken Welt mannigfach gefärbt, und wo das Wesen der Dinge ohne dieselbe verständlich und vorhanden sein würde, da ist es doch die Aeußerungsweise im Leben nur mit ihr und durch sie. Die „Renaissance“ wäre nicht die hohe weltgeschichtliche Nothwendigkeit gewesen die sie war, wenn man so leicht von ihr abstrahiren könnte. Darauf aber müssen wir beharren, als auf einem Hauptsatz dieses Buches, daß nicht sie allein, sondern ihr enges Bündniß mit dem neben ihr vorhandenen italienischen Volksgeist die abendländische Welt bezwungen hat. Die Freiheit, welche sich dieser Volksgeist dabei bewahrte, ist eine ungleiche und scheint, sobald man z. B. nur auf die neulateinische Litera- Grade der Ein- wirkung. tur sieht, oft sehr gering; in der bildenden Kunst aber und in mehrern andern Sphären ist sie auffallend groß und das Bündniß zwischen zwei weit auseinander liegenden Cultur- 3. Abschnitt. epochen desselben Volkes erweist sich als ein, weil höchst selbständiges, deßhalb auch berechtigtes und fruchtbares. Das übrige Abendland mochte zusehen wie es den großen, aus Italien kommenden Antrieb abwehrte oder sich halb oder ganz aneignete; wo letzteres geschah, sollte man sich die Klagen über den frühzeitigen Untergang unserer mittel- alterlichen Culturformen und Vorstellungen ersparen. Hät- ten sie sich wehren können, so würden sie noch leben. Wenn jene elegischen Gemüther, die sich danach zurück- sehnen, nur eine Stunde darin zubringen müßten, sie würden heftig nach moderner Luft begehren. Daß bei großen Pro- cessen jener Art manche edle Einzelblüthe mit zu Grunde geht ohne in Tradition und Poesie unvergänglich gesichert zu sein, ist gewiß; allein das große Gesammt-Ereigniß darf man deßhalb nicht ungeschehen wünschen. Dieses Ge- sammt-Ereigniß besteht darin, daß neben der Kirche, welche bisher (und nicht mehr für lange) das Abendland zusam- menhielt, ein neues geistiges Medium entsteht, welches, von Italien her sich ausbreitend, zur Lebens-Atmosphäre für alle höher gebildeten Europäer wird. Der schärfste Tadel, den man darüber aussprechen kann, ist der der Unvolks- thümlichkeit, der erst jetzt nothwendig eintretenden Scheidung von Gebildeten und Ungebildeten in ganz Europa. Dieser Tadel ist aber ganz werthlos, sobald man eingestehen muß, daß die Sache noch heute, obwohl klar erkannt, doch nicht beseitigt werden kann. Und diese Scheidung ist überdieß in Italien lange nicht so herb und unerbittlich als anders- wo. Ist doch ihr größter Kunstdichter Tasso auch in den Händen der Aermsten. Das Alterthum im Mittelalter. Das römisch-griechische Alterthum, welches seit dem XIV. Jahrhundert so mächtig in das italienische Leben eingriff, als Anhalt und Quelle der Cultur, als Ziel und Ideal des Daseins, theilweise auch als bewußter neuer Gegensatz, dieses Alterthum hatte schon längst stellenweise auf das ganze auch außeritalienische Mittelalter eingewirkt. 3. Abschnitt. Diejenige Bildung, welche Carl der Große vertrat, war wesentlich eine Renaissance, gegenüber der Barbarei des VII. und VIII. Jahrhunderts, und konnte nichts anderes sein. Wie hierauf in die romanische Baukunst des Nor- dens außer der allgemeinen, vom Alterthum ererbten For- mengrundlage auch auffallende direct antike Formen sich einschleichen, so hatte die ganze Klostergelehrsamkeit allmälig eine große Masse von Stoff aus römischen Autoren in sich aufgenommen und auch der Styl derselben blieb seit Ein- hard nicht ohne Nachahmung. Anders aber als im Norden wacht das Alterthum in In Italien. Italien wieder auf. Sobald hier die Barbarei aufhört, meldet sich bei dem noch halb antiken Volk die Erkenntniß seiner Vorzeit; es feiert sie und wünscht sie zu reproduciren. Außerhalb Italiens handelt es sich um eine gelehrte, reflectirte Benützung einzelner Elemente der Antike, in Italien um eine gelehrte und zugleich populäre sachliche Parteinahme für das Alterthum überhaupt, weil dasselbe die Erinnerung an die eigene alte Größe ist. Die leichte Verständlichkeit des Lateini- schen, die Menge der noch vorhandenen Erinnerungen und Denkmäler befördert diese Entwicklung gewaltig. Aus ihr und aus der Gegenwirkung des inzwischen doch anders gewor- denen Volksgeistes, der germanisch-langobardischen Staats- Einrichtungen, des allgemein europäischen Ritterthums, der übrigen Cultureinflüsse aus dem Norden und der Religion und Kirche erwächst dann das neue Ganze: der modern italienische Geist, welchem es bestimmt war, für den ganzen Occident maßgebendes Vorbild zu werden. Wie sich in der bildenden Kunst das Antike regt sobald die Barbarei aufhört, zeigt sich z. B. deutlich bei Anlaß der toscanischen Bauten des XII. und der Sculpturen des XIII. Jahrhunderts. Auch in der Dichtkunst fehlen die Lateinische Poesie der Va- ganten. Parallelen nicht, wenn wir annehmen dürfen, daß der größte lateinische Dichter des XII. Jahrhunderts, ja der, 3. Abschnitt. welcher für eine ganze Gattung der damaligen lateinischen Poesie den Ton angab, ein Italiener gewesen sei. Es ist derjenige, welchem die besten Stücke der sogenannten Car- mina Burana angehören. Eine ungehemmte Freude an der Welt und ihren Genüssen, als deren Schutzgenien die alten Heidengötter wieder erscheinen, strömt in prachtvollem Fluß durch die gereimten Strophen. Wer sie in einem Zuge liest, wird die Ahnung, daß hier ein Italiener, wahrscheinlich ein Lombarde spreche, kaum abweisen können; es giebt aber auch bestimmte einzelne Gründe dafür Carmina Burana, in der „Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart“ der XVI. Band. — Der Aufenthalt in Pavia (p. 68. 69) , die italienische Localität überhaupt, die Scene mit der pastorella unter dem Oelbaum (p. 145) , die Anschauung einer pinus als eines weitschattigen Wiesenbaums (p. 156) , der mehrmalige Gebrauch des Wortes bravium (p. 137. 144) , namentlich aber die Form Madii für Maji (p. 141) scheinen für unsere Annahme zu sprechen. — Daß der Dichter sich Walther nennt, giebt noch keinen Wink über seine Herkunft: Gewöhnlich identificirt man ihn mit Gual- terus de Mapes, einem Domherrn von Salisbury und Caplan der englischen Könige gegen Ende des XII. Jahrh. . Bis zu einem gewissen Grade sind diese lateinischen Poesien der Clerici vagantes des XII. Jahrhunderts allerdings ein gemeinsames europäisches Product, mit sammt ihrer großen auffallenden Frivolität, allein Der, welcher den Gesang de Phyllide et Flora und das Aestuans interius etc. ge- dichtet hat, war vermuthlich kein Nordländer, und auch der feine beobachtende Sybarit nicht, von welchem Dum Dianæ Die Renaissance in derselben. vitrea sero lampas oritur (S. 124) herrührt. Hier ist eine Renaissance der antiken Weltanschauung, die nur um so klarer in die Augen fällt neben der mittelalterlichen Reimform. Es giebt manche Arbeit dieses und der nächsten Jahrhunderte, welche Hexameter und Pentameter in sorg- fältiger Nachbildung und allerlei antike, zumal mythologische Zuthat in den Sachen aufweist und doch nicht von ferne jenen antiken Eindruck hervorbringt. In den hexametrischen Chroniken u. a. Productionen von Guilielmus Appulus an 3. Abschnitt. begegnet man oft einem emsigen Studium des Virgil, Ovid, Lucan, Statius und Claudian, allein die antike Form bleibt bloße Sache der Gelehrsamkeit, gerade wie der antike Stoff bei Sammelschriftstellern in der Weise des Vincenz von Beauvais oder bei dem Mythologen und Alle- goriker Alanus ab Insulis. Die Renaissance ist eben nicht stückweise Nachahmung und Aufsammlung, sondern Wieder- geburt, und eine solche findet sich in der That in jenen Gedichten des unbekannten Clericus aus dem XII. Jahr- hundert. Die große, allgemeine Parteinahme der Italiener für Das Alterthum im XIV. Ih. das Alterthum aber beginnt erst mit dem XIV. Jahrhundert. Es war dazu eine Entwicklung des städtischen Lebens nothwendig, wie sie nur in Italien und erst jetzt vorkam: Zusammenwohnen und thatsächliche Gleichheit von Adlichen und Bürgern; Bildung einer allgemeinen Gesellschaft (S. 142), welche sich bildungsbedürftig fühlte und Muße und Mittel übrig hatte. Die Bildung aber, sobald sie sich von der Phantasiewelt des Mittelalters losmachen wollte, konnte nicht plötzlich durch bloße Empirie zur Erkenntniß der physischen und geistigen Welt durchdringen, sie bedurfte eines Führers, und als solchen bot sich das classische Alter- thum dar, mit seiner Fülle objectiver, evidenter Wahrheit in allen Gebieten des Geistes. Man nahm von ihm Form und Stoff mit Dank und Bewunderung an; es wurde einstweilen der Hauptinhalt jener Bildung Wie das Alterthum in allen höhern Gebieten des Lebens als Lehrer und Führer dienen könne, schildert z. B. in rascher Uebersicht Aeneas Sylvius ( opera p. 603 in der Epist. 105, an Erzherzog Sigismund). . Auch die allgemeinen Verhältnisse Italiens waren der Sache günstig; das Kaiserthum des Mittelalters hatte seit dem Untergang der Hohenstaufen entweder auf Italien verzichtet oder konnte sich daselbst nicht halten; das Papstthum war nach 3. Abschnitt. Avignon übergesiedelt; die meisten thatsächlich vorhandenen Mächte waren gewaltsam und illegitim; der zum Bewußt- sein geweckte Geist aber war im Suchen nach einem neuen haltbaren Ideal begriffen, und so konnte sich das Schein- Die römische Weltherrschaft. bild und Postulat einer römisch-italischen Weltherrschaft der Gemüther bemächtigen, ja eine practische Verwirklichung versuchen mit Cola di Rienzo. Wie er, namentlich bei seinem ersten Tribunat, die Aufgabe anfaßte, mußte es allerdings nur zu einer wunderlichen Comödie kommen, allein für das Nationalgefühl war die Erinnerung an das alte Rom durchaus kein werthloser Anhalt. Mit seiner Cultur aufs Neue ausgerüstet fühlte man sich bald in der That als die vorgeschrittenste Nation der Welt. Diese Bewegung der Geister, nicht in ihrer Fülle, sondern nur in ihren äußern Umrissen, und wesentlich in ihren Anfängen zu zeichnen ist nun unsere nächste Aufgabe Für das Nähere möchte ich gerne auf eine gute und ausführliche Geschichte der Philologie verweisen, kenne aber die Literatur dieses Faches nicht hinlänglich. Vieles findet sich bei Roscoe: Lorenzo magnif. und: Leo X, sowie in Voigt: Enea Silvio, und in Papen- cordt: Gesch. der Stadt Rom im Mittelalter. — Wer sich einen Begriff machen will von dem Umfang, welchen das Wissenswürdige bei den Gebildeten des beginnenden XVI. Jahrh. angenommen hatte, ist am besten auf die Commentarii urbani des Raphael Volaterranus zu verweisen. Hier sieht man, wie das Alterthum den Eingang und Hauptinhalt jedes Erkenntnißzweiges ausmachte, von der Geographie und Localgeschichte durch die Biographien aller Mächtigen und Berühmten, die Populärphilosophie, die Moral und die einzelnen Specialwissenschaften hindurch bis auf die Analyse des ganzen Aristoteles, womit das Werk schließt. Um die ganze Bedeutung desselben als Quelle der Bildung zu erkennen, müßte man es mit allen frühern Encyclopädien vergleichen. . Vor Allem genießt die Ruinenstadt Rom selber jetzt 3. Abschnitt. eine andere Art von Pietät als zu der Zeit da die Mira- Die Ruinen von Rom. bilia Romae und das Sammelwerk des Wilhelm von Mal- mesbury verfaßt wurden. Die Phantasie des frommen Pilgers wie die des Zaubergläubigen und des Schatzgräbers tritt in den Aufzeichnungen zurück neben der des Historikers und Patrioten. In diesem Sinne wollen Dante's Worte Dante, Convito, Tratt. IV, Cap. 5. verstanden sein: Die Steine der Mauern von Rom ver- dienten Ehrfurcht, und der Boden worauf die Stadt ge- baut ist, sei würdiger als die Menschen sagen. Die colossale Frequenz der Jubileen läßt in der eigentlichen Literatur doch kaum eine andächtige Erinnerung zurück; als besten Gewinn vom Jubileum des Jahres 1300 bringt Giovanni Villani (S. 74) seinen Entschluß zur Geschichtschreibung mit nach Hause, welchen der Anblick der Ruinen von Rom in ihm geweckt. Petrarca giebt uns noch Kunde von einer zwischen classischem und christlichem Alterthum getheilten Stimmung; er erzählt, wie er oftmals mit Giovanni Co- lonna auf die riesigen Gewölbe der Diocletiansthermen hinaufgestiegen Epp. familiares VI, 2 (pag. 657); Aeußerungen über Rom, bevor er es gesehen ibid. II, 9 (p. 600); vgl. II, 14. ; hier, in der reinen Luft, in tiefer Stille, mitten in der weiten Rundsicht redeten sie zusammen, nicht von Geschäften, Hauswesen und Politik, sondern, mit dem Blick auf die Trümmer ringsum, von der Geschichte, wobei Petrarca mehr das Alterthum, Giovanni mehr die christliche Zeit vertrat; dann auch von der Philosophie und von den Erfindern der Künste. Wie oft seitdem bis auf Gibbon und Niebuhr hat diese Ruinenwelt die geschichtliche Con- templation geweckt. Dieselbe getheilte Empfindung offenbart auch noch Uberti. Fazio degli Uberti in seinem um 1360 verfaßten Ditta- mondo, einer fingirten visionären Reisebeschreibung, wobei Cultur der Renaissance. 12 3. Abschnitt. ihn der alte Geograph Solinus begleitet wie Virgil den Dante. So wie sie Bari zu Ehren des S. Nicolaus, Monte Gargano aus Andacht zum Erzengel Michael be- suchen, so wird auch in Rom die Legende von Araceli und die von S. Maria in Trastevere erwähnt, doch hat die profane Herrlichkeit des alten Rom schon merklich das Uebergewicht; eine hehre Greisinn in zerrissenem Gewand — es ist Roma selber — erzählt ihnen die glorreiche Geschichte und schildert umständlich die alten Triumphe Dittamondo, II, cap. 3. Der Zug erinnert noch theilweise an die naiven Bilder der heil. drei Könige und ihres Gefolges. — Die Schilderung der Stadt, II, cap. 31, ist archäologisch nicht ganz ohne Werth. — Laut dem Polistore (Murat. XXIV, Col. 845) reisten 1366 Nicol ò und Ugo von Este nach Rom: per vedere quelle magnificenze antiche, che al presente si possono ve- dere in Roma. ; dann führt sie die Fremdlinge in der Stadt herum und erklärt ihnen die sieben Hügel und eine Menge Ruinen — che com- prender potrai, quanto fui bella! — Letzte große Zerstörungen. Leider war dieses Rom der avignonesischen und schis- matischen Päpste in Bezug auf die Reste des Alterthums schon bei Weitem nicht mehr was es einige Menschenalter vorher gewesen war. Eine tödtliche Verwüstung, welche den wichtigsten noch vorhandenen Gebäuden ihren Character genommen haben muß, war die Schleifung von 140 festen Wohnungen römischer Großen, durch den Senator Bran- caleone um 1258; der Adel hatte sich ohne Zweifel in den besterhaltenen und höchsten Ruinen eingenistet gehabt Beiläufig hier ein Beleg, wie auch das Ausland Rom im Mittel- alter als einen Steinbruch betrachtete: Der berühmte Abt Sugerius, der sich (um 1140) für seinen Neubau von St. Denis um gewal- tige Säulenschäfte umsah, dachte an nichts geringeres als an die Granitmonolithen der Diocletiansthermen, besann sich aber doch eines Andern. Sugerii libellus alter, bei Duchesne, scriptores, IV, p. 352. — Carl d. Gr. war ohne Zweifel bescheidener verfahren. . Gleichwohl blieb noch immer unendlich viel mehr übrig als 3. Abschnitt. was gegenwärtig aufrecht steht, und namentlich mögen viele Reste noch ihre Bekleidung und Incrustation mit Marmor, ihre vorgesetzten Säulen u. a. Schmuck gehabt haben, wo jetzt nur der Kernbau aus Backsteinen übrig ist. An diesen Thatbestand schloß sich nun der Anfang einer ernsthaften Topographie der alten Stadt an. In Poggio's Wande- Das Rom Poggio's. rung durch Rom Fabroni, Cosmus, Adnot. 86. Aus einem Brief des Alberto degli Alberti an Giovanni Medici. — Ueber den Zustand Roms ist zum erstenmal das Studium der Reste selbst mit dem der alten Autoren und mit dem der Inschriften (welchen er durch alles Gestrüpp hindurch Poggio als frühster Inscriptionensammler, in seinem Briefe in der vita Poggii, bei Murat. XX, Col. 177. Als Büstensammler Col. 183. nachging) inniger verbunden, die Phantasie zurückgedrängt, der Gedanke an das christliche Rom geflissentlich ausge- schieden. Wäre nur Poggio's Arbeit viel ausgedehnter und mit Abbildungen versehen! Er traf noch sehr viel mehr Erhaltenes an als achtzig Jahre später Rafael. Er selber hat noch das Grabmal der Caecilia Metella und die Säulenfronte eines der Tempel am Abhang des Capitols zuerst vollständig und dann später bereits halbzerstört wiedergesehen, indem der Marmor noch immer den unglück- seligen Materialwerth hatte, leicht zu Kalk gebrannt werden zu können; auch eine gewaltige Säulenhalle bei der Mi- nerva unterlag stückweise diesem Schicksal. Ein Bericht- erstatter vom Jahre 1443 meldet die Fortdauer dieses Kalkbrennens, „welches eine Schmach ist; denn die neuern „Bauten sind erbärmlich, und das Schöne an Rom sind „die Ruinen“ Poggii opera, fol. 50, s. Ruinarum urbis Romæ descriptio. Um 1430, nämlich kurz vor dem Tode Martin's V. — Die Ther- men des Caracalla und Diocletian hatten noch ihre Inerustation und ihre Säulen. . Die damaligen Einwohner in ihren 12* 3. Abschnitt. Campagnolenmänteln und Stiefeln kamen den Fremden vor wie lauter Rinderhirten, und in der That weidete das Vieh bis zu den Banchi hinein; die einzige gesellige Reunion waren die Kirchgänge zu bestimmten Ablässen; bei dieser Gelegenheit bekam man auch die schönen Weiber zu sehen. In den letzten Jahren Eugens IV. (st. 1447) schrieb Blondus von Forli seine Roma instaurata, bereits mit Be- nützung des Frontinus und der alten Regionenbücher, so wie auch (scheint es) des Anastasius. Sein Zweck ist schon bei Weitem nicht bloß die Schilderung des Vorhandenen, sondern mehr die Ausmittelung des Untergegangenen. Im Einklang mit der Widmung an den Papst tröstet er sich für den allgemeinen Ruin mit den herrlichen Reliquien der Heiligen, welche Rom besitze. Die Päpste. Mit Nicolaus V. (1447—1455) besteigt derjenige neue monumentale Geist, welcher der Renaissance eigen war, den päpstlichen Stuhl. Durch die neue Geltung und Ver- schönerung der Stadt Rom als solcher wuchs nun wohl einerseits die Gefahr für die Ruinen, andererseits aber auch die Rücksicht für dieselben als Ruhmestitel der Stadt. Pius II. als Antiquar. Pius II. ist ganz erfüllt von antiquarischem Interesse, und wenn er von den Alterthümern Roms wenig redet, so hat er dafür denjenigen des ganzen übrigen Italiens seine Aufmerksamkeit gewidmet und diejenigen der Umgebung der Stadt in weitem Umfange zuerst genau gekannt und be- schrieben Das Folgende aus Jo. Ant. Campanus: Vita Pii II. bei Mura- tori III, II. Col. 980, s. — Pii II. Commentarii p. 48. 72, s. 206. 248, s. 501. u. a. a. O. . Allerdings interessiren ihn als Geistlichen und Cosmographen antike und christliche Denkmäler und Natur- wunder gleichmäßig, oder hat er sich Zwang anthun müssen, unter Martin V. s. Platina p. 277; während der Abwesenheit Eugen's IV. s. Vespasiano Fiorent. p. 21. als er z. B. niederschrieb: Nola habe größere Ehre durch 3. Abschnitt. das Andenken des S. Paulinus als durch die römischen Erinnerungen und durch den Heldenkampf des Marcellus? Nicht daß etwa an seinem Reliquienglauben zu zweifeln wäre, allein sein Geist ist schon offenbar mehr der Forscher- theilnahme an Natur und Alterthum, der Sorge für das Monumentale, der geistvollen Beobachtung des Lebens zu- geneigt. Noch in seinen letzten Jahren als Papst, podagrisch und doch in der heitersten Stimmung, läßt er sich auf dem Tragsessel über Berg und Thal nach Tusculum, Alba, Tibur, Ostia, Falerii, Ocriculum bringen und verzeichnet Alles was er gesehen; er verfolgt die alten Römerstraßen und Wasserleitungen und sucht die Grenzen der antiken Völkerschaften um Rom zu bestimmen. Bei einem Ausflug nach Tibur mit dem großen Federigo von Urbino vergeht die Zeit Beiden auf das Angenehmste mit Gesprächen über das Alterthum und dessen Kriegswesen, besonders über den trojanischen Krieg; selbst auf seiner Reise zum Congreß von Mantua (1459) sucht er, wiewohl vergebens, das von Plinius erwähnte Labyrinth von Clusium und besieht am Mincio die sogenannte Villa Virgil's. Daß derselbe Papst auch von den Abbreviatoren ein classisches Latein verlangte, versteht sich beinahe von selbst; hat er doch einst im nea- politanischen Krieg die Arpinaten amnestirt als Landsleute des M. T. Cicero, so wie des C. Marius, nach welchen noch viele Leute dort getauft waren. Ihm allein als Ken- ner und Beschützer konnte und mochte Blondus seine Roma triumphans zueignen, den ersten großen Versuch einer Ge- sammtdarstellung des römischen Alterthums. In dieser Zeit war natürlich auch im übrigen Italien Das Alterthum außerhalb Rom's. der Eifer für die römischen Alterthümer erwacht. Schon Boccaccio Boccaccio, Fiammetta, cap. 5. nennt die Ruinenwelt von Bajae „altes Ge- mäuer, und doch neu für moderne Gemüther;“ seitdem 3. Abschnitt. galten sie als größte Sehenswürdigkeit der Umgegend Neapels. Schon entstanden auch Sammlungen von Alterthümern jeder Gattung. Ciriaco von Ancona durchstreifte nicht bloß Italien sondern auch andere Länder des alten Orbis terrarum und brachte Inschriften und Zeichnungen in Menge mit; auf die Frage, warum er sich so bemühe, antwortete er: um die Todten zu erwecken Leandro Alberti, Descriz. di tutta l'Italia, fol. 285. . Die Historien der einzelnen Städte hatten von jeher auf einen wahren oder fingirten Zusammenhang mit Rom, auf directe Grün- dung oder Colonisation von dort aus hingewiesen Zwei Beispiele statt vieler: die fabulose Urgeschichte von Mailand, im Manipulus (Murat. XI, Col. 552) und die von Florenz, am Anfang der Chronik des Ricordano Malaspini, und dann bei Gio. Villani, laut welchem Florenz gegen das antirömische, rebellische Fiesole von jeher Recht hat, weil es so gut römisch gesinnt ist. (I, 9. 38. 41. II, 2). — Dante, Inf. XV, 76. ; längst Abstammung von alten Rö- mern. scheinen gefällige Genealogen auch einzelne Familien von berühmten römischen Geschlechtern derivirt zu haben. Dieß lautete so angenehm, daß man auch im Lichte der begin- nenden Kritik des XV. Jahrhunderts daran festhielt. Ganz unbefangen redet Pius II. in Viterbo Commentarii, p. 206, im IV. Buch. zu den rö- mischen Oratoren, die ihn um schleunige Rückkehr bitten: „Rom ist ja meine Heimath so gut wie Siena, denn mein „Haus, die Piccolomini, ist vor Alters von Rom nach „Siena gewandert, wie der häufige Gebrauch der Namen „Aeneas und Sylvius in unserer Familie beweist“. Ver- muthlich hätte er nicht übel Lust gehabt, ein Julier zu sein. Auch für Paul II. — Barbo von Venedig — wurde gesorgt, indem man sein Haus, trotz einer entgegenstehenden Abstammung aus Deutschland, von den römischen Aheno- barbus ableitete, die mit einer Colonie nach Parma gerathen und deren Nachkommen wegen Parteiung nach Venedig ausgewandert seien Mich. Cannesius, Vita Pauli II, bei Murat. III, II, Col. 993. Selbst gegen Nero, den Sohn des Domitius Ahenobarbus, will Auter, der päpstlichen Verwandtschaft wegen, nicht unverbindlich sein; er sagt von demselben nur: de quo rerum scriptores multa ac diversa commemorant. — Noch stärker war es freilich z. B. wenn die Familie Plato in Mailand sich schmeichelte von dem großen Plato abzustammen, wenn Filelfo in einer Hochzeitsrede und in einer Lobrede auf den Juristen Teodoro Plato dieß sagen durfte, und wenn ein Giovanantonio Plato der von ihm 1478 gemeißelten Relieffigur des Philosophen (im Hof des Pal. Mazenta zu Mailand) die Inschrift beifügen konnte: Platonem suum, a quo originem et ingenium refert … . Daß die Massimi von O. Fabius 3. Abschnitt. Maximus, die Cornaro von den Corneliern abstammen wollten, kann nicht befremden. Dagegen ist es für das folgende XVI. Jahrhundert eine recht auffallende Aus- nahme, daß der Novellist Bandello sein Geschlecht von vornehmen Ostgothen ( I, Nov. 23.) abzuleiten sucht. Kehren wir nach Rom zurück. Die Einwohner, „die sich damals Römer nannten“, gingen begierig auf das Hochgefühl ein, welches ihnen das übrige Italien entgegen- brachte. Wir werden unter Paul II. , Sixtus IV. und Alexander VI. prächtige Carnevalsaufzüge stattfinden sehen, welche das beliebteste Phantasiebild jener Zeit, den Triumph altrömischer Imperatoren, darstellten. Wo irgend Pathos zum Vorschein kam, mußte es in jener Form geschehen. Bei dieser Stimmung der Gemüther geschah es am 18. April Die römische Leiche. 1485, daß sich das Gerücht verbreitete, man habe die wunderbar schöne, wohl erhaltene Leiche einer jungen Rö- merinn aus dem Alterthum gefunden Hierüber Nantiporto, bei Murat. III, II, Col. 1094; Infessura, bei Eccard, scriptores, II, Col. 1951; — Matarazzo, im Arch. stor. XVI, II, p. 180. . Lombardische Maurer, welche auf einem Grundstück des Klosters S. Ma- ria nuova, an der Via Appia, außerhalb der Caecilia Metella, 3. Abschnitt. ein antikes Grabmal aufgruben, fanden einen marmornen Sarcophag angeblich mit der Aufschrift: Julia, Tochter des Claudius. Das Weitere gehört der Phantasie an; die Lombarden seien sofort verschwunden sammt den Schätzen und Edelsteinen, welche im Sarcophag zum Schmuck und Geleit der Leiche dienten; letztere sei mit einer sichernden Essenz überzogen und so frisch, ja so beweglich gewesen wie die eines eben gestorbenen Mädchens von 15 Jahren; dann hieß es sogar, sie habe noch ganz die Farbe des Lebens, Augen und Mund halb offen. Man brachte sie nach dem Conservatorenpalast auf dem Capitol, und dahin, um sie zu sehen, begann nun eine wahre Wallfahrt; Viele kamen auch um sie abzumalen; „denn sie war schön, wie man es „nicht sagen noch schreiben kann, und wenn man es sagte „oder schriebe, so würden es, die sie nicht sahen, doch nicht „glauben“. Aber auf Befehl Innocenz VIII. mußte sie eines Nachts vor Porta Pinciana an einem geheimen Ort verscharrt werden; in der Hofhalle der Conservatoren blieb nur der leere Sarcophag. Wahrscheinlich war über den Kopf der Leiche eine farbige Maske des idealen Styles aus Wachs oder etwas Aehnlichem modellirt, wozu die vergoldeten Haare, von welchen die Rede ist, ganz wohl passen würden. Das Rührende an der Sache ist nicht der Thatbestand sondern das feste Vorurtheil, daß der antike Leib, den man endlich hier in Wirklichkeit vor sich zu sehen glaubte, nothwendig herrlicher sein müsse als Alles was jetzt lebe. Die neuen Aus- grabungen Inzwischen wuchs die sachliche Kenntniß des alten Rom durch Ausgrabungen; schon unter Alexander VI. lernte man die sog. Grottesken, d. h. die Wand- und Gewölbe- decoration der Alten kennen, und fand in Porto d'Anzo den Apoll vom Belvedere; unter Julius II. folgten die glorreichen Auffindungen des Laocoon, der vaticanischen Venus, des Torso, der Cleopatra u. a. m. Schon unter Julius II. grub man nach in der Absicht, Statuen zu finden. Vasari XI, p. 302, V. di Gio. da Udine. ; auch die Paläste der Großen und Cardinäle begannen sich mit an- 3. Abschnitt. tiken Statuen und Fragmenten zu füllen. Für Leo X. unternahm Rafael jene ideale Restauration der ganzen alten Stadt, von welcher sein (oder Castiglione's) berühm- ter Brief spricht Quatremère, stor. della vita etc. di Rafaello, ed. Longhena, p. 531. . Nach der bittern Klage über die noch immer dauernden Zerstörungen, namentlich noch unter Julius II. , ruft er den Papst um Schutz an für die we- nigen übriggebliebenen Zeugnisse der Größe und Kraft jener göttlichen Seelen des Alterthums, an deren Andenken sich noch jetzt diejenigen entzünden, die des Höhern fähig seien. Mit merkwürdig durchdringendem Urtheil legt er dann den Grund zu einer vergleichenden Kunstgeschichte überhaupt und stellt am Ende denjenigen Begriff von „Aufnahme“ fest, u. Aufnahmen. welcher seitdem gegolten hat: er verlangt für jeden Ueberrest Plan, Aufriß und Durchschnitt gesondert. Wie seit dieser Zeit die Archäologie, in speciellem Anschluß an die gehei- ligte Weltstadt und deren Topographie, zur besondern Wissenschaft heranwuchs, wie die vitruvianische Academie wenigstens ein colossales Programm Lettere pittoriche II, I. Tolomei an Landi, 14. Nov. 1542. aufstellte, kann nicht weiter aufgeführt werden. Hier dürfen wir bei Leo X. Das leonische Rom. stehen bleiben, unter welchem der Genuß des Alterthums sich mit allen andern Genüssen zu jenem wundersamen Eindruck verflocht, welcher dem Leben in Rom seine Weihe gab. Der Vatican tönte von Gesang und Saitenspiel; wie ein Gebot zur Lebensfreude gingen diese Klänge über Rom hin, wenn auch Leo damit für sich kaum eben erreichte, daß sich Sorgen und Schmerzen verscheuchen ließen und wenn auch seine bewußte Rechnung, durch Heiterkeit das Dasein zu verlängern Er wollte curis animique doloribus quacunque ratione aditum intercludere, heitererer Scherz und Musik fesselten ihn und er hoffte auf diese Weise länger zu leben Leonis X. vita anonyma, bei Roscoe, ed. Bossi XII, p. 169. , mit seinem frühen Tode fehlschlug. 3. Abschnitt. Dem glänzenden Bilde des leonischen Rom, wie es Paolo Giovio entwirft, wird man sich nie entziehen können, so gut bezeugt auch die Schattenseiten sind: die Knechtschaft der Emporstrebenden und das heimliche Elend der Prälaten, welche trotz ihrer Schulden standesgemäß leben müssen Von Ariosto's Satiren gehören hieher die I. (Perc' ho molto etc.,) und die IV. (Poiche, Annibale etc.). , das Lotteriemäßige und Zufällige von Leo's literarischem Mäcenat, endlich seine völlig verderbliche Geldwirthschaft Ranke, Päpste, I, 408 f. — Lettere de' principi I, Brief des Negri 1. Sept. 1522: … tutti questi cortigiani esausti da Papa Leone e falliti … . Derselbe Ariost, der diese Dinge so gut kannte und ver- spottete, giebt doch wieder in der sechsten Satire ein ganz sehnsüchtiges Bild von dem Umgang mit den hochgebildeten Poeten, welche ihn durch die Ruinenstadt begleiten würden, von dem gelehrten Beirath, den er für seine eigene Dich- tung dort vorfände, endlich von den Schätzen der vatica- nischen Bibliothek. Dieß, und nicht die längst aufgegebene Hoffnung auf mediceische Protection, meint er, wären die wahren Lockspeisen für ihn, wenn man ihn wieder bewegen wollte, als ferraresischer Gesandter nach Rom zu gehen. Ruinen- sentimentalität. Außer dem archäologischen Eifer und der feierlich pa- triotischen Stimmung weckten die Ruinen als solche, in und außer Rom, auch schon eine elegisch-sentimentale. Bereits bei Petrarca und Boccaccio finden sich Anklänge dieser Art (S. 177, 181); Poggio (a. a. O.) besucht oft den Tempel der Venus und Roma, in der Meinung es sei der des Castor und Pollux, wo einst so oft Senat gehalten worden, und vertieft sich hier in die Erinnerung an die großen Redner Crassus, Hortensius, Cicero. Vollkommen sentimental äußert sich dann Pius II. zumal bei der Beschreibung von Tibur Pii II. Commentarii p. 251, im V. Buch. — Vgl. auch Sanna- zaro's Elegie in ruinas Cumarum, im 2. Buche. , und bald darauf entsteht die erste ideale Ruinenansicht nebst Schilderung bei Polifilo Polifilo, Hypnerotomachia, ohne Seitenzahlen. Im Auszug bei Temanza, p. 12. : Trümmer mächtiger Gewölbe 3. Abschnitt. und Colonnaden, durchwachsen von alten Platanen, Lor- beeren und Cypressen nebst wildem Buschwerk. In der heiligen Geschichte wird es, man kann kaum sagen wie, gebräuchlich, die Darstellung der Geburt Christi in die möglichst prachtvollen Ruinen eines Palastes zu verlegen Während alle Kirchenväter und alle Pilger nur von einer Höhle wissen. Auch die Dichter können des Palastes entbehren. Vgl. Sannazaro, de partu Virginis, L. II. . Daß dann endlich die künstliche Ruine zum Requisit präch- tiger Gartenanlagen wurde, ist nur die practische Aeußerung desselben Gefühls. Unendlich wichtiger aber als die baulichen und über- Die alten Autoren im XIV. Ih. haupt künstlerischen Reste des Alterthums waren natürlich die schriftlichen, griechische sowohl als lateinische. Man hielt sie ja für Quellen aller Erkenntniß im absolutesten Sinne. Das Bücherwesen jener Zeit der großen Fünde ist oft geschildert worden: wir können nur einige weniger beachtete Züge hier beifügen Hauptsächlich aus Vespasiano Fiorentino, im X. Bande des Spicileg. romanum von Mai. Der Autor war ein florentinischer Bücher- händler und Copienlieferant um die Mitte des XV. Jahrh. und nach derselben. . So groß die Einwirkung der alten Schriftsteller seit langer Zeit und vorzüglich während des XIV. Jahrhunderts in Italien erscheint, so war doch mehr das Längstbekannte in zahlreichere Hände verbreitet als Neues entdeckt worden. Die gangbarsten lateinischen Dichter, Historiker, Redner und Epistolographen nebst einer Anzahl lateinischer Ueber- setzungen nach einzelnen Schriften des Aristoteles, Plutarch und weniger andern Griechen bildeten wesentlich den Vor- rath, an welchem sich die Generation des Boccaccio und 3. Abschnitt. Petrarca begeisterte. Letzterer besaß und verehrte bekannt- lich einen griechischen Homer ohne ihn lesen zu können; die erste lateinische Uebersetzung der Ilias und Odyssee hat Boccaccio mit Hülfe eines calabresischen Griechen so gut es ging zu Stande gebracht. Erst mit dem XV. Jahr- hundert beginnt die große Reihe neuer Entdeckungen, die systematische Anlage von Bibliotheken durch Copiren, und der eifrigste Betrieb des Uebersetzens aus dem Griechischen Bekanntlich wurde, um die Begier nach dem Alterthum zu täuschen oder zu brandschatzen, auch einiges Unechte geschmiedet. Man sehe in den literar-geschichtlichen Werken statt alles Uebrigen die Artikel über Annius von Viterbo. . Dieselben im XV. Jahrh. Ohne die Begeisterung einiger damaligen Sammler, welche sich bis zur äußersten Entbehrung anstrengten, be- säßen wir ganz gewiß nur einen kleinen Theil zumal der griechischen Autoren, welche auf unsere Zeit gekommen sind. Papst Nicolaus V. hat sich schon als Mönch in Schulden gestürzt um Codices zu kaufen oder copiren zu lassen; schon damals bekannte er sich offen zu den beiden großen Passionen der Renaissance: Bücher und Bauten Vespas. Fior. p. 31. Tommaso da Serezana usava dire, che dua cosa farebbe, s'egli potesse mai spendere, ch'era in libri e murare. E l'una e l'altra fece nel suo pontificato. — Seine Uebersetzer s. bei Aen. Sylvius, de Europa, cap. 58, p. 459, und bei Papencordt, Gesch. der Stadt Rom, p. 502. . Als Papst hielt er Wort; Copisten schrieben und Späher suchten für ihn in der halben Welt, Perotto erhielt für die lateinische Uebersetzung des Polybius 500 Ducaten, Guarino für die des Strabo 1000 Goldgulden und sollte noch weitere 500 erhalten, als der Papst zu früh starb. Mit 5000 oder je nachdem man rechnete 9000 Bänden Vespas. Fior. p. 48 und 658. 665. Vgl. J. Mannetti, vita Ni- colai V. bei Murat. III, II, Col. 925, s. — Ob und wie Calixt III. die Sammlung wieder theilweise verzettelte, s. Vespas. Fior., p 284, s. mit Mai's Anmerkung. hinterließ er die- jenige eigentlich für den Gebrauch aller Curialen bestimmte 3. Abschnitt. Bibliothek, welche der Grundstock der Vaticana geworden Die Bibliothe- ken. ist; im Palast selber sollte sie aufgestellt werden, als dessen edelste Zier, wie es einst König Ptolemaeus Philadelphus zu Alexandrien gehalten. Als er wegen der Pest mit dem Hofe nach Fabriano zog, nahm er seine Uebersetzer und Compilatoren dahin mit, auf daß sie ihm nicht wegstürben. Der Florentiner Niccol ò Niccoli Vespas. Fior. p. 617, s. , Genosse des ge- lehrten Freundeskreises, welcher sich um den ältern Cosimo Medici versammelte, wandte sein ganzes Vermögen auf Er- werb von Büchern; endlich, da er nichts mehr hatte, hielten ihm die Medici ihre Kassen offen für jede Summe, die er zu solchen Zwecken begehrte. Ihm verdankt man die Ver- vollständigung des Ammianus Marcellinus, des Cicero de oratore u. A. m.; er bewog den Cosimo zum Ankauf des trefflichsten Plinius aus einem Kloster zu Lübeck. Mit einem großartigen Zutrauen lieh er seine Bücher aus, ließ die Leute auch bei sich lesen so viel sie wollten, und unter- redete sich mit ihnen über das Gelesene. Seine Sammlung, 800 Bände zu 6000 Goldgulden gewerthet, kam nach sei- nem Tode durch Cosimo's Vermittlung an das Kloster S. Marco mit Bedingung der Oeffentlichkeit. Von den beiden großen Bücherfindern Guarino und Poggio. Poggio ist der letztere Vespas. Fior. p. 547, s. , zum Theil als Agent des Niccoli, bekanntlich auch in den süddeutschen Abteien thätig gewe- sen, und zwar bei Anlaß des Concils von Constanz. Er fand dort sechs Reden des Cicero und den ersten vollstän- digen Quintilian, die Sangallensische, jetzt Zürcher Hand- schrift; binnen 32 Tagen soll er sie vollständig und zwar sehr schön abgeschrieben haben. Den Silius Italicus, Ma- nilius, Lucretius, Val. Flaccus, Ascon. Pedianus, Columella, Celsus, A. Gellius, Statius u. m. A. konnte er wesentlich 3. Abschnitt. vervollständigen; mit Lionardo Aretino zusammen brachte er die zwölf letzten Stücke des Plautus zum Vorschein, so wie die Verrinen des Cicero. Aus antikem Patriotismus sammelte der berühmte Grieche Cardinal Bessarion Vespas. Fior. p. 193. Vgl. Marin Sanudo, bei Murat. XXII, Col. 1185, s. 600 Codices, heidnischen wie christlichen Inhalts, mit ungeheuren Opfern, und suchte nun einen sichern Ort, wohin er sie stiften könne, damit seine unglückliche Heimath, wenn sie je wieder frei würde, ihre verlorene Literatur wieder finden möchte. Die Signorie von Venedig (S. 73) erklärte sich zum Bau eines Locales bereit und noch heute bewahrt die Marcusbibliothek einen Theil jener Schätze Wie man einstweilen damit umging, s. bei Malipiero, Ann. veneti, Arch. stor. VII, II, p. 653. 655. . Das Zusammenkommen der berühmten mediceischen Bibliothek hat eine ganz besondere Geschichte, auf welche wir hier nicht eingehen können; der Hauptsammler für Lorenzo magnifico war Johannes Lascaris. Bekanntlich hat die Sammlung nach der Plünderung des Jahres 1494 noch einmal stückweise durch Cardinal Giovanni Medici (Leo X. ) erworben werden müssen. Die Bibliothek von Urbino. Die urbinatische Bibliothek Vespas. Fior. p. 124, s. (jetzt im Vatican) war durchaus die Gründung des großen Federigo von Monte- feltro (S. 45), der schon als Knabe zu sammeln begonnen hatte, später beständig 30 bis 40 Scrittori an verschiedenen Orten beschäftigte, und im Verlauf der Zeit über 30,000 Ducaten daran wandte. Sie wurde, hauptsächlich mit Hülfe Vespasiano's, ganz systematisch fortgesetzt und ver- vollständigt, und was dieser davon berichtet, ist besonders merkwürdig als Idealbild einer damaligen Bibliothek. Man besaß z. B. in Urbino die Inventarien der Vaticana, der Bibliothek von S. Marco in Florenz, der viscontinischen 3. Abschnitt. Bibliothek von Pavia, ja selbst das Inventar von Oxford, und fand mit Stolz, daß Urbino in der Vollständigkeit der Schriften des einzelnen Autors jenen vielfach überlegen sei. In der Masse wog vielleicht noch das Mittelalter und die Theologie vor; da fand sich der ganze Thomas von Aquino, der ganze Albertus magnus, der ganze Bonaventura ꝛc.; sonst war die Bibliothek sehr vielseitig und enthielt z. B. alle irgend beizuschaffenden medicinischen Werke. Unter den „Moderni“ standen die großen Autoren des XIV. Jahr- hunderts, z. B. Dante, Boccaccio mit ihren gesammten Werken oben an; dann folgten 25 auserlesene Humanisten, immer mit ihren lateinischen und italienischen Schriften und allem was sie übersetzt hatten. Unter den griechischen Codices überwogen sehr die Kirchenväter, doch heißt es bei den Classikern u. a. in einem Zuge: alle Werke des So- phokles, alle Werke des Pindar, alle Werke des Menan- der — ein Codex, der offenbar frühe Etwa bei der Einnahme von Urbino durch das Heer Cesare Borgia's? — Mai bezweifelt die Existenz der Handschrift, ich kann aber nicht glauben, daß Vespasiano etwa die bloßen Gnomenexcerpte aus Me- nander, bekanntlich nur ein paar hundert Verse, mit „tutte le opere“ und in jener Reihe umfangreicher Codices (mochte es auch nur unser jetziger Sophokles und Pindar sein) aufgeführt haben würde. Es ist nicht undenkbar, daß jener Menander noch einmal zum Vorschein kömmt. aus Urbino ver- schwunden sein muß, weil ihn sonst die Philologen bald edirt haben würden. Von der Art wie damals Handschriften und Biblio- Copisten und Scrittori. theken entstanden, erhalten wir auch sonst einige Rechen- schaft. Der directe Ankauf eines ältern Manuscriptes, welches einen raren oder allein vollständigen oder gar nur einzig vorhandenen Text eines alten Autors enthielt, blieb natürlich eine seltene Gabe des Glückes und kam nicht in Rechnung. Unter den Copisten nahmen diejenigen, welche 3. Abschnitt. griechisch verstanden, die erste Stelle und den Ehrennamen Scrittori im vorzugsweisen Sinne ein; es waren und blieben ihrer wenige, und sie wurden hoch bezahlt Wenn Piero de' Medici beim Tode des bücherliebenden Königs Matthias Corvinus von Ungarn voraussagt, die Scrittori würden fortan ihre Preise ermäßigen müssen, da sie sonst von Niemand mehr ( scil. als von uns) beschäftigt würden, so kann dieß nur auf die Griechen gehen, denn Kalligraphen, auf welche man es zu deuten versucht wäre, gab es fortwährend viele in ganz Italien. — Fa- broni, Laurent. magn. Adnot. 156. Vgl. Adnot. 154. . Die übrigen, Copisti schlechtweg, waren theils Arbeiter, die einzig davon lebten, theils arme Gelehrte, die eines Nebengewinnes bedurften. Merkwürdiger Weise waren die Copisten von Rom um die Zeit Nicolaus V. meist Deutsche und Fran- zosen Gaye, Carteggio, I, p. 164. Ein Brief von 1455, unter Ca- lixt III. Auch die berühmte Miniaturenbibel von Urbino ist von einem Franzosen, Arbeiter Vespasiano's, geschrieben. S. D'Agin- court, Malerei, Tab. 78. , wahrscheinlich Leute, die etwas bei der Curie zu suchen hatten und ihren Lebensunterhalt herausschlagen mußten. Als nun z. B. Cosimo Medici für seine Lieblings- gründung, die Badia unterhalb Fiesole rasch eine Biblio- thek gründen wollte, ließ er den Vespasiano kommen und erhielt den Rath: auf den Kauf vorräthiger Bücher zu verzichten, da sich, was man wünsche, nicht vorräthig finde, sondern schreiben zu lassen; darauf machte Cosimo einen Accord mit ihm auf tagtägliche Auszahlung, und Vespa- siano nahm 45 Schreiber und lieferte in 22 Monaten 200 fertige Bände Vespas. Fior. p. 335. . Das Verzeichniß, wonach man ver- fuhr, hatte Cosimo von Nicolaus V. Auch für die Bibliotheken von Urbino und Pesaro (die des Aless. Sforza, S. 27) hatte der Papst eine ähnliche Gefälligkeit. eigenhändig erhalten. (Natürlich überwog die kirchliche Literatur und die Aus- stattung für den Chordienst weit das Uebrige.) Die Handschrift war jene schöne neu italienische, die 3. Abschnitt. schon den Anblick eines Buches dieser Zeit zu einem Genuß macht, und deren Anfang schon ins XIV. Jahrhundert hinaufreicht. Papst Nicolaus V. , Poggio, Giannozzo Man- netti, Niccol ò Niccoli und andere berühmte Gelehrte waren von Hause aus Kalligraphen und verlangten und duldeten nur Schönes. Die übrige Ausstattung, auch wenn keine Miniaturen dazu kamen, war äußerst geschmackvoll, wie besonders die Codices der Laurenziana mit ihren leichten linearen Anfangs- und Schlußornamenten beweisen. Das Material war, wenn für große Herrn geschrieben wurde, immer nur Pergament, der Einband in der Vaticana und zu Urbino gleichmäßig ein Karmosinsammet mit silbernem Beschläge. Bei einer solchen Gesinnung, welche die Ehr- furcht vor dem Inhalt der Bücher durch möglichst edle Ausstattung an den Tag legen wollte, ist es begreiflich, daß die plötzlich auftauchenden gedruckten Bücher Anfangs auf Widerstand stießen. Federigo von Urbino „hätte sich geschämt“ ein gedrucktes Buch zu besitzen Vespas. Fior. p. 129. . Die müden Abschreiber aber — nicht die welche vom Bücherdruck. Copiren lebten, sondern die Vielen, welche ein Buch ab- schreiben mußten um es zu haben — jubelten über die deutsche Erfindung Artes — Quîs labor est fessis demptus ab articulis, in einem Gedicht des Robertus Ursus um 1470, Rerum ital. scriptt. ex codd. Florent., Tom. II, Col. 693. Er freut sich etwas früh über die zu hoffende rasche Verbreitung der classischen Autoren. Vgl. Libri, hist. des sciences mathématiques II, 278, s. — Ueber die Drucker in Rom Gaspar. Veron. Vita Pauli II, bei Murat. III, II, Col. 1046. Das erste Privilegium in Venedig s. Marin Sanudo, bei Murat. XXII, Col. 1189. . Für die Vervielfältigung der Römer und dann auch der Griechen war sie in Italien bald und lange nur hier thätig, doch ging es damit nicht so rasch als man bei der allgemeinen Begeisterung für diese Werke Cultur der Renaissance. 13 3. Abschnitt. hätte denken sollen. Nach einiger Zeit bilden sich Anfänge der modernen Autors- und Verlagsverhältnisse Eswas Aehnliches hatte schon zur Zeit des Schreibens existirt, s. Vespas. Fior. p. 656, s. über die Weltchronik des Zembino von Pistoja und unter Alexander VI. kam die präventive Censur auf, indem es jetzt nicht mehr leicht möglich war, ein Buch zu zernichten, wie noch Cosimo sich es von Filelfo ausbedingen konnte Fabroni, Laurent. magn. Adnot. 212. — Es geschah in Betreff der Schmähschrift de exilio. . Wie sich nun allmälig, im Zusammenhang mit dem fortschreitenden Studium der Sprachen und des Alterthums überhaupt, eine Kritik der Texte bildete, ist so wenig ein Gegenstand dieses Buches als die Geschichte der Gelehr- samkeit überhaupt. Nicht das Wissen der Italiener als solches, sondern die Reproduction des Alterthums in Lite- ratur und Leben muß uns beschäftigen. Doch sei über die Studien an sich noch eine Bemerkung gestattet. Uebersicht des griechischen Studiums. Die griechische Gelehrsamkeit concentrirt sich wesentlich auf Florenz und auf das XV. und den Anfang des XVI. Jahrhunderts. Was Petrarca und Boccaccio angeregt hatten Vgl. Sismondi VI, p. 149, s. , scheint noch nicht über die Theilnahme einiger begeisterten Dilettanten hinausgegangen zu sein; anderer- seits starb mit der Colonie gelehrter griechischer Flüchtlinge auch das Studium des Griechischen in den 1520er Jahren weg Das Aussterben dieser Griechen constatirt Pierius Valerian. de in- felicitate literat. bei Anlaß der Lascaris. Und Paulus Jovius am Ende seiner Elogia literaria sagt von den Deutschen: … quum literae non latinae modo cum pudore nostro, sed graecae et hebraicae in eorum terras fatali commigratione transierint. (Gegen 1540.) , und es war ein rechtes Glück daß Nordländer (Erasmus, die Estienne, Budeus) sich desselben inzwischen bemächtigt hatten. Jene Colonie hatte begonnen mit Ma- 3. Abschnitt. nuel Chrysoloras und seinem Verwandten Johannes, so wie mit Georg von Trapezunt, dann kamen um die Zeit der Eroberung Constantinopels und nachher Johannes Argyropulos, Theodor Gaza, Demetrios Chalcondylas, der seine Söhne Theophilos und Basilios zu tüchtigen Griechen erzog, Andronikos Kallistos, Markos Musuros und die Familie der Lascaris, nebst andern mehr. Seit jedoch die Unterwerfung Griechenlands durch die Türken vollständig war, gab es keinen neuen gelehrten Nachwuchs mehr, aus- genommen die Söhne der Flüchtlinge und vielleicht ein paar Candioten und Cyprioten. Daß nun ungefähr mit dem Tode Leo's X. auch der Verfall der griechischen Stu- Dessen frühe Abnahme. dien im Allgemeinen beginnt, hatte wohl zum Theil seinen Grund in einer Veränderung der geistigen Richtung über- haupt Ranke, Päpste, I, 486. — Man vgl. das Ende dieses Abschnittes. , und in der bereits eingetretenen relativen Sätti- gung mit dem Inhalt der classischen Literatur, gewiß ist aber auch die Coincidenz mit dem Aussterben der gelehrten Griechen keine ganz zufällige. Das Studium des Griechi- schen unter den Italienern selbst erscheint, wenn man die Zeit um 1500 zum Maßstab nimmt, gewaltig schwunghaft; damals lernten diejenigen Leute griechisch reden, welche es ein halbes Jahrhundert später noch als Greise konnten, wie z. B. die Päpste Paul III. und Paul IV. Tommaso Gar, relazioni della corte di Roma, I, p. 338. 379. Gerade diese Art von Theilnahme aber setzte den Umgang mit ge- bornen Griechen voraus. Außerhalb Florenz hatten Rom und Padua fast immer, Bologna, Ferrara, Venedig, Perugia, Pavia u. a. Städte wenigstens zeitweise besoldete Lehrer des Griechischen Georg von Trapezunt mit 150 Ducaten in Venedig 1459 als Pro- fessor der Rhetorik besoldet, Malipiero, Arch. stor. VII, II, p. 653. — Ueber den griechischen Lehrstuhl in Perugia s. Arch. stor. XVI, . 13* 3. Abschnitt. Unendlich viel verdankte das griechische Studium der Officin des Aldo Manucci zu Venedig, wo die wichtigsten und umfangreichsten Autoren zum erstenmal griechisch gedruckt wurden. Aldo wagte seine Habe dabei; er war ein Editor und Verleger wie die Welt wenige gehabt hat. Orientalische Studien. Daß neben den classischen Studien auch die orientali- schen einen ziemlich bedeutenden Umfang gewannen, ist we- nigstens hier mit einem Worte zu erwähnen. An die dogmatische Polemik gegen die Juden knüpfte sich zuerst bei Giannozzo Mannetti Vespas. Fior. p. 48. 476. 578. 614. — Auch Fra Ambrogio Camaldolese konnte hebräisch. Ibid. p. 320. , einem großen florentinischen Gelehrten und Staatsmann (st. 1459), die Erlernung des Hebräischen und der ganzen jüdischen Wissenschaft; sein Sohn Agnolo mußte von Kindheit auf lateinisch, griechisch und hebräisch lernen; ja Papst Nicolaus V. ließ von Giannozzo die ganze Bibel neu übersetzen, indem die phi- lologische Gesinnung jener Zeit darauf hindrängte, die Vulgata aufzugeben Six tus IV, der das Gebäude für die Vaticana errichtete und die- selbe durch viele Ankäufe vermehrte, warf auch Besoldungen für la- teinische, griechische und hebräische Scriptoren ( librarios ) aus. Pla- tina, vita Sixti IV, p. 332. . Auch sonst nahm mehr als ein Humanist das Hebräische lange vor Reuchlin mit in seine Studien auf und Pico della Mirandola besaß das ganze talmudische und philosophische Wissen eines gelehrten Rab- biners. Auf das Arabische kam man am ehesten von Seiten der Medicin, welche sich mit den ältern lateinischen Ueber- setzungen der großen arabischen Aerzte nicht mehr begnügen wollte; den äußern Anlaß boten etwa die venezianischen Consulate im Orient, welche italienische Aerzte unterhielten. Hieronimo Ramusio, ein venezianischer Arzt, übersetzte aus dem Arabischen und starb in Damascus. Andrea Mongajo II, p. 19 der Einleitung. — Für Rimini bleibt es ungewiß, ob griechisch docirt wurde; vgl. Anced. litt. II, p. 300. von Belluno Pierius Valerian., de infelic. lit. bei Anlaß des Mongajo. — Ueber Ramusio, vgl. Sansovino, Venezia, Fol. 250. hielt sich um Avicenna's willen lange in 3. Abschnitt. Damascus auf, lernte das Arabische und emendirte seinen Autor; die venezianische Regierung stellte ihn dann für dieses besondere Fach in Padua an. Bei Pico müssen wir hier noch verweilen, ehe wir zu Pico della Mi- randola. der Wirkung des Humanismus im Großen übergehen. Er ist der Einzige, welcher laut und mit Nachdruck die Wissen- schaft und Wahrheit aller Zeiten gegen das einseitige Her- vorheben des classischen Alterthums verfochten hat Vorzüglich in dem wichtigen Briefe vom J. 1485 an Ermolao Barbaro, bei Ang. Politian. epistolæ, L. IX. — Vgl. Jo. Pici oratio de hominis dignitate. . Nicht nur Averrhoes und die jüdischen Forscher, sondern auch die Scholastiker des Mittelalters schätzt er nach ihrem Sach- inhalt; er glaubt sie reden zu hören: „wir werden ewig leben, nicht in den Schulen der Sylbenstecher, sondern im Kreis der Weisen, wo man nicht über die Mutter der Andromache oder über die Söhne der Niobe discutirt, sondern über die tiefern Gründe göttlicher und menschlicher Dinge; wer da näher tritt, wird merken, daß auch die Barbaren den Geist ( Mercurium ) hatten, nicht auf der Zunge, aber im Busen“. Im Besitz eines kräftigen, durch- aus nicht unschönen Lateins und einer klaren Darstellung verachtet er den pedantischen Purismus und die ganze Ueberschätzung einer entlehnten Form, zumal wenn sie mit Einseitigkeit und Einbuße der vollen großen Wahrheit in der Sache verbunden ist. An ihm kann man inne werden, welche erhabene Wendung die italienische Philosophie würde genommen haben, wenn nicht die Gegenreformation das ganze höhere Geistesleben gestört hätte. 3. Abschnitt. Wer waren nun Diejenigen, welche das hochverehrte Antikisirung der Bildung. Alterthum mit der Gegenwart vermittelten und das Erstere zum Hauptinhalt der Bildung der letztern erhoben? Es ist eine hundert gestaltige Schaar, die heute dieses, morgen jenes Antlitz zeigt; so viel aber wußte die Zeit und wußten sie selbst, daß sie ein neues Element der bür- gerlichen Gesellschaft seien. Als ihre Vorläufer mögen am ehesten jene vagirenden Cleriker des XII. Jahrhunderts gelten, von deren Poesie oben (S. 173, f.) die Rede gewesen ist; dasselbe unstäte Dasein, dieselbe freie und mehr als freie Lebensansicht, und von derselben Antikisirung der Poesie wenigstens der Anfang. Jetzt aber tritt der ganzen wesentlich noch immer geistlichen und von Geistlichen ge- pflegten Bildung des Mittelalters eine neue Bildung ent- gegen, die sich vorzüglich an dasjenige hält, was jenseits des Mittelalters liegt. Die activen Träger derselben werden wichtige Personen Wie sie sich selber taxirten verräth z. B. Poggio ( de avaritia, Fol. 2), indem nach feiner Ansicht nur solche sagen können, sie hätten gelebt, se vixisse, welche gelehrte und beredte lateinische Bücher geschrieben oder Griechisches ins Lateinische übersetzt haben. weil sie wissen was die Alten gewußt haben, weil sie zu schreiben suchen wie die Alten schrieben, weil sie zu denken und bald auch zu empfinden beginnen wie die Alten dachten und empfanden. Die Tradition, der sie sich widmen, geht an tausend Stellen in die Reproduc- tion über. Ihre Nach- theile. Es ist von Neuern öfter beklagt worden, daß die An- fänge einer ungleich selbständigern, scheinbar wesentlich ita- lienischen Bildung, wie sie um 1300 in Florenz sich zeigten, nachher durch das Humanistenwesen so völlig überfluthet worden seien Bes. Libri, histoire des sciences mathém. II, 159, s. 258, s. . Damals habe in Florenz Alles lesen können, selbst die Eseltreiber hätten Dante's Canzonen gesungen, und die besten noch vorhandenen italienischen Manuscripte hätten ursprünglich florentinischen Handarbeitern gehört; 3. Abschnitt. damals sei die Entstehung einer populären Encycloplädie wie der „Tesoro“ des Brunetto Latini möglich gewesen; und dieß Alles habe zur Grundlage gehabt eine allgemeine Tüchtigkeit des Characters, wie sie durch die Theilnahme an den Staatsgeschäften, durch Handel und Reisen, vor- züglich durch systematischen Ausschluß alles Müssigganges in Florenz zur Blüthe gebracht worden war. Damals seien denn auch die Florentiner in der ganzen Welt angesehen und brauchbar gewesen und nicht umsonst habe Papst Bo- nifaz VIII. sie in eben jenem Jahre das fünfte Element genannt. Mit dem stärkern Andringen des Humanismus seit 1400 sei dieser einheimische Trieb verkümmert, man habe fortan die Lösung jedes Problems nur vom Alterthum erwartet und darob die Literatur in ein bloßes Citiren aufgehen lassen; ja der Untergang der Freiheit hänge hie- mit zusammen, indem diese Erudition auf einer Knechtschaft unter der Autorität beruhte, das municipale Recht dem römischen aufopferte und schon deßhalb die Gunst der Ge- waltherrscher suchte und fand. Diese Anklagen werden uns noch hie und da beschäfti- Ihre Unver- meidlichkeit. gen, wo dann ihr wahres Maaß und der Ersatz für die Einbuße zur Sprache kommen wird. Hier ist nur vor Allem festzustellen, daß die Cultur des kräftigen XIV. Jahrhunderts selbst nothwendig auf den völligen Sieg des Humanismus hindrängte und daß gerade die Größten im Reiche des speciell italienischen Geistes dem schrankenlosen Alterthumsbetrieb des XV. Jahrhunderts Thür und Thor geöffnet haben. Vor allen Dante. Wenn eine Reihenfolge von Genien Dante. seines Ranges die italische Cultur hätte weiter führen können, so würde sie selbst bei der stärksten Anfüllung mit antiken Elementen beständig einen hocheigenthümlichen nationalen Eindruck machen. Allein Italien und das ganze Abend- land haben keinen zweiten Dante hervorgebracht, und so 3. Abschnitt. war und blieb er derjenige, welcher zuerst das Alterthum nachdrücklich in den Vordergrund des Culturlebens herein- schob. In der Divina Commedia behandelt er die antike und die christliche Welt zwar nicht als gleichberechtigt doch in beständiger Parallele; wie das frühere Mittelalter Typen und Antitypen aus den Geschichten und Gestalten des alten und des neuen Testamentes zusammengestellt hatte, so ver- einigt er in der Regel ein christliches und ein heidnisches Beispiel derselben Thatsache Purgatorio XVIII. enthält z. B. starke Belege: Maria eilt über das Gebirge, Cäsar nach Spanien; Maria ist arm und Fabricius uneigennützig. — Bei diesem Anlaß ist aufmerksam zu machen auf die chronologische Einflechtung der Sibyllen in die antike Profan- geschichte, wie sie Uberti in seinem Dittamondo ( I, Cap. 14. 15) um 1360 versucht. . Nun vergesse man nicht, daß die christliche Phantasiewelt und Geschichte eine bekannte, die antike dagegen eine relativ unbekannte, vielversprechende und aufregende war und daß sie in der allgemeinen Theil- nahme nothwendig das Uebergewicht bekommen mußte, als kein Dante mehr das Gleichgewicht erzwang. Petrarca. Petrarca lebt in den Gedanken der Meisten jetzt als großer italienischer Dichter; bei seinen Zeitgenossen dagegen kam sein Ruhm in weit höherm Grade davon her, daß er das Alterthum gleichsam in seiner Person repräsentirte, alle Gattungen der lateinischen Poesie nachahmte und Briefe schrieb, welche als Abhandlungen über einzelne Gegenstände des Alterthums einen für uns unbegreiflichen, für jene Zeit ohne Handbücher aber sehr erklärlichen Werth hatten. Boccaccio. Mit Boccaccio verhält es sich ganz ähnlich; er war 200 Jahre lang in ganz Europa berühmt ehe man diesseits der Alpen viel von seinem Decamerone wußte, bloß um seiner mythographischen, geographischen und biographischen Sammelwerke in lateinischer Sprache willen. Eines der- selben, „De genealogia Deorum“ enthält im 14ten und 15ten Buch einen merkwürdigen Anhang, worin er die Stel- 3. Abschnitt. lung des jugendlichen Humanismus zu seinem Jahrhundert erörtert. Es darf nicht täuschen, daß er immerfort nur von der „Poesie“ spricht, denn bei näherm Zusehen wird man bemerken, daß er die ganze geistige Thätigkeit des Poeten-Philologen meint Poeta bedeutet noch bei Dante ( Vita nuova, p. 47) ohnedieß nur den lateinisch Dichtenden, während für den italienischen die Ausdrücke Rimatore, Dicitore per rima gebraucht werden. Allerdings ver- mischen sich mit der Zeit Ausdrücke und Begriffe. . Diese ist es, deren Feinde er auf das Schärfste bekämpft: die frivolen Unwissenden, die nur für Schlemmen und Prassen Sinn haben; die sophi- stischen Theologen, welchen Helicon, der castalische Quell und der Hain des Phöbus als bloße Thorheiten erscheinen; die goldgierigen Juristen, welche die Poesie für überflüssig halten insofern sie kein Geld verdient; endlich die (in Um- schreibung, aber kenntlich gezeichneten) Bettelmönche, die gern über Heidenthum und Immoralität Klage führen Auch Petrarca auf dem Gipfel seines Ruhmes klagt in melancholi- schen Augenblicken: sein übles Gestirn habe gewollt, daß er in später Zeit unter Halunken — extremi fures — leben müsse. In dem fingirten Brief an Livius, Opera, p. 704 seq. . Darauf folgt die positive Vertheidigung, das Lob der Poesie, namentlich des tiefern, zumal allegorischen Sinnes, den man ihr überall zutrauen müsse, der wohlberechtigten Dun- kelheit, die dem dumpfen Sinn der Unwissenden zur Ab- schreckung dienen dürfe. Und endlich rechtfertigt der Ver- Humanismus und Religion. fasser das neue Verhältniß der Zeit zum Heidenthum überhaupt, in klarer Beziehung auf sein gelehrtes Werk Strenger hält sich Boccaccio an die eigentliche Poesie in seinem (spätern) Brief an Jacobus Pizinga, in den opere volgari, Vol. XVI. Und doch erkennt er auch hier nur das für Poesie, was von Alterthum Notiz nimmt, und ignorirt die Trovatoren. . Anders als jetzt möge es allerdings damals sich verhalten haben, da die Urkirche sich noch gegen die Heiden vertheidi- 3. Abschnitt. gen mußte; heutzutage — Jesu Christo sei Dank! — sei die wahre Religion erstarkt, alles Heidenthum vertilgt, und die siegreiche Kirche im Besitz des feindlichen Lagers; jetzt könne man das Heidenthum fast ( fere ) ohne Gefahr be- trachten und behandeln. Es ist dasselbe Argument, mit welchem sich dann die ganze Renaissance vertheidigt hat. Es war also eine neue Sache in der Welt und eine neue Menschenclasse, welche dieselbe vertrat. Es ist unnütz darüber zu streiten ob diese Sache mitten in ihrem Sieges- lauf hätte still halten, sich geflissentlich beschränken und dem rein Nationalen ein gewisses Vorrecht hätte wahren sollen. Man hatte ja keine stärkere Ueberzeugung als die, daß das Alterthum eben der höchste Ruhm der italienischen Nation sei. Die Poeten- krönung. Dieser ersten Generation von Poeten-Philologen ist wesentlich eine symbolische Ceremonie eigen, die auch im XV. und XVI. Jahrhundert nicht ausstirbt, aber ihr höheres Pathos einbüßt: die Poetenkrönung mit einem Lorbeerkranz. Ihre Anfänge im Mittelalter sind dunkel und zu einem festen Ritual ist sie nie gelangt; es war eine öffentliche Demonstration, ein sichtbarer Ausbruch des literarischen Ruhmes Boccaccio, Vita di Dante, p. 50: la quale (laurea) non scienza accresce, ma è dell' acquistata certissimo testimonio e orna- mento. und schon deßhalb etwas Wandel- bares. Dante z. B. scheint eine halbreligiöse Weihe im Sinn gehabt zu haben; er wollte über dem Taufstein von San Giovanni, wo er und wie hunderttausende von flo- rentinischen Kindern getauft worden war, sich selber den Kranz aufsetzen Paradiso XXV, 1, s. — Boccaccio, Vita di Dante, p. 50: sopra le fonti di San Giovanni si era disposto di coronare. Vgl. Paradiso I, 25. . Er hätte, sagt sein Biograph, Ruhmes- halber den Lorbeer überall empfangen können, wollte es aber nirgends als in der Heimath und starb deßhalb un- gekrönt. Weiter erfahren wir hier, daß der Brauch bis- 3. Abschnitt. her ungewöhnlich war und als von den Griechen auf die alten Römer vererbt galt. Die nächste Reminiscenz stammte wohl in der That von dem nach griechischem Vorbild ge- stifteten capitolinischen Wettkampf der Ritharspieler, Dichter und anderer Künstler, welcher seit Domitian alle fünf Jahre gefeiert worden war und möglicher Weise den Untergang des römischen Reiches um einige Zeit überlebt hatte. Wenn nun doch nicht leicht wieder Einer wagte sich selber zu krönen, wie es Dante gewollt, so entstand die Frage, welches die krönende Behörde sei? Albertino Mussato (S. 144) wurde um 1310 zu Padua vom Bischof und vom Rector der Universität gekrönt; um Petrarca's Krönung (1341) stritten sich die Universität Paris, welche gerade einen Flo- rentiner zum Rector hatte, und die Stadtbehörde von Rom; ja sein selbstgewählter Examinator, König Robert von Anjou, hätte gerne die Ceremonie nach Neapel verlegt, Petrarca jedoch zog die Krönung durch den Senator von Rom auf dem Capitol jeder andern vor. Einige Zeit blieb diese in der That das Ziel des Ehrgeizes; als solches lockte sie z. B. den Jacobus Pizinga, einen vornehmen sicilischen Beamten Boccaccio's Brief an denselben, in den Opere volgari, vol. XVI: si præstet Deus, concedente senatu Romuleo … . Da erschien aber Carl IV. in Italien, der Anspruch der Kaiser darauf. sich ein wahres Vergnügen daraus machte, eiteln Menschen und der gedankenlosen Masse durch Ceremonien zu impo- niren. Ausgehend von der Fiction, daß die Poetenkrönung einst Sache der alten römischen Kaiser gewesen und also jetzt die seinige sei, bekränzte er in Pisa den florentinischen Gelehrten Zanobi della Strada Matt. Villani, V, 26. Es gab einen feierlichen Umritt durch die Stadt, wobei das Gefolge des Kaisers, seine Baroni, den Poeten begleiteten. — Auch Fazio degli Uberti wurde gekrönt, man weiß aber nicht wo und durch wen. , zum großen Verdruß 3. Abschnitt. Boccaccio's (a. a. O.) der diese laurea pisana nicht als vollgültig anerkennen will. Man konnte in der That fragen, wie der Halb-Slave dazu komme, über den Werth italie- nischer Dichter zu Gerichte zu sitzen. Allein fortan krönten doch reisende Kaiser bald hier bald dort einen Poeten, worauf im XV. Jahrhundert die Päpste und andere Fürsten auch nicht mehr zurückbleiben wollten, bis zuletzt auf Ort und Umstände gar nichts mehr ankam. In Rom ertheilte zur Zeit Sixtus IV. die Academie Jac. Volaterran. bei Murat. XXIII, Col. 185. des Pomponius Laetus von sich aus Lorbeerkränze. Die Florentiner hatten den Tact, ihre berühmten Humanisten zu krönen, aber erst im Tode; so wurde Carlo Aretino, so Lionardo Aretino be- kränzt; dem erstern hielt Matteo Palmieri, dem letztern Giannozzo Mannetti die Lobrede vor allem Volk, in Ge- genwart der Concilsherren; der Redner stand zu Häupten der Bahre, auf welcher im seidenen Gewande die Leiche lag Vespas. Fior. p. 575. 589. — Vita Jan. Manetti, bei Murat. XX, Col. 543. — Die Berühmtheit Lion. Aretino's war bei Lebzeiten freilich so groß gewesen, daß Leute aus allen Gegenden kamen nur um ihn zu sehen und daß sich ein Spanier vor ihm auf die Knie warf. Vespas. p. 568. — Für Guarino's Denkmal setzte der Magistrat von Ferrara 1461 die damals bedeutende Summe von 100 Ducaten aus. . Außerdem ist Carlo Aretino durch ein Grabmal (in S. Croce) geehrt worden, welches zu den herrlichsten der ganzen Renaissance gehört. Die Universi- täten. Die Einwirkung des Alterthumes auf die Bildung, wovon nunmehr zu handeln ist, setzte zunächst voraus, daß der Humanismus sich der Universitäten bemächtigte. Dieß geschah, doch nicht in dem Maaße und nicht mit der Wir- kung wie man glauben möchte. Die meisten Universitäten in Italien Vgl. Libri, Histoire des sciences mathém. II, p. 92. s. — Bologna war bekanntlich älter, Pisa dagegen eine späte Gründung tauchen im Lauf des XIII. und XIV. Jahrhunderts erst recht empor, als 3. Abschnitt. der wachsende Reichthum des Lebens auch eine strengere Sorge für die Bildung verlangte. Anfangs hatten sie meist nur drei Professuren: des geistlichen und weltlichen Rechtes und der Medicin; dazu kamen mit der Zeit ein Rhetoriker, ein Philosoph und ein Astronom, letzterer in der Regel, doch nicht immer identisch mit dem Astrologen. Die Besoldungen waren äußerst verschieden; bisweilen wurde sogar ein Capital geschenkt. Mit der Steigerung der Bil- dung trat Wetteifer ein, so daß die Anstalten einander be- rühmte Lehrer abspenstig zu machen suchten; unter solchen Umständen soll Bologna zu Zeiten die Hälfte seiner Staats- einnahme (20,000 Ducaten) auf die Universität gewandt haben. Die Anstellungen erfolgten in der Regel nur auf Zeit Dieß ist bei Aufzählungen zu beachten, wie z. B. bei dem Profes- sorenverzeichniß von Pavia um 1400, ( Corio, storia di Milano, fol. 290) wo u. a. 20 Juristen vorkommen. , selbst auf einzelne Semester, so daß die Docenten ein Wanderleben führten wie Schauspieler; doch gab es auch lebenslängliche Anstellungen. Bisweilen versprach man, das an einem Ort Gelehrte nirgend anderswo mehr vor- zutragen. Außerdem gab es auch unbesoldete, freiwillige Lehrer. Von den genannten Stellen war natürlich die des Stellung der Humanisten da selbst. Professors der Rhetorik vorzugsweise das Ziel des Huma- des Lorenzo magnifico, „ad solatium veteris amissæ libertatis“ gestiftet, wie Giovio, Vita Leonis X, L. I. sagt. — Die Univer- sität Florenz (vgl. Gaye, carteggio, I, p. 461 bis 560 passim; Matteo Villani I, 8; VII, 90) schon 1321 vorhanden mit Stu- dienzwang für die Landeskinder, wurde neu gestiftet nach dem schwarzen Tode 1348 und mit 2500 Goldgulden jährlich ausgestattet, schlief aber wieder ein und wurde 1357 abermals hergestellt. Der Lehr- stuhl für Erklärung des Dante, gestiftet auf Petition vieler Bürger 1373, war in der Folge meist mit der Professur der Philologie und Rhetorik verbunden, so noch bei Filelfo. 3. Abschnitt. nisten; doch hing es ganz davon ab, wie weit er sich den Sachinhalt des Alterthums angeeignet hatte, um auch als Jurist, Mediciner, Philosoph oder Astronom auftreten zu können. Die innern Verhältnisse der Wissenschaft wie die äußern des Docenten waren noch sehr beweglich. So- dann ist nicht zu übersehen, daß einzelne Juristen und Mediciner weit die höchsten Besoldungen hatten und behielten, erstere hauptsächlich als große Consulenten des sie besolden- den Staates für seine Ansprüche und Processe. In Padua gab es im XV. Jahrhundert eine juridische Besoldung von 1000 Ducaten jährlich Marin Sanudo, bei Murat. XXII, Col. 990. und einen berühmten Arzt wollte man mit 2000 Ducaten und dem Recht der Praxis an- stellen Fabroni, Laurent. magn. Adnot. 52, vom J. 1491. , nachdem derselbe bisher in Pisa 700 Goldgulden gehabt hatte. Als der Jurist Bartolommeo Socini, Pro- fessor in Pisa, eine venezianische Anstellung in Padua an- nahm und dorthin reisen wollte, verhaftete ihn die floren- tinische Regierung und wollte ihn nur gegen eine Caution von 18,000 Goldgulden freilassen Allegretto, Diarî sanesi, bei Murat. XXIII, Col. 824. . Schon wegen einer solchen Werthschätzung dieser Fächer wäre es begreiflich, daß bedeutende Philologen sich als Juristen und Mediciner geltend machten; andererseits mußte allmälig, wer in irgend einem Fache Etwas vorstellen wollte, eine starke huma- nistische Farbe annehmen. Anderweitiger practischer Thä- tigkeiten der Humanisten wird bald gedacht werden. Die Anstellungen der Philologen als solcher jedoch, wenn auch im einzelnen Fall mit ziemlich hohen Besoldun- gen Filelfo hat bei seiner Berufung an die neugegründete Universität Pisa 500 Goldgulden wenigstens verlangt. Vgl. Fabroni, Laurent. magn. Adnot. 41. und Nebenemolumenten verbunden, gehören im Ganzen zu den flüchtigen, vorübergehenden, so daß ein und derselbe Mann an einer ganzen Reihe von Anstalten thätig sein 3. Abschnitt. konnte. Offenbar liebte man die Abwechselung und hoffte von Jedem Neues, wie dieß bei einer im Werden begrif- fenen, also sehr von Persönlichkeiten abhängigen Wissenschaft sich leicht erklärt. Es ist auch nicht immer gesagt, daß derjenige welcher über alte Autoren liest, wirklich der Universität der betreffenden Stadt angehört habe; bei der Leichtigkeit des Kommens und Gehens, bei der großen Anzahl verfügbarer Locale (in Klöstern, u. s. w.) genügte auch eine Privatberufung. In denselben ersten Jahrzehnden Nebenanstalten. des XV. Jahrhunderts Vgl. Vespasian. Fior. p. 271. 572. 580. 625. — Vita Jan. Manetti, bei Murat. XX, Col. 531, s. , da die Universität von Florenz ihren höchsten Glanz erreichte, da die Hofleute Eugen's IV. und vielleicht schon Martin's V. sich in den Hörsälen drängten, da Carlo Aretino und Filelfo mit einander in die Wette lasen, existirte nicht nur eine fast vollständige zweite Universität bei den Augustinern in S. Spirito, nicht nur ein ganzer Verein gelehrter Männer bei den Camal- dulensern in den Angeli, sondern auch angesehene Privat- leute thaten sich zusammen oder bemühten sich einzeln, um gewisse philologische oder philosophische Curse lesen zu lassen für sich und Andere. Das philologische und antiquarische Treiben in Rom hatte mit der Universität (Sapienza) lange kaum irgend einen Zusammenhang und ruhte wohl fast ausschließlich theils auf besonderer persönlicher Protection der einzelnen Päpste und Prälaten, theils auf den Anstel- lungen in der päpstlichen Kanzlei. Erst unter Leo X. er- folgte die große Reorganisation der Sapienza, mit 88 Lehrern, worunter die größten Celebritäten Italiens auch für die Alterthumswissenschaft; der neue Glanz dauerte aber nur kurze Zeit. — Von den griechischen Lehrstühlen in Italien ist bereits (S. 194) in Kürze die Rede gewesen. Im Ganzen wird man, um die damalige wissenschaft- 3. Abschnitt. liche Mittheilung sich zu vergegenwärtigen, das Auge von unsern jetzigen academischen Einrichtungen möglichst ent- wöhnen müssen. Persönlicher Umgang, Disputationen, be- ständiger Gebrauch des Lateinischen und bei nicht wenigen auch des Griechischen, endlich der häufige Wechsel der Lehrer und die Seltenheit der Bücher gaben den damaligen Studien eine Gestalt, die wir uns nur mit Mühe verge- genwärtigen können. Lateinische Schulen. Lateinische Schulen gab es in allen irgend namhaften Städten und zwar bei Weitem nicht bloß für die Vorbildung zu den höhern Studien, sondern weil die Kenntniß des Lateinischen hier nothwendig gleich nach dem Lesen, Schrei- ben und Rechnen kam, worauf dann die Logik folgte. We- sentlich erscheint es, daß diese Schulen nicht von der Kirche abhingen sondern von der städtischen Verwaltung; mehrere waren auch wohl bloße Privatunternehmungen. Nun erhob sich aber dieses Schulwesen, unter der Führung einzelner ausgezeichneter Humanisten, nicht nur zu einer großen rationellen Vervollkommnung, sondern es wurde höhere Erziehung. An die Ausbildung der Kinder zweier oberitalienischer Fürstenhäuser schließen sich Institute an, welche in ihrer Art einzig heißen konnten. Freie Erzie- hung; Vitto- rino. An dem Hofe des Giovan Francesco Gonzaga zu Mantua (reg. 1407 bis 1444) trat der herrliche Vitto- rino da Feltre Vespas. Fior. p. 640. — Die besondern Biographien des Vittorino und des Guarino von Rosmini kenne ich nicht. auf, einer jener Menschen, die ihr ganzes Dasein Einem Zwecke widmen, für welchen sie durch Kraft und Einsicht im höchsten Grade ausgerüstet sind. Er erzog zunächst die Söhne und Töchter des Herrscherhauses, und zwar auch von den letztern Eine bis zu wahrer Gelehr- samkeit; als aber sein Ruhm sich weit über Italien ver- breitete und sich Schüler aus großen und reichen Familien von nahe und ferne meldeten, ließ es der Gonzaga nicht nur geschehen, daß sein Lehrer auch diese erzog, sondern er 3. Abschnitt. scheint es als Ehre für Mantua betrachtet zu haben, daß es die Erziehungsstätte für die vornehme Welt sei. Hier zum erstenmal war mit dem wissenschaftlichen Unterricht auch das Turnen und jede edlere Leibesübung für eine ganze Schule ins Gleichgewicht gesetzt. Dazu aber kam noch eine andere Schaar, in deren Ausbildung Vittorino vielleicht sein höchstes Lebensziel erkannte: die Armen und Talentvollen, die er in seinem Hause nährte und erzog „ per l'amore di Dio “, neben jenen Vornehmen, die sich hier gewöhnen mußten mit dem bloßen Talent unter einem Dache zu wohnen. Der Gonzaga hatte ihm eigentlich 300 Goldgulden jährlich zu bezahlen, deckte ihm aber den ganzen Ausfall, welcher oft eben soviel betrug. Er wußte, daß Vittorino keinen Heller für sich bei Seite legte und ahnte ohne Zweifel, daß die Miterziehung der Unbemittel- ten die stillschweigende Bedingung sei, unter welcher der wunderbare Mann ihm diente. Die Haltung des Hauses war streng religiös, wie kaum in einem Kloster. Mehr auf der Gelehrsamkeit liegt der Accent bei Guarino. Guarino von Verona Vespas. Fior. p. 646. , der 1429 von Nicolò d'Este zur Erziehung seines Sohnes Lionello nach Ferrara be- berufen wurde und seit 1436, als sein Zögling nahezu er- wachsen war, auch als Professor der Beredsamkeit und der beiden alten Sprachen an der Universität lehrte. Schon neben Lionello hatte er zahlreiche andere Schüler aus ver- schiedenen Gegenden, und im eigenen Hause eine auserlesene Zahl von Armen, die er theilweise oder ganz unterhielt; seine Abendstunden bis spät waren der Repetition mit diesen gewidmet. Auch hier war eine Stätte strenger Religion und Sittlichkeit; es hat an Guarino so wenig wie an Vittorino gelegen, wenn die meisten Humanisten ihres Jahrhunderts in diesen Beziehungen kein Lob mehr davon- Cultur der Renaissance. 14 3. Abschnitt. trugen. Unbegreiflich ist, wie Guarino neben einer Thätig- keit wie die seinige war, noch immerfort Uebersetzungen aus dem Griechischen und große eigene Arbeiten verfassen konnte. Prinzen- erzieher. Außerdem kam an den meisten Höfen von Italien die Erziehung der Fürstenkinder wenigstens zum Theil und auf gewisse Jahre in die Hände der Humanisten, welche damit einen Schritt weiter in das Hofleben hinein thaten. Das Tractatschreiben über die Prinzenerziehung, früher eine Auf- gabe der Theologen, wird jetzt natürlich ebenfalls ihre Sache, und Aeneas Sylvius hat z. B. zweien jungen deutschen Fürsten vom Hause Habsburg An Erzherzog Sigismund, Epist. 105, p. 600, und an König La- dislaus den Nachgeborenen, p. 695, letzteres als Tractatus de liberorum educatione. umständliche Ab- handlungen über ihre weitere Ausbildung adressirt, worin begreiflicher Weise Beiden eine Pflege des Humanismus in italienischem Sinne an's Herz gelegt wird. Er mochte wissen, daß er in den Wind redete, und sorgte deßhalb dafür, daß diese Schriften auch sonst herum kamen. Doch das Verhältniß der Humanisten zu den Fürsten wird noch insbesondere zu besprechen sein. Florentinische Förderer des Alterthums. Zunächst verdienen diejenigen Bürger, hauptsächlich in Florenz, Beachtung, welche aus der Beschäftigung mit dem Alterthum ein Hauptziel ihres Lebens machten und theils selbst große Gelehrte wurden, theils große Dilettanten, welche die Gelehrten unterstützten. (Vgl. S. 188, f.). Sie sind namentlich für die Uebergangszeit zu Anfang des XV. Jahrhunderts von höchster Bedeutung gewesen, weil bei ihnen zuerst der Humanismus practisch als nothwendiges Element des täglichen Lebens wirkte. Erst nach ihnen haben sich Fürsten und Päpste ernstlich darauf eingelassen. N. Niccoli. Von Niccolò Niccoli, von Giannozzo Mannetti ist schon mehrmals die Rede gewesen. Den Niccoli schildert uns Vespasiano (S. 625) als einen Mann, welcher auch in 3. Abschnitt. seiner äußern Umgebung nichts duldete was die antike Stimmung stören konnte. Die schöne Gestalt in langem Gewande, mit der freundlichen Rede, in dem Hause voll herrlicher Alterthümer, machte den eigenthümlichsten Ein- druck; er war über die Maßen reinlich in allen Dingen, zumal beim Essen; da standen vor ihm auf dem weißesten Linnen antike Gefäße und krystallene Becher Die folgenden Worte Vespasiano's sind unübersetzbar: a vederlo in tavola così antico come era, era una gentilezza . . Die Art, wie er einen vergnügungssüchtigen jungen Florentiner für seine Interessen gewinnt Ebenda, p. 485 . , ist gar zu anmuthig, um sie hier nicht zu erzählen. Piero de' Pazzi, Sohn eines vornehmen Kaufmanns und zu demselben Stande bestimmt, schön von Ansehen und sehr den Freuden der Welt ergeben, dachte an nichts we- niger als an die Wissenschaft. Eines Tages, als er am Palazzo del Podesta Laut Vespas. p. 271 war hier ein gelehrtes Stelldichein, wo auch disputirt wurde. vorbeiging, rief ihn Niccoli zu sich heran, und er kam auf den Wink des hochangesehenen Mannes, obwohl er noch nie mit demselben gesprochen hatte. Niccoli fragte ihn: wer sein Vater sei? — er antwortete: Messer Andrea de' Pazzi; — Jener fragte weiter: was sein Geschäft sei? — Piero erwiederte wie wohl junge Leute thun: ich lasse mir es wohl sein, attendo a darmi buon tempo . — Niccoli sagte: als Sohn eines solchen Vaters und mit solcher Gestalt begabt, solltest du dich schämen, die lateinische Wissenschaft nicht zu kennen, die für dich eine so große Zierde wäre; wenn du sie nicht erlernst, so wirst du nichts gelten, und sobald die Blüthe der Jugend vorüber ist, ein Mensch ohne alle Bedeutung ( virtù ) sein. Als Piero dieses hörte, erkannte er sogleich, 14* 3. Abschnitt. daß es die Wahrheit sei, und entgegnete: er würde sich gerne dafür bemühen, wenn er einen Lehrer fände; — Niccoli sagte: dafür lasse du mich sorgen. Und in der That schaffte er ihm einen gelehrten Mann für das Latei- nische und für das Griechische, Namens Pontano, welchen Piero wie einen Hausgenossen hielt und mit 100 Gold- gulden im Jahr besoldete. Statt der bisherigen Ueppigkeit studirte er nun Tag und Nacht und wurde ein Freund aller Gebildeten und ein großgesinnter Staatsmann. Die ganze Aeneide und viele Reden des Livius lernte er aus- wendig, meist auf dem Wege zwischen Florenz und seinem Landhause zu Trebbio. G. Mannetti. In anderm, höherm Sinne vertritt Giannozzo Man- netti S. dessen Vita bei Murat. XX. Col. 532, s. das Alterthum. Frühreif, fast als Kind, hatte er schon eine Kaufmannslehrzeit durchgemacht und war Buch- führer eines Bankiers; nach einiger Zeit aber erschien ihm dieses Thun eitel und vergänglich, und er sehnte sich nach der Wissenschaft, durch welche allein der Mensch sich der Unsterblichkeit versichern könne; er zuerst vom florentinischen Adel vergrub sich nun in den Büchern und wurde, wie schon erwähnt, einer der größten Gelehrten seiner Zeit. Als ihn aber der Staat als Geschäftsträger, Steuerbeamten und Statthalter (in Pescia und Pistoja) verwandte, ver- sah er seine Aemter so, als wäre in ihm ein hohes Ideal erwacht, das gemeinsame Resultat seiner humanistischen Studien und seiner Religiosität. Er exequirte die gehässig- sten Steuern, die der Staat beschlossen hatte, und nahm für seine Mühe keine Besoldung an; als Provinzialvorsteher wies er alle Geschenke zurück, sorgte für Kornzufuhr, schlichtete rastlos Processe und that überhaupt Alles für die Bändigung der Leidenschaften durch Güte. Die Pistojesen haben nie herausfinden können, welcher von ihren beiden Parteien er sich mehr zuneige; wie zum Symbol des ge- meinsamen Schicksals und Rechtes Aller verfaßte er in 3. Abschnitt. seinen Mußestunden die Geschichte der Stadt, welche dann in Purpureinband als Heiligthum im Stadtpalast aufbe- wahrt wurde. Bei seinem Weggang schenkte ihm die Stadt ein Banner mit ihrem Wappen und einen prachtvollen silbernen Helm. Für die übrigen gelehrten Bürger von Florenz in dieser Vespasiano von Florenz. Zeit muß schon deßhalb auf Vespasiano (der sie alle kannte) verwiesen werden, weil der Ton, die Atmosphäre, in wel- cher er schreibt, die Voraussetzungen, unter welchen er mit jenen Leuten umgeht, noch wichtiger erscheinen als die ein- zelnen Leistungen selbst. Schon in einer Uebersetzung, ge- schweige denn in den kurzen Andeutungen, auf welche wir hier beschränkt sind, müßte dieser beste Werth seines Buches verloren gehen. Er ist kein großer Autor, aber er kennt das ganze Treiben und hat ein tiefes Gefühl von dessen geistiger Bedeutung. Wenn man dann den Zauber zu analysiren sucht, Die Medici. durch welchen die Medici des XV. Jahrhunderts, vor allen Cosimo der Aeltere (st. 1464) und Lorenzo magnifico (st. 1492) auf Florenz und auf ihre Zeitgenossen überhaupt gewirkt haben, so ist neben aller Politik ihre Führerschaft auf dem Gebiete der damaligen Bildung das Stärkste dabei. Wer in Cosimo's Stellung als Kaufmann und locales Parteihaupt noch außerdem Alles für sich hat , was denkt, forscht und schreibt, wer von Hause aus als der erste der Florentiner und dazu von Bildungswegen als der größte der Italiener gilt, der ist thatsächlich ein Fürst. Cosimo besitzt dann den speciellen Ruhm, in der platoni- schen Philosophie Was man von derselben vorher kannte, kann nur fragmentarisch ge- wesen sein. Eine wunderliche Disputation über den Gegensatz des Plato und Aristoteles fand 1438 zu Ferrara zwischen Hugo von Siena und den auf das Concil gekommenen Griechen statt. Vgl. Aeneas Sylvius, De Europa, Cap. 52. (Opera, p. 450.) die schönste Blüthe der antiken Gedan- 3. Abschnitt. kenwelt erkannt, seine Umgebung mit dieser Erkenntniß erfüllt, und so innerhalb des Humanismus eine zweite und höhere Neugeburt des Alterthums ans Licht gefördert zu haben. Der Hergang wird uns sehr genau überliefert Bei Nic. Valori, im Leben des Lorenzo magn. — Vgl. Vespas. Fior. p. 426 . Die ersten Unterstützer des Arg. waren die Accia- juoli. Ib. 192 : Cardinal Bessarion und seine Parallele zwischen Plato und Aristoteles. Ib. 223 : Cusanus als Platoniker Ib. 308 : Der Catalonier Narciso und seine Disputation mit Argyropulos. Ib. 571 : Einzelne platon. Dialoge schon von Lionardo Aret. über- setzt. Ib. 298 : Die beginnende Einwirkung des Neoplatonismus. ; alles knüpfte sich an die Berufung des gelehrten Johannes Argyropulos und an den persönlichsten Eifer des Cosimo in seinen letzten Jahren, so daß, was den Platonismus betraf, der große Marsilio Ficino sich als den geistigen Sohn Cosimo's bezeichnen durfte. Unter Pietro Medici sah sich Ficino schon als Haupt einer Schule; zu ihm ging Lorenzo magni- fico. auch Pietro's Sohn, Cosimo's Enkel, der erlauchte Lorenzo von den Peripatetikern über; als seine namhaftesten Mit- schüler werden genannt Bartolommeo Valori, Donato Accia- juoli und Pierfilippo Pandolfini. Der begeisterte Lehrer hat an mehrern Stellen seiner Schriften erklärt, Lorenzo habe alle Tiefen des Platonismus durchforscht und seine Ueberzeugung ausgesprochen, ohne denselben wäre es schwer, ein guter Bürger und Christ zu sein. Die berühmte Reunion von Gelehrten, welche sich um Lorenzo sammelte, war durch diesen höhern Zug einer idealistischen Philosophie verbunden und vor allen andern Vereinigungen dieser Art ausgezeichnet. Nur in dieser Umgebung konnte ein Pico della Mirandola sich glücklich fühlen. Das Schönste aber, was sich sagen läßt, ist daß neben all diesem Cultus des Alterthums hier eine geweihte Stätte italienischer Poesie war und daß von allen Lichtstrahlen, in die Lorenzo's Persönlichkeit ausein- anderging, gerade dieser der mächtigste heißen darf. Als Staatsmann beurtheile ihn Jeder wie er mag (S. 83, 92); in die florentinische Abrechnung von Schuld und Schicksal 3. Abschnitt. mischt sich ein Ausländer nicht wenn er nicht muß; aber eine ungerechtere Polemik giebt es nicht als wenn man Lorenzo beschuldigt, er habe im Gebiet des Geistes vorzüg- lich Mediocritäten beschützt und durch seine Schuld seien Lionardo da Vinci und der Mathematiker Fra Luca Pac- ciolo außer Landes, Toscanella, Vespucci u. A. wenigstens unbefördert geblieben. Allseitig ist er wohl nicht gewesen, aber von allen Großen, welche je den Geist zu schützen und zu fördern suchten, einer der vielseitigsten, und derjenige bei welchem dieß vielleicht am meisten Folge eines tiefern innern Bedürfnisses war. Laut genug pflegt auch unser laufendes Jahrhundert Das Alterthum als Lebens- interesse. den Werth der Bildung überhaupt und den des Alterthums insbesondere zu proclamiren. Aber eine vollkommen enthu- siastische Hingebung, ein Anerkennen, daß dieses Bedürfniß das erste von allen sei, findet sich doch nirgends wie bei jenen Florentinern des XV. und beginnenden XVI. Jahr- hunderts. Hiefür giebt es indirecte Beweise, die jeden Zweifel beseitigen: man hätte nicht so oft die Töchter des Hauses an den Studien Theil nehmen lassen, wenn letztere nicht absolut als das edelste Gut des Erdenlebens gegolten hätten; man hätte nicht das Exil zu einem Aufenthalt des Glückes gemacht wie Palla Strozzi; es hätten nicht Men- schen, die sich sonst Alles erlaubten, noch Kraft und Lust behalten die Naturgeschichte des Plinius kritisch zu behan- deln wie Filippo Strozzi Varchi, stor. fiorent. L. IV. p. 321 . Ein geistvolles Lebensbild. . Es handelt sich hier nicht um Lob oder Tadel, sondern um Erkenntniß eines Zeitgeistes in seiner energischen Eigenthümlichkeit. Außer Florenz gab es noch manche Städte in Italien, wo Einzelne und ganze gesellschaftliche Kreise bisweilen mit Aufwand aller Mittel für den Humanismus thätig waren und die anwesenden Gelehrten unterstützten. Aus den Brief- 3. Abschnitt. sammlungen jener Zeit kommt uns eine Fülle von persön- lichen Beziehungen dieser Art entgegen Die oben genannten Biographien Rosmini's (über Vittorino und Guarino) sowie Shepherd, Leben des Poggio, müssen Vieles hierüber enthalten. . Die officielle Gesinnung der höher Gebildeten trieb fast ausschließlich nach der bezeichneten Seite hin. An den Für- stenhöfen. Doch es ist Zeit, den Humanismus an den Fürsten- höfen ins Auge zu fassen. Die innere Affinität des Ge- waltherrschers mit dem ebenfalls auf seine Persönlichkeit, auf sein Talent angewiesenen Philologen wurde schon früher (S. 6, 139) angedeutet; der letztere aber zog die Höfe einge- standener Maßen den freien Städten vor, schon um der reichlichern Belohnungen willen. Zu der Zeit, da es schien als könne der große Alfons von Aragon Herr von ganz Italien werden, schrieb Aeneas Sylvius Epist. 39; Opera, p. 526, an Mariano Socino. an einen andern Sienesen: „wenn unter seiner Herrschaft Italien den Frie- „den bekäme so wäre mir das lieber als (wenn es) unter „Stadtregierungen (geschähe), denn ein edles Königsgemüth „belohnt jede Trefflichkeit“ Es darf nicht irre machen, daß daneben eine fortlaufende Reihe von Klagen über die Geringfügigkeit des fürstlichen Mäcenates und über die Gleichgültigkeit mancher Fürsten gegen den Ruhm sich laut macht. So z. B. bei Bapt. Mantuan. Eclog V, noch aus dem XV. Jahrh. — Es war nicht möglich Allen genug zu thun. . Auch hier hat man in neuester Zeit die unwürdige Seite, das erkaufte Schmeicheln, zu sehr hervorgehoben, wie man sich früher von dem Humanistenlob allzugünstig für jene Fürsten stimmen ließ. Alles in Allem genommen bleibt es immer ein überwiegend vortheilhaftes Zeugniß für letztere, daß sie an der Spitze der Bildung ihrer Zeit und ihres Landes — wie einseitig dieselbe sein Bei den Päp- sten. mochte — glaubten stehen zu müssen. Vollends bei einigen Päpsten Für das wissenschaftliche Mäcenat der Päpste bis gegen Ende des hat die Furchtlosigkeit gegenüber den Consequenzen der damaligen Bildung etwas unwillkürlich Imposantes. 3. Abschnitt. Nicolaus V. war beruhigt über das Schicksal der Kirche, weil Tausende gelehrter Männer ihr hülfreich zur Seite ständen. Bei Pius II. sind die Opfer für die Wissenschaft lange nicht so großartig, sein Poetenhof erscheint sehr mäßig, allein er selbst ist noch weit mehr das persönliche Haupt der Gelehrtenrepublik als sein zweiter Vorgänger und ge- nießt dieses Ruhmes in vollster Sicherheit. Erst Paul II. war mit Furcht und Mißtrauen gegen den Humanismus seiner Secretäre erfüllt, und seine drei Nachfolger Sixtus, Innocenz und Alexander nahmen wohl Dedicationen an und ließen sich andichten so viel man wollte — es gab so- gar eine Borgiade, wahrscheinlich in Hexametern Lil. Gregor. Gyraldus, de poetis nostri temporis, bei Anlaß des Sphaerulus von Camerino. Der gute Mann wurde damit nicht zu rechter Zeit fertig und hatte seine Arbeit noch 40 Jahre später im Pult. — Ueber die magern Honorare des Sixtus IV. vgl. Pierio Valer. de infelic. lit. bei Anlaß des Theodorus Gaza. — Das absichtliche Fernhalten der Humanisten vom Cardinalat bei den Päpsten vor Leo, vgl. Lor. Grana's Leichenrede auf Card. Egidio, Anecd. litt. IV, p. 307 . —, waren aber zu sehr anderweitig beschäftigt und auf andere Stützpunkte ihrer Gewalt bedacht um sich viel mit den Poeten-Philologen einzulassen. Julius II. fand Dichter, weil er selber ein bedeutender Gegenstand war (S. 121), scheint sich übrigens nicht viel um sie gekümmert zu haben. Da folgte auf ihn Leo X. „wie auf Romulus Numa“, Bei Leo X. d. h. nach dem Waffenlärm des vorigen Pontificates hoffte man auf ein ganz den Musen geweihtes. Der Genuß schöner lateinischer Prosa und wohllautender Verse gehörte mit zu Leo's Lebensprogramm und soviel hat sein Mäcenat allerdings in dieser Beziehung erreicht, daß seine lateinischen XV. Jahrh. muß hier der Kürze wegen auf den Schluß von Papencordt's „Geschichte der Stadt Rom im M. A.“ verwiesen werden. 3. Abschnitt. Poeten in zahllosen Elegien, Oden, Epigrammen, Sermo- nen jenen fröhlichen, glänzenden Geist der leonischen Zeit, welchen die Biographie des Jovius athmet, auf bildliche Weise darstellten Das Beste in den Deliciæ poetarum italorum und in den Bei- lagen zu den verschiedenen Ausgaben von Roscoe, Leo X. . Vielleicht ist in der ganzen abend- ländischen Geschichte kein Fürst, welchen man im Verhältniß zu den wenigen darstellbaren Ereignissen seines Lebens so vielseitig verherrlicht hätte. Zugang zu ihm hatten die Dichter hauptsächlich um Mittag, wann die Saitenvirtuosen aufgehört hatten Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Guido Posthumus. ; aber einer der Besten aus der ganzen Schaar Pierio Valeriano in seiner „Simia“ . giebt zu verstehen, daß sie ihm auch sonst auf Schritt und Tritt in den Gärten wie in den innersten Ge- mächern des Palastes beizukommen suchten, und wer ihn da nicht erreichte versuchte es mit einem Bettelbrief in Form einer Elegie, worin der ganze Olymp vorkam S. die Elegie des Joh. Aurelius Mutius, in den Deliciæ poet. ital. . Denn Leo, der kein Geld beisammen sehen konnte und lauter heitere Mienen zu erblicken wünschte, schenkte auf eine Weise, deren Andenken sich in den folgenden knappen Zeiten rasch zum Mythus verklärte Die bekannte Geschichte von der purpursammtnen Börse mit Gold- päckchen verschiedener Größe, in welche Leo blindlings hineingreift, bei Giraldi, Hecatommithi VI, Nov. 8 . Dafür wurden Leo's lateinische Tafelimprovisatoren, wenn sie gar zu hinkende Verse mach- ten, mit Peitschen geschlagen. Lil. Greg. Gyraldus, de poetis nostri temp. . Von seiner Reorganisation der Sapienza ist bereits (S. 207) die Rede gewesen. Um Leo's wahre Bedeutung. Leo's Einfluß auf den Humanismus nicht zu gering zu taxiren, muß man den Blick frei halten von den vielen Spielereien, die dabei mit unterliefen; man darf sich nicht irre machen lassen durch die bedenklich scheinende Ironie (S. 158), womit er selbst diese Dinge bisweilen behandelt; das Urtheil muß ausgehen von den großen geistigen Möglichkeiten, 3. Abschnitt. welche in den Bereich der „Anregung“ fallen und schlechter- dings nicht im Ganzen zu berechnen, wohl aber für die genauere Forschung in manchen einzelnen Fällen thatsächlich nachzuweisen sind. Was die italienischen Humanisten seit etwa 1520 auf Europa gewirkt haben, ist immer irgend- wie von dem Antriebe bedingt, der von Leo ausging. Er ist derjenige Papst, welcher im Druckprivilegium für den neugewonnenen Tacitus Roscoe, Leone X, ed. Bossi IV, 181. sagen durfte: Die großen Autoren seien eine Norm des Lebens, ein Trost im Unglück; die Beförderung der Gelehrten und der Erwerb trefflicher Bücher habe ihm von jeher als ein höchstes Ziel gegolten, und auch jetzt danke er dem Himmel, den Nutzen des Menschenge- schlechtes durch Begünstigung dieses Buches befördern zu können. Wie die Verwüstung Roms 1527 die Künstler zer- streute, so trieb sie auch die Literaten nach allen Winden auseinander und breitete den Ruhm des großen verstor- benen Beschützers erst recht bis in die äußersten Enden Italiens aus. Von den weltlichen Fürsten des XV. Jahrhunderts Das Alterthum bei Alfons von Aragon. zeigt den höchsten Enthusiasmus für das Alterthum Alfons der Große von Aragon, König von Neapel (S. 34). Es scheint, daß er dabei völlig naiv war, daß die antike Welt in Denkmälern und Schriften ihm seit seiner Ankunft in Italien einen großen, überwältigenden Eindruck machte, welchem er nun nachleben mußte. Wunderbar leicht gab er sein trotziges Aragon sammt Nebenlanden an seinen Bruder auf, um sich ganz dem neuen Besitz zu widmen. Er hatte theils nach, theils neben einander in seinen Dien- sten Vespas. Fior. p. 68, s. Die Uebersetzungen aus dem Griechischen die A. machen ließ, p. 93. — Vita Jan. Manetti, bei Murat. XX, Col. 541, s. 550, s. 595. — Panormita: Dicta et Facta Al- phonsi, sammt den Glossen des Aeneas Sylvius. den Georg von Trapezunt, den jüngern Chrysoloras, 3. Abschnitt. den Lorenza Valla, den Bartolommeo Facio und den An- tonio Panormita, welche seine Geschichtschreiber wurden; der letztere mußte ihm und seinem Hofe täglich den Livius erklären, auch während der Feldzüge im Lager. Diese Leute kosteten ihn jährlich über 20,000 Goldgulden; dem Facio schenkte er für die Historia Alphonsi über die 500 Ducaten Jahresbesoldung am Schluß der Arbeit noch 1500 Gold- gulden obendrein, mit den Worten: „es geschieht nicht um „Euch zu bezahlen, denn Euer Werk ist überhaupt nicht „zu bezahlen, auch nicht, wenn ich Euch eine meiner besten „Städte gäbe; aber mit der Zeit will ich suchen Euch zu- „frieden zu stellen“. Als er den Giannozzo Mannetti unter den glänzendsten Bedingungen zu seinem Secretär nahm, sagte er: „mein letztes Brod würde ich mit Euch theilen“. Schon als Gratulationsgesandter von Florenz bei der Hoch- zeit des Prinzen Ferrante hatte Giannozzo einen solchen Eindruck auf den König gemacht, daß dieser „wie ein Erz- bild“ regungslos auf dem Throne saß und nicht einmal die Mücken abwehrte. Seine Lieblingsstätte scheint die Bibliothek des Schlosses von Neapel gewesen zu sein, wo er an einem Fenster mit besonders schöner Aussicht gegen das Meer saß und den Weisen zuhörte, wenn sie z. B. über die Trinität discutirten. Denn er war auch völlig religiös und ließ sich außer Livius und Seneca auch die Bibel vortragen, die er beinah auswendig wußte. Wer Sein Cultus der Erinnerungen. will die Empfindung genau errathen, die er den vermeint- lichen Gebeinen des Livius zu Padua (S. 147) widmete? Als er auf große Bitten von den Venezianern einen Arm- knochen davon erhielt und ehrfurchtsvoll zu Neapel in Empfang nahm, mag in seinem Gemüthe Christliches und Heidnisches sonderbar durch einander gegangen sein. Auf einem Feldzug in den Abruzzen zeigte man ihm das ferne Sulmona, die Heimath des Ovid, und er grüßte die Stadt und dankte dem Genius des Ortes; offenbar that es ihm wohl, die Weissagung des großen Dichters über seinen künftigen Ruhm Ovid. Amores III, 15, vs. 11. — Jovian. Pontan., de principe . wahr machen zu können. Einmal gefiel 3. Abschnitt. es ihm auch, selber in antiker Weise aufzutreten, nämlich bei seinem berühmten Einzug in das definitiv eroberte Neapel (1443); unweit vom Mercato wurde eine 40 Ellen weite Bresche in die Mauer gelegt; durch diese fuhr er auf einem goldenen Wagen wie ein römischer Triumphator Giorn. napolet . bei Murat. XXI, Col. 1127 . . Auch die Erinnerung hievon ist durch einen herrlichen mar- mornen Triumphbogen im Castello nuovo verewigt. — Seine neapolitanische Dynastie (S. 35) hat von diesem antiken Enthusiasmus wie von all seinen guten Eigenschaften wenig oder nichts geerbt. Ungleich gelehrter als Alfonso war Federigo von Ur- Federigo von Urbino. bino Vespas. Fior. p. 3. 