Seemanns kunstgewerbliche Handbücher VII. WAFFENKUNDE VON WENDELIN BOEHEIM HANDBUCH DER WAFFENKUNDE DAS WAFFENWESEN IN SEINER HISTORISCHEN ENTWICKELUNG VOM BEGINN DES MITTELALTERS BIS ZUM ENDE DES 18. JAHRHUNDERTS VON WENDELIN BOEHEIM CUSTOS DER WAFFENSAMMLUNG DES ÖSTERREICHISCHEN KAISERHAUSES MIT 662 ABBILDUNGEN NACH ZEICHNUNGEN VON ANTON KAISER UND VIELEN WAFFENSCHMIEDEMARKEN LEIPZIG VERLAG VON E. A. SEEMANN 1890. VORWORT . Die deutsche Litteratur ist ziemlich reich an vortrefflichen Monographien über einzelne Zweige der historischen Waffenkunde so- wohl wie auch über einzelne Waffensammlungen. Wir erinnern nur an die Meisterleistungen Scheigers, Lebers, Leitners, Essenweins, Hiltls, Thierbachs, Gurlitts, zahlreicher anderer nicht zu gedenken. Eines Kompendiums dieses Wissenszweiges aber, wie solche die fran- zösische Litteratur in Carré, Viollet-le-Duc, selbst in dem Bruch- stücke des trefflichen Gay etc., die englische in Meyrick, Planché etc. besitzen, entbehrt die deutsche Litteratur bisher vollständig. Die deutsche Gründlichkeit schreckte offenbar vor den Schwierigkeiten der Aufgabe zurück, die nur bei vollkommener Beherrschung des aus- gedehnten Stoffes in befriedigender Weise zu lösen war. Der Verfasser ist sich bewusst, dass mit dem vorliegenden Werke diese Lücke nicht vollständig ausgefüllt wird, aber er glaubte den häufig an ihn gerichteten Aufforderungen, ein brauchbares Handbuch herauszugeben, nicht länger Widerstand leisten zu sollen, da in der That ein nicht abzuweisendes Bedürfnis nach einem solchen vorliegt, und hofft in Anbetracht der Unsicherheit, die auf dem Gebiete der Waffenkunde noch an vielen Punkten herrscht, keine allzustrenge Beurteilung zu erfahren. Für jeden Nachweis eines Irrtums oder Fehl- griffes, der ihm bei der Arbeit untergelaufen ist, wird er nur dank- bar sein können. Sein Werk erhebt selbstverständlich nicht den Anspruch eines in jeder Hinsicht ausreichenden Lehrbuches, es soll nur ein schlichtes Handbuch sein, in welchem der Altertumsfreund und der Sammler sich bei den am häufigsten an ihn herantretenden Fragen Rats er- holen kann. Es ist deshalb der Nachdruck auf alle die Dinge gelegt, Vorwort. die ihm zunächst zu wissen nötig sind, auf eine strenge Terminologie und eine klare Darlegung des Formenwesens unter Berücksichtigung der im Laufe der Zeit eintretenden Formenwandlungen und deren Veranlassung. Was die Terminologie betrifft, so hat der Verfasser in allen Sprachen sich nach den hervorragendsten Fachautoren ge- richtet. So in der deutschen Sprache nach Quirin v. Leitner und M. Thierbach, in der französischen nach Viollet-le-Duc, in der eng- lischen nach Meyrick und Planché, endlich in der italienischen nach A. Angelucci. Weiterhin war der Verfasser bemüht, die Wege zur Kennerschaft zu weisen und über die Mittel zur Beurteilung der Echtheit eines Waffenstückes zu belehren. Manches, das der Verfasser noch in dem Buche hätte niederlegen können, hat er zurückhalten müssen, um den für ein Handbuch ge- botenen Umfang nicht zu überschreiten; er hofft aber, in dem eng- begrenzten Rahmen allen nicht zu weit gehenden Ansprüchen gerecht geworden zu sein, insofern er auch auf die Gesichtspunkte der Kriegs- wissenschaft neben den für die Technik, die Kulturgeschichte und die Kunst massgebenden Rücksicht genommen hat. Ist die Kenntnis der Form und der Wirksamkeit einer Waffe einerseits zur richtigen Würdigung einer Kriegsthat erforderlich, so bietet sie andererseits die Mittel, die äusserliche Physiognomie einer bestimmten Zeitperiode deutlicher hervortreten zu lassen und befähigt uns, „mit klarem Auge in die Vergangenheit zu sehen“. Heutzutage geht aber das Studium weit über das rein fachtechnische Gebiet hin- aus, die Kunstwissenschaft hat die Waffe ebenso wie alle durch die Kunst geadelten Erzeugnisse des Handwerks längst in ihren Beobach- tungskreis einbezogen. Mit diesem wachsenden Interesse an der schönen Form hängt auch die Zunahme der Sammler und Liebhaber zusammen, von denen viele nur das schönheitliche Moment oder dieses doch vorzugsweise ins Auge fassen. So war es für den Ver- fasser geboten, auch nach dieser Seite hin dem Bedürfnis entgegen- zukommen. Unter Berücksichtigung dieser Umstände hat der Verfasser davon Abstand genommen, für seine Arbeit die in mancher Hinsicht prak- tische lexikalische Anordnung zu wählen, wie es Viollet-le-Duc, Planché und Gay gethan haben. Er hätte auf diese Weise seinen Stoff ver- zettelt und auf eine systematische Behandlung verzichten müssen. Vorwort. Diese schien ihm aber schon um deswillen den Vorzug zu verdienen, weil sie Wiederholungen nur ausnahmsweise erforderlich macht und bis zu einem gewissen Grade auch jenen Leser befriedigt, der mehr von kulturgeschichtlichem Interesse als vom Sammeleifer geleitet zu dem Buche greift. Bei der Behandlung des Textes hat sich der Verfasser zum Grundsatze gemacht, in jedem Stoffabschnitte nur die Haupttypen der Betrachtung zu unterziehen und von einer Vorführung von Ab- normitäten, die die Laune eines einzelnen veranlasst, abzusehen. Bei der ungeheueren Mannigfaltigkeit der hier und dort üblich gewesenen Formen war dies der einzige Weg, um einer Verwirrung zu entgehen. Im weiteren hat der Verfasser von einer Erklärung alles dessen ab- gesehen, was man bei einem gebildeten Leser von vornherein als be- kannt voraussetzen kann. In den einzelnen Abschnitten wird man unter den erklärenden Figuren, die zum grössten Teile neue Beispiele bringen, hin und wieder Typen vermissen, die in dem Abschnitte: „Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit“ zu finden sind; diese Beschränkung war durch die Raumverhältnisse geboten. Die Vorlagen für die er- läuternden Figuren sind womöglich nach Originalen gezeichnet und dort entlehnt, wo sie dem Verf. zunächst zur Hand waren. Aus der Waffensammlung des kaiserl. Hauses zu Wien sind selbstverständlich vorzugsweise Stücke abgebildet. Zur Orientierung sei bemerkt, dass jene Abbildungen, auf welchen keine Bemerkungen über den Be- wahrungsort des Urbildes oder die Entnahme aus anderen Werken sich finden, Gegenstände der Waffensammlung zu Wien darstellen. Zum Schlusse sei es uns gestattet, allen Fachmännern, welche uns in unserer Arbeit unterstützten, den besten Dank zu sagen. In erster Linie nennen wir Herrn Graf Valencia de Don Juan in Madrid, Herrn Major Angelucci in Turin, Herrn Oberst M. Thierbach zu Dresden, Herrn Dozent Cornelius Gurlitt zu Berlin, Herrn C. Baz- zero in Mailand, Herrn Comendatore N. Barozzi in Venedig, Herrn Geheimrat H. Weiss zu Berlin, endlich Herrn Dr. Alb. Erbstein in Dresden. Wien , im März 1890. Wendelin Boeheim. Inhaltsverzeichnis. Seite EINLEITUNG . Die Entwickelung des Waffenwesens in ihren Grundzügen 1 I. Die Schutzwaffen 24 1. Der Helm 24 2. Der Harnischkragen 63 3. Das Armzeug 67 4. Der Handschuh 79 5. Die Harnischbrust 93 6. Der Harnischrücken 109 7. Das Beinzeug 111 8. Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit 120 9. Der Schild 169 10. Das Pferdezeug und der Pferdeharnisch 193 11. Der Sporn 224 II. Die Angriffswaffen 229 A. Die blanken Waffen 229 1. Das Schwert 229 2. Das Krummschwert und der Säbel 271 3. Der Degen 281 4. Der Dolch 291 B. Die Stangenwaffen 305 1. Der Spiess 305 2. Die Helmbarte 330 3. Die Glefe und die Couse 342 4. Die Runka und die Partisane 348 5. Das Spetum, der Hakenspiess, die Kriegsgabel und die Sturmsense 353 C. Die Schlagwaffen 357 1. Der Streitkolben 357 2. Der Streithammer, Faust- und Reiterhammer 363 3. Die Streitaxt 367 4. Handwaffen mit Schiessvorrichtungen 379 Inhaltsverzeichnis. Seite D. Die Fernwaffen 385 1. Die Schleuder 385 2. Der Bogen 389 3. Die Armrust 401 4. Die Feuerwaffen 430 5. Der Gewehrlauf 469 6. Das Gewehrschloss 473 7. Das Faustrohr und die Pistole 482 8. Die bei den Feuerwaffen dienenden Instrumente und Geräte 488 E. Das Bajonett 497 F. Die Fahne und das Feldspiel 501 III. Die Turnierwaffen 517 IV. Bemerkungen für Freunde und Sammler von Waffen 572 1. Die Beurteilung der Echtheit und des Wertes der Waffen 572 2. Die Aufstellung der Waffen 582 3. Einige Worte über die Erhaltung der Waffen 585 V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen 591 VI. Die hervorragendsten Waffensammlungen 622 1. Das königliche Zeughaus in Berlin 622 2. Das Musée d’Armures in Brüssel 623 3. Das königliche historische Museum und die königliche Gewehr- galerie zu Dresden 624 4. Die Rüstkammer der Stadt Emden 625 5. Die gräflich Erbachsche Sammlung im Schlosse zu Erbach 626 6. Das Landeszeughaus in Graz 626 7. Die historische Waffensammlung in Kopenhagen 627 8. Die Sammlung von Waffen im Tower zu London 627 9 Die Armeria Real zu Madrid 628 10. Das bayrische Nationalmuseum in München 629 11. Das königlich bayrische Armeemuseum in München 630 12. Die Waffensammlung des germanischen Museums zu Nürnberg 631 13. Das Musée d’Artillerie in Paris 632 14. Das Musée Cluny in Paris 633 15. Fürstlich Hohenzollersches Museum in Sigmaringen 634 16. Das Museum der Waffen und historischen Kostüme in Stockholm 634 17. Die kaiserliche Waffensammlung zu Zarskoë-Selo 635 18. Die Armeria Reale zu Turin 636 19. Die Sammlung des Arsenals zu Venedig 637 20. Die Waffensammlung des kaiserl. Hauses in Wien 637 21. Die Waffensammlung der Stadt Wien 639 Inhaltsverzeichnis. Seite VII. Die Beschau- und Meisterzeichen und die Namen der Waffen- schmiede mit ihren Marken 641 1. Deutschland und die habsburgischen Erbländer 644 2. England, Schweden, Dänemark 655 3. Frankreich 656 4. Belgien, Niederlande 659 5. Italien 660 6. Spanien, Portugal 666 7. Russland und der Orient 672 8. Monogrammisten 674 EINLEITUNG. Die Entwickelung des Waffenwesens in ihren Grundzügen. R ingsumher alles vernichtend, brachen am Beginne des 4. Jahr- hunderts die Hunnen in Italien ein. Durch sie gedrängt und geschoben, wälzten sich die Germanen vor ihnen her, erfüllt von er- erbtem Hasse gegen die Römer, voll Beutegier nach deren Schätzen. Das germanische Volk hatte in Jahrhunderten römische Kultur vor Augen gehabt, aber tiefe Gegensätze im nationalen Wesen waren Ur- sache, dass ihm diese in ihrem Geiste stets fremd geblieben war. Von den Urzeiten her war der germanische Mann eine Macht für sich, er und seine Sippe waren in seinem Sinne ein Staat; erst als die Römer ihn bedräuten, da übermannte ihn zum erstenmale das Gefühl seiner Schwäche, da sah er sich widerwillig veranlasst, sich mit den Stammesgenossen zu vereinigen und einen Herrn über sich anzuerkennen, der ihn leitete und dem er um seiner selbst willen gehorchen musste. Im hohen Norden Europas wohnten Völker- schaften mit einer abgeschlossenen Cultur, die, an sich nicht unbe- deutend, doch aus Mangel an Nahrung von aussen her zu erstarren drohte. In ihren sozialen Verhältnissen ähnlich den Germanen, bildeten sie nur eine Zahl von Familien, deren jede sich selbst regierte. Zu ihrem Unterhalte grösstenteils auf die Jagd nach gefährlichem Wilde angewiesen, waren sie gewandt in der Führung ihrer einfachen Waffen, kräftig infolge der Mühseligkeiten des Erwerbes, mutig durch die Gewohnheit der Gefahr. So waren auch die Waffen, welche die Germanen gegen den Konsul Papirius gebrauchten, die- selben, welche ihnen bisher zur Jagd nach dem Ur und dem Bären gedient hatten, nur den Schild fügten sie bei, den sie bei den Feinden erblickten; er war aber nicht von Erz oder Eisen, sondern von Weidengeflecht und mit ungegerbtem Felle eines Tieres über- zogen. Böheim , Waffenkunde. 1 Einleitung. Näher der Gesittung standen die transalpinen Gallier; durch die Jahrhunderte währende Berührung mit den Römern hatten sie vieles von deren Wesen sich angeeignet, manches angenommen, was äusserliches Gehaben, Lebensart und die Art der Kriegführung be- trifft, aber im innersten Kerne ihrer Natur waren sie doch eigen- artig geblieben und fühlten ihre Verwandtschaft mit den barbarischen Stämmen im Osten. Zur Zeit des Beginnes der Völkerwanderung war auf dem weiten Gebiete von der Wolga bis an den Ozean unter den Hunderten von Stämmen der verschiedenartigsten nationalen Her- kunft die Kultur keineswegs in jener Gleichmässigkeit verbreitet, wie im weströmischen Gebiete am Ausgange seiner ruhmreichen Periode. Im Gegenteil sind die bisherigen Anzeichen deutliche Zeugen dafür, dass damals die verschiedensten Kulturgrade vom rohesten Zustande bis zu einem verhältnismässig wohlentwickelten in den zahlreichen Völkerfamilien herrschend gewesen sind. Wenn wir die bisherige Einteilung in eine Stein-, eine Bronze- und eine Eisenzeit in unserer vorgeschichtlichen Periode, als unter Bedingungen richtig, hier zur Grundlage nehmen wollen, so treffen wir doch alle diese zu gleicher Zeit in den Gebieten Nordeuropas. Wir finden weite Gebiete, deren Bewohner das Metall nicht kannten, ebenso wie solche, in denen sich die darin Wohnenden des Erzes bedienten, das ihnen im Wege des Handels zugekommen war; endlich treffen wir auf zahlreiche Völkerschaften, welche das Eisen nicht nur kannten, sondern selbst bereiteten und verarbeiteten. Sicher ist anzunehmen, dass viele der nach dem Süden ziehenden Völker auf ihrem Zuge durch die norischen Alpen ihre Bewaffnung erst dort vervollständigten, dort das Eisen erst anders betrachten lernten als der Arme das Gold. Der gewaltige Gegensatz des Wesens der nun auf die Welt- bühne tretenden Völker zu jenem der antiken Kultur angehörigen macht sich in der Form der Waffen deutlich ersichtlich. Die An- griffswaffen der Römer, der Byzantiner etc. bestanden in dem dünn- schäftigen Spiesse der lancea, quiris, dem Wurfspiesse, hasta, pilum, dem kurzen Schwerte für den Nahkampf, dem Dolche, dem Bogen und, bei einigen Nationen, auch der Schleuder. Die Schutzwaffen wurden allmählich leichter, der Harnisch dünner und bequemer, der Helm kleiner. Zwei eigenartige Rüststücke erhielten die Römer der Spätzeit aus dem Oriente, das Drahthemd und den handlichen kleinen Rundschild. Diesen entgegen stand eine Unzahl von Be- waffnungsarten bei den im Norden auftretenden Völkern, je nachdem dieselben mehr oder minder vom Oriente her beeinflusst waren. Aus dem bunten Durcheinander tritt uns aber mit verhältnismässiger Deutlichkeit die nordische und germanische Bewaffnung entgegen, die aus der kräftigen Natur jener Stämme und ihrer Fechtweise sich ergab. Was auf die Waffenform bei barbarischen Völkern zunächst Die Entwickelung des Waffenwesens in ihren Grundzügen. bestimmend wirkt, das ist der Effekt im einzelnen Bei dem Mangel jeder Kriegskunst ist es natürlich, dass der Einzelne nur den Erfolg seiner eigenen Thätigkeit in Betracht zog und für den Wert einer Gesamtwirkung nicht das Verständnis besass. Eine grössere Massentaktik, bei welcher naturgemäss der Einzelne in der Menge aufging, stand überhaupt im Gegensatze mit der germanischen Idee des Heldentums. . Dieses Streben nach Effekt äussert sich deutlich in der Bewaffnung des körperlich kräftigen, robusten Volksstammes der Germanen. Diesen erschienen die Waffen der Römer wie Spielzeug, ihren Armen entsprach viel besser die Keule, die Axt, das Schwert mit langer Klinge und der Spiess, dessen Schaft in der Hand zu fühlen war. In den frühesten Sagen der Germanen erscheint der eiserne Hammer (mjölnir, der Zermalmer) des Donnergottes Thor . Er stellt die Waffe der ger- manischen Urzeit vor. Die Einführung des Schwertes bedeutete bereits einen mächtigen Vorschritt in der Kultur. Schon vor ihrer Berührung mit den Römern führten die deutschen Völker die zwei- schneidige Spatha. Der Sax war aus dem gemeinen Messer entstanden. Für den Kriegsgebrauch verlängerte sich derselbe und erhielt eine enorme Zunahme an Gewicht. Er wird unter den Burgundern, Alemannen und Franken zum Langsax, endlich zum Scramasax, der, mit zwei Händen geführt, als wuchtiges Hiebmesser, gleich einem Beile wirkte. Die nordischen Völkerschaften wie die Römer, beide sahen sich in der Folge das Vorteilhafteste ab. Von den Germanen ge- langt ursprünglich das Langschwert, die Spatha, zu den Galliern, von diesen zu den Römern, jene entnahmen für sich den Schild und später auch den Dolch. Mit dem Einbruche morgenländischer Völker im 4. Jahrhundert machten sich nicht unwesentliche Veränderungen in der Bewaffnung auch der nordischen Völker geltend. Von Osten her kam die Sitte, den Körper mit hieb- und stichsicheren Kleidern zu bedecken, in anderer Art wie die Römer, nicht durch geschlagene Platten, sondern durch Jacken und Beinkleider aus starkem Leder, mit Ringen benäht oder durch aufgenietete eiserne Scheiben verstärkt. Von Osten her ge- langt ferner der orientalische spitze Helm und die Halsbrünne, die mit Veränderungen sich durch ein volles Jahrtausend erhält. Es unterliegt keinem Zweifel, dass der Einfluss gewisser orientalischer Völkerschaften, die den Westen betraten, einen kulturellen Einfluss auf die Germanen gehabt hatte; es kennzeichnet sich dieses auch in der Verfeinerung der Formen sowohl, als in der Aufnahme von Waffen, die der Deutsche bisher mit Verachtung angesehen hatte. Wir finden nämlich vom 4. ins 5. Jahrhundert die ersten Spuren der Verwendung von Helmen, des ledernen, eisenbesetzten Panzers, des Bogens unter germanischen Stämmen. Damit waren die Elemente für die kriegerische Ausrüstung gegeben, welche im ganzen Mittel- alter üblich gewesen ist. 1* Einleitung. Bis um die Mitte des 5. Jahrhunderts waren die Länder bis an die Donau von Römern besiedelt, welche die politische und militärische Führung der unter ihnen wohnenden barbarischen Stämme als ihr Recht betrachteten. Bis in jene Zeit war auch die Bewaffnung der letzteren eine der römischen wenn nicht gleichende, doch ähnliche. Mit dem Zusammenbruche der römischen Herrschaft, am Ende des Jahrhunderts, kam auch dort unter den Barbaren die ihrer Eigenart entsprechende Bewaffnung mehr und mehr zur Geltung. Es war eine wenn auch einfache, doch der kräftigsten Offensive entsprechende Bewaffnung, gegen welche jene der Römer an Wirksamkeit weit zurückstand. Die Entwickelung des Waffenwesens in Europa ist oft wiederholt durch den Orient gefördert worden; die erste Beinflussung derselben macht sich, soweit wir heute ermessen können, in der Völker- wanderung kenntlich. Wieweit derselbe sich erstreckte, darüber fehlen uns noch die Belege, aber wir ersehen gewisse Spuren einer Umgestaltung, die eine Einwirkung von Osten her zweifellos er- scheinen lässt. Es ist, beispielsweise bemerkt, ein nicht unwichtiges Symptom für eine Verfeinerung der Bewaffnungsart, dass die rohe Axt, die Wurfaxt der Franken im 6. Jahrhundert, zur Zeit Gregors von Tours noch die Waffe jedes Mannes, nun immer seltener wird und im 8. Jahrhundert nahezu völlig dem Langschwerte weicht. In den folgenden Perioden ist nur ein bestimmter Prozentsatz unter den Spiessträgern mit Äxten ausgerüstet, der im 12. Jahrhundert völlig schwindet. Im grossen und ganzen mag es als richtig erscheinen, dass, wie die Bewaffnung der Römer auf jene der Griechen sich zurück- führen lässt, so die Bewaffnung der Perser den Grundtypus für die gesamte Formenbildung im Oriente bildete. Es genügt ein Vergleich der Bewaffnung der Perser auf antiken Denkmälern mit jener des gesamten riesigen Gebietes des Orientes aus späterer Zeit, um die Anfänge der Gegensätze in der Formenbildung zu erkennen. Der konservative Geist der orientalischen Völker zog auf diesem Gebiete noch engere Grenzen, um diese Gegensätze frappanter erscheinen zu lassen. Ein für den Stand unserer Forschung frühes Beispiel orien- talischen Einflusses bietet sich in der Thatsache, dass die Reiterei der Bretagne im 9. Jahrhundert bereits vollkommen nach der Kampf- weise der Mauren eingeübt und nach ihren Mustern bewaffnet war. Unter Karl dem Grossen stand das germanisch-fränkische Reich auf dem Höhepunkte seiner Macht. Wie dieser grosse Herrscher sein gewaltiges Reich den Bedürfnissen der Zeit entsprechend nach allen Richtungen hin umbildete, so ordnete er auch, um dasselbe nach aussen widerstandsfähig zu gestalten, dessen Heerwesen durch Regelung des Heerbannes, Organisierung der Massen und deren Die Entwickelung des Waffenwesens in ihren Grundzügen. Bewaffnung. Diese Organisierung der Kraftfaktoren bedeutete aber weit mehr als eine gewöhnliche staatliche Sicherheitsmassregel. Karls des Grossen Prinzipien in der Heeresbildung mussten in einer um- fassenderen Anwendung zu einer vollständigen Umbildung der sozialen Verhältnisse unter den Germanen führen, sie führten auch dahin, vom Gesichtspunkte der Politik betrachtet nicht zum Vorteile des Volkes, nicht zum Vorteile des Herrschers, der zwischen seinem Volke und sich selbst eine dritte Macht aufbaute, die seinen Nachfolgern bald gefährlich werden sollte. Schon durch die Kriege vor Karl dem Grossen wurden zahlreiche Stämme unfrei und ge- langten in die Dienstbarkeit der siegreichen Anführer. Mit der Heeresorganisation dieses Kaisers und bei den langwährenden Kriegen in entfernten Ländern wurde die Heeresfolge für zahllose Freie so drückend, dass diese sich freiwillig in die Dienstbarkeit Mächtigerer, Wohlhabenderer begaben, die sie im Felde nun unterhalten mussten; sie gaben ihr Besitztum an Land dahin, um es als Lehen wieder zurückzuerhalten. So bildeten sich Lehensherren und Hörige. Aus ersteren, die rasch zu Macht und Reichtum gelangten, bildete sich durch die Erblichkeit der Adel, das Rittertum, das auf das Staats- leben allmählich mächtiger einwirkte und dem gesamten Mittelalter seine Physiognomie gab. Für Karl den Grossen war in seinen Bestrebungen, eine Reiterei zu schaffen, die Erstarkung Einzelner von nicht zu läugnenden mili- tärischem Vorteile. Jeder seiner eigenen Lehensleute, jeder Freie musste mit seinen Mannen zu Pferde erscheinen und sich unter dem Hauptbanner scharen. Daneben folgten die Unfreien und Knechte zu Fuss, teils als Spiessknechte, teils als Schützen. Aus diesem Verhältnisse gestalteten sich erst die Begriffe von „vornehm“ und „niedrig“, die vorher dem germanischen Volke nahezu fremd ge- wesen waren. Durch die soziale Bedeutung dieser Bevorrechteten, durch das Vertrauen des Herrschers auf seine Lehensleute und Vasallen wurde die Reiterei zur Hauptwaffe. Die Reiter- oder Ritterschaft sah in sich selbst nicht nur den Kern des Heeres, sondern das Heer selbst. Diese Organisation des Heerwesens war so lange von Wert, als die übrigen Völker von ähnlichen Meinungen befangen waren; sie entsprach dem germanischen Charakter noch immer durch die Selbstschätzung des Einzelnen, durch Reste alten Heldentumes, die aus dem Gebilde hervorschimmerten. Mit dem Hervortreten der Reiterwaffe trat eine vollständige Veränderung der Bewaffnung ein. Das Langschwert, schon von den Merowingern, den Franken, geführt, wurde nun zur Hauptwaffe der Ritterschaft und zum Attribute des freien Mannes. Aber daneben machte sich auch der Wert des Reiterspiesses geltend, den die im 5. Jahrhundert hereingebrochenen Völker aus dem Oriente mitgebracht hatten. Seine Bedeutung für den ersten Anstoss an den Feind Einleitung. wächst mit ungemeiner Raschheit. Der lange Schild, so unbequem auch für den Reiter, konnte bei dem unvollkommenen Stande der Kriegskleidung nicht entbehrt werden. Der Helm, noch halbkugel- förmig, selten spitzig zulaufend, wird über die Halsbrünne gesetzt, der Haubert sackartig geschnitten reicht bis über die Kniee hinab. In dieser Ausrüstung erschienen die Deutschen zum erstenmale in der Schlacht bei Merseburg (933) gegen die Ungarn, und der über- raschende Erfolg gegen ein vollkommen orientalisch ausgerüstetes und ganz nach Art der Morgenländer fechtendes Heer führte zu dem Glauben der Unübertrefflichkeit einer schweren Reiterei. Diese bald allgemein gewordene Vorstellung wurde selbst durch die herben Erfahrungen in den Kreuzzügen nicht ganz berichtigt. Für den Fussknecht gab es keine Regel, er handhabt den oft selbstgefertigten Streitkolben, das Beil, den Spiess mit starkem Schafte. Bogenschützen bezogen die deutschen Herrscher meist aus fremden Ländern. Hier zeigen sich die ersten Anfänge des Söldnerwesens. Nicht so entschieden wie in Deutschland und Frankreich hatte sich das Rittertum in Italien herausgebildet. Es war zu jeder Zeit weniger zahlreich, aber bald mächtiger und ungeberdiger. In Venedig und Genua herrschte der Adel in seiner Vereinigung, anderwärts warfen sich die Mächtigeren zu Alleinherrschern auf, zahlreiche kleinere Staaten bildend. Das Volk in Masse war vom Altertume an unfrei und überlastet. Bei dem masslos ehrgeizigen Streben der zahlreichen Herrscher musste sich hier zuerst ein Söldnerwesen herausbilden. Im frühen Mittelalter war die Bewaffnung in Italien noch nach antikem Zuschnitte, ander- weitige Einflüsse machten sich nur vom Oriente her geltend, die Intelligenz dieser Nachkommen der Römer, deren bewegliches Naturell thaten das übrige, um die Bewaffnung gegen jene der Deutschen eigenartig erscheinen zu lassen. Dabei ist nicht zu übersehen, dass das Fussvolk von jeher in Italien die Hauptwaffe war und auch im allgemeinen blieb. Erst im 12. Jahrhundert zeigen sich Bestrebungen, um sich deutsche Fechtweise anzueignen; trotzdem gelangte das Fuss- volk als Waffe nicht zu jener Missachtung wie in Deutschland. Der Grundcharakter der italienischen Bewaffnung war ihre Leichtigkeit. Die Schwerter waren kurz und spitz zulaufend, daher auch auf den Stich berechnet, die Spiessklingen schmal und nicht selten mit Widerhaken versehen, die Spiessschäfte lang und dünn, der Schild kreisrund von geringem Durchmesser, der Dolch war häufiger in Anwendung. Der Helm deckte nach Art einer Haube den ganzen Kopf. Die Hauberte erschienen in verschiedenster Ausstattung; als Schuppenwerk, mit aufgenieteten Ringen oder Plättchen oder als Maschenpanzer, immer aber kürzer und leichter als die der Deutschen. In Spanien traten nur die Keltiberer in ihrer Bewaffnung aus dem antiken Rahmen heraus. Sie trugen lange, zweischneidige Schwerter, kleine, aus Tiersehnen geflochtene Schilde und ganz aus Die Entwickelung des Waffenwesens in ihren Grundzügen. Eisen bestehende Wurfspiesse mit Widerhaken, die sie mit ungemeiner Sicherheit handhabten. Als die trefflichsten Schützen waren sie auch Feinde jeder Harnischtracht und trugen nur eherne Helme. In Byzanz begegnen wir den ältesten Soldtruppen. Ihr Auf- treten ist immer ein Symptom der Schwäche einer Nation. Mit dem System ist aber auch schon der Beginn einer gleichförmigeren Be- waffnung gegeben, die im absterbenden oströmischen Reiche eine vom Oriente überaus stark beeinflusste gewesen war. Sie war immer eine vorzügliche, ja musterhafte an sich, geeignet, eine Welt zu erobern; wenn trotz vieler Siege, die die Geschichte von Byzanz auf ihren Tafeln verzeichnet, der politische Erfolg weit hinter dem stolzen Streben blieb, so ist die Ursache nicht in der Ausrüstung, sondern in der inneren Schwäche des Staates selbst zu suchen, die die Miet- linge mit allen ihren Heldenthaten nicht verdecken konnten. Für die Entwicklung des europäischen Waffenwesens ist keine Periode bedeutungsvoller als jene vom 10. ins 11. Jahrhundert. Der Anstoss hierzu war von einem nordischen Volke gegeben, das schon vom 8. Jahrhundert an durch seine abenteuerlichen Kriegszüge der Schrecken Mitteleuropas geworden war, den Normanen. Von jenem Zeitpunkte (912), als sie sich im Norden Frankreichs festgesetzt hatten, nahmen sie regen Anteil an der Entwickelung des ritterlichen Wesens; bei ihrem Talente, ihrer Regsamkeit und Thatenlust erschie- nen sie bald als die ersten Kriegsmeister, die allenthalben, was den Krieg, seine Mittel und seine Führung betraf, als Beispiel und Muster angesehen wurden. Was die Normanen in der Pflege des Kriegs- wesens ungemein unterstützte, das war ihre Kenntnis der Welt, ihr freier Blick, mit dem sie sich alles rasch aneigneten, was einen besseren Erfolg versprach. Schon im 9. Jahrhundert waren sie nach Andalusien gekommen, hatten sich an den afrikanischen Küsten fest- gesetzt, hatten Italien überzogen und in allen diesen Ländern unter Feuer und Schwert eine überlegene Kriegsgewandtheit errungen und vieles sich angeeignet, was ihnen von Nutzen schien. So hatten sie auch im Waffenwesen eine bedeutsame Umbildung angebahnt und durchgeführt, welche als die Grundlage für das ganze Mittelalter an- zusehen ist; eine Umbildung, welche der feudalen Gestaltung ihrer Organisation und ihrer offensiven Taktik entsprach; die Elemente dazu hatten sie sich zum grossen Teile bei den orientalischen Völkern geholt. Blicken wir auf die Tapete von Bayeux mit den Darstellungen der Eroberung Englands (1066), die den letzten Jahrzehnten des 11. Jahrhunderts entstammt, so sehen wir auf den ersten Blick in der Bewaffnung den orientalischen Einfluss, wenn auch eine Weiter- bildung nach eigenen nationalen Anschauungen nicht zu verkennen ist. Wir sehen dort zum erstenmal neben dem antiken pilum den spitzen Helm mit dem charakteristischen Naseneisen, die Brünne, den eng anliegenden Haubert, den langen Reiterspiess, aber wir bemerken, Einleitung. dass der Normane wie der Sachse seinen nationalen grossen Schild, das lange Schwert, die beide sich in der damaligen Fechtweise bewährt hatten, beibehalten hat. Im schweren Fussvolke erscheinen neben den langen, starken Spiessen noch immer, wenn auch geringer an Zahl, die Streitäxte, und den Fernwaffen, dem Bogen, der Schleuder, wird ganz im Geiste des Rittertums nur zur Einleitung des Gefechtes eine Ver- wendung gegeben. In der Ausrüstung der Reiterei ist gegenüber jener des Fussvolkes noch wenig Unterschied zu bemerken, nur der lange Schild wird unterhalb spitz zugeschnitten; diese Form erschien zu Pferde bequemer. Noch wird der Spiess mit freiem Arme geführt und das Schwert, gleich den Orientalen, erst in dem Augenblicke ge- zogen, wenn der Einbruch in die feindliche Linie erfolgt war, wobei jeder einzelne seinen Gegner sich suchte, mit dem allein er um die Siegespalme rang. Um den kräftigen Einfluss des Orientes auf die Bewaffnung der Normanen erklärlich zu finden, darf man unter anderem nur an Harald III., Haardraade erinnern, der zehn Jahre (1033—1043) unter fortwährenden Kämpfen mit den Sarazenen in der kaiserlichen Leibwache zu Byzanz diente. Das Ende des 11. Jahrhunderts bezeichnet den Beginn der Kreuzzüge. Der kriegerische Sinn, der Drang nach Thätigkeit, der alte Hang nach einem abenteuerlichen Leben waren Ursache, dass die Normanen die Idee einer Eroberung des Heiligen Landes mit Be- geisterung ergriffen und rasch auch die Franzosen für selbe gewannen. Die langen und erbitterten Kriege mit den Seldschukken und Arabern bildeten eine tüchtige Schule für die abendländischen Völker. Schon die ersten Berührungen mit dem Feinde erregten das Staunen der abendländischen Ritterschaft. Sie sah sich einer Reiterei von un- gemeiner Zahl gegenüber, die jedem ihrer schwerfälligen Stösse aus- wich, um, rasch wieder gesammelt, gegenteilig anzugreifen. Eine solche Reiterei erschien unbesiegbar. Der Bogen war längst bekannt, aber einen solchen Pfeilhagel, von Reitern und Fusstruppen ausgegangen, hatte sie nie gesehen. Die Wirkung der Fernwaffe war erschreckend, und besonders litt der Pferdestand darunter. Mit Entsetzen sahen die Ritter eine Reiterei vor sich, beweglich, ausdauernd, die alle Waffen handhabte: Spiess, Streitkolben, Beil und Bogen; ein Fuss- volk, das, in einigermassen günstiger Stellung, sich eher vernichten liess, als dass es gewichen wäre. Ein grosser Teil desselben führte eine ungekannte Fernwaffe, deren Geschosse selbst in den Haubert einzudringen vermochten, die Armrust. In England und Brabant suchte man die orientalische Fechtweise nachzuahmen und errichtete schon um 1280 berittene Bogenschützen. Wie in der Taktik, so lernten die Europäer auch in der Bewaffnung den weitaus kriegs- gewandteren Orientalen manches ab, manches änderten sie selbst- ständig daran, um ihren Gegnern ebenbürtig zu begegnen. So ent- Die Entwickelung des Waffenwesens in ihren Grundzügen. nahmen die Abendländer von den Orientalen das Krummschwert, den leichten Reiterspiess (pennon), den verbesserten Bogen und die Armrust. Das wichtigste Ergebnis aber war die Entwickelung des Rittertums im normanischen Geiste, gefördert durch die dort aufgetretene Notwendig- keit eines engen Zusammenhaltens und durch das nachahmenswerte Beispiel ritterlichen Sinnes unter den Orientalen. Das Rittertum ist auf der Schätzung des persönlichen Wertes aufgebaut, dieser Grund- zug seines Wesens wurzelt in alten deutschen und nordischen Tra- ditionen einer den späteren Generationen ehrwürdigen Heldenzeit. Auf den Sandfeldern Palästinas unter französischen, normannischen und deutschen Herren entstand das Turnier als Scheinkampf zwischen Scharen oder Einzelnen. Es fand seinen Ursprung nicht in dem Streben, sich im Gebrauche der Waffe zu üben, sondern in der Rivalität der hier vereinten nationalen Parteien, in denen jeder einzelne seine kriege- rische Tüchtigkeit vor den anderen darzuthun bestrebt war. Das Turnier als Scheinkampf ist nicht aus romanischem Geiste erwachsen. Schon Tacitus erwähnt in seiner Germania (Kap. 24) die Lieb- haberei der Deutschen an Scheinkämpfen, und Nithart, der 844 schrieb, erzählt von den Waffenspielen im Heere Ludwigs des Deutschen. Diese älteren Waffenspiele waren Kämpfe in geteilten Haufen, die man mit dem Namen »buhurt« bezeichnete. Aus der Selbstschätzung des einzelnen und durch den Umstand, dass später der Ritter durch seine Bewaffnung vollständig vermummt erschien, erwuchs das Bedürfnis, sich durch bestimmte Abzeichen zu unterscheiden. Damit bildete sich die Heraldik heraus, die, anfänglich so einfach, schön und sinnig, später als Kunst von dunkler Symbolik eingezwängt, ihren ursprüng- lichen Charakter verlor. Bis ins 14. Jahrhundert bestand kein Unter- schied in der Bewaffnung des Turniers mit jener im Kriege. Von da an trennten sich allmählich die Formen. Mit der Verschiedenheit der Streitmittel erhielt das Turnier eine eigenartige Physiognomie; es verlor den ernsten, bedeutsamen Untergrund und wurde unversehens zum inhaltlosen Spiele nach gewählten Regeln, die mit dem Kriegs- handwerke nichts mehr gemein hatten. Damit entgeistigt, ging das Turnier den Weg aller müssigen Spiele. Zunächst erkennt man das Streben nach äusserlichem Effekt bei möglichster Gefahrlosigkeit, endlich wird es zur aufgeputzten Komödie, und die Bemühungen der Besten jener Zeit, wie Gastons de Foix, Wilhelms IV. von Baiern, Albrecht Achilles von Brandenburg, Maximilians I. u. a., vermochten dem Turnier nimmermehr jene ernste Bedeutung zu verleihen, die es im 14. Jahrhundert noch besass; es war mit dem Rittertume selbst zu Grabe gegangen. Hoch bemerkenswert sind uns die Kreuzzüge im Hinblicke auf die Erfahrungen im Kriegswesen und die auf selben beruhende Be- waffnung. Gegen die meist aus leichten Reitern bestehenden Heer- haufen des Feindes und ihre eigentümliche Gefechtsweise schien sich Einleitung. vom Beginne an eine vollkommen geänderte Taktik zu empfehlen. Nicht nur aus dieser Ursache, sondern durch die ungünstigen Boden- verhältnisse veranlasst, musste dem Fussvolke schon im ersten Kreuz- zuge ein bedeutenderer Wirkungskreis eingeräumt werden, als ihm bisher vergönnt war. Die schweren Reiterscharen der Europäer konnten nur im geraden Stosse eine Wirkung erreichen. Schon bei Antiochia (1097) hatten die Ritter aus Not es vorgezogen, dem An- griffe des Feindes zu Fuss zu begegnen, und hatten damit einen ungemeinen Erfolg erzielt. Hundert Jahre später, im dritten Kreuz- zuge, wiederholte Richard I. von England 1192 bei Joppe diesen Versuch mit dem gleichen überraschenden Erfolge. In seiner Stell- ordnung, die er den alten Regeln der Griechen, des Atheners Cha- brias, entlehnte, äussert sich deutlich die zur Zeit allgemein geteilte Überzeugung, dass die Kriegskunst seit dem Zusammenbruche des Römerreiches auf Abwege geraten, dass sie da wieder aufgenommen werden müsse, wo sie abgebrochen war. Aber von der Erkenntnis bis zur allgemeinen Durchführung war noch ein weiter Raum. Die innere politische Verfassung, das noch immer kräftige Lehenswesen, das mit dem ganzen Kriegswesen im innigen Verbande war, liess eine Änderung in der Streitweise nicht zu; nach Europa zurückgekehrt, war auch die Notwendigkeit einer solchen weniger gefühlt; da traf doch ein Lehensheer wieder das andere; nur in Italien und gegen die Städte war Vorsicht nötig, aber der Krieg gegen diese bestand doch zumeist in Belagerungen. Im Norden Europas wurde der Krieg allerdings nur von einem tüchtigen Fussvolke geführt, wie unter den Stedingern und Friesen, aber die Ereignisse dortselbst waren doch zu wenig bedeutend, um Aufmerk- samkeit zu erregen. Eine überraschende Katastrophe musste kommen, um eine Umänderung der Organisation und Streitweise in Aus- führung zu bringen. Je mehr die Lehenschaft ihre Wichtigkeit fühlte, desto mehr suchte der einzelne darin seinen Wert und seine Unentbehrlichkeit festzustellen. Diese übertriebene Selbstschätzung führte zu einer Zeit, als schon die ersten Symptome einer Verrückung des bisherigen Schwerpunktes in den Waffengattungen wahrnehmbar wurden, zu einer ebenso übertrieben schweren Bewaffnung. Der einzelne wollte nicht allein als Held, sondern auch »absolut unverwundbar« erscheinen; das führte zu einer ungemein schweren Ausrüstung des Reiters mit Topfhelm und anderen Schutzwaffen, die auf dem orientalischen Kriegstheater im argen Missverhältnisse mit dem Klima daselbst und der eigenartigen Fechtweise des Feindes stand. Was nützte die all- mähliche Verkürzung des gewichtigen Haubert, die Verbesserung des Schutzes der Beine, die dadurch ermöglichte Verkleinerung des Schildes, wenn die Notwendigkeit hinwieder zur Verstärkung des Leib- harnisches durch immer grössere Eisenplatten zwang? Der Reiter Die Entwickelung des Waffenwesens in ihren Grundzügen. erschien gesichert vor den Streichen des Feindes, aber sein Ross brach ermattet unter ihm zusammen, und er selbst war nicht im stande, sich vom Boden zu erheben. Wie seine Schutzwaffen, so nahmen auch seine Angriffswaffen an Gewicht zu; der Spiess wurde stärker im Schafte, das Schwert gewichtiger; ersterer konnte nicht mehr mit frei erhobenem Arme geführt, sondern musste zum Stosse in die Achselhöhle gedrückt werden. Diese Übertreibung nahm ihren Weg bis ans Ende des 13. Jahrhunderts. Der Kampf mit solchen Waffen in der Schlacht erlaubte nicht mehr eine Bewegung in geschlossener Ordnung, er artete zu einer Zersplitterung der Kräfte aus und bestand in nichts weiterem als einer Anzahl von turnierartig-ritterlichen Gängen, in welchen jeder einzelne nur für sich focht. Gerade das missachtete Fussvolk, wenn es von dem Beutemachen zurückgehalten werden konnte, gab das Beispiel einer geschlossenen, kräftigen Kampfweise, ungeachtet seine Bewaffnung und Ausrüstung die bunteste und unzulänglichste war. Daneben fehlt es nicht an Beispielen, dass einsichtsvolle Herrscher wenigstens nach Möglichkeit trachteten, die Verirrung, in welche ihre Lehenschaft geraten war, minder gefahrvoll zu gestalten. Ja Friedrich II. hielt in seinem geworbenen Heere neben Deutschen auch zahlreiche Mauren von Luceria und Sicilien, deren Fechtweise im vollen Gegensatze zu der des Lehensheeres stand. Der Römer- zug Heinrichs VII. (1310—1313) bildete den letzten Triumphzug der schwergerüsteten deutschen Ritterschaft; wenige Jahre darauf (1315) erlag die auserlesenste Schar der habsburgischen Lehenschaft den Keulenschlägen einer Horde armseliger Schweizerbauern am Moor- garten. Die Ursachen der Niederlagen gegen die Schweizer sind, wie wir nicht verschweigen dürfen, in der überlegenen Taktik der letzteren zu suchen, die aber auch mit der Bewaffnung in besserem Einklange war, als bei ihren Feinden. Gerade am Moorgarten konnte der Reiterei nur eine Reservestellung zugetheilt werden; das liess aber der Hochmut der Ritterschaft nicht zu. Dieser Erfolg eines an sich schlechtbewaffneten, aber mora- lisch tüchtigen Fussvolkes wirkte wie ein Donnerschlag auf die von übertriebenem Selbstbewusstsein befangene Ritterschaft Deutschlands und Frankreichs; der Wahn von Jahrhunderten war zerstäubt, aber die richtige Erkenntnis war dem Schlage nicht gefolgt. Sie konnte und wollte sich von dem Dienste zu Pferde nicht lossagen und ver- meinte durch ein nur gelegentliches Streiten zu Fuss ihren alten Ruhm zu retten, vergebens! In ihrer schweren Bewaffnung unbeweg- lich, für den Fusskampf ungeschult, war sie nur für die starrste Abwehr brauchbar und die Tage bei Laupen 1338, bei Sempach 1386 und bei Näfels 1388 bewiesen ihre Unzulänglichkeit völlig. Vom Tage beim Moorgarten schreibt sich der Jahrhunderte alte Ruhm des schweizerischen Fussvolkes her. So wurde aus den untersten Volkselementen heraus eine voll- ständige Umwälzung der Kriegführung angebahnt, das Kriegswesen Einleitung. selbst aus der Erstarrung gerissen, der es verfallen war. Auf die Ritterschaft hatte dieser Schicksalsschlag eine demoralisierende Wir- kung, die durch die Schwäche der Reichsgewalt nur noch gesteigert wurde. Zunächst merkt man die Scheu, in grösserem Verbande zu fechten; in kleineren Geschwadern waren sie aber auf Beweglichkeit angewiesen. Das führte zu einer relativen Erleichterung der Schutz- waffen. Der Topfhelm verschwindet, an seine Stelle tritt die Beckenhaube, das Bassinet, den sackförmigen Haubert ersetzt der geschmeidigere Lentner, der sich mehr an die Körperform anschloss. Dadurch wird die Reiterei entschieden handsamer und beweglicher. Aber ihre Prozentzahl im Heere schwindet bedeutend, während die des Fussvolkes progressiv wächst. Dem Fussknechte wird in seiner Ausrüstung in Schallern oder Eisenhut, mit Spiess und Schwert mehr Sorgfalt zugewendet. Arm b rust und Bogen wird zahlreicher und mit mehr Bedacht benutzt und in den Heeren der ersten kriegführenden Mächte tauchen um 1330 einzelne fremde Wundermänner auf, welche zum Erstaunen von Freund und Feind die Donnerbüchse handhaben. Weit vor Erfindung und Anwendung des Schiesspulvers hatten Mangel an Vaterlandsliebe, Eigensucht und Hoffart das Rittertum und damit auch die Lehensheere dem Verfalle entgegengeführt, wenn auch die letzten kümmerlichen Reste erst dann sich verloren, als Mut und Kraft des Einzelnen an Wert einbüsste, und Todesgefahr den Reiter früher treffen konnte, bevor er selbst sie dem Feinde bringen konnte. Wenn wir die Perioden des Mittelalters bis ans Ende des 14. Jahrhunderts überschauen, so sehen wir, dass das Rittertum einem Elemente erlag, das anfänglich tief verachtet, allmählich zu hoher Bedeutung gelangte, dem Volkselemente, dem Bürgertum. Die Staatsweisheit nötigte die Herrscher immer mehr, dieses zu schützen; sie folgten aber damit nicht einem Herzenszuge, sondern nur der Not. Die Prinzipien des Rittertums waren so ehrenhaft, dass ihr Erlöschen nur mit tiefem Leid gesehen werden konnte. In seinem Kodex stand anfänglich für den Krieg keine Arglist, kein Überfall, kein Angriff aus der Ferne von sicherem Winkel aus. So wenig das zu den Bedingungen der Kriegskunst stimmen mochte, man konnte der reinen Anwendung der virilen Kraft, geleitet durch einen heldenhaften Geist, seine Bewunderung nicht versagen. Als die Zahl derer immer mehr zunahm, die den Traditionen des Adels untreu wurden und den ritterlichen Waffengang, oft schmutzigster Natur, ausfochten mit den Mitteln der Volkselemente, da demokra- tisierten sie sich selbst, und verleugneten das Andenken ihrer helden- haften Ahnen. Worin aber lag die äusserliche Ursache der vorschreitenden Demokratisierung der Heere? Sie findet sich deutlich in der all- Die Entwickelung des Waffenwesens in ihren Grundzügen. gemein sich hebenden Technik, welche immer wirksamere Mittel des Angriffes und der Abwehr lieferte. Naturkräfte wurden vom Banne erlöst und mit Scharfsinn verwendet, das Bearbeiten der rohen Stoffe, vorwiegend des Eisens, entwickelte sich und der Schleier des Geheim- nisses, der die Thätigkeit umgab, lüftete sich immer mehr. Alle die zahllosen neuen Mittel lieferten die Volkskreise. Die bedeutsamste Erfindung, welche die Kriegskunst in voll- kommen neue Bahnen lenkte, war die des Schiesspulvers. Es ist ganz überflüssig, darüber nachzugrübeln, wann dasselbe erfunden wurde; viel wichtiger muss es uns hier sein, zu wissen, wann dasselbe begann, eine allgemeinere Anwendung zu finden. So viel ist als er- wiesen anzunehmen, dass das Feuer bereits im Altertume als Mittel im Kriege erscheint. Kallinikos aus Heliopolis teilte das Geheimnis der Bereitung des „griechischen Feuers“ bei der Belagerung Kon- stantinopels 668 n. Chr. dem Kaiser Konstantin Pogonatus mit. Aus diesen und anderen Andeutungen ist zu entnehmen, dass das Schiess- pulver seine Entstehung als eine Art Brandsatz gefunden hat und nur allmählich zu einer explosiven Wirkung gedieh, dass anfänglich nur das Feuer selbst das unmittelbare Zerstörungsmittel bildete und erst später als treibende Kraft für eiserne und steinerne Geschosse be- nutzt wurde. Diese letzte Stufe des Werdens scheint es durch die Orientalen erreicht zu haben, wenigstens weist seine erste Anwendung auf die Tataren 1241 vor Liegnitz. Die allgemeine Anwendung des Schiess- pulvers zum Treiben eiserner oder steinerner Kugeln beginnt aber erst ein Jahrhundert später, und wieder waren es Orientalen, die Mauren, in der Verteidigung von Alicante 1331 und von Algesiras 1342, welche hier voranschreiten. Die erste Schlacht, in welcher sich ein abendländisches Heer einer kleinen Zahl von Geschützen bediente, war jene bei Crecy, 1346, in welcher die Engländer sechs Kanonen verwendeten. Gleich am Beginne fand das Schiesspulver eine umfangreiche Anwendung, man benutzte es nicht allein für kleine Faustbüchsen, sondern auch für schwere eiserne Rohre, welche auf Wägen trans- portiert wurden. Die ersten im Felde gebrauchten Geschütze waren Hinterlader mit Kammerladung, genau in gleicher Konstruktion, wie sie von der ältesten Zeit an die Chinesen führten. Das gibt uns den Beweis von dem orientalischen Ursprunge der Verwendung des Schiesspulvers wie des darauf sich bildenden Geschützwesens. Gegen das Ende des 14. Jahrhunderts war man allerorts bemüht, den Effekt des Schiesspulvers zu erhöhen; das führte zu allmählicher Vergrösserung der Geschütze, zur Erzeugung von Monstre-Geschützen, wie solche in den Dardanellenschlössern und anderen türkischen Plätzen zu finden waren, aber auch in unseren Ländern überbot man sich in Riesengeschützen, von welchen sich noch einige erhalten haben. Das Einleitung. leichtbewegliche Feldgeschütz scheint seine Einführung unter den Hussiten um 1420 gefunden zu haben, unter den Burgundern um 1470 fand es eine zahlreichere Verwendung, von jener Zeit reiht sich die Artillerie ebenbürtig neben Reiterei und Fussvolk. Diese nun ins Gebiet tretende Waffe bildete sich aus durchaus bürgerlichen Elementen von handwerksmässigem Gepräge, sie hatte keine nationale Färbung in den Heeren, im Gegenteil bedienten sich die Macht- haber der Büchsenmeister, wo sie selbige nur fanden; so dienten in der Türkei Italiener, Griechen und Ungarn, in den burgundischen Ländern Italiener, Deutsche u. s. w. Als man um 1430 begann, die Geschütze aus Metall zu erzeugen, dienten die Gussmeister zu- gleich als Büchsenmeister. Diese Verwendung finden sie noch am Ende des 17. Jahrhunderts. Der Gebrauch von Handfeuerwaffen durch das Fussvolk griff nur langsam um sich; seltsamerweise wurde das Handgewehr als Faustrohr lange Zeit nur in der Reiterei angewendet. Erst um 1370 finden wir Handrohre auf Bockgestellen, die aber mehr zum Wurfe, als zum direkten Schusse dienten. Im 15. Jahrhundert finden sich im Fussvolke leichte Handrohre, welche, unter dem rechten Arm gehalten, abgefeuert wurden. Der Schaft des Handgewehres erscheint erst um 1480. Die meisten Heere bedienten sich noch bis etwa 1450 vorwiegend der Bogen- und Armrustschützen. Bis ins 15. Jahrhundert hatte die Reiterei noch einen Anstrich aus feudaler Zeit, die Reihen der Lehensritter lichteten sich aber so bedeutend, dass die Herrscher darauf Bedacht nehmen mussten, ihre Reiterei in einem entsprechenden Stande zu erhalten. Sie nahmen entweder ärmere Adlige dafür unmittelbar in Sold, oder übertrugen das Geschäft der Anwerbung auf einen angesehenen Reitersmann gegen summarische Entschädigung. Wir haben gesehen, dass die Ritterschaften in den Kreuzzügen ihre Rüstung gerade einem Feinde gegenüber schwerer gestalteten, der nicht allein durch Kraftwirkung, sondern auch durch Beweglichkeit zu bekämpfen war. Diese Schwerfälligkeit der Reiterei jener Zeit war die Folge des irrigen Glaubens an den Wert einer absoluten Deckung vor der feindlichen Waffe. Dieser Irrwahn erhielt sich vor allem in der Reiterei und nahm sein Ende noch lange nicht, als die Geschosse der Kartaunen, Singerinen und Falken ganze Reihen Geharnischter niederschmetterten. Ja im Gegenteil war man be- strebt, den Lentner allmählich durch mehr und grössere Platten zu ver- stärken. Im 13. Jahrh. begann bereits die Deckung von Armen und Beinen durch Geschiebe aus Eisenplatten; nun fügte man Brust- und Rücken- stücke, aus eisernen Platten gebildet, hinzu, gab den Helmen entsprechen- dere Formen; so entstand um 1420 der „Plattenharnisch“, der nur gegen Spiess und Schwert, allenfalls noch gegen Armrustbolzen und Die Entwickelung des Waffenwesens in ihren Grundzügen. Faustrohrkugel einen Schutz bot. Damit wurde die Reiterei nicht beweglicher und brauchbarer, wenn sich auch im Laufe der Zeit mit dem martialisch erscheinenden Plattenharnische der Begriff von alter Ritterlichkeit verband. Der Spiess (Schürzer) bildete noch immer die vorzüglichste Angriffswaffe des Reiters, sein Gewicht veranlasste um 1460, ihn beim Anrennen auf einen Haken, Rüsthaken, aufzulegen, der an der rechten Seite des Bruststückes angebracht war. Schwert und Dolch waren gleich dem Topfhelm seit dem 13. Jahrhundert mittelst Ketten an dem Haubert befestigt, um sie im Schlachtgewühle nicht zu verlieren. Diese verwickelten sich leicht und wurden darum am Beginne des 15. Jahrhunderts abgelegt. Viel hielt der schwere Reiter seit dem 13. Jahrhundert auf ein starkes Schwert mit langer Klinge und auf einen stosskräftigen Dolch. Schon am Ende des 13. Jahrhunderts entstanden in England, Spanien, in Brabant und in Italien leichte Reiterkorps, welche aus Söldnern bestanden. Sie führten meist keine Spiesse, wohl aber leichte Schwerter und Bögen, später auch Faustrohre (scopiti). Friedrich der Schöne benutzte 1322 die Freundschaft Ungarns zur Mithilfe ungarischer Reiter, die er leider bei Mühldorf nicht zu be- nützen verstand. Immer mehr wuchs das Ansehen der Italiener als leichte Reiter, das sie sich bis ins 17. Jahrhundert zu erhalten wussten. Das Fussvolk gewann seit den Schweizerkriegen eine stets wachsende Bedeutung, damit wurde auch ihrer entsprechenden Be- waffnung allerorts mehr Sorgfalt zugewendet. Diese Sorgfalt äussert sich nicht allein in der stets solider werdenden Form der Angriffs- waffen, sondern auch in dem Bestreben, den immer wertvoller werdenden Mann zu schützen. Der Fussknecht und besonders der Schütze wurde nun durch den Holzschild, ersterer auch durch so- genannte Sturmwände gedeckt, die wohl die Beweglichkeit sehr beeinträchtigten, dennoch aber beim Angriffe viele Vorteile boten. Sie erhalten sich bis gegen das Ende des 15. Jahrhunderts. Im allgemeinen teilte sich das Fussvolk in Spiessknechte und Schützen. Nur die Spanier fochten mit Schwert und Rundschild. Es war um 1320 ein bewegliches und moralisch tüchtiges Element in das Fuss- volk gekommen, der geistige Faktor wuchs in der Kriegskunst, die Taktik entwickelte sich. Ebenso wohl durchdachte als kühn aus- geführte Unternehmungen, Flankenmärsche, Überfälle etc. beweisen das zur Genüge. Dem entsprechend entwickelte sich auch die Waffe, sie wurde handlicher, es wuchs das Streben, eine und dieselbe Waffe für mehrere Zwecke zum Hieb und Stich zu verwenden. Zu un- gemeinem Ruhme gelangten die Schweizer, die ihre eigene Fechtweise besassen, der auch die Bewaffnung entsprach, die im 14. Jahrhundert noch einfach genug war. Sie bestand damals nur aus schwerem Schilde und Spiesse, später bedienten sie sich auch der Helme und Bruststücke, legten den Schild ab und rüsteten sich mit langem Einleitung. Spiesse, dem Kurzschwerte und dem sogenannten Kurzdolch (Schweizer- degen) aus. Einzelne kräftige Leute fochten mit ungeheuren Schwertern oder schweren Keulen. In der Fechtweise wie in der Bewaffnung wurden sie das Vorbild für die späteren Landsknechte Maximilians I. In Frankreich, wo die Heeresfolge schon früh ab- nahm, mussten die Könige schon im 13. Jahrhundert zu Miettruppen ihre Zuflucht nehmen. Den Brabançons folgten die Grandes com- pagnies, diesen die berüchtigten Armagnacs. Sie bestanden alle der Mehrzahl nach aus Fussvolk mit leichter Bewaffnung und betrachtete n alle das Kriegführen als Geschäft mehr zur Bereicherung wie zur tüchtigen Leistung. Als ein schwacher Versuch, ein Nationalheer zu schaffen, kann die 1448 erfolgte Errichtung der Franc-archers oder Freischützen unter Karl VII. in Frankreich betrachtet werden. Nicht besser als die Armagnacs waren die italienischen Condottieri, nur war die Bewaffnung der letzteren solider. Diese wurde später zum Vorbilde für die Heere des 15. und 16. Jahrhunderts in Deutsch - land und anderen Ländern. Spiesse, Kurzschwerter, Degen, sow die Armrüste erhielten allenthalben italienische Formen. Auch in den orientalischen Ländern machten sich in den Heeren ähnliche Verhältnisse geltend wie im Abendlande. Auch dort wollte der Türke, der Tatare und vorab der Araber nicht zu Fuss fechten, aber in der Abhilfe dieses Missverhältnisses schritten die Sultane den Europäern weit voraus durch die Errichtung eines tüchtigen Fuss- volkes der Janitscharen (Jeni-tscheri) 1330. Die Bewaffnung der türkischen Heere war nach den zahllosen Stämmen dieses grossen Reiches eine sehr verschiedene, und es machten sich darin später auch europäische Einflüsse geltend. Die Janitscharen führten Bogen und Krummschwert, die Spahis oder Timarioten, aus Europäern be- stehend, lange, gerade Schwerter und dünnschäftige Spiesse. Die Anatolier, welche unter ihren Dere-Begs eine Art Feudalverfassung hatten, waren in ganz asiatischer Art mit Krummschwert, Bogen, Streitaxt und dem Wurfspiesse (djerid) bewaffnet. Gegen das Ende des 15. Jahrhunderts stand ein Staat an der Spitze der Heeresreformen, das Herzogtum Burgund unter Karl dem Kühnen. Die Einrichtungen desselben waren, äusserlich betrachtet staunenerregend und einzelne derselben, wie die Organisation des Geschützwesens, ohne Zweifel hoch verdienstlich, aber dem ganzen riesigen Heere fehlte es an Homogenität und vor allem an Korpsgeist So kam es, dass ein äusserlich prachtvolles und vorzüglich bewaffnetes Heer den Schweizern erlag. Ebenso erging es vorher den östlichen Mächten, die den fanatischen Hussiten nur Haufen eilfertig bewaffneter, stumpfsinniger Landleute entgegenstellen konnten. Mit dem ausgehenden 15. Jahrhundert beginnt die Epoche der stehenden Heere und damit einer mehr in den Sorten und Formen einheitlichen Bewaffnung. In der Reiterei erscheinen die Gensdarmes, Die Entwickelung des Waffenwesens in ihren Grundzügen. in Deutschland die Kürisser als Muster einer schweren Reitertruppe. Vielfach noch aus adeligen Elementen bestehend, erhielten sich in ihnen noch manche Traditionen der feudalen Heere. Ihre Ausrüstung und Bewaffnung, an sich sehr sorgfältig, war doch selbst für den starken Pferdeschlag zu schwer. Mann und Pferd waren mit Eisen- platten bedeckt, der Reisspiess, das Kürissschwert waren die Angriffs- waffen. Offiziere und Rottmeister führten den eleganten, aber wenig brauchbaren Reiterhammer, Oberste den Regimentsstab. Die leichten Reitertruppen bildeten sich nach italienischem Muster. Sie waren nur in leichte Harnische mit Sturmhauben gekleidet und führten neben dem Haudegen das Faustrohr und die Arkebuse, eine Art leichter Reitergewehre mit deutschen Radschlössern. Mit staunenswerter Raschheit entwickelte sich das Geschützwesen. Um 1520 bestanden schon nahezu sämtliche Feldgeschütze aus Bronze, und auch eine oberflächliche Bestimmung der Kaliber hatte, von Nürn- berg angeregt, Platz gegriffen. Die sogenannten 4 Geschlechter: der 48pfünder oder die Kartaune, der 24pfünder, die Halbkartaune, der 12pfünder oder Falke, endlich der 6pfünder oder Schlange konnten trotz der vielen Zwischenformen als Grundformen angesehen werden. Das Wurfgeschütz, die Mörser für Steingeschosse, hatten noch keinen bestimmten Kaliber, doch wurden auch sie in Bronze gegossen und es schieden sich aus ihnen eigenartige Formen zum Werfen von Feuerwerkskörpern ab. Auch die Ballistik machte Fortschritte; man kannte schon um 1480 den Quadranten und bediente sich um 1500 hie- und da bereits der Richtmaschinen. Die alte Karrenlafette machte der Protzlafette Platz, und die Lade, in welcher früher das Kanonenrohr befestigt war, verschwand, dafür entstand die Balance- lagerung des Rohres in den Schildzapfen, die zuerst bei kleineren Kalibern in Anwendung kam. Der Büchsenmeister erhielt den charakteristischen Luntenspiess, der halb als Waffe, halb als Werkzeug anzusehen ist. Das Fussvolk war je nach der Art seines Aufbringens und seiner Herkunft noch sehr verschiedenartig gestaltet. Städtische Truppe war ziemlich gleichmässig und gut, immer aber eigenartig und wenig für den Angriff tauglich ausgerüstet. In ihr überwog in der Regel das Feuerrohr als Luntengewehr, daneben erschienen die Spiessknechte mit gemeinen Spiessen oder Helmbarten. Armrustschützen ver- schwanden nun gänzlich. Fussknechthaufen, welche noch zuweilen Adelige gegen Besoldung stellten — ein Schatten der alten Feudal- einrichtung — bestanden zumeist aus unbeholfenen Bauern und anderen wenig kriegsgeübten Elementen. Ihre Bewaffnung war die verschiedenartigste und schlechteste. Anders war es mit jener Elitetruppe, welche die Franzosen in ihren Schweizerregimentern besassen. Sie war mit langen Spiessen, Kurzschwertern und Dolchen, ein Teil mit allerdings schweren Bock- Boeheim , Waffenkunde. 2 Einleitung. büchsen bewaffnet. Eine anfänglich bedeutende Zahl führte riesige Schlachtschwerter, deren Handhabung ungemeine Übung erforderte; es wurde für die Schweizerheere charakteristisch. Nach ihrem Muster bildete Maximilian I. 1482 die Landsknechte als von erprobten Führern geworbene Truppe, ein nationales Heer, denn ihre Werbung beschränkte sich auf Schwaben, das Allgäu und Tirol, später auch aus anderen, aber immer eigenen Ländern. Die Landsknechttruppe bildete ungeachtet ihrer ziemlich mangelhaften Disziplin und ihrer zuweilen schwer fühlbaren Ausartung eine ausgezeichnete Fusstruppe, die sich den Schweizern ebenbürtig und nicht selten überlegen erwies. Der Landsknecht war Soldat von Profession mit eigener imponierender Streitweise, der auch die Bewaffnung entsprach. Gleich dem Schweizer liess sich auch der deutsche Landsknecht ebensowohl als Spiessknecht, wie als Schütze oder als Stuckknecht verwenden, ohne seinen Charakter dabei einzubüssen. Der Spiessknecht führte den langen Spiess, die Pinne (von dem mittelalterlichen pennon hergeleitet), das Landsknecht- schwert und den starken kurzen Dolch. Einzelne führten, wie sie es von den Schweizern gesehen hatten, das zweihändige Schwert, den „Bidenhander“. Der Schütze trug die Bockbüchse und als erster in allen Heeren die kurze leichte Handbüchse. Er wandte vor allen anderen zuerst die Patrone an, um rascher seine Büchse laden zu können. Die italienischen Fusstruppen weisen in dem beschriebenen Zeit- raume gegen die vergangene Periode die geringsten Unterschiede auf. Über das ganze Land war eine Zahl von Hauptleuten verstreut, die das Kriegführen als eine geschäftliche Unternehmung betrachteten und sich mit ihren Leuten an den Meistbietenden verdangen. Ihre Bewaffnung, meist klaglos, war verschieden, je nach den Ansichten ihrer Hauptleute; in einigen Kompagnien machten sich antike, in anderen orientalische Einflüsse merkbar. Hervorragend in Organisation und Bewaffnung waren immer die Venetianer, zeitweise auch die Mailänder. Die Bewaffnung war aber stets ungemein verschieden- artig. Wir finden nebst dem gemeiniglich nicht übertrieben lang- schäftigen Spiesse das Kurzschwert, später den Degen; aber neben der leichten Luntenbüchse noch lange Armrust und Bogen. Von den Schweizern entnahmen sie das Schlachtschwert und nicht selten finden wir Fusskompagnien gleich den Spaniern nur mit Rundschild und Schwert ausgerüstet. Von Italien und den Niederlanden aus angeregt, erlitt das Kriegs- wesen am Ende des 16. Jahrhunderts eine bedeutende Umbildung. Die schwere Reiterei, die alten Kürisser, legten den Reisspiess ab und fochten nur noch mit leichteren, italienischen Haudegen. Der alte ritterliche Harnisch verschwand, dafür erschien der reiterische Harnisch mit Sturmhaube ohne Beinzeug, der eine grössere Beweglich- keit und freiere Führung der Klinge gestattete. Noch war das Brust- Die Entwickelung des Waffenwesens in ihren Grundzügen. stück schwer, um vor den Geschossen zu sichern, aber dafür wurde es kürzer und kleiner. Die Arkebusiere und Dragoner, letztere aus Frankreich gekommen und zum Streit zu Fuss und zu Pferde geeignet, erhielten leichte, sogenannte Trabharnische, die Arkebuse schrumpft zum Karabiner zusammen, die Faustrohre werden doppelläufig, nicht selten erscheinen darin Revolversysteme. Die Artillerie erleichtert ihre Kaliber für den Feldkrieg beträchtlich. In der ersten Gefechts- linie findet man nur noch Schlangen. Ein Hauptstützpunkt in der Stellung aber ist von Halbkartaunen besetzt, die, in einer Batterie vereint, der ganzen Gefechtsstellung eine gewisse Festigkeit verleihen. Das Fussvolk änderte schrittweise seine Physiognomie. Die allmählich gewonnene Überzeugung, dass auch andere Volksstämme zu einem brauchbaren Fussvolk herangebildet werden können, veran- lasste zu allgemeinen Werbungen im Reiche; dadurch und durch verschärfte Ordnungen verwischte sich der Charakter der Landsknecht- regimenter, und damit erlosch auch ihr immerhin ruhmvoller Name. Von nun an erscheinen nur Fussknechtregimenter, die von erprobten Kriegern geworben, ausgerüstet und als Obersten kommandiert werden. Schon unter den Landsknechten waren Spiessträger und Schützen in organischem Verbande, jetzt wurde das System mehr ausgebildet und in ein besseres Verhältnis gebracht. Der Spiessknecht erhielt die lange dünnschäftige Picke und wurde nun „Pickenier“ genannt. Noch lange trug er einen leichten, schwarzen Harnisch und eine sogenannte Pickelhaube; der Schütze gemeiniglich nur ein Brust- und Rückenstück mit der sogenannten Schützenhaube. Die alte, schwere Hakenbüchse wird abgelegt und die Luntenmuskete eingeführt, welche zum An- schlage auf einen Gabelstock aufgelegt wird. Unteroffiziere führten die Helmbarte, Offiziere der Truppe die Partisane oder den leichten Feldspiess. Die Spanier und Niederländer griffen in der Regel mit starken Kolonnen an, in deren ersten Reihen Soldaten mit Rundschildern und schweren Stossdegen marschierten. Derlei Schildträger, „Rund- tartschiere“ genannt, finden sich auch bei den Engländern. Charak- teristisch für die zunehmende Bedeutung des Feuergewehres ist, dass die Picken an Zahl immer mehr abnehmen, während die Musketen- zahl stetig wächst. In dieser Bewaffnung, die sich im Detail im niederländischen Kriege am Ende des 16. Jahrhunderts herausgebildet hatte, wurden von den Deutschen die Schlachten des 30jährigen Krieges aus- gefochten. Die Italiener bequemten sich erst allmählich zu derselben. Ihre Bewaffnung mit Schilden und Haudegen, Partisanen und leichten Musketen eignete sich mehr für den kleinen Krieg, als für die Feld- schlacht; desungeachtet fand diese leichte Ausrüstung, namentlich der Schützen, allenthalben auch in deutschen Truppen Nachahmung. Eigenartig wie immer erschien die Ausrüstung der Polen und Ungarn in jener Zeit, die stets ein orientalisches Gepräge aufwies. Gewisse 2* Einleitung. überraschende Einzelerfolge brachten die Truppen jener Nationen zu nicht unbedeutendem Ansehen unter den Heerführern. Bei den Polen findet sich in der Ausrüstung ein Gemisch von abendländischen und orientalischen Mustern. In der Reiterei diente der hohe Adel in den in deutsche Harnische gekleideten Husaren mit Spiess und Schwert, der niedere Adel unter den „Gepanzerten“, pancernik, welche, mit Ringpanzern bekleidet, zu den leichten Reitern zählten; das ge- meine Volk wurde unter die Kosaken gereiht, die noch um 1630 und später neben dem Säbel den Bogen führten. Ähnlich war die Ausrüstung bei den Ungarn, deren Reiterei fast durchgehends mit Panzerhemden bekleidet war und die nebst leichten Spiessen und Säbeln mit Vorliebe Schlagwaffen handhabte. Vom 16. Jahrhundert an hatten sich die Heiducken anfangs gefürchtet, später geachtet zu machen verstanden. Nach ihrer späteren Organisation nach 1613 dienten sie ebensowohl zu Pferde als zu Fuss, und waren durch Bocskay vorzüglich bewaffnet worden. Die Reiterei führte neben dem Säbel noch Schilde, das Fussvolk Musketen und sogenannte Fokos, eine Schlagwaffe. Unter den Habsburgern wurde ungarisches oder kroatisches Fussvolk weniger verwendet. Erst um die Mitte des 17. Jahrhunderts erscheint solches allgemeiner. In demselben findet sich keine Picke; der Ungar und Kroate griff mit dem Czákány oder Buzogányi an; seine Muskete war leichter als die der Westvölker; daneben führte er den krummen Säbel. Von den zahlreichen, verschieden ausgerüsteten türkischen Truppen ist es schwierig, ein Gesamtbild aus jener Periode zu gestalten, doch kann im allgemeinen bemerkt werden, dass die schwere, aber nach unseren Anschauungen noch immer leichte Reiterei die sogenannten Gepan- zerten, „tschebeli“, bildeten. Mann und Ross waren in sehr leichte Plattenharnische gekleidet. Sie führten handliche Spiesse, Säbel, Hand- jars und Faustkolben. Den Kern der Reiterei bildeten die von den Timari gestellten Spahis . Sie waren nach altarabischer Art in Panzer- hemden gekleidet und führten nebst dem Wurfspiesse, „djerid“, auch den Bogen. Eine durch Tapferkeit berühmte Truppe waren die Deli oder Tollköpfe, welche in Asien geworben wurden. Ein voll- kommen unregelmässiges und nahezu unabhängiges Reiterkorps waren die Tartaren unter ihrem Chan, der sich den Titel eines Sultans gab. Sie konnten immer nur als Vortruppen verwendet werden. Ihre Bewaffnung war vollkommen verschiedenartig. Der Janitscharen als Fusstruppe haben wir bereits gedacht. Im 17. Jahrhundert wird der Bogen in ihren Reihen seltener, dafür wird die Muskete häufiger, die, um 1680 bereits mit Schnapphahnschloss ausgestattet, als Feuer- waffe der Infanterie die Luntenmusketen der anderen Heere an Brauchbarkeit weit überragte. Gegen das Ende des 17. Jahrhunderts erhalten die Heere über- all eine strammere Organisation, wenn auch die Heeresbildung die- Die Entwickelung des Waffenwesens in ihren Grundszügen. selbe bleibt. In der Reiterei werden die Harnische nur noch von Kürassieren getragen und selbst bei diesen die Helme durch Hüte ersetzt. Nur die Franzosen beliessen den Dragonern ihre Bruststücke und Helme. Die Waffen waren der gerade Pallasch und die Pistole. Noch ist unter den Offizieren der Reiterei eine Spur des alten ritterlichen Geistes wahrnehmbar. Die deutsche Artillerie war um jene Zeit sehr herabgekommen, während die französische und vene- tianische ausserordentlich gut ausgerüstet und bedient war, doch zeigte sich allerorten der Fehler, dass dieselbe in den Rahmen des Heeres nicht entsprechend eingefügt war und noch immer das Ge- präge des Handwerks aufwies. Die Infanterie, wie sie nun nach spanischem Muster genannt wurde, ging einer vollen Umwandlung in ihrer Bewaffnung entgegen. Am Beginne des 18. Jahrhunderts legte sie die Picke vollends ab, sie fand ihren Ersatz in dem Bajonett, das anfänglich in den Lauf des Gewehres gesteckt wurde. Statt des Luntengewehres erhielt sie die Flinte, die mit dem französischen Feuerschloss ver- sehen war und ebenfalls Muskete genannt wurde. Das Bajonett nahmen endlich auch die ungarischen Truppen an. Von 1750 datiert die Bildung einer leichten Feld-Artillerie, von 1772 in den deutschen Erblanden die Bildung von Artillerie-Regimentern und einer Festungs- Artillerie. Ungefähr um die gleiche Zeit auch in Frankreich und den deutschen Staaten. Damit war ihre vollständige Militarisie- rung endlich durchgeführt. In der Reiterei kamen schon vom 17. Jahrhundert an mannigfache Namen in Aufnahme. Chevauxlegers, reitende Jäger, Arkebusiere, Husaren, vom 18. Jahrhundert an Uhlanen, Bosniaken, Towarsziken, Kosaken etc. Im allgemeinen stehen alle diese als leichte Reiter den schweren Kürassieren gegen- über. Die Husaren bilden darunter eine besondere Truppe, als ihre Fechtweise eine der orientalischen ähnliche war. Dasselbe ist auch von den Uhlanen und Kosaken zu sagen, die als Lanzenreiter aller- dings selbständig hervortreten. Der Name Ulan stammt aus dem Tartarischen und bedeutet so viel als der Wachsame. Als die Polen ihre schweren Pancerni und Husaren durch leichte Reiterei ersetzten, gaben sie dieser den Namen Uhlanen. Auch der Name Kosak (Kasak) ist türkisch-tartarischen Ursprungs. Die Verwendung von Reiterei mit orientalischer Fechtweise lässt erkennen, wie sehr man noch im 18. Jahrhundert und noch später die Kriegskunst der Orientalen achtete. Mit der vorschreitenden Erstarkung der Herrschergewalt gelangte auch das Heerwesen stets mehr in die Hände der Landesfürsten. Als die Werbung durch eine wehrpflichtige Stellung ersetzt wurde, brach der letzte Rest der Rechte der alten Regimentsherren in sich selbst zusammen und es verschwand damit jede Spur der einstigen feudalen Organisation der Heere. In der Hand der Landesfürsten erhielt jedes einzelne Heer in seiner Ausrüstung und Bewaffnung Einleitung. einen gleichförmigen Charakter. Die letztere, abhängig von dem Stande der technischen Wissenschaften und der Kriegskunst, wird allmählich mehr ein Gegenstand der Massenerzeugung, der Maschinen- thätigkeit. Als solcher entwickelt sich die Bewaffnung unmittelbarer mit den Fortschritten der Technik. Der Kampf aber zwischen den Mitteln des Angriffes und jenen der Abwehr wogt weiter, er wird erst mit dem letzten Kriege sein Ende nehmen. Nach den jeweiligen Erfolgen des einen oder des anderen Teiles regelt sich die Taktik. Die Betrachtung der Entwickelung des Waffenwesens hat den bedeutenden Einfluss des Orientes auf den Occident auf dem tech- nischen und Formengebiete vor Augen gestellt; dieser Einfluss, schon im Altertume herrschend, ist vom Beginne des Mittelalters an peri- odisch, oft direkt, oft indirekt wirkend, immer aber kräftig und fördernd, zuzeiten selbst von nachhaltiger Wichtigkeit für die Kultur des Abendlandes. Die ersten Spuren orientalischer Einwirkung im Mittelalter gehen bereits bis in die Zeit der Völkerwanderung, ins 4. Jahrhundert, zurück. Später vermitteln sie bis ins 9. Jahrhundert die Sarazenen in Spanien und Sizilien. Im 11. Jahrhundert sind es die Normanen, welche die Lehren orientalischer Kriegskunst aufnehmen und ver- breiten. Die bemerkenswerteste Periode aber ist jene der Kreuzzüge, und vor allem war es der dritte, welcher als eine grosse Schule des Krieges angesehen werden kann. Von jener Zeit an wird der direkte Einfluss des Orientes geringer, dafür nimmt der indirekte aus Italien zu, der sich bis ins 17. Jahrhundert erhält. In den Türkenkriegen dieses Jahrhunderts kommt der Orient wieder unmittelbarer und nicht ohne Erfolg zur Beachtung. Die Spuren dieser letzten Einwirkung leiteten sich bis auf die Gegenwart. Das Feudalwesen mit all seiner Kriegskunst war starr geworden, es hatte sich früher überlebt, als die Feudalherren dies gewahr wurden. Ein flüchtiger Zusammenstoss mit Volkselementen genügte, um die Schwäche des Kolosses vor aller Augen darzuthun. Von diesem Augenblicke an nimmt die Bedeutung des Fussvolkes zu; aus Volks- elementen heraus ersteht das Geschützwesen, als eine bedeutsame Entwickelungsstufe der Verwendung des Schiesspulvers, die ihre ersten Anfänge gleichfalls unter den Orientalen gefunden hatte. Durch diese totale Umbildung des Heerwesens tritt das Waffen- wesen in ein neues Stadium. Diese letzte Entwickelung fand ihren Ursprung auf heimatlichem Boden. I. Die Schutzwaffen. 1. Der Helm. S o heiss das Streben der Waffenschmiede in Jahrhunderten auch war, den Mitteln des Angriffes wirksame der Abwehr und umge- kehrt entgegenzustellen, so fand dasselbe doch stets seine Grenzen in dem technischen Vermögen, und in dem allmählichen Zunehmen des letzteren erkennen wir die Hauptursache der so häufigen und oft drastisch erscheinenden Formenwandlungen. Am Ausgange der an- tiken Zeit schien es, als hätten die Angriffsmittel jene der Abwehr weit übertroffen. Das Schwert der Germanen, Gallier etc. wurde kräftiger im Eisen, seine Klinge länger, die Stangenwaffe stärker und wirksamer, die Schlagwaffen wurden allgemeiner, die Fernwaffen, Bogen, Schleuder, Wurfspiess, gelangten zu grösserer Bedeutung. All diesen furchtbaren Angriffswerkzeugen hatte man nur höchst un- genügende Schutzmittel entgegenzustellen: einen kleinen Helm, der in seiner Form noch ein Vermächtnis aus der späten römischen Zeit darstellte, ein Lederkleid, mit Plättchen oder Schuppen von Eisen, Bronze oder Horn besetzt, und einen Schild, den ein Axthieb trennen konnte. Die eifrige Sorge, dieses empfindliche Missverhältnis zu beheben, findet sich nirgends klarer vor Augen gestellt, als wenn wir die Wandlungen verfolgen, welche der Helm vom frühen Mittelalter bis in die Neuzeit in seiner Form erfahren hat. Die Hauptbedeckung der italischen Krieger am Beginne des Mittelalters bestand aus einer halbkugelförmigen, aus mehreren Stücken zusammengenieteten Haube aus Bronze oder Eisenblech, an deren Unterrande eine flache, schmale Krempe angesetzt war. Über die Mitte von vorn nach rückwärts verbreitete sich ein blattartiger, be- malter Kamm, eine dunkle Erinnerung an den alten Helm aus der Blütezeit Roms. (Fig. 1.) Es ist dies mit geringen Veränderungen dieselbe Form, wie wir sie von der Hallstattperiode her antreffen, somit von einem Zeitraume, der fünf Jahrhunderte vor unserer Zeit- rechnung zu setzen ist. Weit einfacher war die kriegerische Kopf- I. Die Schutzwaffen. bedeckung der barbarischen Völkerschaften des 5. Jahrhunderts, sie bestand aus einer niederen, konischen Haube, aus mehreren Stücken Bronze oder Eisen zusammengesetzt, von deren Rande aber ein Kettengeflecht oder ein mit Ringen benähter Stoff herabhing und sich unter dem Kinne an den Hals schloss. Die älteste Form einer Halsbrünne , die ihr Original im Oriente gefunden hatte. Die wenigen in Deutschland gefundenen Helme des frühesten Mittelalters zeigen etruskische oder asiatische Formen, was darauf hindeutet, dass der klassisch-antike Einfluss bei den Germanen nur gering gewesen ist. Die Heruler und Longobarden waren die ersten, welche sich eiserner Helme bedienten; das hatte seinen Grund, weil beide Stämme an den Südabhängen der Alpen eine alte Eisen- Fig. 1. Bronzehelm . Der Helm, ohne den hier dargestellten Kamm, gefunden in einem Grabe bei Sesto-Calende. Vielleicht 4. Jahr- hundert. Museum der Akademie zu Mailand. Nach Viollet-le-Duc. Fig. 2. Germanischer Helm , sogenannter „Eberhelm“, ge- funden in einem Grabhügel bei Monyjash (Derbyshire). Die Spangen sind von Eisen, teils mit Silbereinlagen geziert; die Füllung besteht aus Hornplatten. Die Eberfigur ist in Eisen geschnitten, mit Augen aus Bronze gebildet. 7. Jahrhundert. Nach Beck, „Geschichte des Eisens“. industrie vorfanden. Unter den Germanen waren nur die Vor- nehmeren mit Helmen versehen, die aus Kupfer- und nicht selten aus Hornplatten bestanden, welche mit eisernen Spangen zusammen- gehalten wurden. Ein solcher aus Horn gebildeter Helm wurde in einem Grabhügel bei Monsyjah in Derbyshire gefunden. Derselbe zeigt bereits ein Naseneisen, auf welchem ein Kreuz in Silber er- 1. Der Helm. sichtlich ist. Auf dem Scheitel zeigt sich das in Eisen geschnittene, deutliche Bild eines Schweines. (Fig. 2.) Es ist damit das Original eines „Eberhelmes“ gefunden worden, der eine so bedeutende Rolle in der heidnisch-christlichen Übergangszeit bei den Deutschen spielt und der wiederholt im Beowulfliede erwähnt wird. Wir sehen damit auch die ersten Anfänge des Zimiers, dessen deutscher Ursprung sich hier deutlich erweist. Lindenschmit, Altertümer unserer heidnischen Vorzeit. — Beck, Ge- schichte des Eisens. — Beowulf, v 305, 1464. Vom 5. bis ins 9. Jahrhundert ist in den italischen Ländern in dem Streben, das Haupt zu schützen, der orientalische Einfluss noch gering, die Halsbrünne, in der Form einer Kapuze, die mit dem Haubert in Verbindung kam, wird angenommen, der Helm aber, besser gesagt: eine Art Eisenhaube, kann ihren klassisch antiken Ursprung nicht verleugnen. In den Miniaturen des Psalterium aureum von St. Gallen vom Ende des 8. Jahrhunderts tragen die Krieger Helme mit weit ausladender Krempe und tiefem Nacken- schirme. An der Stirne ist die erstere nach aufwärts geschnitten und bildet vorn einen Knopf. Gemeine Krieger tragen den Helm ohne Kamm, vornehme auch mit jenem blattartig geschnittenen Kamme, wie er aus der Römerzeit her üblich war. Ganz ähnlich finden wir den Helm in den Miniaturen der Bibel von San Paolo fuori le mura vom 9. Jahrhundert dargestellt, ebenso im Evangelium des Lothar und in der Bibel Karls des Kahlen im Museum des Louvre. Im 10. Jahr- hundert wird ersichtlich der antike Einfluss schwächer, die Helme werden hoch und spitzig mit Nackenschirmen, welche beiderseits sich bis über die Ohren verbreiten; diese kegelförmige Gestalt scheinen sie, wie wir aus dem Manuskripte des Prudentius ersehen können, um das Jahr 1000 erhalten zu haben. Bis in jene Zeit war der Helm aus mehreren Stücken zusammengesetzt und vernietet und wohl auch aus Leder gefertigt, nur der Stirnreif und die über das Scheitel- stück laufenden Spangen waren aus Metall, eine Annahme, die sich durch zwei in England gefundene derlei Helme auch bestätigt hat. Es ist nun einleuchtend, dass eine derartige Kopfbedeckung einen nur geringen Schutz gegen die damaligen Angriffswaffen gewähren konnte; sie scheint auch unter dem Kriegsvolke in nicht besonderer Schätzung gestanden zu haben, denn unter den Germanen war der Helm nicht allgemein im Gebrauche gewesen und in Miniaturen des 10. Jahrhunderts finden wir häufig das Fussvolk ohne Helm, nur mit dem Haubert ausgestattet. Wesentliche Verbesserungen des Helmes lassen sich erst um die Mitte des 10. Jahrhunderts erweisen, und es ist hier der orientalische Einfluss unverkennbar. Wir sehen im Teppich von Bayeux die Angelsachsen wie die Normanen gleich ausgerüstet. Sie tragen die mit eng anschliessender Kapuze ausgestattete Brünne aus I. Die Schutzwaffen. Leder, mit Blechstücken oder Ringen benäht. Über der aufge- schlagenen Kapuze trägt der Krieger einen sphärisch spitz nach oben zulaufenden Helm, das Vorbild der späteren Beckenhaube. Das älteste Beispiel dieser Form ersehen wir in dem Helme des heiligen Wenzel im Schatze des St. Veitsdomes zu Prag. (Fig. 3.) Er ist noch aus mehreren Stücken zusammengenietet, an seinem Rande vorn ist eine Spange, Naseneisen , nasal, angenietet, rückwärts befindet sich ein ähnlicher breiter Fortsatz. Diese Form ist orien- talisch, sie hat sich unter den Arabern und den persischen und turanischen Völkern bis ins 17. Jahrhundert erhalten. In den nörd- lichen Ländern und in Italien treffen wir im 11. Jahrhundert den Helm bei gleichfalls konischer Gestalt, meist auch mit dem Nasen- eisen. Im Norden erblicken wir ihn häufig von Kupfer in 2 Hälften Fig . 3. Der an der Rückseite des St. Wenzel-Altars zu St. Veit in Prag aufbewahrte Helm des Herzogs Wenzeslaus des Heili- gen von Böhmen (ermordet 938). Fig. 4. Helm aus getriebenem Kupfer , aus zwei getrennten Hälften bestehend, die zusammengenietet sind. Die kronenförmige Um- rahmung, sowie die grosse Federhülse tragen Spuren von Vergoldung. Der Helm wurde zu Giez in der Provinz Posen aus dem Boden ge- graben, deren Feste 1039 von den Böhmen zerstört wurde. 12. Jahr- hundert. Museum der Freunde der Wissenschaft in Posen. gefertigt und mit Bronze verziert. (Fig. 4.) Wiewohl gegen die Schlagwaffe noch nicht ausreichend deckend, war diese Helmform schon als ein erheblicher Fortschritt zu betrachten; es ist darum erklärlich, dass sich dieselbe bis ins 12., ja selbst ins 13. Jahrhundert hinein erhielt. (Fig. 5.) Mit dem Ende des 11. Jahrhunderts erscheinen die ersten derlei Helme aus einem Stücke getrieben. (Fig. 6.) Diese Thatsache beweist eine enorme Entwickelung der Waffenschmiede- 1. Der Helm. kunst in jener Zeit, wenn man die hierbei erforderliche Fertigkeit in Betracht zieht. Ein scheibenförmiges, entsprechend dickes Stück reinen Eisens musste im glühenden Zustande mittelst schwerer Fallhämmer vorerst in eine konkave Form gebracht und dann am Ambosse mittelst des Handhammers ausgefertigt werden. Diese Kunst, wenn wir sie so nennen wollen, wurde aber im Oriente weit vor dem 10. Jahrhundert geübt. Der Verlauf des 12. Jahrhunderts ist von einem fieberhaften Streben begleitet, die Helmform zu verbessern. Das Scheitelstück erscheint in allen Formen sphärisch spitz zulaufend, kegelförmig, halb- kugelförmig, selbst cylindrisch mit flacher Decke. Am längsten erhält sich die erstere als „normanischer Helm“, eine Bezeichnung, die, wie wir oben gesehen haben, nicht ganz zutreffend ist. Allen diesen Fig. 5. Helm Heinrichs des Löwen , Herzogs zu Sachsen (gest. 1195). Sammlung des Herzogs von Cumberland in Gmunden. Fig. 6. Helm aus Eisen , aus einem Stück getrieben, vom Ende des 11. oder dem Anfange des 12. Jahrhunderts. Formen ist das Naseneisen eigentümlich, das im Verlaufe immer länger und breiter wird, ja in Deutschland tritt selbst die feste Ge- sichtsblende, das Visier , auf. Am deutlichsten beobachten wir dieses Herumtasten der Waffenschmiede in den Kopien der Miniaturen, welche aus dem hortus deliciarum Herrads von Landsberg stammen. Bemerkenswert in dieser Periode ist die allgemeiner werdende Sitte, den Helm mit Gold und Edelsteinen zu verzieren. Inzwischen aller dieser regellosen Versuche hatten die praktischen Erfahrungen im ersten und zweiten Kreuzzuge in erstaunlich kurzer Zeit eine Wandlung in der Helmform hervorgebracht, wie sie I. Die Schutzwaffen. drastischer kaum zu denken ist. Der Helm wird nun plötzlich cylin- drisch oder auch halbkugelförmig und so umfangreich, dass er nun nicht mehr auf der Stirne aufsitzt, sondern aufgestülpt werden muss, wobei das innen gepolsterte Scheitelstück auf der Kapuze des Hauberts lagert. Damit erscheint das Gesicht vollkommen durch die Helm- wand gedeckt; um das Sehen zu gestatten, werden Augenlöcher oder Sehspalten eingeschnitten; häufig werden auch Löcher für den hier allerdings sehr nötigen Luftzutritt eingeschlagen. Damit war der Topfhelm geschaffen, der in mannigfachen Formenwandlungen von der Mitte des 12. bis ins 14. Jahrhundert die Kopfbedeckung des ritterlichen Kriegers bildete. Der Topfhelm verdankte sein Entstehen der überaus gefährlichen Wirkung der sarazenischen Fig. 7. Topfhelm mit konischem Scheitelstücke. Übergang aus dem normanischen Helm. Aus der Kirche zu Faversham. Mitte des 12. Jahrhunderts. Nach Planché. Fig. 8. Hoher Topfhelm mit Absteckvisier und Resten des alten Kettengehänges. Stammt aus der Kirche in Norfolk. Alexandra- Palast. 12. Jahrhundert. Nach Planché. Streitkolben und Beile, gegen welche sich die etwas schwerfälligen Reiter im Heere der Kreuzfahrer anfänglich gar nicht zu wehren vermochten. Die ersten derlei Topfhelme schlossen sich noch ziem- lich der Kopfform an. (Fig. 7.) Das einem Thürchen gleich sich öffnende Visier war vorn aufgetrieben, um das Atmen zu erleichtern, und besass zum Ausblicke ein Drahtgitter oder auch nur einen einfachen Sehspalt. (Fig. 8, 9.) Die Topfhelme der Franzosen und Engländer stellen sich in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts 1. Der Helm. mit vollständig flacher Scheitelplatte dar, während jene der Deutschen mehr abgerundet erscheinen. (Fig. 10.) Gleich mit dem ersten Auftreten der Topfhelme finden sich in den Handschriften An- deutungen von einer Befestigung an den Haubert mittelst Lederriemen. Häufig wird in den Gedichten des „Aufbindens“ der Helme Er- wähnung gethan. Auch die normanischen Helme wurden übrigens im Nacken mittelst Bändern an die Brünne genestelt, wie wir noch an Siegeldarstellungen ersehen können. Gegen das Ende des 13. Jahrhunderts werden die Scheitelplatten konisch und selbst der ganze Helm zuweilen zuckerhutförmig gebildet (Fig. 11), die Wand erhält im Nacken eine leichte konkave Einbiegung. Am deutlichsten erblicken wir die um 1340 etwa übliche Form des Topfhelmes in den Abbildungen des Codex Balduini Trevirensis, über welche wichtige Quelle zur Fig. 9. Topfhelm mit Helmfenster. 12. Jahrhundert, Ende. National Collection in London. Nach Planché. Fig . 10. Topfhelm Eduards, des Schwarzen Prinzen (1330—1376), auf dessen Grabmale in der Kathedrale zu Canterbury. Nach Planché. Geschichte des Waffenwesens wir später noch zu sprechen haben werden. In Italien treten zuerst an Topfhelmen die Helmfenster (Luftgeber) auf, es sind dies vierseitige Öffnungen von ungefähr 10 bis 12 Zentimeter Seitenlänge, welche an der (heraldisch) rechten Wandseite mittelst eines eisernen Thürchens geschlossen und mittelst eines kleinen Riegels gesperrt wurden. Auch diese Vorrichtung zeugt wieder von Bemühungen, dem Träger die nötige frische Luft zuzu- führen. Um dieselbe Periode tritt eine Sitte entschiedener hervor, die, wie wir bei den Eberhelmen gesehen haben, unter den Deutschen I. Die Schutzwaffen. schon durch Jahrhunderte üblich gewesen war, die Helme am Scheitel mit figürlichen Zeichen zu schmücken. Diese Zeichen werden nun höher, auffälliger und haben zunächst den Zweck, den Träger, der durch das Visier oder die Helmwand häufig vermummt war, vor den Seinigen kenntlich zu machen. Das Selbstgefühl führte dahin, dieses Erkennungszeichen geachtet zu erhalten; es bestand aus figür- lichen Zeichen in den verschiedensten Gestalten, anfänglich aus freier Wahl; später wurden dieselben ein bleibendes Zeichen des Mannes und seiner Sippe und wurden zur „Wappenfigur“, als welche sie auch auf den Schilden erscheinen. (Fig. 12, 13.) Diese Zeichen, Zimiere (cimiers) genannt, bestanden meist aus Fig . 11. Topfhelm aus der Kathedrale zu Hereford, später in der Sammlung Meyrik bewahrt. Gegenwärtiger Bewahrungsort unbekannt. 14. Jahrhundert. Nach Planché. Fig . 12. Topfhelm mit Rest eines Zimiers, das wahrscheinlich einen Adlerkopf darstellte. Artillerie-Museum zu Paris. 14. Jahrhundert. getriebenem Leder, das mit Leinwand beklebt wurde. Letztere erhielt sodann einen Kreideüberzug als Grund für die Temperamalerei oder Vergoldung. (Fig. 14). Diese Zimiere bildeten ebenso wie die Holz- tartschen und Pavesen, die Lederparschen für die Pferde, einen speziellen Arbeitsgegenstand des Schilterhandwerks. Die Spuren von derlei Zimieren finden sich bei alten Helmen in den in den Scheitelplatten ersichtlichen Löchern. In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ist die Ausstattung der Helme mit Zimieren für das Feld nicht 1. Der Helm. allgemein üblich, wohl aber für das Turnier. Im Codex Balduini sehen wir nirgends in den Schlachtenbildern zimierte Helme, wohl aber solche auf Blatt 34, wo ein Gestech dargestellt ist. Betrachten wir den Topfhelm vom Gesichtspunkte des praktischen Gebrauches, so müssen wir bei aller Anerkennung eines Fortschrittes dennoch zugeben, dass er dem Träger unausstehlich werden musste. In der Sonnenhitze lief der Reiter Gefahr, unter seinem Helme zu ersticken. Er wurde auch in der That nur im Kampfe selbst aufgestülpt, sonst entweder von den Knappen in den Händen nachgetragen oder mittelst einer Kette an den Sattel gehängt, deren anderes Ende an dem Haubert befestigt war. Um die Last desselben leichter zu tragen, wurden seine Wände derart verlängert, dass der Helm auf den Schultern aufsass; damit war nur nach einer Richtung hin Ab- hilfe getroffen. Die peinigende Fig . 13. Helm mit Zimier des Königs Jakob I. von Arragonien (1206—1276). Orientalisierend. Armeria Real zu Madrid. Lage führte, wie wir gesehen haben, schon am Ende des 13. Jahrhunderts dahin, die vordere Helmwand in Ge- sichtsgrösse auszuschneiden und die Öffnung durch ein bewegliches Visier zu schlie- ssen, das entweder durch Entfernung der Scharnier- stifte abzustecken oder in Bolzen nach auf- oder ab- wärts zu schieben war. Da- durch entstand das auf- oder abschlächtige Visier , wel- ches häufig, um das Atmen zu erleichtern, mit Löchern versehen (gelocht) wurde. Der Topfhelm wurde an- fänglich über einer stark ge- polsterten Haube aus Leder (calotte) getragen, später, am Ende des 13. Jahrhunderts, trug der Reiter unter selbem eine niedere Beckenhaube (bacinet), an welcher ein Maschenpanzer, die Halsbrünne, befestigt wurde, welche bis auf die Schultern herabhing. Die älteren derlei Brünnen schliessen noch dicht an den Hals an, die späteren des 14. Jahrhunderts fallen gerade herab. Letztere Art war von ausser- ordentlichem Vorteile, denn nun musste sich jeder Hieb in den Hals auf dem lose herabhängenden Gewebe bis zur Unschädlichkeit ab- schwächen. An einer Seite der Vorderwand des Topfhelmes, gemeinig- lich an der rechten, seltener an beiden Seiten, finden sich kreuzartig ausgeschnittene Löcher; dieselben dienten, um den Helm an den Haubert zu befestigen (Fig. 10); dies erfolgte mittelst einer Kette, an I. Die Schutzwaffen. deren Ende sich ein Knebel befand, der durch das Loch gezogen wurde. Es ist interessant, die mannigfachen Bestrebungen zu verfolgen, welche dahin zielten, ein so plumpes, schweres Rüststück, wie es der Topfhelm darstellt, für den Träger leidlicher zu gestalten, ohne die vermeinten Vorteile einzubüssen. Schon im 2. Kreuzzuge, zu welcher Periode die ersten Topfhelme von noch geringen Dimensionen vor Augen treten, sahen sich die Reiter genötigt, über den Helm einen Leinenstoff zu breiten, um die Erhitzung des Eisens im Sonnenbrande wenigstens zu mässigen. (Fig. 15.) Dieser weit über die Schultern herab- wallende Stoff, die Helmdecke , wurde bei längerem Tragen unter dem Einflusse der Witterung und des Lagerlebens beschädigt. Die Schuss- Fig. 14. Fig. 14a. Topfhelm mit Zimier von einer kleinen Reiterstatuette, ausgegraben auf der Insel Texel. Anfang des 14. Jahrhunderts. Samm- lung J. P. Six in Amsterdam. Nach van der Kellen. 14 b. Rückseite. fäden trennten sich und es wurde daraus ein an den Rändern viel- fältig eingerissenes schmutziges Gewebe. Wie später die Fahne, so bildete damals eine verrissene Helmdecke ein den Ritter ehrendes Zeichen seiner Tapferkeit. Sie wurde mit dem Helme und später dem Zimiere typisch für den adeligen Reiter, ein Attribut seiner Mannhaftigkeit, die Kunst nahm diese herabhängenden Fetzen als stilistisches Motiv für ihre Darstellungen und so entstand die gezottete oder „gezaddelte“ Helmdecke (lambrequin), wie wir sie an heraldischen Darstellungen vom 14. Jahrhundert ersehen. Zuletzt wurden selbst neu gefertigte Helmdecken nicht anders als am Rande ausgezackt getragen, so sehr hatte sich eine ehrwürdige Tradition eingelebt. Am 1. Der Helm. Ende des 13. Jahrhunderts schien manchem einzelnen die Beckenhaube mit der Halsbrünne für seinen Schutz genügend, aber der Topfhelm aus den Kreuzzügen war der Stolz des Ritters geworden, ein Standes- zeichen gegenüber dem gemeinen Söldner oder Knappen unter der Eisenhaube. Da gab’s viele und zumal ältere, welche über der Beckenhaube einen Topfhelm aus Leder trugen, der mit Spangen von Eisen und Metall verstärkt war. Aber auch die mannhaftesten litten unsäglich unter dem Drucke des riesigen Topfhelmes und trachteten, sein Auflager auf einen anderen Punkt als den Scheitel zu übertragen. Damit entstanden die Lederwülste rings um die Becken- haube, auf welchen der Helm nun aufruhte. Die Kunst bemächtigte sich auch dieser simplen Beigabe und stattete sie in schöner Zeich- Fig . 15. Topfhelm mit halbem Flug als Zimier und Helm- decke. Von einem Schilde König Wenzels von Böhmen aus der Manessischen Handschrift nach von Eye, „Kunst und Leben der Vor- zeit“. 14. Jahrhundert. Fig . 16. Helm des Georg Castriota , Fürsten von Albanien, genannt Skanderbeg (1403—1466). Orientalisierend. Das Scheitelstück aus blankem Eisen, die Helmbinde wie das Zimier aus Kupfer, teils vergoldet. Auf der Binde liest man in gotischen Bandminuskeln in † pe † ra † to † re † bt (Ihesus Nazarenus † Principi Emathiae † Regi Albaniae † Terrori Os- manorum † Regi Epiri † Benedicat.) Der Ziegenkopf als Zimier weist auf ältere Zeit als das 15. Jahrhundert. nung mit reichen Stickereien aus. Sie wurde zur Helmbinde, die später nur noch eine dekorative Bedeutung hatte. (Fig. 16.) Um den Beginn des 14. Jahrhunderts beginnt der Topfhelm Boeheim , Waffenkunde. 3 I. Die Schutzwaffen. im Gefechte seltener zu werden. Man ging nach anderthalb Jahr- hunderten wieder zum alten normanischen Helme zurück, den man nun nach den waltenden Verhältnissen und den gewonnenen Erfahrungen allmählich umformte. Derselbe wurde in seinem Umfange grösser gestaltet, so dass er nun nicht mehr auf der Stirne aufsass, sondern tiefer in den Nacken reichte; an der Vorderseite wurde die Glocke ausgeschnitten, so dass das Gesicht bis an die Stirne frei war; ebenso war dieselbe auch im Nacken leicht ausgeschnitten (Fig. 17.) An den Seitenrändern wurde die Halsbrünne mittelst einer durch Kloben gezogenen Drahtschnur befestigt. Diese Halsbrünne bestand aus einem Geflechte aus genieteten Eisenringen, dem sogenannten Panzer- oder Musszeug , und fiel vorn und rückwärts über den Hals herab. Fig . 17. Beckenhaube (bacinet) mit Kloben zur Befestigung der Helmbrünne und der Nasenbandschliesse (bretèche). 14. Jahrhundert, Mitte. Italienisch. Museo Poldi-Pezzoli in Mailand. Fig . 18. Beckenhaube mit aufgeschlagenem Nasenband. 14. Jahr- hundert nach Viollet-le-Duc. Vorn war sie nur soweit ausgeschnitten, dass das Gesicht bis zum Kinne frei blieb. Am Punkte des Kinnes setzte sich ein Lappen, das Nasenband (bretèche), fort, an welches ein nach der Nasen- form getriebenes Blechstück sich reihte. Dieser Lappen, im Gefechte hinaufgeschlagen und an der Stirne an einem Kloben befestigt, deckte das Gesicht mit Ausnahme der Augen. (Fig. 18.) Diese Nasen- bänder, vorwiegend in Deutschland, doch auch da nicht allgemein üblich, erscheinen um 1330 und verschwinden um 1370. Die sicherste Deckung des Gesichtes wurde aber seit dem Anfange des 14. Jahrhunderts in dem Visiere gefunden, welches nun immer 1. Der Helm. häufiger und zuletzt um 1400 allenthalben an den Beckenhauben getroffen wird. Ist es am Stirnteile an einem Scharniere befestigt, dann heisst es Klappvisier , (Fig. 19), oder an den Seiten unbeweg- lich, aber durch Entfernung von Stiften abzulegen, dann benennt man es Absteckvisier , oder, um seitlich angebrachte Bolzen laufend, auf- oder abschlächtig . Auf dem Grabmale des Aymer de Valence, Earl of Pembrocke, von 1323 in der Westminsterabtei finden wir den Visierhelm bereits vollständig ausgebildet. In der Mitte des 14. Jahrhunderts kommt für die mit Visier versehenen Beckenhauben die von der damaligen Kopftracht her- geleitete Bezeichnung Gugel auf. Solche des leichteren Atmens halber mit spitz vorgetriebenen Visieren, welche eine der Hunds- Fig . 19. Beckenhaube mit Kloben für die Helmbrünne und schnauzenförmig vorgetriebenem Klappvisier. Der Unterrand des Seh- spaltes ist gezahnt, um ein Hineingreifen zu erschweren. Italienisch. Ende des 14. Jahrhunderts. Sammlung J. H. von Hefner-Alteneck in München. Fig . 20. Hundsgugel mit Absteckvisier aus der Wende des 14. Jahrhunderts. Schweizerisch. schnauze ähnliche Form besassen, wurden darum Hundsgugeln genannt. Sie erscheinen von ca. 1350 bis in den Anfang des 15. Jahrhunderts. (Fig. 20.) Bekannt ist der sogenannte Gugler- krieg 1375, in welchem Ingram von Conzi mit 18000, mit Becken- hauben (Gugeln) ausgerüsteten Knechten die althabsburgischen Erb- güter zu Aargau angriff. Und in den fasti Limpurgenses heisst es unter dem Jahre 1389: „Die hundskugeln fuhrten ritter und knecht, burger und reisige leut.“ (Fig. 21.) 3* I. Die Schutzwaffen. Gegen das Ende des 14. Jahrhunderts erscheint eine ähnliche Helmform mit hundsschnauzenförmigem Visier; das Scheitelstück ist ganz der Beckenhaube nachgebildet, nur setzt sich an selbe ein steifer Bart und ein Nackenstück derart fort, dass der Helm eigentlich auf den Schultern aufsitzt. Die Form wird dadurch erklärlich, wenn man entdeckt, dass diese Verlängerungen nach abwärts auf Brust und Rücken eigentlich nichts anderes, als einen Ersatz der Halsbrünne darstellen. Die Form ist allerdings italienisch, aber man irrt in Frank- reich, wenn man sie dort Aquilée nennt. Die Helme von Aquilea fanden bereits am Schlusse des 13. Jahrhunderts ihr Ende. Nicht weniger irrt man, wenn man sie schlechtweg Bacinets benennt; am treffendsten bezeichnet man sie als grosse Beckenhaube: Grand Bacinet . Helme Fig . 21. Hundsgugel mit Absteckvisier vom Anfange des 15. Jahrhunderts. Deutsch. mit Visieren, die einer Hundsschnauze ähnlich ge- bildet sind, werden noch bis etwa 1540 getragen. Bekannt ist der derart ge- staltete Helm Kaiser Fer- dinands I. in der kaiser- lichen Sammlung zu Wien, der um 1530 von Jörg Säusenhofer in Innsbruck gefertigt wurde. War der Topfhelm aus dem Heere verschwunden, so bildete er doch noch ein wichtiges Attribut des Rittertums und fand in geringen Formenwandlun- gen seine Verwendung im Turnier, beziehungsweise im Gesteche bis ins 16. Jahrhundert, von da an verwandelt er sich in den neuen Stechhelm, der wieder in seiner Form sich dem ge- schlossenen Helme nähert. Die Kopfbedeckung des Ritters war bisher von jener des Hörigen und gemeinen Söldners wesentlich verschieden. Der Fuss- knecht, der Bogen- oder Armrustschütze trug vom 12. Jahrhundert an eine weit weniger komplizierte Kopfbedeckung, die Eisenhaube , (îsenhut, chapel), die, unwesentliche Varianten ungerechnet, die Form eines tiefen Beckens mit verschieden breitem Rande besass. (Fig. 22.) Vom 14. Jahrhundert an, als das Fussvolk allgemach wieder zur Bedeutung gelangte und die adligen Herren den Söldnern zu schmeicheln begannen, da trugen selbst die Könige zuweilen die Eisenhaube, doch zumeist mit dem Barte (bavière) zur Deckung der unteren Gesichtshälfte. (Fig. 23.) Von der Form der am Ende 1. Der Helm. des 14. Jahrhunderts in Frankreich getragenen, chapels de Montauban, sind wir nicht genau unterrichtet. Die Eisenkappe verschwindet erst um die Mitte des 16. Jahr- hunderts. Im letzten Stadium ihres Bestehens von 1520 an kommt Fig . 22. Eisenhut mit flachem Grat und breiten, tief herab- reichenden Krempen. Augsburger Arbeit. 15. Jahrhundert, 2. Hälfte. sie in den Landsknechtherren ihrer Bequemlichkeit wegen ungemein zur Beliebtheit, und wird als niedere, leichte Haube mit einem wie noch heute üblichen Sonnenschirme getragen. (Fig. 24.) Fig . 23. Eisenkappe von einem Harnische, in welchen gekleidet König Maximilian I. 1480 in Lützelburg eingeritten war. Deutsch. Um das 2. Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts finden wir in der Ritterschaft plötzlich eine ganz neue Helmform, den Kugelhelm (bicoquet). Aus Italien herübergekommen, ist er eigentlich doch nichts anderes, als ein Topfhelm mit grossem Visier und eingezogenen I. Die Schutzwaffen. Halswänden. Aber in der Form lag ein entschiedener Vorteil, der Helm sass auf Brust und Schultern auf und wurde auf Brust und Rücken mittelst Riemen befestigt. Der Kopf bewegte sich frei in dieser Eisenkugel und die Schläge der Kürissbengel konnten ihm nur wenig anhaben. Trotzdem verschwinden sie um 1470 bereits, viel- leicht ihrer Plumpheit halber, vielleicht, weil die Schlagwaffen all- mählich seltener wurden. Schon mit der Beckenhaube erscheint um 1350 eine Deckung der unteren Gesichtshälfte durch ein Kinnreff , das zuweilen steif, oft aber aufschlächtig ist. Bildet diese Deckung keinen Bestandteil des Helmes, so dass sie an der Brust mittelst Riemen oder Vorsteckkloben haftet, dann bezeichnet man dieselbe als Bart (bavière). Fig . 24. Eisenkappe mit vergoldeten Ätzungen. Wechselstück zu einem Harnische des Konrad von Bemelberg . (1494 — 1567.) Arbeit des Plattners Valentin Siebenbürger in Nürnberg, die Ätzungen von Albert Glockendon um 1532. Gegen das Ende des 14. Jahrhunderts wird die Beckenhaube allmählich oben flacher und mehr der Kugelform sich annähernd gebildet. Der Teil im Nacken wird ausgeschweift und von 1420 etwa an bildet sich ein leichter Grat über den Scheitel, damit ent- steht eine ganz neue Helmform, die Schallern (schêlern, salade), welche bis ans Ende des Jahrhunderts unter Rittern und Söldnern sich einer grossen Beliebtheit erfreute. Der Name Schallern schreibt sich ohne Zweifel von dem deutschen Worte Schale her und be- deutet eigentlich dasselbe wie Beckenhaube. (Fig. 25, 26, 27.) 1. Der Helm. Die italienische Schallern ist von der deutschen erheblich ver- schieden. Erstere hat in lebhafterer Erinnerung an die Antike mehr die Form eines römischen oder griechischen Helmes, manche mit schmalen Ausschnitten für Nase und Augen, gleich den Hopliten- helmen, wie die venetianische Schallern. Die deutsche Schallern ist im Nacken weit nach rückwärts gezogen und besitzt zuweilen auch seitlich weit abstehende Wände. Das Gesicht ist mit einem auf- schlächtigen Visier gedeckt, welches einen Sehspalt besitzt, dessen Unterrand so weit vorragt, dass ein Hieb oder Schlag nicht bis ans Auge dringen kann. Um 1500 erscheinen die Nackenschirme geschoben. Die deutschen Schallern verschwinden schon vollends Fig . 25. Italienische , sogenannte lucchesische Schallern mit getriebenen und vergoldeten Verzierungen. Die dargestellte Binde ist mit Spitzen besetzt und mit geätzten Minuskelbuchstaben geziert, die, unlesbar, nur als Dekorationdienen. 15, Jahrhundert Ende. Museum zu Zarskoë-Selo. Fig . 26. Deutsche Schallern mit aufschlächtigem Visier von einem Harnische des Erzherzogs Sigmund von Tirol . Der Rand ist mit verzierten Messingstreifen geziert. Der zugehörige Bart, welcher am Bruststück haftet und einmal abschlächtig ist, wurde in der Figur an- gedeutet. um 1520, die italienischen erhalten sich das ganze 16. Jahrhundert hindurch. Die Schallern waren nicht immer von Eisen gefertigt. In der Schlacht bei Azincourt 1415 waren nach dem Berichte eines Augenzeugen derselben, Saint-Remy, die berühmten englischen Bogen- schützen mit capelines (Saladen) von gesottenem Leder (cuir bouilli) ausgerüstet. I. Die Schutzwaffen. Ein wesentliches Begleitstück der deutschen Schallern bildete der an die Brust mittelst Federkloben befestigte Bart , welcher, wie erwähnt, die untere Hälfte des Gesichts bis an die Augen deckte. Vornehme trugen in Städten den Bart aus Leder gefertigt und mit Stoff überzogen. Um 1480 tragen deutsche Edelleute und auch Söldner schallernförmige Hauben, die aus einem Gerüste aus Blech- bändern bestanden, welche mit rauhem Plüsch oder Pelzwerk über- zogen wurden. In den Zeugbüchern des Kaisers Maximilian I. finden sie sich abgebildet Bibliothek der kunsthist. Sammlungen des kaiserlichen Hauses. Wien. mit und ohne Visiere. Ähnliche Hauben werden als „Gattert hirnhauben“ in der Zahl von 400 in dem Inventar des Zeughauses zu Wien 1519 Reichsfinanzarchiv in Wien. Fasz. 31. angeführt mit der Bezeichnung „auf fuessknecht“. In einem Bildkodex vom Schlosse Tetschen a. d. Elbe Fig . 27. Italienische Schallern eines Fussknechtes vom Anfange des 15. Jahrhunderts. Museo Poldi-Pezzoli in Mailand. trägt eine solche aber auch ein Reiter mit den Gesichts- zügen Kaiser Maximilians. Grfl. Thun-Hohensteinsche Fideikommiss-Bibliothek in Schloss Tetschen a. d. Elbe. (Fig. 28a und b.) Wenn auch den Angaben der älteren Schriftsteller und Chronisten insofern nicht im- mer zu trauen ist, dass sie mit dem Namen Saladen oder Schallern oft ganz ver- schiedenartige Helme belegen, ohne scharf zu unterscheiden, weil eben diese Bezeichnung allgemein wurde, wie bei- spielsweise der Name Pickel- haube heute für eine ganz andere als die ursprüngliche Helmform gebraucht wird; so ist doch die Schallern, wie der ihr verwandte Eisenhut in den deutschen Söldner- scharen, wie auch unter den Schweizern im 15. Jahrhundert all- gemein im Gebrauch gestanden. In Frankreich führten sie unter Karl VII. die königlichen Bogenschützen, von Ludwig XI. an auch die leichten Reiter. Als Kopfbedeckung der Chevauxlegers erhält sie sich bis in die Zeit Ludwigs XIII. Maximilian I. bezeichnet die wällische Schallern in seinem Memorienbuche von 1502 als Aus- rüstungsstück für den Büchsenschützen zu Ross, also wieder für den leichten Reiter. Häufig findet sich die Bezeichnung „Lucchesische 1. Der Helm. Schallern“, womit wirklich eine italienische Schallern verstanden ist, nicht selten aber der Name „tartarische Schallern“, der auf einer Verwechselung mit der orientalischen Sturmhaube beruht. In Italien und später auch in Frankreich werden die Schallern zum Schutze der Ohren an den Seiten mit scheibenförmigen Platten ausgestattet. Mit dieser Beigabe ist der Übergang der Schallern in die Sturmhaube eingeleitet. Von der Mitte des 15. Jahrhunderts bildet sich allmählich der geschlossene Helm älterer Form, mittelhochd. haubtharnasch, franz. heaume, ital. elmo. Die älteste Übergangsform entwickelt sich aus der späteren Beckenhaube. Die Konstruktion derselben ist ver- schieden, doch charakterisieren sich alle durch das eingezogene Nackenstück , durch zwei seitlich an Scharnieren befestigte Backen- stücke , welche vorn am Kinn geschlossen werden und ein sogenanntes zweiteiliges Kinnreff bilden, durch ein quer gekehltes oder spitz Fig . 28a. Eisengestelle (calotte) von einer mit Pelzwerk überzogenen Haube mit nach aufwärts zu schiebendem Visier. Fig . 28b. Mit Pelzwerk überzogene schallernförmige Haube . Zeugbücher des Kaisers Maximilian von 1514. Zeug von Tirol. 15. Jahrhundert Ende. vorspringendes aufschlächtiges, dabei aber auch abzusteckendes Visier , endlich einen mit dem Visier in gleicher Welle laufenden Stirnstulp , welcher die Stirnpartie des Scheitelstückes verstärkt und auch die offene Stelle an den Augen bei vorspringenden Visieren schliesst. Im Nacken wurde weiters an einem Stifte eine kleine Scheibe an- gebracht, die sogenannte Stielscheibe . Sie hatte vermutlich den Zweck, dass der nach rückwärts stürzende Träger nicht unmittelbar auf das Hinterhaupt fallen konnte. In der Zeit des Überganges sind derlei geschlossene Helme älterer Form noch mit einem Stück Panzerzeug am Unterrande ausgestattet; man trennte sich eben schwer von der gewohnten Helmbrünne. (Fig. 29a und b.) Diese Beigabe verliert sich im 16. Jahrhundert mit dem Auftreten des Harnisch- kragens. I. Die Schutzwaffen. Auf den ältesten Helmen des 16. Jahrhunderts befindet sich nur eine über das Scheitelstück von vorn nach rückwärts laufende, wulstförmige Erhöhung, die ersten Anfänge des Kammes. In der Folge wird diese immer höher aufgetrieben und wird damit zum ausgesprochenen Kamme. Um 1570 wächst der Kamm besonders in Italien zu riesiger Höhe. Eine barocke Phantasie führt dahin, die Visiere auch in Form eines abschreckenden Antlitzes zu bilden; man hiess derlei Visiere Teufelsschembart . Überhaupt führten die damaligen Helmvarianten, hauptsächlich nach der Gestalt der Visiere, eigene Namen wie Totenkopf, Affenvisier u. dergl. (Fig. 30.) Um 1500 wird der geschlossene Helm in seiner Zusammen- setzung wesentlich vereinfacht. Die Öffnung desselben erfolgt lediglich Fig . 29 a. Geschlossener Helm ältester Form mit absteck- barem aufschlächtigen Visier, Anschnallbart und Stielscheibe. Den Hals deckt noch ein Panzergehänge, eine Art Halsbrünne. Um 1490. Italienisch. Armeria Reale zu Turin. Seitenansicht. Fig . 29 b. Rückseite mit geöffneten Backenstücken und ge- öffnetem Visier. von dem seitlichen Visierkloben aus, indem Kinnreff und Visier auf- geschlagen den Raum geben, um beim Aufsetzen den Kopf durch- zulassen. Das Nackenstück erscheint nun geschoben, die Stielscheibe verschwindet. Aus dieser Übergangsform bildet sich um 1530 der geschlossene Helm neuerer Form. An Maximiliansharnischen sehen wir den Helm von der einfachsten Konstruktion. Eigenartig erscheint derselbe durch sein rückwärts sehr stark ausgetriebenes Scheitelstück, 1. Der Helm. um der stark gefütterten „Helmhaube“ Raum zu bieten. Das mehr- mals quer gekehlte Visier verbreitet sich auch über die Stirnpartie, wodurch der Stirnstulp überflüssig wird. Das Kinnreff ist in der Mehrzahl zweiteilig. (Fig. 31.) An geschlossenen Helmen älterer Form kommen zuerst die doppelten Visiere zur Anwendung. Zwei übereinander stehende Visiere, von welchen das untere gewöhnlich ein Spangenvisier, oder doch breiter durchlocht ist. Am Beginne des 16. Jahrhunderts entsteht der Harnischkragen und fast gleichzeitig damit kam man auf die Idee, diesen mit dem Helme in Verbindung zu bringen. Man trieb den Unterrand des Helmes rinnenartig auf und erzielte dadurch, dass die aufgeworfene Oberkante des Kragens innerhalb dieser Rinne sich bewegte, eine Fig . 30. Burgundischer Helm (bourgignot) mit Teufels- schembart und seitlich angesetzten Flügeln. Polnisch. Um 1510. Ar- meria Reale zu Turin. Fig . 31. Geschlossener Helm zu einem Maximilians-Harnische gehörig, mit Kinnreff, auf- und abschlächtigem Visier. Übergangsform aus der Schallern. Projekt des Kaisers Maximilian um 1510. sichere Verbindung beider. Derlei Helme, welche, wie es in der gleichzeitigen Sprache heisst, „im kragen umbgeen“, nennt man bur- gundische Helme (bourgignots, borgognotas) Nicht zu verwechseln mit bourgignotte, was Sturmhaube bedeutet. . Um diese Zeit bildet sich jene Visierform heraus, welche bis an das Ende des Jahrhunderts allenthalben üblich blieb, nämlich aufschlächtig mit weit und spitz vorspringenden Wänden, in welche oberhalb in einer I. Die Schutzwaffen. Kehlung der Sehspalt geschnitten wurde. In der Konstruktion zur Öffnung des Helmes hat der burgundische, wie wir an den Figuren ersehen, genau die Wandlungen des geschlossenen Helmes mit- gemacht. (Fig. 32.) Um 1530 tritt uns eine andere Form vor Augen, die sich von 1510 an allmählich aus der spätesten Form der italienischen Stech- helme herausgebildet hatte, der geschlossene Helm neuerer Form. Derselbe besitzt im ganzen die Form des burgundischen, nur steht er mit dem Kragen nicht in mechanischer Verbindung und sind an der vorderen Seite unterhalb mehrere geschobene Schienen, die Hals- reifen , an der rückwärtigen die Nackenreifen angefügt. Der Hauptunterschied aber besteht in der Art der Zusammensetzung der Fig . 32. Burgundischer Helm von einer Harnischgarnitur des Königs Ferdinand I. um 1530. Blank mit schwarz geätzten Ver- zierungen. Fig . 33. Geschlossener Helm mit niederem Kamm, Kinnreff, Visier, aufstellbarem, mit Deckel zu schliessendem Stirnstulp. Hals- und Nackenreifen sind dreimal geschoben. Von einem Harnische des Erz- herzogs Ferdinand von Tirol (Harnisch mit den Adlern). Arbeit des Jörg Seusenhofer in Innsbruck von 1547. einzelnen Teile. Er öffnet sich nämlich an den beiden Seiten dadurch, dass das Visier mit dem unterhalb liegenden, abschlächtigen ganzen, d. i. aus einem Stücke bestehenden Kinnreff , welche beide um die Welle des Visierbolzens laufen, nach aufwärts geschoben wird; so geöffnet wird der Helm auf den Kopf gestülpt. Auch hier 1. Der Helm. ist dem Visier und dem Kinnreff noch ein drittes Stück beigegeben, das sich im Vereine mit beiden bewegt, der Stirnstulp . Zum Erheben des Stirnstulps dient ein an der rechten Seite der Visier- wand befindlicher Kloben. Wird auch das Visier aufgeschlagen, dann wird es auf ein eisernes Stängelchen, Stützstange , aufgestützt, welches an der rechten Seite des Kinnreffs befestigt ist und das Zurückfallen des Visiers und des Stirnstulps hindert. Häufig, und besonders an auch fürs Turnier gebrauchten Helmen, befindet sich an der rechten Seite eine Sperre, welche das Visier und den Stirn- stulp, zuweilen auch das aufschlächtige Kinnreff, in geschlossener Stellung erhält. Soll der Helm geöffnet werden, so muss an einem Lederriemchen gezogen werden, welches aus einer Öffnung in der Fig . 34. Reiterhelm , sogenannte „Burgunderkappe“ vom Ende des 16. Jahrhunderts. Niederländisch. Waffensammlung Schloss Am- bras in Tirol. Fig . 35. Geschlossener Helm mit gelochten Backenstücken und Visier von einem Harnische des Kaisers Maximilian I. Um 1500. rechten Visierwand hervorsteht. Der Mechanismus besteht in einer einfachen Feder im Inneren, die beim Anziehen einen Sperrstift frei macht. Bemerkenswert erscheint die Form des Visiers, wie sich selbe vom Beginne des 16. Jahrhunderts herausgebildet hatte. Die beiden Wände erheben sich zu einer am oberen Rande auslaufenden Spitze, die besonders um 1550 scharf hervortritt, wobei die Wände leicht konkav geschweift nach aufwärts streben. Die Form ist keine will- kürliche, sondern das Ergebnis der Erfahrung und des Nachdenkens. Die Richtung nach vorwärts erhielt es zum Schutze der Augen vor Schwert- und anderen Hieben, dadurch ergab sich ein entsprechender I. Die Schutzwaffen. Raum, der zur Erleichterung des Atmens und zur Ventilation sich als ungemein nützlich herausstellte. In die Spitze zulaufende Visiere (ital. celata a becco di passero) sind den Helmen von etwa 1530 bis 1560 eigentümlich, erst von da an wird die Visierwand senkrecht gestellt, so dass sie an den Augenspalten nur wenig hervorragt. (Fig. 33.) In der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts treten wieder einfachere Visiermechanismen auf. Den alten Stirnstulp ersetzt ein aufschläch- tiger Gesichtsschirm, mit welchem ein meist breit und senkrecht gespaltenes Visier in Verbindung ist, das sich beim Aufschlagen des Schirmes gleichzeitig öffnet. In den Heeren der Niederländer und Engländer führen die reitenden Schützen Helme mit ähnlichen Visieren, die aber nur aus drei Spangen bestehen. (Fig. 34.) Besondere Verstärkungen durch Auflegen von Doppelstücken kommen bei geschlossenen wie bei burgundischen Helmen nicht selten auch für den Feldgebrauch vor, für gewisse Turnierarten sind solche, wie wir später ersehen werden, unentbehrlich. Zunächst wäre hier die Verstärkung am Scheitel zu erwähnen. Sie überdeckt das Scheitelstück, bei Kämmen mit Aussparung desselben vollständig und wird rückwärts durch 3 Spangen gehalten, die federartig wirkend an das Nackenstück sich pressen. Die ältesten derselben erscheinen um 1510; um 1540 kommen sie auch in hübschen Dessins durch- brochen vor Augen, in welchem Falle sie nur als Zierstücke dienen. Eine andere Verstärkung erblicken wir in dem Feldbart , der auch an Sturmhauben üblich ist. Derselbe, schmal geschnitten, deckt nur die Kinnpartie und reicht bis zu den Visierbolzen hinauf, welchen er an beiden Seiten deckt, unterhalb reiht sich daran ein geschobener Halsreifen. Nicht so häufig im Felde, als beim Turnier wird die Helmwand an der linken (Hieb-) Seite verstärkt. Derlei Wand- verstärkungen erscheinen, je nachdem sie sich über anderen Partien des Körpers verbreiten, in verschiedenen Grössen. Die kleinsten decken nur die Helmwand allein, die Mittelkante des Helmes etwas übergreifend, und werden um den Hals geschnallt; grössere reichen bis an die Brust, an welche sie angeschraubt werden; die grössten, über die halbe Brust und die ganze linke Achsel sich spannend, werden nur im Gestech über der pallia getragen, wir werden sie an geeigneter Stelle näher ins Auge fassen. Aber auch eine andere Eigentümlichkeit gewahrt man an ge- schlossenen und burgundischen Helmen, schon von ihrem ersten Auftreten an, die bei aller Anerkennung gewisser Vorteile doch eine Schwächung derselben darstellt: das Durchlöchern des Scheitelstückes. Der älteste derartiger Helme stammt aus dem Besitze des Kaisers Maxi- milian, doch kommen ähnliche bis 1570 vor. Die zahlreichen Löcher mögen wohl das Tragen des Helmes in der Tageshitze erheblich erleichtert haben. (Fig. 35.) Von Italien aus auf dem Wege über Spanien gelangt eine 1. Der Helm. andere charakteristische Helmform nach Frankreich und Deutschland, die Sturmhaube (bourgignotte). Sie bildete sich zweifelsohne aus der italienischen Schallern heraus, mit der sie manche Ähnlichkeiten besitzt, vor der sie aber viele Vorteile voraus hat. Die Sturmhaube besteht im wesentlichen aus dem Scheitel- stücke , welches, rückwärts stark eingezogen, einen ausgeschweiften steifen oder geschobenen Nackenschirm , vorn aber einen meist aufwärts gerichteten Sonnenschirm besitzt. Ursprünglich mit niederem Kamme, wird derselbe allmählich übertrieben hoch. An dem seitlich ausgeschnittenen Scheitelstücke werden Backenstücke zum Schutze der Ohren befestigt, welche sich an Scharnieren bewegen. Zum Zwecke des Hörens werden dieselben mit Löchern versehen, welche Fig . 36. Geschlossene Sturmhaube von einem Trabharnische des Ritters Hans Fernberger von Auer (gest. 1584). Um 1550. Fig . 37. Venetianische Sturmhaube , in Eisen getrieben, gebräunt und vergoldet. Die Backenstücke sind von alter, doch späterer Arbeit. Um 1560. Armeria Reale in Turin. Gehörrosen heissen. Im Nacken unterhalb des Kammes befindet sich die Federhülse. Reichen diese Backenstücke nur bis an den Backenknochen, wo sie am Halse mittelst Riemen verbunden werden, dann benennt man die Haube eine offene . Schliessen sie sich bis ans Kinn, dann bildet sich die geschlossene Sturmhaube . (Fig. 36.) Italienische Sturmhauben unterscheiden sich von den deutschen im allgemeinen dadurch, dass die ersteren mehr geschweifte Formen haben und dem antiken Helme der Römer ähnlich erscheinen. Sie I. Die Schutzwaffen. erscheinen daselbst als Gegenstände des Luxus in phantasievoller Darstellung und reichster Ausstattung in Treibarbeit, Tausia und Vergoldung. Mailand, Florenz, später auch Bologna und Rom gelangen ihrer prachtvollen Sturmhauben wegen in allen Ländern zu ungemeinem Rufe. Aber auch in Deutschland, vornehmlich in Augs- burg, werden reichgezierte Sturmhauben von künstlerischer Ausführung gefertigt. (Fig. 37.) Die ältesten Sturmhauben der Zeit Karls V. besitzen 3 niedere Kämme (Fig. 38); später bildet sich die deutsche Form heraus, die selbst in Spanien und Italien angetroffen wird. Anfänglich war die Sturmhaube nur eine Kopfbedeckung des Fusssöldners; bald aber wurde sie auch von den Befehlshabern der Landsknechttruppe getragen. Schon um 1530 wird sie ein Wechselstück zum Harnische und Fig . 37. Sturmhaube mit 3 Kämmen von blankem Eisen. Aus dem Heere Kaiser Karls V. Spanisch. Um 1530. hauptsächlich auf Märschen benutzt. