ENTWICKELUNG DER VERKEHRS-VERHÄLTNISSE IN BERLIN VORTRAG GEHALTEN AM SCHINKELFEST 13. MÄRZ 1893 VON JAMES HOBRECHT BERLIN 1893 VERLAG VON WILHELM ERNST \& SOHN (VORMALS ERNST \& KORN) Alle Rechte vorbehalten . Meine Herren! A ufgefordert, den Vortrag des heutigen Abends zu halten, musste ich mich — bei der Kürze der mir für Vorbereitung zur Disposition stehenden Zeit — zu einem mir nahe- liegenden Thema entschliessen: Entwickelung der Ver- kehrs-Verhältnisse in Berlin — natürlich von einem retrospectiven Standpunkt aus beleuchtet! An bereitliegendem Material zur Erfüllung dieser Aufgabe fehlte es nicht; es ist im Gegentheil für diesen Zweck in zu grosser Menge vor- handen, aber die Vortragsbausteine zur Baustelle zu bringen, sie zu ordnen und zusammenzufügen, konnte ohne thätigste Mitwirkung von Freunden — ich nenne die Herren Gottheiner und Wattmann — nicht gelingen; diesen dafür, — d. h. für mehr als ich selbst leisten konnte, — zu danken ist der Zweck dieser Anführung. Die Uebersicht, welche ich über die Entwickelung der Verkehrs-Verhältnisse Berlins zu geben gedenke, soll etwa den Zeitraum von Einführung der Eisenbahnen bis heute um- fassen. — Doch sei mir vorher ein kurzer Rückblick auf eine frühere Zeit gestattet. Ein Vergleich zwischen Wien und Berlin, von Herrn Kriegsrath v. Cölln, einem Reisenden im Anfang dieses Jahr- hunderts, erstattet, möge, wenn auch in etwas abgeschwächter Form, hierzu dienen. Es heisst dort: „Wien liegt in einem fruchtbaren Garten, von hohen Bergen umschlossen, unter denen der Schneeberg in Steiermark sein stets beschneites Haupt majestätisch empor- hebt. 1* „Berlin liegt dagegen in den Sandwüsten Arabiens; man mag nun hineinkommen, von welcher Seite man will, aus Ost oder West, aus Süd oder Nord, so wird man von den keuchenden Postpferden in einem Sandmeer fortgeschleppt; im Sommer brennt die Sonne auf diesem Sande doppelt stark und einige von Raupen abgefressene Kiefernstämme geben den einzigen dürftigen Schatten, der zu finden ist. Von Bergen findet das Auge weit und breit keine Spur, und wo man etwa Wasser findet, da ist es ein Sumpf, um den eine Schaar von Kiebitzen ihren angenehmen Gesang erhebt. Was man auf den Feldern erblickt, sind einzelne Kornhalme, deren Samen hier die Vögel verloren zu haben scheinen. „Man freut sich, wenn man endlich die Thurmspitzen von Berlin erblickt; jetzt kommt aber nahe an der Barrière dem Reisenden ein pestilenzialischer Geruch entgegen, denn die Berliner laden allen ihren Unrath nahe vor den Tho- ren ab. „Hat man im Thore die unleidliche Revision der Accise- beamten überstanden und dem wachthabenden Officier seine hundert Fragen beantwortet, damit er die öffentliche Neu- gierde befriedige, so sieht man sich in die Mitte ärmlicher Hütten, Wiesen und Felder versetzt (es wäre denn, man passirte in die Thore der Friedrichsstadt ein); oft sieht man aber nichts, denn der kleinste Zephir erregt einen so uner- träglichen Staub, dass man die Augen fest zudrücken muss. „Wien hat keinen Palast oder ein öffentliches Gebäude aufzuweisen, welches man mit dem Schlosse oder mit dem Opern- und Zeughause, mit dem Heinrichschen Palais u. a. in Berlin zusammenstellen könnte. Mit einem Wort: Wien ist in Rücksicht der Bauart, der Regularität und Breite der Strassen mit Berlin garnicht zu vergleichen und wird dadurch weit übertroffen. „Dennoch hat Wien einen Vorzug auch in dieser Hin- sicht, den man in Berlin völlig vermisst. „Das Pflaster ist in Wien aus Quadersteinen aufgeführt, und man findet hier keine stinkende und unreine Rinnsteine wie in Berlin, da diese dort sämtlich verdeckt sind.“ Sehen wir nun zu, wie sich die Verhältnisse umgestaltet haben, und ob diese damals wohl berechtigten Klagen es auch noch heute sind. Nicht eine Entschuldigung, wohl aber eine Erklärung für Versäumtes und spät erst Geschehenes ist in der raschen Bevölkerungszunahme Berlins und seinem dadurch bedingten räumlichen Wachsthum zu erblicken. Mit einigem Schreck lese ich heute in dem Werk „Ueber die Reinigung und Entwässerung der Stadt Berlin“ von Geh. Ob.-Baurath Wiebe, 1861, an dessen Abfassung ich persönlich betheiligt war, und in welchem für ein Canali- sations-Project die Einwohnerzahl auf 750 000 angenommen wurde, die Worte: „ Diese Zunahme der Bevölkerung, um beinahe 59 v. H., dürfte so reichlich bemessen sein, dass eine baldige Ueber- schreitung derselben nicht leicht anzunehmen ist.“!! Die Ausdehnung der Stadt , wie sie mit der Zeit stattgefunden, erläutert dieser Stadtplan. — (Demonstration.) Unter denjenigen Arbeiten, welche zum Zwecke der Verkehrs-Erleichterung obenan stehen, sind die Strassen- Durchbrüche und Strassen-Verbreiterungen zu nennen. Die erste Grundlage für ein planmässiges Vorgehen nach dieser Richtung ist der in den 50er Jahren auf Veranlassung des Herrn Ministers v. d. Heydt aufgestellte Bebauungsplan. Als polizeiliche Verordnung hat er im wesentlichen eine negative Bedeutung; er verbietet , — verbietet eine Bebauung auf demjenigen Gebiet, welches zu Strassen-Anlagen und Strassen- Verbreiterungen gebraucht wird. Aenderungen an ihm werden, dem veränderten Bedürfniss entsprechend, jederzeit mit Aller- höchster Genehmigung vorgenommen. Für die Initiative zu diesem Werk gebührt der Staatsverwaltung uneingeschränkte Anerkennung. — An Strassendurchlegungen und Verbreiterungen sind in den Jahren 1851—60 ausgeführt und haben gekostet: desgl. in den Jahren 1861—76. Geplant wird jetzt eine Verbreiterung der Königstrasse und Freilegung des Schlossplatzes bis zum Nordgiebel des Königl. Marstall-Gebäudes. (Demonstration.) Wenn ich nunmehr zu der Befestigung — Pflasterung — der Strassen übergehe, so sei mir gestattet, zunächst eines kurzen Gespräches Erwähnung zu thun, welches in dem Werke „Friedrich Sass: Berlin in seiner neuesten Zeit und Entwicklung“, Leipzig 1846, angegeben ist: „Als Eduard Gans im Jahre 1825 in Brüssel war, traf er dort mit dem Grafen Sieyés zusammen. Sieyés fragte: „Auch ich bin zu meiner Zeit in Berlin gewesen. Es sind aber 27 Jahre her, und zwar als Gesandter der Französischen Republik. Sind jetzt noch so viele Gegensätze als sonst vor- handen?“ „Wie,“ meinte Gans, „Gegensätze? Bei uns ist, so viel ich glaube, dieses Wort gar nicht anzuwenden.“ „Ich habe,“ erwiderte Sieyés, „die stärksten daselbst vor- gefunden; breite, zum Theil wohlgebaute Strassen und das ärgste Pflaster, das man in einer grossen Stadt zu finden vermöchte; Jakobiner, die bei uns alles recht fanden, was Robespiere, Couthon, Marat Schreckliches vollführten, und in ihrem Lande zugleich die zahmsten und titelsüchtigsten Narren waren, die man antreffen konnte, usw.“ In dem Werke: „Berlin im neunzehnten Jahrhundert“ von Adolph Streckfuss. (II. Band Seite 508—509), berichtet derselbe: „Im Jahre 1825 sprach der König den Wunsch aus, dass in den besseren Stadtgegenden die sogenannten Trottoirs, breite Granitbahnen, gelegt würden. Zuerst wurden vier Strassen, die Leipziger-, die Jäger-, die neue Friedrich- und die Königstrasse als solche bezeichnet, in welchen der König die Anlage der Trottoirs vorzugsweise wünsche; er gab das Versprechen, dass, wenn die Bürger sich bereit erklärten, Trottoirs zu legen, dass dann auch vor allen Königlichen Gebäuden der Bürgersteig in gleicher Weise auf Königliche Kosten verbessert werden solle.“ „Der Magistrat bestrebte sich, den Wünschen des Königs zu entsprechen. Nicht nur in vier Strassen, sondern auch in einer Anzahl anderer bedeutender Verkehrswege gelang es, auch in der Breitenstrasse, der Brüderstrasse, auf dem Schloss- platz usw. die Hauseigenthümer zu den von ihnen geforderten Opfern zu gewinnen.