119, s. — Volle aver piena notizia d'ogni cosa, così sacra come gentile . — Vgl. oben S. 45. , der weniger Leute um sich hatte, gar nichts ver- schwendete und wie in allen Dingen so auch in der An- eignung des Alterthums planvoll verfuhr. Für ihn und für Nicolaus V. sind die meisten Uebersetzungen aus dem Griechischen und eine Anzahl der bedeutendsten Commentare, Bearbeitungen u. dgl. verfaßt worden. Er gab viel aus, aber zweckmäßig, an die Leute, die er brauchte. Von einem Poetenhof war in Urbino keine Rede; der Herr selber war der Gelehrteste. Das Alterthum war allerdings nur ein Theil seiner Bildung; als vollkommener Fürst, Feldherr und Mensch bemeisterte er einen großen Theil der damaligen Wissenschaft überhaupt und zwar zu practischen Zwecken, um der Sachen willen. Als Theologe z. B. verglich er Thomas und Scotus und kannte auch die alten Kirchen- väter des Orients und Occidents, erstere in lateinischen Uebersetzungen. In der Philosophie scheint er den Plato gänzlich seinem Zeitgenossen Cosimo überlassen zu haben; von Aristoteles aber kannte er nicht nur Ethik und Politik 3. Abschnitt. genau, sondern auch die Physik und mehrere andere Schriften. In seiner sonstigen Lectüre wogen die sämmtlichen antiken Historiker, die er besaß, beträchtlich vor; diese und nicht die Poeten „las er immer wieder und ließ sie sich vorlesen“. Die Sforza. Die Sforza Beim letzten Visconti streiten sich noch Livius und die französischen Ritterromane nebst Dante und Petrarca um die Theilnahme des Fürsten. Die Humanisten, welche sich bei ihm meldeten und ihn „berühmt machen“ wollten, pflegte er nach wenigen Tagen wieder wegzuschicken. Vgl. Decembrio, bei Murat. XX, Col. 1014. sind ebenfalls alle mehr oder weniger gelehrt und erweisen sich als Mäcenaten (S. 27,39), wovon gelegentlich die Rede gewesen ist. Herzog Francesco mochte bei der Erziehung seiner Kinder die humanistische Bildung als eine Sache betrachten, die sich schon aus politischen Gründen von selbst verstehe; man scheint es durchgängig als Vortheil empfunden zu haben, wenn der Fürst mit den Gebildetsten auf gleichem Fuße verkehren konnte. Lodovico Moro, selber ein trefflicher Latinist, zeigt dann eine Theil- nahme an allem Geistigen, die schon weit über das Alter- thum hinausgeht (S. 42). Auch die kleinern Herrscher suchten sich ähnlicher Vor- züge zu bemächtigen und man thut ihnen wohl Unrecht, wenn man glaubt, sie hätten ihre Hofliteraten nur genährt um von denselben gerühmt zu werden. Ein Fürst wie Die Este. Borso von Ferrara (S. 49) macht bei aller Eitelkeit doch gar nicht mehr den Effect als erwartete er die Unsterblich- keit von den Dichtern, so eifrig ihm dieselben mit einer „Borseïs“ u. dgl. aufwarteten; dazu ist sein Herrschergefühl bei Weitem zu sehr entwickelt; allein der Umgang mit Ge- lehrten, das Interesse für das Alterthum, das Bedürfniß nach eleganter lateinischer Epistolographie waren von dem damaligen Fürstenthum unzertrennlich. Wie sehr hat es noch der practisch hochgebildete Herzog Alfonso (S. 49) beklagt, daß ihn die Kränklichkeit in der Jugend einseitig auf Erholung durch Handarbeit hingewiesen! Paul. Jov. Vita Alfonsi ducis . Oder hat 3. Abschnitt. er sich mit dieser Ausrede doch eher nur die Literaten vom Leibe gehalten? In eine Seele wie die seinige schauten schon die Zeitgenossen nicht recht hinein. Selbst die kleinsten romagnolischen Tyrannen können nicht leicht ohne einen oder mehrere Hofhumanisten aus- kommen; der Hauslehrer und Secretär sind dann öfter Eine Person, welche zeitweise sogar das Factotum des Hofes wird Ueber Collenuccio am Hofe des Giovanni Sforza von Pesaro, (Sohn des Alessandro, S. 27), der ihn zuletzt mit dem Tode lohnte, s. S. 139. — Beim letzten Ordelaffo zu Forli versah Codrus Ur- ceus die Stelle. — Unter den gebildeten Tyrannen ist auch der 1488 von seiner Gattin ermordete Galeotto Manfreddi von Faenza zu nennen; ebenso einzelne Bentivoglî von Bologna. . Man ist mit der Verachtung dieser kleinen Verhältnisse insgemein etwas zu rasch bei der Hand, indem man vergißt, daß die höchsten Dinge des Geistes gerade nicht an den Maßstab gebunden sind. Ein sonderbares Treiben muß jedenfalls an dem Hofe Sigismondo Malatesta. zu Rimini unter dem frechen Heiden und Condottiere Si- gismondo Malatesta geherrscht haben. Er hatte eine Anzahl von Philologen um sich und stattete einzelne derselben reich- lich, z. B. mit einem Landgut aus, während andere als Offiziere wenigstens ihren Lebensunterhalt hatten Anecdota literar. II, p. 305, s. 405. Basinius von Parma spottet über Porcellio und Tommaso Seneca: sie als hungrige Pa- rasiten müßten in ihrem Alter noch die Soldaten spielen, indeß er mit ager und villa ausgestattet sei. (Um 1460; ein belehrendes Aktenstück, aus welchem hervorgeht, daß es noch Humanisten, wie die zwei letztgenannten gab, welche sich gegen das Aufkommen des Grie- chischen zu wehren suchten.) . In seiner Burg — arx Sismundea — halten sie ihre oft sehr giftigen Disputationen, in Gegenwart des „ rex “ wie sie ihn nennen; in ihren lateinischen Dichtungen preisen sie 3. Abschnitt. natürlich ihn und besingen seine Liebschaft mit der schönen Isotta, zu deren Ehren eigentlich der berühmte Umbau von San Francesco in Rimini erfolgte, als ihr Grabdenkmal, Divæ Jsottæ Sacrum . Und wenn die Philologen sterben, so kommen sie in (oder unter) die Sarcophage zu liegen, womit die Nischen der beiden Außenwände dieser nämlichen Kirche geschmückt sind; eine Inschrift besagt dann, der be- treffende sei hier beigesetzt worden zur Zeit da Sigismundus, Pandulfus' Sohn, herrschte. Man würde es heute einem Scheusal, wie dieser Fürst war, schwerlich glauben, daß Bildung und gelehrter Umgang ihm ein Bedürfniß seien, und doch sagt der, welcher ihn excommunicirte, in effigie verbrannte und bekriegte, nämlich Papst Pius II. : „Sigis- „mondo kannte die Historien und besaß eine große Kunde „der Philosophie; zu Allem was er ergriff, schien er ge- „boren“ Pii II. Comment. L. II, p. 92. Historiæ ist hier der Inbegriff des ganzen Alterthums. . Reproduction d. Alterthums. Zu zweien Zwecken aber glaubten Republiken wie Fürsten und Päpste des Humanisten durchaus nicht ent- behren zu können: zur Abfassung der Briefe und zur öffent- lichen, feierlichen Rede. Epistolo- graphie. Der Secretär muß nicht nur von Styleswegen ein guter Lateiner sein, sondern umgekehrt: nur einem Huma- nisten traut man die Bildung und Begabung zu, welche für einen Secretär nöthig ist. Und so haben die größten Männer der Wissenschaft im XV. Jahrhundert meist einen beträchtlichen Theil ihres Lebens hindurch dem Staat auf diese Weise gedient. Man sah dabei nicht auf Heimath und Herkunft; von den vier großen florentinischen Secretären, die seit 1429 bis 1465 die Feder führten Fabroni, Cosmus Adnot. 117. — Vespas. Fior. passim . — Eine Hauptstelle über das was die Florentiner von ihren Secre- tären verlangten, bei Aeneas Sylvius, De Europa, cap. 54. (Opera, p. 454) . , sind drei aus 3. Abschnitt. der Unterthanenstadt Arezzo: nämlich Lionardo (Bruni), Carlo (Marzuppini) und Benedetto Accolti; Poggio war von Terra nuova, ebenfalls im florentinischen Gebiet. Hatte man doch schon lange mehrere der höchsten Stadtämter principiell mit Ausländern besetzt. Lionardo, Poggio und Giannozzo Mannetti waren auch zeitweise Geheimschreiber der Päpste und Carlo Aretino sollte es werden. Blondus von Forli und trotz allem zuletzt auch Lorenzo Valla rückten in dieselbe Würde vor. Mehr und mehr zieht der päpstliche Palast seit Nicolaus V. und Pius II. Vgl. S. 217 und Papencordt, Gesch. d. Stadt Rom, p. 512 über das neue Collegium der Abbreviatoren, welches Pius gründete. die bedeutendsten Kräfte in seine Kanzlei, selbst unter jenen sonst nicht lite- rarisch gesinnten letzten Päpsten des XV. Jahrhunderts. In der Papstgeschichte des Platina ist das Leben Paul's II. nichts anderes als die ergötzliche Rache des Humanisten an dem einzigen Papst, der seine Kanzlei nicht zu behandeln verstand, jenen Verein von „Dichtern und Rednern, die der „Curie eben so viel Glanz verliehen als sie von ihr empfin- „gen“. Man muß diese stolzen Herrn aufbrausen sehen, Hochgefühl der päpstlichen Kanzlei. wann ein Präcedenzstreit eintritt, wenn z. B. die Advocati consistoriales gleichen Rang mit ihnen, ja den Vortritt in Anspruch nehmen Anecdota lit. I, p. 119, s. Plaidoyer des Jacobus Volaterranus im Namen der Secretäre, ohne Zweifel aus der Zeit Sixtus IV. — Der humanistische Anspruch der Consistorialadvocaten beruhte auf ihrer Redekunst, wie der der Secretäre auf den Briefen. . In einem Zuge wird appellirt an den Evangelisten Johannes, welchem die Secreta coelestia enthüllt gewesen, an den Schreiber des Porsenna, welchen M. Scävola für den König selber gehalten, an Mäcenas, Cultur der Renaissance. 15 3. Abschnitt. welcher Augusts Geheimschreiber war, an die Erzbischöfe, welche in Deutschland Kanzler heißen u. s. w. Die wirkliche kaiserliche Kanzlei unter Friedrich III. kannte Aeneas Sylvius am besten. Vgl. Epp. 23 u. 105, Opera, p. 516 u. 607. . „Die „apostolischen Schreiber haben die ersten Geschäfte der Welt „in Händen, denn wer anders als sie schreibt und verfügt „in Sachen des katholischen Glaubens, der Bekämpfung der „Ketzerei, der Herstellung des Friedens, der Vermittlung zwi- „schen den größten Monarchen? Wer als sie liefert die „statistischen Uebersichten der ganzen Christenheit? Sie sind „es, die Könige, Fürsten und Völker in Bewunderung ver- „setzen durch das was von den Päpsten ausgeht; sie ver- „fassen die Befehle und Instructionen für die Legaten; „ihre Befehle aber empfangen sie nur vom Papst, und sind „derselben zu jeder Stunde des Tages und der Nacht ge- „wärtig“. Den Gipfel des Ruhmes erreichten aber doch erst die beiden berühmten Secretäre und Stylisten Leo's X. : Pietro Bembo und Jacopo Sadoleto. Nicht alle Kanzleien schrieben elegant; es gab einen ledernen Beamtenstyl in höchst unreinem Latein, welcher die Werthschätzung des Briefstyls. Mehrheit für sich hatte. Ganz merkwürdig stechen in den mailändischen Actenstücken, welche Corio mittheilt, neben diesem Styl die paar Briefe hervor, welche von den Mit- gliedern des Fürstenhauses selber, und zwar in den wich- tigsten Momenten verfaßt sein müssen Corio, storia di Milano, fol. 449 der Brief der Isabella von Ara- gon an ihren Vater Alfons von Neapel; fol. 451. 464 zwei Briefe des Moro an Carl VIII. — Womit zu vergleichen das Histörchen in den Lettere pittoriche III, 86 (Sebast. del Piombo an Are- tino), wie Clemens VII. während der Verwüstung Roms im Castell seine Gelehrten aufbietet, und sie eine Epistel an Carl V. concipiren läßt, Jeden besonders. ; sie sind von der reinsten Latinität. Den Styl auch in der Noth zu wahren erschien als ein Gebot der guten Lebensart, und als Folge der Gewöhnung. Man kann sich denken, wie emsig in jenen Zeiten die 3. Abschnitt. Briefsammlungen des Cicero, Plinius u. A. studirt wurden. Es erschien schon im XV. Jahrhundert eine ganze Reihe von Anweisungen und Formularen zum lateinischen Brief- schreiben, als Seitenzweig der großen grammaticalischen und lexicographischen Arbeiten, deren Masse in den Biblio- theken noch heute Erstaunen erregt. Je mehr Unberufene aber mit dergleichen Hülfsmitteln sich an die Aufgabe wagten, desto mehr nahmen sich die Virtuosen zusammen und die Briefe Poliziano's und im Beginn des XVI. Jahrhunderts die des Pietro Bembo erschienen dann als die irgend er- reichbaren Meisterwerke nicht nur des lateinischen Styles sondern der Epistolographie als solcher. Daneben meldet sich mit dem XVI. Jahrhundert auch ein classischer italienischer Briefstyl, wo Bembo wiederum an der Spitze steht. Es ist eine völlig moderne, vom La- teinischen mit Absicht fern gehaltene Schreibart, und doch geistig total vom Alterthum durchdrungen und bestimmt. Viel glänzender noch als der Briefschreiber tritt der Die Redner. Redner Man vgl. die Reden in den Opera des Philelphus, Sabellicus, Be- roaldus d. ä. ꝛc. und die Schriften und Biographien des Jan. Mannetti, Aeneas Sylvius ꝛc. hervor, in einer Zeit und bei einem Volke, wo das Hören als ein Genuß ersten Ranges galt und wo das Phantasiebild des römischen Senates und seiner Redner alle Geister beherrschte. Von der Kirche, bei welcher sie im Mittelalter ihre Zuflucht gehabt, wird die Eloquenz vollkommen emancipirt; sie bildet ein nothwendiges Element und eine Zierde jedes erhöhten Daseins. Sehr viele fest- liche Augenblicke, die gegenwärtig mit der Musik ausgefüllt werden, gehörten damals der lateinischen oder italienischen Rede, worüber sich jeder unserer Leser seine Gedanken machen möge. 15* 3. Abschnitt. Welches Standes der Redner war, galt völlig gleich; man bedurfte vor Allem des virtuosenhaft ausgebildeten humanistischen Talentes. Am Hofe des Borso von Ferrara hat der Hofarzt, Jeronimo da Castello, sowohl Friedrich III. als Pius II. zum Willkomm anreden müssen Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 198. 205. ; verheira- thete Laien besteigen in den Kirchen die Kanzeln bei jedem festlichen oder Traueranlaß, ja selbst an Heiligenfesten. Es war den außeritalischen Basler Concilsherren etwas Neues, daß der Erzbischof von Mailand am Ambrosius- tage den Aeneas Sylvius auftreten ließ, welcher noch keine Weihe empfangen hatte; trotz dem Murren der Theologen ließen sie sich es gefallen und hörten mit größter Begier zu Pii II. Comment. L. I, p. 10. . Ueberblicken wir zunächst die wichtigern und häufigern Anlässe des öffentlichen Redens. Feierliche Staatsreden. Vor Allem heißen die Gesandten von Staat an Staat nicht vergebens Oratoren; neben der geheimen Unterhand- lung gab es ein unvermeidliches Paradestück, eine öffentliche Rede, vorgetragen unter möglichst pomphaften Umständen So groß der Succeß des glücklichen Redners war, so furchtbar war natürlich das Steckenbleiben vor großen und erlauchten Versamm- lungen. Schreckensbeispiele sind gesammelt bei Petrus Crinitus, de honesta disciplina V, cap. 3. Vgl. Vespas. Fior. p. 319. 430. . In der Regel führte von dem oft sehr zahlreichen Personal Einer zugestandenermaßen das Wort, aber es passirte doch dem Kenner Pius II. , vor welchem sich gerne jeder hören lassen wollte, daß er eine ganze Gesandtschaft, Einen nach dem Andern, anhören mußte Pii II. Comment. L. IV. p. 205. Es waren noch dazu Römer, die ihn in Viterbo erwarteten. Singuli per se verba fecere, ne alius alio melior videretur, cum essent eloquentia ferme pares. — Daß der Bischof von Arezzo nicht das Wort führen durfte für die Collectivgesandtschaft der italienischen Staaten an den neuge- wählten Alexander VI, zählt Guicciardini (zu Anfang des I. B.) . Dann redeten gelehrte Fürsten, die des Wortes mächtig waren, gerne und gut 3. Abschnitt. selber, italienisch oder lateinisch. Die Kinder des Hauses Sforza waren hierauf eingeschult, der ganz junge Galeazzo Maria sagte schon 1455 im großen Rath zu Venedig ein fließendes Exercitium her Mitgetheilt von Marin Sanudo, bei Murat. XXII, Col. 1160. , und seine Schwester Ippolita begrüßte den Papst Pius II. auf dem Congreß zu Mantua 1459 mit einer zierlichen Rede Pii II. Comment. L. II. p. 107. Vgl. p. 87. — Eine andere lateinische Rednerin fürstlichen Standes war Madonna Battista Mon- tefeltro, vermählte Malatesta, welche Sigismund und Martin haran- guirte Vgl. Arch. stor. IV, I. p. 442, Nota. . Pius II. selbst hat offen- bar als Redner in allen Zeiten seines Lebens seiner letzten Standeserhöhung mächtig vorgearbeitet; als größter curialer Diplomat und Gelehrter wäre er vielleicht doch nicht Papst geworden ohne den Ruhm und den Zauber seiner Be- redsamkeit. „Denn nichts war erhabener als der Schwung „seiner Rede De expeditione in Turcas, bei Murat. XXIII, Col. 68. Nihil enim Pii concionantis maiestate sublimius. — Außer dem naiven Wohlgefallen, womit Pius selbst seine Erfolge schildert, vgl. Cam- panus, Vita Pii II, bei Murat. III, II, passim. .“ Gewiß galt er für Unzählige schon deß- halb als der des Papstthums Würdigste, bereits vor der Wahl. Sodann wurden die Fürsten bei jedem feierlichen Empfangs- reden ꝛc. Empfang angeredet und zwar oft in stundenlanger Oration. Natürlich geschah dieß nur wenn der Fürst als Redefreund bekannt war oder dafür gelten wollte Carl V. hat doch einmal, als er in Genua der Blumensprache eines latein. Redners nicht folgen konnte, vor Giovio's Ohren geseufzt: „Ach wie hat mein Lehrer Hadrian einst Recht gehabt, als er mir „weissagte, ich würde für meinen kindischen Unfleiß im Lateinischen „gezüchtigt werden!“ — Paul. Jov. vita Hadriani VI. , und wenn man einen genügenden Redner vorräthig hatte, mochte es ein ganz ernsthaft unter den Ursachen auf, welche das Unglück Italiens 1494 herbeiführen halfen. 3. Abschnitt. Hofliterat, Universitätsprofessor, Beamter, Arzt oder Geist- licher sein. Auch jeder andere politische Anlaß wird begierig er- griffen, und je nach dem Ruhm des Redners läuft Alles herbei was die Bildung verehrt. Bei alljährlichen Beamten- erneuerungen, sogar bei Einführung neuernannter Bischöfe muß irgend ein Humanist auftreten, der bisweilen Lil. Greg. Gyraldus, de poetis nostri temp., bei Anlaß des Collenuccio. — Filelfo, ein verheiratheter Laie, hielt im Dom von Como die Einführungsrede für den Bischof Scarampi 1460. in sapphischen Strophen oder Hexametern spricht; auch mancher neu antretende Beamte selbst muß eine unumgängliche Rede halten über sein Fach z. B. „über die Gerechtigkeit“; wohl ihm wenn er darauf geschult ist. In Florenz zieht man auch die Condottieren — sie mögen sein wer und wie sie wollen — in das landesübliche Pathos hinein und läßt sie bei Ueberreichung des Feldherrenstabes durch den ge- lehrtesten Staatssecretär vor allem Volk haranguiren Fabroni, Cosmus, Adnot. 52. . Es scheint, daß unter oder an der Loggia de' Lanzi, der feierlichen Halle, wo die Regierung vor dem Volke aufzu- treten pflegte, eine eigentliche Rednerbühne ( rostra, ringhiera ) angebracht war. Leichenreden ꝛc. Von Anniversarien werden besonders die Todestage der Fürsten durch Gedächtnißreden gefeiert. Auch die eigentliche Leichenrede ist vorherrschend dem Humanisten anheimgefallen, der sie in der Kirche, in weltlichem Ge- wande recitirt, und zwar nicht nur am Sarge von Fürsten, sondern auch von Beamten u. a. namhaften Leuten Was doch z. B. dem Jac. Volaterranus (bei Murat. XXIII, Col. 171) bei Platina's Gedächtnißfeier einigen Anstoß gab. . Ebenso verhält es sich oft mit Verlobungs- und Hochzeits- reden, nur daß diese (wie es scheint) nicht in der Kirche sondern im Palast, z. B. die des Filelfo bei der Verlobung der Anna Sforza mit Alfonso d'Este im Castell von Mai- 3. Abschnitt. land, gehalten wurden. (Es könnte immerhin in der Pa- lastcapelle geschehen sein.) Auch angesehene Privatleute ließen sich wohl einen solchen Hochzeitsredner als vornehmen Luxus gefallen. In Ferrara ersuchte man bei solchen An- lässen einfach den Guarino Anecdota lit. I, p. 299, in Fedra's Leichenrede auf Lod. Podoca- taro, welchen Guarino vorzugsweise zu solchen Aufträgen bestimmte. , er möchte einen seiner Schüler senden. Die Kirche als solche besorgte bei Trauungen und Leichen nur die eigentlichen Ceremonien. Von den academischen Reden sind die bei Einführung neuer Professoren und die bei Curseröffnungen Von solchen Einleitungsvorlesungen sind viele e rhalten, in den Wer- ken des Sabellicus, Beroaldus maior, Codrus Urceus ꝛc. von den Professoren selbst gehaltenen mit dem größten rhetorischen Aufwand behandelt. Der gewöhnliche Cathedervortrag näherte sich ebenfalls oft der eigentlichen Rede Den ausgezeichneten Ruhm von Pomponazzo's Vortrag s. bei Paul. Jov. Elogia. . Bei den Advocaten gab das jeweilige Auditorium den Maßstab für die Behandlung der Rede. Je nach Umstän- den wurde dieselbe mit dem vollen philologisch-antiquari- schen Pomp ausgestattet. Eine ganz eigene Gattung sind die italienisch gehalte- Soldatenreden. nen Anreden an die Soldaten, theils vor dem Kampf, theils nachher. Federigo von Urbino Vespas. Fior. p. 103. Vgl. die Geschichte p. 598, wie Gianozzo Mannetti zu ihm ins Lager kömmt. war hiefür classisch; einer Schaar nach der andern, wie sie kampfgerüstet da standen, flößte er Stolz und Begeisterung ein. Manche Rede in den Kriegsschriftstellern des XV. Jahrhunderts, z. B. bei Porcellius (S. 100) möchte nur theilweise fingirt sein, theilweise aber auf wirklich gesprochenen Worten be- ruhen. Wieder etwas Anderes waren die Anreden an die seit 1506, hauptsächlich auf Macchiavell's Betrieb organisirte 3. Abschnitt. florentinische Miliz Archiv. stor. XV. p. 113. 121, Canestrini's Einleitung; p. 342, s. der Abdruck zweier Soldatenreden; die erste von Alamanni, ist aus- gezeichnet schön und des Momentes (1528) würdig. , bei Anlaß der Musterungen und später bei einer besondern Jahresfeier. Diese sind von allgemein patriotischem Inhalt; es hielt sie in der Kirche jedes Quartiers vor den dort versammelten Milizen ein Bürger im Brustharnisch, mit dem Schwert in der Hand. Lateinische Pre- digt. Endlich ist im XV. Jahrhundert die eigentliche Predigt bisweilen kaum mehr von der Rede zu scheiden, insofern viele Geistliche in den Bildungskreis des Alterthums mit einge- treten waren und etwas darin gelten wollten. Hat doch selbst der schon bei Lebzeiten heilige, vom Volk angebetete Gassenprediger Bernardino da Siena es für seine Pflicht gehalten, den rhetorischen Unterricht des berühmten Guarino nicht zu verschmähen, obwohl er nur italienisch zu predigen hatte. Die Ansprüche, zumal an die Fastenprediger, waren damals ohne Zweifel so groß als je; hie und da gab es auch ein Auditorium, welches sehr viel Philosophie auf der Kanzel vertragen konnte und, scheint es, von Bildung wegen verlangte Hierüber Faustinus Terdoceus, in seiner Satire De triumpho stul- titiæ, lib. II. . Doch wir haben es hier mit den vornehmen lateinischen Casualpredigern zu thun. Manche Gelegenheit nahmen ihnen, wie gesagt, gelehrte Laien vom Munde weg. Reden an bestimmten Heiligentagen, Leichen- und Hochzeits- reden, Einführungen von Bischöfen u. s. w., ja sogar die Rede bei der ersten Messe eines befreundeten Geistlichen und die Festrede bei einem Ordenscapitel werden wohl Laien überlassen Diese beiden erstaunlichen Fälle kommen bei Sabellicus vor ( Opera, fol. 61—82, De origine et auctu religionis, zu Verona vor dem Capitel der Barfüßer von der Kanzel gehalten, und: De sacerdotii laudibus, zu Venedig gehalten). Vgl. S. 230, Anm. 1. . Doch predigten wenigstens vor dem päpst- lichen Hof im XV. Jahrhundert in der Regel Mönche, welches auch der festliche Anlaß sein mochte. Unter 3. Abschnitt. Sixtus IV. verzeichnet und kritisirt Giacomo da Volterra regelmäßig diese Festprediger, nach den Gesetzen der Kunst Jac. Volaterrani Diar. roman., bei Mur. XXIII. passim. — Col. 173 wird eine höchst merkwürdige Predigt vor dem Hofe, doch bei zufälliger Abwesenheit Sixtus IV. erwähnt: Pater Paolo Tos- canella donnerte gegen den Papst, dessen Familie und die Cardinäle; Sixtus erfuhr es und lächelte. . Fedra Inghirami, als Festredner berühmt unter Julius II. , hatte wenigstens die geistlichen Weihen und war Chorherr am Lateran; auch sonst hatte man unter den Prälaten jetzt elegante Lateiner genug. Ueberhaupt erscheinen mit dem XVI. Jahrhundert die früher übergroßen Vorrechte der profanen Humanisten in dieser Beziehung gedämpft wie in andern, wovon unten ein Weiteres. Welcher Art und welches Inhaltes waren nun diese Erneuerung der Rhetorik. Reden im Großen und Ganzen? Die natürliche Wohlreden- heit wird den Italienern das Mittelalter hindurch nie ge- fehlt haben, und eine sogenannte Rhetorik gehörte von je- her zu den sieben freien Künsten; wenn es sich aber um die Auferweckung der antiken Methode handelt, so ist dieses Verdienst nach Aussage des Filippo Villani Fil. Villani, vite, p. 33. einem Flo- rentiner Bruno Casini zuzuschreiben, welcher noch in jungen Jahren 1348 an der Pest starb. In ganz practischen Ab- sichten, um nämlich die Florentiner zum leichten, gewandten Auftreten in Räthen u. a. öffentlichen Versammlungen zu befähigen, behandelte er nach Maßgabe der Alten die Er- findung, die Declamation, Gestus und Haltung im Zu- sammenhange. Auch sonst hören wir frühe von einer völlig auf die Anwendung berechneten rhetorischen Erziehung; nichts galt höher als aus dem Stegreif in elegantem La- tein das jedesmal Passende vorbringen zu können. Das wachsende Studium von Cicero's Reden und theoretischen Schriften, von Quintilian und den kaiserlichen Panegyrikern, 3. Abschnitt. das Entstehen eigener neuer Lehrbücher Georg. Trapezunt. Rhetorica, das erste vollständige Lehrgebäude. — Aen. Sylvius: Artis rhetoricæ præcepta, in den Opera p. 992 bezieht sich absichtlich nur auf Satzbau und Wortfügung; übrigens bezeichnend für die vollkommene Routine hierin. Er nennt mehrere andere Theoretiker. , die Benützung der Fortschritte der Philologie im Allgemeinen und die Masse von antiken Ideen und Sachen, womit man die eigenen Gedanken bereichern durfte und mußte, — dieß zusammen vollendete den Character der neuen Redekunst. Form und Sachinhalt. Je nach den Individuen ist derselbe gleichwohl sehr verschieden. Manche Reden athmen eine wahre Beredsam- keit, namentlich diejenigen, welche bei der Sache bleiben; von dieser Art ist durchschnittlich was wir von Pius II. übrig haben. Sodann lassen die Wunderwirkungen, welche Giannozzo Mannetti Dessen Vita bei Murat. XX. ist ganz voll von den Wirkungen seiner Eloquenz. — Vgl. Vespas. Fior. 592, s. erreichte, auf einen Redner schließen, wie es in allen Zeiten wenige gegeben hat. Seine großen Audienzen als Gesandter vor Nicolaus V. , vor Dogen und Rath von Venedig waren Ereignisse, deren Andenken lange dauerte. Viele Redner dagegen benützten den Anlaß, um neben einigen Schmeicheleien für vornehme Zuhörer eine wüste Masse von Worten und Sachen aus dem Alterthum vorzubringen. Wie es möglich war, dabei bis zwei, ja drei Stunden auszuhalten, begreift man nur wenn man das starke damalige Sachinteresse am Alterthum und die Mangelhaftigkeit und relative Seltenheit der Bearbeitungen — vor der Zeit des allgemeinen Druckens — in Betracht zieht. Solche Reden hatten noch immer den Werth, welchen wir (S. 200) manchen Briefen Petrarca's vindicirt haben. Die Citirsucht. Einige machten es aber doch zu stark. Filelfo's meiste Orationen sind ein abscheuliches Durcheinander von classi- schen und biblischen Citaten, aufgereiht an einer Schnur von Gemeinplätzen; dazwischen werden die Persönlichkeiten der zu rühmenden Großen nach irgend einem Schema 3. Abschnitt. z. B. der Cardinaltugenden gepriesen, und nur mit großer Mühe entdeckt man bei ihm und Andern die wenigen zeit- geschichtlichen Elemente von Werth, welche wirklich darin sind. Die Rede eines Professors und Literaten von Pia- cenza z. B. für den Empfang des Herzogs Galeazzo Maria 1467 beginnt mit C. Julius Caesar, mischt einen Haufen antiker Citate mit solchen aus einem eigenen allegorischen Werk des Verfassers zusammen, und schließt mit sehr in- discreten guten Lehren an den Herrscher Annales Placentini bei Murat. XX, Col. 918. . Glücklicher Weise war es schon zu spät am Abend und der Redner mußte sich damit begnügen, seinen Panegyricus schriftlich zu überreichen. Auch Filelfo hebt eine Verlobungsrede mit den Worten an: Jener peripatetische Aristoteles ꝛc.; Andere rufen gleich zu Anfang: Publius Cornelius Scipio u. dgl., ganz als könnten sie und ihre Zuhörer das Citiren gar nicht erwarten. Mit dem Ende des XV. Jahrhunderts reinigte sich der Geschmack auf einmal, wesentlich durch das Verdienst der Florentiner; im Citiren wird fortan sehr be- hutsam Maß gehalten, schon weil inzwischen allerlei Nach- schlagewerke häufiger geworden sind, in welchen der Erste Beste dasjenige vorräthig findet, womit man bis jetzt Fürsten und Volk in Erstaunen gesetzt. Da die meisten Reden am Studirpult erarbeitet waren, Fingirte Reden. so dienten die Manuscripte unmittelbar zur weitern Ver- breitung und Veröffentlichung. Großen Stegreifrednern dagegen mußte nachstenographirt werden So dem Savonarola, vgl. Perrens, Vie de Savonarole I, p. 163. Die Stenographen konnten jedoch ihm und z. B. auch begeisterten Improvisatoren nicht immer folgen. . — Ferner sind nicht alle Orationen, die wir besitzen, auch nur dazu be- stimmt gewesen, wirklich gehalten zu werden; so ist z. B. der Panegyricus des ältern Beroaldus auf Lodovico Moro 3. Abschnitt. ein bloß schriftlich eingesandtes Werk Und zwar keines von den bessern. Das Bemerkenswertheste ist die Floskel am Schlusse: Esto tibi ipsi archetypon et exemplar, teipsum imitare etc. . Ja wie man Briefe mit imaginären Adressen nach allen Gegenden der Welt componirte als Exercitium, als Formulare, auch wohl als Tendenzschriften, so gab es auch Reden auf erdichtete Anlässe Briefe sowohl als Reden dieser Art schrieb Alberto di Ripalta, vgl. die von ihm verfaßten Annales Placentini, bei Murat. XX, Col. 914, s. wo der Pedant seinen literarischen Lebenslauf ganz lehrreich beschreibt. , als Formulare für Begrüßung großer Beamten, Fürsten und Bischöfe u. dgl. m. Verfall der Eloquenz. Auch für die Redekunst gilt der Tod Leo's X. (1521) und die Verwüstung von Rom (1527) als der Termin des Verfalls. Aus dem Jammer der ewigen Stadt kaum ge- flüchtet, verzeichnet Giovio Pauli Jovii Dialogus de viris literis illustribus, bei Tira- boschi, Tom. VII, Parte IV. — Doch meint er noch wohl ein Jahrzehnd später, am Schluß der Elogia literaria: Tenemus ad- huc, nachdem das Primat der Philologie auf Deutschland überge- gangen, sinceræ et constantis eloquentiæ munitam arcem etc. einseitig und doch wohl mit überwiegender Wahrheit die Gründe dieses Verfalls: „Die Aufführungen des Plautus und Terenz, einst eine Uebungsschule des lateinischen Ausdruckes für die vor- nehmen Römer, sind durch italienische Comödien verdrängt. Der elegante Redner findet nicht mehr Lohn und Anerken- nung wie früher. Deßhalb arbeiten z. B. die Consistorial- advocaten an ihren Vorträgen nur noch die Proömien aus und geben den Rest als trüben Mischmasch nur noch stoß- weise von sich. Auch Casualreden und Predigten sind tief gesunken. Handelt es sich um die Leichenrede für einen Cardinal oder weltlichen Großen, so wenden sich die Testa- mentsexecutoren nicht an den trefflichsten Redner der Stadt, den sie mit hundert Goldstücken honoriren müßten, sondern sie miethen um ein Geringes einen hergelaufenen kecken 3. Abschnitt. Pedanten, der nur in den Mund der Leute kommen will, sei es auch durch den schlimmsten Tadel. Der Todte, denkt man, spüre ja nichts davon wenn ein Affe in Trauerge- wand auf der Kanzel steht, mit weinerlichem heiserm Ge- murmel beginnt und allmälig ins laute Gebell übergeht. Auch die festlichen Predigten bei den päpstlichen Functionen werfen keinen rechten Lohn mehr ab; Mönche von allen Orden haben sich wieder derselben bemächtigt und predigen wie für die ungebildetsten Zuhörer. Noch vor wenigen Jahren konnte eine solche Predigt bei der Messe in Gegenwart des Papstes der Weg zu einem Bisthum werden.“ An die Epistolographie und die Redekunst der Hu- Die Abhand- lung. manisten schließen wir hier noch ihre übrigen Productionen an, welche zugleich mehr oder weniger Reproductionen des Alterthums sind. Hieher gehört zunächst die Abhandlung in unmittel- barer oder in dialogischer Form Eine besondere Gattung machen natürlich die halbsatirischen Dialoge aus, welche Collenuccio und besonders Pontano dem Lucian nach- bildeten. Von ihnen sind dann Erasmus und Hutten angeregt worden. — Für die eigentlichen Abhandlungen mochten frühe schon Stücke aus den Moralien des Plutarch als Vorbild dienen. , welche letztere man direct von Cicero herüber nahm. Um dieser Gattung einiger- maßen gerecht zu werden, um sie nicht als Quelle der Lan- genweile von vorn herein zu verwerfen, muß man zweierlei erwägen. Das Jahrhundert, welches dem Mittelalter ent- rann, bedurfte in vielen einzelnen Fragen moralischer und philosophischer Natur einer speciellen Vermittelung zwischen sich und dem Alterthum, und diese Stelle nahmen nun die Tractat- und Dialogschreiber ein. Vieles was uns in ihren Schriften als Gemeinplatz erscheint, war für sie und ihre Zeitgenossen eine mühsam neu errungene Anschauung 3. Abschnitt. von Dingen, über welche man sich seit dem Alterthum noch nicht wieder ausgesprochen hatte. Sodann hört sich die Sprache hier besonders gerne selber zu — gleichviel ob die lateinische oder die italienische. Freier und vielseitiger als in der historischen Erzählung oder in der Oration und in den Briefen bildet sie hier ihr Satzwerk, und von den ita- lienischen Schriften dieser Art gelten mehrere bis heute als Muster der Prosa. Manche von diesen Arbeiten wurden schon genannt oder werden noch angeführt werden ihres Sachinhaltes wegen; hier mußte von ihnen als Gesammt- gattung die Rede sein. Von Petrarca's Briefen und Trac- taten an bis gegen Ende des XV. Jahrhunderts wiegt bei den Meisten auch hier das Aufspeichern antiken Stoffes vor, wie bei den Rednern; dann klärt sich die Gattung ab, zumal im Italienischen, und erreicht mit den Asolani des Bembo, mit der Vita Sobria des Luigi Cornaro die volle Classicität. Auch hier war es entscheidend, daß jener antike Stoff inzwischen sich in besondern großen Sammelwerken, jetzt sogar gedruckt abzulagern begonnen hatte und dem Tractatschreiber nicht mehr im Wege war. Lateinische Ge- schichtschrei- bung. Ganz unvermeidlich bemächtigte sich der Humanismus auch der Geschichtschreibung. Bei flüchtiger Vergleichung dieser Historien mit den frühern Chroniken, namentlich mit so herrlichen, farbenreichen, lebensvollen Werken wie die der Villani wird man dieß laut beklagen. Wie abgeblaßt und conventionell zierlich erscheint neben diesen Alles was die Humanisten schreiben, und zwar z. B. gerade ihre näch- sten und berühmtesten Nachfolger in der Historiographie von Florenz, Lionardo Aretino und Poggio. Wie un- ablässig plagt den Leser die Ahnung, daß zwischen den livianischen und den cäsarischen Phrasen eines Facius, Sa- bellicus, Folieta, Senarega, Platina (in der mantuanischen Geschichte), Bembo (in den Annalen von Venedig) und selbst eines Giovio (in den Historien) die beste individuelle und locale Farbe, das Interesse am vollen wirklichen Her- gang Noth gelitten habe. Das Mißtrauen wächst, wenn 3. Abschnitt. man inne wird, daß der Werth des Vorbildes Livius selbst am unrechten Orte gesucht wurde, nämlich Benedictus: Caroli VIII. hist., bei Eccard, scriptt. II, Col. 1577. darin, daß er „eine trockene und blutlose Tradition in Anmuth und Fülle „verwandelt“ habe; ja man findet (eben da) das bedenk- liche Geständniß, die Geschichtschreibung müsse durch Styl- mittel den Leser aufregen, reizen, erschüttern, — gerade als ob sie die Stelle der Poesie vertreten könnte. Man frägt sich endlich, ob nicht die Verachtung der modernen Dinge, zu welcher diese nämlichen Humanisten sich bisweilen Petrus Crinitus beklagt diese Verachtung, de honesta discipl. L. XVIII, cap. 9. Die Humanisten gleichen hierin den Autoren des spätern Alterthums, welche ebenfalls ihrer Zeit aus dem Wege gingen. — Vgl. Burckhardt, die Zeit Constantin's d. Gr. S. 285 u. f. offen bekennen, auf ihre Behandlung derselben einen ungünstigen Einfluß haben mußte? Unwillkürlich wendet der Leser den anspruchlosen lateinischen und italienischen Annalisten, die der alten Art treu geblieben, z. B. denjenigen von Bo- logna und Ferrara, mehr Theilnahme und Vertrauen zu, und noch viel dankbarer fühlt man sich den besten unter den italienisch schreibenden eigentlichen Chronisten verpflichtet, einem Marin Sanudo, einem Corio, einem Infessura, bis dann mit dem Anfang des XVI. Jahrhunderts die neue glanzvolle Reihe der großen italienischen Geschichtschreiber in der Muttersprache beginnt. In der That war die Zeitgeschichte unwidersprechlich Absoluter Werth des La- teinischen. besser daran wenn sie sich in der Landessprache erging, als wenn sie sich latinisiren mußte. Ob auch für die Erzählung des Längstvergangenen, für die geschichtliche Forschung das Italienische geeigneter gewesen wäre, ist eine Frage, welche für jene Zeit verschiedene Antworten zuläßt. Das Latei- nische war damals die Lingua franca der Gelehrten lange 3. Abschnitt. nicht bloß im internationalen Sinn, z. B. zwischen Eng- ländern, Franzosen und Italienern, sondern auch im inter- provincialen Sinne, d. h. der Lombarde, der Venezianer, der Neapolitaner wurden mit ihrer italienischen Schreibart — auch wenn sie längst toscanisirt war und nur noch schwache Spuren des Dialectes an sich trug — von dem Florentiner nicht anerkannt. Dieß wäre zu verschmerzen gewesen bei örtlicher Zeitgeschichte, die ihrer Leser an Ort und Stelle sicher war, aber nicht so leicht bei der Geschichte der Vergangenheit, für welche ein weiterer Leserkreis gesucht werden mußte. Hier durfte die locale Theilnahme des Volkes der allgemeinen der Gelehrten aufgeopfert werden. Wie weit wäre z. B. Blondus von Forli gelangt, wenn er seine großen gelehrten Werke in einem halbromagnolischen Italienisch verfaßt hätte? Dieselben wären einer sichern Obscurität verfallen schon um der Florentiner willen, während sie lateinisch die allergrößte Wirkung auf die Gelehrsamkeit des ganzen Abendlandes ausübten. Und auch die Floren- tiner selbst schrieben ja im XV. Jahrhundert lateinisch, nicht bloß weil sie humanistisch dachten sondern zugleich um der leichtern Verbreitung willen. Monographie und Biographie. Endlich giebt es auch lateinische Darstellungen aus der Zeitgeschichte, welche den vollen Werth der trefflichsten ita- lienischen haben. Sobald die nach Livius gebildete fortlau- fende Erzählung, das Procrustesbett so mancher Autoren, aufhört, erscheinen dieselben wie umgewandelt. Jener näm- liche Platina, jener Giovio, die man in ihren großen Ge- schichtswerken nur verfolgt, so weit man muß, zeigen sich auf einmal als ausgezeichnete biographische Schilderer. Von Tristan Caracciolo, von dem biographischen Werke des Facius, von der venezianischen Topographie des Sabellico ꝛc. ist schon beiläufig die Rede gewesen und auf andere werden wir noch kommen. Die lateinischen Darstellungen aus der Vergangenheit betrafen natürlich vor Allem das classische Alterthum. Was man aber bei diesen Humanisten weniger suchen würde, 3. Abschnitt. sind einzelne bedeutende Arbeiten über die allgemeine Ge- Arbeiten über das Mittelalter. schichte des Mittelalters. Das erste bedeutende Werk dieser Art war die Chronik des Matteo Palmieri, begin- nend wo Prosper Aquitanus aufhört. Wer dann zufällig die Decaden des Blondus von Forli öffnet, wird einiger- maßen erstaunen, wenn er hier eine Weltgeschichte „ ab in- clinatione Romanorum imperii “ wie bei Gibbon findet, voll von Quellenstudien der Autoren jedes Jahrhunderts, wovon die ersten 300 Folioseiten dem frühern Mittelalter bis zum Tode Friedrichs II. angehören. Und dieß während man sich im Norden noch auf dem Standpuncte der be- kannten Papst- und Kaiserchroniken und des Fasciculus temporum befand. Es ist hier nicht unsere Sache, kritisch nachzuweisen, welche Schriften Blondus im Einzelnen be- nützt hat, und wo er sie beisammen gefunden; in der Ge- schichte der neuern Historiographie aber wird man ihm diese Ehre wohl einmal erweisen müssen. Schon um dieses einen Buches willen wäre man berechtigt zu sagen: das Studium des Alterthums allein hat das des Mittelalters möglich gemacht; jenes hat den Geist zuerst an objectives geschicht- liches Interesse gewöhnt. Allerdings kam hinzu, daß das Mittelalter für das damalige Italien ohnehin vorüber war und daß der Geist es erkennen konnte, weil es nun außer ihm lag. Man kann nicht sagen, daß er es sogleich mit Gerechtigkeit oder gar mit Pietät beurtheilt habe; in den Künsten setzt sich ein starkes Vorurtheil gegen seine Her- vorbringungen fest, und die Humanisten datiren von ihrem eigenen Aufkommen an eine neue Zeit: „Ich fange an, „sagt Boccaccio In dem Briefe an Pizinga, in den Opere volgari vol. XVI. — Noch bei Raph. Volaterranus, L. XXI, fängt die geistige Welt mit dem XIV. Jahrh. an, also bei demselben Autor, dessen erste Bücher so viele für jene Zeit treffliche specialgeschichtliche Uebersichten für alle Länder enthalten. , zu hoffen und zu glauben, Gott habe Cultur der Renaissance. 16 3. Abschnitt. „sich des italischen Namens erbarmt, seit ich sehe, daß seine „reiche Güte in die Brust der Italiener wieder Seelen „senkt, die denen der Alten gleichen, insofern sie den Ruhm „auf andern Wegen suchen als durch Raub und Gewalt, „nämlich auf dem Pfade der unvergänglich machenden „Poesie“. Aber diese einseitige und unbillige Gesinnung Anfänge der Kritik. schloß doch die Forschung bei den Höherbegabten nicht aus, zu einer Zeit da im übrigen Europa noch nicht davon die Rede war; es bildete sich für das Mittelalter eine geschicht- liche Kritik schon weil die rationelle Behandlung aller Stoffe bei den Humanisten auch diesem historischen Stoffe zu Gute kommen mußte. Im XV. Jahrhundert durchdringt dieselbe bereits die einzelnen Städtegeschichten insoweit, daß das späte wüste Fabelwerk aus der Urgeschichte von Florenz, Venedig, Mailand ꝛc. verschwindet, während die Chroniken des Nordens sich noch lange mit jenen poetisch meist werth- losen, seit dem XIII. Jahrhundert ersonnenen Phantasie- gespinnsten schleppen müssen. Den engen Zusammenhang der örtlichen Geschichte mit dem Ruhm haben wir schon oben bei Anlaß von Florenz (S. 75) berührt. Venedig durfte nicht zurückbleiben; so wie etwa eine venezianische Gesandtschaft nach einem großen florentinischen Rednertriumph Wie der des Giannozzo Mannetti in Gegenwart Nicolaus V . , der ganzen Curie und zahlreicher, weit her gekommener Fremden; vgl. Vespas. Fior. p. 592 und die vita Jan. Man. eilends nach Hause schreibt, man möchte ebenfalls einen Redner schicken, so bedürfen die Venezianer auch einer Geschichte, welche mit den Werken des Lionardo Aretino und Poggio die Vergleichung aus- halten soll. Unter solchen Vorausfetzungen entstanden im XV. Jahrhundert die Decaden des Sabellico, im XVI. die Historia rerum venetarum des Pietro Bembo, beide Arbeiten in ausdrücklichem Auftrag der Republik, letztere als Fortsetzung der erstern. Die großen florentinischen Geschichtschreiber zu Anfang 3. Abschnitt. des XVI. Jahrhunderts (S. 83) sind dann von Hause Italienische Geschichtschrei- bung. aus ganz andere Menschen als die Lateiner Giovio und Bembo. Sie schreiben italienisch, nicht bloß weil sie mit der raffinirten Eleganz der damaligen Ciceronianer nicht mehr wetteifern können, sondern weil sie, wie Macchiavelli, ihren Stoff als einen durch lebendige Anschauung Auch des Vergangenen, darf man bei Macchiavelli sagen. ge- wonnenen auch nur in unmittelbarer Lebensform wieder- geben mögen und weil ihnen, wie Guicciardini, Varchi und den meisten Uebrigen, die möglichst weite und tiefe Wir- kung ihrer Ansicht vom Hergang der Dinge am Herzen liegt. Selbst wenn sie nur für wenige Freunde schreiben, wie Francesco Vettori, so müssen sie doch aus innerm Drange Zeugniß geben für Menschen und Ereignisse, und sich erklären und rechtfertigen über ihre Theilnahme an den letztern. Und dabei erscheinen sie, bei aller Eigenthümlichkeit ihres Styles und ihrer Sprache, doch auf das Stärkste vom Alterthum berührt und ohne dessen Einwirkung gar nicht denkbar. Sie sind keine Humanisten mehr, allein sie sind durch den Humanismus hindurch gegangen und haben vom Geist der antiken Geschichtschreibung mehr an sich als die meisten jener livianischen Latinisten: es sind Bürger, die für Bürger schreiben, wie die Alten thaten. In die übrigen Fachwissenschaften hinein dürfen wir Das Alterthum als allgem. Voraussetzung. den Humanismus nicht begleiten; jede derselben hat ihre Specialgeschichte, in welcher die italienischen Forscher dieser Zeit, hauptsächlich vermöge des von ihnen neu entdeckten Sachinhaltes des Alterthums Fand man doch bereits damals, daß schon Homer allein die Summe aller Künste und Wissenschaften enthalte, daß er eine Encyclopädie sei. Vgl. Codri Urcei opera, Sermo XIII, Schluß. , einen großen neuen Ab- 16* 3. Abschnitt. schnitt bilden, womit dann jedesmal das moderne Zeitalter der betreffenden Wissenschaft beginnt, hier mehr, dort we- niger entschieden. Auch für die Philosophie müssen wir auf die besondern historischen Darstellungen verweisen. Der Einfluß der alten Philosophen auf die italienische Cultur erscheint dem Blicke bald ungeheuer groß, bald sehr unter- geordnet. Ersteres besonders, wenn man nachrechnet, wie die Begriffe des Aristoteles, hauptsächlich aus seiner früh- verbreiteten Ethik Ein Cardinal unter Paul II. ließ sogar seinen Köchen des A. Ethik vortragen. Vgl. Gasp. Veron. vita Pauli II. bei Mura- tori III, II, Col. 1034. und Politik, Gemeingut der Gebildeten von ganz Italien wurden und wie die ganze Art des Ab- strahirens von ihm beherrscht war Für das Studium des Aristoteles im Allgemeinen ist besonders lehr- reich eine Rede des Hermolaus Barbarus. . Letzteres dagegen, wenn man die geringe dogmatische Wirkung der alten Phi- losophen und selbst der begeisterten florentinischen Platoniker auf den Geist der Nation erwägt. Was wie eine solche Wirkung aussieht, ist in der Regel nur ein Niederschlag der Bildung im Allgemeinen, eine Folge speciell italienischer Geistesentwicklungen. Bei Anlaß der Religion wird hier- über noch Einiges zu bemerken sein. Weit in den meisten Fällen aber hat man es nicht einmal mit der allgemeinen Bildung sondern nur mit der Aeußerung einzelner Personen oder gelehrter Kreise zu thun, und selbst hier müßte jedes- mal unterschieden werden zwischen wahrer Aneignung an- tiker Lehre und bloßem modemäßigem Mitmachen. Denn für Viele war das Alterthum überhaupt nur eine Mode, selbst für Solche, die darin sehr gelehrt wurden. Antikisirung der Namen. Indeß braucht nicht Alles, was unserm Jahrhundert als Affectation erscheint, damals wirklich affectirt gewesen zu sein. Die Anwendung griechischer und römischer Namen als Taufnamen z. B. ist noch immer viel schöner und achtungswerther als die heute beliebte von (zumal weib- 3. Abschnitt. lichen) Namen, die aus Romanen stammen. Sobald die Begeisterung für die alte Welt größer war als die für die Heiligen, erscheint es ganz einfach und natürlich, daß ein adliches Geschlecht seine Söhne Agamemnon, Achill, und Tydeus taufen ließ Bursellis, ann. Bonon., bei Murat. XXIII. Col. 898. , daß der Maler seinen Sohn Apelles nannte und seine Tochter Minerva ꝛc. Vasari XI, p. 189. 257, vite di Sodoma e di Garofalo. — Begreiflicher Weise bemächtigten sich die liederlichen Weibspersonen in Rom der volltönendsten antiken Namen Giulia, Lucrezia, Cas- sandra, Porzia, Virginia, Pentesilea ꝛc., womit sie bei Aretino auf- treten. — Die Juden mögen vielleicht damals die Namen der großen semitischen Römerfeinde Amilcare, Annibale, Asdrubale an sich ge- nommen haben, die sie noch heute in Rom so häufig führen. . Auch soviel wird sich wohl vertheidigen lassen, daß statt eines Hausnamens, welchem man überhaupt entrinnen wollte, ein wohllautender antiker angenommen wurde. Einen Heimathsnamen, der alle Mitbürger mitbezeichnete und noch gar nicht zum Fa- miliennamen geworden war, gab man gewiß um so lieber auf, wenn er zugleich als Heiligenname unbequem wurde; Filippo da S. Gemignano nannte sich Callimachus. Wer von der Familie verkannt und beleidigt sein Glück als Ge- lehrter in der Fremde machte, der durfte sich, auch wenn er ein Sanseverino war, mit Stolz zum Julius Pomponius Laetus umtaufen. Auch die reine Uebersetzung eines Na- mens ins Lateinische oder ins Griechische (wie sie dann in Deutschland fast ausschließlich Brauch wurde) mag man einer Generation zu Gute halten, welche lateinisch sprach und schrieb und nicht bloß declinable sondern leicht in Prosa und Vers mitgleitende Namen brauchte. Tadelhaft und oft lächerlich war erst das halbe Aendern eines Na- mens, bis er einen classischen Klang und einen neuen Sinn hatte, sowohl Taufnamen als Zunamen. So wurde aus Giovanni Jovianus oder Janus, aus Pietro Pierius oder 3. Abschnitt. Petreius, aus Antonio Aonius u. dgl., sodann aus Sanna- zaro Syncerus, aus Luca Grasso Lucius Crassus u. s. w. Ariosto, der sich über diese Dinge so spöttisch ausläßt Quasi che'l nome i buon giudicî inganni, E che quel meglio t'abbia a far poeta, Che non farà lo studio di molt' anni! — so spottet Ariosto, der freilich vom Schicksal einen wohllautenden Namen mitbekommen hatte, in der VII. Satire, Vs. 64. ; hat es dann noch erlebt, daß man Kinder nach seinen Hel- den und Heldinnen benannte Oder schon nach denjenigen des Bojardo, die zum Theil die seinigen sind. . Antike Umschreibung vieler Dinge. Auch die Antikisirung vieler Lebensverhältnisse, Amts- namen, Verrichtungen, Ceremonien u. s. w. in den lateini- schen Schriftstellern darf nicht zu strenge beurtheilt werden. So lange man sich mit einem einfachen, fließenden Latein begnügte, wie dieß bei den Schriftstellern etwa von Petrarca bis auf Aeneas Sylvius der Fall war, kam dieß allerdings nicht in auffallender Weise vor, unvermeidlich aber wurde es, seit man nach einem absolut reinen, zumal ciceronischen Latein strebte. Da fügten sich die modernen Dinge nicht mehr in die Totalität des Styles, wenn man sie nicht künstlich umtaufte. Pedanten machten sich nun ein Ver- gnügen daraus, jeden Stadtrath als Patres conscripti, jedes Nonnenkloster als Virgines Vestales, jeden Heiligen als Divus oder Deus zu betiteln, während Leute von feinerm Geschmack wie Paolo Giovio damit wahrscheinlich nur thaten was sie nicht vermeiden konnten. Weil Giovio keinen Accent darauf legt, stört es auch nicht, wenn in seinen wohllau- tenden Phrasen die Cardinäle Senatores heißen, ihr Decan Princeps Senatus, die Excommunication Dirae So werden die Soldaten des französ. Heeres 1512: omnibus diris ad inferos devocati . Den guten Domherrn Tizio, welcher es ernstlicher meinte und gegen fremde Truppen eine Erecrationsformel aus Macrobius aussprach, werden wir unten wieder erwähnen. , der Car- neval Lupercalia u. s. w. Wie sehr man sich hüten muß, 3. Abschnitt. aus dieser Stylsache einen voreiligen Schluß auf die ganze Denkweise zu ziehen, liegt gerade bei diesem Autor klar zu Tage. Die Geschichte des lateinischen Styles an sich dürfen Alleinherrschaft . Lateinischen. wir hier nicht verfolgen. Volle zwei Jahrhunderte hindurch thaten die Humanisten dergleichen, als ob das Lateinische überhaupt die einzige würdige Schriftsprache wäre und bleiben müßte. Poggio De infelicitate principum, in Poggii opera, fol. 152: Cuius (Dantis) exstat poema præclarum, neque, si literis latinis constaret, ulla ex parte poetis superioribus (den Alten) post- ponendum . Laut Boccaccio, vita di Dante, p. 74 warfen schon damals viele „und darunter weise“ Leute die Frage auf, warum wohl Dante nicht lateinisch gedichtet? bedauert, daß Dante sein großes Gedicht italienisch verfaßt habe, und bekanntlich hatte Dante es in der That mit dem Lateinischen versucht und den Anfang des Inferno zuerst in Hexametern gedichtet. Das ganze Schicksal der italienischen Poesie hing davon ab, daß er nicht in dieser Weise fortfuhr Seine Schrift de vulgari eloquio war lange Zeit fast unbekannt und wäre auf keinen Fall der siegreichen Wirkung der Divina Com- media gleichgekommen, so werthvoll sie für uns ist. , aber noch Petrarca verließ sich mehr auf seine lateinischen Dichtungen als auf seine Sonette und Canzonen, und die Zumuthung lateinisch zu dichten, ist noch an Ariosto ergangen. Einen stärkern Zwang hat es in literarischen Dingen nie gegeben Wer den vollen Fanatismus hierin will kennen lernen, vergleiche Lil. Greg. Gyraldus, de poetis nostri temporis, a. m. O. , allein die Poesie entwischte demselben größtentheils und jetzt können wir wohl ohne allzugroßen Optimismus sagen: es ist gut daß die italienische Poesie zweierlei Organe hatte, denn sie hat in beiden Vortreffliches und Eigenthümliches geleistet, und zwar so, daß man inne wird, weßhalb hier italienisch, 3. Abschnitt. dort lateinisch gedichtet wurde. Vielleicht gilt Aehnliches auch von der Prosa; die Weltstellung und der Weltruhm der italienischen Bildung hing davon ab, daß gewisse Gegen- stände lateinisch — Urbi et orbi — behandelt wurden Freilich giebt es auch zugestandene Stylübungen, wie z. B. in den Orationes etc. des ältern Beroaldus die zwei aus Boccaccio in's Lateinische übersetzten Novellen, ja eine Canzone aus Petrarca. , während die italienische Prosa gerade von denjenigen am Besten gehandhabt worden ist, welchen es einen innern Kampf kostete, nicht lateinisch zu schreiben. Quellen des Styles; Cicero. Als reinste Quelle der Prosa galt seit dem XIV. Jahr- hundert unbestritten Cicero. Dieß kam bei Weitem nicht bloß von einer abstracten Ueberzeugung zu Gunsten seiner Wörter, seiner Satzbildung und seiner literarischen Com- positionsweise her, sondern im italienischen Geiste fand die Liebenswürdigkeit des Briefschreibers, der Glanz des Red- ners, die klare beschauliche Art des philosophischen Dar- stellers einen vollen Wiederklang. Schon Petrarca erkannte vollständig die Schwächen des Menschen und Staatsmannes Cicero Vgl. Petrarca's Briefe aus der Oberwelt an erlauchte Schatten. Opera, p. 704, s. Außerdem p. 372 in der Schrift de rep. op- time administranda: „sic esse doleo, sed sic est“ . , er hatte nur zu viel Respect um sich darüber zu freuen; seit ihm hat sich zunächst die Epistolographie fast ausschließlich nach Cicero gebildet und die andern Gat- tungen, mit Ausnahme der erzählenden, folgten nach. Doch der wahre Ciceronianismus, der sich jeden Ausdruck ver- sagte, wenn derselbe nicht aus der Quelle zu belegen war, beginnt erst zu Ende des XV. Jahrhunderts, nachdem die grammatischen Schriften des Lorenzo Valla ihre Wirkung durch ganz Italien gethan, nachdem die Aussagen der rö- mischen Literarhistoriker selbst gesichtet und verglichen waren Ein burleskes Bild des fanatisches Purismus in Rom giebt Jovian. Pontanus in seinem „Antonius“. . Jetzt erst unterscheidet man genauer und bis auf das Ge- naueste die Stylschattirungen in der Prosa der Alten, und 3. Abschnitt. kommt mit tröstlicher Sicherheit immer wieder auf das Er- gebniß, daß Cicero allein das unbedingte Muster sei, oder, wenn man alle Gattungen umfassen wollte: „jenes unsterb- liche und fast himmlische Zeitalter Cicero's“ Hadriani (Cornetani) Card. S. Chrysogoni de sermone latino liber. Hauptsächlich die Einleitung. — Er findet in Cicero und seinen Zeitgenossen die Latinität „an sich“. . Jetzt wandten Leute wie Pietro Bembo, Pierio Valeriano u. a. ihre besten Kräfte auf dieses Ziel; auch solche, die lange widerstrebt und sich aus den ältesten Autoren eine archaistische Diction zusammengebaut Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Bapt. Pius. , gaben endlich nach und knieten vor Cicero; jetzt ließ sich Longolius von Bembo bestimmen, fünf Jahre lang nur Cicero zu lesen; derselbe gelobte sich gar kein Wort zu brauchen, welches nicht in diesem Autor vorkäme, und solche Stimmungen brachen dann zu jenem großen gelehrten Streit aus, in welchem Erasmus und der ältere Scaliger die Schaaren führten. Denn auch die Bewunderer Cicero's waren doch lange Bedingte und unbedingte Ci- ceronianer. nicht alle so einseitig, ihn als die einzige Quelle der Sprache gelten zu lassen. Noch im XV. Jahrhundert wagten Po- liziano und Ermolao Barbaro, mit Bewußtsein nach einer eigenen, individuellen Latinität zu streben Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Naugerius. Ihr Ideal sei gewesen: aliquid in stylo proprium, quod peculiarem ex certa nota mentis effigiem referret, ex naturæ genio effin- , natürlich auf der Basis einer „überquellend großen“ Gelehrsamkeit, und dieses Ziel hat auch Derjenige verfolgt, welcher uns dieß meldet, Paolo Giovio. Er hat eine Menge moderner Ge- danken, zumal ästhetischer Art, zuerst und mit großer An- strengung lateinisch wiedergegeben, nicht immer glücklich, aber bisweilen mit einer merkwürdigen Kraft und Eleganz. Seine lateinischen Characteristiken der großen Maler und 3. Abschnitt. Bildhauer jener Zeit Paul. Jov. Dialogus de viris literis illustribus, bei Tiraboschi, ed. Venez. 1796, Tom. VII, parte IV. Bekanntlich wollte Giovio eine Zeitlang diejenige große Arbeit unternehmen, welche dann Va- sari durchführte. — In jenem Dialog wird auch geahnt und beklagt, daß das Lateinschreiben seine Herrschaft bald gänzlich verlieren werde. enthalten das Geistvollste und das Mißrathenste nebeneinander. Auch Leo X. , der seinen Ruhm darein setzte „ ut lingua latina nostro pontificatu dica- „tur facta auctior “ In dem Breve von 1517 an Franc. de' Rosi, concipirt von Sado- leto, bei Roscoe, Leo X, ed. Bossi VI, p. 172. , neigte sich einer liberalen, nicht ausschließlichen Latinität zu, wie dieß bei seiner Richtung auf den Genuß nicht anders möglich war; ihm genügte es, Die lateinische Conversation. wenn das was er anzuhören und zu lesen hatte, wahrhaft lateinisch, lebendig und elegant erschien. Endlich gab Cicero für die lateinische Conversation kein Vorbild, so daß man hier gezwungen war, andere Götter neben ihm zu verehren. In die Lücke traten die in und außerhalb Rom ziemlich häufigen Aufführungen der Comödien des Plautus und Terenz, welche für die Mitspielenden eine unvergleichliche Uebung des Lateinischen als Umgangssprache abgaben. Schon unter Paul II. wird Gasp. Veronens. vita Pauli II, bei Murat. III, II, Col. 1031. Außerdem wurden etwa Seneca und lateinische Uebersetzungen nach griechischen Dramen aufgeführt. der gelehrte Cardinal von Theanum (wahrscheinlich Nicol ò Fortiguerra von Pistoja) gerühmt weil er sich auch an die schlechterhaltensten, der Personenverzeichnisse beraubten plautinischen Stücke wage und dem ganzen Autor um der Sprache willen die größte Aufmerksamkeit widme, und von ihm könnte wohl auch die Anregung zum Aufführen jener Stücke ausgegangen sein. Dann nahm sich Pomponius Laetus der Sache an und wo in den Säulenhöfen großer Prälaten Plautus über die Scene xisse . — Poliziano genirte sich bereits, wenn er Eile hatte, seine Briefe lateinisch zu schreiben, vgl. Raph. Volat. comment. urban. L. XXI. ging In Ferrara spielte man Plautus wohl meist in italienischer Bearbei- tung von Collenuccio, dem jüngern Guarino u. A., um des Inhaltes willen, und Isabella Gonzaga erlaubte sich, diesen langweilig zu finden. — Ueber Pomp. Laetus vgl. Sabellici opera, Epist. L. XI, fol. 56, s. , war er Regisseur. Daß man seit etwa 1520 da- 3. Abschnitt. von abkam, zählt Giovio, wie wir (S. 236) sahen mit unter die Ursachen des Verfalls der Eloquenz. Zum Schluß dürfen wir hier eine Parallele des Ci- ceronianismus aus dem Gebiete der Kunst namhaft machen: den Vitruvianismus der Architecten. Und zwar erwahrt sich auch hier das durchgehende Gesetz der Renaissance, daß die Bewegung in der Bildung durchgängig der analogen Kunstbewegung vorangeht. Im vorliegenden Fall möchte der Unterschied etwa zwei Jahrzehnde betragen, wenn man von Cardinal Hadrian von Corneto (1505?) bis auf die ersten absoluten Vitruvianer rechnet. Der höchste Stolz des Humanisten endlich ist die neu- Lateinische Dichtung. lateinische Dichtung. So weit sie den Humanismus cha- racterisiren hilft, muß auch sie hier behandelt werden. Wie vollständig sie das Vorurtheil für sich hatte, wie nahe ihr der entschiedene Sieg stand, wurde oben (S. 247) dargethan. Man darf von vornherein überzeugt sein, daß die geistvollste und meistentwickelte Nation der damaligen Welt nicht aus bloßer Thorheit, nicht ohne etwas Bedeu- tendes zu wollen, in der Poesie auf eine Sprache verzich- tete wie die italienische ist. Eine übermächtige Thatsache muß sie dazu bestimmt haben. Dieß war die Bewunderung des Alterthums. Wie jede echte, rückhaltlose Bewunderung erzeugte sie nothwendig die Nachahmung. Auch in andern Zeiten und bei andern Völkern finden sich eine Menge vereinzelter Versuche nach diesem nämlichen Ziele hin, nur in Italien aber waren 3. Abschnitt. die beiden Hauptbedingungen der Fortdauer und Weiter- bildung für die neulateinische Poesie vorhanden: ein allsei- tiges Entgegenkommen bei den Gebildeten der Nation und ein theilweises Wiedererwachen des antiken italischen Ge- nius in den Dichtern selbst, ein wundersames Weiterklingen Ihr Werth. eines uralten Saitenspiels. Das Beste was so entsteht ist nicht mehr Nachahmung sondern eigene freie Schöpfung. Wer in den Künsten keine abgeleiteten Formen vertragen kann, wer entweder schon das Alterthum selber nicht schätzt oder es im Gegentheil für magisch unnahbar und unnach- ahmlich hält, wer endlich gegen Verstöße keine Nachsicht übt bei Dichtern, welche z. B. eine Menge Sylbenquanti- täten neu entdecken oder errathen mußten, der lasse diese Literatur bei Seite. Ihre schönern Werke sind nicht ge- schaffen um irgend einer absoluten Kritik zu trotzen, sondern um den Dichter und viele Tausende seiner Zeitgenossen zu erfreuen Für das Folgende s. die Deliciæ poetarum italor.; — Paul. Jovius, elogia; — Lil. Greg. Gyraldus, de poetis nostri temporis; — die Beilagen zu Roscoe, Leone X, ed. Bossi . . Geschichtliches Epos. Am wenigsten Glück hatte man mit dem Epos aus Geschichten und Sagen des Alterthums. Die wesentlichen Bedingungen einer lebendigen epischen Poesie werden be- kanntlich nicht einmal den römischen Vorbildern, ja außer Homer nicht einmal den Griechen zuerkannt; wie hätten sie sich bei den Lateinern der Renaissance finden sollen. Indeß möchte doch die Africa des Petrarca im Ganzen so viele und so begeisterte Leser und Hörer gefunden haben als irgend ein Epos der neuern Zeit. Absicht und Entstehung des Gedichtes sind nicht ohne Interesse. Das XIV. Jahr- hundert erkannte mit ganz richtigem Gefühl in der Zeit des zweiten punischen Krieges die Sonnenhöhe des Römer- thums, und diese wollte und mußte Petrarca behandeln. Wäre Silius Italicus schon entdeckt gewesen, so hätte er vielleicht einen andern Stoff gewählt, in dessen Ermanglung 3. Abschnitt. aber lag die Verherrlichung des ältern Scipio Africanus dem XV. Jahrhundert so nahe, daß schon ein anderer Dichter, Zanobi di Strada, sich diese Aufgabe gestellt hatte; nur aus Hochachtung für Petrarca zog er sein bereits vor- gerücktes Gedicht zurück Filippo Villani, vite, p. 5. . Wenn es irgend eine Berech- tigung für die Africa gab, so lag sie darin, daß sich da- mals und später Jedermann für Scipio interessirte als lebte er noch, daß er für größer galt als Alexander, Pom- pejus und Cäsar Franc. Aleardi oratio in laudem Franc. Sfortiæ bei Murat. XXV. Col. 384. — Bei der Parallele zwischen Scipio und Cäsar war Guarino für den letztern, Poggio ( Opera, epp. fol. 125. 134, s. ) für erstern als für den Größten. — Scipio und Hannibal in den Miniaturen des Attavante, s. Vasari IV, 41, vita di Fiesole. — Die Namen Beider für Picinino und Sforza gebraucht, S. 100. . Wie viele neuere Epopöen haben sich eines für ihre Zeit so populären, im Grunde historischen und dennoch für die Anschauung mythischen Gegenstandes zu rühmen? An sich ist das Gedicht jetzt freilich ganz un- lesbar. Für andere historische Sujets müssen wir auf die Literaturgeschichten verweisen. Reicher und ausgiebiger war schon das Weiterdichten Mythologische und bucolische Poesie. am antiken Mythus. das Ausfüllen der poetischen Lücken in demselben. Hier griff auch die italienische Dichtung früh ein, schon mit der Teseide des Boccaccio, welche als dessen bestes poetisches Werk gilt. Lateinisch dichtete Maffeo Vegio unter Martin V. ein dreizehntes Buch zur Aeneide; dann finden sich eine Anzahl kleinerer Versuche zumal in der Art des Claudian, eine Meleagris, eine Hesperis ꝛc. Das Merkwürdigste aber sind die neu ersonnenen Mythen, welche die schönsten Gegenden Italiens mit einer Urbevölkerung von Göttern, Nymphen, Genien und auch Hirten erfüllen, wie denn überhaupt hier das Epische und das Bucolische nicht mehr zu trennen sind. Daß in den bald erzählenden, 3. Abschnitt. bald dialogischen Eclogen seit Petrarca das Hirtenleben schon beinah völlig Die glänzenden Ausnahmen, wo das Landleben realistisch behandelt auftritt, werden ebenfalls unten zu erwähnen sein. conventionell, als Hülle beliebiger Phantasien und Gefühle behandelt ist, wird bei späterm Anlaß wieder hervorzuheben sein; hier handelt es sich nur um die neuen Mythen. Deutlicher als sonst irgendwo ver- räth es sich hier, daß die alten Götter in der Renaissance eine doppelte Bedeutung haben: einerseits ersetzen sie aller- dings die allgemeinen Begriffe und machen die allegorischen Figuren unnöthig, zugleich aber sind sie auch ein freies, selbständiges Element der Poesie, ein Stück neutrale Schön- heit, welches jeder Dichtung beigemischt und stets neu com- binirt werden kann. Keck voran ging Boccaccio mit seiner imaginären Götter- und Hirtenwelt der Umgebung von Florenz, in seinem Ninfale d'Ameto und Ninfale fiesolano, welche italienisch gedichtet sind. Das Meisterwerk aber möchte wohl der Sarca des Pietro Bembo Abgedruckt bei Mai, Spicilegium romanum, Vol. VIII. (Gegen 500 Hexameter stark.) Pierio Valeriano dichtete an dem Mythus weiter; sein „carpio“ in der Deliciæ poet. ital. — Die Fresken des Brusasorci am Pal. Murari zu Verona stellen den Inhalt des Sarca vor. sein: die Werbung des Flußgottes jenes Namens um die Nymphe Garda, das prächtige Hochzeitsmahl in einer Höhle am Monte Baldo, die Weissagung der Manto, Tochter des Tiresias, von der Geburt des Kindes Mincius, von der Gründung Mantua's, und vom künftigen Ruhme des Vir- gil, der als Sohn des Mincius und der Nymphe von Andes, Maja, geboren werden wird. Zu diesem stattlichen huma- nistischen Rococo fand Bembo sehr schöne Verse und eine Schlußanrede an Virgil, um welche ihn jeder Dichter be- neiden kann. Man pflegt dergleichen als bloße Declamation gering zu achten, worüber als über eine Geschmackssache, mit Niemanden zu rechten ist. Ferner entstanden umfangreiche epische Gedichte biblischen 3. Abschnitt. und kirchlichen Inhaltes in Hexametern. Nicht immer be- Christliches Epos. zweckten die Verfasser damit eine kirchliche Beförderung oder die Erwerbung päpstlicher Gunst; bei den Besten, und auch bei Ungeschicktern wie Battista Mantuano, dem Verfasser der Parthenice, wird man ein ganz ehrliches Verlangen voraussetzen dürfen, mit ihrer gelehrten lateinischen Poesie dem Heiligen zu dienen, womit freilich ihre halbheidnische Auffassung des Catholicismus nur zu wohl zusammenstimmte. Gyraldus zählt ihrer eine Anzahl auf, unter welchen Vida mit seiner Christiade, Sannazaro mit seinen drei Gesängen Sannazaro. „ De partu Virginis “ in erster Reihe stehen. Sannazaro imponirt durch den gleichmäßigen gewaltigen Fluß, in wel- chen er Heidnisches und Christliches ungescheut zusammen- drängt, durch die plastische Kraft der Schilderung, durch die vollkommen schöne Arbeit. Er hatte sich nicht vor der Vergleichung zu fürchten, als er die Verse von Virgils vierter Ecloge in den Gesang der Hirten an der Krippe verflocht. Im Gebiet des Jenseitigen hat er da und dort einen Zug dantesker Kühnheit, wie z. B. König David im Limbus der Patriarchen sich zu Gesang und Weissagung erhebt, oder wie der Ewige thronend in seinem Mantel, der von Bildern alles elementaren Daseins schimmert, die himm- lischen Geister anredet. Andere Male bringt er unbedenklich die alte Mythologie mit seinem Gegenstande in Verbindung, ohne doch eigentlich barock zu erscheinen, weil er die Heiden- götter nur gleichsam als Einrahmung benutzt, ihnen keine Hauptrollen zutheilt. Wer das künstlerische Vermögen jener Zeit in seinem vollen Umfang kennen lernen will, darf sich gegen ein Werk wie dieses nicht abschließen. Sannazaro's Verdienst erscheint um so viel größer, da sonst die Ver- mischung von Christlichem und Heidnischem in der Poesie Einmischung d. Mythologie. viel leichter stört als in der bildenden Kunst; letztere kann das Auge dabei beständig durch irgend eine bestimmte, greif- bare Schönheit schadlos halten und ist überhaupt von der 3. Abschnitt. Sachbedeutung ihrer Gegenstände viel unabhängiger als die Poesie, indem die Einbildungskraft bei ihr eher an der Form, bei der Poesie eher an der Sache weiterspinnt. Der gute Battista Mantuano in seinem De sacris diebus. Festkalender hatte einen andern Ausweg versucht; statt Götter und Halbgötter der heiligen Geschichte dienen zu lassen, bringt er sie, wie die Kirchenväter thaten, in Gegensatz zu derselben; während der Engel Gabriel zu Nazareth die Jungfrau grüßt, ist ihm Mercur vom Carmel her nachgeschwebt und lauscht nun an der Pforte; dann berichtet er das Gehörte den versammelten Göttern und bewegt sie damit zu den äußer- sten Entschlüssen. Andere Male Z. B. in seiner achten Ecloge. freilich müssen bei ihm Thetis, Ceres, Aeolus u. s. w. wieder der Madonna und ihrer Herrlichkeit gutwillig unterthan sein. Sannazaro's Ruhm, die Menge seiner Nachahmer, die begeisterte Huldigung der Größten jener Zeit — dieß Alles zeigt, wie sehr er seinem Jahrhundert nöthig und werth war. Für die Kirche beim Beginn der Reformation löste er das Problem: völlig classisch und doch christlich zu dichten, und Leo sowohl als Clemens sagten ihm lauten Dank dafür. Zeitgeschicht- liche Dichtung. Endlich wurde in Hexametern oder Distichen auch die Zeitgeschichte behandelt, bald mehr erzählend bald mehr panegyrisch, in der Regel aber zu Ehren eines Fürsten oder Fürstenhauses. So entstand eine Sphorcias, eine Borse ï s, eine Borgias, eine Triultias u. s. w., freilich mit gänzlichem Verfehlen des Zweckes, denn wer irgend berühmt und un- sterblich geblieben ist, der blieb es nicht durch diese Art von Gedichten, gegen welche die Welt einen unvertilgbaren Widerwillen hat, selbst wenn sich gute Dichter dazu her- geben. Ganz anders wirken kleinere, genreartig und ohne Pathos ausgeführte Einzelbilder aus dem Leben der berühmten Männer, wie z. B. das schöne Gedicht von Leo's X. Jagd 3. Abschnitt. bei Palo Roscoe, Leone X, ed. Bossi VIII, 184; sowie noch ein Gedicht ähnlichen Styles XII, 130. — Wie nahe steht schon Angilberts Gedicht vom Hofe Carls des Großen dieser Renaissance. Vgl. Pertz, monum. II. , oder die „Reise Julius II. “ von Hadrian von Corneto (S. 121). Glänzende Jagdschilderungen jener Art giebt es auch von Ercole Strozza, von dem eben ge- nannten Hadrian u. A. m., und es ist Schade wenn sich der moderne Leser durch die zu Grunde liegende Schmeichelei abschrecken oder erzürnen läßt. Die Meisterschaft der Be- handlung und der bisweilen nicht unbedeutende geschichtliche Werth sichern diesen anmuthigen Dichtungen ein längeres Fortleben als manche jetzt namhafte Poesien unserer Zeit haben dürften. Im Ganzen sind diese Sachen immer um so viel besser, je mäßiger die Einmischung des Pathetischen und Allge- meinen ist. Es giebt einzelne kleinere epische Dichtungen von berühmten Meistern, die durch barockes mythologisches Mythologisi- rung. Dreinfahren unbewußt einen unbeschreiblich komischen Ein- druck hervorbringen. So das Trauergedicht des Ercole Strozza Strozii poetæ, p. 31. s. Cæsaris Borgiæ ducis epicedium. auf Cesare Borgia (S. 115). Man hört die klagende Rede der Roma, welche all ihre Hoffnung auf die spanischen Päpste Calixt III. und Alexander VI. gesetzt hatte und dann Cesare für den Verheißenen hielt, dessen Geschichte durchgegangen wird bis zur Katastrophe des Jahres 1503. Dann frägt der Dichter die Muse, welches in jenem Augenblick Pontificem addiderat, flammis lustralibus omneis Corporis ablutum labes, Diis Juppiter ipsis etc. die Rathschlüsse der Götter gewesen, und Erato erzählt: auf dem Olymp nahmen Pallas für die Spanier, Venus für die Italiener Partei; beide um- faßten Jupiters Knie, worauf er sie küßte, begütigte und sich ausredete, er vermöge nichts gegen das von den Parzen Cultur der Renaissance. 17 3. Abschnitt. gesponnene Schicksal, die Götterverheißungen würden sich aber erfüllen durch das Kind vom Hause Este-Borgia Es ist der spätere Ercole II. von Ferrara, geb. 4. April 1508, wahrscheinlich kurz vor oder nach Abfassung dieses Gedichtes. Nas- cere magne puer matri exspectate patrique, heißt es gegen Ende. ; nachdem er die abenteuerliche Urgeschichte beider Familien erzählt, betheuert er, dem Cesare so wenig die Unvergäng- lichkeit schenken zu können als einst — trotz großer Für- bitten — einem Memnon oder Achill; endlich schließt er mit dem Troste, Cesare werde vorher noch im Krieg viele Leute umbringen. Nun geht Mars nach Neapel und be- reitet Krieg und Streit, Pallas aber eilt nach Nepi und erscheint dort dem kranken Cesare unter der Gestalt Alexan- ders VI.; nach einigen Vermahnungen, sich zu schicken und sich mit dem Ruhme seines Namens zu begnügen, ver- schwindet die päpstliche Göttinn „wie ein Vogel“. Man verzichtet indeß unnützer Weise auf einen bis- weilen großen Genuß, wenn man Alles perhorrescirt, worein antike Mythologie wohl oder übel verwoben ist; bisweilen hat die Kunst diesen an sich conventionellen Bestandtheil so sehr geadelt als in Malerei und Sculptur. Auch fehlt es sogar für den Liebhaber nicht an Anfängen der Parodie (S. 160) z. B. in der Macaroneide, wozu dann das komische Götterfest des Giovanni Bellini bereits eine Parallele bildet. Berechtigung d. poetischen Form für Zeit- geschichte. Manche erzählende Gedichte in Hexametern sind auch bloße Exercitien oder Bearbeitungen von Relationen in Prosa, welche letztere der Leser vorziehen wird, wo er sie findet. Am Ende wurde bekanntlich Alles, jede Fehde und jede Ceremonie besungen, auch von den deutschen Huma- nisten der Reformationszeit Vgl. die Sammlungen der Scriptores von Schardius, Freher ꝛc. . Indeß würde man Unrecht thun, dieß bloß dem Müssiggang und der übergroßen Leich- tigkeit im Versemachen zuzuschreiben. Bei den Italienern wenigstens ist es ein ganz entschiedener Ueberschuß an Styl- 3. Abschnitt. gefühl, wie die gleichzeitige Masse von italienischen Berich- ten, Geschichtsdarstellungen und selbst Pamphleten in Ter- zinen beweist. So gut Niccolo da Uzzano sein Placat mit einer neuen Staatsverfassung, Macchiavelli seine Uebersicht der Zeitgeschichte, ein Dritter das Leben Savonarola's, ein Vierter die Belagerung von Piombino durch Alfons den Großen Uzzano s. Arch. IV, I, 296. — Macchiavelli: i Decennali. — Savonarola's Geschichte u. d. Titel Cedrus Libani von Fra Benedetto. — Assedio di Piombino, bei Murat. XXV. — Hiezu als Parallele der Teuerdank und andere Reimwerke des Nordens. u. s. w. in diese schwierige italienische Versart gossen, um eindringlicher zu wirken, eben so gut mochten viele Andere für ihr Publicum des Hexameters bedürfen um es zu fesseln. Was man in dieser Form vertragen konnte und begehrte, zeigt am besten die didactische Poesie. Didactische Poesie. Diese nimmt im XVI. Jahrhundert einen ganz erstaun- lichen Aufschwung, um das Goldmachen, das Schachspiel, die Seidenzucht, die Astronomie, die venerische Seuche u. dgl. in Hexametern zu besingen, wozu noch mehrere umfassende italienische Dichtungen kommen. Man pflegt dergleichen heutzutage ungelesen zu verdammen, und inwiefern diese Lehrgedichte wirklich lesenswerth sind, wüßten auch wir nicht zu sagen. Eins nur ist gewiß, daß Epochen, die der unsrigen an Schönheitssinn unendlich überlegen waren, daß die spätgriechische und die römische Welt und die Renaissance die betreffende Gattung von Poesie nicht entbehren konnten. Man mag dagegen einwenden, daß heute nicht der Mangel an Schönheitssinn sondern der größere Ernst und die uni- versalistische Behandlung alles Lehrenswerthen die poetische Form ausschlössen, was wir auf sich beruhen lassen. Eines dieser didactischen Werke wird noch jetzt hie und da wieder aufgelegt: der Zodiacus des Lebens, von Mar- cellus Palingenius, einem ferraresischen Cryptoprotestanten. 17* 3. Abschnitt. An die höchsten Fragen von Gott, Tugend und Unsterb- lichkeit knüpft der Verfasser die Besprechung vieler Ver- hältnisse des äußern Lebens und ist von dieser Seite auch eine nichtzuverachtende sittengeschichtliche Autorität. Im Wesentlichen jedoch geht sein Gedicht schon aus dem Rahmen der Renaissance heraus, wie denn auch, seinem ernsten Lehr- zweck gemäß, bereits die Allegorie der Mythologie den Rang abläuft. Lateinische Lyrik. Weit am nächsten kam aber der Poet-Philolog dem Alterthum in der Lyrik, und zwar speciell in der Elegie; außerdem noch im Epigramm. In der leichtern Gattung übte Catull eine wahrhaft fascinirende Wirkung auf die Italiener aus. Manches elegante lateinische Madrigal, manche kleine Invective, manches boshafte Billet ist reine Umschreibung nach ihm; dann werden verstorbene Hündchen, Papageien u. s. w. beklagt ohne ein Wort aus dem Gedicht von Lesbiens Sperling und doch in völliger Abhängigkeit von dessen Gedankengang. Indeß giebt es kleine Gedichte dieser Art, welche auch den Kenner über ihr wahres Alter täuschen können, wenn nicht ein sachlicher Bezug klar auf das XV. oder XVI. Jahr- hundert hinweist. Dagegen möchte von Oden des sapphischen, alcäischen ꝛc. Versmaßes kaum eine zu finden sein, welche nicht irgend- wie ihren modernen Ursprung deutlich verriethe. Dieß geschieht meist durch eine rhetorische Redseligkeit, welche im Alterthum erst etwa dem Statius eigen ist, durch einen auffallenden Mangel an lyrischer Concentration, wie diese Gattung sie durchaus verlangt. Einzelne Partien einer Ode, 2 oder 3 Strophen zusammen, sehen wohl etwa wie ein antikes Fragment aus, ein längeres Ganzes hält diese Farbe selten fest. Und wo dieß der Fall ist, wie z. B. in der schönen Ode an Venus von Andrea Navagero, da er- kennt man leicht eine bloße Umschreibung nach antiken Meisterwerken Hier nach dem Eingang des Lucretius und nach Horat. Od. IV, I. . Einige Odendichter bemächtigen sich des 3. Abschnitt. Heiligencultes und bilden ihre Invocationen sehr geschmack- voll den horazischen und catullischen Oden analogen In- haltes nach. So Navagero in der Ode an den Erzengel Die Oden auf Heilige. Gabriel, so besonders Sannazaro, der in der Substituirung einer heidnischen Andacht sehr weit geht. Er feiert vor- züglich seinen Namensheiligen Das Hereinziehen eines Schutzheiligen in ein wesentlich heidnisches Beginnen haben wir S. 58 schon bei einem ernstern Anlaß kennen gelernt. , dessen Capelle zu seiner herrlich gelegenen kleinen Villa am Gestade des Posilipp gehörte, „dort wo die Meereswoge den Felsquell wegschlürft und an die Mauer des kleinen Heiligthums anschlägt“. Seine Freude ist das alljährliche St. Nazariusfest, und das Laubwerk und die Guirlanden, womit das Kirchlein zumal an diesem Tage geschmückt wird, erscheinen ihm als Opfergaben. Auch fern auf der Flucht, mit dem verjagten Federigo von Aragon, zu St. Nazaire an der Loiremün- dung, bringt er voll tiefen Herzeleides seinem Heiligen am Namenstage Kränze von Bux und Eichenlaub; er gedenkt früherer Jahre, da die jungen Leute des ganzen Posilipp zu seinem Feste gefahren kamen auf bekränzten Nachen, und fleht um Heimkehr Si satis ventos tolerasse et imbres Ac minas fatorum hominumque fraudes, Da Pater tecto salientem avito Cernere fumum! . Täuschend antik erscheinen vorzüglich eine Anzahl Ge- Gedichte elegi- scher Form. dichte in elegischem Versmaß oder auch bloß in Hexametern, deren Inhalt von der eigentlichen Elegie bis zum Epigramm herabreicht. So wie die Humanisten mit dem Text der römischen Elegiker am allerfreisten umgingen, so fühlten sie sich denselben auch in der Nachbildung am Meisten ge- wachsen. Navagero's Elegie an die Nacht ist so wenig frei 3. Abschnitt. von Reminiscenzen aus jenen Vorbildern als irgend ein Gedicht dieser Art und Zeit, aber dabei vom schönsten an- tiken Klang. Ueberhaupt sorgt Navagero Andr. Naugerii orationes duæ carminaque aliquot, Venet. 1530 in 4. — Die wenigen Carmina auch größtentheils oder voll- ständig in den Deliciæ. immer zuerst für einen echten poetischen Inhalt, den er dann nicht knech- tisch sondern mit meisterhafter Freiheit im Styl der Antho- logie, des Ovid, des Catull, auch der virgilischen Eclogen wiedergiebt; die Mythologie braucht er nur äußerst mäßig, etwa um in einem Gebet an Ceres u. a. ländliche Gott- heiten das Bild des einfachsten Daseins zu entwickeln. Einen Gruß an die Heimath, bei der Rückkehr von seiner Gesandtschaft in Spanien, hat er nur angefangen; es hätte wohl ein Ganzes werden können wie „Bella Italia, amate sponde“ von Vincenzo Monti, wenn der Rest diesem An- fang entsprach: Salve cura Deûm, mundi felicior ora, Formosæ Veneris dulces salvete recessus; Ut vos post tantos animi mentisque labores Aspicio lustroque libens, ut munere vestro Sollicitas toto depello e pectore curas! Die elegische oder hexametrische Form wird ein Gefäß für jeden höhern pathetischen Inhalt, und die edelste patrio- tische Aufregung (S. 121, die Elegie an Julius II. ) wie die pomphafteste Vergötterung der Herrschenden sucht hier ihren Ausdruck Was man Leo X. bieten durfte, zeigt das Gebet des Guido Postumo Silvestri an Christus, Maria und alle Heiligen, sie möchten der Menschheit dieses numen noch lange lassen, da sie ja im Himmel ihrer genug seien. Abgedr. bei Roscoe, Leone X, ed. Bossi V. 237. , aber auch die zarteste Melancholie eines Tibull. Mario Molsa, der in seiner Schmeichelei gegen Clemens VII. und die Farnesen mit Statius und Martial wetteifert, hat in einer Elegie „an die Genossen“, vom Krankenlager, so schöne und echt antike Grabgedanken als 3. Abschnitt. irgend einer der Alten und dieß ohne Wesentliches von letztern zu entlehnen. Am vollständigsten hat übrigens Sannazaro Wesen und Umfang der römischen Elegie er- kannt und nachgebildet, und von keinem Anderm giebt es wohl eine so große Anzahl guter und verschiedenartiger Gedichte dieser Form. — Einzelne Elegien werden noch hie und da um ihres Sachinhaltes willen zu erwähnen sein. Endlich war das lateinische Epigramm in jenen Zeiten Das Epigramm. eine ernsthafte Angelegenheit, indem ein paar gut gebildete Zeilen, eingemeißelt an einem Denkmal oder von Mund zu Munde mit Gelächter mitgetheilt, den Ruhm eines Ge- lehrten begründen konnten. Ein Anspruch dieser Art meldet sich schon früh; als es verlautete, Guido della Polenta wolle Dante's Grab mit einem Denkmal schmücken, liefen von allen Enden Grabschriften ein Boccaccio, vita di Dante, p. 36. „von solchen, die sich „zeigen oder auch den todten Dichter ehren oder die „Gunst des Polenta erwerben wollten“. Am Grabmal des Erzbischofes Giovanni Visconti (st. 1354) im Dom von Mailand liest man unter 36 Hexametern: „Herr Gabrius de Zamoreis aus Parma, Doctor der Rechte, hat diese Verse gemacht“. Allmälig bildete sich, hauptsächlich unter dem Einfluß Martial's, auch Catull's eine ausgedehnte Literatur dieses Zweiges; der höchste Triumph war, wenn ein Epigramm für antik, für abgeschrieben von einem alten Stein galt Sannazaro spottet über Einen, der ihm mit solchen Fälschungen lästig fiel: Sint vetera hæc aliis, mî nova semper erunt. , oder wenn es so vortrefflich erschien, daß ganz Italien es auswendig wußte wie z. B. einige des Bembo. Wenn der Staat Venedig an Sannazaro für seinen Lobspruch in drei Distichen 600 Ducaten Honorar bezahlte, so war dieß nicht etwa eine generöse Verschwendung, sondern man würdigte das Epigramm als das was es für 3. Abschnitt. alle Gebildeten jener Zeit war: als die concentrirteste Form des Ruhmes. Niemand hinwiederum war damals so mächtig, daß ihm nicht ein witziges Epigramm hätte unangenehm werden können, und auch die Großen selber bedurften für jede Inschrift, welche sie setzten, sorgfältigen und gelehrten Beirathes, denn lächerliche Epitaphien z. B. liefen Gefahr, in Sammlungen zum Zweck der Erheiterung aufgenommen zu werden Lettere de' principi, I, 88. 91. . Epigraphik und Epigrammatik reichten ein- ander die Hand; erstere beruhte auf dem emsigsten Studium der antiken Steinschriften. In Rom. Die Stadt der Epigramme und der Inscriptionen in vorzugsweisem Sinne war und blieb Rom. In diesem Staate ohne Erblichkeit mußte jeder für seine Verewigung selber sorgen; zugleich war das kurze Spottgedicht eine Waffe gegen die Mitemporstrebenden. Schon Pius II. zählt mit Wohlgefallen die Distichen auf, welche sein Haupt- dichter Campanus bei jedem irgend geeigneten Momente seiner Regierung ausarbeitete. Unter den folgenden Päpsten blühte dann das satirische Epigramm und erreichte gegen- über von Alexander VI. und den Seinigen die volle Höhe des scandalösen Trotzes. Sannazaro dichtete die seinigen allerdings in einer relativ gesicherten Lage, Andere aber wagten in der Nähe des Hofes das Gefährlichste (S. 113). Auf acht drohende Distichen hin, die man an der Pforte der Bibliothek angeschlagen Malipiero, ann. veneti, Arch. stor. VII, I, p. 508. Am Ende heißt es, mit Bezug auf den Stier als Wappenthier der Borgia: Merge, Tyber, vitulos animosas ultor in undas; Bos cadat inferno victima magna Jovi! fand, ließ einst Alexander die Garde um 800 Mann verstärken; man kann sich denken, wie er gegen den Dichter würde verfahren sein, wenn der- selbe sich erwischen ließ. — Unter Leo X. waren lateinische Epigramme das tägliche Brod; für die Verherrlichung wie für die Verlästerung des Papstes, für die Züchtigung ge- 3. Abschnitt. nannter wie ungenannter Feinde und Schlachtopfer, für wirkliche wie für fingirte Gegenstande des Witzes, der Bos- heit, der Trauer, der Contemplation gab es keine passendere Form. Damals strengten sich für die berühmte Gruppe Coryciana. der Mutter Gottes mit der heil. Anna und dem Kinde, welche Andrea Sansovino für St. Agostino meißelte, nicht weniger als hundertundzwanzig Personen in lateinischen Versen an, freilich nicht so sehr aus Andacht, als dem Be- steller des Werkes zu Liebe Ueber diese ganze Angelegenheit s. Roscoe, Leone X, ed. Bossi VII, 211. VIII, 214, s. Die gedruckte, jetzt seltene Sammlung dieser „Coryciana“ vom J. 1524 enthält nur die lateinischen Ge- dichte; Vasari sah bei den Augustinern noch ein besonderes Buch, worin sich auch Sonette ꝛc. befanden. Das Anheften von Gedichten wurde so ansteckend, daß man die Gruppe durch ein Gitter abschließen, ja unsichtbar machen mußte. Die Umdeutung von Goritz in einen Corycius senex ist aus Virgil. Georg. IV, 127. Das kummer- volle Ende des Mannes nach dem Sacco di Roma s. bei Pierio Valeriano, de infelic. literat. . Dieser, Johann Goritz aus Luxemburg, päpstlicher Supplikenreferendar, ließ nämlich am St. Annenfeste nicht bloß etwa Gottesdienst halten, sondern er gab ein großes Literatenbankett in seinen Gärten am Abhang des Capitols. Damals lohnte es sich auch der Mühe, die ganze Poetenschaar, welche an Leo's Hofe ihr Glück suchte, in einem eigenen großen Gedicht „de poetis urbanis“ zu mustern, wie Franc. Arsillus that Abgedruckt in den Beilagen zu Roscoe, Leone X, und in den Deli- ciæ. Vgl. Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Arsillus. Ferner für die große Zahl der Epigrammatiker Lil. Greg. Gyraldus, a. a. O. Eine der schlimmsten Federn war Marcantonio Casanova. — Von den weniger bekannten ist Jo. Thomas Musconius (s. d. Deliciæ ) auszuzeichnen. , ein Mann, der kein päpstliches oder anderes Mäcenat brauchte und sich seine freie Zunge auch gegen die Collegen vorbehielt. — Ueber Paul III. herab reicht das Epigramm nur noch 3. Abschnitt. in vereinzelten Nachklängen, die Epigraphik dagegen blüht länger und unterliegt erst im XVII. Jahrhundert völlig dem Schwulst. Das Epigramm in Venedig. Auch in Venedig hat sie ihre besondere Geschichte, die wir mit Hülfe von Francesco Sansovino's „Venezia“ ver- folgen können. Eine stehende Aufgabe bildeten die Motto's (Brievi) auf den Dogenbildnissen des großen Saales im Dogenpalast, zwei bis vier Hexameter, welche das Wesent- liche aus der Amtsführung des Betreffenden enthalten Marin Sanudo, in den vite de' duchi di Venezia (Murat. XXII.) theilt sie regelmäßig mit. . Dann hatten die Dogengräber des XIV. Jahrhunderts laconische Prosainschriften, welche nur Thatsachen enthalten, und daneben schwülstige Hexameter oder leoninische Verse. Im XV. Jahrhundert steigt die Sorgfalt des Styles; im XVI. erreicht sie ihre Höhe und bald beginnt die un- nütze Antithese, die Prosopopöe, das Pathos, das Princi- pienlob, mit Einem Worte: der Schwulst. Ziemlich oft wird gestichelt und verdeckter Tadel gegen Andere durch directes Lob des Verstorbenen ausgedrückt. Ganz spät kommen dann wieder ein paar absichtlich einfache Epita- phien. Architectur und Ornamentik waren auf das Anbringen von Inschriften — oft in vielfacher Wiederholung — voll- kommen eingerichtet, während z. B. das Gothische des Nor- dens nur mit Mühe einen zweckmäßigen Platz für eine Inschrift schafft, und sie an Grabmälern z. B. gerne den bedrohtesten Stellen, den Rändern zuweist. Durch das bisher Gesagte glauben wir nun keines- weges den Leser von dem eigenthümlichen Werthe dieser lateinischen Poesie der Italiener überzeugt zu haben. Es Macaronische Poesie. handelte sich nur darum, die culturgeschichtliche Stellung und Nothwendigkeit derselben anzudeuten. Schon damals entstand Scardeonius, de urb. Patav. antiq. (Græv. thes. VI, III, Col. 270) nennt als den eigentlichen Erfinder einen gew. Odaxius von Padua, um die Mitte des XV. Jahrh. Gemischte Verse aus Latein und den Landessprachen giebt es aber schon viel früher allenthalben. übrigens ein Zerrbild davon: die sogenannte 3. Abschnitt. macaroneische Poesie, deren Hauptwerk, das Opus macaro- nicorum, von Merlinus Cocaius (d. h. Teofilo Folengo von Mantua) gedichtet ist. Vom Inhalt wird noch hie und da die Rede sein; was die Form betrifft — Hexameter u. a. Verse gemischt aus lateinischen und italienischen Wörtern mit lateinischen Endungen — so liegt das Komische der- selben wesentlich darin, daß sich diese Mischungen wie lauter Lapsus linguae anhören, wie das Sprudeln eines über- eifrigen lateinischen Improvisators. Nachahmungen aus Deutsch und Latein geben hievon keine Ahnung. Nachdem mehrere glänzende Generationen von Poeten- Sturz der Hu- manisten. Philologen seit Anfang des XIV. Jahrhunderts Italien und die Welt mit dem Cultus des Alterthums erfüllt, die Bildung und Erziehung wesentlich bestimmt, oft auch das Staatswesen geleitet, und die antike Literatur nach Kräften reproducirt hatten, fiel mit dem XVI. Jahrhundert die ganze Menschenclasse in einen lauten und allgemeinen Miß- credit, zu einer Zeit, da man ihre Lehre und ihr Wissen noch durchaus nicht völlig entbehren wollte. Man redet, schreibt und dichtet noch fortwährend wie sie, aber persön- lich will Niemand mehr zu ihnen gehören. In die beiden Hauptanklagen wegen ihres bösartigen Hochmuthes und ihrer schändlichen Ausschweifungen tönt bereits die dritte hinein, die Stimme der beginnenden Gegenreformation: wegen ihres Unglaubens. Warum verlauteten, muß man zunächst fragen, diese Vorwürfe nicht früher, mochten sie nun wahr oder unwahr 3. Abschnitt. sein? Sie sind schon frühe genug vernehmlich, allein ohne sonderliche Wirkung, offenbar weil man von den Literaten noch gar zu abhängig war in Betreff des Sachinhaltes des Alterthums, weil sie im persönlichsten Sinne die Besitzer, Träger und Verbreiter desselben waren. Allein das Ueber- handnehmen gedruckter Ausgaben der Classiker Man übersehe nicht, daß dieselben sehr früh mit alten Scholien und neuen Commentaren abgedruckt wurden. , großer wohlangelegter Handbücher und Nachschlagewerke emanci- pirte das Volk schon in bedeutendem Grade von dem dauern- den persönlichen Verkehr mit den Humanisten, und sobald man sich ihrer auch nur zur Hälfte entschlagen konnte, trat dann jener Umschlag der Stimmung ein. Gute und Böse litten darunter ohne Unterschied. Ihre Schuld daran. Urheber jener Anklagen sind durchaus die Humanisten selbst. Von Allen, die jemals einen Stand gebildet, haben sie am allerwenigsten ein Gefühl des Zusammenhaltes ge- habt oder, wo es sich aufraffen wollte, respectirt. Sobald sie dann anfingen sich Einer über den Andern zu erheben, war ihnen jedes Mittel gleichgültig. Bitzschnell gehen sie von wissenschaftlichen Gründen zur Invective und zur bo- denlosesten Lästerung über; sie wollen ihren Gegner nicht widerlegen sondern in jeder Beziehung zernichten. Etwas hievon kommt auf Rechnung ihrer Umgebung und Stellung; wir sahen, wie heftig das Zeitalter, dessen lauteste Organe sie waren, von den Wogen des Ruhmes und des Hohnes hin und her geworfen wurde. Auch war ihre Lage im wirklichen Leben meist eine solche, daß sie sich beständig ihrer Existenz wehren mußten. In solchen Stimmungen schrieben und perorirten sie und schilderten einander. Poggio's Werke allein enthalten schon Schmutz genug um ein Vorurtheil gegen die ganze Schaar hervorzurufen — und diese Opera Poggii mußten gerade am häufigsten aufgelegt werden, diesseits wie jenseits der Alpen. Man freue sich nicht zu früh, wenn sich im XV. Jahrhundert eine Gestalt unter 3. Abschnitt. dieser Schaar findet, die unantastbar scheint; bei weiterem Suchen läuft man immer Gefahr irgend einer Lästerung zu begegnen, welche, selbst wenn man sie nicht glaubt, das Bild trüben wird. Die vielen unzüchtigen lateinischen Ge- dichte und etwa eine Persiflage der eigenen Familie, wie z. B. in Pontano's Dialog „Antonius“ thaten das Uebrige. Das XVI. Jahrhundert kannte diese Zeugnisse alle und war der betreffenden Menschengattung ohnehin müde ge- worden. Sie mußte büßen für das was sie verübt hatte und für das Uebermaß der Geltung, das ihr bisher zu Theil geworden war. Ihr böses Schicksal wollte es, daß der größte Dichter der Nation sich über sie mit ruhiger, souveräner Verachtung aussprach Ariosto, Satira VII. Vom Jahre 1531. . Von den Vorwürfen, die sich jetzt zu einem Gesammt- widerwillen sammelten, war nur zu Vieles begründet. Ein bestimmter, kenntlicher Zug zur Sittenstrenge und Reli- giosität war und blieb in manchen Philologen lebendig, und es ist ein Zeichen geringer Kenntniß jener Zeit, wenn man die ganze Classe verurtheilt, aber Viele, und darunter die lautesten, waren schuldig. Drei Dinge erklären und vermindern vielleicht ihre Das Maß ihrer Schuld. Schuld: die übermäßige, glänzende Verwöhnung wenn das Glück ihnen günstig war; die Garantielosigkeit ihres äußern Daseins, so daß Glanz und Elend je nach Launen der Herrn und nach der Bosheit der Gegner rasch wechselten; endlich der irremachende Einfluß des Alterthums. Dieses störte ihre Sittlichkeit ohne ihnen die seinige mitzutheilen; und auch in religiösen Dingen wirkte es auf sie wesentlich von seiner sceptischen und negativen Seite, da von einer Annahme des positiven Götterglaubens doch nicht die Rede sein konnte. Gerade weil sie das Alterthum dogmatisch, d. h. als Vorbild alles Denkens und Handelns auffaßten, 3. Abschnitt. mußten sie hier in Nachtheil gerathen. Daß es aber ein Jahrhundert gab, welches mit voller Einseitigkeit die alte Welt und deren Hervorbringungen vergötterte, das war nicht mehr Schuld Einzelner sondern höhere geschichtliche Fügung. Alle Bildung der seitherigen und künftigen Zeiten beruht darauf daß dieß geschehen ist, und daß es damals so ganz einseitig und mit Zurücksetzung aller andern Lebens- zwecke geschehen ist. Ihr Lebens- lauf. Der Lebenslauf der Humanisten war in der Regel ein solcher, daß nur die stärksten sittlichen Naturen ihn durchmachen konnten ohne Schaden zu nehmen. Die erste Gefahr kam bisweilen wohl von den Eltern her, welche den oft außerordentlich früh entwickelten Knaben zum Wunder- kind Solche kommen mehrere vor, doch muß ich einen eigentlichen Beweis des hier Gesagten schuldig bleiben. Das Wunderkind Giulio Cam- pagnola gehört nicht zu den aus Ehrgeiz emporgetriebenen. Vgl. Scardeonius, de urb. Patav. antiq., bei Græv. thesaur. VI, III, Col. 276. — Das Wunderkind Cecchino Bracci, st. 1544 im 15. Jahr, vgl. Trucchi, poesie ital. inedite III, p. 229. — Wie der Vater des Cardano ihm wollte memoriam artificialem instillare und ihn schon als Kind in der arabischen Astrologie unter- wies, vgl. Cardanus, de propria vita, cap. 34. ausbildeten, im Hinblick auf eine künftige Stellung in jenem Stande, der damals Alles galt. Wunderkinder aber bleiben insgemein auf einer gewissen Stufe stehen, oder sie müssen sich die weitere Entwicklung und Geltung unter den allerbittersten Prüfungen erkämpfen. Auch für den aufstrebenden Jüngling war der Ruhm und das glänzende Auftreten des Humanisten eine gefährliche Lockung; es kam ihm vor, auch er könne „wegen angeborenen Hoch- „sinns die gemeinen und niedrigen Dinge nicht mehr beach- „ten“ Ausdruck des Filippo Villani, vite p. 5. bei einem solchen Anlaß. . Und so stürzte man sich in ein wechselvolles, aufreibendes Leben hinein, in welchem angestrengte Studien, Hauslehrerschaft, Secretariat, Professur, Dienstbarkeit bei 3. Abschnitt. Fürsten, tödtliche Feindschaften und Gefahren, begeisterte Bewunderung und Ueberschüttung mit Hohn, Ueberfluß und Armuth wirr aufeinander folgten. Dem gediegensten Wissen konnte der flachste Dilettantismus bisweilen den Rang ab- laufen. Das Hauptübel aber war, daß dieser Stand mit einer festen Heimath beinahe unverträglich blieb, indem er entweder den Ortswechsel geradezu erforderte, oder den Menschen so stimmte, daß ihm nirgends lange wohl sein konnte. Während er der Leute des Ortes satt wurde und im Wirbel der Feindschaften sich übel befand, verlangten auch eben jene Leute stets Neues (S. 207). So Manches Vergleichung mit den Sophisten hier auch an die griechischen Sophisten der Kaiserzeit er- innert, wie sie Philostratus beschreibt, so standen diese doch günstiger, indem sie großentheils Reichthümer besaßen, oder leichter entbehrten und überhaupt leichter lebten, weil sie nicht sowohl Gelehrte als ausübende Virtuosen der Rede waren. Der Humanist der Renaissance dagegen muß eine große Erudition und einen Strudel der verschiedensten Lagen und Beschäftigungen zu tragen wissen. Dazu dann, um sich zu betäuben, unordentlicher Genuß, und, sobald man ihm ohnehin das Schlimmste zutraute, Gleichgültigkeit gegen alle sonst geltende Moral. Ohne Hochmuth sind solche Charactere vollends nicht denkbar; sie bedürfen des- selben schon um oben schwimmend zu bleiben und die mit dem Haß abwechselnde Vergötterung bestärkt sie nothwendig darin. Sie sind die auffallendsten Beispiele und Opfer der entfesselten Subjectivität. Die Klagen wie die satirischen Schilderungen beginnen, Ankläger im XV. Jahrh.; wie bemerkt, schon früh, indem ja für jeden entwickelten Individualismus, für jede Art von Celebrität ein bestimmter Hohn als Zuchtruthe vorhanden war. Zudem lieferten ja die Betreffenden selber das furchtbarste Material, welches man nur zu benützen brauchte. Noch im XV. Jahrhundert ordnet Battista Mantovano in der Aufzählung der sieben 3. Abschnitt. Ungeheuer Bapt. Mantuan. de calamitatibus temporum, L. I. die Humanisten mit vielen Andern unter den Artikel: Superbia; er schildert sie mit ihrem Dünkel als Apollssöhne, wie sie verdrossenen und maliciösen Aussehens mit falscher Gravität einherschreiten, dem körnerpickenden Kranich vergleichbar, bald ihren Schatten betrachtend, bald in zehrende Sorge um Lob versunken. Allein das XVI. Jahrhundert machte ihnen förmlich den Proceß. Außer Im XVI. Ih. Ariosto bezeugt dieß hauptsächlich ihr Literarhistoriker Gy- raldus, dessen Abhandlung Lil. Greg. Gyraldus Progymnasma adversus literas et literatos. schon unter Leo X. verfaßt, wahrscheinlich aber um 1540 überarbeitet wurde. Antike und moderne Warnungsexempel der sittlichen Haltlosigkeit und des jammervollen Lebens der Literaten strömen uns hier in gewaltiger Masse entgegen, und dazwischen werden schwere allgemeine Anklagen formulirt. Dieselben lauten hauptsächlich auf Leidenschaftlichkeit, Eitelkeit, Starrsinn, Selbstvergötterung, zerfahrenes Privatleben, Unzucht aller Art, Ketzerei, Atheismus, — dann Wohlredenheit ohne Ueberzeugung, verderblichen Einfluß auf die Cabinete, Sprachpedanterei, Undank gegen die Lehrer, kriechende Schmeichelei gegen die Fürsten, welche den Literaten zuerst anbeißen und dann hungern lassen u. dgl. m. Den Schluß bildet eine Bemerkung über das goldene Zeitalter, welches nämlich damals geherrscht habe, als es noch keine Wissen- schaft gab. — Von diesen Anklagen wurde bald eine die gefährlichste: diejenige auf Ketzerei, und Gyraldus selbst muß sich später beim Wiederabdruck einer völlig harmlosen Jugendschrift Lil. Greg. Gyraldus: Hercules. Die Widmung ist ein sprechendes Denkmal der ersten drohenden Regungen der Inquisition. an den Mantel des Herzogs Ercole II. von Ferrara anklammern, weil schon Leute das Wort führen, welche finden, die Zeit wäre besser an christliche Gegenstände gewendet worden als an mythologische Forschungen. Er giebt zu erwägen, daß letztere im Gegentheil bei so beschaf- 3. Abschnitt. fenen Zeiten fast der einzige unschuldige, d. h. neutrale Gegenstand gelehrter Darstellung seien. Wenn aber die Culturgeschichte nach Aussagen zu Das Unglück der Gelehrten. suchen verpflichtet ist, in welchen neben der Anklage das menschliche Mitgefühl vorwiegt, so ist keine Quelle zu ver- gleichen mit der oft erwähnten Schrift des Pierio Valeriano „über das Unglück der Gelehrten“ De infelicitate literatorum. . Sie ist geschrieben unter dem düstern Eindruck der Verwüstung von Rom, welche mit dem Jammer, den sie auch über die Gelehrten brachte, dem Verfasser wie der Abschluß eines schon lange gegen dieselben wüthenden bösen Schicksals erscheint. Pierio folgt hier einer einfachen, im Ganzen richtigen Empfindung; er thut nicht groß mit einem besondern vornehmen Dämon, der die geistreichen Leute wegen ihres Genies verfolge, sondern er constatirt das Geschehene, worin oft der bloße unglückliche Zufall als entscheidend vorkömmt. Er wünscht keine Tragödie zu schreiben oder Alles aus höhern Con- flicten herzuleiten, weßhalb er denn auch Alltägliches vor- bringt. Da lernen wir Leute kennen, welche bei unruhigen Zeiten zunächst ihre Einnahmen, dann auch ihre Stellen verlieren, Leute, welche zwischen zwei Anstellungen leer aus- gehen, menschenscheue Geizhälse, die ihr Geld immer ein- genäht auf sich tragen, und nach geschehener Beraubung im Wahnsinn sterben, Andere, welche Pfründen annehmen und in melancholischem Heimweh nach der frühern Freiheit dahin- siechen. Dann wird der frühe Tod Vieler durch Fieber oder Pest beklagt, wobei die ausgearbeiteten Schriften mit- sammt Bettzeug und Kleidern verbrannt werden; Andere leben und leiden unter Morddrohungen von Collegen; Diesen und Jenen mordet ein habsüchtiger Diener, oder Bösewichter fangen ihn auf der Reise weg und lassen ihn in einem Kerker verschmachten weil er kein Lösegeld zahlen kann. Manchen rafft geheimes Herzeleid, erlittene Krän- Cultur der Renaissance. 