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts tragen sie die leichten Reiter Italiens und Deutschlands wie der Niederlande. In der Reiterei wird um 1560 zur Sturmhaube ein Bart getragen, der, am Bruststück befestigt, die Form der Bärte von 1480 hatte, nur dass derselbe mehr vorwärtsgerichtet war (Fig. 39). Häufiger aber gewahrt man den Vorsteck- oder An- schnallbart , sogenannten Feldbart , der einem Visier ähnlich das Gesicht deckte, ein Verstärkungsstück, welches schon an geschlossenen Hel- men des 15. Jahrhunderts in Anwendung gelangte (Fig. 40). Deutsche und niederländische Sturmhauben besitzen Feldbärte mit Hals- reifen, die, angeschnallt oder mittelst Häkchen an den Backenstücken be- festigt, der Haube ganz das Aussehen eines geschlossenen Helmes geben. (Fig. 41.) Sie sind gewöhnlich drei bis viermal abwärts geschoben, um sie nach Bedarf teilweise oder ganz öffnen zu können. Deutsche Sturmhauben werden bis ins 17. Jahrhundert in allen Heeren, selbst den italienischen getragen. Schon um die Mitte des 16. Jahrhunderts erscheinen geschlossene Helme, welche die alte Helmform mit jener der Sturmhauben vereinigen. Die Varianten darin sind ungemein zahlreich. Am Ende des 16. Jahrhunderts erscheint die deutsche Sturmhaube häufig unter der Bezeichnung 1. Der Helm. Pickelhaube , Beckelhaube, die sich ohne Zweifel von dem Worte Becken herleitet und nur unter den vielsprachigen Söldnern korrum- piert wurde. (Fig. 42.) Von etwa 1650 an wird in allen Heeren Europas eine Sturm- haube angenommen, welche von orientalischen, zunächst ungarischen Formen sich ableitet, weil sie aber in dieser Form zuerst im öster- reichischen Heere getragen wurde, auch österreichische Sturm- haube genannt wurde. Es ist interessant, die Wandlungen, welche dieselbe auf ihrem Wege vom Oriente her erfahren hatte, zu ver- folgen. Den Orientalen war von ältesten Zeiten an ein Helm ohne Gesichts- Der Mohamedaner sollte nie eine Kopfbedeckung tragen, welche ihn daran hindert, im Gebete mit der Stirne den Boden zu berühren. Aus diesem Grunde wird man viele orientalische Helme ohne Gesichtsschirme antreffen. Man hat sich aber nicht immer an diese Vorschriften gehalten, wie zahllose Beispiele erweisen. und anfänglich auch ohne Nackenschirm eigen, der in leichter konvex-konkaver Schweifung spitzig zulief. (Fig. 43.) Fig . 39. Deutsche Sturmhaube mit an dem Bruststücke be- festigten sogenannten „fürfallendem“ Barte von einem Landsknecht- harnische des Lazarus Schwendi (1522—1584). Um 1560. Diesen türkischen Helmen (kulâh) war vorn ein kürzeres, rück- wärts ein längeres, tief in den Nacken fallendes Stück Panzerzeug angeheftet (eine Art Helmbrünne), von welchen das vordere, über das Boeheim , Waffenkunde. 4 I. Die Schutzwaffen. Gesicht fallend, nach altarabischer Art zugleich das Visier ersetzte. Mit solchen Helmen waren die Tschebelis oder Panzerreiter und die Tartaren bis ins vorige Jahrhundert ausgerüstet. Daneben erscheint im türkischen Heere eine andere Art Helme, welche, was die Glockenform betrifft, den oben erwähnten gleichen und nur einige be- sondere Zuthaten aufweisen. Man benennt dieselben türkische Sturmhauben . Sie charakterisieren sich zunächst durch den gerade vorstehenden, spitz geschnittenen Augenschirm und das durch selben gesteckte Naseneisen , welches, beweglich, nach auf- oder abwärts geschoben und in jeder Stellung mittelst einer Schraube festgestellt werden konnte. Der rückwärtige Teil wurde durch einen Nackenschirm geschützt, der im 16. Jahrhundert noch mittelst kurzen Fig . 40. Sturmhaube zu einem halben Harnische des Franz von Castelalto (gest. 1550). Der einmal abschlächtige Bart ist selbständig an den Harnischkragen zu befestigen und läuft rings um denselben. Darüber ist die Sturmhaube gesetzt. Arbeit um 1525. Fig . 41. Geschlossene deutsche Sturmhaube mit Absteck- visier. Die oberste Folge des Visiers ist herabgeschlagen gezeichnet. Vom Harnische Kaiser Ferdinands I., genannt „mit den Rosenblättern“, um 1560. Vermutlich Arbeit des Hans Rosenberger in Dresden. Kettchens an der Haube hing, später aber mittelst Folgenriemen mit selber in Verbindung stand. (Fig. 44.) Derlei Sturmhauben finden sich auch bei Janitscharen, solchen ist gemeiniglich an der Vorder- seite eine lange Hülse beigegeben, in welcher der hohe Federbusch, zuweilen aber auch das Attribut der Truppe, der „Löffel“, steckte. Vornehme Türken und Befehlshaber pflegten im Felde, um den Janitscharen zu gefallen, häufig derlei Sturmhauben zu tragen. 1. Der Helm. So erscheinen die türkischen Helme schon am Anfange des 16. Jahrhunderts und bleiben in dieser Form, wie wir an zahlreichen Trophäenstücken ersehen, bis an das Ende des 17. Jahrhunderts, ja noch länger, nur merkt man später die Hinneigung, die Glocke niederer und halbkugelförmig zu gestalten. Die Russen, Polen und Ungarn, welche die türkische Sturmhaube angenommen hatten, bildeten die- selbe nach ihrem nationalen Geschmacke um. Die Unterschiede in den Formen sind in den verschiedenen Nationen gering, doch werden sie in der Regel deutlich als moskowitische, polnische und hussarische Sturmhauben unterschieden. Um 1590 erscheinen alle derlei orien- talische Sturmhauben unter der Benennung „ Zischägge “, welche sie vereinzelt noch bis ins 17. Jahrhundert beibehalten. Fig . 42. Offene Sturmhaube mit geschobenem Nackenschirm, aufschlächtigem Sonnenschirm und geschobenem Sturmband. Arbeit des Nürnberger Plattners Mert. Rotschmid (gest. 1597). 16. Jahr- hundert, Ende. Landeszeughaus in Graz. Fig . 43. Gemeine tartarische Sturmhaube mit aus zwei Stücken roh zusammengenieteter Glocke und Gesichtsschirm. 16. Jahr- hundert. Museo Poldi-Pezzoli in Mailand. Von Polen aus gelangen die Zischäggen nach Sachsen, von Ungarn nach Österreich und Bayern, und von da in alle Heere, nicht ohne in selben Umbildungen zu erfahren. So erhalten sie in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts, als die Allongeperücken Mode wurden, diesen grossen Frisuren entsprechende umfangreiche Nackenschirme. Die polnischen Reiter fügten auch zu dieser Sturmhaube ein Zierstück, wie ein ähnliches sie schon auf Helmen des 15. Jahrhunderts ge- 4* I. Die Schutzwaffen. tragen hatten: die Flügel aus Eisenblech, welche an beiden Seiten der Haube angenietet wurden. (Fig. 45.) So entstand die neue Sturmhaube, die in kurzer Zeit in allen Heeren getragen wurde. Sie findet sich ebensowohl bei dem Fuss- volk, namentlich bei den Pickenieren, als bei den leichten Reitern, Arkebusieren, Jägern u. dgl. und verschwindet erst am Ende des 17. Jahrhunderts. (Fig. 46.) Es ist nach dem Gange der Entwickelung des Helmes und seiner Formenwandlungen kaum zu betonen, dass die türkische Sturmhaube kein Waffenstück ist, welches diesem orientalischen Volke allein an- gehört. Es erweist sich dies schon genügend dadurch, dass die Fig . 44. Türkische Sturmhaube (Zischägge) des Grossveziers Mehmed Sokolowitsch (ermordet 1579) aus Eisen mit reichen Ver- zierungen in Goldtausia. Gesichts- und Nackenschirm sind mittelst Drehstiften abzustecken. Um 1560. Fig . 45. Polnische Sturmhaube mit Verzierungen in ver- goldeter Ätzung. 16. Jahrhundert, 2. Hälfte. Museum zu Zarskoë-Selo. Zischäggenform in ihren charakteristischsten Teilen ebensowohl bei den Persern, als den Indern, Tscherkessen u. s. w. auftritt. Zweifels- ohne hat sie in Persien ihre Urheimat. (Fig. 47 und 48.) In den Sammlungen finden sich ziemlich häufig Helme ver- schiedener Formen der 2. Hälfte des 16. und des 17. Jahrhunderts und auch Sturmhauben von ungemeiner Schwere. Dieselben dienten 1. Der Helm. nicht für den Gebrauch in offener Schlacht, sondern zum Schutze in den Laufgräben beim Angriffe von Festungen. Im 17. Jahrhundert, der Periode der Entwickelung des methodischen Angriffes der Festungen, fand es jeder Befehlshaber für unausweichlich, neben seinen Feldharnischen noch einen Tranchéeharnisch oder wenigstens eine sogenannte schwere Tranchéehaube zu besitzen. In Frank- reich wurden letztere noch bis 1840 von den Genietruppen benutzt. Im 17. Jahrhundert, als die Brustharnische bei vielen Truppen in Abnahme kamen, suchte man mit dem Helme zugleich auch den Hals vor dem Hiebe zu decken, wozu man, von den Unterrändern ausgehend, Spangen an- wendete, welche bis an die Schultern herab- reichten. Es finden sich sowohl Sturmhauben als Eisenhüte mit derlei Vor- richtungen, die ihrem Zwecke wenig entspra- chen und darum auch bald wieder verschwan- den. (Fig. 49.) Neben der Sturm- haube kommt um 1520 eine andere kriegerische Kopfbedeckung auf, de- ren Heimat, wie es scheint, Spanien ist, später aber im Fuss- volk aller westlichen Nationen zu finden, ja selbst in der Ritter- schaft für den täglichen Gebrauch nicht unbe- liebt war, der Morion , im Spanischen mor- rion . Woher die Be- Fig . 46. Zischägge des Herzogs Karl III. von Lothringen (1540 — 1608), gekehlt, graviert, geätzt, vergoldet und mit Halbedelsteinen besetzt. Ungarische Arbeit um 1580. zeichnung stammt, ist unbekannt, möglich, dass er sich von einer unter den Mauren üblichen Form oder von dem spanischen morro herleitet, welches so viel wie cranium, Schädeldach, bedeutet. Der Name, vermutlich für eine andere Helmform, kommt schon im 14. Jahrhundert im Manuskripte des Froissart vor, doch ist nicht zu verschweigen, dass Fronsperger in seinem Kriegsbuche die maurischen Fusssoldaten „Mori- anische Fussknecht“ benennt. Fronsperger, Leonhard, Kriegsbuch, III. Teil. 1573, fol. CXXXIX. Der Morion des 16. Jahrhunderts I. Die Schutzwaffen. ist eine hohe, etwas spitz getriebene Haube mit über die Mitte laufendem Grat oder auch eine halbkugelförmige Haube mit ver- schieden hohem Kamme, deren Krempen nach vorn und rückwärts derart aufgebogen sind, dass sie beiderseits in gleich gestalteten Spitzen endigen. (Fig. 50.) Der Morion ist ersichtlich weniger aus der Kriegserfahrung erwachsen, als ein Ergebnis einer soldatischen Phan- tasie; er wird in den Heeren Karls V. anfänglich im Fussvolk all- gemein getragen, später legten ihn die Schützen ab, da er sich für sie als nicht praktisch erwies. In manchen Ländern, wie in Italien, Fig . 47. Indische Sturmhaube mit durchbrochenen Metall- verzierungen auf rotem Grunde. Museum zu Zarskoë-Selo. Fig . 48. Tscherkessische Sturmhaube mit tauschierten Ver- zierungen und mit Seidenstoff überzogenem Kettengehänge. Museum zu Zarskoë-Selo. werden ihm kurze, geschobene Backenstücke beigegeben. Der Morion, dessen Kamm allmählich höher bis zur Übertreibung gefertigt wird, erhält sich bis in die ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts. Das Passauer Kriegsvolk war noch 1603 damit ausgerüstet. (Fig. 51.) 1. Der Helm. Besonders häufig treffen wir ihn als Kopfbedeckung der Helmbardiere und Trabanten an den Höfen, aber auch vieler deutscher Bürger- milizen. Der Schutz des Kopfes mittelst eines eisernen Helmes erschien als eine allgemeine Notwendigkeit, dem Schützen aber, der sein Feuerrohr an die Backe anlegen musste, wurde der Morion, noch mehr aber die Sturmhaube, unbequem. Das war die Ursache, dass dieselben um 1550 eine eigene leichte Art Helme erhielten, die man sonderbarerweise gleichfalls Gugeln , auch Schützenhauben oder Häubel benannte, wiewohl dieselben in der Form und Trag- art mit den alten Gugeln wenig gemein haben. Die Gugel besteht aus einer spitzen Haube mit darüber laufenden flachen Grat und sehr schmalen, meist gerade vorstehenden, seltener vorn und Fig . 49. Eisenkappe für leichte Reiter in blankem Eisen mit in Scharnieren haftenden, nach abwärts reichenden Spangen. 17. Jahr- hundert. Museum zu Zarskoë-Selo. rückwärts etwas aufgebogenen Krempen. Zuweilen besitzen dieselben schmale, geschobene Backenstücke, die unter dem Kinne gebunden werden, und selbst Nackenschirme. (Fig. 52.) Letztere bezeichnete man um 1580 als „Gugeln mit Biberschwänzen“. Läuft die Haube ober- halb in einen Stiel aus, der nach rückwärts abgebogen ist, so erscheint sie auch unter dem Namen Birnenhelm . Die Gugeln der späteren Periode verschwinden um 1640. Im 16. Jahrhundert wurden sie vielfach auch von Vornehmen getragen. Karl V. trug einen Birnen- helm, König Franz I., Herzog Philipp Emanuel von Savoyen u. a. Gugeln, besonders in italienischen und französischen Heeren treten sie häufig auf. Endlich sei hier noch der sogenannten Hirn- I. Die Schutzwaffen. hauben Erwähnung gemacht, welche von der Reiterei zum Schutze des Kopfes unter den Filzhüten getragen wurden. Sie erscheinen allgemein um 1640 und besitzen die Form einer Halbkugel mit seichten Ausschnitten an Stelle der Ohren. (Fig. 53.) Die ersten Nachrichten über die Hirnhaube gelangen schon im 16. Jahrhundert aus Italien zu uns, wo sie unter dem Namen „cer- velliera“, aber auch „segretta in testa“ auftritt. In den italienischen Städten wurde es nämlich Sitte, unter den Hüten und Baretten Blechstücke zu tragen, welche nach der Form des Scheitels getrieben und nicht selten auch mit 5 bis 7 eisernen Spitzen versehen waren. Eine derlei segretta findet sich in der k. k. Hof-Waffensammlung zu Wien. (Fig. 54.) Fig . 50. Morion mit geätzten und vergoldeten Verzierungen, mit dem Wappen der venetianischen Patrizierfamilie Da Mula. 16. Jahr- hundert, Mitte. Italienisch. Die dekorative Ausstattung der Helme wird schon im 8. Jahr- hundert Sitte. Bis ins 15. Jahrhundert, in welchem der Helm ein Bestandteil des Plattenharnisches zu werden beginnt, tritt dieselbe unabhängig von den übrigen Schutzwaffen auf, von da an steht sie in den meisten Fällen im Einklange mit selben. Die Verzierung der ältesten Helme besteht zumeist in Be- schlägen von Gold oder stark zinnhaltiger Bronze, die auch in durch- brochener Arbeit auftritt. Ornamente und figurale Ausschmückungen werden in noch ziemlich roher Punzentechnik, aber mit vielem Ge- fühle für Wirksamkeit ausgeführt; derlei Darstellungen sehen sich wie 1. Der Helm. flache Reliefs an, und der Zeitstil der Kunst ist in diesen rohen Produkten deutlich ausgedrückt. Das Streben, den Wert des Gegen- standes, wie dessen Eindruck durch Beigabe von Edelsteinen zu er- höhen, ist schon in der Zeit der Karolinger merkbar. Getriebene Arbeit im Relief scheint anfänglich nur in Kupfer geübt worden zu sein, in Eisen tritt sie erst am Ende des Mittelalters auf. Im 14. Jahrhundert begegnet man häufig Verzierungen in gehauener Technik, die in Messing oder Gold eingelegt sind; es ist dies die älteste Tausia im Abend- lande, die als eine ungelenke Nachahmung orientalischer Technik an- zusehen ist. Die Vergoldung wird im 13. Jahrhundert vorwiegend in Italien und Spanien geübt, sie gilt bis ans Ende des Mittelalters als eine geheime Kunst. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts beginnt Fig . 51. Morion geschwärzt mit blankem Kamm und getriebenen blanken Verzierungen. Kopfbedeckung eines Weibels im Passauer Kriegs- heere des Erzherzogs Leopold V. Um 1603. Deutsch. Fig . 52. Gemeine Schützenhaube . 16. Jahrhundert, Ende. Zeughaus zu Graz. man die Verzierungen mittelst des Grabstichels darzustellen. Erst am Ende desselben werden Versuche merkbar, dieselben in Ätzung wie- derzugeben. Die Kunsthistoriker setzen den Beginn dieser Technik zu spät an, eine Vertiefung der Grabstichelschnitte mittelst Ätzwasser ist schon an Helmen und anderen Schutzwaffen um 1460 nachzu- weisen. Von ungefähr 1500 datiert der Rundschild Maximilians I. in der k. k. Waffensammlung zu Wien, welcher eine Hochätzung zeigt, welche die äusserste Gewandtheit in dieser Technik voraussetzt. Wenn sich auch keine Proben aus ältester Zeit mehr erhalten haben, so ist doch anzunehmen, dass das Bemalen der Helme schon I. Die Schutzwaffen. um die Mitte des 12. Jahrhunderts üblich war. Bildliche Beispiele haben sich namentlich an Turnierhelmen vom 15. Jahrhundert an er- halten. Die Motive sind zumeist heraldisch. Es finden sich aber in den Sammlungen auch Schallern vom Ende des 15. und Helme des 16. Jahrhunderts mit charakteristischen Malereien ausgestattet. Über das Schwärzen und Bläuen der Harnische und über die Ursache des- selben werden wir an einem anderen Orte nähere Erklärungen an- fügen, aber über eine andere spezielle Ausstattung, die lediglich nur den Helm betrifft, ist es nötig, uns näher auszusprechen. Schon im 14. Jahrhundert treten, zuerst in Italien, mit Stoff überzogene Eisen- hüte und Helme auf, wie wir aus Gemälden ersehen. Die italische Sonne erhitzte das Metall in so hohem Grade, dass eine derartige Fig . 53. Gemeine Hirnhaube eines deutschen Reiters um 1640. K. k. Heeresmuseum im Wien. Fig . 54. Hirnhaube (segretta in testa) mit fünf Spitzen, ge- schwärzt und mit geschobenen kleinen Backenstücken. Italienisch. 16. Jahr- hundert, zweite Hälfte. ausgiebige Vorsorge selbst dann begreiflich erscheint, wenn man, wie doch anzunehmen, jeden Helm mit einer dicken Fütterung, dem Helm- futter (harnaschhaube), ausgestattet sich vorstellt. Diese Neuerung fand ein um so regeres Entgegenkommen in den italienischen Städten, als durch selbe erzielt wurde, dem Helme den Anschein eines bürger- lichen Kleidungsstückes zu geben. So sehen wir in den Sammlungen italienische Schallern und später Sturmhauben, welche entweder noch den originalen Überzug aus Sammt oder Seide besitzen oder doch 1. Der Helm. durch die an den Rändern befindlichen kleinen Löcher erkennen lassen, dass sie einst überzogen waren. Diese praktische Einrichtung fand auch im 16. Jahrhundert Eingang in die Truppenkörper nament- lich der italienischen und spanischen, aber auch die leichte Reiterei in Deutschland war mit solchen überzogenen Helmen um 1570 aus- gerüstet. Die grosse Schwierigkeit der Fertigung der Helme brachte schon im frühesten Mittelalter die Helmschmiede zu hohem Ansehen. Die Technik des Austreibens der Glocke entwickelte sich vom Anfange des 16. Jahrhunderts in solchem Grade, dass die Arbeiter nicht nur die Scheitelstücke, sondern aus diesen auch 10 bis 12 cm. hohe Kämme heraustrieben. Erst im 16. Jahrhundert lässt diese Fertigkeit nach, der grosse Bedarf an Helmen, die Zunahme des Wertes der menschlichen Arbeit, beide Faktoren trieben die Preise der getriebenen Helme zu unerschwinglicher Höhe hinauf. Man suchte sich zu helfen und fertigte die Helme, Sturmhauben, Morions und Gugeln, aus zwei Hälften, die dann zu einem Ganzen zusammen- genietet und verschweisst wurden. Derlei Stücke haben natürlich auch für den Sammler einen minderen Wert, da sie nicht aus dem Stück, sondern aus vorbereitetem Schlagblech getrieben sind. Bevor wir diesen Abschnitt schliessen, mögen noch einige Worte über die Sitte hier angeführt werden, die Helme und hier besonders jene zum Turniergebrauche mit Federn oder federartig gestalteten Aufsätzen zu zieren. Bis ans Ende des 15. Jahrhunderts begegnet man und besonders an Turnierzeugen den plastischen Zimieren. Mit diesen aber kommen schon häufig kleinere und grössere Feder- büsche (pennacchio, penacho) in Verbindung. Im Kriege wurden, als die Söldnerheere sich mehr entwickelten, nur kleine Federbüsche oder auch nur Laubwerk auf den Helmen und Hauben getragen. Die Befestigung erfolgte bei Helmen, Sturmhauben, Morions und Gugeln, rückwärts, bei Eisenhüten und Kappen gewöhnlich seitwärts, wozu eigene Federhülsen angebracht waren. Letztere bestehen bei deutschen Helmen und Hauben aus verzierten Hülsen aus Mes- sing, bei italienischen zuweilen auch aus schildförmigen, ornamentierten, stark ausgebauchten Plättchen, die den italienischen Kartouchen ähnlich geformt sind. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde es in Italien Mode, bei festlichen Aufzügen, Turnieren und dergl. auf den Helmen riesige Federbüsche von Meterhöhe, ganze Systeme auf den Helmen zu tragen, die in seltensten Fällen aus wirklichen Federn, sondern aus Imitationen von Seide oder Schafwolle bestanden. Diese etwas barocke Sitte verbreitete sich auch an die deutschen Höfe. Zur Be- festigung dieser monströsen und schweren Verzierungen mussten die Helme eigene Vorrichtungen auf den Kämmen besitzen. Von diesen mechanischen Vorrichtungen haben sich noch einige in den Samm- lungen erhalten, bei vielen Helmen finden sich aber noch die Spuren I. Die Schutzwaffen. ihrer einstigen Existenz. Mit dem Beginne des 30jährigen Krieges verschwindet auch diese Mode. (Fig. 55.) Nebst diesen Vorrichtungen zum Feststellen des Helmschmuckes finden sich auch zuweilen bei Helmen und Sturmhauben, namentlich älteren bis etwa 1520 andere Eigentümlichkeiten, welche eine Er- wähnung verdienen. Solche sind zunächst die Schnürlöcher für die Helmhaube. Unterhalb des Helmes wurden nämlich anfänglich stark gefütterte Hauben aus Zwilch oder Leder getragen. Um diese Fig . 55. Vorrichtung für die Befestigung eines Helmschmuckes an einem geschlossenen Helme. Italienisch. 16. Jahrhundert, zweite Hälfte. Sammlung C. Bazzero in Mailand. nun bequem zurechtschieben, Falten ausgleichen zu können etc., waren rück- wärts an den Seiten derselben Lederriem- chen genäht, welche durch entsprechende Löcher im Helme gezogen und ausser- halb gebunden wurden. Diese stets paarweise auftretenden, häufig mit Mes- sing gefütterten Schnürlöcher finden sich an späteren Stechhelmen, wie auch an geschlossenen Helmen fürs Feld und selbst an Sturmhauben vom Anfange des 16. Jahrhunderts. Das Streben, dem Kopfe unter dem Helme Luft zuzuführen und die Qual der Hitze im Sonnen- brande zu mässigen, führte am Beginne des 16. Jahrhunderts dahin, das Scheitel- stück siebartig zu durchlöchern. Solche Helme kommen uns schon um 1510 vor Augen, man findet aber auch solche durchlöcherte Helme für das Fussturnier bis 1570. 2. Der Harnischkragen. Der Gebrauch, den Hals durch eiserne Schienen zu decken, wird bei den Plattenharnischen erst am Beginne des 16. Jahrhunderts allgemein. Nahezu ein Jahrhundert wird der Plattenharnisch ohne Kragen getragen. Zwar finden sich schon vor der Einführung des- selben Anzeichen genug, welche darauf hinzielen, den Hals zu schützen. So wird das unter dem Lentner getragene Wams oder auch dieser selbst hoch in den Hals hinauf geschnitten und der Kragenteil vorn verschnürt. Darüber kam die Helmbrünne zu liegen, welche bis zu den Schultern ausreichend deckte. Auch das unterhalb liegende Panzerhemd reichte anfänglich bis über den Hals hinauf und wurde vorne mit 2—3 Riemchen zusammengeschnallt. Diese Art des Hals- 2. Der Harnischkragen. schutzes blieb sich im wesentlichen auch in jener Periode gleich, in welcher die ersten geschlossenen Helme in Gebrauch kamen. Als die Kugelhelme in Aufnahme kamen, etwa um 1450, wurde der Hals durch den unteren Teil des Helmes, der bis auf die Brust und den Nacken hinabreichte, geschützt, aber aus dieser Form erwuchs die grosse Unbequemlichkeit, dass der Mann nicht im stande war, den Kopf zu erheben oder zu senken. Dieser Nachteil führte zunächst und aus den Kreisen der praktischen Kriegführung heraus zur Ein- führung der Schallern. Die italienischen Kondottieri waren es zuerst, welche sich dieser relativ bequemeren Kopfbedeckung bedienten. Der Hals wurde durch den an das Bruststück vorn befestigten Bart geschützt, welcher bis in die Höhe der Augen reichte. Erst mit der Einführung des burgundischen Helmes erschien als wesentliche Bei- gabe der Harnischkragen, welcher als Bestandteil fortan beibehalten Fig . 56. Kragen von einem Harnische des Kaisers Maximilian I. mit Gravierungen und in Goldschmelz geziert. Vorne erblickt man das Emblem des Vliessordens. Die Achseln werden durch Riemen befestigt. Deutsch, um 1508. Eines der ältesten Beispiele eines Harnischkragens. Fig . 57. Kragen von einem Harnische, der Albrecht Achilles von Brandenburg (1414—1486) zugeschrieben ist. Der obere Rand ist in der Art eines umgeschlagenen Kragens geformt. Arbeit um 1510. und selbst unter dem geschlossenen Helme oder der Sturmhaube ge- tragen wurde. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass der Harnischkragen aus dem sogenannten Bart (bavière, baviera) hervorgegangen ist. Der vordere Teil wurde hierzu derart verändert, dass er nur den Hals deckte; weiter hinauf erschien eine Deckung überflüssig, weil eine solche durch Kinnreff und Visier am Helme hinreichend vorhanden war. Der Rückteil wurde zum vollkommenen Verschluss neu hinzu- I. Die Schutzwaffen. gefügt. Die ältesten Krägen wurden noch gleich dem Barte ausser- halb am Bruststücke mit Kloben befestigt. (Fig. 56.) Bald aber änderte man diese Anordnung derart, dass zuerst der Kragen, dann erst Brust- und Rückenstück zum „Anlegen“ kamen. Um 1630 kam man wieder auf die ursprüngliche Einrichtung zurück und verlegte den Kragen über Brust und Rücken. Der Harnischkragen besteht aus dem Brust- und Rückenbleche, das, auf Brust und im Nacken aufliegend, genau dem Körper ange- passt sein muss; an diese schliesst sich gegen den Hals hinauf ein 3—4 faches Geschübe. Der vordere und rückwärtige Teil ist getrennt, beide sind links nur mit Scharnieren in Verbindung; an der rechten Seite werden sie mittelst Häspen geschlossen. (Fig. 57.) Es wird sich gleich am Beginne empfehlen, zu erklären, was man unter einem Geschübe am Plattenharnische überhaupt versteht und wie dasselbe eingerichtet ist. Das Harnischblech ist eine steife Platte, die so unnachgiebig ist, dass es unmöglich wäre, ohne eine besondere Zusammensetzung der Teile dem von selbem bedeckten Körper auch nur eine geringe Beweglichkeit zu gestatten. Man fügte daher alle jene Harnischteile, welche Körperteile zu decken bestimmt waren, denen die Beweglichkeit erhalten bleiben musste, aus einzelnen Blechstreifen, sogenannten „ Schienen “, im Fachausdrucke auch „ Folgen “ genannt, zusammen, die, horizontal angeordnet, etwas sich übergreifend gelegt, im Inneren durch breite Streifen aus Alaunleder verbunden wurden, die von innen mit platten Nieten befestigt waren. Diese Verbindung durch Lederstreifen kommt nicht ausnahmslos vor, im Gegenteil finden sich zahlreiche Beispiele, dass die Schienen untereinander mit Nieten verbunden sind, welchen durch längliche Öffnungen eine Spielung nach auf- oder abwärts gestattet ist. Dieser Konstruktionsart wird an italienischen Harnischen häufig begegnet, man nennt sie „ eiserne Geschübe “. Sie konnten ihrer geringen Vorteile halber nirgends zu allgemeiner Verwendung gelangen. Je nach der Richtung des Übergreifens der Schienen bezeichnet man selbe nach auf- oder abwärts geschoben . So werden nach dem Fachausdrucke gewöhnlich die Hals- und Nackenreifen, der Kragen, zuweilen die Achseln mit den Flügen, geschlossene Armbeugen, die Handschuhe, die Bauchreifen, Beintaschen, oder die Schösse, nicht selten auch die Diechlinge und die unteren Teile der Beinröhren, endlich auch die Schuhe an den Riststellen geschoben. Wie wir später ersehen werden, wird, um die Beweglichkeit des Körpers mög- lichst zu fördern, auch das Brust- und Rückenstück ganz oder nur teilweise aus Geschüben gebildet, beim Rossharnische der Halsteil, seltener andere Bestandteile desselben. Die übergreifenden Ränder der Folgen, welche gemeiniglich scharf zugefeilt sind, heissen „ Fürfeilen “. Wenn der Harnischkragen für einen burgundischen Helm dient, dann ist sein Oberrand nach auswärts gebogen und dieser aufgebogene 2. Der Harnischkragen. Rand dient als Führungsschiene für den hohlen Wulst am Unterrande des Helmes, der sich darin nach den Seiten bewegt, wie es in der alten Sprache heisst: „der im Kragen vmbgeet“. Bei allen anderen Helm- und Harnischformen besitzt der Kragen einen aufgeworfenen Rand, der häufig mit eingehauenen Linien geziert ist, die ihm das Aussehen einer gedrehten Schnur verleihen, ein sogenannter „ge- schnürlter“, im Gegensatze zum „glatten“ Rand. (Fig. 58.) Nicht selten findet man an geschlossenen deutschen Sturmhauben unterhalb quere Auftreibungen, dem Kragenrande entsprechend, um eine Verbindung der Haube mit dem Kragen zu erzielen. Über dem Kragen wurden nun Brust und Rücken, dann erst die Achseln mit den Armzeugen aufgelegt. Eine nicht unwichtige Aufgabe hatte der Kragen dadurch zu erfüllen, dass an seinen Seiten die Achselstücke mittelst sogenannter Federzapfen oder auch mittelst Riemchen befestigt Fig . 58. Harnischkragen mit Federzapfen zur Befestigung der Achseln, in Schwarzätzung im Stile der oberdeutschen Kleinmeister, ge- ziert von einem Landsknechtharnische des Sebastian Schärtlin von Burtenbach (1495—1577.) Deutsch, um 1545. Fig . 59. Kragen zum Reiterharnisch des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen, (1503—1554) zugleich Wechselstück für einen Landsknechtharnisch. Geschwärzt, mit blanken, schwarzgeätzten Strichen (vielleicht von Mathias Gerung .) Deutsch um 1540. wurden. Um 1540 erscheinen die Brust- und Rückenbleche der Krägen an deutschen Harnischen bis über die Achseln reichend. Die Veranlassung war nur, den Druck der Tragbänder des Brust- stückes zu mässigen. Die Form verschwindet wieder um 1550. (Fig. 59.) Diese Anwendung der Verbindung mit den Achseln hatte für den praktischen Gebrauch in der Truppe seine Nachteile schon da- durch, dass das Anlegen der Harnische bei den vielen einzelnen Stücken umständlich war und unverhältnismässig viele Zeit erforderte. Diese Wahrnehmung und das Bestreben, dem Übelstande abzuhelfen, I. Die Schutzwaffen. führte in der Landsknechttruppe zu einer besonderen Harnischform, welche sich von jener des „ritterlichen“ Harnisches unterscheidet. Hauptsächlich durch die eigentümliche Form des Kragens und des Armzeuges bildete sich der sogenannte gemeine „Landsknechtharnisch“, der, den praktischen Bedürfnissen im Kriege besser entsprechend, bald auch von den „reisigen“ (reitenden) Knechten, im Kriege aber auch gern von der Ritterschaft getragen wurde. Die Form verbreitet sich im Heere von der Landsknechttruppe aus, übergeht von da auf die leichte italienische Reiterei, die Arkebusiere, schwarzen Reiter etc., endlich auf die leichte Reiterei der Spanier und Niederländer. Am spätesten nehmen sie jene der Franzosen und Deutschen an. Diese Veränderung, welche durch diese nicht unbedeutende Um- Fig . 60. Kragen zu einem Trabharnische des Feldobersten Heinrich von Rantzau, (1526—1599) gebläut und mit geschwärzten Strichen geziert. Der Kragen steht in Verbindung mit Spangröls, an welchem Schwebescheiben hängen (die linksseitige ist hier weggelassen worden). Deutsch um 1570. bildung des Feldharnisches der Harnischkragen erfuhr, war nicht ge- ring. Zunächst wurde das Brust- und Rückenblech bedeutend grösser, da das Brust- und Rückenstück, um es möglichst zu erleichtern, ge- ringere Dimensionen erhielt und mit (anfänglich) gerade laufenden Oberrändern nur bis etwa an die zweite Brustrippe hinaufreichte, so dass thatsächlich Brust- und Rückenblech des Kragens einen bedeu- tenden Teil der Brust und des Rückens deckte. An den beiden Seiten des Kragens wurden die Achseln befestigt, welche, etwa 8— 10 mal geschoben, weder Vorder- noch Hinterflüge besassen. Man nannte derlei Achseln in den Landsknechtheeren „ Spangröls “, eine Umbildung des italienischen Wortes „spalla-gola“. Diese Achselstücke, 2. Der Harnischkragen. welche bis an den Ellenbogen herabreichten, standen nicht immer mit einem Armzeuge in Verbindung, in vielen Fällen schützte den Arm lediglich der Panzerärmel, Hand und Unterarm der Handschuh, dessen lange Stulpen bis an den Ellenbogen reichten. Diese Umänderung des Feldharnisches für den Söldner begann um 1530 und war um 1570 vollendet, der Anstoss dazu wurde von Italien gegeben, man nannte sie dort alleggiate , in Frankreich und England allecrets . Um den Kragen mit den Spangeröls bequemer anziehen zu können, wurde die rechte Achsel nur rückwärts mittelst eines Riemens mit dem Kragen verbunden, ein zweiter Riemen wurde erst nach dem Umlegen mittelst eines Bolzens in ein Loch eingehakt, welches am Halsbleche des Kragens befindlich war. Vornehmere trugen zu den Spangeröls auch Armzeuge, die in Lederschleifen an ersteren hingen. Fig . 61. Kragen als Beigabe zur gewöhnlichen Tracht, in Kupfer getrieben und teils vergoldet. Vorne erblickt man Neptun, Amphitrite mit Amor. Anfang des 17. Jahrhunderts. Italienisch. Museum zu Zarskoë-Selo. Fig . 62. Kragen von einem Prunkharnische des kais. Generallieutenants Grafen Adolf Schwarzenberg (gefallen 1600) reich geätzt und vergoldet. Arbeit des Pompeo della Chiesa in Mai land um 1590. Auch Schwebescheiben finden sich an Spangeröls häufig angehängt, um die Achselhöhlen zu decken. (Fig. 60.) Um 1570 erhielt der Kragen an ritterlichen Harnischen dadurch eine Veränderung, dass er, nun der Mode entsprechend, hoch hinauf- gezogen erscheint. Über dem Rande tritt dabei anfänglich ein schmaler, später ein übermässig breiter und hoher, weisser, gefalteter Kragen, aus feiner, gestreifter Leinwand hervor, der in seiner höchsten Über- treibung als „Mühlsteinkragen“ bekannt ist. Wir werden bei Gelegen- Boeheim , Waffenkunde. 5 I. Die Schutzwaffen. heit der Betrachtung der Harnischbrust ersehen, dass der Kragen nicht immer als selbständiger Bestandteil, sondern auch in Verbin- dung mit der Brust und dem Rücken erscheint. Schon um 1550 wurde es unter den Kavalieren in Italien Sitte, im gewöhnlichen Verkehre in den Städten, um doch etwas vom Har- nische an sich zu haben, und vielleicht, um bei einem unvermuteten Angriffe wenigstens die Schlagadern geschützt zu haben, nur den Kragen allein zu tragen. Das führte nicht nur zur besonderen Verzierung desselben, sondern auch dahin, Farbe und Zier des Wamses in Ein- klang mit der Dekoration des Kragens zu bringen. Derlei Krägen sind um 1620 schon ohne Geschübe, reichen auch etwas weiter über die Brust herab und erscheinen dort, weil nun sichtbar, mit geschmack- vollerem Schnitte (Fig. 61, 62.) Diese Sitte erhielt sich in den italienischen Fig . 63. Kragen von einer ungarischen Feldrüstung des Erz- herzogs Ferdinand Karl von Tirol . Geätzt und versilbert. 1650. Fig . 64. Dienstkragen eines preussischen Oberoffiziers. Um 1740. Heeren unter den Offizieren, wurde später zum Dienstabzeichen und verbreitete sich in fast alle Armeen Europas. Im niederländischen Befreiungskriege, unter Moriz von Oranien, im 30jährigen Kriege wird der Harnischkragen von den Offizieren fast ausnahmslos über dem Lederkoller getragen. (Fig. 63.) In der Zeit des Rokoko, in welcher alles zugeschnitten und zugestutzt wurde, verlor der Dienst- kragen den allerdings minder bequemen Halsteil und schrumpfte zum Ringkragen zusammen, als welchen wir ihn noch zur Stunde in vielen Armeen sehen können. (Fig. 64.) In seinem Zusammenhange mit den übrigen Teilen des Har- nisches werden wir ihn später erblicken. 3. Das Armzeug. 3. Das Armzeug. Zum Armzeug (franz. brassard, ital. bracciale) am Plattenhar- nische rechnet man die Achseln (fr. épaulières, ital. spallacci), die Armröhren (canons) und die Ellenbogenkacheln (fr. cubitières, ital. cubitiere), und benennt gemeiniglich die Achseln mit der an- schliessenden Armröhre Oberarmzeug , die übrigen beiden Stücke Unterarmzeug . Wiewohl eine Bedeckung der Achseln durch Bronze oder Eisen schon im Altertume allenthalben im Gebrauche war, so gewahren wir doch in der kriegerischen Ausrüstung des früheren Mittelalters nirgends eine besondere Sorge für den Schutz einer so sehr der Verletzung ausgesetzten Körperstelle, wie die Schultern sich darstellen. Wir finden weder an der Brünne (broigne) noch am Haubert des 13. Jahrhun- derts die geringste Verstärkung, und demnach konnte ein Axt- oder mächtigerer Schwerthieb ohne Zweifel jene Stelle ausgiebig verwunden. Als einziges Mittel, seine Schultern zu schützen, blieb dem Krieger bis gegen das Ende des 13. Jahrhunderts der Schild, später die über den Hals gehängte Tartsche. Erst um 1275 schien man sich der Mangelhaftigkeit der Kriegskleidung bewusst zu werden, denn die um jene Zeit auftretenden Achselschilde (ailettes), in Frankreich und England, welche später nähere Erwähnung finden werden, hatten die Aufgabe, nicht nur dem Halse, sondern auch den Schultern einen besseren Schutz zu bieten. Aber diese Schildchen, an sich nicht sehr widerstandsfähig, glitten im Gefechte leicht von der Schulter ab und fielen nach vor- oder rückwärts. Um diesen Nachteilen zu begegnen merkt man schon um jene Zeit schüchterne Versuche, die Achseln unmittelbar mit Platten aus geschlagenem Eisenblech zu be- decken. Man befestigte runde Scheiben mittelst Lederriemen an den Achselpunkten des Hauberts, diese Achselscheiben deckten den Körperteil begreiflicherweise nur höchst unvollständig, weshalb man am Ende des 13. Jahrhunderts begann, die Achseln mit schuppenförmigen, lose herabfallenden Plättchen, bald darauf aber mit quer angeordneten Schienen zu decken, welche schon eine Art von Geschübe darstellten. Man nannte ein derlei Achselstück um 1270 Spaldenier vom lateinischen espalderium. Diese nicht unwichtige Veränderung fällt so ziemlich mit der Aufnahme des Lentners zu- sammen, der, eng den Leib umschliessend, allen Verstärkungen mehr Halt gewährte. Wir sehen auch im 14. Jahrhundert diesen Vorteil rasch benutzt, denn nun wird die Achsel durch halbkugelförmig ge- triebene Platten geschützt, die sich oben an den Lentner, unterhalb an die Armschienen anschliessen. Diese Verbesserung blieb dadurch unvollkommen, als der Arm in gehobener Stellung ungedeckt er- schien, und diese Wahrnehmung führte schon in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts zur Vergrösserung der Achselstücke nach vor- 5* I. Die Schutzwaffen. und rückwärts. Damit bildeten sich die sogenannten vorderen und hinteren Flüge . Die ersten derlei Formen bestanden aus einem Stücke, aber es dauerte nicht lange, so wurden dieselben, um den Armen mehr Bewegungsfreiheit zu bieten, in mehreren Folgen nach aufwärts geschoben. Die Vorderflüge , das sind die gegen die Brustmitte zu sich verbreitenden Partien der Achseln, sind nicht immer an beiden Seiten gleich. Der rechte ist nämlich in der Regel, da der Reiter die Spiess- stange in die Achselhöhle gepresst führte, an dieser Stelle konkav ausgeschnitten (Fig. 65), während der linke voll gestaltet bleibt. Da- mit war die Achselhöhle, nament- lich bei Führung des Schwertes, gefährdet. Man versuchte es nun mit freihängenden kleinen Platten, welche an den Flügen mit Leder- riemen oder Schnüren befestigt Fig . 65. Rechtsseitiges Armzeug von einem sogenannten gotischen Harnische des Erzherzogs Sigmund von Tirol mit aus- geschnittenem Vorderflug und aufgebundenen halben Armkacheln. Deutsche Arbeit um 1480. Fig . 66. Rechtsseitige Achsel mit angebundener Schwebe- scheibe von einem Harnische des Kaisers Ferdinand I. um 1560. wurden. Diese Platten, anfänglich viereckig, lappenförmig, wurden um 1400 scheibenförmig gestaltet und Schwebescheiben ge- 3. Das Armzeug. nannt. Sie bewährten sich im Gebrauche und erhalten sich fast während der ganzen Periode des Plattenharnisches bis ans Ende des 16. Jahrhunderts; ausnahmsweise werden sie selbst an Spangröls ge- Fig . 67 a. Rechtsseitiges Armzeug von einem Harnische Ferdinand des Katholischen , Königs von Arragonien. Italienische Arbeit um 1480. Fig . 67 b. Rückseite von Fig. 67 a. tragen. (Fig. 66.) Als um 1580 allenthalben die Reissspiesse abgelegt wurden, wurden auch die rechten Vorderflüge nicht mehr ausgeschnitten. I. Die Schutzwaffen. Auch an Turnierharnischen für den deutschen Fusskampf und für das spätere Fussturnier waren von jeher ausgeschnittene Vorderflüge Fig . 68. Linksseitiges Armzeug mit Spangröls und halben Ellenbogenkacheln von einem Landsknechtharnische des Caspar von Frundsberg . Deutsch um 1527. nicht üblich. Die Hinterflüge sind nach Ablegen der Helmbrünne anfänglich sehr gross gebildet, ja an italienischen Harnischen über- 3. Das Armzeug. greifen sie sich an der Rückgratstelle nicht selten, um das nicht sehr widerstandsfähige, tief ausgeschnittene Rückenstück zu verstärken. An italienischen Harnischen des 15. Jahrhunderts treffen wir auch Achseln ohne, oder nur mit kleinen Vorderflügen; es erklärt sich das durch den Widerwillen des Italieners gegen eine Beschränkung in seiner Bewegung, wie auch durch seine dem Naturell angepasste Fechtweise (Fig. 67 a und 67 b). Und gerade in Italien änderten die deutschen Landsknechte den Harnisch um, verwarfen die Achseln mit den die Bewegung beeinträchtigenden Flügen und schlossen an den Kragen ein Geschübe, welches nur die Achsel und die äussere Schulterseite bis zur Hälfte des Oberarmes deckte. Diese Achseln Fig . 69. Linksseitige Achsel mit geschobenem Vorderflug und hohem Brechrand von einem Harnische des Kaisers Ferdinand I. um 1560. in Verbindung mit dem Kragen hiessen, wie wir bereits bemerkten, Spangröls . (Fig. 68). An deutschen Reiterharnischen vom Anfange des 16. Jahrhunderts finden sich ebensowohl Achseln mit als ohne Vorderflüge und selbst ohne Hinterflüge. Gerade an jenem Zeitpunkte, an welchem eine merkbare Scheidung in der Form der Harnische des Adels und des Söldners eintritt, gegen Ende des 15. Jahrhunderts, wird die Achsel an ritterlichen Harnischen in ganz selbständiger Weise weitergebildet. Der adelige Reiter hatte als Streitobjekt wieder den Reiter vor sich, gegen I. Die Schutzwaffen. dessen Reisspiess, dessen Schwert er sich zunächst zu schützen hatte. Das Spiesseisen konnte ihm die Achsel mit dem Helme abstossen, ein Schlag mit dem Hammer, ein kräftiger Schwerthieb die Achsel- schienen zertrümmern. Man setzte daher an der Vorderseite der Achseln, den Vorderflügen entlang, aufrecht stehende Schienen, welche so ge- stellt waren, dass jeder Spiessstoss gegen den ge- fährdeten Punkt an selben abgleiten musste, so hoch, dass jeder Hieb nur die Kante derselben, nie aber die Schulter treffen konnte. Derlei Schienen heissen, Fig . 70. Armzeug . Partie von einem Grabmale des Chevaliers Baion in der Kirche zu Carleston nach Stothard The Mon. Effig. of Great-Britain. Fig . 71. Linksseitiges Armzeug mit steifem Achselflug und ganzen Muscheln. Blank mit Schwarzätzung geziert, von einem Lands- knechtharnische des Lazarus Schwendi , Freiherrn von Hohenlands- berg, kais. Feldhauptmann. Deutsche Arbeit um 1560. 3. Das Armzeug. wenn sie nieder gestaltet sind: Stauchen (Achselstauchen), hohe, weit über die Schulter hinausreichende: Brechränder , auch Stoss- krägen (fr. passe-gards, ital. guarda-goletta, span. bufa). (Fig. 69.) Sie verlieren sich nur allmählich in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die Achselstücke sind an den Schulterpartien durchwegs und meist nach aufwärts geschoben. Zuweilen setzt sich, und zwar an Har- nischen späterer Zeit von 1560 an, das Geschübe auch bis über die Flüge hinaus fort. Man unterscheidet demnach Achseln mit steifen von solchen mit geschobenen Flügen . Auch diese letzteren er- scheinen in verschiedenen Formen, entweder mit Flügen, welche nur an den oberen Achselgeschüben haften, oder solchen, bei denen die Flüge auch mit den unteren in Verbindung sind. Die Befestigung der Achseln erfolgte in der Regel am Kragen, seltener an den eisernen Schulterbändern, noch seltener an den Schulterriemen, anfänglich mittelst Federbolzen , welche den Nachteil besassen, dass sie leicht abgehauen wurden, später an Riemen. Von der Mitte des 15. Jahrhunderts an bis ans Ende des 16. prägt sich in den Formen der Achselstücke der Kunststil der Zeit in hervorragender Weise an den gotischen Harnischen um 1460 bis 1480 aus, in welcher Periode die Flüge gleich den Armkacheln muschelförmig getrieben und in geschmackvollster Zeichnung durch- brochen gearbeitet werden. Es ist bemerkenswert, dass das Bestreben, die äussere oder Streckseite des Armes mit Eisenplatten gegen den Hieb zu schützen, schon um etliche Jahrzehnte vor der Einführung der Achselscheiben und der Spaldeniere merkbar wird. Um 1250 bereits sehen wir Krieger, welche schmale Eisenschienen an die Oberarme geschnallt tragen. Vielleicht noch aus früherer Periode datiert der Gebrauch, die Ellenbögen durch kleine buckelförmig ausgetriebene eiserne Platten, sogenannte Mäusel (cubitières) zu schützen. (Fig. 70.) Erst am Be- ginne des 14. Jahrhunderts wird auch der Vorderarm an der Streck- seite mit einer Eisenschiene gesichert. Man würde irren, wollte man in diesen primitiven Versuchen, die Arme des Kriegers zu schützen, die späteren Armzeuge erblicken. Wie überhaupt der Plattenharnisch durch ein organisches Aneinanderfügen von früher getrennten und für sich bestehenden Verstärkungsstücken gebildet wurde, ebenso standen die ersten den Arm deckenden Stücke untereinander in keinem Zusammenhange, sondern wurden, jedes für sich, mittelst Riemen an die Arme geschnallt. Die Franzosen nennen eine derlei Deckung der Arme avant- oder arrière-bras und trennen diesen Begriff von dem späteren Armzeuge, brassard , ein Ausdruck, der übrigens erst im 16. Jahrhundert auftritt. Im Verlaufe des 14. Jahr- hunderts vervollständigt sich allmählich der Schutz des Armes, die Schienen werden immer breiter, die unbedeckten Stellen immer schmäler, bis um 1350 die Armröhren sich bilden. Die den Ober- I. Die Schutzwaffen. arm deckenden Oberarmröhren besitzen keine seitlichen Öffnungen, da der Arm einfach durch selbe gesteckt wurde. Die Unterarm- röhren jedoch sind an den inneren Seiten offen und werden erst nach dem Durchziehen des Armes geschlossen. Dieser Verschluss erfolgte an älteren Armzeugen bis etwa 1500 ausnahmslos durch Riemen und Schnallen, von dieser Zeit an durch Häspen. Italienische (Mailänder) Harnische vom Ende des 15. Jahrhunderts besitzen, um die Drehung des Armes zu gestatten, am Oberrande der Oberarm- schiene horizontale Führungsschienen, die um 1500 in Abnahme kamen, da bei Einführung von geschobenen Oberarmröhren die Ge- schübleder ohnehin eine mässige Drehung des Armes gestatteten. Selbst nach dieser Vervollständigung blieben die einzelnen Teile untereinander ohne Verbindung, ja nicht selten werden die Achseln über dem Panzerhemd getragen, während auch andere innerhalb der Ärmel desselben auf das gesteppte Wams geschnallt wurden. Die Armröhren mussten natürlich, um den Arm biegen zu können, in der Beuge stark ausgeschnitten werden. Dadurch blieb eine empfindliche Stelle ohne Deckung; man suchte sie durch kleine Rundscheiben zu ersetzen, die an die äussere Armseite geschnallt wurden. Das war unbequem und entsprach wenig dem Zwecke, man geriet darum etwa um 1380 auf den Gedanken, die Streckseite des Armes mit einer buckelförmig ausgestatteten Platte, dem sogenannten Mäusel , zu decken und an dieses zur Deckung der Armbeuge ein breites, muschel- förmiges Blechstück anzufügen. So bildeten sich die Armkacheln (garde-cubitières) . Bei den ältesten setzen sich die vorderen breiten Ansätze, die sogenannten Muscheln , allgemach schmäler werdend, über die Armbeuge nach rückwärts, ohne an der rückwärtigen Arm- seite anzuschliessen. Man nennt derlei Formen Armkacheln mit halben Muscheln (Fig. 67 a); falls sie, wie an Armzeugen des 16. Jahrh. einem Stege gleich den Arm ringartig umschliessen, solche mit ganzen Muscheln . (Fig. 71.) Aber die Deckung, welche die Muscheln des Armzeuges gewährten, erschien den Plattnern immer noch nicht genügend, sie strebten auch hier die absolute an und versahen die Öffnung der Armbeuge mit einem Geschübe, welches allerdings den beabsichtigten Zweck bis zu einem Grade erreichte, die Bewegung des Armes jedoch nicht unbedeutend beeinträchtigte. Derart kon- struierte Armzeuge heissen geschlossene . Sie erscheinen vereinzelt schon um 1480 an Stechzeugen, erhalten sich bis ins 17. Jahrhundert, fanden aber zu keiner Zeit eine allgemeine Einführung, nur bei ge- wissen Turnierformen glaubte man sie nicht entbehren zu können. (Fig. 72 a und 72 b.) Um 1420 gerieten die Mailänder Waffen- schmiede auf den ungeachtet seiner Einfachheit doch eine vollständige Neuerung darstellenden Gedanken, Achseln, Armröhren und Kacheln mittelst Folgenriemen oder Nieten untereinander zu verbinden und so nicht allein eine vollständige Deckung zu erzielen, als auch das 3. Das Armzeug. ungemein langwierige und komplizierte „ Anlegen “ zu vereinfachen und abzukürzen. Diese Erfindung und deren Anwendung, die sich auch auf das Beinzeug erstreckte, war es, die im 15. Jahrhundert den „Mailänder Harnisch“ zu einer besonderen Spezialität machte. Deutsche und burgundische Werkstätten ahmten ihn nach, aber die Fig . 72 a. Linksseitiges Armzeug mit geschobener Achsel und niederem Brechrand. Die Armbeugen sind geschlossen. Von einem Harnische Philipp II., Königs von Spanien. Mit Hochätzung geziert und teils vergoldet. Deutsche Arbeit um 1546. Fig . 72 b. Rückseite von 7 a, der Hinterflug ist steif. I. Die Schutzwaffen. Armkacheln mussten, wenngleich in Verbindung mit den Röhren, doch um 1480 noch durch Lederschnüre „aufgebunden“ werden, um sie festzustellen. Derlei Schnüre waren an den Ellenbogenpunkten des Wamses befestigt, sie wurden durch in den Armkacheln ange- brachte Löcher gezogen und dann auswärts gebunden. (Fig. 65.) Derlei Befestigungsarten erblickt man noch häufig an Nürnberger- und Augsburger Harnischen jener Zeit. In Inventaren von 1580 noch wird das vollständige, von der Achsel an in seinen Teilen in Verbindung stehende Armzeug durch den Beisatz: „alles aneinander“ bezeichnet. Bis etwa 1490 werden die Armkacheln desungeachtet noch besonders an die Armbeugen geschnallt. Das Armzeug war kaum gebildet, als die Plattner begannen, die Armkacheln in riesiger Grösse zu fertigen. Diese Übertreibung nimmt ihren Beginn um 1450 und endet erst nach 1540. Als Mode fanden diese riesigen Kacheln, mit welchen die Plattner ihre Kunstfertigkeit darzulegen be- absichtigten, nicht allgemeine Verbreitung. In den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts erleidet das Armzeug einige, wenn auch un- wesentliche Änderungen. Die Mäusel, in Deutschland vorher spitz, werden nun stumpf und selbst halbkugelförmig, die halben Muscheln verschwinden allgemach, nachdem die sogenannten „ganzen“ mehr Festigkeit besassen und die Oberarmröhren erscheinen nun häufig mehrfach geschoben. Von ungefähr 1550 an findet man das Armzeug an Lands- knecht- und selbst an Trabharnischen in sonderbaren Detailformen. Der Harnisch wurde den Söldnern im Marsche in grosser Hitze oft unerträglich, und man suchte ihnen ihre Lage nach Möglichkeit zu erleichtern. Schon um 1530 finden wir Unterarmröhren, die derart durchlöchert sind, dass sie einem grossen Gitter gleichen. Später, um 1560, werden die Armröhren einfach aus vier herablaufenden Blechspangen gebildet, welche mit kleinen Kacheln zusammenhängen; um 1570 bildet man in Italien Arm- und Beinzeuge, an welchen die Kachel und Buckel mit den Röhren in Blattdessins durchbrochen gearbeitet sind. (Fig. 73.) Verstärkungen des Armzeuges durch übergelegte Doppelstücke (pièces de renfort) waren meist nur bei Turnieren üblich, doch kommen sie nicht selten auch für den Feldgebrauch in Anwendung. Wir zählen hierzu zunächst die Doppelachsel . Sie ist in der Regel nur für die linke, die Hieb-Seite, üblich und deckt meist geschobene Achseln. Für das Freiturnier, wie für das Feld kommt die Doppel- achsel häufig mit hohem Brechrand vor. (Fig. 74.) Die rechte Achsel wird selten verstärkt, aber an solchen des 16. Jahrhunderts treffen wir auf die Eigentümlichkeit, dass an der Vorderseite die bogenförmig geschnittenen, aufwärts geschobenen Folgen stärker auf- gebogen (gestaucht) sind, damit sie den Schwerthieben mehr Wider- stand entgegensetzen können. Ausser der Achsel wird am Armzeuge 4. Der Handschuh. nur der linke Ellenbogen verstärkt. Diese Verstärkung wird durch das aufgeschraubte Doppel- oder Stechmäusel (garde-bras) be- wirkt. Dasselbe reicht mit grossem Fluge vom Mäusel bis an die Armbeuge und deckt somit nur die vordere Armseite. Kleine Arm- kacheln erhalten zuweilen am Oberrande Ansätze, welche aufge- schraubt werden, lediglich um den Flug zu vergrössern und die Arm- beugen ausgiebiger zu schützen. Die sogenannten grossen Stechmäusel , welche sich über den halben Oberarm verbreiten, sowie die Stechachseln , die nebst der Schulter auch noch die linke Helmseite und einen Teil der Brust deckten, waren nur beim neuen Fig . 73. Armzug aus geschuppten Plättchen gebildet nach einer Abbildung im Codex: Musterbuch eines Plattners in der gräfl. Thun’schen Fideicommissbibliothek im Schlosse zu Tetschen. Um 1550. Fig . 74. Linksseitige Achselverstärkung mit hohem Brech- rand, teils auch zum Turniergebrauche von einem Harnische des Rupprecht von der Pfalz . (Gest. 1504.) Deutsche Arbeit um 1502. welschen Gestech über die pallia üblich. Zuweilen findet sich an den grossen Stechmäuseln oder den Stechachseln ein eingeschraubter Haken. Viollet-le-duc Dictionnaire raisonné du Mobilier français pag. 463. vermutet, er diente zur Befestigung einer Tartsche. I. Die Schutzwaffen. Das ist irrig, denn weder im Felde noch beim Plankengestech be- diente man sich einer frei getragenen Tartsche, beim Realgestech aber war sie an den Bart angeschraubt. Vermutlich diente er zur Befestigung der Zügelriemen. Der Vollständigkeit halber erwähnen wir noch der Achselstücke und ganzen Armzeuge, welche an italienischen Korazins gebräuchlich sind. In Mailand treten nämlich im 15. Jahrhundert zuerst Harnische auf, deren Brust- und Rückenstücke, gleichviel ob diese steif oder aus kleineren Stücken (Schienen, Plättchen) bestehen, ausserhalb mit Seidenstoff oder Samt überzogen und dicht mit vergoldeten Nieten besetzt sind, deren Köpfchen feine Dessins besitzen. Derlei über- zogene Bruststücke werden nicht selten mit Achselstücken und selbst ganzen Armzeugen versehen, welche gleich ausgestattet sind. Die- selben sind in der Regel gleich den gewöhnlichen derlei Harnisch- bestandteilen und unterscheiden sich nur durch den Überzug. Wir kommen auf derlei Ausstattungen später wieder zurück. 4. Der Handschuh. Die Erfolge, welche die Waffenschmiede in dem Bestreben, einen so wichtigen Körperteil, wie es die Hand ist, zu schützen, waren bis ins 13. Jahrhundert äusserst gering. Im 11. Jahrhundert staken die Hände in gefingerten Handschuhen aus dickem Leder mit kaum 5 cm. breiten Stulpbesätzen. Gegen den Anfang des 13. Jahrhunderts, als der Haubert aus mit Ringen bedeckten Schnüren in Gebrauch kam, waren die Ärmel vorn geschlossen, die Hände steckten wie in einem Sacke, nur die Innenflächen derselben blieben von der Ringdecke frei, so dass an dieser Stelle die Lederfläche sichtbar blieb. Eine Bewegungs- freiheit besass nur der Daumen, welcher eingeschnitten sich darstellte, um Spiess und Schwert anfassen zu können. In Frankreich erscheint im 13. Jahrhundert eine Handschuhform, welche „gagnepain“ genannt wird. Es ist dies nichts anderes, als der mit Eisenplättchen ver- stärkte Lederhandschuh und die Bezeichnung leitet sich von dem Worte „canepin“ ab, das eine gegerbte Haut bezeichnet, welche die Handschuhmacher dazu verwendeten. Am Ende des 13. Jahr- hunderts, als die Erfahrungen des 5. Kreuzzuges, vornehmlich in Frankreich und Italien, ihren Einfluss geltend machten, schnitt man die plumpen, sackartigen Enden entschlossen von den Ärmeln und steckte die Hände in gefingerte Handschuhe von starkem Damhirsch- leder mit Stulpen. Im Gefechte pflegte man dieselben noch über- dies mit einem Stücke Rindsleder zu belegen, das von der ersten Knöchelreihe bis an den Ellenbogen reichte und an der inneren Arm- 4. Der Handschuh. fläche zusammengeknöpft wurde. Dieser Schutz erwies sich als nicht genügend, man nähte darum sowohl auf den Handrücken, als auf den ersten Daumenknöchel runde Eisenplatten, die nach der Hand- form getrieben waren. Diese Scheiben auf dem Handrücken treten bis ins 14. Jahrhundert häufig vor Augen, man band sie später mittelst Lederriemchen an den Handschuh, welche durch zwei Löcher der Scheibe gezogen und aussen geknüpft wurden. Der Gebrauch erbte sich traditionell bis in die Zeit fort, in welcher bereits längst Eisenhandschuhe getragen wurden. In dieser primitiven Bedeckung des Handrückens ist das Vorbild der an vielen Eisenhandschuhen noch bis etwa 1500 ersichtlichen Stielscheiben zu erblicken, welcher wir später gedenken. In den zahlreichen Abbildungen des Codex Balduini I. von ca. Fig . 75. Lederhandschuh mit schuppenförmig angeordneten Eisenplättchen benäht vom Grabmale des Sir Richard von Burling- thorpe um 1310 nach Planché. Fig . 76. Eisenhandschuh vom Grabmale eines Ritters aus der Familie der Eresby in der Spielsbykirche in Lincolnshire um 1410, nach Hewitt. 1340, dessen wir wiederholt erwähnten, tragen die Ritter durchaus gefingerte Lederhandschuhe mit langen Stulpen. Der ungenügende Schutz, welchen die Eisenscheiben auf den Handrücken boten, war Ursache, dass man nun die Platte vergrösserte und sie nach der Form der Hand bildete und dabei auch die Handwurzel zu decken suchte. Dadurch entstanden die wesentlichsten Teile des Eisenhand- schuhes, die Rückenplatte und der Stulp. Die Finger wurden mit kleinen Eisenblechstücken bedeckt, welche schuppenförmig auf den Lederhandschuh genäht wurden. (Fig. 75.) Eine derlei Einrichtung war aber doch nichts anderes, als ein mit Eisenplatten besetzter Lederhandschuh und kein Eisenhandschuh an sich, der sich erst in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts zu bilden begann. Die ältesten I. Die Schutzwaffen. Eisenhandschuhe besitzen breite Rückenplatten, von welchen aus nicht allein die 4 Finger, sondern auch der Daumen sich herausschieben. Die Stulpen sind kurz, teils geradelaufend, teils geschweift gebildet. (Fig. 76.) Erst am Beginne des 15. Jahrhunderts ist die geschobene Partie des Daumens getrennt und nur durch ein Scharnier mit dem Handschuh in Verbindung. Um diese Zeit gewahren wir die ersten Handschuhe, in welchen die 4 Finger nicht getrennt, sondern mit- einander eine einzige geschobene Bedeckung besitzen. Man nennt derlei Eisenhandschuhe insgemein Hentzen (mitons). Sie werden für das Feld wie für das Turnier gebraucht. (Fig. 77.) Eine be- Fig . 77. Hentze mit Stielscheibe, der angeschobene Daumen besitzt eine Auftreibung für den Siegelring. Dieselbe gehört zu einem Harnische Friedrichs Gonzaga Markgrafen von Mantua. Italienisch um 1480. Die Randätzungen gehören dem 16. Jahrhundert an. Fig . 78. Hentze mit Fingerschluss von einem Fusskampfharnische Kaiser Ferdinands I. Blank mit goldgeätzten Zügen um 1560. sondere Form bilden jene Hentzen, welche derart eingerichtet sind, dass sie nach Erfassen des Schwertes mit der Hand derart geschlossen werden konnten, dass eine Entwaffnung unmöglich wurde. Sie waren für den Fu s skampf im Turniere und für das Fussturnier nicht ge- stattet, dennoch finden wir sie an Kampf- und anderen Turnier- 4. Der Handschuh. harnischen. Der Faustschluss wurde dadurch erzielt, dass an den Fingerspitzen eine weitere Folge angesetzt wurde, in welcher sich ein Loch befand. Wurde die Faust geschlossen, so gelangte diese an die Handwurzel, woselbst ein schlüsselartiger Bolzen sich befand, der durch das Loch gesteckt wurde und durch Umdrehen des Bartes die Öffnung der Faust hinderte. (Fig. 78.) Wie wir vorher be- merkten, findet sich an Handschuhen vom 15. Jahrhundert an bis etwa 1500 auf den Handrücken genietet eine auf einem kurzen Stiele sitzende Fig . 79. Gelochte Hentze von einem Harnische des Kaisers Maximilian I. um 1480. Fig . 80. Rechter Handschuh mit messingenen Randeinfas- sungen und Knöchelwülsten, gekehlt und mit ausgezackten Folgen. Der Daumen ist an der Scharniere hängend. Von einem Harnische des Erz- herzogs Sigmund von Tirol . Deutsche Arbeit um 1480. Eisenscheibe, Stielscheibe genannt. Sie findet sich nur an linken Handschuhen, nie an rechten. Wenn dieselbe sich auch zweifellos Boeheim , Waffenkunde. 6 I. Die Schutzwaffen. von den alten auf den Lederhandschuh gebundenen Scheibchen her- schreibt, so lässt doch die Beschränkung ihres späteren Vorkommens auf den linksseitigen Handschuh erkennen, dass sie entweder zur sicheren Befestigung der Zügelriemen, oder beim Gebrauche eines Schildes zu dessen festerer Anlehnung diente. Am Beginne des 16. Jahrhunderts hatten sich die Handschuhe schon vollständig ausgebildet, ja man begegnet schon um 1510 Ver- suchen, der Nachteile derselben sich zu erwehren. So kommen in dieser Periode schon durchlöcherte Handschuhe vor, um die Aus- dünstung der Hände zu befördern. Wir bringen hier einen solchen von einem Harnische des Kaisers Maximilians I. (Fig. 79.) Am Ende des 15. Jahrhunderts um 1470 etwa begegnen wir an Nürnberger Harnischen Handschuhen von vollendet schöner Form im Stile der Spätgotik. Die zahlreichen Folgen sind seicht gekehlt und an den Rändern, den sogenannten Fürfeilen , gezackt ge- schnitten und durchbrochen gearbeitet. Die ganze Arbeit erinnert an ein Spitzengewebe. Die Knöchel bedecken spitz getriebene Eisen- oder Messingbuckel von eleganter Zeichnung. Die Ränder der langen, spitz geschnittenen Stulpen sind von Messing mit zarten lilienförmigen Dessins. Das Ende des 15. Jahrhunderts ist die Blütezeit der Plattnerei, es zeigt sich das nicht wenig in der Form des Hand- schuhes. (Fig. 80.) Im 16. Jahrhundert ging man im allgemeinen wieder auf die älteren Formen zurück. Die Hauptformen ändern sich wenig, die dekorative Ausstattung soll den Mangel einer entsprechenden Weiter- bildung der Form ersetzen. Um 1510 treten die geriffelten Formen auf, welche die Maximiliansharnische charakterisieren. Die Stulpen werden bei wenig konischer Bildung wieder kurz. Die gefingerten Handschuhe werden gebräuchlicher, die Hentzen seltener. (Fig. 81.) Einer Eigentümlichkeit an Handschuhen deutscher Arbeit müssen wir gedenken. Man wird nämlich an solchen, nahezu durchweg am äusseren Knöchel der Handwurzel, einen kleinen Buckel aufgetrieben finden. Wir haben es hier mit einer Handwerksgewohnheit deutscher Werkstätten zu thun, die sich aus dem 15. Jahrhundert herschreibt. Italienische Meister, welche den Knöchelauftrieb fertigen, waren sicher einst in deutschen Werkstätten beschäftigt. Man findet solchen übrigens an italienischen Arbeiten äusserst selten. Um 1530, in jener Periode, in welcher der Einfluss des Lands- knechtwesens mächtig wird, erwacht das Bestreben, die Handschuhe leichter und beweglicher zu machen. In dieser Zeit treffen wir Hand- schuhe zwar mit etwas längeren, öfter geschweiften Stulpen, aber ohne Fingergeschübe. Der Schutz der Finger wird durch Streifen von Panzer- zeug, aus kleinen Eisenringelchen (Panzerstücken) bestehend, gebildet, welche auf die obere Seite des Lederhandschuhes genäht werden (Fig. 82). Diese Form erhält sich bis ins 17. Jahrhundert. Um 1540 wird 4. Der Handschuh. selbst bei Handschuhen mit Fingergeschüben wenigstens der Zeige- finger der rechten Hand, dem beim Handhaben von Spiess und Schwert Beweglichkeit nötig ist, nur durch Panzerzeug vorn gedeckt. In der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts gelangen von Italien aus leichte und bewegliche Handschuhe mit hohen Stulpen in Gebrauch, welche in der Technik ganz mit den Brigantinen übereinstimmen. Mehrere Reihen von schuppenartig übereinander liegenden Plättchen werden mit schmalen Streifen von Panzerzeug verbunden. Gegen Fig . 81. Rechter Handschuh von einem Prunkharnische Kaiser Karls V. blank mit aufgelegten messingenen und vergoldeten Streifen von meisterhafter Zeichnung im Stile Wenzel Jamnitzers . Um 1550. Fig . 82. Handschuh mit Knöchelschiene, angeschobenem Dau- men und Fingern aus Panzerzeug. Blank mit schwarz geätztem Rand. Derselbe gehört zu einem Landsknechtharnische des Caspar von Frundsberg . Deutsche Arbeit um 1527. Hiebe mit schwächeren italienischen Haudegen waren sie eine immer- hin ausreichende Schutzwaffe. (Fig. 83.) Die späteren Fussknechtharnische um 1570 besassen bekanntlich kein Armzeug. Die Achsel und den halben Oberarm deckte das 6* I. Die Schutzwaffen. Spangröl, den übrigen Teil der Panzerärmel. Zur ausreichenderen Versicherung des Unterarmes bediente man sich der Blechhandschuhe mit Stulpen, welche bis über den Ellenbogen reichten. Diese Hand- schuhe wurden noch von den Pickenieren im 30jährigen Kriege ge- tragen. Sie waren die letzten Eisenhandschuhe, welche überhaupt in den Heeren in Verwendung kamen. (Fig. 84.) Aus italienischen Werkstätten gelangen rechtsseitige Armzeuge, die mit dem Handschuh durch ein Geschübe in Verbindung stehen. Diese Kampfhandschuhe unterscheiden sich von allen anderen da- Fig . 83. Handschuh aus Plättchen und Panzerzeug bestehend, sogenannter Brigantinhandschuh , geätzt und vergoldet. Deutsch nach italienischem Muster, um 1560. Fig . 84. Handschuh mit bis an den Ellenbogen reichendem Stulpe, sogenannter Pickenierhandschuh. Geschwärzt mit Vorstössen aus Leder. Italienisch, um 1620. durch, dass die Hand auch an der Innenseite durch Geschübe ge- deckt, somit vollständig in Eisen eingehüllt ist. An der Innenseite des Daumens, des Mittel- und des kleinen Fingers sind kurze, scharfe Eisenspitzen aufgenietet. Derlei Handschuhe waren im Handgemenge und selbst nach Verlust der Waffe noch von Vorteil. Immerhin war 4. Der Handschuh. ihre Brauchbarkeit auf so vereinzelte Fälle beschränkt, dass dieselben keine allgemeinere Anwendung fanden. (Fig. 85.) Im Oriente, bei dessen Völkern eine Streitweise üblich war, die Beweglichkeit zur ersten Bedingung hatte, war man allen Schutzwaffen abhold, welche dieselbe irgend beeinträchtigen konnte. Ebenso wie der steife Brustharnisch nie angenommen wurde, ebensowenig fand der geschobene Handschuh je Eingang. Der bestgerüstete Mann trug an der rechten Hand einen leichten Blechhandschuh (elwân), der den ganzen Unterarm deckte; die Hand aber steckte in einem Fig . 85. Eisenhandschuh mit vollständiger Deckung der inneren Handfläche, an den Fingern mit scharfen Spitzen besetzt. Italienisch um 1570. Fig . 86. Eiserne Armschiene zu einer türkischen Ausrüstung gehörig, mit Fäustling aus rotem Damast, des Sultans Solimans I. (1494—1566), gekehlt und reich in Gold tauschiert. Beutestück nach dem Abzuge der Türken von Wien 1529. Die Schiene ist in geöff- netem Zustande gezeichnet. Fäustling, der an der Streckseite mit Panzerzeug benäht, unterhalb aber mit Damast- oder anderem Wollstoff überzogen war. (Fig. 86.) I. Die Schutzwaffen. Die Mauren trugen im 15. Jahrhundert Handschuhe an der linken Hand, welche mit einer dreizackigen Klinge in Verbindung als An- griffswaffe gelten konnte. Eine Nachahmung dieser Form in Spanien und Italien ersehen wir in den Armschilden des 16. Jahrhunderts, welche sich als eine Verbindung von Handschuh, Rundschild und Klingen darstellten. Wir werden ihrer bei der Beschreibung der Schilde gedenken. Noch in spätester Zeit des Jahrhunderts finden wir An- klänge an diese Konstruktion in Handschuhen, welche mit 3 bis 4 Stacheln besetzt sind. Sie konnten unter Umständen nur im Hand- gemenge von einigem Vorteile sein. 5. Die Harnischbrust. So wie der Plattenharnisch nur allgemach und dadurch sich herauszubilden begann, dass anfänglich nur einzelne Teile des Körpers durch geschlagenes und aufgenietetes Eisenblech verstärkt wurden, ebenso bildete sich der wichtigste Teil desselben, die Brust, aus ein- zelnen Verstärkungsplatten, welche über den Lentner geschnallt oder an diesen genietet wurden. Aber mit der mittelst einfacher Nieten bewirkten Überkleidung eines Lederwamses durch grössere oder kleinere Platten von Eisen oder anderem Metall ist der Plattenharnisch noch keineswegs erstanden. Bei derlei überkleideten Lentnern waren die Eisenplatten musivisch aneinander gefügt, und jede Streckbewegung öffnete die Zwischenspalten, in welche die Schneide jeder Hiebwaffe eindringen konnte. Erst durch die scharf von der früheren sich unterscheidende Art der Deckung durch nach auf- oder abwärts sich übergreifende schienenartige Eisenplatten, durch das sogenannte Geschübe , erwuchs der eigentliche Plattenharnisch und damit dessen wichtigster Bestandteil, die Harnischbrust . Nun übernahm die Eisenschiene selbst die Aufgabe, die früher dem mit Eisenplatten be- nähten Lederkleide zugeteilt war, und die Verbindung der einzelnen Platten untereinander erfolgte, wie erwähnt, im Inneren durch breite Streifen aus Alaunleder, sogenannte Geschübeleder , welche von innen an die Schienen genietet waren und infolge ihrer Elastizität und Geschmeidigkeit eine verhältnismässig freie Körperbewegung zu- lässig machten. Betrachten wir das neue Geschübesystem, welches eigentlich den Plattenharnisch charakterisiert, so scheint es, als hätten die Plattner des 15. Jahrhunderts ihr Vorbild dafür in der Natur ge- sucht und gefunden. Es ist dasselbe System der Deckung, welches wir in den Krustaceen finden. Dass diese Ähnlichkeit auch den alten Meistern im Bewusstsein lag, beweist, dass man geschobene Bruststücke allgemein Krebse benannte. 5. Die Harnischbrust. In Italien begann man um 1380 den unteren Brustteil des Lentners durch eine Platte zu verstärken, welche an der Brust- mitte bis zum Halse reichte. Um 1430, als man hie und da ver- suchte, die Harnischbrüste ganz aus Platten zu fertigen, bestanden diese zum wenigsten aus zwei Teilen, welche mittelst Riemen und Schnalle miteinander in Verbindung standen. Später bildete der untere Teil mit dem oberen ein Geschübe. Harnischbrüste aus einem Stücke waren um 1430 selbst in Italien, dem Lande der Erfindung und Entwickelung des Plattenharnisches, noch eine grosse Seltenheit. Gegen das Ende des 14. Jahrhunderts wurde der Lentner häufig durch horizontal laufende, auf das Leder genietete 10 bis 12 cm. breite Blechschienen verstärkt, die aber nicht nachbarlich übereinander griffen und somit ein „Geschübe“ bildeten, sondern Rand an Rand gesetzt erscheinen. Die Form des Bruststückes, dessen Schnitt und Ausbauchung bildet ein sicheres Merkmal für dessen Alter, in sorgfältigerer Beob- achtung selbst für dessen Erzeugungsort. So wie die ersten an den Lentner angelegten Verstärkungsstücke der Form desselben sich genau anschmiegen mussten, ebenso hatten die ersten Plattenbruststücke die Form der Brust des Lentners. Um 1430 wird die Brust kugelförmig ausgebaucht, weil man der Kugelform die grösste Widerstandskraft beimass. Die ältesten Brust- und Rückenstücke, etwa um 1450, be- sitzen zuweilen übermässig grosse Armausschnitte, und zwar aus der Ursache, weil es damals Sitte war, statt des übrigens zur Zeit längst bekannten Armzeuges sich weiter Ärmel zu bedienen, welche mit Wolle fest ausgestopft waren. Solche gepolsterte Ärmel wurden in Italien und Frankreich häufig getragen; sie verschwinden erst um 1480. Der untere Teil der geschifteten Brust, an welchen sich die Bauchreifen schliessen, erhielt im 15. Jahrhundert den Namen Bruech , vermutlich eine Verstümmelung des französischen braconnière, her- geleitet von dem lateinischen broccae, italienisch brache, was Panzer- hosen bedeutet. Als die geschifteten Bruststücke um 1490 verschwanden, wurde der Name auf ein Verstärkungsstück des unteren Brustteiles über- tragen. Um dieselbe Zeit erscheint in Italien und Burgund das Bruststück schlanker gebildet und scharf gegen die Weichen geschnitten, und es zeigte sich schon damals über der Mitte der Brust ein schwacher Grat. Derlei Bruststücke, welche übrigens nicht allgemein und meist nur in Ver- bindung mit dem Barte und der Schallern getragen wurden, besassen eine schöne und elegante Form. Man bezeichnet sie uneigentlich als gotische , und sollte sie eher florentinische Bruststücke nennen, denn ihre Form war der florentinischen Tracht entlehnt. Bis in diese Zeit finden wir die Bruststücke noch allenthalben geschiftet, erst um 1490 verbreitet sich der untere Schiftteil allgemach nach aufwärts, so dass der obere endlich ganz wegfällt. Der Oberrand ist anfänglich wenig I. Die Schutzwaffen. aufgeworfen und leicht konkav, zuweilen sogar etwas spitz ausgeschnitten. (Fig. 87.) In dieser Form erscheinen die Bruststücke bis etwa 1500, um welche Zeit, nicht ohne Einflussnahme Maximilians I., sie eine Umbildung erleiden. Dieselben werden nun kurz, kugelförmig, mit hori- zontal laufendem, zuweilen übertrieben stark aufgeworfenem Oberrande und unterhalb eckig ausgeschnittenen Armausschnitten, welche nun zum erstenmal ein bewegliches Geschübe erhalten, um den Arm freier gebrauchen zu können. Diese Geschübe in den Arm- Fig . 87. Geschiftetes Bruststück von einem Harnische des venetianischen Feldherrn Bartolomeo Colleoni (c. 1399—1475). Italienisch, um 1470. ausschnitten, welche federartig wirken, benennt man bewegliche Einsätze . Fast gleichzeitig mit den glatten Kugelbrüsten treten die von Maximilian I. angegebenen gerippten oder geriffelten Harnisch- brüste auf, von welchen wir noch später sprechen werden. Man nennt sie Maximilianische, irrtümlich auch mailändische. (Fig. 88.) Von 1520 an bildeten die in Italien dienenden Landsknechte die 5. Die Harnischbrust. Harnischbrüste nach ihrem eigenen bizarren Geschmack um, und so übertrieben die Mode erschien, sie war nicht ganz ohne Berechnung entstanden. Das Bruststück wurde nämlich in der Mitte immer weiter vorgetrieben, so, dass sich um 1530 allmählich eine scharfe Spitze bildete. Eine derlei spitze Auftreibung hiess Tapul , von dem ita- lienischen „tappo“, der Zapfen. Die Landsknechte erachteten diese Fig . 88. Brust mit Kragen, Bauchreifen und geschobenen Beintaschen von einem (geriffelten) Maximiliansharnische des Rup- recht von der Pfalz (gest. 1504). Deutsche Arbeit um 1500. Form darum für vorteilhaft, weil ihrer Ansicht nach jeder Hieb und jede Kugel von den schräg gerichteten sphärischen Wänden abgleiten musste. Diese Form erhielt sich bis um das Jahr 1546. (Fig. 89.) I. Die Schutzwaffen. In ritterlichen Kreisen wurde diese Mode einer übermütigen Soldateska nicht bis zur Übertreibung mitgemacht. Man findet um 1520 an ritterlichen Harnischen, auch der Landsknechtführer die Bruststücke ohne ausgesprochenen Tapul, wohl aber merkt man gegen 1530, dass sich die Brust stetig verlängert, dass sich in der Brustmitte allgemach ein Grat bildet und dass die Brust in leichtem Bogen stärker vorgetrieben ist. Der anfänglich horizontal laufende Ober- Fig . 89 Halber Landsknechtharnisch bestehend aus Kragen, Achseln mit Brechrändern und rechtsseitiger Schwebscheibe, Armzeug mit grossen Ellenbogenkacheln, Brust mit spitz vorstrebendem Tapul, Bauchreifen und Beintaschen. Das Bruststück ist mit figuralem Ätzwerk geziert. Deutsche Arbeit um 1540. rand wird im Verlaufe der Zeit, da er nun wieder mehr an den Hals hinaufreicht, diesem entsprechend immer mehr konkav ausgeschnitten. (Fig. 90.) So erscheinen noch um 1550 Bruststücke der hervor- 5. Die Harnischbrust. ragendsten Meister. Von 1550 ab rückt diese Auftreibung allgemach nach abwärts, so dass sie um 1570 etwa gerade am unteren Rande anlangt. Man nennt derlei Formen Gansbäuche . Der Italiener machte sich über diese bizarre Form durch seinen pulcinello lustig, dem er die schneidige, herabhängende Brust, aber auch den Höcker verleiht, wodurch er dem Huhn (pulcino) ähnlich wurde. (Fig. 91.) Bei italienischen Bruststücken um 1570 ist der Gansbauch so über- trieben gebildet, dass das Bruststück, unterhalb spitzig geschnitten, zapfenartig verläuft. Um 1600 wird das Bruststück wieder allgemach Fig . 90. Brust mit Kragen, Bauchreifen und geschobe- nen Beintaschen mit in goldgeätzten Zügen und figuralen Darstel- lungen. Der Rüsthaken ist in das Bruststück zurückzuschieben. Von einem Harnisch Kaiser Karls V. den derselbe 1546 vor Ingolstadt ge- tragen hatte. Deutsche Arbeit von 1543. insofern kürzer, als sein Unterrand immer weiter nach aufwärts rückt; es behält aber anfänglich die Form des Gansbauches noch bei, der I. Die Schutzwaffen. sogar noch entschiedener dadurch sich ausspricht, als sich am Unter- rande ein Zäpfchen bildet. Um 1620 verschwindet der Gansbauch, die Brust mit schwachem Grat wird nun so kurz, dass sie kaum bis ans Ende des Brustblattes reicht. Der Halsausschnitt ist sehr tief, und um 1650 wird das Bruststück mit dem Rückenstück nicht mehr auf der Schulter verschnallt, sondern von diesem reichen zwei mit Metallschuppen besetzte Bänder nach vorwärts, die an den Seiten der Brust in Kloben eingehakt werden. Diese kurzen Brüste, welche aber demungeachtet zuweilen ein enormes Gewicht besassen, erhalten sich bis in die Rokokoperiode. Da werden sie plötzlich länger, be- Fig . 91. Brust mit Gansbauch, Kragen und Beintaschen mit Schwarzätzung geziert von einem Feldharnische. Deutsche Arbeit um 1560. halten aber die Einrichtung ihrer Befestigung mittelst Schuppenbänder. Bruststücke der Kürassiere um 1750 reichten bis über die Schulter hinauf, um sie leichter und sicherer zu tragen. In den folgenden Figuren ersehen wir die Formenwandlungen der Bruststücke von 1450 bis 1640. (Fig. 92 bis 99.) Schon um 1400 kommen uns italienische Harnischbrüste vor 5. Die Harnischbrust. Augen, welche aus horizontal angeordneten, nach aufwärts geschobenen Schienen bestehen. Diese Anwendung gestattete allerdings dem Träger mehr Bewegungsfreiheit, aber immer auf Kosten der Sicherheit des- selben, da geschobene Bruststücke geringere Widerstandskraft besitzen. Vermutlich aus dieser Ursache kamen solche Bruststücke nicht all- gemein in Aufnahme, erst um 1520 werden für leichte Reiter ge- Fig . 92. Fassbrust , geschoben mit Bauchreifen und Beintaschen. Italienisch um 1450. Fig . 93. Gothische Brust geschoben, mit Bauchreifen, An- steckbart und Schallern. Deutsch um 1480. schobene Bruststücke sehr beliebt. Man nannte sie, wenn auch in Italien oder Deutschland erzeugt, ungarische , weil sie dortselbst I. Die Schutzwaffen. am häufigsten getragen wurden. Ist das Bruststück in seiner ganzen Fläche geschoben, so heisst es ein „ ganzer Krebs “. (Fig. 100.) Finden sich aber an der unteren Seite nur einige Geschübe, 3 oder 4, so nennt man das Bruststück „ halber Krebs “. (Fig. 90.) Beim ganzen Krebs ist der Kragen immer in Verbindung mit der Brust, d. h. die Geschübe setzen sich bis an den Kragenrand fort. Fig . 94. Kugelbrust mit Bauchreifen, Beintaschen und Latz. Deutsch um 1510. Fig . 95. Tapulbrust , mit Bauchreifen, Beintaschen und Latz. Deutsch um 1540. Der Umstand, dass die Harnischbrust in heisser Jahreszeit un- erträglich wurde, führte schon am Beginne des 16. Jahrhunderts zu 5. Die Harnischbrust. allerlei Versuchen, diesem Übelstande zu begegnen. Man versuchte die Bruststücke und auch andere Harnischteile zu durchlöchern, damit verloren sie aber die Sicherheit gegen den Stich. Da geriet man auf ein anderes Mittel der Abhilfe, das wenigstens auf dem Marsche Erleichterung gewährte. Unter den leichten Reitern Italiens tritt nämlich um 1560 eine besondere Einrichtung der Harnischbrüste auf, welche gestattet, dieselben nach Art eines Wamses vorn zu öffnen. Fig . 96. Brust mit Bauchreifen, Beintaschen und Latz. Deutsch 1547. Fig . 97. Brust mit Gansbauch , Kragen und Beintaschen. Der Kragen ist stark in die Höhe gezogen. Italienisch um 1570. An dem Harnischrücken wurde hierzu an jeder Seite die Hälfte eines Bruststückes derart befestigt, dass sich beide in Scharnieren bewegen und angezogen vorn an der Brust mittelst Häkchen geschlossen wurden. I. Die Schutzwaffen. (Fig. 101.) Sie treten bis 1580 auch bei deutschen Reitertruppen auf. Diese Einrichtung war keine neue Erfindung, sondern ein Zurück- greifen auf die Konstruktion des Lentners, der ja gleichfalls vorn an der Brust geschlossen wurde, wie wir später ersehen werden. In solange die Reiterei den Reisspiess führte, bildete der Rüst- haken (Gerüst, faucre), auf welchen derselbe aufgelegt wurde, einen wichtigen Bestandteil der Harnischbrust. Der Rüsthaken erscheint schon auf dem Lentner, wie gleichzeitige Abbildungen auf Grabsteinen Fig . 98. Brust mit Kragen und geschobenen Schössen. Deutsch um 1626. Fig . 99. Schwere Brust mit Kragen und Vorderschurz. Deutsch um 1640. erkennen lassen. In Italien aber tritt er bis um 1460 an Platten- harnischen noch nicht allgemein auf. Die ältesten Rüsthaken besitzen eine hörnerartige Form und erscheinen anfänglich an die Brust ge- nietet, später mittelst Kloben befestigt, um sie abstecken zu können. Um 1480 werden sie beweglich gebildet, derart, dass sie beim Nicht- 5. Die Harnischbrust. gebrauche in einem Scharnier nach aufwärts umzulegen sind. Horn- artig gestaltete Rüsthaken benennt man zum Unterschiede von den späteren Formen „ altartig “. Man findet sie um 1500 auch an italienischen Korazins. (Fig. 102.) Zuerst bei Harnischen Kaiser Maximilians I. um 1510 treten die Rüsthaken in anderen Formen auf. Sie sind geradelaufend und bestehen aus einer im Winkel ge- brochenen Schiene, der vordere Rand erscheint in den meisten Fällen ge- zahnt, um das Abgleiten der Spiess- stange zu hindern. Derlei „ neu- artige Rüsthaken “ kommen an- fänglich steif, später beweglich vor, um sie nach aufwärts umlegen zu können. In letzterer Form verhindert eine unterhalb angebrachte Sperrfeder Fig . 100. Geschobenes Bruststück , sogenannter ganzer Krebs, mit angeschobenem Kragen, Bauchreifen und Schössen von einem Trab- harnische des Niclas III. von Salm-Neuburg , des Vertheidigers von Wien 1529. Deutsch, bezeichnet 1542. Fig . 101. Bruststück vorne zum Öffnen eingerichtet, von einem Trabharnische des Don Juan d’Austria . Italienisch um 1575. das Aufschlagen des Rüsthakens, sobald der Spiess eingelegt ist. Wir werden später sehen, weshalb der Rüsthaken zuweilen eine Umhüllung von Blei oder weichem Holze erhielt. (Fig. 103.) Boeheim , Waffenkunde. 7 I. Die Schutzwaffen. Um 1590, als die Reiterei den Spiess ablegte, verschwindet auch der Rüsthaken von den Bruststücken. Um 1580 fertigen einzelne Plattner Brust- und Rückenstücke, mit welchen der Kragen derart in Verbindung ist, dass am Bruststücke der vordere, am Rückenstücke der hintere Teil an die Oberränder im Geschübe anschliesst und sie beim Anlegen an den Seiten verbunden werden. Bevor wir uns zu den den Bruststücken weiters angehörenden Bestandteilen wenden, sei noch der „ Doppelbrust “ gedacht. Sie gehört zu den Verstärkungsstücken, wurde über das Bruststück gelegt und an der Mitte mittelst eines Klobens, um den Leib mittelst Riemen befestigt. (Fig. 104.) Ihre Form ist verschieden; zuweilen deckt sie nur die untere Hälfte, in der Regel reicht sie bis an den oberen Brustrand. An der Stelle des Rüsthakens ist dieselbe ausgeschnitten. (Fig. 105.) Nicht selten fertigen die Plattner für angesehene Herren Landsknechtharnische und liefern zu selben eine Doppelbrust mit Fig . 102. Rüsthaken älterer Form von einem Maximilianshar- nische des Eitel Friedrich Grafen von Zollern (gest. 1512). Der Haken ist nach aufwärts zu schlagen. Fig . 103. Rüsthaken späterer Form von einem Trabharnische des Kaisers Ferdinand I. von c. 1560. Der Haken ist nach aufwärts umzulegen und mittelst einer Feder in seine Lage festzustellen. daran befindlichem Rüsthaken, um denselben auch zu Ross und mit dem Reisspiess bewaffnet benutzen zu können. Zum Turniergebrauche erhalten die Doppelbrüste auch Bauchreifen und steife Beintaschen, durch welche die unteren gleichartigen Stücke verstärkt werden. Derlei Doppelbrüste für das Turnier erhalten gewöhnlich rechts oberhalb, wo sie an die Achsel anstossen, Aufbiegungen, gleichfalls „ Stauchen “ genannt, welche den Zweck haben, die Spiessstösse des Gegners von den Achseln abzulenken. Sie dienten vom Beginne des 16. Jahr- hunderts auch zum Feldgebrauche. Um 1550 werden sie immer seltener und verschwinden endlich ganz. 5. Die Harnischbrust. Zunächst an den Unterrand des Bruststückes schliessen sich die sogenannten Bauchreifen . Sie bestehen aus einem Geschübe von Eisenschienen, welche bei den ältesten Harnischen des 15. Jahrhunderts bis über das Becken, bei späteren nur bis etwas über den Oberrand des Beckenknochens reichen. Wie es ihr Name anzeigt, sollten sie bei der Bedingung möglichster Beweglichkeit den Unterleib schützen und durften den Reiter im Sattel nicht beirren. Daraus geht schon hervor, dass, je kürzer die Brust war, desto mehr Geschübe die Bauchreifen besitzen mussten. Diese Bauchreifen wurden aber für den Schutz des Unterleibes und der Oberschenkel als nicht genügend Fig . 104. Doppelbrust mit Bauchreifen und steifen Beintaschen zum neuen Gestech über das Dill von einem Harnische des Andreas Grafen von Sonnenberg (ermordet 1511). Arbeit des Desiderius Helmschmied zu Nürnberg um 1505. Fig . 105. Schiftung für die Brust, sogenannter Bruech mit steifem Bauchreifen und linksseitiger Beintasche zum neuen Gestech über das Dill von einem Maximiliansharnische des Ruprecht von der Pfalz (gest. 1504). Deutsche Arbeit um 1500. angesehen; es wurden daher zu den Seiten bewegliche Platten mittelst Riemen angeschnallt, sogenannte „ Beintaschen “, welche, anfänglich unterhalb spitz geschnitten, die Form von Dachziegeln, „tuiles“, hatten. 7* I. Die Schutzwaffen. An den ältesten Harnischen hängt an den äusseren Seiten daneben noch je eine weitere kleine Platte (Fig. 92). Die späteren Beintaschen sind mehr rund zugeschnitten und sind entweder steif oder mehrmals geschoben . Nicht selten setzen sich die Beintaschen an die Bauch- reifen ohne eigentlichen Abschluss in der Art fort, dass die Geschübe gerade und eckig abschliessend bis an die Oberschenkel reichen (Fig. 88). Von etwa 1550 an sehen wir die Bauchreifen häufig stark auf- getrieben, besonders an französischen Harnischen. Das geschah zu dem Zwecke, um den kurzen, bauschigen, spanischen Höschen Platz zu lassen, welche in Hinsicht auf ihre Dimensionen im Umfange besonders in Frankreich erheblichen Raum erforderten. Um 1520 entstehen in den Landsknechtheeren und zweifelsohne gleichfalls in der Absicht, das Anlegen des Harnisches möglichst zu vereinfachen und abzukürzen, die „ Schösse “. In dieser Anordnung ersieht man das Bestreben, die Brust mit den Bauchreifen unmittelbar in Verbindung mit dem Beinzeug zu bringen. Von den Bauchreifen setzen sich die Oberschenkel entlang die Geschübe fort, entweder bis an den halben Schenkel reichend, in welchem Falle den restlichen Schenkelteil die Unterdiechlinge decken, oder bis an die Kniee, wo sie mit den Kniebuckeln abschliessen und damit das Oberbeinzeug ersetzen. Letztere Form wird schon am Beginne auch bei ritterlichen Harnischen nicht selten beobachtet, dann ist selbstverständlich auch ein Unterbeinzeug damit in Verbindung. Bei Harnischen des 15. Jahrhunderts bilden vorne die Innenränder der beiderseitigen Beintaschen einen weiten konkaven Bogen, dem Sitze im Sattel entsprechend, selbst bei Schössen erscheint der Teil am Ende des Unterleibes kreisförmig ausgeschnitten. Am oberen Rande dieses Bogens ist bei Harnischen um 1500 der letzte Bauch- reifen buckelförmig aufgetrieben. Diese Erhöhung wird „ Scham- kapsel “ benannt. Später, als die Schamkapseln verschwanden, ent- steht an dieser Stelle ein eigenartiger Harnischbestandteil, der eigentlich nur vom kulturhistorischen Standpunkte zu würdigen ist, der Glied- schirm oder „ Latz “ vom lateinischen „latus“ hergeleitet. Der Latz, als Gegenstand von geschlagenem Eisen erzeugt, ist eigentlich nur ein Ergebnis eines bizarren Geschmackes und hatte überhaupt keine praktische Bedeutung. Dennoch hatte er sein Vorbild in einer ganz entsprechenden Einrichtung des 15. Jahrhunderts gefunden. In dem Bestreben, den Geschlechtsteil zu sichern, besassen die Panzer- hemden vorn eine sackartige Verlängerung, die schon damals „Latz“ genannt wurde. Es sind nur wenige Exemplare solcher mehr vor- handen. Der „latus“ soll eigentlich nichts anderes darstellen, als eine Hülse von geschlagenem Eisenblech für den Geschlechtsteil, die mittelst einer oder mehrerer Nieten mit den Bauchreifen in Verbindung stand und zuweilen noch durch eine Masche aus farbigen Bändern geziert wurde. (Fig. 106, 107 und 108.) Diese sonderbare Mode 5. Der Brustharnisch. fand ihr Entstehen durch die Schweizer, um sich vor der Streit- manier der Deutschen zu sichern, welche ihre Spiessstösse nach dem unbeschützten Punkte an den Geschlechtsteilen zu richten pflegten. Darin läge eine fachliche Begründung; dass sie aber mit Raschheit sich verbreitete und nicht allein von Stutzern, sondern auch von Hof- leuten im gewöhnlichen Leben allenthalben mit sichtlichem Behagen mitgemacht wurde, das bietet uns einen wenn auch nur kleinen Beitrag zur Beurteilung einer Zeit, in welcher der menschliche Geist gar oft die Schranken der Selbstzucht überflog. In formellster Bildung erscheint der Latz zuerst um 1520 und verschwindet erst um 1570. Als steife Hülse ersehen wir ihn an den gewöhnlichen Kleidern und selbst an Harnischen um 1550 erscheint er nicht immer aus Eisenblech, sondern in Ver- bindung mit dem darunter getragenen Kleide auch aus textilem Stoffe gebildet. Im königlichen historischen Museum zu Dresden finden sich noch Hofkleider des 16. Jahrhunderts mit derartiger Ausstattung. Etwa um 1590 kommen allmählich die Beintaschen an den Harnischen, welche vorwiegend nur einen Bestandteil des ritterlichen Harnisches bildeten, in Abnahme, und an ihre Stelle treten nun all- gemein die Schösse. Je kürzer die Brustplatten wurden, desto grössere Dimensionen nimmt das Geschübe der Bauchreifen und Schösse an. Die nun in Mode kommenden bis an die Kniee reichenden Pump- hosen (alla vallona), welche unter den Schössen zu liegen kamen, waren Ursache, dass diese nun einen immensen Umfang erhielten Fig . 106. Gliedschirm von einem Landsknechtharnische des Wilhelm von Roggendorf (gest. 1541) von c. 1515 mit geätzten Verzierungen, mit welchen die verhaute Tracht dargestellt ist. Fig . 107. Gliedschirm von einem Landsknechtharnische des Konrad von Bemelberg (gest. 1567) von c. 1532. Die Löcher an den Rändern dienen zum Anheften an das Panzerhemd. Fig . 108. Gliedschirm von einem aus unegalen Stücken zu- sammengesetzten Harnische ans der fürstl. Sulkowsky ’schen Waffen- sammlung im Schlosse Feistritz in Niederösterreich, gegenwärtig im Germanischen Museum zu Nürnberg. Um 1540. gleich einem Fasse. Der weite Ausschnitt in der Schamgegend ver- schwindet ganz, die beiderseitigen inneren Enden der ersten Schoss- schienen stossen hart aneinander. Um 1680, als die langen Röcke I. Die Schutzwaffen. Mode werden, kommen auch die Schösse im Adel ausser Gebrauch und erhalten sich nur noch einige Jahrzehnte in den Kürassier- regimentern und unter den Reitern der Heere im östlichen Europa. Am Beginne des 18. Jahrhunderts sind sie völlig verschwunden. Das Streben nach einer Verschönerung des äusseren Lebens führte in Italien schon im Mittelalter dahin, nicht allein die Angriffs- Fig . 109. Brigantine mit Sturmhaube des Franz Maria von Rovere-Montefeltre Herzogs von Urbino. Arbeit der Gebrüder Philipp und Jacob Negroli von 1532. waffen, sondern auch das Kriegskleid zu verzieren. Im 14. Jahr- hundert wurde der Lentner bereits ein Gegenstand künstlerischer Ausstattung. Er wurde mit Seide oder Damast überzogen und reich in Gold und Silber gestickt, so dass die Schutzwaffe völlig den Ein- 5. Die Harnischbrust. druck eines reichen Kleides darstellte. Die dekorativen Motive wurden anfänglich der Heraldik entlehnt. Als der Lentner mit grösseren Eisenplatten verstärkt wurde, wollte der Edelmann nicht auf den Eindruck verzichten, den er im reich gezierten Lentner erzielt hatte. So finden wir die ersten mit Platten belegten Lentner vorn zum Öffnen und die Platten mit reichen Stoffen überzogen, welche mittelst vergoldeter Nieten auf dem Metall befestigt wurden. Die steife Platten- Fig . 110. Korazin mit kirschrotem Sammt überzogen, des Feld- obersten Jacob von Embs (gest. 1512) italienisch, wahrscheinlich mailändisch um 1500. brust, der Rücken erschienen aber für den Gebrauch in Städten doch zu unbequem und man ersetzte beide durch den sogenannten Korazin (corazzino), welcher in einem System kleiner eiserner Plättchen bestand. Diese Plättchen wurden, dachziegelförmig geordnet, I. Die Schutzwaffen. auf Leder oder starke Leinwand genäht, welch letztere einen Über- zug von Samt oder Seide erhielt. Der Korazin charakterisiert sich dadurch, dass das schützende Metall an der Innenseite sich befindet. Finden sich die Plättchen oder Schuppen an der Aussenseite des Körpers, dann wird ein derlei Waffenkleid Brigantine benannt. (Fig. 109.) In Italien und Frankreich benannte man Panzerhemden, welche aus kleinen, glatt geschlagenen Eisenringen bestanden, die untereinander durch Ringe oder Ringgeflechte in Verbindung standen, Jazerins , Jazerans, von dem italienischen Worte ghiazzerino (altital. gazzarina) abstammend, das Netz, Panzerhemd schlechtweg bedeutet. Bis ungefähr 1530 erschienen diese halb Kleid, halb Harnisch dar- stellenden Korazins derart geschnitten, dass sie an der Brustmitte Fig . 111. Teil eines Brustharnisches des Torghud Reïs, Königs von Kairewan (gest. 1565). Arbeit des Waffenschmiedes Ali . Der obere Brustteil aus einer Platte und dem Kragen bestehend ist ab- gängig. Arabisch 16. Jahrhundert. geschlossen werden. (Fig. 110.) Nicht selten sind sie für Reiter mit altartigen Rüsthaken ausgestattet. Später erscheinen Brust- und Rückenteil getrennt, beide werden dann an den Seiten genestelt. Korazine und Brigantinen bildeten das beliebteste Kleid der Vornehmen in Italien, Spanien, Frankreich und aller von der italienischen Re- naissance beeinflussten Edelleute anderer Nationen; in den ob- genannten Ländern aber, allerdings in einfacherer Ausstattung, der Bogen- und Armrustschützen. Auch in den orientalischen Ländern entwickelte sich die Brust- bedeckung des Krieges von einem mit Eisenringen, Plättchen oder 5. Die Harnischbrust. Scheiben benieteten Lederwams zu einem nur aus Eisenpartikeln bestehenden Brust- und Rückenharnische, aber die Ansprüche des Orientalen an die Leistungsfähigkeit derselben gingen nicht so weit, als die der Europäer, die jederzeit eine absolute Deckung auch gegen das kleine Feuergewehr forderten. Es scheint, dass die Inder und nach ihnen die Perser sich zuerst der Brust- und Rücken- harnische bedienten, welche aus sehr dünnen, kleinen Eisenplatten von äusserst hartem Stahle bestanden, die untereinander durch schmale Streifen von Panzergeflecht verbunden waren. Diese Platten, bei den Persern viereckig, bei Indern und Arabern meist rund, sind gewöhn- lich mehr oder weniger in Gold verziert und mit Arabesken und Fig . 112. Rückenteil mit Achselstücken des Harnisches Fig. 111; die Eisenteile sind graviert und vergoldet. Schriftzügen ausgestattet. Derlei orientalische Panzer, von welchen wir in Fig. 111, 112 ein älteres Beispiel bringen, sind verhältnis- mässig leicht, sichern gegen Hieb und Stich bei der Güte des Materiales genügend und besitzen einen Vorteil, den der Orientale vor allem schätzte, sie sind der raschesten Bewegung im Gefechte nicht hinderlich. I. Die Schutzwaffen. 6. Der Harnischrücken. Der Harnischrücken hatte ganz jene Entwickelungsphasen mit- gemacht wie die Harnischbrust, als deren Ergänzung er anzusehen ist. Die ältesten Rückenstücke aus Platten bestanden aus zwei Teilen, welche in der Mitte des Rückens ähnlich wie einige Lentnerformen zusammengeschnallt wurden. Die späteren des 15. Jahrhunderts sind wie die Bruststücke zwei- bis dreimal geschoben mit in gotischen Fig . 113. Rücken eines sogenannten gothischen Harnisches des Erzherzogs Sigmund von Tirol . Deutsche Arbeit um 1480. Konturen ausgezackten Folgenrändern und ziemlich tief ausgeschnitten. Die Rückenstücke an sogenannten gotischen Harnischen besitzen zu- meist am Unterrande Verlängerungen, die in ihrer Form das kleine, faltige Schösschen an florentinischen Wämsern wiedergeben. (Fig. 113.) Bei Feldharnischen des 15. Jahrhunderts setzt sich am Rücken zu- meist ein Gesässschurz fort, der geschoben gerade so weit reicht, um im Sattel sitzen zu können. Am Beginne des 16. Jahrhunderts 6. Der Harnischrücken. verschwinden diese Schurze zum grössten Teile, dann schliesst der Rücken einfach mit einem etwas aufgetriebenen Gesässreifen ab. (Fig. 114.) Die Verbindung der Brust mit dem Rücken erfolgt über die Schultern durch die beiden Riemen, welche an den vorderen Seiten des Bruststücks geschnallt werden. In der Übergangsperiode vom Lentner zum Plattenharnisch, in welcher letzterer noch aus kleineren Platten bestand, erfolgte noch häufig die Öffnung des Rückenstückes von der Mitte aus. Die Verbindung vermittelten Riemen und Schnallen, Fig . 114. Rücken eines Prunkharnisches , halber Krebs, welchen Erzherzog Ferdinand von Tirol bei seiner Vermählung mit Anna Katharina von Mantua 1583 getragen hatte. Deutsche, vermutlich Tiroler Arbeit, um 1580. wie wir aus der interessanten Statue Philipps VI., Grafen von Holland, (Fig. 115) ersehen. Die Form ist italienisch. Vom 17. Jahrhundert an wird der Rücken an das Bruststück durch Schuppenbänder be- festigt, welche Befestigung an den beiden Seiten der Brust in Knöpfen gehalten wird. An den Seiten unterhalb der Arme sind beide Stücke bis I. Die Schutzwaffen. etwa um die Mitte des 16. Jahrhunderts mittelst Häspen, später mittelst Häkchen, ausserdem mit einem Leibriemen verbunden, welcher, am Unterrande des Rückens befestigt, vorn an der Brust zusammen- geschnallt wurde. Erst von c. 1540 an erblickt man Verbindungen mittelst kleiner Naben und Vorsteckbolzen. Bis um die Mitte des 16. Jahrhunderts ist in der plastischen Gestaltung des Rückens der anatomischen Form noch wenig Rechnung getragen, in der Fig . 115. Rückseite einer Holzstatuette Wilhelms VI., Grafen von Holland (gest. 1417). Kopie einer Bronzestatue, die bei dem Brande des Stadthauses von Amsterdam 1652 zu Grunde ging, ausgeführt von A. Quellinus . Nach D. Van der Kellen Nederlands Oudheden. 2. Hälfte des Jahrhunderts sehen wir die Schulterblätter zuweilen übermässig vorgetrieben. Die Gestalt des Rückens bei geschobenen ungarischen Harnischen ist entsprechend der Brust mit gleichlaufenden horizontalen Geschüben. 6. Der Harnischrücken. Der Rücken reicht dann bis in die Kragenhöhe und verbindet sich mit dem Vorderteile des Kragens an der Brust. Um 1580 kommen auch ungeschobene Rückenstücke vor Augen, welche den ent- sprechenden Teil des Kragens angenietet haben. (Fig. 116.) Die Rückenstücke bei älteren Korazins , welche vorn an der Brust geschlossen werden, bilden insofern einen Hauptteil des Ganzen, als die gesamte Anordnung der Stahlplättchen von der Linie des Rückgrat. aus erfolgt, die sich in der Reihe gegen vorn fortsetzt. (Fig. 117 und 118.) Ähnlich wie die Bruststücke an Harnischen des 15. Jahrhunderts Fig . 116. Rücken eines Trabharnisches (ganzer Krebs) des Niclas III. Grafen von Salm-Neuburg (gest. 1550). Deutsche Arbeit von 1542. (Siehe Fig. 100.) Fig . 117. Rücken eines Korazins mit kirschrotem Sammt über- zogen, des Feldobersten Jacob von Embs (gest. 1512) italienisch um 1500. (Siehe Fig. 110.) wurden auch die Rückenstücke nicht selten mit Stoffen überkleidet und dieser Gebrauch hatte nicht allein einen rein dekorativen Zweck, sondern auch einen praktischen, um das Eisen vor der Einwirkung I. Die Schutzwaffen. der Sonne zu schützen. An Harnischen der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, allecrets und ähnlich gebildeten Formen, an welchen der Oberrand des Bruststückes in gerader Linie und horizontal läuft, hat auch jener des Rückens die gleiche Richtung, wobei der tiefen Lage wegen ein grosser Teil des Rückenbleches vom Kragen sichtbar ist. (Fig. 119.) An allen späteren Formen reicht der Oberrand von Brust und Rücken höher an den Hals hinauf. Am Beginne des 17. Jahrhunderts kam man auf kurze Zeit Fig . 118. Innenseite des Rückens eines italienischen Kora- zins von c. 1510. Die Plättchen stehen am Halse und den Hüften in Verbindung mit Panzerzeug. Fig . 115. Rücken mit Gesässschurz von einem Maximilianharnische des Eitel Friedrich, Grafen Zollern (gest. 1512). Deutsche Ar- beit um 1506. wieder darauf zurück, den Rücken mit einem geschobenen Gesäss- schurz auszustatten, aus der Ursache, weil jener kaum den halben Rücken deckte. Mit der Verlängerung der Brust und des Rückens verschwindet er auf immer. 7. Das Beinzeug 7. Das Beinzeug. Das Beinzeug oder der Beinharnisch besteht in seiner vollendeten Ausbildung aus den Diechlingen (fr. cuissards, ital. cosciali), welche die Oberschenkel bedecken, den Kniebuckeln (fr. genoullières, ital. ginocchielli), den Beinröhren (fr. grêves, ital. schinieri) zum Schutze der Unterschenkel, endlich aus den Schuhen (fr. sollerets, ital. scarpe), Eisenschuhen. Fig . 120. Unterbeinzeug von der Statue Ulrichs, Land- grafen von Elsass , an der Wilhelmskirche zu Strassburg von 1344 nach Viollet-le-Duc. Fig . 121. Vollständiges Beinzeug mit Ober- und Unterdiech- lingen und Kniebuckelgeschüben von einem gotischen Feldharnische Kaiser Maximilians I. um 1480. I. Die Schutzwaffen. Das gesamte Beinzeug am Plattenharnische kristallisierte sich gewissermassen aus den Knieen heraus, denn wir sehen eine Deckung des Beines durch Platten zuerst an den Kniepunkten auftreten. Als im Laufe des 12. Jahrhunderts die Beinkleider aus sogenanntem Panzerzeug in Aufnahme kamen, welche auch den Vorfuss bedeckten und in welchen die Beine wie in Säcken steckten, fühlte man trotz des errungenen Vorteiles, dass die der Verletzung am meisten aus- gesetzten Kniee durch den Ringpanzer noch nicht ausreichend ge- schützt waren. Man schnallte daher über die Partie des Kniees einen breiten Streifen aus starkem Leder, auf welchen gerade über der Kniescheibe eine kreisrunde Eisenplatte genäht wurde. Diese ersten Kniebuckel (genouillières) treten schon am Beginne des 13. Jahrhunderts auf, denn wir finden sie schon in guter Ausbildung am Grabmale des Robert de Vere , Herzogs von Oxford, von 1221. Der Haubert, damals noch bis zu den Knieen reichend, deckte die Oberschenkel anfangs leidlich, dennoch sah man sich zu Verbesserungen veranlasst. Der breite Lederstreif, welcher das Beugen des Kniees erschwerte, fiel weg, die eisernen Kniebuckel wurden mittelst Riemen und Schnallen in der Kniebeuge befestigt (Fig. 120) und schon um 1270 fügte man zuweilen ein einfaches Geschübe an, welches einen Teil der Oberschenkel deckte. Dadurch bildeten sich die Anfänge der oberen Schenkelschienen, welche Dielinge oder Diechlinge (cuissots) genannt werden. Nach dem Mass, als der Haubert kürzer gemacht wurde, was schon am Beginne des 14. Jahrhunderts merkbar wird, musste der Schutz der Oberschenkel nötiger werden; so ersehen wir auch um die Mitte des 14. Jahrhunderts die Diechlinge den ganzen Schenkel ausfüllend. Die ersten Diechlinge deckten nur die äussere Seite, da der innere Teil am Sattel zu liegen kam. Demungeachtet versuchte man gegen 1360, die Oberschenkel in Röhren zu stecken, eine Form, die sich unmöglich erhalten konnte. Man kehrte zu der alten Form zurück, versah aber die äussere Seite des Diechlings mit einer Längsschiene, die an ersterem mittelst Riemen befestigt wurde, später, bis ins 15. Jahrhundert, wurden diese Streifschienen ange- nietet. Die Sorge nach möglichstem Schutz der äusseren Seite führte zunächst dahin, auch die Kniebuckel nach dieser Richtung hin aus- zudehnen. So entstand um 1390 der vollständige Kniebuckel mit seiner äusseren Muschel , wie er im wesentlichen bis ins 17. Jahr- hundert gleich geblieben ist. Noch vor dem Entstehen der Diech- linge, um die Mitte des 13. Jahrhunderts, tritt das Bedürfnis auf, die damals weit mehr gefährdeten Unterschenkel durch Platten zu decken. Anfänglich wurden schmale Schienen an den vorderen Teil des Beines geschnallt, die allgemach breiter wurden und das Bein immer mehr umfassten. So entsteht am Anfange des 14. Jahrhunderts die Beinröhre (grève), welche in steter Ausbildung bis ans Ende des 16. Jahrhunderts einen Harnischbestandteil darstellt, der für uns 7. Das Beinzeug. noch nebenher dadurch bemerkenswert ist, als wir jeden Harnisch als „ ganzen “ benennen, der mit Beinröhren und Schuhen ausgestattet ist, während wir im Gegenfalle denselben als „ halben “ bezeichnen. Der Lentner des 14. Jahrhunderts deckte noch bis an den halben Oberschenkel, dem entsprechend reichten auch die Diechlinge nicht sehr hoch an demselben hinauf. Gegen Ende des Jahrhunderts gefiel man sich in kurzen Lentner. Das veranlasste zu einer Verlängerung der Diechlinge nach aufwärts durch Ansetzen eines weiteren Stückes. Dadurch entstand der Oberdiechling , während das ursprüngliche Stück nun Unterdiechling genannt wurde. Man behielt diese Teilung aus der Ursache bei, weil je nach der Deckung, die dieser oder jener Brustharnisch mit seinen Bauchreifen und Beintaschen gewährte, ein kürzerer oder längerer Diechling sich empfahl. Später, im 16. Jahrhundert, trat ein anderer Grund hervor, der Diechlinge verschiedener Längen nötig machte. Die kurzen spanischen Bausch- höschen gestatteten nur das Anlegen der Unterdiechlinge, während in voller Feld- oder Turnierausrüstung die Oberdiechlinge unentbehrlich waren. Der Diechling, mittelst zweier Riemen an den Schenkel geschnallt, erhält in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine weitere Be- festigung mittelst Schnüren an den Leibgürtel, um das Abrutschen desselben zu verhindern. Zu diesem Zwecke wurde am Oberrande ein Lederlappen angenietet, durch dessen Löcher die Schnüre liefen, mit welchen der Diechling an den Gürtel befestigt wurde. Diese Be- festigungsart erhält sich bis an den Schluss des 16. Jahrh. (Fig. 124.) Die Oberdiechlinge deckten im 15. Jahrhundert oberhalb nicht den ganzen Oberschenkel. Nur an gotischen Harnischen vom Ende dieses Jahrhunderts, welche gemeiniglich nur kleine Beintaschen und zuweilen auch gar keine besassen, reichten sie hart bis an die Leisten hinauf. Von der Mitte des 15. Jahrhunderts trifft man italienische und bur- gundische Harnische, deren Kniebuckelgeschübe nach auf- und abwärts spitz zugeschnitten werden. Das untere dieser Geschübe hängt mit der Beinröhre mittelst eines Drehbolzens (goujon-tourniquet) zusammen, eine Verbindung, die stellbar ist und eine Verlängerung oder Ver- kürzung der Beinröhre zulässt. (Fig. 121.) Bald nach dem Beginne des 16. Jahrhunderts erschienen die geschobenen Diechlinge, aus einem System von 8 bis 10 quer angeordneten Folgenschienen be- stehend. Diese Neuerung führte um 1520 zu der Verbindung der Diechlinge mit den Bauchreifen und zur Bildung der Schösse . Bein- zeuge für das Feld wie für alle Turnierarten zu Ross besitzen durch- weg in den Kniebeugen offene Gelenke, nur das Beinzeug für den Fusskampf ist in der Regel dortselbst mittelst Folgen geschlossen; dann ist aber auch der Diechling als eine vollständige Röhre gebildet. Die Form der Beinzeuge an Maximiliansharnischen werden wir an den Darstellungen dieser Gattung am besten ersehen, wir bemerken Boeheim , Waffenkunde. 8 I. Die Schutzwaffen. jedoch, dass bei geriffelten Harnischen die Beinröhren stets ungeriffelt, somit glatt vor Augen treten. (Fig. 131a und b.) Mit dem Auftreten der grossen Bewegung, die wir mit dem Worte Renaissance bezeichnen, ändern sich auch die Formen des gesamten Harnisches und damit des Beinzeugs. In allen Formen ist schon die Linienführung der neuen „antikischen“ Kunst deutlich Fig . 122. Vollständiges Beinzeug mit schmalen Oberdiechlingen von einem Kampfharnische der Albrecht Achilles , Markgrafen von Brandenburg (gest. 1486) zugeschrieben ist. Das Beinzeug ist jedoch um etwas jünger und dürfte um 1505 geschlagen sein. Auf den Diech- lingen ist die Tracht der Landsknechte nachgeahmt. Die Füsse decken bereits schwere Kuhmäuler. Fig . 123. Bruststück mit angeschnallten Schössen. Um 1570. merkbar. Die scharf aufgetriebenen Buckel verschwinden und machen den kugelförmigen Platz, die zackigen Folgenränder (Fürfeilen) werden geradlinig, eine Änderung, die zwar zweckmässiger genannt werden 7. Das Beinzeug. kann, die Schönheit aber nicht fördert. Die Tracht der Zeit mit Schlitzen und Puffen wird von den Plattnern am Beinzeuge, wie überhaupt am Harnische häufig nachgeahmt. (Fig. 122.) Aber weit eingreifender ist die Umwandlung vom Gesichtspunkte der Kriegs- kunst; sie ist vom Fussvolke, aus Landsknechtkreisen, ausgegangen. Der Landsknecht entledigte sich um 1520 des Unterbeinzeugs, das ihm Fig . 124. Beinzeug mit geschobenem Diechling und halber Beinschiene. Um 1560. Fig . 125. Unterer Teil einer Beinröhre in Verbindung mit einem Panzerschuh. im Marsche hinderlich war, völlig und begnügte sich mit den Diech- lingen oder den Schössen. Dadurch entstand der „ halbe Harnisch “, der auch bald von leichten Reitern angenommen wurde, die ihn mit 8* I. Die Schutzwaffen. kleinen Abänderungen als „ reiterischen “ oder „ Trabharnisch “ trugen. (Fig. 123.) Von dieser Umbildung in Söldnerkreisen blieb der ritterliche Harnisch unberührt, der so zu sagen für sich selbst sich weiterbildete. In zahllosen Formen tritt uns von etwa 1550 an der Trab- harnisch vor Augen. Er nimmt um diese Zeit selbst eine Art Bein- zeug wieder auf, indem der Reiter die Schienbeine mit schmalen Platten bedeckt, die er an die Waden schnallt. (Fig. 124.) Fig . 126. Durchbrochenes Beinzeug nach einem Modell in der Sammlung Poldi-Pezzoli in Mailand. Die Durchbrechungen sind für Sammtunterlage berechnet, die Schuhe für Panzerung oder Leder. Italienisch um 1580. Fig . 127. Vollständiges Beinzeug mit Schössen, welche auch ohne Beinröhren zu tragen sind. Die letzteren sind in den inneren Seiten geschnürt. Der Eisenschuh besitzt ein Rist- und Ballengeschübe. Um 1560. 7. Das Beinzeug. Harnischformen, welche einen Übergang vom ritterlichen, dem alten Kürisserharnisch zum Landsknecht- oder Trabharnisch darstellen, finden sich von 1550 an äusserst zahlreich, Man kokettierte einer- seits mit dem Geschmacke des demokratischen Söldners, anderseits übte das von selbem aufgestellte Prinzip der Bequemlichkeit und Leichtigkeit seine Wirkung. Das war die Ursache, dass man an Feldharnischen und an solchen für das Fussturnier häufig gar keine Fig . 128. Vollständiges Beinzeug mit geschobenen Kniebuckeln und Schuhen von einem Feldharnische Ferdinand des Katholischen , Königs von Aragonien. Um 1480. Fig . 129. Vollständiges Beinzeug mit umfangreichen Schössen. Der Eisenschuh besitzt neben dem Rist- und Ballengeschübe auch ein Knöchelgeschübe. Um 1620. Eisenschuhe, sondern solche aus Panzerzeug trug, welche nur vorn an den Spitzen eine Bedeckung durch Eisenplatten, die sogenannten I. Die Schutzwaffen. Schuhkappen , erhielten. (Fig. 125.) In die Gattung der Trab- harnische reihen sich die in Italien viel getragenen leichten Harnische, deren Platten durchaus in Dessins durchbrochen gearbeitet waren. Wir bringen hier ein derartig gearbeitetes Beinzeug nach einem Mo- dell aus der Sammlung Poldi-Pezzoli in Mailand. (Fig. 126.) Wir sehen in den Sammlungen zahlreiche ganze Harnische, welche je nach Gefallen auch als halbe getragen werden konnten. Sie kenn- zeichnen sich durch den aufgeworfenen Rand am unteren Kniebuckel- geschübe. Von etwa 1570 an finden sich häufig Beinröhren, welche an den inneren Seiten nicht mittelst Häspen (boutons à ressort) ge- schlossen, sondern geschnürt werden. (Fig. 127.) Der Eisenschuh (soleret) tritt von der 2. Hälfte des 14. Jahr- hunderts an stets in organischer Verbindung mit der Beinröhre auf, ja diese selbst bildet schon einen Teil des Schuhes dadurch, dass sie meist bis an die Ferse reicht und an den entsprechenden Punkten die Knöchelauftriebe besitzt. An den vorderen Ristbogen setzt sich ein nach abwärts gerichtetes Geschübe bis an die Spitze fort. Der Eisenschuh bildet sich allmählich erst am Ende des 13. Jahr- hunderts, indem eine steife Platte über den mit Panzerzeug bedeckten Vorderfuss gelegt wird, die man an der Ferse mittelst eines Riemens befestigte. Um 1290 ist diese Bedeckung durch ein Geschübe er- setzt. Noch um 1390 besteht der Schuh des gemeinen Söldners aus Leder, das mit kleinen Platten mosaikartig benäht ist. Eisenschuhe vom Anfange des 14. Jahrhunderts enden im Geschübe in eine stumpfe Spitze (Fig. 128), oder sie setzen sich in langen Schnäbeln (fr. à la poulaines, ital. scarpe a punta) fort (Fig. 121), welche etwas nach abwärts gebogen sind. Diese langen Schnäbel, welche man mit Recht als eine Verirrung der Mode betrachtete, hatte gleichwohl, wenigstens anfäng- lich, einen praktischen Zweck. Je unvollkommener das Beinzeug war und je weniger der Reiter im stande war, den Vorfuss auf- und ab- wärts zu bewegen, desto näher lag die Gefahr, den Bügel zu ver- lieren. Der lange Schnabel verhinderte dies und gestattete dem Reiter, den verlorenen Bügel rasch wieder zu erfassen. Erst in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts erscheinen die Schuhe vollständig in Verbindung mit dem Beinzeuge. Um 1400 ersehen wir die ersten Beispiele von absteckbaren Schnäbeln; dadurch ver- mochte der Reiter, zu Fuss befindlich, ohne Schwierigkeit zu schreiten. Zu Ross gestiegen, wurden die Schnäbel mittelst Drehbolzen am Rist befestigt. Um 1430 erscheinen in Italien Schuhe mit bis zu 36 cm. langen Schnäbeln aus Holz, mit Leder überzogen und mit Eisen- schuppen belegt, welche erst zu Ross an den Vorfuss gesteckt wurden. Der Schuhschnabel erhält sich bis ca. 1490 im Gebrauch. In den letzten Jahren des 15. Jahrhunderts tritt die Reform- bewegung ein, das Prinzip der Bequemlichkeit wird aufgestellt, viel- 7. Das Beinzeug. leicht nicht ohne Mitbeteiligung Maximilians I. und des Markgrafen Albrecht Achilles von Brandenburg ; es führte in der Schuhform unmittelbar zu enormen Übertreibungen. Statt der schmalen gotischen Schnabelschuhe erscheinen die ungeheuerlichen Bärenfüsse oder Kuhmäuler (pieds d’ours) von erschrecklicher Plumpheit. Erst um 1530 mässigt sich allgemach deren Dimension und die Formen der Schuhe nähern sich allmählich der Fussform, zunächst sehen wir sie abgezackt mit scharfen Ecken, später um 1550 rundet sich der Vorderteil und es entstehen die sogenannten Entenschnäbel , erst um 1560 nimmt der Schuh die natürliche Form des Vorfusses an, wie es die Zehenlage erfordert; nur ist eine leichte Hinneigung er- kennbar, den Vorfuss spitzig und damit schmal zu gestalten. Siehe das nebenstehende Schema. (Fig. 130.) Von der Mitte des 16. Jahr- hunderts an ist ein reges Streben der Plattner ersichtlich, den Fuss Fig . 130. Eisenschuhformen . a. 1290—1390. b. 1300—1490. c. 1500— 1530. d. 1530—1540. e. 1540—1550. f. 1550—1560. g. 1560—1590. im Eisenschuh beweglicher zu gestalten und damit das Reiten auf beweglicheren Pferden zu erleichtern. Zunächst ersehen wir das Ristgeschübe , etwas weiter vor das Ballengeschübe , endlich wird noch an der Beinröhre selbst ein Geschübe zunächst oberhalb der Knöchel, das Knöchelgeschübe , angeordnet. (Fig. 127 und 129.) Dass man um 1570 hier und da wieder begann, Eisenschuhe zu tragen, welche nicht in Verbindung mit den Beinröhren standen, zeigt ein derlei Paar italienischer Provenienz in der kais. Waffensammlung zu Wien. Sie gehörten aber sicher keinem Vornehmen an. Vorkehrungen zum Anlegen der Sporen an die Fersen sind der verschiedensten Art. Ist das Beinzeug an der Ferse hoch aus- geschnitten, dann war der Sporn unterhalb des Eisenschuhes befestigt. Um 1560 wird nicht selten der Spornhals an die Fersenplatte ge- nietet, wie zahlreiche Beispiele erweisen. In den meisten Fällen aber wurde der Sporn über den Eisenschuh mittelst Riemen geschnallt. I. Die Schutzwaffen. Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit. Die einzelnen Teile des Plattenharnisches. Fig. 131a u. b. A. Der Helm , franz. armet , ital. celata , engl. helmet . 1. Das Scheitelstück, frz. timbre, ital. coppo, engl. scull piece. 2 Der Kamm, franz. crête, ital. cresta, engl. crest. 3. Das Visier, franz. mezail, ital. visiera, engl. visor. Bei den späteren Helmen besteht das Visier aus 2 Tei- len, die sich aufschlächtig bewegen. Der obere Teil mit den Sehspalten heisst dann Stirnstulp, franz. frontal, ital. frontale, der untere, das eigentliche Visier, altdeutsch Schembart, fr. ventail, ital. ventaglio. 4. Das Kinnreff, fr. mentonnière, ital. baviera, engl. beaver. 5. Der Nackenschirm, fr. couvre- nuque. 6. Das Kehlstück, bei späteren Helmen Halsreifen, fr. gor- gerin, it. goletta, engl. gorget. B. Der Kragen , fr. hausse col , ital. collo , engl. neck collar . 1. Federzapfen (zur Befestigung der Achseln), fr. auberon. C. Die Achseln , fr. épau- lières , ital. spallacci , engl. shoulder plates . 1. Die Vorderflüge, fr. aile, ital. ala, lunetta. 2. Die Hinterflüge, franz. ailes dorsales. 3. Die Brechränder, Stoss- krägen, fr. passe-garde, garde-col, it. guarda-go- letta, engl. pass guard. Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit. D. Das Armzeug , frz. brassard , ital. bracciale , engl. brassard . 1. Oberarmzeug, Oberarmröhre. 2. Unterarmzeug, Unterarmröhre. 3. Die Armkacheln, fr. cubitières, ital. cubitiera, bestehen aus den Mäuseln und den ganzen oder halben Muscheln. E. Die Handschuhe , frz. gan- telets , ital. manopole , engl. gauntlet, wenn ungefingert: Hentzen , franz. mitons , ital. mittene , engl. mitten gauntlets . 1. Die Stulpen. 2. Die Knöchelreifen. F. Die Brust, das Bruststück , franz. plastron , ital. corazza , engl. breast plate . 1. Der Brustrand. 2. Der Rüsthaken, fr. faucre, ital. resta, engl. lance rest. 3. Die Bauchreifen, frz. bracconnière, ital. panziera, engl. great brayette. 4. Die Schamkapsel, franz. brayette. 5. Die Beintaschen, frz. u. engl. tassettes, tuiles, ital. fiancali, scarselloni. G. Der Rücken, das Rücken- stück , franz. dossière , ital. schiena , engl. backplate . 1. Die Gesässreifen, der Gesässschurz., franz. garde-reins, ital. falda. H. Das Beinzeug, die Diech- linge mit den Kniebuckeln bilden das Oberbeinzeug, die Beinröhren mit den Schuhen das Unterbeinzeug . Fig. 131b. 1. Die Oberdiechlinge. 2. Die Unterdiechlinge, fr. u. engl. cuissards, ital. cosciali. 3. Die Kniebuckel, franz. genoullière, ital. ginocchietti, engl. buce, mit ihren Muscheln. 4. Die Beinröhren, franz. grêves, ital. schinieri, engl. greaves. 5. Die Schuhe, franz. sollerets, ital. scarpe, engl. goad, soleret. I. Die Schutzwaffen. Bevor wir in eine Betrachtung der Wandlungen jener Schutz- waffe eingehen, welche der Krieger unmittelbar am Körper selbst getragen hat und die man unter der generellen Bezeichnung Harnisch zusammenfasst, sehen wir uns veranlasst, einer möglichen irrigen Auf- fassung zu begegnen, als sei mit den gegebenen Typen namentlich der älteren Perioden, etwa bis ins 14. Jahrhundert, mehr als ein nur im allgemeinen orientierendes Beispiel der Tracht gegeben. Je höher wir in den Zeiten hinaufrücken, in denen zahllose Volksstämme auf die Weltbühne treten, deren Kulturzustand von verschiedenen Zentren beeinflusst war, desto mehr müssen wir von einer einheit- lichen Physiognomie der Kriegstracht absehen. Wenn wir bedenken, dass die Völker des europäischen Nordens eine in sich abgeschlossene Kultur mit sich brachten, jene des Ostens in dem Grade und der Art ihrer Entwickelung die grössten Verschiedenheiten merkbar werden lassen, dass die Einflüsse des Orients auf den Occident, der Antike auf die barbarische Welt in tausendfachen Nüancen zu Tage treten, so kann von einer äusserlichen Uniformität des Menschen in Bezug auf seine kriegerische Tracht keine Rede sein. Hier ist die Gestalt der Äusserlichkeit so sehr von dem Grade der Entwickelung der Technik, den religiösen- und Stammesgewohnheiten, den Ansichten des einzelnen abhängig, dass jeder der zahllosen Volksstämme zwar einen Haupt- typus für sich bilden kann, der aber bis zu den einzelnen Individuen herab millionenmal variiert. Für die Epoche der Völkerwanderung standen uns bis jetzt nur spärliche Materialien zu Gebote, um die Tracht des Kriegers beur- teilen zu können. Originale Stücke sind nur wenige, und diese in Trümmern auf uns gekommen, und bildliche Darstellungen waren ja selbst in jener Zeit äusserst selten. Griechische und römische Kunst waren im Entschlafen, und jene der Barbaren stand noch auf zu ge- ringer Stufe, und war in dem Wirrsal der Zeit so wenig in Übung, dass es begreiflich erscheint, wenn uns bis jetzt bildliche Belege nicht untergekommen sind. Helme, Schildreste, Spiesse, Schwerter, welche dieser Periode angehörend, in Deutschland, Italien und Frankreich aus dem Boden gegraben wurden, zeigen merkwürdigerweise mehr orientalischen Einfluss, als jenen der Antike, und dennoch ist der letztere zweifelsohne bis ins 8. Jahrhundert, ja noch bis zu den, Ottonen, in den genannten Ländern in Tracht und Bewaffnung herrschend gewesen. Wenn uns gerade für das Ausleben des antiken Einflusses Belege fehlen, so sind wir anderseits für den orientalischen durch in den letzten Jahrzehnten gemachte Bildfunde bereichert worden. Der eine ist eine kleine bronzene Reiterfigur, einen finnländischen Krieger darstellend, die wenn nicht vor, doch sicher in die Periode der Völkerwanderung zu reihen ist. Der Reiter trägt den kleinen, spitzen Helm, der, wie wir sehen, vom Altertum bis in die Neuzeit Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit. den orientalischen, und den vom Oriente beeinflussten Völkern eigen- tümlich ist. Das Kleid ist eng anliegend. Die Figur sitzt bereits im bequemen Sattel. Der Fundort der Bronze ist auf einem Felde bei Omatomsk, Gouverne- ment Wiatka. Sie ist erwähnt in Apelin, Antiquités finnoises, mit unrichtiger Angabe des Gouvernements Wilna. Ausführlich besprochen in dem Berichte über den Kiewer archäologischen Kongress 1873. (Fig. 132.) Noch weit wichtiger, ja unschätzbar sind die Reliefdarstellungen, welche sich auf einem Goldgefässe aus dem Schatz von Nagy Szent- Miklós, dem sogenannten „Schatz des Attila“, gefunden haben. Kunsthistorische Sammlungen des kais. Hauses, Wien. Die eine stellt einen Reiter dar, der einen Gefangenen mit sich schleppt, die andere einen Bogenschützen. Man bezeichnet sie als sarmatische, und setzt sie ins 5. Jahrhundert, was im allgemeinen wohl zutreffen mag. Was für uns äusserst wichtig erscheint, ist die Fig . 