“ „Durch eine Königliche Cabinets-Ordre vom 18. Mai 1828 wurde demnächst bestimmt, dass überall, wo nach sach- verständigem Ermessen die Instandsetzung der Bürgersteige in den Strassen Berlins und an den Plätzen polizeilich noth- wendig erachtet werde, die Hauseigenthümer angehalten werden sollten, Trottoirs von Granitplatten anzulegen.“ „Unter dem 26. Mai 1829 beschloss die Commune, dass die Hauseigenthümer nur mit ⅓ der Kosten herangezogen werden sollten, dass aber ⅔ derselben durch eine neu ein- zuführende Steuer, die Hundesteuer, aufgebracht werden müssten, dass ferner die Legung der Trottoirs, soweit der aus der Hundesteuer fliessende Fonds reiche, strassenweise ausgeführt werde.“ Durch die Einführung dieses Reglements gelang es bis zum Jahre 1840, die meisten irgend belebten Strassen der Stadt mit Trottoirs zu versehen. Nach diesem Reglement, das mit ganz geringen Ab- weichungen bis zum Jahre 1862 Geltung behielt, waren bis zum Jahre 1860 ausgeführt: Unbelegte Bürgersteige verblieben innerhalb der Ringmauer in 70 Strassen mit rot. 26 000 m und ausserhalb der Ringmauer in 33 bebauten Die auf Verbesserung der Bürgersteige verwendeten Zuschüsse betrugen seit dem Jahre 1835—1860 rot. 700 000 ℳ. Im Jahre 1862 hat das Reglement eine Abänderung dahin erfahren, dass statt einer Reihe Granitplatten von 3′ Breite, deren zwei in einer Gesamtbreite von 2 m, und ausserdem die Legung von granitnen Bordschwellen verlangt wird; dass die letzteren durchweg untermauert werden müssen, ist eine weitere Forderung, die durch eine neu unterm 17. Januar 1873 veröffentlichte Polizeiverordnung bezüglich Regulirung der Bürgersteige hinzugekommen ist; dieselbe bestimmt ausserdem, dass die nicht mit Platten zu belegenden Theile der Bürger- steige mit Mosaikpflaster zu befestigen sind, und erklärt die Befestigung der Bürgersteige mit Asphalt als zulässig. In Folge dieser von der Polizeibehörde und den Gemeinde- behörden durchgeführten Massregeln ist es dahin gekommen, dass gegenwärtig kaum noch irgend eine regulirte Strasse in Berlin einer Trottoiranlage entbehrt. Die seitens der Stadt den Grundbesitzern gewährte Beihülfe hat betragen in den Jahren 1861—1876 — rot. 1 593 000 ℳ. Das Strassendammpflaster , wie schon gesagt, stand hinter dem der übrigen Grossstädte unseres Erdtheils, — ja, hinter dem vieler Mittelstädte, weit zurück. Es lag dies wohl zum grössten Theil an den eigen- thümlichen Ressortverhältnissen in Bezug auf die Unterhaltung der Strassen. Diese war bis zum Jahre 1820 eine Obliegenheit der Staatsverwaltung; nach mehrjährigen Verhandlungen kam im Jahre 1838 zwischen der letzteren und der Stadtgemeinde ein Abkommen zu Stande, wonach der Staat auch in Zukunft alle vor dem 1. Januar 1837 vorhanden gewesenen öffentlichen Strassen und Plätze zu unterhalten verpflichtet blieb, während die Stadt die Kosten für Neuherstellung und Unterhaltung aller von dem genannten Zeitpunkte anzulegenden Strassen übernahm. Der Staat unterzog sich hiermit einer Last, die auf die Unterhaltung einer Strassenfläche von etwa 1 565 000 qm fest begrenzt war, wärend die seitens der Stadt eingegangene Verpflichtung eine gänzlich unbegrenzte blieb; so war bei- spielsweise der Flächeninhalt der in städtischer Unterhaltung befindlichen gepflasterten Dammflächen im Jahre 1850 bereits auf rot. 225 400 qm herangewachsen und hat sich bis zum Jahre 1876 auf rot. 1 772 000 qm erhöht. In den älteren vom Staate zu unterhaltenden Strassen lag zu einem grossen Theile Rundsteinpflaster; nur in wenigen Hauptstrassen war Fiscus dazu übergegangen, rechtwinklig bearbeitete Steine, vornehmlich aus märkischen Findlingen, hier und da auch aus sächsischem Porphyr, zu verwenden, und erst seit dem Jahre 1866 hatte man sich entschlossen, bei Umpflasterung verkehrsreicher fiscalischer Strassen diesen durchgehends eine Unterbettung von Kies zu geben. Die Stadt hatte bei der Anlage neuer Strassen anfänglich polygonale geschlagene Feld- oder Bruchsteine zur Verwen- dung gebracht, sich dann aber, namentlich seit dem Ende der sechziger Jahre, dazu entschlossen, bei ihren Pflaste- rungen, wo es sich um wichtigere Strassenzüge handelte, regelrecht bearbeitete Bruchsteine aus sächsischem oder pfäl- zischem Porphyr und aus belgischem Diorit zu verwenden und diese stets auf eine 20 cm starke Kiesbettung zu legen. Trotz aller dieser wohlgemeinten Versuche war es nicht möglich, das Berliner Pflaster auf einen besseren Fuss zu bringen, so lange noch die tiefen Berliner Rinnsteine be- stehen bleiben mussten, da diese es verhinderten, dem Pflaster einen seitlichen widerstandsfähigen Halt zu verschaffen, und so- lange man sich nicht dazu verstand, den Steinen eine feste, un- verrückbare Unterbettung zu geben. Zu der letzteren Anord- nung, verbunden mit der Verwendung regelmässig gearbeiteter Bruchsteine von eng begrenzten Abmessungen, vermochte oder konnte die Staatsregierung bei der Abhängigkeit der ihr zu Gebote stehenden Mittel von den Bewilligungen des Land- tages sich nicht entschliessen. Eine Wendung zum Besseren konnte daher erst ein- treten, nachdem am 31. December 1875 der bekannte zwischen Staatsregierung und Stadt vereinbarte Vertrag, nach welchem letztere für eine jährliche Rente von rot. 556 000 ℳ die gesamte Strassen- und Brücken-Baulast in Berlin über- nimmt, zum Abschluss gelangt war. Die gesamte am 1. Januar 1876 in der Unterhaltung der Städtischen Bauverwaltung vereinigte Dammfläche der ge- pflasterten Strassen betrug in runden Zahlen 3 337 000 qm, welche nur zum allergeringsten Theil ein besseres Pflaster aufzuweisen hatten. Am 1. April 1892 bezifferte sich dagegen die Damm- fläche der gepflasterten öffentlichen Strassen und Plätze auf sodass mit Steinen geringerer Güte noch eine Fläche von etwa 2 205 000 qm verblieb, deren Ersatz durch besseres Pflaster als die Aufgabe der städtischen Bauverwaltung in den nächsten 10—20 Jahren zu betrachten sein dürfte. Nach Vorstehendem hat sich die Fläche der gepflasterten Strassen seit 1876 um etwa 55 v. H. vermehrt, und die von der Stadtgemeinde für Pflasterungen mit besserem Material und für die Unterhaltung des gesamten Pflasters aufgewendeten Kosten haben in dem Zeitraum vom 1. April 1876 bis 1. April 1892 nach einer überschläglichen Ermittlung etwa betragen 51 000 000 ℳ oder pro Jahr etwa 3 200 000 ℳ; im Jahre 1850 zahlte die Stadt 6500 ℳ!! Als geringste Breite neuanzulegender Strassen gilt seit Aufstellung des Bebauungsplanes das Mass von 19 m. Daneben gehören für grössere ausgedehnte Strassenzüge Breiten von 22, 26, 30, 33, 38 m und darüber bis 68 m nicht zu den Seltenheiten. Bei Vertheilung der Strassenfläche zwischen Bürgersteig und Damm wurde in der Regel mit Ausnahme solcher Strassen, in denen Mittelpromenaden sich herstellen lassen, so verfahren, dass etwa je ein Fünftel der Gesamt- breite auf die beiderseitigen Bürgersteige, und der Rest von 3 Fünfteln auf den Fahrdamm entfiel. Es entstanden auf solche Weise in vielen Strassen Strassendämme von 12 und 15 m, die für den dort vorhandenen bezw. zu erwartenden Verkehr mehr als ausreichend waren, und die Commune durch Herstellung und Unterhaltung dieses Pflasters un- nöthigerweise belasteten. Demgegenüber hat sich namentlich in den letzten Jahren, in denen sich die unterirdischen Leitungen, die im Strassen- körper Raum beanspruchen, durch Erweiterung der Gas- und Wasserleitungen, durch Hinzutreten der Entwässerungscanäle und Röhren, durch Rohrpost-, Telegraphen-, Telephon- und Lichtkabelleitungen in früher nicht geahnter Weise vermehrt haben, das Bedürfniss herausgestellt, diese Leitungen thunlichst unter den Bürgersteigen unterzubringen, und zu diesem Behufe den dazu erforderlichen Raum durch Verbreiterung der Bürgersteige, soweit