18 3. Abschnitt. kung und Zurücksetzung dahin; ein Venezianer stirbt vor Gram, weil sein Söhnchen, ein Wunderkind, gestorben ist, und die Mutter und deren Bruder folgen bald, als zöge das Kind sie alle nach sich. Ziemlich viele, zumal Floren- tiner, enden durch Selbstmord Hiezu vgl. schon Dante, Inferno, XIII. , andere durch geheime Justiz Der tiefere Grund desselben. eines Tyrannen. Wer ist am Ende noch glücklich? und auf welche Weise? etwa durch völlige Abstumpfung des Gefühles gegen solchen Jammer? Einer der Mitredner des Dialoges, in welchen Pierio seine Darstellung gekleidet hat, weiß Rath in diesen Fragen; es ist der herrliche Gasparo Contarini, und schon bei Nennung dieses Namens darf man erwarten, daß uns wenigstens Etwas von dem Tiefsten und Wahrsten mitgetheilt werde, was sich damals darüber denken ließ. Als Bild eines glücklichen Gelehrten erscheint ihm Urbano Valeriano von Belluno, der in Venedig lange Zeit hindurch Lehrer des Griechischen war, Griechenland und den Orient besuchte, noch in späten Jahren bald dieses und bald jenes Land durchlief ohne je ein Thier zu besteigen, nie einen Heller für sich besaß, alle Ehren und Standes- erhöhungen zurückwies, und nach einem heitern Alter im 84sten Jahre starb ohne, mit Ausnahme eines Sturzes von der Leiter, eine kranke Stunde gehabt zu haben. Was unterschied ihn von den Humanisten? Diese haben mehr freien Willen, mehr losgebundene Subjectivität als sie mit Das Gegenbild des Humanisten. Glück verwerthen können; der Bettelmönch dagegen, im Kloster seit seinen Knabenjahren, hatte nie nach eigenem Belieben auch nur Speise oder Schlaf genossen und empfand deßhalb den Zwang nicht mehr als Zwang; kraft dieser Gewöhnung führte er mitten in allen Beschwerden das innerlich ruhigste Leben und wirkte durch diesen Eindruck mehr auf seine Zuhörer als durch sein Griechisch; sie glaub- ten nunmehr überzeugt zu sein, daß es von uns selbst ab- hänge, ob wir im Mißgeschick jammern oder uns trösten sollen. „Mitten in Dürftigkeit und Mühen war er glück- 3. Abschnitt. „lich weil er es sein wollte, weil er nicht verwöhnt, nicht „phantastisch, nicht unbeständig und ungenügsam war, „sondern sich immer mit wenig oder nichts zufrieden gab.“ — Wenn wir Contarini selber hörten, so wäre vielleicht auch noch ein religiöses Motiv dem Bilde beigemischt; doch ist schon der practische Philosoph in Sandalen sprechend und bedeutsam genug. Einen verwandten Character in andern Umgebungen verräth auch jener Fabio Calvi von Ravenna Cœlii Calcagnini opera, ed. Basil. 1544, p. 101, im VII. Buch der Episteln. — Vgl. Pierio Val. de inf. lit. , Fabio Calvi. der Erklärer des Hippocrates. Er lebte hochbejahrt in Rom bloß von Kräutern „wie einst die Pythagoräer“ und bewohnte ein Gemäuer, das vor der Tonne des Diogenes keinen großen Vorzug hatte; von der Pension, die ihm Papst Leo bezahlte, nahm er nur das Allernöthigste und gab den Rest an Andere. Er blieb nicht gesund wie Fra Ur- bano, auch war sein Ende so, daß er wohl schwerlich im Tode gelächelt haben wird wie dieser, denn bei der Ver- wüstung von Rom schleppten ihn, den fast neunzigjährigen Greis, die Spanier fort in der Absicht, ihn zu ranzioniren, und er starb an den Folgen des Hungers in einem Spital. Aber sein Name ist in das Reich der Unvergänglichkeit ge- rettet, weil Rafael den Alten wie einen Vater geliebt und wie einen Meister geehrt, weil er ihn in allen Dingen zu Rathe gezogen hatte. Vielleicht bezog sich die Berathung vorzugsweise auf jene antiquarische Restauration des alten Rom (S. 185) vielleicht aber auch auf viel höhere Dinge. Wer kann sagen, wie großen Antheil Fabio am Gedanken der Schule von Athen und anderer hochwichtiger Com- positionen Rafaels gehabt hat? Gerne möchten wir hier mit einem anmuthigen und Pomponius Laetus. versöhnlichen Lebensbilde schließen, etwa mit dem des Pom- ponius Laetus, wenn uns nur über diesen noch etwas mehr 18* 3. Abschnitt. als der Brief seines Schülers Sabellicus M. Ant. Sabellici opera, Epist. L. XI, fol. 56. Dazu die be- treffende Biographie in den Elogia des Paolo Giovio. zu Gebote Pomponius Laetus. stände, in welchem Laetus wohl absichtlich etwas antikisirt wird; doch mögen einige Züge daraus folgen. Er war (S. 245) ein Bastard aus dem Hause der neapolitanischen Sanseverinen, Fürsten von Salerno, wollte sie aber nicht anerkennen und schrieb ihnen auf die Einladung, bei ihnen zu leben, das berühmte Billet: Pomponius Lætus cog- natis et propinquis suis salutem. Quod petitis fieri non potest. Valete. Ein unansehnliches Männchen mit kleinen lebhaften Augen, in wunderlicher Tracht, bewohnte er in den letzten Jahrzehnden des XV. Jahrhunderts, als Lehrer an der Universität Rom, bald sein Häuschen mit Garten auf dem Esquilin, bald seine Vigne auf dem Quirinal; dort zog er seine Enten u. a. Geflügel, hier baute er sein Grundstück durchaus nach den Vorschriften des Cato, Varro und Columella; Festtage widmete er draußen dem Fisch- und Vogelfang, auch wohl dem Gelage im Schatten bei einer Quelle oder an der Tiber. Reich- thum und Wohlleben verachtete er. Neid und Uebelrede war nicht in ihm und er duldete sie auch in seiner Nähe nicht, nur gegen die Hierarchie ließ er sich sehr frei gehen, wie er denn auch, die letzten Zeiten ausgenommen, als Verächter der Religion überhaupt galt. In die Humanisten- verfolgung Papst Pauls II. verflochten, war er von Vene- dig an diesen ausgeliefert worden und hatte sich durch kein Mittel zu unwürdigen Geständnissen bringen lassen; seitdem luden ihn Päpste und Prälaten zu sich ein und unterstützten ihn, und als in den Unruhen unter Sixtus IV. sein Haus geplündert wurde, steuerte man für ihn mehr zusammen als er eingebüßt hatte. Als Docent war er gewissenhaft; schon vor Tage sah man ihn mit seiner Laterne vom Es- quilin herabsteigen, und immer fand er seinen Hörsaal schon gedrängt voll; da er im Gespräch stotterte, sprach er auf 3. Abschnitt. dem Catheder behutsam, aber doch schön und gleichmäßig. Auch seine wenigen Schriften sind sorgfältig abgefaßt. Alte Texte behandelte Keiner so sorgfältig und schüchtern, wie er denn auch vor andern Resten des Alterthums seinen wahren Respect bewies, indem er wie verzückt da stand oder in Thränen ausbrach. Da er die eigenen Studien liegen ließ, wenn er Andern behülflich sein konnte, so hing man ihm sehr an, und als er starb, sandte sogar Alexan- der VI. seine Höflinge, die Leiche zu begleiten, welche von den vornehmsten Zuhörern getragen wurde; den Exequien in Araceli wohnten vierzig Bischöfe und alle fremden Ge- sandten bei. Laetus hatte die Aufführungen antiker, hauptsächlich Plautus und die römische Academie. plautinischer Stücke in Rom aufgebracht und geleitet (S. 250). Auch feierte er den Gründungstag der Stadt alljährlich mit einem Feste, wobei seine Freunde und Schüler Reden und Gedichte vortrugen. Bei diesen beiden Hauptanlässen bildete sich und blieb dann auch später beisammen was man die römische Academie nannte. Dieselbe war durchaus nur ein freier Verein und an kein festes Institut geknüpft; außer jenen Gelegenheiten kam sie zusammen Jac. Volaterran. Diar. Rom. bei Murat. XXIII. Col. 161. 171. 185. — Anecdota liter. II, p, 168, s. , wenn ein Gönner sie einlud oder wenn das Gedächtniß eines verstor- benen Mitgliedes, z. B. des Platina gefeiert wurde. Vor- mittags pflegte dann ein Prälat, der dazu gehörte, eine Messe zu lesen; darauf betrat etwa Pomponio die Kanzel und hielt die betreffende Rede; nach ihm stieg ein Anderer hinauf und recitirte Distichen. Der obligate Schmaus mit Disputationen und Recitationen beschloß Trauer- wie Freu- denfeste und die Academiker, z. B. gerade Platina selber, galten schon früh als Feinschmecker Paul. Jov. de romanis piscibus, cap. 17 und 34. . Andere Male führten ein- 3. Abschnitt. zelne Gäste auch Farcen im Geschmack der Atellanen auf. Als freier Verein von sehr wandelbarem Umfang dauerte diese Academie in ihrer ursprünglichen Art weiter bis auf die Verwüstung Roms und erfreute sich der Gastlichkeit eines Angelus Coloccius, eines Joh. Corycius (S. 265) u. a. Wie hoch sie für das Geistesleben der Nation zu werthen ist, läßt sich so wenig genau bestimmen als bei irgend einer geselligen Verbindung dieser Art; immerhin rechnet sie selbst ein Sadoleto Sadoleti Epist. 106, vom J. 1529. zu den besten Erinnerungen seiner Jugend. — Andere Acade- mien. Eine ganze Anzahl anderer Academien entstanden und ver- gingen in verschiedenen Städten, je nachdem die Zahl und Bedeutung der ansässigen Humanisten oder die Gönnerschaft von Reichen und Großen es möglich machte. So die Aca- demie von Neapel, welche sich um Jovianus Pontanus versammelte und von welcher ein Theil nach Lecce über- siedelte Anton. Galatei epist. 10 und 12, bei Mai, Spicileg. rom. vol. VIII. , diejenige von Pordenone, welche den Hof des Feldherrn Alviano bildete u. s. w. Von derjenigen des Lodovico Moro und ihrer eigenthümlichen Bedeutung für den Umgang des Fürsten ist bereits (S. 42) die Rede gewesen. Deren Italisi- rung. Gegen die Mitte des XVI. Jahrhunderts scheint eine vollständige Umwandlung mit diesen Vereinen vorgegangen zu sein. Die Humanisten, auch sonst aus der gebietenden Stellung im Leben verdrängt und der beginnenden Gegen- reformation Objecte des Verdachtes, verlieren die Leitung der Academien, und die italienische Poesie tritt auch hier an die Stelle der lateinischen. Bald hat jede irgend be- trächtliche Stadt ihre Academie mit möglichst bizarrem Na- men Dieses schon vor der Mitte des Jahrh. Vgl. Lil. Greg. Gyral- dus, de poetis nostri temp. II. und mit eigenem, durch Beiträge und Vermächtnisse gebildetem Vermögen. Außer dem Recitiren von Versen 3. Abschnitt. ist aus der frühern, lateinischen Zeit herübergenommen das periodische Gastmahl und die Aufführung von Dramen, theils durch die Academiker selbst, theils unter ihrer Auf- sicht durch junge Leute und bald durch bezahlte Schauspieler. Das Schicksal des italienischen Theaters, später auch der Oper, ist lange Zeit in den Händen dieser Vereine geblieben. Vierter Abschnitt. Die Entdeckung der Welt und des Menschen. 4. Abschnitt. F rei von zahllosen Schranken, die anderwärts den Fort- schritt hemmten, individuell hoch entwickelt und durch das Alterthum geschult, wendet sich der italienische Geist auf die Entdeckung der äußern Welt und wagt sich an deren Darstellung in Wort und Form. Wie die Kunst diese Aufgabe löste, wird anderswo erzählt werden. Reisen der Ita- liener. Ueber die Reisen der Italiener nach fernen Weltge- genden ist uns hier nur eine allgemeine Bemerkung ge- stattet. Die Kreuzzüge hatten allen Europäern die Ferne geöffnet und überall den abenteuernden Wandertrieb ge- weckt. Es wird immer schwer sein, den Punct anzugeben, wo derselbe sich mit dem Wissensdrang verbindet oder vol- lends dessen Diener wird; am frühsten und vollständigsten aber ist dieß bei den Italienern geschehen. Schon an den Kreuzzügen selbst hatten sie sich in einem andern Sinne betheiligt als die übrigen, weil sie bereits Flotten und Handelsinteressen im Orient besaßen; von jeher hatte das Mittelmeer seine Anwohner anders erzogen als das Binnen- land die seinigen, und Abenteurer im nordischen Sinne konnten die Italiener nach ihrer Naturanlage überhaupt nie sein. Als sie nun in allen östlichen Häfen des Mittel- meeres heimisch geworden waren, geschah es leicht, daß sich die Unternehmendsten dem grandiosen mohammedanischen Wanderleben, welches dort ausmündete, anschlossen; eine ganze große Seite der Erde lag dann gleichsam schon ent- 4. Abschnitt. deckt vor ihnen. Oder sie geriethen, wie die Polo von Venedig, in die Wellenschläge der mongolischen Welt hinein und wurden weiter getragen bis an die Stufen des Thrones des Großchans. Frühe finden wir einzelne Italiener auch schon im atlantischen Meere als Theilnehmer von Ent- deckungen, wie denn z. B. Genuesen im XIII. Jahrhundert bereits die canarischen Inseln fanden Luigi Bossi, Vita di Cristoforo Colombo, wo sich eine Ueber- sicht der frühern ital. Reisen und Entdeckungen findet, p. 91, s. ; Columbus ist nur der Größte einer ganzen Reihe von Italienern, welche im Dienste der Westvölker in ferne Meere fuhren. Nun ist aber der wahre Entdecker nicht der, welcher zufällig zuerst irgendwohin geräth, sondern der, welcher gesucht hat und findet; ein solcher allein wird auch im Zusammenhange stehen mit den Gedanken und Interessen seiner Vorgänger, und die Rechenschaft, die er ablegt, wird danach beschaffen sein. Deßhalb werden die Italiener, auch wenn ihnen jede einzelne Priorität der Ankunft an diesem oder jenem Strande abgestritten würde, doch immer das moderne Entdeckervolk im vorzugsweisen Sinne für das ganze Spätmittelalter bleiben. Die nähere Begründung dieses Satzes gehört der Spe- cialgeschichte der Entdeckungen an. Immer von Neuem aber wendet sich die Bewunderung der ehrwürdigen Gestalt Columbus. des großen Genuesen zu, der einen neuen Continent jenseits der Wasser forderte, suchte und fand, und der es zuerst aussprechen durfte: il mondo è poco, die Erde ist nicht so groß als man glaubt. Während Spanien den Italienern einen Alexander VI. sendet, giebt Italien den Spaniern den Columbus; wenige Wochen vor dem Tode jenes Papstes (7. Juli 1503) datirt dieser aus Jamaica seinen herrlichen Brief an die undankbaren katholischen Könige, den die ganze Nachwelt nie wird ohne die stärkste Erregung lesen 4. Abschnitt. können. In einem Codicill zu seinem Testamente, datirt zu Valladolid, 4. Mai 1506, vermacht er „seiner geliebten „Heimath, der Republik Genua, das Gebetbuch, welches „ihm Papst Alexander geschenkt, und welches ihm in Kerker, „Kampf und Widerwärtigkeiten zum höchsten Troste gereicht „hatte“. Es ist als ob damit auf den fürchterlichen Na- men Borgia ein letzter Schimmer von Gnade und Güte fiele. Cosmographi- sche Tendenz. Ebenso wie die Geschichte der Reisen dürfen wir auch die Entwicklung des geographischen Darstellens bei den Italienern, ihren Antheil an der Cosmographie, nur kurz berühren. Schon eine flüchtige Vergleichung ihrer Leistungen mit denjenigen anderer Völker zeigt eine frühe und augen- fällige Ueberlegenheit. Wo hätte sich um die Mitte des XV. Jahrhunderts außerhalb Italiens eine solche Ver- bindung des geographischen, statistischen und historischen Aeneas Syl- vius. Interesses gefunden wie in Aeneas Sylvius? wo eine so gleichmäßig ausgebildete Darstellung? Nicht nur in seiner eigentlich cosmographischen Hauptarbeit sondern auch in seinen Briefen und Commentarien schildert er mit gleicher Virtuosität Landschaften, Städte, Sitten, Gewerbe und Erträgnisse, politische Zustände und Verfassungen, sobald ihm die eigene Wahrnehmung oder lebendige Kunde zu Gebote steht; was er nur nach Büchern beschreibt, ist na- türlich geringer. Schon die kurze Skizze Pii II. comment. L. I, p. 14. — Daß er nicht immer richtig beobachtete und bisweilen das Bild willkürlich ergänzte, zeigt uns z. B. seine Beschreibung Basels nur zu klar. Im Ganzen bleibt ihm doch ein hoher Werth. jenes tyrolischen Alpenthales, wo er durch Friedrich III. eine Pfründe be- kommen hatte, berührt alle wesentlichen Lebensbeziehungen und zeigt eine Gabe und Methode des objectiven Beobach- tens und Vergleichens, wie sie nur ein durch die Alten gebildeter Landsmann des Columbus besitzen konnte. Tau- sende sahen und wußten wenigstens stückweise, was er wußte, aber sie hatten keinen Drang, ein Bild davon zu 4. Abschnitt. entwerfen, und kein Bewußtsein, daß die Welt solche Bilder verlange. Auch in der Cosmographie Im XVI. Jahrh. hielt sich Italien noch lange als die vorzugsweise Heimath der cosmographischen Literatur, als die Entdecker selbst schon fast nur den atlantischen Völkern angehörten. Die einheimische Geo- graphie hat gegen Mitte des Jahrh. das große und sehr achtungs- werthe Werk des Leandro Alberti: Descrizione di tutta l'Italia aufzuweisen. wird man umsonst genau Wechselwirkung von Entdeckung u. Beschreibung. zu sondern suchen, wie viel dem Studium der Alten, wie viel dem eigenthümlichen Genius der Italiener auf die Rechnung zu schreiben sei. Sie beobachten und behandeln die Dinge dieser Welt objectiv noch bevor sie die Alten genauer kennen, weil sie selber noch ein halbantikes Volk sind und weil ihr politischer Zustand sie dazu vorbereitet; sie würden aber nicht zu solcher raschen Reife darin gelangt sein, hätten ihnen nicht die alten Geographen den Weg gewiesen. Ganz unberechenbar ist endlich die Einwirkung der schon vorhandenen italienischen Cosmographien auf Geist und Tendenz der Reisenden, der Entdecker. Auch der dilettantische Bearbeiter einer Wissenschaft, wenn wir z. B. im vorliegenden Fall den Aeneas Sylvius so niedrig taxiren wollen, kann gerade diejenige Art von allgemeinem Interesse für die Sache verbreiten, welche für neue Unternehmer den unentbehrlichen neuen Boden einer herrschenden Meinung, eines günstigen Vorurtheils bildet. Wahre Entdecker in allen Fächern wissen recht wohl was sie solchen Vermittlern verdanken. Für die Stellung der Italiener im Bereich der Natur- Naturwissen- schaften. wissenschaften müssen wir auf die besondern Fachbücher verweisen, von welchen uns nur das offenbar sehr flüchtige und absprechende Werk Libri's bekannt ist Libri, Histoire des sciences mathématiques en Italie, IV voll., Paris 1838. . Der Streit 4. Abschnitt. über Priorität gewisser einzelner Entdeckungen berührt uns um so weniger da wir der Ansicht sind, daß in jeder Zeit und in jedem Culturvolke möglicherweise ein Mensch auf- stehen kann, der sich, von sehr mäßiger Vorbildung aus- gehend, aus unwiderstehlichem Drange der Empirie in die Arme wirft und vermöge angeborner Begabung die erstaun- lichsten Fortschritte macht. Solche Männer waren Gerbert von Rheims und Roger Bacon; daß sie sich überdieß des ganzen Wissens ihrer Zeit in ihren Fächern bemächtigten, war dann bloße nothwendige Consequenz ihres Strebens. Sobald einmal die allgemeine Hülle des Wahns durchge- rissen, die Knechtschaft unter der Tradition und den Büchern, die Scheu vor der Natur überwunden war, lagen die Pro- Richtung auf die Empirie. bleme massenweise vor ihren Augen. Ein Anderes ist es aber wenn einem ganzen Volke das Betrachten und Er- forschen der Natur vorzugsweise und früher als andern Völkern eigen ist, wenn also der Entdecker nicht bedroht und todtgeschwiegen wird, sondern auf das Entgegenkommen verwandter Geister rechnen kann. Daß dieß sich in Italien so verhalten habe, wird versichert Um hier zu einem bündigen Urtheil zu gelangen, müßte das Zu- nehmen des Sammelns von Beobachtungen, getrennt von den wesent- lich mathematischen Wissenschaften, constatirt werden, was unsere Sache nicht ist. . Nicht ohne Stolz verfolgen die italienischen Naturforscher in der Divina Co- media die Beweise und Anklänge von Dante's empirischer Naturforschung Libri, a. a. O. II, p. 174, s. . Ueber die einzelnen Entdeckungen oder Prioritäten der Erwähnung, die sie ihm beilegen, haben wir kein Urtheil, aber jedem Laien muß die Fülle der Be- trachtung der äußern Welt auffallen, welche schon aus Dante's Bildern und Vergleichungen spricht. Mehr als wohl irgend ein neuerer Dichter entnimmt er sie der Wirk- lichkeit, sei es Natur oder Menschenleben, braucht sie auch nie als bloßen Schmuck, sondern um die möglichst adäquate Vorstellung von dem zu erwecken, was er zu sagen hat. 4. Abschnitt. Als specieller Gelehrter tritt er dann vorzüglich in der Astronomie auf, wenn gleich nicht zu verkennen ist, daß Populäre Sternkunde. manche astronomische Stelle in dem großen Gedichte, die uns jetzt gelehrt erscheint, damals allgemein verständlich gewesen sein muß. Dante appellirt, abgesehen von seiner Gelehrsamkeit, an eine populäre Himmelskunde, welche die damaligen Italiener, schon als Seefahrer, mit den Alten gemeinhatten . Diese Kenntniß des Aufganges und Nie- derganges der Sternbilder ist für die neuere Welt durch Uhren und Kalender entbehrlich geworden, und mit ihr ging verloren was sich sonst von astronomischem Interesse im Volke entwickelt hatte. Gegenwärtig fehlt es nicht an Handbüchern und Gymnasialunterricht, und jedes Kind weiß, daß die Erde sich um die Sonne bewegt, was Dante nicht wußte, aber die Theilnahme an der Sache ist der vollkommensten Gleichgültigkeit gewichen, mit Ausnahme der Fachleute. Die Wahnwissenschaft, welche sich an die Sterne hing, beweist nichts gegen den empirischen Sinn der damaligen Italiener; derselbe wurde nur durchkreuzt und überwältigt durch die Leidenschaft, den heftigen Wunsch die Zukunft zu wissen. Auch wird von der Astrologie bei Anlaß des sittlichen und religiösen Characters der Nation zu reden sein. Die Kirche war gegen diese und andere falsche Wissen- Einmischung der Kirche, schaften fast immer tolerant und auch gegen die echte Na- turforschung schritt sie wohl nur dann ein, wenn die An- klage — wahr oder unwahr — zugleich auf Ketzerei und Necromantie lautete, was denn allerdings ziemlich nahe lag. Der Punkt, auf welchen es ankömmt, wäre: zu ermitteln, ob und in welchen Fällen die dominicanischen Inquisitoren (und auch wohl die Franciscaner) in Italien sich der Falsch- heit dieser Anklagen bewußt waren und dennoch verurtheilten, sei es aus Connivenz gegen Feinde des Betreffenden, oder aus stillem Haß gegen die Naturbeobachtung überhaupt 4. Abschnitt. und besonders gegen die Experimente. Letzteres wird wohl vorgekommen aber kaum je zu beweisen sein. Was im Norden solche Verfolgungen mit veranlassen mochte, der Widerstand des von den Scholastikern recipirten, officiellen Systems der Naturkunde gegen die Neuerer als solche, möchte für Italien weniger oder auch gar nicht in Betracht kommen. Pietro von Abano (zu Anfang des XIV. Jahrhunderts) fiel notorisch als Opfer des colle- gialischen Neides eines andern Arztes, der ihn bei der Inquisition wegen Irrglaubens und Zauberei verklagte Scardeonius, de urb. Patav. antiq., in Grævii Thesaur. ant. Ital. Tom. VI. pars III. , und auch bei seinem paduanischen Zeitgenossen Giovannino Sanguinacci wird man etwas Aehnliches vermuthen dürfen, da derselbe als Arzt ein practischer Neuerer war; derselbe kam mit bloßer Verbannung davon. Endlich ist nicht zu vergessen, daß die Macht der Dominicaner als Inquisitoren in Italien weniger gleichmäßig geübt werden konnte als im Norden; Tyrannen sowohl als freie Staaten zeigten bis- weilen im XIV. Jahrhundert der ganzen Clerisei eine solche Verachtung, daß noch ganz andere Dinge als bloße und des Huma- nismus. Naturforschung ungeahndet durchgingen. Als aber mit dem XV. Jahrhundert das Alterthum mächtig in den Vorder- grund trat, war die ins alte System gelegte Bresche eine gemeinsame zu Gunsten jeder Art profanen Forschens, nur daß allerdings der Humanismus die besten Kräfte an sich zog und auch wohl der empirischen Naturkunde Eintrag that S. die übertriebenen Klagen Libri's, a. a. O. II, p. 258, s. So sehr es zu bedauern sein mag, daß das hochbegabte Volk nicht einen größern Theil seiner Kraft auf die Naturwissenschaften wandte, so glauben wir doch, daß dasselbe noch wichtigere Ziele hatte und theil- weise erreichte. . Hie und da erwacht dazwischen immer wieder die Inquisition und straft oder verbrennt Aerzte als Läste- rer und Necromanten, wobei nie sicher zu ermitteln ist, welches das wahre, tiefste Motiv der Verurtheilung gewe- 4. Abschnitt. sen. Bei alle dem stand Italien zu Ende des XV. Jahr- hunderts mit Paolo Toscanelli, Luca Paccioli und Lionardo da Vinci in Mathematik und Naturwissenschaften ohne allen Vergleich als das erste Volk Europa's da und die Gelehrten aller Länder bekannten sich als seine Schüler, auch Regio- montanus und Copernicus. Dieser Ruhm überlebte sogar die Gegenreformation und noch bis heute würden die Ita- liener hier in der ersten Reihe stehen, wenn nicht gewaltsam dafür gesorgt wäre, daß die tüchtigsten Geister und die ruhige Forschung sich nicht mehr zusammenfinden. Ein bedeutsamer Wink für die allgemeine Verbreitung Botanik; Sammlungen. des naturgeschichtlichen Interesses liegt auch in dem früh geäußerten Sammlersinn, der vergleichenden Betrachtung der Pflanzen und Thiere. Italien rühmt sich zunächst der frühsten botanischen Gärten, doch mag hier der practische Zweck überwogen haben und selbst die Priorität streitig sein. Ungleich wichtiger ist es, daß Fürsten und reiche Privatleute bei der Anlage ihrer Lustgärten von selbst auf das Sammeln möglichst vieler verschiedenen Pflanzen und Species und Varietäten derselben geriethen. So wird uns im XV. Jahrhundert der prächtige Garten der Mediceischen Villa Careggi beinahe wie ein botanischer Garten geschildert Alexandri Braccii descriptio horti Laurentii Med., abgedruckt u. a. als Beilage Nr. 58 zu Roscoe's Leben des Lorenzo. Auch in den Beilagen zu Fabroni's Laurentius. , mit zahllosen einzelnen Gattungen von Bäumen und Sträu- chern. So im Beginn des XVI. Jahrhunderts eine Villa des Cardinal Triulzio in der römischen Campagna Mondanarii villa, abgedruckt in den Poemata aliquot insignia illustr. poetar. recent. , gegen Tivoli hin, mit Hecken von verschiedenen Rosengattungen, mit Bäumen aller Art, worunter die Fruchtbäume in allen möglichen Varietäten; endlich zwanzig Rebengattungen und 4. Abschnitt. ein großer Küchengarten. Hier handelt es sich offenbar um etwas Anderes als um ein paar Dutzend allbekannte Me- dicinalpflanzen, wie sie durch das ganze Abendland in keinem Schloß- oder Klostergarten fehlten; neben einer höchst ver- feinerten Cultur des Tafelobstes zeigt sich ein Interesse für die Pflanze als solche, um ihres merkwürdigen Anblickes willen. Die Kunstgeschichte belehrt uns darüber, wie spät erst die Gärten sich von dieser Sammlerlust befreiten um fortan einer großen architectonisch-malerischen Anlage zu dienen. Fremde Thiere, Auch das Unterhalten fremder Thiere ist gewiß nicht ohne Zusammenhang mit einem höhern Interesse der Beo- bachtung zu denken. Der leichte Transport aus den süd- lichen und östlichen Häfen des Mittelmeeres und die Gunst des italienischen Klimas machten es möglich die mächtigsten Thiere des Südens anzukaufen oder von den Sultanen als Geschenk anzunehmen. Vor Allem hielten Städte und Fürsten gern lebendige Löwen, auch wenn der Löwe nicht gerade das Wappenthier war wie in Florenz Als solcher heißt er hier, gemalt oder in Stein gehauen, marzocco. — In Pisa unterhielt man Adler, vgl. die Ausleger zu Dante, Inferno XXXIII, 22. . Die Lö- wengruben befanden sich in oder bei den Staatspalästen, so in Perugia und in Florenz; diejenige in Rom lag am Abhang des Capitols. Diese Thiere dienten nämlich bis- weilen als Vollstrecker politischer Urtheile S. das Excerpt aus Aegid. Viterb. bei Papencordt, Gesch. der Stadt Rom im Mittelalter, S. 367, Anm. mit einem Ereigniß von 1328. — Kämpfe der wilden Thiere unter einander und gegen Hunde dienten bei großen Anläßen zur Belustigung des Volkes. Beim Empfang Pius II. und des Galeazzo Maria Sforza zu Flo- renz 1459 ließ man auf dem Signorenplatz in einem geschlossenen Raum Stiere, Pferde, Eber, Hunde, Löwen und eine Girafe zusam- men auftreten, aber die Löwen legten sich hin und wollten die andern Thiere nicht angreifen. Vgl. Ricordi di Firenze, Rer. ital. und hielten wohl auch sonst einen gewissen Schrecken unter dem Volke wach. 4. Abschnitt. Außerdem galt ihr Verhalten als vorbedeutungsvoll; na- mentlich war ihre Fruchtbarkeit ein Zeichen allgemeinen Gedeihens, und auch ein Giovanni Villani verschmäht es nicht anzumerken, daß er bei einem Wurf der Löwin zu- gegen gewesen Gio. Villani X, 185. XI, 66. Matteo Villani III, 90. V. 68. — Wenn die Löwen stritten oder gar einander tödteten, so galt dieß als schlimmes Omen. Vgl. Varchi, stor. fiorent. III, p. 143. . Die Jungen pflegte man zum Theil an befreundete Städte und Tyrannen zu verschenken, auch an Condottieren als Preis der Tapferkeit Cron. di Perugia, arch. stor. XVI, II, p. 77. Zum J. 1497. — Den Peruginern entwischte einmal ihr Löwenpaar, ibid. XVI, I, p. 382, zum J. 1434. . Außerdem hielten die Florentiner schon sehr früh Leoparden, für welche ein besonderer Leopardenmeister unterhalten wurde Gaye, Carteggio I, p. 422, zum J. 1291. — Die Visconti brauchten sogar abgerichtete Leoparden als Jagdthiere, und zwar auf Hasen, die man durch kleine Hunde auftreiben ließ. Vgl. v. Ko- bell, Wildanger, S. 247, wo auch spätere Beispiele der Jagd mit Leoparden verzeichnet sind. . Borso von Ferrara Strozii poetae, p. 146. Vgl. p. 188 und über den Wildpark p. 193. ließ seinen Löwen mit Stieren, Bären und Wildschweinen kämpfen. Zu Ende des XV. Jahrhunderts aber gab es schon als Wappen- zeichen, Jagd- thiere und Cu- riositäten. an mehrern Fürstenhöfen wahre Menagerien (Serragli), als Sache des standesgemäßen Luxus. „Zu der Pracht scriptt. ex florent. codd. T. II, Col. 741. Abweichend hievon Vita Pii II, Murat. III, II, Col. 976. Eine zweite Girafe schenkte später der Mamelukensultan Kaytbey an Lorenzo magnifico. Vgl. Paul. Jov. Vita Leonis X, L. I. Sonst war von der Mena- gerie Lorenzo's besonders ein prächtiger Löwe berühmt, dessen Zer- fleischung durch die andern Löwen als Vorzeichen von Lorenzo's Tode galt. Cultur der Renaissance. 19 4. Abschnitt. „eines Herrn, sagt Matarazzo Cron. di Perugia, l. c. XVI, II, p. 199. — Aehnliches schon bei Petrarca, de rem ed. utriusque fortunae, I, 61, doch noch weniger deutlich ausgesprochen. , gehören Pferde, Hunde, „Maulthiere, Sperber u. a. Vögel, Hofnarren, Sänger und „fremde Thiere.“ Die Menagerie von Neapel enthielt unter Ferrante u. a. eine Girafe und ein Zebra, Geschenke des damaligen Fürsten von Bagdad wie es scheint Jovian. Pontan. de magnificentia. — Im Thiergarten des Car- dinals von Aquileja zu Albano fanden sich 1463 außer Pfauen und indischen Hühnern auch syrische Ziegen mit langen Ohren. Pii II. comment., L. XI, p. 562, s. . Filippo Maria Visconti besaß nicht nur Pferde, die mit 500, ja 1000 Goldstücken bezahlt wurden und kostbare englische Hunde, sondern auch viele Leoparden, welche aus dem ganzen Orient zusammengebracht waren; die Pflege seiner Jagd- vögel, die er aus dem Norden zusammensuchen ließ, kostete monatlich 3000 Goldstücke Decembrio, ap. Murat. XX, Col. 1012. . König Emanuel der Große von Portugal wußte wohl was er that, als er an Leo X. einen Elephanten und ein Rhinoceros schickte Das Nähere, recht ergötzlich, in Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Tristanus Acunius. . Inzwischen war bereits der Grund zu einer wissenschaftlichen Zoologie so gut wie zur Botanik gelegt worden. Gestüte. Eine practische Seite der Thierkunde entwickelte sich dann in den Gestüten, von welchen das mantuanische unter Francesco Gonzaga als das erste in Europa galt Ebenda, bei Anlaß des Franc. Gonzaga. — Der mailändische Luxus in Pferderacen, Bandello, Parte II, Nov. 3 und 8. — Auch in den erzählenden Gedichten hört man bisweilen den Pferdekenner sprechen. Vgl. Pulci, il Morgante, c. XV, str. 105, s. . Die vergleichende Schätzung der Pferderacen ist wohl so alt als das Reiten überhaupt und die künstliche Erzeugung von Mischracen muß namentlich seit den Kreuzzügen üblich ge- wesen sein; für Italien aber waren die Ehrengewinnste bei 4. Abschnitt. den Pferderennen aller irgend bedeutenden Städte der stärkste Beweggrund, möglichst rasche Pferde hervorzubringen. Im mantuanischen Gestüt wuchsen die unfehlbaren Gewinner dieser Art, außerdem aber auch die edelsten Streitrosse und überhaupt Pferde, welche unter allen Geschenken an große Herrn als das fürstlichste erschienen. Der Gonzaga hatte Hengste und Stuten aus Spanien und Irland wie aus Africa, Thracien und Cilicien; um letzterer willen unter- hielt er Verkehr und Freundschaft mit den Großsultanen. Alle Varietäten wurden hier versucht um das Trefflichste hervorzubringen. Aber auch an einer Menschenmenagerie fehlte es nicht; Menschenracen. der bekannte Cardinal Ippolito Medici Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Hippol. Medices. , Bastard des Giuliano, Herzogs von Nemours, hielt an seinem wunder- lichen Hofe eine Schaar von Barbaren, welche mehr als zwanzig verschiedene Sprachen redeten und Jeder in seiner Art und Race ausgezeichnet waren. Da fand man un- gleichliche Voltigeurs von edlem nordafricanischem Mauren- geblüt, tatarische Bogenschützen, schwarze Ringer, indische Taucher, Türken, welche hauptsächlich auf der Jagd die Begleiter des Cardinals waren. Als ihn sein frühes Schick- sal (1535) ereilte, trug diese bunte Schaar die Leiche auf den Schultern von Itri nach Rom und mischte in die all- gemeine Trauer der Stadt um den freigebigen Herrn ihre vielsprachige, von heftigen Geberden begleitete Todtenklage Bei diesem Anlaß mögen einige Notizen über die Sklaverei in Ita- lien zur Zeit der Renaissance ihre Stelle finden. Kurze Hauptstelle bei Jovian. Pontan. de obedientia L. III: In Oberitalien gab es keine Sklaven; sonst kaufte man auch Christen aus dem türkischen Reich, auch Bulgaren und Circassier und ließ sie dienen bis sie die Kaufsumme abverdient hatten. Die Neger dagegen blieben Sklaven, nur durste man sie, wenigstens im Reich Neapel, nicht castriren. — Moro bezeich net alle dunkelfarbigen; der Neger heißt Moro nero. . 19* 4. Abschnitt. Diese zerstreuten Notizen über das Verhältniß der Italiener zur Naturwissenschaft und ihre Theilnahme für das Verschiedene und Reiche in den Producten der Natur sollen nur zeigen, welcher Lücke der Verfasser sich an dieser Stelle bewußt ist. Von den Specialwerken, welche dieselbe überreichlich ausfüllen würden, sind ihm kaum die Namen genügend bekannt. Entdeckung der landschaftlichen Schönheit. Allein außer dem Forschen und Wissen gab es noch eine andere Art, der Natur nahe zu treten, und zwar zu- nächst in einem besondern Sinne. Die Italiener sind die frühsten unter den Modernen, welche die Gestalt der Land- — Fabroni, Cosmus, Adn. 110: Act über den Verkauf einer circassischen Sklavin (1427); — Adn. 141: Verzeichniß der Skla- vinnen des Cosimo. — Nantiporto, bei Murat. III, II, Col. 1106: Innocenz VIII. erhält hundert Mori als Geschenk von Ferdinand d. Kathol. und verschenkt sie weiter an Cardinäle u. a. Herrn (1488). — Massuccio, Novelle 14: Verkäuflichkeit von Sklaven; — 24 u. 25: Negersklaven die zugleich (zum Nutzen ihrer Herrn?) als facchini arbeiten; — 48: Catalanen fangen tunesische Mori und verkaufen sie in Pisa. — Gaye, carteggio I, 360: Manumission und Be- schenkung eines Negersklaven in einem florentin. Testament (1490). — Paul. Jov. Elogia, sub Franc. Sfortia, — Porzio, congiura, III, 194 — und Comines, Charles VIII, chap. 17: Neger als bestellte Henker und Kerkermeister des Hauses Aragon in Neapel. — Paul. Jov. Elog., sub Galeatio: Neger als Begleiter von Fürsten bei Ausgängen. — Aeneæ Sylvii opera, p. 456: Neger- sklave als Musikant. — Paul. Jov. de piscibus, cap. 3: ein (freier?) Neger als Schwimmlehrer und Taucher in Genua. — Alex. Benedictus, de Carolo VIII, bei Eccard, scriptores, II, Col. 1608: ein Neger (Aethiops) als höherer venezianischer Offi- zier, wonach auch Othello als Neger gefaßt werden kann. — Ban- dello, Parte III, Nov. 21: Wenn ein Sklave in Genua Züchti- gung verdient, wird er nach den Balearen, und zwar nach Iviza zum Salztragen verkauft. schaft als etwas mehr oder weniger Schönes wahrgenom- 4. Abschnitt. men und genossen haben Es ist kaum nöthig, auf die berühmte Darstellung dieses Gegenstan- des im zweiten Bande von Humboldt's Kosmos zu verweisen. . Diese Fähigkeit ist immer das Resultat langer, com- plicirter Culturprocesse, und ihr Entstehen läßt sich schwer verfolgen, indem ein verhülltes Gefühl dieser Art lange vorhanden sein kann, ehe es sich in Dichtung und Malerei verrathen, und damit seiner selbst bewußt werden wird. Bei den Alten z. B. waren Kunst und Poesie mit dem ganzen Menschenleben gewissermaßen fertig, ehe sie an die landschaftliche Darstellung gingen und diese blieb immer nur eine beschränkte Gattung, während doch von Homer an der starke Eindruck der Natur auf den Menschen aus zahllosen einzelnen Worten und Versen hervorleuchtet. Sodann waren die germanischen Stämme, welche auf dem Boden des römischen Reiches ihre Herrschaften gründeten, von Hause aus im höchsten Sinne ausgerüstet zur Erkennt- niß des Geistes in der landschaftlichen Natur, und wenn sie auch das Christenthum eine Zeitlang nöthigte, in den bisher verehrten Quellen und Bergen, in See und Wald das Antlitz falscher Dämonen zu ahnen, so war doch dieses Durchgangsstadium ohne Zweifel bald überwunden. Auf der Höhe des Mittelalters um das Jahr 1200, existirt Die Landschaft im Mittelalter. wieder ein völlig naiver Genuß der äußern Welt und giebt sich lebendig zu erkennen bei den Minnedichtern der ver- schiedenen Nationen Hieher gehören bei Humboldt a. a. O. die Mittheilungen von Wilhelm Grimm. . Dieselben verrathen das stärkste Mitleben in den einfachsten Erscheinungen, als da sind der Frühling und seine Blumen, die grüne Heide und der Wald. Aber es ist lauter Vordergrund ohne Ferne, selbst noch in dem besondern Sinne, daß die weitgereisten Kreuz- fahrer sich in ihren Liedern kaum als solche verrathen. 4. Abschnitt. Auch die epische Poesie, welche z. B. Trachten und Waffen so genau bezeichnet, bleibt in der Schilderung der Oert- lichkeit skizzenhaft und der große Wolfram von Eschenbach erweckt kaum irgend ein genügendes Bild von der Scene, auf welcher seine handelnden Personen sich bewegen. Aus den Gesängen würde vollends Niemand errathen, daß dieser dichtende Adel aller Länder tausend hochgelegene, weit- schauende Schlösser bewohnte oder besuchte und kannte. Auch in jenen lateinischen Dichtungen der fahrenden Cle- riker (S. 174) fehlt noch der Blick in die Ferne, die eigentliche Landschaft, aber die Nähe wird bisweilen mit einer so glühenden Farbenpracht geschildert, wie sie vielleicht kein ritterlicher Minnedichter wiedergiebt. Oder existirt noch eine Schilderung vom Haine des Amor wie bei jenem, wie wir annehmen, italienischen Dichter des XII. Jahrhunderts? Immortalis fieret Ibi manens homo; Arbor ibi quælibet Suo gaudet pomo; Viæ myrrha, cinnamo Fragrant, et amomo — Coniectari poterat Dominus ex domo Carmina Burana p. 162, de Phyllide et Flora, str. 66. etc. Für Italiener jedenfalls ist die Natur längst entsündigt und von jeder dämonischen Einwirkung befreit. San Fran- cesco von Assisi preist in seinem Sonnenhymnus den Herrn ganz harmlos um der Schöpfung der Himmelslichter und der vier Elemente willen. Dante. Aber die festen Beweise für eine tiefere Wirkung großer landschaftlicher Anblicke auf das Gemüth beginnen mit Dante. Er schildert nicht nur überzeugend in wenigen Zeilen die Morgenlüfte mit dem fernzitternden Licht des sanft bewegten Meeres, den Sturm im Walde, u. dgl., sondern er besteigt hohe Berge in der einzig möglichen Ab- 4. Abschnitt. sicht, den Fernblick zu genießen Man wird schwer errathen, was er sonst auf dem Gipfel der Bis- mantova, im Gebiet von Reggio, könnte zu thun gehabt haben. Purgat. IV, 26. Schon die Präcision, womit er alle Theile seines Jenseits zu verdeutlichen sucht, beweist vielen Raum- und Formensinn. ; vielleicht seit dem Alter- thum einer der ersten, der dieß gethan hat. Boccaccio läßt mehr errathen, als daß er es schilderte, wie ihn die Land- schaft ergreift, doch wird man in seinen Hirtenromanen Außer der Schilderung von Bajae in der Fiammetta, von dem Hain im Ameto ꝛc. ist eine Stelle de Genealogia Deor. XIV, 11 von Bedeutung, wo er eine Anzahl landschaftlicher Einzelheiten, Bäume, Wiesen, Bäche, Heerden, Hütten ꝛc., aufzählt und beifügt, diese Dinge animum mulcent; ihre Wirkung sei, mentem in se col- ligere. die wenigstens in seiner Phantasie vorhandene mächtige Naturscenerie nicht verkennen. Vollständig und mit größter Entschiedenheit bezeugt dann Petrarca, einer der frühsten völlig modernen Menschen, die Bedeutung der Landschaft für die erregbare Seele. Der lichte Geist, welcher zuerst aus allen Literaturen die Anfänge und Fortschritte des malerischen Natursinnes zusammengesucht und in den „An- sichten der Natur“ selber das höchste Meisterwerk der Schil- derung vollbracht hat, Alexander von Humboldt, ist gegen Petrarca nicht völlig gerecht gewesen, so daß uns nach dem großen Schnitter noch eine kleine Aehrenlese übrig bleibt. Petrarca war nämlich nicht bloß ein bedeutender Geo- Petrarca. graph und Chartograph — die frühste Karte von Italien Libri, hist. des sciences math. II, p. 249. soll er haben entwerfen lassen — er wiederholte auch nicht bloß was die Alten gesagt hatten Obwohl er sich gern auf sie beruft, z. B.: de vita solitaria, bes. p. 241, wo er die Beschreibung einer Weinlaube aus S. Augustin citirt. , sondern der Anblick der Natur traf ihn unmittelbar. Der Naturgenuß ist für ihn der erwünschteste Begleiter jeder geistigen Beschäftigung; 4. Abschnitt. auf der Verflechtung beider beruht sein gelehrtes Anacho- retenleben in Vaucluse und anderswo, seine periodische Flucht aus Zeit und Welt Epist. famil. VII, 4, p. 675. Interea utinam scire posses, quanta cum voluptate solivagus ac liber, inter montes et nemora, inter fontes et flumina, inter libros et maximorum hominum ingenia respiro, quamque me in ea, quæ ante sunt, cum Apostolo extendens et præterita oblivisci nitor et præ- sentia non videre. Vgl. VI, 3, p. 665. . Man würde ihm Unrecht thun, wenn man aus seinem noch schwachen und wenig entwickelten Vermögen des landschaftlichen Schilderns auf einen Mangel an Empfindung schließen wollte. Seine Beschreibung des wunderbaren Golfes von Spezzia und Porto Venere z. B., die er deßhalb am Ende des VI. Gesanges der „Africa“ einlegt, weil sie bis jetzt weder von Alten noch von Neuern besungen worden Jacuit sine carmine sacro. — Vgl. Itinerar. syriacum, p. 558. , ist allerdings eine bloße Aufzählung. Aber derselbe Petrarca kennt doch bereits die Schönheit von Felsbildungen und weiß überhaupt die malerische Be- deutung einer Landschaft von der Nutzbarkeit zu trennen Er unterscheidet im Itinerar. syr. p. 557, an der Riviera di Le- vante: colles asperitate gratissima et mira fertilitate conspicuos. Ueber das Gestade von Gaeta vgl. de remediis utriusque fort. I, 54. . Bei seinem Aufenthalt in den Wäldern von Reggio wirkt der plötzliche Anblick einer großartigen Landschaft so auf ihn, daß er ein längstunterbrochenes Gedicht wieder fort- setzt De orig. et vita, p. 3: subito loci specie percussus. . Die wahrste und tiefste Aufregung aber kömmt Berg- besteigung. über ihn bei der Besteigung des Mont Ventoux unweit Avignon Epist. famil. IV, 1, p. 624. . Ein unbestimmter Drang nach einer weiten Rundsicht steigert sich in ihm aufs Höchste, bis endlich das zufällige Treffen jener Stelle im Livius, wo König Philipp der Römerfeind den Hämus besteigt, den Entscheid giebt. Er denkt: was an einem königlichen Greise nicht getadelt 4. Abschnitt. werde, sei auch bei einem jungen Manne aus dem Privat- stande wohl zu entschuldigen . Planloses Bergsteigen war nämlich in seiner Umgebung etwas Unerhörtes und an die Begleitung von Freunden oder Bekannten war nicht zu denken. Petrarca nahm nur seinen jüngern Bruder und vom letzten Rastort aus zwei Landleute mit. Am Gebirge beschwor sie ein alter Hirte umzukehren; er habe vor fünf- zig Jahren dasselbe versucht und nichts als Reue, zerschlagene Glieder und zerfetzte Kleider heimgebracht; vorher und seit- dem habe sich Niemand mehr des Weges unterstanden. Allein sie dringen mit unsäglicher Mühe weiter empor, bis die Wolken unter ihren Füßen schweben, und erreichen den Gipfel. Eine Beschreibung der Aussicht erwartet man nun allerdings vergebens, aber nicht weil der Dichter dagegen unempfindlich wäre, sondern im Gegentheil, weil der Ein- druck allzugewaltig auf ihn wirkt. Vor seine Seele tritt sein ganzes vergangenes Leben mit allen Thorheiten; er erinnert sich, daß es heut zehn Jahre sind, seit er jung aus Bologna gezogen, und wendet einen sehnsüchtigen Blick in der Richtung gen Italien hin; er schlägt ein Büchlein auf, das damals sein Begleiter war, die Bekenntnisse des heil. Augustin — allein siehe, sein Auge fällt auf die Stelle im zehnten Abschnitt: „und da gehen die Menschen „hin und bewundern hohe Berge und weite Meeresfluthen „und mächtig daherrauschende Ströme und den Ocean und „den Lauf der Gestirne und verlassen sich selbst darob“. Sein Bruder, dem er diese Worte vorliest, kann nicht be- greifen, warum er hierauf das Buch schließt und schweigt. Einige Jahrzehnde später, um 1360, schildert Fazio Der Dittamondo. degli Uberti in seiner gereimten Cosmographie Il Dittamondo, III, cap. 9. (S. 177) die weite Aussicht vom Gebirge Alvernia zwar nur mit der Theilnahme des Geographen und Antiquars, doch deutlich 4. Abschnitt. als eine wirklich von ihm gesehene. Er muß aber noch viel höhere Gipfel erstiegen haben, da er Phänomene kennt, die sich erst mit mehr als 10,000 Fuß über Meer einstellen, das Blutwallen, Augendrücken und Herzklopfen, wogegen sein mythischer Gefährte Solinus durch einen Schwamm mit einer Essenz Hülfe schafft. Die Besteigungen des Par- nasses und des Olymp Dittamondo, III, cap. 21. IV, cap. 4. — Papencordt, Gesch. der Stadt Rom, S. 426, sagt, daß Kaiser Carl IV. vielen Sinn für schöne Gegenden gehabt habe und citirt hiezu Pelzel, Carl IV, S. 456. (Die beiden andern Citate, die er anführt, sagen dieß nicht) Es wäre möglich, daß dergleichen dem Kaiser durch seinen Umgang mit den Humanisten angeflogen wäre. , von welchen er spricht, mögen freilich bloße Fictionen sein. Mit dem XV. Jahrhundert rauben dann auf einmal die großen Meister der flandrischen Schule, Hubert und Johann van Eyck, der Natur ihr Bild. Und zwar ist ihre Landschaft nicht bloß Consequenz ihres allgemeinen Strebens, einen Schein der Wirklichkeit hervorzubringen, sondern sie hat bereits einen selbständigen poetischen Gehalt, eine Seele, wenn auch nur in befangener Weise. Der Eindruck der- selben auf die ganze abendländische Kunst ist unläugbar, und so blieb auch die italienische Landschaftmalerei davon nicht unberührt. Allein daneben geht das eigenthümliche Interesse des gebildeten italienischen Auges für die Land- schaft seinen eigenen Weg. Aen. Sylvius und die Land- schaft. Wie in der wissenschaftlichen Cosmographik so ist auch hier Aeneas Sylvius eine der wichtigsten Stimmen der Zeit. Man könnte den Menschen Aeneas völlig Preis ge- ben und müßte gleichwohl dabei gestehen, daß in wenigen Andern das Bild der Zeit und ihrer Geistescultur sich so vollständig und lebendig spiegelte, daß wenige Andere dem Normalmenschen der Frührenaissance so nahe kommen. Uebrigens wird man ihn auch in moralischer Beziehung, beiläufig gesagt, nicht ganz billig beurtheilen, wenn man einseitig die Beschwerden der mit Hülfe seiner Wandelbar- 4. Abschnitt. keit um ihr Concil betrogenen deutschen Kirche zum Aus- gangspunct nimmt Auch dürfte man wohl Platina, vitæ Pontiff., p. 310 anhören: Homo fuit (Pius II. ) verus, integer, apertus; nil habuit ficti, nil simulati, ein Feind der Heuchelei und des Aberglaubens, muthig, consequent. . Hier interessirt er uns als der erste, welcher die Herr- lichkeit der italienischen Landschaft nicht bloß genossen son- dern mit Begeisterung bis ins Einzelne geschildert hat. Den Kirchenstaat und das südliche Toscana (seine Heimath) kannte er besonders genau, und als er Papst wurde, wandte er seine Muße in der guten Jahreszeit wesentlich auf Aus- flüge und Landaufenthalte. Jetzt wenigstens hatte der längst podagrische Mann die Mittel, sich auf dem Tragsessel über Berg und Thal bringen zu lassen, und wenn man die Ge- nüsse der folgenden Päpste damit vergleicht, so erscheint Pius, dessen höchste Freude Natur, Alterthum und mäßige, aber edelzierliche Bauten waren, wie ein halber Heiliger. In dem schönen lebendigen Latein seiner Commentarien legt er ganz unbefangen das Zeugniß seines Glückes nieder Die bedeutendsten Stellen sind folgende. Pii II. P. M. Commen- tarii. L. IV, p. 183: Der Frühling in der Heimath. L. V, p. 251: Der Sommeraufenthalt in Tibur. L. VI, 306: Das Mahl an der Quelle von Vicovaro. L. VIII, p. 378: Die Um- gegend von Viterbo. p. 387: Das Bergkloster S. Martino. p. 388: Der See von Bolsena. L. IX, p. 396: Die herrliche Schilderung von Monte Amiata. L. X, p. 483: Die Lage von Monteoliveto. p. 497: Die Aussicht von Todi. L. XI, p. 554: Ostia und Porto. p. 562: Beschreibung des Albanergebirges. L. XII, p. 609: Frascati und Grottaferrata. . Sein Auge erscheint so vielseitig gebildet als dasjenige Seine Fernsich- ten, irgend eines modernen Menschen. Er genießt mit Ent- zücken die große panoramatische Pracht der Aussicht vom höchsten Gipfel des Albanergebirges, dem Monte Cavo, von wo er das Gestade der Kirche von Terracina und dem 4. Abschnitt. Vorgebirg der Circe bis nach Monte Argentaro überschaut, und das weite Land mit all den Ruinenstädten der Urzeit, mit den Bergzügen Mittelitaliens, mit dem Blick auf die in der Tiefe ringsum grünenden Wälder und die nahe scheinenden Seen des Gebirges. Er empfindet die Schön- heit der Lage von Todi, wie es thront über seinen Wein- bergen und Oelhalden, mit dem Blick auf ferne Wälder und auf das Tiberthal, wo die vielen Castelle und Städt- chen über dem schlängelnden Fluß ragen. Das reizende Hügelland um Siena mit seinen Villen und Klöstern auf allen Höhen ist freilich seine Heimath, und seine Schilde- rung zeigt eine besondere Vorliebe. Aber auch das einzelne und Ansichten. malerische Motiv im engern Sinne beglückt ihn, wie z. B. jene in den Bolsener See vortretende Landzunge Capo di Monte: „Felstreppen, von Weinlaub beschattet, führen steil „nieder ans Gestade, wo zwischen den Klippen die immer- „grünen Eichen stehen, stets belebt vom Gesang der Drosseln“. Auf dem Wege rings um den See von Nemi, unter den Castanien und andern Fruchtbäumen fühlt er, daß hier wenn irgendwo das Gemüth eines Dichters erwachen müßte, hier in „Dianens Versteck“. Oft und viel hat er Con- sistorium und Segnatura gehalten oder Gesandte angehört unter alten Riesencastanien, oder unter Oelbäumen, auf grüner Wiese, neben sprudelnden Gewässern. Einem An- blick wie der einer sich verengenden Waldschlucht mit einer kühn darüber gewölbten Brücke gewinnt er sofort seine hohe Bedeutung ab. Auch das Einzelste erfreut ihn dann wieder durch seine schöne oder vollständig ausgebildete und characteristische Erscheinung: die blauwogenden Flachsfelder, der gelbe Ginster, welcher die Hügel überzieht, selbst das wilde Gestrüpp jeder Art, und ebenso einzelne prächtige Bäume und Quellen, die ihm wie Naturwunder erscheinen. Monte Amiata. Den Gipfel seines landschaftlichen Schwelgens bildet sein Aufenthalt auf dem Monte Amiata im Sommer 1462, als Pest und Gluthhitze die Tieflande schrecklich machten. In der halben Höhe des Berges, in dem alten langobar- 4. Abschnitt. dischen Kloster San Salvatore schlug er mit der Curie sein Quartier auf: dort, zwischen Castanien über dem schroffen Abhang, überschaut man das ganze südliche Toscana und sieht in der Ferne die Thürme von Siena. Die Ersteigung der höchsten Spitze überließ er seinen Begleitern, zu welchen sich auch der venezianische Orator gesellte; sie fanden oben zwei gewaltige Steinblöcke übereinander, vielleicht die Opfer- stätte eines Urvolkes, und glaubten über dem Meere in weiter Ferne auch Corsica und Sardinien So muß es wohl heißen statt: Sicilien. zu entdecken. In der herrlichen Sommerkühle, zwischen den alten Eichen und Castanien, auf dem frischen Rasen wo kein Dorn den Fuß ritzte, kein Insect und keine Schlange sich lästig oder gefährlich machte, genoß der Papst der glücklichsten Stim- mung; für die Segnatura, welche an bestimmten Wochen- tagen stattfand, suchte er jedesmal neue schattige Plätze Er nennt sich selbst mit Anspielung auf seinen Namen: Silvarum amator et varia videndi cupidus. auf — „ novos in convallibus fontes et novas inve- „niens umbras, quæ dubiam facerent electionem “. Dabei geschah es wohl, daß die Hunde einen gewaltigen Hirsch aus seinem nahen Lager aufjagten, den man mit Klauen und Geweih sich vertheidigen und bergaufwärts fliehen sah. Des Abends pflegte der Papst vor dem Kloster zu sitzen an der Stelle, von wo man in das Thal der Paglia niederschaut, und mit den Cardinälen heitere Ge- spräche zu führen. Curialen, die sich auf der Jagd ab- wärts wagten, fanden unten die Hitze unleidlich und alles verbrannt, eine wahre Hölle, während das Kloster in seiner grünen, kühlen Umgebung eine Wohnung der Seligen schien. Dieß ist lauter wesentlich moderner Genuß, nicht Ein- wirkung des Alterthums. So gewiß die Alten ähnlich 4. Abschnitt empfanden, so gewiß hätten doch die spärlichen Aussagen hierüber, welche Pius kennen mochte, nicht hingereicht um in ihm eine solche Begeisterung zu entzünden Ueber Leonbattista Alberti's Verhältniß zur Landschaft vgl. S. 140 f. . Spätere Zeug- nisse. Die nun folgende zweite Blüthezeit der italienischen Poesie zu Ende des XV. und zu Anfang des XVI. Jahr- hunderts nebst der gleichzeitigen lateinischen Dichtung ist reich an Beweisen für die starke Wirkung der landschaft- lichen Umgebung auf das Gemüth, wie der erste Blick auf die damaligen Lyriker lehren mag. Eigentliche Beschrei- bungen großer landschaftlicher Anblicke aber finden sich deß- halb kaum, weil Lyrik, Epos und Novelle in dieser ener- gischen Zeit anderes zu thun haben. Bojardo und Ariosto zeichnen ihre Naturscenerie sehr entschieden, aber so kurz als möglich, ohne sie je durch Fernen und große Perspectiven zur Stimmung beitragen zu lassen Das ausgeführteste Bild dieser Art bei Ariosto, sein sechster Gesang, besteht aus lauter Vordergrund. , denn diese liegt ausschließlich in den Gestalten und Ereignissen. Beschau- liche Dialogenschreiber Agnolo Pandolfini (Trattato del gov. della famiglia, p. 90), noch ein Zeitgenosse des Aeneas, freut sich auf dem Lande „der „buschigen Hügel, der reizvollen Ebenen und der rauschenden Ge- „wässer“, aber vielleicht ist unter seinem Namen der große Alberti verborgen, der, wie bemerkt, noch ein ganz anderes Verhältniß zur Landschaft hatte. und Epistolographen können viel eher eine Quelle für das wachsende Naturgefühl sein als Dichter. Merkwürdig bewußt hält z. B. Bandello die Ge- setze seiner Literaturgattung fest: in den Novellen selbst kein Wort mehr als das Nothwendigste über die Natur- umgebung Ueber die architectonische Umgebung denkt er anders, und hier kann auch die Decoration noch von ihm lernen. , in den jedesmal vorangehenden Widmungen dagegen mehrmals eine behagliche Schilderung derselben als Scene von Gespräch und Geselligkeit. Von den Brief- schreibern ist leider Aretino Lettere pittoriche III, 36. An Tizian, Mai 1544. zu nennen als derjenige, 4. Abschnitt. welcher vielleicht zuerst einen prachtvollen abendlichen Licht- und Wolkeneffect umständlich in Worte gefaßt hat. Doch auch bei Dichtern kommt bisweilen eine merk- Genreland- schaft. würdige Verflechtung ihres Gefühlslebens mit einer liebe- voll und zwar genrehaft geschilderten Naturumgebung vor. Tito Strozza beschreibt in einer lateinischen Elegie Strozii poetæ, in den Erotica, L. VI, p. 182, s. (um 1480) den Aufenthalt seiner Geliebten: ein altes, von Epheu umzogenes Häuschen mit verwitterten Heiligenfresken, in Bäumen versteckt, daneben eine Capelle, übel zugerichtet von den reißenden Hochwassern des hart vorbei strömenden Po; in der Nähe ackert der Caplan seine sieben magern Juch- arten mit entlehntem Gespann. Dieß ist keine Reminiscenz aus den römischen Elegikern, sondern eigene moderne Empfindung, und die Parallele dazu, eine wahre, nicht künstlich bucolische Schilderung des Landlebens, wird uns zu Ende dieses Abschnitts auch nicht fehlen. Man könnte nun einwenden, daß unsere deutschen Meister des beginnenden XVI. Jahrhunderts solche rea- listische Umgebungen des Menschenlebens bisweilen mit vollster Meisterschaft darstellen, wie z. B. Albrecht Dürer in seinem Kupferstich des verlorenen Sohnes. Aber es sind zwei ganz verschiedene Dinge, ob ein Maler, der mit dem Realismus großgewachsen, solche Scenerien beifügt, oder ob ein Dichter, der sich sonst ideal und mythologisch drapirt, aus innerm Drange in die Wirklichkeit niedersteigt. Ueberdieß ist die zeitliche Priorität hier wie bei den Schil- derungen des Landlebens auf der Seite der italienischen Dichter. Zu der Entdeckung der Welt fügt die Cultur der Entdeckung des Menschen. Renaissance eine noch größere Leistung, indem sie zuerst den 4. Abschnitt. ganzen, vollen Gehalt des Menschen entdeckt und zu Tage fördert. Zunächst entwickelt dieß Weltalter, wie wir sahen, auf das Stärkste den Individualismus; dann leitet es den- selben zur eifrigsten, vielseitigsten Erkenntniß des Indivi- duellen auf allen Stufen an. Die Entwicklung der Per- sönlichkeit ist wesentlich an das Erkennen derselben bei sich und Andern gebunden. Zwischen beide große Erscheinungen hinein haben wir die Einwirkung der antiken Literatur deßhalb versetzen müssen, weil die Art des Erkennens und Schilderns des Individuellen wie des allgemein Menschlichen wesentlich durch dieses Medium gefärbt und bestimmt wird. Die Kraft des Erkennens aber lag in der Zeit und in der Nation. Die beweisenden Phänomene, auf welche wir uns be- rufen, werden wenige sein. Wenn irgendwo im Verlauf dieser Darstellung, so hat der Verfasser hier das Gefühl, daß er das bedenkliche Gebiet der Ahnung betreten hat und daß, was ihm als zarter, doch deutlicher Farbenübergang in der geistigen Geschichte des XIV. und XV. Jahrhunderts vor Augen schwebt, von Andern doch schwerlich mag als Thatsache anerkannt werden. Dieses allmälige Durchsichtig- werden einer Volksseele ist eine Erscheinung, welche jedem Beschauer anders vorkommen mag. Die Zeit wird sichten und richten. Temperamente und Planeten. Glücklicherweise begann die Erkenntniß des geistigen Wesens des Menschen nicht mit dem Grübeln nach einer theoretischen Psychologie, — denn dafür genügte Aristoteles — sondern mit der Gabe der Beobachtung und der Schilderung. Der unerläßliche theoretische Ballast beschränkt sich auf die Lehre von den vier Temperamenten in ihrer damals üblichen Verbindung mit dem Dogma vom Einfluß der Planeten. Diese starren Elemente behaupten sich als unauflöslich seit unvordenklichen Zeiten in der Beurtheilung der Einzel- menschen, ohne weiter dem großen allgemeinen Fortschritt Schaden zu thun. Freilich nimmt es sich sonderbar aus, 4. Abschnitt. wenn damit manövrirt wird in einer Zeit, da bereits nicht nur die exacte Schilderung, sondern auch eine unvergäng- liche Kunst und Poesie den vollständigen Menschen in seinem tiefsten Wesen wie in seinen characteristischen Aeußerlichkei- ten darzustellen vermochten. Fast komisch lautet es, wenn ein sonst tüchtiger Beobachter Clemens VII. zwar für me- lancholischen Temperamentes hält, sein Urtheil aber dem- jenigen der Aerzte unterordnet, welche in dem Papste eher ein sanguinisch-cholerisches Temperament erkennen Tomm. Gar, relaz. della corte di Roma I, p. 278. 279. In der Rel. des Soriano vom J. 1533. . Oder wenn wir erfahren, daß derselbe Gaston de Foix, der Sieger von Ravenna, welchen Giorgione malte und Bambaja meißelte, und welchen alle Historiker schildern, ein satur- nisches Gemüth gehabt habe Prato, arch. stor. III, p. 295, s. — Dem Sinne nach ist es so- wohl „unglücklich“ als „unglückbringend“. — Das Verhältniß der Planeten zu den menschlichen Characteren überhaupt s. bei Corn. Agrippa, de occulta philosophia, c. 52. . Freilich wollen die, welche Solches melden, damit etwas sehr Bestimmtes bezeichnen; wunderlich und überlebt erscheinen nur die Kategorien, durch welche sie ihre Meinung ausdrücken. Im Reiche der freien geistigen Schilderung empfangen Die Dichter. uns zunächst die großen Dichter des XIV. Jahrhunderts. Wenn man aus der ganzen abendländischen Hof- und Ritterdichtung der beiden vorhergehenden Jahrhunderte die Perlen zusammensucht, so wird eine Summe von herrlichen Ahnungen und Einzelbildern von Seelenbewegungen zum Vorschein kommen, welche den Italienern auf den ersten Blick den Preis streitig zu machen scheint. Selbst abgesehen von der ganzen Lyrik giebt schon der einzige Gottfried von Straßburg mit „Tristan und Isolde“ ein Bild der Leiden- schaft, welches unvergängliche Züge hat. Allein diese Per- Cultur der Renaissance. 20 4. Abschnitt. len liegen zerstreut in einem Meere des Conventionellen und Künstlichen, und ihr Inhalt bleibt noch immer weit entfernt von einer vollständigen Objectivmachung des innern Menschen und seines geistigen Reichthums. Verh. der lyri- schen Formen z. Schilderung. Auch Italien hatte damals, im XIII. Jahrhundert, seinen Antheil an der Hof- und Ritterdichtung durch seine Trovatoren. Von ihnen stammt wesentlich die Canzone her, die sie so künstlich und schwierig bauen als irgend ein nordischer Minnesänger sein Lied; Inhalt und Gedanken- gang sogar ist der conventionell höfische, mag der Dichter auch bürgerlichen oder gelehrten Standes sein. Aber schon offenbaren sich zwei Auswege, die auf eine neue, der italienischen Poesie eigene Zukunft hindeuten und die man nicht für unwichtig halten darf wenn es sich schon nur um Formelles handelt. Von demselben Brunetto Latini (dem Lehrer des Dante), welcher in der Canzonendichtung die gewöhnliche Manier der Trovatoren vertritt, stammen die frühsten bekannten Versi sciolti, reimlose Hendecasyllaben Mitgetheilt von Trucchi, Poesie italiane inedite I, p. 165, s. her, und in dieser scheinbaren Formlosigkeit äußert sich auf einmal eine wahre, erlebte Leidenschaft. Es ist eine ähnliche bewußte Beschrän- kung der äußern Mittel im Vertrauen auf die Kraft des Inhaltes, wie sie sich einige Jahrzehnde später in der Frescomalerei und noch später sogar in der Tafelmalerei zeigt, indem auf die Farben verzichtet und bloß in einem hellern oder dunklern Ton gemalt wird. Für jene Zeit, welche sonst auf das Künstliche in der Poesie so große Stücke hielt, sind diese Verse des Brunetto der Anfang einer neuen Richtung Diese reimlosen Verse gewannen später bekanntlich die Herrschaft im Drama. Trissino in seiner Widmung der Sofonisba an Leo X. hofft, daß der Papst diese Versart erkennen werde als das was sie sei, als besser, edler und weniger leicht als es den Anschein habe. Roscoe, Leone X, ed. Bossi VIII, 174. . Daneben aber, ja noch in der ersten Hälfte des XIII. 4. Abschnitt. Jahrhunderts, bildet sich eine von den vielen strenggemessenen Das Sonett, Strophenformen, die das Abendland damals hervorbrachte, für Italien zu einer herrschenden Durchschnittsform aus: das Sonett. Die Reimstellung und sogar der Zahl der Verse schwankt Man vgl. z. B. die sehr auffallenden Formen bei Dante, Vita nuova, p. 10 und 12. noch hundert Jahre lang, bis Petrarca die bleibende Normalgestalt durchsetzte. In diese Form wird Anfangs jeder höhere lyrische und contemplative, später jeder mögliche Inhalt gegossen, so daß Madrigale, Sestinen und selbst die Canzonen daneben nur eine untergeordnete Stelle einnehmen. Spätere Italiener haben selber bald scherzend bald mißmuthig geklagt über diese unvermeidliche Schablone, dieses vierzehnzeilige Procrustesbett der Gefühle und Gedanken. Andere waren und sind gerade mit dieser Form sehr zufrieden und brauchen sie viel tausendmal um darin Reminiscenzen und müßigen Singsang ohne allen tiefern Ernst und ohne Nothwendigkeit niederzulegen. Deß- halb giebt es sehr viel mehr unbedeutende und schlechte Sonette als gute. Nichtsdestoweniger erscheint uns das Sonett als ein und sein Werth. ungeheurer Segen für die italienische Poesie. Die Klarheit und Schönheit seines Baues, die Aufforderung zur Stei- gerung des Inhaltes in der lebhafter gegliederten zweiten Hälfte, dann die Leichtigkeit des Auswendiglernens, mußten es auch den größten Meistern immer von Neuem lieb und werth machen. Oder meint man im Ernst, dieselben hätten es bis auf unser Jahrhundert beibehalten, wenn sie nicht von seinem hohen Werthe wären durchdrungen gewesen? Nun hätten allerdings diese Meister ersten Ranges auch in andern Formen der verschiedensten Art dieselbe Macht äußern können. Allein weil sie das Sonett zur lyrischen Haupt- form erhoben, wurden auch sehr viele Andere von hoher, 20* 4. Abschnitt. wenn auch nur bedingter Begabung, die sonst in einer weitläufigen Lyrik untergegangen wären, genöthigt ihre Empfindungen zu concentriren. Das Sonett wurde ein allgemeingültiger Condensator der Gedanken und Empfin- dungen wie ihn die Poesie keines andern modernen Volkes besitzt. So tritt uns nun die italienische Gefühlswelt in einer Menge von höchst entschiedenen, gedrängten und in ihrer Kürze höchst wirksamen Bildern entgegen. Hätten andere Völker eine conventionelle Form von dieser Gattung be- sessen, so wüßten wir vielleicht auch mehr von ihrem See- lenleben; wir besäßen möglicherweise auch eine Reihe ab- geschlossener Darstellungen äußerer und innerer Situationen oder Spiegelbilder des Gemüthes und wären nicht auf eine vorgebliche Lyrik des vierzehnten und fünfzehnten Jahr- hunderts verwiesen, die fast nirgends ernstlich genießbar ist. Bei den Italienern erkennt man einen sichern Fort- schritt fast von der Geburt des Sonettes an; in der zwei- ten Hälfte des XIII. Jahrhunderts bilden die neuerlich Trucchi, a. a. O. I, p. 181, s. so benannten „Trovatori della transizione“ in der That einen Uebergang von den Trovatoren zu den Poeten, d. h. zu den Dichtern unter antikem Einfluß; die einfache, starke Empfindung, die kräftige Bezeichnung der Situation, der präcise Ausdruck und Abschluß in ihren Sonetten u. a. Ge- dichten kündet zum Voraus einen Dante an. Einige Par- teisonette der Guelfen und Ghibellinen (1260—1270) tönen schon in der Art wie seine Leidenschaft, Anderes erinnert an das Süßeste in seiner Lyrik. Dante als Seelen- schilderer. Wie er selbst das Sonett theoretisch ansah, wissen wir nur deßhalb nicht, weil die letzten Bücher seiner Schrift „von der Vulgärsprache“, worin er von Balladen und So- netten handeln wollte, entweder ungeschrieben geblieben oder verloren gegangen sind. Practisch aber hat er in Sonett und Canzone die herrlichsten Seelenschilderungen nieder- 4. Abschnitt. gelegt. Und in welchen Rahmen sind sie eingefaßt! Die Prosa seiner „Vita nuova“, worin er Rechenschaft giebt von dem Anlaß jedes Gedichtes, ist so wunderbar als die Verse selbst und bildet mit denselben ein gleichmäßig von der tiefsten Gluth beseeltes Ganzes. Rücksichtslos gegen die Seele selbst constatirt er alle Schattirungen ihrer Wonne und ihres Leides und prägt dann dieß Alles mit fester Willenskraft in der strengsten Kunstform aus. Wenn man diese Sonette und Canzonen und dazwischen diese wundersamen Bruchstücke des Tagebuches seiner Jugend aufmerksam liest, so scheint es als ob das ganze Mittel- alter hindurch alle Dichter sich selber gemieden, Er zuerst sich selber aufgesucht hätte. Künstliche Strophen haben Unzählige vor ihm gebaut; aber Er zuerst ist in vollem Sinne ein Künstler, weil er mit Bewußtsein unvergäng- lichen Inhalt in eine unvergängliche Form bildet. Hier ist subjective Lyrik von völlig objectiver Wahrheit und Größe; das Meiste so durchgearbeitet, daß alle Völker und Jahrhunderte es sich aneignen und nachempfinden können Diese Canzonen und Sonette sind es, die jener Schmied und jener Eseltreiber sangen und entstellten, über welche Dante so böse wurde. (Vgl. Franco Sacchetti, Nov. 114. 115.) So rasch ging diese Poesie in den Mund des Volkes über. . Wo er aber völlig objectiv dichtet und die Macht seines Gefühles nur durch einen außer ihm liegenden Thatbestand errathen läßt, wie in den grandiosen Sonetten Tanto gen- tile ꝛc. und Vede perfettamente ꝛc., glaubt er noch sich ent- schuldigen zu müssen Vita nuova, p. 52. . Im Grunde gehört auch das aller- schönste dieser Gedichte hieher: das Sonett Deh peregrini che pensosi andate etc. Auch ohne die Divina Commedia wäre Dante durch diese bloße Jugendgeschichte ein Markstein zwischen Mittel- 4. Abschnitt. alter und neuer Zeit. Geist und Seele thun hier plötzlich einen gewaltigen Schritt zur Erkenntniß ihres geheimsten Lebens. Die Commedia. Was hierauf die Commedia an solchen Offenbarungen enthält, ist vollends unermeßlich, und wir müßten das ganze große Gedicht, einen Gesang nach dem andern, durch- gehen um seinen vollen Werth in dieser Beziehung darzu- legen. Glücklicherweise bedarf es dessen nicht, da die Commedia längst eine tägliche Speise aller abendländischen Völker geworden ist. Ihre Anlage und Grundidee gehört dem Mittelalter und spricht unser Bewußtsein nur historisch an; ein Anfang aller modernen Poesie aber ist das Gedicht wesentlich wegen des Reichthums und der hohen plastischen Macht in der Schilderung des Geistigen auf jeder Stufe und in jeder Wandlung Für Dante's theoretische Psychologie ist Purgat. IV, Anfang, eine der wichtigsten Stellen. Außerdem vgl. die betreffenden Partien des Convito. . Fortan mag diese Poesie ihre schwankenden Schicksale haben und auf halbe Jahrhunderte einen sogenannten Rück- gang zeigen — ihr höheres Lebensprincip ist auf immer gerettet, und wo im XIV., XV. und beginnenden XVI. Jahrhundert ein tiefer, originaler Geist in Italien sich ihr hingiebt, stellt er von selbst eine wesentlich höhere Potenz dar als irgend ein außeritalischer Dichter, wenn man Gleichheit der Begabung — freilich eine schwer zu ermit- telnde Sache — voraussetzt. Priorität der Bildung vor der Kunst. Wie in allen Dingen bei den Italienern die Bildung (wozu die Poesie gehört) der bildenden Kunst vorangeht, ja dieselbe erst wesentlich anregen hilft, so auch hier. Es dauert mehr als ein Jahrhundert, bis das Geistig-Bewegte, das Seelenleben in Sculptur und Malerei einen Ausdruck erreicht, welcher demjenigen bei Dante nur irgendwie analog ist. Wie viel oder wie wenig dieß von der Kunstentwick- lung anderer Völker gilt Die Porträts der Eyck'schen Schule würden für den Norden eher das Gegentheil beweisen. Sie bleiben allen Schilderungen in Worten noch auf lange Zeit überlegen. , und wie weit die Frage im 4. Abschnitt. Ganzen von Werthe ist, kümmert uns hier wenig. Für die italienische Cultur hat sie ein entscheidendes Gewicht. Was Petrarca in dieser Beziehung gelten soll, mögen Petrarca. die Leser des vielverbreiteten Dichters entscheiden. Wer ihm mit der Absicht eines Verhörrichters naht und die Wider- sprüche zwischen dem Menschen und dem Dichter, die er- wiesenen Nebenliebschaften und andere schwache Seiten recht emsig aufspürt, der kann in der That bei einiger Anstren- gung die Lust an seinen Sonetten gänzlich verlieren. Man hat dann statt eines poetischen Genusses die Kenntniß des Mannes in seiner „Totalität“. Nur Schade, daß Petrar- ca's Briefe so wenigen avignonesischen Klatsch enthalten, woran man ihn fassen könnte, und daß die Correspondenzen seiner Bekannten und der Freunde dieser Bekannten ent- weder verloren gegangen sind oder gar nie existirt haben. Anstatt dem Himmel zu danken wenn man nicht zu erfor- schen braucht, wie und mit welchen Kämpfen ein Dichter das Unvergängliche aus seiner Umgebung und seinem armen Leben heraus ins Sichere brachte, hat man gleichwohl auch für Petrarca aus den wenigen „Reliquien“ solcher Art eine Lebensgeschichte zusammengestellt, welche einer Anklageacte ähnlich sieht. Uebrigens mag sich der Dichter trösten; wenn das Drucken und Verarbeiten von Briefwechseln berühmter Leute in Deutschland und England noch fünfzig Jahre so fort geht, so wird die Armesünderbank, auf welcher er sitzt, allgemach die erlauchteste Gesellschaft enthalten. Ohne das viele Künstliche und Gesuchte zu verkennen, wo Petrarca sich selber nachahmt und in seiner eigenen Manier weiterdichtet, bewundern wir in ihm eine Fülle herrlicher Seelenbilder, Schilderungen seliger und unseliger 4. Abschnitt. Momente, die ihm wohl eigen sein müssen, weil kein Anderer vor ihm sie aufweist, und welche seinen eigentlichen Werth für die Nation und die Welt ausmachen. Nicht überall ist der Ausdruck gleichmäßig durchsichtig; nicht selten gesellt sich dem Schönsten etwas für uns Fremdartiges bei, allegori- sches Spielwerk und spitzfindige Sophistik; allein das Vor- zügliche überwiegt. Boccaccio. Auch Boccaccio erreicht in seinen zu wenig beachteten Sonetten Abgedruckt im XVI. Bande seiner Opere volgari. eine bisweilen höchst ergreifende Darstellung seines Gefühles. Der Wiederbesuch einer durch Liebe ge- weihten Stätte (Son. 22), die Frühlings-Melancholie (Son. 33), die Wehmuth des alternden Dichters (Son. 65) sind von ihm ganz herrlich besungen. Sodann hat er im Ameto die veredelnde und verklärende Kraft der Liebe in einer Weise geschildert, wie man es von dem Verfasser des Decamerone schwerlich erwarten würde Im Gesang des Hirten Teogapen, nach dem Venusfeste, Parnasso teatrale, Lipsia 1829, p. VIII. . Endlich aber ist seine „Fiammetta“ ein großes, umständliches Seelengemälde voll der tiefsten Beobachtung, wenn auch nichts weniger als gleichmäßig durchgeführt, ja stellenweise unläugbar beherrscht von der Lust an der prachtvoll tönenden Phrase; auch Mythologie und Alterthum mischen sich bisweilen unglücklich ein. Wenn wir nicht irren, so ist die Fiammetta ein weib- liches Seitenstück zur Vita nuova des Dante, oder doch auf Anregung von dieser Seite her entstanden. Daß die antiken Dichter, zumal die Elegiker und das vierte Buch der Aeneide, nicht ohne Einfluß Der berühmte Lienardo Aretino als Haupt des Humanismus zu Anfang des XV. Jahrh. meint zwar: che gli antichi Greci d'umanità e di gentilezza di cuore abbino avanzato di gran lunga i nostri Italiani, allein er sagt es am Eingang einer No- velle, welche die weichliche Geschichte vom kranken Prinzen Antiochus und seiner Stiefmutter Stratonice, also einen an sich zweideutigen auf diese und die folgenden Italiener blieben, versteht sich von 4. Abschnitt. selbst, aber die Quelle des Gefühls sprudelt mächtig genug in ihrem Innern. Wer sie nach dieser Seite hin mit ihren außeritalischen Zeitgenossen vergleicht, wird in ihnen den frühsten vollständigen Ausdruck der modernen europäischen Gefühlswelt überhaupt erkennen. Es handelt sich hier durchaus nicht darum zu wissen, ob ausgezeichnete Menschen anderer Nationen nicht ebenso tief uud schön empfunden haben, sondern wer zuerst die reichste Kenntniß der Seelen- regungen urkundlich erwiesen hat. Warum haben aber die Italiener der Renaissance in Mangel der Tragödie. der Tragödie nur Untergeordnetes geleistet? Dort war die Stelle, Character, Geist und Leidenschaft tausendgestaltig im Wachsen, Kämpfen und Unterliegen der Menschen zur An- schauung zu bringen. Mit andern Worten: warum hat Italien keinen Shakspeare hervorgebracht? — denn dem übrigen nordischen Theater des XVI., XVII. Jahrhunderts möchten die Italiener wohl gewachsen sein, und mit dem spanischen konnten sie nicht concurriren weil sie keinen reli- giösen Fanatismus empfanden, den abstracten Ehrenpunct nur pro forma mitmachten, und ihr tyrannisches, illegitimes Fürstenthum als solches anzubeten und zu verklären zu klug und zu stolz waren Dem einzelnen Hofe oder Fürsten allerdings wurde von den Gele- genheitsdramatikern hinlänglich geschmeichelt. . Es handelt sich also einzig nur um die kurze Blüthezeit des englischen Theaters. Hierauf ließe sich erwiedern, daß das ganze übrige Europa auch nur Einen Shakspeare hervorgebracht hat und daß ein solcher Genius überhaupt ein seltenes Geschenk des Himmels ist. Ferner könnte möglicherweise eine hohe Blüthe des italienischen Theaters im Anzuge gewesen sein, als die und dazu halbasiatischen Beleg enthält. (Abgedruckt u. a. als Bei- lage zu den cento novelle antiche. ) 4. Abschnitt. Gegenreformation hereinbrach und im Zusammenhang mit der spanischen Herrschaft (über Neapel und Mailand und indirect fast über ganz Italien) die besten Blüthen des italienischen Geistes knickte oder verdorren ließ. Man denke sich nur Shakspeare selber z. B. unter einem spanischen Vicekönig oder in der Nähe des heil. Officiums zu Rom, oder nur in seinem eigenen Lande ein paar Jahrzehnde später, zur Zeit der englischen Revolution. Das Drama, in seiner Vollkommenheit ein spätes Kind jeder Cultur, will seine Zeit und sein besonderes Glück haben. Bei diesem Anlaß müssen wir jedoch einiger Umstände gedenken, welche allerdings geeignet waren, eine höhere Blüthe des Drama's in Italien zu erschweren oder zu ver- zögern bis es zu spät war. Die Mysterien. Als den wichtigsten dieser Umstände darf man ohne Zweifel die große anderweitige Beschäftigung der Schaulust bezeichnen, zunächst vermöge der Mysterien u. a. religiösen Aufzüge. Im ganzen Abendlande sind Aufführungen der dramatisirten heiligen Geschichte und Legende gerade Quelle und Anfang des Drama's und des Theaters gewesen; Italien aber hatte sich, wie im folgenden Abschnitt erörtert werden soll, den Mysterien mit einem solchen künst- lerisch decorativen Prachtsinn hingegeben, daß darunter nothwendig das dramatische Element in Nachtheil gerathen mußte. Aus all den unzähligen kostbaren Aufführungen entwickelte sich dann nicht einmal eine poetische Kunstgat- tung wie die „Autos sagramentales“ bei Calderon u. a. spanischen Dichtern, geschweige denn ein Vortheil oder An- halt für das profane Drama. Die Pracht als Feindin des Drama's. Als letzteres dennoch emporkam, nahm es sofort nach Kräften an der Pracht der Ausstattung Theil, an welche man eben von den Mysterien her nur allzusehr gewöhnt war. Man erfährt mit Staunen, wie reich und bunt die Decoration der Scene in Italien war, zu einer Zeit, da man sich im Norden noch mit der einfachsten Andeutung der Oertlichkeit begnügte. Allein selbst dieß wäre vielleicht noch 4. Abschnitt. von keinem entscheidenden Gewichte gewesen, wenn nicht die Aufführung selbst theils durch Pracht der Costüme, theils und hauptsächlich durch bunte Intermezzi den Sinn von dem poetischen Gehalt des Stückes abgelenkt hätte. Daß man an vielen Orten, namentlich in Rom und Fer- Plautus und Terenz. rara, Plautus und Terenz, auch wohl Stücke alter Tragiker aufführte (S. 236, 250), bald lateinisch bald italienisch, daß jene Academien (S. 277, f.) sich eine förmliche Aufgabe hieraus machten, und daß die Dichter der Renaissance selbst in ihren Dramen von diesen Vorbildern mehr als billig abhingen, gereichte dem italienischen Drama für die betref- fenden Jahrzehnde allerdings auch zum Nachtheil, doch halte ich diesen Umstand für untergeordnet. Wäre nicht Gegenreformation und Fremdherrschaft dazwischen gekommen, so hätte sich jener Nachtheil gar wohl in eine nützliche Uebergangsstufe verwandeln können. War doch schon bald nach 1520 wenigstens der Sieg der Muttersprache in Tra- gödie und Comödie zum großen Verdruß der Humanisten Paul. Jovius, Dialog. de viris lit. illustr., bei Tiraboschi, Tom. VII, IV. — Lil. Greg. Gyraldus, de poëtis nostri temp. so viel als entschieden. Von dieser Seite hätte der ent- wickeltsten Nation Europa's kein Hinderniß mehr im Wege gestanden, wenn es sich darum handelte, das Drama im höchsten Sinne des Wortes zu einem geistigen Abbild des Menschenlebens zu erheben. Inquisitoren und Spanier waren es, welche die Italiener verschüchterten und die dra- matische Schilderung der wahrsten und größten Conflicte, zumal im Gewande nationaler Erinnerungen, unmöglich machten. Daneben aber müssen wir doch auch jene zer- streuenden Intermezzi als einen wahren Schaden des Dra- ma's näher ins Auge fassen. Als die Hochzeit des Prinzen Alfonso von Ferrara mit Lu- Aufführungen in Ferrara. crezia Borgia gefeiert wurde, zeigte der Herzog Ercole in 4. Abschnitt. Person den erlauchten Gästen die 110 Costüme, welche zur Aufführung von fünf plautinischen Comödien dienen sollten, damit man sehe, daß keines zweimal diene Isabella Gonzaga an ihren Gemahl, 3. Febr. 1502, Arch. stor. Append. II, p. 306, s. — Bei den französischen Myst è res mar- schirten die Schauspieler selbst vorher in Procession auf, was man la montre hieß. . Aber was wollte dieser Luxus von Taffet und Kamelot sagen im Ver- gleich mit der Ausstattung der Ballette und Pantomimen, welche als Zwischenacte der plautinischen Stücke aufgeführt wurden. Daß Plautus daneben einer lebhaften jungen Dame wie Isabella Gonzaga schmerzlich langweilig vorkam und daß Jedermann sich während des Drama's nach den Zwischenacten sehnte, ist begreiflich sobald man den bunten Glanz derselben in Betracht zieht. Da gab es Kämpfe römischer Krieger, welche ihre antiken Waffen kunstgerecht zum Tacte der Musik bewegten, Fackeltänze von Mohren, einen Tanz von wilden Männern mit Füllhörnern, aus welchen flüssiges Feuer sprühte; sie bildeten das Ballet zu einer Pantomime, welche die Rettung eines Mädchens von einem Drachen darstellte. Dann tanzten Narren in Pull- cinelltracht und schlugen einander mit Schweinsblasen, u. Das Ballett. dgl. m. Es war eine zugestandene Sache am Hofe von Ferrara, daß jede Comödie „ihr“ Ballet ( moresca ) habe Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 404. Andere Stellen über das dortige Theaterwesen Col. 278. 279. 282 bis 285. 361. 380. 381. 393. 397. . Wie man sich vollends die Aufführung des plautinischen Amphitruo daselbst (1491, bei Alfonso's erster Vermählung mit Anna Sforza) zu denken habe, ob vielleicht schon mehr als Pantomime mit Musik, denn als Drama, bleibt zweifel- haft Strozii poetæ, p. 232, im IV. Buch der Aeolosticha des Tito Strozza. . Das Eingelegte überwog jedenfalls das Stück selber; da sah man, von einem rauschenden Orchester be- gleitet, einen Chortanz von Jünglingen in Epheu gehüllt, 4. Abschnitt. in künstlich verschlungenen Figuren; dann erschien Apoll, schlug die Lyra mit dem Plectrum und sang dazu ein Preislied auf das Haus Este; zunächst folgte, gleichsam als Intermezzo im Intermezzo, eine bäurische Genrescene oder Posse, worauf wieder die Mythologie mit Venus, Bacchus und ihrem Gefolge die Scene in Beschlag nahm und eine Pantomime — Paris auf dem Ida — vorging. Nun erst kam die zweite Hälfte der Fabel des Amphitruo, mit deutlicher Anspielung auf die künftige Geburt eines Hercules aus dem Hause Este. Bei einer frühern Auffüh- rung desselben Stückes im Hof des Palastes (1487) brannte fortwährend „ein Paradies mit Sternen und andern Rä- dern“, d. h. eine Illumination vielleicht mit Feuerwerk, welche gewiß die beste Aufmerksamkeit absorbirte. Offen- bar war es besser, wenn dergleichen Zuthaten für sich als eigene Darstellungen auftraten, wie etwa an andern Höfen geschah. Von den festlichen Aufführungen beim Cardinal Pietro Riario, bei den Bentivogli zu Bologna ꝛc. wird deßhalb bei Anlaß der Feste zu handeln sein. Für die italienische Originaltragödie war die nun ein- Italienische Tragödie, mal gebräuchliche Pracht der Ausstattung wohl ganz be- sonders verhängnißvoll. „Man hat früher in Venedig“, schreibt Francesco Sansovino Franc. Sansovino: Venezia, fol. 169. Statt parenti ist wohl pareti zu lesen. Seine Meinung ist auch sonst nicht ganz klar. um 1570, „oft außer den „Comödien auch Tragödien von antiken und modernen „Dichtern mit großem Pomp aufgeführt. Um des Ruhmes „der Ausstattung (apparati) willen strömten Zuschauer „von fern und nahe dazu herbei. Heutzutage jedoch fin- „den Festlichkeiten, die von Privatleuten veranstalten werden, „zwischen vier Mauern Statt und seit einiger Zeit hat „sich von selbst der Gebrauch so festgesetzt, daß die Car- „nevalszeit mit Comödien und andern heitern und schätzbaren 4. Abschnitt. „Vergnügungen hingebracht wird“. D. h. der Pomp hat die Tragödie tödten helfen. Die einzelnen Anläufe und Versuche dieser modernen Tragiker, worunter die Sofonisba des Trissino (1515) den größten Ruhm gewann, gehören in die Literaturgeschichte. und Comödie. Und auch von der vornehmern, dem Plautus und Terenz nachgebildeten Comödie läßt sich dasselbe sagen. Selbst ein Ariost konnte in dieser Gattung nichts Ausgezeichnetes leisten. Dagegen hätte die populäre Comödie in Prosa, wie sie Macchiavelli, Bibiena, Aretino behandelten, gar wohl eine Zukunft haben können, wenn sie nicht um ihres Inhaltes willen dem Untergang verfallen gewesen wäre. Dieser war nämlich einstweilen theils äußerst unsittlich, theils gegen einzelne Stände gerichtet, welche sich seit etwa 1540 nicht mehr eine so öffentliche Feindschaft bieten ließen. Wenn in der Sofonisba die Characteristik vor einer glanz- vollen Declamation hatte weichen müssen, so war sie hier, nebst ihrer Stiefschwester, der Caricatur, nur zu rücksichts- los gehandhabt gewesen. Nun dauert das Dichten von Tragödien und Comö- dien unaufhörlich fort, und auch an zahlreichen wirklichen Aufführungen antiker und moderner Stücke fehlt es fort- während nicht, allein man nimmt davon nur Anlaß und Gelegenheit, um bei Festen die standesmäßige Pracht zu entwickeln, und der Genius der Nation hat sich davon als von einer lebendigen Gattung völlig abgewandt. Sobald Schäferspiel und Oper auftraten, konnte man jene Ver- suche vollends entbehren. Masken- comödie. National war und blieb nun nur Eine Gattung: die ungeschriebene Commedia dell' Arte, welche nach einem vor- liegenden Scenarium improvisirt wurde. Sie kommt der höhern Characteristik deßhalb nicht sonderlich zu Gute, weil sie wenige und feststehende Masken hat, deren Character Jedermann auswendig weiß. Die Begabung der Nation aber neigte so sehr nach dieser Gattung hin, daß man auch mitten in den Aufführungen geschriebener Comödien sich 4. Abschnitt. der eigenen Improvisation überließ Dieß meint wohl Sansovino, Venezia fol. 168, wenn er klagt, die recitanti verdürben die Comödien „con invenzioni o per- sonaggi troppo ridicoli“. , so daß eine förmliche Mischgattung sich hie und da geltend machen konnte. In dieser Weise mögen die Comödien gehalten gewesen sein, welche in Venedig Burchiello und dann die Gesellschaft des Armonio, Val. Zuccato, Lod. Dolce ꝛc. aufführte Sansovino, a. a. O. ; von Burchiello erfährt man bereits, daß er die Komik durch einen mit Griechisch und Slavonisch versetzten venezianischen Dialect zu steigern wußte. Eine fast oder ganz vollständige Commedia dell 'Arte war dann die des Angelo Beolco, ge- nannt il Ruzzante (1502—1542), dessen stehende Masken paduanische Bauern (Menato, Vezzo, Billora u. A.) sind; ihren Dialect pflegte er zu studiren wenn er auf der Villa seines Gönners Luigi Cornaro zu Codevico den Sommer zubrachte Scardeonius, de urb. Patav. antiq. bei Grævius, Thes. VI, III, Col. 288, s. Eine wichtige Stelle auch für die Dialectliteratur überhaupt. . Allmälig tauchen dann all die berühmten Localmasken auf, an deren Ueberreste Italien sich noch heute ergötzt: Pantalone, der Dottore, Brighella, Pulcinella, Arlecchino u. s. w. Sie sind gewiß großentheils sehr viel älter, ja möglicherweise im Zusammenhang mit den Masken altrömischer Farsen, allein erst das XVI. Jahrhundert vereinigte mehrere von ihnen in Einem Stücke. Gegen- wärtig geschieht dieß nicht mehr leicht, aber jede große Stadt hält wenigstens ihre Localmaske fest: Neapel seinen Pulcinella, Florenz den Stenterello, Mailand den bisweilen herrlichen Meneking Daß Letzterer mindestens im XV. Jahrh. schon vorhanden ist, läßt sich aus dem Diario Ferrarese schließen, indem dieses aus den in Ferrara 1501 aufgeführten Menächmen des Plautus mißverständlich einen Menechino macht. Diar. Ferr. bei Murat. XXIV, Col. 393. . 4. Abschnitt. Ein dürftiger Ersatz freilich für eine große Nation, Ersatz durch die Musik. welche vielleicht vor allen die Gabe gehabt hätte, ihr Höchstes im Spiegel des Drama's objectiv zu schildern und anzu- schauen. Aber dieß sollte ihr auf Jahrhunderte verwehrt bleiben durch feindselige Mächte, an deren Aufkommen sie nur zum Theil Schuld war. Nicht auszurotten war frei- lich das allverbreitete Talent der dramatischen Darstellung und mit der Musik hat Italien vollends Europa zinspflichtig gehalten. Wer in dieser Tonwelt einen Ersatz oder einen verhüllten Ausdruck für das verwehrte Drama erkennen will, mag sich damit nach Gefallen trösten. Das roman- tische Epos. Was das Drama nicht geleistet hatte, darf man es etwa vom Epos erwarten? Gerade das italienische Helden- gedicht wird scharf darob angeklagt, daß die Haltung und Durchführung der Charactere seine allerschwächste Seite sei. Andere Vorzüge sind ihm nicht abzustreiten, u. a. der, daß es seit vierthalb Jahrhunderten wirklich gelesen und immer von Neuem abgedruckt wird, während fast die ganze epische Poesie der übrigen Völker zur bloßen literargeschicht- lichen Curiosität geworden ist. Oder liegt es etwa an den Lesern, die etwas anderes verlangen und anerkennen als im Norden? Wenigstens gehört für uns schon eine theil- weise Aneignung des italienischen Gesichtskreises dazu um diesen Dichtungen ihren eigenthümlichen Werth abzugewin- nen, und es giebt sehr ausgezeichnete Menschen, welche erklären nichts damit anfangen zu können. Freilich wer Pulci, Bojardo, Ariosto und Berni auf den reinen sogenannten Gedankengehalt hin analysirt, der muß dabei zu kurz kom- men. Sie sind Künstler der eigensten Art, welche für ein entschieden und vorherrschend künstlerisches Volk dichten. Die Sagenwelt als Basis. Die mittelalterlichen Sagenkreise hatten nach dem all- mäligen Erlöschen der Ritterdichtung theils in Gestalt von gereimten Umarbeitungen und Sammlungen, theils als Prosaromane weiter gelebt. Letzteres war in Italien während des XIV. Jahrhunderts der Fall; doch wuchsen die neu 4. Abschnitt. erwachenden Erinnerungen des Alterthums riesengroß da- neben empor und stellten alle Phantasiebilder des Mittel- alters in tiefen Schatten. Boccaccio z. B. in seiner Visione amorosa nennt zwar unter den in seinem Zauberpalast dargestellten Heroen auch einen Tristan, Artus, Galeotto ꝛc. mit, aber ganz kurz, als schämte er sich ihrer, und die folgen- den Schriftsteller aller Art nennen sie entweder gar nicht mehr oder nur im Scherz. Das Volk jedoch behielt sie im Gedächtniß, und aus seinen Händen gingen sie dann wieder an die Dichter des XV. Jahrhunderts über. Dieselben konnten ihren Stoff nun ganz neu und frei empfinden und darstellen; sie thaten aber noch mehr, indem sie unmittel- bar daran weiter dichteten, ja sogar bei Weitem das Meiste neu erfanden. Eines muß man nicht von ihnen verlangen: daß sie einen so überkommenen Stoff hätten mit einem vorweltlichen Respect behandeln sollen. Das ganze neuere Europa darf sie darum beneiden, daß sie noch an die Theilnahme ihres Volkes für eine bestimmte Phantasiewelt anknüpfen konnten, aber sie hätten Heuchler sein müssen, wenn sie dieselbe als Mythus verehrt hätten Pulci in seinem Muthwillen fingirt für seine Geschichte des Riesen Margutte eine feierliche uralte Tradition. (Morgante, canto XIX, str. 153, s.) — Noch drolliger lautet die kritische Einleitung des Limerno Pitocco (Orlandino, cap. 1, str. 12—22). . Statt dessen bewegen sie sich auf dem neu für die Das Kunstziel. Kunstpoesie gewonnenen Gebiete als Souveräne. Ihr Hauptziel scheint die möglichst schöne und muntere Wirkung des einzelnen Gesanges beim Recitiren gewesen zu sein, wie denn auch diese Gedichte außerordentlich gewinnen wenn man sie stückweise und vortrefflich, mit einem leisen Anflug von Komik in Stimme und Geberde hersagen hört. Eine tiefere, durchgeführte Characterzeichnung hätte zur Erhöhung dieses Effectes nicht sonderlich beigetragen; der Leser mag Cultur der Renaissance. 