132. Statuette eines finnländischen Reiters von Bronze Fund auf einem Felde bei Omstomsk, Gouvernement Wiatka. 5. Jahrhundert. Nach einem im Privatbesitze befindlichen Originale. Fig . 133. Sarmatischer Reiter mit einem Gefangenen. Dar- stellung im Flachrelief auf einem Goldgefässe aus dem Erdfunde von Nagy Szent-Miklós, dem sogenannten „Schatz des Attila“ 5. Jahr- hundert. Tracht beider, aus der wir ersehen, dass sie orientalisch ist, dass die Kriegstracht, wie sie bis ins 12. Jahrhundert in Europa üblich war, sich von ihr ableitet, und schon in antiker Zeit ihren Ursprung I. Die Schutzwaffen. gefunden hat, und dass endlich die spätere, ritterliche Tracht, der Haubert die Brünne, der Helm etc. ihre Vorbilder im Oriente und nicht in der antiken Welt gefunden haben. Der eine Reiter trägt den niederen spitzen Helm mit der Brünne, die ein Kettengeflecht darstellt. Eine Jacke und Beinkleider aus mit Lederstreifen besetztem Stoffe bedecken den ganzen Körper, darüber erscheint ein langer Haubert mit kurzen Ärmeln, vermutlich aus Leder mit dicht darauf genieteten Blechscheibchen. Derselbe wird an den Lenden mit einem gleichfalls mit Metall belegten Gürtel zusammengehalten, der mög- licherweise auch ein Schwert tragen kann. Ganz ähnlich erscheint der minder vornehme Bogenschütze, der jedoch keinen Helm am Haupte trägt, sondern barhaupt mit fliegendem Haare sich darstellt. (Fig. 133.) Die andere hier erwähnte Figur des Bogenschützen ist in dem Abschnitte: „Der Bogen“, wiedergegeben. Von diesen bis jetzt ältesten Darstellungen einer Kriegstracht im Mittelalter bis zu der nächsten klafft eine Lücke von 3 Jahrhunderten, aber wir ersehen aus der nächsten; dass sich in dieser Zeit nur wenig geändert hat. Die aus Elfenbein geschnitzten Reiterfiguren, zum Schachbrette Karls des Grossen gehörig, Einst im Schatze der Abtei zu Saint-Denis, jetzt im Medaillenkabinett der Nationalbibliothek zu Paris. zeigen uns die Kriegstracht der Berittenen im 8. Jahrhundert. Das Haupt der einen ist von einer kugelförmigen Haube bedeckt, der ganze Kopfteil mit Ausnahme des Gesichtes mit einem Stoffe eingehüllt, der vermutlich eine Brünne darstellt. Die Brust deckt ein eng an den Körper schliessender Harnisch von Leder, mit viereckigen, übereinander fallenden Schuppen, der bis an die Beine reicht. Die Ärmel sind kurz, die Unterarme nackt. Die Unterschenkel scheinen in Lederstrümpfen zu stecken, die Füsse sind von Sandalen bedeckt, an deren Fersenteil Sporen mit stachelförmigen Hälsen befestigt sind. Die andere trägt über eine lange Tunika einen ähnlichen Harnisch, jedoch mit unterhalb abgerundeten, und gestielten Schuppen. Der Codex aureus von St. Gallen zeigt uns im Gegensatze zu den vorgenannten Ausrüstungen die Krieger in einer vollkommen der Antike entlehnten Tracht. Der Helm erinnert an die der späteren Römerzeit, der Harnisch aber, bis an die Kniee reichend, ist von Leder und mit zungenförmigen Schuppen bedeckt. Die Ärmel sind kurz und lassen ein faltiges Untergewand erblicken. Die Unterschenkel stecken in hohen Strümpfen, die bis über das Knie reichen. Die Füsse sind mit Schuhen bekleidet. Über den Harnisch trägt der Vornehme die Toga, die Handwaffe ist der dünnschäftige Spiess oder das pilum. (Fig. 134.) Man sieht in der Gesamtbetrachtung deutlich das Gemisch von orientalischen und an- tiken Formen, aber auch wie wenig die Kriegstechnik seit dem 5. Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit. Jahrhundert vorgeschritten ist. Die geringen Fortschritte in der Ent- wickelung der Schutzwaffe, und speziell des Harnisches sind aus den nächstjüngeren Handschriften und Miniaturen zu erkennen. Fast vollkommen gleich mit der vorigen ist die Kriegstracht in der Bibel von San Paolo fuori le mura vom 9. Jahrhundert, im Evangelium des Lothar und in der Bibel Karls des Kahlen aus ziemlich gleicher Zeit. Nur im Manuskripte des Prudentius um das Jahr 1000 erscheinen die Helme kegelförmig, und nähern sich in ihrer Form der in Frank- reich als „normanischer Helm“ bezeichneten Kopfbedeckung. Sicher ist die gründliche Verbesserung der Bewaffnung und der Taktik vom Fig . 134. Figur des Saul aus dem Codex aureus von Sanct Gallen. 8. Jahrhundert. Beginne des 11. Jahrhunderts allgemeiner merkbar, von den Normanen ausgegangen, deren Herrscher in unausgesetzter Verbindung mit fernen Nationen einen weitreichenderen Blick besassen. Einen wichtigen Beleg für die Verbesserung der Kriegstracht, wie sich dieselbe am Ende des 11. Jahrhunderts darstellte, besitzen wir in den Darstel- lungen am Teppich zu Bayeux, und wir sehen auch hier die fort- I. Die Schutzwaffen. gesetzte Einwirkung des Orients auf das europäische Kriegswesen. Die künstlerische Hand der Tapete stellt uns die bretonischen Krieger im wesentlichen mit den normanischen gleich geharnischt vor. Den Kopf bedeckt der spitze Helm mit dem charakteristischen, vom Oriente her entlehnten Naseneisen, der Kopf ist von einer Art Brünne ein- gehüllt, die nur das Gesicht frei lässt. Der Körper ist von einem Fig . 135. Herzog Wilhelm der Eroberer aus der Tapete von Bayeux. Ende des 11. Jahrhunderts. Harnisch bedeckt, der das Wams mit dem Beinkleid in einem Stücke darstellt. Die Ärmel sind kurz, die Beinkleidpartie reicht bis an die Kniee. Der ganze Harnisch ist entweder mit eng aneinander liegenden, quadratförmigen, eisernen oder mit scheibenförmigen Plätt- Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit. chen verstärkt, die vermutlich aufgenietet sind. Bei Vornehmen sind dieselben entweder vergoldet oder aus Bronze gebildet. Auf der Brust zeigt sich ein viereckiges Blatt, in den Ecken auf den Harnisch befestigt, das wahrscheinlich eine Verdoppelung der Brustpartie dar- stellt. Nur Vornehmere haben auch die Unterschenkel in gleicher Weise geschützt (Fig. 135), bei den übrigen sind die Beine nur mit engen Strümpfen bekleidet. Das Gewicht eines solchen Harnisches mag nicht gering gewesen sein; auf der Tapete in der Darstellung der Landung Wilhelms in England tragen zwei Knechte einen solchen Harnisch auf einer starken Stange. (Fig. 136.) Bei den Normanen war das Ritterwesen vollends ausgebildet; man erkennt dieses deutlich in der minderen Bedeutung, die dem Fussstreiter zu teil wird. In der Tapete von Bayeux sind nebst den Reitern nur die Spiessträger geharnischt (Fig. 137.), in anderen Körpern, wie bei den Bogenschützen, erscheint der Mann nur vereinzelt im Fig 136. Kriegsknechte, einen Harnischtragend , aus der Tapete von Bayeux. Ende des 11. Jahrhunderts. Harnisch, und das Kleid der übrigen ähnelt jenen der Krieger des 8. Jahrhunderts in ihrer spätrömischen Tracht. (Fig. 138.) Dass uns die Tapete die Tracht einer etwas späteren Zeit als die dargestellte Eroberung Englands durch die Normanen wiedergibt, zeigt das Reitersiegel Wilhelms des Eroberers vom Hôtel Soubise in Paris. Hier trägt der Herzog einen kugelförmigen, grossen Helm, einen Haubert, mit sechseckigen Eisenplättchen belegt, ganz in der Art einer Tunika geschnitten, mit kurzen Ärmeln, die Beine sind unbewehrt. (Fig. 139.) Das Reitersiegel Wilhelms II. aber zeigt diesen bereits im spitzen Helme mit Naseneisen, und ist genau aus der Zeit der Fertigung der Tapete. Vom Beginne des 12. Jahrhunderts machen sich vorzüglich an den Hauberts Änderungen im Schnitte merklich. Zunächst erscheint I. Die Schutzwaffen. das Beinkleid getrennt, und der Haubert selbst wird bedeutend länger, so dass er bis an die Waden reicht. Um mit selbem zu Pferde sitzen zu können, wird er rückwärts und zuweilen auch an den Seiten auf- geschlitzt. Die Ärmel reichen bis an die Handwurzel, sind anfänglich weit, später eng anliegend. Die Verstärkung mit Eisenpartikeln wird subtiler und besteht aus feineren, übereinander genähten Ringen, oder Fig . 137. Normanischer Fussstreiter aus der Tapete von Bayeux. Ende des 11. Jahrhunderts. Fig . 138. Normanische Bogenschützen , der eine gehar- nischt, der andere nicht geharnischt, aus der Tapete von Bayeux. Ende des 11. Jahrhunderts. aus kleinen, schuppenförmig gereihten Plättchen, den sogenannten „stahelzein“, oder aus aufgenähten Metallscheibchen oder Metall- buckeln. (Fig. 140.) Dieser Haubert wird über einem langen, faltigen Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit. Waffenrock (bliaud) getragen, der unterhalb hervorsieht, dieses Unterkleid ist für die Harnischtracht durch mehr als ein Jahrhundert charakteristisch. Die kapuzenähnliche Brünne wird nicht nur beibehalten, sondern wird nun auch gleich dem Haubert mit aufgenähten Ringen verstärkt. Fig . 139. Grosses Reitersiegel Herzogs Wilhelm des Er- oberers aus dem Hôtel Soubise in Paris nach Hewitt. Einige Male finden wir das Schwert unterhalb des Hauberts getragen, und mit der Scheidemündung aus einem Schlitze hervorragend. (Fig. 141.) Fig . 140. Verschiedene Proben von Darstellungen des Panzer- werks an Hauberts aus der Tapete von Bayeux. Vermutlich war es die enorme Schwere von derlei mit Eisen- partikeln dicht benähten Harnischen, dass man im 12. Jahrhundert versuchte, die eisernen Plättchen durch solche aus Horn zu er- setzen, man hielt solche Harnische für undurchdringlich. Eine Schar Boeheim , Waffenkunde. 9 I. Die Schutzwaffen. im Heere Heinrichs V. trug 1115 derlei hornbelegte Hauberts, und auch im Wigalois werden solche erwähnt, welche reich mit Gold belegt und mit Edelsteinen geziert waren. Vielleicht erklärt sich dadurch die Sage vom „hörnen Siegfried“. Die Erinnerung an hornbelegte Harnische hat sich übrigens lange erhalten, noch Kaiser Maximilian I. kommt in seinen Studien auf selbe wieder zurück. Gegen 1150, zu welcher Periode die Erfahrungen aus den Kreuzzügen greifbare Gestalt an- zunehmen begannen, begegnen wir in Mitteleuropa zuerst dem Maschen- panzerwerk (maille, Musszeug), welches aus ineinander geflochtenen verschweissten Ringen besteht. Der Maschenpanzer, bereits unter den Römern bekannt und verwendet, war zu jener Zeit schon bis zum Norden Europas verbreitet. In ganz vorzüglicher Fertigung erscheint Fig . 141. Krieger aus einer Darstellung des Kindermordes aus einer Papierhandschrift Nero C. IV. der Harlaian-Bibliothek datiert 1125. Französisch. Nach Hewitt I, p. 130. Fig . 142. Detail von der Anordnung des Panzerzeuges an einem sogenannten „lederstreifigen“ Harnische. Nach Viollet-le-Duc II, p. 240 er nach Fundstücken, aus dem Thorsberger Moor im Museum zu Kiel, die dem 3. Jahrhundert angehören dürften, ebenso fand er Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit. sich in Schweden in Gräbern, die ins 6. Jahrhundert zu reihen sind. Mestorf, J., Die vaterländischen Altertümer Schleswig-Holsteins. Montelino, O., Antiquités suédoises. Stockholm 1873—1875. Diese frühe Erscheinung weist auf die Anfänge der Meer- fahrten der Wikingar zurück, bei welchen nebst materiellen wohl auch manche kulturelle Eroberungen gemacht worden waren. Im 12. Jahrhundert werden der Haubert wie die Brünne aus Maschen- panzerwerk allgemeiner, wenn auch anfänglich nur als Kriegskleid der Vornehmeren, da die Mehrzahl der Reiter den hohen Preis für Fig . 143. Krieger im Haubert mit aufgenieteten Plättchen. Frag- ment einer Miniatur auf Pergament im Besitze des Herrn von Hefner- Alteneck. Anfang des 12. Jahrhunderts. Nach Hefner, Trachten des christlichen Mittelalters, I, T. 12. Fig . 144. Fussknecht im Haubert mit Fäustlingen und Eisen- hosen mit vollständiger Deckung des Vorfusses. Skulptur am Portale der Kathedrale zu Rheims. Um 1230. Nach Viollet-le-Duc VI, p. 88. 9* I. Die Schutzwaffen. selbe nicht zu erschwingen vermochte. Diese bedienten sich eines am Ende des 12. Jahrhunderts neu auftretenden, eigentümlich gearbei- teten Hauberts, und einer damit verbundenen Brünne, die man im Altfranzösischen armure treslice (treillie) benannte. Dieses Kleid bestand aus zweimal gesottenem Leder, auf welches der Quere nach Lederstreifen mittelst starker Tiersehnen genäht wurden. Auf jedem dieser Streifen wurden Eisenringelchen dicht aneinander gefädelt, die Fig . 145. Krieger aus der Handschrift 69 der Bibliothek im Haag. Ende des 12. Jahrhunderts. Nach van der Kellen. T. 73. durch zwischen den Ringelreihen liegende Lederstreifen fest und flach liegend erhalten wurden. Diese Art Harnische, von späteren deutschen Schriftstellern nicht sehr glücklich „lederstreifige“ benannt, erhalten sich bis ins 14. Jahrhundert im Gebrauche. (Fig. 142.) Schon am Schlusse des 11. Jahrhunderts waren die Unterschenkel der geharnischten Reiter, wie wir gesehen haben, mit Harnisch- zeug geschützt, und nicht selten begegnen wir schon damals Hauberts und Eisenhosen (îsenhuse) an den unteren Extremitäten, die sackartig gestaltet waren, somit zugleich die Hände und Vorfüsse bedecken. Diese Art wird auch bei den Harnischen des 12. Jahr- hunderts wieder aufgenommen (Fig. 143 und 144). Der aus Lederstreifen und Ringen ge- bildete, wie der aus Maschen bestehende Harnisch deckt gleichfalls Hände und Vor- füsse, nur werden die inneren Handflächen der ersteren, die Sohlen der letzteren, ferner die Sitzflächen, endlich die Achselhöhlen von der Panzerung frei gelassen. Minder ansehn- liche Reiter tragen auch nur die vorderen Flächen der Schenkel mit einem Stück Panzer- zeug bedeckt, das rückwärts gebunden wird. (Fig. 145.) Mit der Zunahme der Bedeutung des Rittertums kam der Fussstreiter allmählich ausser Beachtung, seiner Ausrüstung wurde immer weniger Aufmerksamkeit zugewendet. Daher kommt es, dass wir den zum Knecht heruntergesunkenen Fussstreiter in den Minia- turen des 12. und 13. Jahrhunderts entweder ganz vermissen, oder in den mannigfachsten Ausrüstungen und mit der verschiedensten Bewaffnung antreffen. Bogenschützen und die späteren Armrustschützen erhielten sich zwar jeweilig durch ihre Ge- wandtheit und Leistungsfähigkeit in einer gewissen Achtung; aber gerade Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit. Fig . 146. Kriegsmann aus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts aus einem Manuskripte der kgl. Bibliothek in London. 2. A. XXII. Der- selbe ist bereits im Haubert mit Maschenpanzerwerk und kurzen derlei Beinkleidern. Über ersteren ist der Gambeson aus Leinwand angezogen. Nach Hewitt I, p. 254. I. Die Schutzwaffen. sie kleideten sich nach Willkür, und die Verachtung jeder schweren Harnischausrüstung war bei ihnen zur Tradition geworden. Gegen das Ende des 12. Jahrhunderts mit der Beendigung des 2. Kreuzzuges kommt der normanische Helm immer mehr in Ab- nahme, Der Übergang fand nicht plötzlich statt, das erklärt sich schon aus den Verhältnissen. Die Harnische und Waffen wurden von dem Vater auf den Sohn, den Enkel vererbt, und wurden von diesen teils aus Pietät, teils der nicht ge- ringen Kosten neuer Waffen wegen oft noch ein halbes Jahrhundert und später getragen, als schon längst die Kriegserfahrung andere Formen an die Stelle ge- setzt hatte. Nur die Vornehmsten und Wohlhabendsten vermochten mit der Ver- änderung des Waffenwesens gleichen Schritt zu halten, sie bildeten gewissermassen das Muster für die Geringeren. und nach einem merkbaren Herumtasten wird der deutsche Topfhelm allenthalben angenommen. Diese Veränderung steht in Verbindung mit der Veränderung der Taktik und geht nur Schritt für Schritt vor sich. In den westlichen Ländern Europas, in dem England Richard Löwenherz’, dem Frankreich Philipp Augusts er- scheinen zuerst niedere cylindrische Helme, welche über der Brünne auf der Stirne aufsitzen. Statt des Naseneisens tritt zuerst das feste Visier mit Sehspalt oder den Augenlöchern auf. Der Haubert reicht bis ans Knie, unter selbem ist in der Regel das seidene oder leinene Wams (bliaud) sichtbar, das, wie wir an Siegeln ersehen, oft bis an die Füsse herabreicht. Charakteristisch für diese wie für die vergan- genen Perioden ist die enge an den Hals schliessende Brünne. Die Füsse stecken in Eisenhosen aus Panzerwerk oder mit Lederstreifen und Ringen verstärkt, die am Vorfusse spitz enden. Diese schwere Ausrüstung mit eiserner Epidermis wurde unter der heissen Sonne des Orientes unerträglich. Um das Erhitzen des Metalls nur etwas zu vermindern, trugen die Ritter im zweiten Kreuzzuge lange weisse Hemden über den Haubert. Diese waren ohne Ärmel und waren vom Unterrande bis in die Gegend des Sitzes an den Seiten aufge- schlitzt. Auch die Helme erhielten Decken aus weisser Leinwand. Über das Hemd, das bei den Franzosen „gambeson“ hiess, wurde das Schwert gegürtet (Fig. 146). In den östlichen Ländern wurden cylindrische Helme selten, dafür aber halbkugelförmige und spitze ge- tragen. Um diese Periode von etwa 1170 an, also gerade in jenem Zeitpunkte, wo die Helme das Antlitz verdecken, beginnt man auf Schilde und Helme, später auch auf die Fahnen, Rossdecken, Sättel etc. gewisse Darstellungen als persönliche Erkennungszeichen zu malen; damit entwickelt sich die Heraldik im Ritterwesen, die ihre Anfänge allerdings, wie wir gesehen haben, schon 5 Jahrhunderte vorher gefunden hatte. Im Verlaufe des 13. Jahrhunderts schreitet die Reform in der kriegerischen Ausrüstung weiter, und ihre beste Stütze findet sie in den Fortschritten, welche das Handwerk überhaupt und damit auch Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit. jenes des Waffenschmiedes gemacht hatte. Der Helm erweiterte sich so, dass er nun nicht mehr auf der Stirne sitzt, sondern auf den Kopf gestülpt werden muss. Der Haubert wird etwas kürzer, schon um 1200 reichte er nur mehr bis über die Hälfte der Oberschenkel; sowohl der Topfhelm, wie auch Schwert und Dolch werden mittelst Ketten vorn an der Brust ange- heftet, die Schultern wie auch die Kniescheiben werden durch zur Zeit noch sehr kleine Eisen- scheiben gedeckt. Auf den Helmen erscheinen die heraldischen Zeichen plastischer Darstellung (Zimiere) in immer verschiedenerer Gestaltung. Auch das Waffenhemd erhält die Farbe seines Trägers. Der Schild, um 1200 noch fast in voller Länge des normanischen, wird im Ver- laufe des 13. Jahrhunderts, nach Massgabe als der Beinharnisch solider wird, kürzer und kleiner. Gegen den Ausgang des 13. Jahrhunderts wird unter dem schweren Topfhelm die kleine Beckenhaube getragen, welche, nahezu halbkugelförmig gebildet, über die Brünne aufgesetzt wird. Dieselbe erhält an jenen Punkten, wo der Topfhelm aufsitzt, Polste- rungen, um den Druck zu mildern; dadurch bildet sich die Helm- binde , die später, als die Topf- helme abkommen, nur mehr eine dekorative Bedeutung hat. Gegen das Ende des 13. Jahrhunderts werden die Beine, wenn sie nicht durch Maschenpanzer gedeckt sind, an den vorderen Flächen mit starken, gesottenen Rindsleder- streifen gesichert, die rückwärts angeschnallt werden. Der Schwert- Fig . 147. Grabrelief , in Kupfer gegossen, des Sir Johan D’Aubernoun Ritter, in der Kirche von Stoke D’Abernon in der Grafschaft Surrey v. J. 1277. Das älteste Beispiel eines Grab- steines mit bildlicher Darstellung des Verstor- benen. Nach Schultz. I. Die Schutzwaffen. gürtel wird meist lose getragen, so dass er nicht mehr in den Weichen sitzt, sondern an den Lenden haftet. (Fig. 147.) Von etwa 1274 bis gegen die Mitte des 14. Jahrhunderts tragen die Ritter in Frankreich und England die Achselschilde (ailettes). Im östlichen Deutschland kommen sie selten, in Italien gar nicht vor Augen. (Fig. 148.) In den letzten Dezennien des 13. Jahrhunderts wird eine wichtige Ver- Fig . 148. Donator im blasonierten Gambeson, mit Achselschilden. Manu- script der Bibliothek zu Cambray. Flan- drisch. 14. Jahrhundert. Nach Louandre, Les arts somptuaires, I. besserung des Harnisches bemerk- bar, man könnte diese Periode die des Anfanges der Plattenharnische nennen, die freilich erst nach einem Jahrhundert in sich fertig dastehen. Aber schon zu jener Zeit beginnt man Ellenbogen und Kniescheiben mit hohl getriebenen, runden Eisen- scheiben, Oberarme und Unter- schenkel mit eisernen Schienen zu bedecken, die über Haubert und Eisenhose mittelst Riemen geschnallt werden. In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts werden auch die oberen Flächen der Vorfüsse mit Eisenschienen gedeckt, um 1356 sind diese bereits geschoben. In den für die Geschichte des Waffenwesens un- gemein wichtigen Abbildungen des Codex Balduini Trevirensis aus der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts, in denen die Romfahrt Kaiser Hein- richs VII. dargestellt ist, K. Provinzialarchiv zu Coblenz. erblicken wir die Ritter in kurzen Hauberts mit darüber gezogenen langen Waffen- hemden. Diese letzteren besitzen kurze, aber weite Ärmel und tragen den Blason des Eigners oder nur die Farben desselben. Nur die Vor- nehmsten tragen Fusszeug aus Platten. Der Helm aber nähert sich dadurch, dass er im Nacken eingezogen er- scheint, bereits der späteren Form der geschlossenen Helme. Auch der Eisenhut mit breiter Krempe, über die Brünne gesetzt, kommt ver- einzelt vor. Irmer, Georg, Die Romfahrt Kaiser Heinrichs VII. Ein Bildercyclus des Codex Balduini Trevirensis. Berlin 1881. (Fig. 149.) Der Topfhelm war im Feldkriege wenigstens Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit. um die Mitte des 14. Jahrhunderts für immer abgelegt worden, nach- dem noch in den letzten Jahrzehnten seiner Verwendung verschiedene Versuche gemacht worden waren, ihn zu erleichtern und erträglicher zu gestalten. Er wurde nämlich in den Helmwänden verlängert, so dass er nun auf den Schultern aufruhte; die vordere Wand wurde aus- geschnitten und mit einem Visier versehen. Umsonst! Der Krieger war des schweren Rüstzeugs satt geworden. Es wurde durch die Fig . 149. Reitergefecht aus dem Codex Balduini, die Rom- fahrt Kaiser Heinrichs VII. darstellend aus dem kgl. Provinzialarchiv zu Coblenz. 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts. Nach Irmer Dr. G. die Rom- fahrt etc. Beckenhaube ersetzt, die nur weiter gehalten wurde, so dass sie im Nacken aufsass. Jetzt verschwindet die unbequeme, kapuzenförmige Brünne, die den ganzen Scheitel deckte; sie wird nun an dem Unter- rande der Beckenaube angeheftet, in einer Form, dass sie nur das Antlitz frei lässt. Die Verbindungen zeigen ausserordentliche Solidität. I. Die Schutzwaffen. Dadurch blieb der Hals vom Helm unbedeckt, aber die Brünne wird so weit geschnitten, dass sie nicht mehr an den Hals schliesst, sondern frei herabfällt. Fig . 150. Eduard der schwarze Prinz , Sohn Eduards III. (1330—1376). Von dessen Grabmale in der Kathedrale zu Canter- bury. Nach Stotthart, I, 15. Fig . 151. Krieger , Holzskulptur in der Kathedrale zn Bamberg von 1370. Nach Hewitt I, 138. Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit. Auch der Haubert erleidet wesentliche Veränderungen in seinem Schnitte. Er wird allgemach enger oder doch mehr in die Weichen geschnitten. Um 1320 beginnt eine bemerkenswerte Mode, den Schwertgürtel sehr tief an den Lenden zu tragen. Aus dem Schwert- gürtel bildete sich jener steife, ringförmige Gürtel, der als ein Zeichen ritterlicher Würde tief an den Lenden getragen w urde. Gegen die 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts wird er immer reicher verziert. Einzelne derselben gehören zu den schönsten Werken der Gold- schmiedekunst. Der ritterliche Gürtel (cingulum militare, im Deutschen „Dupsing“ genannt), der auch am bürgerlichen Kleide, vorzugsweise aber auf dem Harnische getragen wurde, war vorzüglich in Frank- reich und England, aber auch in Deutschland, weniger in Italien üblich. Er erhält sich bis zur Umänderung des Plattenharnisches in der Renaissance. (Fig. 150.) Um 1330 verschwinden die faltigen Waffenhemden (cottes d’armes, gambisons) aus den ritterlichen Kriegskörpern und machen eng anliegen- den Platz, die nun auch mit farbiger Seide, Stickerei und Tapisserie geziert werden. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts bildet sich aus dem Haubert allgemach der Lentner . Anfänglich erscheint er als eng anliegendes Überkleid aus dickem Leder, das über dem eng anschliessenden Haubert rückwärts geschnürt getragen wird (juste au corps); später wird der Haubert zum einfachen Kettenhemde, über welches der scharf in die Weichen geschnittene Lentner angezogen und an der Brust zugeschnürt wird, wie wir in Fig. 150 ersehen. Die Helmbrünne, nun vom Kettenhemd getrennt, fällt als Kragen über Brust und Schultern herab. In dieser Periode ist das aus Platten gebildete Arm- und Beinzeug bereits allenthalben üblich, wenn auch Arm- und Beinbekleidungen aus Panzerzeug und selbst aus Schuppen- werk immer und lange noch nebenher im Gebrauch bleiben. In Frankreich wird noch der bliaud, zuweilen auch gezaddelt, getragen. Zwei Modeerscheinungen treten um 1350 auf, die übertrieben spitzen Eisen- schuhe und die Schellengürtel. Sie sind für den Beginn eines über- triebenen Luxus im gesamten ritterlichen Leben der Zeit charak- teristisch. In der 2. Hälfte des Jahrhunderts verschwindet das Nasenband, jener Lappen aus Panzerzeug, der an der Brünne vom Kinne über das Gesicht hinaufgeschlagen und an der Beckenhaube be- festigt wurde, gänzlich, dafür wird immer häufiger das Visier, das in vielen Gestalten auftritt. Nicht selten ist es schnabelförmig spitz ge- bildet in einer Form, die an die Hundeschnauze erinnert und davon im östlichen Deutschland, wo die gemeine Beckenhaube im Volks- munde „Gugel“ hiess, Hundsgugel genannt wurde. Sie verschwindet erst um 1430. Seit dem 14. Jahrhundert tragen auch Ritter den Eisenhut mit oft breiter Krempe in Verbindung mit der Halsbrünne. Von etwa 1360 an tritt das Bestreben auf, den immerhin wenig hiebfesten Lentner durch Eisenplatten zu verstärken. Das geschieht I. Die Schutzwaffen. in verschiedener Art, durch musivisches Aneinanderreihen von Eisen- platten, die nun allgemach grösser gebildet werden, oder auch durch Aufnieten einer grösseren Platte auf die Brustseite, an welche auch die Schwert- und Dolchkette befestigt wird. Bei allen diesen Ver- stärkungen bildet noch der Lentner den Träger. (Fig. 151.) Erst um 1380 erscheint die selbständige Brustplatte, halbkugelförmig, mit stark geschweiftem Oberrande, welche über die Schultern und in der Leibesmitte angeschnallt ist; zunächst reiht sich an dieselbe ein Fig . 152. Der Roland von Ragusa . Steinskulptur von 1423. Die geschiftete Plattenbrust hat noch die Form des Lentners. Italienisch. Nach einer Zeichnung des Verfassers. Fig . 153. Kriegsknecht im Harnischröckchen aus einem Altar- bilde der Auferstehung Christi in der Kunstsammlung des Chorherrn- stiftes Klosterneuburg von 1476. Rückenstück. Das alles verändert den allgemeinen Charakter des Harnisches nur wenig, denn noch besitzt der Helm die weite Brünne, Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit. die über die Brust und die Schultern herabfällt und noch ist der Unterleib unbedeckt und der Lentner daselbst noch sichtbar. Aber der voll ausgebildete Plattenhandschuh mit kurzen Stulpen kommt in Aufnahme. Das ist eine bemerkenswerte Neuerung. Knapp um die Wende des 14. Jahrhunderts begegnen wir einer eingreifenden Veränderung dadurch, dass die Helmbrünne allmählich in Abnahme kommt. Das Panzerhemd wird jetzt hoch in den Hals Fig . 154. Kriegsknecht im Lederharnisch mit eisernen Buckeln an den Mäuseln und Knieen und dem Harnischröckchen darüber. Aus einem Altarbilde der Auferstehung Christi in der Kunstsammlung des Chorherrnstiftes Klosterneuburg von 1476. geschnitten und an den Helm wird vorn ein breiter Halsreifen, rückwärts ein tief reichender Nackenschirm angesetzt, welche dicht an Brust und Rücken anschliessen. Die Helmbinde bleibt als dekorative I. Die Schutzwaffen. Beigabe, aber um 1410 erscheinen die kleinen Achselstücke geschoben und bereits in Verbindung mit dem Brust- und Rückenstücke und von beiden letzteren herab verbreiten sich einem Schurze gleich die Bauch- und Gesässreifen in 3 bis 5 Geschüben. (Fig. 152.) Ebenso beginnt man die ungedeckten Stellen an den Achselhöhlen durch Schwebescheiben zu sichern. An den Mäuseln und Kniebuckeln erscheinen Muscheln von anfänglich sehr geringen Dimensionen. Wir nähern uns der Periode der Zaddeltracht, die auch bei dem ge- harnischten Manne zumal bei festlichen Gelegenheiten zur Geltung gelangt. In Italien werden bis ans Ende des 15. Jahrhunderts über den Rücken gezogene Mäntel getragen, von den Achseln fallen lange gezaddelte, weite Ärmel, bei manchem bis auf den Boden herab. Überhaupt kommen in Italien um diese Periode kurze, bis an die, Kniee reichende Harnischhemden in Aufnahme, die, meist ärmellos in der Mitte des Leibes durch einen Gürtel gehalten werden. (Fig. 153 und 154.) Das Bestreben, den Unterleib ausgiebiger zu schützen, veran- lasst um 1430 den anfänglich schüchtern auftretenden Versuch, an den Unterrand der Bauchreifen eine weitere Folge derart anzufügen, dass diese, um zu Pferde nicht hinderlich zu sein, frei beweglich bleiben; damit ersehen wir die ersten Beintaschen erstehen. Um 1420 begegnen wir bereits Achselstücken mit Flügen; die rechts- seitigen sind meist tiefer eingeschnitten, um den Spiess in die Achsel- höhle setzen zu können. Der linke Mäusel erhält eine Verstärkung, die anfänglich angebunden wird. Dieser „Stechmäusel“ erhält zu- weilen grosse Dimensionen. An der linken Achsel (Hiebseite) treten die ersten Stauchen oder Brechränder auf, um den wenig gesicherten Hals ausreichender zu schützen. Vom ersten Auftreten des Platten- harnisches an wird unter selbem das Panzerhemd aus ineinanderge- flochtenen Ringen getragen, anfänglich auch derlei Beinkleider mit den Schuhen in Verbindung. Bei den ältesten sind noch alle Ringe verschweisst, bei jenen des 15. Jahrhunderts findet sich nur jeder zweite verschweisst, der andere vernietet, was aus dem Nietköpfchen zu erkennen ist, das sich an jedem derlei Ringe findet; im 16. Jahr- hundert werden die Panzerhemden, besonders die italienischen und spanischen, ungemein fein gearbeitet, sie besitzen durchweg genietete Ringelchen. (Fig. 155, 156.) Die Bestimmung des Alters und des Erzeugungsortes eines Panzerhemdes ist eine schwierige Aufgabe, zumal diesem Gegenstande noch wenig Aufmerksamkeit zugewendet wurde. Deutsche des 15. Jahrhunderts bestehen im allgemeinen aus grösseren Ringen, während in jener Zeit die italienischen, besonders die mailändischen bedeutend feiner sind. Auch in der Art der Verflechtung der Ringe finden sich Unterschiede. Von etwa 1420 an trägt man in Italien auch zwei Panzerhemden übereinander; ein gröberes über ein feineres, Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit. ebenso Panzerhosen, die bis über das Knie reichen und am Unter- rande der Kniebuckel hervorstehen. Auch feine Panzerstrümpfe oder -schuhe sind nicht selten im Gebrauch. Endlich ist der Verwendung des Ringpanzers als Bedeckung des Pferdes zu gedenken. In Italien Fig . 155. Detail von einem Panzerhemd mit teils genieteten, teils geschweissten Ringen. 15. Jahrhundert. Fig . 156. Detail von einem Panzerhemd mit genieteten Ringen. 16. Jahrhundert. erscheint das Panzergeflecht zuerst in zweierlei Ringformen. Bei der einen ist der Ringdraht cylindrisch geformt, zugehämmert und nicht, Fig . 157. Detail von einem Panzergeflechte des Jazerins . 15. Jahrhundert. Italienisch. wie vielfach angenommen wird, aus gezogenem Draht gebildet. Auch nach Erfindung des Drahtziehens wurde das Panzerhemd noch lange nicht aus Ringen von gezogenem Draht gebildet, wie allgemein angenommen wird. Das wäre wider allen Handwerksgebrauch des „Sarwürchers“ gewesen. Erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts finden sich leichte Panzerhemden aus gezogenem Draht, da sind aber die Ringe nicht genietet, sondern nur eingebogen und gehärtet. Bei I. Die Schutzwaffen. der anderen ist er platt geschlagen, so dass die übereinanderliegenden Fig . 158. Holzstatuette Her- zog Philipps des Guten von Bur- gund (1419—1467). Kopie einer Statue vom Ende des 15. Jahrhunderts am Stadthause zu Amsterdam, die 1652 beim Brande zerstört wurde. Arbeit des Artur Quellinus . Nach van der Kellen, Nederlands Oudheden. Ringe fast eine Schuppendecke bil- den. Panzerhemden, in letzterer Form gebildet, nannten die Italiener speciell „maglia ghiazzerina“ und sie sind als die eigentlichen Jazerins Im Inventare der Waffen Louis’ X. von Frankreich von 1316 heisst es: ‚Item, une couverture de jazeran de fer. Item, une couverture de mailles rondes demy cloées. Item, une couverture gamboisées des armes le roy et unes Indes jazeguenées.“ — Jeanne d’Arc war bei der Einnahme von Orleans, als sie durch den Bolzen einer Armrust verwundet wurde, mit einem Jazerin bekleidet. Ebenso finden wir den Jazerin im Roman des Gaydon: „Sor l’anqueton vesti l’hauberk-jazeran“. an- zusehen, über welche unter den Archäo- logen so verschiedene Ansichten herr schen. (Fig. 157). Bei Betrachtung der ältesten aus dem Oriente stammenden Panzer- hemden kommt man zu der Ver- mutung, dass die Orientalen schon weit früher als die Europäer die Kunst des Drahtziehens gekannt haben. Die Ringelchen von sehr geringem Durchmesser sind, nicht immer, doch häufig, aus gezogenem Draht und durchaus so tadellos ver- schweisst, dass wir über die Geschick- lichkeit der Meister uns erstaunen. Wir haben bereits zu erwähnen Gelegenheit gehabt, dass der Ring- panzer schon in antiker Zeit und vorwiegend von den Truppen des oströmischen Reiches getragen wurde. Nach dem Norden Europas gelangte er schon im 6. Jahrhundert als Han- delsartikel. Die Araber scheinen das Draht- hemd aus Indien erhalten zu haben, im 2. Jahrhundert ist es aber bereits ein heimischer Artikel. Die älteste Nachricht über selbes lesen wir im Koran, (Sure 34, — Saba v. 34), es heisst darin, dass Gott unter den Händen Davids (Daûd) das Eisen erweichte und zu diesem sprach: „Mache vollkommene Panzer Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit. daraus und füge sie gehörig im Ringe.“ Auch mit Beziehung auf Sure 21. (Die Propheten.) Im Arabischen heisst auch eine Sorte von Harnischen Daûdi. Um 1420 ist der Plattenharnisch als vollends ausgebildet zu betrachten, alle nachfolgenden Veränderungen desselben erscheinen nur als partielle Verbesserungen oder als Launen der Mode, die nun einen allmählich entschiedeneren Einfluss auf die Bewaffnung nimmt. Die Veränderungen in der Harnischform erscheinen zuweilen drastisch und machen oft schon nach wenigen Jahren anderen Platz; dabei machen sich nationale Eigenformen merklich, die die Übersicht im Formenwesen sehr erschweren. (Fig. 158.) Um 1450 reicht die kugelförmige Brust um etwas tiefer, diese Vergrösserung bewirkte, dass dieselbe in zwei Stücken gefertigt wurde. Dadurch entsteht die geschiftete Brust. Der obere Schiftteil wird in Italien mit Stoff bedeckt, so dass das Ganze aussieht, als sässe der untere Schiftteil (bruech) über einem Lentner; die Achseln werden gross, bis zu einer oft riesigen Dimension aber wachsen die Arm- kacheln an. Die Beintaschen werden spitz (tuiles), neben ihnen an den Seiten nehmen derlei kleinere (tuilettes) Platz, die Handschuhe er- halten spitzgeschnittene Stulpen. Das Haupt bedeckt ein Kugelhelm oder die demokratische Schallern, die Schnabelschuhe wachsen bis zu 36 cm. an. (Fig. 159 und 160.) Das ist um 1450 die Harnischtracht des Vornehmen, die ritter- liche Tracht, unter den Geringeren zeigen sich noch die mannigfach- sten veralteten Formen bis zum alten Haubert herab mit den unter- schiedlichsten Verstärkungen durch Platten. Die Kopfbedeckung des gemeinen Spiessknechtes ist der alte Eisenhut, die Beckenhaube und die Hundsgugel, noch bis 1480 wird die Helmbrünne getragen, sie verwandelt sich mit geringen Veränderungen in den Panzerkragen, der unter den Landsknechten sich grosser Beliebtheit erfreute. In Italien tragen die Bogen- und Armrustschützen eine eigene Art von Harnischen, die sich als ein Mittelding von Stoffwams und Harnisch darstellt, ihren Ursprung aber zweifelsohne im Lentner gefunden hat, den Korazin . Schwertträger finden sich häufig in Schuppenwämsern, Brigantinen oder nur mit Panzerhemden, Jazerins, (maglia ghiazzerina), ausgerüstet, wie denn in Italien immer eine innigere Annäherung an alte Formen wahrzunehmen ist und selbst Reminiszenzen an die Antike nicht erst von der Renaissanceperiode her datieren, vielmehr stets lebhaft gewesen sind. Sicher ist das eigentliche Schuppenhemd, die Brigantine, aus der römischen „lorica squamata“ erwachsen und auch die Anordnung der Schuppenlagerung ist bei Korazins dieselbe, wie sie bei genannten loricas mit Bronzeplättchen vorkommt. Was Tacitus bei Erwähnung der Bekleidung Kaiser Othos als „tunica ferrea“ bezeichnet, ist ohne Zweifel ein ähnlich schmiegsames, Boeheim , Waffenkunde. 10 I. Die Schutzwaffen. eisernes Waffenkleid gewesen. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts besteht die Panzerung der Korazins und Brigantinen nicht nur aus kleinen Plättchen, sondern an den oberen Brustteilen und Fig . 159. Ganzer Harnisch Friedrichs des Siegreichen , Pfalzgrafen am Rhein (1425—1476). Arbeit des Mailänder Plattners Tomaso da Missaglia um 1450. Vorderseite. Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit. am Rücken auch aus grösseren Platten, an welche sich kleinere an den Weichteilen des Körpers reihen; wir ersehen dieses an der Bri- gantine Maximilians I. von Bernardino Cantoni von c. 1510 in Madrid und am Korazin des Jacob von Embs von c. 1500 in Wien. Die ersten Feuerschützen waren und blieben stets Feinde einer Fig . 160. Ganzer Harnisch Friedrichs des Siegreichen . Rückseite. schweren Ausrüstung. Hakenschützen tragen wohl geschiftete Brust- stücke, aber durchweg nur leichte Hauben. Fussknechte insgemein 10* I. Die Schutzwaffen. nur Hauben aus geschlagenem Eisenblech, die lebhaft an die Helme der römischen Fusssoldaten erinnern; aus ihnen entwickelt sich rasch darauf die Sturmhaube. Wir nähern uns nun um 1450 einer Periode in der Harnisch- tracht, die eine eigentümliche Erscheinung aufweist. Der Adelige, das ist der zu Ross erscheinende Lehensmann, konservativ in seinem Fig . 161. Ganzer Harnisch mit bemalter Schallern des Robert von Sanseverino , Grafen von Gajazzo (starb 1487). Arbeit des Mailänder Plattners Antonio da Mifsaglia , um 1480. Vorderseite. Fig . 162. Ganzer Harnisch des Robert von Sanseverino . Rückseite. Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit. ganzen Wesen, tritt in dem Reiterharnisch auf, wie sich dieser vom Anfange des Jahrhunderts herausgebildet hatte. Die Umbildungen desselben waren unwesentlich, es war schon ein Grosses, dass der ritterliche Mann die Schallern willig annahm, weil ihm die Becken- haube unbequem wurde. Zum Schutze des Gesichtes fügte er den Bart hinzu, der, an das Bruststück angeschraubt oder um den Hals geschnallt, dasselbe bis zu den Augen deckte. Diese Form findet sich vorwiegend in Frankreich und Deutschland. In Italien, woselbst die Renaissance schon ein Jahrhundert früher die Formen beein- flusste, treten auch andere Kopfbedeckungen auf, die in ihrer Gestalt sich mehr an die Antike anlehnen. (Fig. 161 und 162.) Um 1470 ist der ritterliche Harnisch mit Schallern in seiner ganzen Erscheinung ein Muster von Ebenmass und Eleganz. Weder vorher noch später wurden die Anforderungen an Schönheit und an eine geschmackvolle Ausführung so voll erreicht, als in dieser Zeit, die als der Höhepunkt des Plattnerwesens bezeichnet werden kann. Was später Anspruch auf Bewunderung machen kann, ist nur eine zuweilen staunenswerte dekorative Auszierung, nicht aber die Gesamt- form, der Zuschnitt und das Verhältnis der einzelnen Teile. (Fig. 163.) Man nennt heute diese Harnische, gewiss durch einzelne Detail- formen veranlasst, die den Stil des Mittelalters erkennen lassen, „gothische“. Die Form jedoch ist der italienischen und speziell floren- tinischen Tracht entlehnt, die um die Mitte des 15. Jahrhunderts als Mode ihren Rundgang über alle Welt machte und allenthalben als Hoftracht üblich wurde. Um diese Zeit hatte sich eine bedeutende Veränderung im Heereswesen ergeben. Aus dem alten Lehensheere war allmählich das Söldnerheer entstanden, geworbene Truppen; eine Veränderung, der die Ritterschaft anfänglich fremd gegenüberstand. Die Art der Bildung musste naturgemäss Berufsleute heranziehen, die ihre Aus- rüstung und Bewaffnung vom Gesichtspunkte ihrer Fechtweise, ihrer Gewohnheiten, ihrer Erfahrung und auch des Geschmackes ihres hoch- gehaltenen Standes betrachteten. Blieb auch anfänglich das Werbe- system auf die Fusstruppe und das Geschützwesen beschränkt, so bewirkte doch das moralische Gewicht, das diese zahlreichen Scharen in die Wagschale warfen, eine vollständige Umformung ihrer Aus- rüstung. Damit scheidet sich von dem ritterlichen oder reisigen der knechtische oder Fussknechtharnisch ab, die beide in ihren Formen wesentliche Verschiedenheiten erkennen lassen. Die ersten Anfänge der Bildung eines Harnischtypus für den Fussknecht sind in Italien schon im 14. Jahrhundert merkbar. Für sich entwickelt sich dieses Bestreben unter den Schweizern, in denen das Berufsgefühl ungemein rege war und deren eigene Fechtweise auch eine ganz eigenartige Ausrüstung in Harnisch und Handwaffe erforderte; I. Die Schutzwaffen. Fig . 163. Ganzer Harnisch Kaiser Maximilian I. (1459— 1519) mit Schallern und Bart. Blank mit messingenen Randverzierungen. Nürnberger Arbeit, um 1475. Fig . 164. Ganzer Maximiliansharnisch mit schwarz geätzten Strichen des Otto Heinrich , Pfalzgrafen am Rhein (1502—1559). Deutsche Arbeit von 1523. Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit. von ihnen aus verbreitete sich das Streben nach besonderer Bewaff- nung des Fussvolkes über alle Heere. Der deutsche Landsknecht, der geworbene Berufssoldat im vollen Sinne des Wortes, trug in der ersten Zeit einen ganzen Harnisch, der sich von dem in der Ritterschaft üblichen nicht wesentlich unter- schied, So sehen wir sie auch noch in den Zeugbüchern Maximilians I., in deren Tafeln wiederholt verschiedene Ausrüstungsperioden vor Augen gestellt werden. später um 1520 die Sturmhaube nach spanisch-italienischem Muster, den Brust- und Rückenharnisch mit Bauchreifen, Beintaschen oder auch mit Schössen, den eisernen, geschobenen Kragen mit kurzen, geschobenen Achselstücken, die Spangeröls, die nur den Oberarm bedeckten. Unter dem Harnische trug er das Kettenhemd, nach 1530 auch den Panzerkragen über den Schultern. So entstand der Lands- knechtharnisch, in Frankreich „allecret“, in Italien „armatura alleggiata“ benannt. Betrachten wir die Harnischform im Detail, so bemerken wir, dass gerade um die Zeit des Entstehens eigener knechtischer Harnische der ritterliche durch den Einfluss der Renaissance eine Umgestaltung erleidet. Aus der Schallern bildet sich der geschlossene Helm mit Hals- und Nackenschirm, der geschobene Kragen reiht sich nun dem System ein und fast gleichzeitig tritt der burgundische Helm auf, der in fester Verbindung mit dem Kragen steht und nur eine Bewegung des Kopfes nach den Seiten gestattet. Die Brust wird breit und kugelförmig, der stark aufgeworfene Oberrand läuft horizontal, die Beintaschen werden breiter. Schon um 1460, bei Turnierzeugen noch etwas früher, kommt der Rüsthaken in Aufnahme, der über ein Jahrhundert in Gebrauch bleibt. Der Reisige war nicht mehr im stande, die schwerer gewordene Reisspiessstange frei unter der Armhöhle zu halten. Noch reichen die Oberdiechlinge bis an die Leisten hinauf, die Kniebuckel aber werden halbkugelförmig gleich den Mäuseln und die Armkacheln und Kniebuckel werden grösser. Die bedeutendste Veränderung er- leiden die Schuhe. Früher schmal, spitz und nicht selten mit langen Schnäbeln, werden sie nun übermässig breit und plump; sie zeigen Ähnlichkeit mit den schweren, gepolsterten Schuhen, die beim Rennen getragen werden. Diese Veränderung tritt so plötzlich auf, dass sie unmöglich als eine natürliche Umbildung, sondern nur als das Er- gebnis eines bestimmten Willens erscheinen kann. Eine neue Deko- rationsart tritt auf, der Goldschmelz, die Schwarzätzung und die ver- goldete Ätzung in ornamentierten Rändern und Streifen (Strichen). Von Italien aus tritt der Gebrauch auf, die Harnische zu schwärzen oder auch schwarze Röckchen über die Harnische zu ziehen. In Spanien und Italien werden auch reich gestickte, weisse und farbige Harnischröckchen getragen. Der Deutsche erscheint aber lieber in I. Die Schutzwaffen. schön geziertem Harnisch von blankem Eisen. Viel häufiger wird eine reich gezierte Jacke mit kurzen faltigen Schösschen unter dem Harnische getragen, wo dann die letzteren unter dem Rücken her- vorstehen. Später, um 1570, trägt man auch nur die Schösschen allein, die um den Leib geschnallt werden. Am Beginne des 16. Jahrhunderts, der Periode der vollen Um- bildung des gothischen Harnisches in die Form der Renaissance, be- gegnen wir einer Hinneigung der deutschen Ritterschaft, bei festlichen Anlässen, um würdevoll zu erscheinen, sich Harnische zu bedienen, welche nur beim Turniere üblich waren. Es ist, als wollte die Ritterschaft damit allenthalben ihre bevorzugte Stellung gegenüber dem aufstrebenden Landsknechttume darlegen, was sie nicht deut- licher bezeugen konnte, als durch den Hinweis auf ihre Turnier- fähigkeit. Um diese Zeit wurden nun prächtig ausgestattete Kampf- harnische mit langen Schurzen getragen, die nur bei Festlichkeiten gebraucht wurden. Bei derlei Anlässen war aber das Erscheinen zu Pferde meist bedingt; um nun in diesem Turnierharnisch zu Pferde steigen zu können, wurden aus den Schurzen vorn und rückwärts bogenförmige Blätter ausgeschnitten, die, wenn der Mann zu Fusse erschien, wieder in die Ausschnitte mittelst Häkchen und Federzapfen eingefügt wurden. Überhaupt erschien der Adlige bis etwa 1530 bei Festlichkeiten lieber in seinem Turnierharnisch für das Gestech, als in einer Zusammenstellung für das Feld. Viele Anzeichen deuten darauf hin, dass auf die Formbildung der ersten Harnische der Renaissanceperiode Maximilian I. einen nicht unbedeutenden, wenn nicht einen entscheidenden Einfluss geübt hatte. In mehreren Bestandteilen, wie in Brust und Rücken, den Bauchreifen und Beintaschen, erscheint der Landsknechtharnisch mit dem reisigen gleich gebildet, wie überhaupt auch späterhin die Formen der Bruststücke beider sich ziemlich gleichartig weiterbilden. Um 1500 erblicken wir plötzlich eine besondere Art von Har- nischen, welche in der allgemeinen Form zwar mit den vorher be- schriebenen gleich gebildet sind, aber an allen Teilen ihrer Oberfläche mit Ausnahme der Beinröhren feine Kehlungen oder Riffelungen besitzen. Diese geriffelten Harnische (französisch armure cannellée, Maximilienne, italienisch armatura spigolata) nannten die älteren Archä- ologen im Fache „Mailänder Harnische“, eine auf keinerlei Beweise sich stützende Bezeichnung, die umsoweniger stichhaltig ist, als sämtliche noch vorhandenen derlei Harnische deutsches, meist Nürnberger Fabrikat sind. (Fig. 164.) Sie treten gleichfalls so plötzlich vor Augen, dass wir auch hier wieder in ihrer Einführung imperative Impulse voraussetzen müssen. Alle Umstände treffen zusammen, sie als eine Erfindung Maximilians I. anzusehen, der durch die feinen Riffelungen eine Verstärkung des Harnisches zu erzielen gedachte, ohne das Harnischblech verstärken zu müssen. Neuere Schriftsteller Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit. nennen sie aus diesem Grunde richtiger Maximiliansharnische . Gegen den Hieb hatte sich die Voraussetzung des Erfinders aller- dings bewährt, nicht aber gegen die Geschosse der Fernwaffen. Der geringe Vorteil und die bedeutenderen Kosten waren Ursache, dass diese eigenartigen Formen um 1530 wieder verschwanden. Eine Variante dieser Maximiliansharnische ist in dem sogenannten „ Pfeifen- harnisch “ zu erblicken, der mit hohl ausgetriebenen Stäben (Pfeifen) ausgestattet ist. (Fig. 165.) Der Plattenharnisch war um 1500 zu allgemeiner Beliebtheit gekommen; er erschien von da an ebenso in der Schlacht, im Turnier, wie bei festlicher Gelegenheit und im bürgerlichen Leben. Unter solchen Verhältnissen bildete sich derselbe auch zum reich ausgestatteten Prunkkleide. Zunächst waren die Plattner bestrebt, einen und den- selben Harnisch derart auszustatten, dass derselbe für das Feld, wie auch für die verschiedenen Turnierarten, wie nicht minder als knech- tischer oder leichter Trabharnisch in Gebrauch genommen werden konnte. Dadurch bildeten sich ganze Harnischgarnituren , die durch Zusammenstellung der verschiedenartigsten Wechsel- und Verstärkungs- stücke für alle Fälle zu verwenden waren. Die älteste derlei Gar- nitur, die dem Verfasser vor Augen gekommen ist, datiert von un- gefähr 1510. Diese Garnituren gelangen um 1520 zu einer un- gemeinen Beliebtheit; einzelne gestatten die Bildung von höfischen Kleidern, die die Landsknecht- oder überhaupt irgend eine Mode- tracht darstellen, wie der prächtige Harnisch G. 23 im Artillerie- museum in Paris, oder der Harnisch des Wilhelm von Roggendorff mit den weiten bauschigen Ärmeln in der kaiserlichen Waffensamm- lung zu Wien, die zu den Meisterwerken der Plattnerkunst zählen. (Fig. 166.) Noch 1549 findet der Augsburger Plattner Mathäus Frauenbreys es nötig, einer Harnischgarnitur für Maximilian II. die Wechselstücke für einen Harnisch für den Fusskampf (mit kurzem Schurze) beizugeben, der längst ausser Übung gekommen war. Von 1500 bis 1530 etwa begegnen wir Helmen mit Visieren, die eine abschreckende Fratze darstellen, den sogenannten „Teufelsschembart“. Hier berührt sich deutscher Geschmack mit jenem der Japaner und Chinesen. Es war eben eine Zeit der Ungebundenheit, der lockeren Sitte über das deutsche Kriegsvolk gekommen, die sich auch in dem obscönen „Latz“ (latus) kennzeichnet, den der übermütige, rohe Lands- knecht mit ebenso wenig Schamgefühl wie der turnierfähige Ritter trägt. In das Ende der oben bezeichneten Zeitperiode fällt auch die übertriebene Ausgestaltung der Bruststücke zum Tapul, eine Form, die mehr den Landsknechtkreisen angehört. (Fig. 167.) An ritter- lichen Harnischen verlängert sich um 1547 allmählich die Brust, die nun der Länge nach einen flachen Grat erhält. Die Harnischformen zeigen unwesentliche Veränderungen am Helm, dessen Visier spitzer und selbst in geschweiften Linien hervortritt und dessen Kamm all- I. Die Schutzwaffen. Fig . 165. Ganzer, sogenannter Pfeifenharnisch für einen Knaben, gefertigt für den Prinzen, späteren Kaiser Karl V. von Hans Seusenhofer in Innsbruck 1511 und unbekannter Umstände halber un- vollendet geblieben. Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit. Fig . 166. Zierharnisch , in welchem die geschlitzte Tracht der Zeit nachgeahmt wird, des kaiserlichen Feldhauptmanns Wilhelm von Roggendorf (1481—1541). Der Helm gehört zur Garnitur, aber nicht zum vorliegenden Harnische, zu welcher eine Landsknechthaube benutzt wurde. Deutsche Arbeit um 1515. I. Die Schutzwaffen. mählich höher getrieben wird. Die Schuhe nähern sich der natürlichen Fussform oder sind vorn abgekappt. (Fig. 168 und 169.) Um die- selbe Zeit bildet sich die deutsche Sturmhaube für den Landsknecht heraus, die aber auch der Adlige, teils zur Bequemlichkeit, teils um der Fusstruppe zu gefallen, trägt. Der Vornehme erscheint in Ver- bindung mit der Landsknechttruppe in der Regel in deren Harnisch gekleidet, der dann seines geringeren Gewichtes wegen, und weil er auch zu Pferde getragen wird, „Trabharnisch“ hiess. Diese Trab- Fig . 167. Trabharnisch des Konrad von Bemelberg (1494—1567). Blank mit geätzten Rändern und figuralen Em- blemen. Landsknechthaube, Spangröls, durchbrochenes Unterarmzeug, Tapulbrust, Schösse und Latz. Arbeit der Nürnberger Plattner Wil- helm von Worms jun . (gest. 1539) und Valentin Siebenbürger . Die Ätzmalerei wahrscheinlich von Albert Glockendon . Um 1532. Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit. harnische erscheinen als ein Mittelding zwischen dem ritterlichen und dem Landsknechtharnische. Sie besitzen nebst Spangröls, an denen nicht selten Schwebescheiben hängen, auch vollständiges Armzeug. Nur durch die Sturmhaube, die Schösse und durch den Abgang des Rüsthakens erscheinen sie als „knechtische“ Harnische. Um 1547 hatte die Periode der Übertreibung in der Harnisch- tracht ihr Ende gefunden. Die einzelnen Harnischteile werden all- gemach kleiner und ebenmässiger. (Fig. 170.) Das Bruststück wird nun erheblich länger und der Tapul rückt allgemach bis an den Unterrand herab. Diese Auftreibung am unteren Brustharnische wird, wie schon bemerkt, „Gansbauch“ genannt. Von 1550 an kommt der sogenannte ritterliche Harnisch in den Heeren immer weniger im Kriege in Gebrauch. Angesehene Personen erschienen zwar noch in ganzen Harnischen und in der Reiterei sind noch die Kürisser mit selben ausgestattet, aber ersichtlich besitzt er von jener Zeit an nur mehr eine traditionelle Existenz. Der Rück- gang beginnt damit, dass die Eisenschuhe abgelegt werden und dafür Panzerschuhe treten, die bequemer erscheinen; ihnen folgen die Bein- röhren, damit ist der halbe an die Stelle des ganzen Harnisches gelangt. Durch die Annahme der nun auch noch mit Visier aus- gestatteten Sturmhaube nähert sich die Reitertracht immer mehr der Fussknechttracht, wie überhaupt die Kriegerkleidung ein mehr einheit- liches Gepräge erhält. Noch ist der Adlige stolz auf das hergebrachte Eisenkleid, aber im Felde dominiert der schwarze Trabharnisch, der mit unwesentlichen Varianten auch von den mit der Stangenwaffe ausgerüsteten Fussknechten, den Pickenieren, getragen wird. Um 1590 legt auch der schwere Reiter den Reisspiess ab, aus welcher Ursache auch der Rüsthaken verschwindet. (Fig. 171.) Alle Reiter tragen nun schwere Stiefel, um 1600 auch lederne Koller unter den Brust- harnischen, deren Schösse bis über den halben Oberschenkel reichen. Schon etwas früher wird das schwere Panzerhemd, das, unter dem Harnisch getragen, die unbedeckten Stellen des Körpers schützte, abgelegt. Zuerst bei der leichten Reiterei, später auch beim Fuss- volke werden ungarische Sturmhauben mit Naseneisen eingeführt. Um 1640 werden in der Reiterei die Helme und Sturmhauben seltener, der breite wallonische Hut wird allgemeine Kopfbedeckung mit eiserner Hirnhaube darunter, um das Haupt gegen Klingenhiebe zu schützen. Nur die kaiserlichen Kürisser tragen noch und nicht selten sehr schwere Rüstungen, die noch einigermassen an den alten Plattenharnisch erinnern, aber die Bruststücke werden winzig klein und kurz, dafür verbreitern sich die Schösse ins Masslose, um die immens umfangreichen Bauschhosen zu bedecken. Der Kürisser- harnisch ist plump, unbequem und im ganzen unschön, dabei besitzt er eine ungemeine Schwere, die den Mann fast erdrückt. Trotz dieses Gewichtes durch die Dicke des Bleches dokumentiert der I. Die Schutzwaffen. Harnisch seine Nutzlosigkeit gegenüber der an Treffsicherheit ge- winnenden Feuerwaffen. Der Pickenier ist der letzte Fusssoldat, der in den regulären Fig . 168. Ganzer Feldharnisch , blank mit geätzten und ver- goldeten Strichen des Kaisers Maximilian II. (1527—1576). Arbeit des Nürnberger Plattners Kunz Lochner um 1547. Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit. Fig . 169. Ganzer Feldharnisch mit geätzten und vergoldeten Strichen und Emblemen, genannt „mit den Adlern“ des Erzherzogs Fer- dinand von Tirol (1529—1595), gefertigt von dem kaiserlichen Hof- plattner Jörg Seusenhofer in Innsbruck 1547. Die Ätzungen sind von dem Maler Hans Perckhamer in Innsbruck. Geschlossener Helm mit durchbrochener Helmverstärkung. Brust mit Ansatz zum Gansbauch, Bein- taschen. Beinzeug mit Unterdiechlingen. I. Die Schutzwaffen. Fig . 170. Ganzer Feldharnisch , blank mit breiten Strichen die in Tausia verziert sind mit eingestreuten figuralen Gestalten. Ge- schlossener Helm mit bereits steilem Visier, breiten, geschobenen Achseln, Brust mit tiefem Gansbauch, breiten Beintaschen. Deutsche Arbeit um 1570. 8. Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit. europäischen Heeren einen Harnisch getragen hatte. Es ist ein so- genannter halber, auch Pickenierharnisch genannt, und er bestand aus einer Eisenhaube, einer Brust mit Rücken, erstere mit kurzen Bein- taschen. Die Oberarme deckten bis an den Ellenbogen reichende Spangröls, die Unterarme die langen Stulpen der Handschuhe, die die Spangröls fast berührten. (Fig. 172.) Ungeachtet der allenthalben gewonnenen Überzeugung von der geringen Brauchbarkeit des Harnisches trennte sich der Adlige nur Fig . 171. Halber Harnisch , gebläut mit gerissenen Strichen, des Andreas von Österreich, Kardinal , Sohn Erzherzog Ferdinands von Tirol mit Philippine Welser (1558—1600). Helm mit abschläch- tigem Visier, Brust mit Gansbauch, weiten plumpen Schössen. Deutsche Arbeit um 1590. Boeheim , Waffenkunde. 11 I. Die Schutzwaffen. schwer von dieser Schutzwaffe. Noch bis ins 18. Jahrhundert herein spielt er eine Rolle in der romantischen Vorstellung als unzertrenn- lich von der adligen Würde. Während der Haubert das Kriegs- kleid des Ritters durch mehr als 5 Jahrhunderte gewesen war, hatte der Plattenharnisch nur die kurze Lebensdauer von kaum deren zwei, Fig . 172. Pickenier aus dem englischen Heere. Der Harnisch stammt aus der ehemaligen Samm- lung Meyrick in Goodrich-Court. 17. Jahrhundert. Nach Meyrick. aber in den Kriegerkreisen erhielt sich der Glaube, als sei er das ritterliche Kleid von alters her gewesen. Als der Plattenharnisch längst nicht mehr existierte, im 18. Jahrhundert noch, würde es ein Adliger, ein höherer Offizier unter seiner Würde gefunden haben, sich anders, als im Brustharnisch mit dem Visierhelme daneben abbilden zu lassen. Selten ist eine Waffe in den eigenen Berufskreisen von ihrem ersten Auftreten an mehr überschätzt worden, als der Plattenharnisch. Entstanden in einer Periode, in welcher auch die Feuerwaffe zur Entwickelung gelangte, trug er gewissermassen schon am Be- ginne die Bedingungen für eine nur kurze Existenz in sich. Er bildet nur eine kleine Episode in dem durch Jahrhunderte währenden Streite um den Wert der aktiven oder passiven Kampfmittel, aber seine Geschichte beweist, dass seine Nützlichkeit in demselben Grade abnahm, wie die Feuerwaffe in ihrer Leistungsfähigkeit sich erhob. Lange hatte man in den Kreisen der Ritterschaft vor dieser früh eingetretenen Thatsache die Augen geschlossen gehalten; in den Tradi- tionen alten Heldentums lebend, er- schien das eiserne Kleid als etwas Unersetzbares, Unentbehrliches. Die äusserliche Erscheinung, das Martia- lische des Auftretens dieser Schutzwaffe wirkte mit, um an ihr zu hängen, als sei sie mit dem Kriegerstand innig verwachsen. Für den Romantiker von heute ist sie nicht weniger ein Gegen- stand unklarer Schwärmerei, für den 8. Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit. ernsten Denker bildet sie ein kulturhistorisches Beispiel von hohem Interesse, dem Kunstfreund bietet sie in ihren tausendfachen herr- lichen Ausgestaltungen einen Gegenstand der Bewunderung und des anregendsten Studiums. In ihren kleinen Einzelheiten, den Detailformen gewisser Partieen, den Verbindungen u. dergl. zeigen die Plattenharnische viele Ver- schiedenheiten. So zeigen italienische, besonders mailändische Harnische Eigentümlichkeiten in der Zusammensetzung, die von den in Deutsch- land üblichen sehr verschieden sind. Ebenso zeigt die Beobachtung, dass fast jeder einzelne der deutschen Plattner in den Formen und Verbindungen seinen eigenen Gedanken und Erfahrungen folgte. Um diese zahlreichen Varianten sich ins Gedächtnis einzuprägen, ist zu- nächst die Betrachtung von möglichst vielen Harnischen erforderlich. Zu diesem Studium kann das vorliegende Buch begreiflicherweise nur Anhaltspunkte liefern, die durch Vergleiche auch in den gegebenen Abbildungen sich finden werden. Je weniger Materialien uns zum Studium der orientalischen Harnischformen zu Gebote stehen, um so wertvoller muss uns jeder und selbst der einfachste Beleg sein, wenn wir uns vor Augen halten, dass wir die wichtigsten Lehren der Kriegskunst und Technik aus dem Oriente erhalten haben. Was uns zum Studium der orientali- schen Kriegstracht zur Verfügung steht, ist äusserst wenig. Originale Reste reichen kaum ins Mittelalter zurück, gleichzeitige Abbildungen besitzen wir nur von den Indern, Griechen, Japanesen und den Persern, nicht aber von den Arabern und Türken; nur die in mancher Richtung emanzipierten Sarazenen und Mauren des Mittelalters wagten über die Darstellung von Tierfiguren hinaus, in seltenen Fällen Ab- bildungen von Menschen, und dann nur in phantastischer Gestalt zu fertigen. Die Schilderungen gleichzeitiger europäischer Chronisten sind unzuverlässig und nicht selten geradezu erfunden. Nur ein Um- stand kommt uns dabei sehr zu Hilfe, dass die Formen im Oriente mit ungemeiner Zähigkeit in Jahrhunderten sich unverändert erhalten, wodurch es uns ermöglicht wird, in vielen Fällen von der jüngeren Form auf die ältere zu schliessen. In den arabischen-persischen Ländern ist seit Jahrhunderten das allgemeine Kriegskleid der Kaftan, der in der Mitte des Leibes durch einen metallenen Gürtel gehalten wird. Brust, Rücken und Achseln, seltener die Oberarme, erhalten metallene Beschläge von verschiedener Grösse, die aufgenäht oder aufgenietet, in den meisten Fällen auch durch Gravierungen oder in gestanzter Arbeit verziert sind. (Fig. 173.) Besonders war es die Brust, welcher besondere Aufmerksamkeit bezüglich des Schutzes gewidmet wurde. Die Be- schläge daselbst sind immer reicher ausgestattet, und selbst bei dem Ärmsten wenigstens mit dem Zeichen der „tûghra“ versehen. Der tief ins politische und Bürgerleben eingreifende religiöse Glaube ver- 11* I. Die Schutzwaffen. anlasste vorzüglich, auf dem Helme und der Brust Gebetsprüche aus dem Koran anzubringen, Anrufungen, Beteuerungen u. dgl. Dadurch bildete sich die arabische und kufische Schrift allmählich zu einem wirksamen Mittel der Dekoration aus. Der Gebrauch dürfte sich kaum über das Jahr 1000 hinauf erstrecken, zu welcher Zeit erst die Schrift ihren Charakter erhielt. Eins der ältesten Bestandteile orientalischer Ausrüstung ist der Helm; er ist vom Altertum her in seiner typischen Form, oben spitzig zulaufend, übernommen worden und hatte sich mit unwesentlichen Veränderungen bis in die neueste Zeit so erhalten. Eine ihm eigenartige Beigabe ist in dem Nasen- eisen zu sehen, das, anfänglich mit dem Helme aus einem Stücke gefertigt, später getrennt wurde und nach auf- oder abwärts gestellt werden konnte. Das „bewegliche“ Naseneisen ist schon im Mittel- Fig . 173. Gegenüberstellung von europäischen und orientalischen Kriegern . Miniatur aus der Chronica de Gestis Hungarorum der k. k. Hofbibliothek in Wien vom Jahre 1330. alter üblich gewesen. Bis ins Altertum reicht der Gebrauch eines Nackenschirmes aus feinem Ringgeflechte, des Vorbildes der Brünne der europäischen Krieger des Mittelalters; er reicht gemeinlich bis über die Schultern und die halbe Brust herab. Bei einigen Völker- schaften Asiens, wie bei den Arabern und den Tartaren, ist das Naseneisen am Helme nicht immer üblich gewesen, erstere ersetzten dasselbe — allerdings unvorteilhaft genug — durch einen Streifen von Maschenpanzerwerk, der wie ein Schleier das Gesicht bis über die Augen deckte. 8. Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit. Es ist für die meritorische Bedeutung des orientalischen Kriegs- wesens bezeichnend, dass in der Ausrüstung mit Harnisch und Hand- waffe nie jene Grenzen überschritten wurden, welche durch die Rücksicht auf die Beweglichkeit des Trägers gezogen sind. (Fig. 174.) Die orientalische Waffentechnik verirrte sich nie auf jene Abwege, auf die man in Europa und vor allem in Deutschland geriet, indem man in dem Harnisch eine absolute Sicherheit gegen den Angriff Fig . 174. Byzantinischer Soldat nach einer Miniatur eines byzantinischen Codex der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts in der National- bibliothek zu Paris. Aus Louandre, Les arts somptuaires I. Fig . 175. Arabisch-türkische Kriegskleidung . 16. Jahr- hundert. Kaiserl. Waffenmuseum zu Zarskoe-Selo. erstrebte. Zwar führten schon die Sarazenen Schuppenharnische, die an sich ihrer Zusammensetzung nach zu den schwersten gehören, aber ihre Partikel waren so dünn und leicht, dass der ganze Harnisch der Bewegung I. Die Schutzwaffen. und Waffenführung nicht im geringsten hinderlich war. Die Harnisch- schmiede trachteten im gegenseitigen Wetteifer darnach, ihre Eisenkleider widerstandsfähig gegen Hieb und Stich, aber dünn im Bleche, schmiegsam Fig . 176. Alte indische Kriegskleidung aus Kabul. Kaiserl. Waffenmuseum zu Zarskoe-Selo. Fig . 177. Russische Kriegskleidung vom Ende des 15. Jahr- hunderts. Kaiserl. Waffenmuseum zu Zarskoe-Selo. 8. Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit. und leicht zu gestalten. Im späteren Mittelalter bestand der Harnisch der Türken und Araber aus einem System von grösseren und kleineren Platten, die untereinander mittelst Streifen von Panzergeflechten in der Breite von 3, höchstens 5 Ringen verbunden waren. Aus einem Fig . 178. Japanische Kriegskleidung nach einer Original- zeichnung des Professors Hugo Ströhl in Wien. I. Die Schutzwaffen. Stücke bestanden die Achselteile; auf Brust und Rücken bildete je eine grosse Scheibe das Mittelstück, um welches sich die anderen Platten gruppierten. Bei den Tartaren und einigen türkischen Stämmen, wie auch bei den Tscherkessen, ist der Brust- und Rückenharnisch aus einem System von vierseitigen Platten, die unter sich durch Maschenpanzer in Verbindung standen. (Fig. 175.) Zuweilen war auch nur der rechte Arm von einem Handschuh mit langem Stulpe geschützt; der linke Unterarm schien durch den Rundschild genügend gedeckt. Die Füsse blieben anfänglich ganz unbeschützt (Fig. 176. 177); später, im 16. Jahrhundert, findet man bei den Persern, dann auch bei einigen Tartarenstämmen eine Art Beinkleid, aus eisernen Bändern be- stehend, die mit Ringgeflechten verbunden waren. Sie waren so weit gebildet, dass sie die Bewegung nicht im geringsten hinderten. Die Araber kämpften bis in die Zeit Mohammeds nicht wie die Perser zu Pferde, ja es sind in ihren Heeren bis ans Ende des 7. Jahrhunderts nur wenig Reiter anzutreffen, so bei Bedr 623 gar nur zwei. Später vermehrte sich deren Zahl ausserordentlich, so dass die Reiterei von nun an zur Hauptwaffe der arabischen Heere wurde. Weit früher hatten sich die tartarischen Völker dazu bequemt, den Krieg zu Pferde zu führen; bei den Persern aber hatte sich die Lust zum Reiterdienste auch nach dem Zusammenbruche des altpersischen Reiches traditionell erhalten. Die Chinesen waren von ältester Zeit her dem Reiterdienste abhold; ihre wenige Reiterei bestand aus tartarischen Stämmen, die um Sold dienten; ebenso scheinen auch in Japan in alter Zeit keine Reitertruppen bestanden zu haben. Eigentümlich ist die Harnischausrüstung der Chinesen und Japaner, die vom Mittelalter bis in die Neuzeit sich im wesentlichen gleich geblieben ist. Der Harnisch bestand in einem weiten Helme von Schlagblech, der an die deutschen Eisenhüte erinnert; vorn war ein festes Visier genietet, welches eine abschreckende Fratze mit stacheligem Barte darstellte. Der übrige Teil des Harnisches war aus mattenartig ge- bildeten Tabletten aus Fischbeinstäben zusammengefügt, die mittelst fein gewirkten Bändern verbunden und mit Lackmalerei verziert oder mit reichem Stoff überzogen waren. (Fig. 178.) Nur Vornehme hatten auch die Beine in dieser Art geschützt, gemeine Krieger hatten die Füsse ungeharnischt und zuweilen nackt. Es sind noch japanesische Harnische vorhanden, welche aus dem Anfange des 16. Jahrhunderts datieren. In Mailand, in Madrid, im Schlosse Ambras in Tirol u. a. O. Sie dienen zum Beweise, wie wenig sich deren Form bis in die Neuzeit geändert hat. Erst vor einigen Jahrzehnten wurde der chinesische Fischbeinharnisch abgelegt. 9. Der Schild. Das Bedürfnis des Kriegers, sich durch eine tragbare Schutzwaffe vor der Wirkung der Waffen des Feindes zu sichern, war stets um so reger, je bedeutender diese Wirkung erschien, je unausgebildeter die Taktik und je unzulänglicher der Schutz war, welchen die kriegerische Kleidung selbst bieten konnte. Am Beginne des Mittelalters, in einer Epoche des Strebens nach geordneten Verhältnissen, fand man barbarische Völkerschaften über Europa verstreut, deren Kultur an sich verschieden voneinander, immer aber zu gering war, um sich durch technische Mittel aus- reichend vor der feindlichen Angriffswaffe zu schützen; barbarische Völker mussten im Kriege allezeit durch rasche Bewegungen das er- setzen, was ihnen durch ihre mangelhafte kriegerische Ausrüstung an defensiven Streitmitteln abging. Wir finden deshalb unter den sarmatischen und hunnischen Reitervölkern, welche im 4. Jahrhundert den Westen Europas über- schwemmten, nirgends eine Spur von einer Verwendung von Schilden. Jene Völkerschaften, welche sich in Deutschland sesshaft gemacht und manches von der Kampfweise der Römer sich angeeignet hatten, be- nutzten allerdings grosse, ovale Schilde, aber diese waren von zweifel- haftem Werte, von Weidenzweigen geflochten und mit ungegerbten Rindshäuten überspannt. Die Schilde der Germanen waren fast noch einfacher. Sie hatten in der allgemeinen Gestalt einige Ähnlichkeit mit jenen in den römischen Legionen üblichen, nur waren sie bei ihrer viereckigen Gestalt weniger ausgebogen. Gleichfalls aus Weiden- geflecht gebildet, waren sie mit Pelzwerk, gemeiniglich vom Wolfe, über- zogen. Dieser Gebrauch, Schilde mit Pelzwerk (Rauchwerk) zu über- ziehen, erhielt sich bis ins 13. Jahrhundert, in welchem man noch häufig Schilde findet, welche wenigstens am oberen Teile mit Fellen verschiedener Tiere überzogen sind. Aus dieser Sitte hat sich auch das heraldische Pelzwerk (fêh) im Mittelalter herausgestaltet. Man findet übrigens noch heute Rundschilde asiatischer Völkerschaften mit Fell von Rindern überzogen. Der leichte Reiter war einer Verwendung des Schildes stets ab- hold, er hinderte ihn in der Führung des Pferdes, ohne ihm den erwünschten Schutz zu bieten. Nur dem zu Fuss kämpfenden Mann erschien der Schild um so unentbehrlicher, je weniger er im stande war, sich der feindlichen Waffenwirkung durch eine rasche Bewegung zu entziehen. Zwei Umstände führten zu einer allmählichen Verbesserung der Waffen der Völker, welche sich in Europa sesshaft gemacht hatten. Die Verbindung, in welche sie mit Konstantinopel geraten waren, von wo sie auf dem Handelswege die Waffen bezogen, und der glück- I. Die Schutzwaffen. liche Zufall, dass sie auf ihrem Zuge gegen Rom auch Länder be- rührten, in welchen seit langem autochthone Bevölkerungen das Eisen aus den Bergen gewannen und zu Waffen verarbeiteten. Jene süd- germanischen Völkerschaften, welche vom Beginne der Kaiserzeit an mehr oder weniger mit dem römischen Reiche in Beziehungen ge- standen waren, hatten allgemach römischer Fechtweise sich anbequemt, und wir sehen auch aus ihren von den Römern entlehnten erst die den nationalen Eigenschaften entsprechenden germanischen Waffen- formen erstehen. Der Weg, auf welchem die Germanen des Westens römische Art und Sitte an sich zogen, ging über Mailand, die Alpen durchschneidend, an den Rhein. In Iberien hatten die Westgoten eine uralte, von den Römern gegründete Eisenindustrie vorgefunden und im eigenen Interesse geschont. Sie versah mit ihren Erzeugnissen bis ins 8. Jahrhundert allein das ganze fränkische Reich bis an die Maas. Desungeachtet waren die Schilde noch zur Zeit Karls des Grossen, wie uns das Schachspiel aus dem Schatze von Saint-Denis aus jener Zeit erkennen lässt, nicht allgemein von dem widerstands- fähigsten Materiale, dem Eisen, sondern noch zum grössten Teile aus Holz, mit Leder überzogen und mit Eisenbändern verstärkt. Der Reiter führte einen leichten, hölzernen, runden oder unten kolbig zu- gespitzten Schild, mit eisernen Spangen und Nägeln verstärkt, bei Rundschilden war in der Mitte ein buckelförmiges Beschläge, der Schildnabel, aufgenietet. Getragen wurde derselbe am linken Arme an einem breiten Riemen (Schildfessel), ein zweiter diente, um selben an der Hand zu fassen. Der zu Fuss kämpfende Mann trug einen grossen, mandelförmigen, etwas über 1 Meter hohen, stark gewölbten Holzschild, der an den Rändern und in der Mitte kreuzweise mit Eisenbändern verstärkt und in den dadurch gebildeten Rauten mit starken Nägeln besetzt war. Er wurde im Gefechte mit der Spitze auf den Boden gestützt, und es scheint schon im 9. Jahrhundert der Gebrauch aufgekommen zu sein, die hohen Schilde knapp an- einander zu reihen und so eine feste Wand zu bilden, hinter welcher die Bogenschützen gedeckt sich postieren konnten. Wie man die langen, zugespitzten, der Dreiecksform sich nähernden Schilde als den germanischen Völkern eigentümlich erklären kann, ebenso sind die runden und ovalen Schilde hauptsächlich in den Heeren des Südens und Südostens Europas zu finden. Ja in Byzanz treffen wir die Rundschilde im 8. Jahrhundert in so kleinen Dimensionen, dass sie nahezu den Faustschilden anzureihen sind, die im Kampfe gegen die blanke Waffe den Vorteil boten, dass sie sich zum Parieren eigneten. Die ältesten Abbildungen von Schildformen des Mittelalters finden sich in einem Virgil in der Bibliothek des Vatikans, der dem 5. Jahrhundert angehört. Sie erscheinen dort als Rundschilde mit stumpf kegelförmigen Stacheln. 9. Der Schild. Im Psalterium aureum von St. Gallen sehen wir die Krieger zu Fuss und zu Pferde mit einerlei Schilden, Rundschilden romanischer Form, bewaffnet. Sie sind von halber Mannshöhe im Durchmesser, stark gewölbt und mit einem stark spitz zulaufenden Schildnabel ver- sehen. Sie waren wie noch jene aus merowingischer Zeit ohne Zweifel von Holz, mit Leder überzogen und mit radiallaufenden Bändern von Metall verstärkt, welche mit Nägeln besetzt erscheinen. (Fig. 179 und 180.) Genau in dieser Form erblicken wir sie in einer Bibel aus dem 9. Jahrhundert in S. Paolo fuori le mura zu Rom. Fig . 179. Krieger mit Rundschild vom Ende des 8. Jahrhunderts aus dem Psalterium aureum von St. Gallen, nach Rahn, Psalt. aur. Fig . 180. Krieger mit Rundschild und Spiess vom Ende des 8. Jahrhunderts aus dem Psalterium von St. Gallen, nach Rahn. Die Umwandlung in der anfangs römischen Bewaffnung der germanischen Heere ging nur nach Massgabe des Verblassens der antiken Traditionen und langsam vor sich; so finden wir den Rund- schild neben dem germanischen Schilde im frühen Mittelalter noch lange in Gebrauch. Unter den Vornehmen blieb es Jahrhunderte I. Die Schutzwaffen. hindurch noch Sitte, sich nach römischer Art zu tragen, und noch die ersten deutschen Könige erscheinen in ihren Siegeln mit dem römischen Rundschilde bewaffnet, wie denn auch noch der Reiter im Schachspiele Karls des Grossen mit einem solchen bewaffnet dar- gestellt ist. In Italien erhalten sich begreiflicherweise die antiken Formen der Schilde noch weit länger; in den Mosaiken der Markus- kirche in Venedig (12. Jahrhundert) erscheinen die venetianischen Fig . 181. Normanischer Schild mit Bemalungen in Schwarz und Rot auf gelblich-weissem Grunde nach einer Miniatur aus der Bibel des heil. Martial von Limoges in der Nationalbibliothek zu Paris vom Anfange des 12. Jahrhunderts. Fig . 182. Bretonischer Schild von Bronze, gefunden im Withamflusse in Lincolnshire aus der ehemaligen Sammlung des L. Meyrick in Goodrich-Court. 10. Jahrhundert. 9. Der Schild. Soldaten nur mit Rundschilden ausgerüstet. Und auch in einem Manuscripte, enthaltend die Legende Alexanders III., im Museo Correr, aus dem 14. Jahrhundert tragen die venetianischen Soldaten Rundschilde und sonderbarer Weise dazu auch Helmbarten. Im Teppich von Bayeux finden wir allerdings in der Mehrzahl den langen romanischen Schild (Fig. 181), daneben aber auch noch hochgewölbte und mit Spitzen versehene romanische Rundschilde in Verwendung. Bei den englischen Scharen finden sich in einigen Gruppen der Schlacht bei Hastings auch bretonische Schilde abge- Fig . 183. Bretonischer Schild aus dem Teppich von Bayeux. Ende des 11. Jahrhunderts. Fig . 184. Innenseite eines normanischen Schildes mit Schildfessel und Tragriemen aus einem Manuskript d. Psalt. lat. der Na- tionalbibliothek in Paris vom Anfang des 13. Jahrhunderts. Nach Viollet-le-Duc. bildet. Ein solcher Schild aus Bronze befand sich vor einigen Jahren noch in der Sammlung Meyrick (Fig. 182), einen anderen von ähnlicher Form bringen wir nebenstehend aus der Tapete von Bayeux (Fig. 183). I. Die Schutzwaffen. Schon im 6. Jahrhundert finden wir Zeugnisse, dass die Schilde ein beliebter Gegenstand der Dekoration durch die Kunst des Gold- schmiedes gewesen waren. Gregor von Tours erwähnt eines reich in Gold verzierten und mit Steinen besetzten Schildes, welchen Brune- haut dem Könige von Spanien sendet. Es ist bezeichnend, dass im 11. Jahrhundert, zur Zeit Haralds III. von Norwegen, die ersten Spuren von einer Bemalung der Schilde mit abenteuerlichen und abschreckenden Figuren angetroffen werden. Diese rohen Anfänge der Heraldik lassen damit auf ihre orientalische Herkunft schliessen. Der normanische Schild, von Holz mit Kreide- grund, schmal, unterhalb spitz zulaufend und oberhalb rund ab- schliessend, kann als das Urbild aller späteren Schildformen des Mittelalters betrachtet werden. (Fig. 181, 184.) Die Grösse des Reiterschildes in jener von der römischen wesentlich abweichenden Form, wie selbe durch die Normanen zuerst in Gebrauch kam, war im Hinblicke auf die primitive Harnischaus- rüstung wohlberechnet. Da diese den Schlagwaffen nicht widerstand, bedurfte man einer Schutzwaffe, welche den Reiter vom Fuss bis an die Schulter zu decken im stande war. Die Schilde des 11. und 12. Jahrhunderts hatten darum auch eine bedeutende Länge. Im mehrgenannten Teppich von Bayeux ist in der Schildform zwischen der Reiterei und dem Fussvolke kein Unterschied zu erkennen, sie eignete sich eben für beide gleich gut. Die Fusssoldaten reihten sich dicht aneinander, so dass ihre langen Schilde, einer über den anderen gelegt, eine feste, schusssichere Wand bildeten. Die Sorge um die Festigkeit des Schildes führte darauf, sie zu beschlagen und mit einem Schildbuckel auszustatten, von welchem aus die Eisenbänder gehalten wurden. Gerade um diese Zeit wird der Harnisch aber in seiner Festig- keit wesentlich verbessert. Dieser bedeutende, aus den Erfahrungen in den Kreuzzügen hervorgetretene Erfolg war zunächst Ursache, dass im Verlaufe des 13. Jahrhunderts der Reiterschild allmählich kürzer wurde, so dass er nun nur noch vom Sattelsteg bis an das Kinn reichte. Die Seitenränder sind noch stark kolbig gegen die Spitze laufend, aber der Oberrand wird nun flacher gebildet, denn für die Deckung des Gesichtes ist durch die neue Helmform ausreichend vor- gesorgt. Der Schild, anfänglich noch gewölbt, wird flacher, und Schildbuckel und Beschläge verschwinden nach und nach. In den älteren Teilen des Nibelungenliedes, welche vor den Beginn der Epoche des Minnegesanges im 12. Jahrhundert zu reihen sind, sehen wir noch die Schilde mit Edelsteinen besetzt, ebenso auch den Riemen, welcher, um den Schild zu tragen, um den Hals geschlungen wurde (schiltvezzel). Ebenso ist wiederholt des „schiltgespenges“, des Beschlages der Schilde aus Bronze Erwähnung gethan. Leb- haft tritt in der Dichtung die Sorge zu Tage, den Schild breit und 9. Der Schild. dick zu gestalten, wie in der Aventiure VII, gelegentlich des Wett- kampfes mit Brunhild, wo von dem Schilde die Rede ist, den drei Kämmerer kaum zu tragen vermochten. Das ist die Periode, welche jener der Kreuzzüge vorausging. Ihr folgte die neue Ausrüstung mit Topfhelm und dem allmählich sich verkleinernden, dreieckigen Schilde, der nun in der Regel nicht mehr mit Steinen besetzt, sondern mit den gewählten Emblemen und Farben bemalt wird. Ein bezeichnendes Moment bildet die Wahrnehmung, dass die Bewaffnung des Fussvolkes bis ins 13., ja selbst bis ins 14. Jahr- hundert sich von jener der Reiterei nur ganz unwesentlich unter- Fig . 185. Fussknecht im Topfhelm mit Spiess und Dreieck- schild in der Schlachtstellung. Die Formen nach der Statue in der Kathedrale zu Reims. Französisch, um 1240. Nach Viollet-le-Duc. Fig . 186. Fufsknecht, einen Wall ersteigend. Aus einer Mi- niatur im Codex Balduini Trevirensis von c. 1340. scheidet. Die Ursache davon ist darin gelegen, dass dem Fussvolke überhaupt eine geringe Bedeutung im Kampfe beigemessen wurde, und man darum die Nötigung nicht empfand, über die Bedürfnisse desselben nachzudenken. So führte der Fussknecht genau denselben Schild wie der Reiter, obwohl derselbe in seiner Form nur auf die Deckung zu Pferde berechnet war. In der Stellung zu Fuss deckte I. Die Schutzwaffen. der dreieckige Schild den Mann nur sehr unzureichend. Erst als der Reiterschild zum „petit écu“ zusammenschrumpfte und damit für den Fussstreiter vollkommen unbrauchbar wurde, wird eine Verschiedenheit in der Bewaffnung insofern wahrnehmbar, als der letztere den alten, längeren Dreieckschild, welchen der Reiter abgelegt hatte, fernerhin beibehielt. (Fig. 185, 186.) Um 1300 hatte die Harnischerzeugung wieder einen erheblichen Fortschritt gemacht, dadurch verlor der Reiterschild abermals an Be- deutung; er wird nun zu einer kleinen, dreieckigen Tartsche (petit écu) mit geradlinigen Rändern, die wenig mehr als die halbe Brust und Fig . 187. Reiterschild aus dem Frauenkloster Seedorf im Kanton Uri, wahrscheinlich von einem Angehörigen der Familie von Briens. Erste Hälfte des 13. Jahrhunderts. die linke Schulter deckt. Der Name Tartsche , welcher um die genannte Zeit zum erstenmale auftritt, leitet sich von dem arabischen dárake ab, wovon das italienische targa stammt, womit ursprüng- lich der kleine Rundschild bezeichnet wurde. (Fig. 187.) Vom Ende des 13. Jahrhunderts, von etwa 1274 bis 1348 an begegnen wir in der kriegerischen Ausrüstung französischer und bur- 9. Der Schild. gundischer Heere den Achselschilden , ailettes, meist quadratförmigen Platten, welche, schief aufgestellt, vom Helme bis ans Schulterende reichend, den Hals und die Schulter des Streiters deckten. Um ihr Auftreten begreiflich zu finden, muss man in Erwägung ziehen, dass die Kapuze, Halsbrünne, camail, im 13. Jahrhundert noch dicht an den Hals schloss, und jeder Schwerthieb auf die Halsarterien unge- achtet des Panzerzeuges den augenblicklichen Tod herbeiführen konnte. Erst als die Kapuze des Hauberts derart gestaltet wurde, dass die unteren Teile gerade herabfielen, schwächte sich jeder Hieb an dem nachgiebigen Panzerzeug. Die Achselschilde, deren Verwen- dung um 1348 endet, waren gleich der Tartsche mit dem Wappen der Eigner bemalt; sie bildeten im französischen Adel gleich jenen ein Abzeichen des ritterlichen Standes. Ihre Befestigung am Haubert war nach den vorhandenen gleichzeitigen Abbildungen sehr einfach. An den Innenseiten befanden sich Leder- schleifen, durch welche ein Riemen lief, welcher um den Hals geschnallt wurde. Auf dem Marsche wurde der Halsriemen gelockert, so dass die Achselschilde an beiden Seiten der Brust nach vorn oder rückwärts herabhingen. (Fig. 188.) Ein Bei- spiel finden wir in dem Siegel Louis’ I. von Bourbon von c. 1300. Gegen das Ende des 14. und im 15. Jahrhundert erleidet die Form der Tartschen Veränderungen, die nicht mehr eine waffentechnische, sondern lediglich stilistische Bedeu- tung haben. Sie wird nun unterhalb Fig . 188. Reiter mit übereck gestelltem Achselschilde aus einer Mi- niatur in einer Sammlung von Romanen in der königl. Bibliothek zu London. Mscr. 14. E. 3. Erste Hälfte des 14. Jahrhunderts. Nach Hewitt. halbrund gebildet, zuweilen, wie in England und Nordfrankreich, vier- eckig, nahezu quadratförmig. Im 16. Jahrhundert ist der Plattenharnisch zur Vollendung ge- diehen, und der Reiterschild, durch fünf Jahrhunderte eine der wich- tigsten Schutzwaffen, hatte nicht mehr ein Recht auf das Dasein. Mit der Erstarkung des feudalen Wesens kam das Fussvolk immer mehr in Missachtung, so wurde eben auf die Bewaffnung der Fussknechte wenig oder gar kein Wert gelegt und man findet auch in der That dort, wo uns eine Kunde über eine Verwendung von Fussvolk wird, die mannigfachsten und sonderbarsten Schildformen, während ersichtlich auf die Ausbildung der Formen der Reiterschilde ein sorgsames Augenmerk gelenkt ist. Boeheim , Waffenkunde. 12 I. Die Schutzwaffen. Durch die herben Erfahrungen in den Schweizerkriegen des 14. Jahrhunderts, die auch auf die feudalen Parteien ausserhalb des deutschen Reiches mächtigen Eindruck machten, wurden die Ritter- schaften über den hohen Wert des Fussvolkes belehrt und von dieser Zeit an wird allmählich der entsprechenden Ausrüstung des Fuss- knechtes mehr Sorgfalt zugewendet. So wird es im 14. Jahrhundert deutlich merkbar, dass das Fig . 189. Setzschild aus dem Heere des römischen Königs, Maximilians I., von Holz mit Temperamalerei mit heraldischen Emblemen: der deutsche Königsadler, der Bindenschild und Tirol. Aus den Zeug- büchern Maximilians I. Zeug Tirol. Streben dahin ging, die defensive Kraft des Fussvolkes möglichst aus- zunützen und dieses dafür auszurüsten. Dieses Streben führte wieder auf die alte Verteidigungsmanier des Fussvolkes, die schon die Römer 9. Der Schild. mit grossem Erfolge übten und die selbst im frühen Mittelalter in Deutschland noch häufig zur Anwendung gelangte. Sie bestand in der Bildung von festen Wänden, aus dicht aneinandergereihten Schilden, hinter welchen die Streiter geschützt ihre Fernwaffen ge- brauchen konnten. Dazu musste der Schild so gross sein, dass er, auf den Boden gestellt, einen Mann zu decken im stande war, so Fig . 190. Setzschild aus dem Heere Maximilians I., von Holz mit Temperamalerei und den Emblemen der Granatpflanze, auf Granada anspielend, mit Guckloch. Aus den Zeugbüchern Maximilians I. Zeug österr. Land. fest, dass ein Bolzen darin stecken blieb, so leicht, dass er ohne Be- schwer getragen werden konnte. Damit entstand der Setzschild , die grosse Pavese . Er ist von Holz und mit Haut überzogen, 12* I. Die Schutzwaffen darüber kam ein dünner Kreidegrund, auf welchen Embleme in Tempera gemalt wurden, zu welchen teils religiöse, teils heraldische Motive mit Inschriften gewählt wurden. Letztere enthalten meist religiöse Anrufungen, in späterer Zeit auch kabbalistische Sprüche, Waffensegen etc., die man auch auf Schwertklingen findet. Unter den gothischen Randinschriften auf Setzschilden und Pavesen findet man häufig die Anrufungen: „Hilf, Maria!“, „Hilf, heiliger Ritter St. Jörg!“, „Hilf, du ewiges Wort dem Leibe hier, den Seelen dort!“, aber auch das kabbalistische Wort „agla“, das sind die Anfangsbuchstaben des Spruches: „Atha Gibbon Leolam, Adonai“, d. h. „du bist stark, Herr in Ewigkeit“; oder dafür auch die Zusammenfassung: „Thetragramathon“, d. h. das durch vier Zeichen (Worte) Aus- gedrückte. Endlich finden sich auch häufig die Namen der heiligen drei Könige. Die Form dieser Setzschilde ist im allgemeinen die eines Parallelogramms, oberhalb mit bogenförmigem Abschlusse mit leichter, konvexer Wölbung. Die Mitte entlang zieht eine auch innen hohl gebildete Ausbauchung, die am Oberrande in einen vorstehenden stumpfen Schnabel oder einer Vorkragung endet. (Fig. 189.) Innerhalb ist das Tragband aus Leder angenietet, unterhalb welchem sich die Handhabe befindet. In einigen deutschen Heerteilen bediente man sich am Anfange des 15. Jahrhunderts statt der Setzschilde der aller- dings besser schützenden, aber schwer transportierbaren Sturm- wände , wie sich eine solche noch im Museum zu Sigmaringen er- halten hat. Nicht selten haben Setzschilde oberhalb Visierspalten oder Gucklöcher, viele sind unterhalb mit eisernen Spitzen versehen. (Fig. 190.) Wir begegnen häufig der Ansicht, dass die Pavese böhmischen Ursprunges sei; diese Annahme ist sehr alt, denn schon in den Zeug- büchern Maximilians von 1519 lesen wir: „Nicht allein auf die teutschen art Ist dises paradeis bewart, Sonnder nach beheimischem syt Tregt man uns gros pavesen mit.“ Zu dieser Annahme wird man durch den Umstand gekommen sein, dass sich die böhmischen Nationalheere wie die meisten anderen, allerdings solcher Schutzwaffen bedienten, aber die Entstehung der Pavesen dürfte sich doch aus früherer Zeit herschreiben. Schon bei den Normanen tritt der Schild unter der Bezeichnung pavois auf, und es scheint nicht unglaubwürdig, dass sich dieser Name von der Stadt Pavia hergeleitet hat, wo nachweislich schon in antiker Zeit eine weit- berühmte Schildfabrik bestand. (Fig. 191.) War der Setzschild die bestimmte Schutzwaffe nur für die Ver- teidigung, so musste man bestrebt sein, auch dem angreifenden Fuss- knecht einen Schutz zu bieten; damit entstand der Handschild , die kleine Pavese . Dieselbe ist meist viereckig, unten zuweilen auch schmäler und besitzt gleichfalls die charakteristische Ausbauchung, die 9. Der Schild. Ecken sind zuweilen abgestumpft, die älteren nicht selten mit Buckeln ausgestattet. (Fig. 192, 193.) Schon im 11. Jahrhundert war das Streben des Reiters dahin gerichtet, die Zügelhand vom Schilde unabhängiger zu machen. Diese Absicht führte dahin, die Schilde und Tartschen um den Hals zu hängen, so dass sie vollständig die Brust bedeckten. Derlei Tartschen sind, wiewohl häufig aus Eisen vorkommend, doch der Mehrzahl nach von Holz, mit Haut überzogen, viereckig, mit abgerundeten Ecken und besitzen in der Mitte einen vorspringenden Grat. Damit das Einlegen des Speeres nicht behindert werde, besassen sie an der rechten Seite einen tiefen Einschnitt, in welchem der Spiessschaft Fig . 191. Armrustschützen im Kampfe, durch Setzschilde ge- deckt. Aus einem Manuscript der königl. Bibliothek in London. Mscr. E. IV. Nach Hewitt. Fig . 192. Handtartsche , sogenannte kleine Pavese, von Holz mit Temperamalerei. Aus den Zeugbüchern Maximilians I. Zeug österr. Land. Platz finden konnte (Fig. 194.). Im Oriente macht sich zu gleicher Zeit eine Umänderung der Form der Reitertartschen bemerkbar. Auch hier werden sie meist von Holz gefertigt, oft bemalt, öfter aber mit ornamentalen Reliefs in Handpressung auf Leder gefertigt und ver- goldet. In der Wahl der Form und in der Tragart aber gingen die Wege auseinander. Eine besondere Art in Ungarn im 15. Jahrhundert üblicher Tartsche ist trapezförmig, mehr konvex gebaut, so dass sie, I. Die Schutzwaffen. über die Brust reichend, auch die linke Seite deckt. Diese Tartschen finden sich nicht allein in den ungarischen, sondern in allen Heeren, welche mehr oder weniger unter dem Einflusse des Orientes stehen, den ungarischen, polnischen, moskowitischen u. a. Sicher trugen auch die Reiter des Königs Mathias Corvinus derlei Tartschen. Die ungarische Garde Maximilians I. führte solche, wie wir aus dem Theuerdank ersehen. Einige Exemplare derselben haben sich noch in den kaiserlichen Sammlungen zu Wien erhalten. (Fig. 195.) Dort, wo diese in Berührung mit den deutschen kamen, merkt man deren Streben, die Vorteile der deutschen mit der orientalischen Form zu Fig . 193. Handtartsche , sogenannte kleine Pavese, von Holz mit Temperamalerei. Aus den Zeugbüchern Maximilians I. Zeug österr. Land. Fig . 194. Brusttartsche für einen Feldharnisch, von Holz, mit Leder überzogen und mit dem Wappen der Stadt Deggendorf bemalt. 15. Jahrhundert, 1. Hälfte. Kais. Museum in Zarskoë-Selo. vereinen; da erhalten die Tartschen an der rechten Seite die Ein- schnitte für die Spiessstange, aber auch die Deutschen führen um die Mitte des 15. Jahrhunderts „ungarische“ Tartschen, die aber durchwegs in Deutschland gefertigt waren. Eine andere Form orientalischer Schilde ist die Adarga (adargue, eigentlich dárake), welche im 13. und 14. Jahrhundert von den Mauren in die spanischen Heere und von da nach Frankreich, 9. Der Schild. Italien und selbst nach England gelangte, wo sie noch bis ins 15. Jahr- hundert in Gebrauch blieb. Die alte maurische Adarga war von starkem, steifen Leder, oval, herzförmig oder auch in der Form zweier sich schneidender Ovale (bivalve). Sie wurde an einem Riemen über die rechte Achsel getragen und in der Linken an einem Faust- griff gehalten. Die vorzüglichsten derlei Schilde wurden in Fez ge- fertigt und es bedienten sich ihrer bis ans Ende des 17. Jahrhunderts noch die Lanzenreiter zu Oran, zu Mellila, zu Ceuta und selbst an der Küste von Granada. Abbildungen derselben finden sich in den Fig . 195. Ungarische Tartsche von Holz, mit Leder über- zogen und bemalt. Aus den Zeugbüchern Maximilians I. Zeug österr. Land. 15. Jahrhundert, 2. Hälfte. Fig . 196. Innenseite einer maurischen Adarga von Leder mit gestickten Arabesken und Inschriften. 15. Jahrhundert, 2. Hälfte. Fresken der Alhambra und in einem treftlichen Stich von M. Schoen, St. Jacob von Campostella. Noch im 18. Jahrhundert erscheint sie in den Waffenspielen der Spanier, den sogenannten „alcancias“. (Fig. 196.) I. Die Schutzwaffen. Die leichten arabischen Reiter, die Deli , d. i. die Wagehälse, führten kleine Rundschilde, im Türkischen kalkán genannt, mit Überzug aus Fischhaut, meist vom squalus cetrina, die entweder rauh belassen oder glatt geschliffen wird, aus Leder nicht selten mit schönen, gepressten Ornamenten; endlich finden sich solche aus dünnen Zweigen aus Feigenholz, welche kreisförmig, konzentrisch angeordnet und mit Silberdrähten und farbigen Seidenfäden derart übersponnen sind, dass sich dadurch geschmackvolle Arabesken bilden. Derlei etwa 60 cm. im Durchmesser haltenden Rundschilde haben ungeachtet ihres subtilen Materiales eine ungemeine Widerstandskraft gegen den Schwerthieb. Die Sarazenen bedienten sich kleiner, handlicher Rundschilde aus Fisch- oder Nashornhaut, die in der Art der Faustschilde ge- tragen wurden. Ihr Durchmesser überragt nie 40 cm. Man findet Fig . 197. Sarazenischer Faustschild eines Fussstreiters aus Nashornhaut, rot gefäbt, mit orientalischen Verzierungen, in Goldfarbe gemalt. Innen mit Faustgriff und Knöchelpolster. Gefunden im Schutte der durch Erdbeben 1822 zu Grunde gegangenen Citadelle von Aleppo. 15. Jahrhundert. Vorderseite, Rückseite und Durchschnitt. sie noch im 17. Jahrhundert und später in Verwendung. (Fig. 197.) Mit dem Aufkommen der Plattenharnische im westlichen Europa änderte sich die Tragweise der Tartschen insofern, als diese nun an die Brust geschraubt wurden. Wir erwähnen nebenher zweier Schildformen des 14. und 15. Jahrhunderts, welche nicht für den Feldgebrauch bestimmt waren, des „alten“ Fechtschildes , der in den Fechtschulen üblich gewesen war. Derlei Schilde sind von Holz, mit Leder überzogen und be- malt; in der Mitte des sehr langen und schmalen Schildes läuft ein hoher Grat entlang, der auch innen ausgehöhlt ist und in welchem eine eiserne Tragstange entlang läuft. Ober- und unterhalb stehen aus dem Schilde lange eiserne Spitzen mit oder ohne Widerhaken hervor, so dass das Ganze eine Länge von 2,5 Metern besitzt. 9. Der Schild. Diese Form ist, wie die gesamte Fechtkunst des Mittelalters, italienisch. (Fig. 198.) Eine andere Schildform ist jene, welche bei den Kampfspielen der jungen Adligen in den Städten Italiens an gewissen Festtagen gebräuchlich war, der italienische Armschild . Derselbe, zugleich Schild und Waffe darstellend, ist von Holz und bemalt. Er ist etwa 60 cm. lang und so schmal, dass er nur den Fig . 198. Fechtschild von Holz, mit Haut überzogen und be- malt. Aus den Zeugbüchern Maximilians I. 15. Jahrhundert. Unterarm deckt, an welchem er getragen wurde. Unterhalb ragt eine kleine eiserne Spitze hervor. Eins der berühmtesten Waffen- spiele war das Giuoco del Ponte zu Pisa. (Fig. 199.) Wie im 11. und 12. Jahrhundert, so stellt sich auch am Beginne des 16. Jahrhunderts in der Kriegsausrüstung deutsche Art der I. Die Schutzwaffen. romanisch-italienischen entgegen; das zeigt sich zunächst in der An- sicht über den Wert des Schildes selbst. Nach der Einführung der Plattenharnische, die, wenigstens anfänglich, bezüglich ihrer Widerstands- kraft sehr hoch angesehen wurden, erschien eine Tartsche überflüssig, zumal Verstärkungsstücke, am Harnische selbst angebracht, weit bessere Dienste leisteten. So verschwinden die Tartschen allmählich in den Reitergeschwadern. Nur Fürsten und vornehme Herren in Deutsch- land, in denen der Geist der Renaissance lebhaft war, fanden es zu einem standesgemässen Auftreten unerlässlich, sich eines italienischen Fig . 199. Italienischer Armschild zu Kampfspielen, von Holz, mit Pergament überzogen und bemalt. Bezeichnet 1542. Vorder- und Rückseite. Rundschildes zu bedienen; damit im Einklange steht die Wahrnehmung einer allgemach kunstreicheren Gestaltung desselben. Im deutschen Heere aber verschwand der Schild; der Reiter fand ihn überflüssig und das Fussvolk, die Landsknechte, hatten keine Hand für einen solchen frei, das Schlachtschwert und die lange Pinne wurde mit zwei Händen geführt und der Schütze konnte sich noch weniger mit einem Schilde belasten. 9. Der Schild. In den Zeugbüchern Maximilians I. heisst es über die Pavesen bezeichnend: „Man fyndt hirin auch pavesen, Stark schon nach vorteil ausglesen. Vor zeiten gepraucht man die mer, E die langen spiess kamen her.“ Anders war es in den italienischen, französischen und spanischen Heeren. In diesen war noch die Fechtweise des 14. Jahrhunderts mit dem Schwerte üblich. Die Italiener folgten hier den Traditionen der Condottieri, die französischen Soldtruppen hielten die Fechtweise der grandes compagnies und der tard-venus für unwiderstehlich und bei den Spaniern hatte sich Schild und Degen gegen die Mauren als der nationalen Art entsprechend bewährt. So finden wir in den ge- nannten Heeren den Rundschild ununterbrochen in Gebrauch. Aber Fig . 200. Armschild mit Stossklinge . Aus den Zeugbüchern Maximilians I. Zeug österr. Land. 15. Jahrhundert, Mitte. auch dieser erfuhr wenigstens teilweise vom Ende des 15. Jahrhunderts an eine Umwandlung in der Form. Wir finden nämlich gegen das Ende des 15. Jahrhunderts bei den Spaniern wie bei den Italienern eine Art Schild, die sich von allen bisher gekannten Formen wesent- lich unterscheidet. Bei den meisten ist nämlich das linke Armzeug mit dem Schilde derart in Verbindung, dass beide Teile gewisser- massen ein Ganzes bilden. Die so gestalteten Schilde wurden all- mählich mit vielen und zuweilen komplizierten Vorrichtungen ausge- stattet, wodurch sie ihren bisherigen Charakter nicht unwesentlich ver- änderten. (Fig. 200.) Zunächst versah man sie mit Spitzen und Klingen, manchmal auch mit sägeförmig tief eingekerbten Klingen, sogenannten „ Degenbrechern “, dann mit einer oder mehreren I. Die Schutzwaffen. Reihen von eisernen Ringen, welche, auf dem Blatte frei stehend, mit diesem nur durch eingenietete Bolzen in Verbindung standen, soge- Fig . 201 a. Italienischer Armschild , sogenannter Laternen- schild , mit Degenbrecher, Stossklinge und Klingenfängerring. 16. Jahr- hundert, 1. Hälfte. Vorderseite. 9. Der Schild. nannte Klingenfänger , bestimmt, die von dem Träger aufgefangene Klinge des Gegners in den Zwischenräumen durch eine rasche Be- Fig . 201 b. Italienischer Armschild , sogenannter Laternen- schild . Rückseite mit dem Handschuh und originaler Laterne. I. Die Schutzwaffen. wegung einzuklemmen und festzuhalten. Endlich finden sich unter diesen Schilden auch solche, welche aus zwei auf geringe Entfernung übereinander lagernden Blättern bestehen. Das obere ist mit vielen Spalten und Löchern versehen, deren Ränder derart schräg laufen, dass bei jedem Stiche die Klinge des Gegners in eine solche Öffnung gleiten muss. Mit einer drehenden Bewegung des Schildes konnte nun die Klingenspitze eingeklemmt werden. Nächtliche Überfälle waren bei den Spaniern und Italienern sehr beliebt, in solchen bestand ein wesentlicher Teil ihrer Taktik. Nicht selten veranstalten sie nächtliche Überfälle, wobei die Hemden über die Harnische ange- zogen, um sich gegenseitig leichter zu erkennen und den Gegner durch den ungewohnten Anblick in Schrecken zu versetzen. Derlei Unternehmungen hiessen die Spanier Camisaden , von dem spa- nischen „camisa“, Hemd. Man wendete sie auch gegen die Türken an. Aus diesem Grunde sind viele ihrer Schilde am oberen Rande mit kreisrunden Ausschnitten für einzufügende Blendlaternen versehen, solche werden Laternenschilde genannt. (Fig. 201 a und b.) Bei den Spaniern führten nur die ersten Reihen der Angreifen- den derlei Schilde, die übrigen trugen entweder nur Faustschilde oder, wenn mit Stangenwaffen ausgerüstet, gar keine Schilde. Von den Spaniern kam der Gebrauch der Schilde im Laufe des 16. Jahrhunderts zu den Niederländern. Diese führten beim Angriffe in ihren vorderen Reihen Rundschilde von einfacher Form. Bei der Zunahme der Wirkung der Feuerwaffen wurden selbe immer stärker und schwerer, um Deckung zu bieten, ja es wurde kein Schild vom Plattner angenommen, der nicht durch sein Kugelmal anzeigte, dass ein Probeschuss, aus einem Halbhaken auf 100 Schritte abge- schossen, keine seine volle Brauchbarkeit beeinträchtigende Wirkung ausgeübt hatte. Ihr Gewicht ist bei einzelnen Exemplaren 9 bis 10 kg. Eine besondere Form eines Schildes, die sich in der Tragart wie im Gebrauche wesentlich von allen anderen Schildformen unterscheidet, erblicken wir in dem sogenannten Faustschild (boce, bocète, ron- delle de poing, ital. brochiero). Wir haben bereits erwähnt, dass derselbe schon im 8. Jahrhundert bei den Byzantinern auftritt, was wieder auf seinen orientalischen Ursprung schliessen lässt. Der Faust- schild, hauptsächlich auf den Einzelkampf berechnet, soll eigent- lich nicht allein vor der feindlichen Waffe eine passive Deckung bieten, sondern auch bei geschickter Handhabung den Schwerthieb ablenken oder parieren. Mit Faustschilden bewaffnete Krieger finden wir schon um 1200, wie auf einem Rufhorn (Olifant), bei Eye I. In französischen Handschriften sehen wir sie häufig abgebildet, wie im bréviaire d’amour der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts, in der National- bibliothek zu Paris und im Tristan um 1260 ebendaselbst. Der Faustschild, anfänglich nur in Italien und der Provence üblich, fand im 14. Jahrhundert auch in Deutschland Eingang, wo er aber aus- 9. Der Schild. schliesslich nur bei Zweikämpfen, dem alten Fusskampf, auftritt. In Italien und Frankreich wird er an einem Haken am Gürtel, häufiger noch am Schwertgriffe geführt, wo er mit dem Handbügel über den Griff gehängt wird. In letzterer Art getragen sehen wir ihn in der Chronik des Froissart in der National- bibliothek um 1440 und in einem Kreu- zigungsbilde des Gerard David in der Berliner Galerie (573). (Fig. 202.) Im 16. Jahrhundert, als die italienischen Fecht- schulen allenthalben mächtigen Einfluss gewannen, kam der Faustschild so sehr in Mode, dass junge Männer jener Zeit denselben an ihren Degengehängen stets mit sich zu führen pflegten. So sehen wir einen jungen Engländer in solcher Ausrüstung in dem Werke des Caspar Rutz von 1557. Rutz, Caspar. Omne pene gentium imagines. 1557. (Fig. 203.) Gegen das Ende des 16. Jahrhunderts verwarfen die venetianischen Fechtschulen den Faustschild gänzlich und bewehrten die linke Hand mit dem Fechtdolch (soge- nannte „Linkehand“), der um den Be- ginn des 18. Jahrhunderts und in dem Augenblicke ebenfalls verschwand, als das Tempofechten in Aufnahme kam, in wel- chem die Degen- oder Parierklinge eben- sowohl den Ausfall als die Parade durch- zuführen hat. (Fig. 204.) Im englischen Heere wurden noch am Anfange des 17. Jahrhunderts Rund- schilde geführt, welche in ihrem Mit- telpunkte eine Schiessvorrichtung be- sassen. In diesem Falle war das Schloss im Inneren des Schildes angebracht und ein kleiner, kurzer Lauf ragte aus dem Schildnabel hervor. Derlei Exemplare werden noch im Tower in London be- wahrt. Vom Beginne des 18. Jahrhunderts kommt der Rundschild im Fussvolke all- gemach ausser Gebrauch, nur in kleinen italienischen Heeren wird er noch bis etwa 1730 geführt, in allen übrigen ist Fig . 202. Kriegsmann in halbem italienischen Harnisch mit geschobenem Schurze und Schal- lern von späterer Form. Derselbe ist mit einem Krummschwerte (Malchus) bewaffnet, an welches der Faustschild gehängt ist. Figur aus einem Temperabilde, dar- stellend die Kreuzigung, vom Anfange des 16. Jahrhunderts. Kunstsammlung im Chorherrn- stifte Klosterneuburg (27). I. Die Schutzwaffen. vollständig verschwunden. In den Memoiren Montecucolis (1712) werden zwar in einem Infanterie-Regimente noch „30 Rundtartschiere“ angeführt, aber diese Angabe bezieht sich auf eine frühere Zeit und auf eine Ausrüstung gegen die Türken, gegen welche Tartschen noch als zweckentsprechend angesehen wurden. Mit welchem erstaunlichen Erfolge sich die italienische Kunst des 15. und 16. Jahrhunderts, die deutsche des 16. sich des Schildes als Fig . 203. Englischer Kavalier mit Degen und Faustschild aus dem Weke von Caspar Rutz von 1557. Nach Hewitt p. 659. Fig . 204. Fechter mit Degen und Faustschild aus dem Werke von Giac. de Grassi. „Ragione di adoprar l’arme“ von 1570 nach V. Gay, Glossaire archéologique. Gegenstand der Ausschmückung bemächtigt hat, werden wir in einem späteren Abschnitte ersehen. Die Reiterei hatte sich der Schilde gleichfalls entledigt; nur bei den moskowitischen Scharen, den ungarischen und polnischen Reitern und jenen der Kroaten werden kleine Rundtartschen selbst noch bis ins 18. Jahrhundert hinein getragen. Heute finden wir sie nur noch bei den afrikanischen Völkern, bei den nomadisierenden Arabern, bei den Indern und den der modernen Kultur noch nicht zugeführten Nationen. 10. Das Pferdezeug und der Pferdeharnisch. Die Abbildungen und Funde belehren uns, dass die älteste Art der Zäumung jene mit der Trense gewesen ist. Dieselbe hatte ziemlich die Form unseres heutigen Wischzaumes, nur erscheint das gebrochene Gebiss viel schärfer und nicht selten spiralförmig gedreht. So waren die Pferde der Steppe gezäumt, welche die barbarischen Krieger aus dem fernen Osten im 5. und 6. Jahrhundert nach Europa trugen. Das Kopfgestell mit den Zügelriemen war dabei das denkbar einfachste und bestand aus ungegerbtem Leder. In den Miniaturen des psalterium aureum des Klosters St. Gallen aus Karolinger-Zeit erscheinen die dargestellten Pferde nur mit der Trense gezäumt. (Fig. 205.) Aber schon um 1050 erschien diese Zäumung für die weit ungebärdigeren Pferde der anglo-normanischen und der nord- Fig . 205. Zäumung eines Pferdes mit der Trense. Aus dem Psalterium aureum von St. Gallen. 9. Jahrhundert. Fig . 206. Zäumung eines Pferdes aus dem Teppich von Bayeux. 11. Jahrhundert, Ende. germanischen Rassen nicht genügend und die Verwendung einer Art Stange (Kandare, branche) erforderlich, welche hebelartig auf die Kinn- lage wirkte, jedoch, wie es scheint, ohne Beigabe einer Kinnkette. (Fig. 206.) In Siegeln von ungefähr 1300 erscheinen die Stangenbäume unter- halb mittelst einer Spange verbunden und auch bereits mit Zügel- ringen ausgestattet. Bis ins 12. Jahrhundert waren die Schilde noch verhältnismässig leicht, so dass der Reiter den Schild halten und die Zügel regieren konnte. So finden wir noch bei den Normanen in dem Teppich zu Bayeux Schild und Zügel frei in der Hand gehalten. (Fig. 207) Später wurde der Schild an den Hals mittelst eines Riemens gehängt, wodurch die Zügelhand entlastet wurde. Im 12. und 13. Jahrhundert waren die Zügelriemen mittelst eines Ringes ver- Boeheim , Waffenkunde. 13 I. Die Schutzwaffen. bunden, welchen der Reiter in der Linken gefasst hielt; seltener sieht man die Riemen in der Gegend des Sattelknopfes in einen Knoten geschlungen. Um 1250 bediente man sich bereits der Zügelketten, die auch bei den Orientalen bis ins 16. Jahrhundert vorkamen. Vom 13. Jahrhundert an beginnen allgemach die Italiener Einfluss auf die Kriegsbewaffnung, die Tracht und auch auf die Dressur und Ausrüstung des Pferdes zu nehmen. Das Reiten wird durch sie zu einer Kunst im allgemeinen Sinne und von dieser Zeit an datieren die bedeutendsten Veränderungen in der Zäumung ebensowohl wie in Fig . 207. Beispiel der Handhabung des Reiterschildes und der Zügel aus dem Teppich von Bayeux. 11. Jahrhundert, Ende. Fig . 208. Reitstange aus geschwärztem Eisen mit eingehauenen Verzierungen, mit Kugelkette und Zungenspielungen. 15. Jahrhundert, Ende. der Sattelung. Schon um 1380 bildet sich die Stange in ihrer heu- tigen Form mit Ober- und Unterbäumen aus, aber mit gebrochenem Gebiss, und als wichtigste Beigabe, wenn auch nicht als humanste, erscheint die Kinnkette. Reitstangen aus der Mitte des 15. Jahr- hunderts besitzen bereits komplizierte Formen. Die Gebisse sind mehr oder weniger gebrochen und mit kleinen eisernen, beweglichen 10. Das Pferdezeug und der Pferdeharnisch. Anhängseln, den sogenannten Zungenspielungen , ausgestattet. (Fig. 208.) Alle diese Bestrebungen nach schärferer Wirkung der Zügel er- klären sich aus dem Umstande, dass sich vom 11. bis ans Ende des 15. Jahrhunderts der Adelige wie der reisige Mann in Deutschland, England und Frankreich nur der Hengste bediente, und sich durch das Besteigen eines weiblichen Pferdes für entehrt erachtet hätte. Die Vorsicht führte im 13. Jahrhundert dahin, die Trensenzäumung mit jener der Stange zu verbinden und für jede einen eigenen Zügel zu führen; dann war der leichtere Trensenzügel von Leder, der Stangenzügel aber war fast ausnahmslos aus einer starken Kette ge- bildet. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts brachten die Italiener das verschnittene Pferd nach Deutschland und Frankreich, das als „geringes“, d. i. leichtes, schon um 1360 im Kriege diente. Die Vorliebe der Adligen für Hengste währte jedoch noch bis ans Ende des 17. Jahrhunderts. Die künstlerische Auszierung der Zäume reicht ins 9. Jahrhundert und noch weiter in die Zeit hinauf; die ersten Vorbilder hierzu kamen aus Byzanz, das in jener Zeit und noch lange nachher für die dekorativen Künste als eine Musterstätte galt. Nach dem Aussterben der Karolinger nahm das Kunstbedürfnis stetig ab, um im 13. Jahrhundert, durch die Kreuzzüge angeregt, wieder zu schöner Blüte zu erwachsen. Von da an finden wir das Streben nach Schönheit im Gebiete der kriegerischen Ausrüstung stetig zunehmen; ihren Höhepunkt hatte sie um die Mitte des 16. Jahrhunderts. Bei den Türken, den Ungarn und Polen hatte sich die Freude an ver- zierten Zäumen bis ins 18. Jahrhundert rege erhalten, aber sie äusserte sich mehr in einem Streben nach äusserem Wert durch Besetzen mit kostbaren Steinen und dergleichen. Eine speziell den Türken und Ungarn eigentümliche Beigabe zum Zaume bilden die Stirnketten und der Dscheleng . Dieser hing als Anhängsel um den Hals des Pferdes. An dem Riemen hängt ein Halbmond oder ein kugelförmiger Metallkörper mit daran hängendem Haarschweife, wozu häufig die Wolle des Yak (bos grunniens), aber auch Frauenhaar benutzt wurde. Diese Anhängsel, im Türkischen Dscheleng, waren ursprünglich eine Aus- zeichnung für die bewiesene Tapserkeit des Reiters nach dem altosmanischen Kanûn-i-teschrîfât, Kanon der Ehrenzeichen, dessen berühmteste Aufzeichnung aus der Zeit Suleimâns des Grossen (Anfang des 16. Jahrhunderts) datiert. Bei den Polen erscheint der Dscheleng auch unter der Bezeichnung Bunczuk (Fahne), ein Name, der für diese Anhängsel auch in andere östliche Heere übergegangen ist. (Fig. 209.) Die Wildheit der Streithengste veranlasste die Verwendung von Maulkörben . Diese Beigabe zum Zaumzeug erblicken wir zuerst im 15. Jahrhundert; die Verwendung ist aber zweifelsohne weit älter. Derlei Maulkörbe gaben den Sporern reiche Gelegenheit, ihre Kunst- fertigkeit zu bethätigen; wir finden darum auch besonders aus dem 13* Fig . 209. Dscheleng oder Halsgehänge eines Pferdes, zur so- genannten „ungarischen Rüstung“ des Erzherzogs Ferdinand von Tirol gehörig, aus vergoldetem Silber, mit starken Eberzähnen geziert. Der Busch besteht aus Yakwolle. 16. Jahrhundert, 2. Hälfte. 10. Das Pferdezeug und der Pferdeharnisch. 16. Jahrhundert die kunstvollst gebildeten Exemplare in durch- brochenem Eisen und mit Auflagen von Messing. (Fig. 210.) Häufig tritt bei Maulkörben und auch bei Rossstirnen das Emblem der Ei- dechse auf, als ein Symbol unschuldiger Gewandtheit. Wir bringen hier ein Beispiel dieses Ausrüstungsstückes. Untrennbar von der Zäumung ist die Sattelung des Pferdes. Die ersten Einwanderer im 5. Jahrhundert kannten den Sattel vielleicht, aber sie benutzten ihn nicht. Sie ritten auf roh gewebten Decken mit erstaunlicher Sicherheit, ohne ein Bedürfnis nach einer bequemeren Ausrüstung zu empfinden. So sitzt auch der sarmatische Reiter auf dem Gefäss aus dem Funde von Gross-Sz. Miklos auf einem ungesattelten Pferde und wir bemerken keine Steig- bügel. (Fig. 133.) Im 8. Jahrhundert ist die Ver- wendung kleiner und auch reichver- zierter Sättel bereits allgemein und auch der Steigbügel ist schon ein Bedürfnis geworden; doch sind die Sättel noch klein und bestehen aus einem Holz- gestelle mit sehr niederen Vorder- und Hinterbögen, erstere ohne Knopf. Über den Sattel wurde eine kleine Decke gelegt. Die Befestigung erfolgte durch eine Bauchgurte, zuweilen auch durch ein Brust- und Hinterzeug. So er- scheinen die Sättel im Codex aureum von St. Gallen. Rahn, J. Rud., „Das Psalterium aureum von St. Gallen“. St. Gallen 1878. Fig . 210. Pferdemaulkorb aus verzinntem Eisen, teils durch- brochen, teils mit Drahtgittern aus- gestattet. Auf einem Bande zeigt sich die Inschrift: „Was got beschert, ist vnerwert“. 2. Hälfte des 16. Jahr- hunderts. Sammlung Franz Thill in Wien. Am Ende des 11. Jahrhunderts hat sich eine typische Form der Sättel bereits herausgebildet; wir sehen diese im Teppich von Bayeux in gleicher Form bei den Sachsen wie bei den Normanen. Es ist ein festes Gestelle mit tief stehendem Sattelknopfe und höherem, in eine Schnecke sich ausbiegenden Hinterbogen. (Fig. 211.) Die Steigbügel sind von mässiger Grösse und halbrund gebildet. Der Sattel mit seinen Teilen besteht aus dem vorderen und hinteren Sattelbogen , dem Sitze , den Seitenblättern , der Decke , den Steigriemen , den Steigbügeln oder Stegreifen , dem Brustriemen , endlich dem Schwanzriemen . Um 1127 erscheinen die Sättel mit tiefem Sitze. Der vordere Sattelbogen ist nach vorn gedrückt und bildet dort eine Schnecke, I. Die Schutzwaffen. der hintere ist gewöhnlich höher gestellt und stark nach rückwärts gebogen, die Decke verbreitert sich nach den unteren Enden zu. Die Befestigung erfolgt mittelst zweier voneinander entfernt stehenden Gurten und schon um diese Zeit tritt der mit Schellen besetzte Brust- riemen auf. Der Steigbügel ist flaschenartig geformt. (Fig. 212.) 1163 ersehen wir zum erstenmal die Steigbügel an Ketten hängend. In dieser Form bleibt der Sattel bis ungefähr 1160, doch noch 1181 sehen wir in einem Siegel einen Reiter ohne Sattel nur auf langer fliegender Decke sitzend. Von ungefähr 1170 an ändert sich der Rückteil des Sattels wesentlich, ersichtlich in dem Bestreben, dem Reiter einen sichereren Sitz zu bieten. Während der vordere Sattelbogen sich nach dem Fig . 211. Gesattelter Hengst aus der Tapete zu Bayeux. 11. Jahrhundert, Ende. Rist zu aufrollt, wird der hintere hoch und breit und erhält zu den Seiten Ausbauchungen (Krippen). Es ist das die älteste Form des Krippensattels , der bis in die ersten Jahrzehnte des 16. Jahr- hunderts im Gebrauch steht. (Fig. 213 und 214.) Schon in einem Siegel des Baudouin Grafen von Guines von 1235 (Fig. 215) sehen wir die flache Rückseite des hinteren Sattel- bogens mit dem Blason des Eigners bemalt, eine Sitte, die sich bis ins 14. Jahrhundert hinein erhielt. (Fig. 216.) Im Laufe des 13. Jahrhunderts wird der vordere Sattelbogen allmählich niedriger und schrumpft zu einem Knopfe zusammen. (Fig. 217.) Die Befestigung 10. Das Pferdezeug und der Pferdeharnisch. ist derart, dass sich die nachbarlichen Gurten unter der Brust des Pferdes kreuzen. Die Steigbügel erhalten eine vollkommen dreieckige Form. Bis 1360 tritt die seitliche Ausbauchung der Krippe immer charakteristischer hervor und wird anfäng- lich zu einem vorstehenden Lappen, später zu einer Schiene, die soweit nach vorn reicht, dass man nicht begreifen kann, wie der Reiter mit den Schenkeln sich zwischen Krippe und dem vorderen Sattel- bogen durchzwängen konnte. (Fig. 218.) Von 1350 etwa an wird der vordere Sattelbogen allmählich wieder höher (Fig. 219), und es wird damit das Bestreben merkbar, durch denselben auch den Bauch und die Schenkel des Reiters besser zu schützen; es ist dies die Form des aus- gebildeten Krippensattels (Fig. 220), welcher um 1520 verschwindet. An Luxus- sätteln des 14. Jahrhunderts sind diese sonst so ausgesprochenen Formen nur Fig . 212. Aragonesischer Steigbügel des 13. Jahrhun- derts. Mauresker Einfluss. Ar- meria Real zu Madrid. angedeutet. (Fig. 221.) Nun erscheint der schwere Küriss- sattel mit breitem Sitzblatte, hohen Vorder- und Hinterbögen und Fig . 213. Aus dem Reitersiegel des Philipp d’Alsace , Grafen von Flandern. 1170. Nach Demay, Le costume au moyen-âge d’après les sceaux. Fig . 214. Aus dem Reitersiegel des Pierre de Courtenay von 1184. Nach Demay. rechteckig geformten Seitenblättern. Eine Eigentümlichkeit dieser Sättel sind die nächst dem hinteren Bogen angebrachten Schenkel- wülste , welche dazu dienten, die Schenkel des Reiters festzuhalten. Der Übergang vom Krippen- in den schweren Kürisssattel charakte- I. Die Schutzwaffen. risiert sich in der in Fig. 222 gegebenen Form von 1523. Die Sattelbogen werden an den äusseren Seiten mit Eisenblech belegt, deren Flächen häufig mit ornamentalen Dessins verziert werden. Die Befestigung wird durch zwei von einander entfernte Gurten bewirkt. Mit dem Auftreten dieser Sattelformen fällt auch die Veränderung Fig . 215. Aus dem Reitersiegel des Baudoin , Grafen von Guines, von 1235. Nach Demay. Fig . 216. Aus dem Reitersiegel des Louis Grafen von Nevers , von 1315. Nach Demay. des Mannsharnisches und die Einführung der übertrieben breiten Eisenschuhe, der „Bärenfüsse“, zusammen; dadurch erhalten die Steig- bügel ebenfalls eine übermässige Breite. (Fig. 223) Um 1510 er- Fig . 217. Aragonesischer Sattel des Königs Jakob I. von Aragonien (1206—1276). Armeria Real zu Madrid. scheinen die geschlossenen Steigbügel , sie kamen aus Italien und hatten anfänglich den Zweck, beim welschen Gestech über das Dill den Vorfuss vor der Planke zu sichern. In diesem Falle hatten sie auch die Form von Schuhen, Bügelschuhe , ital. staffe a gabbia 10. Das Pferdezeug und der Pferdeharnisch. (Fig. 224); später wurde der Vorfuss nur durch ein Gitter aus Eisen- spangen geschützt, um im Falle eines Sturzes nicht mit dem Fusse im Bügel hängen zu bleiben. Hans Kreutzberger nennt sie in seinem Fig . 218. Pferd mit Krippensattel und Hinterzeug mit Hängeriemen nach einem Fresko in der Kirche zu Velemér in Ungarn von 1378, darstellend die Anbetung der Könige. Mitteilungen der k. k. C.