es irgend ohne Schädigung des Fuhrwerksverkehrs angänglich ist, auf Kosten der übermässig breiten Fahrdämme zu beschaffen. In eminentem Sinne hat zur Verkehrs-Verbesserung in Berlin die Canalisation der Stadt beigetragen, denn sie hat jeden Strassendamm um etwa 1,2, ja 3 m nutzbar verbreitert. Aber wohl nur wenige Unternehmungen haben sich eines so herzlichen Widerstandes zu erfreuen gehabt, als gerade diese. Wie die Zustände etwa beschaffen waren, möge man aus einigen Sätzen einer Polizei-Verordnung vom 29. März 1836 ersehen. Es heisst dort: 1. Der Bürgersteig, der Rinnstein und der Strassendamm müssen vor jedem Grundstück in dem bewohnten Theile der Stadt wöchentlich zweimal, an jedem Mittwoch und Sonn- abend, während der Sommermonate in den Stunden von 6—8 Uhr, längs der ganzen Frontlinie des Grundstückes und der Strassendamm auf die Hälfte seiner Breite sorgfältig ge- reinigt werden. Der Rinnstein ist bis auf die Sohle auszu- schippen, die vorgefundenen Unreinlichkeiten sind in Haufen zusammenzubringen und jedenfalls noch im Laufe des Tages von der Strasse fortzuschaffen. Um bei trockener Witterung den schädlichen Staub zu vermeiden, muss beim Fegen des Dammes und des Bürgersteiges zureichendes Besprengen mit Wasser angewendet werden u. s. w. 2. Jede Verunreinigung der Strassen durch Heraus- werfen von Schutt, Müll, Scherben u. s. w. wie das Ausgiessen von Flüssigkeiten aus den Fenstern und das Ausleeren der Schmutzeimer auf den Strassen oder in die Rinnsteine wird hiemit gemessenst untersagt. 3. Müssen die Höfe u. s. w. Berlin, 19. III. 1836. Königl. Preuss. Gouvernement und Polizei-Präsidium. v. Tippelskirch. Gerlach . Namentlich erregten die Bestrebungen, die Unrathstoffe schleunigst aus der Stadt zu entfernen, in ausgedehntem Masse den Unwillen der Sanitäts-Beamten, — und das Streben, die sämtlichen Dungstoffe landwirthschaftlich nutzbar 2 zu machen, den Unwillen der Landwirthe. Die öffentliche Meinung war — wie so oft — ein Spielball, den sich Sonder- interesse und Unkenntniss der Dinge lustig zuwarfen. Eine Zeitung sprach die Frage aus, ob Virchow und Ho- brecht mehr in ein Zuchthaus oder in ein Irrenhaus gehörten. Namentlich war es die Berieselung, welche angegriffen wurde. So berichtet die Spenersche Zeitung vom 31. October 1871, Faucher habe in seinem vortrefflichen Buche über die inneren Eisenbahnen Londons gesagt: Dass es mit der Berieselung nichts ist, kann doch jetzt nur noch der Eigensinn verkennen . Es sind ja samt und sonders ganz lächerlich verlau- fene Spielereien gewesen . Eine Blumenlese aus einem „ Aufruf an alle Mit- bürger, denen das Wohl der Stadt wahrhaft am Herzen liegt, die insbesondere die Ursachen der immer heftiger werdenden Epidemien verringern wollen “ (März 1872?) lautet also: „In jüngster Zeit haben sich die Vertreter dieser Idee (Canalisation) sogar zu dem kühnen Gedanken aufgeschwun- gen, dass es auch der volkswirthschaftlich richtigste Weg sei, gleichgültig, ob dabei alle Gesetze der Chemie, Physik, Me- chanik und Volkswirthschaft auf den Kopf gestellt werden. Die Wissenschaft muss umkehren, weil die Canali- sationsmänner es wollen “ u. s. w. Der Bau der Canalisation von Berlin begann im Jahre 1874. Dem Bau des Radial-System III, dessen Pumpstation in der Schöneberger Strasse liegt, folgten nach einander Radial-System I, II, IV, V, VI, VII, VIII, IX. X und XII. Ausgeführt sind bis jetzt im ganzen 706 400 lfd. m Strassen- leitungen und angeschlossen an die Canalisation wurden 22 550 bebaute Grundstücke. Entsprechend dem Ausbau der Canalisation im Innern der Stadt wurden die Rieselfelder aptirt. Begonnen wurde im Jahre 1875 mit dem Gute Osdorf. Heute ist die Stadt Eigenthümerin von etwa 8200 ha Riesel- güter, von denen ca. 5000 ha aptirt sind. Herausgepumpt werden nach den Rieselfeldern, die theils im Süden, theils im Norden von Berlin liegen, täglich im Durchschnitt etwa 150 000 cbm, von denen etwa 90 000 cbm auf den Süden, 60 000 cbm auf den Norden kommen. Die ersteren sind in med. ca. 25 m, die letzteren ca. 35 m hoch zu heben. Diese Arbeit wird geleistet von Pumpmaschinen in einer Gesamtstärke von 5056 HP. Das Wasser gelangt nach den Rieselfeldern durch Druckrohre von 1000 und 750 mm Dm., die eine Gesamtlänge von 86 400 lfd. m haben. Von besonderer Bedeutung für den Verkehr ist ferner die Strassen-Beleuchtung ; sie kann in einer Darstellung der Verkehrs-Entwicklung nicht unbeachtet bleiben. Auch hierüber giebt uns Streckfuss einige interessante Notizen aus früherer Zeit. Es heisst dort: „Erst im Jahre 1803 war das Erleuchtungswesen regel- mässig geordnet worden. Ganz Berlin erhielt eine Beleuchtung, während vorher in den meisten Strassen fast vollständige Dunkelheit geherrscht hatte. Es wurden grosse Laternen mit Reverberen und jede mit zwei Lampen aufgestellt.“ „Eine besonders dazu errichtete Erleuchtungs-Invaliden- Compagnie von 60 Mann mit einem Feldwebel und 5 Unter- officieren besorgte, unter der Oberaufsicht eines Officiers, das Anstecken und Reinigen der Lampen. Die Compagnie zeichnete sich durch eine eigene Uniform, blaue Jacken mit dunkelrothem Kragen, braune, lange Beinkleider, kurze Stiefel und runde Hüte mit einem Schilde aus.“ „Die jährliche Erleuchtung Berlins kostete über 38 000 Thlr., wozu der König 22 853 Thlr. angewiesen hatte.“ 2* „Nur in den Hauptstrassen waren Laternen in genügender Zahl angebracht, in den Nebenstrassen aber so vereinzelt, dass sie mehr dazu beitrugen, die Augen zu blenden, als die Strassen zu erleuchten; sie wurden ausserdem mit so wenig Oel versehen, dass sie spätestens gegen 12 Uhr in der Nacht erloschen. Wer dann durch die Strassen wandern wollte, musste sich mit einer eigenen Laterne versehen, wenn er nicht in Gefahr gerathen wollte, übergefahren zu werden oder in die tiefen Rinnsteine und Schmutzlöcher zu stürzen.“ „Am 21. April 1825 schloss das Ministerium des Innern und der Polizei mit einer englischen Gesellschaft einen Vertrag, durch welchen diese sich verpflichtete, den grössten Theil der innerhalb der Ringmauern Berlins belegenen Strassen und Plätze durch Gas zu erleuchten.“ „Nach diesem Vertrage belief sich die Zahl der auf- zustellenden Laternen im Ganzen auf 2719, von denen 1789 durch Gas, 930 mit Oel erleuchtet werden sollten. „Am 19. September 1826 strahlten unter den Linden die ersten Gasflammen ihr Licht aus, und damals glaubten die Berliner, als sie in dichten Schaaren von den Linden bis zur Schlossbrücke auf und ab wandelten und die prächtigen Gas- flammen anstaunten, es sei etwas Rechtes geschehen.“ Da bald darauf aber die durch die Gesellschaft her- gestellte Beleuchtung den Anforderungen der Behörden nicht entsprach, wurde die Stadtverwaltung von der Regierung aufgefordert, nach Ablauf des Vertrages die Strassenbeleuchtung am 1. Januar 1847 selbst zu übernehmen. Dieses geschieht. Die Gesellschaft behielt das Recht gemäss ihrem Vertrage in denjenigen Strassen, in welchen sie am 1. Januar 1847 Leitungen liegen hatte, auch fernerhin Gas an Private zu verkaufen, und sie übt dieses Recht heute noch aus, indem sie drei Gasanstalten im Betrieb hat. Die Stadt baute in den Jahren 1845—47 zwei Gasanstalten und zwei Gasbehälteranstalten. Als die Stadt den Betrieb der Beleuchtung übernahm, brannten 1863 Gasflammen und 1067 Oellampen. Im Jahre 1849 nach Fertigstellung der Beleuchtungseinrichtung brannten 3216 Gasflammen und 46 Oellampen. Die Länge der Gasleitungen betrug insgesamt 180 km. Im Jahre 1864 wurden die wenigen vorhandenen Oel- lampen durch Petroleumlampen ersetzt Die Verwendung elektrischer Lampen hatte in dem Gas- fach Bestrebungen angeregt, durch Benutzung grösserer Gas- flammen grössere Lichtstärke zu erzielen; ein erster Versuch fand auf dem Pariser Platz am 1. August 1881 mit 74 grossen Gasbrennern statt. Mit Anwendung des elektrischen Lichtes wurde ein erster Versuch durch die Firma Siemens u. Halske am 11. Aug. 1880 und zwar mit 4 Lampen auf dem Pariser Platz an- gestellt. Im Herbst 1882 wurden der Potsdamer Platz und die Leipziger Strasse durch 36 elektrische Bogenlampen er- leuchtet. Der Betrieb erfolgte anfangs durch Siemens u. Halske, sodann von 1886 an durch dle Berliner Elektricitäts- werke. — Kosten 29 000 ℳ jährlich. Am 31. August 1888 trat die Beleuchtung der Linden durch 104 Bogenlampen ein. Kosten hierfür 96 000 ℳ jährlich. Im technischen Sinn wird die Canalisation, deren ich schon Erwähnung gethan, erst durch das Vorhandensein einer Wasserleitung ermöglicht. Entstehen und Fortschritt derselben darf daher hier nicht unbeachtet bleiben. Auch hier erlaube ich mir den Inhalt einer Bekannt- machung des Königl. Pol.