21 4. Abschnitt. sie verlangen, der Hörer denkt nicht daran, da er immer nur ein Stück hört und zugleich den Rhapsoden vor sich sich sieht. In Betreff der vorgeschriebenen Figuren ist die Stimmung des Dichters eine doppelte: seine humanistische Bildung protestirt gegen das mittelalterliche Wesen derselben, während doch ihre Kämpfe als Seitenbild des damaligen Turnier- und Kriegswesens alle mögliche Kennerschaft und poetische Hingebung erfordern und zugleich eine Glanzauf- gabe des Recitanten sind. Deßhalb kömmt es selbst bei Luigi Pulci. Pulci Der Morgante zuerst gedruckt vor 1488. — Das Turnierwesen s. unten. zu keiner eigentlichen Parodie des Ritterthums, wenn auch die komisch derbe Redeweise seiner Paladine oft daran streift. Daneben stellt er das Ideal der Rauflust, seinen drolligen und gutmüthigen Morgante, der mit seinem Glockenschwengel ganze Armeen bändigt; ja er weiß auch diesen wiederum relativ zu verklären durch die Gegenüber- stellung des absurden und dabei höchst merkwürdigen Mon- strum's Margutte. Ein besonderes Gewicht legt aber Pulci auf diese beiden derb und kräftig gezeichneten Charactere keinesweges, und seine Geschichte geht auch nachdem sie längst daraus verschwunden sind, ihren wunderlichen Gang Bojardo. weiter. Auch Bojardo Der Orlando inamorato zuerst gedruckt 1496. steht ganz bewußt über seinen Gestalten und braucht sie nach Belieben ernst und komisch; selbst mit den dämonischen Wesen treibt er seinen Spaß und schildert sie bisweilen absichtlich als tölpelhaft. Es giebt aber eine künstlerische Aufgabe, mit welchem er es sich so sehr ernst sein läßt wie Pulci; nämlich die äußerst lebendige und, man möchte sagen technisch genaue Schilde- rung aller Hergänge. — Pulci recitirte sein Gedicht, sobald wieder ein Gesang fertig war, vor der Gesellschaft des Lo- renzo magnifico, und gleichermaßen Bojardo das seinige vor dem Hofe des Ercole von Ferrara; nun erräth man leicht, auf was für Vorzüge hier geachtet wurde und wie wenig 4. Abschnitt. Dank die durchgeführten Charactere geerntet haben würden. Natürlich bilden auch die Gedichte selbst bei sobewandten Umständen kein geschlossenes Ganzes und könnten halb oder auch doppelt so lang sein als sie sind; ihre Composition ist nicht die eines großen Historienbildes, sondern die eines Frieses oder einer von bunten Gestalten umgaukelten pracht- vollen Fruchtschnur. So wenig man in den Figuren und dem Rankenwerk eines Frieses durchgeführte individuelle Formen, tiefe Perspectiven und verschiedene Pläne fordert oder auch nur gestattet, so wenig erwartete man es in diesen Gedichten. Die bunte Fülle der Erfindungen, durch welche be- sonders Bojardo stets von Neuem überrascht, spottet aller unserer jetzt geltenden Schuldefinitionen vom Wesen der epischen Poesie. Für die damalige Zeit war es die ange- Das einzig mögliche Epos. nehmste Diversion gegenüber der Beschäftigung mit dem Alterthum, ja der einzig mögliche Ausweg wenn man überhaupt wieder zu einer selbständigen erzählenden Dichtung gelangen sollte. Denn die Poetisirung der Geschichte des Alterthums führte doch nur auf jene Irrpfade, welche Pe- trarca betrat mit seiner „Africa“ in lateinischen Hexametern und anderthalb Jahrhunderte später Trissino mit seinem „von den Gothen befreiten Italien“ in versi sciolti , einem enormen Gedichte von tadelloser Sprache und Versification, wo man nur im Zweifel sein kann ob die Geschichte oder die Poesie bei dem unglücklichen Bündniß übler weggekom- men sei. Und wohin verlockte Dante diejenigen, die ihn nachahmten? Die visionären Trionfi des Petrarca sind eben noch das Letzte, was dabei mit Geschmack zu erreichen war, Boccaccio's „verliebte Vision“ ist schon wesentlich bloße Aufzählung historischer und fabelhafter Personen nach alle- gorischen Categorien. Andere leiten dann, was sie irgend vorzubringen haben, mit einer barocken Nachahmung von Dante's erstem Gesang ein und versehen sich dabei mit 21* 4. Abschnitt. irgend einem allegorischen Begleiter, der die Stelle des Virgil einnimmt; Uberti hat für sein geographisches Ge- dicht (Dittamondo) den Solinus gewählt, Giovanni Santi für sein Lobgedicht auf Federigo von Urbino den Plutarch Vasari VIII, 71, im Commentar zur Vita di Raffaelle. . Von diesen falschen Fährten erlöste einstweilen nur diejenige epische Dichtung, welche von Pulci und Bojardo vertreten war. Die Begierde und Bewunderung, mit der man ihr entgegenkam — wie man vielleicht bis an der Tage Abend mit dem Epos nicht mehr thun wird — beweist glänzend, wie sehr die Sache ein Bedürfniß war. Es handelt sich gar nicht darum, ob in diesen Schöpfungen die seit unserm Jahrhundert aus Homer und den Nibelungen abstrahirten Ideale des wahren Heldengedichtes verwirklicht seien oder nicht; ein Ideal ihrer Zeit verwirklichten sie jedenfalls. Mit ihren massenhaften Kampfbeschreibungen, die für uns der am meisten ermüdende Bestandtheil sind, begegneten sie überdieß, wie gesagt, einem Sachinteresse, von dem wir uns schwer eine richtige Vorstellung machen, so wenig als von der Hochschätzung des lebendigen momentanen Schil- derns überhaupt. Ariosto. So kann man denn auch an Ariosto keinen falschern Maßstab legen als wenn man in seinem Orlando Furioso Die erste Ausgabe 1516. nach Characteren suchen geht. Sie sind hie und da vor- handen und sogar mit Liebe behandelt, allein das Gedicht stützt sich keinen Augenblick auf sie und würde durch ihre Hervorhebung sogar eher verlieren als gewinnen. Jene Anforderung hängt aber mit einem allgemeinern Begehren zusammen, welchem Ariosto nicht im Sinne unserer Zeit genügt; von einem so gewaltig begabten und berühmten Dichter nämlich hätte man gerne überhaupt etwas Anderes als Rolandsabenteuer u. dgl. Er hätte sollen in einem großen Werke die tiefsten Conflicte der Menschenbrust, die höchsten Anschauungen der Zeit über göttliche und mensch- 4. Abschnitt. liche Dinge, mit einem Wort: eines jener abschließenden Weltbilder darstellen wie die göttliche Comödie und der Faust sie bieten. Statt dessen verfährt er ganz wie die damaligen bildenden Künstler und wird unsterblich, indem er von der Originalität in unserm jetzigen Sinne abstrahirt, an einem bekannten Kreise von Gestalten weiterbildet und selbst das schon dagewesene Detail noch einmal benützt wo es ihm dient. Was für Vorzüge bei einem solchen Ver- fahren noch immer erreicht werden können, das wird Leuten ohne künstlerisches Naturell um so viel schwerer begreiflich zu machen sein je gelehrter und geistreicher sie sonst sein mögen. Das Kunstziel des Ariosto ist das glanzvoll leben- Sein Styl. dige „Geschehen“, welches sich gleichmäßig durch das ganze große Gedicht verbreitet. Er bedarf dazu einer Dispensa- tion nicht nur von der tiefern Characterzeichnung sondern auch von allem strengern Zusammenhang der Geschichten. Er muß verlorene und vergessene Fäden wieder anknüpfen dürfen wo es ihm beliebt; seine Figuren müssen kommen und verschwinden, nicht weil ihr tieferes persönliches Wesen sondern weil das Gedicht es so verlangt. Freilich innerhalb dieser scheinbar irrationellen, willkürlichen Compositions- weise entwickelt er eine völlig gesetzmäßige Schönheit. Er verliert sich nie ins Beschreiben, sondern giebt immer nur so viel Scenerie und Personenschilderung als mit dem Vor- wärtsrücken der Ereignisse harmonisch verschmolzen werden kann; noch weniger verliert er sich in Gespräche und Mo- nologe Die eingelegten Reden sind nämlich wiederum nur Erzählungen. , sondern er behauptet das majestätische Privilegium des wahren Epos, Alles zu lebendigen Vorgängen zu gestal- ten. Das Pathos liegt bei ihm nie in den Worten Was sich Pulci wohl erlaubt hatte. Morgante, Canto XIX, Str. 20, s. , vollends nicht in dem berühmten dreiundzwanzigsten Gesang und den 4. Abschnitt. folgenden, wo Rolands Raserei geschildert wird. Daß die Liebesgeschichten im Heldengedicht keinen lyrischen Schmelz haben, ist ein Verdienst mehr, wenn man sie auch von moralischer Seite nicht immer gut heißen kann. Bisweilen besitzen sie dafür eine solche Wahrheit und Wirklichkeit trotz allem Zauber- und Ritterwesen, das sie umgiebt, daß man darin unmittelbare Angelegenheiten des Dichters selbst zu erkennen glaubt. Im Vollgefühl seiner Meisterschaft hat er dann unbedenklich noch manches Andere aus der Gegen- wart in das große Werk verflochten und den Ruhm des Hauses Este in Gestalt von Erscheinungen und Weissagun- gen mit hineingenommen. Der wunderbare Strom seiner Ottaven trägt dieses Alles in gleichmäßiger Bewegung vorwärts. Folengo u. die Parodie. Mit Teofilo Folengo, oder wie er sich hier nennt, Limerno Pitocco, tritt dann die Parodie des ganzen Ritter- wesens in ihr längst ersehntes Recht Sein Orlandino, erste Ausg. 1526. — Vgl. oben S. 160. , zudem aber meldet sich mit der Komik und ihrem Realismus nothwendig auch das strengere Characterisiren wieder. Unter den Püffen und Steinwürfen der wilden Gassenjugend eines römischen Landstädtchens, Sutri, wächst der kleine Orlando sichtbar- lich zum muthigen Helden, Mönchsfeind und Raisonneur auf. Die conventionelle Phantasiewelt, wie sie sich seit Pulci ausgebildet und als Rahmen des Epos gegolten hatte, springt hier freilich in Splitter auseinander; Her- kunft und Wesen der Paladine werden offen verhöhnt, z. B. durch jenes Eselturnier im zweiten Gesange, wobei die Ritter mit den sonderbarsten Rüstungen und Waffen erscheinen. Der Dichter zeigt bisweilen ein komisches Be- dauern über die unerklärliche Treulosigkeit, die in der Fa- milie des Gano von Mainz zu Hause gewesen, über die mühselige Erlangung des Schwertes Durindana u. dgl., ja das Ueberlieferte dient ihm überhaupt nur noch als Substrat für lächerliche Einfälle, Episoden, Tendenzaus- 4. Abschnitt. brüche (worunter sehr schöne, z. B. der Schluß von Cap. VI. ) und Zoten. Neben alledem ist endlich noch ein gewisser Spott auf Ariosto nicht zu verkennen, und es war wohl für den Orlando furioso ein Glück, daß der Orlandino mit seinen lutherischen Ketzereien ziemlich bald der Inquisition und der künstlichen Vergessenheit anheim fiel. Eine kennt- liche Parodie scheint z. B. durch, wenn (Cap. VI , Str. 28) das Haus Gonzaga von dem Paladin Guidone abgeleitet wird, sintemal von Orlando die Colonnesen, von Rinaldo die Orsinen und von Ruggieri — laut Ariost — die Estenser abstammen sollten. Vielleicht war Ferrante Gon- zaga, der Patron des Dichters, dieser Anzüglichkeit gegen das Haus Este nicht fremd. Daß endlich in der Gerusalemme liberata des Tor- Torq. Tasso. quato Tasso die Characteristik eine der höchsten Angelegen- heiten des Dichters ist, beweist allein schon, wie weit seine Denkweise von der um ein halbes Jahrhundert früher herrschenden abweicht. Sein bewundernswürdiges Werk ist wesentlich ein Denkmal der inzwischen vollzogenen Gegen- reformation und ihrer Tendenz. Außerhalb des Gebietes der Poesie haben die Italiener zuerst von allen Europäern den historischen Menschen nach seinen äußern und innern Zügen und Eigenschaften genau zu schildern eine durchgehende Neigung und Begabung gehabt. Allerdings zeigt schon das frühere Mittelalter bemer- Biographik des Mittelalters, kenswerthe Versuche dieser Art, und die Legende mußte als eine stehende Aufgabe der Biographie das Interesse und das Geschick für individuelle Schilderung wenigstens bis zu einem gewissen Grade aufrecht halten. In den Kloster- und Domstiftsannalen werden manche Hierarchen, wie z. B. Meinwerk von Paderborn, Godehard von Hildesheim ꝛc. 4. Abschnitt. recht anschaulich beschrieben, und von mehrern unserer deut- schen Kaiser giebt es Schilderungen, nach antiken Mustern, zumal Sueton, verfaßt, welche die kostbarsten Züge ent- halten; ja diese und ähnliche profane „vitæ“ bilden all- mälig eine fortlaufende Parallele zu den Heiligengeschichten. Doch wird man weder Einhard noch Wippo noch Rade- vicus Radevicus, de gestis Friderici imp., bes. II, 76. — Die ausge- zeichnete Vita Heinrici IV. enihält gerade wenig Personalschilderung. nennen dürfen neben Joinville's Schilderung des heiligen Ludwig, welche als das erste vollkommene Geistes- bildniß eines neu-europäischen Menschen, allerdings sehr ver- einzelt dasteht. Charactere wie St. Ludwig sind überhaupt selten, und dazu gesellt sich noch das seltene Glück, daß ein völlig naiver Schilderer aus allen einzelnen Thaten und Er- eignissen eines Lebens die Gesinnung heraus erkennt und sprechend darstellt. Aus welch kümmerlichen Quellen muß man das innere Wesen eines Friedrich II, eines Philipp des Schönen zusammen errathen. Vieles was sich dann bis zu Ende des Mittelalters als Biographie giebt, ist eigentlich nur Zeitgeschichte und ohne Sinn für das Indi- viduelle des zu preisenden Menschen geschrieben. u. d. Italiener. Bei den Italienern wird nun das Aufsuchen der cha- racteristischen Züge bedeutender Menschen eine herrschende Tendenz, und dieß ist es was sie von den übrigen Abend- ländern unterscheidet, bei welchen dergleichen mehr nur zu- fällig und in außerordentlichen Fällen vorkömmt. Diesen entwickelten Sinn für das Individuelle kann überhaupt nur derjenige haben welcher selbst aus der Race herausgetreten und zum Individuum geworden ist. Im Zusammenhang mit dem weitherrschenden Begriff des Ruhmes (S. 142, f.) entsteht eine sammelnde und ver- gleichende Biographik, welche nicht mehr nöthig hat sich an Dynastien und geistliche Reihenfolgen zu halten wie Ana- stasius, Agnellus und ihre Nachfolger, oder wie die Dogen- biographen von Venedig. Sie darf vielmehr den Menschen schildern wenn und weil er bedeutend ist. Als Vorbilder 4. Abschnitt. wirken hierauf außer Sueton auch Nepos, die viri illustres und Plutarch ein, so weit er bekannt und übersetzt war; für literaturgeschichtliche Aufzeichnungen scheinen die Lebens- beschreibungen der Grammatiker, Rhetoren und Dichter, welche wir als Beilagen zu Sueton kennen Wie früh auch Philostratus, wage ich nicht zu entscheiden. , wesentlich als Vorbilder gedient zu haben, auch das viel gelesene Leben Virgil's von Donatus. Wie nun biographische Sammlungen, Leben berühmter Männer, berühmter Frauen, mit dem XIV. Jahrh. auf- kamen, wurde schon oben (S. 148, f.) erwähnt. Soweit sie nicht Zeitgenossen schildern, hängen sie natürlich von den frühern Darstellern ab; die erste bedeutende freie Leistung ist wohl das Leben Dante's von Boccaccio. Leicht und Toscanische Biographik. schwungvoll hingeschrieben und reich an Willkürlichkeiten, giebt diese Arbeit doch das lebhafte Gefühl von dem Außer- ordentlichen in Dante's Wesen. Dann folgen, zu Ende des XIV. Jahrhunderts, die „ vite “ ausgezeichneter Florentiner, von Filippo Villani. Es sind Leute jedes Faches: Dichter, Juristen, Aerzte, Philologen, Künstler, Staats- und Kriegs- männer, darunter noch lebende. Florenz wird hier behan- delt wie eine begabte Familie, wo man die Sprößlinge notirt, in welchen der Geist des Hauses besonders kräftig ausgesprochen ist. Die Characteristiken sind nur kurz, aber mit einem wahren Talent für das Bezeichnende gegeben und noch besonders merkwürdig durch das Zusammenfassen der äußern Physiognomie mit der innern. Fortan Hier ist wieder auf jene oben, S. 139, f., excerpirte Biographie des L. B. Alberti hinzuweisen, sowie auf die zahlreichen florent. Bio- graphien bei Muratori, im Archivio storico u. a. a. O. haben die Toscaner nie aufgehört, die Menschenschilderung als eine Sache ihrer speciellen Befähigung zu betrachten, und von ihnen haben wir die wichtigsten Characteristiken der Italiener des XV. und XVI. Jahrhunderts überhaupt. 4. Abschnitt. Giovanni Cavalcanti (in den Beilagen zu seiner florentini- schen Geschichte, vor 1450) sammelt Beispiele bürgerlicher Trefflichkeit und Aufopferung, politischen Verstandes, so wie auch kriegerischer Tüchtigkeit, von lauter Florentinern. Papst Pius II. giebt in seinen Commentarien werthvolle Lebensbilder von berühmten Zeitgenossen; neuerlich ist auch eine besondere Schrift seiner frühern Zeit De viris illustribus, in den Schriften des Stuttgarter literar. Vereins. wieder abge- druckt worden, welche gleichsam die Vorarbeiten zu jenen Porträts, aber mit eigenthümlichen Zügen und Farben enthält. Dem Jacob von Volterra verdanken wir pikante Porträts der römischen Curie Sein Diarium bei Murat. XXIII. nach Pius. Von Vespa- siano Fiorentino war schon oft die Rede und als Quelle im Ganzen gehört er zum Wichtigsten was wir besitzen, aber seine Gabe des Characterisirens kommt noch nicht in Betracht neben derjenigen eines Macchiavelli, Nicol ò Va- lori, Guicciardini, Varchi, Francesco Vettori, u. a., von welchen die europäische Geschichtschreibung vielleicht so nach- drücklich als von den Alten auf diesen Weg gewiesen wurde. Man darf nämlich nicht vergessen, daß mehrere dieser Autoren in lateinischen Uebersetzungen frühe ihren Weg nach dem Norden fanden. Und eben so gäbe es ohne Giorgio Vasari von Arezzo und sein unvergleichlich wichtiges Werk noch keine Kunstgeschichte des Nordens und des neuern Europa's überhaupt. Andere ital. Gegenden. Von den Oberitalienern des XV. Jahrhunderts soll Bartolommeo Fazio (von Spezzia) höhere Bedeutung haben (S. 151 Anm.). Platina, aus dem Cremonesischen ge- bürtig, repräsentirt in seinem „Leben Pauls II. “ (S. 225) bereits die biographische Caricatur. Vorzüglich wichtig aber ist die von Piercandido Decembrio verfaßte Schilderung des letzten Visconti Petri Candidi Decembrii Vita Philippi Mariæ Vicecomitis, bei Murat. XX. Vgl. oben S. 37. , eine große erweiterte Nachahmung des Sueton. Sismondi bedauert, daß so viele Mühe an 4. Abschnitt. einen solchen Gegenstand gewandt worden, allein für einen größern Mann hätte vielleicht der Autor nicht ausgereicht, während er völlig genügt, um den gemischten Character des Filippo Maria und an und in demselben mit wunder- würdiger Genauigkeit die Voraussetzungen, Formen und Folgerungen einer bestimmten Art von Tyrannis darzu- stellen. Das Bild des XV. Jahrhunderts wäre unvoll- ständig ohne diese in ihrer Art einzige Biographie, welche bis in die feinsten Miniaturpünktchen hinein characteristisch ist. — Späterhin besitzt Mailand an dem Geschichtschreiber Corio einen bedeutenden Bildnißmaler; dann folgt der Comaske Paolo Giovio, dessen größere Biographien und Giovio. kleinere Elogien weltberühmt und für Nachfolger aller Länder ein Vorbild geworden sind. Es ist leicht, an hundert Stellen Giovio's Flüchtigkeit und auch seine Unredlichkeit nachzuweisen, und eine ernste höhere Absicht liegt ohnehin nie in einem Menschen wie er war. Allein der Athem des Jahrhunderts weht durch seine Blätter, und sein Leo, sein Alfonso, sein Pompeo Colonna leben und bewegen sich vor uns mit völliger Wahrheit und Nothwendigkeit, wenn- gleich ihr tiefstes Wesen uns hier nicht kund wird. Unter den Neapolitanern nimmt Tristan Caracciolo (S. 36), so weit wir urtheilen können, ohne Frage die erste Stelle ein, obwohl seine Absicht nicht einmal eine streng biographische ist. Wundersam verflechten sich in den Gestalten, die er uns vorführt, Schuld und Schicksal, ja man könnte ihn wohl einen unbewußten Tragiker nennen. Die wahre Tragödie, welche damals auf der Scene keine Stätte fand, schritt mächtig einher durch die Paläste, Straßen und Plätze. — Die „Worte und Thaten Alfons des Großen“, von Antonio Panormita bei Lebzeiten des Königs geschrie- ben, sind merkwürdig als eine der frühsten derartigen Sammlungen von Anecdoten und weisen wie scherzhaften Reden. 4. Abschnitt. Langsam nur folgte das übrige Europa den italieni- Verhältniß zur europ. Litera- tur. schen Leistungen in der geistigen Characteristik Ueber Comines vgl. S. 98 Anm. , obschon die großen politischen und religiösen Bewegungen so manche Bande gesprengt, so viele Tausende zum Geistesleben ge- weckt hatten. Ueber die wichtigsten Persönlichkeiten der da- maligen europäischen Welt sind wiederum im Ganzen unsere besten Gewährsmänner Italiener, sowohl Literaten als Di- plomaten. Wie rasch und unwidersprochen haben in neuester Zeit die venezianischen Gesandtschaftsberichte des XVI. und XVII. Jahrhunderts in Betreff der Personalschilderungen die erste Stelle errungen. Selbst- biographien. Auch die Selbstbiographie nimmt bei den Italienern hie und da einen kräftigen Flug in die Tiefe und Weite und schildert neben dem buntesten Außenleben ergreifend das eigene Innere, während sie bei andern Nationen, auch bei den Deutschen der Reformationszeit, sich an die merkwür- digen äußern Schicksale hält und den Geist mehr nur aus der Darstellungsweise errathen läßt. Es ist als ob Dante's vita nuova mit ihrer unerbittlichen Wahrheit der Nation die Wege gewiesen hätte. Den Anfang dazu machen die Haus- und Familien- geschichten- aus dem XIV. und XV. Jahrhundert, welche noch in ziemlicher Anzahl namentlich in den florentinischen Bibliotheken handschriftlich vorhanden sein sollen; naive, im Interesse des Hauses und des Schreibenden abgefaßte Lebensläufe, wie z. B. der des Buonaccorso Pitti. Aen. Sylvius. Eine tiefere Selbstkritik ist auch nicht gerade in den Commentarien Pius II. zu suchen; was man hier von ihm als Menschen erfährt, beschränkt sich sogar dem ersten An- schein nach darauf, daß er meldet wie er seine Carriere machte. Allein bei weiterm Nachdenken wird man dieses merkwürdige Buch anders beurtheilen. Es giebt Menschen, die wesentlich Spiegel dessen sind was sie umgiebt; man thut ihnen Unrecht, wenn man sich beharrlich nach ihrer 4. Abschnitt. Ueberzeugung, nach ihren innern Kämpfen und tiefern Le- bensresultaten erkundigt. So ging Aeneas Sylvius völlig auf in den Dingen, ohne sich um irgend einen sittlichen Zwiespalt sonderlich zu grämen; nach dieser Seite deckte ihn seine gutkatholische Orthodoxie so weit als nöthig war. Und nachdem er in allen geistigen Fragen die sein Jahrhundert beschäftigten, mitgelebt und mehr als einen Zweig derselben wesentlich gefördert hatte, behielt er doch am Ende seiner Laufbahn noch Temperament genug übrig, um den Kreuzzug gegen die Türken zu betreiben und am Gram ob dessen Vereitelung zu sterben. Auch die Selbstbiographie des Benvenuto Cellini geht Benv. Cellini. nicht gerade auf Beobachtungen über das eigene Innere aus. Gleichwohl schildert sie den ganzen Menschen, zum Theil wider Willen, mit einer hinreißenden Wahrheit und Fülle. Es ist wahrlich kein Kleines, daß Benvenuto, dessen bedeutendste Arbeiten bloßer Entwurf geblieben und unter- gegangen sind, und der uns als Künstler nur im kleinen decorativen Fach vollendet erscheint, sonst aber, wenn man bloß nach seinen erhaltenen Werken urtheilt, neben so vielen größern Zeitgenossen zurückstehen muß, — daß Benvenuto als Mensch die Menschen beschäftigen wird bis an's Ende der Tage. Es schadet ihm nicht, daß der Leser häufig ahnt, er möchte gelogen oder geprahlt haben; denn der Eindruck der gewaltig energischen, völlig durchgebildeten Natur über- wiegt. Neben ihm erscheinen z. B. unsere nordischen Selbst- biographen, so viel höher ihre Tendenz und ihr sittliches Wesen bisweilen zu achten sein mag, doch als unvollstän- dige Naturen. Er ist ein Mensch der Alles kann, Alles wagt und sein Maß in sich selber trägt. Ob wir es gerne hören oder nicht, es lebt in dieser Gestalt ein ganz kennt- liches Urbild des modernen Menschen. Und noch ein Anderer ist hier zu nennen, der es eben- Cardano. falls mit der Wahrheit nicht immer soll genau genommen 4. Abschnitt. haben: Girolamo Cardano von Mailand (geb. 1500). Cardano. Sein Büchlein de propria vita Verfaßt in hohem Alter, um 1576. — Ueber Cardano als Forscher und Entdecker vgl. Libri, Hist. des sciences mathém., III, p. 167, s . wird selbst sein großes Andenken in der Geschichte der Naturforschung und der Phi- losophie überleben und übertönen wie die vita Benvenuto's dessen Werke, obwohl der Werth der Schrift wesentlich ein anderer ist. Cardano fühlt sich als Arzt selber den Puls und schildert seine physische, intellectuelle und sittliche Per- sönlichkeit sammt den Bedingungen, unter welchen sich die- selbe entwickelt hatte, und zwar aufrichtig und objectiv, so weit ihm dieß möglich war. Sein zugestandenes Vorbild, Marc Aurel's Schrift auf sich selbst, konnte er in dieser Beziehung deßhalb überbieten, weil ihn kein stoisches Tu- gendgebot genirte. Er begehrt weder sich noch die Welt zu schonen; beginnt doch sein Lebenslauf damit, daß seiner Mutter die versuchte Abtreibung der Leibesfrucht nicht ge- lang. Es ist schon viel, daß er den Gestirnen, die in seiner Geburtsstunde gewaltet, nur seine Schicksale und seine in- tellectuellen Eigenschaften auf die Rechnung schreibt und nicht auch die sittlichen; übrigens gesteht er (Cap. 10) offen ein, daß ihm der astrologisch erworbene Wahn, er werde das vierzigste und höchstens das fünfundvierzigste Jahr nicht überleben, in seiner Jugend viel geschadet habe. Doch es ist uns hier nicht erlaubt, ein so stark verbreitetes, in jeder Bibliothek vorhandenes Buch zu excerpiren. Wer es liest, wird in die Dienstbarkeit jenes Mannes kommen, bis er damit zu Ende ist. Cardano bekennt allerdings, daß er ein falscher Spieler, rachsüchtig, gegen jede Reue verhärtet, absichtlich verletzend im Reden gewesen; — er bekennt es freilich ohne Frechheit wie ohne fromme Zerknirschung, ja ohne damit interessant werden zu wollen, vielmehr mit dem einfachen, objectiven Wahrheitssinn eines Naturforschers. Und was das Anstößigste ist, der 76jährige Mann findet 4. Abschnitt. sich nach den schauerlichsten Erlebnissen Z. B. die Hinrichtung seines ältesten Sohnes, der seine verbuhlte Gemahlin vergiftet hatte, Cap. 27. 50. , bei einem sehr erschütterten Zutrauen zu den Menschen, gleichwohl leidlich glücklich: noch lebt ihm ja ein Enkel, noch besitzt er sein ungeheures Wissen, den Ruhm wegen seiner Werke, ein hübsches Vermögen, Rang und Ansehen, mächtige Freunde, Kunde von Geheimnissen, und was das Beste ist: den Glauben an Gott. Nachträglich zählt er die Zähne in seinem Munde; es sind ihrer noch fünfzehn. Doch als Cardano schrieb, sorgten auch in Italien Inquisitoren und Spanier bereits dafür, daß solche Men- schen entweder sich nicht mehr ausbilden konnten oder auf irgend eine Weise umkamen. Es ist ein großer Sprung von da bis auf die Memoiren des Alfieri. Es wäre indeß ungerecht, diese Zusammenstellung von Luigi Cornaro. Selbstbiographen zu schließen ohne einen sowohl achtbaren als glücklichen Menschen zum Worte kommen zu lassen. Es ist dieß der bekannte Lebensphilosoph Luigi Cornaro, dessen Wohnung in Padua schon als Bauwerk classisch und zugleich eine Heimath aller Musen war. In seinem be- rühmten Tractat „vom mäßigen Leben“ Discorsi della Vita sobria , bestehend aus dem eigentlichen trattato , einem compendio , einer esortazione und einer lettera an Daniel Barbaro. — Oefter gedruckt. schildert er zunächst die strenge Diät, durch welche es ihm gelungen, nach frü- herer Kränklichkeit ein gesundes und hohes Alter, damals von 83 Jahren, zu erreichen; dann antwortet er denjenigen, welche das Alter über 65 Jahre hinaus überhaupt als einen lebendigen Tod verschmähen; er beweist ihnen, daß sein Leben ein höchst lebendiges und kein todtes sei. „Sie mögen kommen, sehen und sich wundern über mein Wohl- befinden, wie ich ohne Hülfe zu Pferde steige, Treppen und Hügel hinauf laufe, wie ich lustig, amusant und zufrieden 4. Abschnitt. bin, wie frei von Gemüthssorgen und widerwärtigen Ge- Luigi Cornaro. danken. Freude und Friede verlassen mich nicht... Mein Umgang sind weise, gelehrte, ausgezeichnete Leute von Stande und wenn diese nicht bei mir sind, lese und schreibe ich, und suche damit wie auf jede andere Weise Andern nützlich zu sein nach Kräften. Von diesen Dingen thue ich jedes zu seiner Zeit, bequem, in meiner schönen Behausung, welche in der besten Gegend Padua's gelegen und mit allen Mit- teln der Baukunst auf Sommer und Winter eingerichtet, auch mit Gärten am fließenden Wasser versehen ist. Im Frühling und Herbst gehe ich für einige Tage auf meinen Hügel in der schönsten Lage der Euganeen, mit Brunnen, Gärten und bequemer und zierlicher Wohnung; da mache ich auch wohl eine leichte und vergnügliche Jagd mit, wie sie für mein Alter paßt. Einige Zeit bringe ich dann in meiner schönen Villa in der Ebene Ist dieß wohl die S. 319 erwähnte Villa von Codevico? zu; dort laufen alle Wege auf einen Platz zusammen, dessen Mitte eine artige Kirche einnimmt; ein mächtiger Arm der Brenta strömt mitten durch die Anlagen, lauter fruchtbare, wohl ange- baute Felder, Alles jetzt stark bewohnt, wo früher nur Sumpf und schlechte Luft und eher ein Wohnsitz für Schlangen als für Menschen war. Ich war's, der die Gewässer ableitete; da wurde die Luft gut und die Leute siedelten sich an und vermehrten sich, und der Ort wurde so ausgebaut wie man ihn jetzt sieht, so daß ich in Wahr- heit sagen kann: an dieser Stätte gab ich Gott einen Altar und einen Tempel und Seelen um ihn anzubeten. Dieß ist mein Trost und mein Glück so oft ich hinkomme. Im Frühling und Herbst besuche ich auch die nahen Städte und sehe und spreche meine Freunde und mache durch sie die Bekanntschaft anderer ausgezeichneter Leute, Architecten, Maler, Bildhauer, Musiker und Landöconomen. Ich be- trachte was sie Neues geschaffen haben, betrachte das schon Bekannte wieder und lerne immer Vieles was mir dient, 4. Abschnitt. in und an Palästen, Gärten, Alterthümern, Stadtanlagen, Luigi Cornaro. Kirchen und Festungswerken. Vor Allem aber entzückt mich auf der Reise die Schönheit der Gegenden und der Ort- schaften, wie sie bald in der Ebene, bald auf Hügeln, an Flüssen und Bächen mit ihren Landhäusern und Gärten ringsum da liegen. Und diese meine Genüsse werden mir nicht geschmälert durch Abnahme des Auges oder des Ohres; alle meine Sinne sind Gott sei Dank in vollkom- men gutem Zustande, auch der Geschmack, indem mir jetzt das Wenige und Einfache, was ich zu mir nehme, besser schmeckt, als einst die Leckerbissen zur Zeit da ich unordent- lich lebte.“ Nachdem er hierauf die von ihm für die Republik betriebenen Entsumpfungsarbeiten und die von ihm beharr- lich vorgeschlagenen Projecte zur Erhaltung der Lagunen erwähnt hat, schließt er: „Dieß sind die wahren Erholungen eines durch Gottes Hülfe gesunden Alters, das von jenen geistigen und körperlichen Leiden frei ist, welchen so manche jüngere Leute und so manche hinsiechende Greise unterliegen. Und wenn es erlaubt ist, zum Großen das Geringe, zum Ernst den Scherz hinzuzufügen, so ist auch das eine Frucht meines mäßigen Lebens, daß ich in diesem meinem 83sten Altersjahre noch eine sehr ergötzliche Comödie voll ehrbarer Spaßhaftigkeit geschrieben habe. Dergleichen ist sonst Sache der Jugend, wie die Tragödie Sache des Alters; wenn man es nun jenem berühmten Griechen zum Ruhm an- rechnet, daß er noch im 73sten Jahre eine Tragödie ge- dichtet, muß ich nicht mit zehn Jahren darüber gesunder und heiterer sein als Jener damals war? — Und damit der Fülle meines Alters kein Trost fehle, sehe ich eine Art leib- licher Unsterblichkeit in Gestalt meiner Nachkommenschaft vor Augen. Wenn ich nach Hause komme, habe ich nicht einen oder zwei, sondern eilf Enkel vor mir, zwischen zwei und achtzehn Jahren, alle von einem Vater und einer Cultur der Renaissance. 22 4. Abschnitt. Mutter, alle kerngesund und (so viel bis jetzt zu sehen ist) mit Talent und Neigung für Bildung und gute Sitten begabt. Einen von den kleinern habe ich immer als meinen Possenmacher (buffoncello) bei mir, wie denn die Kinder vom dritten bis zum fünften Jahre geborene Buffonen sind; die größern behandle ich schon als meine Gesellschaft, und freue mich auch, da sie herrliche Stimmen haben, sie singen und auf verschiedenen Instrumenten spielen zu hören; ja ich selbst singe auch und habe jetzt eine bessere, hellere, tö- nendere Stimme als je. Das sind die Freuden meines Alters. Mein Leben ist also ein lebendiges und kein todtes, und ich möchte mein Alter nicht tauschen gegen die Jugend eines Solchen, der den Leidenschaften verfallen ist.“ In der „Ermahnung“, welche Cornaro viel später, in seinem 95sten Jahre beifügte, rechnet er zu seinem Glück unter andern auch, daß sein „Tractat“ viele Proselyten ge- wonnen habe. Er starb zu Padua 1565, mehr als hundert- jährig. Characteristik von Völkern u. Städten. Neben der Characteristik der einzelnen Individuen ent- steht auch eine Gabe des Urtheils und der Schilderung für ganze Bevölkerungen. Während des Mittelalters hatten sich im ganzen Abendlande Städte, Stämme und Völker gegenseitig mit Spott- und Scherzworten verfolgt, welche meistens einen wahren Kern in starker Verzerrung enthielten. Von jeher aber thaten sich die Italiener im Bewußtsein der geistigen Unterschiede ihrer Städte und Landschaften besonders hervor; ihr Localpatriotismus, so groß oder größer als bei irgend einem mittelalterlichen Volke, hatte frühe schon eine literarische Seite und verband sich mit dem Be- griff des Ruhmes; die Topographie entsteht als eine Paral- lele der Biographie (S. 148). Während sich nun jede größere Stadt in Prosa und Versen zu preisen anfing Dieß zum Theil schon sehr früh, in den lombardischen Städten schon im XII. Jahrh. Vgl. Landulfus senior, Ricobaldus und (bei , traten auch Schriftsteller auf, welche sämmtliche wichtigere Städte 4. Abschnitt. und Bevölkerungen theils ernsthaft neben einander beschrie- ben, theils witzig verspotteten, auch wohl so besprachen, daß Ernst und Spott nicht scharf von einander zu trennen sind. Nächst einigen berühmten Stellen in der Divina Com- Dittamondo. media kommt der Dittamondo des Uberti in Betracht (um 1360). Hier werden hauptsächlich nur einzelne auffallende Erscheinungen und Wahrzeichen namhaft gemacht: das Krähenfest zu St. Apollinare in Ravenna, die Brunnen in Treviso, der große Keller bei Vicenza, die hohen Zölle von Mantua, der Wald von Thürmen in Lucca; doch finden sich dazwischen auch Lobeserhebungen und anzügliche Kriti- ken anderer Art; Arezzo figurirt bereits mit dem subtilen Ingenium seiner Stadtkinder, Genua mit den künstlich ge- schwärzten Augen und Zähnen (?) der Weiber, Bologna mit dem Geldverthun, Bergamo mit dem groben Dialect und den gescheidten Köpfen u. dgl. Ueber Paris, welches damals noch dem Italiener vom Mittelalter her weit mehr galt als hundert Jahre später, s. Dittamondo IV, cap. 18 . . Im XV. Jahr- hundert rühmt dann Jeder seine eigene Heimath auch auf Kosten anderer Städte. Michele Savonarola z. B. läßt neben seinem Padua nur Venedig und Rom als herrlicher, Florenz höchstens als fröhlicher gelten Savonarola , bei Murat. XXIV, Col. 1186 . — Ueber Venedig s. oben S. 62. , womit denn na- türlich der objectiven Erkenntniß wenig gedient war. Am Ende des Jahrhunderts schildert Jovianus Pontanus in seinem „Antonius“ eine fingirte Reise durch Italien nur um boshafte Bemerkungen dabei vorbringen zu können. Schilderungen des XVI. Jahrh. Aber mit dem XVI. Jahrhundert beginnt eine Reihe wahrer und tiefer Characteristiken Der Character der rastlos thätigen Bergamasken voll Argwohn wie sie damals wohl Murat. X.) den merkwürdigen Auonymus De laudibus Papiæ , aus dem XIV. Jahrh. 22* 4. Abschnitt. kein anderes Volk in dieser Weise besaß. Macchiavell schildert in einigen kostbaren Aufsätzen die Art und den politischen Zustand der Deutschen und Franzosen, so daß auch der geborene Nordländer, der seine Landesgeschichte kennt, dem florentinischen Weisen für seine Lichtblicke dank- bar sein wird. Dann zeichnen die Florentiner (S. 74, 82) gerne sich selbst So Varchi, im IX. Buch der Storie Fiorentine (Vol. III, p. 56, s.) und sonnen sich dabei im reichlich ver- dienten Glanze ihres geistigen Ruhmes; vielleicht ist es der Gipfel ihres Selbstgefühls, wenn sie z. B. das künstlerische Primat Toscana's über Italien nicht einmal von einer besondern genialen Begabung, sondern von der Anstrengung, von den Studien herleiten Vasari, XII, p. 158, v. di Michelangelo , Anfang. Andere Male wird dann doch laut genug der Mutter Natur gedankt, wie z. B. in dem Sonett des Alfonso de' Pazzi an den Nicht-Toscaner Annibal Caro (bei Trucchi, l. c. III, p. 187): Misero il Varchi! e più infelici noi, Se a vostri virtudi accidentali Aggiunto fosse 'l natural, ch'è in noi! . Huldigungen berühmter Italiener anderer Gegenden wie z. B. das herrliche sechs- zehnte Capitolo des Ariost, mochte man wohl wie einen schuldigen Tribut in Empfang nehmen. Von einer, wie es scheint, sehr ausgezeichneten Quelle über die Unterschiede der Bevölkerungen Italiens können wir nur den Namen angeben Landi: Quæstiones Forcianæ, Neapoli 1536 , benützt von Ranke, Päpste I , S. 385. . Leandro Alberti Descrizione di tutta l'Italia. ist in der Schilderung des Genius der einzelnen Städte nicht so ausgiebig als man erwarten sollte. Ein kleiner ano- nymer Commentario delle più notabili et mostruose cose d'Italia etc., Venezia 1569 . (Wahrscheinlich vor 1547 verfaßt.) Commentario enthält zwischen vielen Thorheiten und Neugier ist sehr artig geschildert bei Bandello, Parte I, Nov. 34 . auch manchen werthvollen Wink über den unglücklichen, 4. Abschnitt. zerfallenen Zustand um die Mitte des Jahrhunderts Possenhafte Aufzählungen der Städte giebt es fortan häufig; z. B. Macaroneide, Phantas. II . . Wie nun diese vergleichende Betrachtung der Bevöl- kerungen, hauptsächlich durch den italienischen Humanismus, auf andere Nationen eingewirkt haben mag, sind wir nicht im Stande näher nachzuweisen. Jedenfalls gehört Italien dabei die Priorität wie bei der Cosmographie im Großen. Allein die Entdeckung des Menschen bleibt nicht stehen Schilderung des äußern Menschen. bei der geistigen Schilderung der Individuen und der Völker; auch der äußere Mensch ist in Italien auf ganz andere Weise das Object der Betrachtung als im Norden. Von der Stellung der großen italienischen Aerzte zu den Fortschritten der Physiologie wagen wir nicht zu sprechen, und die künstlerische Ergründung der Menschengestalt ge- hört nicht hieher sondern in die Kunstgeschichte. Wohl aber muß hier von der allgemeinen Bildung des Auges die Rede sein, welche in Italien ein objectives, allgültiges Urtheil über körperliche Schönheit und Häßlichkeit möglich machte. Fürs Erste wird man bei der aufmerksamen Lesung der damaligen italienischen Autoren erstaunen über die Ge- nauigkeit und Schärfe in der Bezeichnung der äußern Züge und über die Vollständigkeit mancher Personalbeschrei- bungen überhaupt Ueber Filippo Villani, vgl. S. 329. . Noch heutzutage haben besonders die Römer das Talent, einen Menschen, von dem die Rede ist, in drei Worten kenntlich zu machen. Dieses rasche Erfassen des Characteristischen aber ist eine wesentliche Vorbedingung für die Erkenntniß des Schönen und für die Fähigkeit dasselbe zu beschreiben. Bei Dichtern kann allerdings das umständliche Beschreiben ein Fehler sein, da ein einziger Zug, von der tiefern Leidenschaft eingegeben, im Leser ein 4. Abschnitt. viel mächtigeres Bild von der betreffenden Gestalt zu er- wecken vermag. Dante hat seine Beatrice nirgends herrlicher gepriesen als wo er nur den Reflex schildert, der von ihrem Wesen ausgeht auf ihre ganze Umgebung. Allein es han- delt sich hier nicht um die Poesie, welche als solche ihren eigenen Zielen nachgeht, sondern um das Vermögen, spe- cielle sowohl als ideale Formen in Worten zu malen. Die Schönheit bei Boccaccio. Hier ist Boccaccio Meister, nicht im Decamerone, da die Novelle alles lange Beschreiben verbietet, sondern in seinen Romanen, wo er sich die Muße und den nöthigen Schwung dazu nehmen darf. In seinem Ameto schildert er Parnasso teatrale, Lipsia 1829. Introd., p. VII. eine Blonde und eine Braune ungefähr wie ein Maler sie hundert Jahre später würde gemalt haben — denn auch hier geht die Bildung der Kunst lange voran. Bei der Braunen (oder eigentlich nur weniger Blonden) erscheinen schon einige Züge, die wir classisch nennen würden: in seinen Worten „ la spaziosa testa e distesa “ liegt die Ahnung großer Formen, die über das Niedliche hinausgehen; die Augbraunen bilden nicht mehr wie beim Ideal der Byzantiner zwei Bogen, sondern zusammen eine geschwungene Linie; die Nase scheint er sich der sogenannten Adlernase gen ä hert zu denken Die Lesart ist hier offenbar verdorben. ; auch die breite Brust, die mäßig langen Arme, die Wirkung der schönen Hand wie sie auf dem Purpurgewande liegt — all diese Züge deuten wesent- lich auf das Schönheitsgefühl einer kommenden Zeit, welches zugleich dem des hohen classischen Alterthumes unbewußt sich nähert. In andern Schilderungen erwähnt Boccaccio auch eine ebene (nicht mittelalterlich gerundete) Stirn, ein ernstes langgezogenes braunes Auge, einen runden, nicht ausgehöhlten Hals, freilich auch das sehr moderne „kleine Füßchen“, und, bei einer schwarzhaarigen Nymphe bereits „zwei spitzbübisch rollende Augen“ Due occhi ladri nel loro movimento . Die ganze Schrift ist reich an solchen Beschreibungen. . U. a. m. Ob das XV. Jahrhundert schriftliche Rechenschaft über 4. Abschnitt. sein Schönheitsideal hinterlassen hat, weiß ich nicht zu sa- gen; die Leistungen der Maler und Bildhauer würden dieselbe nicht so ganz entbehrlich machen, wie es auf den ersten Anblick scheint, da gerade ihrem Realismus gegen- über in den Schreibenden ein specielles Postulat der Schön- heit fortgelebt haben könnte Das sehr schöne Liederbuch des Giusto de' Conti: la bella mano meldet nicht einmal von dieser berühmten Hand seiner Geliebten so viel Specielles wie Boccaccio an zehn Stellen seines Ameto von den Händen seiner Nymphen erzählt. . Im XVI. Jahrhundert Firenzuola's Ideal. tritt dann Firenzuola hervor mit seiner höchst merkwürdigen Schrift über weibliche Schönheit Della bellezza delle donne, im I. Band der Opere di Firen- zuola, Milano 1802 . — Seine Ansicht über die Körperschönheit als Anzeige der Seelenschönheit vgl. vol. II, p. 48 bis 52, in den ragionamenti vor seinen Novellen. — Unter den vielen Andern welche dieß, zum Theil nach Art der Alten, verfechten, nennen wir nur Castiglione, il Cortigiano, L. IV, fol. 176 . . Man muß vor Allem ausscheiden was er nur von antiken Autoren und von Künstlern gelernt hat, wie die Maßbestimmungen nach Kopflängen, einzelne abstracte Begriffe ꝛc. Was übrig bleibt ist eigene echte Wahrnehmung, die er mit Beispielen von lauter Frauen und Mädchen aus Prato belegt. Da nun sein Werkchen eine Art von Vortrag ist, den er vor seinen Prateserinnen, also den strengsten Richterinnen hält, so muß er dabei sich wohl an die Wahrheit angeschlossen haben. Sein Princip ist zugestandenermaßen das des Zeuxis und Lucian: ein Zusammensuchen von einzelnen schönsten Theilen zu einer höchsten Schönheit. Er definirt die Ausdrücke der Farben, die an Haut und Haaren vor- kommen, und giebt dem biondo den Vorzug als der we- sentlichen und schönsten Haarfarbe Werüber Jedermann einverstanden war, nicht bleß die Maler aus Gründen des Colorites. , nur daß er darunter 4. Abschnitt. ein sanftes, dem Bräunlichen zugeneigtes Gelb versteht. Firenzuola's Ideal. Ferner verlangt er das Haar dicht, lockig und lang, die Stirn heiter und doppelt so breit als hoch, die Haut hell leuchtend (candido) , aber nicht von todter Weiße (bian- chezza) , die Braunen dunkel, seidenweich, in der Mitte am stärksten und gegen Nase und Ohr abnehmend, das Weiße im Auge leise bläulich, die Iris nicht gerade schwarz, obwohl alle Dichter nach occhi neri als einer Gabe der Venus schreien, während doch das Himmelblau selbst Göt- tinnen eigen gewesen und das sanfte, fröhlich blickende Dunkelbraun allbeliebt sei. Das Auge selbst soll groß ge- bildet sein und vortreten; die Lider sind weiß mit kaum sichtbaren rothen Aederchen am schönsten; die Wimpern weder zu dicht noch zu lang, noch zu dunkel. Die Augen- höhle muß die Farbe der Wangen haben Bei diesem Anlaß Etwas über das Auge der Lucrezia Borgia, aus den Distichen eines ferraresischen Hofpoeten, Ercole Strozza. (Strozii poetæ, p. 85. 86) . Die Macht ihres Blickes wird auf eine Weise bezeichnet, die nur in einer künstlerischen Zeit erklärlich ist, und die man sich jetzt verbitten würde. Bald heißt dieß Auge entflammend, bald versteinernd. Wer die Sonne lange ansieht, wird blind; wer Medusa betrachtete, wurde Stein; wer aber Lucrezien's Angesicht schaut: Fit primo intuitu cæcus et inde lapis. Ja der marmorne schlafende Cupido in ihren Sälen soll von ihrem Blick versteinert sein: Lumine Borgiados saxificatus Amor. Man kann nun darüber streiten, ob der sogenannte praxitelische oder derjenige von Michelangelo gemeint sei, da sie beide besaß. Und derselbe Blick erschien einem andern Dichter, dem Marcello Filosseno, nur mild und stolz, mansueto e altero. (Roscoe, Leone X, ed. Bossi, VII, p. 306) . Vergleichungen mit antiken Idealgestalten kommen damals nicht selten ver (S. 31, 183). Von einem zehnjährigen Knaben heißt es im Orlandino ( II , Str. 47): er hat einen antiken Kopf, ed ha capo romano . . Das Ohr, von mittlerer Größe, fest und wohl angesetzt, muß in den geschwungenen Theilen lebhafter gefärbt sein als in den 4. Abschnitt. flachern, der Saum durchsichtig und rothglänzend wie Gra- Firenzuola's Ideal. natenkern. Die Schläfe sind weiß und flach und nicht zu schmal am schönsten Bei diesem Anlaß, da das Aussehen der Schläfe durch die Anord- nung der Haare modificirt werden kann, erlaubt sich F. einen komi- schen Ausfall gegen die allzuvielen Blumen im Haar, welche dem Gesicht ein Ansehen geben, „gleich einem Topf voll Nelken oder einem Geißviertel am Bratspieß“. Ueberhaupt versteht er recht wohl zu carikiren. . Auf den Wangen muß das Roth mit der Rundung zunehmen. Die Nase, welche wesentlich den Werth des Profiles bestimmt, muß nach oben sehr sanft und gleichmäßig abnehmen; wo der Knorpel aufhört, darf eine kleine Erhöhung sein, doch nicht daß daraus eine Adlernase würde, die an Frauen nicht gefällt; der untere Theil muß sanfter gefärbt sein als die Ohren, nur nicht erfroren weiß, die mittlere Wand über der Lippe leise ge- röthet. Den Mund verlangt der Autor eher klein, doch weder gespitzt noch platt, die Lippen nicht zu subtil, und schön aufeinander passend; beim zufälligen Oeffnen (d. h. ohne Lachen oder Reden) darf man höchstens sechs Ober- zähne sehen. Besondere Delicatessen sind das Grübchen in der Oberlippe, ein schönes Anschwellen der Unterlippe, ein liebreizendes Lächeln im linken Mundwinkel ꝛc. Die Zähne sollen sein: nicht zu winzig, ferner gleichmäßig, schön ge- trennt, elfenbeinfarbig; das Zahnfleisch nicht zu dunkel, ja nicht etwa wie rother Sammet. Das Kinn sei rund, weder gestülpt noch spitzig, gegen die Erhöhung hin sich röthend; sein besonderer Ruhm ist das Grübchen. Der Hals muß weiß und rund und eher zu lang als zu kurz sein, Grube und Adamsapfel nur angedeutet; die Haut muß bei jeder Wendung schöne Falten bilden. Die Schul- tern verlangt er breit und bei der Brust erkennt er sogar in der Breite das höchste Erforderniß der Schönheit; außer- dem muß daran kein Knochen sichtbar, alles Zu- und Ab- 4. Abschnitt. nehmen kaum bemerklich, die Farbe „ candidissimo “ sein. Firenzuola's Ideal. Das Bein soll lang und an dem untern Theil zart, doch am Schienbein nicht zu fleischlos und überdieß mit starken weißen Waden versehen sein. Den Fuß will er klein, doch nicht mager, die Spannung (scheint es) hoch, die Farbe weiß wie Alabaster. Die Arme sollen weiß sein und sich an den erhöhten Theilen leise röthen; ihre Consistenz be- schreibt er als fleischig und musculös, doch sanft wie die der Pallas, da sie vor dem Hirten auf Ida stand, mit einem Worte: saftig, frisch und fest. Die Hand verlangt er weiß, besonders oben, aber groß und etwas voll, und anzufühlen wie feine Seide, das rosige Innere mit wenigen, aber deutlichen, nicht gekreuzten Linien und nicht zu hohen Hügeln versehen, den Raum zwischen Daumen und Zeige- finger lebhaft gefärbt und ohne Runzeln, die Finger lang, zart und gegen das Ende hin kaum merklich dünner, mit hellen, wenig gebogenen und nicht zu langen noch zu vier- eckigen Nägeln, die beschnitten sein sollen nur bis auf die Breite eines Messerrückens. Neben dieser speciellen Aesthetik nimmt die allgemeine nur eine untergeordnete Stelle ein. Die tiefsten Gründe des Schönfindens, nach welchen das Auge „ senza appello “ richtet, sind auch für Firenzuola ein Geheimniß wie er offen eingesteht, und seine Definitionen von Leggiadria, Grazia, Vaghezza, Venustà, Aria, Maestà sind zum Theil, wie bemerkt, philologisch erworben, zum Theil ein vergeb- liches Ringen mit dem Unaussprechlichen. Das Lachen definirt er — wahrscheinlich nach einem alten Autor — recht hübsch als ein Erglänzen der Seele. Alle Literaturen werden am Ausgange des Mittelalters einzelne Versuche aufweisen, die Schönheit gleichsam dog- matisch festzustellen Das Schönheitsideal der Minnesinger s. bei Falke, die deutsche Trach- ten- und Modenwelt, I , S. 85, ff. . Allein neben Firenzuola wird schwer- lich ein anderes Werk irgend aufkommen. Der um ein 4. Abschnitt. starkes halbes Jahrhundert spätere Brantome z. B. ist ein geringer Kenner dagegen, weil ihn die Lüsternheit und nicht der Schönheitssinn leitet. Zu der Entdeckung des Menschen dürfen wir endlich Schilderung des bewegten Lebens. auch die schildernde Theilnahme an dem wirklichen bewegten Menschenleben rechnen. Die ganze komische und satirische Seite der mittelalter- lichen Literaturen hatte zu ihren Zwecken das Bild des gemeinen Lebens nicht entbehren können. Etwas ganz anderes ist es, wenn die Italiener der Renaissance dieses Bild um seiner selber willen ausmalen, weil es an sich interessant, weil es ein Stück des großen allgemeinen Weltlebens ist, von welchem sie sich zauberhaft umwogt fühlen. Statt und neben der Tendenzkomik, welche sich in den Häusern, auf den Gassen, in den Dörfern herumtreibt, weil sie Bürgern, Bauern und Pfaffen eines anhängen will, treffen wir hier in der Literatur die Anfänge des echten Genre, lange Zeit bevor sich die Malerei damit abgiebt. Daß Beides sich dann oft wieder verbindet, hindert nicht, daß es verschiedene Dinge sind. Wie viel irdisches Geschehen muß Dante aufmerksam Bei Dante. und theilnehmend angesehen haben bis er die Vorgänge seines Jenseits so ganz sinnlich wahr schildern konnte Ueber die Wahrheit seines Raumsinns vgl. S. 295, Anm. . Die berühmten Bilder von der Thätigkeit im Arsenal zu Venedig, vom Aneinanderlehnen der Blinden vor den Kirch- thüren Inferno XXI, 7. Purgat. XIII , 61. u. dgl. sind lange nicht die einzigen Beweise dieser Art; schon seine Kunst, den Seelenzustand in der äußern Geberde darzustellen, zeigt ein großes und beharrliches Studium des Lebens. 4. Abschnitt. Die Dichter, welche auf ihn folgen, erreichen ihn in dieser Beziehung selten und den Novellisten verbietet es das höchste Gesetz ihrer Literaturgattung, bei dem Einzelnen zu verweilen (Vgl. S. 302, 342). Sie dürfen so weitschweifig präludiren und erzählen als sie wollen, aber nicht genrehaft schildern. Wir müssen uns gedulden bis die Männer des Alterthums Lust und Gelegenheit finden, sich in der Be- schreibung zu ergehen. Bei Aen. Syl- vius. Hier tritt uns wiederum der Mensch entgegen, welcher Sinn hatte für Alles: Aeneas Sylvius. Nicht bloß die Schönheit der Landschaft, nicht bloß das cosmographisch oder antiquarisch Interessante (S. 180, 282, 298) reizt ihn zur Darstellung, sondern jeder lebendige Vorgang Man muß es nicht zu ernst nehmen, daß er an seinem Hofe eine Art Spottdrossel, den Florentiner Greco hatte, hominem certe cuiusvis mores, naturam, linguam cum maximo omnium qui audiebant risu facile exprimentem. Platina, vitæ Pontiff. p. 310. . Unter den sehr vielen Stellen seiner Memoiren, wo Scenen ge- schildert werden, welchen damals kaum Jemand einen Feder- strich gegönnt hätte, heben wir hier nur das Wettrudern auf dem Bolsener See hervor Pii II. Comment. VIII, p. 391. . Man wird nicht näher ermitteln können, aus welchen antiken Epistolographen oder Erzählern die specielle Anregung zu so lebensvollen Bildern auf ihn übergegangen ist, wie denn überhaupt die geistigen Berührungen zwischen Alterthum und Renaissance oft über- aus zart und geheimnißvoll sind. Sodann gehören hieher jene beschreibenden lateinischen Gedichte, von welchen oben (S. 257) die Rede war: Jagden, Reisen, Ceremonien u. dgl. Es giebt auch Ita- lienisches dieser Gattung; wie z. B. die Schilderungen des berühmten mediceischen Turniers von Poliziano und Luca Pulci. Die eigentlichen epischen Dichter, Luigi Pulci, Bo- jardo und Ariost, treibt ihr Gegenstand schon rascher vor- 4. Abschnitt. wärts, doch wird man bei Allen die leichte Präcision in der Schilderung des Bewegten als ein Hauptelement ihrer Meisterschaft anerkennen müssen. Franco Sacchetti macht sich einmal das Vergnügen, die kurzen Reden eines Zuges hübscher Weiber aufzuzeichnen Diese sogenannte Caccia ist abgedruckt im Commentar zu Casti- glione's Ecloge. , die im Wald vom Regen überrascht werden. Andere Beschreibungen der bewegten Wirklichkeit findet man am ehesten bei Kriegsschriftstellern u. dgl. (Vgl. S. 100). Schon aus früherer Zeit ist uns in einem umständlichen Gedicht S. die Serventese des Giannozzo von Florenz, bei Trucchi, Poesie italiane inedite, II, p. 99. Die Worte sind zum Theil ganz un- verständlich, d. h. wirklich oder scheinbar aus den Sprachen der fremden Söldner entlehnt. — Auch Macchiavell's Beschreibung von Florenz während der Pest von 1527 gehört gewissermaßen hieher. Lauter lebendig sprechende Einzelbilder eines schrecklichen Zustandes. das getreue Abbild einer Söldnerschlacht des XIV. Jahrhunderts erhalten, hauptsächlich in Gestalt der Zurufe, Commando's und Gespräche, die während einer solchen vorkommen. Das Merkwürdigste dieser Art aber ist die echte Schil- Falsche u. echte Schilderung des Landlebens. derung des Bauernlebens, welche besonders bei Lorenzo magnifico und den Dichtern in seiner Umgebung bemerk- lich wird. Seit Petrarca Laut Boccaccio ( Vita di Dante, p. 77) hätte schon Dante zwei, wahrscheinlich lateinische, Eclogen gedichtet. gab es eine falsche, conventionelle Bucolik oder Eclogendichtung, eine Nachahmung Virgils, mochten die Verse lateinisch oder italienisch sein. Als ihre Nebengattungen traten auf der Hirtenroman von Boccaccio (S. 254) bis auf Sannazaro's Arcadia, und später das Schäferspiel in der Art des Tasso und Guarini, Werke der allerschönsten Prosa wie des vollendetsten Versbaues, worin 4. Abschnitt. jedoch das Hirtenwesen nur ein äußerlich übergeworfenes ideales Costüm für Empfindungen ist, die einem ganz andern Bildungskreis entstammen Boccaccio giebt in seinem Ameto schon eine Art von mythisch ver- kleidetem Decamerone und fällt bisweilen auf komische Weise aus dem Costüm. Eine seiner Nymphen ist gut katholisch und wird in Rom von den Prälaten lüstern angesehen; eine andere heirathet. Im Ninfale Fiesolano zieht die schwangere Nymphe Mensola eine „alte, weise Nymphe“ zu Rathe, u. dgl. . Daneben aber tritt gegen das Ende des XV. Jahr- hunderts jene echt genrehafte Behandlung des ländlichen Daseins in die Dichtung ein. Sie war nur in Italien Stellung der Bauern. möglich, weil nur hier der Bauer (sowohl der Colone als der Eigenthümer) Menschenwürde und persönliche Freiheit und Freizügigkeit hatte, so hart bisweilen auch sein Loos sein mochte. Der Unterschied zwischen Stadt und Dorf ist bei weitem nicht so ausgesprochen wie im Norden; eine Menge Städtchen sind ausschließlich von Bauern bewohnt, die sich des Abends Städter nennen können. Die Wan- derungen der comaskischen Maurer gingen fast durch ganz Italien; das Kind Giotto durfte von seinen Schafen hin- weg und konnte in Florenz zünftig werden; überhaupt war ein beständiger Zustrom vom Lande nach den Städten und gewisse Bergbevölkerungen schienen dafür eigentlich geboren Nullum est hominum genus aptius urbi , sagt Battista Manto- vano ( Ecl. VIII ) von den zu allen Dingen brauchbaren Bewohnern des Monte Baldo und der Val Sassina . Bekanntlich haben ein- zelne Landbevölkerungen noch heute ein Vorrecht auf gewisse Be- schäftigungen in großen Städten. . Nun sorgen zwar Bildungshochmuth und städtischer Dünkel noch immer dafür, daß Dichter und Novellisten sich über den villano lustig machen Vielleicht eine der stärksten Stellen: Orlandino, cap. V, str. 54—58. , und die Improvisir-Comödie (S. 318, f.) that vollends das Uebrige. Aber wo fände sich ein Ton von jenem grausamen, verachtungsvollen Racen- haß gegen die vilains , der die adlichen provenzalischen 4. Abschnitt. Dichter und stellenweise die französischen Chronisten beseelt? Vielmehr In der Lombardie scheuten sich zu Anfang des XVI. Jahrh. die Edelleute nicht, mit den Bauern zu tanzen, zu ringen, zu springen und um die Wette zu laufen. Il Cortigiano, L. II, fol. 54. — Ein Gutsbesitzer, der sich über Gier und Trug seiner Pachtbauern damit tröstet, daß man sich dabei in die Leute schicken lerne, ist A. Pandolfini, im Trattato del governo della famiglia, p. 86. erkennen italienische Autoren jeder Gattung das Bedeutende und Große, wo es sich im Bauernleben zeigt, freiwillig an und heben es hervor. Gioviano Pontano erzählt Jovian. Pontan. de fortitudine, lib. II. mit Bewunderung Züge von Seelenstärke der wilden Abruzzesen; in den biographischen Sammelwerken wie bei den Novellisten fehlt auch das heroische Bauer- mädchen Die berühmie veltlinische Bäurin Bona Lombarda als Gemahlin des Condottiere Pietro Brunoro lernt man kennen aus Jacobus Bergo- mensis und aus Porcellius, bei Murat XXV, Col. 43. — Vgl. oben S. 150, Anm. nicht, welches sein Leben dran setzt um seine Unschuld oder seine Familie zu vertheidigen Ueber das Schicksal der damaligen italienischen Bauern überhaupt und je nach den Landschaften insbesondere sind wir außer Stande, Näheres hier beizubringen. Wie sich der freie Grundbesitz damals zum gepachteten verhielt, welches die Belastung beider im Verhältniß zur jetzigen Zeit war, müssen Specialwerke lehren, die uns nicht zu Gebote stehen. In stürmischen Zeiten pflegen die Bauern bisweilen schrecklich zu verwildern ( Arch. stor. XVI, I, p. 451, s. — An- nales Foroliv. bei Murat. XXII, Col. 227) aber nirgends kommt es zu einem großen gemeinsamen Bauernkrieg. Von einiger Be- deutung und an sich sehr interessant ist der Bauernaufstand um Piacenza 1462. Vgl. Corio, storia di Milano, fol. 409. An- nales Placent. bei Murat. XX, Col. 907. Sismondi, X, p. 138. . Unter solchen Voraussetzungen war eine poetische Be- trachtung des Bauernlebens möglich. Zunächst sind hier zu erwähnen die einst viel gelesenen und noch heute lesens- Battista Man- tovano. werthen Eclogen des Battista Mantovano (eines seiner 4. Abschnitt. frühern Werke, etwa um 1480). Sie schwanken noch zwischen echter und conventioneller Ländlichkeit, doch über- wiegt die erstere. Im Wesentlichen spricht daraus der Sinn eines wohldenkenden Dorfgeistlichen, nicht ohne einen ge- wissen aufklärerischen Eifer. Als Carmelitermönch mag er viel mit Landleuten verkehrt haben. Lorenzo magni- fico. Allein mit einer ganz andern Kraft versetzt sich Lo- renzo magnifico in den bäurischen Gesichtskreis hinein. Seine Nencia di Barberino Poesie di Lorenzo magnif., I, p. 37, s. — Die sehr merkwür- digen Gedichte aus der Zeit des deutschen Minnegesanges, welche den Namen des Neithard von Reuenthal tragen, stellen das Bauernleben doch nur dar, insoweit sich der Ritter zu seinem Vergnügen darauf einläßt. liest sich wie ein Inbegriff echter Volkslieder aus der Umgegend von Florenz, zusam- mengegossen in einen großen Strom von Ottaven. Die Objectivität des Dichters ist der Art, daß man im Zweifel bleibt, ob er für den Redenden (den Bauerburschen Vallera, welcher der Nencia seine Liebe erklärt) Sympathie oder Hohn empfindet. Ein bewußter Gegensatz zur conventio- nellen Bucolik mit Pan und Nymphen ist unverkennbar; Lorenzo ergeht sich absichtlich im derben Realismus des bäurischen Kleinlebens und doch macht das ganze einen wahrhaft poetischen Eindruck. Luigi Pulci. Ein zugestandenes Seitenstück zur Nencia ist die Beca da Dicomano des Luigi Pulci Ebenda, II, p. 149. . Allein es fehlt der tiefere objective Ernst; die Beca ist nicht sowohl gedichtet aus innerem Drang, ein Stück Volksleben darzustellen, als viel- mehr aus dem Verlangen, durch etwas der Art den Beifall gebildeter Florentiner zu gewinnen. Daher die viel größere, absichtlichere Derbheit des Genrehaften und die beigemisch- ten Zoten. Doch wird der Gesichtskreis des ländlichen Liebhabers noch sehr geschickt festgehalten. Der dritte in diesem Verein ist Angelo Poliziano mit 4. Abschnitt. seinem Rusticus U. a. in den Deliciæ poetar. ital. und in den Werken Poliziano's. — Die Lehrgedichte des Rucellai und Alamanni, welche einiges Aehnliche enthalten sollen, stehen mir nicht zu Gebote. in lateinischen Hexametern. Er schildert, Poliziano. unabhängig von Virgils Georgica, speciell das toscanische Bauernjahr, beginnend mit dem Spätherbst, da der Land- mann einen neuen Pflug schnitzt und die Wintersaat bestellt. Sehr reich und schön ist die Schilderung der Fluren im Frühling und auch der Sommer enthält vorzügliche Stellen; als eine Perle aller neulateinischen Poesie aber darf das Kelterfest im Herbste gelten. Auch auf italienisch hat Po- liziano Einzelnes gedichtet, woraus hervorgeht, daß man im Kreise des Lorenzo bereits irgend ein Bild aus dem leiden- schaftlich bewegten Leben der untern Stände realistisch be- handeln durfte. Sein Liebeslied des Zigeuners Poesie di Lorenzo m. II, p. 75. ist wohl eines der frühsten Producte der echt modernen Tendenz, sich in die Lage irgend einer Menschenclasse mit poetischem Bewußtsein hineinzuversetzen. Mit komischer Absicht war dergleichen wohl von jeher versucht worden Dahin gehört schon das Nachmachen verschiedener Dialecte, wozu das der Landesmanieren sich gesellt haben muß. Vgl. S. 155. und in Flo- renz boten die Gesänge der Maskenzüge sogar eine bei jedem Carneval wiederkehrende Gelegenheit hiezu. Neu aber ist das Eingehen auf die Gefühlswelt eines Andern, womit die Nencia und diese „ Canzone zingaresca “ einen denk- würdigen neuen Anfang in der Geschichte der Poesie aus- machen. Auch hier muß schließlich darauf hingewiesen werden, wie die Bildung der Kunst vorangeht. Von der Nencia an dauert es wohl achtzig Jahre bis zu den ländlichen Genremalereien des Jacopo Bassano und seiner Schule. Im nächsten Abschnitt wird es sich zeigen, daß in Ita- lien damals die Geburtsunterschiede zwischen den Menschen- Cultur der Renaissance. 23 4. Abschnitt. classen ihre Geltung verloren. Gewiß trug hiezu viel bei, daß man hier zuerst die Menschen und die Menschheit in ihrem tiefern Wesen vollständig erkannt hatte. Schon dieses eine Resultat der Renaissance darf uns mit ewigem Dank- gefühl erfüllen. Den logischen Begriff der Menschheit hatte man von jeher gehabt, aber sie kannte die Sache. Der Begriff des Menschen. Die höchsten Ahnungen auf diesem Gebiete spricht Pico della Mirandola aus in seiner Rede von der Würde des Menschen Jo. Pici oratio de hominis dignitate, in den Opera und in be- sondern Abdrücken. , welche wohl eines der edelsten Vermächt- nisse jener Culturepoche heißen darf. Gott hat am Ende der Schöpfungstage den Menschen geschaffen, damit derselbe die Gesetze des Weltalls erkenne, dessen Schönheit liebe, dessen Größe bewundere. Er band denselben an keinen festen Sitz, an kein bestimmtes Thun, an keine Nothwen- digkeiten, sondern er gab ihm Beweglichkeit und freien Willen. „Mitten in die Welt“, spricht der Schöpfer zu Adam, „habe ich dich gestellt, damit du um so leichter um dich schauest und sehest alles was darinnen ist. Ich schuf dich als ein Wesen weder himmlisch noch irdisch, weder sterblich noch unsterblich all ein, damit du dein eigener freier Bildner und Ueberwinder seiest; du kannst zum Thier ent- arten und zum gottähnlichen Wesen dich wiedergebären. Die Thiere bringen aus dem Mutterleibe mit was sie haben sollen, die höhern Geister sind von Anfang an oder doch bald hernach Eine Anspielung auf den Sturz Lucifers und seiner Genossen. was sie in Ewigkeit bleiben werden. Du allein hast eine Entwicklung, ein Wachsen nach freiem Willen, du hast Keime eines allartigen Lebens in dir.“ Fünfter Abschnitt. Die Geselligkeit und die Feste. J ede Culturepoche, die in sich ein vollständig durchgebilde- 5. Abschnitt. tes Ganze vorstellt, spricht sich nicht nur im staatlichen Zu- sammenleben, in Religion, Kunst und Wissenschaft kenntlich aus, sondern sie drückt auch dem geselligen Dasein ihren bestimmten Stempel auf. So hatte das Mittelalter seine nach Ländern nur wenig verschiedene Hof- und Adelssitte und Etikette, sein bestimmtes Bürgerthum. Die Sitte der italienischen Renaissance ist hievon in Gegensatz zum Mittelalter. den wichtigsten Beziehungen das wahre Widerspiel. Schon die Basis ist eine andere, indem es für die höhere Gesellig- keit keine Kastenunterschiede mehr, sondern einen gebildeten Stand im modernen Sinne giebt, auf welchen Geburt und Herkunft nur noch dann Einfluß haben, wenn sie mit er- erbtem Reichthum und gesicherter Muße verbunden sind. In absolutem Sinne ist dieß nicht zu verstehen, indem die Standescategorien des Mittelalters bald mehr bald weniger sich noch geltend zu machen suchen, und wäre es auch nur, um mit der außeritalienischen, europäischen Vornehmheit in irgend einem Rangverhältniß zu bleiben; aber der allge- meine Zug der Zeit war offenbar die Verschmelzung der Stände im Sinn der neuern Welt. Von erster Wichtigkeit war hiefür das Zusammen- Zusammen- wohnen, wohnen von Adlichen und Bürgern in den Städten min- 23* 5. Abschnitt. destens seit dem XII. Jahrhundert Bei dem piemontesischen Adel fiel das Wohnen auf den Landschlössern als eine Ausnahme auf. Bandello, Parte II, Nov. 12. , wodurch Schicksale und Vergnügungen gemeinschaftlich wurden und die An- schauung der Welt vom Bergschloß aus von vornherein am Entstehen verhindert war. Sodann ließ sich die Kirche in Italien niemals zur Apanagirung der jüngern Söhne des Adels brauchen wie im Norden; Bisthümer, Domherrn- stellen und Abteien wurden oft nach den unwürdigsten Rücksichten, aber doch nicht wesentlich nach Stammtafeln vergeben, und wenn die Bischöfe viel zahlreicher, ärmer und aller weltlichen Fürstenhoheit in der Regel baar und ledig waren, so blieben sie dafür in der Stadt wohnen wo ihre Cathedrale stand, und bildeten sammt ihrem Domcapitel ein Element der gebildeten Bevölkerung derselben. Als hierauf absolute Fürsten und Tyrannen emporkamen, hatte der Adel in den meisten Städten allen Anlaß und alle Muße, sich ein Privatleben zu schaffen (S. 133), welches politisch gefahrlos und mit jeglichem feinern Lebensgenusse u. Ausgleichung der Stände. geschmückt, dabei übrigens von dem der reichen Bürger ge- wiß kaum zu unterscheiden war. Und als die neue Poesie und Literatur seit Dante Sache eines Jeden Dieß schon lange vor dem Bücherdruck. Eine Menge Manuscripte, und von den besten, gehörten florentinischen Arbeitern. Ohne Sa- vonarola's Opferbrand wären noch viel mehr davon vorhanden. Vgl. S. 198. wurde, als vollends die Bildung im Sinne des Alterthums und das Interesse für den Menschen als solchen hinzutrat, während Condottieren Fürsten wurden und nicht nur die Ebenbür- tigkeit, sondern auch die eheliche Geburt aufhörten Requisite des Thrones zu sein (S. 19), da konnte man glauben, ein Zeitalter der Gleichheit sei angebrochen, der Begriff des Adels völlig verflüchtigt. Die Theorie, wenn sie sich auf das Alterthum berief, konnte schon aus dem einen Aristoteles die Berechtigung des Adels bejahen oder verneinen. Dante z. B. leitet noch Dante, de monarchia L. II, cap. 3. 5. Abschnitt. aus der einen aristotelischen Definition „Adel beruhe auf Trefflichkeit und ererbtem Reichthum“ seinen Satz her: Adel beruhe auf eigener Trefflichkeit oder auf der der Vor- fahren. Aber an andern Stellen giebt er sich damit nicht mehr zufrieden; er tadelt sich Paradiso XVI , Anfang. , weil er selbst im Paradies, im Gespräch mit seinem Ahn Cacciaguida, der edlen Her- kunft gedacht habe, welche doch nur ein Mantel sei, von dem die Zeit beständig abschneide, wenn man nicht täglich neuen Werth hinzusetze. Und im Convito Dante, Convito , fast der ganze Trattato IV. u m. a. Stellen. löst er den Begriff nobile und nobiltà fast gänzlich von jeder Bedin- gung der Geburt ab und identificirt ihn mit der Anlage zu jedem sittlichen und intellectuellen Vorrang; ein beson- derer Accent wird dabei auf die höhere Bildung gelegt, indem die nobiltà die Schwester der filosofia sein soll. Je consequenter hierauf der Humanismus sich die An- Negation des Adels. schauungsweise der Italiener dienstbar machte, desto fester überzeugte man sich auch, daß die Abstammung über den Werth des Menschen nicht entscheide. Im XV. Jahr- hundert war dieß schon die herrschende Theorie. Poggio in seinem Gespräch „vom Adel“ Poggii opera, Dial. de nobilitate. ist mit seinen Interlo- cutoren — Niccol ò Niccoli und Lorenzo Medici, Bruder des großen Cosimo — schon darüber einverstanden, daß es keine andere Nobilität mehr gebe als die des persönlichen Verdienstes. Mit den schärfsten Wendungen wird Manches von dem persifflirt, was nach dem gewöhnlichen Vorurtheil zum adlichen Leben gehört. „Vom wahren Adel sei Einer „nur um so viel weiter entfernt, je länger seine Vorfahren „kühne Missethäter gewesen. Der Eifer für Vogelbeize und „Jagd rieche nicht stärker nach Adel als die Nester der be- „treffenden Thiere nach Balsam. Landbau, wie ihn die 5. Abschnitt. „Alten trieben, wäre viel edler als dieß unsinnige Herum- „rennen in Wald und Gebirge, wobei man am meisten „den Thieren selber gleiche. Eine Erholung dürfe der- „gleichen etwa vorstellen, nicht aber ein Lebensgeschäft“. Vollends unadlich erscheine das französische und englische Ritterleben auf dem Lande oder in Waldschlössern, oder gar das deutsche Raubritterthum. Der Medici nimmt hierauf einigermaßen die Partei des Adels, aber — bezeichnend genug — nicht mit Berufung auf ein angeborenes Gefühl, sondern weil Aristoteles im V. Buch der Politica den Adel als etwas Seiendes anerkenne und definire, nämlich eben als beruhend auf Trefflichkeit und ererbtem Reichthum. Allein Niccoli erwiedert: Aristoteles sage dieß nicht als seine Ueberzeugung, sondern als allgemeine Meinung; in der Ethik, wo er sage was denke, nenne er Denjenigen adlich, welcher nach dem wahren Guten strebe. Umsonst hält ihm nun der Medici den griechischen Ausdruck für Adel, näm- lich Wohlgeborenheit, Eugeneia entgegen; Niccoli findet das römische Wort nobilis , d. h. bemerkenswerth, richtiger, indem selbiges den Adel von den Thaten abhängig mache Dieselbe Verachtung des Geburtsadels findet sich dann bei den Hu- manisten häufig. Vgl. die scharfen Stellen bei Aen. Sylvius, Opera, p. 84 (Hist. bohem. cap. 2) und 640 (Gesch. von Lu- cretia und Euryalus). . Außer Der Adel in den einzelnen Land- schaften. diesen Raisonnements wird die Stellung des Adels in den verschiedenen Gegenden Italiens folgendermaßen skizzirt. In Neapel ist der Adel träge und giebt sich weder mit seinen Gütern noch mit dem als schmachvoll geltenden Handel ab; entweder tagediebt er zu Hause Und zwar in der Hauptstadt. Vgl. Bandello, Parte II, Nov, 7. — Joviani Pontani Antonius (wo der Verfall der Adelskraft erst von den Aragonesen an datirt wird). oder sitzt zu Pferde. Auch der römische Adel verachtet den Handel, be- wirthschaftet aber seine Güter selbst; ja wer das Land baut, dem eröffnet sich von selbst der Adelsrang In ganz Italien galt wenigstens soviel, daß wer bedeutende Land- renten hatte, vom Adel nicht mehr zu unterscheiden war. ; „es ist 5. Abschnitt. eine ehrbare, wenn auch bäurische Nobilität“. Auch in der Lombardie leben die Adlichen vom Ertrag der ererbten Landgüter; Abstammung und Enthaltung von gewöhnlichen Geschäften machen hier schon den Adel aus Für die Tarirung des Adels in Oberitalien ist Bandello mit seiner mehrmaligen Polemik gegen die Mißheirathen nicht ohne Bedeutung. Parte I, Nov. 4. 26. Parte III, 60. IV. 8. Der mailändische Nobile als Kaufmann ist eine Ausnahme. Parte III, Nov. 37. — Wie die lombardischen Adlichen an den Spielen der Bauern Theil nahmen, vgl. S. 351 Anm. . In Venedig treiben die Nobili, die regierende Kaste, sämmtlich Handel; ebenso sind in Genua Adliche und Nichtadliche sämmtlich Kaufleute und Seefahrer und nur durch die Geburt unter- schieden; einige freilich lauern auch als Wegelagerer in Bergschlössern. In Florenz hat sich ein Theil des alten Adels dem Handel ergeben; ein anderer Theil (gewiß der weit kleinere) erfreut sich seines Ranges und giebt sich mit gar nichts ab als mit Jagd und Vogelbeize Das strenge Urtheil Macchiavell's, Discorsi I, 55 bezieht sich bloß auf den noch mit Lehnsrechten versehenen, völlig unthätigen und po- litisch zerstörenden Adel. — Agrippa von Nettesheim, der seine merk- würdigsten Ideen wesentlich seinem Leben in Italien verdankt, hat doch einen Abschnitt über Adel und Fürstenthum ( de incert. et va- nitate scient. cap. 80), der an radicaler Bitterkeit stärker als Alles ist und wesentlich der nordischen Geistergährung angehört. . Das Entscheidende war, daß fast in ganz Italien auch die, welche auf ihre Geburt stolz sein mochten, doch gegen- Stellung zur Bildung. über der Bildung und dem Reichthum keinen Dünkel geltend machen konnten, und daß sie durch ihre politischen oder höfischen Vorrechte zu keinem erhöhten Standesgefühl pro- vocirt wurden. Venedig macht hier nur eine scheinbare Ausnahme, weil das Leben der Nobili durchaus nur ein bürgerliches, durch wenige Ehrenrechte bevorzugtes war. 5. Abschnitt. Anders verhält es sich allerdings mit Neapel, welches durch die strengere Ausscheidung und die Pompsucht seines Adels mehr als aus irgend einem andern Grunde von der geistigen Bewegung der Renaissance abgeschnitten blieb. Zu einer starken Nachwirkung des langobardischen und normannischen Mittelalters und des spätfranzösischen Adelswesens kam hier schon vor der Mitte des XV. Jahrhunderts die ara- gonesische Herrschaft, und so vollzog sich hier am frühsten, was erst hundert Jahre später im übrigen Italien über- hand nahm: die theilweise Hispanisirung des Lebens, deren Hauptelement die Verachtung der Arbeit und die Sucht Spätere Hispa- nisirung. nach Adelstiteln war. Der Einfluß hievon zeigte sich schon vor dem Jahre 1500 selbst in kleinen Städten; aus La Cava wird geklagt: der Ort sei sprichwörtlich reich gewesen so lange dort lauter Maurer und Tuchweber lebten; jetzt, da man statt Maurerzeug und Webstühlen nur Sporen, Steigbügel und vergoldete Gürtel sehe, da Jedermann Doctor der Rechte oder der Medicin, Notar, Officier und Ritter zu werden trachte, sei die bitterste Armuth eingekehrt Massuccio, nov. 19. . In Florenz wird eine analoge Entwicklung erst unter Co- simo dem ersten Großherzog constatirt; es wird ihm dafür gedankt, daß er die jungen Leute, welche jetzt Handel und Gewerbe verachteten, zur Ritterschaft in seinem Stephans- orden heranziehe Jac. Pitti an Cosimo I, Arch. stor. IV, II, p. 99. — Auch in Oberitalien kam Aehnliches erst mit der spanischen Herrschaft auf. Bandello, Parte II, Nov. 40 stammt aus dieser Zeit. . Es ist das directe Gegentheil jener frühern florentinischen Denkweise Wenn sich im XV. Jahrh. Vespasiano Fiorentino ( p. 518. 632) dahin ausspricht, daß die Reichen ihr ererbtes Vermögen nicht ver- mehren sondern jährlich ihre ganze Einnahme ausgeben sollten, so kann dieß im Munde eines Florentiners nur von den großen Grund- besitzern gelten. , da die Väter den Söhnen eine Beschäftigung zur Bedingung des Erbes 5. Abschnitt. machten (S. 80). Aber eine besondere Art von Rangsucht kreuzt nament- Die Ritter- würde. lich bei den Florentinern den gleichmachenden Cultus von Kunst und Bildung auf eine oft komische Weise; es ist das Streben nach der Ritterwürde, welches als Modethor- heit erst recht in Schwung kam, als es bereits jeden Schat- ten von eigentlicher Geltung eingebüßt hatte. „Vor ein paar Jahren, schreibt Franco Sacchetti Franco Sacchetti, Nov. 153. Vgl. Nov. 82 und 150. gegen Ende des XIV. Jahrhunderts, hat Jedermann sehen können wie sich Handwerker bis zu den Bäckern herunter, ja bis zu den Wollekratzern, Wucherern, Wechslern und Halunken zu Rittern machen ließen. Weßhalb braucht ein Beamter, um als Rettore in eine Landstadt gehen zu können, d ie Ritterwürde? Zu irgend einem gewöhnlichen Broderwerb paßt dieselbe vollends nicht. O wie bist du gesunken un- glückliche Würde! von all der langen Liste von Ritterpflich- ten thun diese Ritter das Gegentheil. Ich habe von diesen Dingen reden wollen, damit die Leser inne werden, daß das Ritterthum gestorben ist Che la cavalleria è morta. . So gut wie man jetzt sogar Verstorbene zu Rittern erklärt, könnte man auch eine Figur von Holz oder Stein, ja einen Ochsen zum Ritter machen“. — Die Geschichten, welche Sacchetti als Beleg erzählt, sind in der That sprechend genug; da lesen wir wie Bernab ò Visconti den Sieger eines Saufduells und dann auch den Besiegten höhnisch mit jenem Titel schmückt, wie deutsche Ritter mit ihren Helmzierden und Abzeichen zum Besten gehalten werden u. dgl. Später moquirt sich Poggio Poggius, de nobilitate, fol. 27. über die vielen Ritter ohne Pferd und ohne Kriegsübung. Wer die Ehrenrechte des Standes, z. B. 5. Abschnitt. das Ausreiten mit Fahnen, geltend machen wollte, hatte in Florenz sowohl gegenüber der Regierung als gegen die Spötter eine schwere Stellung Vasari III, 49 und Anm., Vita di Dello. . Fortdauer der Turniere. Bei näherer Betrachtung wird man inne, daß dieses von allem Geburtsadel unabhängige verspätete Ritterwesen allerdings zum Theil Sache der bloßen lächerlichen, titel- süchtigen Eitelkeit ist, daß es aber auch eine andere Seite hat. Die Turniere dauern nämlich fort und wer daran Theil nehmen will, muß der Form wegen Ritter sein. Der Kampf in geschlossener Bahn aber, und zwar das regel- rechte, je nach Umständen sehr gefährliche Lanzenrennen ist ein Anlaß, Kraft und Muth zu zeigen, welchen sich das entwickelte Individuum — abgesehen von aller Herkunft — nicht will entgehen lassen. Da half es nichts, daß schon Petrarca sich mit dem lebhaftesten Abscheu über das Turnier als über einen ge- fährlichen Unsinn ausgelassen hatte; er bekehrte die Leute nicht mit seinem pathetischen Ausruf: „man liest nirgends „daß Scipio oder Cäsar turniert hätten! Petrarca, epist. senil. XI, 13. p. 889. Eine andere Stelle, in den Epist. famil. schildert das Grausen, das er empfand, als er bei einem Turnier in Neapel einen Ritter fallen sah. “ Die Sache wurde gerade in Florenz förmlich populär; der Bürger fing an, sein Turnier — ohne Zweifel in einer weniger gefähr- lichen Form — als eine Art von regelrechtem Vergnügen zu betrachten, und Franco Sachetti Nov. 64. — Deßhalb heißt es auch im Orlandino ( II. Str. 7) von einem Turnier unter Carl d. Großen ausdrücklich: da stritten nicht Köche und Küchenjungen, sondern Könige, Herzoge und Mark- grafen. hat uns das unend- Deren Carica- tur. lich komische Bild eines solchen Sonntagsturnierers auf- behalten. Derselbe reitet hinaus nach Peretola, wo man um ein Billiges turnieren konnte, auf einem gemietheten Färbergaul, welchem dann durch Bösewichter eine Distel unter den Schwanz gebunden wird; das Thier nimmt den 5. Abschnitt. Reißaus und jagt mit dem behelmten Ritter in die Stadt zurück. Der unvermeidliche Schluß der Geschichte ist die Gardinenpredigt der über solche halsbrechende Streiche em- pörten Gattinn Immerhin eine der frühsten Parodien des Turnierwesens. Es dauerte dann wohl noch 60 Jahre, bis Jacques Coeur, der bürgerliche Finanz- minister Carls VII, an seinem Palast zu Bourges ein Eselturnier ausmeißeln ließ (um 1450). Das Glänzendste in dieser Art, der ebencitirte zweite Gesang des Orlandino, ist erst im Jahre 1526 herausgegeben. . Endlich nehmen die ersten Medici sich des Turnier- wesens mit einer wahren Leidenschaft an, als wollten sie, die unadlichen Privatleute, gerade hierin zeigen, daß ihr geselliger Kreis jedem Hofe gleich stehe Vgl. die schon genannten Gedichte des Poliziano und Luca Pulci. Ferner Paul. Jov. Vita Leonis X, L. I. — Macchiav. Storie fiorent. L. VII. — Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Petrus Medices und des Franc. Borbonius. — Vasari IX, 219, v. di Granacci. — Im Morgante des Pulci, welcher unter Lorenzo's Augen gedichtet wurde, sind die Ritter oft komisch in ihrem Reden und Thun, aber ihre Hiebe sind echt und kunstgerecht. Auch Bo- jardo dichtet für genaue Kenner des Turniers und des Krieges. Vgl. S. 322 — Turniere in Ferrara 1464, Diario Ferrar. Mura- tori XXIV. Col. 208. — in Venedig, Sansovino, Venezia, fol. 153, s. — in Bologna 1470, seqq., Bursellis Annal. Bonon., Murat. XXIII. Col. 898, 903, 906, 908, 909, wobei eine wun- derliche Vermischung mit dem Pathes zu bemerken ist, welches sich damals an die Aufführung römischer Triumphe knüpfte. — Federigo von Urbino (S. 44) verlor bei einem Turnier das rechte Auge ab ictu lanceæ. — Ueber das damalige nordische Turnierwesen ist statt aller andern Autoren zu vergleichen: Olivier de la Marche, mémoires, passim, bes. Cap. 8, 9, 14, 16, 18, 19, 21 u. s. w. . Schon unter Cosimo (1459), dann unter Pietro dem ältern fanden weit- berühmte große Turniere in Florenz statt; Pietro der jüngere ließ über solchen Bestrebungen sogar das Regieren liegen 5. Abschnitt. und wollte nur noch im Harnisch abgemalt sein. Auch am Hofe Alexanders VI. kamen Turniere vor. Als Cardinal Ascanio Sforza den Türkenprinzen Dschem (S. 110, 118) fragte, wie ihn dieß Schauspiel gefalle, antwortete derselbe sehr weise: in seiner Heimath lasse man dergleichen durch Sklaven aufführen, um welche es, wenn sie fielen, nicht Schade sei. Der Orientale stimmt hier unbewußt mit den alten Römern zusammen, gegenüber der Sitte des Mittel- alters. Abgesehen von diesem nicht unwesentlichen Anhalt der Ritterwürde gab es auch bereits, z. B. in Ferrara (S. 53) wahre Hoforden, welche den Titel Cavaliere mit sich führten. Der Cortigiano. Welches aber auch im Einzelnen die Ansprüche und die Eitelkeiten der Adlichen und der Cavaliere sein mochten, immerhin nahm der italienische Adel seine Stellung in der Mitte des Lebens und nicht an einem äußern Rande des- selben. Jeden Augenblick verkehrt er mit allen Ständen auf dem Fuße der Gleichheit, und das Talent und die Bildung sind seine Hausgenossen. Allerdings wird für den eigentlichen Cortigiano des Fürsten der Adel einbedungen Bald. Castiglione, il Cortigiano, L. I, fol. 18. , allein zugestandener Maßen hauptsächlich um des Vorur- theils der Leute willen (per l'oppenion universale) und unter ausdrücklicher Verwahrung gegen den Wahn, als könnte der Nichtadliche nicht denselben innern Werth haben. Der sonstige Aufenthalt von Nichtadlichen in der Nähe des Fürsten ist damit vollends nicht ausgeschlossen; es handelt sich nur darum, daß dem vollkommenen Menschen, dem Cortigiano, kein irgend denkbarer Vorzug fehle. Wenn ihm dann eine gewisse Zurückhaltung in allen Dingen zum Gesetze gemacht wird, so geschieht dieß nicht, weil er von edlerm Geblüte stammt, sondern weil seine zarte individuelle Vollendung es so verlangt. Es handelt sich um eine moderne Vornehmheit, wobei doch Bildung und Reichthum 5. Abschnitt. schon überall die Gradmesser des gesellschaftlichen Werthes sind, und zwar der Reichthum nur insofern er es möglich macht, das Leben der Bildung zu widmen und deren In- teressen im Großen zu fördern. Je weniger nun die Unterschiede der Geburt einen Vollendung des Individuums. bestimmten Vorzug verliehen, desto mehr war das Indivi- duum als solches aufgefordert, all seine Vortheile geltend zu machen; desto mehr mußte auch die Geselligkeit sich aus eigener Kraft beschränken und veredeln. Das Auftreten des Einzelnen und die höhere Form der Geselligkeit werden ein freies, bewußtes Kunstwerk. Schon die äußere Erscheinung und Umgebung des Menschen und die Sitte des täglichen Lebens ist vollkom- mener, schöner, mehr verfeinert als bei den Völkern außer- halb Italiens. Von der Wohnung der höhern Stände handelt die Kunstgeschichte; hier ist nur hervorzuheben, wie sehr dieselbe an Bequemlichkeit und harmonischer, vernünf- tiger Anlage das Schloß und den Stadthof oder Stadtpalast der nordischen Großen übertraf. Die Kleidung wechselte Kleidung und Moden. dergestalt, daß es unmöglich ist, eine durchgehende Parallele mit den Moden anderer Länder zu ziehen, zumal da man sich seit Ende des XV. Jahrhunderts häufig den letztern anschloß. Was die italienischen Maler als Zeittracht dar- stellen, ist insgemein das Schönste und Kleidsamste was damals in Europa vorkam, allein man weiß nicht sicher, ob sie das Herrschende und ob sie es genau darstellen. So viel bleibt aber doch wohl außer Zweifel, daß nirgends ein so großer Werth auf die Tracht gelegt wurde wie in Italien. Die Nation war und ist eitel; außerdem aber rechneten auch ernste Leute die möglichst schöne und günstige Kleidung mit zur Vollendung der Persönlichkeit. Einst gab es ja in Florenz einen Augenblick, da die Tracht etwas Individuelles war, da Jeder seine eigene Mode trug (S. 132, Anm.), und noch bis tief ins XVI. Jahrhundert gab 5. Abschnitt. es bedeutende Leute, die diesen Muth hatten Paul. Jovii Elogia, sub. tit. Petrus Gravina, Alex. Achillinus, Balth. Castellio etc. ; die Uebri- gen wußten wenigstens in die herrschende Mode etwas In- dividuelles zu legen. Es ist ein Zeichen des sinkenden Italiens, wenn Giovanni della Casa vor dem Auffallenden, vor der Abweichung von der herrschenden Mode warnt Casa, il Galateo, p. 78. . Unsere Zeit, welche wenigstens in der Männerkleidung das Nichtauffallen als höchstes Gesetz respectirt, verzichtet damit auf Größeres als sie selber weiß. Sie erspart sich aber damit viele Zeit, wodurch allein schon (nach unserm Maß- stab der Geschäftigkeit) jeder Nachtheil aufgewogen würde. In Venedig Hierüber die venezian. Trachtenbücher, und Sansovino: Venezia, fol. 150, s. Die Brauttracht bei der Verlobung — weiß, mit aufgelöst über die Schultern wallendem Haare — ist die von Ti- zian's Flora. und Florenz gab es zur Zeit der Re- naissance für die Männer vorgeschriebene Trachten und für Neapel. die Frauen Luxusgesetze. Wo die Trachten frei waren, wie z. B. in Neapel, da constatiren die Moralisten, sogar nicht ohne Schmerz, daß kein Unterschied mehr zwischen Adel und Bürger zu bemerken sei Jovian. Pontan. de principe: Utinam autem non eo impu- dentiæ perventum esset, ut inter mercatorem et patricium nullum sit in vestitu ceteroque ornatu discrimen. Sed hæc tanta licentia reprehendi potest, coerceri non potest, quan- quam mutari vestes sic quotidie videamus, ut quas quarto ante mense in deliciis habebamus, nunc repudiemus et tanquam veteramenta abiiciamus. Quodque tolerari vix potest, nullum fere vestimenti genus probatur, quod e Galliis non fuerit adductum, in quibus levia pleraque in pretio sunt, tametsi nostri persæpe homines modum illis et quasi formu- lam quandam præscribant. . Außerdem beklagen sie den bereits äußerst raschen Wechsel der Moden und (wenn wir die Worte richtig deuten) die thörichte Verehrung alles dessen was aus Frankreich kommt, während es doch 5. Abschnitt. oft ursprünglich italienische Moden seien, die man nur von den Franzosen zurück erhalte. Insofern nun der häufige Wechsel der Kleiderformen und die Annahme französischer und spanischer Moden Hierüber z. B. Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV. Col. 297. 320. 376. 399; hier auch deutsche Mode. der gewöhnlichen Putzsucht diente, haben wir uns damit nicht weiter zu beschäftigen; allein es liegt darin außerdem ein culturgeschichtlicher Beleg für das rasche Leben Italiens überhaupt in den Jahrzehnden um 1500. Eine besondere Beachtung verdient die Bemühung der Toiletten- mittel. Frauen, durch Toilettenmittel aller Art ihr Aussehen we- sentlich zu verändern. In keinem Lande Europa's seit dem Untergange des römischen Reiches hat man wohl der Ge- stalt, der Hautfarbe, dem Haarwuchs von so vielen Seiten zugesetzt wie damals in Italien Man vgl. damit die betr. Stellen bei Falke: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. . Alles strebt einer Nor- malbildung zu, selbst mit den auffallendsten, sichtbarsten Täuschungen. Wir sehen hiebei gänzlich ab von der son- stigen Tracht, die im XIV. Jahrhundert Ueber die Florentinerinnen vgl. die Hauptstellen bei Giov. Villani X, 10 und 152; Matteo Villani I, 4. Im großen Modenedict von 1330 werden u. a. nur eingewirkte Figuren auf den Frauengewän- dern erlaubt, die bloß „aufgemalten“ (dipinto) dagegen verboten. Soll man hiebei etwa an Modeldruck denken? äußerst bunt und schmuckbeladen, später von einem mehr veredelten Reich- thum war, und beschränken uns auf die Toilette im engern Sinne. Vor Allem werden falsche Haartouren, auch aus weißer und gelber Seide Diejenigen aus echten Haaren heißen capelli morti. — Falsche Zähne aus Elfenbein, die ein italien. Prälat, doch nur um der deutlichen Aussprache willen, einsetzt, bei Anshelm, Berner Chronik, IV, S. 30. (1508.) , in Masse getragen, verboten und 5. Abschnitt. wieder getragen, bis etwa ein Bußprediger die weltlichen Gemüther rührt; da erhebt sich auf einem öffentlichen Platz ein zierlicher Scheiterhaufen (talamo) , auf welchen neben Lauten, Spielgeräthen, Masken, Zauberzetteln, Liederbüchern und anderm Tand auch die Haartouren Infessura, bei Eccard, scriptores II, Col. 1874. — Allegretto, bei Murat. XXIII, Col. 823. — Dann die Autoren über Savo- narola, s. unten. zu liegen kommen; die reinigende Flamme nimmt Alles mit in die Lüfte. Die Idealfarbe aber, welche man in den eigenen, wie in den aufgesetzten Haaren zu erreichen strebte, war blond. Und da die Sonne im Rufe stand, das Haar blond machen zu können Sansovino, Venezia, fol. 152: capelli biondissimi per forza di sole. — Vgl. S. 343. , so gab es Damen, welche bei gutem Wetter den ganzen Tag nicht aus der Sonne gingen Wie auch in Deutschland geschah. — Poesie satiriche, p. 119, in der Satire des Bern. Giambullari: per prender moglie. Ein Inbegriff der ganzen Toilettenchemie, welche sich offenbar noch sehr an Aberglauben und Magie anlehnt. , sonst brauchte man auch Färbemittel und außerdem Mixturen für den Umgestaltung des Gesichtes. Haarwuchs. Dazu kommt aber noch ein Arsenal von Schönheitswassern, Teigpflastern und Schminken für jeden einzelnen Theil des Gesichtes, selbst für Augenlider und Zähne, wovon unsere Zeit keinen Begriff mehr hat. Kein Hohn der Dichter Welche sich doch alle Mühe gaben, das Ekelhafte, Gefährliche und Lächerliche dieser Schmiererei hervorzuheben. Vgl. Ariosto, Sa- tria III, vs. 202, s. — Aretino, il marescalco, Atto II, scena 5 und mehrere Stellen in den Ragionamenti. Dann Giambullari a. a. O. — Phil. Beroald. sen. Carmina. , kein Zorn der Bußprediger, keine Warnung vor frühem Verderben der Haut konnte die Weiber von dem Gebrauch abwendig machen, ihrem Antlitz eine andere Farbe und sogar eine theilweis andere Gestalt zu geben. Es ist möglich, daß die häufigen und pracht- vollen Aufführungen von Mysterien, wobei hunderte von Menschen bemalt und geputzt wurden Cennino Cennini, trattato della pittura giebt cap. 161 ein Re- cept des Bemalens von Gesichtern, offenbar für Mysterien oder Maskeraden, denn cap. 162 warnt er ernstlich vor Schminken und Schönheitswassern im Allgemeinen. , den Mißbrauch im 5. Abschnitt. täglichen Leben fördern halfen; jedenfalls war er ein all- gemeiner und die Landmädchen hielten dabei nach Kräften mit Vgl. La Nencia di Barberino, Str. 20 und 40. Der Geliebte verspricht ihr Schminke und Bleiweiß aus der Stadt in einer Düte mitzubringen. Vgl. oben S. 352. . Man konnte lange predigen, daß dergleichen ein Abzeichen von Buhlerinnen sei; gerade die ehrbarsten Haus- frauen, die sonst das ganze Jahr keine Schminke anrührten, schminkten sich doch an Festtagen, wo sie sich öffentlich zeig- ten Agn. Pandolfini, trattato del governo della famiglia, p. 118. . — Möge man nun diese ganze Unsitte betrachten als einen Zug von Barbarei, wofür sich das Schminken der Wilden als Parallele anführen läßt, oder als eine Consequenz des Verlangens nach normaler jugendlicher Schönheit in Zügen und Farbe, wofür die große Sorgfalt und Vielseitigkeit dieser Toilette spräche — jedenfalls haben es die Männer an Abmahnungen nicht fehlen lassen. Das Parfumiren ging ebenfalls über alles Maaß Wohlgerüche. hinaus und erstreckte sich auf die ganze Umgebung des Menschen. Bei Festlichkeiten wurden sogar Maulthiere mit Salben und Wohlgerüchen behandelt Tristan. Caracciolo, bei Murat. XXII, Col. 87. — Bandello, Parte II, Nov. 47. , und Pietro Aretino dankt dem Cosimo I. für eine parfumirte Geldsendung Capitolo I. an Cosimo: Quei cento scudi nuovi e profumati che l'altro di mi mandaste a donare. Gegenstände aus jener Zeit riechen noch jetzt bisweilen. . Sodann waren die Italiener damals überzeugt, daß Reinlichkeit. sie reinlicher seien als die Nordländer. Aus allgemeinen culturgeschichtlichen Gründen kann man diesen Anspruch Cultur der Renaissance. 24 5. Abschnitt. eher billigen als verwerfen, indem die Reinlichkeit mit zur Vollendung der modernen Persönlichkeit gehört, diese aber bei den Italienern am frühsten durchgebildet ist; auch daß sie eine der reichsten Nationen der damaligen Welt waren, spräche eher dafür als dagegen. Ein Beweis wird sich jedoch natürlich niemals leisten lassen, und wenn es sich um die Priorität von Reinlichkeitsvorschriften handelt, so möchte die Ritterpoesie des Mittelalters deren ältere auf- weisen können. Immerhin ist soviel gewiß, daß bei einigen ausgezeichneten Vertretern der Renaissance die ausgezeichnete Sauberkeit ihres ganzen Wesens, zumal bei Tische, mit Nachdruck hervorgehoben wird Vespasiano Fiorent. p. 458 im Leben des Donato Acciajuoli, und p. 625 im Leben des Niccoli. und daß als Inbegriff alles Schmutzes in Italien der Deutsche gilt Giraldi, Hecatommithi, Introduz., Nov. 6. . Was Massimiliano Sforza von seiner deutschen Erziehung für unreinliche Gewohnheiten mitbrachte und wie sehr dieselben auffielen, erfahren wir aus Giovio Paul. Jov. Elogia. . Es ist dabei auf- fallend, daß man wenigstens im XV. Jahrhundert die Gastwirthschaft wesentlich in den Händen der Deutschen ließ Aeneas Sylvius (Vitæ Paparum, ap. Murat. III, II, Col. 880) sagt bei Anlaß von Baccano: pauca sunt mapalia, eaque ho- spitia faciunt Theutonici; hoc hominum genus totam fere Italiam hospitalem facit; ubi non repereris hos, neque diver- sorium quæras. , welche sich wohl hauptsächlich um der Rompilger willen diesem Geschäfte widmeten. Doch könnte in der be- treffenden Aussage vorzugsweise nur das offene Land ge- meint sein, da in den größern Städten notorisch italienische Wirthschaften den ersten Rang behaupteten Franco Sacchetti, Nov. 21. — Padua rühmte sich um 1450 eines sehr großen palastähnlichen Gasthofes zum Ochsen, welcher Ställe für 200 Pferde hatte. Michele Savonar. ap. Murat. XXIV, . Der Mangel an leidlichen Herbergen auf dem Lande würde sich auch 5. Abschnitt. durch die große Unsicherheit erklären. Aus der ersten Hälfte des XVI. Jahrhunderts haben Der Galateo, wir dann jene Schule der Höflichkeit, welche Giovanni della Casa, ein geborner Florentiner, unter dem Titel: Il Galateo herausgab. Hier wird nicht nur die Reinlichkeit im engern Sinne, sondern auch die Entwöhnung von allen Gewohnheiten, die wir „unschicklich“ zu nennen pflegen, mit derselben untrüglichen Sicherheit vorgeschrieben, mit welcher der Moralist für die höchsten Sittengesetze redet. In andern Literaturen wird dergleichen weniger von der syste- matischen Seite, als vielmehr mittelbar gelehrt, durch die abschreckende Schilderung des Unflätigen Man vgl. z. B. die betreffenden Partien in Sebastian Brant's Nar- renschiff, in Erasmus Colloquien, in dem lateinischen Gedicht Gro- bianus ꝛc. . Außerdem aber ist der Galateo eine schön und geist- und die gute Lebensart. voll geschriebene Unterweisung in der guten Lebensart, in Delicatesse und Tact überhaupt. Noch heute können ihn Leute jedes Standes mit großem Nutzen lesen und die Höflich- keit des alten Europa's wird wohl schwerlich mehr über seine Vorschriften hinauskommen. Insofern der Tact Her- zenssache ist, wird er von Anfang aller Cultur an bei allen Völkern gewissen Menschen angeboren gewesen sein und Einige werden ihn auch durch Willenskraft erworben haben, allein als allgemeine gesellige Pflicht und als Kenn- zeichen von Bildung und Erziehung haben ihn erst die Italiener erkannt. Und Italien selbst hatte seit zwei Jahr- hunderten sich sehr verändert. Man empfindet deutlich, daß die Zeit der bösen Späße zwischen Bekannten und Halb- Col. 1175. — Florenz hatte vor Porta S. Gallo eine von den größten und schönsten Osterien die man kannte, doch wie es scheint, nur als Erholungsort für die Leute aus der Stadt. Varchi, stor. fiorent. III, p. 86. 