-Kommission für Kunst und historische Denkmale in Wien, Jahrg. 1874. interessanten Werke über Zäume und Pferdegebisse von 1572 sonder- barerweise Frauensteigbügel . Fig . 219. Krippensattel von einem schweren Rosszeuge des Kaisers Maximilian I. 15. Jahrhundert 2. Hälfte. I. Die Schutzwaffen. Sowie die Sättel schwerer und plumper werden, ebenso wird der Brustriemen stärker. An der Vorderseite erhält er, was übrigens vereinzelt schon im 15. Jahrhundert und früher vor Augen tritt, eine buckelförmige Metallplatte, welche meist verziert wird. Erst im 16. Jahrhundert finden wir Beispiele der Anwendung von Schwanz- riemen , die durch die Schwere des Sattels bedingt waren. Der Sattel wie das gesamte Pferdezeug war durch das ganze Mittelalter ein beliebter Gegenstand für eine reiche künstlerische Aus- stattung. Bestimmte Beweise hiervon haben wir im Psalterium aureum von St. Gallen um 800, nähere Beschreibungen in den Dichtungen Fig . 220. Krippensattel aus der ehemaligen Sammlung Meyrick. 15. Jahrhundert Anfang. des 12. Jahrhunderts, wie im Nibelungenlied, wo der mit Steinen aus India besetzten Sättel gedacht wird. Im 13. und 14. Jahrhundert bezeugen bereits Dokumente, mit welchem bedeutenden Aufwande von Kunst die Sättel ausgestattet wurden. Rechnung des Hofsattlers Geffroy le Breton für den Connetable von Frank- reich Raoul Comte d’Eu (1336—1339): „Für Monseigneur einen prächtigen Rennsattel, die Bögen vorn und hinten mit verschlungenen Verzierungen von Silber, in Form von Röhren beschlagen und an den Ecken dieser Verzierungen Einfassungen und in der Mitte dieser Bögen ein Liebesgott, in Goldstoff gekleidet, nach dem Leben gebildet, die Hände und Im öffentlichen Verkehre 10. Das Pferdezeug und der Pferdeharnisch. waren je nach dem Stande des Reiters Krippensättel beliebt, welche entweder vollständig mit Elfenbeinplatten in flachen Reliefs belegt waren oder doch teilweise Einlagen von Elfenbein in Holz besassen. Fig . 221. Jagdsattel mit Überzug von rotem Leder, gestickter, kreisrunder Satteldecke und metallenen Steigbügeln. Südfranzösisch. 14. Jahrhundert. Von diesen Sätteln, welche, ganz ohne Sitzkissen, gewissermassen nur der Kopf von Elfenbein und die Flügel von Goldschmiedearbeit. Er hält eine Rolle von Email in der Hand und sitzt auf einer Rasenbank von Samt. Bei dem einen dieser Liebesgötter befindet sich ein Schäfer, bei dem anderen eine Schäferin, beide sind in Goldstoff gekleidet, Köpfe und Hände sind aus Elfenbein und auf dem genannten Wiesenplan sieht man Schafe aus Elfenbein, welche weiden, und dabei einen Hund von Elfenbein. Der genannte Wiesenplan ist auf das schönste mit funkelnden Blumen bestreut. XLV. L. p.“ Demay, G., Le costume au moyen-âge d’après les sceaux. Paris 1880. I. Die Schutzwaffen. das Gestelle darstellen, haben sich noch wenige Exemplare in den Museen erhalten, von welchen das älteste aus dem Ende des 14. Jahrhunderts stammt. (Fig. 225.) Die Mehrzahl derselben ist französisch oder burgundisch, einige besitzen aber auch niederdeutsche Bandinschriften. Die Steigbügel jener spätesten Periode des Krippen- sattels haben eine eigentümliche Form. Sie sind trapezförmig, sehr schmal, mit Riemenblechen und besitzen eine schief gegen auswärts gerichtete breite Trittplatte. (Fig. 226.) Die Kürisssättel des 16. Jahrhunderts erhalten auf den Beschlägen Fig . 222. Schwerer Kürisssattel , blank mit schwarz geätzten Strichen, des Otto Heinrich , Pfalzgrafen am Rhein. Deutsche Arbeit von 1523. der Bögen dekorative Auszierungen gleich jenen, welche wir bei den Harnischen beschrieben haben, die reichsten, welche aus Mailand und Spanien bezogen wurden, Verzierungen in Treibarbeit in Verbindung mit Tausia. Es kommt häufig vor, dass der Sattel in Zeichnung und Technik mit dem Harnische im Einklange verziert ist, somit zur Harnischgarnitur gehört. Ein Beispiel findet sich in der grossen Harnischgarnitur Kaiser Ferdinands I. in der Hof-Waffensamm- 10. Das Pferdezeug und der Pferdeharnisch. lung in Wien, zu welcher jener Rossharnisch gehört, der gegenwärtig im Zeughause zu Berlin bewahrt wird. Etwa um die Mitte des 17. Jahrhunderts erhalten die Sättel für den bürgerlichen Gebrauch, namentlich für ein prunkvolleres Auftreten eine wesentlich geänderte Form. Die hohen Bögen verschwinden allmählich und machen gepolsterten, reich mit Samt oder Seide über- zogenen Kissen Platz, die Schenkelwülste entfallen ganz, der Sitz wird flacher, das Sitzkissen erhält Verzierungen in Stepparbeit und Auszierungen in Soutache. Der Sattel wird wieder erheblich kleiner, ebenso die Satteldecke, welche jedoch immer noch der Gegenstand einer reichen Auszierung bleibt. Die ersten Muster dieser Formen gelangten aus Spanien nach Frankreich und Deutschland. Der Kriegs- sattel aber behält in jener Zeit im wesentlichen die alte Form der Kürisssättel, namentlich in der schweren Reiterei; nur verliert er, in- Fig . 223. Steigbügel zu einem schweren Rosszeuge. Um 1510. Fig . 224. Geschlossener Steigbügel von einem Prunksattel aus der Zeit Kaiser Maximilians II. folge der Ausbildung der Reitkunst, die Schenkelwülste. Leichte Reiterei bedient sich aber schon spanischer Sättel. In keinem Gegenstande der kriegerischen Ausrüstung macht sich der Gegensatz der Anschauungen zwischen dem Orient und dem Occident drastischer geltend, als in der Ausrüstung des Pferdes. Hatte sich im Occident dem Naturell, der Taktik entsprechend die Pferde- rüstung immer schwerfälliger herausgebildet, so sehen wir dieselbe im Oriente leicht und dem Baue des Pferdes angemessener. Die Taktik der Orientalen beruhte immer auf Beweglichkeit und Ausdauer, mehr auf der moralischen Wirkung, als auf jener des physischen Anpralles. Sage wie Geschichte belehren uns, dass der Araber im Kampfe sich in der Regel nicht der Hengste, sondern der Stuten bediente. Die so I. Die Schutzwaffen. zu Tage tretende Vorliebe für ein fügsameres, treues, in längeren Anstrengungen ausdauernderes Reittier ergab sich aus dem beweg- licheren Naturell des Arabers, der Gestaltung seines heimischen Bodens und der darauf beruhenden eigenartigen Kampfweise. In den Kreuz- zügen erhielten die westlichen Europäer zum erstenmal Gelegenheit, die Taktik wie die Ausrüstung der Araber zu beobachten, und scheinen manches bei jenen Gebräuchliche sich zu nutze gemacht zu haben. Gewisse, im östlichen Europa ansässige Nationen, die Tartaren, Russen, Polen, die Stämme des byzantinischen Reiches, die Ungarn, ja bis zu einem gewissen Grade selbst die Böhmen standen in Beziehung auf die Formen der kriegerischen Ausrüstung seit den ältesten Zeiten unter dem Einflusse des Orientes. Fig . 223. Prunksattel , mit Elfenbein belegt und mit figuralen Reliefs reich ausgestattet. Die Darstellungen beziehen sich auf die St. Georgslegende. 14. Jahrhundert, Ende. Nationalmuseum zu Budapest. Von Polen und Ungarn aus fand die orientalische Art der Pferderüstung zuerst in Deutschland Eingang; in Österreich leiten die ersten deutlichen Spuren davon ins 14. Jahrhundert zurück; im 16. Jahrhundert finden wir Zäumungen ungarischer Art bereits in Italien. Die orientalischen Sättel unterscheiden sich von den deutschen durch den Bau der Gestelle. Der deutsche Sattel liegt vollständig 10. Das Pferdezeug und der Pferdeharnisch. auf dem Rücken des Pferdes auf, der orientalische mit breiten Schienen auf den Rippen des Pferdes, während das Rückgrat vollständig frei bleibt. Bei der Lage des Sattels ist eine reiche Unterlage von Filz oder Wolle unerlässlich, wenn das Pferd nicht gedrückt werden soll. Fig . 226. Vorder- und Seitenansicht eines rechtsseitigen Steig- bügels , zu einem Krippensattel gehörig, aus durchbrochenem Eisen. 15. Jahrhundert, Mitte. Im hohen Ansehen im 15. und 16. Jahrhundert standen ihrer ausgezeichneten Lederarbeit wegen die spanischen Sättel. Man unter- Fig . 227. Maurischer Sattel (Barda) mit reichgestickter, samtener Decke. 16. Jahrhundert, 2. Hälfte. Armeria Real zu Madrid. schied damals die Sättel der christlichen Bevölkerung, die gallegas , von den Kriegssätteln der Mauren, die man bardas nannte. Die vorzüglichsten Werkstätten der gallegas waren in Galizien, jene der maurischen Sättel in Cordova und Granada. Die barda besass einen I. Die Schutzwaffen. in stumpfe Spitze aufstrebenden Vorderbogen und den allen arabischen Sätteln gemeinsamen hohen, runden Hinterbogen. (Fig. 227.) Der arabische Sattel ist ein niederer Bocksattel, klein, mit Fig . 228. Arabischer Sattel . Die Vorder- und Hinterstege sind in feiner Lackmalerei geziert, die Seitenblätter sind von Leder, mit Goldfarbe in orientalischem Ornament bemalt, die Unterlage ist aus dickem, braunen Filz. Beutestück aus dem Feldzuge von 1556 gegen die Türken. Fig . 227. Sattel mit silbernen und vergoldeten Stegbeschlägen und Bezug aus rotem Samt, zur sogenannten „türkischen Rüstung“ ge- hörig, welche der kaiserliche Feldhauptmann Lazarus Schwendi (1522—1584) dem Erzherzog Ferdinand von Tirol verehrte. Beute- stück aus dem Feldzuge von 1566. 10. Das Pferdezeug und der Pferdeharnisch. schmalem aber hohen, mit Metall beschlagenen vorderen Bogen, der in einen hoch aufgesetzten Knopf endet; der Sitz ist kurz und schmal, der hintere Bogen ist abgerundet und meist hoch gestellt. (Fig. 228.) Der Sattel der vornehmen Araber und Türken ist immer mit einer reichgestickten Decke (apâji) belegt. Der Bau, ebenso wie die stilistische Ausstattung des türkischen Sattels ist ähnlich dem arabischen, nur in den hängenden Sattelblättern, die an den tartarischen Sattel erinnern, findet sich ein Unterschied. (Fig. 229.) Der tartarische , auch moskowitische Sattel des 15. Jahr- Fig . 230. Tartarischer , auch altrussischer Sattel mit Bezug aus grünem Damast. Die Stege sind mit Fischhaut (Squalus cetrina) belegt. Die Seitenblätter von Rindsleder sind mit orientalischen Dessins bemalt. Beutestück aus dem Feldzuge von 1556. hunderts ist ein sehr hoch gestellter Bock mit hohen Bögen, dicken Kissen und seitlich angebundenen Sattelblättern. (Fig. 230 und 231.) Der alte ungarische Sattel , vom Ende des 15. Jahrhunderts, wie er uns in prächtigen Exemplaren aus dem Besitze Maximilians I. vor Augen gelangt, ist in seiner Bauart ein Mittelding zwischen dem Boeheim , Waffenkunde. 14 I. Die Schutzwaffen. deutschen und arabischen Sattel. Er ist weniger hoch gestellt, der Vorderbogen ist schmal, flach, oberhalb aber hoch, vorgebogen und seitlich zusammengedrückt. Der Sitz ist derart gebildet, dass er von der Höhe des hinteren Bogens bis nach vorne in schiefer Richtung läuft. Der hintere Bogen ist ähnlich dem arabischen, nur bedeutend breiter. (Fig. 232.) Ungarische Sättel wurden im 16. Jahrhundert Fig . 231. Tscherkessischer Sattel mit eisernen Steigbügeln und Bezug von rotem Maroquin mit Silberstickerei. Die Stege, von ge- schwärztem Eisen, sind mit Silbertausia geziert. 18. Jahrhundert. Kaiser- liches Waffenmuseum zu Zarskoë Selo. 10. Das Pferdezeug und der Pferdeharnisch. von deutschen Reitern häufig benutzt, wie denn überhaupt die An- eignung ungarischer und polnischer Formen bis in die neueste Zeit stattgefunden hat, ja sogar die alte türkische Sitte, die Pferde mit mennigroter Farbe zu bemalen, wurde noch am Ende des 16. Jahr- hunderts in Deutchland nachgeahmt. Die später als ungarische be- nannten Sättel leiten sich in ihren Formen nicht so sehr von den alten ungarischen, als von den moskowitischen und polnischen Bock- sätteln her, wie ein Vergleich mit den hier dargestellten Abbildungen von Originalen des 16. Jahrhunderts auf den ersten Blick erkennen lässt. Eine Eigentümlichkeit aller orientalischen Sättel des 16. Jahr- Fig . 232. Ungarischer Sattel aus dem Besitze Kaiser Maximilians I. Sattel und Decke sind aus rotem Leder und mit Gold- farben im orientalischen Stile bemalt. 16. Jahrhundert, Anfang. hunderts bildet die an der linken Seite, unterhalb des Sattelblattes angebrachte scheidenförmige Öffnung für den „Panzerstecher“, der damit zur Pferderüstung gehörte, wie der Säbel oder das Schwert zur Mannesrüstung. Derlei Einrichtungen finden sich auch zuweilen an deutschen Kürisssätteln in der Periode der Türkenkriege der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts. Bemerkenswert erscheint ein Zubehör zur altorientalischen Pferde- 14* I. Die Schutzwaffen. rüstung dadurch, dass dasselbe zur Taktik der Reiterei des Ostens einen deutlichen Beleg bietet: es ist dies die Handpauke (türk. tabl), welche an der rechten Seite am Vorderbogen des Sattels an- gebunden wurde. Die Handpauke finden wir in allen orientalischen Heeren, auch unter den Tartaren und Polen, im Gebrauch, nur im ungarischen konnte der Verfasser bisher kein älteres Beispiel ihrer Verwendung finden. Der Kessel ist gewöhnlich von geschlagenem Kupfer oder Bronze. Unterhalb verläuft sich derselbe in eine stumpfe Spitze, an welcher ein Öhr angenietet ist. An diesem Öhr sowohl als auch am oberen Rande ist die Pauke mit Lederriemen an den Sattel geschnürt. Der Durchmesser des Schlagfelles überschritt selten 25 cm. Um dasselbe vor Nässe zu schützen, wurde es im Marsche Fig . 233. Türkische Handpauke . Der Kessel ist aus Kupfer und vergoldet, der Deckel von Metall, mit schwarzem Leder überzogen und mit Goldfarben bemalt. Dabei der Schlägel. Beutestück aus dem Feldzuge von 1556. mit einem Überzug aus Rindsleder ausgestattet. Viele Reiter be- haupteten, ihre Pauken seien mit Menschenhaut überzogen, deren Ton angeblich eine unwiderstehliche Wirkung auf den Feind üben sollte. (Fig. 233.) In der That war die Handpauke ein ganz vorzügliches Mittel zur Erhöhung der moralischen Wirkung beim Angriffe gegen Truppen, die zum erstenmal orientalischer Reiterei gegenüberstanden. Der ganze mächtige Haufe rückte in allmählich schärfer werdender Gangart unter fortwährendem Schlagen auf die Handpauken an den Gegner; 10. Das Pferdezeug und der Pferdeharnisch. erst auf kurze Distanz von demselben wurden die Säbel gezogen und geschwungen und unter Allahrufen in den Feind eingedrungen. Bevor wir uns wieder der europäischen Pferderüstung zuwenden, sei noch einer eigenen Form von Steigbügeln an orientalischen Sätteln gedacht. Wie wir aus einigen gegebenen Beispielen ersehen, Fig . 234. Steigbügel von Holz und roh bemalt, zu dem tar- tarischen Sattel Fig. 228 gehörig. Fig . 235. Altungarischer Steigbügel aus verzinntem Eisen. waren im Oriente die verschiedensten Bügelformen und selbst solche von Holz (Fig. 234) in Gebrauch, die mehr oder weniger den euro- päischen gleichen. Solche nennt man im Türkischen üzengì (Fig. 235); Fig . 236. Arabischer Steigbügel von Silber. 16. Jahr- hundert, Mitte. der Araber der Wüste jedoch, dessen Füsse nur von weichen Schuhen aus Ziegenleder bedeckt waren, bediente sich von alters her einer eigenen Art von Bügeln, in welchen der Fuss vollständig ruhte. Diese I. Die Schutzwaffen. Steigbügel wurden später auch von den Türken benutzt, von welchen sie unter den Europäern den Namen türkische Steigbügel (türk. sim - rikâb) erhielten. Weder der Araber noch der Türke trug in der Regel Sporen, die Hilfen wurden durch die Steigbügel derart ge- geben, dass die inneren Ecken der Trittbleche in die Weichen des Pferdes gedrückt wurden. Derlei Steigbügel finden sich noch heute an Prunksätteln in der Türkei. Die Führung silberner Steigbügel war nur den höchsten Würdenträgern gestattet. (Fig. 236 und 237.) Unter den Mauren in Afrika und Spanien hatte diese letztere Form nie eine allgemeine Anwendung gefunden. Soviel wir aus den Siegeln des Mittelalters entnehmen können, Fig . 237. Türkischer Steigbügel von vergoldetem Eisen. 17 Jahrhundert. tritt am Beginne des 13. Jahrhunderts das Streben zu Tage, das Pferd vor der Waffe des Gegners durch eine Bedeckung aus einem widerstandsfähigen Materiale zu schützen. Diese Bedeckungen, Parschen (housses) genannt, bestanden aus dickem Leder, Elenhaut oder auch Rindsleder, ähnlich dem Mannsharnisch mit eisernen Scheiben, Ringen und Plättchen besetzt, welche angenietet waren; oft finden sie sich besonders bei Vornehmen auch ohne diesen Belag und mit den Wappenfiguren des Eigners bemalt. In derselben Zeit tragen die Pferde der Vornehmeren Parschen von an Lederstreifen gefädelten Ringen, später auch von Maschenpanzerzeug. Es sind dies 10. Das Pferdezeug und der Pferdeharnisch. dieselben Deckstoffe, welche man für den Haubert und die Brünne verwendete. Die Bedeckung war, bis zu den Sprunggelenken reichend, eine vollständige, so dass nur die Nüstern bis zum Gebiss unbedeckt blieben und zwei Löcher dem Pferde das Sehen gestatteten. Die ältesten Parschen waren ungeteilt und reichten in einem Stücke vom Kopf bis zur Kruppe, an den Flanken waren sie bogenförmig ausge- schnitten, um den Sporen Raum zu lassen. Diese unbequeme Form wurde aber bald geändert und die Parsche in zwei Teile geteilt, jene des Vorderteiles: Vorbug oder Fürbug und jene des Hinterteiles: Fig . 238. Reiter im Haubert und Brünne, mit an Lederstreifen befestigten Ringen verstärkt. Das Pferd, mit Parsche aus gleichem Stoffe und darüber gelegter Lederdecke, ist mit einem schweren Ross- kopfe ausgestattet. Elfenbeinstatuette, im Besitze des Rev. J. Eagles. 14. Jahrhundert, Ende. Nach Hewitt. Gelieger ; dabei blieben die Flanken unterhalb des Sattels ohne Be- deckung. In Siegeln um 1220 erscheinen die Parschen in ihrer ganzen Ausdehnung derart bemalt, dass sich die Blasons des Eigners vorn und rückwärts wiederholen. Die erste Veränderung der Parschenform bestand darin, dass der Fürbug bedeutend abgekürzt wurde, da der schwere Stoff das Pferd im Sprunge behinderte. Fast gleichzeitig mit den Lederparschen treten jene aus Panzerzeug auf, aber anfänglich I. Die Schutzwaffen. nur als Bedeckung des Vorderteiles, weil die ältesten Panzerzeuge noch zu schwer waren. Erst im 14. Jahrhundert findet man Parschen aus Panzerzeug, welche das Pferd vollständig bedeckten. (Fig. 238.) Um die Mitte des 13. Jahrhunderts wird es Gebrauch, die Parschen, vorzüglich jene aus Panzerzeug, mit Decken aus Seide oder feiner Leinwand zu überdecken, welche wie die Lederparschen mit sich repetierenden Blasons bemalt waren. Diese Art steht im Ein- klange mit der Art, die Mannsharnische von einem langen, ärmellosen Kleide, dem „Waffenhemd“, bedeckt zu tragen, die in den Kreuz- zügen ihr Entstehen fand. (Fig. 149.) Von ca. 1267 an findet sich auf dem Kopfe des Pferdes eine dem Zimier des Mannshelmes gleichende Ausschmückung, entweder nur aus Straussfedern oder mit Wappenfiguren: Hirschgestängen, Wappentieren, Ungeheuern u. dgl. Vom 13. Jahrhundert bis zum Ende des 15. Jahrhunderts finden wir die Pferdezeuge, Brustriemen, Sättel, das Gelieger, oft auch das Kopfgestell, mit Schellen geziert. Es steht diese Sitte mit der Tracht des Mannes in Beziehung, die ebenfalls mit Schellen geziert wurde. In der oben angedeuteten Form blieben die Parschen aus Leder oder Panzerzeug als allgemeiner Schutz des Pferdes im Kriege bis gegen die Mitte des 14. Jahrhunderts. Um diese Zeit beginnt die Epoche der vollständigen Plattenharnische; man suchte nun auch den Streithengst durch Eisenplatten zu schützen; damit erscheint der sogenannte „ Rossharnisch “. Die Vervollständigung desselben nahm einen langen Zeitraum in Anspruch. Das erste Stück des Harnisches, die Rossstirne , tritt zuerst um 1300 auf; erst um 1360 wird der Hals mit geschobenen Platten bedeckt, dabei blieb es durch nahezu ein ganzes Jahrhundert. Erst um 1400 kommt als neues Stück des Rossharnisches der sogenannte Fürbug und wenig später das letzte, das Gelieger , hinzu. Der Rossharnisch ist entweder ein schwerer oder leichter , je nach seinem Gewichte, ein voller (Tonnenharnisch) oder ein durchbrochener , je nachdem die Bedeckung durch Eisenplatten vollständig den Pferdekörper umhüllt oder nur aus einzelnen Platten und Schienen besteht, welche den Pferdekörper nur teilweise be- decken. Noch vor jener Periode, in welcher der Rossharnisch vollständig ausgebildet ist, tritt der Rosskopf, welcher den Pferdekopf bis an den Hals gleich einer Larve vollkommen einhüllt, auf. Wir bringen hier ein Beispiel vom Ende des 14. Jahrhunderts an einer Elfenbeinskulptur, an welcher wir auch die Form einer Parsche ersehen und zu deren Lederdecke wir uns nur ein gemaltes heraldisches Muster hinzuzu- denken haben. (Fig. 238.) Ein schwerer Rossharnisch besteht aus folgenden einzelnen Teilen: Der Rosskopf bedeckt den Kopf des Pferdes rückwärts und bis zu den 10. Das Pferdezeug und der Pferdeharnisch. Nüstern vollständig. Die Ohren stecken in röhrenartigen Muscheln , die weiten Augenlöcher , zumeist von Augendächern bedeckt, sind entweder offen oder mit buckelförmig vortretenden Gittern be- deckt. (Fig. 239.) Auf der Stirne ist entweder ein Stachel ange- bracht oder ein Wappenschild aufgenietet. An den festen Teil schliesst sich oberhalb eine breite Folge, die mit dem Halsstück (‚Kanz‘) in Verbindung steht. Der Kanz deckt entweder nur den Kamm allein, dann ist er mittelst geschienter Riemen an den Hals gebunden, oder Fig . 239. Schwerer Rosskopf , von einem Maximiliansharnische, mit vergitterten Augenlöchern. Deutsch, um 1515. er deckt den Hals in breiten Geschüben vollständig (‚ganzer Kanz‘); immer aber ist er mit der letzten Folge an den Sattel geschnallt. Dicht daran schliesst sich, die Brust deckend, der Fürbug , aus einem Stück bestehend und gleichfalls durch starke Riemen an den Vorderbogen des Sattels befestigt. Zu den Seiten befinden sich häufig buckelsörmige Auftreibungen, die sogenannten Streifbuckel . Der vordere Teil wird häufig verziert und zur Darstellung von Wappen I. Die Schutzwaffen. oder Devisen des Eigners benutzt. Der Rückenteil des Pferdes wird durch das Gelieger bedeckt, welches am Rückteil des Sattels an- geschnallt wird. Man unterscheidet hier die Seitenteile. Taschen vom Kruppteile. Ist das Gelieger ein volles, dann ist der Pferde- schweif meist unterhalb desselben; ist dasselbe rückwärts geteilt, dann ist er ausserhalb und aufgebunden. Auf dem höchsten Punkte des Geliegers, etwa oberhalb des letzten Brustwirbels wird häufig ein ge- stielter Knopf aufgesetzt, der nur eine dekorative Bedeutung hat. Fig . 238. Schwerer Rossharnisch Ferdinands , Herzogs von Alba, gefertigt von Desiderius Colman zu Augsburg 1551. Aus einem Bildcodex: Musterbuch eines augsburgischen Ätzmalers in der königl. öffentl. Bibliothek zu Stuttgart. Cod. mil. 24. Die Zügelriemen werden durch geschobene Platten, Zügelbleche , verstärkt, die Weichen oder Flanken bleiben in der Regel unbedeckt (Fig. 240.) Ein derart geharnischtes Tier wird ein geliegertes Ross ge- genannt; leichtere Harnische wurden anfänglich weniger für das Feld, 10. Das Pferdezeug und der Pferdeharnisch. als für den gewöhnlichen Gebrauch und bei festlichen Gelegenheiten benutzt. Bei solchen ist der Kopf nur durch eine ganze Rossstirne ge- deckt (Fig. 241), welche nicht über die Genaschen reichte; der Fig . 241. Leichte Rossstirn mit getriebe- nen Verzierungen auf ge- schupptem und vergolde- tem Grunde. Armeria Real zu Madrid. Kanz deckte nur den Kamm, der Fürbug war schmäler und das Gelieger bestand oberhalb nur aus Schienen, an welchen seitlich breite Taschen hingen. (Fig. 242.) Um 1515 bestand die Einrichtung in den Kürisser-Regimentern, dass die Kürisser auf schwer geliegerten, die reisigen Knechte aber auf leicht geliegerten Hengsten ritten. Auch wenn das Ross ungeliegert war, pflegte man an die Stirn desselben eine halbe Rossstirne zu schnallen, die nur bis zu den Augen reichte und das Nasenbein bis zur Hälfte deckte. (Fig. 243.) Selbst die Esel und Maultiere des Trains wurden mit Eisen- stirnen ausgerüstet, eine solche Eselstirne findet sich in der Sammlung Fr. Thill in Wien. Versuche des Plattners Lorenz Helm- schmied in Augsburg um 1480, das Streitross vollständig am Bauche und bis an die Fes- seln der Hufe zu decken, fanden der Schwie- rigkeit der Fertigung halber keine allgemeine Nachahmung. In einem kleinen Ölbilde von 1480 in den k. k. kunsthistorischen Samm- lungen zu Wien ist der Harnischmeister des Erzherzogs Maximilian, Junker Albrecht, auf einem derartig in geschlossenem Gelieger geharnischten Pferde reitend darge- stellt. Leber., Wiens bürgerl. Zeughaus. Jahrbuch d. k. k. kunsthist. Museen, VIII. Band. Gegen die Mitte des 16. Jahrhunderts treten für Zwecke der Repräsentation bei Festlichkeiten Pferdezeuge von besonderer Ausstattung und Zierlichkeit, sogenannte Ca- perationen , auf, von welchen selbst die aus Plättchen und Partikeln von Blech gebildeten nicht eigentlich unter die Pferdeharnische zu reihen sind. Sie sind zumeist in schönem Dessin durchbrochen. Die einzelnen beweglich verbundenen Blechstücke sind mit Samt oder Seide überzogen, oft gestickt oder mit Soutachierungen in Gold oder Silber geziert. (Fig. 244). Eine charakteristische Beigabe zu den italienischen Caperationen ist in dem Schweifbunde zu sehen, der in einer ledernen, oft auch mit Samt überzogenen Hülse besteht, die um den Pferdeschweif I. Die Schutzwaffen. gelegt und sodann mit Seidenschnüren zugeschnürt wird. Sein Zweck war, den Schweif von den Exkrementen rein zu erhalten. (Fig. 245.) Gewöhnlich ist derlei Pferdezeugen des 16. Jahrhunderts noch ein Ring für den Streitkolben an der linken, und die Hülse für den Schaft eines Fähnleins an der rechten Seite beigegeben. Solche Caperationen gelangten vorzugsweise von Mailand aus nach Deutschland und Frankreich. Doch auch Parschen von Leder und Panzerzeug kommen bis ans Ende des 16. Jahrhunderts noch zur Anwendung. Karl V. benutzte solche häufig und auch Erzherzog Fig . 242. Reicher Rossharnisch mit den getriebenen Dar- stellungen der Thaten Samsons und Herkules. Die mit Samt unter- legten, durchbrochenen Folgen sind reich mit Goldätzung geziert und mit Fransen und Quasten besetzt. Der geharnischte Reiter zeigt das Bildnis Kaiser Maximilians I. Der Helmschmuck, ein Pfauenstoss, wurde weggelassen. Die Abbildung wurde einem Bildcodex aus der gräfl. Thunschen Fideikommissbibliothek auf Schloss Tetschen in Böhmen entnommen, welcher sich als das Musterbuch eines Augs- burger Plattners darstellt. Um 1510. 10. Das Pferdezeug und der Pferdeharnisch. Karl von Steyermark besass eine ganz besonders reich ausgestattete. Eine Parsche aus Nashornhaut vom Anfange des 16. Jahrhunderts, ganz in der Form eines eisernen Geliegers, hat sich noch erhalten und findet sich in der Armeria Reale zu Turin. (B. 2.) Lederparschen, mit Ringen benäht, aus dem Besitze des Erzherzogs Ferdinand von Tirol, sind noch zur Stunde in den kaiserlichen Sammlungen zu Wien vorhanden. Solche Parschen späterer Zeit kennzeichnen sich dadurch, dass sie aus vielen einzelnen Teilen bestehen und so kurz geschnitten sind, dass sie die Beine des Tieres vollständig unbedeckt lassen. Fig . 243. Halbe Ross- stirn , sogenannte Klepperstirn, von einer Harnischgarnitur König Ferdinands I. mit geätzten und vergoldeten Rändern. Auf dem Stirnschildchen findet sich der österreichische Bindenschild und die Jahreszahl 1549. Deutsche, vermutlich Augsburger Arbeit. Mit dem Beginne des 17. Jahr- hunderts verschwinden die Pferdehar- nische allmählich aus den Heeren der- art, dass man die einzelnen Teile ausser Gebrauch setzt, zuerst das schwere Ge- lieger, dann den Kanz, den Fürbug, endlich bei den Kürassieren auch die Rossstirne. Von der ganzen Beklei- dung des Pferdes blieb nichts übrig, als der Brust- und Schweifriemen, bei schweren Pferden noch ein Gelieger- zeug aus Riemen, das den Hinterteil vollständig umfasste. Leichte Pferde trugen am Brustriemen und an der Kruppe ein Zeug aus schmalen Häng- riemen, eine uralte Sitte, die aus dem Orient stammt und direkt von den Ungarn angenommen wurde. Im 18. Jahrhundert war die Sattel- decke, Echabraque , ein Hauptgegen- stand der Verzierung, bei den Deut- schen mehr rechtwinkelig geschnitten, bei den Ungarn nach rück- wärts im spitzen Winkel endigend. Man findet sie in allen Farben, meist aus Samt oder Tuch gefertigt und aufs reichste mit Gold und Silberstickereien geziert. Der Gebrauch, das Pferd durch geschlagenes Eisen zu schützen, ist im Orient weit älter als in Europa, aber niemals hatten die Orientalen sich soweit verirrt, Pferdeharnische zu benutzen, welche der Kraft des Pferdes nicht entsprechen und die Beweglichkeit des- selben beeinträchtigt hätten. Rossstirnen arabischer Herkunft treten uns in Sammlungen schon aus dem 16. Jahrhundert herrüberragend vor Augen, ihr Gebrauch reicht jedoch, wie erwähnt, viel weiter in die Jahrhunderte hinauf. Bemerkenswert ist ihre elegante Form und stilvolle Ausschmückung. (Fig. 246). Auch solche Formen, welche unter die Rossköpfe zu reihen sind, finden sich noch aus älterer Zeit, sie unterscheiden sich von den europäischen vorteilhaft durch ihre I. Die Schutzwaffen. Geschmeidigkeit und Nachgiebigkeit. (Fig. 247.). Der übrige Teil des orientalischen Pferdeharnisches (türkisch Gejm) besteht zumeist aus kleineren, dünnen, meist reich in Gold gezierten Platten, welche unter sich durch Streifen aus Maschenpanzer verbunden sind. Häufig besitzt derselbe eine Unterlage aus gewebten Stoffen, Damast u. dgl. Fig . 244. Prunkharnisch und Caperation des Erzherzogs Ferdinand von Tirol in getriebener Arbeit mit reichen Verzierungen in Tausia. Gefertigt 1560 von dem Waffenschmiede Giovanni Battista Serabaglio in Mailand. Aus einem gleichzeitigen Bildcodex in den kunsthist. Sammlungen des österreichischen Kaiserhauses in Wien. oder wenigstens eine Verbrämung aus kostbaren Stoffen. Orientalische Pferdeharnische wurden noch am Beginne des 18. Jahrhunderts in den Kriegen verwendet. 10. Das Pferdezeug und der Pferdeharnisch. Fig . 245. Schweifbund von der Caperation des Erzherzogs Ferdinand von Tirol . Fig. 244. 1560. Fig . 246. Persische Rossstirn mit geätzten und vergoldeten Verzierungen und Inschriften. Museo Poldi-Pezzoli in Mailand. Fig . 247. Arabischer Rosskopf , aus sechs Platten bestehend, welche durch Streifen aus Panzergeflecht verbunden sind. Museo Poldi- Pezzoli in Mailand. 11. Der Sporn. Unter den Kriegsgeräten hat der Sporn mit dem Aufnehmen des feudalen Wesens eine über seine praktische Bestimmung hinausgehende Bedeutung als Zeichen der ritterlichen Würde erlangt, das nur demjenigen zu tragen zustand, der Recht und Pflicht hatte, im Sattel zu sitzen, gegenüber dem Hörigen und Unfreien, der im Heere zu Fuss diente. Der Sporn, wenn auch bereits bekannt, scheint zu den Zeiten der Karolinger noch nicht allgemein üblich gewesen zu sein, wenigstens finden wir ihn in den Miniaturen aus jener Zeit, wie im Codex aureus, noch nicht in Gebrauch. Wenn man jedoch bisher ange- Fig . 248. Steig- bügel und Sporn eines französischen Befehls- habers. Nach Malereien in einem Manuscripte der 2. Hälfte des 11. Jahr- hunderts in der National- bibliothek zu Paris. Nach Jacquemin. nommen hatte, dass die Sporen, welche an- fänglich mit zugespitzten, stachelförmigen Hälsen erschienen, erst im 14. Jahrhundert Rädchen erhielten, so hat dagegen ein schon 1639 zu Mailand in dem Grabe Bernhards, des Königs von Italien, (gest. 811) gemachter Fund das Gegenteil bewiesen, indem man in selbem bereits ein Paar Sporen aus Messing mit kleinen Räd- chen an den Hälsen gefunden hatte. Das war aber zweifelsohne nur eine vereinzelte Ausnahme gewesen. Denn alle bildlichen Zeugen vereinigen sich dahin, dass die ersten mit kurzen, spitzen Hälsen ausgestatteten Sporen unter den späteren Karolingern allgemein in Gebrauch kamen und dass erst um das Ende des 13. Jahrhunderts, anfänglich bei Vornehmen, Sporen mit Rädern üblich werden. Sporen mit Stachelhälsen wer- den bei den Franzosen Elsterschnäbel, becs de geai, genannt und erschienen unter dieser Be- zeichnung noch 1335, während in dem grosssen Reitersiegel Herzog Rudolfs IV. von Österreich von ca. 1358 dieser Fürst bereits Sporen mit grossen, bizarr geformten Rädern an den Füssen trägt. Ein Merkmal des Alters eines Stachelspornes giebt, wenn nicht stilistische Formen einen näheren Anhalt bieten, allein die Richtung der Bügel und deren Riemenöhre. Die Bügel erscheinen im 11. Jahrhundert noch geradelaufend oder nur wenig gebogen mit ein- fachen, roh gebildeten Öhren, während sie schon im Anfange des 12. Jahrhunderts nach aufwärts geschwungen sind, damit die Hälse im Gehen nicht auf den Boden schleppen. (Fig, 248.) Damit im Zusammenhange steht das Bestreben, die Hälse nach aufwärts zu 11. Der Sporn. biegen. (Fig. 249, 250.) In jener Periode, als man noch die Füsse mit Panzerzeug schützte, besassen die Sporen zuweilen besondere Formen. Man nietete nämlich den Stachel in eine Scheibe von Eisenblech, welche nach der Form der Ferse ausgetrieben, mit Löchern versehen und mittelst dieser durch starke Hanffäden oder Leder- streifen an die Ringe des Panzerzeuges befestigt wurde. Ein solcher Fig . 249. Sporn aus dem Grabe des Königs Bela III. von Ungarn (gest. 1196) zu Stuhlweissenburg. Nach einer Zeichnung in den Mitteilungen der k. k. C.-Kommission, Bd. 11. Fig . 250. Sporn aus dem Grabe Kasimirs des Grossen (gest. 1370) in der Kathedrale zu Krakau. Nach einer Zeichnung in den Mitteilungen der k. k. C.-Kommission, Bd. 15. Sporn wird in der Sammlung W. H. Riggs bewahrt. (Fig. 251.) Im 9. Jahrhundert sitzt der Stachel noch ohne Hals auf dem Bügel, im 10. Jahrhundert erscheint er gegliedert und von da an giebt Fig . 251. Stachelsporn . Der Hals ist auf eine Eisenschiene genietet, welche durchlöchert, mittelst Tiersehnen auf den Fersenteil der Eisenhose genäht wurde. 13. Jahrhundert, Anfang. Aus der Sammlung W. H. Riggs. Nach Viollet-le-Duc. Fig . 252. Sporn mit nach abwärts gerichtetem Halse, in Tausia geziert. Italienisch. 16. Jahrhundert, Ende. Museum zu Zarskoë-Selo. zuweilen der Stil der Gliederung einen sicheren Anhaltspunkt für das Alter des Sporns. Im 13. Jahrhundert erhält der Bügel oberhalb des Halses einen kleinen Ansatz zu dem Zwecke, um zu verhüten, dass der Hals Boeheim , Waffenkunde 15 I. Die Schutzwaffen. beim Gebrauche nach aufwärts gegen die Achillessehne schlage. Diese Form erhält sich mit einigen Veränderungen bis ins 16. Jahrhundert hinein. Schon in der 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts wird es unter den Vornehmen Sitte, die Sporen zu vergolden und selbst mit Emails auszustatten, wie überhaupt, was die künstlerische Gestaltung und Auszierung betrifft, der Sporn bis ins 17. Jahrhundert als ein von der Kunst reich ausgestatteter Gegenstand erscheint. In älterer Zeit und bis etwa ins 14. Jahrhundert ist der Sporn bei den Orientalen nicht selten, er erscheint als gerader, ziemlich Fig . 253. Sporn von geschnittenem Eisen, teilweise vergoldet. Italienisch. 16. Jahrhundert. langer Stachel mit kugelförmigen Ansätzen am Halse und selbst mit kleinen Scheibchen. Namentlich steht er bei den Mauren in Ge- brauch. Bei den östlichen arabischen und türkischen Völkern kommt er seltener vor, weil die breiten Steigbügel denselben ersetzen. Fig . 254. Gotischer Sporn aus geschnittenem Eisen, teilweise durchbrochen gearbeitet und verzinnt. 15. Jahrhundert, Ende. Die Länge des Halses ist für den Gebrauch keineswegs gleich- giltig. Je länger der Hals, desto weniger kommt der Reiter bei der Spornhilfe aus der Anlehnung der Waden. Auch die Sattelform hat auf die Länge des Halses Einfluss, besonders aber die Bekleidung des Beines vom 13. Jahrhundert an. Aus dieser Ursache benötigten schon die mit Panzerbeinkleidern Gerüsteten des 13. Jahrhunderts noch mehr aber die mit Beinschienen ausgestatteten Reiter des 15. und dem Anfange des 16. Jahrhunderts, Sporen mit sehr langen 11. Der Sporn. Hälsen, weil die Kniebuckel eine nur beschränkte Bewegung des Unterschenkels gestatteten. Später, als das Beinzeug beweglicher ge- staltet wurde, und als man sich häufig nur halber Harnische bediente, wurden die Sporenhälse wieder kurz, ja in Italien sitzen die Räder oft knapp an den Bügeln und sind die Hälse nicht selten nach ab- wärts gerichtet. (Fig. 252 und 253.) Die beweglichen Spornräder erscheinen vom 14. Jahrhundert an in den verschiedensten, vom Kunststile der Zeit beeinflussten Formen, ebenso häufig als am Rande gezackte Scheiben wie als Sterne. Von der Zahl der Spitzen an letzteren auf das Alter des Sporns schliessen zu wollen, würde zu Irrungen führen. Man findet in der Zahl der Spitzen gerade im 14. Jahrhundert die grössten Verschiedenheiten. Von der Mitte des 15. Jahrhunderts am Ausgange der gotischen Kunstperiode findet sich häufig der Stern mit 6 dünnen Spitzen, er ist für die Zeit charakte- ristisch. (Fig. 254.) In Burgund wird es unter Karl dem Kühnen Sitte, an den Spornhälsen bewegliche Buchstaben als Anhängsel zu Fig . 255. Sporn aus durchbrochenem Eisen und gehauenen Ver- zierungen. Auf dem Stege liest man die Inschrift: „pomny na mye ma myla wyerna pany“ (Gedenke mein, meine liebe, getreue Gattin). Auf dem Beschläge des Schnallenriemens erblickt man ein gekröntes gotisches Monogramm, das bisher nicht gedeutet ist. Um 1450. tragen, welche in ihrem Zusammenhalte irgend einen Spruch, eine Devise oder religiöse Anrufung darstellten. Diese Mode leitet sich von einer älteren her, an den Spornhälsen Schellen zu tragen. Von der Mitte des 14. Jahrhunderts ab finden sich an den Bügelenden im Scharnier laufende Riemenöhre, deren Anfänge und allmähliche Ausbildung man schon vom 13. Jahrhu n dert an verfolgen kann. Vom 15. Jahrhundert erscheinen die Sporen mit durchbroche- nen Dessins in schöner Zeichnung, auch das hatte seine praktische Ursache: um sie leichter zu machen. (Fig. 255.) Von der Mitte des 15. Jahrhunderts an steht nicht selten der Sporn unmittelbar mit dem Eisenschuh an der Ferse derart in Ver- bindung, dass der Hals ohne Bügel an das Fersenblech genietet ist. An den meisten derartigen Harnischen in den Museen und Samm- 15* I. Die Schutzwaffen. lungen sind die Sporen weggebrochen, aber die noch sichtbaren Niet- löcher zeigen ihr einstiges Vorhandensein an. Seit dem 15. Jahrhundert wurde in den meisten Fällen der Sporn unter dem Eisenschuh an Riemen befestigt. Das Beinzeug besitzt zu diesem Zwecke an der Ferse tiefe Ausschnitte, aus welchen der Spornhals hervorragt. In der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts trifft man die unterschiedlichsten Arten des Anlegens der Sporen am geharnischten Fuss, auch oberhalb des Eisenschuhes angeschnallte Sporen zählen nicht zu den Seltenheiten. Fig . 256. Sporn aus Eisen mit drei vertikal übereinander stehen- den gezahnten Rädern. Polnisch. 17. Jahrhundert. Museum zu Zarskoë-Selo. Die Beriemung des Spornes bestand aus dem unter der Sohle durchlaufenden Stegriemen und den über den Rist laufenden Schnallenriemen . Im 15. Jahrhundert begegnet man auch doppel- Fig . 257. Schwerer Kutschenreitersporn von Messing mit drei Hälsen und sternförmigen Rädern. Deutsch. 17. Jahrhundert. ten Stegriemen, oder selbst doppelten Kettchen mit Trittspangen, weil Lederriemen leicht abgetreten wurden. Ein charakteristisches Merkmal für das Alter der Sporen geben die Formen der Riemenöhre. Die ältesten Exemplare haben an den Bügelenden nur ein Öhr, an welches mittelst Ringen mit dem Steg- riemen auch der Schnallenriemen befestigt wurde. Vom 13. Jahr- 11. Der Sporn. hundert an kommen bereits zwei Öhre vor, die übereinander, häufiger aber hintereinander stehen. Das vordere diente immer für den Steg- riemen. Im 15. Jahrhundert bildete man die Riemenansätze mittelst Beschlägen, die in Scharnieren laufen. Für den Stegriemen wird ein eigener Ansatz an den Bügel gebildet, der öfter zur Bügelrichtung im Winkel gebrochen erscheint. Im 17. Jahrhundert kamen bei den Moskowitern und Polen Sporen mit 2 bis 3 Rädern vor, die Formen sind meist plump und unschön. Den Reitern erschienen sie jedoch martialisch und sie be- dienten sich daher derselben mit Vorliebe. (Fig. 256.) Als man allgemein anfing, den Sporn auf der gewöhnlichen Fussbekleidung aus Leder zu tragen, wurde der Schnallenriemen über den Rist breiter gemacht, um ein schmerzendes Drücken des Fusses zu verhüten. Aus gleicher Ursache erhalten im 17. Jahrhundert die Schnallenriemen vierseitig geschnittene Auflager aus starkem Leder, durch welche sie hindurchlaufen. Diese Art der Beriemung hat sich auch noch bis in die neueste Zeit erhalten. In den Sammlungen finden sich zuweilen äusserst bizarr gestaltete Sporen, zumeist aus Messing mit zwei und selbst auch drei Hälsen mit mächtigen Rädern. Derlei Formen dienten nie für den Gebrauch im Kriege, es sind sogenannte Kutschenreitersporen , welche an den schweren Kutscherstiefeln angeschnallt getragen wurden, die dem Reiter eine nur sehr beschränkte Bewegung mit den Füssen ge- statteten. Solche Sporen wirkten schon bei einer nur geringen An- lehnung des Fusses an die Weichen des Pferdes. (Fig. 257.) Die Handwerkszeichen der Plattnerfamilie Missaglia . Relief im Hofe des Hauses derselben in der Via degli Spadari zu Mailand. Um 1380. II. Die Angriffswaffen . A. Die blanken Waffen . 1. Das Schwert. D as Schwert ist ein ehrwürdiges Vermächtnis aus dem Altertum, seine Erfindung reicht weit über unsere geschichtliche Kenntnis zurück; wir haben es jedoch hier nur mit seinen ersten Formen im Mittelalter zu thun und mit den Wandlungen, welche dieselben bis in die Neuzeit erfahren haben. Wir verstehen unter der Bezeichnung Schwert im allgemeinen eine Blankwaffe, welche mit gerader, ein- oder zweischneidiger, spitziger oder abgestumpfter Klinge zum Hieb oder Hieb und Stich am Griffe derart geführt wird, dass der Daumen am Ansatz der Klinge, der kleine Finger am Knaufe ruht. Strenge genommen gehörten somit alle geraden Klingen mit säbelartiger Montierung, wie die französischen Reitersäbel zum Stoss oder die sogenannten Pallasche, die polnische Karabela hierher; ihre ganz verschiedene Montierung aber reiht sie zu den Säbeln, mit denen sie in der Ausstattung übereinkommen. Ohne die späteren Beigaben am Griffe, deren wir am betreffen- den Orte gedenken, zu berücksichtigen, unterscheiden wir den Knauf , das Griffholz und die Parierstange . Die Klinge, mit einem schmalen Fortsatze aus weicherem Eisen, der sogenannten Angel , vom Griffe gehalten, ist entweder einschneidig messerförmig oder zweischneidig, mit abgerundetem oder spitzem Ende. Sie ist, wenn wir ihren Querschnitt ins Auge fassen, flach, kolbig oder mit Grat, mit Hohlschliff oder mit mehreren schmäleren Rinnen, sogenannten Blutrinnen ausgestattet. Der Hohlschliff hat immer den Zweck, die Klinge im Gewichte zu erleichtern. Man muss in der Beurteilung der Waffenformen immer festhalten, dass deren Entwickelung nicht von einem territorialen Punkte aus- A. Blanke Waffen. 1. Das Schwert. gegangen ist, sondern gewissermassen von zwei Zentren, deren als Grenzen des Einflusses gedachte Kreislinien sich berühren und oft überkreuzen. So ist es auch in der Ausbildung der Schwertformen, es stehen sich da zwei voneinander unabhängige kulturelle Bewe- gungen gegenüber, von denen die eine ihren Anstoss in der römi- schen Antike, die andere vom Oriente her erhalten hatte. Die erstere ist von einer absterbenden Kultur ausgegangen, sie ist einfach, selbst schwerfällig und führt erst nach Jahrhunderten zu einer feineren Durchbildung. Die letztere ist das Ergebnis eines mächtigen Aufstrebens und gelangt in überraschend kurzer Zeit zu Fig. 258. Kurzschwert , parazonium, gallischen Ursprungs aus vormerowingischer Zeit. Gefunden bei Sesto-Calende. Archäol. Museum der Akademie in Mailand. Nach Viollet-le-Duc. Fig. 259. Formen des Sax ältester Zeit. Nach Beck, Geschichte des Eisens. einer ausserordentlichen Entwickelung, mit der sie zu verschiedenen Perioden den ganzen Occident beeinflusst. Wenn wir zur Beurteilung der Schwertformen zunächst die der Klinge ins Auge fassen, so müssen wir vorerst bemerken, dass sie von der Ausbildung der Technik wesentlich abhängig war. Wir finden demnach in den Händen der Völker am Ausgange der an- II. Die Angriffswaffen. tiken Periode durchweg nur das Kurzschwert, das in mancher Be- ziehung dem Parazonium der Alten ähnlich ist. (Fig. 258.) Von Italien und Spanien bis in den Norden hinauf finden sich die Schwerter, welche Gräbern des 4. und 5. Jahrhunderts entstammen, mit kurzen Klingen von ganz ähnlichen Formen, eine Beobachtung, die sich auch auf die Griffe erstreckt. Die durchschnittlich 45 cm. lange, meist kolbige, zweischneidige Klinge verbreitert sich gegen Fig. 260. Langsax . Nach Beck, Geschichte des Eisens. Fig. 261. Scramasax . Nach Beck, Geschichte des Eisens. Fig. 262. Fränkisches Kurzschwert (Scramasax). Die ein- schneidige Klinge misst 34 cm. Länge und 7 cm. Breite. Der 17.25 cm. lange Griff ist nahezu ganz zerstört. Die Lederscheide besitzt an der Schneideseite eine Verbreiterung, von der aus das Schwert an dem Gürtel befestigt wurde. Grabfund vor dem Burgthore in Andernach. Rhein. Provinzialmuseum in Bonn. Nach C. Koenen, in den Jahr- büchern des Vereins von Altertumsfreunden im Rheinlande 1888. A. Blanke Waffen. 1. Das Schwert. das 2. Drittel der Länge, um die Hiebwucht zu vergrössern und läuft spitz gegen das Ende zu. Unter den Germanen, die das Schwert im gewöhnlichen Sinne erst von den Römern übernahmen, war anfänglich nur das Messer (sax, altd. sahs, angels, seax) zum Hausgebrauch bekannt, das später auch im Kampfe dienen musste. (Fig. 259.) Es hatte ursprünglich eine gebogene Klinge, erst später formte man diese geradelaufend. Zweifelsohne wurde es im Gefechte auch geworfen. Die Krieger erachteten jedoch diese Waffe als zu wenig ihren Kräften entspre- chend; sobald ihnen nur ein Schmied ein grösseres Stück erzeugen konnte, regte sich der Wunsch nach einer längeren und schwereren Klinge. So entstand der Langsax mit einschneidiger, 3.5 bis 4 cm. Breite und 40 bis 60 cm. Länge. (Fig. 260.) Seine Form hat sich mit einigen Veränderungen in den Waidmessern erhalten. Auch der Langsax erschien dem Germanen zu leicht und wenig wirksam, der unausgesetzt nach einer gewichtigeren Waffe verlangte. Aus diesem Streben erwuchs das einschneidige schwere Kurz- schwert, der Scramasax . Seine Klinge von 6.5 cm. Breite und 44 bis 76 cm. Länge hatte einen Rücken von 6 bis 8 mm. Breite, Dimensionen, die der Waffe eine ungemeine Wucht geben mussten. Der Scramasax wurde darum auch an einem langen Griffe mit beiden Händen geführt. (Fig. 261 und 262.) Das Kurzschwert im Beowulf wird Breitsax genannt, es scheint damit jedoch ein Scra- masax bezeichnet zu sein. Eigentümlich ist den Klingen des Scramasax eine tiefe Blutrinne, die nahe dem Rücken entlang läuft. Die Form des Scramasax finden wir noch im 9. und selbst im 10. Jahr- hundert in Bildwerken, welche auf byzantinische Herkunft weisen, wie am Porphyrrelief an der Markuskirche in Venedig (Fig. 263,) und in einem Dyptichon im Domschatze zu Halberstadt. Das einschneidige Hauschwert hatte unter den Germanen selbst sich herausgestaltet, das gestählte zweischneidige lange Schwert, so früh es auch bei ihnen Eingang gefunden hatte, übernahmen sie von fremden Völkern, wenngleich sein Name spatha nordischen Ur- sprungs ist. In den Händen der Germanen erwuchs dasselbe zu grösserer Länge und Schwere. In den ältesten Perioden seines Vor- kommens konnte nur der Wohlhabende eine so mühsam gefertigte teure Waffe sich verschaffen; das blieb bis in jene Zeit, als unter den Germanen der Wohlhabende vornehm, der Arme gering wurde. Bereits unter den Merowingern war das Schwert nur eine Waffe des Vornehmen, und das ganze Mittelalter hindurch galt dasselbe aus- schliesslich als ritterliche Waffe. Unter den Merowingern trug die Masse des Fussvolkes neben anderen Waffen, wie der framea, einer Art Wurfspiess, und der francisca, einer Wurfhake, den deutschen Scramasax . In der Reiterei führte nur der Vornehme ein Schwert, deren zweischneidige II. Die Angriffswaffen. Fig. 263. Schwert aus dem Porphyrrelief, ein sich umarmendes Fürstenpaar darstellend, vor der Markuskirche in Venedig. Das Relief, angeblich aus Ptolomais hergebracht, ist wohl byzantinisch. 10. Jahrh. Fig . 264. Schwert samt Scheide aus dem Grabe des Königs Chilperich (gest. 584) stammend, in seiner jetzigen fachmässigen Zu- sammenstellung. Knauf, Parierstange und Scheidenbeschläge sind von Gold, mit rotem Zellenemail geziert. Die Klinge misst 48 cm. Musée du Louvre. Fig . 265. Fränkisches Schwert mit eisenbeschlagenem Griffe. Klingenlänge 85 cm. Grabfund von Kirchberg bei Andernach. Rhein. Provinzialmuseum in Bonn. C. Koenen in den Jahrbüchern des Ver- eins von Altertumsfreunden im Rheinlande 1888. A. Blanke Waffen. 1. Das Sehwert. flache Klinge aber, um vom Pferde aus besser wirken zu können, eine Länge von 60 bis 70 cm. hatte. Diese Reiterschwerter der Merowinger, von denen sich noch einige Exemplare in der Sammlung des Louvre, im germanischen Museum, zu Mainz u. a. O. erhalten haben, ist als Urform des späteren Reiterschwertes zu betrachten. Eigentümlich ist den Reiterschwertern dieser Periode (um 580) der quer stehende, knebelförmige Knauf, das kurze Griffholz und die kurze gerade Parierstange. Das Scheidenbeschläge mit Mundbeschläge, Mittelbeschläge und Ortband lässt orientalische Einflüsse erkennen, die sich auch, wie an dem bekannten Schwerte Chilperichs († 584) im Louvre, in der Form und Technik der Verzierungen aussprechen. (Fig 264.) Ein Beleg für den steten Einfluss des Orientes ist das Schreiben Theoderichs des Grossen an seinen Schwager den König der Van- dalen Thrasamund (um 520), worin derselbe für eine Sendung von Waffen, deren Klingen blank wie der Spiegel gefertigt und mit schönen Vertiefungen, wie kräuselndem Gewürm, geziert waren, seinen Dank ausspricht. Cassiod., Variar. lib. V. Epist. 1. Gay V. Glossaire archéol. Alemelle Das waren ohne Zweifel Arbeiten maurischer Werkstätten von der Nordküste Afrikas, und wir erhalten hier die erste Kunde von einer Damaszierung der Klingen. Auch noch später werden „wurmbunte“ Klingen von Dichtern gepriesen. Aus dem Funde in einem longobardischen Fürstengrabe von Civezzano, Ferdinandeum in Innsbruck. der dem 8. Jahrhundert angehören dürfte, erweist sich, dass auch in dieser Völkerschaft das lange Schwert Eingang gefunden hatte; die beiden Klingen sind breit, flach, haben eine durchschnittliche Länge von 75 cm. und enden in stumpfer Spitze, die kurzen Griffe aber zeigen römische Formen. Was die Griffform anbelangt, so finden wir neben den be- schriebenen eine besondere, die sich unzweifelhaft aus ältester Zeit herschreibt und ebensowohl bei den nordischen, als den germanischen und fränkischen Völkern angetroffen wird. Diese Griffe sind häufig aus Bronze gebildet, sehr kurz, die Handlage besitzt quere Gliede- rungen, der untere Teil schliesst mit einer Scheibe ab. Schwerter mit derlei Griffen scheinen in den damaligen Heeren allgemein ge- führt worden zu sein. Der Übergang von dieser Form zur Form der Griffe mit kleinen Parierstangen scheint erst im 8. Jahrhundert ein- getreten zu sein. (Fig. 265.) Vom 6. bis zum 7. Jahrhundert hatte die Klingenfabrikation im Occident einen bedeutenden Aufschwung genommen; es erweist sich dies in der ausgezeichneten Güte des Stahles und der vorzüglichen Arbeit der aufgefundenen Klingen jener Zeit, die schon mit ganz regelrecht geformten Hohlschliffen ausgestattet sind. (Fig. 266.) Es II. Die Angriffswaffen. Fig . 266. Schwert aus karolingischer Zeit mit silberbeschlagenem Griffe und silberner oval gebildeter Parierstange. Die Klinge besitzt einen der ganzen Länge nach laufenden Hohlschliff. Sammlung Graf Nieuwerkerke. Nach Viollet-le-Duc. Fig . 267. Schwert mit Scheide und Gehänge . Von einer Miniatur aus der Bibel Karls des Kahlen (860—875). Nach Jac- quemin. Fig. 268. Das Schwert des heiligen Stephan , Königs von Ungarn. Der Knauf und die kreisrunde, oben abgeplattete Scheibe von Elfenbein zeigen frühromanisches Laubwerk. Die flache, 109 cm lange Klinge lässt noch Spuren einer Inschrift erkennen. Anfang des 11. Jahr- hundert. Schatz von St. Veit in Prag. A. Blanke Waffen. 1. Das Schwert. ist bemerkenswert, dass die grösste Menge der Klingen vom 5. bis ins 7. Jahrhundert mit abgerundeten Enden erscheint, ein Beweis, wie wenig Wert man in der Streitweise auf den Stich gelegt hat. Die Griffe des 7. Jahrhunderts sind noch auffallend kurz, kaum für die Faust ausreichend, mit Knäufen, welche bereits in die Form einer aufrecht stehenden halben Scheibe übergehen, und geraden kurzen Parierstangen. Die Klingen messen in der Länge bis zu 85 cm. und darüber. So stellen sie sich nicht allein im Psalterium aureum und anderen Handschriften des 8. Jahrhunderts, sondern auch in Origi- Fig. 269. Schwert eines französischen Befehlshabers aus einer Miniatur in einem Codex der 2. Häfte des 11. Jahrhunderts in der Nationalbibliothek in Paris. Nach Jacquemin. Fig. 270 a. b. Schwertformen aus dem Teppich von Bayeux. Ende des 11. Jahrhunderts. nalen dar. (Fig. 267.) Im allgemeinen erscheint das Schwert an- fänglich nur als ein Werkzeug zum Verletzen und nicht auch als ein solches, um sich vor der Verletzung des Gegners zu schützen. Darum besitzen die ältesten Schwerter nur Griffe ohne oder mit II. Die Angriffswaffen. nur sehr kurzen Parierstangen ja die ältesten haben an dieser Stelle nur Scheiben oder Knäufe. (Fig. 268.) Erst mit der Ent- wickelung der Fechtkunst wurde bei der Form des Griffes auf den Faustschutz Bedacht genommen. Die Fechtkunst kam aber erst in den ersten Kreuzzügen in Aufnahme; auch sie ist orientalischen Ursprungs. Die innere Festigung des germanisch-gallischen Staatswesens unter Karl dem Grossen wirkte ungemein fördernd auf die Entwicke- lung der Künste und Handwerke; dazu trug nicht wenig der stetig zunehmende Verkehr mit dem Oriente bei. Dieser Einfluss macht sich, wie überhaupt in der Kunsttechnik, auch in der Klingenfabri- kation deutlich kennbar. Aus Syrien wanderten die ebenso geschickten wie emsigen Kunsthandwerker, darunter die Klingenschmiede, nach Europa und begannen anfänglich an den Küsten Siziliens und Spaniens eine reich sich lohnende Thätigkeit. Dieser Thatsache ist es zuzu- schreiben, dass wir bereits am Ende des 8. Jahrhunderts Klingen von einer so kunstvollen Ausführung erblicken, wie sie in christlichen Ländern selbst bis ins 15. Jahrhundert nicht übertroffen wurde. Wir finden in der Miniatur einer Handschrift der Nationalbibliothek in Paris aus der 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts in den Händen eines fränkischen Befehlshabers ein Schwert mit kelchförmigem Knaufe, ge- rader Parierstange und einer sehr langen Klinge, welche einen bis ans Ende reichenden Hohlschliff besitzt. Innerhalb dieses bemerkt man Linien und Punkte angedeutet, welche vermuten lassen, dass mit ihnen bereits Durchlöcherungen, sogenannte „ Giftzüge “ (alemelles à fenêtres) dargestellt sind; wie uns solche bisher nur in maurischen Klingen des 14. Jahrhunderts vor Augen kommen. (Fig. 269.) Im Fig. 271. Griff vom Schwerte eines Nor- manen aus dem Teppich von Bayeux. Ende des 11. Jahrh. Teppich von Bayeux erscheinen die Schwertklingen von verschiedener Länge, übermässig lang bei Vornehmen, etwa 60 cm. bei Geringeren und Fussstreitern, meist spitz. Die Knäufe sind in Form einer halben Scheibe, die Griffe besitzen kurze, gerade Parierstangen und ein auffallend kurzes Griffholz. (Fig. 270 a und b, 271.) Wenig später treffen wir schon mit dem scheibenförmigen Knauf die etwas nach abwärts gebogene Parierstange. (Fig. 272, 273, 274, 275.) Der Knauf in seiner scheiben- förmigen Gestalt hatte nicht allein die Bestimmung, das Ausgleiten der Hand zu verhindern, sondern auch dem Gewichte der langen Klinge ein Gegengewicht zu bieten. Aus dieser Ursache werden auch die Knäufe in späterer Zeit immer massiver und schwerer. Im 12. Jahrhundert macht sich eine strengere Scheidung des Reiter- schwertes von jenem des Fussgängers merkbar, insoweit man dem Fussknechte überhaupt das Führen eines Schwertes, das nur als eine Waffe des Adligen, des Ritters angesehen wurde, zugestand. Selbst in Italien, wo doch das Fussvolk überhaupt nicht A. Blanke Waffen. 1. Das Schwert. so sehr missachtet wurde, führte dieses im 12. Jahrhundert nur Spiesse. Diese Ausrüstung ohne Schwert erhält sich in der venetianischen Miliz bis ins 13. Jahrhundert. Vom Ende des 13. Jahrhunderts er- scheinen auf den Klingen Marken, welche mit einfachen Gravierungen versehen sind, in welche Gold oder Silber eingeschlagen wurde, die einfachste Art von Tausia. Ein Beispiel aus der Zeit des Überganges vom 11. ins 12. Jahrhundert bietet uns das sogenannte Schwert des heiligen Mauritius, Fig. 272. Schwert Kaiser Heinrichs II. des Heiligen (gest. 1024), aus dessem Missale vormals im Domschatze zu Bamberg. Kgl. Bibliothek in München. Nach Hefner, Trachten I, 2. Fig. 273. Schwert Wilhelms II. des Rothen Königs von Eng- land (1087—1100). Aus einer Miniatur der Bibel von Canterbury. Bibliothek S. Geneviève. Nach Jacquemin Iconographie. in der kaiserlichen Schatzkammer zu Wien, das trotz seiner sagen- haften Zueignung doch erst der Zeit Konrads III. (1093, folgte 1138, starb 1152) angehört. Die federkräftige Klinge mit Hohlschliff trägt II. Die Angriffswaffen. das Jerusalemer Kreuz in Silber tauschiert. Der Griff aus vergol- detem Silber mit pilzförmigem Knauf besitzt lateinische Inschriften. Das Zeremonienschwert der deutschen Throninsignien ebendaselbst wurde unter Heinrich VI. (1165, folgte 1190, starb 1197) in Sizilien Fig. 274. Schwert Gottfrieds I., Herzogs der Normandie. Nach einer Emailplatte von ca. 1150 im Museum zu Mans. Gazette des Beaux-Arts. 1886. Fig . 275. Kriegsmann mit Schwert nach einer Miniatur in einer Handschrift vom Ende des 12. Jahrhunderts. Königl. Bibliothek im Haag. Nach Van der Kellen. Fig . 276. Das Zeremonienschwert der deutschen Kron- insignien , gefertigt unter Kaiser Heinrich VI. (1165—1197). Mau- rische Arbeit aus Sizilien. Der Knauf ist jüngere Arbeit des 14. Jahr- hunderts. K. u. K. Schatzkammer zu Wien. Nach Leitner. Fig . 277. Zweihändiges Schwert mit Ledergriff und Fassung von Eisen aus dem 14. Jahrhundert. Auf der noch älteren Klinge von 151.5 cm. Länge liest man in Majuskeln des 15. Jahrhunderts: „Genannt herr Dietrich von Berns schwert.“ Boeheim , Waffenkunde. 16 II. Die Angriffswaffen. gefertigt. Seine federkräftige Klinge mit flachem Hohlschliff trägt das Kreuzzeichen in Goldtausia. Griff und Parierstange sind in Email geziert, der Knauf ist jüngere Arbeit der Zeit Karls IV. Die pracht- volle, mit emaillierten Goldblechen und Lotperlen gezierte Scheide ist genau so gefertigt, wie der Mönch von St. Gallen schildert. „Das Schwert wurde erstlich von einer Scheide (von Holz), dann durch Leder, drittens durch sehr weisses, mit hellem Wachs gestärktes Linnen so um- geben, dass es mit seinem in der Mitte glänzenden Kreuzchen zum Verderben der Heiden dauerhaft erhalten werde.“ Monach. St. Gall. I. 34. Leitner, Die her- vorragendsten Kunstwerke der kaiserl. Schatzkammer zu Wien. (Fig. 276.) Im 13. Jahrhundert erscheinen die Klingen bereits mit oft längeren Inschriften in gotischen oder lateinischen Majuskeln, ein- graviert oder auch in Tausia, aber auch schon mit ins Gesenk ge- schlagenen Marken, durch welche der Meister bezeichnet wird. Die Inschriften enthalten entweder fromme Sprüche, sogenannte Waffen- segen oder kabbalistische Anrufungen, welche besonders auf Passauer Klingen häufig angetroffen werden. Oft gibt die Reihe der Buch- staben gar keinen Sinn und erscheint als eine willkürliche Zusammen- stellung von Buchstaben. Die häufig auf Klingen des 13. und 14. Jahrhunderts vorkommenden Buchstaben S. S. bedeuten Sacrificium Sanctum. Seit der Zeit der Karolinger erhielt das Schwert eine hohe Be- deutung für den freien Mann. Man betrachtete es als einen Gegen- stand der Verehrung, verlieh ihm Namen wie einem lebendigen Wesen und umkleidete es mit dem Zauber der Romantik. So hiess Rolands Schwert, das der Schmied Madelger von Regensburg fertigte, „Durandel“ (Durenda Durindane). Karls des Grossen Schwert hiess „Joyuse“, das Turpins „Almance“, das Ganelons „Mulagir“, das Schwert des Mohrenkönigs Paligans hiess „Preciose“, das des Wilhelm von Oranse ebenfalls Shoyuse (Joyeuse). Siegfrieds Schwert hiess bekanntlich „Balmung“. In der Artussage finden wir gleichfalls mit Namen belegte Schwerter. Voran steht „Caliburn“, das Schwert des Königs Artus, gefertigt auf der Insel Avalon, wo die Fee Morgane hauste; es kam der Sage nach in den Besitz des Richard Löwenherz. Um seinen Wert für den christlichen Sinn zu erhöhen, wurden in die Knäufe Reliquien von Heiligen gefasst; diese fromme Sitte erhielt sich bis ins 14. Jahrhundert. Nicht die Christen allein, auch die Araber widmeten ihren Schwertern eine hohe Verehrung, und es waren besonders die Mauren, welche dem Kultus des Schwertes im hohen Grade huldigten. Die Verehrung des Schwertes bei den Arabern datiert ohne Zweifel noch aus vormohammedanischer Zeit. Den grössten Reich- tum des Propheten bildeten nach den arabischen Schriftstellern seine A. Blanke Waffen. 1. Das Schwert. 10 Schwerter, unter denen als das berühmteste der „Dsulfakar“ (der Durchbohrer) gepriesen wird. Nach Albufeda soll es Mohammed in der Schlacht bei Bedr von Mombas al Heyjahi, dem Sohne des Alsaha- mitam, erbeutet haben. Alle 10 Schwerter führten Namen, der Dsul- Fig . 278. Schwert des Deutschordensritters Konrad von Thüringen , Landgrafen von Hessen, auf dessem Grabsteine von 1241. Nach Jacquemin, Ikonographie. Fig . 279. Venezianisches Stadtschwert . Die 78 cm. lange Klinge mit dem Namen des Königs Coloman von Ungarn (1094—1114) gehört dem 14. Jahrhundert an. Der Griff von Elfenbein, in Form des Ainkhürns (Narwall) geschnitten, mit vergoldetem Metallknauf von orien- talisierender Form. Fassung 15. Jahrhundert, Ende. 16* II. Die Angriffswaffen. fakar lief sonderbar in 2 Spitzen aus, wie er auch allgemein abge- bildet wird. Später wird seiner durch ein allgemein gebräuchliches Schriftzeichen Ұ erwähnt. Im Laufe des 12. Jahrhunderts ersteht in Deutschland der Ge- brauch, die scheibenförmigen Knäufe mit Wappen (Fig. 277), in Italien und Frankreich, mit Inschriften oder Namen zu verzieren; er erhält sich bis ins 15. Jahrhundert. Am Ende des 12. Jahrhunderts verlängert sich an Reiterschwertern das Griffholz allmählich. (Fig. 278.) Die Schwierigkeit, eine längere Klinge von 80 bis 90 cm. mit einer Hand zu regieren, führte zu der Notwendigkeit, auch zuweilen die zweite zu Hilfe zu nehmen; damit entstehen die Griffe „ zu anderthalb Hand “. Diese Form, Fig . 280. Schwert mit Griff aus grün gefärbtem Horn, in Stift- technik geziert. Die Klinge von 91 cm. Länge besitzt den sogenannten Kettenring. Am Ansatze erblickt man Verzierungen in Goldschmelz alla sanguigna, darin das Wappen der Hohenembs Die Scheide aus gepresstem Leder besitzt eine Besteckscheide für ein Messer. Mitte des 14. Jahrhunderts. Italienisch. Nach Hefner, Trachten II, 166. Fig . 281. Reiterschwert mit Parierringen und Faustschutz- spangen nach italienischer Art. Die Klinge von 108 cm. Länge ist mit gehauenen Verzierungen ausgestattet. Deutsch. Um 1530. A. Blanke Waffen. 1. Das Schwert. im 13. Jahrhundert noch vereinzelt auftretend, wird im 14. unter den Adligen allgemeiner und zur charakteristischen Form des ritter- Fig . 282. Gemeines Reiterschwert mit einfachem Faust- schutzbügel und Kreuzspangen. Die 112 cm. lange Klinge wie die Fassung sind Mailänder Arbeit. Waffe der Kürisser des Kurfürsten Albrecht von Bayern , wie der auf der Klinge ins Gesenk geschla- gene Rautenschild erweist. Um 1540. Fig . 283. Gemeines leichtes Reiterschwert mit einfachem Parierring und Daumenring. Länge der Brescianer Klinge 107 cm. Italienisch. Um 1510. Fig. 284. Italienisches Reiterschwert mit lappenförmigem Knaufe und schneckenförmig eingebogenen Parierstangen. 15. Jahr- hundert, Ende. II. Die Angriffswaffen. lichen Schwertes. Bis in diese Zeit waren längere Schwerter auch ohne Scheiden getragen und bloss mit Riemen umwickelt. In Frank- reich trug der Adlige zwei Schwerter, das eine lange am Sattelbogen rechts, das andere kürzere am Gürtel an der linken Seite. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts traten zuerst jene Klingen auf, welche, mit scharfem Grat versehen, von der Angel bis zum Ende spitz zu- laufen. Sie dienten in der Regel für den Kampf zu Fuss, wurden aber später, besonders in Italien, auch zu Pferde getragen; ihre spitze Form zeigt bereits an, dass man sich ihrer nicht allein für den Hieb, sondern auch für den Stich nach den Zwischenräumen des Panzer- zeuges, nach unbedeckten oder weniger verwahrten Stellen des Körpers bediente. Die Schwertscheiden jener Zeit sind von Holz mit meist getriebenen Metallbeschlägen. Die immer mehr zunehmende Verbesserung des Harnisches war Ursache, dass im 14. Jahrhundert auch die Klingen eine bedeutendere Stärke erhielten, um im Hiebe auch entsprechende Wirkung zu erreichen. Man findet denn auch an den Klingen der eigentlichen Armeewaffen jener Zeit den Hohl- schliff seltener und die gratige Klinge allgemein, die, um nicht ein übermässiges Gewicht zu erhalten, von der Angel an spitz zuläuft. Für Luxuswaffen und solche, die im gewöhnlichen Verkehre getragen wurden, waren für die Form der Klingen immer andere Bedürfnisse ausschlaggebend. Sie waren in der Regel kurz, für den Nahkampf berechnet, leicht, um nicht unbequem zu werden; so entwickelt sich am Beginne des 14. Jahrhunderts in Italien und Spanien gegenüber dem eigentlichen Kriegsschwert „die Hauswehre“, deren sich in Städten der Adlige, der Bürger, auf dem Lande der Bauer bedient. (Fig. 279, 280.) Bis ins 14. Jahrhundert war deutsche Art in der kriegerischen Ausrüstung massgebend; so war auch die in Deutschland übliche Form für das Schwert in Frankreich und England allenthalben an- zutreffen. Von dieser Zeit an beginnt im Waffenwesen der italienische Einfluss mächtiger zu werden. Er begann mit der Ausbildung der Fechtkunst in Venedig, Bologna und Florenz, die sehr bald darauf auch in Frankreich und Deutschland Eingang fand. Die allenthalben auf dem Kontinent herumziehenden Adepten italienischer Fecht- schulen, die Marcusbrüder, Fechtbrüder, hatten anfänglich einen nicht unbedeutenden Einfluss auf die allmähliche Umgestaltung der Form der Schwerter. Um 1350 finden wir bereits Fechtmeister unter der Bezeichnung gladiatores in den deutschen Städten, 1380 Fechtschulen (Vechtstatt) und die Meister werden Fechter genannt. Kaiser Frie- drich III. verlieh ihnen 1487 ein Privilegium, als „Meistern des Schwertes“. Ernste Schaustellungen wurden „Bluet-Rüer-Fechten“ genannt. Herumziehende Meister hiessen Freifechter. Im 17. Jahr- hundert treten die Federfechter auf, welche statt des Schwertes den Degen handhabten. A. Blanke Waffen. 1. Das Schwert. In Frankreich, wo die Waffenfabrikation ganz in den Händen der Italiener lag, brauchte man im 14. Jahrhundert allgemein Schwerter mit kurzen, spitzigen, gratigen Klingen und Griffen, welche mit beiden Händen geführt und grossenteils in Bordeaux erzeugt, daher bordelaises genannt wurden; daneben erhielt sich das lange deutsche Reiterschwert, Kürissschwert , dessen Griff aber überall Formenwandlungen unterlag, die den italienischen Geschmack verraten. (Fig. 281, 282, 283, 284.) So erscheinen nun die lappig gebildeten Knäufe, die gebogenen, attisch gegliederten Parierstangen und Beschläg- formen an Scheiden, die bereits der Frührenaissance angehören. (Fig. 285.) In der Klingenfabrikation, in der bisher der Orient dominierte, streiten nun Toledo, Passau und Brescia um den Vorrang. Zwei dieser Zentren der Waffenschmiedekunst leiteten ihren Ursprung in die vor- geschichtliche Zeit zurück. Toledo verdankte seinen späteren hohen Ruhm den Mauren, Passau, eine Waffenstätte aus nachrömischer Zeit, erhob sich später durch deutschen Kunstfleiss zur ersten Stätte der Kunstindustrie. Brescia, das schon den Etruskern Waffen schmiedete, stand in der späteren Römerzeit bezüglich seiner Waffenerzeugung unter einem Decurio armamentarii, dem auch die Werkstätten von Friaul, Steyermark und Kärnten unterstellt waren und von welchen aus die Legionen am Rhein, an der Donau, in Pannonien mit Waffen versehen wurden. Im 13. Jahrhundert aber entwickelte sich Brescia bedeutend, so dass es mit staunenswertem Erfolge um den Preis des Vorranges in die Bahn treten konnte. Wenngleich, wie wir gesehen haben, das Schwert schon im 7. Jahrhunderte und früher ein beliebter Gegenstand der künstlerischen Ausstattung gewesen ist, so blieb diese doch nur auf einzelne Stücke beschränkt, die Masse der übrigen erscheint in Ansehung der Fassung auch da insgemein roh und plump, wo ausgezeichnete Klingen sorg- fältigere Behandlung verdient hätten. Erst im 14. Jahrhundert, durch italienischen Einfluss gefördert, erhalten die Griffe eine leichtere und durchgebildete Form. Die Knäufe erscheinen in mannigfachen und gefälligeren Formen, das Griffholz wird nun mit Leder oder Stoff überzogen oder mit Draht umwunden, ja oft mit Seidenschnüren netzartig umstrickt. Die Parierstangen werden nun nicht selten ge- schweift gebildet. Gegen das Ende des Jahrhunderts zeigen sich in Spanien die ersten kleinen Anfänge zur Erzielung eines besseren Schutzes der Faust durch Beigabe des Faustschutzbügels (Eselshuf, pas d’âne) der später, im 16. und 17. Jahrhundert, in Italien und Spanien zu so übertriebener Ausgestaltung gelangte. Die Schwert- scheide von Leder erhält Beschläge von Metall, das Ortband er- scheint zuweilen in Form einer Zwinge. Nie findet sich ein Mund- blech, welches damals nur an orientalischen Scheiden vorkam. Um die Klinge vor Nässe zu schützen, wird der Oberrand der Scheide- II. Die Angriffswaffen. mündung häufig im Eck geschnitten, wie wir aus Fig. 286 ersehen. Schmale Riemen verbinden die Schwertscheide mit dem Gürtel, sie bilden das Gehänge von Leder, welches für gewöhnlich nie Beschläge erhält, oft nicht einmal mit einer Schnalle versehen wird. Die Be- festigung des Schwertes an den Körper war anfänglich sehr einfach und wurde durch einen breiten Lederriemen vermittelt, der an einem Ende schmal geschnitten und durch Spalten am anderen Ende Fig . 285. Prunkschwert Philipps des Schönen , Königs von Castilien (1478—1506) aus vergoldetem Messing, teils durchbrochen gearbeitet und auf rotem Sammt aufgelegt. Die 74 cm lange, spitz zulaufende Klinge ist mit vergoldeten Gravierungen ausgestattet, in welchen Wappen und Embleme des Papstes Julius II. (della Rovere, gest. 1513) erscheinen. Römische Arbeit vom Anfange des 16. Jahr- hunderts. Fig . 286. Schwert in der Scheide und mit Gehänge des Schwanenritters in der Minnesinger-Handschrift der Nationalbibliothek in Paris. Mitte des 14. Jahrhunderts. Nach Jacquemin, Ikono- graphie. Fig . 287. Schwert eines Kriegers mit Scheide und Gehänge aus der Zeit König Johanns I. von Frankreich (1350—1364). Aus einem Basrelief an der Kirche St. Leu in Paris, Erste Form der Schleifengehänge. Italienischer Einfluss. Nach Jacquemin. A. Blanke Waffen. 1. Das Schwert. gesteckt und verknüpft wurde. Diese Befestigung war so unbequem und umständlich, dass die Krieger beim Nichtgebrauche das Schwert mit dem um die Scheide gewickelten Riemen in der Hand trugen. Als im 13. Jahrhundert die tiefen Waffengürtel (dupsing) in Gebrauch kamen, wurde das Schwert an Ringen an diesem Gürtel getragen und bei der tiefen Stellung desselben an den Lenden zu Fuss rück- wärts am Boden nachgeschleppt. Eine praktischere Befestigung des Leibriemens durch Schnallen oder Haken, der Schwertscheide durch Schleifen wird erst im 14. Jahrhundert allgemeiner. (Fig. 287.) Vom Anfange des 16. Jahrhunderts datieren die aus Italien gekommenen Taschen , in denen die Schwertscheide ruht. Um die Mitte des Jahrhunderts bestehen diese Taschen aus 3 und bis zu 6 schmalen Riemen, die geschnallt sind und an einem Haken am Gürtel hängen. Ein schmaler Riemen läuft von der Tasche gegen die Mitte des Leibes an den Gürtel, um das Schlenkern zu verhindern. (Fig. 326.) So bleiben die Schwertgehänge bis gegen die Mitte des 17. Jahrhunderts, um welche Zeit die französische Art des Tragens über die rechte Schulter üblich wird. In dieser Art behalten die Taschen anfänglich noch die alte Form. Gegen das Ende des Jahrhunderts erscheint die Seitenwaffe mittelst der sogenannten Steckkuppel um die Mitte des Leibes geschnallt. Seit dem 12. Jahrhundert hatte sich allmählich die Überzeugung herausbildet, dass das Schwert für den Hieb allein auf die Pan- zerung des Gegners eine nur geringe Wirkung hatte; infolge dessen, wie wir gesehen haben, die Klingen spitz zulaufend gestaltet werden, um sie auch für den Stich gebrauchen zu können. Bei der äusserst soliden Fertigung des Lentners im 14. Jahrhundert, der an den Achseln, am unteren Brustteile, den Armgelenken etc. bald durch Platten verstärkt wurde, genügte auch diese Umbildung nicht mehr, die Klingen waren zu breit und auch zu biegsam, um zwischen den Geschieben in den Körper eindringen zu können. Das führte am Ende des 14. Jahrhunderts zur Einführung der Bohrschwerter (perswerte, auch pratspiesse genannt) (Fig. 288), welche in der Form langer Pfriemen mit drei- oder vierseitigem Querschnitte und stumpfen Kanten nur für den Stoss zu gebrauchen waren. Die Spitzen dieser Klingen haben in der Regel eine ungemeine Härte. Aus den Bohr- schwertern, welche schwer zu regieren waren, bildete sich im 16. Jahr- hundert eine ähnliche leichtere Schwertgattung heraus: der Panzer- stecher , der im westlichen Europa in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts verschwand, um den von Spanien aus in die Mode gekommenen Stossdegen Platz zu machen. In dieser Periode schien es als würde die Stichwaffe die Hiebwaffe völlig verdrängen, ja italienische Fusstruppen führten um 1560 neben den noch üblichen Schlachtschwertern (Zweihändern, Bidenhandern) auch zweihändige Stecher von oft riesenhafter Länge. In der Türkei, in Ungarn und Fig . 288. Pörschwert mit kantig geschliffener Klinge (gotischer Einfluss). Der Griff ist mit Leder überzogen; die Parierstangen sind verstümmelt. Um 1500. Deutsch. Fig . 289. Schwert zu anderthalb Hand des Kaisers Maximilians I. Die 92 cm. lange italienische Klinge, noch dem 14. Jahrhundert angehörig, wurde später mit dem Bindenschild in Goldschmelz geziert. Der Griff von Horn mit vergoldeten Metallbeschlägen und mit blechbeschlagener Tasche. Die Scheide von Leder hat vergoldete Beschläge ungarischer Form. A. Blanke Waffen. 1. Das Schwert. Polen, wo noch bis ins 18. Jahrhundert Maschenpanzer getragen wurden, führte ein Teil der Reiterei Panzerstecher, welche, an der linken Seite des Sattels zwischen den Taschen eingesteckt, einen Teil der Pferde- rüstung bildeten. Ausserdem führte der Reiter seinen Säbel. Wie rasch auch am Beginne des 15. Jahrhunderts infolge spanischer und italienischer Einflüsse die Formen der Schwertgriffe wie der Klingen sich umbildeten, die deutsche Ritterschaft hielt doch anfänglich zähe fest an der Form des alten Kürissschwertes mit langem Griffe zu anderthalb Hand ohne Bügel und langer, mässig breiter Klinge, wie sie sich in der Spätgotik herausstilisiert hatte. (Fig. 289.) Die Griffe zeigen häufig eine eminente Technik im Eisenschnitt mit wirkungsvollen dekorativen Ziermitteln, wie Mosaik, Email, Schmelz, Gravierung. Auch der Gold- und Silberschmied, der Elfenbein- schneider etc. nimmt allmählich häufiger Anteil an der Ausstattung des Schwertes. Eine besondere Eigentümlichkeit an Reiterschwertern sind die sogenannten Taschen , zweilappig geschnittene, in der Mitte durchlöcherte Lederstücke, welche auf den Griff bis zur Parierstange herab derart gesteckt wurden, dass die Lappen beiderseits über den Klingenansatz reichten. Die äusseren Lappen wurden häufig mit Messing- nägeln geziert und wohl auch mit solchem Blech beschlagen. Der Zweck dieser Taschen war, die Angel der Klinge vor Nässe und damit vor Rost besser zu schützen. (Fig. 289.) Diese Lappen treten schon um 1350 auf, und man findet sie noch an Schwertern des 16. Jahrhunderts. Die Klingen werden vielfältig graviert, mit Gold, Silber, Kupfer oder Messing eingelegt (tauschiert) und am Ansatz vergoldet. Die Markierung der Werkstätten durch eingehauene oder ins Gesenk geschlagene Zeichen wird allgemein üblich, und ausnahmsweise treffen wir auch schon Namen oder doch Monogramme von Waffenschmieden auf denselben. Eine der ältesten Klingenmarken, die schon im 14. Jahrhundert bekannt war, ist der sogenannte „Wolf“, das Zeichen der Passauer Werkstätten, welches bis in den Orient durch Jahr- hunderte eine grosse Berühmtheit erlangte, leider aber auch vielfach ge- fälscht wurde Es wird gegenüber den vielfach irrigen Ansichten über das Wolfszeichen nicht überflüssig erscheinen, über selbes einige Aufschlüsse zu geben. Der Wolf leitet sich von dem Passauer Wappenschilde ab, welches aus einem aufrecht stehenden Wolfe in Silber im roten Felde besteht. Eine Stelle in einer alten Passauer Chronik, welche uns Leber in seinem Werke: „Das kaiserl. Zeughaus zu Wien“ mitteilt, berichtet, dass die Passauer Klingenschmiede das Wolfszeichen 1349 durch Albrecht den Lahmen erhalten hätten. Das stimmt nur insofern, als wir thatsächlich keine älteren Wolfszeichen aufweisen können, aber zur Bezeichnung der Klinge mit dem Wappen des Erzeugungsortes bedurfte es wohl keiner landesherrlichen Begabung. Andere Werkstätten, die Solinger voran, haben sich unrecht- mässigerweise später gleichfalls dieses Zeichens bedient. Die auf den Klingen eingehauene Gestalt des Wolfes ist für Passauer Klingen charakteristisch und unschwer von Fälschungen zu unterscheiden. Klingen von bischöflichen Werk- (Fig. 290). Ins Gesenk geschlagene Meistermarken führten II. Die Angriffswaffen. zuerst die Toledaner Werkstätten, ihnen folgten jene zu Brescia, endlich die Nürnberger. Passau entschloss sich erst spät zu ihrer Einführung. Um 1500 kommt die Tauschierung von Meisterzeichen nur mehr ausnahmsweise bei Solinger Klingen vor. Wir wenden uns nun der orientalischen Fig . 290. Formen von Passauer Wolfs- zeichen , graviert und mit Messing eingelegt. 14. und 15. Jahrhundert. Klingenerzeugung zu, welche das ganze Mittel- alter hindurch vielfach fördernden Einfluss auf die occidentale Produktion gewonnen hat. In der frühesten Zeit des Islams werden die indischen Schwertklingen und jene von Yemen gerühmt, später in den Kreuzzügen jene aus Syrien und von Damaskus. Diese alten Industrien gingen im 15. Jahrhundert sehr zurück, dafür hoben sich jene in Ägypten, Marokko und Spanien; letztere Orte hatten, wie wir bereits bemerkten, schon zur Zeit der Vandalenherrschaft eine her- vorragende Bedeutung. Vom 9. Jahrhundert an kamen die Klingen aus schwarzem Stahl von Khorassan mit Recht zu hohem Ansehen. Die Klingenfabrikation Toledos fand ihr Entstehen schon im frühen Mittelalter durch die Mauren. Abderhaman II. gestaltete die dortige Industrie vollständig um (822 — 852), ein Unternehmen, welches von ungemeinem Erfolg begleitet war. Neben Toledo glänzten in der Klingenerzeugung in Spanien im späteren Mittelalter Almeria, Murcia, Granada, vor allem aber Sevilla, im 15. Jahrhundert auch Valencia, Saragossa, Barcelona und Cuelar in der Provinz Segovia. Wir kennen keine spanisch-maurischen Waffen von höherem Alter als dem 15. Jahrhundert. Die schönsten besitzen die Armeria Real (Fig. 291) und die Sammlung des Marquis von Villasecca in Madrid, in letzterer bewahrt man die Waffen Boabdils. Unter den berühmten Meistern spanischer Klingenindustrie, welche wir am Schlusse anführen, ragt der Maure Julian del Rey hervor. Er war vor 1492 noch Boabdils Dienstmann, nahm später das Christentum an und erfreute sich der hohen Gunst seines Taufpaten, des Königs Ferdi- stätten führen aufser dem Wolf noch das pedum, den bischöflichen Krummstab. Im 14. Jahrhundert, wenn nicht schon früher, wussten die Passauer Klingen- schmiede ihre Arbeiten mit mystischem Nimbus zu umgeben. Ihre Klingen, angeb- lich unter geheimnisvollen Zeremonien gearbeitet, sollten nicht nur eine stets tödliche Wirkung haben, sondern auch den Träger unverwundbar machen. Dazu mussten allerlei Sprüche, teils religiösen, teils kabbalistischen Inhalts dienen, welche auf den Klingen eingegraben wurden. Ganz analoge Verhältnisse in Bezug auf schlaue Benutzung des Aberglaubens finden sich bei den Waffenschmieden Indiens, Chinas und Japans. Selbst den Türken waren Wolfsklingen und ihre geheime Kraft nicht unbekannt, und die für derlei mystische Vorspiegelungen empfänglichen italienischen Kriegsleute schätzten Wolfsklingen ungemein hoch. Fig . 291. Maurisches Schwert . Aus dem Besitze des Don Juan d’Austria , aber aus dem 15. Jahrhundert stammend. Armeria Real in Madrid, nach Laurent. Fig . 292. Reiterschwert zu anderthalb Hand mit Parier- ringen und gegliedertem Griffholz. 15. Jahrhundert Ende. Italienisch. Fig . 293. Prunkschwert , bekannt unter der Bezeichnung „mit dem Mascaron“ mit einfachem Faustschutzbügel und aufgebogenem Griffbügel. Italienische Arbeit. Die schöne Klinge mit Giftzügen in 3 Reihen ist spanisch und trägt das Zeichen des berühmten Klingen- schmiedes Sebastian Hernandez in Toledo. II. Die Angriffswaffen. nand des Katholischen. Als seine Marke ist eine einem Hündchen ähnliche Figur angesehen, daher auch deren Name „perillo“, aber selbst unter spanischen Archäologen im Fache regt sich darüber ein Zweifel, und man neigt sich jetzt der Ansicht zu, dass mit diesem Zeichen nicht jenes Julians allein, sondern ein allgemeines, ähnlich dem Passauer Wolf, ausgedrückt sei. Julian arbeitete anfangs in Granada, dann in Saragossa, zuletzt aber in Toledo, zu dessen Ruhm er ausserordentlich beigetragen hatte. Die japanische Klingenindustrie, welche heute durch den Druck der modernen Fabriksthätigkeit ihrem Ende entgegengeht, hat eine ungemein rühmliche Vergangenheit hinter sich. Wir sind in der Lage, sie in ihren besten Meistern fast bis an den Beginn unserer Zeit- rechnung zu verfolgen. Japanische Klingen gelangten von uralter Zeit her ohne eigentliche Montierung in die Hände des Bestellers. Das zweihändige Langschwert Kátáná, das Kurzschwert Wákisáschi, end- lich der Panzerstecher Kén wurden in einer Scheide von weissem Holze aus dem Stamme des Kiri verwahrt übergeben, auch die Angel steckte in einer hölzernen Hülse. Nach Entfernung zweier Holznägel konnte die Angel von der Hülse befreit und das auf ihr befindliche Schwertfegerzeichen betrachtet werden. Die Fassung liess sich jeder Eigentümer nach seinen individuellen Ansichten fertigen. Das gehörte nicht mehr zur Aufgabe des Schwertfegers. Was man in Japan mit Schwert bezeichnet, ordnet sich fachlich unter die Krumm- schwerter. Mit der Verfeinerung des Kriegswesens wurde auch die Hand- habung des Schwertes mehr durchgebildet; man beschränkte sich nicht mehr auf ein blindes Dreinschlagen, um den Gegner ausgiebig zu verletzen, sondern suchte auch in der Form und Führung das Mittel zu finden, sich vor den Hieben des Gegners zu schützen. Dieses Bestreben führte zunächst auf eine Veränderung der Schwertgriffe. Bei den ältesten Formen derselben trennt nur ein knaufartiger Ansatz die Faust von der Klinge, sodass die Faust in ganz ungenügender Weise gegen den Hieb geschützt ist. Einen besseren Schutz boten dann zwar die Parierstangen, die anfänglich nur kurz gebildet sind und erst später sich verlängern. Allein auch die Parierstange erschien bald un- genügend; man verbreiterte deshalb die Deckung und bildete die Faust- schutzbügel , anfänglich an der Aussenseite, später auch nach beiden Seiten. Das Griffholz an Reiterschwertern entglitt zu leichtt der noch von einem ungefingerten Eisenhandschuh (Hentze) bedeckten Hand; man verjüngte und gliederte den Griff, um ihn in der ungelenken Hand besser zu fühlen. (Fig. 292.) Zunächst traten dann in Italien zum Schutze der Fingerlage die Griffbügel auf. Sie wachsen an- fänglich aus der Parierstange heraus und stehen mit dem Knaufe oberhalb nicht in Verbindung. Erst um 1560 sind sie vollständig A. Blanke Waffen. 1. Das Schwert. geschlossen. (Fig. 293.) Erst gegen die Mitte des 16. Jahrhunderts kamen, von Italien her angeregt, Schwerter mit doppelten Faust- schutzbügeln in Gebrauch, ein Bügel unter dem anderen, damit die aufgefangenen Hiebe nicht bis zur Faust dringen konnten. Bald darauf suchte man durch einfache und doppelte Korbbügel (Spangenkörbe) auch die Knöchel zu schützen. Die ersten derartigen Korbgriffe kamen aus Spanien, eine besondere Ausbildung erhielten sie aber in Mailand. In grösseren Massen wurden sie anfänglich in Brescia, später aber auch allenthalben in Deutschland erzeugt. Stichblätter kommen an Schwertern seltener zur Anwendung und selbst dann nur bei italienischen. Im Oriente sind vorzugsweise bei bei Panzerstechern scheibenförmige Stichblätter beliebt. Gegen das Ende des 15. Jahrhunderts kommt uns in vielen Sammlungen eine Gattung von Schwertern vor Augen, die man Schweinschwerter nennt. Wie es ihr Name schon anzeigt, dienten sie für die Eberjagd und verdanken ihr Entstehen dem Altmeister auf dem Gebiete des Jagdwesens, Kaiser Maximilian I. Diese Schweinschwerter haben gewöhnlich den Reiterschwertern ähnliche Griffe, die Klingen aber sind bis etwa drei Viertel der Länge stab- ähnlich, ohne Schneiden; erst von da verbreitern sie sich und bilden schneidige Spitzen, an deren oberen Enden häufig eiserne Knebel eingeschraubt sind, damit die Klinge nicht zu weit in den Rachen des Keilers dringen und dem Jäger gefährlich werden könne. Derlei Schweinschwerter wurden bis um die Mitte des 16. Jahrhunderts in Deutschland und Spanien viel erzeugt; von da an verschwinden sie, da sie den Schweinspiess doch nie ersetzten. (Fig. 294. 295.) Bis gegen das Ende des Mittelalters ist ein Unterschied zwischen den auf der Jagd und den im Felde geführten Schwertern nicht merkbar. Aus Miniaturen ist nur so viel zu konstatieren, dass gegen Bären, Eber, Luchse u. dergl. in der Regel längere, in allen übrigen Fällen, insbesondere bei der Falkenjagd, mit Vorliebe kurze, spitze italienische Schwerter getragen wurden. Erst um 1470 wird es in Burgund Mode, zur Jagd sich längerer, besonders geformter Schwerter „Gjaidschwerter“ zu bedienen. Jagdschwerter aus der Zeit des Kaisers Maximilian I. besitzen den gewöhnlichen Griff von Schwer- tern zu anderthalb Hand, ohne Faustschutzbügel nach deutscher Art. Zuweilen hat der Knauf eine schnabelähnliche Form. Die Klinge ist immer einschneidig von durchschnittlich 85 cm. Länge. Charakteristisch ist dem Jagdschwerte die an der äusseren Seite der Scheide angebrachte sogenannte Besteckscheide , in welcher in der Regel wenigstens ein Aufbruch-, ein Zerwirkmesser und ein Pfriemen zum Auslösen der Fusssehnen steckte. Besteckscheiden finden sich vom 14. Jahrhundert an auch häufig an Scheiden von Kriegsschwer- tern; diese enthalten in der Mehrzahl Essbestecke. Diese Form erlitt am Beginne des 16. Jahrhundert durch italienischen Einfluss eine II. Die Angriffswaffen. baldige Umbildung, dadurch, dass die Klingen immer kürzer und leichter werden. Endlich gestalten sie sich zum Jagdmesser des 17. Jahrhunderts und zum Hirschfänger (Standhauer) um. (Fig. 296.) Fig . 294. Schweinschwert mit geätztem und vergoldetem Griffe, geschnürtem Griffholz und Scheidenhülse. Die 85.7 cm. lange Klinge ohne Knebel hat Rinnen, in welchen Mariengebete in vergoldeter Ätzung ersichtlich sind. 16. Jahrhundert, Anfang. Fig . 295. Schweinschwert . Der Griff von Eisen mit Parier- ringen ist in der Handlage mit schachbrettförmigen Einlagen von Holz und Bein geziert. Die Klinge besitzt einen abschraubbaren Knebel. Aus dem Besitze Kaiser Maximilians I. Deutsch. Um 1510. Fig. 296. Fig . 296. Hirschfänger samt Gehänge mit Rufhorn, Leitschnur für den Hund und Wild- schnüren für kleines Federwild. Die Eisenteile sind zierlich geschnitten und teils vergoldet. Der Hirschfänger ist über die Schulter am Bandelier von grünem Sammt zu tragen. 17. Jahrhundert, 2. Hälfte. Boeheim , Waffenkunde. 17 II. Die Angriffswaffen. Wir haben zuvor bemerkt, dass sich am Beginne des 14. Jahr- hunderts und zuerst in Ländern eines regeren gesellschaftlichen Ver- kehrs eine Form von Schwertern herausbildete die ihr Entstehen in der Sorge um die persönliche Sicherheit im gemeinen Leben gefunden hatte. Derlei Schwerter, Haus- auch Bauernwehren genannt, waren, als für den Nahkampf berechnet, meist sehr kurz. Bauernwehren bilden in ihrer Klingenform schon einen Übergang zum Säbel. In dem von Parteien zerrissenen Italien tritt im 14. Jahrh. eine derartige Hauswehre Fig . 297. Ochsenzunge (Anelace) mit geschnittenem Griffe von vergoldetem Messing, der mit Halbedelsteinen besetzt ist. Auf der Klinge erblickt man in vergoldeter Ätzung die Gestalt des Herkules. Auf dieser und dem Scheidenbeschläge auch das französische Wappen, umgeben von Trophäen. 16. Jahrhundert, Ende. Zeit Heinrichs IV. Kais. Waffensammlung zu Zarskoë-Selo. Fig . 298. Ansatz einer Schwertklinge mit einfachen Gift- zügen und den eingeschlagenen Marken des Juan Martinez in Toledo. 16. Jahrhundert, Ende. A. Blanke Waffen. 1. Das Schwert. auf, die man Ochsenzungen , (anelace, langue de boeuf, auch pistos) benennt. Diese Wehre, eine Nachbildung des spätantiken parazoniums, erscheint zuerst in Venedig und Florenz und verbreitet sich in ihrer charakteristischen Form ungemein rasch über Italien, Frankreich, Burgund, später findet man sie zahlreich unter den Bürgern der deutschen Reichsstädte. Im 15. Jahrhundert ist Verona eine Hauptfabrikations- stätte der Ochsenzungen; dort und in Venedig erscheinen sie auch Fig . 299. Landsknechtschwert des kais. Feldobersten Ul- rich von Schellenberg (ca. 1487—1558). Der Griff von Messing ist vergoldet. Die Lederscheide enthält ein Besteck für 8 Messer und einen Pfriem. Auf den Griffen der ersteren sind Minnesprüche graviert. Deutsch. Um 1520. Fig . 300. Italienischer Haudegen , sogenannte „schiavona“ mit doppeltem eisernem Korbe und Daumenring. Übergang zum Säbel- griffe. Die Brescianer Klinge ohne Ansatz misst 85 cm. Die Leder- scheide mit eisernem Ortband ohne Mundblech zeigt ungarische Formen. 17* II. Die Angriffswaffen. unter der Bezeichnung „cinque dea“ (cinque dita), von der Breite der Klinge hergeleitet, die an der Angel genau die Handbreite besass. (Fig. 297.) Ihr Knauf ist scheibenförmig mit dem Griff aus einem Stücke, die gestutzten Parierstangen sind bogenförmig nach abwärts gebogen, die übermässig breite, selten über 35 cm. lange Klinge mit Hohlschliffen läuft geradlinig spitzig zu. So bildet die Ochsenzunge gewissermassen einen Übergang zum Dolch. Man findet sie in der einfachsten und plumpsten wie in der zierlichsten und reichsten Form. Am Ende des 15. Jahrhunderts kommen uns zuweilen Klingen- formen vor Augen, welche ihr Entstehen mehr einer phantastischen Anschauung als praktischen Erwägungen verdanken; es sind dies die geflammten Klingen , im Vereine mit ihrer Fassung auch Flammberge genannt. Auch der Gebrauch von geflammten Klingen stammt übrigens nicht erst aus dem 15. Jahrhundert. Ein mit solcher Klinge ausgestattetes eisernes Kurzschwert wurde 1885 in einem prähistorischen Grabe bei Mönchsbruch in Hessen gefunden. Zentralblätter des hist. Vereins für das Grossherzogtum Hessen 1855, 4. Eine nur oberflächliche Betrachtung wird zur Überzeugung führen, dass eine solche Klingenform keineswegs als eine Verbesserung zu be- trachten ist; nichtsdestoweniger erhält sich deren Gebrauch bis in das 17. Jahrhundert. In den Landsknechtheeren Karls V. finden wir die geflammten Klingen mit Vorliebe angewendet, besonders häufig an Zweihändern. Die Doppelsöldner, welche solche Klingen führten, erachteten sie für martialischer. Mit dem Auftreten der doppelten Faustschutzbügel trat eine kleine Neuerung in der Klingenkonstruktion ins Leben. Der Teil der Klinge von der Parierstange bis zum unteren Faustschutzbügel erwies sich für den Hieb unbrauchbar, man verlängerte deshalb die Angel so weit, dass die Klinge selbst erst unmittelbar am unteren Bügel ansetzte. Der bis zur Parirstange reichende Teil der Angel „Ansatz“ wurde mit Vorliebe als Stelle für die Klingenschmied- und Beschaumarken benutzt. Die ersten so gebildeten Klingen kamen am Beginne des 16. Jahrhunderts aus Spanien, später werden solche allenthalben erzeugt, besonders in Mailand, Brescia und Belluno. (Fig. 298.) Bei Schwertern ist die Klinge mit Ansatz nicht allgemein gebräuchlich, wohl aber, wie wir ersehen werden, bei Degen. In der Bewaffnung des Fussvolkes der meisten Heere im 15. und 16. Jahrhundert nimmt das Schwert nicht die erste Stelle ein. Bei den Schweizern, Franzosen und Deutschen ist die Stangenwaffe immer von hervorragender Bedeutung; nur die Italiener und die Spanier machen da eine Ausnahme. In seltenen Fällen gerieten die Heer- haufen so enge aneinander, dass die Stangenwaffe nicht mehr in A. Blanke Waffen. 1. Das Schwert. Verwendung bleiben konnte; für diese ausnahmsweisen Fälle des Nahkampfes (Handgemenges) führten Italiener und Franzosen kurze Schwerter mit zuweilen säbelförmigen Klingen, die Schweizer schwere Hiebmesser oder „kurze Wehren“, sogenannte „Schweizerdegen.“ In den Landsknechtheeren hatte sich am Beginne des 16. Jahr- hunderts für diese Waffe eine besondere Form das „ Landsknecht- schwert “ herausgebildet. Dasselbe besass einen kurzen Handgriff mit fächerförmig ausgebreitetem Knaufe, die langen Parierstangen waren horizontal S-förmig gebogen und mit kleinen Knäufen besetzt. Zuweilen setzt sich an diese ein Griffbügel an. Die breiten, nur etwa 50 bis 54 cm. langen Klingen waren meist abgestumpft, die Leder- scheiden trifft man nicht selten mit Besteckscheiden ausgestattet. (Fig. 299.) Der Landsknecht führte dieses Schwert in der Magen- gegend in einem Gürtel, an welchem rückwärts an der rechten Seite der Dolch befestigt wurde. Um 1570 verändert sich die Form der Griffe des Landsknechtschwertes. Ungefähr von 1590 an vervielfältigen sich die Schwertformen im kaiserlichen Heere unter dem italienischen Einflusse, die Klingen werden länger, die Griffe erhalten Körbe aus durchbrochenem Blech. Eine Schwertform, welche in dem meist aus dalmatinischen Slawen gebildeten venezianischen Fussvolke, den schiavoni, auftritt und darum auch „ schiavona “ genannt wurde, gelangt durch den Handel aus Brescia und Seravalle um 1580 zu einer ungemeinen Verbreitung in anderen Heeren. Mit längeren Klingen versehen, wird die Schiavona auch bei der Reiterei und unter Ferdinand II. selbst bei den Kürassieren eingeführt. (Fig. 299.) In den Landsknechtregimentern begegnen wir einer charakte- ristischen Waffe, dem Zweihänder oder Bidenhander, Schlacht- schwert , welche, von ungemeiner Grösse und Schwere, in der Hand eines Fusssoldaten eine nicht unbedeutende Gewandtheit zu ihrer Führung voraussetzte. Das Schlachtschwert als Waffe des Fussknech- tes hatte seinen Ursprung bei den Schweizern gefunden, welche sich desselben in ihren Kriegen im 14. Jahrhundert bedienten. Sie ver- standen es, sich mit demselben derart in Respekt zu setzen, dass man, um ebenbürtig zu erscheinen, dasselbe auch in anderen Ländern einführte. Die ältesten dieser riesigen Schwerter — Meyrick setzt ihr erstes Auftreten um das Ende der Regierung Heinrichs V., also um 1420, — gehören noch dem 15. Jahrhundert an. In den Regimen- tern der Landsknechte erhalten sie eine typische Form. Die ein oder zweimal gekerbten Griffe haben eine Länge von durchschnitt- lich 120 cm. Die Parierstangen von Eisen, zuweilen hübsch aus- geschmückt, sind an den Enden schneckenförmig abgebogen und besitzen beiderseits starke, einfache Faustbügel, nicht selten auch Stich- blätter dazwischen. Die älteren haben noch keine Parierhaken, jene seitlich ausladenden hakenförmigen Ansätze, welche zum Auffangen der Hiebe dienten. Zweihänder wurden selten oder nie mit Scheiden Fig . 301. Gemeiner Zweihänder (Bidenhander, Schlacht- schwert. Epée à deux mains) mit geflammter Klinge von 127 cm. Länge, beledertem Ansatz und Parierhaken. Der Griff ist mit Plüsch über- zogen und mit Wollfransen verbrämt (aufgeputzt). Die Fassung: Knauf, Parierstange und Parierringe sind aus geschmiedetem, ungefeiltem Eisen. Deutsch. Um 1570. A. Blanke Waffen. 1. Das Schwert. versehen, sondern mit unverwahrter Klinge auf der Schulter getragen, zu welchem Zwecke die Klinge von den Parierhaken bis zum Griffe mit Leder überzogen war. (Fig. 301.) Das Regiment hatte nur eine beschränkte Zahl von mit Schlacht- schwertern ausgerüsteten Landsknechten. Diese mussten sich mit einem Zeugnisse eines „Meisters vom langen Schwert“ über ihre Geübtheit in der Führung der Waffe ausweisen, bezogen dafür aber doppelten Sold. Diesen erprobten Leuten war zunächst der Schutz der Fahne und des Obersten anvertraut. Von dem Werte jener Waffe hatten Fig . 302. Schwert eines venezianischen Bogenschützen mit Griffbügel, einseitiger Parierstange und Parierhaken. Eisen. Klingen- länge 70 cm. Arbeit von Seravalle um 1520. Arsenal in Venedig. Fig . 303. Italienisches Fussknechtschwert mit Griffbügel und Parierspangen von Eisen. Klingenlänge 78 cm. Die Klinge ist Arbeit des Andrea Ferrara in Belluno um 1530. Arsenal in Venedig. die Kriegsleute und auch die Schriftsteller der Zeit zwar eine hohe Meinung, doch blieb deren Leistung infolge ihrer schwierigen Führung im Gewühle des Kampfes immer hinter den Erwartungen zurück. II. Die Angriffswaffen. Demungeachtet bildeten die martialisch aussehenden Schlachtschwert- rotten bis ans Ende des 16. Jahrhunderts den Stolz des Regimentes. Durch die Schweizer fand das Schlachtschwert auch in Italien einigen Eingang und zwar, wie wir bereits bemerkten, in der Form zwei- händiger Stecher. Das Kürissschwert, noch unter Kaiser Maximilian I. von der beschriebenen einfachen Form, verändert sich in der geworbenen Reiterei mit ungemeiner Raschheit, die Griffe erhalten Faustschutz, die Klingen werden leichter und schmäler; die italienischen Formen finden in den deutschen Heeren Eingang, weil die Friauler und Bres- cianer Werkstätten allein dem Massenbedarf zu entsprechen im stande waren. Diese fabriksmässige Erzeugung war die erste Veranlassung zu einer gleichförmigen Bewaffnung der Truppe (Fig. 302, 303). In der französischen Reiterei treten nach 1550 die Korbgriffe auf, welche bis an den Schwertknauf reichten und aus Schlagblech durchbrochen gearbeitet waren. Sie wurden meist von Italienern in Südfrankreich erzeugt. Eine besondere Schwertform mit langem Griffholz für andert- halb Hand, geraden, nach abwärts gerichteten Parierstangen und schmaler, zweischneidiger, etwa 90 cm. langer, spitzer Klinge tritt uns in den schottisch-englischen Heeren vor Augen, wo sie claymore , auch glaymore genannt wird. Im späten Mittelalter in Aufnahme gekommen, verliert sie sich schon am Beginne des 17. Jahr- hunderts. Der Umstand, dass um diese Zeit die schottischen Reiter mit einer der schiavona ähnlichen Waffe ausgerüstet wurden, welche sie, nebenher bemerkt, noch gegenwärtig tragen, hat zu einer Verwech- selung des claymore mit der schiavona Veranlassung gegeben. Die schiavona der Schotten besitzt einen schweren, durchbrochenen Korb aus Blech, der innen mit Leder ausgefüttert ist. (Fig. 304 a und b.) Um 1520, der Epoche der Verallgemeinerung des Krieges, gewahren wir das Bestreben, die Klinge der Schwerter zu anderen, als dem ursprünglichen Zwecke, zu benützen. So finden wir schon um etwa 1520 einschneidige Reiterschwerter mit als Säge gestaltetem Rücken, der zum Holzsägen verwendbar war. Andere haben an beiden Seiten einen Kalender eingeätzt, Kalenderschwerter ; wieder andere be- sitzen kreisförmige Hohlschliffe verschiedener Form. Man benutzte sie angeblich, um in der Nacht im Rosenkranzgebete durch das Tast- gefühl die Anzahl der Paternoster zu bestimmen; man nennt sie Schwerter mit Paternosterklingen . In Italien und Frankreich kommen gegen die Mitte des 15. Jahr- hunderts in den Fusstruppen Kurzschwerter in Aufnahme, deren Klingen mit jenen der späteren deutschen Landsknechte einige Ähn- lichkeit haben (Fig. 305), deren Griffe aber anders gefasst waren und die auch in anderer Art am Körper getragen wurden. An diesen Kurzschwertern treten häufig die Griffbügel auf; doch finden sich auch Griffe ohne diese mit S-förmig horizontal gebogenen Parier- A. Blanke Waffen. 1. Das Schwert. stangen. Weniger bei den Genuesen, als bei den Venezianern bilden sich besondere Formen von Kurzschwertern für die Seesoldaten heraus. Sie haben insgemein breite nicht viel über 60 cm. lange, flache Klingen. An den Griffen tritt zum Schutz der Hand das halbe Stichblatt auf. Diese Form erhält sich mit unwesentlichen Ände- rungen bis ins 18. Jahrhundert, ja ähnliche findet man noch heute an den Wänden der Batterien unserer Kriegsschiffe. Fig . 304. Schottische Schwerter . a. Claymore mit eisernem Griffe. 16. Jahrhundert. b. Schottisches Reiterschwert mit eisernem Griffe. 18. Jahr- hundert. Nach Drumond, Scotish Weapons. Es ist hier an der Zeit, der sogenannten Richtschwerter zu gedenken, welche, wenn sie auch nicht zu kriegerischem Gebrauch II. Die Angriffswaffen. dienten, doch ins Waffenfach gehören und in Sammlungen nicht selten angetroffen werden. Die ältesten Schwerter der Art, welche wir kennen, datieren vom Ende des 13. Jahrhunderts und stammen von städtischen Gemeinschaften, wo zuerst eine geregeltere Rechtspflege Platz ge- griffen hatte. Ihre Betrachtung erweist, dass von jener Zeit bis ins 18. Jahrhundert die Formen der Klingen gleich geblieben sind. (Fig. 306). Die Richtschwertklinge ist in ihrer ganzen Länge sehr breit, flach, kolbig, unterhalb meist flach abgerundet. In der Nähe Fig . 305. Italienisches Fussknechtschwert mit Griff- bügel und einfachem Parierring. 16. Jahrhundert, 2. Hälfte. Fig . 306. Richtschwert . Der Griff ist aus Messing, die kurzen Parierstangen sind mit Schellen besetzt. Auf dem Griffe ist nebst anderen Gestalten die heil. Katharina mit der Jahrzahl 1401 in roher Gravierung dargestellt. Ebenso finden sich auf der Klinge Galgen und Rad eingehauen. Deutsch. des Endes findet sich zuweilen ein Loch, welches vorerst dazu diente, das Schwert an der Wand aufzuhängen. Nach Berichten einiger Fachschriftsteller benutzten die Scharfrichter dieses Loch, um eine Bleikugel hineinzupressen und dann flach zu schlagen, um die Hieb- A. Blanke Waffen. 1. Das Schwert. wucht zu vergrössern. Dieser Gebrauch könnte sich aber erst aus dem 17. Jahrhundert herschreiben. Ältere Autoren berichten von Richt- schwertklingen, welche im Inneren einen hohlen Raum besassen, der zur Hälfte mit Quecksilber angefüllt war. Beim Hiebe strömte das Quecksilber mit Gewalt gegen die Spitze und steigerte die Wucht um ein Bedeutendes. Dem Verfasser ist unter zahllosen Richtschwertern auch nicht ein einziges derartiges unter die Hand gekommen. Es dürfte sich auch hier nur um vereinzelte Versuche gehandelt haben. Die meisten Richtschwerter weisen figurale Dessins und Inschriften auf, welche sich auf deren traurige Bestimmung beziehen. So führen viele Galgen und Rad, den Tod Christi, die schmerzhafte Mutter Gottes, die heilige Katharina etc. auf den Klingen. Nicht selten erscheint der Name des Scharfrichters mit einer Jahreszahl, dann bezügliche Bibelsprüche und moralisierende Verse, wie: „Wenn ich das schwert thu erheben, Wünsch ich dem sünder das ewige leben, Führ ich mit macht den todesstreich Kommt er von stund ins himmelreich.“ oder: „Wer findt eh’s verloren wird, Wer kauft eh’s feil wird, Der stirbt eh er alt wird.“ u. dergl. Die Griffe haben in der Regel nur eine Länge für zwei eng aneinander gepresste Fäuste, kurze Parierstangen, welche bei den ältesten Exem- plaren zuweilen mit Schellen besetzt sind. Wenn das Richtschwert eine Scheide besass, was nicht immer der Fall war, dann war diese in der Regel mit einem Besteck ausgestattet, welches 2 bis 3 Messer enthielt, die bei besonderen Hinrichtungsarten dienten. Wie nahezu bei allen Angriffswaffen kamen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts auch bei Schwertern und Haudegen Schiess- vorrichtungen vor. Sie sind, je nachdem deren Läufe an nur einer oder beiden Klingenflachseiten angeordnet sind, einfach oder doppelt, die Radschlösser liegen meist unterhalb oder zunächst des Ansatzes. Ihre Brauchbarkeit im Gefechte kann nur gering gewesen sein. Mit Vorliebe wurden derlei Schiessschwerter bei Festlichkeiten, Turnieren u. dergl. verwendet, wo sie zur Vermehrung des Geräusches trefflich dienten. In dem 1560 zu Wien erschienenen sogenannten „Turnier- buche“ des Hans Francolin jun., die Beschreibung der von Kaiser Ferdinand I. in diesem Jahre veranstalteten Festlichkeiten enthaltend, ist auf Tafel IV von Hans Lautensack ein Geharnischter zu Pferde dargestellt, der während des Plankengestechs sein Schiessschwert schwingend entladet. Gegen das Ende des 16. Jahrhunderts sehen wir die deutsche Reiterei mit Schwertern, welche auffällig kurze, breite Klingen besitzen, während die Italiener Korbschwerter mit langen Klingen tragen, die einen Übergang zum Haudegen darstellen. Ganz im Gegenteile gefällt sich nun das Fussvolk in Haudegen mit übermässig langen II. Die Angriffswaffen. Klingen. In der Verzierung der Klingen tritt mit dem Beginne des 16. Jahrhunderts eine bemerkenswerte Änderung insofern ein, als die neue Erfindung der Ätzkunst nun auch hier als Ziermittel zur Verwendung gelangte, während wir vor diesem Zeitpunkte nur gravierten Klingen begegnen. Von Italien her kam das Bläuen der Klingen und das Verzieren durch Goldschmelz in Aufnahme. Auch Fig . 307. Persi- sches Schwert mit Wurfspiess samt Leder- scheide. Die Klinge ist aus feinem Chorassan- stahl. Ältere Form, die an solche des 16. Jahrh. sich anreiht. das Violett- und Rotanlaufen der Klinge kommt in Aufnahme, nicht minder die ein- oder auf- geschlagene Tausia. Im 30jährigen Kriege er- scheinen die kaiserlichen Reiter mit mässig langen Schwertern, deren Griffe viel Ähnlichkeit mit den schiavonas besitzen. Nach dem Schlusse des deutschen Krieges beim Beginne der Türkenkriege tritt ungarischer Einfluss immer merkbarer auf; er erstreckt sich bald auf alle westlichen Heere. Nun nimmt die deutsche Reiterei eine Waffe mit gerader Klinge und säbelartiger Fassung an, die direkt von dem alten ungarischen Säbel ab- stammt. In dieser Form findet sie auch in dem französischen Heere Eingang. Die säbelartige Fassung charakterisiert sich besonders durch das nach vorn gebogene Griffholz, welches rückwärts mit einem Beschläge, der sogenannten „Kappe“, verstärkt ist. Die übrigen Bestandteile sind die Parierstange, das Stichblatt, bei älteren Exem- plaren an der inneren Seite auch der Daumen- ring, endlich der Griffbügel, dieser oft in Ver- bindung mit einem Korbe. Das Fussvolk erhält um jene Zeit eine Waffe, deren Fassung ein französisches Muster darstellt; es ist eine kurze Klinge mit dem Griffe des noch heute üblichen Degens; mit diesen Umwandlungen verschwand das Schwert in seiner alten charakteristischen Ge- stalt aus den Heeren. In der ältesten Zeit bedienten sich die Inder, Perser und Araber des Schwertes mit gerader Klinge, wie im Occident. Ein Unterschied bestand bloss in der Form des Griffes und der deko- rativen Ausstattung. (Fig. 307.) Diese Griff- formen fanden im Verlaufe der Zeit in den asia- tischen Ländern eine andere Ausgestaltung als im Westen, wie in Sizilien, an der afrikanischen Küste und im maurischen Spanien, und der Gegensatz ist selbst in stilistischer Hinsicht nicht unbedeutend. Im frühen Mittelalter tritt unter den Turkmanen das Krumschwert auf, das vom 9. Jahrhundert an die A. Blanke Waffen. 2. Das Krummschwert und der Säbel. allgemeine Waffe des Orientalen bildete. Nur die Mauren hingen bis ins 15. Jahrhundert hinein zähe an der alten Form. (Fig. 291.) Von der Zeit Harun-al-Raschids , also vom Anfang des 9. Jahrhunderts an kommen die Klingen von Khorassan zur Geltung, anfangs im Oriente, später unter den Vornehmen der gesamten Welt. Noch bis ins 16. Jahrhundert kommen von dort über Venedig und Genua Massen von Khorassanklingen in den Handel. Sie haben einen dunkelgrauen Ton und sind mit Verzierungen in Gold- und Silber- tausia ausgestattet, in welchen Kraniche oder andere Vögel einge- streut erscheinen. Vom 17. Jahrhundert an werden in dem Westen Europas nur noch Säbelklingen aus Damaskus bezogen. Über die orientalische Kunst des Damaszirens werden wir später Näheres be- merken. 2. Das Krummschwert und der Säbel. Die krumme einschneidige Klinge ist vom Gesichtspunkte des Gebrauches als ein wesentlicher Fortschritt in der Kriegstechnik an- zusehen und ihr erstes Auftreten in Westeuropa schon im frühen Mittelalter lässt ein eingehendes Studium der Wirkung der Waffe in jener Zeit erkennen Das Schwert mit gerader Klinge hatte beim Hiebe selbst bei grosser Kraftanwendung zwar eine zerschmetternde Wirkung auf feste Körper; auf weiche Teile wie Fleischpartien treffend, war aber die Eindringungsfähigkeit auffällig gering. Die krumme Klinge dagegen wirkt nicht allein senkrecht auf den Treffpunkt, also nur hackend, sondern infolge der Krümmung der Schneide und der Hiebbewegung auch nach der Richtung der Klinge, somit schneidend, wodurch die Eindringungsfähigkeit erheblich sich steigert. Das krumme Schwert, ἀκινάκης (acinaces), war von der ältesten Zeit an die Nationalwaffe der Perser. Erst im 3. Jahrhundert, unter den Sassaniden fand das gerade Schwert der Griechen dort Eingang. Darius Codomanus führte unter grossem Widerstande des Volkes diese Neuerung ein, aus der die Chaldäer den Sturz des Perserreiches weissagten. Ungeachtet der häufigen Berührungen mit dem Oriente, namentlich von den Kreuzzügen an, hatte das Krummschwert in den Ritterschaften des westlichen Europas das ganze Mittelalter hindurch wenig Eingang gefunden, und die Ursache dürfte wohl darin zu suchen sein, dass im occidentalen Gebiete wenigstens gegen die Schutzwaffen auf eine mehr zerschmetternde Wirkung der Klinge Wert gelegt werden musste. Immerhin treffen wir in Miniaturen aus der Zeit des 3. Kreuzzuges Ritter, die mit Krummschwertern bewaffnet sind. II. Die Angriffswaffen. Vom 4. Jahrhunderte an, zuerst in Italien, später auch unter den Franken, wird das kurze Krummschwert eine beliebte Waffe des Fussvolkes, das, wie wir wissen, immer mit weniger widerstandsfähigen Schutzwaffen ausgerüstet war. In Frankreich tritt es um die Mitte des 13. Jahrhunderts unter der Bezeichnung fauchon als messer- artige Waffe mit gegen die Spitze zu sich verbreitender und dort vom Rücken aus schräg abgeschnittener Klinge, also in vollkommen orien- talischer Form auf. Unter diesem Namen, der unzweifelhaft sich von dem Worte faux, „Sense“, ableitet, erscheint diese Waffe bis gegen das Ende des 14. Jahrhunderts. Von da an erscheint sie mit etwas längerer und mehr bizarr geformter Klinge als bazelaire , später badelaire . Sie erhielt sich bis ins 17. Jahrhundert, wenngleich sie immer als Messer angesehen und immer weniger beachtet wurde. Sehr schwere, einschneidige und nur an der Spitze auch am Rücken zugeschliffene krumme Hiebwaffen nannte man in England und Frankreich Craquemarts . Sie erscheinen neben den badelaires im 14. Jahrhundert und werden vorzugsweise von Seesoldaten geführt. Eine Abart derselben mit mehr gekrümmter, an der Spitze sich ver- breitender und am Rücken eckig eingezogener Klinge wird im späten Mittelalter malchus genannt. Das kurze Krummschwert mit messer- artiger Klinge war unter verschiedenen Bezeichnungen bis ans Ende des 16. Jahrhunderts die gemeine deutsche Bauernwehre; als solche wird es im 14. und 15. Jahrhundert unter dem Fussvolke in ganz Deutschland bis in den Norden hinauf angetroffen. Im 14. Jahr- hundert erscheint dasselbe auch häufig mit dem Faustschilde, wie wir an dem schönen Kreuzigungsbilde des Gerard David in der Berliner Galerie (573) und in einem solchen der Kunstsammlung im Stifte Klosterneuburg ersehen. (Fig. 202.) Eine eigene Art von Krummschwertern wurde um die Mitte des 16. Jahrhunderts von den venezianischen Seesoldaten geführt: das sogenannte Sägeschwert , dessen Klinge von 45 cm. Länge an der Scheide gezähnt gebildet war und unterhalb gebogen in die Spitze lief. Der Griff besass nur Parierstange mit anlaufendem Griff- bügel und kurzen Parierknebel. In den gemeiniglich nur kurz an- dauernden Entergefechten mochte die Form einige Vorteile besitzen, da schon ein schwacher, ungezielter Hieb einen Mann ausser Gefecht setzen konnte. Alle diese Schwerter wurden in Belluneser Werk- stätten gefertigt. (Fig. 308.) Die ältesten asiatischen Krummschwerter treten unter dem Namen scymitar auf, vermutlich eine Ableitung von dem persischen chimichir, schemschir , was schlechtweg Schwert bedeutet; im Munde der Franzosen verwandelte sich diese Bezeichnung in sauve- terre und cimeterre . Mit dem fauchon ist der Scymitar nicht zu verwechseln, da dessen Klinge bei 70 cm. Länge mass, somit immer länger und gestreckter war. Im Türkischen heisst das Krumm- A. Blanke Waffen 2. Das Krummschwert und der Säbel. schwert mit nicht sehr gekrümmter Klinge seif ; jenes mit stark gekrümmter, also säbelartiger Klinge kilîdsch . Die Abbildungen der Krummschwerter in den Miniaturen sind bezüglich der Klingenformen häufig übertrieben. Diese Übertreibung setzt sich bis in die Renaissanceepoche fort. Man findet in den Stichen Burgkmairs, Jost Amans und anderer gleichzeitiger Meister ganz ungeheuerliche Formen, die nie existierten. Fig . 308. Venezianisches Marineschwert mit sägeförmiger Klingenschneide. Der Eisengriff besitzt Parierstangen, aufgebogenen Parierknebel und Griffbügel. Um 1515. Fig . 309. Courtelas (coltellagio) mit Griff aus geschnittenem Eisen, vergoldet und in Goldtausia geziert. Die schwere Klinge ist gleichfalls mit geschnittenen und in Gold und Silber tauschiertem Band- ornament ausgestattet. Italienisch um 1565. Fig . 310. Zweihändiges Fechtschwert mit krummer Klinge welche noch dem 14. Jahrhundert angehört, mit eingeschlagenen romani- sierenden Ornamenten; sie trägt den Passauer Wolf. Deutsch, Fassung vom Anfange des 15. Jahrhunderts. Das Schwert ist dem Fürsten von Albanien Georg Castriota (1403—1467) zugeschrieben. A. Blanke Waffen. 2. Das Krummschwert und der Säbel. In Italien, namentlich in den Freistaaten Venedig und Genua, welche, friedlich oder feindlich, in einer ununterbrochenen Berührung mit dem Oriente standen, ja welche selbst orientalische Völker- schaften beherrschten, finden wir das Krummschwert unter der Be- Fig . 311. Dusägge aus Eisen, roh geschmiedet. 15. Jahr- hundert. Fig . 312. Türkischer Säbel des Grafen Niclas Zrinyi , Banus von Croatien (gefallen 1566). Beispiel eines türkischen Säbels älterer Form mit kurzem Griff und langen Parierstangen mit rauten- förmigem Mitteleisen. Der Griff mit Kappe von vergoldetem Silber, auf welcher das Zrinyische Wappen graviert ist, zeigt oberhalb ein Loch für die Handschnur. Die Scheide, von schwarzem Samt, ist mit Kuppelringen versehen, welche dazu dienten, die Waffe um die Leibes- mitte zu tragen. Um 1540. Boeheim , Waffenkunde. 18 II. Die Angriffswaffen. zeichnung coltelaccio, cortelas , d. i. grosses Messer (Fig. 309), in ihren Heeren bis ins Mittelalter hinauf vertreten. In Deutsch- land erscheint es unter der korrumpierten Bezeichnung Kordelatsch oder Kordalätsch. Venedig ist im Fache der Waffen bis ins 17. Jahrhundert als die rege Vermittlerin zwischen dem Oriente und dem Occidente anzusehen. Aus diesem Umstande erklärt sich die Aufnahme des coltelaccio als Waffe in den venezianischen Fecht- schulen der Markusbrüder im 14. Jahrhundert, und wir treffen sie da nicht nur einhändig, sondern später auch zweihändig. Der schnabelförmig endende Griff und der muschelförmige Ansatz (Parier- knebel) an der Parierstange kennzeichnet die orientalische Herkunft dieser Fechtschwerter vollends. (Fig. 310.) Im 15. Jahrhundert wurde dieses Krummschwert eine beliebte Waffe der deutschen Städte- bürger, die immer die anhänglichsten Schüler der wandernden italie- nischen Fechtschulen gewesen waren. Für den Gebrauch im Feld- kriege sehen wir den coltelaccio unter den im venezianischen, im päpstlichen und später auch im französischen Heere in Albanien ge- worbenen Stradioten schon im 15. Jahrhundert. In der italieni- schen Reiterausrüstung um 1570 erscheint der coltelaccio im Vereine mit der spada, dem Schwerte. In den Heeren der Nationen an den Grenzen des Orients, wie jener Ungarns, Polens, des mosko- witischen Reiches war von der ältesten Zeit an der orientalische Einfluss in der Bewaffnung dem occidentalen weit überwiegend, ja in der Form der Krummschwerter und der späteren Säbel ist die türkisch-arabische Form von der ungarischen sehr schwer zu unter- scheiden, nur die moskowitischen und polnischen Säbel lassen einige kleine Unterschiede erkennen. Der orientalische Einfluss ist auch an einer europäischen Waffe des 15. Jahrhunderts, der sogenannten Dusägge , zu erkennen. Diese Dusägge ist nichts anderes als ein rohes Stück Eisen, krumm in die Spitze laufend, mit breitem Rücken und stumpfer Schneide; am unteren Ende ist ein längliches Loch ausgesägt, welches als Handhabe dadurch dient, dass die vier Finger in dasselbe hineingreifen. Man hat bisher den Ursprung des Namens Dusägge in Böhmen gesucht; derselbe könnte sich aber auch von dem altdeutschen „tusic“, stumpf, oder von dem ebenfalls altdeutschen „twoseax“ her- leiten, welches soviel als Doppelmesser bedeutet. Für die erstere Annahme spricht, dass diese plumpe Waffe seltener als Kriegswaffe, hauptsächlich aber auf Fechtschulen gebraucht wurde. (Fig. 311.) So schwierig es sonst ist, an stilistischen Merkmalen einen orien- talischen Gegenstand auf sein Alter hin zu beurteilen, so macht doch darin der türkische Säbel eine Ausnahme, der der sonstigen Starrheit aller Lebensformen entgegen, vom 15. Jahrhundert an eine ununter- brochene Formenumbildung erkennen lässt. So sehen wir den tür- kischen Säbel des 16. Jahrhunderts ohne Knauf, während jener des A. Blanke Waffen. 2. Das Krummschwert und der Säbel. 17. Jahrhunderts in einem schneckenförmig ausladenden Knopf endet; die Klingen, anfänglich nur wenig, später übermässig gekrümmt, ge- Fig . 313. Indischer Säbel . Der Griff von Eisen ist mit Orna- menten in Goldtausia nahezu völlig bedeckt. Die Klinge mit scharfen, unterbrochenen Hohlschliffen besitzt der Länge nach einen Schlitz, in dessen Führungskanten Perlen eingeschmiedet sind, welche sich nach auf- und abwärts bewegen. Sammlung des regierenden Fürsten Johann zu Liechtenstein. Fig . 314. Türkischer Säbel späterer Form mit in einen kugel- förmigen Knauf auslaufendem, mit schwarzem Bein belegtem Griffe. 18. Jahrhundert. 18* II. Die Angriffswaffen. stalten sich allmählich mehr bogenförmig und werden zuweilen ausser- ordentlich schmal. Fig. 315. Fig . 315. Persischer Säbel mit Griff aus Elfenbein aus dem Besitz des Schahs Sultan Hussein (regierte 1700—1722). Die schöne tauschierte Damask- klinge ist Arbeit des Waffenschmiedes Essedulah in Ispahan. Fig . 316. Persischer Säbel mit Griff von Elfenbein, mit Halbedelsteinen besetzt. Moderne Arbeit. A. Blanke Waffen. 