-Präs. vom 15. März 1836, welche für die damaligen Zustände bezeichnend ist, voranzuschicken: Polizeiliche Bekanntmachung. Die Bestimmung der hiesigen Feuerordnung, nach welcher bei ausbrechendem Feuer die Bewohner der Nachbarschaft verpflichtet sind, mit Wasser gefüllte Zober und Tienen vor die Hausthüren zu stellen, und wenn der Brand abends oder nachts ausbricht, in der nächsten Umgebung der Brandstelle brennende Lichte an die strassenwärts gelegenen Fenster zu stellen, werden hierdurch usw. in Erinnerung gebracht. Berlin, 15. III. 1836. Königl. Pol.-Präsid. Gerlach . In Bezug auf die Gewinnung von gutem Trink- und Verbrauchswasser befand sich Berlin bis in die Mitte unseres Jahrhunderts hinein, infolge seiner Bodenbeschaffenheit vor vielen anderen Städten Europas in überaus günstiger Lage, indem es in seinem Grundwasser eine durch eine grosse An- zahl von Hof- und Strassenbrunnen erschlossene sehr ergiebige Quelle besass. Die allmähliche Verschlechterung des Brunnenwassers, verbunden mit dem sich von Jahr zu Jahr steigenden Be- dürfnisse, den Inhalt der tiefen Rinnsteine und Zungenrinn- steine durch kräftige Wasserspülung zu beseitigen, liess be- reits mit dem Beginn des uns beschäftigenden Zeitabschnittes die Frage über die Anlage einer künstlichen Wasserver- sorgung der Stadt in lebhaften Schwung kommen. Die dar- über geführten Verhandlungen und Berathungen führten aber erst im Jahre 1852 zu einem Ziel, indem der damalige Polizei-Präsident von Hinkeldey mit einem englischen Con- sortium einen Vertrag über das Unternehmen, Berlin mit fliessendem Wasser zu versehen, abschloss. Es gelang im Frühjahr 1856 auf dem vor dem Stralauer Thor zu einem Pumpwerk und einer Filteranlage hergerichteten Grundstücke den Betrieb zu eröffnen. Das Anlagecapital, anfänglich auf 1 Million Thaler geschätzt, musste nach und nach auf 4 000 000 Thaler erhöht worden. Die Erträgnisse des Werkes waren zunächst mehr als unbedeutende; erst vom Jahre 1861 an war es imstande, eine Dividende von 1 v. H. abzuwerfen, die sich dann allerdings bis zum Jahre 1872 auf 11¼ v. H. steigerte. Da in Bezug auf die Spülung der Rinnsteine und auch in sonstiger Beziehung die englische Gesellschaft den über- nommenen Verpflichtungeu nicht nachkam, ja nicht nach- kommen konnte, so entschloss sich die Stadtgemeinde im Jahre 1873, das ganze Werk mit sämtlichem Zubehör und Leitungen für den Preis von 8 375 000 Mark zu erwerben und in eigene Verwaltung zu übernehmen. Im Jahre 1874 wurden die Mittel zur Anlegung einer grossartigen Schöpf- und Brunnenanlage an dem Wasserbecken des Tegeler Sees, deren Gesamtkosten auf 19 934 000 Mark veranschlagt waren, zunächst in Höhe von 12 600 000 Mark bewilligt. Die Grösse des neuen Werkes war auf die Zunahme der Einwohnerschaft bis zu 1 Million berechnet und das zu beschaffende Wasser- quantum auf 1000 Secunden/Liter festgesetzt. Die Eröffnung des Tegeler Werkes, zunächst zur Hälfte, erfolgte anno 1877. Die Gesamtanlage der Tegeler Wasserwerke, wie sie in dem Entwurfe von 1874 den städtischen Behörden unterbreitet worden war, wurde in den Jahren 1886 bis 1888 zum Ab- schluss gebracht; es war dadureh die Möglichkeit gegeben, die Stadt Berlin in einem Zeitraum von 24 Stunden mit 86 400 cbm durch Sandfilter gereinigten Wassers zu versehen. Indessen vor und während des Baues war man sich schon darüber klar, dass die in Ausführung begriffenen Werke nicht genügten, den Wasserbedarf der Stadt über das Jahr 1888 hinaus zu decken. Eingehende Erhebungen liessen den süd- östlich von Berlin belegenen Müggelsee als die geeignetste Schöpfquelle erkennen. Das im Frühjahr 1888 durch die städtischen Behörden für eine Wasserwerksanlage am Müggel- see genehmigte Project sieht eine Entnahme von in maximo 2 cbm in der Secunde aus dem Müggelsee vor, sodass voll- ständig ausgeführt die neuen Werke in 24 Stunden 172 800 cbm filtrirten Wassers, und die Anlagen in Tegel und am Müggel- see zusammen 259 000 cbm Wasser pro 24 Stunden nach Berlin zu liefern imstande sein würden, und somit nach den bisherigen Erfahrungen der Bedarf von 2½ Millionen Ein- wohnern gedeckt werden könnte. Die hierfür erforderlichen Aufwendungen beziffern sich überschläglich auf 20 Millionen Mark, sodass nach Fertig- stellung der jetzt im Bau begriffenen Anlagen, deren Betriebs- eröffnung im Laufe des Jahres bevorsteht, die von der Stadt- gemeinde für die Versorgung Berlins mit reinem Wasser an- gekauften bezw. neu angelegten Werke einen Kostenaufwand von mindestens etwa 48 000 000 Mark erfordert haben. Die Entwicklung der Chausseen in der Umgegend von Berlin war im allgemeinen, obwohl diese Art der Kunst- strassen lange bekannt und anderweitig viel angewendet war, eine langsame. Die Verbindung der Hauptstadt mit den Provinzen und mit den übrigen deutschen Staaten sowie dem Auslande wurde bis in das vierte Jahrzehnt des neunzehnten Jahr- hunderts hinein allein durch die Landstrassen gebildet. Dieselben waren, wenigstens in der näheren Umgebung Berlins, bis gegen das Ende des 18. Jahrhunderts unbefestigt; erst um 1790 herum wurden auf Befehl Königs Friedrich Wilhelm II. die von Berlin nach Potsdam und Charlotten- burg führenden Strassen kunstmässig befestigt und 1799 wurde auf Veranlassung Friedrich Wilhelms III. ein Rescript er- lassen, das die Absicht aussprach, die Hauptstrassen um Berlin herum auf die Länge einer Meile chaussiren zu lassen. In der That wurden nach diesem Erlass die Frankfurter Chaussee bis Friedrichsfelde , die Tegeler Chaussee bis zum 1. Meilenstein und die nach Freienwalde führende Strasse nach Weissensee in der Zeit von 1800—1803 mit chausseemässiger Befestigung versehen; aber die Kriegsunruhen, welche von da ab ganz Europa erschüt- terten, unterbrachen das eben begonnene Werk vollständig, und die Erschöpfung, welche nach Beendigung der Kriegs- jahre auf dem preussischen Staate, ganz besonders auf der Provinz Brandenburg und der Stadt Berlin lastete, liess auf eine grosse Reihe von Jahren hinaus an eine Wiederaufnahme der Arbeiten nicht denken. Der Gedanke, Berlin mit den ihn umgebenden Orten durch chaussirte Strassen zu verbinden, wurde zuerst von den dabei am meisten interessirten benachbarten Gemeinden ländlicher und städtischer Art, grösseren und kleineren Grund- bssitzern u. s. w. aufgenommen, welche bemüht waren, in Form von Actien das Capital zum Ausbau der Strassen auf- zubringen, während dasselbe aus den von den Chausseen zu erwartenden Einnahmen verzinst und amortisirt werden sollte. Die Stadt Berlin wurde hierbei nicht selten von den sich bildenden Vereinen um Unterstützung bezw. Betheiligung angegangen. Uebrigens waren die genannten Bestrebungen keines- weges von leichtem oder raschem Erfolg gekrönt. Nur bei