24* 5. Abschnitt. bekannten, der burle und beffe (S. 154, f.) in der guten Gesellschaft vorüber ist Die Mäßigung der Burla geht u. a. aus den Beispielen im Cor- tigiano, L. II, fol. 96, s. hervor. In Florenz hielt sich die bös- artige Burla doch so lange sie konnte. Die Novellen des Lasca sind ein Zeugniß hievon. , daß die Nation aus den Mauern ihrer Städte heraustritt und eine cosmopolitische, neutrale Höflichkeit und Rücksicht entwickelt. Von der eigentlichen, positiven Geselligkeit wird weiterhin die Rede sein. Das ganze äußere Dasein war überhaupt im XV. und beginnenden XVI. Jahrhundert verfeinert und ver- schönert wie sonst bei keinem Volke der Welt. Schon eine Menge jener kleinen und großen Dinge, welche zusammen Der Comfort. die moderne Bequemlichkeit, den Comfort ausmachen, waren in Italien zum Theil erweislich zuerst vorhanden. Auf den wohlgepflasterten Straßen italienischer Städte Für Mailand eine Hauptstelle: Bandello, Parte I, Nov. 9. Es gab über 60 vierspännige und zahllose zweispännige Wagen, zum Theil reich vergoldet und geschnitzt, mit seidenen Decken, vgl. ebenda Nov. 4. — Ariosto, sat. III, vs. 127. wurde das Fahren allgemeiner während man sonst überall ging oder ritt oder doch nicht zum Vergnügen fuhr. Weiche elastische Betten, köstliche Bodenteppiche, Toilettengeräthe, von welchen sonst noch nirgends die Rede ist, lernt man besonders bei den Novellisten kennen Bandello, Parte I, Nov. 3. III, 42. IV, 25. . Die Menge und Zierlichkeit des Weißzeugs wird öfter ganz besonders hervorgehoben. Manches gehört schon zugleich in das Gebiet der Kunst; man wird mit Bewunderung inne, wie sie von allen Seiten her den Luxus adelt, wie sie nicht bloß das mächtige Buffet und die leichte Etagere mit herrlichen Gefäßen, die Mauern mit der beweglichen Pracht der Teppiche, den Nachtisch mit endlosem plastischem Confect schmückt, sondern vorzüglich die Schreinerarbeit auf wunderbare Weise völlig in ihren Bereich zieht. Das ganze Abendland versucht sich in den spätern Zeiten des Mittelalters, sobald die Mittel reichen, 5. Abschnitt. auf ähnlichen Wegen, allein es ist dabei theils in kindlicher, bunter Spielerei, theils in den Fesseln des einseitigen go- thischen Decorationsstyles befangen, während die Renaissance sich frei bewegt, sich nach dem Sinn jeder Aufgabe richtet und für einen viel größern Kreis von Theilnehmern und Bestellern arbeitet. Womit dann auch der leichte Sieg dieser italienischen Zierformen jeder Art über die nordischen im Lauf des XVI. Jahrhunderts zusammenhängt, obwohl derselbe noch seine größern und allgemeinern Ursachen hat. Die höhere Geselligkeit, die hier als Kunstwerk, als Die Sprache d. Gesellschaft. eine höchste und bewußte Schöpfung des Volkslebens auf- tritt, hat ihre wichtigste Vorbedingung und Grundlage in der Sprache. In der Blüthezeit des Mittelalters hatte der Adel der abendländischen Nationen eine „höfische“ Sprache für den Umgang wie für die Poesie zu behaupten gesucht. So gab es auch in Italien, dessen Dialecte schon frühe so weit auseinander gingen, im XIII. Jahrhundert ein sogenanntes „ Curiale “, welches den Höfen und ihren Dichtern gemein- sam war. Die entscheidende Thatsache ist nun, daß man dasselbe mit bewußter Anstrengung zur Sprache aller Ge- bildeten und zur Schiftsprache zu machen suchte. Die Einleitung der noch vor 1300 redigirten „hundert alten Novellen“ gesteht diesen Zweck offen zu. Und zwar wird hier die Sprache ausdrücklich als von der Poesie emancipirt behandelt; das Höchste ist der einfach klare, geistig schöne Ausdruck in kurzen Reden, Sprüchen und Antworten. Dieser genießt eine Verehrung wie nur je bei Griechen und Arabern: „Wie viele haben in einem langen Leben doch kaum ein einziges bel parlare zu Tage gebracht!“ Allein die Angelegenheit, um welche es sich handelte, war um so schwieriger, je eifriger man sie von sehr ver- 5. Abschnitt. schiedenen Seiten aus betrieb. In diesen Kampf führt uns Dante mitten hinein; seine Schrift „von der italienischen Sprache“ De vulgari eloquio ed. Corbinelli, Parisiis 1577. Laut Boc- caccio, vita di Dante, p. 77, kurz vor seinem Tode verfaßt. — Ueber die rasche und merkliche Veränderung der Sprache bei seinen Lebzeiten äußert er sich im Anfang des Convito. ist nicht nur für die Frage selbst wichtig sondern auch das erste raisonnirende Werk über eine moderne Sprache überhaupt. Sein Gedankengang und seine Resultate ge- hören in die Geschichte der Sprachwissenschaft, wo sie auf Ihre Entwick- lung, immer einen hochbedeutenden Platz einnehmen. Hier ist nur zu constatiren, daß schon lange Zeit vor Abfassung der Schrift die Sprache eine tägliche wichtige Lebensfrage ge- wesen sein muß, daß alle Dialecte mit parteiischer Vorliebe und Abneigung studirt worden waren und daß die Geburt der allgemeinen Idealsprache von den stärksten Wehen be- gleitet war. Das Beste that freilich Dante selber durch sein großes Gedicht. Der toscanische Dialect wurde wesentlich die Basis der neuen Idealsprache Das allmälige Vordringen derselben in Literatur und Leben könnte ein einheimischer Kenner leicht tabellarisch darstellen. Es müßte constatirt werden, wie lange sich während des XIV. und XV. Jahrh. die einzelnen Dialecte in der täglichen Correspondenz, in den Re- gierungsschriften und Gerichtsprotocollen, endlich in den Chroniken und in der freien Literatur ganz oder gemischt behauptet haben. Auch das Fortleben der ital. Dialecte neben einem reinern oder ge- ringern Latein, welches dann als officielle Sprache diente, käme dabei in Betracht. . Wenn damit zu viel gesagt sein sollte, so darf der Ausländer um Nachsicht bitten, indem er schlechtweg in einer höchst bestrittenen Frage der vor- herrschenden Meinung folgt. In Literatur und Poesie mag nun der Hader über diese Sprache, der Purismus eben so viel geschadet als genützt, er mag manchem sonst sehr begabten Autor die Naivetät des Ausdruckes geraubt haben. Und Andere, die der Sprache im höchsten Sinne mächtig waren, verließen 5. Abschnitt. sich hinwiederum auf den prachtvoll wogenden Gang und Wohllaut derselben als auf einen vom Inhalt unabhängi- gen Vorzug. Auch eine geringe Melodie kann nämlich von solch einem Instrument getragen, herrlich klingen. Allein wie dem auch sei, in gesellschaftlicher Beziehung hatte diese Sprache einen hohen Werth. Sie war die Ergänzung zu dem edeln, stylgemäßen Auftreten überhaupt, sie nöthigte den gebildeten Menschen, auch im Alltäglichen Haltung und in ungewöhnlichern Momenten äußere Würde zu behaupten. Schmutz und Bosheit genug hüllten sich allerdings auch in dieß classische Gewand wie einst in den reinsten Atticismus, allein auch das Feinste und Edelste fand in ihr einen gül- tigen Ausdruck. Vorzüglich bedeutend aber ist sie in na- und weite Ver- breitung. tionaler Beziehung, als ideale Heimath der Gebildeten aller Staaten des früh zerrissenen Landes So empfindet es schon Dante. De vulgari eloquio I, c. 17. 18. . Zudem gehört sie nicht nur den Adlichen oder sonst irgend einem Stande, sondern der Aermste und Geringste hat Zeit und Mittel übrig sich ihrer zu bemächtigen, sobald er nur will. Noch heutzutage (und vielleicht mehr als je) wird der Fremde in solchen Gegenden Italiens, wo sonst der unverständlichste Dialect herrscht, bei geringen Leuten und Bauern oft durch ein sehr reines und rein gesprochenes Italienisch überrascht und besinnt sich vergebens auf Aehnliches bei denselben Menschenclassen in Frankreich oder gar in Deutschland, wo auch die Gebildeten an der provincialen Aussprache fest- halten. Freilich ist das Lesenkönnen in Italien viel ver- breiteter als man nach den sonstigen Zuständen, z. B. des Kirchenstaates, denken sollte, allein wie weit würde dieß helfen ohne den allgemeinen, unbestrittenen Respect vor der reinen Sprache und Aussprache als einem hohen und werthen Besitzthum? Eine Landschaft nach der andern hat sich der- selben officiell anbequemt, auch Venedig, Mailand und 5. Abschnitt. Neapel noch zur Zeit der Blüthe der Literatur und zum Theil wegen derselben. Piemont ist erst in unserm Jahr- hundert durch freien Willensact ein recht italienisches Land geworden, indem es sich diesem wichtigsten Capital der Nation, der reinen Sprache, anschloß Man schrieb und las in Piemont schon lange vorher toscanisch, aber man schrieb und las eben wenig. . Der Dialectlite- ratur wurden schon seit Anfang des XVI. Jahrhunderts gewisse Gegenstände freiwillig und mit Absicht überlassen, und zwar nicht etwa lauter komische, sondern auch ernste Man wußte auch recht wohl, wohin im täglichen Leben der Dialect gehörte und wohin nicht. Gioviano Pontano darf den Kronprinzen von Neapel ausdrücklich vor dessen Gebrauch warnen (Jov. Pontan. de principe). Bei den Lazzaroni wurde man freilich nicht so po- pulär wie die jetzige Dynastie. — Den Hohn über einen mailänd. Cardinal der in Rom seinen Dialect behaupten wollte s. bei Ban- dello, Parte II, Nov. 31. . Der Styl, welcher sich darin entwickelte, war allen Auf- gaben gewachsen. Bei andern Völkern findet eine bewußte Trennung dieser Art erst sehr viel später Statt. Die Puristen. Die Denkweise der Gebildeten über den Werth der Sprache als Medium der höhern Geselligkeit stellt der Cor- tigiano Bald. Castiglione, il cortigiano, L. I, fol. 27, s. Aus der dia- logischen Form leuchtet doch überall die eigene Meinung hervor. sehr vollständig dar. Es gab schon damals, zu Anfang des XVI. Jahrhunderts, Leute, welche geflissent- lich die veralteten Ausdrücke aus Dante und den übrigen Toscanern seiner Zeit festhielten, bloß weil sie alt waren. Für das Sprechen verbittet sich der Autor dieselben unbe- dingt und will sie auch für das Schreiben nicht gelten lassen, indem dasselbe doch nur eine Form des Sprechens sei. Hierauf folgt dann consequent das Zugeständniß: dasjenige Reden sei das Schönste, welches sich am meisten den schön verfaßten Schriften nähere. Sehr klar tritt der Gedanke hervor, daß Leute, die etwas Bedeutendes zu sagen haben, ihre Sprache selber bilden und daß die Sprache 5. Abschnitt. beweglich und wandelbar, weil sie etwas Lebendiges ist. Man möge die schönsten beliebigen Ausdrücke brauchen, wenn nur das Volk sie noch brauche, auch solche aus nicht- toscanischen Gegenden, ja hie und da französische und spa- nische, wenn sie der Gebrauch schon für bestimmte Dinge angenommen habe Nur durfte man darin nicht zu weit gehen. Die Satiriker mischen spanische und Folengo (unter dem Pseudonym Limerno Pitocco, in seinem Orlandino) französische Brocken immer nur Hohnes wegen ein. Es ist schon sehr außergewöhnlich, daß eine Straße in Mai- land, welche zur Franzosenzeit, 1500 bis 1512, 1515 bis 1522, Rue belle hieß, noch heute Rugabella heißt. Von der langen span. Herrschaft ist an der Sprache fast keine Spur, an Gebäuden und Straßen höchstens hie und da der Name eines Vicekönigs haften geblieben. Erst im XVIII. Jahrh. drangen mit den Gedanken der französischen Literatur auch viele französische Wendungen und Ein- zelausdrücke in's Italienische ein; der Purismus unseres Jahrhun- derts war und ist noch bemüht, sie wieder wegzuschaffen. . So entstehe, mit Geist und Sorgfalt, eine Sprache, welche zwar nicht eine rein antik toscanische, wohl aber eine italienische wäre, reich an Fülle wie ein köstlicher Garten voller Blumen und Früchte. Es gehört sehr wesentlich mit zu der allgemeinen Virtuosität des Cor- tigiano, daß nur in diesem ganz vollkommenen Gewande seine feine Sitte, sein Geist und seine Poesie zu Tage treten. Da nun die Sprache eine Angelegenheit der lebendigen Gesellschaft geworden war, so setzten die Archaisten und Puristen trotz aller Anstrengung ihre Sache im Wesentlichen Ihr geringer Erfolg. nicht durch. Es gab zu viele und treffliche Autoren und Conversationsmenschen in Toscana selbst, welche sich über das Streben Jener hinwegsetzten oder lustig machten; letzteres vorzüglich, wenn ein Weiser von draußen kam und ihnen, den Toscanern, darthun wollte, sie verständen ihre eigene Sprache nicht Firenzuola, opere I , in der Vorrede zur Frauenschönheit, und II. in den Ragionamenti vor den Novellen. . Schon das Dasein und die Wirkung 5. Abschnitt. eines Schriftstellers wie Macchiavelli riß alle jene Spinn- weben durch, insofern seine mächtigen Gedanken, sein klarer, einfacher Ausdruck in einer Sprache auftraten, welche eher alle andern Vorzüge hatte als den eines reinen Trecentismo. Andererseits gab es zu viele Oberitaliener, Römer, Neapo- litaner ꝛc., welchen es lieb sein mußte, wenn man in Schrift und Conversation die Ansprüche auf Reinheit des Aus- druckes nicht zu hoch spannte. Sie verläugnen zwar Sprach- formen und Ausdrücke ihres Dialectes völlig, und ein Aus- länder wird es leicht für falsche Bescheidenheit halten, wenn z. B. Bandello öfter hoch und theuer protestirt: „ich habe keinen Styl; ich schreibe nicht florentinisch sondern oft bar- barisch; ich begehre der Sprache keine neuen Zierden zu verleihen; ich bin nur ein Lombarde und noch dazu von der ligurischen Grenze her“ Bandello, Parte I, Proemio und Nov. 1 und 2. — Ein anderer Lombarde, der eben genannte Teofilo Folengo in seinem Orlandino, erledigt die Sache mit heiterm Spott. . Allein gegenüber der stren- gen Partei behauptete man sich in der That am ehesten, indem man auf höhere Ansprüche ausdrücklich verzichtete und sich dafür der großen allgemeinen Sprache nach Kräften bemächtigte. Nicht Jeder konnte es Pietro Bembo gleich- thun, welcher als geborener Venezianer Zeitlebens das reinste Toscanisch, aber fast als eine fremde Sprache schrieb, oder einem Sannazaro, der es als Neapolitaner ebenso machte. Das Wesentliche war, daß Jeder die Sprache in Wort und Schrift mit Achtung behandeln mußte. Daneben mochte man den Puristen ihren Fanatismus, ihre Sprach- congresse Ein solcher fand, wie es scheint, in Bologna zu Ende 1531 unter Bembo's Vorsitz Statt. S. den Brief des Claud. Tolomei, bei Firenzuola, opere, vol. II, Beilagen. u. dgl. lassen; schädlich im Großen wurden sie erst später, als der originale Hauch in der Literatur ohne- hin schwächer war und noch ganz andern, viel schlimmern Einflüssen unterlag. Endlich stand es der Academia della Crusca frei, das Italienische wie eine todte Sprache zu 5. Abschnitt. behandeln. Sie war aber so machtlos, daß sie nicht ein- mal die geistige Französirung desselben im vorigen Jahr- hundert verhindern konnte. (Vgl. S. 377, Anm.) Diese geliebte, gepflegte, auf alle Weise geschmeidig Die Conversation. gemachte Sprache war es nun, welche als Conversation die Basis der ganzen Geselligkeit ausmachte. Während im Norden der Adel und die Fürsten ihre Muße entweder einsam oder mit Kampf, Jagd, Gelagen und Ceremonien, die Bürger die ihrige mit Spielen und Leibesübungen, allenfalls auch mit Verskünsten und Festlichkeiten hinbrachten, gab es in Italien zu all diesem noch eine neutrale Sphäre, wo Leute jeder Herkunft, sobald sie das Talent und die Bildung dazu hatten, der Unterredung und dem Austausch von Ernst und Scherz in veredelter Form oblagen. Da die Bewirthung dabei Nebensache war Luigi Cornaro klagt gegen 1550 (zu Anfang seines Trattato della vita sobria ): erst seit nicht langer Zeit nähmen in Italien über- hand: Die (spanischen) Ceremonien und Complimente, das Luther- thum und die Schlemmerei. (Die Mäßigkeit und die freie, leichte Geselligkeit schwanden zu gleicher Zeit.) Vgl. S. 355. , so konnte man stumpfe und gefräßige Individuen ohne Schwierigkeit fern halten. Wenn wir die Verfasser von Dialogen beim Wort nehmen dürften, so hätten auch die höchsten Probleme des Daseins das Gespräch zwischen auserwählten Geistern aus- gefüllt; die Hervorbringung der erhabensten Gedanken wäre nicht, wie bei den Nordländern in der Regel, eine einsame, sondern eine Mehrern gemeinsame gewesen. Doch wir be- schränken uns hier gerne auf die spielende, um ihrer selbst willen vorhandene Geselligkeit. Sie war wenigstens zu Anfang des XVI. Jahrhunderts Die gesetzliche Geselligkeit. eine gesetzlich schöne und beruhte auf einem stillschweigenden, oft aber auch auf einem laut zugestandenen und vorge- schriebenen Uebereinkommen, welches sich frei nach der Zweck- 5. Abschnitt mäßigkeit und dem Anstand richtet und das gerade Gegen- theil von aller bloßen Etikette ist. In derbern Lebenskreisen, wo dergleichen den Character einer dauernden Corporation annahm, gab es Statuten und förmlichen Eintritt, wie z. B. bei jenen tollen Gesellschaften florentinischer Künstler, von welchen Vasari erzählt Vasari XII, p. 9 und 11, Vita di Rustici. — Dazu die me- disante Clique von verlumpten Künstlern, XI, 216, s. Vita d'Aristotele. — Macchiavell's Capitoli für eine Vergnügensgesell- schaft (in den opere minori p. 407) sind eine komische Caricatur von Gesellschaftsstatuten, im Styl der verkehrten Welt. — Unver- gleichlich ist und bleibt die bekannte Schilderung jenes römischen Künstlerabends bei Benvenuto Cellini, I, cap. 30. ; ein solches Beisammenbleiben machte denn auch die Aufführung der wichtigsten damaligen Comödien möglich. Die leichtere Geselligkeit des Augen- blickes dagegen nahm gerne die Vorschriften an, welche etwa die namhafteste Dame aussprach. Alle Welt kennt den Eingang von Boccaccio's Decamerone und hält das König- thum der Pampinea über die Gesellschaft für eine ange- nehme Fiction; um eine solche handelt es sich auch gewiß in diesem Falle, allein dieselbe beruht auf einer häufig vorkommenden wirklichen Uebung. Firenzuola, der fast zwei Jahrhunderte später seine Novellensammlung auf ähnliche Weise einleitet, kommt gewiß der Wirklichkeit noch viel näher, indem er seiner Gesellschaftskönigin eine förmliche Thronrede in den Mund legt, über die Eintheilung der Zeit während des bevorstehenden gemeinsamen Landaufent- haltes: zuerst eine philosophische Morgenstunde während man nach einer Anhöhe spaziert; dann die Tafel Die man sich wohl Vormittags um 10—11 Uhr zu denken hat. Vgl. Bandello, Parte II, Nov. 10. mit Lautenspiel und Gesang; darauf, in einem kühlen Raum, Die Novellisten und ihre Zuhörerschaft. die Recitation einer frischen Canzone deren Thema jedes- mal am Vorabend aufgegeben wird; ein abendlicher Spa- ziergang zu einer Quelle, wo man Platz nimmt und Jedermann eine Novelle erzählt; endlich das Abendessen und heitere 5. Abschnitt. Gespräche „von solcher Art, daß sie für uns Frauen noch „schicklich heißen können und bei euch Männern nicht vom „Weine eingegeben scheinen müssen“. Bandello giebt in den Einleitungen oder Widmungen zu den einzelnen No- vellen zwar nicht solche Einweihungsreden, indem die ver- schiedenen Gesellschaften, vor welchen seine Geschichten er- zählt werden, bereits als gegebene Kreise existiren, allein er läßt auf andere Weise errathen, wie reich, vielartig und anmuthig die gesellschaftlichen Voraussetzungen waren. Manche Leser werden denken, an einer Gesellschaft, welche so unmoralische Erzählungen anzuhören im Stande war, sei nichts zu verlieren noch zu gewinnen. Richtiger möchte der Satz so lauten: auf welchen sichern Grundlagen mußte eine Geselligkeit ruhen, die trotz jener Historien nicht aus den äußern Formen, nicht aus Rand und Band ging, die zwischen hinein wieder der ernsten Discussion und Berathung fähig war. Das Bedürfniß nach höhern Formen des Um- ganges war eben stärker als Alles. Man braucht dabei nicht die sehr idealisirte Gesellschaft als Maßstab zu nehmen, welche Castiglione am Hofe Guidobaldo's von Urbino, Pietro Bembo auf dem Schloß Asolo selbst über die höch- sten Gefühle und Lebenszwecke reflectiren lassen. Gerade die Gesellschaft eines Bandello mit sammt den Frivolitäten, die sie sich bieten läßt, giebt den besten Maßstab für den vornehm leichten Anstand, für das Großweltswohlwollen und den echten Freisinn, auch für den Geist und den zier- lichen poetischen und andern Dilettantismus, der diese Kreise belebte. Ein bedeutender Wink für den Werth einer solchen Geselligkeit liegt besonders darin, daß die Damen, welche deren Mittelpuncte bildeten, damit berühmt und hochgeachtet wurden ohne daß es ihrem Ruf im Geringsten schadete. Von den Gönnerinnen Bandello's z. B. ist wohl Isabella Die großen Damen. Gonzaga, geborne Este (S. 44) durch ihren Hof von 5. Abschnitt. lockern Fräulein Prato, Arch. stor. III, p. 309. , aber nicht durch ihr eigenes Benehmen in ungünstige Nachrede gerathen; Giulia Gonzaga Colonna, Ippolita Sforza vermählte Bentivoglio, Bianca Rangona, Cecilia Gallerana, Camilla Scarampa u. A. waren ent- weder völlig unbescholten oder es wurde auf ihr sonstiges Benehmen kein Gewicht gelegt neben ihrem socialen Ruhm. Die berühmteste Dame von Italien, Vittoria Colonna, war vollends eine Heilige. Was nun Specielles von dem zwang- losen Zeitvertreib jener Kreise in der Stadt, auf der Villa, in Badeorten gemeldet wird, läßt sich nicht so wiedergeben, daß daraus die Superiorität über die Geselligkeit des übrigen Europa's buchstäblich klar würde. Aber man höre Bandello an Die wichtigern Stellen: Parte I, Nov. 1. 3. 21. 30. 44. II, 10. 34. 55. III, 17. etc. und frage sich dann nach der Möglichkeit von etwas Aehnlichem z. B. in Frankreich, bevor diese Art von Geselligkeit eben durch Leute wie er aus Italien dort- hin verpflanzt worden war. — Gewiß wurde auch damals das Größte im Gebiet des Geistes hervorgebracht ohne die Beihülfe solcher Salons und ohne Rücksicht auf sie; doch thäte man Unrecht, ihren Werth für die Bewegung von Kunst und Poesie gar zu gering zu schätzen, wäre es auch nur, weil sie das schaffen halfen, was damals in keinem Lande existirte: eine gleichartige Beurtheilung und Theil- nahme für die Productionen. Abgesehen davon ist diese Art von Societät schon als solche eine nothwendige Blüthe jener bestimmten Cultur und Existenz, welche damals eine italienische war und seitdem eine europäische geworden ist. Florentinische Geselligkeit. In Florenz wird das Gesellschaftsleben stark bedingt von Seiten der Literatur und der Politik. Lorenzo magnifico ist vor Allem eine Persönlichkeit, welche nicht wie man glauben möchte, durch die fürstengleiche Stellung, sondern durch das außerordentliche Naturell seine Umgebung voll- ständig beherrscht, eben weil er diese unter sich so verschie- 5. Abschnitt. denen Menschen in Freiheit sich ergehen läßt Vgl. Lor. Magnif. de' Medici, Poesie I, 204 (das Gelage); 291 (die Falkenjagd). — Roscoe, vita di Lorenzo, III, p. 140 und Beilagen 17 bis 19. . Man sieht z. B. wie er seinen großen Hauslehrer Poliziano schonte, wie die souveränen Manieren des Gelehrten und Dichters eben noch kaum verträglich waren mit den nothwendigen Schranken, welche der sich vorbereitende Fürstenrang des Hauses und die Rücksicht auf die empfindliche Gemahlin vorschrieben; dafür ist aber Poliziano der Herold und das wandelnde Symbol des mediceischen Ruhmes. Lorenzo freut sich dann auch recht in der Weise eines Medici, sein Lorenzo als Schilderer sei- nes Kreises. geselliges Vergnügen selber zu verherrlichen, monumental darzustellen. In der herrlich improvisirten „Falkenjagd“ schildert er seine Genossen scherzhaft, in dem „Gelage“ sogar höchst burlesk, allein so, daß man die Fähigkeit des ernst- haftesten Verkehrs deutlich durchfühlt Der Titel Simposio ist ungenau; es sollte heißen: die Heimkehr von der Weinlese. Lorenzo schildert in höchst vergnüglicher Weise, nämlich in einer Parodie nach Dante's Hölle, wie er, zumeist in Via Faenza, alle seine guten Freunde nacheinander mehr oder weniger benebelt vom Lande her kommend antrifft. Von der schönsten Komik ist im 8. Capitolo das Bild des Piovano Arlotto, welcher auszieht seinen verlorenen Durst zu suchen und zu diesem Endzweck an sich hängen hat: dürres Fleisch, einen Häring, einen Reif Käse, ein Würstchen und vier Sardellen, e tutte si cocevan nel sudore. . Von diesem Ver- kehr geben dann seine Correspondenz und die Nachrichten über seine gelehrte und philosophische Conversation reichliche Kunde. Andere spätere gesellige Kreise in Florenz sind zum Theil theoretisirende politische Clubbs, die zugleich eine poetische und philosophische Seite haben wie z. B. die so- genannte platonische Academie, als sie sich nach Lorenzo's Tode in den Gärten der Ruccellai versammelte Ueber Cosimo Ruccellai als Mittelpunkt dieses Kreises zu Anfang des XVI. Jahrh. vgl. Macchiavelli, arte della guerra, L. I. . 5. Abschnitt. An den Fürstenhöfen hing natürlich die Geselligkeit von der Person des Herrschers ab. Es gab ihrer allerdings seit Anfang des XVI. Jahrhunderts nur noch wenige und diese konnten nur geringerntheils in dieser Beziehung etwas bedeuten. Rom hatte seinen wahrhaft einzigen Hof Leo's X. , eine Gesellschaft von so besonderer Art, wie sie sonst in der Weltgeschichte nicht wieder vorkommt. Ausbildung des Cortigiano. Für die Höfe, im Grunde aber noch viel mehr um seiner selber willen bildet sich nun der Cortigiano aus, welchen Castiglione schildert. Es ist eigentlich der gesell- schaftliche Idealmensch, wie ihn die Bildung jener Zeit als nothwendige, höchste Blüthe postulirt, und der Hof ist mehr für ihn als er für den Hof bestimmt. Alles wohl erwogen, könnte man einen solchen Menschen an keinem Hofe brau- chen, weil er selber Talent und Auftreten eines vollkom- menen Fürsten hat und weil seine ruhige, unaffectirte Vir- tuosität in allen äußern und geistigen Dingen ein zu selbständiges Wesen voraussetzt. Die innere Triebkraft, die ihn bewegt, bezieht sich, obwohl es der Autor verhehlt, nicht auf den Fürstendienst, sondern auf die eigene Vollen- dung. Ein Beispiel wird dieß klar machen: im Kriege nämlich verbittet sich Il cortigiano, L. II, fol. 53. — Vgl. oben S. 364, 376. der Cortigiano selbst nützliche und mit Gefahr und Aufopferung verbundene Aufgaben, wenn dieselben styllos und unschön sind, wie etwa das Wegfangen einer Heerde; was ihn zur Theilnahme am Kriege bewegt, ist ja nicht die Pflicht an sich, sondern „ l'honore “. Die sittliche Stellung zum Fürsten, wie sie im vierten Buch ver- Seine Lieb- schaft. langt wird, ist eine sehr freie und selbständige. Die Theorie der vornehmen Liebschaft (im dritten Buche) enthält sehr viele feine psychologische Beobachtungen, die aber bessern- theils dem allgemein menschlichen Gebiet angehören, und die große, fast lyrische Verherrlichung der idealen Liebe (am Ende des vierten Buches) hat vollends nichts mehr 5. Abschnitt. zu thun mit der speciellen Aufgabe des Werkes. Doch zeigt sich auch hier wie in den Asolani des Bembo die un- gemeine Höhe der Bildung in der Art, wie die Gefühle verfeinert und analysirt auftreten. Dogmatisch beim Worte nehmen darf man diese Autoren allerdings nicht. Daß aber Reden dieser Art in der vornehmern Gesellschaft vor- kamen ist nicht zu bezweifeln, und daß nicht bloßes Schön- thun sondern auch wahre Leidenschaft in diesem Gewande erschien, werden wir unten sehen. Von den äußerlichen Fertigkeiten werden beim Corti- Seine Fertig- keiten. giano zunächst die sogenannten ritterlichen Uebungen in Vollkommenheit verlangt, außerdem aber auch noch manches Andere, das nur an einem geschulten, gleichmäßig fortbe- stehenden, auf persönlichstem Wetteifer begründeten Hofe ge- fordert werden konnte, wie es damals außerhalb Italiens keinen gab; Mehreres beruht auch sichtlich nur auf einem allgemeinen, beinahe abstracten Begriff der individuellen Vollkommenheit. Der Cortigiano muß mit allen edeln Spielen vertraut sein, auch mit dem Springen, Wettlaufen, Schwimmen, Ringen; hauptsächlich muß er ein guter Tänzer sein und (wie sich von selbst versteht) ein nobler Reiter. Dazu aber muß er mehrere Sprachen, mindestens italienisch und latein besitzen, und sich auf die schöne Literatur ver- stehen, auch über die bildenden Künste ein Urtheil haben; in der Musik fordert man von ihm sogar einen gewissen Grad von ausübender Virtuosität, die er überdieß möglichst geheim halten muß. Gründlicher Ernst ist es natürlich mit nichts von Allem, ausgenommen die Waffen; aus der gegenseitigen Neutralisirung des Vielen entsteht eben das absolute Individuum, in welchem keine Eigenschaft auf- dringlich vorherrscht. So viel ist gewiß, daß im XVI. Jahrhundert die Leibesübungen. Italiener sowohl als theoretische Schriftsteller wie als prac- tische Lehrer das ganze Abendland in die Schule nahmen Cultur der Renaissance. 25 5. Abschnitt. für alle edlern Leibesübungen und für den höhern geselligen Anstand. Für Reiten, Fechten und Tanzen haben sie durch Werke mit Abbildungen und durch Unterricht den Ton an- gegeben; das Turnen, abgelöst von der Kriegsübung wie vom bloßen Spiel, ist vielleicht zu allererst von Vittorino da Feltre (S. 208) gelehrt worden, und dann ein Requisit der höhern Erziehung geblieben Coelius Calcagninus ( Opera, p. 514) schildert die Erziehung eines jungen Italieners von Stande um 1500 (in der Leichenrede auf Antonio Costabili) wie folgt: zuerst artes liberales et ingenuæ disciplinæ; tum adolescentia in iis exercitationibus acta, quæ ad rem militarem corpus animumque præmuniunt. Nunc gymnastae (d. h. dem Turnlehrer) operam dare, luctari, excurrere, natare, equitare, venari, aucupari, ad palum et apud lanistam ictus inferre aut declinare, cæsim punctimve hostem ferire, hastam vibrare, sub armis hyemem iuxta et æstatem traducere, lanceis occursare, veri ac communis Martis simulacra imitari. — Cardanus ( de propria vita, c. 7) nennt unter seinen Turnübungen auch das Hinaufspringen auf das hölzerne Pferd. . Entscheidend ist dabei, daß es kunstgemäß gelehrt wird; welche Uebungen vor- kamen, ob die jetzt vorwiegenden auch damals gekannt waren, können wir freilich nicht ermitteln. Wie sehr aber außer der Kraft und Gewandtheit auch die Anmuth als Zweck und Ziel galt, geht nicht nur aus der sonst bekann- ten Denkweise der Nation, sondern auch aus bestimmten Nachrichten hervor. Es genügt an den großen Federigo von Montefeltro (S. 45) zu erinnern, wie er die abend- lichen Spiele der ihm anvertrauten jungen Leute leitete. Volksspiele. Spiele und Wettübungen des Volkes unterschieden sich wohl nicht wesentlich von den im übrigen Abendlande ver- breiteten. In den Seestädten kam natürlich das Wettrudern hinzu und die venezianischen Regatten waren schon frühe berühmt Sansovino, Venezia, fol. 172, s. Sie sollen entstanden sein bei Anlaß des Hinausfahrens zum Lido, wo man mit der Armbrust zu . Das classische Spiel Italiens war und ist be- kanntlich das Ballspiel, und auch dieses möchte schon zur Zeit 5. Abschnitt. der Renaissance mit viel größerm Eifer und Glanze geübt worden sein als anderswo in Europa. Doch ist es nicht wohl möglich, bestimmte Zeugnisse für diese Annahme zu- sammenzubringen. An dieser Stelle muß auch von der Musik Ueber Dante's Verhältniß zur Musik und über die Weisen zu Pe- trarca's und Boccaccio's Gedichten vgl. Trucchi, poesie ital. ine- dite II, p. 139. — Ueber Theoretiker des XIV. Jahrh. Filippo Villani, vite, p. 46 und Scardeonius, de urb. Patav. antiq. bei Græv. Thesaur. VI, III, Col. 297. Eine merkwürdige und umfangreiche Stelle über die Musik findet sich, wo man sie nicht suchen würde, Macaroneide, Phant. XX. Es wird ein Quartettgesang kemisch geschildert, wobei man erfährt, daß auch französische und spanische Lieder gesungen wurden, daß die Musik bereits ihre Feinde hatte (um 1520), und daß Leo's X. Capelle und die Rede Die Musik. sein. Die Composition war noch um 1500 vorherrschend in den Händen der niederländischen Schule, welche wegen der ungemeinen Künstlichkeit und Wunderlichkeit ihrer Werke bestaunt wurde. Doch gab es schon daneben eine italienische Musik, welche ohne Zweifel unserm jetzigen Ton- gefühl etwas näher stand. Ein halbes Jahrhundert später tritt Palestrina auf, dessen Gewalt sich auch heute noch alle Gemüther unterwirft; wir erfahren auch, er sei ein großer Neuerer gewesen, allein ob er oder Andere den ent- schießen pflegte; die große allgemeine Regatta am St. Paulstag war gesetzlich seit 1315. — Früher wurde in Venedig auch viel geritten, ehe die Straßen gepflastert und die ebenen hölzernen Brücken in hochgewölbte steinerne verwandelt waren. Noch Petrarca ( Epist. seniles, IV, 2, p. 783) schildert ein prächtiges Reiterturnier auf dem Marcusplatz, und der Doge Steno hielt um 1400 einen Mar- stall so herrlich wie der irgend eines italienischen Fürsten. Doch war das Reiten in der Umgegend jenes Platzes schon seit 1291 in der Regel verbeten. — Später galten die Venezianer natürlich für schlechte Reiter. Vgl. Ariosto, Sat. V, vs. 208. 25* 5. Abschnitt. scheidenden Schritt in die Tonsprache der modernen Welt hinein gethan haben, wird nicht so erörtert, daß der Laie sich einen Begriff von dem Thatbestand machen könnte. Indem wir daher die Geschichte der musicalischen Compo- sition gänzlich auf sich beruhen lassen, suchen wir die Stellung der Musik zur damaligen Gesellschaft auszumitteln. Reichthum an Instrumenten. Höchst bezeichnend für die Renaissance und für Italien ist vor Allem die reiche Specialisirung des Orchesters, das Suchen nach neuen Instrumenten d. h. Klangarten, und — in engem Zusammenhang damit — das Virtuosenthum, d. h. das Eindringen des Individuellen im Verhältniß zu bestimmten Zweigen der Musik und zu bestimmten In- strumenten. Von denjenigen Tonwerkzeugen, welche eine ganze Har- monie ausdrücken können, ist nicht nur die Orgel frühe sehr verbreitet und vervollkommnet, sondern auch das ent- sprechende Saiteninstrument, das gravicembalo oder cla- vicembalo ; Stücke von solchen aus dem Beginn des XVI. Jahrhunderts werden bekanntlich noch aufbewahrt, weil die größten Maler sie mit Bildern schmückten. Sonst nahm die Geige den ersten Rang ein und gewährte bereits große persönliche Celebrität. Bei Leo X. , der schon als Cardinal sein Haus voller Sänger und Musiker gehabt hatte und der als Kenner und Mitspieler eine hohe Reputation ge- Virtuosen. noß, wurden der Jude Giovan Maria und Jacopo San- secondo berühmt; ersterem gab Leo den Grafentitel und ein Städtchen Leonis vita anonyma , bei Roscoe, ed. Bossi, XII, p. 171. Ob dieß vielleicht der Violinspieler der Galerie Sciarra ist? — ; letztern glaubt man in dem Apoll auf Rafaels der noch frühere Componist Josquin des Pr é s das Höchste waren, wofür man schwärmte; die Hauptwerke des letztern werden genannt. Derselbe Autor (Folengo) legt auch in seinem (unter dem Namen Limerno Pitocco herausgegebenen) Orlandino III, 23, s. einen ganz modernen Musikfanatismus an den Tag. Parnaß dargestellt zu sehen. Im Verlauf des XVI. Jahr- 5. Abschnitt. hunderts bildeten sich dann Renommeen für jede Gattung, und Lomazzo (um 1580) nennt je drei namhaft gewordene Virtuosen für Gesang, Orgel, Laute, Lyra, Viola da Gamba, Harfe, Cither, Hörner und Posaunen; er wünscht, daß ihre Bildnisse auf die Instrumente selbst gemalt werden möchten Lomazzo, trattato dell' arte della pittura, etc. p. 347. — Bei der Lyra ist Lionardo da Vinci mitgenannt, auch Alfonso (Herzog?) von Ferrara. Der Verf. nimmt überhaupt die Berühmtheiten des Jahrhunderts zusammen. Mehrere Juden sind darunter. — Ein Virtuose, der blinde Francesco von Florenz (st. 1390) wird schon frühe in Venedig von dem anwesenden König von Cypern mit einem Lorbeerkranze gekrönt. . Solch ein vielseitiges vergleichendes Urtheil wäre wohl in jener Zeit außerhalb Italiens ganz undenk- bar, wenn auch fast dieselben Instrumente überall vorge- kommen sein mögen. Der Reichthum an Instrumenten sodann geht besonders daraus hervor, daß es sich lohnte, aus Curiosität Samm- lungen derselben anzulegen. In dem höchst musicalischen Venedig Sansovino, Venezia, fol. 138. Natürlich sammelten dieselben Lieb- haber auch Notenbücher. gab es mehrere dergleichen, und wenn eine An- zahl Virtuosen sich dazu einfanden, so ergab sich gleich an Ort und Stelle ein Concert. (In einer dieser Sammlun- gen sah man auch viele nach antiken Abbildungen und Beschreibungen verfertigte Tonwerkzeuge, nur wird nicht gemeldet, ob sie Jemand spielen konnte und wie sie klangen.) Es ist nicht zu vergessen daß solche Gegenstände zum Theil ein festlich prachtvolles Aeußeres hatten und sich schön gruppiren ließen. Auch in Sammlungen anderer Raritä- ten und Kunstsachen pflegen sie sich deßhalb als Zugabe einzufinden. Ein Giovan Maria da Cornetto wird gepriesen im Orlandino (S. 160, 326) III, 27. 5. Abschnitt. Die Executanten selbst sind außer den eigentlichen Dilettanten. Virtuosen entweder einzelne Liebhaber oder ganze Orchester von solchen, etwa als „Academie“ corporationsmäßig zu- sammengesellt Die Accademia de' filarmonici zu Verona erwähnt schon Vasari XI, 133 im Leben des Sanmichele. — Um Lorenzo magnifico hatte sich bereits 1480 eine „Harmonieschule“ von 15 Mitgliedern gesam- melt, darunter der berühmte Organist Squarcialupi. Vgl. De- lécluze, Florence et ses vicissitudes, Vol. II, p. 256. Von Lorenzo scheint sein Sohn Leo X. die Musikbegeisterung geerbt zu haben. Auch sein ältester Sohn Pietro war sehr musicalisch. . Sehr viele bildende Künstler waren auch in der Musik bewandert und oft Meister. — Leuten von Stande wurden die Blasinstrumente abgerathen aus den- selben Gründen Il cortigiano, fol. 56. vgl. fol. 41. , welche einst den Alcibiades und selbst Pallas Athene davon abgeschreckt haben sollen; die vor- nehme Geselligkeit liebte den Gesang entweder allein oder mit Begleitung der Geige; auch das Streichquartett Quattro viole da arco, gewiß ein hoher und damals im Ausland sehr seltener Grad von Dilettantenbildung. und um der Vielseitigkeit willen das Clavier; aber nicht den mehrstimmigen Gesang, „denn Eine Stimme höre, genieße „und beurtheile man weit besser“. Mit andern Worten, da der Gesang trotz aller conventionellen Bescheidenheit (S. 390) eine Exhibition des einzelnen Gesellschaftsmenschen bleibt, so ist es besser, man höre (und sehe) Jeden besonders. Wird ja doch die Weckung der süßesten Gefühle in den Zuhörerinnen vorausgesetzt und deßhalb den alten Leuten eine ausdrückliche Abmahnung ertheilt, auch wenn sie noch so schön spielten und sängen. Es kam sehr darauf an, daß der Einzelne einen aus Ton und Gestalt harmonisch gemischten Eindruck hervorbringe. Von einer Anerkennung der Composition als eines für sich bestehenden Kunstwerkes ist in diesen Kreisen keine Rede. Dagegen kommt es vor, daß der Inhalt der Worte ein furchtbares eigenes Schick- 5. Abschnitt. sal des Sängers schilderte Bandello, Parte I, Nov. 26. Der Gesang des Antonio Bologna im Hause der Ippolita Bentivoglia. Vgl. III, 26. In unserer zimperlichen Zeit würde man dieß eine Profanation der heiligsten Gefühle nennen. — Die Recitation zur Laute oder Viola ist in den Aussagen nicht leicht vom eigentlichen Gesang zu scheiden. . Offenbar ist dieser Dilettantismus, sowohl der vor- nehmern als der mittlern Stände, in Italien verbreiteter und zugleich der eigentlichen Kunst näher verwandt gewesen als in irgend einem andern Lande. Wo irgend Geselligkeit geschildert wird, ist auch immer und mit Nachdruck Gesang und Saitenspiel erwähnt; hunderte von Porträts stellen die Leute, oft Mehrere zusammen, musicirend oder doch mit der Laute ꝛc. im Arm dar, und selbst in Kirchenbildern zeigen die Engelconcerte, wie vertraut die Maler mit der lebendigen Erscheinung der Musicirenden waren. Bereits erfährt man z. B. von einem Lautenspieler Antonio Rota in Padua (st. 1549), der vom Stundengeben reich wurde und auch eine Lautenschule drucken ließ Scardeonius, a. a. O. . In einer Zeit da noch keine Oper den musicalischen Genius zu concentriren und zu monopolisiren angefangen hatte, darf man sich wohl dieses Treiben geistreich, vielartig und wunderbar eigenthümlich vorstellen. Eine andere Frage ist, wie weit wir noch an jener Tonwelt Theil hätten, wenn unser Ohr sie wieder vernähme. Zum Verständniß der höhern Geselligkeit der Renais- Das Weib dem Manne gleich, sance ist endlich wesentlich zu wissen, daß das Weib dem Manne gleich geachtet wurde. Man darf sich ja nicht irre machen lassen durch die spitzfindigen und zum Theil bos- haften Untersuchungen über die vermuthliche Inferiorität 5. Abschnitt. des schönen Geschlechtes, wie sie bei den Dialogenschreibern hin und wieder vorkommen, auch nicht durch eine Satire wie die dritte des Ariosto An Annibale Maleguccio, sonst auch als 5te und 6te bezeichnet. , welcher das Weib wie ein ge- fährliches großes Kind betrachtet, das der Mann zu be- handeln wissen müsse, während es durch eine Kluft von ihm geschieden bleibt. Letzteres ist allerdings in einem ge- wissen Sinne wahr; gerade weil das ausgebildete Weib dem Manne gleich stand, konnte in der Ehe das was man geistige und Seelengemeinschaft, oder höhere Ergänzung nennt, nicht so zur Blüthe gelangen wie später in der ge- sitteten Welt des Nordens. durch Bildung, Vor Allem ist die Bildung des Weibes in den höchsten Ständen wesentlich dieselbe wie beim Manne. Es erregt den Italienern der Renaissance nicht das geringste Bedenken, den literarischen und selbst den philologischen Unterricht auf Töchter und Söhne gleichmäßig wirken zu lassen (S. 215); da man ja in dieser neuantiken Cultur den höchsten Besitz des Lebens erblickte, so gönnte man sie gerne auch den Mädchen. Wir sahen bis zu welcher Virtuosität selbst Fürsten- töchter im lateinischen Reden und Schreiben gelangten (S. 222, 225). Andere mußten wenigstens die Lectüre der Männer theilen, um dem Sachinhalt des Alterthums, wie er die Conversation großentheils beherrschte, folgen zu können. Weiter schloß sich daran die thätige Theilnahme an der italienischen Poesie durch Canzonen, Sonette und Impro- Poesie, visation, womit seit der Venezianerin Cassandra Fedele (Ende des XV. Jahrhunderts) eine Anzahl von Damen berühmt wurden Wogegen die Betheiligung der Frauen an den bildenden Künsten nur äußerst gering ist. ; Vittoria Colonna kann sogar unsterb- lich heißen. Wenn irgend etwas unsere obige Behauptung beweist, so ist es diese Frauenpoesie mit ihrem völlig männ- lichen Ton. Liebessonette wie religiöse Gedichte zeigen eine so entschiedene, präcise Fassung, sind von dem zarten Halb- 5. Abschnitt. dunkel der Schwärmerei und von allem Dilettantischen, was sonst der weiblichen Dichtung anhängt, so weit ent- fernt, daß man sie durchaus für die Arbeiten eines Mannes halten würde, wenn nicht Namen, Nachrichten und bestimmte äußere Andeutungen das Gegentheil besagten. Denn mit der Bildung entwickelt sich auch der Indi- und Individua- lismus. vidualismus in den Frauen höherer Stände auf ganz ähn- liche Weise wie in den Männern, während außerhalb Italiens bis auf die Reformation die Frauen, und selbst die Fürstinnen noch sehr wenig persönlich hervortreten. Ausnahmen wie Isabeau von Baiern, Margaretha von Anjou, Isabella von Castilien u. s. w. kommen auch nur unter ganz ausnahmsweisen Verhältnissen, ja gleichsam nur gezwungen zum Vorschein. In Italien haben schon während des ganzen XV. Jahrhunderts die Gemahlinnen der Herr- scher und vorzüglich die der Condottieren fast alle eine be- sondere, kenntliche Physiognomie, und nehmen an der No- torietät, ja am Ruhme ihren Antheil (S. 133). Dazu kömmt allmälig eine Schaar von berühmten Frauen ver- schiedener Art (S. 150) wäre auch ihre Auszeichnung nur darin zu finden gewesen, daß in ihnen Anlage, Schönheit, Erziehung, gute Sitte und Frömmigkeit ein völlig harmo- nisches Ganzes bildeten So muß man z. B. bei Vespasiano Fiorentino ( Mai, Spicileg. rom. IX, p. 593, s. ) die Biographie der Alessandra de' Bardi auffassen. Der Autor ist, beiläufig gesagt, ein großer laudator temporis acti und man darf nicht vergessen, daß fast hundert Jahre vor dem, was er die gute alte Zeit nennt, schon Boccaccio den De- camerone schrieb. . Von einer aparten, bewußten „Emancipation“ ist gar nicht die Rede, weil sich die Sache von selber verstand. Die Frau von Stande mußte damals Volle Persön- lichkeit. ganz wie der Mann nach einer abgeschlossenen, in jeder Hinsicht vollendeten Persönlichkeit streben. Derselbe Her- gang in Geist und Herz, welcher den Mann vollkommen 5. Abschnitt. macht, sollte auch das Weib vollkommen machen. Active literarische Thätigkeit verlangt man nicht von ihr, und wenn sie Dichterin ist, so erwartet man wohl irgend einen mächtigen Klang der Seele, aber keine speciellen Intimitä- ten in Form von Tagebüchern und Romanen. An das Publicum dachten diese Frauen nicht; sie mußten vor Allem bedeutenden Männern imponiren Ant. Galateo, epist. 3, an die junge Bona Sforza, die spätere Gemahlin des Sigismund von Polen: Incipe aliquid de viro sa- pere, quoniam ad imperandum viris nata es … Ita fac, ut sapientibus viris placeas, ut te prudentes et graves viri admi- rentur, et vulgi et muliercularum studia et iudicia despicias etc. Auch sonst ein merkwürdiger Brief. ( Mai, Spicileg. rom. VIII, p. 532.) und deren Willkür in Schranken halten. Die Virago. Das Ruhmvollste was damals von den großen Ita- lienerinnen gesagt wird, ist, daß sie einen männlichen Geist, ein männliches Gemüth hätten. Man braucht nur die völlig männliche Haltung der meisten Weiber in den Helden- gedichten, zumal bei Bojardo und Ariosto, zu beachten, um zu wissen, daß es sich hier um ein bestimmtes Ideal handelt. Der Titel einer „ virago “, den unser Jahrhundert für ein sehr zweideutiges Compliment hält, war damals reiner Ruhm. Ihn trug mit vollem Glanze Caterina Sforza, Gemahlin, dann Wittwe des Girolamo Riario, dessen Erbe Forli sie zuerst gegen die Partei seiner Mörder, dann später gegen Cesare Borgia mit allen Kräften vertheidigte; sie unterlag, behielt aber doch die Bewunderung aller ihrer Landsleute und den Namen der „ prima donna d'Italia “ So heißt sie in dem Hauptbericht Chron. venetum bei Murat. XXIV, Col. 128, s. Vgl. Infessura bei Eccard, scriptt. II, Col. 1981 und Arch. stor. Append. II, p. 250. . Eine heroische Ader dieser Art erkennt man noch in ver- schiedenen Frauen der Renaissance, wenn auch keine mehr solchen Anlaß fand, sich als Heldin zu bethätigen. Isabella Gonzaga (S. 44) verräth diesen Zug ganz deutlich. Frauen dieser Gattung konnten denn freilich auch in ihrem 5. Abschnitt. Kreise Novellen erzählen lassen wie die des Bandello, ohne Das Weib in der Gesellschaft. daß darunter die Geselligkeit Schaden litt. Der herrschende Genius der letztern ist nicht die heutige Weiblichkeit, d. h. der Respect vor gewissen Voraussetzungen, Ahnungen und Mysterien, sondern das Bewußtsein der Energie, der Schön- heit, und einer gefährlichen, schicksalsvollen Gegenwart. Deßhalb geht neben den gemessensten Weltformen ein Etwas einher, das unserm Jahrhundert wie Schamlosigkeit vor- kömmt Und es zu Zeiten auch ist. — Wie sich die Damen bei solchen Er- zählungen zu benehmen haben, lehrt der Cortigiano, L. III, fol. 107. Daß schon die Damen, welche bei seinen Dialogen zugegen waren, sich gelegentlich mußten zu benehmen wissen, zeigt z. B. die starke Stelle L. II, Fol. 100. — Was von dem Gegenstück des Corti- giano, der Donna di palazzo gesagt wird, ist deßhalb nicht ent- scheidend, weil diese Palastdame bei Weitem mehr Dienerin der Fürstin ist als der Cortigiano Diener des Fürsten. — Bei Ban- dello I, Nov. 44, erzählt Bianca d'Este die schauerliche Liebesge- schichte ihres eigenen Ahn's Niccol ò von Ferrara und der Parisina. , während wir nur eben das Gegengewicht, näm- lich die mächtige Persönlichkeit der dominirenden Frauen des damaligen Italiens uns nicht mehr vorstellen können. Daß alle Tractate und Dialoge zusammengenommen keine entscheidende Aussage dieser Art enthalten, versteht sich von selbst, so weitläufig auch über die Stellung und die Fähigkeiten der Frauen und über die Liebe debattirt wird. Was dieser Gesellschaft im Allgemeinen gefehlt zu haben scheint, war der Flor junger Mädchen Wie sehr die gereisten Italiener den freien Umgang mit den Mäd- chen in England und den Niederlanden zu würdigen wußten, zeigt Bandello II, Nov. 42 und IV, Nov. 27. , welche man sehr davon zurückhielt, auch wenn sie nicht im Kloster erzogen wurden. Es ist schwer zu sagen, ob ihre Abwesenheit mehr die größere Freiheit der Conversation oder ob umgekehrt letztere jene veranlaßt hat. 5. Abschnitt. Auch der Umgang mit Buhlerinnen nimmt bisweilen Die Bildung der Buhlerinnen. einen scheinbaren Aufschwung, als wollte sich das Verhält- niß der alten Athener zu ihren Hetären erneuern. Die be- rühmte römische Courtisane Imperia war ein Weib von Geist und Bildung und hatte bei einem gewissen Domenico Cam- pana Sonette machen gelernt, trieb auch Musik Paul. Jov. de rom. piscibus, cap. 5. — Bandello, Parte III, Nov. 42. — Aretin, im Ragionamento del Zoppino p. 327 sagt von einer Buhlerin: sie weiß auswendig den ganzen Petrarca und Boccaccio und zahllose schöne lateinische Verse aus Virgil, Horaz, Ovid und tausend andern Autoren. . Die schöne Isabella de Luna, von spanischer Herkunft, galt wenigstens als amusant, war übrigens aus Gutherzigkeit und einem entsetzlich frechen Lästermaul wunderlich zusam- mengesetzt Bandello II, 51. IV, 16. . In Mailand kannte Bandello die majestätische Caterina di San Celso Bandello IV, 8. , welche herrlich spielte und sang und Verse recitirte. U. s. w. Aus Allem geht hervor, daß die berühmten und geistreichen Leute, welche diese Da- men besuchten und zeitweise mit ihnen lebten, auch geistige Ansprüche an sie stellten, und daß man den berühmtern Buhlerinnen mit der größten Rücksicht begegnete; auch nach Auflösung des Verhältnisses suchte man sich ihre gute Mei- nung zu bewahren Ein sehr bezeichnendes Beispiel hievon bei Giraldi, Hecatommithi VI, Nov. 7. , weil die vergangene Leidenschaft doch einen bedeutenden Eindruck für immer zurückgelassen hatte. Im Ganzen kommt jedoch dieser Umgang in geistigem Sinne nicht in Betracht neben der erlaubten, officiellen Geselligkeit, und die Spuren, welche er in Poesie und Literatur zurückläßt, sind vorherrschend scandalöser Art. Ja man darf sich billig wundern, daß unter den 6800 Per- sonen dieses Standes, welche man zu Rom im Jahr 1490 — also vor dem Eintreten der Siphylis — zählte Infessura, bei Eccard, scriptores, II, Col. 1997. Es sind nur die öffentlichen Weiber, nicht die Concubinen mitgerechnet. Die Zahl ist übrigens im Verhältniß zur vermuthlichen Bevölkerung von Rom enorm hoch, vielleicht durch einen Schreibfehler. , kaum 5. Abschnitt. irgend ein Weib von Geist und höherm Talent hervortritt; die oben genannten sind erst aus der nächstfolgenden Zeit. Die Lebensweise, Moral und Philosophie der öffentlichen Weiber, namentlich den raschen Wechsel von Genuß, Ge- winnsucht und tieferer Leidenschaft, sowie die Heuchelei und Teufelei Einzelner im spätern Alter schildert vielleicht am besten Giraldi in den Novellen, welche die Einleitung zu seinen Hecatommithi ausmachen; Pietro Aretino dagegen in seinen Ragionamenti zeichnet wohl mehr sein eigenes In- neres als das jener unglücklichen Classe, wie sie wirklich war. Die Maitressen der Fürsten, wie schon oben (S. 53) Fürstliche Maitressen. bei Anlaß des Fürstenthums erörtert wurde, sind der Ge- genstand von Dichtern und Künstlern und daher der Mit- und Nachwelt persönlich bekannt, während man von einer Alice Perries, einer Clara Dettin (Maitresse Friedrichs des Siegreichen) kaum mehr als den Namen und von Agnes Sorel eine eher fingirte als wahre Minnesage übrig hat. Nach der Geselligkeit verdient auch das Hauswesen der Das Hauswesen. Renaissance einen Blick. Man ist im Allgemeinen geneigt, das Familienleben der damaligen Italiener wegen der großen Sittenlosigkeit als ein verlorenes zu betrachten, und diese Seite der Frage wird im nächsten Abschnitt behandelt wer- den. Einstweilen genügt es darauf hinzuweisen, daß die eheliche Untreue dort bei Weitem nicht so zerstörend auf die Familie wirkt wie im Norden, so lange dabei nur ge- wisse Schranken nicht überschritten werden. 5. Abschnitt. Das Hauswesen unseres Mittelalters war ein Pro- duct der herrschenden Volkssitte oder, wenn man will, ein höheres Naturproduct, beruhend auf den Antrieben der Völkerentwicklung, und auf der Einwirkung der Lebens- weise je nach Stand und Vermögen. Das Ritterthum in seiner Blüthezeit ließ das Hauswesen unberührt; sein Le- ben war das Herumziehen an Höfen und in Kriegen; seine Huldigung gehörte systematisch einer andern Frau als der Hausfrau, und auf dem Schloß daheim mochten die Dinge gehen wie sie konnten. Die Renaissance zuerst ver- sucht auch das Hauswesen mit Bewußtsein, als ein geord- netes, ja als ein Kunstwerk aufzubauen. Eine sehr ent- wickelte Oeconomie (S. 80) und ein rationeller Hausbau kömmt ihr dabei zu Hülfe, die Hauptsache aber ist eine verständige Reflexion über alle Fragen des Zusammenlebens, der Erziehung, der Einrichtung und Bedienung. Pandolfini. Das schätzbarste Actenstück hiefür ist der Dialog über die Leitung des Hauses von Agnolo Pandolfini Trattato delgoverno della famiglia. Vgl. oben S. 135, 140, Anmm. Pandolfini starb 1446, L. B. Alberti, dem das Werk ebenfalls zu- geschrieben wird, im J 1472 — Vgl. auch S. 302, Anm. . Ein Vater spricht zu seinen erwachsenen Söhnen und weiht sie in seine ganze Handlungsweise ein. Man sieht in einen großen, reichlichen Hausstand hinein, der, mit vernünftiger Sparsamkeit und mit mäßigem Leben weiter geführt, Glück und Wohlergehen auf viele Geschlechter hinaus verheißt. Ein ansehnlicher Grundbesitz, der schon durch seine Pro- ducte den Tisch des Hauses versieht und die Basis des Ganzen ausmacht, wird mit einem industriellen Geschäft, sei es Seiden- oder Wollenweberei, verbunden. Wohnung und Nahrung sind höchst solid; alles was zur Einrichtung und Anlage gehört, soll groß, dauerhaft und kostbar, das tägliche Leben darin so einfach als möglich sein. Aller übrige Aufwand, von den größten Ehrenausgaben bis auf das Taschengeld der jüngern Söhne, steht hiezu in einem 5. Abschnitt. rationellen, nicht in einem conventionellen Verhältniß. Das Wichtigste aber ist die Erziehung, die der Hausherr bei Erziehung. Weitem nicht bloß den Kindern, sondern dem ganzen Hause giebt. Er bildet zunächst seine Gemahlin aus einem schüch- ternen, in vorsichtigem Gewahrsam erzogenen Mädchen zur sichern Gebieterin der Dienerschaft, zur Hausfrau aus; dann erzieht er die Söhne ohne alle unnütze Härte Eine gründliche, mit psychologischem Geist gearbeitete Geschichte des Prügelns bei den germanischen und romanischen Völkern wäre wohl so viel werth als ein paar Bände Depeschen und Unterhandlungen. Wann und durch welchen Einfluß ist das Prügeln in der deutschen Familie zu einem alltäglichen Gebrauch geworden? Es geschah wohl erst lange nachdem Waltber gesungen: Nieman kan mit gerten kin- des zuht beherten. In Italien hört wenigstens das Schlagen sehr früh auf; ein siebenjähriges Kind bekömmt keine Schläge mehr. Der kleine Roland ( Orlandino, cap. VII, str. 42) stellt das Princip auf: Sol gli asini si ponno bastonare, Se una tal bestia fussi, patirei. , durch sorgfältige Aufsicht und Zureden, „mehr mit Autori- tät als mit Gewalt“, und endlich wählt und behandelt er auch die Angestellten und Diener nach solchen Grundsätzen, daß sie gerne und treu am Hause halten. Noch einen Zug müssen wir hervorheben, der diesem Die Villa. Büchlein zwar keinesweges eigen, wohl aber mit besonderer Begeisterung darin hervorgehoben ist: die Liebe des gebil- deten Italieners zum Landleben. Im Norden wohnten damals auf dem Lande die Adlichen in ihren Bergschlössern und die vornehmern Mönchsorden in ihren wohlverschlossenen Klöstern; der reichste Bürger aber lebte Jahr aus Jahr ein in der Stadt. In Italien dagegen war, wenigstens was die Umgebung gewisser Städte betrifft, theils die po- litische und polizeiliche Sicherheit größer, theils die Nei- gung zum Aufenthalt draußen so mächtig, daß man in Kriegsfällen sich auch einigen Verlust gefallen ließ. So 5. Abschnitt. entstand die Landwohnung des wohlhabenden Städters, die Villa. Ein köstliches Erbtheil des alten Römerthums lebt hier wieder auf, sobald Gedeihen und Bildung im Volke weit genug fortgeschritten sind. Unser Autor findet auf seiner Villa lauter Glück und Frieden, worüber man ihn freilich selber hören muß (S. 88). Die öconomische Seite der Sache ist, daß ein und dasselbe Gut womöglich Alles in sich enthalten soll: Korn, Wein, Oel, Futterland und Waldung (S. 84), und daß man solche Güter gerne theuer bezahlt, weil man nachher nichts mehr auf dem Markt zu kaufen nöthig hat. Der höhere Genuß aber verräth sich in den Worten der Einleitung zu diesem Gegenstande: „Um Florenz liegen viele Villen in „krystallheller Luft, in heiterer Landschaft, mit herrlicher „Aussicht; da ist wenig Nebel, kein verderblicher Wind; „Alles ist gut, auch das reine, gesunde Wasser; und von „den zahllosen Bauten sind manche wie Fürstenpaläste, „manche wie Schlösser anzuschauen, prachtvoll und kostbar.“ Er meint jene in ihrer Art mustergültigen Landhäuser, von welchen die meisten 1529 durch die Florentiner selbst der Vertheidigung der Stadt — vergebens — geopfert wurden. Geist des Land- lebens. In diesen Villen wie in denjenigen an der Brenta, in den lombardischen Vorbergen, am Posilipp und Vomero nahm dann auch die Geselligkeit einen freiern, ländlichen Character an als in den Sälen der Stadtpaläste. Das Zusammenwohnen der gastfrei Geladenen, die Jagd und der übrige Verkehr im Freien werden hie und da ganz an- muthig geschildert. Aber auch die tiefste Geistesarbeit und das Edelste der Poesie ist bisweilen von einem solchen Landaufenthalt datirt. Die Feste. Es ist keine bloße Willkür, wenn wir an die Betrach- tung des gesellschaftlichen Lebens die der festlichen Aufzüge und Aufführungen anknüpfen. Die kunstvolle Pracht, welche das Italien der Renaissance dabei an den Tag legt Man vgl. S. 314, f., wo diese Pracht der Festausstattung als ein Hinderniß für die höhere Entwicklung des Drama's nachgewiesen wurde. , 5. Abschnitt. wurde nur erreicht durch dasselbe Zusammenleben aller Stände, welches auch die Grundlage der italienischen Ge- sellschaft ausmacht. Im Norden hatten die Klöster, die Höfe und die Bürgerschaften ihre besondern Feste und Auf- führungen wie in Italien, allein dort waren dieselben nach Styl und Inhalt getrennt, hier dagegen durch eine allge- meine Bildung und Kunst zu einer gemeinsamen Höhe ent- wickelt. Die decorirende Architectur, welche diesen Festen zu Hülfe kam, verdient ein eigenes Blatt in der Kunstge- schichte, obgleich sie uns nur noch als ein Phantasiebild gegenübersteht, das wir aus den Beschreibungen zusammen- lesen müssen. Hier beschäftigt uns das Fest selber als ein erhöhter Moment im Dasein des Volkes, wobei die religiö- sen, sittlichen und poetischen Ideale des letztern eine sicht- bare Gestalt annehmen. Das italienische Festwesen in seiner höhern Form ist ein wahrer Uebergang aus dem Leben in die Kunst. Die beiden Hauptformen festlicher Aufführung sind ur- Ihre Grund- formen. sprünglich, wie überall im Abendlande, das Mysterium, d. h. die dramatisirte heilige Geschichte oder Legende, und die Procession, d. h. der bei irgend einem kirchlichen Anlaß entstehende Prachtaufzug. Nun waren in Italien schon die Aufführungen der Mysterien im Ganzen offenbar prachtvoller, zahlreicher und durch die parallele Entwicklung der bildenden Kunst und der Poesie geschmackvoller als anderswo. Sodann scheidet sich aus ihnen nicht bloß wie im übrigen Abendlande zu- nächst die Posse aus und dann das übrige weltliche Drama, sondern frühe schon auch eine auf den schönen und reichen Anblick berechnete Pantomime mit Gesang und Ballett. Cultur der Renaissance. 26 5. Abschnitt. Aus der Procession aber entwickelt sich in den eben gelegenen italienischen Städten mit ihren breiten Dieß im Vergleich mit den Städten des Nordens. , wohl- gepflasterten Straßen der Trionfo, d. h. der Zug von Co- stumirten zu Wagen und zu Fuß, erst von überwiegend geistlicher, dann mehr und mehr von weltlicher Bedeutung. Fronleichnamsprocession und Carnevalszug berühren sich hier in einem gemeinsamen Prachtstyl, welchem sich dann auch fürstliche Einzüge anschließen. Auch die übrigen Völker verlangten bei solchen Gelegenheiten bisweilen den größten Aufwand, in Italien allein aber bildete sich eine kunstge- rechte Behandlungsweise, die den Zug als sinnvolles Ganzes componirte und ausstattete. Heutiger Be- stand. Was von diesen Dingen heute noch in Uebung ist, kann nur ein armer Ueberrest heißen. Kirchliche sowohl als fürstliche Aufzüge haben sich des dramatischen Elementes, der Costumirung, fast völlig entledigt, weil man den Spott fürchtet und weil die gebildeten Classen, welche ehemals diesen Dingen ihre volle Kraft widmeten, aus verschiedenen Gründen keine Freude mehr daran haben können. Auch am Carneval sind die großen Maskenzüge außer Uebung. Was noch weiterlebt, wie z. B. die einzelnen geistlichen Masken bei Umzügen von Bruderschaften, ja selbst das pomphafte Rosalienfest zu Palermo, verräth deutlich, wie weit sich die höhere Bildung von diesen Dingen zurückge- zogen hat. Die volle Blüthe des Festwesens tritt erst mit dem entschiedenen Siege des Modernen, mit dem XV. Jahr- hundert ein Die Festlichkeiten bei der Erhebung des Visconti zum Herzog von Mailand 1395 ( Corio, fol. 274) haben bei größter Pracht noch etwas roh mittelalterliches, und das dramatische Element fehlt noch ganz. Vgl. auch die relative Geringfügigkeit der Aufzüge in Pavia , wenn nicht etwa Florenz dem übrigen Italien auch hierin vorangegangen war. Wenigstens war man hier 5. Abschnitt. schon früh quartierweise organisirt für öffentliche Auffüh- rungen, welche einen sehr großen künstlerischen Aufwand voraussetzen. So jene Darstellung der Hölle auf einem Gerüst und auf Barken im Arno, 1. Mai 1304, wobei unter den Zuschauern die Brücke alla Carraja zusammen- brach Gio. Villani, VIII, 70. . Auch daß später Florentiner als Festkünstler, festaiuoli, im übrigen Italien reisen konnten Vgl. z. B. Infessura, bei Eccard, scriptt. II, Col. 1896. — Corio, fol. 417. 421. , beweist eine frühe Vervollkommnung zu Hause. Suchen wir nun die wesentlichsten Vorzüge des ita- Vorzüge des italien. Fest- wesens. lienischen Festwesens gegenüber dem Auslande vorläufig auszumitteln, so steht in erster Linie der Sinn des entwickelten Individuums für Darstellung des Individuellen, d. h. die Fähigkeit, eine vollständige Maske zu erfinden, zu tragen und zu agiren. Maler und Bildhauer halfen dann bei weitem nicht bloß zur Decoration des Ortes, sondern auch zur Ausstattung der Personen mit, und gaben Tracht, Schminke (S. 368, f.) und anderweitige Ausstattung an. Das Zweite ist die Allverständlichkeit der poetischen Grund- lage. Bei den Mysterien war dieselbe im ganzen Abend- lande gleich groß, indem die biblischen und legendarischen Historien von vornherein Jedermann bekannt waren, für alles Uebrige aber war Italien im Vortheil. Für die Re- citationen einzelner heiliger oder profan-idealer Gestalten besaß es eine volltönende lyrische Poesie, welche Groß und Klein gleichmäßig hinreißen konnte Der Dialog der Mysterien bewegte sich gern in Ottaven, der Mo- nolog in Terzinen. . Sodann verstand der größte Theil der Zuschauer (in den Städten) die my- thologischen Figuren und errieth wenigstens leichter als während des XIV. Jahrh. ( Anonymus de laudibus Papiæ, bei Murat. XI, Col. 34, s. ) 26* 5. Abschnitt. irgendwo die allegorischen und geschichtlichen, weil sie einem allverbreiteten Bildungskreise entnommen waren. Die Allegorie in Literatur u. Kunst. Dieß bedarf einer nähern Bestimmung. Das ganze Mittelalter war die Zeit des Allegorisirens in vorzugsweisem Sinne gewesen; seine Theologie und Philosophie behandelte ihre Kategorien dergestalt als selbständige Wesen Wobei man nicht einmal an den Realismus der Scholastiker zu den- ken braucht. , daß Dichtung und Kunst es scheinbar leicht hatten, dasjenige bei- zufügen was noch zur Persönlichkeit fehlte. Hierin stehen alle Länder des Occidents auf gleicher Stufe; aus ihrer Gedankenwelt können sich überall Gestalten erzeugen, nur daß Ausstattung und Attribute in der Regel räthselhaft und unpopulär ausfallen werden. Letzteres ist auch in Italien häufig der Fall, und zwar selbst während der ganzen Renaissance und noch über dieselbe hinaus. Es ge- nügt dazu, daß irgend ein Prädicat der betreffenden alle- gorischen Gestalt auf unrichtige Weise durch ein Attribut übersetzt werde. Selbst Dante ist durchaus nicht frei von solchen falschen Uebertragungen Dahin darf man es z. B. rechnen, wenn er Bilder auf Metaphern baut, wenn an der Pforte des Fegefeuers die mittlere, geborstene Stufe die Zerknirschung des Herzens bedeuten soll ( Purgat. IX, 97), während doch die Steinplatte durch das Bersten ihren Werth als Stufe verliert; oder wenn ( Purgat. XVIII, 94) die auf Erden Lässigen ihre Buße im Jenseits durch Rennen bezeigen müssen, während doch das Rennen auch ein Zeichen der Flucht ꝛc. sein könnte. , und aus der Dunkelheit seiner Allegorien überhaupt hat er sich bekanntlich eine wahre Ehre gemacht Inferno IX, 61. Purgat. VIII, 19. . Petrarca in seinen Trionfi will wenigstens die Gestalten des Amor, der Keuschheit, des Todes, der Fama ꝛc. deutlich, wenn auch in Kürze schildern. Andere dagegen überladen ihre Allegorien mit lauter ver- fehlten Attributen. In den Satiren des Vinciguerra Poesie satiriche, ed. Milan. p. 70, s. — Vom Ende des XV. Jahrh. z. B. wird der Neid mit „rauhen eisernen Zähnen“, die 5. Abschnitt. Gefräßigkeit als sich auf die Lippen beißend, mit wirrem struppigem Haar ꝛc. geschildert, letzteres wahrscheinlich um sie als gleichgültig gegen alles was nicht Essen ist, zu be- zeichnen. Wie übel sich vollends die bildende Kunst bei solchen Mißverständnissen befand, können wir hier nicht erörtern. Sie durfte sich wie die Poesie glücklich schätzen, wenn die Allegorie durch eine mythologische Gestalt, d. h. durch eine vom Alterthum her vor der Absurdität gesicherte Kunstform ausgedrückt werden konnte, wenn statt des Krieges Mars, statt der Jagdlust Diana Letzeres z. B. in der venatio des Card. Adriano da Corneto. Es soll darin Ascanio Sforza durch das Jagdvergnügen über den Sturz seines Hauses getröstet werden. — Vgl. S. 257. ꝛc. zu gebrauchen war. Nun gab es in Kunst und Dichtung auch besser ge- Die Allegorie bei den Festen. lungene Allegorien, und von denjenigen Figuren dieser Art, welche bei italienischen Festzügen auftraten, wird man we- nigstens annehmen dürfen, daß das Publicum sie deutlich und sprechend characterisirt verlangte, weil es durch seine sonstige Bildung angeleitet war, dergleichen zu verstehen. Auswärts, zumal am burgundischen Hofe, ließ man sich damals noch sehr undeutsame Figuren, auch bloße Sym- bole gefallen, weil es noch eine Sache der Vornehmheit war, eingeweiht zu sein oder zu scheinen. Bei dem be- rühmten Fasanengelübde von 1453 Eigentlich 1454. Vgl. Olivier de la Marche, mémoires, chap. 29. ist die schöne junge Reiterin, welche als Freudenkönigin daherzieht, die einzige erfreuliche Allegorie; die colossalen Tischaufsätze mit Auto- maten und lebendigen Personen sind entweder bloße Spie- lereien oder mit einer platten moralischen Zwangsauslegung behaftet. In einer nackten weiblichen Statue am Buffet, die ein lebendiger Löwe hütete, sollte man Constantinopel und seinen künftigen Retter, den Herzog von Burgund ahnen. Der Rest, mit Ausnahme einer Pantomime (Jason in Kolchis) erscheint entweder sehr tiefsinnig oder ganz sinn- 5. Abschnitt. los; der Beschreiber des Festes, Olivier selbst, kam als „Kirche“ costumirt in dem Thurm auf dem Rücken eines Elephanten, den ein Riese führte, und sang eine lange Klage über den Sieg der Ungläubigen Für andere französische Feste s. z. B Juvénal des Ursins ad a. 1389 (Einzug der Königin Isabeau); — Jean de Troyes ad a. 1461 (Einzug Ludwigs XI. ). Auch hier fehlt es nicht ganz an Schwebemaschinen, an lebendigen Statuen u. dgl., aber Alles ist bunter, zusammenhangloser und die Allegorien meist unergründlich. . Repräsentanten des Allgemeinen. Wenn aber aber auch die Allegorien der italienischen Dichtungen, Kunstwerke und Feste an Geschmack und Zu- sammenhang im Ganzen höher stehen, so bilden sie doch nicht die starke Seite. Der entscheidende Vortheil D. h. ein Vortheil für sehr große Dichter und Künstler, die etwas damit anzufangen wußten. lag viel mehr darin, daß man hier außer den Personificationen des Allgemeinen auch historische Repräsentanten desselben Allgemeinen in Menge kannte, daß man an die dichterische Aufzählung wie an die künstlerische Darstellung zahlreicher berühmter Individuen gewöhnt war. Die göttliche Comödie, die Trionfi des Petrarca, die Amorosa Visione des Boc- caccio — lauter Werke, welche hierauf gegründet sind — außerdem die ganze große Ausweitung der Bildung durch das Alterthum hatten die Nation mit diesem historischen Element vertraut gemacht. Und nun erschienen diese Ge- stalten auch bei Festzügen entweder völlig individualisirt, als bestimmte Masken, oder wenigstens als Gruppen, als characteristisches Geleite einer allegorischen Hauptfigur oder Hauptsache. Man lernte dabei überhaupt gruppenweise componiren, zu einer Zeit, da die prachtvollsten Aufführun- gen im Norden zwischen unergründliche Symbolik und buntes sinnloses Spiel getheilt waren. Die Mysterien, Wir beginnen mit der vielleicht ältesten Gattung, den Mysterien Vgl. Bartol. Gamba, notizie intorno alle opere di Feo Bel- . Sie gleichen im Ganzen denjenigen des übrigen Europa; auch hier werden auf öffentlichen Plätzen, 5. Abschnitt. in Kirchen, in Klosterkreuzgängen große Gerüste errichtet, welche oben ein verschließbares Paradies, ganz unten bis- weilen eine Hölle enthalten und dazwischen die eigentliche Scena, welche sämmtliche irdische Localitäten des Drama's neben einander darstellt; auch hier beginnt das biblische oder legendarische Drama nicht selten mit einem theologi- schen Vordialog von Aposteln, Kirchenvätern, Propheten, Sibyllen und Tugenden und schließt je nach Umständen mit einem Tanz. Daß die halbkomischen Intermezzi von Ne- benpersonen in Italien ebenfalls nicht fehlen, scheint sich von selbst zu verstehen, doch tritt dies Element nicht so derb hervor wie im Norden Freilich schloß ein Mysterium vom bethlehemit. Kindermord in einer Kirche von Siena damit, daß die unglücklichen Mütter einander bei den Haaren nehmen mußten. Della Valle, lettere sanesi, III, p. 53. — Es war ein Hauptstreben des eben genannten Feo Belcari (st. 1484), die Mysterien von solchen Auswüchsen zu reinigen. . Für das Auf- und Nieder- schweben auf künstlichen Maschinen, einen Hauptreiz aller Schaulust, war in Italien wahrscheinlich die Uebung viel größer als anderswo, und bei den Florentinern gab es schon im XIV. Jahrhundert spöttische Reden, wenn die Sache nicht ganz geschickt ging Franco Sacchetti, Nov. 72. . Bald darauf erfand Brunellesco für das Annunziatenfest auf Piazza S. Felice jenen unbeschreib- lich kunstreichen Apparat einer von zwei Engelkreisen um- schwebten Himmelskugel, von welcher Gabriel in einer mandelförmigen Maschine niederflog, und Cecca gab Ideen und Mechanik für ähnliche Feste an Vasari III, 232, s. vita di Brunellesco. V, 36, s. vita del Cecca. Vgl. V, 52. vita di Don Bartolommeo. . Die geistlichen cari, Milano 1808, und bes. die Einleitung der Schrift: le rap- presentazioni di Feo Belcari ed altre di lui poesie, Firenze 1833. — Als Parallele die Einleitung des Bibliophile Jacob zu seiner Ausgabe des Pathelin. 5. Abschnitt. Brüderschaften, oder die Quartiere, welche die Besorgung und zum Theil die Aufführung selbst übernahmen, verlang- ten je nach Maßgabe ihres Reichthums wenigstens in den und ihre Aus- stattung. größern Städten den Aufwand aller erreichbaren Mittel der Kunst. Ebendasselbe darf man voraussetzen, wenn bei großen fürstlichen Festen neben dem weltlichen Drama oder der Pantomime auch noch Mysterien aufgeführt werden. Der Hof des Pietro Riario (S. 107), der von Ferrara ꝛc. ließen es dabei gewiß nicht an der ersinnlichsten Pracht fehlen Arch. stor. Append. II, p. 310. Das Mysterium von Mariä Verkündigung in Ferrara bei der Hochzeit des Alfonso, mit kunst- reichen Schwebemaschinen und Feuerwerk. Die Aufführung der Su- sanna, des Täufers Johannes und einer Legende beim Card. Riario s. bei Corio, fol. 417. Das Mysterium von Constantin d. Gr., im päpstlichen Palast, Carneval 1484, s. bei Jac. Volaterran., Murat. XXIII, Col. 194. . Vergegenwärtigt man sich das scenische Talent und die reichen Trachten der Schauspieler, die Darstellung der Oertlichkeiten durch ideale Decorationen des damaligen Baustyls, durch Laubwerk und Teppiche, endlich als Hinter- grund die Prachtbauten der Piazza einer großen Stadt oder die lichten Säulenhallen eines Palasthofes, eines großen Klosterhofes, so ergiebt sich ein überaus reiches Bild. Wie aber das weltliche Drama eben durch eine solche Ausstattung zu Schaden kam, so ist auch wohl die höhere poetische Ent- wicklung des Mysteriums selber durch dieses unmäßige Vor- drängen der Schaulust gehemmt worden. In den erhal- tenen Texten findet man ein meist sehr dürftiges dramatisches Gewebe mit einzelnen schönen lyrisch-rhetorischen Stellen, aber nichts von jenem großartigen symbolischen Schwung, der die „Autos sagramentales“ eines Calderon auszeichnet. Bisweilen mag in kleinern Städten, bei ärmerer Aus- stattung, die Wirkung dieser geistlichen Dramen auf das Gemüth eine stärkere gewesen sein. Es kommt vor Graziani, cronaca di Perugia, Arch. stor. XVI, I, p. 598. , daß einer jener großen Bußprediger, von welchen im letzten Ab- 5. Abschnitt. schnitt die Rede sein wird, Roberto da Lecce, den Kreis seiner Fastenpredigten während der Pestzeit 1448 in Perugia mit einer Charfreitagsaufführung der Passion beschließt; nur wenige Personen traten auf, aber das ganze Volk weinte laut. Freilich kamen bei solchen Anlässen Rührungs- mittel zur Anwendung, welche dem Gebiet des herbsten Naturalismus entnommen waren. Es bildet eine Parallele zu den Gemälden eines Matteo da Siena, zu den Thon- gruppen eines Guido Mazzoni, wenn der den Christus vorstellende Autor mit Striemen bedeckt und scheinbar Blut schwitzend, ja aus der Seitenwunde blutend auftreten mußte Für letzteres z. B. Pii II. comment., L. VIII., p. 383. 386. — Auch die Poesie des XV. Jahrh. stimmt bisweilen denselben rohen Ton an. Eine Canzone des Andrea da Basso constatirt bis ins Einzelne die Verwesung der Leiche einer hartherzigen Geliebten. Freilich in einem Klosterdrama des XII. Jahrh. hatte man sogar auf der Scene gesehen wie König Herodes von den Würmern ge- fressen wird. Carmina Burana, p. 80, s. . Die besondern Anlässe zur Aufführung von Mysterien, Anlässe zu My- sterien. abgesehen von gewissen großen Kirchenfesten, fürstlichen Ver- mählungen ꝛc. sind sehr verschieden. Als z. B. S. Ber- nardino von Siena durch den Papst heilig gesprochen wurde (1450), gab es, wahrscheinlich auf dem großen Platz seiner Vaterstadt, eine Art von dramatischer Nachahmung (rap- presentazione) seiner Canonisation Allegretto, Diarî sanesi, bei Murat. XXIII, Col. 767. , nebst Speise und Trank für Jedermann. Oder ein gelehrter Mönch feiert seine Promotion zum Doctor der Theologie durch Aufführung der Legende des Stadtpatrons Matarazzo, arch. stor. XVI, II, p. 36. . König Carl VIII. war kaum nach Italien hinabgestiegen, als ihn die Herzogin Wittwe Blanca von Savoyen zu Turin mit einer Art von Bei der Kreuzigung wurde eine bereit gehaltene Figur unterge- schoben. 5. Abschnitt. halbgeistlicher Pantomime empfing Auszüge aus dem Vergier d'honneur bei Roscoe, Leone X, ed. Bossi, I, p. 220 und III, p. 263. , wobei zuerst eine Hirtenscene „das Gesetz der Natur“, dann ein Zug der Erzväter „das Gesetz der Gnade“ vorzustellen censirt war; darauf folgten die Geschichten des Lancelot vom See, und die „von Athen“. Und so wie der König nur in Chieri anlangte, wartete man ihm wieder mit einer Pantomime auf, die ein Wochenbette mit vornehmem Besuch darstellte. Fronleichnam. Wenn aber irgend ein Kirchenfest einen allgemeinen Anspruch auf die höchste Anstrengung hatte, so war es Fronleichnam, an dessen Feier sich ja in Spanien jene be- sondere Gattung von Poesie (S. 408) anschloß. Für Ita- lien besitzen wir wenigstens die pomphafte Schilderung des Corpus Domini, welches Pius II. 1462 in Viterbo abhielt Pii II, Comment. L. VIII, p. 382, s. — Ein ähnliches beson- ders prächtiges Fronleichnamsfest wird erwähnt von Bursellis, Annal. Bonon., bei Murat. XXIII, Col. 911, zum J. 1492. . Der Zug selber, welcher sich von einem colossalen Pracht- zelt vor S. Francesco durch die Hauptstraße nach dem Domplatz bewegte, war das wenigste dabei; die Cardinäle und reichern Prälaten hatten den Weg stückweise unter sich vertheilt und nicht nur für fortlaufende Schattentücher, Mauerteppiche Bei solchen Anlässen mußte es heißen: Nulla di muro si potea vedere. , Kränze u. dgl. gesorgt, sondern lauter eigene Schaubühnen errichtet, wo während des Zuges kurze historische und allegorische Scenen aufgeführt wurden. Man ersieht aus dem Bericht nicht ganz klar, ob Alles von Men- schen oder Einiges von drapirten Figuren dargestellt wurde Dasselbe gilt von manchen ähnlichen Schilderungen. ; jedenfalls war der Aufwand sehr groß. Da sah man einen leidenden Christus zwischen singenden Engelknaben; ein Abendmahl in Verbindung mit Gestalt des S. Thomas von Aquino; den Kampf des Erzengels Michael mit den Dämonen; Brunnen mit Wein und Orchester von Engeln; 5. Abschnitt. ein Grab des Herrn mit der ganzen Scene der Auferstehung; endlich auf dem Domplatz das Grab der Maria, welches sich nach dem Hochamt und dem Segen eröffnete; von Engeln getragen schwebte die Mutter Gottes singend nach dem Paradies, wo Christus sie krönte und dem ewigen Vater zuführte. In der Reihe jener Scenen an der Hauptstraße sticht Kanonade. diejenige des Cardinal Vicekanzlers Roderigo Borgia — des spätern Alexander VI. — besonders hervor durch Pomp und dunkle Allegorie Fünf Könige mit Bewaffneten, ein Waldmensch, der mit einem (ge- zähmten?) Löwen kämpfte, letzteres vielleicht mit Bezug auf den Namen des Papstes, Sylvius. . Außerdem tritt dabei die damals beginnende Vorliebe für festlichen Kanonendonner Beispiele unter Sixtus IV, Jac. Volaterran., bei Murat. XXIII, Col. 134. 139. Auch beim Amtsantritt Alexanders VI. wurde furchtbar kanonirt. — Das Feuerwerk, eine schönere Erfindung des italienischen Festwesens, gehört sammt der festlichen Decoration eher in die Kunstgeschichte als hieher. — Ebenso die prächtige Beleuch- tung (vgl. S. 317), welche bei manchen Festen gerühmt wird, und selbst die Tischaufsätze und Jagdtrophäen. zu Tage, welche dem Haus Borgia noch ganz besonders eigen war. Kürzer geht Pius II. hinweg über die in demselben Jahr zu Rom abgehaltene Procession mit dem aus Grie- chenland erworbenen Schädel des h. Andreas. Auch dabei zeichnete sich Roderigo Borgia durch besondere Pracht aus, sonst aber hatte das Fest etwas Profanes, indem sich außer den nie fehlenden Musikengeln auch noch andere Masken zeigten, auch „starke Männer“, d. h. Herculesse, welche allerlei Turnkünste mögen vorgebracht haben. Die rein oder überwiegend weltlichen Aufführungen Weltliche Auf- führungen. waren besonders an den größern Fürstenhöfen ganz wesent- lich auf die geschmackvolle Pracht des Anblicks berechnet, 5. Abschnitt. dessen einzelne Elemente in einem mythologischen und alle- gorischen Zusammenhang standen, soweit ein solcher sich gerne und angenehm errathen ließ. Das Barocke fehlte nicht; riesige Thierfiguren, aus welchen plötzlich Schaaren von Masken herauskamen, wie z. B. bei einem fürstlichen Empfang (1465) zu Siena Allegretto, bei Murat. XXIII, Col. 772. — Vgl. außerdem Col. 772, den Empfang Pius II, 1459. aus einer goldenen Wölfinn ein ganzes Ballet von zwölf Personen hervorstieg; belebte Tafelaufsätze, wenn auch nicht in der sinnlosen Dimension wie beim Herzog von Burgund (S. 405); das Meiste aber hatte einen künstlerischen und poetischen Zug. Die Ver- mischung des Drama's mit der Pantomime am Hofe von Ferrara wurde bereits bei Anlaß der Poesie (S. 316) ge- schildert. Weltberühmt waren dann die Festlichkeiten, welche Bei Cardinal Riario. Cardinal Pietro Riario 1473 in Rom gab, bei der Durch- reise der zur Braut des Prinzen Ercole von Ferrara be- stimmten Lianora von Aragon Corio, fol. 417, s. — Infessura, bei Eccard, scriptt. II, Col. 1896. — Strozii poetæ, p. 193, in den Aeolostichen. Vgl. S. 47, 52. . Die eigentlichen Dramen sind hier noch lauter Mysterien kirchlichen Inhalts, die Pan- tomimen dagegen mythologisch; man sah Orpheus mit den Thieren, Perseus und Andromeda, Ceres von Drachen, Bacchus und Ariadne von Panthern gezogen, dann die Er- ziehung des Achill; hierauf ein Ballet der berühmten Lie- bespaare der Urzeit und einer Schaar von Nymphen; dieses wurde unterbrochen durch einen Ueberfall räuberischer Cen- tauren, welche dann Hercules besiegte und von dannen jagte. Eine Kleinigkeit, aber für den damaligen Formen- sinn bezeichnend, ist folgende: Wenn bei allen Festen lebende Figuren als Statuen in Nischen, auf und an Pfeilern und Triumphbogen vorkamen und sich dann doch mit Gesang und Declamation als lebend erwiesen, so waren sie dazu durch natürliche Farbe und Gewandung berechtigt; in den Sälen des Riario aber fand sich unter andern ein lebendes 5. Abschnitt. und doch völlig vergoldetes Kind, welches aus einem Brunnen Wasser um sich spritzte Vasari XI, p. 37, vita di Puntormo erzählt, wie ein solches Kind 1513 bei einem florentinischen Fest an den Folgen der An- strengung — oder vielleicht der Vergoldung? — starb. Der arme Knabe hatte „das goldene Zeitalter“ vorstellen müssen. . Andere glänzende Pantomimen dieser Art gab es in In Bologna. Bologna bei der Hochzeit des Annibale Bentivoglio mit Lucrezia von Este Phil. Beroaldi orationes; nuptiæ Bentivoleæ. ; statt des Orchesters wurden Chöre gesungen, während die Schönste aus Dianens Nymphen- schaar zur Juno Pronuba hinüberfloh, während Venus mit einem Löwen, d. h. hier nur einem täuschend verkappten Menschen, sich unter einem Ballet wilder Männer bewegte; dabei stellte die Decoration ganz naturwahr einen Hain vor. In Venedig feierte man 1491 die Anwesenheit estensischer Fürstinnen M. Anton. Sabellici Epist. L. III. fol. 17. durch Einholung mit den Bucintoro, Wett- rudern und eine prächtige Pantomime „Meleager“ im Hof des Dogenpalastes. In Mailand leitete Lionardo da Vinci Amoretti, Memorie etc. su Lionardo da Vinci p. 38, s. Die Feste Lio- nardo's. die Feste des Herzogs und auch diejenigen anderer Großen; eine seiner Maschinen, welche wohl mit derjenigen des Bru- nellesco (S. 407) wetteifern mochte, stellte in colossaler Größe das Himmelssystem in voller Bewegung dar; jedes- mal wenn sich ein Planet der Braut des jüngern Herzogs, Isabella, näherte, trat der betreffende Gott aus der Kugel hervor Wie die Astrologie dieß Jahrhundert bis in die Feste hinein verfolgte, zeigen auch die (undeutlich geschilderten) Planetenaufzüge beim Em- pfang fürstlicher Bräute in Ferrara. Diario Ferrarese, bei Mu- ratori XXIV, Col. 248, ad a. 1473. Col. 282, ad a. 1491. — Ebenso in Mantua. Arch. stor. append. II, p. 233. und sang die vom Hofdichter Bellincioni gedichteten Verse (1489). Bei einem andern Feste (1493) paradirte 5. Abschnitt. unter andern schon das Modell zur Reiterstatue des Fran- cesco Sforza, und zwar unter einem Triumphbogen auf dem Castellplatz. Aus Vasari ist weiter bekannt, mit welch sinnreichen Automaten Lionardo in der Folge die französi- schen Könige als Herrn von Mailand bewillkommen half. Aber auch in kleinern Städten strengte man sich bisweilen Empfang eines neuen Fürsten. sehr an. Als Herzog Borso (S. 50) 1453 zur Huldigung nach Reggio kam Annal. Estens. bei Murat. XX, Col. 468, s. Die Beschreibung ist undeutlich, und überdieß nach einer incorrecten Abschrift gedruckt. , empfing man ihn am Thor mit einer großen Maschine, auf welcher S. Prospero, der Stadt- patron, zu schweben schien, überschattet durch einen von Engeln gehaltenen Baldachin, unter ihm eine drehende Scheibe mit acht Musikengeln, deren zwei sich hierauf von dem Heiligen die Stadtschlüssel und das Scepter erbaten, um beides dem Herzog zu überreichen. Dann folgte ein durch verdeckte Pferde bewegbares Gerüst, welches einen leeren Thron enthielt, hinten eine stehende Justitia mit einem Genius als Diener, an den Ecken vier greise Gesetzgeber, umgeben von sechs Engeln mit Fahnen; zu beiden Seiten geharnischte Reiter, ebenfalls mit Fahnen; es versteht sich, daß der Genius und die Göttin den Herzog nicht ohne Anrede ziehen ließen. Ein zweiter Wagen, wie es scheint, von einem Einhorn gezogen, trug eine Caritas mit bren- nender Fackel; dazwischen aber hatte man sich das antike Vergnügen eines von verborgenen Menschen vorwärts ge- triebenen Schiffwagens nicht versagen mögen. Dieser und die beiden Allegorien zogen nun dem Herzog voran; aber schon vor S. Pietro wurde wieder stille gehalten; ein heil. Petrus schwebte mit zwei Engeln in einer runden Glorie von der Fassade hernieder bis zum Herzog, setzte ihm einen Lorbeerkranz auf und schwebte wieder empor Man erfährt, daß die Stricke dieser Maschinerie als Guirlanden maskirt waren. . Auch noch für eine andere rein kirchliche Allegorie hatte der Clerus 5. Abschnitt. hier gesorgt; auf zwei hohen Säulen standen „der Götzen- dienst“ und die „Fides“; nachdem letztere, ein schönes Mäd- chen, ihren Gruß hergesagt, stürzte die andere Säule sammt ihrer Puppe zusammen. Weiterhin begegnete man einem „Cäsar“ mit sieben schönen Weibern, welche er dem Borso als die Tugenden präsentirte, welche derselbe zu erstreben habe. Endlich gelangte man zum Dom, nach dem Gottes- dienst aber nahm Borso wieder draußen auf einem hohen goldenen Throne Platz, wo ein Theil der schon genannten Masken ihn noch einmal becomplimentirten. Den Schluß machten drei von einem nahen Gebäude niederschwebende Engel, welche ihm unter holdem Gesange Palmzweige als Sinnbilder des Friedens überreichten. Betrachten wir nun diejenigen Festlichkeiten, wobei der bewegte Zug selber die Hauptsache ist. Ohne Zweifel gewährten die kirchlichen Processionen Die Procession. seit dem frühen Mittelalter einen Anlaß zur Maskirung, mochten nun Engelkinder das Sacrament, die herumgetra- genen heiligen Bilder und Reliquien begleiten, oder Personen der Passion im Zuge mitgehen, etwa Christus mit dem Kreuz, die Schächer und Kriegsknechte, die heiligen Frauen. Allein mit großen Kirchenfesten verbindet sich schon frühe die Idee eines städtischen Aufzuges, der nach der naiven Art des Mittelalters eine Menge profaner Bestandtheile verträgt. Merkwürdig ist besonders der aus dem Heiden- thum herübergenommene Eigentlich das Isisschiff, das am 5. März als Symbol der wieder eröffneten Meerfahrt ins Wasser gelassen wird. — Die Analogien im deutschen Cult s. bei Jac. Grimm, deutsche Mythologie. Schiffwagen, carrus navalis , der, wie schon an einem Beispiel bemerkt wurde, bei Festen sehr verschiedener Art mitgeführt werden mochte, dessen Name aber vorzugsweise auf dem „Carneval“ haften blieb. 5. Abschnitt. Ein solches Schiff konnte freilich als heiter ausgestattetes Prachtstück die Beschauer vergnügen, ohne daß man sich irgend noch der frühern Bedeutung bewußt war, und als z. B. Isabella von England mit ihrem Bräutigam Kaiser Friedrich II. in Köln zusammenkam, fuhren ihr eine ganze Anzahl von Schiffwagen mit musicirenden Geistlichen, von verdeckten Pferden gezogen, entgegen. Aber die kirchliche Procession konnte nicht nur durch Zuthaten aller Art verherrlicht, sondern auch durch einen Zug geistlicher Marken gradezu ersetzt werden. Einen An- laß hiezu gewährte vielleicht schon der Zug der zu einem Mysterium gehenden Schauspieler durch die Hauptstraßen einer Stadt, frühe aber möchte sich eine Gattung geistlicher Festzüge auch unabhängig hievon gebildet haben. Dante schildert Purgatorio XXIX, 43 bis Ende, und XXX, Anfang. — Der Wagen ist laut Vs. 115 herrlicher als der Triumphwagen des Scipio, des Augustus, ja als der des Sonnengottes. den „ trionfo “ der Beatrice mit den vierund- zwanzig Aeltesten der Offenbarung, den vier mystischen Thieren, den drei christlichen und den vier Cardinaltugenden, S. Lucas, S. Paulus und andern Aposteln, in einer sol- chen Weise, daß man beinahe genöthigt ist, das wirkliche Uebergang in den Trionfo. frühe Vorkommen solcher Züge vorauszusetzen. Dieß ver- räth sich hauptsächlich durch den Wagen, auf welchem Bea- trice fährt, und welcher in dem visionären Wunderwald nicht nöthig wäre, ja auffallend heißen darf. Oder hat Dante etwa den Wagen nur als wesentliches Symbol des Triumphirens betrachtet? und ist vollends erst sein Ge- dicht die Anregung zu solchen Zügen geworden, deren Form von dem Triumph römischer Imperatoren entlehnt war? Wie dem nun auch sei, jedenfalls haben Poesie und Theo- logie an dem Sinnbilde mit Vorliebe festgehalten. Sa- vonarola in seinem „Triumph des Kreuzes“ stellt Ranke, Gesch. der roman. und german. Völker, S. 119. Christus auf einem Triumphwagen vor, über ihm die leuchtende 5. Abschnitt. Kugel der Dreifaltigkeit, in seiner Linken das Kreuz, in seiner Rechten die beiden Testamente; tiefer hinab die Jung- frau Maria; vor dem Wagen Patriarchen, Propheten, Apostel und Prediger; zu beiden Seiten die Märtyrer und die Doctoren mit den aufgeschlagenen Büchern; hinter ihm alles Volk der Bekehrten; in weiterer Entfernung die un- zähligen Haufen der Feinde, Kaiser, Mächtige, Philosophen, Ketzer, alle besiegt, ihre Götzenbilder zerstört, ihre Bücher verbrannt. (Eine als Holzschnitt bekannte große Compo- sition Tizian's kommt dieser Schilderung ziemlich nahe.) Von Sabellico's (S. 63, f.) dreizehn Elegien auf die Mutter Gottes enthalten die neunte und die zehnte einen umständ- lichen Triumphzug derselben, reich mit Allegorien ausge- stattet, und hauptsächlich interessant durch denselben anti- visionären, räumlich wirklichen Character, den die realistische Malerei des XV. Jahrhunderts solchen Scenen mittheilt. Weit häufiger aber als diese geistlichen Trionfi waren Der weltliche Trionfo. jedenfalls die weltlichen, nach dem unmittelbaren Vorbild eines römischen Imperatorenzuges, wie man es aus antiken Reliefs kannte und aus den Schriftstellern ergänzte. Die Geschichtsanschauung der damaligen Italiener, womit dieß zu- sammenhing, ist oben (S. 142, 175, f.) geschildert worden. Zunächst gab es hie und da wirkliche Einzüge siegreicher Eroberer, welche man möglichst jenem Vorbilde zu nähern suchte, auch gegen den Geschmack des Triumphators selbst. Francesco Sforza hatte (1450) die Kraft, bei seinem Ein- zug in Mailand den bereit gehaltenen Triumphwagen aus- zuschlagen, indem dergleichen ein Aberglaube der Könige Alfonso's Ein- zug in Neapel. sei Corio, fol. 401: dicendo, tali cose essere superstitioni de' Re. — Vgl. Cagnola, Arch. stor. III, p. 127. . Alfonso der Große, bei seinem Einzug S. oben S. 221. — Vgl. S. 9, Anm. — Triumphus Alphonsi, als Beilage zu den Dicta et Facta, von Panormita. — Eine in Neapel Cultur der Renaissance. 27 5. Abschnitt. (1443) enthielt sich wenigstens des Lorbeerkranzes, welchen bekanntlich Napoleon bei seiner Krönung in Notredame nicht verschmähte. Im Uebrigen war Alfonso's Zug (durch eine Mauerbresche und dann durch die Stadt bis zum Dom) ein wundersames Gemisch von antiken, allegorischen und rein possirlichen Bestandtheilen. Der von vier weißen Pferden gezogene Wagen, auf welchem er thronend saß, war gewal- lig hoch und ganz vergoldet; zwanzig Patrizier trugen die Stangen des Baldachins von Goldstoff, in dessen Schatten er einherfuhr. Der Theil des Zuges, den die anwesenden Florentiner übernommen hatten, bestand zunächst aus ele- ganten jungen Reitern, welche kunstreich ihre Speere schwan- gen, aus einem Wagen mit der Fortuna und aus sieben Tugenden zu Pferde. Die Glücksgöttin Es gehört zu den rechten Naivetäten der Renaissance, daß man der Fortuna eine solche Stelle anweisen durfte. Beim Einzug des Massimiliano Sforza in Mailand (1512) stand sie als Hauptfigur eines Triumphbogens über der Fama, Speranza, Audacia und Penitenza; lauter lebendige Personen. Vgl. Prato, Arch. stor. III, p. 305. war nach der- selben unerbittlichen Allegorik, welcher sich damals auch die Künstler bisweilen fügten, nur am Vorderhaupt behaart, hinten kahl, und der auf einem untern Absatz des Wagens befindliche Genius, welcher das leichte Zerrinnen des Glückes vorstellte, mußte deßhalb die Füße in einem Wasserbecken stehen (?) haben. Dann folgte, von derselben Nation ausge- stattet, eine Schaar von Reitern in den Trachten verschie- dener Völker, auch als fremde Fürsten und Große costumirt, und nun auf hohem Wagen, über einer drehenden Welt- kugel ein lorbeergekrönter Julius Cäsar Der oben S. 414 geschilderte Einzug des Borso von Este in Reggio zeigt, welchen Eindruck der alfonsinische Triumph in ganz Italien gemacht hatte. , welcher dem Scheu vor allzugroßem triumphalem Glanz zeigt sich schon bei den tapfern Komnenen. Vgl. Cinnamus I, 5. VI, 1. König in italienischen Versen alle bisherigen Allegorien er- 5. Abschnitt. klärte und sich dann dem Zuge einordnete. Sechzig Flo- rentiner, alle in Purpur und Scharlach, machten den Beschluß dieser prächtigen Exhibition der festkundigen Heimath. Dann aber kam eine Schaar von Catalanen zu Fuß, mit vorn und hinten angebundenen Scheinpferdchen und führten gegen eine Türkenschaar ein Scheingefecht auf, ganz als sollte das florentinische Pathos verspottet werden. Darauf fuhr ein gewaltiger Thurm einher, dessen Thür von einem Engel mit einem Schwert bewacht wurde; oben standen wiederum vier Tugenden, welche den König, jede besonders, ansangen. Der übrige Pomp des Zuges war nicht besonders charac- teristisch. Beim Einzug Ludwigs XII. in Mailand 1507 Prato, Arch. stor. III, p. 260. gab es außer dem unvermeidlichen Wagen mit Tugenden auch ein lebendes Bild: Jupiter, Mars und eine von einem großen Netz umgebene Italia; hernach kam ein mit Tro- phäen beladener Wagen u. s. w. Wo aber in Wirklichkeit keine Siegeszüge zu feiern Der Siegeszug in der Poefie. waren, da hielt die Poesie sich und die Fürsten schadlos. Petrarca und Boccaccio hatten (S. 406) die Repräsentanten jeder Art von Ruhm als Begleiter und Umgebung einer allegorischen Gestalt aufgezählt; jetzt werden die Celebritäten der ganzen Vorzeit zum Gefolge von Fürsten. Die Dichterin Cleofe Gabrielli von Gubbio besang Ihre drei Capitoli in Terzinen, Anecdota litt. IV, p. 461, s. in diesem Sinne den Borso von Ferrara. Sie gab ihm zum Geleit sieben Königinnen (die freien Künste nämlich), mit welchen er einen Wagen besteigt, ferner ganze Schaaren von Helden, welche zu leichterer Unterscheidung ihre Namen an der Stirn geschrieben tragen; hernach folgen alle berühmten Dichter; die Götter aber kommen auf Wagen mitgefahren. Um diese Zeit ist überbaupt des mythologischen und alle- 27* 5. Abschnitt. gorischen Herumkutschirens kein Ende, und auch das wich- tigste erhaltene Kunstwerk aus Borso's Zeit, der Fresken- cyclus im Palast Schifanoja, weist einen ganzen Fries dieses Inhalts auf Auch Tafelbilder ähnlichen Inhalts kommen nicht selten vor, gewiß oft als Erinnerung an wirkliche Maskeraden. Die Großen gewöhn- ten sich bald bei jeder Feierlichkeit an's Fahren. Annibale Benti- voglio, der älteste Sohn des Stadtherrn von Bologna, fährt als Kampfrichter von einem ordinären Waffenspiel nach dem Palast cum triumpho more romano. Bursellis, l. c. Col. 909, ad a. 1490. . Rafael, als er die Camera della Segnatura auszumalen hatte, bekam überhaupt diesen ganzen Gedankenkreis schon in recht ausgelebter, entweihter Gestalt in seine Hände. Wie er ihm eine neue und letzte Weihe gab, wird denn auch ein Gegenstand ewiger Bewunderung bleiben. Die eigentlichen triumphalen Einzüge von Eroberern waren nur Ausnahmen. Jeder festliche Zug aber, mochte er irgend ein Ereigniß verherrlichen oder nur um seiner selber willen vorhanden sein, nahm mehr oder weniger den Character und fast immer den Namen eines Trionfo an. Es ist ein Wunder, daß man nicht auch die Leichenbegäng- nisse in diesen Kreis hineinzog Bei der merkwürdigen Leichenfeier des 1437 vergifteten Malatesta Baglione zu Perugia (Graziani, arch. stor. XVI, I, p. 413) wird man beinahe an den Leichenpomp des alten Etruriens erinnert. Indeß gehören die Trauerritter u. dgl. der allgemeinen abendländi- schen Adelssitte an. Vgl. z. B.: Die Erequien des Bertrand Du- guesclin bei Juvénal des Ursins, ad a. 1389. — S. auch Gra- ziani, l. c. p. 360. . Triumphe be- rühmter Römer. Für's Erste führte man am Carneval und bei andern Anlässen Triumphe bestimmter altrömischer Feldherrn auf. So in Florenz den des Paulus Aemilius (unter Lorenzo magnifico), den des Camillus (beim Besuch Leo's X. ), beide unter der Leitung des Malers Francesco Granacci Vasari, IX, p. 218, vita di Granacci. . In Rom war das erste vollständig ausgestattete Fest dieser Art 5. Abschnitt. der Triumph des Augustus nach dem Siege über Cleopatra Mich. Cannesius, vita Pauli II, bei Murat. III, II, Col. 118, s. , unter Paul II. , wobei außer heitern und mythologischen Masken (die ja auch den antiken Triumphen nicht fehlten) auch alle andern Requisite vorkamen: gefesselte Könige, seidene Schrifttafeln mit Volks- und Senatsbeschlüssen, ein antik costumirter Scheinsenat nebst Aedilen, Quästoren, Prätoren ꝛc., vier Wagen voll singender Masken, und ohne Zweifel auch Trophäenwagen. Andere Aufzüge versinnlichten mehr im Allgemeinen die alte Weltherrschaft Roms, und gegenüber der wirklich vorhandenen Türkengefahr prahlte man etwa mit einer Cavalcade gefangener Türken auf Kameelen. Später, im Carneval 1500, ließ Cesare Borgia mit kecker Beziehung auf seine Person, den Triumph Julius Cäsar's, eilf prächtige Wagen stark, aufführen Tommasi, vita di Cesare Borgia, p. 251. , gewiß zum Aergerniß der Jubileumspilger (S. 118). — Sehr schöne und geschmackvolle Trionfi von allgemeinerer Bedeu- Trionfi im weitern Sinn. tung waren die von zwei wetteifernden Gesellschaften in Florenz 1513 zur Feier der Wahl Leo's X. aufgeführten Vasari, XI, p. 34, s. vita di Puntormo. Eine Hauptstelle in ihrer Art. : der eine stellte die drei Lebensalter der Menschen dar, der andere die Weltalter, sinnvoll eingekleidet in fünf Bilder aus der Geschichte Roms und in zwei Allegorien, welche das goldene Zeitalter Saturns und dessen endliche Wieder- bringung schilderten. Die phantasiereiche Verzierung der Wagen, wenn große florentinische Künstler sich dazu her- gaben, machte einen solchen Eindruck, daß man eine blei- bende, periodische Wiederholung solcher Schauspiele wünschbar fand. Bisher hatten die Unterthanenstädte am alljährlichen Huldigungstag ihre symbolischen Geschenke (kostbare Stoffe und Wachskerzen) einfach überreicht; jetzt Vasari VIII, p. 264, vita di A. del Sarto. ließ die Kauf- 5. Abschnitt. mannsgilde einstweilen zehn Wagen bauen (wozu in der Folge noch mehrere kommen sollten), nicht sowohl um die Tribute zu tragen als um sie zu symbolisiren, und Andrea del Sarto, der einige davon ausschmückte, gab denselben ohne Zweifel die herrlichste Gestalt. Solche Tribut- und Trophäenwagen gehörten bereits zu jeder festlichen Gelegen- heit, auch wenn man nicht viel aufzuwenden hatte. Die Sienesen proclamirten 1477 das Bündniß zwischen Ferrante und Sixtus IV., wozu auch sie gehörten, durch das Her- umführen eines Wagens, in welchem „Einer als Friedens- göttin gekleidet auf einem Harnisch und andern Waffen stand Allegretto, bei Murat. XXIII, Col. 783. Daß ein Rad zerbrach, galt als böses Vorzeichen. “. Festzüge zu Wasser. Bei den venezianischen Festen entwickelte statt der Wa- gen die Wasserfahrt eine wundersame, phantastische Herr- lichkeit. Eine Ausfahrt des Bucintoro zum Empfang der Fürstinnen von Ferrara 1491 (S. 413) wird uns als ein ganz mährchenhaftes Schauspiel geschildert M. Anton. Sabellici Epist. L. III, fol. 17. ; ihm zogen voran zahllose Schiffe mit Teppichen und Guirlanden, be- setzt mit prächtig costumirter Jugend; auf Schwebemaschinen bewegten sich ringsum Genien mit Attributen der Götter; weiter unten waren Andere in Gestalt von Tritonen und Nymphen gruppirt; überall Gesang, Wohlgerüche und das Flattern goldgestickter Fahnen. Auf den Bucintoro folgte dann ein solcher Schwarm von Barken aller Art, daß man wohl eine Miglie weit das Wasser nicht mehr sah. Von den übrigen Festlichkeiten ist außer der schon oben ge- nannten Pantomime besonders eine Regatta von fünfzig starken Mädchen erwähnenswerth als etwas Neues. Im XVI. Jahrhundert Sansovino, Venezia, fol. 151, s. — Die Gesellschaften heißen: Pavoni, Accesi, Eterni, Reali, Sempiterni; es sind wohl die- selben, welche dann in Academien übergingen. war der Adel in besondere Corpo- rationen zur Abhaltung von Festlichkeiten getheilt, deren 5. Abschnitt. Hauptstück irgend eine ungeheure Maschine auf einem Schiff ausmachte. So bewegte sich z. B. 1541 bei einem Fest der Sempiterni durch den großen Canal ein rundes „Weltall“, in dessen offnem Innern ein prächtiger Ball gehalten wurde. Auch der Carneval war hier berühmt durch Bälle, Aufzüge und Aufführungen aller Art. Bisweilen fand man selbst den Marcusplatz groß genug, um nicht nur Turniere (S. 363, 386), sondern auch Trionfi nach festländischer Art darauf ab- zuhalten. Bei einem Friedensfest Wahrscheinlich 1495. Vgl. M. Anton. Sabellici Epist. L. V, fol. 28. übernahmen die frommen Politisches Fest. Brüderschaften ( scuole ) jede ihr Stück eines solchen Zuges. Da sah man zwischen goldenen Candelabern mit rothen Wachskerzen, zwischen Schaaren von Musikern und von Flügelknaben mit goldenen Schalen und Füllhörnern einen Wagen, auf welchem Noah und David beisammen thron- ten; dann kam Abigail, ein mit Schätzen beladenes Ka- meel führend, und ein zweiter Wagen mit einer Gruppe politischen Inhalts: Italia zwischen Venezia und Liguria, und auf einer erhöhten Stufe drei weibliche Genien mit den Wappen der verbündeten Fürsten. Es folgte unter andern eine Weltkugel mit Sternbildern ringsum, wie es scheint. Auf andern Wagen fuhren jene Fürsten in leib- haftiger Darstellung mit, sammt Dienern und Wappen, wenn wir die Aussage richtig deuten. Der eigentliche Carneval, abgesehen von den großen Carneval in Rom. Aufzügen, hatte vielleicht im XV. Jahrhundert nirgends eine so vielartige Physiognomie als in Rom Infessura, bei Eccard, scriptt. II, Col. 1893. 