2. Das Krummschwert und der Säbel. Der ältere Griff an orientalischen Krummschwertern ist für uns auch darum wichtig, weil aus ihm sich allmählich der heutige Säbel- griff herausgebildet hat. Speziell ist es die am oberen Griffende sitzende „Kappe“, welche ein charakteristisches Merkmal darstellt, wie nicht minder die nach auf- und abwärts gerichteten Ansätze an der Parierstange (Mitteleisen). Die Kappe breitete sich später über den Rücken des Griffes aus, dadurch wurde der moderne Griff in seiner heutigen Gestalt gebildet. Die vordere Parierstange fiel weg und wurde durch den Griffbügel ersetzt. Die Ansätze aber finden wir noch an Infanteriesäbeln vom Anfange unseres Jahrhunderts. Voll- ständig von den Orientalen ist die heute übliche Tragart an der Schleppkuppel abgenommen, welche schon im 15. Jahrhundert, wenn nicht früher im Oriente gebräuchlich war. Der Säbel Zrinyis (Fig. 312) gibt hierzu einen deutlichen Beleg. Bemerkenswert ist an orientalischen Krummschwertern der Ab- gang des Griffbügels, ungeachtet er sich an arabischen Schwertern findet. An ungarischen Säbeln ist derselbe durch eine Kette (Bügel- kette) ersetzt, die eigentlich nutzlos ist. Häufig ist die Kappe durch- löchert und durch die Öffnung eine Schnur gezogen, die, da sie im Gefechte um die Hand gewunden wurde, einen praktischen Nutzen gewährte. Auch diese Handschnur fand in Europa Nachahmung. Wiewohl die Eisenindustrie von Damaskus vom 15. Jahrhundert an im merklichen Rückgange begriffen war, so gelang es ihr doch noch, die persischen Klingen vom westorientalischen Markte nahezu zu verdrängen, so dass um 1550 Khorassanklingen nur über Griechen- land und Venedig einen Weg fanden. Vom 16. Jahrhundert an be- schränkten sich die Damaszener Werkstätten hauptsächlich nur auf die Erzeugung von Säbel- und Dolchklingen und überschwemmten damit den ganzen Orient. Die Damaszener arbeiteten ebenso die gemeinste Ware wie Klingen von ausgezeichneter Güte. Für die Erzeugung der letzteren hatten sie ein übrigens aus Indien stammen- des Verfahren, welches sie lange als Geheimnis bewahrten und nur an ihre Söhne selbst vererbten; aus diesem Verfahren erstand der seit dem 16. Jahrhundert so berühmt gewordene Damaszenerstahl , dessen hoher Wert sich später nicht nur für Klingen, sondern auch für Gewehr- läufe darstellte. Dieser Stahl, über dessen Herstellung wir an be- treffender Stelle noch näher sprechen, ist schon äusserlich durch eine gewässerte, von Streifen oder Spirallinien bedeckte Oberfläche kenn- bar, wurde aber schon im vorigen Jahrhundert und wird bis heute, namentlich in Frankreich, vielfach nachgeahmt. Von etwa sieben besonderen Arten nennen wir nur die charakteristischsten: den Banddamast mit streifigen Linien und den so geschätzten, nebenher gesagt, aber weit leichter zu erzeugenden Rosendamast mit spiralen Linienformen. Die orientalischen Klingen der Krummschwerter und Säbel haben Fig . 317. Polnische Karabela mit Griffbelag aus Schildpatt und in Silber montiert. 17. Jahrh. Fig . 318. Japanisches Schwert (katana) mit geschnürtem Griff und hölzerner, mit Lack be- malter Scheide. Moderne Arbeit. A. Blanke Waffen. 2. Das Krummschwert und der Säbel. mit allem Recht stets einen hohen Ruhm genossen. Besonders waren es die indischen Klingen, welche in der Güte sowohl als auch in ihrer Auszierung Staunen erregten. Wir finden solche in einer Ausstat- tung, deren Fertigungsart uns geradezu unerklärlich ist. So die indische Säbelklinge (Fig. 313), in deren rinnenartig der Länge nach laufendem Spalt eine Reihe Perlen gefasst ist. Wie mussten diese eingefügt sein, ohne dass auch nur eine verletzt wurde? Auch an Handscharklingen aus Damaskus ist die Einfügung und Fassung von Korallen oder Türkisen zu bewundern. Die Formenvarianten orientalischer Säbel finden allgemeine An- deutungen in den Figuren 314, 315, 316 und 317. Die Scheiden der orientalischen Krummschwerter zeigen eine von den europäischen wesentlich unterschiedene Form schon durch die eigenartigen Beschläge. Bei ihnen tritt zuerst das Mundblech auf, das Ortband reicht an der vorderen, der Schneidekante weit hinauf zum Schutze vor dem Steigbügel. Die Ringbeschläge bestehen aus 2 bis 3, oft aber auch 5 bis 6 schmalen Spangen. Bei Säbel- scheiden für sehr gekrümmte Klingen ist die schmale Rückenfläche zunächst der Mündung derart eingerichtet, dass diese sich beim Her- ausziehen der Klinge federartig öffnet. Die Scheide selbst ist mit den mannigfachsten Materialien überzogen, meist mit Chagrinleder, aber auch mit Damaststoffen oder mit rauher oder abgeschliffener Fischhaut u. dgl. Die praktisch ausgestattete orientalische Scheide wurde schon im 15. Jahrhundert, wenn nicht gar früher, in Europa nachgeahmt, wir treffen sie nicht selten bei Schwertern im östlichen Deutschland, zahlreich aber in Ungarn und den dort angrenzenden Ländern. In den arabisch-türkischen Ländern bildete sich, veranlasst durch die Streitweise, seit dem 16. Jahrhundert eine Waffenform heraus, welche, soweit hierher gehörig, in der Dimension und der Form der Klinge zwischen dem Säbel und dem Dolchmesser in der Mitte steht; es ist dies der Khandschar , gemeiniglich Handschar ge- nannt. Der grosse Handschar hat eine zweifach gebogene, in eine Spitze auslaufende Klinge. Die Schneide ist anfänglich leicht konkav, gegen das Ende zu konvex gekrümmt. Der kleine Handschar, gewöhnlich auch Yatagan genannt, stammt in dieser Form aus Ostindien; seine Klinge ist messerartig spitz und leicht ge- krümmt. Der Griff des Handschars ist eigentümlich. Ursprünglich bestand er aus dem Ende eines Röhrenknochens, aus welcher Urform sich später jener charakteristische zweilappige Knauf (pommeau à oreilles) herausgebildet hat. Der Griff besitzt keine Parierstange. Die meist sehr reich in Tausia gezierte und mit orientalischen In- schriften, Koransprüchen u. dgl. ausgestattete Klinge steht mittelst einer Zwinge mit dem Griffe in Verbindung. Die Scheide, gewöhnlich von einem stark ovalen Querschnitte, hat einen Bezug von Leder, Stoffen, II. Die Angriffswaffen. Fig . 319. Türkischer Handschar mit Griff aus Wallrosshorn, mit Silber montiert und mit geschnit- tenen Korallen besetzt. Aus dem Besitze des Fürsten Milosch Obrenowitsch . Modern. auch wohl von Silberblech, welches in ge- presster Arbeit reich geziert ist. Handschars wer- den im Gürtel auf der Brust getragen. (Fig. 319.) Es war ohne Zweifel eine Folge der Über- zeugung von dem Vorteile gekrümmter Klingen, dass das Krummschwert um die 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts sich über den ganzen euro- päischen Kontinent verbreitete. Zu jener Zeit führten es die schweren Reiter der Holländer, welche ihrer Waffe halber gefürchtet waren. Am Ende des 17. Jahrhunderts erfährt das Krummschwert allenthalben in Bezug auf die Fassung und Griffform eine Wandlung, durch welche es eigentlich zum Säbel wird. Das Wort stammt aus dem slawischen sabla, die Form aber aus Ungarn, woher das westliche Europa schon seit Jahrhunderten unterschied- liche Waffenformen sich aneignete. Aber erst in den französischen und deutschen Heeren er- hält der Griff jene Ausbildung, wie er noch zur Stunde uns vor Augen tritt. Der Griff des Säbels charakterisiert sich speziell durch das Rückenbeschläge am Griffholze. Sieht man an ungarischen Säbeln noch — meist S-förmig gekrümmte — Parierstangen, so fehlen sie bei jenen in den westlichen Heeren gänz- lich und sind durch Stichblätter mit Griffbügel oder Körben aus gegossenem Messing oder aus Eisen ersetzt. Säbel mit wenig gekrümmter oder gerader Klinge wurden im Gegensatze zu den mehr gekrümmten der Husaren im öster- reichischen und preussischen Heere Palasche genannt. In der Auszierung der europäischen Klingen findet sich ebenso der Geschmack wie der Zeitgeist scharf ausgeprägt. Im 16. Jahrhundert ist in den geätzten Verzierungen durch die Schönheit und Korrektheit des Ornamentes der Geist der Renaissance waltend. Später im 17. Jahrhundert nimmt die künstlerische Fähigkeit stetig ab und in die Darstellungen mengt sich nicht selten der rohe Soldatenwitz. In den Türkenkriegen werden häufig Sonne und Mond, dann eine aus Wolken ragende, mit einem Krummschwert bewehrte Hand, A. Blanke Waffen. 3. Der Degen. türkische Reiter u. dergl. ziemlich roh dargestellt. Häufig finden sich Klingen mit der Bezeichnung FRINGIA, sie gehörten zu den gesuchtesten und wurden in Ungarn mit hohen Preisen bezahlt Diese Klingen sind steirischer Herkunft, die Buchstaben bedeuten: FRIDERICUS (III.) REX (Hungariae) IN GERMANIA IMPERATOR AUGUSTUS. Bei ihrer Beliebtheit wurden sie vielfach gefälscht und absichtlich oder unabsichtlich oft die Buchstaben etwas verändert in FRINA; FRIMIA u. dergl. Auf Klingen der ungarischen Husaren des 18. Jahrhunderts findet sich häufig der deutsche Reichsadler und die Devise Vivat Maria Theresia. Dieselben, gleichfalls steirischer Arbeit, wurden selbst von den Türken geschätzt, aber auch andere Devisen, wie Vivat Franciscus (Rakotzy) oder Vivat Pandur u. dergl. erinnern an ungarische Geschichtsmomente. Zu den Krummschwertern ist, wie bereits bemerkt, das japa- nische Schwert zu zählen. Man unterscheidet bei selbem den Griff Touka, und die Scheide Saya. (Fig. 318.) An dem scheiben- förmigen Stichblatt befinden sich oft Löcher in welchen das Schwert- messer Ko-dzuka und die Schwertnadel Kô-gai sich befand. Die Klingenmarken sind an der Angel angebracht und erst zu erblicken, wenn man von dem Griffholz die Querstifte entfernt, wonach die Klinge sich leicht herausziehen lässt. Die besten Klingen Masamunês stammen aus dem Jahre 1326. Ein ausführliches Werk über alle japanischen Waffen ist Zenkea-Kojitson von Kiku-du Yo-sai aus Kioto. 20 Bände mit Illustrationen. 3. Der Degen. Der Degen, eigentlich nur eine Abart des Schwertes, unter- scheidet sich von diesem bloss durch die schmälere, mehr auf den Stich als auf den Hieb berechnete Klinge. Der Name ist wie bei der Glaive und anderen Waffen eine Übertragung von einer anderen Stichwaffe, die im Verlaufe der Zeit eine geänderte Benennung erhielt. Schon vom 12. Jahrhundert an erscheint in Deutschland der von den Adligen getragene lange Dolch unter der Bezeichnung „dêgen“, wie ja noch heute der Dolch im Französischen dague, im Italienischen und im Spanischen daga benannt wird. Da in keiner Sprache der westlichen Nationen ausser der deutschen für diese Art Waffen, die Spezialform des Stossdegens, fr. estoc, ital. stocco, ausgenommen, eine besondere Bezeichnung existiert und dieselbe allenthalben als Schwert benannt wird, so ist nur anzunehmen, dass die Deutschen, welche II. Die Angriffswaffen. diese Waffe erst am Beginne des 16. Jahrhunderts, und zwar aus Spanien erhielten, mit ihr auch eine provinzielle Bezeichnung, dagon, langer Dolch, in ihre Sprache herübernahmen, da die ersten Degen in der That keine besonders langen Klingen besassen, und es damals oft schwer zu sagen war, was noch als langer Dolch und was als Schwert bezeichnet werden sollte. Wenn auch der Degen durch die Kavaliere Karls V. und Ferdinands I. nach Deutschland kam, so ist doch die Entstehung dieser leichten Blankwaffe in jenem Lande zu suchen, in welchem die Fechtkunst ihre ersten Anfänge hatte, in Italien; denn keine Waffe ist in ihrer Form so sehr auf die Geschicklichkeit in der Führung angewiesen wie der Degen. Aus dieser Ursache sehen wir auch auf den Faustschutz beim Degen weit mehr Sorgfalt verwendet als beim Schwerte, ja Spanien, Italien, später auch die Niederlande und Frankreich rivalisieren im 16. und 17. Jahrhundert in ebenso komplizierten als raffiniert konstruierten Formen zur Erzielung eines ausgiebigen Faustschutzes. Die ersten Griffformen im 15. Jahrhundert stellen sich als Spangengriffe dar, mit langen, geraden Parierstangen anf änglich mit nur aussen liegendem (einfachen), später mit beiderseits angeordnetem Parierringe . Später kamen die Faustschutzbügel (pas d’âne) hinzu, welche, wie bereits erwähnt, tief herabreichten, um die Faust in der Parade mehr zu sichern. Mit diesen in Verbindung treten die Spangenkörbe auf mit oft bizarren Formen. Erst um die Mitte des 16. Jahrhunderts und an- fänglich nur bei italienischen Hofdegen erscheinen die Griffbügel , mit diesen zugleich die sogenannten Stichblätter , welche wir ein- seitig, öfter aber zweiseitig antreffen; sie sind mehr in Italien in Gebrauch. In allen diesen oft voneinander abweichenden Formen bekundet sich immer von seiten des Verfertigers eine sorgsame Be- rechnung der Eventualitäten im Einzelgefechte. Die Griffformen an Degen des 16. und 17. Jahrhunderts sind so mannigfaltig, einzelne dabei so kompliziert, dass es wünschenswert erscheinen muss, die häufigst vorkommenden derselben hier anzuführen und deren einzelne Teile zu benennen: 1. Degen mit einfacher Parierstange. — 2. Degen mit Parierbügeln (zwei nach abwärts gegen die Klinge zu gerichtete gebogene Spangen; der Übergang zum Faust- schutzbügel). — 3. Degen mit einseitigem oder zweiseitigem Parier- ringe (ein an der äusseren oder an beiden Seiten an Mitteleisen befindlicher Ring, der bestimmt ist, den Hieb an der Parierstange auf- zufangen). — 4. Degen mit einseitigem oder zweiseitigem Faustschutz- bügel. (Er entsteht eigentlich nur aus einer Verbindung der Parier- bügel durch eine gebogene Spange, die eigentlich den Zweck hat, den Hieb noch in angemessener Entfernung von der Faust parieren zu können.) Fig. 320. — 5. Degen mit ein- oder zweiseitigem doppelten Faustschutzbügel (eigentlich ein Faustschutzbügel vor dem anderen, die Form kommt seltener vor Augen.) — 6. Degen mit Griffbügel. A. Blanke Waffen. 3. Der Degen. — 7. Degen mit Griffbügel und Spangen (der Übergang zum Korb). — 8. Degen mit Faustschutzbügel und Spangen (eine S-förmig ge- bogene Spange, gewöhnlich nur äussere, die von der Parierstange quer zum Faustschutzbügel herabreicht). — 9. Degen mit Faustschutz und einem oder zwei Parierknebeln (ein oder zwei Fortsätze, die, von der Parierstange oder vom Faustschutz etwas aufwärts gebogen, nach vorne zu reichen. Sie dienen zum Schutz der Knöchel; die Form ist Fig . 320. Degen aus geschnittenem Eisen, teilweise vergoldet und tauschiert. Der Griff enthält Parierstange, Parierbügel, einfache Faustschutzbügel und geschweiften Griffbügel. Kais. Waffensammlung zu Zarskoë-Selo. ursprünglich mailändisch). (Fig. 321, 322.) — 10. Degen mit Stich- blatt im Parierring (einfachste Vorkehrung, um sich gegen den Stich zu schützen). (Fig. 323). — 11. Degen mit Stichblatt am Faustschutz- bügel (ein meist durchbrochenes eiförmiges Blechstück, das am unteren II. Die Angriffswaffen. Teile des Bügels haftet und nach aufwärts reicht (ihre Bestimmung ist, den Stich schon in gewisser Entfernung von der Hand aufzunehmen). — 12. Degen mit halbem oder ganzem Korbe (entweder Spangenkorb, durchbrochenem Korb aus Blech oder Drahtkorb. Man unterscheidet den runden, tellerartigen Korb, vom Scheibenkorb und vom ge- schwungenen). Zieht man nun die Kombinationen dieser einzelnen Vorrichtungen in Rechnung, so kann man sich nur nach dem hier gegebenen Schema die zahllosen Varianten in den Griffformen vorstellen. Fig . 321. Degen Karls V. aus geschnittenem Eisen mit Ver- zierungen in Goldtausia. Die flache Klinge ist in Hochätzung ausge- stattet und enthält den Kalender des Jahres 1530, ferner die Inschrift „Carolus Romanorum semper vltra 1530. Ambrosio Gemlich de Mo- naco etc.“ Der Griff besteht aus geschwungenen Parierstangen als Übergang zum Griffbügel, Parierbügeln und einem Parierknebel. Der Degen erscheint am Beginne des 15. Jahrhunderts zuerst an spanischen und einigen italienischen Fürstenhöfen, wo er über- haupt den Dolch ersetzte; weit später, im 16. Jahrhundert, taucht er als Haudegen unter den leichten spanischen und italienischen Reitergeschwadern auf. Hier erhält er auch eine oft übertriebene A. Blanke Waffen. 3. Der Degen. Klingenlänge. Ist die Klinge des Degens einschneidig und nur an der Spitze zweischneidig, dann bezeichnet man sie als Haudegen- klinge ; ist sie zwei-, drei- oder vierschneidig, als Stossdegen- klinge . In einer Herausforderung des Hans von Degenfeld (1464) erscheint die Bezeichnung „ pratspiess “; damit ist nicht eigentlich ein Degen, sondern ein Pörschwert gemeint. Degen mit breiteren zweischneidigen Klingen werden zuweilen, wiewohl fachwidrig, als Haudegen bezeichnet. Sind die Klingen sehr schmal, pfriemenartig und nicht sehr oder gar nicht federkräftig, dann Fig . 322. Degen aus geschnittenem Eisen und reich vergoldet. Der Griff besteht aus einer gebogenen, in den Griffbügel übergehenden Parierstange, Parierbügeln und zwei Parierknebeln. Italienisch. 16. Jahr- hundert, 2. Hälfte. Kgl. hist. Museum in Dresden. Fig . 323. Degen aus geschnittenem Eisen. Der Griff besitzt ein Stichblatt im Parierring und zwei Parierknebel. Italienisch. 16. Jahr- hundert, 2. Hälfte. Kgl. hist. Museum in Dresden. nannte man sie Stecherklingen ; sehr biegsame aber Rappier- klingen , besonders dann, wenn sie in breite Körbe gefasst waren. Mit der Bezeichnung stocco verstand der Italiener anfangs nur II. Die Angriffswaffen. jene Stecher oder Stossdegen, deren Klingen vollständig unbiegsam waren, im Gegensatze zur puma, womit eine biegsame Klinge be- zeichnet wurde. Diese letztere Bezeichnung übertrug sich auch in die deutsche Sprache, indem man professionelle Degenfechter Federfechter nannte. In späterer Zeit erhielt das italienische Wort stocco, wie das französische estoc einen etwas erweiterten Begriff dadurch, dass er sich nun auf alle Degenformen ausdehnte. Um 1560 wird das Tragen von Degen auch im Fussvolke Sitte. Im ganzen südlichen Europa wird nun der Degen zur Kavalierswaffe, nebenher zum unzertrennbaren Begleiter für alle Glücksritter, Abenteurer und Raufbolde. In dieser Sphäre erhält er eine charakteristische Form als Raufdegen mit kurzer Handhabe, halbkugelförmigem, durch- brochenem Blechkorbe und Parierstange. Derlei Sorten kamen in der Mehrzahl aus Sevilla und Brescia . (Fig. 324.) Beim Fechten bediente man sich dabei auch des sogenannten Parierdolches der Linkhand , welcher, in der linken Hand geführt, hauptsächlich zum Parieren des gegnerischen Ausfalles diente. In Ermangel u ng eines Parierdolches umwickelte der Spanier im Zweikampfe auch wohl die linke Hand mit dem Mantel und vollführte mit dieser die Paraden. Einen solchen Dolch werden wir an entsprechender Stelle beschreiben. Aus dem Rauf- degen entwickelte sich jene erst im spanischen Stiergefechte gebrauchte Waffe, der sogenannte Matadordegen , mit langer, unbiegsamer Stecherklinge, kurzem Griff, langer Parierstange und mit rotem Stoff umwickeltem Griffbügel, der bei dieser Volksbelustigung in ganz gleicher Form noch heute gebraucht wird. Abgesehen von diesen besonderen praktischen Verwendungen wurde der Degen schliesslich ein Zubehör der Hoftracht und verlor in dieser Eigenschaft allgemach seine Bedeutung als Waffe. Er wird zum Attribut einer Würde, zu einem äusseren Abzeichen für eine im Staate hervorragende Rangsklasse und ist in seiner Ausstattung als Zierstück nur noch vom kunstgeschichtlichen Gesichtspunkte aus zu würdigen. Beim Degen des 16. Jahrhunderts mit herabreichendem Faust- schutzbügel (Fig. 325) besitzt die Angel eine derartige Länge, dass sie noch bis an das Ende der Bügelringe hervorragt. Dieser sicht- bare Teil-Ansatz, wird, wie wir schon im Abschnitte „Das Schwert“ bemerkten, dazu verwendet, um die Marken der Meister und die Zeichen der behördlichen Beschau darauf einzuschlagen. An diesem Punkte ist somit der Degen bezüglich seiner Herkunft vorerst zu be- trachten. Die besten Degenklingen kamen in jener Zeit aus Toledo, Sevilla, Mailand, Serravalle, Brescia und aus Solingen . Die behördlichen, sowie die hervorragendsten Marken der Meister werden wir am Schlusse dieses Werkes zur Kenntnis bringen. Je geringer der Querschnitt einer Klinge ist, desto mehr Sorgfalt ist bezüglich ihrer A. Blanke Waffen. 3. Der Degen. Brauchbarkeit auf die Fertigung zu legen. Toledaner Klingen standen darin anfänglich in bedeutendem Rufe, sie wurden, um ihre unüber- treffliche Elastizität zu demonstrieren, auch kreisförmig eingebogen in den Handel gebracht. Am Ende des Jahrhunderts hatten aber die Belluneser und Brescianer Werkstätten ihre Rivalen in der Güte der Klingen erreicht, ja teils überflügelt, denn diese erzeugten nun Klingen von vollständiger Güte, dabei aber von so fabelhaft geringem Ge- wichte, als seien sie von Holz gefertigt. Die berühmten Belluneser Schwertfeger Ferrara versendeten um 1560 ihre Klingen gleichfalls in eingebogenem Zustande. Berühmt sind die Degenklingen mit Giftzügen geworden, in welchen Fig . 324. Fechtdegen . Der Griff aus geschnittenem und durch- brochenem Eisen besitzt lange Parierstangen, Griffbügel und einen vollen (schalenförmigen) Korb. 17. Jahrhundert. Italienisch. zuerst die Mauren, später die Spanier ihre ungemeine Geschicklichkeit im Schmieden des Eisens bewiesen. Die Behauptung, dass diese Durchlöcherungen dazu dienten, um einen Giftstoff, in welchen die Klinge getaucht wurde, in dieser aufzunehmen und wirk- sam zu erhalten, ist, wenigstens für den Kriegsgebrauch, nirgends zu erweisen. Überhaupt gehören die meisten Erzählungen von vergifteten Klingen ins Gebiet der Romantik. Wir haben bereits erwähnt, dass schon im 11. Jahrhundert sich deutliche Spuren von dem Bestreben zeigen, die Klinge dadurch zu erleichtern, dass man sie durchlöcherte; nun aber wurde diese Kunst mit einer Geschicklichkeit weitergebildet, die alles Staunen erregt, denn nun werden die Klingen mit tiefen II. Die Angriffswaffen. Rinnen und hohen scharfen Rippen ausgestattet und nicht nur letztere, sondern auch nach der Quere die Rinnen unzählige Male derart durch- löchert, dass die Klinge selbst von allen Seiten betrachtet durch- sichtig erscheint. Auch diese eminente Fertigkeit hatten die Mai- länder und Brescianer den Spaniern bald abgelauscht, sie fertigten schon um 1560 die kunstreichsten Giftzugklingen. In dieser Kunsttechnik treten auch häufig Dolchklingen auf. Schon auf den ältesten Degenklingen findet man und zwar meist in den Blutrinnen die Namen der Meister in einer ganz eigenen lateinischen Majuskelschrift eingeschlagen, die für den Ungeübten oft schwer oder gar nicht zu Fig . 325. Degen mit Griff aus geschnittenem Eisen, teilweise vergoldet. Letzterer besteht aus geraden Parierstangen, aus einem vom Parierring aufgeschwungenen Griffbügel und doppeltem Faustschutzbügel (pas d’âne). lesen ist, um so mehr als Verwechselungen von Buchstaben nicht s elten vorkommen. Der dekorative Abschluss von derlei Klingeninschr ifte n, zumeist eine ankerähnliche Figur darstellend, wird häufig, aber i rrig als Marke des Meisters angesehen. Nebst den Meisternamen finden sich auch Sinnsprüche wie: IN DIO · SPERAVI, VIVE · LE · ROY u. dergl. Auf späteren französischen Klingen des 17. Jahrhundert A. Blanke Waffen. 3. Der Degen. lesen wir häufig den Mahnspruch: „Ne me tirez pas sans raison, ne me remettez pas sans honneur“. etc. Als Zierwaffe ist der Degen stets der beliebteste Gegenstand für eine künstlerische Ausschmückung gewesen, und es haben sich da noch Beispiele erhalten, welche zu den bedeutendsten Werken des Kunsthandwerks zählen. Bedeutende Künstler und Kunsthandwerker lieferten Zeichnungen Fig . 326. Kleiner Hofdegen mit Griff aus Bergkristall. Die Fassung aus vergoldetem Silber ist mit Edelsteinen besetzt. 17. Jahr- hundert. Fig . 327. Kleiner Hofdegen , auch als Zierwaffe auf der Jagd gebraucht. Der Griff ist mit Perlmutter belegt, die Fassung ist aus vergoldeter Bronze, die Klinge zeigt feine Ätzungen. Französisch. 17. Jahrhundert. Boeheim , Waffenkunde 19 II. Die Angriffswaffen. für Degen, so Hans Mielich, Polidoro da Caravaggio, der Lothringer Pierre Woëiriot u. a. Von letzterem ist eine Serie aus gezeichneter Kupfertafeln 1555 erschienen. Herrlich ausgestattete Degengriffe in Eisenschnitt, mit Email und Tausia geziert, lieferte Spanien, die schönsten aber Mailand und Florenz. Noch am Ende des 17. Jahrhunderts erblicken wir Hofdegen mit Griffen in geschnittener Eisenarbeit von hoher künstlerischer Ausführung (Fig. 326, 327). Mittlerweile aber hatte sich, von Frank- Fig . 328. Degenkuppel mit Tasche aus gesticktem Samt und Beschlägen aus vergoldetem Eisen. 16. Jahrhundert, Ende. Kgl. hist. Museum in Dresden. reich ausgehend, eine Schablone herausgebildet, die nun in allen Ländern sich verbreitete. Sie ist allerdings einfach genug, es ist der moderne Degengriff aus gegossenem Messing mit eiförmigen Stich- blättern und Griffbügel. Im 18. Jahrhundert, in welchem sich alles verzierlichte, treten uns die Hofdegen aus geschliffenem Blankstahl vor Augen. Simple Facettierung ohne jeden Kunstwert, die relativ hübschesten erzeugte A. Blanke Waffen. 4. Der Dolch. man in Paris. In dieser Form und als blau angelaufener Trauer- degen lebt sich heute diese Waffe aus. Der Degen gleich dem Schwerte wurde im 16. Jahrhundert an einem schmalen Riemen um die Mitte des Leibes ge- tragen, von welchem an der rechten Seite, an einem Ringe befestigt, eine dreiseitige sogenannte „Tasche“ herabhing, die aus einer Anzahl von Riemen und Schnallen bestand, in welcher die Waffe steckte. Ein weiterer schmaler Riemen lief vorne von der Tasche gegen den Leibriemen, so dass die Waffe in einer schiefen Lage hing. Erst im 17. Jahrhundert kamen die Bandeliere auf, welche über die rechte Achsel getragen wurden; die Waffe stak anfänglich in einer ganz ähnlichen, mit dem breiten Bandelierriemen verbundenen Tasche. (Fig. 328.) Im Oriente hat der Degen zu keiner Zeit Eingang gefunden. Aus dem alten Pörschwert des 14. und 15. Jahrhunderts, das die Bestimmung hatte, die Maschen des Panzerhemdes zu durch- stossen, entwickelte sich der Panzerstecher mit pfriemenförmiger aber sehr langer Klinge, der ge- wissermassen als der Vorläufer des allerdings weit leichteren Degens zu betrachten ist. Selbständig entwickelt sich der orientalische Panzerstecher (Fig. 329), der sich hauptsächlich durch seine Fassung unterscheidet, sonst aber die gleiche Be- stimmung hatte. Der orientalische Panzerstecher, den wir bei den Arabern, Persern und Türken bis ins 17. Jahrhundert antreffen, war immer ein Bestandteil der Pferderüstung und wurde auch hinter dem linken Sattelblatte versorgt. Ausserdem führte der Mann den Säbel. 4. Der Dolch. Der Dolch (franz. poignard, dague, engl. dagger, ital. pugnale, von dem lateinischen pugione her- kommend), in seiner deutschen Bezeichnung von dem lateinischen dolequinus abgeleitet, ist eine Blankwaffe mit kurzer Klinge, lediglich auf den Stoss berechnet. Er kommt seit seinem ersten Fig . 329. Orien- talischer Panzer- stecher mit Fassung aus vergoldetem Mes- sing und mit Nephrit- steinen besetzt. Kais. Waffensammlung zu Zarskoë-Selo. 19* II. Die Angriffswaffen. Auftreten, welches wir, nach den vorhandenen Funden zu urteilen, bis in die Steinzeit setzen müssen, in allen Nationen unter verschiedenen und wechselnden Bezeichnungen vor. Im Deutschen wahrscheinlich vom fränkischen daga hergeleitet unter dem Namen Degen bis ins 16. Jahrhundert. In der Erinnerung an die alten Gottesgerichte erhielt er im 14. Jahrhundert den Namen gnadgott , eine Übersetzung des italienischen misericordia. Erst im 16. Jahrhundert finden wir in Deutschland diese Waffe als „Dolch“ angesprochen. Unter dem Fig . 330. Dolch , sogenannter „Gnadgott“, mit Griff aus schwarzem Horn. Die vierseitige, hohlgeschliffene Klinge ist mit gravierten Ara- besken geziert. Die schadhafte Scheide aus gepresstem Leder besitzt zwei Besteckscheiden für ein Schnitzmesser und einen Pfriem. Deutsch. 15. Jahrhundert. A. Blanke Waffen. 4. Der Dolch. Einflusse der späteren Italiener werden die dortigen Bezeichnungen teils übersetzt, teils in der fremden Bezeichnung auch in Deutsch- land und Frankreich üblich. In den nördlichen Ländern bildete sich der Dolch aus dem gewöhnlichen Messer heraus, das sich auch für den Streit von selbst als zweckentsprechend darbot. So ist der Sax der Germanen nichts als eine Art breites Messer gewesen, das, allgemach sich verlängernd und schwerer werdend, zum Langsax und zum Scramasax gedieh, die schon den Charakter des Schwertes annahmen und ihrer Form nach auch anders gehandhabt wurden. Der Dolch ist eine Waffe für den Nahkampf und seiner Wir- Fig . 331. Dolch von einem Grabsteine. Deutsch. 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts. Nach Eye, Kunst und Leben der Vorzeit. Fig . 332. Dolch samt Scheide von einem Grabsteine im Kloster Zimmern, unweit Nördlingen. Deutsch. Ende des 13. Jahrhunderts. Nach Eye, Kunst und Leben der Vorzeit. kung nach für eine kurze, rasche Entscheidung berechnet, nicht selten wurde er unter Anwendung von Hinterlist gebraucht. Im Mittelalter erscheint er als Hilfswaffe, um den bereits durch eine andere Waffe kampfunfähig gewordenen Gegner vollends zu töten, somit das Kampfziel ganz zu erreichen. Aus dieser Bestimmung erstanden die Bezeichnungen misericordia und gnadgott für die Waffe und im Deutschen das Wort „Gnadenstoss“ für deren Gebrauch. Mit dem Dolche wurde es möglich, zwischen die Fugen des Harnisches II. Die Angriffswaffen. (Hauberts, Lentners) einzudringen und selbst die Maschen des Panzer- hemdes zu durchstossen. (Fig. 330.) Im Gegensatze zu allen übrigen Blankwaffen wird der Dolch in der Regel derart in der Hand geführt, dass der kleine Finger an der Parierstange oder dem Ansatz, der Daumen am Knaufe liegt. Stand der Dolch auch, wie erwähnt, von den ältesten Zeiten in den nordischen Ländern und im Oriente in Gebrauch, eine syste- matische Verwendung desselben als bestimmtes Ausrüstungsstück erhielt er erst im 13. Jahrhundert, von welcher Zeit an zunächst die Vornehmeren, neben dem Schwerte auch den Dolch führten. Von da an wird dieser eine allgemeine Kriegswaffe, während er vorher Fig . 333. Grabrelief in Bronze des Sir Nicolaus Dagworth at Blickling in der Kirche zu Norfolk. Der Dolch hängt an der rechten Seite des Dupsing. 1401. Nach Hewitt. Fig . 334. Grabrelief in Bronze des Sir John Wylcotes in der Kirche zu Great Tew in Oxfordshire von 1410. Der Dupsing an den Bauchreifen dient als Träger des Schwertes und des Dolches. Nach Hewitt. durch Jahrhunderte nur in einzelnen Fällen als solche gedient haben mochte. Er wird an der rechten Seite an einer Kette hängend getragen, welche oberhalb an der rechten Brustseite befestigt ist, um die Waffe im Handgemenge nicht zu verlieren. (Fig. 331, 332.) Nicht immer wird er mit einer Scheide getragen, besonders dann nicht, wenn die Kette am Knaufe befestigt ist. Von der Zeit an, in welcher von A. Blanke Waffen. 4. Der Dolch. den Feudalen jener breite Gürtel an den Lenden getragen wird, der gewissermassen als ein Würdenzeichen ritterlichen Stammes anzusehen war, und der im Deutschen „dupsing“ genannt wird, um 1340, wird der Dolch an diesem hängend getragen (Fig. 333, 334). Im 15. Jahr- hundert tragen ihn die Ritter anfänglich an der rechten Seite der Bauchreifen, wo er an starken eisernen Ringen hängt; später an der- selben Seite am Gürtel hängend. In den Städten ist es Gebrauch, den Dolch, um das Herum- schlenkern desselben zu vermeiden, in Ver- bindung mit der üblichen Ledertasche zu tragen (Fig. 335); so in Deutschland und Burgund fast ausnahmslos. Vom 14. Jahr- hundert an ist der Dolch in Italien der un- zertrennliche Begleiter des Mannes, er trägt ihn an der rechten Seite oder auch vor der Mitte des Leibes an einem Riemen herab- hängend. Von Spanien aus verbreitet sich am Ende des 15. Jahrhunderts der Gebrauch, den Dolch am Rücken mit dem Griffe nach abwärts gerichtet zu tragen, eine Mode, die auch von den deutschen Landsknechten und den Schweizern angenommen wird. Der Form der Klingen nach unterscheidet sich der lange von jenen kleinen Dolchen mit kurzen Klingen, die namentlich von Italien aus Mode werden und in Dimensionen vor Augen treten, die sie mehr als Spielzeug und Gegenstand der Koketterie erscheinen lassen, wie die Damendolche, die stiletti und fussetti. In den Querschnitten der Klingen finden sich alle denkbaren Formen; sie erscheinen ebenso- wohl kreisrund als drei- und vierschneidig, blattförmig mit Grat und gerippt mit Blut- rinnen, Giftzügen und komplizierten Hohl- schliffen. Die ältesten Dolche, welche in nordischen Ländern in der Erde gefunden werden, haben grösstenteils breite, blatt- förmige, kolbige Klingen. (Fig. 336.) Dolche mit einschneidigen, somit messerartig geformten Klingen werden gemeiniglich Dolchmesser (couteaux) genannt. (Fig. 337, 338.) Die Kunst des Klingenschmieds hat sich an den Dolch- klingen nicht minder bewährt, als an jenen Fig . 335. Grabbild eines Grafen in der Kathe- dralkirche zu Neuchâtel. Mitte des 14. Jahrh. Die Gestalt trägt am Dupsing die Ledertasche, hinter wel- cher der Dolch steckt. Nach Jacquemin. II. Die Angriffswaffen. der übrigen Blankwaffen; so finden wir solche mit Giftzügen von ganz ausserordentlicher Feinheit in der Ausführung. Vorzugsweise war die Dolchklinge im Oriente der Gegenstand einer minutiösen und kunst- reichen Ausführung, die in einzelnen Fällen an das Wunderbare streift. Aus Indien kommen die damaszierten Klingen, die bei kräftiger Textur ganz schwarz erscheinen; von da und aus Persien die in Tausia verzierten; bei diesen finden sich auch Tierfiguren in Silber und Gold mit Zuhilfenahme des Niello eingestreut. Aus Damaskus, Bagdad und von den syrischen Küsten stammen jene schönen Dolch- klingen aus damasziertem Stahle mit Flachreliefs und auch aufgeschla- gener Tausia an den Ansätzen, in welche zuweilen kleine Korallen Fig . 336. Frän- kische Dolch- klinge von Eisen, 13 cm. lang. Grab- fund vom Kirchberg bei Andernach. Pro- vinzial-Museum in Bonn. gefasst sind, eine Zierart, die wir häufig auch an Handschars und Yatagans treffen. (Fig. 339, 340.) Eine staunenswerte Technik aber bekunden jene indischen Klingen, welche dem Grat entlang geschlitzt sind und in deren Schlitzöffnung eine Reihe kost- barer Perlen derart eingeschmiedet erscheinen, dass sie beiderseitig sichtbar sind. Diese wunderbare Technik findet sich auch an Säbelklingen ver- treten. Wir haben die Abbildung einer solchen am betreffenden Orte gebracht. Im Occident ist gemeiniglich nur der Dolch mit gerader Klinge im Gebrauche, nicht selten auch das einschneidige Dolchmesser, welches in Frankreich im 15. Jahr- hundert von dem Fussvolke geführt wurde, davon ihr Name coustilliers stammt. Vom 15. Jahrhundert an finden wir Dolche mit geflammten Klingen. Eine besondere Verwendung hatten die Degen- brecher , welche am Beginne des 16. Jahrhunderts aus Spanien sich verbreiten. Ihre Klingen besitzen an einer Seite tiefe, zahnförmige Einschnitte. An den vorderen Enden der Zähne befinden sich kleinere bewegliche Zähne, welche zwar das Eindringen der gegnerischen Klinge in den Einschnitt, nicht aber deren Zurück- ziehen gestatten. (Fig. 341.) Die Dolche des 14. und 15. Jahr- hunderts besitzen zumeist drei- oder vierschneidige, starke Klingen. Die Scheiden jener Zeit sind aus Elfenbein oder aus Holz gefertigt oder mit Leder überzogen, welche häufig in schönen gotischen Dessins getrieben oder gepresst sind; an vielen findet sich ein Besteck für ein kleines Messer, daneben auch wohl für einen Pfriemen. Auf reichgezierte Dolche wurde im ganzen Mittelalter ein besonderer Wert gelegt. (Fig. 342, 343.) Landsknechtdolche zeigen lange, schmale aber starke Klingen. Die Griffe wie die Scheiden sind häufig, wenn auch nur roh mit Elfenbein- oder Hirschhorneinlagen geziert. A. Blanke Waffen. 4. Der Dolch. Fig . 337. Einschneidiger Dolch . Der Griff von Bronze mit Auflagen von emailliertem Silber und der Inschrift: VICES.DVRANT. Im Grunde der Seine gefunden. Anfang des 14. Jahrhunderts. Fran- zösisch. Sammlung Ressmann, nach Gay, Glossaire. Fig . 338. Dolchmesser in der Fassung eines Degens. Der Griff von Bein, geästet, besitzt am Knauf eine Scheibe und ein ähnliches Stichblatt. Die messerförmige Klinge ist am Ansatze etwas graviert und vergoldet. 15. Jahrhundert, 2. Hälfte. Fassung deutsch, Klinge italienisch. II. Die Angriffswaffen. (Fig. 344, 345.) In Italien werden zuerst die kleinen Dolche ge- tragen. Man findet solche von feinster Arbeit bereits im 14. Jahr- hundert. Im 14. und 15. Jahrhundert genossen die in Bordeaux erzeugten, burgalaise oder bordelaise genannten, kleinen Dolche grossen Ruf. Sie besassen jedoch kaum andere, als die gewöhnlichen italienischen Formen. Eine eigene Art von Dolchen mit dreiseitigen Klingen, sehr langen Griffen und kreisrunden Parierringen war im Fig . 339. Türkischer Dolch mit krummer Klinge mit Fassung aus vergoldetem Silber von ungarischer Arbeit. Bez. 1543. Fig . 340. Gerader orientalischer Dolch mit Griff aus Elfenbein, das mit Türkisen und Rubinen besetzt ist. Die Klinge be- sitzt Giftzüge. 15. Jahrhundert als Sieneser bekannt. In grossen Massen für den venezianischen Markt wurden die Dolche in Belluno, für den fran- zösischen in Brescia erzeugt. Aus jenem Orte gelangen die so- genannten fussetti nach Venedig, bei denen eine numerierte Grad- einteilung auf den Klingen eingeschlagen ist. Es sind die Waffen A. Blanke Waffen. 4. Der Dolch. der venezianischen Marine-Bombardiere; die Gradeinteilung soll ein Kalibermass darstellen, ist aber nur fingiert. Durch diese Beigabe erschien die Waffe als artilleristisches Werkzeug, und die Bombardiere konnten damit in Venedig, in welcher Stadt niemand bewaffnet gehen durfte, unbeanstandet paradieren. Im 16. Jahrhundert kommt in Spanien zuerst eine Fechtmethode im Zweikampfe in Aufnahme, Fig . 341. Degenbrecher mit 12 Zähnen. Das Gefäss ist von Eisen. Nach Meyrik. 16. Jahrhundert, Ende. Fig . 342. Dolch mit Griff und Scheide aus geschnitztem Elfen- bein und mit Silberbeschlägen. Unter den Ornamenten erblickt man das Wappen der westfälischen Familie von Graes. Archiv der Stadt Coesfeld in Westfalen. Nach Hefner, Trachten etc. nach welcher der Fechtdegen (espada de matador) in der Rechten zum Ausfalle, der Dolch aber mit der Spitze nach abwärts zur Parade geführt wird. Dolche der Art erscheinen unter dem Namen mano izquierda II. Die Angriffswaffen. (linke Hand) und unterscheiden sich von anderen durch eine rappier- artige Klinge, kurzen Handgriff, lange Parierstange, besonders aber durch ihren dreiseitigen, zuweilen durchbrochenen Korb an der äusseren Seite. Von der Mitte des Jahrhunderts werden sie zahl- reich auch in Italien erzeugt. (Fig. 346.) Wie bei Stangenwaffen, so kommen auch bei Dolchen die so- Fig . 343. Langer Dolch mit Griff und Stichblatt aus Berg- kristall mit schön ziselierten Beschlägen aus vergoldetem Silber. Die geschliffene Klinge enthält Inschriften in vergoldeter Gravierung. Bur- gundisch um 1480. Fig . 344. Landsknechtdolch . Griff und Scheide mit Besteck von Birnholz mit rohen figuralen Einlagen in Bein. Deutsch um 1540. A. Blanke Waffen. 4. Der Dolch. genannten Springklingen in Verwendung. Von den beiden Seiten des Blattes trennen sich zwei Teile ab, welche, unterhalb in Schar- nieren befestigt, durch einen Druck auf einen am Griffe befindlichen Knopf, von Federkraft getrieben, nach auswärts schnellen. Der Zweck der Springklingen war, die Wunde zu erweitern. Nach vollführtem Stoss wurde an der Feder gedrückt und die Klinge in geöffnetem Zustande rasch aus der Wunde gezogen. Derlei Dolche treten schon Fig . 345. Reiterdolch mit Griff aus Eisen, langen Parier- stangen und einfachem Parierring. Italienisch um 1560. Fig . 346. Fechtdolch , sogenannte „Linkehand“, mit Korb aus zierlich durchbrochenem Eisen. Italienisch um 1580. Siehe den zugehörigen Fechtdegen (Fig. 324). in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zahlreich in Italien auf. (Fig. 347.) Im Oriente ist der Dolch (pâlé) vom frühen Mittelalter her so- wohl mit gerader, als gekrümmter Klinge in Gebrauch gewesen. Persische Dolche erscheinen in der Mehrzahl mit geraden, breiten, II. Die Angriffswaffen. blattförmigen Klingen. (Fig. 348.) Der türkische Dolch besitzt eine krumme Klinge, ebenso der arabische; aus Yemen kommen auch Dolche mit geflammten Klingen. Besondere Formen zeigen die indischen und malaiischen Dolche (Kriss), welche gleichfalls in der Mehrzahl stark gekrümmte Klingen besitzen, mit Ausnahme jener, welche unter der Bezeichnung Hindu Khuttar bekannt sind und kurze, breite, fast dreieckig geformte Klingen, dabei aber gabelförmige Metallgriffe besitzen und ganz eigenartig gehandhabt werden. (Fig. 349, 350, 351). Fig . 347. Dolch mit Springklinge . Der Griff ist aus ge- schnittenem Eisen und vergoldet. 16. Jahrhundert, 2. Hälfte. Königl. hist. Museum in Dresden. Fig . 348. Dolch mit Elfenbeingriff . An der gestutzten Parierstange erblickt man eine arabische Inschrift in Goldeinlage. Die geschnittene Klinge zeigt Ornamente im Flachrelief. Die Scheide aus schwarzem Sammt mit getriebenen Blechbeschlägen in vergoldetem Silber. Persisch-arabisch. Sammlung des regierenden Fürsten Johann von und zu Liechtenstein. Fig 349. Malaiischer Kriss . Der Griff, aus Holz geschnitzt und bemalt, stellt einen sich den Bauch aufschlitzenden Menschen dar. A. Blanke Waffen. 4. Der Dolch. Ebenso wie bei den Schwertern finden wir auch an den Dolchen die mannigfachsten Griffformen. Die ältesten Dolche besitzen ent- weder gar keine oder nur kurze Parierstangen, dafür aber starke Stichblätter , erst im 14. Jahrhundert bildet man die Griffe den Schwertern ähnlich, anfänglich mit kurzen, abwärts gerichteten, später mit oft langen, geraden Parierstangen und einfachen oder doppelten Parierringen, welch letztere zuweilen irrig als Daumenringe bezeichnet werden. Aus den Maureskenstaaten kommen jene zweiflügeligen Knäufe (pommeaux à oreilles), die wir an Handschars erblicken, auch an Dolchen in Italien und Frankreich in Aufnahme, wo sie noch bis ins 16. Jahrhundert erzeugt werden. (Fig. 352.) Es verlohnt sich der Mühe, zu beobachten, wie der Griff an orientalischen Dolchen aus den rohesten Formen heraus in gleichen Fig . 350. Indischer Khuttar mit Griff aus Bronze und blatt- förmiger geschliffener Klinge. Kaiserl. Waffensammlung zu Zarskoë- Selo. Fig . 351. Indischer Khuttar mit Griff aus Messing mit dop- pelter mit gehauenen Ornamenten verzierter Klinge. Kaiserl. Waffen- sammlung zu Zarskoë-Selo. Typen bis zur reichsten Ausstattung sich durchbildet und entwickelt. So der Griff am gemeinen türkischen Dolch aus einem Stücke ein- gekerbtem Holz, der maurische aus einem Röhrenknochen, der indische aus einem Bambusrohre u. a. Bei den orientalischen Dolchen haben Griffe und Scheiden gemeiniglich eine übereinstimmende oder doch einander ähnliche dekorative Ausstattung, und die von altersher hohe Entwickelung der dekorativen Kunst im Oriente macht es begreiflich, dass II. Die Angriffswaffen. Fig . 352. Dolch mit Griff in aufgeschlagener Goldtausia u. zweiflüge- ligem Knauf (à oreilles). Klinge in Tausia, mit Inschriften geziert. Mau- risch 19. Jahrh. Samml. des Marquis de Villa- Secca. hierzu die mannigfachsten Stoffe benutzt wurden. Zu Griffen verwendet man häufig Elfenbein oder den Zahn des Narwals, des sogenannten Einhorn- fisches, weiters auch Rhinozeroshorn. Die Schei- den erhalten Überzüge von gewebten Stoffen, Leder, Schlangenhaut, Fischhaut, die geschliffen und ungeschliffen zur Anwendung kommt. Am häufigsten finden sich an Dolchscheiden Über- züge aus dünnem, vergoldeten Silberblech mit gepressten Ornamenten, die häufig, doch nicht immer, mit Emails geziert sind: eine alte, aus Byzanz stammende Technik. Ein ungemein häufig im Oriente angewendetes Ziermittel bildet der Besatz mit Edelsteinen. Wir finden unter diesen ausser anderen und weit kostbareren vor- wiegend den grünlichen, orientalischen Türkis und den Granat vertreten. Bei der Beurteilung des Steinschmuckes ist zu bemerken, dass die ge- fassten Edelsteine im Oriente mit den seltensten Ausnahmen nicht geschliffen, „gemugelt“, vor- kommen. Selbst in unseren Ländern beginnt der brillantierte Schliff erst am Ende des 17. Jahrhunderts allgemeiner zu werden. Brillan- tierte Steine an orientalischen Objekten, vor dem 18. Jahrhundert datierend, sind daher zum min- desten als spätere Beigaben anzusehen; an euro- päischen Waffen treten sie nicht vor 1650 auf. In den occidentalen Ländern verliert sich der Dolch mit der Militarisierung des Heerwesens als der Taktik nicht entsprechend. Nur in der italienischen und speziell venetianischen Artillerie wird er noch im 18. Jahrhundert getragen. In der Marine bildet der Dolch noch heute einen Gegenstand der Ausrüstung als vorteilhafte Waffe im Nahkampfe am Bord und in dem meist sehr kurz währenden Entergefechte. Unter den starren Lebensformen des Orients hat sich der Dolch wenigstens bei den Bewohnern und den irregu- lären Truppen noch bis heute erhalten; er tritt aber in neuester Zeit meist nur noch in der Form des Dolchmessers auf, das dem modernen Revolver in dem Leibgurt zugesellt erscheint. Die alten orientalischen Waffen verschwinden allgemach vor den wirksameren der Europäer, nicht lange mehr und sie gehören lediglich der Kunstgeschichte an. B. Die Stangenwaffen . 1. Der Spiess. Der Spiess (franz. épieu, engl. spit, ital. spiedo, lancia, asta, lat. espietus, spedus, lancea), beim Gebrauche zu Pferde auch Speer genannt, die einfachste Stangenwaffe, ist in seiner ältesten Form ein Vermächtnis aus dem Altertume, und auch seine taktische Verwendung unterscheidet sich bis ins 12. Jahrhundert in nichts von jener in der antiken Zeit. Der Spiess erscheint am Beginne des Mittelalters bei allen und auch den barbarischen Völkern als eine dünnschäftige Stoss- waffe mit langer und schmaler Stossklinge. Der Reiter wie der zu Fuss Streitende gebrauchen ihn in zwei gleichen Formen, die sich nur durch die Länge des Schaftes unterscheiden: als Spiess oder Speer mit einer Schaftlänge von 3½ bis 4 m. und als Wurfspiess (ger, pilum) mit einer Schaftlänge von 2 bis 2¼ m. Am Ausgange der antiken Zeit kam die Spiesswaffe durch den Einfluss der Römer auch unter jenen Völkern allenthalben in Gebrauch, welche sie früher nicht führten. Unter den Germanen ist sie die älteste und allgemeine Waffe und steigt später so sehr in der Achtung, dass nur dem freien Manne ihre Führung gestattet war; diese Schätzung des Spiesses erhielt sich bis ins 9. Jahrhundert. Ebenso war in den Heeren der Merowinger der Spiess die allgemeine Waffe. Das „scaftlegi“, das Niederlegen des Speeres, war gleichbedeutend mit Frieden halten. Unter den Galliern findet sich neben dem Bogen noch eine Art von Wurfspiessen, „mataris“, welche aus freier Hand geworfen wurden, nebenher eine andere, „cateja“, die mittelst Riemen geschleudert wurde. Unter den vielen Spiessformen mit verschiedenen Namen erscheinen zwei, welche in den meisten Ländern des Nordens verbreitet waren, und beide sind Wurfspiesse. In Britannien und an den Küsten des Stillen Ozeans scheint zuerst, aus römischen Vor- bildern erwachsen, der Ango in Aufnahme gekommen zu sein. Der- selbe ist ein kleiner, schmaler Spiess mit fast meterlanger, dünner Dille, deren Schaft, rückwärts stärker werdend, in einer Reihe von Knöpfen endet. Das Spiessblatt des Ango ist immer bärtig, d. h. es besitzt beiderseits Widerhaken. Der Ango hat sich, und fast in gleicher Gestalt, im nördlichen Europa als „Harpune“ , wenn auch nur noch zum Jagdzweck dienend, erhalten. Unter den Germanen trugen die Freien die Framea , einen dem Ango ähnlichen, doch mit blatt- förmigem Spiesseisen versehenen Wurfspiess, der jedoch später nicht selten auch für den Nahkampf diente, was beim Ango nie der Fall war. (Fig. 353, 354, 355.) Es ist bezeichnend, dass auch der Wurfspiess der Reiter und sein Gebrauch auf orientalischen Ursprung zurückweist. Wenn wir z. B. die Schilderung des Prokop von Cae- Boeheim , Waffenkunde. 20 II. Die Angriffswaffen. sarea über die Schlacht bei Busta Gallorum (6. Jahrhundert) lesen, bei welcher Totilas, der König der Goten, dem Feinde seine Künste im Spiesswerfen zeigte, so weist dies auf speziell orientalische Kriegs- Fig . 353. Fränkisches Spiesseisen (framea). Klingenlänge 49 cm. Grabfund vom Kirchberg bei Andernach. Rhein. Provinzial- museum in Bonn. Nach C. Koenen, Jahrbücher des Vereins von Alter- tumsfreunden im Rheinlande 1888. Fig . 354. Bärtiges Spiesseisen von einem Ango. 9. Jahr- hundert. B. Die Stangenwaffen. 1. Der Spiess. übungen, die sich bei den Arabern und Indern noch bis heute er- halten haben. Berühmt als sichere Speerwerfer waren die longobardischen Reiter, ebenso war der Wurfspiess oder Wurfspeer eine gefürchtete Waffe der Franken im 5. und 6. Jahrhundert; nicht minder wird davon be- richtet, dass die Goten und Vandalen in dieser Wurfwaffe sehr geübt waren. Gregor von Tours III. 10, V. 26, VII. 29 etc. Nicht früher als im 8. Jahrhundert begegnen wir einer weiteren Wurfspiessgattung, dem Dard (Darde, dart, algier). Es war dies Fig . 355. Wurfspiessträger mit Handschild. Miniatur aus einer Bibel aus der Wende des 9. und 10. Jahrhunderts in der Biblio- thek Mazarin. Nach Jacquemin, Ikonographie. Fig . 356. Wurfspiessträger . Miniatur aus einer Bibel der Wende des 9. ins 10. Jahrhundert in der Bibliothek Mazarin. Nach Jacquemin, Ikonographie. eine leichte Spiesssorte mit flacher, scharfer Spiessklinge und mit rück- wärts in der Art eines Pfeiles befiedertem Schafte. Es ist nun kein Zweifel, dass sich der Name von dem arabischen „djerid“ ableitet, was ebenfalls Wurfspiess bedeutet, und wahrscheinlich, dass der Dard 20* II. Die Angriffswaffen. unter den Karolingern in den Kämpfen mit den Mauren in Spanien von diesen übernommen wurde, wie das auch aus der zuweilen vor- kommenden Bezeichnung „algier“ zu vermuten ist. Von den Dards (darz) geschieht auch erst im Rolandsliede Erwähnung. Es spricht zwar der normanische Poet Wilhelm Guiart 1302 von „dars“; damals und überhaupt vom 12. Jahrhundert an war der Name indes auf den gemeinen Fussknechtspiess übertragen und hat sich in dieser Bedeu- tung bis ins 17. Jahrhundert erhalten. Man findet die Bezeichnung Tardaeisen in den Inventaren der Zeughäuser bis 1647. Vergl. „Die Waffen des Landeszeughauses zu Graz“ von F. G. v. M. 1880. (Fig. 356.) Fig. 357. Fig . 357. Die Lanze des heiligen Mauritius (getötet 286) in der Schatzkammer des österreichischen Kaiserhauses zu Wien. Ohne die späteren Durchbrechungen der Klinge gezeichnet. Nach Leitner. Fig. 358. Fig . 358. Spiesseisenformen aus dem psalterium aureum vom Ende des 8. Jahrhunderts. Nach Rahn, Psalt. aur. In der Hand des Fussstreiters und für den Nahkampf musste naturgemäss der Spiess stärker in Schaft und Eisen werden; zuerst merken wir diese Zunahme bei den Germanen. Vom 9. Jahrhundert an tritt uns zuerst eine Spiessform ent- B. Die Stangenwaffen. 1. Der Spiess. gegen, die wir der Gestalt des Spiesseisens wegen den Knebelspiess in seiner ältesten Gestaltung nennen möchten. Für die älteste Form dieser Spiesseisen haben wir Vorbilder in mehreren erhaltenen Exemplaren, von solchen, welche teilweise als kirchliche Reliquien zu Rom, Bordeaux, Malmesbury u. a. Orten be- Fig . 359. Die Lanze , genannt des heiligen Mauritius, im Schatze der Kathedrale zu Krakau. 9. Jahrhundert. Fig . 360. Spiess und Rundschild . Aus einer Miniatur der Bibel Karls des Kahlen (860—875) im Museum des Louvre zu Paris. Nach Jacquemin. II. Die Angriffswaffen. wahrt werden; von besonderer Wichtigkeit erscheint ein erhaltenes Spiesseisen, welches, wenn es auch vielleicht nicht jenes hohe Alter besitzt, das ihm die Tradition beigelegt hat, doch als entschieden ältestes Beispiel eines Spiesseisens des Mittelalters zu erkennen ist: die sogenannte Lanze (lancea) des heiligen Mauritius in der Schatz- kammer des österreichischen Kaiserhauses zu Wien. Über deren Geschichte und gegenwärtigen Zustand vergl. Quirin Leitner, „Die vorzüglichsten Kunstwerke der Schatzkammer des österr. Kaiserhauses“. Wien. Entkleiden wir diese heilige Lanze des Beiwerkes, mit welchem sie frommer Sinn und die Sorge um ihre Erhaltung ausgestattet hatte und das für uns Fig . 361. Spiesseisen mit Gold und Silber eingelegt darauf das Zeichen des Kreuzes. Grabfund bei Ulm. Nach Beck, Geschichte des Eisens. Fig . 362. Spiesseisenformen aus dem Teppich zu Bayeux vom Ende des 11. Jahrhunderts. Fig . 363. Fränkischer Spiess mit einem Stück des mit Silber beschlagenen Schaftes. Das Spiessblatt besitzt einen stark vortretenden Grat. Länge des Spiesseisens 22 cm. Grabfund vom Kirchberg bei Andernach. Rhein. Provinzialmuseum in Bonn. Nach C. Koenen. von nebensächlicher Bedeutung ist, so erscheint uns ein langes, blatt- förmiges Spiesseisen mit schwachem Grat auf langem, cylindrischen B. Die Stangenwaffen. 1. Der Spiess. Stiele, an dessen unterem Ende zwei flache, unten konkav geschnittene Knebelarme angeschweisst sind. Dicht an diesen sitzt eine kurze Dille (douille). (Fig. 357.) Sie besitzt nun allerdings nicht die Form der römischen Lanzen, wenigstens entdecken wir unter den antiken Funden kein ähnliches Exemplar, aber wir erkennen hier in den Details des Knebels das Vorbild für die mittelalterlichen Knebelspiesse bis ins 15. Jahrhundert herab. Wir sehen in diesen Spiesseisen die eigentliche Form desselben, die uns in den ältesten Miniaturen, wie im Psalterium aureum nur durch flüchtige Linien angedeutet wird. (Fig. 358.) Ein zweites, nur etwas jüngeres originales Exemplar dieser Spiesseisenform aus der Kathedrale zu Krakau sehen wir in Fig. 359. Im 9. Jahrhundert beginnen die Formen des Spiesseisens noch mannigfaltiger zu werden, wir treffen sie bereits rautenförmig, wie in der Bibel Karls des Kahlen (860—875) im Museum des Louvre, und bemerken das Bestreben, dasselbe mit bunten Bändern zu zieren. Ist der Knebel, der Knopf (nodus), dazu da, um ein zu tiefes Ein- dringen der Klinge in den Körper zu verhindern, wodurch das Zurückziehen der Waffe oft ganz verhindert wird, so war das bunte Bändchen, der Wimpel, bestimmt, den Träger des Spiesses im Kampf- gewirre die Richtung der Waffe leichter erkennen zu lassen (Fig. 360). Im 10. Jahrhunderte ändern sich die Spiessformen wenig und viel- leicht nur dadurch, dass sie nun um etwas stärker in Eisen und Schaft werden. (Fig. 361.) Im 11. Jahrhunderte treten bei den Normanen wie bei den Sachsen neue Spiesseisenformen auf; es erscheint die lange, lanzettförmige Spiessklinge mit Knopf und erheblich stärkerem Schafte, weiters die bärtige Spiessklinge, letztere im Teppich von Bayeux in grosser Anzahl, daneben aber auch die alten Formen. (Fig. 362.) Diese Klingenform ist auf orientalische Vorbilder zurück- zuführen und verdankt ihre Einführung bei den Normanen wahr- scheinlich Harald III. Die Verzierung der dünnen Spiessschäfte ist schon an Funden wahrnehmbar, die dem 8. Jahrhundert angehören. Die Technik ist der orientalischen sehr verwandt und besteht meist in einem dünnen Belage von Silber oder einer dichten Besetzung mit Silberstiften. Vom 11. Jahrhundert kommt diese Technik allge- mach in Abnahme. (Fig. 363.) Vom Altertume an ist der Spiess gewissermassen der eigentliche Träger der Fahnen und Fähnchen; in der Epoche des ausgebildeten Rittertums zeigt der Spiess durch die Beigabe des Fahnenblattes, dessen Grösse und Auszierung den Rang und das Geschlecht des Trägers an. (Fig. 364.) Um die Mitte des 12. Jahrhunderts, in jener Epoche, in welcher die Erfahrungen aus den Kreuzzügen greifbare Gestalt angenommen hatten, verändert sich die Form der Stangenwaffe und damit auch die Art ihres Gebrauches. Zunächst verschwindet der Wurfspiess allmählich aus den Heeren der Deutschen und Franzosen, nur die Italiener, von Natur aus an- II. Die Angriffswaffen. stellig und handgewandter, führten ihn noch häufig und nicht ohne Erfolg. Bei der eigentlichen Hauptwaffe, der Reiterei, die immer mehr als einzig massgebend im Streite angesehen wurde, war man bemüht, die Wirkung des Spiesses zu erhöhen. Das führte zur Ver- längerung und Verstärkung der Schäfte. Hatten sie bis dahin am Stammende durchschnittlich nur eine Stärke von 3,3 cm. und eine durchschnittliche Länge von höchstens 4 m., so führte man sie nun bei einem Durchmesser von ca. 4,5 cm. in einer Länge bis zu 5 m. Die Spiesseisen erhalten mannigfache Formen, die Spiessklingen wer- den lang und spitzig und besitzen längere Dillen. Die mit dieser Umgestaltung verbundene ansehnliche Vermehrung des Gewichtes veranlasste zunächst eine Veränderung in der Handhabung. Führte der Reiter früher den Spiess in freier, erhobener Hand, wie noch Fig . 364. Reitergefecht aus einem Manuskript des 13. Jahr- hunderts nach Van der Kellen. heute der Beduine, so zwang ihn jetzt die Schwere der Stange, sie unter den Arm zu zwängen und, den Oberkörper anstemmend, den Stoss auszuführen. Noch weit bedeutender war die Veränderung, welche die Stangenwaffe im Verlaufe des 12. Jahrhunderts im Fussvolke erhielt. Der alte Spiess, für Reiter und Fussknecht gleich geformt, erwies sich für diesen als zu gebrechlich und wegen seiner Länge in der Handhabung unsicher. Man verstärkte darum den Schaft auf 4,75 bis selbst 5 cm. und verkürzte ihn so bedeutend, dass er nur wenig eine Mannslänge überragte. (Fig. 365.) Damit bildete sich die Ur- form des sogenannten „gemeinen Spiesses“, der mit unwesentlichen Varianten bis ins 17. Jahrhundert herein im Gebrauch geblieben ist. Das Bestreben, die Handsamkeit des Schaftes zu erhöhen, führte noch im 12. Jahrhundert zu neuen Kombinationen. Man suchte das Spiesseisen B. Die Stangenwaffen. 1. Der Spiess. derart zu gestalten, dass es nicht allein für den Stoss, sondern auch für Hieb und Schlag dienen konnte; man versah es mit Haken, um den feindlichen Mann aus der Fronte hervorzuziehen. Aus diesen Kombinationen entstanden allmählich die Glefen, die Helmbarten und alle übrigen Stangenwaffenformen. An diesen Stangenwaffen des Fussvolkes treten zuerst die soge- nannten Schaftfedern auf, bandartige Fortsetzungen der Dille von Eisen bis zum Drittel oder der Hälfte des Schaftes, in welchem sie eingelassen und mit Nägeln befestigt sind. Sie sind dazu bestimmt, Fig . 365. Spiessträger mit Faustschild . Aus einem Manu- skripte von 1294 in der Nationalbibliothek in Paris. Nach Jacquemin, Ikonographie. das Abbrechen oder Abhauen des Schaftes zu hindern. Die allge- meine Form des knechtischen Spiesses blieb bis ins 15. Jahrhundert herein die gleiche; nur macht sich erneut, etwa von der Mitte des 14. Jahrhunderts an, ein von Italien ausgehendes allgemeines Streben bemerkbar, die Waffe zu verzieren. So sehen wir von dieser Zeit an mannigfach ausgestattete Spiesse. Die Klingen von Prunkwaffen für II. Die Angriffswaffen. Befehlshaber, Trabanten etc. erhalten feine Gravierungen und oft auch Vergoldungen, die auf chemischem Wege mit Quecksilberamalgam hergestellt wurden. Schäfte erhalten unterschiedliche Auszierungen; sie werden mit Stoffen überzogen und mit metallenen, oft vergoldeten Nägeln besetzt. Zuweilen wird die Oberfläche kreuzweise mit Leder- streifen oder Goldborten überlegt und diese mit Nägeln befestigt. Später, im 16. Jahrhundert, wird zunächst an der Dille eine Quaste befestigt und der Schaft in der Höhe der „Handlage“ mit Samt be- legt, der an den Rändern mit Fransen besetzt ist. Am unteren Ende wird ein Beschlag, die sogenannte Spiesshose , angebracht, der unter- halb zuweilen spitzig ausläuft. Fig . 366. Gemeines Reisspiesseisen . 15. Jahrhundert 2. Hälfte. Fig . 367. Schweres Knebelspiesseisen . Waffe der Tra- banten des Herzogs Friedrich IV. späteren Kaisers. Graviert mit Spuren von Vergoldung und mit der Inschrift: „dux federic. dux austrie“. 15. Jahrhundert, Anfang. Seit dem Beginne des 16. Jahrhunderts nimmt die Freude an prunk- vollen und schönen Waffen allenthalben überhand. Die Klingen er- halten reiche Verzierungen in Goldätzung, Tausia etc., nicht selten auch in kunstvollem Eisenschnitt. Etwa von der Hälfte des Jahr- hunderts an erscheinen die „gerippten“ oder „gepickten“ Schäfte. B. Die Stangenwaffen. 1. Der Spiess. Das Verfahren zu ihrer Erzeugung ist eigentümlich. Der als Schaft bestimmte Stamm wird, ehe er abgeschnitten wird, zur Frühlingszeit von der Rinde befreit, sodann werden in die Oberfläche mittelst eines spitzen Messers nach beliebiger Ordnung tiefe Einschnitte ge- macht und darauf der Stamm leicht eingebunden. Nach einiger Zeit schwellen diese eingeschnittenen Stellen auf und bilden daselbst Fig . 368. Gemeiner Ahlspiess mit 83 cm. langer Stossklinge und dem eingeschlagenen Stempel der Stadt Wien. Roh gearbeitet. Deutsch um 1470. Fig . 369. Arabischer Reiterspiess mit orientalischen Gra- vierungen und in gehauener Technik geziert. Im Besitze des Ver- fassers. II. Die Angriffswaffen. scharfe, warzenförmige Erhöhungen. Sind diese in wünschenswertem Grade vorgeschritten, so wird der Stamm abgeschnitten und, bevor er verwendet wird, gut ausgetrocknet. Besonders fein zu zierende Schäfte werden nicht bloss einfach eingestochen, sondern mittelst scharfer Meissel, welche einfache Figuren, wie Lilien, Sterne etc., ent- halten, eingepickt. Dem Verfahren selbst liegt die Absicht zu Grunde, den Schaft derart rauh zu machen, dass er nicht so leicht der Faust entgleiten kann. Von den Spiesseisenformen des 15. Jahrhunderts, welche wir in den nebenstehenden Figuren bringen, sind zu bemerken der gemeine Reisspiess (Fig. 366), der Knebelspiess , eigentlich ein Fuss- knechtspiess (Fig. 367), der sein Vorbild in jenem des 8. Jahrhun- derts findet, nur weit gewichtiger und plumper ist, und der Ahlspiess , eine Waffe, die zuerst in der Schweiz und Hochburgund auftritt, später aber mit Vorliebe von den Böhmen geführt wird. (Fig. 368.) Orientalische Fussstreiter des Mittelalters führten Spiesse mit schwachen, aber in der Regel langen Schäften, die leichten, roh ge- fertigten Spiesseisen sind teils pfriemenartig, teils bärtig, d. i. mit Widerhaken versehen. Reiter führten, wie noch heute, die lange Lanze mit dünnen, kaum 15 mm. starken und 4 bis 4,5 m. langen Schäften. Am Dillen- halse finden sich herausgestemmte, nach abwärts gerichtete Zacken, um welche verschiedenfarbige Schnüre aus Kameelhaaren gewunden sind. (Fig. 369.) Ein dünnschäftiger, aber kürzerer, höchstens 3 m. langer Reiter- spiess mit langer Stossklinge, welcher im 15. Jahrhundert bei den Türken zuerst allgemeiner wird, führt den Namen Copie . (Fig. 370.) Zweifelsohne war diese Spiessgattung und unter dieser Bezeichnung schon seit Jahrhunderten unter den Völkern des oströmischen Reiches geführt. Der Name stammt aus dem griechischen κοπίς, was zur Zeit eine Hiebwaffe asiatischer Völker bedeutete, später aber auf alle Waffen ausgedehnt wurde. Unter dem Namen Copie erscheint sie auch im 16. Jahrhundert in Italien, Spanien und in den türkisch- slavischen Ländern. In der Türkei wird die Sipâhi- (Reiter-) Lanze „sünü“ benannt. Bei allen Völkern Asiens kommt die lange und dünnschäftige Reiterlanze in Verwendung. Die Schäfte bestehen aus Holzarten, welche in den betreffenden Landstrichen eben häufiger vorkommen, nicht selten aus Rohr vom Pfefferstrauch, vom Bambus u. dgl. (Fig. 371 und Fig. 372). Der Orientale schätzt vorzugsweise einen leichten Spiess, daher es nicht selten vorkommt, dass Spiessstangen mit aller Kunstfertigkeit durchbohrt und damit hohl gebildet werden. Die zumeist sehr langen, schmalen Spiesseisen sind häufig reich verziert, die Hälse stilvoll gegliedert. Die Orientalen haben von der ältesten Fig . 370. Türkische Copie mit silbernem, innen hohlen, 2.50 m. langen, gerauteten Schafte. 16. Jahrh. Fig . 371. Tscherkessischer Spiess mit 3.16 m. langem Schafte aus Pfefferrohr mit geschnittenem Wurzel- knollen am unteren Ende. 17. Jahrhundert (?). Waffen- museum zu Zarskoë-Selo. Nach Gille. Fig . 372. Turkmanischer Spiess mit 4.74 m. langem Schafte aus Bambusrohr und nielliertem Spiesseisen. 17. Jahrh. (?). Waffenmuseum zu Zarskoë-Selo. Nach Gille. Fig . 373. Spiess mit 7.6 cm. langer Klinge aus geschnittenem und in Gold tauschiertem Eisen und 2.28 m. langem, reichgeziertem Schafte des Tuman Bey , letzten Sultans der Mameluken in Ägypten (getötet 1517). An der mit Gold ver- zierten Schnur mit schwerer Quaste befindet sich eine goldene Kapsel, in welcher einst ein auf kleine Blättchen geschriebener Koran eingeschlossen war. Waffen- sammlung zu Zarskoë-Selo. Nach Gille. Fig . 374. Landsknechtspiess , Totallänge 4.5 m. Anfang des 16. Jahr- hunderts. Deutsch. B. Die Stangenwaffen. 1. Der Spiess. Zeit an der Form wie der Auszierung des Spiesses das peinlichste Augenmerk zugewendet. Nicht nur die Lanze selbst wurde vom Waffen- schmied reich mit Ornamenten in Tausia, Niello und Vergoldung ausgestattet, der Besitzer selber behängte sie auch mit Geflechten und Quasten aus Yakwolle und Seide. Vorzüglich liebte man Wurfspiesse, „djerid“ ähnlich auszustatten. In ältester Zeit bildete die Spende einer Lanze das Zeichen höchster Gunst des Sultans, und immer das wertvollste Geschenk. Vornehme Araber und Türken trugen an den Spiessen goldene Schnüre mit langen Quasten, an welchen in einer platten Kapsel ein auf kleinen Blättchen geschriebener Koran einge- schlossen war. (Fig. 373.) Im 16. Jahrhundert finden wir den Spiess, teils in neuen Formen, als vorzüglichste Stosswaffe in den Landsknechtheeren. Die Taktik der Landsknechte erforderte eine langschäftige, aber dabei leichte Waffe, welche dazu bestimmt war, den ersten Stoss auf den Feind auszuführen. Für den Nahkampf war das kurze Schwert bestimmt. Dieser Kampfweise entsprechend erhielt die überwiegend grösste Menge der Leute eines Fähnleins den Landsknechtspiess , die sogenannte „Pinne“ (korrumpiert aus dem mittelalterlichen pennon). Die Spiesse der Landsknechte, die man mit den späteren Piken des 17. Jahr- hunderts nicht verwechseln darf, hatten ein blattförmiges Spiesseisen mit kurzen Schaftfedern; ihr Schaft von durchschnittlich 4.5 m. Länge, war in der Mitte stärker als an den Enden. (Fig. 374.) Die in den verschiedenen Waffenmuseen, wie im Musée d’Artillerie in Paris befindlichen, als Landsknechtspiesse bezeichneten Stangenwaffen sind gemeine Piken des 17. Jahrhunderts. Wirkliche Landsknechtspiesse sind äusserst selten. In an- sehnlicherer Menge finden sie sich noch im Museum zu Salzburg. Ihre Formen finden sich in vollster Deutlichkeit auf vielen Blättern der Zeugbücher Maximilians I. von 1514 wiedergegeben, welche Nic. Glockendon zugeschrieben werden. Das Vorbild des Landsknecht- spiesses ist in den Spiessen der Schweizer zu finden. In den Händen dieser Truppe war aber seine Form und seine Führung eine andere. Noch im 15. Jahrh. war er nicht länger als etwas über 3 m. Im Lands- knechtheere wuchs er zu einer Länge von 4.5—5 m. an und wurde so geführt, dass der Mann kaum mehr als einen Meter Schaft hinter sich hatte. Die Schweizer ergriffen beim Vorrücken den Spiess mehr in der Mitte. Die ein höheres Kommando führenden Personen eines Landsknechtkörpers führten, mehr als Zeichen ihrer Würde, einen kurzschäftigen, leichten Spiess mit blattförmigem Eisen. So sehen wir sie abgebildet in den Holzschnitten von Nicolaus Meldemann, Hans Guldenmund, David de Necker und Hieronymus Formschneider, welche uns die Landsknechte um 1529 wiedergeben. Als Zeichen der Würde führten den leichten Spiess mit kürzerem, dünnen Schafte die höchsten Personen. So erscheint Karl V. in dem bekannten Ge- II. Die Angriffswaffen. mälde von Tizian in der Galerie in Madrid dargestellt. Derlei leichte Spiesse von der Form der Wurfspiesse wurden von den Herren meist auf der Jagd, sonst bei festlichen Anlässen, selten aber im vollen Harnische geführt. Auch Karl V. erscheint auf dem obenerwähnten Gemälde von 1548 nur im halben Harnisch. Wir haben dabei kaum nötig, zu bemerken, dass diese Sitte nichts anderes als das Zurückgreifen in eine frühere Zeit ist, in welcher der Spiess als das Würdenzeichen der Höchsten erschien. Eine eigenartige Spiesswaffe wird noch in den älteren Lands- knechtheeren geführt, der Wurfspiess , das „Schefflin“, auch Archegaie, Zagaye. Das Schefflin besitzt ein langes, geripptes, aber innen hohl gebildetes, daher überaus leichtes Spiesseisen mit kurzer Dille, welches an einem dünnen, ca. 1.70 m. langen Schafte befestigt ist; letzterer wurde mit Leinwand oder auch mit feinem Leder überzogen und be- malt. Am hinteren Schaftende sieht man in Abbildungen Befiede- rungen ähnlich wie bei Pfeilen. (Fig. 375 und 376.) Der Name leitet sich von javelin, javelot, auch gabelo ab, das vielleicht im germanischen „ger“ seine Wurzel hat. Mit ihm begegnen wir einer weiteren Wurfspiessgattung, deren Gebrauch ins frühe Mittel- alter zurückreicht. Wir finden den javelin bereits im Rolandsliede, ebenso in der Dichtung: „La conquête de Jerusalem“, wo es heisst: „Et cil as gavelos commencent à lanchir“ VI, v. 5377 ff. Im Jahre 1320 werden die javelots unter den verbotenen Waffen angeführt. In London bildeten die „javelin-men“ die Eskorte des Sheriffs, wenn er zu Hofe ritt. Die letzten javelots sollen nach Hewitt in einem Harleian-Manuskripte (4374) von ca. 1480 abgebildet sein; das ist, wie wir ersehen haben, irrig, da sie noch in den Zeugbüchern Maximilians I. vom Jahre 1514 figurieren und bis ca. 1520 noch von den deutschen Landsknechten geführt wurden. Bei der allmählichen Umbildung der Landsknechtfähnlein in anders organisierte Fussknechtregimenter erlitt auch die Bewaffnung und da- mit auch die Gefechtsweise eine Änderung. Die Stosswaffe, der lange Spiess, blieb aber mit unwesentlichen Veränderungen in der Form nach wie vor die vorzüglichste Waffe des Fussknechtes; nur verliert sie ihren Namen und wird nun Pike genannt. Diese Bezeichnung, aus dem französischen „pique“ von piquer, „stechen“, erscheint schon in den spanischen Heeren Karls V. unter der Bezeichnung picas und kam durch die Niederländer in die übrigen Heere; sie erhält sich bis zu ihrem Verschwinden im letzten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts, der Zeit der Einführung des Spundbajonetts. In dem Absatze, welcher die Bewaffnung in ihrer Totalität behandelt, haben wir den Piqueur oder „Pikenier“, wie er in deutschen Regimentern genannt wurde, vor Augen gestellt. In dieser Periode führt ähnlich wie in den Landsknechtheeren der Unteroffizier (Feldweibel, Profoss, Rott- B. Die Stangenwaffen. 1. Der Spiess. meister) die Helmbarte, der Offizier aber vom Obersten bis zum Leutnant herab statt des Spiesses die Partisane. Die Pike bestand aus einem kleinen, rautenförmigen Spiesseisen mit kurzer Dille und Schaftfedern, deren Schaft, meist aus Erlenholz, schwarz gebeizt, war cylindrisch. Die Länge derselben betrug bei den Deutschen, Schwei- zern und Niederländern 4.194—5.11, bei den Franzosen aber nur 3.914—4.194 m. (Fig. 377.) In der Artillerie führten die Stuckknechte mit ihren Handlangern neben gewöhnlichen Bandhacken auch gemeine Spiesse, die Büchsen- Fig . 375. Grosses Schefflineisen , innen hohl gebildet. 16. Jahrhundert, Anfang. Fig . 376. Kleines Schefflineisen , innen hohl gebildet. 16. Jahrhundert. Fig . 377. Gemeiner Pikenierspiess . Totallänge 5.11 m. 17. Jahrhundert. Deutsch. Boeheim , Waffenkunde. 21 II. Die Angriffswaffen. meister aber sogenannte Luntenspiesse mit einer Vorrichtung zum Einzwängen der Lunte. Wir bringen hier diese Gattung, die halb Fig . 378. Gemeiner Stuckknechtspiess . Italienisch. 17. Jahr- hundert. Fig . 379. Gemeiner Luntenspiess . 18. Jahrhundert. B. Die Stangenwaffen. 1. Der Spiess. Waffe, halb Gerät ist, nach Originalen in Abbildungen. (Fig. 378, 379, 380.) Trabanten führten an den meisten Höfen Stangenwaffen, nicht Fig . 380. Reichverzierter Luntenspiess eines Büchsen- meisters von Eisen und Messing. 16. Jahrhundert, 2. Hälfte. Waffen- sammlung im Stifte Klosterneuburg. 21* Fig . 381. Geätzter Trabantenspiess mit einseitigem Parier- haken mit den Devisen des Herzogs Victor Amadeus von Savoyen (gest. 1637). Sammlung Bazzero in Mailand. Fig . 382. Trabantenspiess mit Parierhaken und spiessförmigem Knebel. Ital. 16. Jahrh., Ende. Waffensamml. in Zarskoë-Selo. Nach Gille. B. Die Stangenwaffen. 1. Der Spiess. selten auch gemeine Spiesse, die in der Regel reich verziert waren und oft mannigfache, seltsame Formen aufwiesen. Besonders an italienischen Höfen waltete da die Phantasie uneingeschränkt, wie aus zwei Beispielen (Fig. 381 und Fig. 382) ersehen werden kann. In der Reiterei macht sich vom 14. Jahrhundert immer mehr das Streben geltend, den Schaft besonders gegen das Stammende hin zu verstärken. Schon um 1360 tritt der Versuch auf, die den Schaft haltende Faust durch eine flache Scheibe aus Blech vor Verletzungen Fig . 383. Unterer Teil eines Spiessschaftes mit daran befestigter geätzter Brechscheibe. Deutsch. Um 1560. zu sichern. Diese Beigabe genügte nicht, man bildete sie darum trichterförmig mit ausgeschweiften Flächen. So entstand die Brech- scheibe (Fig. 383.) Die Stärke des Hinterschaftes zwang zu einer Schwächung in der Handlage, woraus jene Form entstand, die bei den gewöhnlichen Reiterspiessen wie bei den Turnierspiessen allent- halben zu erblicken ist und welche sich traditionell bei den Schäften der Reiterstandarten bis ins späte 18. Jahrhundert erhalten hat. Es Fig . 384. Kanälierter Spiessschaft . Deutsch. Um 1570. Fig . 385. Spitze eines Reisspiesses mit dem Fuchsschweif geziert. Um 1480. Fig . 386. Reisspiess ohne Brechscheibe, mit den Ringen aus Stahlkugeln am Handgriffe. 15. Jahrhundert. Nach Viollet-le Duc. Fig . 387. Spitze und Handgriff mit den Ringen aus Stahlkugeln, vergrössert. Punkt a bezeichnet die Stelle, wo der Rüsthaken zu liegen kommt. B. Die Stangenwaffen. 1. Der Spiess. ist die charakteristische Form des sogenannten Reisspiesses , d. i. der Spiess des Reisigen, des Reiters, im Gegensatze zum knech- tischen Spiess , d. i. der Spiess des Fussknechtes, später des Lands- knechts und Pikeniers. Im 15. Jahrhundert, in dessen Laufe die Stärke der Reisspiesse stetig zugenommen hatte, trat, veranlasst durch die Zunahme ihres Gewichtes, eine Reaktion ein; der Spiessschaft wird zwar am Durch- messer nicht geringer gebildet, er erhält aber Kanälierungen (Fig. 384) von zuweilen bedeutender Tiefe; dadurch wurde er auch für das Auge gefälliger. Am Ende des 15. Jahrhunderts wurde es Sitte, das Spiesseisen an seinem unteren Ende mit einem Fuchsschweife zu ver- zieren. Wir sehen diese Mode in A. Dürers schönem Stiche: „Ritter, Fig . 388. Spanischer Reiter , aus Springstecken gebildet. 18. Jahrhundert. Landeszeughaus in Graz. Tod und Teufel“, wie auch in den für die Kunde des Waffenwesens jener Zeit ausserordentlich wichtigen Zeugbüchern Maximilians I. (Fig. 385.) Die Reisspiesse, in deutschen Ländern auch „Schürzer“ genannt, welche eine durchschnittliche Länge von 3.5 m. besassen, wurden beim Angriffe in horizontale Lage gebracht und derart auf den Rüst- haken des Harnisches gelegt, dass dieser in den schwächeren Teil des Schaftes, der Handlage, zunächst hinter der Hand des Reiters zu stehen kam. Diese Position hatte ihre Nachteile darin, dass bei II. Die Angriffswaffen. einem ausgeführten Stosse die Spiessstange zurückprallte und dem Reisigen die Faust zwischen der Einkerbung des Handgriffes oder der Brechscheibe und dem eigenen Rüsthaken einquetschte; dabei wurde nicht selten die Stange aus dem Haken ausgehoben. Um dieses zu verhindern, wurde der Handgriff mit einem breiten Ringe umgeben, der aus 4—5 Reihen von durchlöcherten Stahlkugeln be- stand, die auf Draht geheftet waren. Der Rüsthaken erhielt eine Umhüllung von weichem Holz oder Blei. Beim Gebrauch ergriff der Reisige den Ring mit der Faust und legte die Stange derart ein, dass der Rüsthaken knapp hinter dem Ringe sass. Beim Stosse drückten sich die Stahlkugeln fest in die Umhüllung des Hakens ein und bildeten mit dieser einen Körper. (Fig. 386 und 387.) Belleval , M. R., Du costume militaire des Français en 1446. Noten 58 bis 63 nach zwei anonymen Manuskripten, das eine in der Bibliothèque nationale, das andere im Besitze Mr. Bellevals. Dem Verfasser, welchem diese Einrichtung zwar ganz entsprechend erscheint, ist nie ein Exemplar eines derartigen Ringes vor Augen gekommen; auch in der deutschen Litteratur der Zeit verlautet nichts dar- über. Es scheint demnach, dass dieselbe nur in Frankreich gebräuchlich war und dass man das Rückprallen der Stange in Deutschland durch eiserne Bandringe zu verhindern trachtete. Kommt der Reisspiess im 15. Jahrhundert häufiger ohne Brechscheibe vor, so finden wir ihn mit solcher in der Ritterschaft wie bei den Kürissern des 16. Jahrhunderts fast ausnahmslos und zuweilen selbst an Fahnen- und Fähnleinschäften. Gegen das Ende des 16. Jahrhunderts, jener Epoche, in welcher die Erfahrungen in den Kriegen der Niederlande sich allenthalben geltend machten, verlor der Reisspiess mehr und mehr an Bedeutung. Dazu kamen noch die Einflüsse der italienischen Kriegslehren, in- sofern man in Italien von jeher eine schwere Ausrüstung des Reiters und die darauf fussende Taktik als ungünstig ansah. Alle diese Einwirkungen führten zu dem Bestreben, die Beweglichkeit der Reiterei zu fördern. Schon in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstanden die Arkebusiere oder reitenden Schützen, die Dragoner (Drachen), die geeignet waren, ebenso zu Fuss als zu Pferde zu fechten und deshalb in den Heeren immer zahlreicher wurden, während die Kürisser, welche noch den Reisspiess führten, sich allmählich verminderten. Nun erschienen auch die Kürassiere zu schwerfällig, und zur Förderung ihrer Beweglichkeit entledigte man sie des schweren Reisspiesses. Damit kam das Reiterschwert, der Haudegen, in der Reiterei wieder zu Ehren. Nur bei den Ungarn und Polen, die nach den Traditionen des Orientes wie im gesamten Leben auch in der Kriegskunst stets konservativ er- scheinen, blieb die leichte orientalische Lanze unter der, fachlich genommen, unrichtigen Bezeichnung Pike bis ins 18. Jahrhundert, bei den Polen selbst bis zur Gegenwart eine beliebte Reiterwaffe. In der deutschen und französischen Reiterei werden die Harnische von ca. 1580 an nicht mehr mit Rüsthaken ausgestattet. Nur einzelne B. Die Stangenwaffen. 1. Der Spiess. Ritter und Standesherren trugen, alter Sitte huldigend, noch mit Vorliebe an ihren ritter- lichen Harnischen den längst nicht mehr in Gebrauch stehenden Rüsthaken. Um 1580 legte die Reiterei den Reisspiess, hundert- zwanzig Jahre darauf, nach 1700, das Fuss- volk die Pike ab; damit aber war der Spiess in seiner charakteristischen Form noch immer nicht ganz aus den Heeren verschwunden. Schon in den niederländischen Befreiungskriegen ent- stand der Springstecken ; er bestand aus einer dünnen, etwa 2 m. langen Stange, welche an beiden Enden mit einfachen, pfriemenartigen, eisernen Spitzen versehen war. Er wurde in dem von vielen Kanälen durchschnittenen Lande besonders von den Schützen zum Übersetzen dieser Terrainhindernisse gebraucht. Nebenher lief auch das Bestreben, dieses spiessartige Werkzeug als Auflager für die Büchse beim Zielen zu gebrauchen, wozu in der Mitte des Schaftes ein eiserner Haken angebracht wurde. Derlei Springstecken, Scharfschützenlanzen genannt, kommen in verschiedenen Formen bis ans Ende des 18. Jahrhunderts vor. In Österreich erhielt in den Türkenkriegen am Ende des 17. Jahrhunderts der Springstecken noch eine andere Aufgabe; er diente zur Bil- dung der „ spanischen Reiter “, für welche die Hauptbalken auf eigenen Wagen im Train mitgeführt wurden. Der spanische Reiter, welcher zum Schutze vor Überfällen durch Reiterei diente, bestand aus einem vierkantigen Haupt- balken (Leib), welcher auf geringe Entfernungen wechselweise durchlöchert war. In diese Löcher wurden nun die von den Infanteristen getragenen Springstecken, hiersonderbarer Weise „ Schweins- federn “ genannt, gesteckt, so dass eine Art Bockgestelle entstand. Nach dem Reglement von 1720 wurden im kaiserlichen Heere die Springstöcke nur noch von den Fähnrichen ge- führt. (Fig. 388.) Eine besondere Aufgabe hat der Spiess schon seit dem frühen Mittelalter auf der Jagd nach dem Bären und dem Wildschwein. Er wird da Bärenspiess, Sau- oder Schweinspiess Fig . 389. Schwein- spiess mit geätzter und vergoldeter Verzierung und originaler Ausstattung am Schafte. Historisches Mu- seum in Dresden. II. Die Angriffswaffen. genannt und diente, um das Wild anrennen zu lassen. Diesem ge- fährlichen Gebrauche entsprechend war er auch kräftig ausgestattet, um die Wucht des anrennenden Wildes auszuhalten und dabei nicht zu zerbrechen. Die Klinge war breit, blattförmig und sehr scharf und spitz. Spätere Exemplare haben einen Knebel an der Dille, der mit starken Lederriemchen angeschnürt ist. Dieser Knebel bezweckte, ein tieferes Eindringen der Klinge als bis zur Dille zu verhindern. Der überaus starke Schaft von 2 m. Länge war meistenteils mit schmalen Lederriemen umwickelt und mit Nieten besetzt, um das Ausgleiten der Fäuste zu verhindern. Vom 16. Jahrhundert an kamen auch Schweinspiesse mit Schiessvorrichtungen in Gebrauch, die den Zweck hatten, den Effekt zu sichern, falls beim Stossen das Ziel mehr oder minder verfehlt wurde. Die Bärenspiesse verschwinden bereits im 15. Jahrhundert, die Schweinspiesse erhalten sich noch bis ins 17., bei einigen Höfen selbst bis ins 18. Jahrhundert. Sie sind noch heute Inventarstücke fürstlicher Jagdkammern. (Fig. 389.) 2. Die Helmbarte. Der Name dieser sinnreichsten Stangenwaffe ist von Helm (Halm, Stange, Stiel) und Barte (Beil) herzuleiten. Als deutschen Ursprungs wird in fremden Sprachen ihr Name durchwegs verstümmelt. Sie heisst franz. hallebarde, engl. halbert, lat. hellemparta, ital. allabarda. Erst im 16. und 17. Jahrhundert wurde durch Rücküber- setzung die alte Benennung in Hellebarte verunstaltet. Nach den Forschungen, welche Quirin von Leitner Quirin Leitner , Die Waffensammlung des österreichischen Kaiserhauses im k. u. k. Artillerie-Museum in Wien. Wien 1866—1870. über den Ursprung der Helmbarten angestellt hat, findet schon im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts in der mittelhochdeutschen gereimten Erzählung: „Herzog Ernst“ die Helmbarte Erwähnung und in „Ludwig dem Kreuzfahrer“, also zu Anfang des 14. Jahrhunderts wird sie genau beschrieben In ausgesprochenster Form führten sie schon die Schweizer bei Morgarten 1315 wie bei Sempach 1386. Diese Waffe ist somit zu einer Zeit entstanden, als man schon begann, die einzelne Teile der Rüstung im Kriege durch etwas grössere Platten zu verstärken. Es zeigt sich auch hier das fort- gesetzte Streben, dem neuen defensiven mit dem entsprechenden offen- siven Mittel zu begegnen; denn war Stich und Hieb des Schwertes nicht im stande, dem Plattenharnische wirksam zu begegnen, so ver- mochte das wohl der wuchtige Schlag eines Beiles mit langem Stiele. B. Die Stangenwaffen. 2. Die Helmbarte. Die ältesten Helmbarten, welche wir kennen und welche sich teils noch in Originalien erhalten haben, teils in Bildwerken vor Augen liegen, besitzen noch die auf das Trennen und Zertrümmern der Harnischteile berechnete kräftige Form. So sehen wir eine Helmbarte in der Hand eines Gensdarmen aus der Zeit König Johanns I. (1350—1364) in einem Basrelief der Kirche St. Leu in Paris, welche statt des Hakens mit einem Hammer versehen ist. (Fig. 390.) Allmählich aber, wahrscheinlich infolge der Verbesserung der Hand- Fig . 390. Kriegsmann mit Helmbarte aus der Zeit König Johanns I. in einem Basrelief der Kirche St. Leu in Paris. 14. Jahr- hundert. Nach Jacquemin. feuerwaffe, erleiden die Helmbarten Umänderungen, welche erkennen lassen, dass ihre ursprüngliche Bestimmung in den Hintergrund ge- treten ist, und dass ihr Hauptwert nur noch in ihrer Eigenschaft als Stosswaffe liegt, wobei der sogenannte Haken als eine zuweilen vor- teilhafte Beigabe erscheinen mochte. II. Die Angriffswaffen. Thatsächlich bildet in der Regel die Beilform und die Form und Richtung der Beilschneide das sicherste Anzeichen des Alters dieser Waffe; ohne uns mit langen Beschreibungen aufzuhalten, weisen wir auf die hier folgenden, nach dem Alter gereihten Abbildungen, nach welchen die allmähliche Umwandlung der Form bis ins 17. Jahr- hundert deutlich zu ersehen ist. (Fig. 391a bis l.) Die Helmbarte in ihrer ältesten und ursprünglichen Form ist, wie erwähnt, deutschen Ursprungs; sie bildete im 14. und 15. Jahr- hundert die gemeine Waffe des Fussknechts; erst mit der Umände- Fig . 391. Die deutsche Helmbarte in ihrer Formentwicke- lung vom 15. Jahrhundert. a. Deutsche Helmbarte um 1480. b. Tirolische Helmbarte , bezeichnet 1490. c. Helmbarte aus der Zeit Maximilians I. Um 1500. rung der Bewaffnung am Ende des 15. Jahrhunderts, als der Lands- knecht den langen Spiess erhielt, führten sie nur bestimmte, in der Führung erprobte Kriegsleute und Unteroffiziere; so war sie für lange Zeit die Waffe des „Weibels“. B. Die Stangenwaffen. 2. Die Helmbarte. Während die Helmbarte sich durch das ganze 16. Jahrhundert im Gebrauch erhält, verschwindet sie im 17. Jahrhundert nahezu vollständig aus den Heeren. Im 18. Jahrhundert führte der Unter- offizier der Infanterie eine kleinere Helmbarte, das sogenannte „ Unter- offizierskurzgewehr “. In Italien und Frankreich wurde unter der Bezeichnung Helm- barte (hallebarde, allabarda) eine Stangenwaffe geführt, welche der deutschen Form sehr unähnlich ist, also eigentlich kaum in diese d. Helmbarte aus der Zeit Maximilians I. Um 1510. e. Bairische Helmbarte . Um 1515. Gattung zu reihen wäre; derlei Formen werden demnach gemeiniglich durch die Bezeichnung Deutsche oder Italienische Helmbarte unterschieden. Unabhängig von ihrer Verwendung im Kriege erscheint die Helmbarte als Waffe der Leibgarden der Regenten, am deutschen Hofe der „Trabanten“; so finden wir sie bereits in einem Holz- II. Die Angriffswaffen. schnitte des von Hieronymus Formschneider herausgegebenen Werkes von 1539, welches den Zug wider die Türken 1532 beschreibt. Hier erscheint sie bei der Heerschau, welche Karl V. über die Reichs- truppen hielt. In der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts waren die Schweizer am französischen Hofe mit Helmbarten ausgerüstet. Wie die deutsche Helmbarte im Verlaufe der Zeit für ihre ur- f. Geätzte Trabantenhelmbarte aus der Zeit Ferdinands I. mit dem Reichsadler, den Buchstaben K. F. (Kaiser Ferdi- nand) und der Jahrzahl 1563. g. Gemeine Helmbarte aus der Zeit Ferdinands I. h. Geätzte Helmbarte eines Weibels um 1570. sprüngliche Bestimmung immer untauglicher wird, so erhalten die Beile und Haken unter dem Einflusse der Kunstströmung in der B. Die Stangenwaffen. 2. Die Helmbarte. Renaissanceepoche ideale, barocke Formen. Am Ende des 16. Jahr- hunderts erscheinen die Spiessklingen pfriemenartig und in übertriebenen Längen, während die übrigen Klingenteile ganz zusammenschrumpfen. i. Geätzte Helmbarte , niederländisch. Ende des 16. Jahr- hunderts. Sammlung Neyt. Nach Vanvinkeroy, L’art à l’exposition de Bruxelles. k. Geätzte Trabantenhelmbarte mit dem Namenszuge Kaiser Ferdinands II. und mit dessen Wahlspruch: „Legitime cer- tantibus“. 17. Jahrhundert. l. Geätzte Trabantenhelmbarte aus der Zeit Kaiser Leo- polds I. 1660. II. Die Angriffswaffen. Einige charakteristische Proben, darunter auch Nachahmungen deutscher Formen aus italienischen Werkstätten, bringen wir in nebenstehenden Figuren 392a—i. Helmbarten deutscher Form mit durchbrochenen Fig . 392. Deutsche Helmbartenformen . a. Helmbarte mit durchbrochenem Beile und Haken, soge- nannte „niederländische Helmbarte“. 16. Jahrhundert, Ende. b. Helmbarte mit durchbrochenem Beile und Haken und langer Stossklinge. Niederländisch. 17. Jahrhundert, Anfang. B. Die Stangenwaffen. 2. Die Helmbarte. c. Helmbarte mit durchlöchertem Beile und Haken. Nieder- ländisch. 17. Jahrhundert, Anfang. Sammlung Van Zuylen. Nach Vanvinkeroy. d. Helmbarte mit durchbrochenem Beile und Haken und ori- ginaler Quaste (Aufputz). 17. Jahrhundert. Sammlung Delpier. Nach Vanvinkeroy. Boeheim , Waffenkunde. 22 II. Die Angriffswaffen. Beilen und Haken wurden im Friaulschen in Seravalle und in Brescia gefertigt, die meisten kamen aber aus den Niederlanden, vorzüglich aus Lüttich und Antwerpen. Die italienische Helmbarte hatte ungeachtet ihrer der deutschen ganz unähnlichen Form, wie aus der in beistehenden e. Helmbarte deutscher Form, aber italienischer Arbeit. 17. Jahr- hundert. f. Helmbarte mit gabelförmiger Stossklinge und Hammer Italienisch. 17. Jahrhundert. g. Helmbarte mit Beil und Haken von barocken Formen. Italienisch. 17. Jahrhundert. B. Die Stangenwaffen. 2. Die Helmbarte. Figuren 393a—e gegebenen Entwickelung zu ersehen ist, mit der deutschen doch eine und dieselbe Urform gemein, sie hatte im Verlaufe h. Geätzte Helmbarte der Patrizierfamilie Welser . 17. Jahr- hundert. i. Geätzte Helmbarte mit doppeltem Beile. Die Klinge be- steht aus 3 Teilen. 17. Jahrhundert. 22* Fig . 393. Formenentwickelung der italienischen Helmbarte. a. Italienische Helmbarte aus der Mitte des 15. Jahrhunderts. Ehemalige Samml. L. Meyrick. b. Italienische Trabanten- helmbarte vom Ende des 15. Jahrh. Ehemalige Sammlung L. Meyrick. c. Italienische Helmbarte aus der 1. Hälfte des 16. Jahrh. d. Italienische Helmbarte aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. e. Italienische Helmbarte vom Ende des 15. Jahrhunderts. Sie trägt die alte Mailänder Marke, den „Skorpion“. Samm- lung von W. H. Riggs. Nach Viollet-le-Duc. B. Die Stangenwaffen. 2. Die Helmbarte. sich nur anders herausgestaltet. Wir sehen sie schon in dem Flügelaltar des Nicolo Semitecolo aus der Mitte des 14. Jahrhunderts in der Akademie zu Venedig (S. I, 20) mit aller Deutlichkeit abgebildet. Im 15. und in der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts ist sie in Italien, Frankreich und der Schweiz die allgemeine Waffe des Fussknechts. Ihre Be- stimmung war, mit Spitze und Haken die vom Harnische unbedeckten Körperteile des Mannes zu verletzen, mit dem sichelförmigen Klingen- ansatze aber den Gegner an sich zu ziehen. Fig . 394. Deutsche Helmbarte mit sichelförmiger Klinge, 16. Jahrhundert, Ende. Fürstl. Hohenzollern-Museum zu Sigmaringen. Fig . 395. Schweizerische Helmbarte mit der Stossklinge am Beile. Übergangsform von der Helmbarte zur Streitaxt. 16. Jahr- hundert, Anfang. Landeszeughaus zu Graz. II. Die Angriffswaffen. Die Italiener liebten lange Schäfte an ihren Stangenwaffen; so ist die durchschnittliche Länge der Schäfte an italienischen Helm- barten 2.14 m. Spezialformen ersehen wir in den Figuren 394 und 395, erstere ist deutscher, letztere italienischer Herkunft, beide sind nur Umbildungen von älteren Formen. 3. Die Glefe und die Couse. Die Glefe (vouge), irrig auch „Streitsense“ und „Breschmesser“ genannt, besteht aus einer langen, messerförmigen Klinge, welche an einer langen Stange mittels Dille und Schaftfedern befestigt ist. Am unteren Ende befinden sich spitze Ansätze, sogenannte „ Parier- haken “, ähnlich jenen an der italienischen Helmbarte, und am Fig . 396. Italienische Soldaten des 14. Jahrhunderts aus einem Manuskript der Ambrosianischen Bibliothek. Nach Jacquemin. Rücken entweder eine gerade, vorstehende Spitze, gleichfalls zum Auf- fangen der Hiebe, oder aber ein nach aufwärts gestellter Haken, sogenannter „ Klingenfänger “. Einen mit einer Glefe bewaffneten italienischen Kriegsknecht erblickt man schon in einem Manuskript des 14. Jahrhunderts in der Ambrosianischen Bibliothek (Fig. 396) Jacquemin Raphaël, Ikonographie du costume. Paris 1863. ; gegen das Ende dieses Jahr- B. Die Stangenwaffen. 3. Die Glefe und die Couse. hunderts nahm ihre Verwendung stetig zu. Im 15. Jahrh. ist sie all- gemein die Waffe des Fussknechts und in Burgund selbst des Armrust- schützen. Karl der Kühne verlangte für jene drei Soldaten, welche von je 50 Feuerstellen durch die Ortschaften gestellt werden mussten, dass wenigstens einer derselben, wenn nicht zwei, mit Schwert, Dolch und einer Vouge erscheinen solle. Noch am Ende des 15. Jahrhunderts nannte man jede einer Fig . 397. Die italienischen Glefen in ihrer Formenentwicke- lung im 16. Jahrhundert. a. Italienische Glefe vom Anfange des 16. Jahrhunderts Nach Meyrick. b. Italienische Glefe aus der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts. Nach Meyrick. c. Glefe der Trabanten des Rektors der Republik Ragusa von ca. 1540. Nach Meyrick. II. Die Angriffswaffen. Lehenschaft zugehörige Zahl von Fussknechten „Glefen“ nach ihrer Waffe. Aus einer Anzahl solcher Glefen wurden die ersten knech- tischen Fähnlein gebildet. d. Glefe der Leibwache des Dogen von Venedig Francesco Venieri (1554—1556). Nach Meyrick. e. Venezianische Glefe von ca. 1550. Nach Meyrick. f. Französische Glefe aus der 2. Hälfte des 16. Jahr- hunderts. Nach Meyrick. B. Die Stangenwaffen. 3. Die Glefe und die Couse. In der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts bildete die Glefe in eigenartiger Form die allgemeine Waffe des sächsischen Fussvolkes. Nach der folgenschweren Schlacht bei Mühlberg 1547 lasen die Kaiser- Fig . 398. Kursächsische Glefe aus der Zeit Augusts I. mit dem kurfürstlichen Wappen reich geätzt und vergoldet, und der In- schrift: „Die Hoffnung hat mich offt ernerdt, sonst hätt mich Vnfal lengst verzert.“ Fig . 399. Hartschiercouse aus der Regierungszeit des Erz- herzogs Ferdinand , späteren Kaisers, von ca. 1530. Fig . 400. Blanke Couse mit Helmbartenhaken. Arbeit des Peter Schreckeisen in Neukirchen in Steiermark von 1581. Landes- zeughaus in Graz. II. Die Angriffswaffen. lichen enorme Mengen dieser Waffe auf dem Schlachtfelde auf. Einige von diesen werden noch gegenwärtig in der k. k. Hof-Waffensamm- lung zu Wien bewahrt. Die ältesten Glefen waren ebenso für den Stich wie für den Hieb zu gebrauchen; später scheint man sie ihrer verhältnismässig weniger zweckmässigen Form wegen abgelegt zu haben, Fig . 401. Trabantencouse vom Hofe Kaiser Rudolfs II., in Schwarzätzung geziert mit dem Namenszuge des Kaisers, dem Wappen, der Devise ADSIT und der Jahrzahl 1577. Fig . 402. Trabantencouse vom Hofe Kaiser Leopolds I., in Schwarzätzung geziert mit dem Namenszuge des Kaisers und der Jahr- zahl 1666. B. Die Stangenwaffen. 3. Die Glefe und die Couse. desungeachtet behielt man sie an verschiedenen Höfen als Trabanten- waffe bis ins vorige Jahrhundert bei. Dies ist die Ursache, dass wir in den Sammlungen so häufig reich mittelst Goldätzung gezierten Glefen begegnen. Die Glefe als Trabantenwaffe finden wir im 15. und 16. Jahr- hundert an nahezu allen italienischen Höfen, besonders in Florenz, Mantua und Venedig, aber auch zeitweilig am französischen Hofe. (Fig. 397a—f.) Es ist bemerkenswert, wie in dieser Verwendung die Glefe sich allgemach umbildet, die Eignung für den Stoss ver- liert und überhaupt zum reich ausgestatteten Spielzeug herabsinkt. Besonders am venetianischen Hofe, wo sie von der slavischen Leib- garde der Dogen geführt wurde, erhält sie eine imposante, aber über- triebene Gestalt. Sie erscheint hier als breites, rückwärts gekrümmtes Messer, an dessen Rücken sich ein reich konturierter Ansatz be- findet. Ein übermässig langer Schaft von über 2.50 m. Länge war darauf berechnet, die Wirkung für das Auge zu erhöhen. Am säch- sischen Hofe wurde die Glefe in einer eigenartigen Gestalt schon im 16. Jahrhundert als Trabantenwaffe geführt. Sie unterscheidet sich von der italienischen und französischen dadurch, dass das beilartig geformte, gekrümmte Messer mittels Naben an dem Schafte befestigt ist. Ein stark gekrümmter, unterhalb geschärfter Haken sitzt auf der Hirnseite des Schaftes, welcher etwas unterhalb in der Faustlage mit einer Handschutzscheibe versehen ist. Alle derartige Glefen sind reich in Gold geätzt und tragen das kursächsische Wappen. Ihre Schaft- länge beträgt durchschnittlich 146 cm. (Fig. 398.) Im 17. Jahrhundert, in welchem sie auch am polnischen Hofe von der dortigen Leibwache geführt wurde, erhielt diese Stangen- waffe den Namen Kosa, von Couse (couteaux) abgeleitet. Die Couse (guisarme) besitzt eine messerförmige Klinge, welche mittelst einer Dille auf den Schaft gesteckt und mit demselben durch lange, eiserne Schaftfedern und Nägel verbunden ist. In einzelnen Fällen findet sich am Schafte unterhalb der Dille eine Handschutz- scheibe. Aus ihrer Form ist zu ersehen, dass die Couse weniger für den Stich als für den Hieb zu gebrauchen ist und dass sie sich von der Glefe nur unwesentlich unterscheidet. Die Couse tritt, aller- dings in einer noch rohen und plumpen Form, im 14. Jahrhundert zuerst bei den Schweizern auf und war darauf berechnet, mittels wuchtiger Hiebe die Harnische der Gegner, namentlich den Lentner, zu durchdringen. Schon am Beginne des 15. Jahrhunderts findet man sie in Frankreich und sie gelangt nach der Schlacht bei St. Jacob zu solcher Beliebtheit, dass die Schweizer bei Hofe mit solcher be- waffnet wurden. So erscheinen sie in einer gleichzeitigen Miniatur des Jean Foucquet der Sammlung Brentano in Frankfurt, darstellend das lit de justice Karls VII. zu Vendôme 1458. Ein weiteres Bei- spiel ihres Gebrauches findet sich in einem Manuskripte des Jouvencel II. Die Angriffswaffen. aus dem 15. Jahrhundert in der Nationalbibliothek zu Paris. Am Beginne des 16. Jahrhunderts wird die Couse auch in Spanien eine Waffe der Leibgarden Philipps I., der seine Hartschiere damit aus- rüstete, und seit dieser Zeit erscheint sie ununterbrochen an den habsburgischen und mehreren deutschen Höfen. (Fig. 399.) Eine der älteren Abbildungen der Couse als Hartschierwaffe sehen wir in dem Freskogemälde des Domenico Brusasorci in der Casa Ridolfi zu Verona, darstellend den feierlichen Einzug Karls V. und Klemens’ VII. in Bologna 1530, welches auch von Lukas Cranach in Kupfer ge- stochen ist. Die Waffensammlung des kaiserl. Hauses zu Wien bewahrt noch Exemplare von Cousen aller Kaiser von Ferdinand I. bis auf Josef II. und auch einiger regierender Erzherzöge. (Fig. 400, 401, 402.) Josef II. (gest. 1790) war der letzte Kaiser, in dessem Hofstaate die Cousen getragen wurden. Gegenwärtig führen sie noch die bayrischen Hartschiere. 4. Die Runka und die Partisane. Die Runka (ronsard, ranseur, roncie, Wolfseisen) unterscheidet sich von dem gemeinen Spiess nur durch die am unteren Klingenende zunächst der Dille befindlichen, seitlich abstehenden, halbmondförmig nach aufwärts gerichteten Ohren. Sie erscheint als Fussknechtwaffe auf Gemälden des 15. Jahrhunderts, ist aber gewiss weit älter. Die Runka wurde mehr in den spanischen und italienischen Heeren ge- führt, von welchen sie erst die Deutschen übernahmen, doch ist sie bei letzteren nie in grosser Anzahl in Gebrauch gestanden. Bestimmte Angaben über die Benennung und die Handhabung der Runka ver- lauten am Beginne des 16. Jahrhunderts. Monti Pietro, Exercitiorum atque artis militaris collectanea. Mediolani 1509. Als Kriegswaffe erhält sich die Runka bis an die 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts, bisweilen unter bizarren Formen und nicht selten mit weit abstehenden, beiderseits geschärften Ohren, durch welche man einen gewaltsamen Durchbruch der Fronte zu erschweren beabsichtigte. (Fig. 403 a—d.) In der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts ist sie auch die Waffe einer Leibgarde, wahrscheinlich Karls V. In der Waffensammlung des kaiserlichen Hauses zu Wien, wie in der Armeria Real zu Madrid werden ganz gleichartig geformte Runkas bewahrt, welche ersichtlich einer Leibgarde angehört haben. Ihre Klingen, reich geätzt und vergoldet, die Schäfte mit Samt überzogen, sind so eingerichtet, dass Fig . 403. Formen der Runka vom Anfange bis um die Mitte des 16. Jahrhunderts. a. Runka aus dem Anfange des 16. Jahrhunderts. b. Runka mit weitabstehenden und geschärften Ohren aus derselben Zeit. c. Runka in Form einer Kriegs- oder Sturmgabel. d. Runka aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Italienisch. Fig . 404. Reichgeätzte und teils vergoldete Runka mit, zusammenzuschiebenden Ohren. Der 1.78 m. lange viereckige Schaft ist zweimal im Scharnier umzu- legen. Um 1530. Spanisch. Fig . 405. Partisane mit behackten Ohren. 15. Jahr- hundert, Ende. Fig . 406. Venetianische Partisane mit gerippter Stossklinge und Verzierungen in Goldätzung. 16. Jahr- hundert, 1. Hälfte. Fig . 407. Geätzte Partisane der kurbairischen Leibwache des Kurfürsten Ferdinand Maria 1677. K. Waffensamml. zu Zarskoë-Selo. Fig . 408. Österreichische Oberstenpartisane aus der Zeit Kaiser Karls VI. Fig . 409. Preussische Offizierpartisane aus der Zeit König Friedrichs II. Kais. u. königl. Heeresmuseum in Wien. II. Die Angriffswaffen. die Ohren in Scharnieren zusammenzuschieben, die Schäfte aber in der Hälfte umzulegen, somit zu verkürzen waren, damit die Verpackung erleichtert wurde.. Die Hartschiere wie die Trabanten dienten auf den Reisen der Kaiser zu Pferde mit der Ausrüstung von reisigen Knechten, wenn auch in reicher Aus- stattung, im Hoflager jedoch mit der Stangenwaffe, welche ihnen auf der Reise im Gepäckwagen mitgeführt wurde. (Fig. 404). Die Partisanen Der Versuch, die Bezeichnung Partisane von dem französischen pertuis, Loch herzuleiten, ist unstichhaltig. Die Bezeichnung Partisan für Parteigänger ist vermutlich von der Waffe abzuleiten, wie man im 15. und 16. Jahrhundert ge- meiniglich die Anzahl der Streitbaren nach der Zahl der Helme, Spiesse etc. zu be- zeichnen pflegte. sind eigentlich nichts anderes als Runkas mit kürzer gebildeten Ohren. Ihre ausgesprochene Form dürfte sich kaum über das 16. Jahrhundert verfolgen lassen, doch findet man sie in den späteren Landsknechtheeren als Stangenwaffe der Offiziere stark im Gebrauch. Sie bleibt auch noch im 17. Jahrhundert in Deutsch- land und in den Niederlanden eine beliebte Waffe und wird allgemach zur Waffe der Oberoffiziere. Im 18. Jahrhundert führte eine Gattung kleiner Partisanen, Sponton Der Name leitet sich von Spiess, lat. espietus, spedus, spentum, direkt vom Spetum der Frührenaissance her. genannt, in den deutschen Heeren der Oberst und Oberst-Inhaber, der Oberstleutnant, der Hauptmann und der Leutnant, letzterer ohne Quaste. Um das Jahr 1770 wurden sie allenthalben abgelegt. Die ältesten Partisanen besitzen noch breite und lange Spiess- eisen (Fig. 405, 406); später werden diese allmählich kleiner. Als Waffen der Leibgarden an einigen deutschen, namentlich am bayrischen und sächsischen Hofe erhalten die Klingen eine reiche dekorative Ausschmückung in Eisenschnitt und Goldätzung. (Fig. 407.) In Sachsen führte sie die kurfürstliche und später königliche Schweizer- garde bis zu deren Auflösung 1814 und die polnische Nobelgarde. In ihrer Verwendung im Heere sind sie weniger Waffen als Würdenzeichen, welcher Eigenschaft entsprechend sie auch verziert sind. (Fig. 408, 409.) Partisanen, genau den älteren sächsischen nachgebildet, führten auch die Tempelwachen in einigen ostindischen Staaten im 18. Jahrhundert. Dergleichen Stücke, die Kurfürst August von Sachsen 1771 gekauft hatte und welche reich in Eisenschnitt verziert sind, werden noch gegen- wärtig im k. historischen Museum zu Dresden bewahrt. 5. Das Spetum, der Hakenspiess, die Kriegsgabel und die Sturmsense. Unter den besonderen Formen der Stangenwaffen ist zunächst des Spetums zu erwähnen. Das Spetum , auch „Friaulerspiess“ ge- nannt, wodurch seine Herkunft genügend bezeichnet ist, besteht aus einer langen Spiessklinge, an deren unterem Ende nächst der Dille Ohren angebracht sind, welche mehr oder weniger einen seitab und rückwärts gebogenen Haken bilden. Die ältesten Spetums stammen aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, sie verschwinden am Beginne des 16. Jahrhunderts. Ihr Name leitet sich, wie bereits bemerkt, von dem lateinischen Worte spendum, Spiess, her. (Fig. 410, 411, 412.) Eine schon am Beginne des 14. Jahrhunderts unter den italie- nischen Kriegsbanden erscheinende Stangenwaffe ist der Hakenspiess . An sich ist er eigentlich nichts anderes, als ein Spetum mit einseitigem Ohre. Der Haken ist dazu bestimmt, den Feind zu erfassen und an sich zu ziehen. Hakenspiesse finden sich noch häufig im 15. Jahr- hundert bei den Italienern und Schweizern, weniger bei den Franzosen und Deutschen. Einen Kriegsmann, mit dem Hakenspiess bewaffnet (Hakenspiesser), sehen wir auf Fig. 395 des Abschnittes Glefe, Seite 342. In Italien, dem Lande, in welchem wir vom 14. Jahrhundert die mannigfachsten Handwaffen antreffen, erscheint auch zuerst die eigen- tümlich geformte Kriegsgabel . Sie besteht gewöhnlich aus zwei, seltener drei gabelartig gestalteten, zugespitzten Zinken aus schwachem Stangeneisen, welche von einer Dille auslaufen. Diese Kriegsgabeln, welche für ihren Zweck, den Lentner zu durchbohren, doch zu schwach gestaltet waren, wurden gleichwohl bis ins 15. Jahrhundert häufig an- getroffen, namentlich in Scharen, die für ihre Bewaffnung selbst zu sorgen hatten. Im 16. Jahrhundert kommen sie nur noch in Italien vor. (Fig. 413.) In England tritt schon im 12. Jahrhundert eine Waffe auf, welche eigentlich in die Gattung der Sturmsensen gehört, in den verschie- denen Werken aber teils zu den Glefen gezählt, teils guisarme ge- nannt wird. Viollet-le-Duc in seinem sonst sehr anerkennenswerten Dictionnaire du Mobilier français, Bd. 5, pag. 492 benennt sie mit Anführung von alten Beleg- stellen guisarme. Diese Annahme ist, wie der verdienstvolle Autor selbst durch- blicken lässt, irrig, da nirgends aus einem Bilde konstatiert wird, dass diese Form in Frankreich vorgekommen ist, während ihr Gebrauch in England nachgewiesen ist. Im Gegenteile scheint die Guisarme des 12. Jahrhunderts eine Waffe gewesen zu sein, welche, zwischen Glefe und Couse stehend, eigentlich ein Messer dar- stellte, welches oben in eine pfriemenartige Spitze auslief (Glaive-guisarme). Ihre Klinge besteht aus einer an einer Dille aufsitzen- Boeheim , Waffenkunde. 23 II. Die Angriffswaffen. den Sense, an deren Rücken, von einem Ansatze auslaufend, ein langes, pfriemenartiges Spiesseisen angebracht ist. Die in Fig. 414 dargestellte Waffe gehört jedoch bereits ins 14. Jahrhundert und hat auf dem Festlande eine wenig ausgedehnte Verwendung gefunden. Fig . 410. Spetum (Friaulerspiess) vom Ende des 15. Jahr- hunderts. Fig . 411. Spetum vom Anfange des 16. Jahrhunderts. Fig . 412. Spetum vom Anfange des 16. Jahrhunderts. — Italienisch. B. Die Stangenwaffen. 5. Das Spetum, der Hakenspiess etc. Die Kriegs- oder Sturmsensen besitzen eine flache, ge- krümmte, säbelähnliche Klinge, welche am konvexen Rande verstärkt oder gleich den Sensen am Rücken umgebogen, am konkaven Teile aber geschärft ist. Die Kriegssensen erscheinen in grösseren Mengen als Kriegs- waffen zuerst in den Bauernunruhen Tirols in der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts, in geringerer Zahl dürften sie in den Burgunder- kriegen von den Schweizern geführt worden sein. Die Kriegssense, Fig . 413. Kriegsgabel mir doppeltem Beile (Barte). 16. Jahr- hundert. Sammlung Poldi-Pezzoli in Mailand. Fig . 414. Sturmsense (guisarme genannt). 14. Jahrhundert. Sammlung W. H. Riggs. eine Bauernwaffe, ist für den Stoss ganz ungeeignet und für den Hieb weniger wirksam, als man gemeiniglich annimmt. Dennoch hat diese Waffe, weil sie dem Begriffsvermögen des Bauern am nächsten lag, in allen Empörungskriegen eine allgemeine Anwendung gefunden, 23* II. Die Angriffswaffen. besonders in dem Bauernkriege am Anfange des 16. Jahrhunderts, dem Aufstande der Tiroler 1703, 1805 und 1809, endlich in den polnischen Aufständen von 1830 und 1848. Während der Belagerung Wiens durch die Türken 1683 ver- wendeten die Verteidiger eine eigene Art von Sturmsensen, die sich im Kampfe in der Bresche gut bewährte. Eine solche Sense bestand aus einer 90 cm. langen, flachen Spiessklinge an einem kurzen Schafte. Knapp vor der Dille breiteten sich beiderseits konkav nach aufwärts gerichtete sensenähnliche Klingen aus, deren Spitzen 80 cm. von der Spiessklinge abstanden. Etwa in der Mitte dieser Sensenklingen waren viereckige Löcher angebracht, die bezweckten, die Klingen mit den beiden benachbarten Sturmsensen durch Bolzen verbinden zu können, so dass die ganze Reihe derselben gewisser- massen nur eine einzige Waffe darstellte. (Fig. 415.) Beim Gebrauche Fig . 415. Sturmsensen in ihrer Zusammenstellung für den An- griff. 1683. K. u. k. Heeresmuseum in Wien. wurde die nötige Anzahl von Sturmsensen zusammengestellt und mittelst Federbolzen verbunden. So viele Soldaten, als Platz fanden, ergriffen die Schäfte und rückten mit dieser Maschine dem anstürmen- den Feinde entgegen. Diese häufig in Anwendung gebrachte Waffe wurde dem Feinde zuletzt so furchtbar, dass er sich über diese „schlechte Kriegsmanier“ bitter beklagte. Die Anwendung eines ähnlichen Systems war damals nicht neu. Schon Maximilian I. führte in seinen Zeughäusern sogenannte Streitkarren, welche mit Spiessen, Sensen und selbst mit Hakenbüchsen bewehrt waren. Im 18. Jahrhundert führte die Mannschaft der Kriegsflottille an der unteren Donau, die sogenannten Czaikisten, Sturmsensen auf ihren Schiffen, um das Entern zu verhindern. C. Die Schlagwaffen. 1. Der Streitkolben. Die Urform des Streitkolbens (mace, macue, macuete, tinel, — engl. mace, lat. macia, ital. mazza, span. maza, herrada) bildet die älteste und einfachste Waffe des Menschen, die Keule, und es ist eine sonderbare Berührung der Gegensätze, dass eine Waffe, der sich ursprünglich nur die barbarischen Völker bedienten, im frühesten Mittelalter bereits zu hohem Ansehen gelangt und ganz besonders von hervorragenden Personen geführt, den Keim bildet, aus dem der Fig . 416. Herzog Wilhelm der Eroberer in der Schlacht bei Hastings mit dem Baculus. Partie aus dem Teppich von Bayeux. 11. Jahrhundert, Ende. Fig . 417. Flüchtender Engländer mit einem Streitkolben bewaffnet . Partie aus dem Teppich von Bayeux. 11. Jahrhundert, Ende. Feldherrnstab sich entwickelte. Wir sehen am Teppich von Bayeux den Bischof Odo sowie auch Herzog Wilhelm mit dem Baculus in den Händen in der Schlacht bei Hastings. Dieser Baculus ist eine lange etwa 70—80 cm. lange Keule, die vorne in der Form eines II. Die Angriffswaffen. Tieres roh zugeschnitzt zu sein scheint. (Fig. 416.) Unter den flüchtenden Engländern aber erblicken wir Leute, welche eine Art Streitkolben führen, die aus einem rosettenartigen Kopf an einem etwa 50 cm. langen Stiele bestehen, der ziemlich gewichtig sein muss, da sie ihn auf der Schulter tragen. (Fig. 417.) Wie sehr diese einfache und gewiss wirksame Waffe unter den Tüchtigsten Ansehen genoss, ersehen wir in dem französischen Roman der Alis- cans aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, in welchem der Held Rainvars selbst ein Schwert, das ihm geboten wird, verschmäht und mit seinem 15 Fuss langen Streitkolben (tinel) die Sarazenen be- kämpft. Die Abbildung eines mit einem einfachen rohen Streit- kolben bewehrten Kriegers bringt Viollet-le-Duc aus dem Manuskript des Tristan von ungefähr 1250. Dict. du mob. français. Art. Masse. Der Streitkolben war weniger eine Waffe des gemeinen Fuss- Fig . 418. Fussknecht in Haubert, Brünne und Waffenhemd gekleidet und mit Schild und Baculus bewaffnet. Randzeichnung aus dem Codex Balduini Treviensis von ca. 1340. Fig . 419. Streitkolben aus Bronze, unweit Tarnow aus der Erde gegraben. 12. Jahrhundert. Sammlung Rogawski. volkes als der Bauern, weshalb wir ihn auch in allen Empörungs- kriegen finden. In der Reiterei ist er vom 14. Jahrhundert an eine ausserordentlich verbreitete Waffe, die geradezu unentbehrlich für den Reiter erschien. Mit dem Streitkolben, dem Streithammer und der Streitaxt war der Reiter im Stande, den Helm seines Gegners zu zertrümmern oder den Haubert soweit zu trennen, dass die Schwert- klinge einen Eingang finden konnte, ja, ein Schlag mit dem Kolben konnte den bestgeharnischten Arm entzweibrechen; davor schützten C. Die Schlagwaffen. 1. Der Streitkolben. den feindlichen Reiter selbst die Schulterschilde nicht; nur der Schild konnte eine Zeit lang den Hieben widerstehen. Bis ins 15. Jahrhundert kommt der Streitkolben in seiner rohesten Form als Baculus im Fussvolke vor. (Fig. 418.) Um nicht nur durch den rohen Schlag allein zu wirken, sondern auch in den Stoff des Hau- berts einzudringen, versah man schon um 1280 den Kopf des Streit- Fig . 420. Streitkolben von Eisen mit Stiel von Holz. Aus dem Manuskript der Nationalbibliothek zu Paris: li romans d’Alixandre von ungefähr 1280. Französisch. Nach Viollet-le-Duc, Dictionnaire. Fig . 421. Streitkolben von Eisen, cylindrisch mit Schlag- blättern und Stacheln. Musée des fouilles des chateaux de Pierrefonds. Ende des 14. Jahrhunderts. Nach Viollet-le-Duc, Dictionnaire. Fig . 422. Morgenstern von Eisen mit hölzernem geästeten Stiele. 15. Jahrhundert. Königl. Zeughaus in Berlin. Nach Hiltl. II. Die Angriffswaffen. kolbens mit stumpfen Stacheln. Derlei Formen benannte der Söldner- witz Morgensterne . (Fig. 419.) Ein nicht über einen Meter langer Stiel, der unterhalb mit starken Handriemen ausgestattet war, wurde in einen zylindrischen oder kugelförmigen Körper aus Metall, Blei oder Eisen eingelassen, der mit Stacheln besetzt war. Diese Metallköpfe hatten im Detail verschiedene Formen; am besten bewährten sich die zylindrischen Köpfe, welche am Ende des 14. Jahrhunderts fast ausnahmslos verwendet wurden, weil ihre Treff- Fig . 423. Schwerer Streitkolben mit prismatischem, mit Stacheln besetzten Kopfe. Der Stiel ist mit Stoff überzogen und mit Nägeln besetzt. Italienisch. 15. Jahrhundert. Königl. Zeughaus in Berlin. Nach Hiltl. Fig . 424. Streitkolben mit birnförmigem, hölzernem Kopfe und mit langen, eisernen Stacheln besetzt. Deutsch. Bauernwaffe. 15. Jahr- hundert. Königl. Zeughaus in Berlin. fläche bedeutend grösser war und der Kopf durch eiserne Federn sicherer mit dem Stiele sich verbinden liess. (Fig. 420, 421, 422, 423, 424.) Am Beginne des 15. Jahrhunderts bildet sich in der C. Die Schlagwaffen. 1. Der Streitkolben. Reiterei eine ganz eigene Art von Streitkolben heraus, die unter dem Namen „Kürissbengel“ oder auch Faustkolben bekannt ist. Fig . 425. Streitkolben des Kaisers Friedrich III. in der Form des gemeinen deutschen Kürissbengels aus vergoldetem Messing in feiner gotischer Gliederung. Länge 65 cm. Deutsch. 15. Jahrh, Mitte. Fig . 426. Streitkolben mit acht Schlagblättern von Eisen, teilweise vergoldet. Italienisch. 16. Jahrhundert. Königl. Zeughaus in Berlin. Nach Hiltl. Fig . 427. Türkischer Streitkolben aus vergoldetem Silber und mit Edelsteinen besetzt. 17. Jahrhundert. II. Die Angriffswaffen. Schon im 14. Jahrhundert war zuweilen der Kolben mit sogenannten Schlagblättern , welche radial aus dem Körper hervorragten, aus- gestattet (quadrelle); nun bildete sich diese Art in gotischen Formen vollends durch, und wir sehen, dass auch der Schaft von Eisen ge- bildet ist, was der Waffe ein bedeutendes Gewicht giebt. Diese Ver- änderung bedeutet nichts anderes, als dem widerstandsfähigen Platten- harnische, der zu jener Zeit aus einzelnen Teilen zusammengesetzt zu werden pflegte, eine entsprechende Angriffswaffe entgegenzustellen. Den Kürissbengel führte der einzelne Adelige zu Ross mit grosser Vorliebe, sie erschien ihm vornehmer als die Streitaxt der Söldner, umsomehr als es längst Sitte geworden war, dass Befehlshaber den Streitkolben führten und mächtige Herrscher, ja die Kaiser selbst, sich eines dem Streitkolben ähnlichen Gegenstandes als Würdenzeichen, des Szepters, bedienten. (Fig. 425.) Am Beginne des 16. Jahrhunderts ist unsere Waffe allenthalben im Gebrauche und bleibt es bis etwa um 1540; von da an wird sie seltener im Heere, sie schrumpft ein, gleich der Helmbarte; gleich dieser hatte sie sich von dem Zeitpunkt an über- lebt, wo die Faustrohre in der Reiterei allgemeiner in Aufnahme kamen. Einzelne Reiter führten den Kolben gleichwohl noch lange am Sattel, und Würdenträger erschienen bis ins 17. Jahrhundert nicht ohne den Kolben in der Hand. Dieser Umstand war auch zunächst Ursache, dass die Kunst diese Waffe mit prächtigem Zierat versah, dass wir schön ausgestattete Kolben nicht selten antreffen. Es haben da die Italiener und vorzugsweise die Mailänder hervorragende Leistungen aufzuweisen. (Fig. 426.) In Frankreich wurde der Streitkolben im Laufe der Zeit noch mehr als in anderen Ländern zum blossen Zeichen einer Würde. Zur Zeit Heinrichs IV. führten die Thürhüter in Paris, die sogenannten Schweizer, ebenso die Thürhüter in den Kirchen Streitkolben, mehr als Würdezeichen wie als Waffe. Im Volke hiessen sie „sergants mas- siers“. Später erhielten die letzteren Helmbarten, die ersteren aber behielten den Kolben, und aus diesem hat sich der heutige Portier- stock herausgebildet. Bei den Orientalen scheint der Streitkolben als eine ursprüng- lich tartarische Waffe schon vor dem 13. Jahrhundert in Aufnahme gekommen zu sein; er hatte sich gegen die wohlgerüsteten Reiter gut bewährt. Joinville berichtet in seiner Histoire de Saint Louis an mehreren Stellen davon, dass die Türken mit Streitkolben be- waffnet erschienen. Die meisten türkischen Streitkolben (tschumâk, güry, der birnförmige: topûz) sind ganz von Metall und besitzen kugel- oder birnförmige Köpfe. (Fig. 427.) Doch finden sich auch solche mit Schlagblättern, die aber immer dem orientalischen Stile entsprechend contourirt sind. Von den Türken und Tartaren nahmen sie die Ungarn auf, und auch bei den Kroaten und Böhmen finden wir sie in orientalisierenden Formen schon im 15. Jahrhundert. C. Die Schlagwaffen. 2. Der Streithammer, Faust- und Reiterhammer. Kein adeliger Ungar erschien noch im 16. Jahrhundert anders als mit dem Streitkolben im Gürtel bei Hofe. In Ungarn und besonders in Polen ist der Streitkolben noch bis ins 18. Jahrhundert in Gebrauch geblieben; er bildete zuletzt das Würdenzeichen des Offiziers bis zum Heerführer hinauf; noch heute aber erblicken wir den Kolbenträger in dem „Massiere des Vatican“. 2. Der Streithammer, Faust- und Reiterhammer. Der Hammer ist die älteste deutsche Waffe, die frühesten Volks- sagen legen ihn in die Faust der vornehmsten Gottheit. Im Laufe der Jahrhunderte lernte der Germane von benachbarten Völkern andere kunstreicher gefertigte Waffen kennen und gebrauchen; der Hammer aber wurde nie vollständig abgelegt; im Gegenteile, er gelangte im Mittelalter erneuert zu ausgedehnter Anwendung. Die Deutschen namentlich führten ihn bis ins 11. Jahrhundert, seine allgemeinere Einführung besonders in der Reiterei fällt jedoch erst ins 13. Jahr- hundert. Vertraute der Reiter bisher nur auf Schwert und Spiess, der Fussknecht auf Bogen, Armrust, Spiess und Schwert, so erwiesen sich diese Waffen gegen einen wohlgerüsteten Gegner doch als un- zureichend; der Schlag aber eines schweren Hammers, eines Kolbens, einer Axt musste nicht allein einen Haubert, einen Lentner und selbst einen Plattenharnisch zertrümmern, er konnte den Körper des Gegners bei guter Führung auch bis zur Kampfunfähigkeit er- schüttern. So ähnlich der Hammer mit dem Kolben in Form und Gebrauch auch erscheinen mag, so hat er doch darin einen Vorzug, dass er schwerer ist, mehr Vorgewicht besitzt und bei guter, kräftiger Führung immer wirksamer als jener ist. Für den Fussknecht wurde der Streithammer (marteau d’armes, maillotin, cassetête, engl. polehammer, lat. molleus, ital. martello, span. hachuela de mano, martillo) vom 14. Jahrhundert an um so nötiger, je mehr die Anwendung von Eisenplatten zum Schutze des Körpers allgemeiner wurde. Ja diese Waffe gelangte unter bestimmten Kor- porationen zu einer besonderen Beliebtheit. So führten die Pariser Bürger während des Aufruhrs 1381 schlägelförmige Hämmer von Blei an langen Holzstielen (mailles) und machten sich damit sehr gefürchtet. (Fig. 428.) Bekannt ist der schon seit 1367 bestehende Schläglerbund der schwäbischen Ritterschaft, der sogenannten Martinsvögel, dessen Zweck war, sich gegen den Kaiser und die Reichsstädte zur Wehr zu setzen. In ihren Reihen erscheint der Hammer zuerst als Reiterwaffe. II. Die Angriffswaffen. Die ältesten von den Fussknechten geführten Streithämmer ent- sprachen der obenbemerkten Absicht allerdings noch wenig; das Hammereisen, der Stachel waren zu kurz. Doch fügte man bald ein Spiesseisen dazu und versah sie an den Seiten mit Spitzen. So er- schienen schon die französischen Fussknechte um die Mitte des 14. Jahrhunderts mit solch verbesserten Streithämmern (picois) bewaffnet. (Fig. 429.) Fast zu gleicher Zeit treten im Fussvolke verschiedene Formen Fig . 