einem einzigen Unternehmen, welches die Chaussee vor dem Schönhauser und Prenzlauer Thore (nach Pankow und Fran- zösisch-Buchholz) betraf, glückte es im Jahre 1825, nach fünfjähriger Bemühung, das erforderliche Capital zusammen- zubringen und die Befestigung der Strassen im Sommer des gedachten Jahres zu vollenden. Bei anderen Landstrassen ist es erst nach dreissig- und vierzigjährigen Anstrengungen gelungen, das gewünschte Ziel zu erreichen, so beispiels- weise bei der Landsberger Chaussee (vom Landsberger Thor über Alt-Landsberg nach Proetzel ), bei welcher die im Jahre 1821 eingeleiteten Verhandlungen erst im Jahre 1852 zum Abschluss gediehen, so die Chaussee vom Rosen- thaler Thor nach Reinickendorf , zu deren Anlage be- reits im Jahre 1822 die staatliche Genehmigung ertheilt wurde, die aber erst in den Jahren 1848/49 durch die Stadt unter Gewährung eines Staatszuschusses zur Ausführung gelangte. Die im Jahre 1860 von der Stadtgemeinde Berlin zu unterhaltenden Chausseen und chaussirten Strassen besassen eine Längenausdehnung von etwa 21 500 m, im Jahre 1877 von 26 700 m. Infolge des unter dem 8. Juli 1875 publicirten Gesetzes über die Dotation der Provincial- und Kreisverbände, dem- zufolge die Stadt Berlin die bisher von der Königlichen Ministerial-Baucommission unterhaltenen Landstrassen und die Chaussee im Thiergarten gegen eine jährlich zu zahlende Rente in Höhe von 235 315 ℳ zu übernehmen gehalten war, hob sich der Gesamtbestand der von der Commune Berlin zu unterhaltenden Chausseen und chaussirten Strassen auf eine Länge von 70 600 m. Unter Berücksichtigung der inzwischen bewirkten Pflaste- rungen mit Steinen und Asphalt betrug die Länge der als Chausseen noch zu unterhaltenden Strassen am 1. April 1892: 67 540 m mit 407 500 qm befestigter Fahrbahn. Die für diese Art der Strassenunterhaltung aufgewen- deten Kosten haben in den Jahren vom 1. April 1877 bis 1. April 1892 sich beziffert auf: rot. 5 029 000 ℳ, oder auf rot. 335 300 ℳ jährlich, während bis dahin die jährlich für Unterhaltung der Chausseen aufzubringende Ausgabe etwa 55 000 ℳ betragen hat. Nachdem ich in Vorgesagtem die Verkehrs strassen und - wege skizzirt, glaube ich nunmehr zu den Beförderungs- mitteln übergehen zu dürfen; unter diesen stehen, auch der Zeit nach, Droschken und Omnibusse obenan. Auch hier sei mir gegönnt, zunächst Artikel der Vossi- schen Zeitung aus früheren Jahren anführen zu dürfen, welche die damaligen Zustände aufs beste illustriren. Ueber die Droschken , welche in besserer Gestalt damals wohl zuerst eingeführt wurden, heisst es dort unter dem 27. 1. 37.: „Es scheint daher, dass für die öffentlichen Fuhrwerke im Innern der Stadt ebenfalls keine weitere Beschränkung vonseiten der Behörde nöthig sein dürfte als diejenige, welche seither bei den Wagen beobachtet wurde, die sich an den Thoren Berlins aufstellen. Man lasse jeden Wagenbesitzer, gleichviel ob er einen oder mehrere Wagen aufzustellen hat, nach Ablauf des Droschkenprivilegii zu jeder Zeit zu; man schreibe keine Taxe vor usw.“ Ein Artikel über die Einrichtung von Omnibussen vom 3. 3. 37 lautet: „Dem in dieser Zeitung Nr. 48 enthaltenen Aufsatze, welcher die Veranstaltung von Gesamt-Fuhrwerken für das berlinsche Publicum betrifft, muss in der Hauptsache völlig beigestimmt werden, dass die Einrichtung solcher Personen- Fuhrwerke wünschenswerther und besser sei, die zu bestimm- ten Zeitpunkten gewisse am meisten belaufene Strassen un- fehlbar durchfahren, und für eine billigst zu bestimmende Bezahlung die Fahrlustigen an zu bestimmenden Orten auf- nehmen und absetzen müssen. Wie es scheint, wird aber dieser Zweck nur auf die nachfolgend angegebene Weise erreicht werden können. 1) Nach Verhältniss der Durch- kreuzungen, in welchen das Durchschneiden Berlins von den nöthig scheinenden Strassen für das in Rede stehende Personen- Fuhrwerk erforderlich gehalten werden wird, müssen 1, 2 oder sogar 3 Central-Bureaus eingerichtet werden, deren Standpunkte am besten in der Mitte der anzuordnenden Durchschnitt-Linie sein wird. 2) An jedem Ende dieser Durchschnitt-Linien erhält eine Personen-Fahranstalt ihren Standpunkt angewiesen und fährt das Publicum nur nach dem betreffenden Centralpunkte hin, wo der von der andern Seite entgegenkommende Personenwagen diejenigen aufnimmt, die dorthin weiter fahren wollen, während die von entgegen- gesetzter Seite gekommenen und weiter verlangenden Personen des Behufs den erst gedachten Wagen besteigen. 3) Auf der etwa 3 oder 4000 Schritt langen Strecke bis zum betreffenden Central-Bureau werden auf jede — circa 1000 Schritt ent- haltende — Entfernung Halt-Plätze bestimmt. (Jeder dieser Zwischenräume wird wahrscheinlich mit ½ Sgr. zureichend bezahlt werden, sodass die Fahrt durch ganz Berlin oder z. B. von Tivoli bis zum Invalidenhause 6 Sgr. kosten würde.) 6) Die Central-Bureaus haben keine Geldeinnahme und keine Sorge für die Fuhrwerks-Beschaffung, sondern nur die Auf- sicht über die zu beobachtende Ordnung, wobei ihnen Gens- darmen zu Hülfe gegeben werden können.“ Im Laufe des Sommers 1837 scheint nun auch ein erheblicher Fortschritt in dem Droschkenfuhrwesen eingetreten zu sein, den uns ein Artikel der Vossischen Zeitung vom 3. October 1837 folgendermassen schildert: „Wer seit Sonntag, wo die neuen Droschken fahren, noch einen Unterschied zwischen Berlin und London findet, muss ebenso unpratriotisch als parteiisch sein. Wer hat nicht über das Gewühl der Wagen und derer, die fahren wollten, er- staunen müssen? Es war nicht heiss, nicht kalt, kein Sonnen- brand, kein Regen, unsere alten Droschken hätten zu Dutzen- den gestanden und sich todt ennuyirt, aber die neuen! Das war eine andere Welt, wie rasselten und fuhren die durch alle Strassen, alle Wege des Thiergartens! Wie Hühner, denen man das Futter ausstreut, eilten die Berliner von allen Seiten zusammen, wo sich eine neue Droschke leer erblicken liess, und wollten hinein. —“ „Kritiker gab es auch, und einer liess sich so vernehmen: Wenn das Droschken sind, was sind denn jetzt Chaisen? Man wird ja zuletzt ganz dumm gemacht!“ — „Blöde waren indessen die Berliner nicht mit Einsteigen. Der Punkt von den gratis mitzunehmenden Kindern unter zwölf Jahren hatte ihnen besonders in der Ankündigung ge- gefallen. Die Kinderköpfe guckten aus den Droschken wie auf Raphaels Bildern die Engelsköpfchen aus den Wolken. Eine Dame kam mit ihrer ganzen Pensionsanstalt, sieben Mann weiblichen Geschlechts hoch, und verlangte für eine Person zu fahren und alle sieben Passagiere unter zwölf Jahren gratis mitzunehmen. Der Kutscher sträubte sich, doch sie hatte das Zeitungsblatt in der Hand und bewies ihr Recht. Es war ein curioser Rechtshandel.“ Im Jahre 1837 waren 130 Droschken „ „ 1860 „ 1000 „ „ „ 1876 „ 4242 „ „ „ 1888 „ 4695 „ „ „ 1891 „ 5600 „ in Berlin. 1846 existirte ein Omnibusverkehr auf 5 Linien mit 20 Wagen. 1860 „ „ „ „ 13 „ „ 47 „ 1864 „ „ „ „ 39 „ „ 393 „ 1865 „ „ „ „ 36 „ „ 305 „ 1866 „ „ „ „ 25 „ „ 192 „ 1876 „ „ „ „ 16 „ „ 177 „ 1885 „ „ „ „ — „ „ 138 „ 1891 „ „ „ „ — „ „ 255 „ Befördert wurden anno 1891 28 Mill. Personen. Als erste Pferdebahn wurde im Jahre 1865 am 25. August die Berlin-Charlottenburger Pferdebahn mit 20 Wagen eröffnet. Bis 1873 blieb diese die einzige Pferdebahn. 1872 erhielt die „Grosse Berliner Pferdebahn-Actiengesellschaft“ die Con- cession für den Ausbau des Pferdebahnnetzes. Am 8. Juli 1873 fand die Eröffnung der ersten von dieser Gesellschaft gebauten Strecke statt. 