S ch reiben an das Publicum. Aus dem Franzoͤsischen. BERLIN 1753. I ch habe allezeit euern Geschmak geliebet, und eure Grillen verehrt. Ich kenne die unersaͤttliche Be- gierde, die ihr nach Neuig- keiten hegt, und ich mache mir eine Ehre daraus euch zu dienen. Jene gemeinen Bege- benheiten, welche euch die klei- nen Ministers, die ihr in Eu- ropa unterhaltet, die Woche 2 zwey- zweymal erzehlen, sind euch eckel geworden; ihr wollt etwas besonders, ihr wollt erstaunli- che Neuigkeiten haben. Eure Ministers melden euch dann und wann ganz unglaubliche, so wahr sie auch, ohne Zweifel, sind, doch das ist noch nicht ge- nung; ihr liebt in der Staats- kunst die geheimen Sachen: eben diese Neigung nun findet sich auch, nebst einer großen Geschicklichkeit, sie zu entde- cken, bey mir, welches mich in den Stand sezt, euch von dem, was jezt bey einem gewis- sen Hofe vorgehet, und sehr verborgen gehalten wird, zu un- terrichten. Ihr koͤnnt, ohne daß ich ich es euch erklaͤren darf, leicht begreiffen, daß in unsrer Zei- tungssprache ein gewisser Hof, den Hof zu Berlin bedeutet. Ich habe diese Neuigkeiten aus der ersten Hand; es sind keine man sagt, es sind Begeben- heiten die ihre voͤllige Richtig- keit haben; ich habe erschrek- liche Sachen entdekt, und ich vertraue sie euch um so viel lie- ber, da mir eure Klugheit und Verschwiegenheit bekannt ist, und dieses Geheimniß also un- ter uns Zweyen bleiben wird. Zittert fuͤr die Ruhe Euro- pens. Wir sind einem Zufalle nahe, welcher das Gleichge- 3 wich- wichte der Maͤchte, das unsre Vaͤter so weislich angeordnet haben, uͤber den Hauffen werf- fen kan; es ist um das System des Abts von Saint Pierre geschehen, und nun wird es nimmermehr zur Wirklichkeit kommen. Ich habe erfahren, daß man, vor einigen Tagen, bey Hofe grossen Rath gehal- ten hat, welchem alle Angese- hene beygewohnet haben; es ist eine Sache darinn vorge- nommen worden, welche an Wichtigkeit ihres gleichen, bey Menschen Gedenken, nicht ge- habt hat. Ein Tonkuͤnstler aus Aix in Provence schickt zwey Menuets, uͤber die er zehn  zehn Jahr componirt hat, und bittet, sie auf dem Karneval spie- len zu lassen: dieses wird den seichten Geistern etwas nichts- wuͤrdiges zu seyn scheinen, aber wir Staatskundige, die wir wissen, was hinter allem steckt, und den Folgerungen bis zu ihren letzten Schluͤssen nachge- hen, wir sind viel zu gruͤndlich, als daß wir so was fuͤr eine Kleinigkeit ansehen solten. Als man dieses Begehren in Be- rathschlagung zog, theilte sich der Rath; eine Parthey war fuͤr die Menuets, und die an- dere machte die Gegner aus. Die, welche fuͤr die Menuets waren, behaupteten, daß man 4 sie sie spielen muͤsse, um durch die- sen Vorzug diejenigen aufzu- muntern, welche einer gewissen Macht wohl wollen, deren An- zahl aber, zum Ungluͤcke, nicht allzugroß ist. Die Gegner versetzten, daß es wieder die Ehre der Nation sey, fremde Menuets spielen zu lassen, da in dem Reiche selbst so viel neue gemacht wuͤrden. Hier- auf antworteten die andern, daß die Menuets dennoch gut seyn koͤnnten, ob sie gleich an- derwerts gemacht waͤren, und daß die Liebhaber der Kuͤnste mehr Achtung gegen die Wis- senschaft, als gegen das Vater- land, oder den Ort, woher die Menuets Menuets gekommen waͤren, haben muͤßten. Diese Gruͤnde uͤberredeten die Gegner nicht; sie behaupteten vielmehr, daß man diese Menuets fuͤr Con- trebande halten muͤsse. Wi- der diesen Auspruch schrien die Menuetisten sehr heftig, und bemuͤhten sich zu beweisen, daß wenn man fremde Menuets fuͤr Contrebande halten wolte, so wuͤrde man andern Voͤlkern dadurch das Recht geben, gleich- falls alle Geburthen, die ihnen Preussen liefere, zu verbieten; daß den Handel einschraͤnken ihn verderben heisse, und end- lich, daß es andre Maͤchte wohl nicht mit kaltem Blute dulden 5 wuͤr- wuͤrden, wenn man sich das Ansehen geben wolte, ihre Me- nuets von den Taͤnzen und Fe- sten auszuschliessen. Ihre