2000. — Mich. Cannesius, vita Pauli II, bei Murat. III, II, Col. 1012. — Platina, vitæ pontiff. p. 318. — Jac. Volaterran . bei Mu- ratori XXIII, Col. 163. 194. — Paul. Jov. Elogia, sub Ju- liano Cæsarino . — Anderswo gab es auch Wettrennen von Wei- bern; Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 384. . Hier waren 5. Abschnitt. zunächst die Wettrennen am reichsten abgestuft; es gab solche von Pferden, Büffeln, Eseln, dann von Alten, von Burschen, von Juden u. s. w. Paul II. speiste auch wohl das Volk in Masse vor Palazzo di Venezia, wo er wohnte. Sodann hatten die Spiele auf Piazza Navona, welche vielleicht seit der antiken Zeit nie ganz ausgestorben waren, einen kriegerisch prächtigen Character; es war ein Schein- gefecht von Reitern und eine Parade der bewaffneten Bürger- schaft. Ferner war die Maskenfreiheit sehr groß und dehnte sich bisweilen über mehrere Monate aus Unter Alexander VI. einmal vom October bis zu den Fasten. Vgl. Tommasi, l. c. p. 322. . Sixtus IV. scheute sich nicht, in den volkreichsten Gegenden der Stadt, auf Campo Fiore und bei den Banchi, durch Schwärme von Masken hindurch zu passiren, nur einem beabsichtigten Besuch von Masken im Vatican wich er aus. Unter In- nocenz VIII. erreichte eine schon früher vorkommende Unsitte der Cardinäle ihre Vollendung; im Carneval 1491 sandten sie einander Wagen voll prächtig costumirter Masken, Buf- fonen und Sängern zu, welche scandalöse Verse hersagten; Fackelzüge. sie waren freilich von Reitern begleitet. — Außer dem Carneval scheinen die Römer zuerst den Werth eines großen Fackelzuges erkannt zu haben. Als Pius II. 1459 vom Congreß von Mantua zurückkam Pii II. Comment. L. IV, p. 211. , wartete ihm das ganze Volk mit einem Fackelritt auf, welcher sich vor dem Palast in einem leuchtenden Kreise herum bewegte. Sixtus IV. fand indeß einmal für gut, eine solche nächtliche Aufwar- tung des Volkes, das mit Fackeln und Oelzweigen kommen wollte, nicht anzunehmen Nantiporto, bei Murat. III, II, Col. 1080. Sie wollten ihm für einen Friedensschluß danken, fanden aber die Thore des Palastes verschlossen und auf allen Plätzen Truppen aufgestellt. . Carneval in Florenz. Der florentinische Carneval aber übertraf den römischen durch eine bestimmte Art von Aufzügen, welche auch in der 5. Abschnitt. Literatur ihr Denkmal hinterlassen hat Tutti i trionfi, carri, mascherate, o canti carnascialeschi, Cosmopoli 1750. — Macchiavelli, opere minori, p. 505. — Vasari, VII, p. 115, s., vita di Piero di Cosimo, welchem letz- tern ein Hauptantheil an der Ausbildung dieser Züge zugeschrieben wird. . Zwischen einem Schwarme von Masken zu Fuß und zu Roß erscheint ein gewaltiger Wagen in irgend einer Phantasieform, und auf diesem entweder eine herrschende allegorische Gestalt oder Gruppe sammt den ihr zukommenden Gefährten, z. B. die Eifersucht mit vier bebrillten Gesichtern an Einem Kopfe, die vier Temperamente (S. 304) mit den ihnen zukommen- den Planeten, die drei Parzen, die Klugheit thronend über Hoffnung und Furcht, die gefesselt vor ihr liegen, die vier Elemente, Lebensalter, Winde, Jahreszeiten u. s. w.; auch der berühmte Wagen des Todes mit den Särgen, die sich dann öffneten. Oder es fuhr einher eine prächtige mytho- logische Scene, Bacchus und Ariadne, Paris und Helena ꝛc. Oder endlich ein Chor von Leuten, welche zusammen einen Stand, eine Kategorie ausmachten, z. B. die Bettler, die Jäger mit Nymphen, die armen Seelen, welche im Leben unbarmherzige Weiber gewesen, die Eremiten, die Land- streicher, die Astrologen, die Teufel, die Verkäufer bestimm- ter Waaren, ja sogar einmal il popolo , die Leute als solche, die sich dann in ihrem Gesang als schlechte Sorte überhaupt anklagen müssen. Die Gesänge nämlich, welche gesammelt und erhalten sind, geben bald in pathetischer, bald in launiger, bald in höchst unzüchtiger Weise die Er- klärung des Zuges. Auch dem Lorenzo magnifico werden einige der schlimmsten zugeschrieben, wahrscheinlich weil sich der wahre Autor nicht zu nennen wagte, gewiß aber ist von ihm der sehr schöne Gesang zur Scene mit Bacchus und Ariadne, dessen Refrain aus dem XV. Jahrhundert 5. Abschnitt. zu uns herübertönt wie eine wehmüthige Ahnung der kurzen Herrlichkeit der Renaissance selbst: Quanto è bella giovinezza, Che si fugge tuttavia! Chi vuol esser lieto, sia: Di doman non c'è certezza. Sechster Abschnitt . Sitte und Religion. D as Verhältniß der einzelnen Völker zu den höchsten Din- 6. Abschnitt. gen, zu Gott, Tugend und Unsterblichkeit, läßt sich wohl bis zu einem gewissen Grade erforschen, niemals aber in strenger Parallele darstellen. Je deutlicher die Aussagen auf diesem Gebiete zu sprechen scheinen, desto mehr muß man sich vor einer unbedingten Annahme, einer Verallgemeinerung der- selben hüten. Vor Allem gilt dieß von dem Urtheil über die Sitt- Die Moralität u. das Urtheil. lichkeit. Man wird viele einzelne Contraste und Nuancen zwischen den Völkern nachweisen können, die absolute Summe des Ganzen aber zu ziehen ist menschliche Einsicht zu schwach. Die große Verrechnung von Nationalcharacter, Schuld und Gewissen bleibt eine geheime, schon weil die Mängel eine zweite Seite haben, wo sie dann als nationale Eigenschaf- ten, ja als Tugenden erscheinen. Solchen Autoren, welche den Völkern gerne allgemeine Censuren und zwar bisweilen im heftigsten Tone schreiben, muß man ihr Vergnügen lassen. Abendländische Völker können einander mißhandeln, aber glücklicherweise nicht richten. Eine große Nation, die durch Cultur, Thaten und Erlebnisse mit dem Leben der gan- zen neuern Welt verflochten ist, überhört es, ob man sie anklage oder entschuldige; sie lebt weiter mit oder ohne Gutheißen der Theoretiker. 6. Abschnitt. So ist denn auch, was hier folgt, kein Urtheil, son- dern eine Reihe von Randbemerkungen, wie sie sich bei mehrjährigem Studium der italienischen Renaissance von selber ergaben. Ihre Geltung ist eine um so beschränktere, als sie sich meist auf das Leben der höhern Stände beziehen, über welche wir hier im Guten wie im Bösen unverhält- nißmäßig reichlicher unterrichtet sind als bei andern euro- päischen Völkern. Weil aber Ruhm und Schmach hier lauter tönen als sonst irgendwo, so sind wir deßhalb der allgemeinen Bilanz der Sittlichkeit noch um keinen Schritt näher. Wessen Auge dringt in die Tiefen, wo sich Charactere und Schicksale der Völker bilden? wo Angeborenes und Erlebtes zu einem neuen Ganzen gerinnt und zu einem zweiten, dritten Naturell wird? wo selbst geistige Begabun- gen, die man auf den ersten Blick für ursprünglich halten würde, sich erst relativ spät und neu bilden? Hatte z. B. der Italiener vor dem XIII. Jahrh. schon jene leichte Le- bendigkeit und Sicherheit des ganzen Menschen, jene mit allen Gegenständen spielende Gestaltungskraft in Wort und Form, die ihm seitdem eigen ist? — Und wenn wir solche Dinge nicht wissen, wie sollen wir das unendlich reiche und feine Geäder beurtheilen, durch welches Geist und Sittlich- keit unaufhörlich in einander überströmen? Wohl giebt es eine persönliche Zurechnung und ihre Stimme ist das Ge- wissen, aber die Völker möge man mit Generalsentenzen in Ruhe lassen. Das scheinbar kränkste Volk kann der Gesund- heit nahe sein und ein scheinbar gesundes kann einen mäch- tig entwickelten Todeskeim in sich bergen, den erst die Gefahr an den Tag bringt. Bewußtsein der Demoralisa- tion. Zu Anfang des XVI. Jahrh., als die Cultur der Renaissance auf ihrer Höhe angelangt und zugleich das po- litische Unglück der Nation so viel als unabwendbar ent- schieden war, fehlte es nicht an ernsten Denkern, welche 6. Abschnitt. dieses Unglück mit der großen Sittenlosigkeit in Verbindung brachten. Es sind keine von jenen Bußpredigern, welche bei jedem Volke und zu jeder Zeit über die schlechten Zeiten zu klagen sich verpflichtet glauben, sondern ein Macchiavell ist es, der mitten in einer seiner wichtigsten Gedankenreihen Discorsi L. I, c. 12. Auch c. 55: Italien sei verdorbener als alle andern Länder; dann kommen zunächst Franzosen und Spanier. es offen ausspricht: ja, wir Italiener sind vorzugsweise irreligiös und böse. — Ein Anderer hätte vielleicht gesagt: wir sind vorzugsweise individuell entwickelt; die Race hat uns aus den Schranken ihrer Sitte und Religion entlassen, und die äußern Gesetze verachten wir weil unsere Herrscher illegitim und ihre Beamten und Richter verworfene Men- schen sind. — Macchiavell selber setzt hinzu: weil die Kirche in ihren Vertretern das übelste Beispiel giebt. Sollen wir hier noch beifügen: „weil das Alterthum Einfluß des Al- terthums. ungünstig einwirkte?“ — jedenfalls bedürfte eine solche Annahme sorgfältiger Beschränkungen. Bei den Humanisten (S. 269) wird man am ehesten davon reden dürfen, zumal in Betreff ihres wüsten Sinnenlebens. Bei den Uebrigen möchte sich die Sache ungefähr so verhalten haben, daß an die Stelle des christlichen Lebensideals, der Heiligkeit, das der historischen Größe trat seit sie das Alterthum kannten (S. 149, Anm.). Durch einen naheliegenden Mißverstand hielt man dann auch die Fehler für indifferent, trotz welcher die großen Männer groß gewesen waren. Vermuthlich ge- schah dieß fast unbewußt, denn wenn theoretische Aussagen dafür angeführt werden sollen, so muß man sie wieder bei den Humanisten suchen wie z. B. bei Paolo Giovio, der den Eidbruch des Giangaleazzo Visconti, insofern dadurch die Gründung eines Reiches ermöglicht wurde, mit dem Beispiel des Julius Cäsar entschuldigt Paul. Jov. viri illustres; Jo. Gal. Vicecomes. . Die großen 6. Abschnitt. florentinischen Geschichtschreiber und Politiker sind von so knechtischen Citaten völlig frei und was in ihren Urtheilen und Thaten antik erscheint, ist es, weil ihr Staatswesen eine nothwendig dem Alterthum einigermaßen analoge Denk- weise hervorgetrieben hatte. Immerhin aber fand Italien um den Anfang des XVI. Jahrhunderts sich in einer schweren sittlichen Crisis, aus welcher die Bessern kaum einen Ausweg hofften. Beginnen wir damit, die dem Bösen auf's Stärkste entgegenwirkende sittliche Kraft namhaft zu machen. Jene hochbegabten Menschen glaubten sie zu erkennen in Gestalt Das moderne Ehrgefühl. des Ehrgefühls. Es ist die räthselhafte Mischung aus Gewissen und Selbstsucht, welche dem modernen Menschen noch übrig bleibt auch wenn er durch oder ohne seine Schuld alles Uebrige, Glauben, Liebe und Hoffnung eingebüßt hat. Dieses Ehrgefühl verträgt sich mit vielem Egoismus und großen Lastern und ist ungeheurer Täuschungen fähig, aber auch alles Edle, das in einer Persönlichkeit übrig ge- blieben, kann sich daran anschließen und aus diesem Quell neue Kräfte schöpfen. In viel weiterm Sinne als man gewöhnlich denkt, ist es für die heutigen individuell ent- wickelten Europäer eine entscheidende Richtschnur des Han- delns geworden; auch Viele von denjenigen, welche noch außerdem Sitte und Religion treulich festhalten, fassen doch die wichtigsten Entschlüsse unbewußt nach jenem Gefühl. Es ist nicht unsere Aufgabe nachzuweisen wie schon das Alterthum eine eigenthümliche Schattirung dieses Ge- fühles kannte und wie dann das Mittelalter die Ehre in einem speciellen Sinne zur Sache eines bestimmten Standes machte. Auch dürfen wir mit denjenigen nicht streiten, welche das Gewissen allein statt des Ehrgefühls als die wesentliche Triebkraft ansehen; es wäre schöner und besser wenn es sich so verhielte, allein sobald man doch zugeben muß, daß die bessern Entschlüsse aus einem „von Selbst- sucht mehr oder weniger getrübten Gewissen“ hervorgehen, so nenne man lieber diese Mischung mit ihrem Namen. 6. Abschnitt. Allerdings ist es bei den Italienern der Renaissance bis- weilen schwer, dieses Ehrgefühl von der directen Ruhmbe- gier zu unterscheiden, in welche dasselbe häufig übergeht. Doch bleiben es wesentlich zwei verschiedene Dinge. An Aussagen über diesen Punkt fehlt es nicht. Eine Aussagen dar- über. besonders deutliche mag statt vieler hier ihre Stelle finden; sie stammt aus den erst neuerlich an den Tag getretenen Franc. Guicciardini, Ricordi politici e civili, N. 118. (Opere inedite, vol. I.) Aphorismen des Guicciardini. „Wer die Ehre hochhält, „dem gelingt Alles, weil er weder Mühe, Gefahr noch „Kosten scheut; ich habe es an mir selbst erprobt und darf „es sagen und schreiben: eitel und todt sind diejenigen „Handlungen der Menschen, welche nicht von diesem starken „Antrieb ausgehen.“ Wir müssen freilich hinzusetzen, daß nach anderweitiger Kunde vom Leben des Verfassers hier durchaus nur vom Ehrgefühl und nicht vom eigentlichen Ruhme die Rede sein kann. Schärfer aber als vielleicht alle Italiener hat Rabelais die Sache betont. Zwar nur Rabelais. ungern mischen wir diesen Namen in unsere Forschung; was der gewaltige, stets barocke Franzose giebt, gewährt uns ungefähr ein Bild davon, wie die Renaissance sich ausnehmen würde ohne Form und ohne Schönheit Seine nächste Parallele ist Merlinus Coccajus (Teofilo Folengo), dessen Opus Macaronicorum (S. 160 und 267) Rabelais wohl noch gekannt haben möchte. . Aber seine Schilderung eines Idealzustandes im Thelemitenkloster ist culturgeschichtlich entscheidend, so daß ohne diese höchste Phantasie das Bild des XVI. Jahrhunderts unvollständig wäre. Er erzählt Gargantua L. I, chap. 57. von diesen seinen Herren und Damen vom Orden des freien Willens unter andern wie folgt: En leur reigle n'estoit que ceste clause: Fay ce que vouldras . Parce que gens liberes, bien 6. Abschnitt. nayz D. h. wohlgeboren im höhern Sinn, denn Rabelais, der Wirthssohn von Chinon, hat keine Ursache, dem Adel als solchem hier ein Vor- recht zu gestatten. — Die Predigt des Evangeliums, von welcher in der Inschrift des Klosters die Rede ist, würde zu dem sonstigen Leben der Thelemiten wenig passen; sie ist auch eher negativ, im Sinne des Trotzes gegen die römische Kirche zu deuten. , bien instruictz, conversans en compaignies honnestes, ont par nature ung instinct et aguillon qui tousjours les poulse à faictz vertueux, et retire de vice: lequel ilz nommoyent honneur . Es ist derselbe Glaube an die Güte der menschlichen Na- tur, welcher auch die zweite Hälfte des XVIII. Jahrhunderts beseelte und der französischen Revolution die Wege bereiten half. Auch bei den Italienern appellirt Jeder individuell an diesen seinen eigenen edeln Instinct, und wenn im Großen und Ganzen — hauptsächlich unter dem Eindruck des natio- nalen Unglückes — pessimistischer geurtheilt oder empfunden wird, gleichwohl wird man immer jenes Ehrgefühl hoch halten müssen. Wenn einmal die schrankenlose Entwicklung des Individuums eine welthistorische Fügung, wenn sie stärker war als der Wille des Einzelnen, so ist auch diese gegenwirkende Kraft, wo sie im damaligen Italien vorkömmt, eine große Erscheinung. Wie oft und gegen welch heftige Angriffe der Selbstsucht sie den Sieg davon trug, wissen wir eben nicht, und deßhalb reicht unser menschliches Urtheil überhaupt nicht aus, um den absoluten moralischen Werth der Nation richtig zu schätzen. Die Phantasie und ihre Herr- schaft. Was nun der Sittlichkeit des höher entwickelten Ita- lieners der Renaissance als wichtigste allgemeine Voraus- setzung gegenübersteht, ist die Phantasie. Sie vor allem verleiht seinen Tugenden und Fehlern ihre besondere Farbe; unter ihrer Herrschaft gewinnt seine entfesselte Selbstsucht erst ihre volle Furchtbarkeit. Um ihretwillen wird er z. B. der frühste große Hazard- 6. Abschnitt. spieler der neuern Zeit, indem sie ihm die Bilder des künf- Spielsucht. tigen Reichthums und der künftigen Genüsse mit einer solchen Lebendigkeit vormalt, daß er das Aeußerste daran setzt. Die mohammedanischen Völker wären ihm hierin ohne allen Zweifel vorangegangen, hätte nicht der Koran von Anfang an das Spielverbot als die nothwendigste Schutzwehr islamitischer Sitte festgestellt, und die Phanta- sie seiner Leute an Auffindung vergrabener Schätze gewiesen. In Italien wurde eine Spielwuth allgemein, welche schon damals häufig genug die Existenz des Einzelnen bedrohte oder zerstörte. Florenz hat schon zu Ende des XIV. Jahr- hunderts seinen Casanova, einen gewissen Buonaccorso Pitti, welcher auf beständigen Reisen als Kaufmann, Parteigänger, Speculant, Diplomat und Spieler von Profession enorme Summen gewann und verlor und nur noch Fürsten zu Partnern gebrauchen konnte, wie die Herzoge von Brabant, Baiern und Savoyen Dessen Tagebuch im Auszug bei Delécluze, Florence et ses vi- cissitudes, vol. 2. — Vgl. S. 332. . Auch der große Glückstopf, welchen man die römische Curie nannte, gewöhnte seine Leute an ein Bedürfniß der Aufregung, welches sich in den Zwischen- pausen der großen Intriguen nothwendig durch Würfelspiel Luft machte. Franceschetto Cyb ò verspielte z. B. einst in zweien Malen an Cardinal Raffaele Riario 14,000 Du- caten und klagte hernach beim Papst sein Mitspieler habe ihn betrogen Infessura, ap. Eccard, scriptt. II, Col. 1992. Vgl. oben S. 109. f. . In der Folge wurde bekanntlich Italien die Heimath des Loteriewesens. Die Phantasie ist es auch, welche hier der Rachsucht Rachsucht. ihren besondern Character giebt. Das Rechtsgefühl wird wohl im ganzen Abendland von jeher eins und dasselbe gewesen und seine Verletzung, so oft sie ungestraft blieb, auf die gleiche Weise empfunden worden sein. Aber andere Völker, wenn sie auch nicht leichter verzeihen, können doch Cultur der Renaissance. 28 6. Abschnitt. leichter vergessen, während die italienische Phantasie das Bild des Unrechts in furchtbarer Frische erhält Dieses Raisonnement des geistreichen Stendhal ( la chartreuse de Parme, ed. Delahays, p. 355) scheint mir auf tiefer psychologi- scher Beobachtung zu ruhen. . Daß zu- gleich in der Volksmoral die Blutrache als eine Pflicht gilt und oft auf das Gräßlichste geübt wird, giebt dieser allge- meinen Rachsucht noch einen besondern Grund und Boden. Regierungen und Tribunale der Städte erkennen ihr Dasein und ihre Berechtigung an und suchen nur den schlimmsten Excessen zu steuern. Aber auch unter den Bauern kommen thyesteische Mahlzeiten und weit sich ausbreitender Wechsel- mord vor; hören wir nur einen Zeugen Graziani, cronaca di Perugia, zum J. 1437 ( Arch. stor. XVI, I, p. 415). . Blutrache der Bauern, In der Landschaft von Acquapendente hüteten drei Hirtenknaben das Vieh und Einer sagte: wir wollen ver- suchen wie man die Leute henkt. Als der Eine dem Andern auf die Schulter saß und der Dritte den Strick zuerst um dessen Hals schlang und dann an eine Eiche band, kam der Wolf, so daß die Beiden entflohen und jenen hängen ließen. Hernach fanden sie ihn todt und begruben ihn. Sonntags kam sein Vater um ihm Brod zu bringen, und einer von den Beiden gestand ihm den Hergang und zeigte ihm das Grab. Der Alte aber tödtete diesen mit einem Messer, schnitt ihn auf, nahm die Leber und bewirthete damit zu Hause dessen Vater; dann sagte er ihm, wessen Leber er gegessen. Hierauf begann das wechselseitige Morden zwi- schen den beiden Familien, und binnen einem Monat waren 36 Personen, Weiber sowohl als Männer, umgebracht. der höhern Stände. Und solche Vendetten, erblich bis auf mehrere Genera- tionen, auf Seitenverwandte und Freunde, erstreckten sich auch weit in die höhern Stände hinauf. Chroniken sowohl als Novellensammlungen sind voll von Beispielen, zumal von Racheübungen wegen entehrter Weiber. Der classische Boden hiefür war besonders die Romagna, wo sich die 6. Abschnitt. Vendetta mit allen erdenklichen sonstigen Parteiungen ver- flocht. In furchtbarer Symbolik stellt die Sage bisweilen die Verwilderung dar, welche über dieses kühne, kräftige Volk kam. So z. B. in der Geschichte von jenem vorneh- men Ravennaten, der seine Feinde in einem Thurm bei- sammen hatte und sie hätte verbrennen können, statt dessen aber sie herausließ, umarmte und herrlich bewirthete, worauf die wüthende Scham sie erst recht zur Verschwörung an- trieb Giraldi, Hecatommithi I, Nov. 7. . Unablässig predigten fromme, ja heilige Mönche zur Versöhnung, aber es wird Alles gewesen sein was sie er- reichten, wenn sie die schon im Gange befindlichen Vendetten einschränkten; das Entstehen von neuen werden sie wohl schwerlich gehindert haben. Die Novellen schildern uns nicht selten auch diese Einwirkung der Religion, die edle Auf- wallung und dann deren Sinken durch das Schwergewicht dessen was vorangegangen und doch nicht mehr zu ändern ist. Hatte doch der Papst in Person nicht immer Glück im Friedenstiften: „Papst Paul II. wollte, daß der Hader zwischen Antonio Caffarello und dem Hause Alberino auf- höre und ließ Giovanni Alberino und Antonio Caffarello vor sich kommen und befahl ihnen, einander zu küssen und kündigte ihnen 2000 Ducaten Strafe an wenn sie einander wieder ein Leid anthäten, und zwei Tage darauf wurde Antonio von demselben Giacomo Alberino, Sohn des Gio- vanni, gestochen, der ihn vorher schon verwundet hatte, und Papst Paul wurde sehr unwillig und ließ den Alberino die Habe confisciren und die Häuser schleifen und Vater und Sohn aus Rom verbannen Infessura, bei Eccard, scrippt. II, Col. 1892. zum Jahr 1464. .“ Die Eide und Ceremonien, Versöhnungs- schwüre. wodurch die Versöhnten sich vor dem Rückfall zu sichern suchen, sind bisweilen ganz entsetzlich; als am Sylvester- abend 1494 im Dom von Siena Allegretto, Diarî sanesi, bei Murat. XXIII, Col. 837. die Parteien der Nove 28* 6. Abschnitt. und der Popolari sich paarweise küssen mußten, wurde ein Schwur dazu verlesen, worin dem künftigen Uebertreter alles zeitliche und ewige Heil abgesprochen wurde, „ein Schwur so erstaunlich und schrecklich wie noch keiner erhört worden“; selbst die letzten Tröstungen in der Todesstunde sollten sich in Verdammniß verkehren für den, welcher ihn verletzen würde. Es leuchtet ein, daß dergleichen mehr die verzweifelte Stimmung der Vermittler als eine wirkliche Garantie des Friedens ausdrückte, und daß gerade die wahrste Versöhnung am wenigsten solcher Worte bedurfte. Die Rache in der öffentlichen Meinung. Das individuelle Rachebedürfniß des Gebildeten und des Hochstehenden, ruhend auf der mächtigen Grundlage einer analogen Volkssitte, spielt nun natürlich in tausend Farben und wird von der öffentlichen Meinung, welche hier aus den Novellisten redet, ohne allen Rückhalt gebilligt Diejenigen, welche die Vergeltung Gott anheimstellen, werden u. a. lächerlich gemacht bei Pulci ( Morgante, canto XXI, Str. 83, s. 104, s. . Alle Welt ist darüber einig, daß bei denjenigen Beleidi- gungen und Verletzungen, für welche die damalige italie- nische Justiz kein Recht schafft, und vollends bei denjenigen, gegen die es nie und nirgends ein genügendes Gesetz gege- ben hat noch geben kann, Jeder sich selber Recht schaffen dürfe. Nur muß Geist in der Rache sein und die Satis- faction sich mischen aus thatsächlicher Schädigung und geistiger Demüthigung des Beleidigers; brutale plumpe Uebermacht allein gilt in der öffentlichen Meinung für keine Genugthuung. Das ganze Individuum, mit seiner Anlage zu Ruhm und Hohn muß triumphiren, nicht bloß die Faust. Der damalige Italiener ist vieler Verstellung fähig um bestimmte Zwecke zu erreichen, aber gar keiner Heuchelei in Sachen von Principien, weder vor Andern noch vor sich selber. Mit völliger Naivetät wird deßhalb auch diese Rache als ein Bedürfniß zugestanden. Ganz kühle Leute preisen sie vorzüglich dann, wenn sie, getrennt von eigent- licher Leidenschaft, um der bloßen Zweckmäßigkeit willen 6. Abschnitt. auftritt, „damit andere Menschen lernen dich unangefochten „zu lassen Guicciardini, Ricordi, l. c. N. 74. “. Doch werden solche Fälle eine kleine Minder- zahl gewesen sein gegenüber von denjenigen, da die Leiden- schaft Abkühlung suchte. Deutlich scheidet sich hier diese Rache von der Blutrache; während letztere sich eher noch innerhalb der Schranken der Vergeltung, des ius talionis hält, geht die erstere nothwendig darüber hinaus, indem sie nicht nur die Beistimmung des Rechtsgefühls verlangt, son- dern die Bewunderer und je nach Umständen die Lacher auf ihrer Seite haben will. Hierin liegt denn auch der Grund des oft langen Auf- schiebens. Zu einer „ bella vendetta “ gehört in der Regel ein Zusammentreffen von Umständen, welches durchaus ab- gewartet werden muß. Mit einer wahren Wonne schildern die Novellisten hie und da das allmälige Heranreifen solcher Gelegenheiten. Ueber die Moralität von Handlungen, wobei Kläger Rache u. Dank- barkeit. und Richter eine Person sind, braucht es weiter keines Ur- theils. Wenn diese italienische Rachsucht sich irgendwie rechtfertigen wollte, so müßte dieß geschehen durch den Nach- weis einer entsprechenden nationalen Tugend, nämlich der Dankbarkeit; dieselbe Phantasie, welche das erlittene Un- recht auffrischt und vergrößert, müßte auch das empfangene Gute im Andenken erhalten So schildert sich Cardanus ( de propria vita, cap. 13) als äußerst rachsüchtig, aber auch als verax, memor beneficiorum, amans justitiæ . . Es wird niemals möglich sein, einen solchen Nachweis im Namen des ganzen Volkes zu führen, doch fehlt es nicht an Spuren dieser Art im jetzigen italienischen Volkscharacter. Dahin gehört bei den gemeinen Leuten die große Erkenntlichkeit für honette Be- handlung und bei den höhern Ständen das gute gesell- schaftliche Gedächtniß. 6. Abschnitt. Dieses Verhältniß der Phantasie zu den moralischen Eigenschaften des Italieners wiederholt sich nun durchgängig. Wenn daneben scheinbar viel mehr kalte Berechnung zu Tage tritt in Fällen da der Nordländer mehr dem Gemüthe folgt, so hängt dieß wohl davon ab, daß der Italiener häufiger sowohl als früher und stärker individuell entwickelt ist. Wo dieß außerhalb Italiens ebenfalls stattfindet, da ergeben sich auch ähnliche Resultate; die zeitige Entfremdung vom Hause und von der väterlichen Autorität z. B. ist der italienischen und der nordamericanischen Jugend gleichmäßig eigen. Spä- ter stellt sich dann bei den edlern Naturen das Verhältniß einer freien Pietät zwischen Kindern und Eltern ein. Es ist überhaupt ganz besonders schwer, über die Sphäre des Gemüthes bei andern Nationen zu urtheilen. Dasselbe kann sehr entwickelt vorhanden sein, aber in so fremdartiger Weise, daß der von draußen kommende es nicht erkennt, es kann sich auch wohl vollkommen vor ihm verstecken. Vielleicht sind alle abendländischen Nationen in dieser Beziehung gleichmäßig begnadigt. Verletzung der Ehe. Wenn aber irgendwo die Phantasie als gewaltige Herrinn sich in die Moralität gemischt hat, so ist dieß ge- schehen im unerlaubten Verkehr der beiden Geschlechter. Vor der gewöhnlichen Hurerei scheute sich bekanntlich das Mittelalter überhaupt nicht bis die Syphilis kam, und eine vergleichende Statistik der damaligen Prostitution jeder Art gehört nicht hieher. Was aber dem Italien der Renaissance eigen zu sein scheint, ist daß die Ehe und ihr Recht vielleicht mehr und jedenfalls bewußter als anderswo mit Füßen getreten wird. Die Mädchen der höhern Stände, sorgfältig abge- schlossen, kommen nicht in Betracht; auf verheirathete Frauen bezieht sich alle Leidenschaft. Dabei ist bemerkenswerth, daß die Ehen doch nicht nachweisbar abnahmen und daß das Familienleben bei weitem nicht diejenige Zerstörung erlitt, welche es im Nor- 6. Abschnitt. den unter ähnlichen Umständen erleiden würde. Man wollte völlig nach Willkür leben aber durchaus nicht auf die Fa- milie verzichten, selbst wenn zu fürchten stand, daß es nicht ganz die eigene sei. Auch sank die Race deßhalb weder physisch noch geistig — denn von derjenigen scheinbaren geistigen Abnahme, welche sich gegen die Mitte des XVI. Jahrhunderts zu erkennen giebt, lassen sich ganz bestimmte äußere Ursachen politischer und kirchlicher Art namhaft machen, selbst wenn man nicht zugeben will, daß der Kreis der möglichen Schöpfungen der Renaissance durchlaufen gewesen sei. Die Italiener fuhren fort, trotz aller Aus- schweifung zu den leiblich und geistig gesundesten und wohl- geborensten Bevölkerungen Europa's zu gehören Mit der völlig entwickelten spanischen Herrschaft trat allerdings eine relative Entvölkerung ein. Wäre sie Folge der Entsittlichung gewe- sen, so hätte sie viel früher eintreten müssen. , und behaupten diesen Vorzug bekanntlich bis auf diesen Tag, nachdem sich die Sitten sehr gebessert haben. Wenn man nun der Liebesmoral der Renaissance näher Frivole und ideale Lieb- schaft. nachgeht, so findet man sich betroffen von einem merkwür- digen Gegensatz in den Aussagen. Die Novellisten und Comödiendichter machen den Eindruck, als bestände die Liebe durchaus nur im Genusse und als wären zu dessen Errei- chung alle Mittel, tragische wie komische, nicht nur erlaubt, sondern je kühner und frivoler, desto interessanter. Liest man die bessern Lyriker und Dialogenschreiber, so lebt in ihnen die edelste Vertiefung und Vergeistigung der Leiden- schaft, ja der letzte und höchste Ausdruck derselben wird ge- sucht in einer Aneignung antiker Ideen von einer ursprüng- lichen Einheit der Seelen im göttlichen Wesen. Und beide Anschauungen sind damals wahr und in einem und dem- selben Individuum vereinbar. Es ist nicht durchaus rühmlich, aber es ist eine Thatsache, daß in dem modernen gebildeten 6. Abschnitt. Menschen die Gefühle auf verschiedenen Stufen zugleich nicht nur stillschweigend vorhanden sind sondern auch zur bewußten, je nach Umständen künstlerischen Darstellung kommen. Erst der moderne Mensch ist, wie der antike, auch in dieser Beziehung ein Microcosmus, was der mittel- alterliche nicht war und nicht sein konnte. Novellen- moral. Zunächst ist die Moral der Novellen beachtenswerth. Es handelt sich in den meisten derselben, wie bemerkt, um Ehefrauen und also um Ehebruch. Stellung des Weibes. Höchst wichtig erscheint nun hier jene oben (S. 391, f.) erwähnte Ansicht von der gleichen Geltung des Weibes mit dem Manne. Die höher gebildete, individuell entwickelte Frau verfügt über sich mit einer ganz andern Souveränetät als im Norden, und die Untreue macht nicht jenen furcht- baren Riß durch ihr Leben, sobald sie sich gegen die äußern Folgen sichern kann. Das Recht des Gemahles auf ihre Treue hat nicht denjenigen festen Boden, den es bei den Nordländern durch die Poesie und Leidenschaft der Wer- bung und des Brautstandes gewinnt; nach flüchtigster Be- kanntschaft, unmittelbar aus dem elterlichen oder klösterlichen Gewahrsam tritt die junge Frau in die Welt und nun erst bildet sich ihre Individualität ungemein schnell aus. Haupt- sächlich deßhalb ist jenes Recht des Gatten nur ein sehr be- dingtes, und auch wer es als ein ius quæsitum ansieht, bezieht es doch nur auf die äußere That, nicht auf das Herz. Die schöne junge Gemahlin eines Greises z. B. weist die Geschenke und Botschaften eines jungen Liebhabers zu- rück, in festen Vorsatz, ihre Ehrbarkeit ( honestà ) zu be- haupten. „Aber sie freute sich doch der Liebe des Jünglings „wegen seiner großen Trefflichkeit, und sie erkannte, daß ein „edles Weib einen ausgezeichneten Menschen lieben darf „ohne Nachtheil ihrer Ehrbarkeit Giraldi, Hecatommithi III, Nov. 2. — Ganz ähnlich: Cortigiano, L. IV, fol. 180. .“ Wie kurz ist aber der Weg von einer solcher Distinction bis zu völliger Hin- 6. Abschnitt. gebung. Letztere erscheint dann soviel als berechtigt, wenn Untreue Untreue und Strafe. des Mannes hinzukömmt. Das individuell entwickelte Weib empfindet dieselbe bei Weitem nicht bloß als einen Schmerz, sondern als Hohn und Demüthigung, namentlich als Ueber- listung, und nun übt sie, oft mit ziemlich kaltem Bewußtsein, die vom Gemahl verdiente Rache. Ihrem Tact bleibt es überlassen, das für den betreffenden Fall richtige Strafmaaß zu treffen. Die tiefste Kränkung kann z. B. einen Ausweg zur Versöhnung und zu künftigem ruhigem Leben anbahnen, wenn sie völlig geheim bleibt. Die Novellisten, welche der- gleichen dennoch erfahren oder es gemäß der Atmosphäre ihrer Zeit erdichten, sind voll von Bewunderung, wenn die Rache höchst angemessen, wenn sie ein Kunstwerk ist. Es versteht sich, daß der Ehemann ein solches Vergeltungsrecht doch im Grunde nie anerkennt und sich nur aus Furcht oder aus Klugheitsgründen fügt. Wo diese wegfallen, wo er um der Untreue seiner Gemahlin willen ohnehin erwar- ten oder wenigstens besorgen muß, von dritten Personen ausgehöhnt zu werden, da wird die Sache tragisch. Nicht selten folgt die gewaltsamste Gegenrache und der Mord. Es ist höchst bezeichnend für die wahre Quelle dieser Thaten, daß außer dem Gemahl auch die Brüder Ein besonders gräuliches Beispiel der Rache eines Bruders, aus Pe- rugia vom J. 1455, findet man in der Chronik des Graziani, Arch. stor. XVI, I, p. 629. Der Bruder zwingt den Galan, der Schwester die Augen auszureißen und jagt ihn mit Schlägen von dannen. Freilich die Familie war ein Zweig der Oddi und der Liebhaber nur ein Seiler. und der Vater der Frau sich dazu berechtigt, ja verpflichtet glauben; die Eifersucht hat also nichts mehr damit zu thun, das Die Rächer. sittliche Gefühl wenig, der Wunsch, dritten Personen ihren Spott zu verleiden das Meiste. „Heute“, sagt Bandello Bandello, Parte I, Nov. 9 und 26. — Es kommt vor, daß der , 6. Abschnitt. „sieht man Eine um ihre Lüste zu erfüllen den Gemahl vergiften, als dürfte sie dann, weil sie Wittwe geworden, thun was ihr beliebt. Eine andere, aus Furcht vor Ent- deckung ihres unerlaubten Umganges, läßt den Gemahl durch den Geliebten ermorden. Dann erheben sich Väter, Brüder und Gatten, um sich die Schande aus den Augen zu schaffen, mit Gift, Schwert und andern Mitteln, und dennoch fahren viele Weiber fort, mit Verachtung des eigenen Lebens und der Ehre, ihren Leidenschaften nachzuleben.“ Ein andermal, in milderer Stimmung, ruft er aus: „Wenn man doch nur nicht täglich hören müßte: dieser hat seine Frau ermordet, weil er Untreue vermuthete, Jener hat die Tochter erwürgt, weil sie sich heimlich vermählt hatte, Jener endlich hat seine Schwester tödten lassen, weil sie sich nicht nach seinen Ansichten vermählen wollte! Es ist doch eine große Grausamkeit, daß wir Alles thun wollen was uns in den Sinn kömmt und den armen Weibern nicht dasselbe zugestehen. Wenn sie etwas thun, das uns mißfällt, so sind wir gleich mit Strick, Dolch und Gift bei der Hand. Welche Narrheit der Männer, vorauszusetzen, daß ihre und des ganzen Hauses Ehre von der Begierde eines Weibes abhänge!“ Leider wußte man den Ausgang solcher Dinge bisweilen so sicher voraus, daß der Novellist auf einen be- drohten Liebhaber Beschlag legen konnte während derselbe noch lebendig herumlief. Der Arzt Antonio Bologna hatte sich insgeheim mit der verwittweten Herzogin von Malfi, vom Hause Aragon, vermählt; bereits hatten ihre Brüder sie und ihre Kinder wieder in ihre Gewalt bekommen und in einem Schloß ermordet. Antonio, der letzteres noch nicht wußte und mit Hoffnungen hingehalten wurde, befand sich in Mailand, wo ihm schon gedungene Mörder auflauerten, und sang in Gesellschaft bei der Ippolita Sforza die Ge- Beichtvater der Gemahlin sich vom Gatten bestechen läßt und den Ehebruch verräth. schichte seines Unglückes zur Laute. Ein Freund des ge- 6. Abschnitt. nannten Hauses, Delio, „erzählte die Geschichte bis zu diesem Puncte dem Scipione Atellano und fügte bei, er werde dieselbe in einer seiner Novellen behandeln, da er gewiß wisse, daß Antonio ermordet werden würde“. Die Art, wie dieß fast unter den Augen Delio's und Atellano's eintraf, ist bei Bandello ( I, 26) ergreifend geschildert. Einstweilen aber nehmen die Novellisten doch fortwäh- Parteinahme des Novellisten. rend Partei für alles Sinnreiche, Schlaue und Komische, was beim Ehebruch vorkömmt: mit Vergnügen schildern sie das Versteckspiel in den Häusern, die symbolischen Winke und Botschaften, die mit Kissen und Confect zum Voraus versehenen Truhen, in welchen der Liebhaber verborgen und fortgeschafft werden kann, u. dgl. m. Der betrogene Ehe- mann wird je Umständen ausgemalt als eine ohnehin von Hause aus lächerliche Person oder als ein furchtbarer Rächer; ein drittes giebt es nicht, es sei denn, daß das Weib als böse und grausam und der Mann oder Liebhaber als un- schuldiges Opfer geschildert werden soll. Man wird indeß bemerken, daß Erzählungen dieser letztern Art nicht eigent- liche Novellen, sondern nur Schreckensbeispiele aus dem wirklichen Leben sind Ein Beispiel Bandello, Parte I, Nov. 4. . Mit der Hispanisirung des italienischen Lebens im Ver- lauf des XVI. Jahrhunderts nahm die in den Mitteln höchst gewaltsame Eifersucht vielleicht noch zu, doch muß man dieselbe unterscheiden von der schon vorher vorhandenen, im Geist der italienischen Renaissance selbst begründeten Vergeltung der Untreue. Mit der Abnahme des spanischen Cultureinflusses schlug dann die auf die Spitze getriebene Eifersucht gegen Ende des XVII. Jahrhunderts in ihr Gegentheil um, in jene Gleichgültigkeit, welche den Cicisbeo als unentbehrliche Figur im Hause betrachtete und außer- dem noch einen oder mehrere Geduldete ( Patiti ) sich gefal- len ließ. 6. Abschnitt. Wer will es nun unternehmen, die ungeheure Summe Vergleichung mit andern Völkern. von Immoralität, welche in den geschilderten Verhältnissen liegt, mit dem zu vergleichen, was in andern Ländern ge- schah. War die Ehe z. B. in Frankreich während des XV. Jahrhunderts wirklich heiliger als in Italien? Die Fabliaux und Farcen erregen starke Zweifel, und man sollte glau- ben, daß die Untreue eben so häufig, nur der tragische Ausgang seltener gewesen, weil das Individuum mit seinen Ansprüchen weniger entwickelt war. Eher möchte zu Gunsten der germanischen Völker ein entscheidendes Zeugniß vor- handen sein, nämlich jene größere gesellschaftliche Freiheit der Frauen und Mädchen, welche den Italienern in Eng- land und in den Niederlanden so angenehm auffiel. (S. 395, Anm.) Und doch wird man auch hierauf kein zu großes Gewicht legen dürfen. Die Untreue war gewiß ebenfalls sehr häufig und der individuell entwickeltere Mensch treibt es auch hier bis zur Tragödie. Man sehe nur wie die da- maligen nordischen Fürsten bisweilen auf den ersten Ver- dacht hin mit ihren Gemahlinnen umgehen. Die vergeistigte Liebe. Innerhalb des Unerlaubten aber bewegte sich bei den damaligen Italienern nicht nur das gemeine Gelüste, nicht nur die dumpfe Begier des gewöhnlichen Menschen, sondern auch die Leidenschaft der Edelsten und Besten; nicht bloß weil die unverheiratheten Mädchen sich außerhalb der Ge- sellschaft befanden, sondern auch weil gerade der vollkom- mene Mann am stärksten angezogen wurde von dem bereits durch die Ehe ausgebildeten weiblichen Wesen. Diese Männer sind es, welche die höchsten Töne der lyrischen Poesie an- geschlagen und auch in Abhandlungen und Dialogen von der verzehrenden Leidenschaft ein verklärtes Abbild zu geben versucht haben: l'amor divino. Wenn sie über die Grau- samkeit des geflügelten Gottes klagen, so ist damit nicht bloß die Hartherzigkeit der Geliebten oder ihre Zurückhal- tung gemeint, sondern auch das Bewußtsein der Unrecht- mäßigkeit der Verbindung. Ueber dieses Unglück suchen sie durch jene Vergeistigung der Liebe sich zu erheben, welche 6. Abschnitt. sich an die platonische Seelenlehre anlehnt und in Pietro Bembo ihren berühmtesten Vertreter gefunden hat. Man hört ihn unmittelbar im dritten Buch seiner Asolani, und Pietro Bembo. mittelbar durch Castiglione, welcher ihm jene prachtvolle Schlußrede des vierten Buches des Cortigiano in den Mund legt. Beide Autoren waren im Leben keine Stoiker, aber in jener Zeit wollte es schon etwas heißen, wenn man ein berühmter und zugleich ein guter Mann war und diese Prädicate kann man Beiden nicht versagen. Die Zeitge- nossen nahmen das was sie sagten für wahrhaft gefühlt und so dürfen auch wir es nicht als bloßes Phrasenwerk verachten. Wer sich die Mühe nimmt, die Rede im Cor- tigiano nachzulesen, wird einsehen, wie wenig ein Excerpt einen Begriff davon geben könnte. Damals lebten in Italien einige vornehme Frauen, welche wesentlich durch Verhält- nisse dieser Art berühmt wurden, wie Giulia Gonzaga, Veronica da Coreggio und vor allen Vittoria Colonna. Das Land der stärksten Wüstlinge und der größten Spötter respectirte diese Gattung von Liebe und diese Weiber; Grö- ßeres läßt sich nicht zu ihren Gunsten sagen. Ob etwas Eitelkeit dabei war, ob Vittoria den sublimirten Ausdruck hoffnungsloser Liebe von Seiten der berühmtesten Männer Italiens gerne um sich herum tönen hörte, wer mag es entscheiden? Wenn die Sache stellenweise eine Mode wurde, so war es immerhin kein Kleines, daß Vittoria wenigstens nicht aus der Mode kam und daß sie in der spätesten Zeit noch die stärksten Eindrücke hervorbrachte. — Es dauerte lange, bis andere Länder irgend ähnliche Erscheinungen aufwiesen. Die Phantasie, welche dieses Volk mehr als ein anderes beherrscht, ist dann überhaupt eine allgemeine Ursache davon, daß jede Leidenschaft in ihrem Verlauf überaus heftig und je nach Umständen verbrecherisch in den Mitteln wird. 6. Abschnitt. Man kennt eine Heftigkeit der Schwäche, die sich nicht be- herrschen kann; hier dagegen handelt es sich um eine Aus- artung der Kraft. Bisweilen knüpft sich daran eine Ent- wicklung ins Colossale; das Verbrechen gewinnt eine eigene, persönliche Consistenz. Allgemeiner Frevelsinn. Schranken giebt es nur noch wenige. Der Gegenwir- kung des illegitimen, auf Gewalt gegründeten Staates mit seiner Polizei fühlt sich Jedermann, auch das gemeine Volk, innerlich entwachsen, und an die Gerechtigkeit der Justiz glaubt man allgemein nicht mehr. Bei einer Mordthat ist, bevor man irgend die nähern Umstände kennt, die Sympathie un- willkürlich auf Seiten des Mörders Piaccia al Signore Iddio che non si ritrovi, sagen bei Giraldi III, Nov. 10 die Frauen im Hause, wenn man ihnen erzählt, die That könne den Mörder den Kopf kosten. . Ein männliches, stolzes Auftreten vor und während der Hinrichtung erregt vollends solche Bewunderung, daß die Erzähler darob leicht vergessen zu melden, warum der Betreffende verurtheilt war Dieß begegnet z. B. Gioviano Pontano ( de fortitudine, L. II. ); seine heldenmüthigen Ascolaner, welche noch die letzte Nacht hindurch tanzen und singen, die abruzzesische Mutter, welche den Sohn auf dem Gang zum Richtplatz aufheitert u. s. w. gehören vermuthlich in Räuberfamilien, was er jedoch übergeht. . Wenn aber irgendwo zu der innerlichen Verachtung der Justiz und zu den vielen aufgesparten Vendetten noch die Straf- losigkeit hinzutritt, etwa in Zeiten politischer Unruhen, dann scheint sich bisweilen der Staat und das bürgerliche Leben auflösen zu wollen. Solche Momente hatte Neapel beim Uebergang von der aragonesischen auf die französische und auf die spanische Herrschaft, solche hatte auch Mailand bei der mehrmaligen Vertreibung und Wiederkehr der Sforza. Da kommen jene Menschen zum Vorschein, welche den Staat und die Gesellschaft insgeheim niemals anerkannt haben und nun ihre räuberische und mörderische Selbstsucht ganz souverän walten lassen. Betrachten wir beispielshalber ein Bild dieser Art aus einem kleinern Kreise. Als das Herzogthum Mailand bereits um 1480 durch 6. Abschnitt. die innern Krisen nach dem Tode des Galeazzo Maria Allgemeiner Frevelsinn. Sforza erschüttert war, hörte in den Provinzialstädten jede Sicherheit auf. So in Parma Diarium Parmense, bei Murat. XXII, Col. 330 bis 349 passim. , wo der mailändische Gubernator, durch Mordanschläge in Schrecken gesetzt, sich die Freilassung furchtbarer Menschen abdringen ließ, wo Einbrüche, Demolitionen von Häusern, öffentliche Mord- thaten etwas Gewöhnliches wurden, wo zuerst maskirte Verbrecher einzeln, dann ohne Scheu jede Nacht große be- waffnete Schaaren herumzogen; dabei circulirten frevelhafte Späße, Satiren, Drohbriefe und es erschien ein Spott- sonett gegen die Behörden, welches dieselben offenbar mehr empörte als der entsetzliche Zustand selbst. Daß in vielen Kirchen die Tabernakel sammt den Hostien geraubt wurden, verräth noch eine besondere Farbe und Richtung jener Ruch- losigkeit. Nun ist es wohl unmöglich zu errathen, was in jedem Lande der Welt auch heute geschehen würde, wenn Regierung und Polizei ihre Thätigkeit einstellten und den- noch durch ihr Dasein die Bildung eines provisorischen Re- gimentes unmöglich machten, allein was damals in Italien bei solchen Anlässen geschah, trägt doch wohl einen besondern Character durch starke Einmischung der Rache. Im Allgemeinen macht das Italien der Renaissance den Eindruck, als ob auch in gewöhnlichen Zeiten die gro- ßen Verbrechen häufiger gewesen wären als in andern Ländern. Freilich könnte uns wohl der Umstand täuschen, daß wir hier verhältnißmäßig weit mehr Specielles davon erfahren als irgend anderswo und daß dieselbe Phantasie, welche auf das thatsächliche Verbrechen wirkt, auch das nichtgeschehene ersinnt. Die Summe der Gewaltthaten war vielleicht anderswo dieselbe. Ob der Zustand z. B. in dem kraftvollen, reichen Deutschland um 1500, mit seinen kühnen Landstreichern, gewaltigen Bettlern und wegelagernden Rittern 6. Abschnitt. im Ganzen sicherer gewesen, ob das Menschenleben wesent- lich besser garantirt war, läßt sich schwer ermitteln. Aber so viel ist sicher, daß das prämeditirte, besoldete, durch dritte Hand geübte, auch das zum Gewerb gewordene Ver- brechen in Italien eine große und schreckliche Ausdehnung gewonnen hatte. Räuberwesen. Blicken wir zunächst auf das Räuberwesen, so wird vielleicht Italien damals nicht mehr, in glücklichern Gegenden wie z. B. Toscana sogar weniger davon heimgesucht gewe- sen sein als die meisten Länder des Nordens. Aber es giebt wesentlich italienische Figuren. Schwerlich findet sich anderswo z. B. die Gestalt des durch Leidenschaft verwil- derten, allmälig zum Räuberhauptmann gewordenen Geist- lichen, wovon jene Zeit unter andern folgendes Beispiel liefert Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 312. Man erinnert sich dabei an die Bande des Priesters, welcher einige Jahre vor 1837 die westliche Lombardie unsicher machte. . Am 12. August 1495 wurde in einen eisernen Käfig außen am Thurm von S. Giuliano zu Ferrara ein- geschlossen der Priester Don Nicol ò de' Pelegati von Fi- garolo. Derselbe hatte zweimal seine erste Messe gelesen; das erstemal hatte er an demselben Tage einen Mord be- gangen und war darauf in Rom absolvirt worden; nachher tödtete er vier Menschen und heirathete zwei Weiber, mit welchen er herumzog. Dann war er bei vielen Tödtungen anwesend, nothzüchtigte Weiber, führte andere mit Gewalt fort, übte Raub in Masse, tödtete noch Viele und zog im Ferraresischen mit einer uniformirten bewaffneten Bande herum, Nahrung und Obdach mit Mord und Gewalt er- zwingend. — Wenn man sich das Dazwischenliegende hin- zudenkt, so ergiebt sich für den Priester eine ungeheure Summe des Frevels. Es gab damals überall viele Mörder und andere Missethäter unter den so wenig beaufsichtigten und so hoch privilegirten Geistlichen und Mönchen, aber kaum einen Pelegati. Etwas Anderes, obwohl auch nichts 6. Abschnitt. Rühmliches, ist es, wenn verlorene Menschen sich in die Kutte stecken dürfen um der Justiz zu entgehen, wie z. B. jener Corsar, den Massuccio in einem Kloster zu Neapel kannte Massuccio, Nov. 29. Es versteht sich, daß der Betreffende auch in der Liebschaft am meisten Glück hat. . Wie es sich mit Papst Johann XXIII. in dieser Beziehung verhielt, ist nicht näher bekannt Wenn er in seiner Jugend als Corsar in dem Krieg der beiden Li- nien von Anjou um Neapel auftrat, so kann er dieß als politischer Parteigänger gethan haben, was nach damaligen Begriffen keine Schande brachte. Der Erzbischof Paolo Fregoso von Genua hat sich vielleicht in der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts viel mehr erlaubt. . Die Zeit der individuell berühmten Räuberhauptleute beginnt übrigens erst später, im XVII. Jahrhundert, als die politischen Gegensätze, Guelfen und Ghibellinen, Spa- nier und Franzosen, das Land nicht mehr in Bewegung setzten; der Räuber löst den Parteigänger ab. In gewissen Gegenden von Italien, wo die Cultur Verwilderte Bauern. nicht hindrang, waren die Landleute permanent mörderisch gegen Jeden von draußen, der ihnen in die Hände fiel. So namentlich in den entlegenern Theilen des Königreiches Neapel, wo eine uralte Verwilderung vielleicht seit der rö- mischen Latifundienwirthschaft sich erhalten hatte, und wo man den Fremden und den Feind, hospes und hostis , noch in aller Unschuld für gleichbedeutend halten mochte. Diese Leute waren gar nicht irreligiös; es kam vor, daß ein Hirt voll Angst im Beichtstuhl erschien, um zu bekennen, daß ihm während der Fasten beim Käsemachen ein paar Tropfen Milch in den Mund gekommen. Freilich fragte der sittenkundige Beichtvater bei diesem Anlaß auch noch aus ihm heraus, daß er oft mit seinen Gefährten Reisende beraubt und ermordet hatte, nur daß dieß als etwas Land- Cultur der Renaissance. 29 6. Abschnitt. übliches keine Gewissensbisse rege machte Poggio, Facetiæ, fol. 164. Wer das heutige Neapel kennt, hat vielleicht eine ähnliche Farce aus einem andern Lebensgebiet erzählen hören. . Wie sehr in Zeiten politischer Unruhen die Bauern auch anderswo ver- wildern konnten, ist bereits (S. 351) angedeutet worden. Der bezahlte Mord. Ein schlimmeres Zeichen der damaligen Sitte als die Räuberei ist die Häufigkeit der bezahlten, durch dritte Hand geübten Verbrechen. Darin ging zugestandener Maßen Neapel allen andern Städten voran. „Hier ist gar nichts billiger zu kaufen als ein Menschenleben“, sagt Pontano Jovian. Pontani Antonius: nec est quod Neapoli quam ho- minis vita minoris vendatur. Freilich meint er, das sei unter den Anjou noch nicht so gewesen; sicam ab iis — den Aragonesen — accepimus . Den Zustand um 1534 bezeugt Benv. Cellini I, 70. . Aber auch andere Gegenden weisen eine furchtbare Reihe von Missethaten dieser Art auf. Man kann dieselben na- türlich nur schwer nach den Motiven sondern, indem poli- tische Zweckmäßigkeit, Parteihaß, persönliche Feindschaft, Rache und Furcht durcheinander wirkten. Es macht den Florentinern die größte Ehre, daß damals bei ihnen, dem höchstentwickelten Volke von Italien, dergleichen am we- nigsten vorkömmt Einen eigentlichen Nachweis wird Niemand hierüber leisten können, allein es wird wenig Merd erwähnt und die Phantasie der flerentin. Schriftsteller der guten Zeit ist nicht mit Verdacht dieser Art erfüllt. , vielleicht weil es für berechtigte Be- schwerden noch eine Justiz gab, die man anerkannte, oder weil die höhere Cultur den Menschen eine andere Ansicht verlieh über das verbrecherische Eingreifen in das Rad des Schicksals; wenn irgendwo so erwog man in Florenz wie eine Blutschuld unberechenbar weiter wirkt und wie wenig der Anstifter auch bei einem sogenannten nützlichen Ver- brechen eines überwiegenden und dauernden Vortheils sicher ist. Nach dem Untergang der florentinischen Freiheit scheint der Meuchelmord, hauptsächlich der gedungene, rasch zuge- nommen zu haben, bis die Regierung Cosimo's I. so weit 6. Abschnitt. zu Kräften kam, daß seine Polizei Ueber diese s. die Relation des Fedeli bei Albèri, Relazioni, serie II, vol. I, p. 353, s. allen Missethaten ge- wachsen war. Im übrigen Italien wird das bezahlte Verbrechen Fürstliche Mordstifter. häufiger oder seltener gewesen sein, je nachdem zahlungs- fähige hochgestellte Anstifter vorhanden waren. Es kann Niemanden einfallen, dergleichen statistisch zusammenzufassen, allein wenn von all den Todesfällen, die das Gerücht als gewaltsam herbeigeführt betrachtete, auch nur ein kleiner Theil wirkliche Mordthaten waren, so macht dieß schon eine große Summe aus. Fürsten und Regierungen gaben aller- dings das schlimmste Beispiel: sie machten sich gar kein Bedenken daraus, den Mord unter die Mittel ihrer All- macht zu zählen. Es bedurfte dazu noch keines Cesare Borgia; auch die Sforza, die Aragonesen, später auch die Werkzeuge Carls V. erlaubten sich was zweckmäßig schien. Die Phantasie der Nation erfüllte sich allmälig derge- Die Vergiftungen. stalt mit Voraussetzungen dieser Art, daß man bei Mäch- tigen kaum mehr an einen natürlichen Tod glaubte. Freilich machte man sich von der Wirkungskraft der Gifte bisweilen fabelhafte Vorstellungen. Wir wollen glauben, daß jenes furchtbare weiße Pulver (S. 118) der Borgia auf bestimmte Termine berechnet werden konnte, und so mag auch das- jenige Gift wirklich ein venenum atterminatum gewesen sein, welches der Fürst von Salerno dem Cardinal von Aragon reichte mit den Worten: „in wenigen Tagen wirst „du sterben weil dein Vater König Ferrante uns alle hat „zertreten wollen“ Infessura, bei Eccard, scriptores II, Col. 1956. . Aber der vergiftete Brief, welchen Caterina Riario an Papst Alexander VI. sandte Chron. venetum, bei Murat. XXIV, Col. 131. , würde diesen schwerlich umgebracht haben, auch wenn er ihn ge- 29* 6. Abschnitt. lesen hätte; und als Alfons der Große von den Aerzten gewarnt wurde, ja nicht in dem Livius zu lesen, den ihm Cosimo de' Medici übersandte, antwortete er ihnen gewiß mit Recht: höret auf so thöricht zu reden Petr. Crinitus de honesta disciplina, L. XVIII, cap. 9. . Vollends hätte jenes Gift nur sympathetisch wirken können, womit der Secretär Piccinino's den Tragstuhl des Papstes Pius II. nur ein wenig anstreichen wollte Pii II. comment. L. XI, p. 562. — Jo. Ant. Campanus: vita Pii II, bei Murat. III, II, Col. 988. . Wie weit es sich durch- schnittlich um mineralische oder Pflanzengifte handelte, läßt sich nicht bestimmen; die Flüssigkeit, mit welcher der Maler Rosso Fiorentino (1541) sich das Leben nahm, war offen- bar eine heftige Säure Vasari IX, 82, vita di Rosso. — Ob in unglücklichen Ehen mehr wirkliche Vergiftungen oder mehr Besorgnisse vor solchen vorherrsch- ten, mag unentschieden bleiben. Vgl. Bandello, II, Nov. 5 u. 54. Sehr bedenklich lautet II, Nov. 40. In einer und derselben west- lombardischen Stadt, die nicht näher bezeichnet wird, leben zwei Giftköche; ein Gemahl, der sich von der Echtheit der Verzweiflung seiner Frau überzeugen will, läßt sie einen vermeintlich giftigen Trank, der aber nur ein gefärbtes Wasser ist, wirklich austrinken und darauf versöhnt sich das Ehepaar. — In der Familie des Cardanus allein waren vier Vergiftungen vorgekommen. De propria vita, cap. 30. 50. , welche man keinem Andern hätte Die Bravi. unbemerkt beibringen können. — Für den Gebrauch der Waffen, zumal des Dolches, zu heimlicher Gewaltthat hatten die Großen in Mailand, Neapel und anderswo leider einen unaufhörlichen Anlaß, indem unter den Schaaren von Be- waffneten, welche sie zu ihrem eigenen Schutze nöthig hatten, schon durch den bloßen Müssiggang hie und da sich eine wahre Mordlust ausbilden mußte. Manche Gräuelthat wäre wohl unterblieben wenn der Herr nicht gewußt hätte, daß es bei Diesem und Jenem aus seinem Gefolge nur eines Winkes bedürfe. Unter den geheimen Mitteln des Verderbens kommt — 6. Abschnitt. wenigstens der Absicht nach — auch die Zauberei vor Maleficien z. B. gegen Leonello von Ferrara s. Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 194 ad a. 1445. Während man dem Thäter, einem gew. Benato, der auch sonst übelberüchtigt war, auf der Piazza das Urtheil vorlas, erhob sich ein Lärm in der Luft und ein Erdbeben, sodaß männiglich davon lief oder zu Boden stürzte. — Was Guicciardini ( L. I. ) über den bösen Zauber des Lodovico Moro gegen seinen Neffen Giangaleazzo sagt, mag auf sich beruhen. , doch nur in sehr untergeordneter Weise. Wo etwa male- ficii, malie u. dgl. erwähnt werden, geschieht es meist, um auf ein ohnehin gehaßtes oder abscheuliches Individuum alle erdenklichen Schrecken zu häufen. An den Höfen von Frankreich und England im XIV. und XV. Jahrhundert spielt der verderbliche, tödtliche Zauber eine viel größere Rolle als unter den höhern Ständen von Italien. Endlich erscheinen in diesem Lande, wo das Indivi- Die absoluten Bösewichter. duelle in jeder Weise culminirt, einige Menschen von ab- soluter Ruchlosigkeit, bei welchen das Verbrechen auftritt um seiner selber willen, nicht mehr als Mittel zu einem Zweck, oder wenigstens als Mittel zu Zwecken, welche sich aller psychologischen Norm entziehen. Zu diesen entsetzlichen Gestalten scheinen zunächst auf den ersten Anblick einige Condottieren zu gehören Man könnte vor Allem Ezzelino da Romano nennen, wenn derselbe nicht offenbar unter der Herrschaft ehrgeiziger Zwecke und eines star- ken astrologischen Wahns gelebt hätte. , ein Braccio von Montone, ein Tiberto Brandolino, und schon ein Werner von Urslingen, dessen silbernes Brustschild die Inschrift trug: Feind Gottes, des Mitleids und der Barm- herzigkeit. Daß diese Menschenclasse im Ganzen zu den frühsten völlig emancipirten Frevlern gehörte, ist gewiß. Man wird jedoch behutsamer urtheilen, sobald man inne wird, daß das allerschwerste Verbrechen derselben — nach dem Sinne der Aufzeichner — im Trotz gegen den geist- 6. Abschnitt. lichen Bann liegt und daß die ganze Persönlichkeit erst von da aus mit jenem fahlen, unheimlichen Lichte bestrahlt er- erscheint. Bei Braccio war diese Gesinnung allerdings so weit ausgebildet, daß er z. B. über psallirende Mönche in Wuth gerathen konnte und sie von einem Thurm herunter werfen ließ Giornali napoletani, bei Muratori XXI, Col. 1092, ad a. 1425. , „allein gegen seine Soldaten war er doch loyal und ein großer Feldherr“. Ueberhaupt werden die Verbrechen der Condottieren meist um des Vortheils willen begangen worden sein, auf Antrieb ihrer höchst demorali- sirenden Stellung, und auch die scheinbar muthwillige Grausamkeit möchte in der Regel ihren Zweck gehabt haben, wäre es auch nur der einer allgemeinen Einschüchterung gewesen. Die Grausamkeiten der Aragonesen hatten, wie wir (S. 35) sahen, ihre Hauptquelle in Rachsucht und Angst. Einen unbedingten Blutdurst, eine teuflische Lust am Verderben wird man am ehesten bei dem Spanier Ce- sare Borgia finden, dessen Gräuel die vorhandenen Zwecke in der That um ein Bedeutendes überschreiten (S. 113, ff.). Sig. Malatesta. Sodann ist eine eigentliche Lust am Bösen in Sigismondo Malatesta, dem Gewaltherrscher von Rimini (S. 33 und 223, f.) erkennbar; es ist nicht nur die römische Curie Pii II, comment. L. VII, p. 338. son- dern auch das Urtheil der Geschichte, welches ihm Mord, Nothzucht, Ehebruch, Blutschande, Kirchenraub, Meineid und Verrath und zwar in wiederholten Fällen Schuld giebt; das Gräßlichste aber, die versuchte Nothzucht am eigenen Sohn Roberto, welche dieser mit gezücktem Dolche zurück- wies Jovian. Pontan. de immanitate, wo auch von Sigismondo's Schwängerung der eigenen Tochter u. dgl. die Rede ist. , möchte doch wohl nicht bloß Sache der Verworfen- heit sondern eines astrologischen oder magischen Aberglaubens gewesen sein. Dasselbe hat man schon vermuthet, um die Nothzüchtigung des Bischofs von Fano Varchi, storie fiorentine, am Ende (Wenn das Werk unver- stümmelt abgedruckt ist, wie z. B. in der Mailänder Ausgabe.) durch Pierluigi 6. Abschnitt. Farnese von Parma, Sohn Paul's III. , zu erklären. Wenn wir uns nun erlauben dürften die Hauptzüge Sittlichkeit und Individualis- mus. des damaligen italienischen Characters, wie er uns aus dem Leben der höhern Stände überliefert ist, zusammen- zufassen, so würde sich etwa Folgendes ergeben. Der Grundmangel dieses Characters erscheint zugleich als die Bedingung seiner Größe: der entwickelte Individualismus. Dieser reißt sich zuerst innerlich los von dem gegebenen, meist tyrannischen und illegitimen Staatswesen und was er nun sinnt und thut, das wird ihm zum Verrath angerechnet, mit Recht oder mit Unrecht. Beim Anblick des siegreichen Egoismus unternimmt er selbst, in eigener Sache, die Ver- theidigung des Rechtes und verfällt durch die Rache, die er übt, den dunkeln Gewalten, während er seinen innern Frieden herzustellen glaubt. Seine Liebe wendet sich am ehesten einem andern entwickelten Individualismus zu, nämlich der Gattinn seines Nächsten. Gegenüber von allem Objectiven, von Schranken und Gesetzen jeder Art hat er das Gefühl eigener Souveränetät und entschließt sich in jedem einzelnen Fall selbständig, je nachdem in seinem In- nern Ehrgefühl und Vortheil, kluge Erwägung und Leiden- schaft, Entsagung und Rachsucht sich vertragen. Wenn nun die Selbstsucht im weitern wie im engsten Sinne Wurzel und Hauptstamm alles Bösen ist, so wäre schon deßhalb der entwickelte Italiener damals dem Bösen näher gewesen als andere Völker. Aber diese individuelle Entwicklung kam nicht durch seine Schuld über ihn, sondern durch einen weltgeschicht- lichen Rathschluß; sie kam auch nicht über ihn allein, son- dern wesentlich vermittelst der italienischen Cultur auch über 6. Abschnitt. alle andern Völker des Abendlandes und ist seitdem das höhere Medium, in welchem dieselben leben. Sie ist an sich weder gut noch böse, sondern nothwendig; innerhalb derselben entwickelt sich ein modernes Gutes und Böses, eine sittliche Zurechnung, welche von der des Mittelalters wesentlich verschieden ist. Der Italiener der Renaissance aber hatte das erste gewaltige Daherwogen dieses neuen Weltalters zu bestehen. Mit seiner Begabung und seinen Leidenschaften ist er für alle Höhen und alle Tiefen dieses Weltalters der kennt- lichste, bezeichnendste Repräsentant geworden; neben tiefer Verworfenheit entwickelt sich die edelste Harmonie des Per- sönlichen und eine glorreiche Kunst, welche das individuelle Leben verherrlichte, wie weder Alterthum noch Mittelalter dieß wollten oder konnten. Die Religion. Mit der Sittlichkeit eines Volkes steht in engstem Zu- sammenhange die Frage nach seinem Gottesbewußtsein, d. h. nach seinem größern oder geringern Glauben an eine göttliche Leitung der Welt, mag nun dieser Glaube die Welt für eine zum Glück oder zum Jammer und baldigen Untergang bestimmte halten Worüber natürlich je nach Ort und Menschen ganz verschiedene Stimmungen laut werden. Die Renaissance hat Städte und Zeiten gehabt, wo ein entschiedener, frischer Genuß des Glückes vorherrschte. Eine allgemeine Verdüsterung der Denkenden beginnt erst mit der entschiedenen Fremdherrschaft im XVI. Jahrhundert sich kenntlich zu machen. . Nun ist der damalige italienische Unglaube im Allgemeinen höchst berüchtigt und wer sich noch die Mühe eines Beweises nimmt, hat es leicht hunderte von Aussagen und Beispielen zusammenzustellen. Unsere Aufgabe ist auch hier, zu sondern und zu unter- scheiden; ein abschließendes Gesammturtheil werden wir uns auch hier nicht erlauben. Das Gottesbewußtsein der frühern Zeit hatte seine 6. Abschnitt. Quelle und seinen Anhalt im Christenthum und in dessen äußerer Machtgestalt, der Kirche gehabt. Als die Kirche ausartete, hätte die Menschheit distinguiren und ihre Reli- gion trotz Allem behaupten sollen. Aber ein solches Po- stulat läßt sich leichter aufstellen als erfüllen. Nicht jedes Volk ist ruhig oder stumpfsinnig genug, um einen dauernden Widerspruch zwischen einem Princip und dessen äußerer Darstellung zu ertragen. Die sinkende Kirche ist es, auf welche jene schwerste Verantwortlichkeit fällt, die je in der Geschichte vorgekommen ist: sie hat eine getrübte und zum Vortheil ihrer Allmacht entstellte Lehre mit allen Mitteln der Gewalt als reine Wahrheit durchgesetzt, und im Gefühl ihrer Unantastbarkeit sich der schwersten Entsittlichung über- lassen; sie hat, um sich in solchem Zustande zu behaupten, gegen den Geist und das Gewissen der Völker tödtliche Streiche geführt und viele von den Höherbegabten, welche sich ihr innerlich entzogen, dem Unglauben und der Ver- bitterung in die Arme getrieben. Hier stellt sich uns auf dem Wege die Frage entgegen: Mangel einer Reformation. warum das geistig so mächtige Italien nicht kräftiger gegen die Hierarchie reagirt, warum es nicht eine Reformation gleich der deutschen und vor derselben zu Stande gebracht habe? Es giebt eine scheinbare Antwort: die Stimmung Ita- liens habe es nicht über die Verneinung der Hierarchie hinausgebracht, während Ursprung und Unbezwingbarkeit der deutschen Reformation den positiven Lehren, zumal von der Rechtfertigung durch den Glauben und vom Unwerth der guten Werke, verdankt werde. Es ist gewiß, daß diese Lehren erst von Deutschland her auf Italien wirkten, und zwar viel zu spät, als die spanische Macht bei weitem groß genug war, um theils unmittelbar, theils durch das Papstthum und dessen Werk- zeuge Alles zu erdrücken. Aber schon in den frühern reli- giösen Bewegungen Italiens von den Mystikern des XIII. 6. Abschnitt. Jahrhunderts bis auf Savonarola war auch sehr viel po- sitiver Glaubensinhalt, dem zur Reife nichts als das Glück fehlte. Colossale Ereignisse wie die Reform des XVI. Jahrhunderts entziehen sich wohl überhaupt, was das Ein- zelne, den Ausbruch und Hergang betrifft, aller geschichts- philosophischen Deduction, so klar man auch ihre Nothwendig- keit im Großen und Ganzen erweisen kann. Die Bewegungen des Geistes, ihr plötzliches Aufblitzen, ihre Verbreitung, ihr Innehalten sind und bleiben unsern Augen wenigstens in- soweit ein Räthsel, als wir von den dabei thätigen Kräften immer nur diese und jene, aber niemals alle kennen. Stellung zur Kirche. Die Stimmung der höhern und mittlern Stände Ita- liens gegen die Kirche zur Zeit der Höhe der Renaissance ist zusammengesetzt aus tiefem, verachtungsvollem Unwillen, aus Accommodation an die Hierarchie insofern sie auf alle Weise in das äußere Leben verflochten ist, und aus einem Gefühl der Abhängigkeit von den Sacramenten, Weihen und Segnungen. Als etwas für Italien speciell Bezeich- nendes dürfen wir noch die große individuelle Wirkung heiliger Prediger beifügen. Zur Hierarchie. Ueber den antihierarchischen Unwillen der Italiener, wie er sich zumal seit Dante in Literatur und Geschichte offenbart, sind eigene umfangreiche Arbeiten vorhanden. Von der Stellung des Papstthums zur öffentlichen Meinung haben wir selber oben (S. 103, f., 216) einige Rechenschaft geben müssen, und wer das Stärkste aus erlauchten Quellen schöpfen will, der kann die berühmten Stellen in Macchia- vell's Discorsi und in (dem unverstümmelten) Guicciardini nachlesen. Außerhalb der römischen Curie genießen noch am ehesten die bessern Bischöfe einigen sittlichen Respect Man beachte, daß die Novellisten u. a. Spötter der Bischöfe beinahe gar nicht gedenken, während man sie, allenfalls mit verändertem Ortsnamen, hätte durchziehen können wie die andern. Dieß geschieht , auch manche Pfarrer; dagegen sind die bloßen Pfründner, 6. Abschnitt. Chorherren und Mönche fast ohne Ausnahme verdächtig und oft mit der schmachvollsten Nachrede, die den ganzen be- treffenden Stand umfaßt, übel beladen. Man hat schon behauptet, die Mönche seien zum Sün- Die Bettelmönche. denbock für den ganzen Clerus geworden, weil man nur über sie gefahrlos habe spotten dürfen Foscolo, Discorso sul testo del Decamerone: Ma de' preti in dignità niuno poteva far motto senza pericolo; onde ogni frate fu l'irco delle iniquità d'Israele etc. . Allein dieß ist auf alle Weise irrig. In den Novellen und Comödien kommen sie deßhalb vorzugsweise vor, weil diese beiden Literaturgattungen stehende, bekannte Typen lieben, bei welchen die Phantasie leicht das nur Angedeutete ergänzt. Sodann schont die Novelle auch den Weltclerus nicht Bandello präludirt z. B. II, Nov. 1, damit: das Laster der Habsucht stehe Niemanden schlechter an als den Priestern, welche ja für keine Familie ꝛc. zu sorgen hätten. Mit diesem Raisonnement wird der schmähliche Ueberfall eines Pfarrhauses gerechtfertigt, wobei ein junger Herr durch zwei Soldaten oder Banditen einem zwar geizigen aber gichtbrüchigen Pfarrer einen Hammel stehlen läßt. Eine ein- zige Geschichte dieser Art zeigt die Voraussetzungen, unter welchen man lebte und handelte, genauer an als alle Abhandlungen . Drittens beweisen zahllose Aufzeichnungen aus der ganzen übrigen Literatur, wie keck über das Papstthum und die römische Curie öffentlich geredet und geurtheilt wurde; in den freien Schöpfungen der Phantasie muß man aber der- gleichen nicht erwarten. Viertens konnten sich auch die Mönche bisweilen furchtbar rächen. So viel ist immerhin richtig, daß gegen die Mönche der Unwille am stärksten war, und daß sie als lebendiger Beweis figurirten von dem Unwerth des Klosterlebens, der ganzen geistlichen Einrichtung, des Glaubenssystems, ja der z. B. bei Bandello II, Nov. 45; doch schildert er II, 40 auch einen tugendbaften Bischof. Gioviano Pontano im „Charon“ läßt den Schatten eines üppigen Bischofs „mit Entenschritt“ daherwatscheln. 6. Abschnitt. Religion überhaupt, je nachdem man die Folgerungen mit Recht oder Unrecht auszudehnen beliebte. Man darf hiebei wohl annehmen, daß Italien eine deutlichere Erinnerung von dem Aufkommen der beiden großen Bettelorden bewahrt hatte als andere Länder, daß es noch ein Bewußtsein davon besaß, dieselben seien ursprünglich die Träger jener Reaction Giov. Villani III, 29 sagt dieß sehr deutlich ein Jahrh. später. gegen das was man die Ketzerei des XIII. Jahrhunderts nennt, d. h. gegen eine frühe starke Regung des modernen italienischen Geistes. Und das geistliche Polizeiamt, welches den Dominicanern insbesondere dauernd anvertraut blieb, hat gewiß nie ein anderes Gefühl rege gemacht als heim- lichen Haß und Hohn. Hohn der No- vellisten. Wenn man den Decamerone und die Novellen des Franco Sacchetti liest, sollte man glauben, die frevelhafte Rede gegen Mönche und Nonnen wäre erschöpft. Aber gegen die Zeit der Reformation hin steigert sich dieser Ton noch um ein Merkliches. Gerne lassen wir Aretino aus dem Spiel, da er in den Ragionamenti das Klosterleben nur zum Vorwand braucht, um seinem eigenen Naturell den Zügel schießen zu lassen. Aber einen Zeugen statt aller müssen wir hier nennen: Massuccio in den zehn ersten von seinen fünfzig Novellen. Sie sind in der tiefsten Entrüstung und mit dem Zweck dieselbe zu verbreiten geschrieben und den vornehmsten Personen, selbst dem König Ferrante und dem Prinzen Alfonso von Neapel dedicirt. Die Geschichten selbst sind zum Theil älter und einzelne schon aus Boccaccio bekannt; anderes aber hat eine furchtbare neapolitanische Actualität. Die Bethörung und Aussaugung der Volks- massen durch falsche Wunder, verbunden mit einem schänd- lichen Wandel, bringen hier einen denkenden Zuschauer zu einer wahren Verzweiflung. Von herumziehenden Minoriten Conventualen heißt es: „Sie betrügen, rauben und huren, und wo sie nicht mehr weiter wissen, stellen sie sich als Heilige und thun Wunder, wobei der Eine das Gewand 6. Abschnitt. von S. Vincenzo, der Andere die Schrift L'Ordine. Wahrscheinlich ist seine Tafel mit dem Motto IHS gemeint. S. Bernar- Die Bettel- mönche in den Novellen. dino's, ein Dritter den Zaum von Capistrano's Esel vor- zeigt.“ .. Andere „bestellen sich Helfershelfer, welche, schein- bar blind oder todtkrank, durch Berührung des Saumes ihrer Kutte oder der mitgebrachten Reliquien plötzlich mitten im Volksgewühl genesen; dann schreit Alles Misericordia! man läutet die Glocken und nimmt lange feierliche Proto- colle auf.“ Es kommt vor, daß ein Mönch auf der Kanzel von einem andern, welcher unter dem Volke steht, keck als Lügner angeschrien wird; dann aber fühlt sich der Rufende plötzlich von Besessenheit ergriffen, worauf ihn der Prediger bekehrt und heilt — Alles reine Comödie. Der Betreffende mit seinem Helfershelfer sammelte so viel Geld, daß er von einem Cardinal ein Bisthum kaufen konnte, wo beide ge- mächlich auslebten. Massuccio macht keinen besonderen Un- terschied zwischen Franciscanern und Dominicanern, indem beide einander werth seien. „Und da läßt sich das unver- nünftige Publicum noch in ihren Haß und ihre Parteiung hineinziehen und streitet darüber auf öffentlichen Plätzen Er fügt hinzu: und in den seggi, d. h. den Vereinen, in welche der neapolitanische Adel getheilt war. — Die Rivalität der beiden Orden wird häufig lächerlich gemacht, z. B. Bandello III, Nov. 14. und theilt sich in Franceschiner und Domenichiner!“ Die Nonnen gehören ausschließlich den Mönchen; sobald sie sich mit Laien abgeben, werden sie eingekerkert und verfolgt, die andern aber halten mit Mönchen förmlich Hochzeit, wobei sogar Messen gesungen, Contracte aufgesetzt und Speise und Trank reichlich genossen werden. „Ich selber, sagt der Ver- fasser, „bin nicht ein sondern mehrere Male dabei gewesen, habe es gesehen und mit Händen gegriffen. Solche Nonnen gebären dann entweder niedliche Mönchlein oder sie treiben die Frucht ab. Und wenn Jemand behaupten möchte, dieß 6. Abschnitt. sei eine Lüge, so untersuche er die Cloaken der Nonnen- Die Bettel- mönche in den Novellen. klöster und er wird darin einen Vorrath von zarten Knöchlein finden nicht viel anders als in Bethlehem zu Herodes Zei- ten.“ Solche und andere Sachen birgt das Klosterleben. Freilich machen einander die Mönche es in der Beichte bequem und dictiren ein Paternoster für Dinge um derent- willen sie einem Laien alle Absolution versagen würden gleich einem Ketzer. „Darum öffne sich die Erde und ver- schlinge solche Verbrecher lebendig sammt ihren Gönnern.“ An einer andern Stelle äußert Massuccio, weil die Macht der Mönche doch wesentlich auf der Furcht vor dem Jenseits beruhe, einen ganz merkwürdigen Wunsch: „es gäbe keine bessere Züchtigung für sie, als wenn Gott recht bald das Fegefeuer aufhöbe; dann könnten sie nicht mehr von Al- mosen leben und müßten wieder zur Hacke greifen“. Wenn man unter Ferrante und an ihn so schreiben durfte, so hing dieß vielleicht damit zusammen, daß der König durch ein auf ihn gemünztes falsches Wunder er- bittert war Für das Folgende vgl. Jovian. Pontan. de sermone, L. II. und Bandello, Parte I, Nov. 32. . Man hatte ihn durch eine bei Tarent ver- grabene und hernach gefundene Bleitafel mit Inschrift zu einer Judenverfolgung ähnlich der spanischen zu zwingen gesucht, und, als er den Betrug durchschaute, ihm Trotz geboten. Auch einen falschen Faster hatte er entlarven lassen, wie schon früher einmal sein Vater König Alfonso that. Der Hof hatte wenigstens am dumpfen Aberglauben keine Mitschuld Weßhalb auch sonst in seiner Nähe dieß Wesen offen denuncirt wer- den durfte. Vgl. auch Jovian. Pontan.: Antonius, und Charon. . Wir haben einen Autor angehört, dem es Ernst war, und er ist lange nicht der einzige in seiner Art. Spott und Schimpf über die Bettelmönche sind vollends massen- weise vorhanden und durchdringen die ganze Literatur. Man kann kaum daran zweifeln, daß die Renaissance binnen Kurzem mit diesen Orden aufgeräumt haben würde, wenn 6. Abschnitt. nicht die deutsche Reformation und die Gegenreformation darüber gekommen wäre. Ihre populären Prediger und ihre Heiligen hätten sie schwerlich gerettet. Es wäre nur darauf angekommen, daß man sich mit einem Papst, der die Bettelorden verachtete, wie z. B. Leo X. , zu rechter Zeit verabredet hätte. Wenn der Zeitgeist sie doch nur noch entweder komisch oder abscheulich fand, so waren sie für die Kirche weiter nichts mehr als eine Verlegenheit. Und wer weiß, was damals dem Papstthum selber bevorstand, wenn die Reformation es nicht gerettet hätte. Die Machtübung, welche sich fortwährend der Pater Die dominica- nische Inquisi- tion. Inquisitor eines Dominicanerklosters über die betreffende Stadt erlaubte, war im spätern XV. Jahrhundert gerade noch groß genug um die Gebildeten zu geniren und zu empören, aber eine dauernde Furcht und Devotion ließ sich nicht mehr erzwingen Die Geschichte in Vasari V, p. 120, vita di Sandro Botticelli, zeigt, daß man bisweilen mit der Inquisition Scherz trieb. Aller- dings kann der hier erwähnte Vicario sowohl der des Erzbischofs als der des dominicanischen Inquisitors gewesen sein. . Bloße Gesinnungen zu strafen wie vor Zeiten (S. 285, f.) war nicht mehr möglich, und vor eigentlichen Irrlehren konnte sich auch Derjenige leicht hüten, der sonst gegen den ganzen Clerus als solchen die loseste Zunge führte. Wenn nicht eine mächtige Partei mithalf (wie bei Savonarola) oder böser Zauber bestraft werden sollte (wie öfter in den oberitalischen Städten), so kam es am Ende des XV. und Anfang des XVI. Jahrhunderts nur noch selten bis zum Scheiterhaufen. In mehrern Fällen begnügten sich die Inquisitoren, wie es scheint, mit höchst oberflächlichem Wiederruf, anderemale kam es sogar vor, daß man ihnen den Verurtheilten auf dem Gange zum Richtplatz aus den Händen nahm. In Bologna (1452) war der Priester Nicol ò da Verona als Necromant, Teufels- banner und Sacramentsschänder bereits auf einer hölzernen 6. Abschnitt. Bühne vor San Domenico degradirt worden und sollte nun auf die Piazza zum Scheiterhaufen geführt werden, als ihn unterwegs eine Schaar von Leuten befreite, welche der Jo- hanniter Achille Malvezzi, ein bekannter Ketzerfreund und Nonnenschänder, gesandt hatte. Der Legat (Cardinal Bes- sarion) konnte hernach von den Thätern nur Einen habhaft werden, der gehenkt wurde; Malvezzi lebte ungestört weiter Bursellis, ann. Bonon. ap. Murat. XXIII, Col. 886. cf. 896. . Die höhern Orden. Es ist bemerkenswerth, daß die höhern Orden, also die Benedictiner mit ihren Abzweigungen, trotz ihres großen Reichthums und Wohllebens weit weniger perhorrescirt waren als die Bettelorden; auf zehn Novellen, die von frati handeln, kommt höchstens eine, welche einen monaco zum Gegenstand und Opfer hat. Nicht wenig kam diesen Orden zu Gute, daß sie älter und ohne polizeiliche Absicht gegründet waren und sich nicht in das Privatleben ein- mischten. Es gab darunter fromme, gelehrte und geistreiche Leute, aber den Durchschnitt schildert einer von ihnen, Fi- renzuola Vgl. S. 343, f. Er war Abt der Vallombrosaner. Die Stelle, hier frei übersetzt, findet sich Opere, vol. II, p. 208 in seiner zehnten Novelle. — Eine einladende Schilderung des Wohllebens der Car- thäuser in dem S. 340 citirten Commentario d'Italia, fol. 32, s. , wie folgt: „Diese Wohlgenährten in ihren weiten Kutten bringen ihr Leben nicht hin mit barfüßigem Herum- ziehen und Predigen, sondern in zierlichen Corduanpantoffeln sitzen sie in ihren schönen Cellen mit Cypressengetäfel, und falten die Hände über dem Bauch. Und wenn sie je ein- mal sich von der Stelle bemühen müssen, so reiten sie ge- mächlich auf Maulthieren und fetten Pferdchen wie zur Erholung herum. Den Geist ermüden sie nicht zu sehr durch Studium vieler Bücher, damit das Wissen ihnen nicht statt ihrer mönchischen Einfalt einen Lucifershochmuth beibringe“. Wer die Literatur jener Zeiten kennt wird zugeben, daß hier nur das zum Verständniß des Gegenstandes Nothwendigste mitgetheilt ist Pius II. war aus Gründen für Abschaffung des Coelibates; Sacer- dotibus magna ratione sublatas nuptias maiori restituendas videri, war eine seiner Lieblingssentenzen. Platina, vitæ Pontiff., p. 311. . Daß eine solche Reputation 6. Abschnitt. von Weltclerus und Mönchen bei Unzähligen den Glauben an das Heilige überhaupt erschüttern mußte, springt in die Augen. Was für schreckliche Gesammturtheile bekommt man da Guicciardini über d. Clerus. zu hören! Wir theilen schließlich nur eines davon mit, weil es erst neuerlich gedruckt und noch wenig bekannt ist. Guicciardini, der Geschichtschreiber und vieljährige Beamte der mediceischen Päpste, sagt (1529) in seinen Aphorismen Ricordi, N. 28, in den Opere inedite, Vol. I. : „Keinem Menschen mißfällt mehr als mir der Ehrgeiz, die Habsucht und die Ausschweifung der Priester, sowohl weil jedes dieses Laster an sich hassenswerth ist, als auch weil jedes allein oder alle sich wenig ziemen bei Leuten, die sich zu einem von Gott besonders abhängigen Stand bekennen, und vollends weil sie unter sich so entgegengesetzt sind, daß sie sich nur in ganz absonderlichen Individuen vereinigt finden können. Gleichwohl hat meine Stellung bei mehrern Päpsten mich gezwungen, die Größe derselben zu wollen meines eigenen Vortheils wegen. Aber ohne diese Rücksicht hätte ich Martin Luther geliebt, wie mich selbst, nicht um mich loszumachen von den Gesetzen, welche das Christen- thum, so wie es insgemein erklärt und verstanden wird, uns auferlegt, sondern um diese Schaar von Nichtswürdigen ( questa caterva di scelerati ) in ihre gebührenden Grän- zen gewiesen zu sehen, so daß sie entweder ohne Laster oder ohne Macht leben müßten.“ Derselbe Guicciardini hält denn auch dafür Ricordi, N. 1. 123. 125. , daß wir in Betreff alles Uebernatürlichen im Dunkel bleiben, daß Philosophen und Theologen nur Thorheiten darüber Cultur der Renaissance. 30 6. Abschnitt. vorbringen, daß die Wunder in allen Religionen vorkom- men, für keine besonders beweisen und sich am Ende auf noch unbekannte Naturphänomene zurückführen lassen. Den bergeversetzenden Glauben, wie er sich damals bei den Nachfolgern Savonarola's zu erkennen gab, constatirt er als ein curioses Phänomen, doch ohne bittere Bemerkung. Gewöhnung an die Kirche, Gegenüber von solchen Stimmungen hatten Clerus und Mönchthum den großen Vortheil, daß man an sie gewöhnt war und daß ihr Dasein sich mit dem Dasein von Jeder- mann berührte und verflocht. Es ist der Vortheil den alle alten und mächtigen Dinge von jeher in der Welt gehabt haben. Jedermann hatte irgend einen Verwandten im Priesterrock oder in der Kutte, irgend eine Aussicht auf Protection oder künftigen Gewinn aus dem Schatz der Kirche, und in der Mitte von Italien saß die römische Curie, welche ihre Leute bisweilen plötzlich reich machte. Doch muß man sehr hervorheben, daß dieß Alles die Zunge und die Feder nicht band. Die Autoren der lästerlichen Komik sind ja selber meist Mönche, Pfründner u. s. w.; Poggio, der die Facetien schrieb, war Geistlicher, Francesco Berni hatte ein Canonicat, Teofilo Folengo war Benedic- tiner, Matteo Bandello, der seinen eigenen Orden lächerlich macht, war Dominicaner und zwar Nepot eines Generals dieses Ordens. Treibt sie ein Uebermaß des Sicherheits- gefühles? oder ein Bedürfniß, die eigene Person von der Verrufenheit des Standes zu sondern? oder jene pessimi- stische Selbstsucht mit dem Wahlspruch: „uns hält's noch aus“? Vielleicht war etwas von Allem dabei. Bei Folengo wirkt freilich schon das Lutherthum kenntlich ein Vgl. dessen u. d. Namen Limerno Pitocco gedichteten Orlandino, cap. VI, Str. 40, s. cap. VII, Str. 57. cap. VIII, Str. 3, s., bes. 75. . und an ihre Segnungen. Die Abhängigkeit von Segnungen und Sacramenten, von welcher bereits (S. 104) bei Anlaß des Papstthums die Rede gewesen ist, versteht sich bei dem gläubigen Theil 6. Abschnitt. des Volkes von selbst; bei den Emancipirten bedeutet und bezeugt sie die Stärke der Jugendeindrücke und die enorme, magische Kraft altgewohnter Symbole. Das Verlangen des Sterbenden — wer er auch sein mochte — nach prie- sterlicher Absolution beweist einen Rest von Höllenfurcht, selbst bei einem Menschen wie jener Vitellozzo (a. a. O.) war. Ein belehrenderes Beispiel als das seinige wird schwer zu finden sein. Die kirchliche Lehre von dem Character indelebilis des Priesters, woneben seine Persönlichkeit in- different wird, hat so weit Früchte getragen, daß man wirklich den Priester verabscheuen und doch seine geistlichen Spenden begehren kann. Freilich gab es auch Trotzköpfe wie z. B. Fürst Galeotto von Mirandola Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 362. , der 1499 in einer bereits sechszehnjährigen Excommunication starb. Während dieser ganzen Zeit war auch die Stadt um seinet- willen im Interdict gewesen, so daß weder Messe noch ge- weihtes Begräbniß stattfand. Glänzend tritt endlich neben all diesen Zweideutigkeiten Die Bußprediger. hervor das Verhältniß der Nation zu ihren großen Buß- predigern. Das ganze übrige Abendland ließ sich von Zeit zu Zeit durch die Rede heiliger Mönche rühren, allein was wollte dieß heißen neben der periodischen Erschütterung der italienischen Städte und Landschaften? Zudem ist z. B. der einzige, der während des XV. Jahrhunderts in Deutsch- land eine ähnliche Wirkung hervorbrachte Er hatte einen deutschen und einen slavischen Dolmetscher bei sich. Auch S. Bernhard hatte einst am Rhein desselben Mittels bedurft. , ein Abruzzese von Geburt gewesen, nämlich Giovanni Capistrano. Die- jenigen Gemüther, welche einen so gewaltigen Ernst und einen solchen religiösen Beruf in sich tragen, sind damals im Norden intuitiv, mystisch; im Süden expansiv, practisch, verbündet mit der hohen Achtung der Nation vor Sprache 30* 6. Abschnitt. und Rede. Der Norden bringt eine Imitatio Christi her- vor, welche im Stillen, anfangs nur in Klöstern, aber auf Jahrhunderte wirkt; der Süden producirt Menschen, welche auf Menschen einen colossalen Eindruck des Augenblickes machen. Dieser Eindruck beruht wesentlich auf Erregung des Gewissens. Es sind Moralpredigten, ohne Abstraction, voll specieller Anwendung, unterstützt von einer geweihten, as- cetischen Persönlichkeit, woran sich dann von selbst durch die erregte Phantasie das Mirakel anschließt, auch gegen den Willen des Predigers Capistrano z. B. begnügte sich, über die Tausende von Kranken, die man ihm brachte, das Kreuz zu machen und sie im Namen der Dreieinigkeit und seines Meisters S. Bernardino zu segnen, worauf hie und da eine wirkliche Genesung erfolgte, wie in solchen Fällen zu geschehen pflegt. Der Chronist von Brescia deutet dieß so an: „er that schöne Wunder, doch erzählte man viel mehr als wirklich war“. . Das gewaltigste Argument war weniger die Drohung mit Fegefeuer und Hölle, als viel- mehr die höchst lebendige Entwicklung der maledizione , des zeitlichen, in der Person wirkenden Fluches, der sich an das Böse knüpft. Die Betrübung Christi und der Heiligen hat ihre Folgen im Leben. Nur so konnte man die in Leidenschaft, Racheschwüre und Verbrechen verrannten Men- schen zur Sühne und Buße bringen, was bei Weitem der wichtigste Zweck war. So predigten im XV. Jahrhundert Bernardino da Siena, Alberto da Sarzana, Giovanni Capistrano, Jacopo della Marca, Roberto da Lecce (S. 409) und Andere; endlich Girolamo Savonarola. Es gab kein stärkeres Vor- urtheil als dasjenige gegen die Bettelmönche; sie überwanden es. Der hochmüthige Humanismus critisirte und höhnte So z. B. Poggio, de avaritia, in den Opera, fol. 2. Er findet, sie hätten es leicht, da sie in jeder Stadt dasselbe vorbrächten und das Volk dümmer entlassen dürften als es gekommen sei ꝛc. ; wenn sie ihre Stimme erhoben, so dachte man seiner nicht mehr. Die Sache war nicht neu und ein Spöttervolk wie 6. Abschnitt. die Florentiner hatte schon im XIV. Jahrhundert die Ca- ricatur davon, wo sie sich auf seinen Kanzeln blicken ließ, malträtiren gelernt Franco Sacchetti, Nov. 72. Verfehlte Bußprediger sind bei allen Novellisten ein häufiges Thema. ; als Savonarola auftrat, riß er sie doch soweit hin, daß bald ihre ganze geliebte Bildung und Kunst in dem Gluthfeuer, das er entzündete, zusammengeschmolzen wäre. Selbst die stärkste Profanation durch heuchlerische Mönche, welche mit Hülfe von Einverstandenen die Rührung beliebig in ihren Zuhörern hervorzubringen und zu ver- breiten wußten (vgl. S. 461), war nicht im Stande der Sache selbst zu schaden. Man fuhr fort, über gemeine Mönchspredigten mit erdichteten Wundern und Vorzeigung falscher Reliquien Vgl. die bekannte Posse im Decamerone VI, Nov. 10. zu lachen und die echten großen Buß- prediger hoch zu achten. Dieselben sind eine wahre italie- nische Specialität des XV. Jahrhunderts. Der Orden — in der Regel der des h. Franciscus Ihr Orden. und zwar von der sogenannten Observanz — schickt sie aus je nachdem sie begehrt werden. Dieß geschieht hauptsächlich bei schwerer öffentlicher oder Privatzwietracht in den Städten, auch wohl bei schrecklicher Zunahme der Unsicherheit und Unsittlichkeit. Ist dann aber der Ruhm eines Predigers gewachsen, so begehren ihn die Städte alle auch ohne be- sondern Anlaß; er geht wohin ihn die Obern senden. Ein besonderer Zweig dieser Thätigkeit ist die Kreuzpredigt gegen die Türken Wobei die Sache wieder ganz eigenthümliche Farben annahm. Vgl. Malipiero, Ann. venet., arch. stor. VII, I, p, 18. — Chron. venetum, bei Murat. XXIV, Col. 114. — Storia bresciana, bei Murat. XXI, Col. 898. , wir haben es aber hier wesentlich mit der Bußpredigt zu thun. Die Reihenfolge der Predigten, wenn eine solche me- Ihre Methode. thodisch beobachtet wurde, scheint sich einfach an die kirch- 6. Abschnitt. liche Aufzählung der Todsünden angeschlossen zu haben; je dringender aber der Moment ist, um so eher geht der Prediger unmittelbar auf das Hauptziel los. Er beginnt vielleicht in einer jener gewaltig großen Ordenskirchen oder im Dom; binnen Kurzem ist die größte Piazza zu klein für das von allen Gegenden herbeiströmende Volk, und das Kommen und Gehen ist für ihn selbst mit Lebens- gefahr verbunden Stor. Bresciana bei Murat. XXI, Col. 865. . In der Regel schließt die Predigt mit einer ungeheuern Procession, allein die ersten Stadt- beamten, welche ihn in die Mitte nehmen, können ihn auch da kaum vor den Leuten sichern, welche ihm Hände und Füße küssen und Stücke von seiner Kutte schneiden Allegretto, Diarî sanesi, bei Murat. XXIII, Col. 819. . Die nächsten Erfolge, welche sich am leichtesten erge- ben, nachdem gegen Wucher, Vorkauf und unehrbare Moden gepredigt worden, sind das Eröffnen der Gefängnisse, d. h. wohl nur die Freilassung ärmerer Schuldgefangenen, und das Verbrennen von Luxussachen und Werkzeugen gefähr- lichen sowohl als unschuldigen Zeitvertreibes: als da sind Würfel, Karten, Spiele aller Art, „Maskengesichter“, Mu- sikinstrumente, Gesangbücher, geschriebene Zauberformeln Infessura (bei Eccard, scriptores II, Col. 1874) sagt: canti, brevi, sorti. Ersteres könnte auf Liederbücher gehen, dergleichen wenigstens Savonarola wirklich verbrannt hat. Allein Graziani (Cron. di Perugia, arch. stor. XVI, I, p. 314) sagt bei einem ähnlichen Anlaß, brieve incante, was ohne Zweifel brevi e in- canti zu lesen ist, und eine ähnliche Emendation ist vielleicht auch bei Infessura rathsam, dessen sorti ohnehin irgend eine Sache des Aberglaubens bezeichnen, etwa ein wahrsagendes Kartenspiel. — Zur Zeit des Bücherdruckes sammelte man auch z. B. alle Exemplare des Martial für den Scheiterhaufen ein. Bandello III, Nov. 10. , falsche Haartouren ꝛc. Dieß Alles wurde auf einem Ge- rüste (talamo) ohne Zweifel zierlich gruppirt, oben drauf etwa noch eine Teufelsfigur befestigt, und dann Feuer angelegt. (Vgl. S. 368.) Nun kommen die härtern Gemüther an die Reihe; 6. Abschnitt. wer längst nicht mehr gebeichtet hat, beichtet nunmehr; un- Ihre Wirkung. gerecht vorenthaltenes Gut wird zurückgegeben, unheil- schwangere Schmähreden werden zurückgenommen. Redner wie Bernardino da Siena S. dessen merkwürdige Biographie bei Vespasiano Fiorent. p. 244, s. — und die bei Aen. Sylvius, de viris illustr., p. 24. gingen sehr emsig und genau auf den täglichen Verkehr der Menschen und dessen Sitten- gesetz ein. Wenige unserer heutigen Theologen möchten wohl eine Morgenpredigt zu halten versucht sein „über Contracte, Restitutionen, Staatsrenten (monte) und Aus- stattung von Töchtern“, wie er einst im Dom von Florenz eine hielt. Unvorsichtigere Prediger begingen dabei leicht den Fehler, so stark gegen einzelne Menschenclassen, Gewerbe, Beamtungen loszuziehen, daß sich das aufgeregte Gemüth der Zuhörer sofort durch Thätlichkeiten gegen diese entlud Allegretto, l. c., Col. 823; ein Prediger hetzt das Volk gegen die Richter (wenn nicht statt giudici etwa giudei zu lesen ist) worauf dieselben bald in ihren Häusern wären verbrannt worden. . Auch eine Predigt des Bernardino da Siena, die er einmal in Rom (1424) hielt, hatte außer dem Brand von Putz- und Zaubersachen auf dem Capitol noch eine andere Folge: „Hernach, heißt es Infessura, l. c. Im Todestag der Hexe scheint ein Schreibfehler zu liegen. — Wie derselbe Heilige vor Arezzo ein verrufenes Wäld- chen umhauen ließ, erzählt Vasari III, 148; v. di Parri Spinelli. Oft mag sich der erste Bußeifer an Localen, Symbolen und Werk- zeugen so ziemlich erschöpft haben. , wurde auch die Hexe Finicella ver- brannt, weil sie mit teuflischen Mitteln viele Kinder tödtete und viele Personen verhexte, und ganz Rom ging hin es zu sehen.