1873 waren im Betrieb 22 Wagen auf 12 000 m Gleis, 1876 „ „ „ 196 „ „ 90 000 „ „ 1881 „ „ „ 558 „ „ 172 000 „ „ 1888 „ „ „ 966 „ „ 285 000 „ „ 1891 „ „ „ 1220 „ „ 312 000 „ „ auf denen im letztgenannten Jahr 145 Mill. Personen beför- dert wurden. Es existiren jetzt in Berlin 3 Pferdebahn-Actien-Gesell- schaften: 1. die Berlin-Charlottenburger Pferdeeisenbahn-Gesellschaft, 2. „ Grosse Berliner „ „ „ 3. „ Neue Berliner „ „ „ Dampfstrassenbahnen innerhalb des Weichbildes von Berlin sind nicht vorhanden, dagegen führen vom Westen Berlins Dampf- strassenbahnen nach dem Grunewald (seit 1885) und nach Wilmersdorf und Steglitz (seit 1888). Der Personenverkehr nach den an der Spree belegenen Vororten wird ausserdem noch durch Personendampfer bewirkt, und zwar von der Spree-Havel-Dampfschiffahrtsgesellschaft Stern. Diese, 1888 gegründet, erwarb die der Stralauer Dampfschiffahrtsgesellschaft sowie der Berliner Dampfschiff- fahrtsgesellschaft gehörenden Personendampfer. Im Jahre 1891 hat sie vermittelst 33 Dampfer 446 000 Personen be- fördert. Ich gehe nunmehr zu dem wichtigsten Verkehrsmittel, zu den Eisenbahnen , über. Auch hier liess sich zunächst die öffentliche Meinung mit der bekannten Sicherheit zur Sache vernehmen. In dem Preussischen Bürgerblatt Nr. 38 vom Jahre 1835 heisst es: „Zuletzt ist für Eisenbahnen erforderlich, dass sie gerade sind. Sie können nicht um Ecken herumgeführt, oder auch nur im Bogen angelegt werden, indem sonst die Wagen durch die Schnelligkeit ihres Laufes bei der Krümmung aus der Bahn hinausgeschleudert werden würden.“ Ferner in der Cameralistischen Zeitung Nr. 24 vom Jahre 1837: „Wir wollen auch hierin einige Andeutungen folgen lassen, die bei dem Ankauf von Actien nicht ohne Nutzen sein dürften.“ „Je kürzer die Bahn, desto sicherer der Gewinn, usw.“ „ Eine Eigenthümlichkeit der Eisenbahnen ist noch die, dass nur die Personenfrequenz Gewinn bringt, und der Waarentransport wenig berücksichtigt werden darf . Hiergegen ist nicht zu streiten, da dieser Satz durch eine mehrfältige Erfahrung in England bereits dargethan ist, und auch in Deutschland, die Bahn von Linz nach Budweiss in Böhmen, auf welcher nur wenige Personen fahren, bis jetzt nur Deficit gebracht hat.“ Wie beschränkt der Verkehr auf den ersten Bahnen sich gestaltete, und welche Besorgnisse man in Bezug auf den Verkehr hatte, geht daraus hervor, dass der Betrieb bei Nacht untersagt war; in der Vossischen Zeitung vom 25. Februar 1839 lesen wir unter Berlin : „Sicherem Vernehmen nach erwartet die Direction der Berlin-Potsdamer Eisenbahn-Gesellschaft, auf ihr Gesuch vom 25. v. Mts. die höhere Erlaubniss zur Einrichtung von Fahrten im Dunkeln mit Pferden . Nach erlangter Erlaubniss wird beabsichtigt, zunächst morgens vor Abgang der Dampf- fahrten, einmal, und abends zweimal, von jeder der zwei Residenzstädte aus, mit Pferden zu fahren. — Die Beförderung soll auch mit Pferden, nach einem dieserhalb contractlich gesicherten Verhältnisse, bei zweimaligem Relais, in 1½ Stunden, und also fast eben so rasch als durch Dampffahrten im Dunkeln stattfinden.“ Des Ferneren lesen wir in der Vossischen Zeitung vom 22. Juni 1839 folgende Bekanntmachungen (Billetverkauf): „Zu den Steglitzer Fahrten erfolgt der Billetverkauf eine Stunde vor der Abfahrt auf dem Vorplatz links am Bahnhofe in der Hirschelstrasse, sowohl für die Hin- als Rückfahrt, und wird darauf aufmerksam gemacht, sich für letztere die Billets gleich mit zu besorgen, da in Steglitz keine Casse befindlich ist .“ In der ersten Zeit des Eisenbahnbetriebes der Berlin- Potsdamer Bahn waren nämlich Billets am Bahnhof überhaupt nicht zu verkaufen, vielmehr nur in der Gropiusschen Buch- handlung. Die Vossische Zeitung vom 27. September 1839 enthält folgende Bekanntmachung: Direction der Berlin-Potsdamer Eisenbahn- Gesellschaft . Berlin , 26. September 1839. „Da die jedesmalige Heizung einer kleinen Locomotive nicht viel mehr kostet, als wir bisher für ein Pferd pro Fahrt bezahlten, so fallen künftig die Fahrten mit Pferden ganz weg.“ Als Beweis der verschiedenartigen Besorgnisse sei folgender Stadtverordnetenbeschluss, Berlin, 19. November 1840, angeführt: „Der Stadtverordnete Herr Denant hat in einer uns über- reichten Vorstellung auf die nachtheiligen Folgen aufmerksam gemacht, welche für das hiesige Publicum rücksichts der Holzpreise daraus entstehen können, dass die Eisenbahn- gesellschaften die Heizung mit Steinkohlen und Coacs auf- geben und dafür die Holzfeuerung gewählt haben. Wir halten diesen Gegenstand der Beachtung sehr werth, und indem wir uns beehren, Einem Hochedlen Magistrat Ab- schrift jener Vorstellung zu übersenden, ersuchen wir er- gebenst, solche einer Berathung gefälligst unterwerfen und die Frage erörtern zu wollen, was zur Abwendung der ge- fürchteten Nachtheile sich etwa seitens der Communalbehörden thun lasse. Stadtverordnete zu Berlin. gez. Desselmann. L. Becker . An Einen Hochedlen Magistrat hiesiger Residenz. Diese Frage beschäftigt längere Zeit den Magistrat und wird endlich durch ein 30 Seiten langes Gutachten des Stadt- raths Risch erledigt, der empfiehlt, keine Massregeln zu ergreifen. Nachdem die Neugierde des Publicums in Hinsicht auf die Eisenbahnen befriedigt war, scheint der Verkehr abge- nommen zu haben: Die Vossische Zeitung vom 6. Januar 1843 schreibt: Auf der Berlin-Potsdamer Eisenbahn sind gefahren: 1839. 664 828 Personen. Einnahme 178 108 Thlr. 1840. 660 162 „ „ 174 935 „ 1841. 579 481 „ „ 157 958 „ 1842. 500 906 „ „ 145 490 „ Für den Strassen-Verkehr führten zunächst die zahl- reichen Niveau-Uebergänge der Eisenbahnen mancherlei Be- lästigungen mit sich. In dem Bericht über die Gemeinde-Verwaltung der Stadt Berlin in den Jahren 1861 bis 1876 heisst es: Die Polizeibehörde versuchte, die Stockungen des Strassen- verkehrs auf ein bestimmtes Zeitmass einzuschränken, indem sie für die Berlin-Potsdam-Magdeburger und Anhalter Eisen- bahn bestimmte, dass ausserhalb des fahrplanmässigen Be- triebes die Sperrung der beiden Uferstrasseu des Landwehr- canals in der Regel nicht öfter als viermal in der Stunde stattfinden, dass keine Sperrung länger als 7 Minuten dauern dürfe und zwischen je zwei Sperrungen mindestens ein Zeit- raum von 5 Minuten liegen müsse. Erst im Jahre 1867 trat eine Besserung dadurch ein, dass die beiden Bahnverwaltungen sich damit einverstanden erklärten, die in dem oben angeführten Regulativ auf 7 Mi- nuten bemessene Sperrungsdauer auf 4 Minuten herabzusetzen. Ein weiteres war nicht zu erreichen. Erst die Verhandlungen aus Veranlassung der für den Potsdamer sowohl als für den Anhalter Bahnhof projectirten Erweiterungsbauten gaben die Möglichkeit, so viel zu erreichen, dass die Gesellschaften sich verpflichteten, die Niveaukreuzungen am Schöneberger und Tempelhofer Ufer in Unterführungen der Strassen umzu- wandeln. Diese Verpflichtung ist in den Jahren 1870/71 bezw. im Jahre 1879 erfüllt worden. Auch bei der Stettiner Bahn mussten die Züge behufs Rangirens über das ursprüngliche Bahnhofsterrain hinaus- gehen und zu diesem Zwecke wurde dann die Strassenkreu- zung an der Liesenstrasse für den Verkehr geschlossen. Im Jahre 1876 entschlossen sich die Staatsbehörden, von der Bahngesellschaft eine solche Umgestaltung der Gleise zu verlangen, dass das Rangiren der Züge auf dem Niveau- übergange gänzlich beseitigt würde. Bei den in neuerer Zeit angelegten Bahnen: der Ost- bahn, der Görlitzer, der Berlin-Lehrter, der Dresdener, sind Niveaukreuzungen von Hause aus vermieden worden. Die in den Jahren 1850 und 1851 hergestellte, jetzt beseitigte Verbindungsbahn, welche den Stettiner mit dem Hamburger, dem Potsdamer, dem Anhaltischen und dem Bahnhofe der Niederschlesisch-Märkischen Eisenbahn verband, war fast in ihrer ganzen Ausdehnung in den Strassendamm bestehender, zum Theil sehr frequenter Strassen eingelegt, so- dass sie Strassen, wie die Invalidenstrasse, den Platz vor dem Brandenburger Thore, den Potsdamer und den Askanischen Platz für einen grossen Theil des Tages und der Nacht ihrer eigentlichen Bestimmung entziehen musste. Beschwerden wurden abschlägig beschieden; ein solcher Bescheid war folgendermassen motivirt: „Auch die seiner Zeit ausserhalb der Stadt angelegten Bahnhöfe liegen bereits im Innern der Stadt und mit ihnen einige nicht unbedeutende Strecken der einmündenden Eisenbahnen. Bei der fort- schreitenden Ausdehnung Berlins wird dies noch in weit 3 höherem Masse stattfinden, der Strassen- und Bahnverkehr auf langen Strecken nebeneinander herlaufen, und der letztere damit das Fremdartige, wie den Anschein des Gefährlichen verlieren, welcher jetzt noch so häufig den Wunsch, ihn von den Strassen entfernt zu sehen, hervorruft.