An- tagonisten erhizten sich hieruͤber nicht wenig, indem sie behaupte- ten, daß man den Nutzen und alle andere Absichten der Ehre aufopfern muͤsse; daß es wider die Wuͤrde eines Hofes sey, nach andern Toͤnen, als nach den einheimischen, zu tanzen; daß die Menuetisten Neulinge waͤren, welche in dem Lande fremde Gebraͤuche einfuͤhren wolten; daß man sich von sei- nen alten Gewohnheiten nie- mals muͤsse abbringen lassen, wenn sie auch schon nichts taug- ten; ten; und endlich, daß diese Menuets die Sitten verduͤrben. Der Streit ward hieruͤber so hitzig, daß alle zugleich redeten, daß jeder Recht haben wollte, daß die, welche am wenigsten aufgebracht waren, schon Vor- spiele zu harten Worten mach- ten, und daß man endlich ge- noͤthiget wurde den Rath aus- einander gehen zu lassen. Er versammlete sich den Tag dar- auf aufs neue, diese Berath- schlagungen wieder vorzuneh- men; der Enthusiasmus hatte waͤhrender Zeit abgenommen, und es war eine friedliebende Parthey entstanden. Diese Einigkeitsstifter schlugen, damit sie sie es jedem recht machen wol- ten, vor, es zu verstatten, daß man diejenige Menuet, welche uͤber die kleine Terz sey, mit Ausschliessung der andern, spie- len solle. Ob nun gleich diese Vermittelung, weil sie vernuͤnf- tig war, nicht angenommen wurde, so hinderte sie dieses doch nicht, einen neuen Vor- schlag zu wagen, welcher dar- inne bestand, daß man die Me- nuets, ohne sie zu tanzen, spie- len wolle. Dieses ward durch eine betraͤchtliche Mehrheit der Stimmen verworffen, und man versichert, daß jezt eine Art von Manifest unter der Presse ist, worinne man die Ursachen aus- fuͤhret, fuͤhret, warum man die Me- nuets nicht habe aufuͤhren las- sen. Dieses Betragen kan viel- leicht Folgen von der groͤßten Wichtigkeit nach sich ziehen. Da nun Europa, und besonders eure Neugierde vielen Antheil daran nehmen muß, so will ich nicht unterlassen, mich sorgfaͤl- tig nach dem, was ferner vor- gehen wird, zu erkundigen. So viel ist gewiß, der Hof be- schaͤftigt sich mit dieser Angele- genheit sehr, welches auch ganz natuͤrlich ist, wenn man ihre Wichtigkeit uͤberlegt: eine Me- nuet kan eine sehr ernsthafte Sache werden. Wie viel Bey- spiele von dieser Art koͤnnte ich nicht nicht anfuͤhren? Ein Kopfputz, welchen die Koͤnigin von Eng- land Anna behandelte, und den die Mylady Marlboroug kaufte, zerriß die furchtbare Verbuͤndung der Maͤchte, wel- che Frankreich bekriegten, und verursachte den Frieden, wel- chen die Koͤnigin Anna im Jahr 1710. schloß. Eine Verbeu- gung welche Caͤsar den Herrn des Raths, die sich in dem Tempel der Eintracht versamm- let hatten, zu machen vergaß, machte den Brutus vollends schluͤßig, sich wieder ihn zu ver- schwoͤren. Und war denn nicht ein Apfel an alle dem Ungluͤcke Schuld, welches der Nach- kom- kommenschaft der ersten Be- wohner des irdischen Paradie- ses wiederfahren ist? Ihr werdet mir zugestehen, daß eine Menuet so gut als ein Kopfpuz, eine Verbeugung oder ein Apfel ist: man muß nur warten und man wird schon se- hen, zu was er Gelegenheit ge- ben wird. Ich halte jezt, da ich an euch schreibe, noch allzu sehr zuruͤck, weil es daß erste- mal ist, daß ich mir diese Frey- heit nehme, ich verspreche euch aber, mich bey der ersten Ge- legenheit nicht mit den gemei- nen Muthmassungen zu begnuͤ- gen, sondern die aller wunder- barsten und ausschweifendsten, mit mit weit mehr Unverschaͤmtheit, wenn es moͤglich ist, zu wagen, als eure kleinen Ministers, de- ren Monotonie und abge- schmacktes Wesen euch eckel zu werden anfangen. Wenn diese Neuigkeiten eure Neugierigkeit nicht reitzen, so verspreche ich euch kuͤnftig eben so romannen- hafte, und noch weit seltsamere. N. S. Diesen Augenblick erfahre ich, daß die andern Hoͤfe an diesem Handel mit den Menuets Theil genommen haben, und daß sie in kurzen unserm Hofe die aller ernstlich- sten Vorstellungen thun wer- den. Das uͤbrige in unserm naͤchsten Blatte.