428. Gemeiner Kriegsschlägel von Blei mit eisernen Schaftfedern und ca. 150 cm. langem Stiele von Holz. Französisch, aus einem Titus Livius der Nationalbibliothek in Paris von ca. 1395. Nach Viollet-le-Duc. Fig . 429. Streithammer (picois). Französisch. Aus einem Titus Livius der Nationalbibliothek in Paris von ca. 1350. Nach Viollet-le-Duc. Fig . 430. Luzerner Hammer mit Schnabel und Spiesseisen. 14. Jahrhundert, Ende. Nach Müller-Mothes, Arch. Lexikon. C. Die Schlagwaffen. 2. Der Streithammer, Faust- und Reiterhammer von Streithämmern auf, welche ermessen lassen, wie angelegentlich man sich mit der Verbesserung derselben befasste. Zunächst ging man davon ab, sie aus Blei zu fertigen, da dies im Gebrauche seine Form veränderte; man machte sie aus Eisen und gab dem Hammer eine Gestalt und Gliederung der Art, dass ihn der Mann im Ge- fechte auch dauernd gebrauchen konnte. In dieser Umbildung er- scheint er auch an der Stangenwaffe, zunächst an Helmbarten, deren Fig . 431. Streithammer (Papagei) mit eisernem Stiele und äusserst feinen mattierten Verzierungen. Italienisch. Um 1560. Fig . 432. Fausthammer eines Rottmeisters eines Kürisser-Regimentes unter Maximilian I., mit 48 cm. langem Stachel und 115 cm. langem Holzstiele mit Faustriemen. Deutsch. Um 1510. Brauchbarkeit dadurch verstärkt wurde. So entstehen die sogenannten Luzerner Hämmer, auch Falkenschnäbel genannt, eine nur vom Fussvolke gebrauchte Waffe mit langem Schafte und von etwa 14 Kilogramm Gewicht. (Fig. 430.) Die Sorge um Verbesserung II. Die Angriffswaffen. der Wirkung der Schlagwaffen erklärt sich durch die immer mehr sich vervollständigenden Plattenharnische gegen die Mitte des 14. Jahrhunderts. Dieselbe Absicht führte den Reiter freilich erst später dahin, sich im Gefechte eines kurzstieligen Hammers zu bedienen. Der Adel wehrte sich lange gegen die missachtete Waffe der Städtebürger, der Pfeffer- säcke und der rohen Bauern; aber die Nothwendigkeit liess keine Fig . 433. Kleiner Reiterhammer des Her- zogs von Urbino, Francesco Maria von Rovere-Montefeltre (1491—1538) von Eisen. Italienisch. Um 1580. Wahl und zwang ihn dazu, sich mit ihr zu befreunden. So kam es, dass schon um die Mitte des 15. Jahrh. der Streithammer, nun Faust- oder Reiterhammer (marteau d’armes de cavalier, engl. horsman-hammer) genannt, von der Reiterei allenthalben geführt wurde. Die Deutschen und Franzosen führten ihn am Sattelknopfe, die Italiener trugen ihn am Gürtel; ihre Fausthämmer sind deshalb durchweg mit Gürtelhaken ausgestattet. Ge- wisse Formen dieser Fausthämmer führten wegen der Ähnlichkeit des Hammereisens mit einem Vogelschnabel den Namen Papagey. (Fig. 431.) In der 2. Hälfte des 15. Jahrh. wird es Sitte, die Fausthämmer zu Pferde der- art in der Rechten zu tragen, dass der untere Teil des Stieles auf dem Rande des Unter- diechlings aufruhte, und das Hammereisen als Handgriff diente. In den Kürisserregimen- tern Maximilians I. trugen die Rottmeister Fausthämmer mit übermässig langen Stacheln, zugleich als Waffe und Würdenzeichen. Dieser Gebrauch erhielt sich bis in die ersten Jahre der Regierung Ferdinands I. (Fig. 432.) In den italienischen Reiterregimentern wurden von jedem Mann bis zum Obersten hinauf im 16. Jahrhundert kleine Fausthämmer mit eisernen Stielen geführt, welche an den Gürteln getragen wurden. (Fig. 433.) Einer besonderen Eigenheit müssen wir noch erwähnen, der im 15. Jahrh. auftretenden Sitte, die Schlagfläche des Hammers mit diamantförmigen Spitzen und verschiedenartigen Figuren, ja selbst Mono- grammen auszustatten. Entstanden in der Absicht den Schlag gefährlicher zu machen, führte die Sitte zur plumpen Rennomisterei mit der Begründung, die Hand des Helden an den Leichen der Gefallenen wiederzuerkennen. Mit der allgemeineren Einführung der Faustrohre kam der Faust- C. Die Schlagwaffen. 3. Die Streitaxt. hammer allenthalben ausser Gebrauch. Vereinzelt kommt er noch im 17. Jahrhundert bei den ungarischen Truppen vor, wo er sich noch bis zur Einführung des Bajonets erhält. Er erscheint in dieser Zeit und bis zuletzt als eine Art Gehstock (Czákan) und diente in Ungarn häufig als Waffe auf Reisen zur Abwehr gegen räuberische Überfälle. 3. Die Streitaxt. Unter den Funden der Stein-, der ältesten Bronzeperiode bildet die Streitaxt (franz. hache d’armes, engl. battle-axe, pole-axe, ital. azza, span. hacha de armas, lat. acha, polaxis, rasticucium, bipennis) einen so häufig vor Augen tretenden und bemerkenswerten Gegen- stand, dass wir deren Alter am weitesten in die prähistorische Zeit rücken können. Wo wir aber ihre Spur finden, da weisen die Um- stände in den meisten Fällen darauf hin, dass sie bei den nor- dischen Völkern zuerst Verwendung im Kriege gefunden hat. Schon auf der Trajanssäule erblicken wir die Streitaxt in den Händen der fechtenden Barbaren und in den ältesten Gräbern aus der Zeit der Merowinger, wie u. a. jenen von Parfondeval (Dep. de l’Eaulne) fand sich fast ausnahmslos neben dem Scramasax die Francisca, jene kurzstielige, unserer gemeinen Holzhaueraxt ähnliche Waffe, die schon im 5. Jahrhundert unter den Galliern zur Nationalwaffe geworden war, wie uns schon Sidonius Apollinaris und Procopius von Caesarea berichten. Von diesen unanfechtbaren Zeugen abgesehen finden wir sie in Abbildungen aus dem frühen Mittelalter bis ins 11. Jahrhundert dar- gestellt. In dem oft erwähnten Teppich von Bayeux erscheint sie in einer so vollständigen Deutlichkeit als Waffe des englischen Fuss- volkes, dass wir selbst die Kampfweise daraus zu entnehmen im stande sind. (Fig. 434.) War unter den Merowingern die kleine Streitaxt, Francisca, eine Wurfwaffe, welche 10—12 m. vom Feinde entfernt in dessen Reihen flog, so erscheint hier die langstielige Axt mit kon- vexer Beilschneide als Hiebwaffe, mit der das Fussvolk zuerst in die feindliche Front eindrang. Nach dem mit den Äxten bewirkten Ein- bruche folgten erst die schildtragenden Streiter, um mit den langen Wurfspiessen und Schwertern den Erfolg zu vermehren. (Fig. 435.) Ist die Streitaxt ihrem Ursprunge nach eine Waffe des Fuss- volkes gewesen, so führte die unzureichende Wirkung des Spiesses und des Reiterschwertes auf den immer widerstandsfähiger werdenden Harnisch allmählich dahin, dass auch die Reiterei sich derselben bediente. Diese Umwandlung in der Bewaffnung wird schon im 1. Kreuzzuge II. Die Angriffswaffen. bemerkbar und es ist nicht unmöglich, dass das Vorbild hierzu von den Orientalen gegeben worden ist, unter welchen wir schon sehr früh die Reiteraxt antreffen. Eine ausschlaggebende Bedeutung hat aber die Streitaxt nur als Waffe des Fussvolkes und bei den Völkern des Nordens erhalten. Es spricht sich dieses schon in den eigenartigen Formen aus, die bei bestimmten Völkern auftreten, so die Lochaberaxt bei dem schottischen Bergvolke (Fig. 436), die dänische, schwedische, die Schweizer-Axt, jene der Polen und Russen etc. Fig . 434. Englischer Fusskämpfer mit der Streitaxt. Aus dem Teppich von Bayeux. 11. Jahrhundert, Ende. Gerade zu jenem Zeitpunkte, als man anfing, dem gemeinen Spiess eine erweiterte Verwendung durch Beigabe von Beil und Haken zu geben und denselben zur Helmbarte gestaltete, am Beginne des 13. Jahrhunderts, begann man auch die Streitaxt am Rücken mit einem hammerartigen Ansatze, einem spitzigen Stachel oder einem schnabelförmigen Haken zu versehen; am Ende des 14. Jahrhunderts C. Die Schlagwaffen. 3. Die Streitaxt. fügte man eine Stossklinge hinzu. In dieser Art verschmelzen sich die Formen, so dass es manchmal schwierig ist, die Waffe nach ihrer Form zu rubrizieren, weil sie dem einen wie dem anderen Formen- bereiche mit fast gleicher Berechtigung zuzuweisen ist. So ist die Streitaxt, welche in Flandern am Ende des 13. Jahrhunderts vom Fussvolke geführt wurde und die der Söldnerwitz „Godendag“ be- nannte, eine Bezeichnung, die sicher auf eine niederdeutsche Her- kunft schliessen lässt, eine Waffe, die in ihrer Form nahe an die Fig . 435. Angreifende englische Fusskämpfer mit Streit- axt und Wurfspiessen. Aus dem Teppich von Bayeux. 11. Jahr- hundert, Ende. Helmbarte streift, wenngleich wir sie ihrer Beilform und ihres Ge- brauches halber unter die Streitäxte reihen müssen. (Fig. 437 a u. b.) Diese Form, jedoch stets ohne Stossklingen, findet man im 15. und 16. Jahrhundert bei allen Nationen des Nordens von Schweden bis Boeheim , Waffenkunde 24 II. Die Angriffswaffen. nach Russland verbreitet. (Fig. 438 u. 439.) Solche Streitäxte führten ebenso die Trabanten der schwedischen Reichsstatthalter Sture und des Königs Gustav Wasa, wie wir an den Fresken der Grabkapelle des letzteren in der Kathedrale zu Upsala sehen; sie waren auch bis ans Ende des 17. Jahrhunderts die Waffe der Strelitzen, bei welchen sie den Namen „Berdiche“ führten, ein vermutlich von dem deutschen Worte „Barte“ abgeleiteter Ausdruck. (Fig. 440.) In einer besonderen, der türkischen ähnlichen Form des Beiles wird die Streitaxt in Ungarn zur persönlichen Sicherheit des einzelnen Bürgers geführt, und es ist Fig . 436. Lochaberaxt . 15. Jahrhundert. Ehemalige Samm- lung Meyrick. Fig . 437 a und b. Godendags nach der gereimten Beschreibung in dem Fechtbuche des Guillaume Guiart von 1298. Nach einer Zeich- nung von Viollet-le-Duc. dort seit Jahrhunderten Sitte geworden, zu Pferde ein „gereisiges Beil“ (Griesbeil: Buzogány, im Türkischen Bozdoghân) am Sattel hängend zu tragen, zu Fuss aber ein solches als Stock zu benutzen. Streitäxte mit reich geätzten Beilen führten auch die ungarischen Trabanten des Königs Ferdinand I. um 1530 (Fig. 441), und auch Karl III. von Spanien, nachmals Kaiser Karl VI., besass in Spanien C. Die Schlagwaffen. 3. Die Streitaxt. Fig . 438 und 439. Leichte Streitäxte für Fussknechte. 16. Jahr- hundert. Russisch. Kais. Waffenmuseum zu Zarskoë-Selo. 24* II. Die Angriffswaffen. Fig . 440. Schwere Trabanten-Streitaxt (berdiche) mit 70 cm. langem Beile. 15. Jahrhundert, Ende. Kais. Waffenmuseum zu Zarskoë-Selo. Fig . 441. Streithacke (gereisiges Beil) der ungarischen Tra- banten Ferdinands I. mit dem habsburgischen Wappen und dem Vliess- orden in Schwarzätzung geziert. Deutsche, vielleicht Augsburger Arbeit. Um 1530. Im Besitze der Stadtgemeinde Mährisch-Neustadt. C. Die Schlagwaffen. 3. Die Streitaxt. eine ungarische Leibwache, welche mit Streitbeilen mit reichen Silber- beschlägen bewaffnet war. Die schwere, mit zwei Händen zu führende Axt wurde von den Reitern im Mittelalter nur in besonderen Fällen und nie allgemein geführt. Ein vereinzeltes Beispiel findet sich in einer Miniatur der Nationalbibliothek zu Paris von c. 1250: Le Roman de la table ronde. Im 15. Jahrhundert führten ebensowohl die schwer geharnischten Fig . 442. Deutsche Streithacke der Kürisser unter Maxi- milian I. Um 1500. Der Stiel wurde im 16. Jahrhundert erneuert. adligen Reiter, wie deren reisige Knechte, später die deutschen Kürisser und die französischen Gens d’armes eine Art Beile, deren Form darauf berechnet war, zunächst den Harnisch des Gegners zu II. Die Angriffswaffen. zertrümmern, weshalb sie keine scharfe Schneide hatten, sondern bei ansehnlicher Stärke und Schwere keilartig gebildet waren. Diese Fig . 443. Streithacke der Trabanten des Kurfürsten August I. von Sachsen (1553—1586). Beil und Handgriff von Eisen sind in Schwarzätzung, ersteres mit dem kursächsischen und dem dänischen Wappen geziert. Stiellänge 73 cm. Königl. hist. Museum in Dresden. Fig . 444. Polnische Streithacke mit sogenanntem „bärtigen“ Beile und rohen Verzierungen auf der Klinge. Der 83 cm. lange Stiel besitzt einen silbernen Handgriff mit Afterkugel italienischer Form. 17. Jahrhundert, Anfang. Königl. hist. Museum in Dresden. C. Die Schlagwaffen. 3. Die Streitaxt. Streitäxte besassen kurze, meist nicht viel über 60 cm. lange Stiele und wurden an starken Riemen über den Sattel hängend geführt. (Fig. 442.) Vornehme bedienten sich statt der Äxte lieber der Streit- Fig . 445. Streithacke des Ruprecht von der Pfalz (gest. 1504) von italienischer Form, jedoch deutscher Arbeit. Das Beil ist stern- förmig durchbrochen. Sämtliche Eisenteile sind mit figuralen Ver- zierungen in Goldschmelz auf gebläutem Grunde geziert. Der Hand- griff besitzt einen Überzug von Leder. Um 1500. Fig . 446. Italienische Streithacke mit Gürtelhaken in Silber tauschiert und mit figuralen Emblemen in Goldätzung ausgestattet. Um 1530. II. Die Angriffswaffen. hämmer; der Streitkolben aber, im Oriente weit allgemeiner im Ge- brauch, bildete im Abendlande ein besonderes Würdezeichen. (Fig. 443 u. 444.) Italienische Reiteräxte sind vom 14. Jahrhundert an schmal und leicht; die meisten besitzen metallene Schäfte und als charakteristisches Merkmal am Mitteleisen einen Haken, da sie dort nicht am Sattel- bogen, sondern am Gürtel getragen wurden. Italienische Äxte be- sitzen häufig eigene, mit Handschutzscheiben ausgestattete Handgriffe. (Fig. 445 u. 446.) Es ist bemerkenswert, dass wir schon am Beginne des 13. Jahr- hunderts die Beile mit breiter Verstählung antreffen, ein Umstand, der bei den langen Beilschneiden der Lochaber- wie der schwedischen und russischen Äxte einen Begriff von der hohen Ausbildung des Waffenschmiedhandwerks gibt. Am verbreitetsten unter dem Fussvolke in Frankreich, Deutsch- land und der Schweiz war jene breite Streitaxt, deren Beil am unteren Ende der Verstärkung wegen entweder mittels einer Schnürung, oder mittelst Schrauben mit dem Schafte in Verbindung stand. Der Schaft selbst ist gewöhnlich mit 2 Ringen ausgestattet, an die ein Riemen geschnallt wurde. Auf dem Marsche trug sie der Mann am Rücken. Das Bestreben, die Wucht des Hiebes zu verstärken, führte im 14. Jahr- hundert schon zu einer bedeutenden Verlängerung der Schäfte; da- durch und durch Beigabe von Stossklinge und Haken wird das Streit- beil zu einer Art Helmbarte. Solcher langschäftiger Streitäxte be- dienten sich selbst Personen des Ritterstandes im Kampfe zu Fuss. Eine sehr interessante Waffe der Art bewahrt die reiche Sammlung W. H. Riggs; sie findet sich abgebildet in Viollet-le-Duc, Dictionnaire du mobilier français, VI. Band, pag. 17. Sie besitzt statt des Hakens einen Hammer mit diamantierter Schlagfläche und darauf die Spott- inschrift: „de bon ♥“. (Fig. 447.) In der 2. Hälfte des 16. Jahr- hunderts sehen wir auch bei dieser Waffe die Absicht auftauchen, durch Beigabe eines Feuerrohres eine Fernwirkung zu erzielen. Derlei Streitäxte mit Schiessvorrichtungen wurden um 1570 zahlreich in Nürn- berg und in Brescia erzeugt, sie sind meist von reicher künstlerischer Ausstattung in Ätzung und Tausia. Es ist dies überhaupt jene Periode, in welcher die Waffen in reicherer Verzierung auftreten. Abgesehen von der Ausstattung der Klingen werden auch die Schäfte mit reichen Stoffen und Netzwerk überzogen und mit feiner Gold- und Seiden- passamenterie besetzt. Eine besondere Gattung von Äxten, halb Waffe, halb Zeichen des Handwerks, bilden die Bergmannsbarten, deren Form auf die polnischen Streitäxte zurückzuführen ist; sie werden noch zur Stunde von den Bergleuten bei festlichen Aufzügen getragen. Ausser Schweden, Dänemark, Polen, Ungarn und Russland gehört auch Sachsen zu den Ländern, in denen bis ans Ende des 16. Jahrhunderts die Streithacke als Trabantenwaffe geführt wird. Fig . 447. Streithacke für Fussknechte mit Stossklinge und Hammer mit diamantierter Schlagfläche, dazwischen eine Inschrift. 15. Jahr- hundert, Anfang. Sammlung W. H. Riggs. Nach Viollet-le-Duc. Fig . 448. Streitaxt des Sultans der Mameluken in Ägypten Muhammed Ben Kaitbai (gest. 1499). Das Beil mit Schellenringen zeigt in durchbrochener Arbeit eine kufische Inschrift mit dem Namen des Eigen- tümers. Sowohl das Beil als der hohle eiserne Schaft sind in Goldtausia geziert. II. Die Angriffswaffen. Im Oriente ist das Streitbeil (Teber-zèn) zweifelsohne weit vor Mohammed geführt worden. Das Beil erscheint entweder in Form eines Halbmondes mit fast kreisrunder, konvexer Beilschneide, mit konkaven Seitenwänden oder mit vollständig geradelaufendem Ober- rande, sehr selten aber unterhalb abgekappt (bärtig), sondern fast immer spitzig zulaufend. Vornehme führten Äxte mit Schellen ge- ziert, um in der Schlacht Aufmerksamkeit zu erregen. Wir bringen Fig . 449. Streitaxt des letzten Sultans der Mameluken in Ägypten Tuman Bai (getötet 1517). Das Beil zeigt in geschnittener Arbeit eine Hasenjagd zu Pferde. Alle Eisenteile sind in Goldtausia geziert. Kais. Waffensammlung in Zarskoë-Selo. Fig . 450. Arabisches Doppelbeil mit Stossklinge. 17. Jahr- hundert, Ende. Kais. und königl. Heeresmuseum in Wien. Fig . 451. Streitbeil aus Syenit Montezumas II., Inkas von Mexiko (getötet 1520). Das Beil ist mit feinen Wollfäden an den langen Holzstiel befestigt. C. Die Schlagwaffen. 4. Handwaffen mit Schiessvorrichtungen. von beiden charakteristischen Formen Exemplare, welche von her- vorragenden historischen Personen herrühren. (Fig. 448 und 449.) Unterbefehlshaber der türkischen Reiterei führten im 17. Jahrhundert Streitäxte mit zwei- oder dreifachen Beilen, die fast jenen auf den antiken Darstellungen der Amazonenkämpfe gleichen, aber in zwei verschiedenen Formen vorkommen; die aus drei Beilen bestehenden erscheinen öfter mit Tausia geziert, weshalb zu vermuten ist, dass sie höheren Truppenführern angehörten. (Fig. 450.) Ein altmexikanisches Streitbeil sehen wir in der folgenden Figur (Fig. 451.) 4. Handwaffen mit Schiessvorrichtungen. Nahezu alle Handwaffenformen, ja, überhaupt alle Handwaffen kommen etwa von der Mitte des 16. Jahrhunderts an zuweilen in Ver- bindung mit Schiessvorrichtungen vor. Bei Stangenwaffen findet sich selten nur eine an solchen angebracht, weit häufiger deren zwei an den entgegengesetzten Seiten der Spiessblätter. Die Wahrnehmung, dass derlei kombinierte Waffen fast ausnahmslos reich verziert erscheinen, beweist, dass dieselben im Kriege selbst keine oder nur vereinzelt Anwendung gefunden haben, und dass wir in ihnen nur Trabanten- waffen vor Augen haben. Bei einem Hoflager mussten derlei Aus- rüstungen zweifelsohne von grossem Vorteile für den Wachtdienst sein, da der Mann damit nicht nur eine ausgiebige Stoss-, be- ziehungsweise Hiebwaffe besass, sondern auch in der Lage war, durch einen abgefeuerten Schuss zu verletzen und die Gefahr rasch zur Kenntnis zu bringen. Am Beginne des 17. Jahrhunderts ver- schwinden diese kombinierten Trabantenwaffen fast plötzlich. (Fig. 452, 453.) Bald nach der Einführung des Radschlosses erscheinen auch die Schweinspiesse mit Schiessvorrichtungen ausgestattet. Hier hatten die letzteren eine besondere fachliche Bestimmung, und derlei Waffen erhalten sich auch noch bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts. (Fig. 454.) Bei Trabantenspiessen, Partisanen, Helmbarten etc. finden sich die Schiessvorrichtungen paarweise an den Flachseiten der Klinge angeordnet. Zwei in der Regel nicht über 20 cm. lange Läufe sind auf entsprechend hohen Stegen in der rückwärtigen Hälfte der Spiess- klinge angeschweisst, welch letztere statt gerippt zumeist in der Mitte rinnenartig gebildet ist, um den Flug des Geschosses nicht zu hindern. Die Radschlösser befinden sich entweder an den beiden Seiten oder zunächst hinter dem Laufe. Die Abfeuerung geschieht II. Die Angriffswaffen. Fig . 450. Spiess mit Springklinge und einfacher Schiessvorrich- tung. 16. Jahrhundert, 2. Hälfte. Deutsch. Fig . 451. Trabantenhelmbarte mit doppelter Schiessvor- richtung. Reich in Schwarzätzung geziert. 16. Jahrh., 2. Hälfte. Deutsch. C. Die Schlagwaffen. 4. Handwaffen mit Schiessvorrichtungen. Fig . 454. Schweinspiess mit doppelter Schiessvorrichtung. Das breite Spiessblatt ist reich geschnitten und vergoldet. 17. Jahrhundert, Mitte. Fig . 45. Reiterschwert mit Parierring, einfachem Faustschutz- bügel und einfacher Schiessvorrichtung. Fassung von gebläutem Eisen. 16. Jahrhundert, 1. Hälfte. II. Die Angriffswaffen. Fig . 456. Haudegen. Der Griff von geschnittenem Eisen ist reich vergoldet. An der in Schwarzätzung gezierten Klinge findet sich eine einfache Schiessvorrichtung. 16. Jahrhundert, Mitte. Königl. hist. Museum in Dresden. C. Die Schlagwaffen. 4. Handwaffen mit Schiessvorrichtungen. mittels eines längs des Schaftes in einer verdeckten Nut laufenden Drahtes vom letzten Drittel des Schaftes aus. Nicht selten ist auch mit der Schiessvorrichtung ein Spring- Fig . 457. Streithacke mit Schiessvorrichtung italienischer Form. Der Stiel bildet den Lauf, dessen Spitze beim Gebrauche abzuschrauben ist. Alle Eisenteile sind reich in Schwarzätzung geziert. 16. Jahr- hundert, 2. Hälfte. Königl. hist. Museum zu Dresden. Fig . 458. Streithacke italienischer Form mit Schiessvorrichtung. Der Stiel, an der Mündung abschraubbar, dient als Lauf. Alle Eisen- teile der Hacke sind in Schwarzätzung geziert. 16. Jahrhundert, 2. Hälfte. Königl. hist. Museum in Dresden. Fig . 459. Kleine Reiterhacke, sogenanntes „Schiesshackel“ mit einfacher Schiessvorrichtung. Der faustrohrähnliche Schaft ist in Bein eingelegt. Russisch-polnisch. 16. Jahrhundert, 2. Hälfte. Kais. Waffenmuseum in Zarskoë-Selo. Fig . 460. Streitkolben mit vierfacher Schiessvorrichtung, soge- nannter „Weihwassersprenger“. Der Schaft wie der Kolben sind von Holz mit rohen Einlagen in Bein geziert. Letzterer besitzt eiserne Be- schläge mit Stacheln. Wenn der obere Deckel des Kolbens durch einen Federdruck geöffnet wird, zeigen sich vier Feuerrohre, welche, am unteren Kolbenende von Schubern gedeckt, ihre Zündungs- und Ent- ladungsvorrichtungen besitzen. Englisch? 16. Jahrhundert, Ende. D. Die Fernwaffen. 1. Die Schleuder. klingensystem in Verbindung, welches jedoch immer einen für sich wirkenden Mechanismus besitzt, der gleichfalls vom letzten Drittel des Schaftes aus gehandhabt wird. Glefen und Cousen besitzen in der Regel nur eine einfache Schiessvorrichtung. Der Lauf befindet sich hier am Rücken der Klinge und ist aus diesem Grunde zuweilen auch etwas länger; das Radschloss steht dann gewöhnlich an der rechten Klingenseite. Über Schiessvorrichtungen an Schwertern und Haudegen haben wir am betreffenden Orte gesprochen, wir fügen hier nur gelegentlich einige Beispiele an. (Fig. 455, 456.) Ebenso wie bei Stangenwaffen und Hiebwaffen erscheinen Schiess- vorrichtungen an Schlagwaffen des 16. und 17. Jahrhunderts, beson- ders häufig bei Streithacken. Wir bringen hier einige Beispiele von solchen. (Fig. 457, 458, 459.) Eine eigene Form von Waffen ist der sogenannte Weihwasser- sprenger, ein hölzerner Streitkolben, in dessen innen hohl gebildetem Kolbenteile mehrere Feuerrohre sich befinden, welche vom Schafte aus abgefeuert werden. Seinen Ursprung scheint er in England gefunden zu haben, wenigstens kommen solche Waffen meist in englischen Sammlungen, sehr wenige in Frankreich und Deutschland vor. Die ältesten gehören der Mitte des 16. Jahrhunderts an. (Fig. 460.) D. Die Fernwaffen. I. Die Schleuder. Die Thatsache, dass wir die Schleuder als Kriegswaffe tausend Jahre vor unserer Zeitrechnung im Buch der Könige antreffen, lässt uns ihr Auftreten schon im frühesten Mittelalter begreiflich erscheinen. Die Einfachheit dieser Waffe ist ein genügender Grund, ihre An- wendung bei allen Völkern, vielleicht nur die Germanen und die Völker- schaften des Nordens ausgenommen, vorauszusetzen. Die Erwerbung von 444 Stück römischen Schleuderbleies durch das Berliner Museum 1875 gab Anlass, auch die Anwendung der Schleuder im Mittelalter einem näheren Studium zu unterziehen. Die Schleuder (franz. fronde, altfranz. fonde, engl. slinger, ital. fromba, span. honda) war im Mittelalter von den Kreuzzügen an bis ins 15. Jahrhundert eine häufig angewendete Waffe, besonders der Berg- bewohner Helvetiens, nicht minder der Italiener, selbst des Flach- landes. Sie war nie eine Waffe der Vornehmen, sondern stets nur Boeheim , Waffenkunde. 25 II. Die Angriffswaffen. der niederen Volksklassen bis zu den Zeiten der französischen Reli- gionskriege herab. In dem oft berührten Teppich von Bayeux finden wir einen Schleuderer auf der Jagd, wie er eben ein Geschoss von der Schlinge gebracht hat. Die Darstellung, so einfach sie auch gegeben ist, lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. (Fig. 461.) Fig . 461. Schleuderer nach einer Darstellung auf der unteren Randleiste des Teppichs von Bayeux. 11. Jahrhundert, Ende. Im 13. Jahrhundert wurde der Schleuderer gemeiniglich mit dem Namen „eslingur“ (engl. slinger) bezeichnet. Damals stand die Schleuder als Hand- und Stockschleuder (gibet), welch letztere wir in einer Bibel Fig . 462. Handschleuder . des 10. Jahrhunderts in der Nationalbibliothek in Paris abgebildet antreffen, längst allgemein im französischen Heere in Anwendung. Die Stockschleuder scheint im 13. Jahrh. vorzüglich im Seekriege und bei Belagerungen in Anwendung gekommen zu sein. Die Handschleuder bestand aus einer einfachen Schlinge, welche in der Mitte eine hohl D. Die Fernwaffen. 1. Die Schleuder. gebildete Schale aus Leder besass, in welche der Stein oder das Blei gelegt wurde. (Fig. 462.) Beim Gebrauche schwang der Schleuderer die Schlinge zwei- bis dreimal rasch im Kreise herum und liess im geeigneten Augenblicke das eine Ende der Schlinge aus der Hand gleiten, wie wir aus der Figur ersehen. Beim Gebrauche der Stock- schleuder musste sich im Schwunge das eine Ende von einem am Ende des Stockes angebrachten Haken abheben, was nur durch be- sondere Geschicklichkeit erzielt werden konnte Immerhin war die Stockschleuder in der Hand eines geübten Mannes eine fürchterliche Waffe. (Fig. 463.) Ihre unläugbaren Vorzüge wurden noch im 17. Jahrhundert erkannt, da sie häufig zum Schleudern von Hand- granaten benutzt wurde. Ebenso wie Bogenschützen wurden „Schleuderer“ noch im 14. Jahrhundert bei allen Heeren geworben, die aus ihrer Kunst ein Gewerbe machten, unansehnliches und wohl auch im Äusseren Fig . 463. Gruppen von Bewaffneten , darunter einer mit einer Armrust, der andere mit einer Stockschleuder. Miniatur aus einem Manuskripte des Matheus Paris , 13. Jahrhundert, in der Biblio- thek des Benet College in Cambridge. Nach Hewitt. herabgekommenes, dabei sehr schlecht diszipliniertes Volk. Sie begleiteten auch die Ritterschaft Kaiser Heinrichs VII. nach Italien. (Fig. 464.) Im 15. Jahrhundert mehren sich die Berichte von einer Ver- wendung der Schleuder durch eigene, für den Zweck bestimmte Söldner. In dem zusammengerafften Heere, welches Johann von Capistran nach Belgrad führte, war sie die vorzüglichste Fernwaffe. In dem Rufe, die gewandtesten Schleuderer zu besitzen, standen die spanischen Heere, die sich für diesen Zweck der Bewohner der balearischen Inseln bedienten. Die Leistungsfähigkeit eines balearischen oder kretischen Schleuderers war so gross, dass er auf 120 — 160 Schritte mit Sicherheit seinen Mann traf. Einige Anzeichen deuten 25* II. Die Angriffswaffen. darauf hin, dass auch Mathias Corvinus, der ja altrömische Krieg- führung sorgfältigst nachahmte, in seinem Heere Schleuderer führte; so wird in der kostbaren Sammlung des Grafen Hans Wilczek ein kleines Schleuderblei bewahrt, dessen Prägung neben einem undeut- lichen Wappen das Wort „Mathias“ erkennen lässt. Die Schleuderbleie des Mittelalters besitzen gleich denen des Altertums eine dattelähnliche Form, doch sind die meisten nicht ge- gossen, sondern aus Bleistücken zugehämmert. Wie diese tragen viele unter ihnen mehrmals übereinander geschlagene Stempel mit In- schriften, die aber nicht wie bei römischen Schleuderbleien trotzige Anrufungen an den Feind, wie: „Nimm“, „iss“, „dir“ etc., sondern meistens Namen von Personen und Städten, wie „Milano“, „Biztom“, „Hotelin“ u. a. bezeichnen (Fig. 465). Bis jetzt wurden bloss deutsche Fig . 464. Schleuderer , nach einer Miniatur im Codex Balduini Trevirensis , die Romfahrt Kaiser Heinrichs VII. darstellend. 14. Jahr- hundert, Mitte. Nach Irmer. Fig . 465. Schleuderblei , aus Schlössern in der Umgebung von Treviso stammend. 15. Jahrhundert, Anfang. und norditalienische Schleuderbleie gefunden. In anderen Ländern ist die Aufmerksamkeit auf den Gegenstand noch wenig rege. Die grösste Zahl der entdeckten Schleuderbleie ist in dem Besitze des Grafen Hans Wilczek in Wien, der sie auf seinem Schlosse Seebarn bewahrt; sie stammen aus Schlössern in der Nähe von Treviso. Einen Beweis dafür, dass die Schleuder auch in den Streithaufen Kaiser Friedrichs III. in Verwendung kam, finden wir in dem In- ventar des Wiener Zeughauses von 1519, in welchem als im „Ziller- hof“ befindlich 32 Schleudern angeführt werden. Reichs-Finanzarchiv, Fasz. 31. Sie waren zweifels- ohne dort seit vielen Jahrzehnten gelagert, ohne mehr Ausrüstungs- stücke zu bilden. 2. Der Bogen. Der Ursprung des Bogens (franz. arc, engl. bow, ital. und span. arco, lat. arcus) reicht weit in die vorhistorischen Perioden zurück, wie wir aus den Steinfunden ersehen, unter welchen die Pfeilspitzen nicht selten sind. Wir begegnen demnach auch dieser einfachen und, wie wir vorausbemerken, vorzüglichen Waffe schon in den ältesten bildlichen Darstellungen des Mittelalters. Diese Thatsache ist allent- halben bekannt, nur muss dazu bemerkt werden, dass in der grossen Veränderung der Taktik, welche die Völkerwanderung herbeiführte, der Bogen eine erhöhte Bedeutung erlangte. In den wilden Heer- haufen der von Osten herdrängenden Völker wurden die Bogenschützen zum Schutze der Flügel und zur Einleitung des Gefechtes verwendet. Ihnen folgten die geschlossenen Körper des mit Schild und Speer bewaffneten Fussvolkes, den Kern des Ganzen aber bildete die Reiterei, sie war die ausschlaggebende Waffe. Das war eine vollständige Um- änderung altrömischer Taktik, aber es war auch damals nicht das erste Mal, dass eine allgemeine Veränderung in der Streitweise durch die ungebildetsten Völker herbeigeführt wurde. Es ist ein Beweis von einer gewissen Durchbildung des Kriegs- wesens, dass wir schon inmitten der Periode der Völkerwanderung den Bogen in der Verwendung zu Pferd und zu Fuss antreffen und dass wir die Vorteile dieser Waffe bewundernswert ausgenützt finden. In dem reitenden Bogenschützen ist der erste leichte Reiter zu er- blicken; als solcher steht er im vollen Gegensatze zu den Anschau- ungen des feudalen Adels, der jeden Leichtgerüsteten für unebenbürtig hielt. Daraus ist auch die Missachtung zu erklären, die der Bogen- schütze in der französischen Ritterschaft fand. Im Vergleich der Wirkung zu der Einfachheit der Herstellung erscheint der Bogen als die vorteilhafteste Waffe: eine Rute, ein biegsamer Stab aus Holz oder Horn, dessen äusserste Enden mit einer Schnur, der „ Sehne “, verbunden sind, welche angespannt die Schnellkraft des Stabes oder „ Bogens “ so weit in Anspruch nimmt, um damit einen leichten Pfeil auf 200, ja selbst 250 Schritte mit aller Treffsicherheit abzuschnellen, darin liegt die ganze Mechanik dieser Waffe, die den Ruhm der erfolgreichsten Verwendung in Jahr- hunderten in Anspruch nehmen darf. Das flaschenförmige Goldgefäss aus dem Funde von Nagy-Szent- Miklós, dem sogenannten Schatz des Attila, welches aus dem 5. Jahr- hundert datiert, zeigt ein Relief, in welchem ein sarmatischer Reiter dargestellt ist, der, nach rückwärts gewendet, im Begriffe ist, einen Pfeil von einem kleinen Bogen abzuschnellen, vielleicht, wenn man vom Altertum absieht, die älteste Darstellung eines Bogenschützen, die uns erhalten ist. (Fig. 466.) II. Die Angriffswaffen. Ungeachtet seiner Wichtigkeit im Gefechte war der Bogen des Fussstreiters doch nur eine Waffe der niederen Klassen; so finden wir die Bogenschützen im Teppich von Bayeux als ein besonderes Korps, nach der Methode der Ikonographie, das minder Bedeutsame nur anzudeuten, kleiner dargestellt. Ihr Anführer ist im Harnisch, die Schützen aber sind leicht gekleidet und mit etwa 1.50 m. langen Bogen bewaffnet; die Formen der Köcher sind deutlich dargestellt. (Fig. 467.) Bogenschützen zu Pferde gehörten schon einer höheren Gesellschaftsklasse an, wie wir aus Miniaturen in einem Manuskripte aus der 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts ersehen, in welchen selbst ein König, den Bogen abschnellend, dargestellt ist. (Fig. 468.) Join- ville bestätigt, dass der Bogen in den Kreuzzügen bei den Orientalen im Gebrauch war. In Frankreich wurde die Waffe von den Lehens- Fig . 466. Sarmatischer Bogenschütze zu Pferd. Relief aus dem Goldfunde von Nagy Szent-Miklós . 5. Jahrhundert. herren missachtet und unterdrückt; dafür wurde sie in Brabant und in England gepflegt und dort wurden die ersten regulären Bogen- schützenkorps errichtet, die ihrer ausserordentlichen Ausbildung halber berühmt waren. Der englische oder schottische Bogenschütze war verachtet, der nicht in der Minute 10—12 Pfeile abschiessen konnte und dabei sein mehrere Hundert Schritte entferntes Ziel auch nur einmal verfehlt hätte. Während im 13. Jahrhundert der Bogen in Deutschland und selbst in Italien allgemein in den Heeren geführt wurde, entschloss man sich in Frankreich erst 1356 nach der Schlacht bei Poitiers, eigene Bogenschützenkompanien aufzustellen, D. Die Fernwaffen. 2. Der Bogen. und wiewohl sich schon um 1300 berittene Bogenschützen freiwillig ins Heer stellten, so wurden doch erst 1450 ständige Bogen- schützen zu Pferd in Frankreich üblich. (Fig. 469.) Fig . 467. Bogenschütze mit daneben gestelltem Pfeilköcher. Aus der Tapete von Bayeux. 11. Jahrhundert, Ende. In betreff der Form und Wirksamkeit war im Mittelalter der englische Bogen stets als ein unübertreffliches Muster angesehen. Die französischen Bogen hatten im 13. Jahrhundert nur eine Länge von Fig . 468. Französischer König , dargestellt zu Pferde, einen Bogen abschnellend. Aus einem Manuskript aus der 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts der Nationalbibliothek in Paris. Nach Jaquemin. II. Die Angriffswaffen. etwas über 130 cm., während die englischen stets bis über 2 m. Länge massen; ihr Material war das Holz der Eibe oder des Ahorns, die Pfeillänge betrug nicht ganz 1 m.; die Sehne bestand aus gedrehtem Hanf oder Seide. Die vorzügliche Brauchbarkeit englischer Bögen be- ruhte darauf, dass die Spannkraft des Bogens in seiner ganzen Länge ausgenutzt wurde, dass sie somit eine grössere Spannhöhe gestatteten; von letzterer war, nebenher bemerkt, die Länge der Pfeile abhängig. Gleich dem Schleuderer und dem Armrustschützen war auch der Bogenschütze überall leichter als alle übrigen Truppen ausgerüstet. Im 15. Jahrhundert trug der Bogner zu Fuss die Brigantine, den Fig . 467. Berittener Bogenschütze aus einer Miniatur der französischen Handschrift Histoire universelle. Um 1310. Nach Hewitt. Korazin oder ein leichtes Panzerhemd. Die Ausrüstung für die Hand- habung war sehr einfach und bestand in England in einer eisernen Schiene, welche an den linken Unterarm zum Schutze vor der längs desselben schnellenden Sehne mittelst Schnüren befestigt wurde (Fig. 470), und in einem starken Lederhandschuh für die linke Hand, über deren Zeigefingerknöchel weg der Pfeil streifte. In Europa hat sich der Bogen als Waffe für den Krieg bei den Engländern am D. Die Fernwaffen. 2. Der Bogen. längsten — bis ins 17. Jahrhundert — erhalten. Bei ihrer staunenswerten Geschicklichkeit blickten die Bogenschützen mit Verachtung auf die Büchsenschützen mit ihren schwerfälligen Feuerrohren, die bei Regen- wetter oft ganz unbrauchbar wurden und auch sonst an Treffsicher- heit noch vieles zu wünschen übrig liessen. Kaiser Maximilian I., der für alles im Leben und insbesondere für das Kriegswesen in anderen Ländern ein achtsames Auge hatte und in den Niederlanden persönlich von den Vorzügen des Handbogens sich überzeugen konnte, organisierte eigene Abteilungen, die er mit englischen Bögen bewaff- nete. In den Zeughäusern zu Innsbruck und Wien wurden noch 1500 Fig . 470. Schiene für den linken Unterarm eines Bogenschützen von Eisen mit schwarzgeätz- ten Verzierungen. Engl. Um 1570. Ehemalige Sammlung Meyrick. erhebliche Mengen dieser Bögen aufbewahrt; sie sind in Maximilians Zeugbüchern in der wünschens- wertesten Genauigkeit abgebildet. (Fig. 471.) Wie dort selbst das geringfügigste Kriegsgerät mit aller Sorgfalt abgemalt ist, so finden wir darin auch die zugehörigen Köcher abgebildet, welche nach altem deutschen Gebrauch mit langhaarigem Pelz- werk überzogen waren. (Fig. 472.) Man nannte dieselben „ Rauchköcher “. Bogen aus Stahl, wie sie im 15. und bis ins 16. Jahrhundert die Italiener führten, wurden in besonderer Güte in Seravalle, Brescia und Mailand gearbeitet. In Deutschland wurden stählerne Bogen nur sehr vereinzelt geführt, daher auch in grösseren Mengen kaum erzeugt. Im 15. und 16. Jahrhundert pflegten jene christlichen Nationen, welche im Oriente ihre Wohnsitze aufgeschlagen hatten, mit den dortigen Völkern häufiger in Verkehr kamen, sich der orientalischen Streitweise anzubequemen; so führen im 15. Jahrhundert die Johanniter zu Rhodus, die christlichen Griechen, die slavischen Völker an der albanesischen und dalmatinischen Küste ebenso die Venetianer Bogen und Pfeile, die vollständig den arabischen nachgebildet waren. Besonders bei den letzteren legte man einen grossen Wert auf die Leistung der Bogen- schützen im Gefechte und vermehrte dieselben stetig. Über die Aus- rüstung der venetianischen Bogenschützen um die Wende des 15. Jahrhunderts belehren uns die Gemälde des Gian Bellini und des Vittore Carpaccio in der Academia zu Venedig. (Fig. 473.) Für den Gebrauch des Bogens im Oriente besitzen wir für die älteren Zeiträume nur äusserst wenige bildliche Belege. Zwar findet sich der Bogen in persischen Miniaturen ziemlich häufig abgebildet, allein es sind daraus keine Details zu entnehmen. Erst im Anfang des 15. Jahrhunderts finden sich einige spärliche Nachrichten in II. Die Angriffswaffen. Manuskripten, welche darauf schliessen lassen, dass die Formen wie der Gebrauch des Bogens im Oriente sich von jeher gleich geblieben Fig . 471. Landsknecht mit englischem Handbogen . Aus den Zeugbüchern des Kaisers Maximilian I. Zeug Tirol. Um 1510. D. Die Fernwaffen. 2. Der Bogen. sind. Erst am Anfange des 16. Jahrhunderts werden die Beschreibungen in Büchern deutlicher und eingehender, es kommen aber aus dieser Zeit auch schon Originale vor, welche ein vollkommeneres Studium gestatten. Der Bogen der Araber unterschied sich von jenen der asiatischen Türken durch seine grössere Länge, er ähnelte mehr jenen der Griechen, der Tartaren und Wallachen. Die Kretenser führten Bogen von Fig. 472. Köcher für Hand- bogenpfeile mit Pelzwerk über- zogen. Sogenannter „Rauch- köcher“. Zur Ausrüstung der kaiserlichen Bogenschützen ge- hörig. Aus den Zeugbüchern des Kaisers Maximilian I. Zeug Tirol. Um 1510. zweierlei Materiale und Herkunft, jene aus Sphagia waren aus Steinbockhorn, während die aus Candia kommenden aus Büffelhorn gefertigt wurden. Die türkischen Bogen waren bedeutend kleiner, stärker aufge- bogen und gekrümmt und steif besehnt. Die Pfeillängen waren eigentümlicherweise bei den türkischen wie bei den arabischen Bogen ziemlich gleich. Der grosse Bogen heisst im türkischen perwânè kemân , d. i. Schmetterling, der kleinere jaj . Alle orientalischen Bogen wurden ohne Armschienen und Handschuhe gehandhabt, im Gegensatze zu den von occidentalen Nationen geführten hölzernen Bogen, die bei grösserer Länge leicht nach der Seite schnellten. Als Auflager für den Pfeil be- dienten sich die Orientalen eines Ringes, der oberhalb ein kleines Zäpfchen hatte und am linken Daumen getragen wurde. Diese Ringe waren je nach dem Ver- mögen der Eigner aus Ochsenhorn, Elfen- bein, Silber oder Gold, tauschiert und selbst mit kostbaren Steinen besetzt. Das war im 16. Jahrhundert, woher uns die Kunde klingt, keine neue Mode, sondern ein Ge- brauch von alters her. Belon, Singularités 1553. I. 2. Kap. 89. Gaye V. Gloss. archéol. Arc. In den kaiserlichen Sammlungen zu Wien wird eine ansehnliche Zahl orienta- lischer Bogen bewahrt, welche aus der Kriegsbeute der Feldzüge von 1556 und 1566 stammen und an Erzherzog Ferdinand von Tirol gelangten. Aus dieser Sammlung bringen wir hier einen grösseren, arabischen oder tartarischen Bogen, sowie einen kleinen, türkischen. Diese beiden Beispiele dürften genügen, um den Unterschied in ihrer Konstruktion wahrzunehmen. (Fig. 474 und 475.) II. Die Angriffswaffen. Es ist aus den beiden Figuren 474 und 475 deutlich ersichtlich, welcher wesentliche Unterschied zwischen einem europäischen und einem orientalischen Bogen bezüglich der Konstruktion besteht. Betrachten wir den unbesehnten türkischen Bogen (Fig. 475), so finden wir denselben stark nach aufwärts gekrümmt. Wird die Sehne ange- legt, so muss der Bogen stark nach abwärts bis a′ gezogen werden, Fig . 473. Venetianischer Bogenschütze aus einem Gemälde des Vittore Carpaccio von 1493 in der Galerie der Akademie zu Venedig. (Saal VIII, 27.) Nach Jacquemin. D. Die Fernwaffen. 2. Der Bogen. wodurch seine Spannkraft bereits in Verwendung genommen wird. Wird nun überdies die Sehne zum Abschnellen des Pfeiles angezogen, so tritt eine noch vermehrte Abbiegung des Bogens bis a″ ein, wodurch seine relative Festigkeit einen Moment lang aufs äusserste in Anspruch genommen wird. Nur durch die raffinirteste Ausnützung des Materiales liess sich eine so bedeutende Aufzughöhe erzielen, und dadurch er- klärt sich auch die nahezu unglaubliche Leistungsfähigkeit der orien- talischen Bogen bezüglich ihrer Tragweite und Treffsicherheit. Fig . 474. Arabischer Bogen ohne Sehne mit feinen Arabesken in Gold auf grünem Lackgrunde, in allen Teilen bemalt. Kriegsbeute aus einem der türkischen Feldzüge 1556 oder 1566. Selbst die einfachsten orientalischen Bogen sind meist an den oberen Seiten und an den Handgriffen mit feiner Lackmalerei in oft reizenden Zeichnungen verziert; jene der Vornehmeren aber er- regen durch ihre reiche Ausstattung in Goldmalerei auf farbigem II. Die Angriffswaffen. Grunde unsere volle Bewunderung. Die Sehne orientalischer Bogen (jaj kirischì) besteht aus fünf bis sechs starken Fäden aus Schaf- wolle, welche dicht mit gedrehten Seidenfäden von verschiedener Farbe übersponnen sind. Die Pfeile der Normanen, der Engländer wie der Franzosen des 11. Jahrhunderts waren der Länge der Bogen entsprechend von einer Länge nicht über 70 cm., anscheinend mit Federposen befiedert und besassen bärtige oder auch lanzettförmige Spitzen mit kleinen Knöpfen am Ansatze. Fig . 475. Türkischer Bogen aus Büffelhorn mit feinen Gold- arabesken auf rotem Lackgrunde, an der Oberseite und am Handgriffe bemalt. Kriegsbeute aus einem der türkischen Feldzüge 1556 oder 1566. Derselbe ist zwar unbesehnt, hier aber in der Stellung des Bogens besehnt und zum Abschnellen gespannt dargestellt. Die Pfeile der englischen, französischen und deutschen Bogen des 15. Jahrh. und der Folgezeit hatten eine durchschnittliche Länge von 110 cm. bei 1.5—1.8 cm. Querschnitt. Sie waren für den Kriegsgebrauch gemeiniglich mit Pergament befiedert, das mit grellen D. Die Fernwaffen. 2. Der Bogen. Farben bemalt wurde; die Spitzen waren lanzettförmig mit kurzen Dillen. Über die Lage des Schwerpunktes konnte der Verfasser keine Versuche anstellen, indem ihm noch kein originaler Pfeil eines deutschen oder englischen Bogens in Sammlungen vor Augen ge- kommen ist. Schwerlich dürfte sich auch noch ein echtes Exemplar finden. Selbst die Sammlung Meyrick besassen nur Pfeilspitzen. Orientalische Pfeile (tîr) besitzen eine Länge von durschschnitt- lich 75 cm. bei einer Stärke von nur selten über 7 mm. Die Be- Fig . 476. Pfeilformen orientalisch. a. Tartarischer Pfeil. — b. Türkischer Pfeil mit Befiederung, der Schaft mit feiner Lackmalerei geziert. — c. d. e. Arabische Pfeile. — f. Türkischer Pfeil. — a. bis e. 16. Jahrhu n dert, Mitte. — f. 17. Jahrhundert, Ende. Fig . 477. Tartarischer Pfeilköcher , um den Leib zu schnallen von Rehleder mit Applikationen von farbigem Ziegenleder und mit ver- goldeten Beschlägen. 16. Jahrhundert, Mitte. II. Die Angriffswaffen. fiederung ist in der Regel dreireihig und besteht aus Vogelfedern verschiedener Arten; die Spitzen sind äusserst fein und sitzen häufig im Dorn auf dem Schafte, der dann am oberen Ende fein geschnürt und zuweilen mit äusserst dünnem Bast überklebt ist. Einige Sorten besitzen knapp unter der Spitze ungemein feine, kaum 1 mm. breite Ringe aus Metall. Am rückwärtigen Ende ist bei reicher ausge- statteten Pfeilen ein kleines Füsschen von Elfenbein angesetzt, welches am Ende einen kleinen Ausschnitt hat, in welchen beim Spannen die Sehne eingelegt wird. Gemeine Pfeile entbehren zwar eines solchen Ansatzes aus Bein, sie besitzen aber alle sorgfältig gefertigte Sehnenausschnitte. Der Schwerpunkt befindet sich gewöhnlich nur Fig . 476. Türkische Köcher . a. Bogenköcher. — b. Pfeil- köcher, beide von grünem Korduanleder mit Stickerei in Silber und farbiger Seide und mit in kaltem Email gezierten Beschlägen. Der Bogenköcher ist über die Achsel zu hängen, der Pfeilköcher um den Leib geschnallt zu tragen. 16. Jahrhundert, Mitte. wenige Centimeter über der Hälfte gegen die Spitze zu. Nahezu jeder der vorhandenen orientalischen Pfeile ist in schönen Mustern geziert, die zumeist in Lackmalerei mit Vergoldung hergestellt sind; seltener finden sich Einlagen, noch seltener Schnitzereien. (Fig. 476 a bis f.) Der Orientale verwahrte seinen Bogen ebenfalls in einem Köcher; man unterscheidet demnach Bogenköcher (kemândân) und Pfeil- D. Die Fernwaffen. 3. Die Armrust. köcher (tirkesch). Diese Behältnisse boten den orientalischen Kunst- handwerkern reiche Gelegenheit zur stilvollen Verzierung der Aussen- Fig . 479. Köcher der venetianischen Bogenschützen , von Holz geschnitzt mit ver- goldeten Arabesken auf rotem Grunde. 16. Jahr- hundert, 1. Hälfte. Kais. Waffenmuseum in Zars- koë-Selo. flächen derselben. Man findet auch in Köchern des 15. Jahrhunderts staunenswerte Proben orien- talischer Kunst, besonders in Lederarbeit und Stickerei von wunderbar schöner Zeichnung. (Fig. 477 und 478 a und b.) Köcher des 17. Jahr- hunderts bezeugen schon deutlich den Verfall der orientalischen Kunsttechnik, die bei aller hübscher Zeichnung das billigere Mittel des Gold- oder Silberbeschlages zu Hilfe nimmt, um eine ent- sprechende Wirkung zu erzielen. In den euro- päischen Heeren wurde der Bogen nie im Köcher geführt. Bei Regenwetter wurde in der Regel nur die Sehne in einer Tasche verwahrt. Die Pfeile jedoch steckten in langen kegelförmigen oder auch prismatischen Behältnissen von Holz, die entweder geschnitzt oder mit Pergament über- zogen und bemalt waren (Fig. 479). Es finden sich wie im Florentinischen auch zuweilen flache Köcher, die mit den orientalischen einige Ähn- lichkeit hatten. (Fig. 473.) 3. Die Armrust. Das mechanische Prinzip, auf welchem die Konstruktion der Armrust (franz. arbalète, engl. cross-bow, arbalist, ital. balestra, span. ballesta, lat. arcubalista, arbalista) beruht, leitet sich von jener der Katapulte der Alten ab, wie sie Vitruv in seinem Werke: „De architectura“ ziemlich deutlich beschrieben hat. Es erübrigte nur, das Prinzip der schweren Belagerungsmaschine in einer leichten Handwaffe zu verwerten, und das ist, wie neuere Forschungen ergeben haben, noch vor Ausgang der antiken Periode gelungen; denn schon Vegetius spricht in seiner „Epitome institutionum rei militaris“ (um 385) von der „arcubalista“ nicht als von einer schweren Maschine, sondern von einer Handwaffe leichter Truppen, wie von einem allgemein bekannten Boeheim , Waffenkunde. 26 II. Die Angriffswaffen. Gegenstande. In zwei Basreliefs im Museum zu Puy, welche zweifel- los noch vor das 4. Jahrhundert zu setzen sind, ist die Armrust in ihrer charakteristischen Form deutlich zu erkennen. Das eine ist an einer Halbsäule (cippe) gefunden in Solignac-sur-Loire, welches wir in Fig. 480 nach Gay darstellen; Zuerst besprochen von M. Aymard 1831. Vergl. Gay, V., Glossaire archéo- logique unter arbalète. das andere findet sich auf dem Fig. 480. Relief auf einem Säulen- schafte, gefunden in Solignac sur Loire. 4. Jahrh. Nach Gay, Glossaire. Fragment eines Frieses, aus den Trümmern einer Villa bei Puy herrührend. Der deutsche Name setzt sich aus den Worten „Arm“ und „Rüstung“ zusammen und bedeutete somit ursprünglich eine „Armrüstung“. Mit dieser Bezeichnung „armrust“ erscheint sie schon im 12. Jahrhundert. Am Ende des 15. Jahrhunderts unterlag das Wort Armrust einer neuen Schreibart, die dem m ein b anfügte, wie u. a. bei räumblich, Saumb, Beheimb, ziemblich; damit verwandelte sich der Name unserer Waffe in „Armbrust“, Nachdem diese unschönen Silbenansätze in unserer modernen Sprache allenthalben ausgemerzt sind, findet sich kein Grund, einen solchen vereinzelt zu belassen. Man ist darum auf die ursprüngliche und richtige Schreibart wieder zurückgegangen. Vom 5. bis ins 10. Jahrhundert versiegen die Nachrichten über die Armrust gänzlich, so dass es scheint, als sei dies in jener Periode wenn nicht vollständig in Vergessenheit, doch seltener in Verwendung gekommen. Und in der That erscheint sie erst wieder in einer Miniatur eines lateinischen Manuskriptes aus der Zeit Ludwigs IV., des Ultramariners, um 937. In der Miniatur einer Bibel vom Aus- gange des 10. Jahrhunderts aus der Abtei von St. Germain, jetzt in der Nationalbibliothek zu Paris, sehen wir zwei Schützen zu Fuss, welche deutlich gezeichnete Armrüste gegen die Wälle von Tyrus abschiessen. (Fig. 481.) Die gelehrte Tochter des byzantinischen Kaisers Alexius, Anna Komnena (1083—1148), erwähnt in ihrem Werke „Annae Comnenae Alexiados XIX libri“ bei der Beschreibung des 1. Kreuzzuges einer neuen Art Bogen, die sie „tzagrae“ nennt, mit den Worten: „Die Tzagra ist ein Bogen, den wir nicht kannten —“ Es scheint daraus hervorzugehen, dass die Armrust, im Osten noch unbekannt, eine im weströmischen Reiche erfundene und nur in Westeuropa bekannte und angewendete Waffe gewesen ist. Erst im 12. Jahrhundert fand die Armrust eine allgemeine und starke Verbreitung, vorzüglich in England und Frankreich; das 2. Konzil vom Lateran 1139 verbot ihren Gebrauch als einen mörderischen unter Christen und gestattete ihn nur gegen Ungläubige; desunge- D. Die Fernwaffen. 3. Die Armrust. achtet führten sie um 1190 die Fusstruppen König Richards I. von England, und Philipp August von Frankreich errichtete um dieselbe Zeit die ersten Armrustschützen-Kompanien zu Fuss und zu Pferd, was Veranlassung gab, dass Innocenz III. das Verbot des Konzils erneuerte. Trotz dieser strengen Verbote kam die Waffe doch zu hoher Bedeutung; der Befehlshaber der Armrustschützen führte den Titel „Grandmaître de l’arbalèterie“ und wurde später unter die Marschälle von Frankreich eingereiht. In Deutschland war die Armrust im 12. Jahrhundert häufig in Gebrauch. Zwei Zeugen, fast aus der gleichen Zeit, finden sich da, um ihr Bestehen zu beweisen: die im Dom zu Braunschweig unter Heinrich dem Löwen ausgeführten Wandmalereien und die Stelle in Fig . 481. Darstellung der Belagerung von Tyrus . Miniatur einer Bibel vom Ausgange des 10. Jahrhunderts in der Nationalbibliothek zu Paris. Nach Louandre, Les arts somptuaires. der „Eneit“ des Heinrich von Veldeke , worin sie zuerst „Arm- rust“ genannt wird. In der deutschen Ritterschaft war die Armrust vom Anbeginne als eine heimtückische, somit unritterliche Waffe angesehen und ver- schmäht; nur das Bürgertum in den Städten bediente sich ihrer mit Vorliebe in der Absicht, die Kraftverhältnisse gegenüber dem Landadel auszugleichen. In den deutschen und niederländischen Städten, vornehmlich in jenen der Hansa, bildeten sich frühzeitig sogenannte Schützengilden unter dem Schutze des heiligen Sebastian, des heiligen Moriz und anderer Patrone. Schon im 13. Jahrhundert wird die Armrust allgemeine Jagdwaffe wie früher die Schleuder und der Bogen; und sie behält als solche ihre Beliebtheit noch lange, als 26* Fig . 482. Jagdarmrust Ludwigs XII. von Frankreich mit geätztem und vergoldetem Stahlbogen. An der Säule von Ahornholz finden sich ornamentale Einlagen im Bein, die gemalten Wappen von Frankreich und Mailand, ferner in Reliefeinlagen der Orden des Stachel- schweins (porc-épic) und die heraldische Figur aus dem Wappen der Anna von Bretagne , das Hermelinschwänzchen, in einem Herz, weiters das Zeichen der Witwenschaft, die cordelière. Die Nuss ist freischwebend, die Sehne ist abgängig. Französisch. Um 1490. Fig . 483. Ansicht der Verankerung des Bogens und der Abzugvorrichtung an der Armrust Ludwigs XII. Fig. 482 in geome- trischer Darstellung. D. Die Fernwaffen. 3. Die Armrust. das Feuergewehr schon längst einen hohen Grad von Ausbildung erhalten hatte, zunächst aus der Ursache, weil sie beim Abzuge das Wild nicht verscheuchte und keinen Rauch erzeugte. Und dennoch war die Armrust gegen den Bogen nur bedingungsweise von Vorteil. Die Schnellkraft war zwar weit bedeutender, die Trefffähigkeit grösser, aber der gewandte Bogenschütze war im stande, im Zeitraume einer Minute sieben Pfeile zu verschiessen, während der beste Armrust- schütze in derselben Zeit nur zwei Bolzen von der Rinne zu bringen im stande war. Im 14. Jahrhundert ist der Armrustschütze der unzertrennliche Gefährte des Pavesenträgers, ja ersterer selbst wird in Frankreich mit einer leichten Pavese ausgerüstet. Als die Plattenharnische in Aufnahme kamen, lehnte der Armrustschütze das ungefüge neue Waffenkleid ab, das ihn in der Handhabung der Waffe nur hinderte; dafür erhielt er in Deutschland den mit Eisenscheibchen besetzten Lederkoller, in Frankreich und Italien aber den Korazin, oder die Brigantine de demi-épreuve. Die Fertigung der Armrüste hat ihre höchste Ausbildung im 15. und 16. Jahrhundert in Spanien, den Niederlanden und in Deutschland gefunden. Die besten Stahlbogen wurden aus Italien bezogen, die feinsten und dauerhaftesten Sehnen kamen aus Antwerpen. Die gewandtesten Armrustschützen waren im 14. und 15. Jahrhundert die Genuesen. Ein Schütze von selben führte nur 12 Bolzen, von denen bis 200 Schritte keiner sein Ziel verfehlen durfte. Die Armrust besteht aus der Säule, arbrier, dem Bogen, arc, der Sehne, corde, und der Spann- und Abzugsvorrichtung. Man unterscheidet ihren Dimensionen nach Standarmrüste und Handarmrüste , erstere halten die Mitte zwischen der Belagerungs- maschine und der Handwaffe. Nach der Art des Spannens unterscheidet man die Armrust für Handspannung, arbalète à main, die Flaschenzugarmrust , arbalète à tour oder à moufle, die Windenarmrust , arbalète à cric oder à cranequin, endlich die Geissfussarmrust , arbalète à pied-de-biche. Nach der Art der Geschosse benennen wir jene, welche Bolzen, (quarels, viretons) schiessen, schlechtweg Armrüste , wenn sie stählerne Bogen besitzen, auch Stahle , Stahel, jene, welche metallene, steinerne oder, wie auf der Jagd, auch Lehmkugeln schiessen, Balläster ; von diesen unterscheidet sich am Ende des 16. Jahrhunderts noch eine leichtere Gattung, die Schnepper . Das Material für den Bogen ist Holz, das aber seiner geringen Federkraft wegen nur bei gemeinen Waffen in Gebrauch kam, Stahl und Horn. Stählerne Bogen hatten ungeachtet der grössten Schnell- kraft doch den Nachteil, dass sie bei grosser Kälte leicht entzwei- brachen; man bediente sich daher, namentlich im Winter, mit Vor- liebe der Bogen aus mehrfachen Lagen von Ochsenhorn, welche mit II. Die Angriffswaffen. feinem Bast belegt und mit Pergament überzogen wurden, um den schädlichen Einfluss der Witterung auf die Schnellkraft des Bogens hintanzuhalten. Die sichere Verbindung des Bogens mit der Säule, eine wesent- liche Bedingung für den Gebrauch der Armrust, erfolgte ursprünglich mittelst Tauwerk oder Lederriemen, welche in dichter Schnürung nicht nur Säule und Bogen umfassten, sondern noch einen ringförmigen eisernen Bügel festhielten, welcher, wie wir sogleich sehen werden, in älterer Zeit zum Spannen der Armrust nötig war, später nur einen Ziergegenstand bildete. Am Ende des 15. Jahrhunderts erscheinen in Spanien und Italien zuerst die sogenannten Verankerungen , welche in zwei an der Seite der Säule befestigten eisernen Schienen bestanden, welche oberhalb viereckig gelocht waren. Durch diese Öffnungen wurde der Bogen eingeschoben und mittelst Keilen be- festigt. Bei Jagdarmrüsten mit schwachen Bogen laufen letztere zu- weilen auch durch eine Öffnung in der Säule. Zunächst an der Verankerung an der unteren Seite der Säule ist zuweilen ein eiserner Haken angeschraubt, welcher dazu diente, die Armrust beim Nichtgebrauche an dem Gürtel oder am Sattel hängend zu tragen. (Fig. 483 G.) In der Seitenansicht steht der Bogen immer derart schief zur Säule, dass die auf den Querschnitt D (Fig. 483) geführte Kapitallinie N L genau die Sehnenlage der Nuss trifft. An dem von uns gewählten Beispiele sind die beiden Schienen- fortsätze B rückwärts in E nicht an die Säule geschraubt, sondern es wurde gerade dieser Punkt zu der Verkeilung benutzt, durch welche der Bogen mit der Säule verbunden ist. An anderen Exemplaren erscheint diese oberhalb in C. Stahlbogen, welche selbst bei geringer Dicke eine verhältnis- mässig grosse Schnellkraft besitzen, bedurften keiner bedeutenden Auf- zugdimension; anders war es bei Holz- oder Hornbogen, da musste die Spannkraft bis auf das möglichste ausgenutzt werden. Solche Bogen sind auch derart gebildet, dass sie, ehe noch die Sehne an ihnen befestigt wird, eine gegen die Säule zu konvexe Richtung haben. (Fig. 484.) Wird die Sehne angelegt, dann ist der Bogen eigentlich zur guten Hälfte schon gespannt. Die Aufzugdimension ist somit eine doppelte, von der konvexen Stellung in die gerade und von da in die konkave. Die Sehnen leiden daher bei Holzbogen ungleich mehr. Die weitgehendsten Veränderungen von der einfachsten Art bis zur sinnreichsten hat die Abzugsvorrichtung erfahren, wiewohl sich nahezu alle auf das ursprüngliche System zurückführen lassen. Die älteste Vorrichtung beschreiben wir in folgendem: Genau auf dem Punkte der Aufzugshöhe wurde ein Scheibchen aus Bein oder Hirschhorn an der oberen Fläche der Säule derart eingelassen, dass dasselbe etwas hervorragte und in der Einkerbung sich nur in der Richtung der Rundung bewegen konnte. Diese Scheibe, Nuss , D. Die Fernwaffen. 3. Die Armrust. noix, H (Fig. 483) genannt, besass an der einen Seite einen Aus- schnitt für die Sehne, an der entgegengesetzten eine Einkerbung, „ Rast “, in welche der Abzugbügel eingriff. Bei älteren Armrüsten, wie bei unserem Exemplare, hatte die Nuss keine Wellenführung, Fig . 484. Schwere Standarmrust mit Hornbogen und Spann- vorrichtung für eine deutsche Winde. Die 1.10 m. lange Säule besitzt eine einfache Ahzugsvorrichtung, die Nuss läuft im Faden (a). Der 1 m. lange Hornbogen ist mit Pergament überzogen und bemalt. Am Unter- teile zeigt sich das Wappen des steirischen Ritters Andreas Baum- kircher (enthauptet 1471). Um 1450. II. Die Angriffswaffen. Fig . 485. Spanische Armrust mit geätztem und vergoldetem Stahlbogen des Kaisers Maximilian I. Die rot lackierte Säule ist mit den Sinnsprüchen des Kaisers in Goldlettern geziert. Die Nuss ist freischwebend, der Aufzug erfolgt mit deutscher Winde. Der Abzug ist mittelst eines Hebels (c) zu sperren. Um 1500. D. Die Fernwaffen. 3. Die Armrust. man bezeichnet sie dann als „ freischwebend “. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts erhält sie eine Art Führung, so dass sie um eine Schnürung aus Bindfäden sich bewegte. (Fig. 484 a.) Man erkennt dieselbe auf den ersten Blick, weil diese Schnürung ausserhalb um Fig . 486. Ansicht eines aufgelegten Bolzens mit Anwendung des Klemmers. die Säule läuft. In diesem Falle bezeichnet man die Nuss als „ im Faden laufend “. Der Abzug geschieht mittels eines langen Bügels R, welcher einen zwei- armigen Hebel darstellt, der in M um eine Welle sich bewegt; der kürzere Arm greift in die Nussrast, eine Feder S drückt auf den längeren Hebelsarm, um denselben in der gespannten Lage zu erhalten. Bei älteren Armrüsten fehlt diese Feder, der Schütze musste daher beim Spannen die Nuss in den Bügel vorher einstellen, die Rast war in diesem Falle zur Sicherung vor einem vorzeitigen Abgehen (Lassen) tiefer eingekerbt. Eine weitere Verbesserung am Abzuge datiert aus der Zeit Kaiser Maximilians I. um 1500, der, wie wir aus dem Theuer- dank (p. 44) wissen, durch das unver- mutete „Lassen“ eines gespannten Stahles in Gefahr kam. Sie besteht in einem Sperr- hebel c (Fig. 485), welcher den Abzugbügel so lange festhält, bis dieser gebraucht wird, in welchem Falle der Sperrhebel einfach im Scharnier nach aufwärts geschlagen wird. Nach erfolgtem Spannen wurde der „ Bolzen “, (in alten Inventaren auch „Haus- pfeil“ genannt), knapp vor der Nuss auf- gelegt. An vielen Armrüsten, besonders nichtdeutschen, war zu diesem Zwecke an der oberen Fläche der Säule eine Rinne vorhanden, in welche der Bolzen gelegt wurde. Deutsche Armrüste besitzen gewöhnlich keine Rinne, sondern zeigen am Bolzenlager einen glatten, ebenen Bein- belag. Der Bolzen wurde in diesem Falle von einem „ Bolzenklemmer “ aus Horn gehalten, der etwas rück- wärts von der Nuss angeschraubt war. Diese Bolzenklemmer fehlen an den meisten in den Museen bewahrten Armrüsten, doch ist an allen der Punkt leicht zu erkennen, wo dieselben befestigt gewesen waren. Damit der Klemmer beim II. Die Angriffswaffen. Spannen nicht hinderlich werde, wurde er nach der linken Seite ge- dreht. (Fig. 486 c.) Indem wir uns dahin wenden, die verschiedenen Spannvor- richtungen möglichst unter Zugrundelegung von Beispielen an noch vorhandenen Originalen zu beschreiben, bemerken wir, dass alle in den Sammlungen noch bewahrten Armrüste einer Zeit entstammen, in der die Schleuder- und Schnellwaffen durch die erhöhte Wirkung der Feuerwaffen bereits in den Hintergrund gedrängt waren; die ältesten Armrüste reichen nur bis in die Hälfte des 15. Jahrhunderts hinan. Bis ins 12. Jahrhundert spannten die Armrustschützen ihre Bogen noch ohne mechanische Hilfsmittel mit den beiden Händen. Auf diese Kraft musste die Stärke derselben eingerichtet werden. Dieser einfachsten Art folgte im 14. Jahrhundert eine nur wenig kom- pliziertere mittels des Spannhakens , (crochet); sie erhielt sich bis an den Beginn des 15. Jahrhunderts. Dieser Spannhaken, am Fig. 487. Spann- haken vom Ende des 14. Jahrh. Ehe- malige Sammlung zu Pierrefonds. Nach Viollet-le-Duc. abgebogenen Ende in zwei Arme sich spaltend, war an einem breiten, starken Riemen befestigt, welchen der Schütze um die Lenden geschnallt trug, so dass er vorne herabhing. Zum Spannen wurde die Arm- rust verkehrt und mit der oberen Seite gegen den Schützen gewendet auf den Boden gestellt, der Schütze trat mit einem Fusse in den bügelförmigen Ring, étrier, legte den Haken in die Sehne ein und spannte diese in der Weise, dass er mit der vollen Kraft seines Körpers sich aus der gebückten Stellung aufrichtete, bis die Sehne in die Nuss ein- klappte; dabei musste er den Abzugbügel nach vor- wärts drücken, damit der Fortsatz in die Rast zu liegen kam. Ein solcher Spannhaken hatte sich noch in der ehemaligen Sammlung von Pierrefonds erhalten und dürfte gegenwärtig im Musée d’Artil- lerie zu Paris zu finden sein. (Fig. 487.) Diese Art des Spannens war allerdings weit vorteilhafter, als jene mit den blossen Händen. Der Schütze konnte von den Lenden aus eine bedeutendere Last nach aufwärts ziehen. Damit konnte der Bogen entsprechend stärker und kräftiger gemacht werden, was gleich- bedeutend war mit dem Erreichen einer grösseren Tragfähigkeit. Aber die stetig zunehmende Bedeutung der Fernwaffe drängte nach fortwährender Vergrösserung ihrer Wirkung; man sah sich ge- nötigt, die Bogen kräftiger zu machen, um ihre Spannkraft aufs höchste auszunutzen; da reichte die Körperkraft allein zu ihrer Handhabung nicht mehr hin, man musste daher mechanische Mittel zu Hilfe nehmen, um die Kraft zu erhöhen. Eines der ältesten dieser Mittel zum Spannen der Armrustbogen D. Die Fernwaffen. 3. Die Armrust. ist die Winde ; man nannte sie die englische . Damit ist das Land ihrer ersten Verwendung für diesen Zweck bezeichnet. Die eng- Fig . 488. Die in Fig. 482 dargestellte Armrust mit angelegter englischer Winde . Die Eisenteile der letzteren sind vergoldet, die Beseilung ist original. II. Die Angriffswaffen. lische Winde (Fig. 488) ist eigentlich nichts anderes als ein ge- wöhnlicher Flaschenzug mit zwei, seltener drei Rädern (Rollen); da- durch erzielte man die doppelte, beziehungsweise dreifache Leistungs- fähigkeit. Die Anwendung des Mechanismus auf die Armrust ist, wie wir an dem Beispiele einer zweirädrigen Winde (Fig. 489) ersehen, Fig . 489. Mechanismus der in Fig. 488 dargestellten englischen Winde in geometrischer Darstellung. Fig . 490. Eiserne Armrustwinde , sogenannte „deutsche Winde“ für die Jagd mit eisernem Windenbügel (Windfaden). Um 1560. Fig . 491. Mechanismus einer deutschen Winde , zu einer Armrust aus dem Besitze des Erzherzogs Karl von Steiermark ge- hörig. Bezeichnet 1563. D. Die Fernwaffen. 3. Die Armrust. eine einfache. Die beiden oberen Radgehäuse B besitzen oberhalb Spannhaken, an dem unteren Fortsatz in C ist die Leine befestigt. Das untere Radgehäuse steht mit einer Hülse D in Verbindung, in welche beim Gebrauche das Ende der Säule eingelassen wird; an ihren beiden Seiten laufen die Räder G. Der Aufzug erfolgt mittels der Welle F und zweier Kurbeln KK′. Ein Haken I dient dazu, die Winde beim Nichtgebrauche auf dem Marsche etc. an den Gürtel zu hängen. (Fig. 488 und 489.) Deutsche Armrüste mit Stahl- oder Hornbogen wurden schon am Ende des 14. Jahrhunderts mit der sogenannten „ deutschen Winde “ (Fig. 490) gespannt, und diese Art erschien so einfach und praktisch, dass sie gegen die Mitte des 15. Jahrhunderts auch ausser- halb des römischen Reiches Eingang fand. Mit der deutschen Winde ausgerüstete Armrustschützen nannte man in Frankreich cranequi- nieurs. Der Mechanismus einer Zahnstangenwinde ist äusserst einfach: Um eine Welle A (Fig. 491) läuft ein Drilling, dessen Triebstöcke C in die Zahnstange eingreifen. Mit der Welle bewegt sich ein Zahn- rad, in welches eine Schraube ohne Ende D eingreift, die mit der Kurbel H in Verbindung steht. Häufig greift der Triebstock in das Zahnrad und dieses erst in die Zahn- stange; dann liegt das Gehäuse beim Spannen oberhalb der Armrust, während es bei der oben beschriebenen an der rechten Seite der Säule zu stehen kommt, die Kurbel aber in der gleichen Richtung sich bewegt. Die Zahnstange besitzt oberhalb eine Krappe, um die Sehne zu erfassen; unterhalb in M ist gemeinig- lich ein Haken angebracht, um die Winde an den Gürtel hängen zu können. Der Haken fehlt an unserem Exemplare, wurde aber in der Zeichnung hinzugefügt. Der Radmechanismus ist von einem Ge- häuse eingeschlossen, das rückwärts einen Bügel L besitzt, in welchen ein aus starken Hanfschnüren gefertigter Ring „ Windfaden “ einge- schlungen wurde. Zum Spannen der Armrust wurde der Windfaden von rückwärts über die Säule bis an den Knebel vorgeschoben, welcher den Wider- halt bildete; sodann wurden die Krappen der Zahnstange in die Sehne eingelegt und die Winde mit der Kurbel aufgezogen. In der Waffensammlung des kaiserlichen Hauses in Wien wird auch eine Balläster bewahrt, bei welcher die Zahnstange in der Säule eingelassen ist und der Mechanismus mittels eines Schlüssels aufgezogen wird. (Fig. 492.) Zwischen 1550 und 1560 treten von Nürnberg und Augsburg aus die ersten Armrüste mit Stechermechanismen auf, welche nament- lich für das Zielschiessen und selbst für die Jagd sich überaus vor- teilhaft erwiesen. Diese deutschen Stahle mit Stecher fanden so allgemeinen Beifall, dass sie in grosser Anzahl in alle Länder ausge- führt wurden. Daher fehlen Armrüste mit solch feineren Abzug- mechanismen in keiner grösseren Waffensammlung. II. Die Angriffswaffen. Äusserlich ist eine solche Armrust zunächst an dem weit stärkeren Querschnitte der Säule erkennbar. Gerade unterhalb der Nuss findet sich eine Bohrung, in schiefer Richtung nach abwärts laufend, dahinter ist ein eingesetztes flaches Eisenstück merkbar, welches mit einem Fig . 492. Jagdarmrust , sogenannter „Pürschstahel“, mit eingelegter und zum Spannen bereiter Winde. Der obere Zapfen lässt erkennen, dass die Armrust auch für eine Gaisfussspannung eingerichtet ist. Mit einigen Verbesserungen nach Delaunay. Les archers. D. Die Fernwaffen. 3. Die Armrust. Schieber festzustellen ist. An der oberen Seite, etwas hinter der Nuss, erblickt man eine zweite Bohrung, welche aber senkrecht nach abwärts läuft. Der einer Abzugstange ähnliche Bügel hat hier keinen weiteren Zweck, als jenen einer Handhabe und des Schutzes des Stechers, der in einem Scharniere laufend, auch umgelegt werden kann. Fig . 493. Stechmechanismus von einer Jagdarmrust von ca. 1560 im Durchschnitt. Wir bringen hier die geometrische Zeichnung eines solchen Stech- schlosses in Fig. 493, welche sich teilweise selbst erklärt. Zum Aufzu- ziehen desselben wurde mittels eines kleinen Bolzens in X der Hebel B in den Zahn des Hebels L gedrückt, sodann der Reiber p vorgedreht. Fig . 494. Armrust mit Gaisfussspannung . 15. Jahrhundert, Ende. Französisch. Nach Viollet-le-Duc. D. Die Fernwaffen. 3. Die Armrust. Nun erfolgte das Spannen der Armrust mit der deutschen Winde. War die Sehne K in der Nuss, dann wurde der Bolzen in R hinein- gesteckt und die Stange D in den Züngelarm E hineingedrückt; damit war, wenn der Reiber p wieder weggeschoben wurde, der Stecher zum Abzug bereit. Schon um die Mitte des 16. Jahrhunderts und selbst noch früher findet man die deutschen Armrüste an den Abzugstangen und nächst der Verankerung mit Stoffen überzogen und mit Fransen besetzt. Gegen das 17. Jahrhundert hin werden auch die Bogen mit kurzen Seiden- und Goldquasten geziert; man benannte eine derartige Aus- stattung in Deutschland den „ Aufputz “. Für Armrüste mit Bogen von geringerer Kraft Für Armrüste von schwächeren Bogen kam auch eine Spannmaschine in Anwendung, welche in einer kleinen Welle bestand, über welche ein Riemen ge- wunden war, an dessen Ende eine eiserne Krappe sich befand. Diese Welle mit Zahnrad und Sperrhaken wurde mittels eines Schlüssels gedreht. Die Leistung einer solchen Vorrichtung kann nur sehr gering gewesen sein, weshalb wir ihrer nur nebenher gedenken. Eine solche Spannmaschine an einer Armrust ist, wie V. Gay in seinem Glossaire bemerkt, in einem Manuskripte der Bibliothek zu Besançon von 1400 dargestellt. war der Geiss- fuss immer die einfachste und damit angemessenste Spannmaschine. Er stellt eigentlich nichts anderes als einen einarmigen Hebel dar. Der Stützpunkt desselben ist (Fig. 494) in dem Knebel E, der hier bedeutend näher an der Nuss sich befindet als bei der Windenarm- rust. Der Aufzug erfolgte von den in Scharnieren beweglichen Krappen C D aus durch den Arm A, an dessen oberem Ende ein beweglicher Haken sich befand, an welchem der Geissfuss im Gürtel getragen werden konnte. Dieses System des Geissfusses führte, besonders bei Ballästern mit welchen keine Bolzen, sondern Kugeln geschossen wurden, schon am Beginne des 16. Jahrhunderts zu der Einrichtung der „ Säulenhebel “ (arbalète à jalet), welche mit der Säule in Ver- bindung einen Bestandteil derselben bildete. (Fig. 495.) Es gibt unterschiedliche Formen von derlei Säulenhebeln, in besonderer Rück- sicht darauf, ob der Spannapparat ober- oder unterhalb der Säule liegt. Wir beschreiben hier die charakteristischsten Konstruktionen, nach denen Varianten sich leicht richtig beurteilen lassen. Spanische Ballästern besitzen eine sehr sinnreich konstruierte Spann- und Abzugvorrichtung. Sie besteht in einem langen Hebel- arme A (Fig. 496), welcher in die Säule eingelassen ist und rück- wärts in D gesperrt werden kann. An der Welle e ist das Ende des Armes mit Zähnen versehen, in welche ein Sperrhebel g greift, um ein Zurückschlagen des Armes beim Spannen zu verhindern. Der bewegliche Arm B, welcher beim Aufheben des Armes A sich vorschiebt und die Sehne selbstthätig ergreift, enthält auch die Boeheim , Waffenkunde. 27 Fig . 495. Spanische Balläster mit geätztem und vergoldetem Bogen und derlei Montierung aus dem Besitze des Kaisers Maxi- milian I. Die Säule ist hellrot lackiert, mit Ornamenten in Máler- gold und dem burgundischen Wappen geziert. Der Säulenhebel mit dem Absehen (Stuhl) ist halb aufgezogen. Arbeit ganz ähnlich jener des Pueblas in Madrid. Um 1510. Fig . 496. Ansicht des Spann- und Abzugorganismus der in Fig. 495 dargestellten Balläster in geometrischer Projektion. D. Die Fernwaffen. 3. Die Armrust. Nuss d, welche beim Niederlegen des Hebels die Sehne anspannt. Der Abzug erfolgt mit der linken Hand durch einen Druck des Daumens auf den Hebel b. In dieser in Fig. 495 vor Augen liegenden Waffe erblicken wir eine der ältesten Ballästerformen mit deren Einrichtungen. Die Balläster diente nicht für den direkten Schuss, sondern für den wenn auch sehr flachen Bogenschuss; diesem Zwecke entsprechend war auch die Zielvorrichtung eingerichtet. Sie besteht aus einem beweg- lichen, oben eingekerbten Aufsatze, „ Stuhl “ genannt (C), knapp hinter der Nuss, ferner aus einer vorne am Bogen befindlichen Zielgabel, „ Schiff “, d. Beide Säulchen der letzteren waren oberhalb durch einen Faden oder auch eine dünne Drahtspange verbunden, in deren Mitte eine kleine schwarze Kugel befestigt war, welche als Korn diente. Diese Einrichtung fehlt an unserem Exemplare, ebenso die Sehne, die aus zwei getrennten Strängen bestand, welche nur zunächst den Bogen enden verbunden, sonst aber durch zwei Stäbchen aus Elfenbein aus- einandergehalten (gespannelt) wurden. Der Teil, welcher von der Nuss aufgenommen wurde, bildete eine Art Sack, in welchen die Kugel zwischen Schnüren leicht eingeklemmt wurde. (Fig. 497.) Der Schuss oder Wurf aus einer Balläster war unsicher, dennoch erhielt sich dieselbe lediglich als Jagdwaffe das ganze 16. Jahrhundert in stets gleicher Beliebtheit, weil sie viele Geschicklichkeit im Ab- schätzen der Distanzen erforderte. Wir finden sie in Jost Amans Abbildungen zu den „Adeligen Weydwerken“ 1582 häufig gezeichnet. Die hervorragende Stellung, welche sich die Spanier im 15. Jahr- hundert in der Fertigung von Armrüsten und Ballästern errungen hatten, überdauerte noch einige Jahrzehnte das Ende der maurischen Herrschaft. Noch Ferdinand I. liess seine Armrüste 1523 in Sara- gossa und Barbastro fertigen. Wesentliche Abweichungen in der Form und mechanischen Kon- struktion gegenüber den spanischen weisen die „italienischen Ballästern“ auf, welche man zum Unterschiede von ersteren „ Schnepper “ be- nennt. (Fig. 498.) Sie werden entweder mit der Hand allein oder mit Hülfe einer eisernen Krappe (Fig. 499) gespannt, welche zwei Haken und dahinter einen langen Bügel oder seitliche Handgriffe besitzt, in welche man mit beiden Händen eingreifen konnte. Die Abzugvorrichtung ist unter allen die einfachste. Die ältesten der- artigen Schnepper treten um 1550 auf. Die bedeutendste Änderung, in der sich der italienische Schnepper von anderen unterscheidet, ist durch die krumme Form der Säule zwischen Nuss und Bogen zu erblicken, zweifelsohne dazu dienend, die Linke vor dem Schnellen der Sehne zu schützen. Der Querschnitt der Säule ist gering und wird gegen das Ende zu noch geringer, wo sie mit einem gedrehten Kopf abschliesst. Der Abzugmechanismus be- steht in zwei Hebeln; der vordere, ein zweiarmiger, an welchem der 27* Fig . 497. Balläster mit in der Säule eingelassenem Spann- mechanismus, der in einer Zahnstange besteht, die mittelst einer Kurbel am Kolben bewegt wird. Das Objekt besitzt die vollständige Be- sehnung, zweiteilig, gespannelt und mit Kugelsack. Die vordere Ziel- gabel (Schiff) ist verbogen. Um 1580. Fig . 498. Italienischer Schnepper für die Vogeljagd. Die Eisenteile sind poliert und in Goldtausia geziert. Die Säule ist ge- schnitzt. Um 1590. D. Die Fernwaffen. 3. Die Armrust. Haken für die Sehne befindlich ist, wird rückwärts niedergedrückt und am hinteren Ende durch ein Häkchen gehalten, welches das vordere Ende eines Winkelhebels bildet, der mit der Abzugstange in Verbindung ist. Wird diese nach aufwärts gedrückt, so schlägt der vordere, vom Häkchen befreite Hebel durch die Kraft der Sehne nach aufwärts und letztere verlässt den Haken. Besehnung und Ziel- vorrichtung sind die gleichen, wie bei der spanischen Balläster. Diese italienischen Schnepper waren in der 2. Hälfte des 16. und am Anfange des 17. Jahrhunderts für die Feldjagd eine äusserst beliebte Fernwaffe. In den Blättern des Johann Stradan, namentlich in der Serie „Venatio“, gestochen von Raphael Sadeler, und jener von 1578, welche Cosmus von Medici gewidmet und von Philipp Galle gestochen ist, finden sich derartige Schnepper oft und genauestens abgebildet. Eine besondere Art von Schneppern, die vielfach als „deutsche“ bezeichnet werden, werden in nicht geringer Zahl auch in Italien, besonders in Brescia, erzeugt und von dort in den Handel gebracht. Fig . 499. Krappe zum Spannen einer Balläster mit Gürtelhaken. Um 1580. Sie unterscheiden sich von allen sonstigen Armrustgattungen dadurch, dass auch die Säule von Eisen gefertigt ist. Am rückwärtigen Ende befindet sich ein breites Backenstück aus Holz. Derlei Schnepper finden sich in allen Grössen von jener einer gewöhnlichen Armrust bis zur kleinsten Dimension von nur 35 cm. Säulenlänge herab, wie sie bei Armrüsten üblich war, die auf der Jagd zu Pferde geführt wurden. (Fig. 500.) Sie führen gemeiniglich den Säulenhebel nach Art der spanischen, denen sie auch augenscheinlich nachgebildet sind. Eine gewisse äussere Ähnlichkeit mit diesen deutschen Schneppern hat eine Gattung italienischer Schnepper am Ende des 16. Jahrhunderts. Auch diese besitzen eiserne Säulen, welche aber wie die vorbeschriebenen abgebogen sind und runde, hölzerne Backenstücke besitzen; die meisten aber führen keine Säulenhebel, sondern werden mit der Hand oder dem Krappen gespannt. II. Die Angriffswaffen. Um 1530 erscheinen in Italien winzig kleine Armrüste, welche man unter den Kleidern trug. Sie wurden von den Regierungen mit strengen Verboten belegt. Der Senat von Venedig setzte auf ihren Besitz 1542 schwere Strafe. Schöne Exemplare dieser Art bewahrt das Museo civico (Correr) in Venedig. Fig . 500. Kleiner deutscher Schnepper von Eisen mit höl- zernem Kolben. Die Besehnung ist original. Waffensammlung im Stifte Klosterneuenburg. Gegen das Ende des 16. Jahrhunderts, wo die Überzeugung von dem Werte der Feuerwaffe auch für den Jagdzweck mächtiger wird, kommen Balläster in Aufnahme, welche mit Feuerrohren in Verbindung sind, in Italien „balestrino-pistola“ genannt. Es sind hier im allge- D. Die Fernwaffen. 3. Die Armrust. meinen zwei verschiedene konstruktive Systeme zu unterscheiden. Be- sitzt die Balläster den Säulenhebel oberhalb der Säule, dann ist das Fig . 501. Balläster in Verbindung mit einem Feuerrohre. Deutsche, vielleicht augsburgische Arbeit. Um 1580. Aus dem Be- sitze des Erzherzogs Ferdinand von Tirol. Fig . 502 Spann- und Abzugmechanismus für den Bogen und Abfeuerung für das Rohr der in Fig. 501 dargestellten Balläster mit Schiessvorrichtung. II. Die Angriffswaffen. Feuerrohr unterhalb derselben und das Radschloss an der rechten Seite, im entgegengesetzten Falle oberhalb mit dem Radschloss an der linken Seite. Die erstere Gattung bringt unter anderem Meyrick; sie ist die verbreitetste und darum auch bekanntere, von der letzteren, weit seltener vorkommenden bringen wir ein Beispiel in einer reich gezierten deutschen Balläster mit Kugelschale von ca. 1580 aus der Waffen- sammlung des kaiserlichen Hauses in Wien. Fig. 501 zeigt uns die Ansicht der Balläster mit ihren schön gezeichneten Elfenbeineinlagen in der aus Birnholz gefertigten Säule und der äusseren Form ihrer mechanischen Ausstattung. Fig. 502 erklärt uns in geometrischer Projektion den Radmechanismus des Feuergewehres und teils auch den Spannmechanismus des Stahlbogens. Durch das Zurückschlagen des Hebels F wird die Stange q vorgetrieben und entweder die obere Platte mit der Nuss bis zur Schale vorgeschoben oder nur das Zahnrad h gespannt; sodann wird der Hebel wieder geschlossen und damit auch die Nuss e in die Spannung zurückgezogen. Der Hahn d, welcher beim Nichtgebrauche seitwärts zu drehen ist, führt hier bereits einen Schlag auf das gleichzeitig rotierende Rad. Beim Ab- zuge des Feuerrohres drückt das Züngel r auf den Hebel p, dieser löst eine Schlagfeder und damit auch den Hebel R, wodurch das Zahnrad wieder zurückrotiert. (Fig. 503.) Das Feuerrohr ist beim Nichtgebrauche durch eine Schraube n zu schliessen. Unter den Geschossen der Armrüste, den Bolzen, Haus- pfeilen , französisch Carreaux, Dondaines, Garrots, Traits, Bougons, Matras, Pilettes etc., unterscheidet man die für den Krieg von den für die Jagd bestimmten. Jene sind einfach und meist von roher Fertigung, doch immer mit sorgfältiger Beachtung der Gewichts- und Schwerpunktsverhältnisse; diese, in der Regel von besserem Materiale, feinerer Ausführung, erscheinen in einer Unzahl der verschiedensten Formen. Der Bolzen besteht aus der Spitze , dem sogenannten Eisen , dem Schafte oder Zain ; die Schäfte sind mit oder ohne „Federn“ ausgestattet. Die Form und Schwere des Bolzens beruhte immer auf einer sorgfältigen Berechnung. Die Zainlänge war abhängig von der Aufzugsdimension der Armrust, das Gewicht von der Kraft des Bogens. Für die Tragweite des Bolzens die richtige Lage des Schwer- punktes ein wichtiges Erfordernis war. Bei kurzen Bolzen bis zu 35 cm. Zainlänge liegt der Schwerpunkt in der Regel genau am Ende des 1. Drittels von der Spitze gerechnet, bei längeren ge- wöhnlich am Ende des 1. Viertels. Der Schwerpunkt wurde an jedem Stücke geprüft und durch Beschneiden des hinteren Zainendes ab- gepasst. Man wird die meisten Bolzen für den Kriegsgebrauch am rückwärtigen Ende zugeschnitten antreffen. Gemeine Bolzen besitzen gewöhnlich roh zugeschmiedete Eisen von vierseitigem Querschnitte, D. Die Fernwaffen. 3. Die Armrust. die entweder mit der Dille am Zain sitzen oder im Dorn des letzteren eingelassen sind. In diesem Falle ist der Zain oberhalb mit starkem Faden gebunden, um ein Aussprengen desselben durch den Dorn zu verhindern. (Fig. 504 a und b.) Fig . 503. Die in Fig. 501 dargestellte Balläster in isometrischer Projektion mit geöffnetem Säulenhebel und gespanntem Hahn. II. Die Angriffswaffen. Über den Nutzen einer Befiederung waren die Ansichten zu jeder Zeit geteilt; man findet darum häufig nichtbefiederte Bolzen, ja sehr schwere haben in der Regel keine „Federn“. Das Material, aus welchem die Federn gefertigt wurden, war verschieden; bei ge- meinen Stücken für den Krieg bestanden sie aus rohen Holzspänen. In der Schweiz und in Tirol war Leder sehr beliebt. In Frankreich Fig . 504. Gemeine Armrustbolzen für den Feldgebrauch. a. Gemeiner Hauspfeil mit gerade laufenden hölzernen Federn mit 33.5 cm. langem Zain b. Gemeiner Hauspfeil mit am Dorn aufsitzendem Eisen ohne Federn mit 35 cm. langem Zain. Tirolisch. 15. Jahrhundert. Fig . 505. Brandbolzen , a. Brandbolzen mit hölzernen bemalten Federn und bärtiger Spitze. 15. Jahrhundert. b. Brandbolzen nach einer Zeichnung in den Zeugbüchern Kaiser Maximilians I. mit einseitig bärtiger Spitze. D. Die Fernwaffen. 3. Die Armrust Pergament, desselben Stoffes bedienten sich in den Hussitenkriegen auch die Böhmen. Für die Jagd pflegten Vornehme Bolzen mit Be- fiederungen aus dünnen Plättchen von Elfenbein oder auch aus Posen von Schwanenfedern zu verwenden. Die Richtung der Federn war entweder geradelaufend oder im „Drall“, das ist in einem Winkel bis zu etwa 1.5 Graden zur Zain- richtung. Durch die schiefe Richtung der Federn zum Schafte ent- Fig . 506. Bolzenformen für die Jagd . a. Spitzbolzen ohne Befiederung. 16. Jahrhundert. b. Spitzbolzen mit Spur von Befiederung aus Schwanenfedern im Drall. 16. Jahrhundert. c. Spitzbolzen , ähnlich dem vorigen. 16. Jahrhundert. d. Kronbolzen , ohne Befiederung. 15. Jahrhundert. e. Schneidebolzen , mailändisch. Ende des 15. Jahrhunderts. stand eine drehende, bohrende Bewegung im Fluge, welche bei Stich- bolzen die Treffsicherheit erhöhte. Die Franzosen, die derart ge- staltete Bolzen schon im 14. Jahrhundert anwendeten, nennen sie „viretons“. II. Die Angriffswaffen. Eine besondere Gattung unter den Bolzen für den Gebrauch im Kriege bildeten die Brandpfeile (flèches incendiaires, falariques). Sie waren mit Brandballen ausgerüstet und besassen Spitzen mit Widerhaken (têtes barbelées), um das Haftenbleiben an dem anzu- zündenden Gegenstande zu sichern. (Fig. 505 a und b.) Waren für den Krieg die Formen für die Bolzen im allgemeinen wenig unterschieden, so war für den Gebrauch auf der Jagd gerade das Gegenteil der Fall. Je nach der Grösse und Gattung des Wildes kommen hier die mannigfaltigsten Spitzeneisenformen vor. Ihrer Ge- stalt nach unterscheiden wir Stichbolzen (Fig. 506 a, 507 a) mit spitzigen Eisen, leichte für grösseres Federwild, schwere und scharfe ausschliesslich für Haarwild und zur Bärenjagd. Bolzenspitzen mit Widerhaken (Fig. 507 b) kamen bei Brand- pfeilen, sonst aber selbst im frühen Mittelalter für Krieg und Jagd wenig in Verwendung. Man führte sie in Spanien, wo sie durch die Fig . 507. Formen von Bolzeneisen . a. Stichbolzeneisen . b. Grosses bärtiges Eisen . c. Schneidebolzeneisen . d. Gabelbolzeneisen . Königliches Zeughaus in Berlin. Mauren in die christlichen Heere gekommen waren; auch in England wurden zahlreichere bärtige Spitzen ausgegraben, sonst kommen derlei Formen gemeiniglich nur bei Bogenpfeilen vor. Schlag- oder Prell- bolzen (matras) mit ganz flachen, platten oder abgerundeten Eisen waren dazu bestimmt, das Wild statt es zu töten, bloss zu betäuben, damit das kostbare Fell nicht verletzt und, falls das Wild nicht zu- sammenbrach, der kostbaren Bolzen nicht verloren wurde Daraus ergibt D. Die Fernwaffen. 3. Die Armrust. sich schon ihre Verwendung für kleineres Haarwild. Kurze Bolzen mit dicken, birnformigen Spitzen verwendete man in den Schützengesellschaften beim sogenannten Papagei- oder Vogelschiessen. Eine Abart der Prellbolzen bildeten die Kronbolzen . (Fig. 506 d.) Diese meist sehr schweren Geschosse dienten vorzugsweise auf der Jagd nach Adlern und Geiern. Gabelbolzen (Fig. 507 d), welche wir wieder- holt im Theuerdank dargestellt finden, waren ihrer kräftigen Wirkung wegen auf der Gemsjagd beliebt; ihr Flug aber war unsicher, da sie sich nicht selten überschlugen. Endlich erwähnen wir noch der Schneidebolzen (Fig. 506 e). Solche mit breiten, halbmond- förmigen Eisen, „mads“ (Fig. 507 c) genannt, verwendete man bei der Jagd auf Hochwild, leichte Schneidebolzen vorzugsweise auf der Enten- („Antvogel“-) Jagd, da sie im Fluge nur ein ganz geringes Fig . 508. Gemeiner Bolzenköcher aus gepresstem Leder. Nach Viollet-le-Duc. Fig . 509. Gemeiner Bolzenköcher aus Holz, mit Schweins- haut überzogen und mit gepresstem Kalbleder besetzt. 15. Jahrhundert. Fig . 510. Bolzenköcher für die Jagd von Holz, mit Schweins- haut überzogen. Der Deckel und der Besatz sind aus Leder, mit Gürtelriemen. 15. Jahrhundert. Geräusch erzeugten. Schliesslich wäre zu bemerken, dass einige Arten feinerer Jagdbolzen zunächst der Spitze kleine eiserne Warzen besitzen, die als Absehkorn beim Zielen dienten. (Fig. 506 b und c.) Die Behältnisse für die Bolzen, „ Köcher “, wurden, wenn auch II. Die Angriffswaffen. nicht selten von Metall, doch der grössten Mehrzahl nach aus Holz gefertigt und mit Leder oder Haut überzogen. In Deutschland war es Sitte, wie die Schilde an der oberen Seite, auch die Köcher mit Pelzwerk zu überziehen; derlei Köcher werden „ Rauchköcher “ benannt. Die älteste bis jetzt bekannte Form eines Köchers erblickt man in einem Basrelief des 4. Jahrhunderts (Fig. 480). Wie man daraus erkennen kann, haben sich die Formen in den späteren Jahr- hunderten im allgemeinen nur unwesentlich geändert. Die für dieses Gerät charakteristischsten Formen bringen wir in nebenstehenden Figuren. (Fig. 508, 509, 510.) 4. Die Feuerwaffen. Wie wir in der Darstellung der Entwickelung des Waffenwesens (S. Seite 13) bereits auseinandergesetzt haben, währte es Jahrhunderte, bis die seit langer Zeit bekannte Sprengkraft des Schiesspulvers für Kriegszwecke ausgenutzt wurde und der gegen das Feuergewehr ge- richtete tiefe Widerwille des Kriegers, der bislang mit seiner Körper- kraft und seiner Gewandtheit für sich selbst wie ein Held einstand, durch die Macht der Thatsachen überwunden worden war. Die Entdeckung der explosiven Kraft des Pulvers hatte zunächst keine Bewunderer gefunden und die Kunde von ihr sich scheu in in die Gelehrtenstuben, in die Mönchszellen zurückgezogen, wo sie als Geheimnis der Alchimisten bis um die Mitte des 13. Jahrhunderts bewahrt blieb. Es ist bezeichnend, dass es kein abendländisches Volk war, dass das Schiesspulver in Europa zuerst für Kriegszwecke ver- wendete, sondern ein asiatisches: die Tartaren, deren Begriffe vom Heldentum wesentlich anders als die abendländischen geartet waren. Im Gefühl ihrer Schwäche sahen sie sich veranlasst, das Missverhältnis der Kräfte durch eine wesentliche Verstärkung der Waffenwirkung auszugleichen und gaben so, ohne es zu wollen, den Anstoss zu dem ungeheuren Umschwunge in der Kriegführung, der noch zur Stunde nicht an seinem Zielpunkte angelangt ist. Genau dieselbe widerwillige Empfindung hatte einst der Bogen und später die Armrust zu über- winden gehabt; auch sie stehen im Widerspruche mit dem Begriffe des persönlichen Heldentums, der bei dem Adel des Mittelalters geltenden Ritterlichkeit. Indes waren die Vorzüge der neuen Kampfmittel für den Schwachen, ebenso wie für den Eroberer zu verführerisch, als dass nicht allmählich die alten Grundsätze preisgegeben worden wären, wenn es galt, die Existenz zu retten oder einem feindlichen Nachbar den eigenen Willen aufzuzwingen. D. Die Fernwaffen. 4. Die Feuerwaffen. Man führt als eins der frühesten Beispiele der Anwendung von Geschützen den Krieg von Chioggia (1381) an. Nun kennen wir aber ein Senatsdekret von Venedig von 1324, also weit vor diesem Kriege datierend, mit welchem die Regierung den Gonfaloniere und die 12 Vertrauensmänner beauftragt, cannoni und „eiserne“ Kugeln zur Verteidigung der Stadt anfertigen zu lassen. Gelcich , G., Die Erzgiesser der Republik Ragusa. Mitt. der k. k. Zentr.- Kommission, 1890. Die technische Entwickelung der Feuerwaffe in ihren ersten Stadien ist bis jetzt noch nicht genügend festgestellt, doch deuten die kurzen Angaben der Chronisten darauf hin, dass die ersten Feuerwaffen als schwerfällige Maschinen auftraten, die den Bewegungen des Heeres im Kriege nur langsam und mit vielen Anstrengungen zu folgen vermochten, also als Positionswaffen anzusehen waren. Wir unterscheiden in der Waffenlehre zweierlei Kategorien von Feuerwaffen. Das Geschütz , welches auf dem Boden ruhend, von Menschen- oder Pferdekräften bewegt wird, und die Handfeuer- waffe , welche von einem Schützen allein getragen und bedient wird. Aus den Nachrichten der Chronisten ergibt sich, dass erst all- gemach mit der Entwickelung der Technik und Kriegskunst die Feuer- waffe beweglicher, handsamer, leichter gemacht wurde, bis man dahin gelangte, ihre Bewegung und Bedienung auch der Kraft eines ein- zelnen Kriegers zuzumuten. Dieser Weg wurde aber, als sich die Erfindung endlich Bahn gebrochen hatte, in verhältnismässig schneller Zeit zurückgelegt. Die erste Nachricht vom Gebrauche des Schiess- pulvers durch die Tartaren unter Babu Chan bei Liegnitz gegen die Polen und Schlesier fällt in das Jahr 1241; und schon um 1320 besass jede grössere Stadt Geschütze, um 1350 selbst gegossene. Um 1360 finden wir bereits „spannenlange“ Handbüchsen, ja 1380 selche von Bronze gegossen. Die ersten Geschütze waren aus Eisen, über den Dorn geschmiedet und bestanden aus mehreren Lagen. Die erste Lage bestand aus einer mässig dicken Eisenplatte, welche um den Dorn gebogen und zu einer Röhre verschweisst wurde; dann kam gewöhnlich darüber eine der Länge nach angeordnete Lage Lang- schienen, welche mittels einer Reihe von in glühendem Zustande darübergezogenen Ringen gehalten wurden. So schwerfällig die ersten Geschütze auch waren, so besassen sie doch nur eine mässige Grösse. Erst am Ende des 14. Jahrhunderts suchte man sich in der Ausdehnung der Rohre zu überbieten. Es ist eine noch ungelöste Frage, ob die ersten Geschütze schon für den direkten Schuss ge- dient haben; es klingt wahrscheinlicher, dass sie anfänglich nur für den Wurf eingerichtet waren. Das Geschossmaterial bestand in den ersten Zeiten aus natürlichen grossen Feldsteinen, später, um die Mitte des 14. Jahrhunderts, bediente man sich kugelförmig zugemeisselter Bruch- II. Die Angriffswaffen. steine, für kleinere Kaliber auch eiserner Kugeln, die natürlich nicht gegossen, sondern geschmiedet waren. Mit diesem Zeitpunkte erst beginnt eine wenn auch anfangs noch systemlose Bestimmung der Lichtendimension des Rohres, des Kalibers , üblich zu werden. (Fig. 511.) Obwohl die erste Nachricht von ihrer Verwendung aus dem Osten Europas zu uns dringt, nahm die Feuerwaffe dennoch ihren Weg über den Kontinent von Spanien aus, wo sie in bereits ent- wickelterer Form und allgemeiner bei den Mauren in Gebrauch war. Langsam verbreitete sie sich über Frankreich und England, wo die Traditionen der Ritterschaft noch zu lebhaft waren, aber rasch über Italien, das, bewohnt von einer Handel treibenden Nation, den Utilitätsprinzipien zugänglicher erschien. Fig . 511. Bombarde , sogenanntes Hauptstück, von Eisen, ge- nannt die „tolle Grete“, in Gent. 14. Jahrhundert. Nach Müller-Mothes, Archäol. Wörterbuch. Um 1360 erhält das grosse Geschütz eine bestimmte Bezeichnung. Bisher hatten die Feuergeschütze vielerlei willkürlich gewählte Namen, als Feuermaschinen u. dgl. In den Rechnungen von Valenciennes vom Jahre 1363 werden die Stadtgeschütze bombardes de la ville benannt. Unzweifelhaft stammt der Name aus Italien und hat seine Ableitung von dem griechischen Worte „bombos“ (βόμβος), was soviel als Brummer bedeutet. Den Namen Bombarden be- halten sie in Frankreich, Spanien, Italien und den Niederlanden bis ans Ende des 15. Jahrhunderts; nur in Deutschland ist von der ältesten Zeit an die Bezeichnung Büchse üblich, die mit verschie- denen Variationen selbst noch bis ins 17. Jahrhundert wenigstens als D. Fernwaffen. 4. Die Feuerwaffen. allgemeinen Begriff beibehalten wird. Kleinere Bombarden erscheinen in Frankreich unter dem Namen bombardelles , aber schon um 1300 auch als canons , ein Wort, das sich gewiss von canne, Rohr, ableitet und ursprünglich sich auf alle kleineren Kaliber bis zur Hand- feuerwaffe bezog. Für das schwere Wurfgeschütz, den Mörser , kommt am Ende des 15. Jahrhunderts die Bezeichnung mortier in Aufnahme. Der Name Artillerie erscheint in Burgund und Frankreich schon im 14. Jahrhundert für das Geschützwesen, gleichviel ob hierbei Wurfmaschinen oder Pulvergeschütze in Gebrauch kamen. Allgemeiner wird der Ausdruck erst im 15. Jahrhundert, nach Deutschland gelangt er verstümmelt in vermutlich unrichtiger Ableitung von arco, der Bogen. Bogen- und Armrustmacher erscheinen unter der Bezeichnung Fig . 512. Belagerungsgeschütz in Stellung, mit Blende. 14. Jahrhundert. Nach Froissard. Artilleurs (Künstler), so Jean l’Artilleur , der Bogenmacher in Brüssel 1400. Später wurde das gesamte Schiesswesen unter dem Begriffe Artillerie zusammengefasst, schliesslich aber dieser Begriff nur auf das Geschützwesen allein bezogen. Alle übrigen Bezeichnungen im Deutschen, wie Arkelei, Arcolei etc., beruhen auf schlechter Schreib- weise und Verkrüppelung dieses Wortes. Schon um 1305 geschieht der „Kanone von Metall“ in Italien Erwähnung, doch treten in Deutschland gegossene Geschütze von grösserem Kaliber in bedeutenderer Zahl erst am Ende des 14. Jahr- hunderts auf. Diese waren nicht gebohrt, d. h. das Rohr ging Boeheim , Waffenkunde. 28 II. Die Angriffswaffen. vollkommen fertig aus dem Gusse hervor. Mit Zunahme der Fertig- keit bemühte man sich, immer grössere Geschütze zu giessen; so ent- standen die grössten, „ Hauptstücke “ genannten Geschütze. Daneben aber wurden noch bis ans Ende des 15. Jahrhunderts Geschütze von geringerem Kaliber und grösserer Rohrlänge aus Eisen geschmiedet. Die den Hauptbüchsen in der Grösse zunächst stehenden Ge- schütze wurden Metzen , Scharfmetzen (scharpffmetzen) genannt. Der rohe Söldnerwitz personifizierte die plumpe Waffe und verglich sie mit einem weiblichen Wesen. Der Ideengang dabei ist spezifisch oberdeutsch. Die Bezeichnung selbst aber dürfte sich aus dem Ita- lienischen „mezza-bombarda“ herleiten. Wie uns die vorhandenen alten Feuerwerksbücher belehren, war im 14. Jahrhundert bereits das Streben nach Verbesserung des Ge- schützwesens in technisch-konstruktiver Beziehung, wie nach der pyrotechnischen Seite hin nicht geringer als heutzutage inmitten des Zeitalters der Erfindungen. Von allem Anfange an jagte ein Projekt das andere, suchte der eine Büchsenmeister den anderen zu über- Fig . 513. Viertelbüchse in Lade und Bank. 15. Jahrhundert. Nach Dolleczek, Geschichte der österr. Artillerie. bieten. Dadurch entstanden in den verschiedenen Ländern die mannigfachsten und auch sonderbarsten Geschützformen, so dass es schwierig wird, in das Chaos ein System zu bringen, um so mehr, als diese unter zahllosen Namen auftauchen. Die Bombarde oder „pumhart“, wie sie zuerst in deutschen Ländern genannt wurde, entbehrte anfänglich jeglicher Lafettierung. Sie wurde einfach auf schwere Kanthölzer gelagert, nach Möglichkeit ge- richtet und nach langwierigem Laden abgefeuert. Dabei stellte sich der bedeutende Übelstand des Rückstosses heraus, der meist das Rohr gänzlich aus seinem Lager warf. Man suchte ihn zwar durch rück- wärts in die Erde gegrabene starke Balken zu beheben, aber das ge- lang nur in geringem Masse, da, wie auch die Nürnberger Chronik berichtet, diese Balken (Preller) alle 3 bis 4 Tage erneuert werden D. Die Fernwaffen. 4. Die Feuerwaffen. mussten. Einzelne Büchsenmeister versenkten das Rohr darum bis zur Hälfte des Querschnittes in die Erde. Bei Belagerungen wurde das Rohr den Augen des Feindes durch eine Bretterwand (Schirm) entzogen, die erst beim Schusse aufgezogen wurde. (Fig. 512.) Erst im Anfange des 15. Jahrhunderts wird das Rohr in einem ausgehöhlten Balken (Lade) gelagert, der rückwärts einen schräg nach abwärts gerichteten Fort- satz besass, um den Rückstoss nach abwärts zu lenken. Vorne war der Balken auf einen niederen Bock (Bank) gelagert. Das war der erste Schritt zur Bildung der Lafette mit dem schief nach abwärts gerichtetem Protz- stocke, der mit seinem rückwärtigen Ende auf dem Boden ruht (Fig. 513). Im 17. Jahrhundert waren die Rohre noch sehr niedrig gelagert und die Protz- stöcke hatten bei geringem Lafettenwinkel eine grosse Länge. Nach ihrer Konstruktion unterscheidet man Wandlafetten von Blocklafetten . Erstere bestehen aus zwei parallelen Wänden, welche durch Riegel ver- bunden sind; letztere aus einem keilförmig, rückwärts verlaufenden Holzklotze. Die Wandlafette entstand aus der sogenannten Gabellafette; sie wird bereits von Martin Merz um 1490 angewendet und ist speziell in Deutschland in Gebrauch gestanden, während in Frankreich und Italien vorzugsweise die Blocklafette zur Anwendung gelangte. Auf den Galeeren ruhte das gröbere Geschütz in Laden, die auf vier Blockrädern sich bewegten. Hier wurde der Rückstoss durch die Hemmseile gemildert, die an den Ringen der Bord- wände befestigt waren. Kleinere Rohre ruhten in Gabeln, sogenannten „Drehbassen“. Für die Lafettierung der Marine war in den meisten Staaten das venetianische System massgebend. Die ersten Geschütze bestanden, wie erwähnt, aus Schmiedeeisen, aber schon in der 1. Hälfte des 14. Jahr- hunderts begann man sie aus Bronze zu giessen. 1346 fertigte der Zinngiesser Peter von Brügge zu Turnay ein kleines Bronzegeschütz für zweipfündige Bleikugeln, 1370 (1372?) Peter von Aarau zu Augsburg 20 Bronzegeschütze. In Venedig wurde der Geschütz- guss 1376 durch einen Deutschen eingeführt. Die dortige Giesserei war lange Zeit die einzige in Italien. Gelcich l. c. Der Wurf oder das Schleudern von Steinhagel Fig. 514. Lot- büchse (Schiffs- schlange) aus ge- schmiedetem Eisen, 15. Jahrh. K. u. k. Heeres- museum in Wien. 28* II. Die Angriffswaffen. erschien bald zu unsicher und effektarm; man suchte die Bombarde kleiner herzu stellen, um weniger Steine, aber mit mehr Sicherheit zu werfen; dadurch entstand die Haufnitz , ein handsames Geschütz, das noch in den Burgunderkriegen mit Vorteil verwendet wurde. Der Name deutet auf slavischen Ursprung; es ist damit die erneut wieder auftretende Behauptung, dass die ersten Haufnitzen im Heere der Hussiten ange- wendet wurden, von vieler Wahrscheinlichkeit begleitet. Thatsächlich stammt der Ruhm Böhmens, die geschicktesten Artilleristen zu besitzen, aus den Hussiten- kriegen her. Eine wünschenswerte Trefffähigkeit wurde aber erst erreicht, als man anfing, Stein- oder Eisenkugeln aus Rohren zu schiessen, welche in der Rohrwandung einen nur geringen Spielraum fanden. Hand in Hand mit dieser Verbesserung ging das Bestreben, die Rohre zu verlängern in dem Glauben, dass die Tragweite mit deren Verlängerung zunehme. Damit tritt eine neue Geschützgattung auf, die sogenannte Schlange , in Frankreich couleuvrine, in Italien serpentina, in Spanien culebrina genannt. Sie erschien schon um 1400; aus der kleineren Art wurden auch Bleikugeln geschossen. (Fig. 514.) Waren die Bombarden als das schwere Geschütz zu betrachten, so bildeten die Schlangen in verschiedenen Grössen das leichte Feldgeschütz; mit ihnen gelangte der direkte Schuss zur Geltung, man fand sie sehr brauchbar und erzeugte sie darum auch in so kleinen Dimensionen, dass sie von einem Manne getragen und bedient werden konnten. Diese Art nannte man Handschlangen , und sie sind im Hinblicke auf ihren allgemeinen Gebrauch als die ersten Handfeuerwaffen des Fussvolkes zu betrachten. Schon um 1420 treffen wir die Schlange als kleines Feldgeschütz, als Hinterlader mit einer einzulegenden Ladekammer, welche rückwärts verkeilt wurde. Die Schlangen sind zumeist aus Eisen und mit aufgezogenen Ringen verstärkt, nur kleine Handschlangen wurden im 15. Jahrhun- dert in Bronze gegossen. Erst am Ende des 15. Jahrhunderts er- scheinen gegossene Schlangengeschütze; die schönsten stammen aus Venedig. Aus dem italienischen Serpentinelle entstand im 16. Jahrhundert in den deutschen Heeren das Wort Scharfentindl, was gleichfalls kleine Schlange, eine sogenannte Viertelschlange, bezeichnet. Zum Angriffe auf feste Plätze erwiesen sich auch die Bombarden und Hauptbüchsen zu schwach, der Steinhagel erwies sich als zer- streut und darum wenig wirksam. Man suchte die Triebkraft zu ver- grössern und die Steinladung zu vermehren. Aus diesem Streben ent- stand der Mörser mit weitem Flug und kleiner angeschmiedeter Kammer . Der älteste und grösste dieser Gattung, der grosse „pum- hart“ von Steyr von etwa 1380, befindet sich im k. u. k. Heeres- museum zu Wien. (Fig. 515.) Aus dieser übersichtlichen Darstellung ist zu ersehen, dass D. Die Fernwaffen. 4. Die Feuerwaffen. um 1450 bereits die Elemente für ein geordnetes Geschützsystem vorhanden waren, wie sie sich aus der Praxis von selbst ergaben. Eine Regelung des Geschützwesens erfolgte erst am Beginne des 16. Jahrhunderts, sie nahm ihre Wege gleichzeitig von Deutschland und von Italien aus. Die ältesten Feuerwerksbücher, die zahlreich unter den alten Büchsenmeistern in Abschriften verbreitet waren, beschäftigen sich gelegentlich mit Vorrichtungen, eine grössere Feuergeschwindigkeit zu erzielen. Viele der vorgeschlagenen Mittel sind unausführbare Projekte, wie das Ellenbogengeschütz u. a. Doch findet man auch zahlreiche anwendbare Konstruktionen, die auch gewiss praktisch verwertet wurden; dazu sind die auf drehbaren Scheiben ruhenden kurzen Rohre, die zwei- und dreifachen Rohre, die auf vertikalen Rädern angeordneten Pöller u. a. zu zählen. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts treten die Orgelgeschütze auf, die noch unter Kaiser Maximilian I. in den Fig . 515. Der grosse Steinmörser von geschmiedetem Eisen mit 88.2 cm. Durchmesser, bekannt unter dem Namen: „Der grosse Pumhart von Steyr“. Um 1350. K. u. k. Heeresmuseum in Wien. Nach Dolleczek. Zeughäusern vorrätig sind. Ein solches Orgelgeschütz (Totenorgel) besitzt 40 Rohre, die auf einem zweiräderigen Karren bewegt werden. (Fig. 516.) Später ist die Zahl und Anordnung der Rohre bei gleichem System verschieden, sie sind entweder in der Reihe oder in Bündeln gruppiert. Die Abfeuerung geschieht entweder mit gemeinsamer Zünd- pfanne oder mittelst der Lunte einzeln. Ihre Verwendung war immer eine beschränkte und wurde im 15. Jahrhundert ganz richtig be- urteilt. In einem Kodex von 1488 heisst es: „und man sol sy prau- chen vnter die thor und wo der feyndt zum sturm liefen mag, auch II. Die Angriffswaffen. in der wagenburg seindt sy nutz“. — Das System der „Orgel“, so verführerisch für alle Projektenmacher, hat auch durch vier Jahrhun- derte ununterbrochen in verschiedenen Formen bis zur Mitrailleuse herab seinen Weg gemacht — es kann nicht leben und nicht sterben. Die Lafettierung (système d’affût) war bis ans Ende des 15. Jahr- hunderts kompliziert und ungemein schwerfällig. Die Rohre ruhten, wie bereits bemerkt, zur Hälfte ihrer Stärke in ausgehöhlten Balken, sogenannten Laden (chantiers), welche, auf den Achsen schwerer Räder liegend, eine nur geringe Elevation gestatteten. An der Haufnitz, einem kurzen Wurfgeschütze, war die Lade schon etwas beweglicher einge- richtet. Der Umstand, dass das Rohr beim Schusse aus seiner Lage Fig . 516. Vierzigläufiges Hagelstück . 15. Jahrhundert. Aus den Zeugbüchern Maximilians I. von 1514. in der Lade gestossen wurde, führte um 1450 zu der Beigabe von vier sogenannten Schildzapfen , welche in die Lade eingelassen wurden und so eine Bewegung des Rohres verhinderten. Die grösste Zahl der älteren Hauptbüchsen Kaiser Maximilians ist noch mit solchen (doppelten) Schildzapfen versehen. (Fig. 517.) Ausser den hölzernen Lafetten finden sich im Verlaufe des ganzen 15. Jahrhunderts in der Marine wie in Landpositionen kleinere Schlangen meist mit Hinter- ladung, welche auf eisernen drehbaren Gabeln, sogenannten Dreh- bassen , ruhen. Erst um 1490 stossen wir auf Geschütze mit einfachen D. Die Fernwaffen. 4. Die Feuerwaffen. Schildzapfen, die ungefähr in der Mitte des Rohres stehen und eine Welle bilden, um welche bewegt das Rohr auf die einfachste Art eleviert werden konnte. Diese an sich einfache Einrichtung kann zu den wichtigsten Verbesserungen im Artilleriewesen gezählt werden. Die Erfindung der einfachen Schildzapfen soll unter Karl VIII. von Frankreich im Lager von Pont d’arche gemacht worden sein. Der grösste Übelstand im Geschützwesen bestand noch am Ende des 15. Jahrhunderts in der ganz systemlosen Vielgestaltigkeit der Rohre, die nicht nur eine Beurteilung der Leistung verhinderte, son- dern auch grosse Schwierigkeit für den Munitionsersatz herbeiführte. In Italien, namentlich in Venedig und Genua, auch in Frankreich suchte man diesem Übelstande abzuhelfen, der Erfolg blieb aber hinter den Erwartungen zurück. Später nahm Kaiser Maximilian (um 1498) eine eingreifende Reorganisation seines Geschützwesens vor; sein System, dessen Durchbildung von dem Hauszeugmeister Bartolo- meus Freysleben herrührt, ist in seinen von uns öfter erwähnten Zeugbüchern niedergelegt. So scharfsinnig es auch erschien, so Fig . 517. Hauptbüchse in Bronze gegossen und mit doppeltem Schildzapfen ausgestattet, genannt „die wohlgestimbt Lauerpfeiff“. Nach einem Modell in der Waffensammlung des k. Hauses zu Wien. 15. Jahr- hundert. Innsbrucker Giessstätte. wurde es doch durch die am Beginne des 16. Jahrhunderts herein- brechende gänzliche Umgestaltung des gesamten Kriegswesens und der Kriegführung rasch überholt. Nach den Zeugbüchern zählte man in den Zeughäusern des Kaisers Maximilian folgende Geschütz- gattungen: Hauptstücke (Bombarden, von welchen viele aus anderen Ländern stammten und erobert waren), Scharfmetzen (Fig. 518), Basilisken, Vierteilbüchsen, Singerinen, grosse Schlangen , (Fig. 519.) Feld- oder Mittelschlangen, Haufnitzen, Falkonet- lein (Fig. 520.) (kleines Geschütz, welches von einem Pferde in der Gabel geführt wurde), Kammerschlangen (Hinterlader auf Dreh- basse), endlich eine kleinere Geschützgattung, welche Dorndrell (tornarello) und auch Terrasbüchse (von dem spanischen terasca, teraxa, Schlange) genannt wird. Unter den Mörsern, welche ver- schiedenartige Grössen und Formen besassen, werden Haupt- (Fig. 521) II. Die Angriffswaffen. und kleine Mörser (Lerchlein) mit sternförmiger Bohrung (um das Auflodern der aus ihn geworfenen Feuerwerkskörper zu befördern). Kalibermasse sind nicht angegeben, sie lassen sich aus den Aquarellen nur ungefähr schätzen. Unter Kaiser Maximilian begann man auch die Geschütze zu bohren, aber das war anfänglich noch eine mühsame und unverläss- liche Arbeit mittels schwerer Handbohrer, die im „Gangspill“ bei ungenauer Führung liefen. Man verbesserte daran im 16. Jahrhundert vieles, doch wurden nach wie vor viele Geschütze mit der Seele ge- gossen. Erst am Beginne des 18. Jahrhunderts erfand J. Maritz in Bern die Kanonendrehmühle, eine mechanische Einrichtung, die eine genau zentrale Bohrung lieferte. Unter Kaiser Karl V. bildete sich zuerst ein bestimmtes und brauchbares Geschützsystem, das Kaliber- system, aus, das mit geringen Abweichungen auch von Frankreich und von den bedeutenderen italienischen Staaten angenommen wurde. Fig . 518. Scharfmetze in Blocklafette. 15. Jahrhundert. Aus den Zeugbüchern Maximilians I. Zeug: Österr. Land. Der Erfinder des Kalibersystems, das auf dem Verhältnisse des Boh- rungs - Durchmessers zum Steingewicht der Kugel beruhte, war der Vikar der St. Sebaldskirche zu Nürnberg Georg Hartmann (1489 bis 1564), der Schöpfer des darauf fussenden Geschützsystems aber der geniale Stuckgiesser Gregor Löffler . Auch dieses neuere System behielt die Bezeichnungen der Geschütze im allgemeinen (nach den sogenannten drei Geschlechtern: Kanonen, Schlangen und Falken) bei, es regelte nur die Gewichtsverhältnisse. Der Park Karls V. be- stand aus 40- und 12pfündigen Kanonen , 24-, 12- und 6 pfündigen Schlangen und 6 ½- und 3 pfündigen Falken . Das Kugelgewicht war auf Stein berechnet und wurde auch dann beibehalten, als um 1520 bereits allenthalben eiserne Kugeln, anfänglich geschmiedet, D. Die Fernwaffen. 4. Die Feuerwaffen. später gegossen zur Verwendung gelangten. Das heisst, jede eiserne Kugel wird mit jenem Gewichte benannt, welches eine gleich grosse, steinerne Kugel wiegt. Man nennt das Nürnberger- oder Stein- gewicht, es war in Deutschland noch bis c 1860 in Anwendung. Die 40pfündigen Ka- nonen wurden gemeinlich Kartaunen benannt, eine Bezeichnung, die sich von dem italienischen Quartana — richtiger Quarantana — herschreibt. Ebenso wurden die Schlangen als „ganze“, „halbe“ und „Viertelschlangen“, letztere auch als Scharfetindlein bezeichnet. Die kleine Falkengattung benannte man Falkonete . Die italienischen Artillerien besassen noch 1480 einen ungemein vielgestaltigen Geschützpark, darunter folgende Gattungen: die Bom- barde zu 300, den Mortier (Mörser) zu 2—300, die Co- muna zu 50, die Cortana zu 60—100, die Passa volante zu 16 Eiserne, mit Blei umgossene Kugeln. , den Basilisk zu 20, Kugeln von Bronze oder Eisen. die Cerbatana zu 2—3, endlich die Espingarde zu 10—15 Stein. Pfund nach dem Gewicht des Materiales. In Frankreich wurde das System um 1550 auf das äusserste vereinfacht. Der Feldpark bestand damals aus Canons zu 33, Grande couleuvrines zu 15, Couleuvrines batardes zu 7, Cou- Fig . 519. Grosse Schlange in sogenannter Burgunderlafette. 15. Jahrhundert. Aus den Zeugbüchern Maximilians I. leuvrines moyennes zu 2, Faucons zu 1 Pfund und Fauconneaus zu 14 Unzen Steingewicht. Man sieht, das französische System näherte sich am meisten dem deutschen, nur war im allgemeinen das Kaliber weit leichter, seitdem um 1540 die Basilisken zu 66 franz. Pfunden und die schweren Serpentines ausgeschieden wurden. Dazwischen gab es aber noch immer eine ungeheuere Menge II. Die Angriffswaffen. von Geschützarten namentlich in Frankreich und Italien; wie in der Marine die Cardinales, Berches . In den Landheeren die Cour- tans, Boites, Veugliaires, Crapaudeaus, Flageollets, Cerba- tanas (aus dem Spanischen: Blasrohr), Emerillons, Mouches und hundert andere Arten, denen oft nur der Soldatenwitz einen Namen verlieh. Eigentümlich ist der vom 14. Jahrhundert sich herschreibende Gebrauch, die Geschütze mit Namen zu benennen. In Deutschland zuerst wahrnehmbar, erklärt er sich aus der urgermanischen Neigung der Krieger, die Waffe zu personifizieren und als lebendiges Wesen aufzufassen. So finden wir deutschen Geschützen des 15. und 16. Jahr- hunderts die sonderbarsten Namen beigelegt, wie der Purlepaus, der Schnurrhindurch, die Lauerpfeiff, die Buhlerin, der gestreifte Löw u. dgl. Nicht selten treten auch unflätige Namen zu Tage. Diese Benennungen verschwinden in Deutschland erst um 1710. In Frankreich war eine Namenverleihung bei Geschützen nicht immer Fig . 520. Falkonetlein in sogenannter Gabellafette. 15. Jahr- hundert. Aus den Zeugbüchern Maximilians I. Zeug Österr. Land. in Gebrauch. Unter Ludwig XII. findet sich ausnahmslos nur das Stachelschwein (porc-épic, das Sinnbild des Königs), unter Franz I. der Salamander u. s. w. Die spätere französische Artillerie hatte zwar auch Benennungen für Geschütze, wie l’invincible, le monstrueux, l’aigle, le dragon u. dgl., diese hatten aber weniger eine allegorische Bedeutung, als vielmehr einen praktischen Zweck. In Italien, wo sich vom 14. Jahrhundert an meist von der Mythologie hergenommene Namen für Geschütze finden, steht dieser Brauch mit dem Geiste der Zeit, der alles zu antikisieren suchte, im Zusammenhange. Das Pulver wurde anfänglich in Mehlform hergestellt, wie sie sich aus dem Gemenge der pulverisierten Substanzen ergab. Erst um die Mitte des 15. Jahrhunderts begann man es zu körnen und, wie aus D. Die Fernwaffen. 4. Die Feuerwaffen. urkundlichen Mitteilungen hervorgeht, einen Unterschied zwischen Stuck- (Geschütz-) und Büchsen- (Gewehr-)pulver zu machen. Die Ab- feuerung wurde anfänglich mittelst eines glühenden Kohlenstückes be- wirkt, welches auf die schalenförmige Aushöhlung am Zündloche (Pfanne) gelegt wurde. Später füllte man die Zündlochschale mit Pulver und entzündete dieses mittelst Eisenstangen, welche an einem Ende glühend gemacht wurden. Erst am Ende des 14. Jahrhunderts kam der Feuerschwamm (Polyporus fomentarius und Polyporus igniarius) auch Moder verschiedener Holzarten, wie z. B. der Buche für diesen Zweck in Gebrauch; der Name „Schwamm“ erhielt sich, auf die Strick- Fig . 521. Hängender Hauptmörser von Bronze. 15. Jahr- hundert. Aus den Zeugbüchern Maximilians I. lunte angewendet, noch bis ins 16. Jahrhundert herein. Etwa um 1420 wurde die sogenannte Lunte (mèche) erfunden, die aus einem fingerdicken Hanfstricke bestand, welcher mit Bleizucker gebeizt wurde und damit die Fähigkeit erhielt, wenn angezündet, fortzuglimmen. Die Mörser (mortier), anfänglich von bedeutender Grösse und für das Werfen von Lagen grosser Feldsteine berechnet, werden im Verlaufe des 15. Jahrhunderts merklich kleiner. Die Kammer, zur Aufnahme II. Die Angriffswaffen. der Pulverladung anfänglich zu klein, kam nun zum vorderen Teile (Flug) in ein besseres Verhältnis. Man bediente sich ihrer zum Werfen von Steinkugeln, aber auch von Kugeln aus Lehm, welche mit Brand- und Sprengsatz gefüllt und gitterartig mit Eisendraht umstrickt waren. Zum Werfen von Feuerwerkskörpern bediente man sich am Anfange des 16. Jahrhunderts kleinerer Mörser (Lerchlein), die sternförmig gebohrt waren. Das hatte den Zweck, dem im Rohre angezün- deten Körper Luft zuzuführen, damit der Brandsatz nicht verlösche. Im niederländischen Kriege des 16. Jahrhunderts erscheinen zuerst die kleinen Mörser für 7 pfündige Hohlkugeln; sie bewährten sich vor- züglich ihrer Handsamkeit wegen im Laufgraben. Später erscheinen sie unter der Bezeichnung Coehornscher Mörser, weil dieser nieder- ländische General sie seit 1688 vielfach anwendete. Vom 14. Jahrhundert an kommen uns Berichte zu von der Anwendung lederner Geschütze. Diese Neuerung beruhte vermutlich auf der Elastizität des Materiales und dessen geringem Gewicht. Der kleine lederne Mörser im Arsenal zu Venedig soll 1379 und 1380 unter Vittorio Pisani und Carlo Zeno (?) vor Chioggia gebraucht worden sein. Eine kleine Lederkanone aus dem 16. Jahrhundert mit dem Wappen der Medici wird in der Sammlung Modena in Wien bewahrt. Bekannt ist, dass die aufrührerischen Salzburger ihren Landesherrn, den Erzbischof Matthäus Lang, 1525 mit aus dickem Leder gefertigten Kanonen auf dessen Feste Hohensalzburg belagerten. In der schwedischen Armee wurden Lederkanonen 1626 durch den englischen Baronet Robert Scot eingeführt, der mit 200 Mann in Gustav Adolfs Dienste getreten war. Sie wurden aber, da sie sich in der Schlacht bei Leipzig schlecht bewährten, 1631 wieder ab- geschafft. Die jüngste Lederkanone befindet sich im k. k. Heeres- museum zu Wien. Sie soll 1702 als Geschenk der Stadt Augsburg an König Josef I. gekommen sein. Sie ist ihrer Konstruktion nach nur ein Schaustück. Zum Schlusse sei noch einer artilleristischen Sprengmaschine, der Petarde , gedacht; auch sie entstand im 16. Jahrhundert und zwar in den Niederlanden. Ihr Zweck ist, Festungsthore, Palisaden- wände und andere Abschlüsse aufzusprengen. Sie besteht aus einem in Metall gegossenen Kessel, der mit seiner Mündung auf eine quadratförmige Bohle (Madrillbrett) aufgeschraubt ist. Die Entzündungs- vorrichtung befindet sich am Boden des Kessels. Die Petarde wurde vor dem Gebrauche mit einem eigens gemischten (hartreissenden) Pulver geladen. Der Petardier hatte zwei Gehilfen, welche die Petarde trugen, er näherte sich dem zu sprengenden Thore und schlug oder schraubte einen schweren Haken an einen der Flügel. Auf diesen wurde die Petarde, an deren Madrillbrett sich zu dem Ende ein Ring befand, gehängt und unverweilt angezündet wurde. Die Petarde wurde bereits 1579 von den Hugenotten bei St. Emilion verwendet, D. Die Fernwaffen. 4. Die Feuerwaffen. eine der ruhmvollsten Verwendungen fand sie bei der Einnahme von Raab 1598. Die Handfeuerwaffe wird schon 1364 erwähnt. Die Stadt Perugia liess 500 spannenlange Büchsen anfertigen, die man in der Hand führen konnte und deren Geschosse jeden Harnisch (Lentner) durchdrangen. Hoyer, Geschichte der Kriegskunst. 1381 stellte der Rat zu Augsburg zum Kriege gegen den fränkischen und schwäbischen Adel 30 Büchsen- schützen . 1388 zählte auch die Stadt Nürnberg bereits 48 Schützen, welche die Handbüchse gut handzuhaben vermochten, und 1399 wurden bei der Belagerung des Schlosses Tannenberg in Hessen Faust- büchsen verwendet. Die ersten vom Fussvolke benutzten Feuerrohre bildeten einen Übergang vom Geschütz zum Handgewehre. Sie wurden von zwei Männern bedient und ihrer Schwere wegen auf leichten Rädergestellen Fig . 522. Scopitus , nach Paulus Sanctius (Bibl. Richelieu). 1460. Aus Gay, Glossaire archéologique. geführt. An ihnen findet sich schon die erste Spur einer Schäftung insofern, als das Rohr an einer langen Stange befestigt war. An dieser Stange hielt der eine Mann das Rohr in der Richtung, während der andere abfeuerte. So wenig die ersten Handbüchsen im Gefechte leisteten, so un- sicher ihr Schuss war, so mochte man sich ihrer doch nicht entäussern, in der Hoffnung, sie allgemach zu verbessern. Diese Hoffnung be- währte sich auch, denn im Verlaufe des 15. Jahrhunderts jagte eine sinnreiche Verbesserung die andere. Fig . 