“ Das wichtigste Ziel der Predigt aber ist, wie oben be- merkt, die Versöhnung von Streit und Verzichtung auf die Rache. Sie wird wohl in der Regel erst gegen Ende des Predigtcurses erfolgt sein, wenn der Strom allgemeiner Bußfertigkeit allmälig die ganze Stadt ergriff, wenn die 6. Abschnitt. Luft erbebte Pareva che l'aria si fendesse, heißt es irgendwo. von dem Geschrei des ganzen Volkes: mi- sericordia! — Da kam es zu jenen feierlichen Friedens- schlüssen und Umarmungen, auch wenn schon Wechselmord zwischen den streitenden Parteien lag. Man ließ wohl die bereits Verbannten zu so heiligem Vorhaben absichtlich in die Stadt kommen. Es scheint, daß solche „ paci “ im Ganzen beobachtet worden sind, auch wenn die gehobene Stimmung vorüber war, und dann blieb das Andenken des Mönches im Segen auf viele Geschlechter hinaus. Aber Grenzen der Wirkung. es gab wilde, furchtbare Crisen wie die der Familien della Valle und Croce zu Rom (1482), wobei selbst der große Roberto da Lecce seine Stimme umsonst erhob Jac. Volaterran. bei Murat. XXIII, Col. 167. Es wird nicht ausdrücklich gesagt, daß er sich mit dieser Fehde abgab, allein wir dürfen nicht daran zweifeln. — Auch Jacopo della Marca hatte einst (1445) nach ungeheuren Erfolgen kaum Perugia verlassen, als ein schrecklicher Rachemord in der Familie Ranieri geschah. Vgl. Graziani, l. c. pag. 565, s. — Bei diesem Anlaß muß darauf hingewiesen werden, daß jene Stadt auffallend oft von solchen Pre- digern besucht wird, vgl. pag. 597, 626, 631, 637, 647. . Kurz vor der Charwoche hatte er noch auf dem Platz vor der Minerva zahllosem Volke gepredigt; da erfolgte in der Nacht vor dem grünen Donnerstag die schreckliche Straßen- schlacht vor Palazzo della Valle beim Ghetto; am Morgen gab Papst Sixtus den Befehl zu dessen Schleifung, und hielt dann die gewohnten Ceremonien dieses Tages ab; am Charfreitag predigte Roberto wieder, in den Händen ein Crucifix; er und seine Zuhörer konnten aber nichts als weinen. Gewaltsame, mit sich zerfallene Gemüther faßten häufig unter dem Eindruck der Bußpredigten den Entschluß, ins Kloster zu treten. Es waren darunter Räuber und Ver- brecher aller Art, auch wohl brodlose Soldaten Capistrano kleidete nach einer Predigt fünfzig Soldaten ein; Stor. . Dabei wirkt die Bewunderung mit, welche dem heiligen Mönche 6. Abschnitt. sich wenigstens in der äußern Lebensstellung nach Kräften zu nähern sucht. Die Schlußpredigt ist dann ein lauterer Segensspruch, der sich in den Worten zusammenfaßt: la pace sia con voi! Große Schaaren begleiten den Prediger nach der nächsten Stadt und hören daselbst seinen ganzen Kreis von Reden noch einmal an. Bei der ungeheuern Macht, welche diese heiligen Mangel an Controle. Männer ausübten, war es dem Clerus und den Regie- rungen erwünscht, sie wenigstens nicht zu Gegnern zu haben. Ein Mittel hiezu war, daß man darauf hielt, nur Mönche Daß es an Reibungen zwischen den berühmten Observantenpredigern und den neidischen Dominicanern nicht fehlte, zeigt der Streit über das vom Kreuz auf die Erde geflossene Blut Christi (1463). Ueber Fra Jacopo della Marca, der dem dominicanischen Inquisitor durch- aus nicht nachgeben wollte, äußert sich Pius II. in seinem ausführ- lichen Bericht (Comment. L. XI, p. 511) mit einer ganz hübschen Ironie: Pauperiem pati et famem et sitim et corporis cru- ciatum et mortem pro Christi nomine nonnulli possunt; iacturam nominis vel minimam ferre recusant, tanquam sua deficiente fama Dei quoque gloria pereat. oder Geistliche, welche wenigstens die mindern Weihen hatten, in solcher Qualität auftreten zu lassen, so daß der Orden oder die betreffende Corporation einigermaßen für sie haft- bar war. Aber eine scharfe Grenze ließ sich auch hier nicht festhalten, da die Kirche und also auch die Kanzel längst für allerlei Zwecke der Oeffentlichkeit, gerichtliche Acte, Pu- blicationen, Vorlesungen ꝛc. in Anspruch genommen war, und da selbst bei eigentlichen Predigten bisweilen dem Hu- manisten und Laien das Wort gelassen wurde (S. 230 ff.). bresciana, l. c. — Graziani, l. c. pag. 565, s. — Aen. Syl- vius (de viris illustr. p. 25) war in seiner Jugend einmal nach einer Predigt S. Bernardino's nahe daran, in dessen Orden zu treten. 6. Abschnitt. Nun gab es ohnehin eine zwitterhafte Menschenclasse Ihr Ruf schwankte schon damals zwischen Extremen. Man muß sie von den Eremitanermönchen unterscheiden. — Ueberhaupt waren die Grenzen in dieser Beziehung nicht fest gezogen. Die als Wunder- thäter herumziehenden Spoletiner beriefen sich immer auf San An- tonio und, ihrer Schlangen wegen, auf den Apostel Paulus. Sie brandschatzten schon seit dem XIII. Jahrh. die Bauern mit halb- geistlicher Magie und ihre Pferde waren dressirt niederzuknien wenn man San Antonio nannte. Dem Vorgeben nach sammelten sie für Hospitäler. Massuccio, Nov. 18. Bandello III, Nov. 17. Fi- renzuola in seinem asino d'oro läßt sie die Stelle der Bettel- pfaffen des Apulejus vertreten. , Predigende Eremiten. welche weder Mönche noch Geistliche waren und doch der Welt entsagt hatten, nämlich die in Italien sehr zahlreichen Einsiedler, und solche erschienen bisweilen ohne allen Auf- trag und rissen die Bevölkerungen hin. Ein Fall dieser Art ereignete sich zu Mailand nach der zweiten französischen Eroberung (1516), freilich in einer Zeit großer öffentlicher Unordnung; ein toscanischer Einsiedler, vielleicht von der Partei Savonarola's, behauptete mehrere Monate lang die Kanzel des Domes, polemisirte auf das Heftigste gegen die Hierarchie, stiftete einen neuen Leuchter und einen Altar im Dom, that Wunder, und räumte nur nach heftigen Kämpfen das Feld Prato, arch. stor. III, p. 357. Burigozzo, ibid. p. 431. . In jenen für das Schicksal Italiens ent- scheidenden Decennien erwacht überall die Weissagung und diese läßt sich, wo sie vorkömmt, nirgends auf einen be- stimmten Stand einschränken. Man weiß z. B., wie vor der Verwüstung Roms die Einsiedler mit einem wahren Trotze der Prophetie auftraten (S. 124). In Ermanglung eigener Beredsamkeit schicken solche Leute auch wohl Boten mit Symbolen wie z. B. jener Ascet bei Siena, der (1496) ein „Eremitlein“, d. h. einen Schüler in die geängstigte Stadt sandte mit einem Todtenkopf auf einem Stecken, woran ein Zettel mit einem drohenden Bibelspruch hing Allegretto, bei Murat. XXIII, Col. 855, s. . Aber auch die Mönche selber schonten oft Fürsten, Be- 6. Abschnitt. hörden, Clerus und ihren eigenen Stand durchaus nicht. Zwar eine directe Predigt zum Sturz eines Tyrannenhauses, wie die des Fra Jacopo Bussolaro zu Pavia im XIV. Jahrhundert gewesen war Matteo Villani VIII, 1, s. Er predigte zuerst gegen die Tyrannis überhaupt, dann, als ihn das herrschende Haus der Beccaria hatte wollen ermorden lassen, änderte er in einer Predigt selbst die Ver- fassung und die Behörden und nöthigte die Beccaria zur Flucht (1357). , trifft man in den folgenden Zeiten nicht mehr an, wohl aber muthigen Tadel, selbst gegen den Papst in dessen eigener Capelle (S. 233, Anm.), und naive politische Rathschläge in Gegenwart von Fürsten, die dessen nicht zu bedürfen glaubten Bisweilen stellte auch das regierende Haus in bedrängten Zeiten Mönche an, um das Volk für Loyalität zu begeistern. Ein Beispiel aus Ferrara bei Sanudo ( Murat. XXII, Col. 1218). . Auf dem Castellplatz zu Mailand durfte 1494 ein blinder Prediger aus der In- Die Warner. coronata (also ein Augustiner) dem Lodovico Moro von der Kanzel her zurufen: „Herr, zeige den Franzosen den Weg nicht, denn Du wirst es bereuen! Prato, arch. stor. III, p. 251. — Spätere fanatisch antifranzö- sische Prediger, nach der Vertreibung der Franzosen erwähnt Buri- gozzo, ibid., pag. 443, 449, 485; ad a. 1523, 1526, 1529. “ Es gab weis- sagende Mönche, welche vielleicht nicht direct politisirten, aber so schreckliche Bilder der Zukunft entwarfen, daß den Zuhörern die Besinnung verging. Ein ganzer Verein von solchen, zwölf Franciscaner Conventualen, durchzogen bald nach der Wahl Leo's X. (1513) die verschiedenen Land- schaften Italiens, wie sie dieselben unter sich vertheilt hatten. Derjenige von ihnen, welcher in Florenz predigte Jac. Pitti, storia fior. L. II. p. 112. , Fra Francesco di Montepulciano, erregte ein steigendes Ent- setzen unter dem ganzen Volke, indem seine Aeußerungen, gewiß eher verstärkt als gemildert, auch zu denjenigen ge- langten, welche vor Gedränge nicht selber in seine Nähe 6. Abschnitt. kommen konnten. Nach einer solchen Predigt starb er plötz- lich „an einem Brustwehe“; Alles kam, der Leiche die Füße zu küssen, weßhalb man sie Nachts in aller Stille begrub. Aber den neu entzündeten Geist der Weissagung, der nun selbst Weiber und Bauern ergriff, konnte man nur mit größter Mühe dämpfen. „Um die Leute wieder einiger- maßen heiter zu stimmen, veranstalteten hierauf die Medici, Giuliano (Bruder Leo's) und Lorenzo auf St. Johannis- tag 1514 jene prächtigen Feste, Jagden, Aufzüge und Tur- niere, wozu sich von Rom her außer einigen großen Herrn auch sechs Cardinäle, diese allerdings verkleidet, einfanden.“ Savonarola. Der größte Bußprediger und Prophet aber war in Florenz schon 1498 verbrannt worden: Fra Girolamo Sa- vonarola von Ferrara Perrens: Jérôme Savonarole, 2 voll., unter den vielen Special- werken vielleicht das methodisch bestgeordnete und nüchternste. . Hier müssen uns einige Winke über ihn genügen. Das gewaltige Werkzeug, durch welches er Florenz umgestaltet und beherrscht (1494—1498), ist seine Rede, wovon die erhaltenen, meist an Ort und Stelle ungenügend nachgeschriebenen Predigten offenbar nur einen beschränkten Begriff geben. Nicht als ob die äußern Mittel seines Auf- tretens sehr groß gewesen wären, denn Stimme, Aussprache, rhetorische Redaction u. dgl. bildeten vielmehr eher die schwache Seite, und wer einen Styl- und Kunstprediger verlangte, ging zu seinem Rivalen Fra Mariano da Ghi- nazzano — aber in Savonarola's Rede lag jene hohe per- sönliche Gewalt, welche wohl von da bis auf Luther nicht wieder vorgekommen ist. Er selber hielt es für Erleuchtung und taxirte deßhalb ohne Unbescheidenheit das Predigtamt sehr hoch: über dem Prediger folge in der großen Hierarchie der Geister unmittelbar der unterste der Engel. Seine Ordens- reform. Diese völlig zu Feuer und Flammen gewordene Per- sönlichkeit vollbrachte zunächst noch ein anderes, größeres Wunder; das eigene Kloster S. Marco Dominicaner Ordens 6. Abschnitt. und dann alle Dominicanerklöster Toscana's werden dessel- ben Sinnes und nnternehmen eine freiwillige große Reform. Wenn man weiß, was die Klöster damals waren und wie unendlich schwer die geringste Veränderung bei Mönchen durchzusetzen ist, so wird man doppelt erstaunen über eine völlige Sinnesänderung wie diese. Als die Sache im Gange war, befestigte sie sich dadurch, daß Gleichgesinnte jetzt in bedeutender Zahl Dominicaner wurden. Söhne aus den ersten Häusern traten in S. Marco als Novizen ein. Diese Reform des Ordens für ein bestimmtes Land war nun der erste Schritt zu einer Nationalkirche, zu welcher es bei längerer Dauer dieses Wesens unfehlbar hätte kom- men müssen. Savonarola selber wollte freilich eine Reform der ganzen Kirche und schickte deßhalb noch gegen Ende seiner Wirksamkeit an alle großen Potentaten dringende Mahnungen, sie möchten ein Concil versammeln. Allein sein Orden und seine Partei waren bereits für Toscana das allein mögliche Organ seines Geistes, das Salz der Erde geworden, während die Nachbargegenden im alten Zustande verharrten. Mehr und mehr baut sich aus Ent- sagung und Phantasie ein Zustand auf, der Florenz zu einem Reiche Gottes auf Erden machen will. Die Weissagungen, deren theilweises Eintreffen dem Seine Weissagungen und Visionen. Savonarola ein übermenschliches Ansehen verlieh, sind der- jenige Punct, auf welchem die allmächtige italienische Phan- tasie auch das bestverwahrte, liebevollste Gemüth bemeisterte. Anfangs meinten die Franciscaner von der Observanz, im Widerschein des Ruhmes, welchen ihnen S. Bernardino da Siena vermacht hatte, sie könnten den großen Domini- caner durch Concurrenz bändigen. Sie verschafften einem der Ihrigen die Domkanzel, und ließen die Unglückspro- phezeiungen Savonarola's durch noch schlimmere überbieten, bis Pietro de' Medici, der damals noch über Florenz herrschte, einstweilen Beiden Ruhe gebot. Bald darauf, als Carl VIII. 6. Abschnitt. nach Italien kam und die Medici vertrieben wurden, wie Savonarola mit klaren Worten geweissagt hatte, glaubte man nur noch ihm. Und hier muß nun zugestanden werden, daß er gegen seine eigenen Ahnungen und Visionen keine Kritik übte und gegen diejenigen Anderer eine ziemlich strenge. In der Leichen- rede auf Pico della Mirandola geht er mit dem verstorbenen Freunde etwas unbarmherzig um. Weil Pico trotz einer innern Stimme, die von Gott kam, doch nicht in den Orden treten wollte, habe er selber Gott gebeten, Jenen etwas zu züchtigen; seinen Tod aber habe er wahrlich nicht gewünscht; nun sei durch Almosen und Gebet so viel erwirkt, daß die Seele sich einstweilen im Fegefeuer befinde. In Betreff einer tröstlichen Vision, die Pico auf dem Krankenbette ge- habt, wobei ihm die Madonna erschien und versprach, er solle nicht sterben, gesteht Savonarola, er habe es lange für eine dämonische Täuschung gehalten, bis ihm geoffenbart worden sei, die Madonna habe den zweiten Tod, nämlich den ewigen gemeint. — Wenn dieß und Aehnliches Ueber- hebung war, so hat dieses große Gemüth wenigstens dafür gebüßt so bitter es dafür büßen konnte: in seinen letzten Tagen scheint Savonarola die Nichtigkeit seiner Gesichte und Weissagungen erkannt zu haben, und doch blieb ihm innerer Friede genug übrig um in heiliger Stimmung zum Tode zu gehen. Seine Anhänger aber hielten außer seiner Lehre auch seine Prophezeiungen noch drei Jahrzehnde hin- durch fest. Seine Verfassung. Als Reorganisator des Staates hatte er nur gearbeitet, weil sonst statt seiner feindselige Kräfte sich der Sache be- mächtigt haben würden. Es ist unbillig, ihn nach der halbdemocratischen Verfassung (S. 85, Anm.) vom Anfang des Jahres 1495 zu beurtheilen. Sie ist nicht besser und nicht schlechter als andere florentinische Verfassungen auch Savonarola wäre vielleicht der Einzige gewesen, der den Unterthanen- städten die Freiheit wiedergeben und dennoch den Zusammenhalt . Er war zu solchen Dingen im Grunde der ungeeig- 6. Abschnitt. netste Mensch, den man finden konnte. Sein wirkliches Ideal war eine Theocratie, bei welcher sich Alles in seliger Demuth vor dem Unsichtbaren beugt und alle Conflicte der Leidenschaft von vornherein abgeschnitten sind. Sein ganzer Sinn liegt in jener Inschrift des Signorenpalastes, deren Inhalt schon Ende 1495 sein Wahlspruch war Ein merkwürdiger Contrast zu den Sienesen, welche 1483 ihre ent- zweite Stadt feierlich der Madonna geschenkt hatten. Allegretto, ap. Murat. XXIII, Col. 815. , und die 1527 von seinen Anhängern erneuert wurde: „ Jesus Chri- stus Rex populi florentini S. P. Q. decreto creatus. “ Zum Erdenleben und seinen Bedingungen hatte er so wenig ein Verhältniß als irgend ein echter und strenger Mönch. Der Mensch soll sich nach seiner Ansicht nur mit dem ab- geben was mit dem Seelenheil in unmittelbarer Verbin- dung steht. Wie deutlich verräth sich dieß bei seinen Ansichten über Sein Verh. zur Bildung. die antike Literatur. „Das einzige Gute, predigt er, was Plato und Aristoteles geleistet haben ist, daß sie viele Argu- mente vorbrachten, welche man gegen die Ketzer gebrauchen kann. Sie und andere Philosophen sitzen doch in der Hölle. Ein altes Weib weiß mehr vom Glauben als Plato. Es wäre gut für den Glauben wenn viele sonst nützlich schei- nende Bücher zernichtet würden. Als es noch nicht so viele Bücher und nicht so viele Vernunftgründe (ragioni natu- rali) und Disputen gab, wuchs der Glaube rascher als er seither gewachsen ist.“ Die classische Lecture der Schulen will er auf Homer, Virgil und Cicero beschränkt und den Rest aus Hieronymus und Augustin ergänzt wissen; dagegen sollen nicht nur Catull und Ovid, sondern auch Tibull und Terenz verbannt bleiben. Hier spricht einstweilen wohl nur eine ängstliche Moralität, allein er giebt in einer besondern des toscanischen Staates irgendwie retten konnte. Daran aber kam ihm der Gedanke nicht. 6. Abschnitt. Schrift die Schädlichkeit der Wissenschaft im Allgemeinen zu. Eigentlich sollten, meint er, einige wenige Leute die- selbe erlernen, damit die Tradition der menschlichen Kennt- nisse nicht unterginge, besonders aber, damit immer einige Athleten zu Bekämpfung ketzerischer Sophismen vorräthig wären; alle Uebrigen dürften nicht über Grammatik, gute Sitten und Religionsunterricht (sacræ literæ) hinaus. So würde natürlich die ganze Bildung wieder an Mönche zurückfallen, und da zugleich die „Wissendsten und Heilig- sten“ auch Staaten und Reiche regieren sollten, so wären auch dieses wiederum Mönche. Wir wollen nicht einmal fragen, ob der Autor so weit hinaus gedacht hat. Kindlicher kann man nicht raisonniren. Die einfache Erwägung, daß das wiederentdeckte Alterthum und die riesige Ausweitung des ganzen Gesichtskreises und Denk- kreises eine je nach Umständen ruhmvolle Feuerprobe für die Religion sein möchten, kommt dem guten Menschen nicht in den Sinn. Er möchte gern verbieten was sonst nicht zu beseitigen ist. Ueberhaupt war er nichts weniger als liberal; gegen gottlose Astrologen z. B. hält er denselben Scheiter- haufen in Bereitschaft, auf welchem er hernach selbst gestor- ben ist Von den impii astrologi sagt er: non è da disputar (con loro) altrimenti che col fuoco. . Wie gewaltig muß die Seele gewesen sein, die bei diesem engen Geiste wohnte! Welch ein Feuer bedurfte es, um den Bildungsenthusiasmus der Florentiner vor dieser Anschauung sich beugen zu lehren! Seine Sitten- reform. Was sie ihm noch von Kunst und von Weltlichkeit Preis zu geben bereit waren, das zeigen jene berühmten Opferbrände, neben welchen gewiß alle talami des Ber- nardino da Siena und Anderer nur wenig besagen wollten. Es ging dabei allerdings nicht ab ohne einige tyran- nische Polizei von Seiten Savonarola's. Ueberhaupt sind seine Eingriffe in die hochgeschätzte Freiheit des italienischen 6. Abschnitt. Privatlebens nicht gering, wie er denn z. B. Spionage der Dienerschaft gegen den Hausherrn verlangte um seine Sit- tenreform durchführen zu können. Was später in Genf dem eisernen Calvin, bei dauerndem Belagerungszustande von außen, doch nur mühsam gelang, eine Umgestaltung des öffentlichen und Privatlebens, das mußte in Florenz doch nur ein Versuch bleiben und als solcher die Gegner auf das Aeußerste erbittern. Dahin gehört vor Allem die von Savonarola organisirte Schaar von Knaben, welche in die Häuser drangen und die für den Scheiterhaufen geeig- neten Gegenstände mit Gewalt verlangten; sie wurden hie und da mit Schlägen abgewiesen, da gab man ihnen, um die Fiction einer heranwachsenden heiligen Bürgerschaft dennoch zu behaupten, Erwachsene als Beschützer mit. Und so konnten am letzten Carnevalstage des Jahres Die Opferbrände. 1497 und an demselben Tage des folgenden Jahres die großen Autodafes auf dem Signorenplatz stattfinden. Da ragte eine Stufenpyramide, ähnlich dem rogus , auf welchem römische Imperatorenleichen verbrannt zu werden pflegten. Unten zunächst der Basis waren Larven, falsche Bärte, Maskenkleider u. dgl. gruppirt; drüber folgten die Bücher der lateinischen und italienischen Dichter, unter andern der Morgante des Pulci, der Boccaccio, der Petrarca, zum Theil kostbare Pergamentdrucke und Manuscripte mit Miniaturen; dann Zierden und Toilettengeräthe der Frauen, Parfüms, Spiegel, Schleier, Haartouren; weiter oben Lauten, Harfen, Schachbretter, Trictracs, Spielkarten; endlich enthielten die beiden obersten Absätze lauter Gemälde, besonders von weiblichen Schönheiten, theils unter den classischen Namen der Lucretia, Cleopatra, Faustina, theils unmittelbare Por- träts wie die der schönen Bencina, Lena Morella, Bina und Maria de' Lenzi. Das erstemal bot ein anwesender venezianischer Kaufmann der Signorie 20,000 Goldthaler für den Inhalt der Pyramide; die einzige Antwort war, Cultur der Renaissance. 31 6. Abschnitt. daß man ihn ebenfalls porträtiren und das Bild zu den übrigen hinauf stellen ließ. Beim Anzünden trat die Sig- norie auf den Balcon; Gesang, Trompetenschall und Glocken- geläute erfüllte die Lüfte. Nachher zog man auf den Platz vor S. Marco, wo die ganze Partei eine dreifache con- centrische Runde tanzte: zu innerst die Mönche dieses Klosters abwechselnd mit Engelknaben, dann junge Geistliche und Laien, zu äußerst endlich Greise, Bürger und Priester, diese mit Olivenzweigen bekränzt. Der ganze Spott der siegreichen Gegenpartei, die doch wahrlich einigen Anlaß und überdieß das Talent dazu hatte, genügte später doch nicht, um das Andenken Savo- narola's herabzusetzen. Je trauriger die Schicksale Ita- liens sich entwickelten, desto heller verklärte sich im Gedächtniß der Ueberlebenden die Gestalt des großen Mönches und Propheten. Seine Weissagungen mochten im Einzelnen unbewährt geblieben sein — daß große allgemeine Unheil, das er verkündet hatte, war nur zu schrecklich in Erfüllung gegangen. So groß aber die Wirkung der Bußprediger war und so deutlich Savonarola dem Mönchsstande als solchem das rettende Predigtamt vindicirte S. die Stelle aus der 14ten Predigt über Ezechiel, bei Perrens, l. c., vol. I, pag. 30, Nota. , so wenig entging dieser Stand doch dem allgemeinen verwerfenden Urtheil. Italien gab zu verstehen, daß es sich nur für die Individuen be- geistern könne. Stärke des al- ten Glaubens. Wenn man nun die Stärke des alten Glaubens, ab- gesehen von Priesterwesen und Mönchthum, verificiren soll, so kann dieselbe bald sehr gering, bald sehr bedeutend er- scheinen, je nachdem man sie von einer bestimmten Seite, in einem bestimmten Lichte anschaut. Von der Unentbehrlichkeit der Sacramente und Segnungen ist schon die Rede gewe- 6. Abschnitt. sen (S. 104, 466); überblicken wir einstweilen die Stellung des Glaubens und des Cultus im täglichen Leben. Hier ist die Masse und ihre Gewöhnung und die Rücksicht der Mächtigen auf Beides von bestimmendem Gewicht. Alles was zur Buße und zur Erwerbung der Selig- Das Heidnische im Volksglauben. keit mittelst guter Werke gehört, war bei den Bauern und bei den untern Classen überhaupt wohl in derselben Aus- bildung und Ausartung vorhanden wie im Norden, und auch die Gebildeten wurden davon stellenweise ergriffen und bestimmt. Diejenigen Seiten des populären Catholicismus, wo er sich dem antiken, heidnischen Anrufen, Beschenken und Versöhnen der Götter anschließt, haben sich im Be- wußtsein des Volkes auf das Hartnäckigste festgesetzt. Die schon bei einem andern Anlaß citirte achte Ecloge des Bat- tista Mantovano Mit dem Titel: De rusticorum religione. enthält unter andern das Gebet eines Bauern an die Madonna, worin dieselbe als specielle Schutzgöttin für alle einzelnen Interessen des Landlebens angerufen wird. Welche Begriffe machte sich das Volk von dem Werthe bestimmter Madonnen als Nothhelferinnen! was dachte sich jene Florentinerin Franco Sacchetti, Nov. 109, wo noch Anderes der Art. , die ein Fäßchen von Wachs als ex voto nach der Annunziata stiftete, weil ihr Geliebter, ein Mönch, allmälig ein Fäßchen Wein bei ihr austrank, ohne daß der abwesende Gemahl es bemerkte. Ebenso regierte damals ein Patronat einzelner Heiligen für bestimmte Lebenssphären gerade wie jetzt noch. Es ist schon öfter versucht worden, eine Anzahl von allgemeinen ritualen Gebräuchen der catholischen Kirche auf heidnische Ceremo- nien zurückzuführen, und daß außerdem eine Menge örtlicher und volksthümlicher Bräuche, die sich an Kirchenfeste geknüpft haben, unbewußte Reste der verschiedenen alten Heidenthümer Europa's sind, giebt Jedermann zu. In Italien aber kam 31* 6. Abschnitt. auf dem Lande noch dieß und jenes vor, worin sich ein bewußter Rest heidnischen Glaubens gar nicht verkennen ließ. So das Hinstellen von Speise für die Todten, vier Tage vor Petri Stuhlfeier, also noch am Tage der alten Feralien, 18. Februar Bapt. Mantuan. de sacris diebus, L. II. rust aus: Ista superstitio, ducens a Manibus ortum Tartareis, sancta de relligione facessat Christigenûm! vivis epulas date, sacra sepultis. Ein Jahrhundert vorher, als das Executionsheer Johann's XXII. gegen die Ghibellinen in der Mark zog, geschah es unter ausdrück- licher Anklage auf eresia und idolatria; Recanati, das sich frei- willig ergeben, wurde doch verbrannt, „weil daselbst Idole angebetet worden waren“. Giov. Villani, IX, 139. 141. — Eine geheim- nißvolle Anspielung auf eine Idolatria del Toro in Rom findet sich in dem Brief des Negri, Lettere de' principi, I, vom 14. August 1522. — Unter Pius II. kommt ein hartnäckiger Sonnenanbeter, Urbinate von Geburt, zum Vorschein. Aen. Sylvii opera p. 289. Hist. rer. ubique gestar. c. 12. . Manches andere dieser Art mag damals noch in Uebung gewesen und erst seither ausgerottet worden sein. Vielleicht ist es nur scheinbar paradox zu sagen, daß der populäre Glaube in Italien ganz besonders fest gegründet war, so weit er Heidenthum war. Wie weit nun die Herrschaft dieser Art von Glauben sich auch in die obern Stände erstreckte, ließe sich wohl bis zu einem gewissen Puncte näher nachweisen. Derselbe hatte, wie bereits bei Anlaß des Verhältnisses zum Clerus bemerkt wurde, die Macht der Gewöhnung und der frühen Ein- drücke für sich; auch die Liebe zum kirchlichen Festpomp wirkte mit, und hie und da kam eine jener großen Buß- epidemien hinzu, welchen auch Spötter und Läugner schwer widerstehen konnten. Der Reliquien- glaube. Es ist aber bedenklich, in diesen Fragen rasch auf durchgehende Resultate hinzusteuern. Man sollte z. B. meinen, daß das Verhalten der Gebildeten zu den Reli- quien von Heiligen einen Schlüssel gewähren müsse, der uns wenigstens einige Fächer ihres religiösen Bewußtseins 6. Abschnitt. öffnen könnte. In der That lassen sich Gradunterschiede nachweisen, doch lange nicht so deutlich wie es zu wünschen wäre. Zunächst scheint die Regierung von Venedig im XV. Jahrhundert durchaus diejenige Andacht zu den Ueber- resten heiliger Leiber getheilt zu haben, welche damals durch das ganze Abendland herrschte (S. 73). Auch Fremde, welche in Venedig lebten, thaten wohl, sich dieser Befangen- heit zu fügen So Sabellico, de situ venetæ urbis. Er nennt zwar die Namen der Kirchenheiligen, nach Art mehrerer Philologen, ohne sanctus oder divus, führt aber eine Menge Reliquien an und thut sehr zärtlich damit, rühmt sich auch bei mehrern Stücken, sie geküßt zu haben. . Wenn wir das gelehrte Padua nach sei- nem Topographen Michele Savonarola (S. 148) beurtheilen dürften, so wäre es hier nicht anders gewesen als in Ve- nedig. Mit einem Hochgefühl, in welches sich frommes Grausen mischt, erzählt uns Michele, wie man bei großen Gefahren des Nachts durch die ganze Stadt die Heiligen seufzen höre, wie der Leiche einer heiligen Nonne zu S. Chiara beständig Nägel und Haare wachsen, wie sie bei bevorste- hendem Unheil Lärm macht, die Arme erhebt, u. dgl. De laudibus Patavii, bei Murat. XXIV, Col. 1149 bis 1151. . Bei der Beschreibung der Antoniuscapelle im Santo ver- liert sich der Autor völlig ins Stammeln und Phantasiren. In Mailand zeigte wenigstens das Volk einen großen Re- liquienfanatismus, und als einst (1517) die Mönche in S. Simpliciano beim Umbau des Hochaltars sechs heilige Leichen unvorsichtig aufdeckten und mächtige Regenstürme über das Land kamen, suchten die Leute Prato, arch. stor. III, p. 408. — Er gehört sonst nicht zu den Aufklärern, aber gegen diesen Causalnerus protestirt er denn doch. die Ursache der letztern in jenem Sacrilegium und prügelten die betreffenden Mönche auf öffentlicher Straße durch, wo sie sie antrafen. Dessen Grad- unterschiede. In andern Gegenden Italiens aber, selbst bei den Päpsten, 6. Abschnitt. sieht es mit diesen Dingen schon viel zweifelhafter aus, ohne daß man doch einen bündigen Schluß ziehen könnte. Es ist bekannt, unter welchem allgemeinen Aufsehen Pius II. das aus Griechenland zunächst nach S. Maura geflüchtete Haupt des Apostels Andreas erwarb und (1462) feierlich in S. Peter niederlegte; allein aus seiner eigenen Relation geht hervor, daß er dieß that aus einer Art von Scham, als schon viele Fürsten sich um die Reliquie bewarben. Jetzt erst fiel es ihm ein, Rom zu einem allgemeinen Zufluchtsort der aus ihren Kirchen vertriebenen Reste der Heiligen zu machen Pii II. Comment. L. VIII, p. 352, s. Verebatur Pontifex, ne in honore tanti apostoli diminute agere videretur etc. . Unter Sixtus IV. war die Stadtbevölkerung in diesen Dingen eifriger als der Papst, so daß der Magistrat sich (1483) bitter beklagte, als Sixtus dem sterbenden Lud- wig XI. Einiges von den lateranensischen Reliquien ver- abfolgte Jac. Volaterran. bei Murat. XXIII, Col. 187. Ludwig konnte das Geschenk noch anbeten, starb aber dennoch. — Die Katakomben waren damals in Vergessenheit gerathen, doch sagt auch Savonarola, l. c. Col. 1150 von Rom: velut ager Aceldama Sanctorum habita est. . In Bologna erhob sich um diese Zeit eine muthige Stimme, welche verlangte, man solle dem König von Spanien den Schädel des h. Dominicus verkaufen und aus dem Erlös etwas zum öffentlichen Nutzen dienendes stiften Bursellis, Annal. Bonon., bei Murat. XXIII, Col. 905. Es war einer der 16 Patricier, Bartol. della Volta, st. 1485. . Die wenigste Reliquienandacht zeigen die Floren- tiner. Zwischen ihrem Beschluß, den Stadtheiligen S. Za- nobi durch einen neuen Sarcophag zu ehren, und der de- finitiven Bestellung bei Ghiberti vergehen 19 Jahre (1409— 1428) und auch dann erfolgt der Auftrag nur zufällig, weil der Meister eine kleinere ähnliche Arbeit schön vollendet hatte Vasari III, 111, s. et N. Vita di Ghiberti. . Vielleicht war man der Reliquien etwas über- drüssig, seitdem man (1352) durch eine verschlagene Aeb- 6. Abschnitt. tissin im Neapolitanischen mit einem falschen, aus Holz und Gyps nachgemachten Arm der Schutzpatronin des Domes, S. Reparata, war betrogen worden Matteo Villani III, 15 und 16. . Oder dürfen wir etwa annehmen, daß der ästhetische Sinn es war, welcher sich hier vorzüglich entschieden von den zerstückelten Leichnamen, den halbvermoderten Gewändern und Geräthen abwandte? oder gar der moderne Ruhmessinn, welcher lieber die Leichen eines Dante und Petrarca in den herrlichsten Gräbern be- herbergt hätte als alle zwölf Apostel miteinander? Vielleicht war aber in Italien überhaupt, abgesehen von Venedig und dem ganz exceptionellen Rom, der Reliquiendienst schon seit langer Zeit mehr zurückgetreten Man müßte überdieß unterscheiden zwischen dem in Italien blühenden Cultus der Leichen historisch noch genau bekannter Heiligen aus den letzten Jahrhunderten, und zwischen dem im Norden vorherrschenden Zusammensuchen von Körper- und Gewandfragmenten ꝛc. aus der heiligen Urzeit. Letzterer Art, und vorzüglich für Pilger wichtig, war dann auch der große Vorrath der lateranensischen Reliquien. Allein über den Sarcophagen des h. Dominicus und des h. Anto- nius von Padua und über dem mysteriösen Grabe des h. Franz schimmert außer der Heiligkeit auch schon der historische Ruhm. vor dem Madonnendienst, Der Mariendienst im Volk, als irgendwo sonst in Europa, und darin läge dann zu- gleich, wenn auch verhüllt, ein frühes Ueberwiegen des Formsinnes. Man wird fragen, ob denn im Norden, wo die riesen- haftesten Cathedralen fast alle Unser Frauen gewidmet sind, wo ein ganzer reicher Zweig der Poesie im Lateinischen wie in den Landessprachen die Mutter Gottes verherrlichte, eine größere Verehrung derselben auch nur möglich gewesen wäre? Allein diesem gegenüber macht sich in Italien eine ungemein viel größere Anzahl von wunderthätigen Marienbildern geltend, mit einer unaufhörlichen Intervention in das täg- liche Leben. Jede beträchtliche Stadt besitzt ihrer eine ganze 6. Abschnitt. Reihe, von den uralten oder für uralt geltenden „Malereien des St. Lucas“ bis zu den Arbeiten von Zeitgenossen, welche die Mirakel ihrer Bilder nicht selten noch erleben konnten. Das Kunstwerk ist hier gar nicht so harmlos wie Battista Mantovano Die merkwürdige Aussage, aus seinem späten Werke de sacris die- bus (L. I.) bezieht sich freilich auf weltliche und geistliche Kunst zugleich. Bei den Hebräern, meint er, sei mit Recht alles Bildwerk verdammt gewesen, weil sie sonst in den ringsherrschenden Götzen- oder Teufelsdienst wieder zurückgefallen wären: Nunc autem, postquam penitus natura Satanum Cognita, et antiqua sine maiestate relicta est, Nulla ferunt nobis statuæ discrimina, nullos Fert pictura dolos; iam sunt innoxia signa; Sunt modo virtutum testes monimentaque laudum Marmora, et æternæ decora immortalia famæ … glaubt; es gewinnt je nach Umständen plötz- lich eine magische Gewalt. Das populäre Wunderbedürfniß, zumal der Frauen, mag dabei vollständig gestillt worden sein und schon deßhalb der Reliquien wenig mehr geachtet haben. Inwiefern dann noch der Spott der Novellisten gegen falsche Reliquien auch den für echt geltenden Eintrag that So klagt Battista Mantovano (de sacris diebus, L. V.) über ge- wisse „nebulones“, welche an die Echtheit des heil. Blutes zu Mantua nicht glauben wollten. Auch diejenige Kritik, welche bereits die Schenkung Constantins bestritt, war sicher den Reliquien un- günstig, wenn auch im Stillen. , mag auf sich beruhen. und bei den Ge- bildeten. Das Verhältniß der Gebildeten zum Mariendienst zeichnet sich dann schon etwas klarer als das zum Reliquien- dienst. Es darf zunächst auffallen, daß in der Literatur Dante mit seinem Paradies eigentlich der letzte bedeutende Mariendichter der Italiener geblieben ist, während im Volk die Madonnenlieder bis auf den heutigen Tag neu hervor- gebracht werden. Man wird vielleicht Sannazaro, Sabel- lico Vielleicht auch Pius II, dessen Elegie auf die h. Jungfrau in den und andere lateinische Dichter namhaft machen wollen, allein ihre wesentlich literarischen Zwecke benehmen ihnen 6. Abschnitt. ein gutes Theil der Beweiskraft. Diejenigen italienisch ab- gefaßten Gedichte des XV. Jahrhunderts Also aus der Zeit da Sixtus IV. sich für die unbefleckte Empfäng- niß ereiferte. Extravag. commun. L. III, Tit. XII. Er stiftete auch das Fest der Darstellung Mariä im Tempel, das der heil. Anna und des heil. Joseph. Vgl. Trithem. Ann. Hirsaug. II, p. 518. und des be- ginnenden XVI., aus welchen eine unmittelbare Religiosität zu uns spricht, könnten meist auch von Protestanten ge- schrieben sein; so die betreffenden Hymnen ꝛc. des Lorenzo magnifico, die Sonette der Vittoria Colonna, des Michel- angelo u. s. w. Abgesehen von dem lyrischen Ausdruck des Theismus redet meist das Gefühl der Sünde, das Bewußt- sein der Erlösung durch den Tod Christi, die Sehnsucht nach der höhern Welt, wobei die Fürbitte der Mutter Gottes nur ganz ausnahmsweise erwähnt Höchst belehrend sind hiefür die wenigen und kühlen Madonnensonette der Vittoria. (N. 85 u. ff.) wird. Es ist dasselbe Phänomen, welches sich in der classischen Bildung der Franzosen, in der Literatur Ludwigs XIV. wiederholt. Erst die Gegenreformation brachte in Italien den Marien- dienst wieder in die Kunstdichtung zurück. Freilich hatte inzwischen die bildende Kunst das Höchste gethan zur Ver- herrlichung der Madonna. Der Heiligendienst endlich nahm bei den Gebildeten nicht selten (S. 56, ff., 261) eine wesentlich heidnische Farbe an. Wir könnten nun noch verschiedene Seiten des dama- ligen italienischen Catholicismus auf diese Weise prüfend durchgehen und das vermuthliche Verhältniß der Gebildeten zum Volksglauben bis zu einem gewissen Grade von Wahr- scheinlichkeit ermitteln, ohne doch je zu einem durchgreifenden Schwankungen im Cultus. Resultat zu gelangen. Es giebt schwer zu deutende Con- opera, p. 964 abgedruckt ist und der sich von Jugend auf unter dem besondern Schutz der Maria glaubte. Jac. Card. Papiens., de morte Pii, p. 656. 6. Abschnitt. traste. Während z. B. an und für Kirchen rastlos gebaut, gemeißelt und gemalt wird, vernehmen wir aus dem Anfang des XVI. Jahrhunderts die bitterste Klage über Erschlaf- fung im Cultus und Vernachlässigung derselben Kirchen: Templa ruunt, passim sordent altaria, cultus Paula- tim divinus abit Bapt. Mantuan. de sacris diebus, L. V. !... Es ist bekannt, wie Luther in Rom durch das weihelose Benehmen der Priester bei der Messe geärgert wurde. Und daneben waren die kirchlichen Feste mit einer Pracht und einem Geschmack ausgestattet, wovon der Norden keinen Begriff hatte. Man wird an- nehmen müssen, daß das Phantasievolk im vorzugsweisen Sinne das Alltägliche gern vernachlässigte um dann von dem Außergewöhnlichen sich hinreißen zu lassen. Durch die Phantasie erklären sich auch jene Bußepide- mien, von welchen hier noch die Rede sein muß. Sie sind wohl zu unterscheiden von den Wirkungen jener großen Bußprediger; was sie hervorruft sind große allgemeine Calamitäten oder die Furcht vor solchen. Bußepidemien. Im Mittelalter kam von Zeit zu Zeit über ganz Eu- ropa irgend ein Sturm dieser Art, wobei die Massen sogar in strömende Bewegung geriethen, wie z. B. bei den Kreuz- zügen und Geißelfahrten. Italien betheiligte sich bei beiden; die ersten ganz gewaltigen Geißlerschaaren traten hier auf, gleich nach dem Sturze Ezzelino's und seines Hauses, und zwar in der Gegend desselben Perugia Monach. Paduani chron. L. III, Anfang. Es heißt von dieser Buße: invasit primitus Perusinos, Romanos postmodum, deinde fere Italiæ populos universos. , das wir bereits (S. 472, Anm.) als eine Hauptstation der spätern Buß- prediger kennen lernten. Dann folgten die Flagellanten Giov. Villani VIII, 122. XI, 23. von 1310 und 1334 und dann die große Bußfahrt ohne Geißelung, von welcher Corio Corio, fol. 281. zum Jahre 1399 erzählt. Es ist nicht undenkbar, daß die Jubileen zum Theil ein- 6. Abschnitt. gerichtet wurden, um diesen unheimlichen Wandertrieb re- ligiös aufgeregter Massen möglichst zu reguliren und un- schädlich zu machen; auch zogen die inzwischen neu berühmt gewordenen Wallfahrtsorte Italiens, wie z. B. Loreto, einen Theil jener Aufregung an sich Entferntere Wallfahrten werden schon sehr selten. Diejenigen der Fürsten vom Hause Este nach Jerusalem, S. Yago und Vienne sind aufgezählt im Diario Ferrarese bei Murat. XXIV, Col. 182. 187. 190. 279. Die des Rinaldo Albizzi in's heil. Land bei Macchiavelli, stor. fior., L. V. Auch hier ist bisweilen die Ruhm- lust das Bestimmende; von Lionardo Frescobaldi, der mit einem Ge- fährten (gegen 1400) nach dem heil. Grabe pilgern wollte, sagt der Chronist Giov. Cavalcanti (II, p. 478): Stimarono di eternarsi nella mente degli uomini futuri. . Aber in schrecklichen Augenblicken erwacht hie und da ganz spät die Gluth der mittelalterlichen Buße, und das geängstigte Volk, zumal wenn Prodigien hinzukommen, will mit Geißelungen und lautem Geschrei um Barmherzigkeit den Himmel erweichen. So war es bei der Pest von 1457 zu Bologna Bursellis, annal. Bon. bei Murat. XXIII, Col. 890. , so bei den innern Wirren von 1496 in Siena Allegretto, bei Murat. XXIII, Col. 855, s. , um aus zahllosen Beispielen nur zwei zu wählen. Wahrhaft erschütternd aber ist was 1529 zu Mailand ge- Die Buße von Mailand. schah, als die drei furchtbaren Geschwister Krieg, Hunger und Pest sammt der spanischen Aussaugerei die höchste Ver- zweiflung über das Land gebracht hatten Burigozzo, Arch. stor. III, p. 486. . Zufällig war es ein spanischer Mönch, Fra Tommaso Nieto, auf den man jetzt hörte; bei den barfüßigen Processionen von Alt und Jung ließ er das Sacrament auf eine neue Weise mittragen, nämlich befestigt auf einer geschmückten Bahre, welche auf den Schultern von vier Priestern im Linnengewande ruhte — 6. Abschnitt. eine Nachahmung der Bundeslade Man nannte es auch l'arca del testimonio, und war sich bewußt, die Sache sei conzado (eingerichtet) con gran misterio. , wie sie einst das Volk Israel um die Mauern von Jericho trug. So erinnerte das gequälte Volk von Mailand den alten Gott an seinen alten Bund mit den Menschen, und als die Procession wieder in den Dom einzog und es schien, als müsse von dem Jammerruf misericordia ! der Riesenbau einstürzen, da mochte wohl Mancher glauben, der Himmel müsse in die Gesetze der Natur und der Geschichte eingreifen durch irgend ein rettendes Wunder. Verhalten der Regierung von Ferrara. Es gab aber eine Regierung in Italien, welche sich in solchen Zeiten sogar an die Spitze der allgemeinen Stim- mung stellte und die vorhandene Bußfertigkeit polizeilich ordnete: die des Herzogs Ercole I. von Ferrara Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 317. 322. 323. 326. 386. 401. . Als Savonarola in Florenz mächtig war und Weissagung und Buße in weiten Kreisen, auch über den Apennin hinaus, das Volk zu ergreifen begannen, kam auch über Ferrara großes freiwilliges Fasten (Anfang 1496); ein Lazarist ver- kündete nämlich von der Kanzel den baldigen Eintritt der schrecklichsten Krieges- und Hungersnoth, welche die Welt gesehen; wer jetzt faste, könne diesem Unheil entgehen, so habe es die Madonna einem frommen Ehepaar verkündigt. Darauf konnte auch der Hof nicht umhin zu fasten, aber er ergriff nun selber die Leitung der Devotion. Am 3. April (Ostertag) erschien ein Sitten- und Andachtsedict gegen Lästerung Gottes und der h.. Jungfrau, verbotene Spiele, Sodomie, Concubinat, Häuservermiethen an Huren und deren Wirthe, Oeffnung der Buden an Festtagen mit Aus- nahme der Becker und Gemüsehändler u. s. w.; die Juden und Maranen, deren viele aus Spanien hergeflüchtet waren, sollten wieder ihr gelbes O auf der Brust genäht tragen. Die Zuwiderhandelnden wurden bedroht nicht nur mit den 6. Abschnitt. im bisherigen Gesetz verzeichneten Strafen, sondern auch „mit den noch größern, welche der Herzog zu verhängen für gut finden wird“. Darauf ging der Herzog sammt dem Hofe mehrere Tage nach einander zur Predigt; am 10. April mußten sogar alle Juden von Ferrara dabei sein. Allein am 3. Mai ließ der Polizeidirector — der schon Polizeiliche Ausbeutung. oben (S. 51) erwähnte Gregorio Zampante — ausrufen: wer den Schergen Geld gegeben habe um nicht als Lästerer verzeigt zu werden, möge sich melden um es sammt weiterer Vergütung zurück zu erhalten; diese schändlichen Menschen nämlich hatten von Unschuldigen bis auf 2, 3 Ducaten er- preßt durch die Androhung der Denunciation, und einander dann gegenseitig verrathen, worauf sie selbst in den Kerker kamen. Da man aber eben nur bezahlt hatte um nicht mit dem Zampante zu thun zu haben, so möchte auf sein Ausschreiben kaum Jemand erschienen sein. — Im Jahr 1500, nach dem Sturze des Lodovico Moro, als ähnliche Stimmungen wiederkehrten, verordnete Ercole von sich aus Per buono rispetto a lui noto e perchè sempre è buono a star bene con Iddio, sagt der Annalist. eine Folge von neun Processionen, wobei auch die weißge- kleideten Kinder mit der Jesusfahne nicht fehlen durften; er selber ritt mit im Zuge, weil er schlecht zu Fuße war. Dann folgte ein Edict ganz ähnlichen Inhaltes wie das von 1496. Die zahlreichen Kirchen- und Klosterbauten dieser Regierung sind bekannt, aber selbst eine leibhaftige Heilige, die Suor Colomba Vermuthlich die S. 29 in Perugia erwähnte. , ließ sich Ercole kommen, ganz kurz bevor er seinen Sohn Alfonso mit der Lucrezia Borgia vermählen mußte (1502). Ein Cabinetscourier Die Quelle nennt ihn einen Messo de' cancellieri del Duca. Die Sache sollte recht augenscheinlich vom Hofe und nicht von Or- densobern oder sonstigen geistlichen Behörden ausgehen. holte die Heilige von Viterbo mit 15 andern Nonnen ab 6. Abschnitt. und der Herzog selber führte sie bei der Ankunft in Ferrara in ein bereitgehaltenes Kloster ein. Thun wir ihm Unrecht, wenn wir in all diesen Dingen die stärkste politische Ab- sichtlichkeit voraussetzen? Zu der Herrscheridee des Hauses Este, wie sie oben (S. 46 u. ff.) nachgewiesen wurde, gehört eine solche Mitbenützung und Dienstbarmachung des Religiösen beinahe schon nach den Gesetzen der Logik. Versuch einer Synthese. Um aber zu den entscheidenden Schlüssen über die Re- ligiosität der Menschen der Renaissance zu gelangen, müssen wir einen andern Weg einschlagen. Aus der geistigen Hal- tung derselben überhaupt muß ihr Verhältniß sowohl zu der bestehenden Landesreligion als zu der Idee des Gött- lichen klar werden. Diese modernen Menschen, die Träger der Bildung des damaligen Italiens, sind religiös geboren wie die Abend- länder des Mittelalters, aber ihr mächtiger Individualismus macht sie darin wie in andern Dingen völlig subjectiv , und die Fülle von Reiz, welche die Entdeckung der äußern und der geistigen Welt auf sie ausübt, macht sie überhaupt vorwiegend weltlich . Im übrigen Europa dagegen bleibt die Religion noch länger ein objectiv Gegebenes und im Leben wechselt Selbstsucht und Sinnengenuß unmittelbar mit Andacht und Buße; letztere hat noch keine geistige Concurrenz wie in Italien, oder doch eine unendlich geringere. Ferner hatte von jeher der häufige und nahe Contact mit Byzantinern und mit Mohammedanern eine neutrale Toleranz aufrecht erhalten, vor welcher der ethnogra- phische Begriff einer bevorrechteten abendländischen Christen- heit einigermaßen zurücktrat. Und als vollends das classische Alterthum mit seinen Menschen und Einrichtungen ein Ideal des Lebens wurde, weil es die größte Erinnerung Italiens war, da überwältigte die antike Spcculation und Skepsis bisweilen den Geist der Italiener vollständig. Da ferner die Italiener die ersten neuern Europäer 6. Abschnitt. waren, welche sich schrankenlos dem Nachdenken über Frei- Versuch einer Synthese. heit und Nothwendigkeit hingaben, da sie dieß thaten unter gewaltsamen, rechtlosen politischen Verhältnissen, die oft einem glänzenden und dauernden Siege des Bösen ähnlich sahen, so wurde ihr Gottesbewußtsein schwankend, ihre Weltanschauung theilweise fatalistisch . Und wenn ihre Leidenschaftlichkeit bei dem Ungewissen nicht wollte stehen bleiben, so nahmen Manche vorlieb mit einer Ergänzung aus dem antiken, orientalischen und mittelalterlichen Aber- glauben ; sie wurden Astrologen und Magier. Endlich aber zeigen die geistig Mächtigen, die Träger der Renaissance in religiöser Beziehung eine häufige Eigen- schaft jugendlicher Naturen: sie unterscheiden recht scharf zwischen gut und böse, aber sie kennen keine Sünde; jede Störung der innern Harmonie getrauen sie sich vermöge ihrer plastischen Kraft wiederherzustellen und kennen deßhalb keine Reue; da verblaßt denn auch das Bedürfniß der Er- lösung, während zugleich vor dem Ehrgeiz und der Geistes- anstrengung des Tages der Gedanke an das Jenseits ent- weder völlig verschwindet oder eine poetische Gestalt annimmt statt der dogmatischen. Denkt man sich dieses Alles vermittelt und theilweise verwirrt durch die allherrschende Phantasie , so ergiebt sich ein Geistesbild jener Zeit, das wenigstens der Wahrheit näher kommt als bloße unbestimmte Klagen über mo- dernes Heidenthum. Und bei näherm Forschen wird man erst noch inne werden, daß unter der Hülle dieses Zustandes ein starker Trieb echter Religiosität lebendig blieb. Die nähere Ausführung des Gesagten muß sich hier auf die wesentlichsten Belege beschränken. Daß die Religion überhaupt wieder mehr Sache des Subjectivität der Religion. einzelnen Subjectes und seiner besondern Auffassung wurde, war gegenüber der ausgearteten, tyrannisch behaupteten 6. Abschnitt. Kirchenlehre unvermeidlich und ein Beweis, daß der euro- päische Geist noch am Leben sei. Freilich offenbart sich dieß auf sehr verschiedene Weise; während die mystischen und ascetischen Secten des Nordens für die neue Gefühlswelt und Denkart sogleich auch eine neue Disciplin schufen, ging in Italien Jeder seinen eigenen Weg und tausende verloren sich auf dem hohen Meer des Lebens in religiöse Indiffe- renz. Um so höher muß man es Denjenigen anrechnen, welche zu einer individuellen Religion durchdrangen und daran festhielten. Denn daß sie an der alten Kirche, wie sie war und sich aufdrang, keinen Theil mehr hatten, war nicht ihre Schuld; daß aber der Einzelne die ganze große Geistesarbeit, welche dann den deutschen Reformatoren zufiel, in sich hätte durchmachen sollen, wäre ein unbilliges Ver- langen gewesen. Wo es mit dieser individuellen Religion der Bessern in der Regel hinaus wollte, werden wir am Schlusse zu zeigen suchen. Weltlichkeit. Die Weltlichkeit, durch welche die Renaissance einen ausgesprochenen Gegensatz zum Mittelalter zu bilden scheint, entsteht zunächst durch das massenhafte Ueberströmen der neuen Anschauungen, Gedanken und Absichten in Bezug auf Natur und Menschheit. An sich betrachtet, ist sie der Religion nicht feindlicher als das was jetzt ihre Stelle ver- tritt, nämlich die sogenannten Bildungsinteressen, nur daß diese, so wie wir sie betreiben, uns bloß ein schwaches Ab- bild geben von der allseitigen Aufregung, in welche damals das viele und große Neue die Menschen versetzte. So war diese Weltlichkeit eine ernste, überdieß durch Poesie und Kunst geadelte. Es ist eine erhabene Nothwendigkeit des modernen Geistes, daß er dieselbe gar nicht mehr abschütteln kann, daß er zur Erforschung der Menschen und der Dinge unwiderstehlich getrieben wird und dieß für seine Bestim- mung hält Vgl. das Citat aus Pico's Rede von der Würde des Menschen, S. 354. . Wie bald und auf welchen Wegen ihn dieß Forschen zu Gott zurückführen, wie es sich mit der sonstigen 6. Abschnitt. Religiosität des Einzelnen in Verbindung setzen wird, das sind Fragen, welche sich nicht nach allgemeinen Vorschriften erledigen lassen. Das Mittelalter, welches sich im Ganzen die Empirie und das freie Forschen erspart hatte, kann in dieser großen Angelegenheit mit irgend einem dogmatischen Entscheid nicht aufkommen. Mit dem Studium des Menschen, aber auch noch mit Toleranz gegen den Islam. vielen andern Dingen, hing dann die Toleranz und Indif- ferenz zusammen, womit man zunächst dem Mohammeda- nismus begegnete. Die Kenntniß und Bewunderung der bedeutenden Culturhöhe der islamitischen Völker, zumal vor der mongolischen Ueberschwemmung, war gewiß den Ita- lienern seit den Kreuzzügen eigen; dazu kam die halb- mohammedanische Regierungsweise ihrer eigenen Fürsten, die stille Abneigung, ja Verachtung gegen die Kirche wie sie war, die Fortdauer der orientalischen Reisen und des Handels nach den östlichen und südlichen Häfen des Mit- telmeeres Abgesehen davon, daß man bei den Arabern selbst bisweilen auf eine ähnliche Toleranz oder Indifferenz stoßen konnte. . Erweislich schon im XIII. Jahrhundert offen- bart sich bei den Italienern die Anerkennung eines moham- medanischen Ideals von Edelmuth, Würde und Stolz, das am liebsten mit der Person eines Sultans verknüpft wird. Man hat dabei insgemein an ejubidische oder mamelukische Sultane von Aegypten zu denken; wenn ein Name genannt wird, so ist es höchstens Saladin So bei Boccaccio. — Sultane ohne Namen bei Massuccio, Nov. 46, 48, 49. . Selbst die osmani- schen Türken, deren zerstörende aufbrauchende Manier wahr- lich kein Geheimniß war, flößen dann den Italienern, wie oben (S. 94, ff.) gezeigt wurde, doch nur einen halben Schrecken ein, und ganze Bevölkerungen gewöhnen sich an den Ge- danken einer möglichen Abfindung mit ihnen. Cultur der Renaissance. 32 6. Abschnitt. Der wahrste und bezeichnendste Ausdruck dieser In- Die drei Ringe. differenz ist die berühmte Geschichte von den drei Ringen, welche unter andern Lessing seinem Nathan in den Mund legte, nachdem sie schon vor vielen Jahrhunderten zaghafter in den „hundert alten Novellen“ (Nov. 72 oder 73) und etwas rückhaltsloser bei Boccaccio Decamerone I, Nov . 3. Er zuerst nennt die christliche Religion mit, während die 100 novelle ant. eine Lücke lassen. vorgebracht worden war. In welchem Winkel des Mittelmeeres und in welcher Sprache sie zuerst Einer dem Andern erzählt haben mag, wird man nie herausbringen; wahrscheinlich lautete sie ursprünglich noch viel deutlicher als in den beiden italienischen Redactionen. Der geheime Vorbehalt, der ihr zu Grunde liegt, nämlich der Deismus, wird unten in seiner weitern Bedeutung an den Tag treten. In roher Mißgestalt und Verzerrung giebt der bekannte Spruch von „den Dreien, die die Welt betro- gen“, nämlich Moses, Christus und Mohammed, dieselbe Idee wieder. Wenn Kaiser Friedrich II. , von dem diese Rede stammen soll, ähnlich gedacht hat, so wird er sich wohl geistreicher ausgedrückt haben. Berechtigung aller Religionen. Auf der Höhe der Renaissance, gegen Ende des XV. Jahrhunderts, tritt uns dann eine ähnliche Denkweise ent- gegen bei Luigi Pulci, im Morgante maggiore. Die Phan- tasiewelt, in welcher sich seine Geschichten bewegen, theilt sich, wie bei allen romantischen Heldengedichten, in ein christliches und ein mohammedanisches Heerlager. Gemäß dem Sinne des Mittelalters war nun der Sieg und die Versöhnung zwischen den Streitern gerne begleitet von der Taufe des unterliegenden mohammedanischen Theiles, und die Improvisatoren, welche dem Pulci in der Behandlung solcher Stoffe vorangegangen waren, müssen von diesem Motiv reichlichen Gebrauch gemacht haben. Nun ist es Pulci's eigentliches Geschäft, diese seine Vorgänger, beson- ders wohl die schlechten darunter zu parodiren, und dieß geschieht schon durch die Anrufungen an Gott, Christus 6. Abschnitt. und die Madonna, womit seine einzelnen Gesänge anheben. Noch viel deutlicher aber macht er ihnen die raschen Bekeh- rungen und Taufen nach, deren Sinnlosigkeit dem Leser oder Hörer ja recht in die Augen springen soll. Allein dieser Spott führt ihn weiter bis zum Bekenntniß seines Glaubens an die relative Güte aller Religionen Freilich im Munde des Dämons Astarotte, Ges. XXV, Str. 231 u. ff. Vgl. Str. 141 u. ff. , dem trotz seiner Betheurungen der Orthodoxie Ges. XXVIII, Str. 38 u. ff. eine wesentlich theistische Anschauung zu Grunde liegt. Außerdem thut er noch einen großen Schritt über alles Mittelalter hinaus nach einer andern Seite hin. Die Alternativen der ver- gangenen Jahrhunderte hatten gelautet: Rechtgläubiger oder Ketzer, Christ oder Heide und Mohammedaner; nun zeichnet Pulci die Gestalt des Riesen Margutte Ges. XVIII, Str. 112 bis zu Ende. , der sich gegen- über von aller und jeglicher Religion zum sinnlichsten Der Riese Mar- gutte. Egoismus und zu allen Lastern fröhlich bekennt und sich nur das Eine vorbehält: daß er nie einen Verrath begangen habe. Vielleicht hatte der Dichter mit diesem auf seine Manier ehrlichen Scheusal nichts Geringes vor, möglicher Weise eine Erziehung zum Bessern durch Morgante, allein die Figur verleidete ihm bald und er gönnte ihr bereits im nächsten Gesang ein komisches Ende Pulci nimmt ein analoges Thema, obwohl nur flüchtig, wieder auf in der Gestalt des Fürsten Chiaristante (Ges. XXI, Str. 101, s. 121, s. 145, s. 163, s. ) welcher nichts glaubt und sich und seine Gemahlin göttlich verehren läßt. Man ist versucht, dabei an Si- gismondo Malatesta (S. 33, 223, 454) zu denken. . Margutte ist schon als Beweis von Pulci's Frivolität geltend gemacht worden; er gehört aber nothwendig mit zu dem Weltbilde der Dich- tung des XV. Jahrhunderts. Irgendwo mußte sie in grottesker Größe den für alles damalige Dogmatisiren un- 32* 6. Abschnitt. empfindlich gewordenen, wilden Egoismus zeichnen, dem nur ein Rest von Ehrgefühl geblieben ist. Auch in andern Gedichten wird den Riesen, Dämonen, Heiden und Mo- hammedanern in den Mund gelegt was kein christlicher Ritter sagen darf. Einwirkung des Alterthums im XIV. Jahrh. Wieder auf eine ganz andere Weise als der Islam wirkte das Alterthum ein, und zwar nicht durch seine Re- ligion, denn diese war dem damaligen Catholicismus nur zu homogen, sondern durch seine Philosophie. Die antike Literatur, die man jetzt als etwas Unvergleichliches verehrte, war ganz erfüllt von dem Siege der Philosophie über den Götterglauben; eine ganze Anzahl von Systemen und Frag- mente von Systemen stürzten über den italienischen Geist herein, nicht mehr als Curiositäten oder gar als Häresien, sondern fast als Dogmen, die man nun nicht sowohl zu unterscheiden als miteinander zu versöhnen bestrebt war. Fast in all diesen verschiedenen Meinungen und Philosophemen lebte irgend eine Art von Gottesbewußtsein, aber in ihrer Gesammtheit bildeten sie doch einen starken Gegensatz zu der christlichen Lehre von der göttlichen Weltregierung. Nun giebt es eine wahrhaft centrale Frage, um deren Lö- sung sich schon die Theologie des Mittelalters ohne genü- genden Erfolg bemüht hatte, und welche jetzt vorzugsweise von der Weisheit des Alterthums eine Antwort verlangte: Das Verhältniß der Vorsehung zur menschlichen Freiheit und Nothwendigkeit. Wenn wir die Geschichte dieser Frage seit dem XIV. Jahrhundert auch nur oberflächlich durch- gehen wollten, so würde hieraus ein eigenes Buch werden. Wenige Andeutungen müssen hier genügen. Epicureismus. Hört man Dante und seine Zeitgenossen, so wäre die antike Philosophie zuerst gerade von derjenigen Seite her auf das italienische Leben gestoßen, wo sie den schroffsten Gegensatz gegen das Christenthum bildete; es stehen nämlich in Italien Epicureer auf. Nun besaß man Epicurs Schriften nicht mehr und schon das spätere Alterthum hatte von seiner 6. Abschnitt. Lehre einen mehr oder weniger einseitigen Begriff; immerhin aber genügte schon diejenige Gestalt des Epicureismus, welche man aus Lucretius und ganz besonders aus Cicero studiren konnte, um eine völlig entgötterte Welt kennen zu lernen. Wie weit man die Doctrin buchstäblich faßte, und ob nicht der Name des räthselhaften griechischen Weisen ein bequemes Schlagwort für die Menge wurde, ist schwer zu sagen; wahrscheinlich hat die dominicanische Inquisition das Wort auch gegen solche gebraucht, welchen man sonst auf keine andere Weise beikommen konnte. Es sind haupt- sächlich frühentwickelte Verächter der Kirche, welche man doch schwer wegen bestimmter ketzerischer Lehren und Aus- sagen belangen konnte; ein mäßiger Grad von Wohlleben mag dann genügt haben, um jene Anklage hervorzubringen. In diesem conventionellen Sinne braucht z. B. Giovanni Villani das Wort, wenn er Gio. Villani III, 29. VI , 46. Der Name kommt auch im Norden sehr früh vor, aber nur in conventionellem Sinn. bereits die florentinischen Feuersbrünste von 1115 und 1117 als göttliche Strafe für die Ketzereien geltend macht, „unter andern wegen der lie- derlichen und schwelgerischen Secte der Epicureer“. Von Manfred sagt er: „Sein Leben war epicureisch, indem er nicht an Gott noch an die Heiligen und überhaupt nur an leibliches Vergnügen glaubte“. Deutlicher redet Dante im neunten und zehnten Ge- Dante und die Epicureer. sang der Hölle. Das furchtbare, von Flammen durchzogene Gräberfeld mit den halb offenen Sarkophagen, aus welchen Töne des tiefsten Jammers hervordringen, beherbergt die zwei großen Kategorien der von der Kirche im XIII. Jahr- hundert Besiegten oder Ausgestoßenen. Die Einen waren Ketzer und setzten sich der Kirche entgegen durch bestimmte mit Absicht verbreitete Irrlehren; die Andern waren Epi- cureer und ihre Sünde gegen die Kirche lag in einer all- gemeinen Gesinnung, welche sich in dem Satze sammelt, 6. Abschnitt. daß die Seele mit dem Leib vergehe Man vgl. die bekannte Beweisführung im dritten Buche des Lucretius. . Die Kirche aber wußte recht gut, daß dieser eine Satz, wenn er Boden ge- wänne, ihrer Art von Macht verderblicher werden müßte als alles Manichäer- und Paterinerwesen, weil er ihrer Einmischung in das Schicksal des einzelnen Menschen nach dem Tode allen Werth benahm. Daß sie selber durch die Mittel, welche sie in ihren Kämpfen brauchte, gerade die Begabtesten in Verzweiflung und Unglauben getrieben hatte, gab sie natürlich nicht zu. Dante's Abscheu gegen Epicur oder gegen das was er für dessen Lehre hielt, war gewiß aufrichtig; der Dichter des Jenseits mußte den Läugner der Unsterblichkeit hassen, und die von Gott weder geschaffene noch geleitete Welt so wie der niedrige Zweck des Daseins, den das System aufzustellen schien, waren dem Wesen Dante's so entgegen- gesetzt als möglich. Sieht man aber näher zu, so haben auch auf ihn gewisse Philosopheme der Alten einen Ein- druck gemacht, vor welchem die biblische Lehre von der Weltlenkung zurücktritt. Oder war es eigene Speculation, Einwirkung der Tagesmeinung, Grauen vor dem die Welt beherrschenden Unrecht, wenn er Inferno, VII , 67 bis 96. die specielle Vorsehung völlig aufgab? Sein Gott überläßt nämlich das ganze Detail der Weltregierung einem dämonischen Wesen, der Fortuna, welche für nichts als für Veränderung, für das Durcheinanderrütteln der Erdendinge zu sorgen hat und in indifferenter Seligkeit den Jammer der Menschen überhören darf. Dafür hält er aber die sittliche Verant- wortung des Menschen unerbittlich fest: er glaubt an den freien Willen. Lehre vom freien Willen. Der Populärglaube an den freien Willen herrscht im Abendlande von jeher, wie man denn auch zu allen Zeiten Jeden persönlich für das was er gethan, verantwortlich ge- macht hat, als verstehe sich die Sache ganz von selbst. 6. Abschnitt. Anders verhält es sich mit der religiösen und philosophischen Lehre, welche sich in der Lage befindet, die Natur des menschlichen Willens mit den großen Weltgesetzen in Ein- klang bringen zu müssen. Hier ergiebt sich ein Mehr oder Weniger, wonach sich die Taxirung der Sittlichkeit über- haupt richtet. Dante ist nicht völlig unabhängig von den astrologischen Wahngebilden, welche den damaligen Horizont mit falschem Lichte erhellen, aber er rafft sich nach Kräften empor zu einer würdigen Anschauung des menschlichen We- sens. „Die Gestirne, läßt er Purgatorio XVI , 73. Womit die Theorie des Planeteneinflusses im Convito zu vergleichen. — Auch der Dämon Astarotte bei Pulci ( Morgante XXV, Str. 150) bezeugt die menschliche Willensfreiheit und die göttliche Gerechtigkeit. seinen Marco Lombardo sagen, geben wohl die ersten Antriebe zu euerm Thun, aber Licht ist euch gegeben über Gutes und Böses, und freier Wille, der nach anfänglichem Kampf mit den Gestirnen Alles besiegt, wenn er richtig genährt wird.“ Andere mochten die der Freiheit gegenüberstehende Nothwendigkeit in einer andern Potenz suchen als in den Sternen — jedenfalls war die Frage seitdem eine offene, nicht mehr zu umgehende. Soweit sie eine Frage der Schu- len, oder vollends nur eine Beschäftigung isolirter Denker blieb, dürfen wir dafür auf die Geschichten der Philosophie verweisen. Sofern sie aber in das Bewußtsein weiterer Kreise überging, wird noch davon die Rede sein müssen. Das XIV. Jahrhundert ließ sich vorzüglich durch die philosophischen Schriften Cicero's anregen, welcher bekannt- lich als Eklektiker galt, aber als Skeptiker wirkte, weil er die Theorien verschiedener Schulen vorträgt ohne genügende Abschlüsse beizufügen. In zweiter Linie kommen Seneca und die wenigen in's Lateinische übersetzten Schriften des Aristoteles. Die Frucht dieses Studiums war einstweilen 6. Abschnitt. die Fähigkeit, über die höchsten Dinge zu reflectiren wenig- stens außerhalb der Kirchenlehre, wenn auch nicht im Wider- spruch mit ihr. Einwirkung des Alterthums im XV. Jahrh. Mit dem XV. Jahrhundert vermehrte sich, wie wir sahen, der Besitz und die Verbreitung der Schriften des Alterthums außerordentlich; endlich kamen auch die sämmt- lichen noch vorhandenen griechischen Philosophen wenigstens in lateinischer Uebersetzung unter die Leute. Nun ist es Frömmigkeit u. Humanismus. zunächst sehr bemerkenswerth, daß gerade einige der Haupt- beförderer dieser Literatur der strengsten Frömmigkeit, ja der Ascese ergeben sind. (Vgl. S. 269.) Von Fra Am- brogio Camaldolese darf man nicht sprechen, weil er sich ausschließlich auf das Uebertragen der griechischen Kirchen- väter zurückzog und nur mit großem Widerstreben auf An- dringen des ältern Cosimo Medici den Diogenes Laertius ins Lateinische übersetzte. Aber seine Zeitgenossen Niccolò Niccoli, Giannozzo Mannetti, Donato Acciajuoli, Papst Ni- colaus V. vereinigen Vespasiano fiorent. p. 26. 320. 435. 626. 651. — Murat. XX, Col. 532. mit allseitigem Humanismus eine sehr gelehrte Bibelkunde und eine tiefe Andacht. An Vittorino da Feltre wurde bereits (S. 208) eine ähnliche Richtung hervorgehoben. Derselbe Maffeo Vegio, welcher das drei- zehnte Buch zur Aeneide dichtete, hatte für das Andenken S. Augustins und dessen Mutter Monica eine Begeisterung, welche nicht ohne höhern Bezug gewesen sein wird. Frucht und Folge solcher Bestrebungen war dann, daß die platonische Academie zu Florenz sich es förmlich zum Ziele setzte, den Geist des Alterthums mit dem des Christenthums zu durch- dringen; eine merkwürdige Oase innerhalb des damaligen Humanismus. Die mittlere Richtung der Humanisten. Letzterer war im Ganzen eben doch profan und wurde es bei der Ausdehnung der Studien im XV. Jahrhundert immer mehr. Seine Leute, die wir oben als die rechten Vorposten des entfesselten Individualismus kennen lernten, 6. Abschnitt. entwickelten in der Regel einen solchen Character, daß uns selbst ihre Religiosität, die bisweilen mit sehr bestimmten Ansprüchen auftritt, gleichgültig sein darf. In den Ruf von Atheisten gelangten sie etwa, wenn sie indifferent wa- ren und dabei ruchlose Reden gegen die Kirche führten; einen irgendwie speculativ begründeten Ueberzeugungsatheis- mus hat keiner aufgestellt, Ueber Pomponazzo vgl. die Specialwerke, u. a. Ritter, Gesch. der Philosophie, Bd. IX. noch aufzustellen wagen dür- fen. Wenn sie sich auf einen leitenden Gedanken besannen, so wird es am ehesten eine Art von oberflächlichem Ratio- nalismus gewesen sein, ein flüchtiger Niederschlag aus den vielen widersprechenden Ideen der Alten, womit sie sich be- schäftigen mußten, und aus der Verachtung der Kirche und ihrer Lehre. Dieser Art war wohl jenes Raisonnement, welches den Galeottus Martius Paul. Jovii Elogia lit. beinahe auf den Scheiter- haufen brachte, wenn ihn nicht sein früherer Schüler Papst Sixtus IV. eilends aus den Händen der Inquisition heraus- gerissen hätte. Galeotto hatte nämlich geschrieben: wer sich recht aufführe und nach dem innern, angeborenen Gesetz handle, aus welchem Volk er auch sei, der komme in den Himmel. Betrachten wir beispielsweise das religiöse Verhalten Religion des Codrus Urceus. eines der geringern aus der großen Schaar, des Codrus Urceus, Codri Urcei opera, vorn sein Leben von Bart. Bianchini, dann in seinen philologischen Vorlesungen p. 65. 151. 278 etc. der erst Hauslehrer des letzten Ordelaffo, Fürsten von Forli, und dann lange Jahre Professor in Bologna gewesen ist. Ueber Hierarchie und Mönche bringt er die obligaten Lästerungen im vollsten Maß; sein Ton im All- gemeinen ist höchst frevelhaft, dazu erlaubt er sich eine be- ständige Einmischung seiner Person nebst Stadtgeschichten und Possen. Aber er kann auch erbaulich von dem wahren 6. Abschnitt. Gottmenschen Christus reden und sich brieflich in das Gebet Codrus Urceus. eines frommen Priesters empfehlen. Einmal fällt es ihm ein, nach Aufzählung der Thorheiten der heidnischen Reli- gion also fortzufahren: „auch unsere Theologen wackeln oft „und zanken de lana caprina über unbefleckte Empfängniß, „Antichrist, Sacramente, Vorherbestimmung und einiges „Andere, was man lieber beschweigen als herauspredigen „sollte“. Einst verbrannte sein Zimmer sammt fertigen Manuscripten da er nicht zu Hause war; als er es ver- nahm, auf der Gasse, stellte er sich gegen ein Madonnen- bild und rief an dasselbe hinauf: „Höre was ich dir sage, „ich bin nicht verrückt, ich rede mit Absicht! wenn ich dich „einst in der Stunde meines Todes zu Hülfe rufen sollte, „so brauchst du mich nicht zu erhören und zu den Deinigen „hinüberzunehmen! denn mit dem Teufel will ich wohnen „bleiben in Ewigkeit!“ Eine Rede, auf welche hin er doch für gut fand, sich sechs Monate hindurch bei einem Holz- hacker verborgen zu halten. Dabei war er so abergläubisch, daß ihn Augurien und Prodigien beständig ängstigten; nur für die Unsterblichkeit hatte er keinen Glauben übrig. Sei- nen Zuhörern sagte er auf Befragen: was nach dem Tode mit dem Menschen, mit seiner Seele oder seinem Geiste geschehe, das wisse man nicht und alle Reden über das Jenseits seien Schreckmittel für alte Weiber. Als es aber an's Sterben ging, empfahl er doch in seinem Testament seine Seele oder seinen Geist Animum meum seu animam, eine Unterscheidung, durch welche damals die Philologie gerne die Theologie in Verlegenheit setzte. dem allmächtigen Gott, vermahnte auch jetzt seine weinenden Schüler zur Gottes- furcht und insbesondere zum Glauben an Unsterblichkeit und Vergeltung nach dem Tode, und empfing die Sacramente mit großer Inbrunst. — Man hat keine Garantie dafür, daß ungleich berühmtere Leute desselben Faches, auch wenn sie bedeutende Gedanken ausgesprochen haben, im Leben viel consequenter gewesen seien. Die Meisten werden inner- 6. Abschnitt. lich geschwankt haben zwischen Freigeisterei und Fragmenten des anerzogenen Catholicismus, und äußerlich hielten sie schon aus Klugheit zur Kirche. Insofern sich dann ihr Rationalismus mit den Anfängen Anfänge nega- tiver Kritik. der historischen Kritik verband, mochte auch hie und da eine schüchterne Kritik der biblischen Geschichte auftauchen. Es wird ein Wort Pius II. überliefert Platina, vitæ pontiff., p. 311: christianam fidem, si miraculis non esset approbata, honestate sua recipi debuisse. , welches wie mit der Absicht des Vorbauens gesagt ist: „wenn das Christen- thum auch nicht durch Wunder bestätigt wäre, so hätte es doch schon um seiner Moralität willen angenommen werden müssen“. Ueber die Legenden, insoweit sie willkürliche Ueber- tragungen der biblischen Wunder enthalten, erlaubte man sich ohnehin zu spotten Besonders wenn die Mönche dergleichen auf der Kanzel frisch ersan- nen, doch auch das längst Anerkannte blieb nicht ohne Anfechtung. Firenzuola ( opere, vol. II, p. 208, in der 10. Novelle) spottet über die Franciscaner von Novara, welche aus erschlichenem Geld eine Capelle an ihre Kirche bauen wollen, dove fusse dipinta quella bella storia, quando S. Francesco predicava agli uc- celli nel deserto; e quando ei fece la santa zuppa, e che l'agnolo Gabriello gli portò i zoccoli. , und dieß wirkte dann weiter zurück. Wenn judaisirende Ketzer erwähnt werden, so wird man dabei vor Allem an Läugnung der Gottheit Christi zu denken haben; so verhielt es sich vielleicht mit Giorgio da Novara, welcher um 1500 in Bologna verbrannt wurde Einiges über ihn bei Bapt. Mantuan. de patientia, L. III, cap. 13. . Aber in demselben Bologna mußte um diese Zeit (1497) der dominicanische Inquisitor den wohlprotegirten Arzt Ga- brielle da Salò mit einer bloßen Reuerklärung Bursellis, ann. Bonon., bei Murat. XXIII, Col. 915. durch- schlüpfen lassen, obwohl derselbe folgende Reden zu führen pflegte: Christus sei nicht Gott gewesen, sondern Sohn des 6. Abschnitt. Joseph und der Maria aus einer gewöhnlichen Empfäng- niß; er habe die Welt mit seiner Arglist ins Verderben gebracht; den Kreuzestod möge er wohl erlitten haben wegen begangener Verbrechen; auch werde seine Religion nächstens aufhören; in der geweihten Hostie sei sein wahrer Leib nicht; seine Wunder habe er nicht vollbracht aus göttlicher Kraft, sondern sie seien durch Einfluß der Himmelskörper geschehen. Letzteres ist wiederum höchst bezeichnend; der Glaube ist dahin, aber die Magie behält man sich vor Wie weit die frevelhaften Reden bisweilen gingen, hat Gieseler, Kirchengeschichte II, IV , §. 154 Anm. mit einigen sprechenden Bei- spielen dargethan. . Fatalismus der Humanisten. In Betreff der Weltregierung raffen sich die Huma- nisten insgemein nicht weiter auf als bis zu einer kalt re- signirten Betrachtung dessen was unter der ringsum herr- schenden Gewalt und Mißregierung geschieht. Aus dieser Stimmung sind hervorgegangen die vielen Bücher „vom Schicksal“ oder wie die Varietäten des Titels lauten mögen. Sie constatiren meist nur das Drehen des Glücksrades, die Unbeständigkeit der irdischen, zumal der politischen Dinge; die Vorsehung wird herbeigezogen offenbar nur weil man sich des nackten Fatalismus, des Verzichtens auf Erkennt- niß von Ursachen und Wirkungen, oder des baaren Jam- mers noch schämt. Richt ohne Geist construirt Gioviano Pontano die Naturgeschichte des dämonischen Etwas, Fortuna genannt, aus hundert meist selbsterlebten Erfahrungen Jov. Pontanus, de fortuna. Seine Art von Theodicee II, p. 286. . Mehr scherzhaft, in Form eines Traumgesichtes, behandelt Aeneas Sylvius den Gegenstand Aen. Sylvii opera, p. 611. . Poggio's Streben da- gegen, in einer Schrift seines Greisenalters Poggius, de miseriis humanæ conditionis. , geht dahin, die Welt als ein Jammerthal darzustellen und das Glück der einzelnen Stände so niedrig als möglich zu taxiren. Dieser Ton bleibt dann im Ganzen der vorherrschende; von einer Menge ausgezeichneter Leute wird das Soll und Ha- 6. Abschnitt. ben ihres Glückes und Unglückes untersucht und die Summe daraus in vorwiegend ungünstigem Sinn gezogen. In höchst würdiger Welse, fast elegisch, schildert uns vorzüglich Tristan Caracciolo Caracciolo, de varietate fortunæ, bei Murat. XXII. Eine der lesenswerthesten Schriften jener sonst so reichen Jahre. Vgl. S. 331. — Die Fortuna bei festlichen Aufzügen, S. 418 u. Anm. das Schicksal Italiens und der Ita- liener, soweit es sich um 1510 überschauen ließ. Mit spe- cieller Anwendung dieses herrschenden Grundgefühls auf die Humanisten selber verfaßte dann später Pierio Valeriano seine berühmte Abhandlung (S. 273). Es gab einzelne ganz besonders anregende Themata dieser Art wie z. B. das Glück Leo's X. Was von politischer Seite darüber Günstiges gesagt werden kann, das hat Francesco Vettori in scharfen Meisterzügen zusammengefaßt; das Bild seines Genußlebens geben Paolo Giovio und die Biographie eines Ungenannten Leonis X. vita anonyma, bei Roscoe, ed. Bossi, XII, p. 153. ; die Schattenseiten dieses Glückes verzeichnet unerbittlich wie das Schicksal selbst der ebengenannte Pierio. Daneben erregt es beinahe Grauen, wenn hie und da Das Rühmen des Glückes. sich Jemand öffentlich in lateinischer Inschrift des Glückes rühmt. So wagte Giovanni II. Bentivoglio, Herrscher von Bologna, an dem neu erbauten Thurme bei seinem Palaste es in Stein hauen zu lassen: sein Verdienst und sein Glück hätten ihm alle irgend wünschbaren Güter reichlich gewährt Bursellis, ann. Bonon., bei Murat. XXIII, Col. 909: monimen- tum hoc conditum a Joanne Bentivolo secundo Patriæ rec- tore, cui virtus et fortuna cuncta quæ optari possunt affatim præstiterunt. Es ist indeß nicht ganz klar, ob diese Inschrift außen angebracht und sichtbar, oder wie die zunächst vorher mitgetheilte in einem Grundstein verborgen war. Im letztern Fall verbände sich wohl damit eine neue Idee: das Glück sollte durch die geheime Schrift, die vielleicht nur noch der Chronist kannte, magisch an das Gebäude gefesselt werden. 6. Abschnitt. — wenige Jahre vor seiner Verjagung. Die Alten, wenn sie in diesem Sinne redeten, empfanden wenigstens das Gefühl vom Neid der Götter. In Italien hatten es wahr- scheinlich die Condottieren (S. 24) aufgebracht, daß man sich laut der Fortuna rühmen durfte. Der stärkste Einfluß des wiederentdeckten Alterthums auf die Religion kam übrigens nicht von irgend einem phi- losophischen System oder von einer Lehre und Meinung der Alten her, sondern von einem allesbeherrschenden Ur- theil. Man zog die Menschen und zum Theil auch die Einrichtungen des Alterthums denjenigen des Mittelalters vor, strebte ihnen auf alle Weise nach und wurde dabei über den Religionsunterschied völlig gleichgültig. Die Be- wunderung der historischen Größe absorbirte Alles. (Vgl. S. 149, Anm., 429.) Heidnische Aeußerlich- keiten. Bei den Philologen kam dann noch manche besondere Thorheit hinzu, durch welche sie die Blicke der Welt auf sich zogen. Wie weit Papst Paul II. berechtigt war, das Heidenthum seiner Abbreviatoren und ihrer Genossen zur Rechenschaft zu ziehen, bleibt allerdings sehr zweifelhaft, da sein Hauptopfer und Biograph Platina (S. 225, 330) es meisterlich verstanden hat, ihn dabei als rachsüchtig wegen anderer Dinge und ganz besonders als komische Figur er- scheinen zu lassen. Die Anklage auf Unglauben, Heiden- thum Quod nimium gentilitatis amatores essemus. , Läugnung der Unsterblichkeit ꝛc. wurde gegen die Verhafteten erst erhoben, nachdem der Hochverrathsproceß nichts ergeben hatte; auch war Paul, wenn wir recht be- richtet werden, gar nicht der Mann dazu, irgend etwas Geistiges zu beurtheilen, wie er denn die Römer ermahnte, ihren Kindern über Lesen und Schreiben hinaus keinen weitern Unterricht mehr geben zu lassen. Es ist eine ähn- liche priesterliche Beschränktheit wie bei Savonarola (S. 480), nur daß man Papst Paul hätte erwiedern können, er und seinesgleichen trügen mit die Hauptschuld, wenn die Bildung 6. Abschnitt. den Menschen von der Religion abwendig mache. Daran aber ist doch nicht zu zweifeln, daß er eine wirkliche Be- sorgniß wegen der heidnischen Tendenzen in seiner Nähe verspürte. Was mögen sich vollends die Humanisten am Hofe des heidnisch ruchlosen Sigismondo Malatesta (S. 499, Anm.) erlaubt haben? Gewiß kam es bei diesen meist hal- tungslosen Menschen wesentlich darauf an, wie weit ihre Um- gebung ihnen zu gehen gestattete. Und wo sie das Christen- thum anrühren, da paganisiren sie es (S. 255, 261). Man muß sehen, wie weit z. B. ein Gioviano Pontano die Ver- mischung treibt; ein Heiliger heißt bei ihm nicht nur Divus , sondern Deus ; die Engel hält er schlechtweg mit den Ge- nien des Alterthums für identisch Während doch die bildende Kunst wenigstens zwischen Engeln und Putten unterschied und für alle ernsten Zwecke die erstern anwandte. — Annal. Estens. bei Murat. XX, Col. 468 heißt der Amorin oder Putto ganz naiv: instar Cupidinis angelus. , und seine Ansicht von der Unsterblichkeit gleicht einem Schattenreiche. Es kommt zu einzelnen ganz wunderbaren Excessen in dieser Beziehung. Als 1526 Siena Della Valle, lettere sanesi, III , 18. von der Partei der Ausgetriebenen an- gegriffen wurde, stand der gute Domherr Tizio, der uns dieß selber erzählt, am 22. Juli vom Bette auf, gedachte dessen, was im dritten Buch des Macrobius Macrob. Saturnal. III, 9. Ohne Zweifel machte er auch die dort vorgeschriebenen Gesten dazu. geschrieben steht, las eine Messe, und sprach dann die in jenem Autor aufgezeichnete Devotionsformel gegen die Feinde aus, nur daß er statt Tellus mater teque Jupiter obtestor sagte: Tellus teque Christe Deus obtestor . Nachdem er damit noch an den zwei folgenden Tagen fortgefahren, zogen die Feinde ab. Von der einen Seite sieht dergleichen aus, wie 6. Abschnitt eine unschuldige Styl- und Modesache, von der andern aber wie ein religiöser Abfall. Einwirkung des antiken Aber- glaubens. Doch das Alterthum hatte noch eine ganz besonders gefährliche Wirkung und zwar dogmatischer Art: es theilte der Renaissance seine Art des Aberglaubens mit. Einzelnes davon hatte sich in Italien durch das Mittelalter hindurch am Leben erhalten; um so viel leichter lebte jetzt das Ganze neu auf. Daß dabei die Phantasie mächtig mitspielte, ver- steht sich von selbst. Nur sie konnte den forschenden Geist der Italiener so weit zum Schweigen bringen. Der Glaube an die göttliche Weltregierung war wie gesagt, bei den Einen durch die Masse des Unrechtes und Unglückes erschüttert; die Andern, wie z. B. Dante, gaben wenigstens das Erdenleben dem Zufall und seinem Jammer Preis und wenn sie dabei dennoch einen starken Glauben behaupteten, so kam dieß daher, daß sie die höhere Bestim- mung des Menschen für das Jenseits festhielten. Sobald nun auch diese Ueberzeugung von der Unsterblichkeit wankte, bekam der Fatalismus das Uebergewicht — oder wenn Letzteres geschah, so war Ersteres die Folge davon. Astrologie. In die Lücke trat zunächst die Astrologie des Alter- thums, auch wohl die der Araber. Aus der jedesmaligen Stellung der Planeten unter sich und zu den Zeichen des Thierkreises errieth sie künftige Ereignisse und ganze Lebens- läufe und bestimmte auf diesem Wege die wichtigsten Ent- schlüsse. In vielen Fällen mag die Handlungsweise, zu welcher man sich durch die Gestirne bestimmen ließ, an sich nicht unsittlicher gewesen sein als diejenige, welche man ohne dieses befolgt haben würde; sehr oft aber muß der Entscheid auf Unkosten des Gewissens und der Ehre erfolgt sein. Es ist ewig lehrreich zu sehen, wie alle Bildung und Aufklärung gegen diesen Wahn nicht aufkam, weil derselbe seine Stütze hatte an der leidenschaftlichen Phantasie, an dem heißen Wunsch, die Zukunft voraus zu wissen und zu bestimmen, und weil das Alterthum ihn bestätigte. Die Astrologie tritt mit dem XIII. Jahrhundert plötz- 6. Abschnitt. lich sehr mächtig in den Vordergrund des italienischen Lebens. Kaiser Friedrich II. führt seinen Astrologen Theodorus mit sich, und Ezzelino da Romano Monachus Paduan. L. II, bei Urstisius, scriptores I, p. 598. 599. 602. 607. — Auch der letzte Visconti (S. 37) hatte eine ganze Anzahl solcher Leute bei sich. Vgl. Decembrio, bei Mura- tori XX, Col. 1017. einen ganzen stark besol- deten Hof von solchen Leuten, darunter den berühmten Guido Bonatto und den langbärtigen Saracenen Paul von Bagdad. Zu allen wichtigen Unternehmungen mußten sie ihm Tag und Stunde bestimmen, und die massenhaften Gräuel, welche er verüben ließ, mögen nicht geringen Theils auf logischer Deduction aus ihren Weissagungen beruht ha- ben. Seitdem scheut sich Niemand mehr, die Sterne be- Ihre große Verbreitung. fragen zu lassen; nicht nur die Fürsten sondern auch einzelne Stadtgemeinden So Florenz, wo der genannte Bonatto eine Zeitlang die Stelle ver- sah. Vgl. auch Matteo Villani XI, 3, wo offenbar ein Stadt- astrolog gemeint ist. halten sich regelmäßige Astrologen und an den Universitäten Libri, hist. d. sciences math. II, 52. 193. In Bologna soll diese Professur schon 1125 vorkommen. — Vgl. das Verzeichniß der Professoren von Pavia bei Corio, fol. 290. — Die Professur an der Sapienza unter Leo X, vgl. Roscoe, Leone X, ed. Bossi, V, p. 283. werden vom XIV. bis zum XVI. Jahr- hundert besondere Professoren dieser Wahnwissenschaft, sogar neben eigentlichen Astronomen angestellt. Die Päpste Schon um 1260 zwingt Papst Alexander IV. einen Cardinal und verschämten Astrologen, Bianco, mit politischen Weissagungen heraus- zurücken. Giov. Villani, VI, 81. be- kennen sich großentheils offen zur Sternbefragung; aller- dings macht Pius II. eine ehrenvolle Ausnahme De dictis etc. Alphonsi, opera, p. 493. Er fand es sei pulchrius quam utile. Platina, vitæ Pont. p. 310. — Für Sixtus IV. vgl. Jac. Volaterran. bei Murat. XXIII, Col. 173. 186. , wie er Cultur der Renaissance. 33 6. Abschnitt. denn auch Traumdeutung, Prodigien und Zauber verachtete; aber selbst Leo X. scheint einen Ruhm seines Pontificates darin zu finden, daß die Astrologie blühe Pier. Valeriano, de infelic. literat. bei Anlaß des Franc. Priuli, der über Leo's Horoscop schrieb und dabei mehrere Geheimnisse des Papstes errieth. , und Paul III. hat kein Consistorium gehalten Ranke, Päpste, I, p. 247. ohne daß ihm die Stern- gucker die Stunde bestimmt hätten. Bei den bessern Gemüthern darf man nun wohl vor- aussetzen, daß sie sich nicht über einen gewissen Grad hinaus in ihrer Handlungsweise von den Sternen bestimmen ließen, daß es eine Grenze gab, wo Religion und Gewissen Einhalt Ihre ehrbarere Gestalt. geboten. In der That haben nicht nur treffliche und fromme Leute an dem Wahn Theil genommen, sondern sind selbst als Repräsentanten desselben aufgetreten. So Maestro Pa- golo von Florenz Vespas. Fiorentino p. 660, vgl. 341. , bei welchem man beinahe diejenige Absicht auf Versittlichung des Astrologenthums wiederfindet, welche bei dem späten Römer Firmicus Maternus kenntlich wird Firmicus Maternus, Matheseos Libri VIII, am Ende des 2 Buches. . Sein Leben war das eines heiligen Asceten; er genoß beinahe nichts, verachtete alle zeitlichen Güter und sammelte nur Bücher; als gelehrter Arzt beschränkte er seine Praxis auf seine Freunde, machte ihnen aber zur Bedingung, daß sie beichten mußten. Seine Conversation war der enge aber berühmte Kreis, welcher sich im Kloster zu den Engeln um Fra Ambrogio Camaldolese (S. 504) sam- melte, — außerdem die Unterredungen mit Cosimo dem ältern, zumal in dessen letzten Lebensjahren; denn auch Cosimo achtete und benutzte die Astrologie, wenn gleich nur für bestimmte, wahrscheinlich untergeordnete Gegenstände. Sonst gab Pagolo nur den vertrautesten Freunden astro- logischen Bescheid. Aber auch ohne solche Sittenstrenge konnte der Sterndeuter ein geachteter Mann sein und sich überall zeigen; auch gab es ihrer ohne Vergleich viel mehrere 6. Abschnitt. als im übrigen Europa, wo sie nur an bedeutendern Höfen, und selbst da nicht durchgängig, vorkommen. Wer in Ita- lien irgend ein größeres Haus machte, hielt sich auch, sobald der Eifer für die Sache groß genug war, einen Astrologen, der freilich bisweilen Hunger leiden mochte Bei Bandello III, Nov. 60 bekennt sich der Astrolog des Alessandro Bentivoglio in Mailand vor dessen ganzer Gesellschaft als einen armen Teufel. . Durch die schon vor dem Bücherdruck stark verbreitete Literatur dieser Wissenschaft war überdieß ein Dilettantismus entstanden, der sich so viel als möglich an die Meister des Faches an- schloß. Die schlimme Gattung der Astrologen war die, welche die Sterne nur zu Hülfe nahm, um Zauberkünste damit zu verbinden oder vor den Leuten zu verdecken. Doch selbst ohne eine solche Zuthat ist die Astrologie Einfluß im täg- lichen Leben. ein trauriges Element des damaligen italienischen Lebens. Welchen Eindruck machen all jene hochbegabten, vielseitigen, eigenwilligen Menschen, wenn die blinde Begier, das Künf- tige zu wissen und zu bewirken, ihr kräftiges individuelles Wollen und Entschließen auf einmal zur Abdication zwingt! Dazwischen, wenn die Sterne etwa gar zu Ungünstiges verkünden, raffen sie sich auf, handeln unabhängig und sprechen dazu: Vir sapiens dominabitur astris Einen solchen Anfall von Entschlossenheit hatte Lodovico Moro, als er das Kreuz mit jener Inschrift machen ließ, welches sich jetzt im Churer Münster befindet. Auch Sixtus IV. sagte einmal, er wolle probiren, ob der Spruch wahr sei. , der Weise wird über die Gestirne Meister; — um bald wieder in den alten Wahn zurückzufallen. Zunächst wird allen Kindern angesehener Familien das Horoscop gestellt und bisweilen schleppt man sich hierauf das halbe Leben hindurch mit irgend einer nichtsnutzigen Voraussetzung von Ereignissen, die nicht eintreffen Der Vater des Piero Capponi, selber Astrolog, steckte den Sohn in . Dann 33* 6. Abschnitt. werden für jeden wichtigern Entschluß der Mächtigen, zumal für die Stunde des Beginnens die Sterne befragt. Ab- reisen fürstlicher Personen, Empfang fremder Gesandten Beispiele aus dem Leben des Lodovico Moro: Senarega, bei Mu- ratori XXIV, Col. 518. 524. Benedictus, bei Eccard II, Col. 1623. Und doch hatte sein Vater, der große Francesco Sforza, die Astrologen verachtet, und sein Großvater Giacomo sich wenigstens nicht nach ihren Warnungen gerichtet. Corio, fol. 321. 413. , Die Sterne u. die Grundstein- legungen. Grundsteinlegungen großer Gebäude hängen davon ab. Ein gewaltiges Beispiel der letztern Art findet sich im Leben des oben genannten Guido Bonatto, welcher überhaupt durch seine Thätigkeit sowohl als durch ein großes systematisches Werk Dasselbe ist öfter gedruckt, mir aber nie zu Gesichte gekommen. — Das hier Mitgetheilte aus Annal. foroliviens. bei Murat. XXII, Col. 233, s. — Leonbattista Alberti sucht die Ceremonie der Grund- steinlegung zu vergeistigen. Opere volgari, Tom. IV, p. 314 (oder de re ædific. L. I ). der Wiederhersteller der Astrologie im XIII. Jahr- hundert heißen darf. Um dem Parteikampf der Guelfen und Ghibellinen in Forli ein Ende zu machen, beredete er die Einwohner zu einem Neubau ihrer Stadtmauern und zum feierlichen Beginn desselben unter einer Constellation, die er angab; wenn dann Leute beider Parteien in dem- selben Moment Jeder seinen Stein in das Fundament würfen, so würde in Ewigkeit keine Parteiung mehr in Forli sein. Man wählte einen Guelfen und einen Ghi- bellinen zu diesem Geschäfte; der hehre Augenblick erschien, Beide hielten ihre Steine in der Hand, die Arbeiter war- teten mit ihrem Bauzeug, und Bonatto gab das Signal — da warf der Ghibelline sogleich seinen Stein hinunter, der den Handel, damit er nicht die gefährliche Kopfwunde bekomme, die ihm angedroht war. Vita di P. Capponi, arch. stor. IV, II, 15. — Das Beispiel aus dem Leben des Cardanus S. 334. — Der Arzt und Astrolog Pierleoni von Spoleto glaubte er werde einst ertrinken, mied deßhalb alle Gewässer und schlug glänzende Stellungen in Padua und Venedig aus. Paul. Jov. Elog. liter. Guelfe aber zögerte und weigerte sich dann gänzlich, weil 6. Abschnitt. Bonatto selber als Ghibelline galt und etwas Geheimniß- volles gegen die Guelfen im Schilde führen konnte. Nun fuhr ihn der Astrolog an: Gott verderbe dich und deine Guelfenpartei mit euerer mißtrauischen Bosheit! dieß Zeichen wird 500 Jahre lang nicht mehr am Himmel über unserer Stadt erscheinen! In der That verdarb Gott nachher die Guelfen von Forli, jetzt aber (schreibt der Chronist um 1480) sind Guelfen und Ghibellinen hier doch gänzlich versöhnt und man hört ihre Parteinamen nicht mehr Bei den Horoscopen der zweiten Gründung von Florenz ( Giov. Villani III, 1, unter Carl d. Gr.) und der ersten von Venedig (oben, S. 62) geht vielleicht eine alte Erinnerung neben der Dich- tung des spätern Mittelalters einher. . Das Nächste was von den Sternen abhängig wird, Die Astrologie im Kriege. sind die Entschlüsse im Kriege. Derselbe Bonatto verschaffte dem großen Ghibellinenhaupt Guido da Montefeltro eine ganze Anzahl von Siegen, indem er ihm die richtige Ster- nenstunde zum Auszug angab; als Montefeltro ihn nicht mehr bei sich hatte Ann. foroliv. l. c. — Filippo Villani, vite. — Macchiavelli, stor. fior. L. I. — Wenn siegverheißende Constellationen nahten, stieg Bonatto mit Astrolab und Buch auf den Thurm von San Mercuriale über der Piazza, und ließ, sobald der Moment kam, gleich die große Glocke zum Aufgebot läuten. Doch wird zugestan- den, daß er sich bisweilen sehr geirrt und das Schicksal des Monte- feltro und seinen eigenen Tod nicht vorausgekannt habe. Unweit Cesena tödteten ihn Räuber, als er von Paris und italienischen Universitäten, wo er gelehrt hatte, nach Forli zurück wollte. , verlor er allen Muth seine Tyran- nis weiter zu behaupten und ging in ein Minoriten- kloster; noch lange Jahre sah man ihn als Mönch terminiren. Die Florentiner ließen sich noch im pisanischen Krieg von 1362 durch ihren Astrologen die Stunde des Auszuges bestim- men Matteo Villani XI, 3. ; man hätte sich aber beinahe verspätet, weil plötzlich 6. Abschnitt. ein Umweg in der Stadt befohlen wurde. Frühere Male war man nämlich durch Via di Borgo S. Apostolo aus- gezogen und hatte schlechten Erfolg gehabt; offenbar war mit dieser Straße, wenn man gegen Pisa zu Felde zog, ein übles Augurium verknüpft, und deßhalb wurde das Heer jetzt durch Porta rossa hinausgeführt; weil aber dort die gegen die Sonne ausgespannten Zelte nicht waren weg- genommen worden, so mußte man — ein neues übles Zeichen — die Fahnen gesenkt tragen. Ueberhaupt war die Astrologie vom Kriegswesen schon deßhalb nie zu trennen, weil ihr die meisten Condottieren anhingen. Jacopo Caldora war in der schwersten Krankheit wohlgemuth weil er wußte, daß er im Kampfe fallen würde wie denn auch geschah Jovian. Pontan. de fortitudine, L. I. — Die ersten Sforza als ehrenvolle Ausnahmen S. 516, Anm. ; Bar- tolommeo Alviano war davon überzeugt, daß seine Kopf- wunden ihm so gut wie sein Commando durch Beschluß der Gestirne zu Theil geworden Paul. Jov. Elog., sub v. Livianus. ; Nicol ò Orsini-Pitigliano bittet sich für den Abschluß seines Soldvertrages mit Ve- nedig (1495) von dem Physicus und Astrologen Alessandro Benedetto Welcher dieß selber erzählt. Benedictus, bei Eccard II, Col. 1617. eine gute Sternenstunde aus. Als die Floren- tiner den 1. Juni 1498 ihren neuen Condottiere Paolo Vitelli feierlich mit seiner Würde bekleideten, war der Com- mandostab, den man ihm überreichte, mit der Abbildung von Constellationen versehen So wird wohl die Aussage des Jac. Nardi, vita d'Ant. Giaco- mini p. 65 zu verstehen sein. — An Kleidern und Geräthen kommt dergleichen nicht selten vor. Beim Empfang der Lucrezia Borgia in Ferrara trug das Maulthier der Herzogin von Urbino eine schwarzsammtne Decke mit goldenen astrologischen Zeichen. Arch. stor. append. II, p. 305. , und zwar auf Vitelli's eigenen Wunsch. Sterne und Staatsacte. Bisweilen wird es nicht ganz klar, ob bei wichtigen politischen Ereignissen die Sterne vorher befragt wurden, 6. Abschnitt. oder ob die Astrologen nur nachträglich aus Curiosität die Constellation berechneten, welche den betreffenden Augenblick beherrscht haben sollte. Als Giangaleazzo Visconti (S. 11) mit einem Meisterstreich seinen Oheim Bernab ò und dessen Familie gefangen nahm (1385), standen Jupiter, Saturn und Mars im Hause der Zwillinge — so meldet ein Zeit- genosse Azario, bei Corio, Fol. 258. , aber wir erfahren nicht, ob dieß den Entschluß zur That bestimmte. Nicht selten mag auch politische Ein- sicht und Berechnung den Sterndeuter mehr geleitet haben als der Gang der Planeten Etwas der Art könnte man selbst bei jenem türkischen Astrologen vermuthen, der nach der Sch lacht von Nicopolis dem Sultan Baja- zeth I. rieth, den Loskauf des Johann von Burgund zu gestatten: „um seinetwillen werde noch viel Christenblut vergossen werden“. Es war nicht zu schwer, den weitern Verlauf des innern französischen Krieges voraus zu ahnen. Magn. chron. belgicum, p. 358. Juvénal des Ursins ad a. 1396. . Hatte sich Europa schon das ganze spätere Mittelalter hindurch von Paris und Toledo aus durch astrologische Weissagungen von Pest, Krieg, Erdbeben, großen Wassern u. dgl, ängstigen lassen, so blieb Italien hierin vollends nicht zurück. Dem Unglücksjahr 1494, das den Fremden für immer Italien öffnete, gingen unläugbar schlimme Weis- sagungen nahe voraus Benedictus, bei Eccard II, Col. 1579. Es hieß u. a. 1493 vom König Ferrante: er werde seine Herrschaft verlieren sine cruore, sed sola fama, wie denn auch geschah. , nur müßte man wissen, ob solche nicht längst für jedes beliebige Jahr bereit lagen. In seiner vollen, antiken Consequenz dehnt sich aber Die Religionen von den Ster- nen abhängig. das System in Regionen aus, wo man nicht mehr erwarten würde ihm zu begegnen. Wenn das ganze äußere und geistige Leben des Individuums von dessen Genitura bedingt ist, so befinden sich auch größere geistige Gruppen, z. B. 6. Abschnitt. Völker und Religionen, in einer ähnlichen Abhängigkeit, und da die Constellationen dieser großen Dinge wandelbar sind, so sind es auch die Dinge selbst. Die Idee, daß jede Religion ihren Welttag habe, kommt auf diesem astrologi- schen Wege in die italienische Bildung hinein. Die Con- junction des Jupiter, hieß es Bapt. Mantuan. de patientia, L. III, cap. 12. , mit Saturn habe den hebräischen Glauben hervorgebracht, die mit Mars den chaldäischen, die mit der Sonne den ägyptischen, die mit Venus den mohammedanischen, die mit Mercur den christ- lichen, und die mit dem Mond werde einst die Religion des Antichrist hervorbringen. In frevelhaftester Weise hatte schon Checco d'Ascoli die Nativität Christi berechnet und seinen Kreuzestod daraus deducirt; er mußte deßhalb 1327 in Florenz auf dem Scheiterhaufen sterben Giov. Villani, X, 39. 