“ Doch schon nach Jahresfrist anerkannten die Staats- behörden selbst die Unmöglichkeit des Fortbestehens dieser Verbindungsbahn und beschlossen, dieselbe in ihrer ganzen Ausdehnung nach der Peripherie des städtischen Weich- bildes hinauszulegen und derselben eine solche Richtung und Höhenlage zu geben, dass Niveaukreuzungen möglichst ver- mieden würden. Das Gesetz vom 9. März 1867 genehmigte den Bau dieser neuen Verbindungsbahn. Sie ist am 17. Juli 1871 eröffnet, sodass an diesem Tage der Verkehr auf den Strassen Berlins von einer Fessel befreit wurde, die ihm zwanzig Jahre hindurch einige seiner Hauptadern auf die empfindlichste Weise unterbunden hatte. In Bezug auf die Eisenbahnen selbst sind folgende Daten zu bemerken: Am 30. October 1838 Berlin-Potsdamer Bahn eröffnet; 1846 bis Magdeburg verlängert. 1870—72 Umbau des Pots- damer Bahnhofs, Hochlegung des Bahnhofs und Ueberführung über die Uferstrassen am Landwehrcanal. Am 10. September 1841 Sächsische (Anhalter) Bahn eröffnet; 1879 Bahnhof umgebaut und höher gelegt. Ueber- führung der Gleise über die Canalstrassen bewirkt. Am 30. Juli 1842 Stettiner Bahn eröffnet; Bahnhofs- umbau 1879. Ueberführung der Gleise bezw. Unterführung der Acker- und Gartenstrasse 1891/92. Am 23. October 1842 Niederschlesisch-Märkische Bahn eröffnet. Am 15. December 1846 Hamburger Bahn eröffnet. Am 31. December 1867 Berlin-Görlitzer Bahn er- öffnet. Am 1. October 1867 Ostbahnanschluss nach Berlin fertiggestellt; 1846 war schon mit dem Bau als erste auf Staatskosten gebaute Bahn begonnen. Am 1. November 1871 Lehrter Bahn eröffnet. 1875. Berlin-Dresdner Bahn und Berliner Nord- bahn eröffnet. 1850/51. Alte Berliner Ringbahn gebaut. Am 17. Juni 1871 Neue Ringbahn eröffnet und die alte Ringbahn cassirt. Am 7. Februar 1882 Stadtbahn eröffnet. Eine bedeutende Umwälzung hat die Stadtbahn im Fern- verkehr bewirkt. Der Ostbahnhof ist ganz eingegangen, die Züge wurden auf die Stadtbahn geführt. Der Niederschlesisch- Märkische Bahnhof wurde in den Schlesischen Bahnhof um- gebaut. Die Schnellzüge der Lehrter, Hamburger und Pots- damer Bahn wurden auf die Stadtbahn geführt. — Neuerdings sind einzelne dieser Massregeln rückgängig gemacht wegen Ueberlastung der Stadtbahn. Nach Inbetriebsetzung der Stadtbahn sind der Bahnhof Thiergarten und Bahnhof Warschauer Strasse gebaut, auch der Bahnhof Zoologischer Garten in einen Fernbahnhof um- gebaut. Ueber den colossalen Verkehr auf den Eisenbahnen stehen mir im einzelnen Zahlen nicht zu Gebote, nur den Ver- kehr auf der Stadtbahn habe ich 1888 mit 22 Millionen Personen und 1891 mit 47 Millionen Personen (Stadt- und Ringbahn einschl. Grunewald) angegeben gefunden. Neben den in Berlin mündenden Landstrassen bildete die Spree und ihre Verzweigungen mit den Flussgebieten der Oder und der Elbe die Hauptverbindung mit den östlichen Provinzen und der Nord- und Ostsee. Seit Menschen Gedenken spaltete der Strom sich vor seinem Eintritt in das alte Stadtgebiet von Berlin und Kölln in zwei Arme, die sich nach kurzem Laufe von etwa 1500 m wieder vereinigten. Der nördliche war durch ein mit einer Mühlenanlage verbundenes Stauwerk der Schiffahrt ver- schlossen, während der südliche, der sogenannte Schleusen- canal, welcher mit einer um 1450 errichteten, im Laufe der Zeit mehrfach umgebauten Schleuse versehen ist, bis in die Mitte dieses Jahrhunderts hinein die einzige Schiffahrtsver- bindung zwischen Ober- und Unterspree, und so zwischen Elbe und Oder geblieben ist. Diesem unscheinbaren, häufig in seiner Bedeutung ver- kannten und namentlich von Nichtberlinern belächelten Fluss verdankt die Hauptstadt des deutschen Reiches nicht zum kleinsten Theile ihr Wachsthum und ihre Blüthe. Die Zahl der auf der Spree innerhalb Berlins verkehren- den Fahrzeuge belief sich im Jahre 1804 auf etwa 24 700 Stück oder bei etwa 182 000 Einwohnern auf 13,5 Stück pro 100 Ein- wohner und im Jahre 1840 auf etwa 48 350 Stück oder bei etwa 328 700 Einwohnern auf 14,7 Stück pro 100 Einwohner. Im Jahre 1845 wurde mit dem Bau des etwa 10,3 km langen Schiffahrtscanals begonnen, welcher auf der Südseite der Stadt oberhalb des Oberbaumes mittels einer Schiffsschleuse und Freiarche sich abzweigte, und, indem er im allgemeinen dem Lauf des alten Landwehrgrabens folgte, sich unmittelbar oberhalb Charlottenburgs ebenfalls mittels Schiffsschleuse und Freiarche mit der Unterspree wieder vereinigte. Zwischen der Potsdamer und Anhaltischen Eisenbahn wurde dieser Canal mit einem Hafen für etwa 35 Schiffe aus- gestattet. Diese Anlagen waren 1850 vollendet. Noch während der Ausführung des Landwehrcanales wurde der sogenannte Spandauer Schiffahrtscanal, welcher oberhalb Spandau in das Oberwasser der Havel mündet, be- gonnen und bis zum Jahre 1859 beendet. Unmittelbar an seinem Austritte aus der Spree erhielt der neue Wasserweg eine zu einer Hafenanlage für 40 Schiffe, dem Humboldt- Hafen, ausgebildete Erweiterung, der in Entfernung von etwa 1200 m eine zweite derartige etwa gleich grosse An- lage, der Nordhafen, folgte. Im Jahre 1882 stellte die Königliche Staatsregierung eine Erweiterung des Landwehrcanales her, indem sie die flachen Erdböschungen durch schwach geneigte Revetementsmauern ersetzte und so Raum für vier nebeneinander liegende bezw. aneinander vorbeifahrende Fahrzeuge schaffte. Im Jahre 1879 war die Königliche Staatsregierung daran- gegangen, unter Zustimmung des Landtages die Märkischen Wasserstrassen zu erweitern und insbesondere durch die Regu- lirung der Spree unterhalb Charlottenburgs grösseren Kähnen von 8—10 000 Ctr. Tragfähigkeit den Weg ins Innere der Stadt Berlin bis zum Neuen Packhof zu öffnen; sie hatte sich dann ferner im Jahre 1886 durch den Landtag einen Credit in Höhe von 12 600 000 ℳ bewilligen lassen, um durch Her- stellung des Oder-Spree-Canales die Schiffsverbindung von der Oder nach der Oberspree auch für Fahrzeuge grössester Abmessung nutzbar zu machen. Aber trotzdem war durch diese grossartigen Bauanlagen jenen noch immer nicht die Möglichkeit gewährt, aus der Oberspree in die Unterspree und umgekehrt zu gelangen, und die dem äusserst wichtigen Durchgangsverkehr von der Elbe (Hamburg und Magdeburg) nach der oberen Oder (Breslau und Cosel) durch den Auf- stau der Spree innerhalb Berlins gezogene Schranke war noch immer nicht beseitigt. Die Regulirung der Spree inner- halb des Berliner Weichbildes, welche auf gemeinschaftliche Kosten der Königlichen Staatsregierung und der Stadtgemeinde Berlin im Jahre 1888 begonnen, und im grossen und ganzen im Laufe des gegenwärtigen Jahres ihre Beendigung finden wird, hilft diesem Uebelstande ab. Die Kosten des gesamten Entwurfes sind auf 11 000 000 ℳ veranschlagt, davon entfallen 4 600 000 ℳ auf Arbeiten, welche, wie die Verbreiterung des Mühlendammes, der Fischer- brücke, der Mühlenwegbrücken usw. dem Landverkehr zu gute kommen und deshalb