523. Gemeine Hakenbüchse mit gebohrtem Bronzelauf und Zündpfanne. Das Schloss, inkomplett, war ursprünglich ein Lunten- schnapphahnschloss. Die Entladung erfolgt vom Drücker g, wodurch der Stift e zurücktritt und den Schnapphahn frei macht. Gesamtlänge 160 cm. Deutsch. Das Rohr trägt die Nürnberger Marke. Um 1520. Fig . 524. Standbüchse mit 123 cm. langem Messinglaufe und Visierrohr. Der Schaft ist zum Anlegen an die Schulter rückwärts horn- artig gebildet. An der Stelle der Pfanne ist ein Feuerschirm aus Leder angebracht. Italienisch. um 1515. D. Die Fernwaffen. 4. Die Feuerwaffen. Um 1460 führte der italienische leichte Reiter, später auch der französische ein spannelanges Rohr (scopitus), welches rückwärts in eine Stange auslief, die mit einem Ringe endete. Der Reiter trug diese Hand- oder Knallbüchse an einem Riemen um den Hals und legte sie zum Schusse auf eine Gabel auf, welche an dem vorderen Sattelbogen befestigt war. Diese Scopiti (davon das spätere Wort Escopette für kurze Reitergewehre) blieben in Frankreich mit allerlei Verbesserungen sehr lange in Verwendung, und aus ihnen ist das spätere Faustrohr entstanden. Von dem Gebrauche, sie an die Harnisch- brust anzusetzen, erhielten sie die Bezeichnung petrinal (von poitrine). Diese kleinen Reiterbüchsen wurden mit der Lunte abgefeuert (Fig. 522). Ein grosser Übelstand bei den ersten Feuerrohren war ungemein starker Rückprall; man versuchte daher diesen auf einen anderen festen Gegenstand zu übertragen und versah zu diesem Zwecke das Rohr an seiner Mündung unterhalb mit einem starken Ansatze (Haken), der beim Schusse an eine Mauer oder einen Pflock angelegt wurde. Von diesem Haken stammt ohne Zweifel die spätere Bezeichnung Hakenbüchse. Und nicht von dem hakenförmigen Hahn am Luntenschlosse, denn die Bezeichnung „arcubusari“ kommt schon weit vor Erfindung des Luntenschlosses, 1417, in den Komentarien des Fr. Carpezani, vor. Vergl. Gay, Glossaire, pag. 73. Einen Gegenstand emsiger Sorge bildete die zur Handhabung des Rohres unentbehrliche Schäftung . Die ersten Feuerrohre besassen keinen Holz- schaft, sondern endeten rückwärts in einem stangenartigen Fortsatz (Schwanz). Später wurde an das Bodenstück ein spitzer Dorn an- geschweisst, welcher in ein längliches, prismatisches Holzstück (Kolben) eingelassen wurde. Erst gegen 1470 erhält das Rohr einen (ganzen) Schaft, in dessen Rinne es eingelagert erscheint. Bei diesen ersten ganzen Schäften waren der Kolben gerade gestaltet und das Rohr in der ausgehöhlten Rinne mit Stiften befestigt. Diese älteste Form ist das Vorbild des späteren deutschen Schaftes (Fig. 523). In Italien und Frankreich finden sich mannigfache andere Formen, namentlich in der Partie am Kolben; da erscheinen ringförmige Kolben, solche, welche hakenähnlich enden, um die Schulter daran zu stem- men (Fig. 524), endlich auch nach abwärts abgebogene. Alle diese Änderungen führen später zu bestimmten nationalen Schaftformen, die wir später erwähnen werden. Bei der primitiven Abfeuerungsart aus freier Hand (Fig. 525) war ein Zielen nur sehr schwer möglich, da das Auge dem Schwamm oder der Lunte folgen musste; man sann demnach auf ein Mittel, die Zündung auf mechanischem Wege zu bewirken. Aus diesem Streben entwickeln sich bald nach 1420 die ersten Anfänge des Lunten- schlosses. Das älteste bestand aus einem zweiarmigen Hebel, an dessen vorderem Ende der Feuerschwamm in eine Spalte eingezwängt wurde. Ein Druck auf den unteren Hebelarm mit einem Finger II. Die Angriffswaffen. veranlasste das Senken des oberen, wobei der Schwamm auf die Pfanne fiel. In den Zeugbüchern Maximilians I. findet sich und zwar im Teile von Osterwitz in Krain der Schwamm und die Art und Weise abgebildet, wie er mit dem Messer geschnitten wird. Es findet sich aber auf anderen Abbildungen auch die Stricklunte als Zündungsmittel verwendet. Das hatte noch seine grossen Übelstände, da beim Abfeuern der Schwamm oder die Lunte durch das abbrennende Zünd- kraut häufig ausgeblasen wurde. Man verband nun den Hebel mit einer Druckfeder, Stangenfeder , wodurch der Hebel, Hahn, Luntenhahn (fr. chien, ital. cane, span. gatillo) nach der Entzündung des Krautes wieder in seine vorige Lage zurückgeschoben wurde. Das war das erste Schwammschloss oder „Schwammengelass“, wie es im 15. Jahrhundert benannt wurde. (Fig. 526.) Um 1530 tritt an diesem Schlossmecha- nismus eine neue wichtige Verbesserung auf durch den Verschluss der Pfanne mit einem drehbaren Schuber, dem Pfannendeckel . (Fig. 527, 528.) Zwischen 1480 und 1500 entwickelt sich das Luntenschloss in der Weise weiter, dass nun der Hahn mit einer Fig . 525. Rohrschütze , sein Feuerrohr mit einer Lunte ab- schiessend. Nach einer Handschrift der Univ.-Bibliothek zu Göttingen von 1405. zweiten gegenwirkenden Feder ( Schlagfeder ) ausgestattet wird. Nach Auslösen der Stangenfeder klappte nun der Hahn mit einem Schlage auf die Pfanne. Derlei Schlösser, die übrigens nicht allge- gemein in Aufnahme kamen und auch im 17. Jahrhundert nahezu ganz verschwanden, nannte man Schnapphähne (Fig. 529), und von diesen übertrug sich der Name auf das marodierende, allweg raubende Gesindel, auf abgedankte Kriegsknechte in der 2. Hälfte des 16. Jahr- D. Die Fernwaffen. 4. Die Feuerwaffen. hunderts, die mit ihren Waffen im Lande herumzogen. In der neueren Waffenwissenschaft nennt man sie, zum Unterschiede von den späteren spanischen und niederländischen Schnapphahnschlössern, Luntenschnapphahnschlösser . Fig . 526. Handbüchse mit Schwammschloss. Dabei der eisen- beschlagene hölzerne Ladestock und etliche Stücke zugeschnittenen Holzschwammes. Um 1500. Aus den Zeugbüchern Maximilians I. Fig . 527. Luntenschloss mit Abzugstange und Pfannendeckel. Italienisch. Um 1530. Boeheim , Waffenkunde. 29 II. Die Angriffswaffen. Am Beginne des 16. Jahrhunderts, nach allgemeiner Annahme 1515, erscheint das Radschloss . Die Angaben der Schriftsteller über den Erfinder desselben sind sehr zweifelhaft. Das System im Fig . 528. Handbüchse . Der Bronzelauf besitzt ein Absehen, der deutsche Schaft besteht aus Lindenholz, der leider verstümmelte Luntenhahn wird durch einen Druck des Daumens auf eine Feder be- wegt. Deutsch um 1510. Fig . 529. Luntenschnapphahnschloss mit Züngelabzug. Die Auslösung geschieht vom Schwanz des Hahnes durch Zurücktreten eines Stiftes. Italienisch. Um 1500. D. Die Fernwaffen. 4. Die Feuerwaffen. allgemeinen ist aller Wahrscheinlichkeit nach in Nürnberg erdacht. Wir werden aber später sehen, dass seine konstruktiven Anfänge schon in früherer Zeit vorhanden waren. Sicher hat das Radschloss seine Fig . 530. Deutsches Radschloss mit durchbrochener Rad- decke; die Hahnfeder läuft um das Rad. Die Pfanne ist durch den Druck auf eine Feder zu öffnen. Das Schloss besitzt eine Züngelsperre, die durch die Schlossplatte greift. 16. Jahrhundert, 1. Hälfte. Fig . 531. Deutsches Radschloss mit ungedecktem Rade und auf die geöffnete Pfanne niedergedrücktem Hahne. 16. Jahrhundert, Ende. Entstehung durch eine fortschreitende praktische Verwertung des uralten Feuerstahles gefunden. Das Steinfeuerzeug, Stahl, Feuereisen, Schlageisen, bildet ein Symbol des 1429 gestifteten Vliesordens. In seiner vollen Ausbildung besteht es 29* II. Die Angriffswaffen. aus einem flachen, am Rande nach der Richtung der Peripherie mehrmals eingekerbten Rade, welches mittels einer Welle an der Schlossplatte befestigt ist und mit dem Rande oberhalb in die Pfanne eingreift. Mittels eines Schlüssels wird der Mechanismus des Rades derart gespannt, dass das Rad um drei Viertel seiner Peripherie auf- gezogen ist. Beim Abfeuern wird der Hahn, in dessem oberen Teile ein Stück Schwefelkies (pyrit) geschraubt ist, derart auf die Pfanne niedergedrückt, dass der Kies auf dem Rande des Rades aufsitzt. Infolge des Auslösens der Spannung durch das Züngel rotiert das Rad wieder rasch zurück, wobei die durch die Reibung an dem Kies ent- stehenden Funken das Zündkraut entzünden (Fig. 530 und 531). In den ersten Stadien der Aufnahme des Reibungsprinzipes zur Zündung ist das Rad noch nicht im Mechanismus vertreten, die Reibung wurde Fig . 532. Spanisches Schnapphahnschloss von Francisco Lopez in Madrid. 18. Jahrhundert, Anfang. anfänglich durch eine kleine, rauh gefeilte Stange erzeugt, welche zu- erst mit der Hand geschoben, später mittels Federkraft bewegt wurde. Noch im 17. Jahrhundert kommen die Büchsenmacher in ihren Kon- struktionen hier und da vom Wellen- auf das Stangensystem wieder zurück. So sinnreich das Radschloss erscheint, für den Gebrauch im Kriege war es seiner vielen Mängel wegen nur bedingungsweise von Vorteil. Seine Mängel bestanden vor allem darin, dass der Mechanismus zu kompliziert war, das Rad durch den Pulverrückstand leicht ver- schmandete und das Gewehr versagte. Bei der Reiterei erwies sich das Radschloss jedoch als wesentlicher Fortschritt, und selbst beim Fussvolke wurde seine Brauchbarkeit bei nächtlichen Überfällen all- D. Die Fernwaffen. 4. Die Feuerwaffen. gemein anerkannt. Für die allgemeine Bewaffnung des Fussvolkes erhält sich aber das Luntenschloss unverändert bis ans Ende des 17. Jahrhunderts, doch führten in der Regel vom Ende des 16. Jahr- hunderts an von den Musketieren einer Kompagnie etwa 10 Mann die Radschlossmuskete. Mit der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts kommt, und zwar zuerst in den spanischen Heeren, eine Gattung von Gewehrschlössern in Ver- wendung, welche als das Urbild des späteren Flintenschlosses anzu- sehen ist, das spanische Schnapphahnschloss . Dasselbe besitzt im wesentlichen bereits die Mechanik des Flintenschlosses, nur fehlt ihm die Nuss mit ihren Rasten, und der grösste Teil des Mechanis- mus liegt an der Aussenseite. Der Hahn, dessen Vorbild im alten Luntenschnapphahn gefunden werden kann, schlägt hier mit seinem Schwefelkies auf den sogenannten Batteriedeckel , welcher insofern Fig . 533. Flintenschloss mit Schnapphahnbatterie von einer Pistole. Arbeit des Büchsenmachers Armand Bongarde in Düssel- dorf. Um 1680. sinnreich eingerichtet ist, als er zugleich die Pfanne schliesst. Beim Abzuge streift der Stein die Schlagfläche des Batteriedeckels, welcher dadurch nach aufwärts schlägt und die Pfanne öffnet. Durch die Reibung des Steines an der Schlagfläche entwickeln sich Funken, welche herabfallend das Pulver der Pfanne entzünden. (Fig. 532.) Diese Schlosskonstruktion findet sich bis ins 18. Jahrhundert herein häufig an Gewehren (tüfénk) orientalischer Herkunft. Im 17. Jahrhundert bezogen die Türken ihre Gewehrschlösser in grossen Mengen aus Europa und den Vertrieb besorgten mit grossem Gewinn griechische und venetianische Kaufleute. II. Die Angriffswaffen. Das niederländische Schnapphahnschloss entstand ohne Zweifel aus dem spanischen und beruht auf dem gleichen System. Es besitzt den Vorteil, dass der Mechanismus an der inneren Seite des Schlossbleches angebracht ist, den Nachteil, dass die Batterie die Aufgabe des Verschlusses der Pfanne nicht besorgt, sondern blos aus einem an einem Stiele sitzenden Schlageisen, Schnapphahnbatterie , besteht. (Fig. 533.) Es wäre hier noch einer besonderen mechanischen Einrichtung, des Stechschlosses , zu erwähnen, welches jedoch keineswegs ein selbständiger Mechanismus, sondern eine Vorrichtung ist, die sich bei allen Schlossgattungen anwenden lässt, um den Abzug am Züngel Fig . 534. Landsknechte eine Hakenbüchse auf zerleg- barem Bocke abfeuernd . Aus den Zeugbüchern Maximilians I. Zeug: Österr. Land. Um 1514. leichter zu gestalten. Wir haben früher bei den Armrüsten gesehen, dass bei diesen ein Stechschlossmechanismus schon um 1550 zur An- wendung gekommen ist. Um dieselbe Zeit trifft man auf verschie- dene Vorrichtungen gleicher Tendenz an Zielgewehren aus Nürnberg und anderen deutschen Städten. Die Handfeuerwaffe trat bis Ende des 15. Jahrhunderts, wenn wir die kleinen Knallbüchsen des 14. Jahrhunderts als nur vereinzelt im Gebrauche ausser Berücksichtigung lassen wollen, allgemeiner in D. Die Fernwaffen. 4. Die Feuerwaffen. zwei Gattungen auf: als Haken und Doppelhaken . Letzterer nach den Zeugbüchern des Kaisers Maximilian Haken auf Böcken genannt. Dieser, fast 2 m. lang und bis nahe an 30 Kilogramm schwer, mit Kugeln bis 116 Gramm, wurde auf Böcke aufgelegt und so abgefeuert; zu seiner Bedienung waren zwei Mann erforderlich. (Fig. 534.) Der gemeine Haken oder die Hakenbüchse besass eine Länge von einem Meter und darüber, ein Gewicht von ca. 15 Kilogramm und schoss Kugeln von 39.9 Gramm Gewicht. Um 1499 rüstete Maximilian I. einen Teil der Landsknechte als Büchsenschützen aus und versah sie mit Handbüchsen , welche bei allerdings sehr geringer Länge eine grosse Leichtigkeit, ja ein geringeres Gewicht als die späteren Musketen besassen. Man findet unter diesen Handbüchsen, welche uneigentlich auch Halbhaken genannt wurden, bereits metallene Rohre, welche gebohrt sind. „Gegossen und geporet recht“ heisst es in den Zeugbüchern des Kaisers Maximilian I. Alle diese Büchsengattungen besassen bis 1510 noch Luntenhähne, welche durch einen Druck mit einem Finger auf eine Feder regiert wurden. Viele sind unter ihnen links geschäftet. Die Schäfte waren bereits um 1470 zur Aufnahme eines hölzernen, an beiden Enden mit Eisen- blech beschlagenen Ladestockes eingerichtet. (Fig. 535.) Aber dieses System hatte seine grossen Nachteile, die schweren Rohre waren bei ihrem Gewichte und bei der Notwendigkeit, deren Haken beim Schusse an irgend einen Gegenstand anzulehnen, zu ab- hängig vom Boden. Schon Maximilian I. empfand diesen Nachteil lebhaft und war deshalb bemüht, ihn wenigstens zu mildern. Er liess darum seine Böcke für Bock- und gemeine Haken zerlegbar einrichten. Wir bringen einen solchen Bock in Fig. 534. Er bestand aus vier Teilen, von welchen je zwei von einem Mann getragen wurden. Sie liessen sich in der gewählten Stellung in einer Minute zusammensetzen. Die Handrohre hatten eine so geringe Wirkung, dass ihre Geschosse auf geringe Distanzen nicht einmal einen Harnisch durchbohrten. Da erscheint um 1520 zuerst in Spanien eine neue Feuerwaffe, welche beide Nachteile aufhob, die Muskete (mousquete, moschetta). Sie besass einen etwas längeren Lauf, so dass das ganze Gewehr un- gefähr 1.5 Meter Länge mass. Der Lauf war von geringerer Wand- stärke und besass keinen Haken. (Fig. 536.) Die Muskete wurde beim Schusse auf einen Gabelstock, Gewehrgabel , aufgelegt, ihre Bedienung war weniger umständlich, da der Musketier (mousquetaire, moschettiere) beim Laden das nötige Pulverquantum aus der höl- zernen Patronenhülse entnahm, während der Hakenschütze sein Pulver aus einem ledernen Pulversacke entnehmen musste. Durch diese wichtige Verbesserung wurde der Schütze unab- II. Die Angriffswaffen. hängig vom Boden, er konnte den Bewegungen der Truppe folgen, und erst jetzt konnte ein Feuergefecht in zerstreuter Ordnung einge- leitet werden. Dieser Fähigkeit, allorts aufzutreten und dem Feind an den Leib zu rücken, wird die Waffe wohl ihren Namen zu verdanken haben, indem die Musketiere mit den in Spanien so lästigen Fliegen, „mosquitos“, verglichen wurden. Viele Bezeichnungen im Kriegswesen Fig . 535. Landsknecht eine Handbüchse abfeuernd . Die Flasche für das Zündkraut wird auf dem Rücken getragen. Aus den Zeugbüchern Maximilians I. Zeug Österr. Land. Um 1514. verdanken ja ihren Ursprung dem Söldnerwitze. Von Spanien ge- langte die Muskete rasch nach Frankreich und den Niederlanden, am spätesten nach Deutschland. In betreff ihrer Konstruktion ist zu be- Fig . 536. Muskete mit Luntenschloss, daran ein verschiebbarer Pfannendeckel. Der Schaft ist reich mit Bein und Perlmutter eingelegt. Dabei die Gewehrgabel. Um 1620. Fig . 537. Trombon mit französischem Kolben und spanischem Schnapphahnschloss. 17. Jahrhundert, Ende. Fig . 538. Tschinke mit reichen Einlagen im Schafte. 17. Jahrh., Mitte. II. Die Angriffswaffen. merken, dass bei ihr zuerst und allgemein das vollständige Lunten- schloss mit Stangenabzug zu sehen ist. Die leichte Reiterei führte anfänglich nur Faustrohre mit Rad- schlössern, deren geringe Wirkung Veranlassung gab, die Rohre immer mehr zu verlängern; dadurch entstand eine Art kurzer und leichter Reitergewehre mit Radschlössern, die man gleichfalls Hakenbüchsen (Arkebusen) benannte, wiewohl sie sich von den eigentlichen Haken- büchsen des Fussvolkes in allem unterschieden. 1589 kommt im französischen Heere für diese Reitergewehre der Name carabine auf, den sie auch bis in die Neuzeit in fast allen Heeren behalten haben. Die ersten Arkebusierkompanien (zu Pferde) treten in Italien auf. Die niederländischen und deutschen Reiter führten ihre Gewehre an Riemen (Bandelieren), welche über der linken Schulter ge- tragen wurden; man nannte sie darum auch allenthalben Bandelier- reiter . In dem spanischen Heere sind unter Karl V. um 1530 einzelne Schützen mit kurzen aber schweren Handbüchsen ausgerüstet, deren Läufe an der Mündung trichterartig erweitert sind. Sie erscheinen in der Mündung entweder kreisrund oder auch queroval und wurden nach ihrer einer Trompete (trompa) ähnlichen Form Tromblons oder Trombons genannt. Um 1570 führten sie die Venezianer auf den Galeeren, und um dieselbe Zeit wird eine leichte Gattung von Trom- bons bei der italienischen leichten Reiterei eingeführt, wozu der un- sichere Schuss zu Pferde die Veranlassung gegeben haben mochte. Vereinzelt kommen Trombons noch im 17. Jahrhundert vor. Sie wurden mit gehacktem Blei geladen und hatten auf kurze Distanzen ziemliche Wirkung. (Fig. 537.) Mit der rasch sich vollziehenden mechanischen Verbesserung des Feuergewehres wurde auch dessen Verwendung vielseitiger, und den verschiedenen Verwendungsarten gemäss bildeten sich bestimmte Typen heraus. Den ersten Anstoss nicht nur zu wichtigen Verbesserungen, sondern auch zur Bildung gewisser besonderer Formen für bestimmte Zwecke gab die Jagd, einen weiteren das in deutschen und nieder- ländischen Städten schon am Ende des 15. Jahrhunderts in Aufnahme gekommene Zielschiessen. Im Verlaufe des 16. Jahrhunderts kommen zahlreiche Gewehrtypen in Aufnahme, die früher ganz unbekannt waren. Zunächst trennen sich die Formen des Krieges von jenen der Jagd und des Zielschiessens ab. Es bildet sich die Pürsch- büchse , die Scheibenbüchse und diese verteilen sich wieder in zahlreiche Spezialtypen, von denen wir nur die charakteristischsten hier anführen können. Von Nürnberg und Augsburg aus gelangen die ersten Bockgewehre in Gebrauch; Doppelläufe, welche über- einander liegend angeordnet sind, etwas später die Doppellauf- büchsen mit nebeneinander liegenden Läufen. Diese Anordnung war Veranlassung zu komplizierten Radschlosssystemen, den zwei-, D. Die Fernwaffen. 4. Die Feuerwaffen. dreifachen Radschlössern (Doppelschlössern) u. dgl. Besonders frucht- bar an neuen Systemen war die Periode der letzten zwei Jahrzehnte, des 16. und das 17. Jahrhundert. Nach 1550 erscheint plötzlich eine Gattung von Gewehren von sehr geringem Kaliber und stark abgesenktem, zierlichen Kolben, der meist in Einlegetechnik reich ver- ziert ist. Sie erscheinen unter den Namen Teschinkas, Tschinken, Teschinger Büchsen und dienten für die Vogeljagd. (Fig. 538.) Ihre Herkunft ist noch unermittelt, doch weist ihr Ursprung auf ein slavisches Land im Nordosten Europas, worauf auch ihr Name hin- zielt, denn teska bedeutet im Tschechoslavischen so viel wie Pulversack. Die meisten dieser Tschinken besitzen Radschlösser, deren Mechanik an der Aussenseite liegt, was wohl eine Folge der geringen Dimension des Mittelschafts sein mag. Diese Konstruktion, welche übrigens Fig . 539. Radschloss mit Rauchfang . Das Rad mit seinem Mechanismus liegt im Innern der Schlossplatte. Der Rauchfang ist im Scharnier nach vorne umzulegen. Arbeit des Büchsenmachers Christian Baier . Um 1640. schon unter den ältesten Radschlössern angetroffen wird, kommt in den alten Inventarien der kgl. Gewehrgalerie zu Dresden unter der Bezeichnung kurländische vor, was abermals wieder nach dem Nordosten weist. Nicht selten werden die Tschinken irrigerweise türkische Gewehre genannt, vielleicht aus der Ursache, weil die Zeichnungen der Schafteinlagen einen ganz fremdartigen, rustikalen Stil erkennen lassen, der dem in den Kunststilen weniger Bewanderten als orientalisch erschien. Im weiteren Sinne ist diese Empfindung nicht unrichtig, denn slavische Stilformen, wo sie entschiedener hervortreten, lassen ganz deutlich ihre orientalische Herkunft erkennen. Die älteste Tschinke, welche dem Verfasser II. Die Angriffswaffen. bekannt geworden ist, befindet sich in der Rüstkammer zu Emden; sie trägt die Jahreszahl 1558. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts treffen wir kurzläufige Jagd- gewehre, welchen ihre eigentümliche Schlosskonstruktion den Namen Rauchfanggewehre gegeben hat. Die Besonderheit besteht darin, dass auf der Pfanne eine Röhre, Rauchfang, aufgesetzt wird. Sie dienten vorzüglich zur Entenjagd und der Rauchfang hatte den Zweck, dem scheuen Wild das Aufblitzen des Zündkrautes zu verbergen. Fig . 540. Muskete mit Luntenschloss und altem spanischen Kolben (culatta castellana). Der Schaft ist mit Beineinlagen geziert. Der Lauf ist Nürnberger Arbeit. Um 1560. Fig . 541. Muskete mit verbeintem Schaft und italienischem Kolben. Radschloss in Verbindung mit einem Luntenhahn. Be- zeichnet 1571. Deutsch. D. Die Fernwaffen. 4. Die Feuerwaffen. Sie kommen hauptsächlich nur in österreichischen Sammlungen vor. (Fig. 539.) Schon vor der Mitte des 16. Jahrhunderts und zuerst an Faust- rohren, kommen jene Systeme vor, welche wir heute als Revolver benennen; sie gehören eigentlich ihrer Konstruktion nach in die Wendersysteme . Sie entwickeln sich im 17. Jahrhundert zu grosser Vollkommenheit und kranken nur an der ungeeigneten Zün- dungsmethode. Aus diesem Umstande erklärt sich die Erscheinung, dass alle diese Systeme nur vereinzelt auftreten und sogar gänzlich verschwinden. Die Armeria Reale in Turin bewahrt eine Revolver- pistole mit den Emblemen und dem Wahlspruch Karls V.: „Plus ultra“. Es ist die älteste Feuerwaffe dieser Konstruktionen, welche bekannt ist. Bis zum Auftreten des französischen Flintenschlosses, um 1650, hatte die Form der Schäfte und besonders jene der Kolben ver- schiedene charakteristische Wandlungen durchgemacht, und es haben hierzu alle Nationen beigetragen. Wir haben bereits gesehen, dass aus den ältesten klotzähnlichen geraden Schäften der sogenannte „ deutsche Schaft “ mit geradem, zuweilen auch sich rückwärts etwas verjüngenden Kolben hervorgegangen ist. Am Anfange des 16. Jahrhunderts tragen die spanischen, später auch die niederlän- dischen und französischen Hakenschützen Gewehre mit nach abwärts gebogenen Kolben (culata castellana). (Fig. 540.) Später kommen aus Italien Gewehre mit geraden, rückwärts in einer Schnecke endigenden Kolben (Fig. 541); sie werden auch in Deutschland viel- fach nachgeahmt. Alle diese Kolbenformen erlaubten aber nicht das Ansetzen an die Achsel. Da treten um 1560, vermutlich aus Italien kommend, die alten Musketenkolben auf, welche bereits einen etwas abwärts gebogenen Kolbenhals und ein Lager für den rechten Daumen (Daumengriff) besitzen, ferner rückwärts abgeplattet sind, um ein Anlegen an die Achsel zu erlauben. (Fig. 542, 543.) Diese Kolbenform wird nun um 1570 die allgemeine in allen Heeren, sie erhält sich bis um die Mitte des 17. Jahrhunderts, bei einigen nor- dischen Heeren noch länger. Die Verbindung des Laufes mit dem Schafte erfolgte von der ältesten Zeit an mittels Stiften, welche quer durch den Vorderschaft gesteckt wurden. Die Verbindung beider durch sogenannte Laufringe, die gegen das Ende des 16. Jahrhun- derts zuerst bei orientalischen Gewehren bemerkt wird, kommt in Westeuropa erst um die Mitte des Jahrhunderts, anfänglich in Italien, später auch in Frankreich und den Niederlanden in Aufnahme. Hier wäre weiter noch der Gewehre zum Schiessen von Brand- zeug oder auch von Handgranaten, der sogenannten Katzenköpfe , zu gedenken. Ihr Lauf ist meistens aus Bronze gefertigt und ge- meiniglich von einer 30 Zentimeter nicht überschreitenden Länge. Ihre Bohrung hat einen Durchmesser von 6—7 Zentimeter, Schaft II. Die Angriffswaffen. und Schloss besitzen ganz die Form einer Muskete. Ihre erste An- wendung fanden sie im niederländischen Freiheitskriege in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Sie wurden im Festungskriege noch im 17. und 18. Jahrhundert verwendet. (Fig. 544.) Fig . 542. Radschlossmuskete mit italienischem Kolben. Das Schloss besitzt noch einen Luntenhahn. Italienisch. Um 1620. Fig . 543. Radschlossmuskete mit italienischem Kolben. Über- gang zum französischen Kolben. Brescianer Arbeit des Antonio Fran- cini . Um 1600. Fig . 544. Gewehr mit Radschloss zum Schiessen von Brand- zeug, sogenannter „Katzenkopf“. Der Lauf ist in Metall gegossen und besitzt Kammerbohrung. Deutsch. Um 1620. D. Die Fernwaffen. 4. Die Feuerwaffen. Werfen wir, bevor wir uns zur Periode des Flintenschlosses wenden, die einen wichtigen Abschnitt in der Geschichte des Feuer- gewehrwesens bildet, einen Blick auf die Entwickelung der Feuerwaffe im Oriente. In der Türkei machte, wenngleich die Erfindung des Schiesspulvers ihren Weg gerade vom Orient aus über die Tartarei und Arabien nach Europa angetreten hatte, die Aufnahme des Feuergeschützes nur langsame Fortschritte, ja im 15. Jahrhundert mussten sich die Türken noch deutscher, italienischer und griechischer Büchsenmeister und Stuckgiesser bedienen. Das Hauptaugenmerk war im Oriente stets auf die Vergrösserung des Effektes gerichtet; daher entstanden auch die riesigen Geschützungetüme, mit welchen die Türken auf ihren Eroberungszügen auftraten und ihre Festungen ausrüsteten. Erst im 17. Jahrhundert suchten sie, aber immer mit fremder Hilfe, europäische Geschützsysteme einzuführen, in ziemlicher Regellosigkeit und vom kaiser- lichen zum französischen schwankend. Die Bedienung der Büchsen- meister (toptschi) liess, obwohl an diese Unsummen verschwendet wurden, vieles zu wünschen übrig. So schlecht es im türkischen Heere mit dem Geschützwesen bestellt war, ebenso ausgezeichnet gegenüber dem Occident war die Handfeuerwaffe entwickelt. Das hatte seine Ursachen in der Tüchtigkeit des Schmiedehandwerkes, durch welche es möglich wurde, den Hauptbestandteil des Gewehres, den Lauf, in Form und Güte weit besser als im Occidente zu erzeugen. Schon im 16. Jahrhundert hatten die Orientalen die besten damas- zierten Läufe, und auch in der Auszierung übertreffen sie an Geschmack und eminenter Technik weit ihre westlichen Nachbarn. Wir finden den Eisenschnitt, die Tausia in Gold und Silber, nebenher häufig auch Einlagen mit Steinen und Korallen. Allerdings waren im allgemeinen türkische Gewehre noch schwer und plump, aber einzelne Einrich- tungen daran beweisen eine staunenswerte Kenntnis der ballistischen Grundsätze. So erblicken wir an Läufen des 16. Jahrhunderts feste Visieraufsätze, die auf genauer Berechnung beruhen; ihre Bohrungen sind tadellos. In betreff der Schlosskonstruktionen kann man, von vereinzelten Anwendungen abgesehen, sagen, dass sie das Radschloss nahezu ganz ignoriert haben, und von dem Luntenschlosse unmittelbar auf das spa- nische, beziehungsweise türkische Schnapphahnschloss übergegangen sind. Mit letzterem waren sie auch im 17. Jahrhundert den Muske- tieren mit ihren Luntengewehren weit überlegen. Wir gelangen nun zu einer überaus wichtigen Periode in der Ge- schichte des Feuergewehres, jener des Flintenschlosses . Wir stossen in Fachschriften noch zuweilen auf die Nachricht, dass der französische Geniegeneral Vauban (1633—1707) der Erfinder des Flintenschlosses gewesen sei. Das ist schon darum unrichtig, weil das Flintenschloss in seiner vollen Ausbildung schon 1648 von Pariser II. Die Angriffswaffen. Büchsenmachern gefertigt wurde, in welchem Jahre Vauban gerade 15 Jahre zählte. Die Veranlassung zu dieser irrigen Angabe wird wohl gewesen sein, dass Vauban das mit einem Luntenhahn versehene Flintenschloss in der französischen Armee allgemein einführte, was freilich erst 1692 geschah, während das Regiment Royal ‒ fuseliers schon seit 1671 bestand. Schon bei den alten Schnapphahnschlössern hatte man an Stelle des Schwefelkieses vielfach den Feuerstein (Flint, quarz pyromache) verwendet, der wegen seiner grösseren Festigkeit seinem Zwecke besser entsprach. Von ihm erhielt das Flintenschloss den Namen. Wenn man den Mechanismus des alten spanischen und niederländischen Schnapphahnschlosses betrachtet, so unterliegt es keinem Zweifel, dass die Spanier und die Araber ebenso wie die Niederländer statt des Schwefelkieses sich längst nebenher des Feuersteines bei ihren Schnapphahngewehren bedienten. Die Spanier und Araber fanden hierzu vorzügliches Material an der Nordküste Afrikas und die Niederländer verstanden sich trefflich auf die Bearbeitung harter Stoffe, sie werden auch den harten Quarz für den Zweck zuzurichten gewusst haben. Die Bearbeitung des Feuersteines war doch nur eine vergessene Kunst, vergessen, weil man ihrer nicht bedurfte. Die bearbeiteten Feuersteine dürften anfänglich aus den Nieder- landen gekommen sein. Die ersten Flinten dagegen, als Luxus- gewehre nur für den Jagdgebrauch bestimmt, wurden in Paris erzeugt, und wenn man schon nach einem Erfinder derselben, beziehungsweise einem Verbesserer des Schnapphahnschlosses suchen wollte, müsste man über die Thätigkeit der um 1648 dort wirkenden Arquebusiers genauere Forschungen anstellen. Thatsache ist, dass uns der Pariser Philippe Cordier d’Aubeville (1635—1665) in seinen gestochenen Blättern und zwar in jenen von 1654 bereits die Abbildung eines Flintenschlosses bringt. Vergleiche über die Entwickelung der französischen Büchsenmacherei die Abhandlung des Verfassers in den Blättern für Kunstgewerbe, Wien, Waldheim, 1886, Heft VII u. VIII: „Die Luxusgewehrfabrikation in Frankreich im 17. und 18. Jahrhundert“. Wir sind aber im stande, auf ein noch älteres im Originale vor- handenes Flintenschloss hinzuweisen. In den kunsthistorischen Samm- lungen in Wien befindet sich ein kleines, leichtes Reitergewehr mit messingenem Rohre und geschwärztem Schafte (Fig. 545), an dessen Flintenschlosse alle Teile im Innern angeordnet sind; die Schlossplatte ist von Messing und graviert, der Hahn und die Batterie sind von poliertem Eisen. Am Laufe lesen wir: „Felix Werder Tiguri Inventor 1652.“ Wir hätten also mit dem Züricher Meister den Fertiger der ältesten Flinte vor uns; ob auch den Erfinder des Flintenschlosses, das steht noch in Frage, denn die Bezeichnung Inventor bezieht sich gewiss nur auf die Fertigung, nicht speziell auf die Schlosskonstruktion. Weiter lässt die ausgebildete Form des Hahnes erkennen, dass das System bereits einen gewissen Entwickelungsgrad überschritten haben D. Die Fernwaffen. 4. Die Feuerwaffen. mochte. Jedenfalls liefert uns das kleine Gewehr einen wertvollen Beitrag zur Geschichte des Flintenschlosses. Die Einführung des französischen Schlosses hatte unmittelbar eine völlige Veränderung der bisherigen Gewehrform, zunächst des Schaftes im Gefolge, der sich nunmehr dem neuen, weit konziseren Mechanismus anbequemen musste. Der Kolben wurde in der Hand- lage schwächer gemacht; dadurch entstand der Kolbenhals, der Kolben selbst wurde noch mehr abgebogen und zum Anschlage bequemer eingerichtet. Wir unterscheiden diese Form, welche sich im wesent- lichen noch bis jetzt erhalten hat, von den übrigen älteren durch die Bezeichnung französischer Kolben . (Fig. 546.) In seine Detail- konstruktion wurde auch die deutsche Kolbenlade herübergenommen, eine Aushöhlung an der Aussenseite des Kolbens, die den Zweck hatte, Fig . 545. Schloss einer kleinen Reiterflinte von Messing mit eisernem Hahne. Arbeit des Felix Werder in Zürich. 1652. Eines der ältesten vorhandenen Flintenschlösser. die Requisiten (Kugelbohrer, Wischer, Patronenzieher) aufzunehmen und welche mittels des Ladeschubers geschlossen wurde. Die ausgezeichnete Geschicklichkeit indischer und arabischer Lauf- schmiede führte die Erzeugung von langen und dünnen Läufen herbei, die ihrer grossen Leichtigkeit wegen, und weil man selben eine be- deutende Treffsicherheit zuschrieb, namentlich unter den Beduinen- stämmen, allgemeine Verbreitung fanden und teuer bezahlt wurden. Die mit derlei Läufen ausgestatteten Gewehre besitzen Schäfte mit abgebogenen, am Ende flach gedrückten Kolben und kleine Schnapp- hahn-, spätere auch Flintenschlösser. Sie kommen jetzt mehr und mehr in Abnahme, da auch die Wüstensöhne den Wert der modernen Hinterlader schätzen lernen. Boeheim , Waffenkunde. 30 II. Die Angriffswaffen. Fig . 546. Flinte mit Lauf von Lazarino Cominazzo reich in Eisen geschnitten, mit französischem Kolben. Um 1700. Fig . 547. Japanisches Gewehr in braun lackiertem Schafte mit Luntenschloss. 18. Jahrhundert. Kgl. historisches Museum in Dresden. Fig . 548. Indisches Gewehr mit Luntenschloss, aus Lahore stammend. Kaiserl. Waffensammlung zu Zarskoe-Selo. Nach Gille. D. Die Fernwaffen. 4. Die Feuerwaffen Orientalische Gewehrformen ersehen wir in den folgenden Figuren 547—551. Fig . 549. Montenegrinisches Gewehr mit türkischem Schnapphahnschloss und reichen Metalleinlagen im Schafte. Kaiserl. Waffensammlung zu Zarskoë-Selo. Nach Gille. Fig . 550. Türkisches Gewehr mit türkischem Schnapp- hahnschloss und reich in Elfenbein eingelegtem Schafte. 17. Jahrhundert. Fig . 551. Türkische Flinte mit in Messing einge- legtem Schafte. 18. Jahrhundert. 30* II. Die Angriffswaffen. Gegen das Ende des 17. Jahrh. finden wir in Albanien und Montenegro eine eigentümliche Gewehrform, die sich im 18. Jahrh. über die Länder der europäischen Türkei rasch verbreitet, das sogenannte Arnautengewehr (Djeferdari) (Fig. 549.) Es besitzt einen sehr langen, dünnen Lauf und eine eigenartige Schäftung, die meist mit silbernen Beschlägen, Einlagen und mit Stein- oder Korallenfassungen ge- ziert ist. Die ältesten haben noch Schnapphahnschlösser, die des 18. Jahrh. bereits gute Flintenschlösser. Sie sind im Landvolke noch heute im Ge- brauch, verschwinden aber vor den modernen Gewehrsystemen sichtlich. Das Flintenschloss gestattete in seiner einfachen Konstruktion die Anwendung verschiedener Systeme zur Erzielung eines rascheren Feuers. Es entstanden damit zahlreiche Hinterlade- und selbst Magazinsysteme, denn auch diese sind eine Erfindung dieser Periode. Schon bald nach dem ersten Auftreten des Feuergewehres macht sich zunächst beim Jagdgewehre das Verlangen nach künstlerischem Schmucke geltend. Italien ging dabei wieder voran, in den anderen Ländern geht der Anstoss dabei von den Höfen, zunächst jenen von Burgund und Frankreich aus. Noch bis ins 16. Jahrh. werden verzierte Luntengewehre „altfränkische“ genannt. In Italien verzierte man die Eisenteile mit Gravierungen und Vergoldungen, seltener die Schäfte mit Schnitzwerk. In Burgund werden diese mit Samt überzogen und mit zierlichen vergoldeten Silbernägeln besetzt. In Deutschland kommt schon am Anfange des 16. Jahrh. eine ganz eigenartige Verzierungsweise in Aufnahme, die sich, von den stilistischen Wandlungen abgesehen, bis ans Ende des 17. Jahrhunderts erhält: die Elfenbein-, Hirschhorn-, Holz-, später auch Perlmutter- und Metalleinlagen (Intarsia). Die Einlegearbeit der deutschen Schäfter war in Zeichnung und Technik unübertroffen. Dagegen treffen wir vom Beginne des 16. Jahrhunderts an an mailändischen und florentiner Ziergewehren den Eisenschnitt und die Tausia; später, um 1560, leisten auch die Brescianer Archibusieri Staunenswertes im Eisenschnitt und von etwa 1590 an auch in zier- lichen Einlagen von Eisen. Vom Jahre 1650 an tritt in der künst- lerischen Ausschmückung von Gewehren Frankreich, voran Paris, alles verdunkelnd in die Bahn. Die Eisenschnitte und Relief- ziseluren der Franzosen überragen an Zeichnung und graziöser Durchführung weit die der älteren Italiener. Dasselbe gilt von der Gravierung und den Metalleinlagen. Die letzten Radschlossgewehre, welche in Deutschland erzeugt werden, zeichnen sich noch durch originelle Schnitzarbeiten an den Schäften und brillante, von geübten Stechern herrührende Gravuren aus. Die neue Generation von 1680 an arbeitete ihre Flinten ganz nach französischen Vorbildern, aber viele der jüngeren Kräfte übertrafen ihre Meister. In der Gegenwart ist nur noch von fabriksmässiger Präzision der Gewehre, nicht aber von ihrer künstlerischen Gestaltung mehr zu reden. 5. Der Gewehrlauf. Wie die Betrachtung der ältesten Gewehrläufe lehrt, haben diese einen schwierigen Weg bis zu ihrer vollendeten Ausbildung durch- gemacht. Zwar war man schon im 14. Jahrhundert im stande, Läufe aus Bronze zu giessen; diese aber hatten nur eine sehr geringe Länge, weil man das Bohren nicht verstand und der Lauf mit seiner inneren Höhlung gegossen werden musste. Das schliesslich unerlässliche Nachbohren stiess schon auf Schwierigkeiten. Das Bedürfnis, längere Läufe zu besitzen und die bedeutenden Kosten bronzener Läufe zu ersparen, führte darauf, die Läufe aus Eisen zu erzeugen. Dies geschah, indem man platte Eisenstücke über den Dorn schmiedete und so an beiden Enden offene Röhren erhielt; der Stossboden wurde dadurch hergestellt, dass man in das glühend gemachte hintere Ende einen eisernen Keil trieb. Das Zündloch war anfangs an der oberen Seite; im Verlaufe des 15. Jahr- hunderts rückt es allmählich mehr gegen die rechte Rohrwand hin, wo zuletzt, um das Zündkraut aufschütten zu können, aus dem Block selbst eine Schale herausgeschmiedet wird, die zuletzt die Form einer Zündpfanne annimmt. Derlei Läufe sind in der Regel prismatisch gebildet. Eine Visiervorrichtung ist bei gemeinen Rohren erst um die Mitte des Jahrhunderts zu entdecken. In der Waffensammlung des Chorherrenstiftes Klosterneuburg bei Wien findet sich eine bedeutende Anzahl geschmiedeter Rohre vom Anfang des 15. Jahrhunderts bis ins 16. Jahrhundert datierend, an welcher wertvollen Kollektion die allmähliche Verbesserung ganz deutlich zu verfolgen ist. Gegen das Ende des 15. Jahr- hunderts begegnet man dem ersten Versuche, das Rohr durch eine Schraube, die sogenannte Schwanzschraube , zu schliessen. Diese Erfindung ist als eine namhafte Verbesserung anzusehen. Nun konnte das Innere des Rohres besser gereinigt werden, der Verschluss wurde zugleich sicherer, und es ergab sich ausserdem der Vorteil, dass man mittels eines Fortsatzes den Lauf in eine sichere Verbindung mit dem Schafte bringen konnte. Sehr früh nahm man darauf Bedacht, den Lauf an der Mündung zu verstärken, vermutlich weil in manchen Fällen die Schweissnaht beim Schusse entzweiriss. Solche Verstärkungen finden sich noch um die Mitte des 16. Jahrhunderts. Eine Ver- besserung von ungemeiner Wichtigkeit führte die am Anfange des 16. Jahrhunderts in Spanien oder Italien gemachte Erfindung herbei, die Läufe zu bohren . Nun konnte der Lauf aus besserem Eisen gefertigt und an den Aussenflächen regelrecht gezogen werden; die Bohrung erfolgte durch eine Führung an den Aussenwänden. Manche An- zeichen deuten darauf hin, dass die Araber schon vor den Europäern ihre Gewehrläufe gebohrt hatten. Im Laufe des 16. Jahrh. nahm die Fertigkeit des Bohrens in so hohem Grade zu, dass um 1570 schon II. Die Angriffswaffen. äusserst dünne Läufe von staunenswerter Länge angefertigt werden konnten. Die Waffensammlung des kaiserl. Hauses in Wien bewahrt ein Radschlossgewehr von ca. 1590, dessen Lauf 1.95 m. Länge bei 19 mm. Bohrung misst; noch bewundernswerter ist ein Gewehrlauf derselben Sammlung von der enormen Länge von 257.5 cm. und einer Bohrung von nur 14 mm. Sie trägt den Namen Hans Friedrich von Diependalh. Das aber ist noch nicht die äusserste Leistung in diesem Fache, der Waffenschmied Petrini berichtet in seinem wertvollen Manuskripte von 1642 (Bibl. Magliabecch.) von einem Maestro Maffei in Pistoja, der 10 Ellen lange, allerdings sehr schwere Läufe hergestellt hatte. Er datiert von etwa 1620. In der Verbesserung des Laufes muss überhaupt der erste Anstoss zum Auftreten der Muskete gesucht werden, denn erst jetzt mässigte sich das Gewicht des Gewehres und konnte von der Beigabe des Hakens abgegangen werden. Schon die ältesten Musketen besitzen gebohrte Läufe. Vereinzelt treten Visiervorrichtungen bereits an Läufen der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts auf. In den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts treffen wir schon allgemein das Korn und an Stelle unseres heutigen Absehens ein Visierrohr . Dieses beweist, dass über die Flugbahn des Geschosses zu jener Zeit noch eine bedeutende Unklarheit herrschte und man sich dieselbe weit rasanter dachte, als sie in Wirklichkeit ist. Bei Ballästern und Schneppern erlangte man weit rascher eine praktische Erfahrung über die Flugbahn der Kugel und nutzte sie auch vollständig aus. Bemerkenswert ist darum der Mangel jeder Aufsatzvorrichtung an Feuergewehren. Selbst als die Grundsätze der Ballistik allgemein bekannt wurden, fand bei der beschränkten Schussweite der Visieraufsatz an Kriegsgewehren nur geringe Anwendung. Um so bemerkenswerter ist es, dass wir solche schon an orientalischen Läufen des 17. Jahrhunderts antreffen. Sie sind feststehend aus dem Laufe selbst gefeilt und besitzen in ver- tikaler Reihe laufende Durchlöcherungen, welche den Distanzen ent- sprechen. Es scheinen uns auch auf diesem Gebiete die Morgen- länder vorangeschritten zu sein. (Fig. 552.) In Nürnberg scheinen, und zwar zunächst nur für den Zweck des Zielschiessens, die ersten gezogenen Läufe gefertigt worden zu sein. Der Zeitpunkt dieser Erfindung wird noch etwas vor der Mitte des 16. Jahrhunderts anzunehmen sein. Die ersten derartigen Rohre hatten noch geradelaufende Züge, die natürlich wenig mehr leisteten, als nicht gezogene Rohre mit Anwendung von Passkugeln . Um 1560 erhalten die Züge eine spirale Führung im Rohrinneren, wodurch sich erst ihr Nutzen bewähren konnte. In Beziehung auf den Quer- schnitt der Züge wie auf deren Führung findet man die verschiedensten Formen, ein Beweis unausgesetzten und eifrigsten Strebens nach Ver- besserung. Am Ende des 16. Jahrhunderts fertigte der Augsburger D. Die Fernwaffen. 5. Der Gewehrlauf. Augustin Kotter (gest. nach 1635) die ersten sogenannten Haar- züge . (Fig. 553 c.) Für den Kriegsgebrauch wurden anfänglich Fig . 552. Türkischer Lauf mit feststehendem Aufsatz und Visierlöchern. 17. Jahrhundert. Fig . 553. Querschnitte von gezogenen Rohren . a. Der Keilzug. b. Der prismatische Zug. c. Der Haarzug. Fig . 554. Wendergewehr mit fünf mit der Trommel in Ver- bindung stehenden Pfannen und Batteriedeckeln. Halber Schaft mit französischem Kolben. 18. Jahrhundert. II. Die Angriffswaffen. gezogene Gewehre nur äusserst selten, und vielleicht nur bei der Ver- teidigung von festen Plätzen verwendet. Im 18. Jahrhundert werden bereits ganze Abteilungen von Schützen mit solchen versehen. Am Ende des 16. Jahrhunderts gewannen die Brescianer Werkstätten einen bedeutenden Ruf durch ihre ausgezeichnet gearbeiteten Gewehr- und Pistolenläufe. Die hervorragendsten Meister, wie Francino , die Cominazzi forderten für ihre Läufe, die sie wie etwa heute ein Reisszeug oder einen Goldschmuck in Lederetuis an die Büchsen- macher fast von ganz Europa versendeten, geradezu horrende Preise. Unwillig, aber doch nicht ohne Erfolg hatten sie sich der Erzeugung gezogener Läufe zugewendet, darin klüger als die Spanier, die dadurch, dass sie nur glatte Läufe erzeugten, den Niedergang des Fabrikations- zweiges herbeiführten. Eine besondere Einrichtung des Laufes hat im Verlaufe des 16. Jahrhunderts mannigfache Verbesserung erfahren, die Zündloch- bohrung , deren Dimension, Form und Richtung fortwährend verändert wurde. Ein grosser Übelstand war das sogenannte Ausbrennen des Zündloches, welches dadurch immer grösser wurde. Um demselben abzuhelfen, setzten die spanischen Meister am Ende des 17. Jahr- hunderts sogenannte Zündkerne aus reinem Gold ein. Man findet sie an spanischen und zuweilen auch an französischen Jagdgewehren noch bis ans Ende des 18. Jahrhunderts. Im vorigen Jahrhundert bilden sich je nach der Bestimmung verschiedene Formen und Be- nennungen heraus. Der gezogene Lauf für das Scheibenschiessen und für die Pürschjagd, der glatte Lauf für den Zweck des Krieges und für die Feldjagd. Dazu treten nun die Kombinationen, wie der Doppellauf aus 2 nebeneinander liegenden aneinander ge- schweissten Läufen für die Feldjagd, der Bocklauf aus einem Stücke mit zwei übereinander angeordneten Bohrungen, von welchen häufig die eine gezogen, die andere glatt ist, meist für die Pürschjagd. Sehr lange, glatte Läufe dienten für die Jagd auf Wasserwild, daher ihr Name Entenläufe . Endlich kommen noch die Wender- gewehre in Betracht, welche in den mannigfachsten Konstruktionen vor Augen treten. Sie dienen nur für Jagdzwecke. Manche besitzen 3 — 5 drehbare Läufe mit ebenso vielen gleichzeitig umlaufenden Zündpfannen und Batteriedeckeln. Die wenigsten sind als zweckmässig zu betrachten. (Fig. 554.) Zum Schlusse haben wir noch bezüglich der Einrichtung der Läufe für die Hinterladung einiges zu bemerken. Die älteste Hinter- ladevorrichtung um 1550 ist jene mit aushebbarer Kammer, ganz nach dem bei den Geschützen des 15. Jahrhunderts üblichen Systeme. Sie scheinen besonders für den Reiter Wert gehabt zu haben, der eine Anzahl geladener Kammern mit sich führen konnte, um sie in den Laderaum des Laufes einzulegen. Das System findet sich nur bei Faustrohren. Erst im 17. Jahrhundert tritt ein System auf, ähnlich D. Die Fernwaffen. 6. Das Gewehrschloss. dem Lefoucheux-System, mit nach abwärts zu legendem Kolben, bald darauf ein anderes mit Schraubenverschluss. Im 18. Jahrhundert häufen sich die Hinterladeprojekte experimentierender Büchsenmacher, und man findet in ihren Konstruktionen nahezu alle heutigen Systeme wenigstens in ihren mechanischen Prinzipien vertreten. In dieser Periode erscheinen auch die ersten Magazingewehre, von denen die meisten vom Kolbenschuh aus versorgt werden. Das Erkennen der Herkunft eines Laufes ist zuweilen schwierig, und es erfordert jedenfalls viele Übung, um die kleinen Formeneigen- tümlichkeiten der verschiedenen Werkstätten sich in das Gedächtnis zu prägen. Vor etwa 1520 finden sich keine sicheren Beschaumarken, um die Herkunft zu konstatieren, und auch nach dieser Zeit finden sich solche nur von wenigen deutschen Orten. Die älteste Marke einer Beschau durch die Behörde findet sich an Nürnberger Läufen. Diese ist anfänglich ein N, später, von etwa 1570 an, stellt sie das bekannte geteilte Nürnberger Wappen dar. In Augsburg wird der „Stadtpyr“ ins Gesenk geschlagen. Spanische Läufe erhalten erst im 17. Jahrhundert Beschaumarken, die in eingestempelten Lilien bestehen; solche finden sich im 18. Jahrh. auch an neapolitanischen. Charakteristisch sind die spanischen Meisterstempel, welche im Grunde vergoldet werden. Als die Fabriken zu Suhl der alten Grafschaft Henneberg in Aufnahme kamen, führten sie eine kleine Marke mit dem Worte SVL. Mailänder Läufe führen eine Zeitlang ein Kreuz die Brescianer erscheinen ohne Beschaumarke und werden nur nach Meisternamen oder Monogrammen beurteilt, ebenso die steierischen und jene von Ferlach in Kärnten. 6. Das Gewehrschloss. Bis ins 15. Jahrhundert erfolgte die Zündung des Gewehres, wie wir wissen, mittelst der Hand durch Auflegen eines brennenden Stückes Holzschwamm oder einer Stricklunte. Als das Zündloch an der Seite der Rohrwand angebracht wurde, fügte man die Pfanne hinzu. Das Bedürfnis, während des Zielens abfeuern zu können, gab Veranlassung zur Bildung des Luntenhahnes und des Lunten- schlosses . Man kann bei der ersten Anwendung mechanischer Hilfsmittel zur Abfeuerung von einem Luntenschloss nicht sprechen, da der ganze Apparat in nichts als einem Stängelchen bestand, welches am Schafte mit einem Stifte befestigt war. Vorne war ein Spalt an- gebracht, in welchen der Schwamm oder die Lunte gezwängt wurde. II. Die Angriffswaffen. Die Zündung erfolgte durch Fingerführung, wobei der Hahn durch seine eigene Schwere auf die Pfanne klappte. In diesem Entwicke- lungsstadium finden wir den Zündmechanismus noch an den Hand- büchsen in den Zeugbüchern Maximilians I. In der nächsten Zeit bildete man den Hahn als zweiarmigen Hebel, wobei der hintere Arm das Bewegen desselben erleichterte, Gerade diese Konstruktion führte später auf den Abzug durch das Züngel. Eine wichtige Beigabe war die Stangenfeder, wodurch sich die Hahnbewegung regelte; damit verband man eine sogenannte Ab- zugstange , ähnlich wie bei den Armrüsten. Hahn, Feder und Ab- zugstange bildeten nun bereits ein mechanisches System, das mittels der Schlossplatte , die anfänglich nur aus einem langen, bandförmigen Blechstreifen bestand, zusammengefasst wurde. So entstand das erste Luntenschloss. Das Züngel erscheint bei feineren Gewehren schon im 16. Jahrhundert, bei Kriegsgewehren bleibt bis ans Ende des 17. Jahrhunderts vielfältig noch die Abzugstange in Gebrauch. Fig . 555. Die sogenannte Mönchsbüchse . Orientalisch. Kgl. hist. Museum in Dresden. Nach Thierbach, Handfeuerwaffen I, Fig. 51. Die Vorrichtung am Hahne zur Aufnahme des Zündmittels bestand entweder in einem Spalt, dessen beide Lippen später, um die Lunte fester einzuklemmen, mit einer Schraube versehen wurden, oder in einem vorne angebrachten Röhrchen, durch welches die Lunte ge- zogen wurde. Der Übelstand, dass bei Regenwetter das Zündpulver nass und somit unbrauchbar wurde, veranlasste die Beigabe des so- genannten Pfannenschiebers , der auch noch im Radschlosssystem beibehalten ist. Ein weiterer mechanischer Fortschritt war der Luntenschnapp- hahn ; er erforderte bereits eine doppelte Federwirkung durch die Schlagfeder einer- und die Stangenfeder andererseits, die zumeist durch Zurückziehen eines Stiftes die Schlagfeder auslöste. Die Erfindung, wie- wohl sie später zur Konstruktion des Schnapphahn- und Flintenschlosses D. Die Fernwaffen. 6. Das Gewehrschloss. führte, bewährte sich für die Luntenzündung nicht, da der Hahn während des Entzündens auf die Pfanne gesenkt blieb und das auf- sprühende Zündpulver häufig die Lunte ausblies. Wie erwähnt, nimmt man allgemein an, dass das Radschloss um 1515 in Nürnberg erfunden worden sei; das mag in Bezug auf die Konstruktion im allgemeinen seine Richtigkeit haben, nicht aber in Bezug auf die Abfeuerung durch das Reiben des Schwefelkieses an einer rauhen Eisenfläche. Wir sehen den Beweis in der sogenannten Mönchsbüchse im königl. historischen Museum zu Dresden, die spätestens ins 15. Jahrhundert zu setzen ist. Der Lauf aber zeigt am vorderen Ende Verzierungen in offenbar arabischem Stile, und es weist dieser Umstand von neuem darauf hin, dass wir die wichtigsten Erfindungen den Orientalen zu danken haben. (Fig. 555) In der Detailkonstruktion des Radschlosses kommen seit seinem ersten Auftreten bis zu seinem Verschwinden die mannigfachsten Ver- schiedenheiten vor, und jede einzelne Veränderung lässt, wenn wir genauer zusehen, einen bestimmten Grund, eine Verbesserung wahr- nehmen. Betrachten wir vorerst das Rad. Die ältesten Räder liegen am Mechanismus unbeschützt zu Tage; das offene Rad aber wurde leicht beschmutzt, verstaubt, was auf seine Bewegung einen widrigen Einfluss üben musste. Bei Regenwetter wurde es nass, wodurch die Funken- bildung gestört wurde. Man versah demnach das Rad mit einer schalenförmigen Decke , die zuweilen auch durchbrochen gebildet wurde, was freilich auch die Absicht wieder vereitelte. Diese Rad- decke wird mit Vorliebe ein Gegenstand der Verzierung, sie ist meist aus Metall und vergoldet und zeigt die hübschesten Dessins in Gra- vierung oder Ätzung. Man unterscheidet darum zunächst Radschlösser mit offenem und solche mit gedecktem Rade. Im Verlaufe des 16. Jahrhunderts treffen wir bezüglich der Lage des Rades auf die mannigfachsten Konstruktionen; nicht selten finden wir das Rad an der Innenseite, eine Anordnung, die viele Nachteile im Gefolge hatte. Zur Feststellung des Rades diente ein Achslager, eine Art Studel , und nicht selten findet man, dass die Hahnfeder rings um die untere Hälfte des Rades geführt ist. Bei den ältesten Konstruktionen voll- führt beim Abzuge das Rad eine ganze Umdrehung. Bei den späteren macht das Rad nur eine halbe und selbst nur eine Viertelumdrehung. Sehr bald nach Erfindung des Radschlosses stellt sich zur Sicherung gegen unzeitiges Losgehen des Gewehres eine Sperrvorrichtung ein, die an der rückwärtigen Seite angebracht ist. Es gibt vielerlei Sperrsysteme; das einfachste und am öftesten vorkommende ist jenes, wo der Fuss des Abzuges verlängert ist und mit seinem Ende aus einer Durchfeilung der Schlossplatte hervorragt. Ein Scharnierhebel kann mit seiner Kopffläche derart vor die vordere Seite des Fusses gelegt werden, dass der Abzug unbeweglich wird. Die ältesten Rad- schlösser haben noch Pfannenschieber, welche mit dem Daumen auf- II. Die Angriffswaffen. zuschieben sind; die späteren, vornehmlich jene an Jagdgewehren, besitzen schon Pfannenschieber, welche, durch den Druck auf einen Knopf von einer Feder (Deckelfeder) im Innern bewegt, rasch sich öffnen lassen. Unter den Radschlössern bildet das kurländische eine eigene Art. Vermutlich ist es überhaupt das älteste Radschloss. Seine Eigentümlichkeit besteht darin, dass Schlagfeder mit Rad und Kette nach aussen zu gelegen ist; über beide Teile ist die Studel im Bogen geführt. Der Hahn mit einer besonderen Feder liegt vor der Pfanne. Die Stangenfeder wirkt inwendig von unten auf den vorderen Arm der Stange. (Fig. 556.) Eine besondere Konstruktion zeigen die sogenannten Selbst- spanner . Während jedes gewöhnliche Radschloss mit einem Schlüssel, dem zu diesem Zwecke an die Welle des Rades gesteckten Rad- Fig . 556. Kurländisches, sogenanntes Tschinkenrad- schloss . 17. Jahrhundert, Anfang. schlossschlüssel , gespannt wird, erfolgt bei den Selbstspannern das Spannen durch die Bewegung, die der Hahn beim Niederlegen auf die Pfanne macht, so dass die Mitführung eines eigenen Schlüssels entbehrlich wird. Die Konstruktionen dieser Art sind so mannigfaltig, dass es zu weit führen würde, selbst die gebräuchlichsten hier anzuführen. Der aufmerksame Liebhaber wird im vorkommenden Falle leicht eine solche Kombination entdecken und ihr System sich klar machen. Die Form des Hahnes hat im Verlaufe der Zeit Veränderungen erfahren, so dass es möglich ist, wenigstens die späteren auf den D. Die Fernwaffen. 6. Das Gewehrschloss. ersten Blick hin von den älteren zu unterscheiden. Die ältesten Hähne sind sehr einfach und bestehen nur aus einem dünnen, ge- drehten oder vierkantig gefeilten Stiele, die Hahnlippen sind schmal und eckig gebildet, der Hebel ist kurz oder fehlt wohl auch ganz. Später ist der Hahn mehr geschwungen, der Stiel wird breiter, der Hebel strebt in hohem Bogen nach aufwärts und bildet auch einen Ring. Zuletzt werden die Hähne breit und plump mit allerlei Ein- feilungen versehen. Immer aber sind sie und zuweilen selbst meister- haft graviert. Viele und namhafte Kupferstecher, vorzüglich Augs- burger, haben sich in der Gravierung und Auszierung von Rad- schlössern versucht. Italienische Radschlösser, besonders die von Brescia und Gar- Fig . 557. Radschloss mit zwei Hähnen und einer Pfanne . Brescianer Arbeit. 17. Jahrhundert. done, sind meist sehr zierlich gebildet und die Hähne zeigen oft phantastische Formen: Drachen, Schlangen etc., ein Beweis für die ausgezeichnete künstlerische Schulung der Verfertiger. Bei den älteren Radschlossgewehren neigt sich der Hahn gegen die Mündung zu, später hat er fast ausnahmslos eine entgegengesetzte Bewegung. Das geringe Vertrauen, welches man allweg dem Rad- schlosse entgegenbrachte, führte zu verschiedenen Kombinationen, denen die Absicht zu Grunde liegt, falls das Schloss versagte, den Schützen nicht in Verlegenheit kommen zu lassen. Bis ins 17. Jahr- hundert hinein wird darum, namentlich bei Kriegsgewehren, dem II. Die Angriffswaffen. Radschloss ein Luntenhahn beigegeben. Bei Jagdgewehren kommen häufig Radschlösser mit 2 Hähnen vor, welche abwechselnd auf die Pfanne gelegt werden können. (Fig. 557.) Diese Vorsicht entsprach kaum dem Zwecke vollständig, da die meisten Versager ihre Ursache in dem verschmandeten Rade hatten. Die Umständlichkeit, das Rad nach jedem Schusse wieder aufziehen zu müssen, veranlasste schon um 1570 zu verschiedenen Versuchen, ein Schloss zusammenzustellen, welches bei einmaligem Spannen mehrere Schüsse abzugeben gestattet. Die hierauf abzielenden Systeme sind ungemein mannigfaltig Eine Eigentümlichkeit an Rad- und Flintenschlossgewehren findet sich in den sog. Doppelschlössern . (Fig. 558.) Zwei oder auch drei Schlösser liegen voreinander und jedes besitzt seine eigene Pfanne mit Zündloch. Diese Konstruktion ging aus der Absicht hervor, nicht für jeden einzelnen Schuss neu laden zu müssen. So wurden nun 2—3 Patronen je nach der Schlosszahl übereinander geladen und Fig . 558. Doppelschloss einer Flinte mit zwei Pfannen . Um 1680. zwischen jede Ladung ein starker Pfropf gelagert. Die Einrichtung kann nicht als eine vorteilhafte angesehen werden. Von der Mitte des 16. Jahrhunderts an streben die deutschen Werkstätten eifrig nach Verbesserung des Radschlosses, das man mit allem Rechte als „deutsches Schloss“ bezeichnet. Es gab keinen Büchsenmacher, der nicht sein eigenes System gehabt hätte. Wir finden darum auch an Radschlössern bis ins 17. Jahrhundert die mannig- fachsten Varianten, von denen nicht wenige sich als sehr sinnreich zu erkennen geben; freilich treffen wir auch nicht selten sonderbare Verirrungen. (Fig. 559.) Die Gewehrschlosssammlung der k. k. Hof- Waffensammlung in Wien ist in dieser Beziehung sehr lehrreich, sie enthält u. a. ein monströses Radschloss von nicht weniger als 44 cm. Schlossplattenlänge und 3.8 kg. Gewicht, eine bedenkliche Verirrung D. Die Fernwaffen. 6. Das Gewehrschloss. eines Meisters. Als ob zur Entzündung einer grösseren Quantität Pulver mehr und stärkere Funken nötig wären als zur Entzündung einer kleineren. Indem wir zur Besprechung der Schnapphahnsysteme schreiten, bemerken wir, dass es rätselhaft ist, warum das spanische Schnapp- hahnschloss , das sicher so alt als das Radschloss ist, sich nicht gleich diesem allgemein verbreitete. Bei allen konstruktiven Mängeln war der Vorteil des Systems gegenüber jenem des Radschlosses so in die Augen springend, dass wir über die lange Dauer des Gebrauches von Lunten- und Radschlössern nur staunen können. Wir nennen die älteste Schnapphahnkonstruktion eine spanische, weil sie von Spanien her sich langsam über Frankreich und die Niederlande verbreitete. Es unterliegt aber keinem Zweifel, dass sie von den Mauren herge- Fig . 559. Radschloss mit Spanner von einem Jagdgewehr des Augustinus Kotter , genannt Sparr in Nürnberg. Die Gravierung ist von Wilhelm Weyer in Wien. Späteste Form des Radschlosses. Sammlung des Grafen Wladimir Mittrowsky in Pernstein in Mähren. kommen ist; denn sie wird weit häufiger an arabischen und türkischen als an europäischen Gewehren des 16. Jahrhunderts angetroffen. (Fig. 560.) In verschiedenen Werken wird sie auch türkisches Schnapphahnschloss benannt. Wahrscheinlich aber ist sie eine maurisch-arabische Erfindung der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Bei diesen Schlössern befindet sich das Federsystem an der äusseren Seite der Schlossplatte, und das ist unstreitig ein Nachteil. Nirgends ist eine Nusskonstruktion vorhanden, die schlagende Bewegung erfolgt vielmehr durch den Druck der Schlagfeder auf einen Hahn- II. Angriffswaffen. fortsatz. Der Abzug wird durch Zurückziehen eines Stiftes bewirkt, der durch die Schlossplatte greift und den Hahn in gespannter Lage erhält. Die wichtigste und genialste Einrichtung besteht aber in der Verbindung des Pfannendeckels mit der Schlagfläche (Batterie), wo- durch sich die Pfanne in dem Augenblicke öffnet, wo der Schlag erfolgt. Solange noch der Schwefelkies angewendet wurde, musste die Schlagfläche mit nach abwärts laufenden Rifflungen zur Schonung des Steines versehen wer- den; beim Feuersteine war diese Vorsicht nicht mehr nötig. Es ist daher ganz unbegreiflich, warum die niederländischen Meister, welche das spanische Schnapphahnschloss um 1560 über- nahmen und weiterbildeten, gerade dessen vorteilhafteste Einrichtung, den Batteriedeckel (von battere, schlagen), verwarfen, den alten Pfannenschieber des Radschlosses beibehielten und auf die soge- nannte Schnapphahnbatterie verfielen, welche in einem Schlageisen bestand, das auf einem Stiele angeordnet war. Die Ursache wird wohl sein, dass die niederländischen Büchsenmacher zu sehr unter dem Einflusse der deutschen standen und von dem aufschnellenden Pfannenschuber des Radschlosses eine zu hohe Meinung hatten. Diese Schnapp- Fig . 560. Spanisches Schnapphahnschloss von Francisco Lopez in Madrid. 18. Jahrhundert. hahnbatterie wird von den Franzosen und Niederländern an den Flintenschlössern noch um 1680 angewendet. (Fig. 533.) Eine un- leugbare Verbesserung besitzt das niederländische Schnapphahnschloss darin, dass der Federmechanismus nach innen zu gelegen ist. An einigen sind schon Versuche bemerkbar, die zum Flintenschlosssystem überleiten. Auch der Hahn nähert sich in seiner Form bereits dem späteren Flintenhahn. Es ist bemerkenswert, dass wir schon an türkischen D. Die Fernwaffen. 6. Das Gewehrschloss. Schnapphahngewehren vom Anfange des 17. Jahrhunderts die Hahn- sperre (Sperrhaken) antreffen. Wir sehen auch hier wieder, dass die besten Einrichtungen weit älter sind, als man bisher angenommen hat und auf den Orient zurückgehen. Schliesslich sei erwähnt, dass das älteste bekannte niederländische Schnapphahnschloss im historischen Museum in Dresden die Jahres- zahl 1598 trägt. Das französische Flintenschloss kann als eine der wichtigsten Verbesserungen im Gewehrwesen betrachtet werden. Es war damit ein System geschaffen, welches allen Anforderungen an eine sichere und rasche Entladung entsprach, und dennoch begegnete es in den konservativen Militärkreisen in Frankreich einem nicht zu bannenden Fig . 561. Flintenschloss mit reicher Auszierung in Eisenschnitt, zur Flinte Fig. 544 gehörig. Um 1700. Misstrauen. Bis ans Ende des 17. Jahrhunderts blieb der Lunten- hahn noch an den Schlössern der Füseliergewehre. Am Flintenschlosse liegt mit Ausnahme des Hahnes , der Pfanne , dem Batteriedeckel und der Deckelfeder der Mecha- nismus, bestehend in der Nuss , der Stangenfeder , der Schlag- feder , der Studel und der Stange im Innern der Schlossplatte. Die ältesten französischen Flintenschlösser besassen, wie erwähnt, noch die alte Schnapphahnbatterie , was als ein Beweis erscheint, dass der französische Erfinder des Flintenschlosses das niederländische Schnapphahnschloss zum Vorbild genommen hatte. Der Pfannen- schuber wird noch mittels Drücker geöffnet. Diese Umständlichkeit Boeheim , Waffenkunde. 31 II. Die Angriffswaffen. wussten die Pariser Meister dadurch zu beseitigen, dass sie den Pfannen- schuber mit dem Hahne durch ein Gestänge verbanden, sodass sich ersterer beim Aufziehen öffnet. Eine charakteristische und wesent- liche Neuerung ist in der Nuss mit ihren beiden Rasten zu sehen; sie gewinnt aber nach vielen Studien erst die zweckentsprechende Form. Bis etwa 1660 trifft man noch häufig geriffelte Schlagflächen für Schwefelkies, von da an nur noch platte. Um dieselbe Zeit ver- schwinden auch die Schnapphahnbatterien, die sich unverdienterweise so lange im Gebrauche erhielten. Von dem Entstehen des Flintenschlosses an datiert ein riesiger Aufschwung der französischen Büchsenmacher- werkstätten unter dem Schutze, welchen ihnen namentlich Colbert ge- währte. Die Arbeiten sind aber auch von einer Schönheit und Ele- ganz, welche alle Bewunderung verdienen. Auf die Ausschmückung der Schlösser wie der Läufe nahmen die ersten Künstler Frankreichs im Fache der Dekoration, wie Lebrun, Berain, Brisseville und viele andere, Einfluss. (Fig. 561.) Nach und nach erst bequemten sich die deutschen Büchsenmacher dazu, von ihrem geliebten Radschlosse zu lassen und Flintenschlösser zu erzeugen; bei ihrer ausgezeichneten fachlichen Schulung gelang es ihnen aber im 18. Jahrhundert rasch den Franzosen und Belgiern empfindlichste Konkurrenz zu machen, ja einzelne, wie Ulrich Mänz in Braunschweig, S. Hauschka in Wolfenbüttel, Andreas Kuchenreuter in Regensburg, L. Becher in Karlsbad, Georg Keiser in Wien u. a., übertrafen bald die Fran- zosen in der Schönheit und Güte ihrer Arbeiten. Die Einfachheit und konzise Zusammenstellung des Mechanismus gestattete ohne Schwierigkeit die Umwandlung des Flintenschlosses in ein Stechschloss . Stechschlösser finden sich schon am Beginne des 18. Jahrhunderts in nahezu derselben Form wie ein Jahrhundert später. 7. Das Faustrohr und die Pistole. Wir haben bereits früher erwähnt, dass das kurzläufige Faust- rohr, die spätere Pistole, aus den Knallbüchsen des 14. Jahrhunderts hervorgegangen ist, die die Reiter, auf dem Sattelbogen von einer Gabel gestützt, abfeuerten. Diese Knallbüchsen besassen rückwärts einen stangenartigen Fortsatz, welcher beim Anschlage an die Brustplatte angestemmt wurde. Aus diesen plumpen und schweren Büchsen ent- standen, nachdem es gelungen war, die Laufstärke zu ermässigen, die Petrinals, welche zwar noch immer an die Brust angestemmt werden mussten, doch keiner Gabelstütze mehr bedurften. Diese Petrinals be- D. Die Fernwaffen. 7. Das Faustrohr und die Pistole. sitzen schon einen Holzschaft, welcher geradelaufend als ein Fortsatz des Laufes anzusehen ist und zur Verstärkung dicht mit Nägeln besetzt wurde. Sie wurden mit der Lunte abgeschossen, was für den Reiter ungemein schwierig und selbst gefährlich war. Um 1530 erscheinen in Deutschland die ersten Faustrohre, welche mit der ausgestreckten Hand abgefeuert werden; ihr erstes Auftreten hatte eine nicht un- bedeutende Umwandlung in der Bewaffnung des Reisigen zur Folge. Das Faustrohr erwies sich nämlich als eine ganz vorzügliche Waffe für den Nahkampf, es machte die Schlagwaffen, wie Kolben, Hämmer und Streithaken, entbehrlich, weshalb diese auch allgemach aus der Reiterei verschwanden. Nur in den orientalischen Ländern, in Ungarn, Polen und Russland etc., deren Bewohner mit ungemeiner Zähigkeit an den überlieferten kriegerischen Einrichtungen hingen, blieb die Schlagwaffe noch bis über das 17. Jahrhundert hinaus im Ge- brauche. In den Heeren Süd- und Westeuropas aber legten die Führer und Rottmeister ihre Kolben und Hämmer ab, die in letzter Zeit ohnehin nur noch die Bedeutung von Würdezeichen hatten. Dafür erhielt nun jeder reisige Mann zwei Faustrohre, welche am vorderen Sattelbogen in Hulftern geführt wurden. Diese Faustrohre hatten eine ungleiche Länge, das kürzere, gewöhnlich Fäustling oder Puffer genannt, war nur für ganz geringe Distanzen brauchbar; es diente auch nur im Handgemenge, wo es nicht selten auch nach Entladung den Dienst eines Streitkolbens verrichtete; das längere, das eigentliche Faustrohr, konnte auf 50—80 Schritte eine ansehnliche Wirkung ausüben. Bei dieser Waffe erwies sich das Radschloss als ungemein vorteilhaft, da der Reiter sich zum Abfeuern nur einer Hand zu bedienen brauchte. Die ältesten Faustrohre mit Radschlössern bildeten sich, was die Form des Schaftes betrifft, aus den petrinals heraus; sie haben einen noch geraden oder nur wenig nach abwärts gesenkten Kolben (Hand- griff), an dessen Ende eine kugelförmige Verstärkung, die sogenannte Afterkugel , sich befindet. Gegen 1560 senkt sich der Handgriff an deutschen Faustrohren immer mehr nach abwärts, so dass dieser mit der Laufrichtung einen Winkel von 50—60° bildet. (Fig. 562) Von Spanien aus kamen um 1550 Handgriffformen in Aufnahme, welche geschweift gebildet und nach rückwärts schmal zugeschnitten sind. Die Italiener bildeten ihre Formen den Deutschen ähnlich, nur ist der Handgriff weit länger und schlanker, geradelaufend und endet mit einer eiförmigen Afterkugel oder mit geschweifter Ver- stärkung. (Fig. 563.) Ähnliche Formen werden von 1580 an viel- fach auch in Deutschland und den Niederlanden erzeugt. Ziel- vorrichtungen finden sich sehr selten, ebenso gezogene Läufe. Sehr früh begegnet man der Sperrvorrichtung an den Radschlössern. Das Bestreben, die Arbeit des Landens möglichst zu erleichtern, hatte schon um 1540 dahin geführt, Faustrohre mit Hinterladeeinrichtung zu 31* II. Die Angriffswaffen. fertigen. Die ältesten bekannten beruhen auf dem System der auszu- hebenden Kammer mit seitlichem Scharnierverschluss. Um 1560 kamen sehr zierliche Doppelfaustrohre oder Doppelfauster in Gebrauch. Die ersten gelangen aus Italien nach Deutschland. Die Läufe stehen getrennt übereinander und berühren sich an den Mündungen; an jeder Seite befindet sich ein Radschloss, der Handgriff läuft gerade, so dass das Faustrohr für den zweiten Schuss nur gewendet zu werden braucht. (Fig. 564.) Um 1580, wenn nicht schon früher, kommen Fig . 562. Kurzes Faustrohr , sogenannter „Puffer“, mit in Bein eingelegtem deutschen Schafte, mit Afterkugel. Nürnberger Arbeit, mit dem Zeichen der Traube. Um 1560. Fig . 563. Langes Faustrohr mit dreifachem Radschloss; die Räder sind gedeckt, die vordere Radsperre ist geöffnet dargestellt. Der Schaft von Nussholz ist unterhalb mit graviertem Elfenbein belegt. Italienisch, vermutlich brescianisch, ohne Zeichen. Um 1560. Fig . 564. Doppelfaustrohr mit übereinander stehenden, 51 cm. langen Läufen und zwei Radschlössern, der Schaft ist reich mit Elfen- bein und Perlmutter eingelegt. Italienisch. Um 1570. Fig . 565. Revolverfaustrohr mit Radschloss und sechs- schüssiger Trommel. Letztere ist mit durchbrochenen Messingauflagen geziert, in welchen der böhmische Löwe dargestellt ist. Deutsch. Um 1590. Fig . 566. Reiterpistole mit geschnittenem Laufe und Schlosse und mit Silber eingelegtem Schafte. Arbeit von La Marre in Paris. Um 1730. II. Die Angriffswaffen. die ersten Revolver-Faustrohre in Aufnahme, die meisten sind mit 6 schüssiger Trommel ausgestattet. Welcher Nation die sinnreiche Erfindung zuzuschreiben ist, kann nicht angegeben werden; die dem Verfasser vor Augen gekommenen besitzen zwar italienische Formen in der Schäftung, sind aber durchweg von deutscher Hand, viele in Nürnberg gefertigt. (Fig. 565.) Im Verlaufe des dreissigjährigen Krieges verändert sich die Schaftform des Faustrohres dadurch, dass die Afterkugel verschwindet, der Handgriff etwas geschwungen gebildet wird und in einer mässigen, mit Metall beschlagenen Verstärkung endet. Von etwa 1650 an machen sich französische Einflüsse in der Formengebung immer stärker geltend, ihnen verdankt die gegenwärtige Form ihre Entstehung und von jener Zeit wird auch der Name Pistole immer häufiger und schliesslich allgemein. Dass der Name von Pistoja herrühre, ist ebensowenig begründet als die Herleitung des Wortes Bajonett von Bajonne. Man muss im allgemeinen die landläufigen Herleitungen der Bezeichnungen im Waffenwesen mit Vorsicht aufnehmen. Nahezu alle laufen auf Lautähnlichkeiten hinaus, die im übrigen jeder historischen Grundlage entbehren. Der Spanier bezeichnet mit pistoresa, wahrscheinlich von piston hergeleitet, jede kurze, handsame Waffe, so auch den kurzen Dolch, der Italiener mit pistolesa einen kurzen Säbel; es dürfte sich sonach, wie so häufig in den Bezeichnungen von Waffen, der Name von einem Vergleiche mit einem anderen ähnlichen Gegen- stande herleiten. Im 18. Jahrhundert scheiden sich nach dem Gebrauchszweck drei Pistolengattungen ab: die Reiterpistole (Fig. 566) für das Feld mit langem Laufe und kleinem Kaliber, die Jagdpistole mit grossem Kaliber, zuweilen auch mit Trombonlauf für Schrotladung, weiters die Scheibenpistole mit kleinem Kaliber, Stechschloss und nicht selten auch gezogenem Laufe. Die Duellpistole besitzt in der Regel die Form der Reiterpistole. In dieser Periode erscheinen die Doppel- pistolen , die ersten werden in Frankreich erzeugt. Die Vorteile des Flintenschlosses wurden für die Pistole rasch ausgenutzt und auch die Hahnsperre sehen wir häufig angewendet. Speziellen Bedürfnissen dienten die kleinen Pistolen, Terzerole , pistolese genannt, endlich die sogenannten Taschenpuffer , welche nur mehr als eine Art Spielzeug anzusehen sind. Das Flintenschloss gestattete bei Pistolen nicht nur die Anwendung von Wendersystemen mit 3—4 Läufen, sondern auch das Revolversystem . Das Faustrohr wurde unmittelbar nach seiner Einführung zur Lieblingswaffe des adligen Reiters, der ein Paar derselben stets bei seinen Ritten mit sich führte. Die gewöhnlichen Faustrohre wurden, wie noch heute, am vorderen Sattelbogen in Hulftern geführt, die meist mit Samt überzogen waren. Im 17. und 18. Jahrhundert D. Die Fernwaffen. 7. Das Faustrohr und die Pistole. wurden diese Hulftern mit grossen Überschlägen (Taschen) versehen, welche mit Emblemen, Namenszügen etc. geziert und mit Fransen besetzt wurden. Lange Faustrohre, die in ihrer Grösse eine Über- gangsform zur Arkebuse und zum Karabiner darstellen, wurden auch auf der rechten Seite am rückwärtigen Sattelbogen in schweren Hulftern geführt. Als Reiterwaffe des Adligen wurde das Faustrohr schon in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein beliebter Gegenstand künst- lerischer Auszierung, und es haben darin die Deutschen durch ihre ausserordentlich feinen und schönen Elfenbeineinlagen, die Italiener durch ihre prächtigen Eisenschnitte, sowie durch ihre wunderbaren Dekorationen in Tausia sich einen Namen zu machen gewusst. Im 18. Jahrhundert, der Periode des Flintenschlosses, tritt die Schaftdekoration mehr in den Hintergrund, dafür werden Läufe und Schlösser, sowie die Beschläge mit Vorliebe verziert, und wir treffen da auf ausgezeichnete Schnittarbeiten, wie auch auf Gravierungen, die sich in manchen Fällen als Kunstwerke darstellen. Die Gold- und Schwarzätzung, die einst einer so grossen Beliebtheit sich erfreute, wird immer seltener und verschwindet endlich ganz. Die Schäfte erhalten nur noch selten Metalleinlagen oder sind in seichter Aus- führung geschnitzt; im übrigen wurden sie in der natürlichen Holz- farbe belassen oder dunkel gebeizt. In den orientalischen Ländern wird die Pistole im 16. Jahrhun- dert nur von den Vornehmsten geführt, allgemeiner kommt sie erst im 17. Jahrhundert in Aufnahme, kommt aber dann zu so hohem Werte, dass sie mit dem Handschar der unzertrennliche Begleiter jedes Mannes wird. Im Oriente ist die Pistole nicht wie in den westlichen Ländern ein Gegenstand der Pferdeausrüstung, sie wird nie in Hulftern, sondern stets im Gürtel des Mannes getragen. Die Rohre sind ungemein dünn und von kleinem Kaliber, die meist euro- päischen Schlösser klein, die Schäftung ist in den meisten Fällen mit Metall beschlagen und oft mit edlen Steinen geziert. Nur die älteren orientalischen Pistolen zeichnen sich durch Kunstwert aus, die neueren sind zwar reich, ja überladen, in ihrer stilistischen Behandlung lassen sie jedoch viel zu wünschen übrig. 8. Die bei den Feuerwaffen dienenden Instrumente und Geräte. Die in der ältesten Zeit bei den Feuerwaffen dienenden Gerät- schaften waren keineswegs gleichartig. Das Geschützwesen entwickelte sich anfänglich in den Heeren für sich, damit entstanden unterschied- liche Gerätschaften, von vielen einzelnen unabhängig voneinander erdacht, die freilich allesamt Ähnlichkeiten aufweisen. Als die Ge- schütze noch ohne Lafetten, auf Kanthölzern liegend, abgefeuert wurden, war die gemeine Bandhacke das vorzüglichste Werkzeug des Stuckknechtes ; daneben wurde die Ladeschaufel (Fig. 567) ge- führt, mittelst welcher das Pulver in das Rohr geschüttet wurde, weiters der Wischer , der Ladestock , die Hebebäume, Geiss- füsse , auch Beisser genannt, der Büchsenmeister trug den Lunten- stock , eine Art Spiess, von dessen Klinge seitlich Arme ausliefen, an welchen die Luntenstricke aufgewunden wurden. Der Luntenstock bildete auch zugleich das Zeichen der Würde eines Meisters. (Fig. 379, 380, 568.) Schon in der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts wird zum Richten der Wurfgeschütze ein einfacher Quadrant benutzt, wie wir aus einem Kodex von ca. 1440 in der Bibliothek der kunst- historischen Sammlungen in Wien ersehen. In dem Masse als die Geschütze eine solidere und gleichmässigere Lafettierung erhielten, wird auch das Gerät einfacher und fachgemässer; die Hacke verschwindet im Feldkriege gänzlich, dafür entstehen sehr sinnreich erdachte und leicht fortzubewegende Hebezeuge u. dgl. Als um 1680 allgemach die Patronen eingeführt wurden, kamen auch die Ladeschaufeln ausser Gebrauch. Nun wird die Hand- habung eine subtilere, der einzelne Stuckknecht wird mit feineren Instrumenten zur Bedienung ausgerüstet. Der Mann erhält ein so- genanntes Besteck , welches ausser Kaliberstab und Besteckmesser, auch Raumnadel, Bohrpfriemen, Feile und Zirkel enthält. Ähnliche Aus- rüstungen, wenn auch einfacher, führten schon die italienischen Ar- tilleristen der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Zum Bestimmen der Kraft des Pulvers erfand man im 17. Jahrhundert sehr sinnreiche Instrumente, Pulverproben genannt. Es gibt davon unterschied- liche mechanische Systeme, das beste jener Zeit ist die sogenannte Stangenprobe , nach Furtenbach 1642, von welcher ein Exemplar sich in den kaiserlichen Sammlungen zu Wien befindet. (Fig. 569, 570.) Ebenso wie beim Geschütz bediente man sich in der ältesten Zeit auch bei Handfeuerwaffen gewisser Hilfswerkzeuge, je nach individuellen Bedürfnisse. Erst in der letzten Zeit des 14. Jahrhun- derts macht sich in Italien ein von den Machthabern ausgehendes Streben bemerkbar, Gleichartigkzit in die Ausrüstung des Büchsen- schützen mit Gerätschaften zu bringen. Die älteste Ausrüstung eines D. Die Fernwaffen. 8. Die bei den Feuerwaffen dienenden Instrumente. Scopitus zu Pferde (Fig. 522) war einfach genug, sie bestand in einem eisernen Ladestock, einer Gabel zum Auflegen der Knallbüchse auf den Sattelbogen, einem ledernen Pulversack und einem Kugelbeutel. Der gemeine Büchsenschütze zu Fuss um 1400 trieb einen Pflock in die Erde, auf den er sein Rohr auflegte. (Fig. 525.) Aber schon um 1420 finden wir die Gewehrgabel in Anwendung, die sich jedoch bald wieder verlor. Gegen die 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts, als die Plattenharnische allgemein wurden, glaubte man nur durch Gewehre von schwerem Kaliber dieser jederzeit überschätzten Schutzwaffe ent- Fig . 567. Ladeschaufel . Kopie aus den Zeugbüchern Maxi- milians I. Fig . 568. Preussisches Artillerie-Kurzgewehr mit Lunten träger. 1720—1740. Kgl. Zeughaus in Berlin. Fig . 569. Pulverprobe , sogenannte „Stangenprobe“, nach Furtenbach. 1642. II. Die Angriffswaffen. gegenwirken zu können. So entstanden die Bockbüchsen; sie wurden von zwei Mann bedient, von denen der eine den Bock, der andere die Büchse zu befördern hatte. (Fig. 534.) In den Landsknechtheeren der ältesten Periode, von 1490—1520, erblicken wir zum ersten Male die Pulverflasche, und zwar bei allen Handbüchsenschützen in ziemlich gleichartigen Formen. Sie ist scheiben- Fig . 570. Pulverprobe mit Hebel und Zahnrad. Um 1750. förmig, misst nicht über 10 cm. im Durchmesser, hat ein Ausgussrohr und wird an einer Schnur auf dem Rücken getragen, wogegen vorne an der Brust aber ein kleines Hörnchen für das Zündkraut hing. (Fig. 535.) Diese scheibenförmige Gestalt behalten die Pulverflaschen für den Kriegs- und Jagdgebrauch bis ans Ende des 18. Jahrhunderts. (Fig. 571, 572.) Fig . 571. Kleine Pulverflasche mit Pulversperre aus Horn mit Silberbeschlägen. In den Gehäusen befindet sich einerseits eine Uhr, anderseits ein Kompass. Sächsische Arbeit. Um 1580. Sammlung der Frau Gräfin Zierotin in Blauda in Mähren. D. Die Fernwaffen. 8. Die bei den Feuerwaffen dienenden Instrumente. Um 1510 wird auch bereits der Kugelbohrer und der Krätzer , um Ladungen aus dem Rohre zu ziehen, angewendet, wie wir aus den Zeugbüchern Maximilians I. ersehen. Mit der Zunahme der Fertigkeit im Schiessen wurden die Pulverflaschen allgemach grösser, so dass sie in den deutschen Heeren in der angegebenen scheibenförmigen Gestalt um 1560 schon einen Durchmesser von 15 cm. erreichten. Die Italiener brachten um 1580 die ersten kantig geformten Pulverflaschen auf den niederländischen Kriegsschauplatz. Diese sind trapezförmig mit ge- schweiften Seitenrändern gestaltet, bei einer Dicke von ca. 6—7 cm. Der Körper ist aus Holz gearbeitet und mit durchbrochenem Eisen be- schlagen. Er wird mit Schnüren und Quasten ausgestattet, rückwärts an der rechten Hüfte getragen, während ein ganz gleich geformtes, nur weit Fig . 572. Kleine Pulverflasche von Elfenbein mit Pulver- sperre und lichtblauen Quasten. In der Mitte der Scheibe sind beider- seits Medaillons in Silber eingelassen. An der einen Seite erblickt man das Relief bild Ernst Rüdigers von Starhemberg , des Verteidigers von Wien 1683, an der anderen Seite eine Ansicht dieser Stadt. U l . 1690. kleineres Fläschchen für das Zündkraut an derselben Seite vorne an- gebracht ist. (Fig. 573, 574.) In den nordischen Ländern ahmte man diese Flaschen häufig nach, auch änderte man in einigen Ländern die Formen. So erscheinen nicht selten Flaschen in Form eines ab- gestutzten Kegels, rückwärts aber abgeplattet; das Ausgussrohr bleibt dabei unverändert. In Italien kommen sie in verschiedenem Material, namentlich in schöner Ledertechnik, vor. (Fig. 575, 576.) Mit II. Die Angriffswaffen. der Muskete zugleich tritt die Gewehrgabel auf, welche als ein charakteristisches Attribut des Musketiers bis ans Ende des 17. Jahr- hunderts im Gebrauch bleibt. (Fig. 577.) Für die Niederlande ist Fig . 573. Musketier-Pulverflasche mit Federsperre, von durch- brochenem Eisen mit Unterlagen aus gelbem Samt und grünen Quasten. Italienisch. Um 1570. das Pulverhorn charakteristisch. (Fig. 578.) Es kam von dort aus auch anderwärts in Gebrauch und besteht aus einem flach- Fig . 574. Flasche für das Zündkraut in gleicher Ausstat- tung wie Fig. 573. gepressten Kuhhorn; das breite Ende, mit Blech geschlossen, bildet den Boden, während an dem dünneren Ende eine Röhre, das Aus- gussrohr mit Pulversperre , angebracht ist. D. Die Fernwaffen. 8. Die bei den Feuerwaffen dienenden Instrumente. Fig . 575. Venezianisches Artillerie-Pulverhorn mit in Leder gepressten Verzierungen. Um 1580. Fig . 576. Pulverflasche aus gepresstem Leder, mit Eisenblech montiert. Italienisch. Um 1570. Fig . 577. Gewehrgabel aus dem Besitze des Erzherzogs Leopold V. von Tirol (1586—1632), der Schaft ist reich mit Elfen- bein belegt, oberhalb zeigt sich die Darstellung des guten Hirten mit dem Schrifttext: „Ego sum pastor bonus“. Deutsch. Um 1628. II. Die Angriffswaffen. Das Pulverhorn wurde gemeiniglich an einer Schnur über die Schulter oder, wie bei den niederländischen Reitern, am sogenannten Flaschenhangsel am Leibriemen getragen. Dieses bestand aus einem Stück Leder, an welchem die Pulverflasche, der Spanner und der Kugelbeutel befestigt waren. Das Behältnis für das Zündkraut Fig . 578. Gemeines Pulverhorn mit rohen Gravierungen aus- gestattet. Niederländisch. Um 1580. Fig . 579. Patronbüchse eines kaiserlichen Arkebusiers für 13 Patronen von Eisen, blank, mit Schwarzätzung geziert. Deutsch. Um 1570. Fig . 580. Patronenbandelier eines Musketiers mit Kugelbeutel und Zündkrautflasche. Nach Schön, Geschichte der Handfeuerwaffen, Tafel 10. D. Die Fernwaffen. 8. Die bei den Feuerwaffen dienenden Instrumente. ist in jener Periode, am Beginne des 17. Jahrhunderts, verschieden. Jäger tragen mit Vorliebe ein aus der Gabel eines Hirschgestänges gebildetes Fläschchen. In der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts, als bei den leichten Reitern und vornehmlich den Arkebusieren, die Patrone in Verwendung kommt, führten diese sog. Patronbüchsen , die an die Leibgürtel geschnallt wurden. Gemeine Reiter im kaiserlichen Heere trugen darin 10—15 Patronen (Fig. 579), bei Vornehmen waren sie in der Regel kleiner und oft reich geziert. Sie sind von Eisen- blech, oft mit Ätzungen ausgestattet; ihre äussere Form erinnert an den Bolzenköcher, nur sind sie weit niedrigen. Fig . 581. Preussischer Luntenberger , nach einem Ölgemälde im kgl. Zeughaus in Berlin. Um 1720. Fig . 582. Radschlossspanner in Verbindung mit einem Schraubenschlüssel von geschnittenem Eisen, teils vergoldet, zu einem Jagdgewehre Kaiser Rudolfs II. gehörig. Augsburger Arbeit. Um 1605. Fig . 583. Radschlossspanner in Verbindung mit einem Pulver- masse. Gebläutes Eisen. Deutsch. 17. Jahrhundert. Fig . 584. Pulverhorn für das Zündkraut , ohne Pulversperre, von Horn mit Beschlag aus graviertem Messing, an selbem findet sich ein Spannschlüsselloch. Deutsch. 17. Jahrhundert. Im 17. Jahrhundert ist die deutsche scheibenförmige Pulver- flasche noch hie und da in Gebrauch, und zwar meistens von Holz und gedreht. Bei den östlichen Völkern, in der europäischen Türkei, in den polnischen und ungarischen Nationalheeren bediente sich der II. Die Angriffswaffen. gemeine Mann häufig des sogenannten Flaschenkürbis , der an der Mündung mit einer primitiven Ausgussröhre versehen wurde. Die Pulverflasche litt an dem Übelstande, dass der Schütze die für einen Schuss erforderliche Pulvermenge nicht genau abzumessen im stande war und meist zu viel Pulver in das Rohr brachte. Um diesem Übelstande abzuhelfen, rüstete man den Musketier mit einer Anzahl (11—12) hölzernen, gedrehten Patronenhülsen aus, in welchen die genau für den Schuss abgemessene Quantität Pulver vorhanden war. Diese Patronenhülsen wurden mittels geflochtener Lederriemchen an einen mässig breiten Riemen gehängt, der über der linken Schulter getragen wurde. (Fig. 580.) An diesem Riemen ( Bandelier , bandoulière) hing auch ein Beutel für Kugeln und Fig . 583. Flaschenhangsel zur Bewahrung der Kugeln im Beutel, der Zündkrautflasche und des Spanners. Nach Schön, Geschichte der Handfeuerwaffen, Taf. 14. Wischzeug und die Zündkrautflasche, überdies wickelte man noch einen Luntenvorrat darum. Diese Bandeliere scheinen zuerst in Sachsen am Ende des 16. Jahrhunderts aufgekommen zu sein; am Beginne des 17. findet man sie bereits in den meisten Heeren, in Italien am spätesten. Obwohl sie den beabsichtigten Zweck erfüllten, besassen sie doch den Nachteil, dass, wenn der Mann in Bewegung war, die Patronhülsen ein klapperndes Geräusch verursachten, was in Fällen von beabsichtigter Überrumpelung den Anmarsch einer Truppe leicht verriet. E. Das Bajonett. Mit der Einführung der Papierpatrone am Ende des 17. Jahr- hunderts legt das Fussvolk das Bandelier ab und erhält statt dessen die anfänglich an der rechten Seite, später am Rücken getragene Patrontasche . Die allgemeine Einführung der Papierpatrone und der Patrontasche ist um das Jahr 1670 zu setzen. In dem sehr interessanten Werke des Francesco Mazzioli Precetti militari, Bologna 1673, erscheinen bereits die Pikeniere mit einer im Degen- gurt steckenden Steinschlosspistole und mit einer kleinen Patrontasche ausgerüstet. Der Verfasser schlägt auch für die Musketiere Patrontaschen mit 12 blechernen Hülsen und in diesen Papierpatronen mit aufgebundener Kugel vor. Die Zündkrautflasche erhält sich aber noch länger, bis die Einrichtung an der Patrone getroffen wird, wonach das Zünd- pulver einen Teil ihrer Füllung bildet. Bei den Schützen, Jägern etc., der sogenannten leichten Infanterie, welche mit gezogenen Gewehren, Kammerbüchsen oder sogenannten Stutzen (gezogenen kurzen Gewehren) ausgerüstet waren, war die Zündkrautflasche noch bis in die 2. Hälfte unseres Jahrhunderts in Gebrauch. Die Unbequemlichkeit für den Musketier, die an beiden Enden angezündete Lunte stets zwischen den Fingern halten zu müssen, gab schon im 17. Jahrhundert Veranlassung zur Einführung von soge- nannten Luntenbergern . Sie werden aus Eisen- oder Messingblech in Form eines Cylinders gemacht, welcher oben mit einem kegel- förmigen oder flachen Deckel geschlossen wurde. Dieses Behältnis war an seiner ganzen Oberfläche durchlöchert; es wurde an dem Patrontaschenriemen an der Brust getragen. Im 18. Jahrhundert führten es noch die Grenadiere als die letzten Infanteriesoldaten, welche sich der Lunte bedienten. (Fig. 581.) Ein dem Radschlossgewehre eigentümliches Gerät ist der Rad- schlossspanner (Fig. 582, 583, 584), eine Art Schlüssel, mittelst welchem das Rad aufgezogen wurde. Der Spanner wird von den Reitern um die Wende des 16. Jahrhunderts am sogenannten Flaschen- hangsel, oder an einem Riemen am Gürtel getragen. (Fig. 585.) E. Das Bajonett . Man kann das Bajonett nicht schlechtweg zum Zubehör einer Handfeuerwaffe rechnen, es ist eine Beigabe, durch welche das Ge- wehr gewissermassen seine Bestimmung verändert und zur Stosswaffe wird. Wir haben gesehen, dass man schon seit dem Anfange des 16. Jahrhunderts, ja in beschränkterer Ausdehnung schon seit dem 14. Jahrhhundert darauf Bedacht nimmt, die Waffe gleichzeitig für Stoss und Hieb, bez. für den Schuss verwendbar zu machen. Man Boeheim , Waffenkunde. 32 II. Die Angriffswaffen. sah das höchste Ziel in einer Universal-Waffe, die jede Art der An- wendung gestattete. Gegen das Ende des 16. Jahrhunderts, in den Kriegen der Nieder- lande, ändert sich allmählich die Fechtweise, das Feuergefecht ent- wickelt sich in den grösseren Heeren mehr und mehr und die Taktik streift vollends ihre mittelalterlichen Traditionen ab. Mit der Be- deutung des Feuers kommt das Gewehr zu überwiegender Geltung. Fig . 586. Schweinspiess in Form eines Spundbajonetts mit Messingfassung und hölzernem Spunde. 17. Jahrhundert, Ende. Fig . 587. Spundbajonette . a. Spundbajonett mit Stichblatt . 17. Jahrhundert. Ehe- malige Sammlung L. Meyrick. b. Spundbajonett . 17. Jahrhundert. Englisch. Ehemalige Sammlung L. Meyrick. Aber für den Ansturm auf den Gegner konnte man einer Stosswaffe doch nicht entraten; so blieb die Pike neben der Muskete noch bei- nahe ein Jahrhundert eine unentbehrliche Waffe. E. Das Bajonett. Nach einem noch vorhandenen Schreiben eines gewissen Hot- mann an Jacob Kapellus zu Sedan vom Jahre 1575 Archiv für Geschichte etc. 1828. pag. 70. zu schliessen, muss das Bajonett schon damals als Waffe bekannt gewesen sein, da in dem Schreiben von einem vergoldeten Dolche gesprochen wird, Fig . 588. Französisches Dillen-Bajonett vom Jahre 1724. Nach Schön, Geschichte der Handfeuerwaffen, Taf. XVIII. Fig . 589. Französisches Haubajonett , sogenannter „Yatagan“, System Delvigne, vom Jahre 1840. Nach Thierbach. „den man Bajonett nenne“. Zum mindesten bestand zu jener Zeit das Wort, wahrscheinlich aber a u ch schon die heutige Verwendung 32* II. Die Angriffswaffen. der mit ihm bezeichneten Waffe, da die ältesten Bajonette eben nichts anderes als lange Dolche waren, deren Griffholz man in die Mündung des Laufes steckte und damit das Gewehr zur Stosswaffe umgestaltete. Schon in diesem Stadium der Entwickelung ist das Schicksal der Pike entschieden, sie wird überflüssig und verschwindet aus den Heeren. Aus dem Wortlaute des erwähnten Schreibens lässt sich aber schliessen, dass anfänglich die Bezeichnung Bajonett eine vermutlich in Bajonne erzeugte Dolchform bedeutete und erst später der Ähn- lichkeit des Gegenstandes wegen auf den Gewehrspiess übertragen wurde. Oberst M. Thierbach bemerkt in seinem trefflichen Werke über die geschichtliche Entwickelung der Handfeuerwaffen, Thierbach , M., Die geschichtliche Entwickelung der Handfeuerwaffen. Dresden 1886. das Bajonett sei wahrscheinlich zuerst bei der Jagd zur Anwendung gekommen. Diese Vermutung hat manches für sich, denn in der Waffensammlung des kais. Hauses in Wien wird thatsächlich ein in den Lauf zu steckendes Bajonett (Spundbajonett) bewahrt, dessen Klinge ein vollständiges „Schweinsblatt“ darstellt. (Fig. 586.) Es gehört dem Ende des 17. Jahrhunderts an. Aber die Idee, aus der Schiesswaffe in der hier bezeichneten Art eine Stichwaffe zu machen und diese auch im Kriege zu verwenden, trat doch schon weit früher auf. So werden in der obengenannten Sammlung auch zwei lange Faustrohre, etwa von 1580 datierend, bewahrt, die an der Stelle des Ladestockes eine Nut aufweisen, aus welcher eine spitze, pfriemenartige Klinge sich herausziehen und mittels einer Sperrfeder feststellen lässt. Das sind die frühesten Anfänge des Bajonettes. (Fig. 587a und b.) Die erste Erwähnung des Bajonettes, als ein „zu den Musqueden gehöriges Messer“, findet sich in den Akten des Hauptzeughauses zu Dresden im Jahre 1669. Der Nachteil der Spundbajonette, die man erst vom Gewehre herabnehmen musste, um mit diesem auch schiessen zu können, führte zu Versuchen, die Klinge etwas seitwärts vom Laufe zu stellen und die Verbindung durch eine Hülse (Dille) zu bewirken. Die ersten derartigen Bajonette besitzen nicht nur Spunde, sondern auch Dillen, welche aufgeschlitzt sind und den Lauf federnd umklammern. Um die Klinge aus der Kugelbahn zu bringen und somit auch bei aufgestecktem Bajonette feuern zu können, wurde sie mit dem so- sogenannten Halse versehen und seitwärts gestellt. (Fig. 588.) Diese Art der Befestigung liess vieles zu wünschen übrig, da nicht selten die Bajonette beim Feuern herabfielen und im Handgemenge leicht herabgezogen werden konnten. Erst um 1740 wurde in Frankreich eine solidere Befestigung dadurch erzielt, dass die Dille einen einge- F. Die Fahne und das Feldspiel. feilten, „gebrochenen Gang“ erhielt, der seine Führung durch das Visierkorn oder einen an den Lauf geschweisste Narbe erhielt. Auf- gesteckt wurde es durch eine Feder gehalten. Die ersten Bajonettklingen waren gerade, in Form eines kurzen Schwertes, nicht selten für den Gebrauch im Lager auch gezahnt. Später, im 18. und bis ins 19. Jahrhundert, werden sie immer kürzer und messerförmig. Im 18. Jahrhundert besass die sächsische Infanterie auch Bajonette mit Säbelgriffen, welche seitwärts an den Lauf befestigt wurden. Von Frankreich aus gelangten die dreikantigen, pfriemenartig gebildeten Bajonette in die anderen Heere; sie wurden auch in Lüttich, der grossen Kriegswaffen-Werkstätte, in Massen er- zeugt. Später erhielt die Klinge bei etwas zunehmender Länge einen vierseitigen Querschnitt mit konkaven Flächen. Der sogenannte Ba- jonetthals wird am Anfange des 19. Jahrhunderts cylindrisch und abgebogen, die Klinge erhält zur Sicherung vor der den Lauf ver- lassenden Kugel eine geringe Neigung nach der Seite. Erst um 1840 finden sich die ersten Haubajonette ohne Dillen, ähnlich den alten sächsischen, aber mit yataganähnlichen Klingen nach dem System Delvigne, mit denen zuerst die Chasseurs d’Orleans ausgerüstet wurden. (Fig. 589.) F. Die Fahne und das Feldspiel . Der Gebrauch von Fahnen in den Heeren reicht bis nahezu an die Grenzen unserer geschichtlichen Kenntniss zurück. „Die Kinder Israel sollen vor der Hütte des Stifts umher sich lagern, ein jeglicher unter seinem Panier und Zeichen.“ 4. Buch Moses, Kap. 2, 2. Die Fahnen und Feldzeichen hatten nicht allein einen praktischen Zweck als weithin sichtbare Vereinigungspunkte und als Ausgangspunkte des Be- fehles, sondern auch eine moralische Bedeutung, indem durch sie das Heer oder der Heerteil in seiner Streitbarkeit gekennzeichnet wird. Nach beiden Richtungen hin haben die Fahnen und Feldzeichen be- reits im Altertume gedient. In ihren äusserlichen Formen, wie in ihrer Bedeutung sind sie auf die das Erbe Roms antretenden und alle übrigen nordischen Völker übergegangen. Eine Art kleiner Reiter- fahnen, ähnlich wie die späteren Lehensfahnen, führten schon die sarmatischen Krieger in der Zeit der Völkerwanderung im 5. Jahr- hundert, wie wir an dem Bilde des Reiters auf einem Gefässe im Goldfunde von Szent Miklos (Fig. 133) ersehen; sie war viereckig und oberhalb in zwei Wimpel geschnitten. Genauer betrachtet ist die Form des Fahnenblattes schon vollkommen jene der viele Jahr- II. Die Angriffswaffen. hunderte späteren Lehensfahnen, die in einem Wimpel ausliefen, der lang und spitz geschnitten war. Unterhalb setzte sich das Blatt gerade abgeschnitten fort. Niemand wird die Ähnlichkeit der in den Figuren 133 und 596 dargestellten Fahnenblätter verkennen, wenn sich auch in ersterer zwei Wimpel zeigen. Auch die mohamme- danischen Völker bedienten sich von ihrem ersten Auftreten an ähnlicher Feldzeichen, doch haben diese in der Folge manche Fig . 590. Reiterfahne aus dem Psalterium aureum von St. Gallen. Ende des 8. Jahrhunderts. Nach Rahn. Fig . 591. Heinrich von Metz mit der Oriflamme nach dem Glasgemälde in der Kathedrale zu Chartres. 13. Jahrhundert. Nach Müller-Mothes, Arch. Lexikon. Fig . 592. Drache als Feldzeichen . Nach dem Relief auf der Columna Trajana. 2. Jahrhundert. Formeneigentümlichkeiten von den Byzantinern und selbst von den Heeren der Kreuzfahrer angenommen. Eines der ältesten Beispiele der Verwendung von Heerfahnen am Ausgange der antiken Zeit bilden die Fahnen Theodorichs des F. Die Fahne und das Feldspiel. Grossen und seines Gegners Odoaker, Ende des 5. Jahrhunderts. Erstere war weiss und golden, letztere schwarz, golden und grün. Beide waren über und über mit grossen Schellen behängt, ein Umstand, der die Absicht erkennen lässt, den Standpunkt und die aufrechte Stellung der Fahne auch durchs Ohr wahrnehmbar zu machen. Bis in die späteste Zeit waren die Feldfahnen in der That nicht allein von den verlässlichsten zu ihrem Schutze bestimmten Kriegern, sondern auch von Spielleuten umgeben. Bis ins 9. Jahrhundert bestand die Fahne aus einem Stücke Stoff, welches, ähnlich dem römischen vexillum, an einen Querstab geheftet, mit Schnüren an einer Spiessstange (Fahnenstock) befestigt war. Fig . 593. Drache als Reiter-Feldzeichen . Aus einer Mi- niatur im Psalterium aureum von St. Gallen. Ende des 8. Jahrhunderts. Nach Rahn. Fig . 594. Drache als Feldzeichen . Aus der Tapete von Bayeux. Ende des 11. Jahrhunderts. So erscheint auch die Fahne Karls des Grossen auf einem Mosaik im Lateran. Erst unter dem byzantinischen Kaiser, Leo V., wurde das Fahnenblatt unmittelbar an den Stock befestigt. Im Psalterium aureum von St. Gallen erblicken wir die Fahne nur ein einziges Mal; sie erscheint hier in roter Farbe, in 3 Wimpel geschnitten und mit grossen Ringen an den Schaft befestigt. (Fig. 590.) Bedeutsam ragt in der Geschichte die Kriegsfahne der Könige von II. Die Angriffswaffen. Frankreich, die Oriflamme (auri flamma), hervor, die von 1124—1415 dem französischen Heere voranflatterte. Sie war ursprünglich die Kriegsfahne der Abtei St. Denis in der Form des alten labarum Konstantins und bestand aus einem Blatte von roter Seide, welches unterhalb in 5 Spitzen endete und mit grünen Fransen besäumt war. So ist sie abgebildet in einem Glasgemälde in der Kathedrale zu Chartres aus dem 13. Jahrhundert. (Fig. 591.) Mit der allmählichen Verbreitung und Erstarkung des Lehenswesens vervielfältigten sich die Formen der Fahnen nach Grösse und Bedeutung. Zur Haupt- fahne, dem Reichsbanner, des Kaisers und der Könige gesellten sich die Lehensfahnen und die Ritterfahnen mit ihren Fähnlein, welche Fig . 595. Verwundeter Träger eines Drachens . Aus der Tapete von Bayeux. Ende des 11. Jahrhunderts. alle seit dem 11. Jahrhundert gewisse feststehende Abzeichen an sich trugen. In den ersten Kreuzzügen wurde dem Christenheer ein Heerbanner von Seide mit dem weissen Kreuze im roten Felde voran- getragen. Das älteste deutsche Reichsbanner war rot und mit dem Bilde des Erzengels Michael geschmückt, erst von Kaiser Sigismund an mit dem Reichsadler. Von Mailand ausgehend, bürgerte sich im 11. Jahrh. bei den Streitvölkern der italienischen Städte, aber auch in England und selbst bei den Sarazenen der vierräderige Fahnenwagen, der carroccio, ein, der von Ochsen oder Stieren gezogen wurde und auf F. Die Fahne und das Feldspiel. welchem die Fahne an einem aufrecht stehenden Mastbaume ange- heftet war. Dieser Wagen, der gewissermassen die Streitmacht und ihre volle Kampffähigkeit symbolisierte, war stets von einer auserlesenen Schar von Kriegern und von der Feldmusik begleitet. Bereits zur Kaiserzeit Roms treffen wir auf Feldzeichen für einzelne kleinere Heerteile, die ihrer sonderbaren und bizarren Form wegen auffallen. Es sind dies bemalte und vergoldete plastische Figuren in Form von Drachen, welche auf langen Stangen getragen wurden. Das Abbild eines solchen Drachens erscheint schon auf der Trajanssäule, wo es von dakischen Abteilungen geführt wird. Diese Drachen haben sich als Feldzeichen Jahrhunderte lang in den Fig . 596. Lehenfahne mit angefügtem Wimpel. 13. Jahr- hundert. Fig . 597. Herzog Leopold der Tugendhafte (1157—1194) mit der Lehenfahne auf einem Siegel im Archive des Stiftes Heiligen- kreuz. Nach Sava. Heeren erhalten, denn wir finden sie noch im Psalterium aureum und auch noch in der Tapete von Bayeux, In den Darstellnngen der genannten Stickerei kommen bereits Reiterabtei- lungen mit verschiedenartig gestalteten Fähnlein vor. also noch bis ans Ende des 11. Jahrhunderts. (Fig. 592, 593, 594, 595.) Derlei Drachenbilder führten nach Widukinds Res gestae Saxonicae auch im 10. Jahr- II. Die Angriffswaffen. hundert die heidnischen Sachsen im Felde, und auch das Rolands- lied erwähnt der mit Gold und Edelsteinen besetzten Drachen der Heiden im Gegensatze zu den christlichen Fahnen, auf welchen reli- giöse Embleme dargestellt waren. Vergl. die Ausgabe von Ekkehards Casus St. Galli (Mitt. z. vaterländ. Geschichte, herausgegeben vom histor. Verein von St. Gallen durch G. Meyer von Kronau, St. Gallen 1877, pag. 140, No. 488). Die Formen der späteren Lehensfahnen waren verschieden. Vom 13. Jahrh. an besassen sie u. a. die in Fig. 596 angegebene, die immer ausgespannt erscheint, um das Lehen in dem Blason des Blattes rascher erkennen zu lassen. Am häufigsten aber finden wir die an die Ori- flamme erinnernde Form vom 11. Jahrh. an in Siegeln bis ins 12. Jahrh., wo das Blatt in 2—4 Wimpel ausflattert. (Fig. 597.) Die Ritterfahnen, Fähnlein, sind meist klein, quadratförmig oder rechteckig, im letzteren Fig . 598. König Ottokar von Böhmen als Herzog von Österreich (1230—1278) mit der Rennfahne, auf einem Siegel im k. k. Staatsarchive zu Wien. Nach Sava. Falle mit einer langen Seite an die Stange geheftet. (Fig. 598.) Später entstand dafür die Bezeichnung Rennfahne , die noch bis in die Zeit Maximilians I. für sie gebräuchlich war. Sie finden sich auch nicht selten, namentlich in Frankreich und in Burgund, im 13. und 14. Jahrhundert mit steifem Blatte und unterscheiden sich zuerst durch die Farbe allein, später auch durch den heraldischen F. Die Fahne und das Feldspiel. Blason. Nicht selten besassen sie eine dreiseitige Form, man nannte sie dann pennons (Federn, ihrer schwachen Schäfte halber, Fig. 599). Wir bringen zum Vergleiche eine deutsche Rennfahne, sie gehörte dem Ritter Döring von Eptingen und wurde auf dem Schlachtfelde von Sempach 1386 erbeutet. (Fig. 600.) Sie ist mit Applikations- stickerei geziert und stammt aus dem Zeughause zu Luzern. Einfache, wenn auch ritterbürtige Dienstmannen und Vasallen führten statt des Rennfähnleins oft nur ein farbiges Wimpel, dessen Blatt schmal und lang gezogen in eine Spitze geschnitten endete. Für die Fahnenspitzen hat sich das ganze Mittelalter hindurch keine bestimmte Form herausgebildet, man trifft daher in den verschiedenen Fig . 599. Louis I. von Bourbon (1339—1384) mit dem Pennon auf einem Siegel im Archive zu Paris. Heeren die mannigfachsten Spiesseisenformen; die Stangen oder Schäfte aus Holz blieben bis ins 15. Jahrhundert cylindrisch mit geringem Querschnitte. Erst um 1400, als man anfing, die Spiesse in Rüst- haken einzulegen, welche auf der Plattenbrust befestigt wurden, gab man auch den Fahnenschäften die für das Einlegen berechnete Form und versah sie zuweilen auch mit eisernen Brechscheiben. Mit der Einführung geworbener Heere veränderte sich unter Maximilian I. und Ludwig XII. die innere Organisation des gesamten II. Die Angriffswaffen. Kriegswesens, wodurch auch die Fahnen in ihrer Form und Ver- teilung wesentliche Änderungen erfuhren. Die Reiterei, die alten Traditionen bewahrend, blieb den alten Formen mit Zähigkeit zuge- than. Das Regiment, bestehend aus adligen Kürissern und aus Rei- sigen, wurde in 3—4 Abteilungen, Fahnen genannt, geteilt. Vor jeder Fahne ritt deren Hauptmann mit dem Rennfähnrich (cornet), der die Rennfahne trug. Bei den Fusstruppen, den Landsknechten, Schweizern etc., hatte sich eine eigene Organisation entwickelt. Das Regiment führte die Hauptfahne und jedes seiner einzelnen Ab- teilungen kleinere Fahnen, Fähnlein genannt; dem Heerführer wurde das Banner vorangetragen. Bei den Fussregimentern, welche in jener Fig . 600. Rennfähnlein des Ritters Döring von Eptingen , gefunden auf dem Schlachtfelde von Sempach. 1386. Zeit, ihre Wichtigkeit fühlend, sehr zu Übertreibungen geneigt waren, waren alle Fahnen von einer manchmal staunenswerten Dimension, was die Ausdehnung des Blattes betrifft; dafür war die Stange so kurz, dass sie unterhalb nur soweit hervorragte, dass der Fähnrich im stande war, sie mit beiden Händen anzufassen. Sie zu tragen und im Gefechte zu schwingen, war eine längere Einübung unerlässlich. Jede Fahne war von einer Schar auserlesener Landsknechte umgeben, welche mit mächtigen zweihändigen Schwertern, Bidenhandern, Schlacht- schwerter genannt, bewaffnet waren. Ihnen zunächst schritten die Trommler und Pfeifer, das sogenannte Feldspiel. (Fig. 601.) F. Die Fahne und das Feldspiel. In den türkischen Heeren waren in jener Zeit die organisato- rischen Einrichtungen so vielgestaltet, dass wir in den Formen und der Verteilung der Fahnen und Feldzeichen wesentliche Unterschiede bemerken. Ohne auf die vielen Formen von Fahnen und Feldzeichen hier einzugehen, welche unter den Hilfsvölkern der osmanischen Reichs- Fig . 601. Landsknecht als Fahnenträger . Nach Jac. Köbel Wappen des heil. Röm. Reichs (Bartsch IX, 157). Zweite Ausgabe des Sigm. Feyerabend 1579, Holzschnitt von c. 1515. macht gebräuchlich gewesen sind, beschränken wir uns auf die Be- schreibung jener, welche in den Truppen des Hauptheeres selbst vom 15. bis ins 18. Jahrhundert geführt wurden. II. Die Angriffswaffen. ’Alem, im Volksmunde Blutfahne genannt, ist das Banner des Heerführers. Das Fahnenblatt von rotem Damast, meist 4.5 m. lang und 3 m. breit, unten spitz zulaufend, hängt an einer Querstange in der Art eines vexillum. In dem Stoffe finden sich religiöse Sprüche und Symbole in Gold eingewebt: zunächst das Glaubensbekenntnis, dann einzelne Verse der 48. Sure des Korans (Sure des Sieges), ferner ein Abriss der Rachehand des im Jahre 660 v. Chr. ermor- deten Kalifen Alî und dessen mit zwei Klingen ausgestatteten Schwertes des Dsû-l-fakâr, d. i. „des mit Rückenwirbeln begabten Schwertes Mohammeds“. Seltener finden sich Sprüche aus der 61. Sure des Korans darauf. Alle Benennungen orientalischer Waffen und Kriegsgeräte nach Prof. Dr. J. Karabaczcks Angaben im Katalog der histor. Ausstellung der Stadt Wien 1883. Eines der schönsten Exemplare ist das ’Alem des Seraskiers Suleiman Paschâ, welches vom Herzoge Karl von Lothringen in der Schlacht bei Hamzabeg in der Nähe von Ofen am 22. Juli 1684 erbeutet wurde. Sandschak, die Fahne des Statthalters einer Provinz, ist ähnlich dem ’Alem, nur verhältnismässig kleiner, einfacher geschmückt und auf dem Blatte sind zumeist nur ein oder zwei Verse der Sure des Sieges ersichtlich. Bairâk ist die Fahne der leichten Reiterei, der Deli, d. i. der Tollen oder närrischen Wagehälse, aus Freiwilligen bestehend, die in Asien angeworben wurden. Sie ist zumeist dreieckig, aus roter, auch gelber Leinwand gefertigt; die Buchstaben der Inschriften sind in rotem oder weissem Filztuch ausgeschnitten und roh aufgenäht, ebenso die Rachehand Alîs und der Dsû-l-’fakâr. Tûg, der Rossschweif, besteht aus einer cylindrischen, innen hohl gebildeten, daher ungemein leichten Stange aus weichem Holze, welche mit orientalischen Ornamenten bemalt ist. Am oberen Ende befindet sich ein meist aus Metall getriebener Knauf, zuweilen auch ein Halbmond aufgesetzt. Unterhalb desselben ist ein entweder offener oder in Zöpfen geflochtener Rosshaarschweif befestigt, dessen Haare verschieden in Blau, Rot und Schwarz gefärbt sind. Zunächst an dem Rossschweif ist die Stange mit einem Gewebe von Ross- und Kamelhaaren überzogen, die in mehreren Farben zuweilen sehr schöne Dessins zeigen. Die in Fig. 602 und 603 abgebildeten Rossschweife stammen aus der Mitte des 16. Jahrhunderts und wurden von Erz- herzog Ferdinand von Tirol vermutlich im Feldzuge 1556 erobert. Der Rossschweif war kein Feldzeichen gleich den Fahnen, sondern das Zeichen einer Würde. Drei Rossschweife führten die Paschâ von dem Range eines Vezîrs, deren zwei die Beglerbeg oder Statthalter, einen Rossschweif führte der Sandschâkbeg, d. i. Distrikts- gouverneur. Die Tûg wurden von Silihdâren (Waffenträgern) getragen, welche man in diesem Falle tûgdschî (Rossschweifträger) nannte. F. Die Fahne und das Feldspiel. Fig . 602. Rossschweif mit offenem Haarbusch. Die innere hohle, 3.50 m. hohe Stange ist bemalt, der obere Teil mit einem Ge- webe aus Rosshaaren überzogen. Trophäe aus dem Feldzuge von 1556 in Ungarn. Fig . 603. Rossschweif mit geflochtenem Haarbusch. Oberhalb des letzteren ist die 3.64 m. hohe Stange mit einem Gewebe aus Ross- haaren überzogen. An der Spitze befindet sich ein in Metall getriebener vergoldeter Knauf. Trophäe aus dem Feldzuge von 1556 in Ungarn. II. Die Angriffswaffen. Im dreissigjährigen Kriege veränderten sich in den occidentalen Heeren die Formen der Fahnen nur wenig. In den Reiterregimentern wurde später nur eine Fahne, Standarte genannt, geführt, das Renn- fähnlein kam bald gänzlich ausser Gebrauch. In den Fussknecht- regimentern führte, wie bisher, jeder Haufen (Fähnlein) seine Fahne, zu ihrer Verteidigung in der Schlacht bediente man sich aber nicht mehr der zweihändigen Schwerter, sondern des Kurzgewehrs, worunter, im Gegensatze zu den langen Piken, die Helmbarte zu verstehen ist. Später kamen auch Schützen dazu. Im 18. Jahrhundert wurden in allen Heeren, in den französischen zuletzt, die Dimensionen der Infanteriefahnen und Standarten bedeu- tend ermässigt. Eine Spezialität bildeten die sogenannten „Adler“, die Fahnen und Standarten der französischen Armee unter Napoleon I. Das Feldspiel, das, wie wir gesehen haben, schon vom Alter- tume an in Verbindung mit den Fahnen und Feldzeichen. auftritt, hat mit dem Fortschritt der Kultur und der Ausgestaltung des Kriegs- wesens bedeutende Änderungen erfahren, es ist, man kann sagen, stetig von den rohesten Anfängen bis zur höchsten künstlerischen Durchbildung gelangt, und sowohl der Orient als auch der Occi- dent hat hierzu das Seinige beigetragen. Das Feldspiel hat im Heere verschiedene Aufgaben zu erfüllen: es ertönt zur Belebung des Mutes in der Schlacht, zur Erheiterung der Gemüter beim Marsche; endlich finden wir es auch, namentlich in der Reiterei, benutzt, um Befehle auf weitere Distanzen, selbst im Getöse des Kampfes, zu vermitteln: als Signal. Das älteste Instrument, dem wir in den occidentalen Heeren in der Periode der Völkerwanderung begegnen, ist das Horn . Es tritt, aus Erz gebildet, zwar in ähnlicher Form auf wie bei den Römern, viele der Streitvölker jener Zeit scheinen aber dieses Instrument, das unter der Bezeichnung Posaune schon im Buche Josua (Kap. 6, V. 4 und 20) erwähnt wird und das weit vor ihnen schon die Ägypter gekannt hatten, von den Byzantinern erhalten zu haben. In den Streithaufen minder kultivierter Völker finden wir es als Natur- gegenstand, als Ochsen- oder Kuhhorn, wie bei den Schweizern des 14. Jahrhunderts. Schon am Beginne des Mittelalters verwandelte sich das Horn in die leichtere Trompete, deren schmetternde Töne den Kampflärm besser zu durchdringen vermochten. Diese Trompete war allerdings, und noch bis in das 13. Jahrhundert, von der einfachsten Form und bestand nur aus einer geraden Röhre mit darangefügter Schallöffnung nebst Mundstück. (Fig. 604.) Gegen das Ende des 14. Jahrhunderts F. Die Fahne und das Feldspiel. ist ihre Form bereits weit komplizierter; ihr Rohr ist zweimal gebogen und wir finden in jener Zeit zuerst ein Stück Stoff daran ange- bunden, die „Trompetenfahne“, auf welches die Embleme des Heer- führers oder Lehensmannes gemalt oder gestickt sind. (Fig. 605.) Diese Trompetenfahnen erhalten sich in den Heeren bis ins 18. Jahr- hundert. Erst gegen die 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts erscheinen die Trompeten in der in Fig. 606 dargestellten Form, in welcher sie sich im wesentlichen bis auf den heutigen Tag erhalten haben. Zu den am häufigsten angewendeten Instrumenten in den Heeren gehört die Pauke und die Trommel . Bei beiden wird der Ton dadurch, dass man mit einem Holzstück, dem Schlägel, auf ein ge- spanntes Kalbfell schlägt. So alt auch diese Instrumente sind, so finden wir keine Andeutung, die darauf schliessen lässt, dass ihre Ver- wendung in den ersten Jahrhunderten des Mittelalters eine allgemeine Fig . 604. Trompete aus einer Miniatur einer Apokalypse des 13. Jahrhunderts, ehemals in der Sammlung B. Delessert. Nach Viollet- le-Duc. Fig . 605. Trompete mit Fahne aus einem Manuskripte der Bibliothek zu Troyes. Nach Viollet-le-Duc. gewesen ist. Der Umstand, dass diese Schlaginstrumente in allen ihren Formen als Tamburin, Pauke, grosse und kleine Trommel in den Manuskripten des 12. Jahrhunderts zahlreich abgebildet sind, scheint ein Beweis, dass die Occidentalen sie von den Orientalen in den Kreuzzügen übernommen haben. Im 12. Jahrhundert tritt neben dem Sumber oder Paukenschläger bereits der Holibläser oder Pfeifer auf und seit dieser Zeit und bis zur Gegenwart bilden bei der Reiterei Pauke und Trompete, bei den Fusssoldaten Trommel und Pfeife gemeinsam das Feldspiel. In dieser Zusammenstellung finden wir sie auch bei den Franzosen und Bur- gundern im 15. Jahrhundert. Boeheim , Waffenkunde. 33 II. Die Angriffswaffen. In den Landsknechtheeren sehen wir das Feldspiel mit grosser Wichtigkeit behandelt. Dort bildete sich das Trommelschlagen zu einer eigenen Kunst aus und es erscheinen zum erstenmal die einfachen und hübschen Pfeifenmelodien, die sich teilweise noch bis heute erhalten haben. Die Trommel der Landsknechtstruppe war ein noch ziemlich ungeschlachter Gegenstand. Die beiden Fellreife waren von be- deutendem Durchmesser, der eigentliche Körper der Trommel, der „Sarg“, war von Holz und nach den Wappenfarben des Obersten oder den Landesfarben angestrichen. In der Reiterei führten in der Fig . 606. Trompete aus dem Turnierbuch des Königs René. 15. Jahrhundert. Nach Viollet-le-Duc. Regel im 16. Jahrhundert nur die Kürassiere neben den Trompeten auch Pauken, und wir sehen diese letzteren Instrumente schon damals mit reich gestickten Stoffen, „Paukendecken“, behängt, die in ähnlicher Form noch bis ins 18. Jahrhundert üblich gewesen sind. (Fig 607.) Im türkischen Heere waren Pauken und Trommeln schon der lärmenden Kampfweise wegen von grosser Bedeutung, ja in der Reiterei hatte im 16. Jahrhundert und vermutlich schon weit früher jeder einzelne Mann eine kleine Handpauke (tabl) zur rechten Seite an F. Die Fahne und das Feldspiel. den Sattelknopf gebunden, welche sowohl beim Marsche, vorzüglich aber beim Anreiten an den Feind geschlagen wurde. Erst in nächster Nähe des Angriffszieles wurden unter Geschrei die Säbel gezogen. Diese Handpauken finden wir bis ins 17. Jahrhundert auch in den moskowitischen, polnischen und ungarischen Reitertruppen, wie denn diese Nationen ihre kriegerische Ausrüstung durch Jahrhunderte nach orientalischen Mustern zusammenstellten. In Fig. 233 sehen wir eine türkische Handpauke, die Lazarus Schwendi 1556 erbeutet hatte. Im dreissigjährigen Kriege werden die Trommeln des Fussvolkes kleiner im Durchmesser, dafür aber länger und bleiben so bis ins 18. Jahrhundert. Fig . 607. Bedeckte Pauke eines österreichischen Kürassier- Regiments. Die Paukendecke von grünem Damast mit schwerer Rand- verzierung in Goldstickerei. In der Mitte der kaiserliche Adler mit den Wappen von Habsburg-Lothringen im Herzschilde. Um 1750. K. u. k. Heeresmuseum in Wien. Die sogenannten grossen Trommeln bei der Feldmusik waren bei den Janitscharen schon im 17. Jahrhundert im Gebrauch, durch kroa- tische Regimenter kamen sie 1743 in die österreichische Armee und von hier in alle übrigen. Mit ihnen zugleich die Handbecken, „Tschinellen“, die ein untrennbares Anhängsel der Trommeln bilden. Schon ein Jahrhundert früher und wieder nach türkischen Vor- bildern gesellte sich zur Trommel und Pfeife des Fussvolkes das so- 33* II. Die Angriffswaffen. genannte „Schellenspiel“, das aus einem etwa 1 ½ m. langem Stocke bestand, der oberhalb mit Schellen und Glöckchen behangen war und durch einen leichten Schlag mit der Hand im Takte der Musik ge- spielt wurde. Von diesen Schellenspielen haben sich nur sehr wenige noch erhalten. Ein Exemplar aus dem Beginne des 17. Jahrhunderts wird in der Waffensammlung im kaiserlichen Schlosse zu Ambras bei Innsbruck bewahrt (1514), ein anderes aus der 1. Hälfte unseres Fig . 