40. Es wirkten noch andere Dinge mit, u. a. collegialischer Neid. — Schon Bonatto hatte Aehnliches ge- lehrt und z. B. das Wunder der göttlichen Liebe in S. Franz als Wirkung des Planeten Mars dargestellt. Vgl. Jo. Picus adv. Astrol. II, 5. . Lehren dieser Art führten in ihren weitern Folgen eine förmliche Ver- finsterung alles Uebersinnlichen mit sich. Die Gegner der Astrologie. Um so anerkennenswerther ist aber der Kampf, welchen der lichte italienische Geist gegen dieses ganze Wahngespinnst geführt hat. Neben den größten monumentalen Verherr- lichungen der Astrologie, wie die Fresken im Salone zu Padua Es sind die von Miretto zu Anfang des XV. Jahrh. gemalten; laut Scardeonius waren sie bestimmt ad indicandum nascentium naturas per gradus et numeros, ein populäreres Beginnen als wir uns jetzt leicht vorstellen. Es war Astrologie à la portée de tout le monde. und diejenigen in Borso's Sommerpalast (Schi- fanoja) zu Ferrara, neben dem unverschämten Anpreisen, das sich selbst ein Beroaldus der ältere Er meint ( Orationes, fol. 35, in nuptias ) von der Sterndeutung: hæc efficit ut homines parum a Diis distare videantur! — erlaubt, tönt immer wieder der laute Protest der Nichtbethörten und 6. Abschnitt. Denkenden. Auch auf dieser Seite hatte das Alterthum vorgearbeitet, doch reden sie hier nicht den Alten nach, sondern aus ihrem eigenen gesunden Menschenverstande und aus ihrer Beobachtung heraus. Petrarca's Stimmung gegen die Astrologen, die er aus eigenem Umgang kannte, ist derber Hohn Petrarca, epp. seniles III, 1 (p. 765) u. a. a. O. Der genannte Brief ist an Boccaccio gerichtet, welcher ebenso gedacht haben muß. , und ihr System durchschaut er in seiner Lügenhaftigkeit. Die Novelle ist seit ihrer Geburt, seit den cento novelle antiche, den Astrologen fast immer feind- lich Bei Franco Sacchetti macht Nov. 151 ihre Weisheit lächerlich. . Die florentinischen Chronisten wehren sich auf das Tapferste, auch wenn sie den Wahn, weil er in die Tradition verflochten ist, mittheilen müssen. Giovanni Villani sagt es mehr als einmal Gio. Villani III, 1. X, 39. : „keine Constellation kann den freien Willen des Menschen unter die Nothwendigkeit zwingen, noch auch den Beschluß Gottes“; Matteo Villani erklärt die Astrologie für ein Laster, das die Florentiner mit anderm Aberglauben von ihren Vorfahren, den heidnischen Römern, geerbt hätten. Es blieb aber nicht bei bloß literarischer Erörterung, sondern die Parteien, die sich darob bildeten, stritten öffentlich; bei der furchtbaren Ueberschwemmung des Jahres 1333 und wiederum 1345 wurde die Frage über Sternenschicksal und Gottes Willen und Strafgerechtigkeit zwischen Astrologen und Theologen höchst umständlich dis- cutirt Gio. Villani XI, 2. XII, 4. . Diese Verwahrungen hören die ganze Zeit der Renaissance hindurch niemals völlig auf Auch jener Verfasser der Annales Placentini (bei Murat. XX, Col. 931), der S. 235, 236, Anm. erwähnte Alberto di Ripalta schließt sich dieser Polemik an. Die Stelle ist aber anderweitig merkwürdig, , und man darf Ein anderer Enthusiast aus derselben Zeit ist Jo. Garzonius, de dignitate urbis Bononiæ, bei Murat. XXI, Col. 1163. 6. Abschnitt. sie für aufrichtig halten, da es durch Vertheidigung der Astrologie leichter gewesen wäre sich bei den Mächtigen zu empfehlen als durch Anfeindung derselben. In der Umgebung des Lorenzo magnifico, unter seinen namhaftesten Platonikern, herrschte hierüber Zwiespalt. Marsilio Ficino vertheidigte die Astrologie und stellte den Kindern vom Hause das Horoscop, wie er denn auch dem kleinen Giovanni geweissagt haben soll, er würde ein Papst Pico's Wioer- legung. — Leo X. — werden Paul. Jov. vita Leonis X. L. III, wo dann bei Leo selbst wenig- stens ein Glaube an Vorbedeutungen ꝛc. zum Vorschein kommt. . Dagegen macht Pico della Mi- randola wahrhaft Epoche in dieser Frage durch seine be- rühmte Widerlegung Jo. Pici Mirand. adversus astrologos libri XII. . Er weist im Sternglauben eine Wurzel aller Gottlosigkeit und Unsittlichkeit nach; wenn der Astrologe an irgend Etwas glauben wolle, so müsse er am ehesten die Planeten als Götter verehren, indem ja von ihnen alles Glück und Unheil hergeleitet werde; auch aller übrige Aberglaube finde hier ein bereitwilliges Organ, in- dem Geomantie, Chiromantie und Zauber jeder Art für die Wahl der Stunde sich zunächst an die Astrologie wen- deten. In Betreff der Sitten sagt er: eine größere För- derung für das Böse gebe es gar nicht als wenn der Himmel selbst als Urheber desselben erscheine, dann müsse auch der Glaube an ewige Seligkeit und Verdammniß völlig schwin- den. Pico hat sich sogar die Mühe genommen, auf em- pirischem Wege die Astrologen zu controliren; von ihren Wetterprophezeiungen für die Tage eines Monats fand er drei Viertheile falsch. Die Hauptsache aber war, daß er (im IV. Buche) eine positive christliche Theorie über Welt- regierung und Willensfreiheit vortrug, welche auf die Ge- bildeten der ganzen Nation einen größern Eindruck gemacht weil sie die damaligen Meinungen über die neun bekannten, und hier mit Namen genannten Cometen enthält. — Vgl. Gio. Vil- lani, XI, 67. zu haben scheint als alle Bußpredigten, von welchen diese 6. Abschnitt. Leute oft nicht mehr erreicht wurden. Vor Allem verleidete er den Astrologen die weitere Deren Wirkung. Publication ihrer Lehrgebäude Laut Paul. Jov. Elog. lit., sub tit. Jo. Picus, war seine Wirkung diese, ut subtilium disciplinarum professores a scribendo de- terruisse videatur. , und die welche bisher dergleichen hatten drucken lassen, schämten sich mehr oder weniger. Gioviano Pontano z. B. hatte in seinem Buche „vom Schicksal“ (S. 508) die ganze Wahnwissenschaft an- erkannt und sie in einem eigenen großen Werke De rebus cœlestibus. theoretisch in der Art des alten Firmicus vorgetragen; jetzt, in seinem Dialog „Aegidius“ giebt er zwar nicht die Astrologie, wohl aber die Astrologen Preis, rühmt den freien Willen und beschränkt den Einfluß der Sterne auf die körperlichen Dinge. Die Sache blieb in Uebung, aber sie scheint doch nicht mehr das Leben so beherrscht zu haben wie früher. Die Malerei, welche im XV. Jahrhundert den Wahn nach Kräften verherrlicht hatte, spricht nun die veränderte Denk- weise aus: Rafael in der Kuppel der Capelle Chigi In S. Maria del popolo zu Rom. — Die Engel erinnern an die Theorie Dante's zu Anfang des Convito. stellt ringsum die Planetengötter und den Fixsternhimmel dar, aber bewacht und geleitet von herrlichen Engelgestalten, und von oben herab gesegnet durch den ewigen Vater. Noch ein anderes Element scheint der Astrologie in Italien feind- lich gewesen zu sein: die Spanier hatten keinen Theil daran, auch ihre Generale nicht, und wer sich bei ihnen in Gunst setzen wollte Dieß ist wohl der Fall mit Antonio Galateo, der in einem Brief an Ferdinand den Catholischen ( Mai, spicileg. rom. vol. VIII, p. 226, vom J. 1510) die Astrologie heftig verläugnet, in einem andern Brief an den Grafen von Potenza jedoch ( ibid., p. 539) aus den Sternen schließt, daß die Türken heuer Rhodus angreifen würden. , bekannte sich auch wohl ganz offen als Feind 6. Abschnitt. der für sie halbketzerischen, weil halbmohammedanischen Wissenschaft. Freilich noch 1529 meint Guicciardini: wie glücklich doch die Astrologen seien, denen man glaube wenn sie unter hundert Lügen eine Wahrheit vorbrächten, während Andere, die unter hundert Wahrheiten eine Lüge sagten, um allen Credit kämen Ricordi, l. c. N. 57. . Und überdieß schlug die Ver- achtung der Astrologie nicht nothwendig in Vorsehungs- glauben um; sie konnte sich auch auf einen allgemeinen, unbestimmten Fatalismus zurückziehen. Italien hat in dieser wie in andern Beziehungen den Culturtrieb der Renaissance nicht gesund durch- und aus- leben können, weil die Eroberung und die Gegenreformation dazwischen kam. Ohne dieses würde es wahrscheinlich die phantastischen Thorheiten völlig aus eigenen Kräften über- wunden haben. Wer nun der Ansicht ist, daß Invasion und catholische Reaction nothwendig und vom italienischen Volk ausschließlich selbst verschuldet gewesen seien, wird ihm auch die daraus erwachsenen geistigen Verluste als gerechte Strafe zuerkennen. Nur Schade, daß Europa dabei eben- falls ungeheuer verloren hat. Verschiedene Superstitionen. Bei weitem unschuldiger als die Sterndeutung erscheint der Glaube an Vorzeichen. Das ganze Mittelalter hatte einen großen Vorrath desselben aus seinen verschiedenen Heidenthümern ererbt und Italien wird wohl darin am wenigsten zurückgeblieben sein. Was aber die Sache hier eigenthümlich färbt, ist die Unterstützung, welche der Hu- manismus diesem populären Wahn leistet; er kommt dem ererbten Stück Heidenthum mit einem literarisch erarbeiteten zu Hülfe. Der populäre Aberglaube der Italiener bezieht sich bekanntlich auf Ahnungen und Schlüsse aus Vorzeichen Eine Masse solchen Wahnes beim letzten Visconti zählt Decembrio (Murat. XX, Col. 1016, s.) auf. , woran sich dann noch eine meist unschuldige Magie an- 6. Abschnitt. schließt. Nun fehlt es zunächst nicht an gelehrten Huma- nisten, welche wacker über diese Dinge spotten und sie bei diesem Anlaß berichten. Derselbe Gioviano Pontano, welcher jenes große astrologische Werk (S. 523) verfaßte, zählt in sei- nem „Charon“ ganz mitleidig allen möglichen neapolitanischen Aberglauben auf: den Jammer der Weiber, wenn ein Huhn oder eine Gans den Pips bekömmt; die tiefe Besorgniß der vornehmen Herrn, wenn ein Jagdfalke ausbleibt, ein Pferd den Fuß verstaucht; den Zauberspruch der apulischen Bauern, welchen sie in drei Samstagsnächten hersagen, wenn tolle Hunde das Land unsicher machen ꝛc. Ueberhaupt hatte die Thierwelt ein Vorrecht des Ominösen gerade wie im Alterthum, und vollends jene auf Staatskosten unter- haltenen Löwen, Leoparden u. dgl. (S. 288, f.) gaben durch ihr Verhalten dem Volk um so mehr zu denken, als man sich unwillkürlich gewöhnt hatte, in ihnen das lebendige Symbol des Staates zu erblicken. Als während der Be- lagerung von 1529 ein angeschossener Adler nach Florenz hereinflog, gab die Signorie dem Ueberbringer vier Du- caten, weil es ein gutes Augurium sei Varchi, stor. fior. L. IV. (p. 174). Ahnung und Weissagung spielten damals in Florenz fast dieselbe Rolle wie einst in dem be- lagerten Jerusalem. Vgl. ibid. III, 143. 195. IV, 43. 177. . Dann waren bestimmte Zeiten und Orte für bestimmte Verrichtungen günstig oder ungünstig oder überhaupt entscheidend. Die Florentiner glaubten, wie Varchi meldet, der Sonnabend sei ihr Schicksalstag, an welchem alle wichtigen Dinge, gute sowohl als böse zu geschehen pflegten. Ihr Vorurtheil gegen Kriegsauszüge durch eine bestimmte Gasse wurde schon (S. 518) erwähnt; bei den Peruginern dagegen gilt eines ihrer Thore, die Porta eburnea, als glückverheißend, so daß die Baglionen zu jedem Kampfe dort hinaus mar- schiren ließen Matarazzo, Arch. stor. XVI, II, p. 208. . Dann nehmen Meteore und Himmels- 6. Abschnitt. zeichen dieselbe Stelle ein wie im ganzen Mittelalter, und aus sonderbaren Wolkenbildungen gestaltet die Phantasie auch jetzt wieder streitende Heere und glaubt deren Lärm hoch in der Luft zu hören Prato, Arch. stor. III, p. 324, zum J. 1514. . Schon bedenklicher wird der Aberglaube, wenn er sich mit heiligen Dingen combinirt, wenn z. B. Madonnenbilder die Augen bewegen Wie die Madonna dell' arbore im Dom von Mailand 1515 that, vgl. Prato, l. c., p. 327. Freilich erzählt derselbe Chronist p. 357, daß man beim Graben der Fundamente für den Bau der triulzischen Grabcapelle (bei S. Nazaro) einen todten Drachen so dick wie ein Pferd gefunden habe; man brachte den Kopf in den Palast Triulzi und gab den Rest Preis. oder Bei Calamitä- ten. weinen, ja wenn Landescalamitäten mit irgend einem an- geblichen Frevel in Verbindung gebracht werden, dessen Sühnung dann der Pöbel verlangt (S. 485). Als Pia- cenza 1478 von langem und heftigem Regen heimgesucht wurde, hieß es, derselbe werde nicht aufhören, bis ein ge- wisser Wucherer, der unlängst in S. Francesco begraben worden war, nicht mehr in geweihter Erde ruhe. Da sich der Bischof weigerte, die Leiche gutwillig ausgraben zu lassen, holten die jungen Bursche sie mit Gewalt, zerrten sie in den Straßen unter gräulichem Tumult herum und warfen sie zuletzt in den Po Et fuit mirabile quod illico pluvia cessavit. Diarium Par- mense bei Murat. XXII, Col. 280. Dieser Autor theilt auch sonst jenen concentrirten Haß gegen die Wucherer, wovon das Volk erfüllt ist. Vgl. Col. 371. . Freilich auch ein Angelo Poliziano läßt sich auf dieselbe Anschauungsweise ein, wo es Giacomo Pazzi gilt, einen Hauptanstifter der nach seiner Familie benannten Verschwörung zu Florenz in demselben Jahre 1478. Als man ihn erdrosselte, hatte er mit fürch- terlichen Worten seine Seele dem Satan übergeben. Nun trat auch hier Regen ein, so daß die Getreideernte bedroht war; auch hier grub ein Haufe von Leuten (meist Bauern) die Leiche in der Kirche aus und alsobald wichen die Re- genwolken und die Sonne erglänzte — „so günstig war 6. Abschnitt. das Glück der Volksmeinung“, fügt der große Philologe bei Coniurationis Pactianæ commentarius, in den Beilagen zu Ros- coe, Leben des Lorenzo. — Poliziano war sonst wenigstens Gegner der Astrologie. . Zunächst wurde die Leiche in ungeweihter Erde verscharrt, des folgenden Tages aber wiederum ausgegraben und nach einer entsetzlichen Procession durch die Stadt in den Arno versenkt. Solche und ähnliche Züge sind wesentlich populär und können im X. Jahrhundert so gut vorgekommen sein als im XVI. Nun mischt sich aber auch hier das literarische Alterthum ein. Von den Humanisten wird ausdrücklich versichert, daß sie den Prodigien und Augurien ganz be- Aberglaube der Humanisten. sonders zugänglich gewesen und Beispiele davon (S. 506) wurden bereits erwähnt. Wenn es aber irgend eines Be- leges bedürfte, so würde ihn schon der eine Poggio gewähren. Derselbe radicale Denker, welcher den Adel und die Un- gleichheit der Menschen negirt (S. 357), glaubt nicht nur an allen mittelalterlichen Geister- und Teufelsspuk ( fol. 167, 179), sondern auch an Prodigien antiker Art, z. B. an diejenigen, welche beim letzten Besuch Eugen's IV. in Flo- renz berichtet wurden Poggii facetiæ, fol. 174. — Aen. Sylvius: De Europa c. 53. 54 (Opera, p. 451. 455) erzählt wenigstens wirklich geschehene Prodigien, z. B. Thierschlachten, Wolkenerscheinungen ꝛc. und giebt sie schon wesentlich als Curiositäten, wenn er auch die betreffenden Schicksale daneben nennt. . „Da sah man in der Nähe von Como des Abends 4000 Hunde, die den Weg nach Deutsch- land nahmen; auf diese folgte eine große Schaar Rinder, dann ein Heer von Bewaffneten zu Fuß und zu Roß, theils ohne Kopf, theils mit kaum sichtbaren Köpfen, zuletzt ein riesiger Reiter, dem wieder eine Heerde von Rindern nachzog.“ Auch an eine Schlacht von Elstern und Dohlen ( fol. 180) glaubt Poggio. Ja er erzählt, vielleicht ohne 6. Abschnitt. es zu merken, ein ganz wohlerhaltenes Stück antiker My- thologie. An der dalmatinischen Küste nämlich erscheint ein Triton, bärtig und mit Hörnchen, als echter Meersatyr, unten in Flossen und einen Fischleib ausgehend; er fängt Kinder und Weiber vom Ufer weg, bis ihn fünf tapfere Waschfrauen mit Steinen und Prügeln tödten Poggii facetiæ, fol. 160. cf. Pausanias IX, 20. . Ein hölzernes Modell des Ungethüms, welches man in Ferrara zeigt, macht dem Poggio die Sache völlig glaublich. Zwar Orakel gab es keine mehr und Götter konnte man nicht mehr befragen, aber das Aufschlagen des Virgil und die ominöse Deutung der Stelle auf die man traf ( sortes virgilianæ ) wurde wieder Mode Varchi III, p. 195. Zwei Verdächtige entschließen sich 1529 zur Flucht aus dem Staate, weil sie Virg. Aen. III, vs. 44 aufschlugen. . Außerdem blieb der Dämonenglauben des spätesten Alterthums gewiß nicht ohne Einfluß auf denjenigen der Renaissance. Die Schrift des Jamblichus oder Abammon über die Mysterien der Aegypter, welche hiezu dienen konnte, ist schon zu Ende des XV. Jahrhunderts in lateinischer Uebersetzung gedruckt worden. Sogar die platonische Academie in Florenz z. B. ist von solchem und ähnlichem neuplatonischem Wahn der sinkenden Römerzeit nicht ganz frei geblieben. Von diesem Glauben an die Dämonen und dem damit zusammenhängenden Zauber muß nunmehr die Rede sein. Gespenster Verstorbener. Der Populärglaube an das was man die Geisterwelt nennt Phantasien von Gelehrten wie z. B. den splendor und den spiritus des Cardanus und den Dæmon familiaris seines Vaters lassen wir auf sich beruhen. Vgl. Cardanus, de propria vita, cap. 4. 38. 47. Er selber war Gegner der Magie, cap. 39. Die Prodigien und Gespenster die ihm begegnet, cap. 37. 41. — Wie weit die Gespensterfurcht des letzten Visconti ging, vgl. Decembrio, bei Mu- ratori XX, Col. 1016. , ist in Italien so ziemlich derselbe wie im übrigen Europa. Zunächst giebt es auch dort Gespenster, d. h. Er- scheinungen Verstorbener, und wenn die Anschauung von 6. Abschnitt. der nordischen etwas abweicht, so verräth sich dieß höchstens durch den antiken Namen ombra. Wenn sich noch heute ein solcher Schatten erzeigt, so läßt man ein paar Messen für seine Ruhe lesen. Daß die Seelen böser Menschen in furchtbarer Gestalt erscheinen, versteht sich von selbst, doch geht daneben noch eine besondere Ansicht einher, wonach die Gespenster Verstorbener überhaupt bösartig wären. Die Todten bringen die kleinen Kinder um, meint der Caplan bei Bandello Molte fiate i morti guastano le creature. Bandello II, Nov. 1. . Wahrscheinlich trennt er hiebei in Ge- danken noch einen besondern Schatten von der Seele, denn diese büßt ja im Fegefeuer und wo sie erscheint, pflegt sie nur zu flehen und zu jammern. Andere Male ist, was erscheint, nicht sowohl das Schattenbild eines bestimmten Menschen als das eines Ereignisses, eines vergangenen Zu- standes. So erklären die Nachbarn den Teufelsspuk im alten viscontinischen Palast bei S. Giovanni in Conca zu Mailand; hier habe einst Bernab ò Visconti unzählige Opfer seiner Tyrannei foltern und erdrosseln lassen, und es sei kein Wunder wenn sich etwas erzeige Bandello III, Nov. 20. Freilich war es nur ein Amant, der den Gemahl seiner Dame, den Bewohner des Palastes, erschrecken wollte. Er und die Seinigen verkleideten sich in Teufel; Einen, der alle Thierstimmen nachmachen konnte, hatte er sogar von auswärts kom- men lassen. . Einem un- getreuen Armenhausverwalter zu Perugia erschien eines Abends, als er Geld zählte, ein Schwarm von Armen mit Lichtern in den Händen und tanzten vor ihm herum; eine große Gestalt aber führte drohend das Wort für sie, es war S. Al ò , der Schutzheilige des Armenhauses Graziani, arch. stor. XVI, I, p. 640. ad a. 1467. Der Verwalter starb vor Schrecken. . — Diese Anschauungen verstanden sich so sehr von selbst, daß auch Dichter ein allgemein gültiges Motiv darin finden konnten. Cultur der Renaissance. 34 6. Abschnitt. Sehr schön giebt z. B. Castiglione die Erscheinung des er- schossenen Lodovico Pico unter den Mauern des belagerten Mirandola wieder Balth. Castilionii carmina. Prosopopeja Lud. Pici. . Freilich die Poesie benutzt dergleichen gerade am Liebsten, wenn der Poet selber schon dem be- treffenden Glauben entwachsen ist. Dämonen- glaube. Sodann war Italien mit derselben Volksansicht über die Dämonen erfüllt wie alle Völker des Mittelalters. Man war überzeugt, daß Gott den bösen Geistern jedes Ranges bisweilen eine große zerstörende Wirkung gegen einzelne Theile der Welt und des Menschenlebens zulasse; alles was man einbedang, war, daß wenigstens der Mensch, welchem die Dämonen als Versucher nahten, seinen freien Willen zum Widerstand anwenden könne. In Italien nimmt zumal das Dämonische der Naturereignisse im Mund des Volkes leicht eine poetische Größe an. In der Nacht vor der großen Ueberschwemmung des Arnothales 1333 hörte einer der heiligen Einsiedler oberhalb Vallombrosa in seiner Zelle ein teuflisches Getöse, bekreuzte sich, trat unter die Thür und erblickte schwarze und schreckliche Reiter in Waffen vorüberjagen. Auf sein Beschwören stand ihm einer davon Rede: „wir gehen und ersäufen die Stadt Florenz um ihrer Sünden willen, wenn Gott es zuläßt“ Gio. Villani XI, 2. Er hatte es vom Abt der Vallombrosaner, dem es der Eremit eröffnet hatte. . Womit man die fast gleichzeitige venezianische Erscheinung (1340) vergleichen mag, aus welcher dann irgend ein großer Meister der Schule von Venedig, wahrscheinlich Giorgione, ein wundersames Bild gemacht hat: jene Galeere voller Dä- monen, welche mit der Schnelligkeit eines Vogels über die stürmische Lagune daherjagte um die sündige Inselstadt zu verderben, bis die drei Heiligen, welche unerkannt in die Barke eines armen Schiffers gestiegen waren, durch ihre Beschwörung die Dämonen und ihr Schiff in den Abgrund der Fluthen trieben. Zu diesem Glauben gesellt sich nun der Wahn, daß 6. Abschnitt. der Mensch sich durch Beschwörung den Dämonen nähern, Beschwörung. ihre Hülfe zu seinen irdischen Zwecken der Habgier, Macht- gier und Sinnlichkeit benützen könne. Hiebei gab es wahr- scheinlich viele Verklagte früher als es viele Schuldige gab; erst als man vorgebliche Zauberer und Hexen verbrannte, begann die wirkliche Beschwörung und der absichtliche Zauber häufiger zu werden. Aus dem Qualm der Scheiterhaufen, auf welchen man jene Verdächtigen geopfert, stieg erst der narkotische Dampf empor, der eine größere Anzahl von ver- lorenen Menschen zur Magie begeisterte. Ihnen schlossen sich dann noch resolute Betrüger an. Die populäre und primitive Gestalt, in welcher dieses Die italienische Hexe. Wesen vielleicht seit der Römerzeit ununterbrochen fortgelebt hatte, ist das Treiben der Hexe ( strega ). Sie kann sich so gut als völlig unschuldig geberden, so lange sie sich auf die Divination beschränkt, nur daß der Uebergang vom bloßen Voraussagen zum Bewirkenhelfen oft unmerklich und doch eine entscheidende Stufe abwärts sein kann. Handelt es sich einmal um wirkenden Zauber, so traut man der Hexe hauptsächlich die Erregung von Liebe und Haß zwischen Mann und Weib, doch auch rein zerstörende, boshafte Maleficien zu, namentlich das Hinsiechen von kleinen Kin- dern, auch wenn dasselbe noch so handgreiflich von Ver- wahrlosung und Unvernunft der Eltern herrührt. Nach Allem bleibt dann noch die Frage übrig, wie weit die Hexe durch bloße Zaubersprüche, Ceremonien und unverstandene Formeln, oder aber durch bewußte Anrufung der Dämonen gewirkt haben soll, abgesehen von den Arzneien und Giften, die sie in voller Kenntniß von deren Wirkung mag verab- folgt haben. Die unschuldigere Art, wobei noch Bettelmönche als Concurrenten aufzutreten wagen, lernt man z. B. in der Hexe von Gaeta kennen, welche Pontano Jovian. Pontan. Antonius. uns vorführt. 34* 6. Abschnitt. Sein Reisender Suppatius geräth in ihre Wohnung, wäh- Durchschnittli- cher Character. rend sie gerade einem Mädchen und einer Dienstmagd Audienz giebt, die mit einer schwarzen Henne, neun am Freitag gelegten Eiern, einer Ente und weißem Faden kommen, sintemal der dritte Tag seit Neumond ist; sie werden nun weggeschickt und auf die Dämmerung wieder herbeschieden. Es handelt sich hoffentlich nur um Divina- tion; die Herrin der Dienstmagd ist von einem Mönch geschwängert, dem Mädchen ist sein Liebhaber untreu ge- worden und ins Kloster gegangen. Die Hexe klagt: „Seit meines Mannes Tode lebe ich von diesen Dingen und könnte es bequem haben, da unsere Gaetanerinnen einen ziemlich starken Glauben besitzen, wenn nicht die Mönche mir den Profit vorwegnähmen, indem sie Träume deuten, den Zorn der Heiligen sich abkaufen lassen, den Mädchen Männer, den Schwangern Knaben, den Unfruchtbaren Kinder ver- sprechen und überdieß des Nachts, wenn das Mannsvolk auf dem Fischfang aus ist, die Weiber heimsuchen, mit welchen sie des Tages in der Kirche Abreden getroffen haben“. Suppatius warnt sie vor dem Neid des Klosters, aber sie fürchtet nichts, weil der Guardian ihr alter Be- kannter ist. Der Wahn jedoch schafft sich nun eine schlimmere Gattung von Hexen; solche, die durch bösen Zauber die Menschen um Gesundheit und Leben bringen. Bei diesen wird man auch, sobald der böse Blick ꝛc. nicht ausreichte, zuerst an Beihülfe mächtiger Geister gedacht haben. Ihre Strafe ist, wie wir schon bei Anlaß der Finicella (S. 471) sahen, der Feuertod, und doch läßt der Fanatismus damals noch mit sich handeln; im Stadtgesetz von Perugia z. B. können sie sich mit 400 Pfund loskaufen Graziani, arch. stor. XVI, I, p. 565, ad a. 1445, bei Anlaß einer Hexe von Nocera, welche nur die Hälfte bot und verbrannt wurde. Das Gesetz beschlägt solche die: facciono le fature ovvero venefitie ovvero encantatione d'immundi spiriti a nuocere. . Ein conse- quenter Ernst wurde damals noch nicht auf die Sache gewendet. 6. Abschnitt. Auf dem Boden des Kirchenstaates, im Hochapennin, und Die Hexengegend bei Norcia. zwar in der Heimath des h. Benedict, zu Norcia, behaup- tete sich ein wahres Nest des Hexen- und Zauberwesens. Die Sache war völlig notorisch. Es ist einer der merkwürdig- sten Briefe des Aeneas Sylvius Lib. I, ep. 46. Opera, p. 531, s. Statt umbra p. 532 ist Umbria, statt lacum locum zu lesen. , aus seiner frühern Zeit, der hierüber Aufschluß giebt. Er schreibt an seinen Bruder: „Ueberbringer dieses ist zu mir gekommen um mich zu fragen, ob ich nicht in Italien einen Venusberg wüßte? in einem solchen nämlich würden magische Künste gelehrt, nach welchen sein Herr, ein Sachse und großer Astronom Später nennt er ihn Medicus Ducis Saxoniæ, homo tum dives tum potens. , Begierde trüge. Ich sagte, ich kenne ein Porto Venere unweit Car- rara an der ligurischen Felsküste, wo ich auf der Reise nach Basel drei Nächte zubrachte, auch fand ich, daß in Sicilien ein der Venus geweihter Berg Eryx vorhanden sei, weiß aber nicht, daß dort Magie gelehrt werde. Unter dem Gespräch jedoch fiel mir ein, daß in Umbrien, im alten Herzogthum (Spoleto) unweit der Stadt Nursia eine Ge- gend ist, wo sich unter einer steilen Felswand eine Höhle findet, in welcher Wasser fließt. Dort sind, wie ich mich entsinne gehört zu haben, Hexen ( striges ), Dämonen und nächtliche Schatten, und wer den Muth hat, kann Geister ( spiritus ) sehen und anreden und Zauberkünste lernen Eine Art von Höllenloch kannte man im XIV. Jahrh. unweit An- sedonia in Toscana. Es war eine Höhle, wo man im Sande Thier- und Menschenspuren sah, welche, auch wenn man sie ver- wischte, des folgenden Tages doch wieder sichtbar waren. Uberti, il Dittamondo, L. III, cap. 9. . Ich habe es nicht gesehen noch mich bemüht es zu sehen, denn was man nur mit Sünden lernt, das kennt man besser gar nicht.“ Nun nennt er aber seinen Gewährsmann 6. Abschnitt. und ersucht den Bruder, den Ueberbringer des Briefes zu jenem hinzuführen wenn er noch lebe. Aeneas geht hier in der Gefälligkeit gegen einen Hochstehenden sehr weit, aber für seine Person ist er nicht nur freier von allem Aberglauben als seine Zeitgenossen (S. 486, 513) sondern er hat darüber auch eine Prüfung bestanden, die noch heute nicht jeder Gebildete aushalten würde. Als er zur Zeit des Basler Concils zu Mailand 75 Tage lang am Fieber dar- niederlag, konnte man ihn doch nie dazu bewegen auf die Zauberärzte zu hören, obwohl ihm ein Mann ans Bette gebracht wurde, der kurz vorher 2000 Soldaten im Lager des Piccinino auf wunderbare Weise vom Fieber curirt haben sollte. Noch leidend reiste Aeneas über das Gebirge nach Basel und genas im Reiten Pii II. comment. L. I. p. 10. . Norcia im XVI. Jahrh. Weiter erfahren wir etwas von der Umgegend Norcia's durch den Necromanten, welcher den trefflichen Benvenuto Cellini in seine Gewalt zu bekommen suchte. Es handelt sich darum Benv. Cellini, L. I, cap. 65. , ein neues Zauberbuch zu weihen, und der schicklichste Ort hiefür sind die dortigen Gebirge; zwar hat der Meister des Zauberers einmal ein Buch geweiht in der Nähe der Abtei Farfa, aber es ergaben sich dabei Schwie- rigkeiten, die man bei Norcia nicht anträfe; überdieß sind die nursinischen Bauern zuverlässige Leute, haben einige Praxis in der Sache und können im Nothfall mächtige Hülfe leisten. Der Ausflug unterblieb dann, sonst hätte Benvenuto wahrscheinlich auch die Helfershelfer des Gauners kennen gelernt. Damals war diese Gegend völlig sprich- wörtlich. Aretino sagt irgendwo von einem verhexten Brunnen: es wohnten dort die Schwester der Sibylle von Norcia und die Tante der Fata Morgana. Und um die- selbe Zeit durfte doch Trissino in seinem großen Epos L'Italia liberata da' Goti, canto XXIV. Man kann fragen, ob Trissino selber noch an die Möglichkeit seiner Schilderung glaubt jene Oertlichkeit mit allem möglichen Aufwand von Poesie 6. Abschnitt. und Allegorie als den Sitz der wahren Weissagung feiern. Mit der berüchtigten Bulle Innocenz VIII. (1484) Septimo Decretal. Lib. V. Tit. XII. Sie beginnt: summis de- siderantes affectibus etc. Beiläufig glaube ich mich zu der Be- merkung veranlaßt, daß hier bei längerer Betrachtung jeder Gedanke an einen ursprünglichen objectiven Thatbestand, an Reste heidnischen Glaubens u. s. w. verschwindet. Wer sich überzeugen will, wie die Phantasie der Bettelmönche die einzige Quelle dieses ganzen Wahns ist, verfolge in den Memoiren von Jaques du Clerc den sog. Wal- denserproceß von Arras im J. 1459. Erst durch hundertjähriges Hineinverhören brachte man auch die Phantasie des Volkes auf den Punkt, wo sich das ganze scheußliche Wesen von selbst verstand und sich vermeintlich neu erzeugte. Das nordische Hexenwesen. wird dann bekanntlich das Hexenwesen und dessen Verfol- gung zu einem großen scheußlichen System. Wie die Haupt- träger desselben deutsche Dominicaner waren, so wurde auch Deutschland am Meisten durch diese Geißel heimgesucht und von Italien in auffallender Weise diejenigen Gegenden, welche Deutschland am nächsten lagen. Schon die Befehle und Bullen der Päpste selber Alexanders VI, Leo's X, Hadrians VI, a. a. O. beziehen sich z. B. auf die dominicanische Ordensprovinz Lombardia, auf die Diöcesen Brescia und Bergamo, auf Cremona. Sodann erfährt man aus Sprengers berühmter theoretisch-practischer Anweisung, dem Malleus Maleficarum, daß zu Como schon im ersten Jahre nach Erlaß der Bulle 41 Hexen verbrannt wurden; Schaaren von Italienerinnen flüchteten auf das Gebiet Erzherzog Sigismunds, wo sie sich noch sicher glaubten. Endlich setzt sich dieß Hexenwesen in einigen unglücklichen Alpenthälern, besonders Val Camonica Sprichwörtlich als Hexenland genannt z. B. im Orlandino, cap. I, str. 12. , ganz unaustilg- oder ob es sich bereits um ein Element freier Romantik handelt. Derselbe Zweifel ist bei seinem vermuthlichen Vorbild Lucan (Ges. VI. ) gestattet, wo die thessalische Hexe dem Sextus Pompejus zu Gefallen eine Leiche beschwört. 6. Abschnitt. bar fest; es war dem System offenbar gelungen, Bevöl- kerungen, welche irgendwie speciell disponirt waren, bleibend Sein Einfluß auf Oberitalien. mit seinem Wahn zu entzünden. Dieses wesentlich deutsche Hexenthum ist diejenige Nuance, an welche man bei Ge- schichten und Novellen aus Mailand, Bologna u. s. w. Z. B. Bandello III, Nov. 29. 52. Prato, arch. stor. III, p. 408. — Bursellis, ann. Bonon. ap. Murat. XXIII, Col. 897, erzählt bereits zum J. 1468 die Verurtheilung eines Priors vom Serviten- orden, welcher ein Geisterbordell hielt; cives Bononienses coire faciebat cum Dæmonibus in specie puellarum. Er brachte den Dämonen förmliche Opfer. zu denken hat. Wenn es in Italien nicht weiter um sich griff, so hing dieß vielleicht davon ab, daß man hier bereits eine ausgebildete Stregheria besaß und kannte, welche auf wesentlich andern Voraussetzungen beruhte. Die italienische Hexe treibt ein Gewerbe und braucht Geld und vor Allem Besinnung. Von jenen hysterischen Träumen der nordischen Hexen, von weiten Ausfahrten, Incubus und Succubus ist keine Rede; die Strega hat für das Vergnügen anderer Leute zu sorgen. Wenn man ihr zutraut, daß sie verschie- dene Gestalten annehmen, sich schnell an entfernte Orte ver- setzen könne, so läßt sie sich dergleichen insofern gefallen als es ihr Ansehen erhöht; dagegen ist es schon überwiegend gefährlich für sie, wenn die Furcht vor ihrer Bosheit und Rache, besonders vor der Verzauberung von Kindern, Vieh und Feldfrüchten überhand nimmt. Es kann für Inqui- sitoren und Ortsbehörden eine höchst populäre Sache werden, sie zu verbrennen. Weit das wichtigste Feld der Strega sind und bleiben, wie schon angedeutet wurde, die Liebesangelegenheiten, wor- unter die Erregung von Liebe und Haß, das rachsüchtige Nestelknüpfen, das Abtreiben der Leibesfrucht, je nach Um- ständen auch der vermeintliche Mord des oder der Ungetreuen durch magische Begehungen und selbst die Giftküche Die ekelhaften Vorräthe der Hexenküche vgl. Macaroneide, Phant. XVI, XXI, wo das ganze Treiben erzählt wird. be- griffen sind. Da man sich solchen Weibern nur ungern 6. Abschnitt. anvertraute, so entstand ein Dilettantismus, der ihnen dieses Zauberwesen d. Buhlerinnen. und jenes im Stillen ablernte und auf eigene Hand damit weiter operirte. Die römischen Buhlerinnen z. B. suchten dem Zauber ihrer Persönlichkeit noch durch anderweitigen Zauber in der Art der horazischen Canidia nachzuhelfen. Aretino Im Ragionamento del Zoppino. Er meint die Buhlerinnen lern- ten ihre Weisheit besonders von gewissen Judenweibern, welche im Besitz von malìe seien. kann nicht nur etwas über sie wissen, sondern auch in dieser Beziehung Wahres berichten. Er zählt die ent- setzlichen Schmierereien auf, welche sich in ihren Schränken gesammelt vorfinden: Haare, Schädel, Rippen, Zähne, Augen von Todten, Menschenhaut, der Nabel von kleinen Kindern, Schuhsohlen und Gewandstücke aus Gräbern; ja sie holen selbst von den Kirchhöfen verwesendes Fleisch und geben es dem Galan unvermerkt zu essen (nebst noch Un- erhörterem). Haare, Nestel, Nägelabschnitte des Galans kochen sie in Oel, das sie aus ewigen Lämpchen in den Kirchen gestohlen. Von ihren Beschwörungen ist es die unschuldigste, wenn sie ein Herz aus heißer Asche formen, und hinein stechen unter dem Gesang: Prima che'l fuoco spenghi Fa ch'a mia porta venghi; Tal ti punga il mio amore Quale io fo questo cuore. Sonst kommen auch Zauberformeln bei Mondschein, Zeich- nungen am Boden und Figuren aus Wachs oder Erz vor, welche ohne Zweifel den Geliebten vorstellen und je nach Umständen behandelt werden. Man war an diese Dinge doch so sehr gewöhnt, daß ein Weib, welches ohne Schönheit und Jugend gleichwohl einen großen Reiz auf die Männer ausübte, ohne Weiteres in den Verdacht der Zauberei gerieth. Die Mutter des 6. Abschnitt. Sanga Varchi, stor. fior. II, p. 153. (Secretärs bei Clemens VII. ) vergiftete dessen Geliebte, die in diesem Falle war; unseliger Weise starb aber auch der Sohn und eine Gesellschaft von Freunden, die von dem vergifteten Salat mit aßen. Der Zauberer. Nun folgt, nicht als Helfer, sondern als Concurrent der Hexe, der mit den gefährlichern Aufgaben noch besser vertraute Zauberer oder Beschwörer, incantatore. Bis- weilen ist er ebensosehr oder noch mehr Astrolog als Zauberer; öfter mag er sich als Astrologen gegeben haben um nicht als Zauberer verfolgt zu werden, und etwas Astrologie zur Ermittelung der günstigen Stunden konnte der Zauberer ohnehin nicht entbehren (S. 515, 522). Da aber viele Geister gut Diese Reservation wurde dann ausdrücklich betont. Corn. Agrippa, de occulta philosophia, cap. 39. oder indifferent sind, so kann auch ihr Beschwörer bis- weilen noch eine leidliche Reputation behaupten, und noch Sixtus IV. hat 1474 in einem ausdrücklichen Breve Septimo Decretal. l. c. gegen einige bolognesische Carmeliter einschreiten müssen, welche auf der Kanzel sagten, es sei nichts Böses, von den Dämonen Bescheid zu begehren. An die Möglichkeit der Sache selber glaubten offenbar sehr Viele; ein mittelbarer Beweis dafür liegt schon darin, daß auch die Frömmsten ihrerseits an erbetene Visionen guter Geister glaubten. Savonarola ist von solchen Dingen erfüllt, die florentinischen Platoniker reden von einer mystischen Vereinigung mit Gott, und Marcellus Palingenius (S. 259, f.) giebt nicht undeut- lich zu verstehen, daß er mit geweihten Geistern umgehe Zodiacus vitæ, XII, 363 bis 539. cf. X, 393, s. . Ebenderselbe ist auch überzeugt vom Dasein einer gan- zen Hierarchie böser Dämonen, welche, vom Mond her- wärts wohnend, der Natur und dem Menschenleben auf- lauern Ibid. IX, 291, s. , ja er erzählt von einer persönlichen Bekanntschaft mit solchen und da der Zweck unseres Buches eine syste- 6. Abschnitt. matische Darstellung des damaligen Geisterglaubens ohne- hin nicht gestattet, so mag wenigstens der Bericht des Pa- lingenius als Einzelbeispiel folgen Ibid. X, 770, s. . Er hat bei einem frommen Einsiedler auf dem Soracte, Die Dämonen auf der Straße nach Rom. zu S. Silvestro, sich über die Nichtigkeit des Irdischen und die Werthlosigkeit des menschlichen Lebens belehren lassen und dann mit einbrechender Nacht den Weg nach Rom angetreten. Da gesellen sich auf der Straße bei hellem Vollmond drei Männer zu ihm, deren Einer ihn beim Namen nennt und ihn fragt, woher des Weges er komme? Palingenio antwortet: von dem Weisen auf jenem Berge. O du Thor, erwiedert Jener, glaubst du wirklich, daß auf Erden Jemand weise sei? Nur höhere Wesen ( Divi ) haben Weisheit, und dazu gehören wir drei obwohl wir mit Menschengestalt angethan sind; ich heiße Saracil, und diese hier Sathiel und Jana; unser Reich ist zunächst beim Mond, wo überhaupt die große Schaar von Mittelwesen haust, die über Erde und Meer herrschen. Palingenio fragt nicht ohne inneres Beben, was sie in Rom vor hätten? — Die Antwort lautet: „einer unserer Genos- sen, Ammon, wird durch magische Kraft von einem Jüng- ling aus Narni, aus dem Gefolge des Cardinals Orsini, in Knechtschaft gehalten; denn merkt euch's nur, Menschen, es liegt beiläufig ein Beweis für eure eigene Unsterblichkeit darin, daß ihr unser einen zwingen könnt; ich selbst habe einmal, in Krystall eingeschlossen, einem Deutschen dienen müssen, bis mich ein bärtiges Mönchlein befreite. Diesen Dienst wollen wir nun in Rom unserm Genossen zu leisten suchen und bei dem Anlaß ein paar vornehme Herrn diese Nacht in den Orcus befördern.“ Bei diesen Worten des Dämons erhebt sich ein Lüftchen, und Sathiel sagt: „Höret, unser Remisses kommt schon von Rom zurück, dieß Wehen 6. Abschnitt. kündigt ihn an“. In der That erscheint noch Einer, den sie fröhlich begrüßen und über Rom ausfragen. Seine Auskunft ist höchst antipäpstlich; Clemens VII. ist wieder mit den Spaniern verbündet und hofft Luthers Lehre nicht mehr mit Gründen sondern mit dem spanischen Schwerte auszurotten; lauter Gewinn für die Dämonen, welche bei dem großen bevorstehenden Blutvergießen die Seelen Un- zähliger zur Hölle führen werden. Nach diesen Reden, wobei Rom mit seiner Unsittlichkeit als völlig dem Bösen verfallen dargestellt wird, verschwinden die Dämonen und lassen den Dichter traurig seine Straße ziehen Das mythische Vorbild der Zauberer bei den damaligen Dichtern ist bekanntlich Malagigi. Bei Anlaß dieser Figur läßt sich Pulci ( Morgante, canto XXIV, Str. 106, s. ) auch theoretisch aus über die Grenzen der Macht der Dämonen und der Beschwörung. Wenn man nur wüßte wie weit es ihm Ernst ist. (Vgl. Canto XXI. ) . Umfang des Beschwörungs- glaubens. Wer sich von dem Umfang desjenigen Verhältnisses zu den Dämonen einen Begriff machen will, welches man noch öffentlich zugestehen durfte trotz des Hexenhammers ꝛc., den müssen wir auf das vielgelesene Buch des Agrippa von Nettesheim „von der geheimen Philosophie“ verweisen. Er scheint es zwar ursprünglich geschrieben zu haben ehe er in Italien war Polydorus Virgilius war zwar Italiener von Geburt, allein sein Werk de prodigiis constatirt wesentlich nur den Aberglauben von England, wo er sein Leben zubrachte. Bei Anlaß der Präscienz der Dämonen macht er jedoch eine curiose Anwendung auf die Verwü- stung von Rom 1527. , allein er nennt in der Widmung an Tri- themius unter andern auch wichtige italienische Quellen, wenn auch nur um sie nebst den andern schlecht zu machen. Bei zweideutigen Individuen, wie Agrippa eines war, bei Gaunern und Narren, wie die meisten Andern heißen dürfen, interessirt uns das System, in welches sie sich etwa hüllen, nur sehr wenig, sammt seinen Formeln, Räucherungen, Salben, Pentakeln, Todtenknochen Doch ist wenigstens der Mord nur höchst selten (S. 453) Zweck und u. s. w. Allein fürs Erste ist dieß System mit Citaten aus dem Aberglauben 6. Abschnitt. des Alterthums ganz angefüllt; sodann erscheint seine Ein- mischung in das Leben und in die Leidenschaft der Italiener bisweilen höchst bedeutend und folgenreich. Man sollte denken, daß nur die verdorbensten Großen sich damit ein- gelassen hätten, allein das heftige Wünschen und Begehren führt den Zauberern hie und da auch kräftige und schöpfe- rische Menschen aller Stände zu und schon das Bewußtsein, daß die Sache möglich sei, raubt auch den Fernstehenden immer etwas von ihrem Glauben an eine sittliche Welt- ordnung. Mit etwas Geld und Gefahr schien man der allgemeinen Vernunft und Sittlichkeit ungestraft trotzen zu können und die Zwischenstufen zu ersparen, welche sonst zwischen dem Menschen und seinen erlaubten oder unerlaubten Zielen liegen. Betrachten wir zunächst ein älteres, im Absterben be- Die Telesmen, griffenes Stück Zauberei. Aus dem dunkelsten Mittelalter, ja aus dem Alterthum bewahrte manche Stadt in Italien eine Erinnerung an die Verknüpfung ihres Schicksals mit gewissen Bauten, Statuen u. s. w. Die Alten hatten einst zu erzählen gewußt von den Weihepriestern oder Telesten, welche bei der feierlichen Gründung einzelner Städte zu- gegen gewesen waren, und das Wohlergehen derselben durch bestimmte Denkmäler, auch wohl durch geheimes Vergraben bestimmter Gegenstände (Telesmata) magisch gesichert hatten. Wenn irgend etwas aus der römischen Zeit mündlich und populär überliefert weiter lebte, so waren es Traditionen dieser Art; nur wird natürlich der Weihepriester im Lauf der Jahrhunderte zum Zauberer schlechthin, da man die religiöse Seite seines Thuns im Alterthum nicht mehr ver- steht. In einigen neapolitanischen Virgilswundern Vgl. die wichtige Abhandlung von Roth „über den Zauberer Vir- lebt in Neapel; vielleicht gar nie Mittel. Ein Scheusal wie Gilles de Retz (um 1440), der den Dämonen über 100 Kinder opferte, hat in Italien kaum eine ferne Analogie. 6. Abschnitt. ganz deutlich die uralte Erinnerung an einen Telesten fort, dessen Name im Laufe der Zeit durch den des Virgil ver- drängt wurde. So ist das Einschließen des geheimnißvollen Bildes der Stadt in ein Gefäß nichts anderes als ein echtes antikes Telesma; so ist Virgil der Mauerngründer von Neapel nur eine Umbildung des bei der Gründung anwesenden Weihepriesters. Die Volksphantasie spann mit wucherndem Reichthum an diesen Dingen weiter bis Virgil auch der Urheber des ehernen Pferdes, der Köpfe am No- laner Thor, der ehernen Fliege über irgend einem andern Thore, ja der Grotte des Posilipp u. s. w. geworden war — lauter Dinge, welche das Schicksal in einzelnen Beziehungen magisch binden, während jene beiden Züge das Fatum von Neapel überhaupt zu bestimmen scheinen. Auch das mittel- alterliche Rom hatte verworrene Erinnerungen dieser Art. in Mailand; In S. Ambrogio zu Mailand befand sich ein antiker mar- morner Hercules; so lange derselbe an seiner Stelle stehe, hieß es, werde auch das Reich dauern, wahrscheinlich das der deutschen Kaiser, deren Krönungskirche S. Ambrogio in Florenz; war Uberti: Dittamondo L. III, cap. 4. . Die Florentiner waren überzeugt Das Folgende s. bei Gio. Villani I, 42. 60. II, 1. III, 1. V, 38. XI, 1. Er selber glaubt an solche gottlose Sachen nicht. — Vgl. Dante, Inferno XIII, 146. , daß ihr (später zum Baptisterium umgebauter) Marstempel stehen werde bis ans Ende der Tage, gemäß der Constellation, unter welcher er zur Zeit des Augustus erbaut war; die mar- morne Reiterstatue des Mars hatten sie allerdings daraus entfernt als sie Christen wurden, weil aber die Zertrüm- merung derselben großes Unheil über die Stadt gebracht haben würde — ebenfalls wegen einer Constellation — so gilius“, in Pfeiffer's Germania, IV. — Das Aufkommen Virgils an der Stelle des ältern Telesten mag sich am ehesten dadurch er- klären, daß etwa die häufigen Besuche an seinem Grabe schon wäh- rend der Kaiserzeit dem Volk zu denken gaben. stellte man sie auf einen Thurm am Arno. Als Totila 6. Abschnitt. Florenz zerstörte fiel das Bild ins Wasser und wurde erst wieder herausgefischt als Carl der Große Florenz neu gründete; es kam nunmehr auf einen Pfeiler am Eingang des Ponte vecchio zu stehen — und an dieser Stelle wurde 1215 Bondelmonte umgebracht und das Erwachen des großen Parteikampfes der Guelfen und Ghibellinen knüpft sich auf diese Weise an das gefürchtete Idol. Bei der Ueberschwemmung von 1333 verschwand dasselbe für immer. Allein dasselbe Telesma findet sich anderswo wieder. in Forli. Der schon erwähnte Guido Bonatto begnügte sich nicht, bei der Neugründung der Stadtmauern von Forli jene symbo- lische Scene der Eintracht der beiden Parteien (S. 516) zu verlangen; durch ein ehernes oder steinernes Reiterbild, das er mit astrologischen und magischen Hülfsmitteln zu Stande brachte und vergrub Den Ortsglauben hierüber geben Annal. Foroliviens. ap. Mura- tori XXII, Col. 207. 238; mit Erweiterungen ist die Sache er- zählt bei Fil. Villani, vite, p. 43. , glaubte er die Stadt Forli vor Zerstörung, ja schon vor Plünderung und Einnahme geschützt zu haben. Als Cardinal Albornoz (S. 102) etwa sechs Jahrzehnde später die Romagna regierte, fand man das Bild bei zufälligem Graben, und zeigte es, wahrschein- lich auf Befehl des Cardinals, dem Volke, damit dieses begreife, durch welches Mittel der grausame Montefeltro sich gegen die römische Kirche behauptet habe. Aber wie- derum ein halbes Jahrhundert später (1410), als eine feindliche Ueberrumpelung von Forli mißlang, appellirt man doch wieder an die Kraft des Bildes, das vielleicht gerettet und wieder vergraben worden war. Es sollte das letztemal sein, daß man sich dessen freute; schon im folgenden Jahr wurde die Stadt wirklich eingenommen. — Gründungen von Gebäuden haben noch im ganzen XV. Jahrhundert nicht nur astrologische (S. 516) sondern auch magische An- 6. Abschnitt. klänge mit sich. Es fiel z. B. auf, daß Papst Paul II. Magie bei Grundstein- legungen. eine solche Masse von goldenen und silbernen Medaillen in die Grundsteine seiner Bauten versenkte Platina, vitæ Pontiff. p. 320: veteres potius hac in re quam Petrum, Anacletum et Linum imitatus. , und Platina hat keine üble Lust, hierin ein heidnisches Telesma zu er- kennen. Von der mittelalterlich religiösen Bedeutung eines solchen Opfers Die man z. B. bei Sugerius, de consecratione ecclesiæ (Du- chesne, scriptores IV, p. 355) und Chron. Petershusanum I, 13 und 16 recht wohl ahnt. hatte wohl freilich Paul so wenig als sein Biograph ein Bewußtsein. Doch dieser officielle Zauber, der ohnedieß großentheils ein bloßes Hörensagen war, erreichte bei Weitem nicht die Wichtigkeit der geheimen, zu persönlichen Zwecken ange- wandten Magie. Der Necromant bei den Dichtern. Was davon im gewöhnlichen Leben besonders häufig vorkam, hat Ariost in seiner Comödie vom Necromanten zusammengestellt Vgl. auch die Calandra des Bibiena. . Sein Held ist einer der vielen aus Spanien vertriebenen Juden, obgleich er sich auch für einen Griechen, Aegypter und Africaner ausgiebt und unaufhör- lich Namen und Maske wechselt. Er kann zwar mit seinen Geisterbeschwörungen den Tag verdunkeln und die Nacht erhellen, die Erde bewegen, sich unsichtbar machen, Menschen in Thiere verwandeln ꝛc., aber diese Prahlereien sind nur der Aushängeschild; sein wahres Ziel ist das Ausbeuten unglücklicher und leidenschaftlicher Ehepaare, und da gleichen die Spuren, die er zurückläßt, dem Geifer einer Schnecke, oft aber auch dem verheerenden Hagelschlag. Um solcher Zwecke willen bringt er es dazu, daß man glaubt, die Kiste, worin ein Liebhaber steckt, sei voller Geister, oder er könne eine Leiche zum Reden bringen u. dgl. Es ist wenigstens ein gutes Zeichen, daß Dichter und Novellisten diese Sorte von Menschen lächerlich machen durften und dabei auf Zustimmung rechnen konnten. Bandello behandelt nicht nur 6. Abschnitt. das Zaubern eines lombardischen Mönches als eine küm- merliche und in ihren Folgen schreckliche Gaunerei Bandello III, Nov. 52. , sondern er schildert auch Ebenda III, Nov. 29. Der Beschwörer läßt sich das Geheimhalten mit hohen Eiden versprechen, hier z. B. mit einem Schwur auf dem Hochaltar von S. Petronio in Bologna, als gerade sonst Niemand in der Kirche war. — Einen ziemlichen Vorrath von Zauberwesen fin- det man auch Macaroneide, Phant. XVIII. mit wahrer Entrüstung das Unheil, welches den gläubigen Thoren unaufhörlich begleitet. „Ein solcher hofft mit dem Schlüssel Salomonis und vielen andern Zauberbüchern die verborgenen Schätze im Schooß der Erde zu finden, seine Dame zu seinem Willen zu zwingen, die Geheimnisse der Fürsten zu erkunden, von Mailand sich in einem Nu nach Rom zu versetzen und Aehnliches. Je öfter getäuscht, desto beharrlicher wird er … Entsinnt Ihr Euch noch, Signor Carlo, jener Zeit, da ein Freund von uns um die Gunst seiner Geliebten zu erzwingen, sein Zimmer mit Todtenschädeln und Gebeinen anfüllte wie einen Kirch- hof?“ Es kommen die ekelhaftesten Verpflichtungen vor, z. B. einer Leiche drei Zähne auszuziehen, ihr einen Nagel vom Finger zu reißen ꝛc. und wenn dann endlich die Be- schwörung mit ihrem Hocuspocus vor sich geht, sterben bis- weilen die unglücklichen Theilnehmer vor Schrecken. Benvenuto Cellini, bei der bekannten großen Beschwö- Benvenuto Cellini. rung (1532) im Colosseum zu Rom Benv. Cellini I, cap. 64. starb nicht, obgleich er und seine Begleiter das tiefste Entsetzen ausstanden; der sicilianische Priester, der in ihm wahrscheinlich einen brauch- baren Mithelfer für künftige Zeiten vermuthete, machte ihm sogar auf dem Heimweg das Compliment, einen Menschen von so festem Muthe habe er noch nie angetroffen. Ueber den Hergang selbst wird sich jeder Leser seine besondern Gedanken machen; das entscheidende waren wohl die nar- Cultur der Renaissance. 35 6. Abschnitt. kotischen Dämpfe und die von vornherein auf das Schreck- lichste vorbereitete Phantasie, weßhalb denn auch der mit- gebrachte Junge, bei welchem dieß am Stärksten wirkt, weit das Meiste allein erblickt. Daß es aber wesentlich auf Benvenuto abgesehen sein mochte, dürfen wir errathen, weil sonst für das gefährliche Beginnen gar kein anderer Zweck als die Neugier ersichtlich wird. Denn auf die schöne An- gelica muß sich Benvenuto erst besinnen und der Zauberer sagt ihm nachher selbst, Liebschaften seien eitle Thorheit im Vergleich mit dem Auffinden von Schätzen. Endlich darf man nicht vergessen, daß es der Eitelkeit schmeichelte, sagen zu können: die Dämonen haben mir Wort gehalten, und Angelica ist genau einen Monat später, wie mir verheißen war, in meinen Händen gewesen (Cap. 68). Aber auch wenn sich Benvenuto allmälig in die Geschichte hineingelo- gen haben sollte, so wäre sie doch als Beispiel der damals herrschenden Anschauung von bleibendem Werthe. Sonst gaben sich die italienischen Künstler, auch die „wunderlichen, capricciosen und bizarren“, mit Zauberei nicht leicht ab; wohl schneidet sich einer bei Gelegenheit des anatomischen Studiums ein Wamms aus der Haut einer Leiche, aber auf Zureden des Beichtvaters legt er es wieder in ein Grab Vasari VIII, 143, vita di Andrea da Fiesole. Es war Silvio Cosini, der auch sonst „den Zaubersprüchen und ähnlichen Narr- heiten“ nachhing. . Gerade das häufige Studium von Cadavern mochte den Gedanken an magische Wirkung einzelner Theile derselben am gründlichsten niederschlagen, während zugleich das unablässige Betrachten und Bilden der Form dem Künst- ler die Möglichkeit einer ganz andern Magie aufschloß. Abnahme des Zauberwesens. Im Allgemeinen erscheint das Zauberwesen zu Anfang des XVI. Jahrhunderts trotz der angeführten Beispiele doch schon in kenntlicher Abnahme, zu einer Zeit also, wo es außerhalb Italiens erst recht in Blüthe kommt, so daß die Rundreisen italienischer Zauberer und Astrologen im Norden erst zu beginnen scheinen seitdem ihnen zu Hause 6 Abschnitt. Niemand mehr großes Vertrauen schenkte. Das XIV. Jahrhundert war es, welches die genaue Bewachung des Sees auf dem Pilatusberg bei Scariotto nöthig fand, um die Zauberer an ihrer Bücherweihe zu verhindern Uberti, il Dittamondo, III, cap. 1. Er besucht in der Mark An- cona auch Scariotto, den vermeintl. Geburtsort des Judas und bemerkt dabei: „an dieser Stelle darf ich auch nicht den Pilatusberg übergehen, mit seinem See, wo den Sommer über regelmäßige Wachen abwechseln; denn wer Magie versteht, kommt hier heraufge- stiegen um sein Buch zu weihen, worauf großer Sturm sich erhebt, wie die Leute des Ortes sagen“. Das Weihen der Bücher ist, wie schon S. 534 erwähnt wurde, eine besondere, von der eigentlichen Beschwörung verschiedene Ceremonie. . Im XV. Jahrhundert kamen dann noch Dinge vor wie z. B. das Anerbieten Regengüsse zu bewirken, um damit ein Be- lagerungsheer zu verscheuchen; und schon damals hatte der Gebieter der belagerten Stadt — Nicol ò Vitelli in Citt à di Castello — den Verstand, die Regenmacher als gottlose Leute abzuweisen De obsidione Tiphernatium 1474. (Rerum ital. scriptt. ex florent. codicibus, Tom. II.) . Im XVI. Jahrhundert treten solche officielle Dinge nicht mehr an den Tag, wenn auch das Privatleben noch mannigfach den Beschwörern anheimfällt. In diese Zeit gehört allerdings die classische Figur des deutschen Zauberwesens, Dr. Johann Faust; die des ita- lienischen dagegen, Guido Bonatto, fällt bereits ins XIII. Jahrhundert. Auch hier wird man freilich beifügen müssen, daß die Abnahme des Beschwörungsglaubens sich nicht nothwendig in eine Zunahme des Glaubens an die sittliche Ordnung des Menschenlebens verwandelte, sondern daß sie vielleicht bei Vielen nur einen dumpfen Fatalismus zurückließ, ähn- lich wie der schwindende Sternglaube. Ein paar Nebengattungen des Wahns, die Pyromantie, Dessen Neben- gattungen. 35* 6. Abschnitt. Chiromantie Diesen unter den Soldaten stark verbreiteten Aberglauben (um 1520) verspottet Limerno Pitocco, im Orlandino, cap. V, Str. 60. , u. s. w., welche erst mit dem Sinken des Beschwörungsglaubens und der Astrologie einigermaßen zu Kräften kamen, dürfen wir hier völlig übergehen, und selbst Physiognomik. die auftauchende Physiognomik hat lange nicht das Interesse, das man bei Nennung dieses Namens voraussetzen sollte. Sie erscheint nämlich nicht als Schwester und Freundin der bildenden Kunst und der practischen Psychologie, sondern wesentlich als eine neue Gattung fatalistischen Wahnes, als ausdrückliche Rivalin der Sterndeuterei, was sie wohl schon bei den Arabern gewesen sein mag. Bartolommeo Cocle z. B., der Verfasser eines physiognomischen Lehrbuches, der sich einen Metoposcopen nannte Paul. Jov. Elog. lit. sub voce Cocles. , und dessen Wissenschaft, nach Giovio's Ausdruck, schon wie eine der vornehmsten freien Künste aussah, begnügte sich nicht mit Weissagungen an die klügsten Leute, die ihn täglich zu Rathe zogen, son- dern er schrieb auch ein höchst bedenkliches „Verzeichniß Solcher, welchen verschiedene große Lebensgefahren bevor- ständen“. Giovio, obwohl gealtert in der Aufklärung Roms — in hac luce romana! — findet doch, daß sich die darin enthaltenen Weissagungen nur zu sehr erwahrt hätten Aus Giovio spricht hier vernehmlich der begeisterte Porträtsammler. . Freilich erfährt man bei dieser Gelegenheit auch, wie die von diesen und ähnlichen Voraussagungen Betrof- Schicksale der Wahrsager. fenen sich an den Propheten rächten; Giovanni Bentivoglio ließ den Lucas Gauricus an einem Seil, das von einer hohen Wendeltreppe herabhing, fünfmal hin und her an die Wand schmeißen, weil Lucas ihm Und zwar aus den Sternen, denn Gauricus kannte die Physiognomik nicht; für sein eigenes Schicksal aber war er auf die Weissagung des Cocle angewiesen, da sein Vater versäumt hatte, sein Horoscop zu notiren. den Verlust seiner Herrschaft vorhersagte; Ermes Bentivoglio sandte dem Cocle einen Mörder nach, weil der unglückliche Metoposcop ihm, 6. Abschnitt. noch dazu wider Willen, prophezeit hatte, er werde als Verbannter in einer Schlacht umkommen. Der Mörder höhnte, wie es scheint, noch in Gegenwart des Sterbenden: Dieser habe ihm ja selber geweissagt, er würde nächstens einen schmählichen Mord begehen! — Ein ganz ähnliches jammervolles Ende nahm der Neugründer der Chiromantie, Antioco Tiberto von Cesena Paul. Jov. l. c., s. v. Tibertus. , durch Pandolfo Malatesta von Rimini, dem er das Widerwärtigste prophezeit hatte, was ein Tyrann sich denken mag: den Tod in Verbannung und äußerster Armuth. Tiberto war ein geistreicher Mann, dem man zutraute, daß er weniger nach einer chiromanti- schen Methode als nach einer durchdringenden Menschen- kenntniß seinen Bescheid gebe; auch achteten ihn seiner hohen Bildung wegen selbst diejenigen Gelehrten, welche auf seine Divination nichts hielten Das Nothwendigste über diese Nebengattungen der Mantik giebt Corn. Agrippa, de occulta philosophia, cap. 52. 57. . Die Alchymie endlich, welche im Alterthum erst ganz Alchymie. spät, unter Diocletian erwähnt wird, spielt zur Zeit der Blüthe der Renaissance nur eine untergeordnete Rolle Libri, hist. des sciences mathém. II, p. 122. . Auch diese Krankheit hatte Italien früher durchgemacht, im XIV. Jahrhundert, als Petrarca in seiner Polemik dage- gen es zugestand: Das Goldkochen sei eine weitverbreitete Sitte Novi nihil narro, mos est publicus. (Remed. utriusque for- tunæ, p. 93, eine der sehr lebendig und ab irato geschriebenen Partien dieses Buches.) . Seitdem war in Italien diejenige besondere Sorte von Glauben, Hingebung und Isolirung, welche der Betrieb der Alchymie verlangt, immer seltener geworden, während italienische und andere Adepten im Norden die großen Herrn erst recht auszubeuten anfingen Hauptstelle bei Trithem. Ann. Hirsaug. II, p. 286, s. . Unter 6. Abschnitt. Leo X. hießen bei den Italienern die Wenigen Neque enim desunt, heißt es bei Paul. Jov. Elog. lit., s. v. Pompon. Gauricus. Vgl. Ibid., s. v. Aurel. Augurellus. — Macaroneide, Phant. XII. , die sich noch damit abgaben, schon „Grübler“ ( ingenia curiosa ), und Aurelio Augurelli, der dem großen Goldverächter Leo selbst sein Lehrgedicht vom Goldmachen widmete, soll als Gegengeschenk eine prächtige, aber leere Börse erhalten haben. Die Adeptenmystik, welche außer dem Gold noch den all- beglückenden Stein der Weisen suchte, ist vollends erst ein spätes nordisches Gewächs, welches aus den Theorien des Paracelsus ꝛc. emporblüht. Mit diesem Aberglauben sowohl als mit der Denkweise des Alterthums überhaupt hängt die Erschütterung des Glaubens an die Unsterblichkeit eng zusammen. Diese Frage hat aber überdieß noch viel weitere und tiefere Beziehungen zu der Entwicklung des modernen Geistes im Großen und Ganzen. Der Unglaube überhaupt. Eine mächtige Quelle aller Zweifel an der Unsterb- lichkeit war zunächst der Wunsch, der verhaßten Kirche wie sie war, innerlich nichts mehr zu verdanken. Wir sahen daß die Kirche diejenigen, welche so dachten, Epicureer nannte (S. 500, f.). Im Augenblick des Todes mag sich Mancher wieder nach den Sacramenten umgesehen haben, aber Unzählige haben während ihres Lebens, zumal während ihrer thätigsten Jahre unter jener Voraussetzung gelebt und gehandelt. Daß sich daran bei Vielen ein allgemeiner Un- glaube hängen mußte, ist an sich einleuchtend und überdieß geschichtlich auf alle Weise bezeugt. Es sind Diejenigen, von welchen es bei Ariost heißt: sie glauben nicht über das Dach hinaus Ariosto, Sonetto 34. … non creder sopra il tetto. Der Dichter sagt es mit Bosheit von einem Beamten aus, der in einer Sache von Mein und Dein gegen ihn entschieden hatte. . In Italien, zumal in Florenz, konnte man zuerst als ein notorisch Ungläubiger existiren, wenn man 6. Abschnitt. nur keine unmittelbare Feindseligkeit gegen die Kirche übte. Der Beichtvater z. B. der einen politischen Delinquenten zum Tode vorbereiten soll, erkundigt sich vorläufig, ob der- selbe glaube? „denn es war ein falsches Gerücht gegangen, er habe keinen Glauben“ Narrazione del caso del Boscoli, arch. stor. I, p. 273, s. — Der stehende Ausdruck war non aver fede, vgl. Vasari, VII, p. 122, vita di Piero di Cosimo. . Der arme Sünder, um den es sich hier handelt, jener Die Beichte des Boscoli. S. 59, f. erwähnte Pierpaolo Boscoli, der 1513 an einem Attentat gegen das eben hergestellte Haus Medici Theil nahm, ist bei diesem Anlaß zu einem wahren Spiegelbild der damaligen religiösen Confusion geworden. Von Hause aus der Partei Savonarola's zugethan, hatte er dann doch für die antiken Freiheitsideale und anderes Heidenthum geschwärmt; in seinem Kerker aber nimmt sich jene Partei wiederum seiner an und verschafft ihm ein seliges Ende in ihrem Sinne. Der pietätvolle Zeuge und Aufzeichner des Herganges ist einer von der Künstlerfamilie della Robbia, der gelehrte Philologe Luca. „Ach, seufzt Boscoli, treibet mir den Brutus aus dem Kopf, damit ich meinen Gang als Christ gehen kann!“ — Luca: „wenn Ihr wollt, so ist das nicht schwer; Ihr wisset ja daß jene Römerthaten uns nicht schlicht, sondern idealisirt ( con arte accresciute ) überliefert sind“. Nun zwingt Jener seinen Verstand, zu glauben, und jammert daß er nicht freiwillig glauben könne. Wenn er nur noch einen Monat mit guten Mönchen zu leben hätte, dann würde er ganz geistlich gesinnt werden! Es zeigt sich weiter, daß diese Leute vom Anhang Savo- narola's die Bibel wenig kannten; Boscoli kann nur Pater- noster und Avemaria beten, und ersucht nun den Luca drin- gend, den Freunden zu sagen, sie möchten die heilige Schrift studiren, denn nur was der Mensch im Leben erlernt habe, das besitze er im Sterben. Darauf liest und erklärt ihm 6. Abschnitt. Luca die Passion nach dem Evangelium Johannis; merk- würdiger Weise ist dem Armen die Gottheit Christi ein- leuchtend, während ihm dessen Menschheit Mühe macht; diese möchte er gerne so sichtbar begreifen, „als käme ihm Christus aus einem Walde entgegen“ — worauf ihn sein Freund zur Demuth verweist, indem dieß nur Zweifel seien, welche der Satan sende. Später fällt ihm ein un- gelöstes Jugendgelübde einer Wallfahrt nach der Impruneta ein; der Freund verspricht es zu erfüllen an seiner Statt. Dazwischen kommt der Beichtvater, ein Mönch aus Savo- narola's Kloster wie er ihn erbeten hatte, giebt ihm zunächst jene oben erwähnte Erläuterung über die Ansicht des Tho- mas von Aquino wegen des Tyrannenmordes, und ermahnt ihn dann, den Tod mit Kraft zu ertragen. Boscoli ant- wortet: „Pater, verlieret damit keine Zeit, denn dazu ge- nügen mir schon die Philosophen; helfet mir, den Tod zu erleiden aus Liebe zu Christus“. Das Weitere, die Com- munion, der Abschied und die Hinrichtung, wird auf sehr rührende Weise geschildert; besonders hervorzuheben ist aber der eine Zug, daß Boscoli, indem er das Haupt auf den Block legte, den Henker bat, noch einen Augenblick mit dem Hieb zu warten: „er hatte nämlich die ganze Zeit über (seit der Verkündigung des Todesurtheils) nach einer engen Vereinigung mit Gott gestrebt ohne sie nach Wunsch zu erreichen, nun gedachte er in diesem Augenblick durch volle Anstrengung sich gänzlich Gott hinzugeben“. Offenbar ist es ein Ausdruck Savonarola's, der — halbverstanden — ihn beunruhigt hatte. Religiöse Con- fusion. Besäßen wir noch mehr Bekenntnisse dieser Art, so würde das geistige Bild jener Zeit um viele wichtige Züge reicher werden, die uns keine Abhandlung und kein Gedicht giebt. Wir würden noch besser sehen, wie stark der ange- borene religiöse Trieb, wie subjectiv und auch wie schwan- kend das Verhältniß des Einzelnen zum Religiösen war und was für gewaltige Feinde dem letztern gegenüberstanden. Daß Menschen von einem so beschaffenen Innern nicht 6. Abschnitt. taugen um eine neue Kirche zu bilden, ist unläugbar, aber die Geschichte des abendländischen Geistes wäre unvollständig ohne die Betrachtung jener Gährungszeit der Italiener, während sie sich den Blick auf andere Nationen, die am Gedanken keinen Theil hatten, getrost ersparen darf. Doch wir kehren zur Frage von der Unsterblichkeit zurück. Wenn der Unglaube in dieser Beziehung unter den höher Entwickelten eine so bedeutende Stellung gewann, so hing dieß weiter davon ab, daß die große irdische Aufgabe der Entdeckung und Reproduction der Welt in Wort und Bild alle Geistes- und Seelenkräfte bis zu einem hohen Grade für sich in Anspruch nahm. Von dieser nothwendi- gen Weltlichkeit der Renaissance war schon (S. 496) die Rede. Aber überdieß erhob sich aus dieser Forschung und Kunst mit derselben Nothwendigkeit ein allgemeiner Geist Allgemeiner Zweifel. des Zweifels und der Frage. Wenn derselbe sich in der Literatur wenig kund giebt, wenn er z. B. zu einer Kritik der biblischen Geschichte (S. 507) nur vereinzelte Anläufe verräth, so muß man nicht glauben er sei nicht vorhanden ge- wesen. Er war nur übertönt durch das so eben genannte Bedürfniß des Darstellens und Bildens in allen Fächern, d. h. durch den positiven Kunsttrieb; außerdem hemmte ihn auch die noch vorhandene Zwangsmacht der Kirche, sobald er theoretisch zu Werke gehen wollte. Dieser Geist des Zweifels aber mußte sich unvermeidlich und vorzugsweise auf die Frage vom Zustand nach dem Tode werfen, aus Gründen welche zu einleuchtend sind als daß sie genannt zu werden brauchten. Und nun kam das Alterthum hinzu und wirkte auf Unsterblichkeit der Seele. diese ganze Angelegenheit in zwiefacher Weise. Fürs erste suchte man sich die Psychologie der Alten anzueignen und peinigte den Buchstaben des Aristoteles um eine entscheidende Auskunft. In einem der lucianischen Dialoge jener Zeit Jovian. Pontan. Charon. 6. Abschnitt. erzählt Charon dem Mercur, wie er den Aristoteles bei der Unsterblichkeit der Seele. Ueberfahrt im Nachen selber um seinen Unsterblichkeits- glauben befragt habe; der vorsichtige Philosoph, obwohl selber bereits leiblich gestorben und dennoch fortlebend, habe sich auch jetzt nicht mit einer klaren Antwort compromittiren wollen; wie werde es erst nach vielen Jahrhunderten mit der Deutung seiner Schriften gehen! — Nur um so eifri- ger stritt man über seine und anderer alten Schriftsteller Meinungen in Betreff der wahren Beschaffenheit der Seele, ihren Ursprung, ihre Präexistenz, ihre Einheit in allen Menschen, ihre absolute Ewigkeit, ja ihre Wanderungen, und es gab Leute die dergleichen auf die Kanzel brachten. Faustini Terdocei triumphus stultitiæ, L. II. Die Debatte wurde überhaupt schon im XV. Jahrh. sehr laut; die einen bewiesen daß Aristoteles allerdings eine unsterbliche Seele lehre So Borbone Morosini um 1460, vgl. Sansovino, Venezia, L. XIII, p. 243. ; andere klagten über die Herzens- härte der Menschen, welche die Seele gern breit auf einem Stuhl vor sich sitzen sähen um überhaupt an ihr Dasein zu glauben Vespas. Fiorentin. p. 260. ; Filelfo in seiner Leichenrede auf Francesco Sforza führt eine bunte Reihe von Aussagen antiker und selbst arabischer Philosophen zu Gunsten der Unsterblichkeit an und schließt dieß im Druck Orationes Philelphi, fol. 8. anderthalb enge Folio- seiten betragende Gemisch mit zwei Zeilen: „überdieß haben wir das alte und neue Testament was über alle Wahrheit ist“. Dazwischen kamen die florentinischen Platoniker mit der Seelenlehre Plato's, und, wie z. B. Pico, mit sehr wesentlicher Ergänzung derselben aus der Lehre des Christen- thums. Allein die Gegner erfüllten die gebildete Welt mit ihrer Meinung. Zu Anfang des XVI. Jahrh. war das Aergerniß das die Kirche darob empfand, so hoch gestiegen, daß Leo X. auf dem lateranensischen Concil (1513) eine Constitution Septimo Decretal. Lib. V. Tit. III, cap. 8. erlassen mußte zum Schutz der Unsterblich- 6. Abschnitt. keit und Individualität der Seele, letzteres gegen Die welche lehrten, die Seele sei in allen Menschen nur eine. Wenige Jahre später erschien aber das Buch des Pomponazzo, worin die Unmöglichkeit eines philosophischen Beweises für die Unsterblichkeit dargethan wurde, und nun spann sich der Kampf mit Gegenschriften und Apologien fort und ver- stummte erst gegenüber der catholischen Reaction. Die Prä- existenz der Seelen in Gott, mehr oder weniger nach Plato's Ideenlehre gedacht, blieb lange ein sehr verbreiteter Begriff und kam z. B. den Dichtern Ariosto, Orlando, canto VII, Str. 61. — In's Lächerliche gezo- gen: Orlandino, cap. IV, Str. 67. 68. (Vgl. S. 326). — Cariteo, ein Mitglied der neapolitanischen Academie des Pontanus, benützt die Präexistenz der Seelen um die Sendung des Hauses Aragon damit zu verherrlichen. Roscoe, Leone X. ed. Bossi, II, p. 288. gelegen. Man erwog nicht näher welche Consequenz für die Art der Fortdauer nach dem Tode daran hing. Die zweite Einwirkung des Alterthums kam ganz vor- züglich von jenem merkwürdigen Fragment aus Cicero's sechstem Buche vom Staat her, welches unter dem Namen „Traum des Scipio“ bekannt ist. Ohne den Commentar Der Heiden- himmel. des Macrobius wäre es wahrscheinlich untergegangen wie die übrige zweite Hälfte des ciceronischen Werkes; nun war es wieder in unzähligen Abschriften Orelli ad Cic. de republ. L. VI. und von Anfang der Typographie an in Abdrücken verbreitet und wurde mehr- fach neu commentirt. Es ist die Schilderung eines ver- klärten Jenseits für die großen Männer, durchtönt von der Harmonie der Sphären. Dieser Heidenhimmel, für den sich allmälig auch noch andere Aussagen der Alten fanden, ver- trat allmälig in demselben Maße den christlichen Himmel, in welchem das Ideal der historischen Größe und des Ruhmes 6. Abschnitt. die Ideale des christlichen Lebens in den Schatten stellte, und dabei wurde doch das Gefühl nicht beleidigt wie bei der Lehre von dem gänzlichen Aufhören der Persönlichkeit. Schon Petrarca gründet nun seine Hoffnung wesentlich auf diesen „Traum des Scipio“, auf die Aeußerungen in andern ciceronischen Schriften und auf Plato's Phädon, ohne die Bibel zu erwähnen Petrarca, epp. fam. IV, 3 (p. 629). IV, 6 (p. 632). . „Warum soll ich, frägt er anderswo, als Catholik eine Hoffnung nicht theilen, welche ich erweis- lich bei den Heiden vorfinde?“ Etwas später schrieb Co- luccio Salutati seine (noch handschriftlich vorhandenen) „Arbeiten des Hercules“, wo am Schluß bewiesen wird, daß den energischen Menschen, welche die ungeheuern Mü- hen der Erde überstanden haben, der Wohnsitz auf den Sternen von Rechtswegen gehöre Fil. Villani, vite p. 15. Diese merkwürdige Stelle, wo Werkdienst und Heidenthum zusammentreffen, lautet: che agli uomini fortis- simi, poichè hanno vinto le mostruose fatiche della terra, debitamente sieno date le stelle. . Wenn Dante noch strenge darauf gehalten hatte, daß auch die größten Heiden, denen er gewiß das Paradies gönnte, doch nicht über jenen Limbus am Eingang der Hölle hinauskamen Inferno, IV, 24, s. — Vgl. Purgatorio VII, 28. XXII, 100. , so griff jetzt die Poesie mit beiden Händen nach den neuen libera- len Ideen vom Jenseits. Cosimo der ältere wird, laut Bernardo Pulci's Gedicht auf seinen Tod, im Himmel empfangen von Cicero, der ja auch „Vater des Vaterlandes“ geheißen, von den Fabiern, von Curius, Fabricius und vielen Andern; mit ihnen wird er eine Zierde des Chores sein wo nur tadellose Seelen singen. Das homerische Jenseits. Aber es gab in den alten Autoren noch ein anderes, weniger gefälliges Bild des Jenseits, nämlich das Schat- tenreich Homer's und derjenigen Dichter, welche jenen Zu- stand nicht versüßt und humanisirt hatten. Auf einzelne Gemüther machte auch dieß Eindruck. Gioviano Pontano legt irgendwo In seiner späten Schrift Actius. dem Sannazar die Erzählung einer Vision 6. Abschnitt. in den Mund, die er früh Morgens im Halbschlummer gehabt habe. Es erscheint ihm ein verstorbener Freund Ferrandus Januarius, mit dem er sich einst oft über die Unsterblichkeit der Seele unterhalten hatte; jetzt frägt er ihn, ob die Ewigkeit und Schrecklichkeit der Höllenstrafen eine Wahrheit sei? Der Schatten antwortet nach einigem Schweigen ganz im Sinne des Achill als ihn Odysseus befragte: „soviel sage und betheure ich dir, daß wir vom leiblichen Leben Abgeschiedenen das stärkste Verlangen tragen wieder in dasselbe zurückzukehren“. Dann grüßt und ver- schwindet er. Es ist gar nicht zu verkennen, daß solche Ansichten Verflüchtigung der christlichen Lehre. vom Zustande nach dem Tode das Aufhören der wesent- lichsten christlichen Dogmen theils voraussetzen theils ver- ursachen. Die Begriffe von Sünde und Erlösung müssen fast völlig verduftet gewesen sein. Man darf sich durch die Wirkung der Bußprediger und durch die Bußepide- mien, von welchen oben (S. 467 u. f., 490 u. f.) die Rede war, nicht irre machen lassen; denn selbst zugegeben, daß auch die individuell entwickelten Stände daran Theil genommen hätten wie alle andern, so war die Hauptsache dabei doch nur das Rührungsbedürfniß, die Losspannung heftiger Gemüther, das Entsetzen über großes Landesun- glück, der Schrei zum Himmel um Hülfe. Die Weckung des Gewissens hatte durchaus nicht nothwendig das Gefühl der Sündhaftigkeit und des Bedürfnisses der Erlösung zur Folge, ja selbst eine sehr heftige äußere Buße setzt nicht nothwendig eine Reue im christlichen Sinne voraus. Wenn kräftig entwickelte Menschen der Renaissance uns erzählen, ihr Princip sei: nichts zu bereuen Cardanus, de propria vita, cap. 13: non poenitere ullius rei quam voluntarie effecerim, etiam quæ male cessisset; ohne dieses wäre ich der unglücklichste Mensch gewesen. , so kann dieß aller- 6. Abschnitt. dings sich auf sittlich indifferente Angelegenheiten, auf bloß Unkluges und Unzweckmäßiges beziehen, aber von selbst wird sich diese Verachtung der Reue auch auf das sittliche Ge- biet ausdehnen, weil ihre Quelle eine allgemeine, nämlich das individuelle Kraftgefühl ist. Das passive und contem- plative Christenthum mit seiner beständigen Beziehung auf eine jenseitige höhere Welt beherrschte diese Menschen nicht mehr. Macchiavell wagt dann die weitere Consequenz: dasselbe könne auch dem Staat und der Vertheidigung von dessen Freiheit nicht förderlich sein Discorsi, L. II, cap. 2. . Deismus und Theismus. Welche Gestalt mußte nun die trotz Allem vorhandene starke Religiosität bei den tiefern Naturen annehmen? Es ist der Theismus oder Deismus, wie man will. Den letz- tern Namen mag diejenige Denkweise führen, welche das Christliche abgestreift hat, ohne einen weitern Ersatz für das Gefühl zu suchen oder zu finden. Theismus aber er- kennen wir in der erhöhten positiven Andacht zum göttlichen Wesen, welche das Mittelalter nicht gekannt hatte. Die- selbe schließt das Christenthum nicht aus und kann sich jederzeit mit dessen Lehre von der Sünde, Erlösung und Unsterblichkeit verbinden, aber sie ist auch ohne dasselbe in den Gemüthern vorhanden. Bisweilen tritt sie mit kindlicher Naivetät, ja mit einem halbheidnischen Anklang auf; Gott erscheint ihr als der allmächtige Erfüller der Wünsche. Agnolo Pandolfini erzählt Del governo della famiglia, p. 114. , wie er nach der Hochzeit sich mit seiner Gemahlin einschloß und vor dem Hausaltar mit dem Marienbilde Das theistische Gebet. niederkniete, worauf sie aber nicht zur Madonna sondern zu Gott beteten, er möge ihnen verleihen die richtige Benützung ihrer Güter, langes Zusammenleben in Fröhlichkeit und Eintracht, und viele männliche Nachkommen; „für mich betete ich um Reichthum, Freundschaften und Ehre, für sie um Unbescholtenheit, Ehrbarkeit und daß sie eine gute 6. Abschnitt. Haushälterin werden möge“. Wenn dann noch eine starke Antikisirung im Ausdruck hinzukömmt, so hat man es bis- weilen schwer, den heidnischen Styl und die theistische Ueberzeugung auseinander zu halten Als Beispiel die kurze Ode des M. Antonio Flaminio aus den Co- ryciana (vgl. S. 265): Dii quibus tam Corycius venusta Signa, tam dives posuit sacellum, Ulla si vestros animos piorum Gratia tangit, Vos iocos risusque senis faceti Sospites servate diu; senectam Vos date et semper viridem et Falerno Usque madentem. At simul longo satiatus ævo Liquerit terras, dapibus Deorum Lætus intersit, potiore mutans Nectare Bacchum. . Auch im Unglück äußert sich hie und da diese Gesin- nung mit ergreifender Wahrheit. Es sind aus der spätern Zeit des Firenzuola, da er jahrelang am Fieber krank lag, einige Anreden an Gott vorhanden, in welchen er sich bei- läufig mit Nachdruck als einen gläubigen Christen geltend macht und doch ein rein theistisches Bewußtsein an den Tag legt Firenzuola, opere, vol. IV, p. 147, s. . Er faßt sein Leiden weder als Sündenschuld noch als Prüfung und Vorbereitung auf eine andere Welt; es ist eine Angelegenheit zwischen ihm und Gott allein, der die mächtige Liebe zum Leben zwischen den Menschen und seine Verzweiflung hineingestellt hat. „Ich fluche, doch nur gegen die Natur, denn Deine Größe verbietet mir, Dich selbst zu nennen … gieb mir den Tod, Herr, ich flehe Dich, gieb mir ihn jetzt!“ Einen augenscheinlichen Beweis für einen ausgebildeten, bewußten Theismus wird man freilich in diesen und ähn- 6. Abschnitt. lichen Aussagen vergebens suchen; die Betreffenden glaubten zum Theil noch Christen zu sein und respectirten außerdem aus verschiedenen Gründen die vorhandene Kirchenlehre. Die italien. Antitrinitarier. Aber zur Zeit der Reformation, als die Gedanken gezwungen waren, sich abzuklären, gelangte diese Denkweise zu einem deutlichern Bewußtsein; eine Anzahl der italienischen Pro- testanten erwiesen sich als Antitrinitarier und die Socinianer machten sogar als Flüchtlinge in weiter Ferne den denk- würdigen Versuch, eine Kirche in diesem Sinn zu consti- tuiren. Aus dem bisher gesagten wird wenigstens so viel klar geworden sein, daß außer dem humanistischen Ratio- nalismus noch andere Geister in diese Segel wehten. Ein Mittelpunct der ganzen theistischen Denkweise ist Lorenzo magni- fico und sein Kreis. wohl in der platonischen Academie von Florenz und ganz besonders in Lorenzo magnifico selbst zu suchen. Die theo- retischen Werke und selbst die Briefe jener Männer geben doch nur die Hälfte ihres Wesens. Es ist wahr, daß Lo- renzo von Jugend auf bis an sein Lebensende sich dogma- tisch christlich geäußert hat Nic. Valori, vita di Lorenzo, passim . — Die schöne Instruction an seinen Sohn Cardinal Giovanni, bei Fabroni, Laurentius, Adnot. 178 und in den Beilagen zu Roscoe, Leben des Lorenzo. und daß Pico sogar unter die Herrschaft Savonarola's und in eine mönchisch ascetische Gesinnung hinein gerieth Jo. Pici vita, auct. Jo. Franc. Pico. — Seine Deprecatio ad Deum, in den Deliciæ poetar. italor. . Allein in den Hymnen Lo- renzo's Es sind die Gesänge: Orazione („Magno Dio, per la cui costante legge etc.“, bei Roscoe, Leone X, ed. Bossi, VIII, p. 120); — der Hymnus („Oda il sacro inno tutta la natura etc.,“ bei Fabroni, Laurentius, Adnot. 9); — L'altercazione (Poesie di Lorenzo magn. I, p. 265; in letzterer Sammlung sind auch die übrigen hier genannten Gedichte mit abgedruckt). , welche wir als das höchste Resultat des Geistes jener Schule zu bezeichnen versucht sind, spricht ohne Rück- halt der Theismus, und zwar von einer Anschauung aus, welche gelernt hat, die Welt als einen großen moralischen 6. Abschnitt. und physischen Kosmos zu betrachten. Während die Men- schen des Mittelalters die Welt ansehen als ein Jammerthal, welches Papst und Kaiser hüten müssen bis zum Auftreten des Antichrist, während die Fatalisten der Renaissance ab- wechseln zwischen Zeiten der Energie und Zeiten der dumpfen Resignation oder des Aberglaubens, erhebt sich hier, im Kreise Wenn es dem Pulci in seinem Morgante irgendwo mit religiösen Dingen Ernst ist, so wird dieß von Ges. XVI, Str. 6 gelten; diese deistische Rede der schönen Heidin Antea ist vielleicht der greifbarste Ausdruck der Denkweise, welche unter Lorenzo's Genossen herrschte; jedenfalls zuverlässiger als die oben (S. 499, 503, Anm.) citirten Reden des Dämons Astarotte. auserwählter Geister, die Idee, daß die sichtbare Welt von Gott aus Liebe geschaffen, daß sie ein Abbild des in ihm präexistirenden Vorbildes sei, und daß er ihr dauernder Beweger und Fortschöpfer bleiben werde. Die Seele des Einzelnen kann zunächst durch das Erkennen Gottes ihn in ihre engen Schranken zusammenziehen, aber auch durch Liebe zu ihm sich ins Unendliche ausdehnen, und dieß ist dann die Seligkeit auf Erden. Hier berühren sich Anklänge der mittelalterlichen Mystik mit platonischen Lehren und mit einem eigenthümlichen mo- dernen Geiste. Vielleicht reifte hier eine höchste Frucht jener Erkenntniß der Welt und des Menschen, um derentwillen allein schon die Renaissance von Italien die Führerin unseres Weltalters heißen muß. Cultur der Renaissance. 36 Genauere Titelangaben einiger häufiger citirten Werke . Archivio storico italiano, nebst Appendice. Firenze, Viesseux. Muratori, scriptores rerum Italicarum. Roscoe, vita e pontificato di Leone X, trad. da Luigi Bossi, Milano 1816, s., 12 voll. in 8. Fabroni: Magni Cosmi Medicei vita. Desselben: Laurentii Med. magnifici vita. Roscoe: Leben des Lorenzo Medici. Poesie del magnifico Lorenzo de' Medici, Londra 1801. Petrarca, Gesammtausgabe seiner lateinischen opera, Basileæ 1581, fol. Poggii opera, Straßburger Ausgabe von 1513, fol. Philelphi orationes, ed. Venet. 1492, fol. M. Anton. Sabellici opera, ed. Venet. 1502, fol. Pii II. P. M. commentarii, ed. Romana 1584. Aeneæ Silvii opera, ed. Basil. 1551, fol. Platina, de vitis pontificum romanor., Coloniæ Agrippinæ 1626. Anecdota literaria e mss. codd. eruta, herausg. von Amaduzzi und Bianconi, Rom 1773 bis 1783, vier Bände in 8. Corio, Historia di Milano, ed. Venet. 1554. Macchiavelli, opere minori, Firenze, Lemonnier, 1852. Varchi, Storia fiorentina, Milano 1803, 5 voll. in 8. Tommaso Gar, relazioni della corte di Roma, (der dritte Band der zweiten Serie der Relazioni degli ambasciatori veneti, raccolte da Eug. Albèri, Firenze ). Boccaccio, opere volgari, Firenze 1829, s., presso Ign. Moutier, 17 voll. in 8. Filippo Villani, le vite d'uomini illustri fiorentini, Firenze 1826. Agnolo Pandolfini, trattato del governo della famiglia, Torino, Pomba, 1829. Trucchi, Poesie italiane inedite, Prato 1846, 4 voll. in 8. Raccolta di Poesie satiriche, Milano 1808. 1 vol. Firenzuola, opere, Milano 1802. in 8. Castiglione, il cortigiano, Venezia, 1549. 36* Vespasiano fiorentino, außer der hier benützten Ausgabe von Mai, im X. Bande des Spicilegium romanum ist eine neuere von Bartoli, Firenze 1859, zu erwähnen. Vasari, le vite de' più eccellenti pittori, scultori e architetti, Firenze, Le- monnier, seit 1846, dreizehn Bände. Den S. 174 besprochenen Dichter Waltherus glaubt man gegenwärtig in einem gewissen Walther von Lille oder von Chatillon wieder zu erkennen. Vgl. Giesebrecht, bei Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter, S. 431, f. Erst als der Druck dieses Buches weit fortgeschritten war, kam mir das treffliche Werk von Voigt: „Die Wiederbelebung des classischen Alterthums“ zu Gesichte. Dasselbe schildert umständlich und allseitig diejenige geistige Bewegung, welche ich im dritten Abschnitt nur kurz andeuten durste. Inhaltsübersicht . Erster Abschnitt. Der Staat als Kunstwerk. Seite Vorbemerkung 1 Politischer Zustand Italiens im XIII. Jahrhundert 2 Der Normannenstaat unter Friedrich II. 3 Ezzelino da Romano 4 Tyrannis des XIV. Jahrhunderts 5 Finanzielle Grundlage und Verhältniß zur Bildung 6 Das Ideal des absoluten Herrschers 7 Innere und äußere Gefahren 8 Urtheil der Florentiner über die Tyrannen 10 Die Visconti bis auf den vorletzten 11 Tyrannis des XV. Jahrhunderts 14 Interventionen und Reisen der Kaiser 15 Ihre Ansprüche in Vergessenheit 18 Mangel eines festen Erbrechtes; illegitime Erbfolgen 19 Condottieren als Staatengründer 20 Ihr Verhältniß zum Brodherrn 21 Die Familie Sforza 23 Aussichten und Untergang des jüngern Piccinino 24 Spätere Versuche der Condottieren 26 Die kleinern Tyrannien 27 Die Baglionen von Perugia 28 Ihre innere Zwietracht und die Bluthochzeit des Jahres 1500 30 Ihr Ausgang 32 Die Häuser Malatesta, Pico und Petrucci 33 Seite Die größern Herrscherhäuser 34 Die Aragonesen von Neapel 34 Der letzte Visconti von Mailand 37 Francesco Sforza und sein Glück 39 Galeazzo Maria und Lodovico Moro 40 Die Gonzagen von Mantua 43 Federigo da Montefeltro, Herzog von Urbino 44 Letzter Glanz des urbinatischen Hofes 46 Die Este in Ferrara; Hausgräuel und Fiscalität 47 Aemterverkauf, Ordnung und Bauten 48 Persönliche Virtuosität 49 Loyalität der Residenz 50 Der Polizeidirector Zampante 51 Theilnahme der Unterthanen an fürstlicher Trauer 52 Pomp des Hofes 53 Das estensische Mäcenat 54 Die Gegner der Tyrannis 54 Die spätern Guelfen und Ghibellinen 54 Die Verschwörer 55 Die Ermordungen beim Kirchgang 56 Einwirkung des antiken Tyrannenmordes 57 Die Catilinarier 58 Florentinische Ansicht vom Tyrannenmord 59 Das Volk im Verhältniß zu den Verschwörern 60 Die Republiken 61 Venedig im XV. Jahrhundert 62 Die Einwohner 63 Der Staat und die Gefahr durch den armen Adel 64 Ursachen der Unerschütterlichkeit 65 Der Rath der Zehn und die politischen Processe 66 Verhältniß zu den Condottieren 68 Optimismus der auswärtigen Politik 69 Venedig als Heimath der Statistik 70 Verzögerung der Renaissance 72 Verspätete Reliquienandacht 73 Florenz seit dem XIV. Jahrhundert 74 Objectivität des politischen Bewußtseins 74 Dante als Politiker 75 Seite Florenz als Heimath der Statistik; die Villani 77 Die Statistik der höhern Interessen 79 Geldwerthe im XV. Jahrhundert 81 Die Verfassungsformen und die Geschichtschreiber 82 Das Grundübel des toscanischen Staates 84 Die Staatskünstler 85 Macchiavelli und sein Verfassungsproject 86 Siena und Genua 88 Auswärtige Politik der italienischen Staaten 89 Der Neid gegen Venedig 90 Das Ausland; die Sympathien für Frankreich 91 Versuch eines Gleichgewichtes 92 Intervention und Eroberung 93 Verbindungen mit den Türken 94 Die Gegenwirkung Spaniens 96 Objective Behandlung der Politik 97 Kunst der Unterhandlung 98 Der Krieg als Kunstwerk 99 Die Feuerwaffen 99 Kennerschaft und Dilettantismus 100 Kriegsgräuel 101 Das Papstthum und seine Gefahren 102 Stellung zum Ausland und zu Italien 103 Römische Unruhen seit Nicolaus V. 105 Sixtus IV. als Herr von Rom 106 Pläne des Cardinals Pietro Riario 107 Der Nepotenstaat in der Romagna 108 Die Cardinäle aus Fürstenhäusern 109 Innocenz VIII. und sein Sohn 110 Alexander VI. als Spanier 111 Verhältniß zum Ausland, und Simonie 112 Cesare Borgia und sein Verhältniß zum Vater 113 Seine letzten Absichten 114 Drohende Säcularisation des Kirchenstaates 115 Das Irrationelle in den Mitteln 116 Die Ermordungen 117 Die letzten Jahre 119 Julius II. als Retter des Papstthums 120 Seite Wahl Leo's X. 122 Seine gefährlichen politischen Pläne 122 Wachsende Gefahren von außen 123 Hadrian VI. 124 Clemens VII. und die Verwüstung von Rom 125 Folgen derselben und Reaction 126 Sühne Carl's V. mit dem Papste 127 Das Papstthum der Gegenreformation 128 Das Italien der Patrioten 129 Zweiter Abschnitt . Entwicklung des Individuums. Der italienische Staat und das Individuum 131 Der Mensch des Mittelalters 131 Das Erwachen der Persönlichkeit 132 Der Gewaltherrscher und seine Unterthanen 133 Der Individualismus in den Republiken 134 Das Exil und der Cosmopolitismus 135 Die Vollendung der Persönlichkeit 136 Die Vielseitigen 137 Die Allseitigen; Leonbattista Alberti 139 Der moderne Ruhm 142 Dante's Verhältniß zum Ruhm 143 Die Celebrität des Humanisten; Petrarca 144 Cultus der Geburtshäuser 145 Cultus der Gräber 146 Cultus der berühmten Männer des Alterthums 147 Literatur des örtlichen Ruhmes; Padua 148 Literatur des allgemeinen Ruhmes 150 Der Ruhm von den Schriftstellern abhängig 151 Die Ruhmsucht als Leidenschaft 152 Der moderne Spott und Witz 154 Sein Zusammenhang mit dem Individualismus 154 Der Hohn der Florentiner; die Novelle 155 Die Witzmacher und Buffonen 156 Die Späße Leo's X. 158 Seite Die Parodie in der Dichtung 159 Theorie des Witzes 160 Die Lästerung 161 Die Medisance von Rom 162 Hadrian VI. als ihr Opfer 164 Pietro Aretino 165 Seine Publicistik 166 Sein Verhältniß zu Fürsten und Celebritäten 167 Seine Religion 169 Dritter Abschnitt . Die Wiedererweckung des Alterthums. Vorbemerkungen 171 Ausdehnung des Begriffes Renaissance 171 Das Alterthum im Mittelalter 172 Sein frühes Wiedererwachen in Italien 173 Lateinische Poesie des XII. Jahrhunderts 174 Der Geist des XIV. Jahrhunderts 175 Die Ruinenstadt Rom 177 Dante, Petrarca, Uberti 177 Die vorhandenen Ruinen zur Zeit Poggio's 179 Blondus, Nicolaus V. , Pius II. 180 Das Alterthum außerhalb Roms 181 Städte und Familien von Rom hergeleitet 182 Stimmung und Ansprüche der Römer 183 Die Leiche der Julia 183 Ausgrabungen und Aufnahmen 184 Rom unter Leo X. 185 Ruinensentimentalität 186 Die alten Autoren 187 Ihre Verbreitung im XIV. Jahrhundert 187 Entdeckungen des XV. Jahrhunderts 188 Die Bibliotheken, Copisten und Scriptoren 189 Der Bücherdruck 193 Uebersicht des griechischen Studiums 194 Orientalische Studien 196 Seite Pico's Stellung zum Alterthum 197 Der Humanismus im XIV. Jahrhundert 198 Unvermeidlichkeit seines Sieges 199 Theilnahme des Dante, Petrarca und Boccaccio 200 Letzterer als Vorkämpfer 201 Die Poetenkrönung 202 Universitäten und Schulen 204 Der Humanist als Professor im XV. Jahrh 205 Nebenanstalten 207 Die höhere freie Erziehung; Vittorino 208 Guarino in Ferrara 209 Prinzenerziehung 210 Die Förderer des Humanismus 210 Florentinische Bürger; Niccoli 211 Mannetti; die frühern Medici 212 Fürsten; die Päpste seit Nicolaus V. 216 Alfons von Neapel 219 Federigo von Urbino 221 Die Sforza und die Este 222 Sigismondo Malatesta 223 Reproduction des Alterthums. Epistolographie 224 Die päpstliche Kanzlei 225 Werthschätzung des Briefstyls 226 Die lateinische Rede 227 Gleichgültigkeit über den Stand des Redners 228 Feierliche Staats- und Empfangsreden 228 Leichenreden 230 Academische und Soldatenreden 231 Die lateinische Predigt 232 Erneuerung der antiken Rhetorik 233 Form und Inhalt; das Citiren 234 Fingirte Reden 235 Verfall der Eloquenz 236 Die lateinische Abhandlung 237 Die Geschichtschreibung 238 Relative Nothwendigkeit des Lateinischen 239 Forschungen über das Mittelalter; Blondus 241 Anfänge der Kritik 242 Seite Verhältniß zur italienischen Geschichtschreibung 243 Allgemeine Latinisirung der Bildung 243 Die antiken Namen 244 Latinisirte Lebensverhältnisse 246 Ansprüche auf Alleinherrschaft 247 Cicero und die Ciceronianer 248 Die lateinische Conversation 250 Die neulateinische Poesie 251 Das Epos aus der alten Geschichte; die Africa 252 Mythendichtung 253 Christliches Epos; Sannazaro 255 Zeitgeschichtliche Poesie 246 Einmischung der Mythologie 257 Didactische Poesie; Palingenius 259 Die Lyrik und ihre Grenzen 260 Oden auf Heilige 261 Elegien und Aehnliches 261 Das Epigramm 263 Macaronische Poesie 266 Sturz der Humanisten im XVI. Jahrhundert 267 Die Anklagen und das Maß ihrer Schuld 268 Ihr Unglück 273 Das Gegenbild des Humanisten 274 Pomponius Lätus 275 Die Academien 277 Vierter Abschnitt . Die Entdeckung der Welt und des Menschen. Reisen der Italiener 280 Columbus 281 Verhältniß der Cosmographie zu den Reisen 282 Die Naturwissenschaft in Italien 283 Richtung auf die Empirie 284 Dante und die Sternkunde 285 Einmischung der Kirche 285 Einwirkung des Humanismus 286 Seite Botanik; die Gärten 287 Zoologie; die Sammlungen fremder Thiere 288 Das Gefolge des Ippolito Medici; die Sklaven 291 Entdeckung der landschaftlichen Schönheit 292 Die Landschaft im Mittelalter 293 Petrarca und die Bergbesteigung 295 Der Dittamondo des Uberti 297 Die flandrische Malerschule 298 Aeneas Sylvius und seine Schilderungen 298 Entdeckung des Menschen 303 Psychologische Nothbehelfe; Temperamente 304 Geistige Schilderung in der Poesie 305 Werth der reimlosen Verse 306 Werth des Sonettes 307 Dante und seine Vita nuova 308 Seine Divina Commedia 310 Petrarca als Seelenschilderer 311 Boccaccio und die Fiammetta 312 Geringe Entwicklung der Tragödie 313 Die Pracht der Aufführung als Feindinn des Drama's 314 Intermezzi und Ballett 316 Comödie und Maskencomödie 318 Ersatz durch die Musik 320 Das romantische Epos 320 Nothwendige Unterordnung der Charactere 321 Pulci und Bojardo 322 Das innere Gesetz ihrer Composition 323 Ariosto und sein Styl 324 Folengo und die Parodie 326 Tasso als Gegensatz 327 Die Biographik 327 Fortschritt der Italiener gegenüber dem Mittelalter 328 Toscanische Biographen 329 Andere Gegenden Italiens 330 Die Selbstbiographie; Aeneas Sylvius 332 Benvenuto Cellini 333 Girolamo Cardano 334 Luigi Cornaro 335 Seite Characteristik von Völkern und Städten 338 Der Dittamondo 339 Schilderungen aus dem XVI. Jahrhundert 340 Schilderungen des äußern Menschen 341 Die Schönheit bei Boccaccio 342 Das Schönheitsideal des Firenzuola 343 Seine allgemeinern Definitionen 346 Schilderung des bewegten Lebens 347 Aeneas Sylvius und Andere 348 Conventionelle Bucolik seit Petrarca 349 Wirkliche Stellung der Bauern 350 Echte poetische Behandlung des Landlebens 351 Battista Mantovano, Lorenzo magnifico, Pulci 352 Angelo Poliziano 353 Die Menschheit und der Begriff des Menschen 354 Fünfter Abschnitt . Die Geselligkeit und die Feste. Die Ausgleichung der Stände 355 Gegensatz zum Mittelalter 355 Das Zusammenwohnen in den Städten 356 Theoretische Negation des Adels 357 Verhalten des Adels nach Landschaften 358 Seine Stellung zur Bildung 359 Die spätere Hispanisirung des Lebens 360 Die Ritterwürde seit dem Mittelalter 361 Die Turniere und ihre Caricaturen 362 Der Adel als Requisit der Hofleute 364 Aeußere Verfeinerung des Lebens 365 Kleidung und Moden 365 Toilettenmittel der Frauen 367 Die Reinlichkeit 369 Der Galateo und die gute Lebensart 371 Bequemlichkeit und Eleganz 372 Die Sprache als Basis der Geselligkeit 373 Ausbildung einer Idealsprache 374 Seite Weite Verbreitung derselben 375 Die extremen Puristen 376 Ihr geringer Erfolg 377 Die Conversation 379 Die höhere Form der Geselligkeit 379 Uebereinkommen und Statuten 380 Die Novellisten und ihr Auditorium 381 Die großen Damen und die Salons 382 Florentinische Geselligkeit 382 Lorenzo als Schilderer seines Kreises 383 Der vollkommene Gesellschaftsmensch 384 Seine Liebschaft 384 Seine äußern und geistigen Fertigkeiten 385 Die Leibesübungen 386 Die Musik 387 Die Instrumente und das Virtuosenthum 388 Der Dilettantismus in der Gesellschaft 390 Stellung der Frau 391 Ihre männliche Bildung und Poesie 392 Vollendung ihrer Persönlichkeit 393 Die Virago 394 Das Weib in der Gesellschaft 395 Die Bildung der Buhlerinnen 396 Das Hauswesen 397 Gegensatz zum Mittelalter 398 Agnolo Pandolfini 398 Die Villa und das Landleben 399 Die Feste 400 Ihre Grundformen, Mysterium und Procession 401 Vorzüge gegenüber dem Ausland 403 Die Allegorie in der italienischen Kunst 404 Historische Repräsentanten des Allgemeinen 406 Die Mysterienaufführungen 407 Fronleichnam in Viterbo 410 Weltliche Aufführungen 411 Pantomimen und Empfang von Fürsten 412 Bewegte Züge; geistliche Trionfi 415 Weltliche Trionfi 417 Seite Festzüge zu Wasser 422 Carneval in Rom und Florenz 423 Sechster Abschnitt . Sitte und Religion. Die Moralität 427 Grenzen des Urtheils 427 Bewußtsein der Demoralisation 428 Das moderne Ehrgefühl 430 Herrschaft der Phantasie 432 Spielsucht und Rachsucht 433 Verletzung der Ehe 438 Sittliche Stellung der Frau 440 Die vergeistigte Liebe 444 Der allgemeine Frevelsinn 446 Räuberwesen 448 Der bezahlte Mord; die Vergiftungen 450 Die absoluten Bösewichter 453 Verhältniß der Sittlichkeit zum Individualismus 455 Die Religion im täglichen Leben 456 Mangel einer Reformation 457 Stellung der Italiener zur Kirche 458 Haß gegen Hierarchie und Mönchthum 459 Gewöhnung an die Kirche und ihre Segnungen 466 Die Bußprediger 467 Girolamo Savonarola 476 Das Heidnische im Volksglauben 483 Der Reliquienglaube 484 Der Mariendienst 487 Schwankungen im Cultus 489 Große Bußepidemien 490 Deren polizeiliche Regelung in Ferrara 492 Die Religion und der Geist der Renaissance 494 Nothwendige Subjectivität 495 Weltlichkeit des Geistes 496 Toleranz gegen den Islam 497 Berechtigung aller Religionen 498 Seite Einwirkung des Alterthums 500 Sogenannte Epicureer 501 Die Lehre vom freien Willen 502 Die frommen Humanisten 504 Mittlere Richtung der Humanisten 505 Anfänge der Kritik des Heiligen 507 Fatalismus der Humanisten 508 Ihre heidnischen Aeußerlichkeiten 510 Verflechtung von antikem und neuerm Aberglauben 512 Die Astrologie 512 Ihre Verbreitung und ihr Einfluß 513 Ihre Gegner in Italien 520 Pico's Widerlegung und deren Wirkung 522 Verschiedene Superstitionen 524 Aberglauben der Humanisten 527 Gespenster von Verstorbenen 528 Dämonenglaube 5 30 Die italienische Hexe 531 Das Hexenland bei Norcia 533 Einmischung und Grenzen des nordischen Hexenwesens 535 Zauberei der Buhlerinnen . Der Zauberer und Beschwörer 538 Die Dämonen auf der Straße nach Rom 539 Einzelne Zaubergattungen; die Telesmata 541 Magie bei Grundsteinlegungen 544 Der Necromant bei den Dichtern 544 Zaubergeschichte des Benvenuto Cellini 545 Abnahme des Zauberwesens 546 Nebengattungen desselben, Alchymie 548 Erschütterung des Glaubens überhaupt 550 Die Beichte des Boscoli 551 Religiöse Confusion und allgemeiner Zweifel 552 Streit über die Unsterblichkeit 552 Der Heidenhimmel 553 Das homerische Jenseits 556 Verflüchtigung der christlichen Lehren 557 Der italienische Theismus 558