von der Stadtgemeinde allein ge- tragen werden, während der Rest von 6 400 000 ℳ, welche zur Verbesserung der Wasserstrasse verwendet werden sollen, zu gleichen Theilen der Königlichen Staatsregierung und der Stadt zur Last fällt. Welchen Einfluss seit dem Beginne des uns beschäfti- genden Zeitabschnittes die Schiffahrt für die Entwicklung von Berlin gehabt hat, möge aus folgenden Angaben über die Zunahme der auf den Wasserstrassen Berlins verkehrenden Schiffe und die durch letztere beförderten Waren erkannt werden: Die im Jahre 1840 im Innern Berlins die Spree befah- renden Schiffsgefässe sind, wie oben bereits angegeben, auf etwa 48 350 Stück ermittelt worden, die durch dieselben be- förderten Waren betrugen gegen 21 200 000 Ctr. Im Jahre 1890 dagegen war die Zahl der Fahrzeuge auf etwa 92 000 Stück angewachsen, und die von ihnen aufgenommene Ladung hatte ein Gewicht von etwa 100 000 000 Ctrn. In dem Zeitlauf von 48 Jahren hatte sich demnach die Zahl der Schiffsgefässe beinahe verdoppelt, während das Gewicht der ihnen anvertraut gewesenen Ladung sich fast um das Fünf- fache gehoben hatte. Für die Anlage eines neuen Hafens, der am linken Ufer des Landwehrcanales, auf den Ländereien des ehemaligen Urbans, seine Stelle finden soll, haben inzwischen die städti- schen Behörden die Mittel in Höhe von 3 800 000 ℳ bewilligt und zu seiner Ausführung Auftrag gegeben. Dieser Hafen soll etwa 70 Schiffen Raum gewähren. Ein erhebliches Hinderniss in einer von lebhaftem Strassenverkehr durchzogenen Stadt bilden die natürlichen und künstlichen Wasserläufe. Wie wir vorher gesehen, war Berlin seit Jahrhunderten mit solchen Wasserstrassen reichlich gesegnet, und auch das jetzige Jahrhundert hat es nicht daran fehlen lassen, die Zahl derselben zu vermehren. Ein kurz vor dem Beginn des uns beschäftigenden Zeit- abschnittes erschienenes, lexicographisch geordnetes Handbuch für Berlin und Potsdam giebt die Zahl der in Berlin selbst befindlichen Brücken auf etwa 40 an, zu denen noch 20 Brücken über die Spree, den Landwehrgraben und die Panke in der nächsten Umgebung der Hauptstadt hinzuzurechnen sind. Diese Brücken waren mit geringen Ausnahmen vom Staate errichtet und auch von diesem in baulichen Würden gehalten. Dass dieselben in Bezug auf ihr Aeusseres und ihre Construction sich besonders auszeichneten, liess sich mit Aus- schluss der Langen Brücke, der seitdem verschwundenen Herkulesbrücke, der Königsbrücke und der Schlossbrücke, und etwa noch der Weidendammer- und Friedrichsbrücke, nicht behaupten. Die grösseste Mehrzahl der Brücken, vor- nehmlich die über die schiffbaren Wasserstrassen, war als hölzerne Lochbrücken construirt, oder besass einen auf massiven Pfeilern ruhenden hölzernen Ueberbau; dazu waren sie sämtlich mit beweglichen Klappen versehen, um bei ihrer den angrenzenden Strassen entsprechend tiefen Lage bei höheren Wasserständen die Schiffsfahrzeuge durchzulassen. Auch die Breitenabmessungen dieser Brücken waren häufig sehr geringe und erreichten vielfach bei weitem nicht die Breite der Strassen, in deren Zuge sie sich befanden; so hatte beispielsweise die Weidendammerbrücke einschliesslich der Bürgersteige nur eine Breite von 10 m, die Ebertsbrücke eine solche von 8,45 m, die auf den Klappen sich bis auf 5,65 m verschmälerte. Erst bei dem Bau des Spandauer Schiffahrtscanals ging man dazu über, die ihn überschreitenden Brücken so hoch zu legen, dass die Schiffe unter denselben bei jedem Wasser- stande passiren konnten, und die seitdem über die Wasser- läufe Berlins errichteten Brückenbauwerke sind fast ohne Ausnahme mit festem Ueberbau versehen worden, wie z. B. die in den Jahren 1858—65 vom Staate erbauten Alsen- und Moltkebrücke und die von der Stadt in den Jahren 1870—74 über die Oberspree errichtete Schillingsbrücke. Durch den bei der Besprechung der öffentlichen Strassen bereits erwähnten, zwischen dem preussischen Staatsfiscus und der Stadtgemeinde geschlossenen Vertrag, wonach die ge- samte Strassen- und Brückenbaulast gegen eine jährliche, vom Staate zu zahlende Rente von rot. 556 400 Mark, die später durch eine einmalige Zahlung von 11 128 000 Mark abgelöst worden ist, vom 1. Januar 1876 an die Stadtgemeinde über- ging, wurde für alle Zukunft der Stadt die Verpflichtung auf- erlegt, die Kosten sowohl für die bauliche Erhaltung aller im Weichbilde Berlins befindlichen Brücken als auch die für etwa neu zu errichtende Bauwerke zu übernehmen. Besass die Stadtgemeinde in ihrer Unterhaltung bis zu dem gedachten Zeitpunkte nicht mehr als 1 Brücke über die Spree, 3 über den Landwehr- und Luisenstädtischen Canal, 3 über den Grünen Graben und 14 über die Panke und sonstige offene Gräben, so traten mit Abschluss des Vertrages hinzu 25 Brücken über die Spree, 16 über den Grünen Graben, 5 über den Königsgraben, 21 über den Landwehr- und den Luisenstädtischen Canal, 4 über den Spandauer Schiffahrts- Canal und 21 über die Panke und sonstige kleinere Gewässer. Eine erste Folge davon war, dass die zur Unterhaltung der Brücken jährlich aufzuwendende Summe, welche im Jahre 1875 sich noch auf 4605 Mark gestellt hatte, im Jahre 1876 bis auf 156 000 Mark anschwoll und seitdem etwa zwischen 65 000 und 110 000 Mark jährlich geschwankt hat; die weitere, aber viel folgenschwerere Consequenz war aber die, dass die Stadt sofort zu einem Neubau der meisten der von ihr übernommenen Brücken zu schreiten sich ge- zwungen sah, da dieselben zum Theil baufällig waren und durchweg nicht mehr genügten. In welcher Weise die Ge- meindeverwaltung dieser ihr durch den Vertrag von 1875 übertragenen Obliegenheit nachgekommen ist, mag daraus geschlossen werden, dass sie seit dieser Zeit, abgesehen von verschiedenen Brücken über die Panke und der Verbreiterung einiger noch mit Klappen versehenen Brücken, zur Ausführung gebracht hat: 7 Brücken über die Spree, 4 Brücken über den Landwehrcanal, 2 Brücken über den Luisenstädtischen Canal, 1 Brücke über den Spandauer Schiffahrtscanal und 4 Fussgängerbrücken über die verschiedenen genann- ten Wasserläufe, dass ferner in Ausführung sich befinden über die Spree: die Mühlendammbrücke, die Mühlenwegbrücke, die Fischerbrücke, die Waisenbrücke, die Friedrichsbrücke und die Ebertsbrücke, und über den Landwehrcanal die Cottbuser Brücke, Bauten, deren Beendigung noch im Laufe dieses Jahres zu erwarten ist. Die Kosten der in der Zeit seit 1876 neuerbauten Brücken über die schiffbaren Wasserstrassen Berlins haben betragen in runder Zahl 9 900 000 Mark, die Kosten der im Bau be- griffenen werden sich auf etwa 4 500 000 — 5 000 000 Mark stellen, sodass in den Jahren von 1876 bis Ende 1893 für Verbesserung der Brücken seitens der Stadt ein Betrag von 14—15 000 000 Mark aufgewendet sein wird. M. H.! Ich komme zum Schluss. Förderndes Eingreifen und eine allzeit bewiesene Wohl- geneigtheit der preussischen Fürsten — ein unbeirrtes Vor- angehen der Königlichen Staatsbehörden — endlich Opfer- willigkeit der städtischen Behörden haben in dem kurzen Zeitraum eines halben Jahrhunderts in Berlin geschaffen, was in seiner Grösse vielleicht beispiellos dasteht, und thatsächlich die Bewunderung Einsichtiger hervorruft. Wenn in der Zu- kunft das richtige Verständniss für die eigenen, wahren Interessen auf keiner Seite erlahmt, nicht Misstrauen das be- stehende Vertrauen ersetzt — das Sich-Vertragen und damit der Vertrag das Ziel aller Betheiligten bleibt — dann wird auch wie bisher Verkehr, Wohlhabenheit und Leistungsfähig- keit, — nicht nur zum Nutzen der Gemeinde, sondern des ganzen Landes und zur Förderung jedes vaterländischen Zweckes in der Landes- und Reichshauptstadt zunehmen. Druck von J. Kerskes , Berlin C. Niederwallstr. 22