608. Vollständiges Kompanie-Feldspiel aus Jacob Sutors künstlichem Fechtbuch, 1612. Jahrhunderts findet sich im k. u. k. Heeresmuseum zu Wien. Fig. 608 zeigt uns ein vollständiges „Spiel“, aus Trommler, Pfeifer und Schellenmann bestehend, nach einem Holzschnitte in Jacob Sutors von Baden künstlichem Fechtbuch von 1612. Endlich ist noch eines besonderen Instrumentes zu erwähnen, welches, als Feldspiel seit alter Zeit in Übung, noch bis in die Gegen- wart sich erhalten hat, die „Sackpfeife“ der hochschottischen Truppen. III. Die Turnierwaffen. W as wir heute unter dem Worte „Turnier“ verstehen, deckt nicht vollständig den in früherer Zeit mit dem Worte verbundenen Begriff, ja im Laufe der Jahrhunderte ist unter der Bezeichnung „Turnier“ nicht immer ein und derselbe Vorgang verstanden worden. Unter der Bezeichnung Turnier (turney) verstehen wir allgemein einen Waffengang im Frieden, ein Kampfspiel. Genau genommen umfasst der Ausdruck aber ebensowohl einen Ernstkampf zwischen einzelnen, ein sogenanntes „Gottesgericht“, als auch einen ritterlichen Waffengang zwischen Zweien nach bestimmten Regeln, in dem es nicht so sehr darauf ankam, den Gegner zu gefährden, als vielmehr die eigene Geschicklichkeit in der Führung der Waffe vor Augen zu stellen. Immerhin empfiehlt es sich, der Verständlichkeit halber, für die genannten Waffengänge die generelle Bezeichnung „Turnier“ beizu- behalten, wenn sie auch der Fachsprache nach nur ganz bestimmten Übungen zukam. Die Germania des Tacitus, das Beowulflied und die beiden Edda enthalten die ältesten Andeutungen über die Liebhaberei der Deutschen für Scheinkämpfe, ja es scheint sogar aus den Be- merkungen des Tacitus (Kap. 24) hervorzugehen, dass die römischen Kaiser durch diese Leidenschaft der Deutschen zur Einführung der Gladiatorenkämpfe veranlasst wurden. Auf diese altgermanische Streitlust geht auch der Ursprung der Kampfspiele im Mittelalter zurück. Neithart, der Neffe Karls des Grossen, erzählt (Lib. III.), wie 844 das Gefolge Ludwigs des Deutschen und seines Bruders Karl sich in gleiche Scharen teilte und ein Schein- gefecht lieferte, wobei auch die beiden Prinzen an der Spitze von jungen Leuten selbst sich in den Streit mischten. Gottfried von Preuilly (gest. 1066) scheint der erste gewesen zu sein, der für dieses Kampfspiel zwischen zwei Haufen eigene Regeln aufgestellt hat. Anfänglich war dafür die Bezeichnung Buhurt üblich, während III. Die Turnierwaffen. der Name „Turnier“, von tourner, tornare, erst im 12. Jahr- hundert, und zwar für das Kampfspiel in Scharen bei den Franzosen auftritt und sich von ihnen auf andere Nationen überträgt. Dieser Umstand erklärt, dass von dieser Zeit an die ursprünglichen deutschen Fachausdrücke im Turnierwesen verschwinden und französische, später italienische dafür üblich werden. Wie das Turnier deutschen Ur- sprungs ist, ebenso waren es die Deutschen, die bei der Weiterbildung desselben in Bezug auf die Manier und Ausrüstung den Ton an- gaben. Nicht im Gegensatze zu dem, was allgemein unter „Turnier“ verstanden wird, sondern als bestimmte Einzelform ist das „Gestech“ (joute, von juxta, treffen) anzusehen, bei welchem nur zwei Gegner in die Bahn traten, um ihre Geschicklichkeit in der Handhabung der Waffen an den Tag zu legen. Sicher war das Gestech, wie überhaupt alle Turnierarten nur eingerichtet, um die adlige Jugend in der Handhabung der Waffen und des Pferdes zu üben. In der ältesten Zeit findet sich keine Spur eines Kampfpreises oder materiellen Dankes für den Sieger; es genügte diesem vollkommen, den Beweis seiner Tüchtigkeit er- bracht zu haben. Später, im 13. Jahrhundert, als sich in der Ritter- schaft das Bestreben nach Vornehmheit und feiner Sitte mehr und mehr geltend machte und die Verehrung des weiblichen Geschlechtes den Adligen zur Pflicht wurde, bildete die Anerkennung, der Dank der Dame, den höchsten Preis für den Sieger. Mit dieser Wendung im Zusammenhange steht eine bis zum Übermass reifende Ausbildung des Zeremoniells, dessen Ausübung von eigenen Fachmännern, den Herolden, gehandhabt wurde. In den ersten zwanzig Teilen des Nibelungenliedes finden sich in Bezug auf das Turnier zahlreiche Bemerkungen, die sich noch aus der ursprünglichen Fassung des Gedichtes erhalten haben müssen; denn im 13. Jahrhundert, in welches man allgemein die jetzige Be- arbeitung des nordischen Epos setzt, hatten die Turniergebräuche bereits eine Ausbildung erfahren, von der in den Schilderungen der Turniere im Nibelungenliede noch nichts zu finden ist. Diese Wahr- nehmung wird bestätigt, wenn man jene Schilderungen mit dem fast gleichzeitigen „Frauendienst“ vergleicht. So begegnen wir dort nirgends der Bezeichnung „turnay“, die wir im „Frauendienst“ häufig lesen können; wir finden darin längst veraltete Sitten, wie das Abreichen von Kleidern an den Sieger (X, 4841—4842), ferner sehen wir die Verehrung des weiblichen Geschlechtes weitaus nicht so entwickelt, wie in den höfischen Gedichten des 13. Jahrhunderts. Zum richtigen Verständnisse des Turnierwesens ist die Kenntnis der Ausrüstung und der Streitweise, wenn wir sie so nennen wollen, unerlässlich. Diese Kenntnis ist freilich um so schwieriger zu erlangen, als sich die äusseren Formen des Kampfspiels bei den verschiedenen III. Die Turnierwaffen. Nationen und im Laufe der Zeiten beträchtlich veränderten und sich ins Unglaubliche vervielfältigten. So war am Ende des 11. Jahrhun- derts das Anrennen der Gegner mit der unter dem Arme gehaltenen Spiessstange noch nicht allgemein im Gebrauche. Der Teppich von Bayeux zeigt uns vielmehr, wie die Kavaliere ihre langen, dünn- schäftigen Spiesse beinahe alle mit erhobenem Arme, wie die Alten den Wurfspiess, das pilum, führen. Bis ins 14. Jahrhundert blieb die Ausrüstung und Bewaffnung im Turniere dieselbe wie im Kriege. Im Nibelungenliede spricht sich der Dichter darüber bei der Beschreibung des Wettkampfes mit Brunhild aus. Ein Waffenhemd von Seide (dem pfellil aus Libyen, sicherer wohl aus Spanien), eine feste Brünne, darüber die Eisenplatten, die „stahelzein“, genäht. Die Helme werden aufgebunden. Ein Schild, von Gold berandet, stark und breit; der „schildvezzel“, Schild- riemen, war mit Steinen besetzt. Wenn wir in der Erzählung von dem unter dem Buckel drei Handbreiten dicken Schilde lesen, den vier der Kämmerer kaum zu tragen vermochten, so lässt uns dieses nur auf das Bestreben schliessen, die Schilde zu verstärken, die sich gegen den Hieb und besonders gegen den Stoss zu schwach erwiesen. Wiederholt wird von durchstossenen Schilden, und von solchen ge- sprochen, in denen die Spiess- oder Speerschäfte stecken geblieben waren. Zu den Stosswaffen sind der Speer und der „ger“ oder Wurfspiess zu zählen. Die Sättel waren mit Steinen besetzt und mit goldenen Schellen behangen. Alle diese Merkmale deuten eher auf die Mitte des 12., als den Beginn des 13. Jahrhunderts, denn zu jenem Zeitraume waren die Schilde bereits an der Schulter be- festigt, und man bediente sich nicht mehr des Wurfspiesses, sondern ausnahmslos der Speere. Die Schäfte waren zu schwach, um mit ihnen beim Anrennen den Gegner hinter das Ross zu setzen; man liest darum in den älteren Teilen des Nibelungenliedes nirgends einen solchen Fall, wohl aber, dass die Schafttrümmer wie Spreu in die Luft flogen. Erst in dem jüngeren Teile, der XXVI. Aventiure, wird gelegentlich der Erzählung des Kampfes zwischen Gelpfrat und Hagen erwähnt, dass letzterer hinter das Ross gesetzt worden, ersterer vom Pferde gefallen sei. Dabei lesen wir die bemerkenswerten Verse: „Wer in die ros behielte, Daz ist mir vnbechant“. Wir sehen aus dieser Stelle, wie alt die Gepflogenheit ist, in den Turnieren eigene Leute zur Seite zu haben, deren Aufgabe es war, die Pferde aufzuhalten und den aus dem Sattel gehobenen Reitern behende beizuspringen, um die Wucht des Falles zu mässigen. Diese wichtige Hilfeleistung, mit der vom 15. Jahrhundert an eigene ge- schulte Leute, die „Grieswärtel“ betraut waren, wird gleichwohl in den Turnierbüchern gern verhehlt. Ohne sie wären die Gesteche und III. Die Turnierwaffen. Rennen des 15. und 16. Jahrhunderts weit gefahr- und opfervoller gewesen. Mehr fachlich entwickelt erscheint das Turnier im „Frauen- dienst“ des Ulrich von Lichtenstein, der uns als eine vorzügliche Quelle für diese ritterlichen Spiele dienen kann. Hier unterscheiden wir den Waffengang zu zweien, den „tyost“ oder das Gestech, von dem „buhurt“ , dem „turnay“ im engeren Sinne, bei dem die Gegner in zahlreichen Scharen in die Bahn traten. Die Ausrüstung und Bewaffnung unterscheidet sich nur sehr ge- ring von der im Kriege üblichen. Der Wappenrock ist wie die Decke des Pferdes (parsen) von Leder, beide wohl auch mit Samt von einerlei Farbe überzogen und mit Schildchen von Eisenblech besetzt. Halsberg, „spaldenier“ (espalderium), der auch bis über die Achseln reichte, und Beinkleider, „îsenhosen“, bestanden aus Panzerzeug. Der Schild von dreieckiger Form scheint etwas kürzer als der im Kriege verwendete gewesen zu sein. Der schwere Topfhelm wird erst nach vollendeter Wappnung mit seidenen Schnüren aufgebunden. Die Speere haben bereits kleine Brechscheiben, die dort „speerscheiben“ genannt werden. Im Tyost zu Tarvis traten Reinprecht von Mureck und Ulrich von Lichtenstein in die Bahn, jener schlug seinen Speer unter den Arm — das war die gebräuchliche Art — dieser setzte ihn tief am Schenkel, „an den diech“, an. Am Beginne des 13. Jahrhunderts ist bereits das Ziel des Waffen- spieles geändert und bestimmter ausgesprochen. Die Absicht auf beiden Seiten ist, entweder den Speer kunstgerecht an dem an der linken Schulter hangenden Schilde zu verstechen, so dass der Schaft beim Anrennen zersplitterte, oder den Gegner hinter das Ross zu setzen. Für beide Gegner war es im ersten Falle selbstverständlich, dass sie den mässigen Stoss „auszusitzen“ im stande waren, d. h. nicht vom Pferde fielen. Für diesen Fall wurde die Stellung zum Anreiten nahe, der „puneiz“ (von poser, ponere, stellen) kurz genommen. In dem anderen Falle, wo der Stecher die Absicht hat, den Gegner seine Kraft und Geschicklichkeit fühlen zu lassen oder ihn zu be- schämen, nahm er seine Stellung entfernter, „den puneiz lanc“, und warf ihn mit kunstgerechtem Stosse hinter das Ross, wobei natürlich beide Speere gleichfalls zerschellten. Es ist hieraus zu ersehen, dass die Speere seit dem 12. Jahrhundert allmählich stärker wurden. Immerhin aber besassen sie noch einen 6.5 cm. nicht überschreitenden Durchmesser und blieben damit so handsam und leicht, dass sie ohne Auflager (Rüsthaken) angesetzt werden konnten. Die Knechte Ul- richs von Lichtenstein führten beim festlichen Einritte jeder 3 zusammengebundene Speere in der Hand. Wir unterscheiden im 13. Jahrhundert bereits zweierlei Turniere, das Wanderturnier und das ausgeschriebene . Jenes ist ein zu- III. Die Turnierwaffen. fälliges oder absichtliches Begegnen zweier Ritter auf dem Wege, wo- bei es ohne einiges Speerverstechen nicht abging. Der eine setzte sich am Wege und forderte den anderen meist unter schwulstigen Reden und ruhmredigen Worten zum ritterlichen Kampfe auf; er erscheint hier als der Aventurier . Der andere musste sich ihm stellen, als Mantenador . Auf dem Wege hinter Clemun hatte der Ritter Mathie sein Zelt vor Ulrichs Weg geschlagen, um ihn vor der Weiterreise zum Stechen aufzufordern; da mass er sich mit 11 Rittern, und die Trümmer, „trumzen“, der Speere und etliche Schilde lagen auf der Erde. Das häufig grosse Gedränge des Trosses und des herbeigeeilten Volkes bewog Ulrich , den Ring des Turnieres abzu- stecken. Die Ecken eines Rechteckes wurden durch vier in die Erde gesteckte Paniere bezeichnet, die Linien dazwischen durch 200 Speere mit Fähnlein in der Farbe von Ulrichs Schild bezeichnet. An den kurzen Seiten befand sich in der Mitte je ein Eingang, durch Fig . 609. Abbildung eines Gesteches . Aus dem Codex Balduini Trevirensis von c. 1330. welchen niemand reiten durfte, der nicht zum tyost bereit war. Das war damals eine Neuerung, für die man Ulrich sehr erkenntlich war. Dieses Wegelagern im Stile des Stegreifritters währte bis ans Ende des 14. Jahrhunderts, in Deutschland sogar noch bis ins 16. Jahr- hundert, und es lag in der Natur dieser Zufallsgesteche, dass bei ihnen nur solche Waffen benutzt wurden, die auch im Felde ge- bräuchlich waren, so z. B. die Brusttartschen aus Holz, deren wir bei Beschreibung der Feldharnische des 15. Jahrhunderts gedacht haben. Sie bildeten gleichfalls ein wichtiges Ausrüstungsstück. Vergl. Fig. 187 und 194. (Fig. 609.) Das ausgeschriebene Turnier wurde, wie es der Name schon bezeichnet, infolge einer Einladung, die an die Ritterschaft erging, III. Die Turnierwaffen. auf einem bestimmten Platze abgehalten. Schon viele Monate vor dem anberaumten Tage durchzogen Sendlinge oft weit entfernte Länder und überbrachten vorzugsweise an berühmte Turniergenossen die Auf- forderung, bei dem ritterlichen Wettkampfe nicht zu fehlen. Diesen allgemeinen Charakter behielten die Turniere bis gegen das Ende des 14. Jahrhunderts und die Ausrüstung folgte genau allen Wandlungen, welche sich bis dahin im Kriege merkbar machen. Erst um 1350 oder doch wenig früher beginnen die Formen der Aus- Fig . 610. Turnierschwert . Aus dem Livre des tournoirs des Königs René. 15. Jahrhundert. Nach Jacquemin. Fig . 611. Turnierkolben . Aus dem Livre des tournoirs des Königs René. 15. Jahrhundert. Nach Jacquemin. rüstung zum Turnier von jener im Kriege sich zu unterscheiden. Diese Erscheinung erklärt sich daraus, dass man, um im Turniere kühn und tapfer zu erscheinen, allgemach auf Mittel sann, den Effekt III. Die Turnierwaffen. für das Auge des Zuschauers zu erhöhen. Wir werden im Verlaufe unserer Darstellung Gelegenheit erhalten, diesem Streben Schritt für Schritt zu folgen. Schon im Verlaufe des 14. Jahrhunderts hatte der Buhurt, nun Turnier genannt, besonders in Südfrankreich und Italien eine Ver- änderung dadurch erfahren, dass die Gegner in der Regel nur einen Speer verstachen und dann zu stumpfen Schwertern griffen, mit denen sie sich unter lautem Geschrei, in Deutschland unter dem Rufe: „Wicha herre, wicha wich!“, anfielen, bis eine Partei, von den Streichen des Gegners erschüttert, sich oft unter Rücklassung von ritterlich Ge- fangenen für überwunden erklärte. In Deutschland kam vom Beginne des 15. Jahrhunderts an das sogenannte Kolbenturnier zu Ross in Gebrauch, das immer nur zwischen zwei Gegnern ausgetragen wurde. Die Waffen in diesem Gange bestanden aus stumpfen, aber schweren Schwertern (Fig. 610) und Kolben. Letzterer, aus hartem Holz gefertigt, hatte eine durch- schnittliche Länge von 80 cm. Die Handhabe besass insgemein einen kugelförmigen Knauf und statt einer Parierstange eine Scheibe aus Eisenblech oder einen Nodus (Fig. 611). Der Kolben selbst hatte einen polygonen Querschnitt und verstärkte sich allmählich gegen das Ende zu. Diese mächtig wirkenden Waffen waren die nächste Veranlassung zu einer Veränderung der Helmform beim Turnier zu Ross, da ein Schlag mit solchen auf den alten Topfhelm, welcher auf dem Scheitel aufsass oder doch mit diesem in Berührung stand, lebensgefährlich werden konnte. Der neue Helm wurde kugelförmig gebaut, und war so umfangreich, dass ihn der Kopf des Mannes nirgends berührte und ledig- lich auf den Schultern und der Brust aufsass; desungeachtet wurde der Kopf des Trägers durch eine dick mit Werg gefütterte Haube, „har- naschkappe“, geschützt. Zum erstenmal finden wir jetzt die Teile am Halse und im Nacken eingezogen. Derlei Kugelhelme kommen in unterschiedlichen Detailformen vor, sehr gebräuchlich waren die Helme, die aus einem starken Eisengerippe bestanden, worüber ein Überzug von starkem, gesottenem Rindsleder kam. An der Stelle des Gesichtes war der Helm offen und dieser Teil durch ein starkes Gitter aus Eisen und Draht geschützt. Das ganze Scheitelstück war mit Leinwand überzogen, mit Kreidegrund bedeckt und mit der Wappenfigur des Eigners in Temperafarben bemalt. Der Hals sowie der Bart- und Rückenteil bestand aus Eisenblech. Die Befestigung an der Brust sowie am Rücken, an dem Lentner oder an dem Platten- harnisch wurde durch Eisenbänder bewirkt, die in entsprechende Naben eingefügt wurden. Ebenso wie der Topfhelm des 12. und 13. Jahrhunderts, so war auch der Kugelhelm mit einer Helmzier am Scheitel, dem sogenannten „Zimier“, ausgestattet. Die Formen dieser III. Die Turnierwaffen. Helmzieren wechselten nach dem Geschmack oder der Laune des Eigners. Zuweilen finden sich darin in vollplastischer Ausführung die Wappenfiguren der Eigner wiedergegeben, oft aber eine andere bizarre Figur, nicht selten Anspielungen an eine geliebte Dame, und selbst Andenken von solchen, wie Tücher, Handschuhe, Schleier u. dgl., werden an den Zimieren angebracht. So findet man denn an allen noch vorhandenen alten Helmen Vorrichtungen zur Befestigung von Helmzieren, die in einer Röhre oder einem eisernen Stabe bestehen. Die Anfertigung der Zimiere, der Lederparschen für die Pferde, der ledernen Rossköpfe, Rossstirnen, der Schilde u. dgl., die alle insgemein bemalt waren, gehörte in den Bereich des Schilterhandwerks. (Fig. 612 Fig . 612. Turnierhelm für das Kolbenturnier zu Ross, bestehend aus einem Eisengestell, welches mit gesottenem Leder überzogen und in Temperatechnik bemalt ist. Der vordere Teil ist mit einem Gitter von Eisenspangen und Draht geschützt. Um 1480. Sammlung Mayerfisch in Sigmaringen. Nach Suttner, Der Helm. und 613.) Auch hier zeigt sich das Streben nach Erhöhung des Effektes, insofern es beim Kolbenturnier vorzugsweise darauf abge- sehen war, dem Gegner das Zimier vom Helme zu schlagen. Eine andere Art von Kugelhelmen für das Kolbenturnier bestand aus geschlagenem Eisen, mit ähnlicher Form des Scheitelstückes aber mit breitem aufschlächtigem Visier; zuweilen mit bauchig vorgetriebenem III. Die Turnierwaffen. Gitter. Derlei blanke Helme wurden zum Schutze vor den Sonnen- strahlen in der Regel mit Helmdecken getragen, welche unterhalb des Zimiers befestigt, über den Rücken herabfielen. Diese Helmdecken, schon im 13. Jahrhundert an den Kübelhelmen häufig in Gebrauch, waren von Seide oder feiner Leinwand in den Farben des Wappens des Trägers gehalten und meist an den Rändern ausgezackt (gezaddelt). Der Brustharnisch, anfänglich von starkem, gesottenen Rindsleder, mit Nägeln besetzt, als Lentner, hatte beim Kolbenturnier einen starken eisernen Ring an jeder Seite. An dem linken wurde das stumpfe Schwert, an dem rechten der Kolben mit starken Hanfschnüren be- festigt. Später, als der Plattenharnisch in Aufnahme kam, um 1440 Fig . 613. Turnierhelm für das Kolbenturnier zu Ross, ähnlich dem vorigen, mit röhrenartiger Vorrichtung zur Befestigung des Zimiers. Um 1480. pflegte man das Brust- und Rückenstück der Transpiration wegen zu durchlöchern. An Brust und Rücken schlossen sich vorne die ge- schobenen Bauchreifen und rückwärts ein kurzer Schurz an. Das Armzeug hatte, je nachdem es von Leder oder Eisenblech gefertigt war, eine verschiedene Form. Von Leder wurden die Achseln kugel- förmig gestaltet und diese ebenso wie die Armröhren und Kacheln durch starke aufgenähte Hanfstricke verstärkt. Die Handschuhe aus schwerem Rindsleder waren nicht gefingert (Hentzen) und meist der III. Die Turnierwaffen. linke an der Oberseite der Hand wie am Stulp mittelst angebundener eiserner Scheiben geschützt. Diese waren das Vorbild für die Stiel- scheiben, die an den Handschuhen der Harnische vom Ende des 15. Jahrhunderts auftreten. Ging dem Kolbenturnier ein Spiessbrechen voraus, was nicht selten vorkam, dann wurde an die linke Seite der Stechschild gehängt und der Riemen lief über die rechte Schulter und unter dem linken Arm durch. Die Schildform war verschieden, meist dreieckig, später aber auch viereckig, konkav gebildet, mit schneckenförmig aufgerollten Rändern, zumeist heraldisch bemalt oder mit Stoff überzogen. Je nach Bedürfnis waren sie aus Holz, das mit Leder überzogen wurde, oder aus Eisenblech gefertigt. Über dem Harnisch trug der Turnierende häufig ein Harnisch- röckchen (harnaschhemt) von Seide oder feiner Leinwand in den Farben des Wappens, oft auch mit den wechselnden Figuren desselben. Die Beine wurden anfänglich mit Panzerwerk (Musszeug) geschützt, die Kniee im 14. Jahrhundert gleich den spitzen Schuhen mit Eisen- blech. Später bestand der Beinschutz aus Diechlingen, Kniebuckeln, Beinröhren und Spitzschuhen von Eisen. Auch die Pferderüstung zeigte im Turnier einige Abweichungen von jener im Kriege. Schon für das Kolbenturnier und vermutlich da zuerst, erhielten die Sättel ein erhöhtes Sitzblatt. So entstanden die sogenannten „ Sättel im hohen Zeug “, damit verfolgte man die Absicht, dass der Reiter in der Handhabung der Waffe durch das Pferd nicht gehindert war. (Fig. 614.) Die Konstruktion des Sattels war eine derartige, dass der Reiter nahezu in den Bügeln stand. Der mit Eisen beschlagene Vordersteg reichte zum Schutze der Lenden des Reiters sehr hoch hinauf und verbreitete sich auch stark nach seit- und abwärts. An dem oberen Rande be- fand sich ein starker eiserner Bügel, um beim Ausfalle dem Reiter für die linke Hand einen Anhalt zu bieten. Der Hintersteg fehlte bei derartigen Sätteln zumeist gänzlich, doch umschloss ein eisernes Band den Körper des Reiters derart, dass dieser nicht vom Pferde fallen konnte. Der übrige Teil der Pferderüstung war gleich der im Kriege üblichen, wie wir sie bereits beschrieben haben, nur wäre zu bemerken, dass das Pferd stets mit einer Parsche aus schwerem Rinds- leder bedeckt war; darüber wurde eine Decke gelegt, die auch über den Sattelsteg reichte und gemeiniglich ganz gleich dem Harnisch- röckchen mit heraldischen Emblemen ausgestattet war. Das Kolben- turnier zu Ross kam am Ende des 15. Jahrhunderts ausser Übung. (Fig. 615.) Schon im frühen Mittelalter kommt neben den beschriebenen Turnierarten unter ganz ähnlichen Zeremonien eine andere vor, die von diesen wesentlich absticht. Man nannte sie „ Kämpfen “, später III. Die Turnierwaffen. im 15. Jahrhundert mit etwas mehr Emphase „ den alten deutschen Fusskampf “. Der Ursprung dieses Fusskampfs zu zweien ist in den uralten Ordalien der Deutschen, den Gottesurteilen, zu suchen, bei denen der Unterliegende sein Schicksal mit dem Leben bezahlte. Bei den späteren Kämpfen dieser Art kam allmählich die religiöse Grundlage abhanden, sie wandelten sich zu Waffenspielen um, bei denen die Absicht nicht mehr allein auf die Vernichtung des Gegners gerichtet war, der Siegespreis vielmehr in der Anerkennung der Waffentüchtigkeit oder in der Gunst einer Dame gesucht wurde. Fig . 614. Turniersattel im hohen Zeug, für das Kolbenturnier zu Ross. 15. Jahrhundert, 2. Hälfte. Germanisches Nationalmuseum zu Nürnberg. Nach Leitner, Freidal. In der That scheint das Zurückgreifen auf eine uralte Sitte, wie sie der „Kampf“, der Zweikampf zu Fuss, im Mittelalter darstellt, keinen anderen Zweck gehabt zu haben, als das Waffenspiel mannigfaltiger zu gestalten. Bei der hohen Achtung, die man in der Ritterschaft vor allen alten Gebräuchen hegte, wurde auch der Fusskampf vom Be- ginne an mit ausserordentlicher Wichtigkeit behandelt und strenge III. Die Turnierwaffen. Gesetze dafür aufgestellt. Die ganz verschiedene Kampfweise führte auch zunächst zu einer wesentlichen Veränderung der Schutzwaffe, aus der sich allmählich die Form des Kampfharnisches heraus- bildete. Bei dem Aufkommen dieser Übung scheinen die alten Fecht- meister, die Markusbrüder, auf die Ausrüstung wie auf das Zeremo- niell und die Fechtweise einigen Einfluss geübt zu haben, darauf deuten manche Ähnlichkeiten, die sich in den alten Fechtbüchern wieder- Fig . 615. Herzog Georg von Bayern-Landshut auf dem Kolbenturnier zu Heidelberg am 18. August 1482. Aus Hans Burgkmayrs Turnierbuch. Aquarell von ca. 1554. Im Besitze des Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen. Nach Hefner. finden; man ist aber von diesen Förmlichkeiten später abgegangen, um praktischere Einrichtungen an die Stelle zu setzen. In der Abbildung eines Fusskampfes in der Manesseschen Hand- schrift in Zürich, die um das Jahr 1300 entstand, sehen wir zwei III. Die Turnierwaffen. Kämpfer, die ihre Sache in Gegenwart von Damen austragen, die mit den Händen Beifall klatschen. Für uns ist hier nur Tracht und Bewaffnung bemerkenswert. Was die Tracht betrifft, so ist das lange Hemd (später über den Harnisch getragen) als Gewand des Kämpfers vom frühen Mittelalter an traditionell; es verliert sich erst gegen die Mitte des 15. Jahrhunderts. Die Waffe beider Streitenden ist das stumpfe Fig . 616. Der Minnesänger Wilhelm von Scharfenberg kämpfend . Aus der Manessischen Bilderhandschrift. Um 1300. Nach Eye, Kunst und Leben der Vorzeit. Schwert, wir finden hier auch ein altes Beispiel der Verwendung von sogenannten „Faustschilden“. (Fig. 616.) Wesentliche Verschiedenheiten in Tracht und Ausrüstung ge- wahren wir in einem vom Anfange des 15. Jahrhunderts stammenden Boeheim , Waffenkunde. 34 III. Die Turnierwaffen. Bildkodex der Bibliothèque nationale zu Paris, betitelt: Cérémonies des gages de bataille; Lacroix, P., Vie militaire et religieuse au Moyen-âge. Paris 1873, p. 167. hier tragen die beiden Kämpfer den voll- ständigen Plattenharnisch mit einem Helme von kugelförmiger Gestalt und breitem Visier; über den Harnisch das herkömmliche Waffenhemd mit dem Blason des Wappens der Träger. Das erinnert noch an die bei den Ordalien üblichen Gebräuche. Die Waffe aber, welche die Kämpfer führen, besteht in einem kurzen Ahlspiess mit zwei runden Scheiben am Griffe und mit spitzer Klinge. (Fig. 617.) Gegen die Mitte des 15. Jahrhunderts erfährt die Ausrüstung für den alten deutschen Fusskampf eine bedeutende Veränderung. Zunächst vervielfältigen sich die Waffen. Man kämpft, wie wir aus dem Freydal Maximilians I. ersehen, nicht nur mit Schwertern, son- dern auch mit Kolben, Ahlspiessen, Cousen, Spitzhämmern, gemeinen Spiessen, Dolchen (Degen), Stangen, Dusäggen, Helmbarten, ja selbst Fig . 617. Ritter im Fusskampf mit Ahlspiessen . Aus dem Bildcodex „Ceremonies des gages de bataille“ der Nationalbibliothek zu Paris vom Anfange des 15. Jahrhunderts. Nach Lacroix, Vie mi- litaire etc. mit Drischeln. Der Harnisch erhält eine für die Kampfart berechnete Form. Der Helm, mit breitem, aufschlächtigen Visier, ist übermässig gross, kugelförmig gestaltet und wird an Brust und Rücken ange- schraubt oder mit Riemen daran festgeschnallt. Es ist auch hier die Absicht erkennbar, zu verhindern, dass der Helm mit dem Kopfe des Trägers in unmittelbare Verbindung kommt, um diesen vor den Er- schütterungen durch Kolbenschläge möglichst zu bewahren. Die Brust ist einmal geschoben, an sie schliesst sich unterhalb ein vielfach ge- III. Die Turnierwaffen. schobener Schurz, sogenannter „Kampfschurz“, der nahezu bis an die Kniee reicht. Die Achseln sind geschoben und reichen zum Schutze der Achselhöhlen bis zur Brustmitte. Das Armzeug ist das gewöhn- liche der gleichzeitigen Harnische; ebenso sind die Handschuhe mit spitz geschnittenen Stulpen der Form der Hentzen jener Zeit ent- sprechend. Das Fusszeug zeigt gleichfalls keine besonderen Formen, doch reichen die Diechlinge weit über den Schenkel hinauf, die Knie- beugen sind meist mittelst Folgen geschlossen und die natürlich un- bespornten Schuhe, welche für sich angezogen werden, erscheinen schon um 1480, kolbig, gleich den späteren Kuhmäulern oder Bären- füssen. So erblicken wir den Kampfharnisch des burgundischen Ritters, Rates und Kämmerers Herzog Karls des Kühnen, Claude de Vaudrey , worin derselbe auf dem Turnier zu Worms 1495 von Kaiser Maximilian I. besiegt wurde. (Fig. 618.) Die Darstellung des Kampfes mit Fausthämmern ist im Freydal Bildkodex in der Bibliothek der kunsthist. Sammlungen des kais. Hauses zu Wien. Quirin v. Leitner , Freydal. Des Kaisers Maximilians I. Turniere und Mummereien. Wien, 1880‒1882. enthalten. Aus dieser ist ersichtlich, dass über den Harnisch noch ein Röckchen aus Stoff gezogen wurde. Um den unteren Teil des Schurzes kam häufig das alte Zeichen der Ritterwürde, der breite Waffengürtel, den wir schon an der ritterlichen Tracht des 14. Jahrhunderts finden. Eine Be- trachtung der Form des Harnisches führt weiter zu der Überzeugung, dass dem Träger in den Armen eine nur beschränkte Bewegung ge- stattet war, offenbar um die Gefahr zu mässigen, ohne den Effekt für das Auge viel zu beeinträchtigen. Zu den Handwaffen des Fusskampfes zählte zunächst der Faust- schild. Wir sehen einen solchen aus dem Ende des 15. Jahrhunderts in Fig. 619. Er hat einen Durchmesser von 32 cm., der Rand ist aufgeworfen. Etwas innerhalb des letzteren läuft ein eiserner Reif rings um den Schild, der freistehend nur an starken, stiftähnlichen Stielen auf dem Schildblatte aufsitzt. Es ist dies ein sogenannter Klingenfänger, seine Bestimmung war, falls es gelang, die Spitze des Ahlspiesses oder der Schwertklinge in den Zwischenraum des Reifes zu bringen, diese durch eine Handbewegung einzuklemmen und fest- zuhalten. An derlei Faustschilden finden sich oft auch 3 — 6 und mehr konzentrisch angeordnete Reifen. Der Schildnabel ist hoch aufge- trieben und mit aufgelegten Verzierungen gotischen Stiles ausgestattet. Im Inneren findet sich ein starker Bügel (A.) zur freien Führung mit der linken Faust, am Oberrande ein langer Haken (B.), mit dem der Schild am Schwertgehänge getragen werden konnte. (Fig. 619.) Neben dem Faustschilde wurden auch in Kämpfen, bei denen nicht Stangenwaffen geführt wurden, schwere Holzschilde (Pavesen) und sogenannte Handtartschen gebraucht, welche gleichfalls aus Holz mit Leinwand überzogen und gleich den ersteren bemalt waren. 34* III. Die Turnierwaffen. Im 16. Jahrhundert kam der deutsche Fusskampf allmählich ausser Übung. Dafür kam das weit wirkungsvollere Fussturnier in Fig . 618. Harnisch für den deutschen Fusskampf des burgundischen Kämmerers Claude de Vaudrey , in welchen gerüstet derselbe mit Kaiser Maximilian I. am Reichstage zu Worms 1495 sich mass. Um 1590. Nach Leitner, Freidal. III. Die Turnierwaffen. Aufnahme und zu grosser Beliebtheit, das mit den alten Buhurts einige Ähnlichkeit dadurch hat, dass auch hier in Gruppen turniert wurde; die Gruppen waren aber durch Schranken getrennt. Bei der schwärmerischen Verehrung jedoch, welche die alten Gebräuche in den Adelskreisen genossen, fanden Angehörige des hohen Adels es auch in jener Zeit ihrer Würde angemessen, wenigstens einen Kampfharnisch zu besitzen, um sich bei einer etwaigen Herausforderung zum Kampfe stellen zu können. Etwa vom Jahre 1510 an begannen die Plattner die Har- nische in ganzen Garnituren so einzurichten, dass einen und denselben Harnisch durch Veränderung mittelst Wechselstücken ebenso für das Feld, wie für das Turnier verwendet werden konnte, und um 1560 kam man so weit, dass ein und derselbe Harnisch auch für den Fuss- kampf zu verwenden war. Viele Kampfharnische, darunter jener des Albrecht Achilles , Markgrafen von Brandenburg, Karls V., Fig . 619. Faustschild von Eisen mit einfachem Klingenfänger. Italienisch. 15. Jahrhundert. a. Obere Ansicht. b. Durchschnitt nach der Mitte. Ferdinands I. und des Erzherzogs Ferdinand von Tirol sind noch vorhanden. Monarchen bedienten sich der imposanten Kampf- harnische auch bei Gelegenheit von Festlichkeiten, wie denn auch Maximilian I. wiederholt in solchen Harnisch gekleidet in H. Burg- mayrs Holzschnitten erscheint. In diesem Falle benutzte man sie selbst zu Pferde, zu welchem Zwecke der Kampfschurtz vorne und rück- wärts bogenförmig ausgeschnitten wurde. Die Form dieser spätesten Kampfharnische ist, abgesehen von ihren besonderen Eigentümlichkeiten, des Kampfschurzes, der gescho- benen breiten Achseln, des fehlenden Rüsthakens, ganz den gewöhn- lichen gleichzeitigen Harnischen nachgebildet. Häufig finden wir den III. Die Turnierwaffen. burgundischen Helm, „der im kragen umbget“, nicht selten auch den an die Brust geschraubten Helm (Fig. 620), aber in einer dem Kopfe des Trägers angepassten Grösse. Sowohl die Armbeugen als die Kniekehlen sind mit Folgen geschlossen. Verstärkungsstücke kommen gewöhnlich nur an den Achseln vor. (Fig. 621.) Wie erwähnt, war die Ausrüstung für das Gestech ursprünglich dieselbe wie im Kriege. Erst im 14. Jahrhundert bemerkt man einige Vorkehrungen, namentlich an den Helmen und Schilden (Tartschen), die auf den besonderen Zweck des Turniers deuten. Eine solche besondere Ausstattung sehen wir in dem sogenannten Pranckher Helm Fig . 620. Geschlossener Helm zu einem Harnisch für den deutschen Fusskampf, blank mit geätzten und vergoldeten Strichen und Emblemen. Deutsche, vielleicht Augsburger Arbeit um 1560. Armeria Reale zu Turin. aus der Mitte des 14. Jahrhunderts (Fig. 622), der an der linken Seite der Helmwand durch Filz und eine darübergenietete Eisen- platte verstärkt ist. Vom Beginne des 15. Jahrhunderts an erfuhr der Harnisch für das Gestech eine vollständige Umänderung. Die Sorge für die Sicher- heit des Stechers (stickers), das Streben nach äusserlicher Wirkung und Erhöhung des Effektes waren die nächsten Anlässe dazu, sich III. Die Turnierwaffen. zum Gesteche nicht mehr der Kriegsharnische, sondern besonderer schwerer Harnische zu bedienen, die man unter der allgemeinen Be- zeichnung „ Stechzeuge “ begreift. Diese Umwandlung erfolgte jedoch Fig . 621. Harnisch für den deutschen Fusskampf späterer Form mit burgundischem Helm, geschlossenem Arm- und Beinzeug. Aus der Harnischgarnitur des Erzherzogs Ferdinand von Tirol von 1547 (siehe Fig. 169). III. Die Turnierwaffen. nicht bei allen Nationen zu gleicher Zeit und in gleicher Weise, wenn auch die Formen im allgemeinen Ähnlichkeiten aufweisen. In der Hauptsache werden zwei charakteristische Typen unterschieden: das deutsche und italienische Stechzeug. Der weniger bedeutenden Varianten werden wir später gedenken. Das sogenannte deutsche Stechzeug (Fig. 623 und 624) besteht aus folgenden Teilen: Der Stechhelm hat annähernd die Form der alten Kübelhelme, mit hohen Wänden und ziemlich flachem Scheitel- Fig . 622. Topfhelm eines Angehörigen der steirischen Familie Pranckh, von Eisen mit linksseitiger Verstärkung der Helmwand für das Gestech. Deutsch, 14. Jahrhundert, Mitte. Das Zimier, aus Leder und vergoldet, ist etwas jünger und stammt aus dem Anfange des 15. Jahr- hunderts. III. Die Turnierwaffen. Fig . 623. Deutsches Stechzeug mit aufgebundener Stech- tartsche des Kaisers Maximilian I. Blank, gekehlt mit gotisch durchbrochenen Rändern. Der gotisch durchbrochen gearbeitete Luft- geber an der rechten Helmwand ist von italienischer Form. Deutsch. Um 1490. Vorderseite. III. Die Turnierwaffen. stücke, an der vorderen Seite strebt die Helmwand vor und bildet den Rand des Sehspaltes. Sowohl am Scheitelstücke, als auch am Oberrande der Wände finden sich, paarweise angeordnet, mit Messing Fig . 624. Dasselbe Stechzeug von der Rückseite. Bemerkens- wert sind die sorgfältig gearbeitete Helmzagelschraube, der Rasthaken als Gegenhalt für das Stangenende, endlich der faltig gebildete Gesäss- schurz, das Schwänzel. III. Die Turnierwaffen. gefütterte Löcher; jene dienen zur Befestigung der Helmzier, diese zum Anziehen der Lederriemchen der Harnischkappe. Die kurze, einmal geschobene Brust ist nur vorne und an der linken Seite bauchig gestaltet, an der rechten Seite bildet sie der Stangenführung halber eine flache Wand. Der Rücken hat meist die gewöhnliche Form. Der Helm wird an die Brust entweder mit drei Schrauben oder mit Kloben befestigt; am Rücken erfolgt die Verbindung durch eine vertikal stehende Schraube, die Helmzagelschraube . An der rechtsseitigen Brustwand ist eine schwere Eisenschiene angeschraubt, deren vorderes Ende an den Rüsthaken stösst; ihr rückwärtiges Ende ist nach abwärts gekrümmt und bildet dort den Rasthaken als Widerlager für die Stechstange . An der rechten Brustseite finden sich zwei Löcher, zuweilen auch ein starker Ring, durch den die Hanfstricke gezogen werden, mit denen die Stechtartsche an die Brust gebunden wird. Ein birnförmiges Holzstück, durch das die Stricke gezogen wurden, bildet für die Tartsche die Unterlage. An die Brust schliesst sich ein Geschiebe, Magenblech genannt, mit diesem stehen die Bauchreifen in Verbindung, deren Fortsetzung die geschobenen oder auch steifen Beintaschen bilden. An den Rücken, dessen Armlöcher weit ausgeschnitten sind, schliesst sich ein Fortsatz aus Eisenblech, das „ Schwänzel “ genannt, auf dem beim Gesteche der Rückteil des Stechzeuges am Sattel aufruht. Die Achseln haften an den eisernen Bändern der Brust in Federbolzen, sie besitzen zu- meist vorne nur sehr kleine oder gar keine, rückwärts aber sehr grosse Flüge. Die Achselhöhlen werden durch manchmal übermässig grosse Schwebescheiben gedeckt, welche an Lederriemen hängen. An dem rechten Unterarmzeug findet sich zum Schutze der Armbeuge zuweilen eine breite Stauche , ebenso auch am steifen Unterarm- zeug der Zügelhand, die in einer Hentze endet. Auf der rechten Achsel erblickt man öfter einen stielartigen Ansatz; er dient als Halt- punkt, wenn die Stange beim Eintritt zum Gestech auf der Schulter getragen wird. Noch sei bemerkt, dass zu dem Stechzeuge in der Regel steife, faltige Schösschen aus Stoff getragen wurden, welche oft mit künst- lichen Stickereien geziert waren. Das Stechzeug ist um so älter, je steiler seine Helmwände laufen, und um so jünger, je mehr sie sich enger an den Hals ziehen. Zur Stechzeugausrüstung gehören die Stechtartsche , und die Stechstange . Die Stechtartsche , oberhalb rechteckig, unterhalb abgerundet und etwas nach vorwärts geschweift, breit ca. 40 cm., hoch ca. 35 cm., ist aus hartem Holz mit einem Belage von viereckigen, mosaikartig aneinander gereihten und mit Bolzen angehefteten Plättchen von Hirschhorn, seltener von Bein gefertigt. Diese Plättchen sollten das Brechen der Tartsche beim Stosse verhindern. Über das Ganze III. Die Turnierwaffen. kommt ein Überzug von geschwärztem Kalbleder. In der Mitte be- finden sich zwei Löcher, durch die die Hanfstricke gezogen werden, mit denen die Tartsche an die Brust gebunden ist. Beim Gestech ist die Tartsche mit einem Stoff überdeckt, der in der Regel mit denselben Farben und dem gleichen Muster wie die Decke des Pferdes geziert ist. (Fig. 625.) Die Stechstange , von weichem Holze in einer durchschnitt- lichen Länge von 370 cm. und einer Stärke von ca. 9 cm., trägt an der Spitze den Krönig oder das Krönlein . Dieser besteht aus einer kurzen Hülse, aus der 3—4 Spitzen hervorragen. (Fig. 626.) Nach unten ist die Stange schwächer zugeschnitten und mit einem Fig . 625. Leichte Stechtartsche . Der Lederüberzug ist ent- fernt gedacht. 15. Jahrhundert, Ende. Fig . 626. Schwerer Krönig für das deutsche Gestech. 15. Jahr- hundert, Ende. eisernen Ringe (b) versehen, an den die von rückwärts eingeschobene Brechscheibe (c) mit Schrauben befestigt wurde. (Fig. 627.) Ausser den genannten Stücken sind noch zur Ausrüstung zu zählen: die Harnischkappe , aus doppeltem mit Werg gefütterten und abgesteppten Zwilch, der an den Rändern noch durch Riemen verstärkt wird. Die Lederriemchen wurden durch die Löcher des Helmes gezogen und an diesem aussen angebunden. (Fig. 628.) Ausserdem bringen wir noch die Form eines alten Schrauben- III. Die Turnierwaffen. Fig . 627. Stechstange mit Krönig und Brechscheibe. 15. Jahr- hundert. Fig . 628. Harnischkappe als Unter- lage für den Stechhelm. 15. Jahrhundert. Fig . 629. Schraubenschlüssel für Stech- und Rennzeuge. 15. Jahrhundert. III. Die Turnierwaffen. schlüssels (Fig. 629), eines zum Anlegen des Zeuges notwendigen Werkzeuges. Endlich, um alles zu erschöpfen, erwähnen wir noch der Sporen . Diese haben für das Gestech, wie für das Rennen im „Zeug“ einerlei Form; sie sind aus Eisen gefertigt und zuweilen an den Aussenseiten mit Messing überzogen (vermessingt). Die bis 20 cm. langen Hälse , mit den nicht sehr breiten Stegen in gleicher Rich- tung laufend, sind für diese Waffe charakteristisch. Diese Form ge- stattete die Anwendung (Hilfe) ohne viele Bewegung des Unter- schenkels, durch die das Gleichgewicht des Reiters im Sattel hätte gestört werden können. Das italienische Stechzeug , das für das sogenannte „ welsche Gestech “ berechnete, dessen Gestaltung wir noch zu schildern haben, weist einige bemerkenswerte Veränderungen auf. Zu- nächst ist der Stechhelm vorne und rückwärts an Naben befestigt. Der Oberrand der Helmwände ist zuweilen durch eine umlaufende Eisenspange verstärkt. An der rechten Helmwand findet sich eine breite, vierseitige, mit einem Thürchen zu schliessende Öffnung. Es ist das Helmfenster, das dazu dient, dem Stecher frische Luft zuzu- führen. Die Brust zeigt keine Abflachung an der rechten Seite, sondern ist eine volle Kugelbrust. In der Regel ist sie mit feinem Damast überzogen, der mit heraldischen Emblemen in Stickerei geziert ist. An der rechten Seite findet sich ein schwerer Ring zum Anschnüren der in diesem Falle viereckigen Tartsche. An der rechten Seite der Brust am Unterrande findet sich ein täschchenartiger Ansatz von Leder, der mit Stoff überzogen ist. Er dient zum Aufsetzen der Stechstange beim Einritt, welch letztere weit leichter ist, als jene beim deutschen Gestech. Die Brust hat an der rechten Seite einen schweren Rüsthaken, der an Kloben befestigt ist, aber keinen Rasthaken. Der Rücken, gleichfalls mit Stoff überzogen, ist wie bei dem deutschen Stechzeug in den Armlöchern stark ausgeschnitten. Die geschobenen Achseln haben keine Vorder- und Hinterflüge, sondern erscheinen als Spangröls . Das rechte Armzeug ist ähnlich dem deutschen, das linke ist nicht steif, sondern beweglich. Als Beispiel geben wir das welsche Stechzeug aus der Armeria Real zu Madrid , das irrig Karl V. zugeschrieben wird. (Fig. 630.) Das französische Stechzeug jener Periode ist dem italienischen ähnlich, nur ist der Helm sehr niedrig. Seine Befestigung wird vorne mittels Kloben, rückwärts durch Riemen bewirkt, die über einige im Nacken angebrachte Stifte geschlungen werden. Das englische Stechzeug hat in Bezug auf Helm- und Brust- formen grosse Ähnlichkeit mit den älteren Feld- und Turnierharnischen des 14. Jahrhunderts, wie denn überhaupt in England die Umbildung der Waffenformen sich weit langsamer vollzieht als anderswo. III. Die Turnierwaffen. Um den Beginn des 15. Jahrhunderts kam in Deutschland eine neue Turniergattung in Aufnahme, die bald mehr beliebt wurde, als das Gestech: das Rennen . Wenn wir den Schilderungen des Hofmeisters des Markgrafen Albrecht Achilles von Brandenburg, Ludwig von Eyb, Glauben schenken, so hatte dieser einen bedeutenden Anteil an der Einführung des Rennens im Turnierwesen. Er sagt in Bezug darauf: „er, Albrecht, hat herfurbracht vnd geoffnet das rennen mit dem spiess, denn das vor im selten (sic!) gebraucht was, der hat mit einem seiner diener Heinrich Dondorfer herfurbracht das rennen hinter dem punt mit grosser versorgknus, das vor nit gwest was, auch das rennen hinter der angeschweiften dartschen. Auch zum stechen die zeug darzu gericht, die stechzeug mit der stegen uff der platten über die achsell, darauff der helm sein ruh hat. Auch die anzug uff der platten mit den schrauben, das man vor mit den rymen anzug, die liessen nach, dadurch die stucker hart gestossen wurden.“ ( Jul. v. Minutoli . Das kais. Buch des Markgrafen Albrecht Achilles. Berlin 1850, pag. 511.) In diesem Werke finden sich noch wichtige Bemerkungen über das Turnierwesen. Nach- weislich hat sich für die Ausbildung des späteren Turnierwesens im 15. Jahrh. neben Albrecht Achilles auch Maximilian I. wesentliche Verdienste erworben. Schon aus dem oberflächlichen Vergleiche des Stech- mit dem Rennzeuge ist zu ersehen, dass, wie jenes sich aus den alten Har- nischen mit den Kübelhelmen entwickelt, dieses seine Formen von den gleichzeitigen Schallernharnischen des 15. Jahrhunderts entlehnt, ja geradezu als eine Verstärkung des Schallernharnisches erscheint. Die Kopfbedeckung des Rennzeuges (Fig. 631 und 632) bildet der Rennhut, dessen Formen ganz der Schallern entsprechen, mit Sehspalt, jedoch ohne Visier. Die Stirnseite wird durch zwei Platten (Stirnplatten) verstärkt, welche mit Federlappen an das Stirnstück be- festigt werden. Auch hier finden sich mit Messing gefütterte Löcher zur Befestigung des einfacheren Helmschmuckes, der beim Rennhut leichter und weniger auffällig erscheint und meist nur aus Federn bestand. Die Brust ist im allgemeinen wie die Stechbrust mit Rüst- und Rasthaken versehen. An die Brust wird ein sogenannter „Bart“ aus Eisenblech geschraubt, der die untere Hälfte des Gesichtes deckt. An das Magenblech schliessen sich die Bauchreifen und an diese die Rennschösse , die meist geschoben sind. Der Rücken ist ge- wöhnlich in den Armlöchern, am Nacken und unterhalb derart tief ausgeschnitten, dass er nur wie ein kreuzweise gelegtes Band erscheint. Am Unterrande des Rückens ist, wie beim Stechzeug, das Schwänzel angenietet. Rüsthaken und Rasthakenschiene ist ganz wie beim deut- schen Stechzeuge. Dies ist die für alle Renngattungen gemeinsame Form des Renn- zeuges. Die kleinen Formvarianten werden wir der Verständlichkeit halber bei Gelegenheit der Erklärung der verschiedenen Gattungen des Rennens näher ins Auge fassen. Zu den Ausrüstungsstücken des Rennzeuges gehören: Die Renntartsche . (Fig. 633.) Sie ist von Holz, an den Rän- III. Die Turnierwaffen. dern unterhalb mit Eisenblech verstärkt und mit geschwärztem Kalb- leder überzogen. Um bequem an die Rennbrust befestigt werden zu können, schmiegt sie sich in ihrer Form ganz der Form der Brust und linken Schulter an und ist nur am Unterrande etwas nach vor- wärts gebogen. Ihre Grösse ist, je nach der Art ihrer Verwendung, verschieden. Im Schweif - oder Bundrennen reicht sie nur bis an den Hals, während sie beim Anzogenrennen sich bis zum Fig . 630. Italienisches Stechzeug , sogenanntes Welsches Zeug, aus der Harnischkammer Karls V. Das Bruststück ist mit genue- sischem Brokat überzogen, das Zeug, sonst blank, teilweise vergoldet. Arbeit des 15. Jahrhunderts, das Armzeug gehört dem 16. Jahrhundert an. Das Zeug gehörte wahrscheinlich Ferdinand dem Katholischen Armeria Real zu Madrid. Sehspalt des Rennhutes erstreckt. Bei allen Rennen, wo die Stech- tartsche beim Stosse nicht mit einem „Geschift“ versehen ist, erscheint III. Die Turnierwaffen. sie in der Regel mit Stoff von der Farbe und mit den Emblemen der Rossdecke überzogen. Die Rennstange , gemeiniglich leichter als die Stechstange, ist von weichem Holze, sie besitzt bei einer Länge von etwa 380 cm. Fig . 631. Rennzeug zum Anzogenrennen mit aufgeschraubter Renntartsche. 15. Jahrhundert, Ende. Vordere Ansicht. eine Stärke von 7 cm., was einem Gewichte von ca. 14 kg. entspricht. An dem oberen Ende ist das Scharfeisen angebracht, das aus einer Boeheim , Waffenkunde. 35 III. Die Turnierwaffen. Hülse besteht, auf der eine kurze Spitze sitzt. Die gebräuchlichsten Formen geben wir in Fig. 634 a—d wieder. Die übrigen Bestand- teile sind denen der Stechstange gleich; nur wird statt der Brech- scheibe der sogenannte Brechschild (Garbeisen, Fig. 635 a und b) Fig . 632. Das in Fig. 631 abgebildete Rennzeug. Rücken- ansicht. III. Die Turnierwaffen. an die Stange geschraubt. Dieser Brechschild hat eine grössere Aus- dehnung und eine Form, der gemäss er bei eingelegter Stange den ganzen Arm des Renners bis an dessen rechte Schulter deckt. Der Brechschild und mit diesem die Stange wird mittels eines Hakens regiert, der innerhalb desselben angenietet ist und den der Renner bei eingelegter Stange mit der Rechten ergreift. (Fig. 636.) Die Harnischkappe , ähnlich jener am Stechzeuge, wurde auf den Kopf geschnallt und darüber der Rennhut aufgesetzt, der mit kleinen Riemchen an jene ausserhalb festgebunden wurde. Bei den meisten Renngattungen trug der Renner an der rechten, oft auch an beiden Händen sogenannte Stutzen aus Eisenblech zum Schutze des Handgelenkes. (Fig. 637.) Fig . 633. Renntartsche für das Schweif- oder Scharfrennen von Holz, mit Leder überzogen und mit Eisenplatten verstärkt. 15. Jahr- hundert, Ende. Zu den älteren Turniergattungen, die im 15. und am Beginne des 16. Jahrhunderts üblich waren, gehört das „ Turnier “ im engeren Sinne, das auch als „ Feldturnier “ bezeichnet wird. Diese Übung leitet sich, nach manchen Ähnlichkeiten zu schliessen, von dem alten Buhurt ab. Im allgemeinen stimmt sie mit diesem darin überein, dass die Parteien in Gruppen und zu Pferde auf die Bahn treten und weicht nur in Bezug auf die im Laufe der Zeit stark veränderte Harnischtracht von ihm ab. Zum Feldturnier wurde der gewöhnliche 35* III. Die Turnierwaffen. Feldharnisch verwendet, der nur eine geringe Veränderung darin zeigt, dass an die Brust ein steifer Bart geschraubt wird, der nach oben bis an den Sehspalt reicht. Ausserdem wurden je nach dem Belieben des Turnierenden Verstärkungsstücke, eine linke Doppelachsel, ein Doppelkinn oder ein Garde-bras aufgeschraubt. Der Turnierharnisch ist daran zu erkennen, dass der Oberrand der Brust des aufzuschrauben- den Bartes halber keine Wulst hat und in dessen Nähe 2—3 Schrauben- löcher sich finden. Die Bewaffnung bildete der Turnierspiess; er war ganz ähnlich dem Reisspiess, nur etwas kürzer und stärker, und seine Spitze war dem Scharfeisen ähnlich, nur dünner und schlanker ge- bildet. (Fig. 638 a—d.) Für manche Turniergattungen wurde der gewöhnliche, für das Feld gebräuchliche Rossharnisch, „das stählin geliger“, benutzt. Für Fig . 634. a—d. Scharfeisenformen . einzelne Arten, namentlich für das Stechen und Rennen im „Zeug“, kam eine besondere Pferderüstung in Anwendung. Er war für beide Gattungen im wesentlichen gleich, nur in den Sattelformen verschieden. Das Kopfgestell , „haubtgstiel“, war das denkbar einfachste und bestand nur aus rohen Hanfbändern. In der Regel war das Ross mit der Stange gezäumt, deren Gebiss jedoch gebrochen war (Fig. 639); die Zügelriemen erhielten Behänge, in Stoff und Farbe übereinstimmend mit der Decke. Über das Pferd wurde die lederne Parsche gelegt, die Hals und Widerrist deckte; darüber kam die Rossdecke aus Leinwand, die auch den Hals und den Kopf III. Die Turnierwaffen. des Rosses bis zu den Nüstern einhüllte. Auf den Vorderteil des Kopfes wurde sodann die Blendstirne (Fig. 640), aus starkem Eisen- blech, geschnallt, die, ohne Augenlöcher, die Augen des Rosses voll- ständig deckte, „blendt und thört“, wie der Fachausdruck lautete. Das Blenden des Rosses war eine Vorsicht, um beim Anrennen das Stutzigwerden oder Ausbrechen des Tieres zu verhindern, da andern- falls ein sicheres Treffen des Zielpunktes unmöglich geworden wäre. Das älteste Beispiel einer geblendeten Rossstirne findet G. Demay in einem Siegel Johannes’ I. von Lothringen von 1367. G. Demay , Le costume au moyen-âge d’après les sceaux. Paris, 1880. Im folgenden beschreiben wir die vollständigen Ausrüstungen zu den verschiedenen Gattungen des Gesteches , des Rennens und des Turniers , wobei wir des besseren Verständnisses halber den jeweilig beabsichtigten Effekt ins Auge fassen wollen. Fig . 635. Brechschild zu einem Rennzeuge, blank und gekehlt. a. Vorderseite. b. Rück- oder innere Seite mit dem Griffhaken. Das deutsche Gestech teilt sich im allgemeinen in drei ver- schiedene Hauptgattungen; in das Gestech im hohen Zeug , in das gemeindeutsche Gestech und in das Gestech im Bein- harnisch . Im Gestech im hohen Zeug bedient sich der Stecher des beschriebenen Stechzeuges. Die Beine sind ungeharnischt, die Füsse stecken in schweren, vorne und an den Knöcheln stark gepolsterten, III. Die Turnierwaffen. niedrigen Lederschuhen, die auch im Rennen und überall dort benutzt werden, wo ein Beinharnisch nicht in Verwendung kommt. Das wesentlichste Merkmal bildet in dieser Gestechsart der bereits beim Kolbenturnier erwähnte Sattel, das hohe Zeug, dessen Sitz um ein Bedeutendes höher liegt, als bei allen übrigen Sattelformen. Der von Fig . 636. Rennstange mit daran befestigtem Brechschilde. Seitenansicht. Holz gefertigte und öfter mit Eisen beschlagene Vorderbogen reicht weit über die Brust hinauf und deckt beiderseits die Beine vollständig. Ein starkes Eisenband, am Vordersteg befestigt, umschliesst den Körper des Reiters derart, dass dem Herabfallen vom Rosse vollständig vor- Fig . 637. Handstutze für den rechten Unterarm eines Renners. Etwas geöffnet dargestellt. gebeugt ist. (Fig. 641.) Bei einigen dieser Sättel besitzt der oben in die Spitze laufende vordere Sattelbogen an den Seiten grosse Hand- haben zum Anhalten, falls der Stecher durch den Stoss aus dem Gleichgewichte kam. Derlei Exemplare finden sich im Germanischen Museum zu Nürnberg, im fürstl. Hohenzollern’schen Museum zu Sig- III. Die Turnierwaffen. maringen, im Zeughause zu Schaffhausen und im Tower zu London. Das Ross trägt die Lederparsche, darüber die bemalte Decke, die über die Beine des Reiters und über den Vordersteg des Sattels gelegt wird. Der Fürbug der Parsche ist an den Vordersteg angeschnallt. Fig . 638. a—d. Turnierspiesseisen . Das Ross ist geblendet. Im hohen Zeuggestech konnte es sich nur darum handeln, die Stangen an den Stechtartschen zu brechen, da ein Fällen des Gegners durch die Sattelform ausgeschlossen war. Fig . 639. Reitstange mit messingenen, gebuckelten Scheiben, zu einer Turnierausrüstung gehörig. 15. Jahrhundert. Das gemeindeutsche Gestech . Der Reiter trägt das Stech- zeug, die Beine sind unbewehrt, das Ross trägt den sogenannten Stechsattel ohne Rücklehne (Fig. 642), ferner von der Parsche nur III. Die Turnierwaffen. den hinteren Teil (Gelieger). Vorne an der Brust des Pferdes wurde in dem Stechen nach den Vorschriften Maximilians I. zum besseren Schutze eine Art Kissen befestigt, ein eigentümlich gestaltetes, von grober Leinwand gefertigtes und mit Stroh gefülltes Polster, dessen beide Flügel an den Vordersteg des Sattels geschnallt wurden. (Fig. 643.) Über das ganze Pferd wurde sodann die bemalte Decke gelegt. (Fig. 644.) Bei dieser Gestechsart war es die Aufgabe, den Gegner durch einen gelungenen Stoss auf die Stechtartsche abzustossen. Fig . 640. Geblendete Rossstirne mit dem habsburgischen Wappen aus dem Besitze des Königs Ferdinand I. Arbeit des Augs- burger Plattners Lorenz Helmschmidt . Um 1510. Das Gestech im Beinharnisch unterscheidet sich, wie schon die Bezeichnung ergibt, von den übrigen dadurch, dass die Stecher auch an den Beinen vollständig geharnischt auf die Bahn traten. In der Ausrüstung des Pferdes kommen Varianten vor, insofern es zuweilen mit dem Kürisssattel mit Rücklehne, meist aber mit dem Stechsattel ausgerüstet erscheint. In dem einen Falle konnte es sich III. Die Turnierwaffen. nur um ein Stangenbrechen, in dem anderen musste es sich auch um ein Abstossen handeln. Das alte welsche Gestech . Der Reiter ist mit dem welschen, häufig aber auch mit einem deutschen Stechzeug ausgerüstet, die Fig . 641. Kaiser Maximilian I. im deutschen Gestech im hohen Zeug mit Graf Johann von Werdenberg. Miniatur aus dem Freidal. Nach Leitner, Freidal, Tafel 98. Beine sind geharnischt, werden aber nicht selten auch unbewehrt an- getroffen. Das Ross trägt den Kürisssattel mit Rücklehne, ferner die Parsche und die bemalte Decke. Der Kopf des Pferdes ist nicht III. Die Turnierwaffen. immer geblendet, sondern öfter auch mit einem Rosskopf mit ver- gitterten Augenlöchern ausgerüstet. (Fig. 239.) Das welsche Gestech unterscheidet sich von allen übrigen da- durch, dass die beiden Gegner durch eine Schranke aus Holz, Dill (Diele), pallia, getrennt sind. Die beiden Gegner reiten einander ent- gegen, so dass ihre linken Seiten der Schranke zugekehrt sind. (Fig. 645.) Die Absicht war in dem welschen Gestech nur darauf gerichtet, die in diesem Falle bedeutend schwächere eigene Stange auf der Tartsche des Gegners zu zerbrechen. Fig . 642. Stechsattel . Anfang des 16. Jahrhunderts. „Ich hab das pest gethan, wann ich hab viii stechholz zer- stossen,“ schreibt am 4. Februar 1478 Maximilian I. an Sigmund von Prüschenk. Noch einer Spezialität der Gesteche müssen wir Erwähnung thun, die in Österreich und dem östlichen Deutschland um 1550 sehr be- liebt war, und in welchem das Waffenspiel nahe an die Mummereien III. Die Turnierwaffen. des Mittelalters streift, des ungarischen Turniers . Merken wir schon im Frauendienst, dass die Sucht, sich zu maskieren nach ita- lienischer Sitte, im 13. Jahrhundert bis zur Geschmacklosigkeit über- handgenommen hatte, so sehen wir, wie der Hang zum Theatra- lischen im Waffenspiele auch in den folgenden Zeiten lebendig ist. Auf die Bewaffnung haben diese aufgeputzten Turniere wenig Einfluss gehabt. Nur auf den ungarischen Turnieren, die um 1550 Erzherzog Ferdinand von Tirol in Böhmen, und Kurfürst August I. in Dresden veranstaltete, werden statt der Stechtartschen ungarische Tartschen be- nutzt, daneben ungarische Säbel, die nur als Zierde dienten, aber Fig . 643. Stechkissen aus dem Besitze des Kaisers Maximilians I. 15. Jahrhundert, Ende. Im kais. Schlosse Ambras bei Innsbruck auf- gefunden. auch eine Art Sporen, die „ungarischen“ genannt, von übertriebener Grösse und Schwere. (Fig. 646.) Hatte das Gestech noch so viel ehrwürdiges an sich, dass sich kein Turniergenoss wesentliche Abänderungen an seinen althergebrachten Regeln erlaubte, so war das bei der jüngeren Turnierart des Rennens ganz anders, ja hier suchte man zur Erhöhung des Vergnügens, je nach Laune und Gefallen, Ausrüstung und Gebrauch zu verändern. III. Die Turnierwaffen. Es finden sich daher an den verschiedenen Höfen eine solche Menge von Varianten, dass ihre vollständige Aufzählung einen bedeutenden Raum in Anspruch nehmen würde, ohne doch die Verständlichkeit im geringsten zu fördern. Wir beschränken uns demnach nur auf die Erklärung der Ausrüstung und Technik jener Rennen , welche sich in dem besten Turnierbuche jener Zeit finden, im Freidal. Nach diesem für das deutsche Turnierwesen um 1480 mass- gebenden Kodex teilt sich das Rennen in folgende einzelne Arten: 1. Das Geschiftrennen , und dieses wieder in das Geschift- tartschen - und das Geschiftscheibenrennen , 2. das Scharf - oder Schweifrennen , 3. das Bundrennen , 4. das Anzogenrennen , 5. das Krönl (-rennen), endlich 6. das Feldrennen . In dem bedeutend später gefertigten Turnierbuch Maximilians I., das von dem jüngeren H. Burgmayr herrührt, findet sich noch das Pfannenrennen . Das Anzogenrennen mit wollenen Kränzen (auf den Häuptern) und das welsch Rennen in dem Armetin. Das Geschiftrennen . Der Renner ist mit dem Rennzeug aus- gerüstet. Unter dem Rennzeug wird meistenteils ein stark wattiertes Wams getragen, dessen gepolsterte Ärmel das Armzeug ersetzen. Die Beine sind zuweilen geharnischt, öfter auch ohne Beinzeug, dann aber sind sie an den Oberschenkeln durch sogenannte Streiftartschen (Fig. 647) oder durch Dilgen (Fig. 648) geschützt, die an Riemen über den Sattel hängen. Die Sättel sind sehr klein und haben weder Vorder- noch Hintersteg. (Fig. 649.) Das Ross trägt die lederne Parsche, der Kopf ist geblendet. Beim Geschifttartschenrennen erzielte ein gelungener Stoss auf die Renntartsche die Wirkung, dass diese von der Brust sich löste und mit einer Anzahl von eisernen, keilartig geformten Stücken, „Schiftkeilen“, über den Kopf des Renners weg in die Luft flog. Diese Wirkung wurde durch einen Federmechanismus hervorgebracht, der auf der Rennbrustmitte angebracht war. Vor der Renntartsche befand sich eine Metallscheibe, die mittels eines starken Dornes, der, durch eine Durchlöcherung der Tartsche reichend, mit dem Mecha- nismus dahinter in Verbindung stand. Zwischen der Tartsche und der Maschine wurden nun konzentrisch die Schiftkeile derart eingepresst, dass diese durch den Druck, den sie auf die Tartsche ausübten, den Federmechanismus anspannten, und dieser zugleich die Keile in ihrer Pressung erhielt. Wurde durch den Stoss der Renn- stange die Federspannung aufgehoben, dann schleuderten zwei an den Enden mit Rädlein versehene Hebelarme die Tartsche nach aufwärts und drei kleinere Hebel befreiten die gespannten Schiftkeile aus ihrer III. Die Turnierwaffen. Lage, worauf sie auseinanderprallten. Wir ersehen aus der Beschrei- bung, dass alles darauf berechnet war, den Effekt möglichst zu steigern. Die einzige vorhandene Abbildung eines solchen Mechanismus findet sich in einem Bildcodex des Armeria zu Madrid von ca. 1544. Im Geschiftscheibenrennen war der Effekt ein ähnlicher, der Mechanismus aber ein einfacherer. Hier war über der Rennbrust und deren Maschine eine grosse Scheibe aus Eisenblech gelegt, die Fig . 644. Stecher im gemein-deutschen Gestech nach Angaben des Kaisers Maximilian I. über die ganze Brust reichte und diese mittelst der Keile gespannt. Beim Auslösen durch den Stoss blieb die Scheibe an der Brust haften; nur die Keile, zum Teil durch Federkraft getrieben, flogen, von der Spannung befreit, nach allen Richtungen in die Luft. Ein Mecha- nismus für das Geschiftscheibenrennen hat sich in einem allerdings III. Die Turnierwaffen. nicht mehr ganz vollständigen Exemplare in den kais. Sammlungen zu Wien erhalten, wir bringen selben hier in einer Skizze. (Fig. 650.) Bei beiden unter Geschiftrennen verstandenen Turniergattungen war die Absicht vornehmlich darauf gerichtet, den Mechanismus wirken zu sehen. „sollen tartschen haben, das die trümmer in die hoch springen,“ heisst es im Triumph Maximilians I. Aber es war auch, falls der Renner einen stärkeren Stoss erhielt, dem er nicht mehr standhalten konnte („besitzen konnte“) auf das „Abrennen“ abgesehen. Fig . 645. Kaiser Maximilian I. im alten welschen Ge- stech über das Dill (pallia) mit Graf Engelbrecht von Nassau. Miniatur aus dem Freidal. Nach Leitner, Freidal, Tafel 2. Das Schweif - oder Scharfrennen . Der Renner ist im Renn- zeug, ohne Arm- oder Beinzeug. Dieses wird nur selten und aus- nahmsweise getragen. Das geblendete Pferd trägt über der Parsche die Decke. III. Die Turnierwaffen. Im Schweifrennen soll die aus den Haken gehobene Tartsche ohne Beihilfe eines Mechanismus herabfallen und der Gegner dabei „abgerannt“ werden. (Fig. 651.) Das Bundrennen . Bei dieser Rennart, welche zu den gefähr- lichsten gehörte, wurde das Rennzeug mit einer sogenannten Bund- Fig . 646. Sporn zum ungarischen Turnier . 16. Jahr- hundert, Mitte. rennbrust getragen, auf der ein Mechanismus angebracht war, der bei gelungenem Stosse die darüber gelegte Renntartsche über den Kopf Fig . 647. Streiftartsche für den Schutz der Oberschenkel beim Rennen. 15. Jahrhundert, Ende. des Renners hinweg in die Luft schleuderte. Da hier der Renner unter der Tartsche keinen eisernen Bart trug, so konnte eine geringe Unregelmässigkeit leicht Gefahr bringen. Die Tartsche glitt beim Ab- III. Die Turnierwaffen. springen mit dem oberen Teile über zwei Spangen (Krippen) hinweg, die von der Rennbrust bis an den Rand des Rennhutes reichten. Im Weiskunig heisst es: Er (Maximilian) hat auch under den pundten vilmal gerennt, da im treffen baid schilt in die höch sprungen, das dann lustig ist zu sehen, Aber sorgklich zu thun.“ In den kaiserl. Sammlungen zu Wien findet sich noch ein Mechanismus für das Bundrennen, der aber gleichfalls nicht mehr vollständig ist. Anzogenrennen . Der Renner erschien im Rennzeug ohne Arm- und Beinzeug auf der Bahn. Das geblendete Ross trug über der Parsche die Decke. Im Anzogenrennen ist die Tartsche an die Fig . 648. Rechtsseitige Dilge für den Schutz des Ober- schenkels beim Rennen. 15. Jahrhundert, Ende. Fig . 649. Kleiner Rennsattel , sogenannter „silla rasa“. 15. Jahrhundert, Ende. Rennbrust ein- oder zweimal fest angeschraubt („anzogen“). Es war dabei darauf abgesehen, die Stangen zu brechen und den Gegner abzurennen. (Fig. 652.) Das „Krönlrennen“ ist nur eine Variante des vorigen, um Abwechselung in die Unterhaltung zu bringen. Bei diesem trat ein Gegner im Stechzeug einem solchen im Rennzeug entgegen, die Ross- rüstung war die in jeder Art übliche; der eine führte eine Renn- III. Die Turnierwaffen. stange, der andere einen Krönig. Die Absicht war auf das Brechen der Stangen wie auf das Fällen des Gegners gerichtet. Das Feldrennen . Der Renner erschien im Rennzeug mit Arm- und Beinzeug (wie im Feld) auf der Bahn. Das Ross, nicht immer geblendet, trug einen Kürisssattel und die lederne Parsche. Hier war es bloss auf das Brechen der Stangen abgesehen. Zum Schlusse der Turniere „im Zeug“ bringen wir in Fig. 653a und b Abbildungen der bei selben angewendeten Sporen. Im Feldturnier , in welchem die Gegner in zahlreichen, geord- neten Reihen einander gegenübertraten, sollte ein vollkommener Reiter- angriff wie im Felde dargestellt werden. Hierzu erschien jeder Reiter im gewöhnlichen ganzen Feldharnisch auf geharnischtem (geliegertem) Fig . 650. Bruststück mit Federmechanismus zum Geschift- scheibenrennen. Die Maschine ist insofern inkomplett, als nur der Aus- löseapparat der gespannten Tartsche hier vorhanden ist. 15. Jahr- hundert, Ende. Rosse mit dem gemeinen Reisspiess in der Hand. Der Vorgang wird nicht überall in gleicher Weise geschildert. In vielen Fällen war nur ein Spiessbrechen beabsichtigt; dann erschienen die Renner ohne Schwert. Oft folgte aber nach gebrochenen Spiessstangen ein Angriff mit dem Schwerte. Ja in einem Feldturnier, das im Turnierbuche Herzog Wilhelms IV. von Bayern abgebildet ist, erschienen die Renner mit je zwei Schwertern. Boeheim , Waffenkunde. 36 III. Die Turnierwaffen. Obwohl das jüngste unter den vorher beschriebenen Turniergat- tungen, kann das Fussturnier , da es noch unter Kaiser Maximilian in Aufnahme kam, unter die älteren gerechnet werden. Die Gegner erschienen in gewöhnlichen Feldharnischen, jedoch meistenteils ohne Beinzeug, mit gewöhnlichen Reisspiessen bewaffnet, in grosser Zahl auf der Bahn und bekämpften sich über eine hölzerne Schranke hinweg, um an ihren Gegnern die Stangen zu brechen. Diese wurden hierbei mit beiden Händen in der Art der Landsknechte geführt. Jedem Turnierer war gestattet, fünf bis sechs Stangen zu brechen. Es wurde Fig . 651. Sigmund von Welsperg im Scharfrennen , ge- halten am Weissen Sonntage 1497 zu Innsbruck. Aus Hans Burgkmayrs des Jüngern Turnierbuche von ca. 1554. Im Besitze des Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen. Nach Hefner. strenge darüber gewacht, dass kein Gegner unterhalb der Beintaschen getroffen wurde. In der Regel wurde später jedes Stechen oder Rennen durch ein lebhaftes Fussturnier eingeleitet, um den Stechern oder Rennern Zeit zur Rüstung zu gewähren. Dann erst wurde die Bahn geräumt und das eigentliche Ritterspiel zu Ross nahm seinen Anfang. III. Die Turnierwaffen. Wenn es auch gegen die Mitte des 16. Jahrhunderts noch immer einige tüchtige Männer gab, welche das Stechen oder Rennen „im Zeug“ als eine ehrwürdige und die einzig wahre ritterliche Übung ansahen und pflegten, so kam doch das alte Turnierzeug allmählich ausser Gebrauch. Der im Zeitalter der Renaissance überhandnehmende Einfluss der Italiener, die von jeher den plumpen Formen des deut- schen Turniers abhold waren und nur widerwillig eine Zeitlang der Strömung aber immer in gemildeteren Formen folgten, machte sich nun auch im Turnierwesen mit aller Macht geltend. Daher kam es Fig . 652. Herzog Wilhelm IV. von Bayern im „Anzogen rennen“, gehalten Mittwoch nach St. Paulstag 1512. Aus dem Turnier- buch Herzog Wilhelms IV. von Bayern. Nach Schlichtegroll. auch, dass das deutsche Turnier allgemach verdrängt und ausnahmslos durch italienische Formen ersetzt wurde. So blieben um die Mitte des 16. Jahrhunderts eigentlich nur zwei Arten in Übung, das Frei- turnier , auch „Freirennen“ genannt, und das Gestech über das 36* III. Die Turnierwaffen. Dill , „alla pallia“, womit die Planke bezeichnet wurde, welche die Gegner trennte. Für das Freiturnier war immer nur der gewöhnliche Feldharnisch, mit einigen Verstärkungsstücken, in Gebrauch. Für das Gestech über das Dill, für das, wie wir bemerkt haben, anfänglich die Stechzeuge üblich waren, wurden allmählich leichtere derartige Zeuge gefertigt, bis diese endlich in die Form der Feldharnische übergingen. Um 1550 unterscheidet sich der Harnisch zum „neuen“ Gestech über das Dill vom Feldharnisch dadurch, dass an jenem das Brust- stück keinen wulstartigen Oberrand hat und dass an das Bruststück der neue Stechhelm angeschraubt wird, der in seinem Äusseren nur noch leichte Spuren seiner Abstammung aufweist und mehr dem ge- schlossenen Helm eines Feldharnisches ähnlich sieht. Fig . 653. Turniersporen . a. Sporn zum Stech- und Rennzeug mit 21 cm. langen Hälsen. b. Sporn zum Stech- und Rennzeug mit 17 cm. langen Hälsen. Beide 15. Jahrhundert, Ende. War der Harnisch selbst von den Feldharnischen kaum zu unterscheiden, so wurde er doch unter der Hand der deutschen Plattner, die ihn mit schweren Verstärkungsstücken versahen, zu einer plumpen Masse, die deren Träger noch weit beschwerlicher fiel als das schwerste Stechzeug, weil sich deren Gewicht nicht wie dort direkt aufs Ross übertrug, sondern zum grössten Teile auf dessen Körper lastete. (Fig. 654.) Ein kolossales und gewichtiges Verstärkungsstück bildete die Doppelachsel , die sich über die ganze Schulter, den Oberarm, den III. Die Turnierwaffen. Oberteil der Brust und über die linke Wandseite des Helmes er- streckte. Ein weiteres, nicht minder plumpes Stück war das steife linke Armzeug , das mit der Hentze in Verbindung stand, sich über den linken Ellenbogen verbreitete und dort eine riesige Stauche bil- dete. (Fig. 655, 656 und 657.) Edelleute, die italienische Turniere mit Augen gesehen hatten, wendeten sich bald von der schweren deutschen Ausrüstung ab und bedienten sich der gewöhnlichen Feldharnische in weit leichterer Aus- stattung und Verstärkung, wie solche in Italien in Aufnahme gekom- men waren. Fig . 654. Herr Andreas Welser im welschen Gestech über das Dill auf dem Hochzeitsturnier zu Augsburg am 9. Jänner 1553. Aus Hans Burgkmayrs des Jüngern Turnierbuch von ca. 1554. Nach Hefner. Diese Harnische, für das Realgestech oder Plankengestech kamen um 1540 in Deutschland in Übung. Nach einer „neuen furm“, bemerkt der Hofplattner Ferdinands I. zu Inns- bruck, Jörg Seusenhofer, in seiner Rechnung über einen dem Erzherzog Ferdinand von Tirol 1547 gelieferten Harnisch. Sie erschienen in III. Die Turnierwaffen. der Regel in nachstehender Zusammenstellung. Auf dem Haupte ist der burgundische Helm, seltener bereits der neue Stechhelm, mit links- seitiger Visierverstärkung üblich. An die linke Achsel wird eine so- Fig . 655. Blanker Harnisch fur das neue welsche Gestech über das Dill des Karl Schurff von Schönwert (gest. um 1628). Inns- brucker Arbeit um 1580. III. Die Turnierwaffen. genannte Stechtartsche (Fig. 658) aus Eisenblech geschraubt, die sich bis an die Brustmitte erstreckt und unterhalb etwas aufgebogen ist. Sie bildet das Ziel der Stechstange und ist mit starken Eisen- Fig . 656. Steifer Bart zu einem Harnische für das neue welsche Gestech über das Dill. Italienische Form. Museum zu Zarskoë-Selo. Fig . 657. Linksseitige Achselverstärkung zu einem säch- sischen Stechharnische mit angeschraubtem Haken. Fig . 658. Tartsche für das Realgestech mit schwarz geätzten Verzierungen in den Rautenfeldern. Deutsch. Um 1550. III. Die Turnierwaffen. stäben belegt, die sich gitterartig kreuzen. Diese Verstäbung sollte verhüten, dass der Krönig von der Tartsche abglitte. (Fig. 659.) Weitere Verstärkungen bildet ein Stechmäusel (garde-bras) und eine Verdoppelung der linken Beintasche. Der gesamte Harnisch bot den Anblick der Leichtigkeit; nur staken die Füsse zum Schutze vor Ver- letzungen an der Planke in manchmal plumpen und schweren Eisen- schuhen, die über die Harnischschuhe angelegt wurden. (Fig. 660.) Fig . 659. Harnisch für das Realgestech , getrieben und mit geätzten und vergoldeten Verzierungen, aus der Jugendzeit Kaiser Karls V. Arbeit des Plattners Koloman Helmschmied in Augsburg 1516. Armeria Real in Madrid. III. Die Turnierwaffen. Bald nach der Mitte des 16. Jahrhunderts finden wir, und vor- züglich am sächsischen Hofe, eine eigene Art Turnierharnische, die als ein Formengemisch vom alten Stech- und vom Rennzeuge er- scheinen. Ihrer Hauptform nach Stechharnische für das Gestech über das Dill, besitzen sie hinwieder Rennhüte, die, damit sie nicht vom Kopfe abgestossen werden können, mit dem Rücken durch ein Ge- stänge verbunden sind. Derlei Zeuge, die in Dresden und einigen Museen im nördlichen Deutschland noch zahlreich zu finden sind, dürften der Erfindung eines Plattners am Hofe Kurfürst Augusts I. ihr Dasein verdanken; sie scheinen eine Zeitlang sehr beliebt gewesen zu sein. Wir benennen sie zur Unterscheidung sächsische Tur- nierharnische . (Fig. 661 a und b.) Der Harnisch für das Realgestech ist als der letzte Turnier- harnisch zu betrachten. Als auch dieser um 1590 ausser Gebrauch kam, blieben in den nächsten Jahrzehnten nur noch die Freiturniere Fig . 660. Schwerer Doppelschuh zum Schutze vor der Planke, einem Lederschuh ähnlich gebildet. Italienisch. Um 1570. Museo Poldi-Pezzoli in Mailand. und die sogenannten Scharmützel , die ein Bild des Krieges dar- stellen sollten, in Übung. Aus Italien kam sodann ein anderes ritter- liches Spiel, das nur wie eine abgeblasste Erinnerung an das alte Turnier erscheint, das Ringelrennen (corso all’ annello). Es be- stand darin, dass die phantastisch aufgeputzten Kavaliere mit langen Rennstangen (Fig. 662) nach einem an einem erhöhten Punkte an einem Faden aufgehängten Ringe stachen. Im Stallgebäude zu Dresden sieht man noch heute die zierlichen bronzenen Säulen, zwischen welchen die Ringe an Schnüren aufgehängt wurden. Als um 1700 auch dieses Spiel ausser Übung kam, klang das alte Turnier des Mittelalters in den Rossballetten aus. Lediglich um irrigen Auffassungen zu begegnen, erwähnen wir zum Schlusse noch der sogenannten Quintana , franz. quintaine, III. Die Turnierwaffen. engl. quintain. Das Quintanrennen ist keine Turnierform in unserem Sinne, sondern nur eine Vorübung zum Stechen oder Rennen; als solche bietet es keine Eigentümlichkeiten in der Bewaffnung. Es war lediglich ein Spiel, bei welchem ein Reiter mit dem Spiess mitten auf den Schild eines auf einem Pfahl gestellten Gliedermannes treffen musste. Dieser Gliedermann war um den genannten Pfahl drehbar; an dessen ausgestreckten rechten Arme hing ein mit Sand gefüllter Leinensack. Gelang es dem an der linken Seite des Gliedermannes Fig . 661. Sächsischer Turnierharnisch , blank ohne Ver- zierungen, mit Rennhut, Bart und Achselverstärkung. a. Ansicht von der linken Seite. b. Ansicht von der rechten Seite. in Galopp anreitenden Kavalier die Mitte des Schildes zu treffen, dann zerbrach der Lanzenschaft und die Quintana war gemacht. Fehlte er aber nur um ein geringes, so drehte sich der Gliedermann um den Pfahl und der angehängte schwere Sack legte sich im III. Die Turnierwaffen. Schwunge unsanft auf seinen Rücken: ein Ereignis, das immer zu ungemeiner Heiterkeit der Zuschauerkreise Anlass gab. Die Quintana ist schon im 12. Jahrhundert nachweisbar und wahrscheinlich zuerst in Frankreich aufgekommen; in England war sie noch am Ende des 16. Jahrhunderts in Übung. Noch Shakespeare erwähnt ihrer, wenn auch nur als einer besonderen ritterlichen Übung. Im 17. Jahrhundert trat an Stelle der Quintana das Caroussel , bei welchem Türken- oder Mohrenköpfe aus Pappe oder Holz von aufgestellten Pfählen heruntergestochen wurden. Fig . 662. Ringelrenneisen . 17. Jahrhundert, Anfang. Das Wappen der Schwertfeger Venedigs. Relief an dem Hause 662 in der Spaderia dort. 14. Jahrhundert, Ende. IV. Bemerkungen für Freunde und Sammler von Waffen. 1. Die Beurteilung der Echtheit und des Wertes der Waffen. D as Erkennen der Echtheit einer Waffe ist eine der schwierigsten Aufgaben für den Sammler, es erfordert nebst einer tüchtigen Kenntnis der Geschichte ein ungemeines Formenstudium, eine grosse Geläufigkeit in der Bestimmung der zahllosen Stilvarianten und eine nicht geringe Kenntnis der alten technischen Herstellungsarten. Dabei muss dem Beurteiler ein sicheres Auge zu Gebote stehen, ein Vor- zug, dessen sich nicht jeder erfreut, der die obigen Bedingungen er- füllen zu können vermeint. Wenn es nun auch keinem Zweifel unterliegt, dass die fortwährende praktische Übung die Fähigkeit zu einem klaren und richtigen Urteile herbeiführen kann, so gibt es doch viele Leute, die dessenungeachtet nie zur vollen Sicherheit in der Beurteilung alter Gegenstände gelangen, weil ihnen die natürliche Be- gabung hierzu mangelt. Der Sammler selbst besitzt in der Regel eine mehr kulturgeschichtliche als fachliche Bildung, die ihn zwar einiger- massen unterstützt, aber doch nicht das sichere Auge gewinnen lässt, das der Händler, der oft ganz ungebildet ist und sich von einem un- bewussten Gefühle leiten lässt, sich auf Grund jahrelanger Beschäf- tigung mit alten Kunsterzeugnissen anzueignen weiss. Häufig sehen sich beide betrogen; der Sammler hat in solchem Falle das Falsum meist auf dem Halse, während der Händler sich desselben auf gute Manier zu entledigen weiss. In jedem Jahre werden Unsummen für wertlose Fälschungen verschleudert, und zwar oft von Leuten, die sich nicht wenig auf ihr Verständnis zu gute thun. Ähnlich verhält es sich mit der Beurteilung des Preises eines Gegenstandes, sofern es nicht um den Preis an sich als pretium affectionis, sondern um sein Verhältnis zu der Seltenheit oder den Kunstwert sich handelt. Der rich- tige Massstab für den Preisansatz auf unserem Gebiete mangelt allent- halben. So kann noch heute ein geschulter Sammler das wertvollste 1. Die Beurteilung der Echtheit und des Wertes der Waffen. Stück für wenige Goldstücke erwerben, während für gar viele Gegen- stände von höchst mässigem Werte geradezu ungeheure Summen ver- langt und leider auch bezahlt werden. Zum Besten der Menschenklasse, die das Fälscherhandwerk treibt, ist zu sagen, dass die meisten ihrer Glieder durch das Publikum selbst auf die unsittliche Bahn gedrängt wurden. Die überwiegend grösste Zahl der Käufer nimmt die beste, schönste Imitation alter Kunst- werke nur dann, wenn sie für „alt“ ausgegeben wird. Was will dann der Erzeuger machen? Über dieses missliche Verhältnis haben dem Verfasser schon viele talentvolle Kunstarbeiter ihr Leid geklagt. Ein sicheres Mittel, um sich durch die Beteuerungen von der Echtheit eines Gegenstandes nicht irre leiten zu lassen, bleibt immer die Gegenfrage: ob der Verkäufer geneigt sei, die Echtheit schriftlich zu bescheinigen. Es kann nicht die Aufgabe des Verfassers sein, die zur Beur- teilung der Echtheit und des Wertes einer Waffe unbedingt nötigen Disziplinen ins Auge zu fassen. Der aufmerksame Leser wird in den anderen Kapiteln dieses Buches zahlreiche Anhaltspunkte finden, die seine Kenntnis des Gegenstandes für diesen Zweck unterstützen; wohl aber wird es dem Bedürfnisse des Publikums entsprechen, jene Grund- sätze anzuführen, die, auf der Kenntnis des Gegenstandes fussend, massgebend bleiben müssen, um das Echte vom Falschen unterscheiden zu lernen, um eine rationellere Basis für den Wert des einzelnen Stückes zu schaffen und so der heutigen Zerfahrenheit in der Wert- bestimmung zu steuern. Beginnen wir mit der Beurteilung der Echtheit eines Gegen- standes als der ersten Bedingung für dessen Wert, so müssen wir vorweg den Kardinalsatz aufstellen, dass jeder angebotene Gegenstand, der mit den heutigen Mitteln nicht um den geforderten Preis zu fertigen ist, die Vermutung der Echtheit für sich hat. Dies ist ganz einfach daraus zu erklären, dass derjenige, der zu dem Mittel der Fälschung greift, viel mehr, als mit ehrlicher Arbeit möglich ist, ver- dienen will. Wenn das nicht erreichbar ist, lohnt sich der redliche Erwerb besser als der betrügerische. Ist der Preis im Verhältnisse zum Werte der Arbeit höher, dann treten alle Massregeln der Vor- sicht in ihre Rechte, und es sind dann allerdings unzählige Umstände zu berücksichtigen, um den Fälscherkniffen auf die Spur zu kommen, von denen wir nur die bemerkenswertesten hier anführen können. Vorerst muss die allgemeine Form zum angegebenen Zeitalter stimmen; das ist bei Zuschreibung an bestimmte historische Personen oder Thatsachen von besonderer Wichtigkeit. Beigaben dekorativer Natur, Inschriften, Wappen müssen in Form und Technik unver- dächtig erscheinen, denn oft wird derlei nachträglich selbst an echten Stücken hinzugefügt, um den Wert zu erhöhen. Jedes Zeitalter hat seinen eigenen Stil in Schrift und Bild und seine eigene Technik. IV. Bemerkungen für Freunde und Sammler von Waffen. Bei Inschriften, Versen u. dgl. ist wohl zu beachten, dass jede Zeit- periode ihre eigene Ausdrucksform, ihre poetische Richtung besitzt. Gewisse Sinnsprüche gehören bestimmten Zeitaltern an, und gerade da wird von den Fälschern am häufigsten gefehlt, die gewöhnlich bessere Kunstarbeiter als Philologen und Kulturhistoriker sind. Gar manche Fälschung ist schon durch das einfache Lesen der Inschrift zu entdecken; man hat dann gar nicht nötig, sich in weitere Unter- suchungen einzulassen. Was die allgemeine Form betrifft, so ist es auch dem talent- vollsten Fälscher nicht so leicht, den Kenner zu täuschen; denn oft verrät die Linie einer Kante, die an echten Stücken mit einer ge- wissen Empfindung und nach handwerksmässiger Regel geführt ist, die moderne, ungebildete Hand. Unwillkürlich verleitet die mensch- liche Natur den Fälscher dazu, es regelmässiger zu machen als die Alten und der Vorzug wird dann zum Verräter. In Bezug auf Platten- harnische ist zuvörderst zu bemerken, dass der alte Harnisch aus Schlagblech gearbeitet ist, das aus einem Frischeisenstücke anfänglich mittels Fallhämmer zu Platten geschlagen, später aber mit flachen Handhämmern in teils glühendem, teils heissem Zustande in die be- absichtigte Form gebracht wurde. Es müssen daher an der nicht geglätteten Rückseite die Hammerspuren sichtbar sein. Das moderne Walzblech ist an seinen rinnenartigen Streifen leicht zu erkennen, und eine Untersuchung mit dem Vergrösserungsglase klärt schnell darüber auf, ob etwa stärkeres Walzblech bloss mit dem Hammer überarbeitet wurde, um als Schlagblech zu erscheinen. Die schwierigste und wenigstlohnende Arbeit für den Fälscher ist die Brust des Harnisches, die nicht so sehr als Blechstück, sondern als getriebene Eisenplatte erscheinen soll, besonders aber der Helm des 16. Jahrh., dessen genaue Herstellung in alter Technik den Lohn auf ein Minimum herabdrücken würde. Man findet demnach häufig alte Helme und Bruststücke, die durch Neuhinzufügung aller übrigen Teile zu einem ganzen Harnisch ergänzt wurden. Eine solche Spekulation verlohnt sich in der Regel, ist aber leicht zu entdecken, sobald man einzelne Stücke auf die Farbe des Eisens hin vergleicht. Wenn auch alles andere sachgemäss erscheinen sollte, so bilden meist die Nieten den Verräter, die früher durch Handarbeit und nun durch Maschinen- arbeit hergestellt werden, die augenblicklich zu erkennen ist. In Paris befinden sich einige Werkstätten, die Harnische von, oberflächlich betrachtet, tadelloser Form erzeugen, aber ihre Helme sind Blech- helme, ihre Bruststücke Blechbrüste. So teuer sie sie sich auch be- zahlen lassen, sie würden bei Fertigung nach alter Art und in voller Stärke des Metalls ihre Rechnung nicht finden. Alte Helme müssen in ihren Konturen den handwerksmässigen Formen der Zeit entsprechen; das ist eine schwierige Aufgabe für den Fälscher. Von etwa 1530 an werden die Kämme immer höher 1. Die Beurteilung der Echtheit und des Wertes der Waffen. und mit dem Scheitelstück zugleich aus einem Stücke getrieben. Wie teuer müsste heute der Helm verkauft werden, um, so hergestellt, die Arbeit zu lohnen? Man versucht daher denselben aus zwei Hälften zu fertigen, die an den Kammrändern sorgfältig zusammen- geschweisst werden. Derlei Kniffe sind durch sorgfältige Beobachtung des Innern aufzudecken. Von ca. 1580 an kommen übrigens wirk- lich Helme vor, die aus zwei Hälften gefertigt sind, so z. B. bestehen die bekannten Morions mit den Lilien (Fig. 51) durchweg aus zwei Teilen. Erschiene endlich an einem Harnische auch alles ohne Verdacht, dann scheitert die Absicht des Fälschers zuletzt an der Wiedergabe der Vorstösse und der Beriemung. Alter Samt und alte Seide ist in Farbe und Textur dem Kenner geläufig, und die Fertigung des heutigen Alaunleders ist von der alten sehr verschieden. Wie an der Bronze die Patina, so wird am Eisen der Rost als ein Kennzeichen des Alters angesehen, Grund genug für den Fälscher, dieses Mittelchen bei solchen „grünen“ Kauflustigen zu benutzen, die nicht wissen, dass das durchaus kein Beweis ist, da es eiserne Gegenstände von 400- und mehrjährigem Alter genug gibt, die nicht die geringste Rostspur zeigen. Aber der Rost muss daran sein; darum wird zu Salzsäure, Schwefelsäure und anderen Ätzmitteln gegriffen. Jeder auf derlei Kundschaft spekulierende Antiquitätenhändler hat zu diesem Zwecke sein eigenes probates Rezept. Der eine hängt den betreffenden Gegenstand in den Schornstein, der andere gräbt ihn in die Erde; der Rost ist ja ein gefälliger Gast, er kommt sicher. Verdächtig in Bezug auf sein Alter ist aller Rost, der eine lebhaft rote Farbe hat und sich mit dem Finger wegreiben lässt, ebenso solcher, der nicht in den Vertiefungen, Brüchen etc. sitzt, sondern an den flachen, offenen Stellen. An alten Harnischbestandteilen finden sich häufig Beschädigungen, welche durch die Waffenwirkung, durch Stösse und Quetschungen herbeigeführt sind. Derlei Schäden ahmt der Fälscher mit Vorliebe an seiner Arbeit nach in der Meinung, diese um so weniger ver- dächtig zu machen. Da ist denn sorgfältig zu erwägen, ob solche Beschädigungen an dem Orte, wo sie sich finden, auch wirklich vor- gekommen sein können; oft trifft man Mulden und Wannen dort an, wo eine Beschädigung schlechterdings unmöglich ist, z. B. an ver- tieften Stellen, während die Erhebungen in der Nähe ganz unversehrt erscheinen. Besonders auf die Ränder richte man das Augenmerk. Bei echten Gegenständen sind sie immer nur an bestimmten Stellen durch den Gebrauch abgenützt oder durch Angriffswaffen beschädigt. Verbiegungen und Brüche, die durch Fall herbeigeführt sind, können nur an Punkten auftreten, welche nach der Form des Gegenstandes beim Fallen auf den harten Boden treffen. Der Verfasser bekam jüngst einen Topfhelm zur Ansicht, der am Scheitelstücke von dem dicksten Eisen rückwärts eine tiefe Grube aufwies, während die weit IV. Bemerkungen für Freunde und Sammler von Waffen. schwächeren Helmwände und deren Unterränder, die sonst wohl in verletztem Zustande vorkommen, vollkommen unversehrt waren. Diese mit dem ersten Blicke erzielte Beobachtung erregte den Verdacht einer Fälschung, die sich auch bei weiterer sorgfältiger Untersuchung durch Kunstfehler im Innern und nicht zum wenigsten durch die un- mittelbare Herkunft des Stückes sattsam bestätigte. Indes wagt es der Fälscher nur dem blöden Neuling einen voll- ständig neugearbeiteten Harnisch als echt und alt anzubieten. Er greift deshalb lieber zu einem Stück altem Eisen, das er durch Er- gänzung fehlender Teile und durch Dekorationsmittel wertvoll zu machen weiss. So ist es ein häufig ausgeführter Kniff, dass ein alter, glatter Harnisch in Schwarz-, ja selbst vergoldeter Ätzung verziert wird. Wer das Missverhältnis zwischen der Arbeit an einem gewöhn- lichen Harnisch und seinem frischen Zierat nicht sofort herausfühlt, der thut gut, den Stil in der Ornamentation und die Technik einer Prüfung zu unterziehen. Zur Beurteilung des Stils ist kunstwissen- schaftliches Studium unentbehrlich. Der Fälscher kopiert oft gute alte Muster: ein Grund zu weiterer Vorsicht. Das Alter der Technik ist nicht so schwer zu erkennen. Es kommt uns dabei die Unwissen- heit des modernen Arbeiters zu Hilfe. Die alten Ätzmaler bedienten sich nämlich nie oder nur selten eiserner Stifte oder Griffel, um die Zeichnung in den Ätzgrund einzuritzen, sondern hölzerner und beinerner. Die moderne Arbeit kennzeichnet sich demnach fast immer durch feine, wie mit Nadeln gekratzte Striche ohne Kraft und Schwung. Der Hochätzung weicht der Fälscher meist sorgfältig aus. Der alte Ätzkünstler besass zudem in der Bereitung des Ätzwassers eine staunenswerte Sicherheit. Die Ätzung erscheint in der Regel im Vergleich zu der gefälschten eher stärker als schwächer. Moderne Arbeiten sind oft zwei- bis dreimal nachgeätzt. Dieser Kniff, alte, glatte Harnische mit Ätzungen auszustatten, gibt einer grossen Anzahl Leuten reichliches Brot. Derlei Fälschungen betreibt man in Paris, Nürnberg, München und Stuttgart. Sehr schlechte Leistungen derart kommen aus Venedig; trotzdem finden sie Absatz in Griechenland und der Levante. Vergoldung ist unschwer als neue Arbeit zu er- kennen. Ist sie nur schwach aufgetragen, um als alt zu erscheinen, dann erscheint sie ungleich; ist sie stark, gleich der alten, dann lässt sie sich nicht vom Fälscher so unverdächtig abreiben, dass man nicht die Spuren dieser Arbeit fände. Aus Spanien, Frankreich und Italien kommen Fälschungen in Gold- und Silbertausia vor, die einen Nichtkenner leicht zu täuschen im stande sind, zumal da sie in der That in der Regel sorgfältig und fleissig ausgeführt sind. Wir übergehen die Beobachtungspunkte, die auch bei der Ätzung massgebend sind, und halten uns unmittelbar an die Technik. Der Goldpartikel, der von den alten Tausiatoren in den Grund der Gravierung eingeschlagen wurde, wurde aus einem 1. Die Beurteilung der Echtheit und des Wertes der Waffen. flachen Stücke Gold mit dem Grabstichel herausgehoben, er war daher nur kurz und hatte einen eckigen Querschnitt. Moderne Arbeiten sind mit gezogenem Golddraht geschlagen, die einzelnen Teile sind länger und heben sich bei nur einiger Nachhilfe leicht aus dem Grunde heraus. Unter dem Vergrösserungsglase ist zu erkennen, wie wenig der cylindrische Draht mit dem Grunde in Verbindung steht. Der Verfasser hat davon einige drastische Beispiele vor Augen ge- habt. Das Schwierigste aber für den Fälscher ist, dem Eisen den grauen Ton zu verleihen, der für orientalische und Mailänder Tausia- Arbeiten, für welche die Fälschungen in der Regel gelten sollen, charakteristisch ist. Die Fälscher begnügen sich auch gewöhnlich mit einer Bläuung oder einer rötlichen Färbung alla sanguigna, die häufig fleckig geraten ist. Die am wenigsten Geübten schwärzen das Stück durch Einlegen in heisse Asche. Ein ergiebiges Feld für Fälscherkünste bieten getriebene Ar- beiten und überhaupt Reliefdarstellungen in Metall. Der ungemein vorgeschrittene Stand der Technik in heutiger Zeit stellt in dieser Hinsicht technische Hilfsmittel zur Verfügung, die das Original mit aller Treue wiedergeben. Für getriebene Arbeiten in Eisen wird der Guss in Weicheisen, sogenannter Weichguss, häufig angewendet, der selbst Nacharbeit mit dem Ziseliermeissel gestattet. Das Erzeugnis verrät sich freilich bei der ersten Probe durch sein im Verhältnis zur Masse übermässiges Gewicht. Ferner ist der Guss an den scharfen Kanten leicht zu erkennen, so dass es wunder nehmen muss, wenn Personen auf diese Weise thatsächlich getäuscht wurden. Schwieriger ist es, galvanoplastische Kopien von Originalen zu unter- scheiden, besonders, wenn die Umstände es nicht gestatten, die Rück- seiten der Reliefs zu untersuchen. Kann die Rückseite betrachtet werden, dann ist es ein Leichtes, die galvanische Ablagerung festzu- stellen; denn die Oberfläche ist in diesem Falle grieslich gestaltet und von Warzen bedeckt, die nur schwer ganz zu entfernen sind. Ist man lediglich auf die Prüfung der oberen Relieffläche angewiesen, dann kommt in Betracht, dass das galvanisch abgelagerte Metall einen grossen Härtegrad und eine gewisse Sprödigkeit besitzt und dass es sich in den vorspringenden Stellen immer dichter ablagert als in den tiefer gelegenen. Griffbestandteile und silberne Beschläge von orien- talischen Säbeln u. dgl. werden sehr häufig nachgegossen, und selbst Emails werden nachzuahmen versucht. Im transluzíden Email ist eine Täuschung schwierig, weil das alte gewöhnlich nicht sehr rein und meist getrübt ist. Opake Flüsse in Weiss lassen sich leichter darstellen; die alten zeigen aber oft winzig kleine Blasenspuren, die an neueren fehlen. Altes Email, das ausgebrochen ist, lässt sich be- kanntlich nicht mehr im Feuer ersetzen, der Arbeiter muss hier so- genanntes kaltes Email zu Hilfe nehmen, eine harzige Masse, die in mässig heissem Zustande in die Zellen eingestrichen wird. Derlei Boeheim , Waffenkunde. 37 IV. Bemerkungen für Freunde und Sammler von Waffen. Restaurationen erkennt man schon mit dem freien Auge. Im Oriente und in Russland gibt man sich auch oft Mühe, altes Niello darzu- stellen, das aber in den meisten Fällen durch eine zu grosse Regel- mässigkeit der Zeichnung auffällt; dann ist auch gewöhnlich das Nigellum bei den heutigen Mitteln gleichmässiger verschmolzen und überhaupt zu tief im Tone. Alter Anstrich in Ölfarbe unterscheidet sich durch sein Ansehen von jüngerem und erweist sich als reiner Leinölanstrich. Dicker Lack mit Zusätzen von Harzen wurde erst im 18. Jahrhundert an- gewendet. In betreff der Echtheit von Steinfassungen haben wir bereits Gelegenheit gehabt, unsere Bemerkungen zu machen. Die Kunst, Edelsteine in Facetten zu schleifen, drang erst am Ende des vorigen Jahrhunderts in die orientalischen Länder, Auch die Fassung der Edelsteine kam aus dem Oriente. Schon im frühesten Mittelalter kamen Edelsteine in regelmässigen Körpern geschliffen und auch durch- löchert vor. Das Verfahren beschreibt uns Theophilus in seiner „Schedula diver- sarum artium“. Einfache Facettenschliffe und selbst dublierte Edelsteine treten schon im 15. Jahrhundert auf, immerhin aber vereinzelt und so selten, dass wir in vor- kommenden Fällen sehr zur Vorsicht raten. In Brillantenform und als Tafelsteine finden wir sie häufig in den Goldschmiedeblättern des Virgil Solis u. a. und man findet selbst an modernen Arbeiten aus dem Orient noch gemugelte Edelsteine. Ob- zwar schon 1385 Diamantpolierer in Nürnberg genannt werden und 1456 Ludwig von Berquen die Kunst erfand, den Diamant mit seinem eigenen Pulver zu schleifen, so ist es doch bekannt, dass Kardinal Mazarin um 1650 die ersten Diamanten in Brillantenform schleifen liess, und geschliffene Edelsteine allgemeiner erst am Ende des 17. Jahrhunderts auftraten. In neuester Zeit gelangen häufig gefälschte Schwert- und Säbel- griffe, Scheiden etc. in den Handel, die mit graviertem Nephrit (Beilstein, Punamastein) besetzt sind. Die Fälscher benutzen die all- gemein verbreitete Meinung, dass Nephrit in rohen Stücken in Europa nicht in den Handel komme. Aber dieser Halbedelstein, der schon im Altertume bekannt war und im Mittelalter im Oriente häufig als Verzierungsmittel für Waffen diente, wurde schon in der 1. Hälfte des vorigen Jahrhunderts von Joh. Forster nach Europa gebracht und seither vorwiegend zu Fälschungen benutzt. Bei der Beurteilung von derartig verzierten Waffen können lediglich die Formen und die Art der Bearbeitung des Steines den Ausschlag geben. Bei Beurteilung von Schnitzarbeiten in Beziehung auf ihr Alter und ihre Echtheit entscheiden in erster Linie die von dem Geschmack der Zeit bedingten stilistischen Eigentümlichkeiten. Bei Elfenbein- arbeiten zeigen sich immer Spuren des Werkzeuges, das in neuerer Zeit ein anderes ist, als ehedem verwendet wurde. Die Alten ver- wendeten die Feile nur sehr wenig und begnügten sich mit hobel- 1. Die Beurteilung der Echtheit und des Wertes der Waffen. artigen Werkzeugen und Messern, deren Spuren man verfolgen kann. Bei Polychromierungen ist zu beachten, dass die Alten Pflanzenfarben verwendeten. Auch Holzschnitzereien sind von ähnlichen Gesichts- punkten zu beurteilen. Es ist ein bestimmter Ausspruch über deren Alter vom kunsttechnischem Standpunkte um so schwieriger, als die Imitatoren, die ihr Geschäft in Deutschland fabriksmässig betreiben, hierzu altes, wurmstichiges Holz verwenden, das sie zu diesem Zwecke überall zusammenkaufen. Der Antiquitätenhändler Spengel in München produzierte auf der Kunst- und Kunstgewerbe-Ausstellung in München 1876 Holz von alten Deckenbalken, welche ihm als Material für Imitationen älterer Schnitzwerke dienten. Ein seltener Fall von Aufrichtigkeit. Ungeachtet aller Finesse aber kann selbst der Holzwurm zum Verräter werden, wenn man nur einige Beobach- tungsgabe besitzt. Der Holzwurm bohrt eben nicht über Schnitzwerk hinweg, stellenweise in freier Luft darüberschreitend. Er geht nicht nach abwärts und quer immer auf längere Distanzen. Fälschung von Bohrlöchern und Gängen ist endlich doch gar zu leicht zu ent- decken. Bei Blankwaffen ist die Zusammenstoppelung verschiedener fremder Teile zu einem Ganzen am häufigsten anzutreffen, und hierbei machen sich nicht nur die Händler, sondern auch die Sammler der Fälschung schuldig. Gar mancher besitzt eine seiner Ansicht nach gute Klinge und strebt darnach, einen Griff oder eine Scheide dazu zu erhalten, ob beide nun zusammengehören oder nicht. In solchem Falle ent- scheidet ebenso der stilistische wie der historische Faktor. Die wenigsten wissen den Wert und das Alter einer Klinge zu beurteilen, und legen das grösste Gewicht auf deren Biegsamkeit, während in einzelnen Fällen gerade die Unbiegsamkeit für die Güte und die Zugehörigkeit der Klinge massgebend ist. Auch sind nur wenige im stande, von der Form der Klinge auf deren Meister zu schliessen, also den Punkt zu treffen, von dem zunächst der Wert einer Klinge abhängt. Daher kommt es, dass fast allgemein das Alter einer Klinge nicht richtig geschätzt wird und diese durch Missverstand mit einer Fassung in Verbindung kommt, die durchaus nicht zu ihr passt. In dieser Beziehung kommen die ungeheuerlichsten Irrtümer vor. An Gewehren treten fachwidrige und verständnislose Reparaturen und Ergänzungen am häufigsten auf, und es fehlt auch hier nicht an ganz sinnlosen Zusammenstoppelungen von alten und neuen Stücken. Eingelegte Technik an Schäften wird am seltensten gefälscht und je feiner sie ist, desto seltener. Das kostet Mühe und Zeit und ver- lohnt sich nicht. Desungeachtet hat der Verfasser im Laufe seiner Wirksamkeit zahlreiche eingelegte Gewehrschäfte getroffen, die sowohl in den Ein- lagen ergänzt, also ausgebessert, als auch ganz neu gefertigt waren, um für alt ausgegeben zu werden, somit vollständige Fälschungen 37* IV. Bemerkungen für Freunde und Sammler von Waffen. darstellten. Aber derlei Nachahmungen sind in ihrer technischen Ausführung weit von den alten Arbeiten verschieden. Dem Fälscher von heute fehlt zu seinem Werke die Zeit und auch die Geschick- lichkeit, seine Partikel so präzise zu schneiden, dass nach deren Ein- fügung nicht der geringste Zwischenraum bleibt. Der durch ungenaue Arbeit sich ergebende Zwischenraum wird dann mit Kitt ausgefüllt; bei Verwendung von schwarz gebeiztem Holz wird der Kitt mit Kohlenstaub gemengt. Man halte den Gegenstand gegen das Licht und man wird die matten Ränder sehen, denn der Kitt nimmt nie den Fettglanz des Holzes an, und wenn ihm durch eine Bei- mengung von Graphit Glanz verliehen wird, so bekommt er ein graues Ansehen. Man untersuche auch die Gravierungen in den Elfenbeinpartikeln, und man wird sie in den meisten Fällen mit modernem Öllack eingerieben finden, der sein Fett den Rändern mitteilt. Wir empfehlen demjenigen, welcher sich über die Praktiken der zahlreichen Betrüger im Gebiete alter Kunst weiter unterrichten will, das Büchlein „Le Tru- quage“ von Paul Eudel . Der Verfasser hat sich viele Mühe gegeben und es steht ihm auch eine ziemlich grosse Erfahrung zur Seite. Erheblichere Mängel besitzt das Buch nur nach der kunsttechnischen Seite hin, insofern der Autor über gewisse Verfahrensarten ersichtlich im Unklaren ist. Nichtsdestoweniger wird der Leser manch beachtenswerten Wink finden. Noch empfehlenswerter ist die deutsche Ausgabe des Werkes: „Die Fälscherkünste“, Leipzig 1885, deren Heraus- geber, Br. Bucher, den Autor des Originalwerkes an fachlichen Kenntnissen über- bietet und auch anmerkungsweise häufig Anlass genommen hat, irrige Anschau- ungen zu berichtigen und über schwierige Fragen Auskunft zu geben. Schliesslich raten wir denjenigen Sammlern und Liebhabern, welche zu ihrer Fachkenntnis und ihrem Blicke kein volles Zutrauen besitzen, sich angelegentlichst über die berüchtigsten Stätten der Fälschung alter Kunstgegenstände zu unterrichten. Man kann auch auf diesem ein- fachen Wege auf die richtige Spur kommen. Ist man über die ver- dächtigsten Werkstätten im Klaren, dann stelle man bei Gelegenheit eines Angebotes ein wohlgeordnetes Verhör an, das sich auf den Nachweis der Herkunft zuspitzt. Es ist oft ergötzlich zu sehen, wie sich der einen Betrug beabsichtigende Händler in die unglaublichsten Widersprüche verwickelt. Es fehlt da wie vor Gericht nicht an geheimnisvollen Unbekannten, an hohen Persönlichkeiten, die den Gegenstand aus Not veräussern, aber nicht genannt werden dürfen, an leisen Hindeutungen, dass das Stück aus einer grossen — aber immer sehr fernen — Sammlung stamme u. dgl. Schliesslich löst sich der von der Lüge geschürzte Knoten, sobald ein Ort genannt wird, von welchem das Stück zunächst hergekommen ist; mit diesem ist man auf realem Boden, von welchem aus man sicher weiter schreiten kann. Nach und nach kommt auch ein Name zum Vor- schein, aus dem man entweder unmittelbar einen Schluss ziehen oder über den man durch Erkundigungen sich bald Auskunft verschaffen 1. Die Beurteilung der Echtheit und des Wertes der Waffen. kann. Einige Sammler üben die Vorsicht, sich den angebotenen Gegenstand auf kurze Zeit zu erbitten, um ihn von erprobten Kennern untersuchen zu lassen. Dagegen pflegen sich die Händler sanft zu wehren, indem sie vorgeben, das Stück nicht aus den Händen lassen zu können; andere wagen es auf das gute Glück hin, in der Hoff- nung, dass auch der Kenner sich täuschen lässt. Legen doch kleine Händler sehr häufig Museumsbeamten gut ausgeführte Fälschungen zur Beurteilung vor, um möglicherweise ein günstiges Urteil zu er- langen und auf dieses gestützt, dem Kunden gegenüber mit Sicher- heit auftreten zu können. Was nun die Beurteilung des Wertes einer Waffe, bei der wir die Echtheit voraussetzen, anlangt, so kommt in erster Linie der historische Wert, ihre verbürgten Beziehungen zu einer historischen Person oder einer historischen Thatsache in Frage; dann folgt die Frage nach dem Meister, nach der Seltenheit des Stückes an sich, nach dem Kunstwert der Arbeit, endlich nach dessen Vollständigkeit. Was nicht unter einem der hier erwähnten Gesichtspunkte Interesse bietet, ist Ware von geringem Wert, die zwar als instruktives Material in öffentlichen Sammlungen nicht fehlen darf, aber nur im Zusammen- hange mit anderem eine waffengeschichtliche Bedeutung besitzt. Die hier angeführten Gesichtspunkte sollten ebensowohl für den Händler wie für den Käufer bei der Beurteilung des Preises allein massgebend sein. Das ist indes nicht der Fall, weil unsere geschichtlichen Kennt- nisse zur Stunde noch zu mangelhaft sind, um für eine angemessene Normierung der Preise in allen Fällen einen festen Anhalt zu bieten. Bei der Lückenhaftigkeit unserer kunstgeschichtlichen Erkenntnis lässt sich eine Waffe nur in wenigen Fällen auf ihren Meister hin schätzen, überhaupt wird ihr Wert meist unterschätzt. Dem Verfasser erscheint zum Beispiel ein einfacher Haudegen mit einer zugehörigen Klinge des Spaniers Alonso de Sahagun oder des Italieners Andrea Ferraro wertvoller als der zierlichste — ohne Marke; ein Harnisch mit dem Zeichen des Augsburger Matthäus Frauenbriss weit kost- barer als einer des gleichzeitigen Nürnbergers Mert Rotschmied; eine Arkebuse mit einem Laufe von dem älteren Brescianer Lazaro Cominazzo viel begehrenswerter als eine selbst künstlerisch schöner ausgestattete seines jüngeren Landsmannes Giovanni Francino u. s. w. Die Kenntnis der Meister und ihrer Marken ist im Verkehre noch nicht ins Konzept aufgenommen worden, weshalb die Grundlage für die Wertbestimmung noch ganz unsicher erscheint. Vielleicht tragen unsere Ausführungen und die am Schlusse gegebene Liste der Namen und Marken von Waffenschmieden, deren Zusammenstellung zumeist auf dem eigenen Studium des Verf. beruht, dazu bei, einen sichereren Massstab für den Wert alter Waffen zu schaffen. 2. Die Aufstellung der Waffen. Die Anordnung von Waffensammlungen muss sich nach dem Zwecke richten, welchem sie zu dienen haben. Sind sie in den Händen des Staates, einer Provinz, einer Gemeinde oder überhaupt öffentlich, dann muss die Art der Anordnung der Gegenstände dem Bedürfnisse nach Belehrung strenge entsprechen. Da hat der Dilettantismus oder das Streben nach dekorativer Wirkung, mit der so häufig die Unkenntnis bemäntelt wird, kein Wort mitzureden. Die Vorführung muss derart sein, dass sie den historischen Gedanken festhält, die Entwickelung des Waffenwesens demonstriert und so nicht nur Material zur Er- läuterung der politischen, sondern auch der Kulturgeschichte über- haupt bietet. Die Anordnung muss also eine chronologische sein, „ beginnend mit dem ältesten Stücke und endigend mit dem jüngsten “. Öffentliche Sammlungen, welche nach anderen Gesichts- punkten geordnet sind, entsprechen nicht dem wissenschaftlichen Zwecke, und unter Umständen erscheint eine mehr auf „Bewunderung“ als „Belehrung“ abzielende Gruppierung als eine unverantwortliche Vergeudung des öffentlichen Gutes, der baldmöglichst Schranken ge- setzt werden sollten. Halten wir den Gedanken einer strenge chronologisch-synchro- nistischen Reihung fest, dann gelangt unversehens der einfachste Gegenstand als ergänzender Teil zu gleicher Wichtigkeit mit den an sich wertvollsten und seltensten Stücken. Dadurch ergibt sich von selbst, dass jedes Stück zwar in fachgemässer Zusammenstellung er- scheinen, aber ausser dekorativer Verbindung mit anderen bleiben muss. Im nachfolgenden geben wir einige Regeln für die Aufstellung einer dem erwähnten Grundsatze entsprechenden Waffensammlung. Ganze Plattenharnische sind auf Figurinen (Gestellen) anzu- bringen, welche in einfachster Form zu fertigen sind. Man vermeide es, geschnitzte oder wächserne Gesichter oder Hände beizugeben, die der Sammlung den Charakter eines Wachsfiguren-Kabinettes geben würde. Ebenso ist es zweckwidrig, Harnische auf hölzerne Pferde zu setzen, wodurch die Sättel der Ansicht entzogen werden und vor der Zeit zu Grunde gehen. Pferdeharnische werden auf Gestelle auf- gelegt, ebenso halbe Mannsharnische auf Kreuzgestelle gehängt. Kein Harnisch darf mit einer Angriffs- oder anderen Schutzwaffe in Ver- bindung vorgeführt werden. Derlei Zusammenstellungen führen nur zu irrigen Anschauungen und verleiten unwillkürlich zur Erzielung von theatralischen Effekten. Ein Harnisch ist eben nur ein Harnisch, und es darf niemand einfallen, sich bei dessen Anblicke einen in Eisen gekleideten Menschen, etwa einen alten Helden mit gezücktem Schwerte u. dgl. zu denken. Das ist eine romantische Spielerei. Die ihrem historischen Werte oder ihrer Form nach interessantesten An- 2. Die Aufstellung der Waffen. griffswaffen sind dem Auge nahezurücken, daher auf am Boden ruhenden Gestellen anzubringen. Duplikate und sonst minder bedeut- same Stücke, Schwerter, Degen, Stangenwaffen mit nicht vollkommen erhaltenen Schäften u. dgl. können dagegen, im Falle es an Platz mangelt, auf Waffenbretter gruppiert, an den Wänden zur Ansicht gelangen; doch soll jedes Stück so angebracht sein, dass es im Be- dürfnisfalle leicht und schnell herabgenommen werden kann. Fahnen müssen vollkommen entfaltet an den Wänden oder in den Saalmitten hängend angebracht werden. Alle Drapierungen sind zu vermeiden. Gegenstände von geringen Dimensionen, aber von an sich bedeuten- derem Kunstwerte, von grösserer Seltenheit und solche subtilerer Struktur sind in Glaskästen zur Schau zu stellen, die, freistehend, den Gegen- stand von allen Seiten zu betrachten gestatten. Sie müssen immer so gestellt werden, dass das Licht von den Fenstern nicht diametral auf die Glasscheiben fällt. Diese Forderungen sind unabweislich an Staats- und öffentliche Sammlungen zu stellen; ein anderes ist es aber bei privaten Kollek- tionen. Bei diesen entfällt selbstverständlich jede Forderung, denn jeder hat das Recht, seinen Besitz nach seinen eigenen Anschauungen zu ordnen. Wir hätten demnach die Pflicht, an dem Privatbesitze stumm vorüberzugehen. Wenn wir dennoch über die Ordnung privater Waffensammlungen uns einige Winke zu geben erlauben, so sind wir dazu aus dem Grunde veranlasst, dass eine nicht geringe Anzahl von Besitzern wertvoller Sammlungen, die diese, von humansten Gefühlen beseelt, dem Publikum eröffnet haben, nicht abgeneigt sind, ihre eigenen Anschauungen mit dem Bedürfnis der Belehrung in thunlichsten Einklang zu bringen. Zudem haben wir die Überzeugung gewonnen, dass fast jeder Sammler von Waffen sachgemässen Urteilen über die Art der Aufstellung gerne das Ohr leiht, sei es auch nur, um einzelne Winke zu beherzigen und sich nach ihnen zu richten. Jeder einzelne Sammler pflegt nach bestimmten Richtungen zu sammeln, und so trägt jede private Waffensammlung ihren eigenen Charakter an sich. Die grosse Masse privater Sammler geht lediglich von der Absicht aus, mit älteren Waffenstücken dekorative Effekte zu erreichen. In dieses Streben mengen sich oft dunkle, romantische Empfindungen, mit welchen man sich in eine vergangene Zeit hinein- träumt, als Gegensatz zu der schal erscheinenden Gegenwart. Das sind freilich Passionen, mit denen wir hier nicht zu rechnen haben und denen gegenüber wir nur Andeutungen geben können, wie ihnen nachzugehen wäre, ohne dem Gegenstande selbst, der Waffe, Gewalt anzuthun. Vor allem vermeide man es strenge, mit Harnischen andere Waffen in Verbindung zu bringen, welche weder aus derselben Zeit stammen, noch zum Gegenstande stimmen. So sieht man z. B. häufig Zweihänder in die Handschuhe von Reiterharnischen geklemmt, die, wie wir gesehen haben, nur von gemeinen Knechten zu Fuss ge- IV. Bemerkungen für Freunde und Sammler von Waffen. führt wurden. Oft hängt an den Hüften eines Turnierharnisches des 16. Jahrhunderts ein zierlicher italienischer Stadtdegen mit doppeltem Eselshuf, oder es ist einem schweren Stechzeuge eine Helmbarte in die steifen Hentzen gedrückt. Derlei Widersprüchen und Anachro- nismen begegnen wir in Hülle und Fülle. Ganz unzweckmässig ist es ferner, in verschwenderischer Weise kostbare Waffen, zu sogenannten Trophäen gruppiert, hoch an die Wände zu nageln, da man mit den prunklosesten Stücken genau dieselbe Wirkung erzielen kann. Unten an die Wände gestellt, auf Tische oder Kästen gelegt, erfüllen sie weit besser den beabsichtigten Zweck. Fahnen mit in Falten herabhängenden Blättern aufzustellen, sollte vermieden werden. Sie müssen, wie es schon in alten Zeiten geschah, mit horizontalen Schäften an das Gewölbe gehängt werden, so dass die Blätter glatt herabfallen. Turnierzeug ist immer von den Feldwaffen und womög- lich räumlich zu trennen, ebenso die Jagd- und Zielwaffen, wie auch orientalische Gegenstände, da diese einem besonderen Kulturgebiet angehören. Ein wichtiges Kapitel im Sammelwesen betrifft die Ergänzungen von unvollständigen Stücken. In öffentlichen Sammlungen ist jede Ergänzung dieser Art unstatthaft. Man kann, statt ein schadhaftes Stück zu ergänzen, lieber ein gutes Bild, selbst eine Imitation vor Augen stellen, auch den Gebrauch desselben bildlich darstellen; das schadhafte Original muss aber bleiben, wie es ist, weil in den meisten Fällen jede moderne Zuthat einer Schädigung desselben gleichkommt. Bei Sammlern ist das Streben, etwas Vollständiges zu besitzen, freilich zu gross, als dass nicht allenthalben solche Ergänzungen vorkämen, die das Auge des Kenners doch nicht täuschen. Was kann man da nicht alles sehen! Harnische werden mittels Papiermaché oder Blech vervollständigt, Stangen an Spiessen und Helmbarten neu gemacht, Löcher in Fahnenblättern werden mit Stoff überklebt und roh mit Farben überklext. In Schwert- und Degengriffe werden Eisenstücke eingestossen, die aus der Entfernung als schöne Klingen erscheinen sollen. Nicht selten wird aus zwei unvollständigen Stücken ein ganzes gemacht, und der Eigentümer hat eine Herzensfreude über das ver- meintlich gelungene Werk. Von solchem Vorgehen möchten wir dringend abraten. Der Eigentümer denkt oft nicht daran, welchen Schaden er eines besseren dekorativen Eindruckes wegen einer wert- vollen, wenn auch unvollständigen Waffe zufügt. Da ist es ratsamer, um wenige hundert Mark die ganz trefflich ausgeführten Abgüsse von Zierwaffen des Stolbergschen Eisenwerks in Ilsenburg oder gute galvanoplastische Kopien von Haas in Wien etc. zu kaufen, die für eine Dekoration vollauf ihre Dienste thun. Manche Schlossherren besitzen auf ihren Stammsitzen zahlreiche Waffenstücke, die nicht bei Antiquaren und Trödlern zusammengekauft, sondern seit Jahrhunderten von Generation auf Generation vererbt 3. Einige Worte über die Erhaltung der Waffen. worden sind. Bei derlei Materiale fordert es die Pietät, es in Ehren und unverletzt zu erhalten. Aber gerade diese Pietät führt oft zu den empfindlichsten Schädigungen kostbarster Sammlungen, denn hier waltet oft uneingeschränkt der sicher zerstörende Rost, der Grünspan und die Fäule. Häufig in feuchten Gewölben untergebracht, gehen die schönsten Stücke ihrem Verderben weit vor der Zeit entgegen. Gerade für solche Sammlungen würde sich eine Übersiedelung in lichte, trockene Räume und eine chronologische Aufstellung empfehlen, denn die Pietät äussert sich nicht allein in der substanziellen Bewah- rung, sondern in der Fürsorge für die Erhaltung und in einer ebenso würdigen als zweckmässigen Aufstellung. Derlei Arbeiten lassen sich auch auf mehrere Jahre verteilen. Auch in diesem Falle muss man von dem Gedanken absehen, statt Harnischen geharnischte Männer, statt Rosszeugen geliegerte Pferde u. s. w. vor Augen stellen zu wollen. Das kostet viel Geld und lenkt die Aufmerksamkeit von dem eigentlichen Gegenstande ab, der gar oft nicht unbedeutenden Wert besitzt und mit der Geschichte des Schlosses, in dem er sich befindet, in engen Beziehungen steht. Wer aber nur wenige, aber künstlerisch wertvolle, schöne und seltene Stücke besitzt, der verzichte darauf, sie vereint aufzustellen oder gar zu gruppieren. Der lege sie, wenn die Gegenstände es erlauben, auf Tische, Etageren und Kommoden in seinen Wohn- zimmern, stelle Harnische an geeigneten Punkten auf dem Boden auf, breite Fahnen gleich Arazzis an die Wände; da werden sie zum Schmucke der Räume beitragen und der Bewunderung des kunst- verständigen Fachmannes, welcher als Gast eintritt, nicht entgehen. 3. Einige Worte über die Erhaltung der Waffen. Zur Erhaltung der Waffen in einem Stande, welcher einen vor- zeitigen Ruin ausschliesst, ist in erster Linie die Räumlichkeit in Er- wägung zu ziehen, in der sie aufbewahrt werden. Das Hauptmaterial, aus welchem die Waffen bestehen, ist das Eisen, aber oft ein mangel- haft ausgeschlacktes, unreines und mit anderen Mineralien versetztes, namentlich schwefeliges Eisen. Darum ist die Wahl des Lokales mit besonderer Vorsicht vorzunehmen. Selbstverständlich ist es, dass der Raum vollkommen trocken sein muss und womöglich nicht an der Sonnenseite gelegen ist. Überdies ist aber unerlässlich, dass die äussere Temperatur nicht unmittelbar auf das Innere zu wirken vermag. Das ist besonders im Frühjahre von Wichtigkeit, wenn die ersten wärmeren, sonnigen Tage beginnen; da ist Sorge zu tragen, IV. Bemerkungen für Freunde und Sammler von Waffen. dass die innere kalte Luft sich nur allmählich und so langsam als möglich erwärme, weil der plötzlich eindringende warme Luftstrom sich im Augenblick kondensiert. Hat man dieser Hauptbedingung genügt, sodass sich der für die Aufbewahrung von Waffen bestimmte Raum in einer möglichst gleichen Temperatur im Winter wie im Sommer erhält, dann werden die darin aufgestellten, ursprünglich gut gereinigten Waffen stets in klaglosem Zustande bleiben, und man wird nur in längeren Zeiträumen einmal eine eingehende Durchsicht vorzunehmen haben, um die durch die natürliche Feuchtigkeit der Wände etwa entstandenen Rostansätze, die sich oft nur durch winzige, braune Pünktchen ankündigen, durch Befeuchten mit Öl zu entfernen. Dabei muss der Grundsatz beobachtet werden, dem Rost schon im ersten Entstehen zu begegnen. Eine zweite unerlässliche Bedingung zur rostfreien Erhaltung der Waffen ist, dass das Berühren derselben mit den blossen Händen möglichst vermieden und dass eine Waffe, die berührt wurde, nach- träglich mit einem trockenen, weichen Tuche abgewischt wird. Es bedarf wohl keiner Erwähnung, dass man es vermeiden muss, Waffen- sammlungen in feuchten Kleidern zu betreten oder die Fussböden mit Wasser zu reinigen. Man hat schon im 17. Jahrhundert die Gegenstände der Rüst- kammern mit dünnem Firnis überzogen, um sie rostfrei zu erhalten. Das gibt dem Eisen aber ein hässliches Ansehen, ohne viel zu nützen. Ebenso ist das Einfetten des Eisens eher schädlich, weil jedes Fett nach einiger Zeit ranzig wird und Säuren bildet, die gerade das Entstehen des Rostes befördern. In einem gleichmässig temperierten Raume kann man das Eisen ohne jeden Überzug lassen. Jeder neuübernommene Gegenstand muss bezüglich seines Zu- standes auf das genaueste untersucht und darf nicht früher in die Sammlung eingereiht werden, als bis er vollständig rostfrei gemacht worden ist. Das Befreien des Eisens von Rost ist, wenn es in angemessener Weise und ohne Schädigung des Materiales vorgenommen werden soll, keine ganz einfache Sache, es erfordert ausserordentliche Sorgfalt und vor allem Geduld . Was oft in Jahrhunderten sich entwickelt hat, soll man nicht in Minuten vom Platze schaffen wollen. Vorerst ist zu beurteilen, ob das Oxyd bereits den Körper und bis zu welchem Grade angegriffen hat, oder ob es in nur geringem Grade schädigend die Oberfläche deckt. Jeder Rost muss aber unbedingt entfernt werden, hätte er auch noch so zerstörend auf das Material gewirkt. Das Mittel, um Eisen von Rost zu befreien, ist einfach und all- gemein bekannt, weniger die Methode. Man befeuchtet die Roststelle stark mit frischem, reinen Öl, ohne im mindesten zu reiben oder gar sich des Schmirgels zu bedienen. Jeder Rost löst sich in Öl all- mählich auf; es ist darum nichts weiter zu thun, als das aufgetragene 3. Einige Worte über die Erhaltung der Waffen. Öl nach einigen Tagen einfach wegzuwischen, frisches aufzutragen und damit so lange geduldig fortzufahren, bis die rotbraune Kruste vollständig aufgelöst und entfernt ist. Zeigen sich unterhalb schwarze Flecken, wie sie zuweilen in Vertiefungen vorkommen, so ist das nicht mehr Rost, sondern das Bild des Schadens selbst, den das Oxyd verursacht hatte. Derlei Flecken sind nur dadurch zu entfernen, dass man die Stelle mit Schmirgelpapier behandelt; aber es ist, bevor man zu diesem den Körper selbst angreifenden Mittel schreitet, wohl zu erwägen, ob der Gegenstand nicht dadurch in seinem archäologischen oder seinem Kunstwerte für immer geschädigt wird. Klingen sind in der Regel leicht zu reinigen, schwieriger ist dies bei Schilden, welche innen Fütterungen haben, die, damit die Innen- seite gereinigt werden kann, abgenietet werden müssen; am aller- schwierigsten aber bei Harnischen, weil dem Roste zwischen den Folgen schwer beizukommen ist, so dass im äussersten Falle nichts übrigbleibt als sie zu zerlegen und neue Lederstreifen (Geschiebleder) einzufügen. Besitzer grösserer Sammlungen werden daher wohlthun, stets einige Pakete Nieten mit gelben und weissen Köpfen und ver- schiedener Grösse im Vorrate zu halten, weil nicht selten Nieten an stark beschädigten Harnischen, besonders wenn sie ursprünglich stark angezogen waren, bei Temperaturwechsel ausspringen. An glatten, unverzierten Flächen kann man sich zum Entfernen des Rostes unbedenklich des Steinöls, Petroleums, bedienen, nur nicht an Stellen, die mit Schwarzätzung verziert sind, weil Petroleum das in den Vertiefungen liegende Schwarzlot angreift. Selbst bei Behand- lung mit gewöhnlichem Baumöl ist in diesem Falle ausserordentliche Vorsicht geboten, damit das Schwarzlot nicht herausgelaugt wird. Jeder blanke Harnisch muss in tadellos reinem Zustande erscheinen, er muss auf das reinste geputzt oder, wie der alte Fachausdruck lautet, „gewischt“ sein. Dieses Wischen der Harnische erfordert eine eigene Übung. Gute Harnischwischer waren schon seit dem Aufkommen der Plattenharnische sehr gesucht. An einem gut ge- wischten Harnische müssen die Putzstriche in vollständig paralleler Richtung laufen und dürfen sich nirgends kreuzen. Sehr schwache und durch vieles unverständiges Putzen dem Ruine nahegeführte Harnische lässt man lieber ungewischt und reinigt sie bloss mit ge- wöhnlicher Seife. Übereifrige Diener vergehen sich nicht selten so weit, Harnische, Schilde, Schwertgriffe, Läufe etc. zu polieren. Man untersage ihnen dieses strenge. Ein derart misshandelter Gegenstand ist nicht das halbe Geld mehr wert. Rostflecke auf gebläutem, d. i. blau angelaufenem, geschwärztem, d. i. in heisser Asche gebranntem, und gebräuntem (bruniertem) Eisen sind nicht zu entfernen, ohne die Färbung mehr oder weniger zu be- schädigen. Man muss entweder die betreffende Stelle blank lassen oder die Färbung des gesamten Gegenstandes entfernen und durch IV. Bemerkungen für Freunde und Sammler von Waffen. eine neue ersetzen. Bei archäologischen Gegenständen ist aber ein dahingehender Entschluss stets bedenklich, weil sie unbedingt an Wert dadurch einbüssen; denn jede nachträgliche Färbung ist dem Fachmanne leicht kenntlich. Das Innere der Gewehrläufe wird untersucht, indem man ein scheibenförmiges, glänzend poliertes Plättchen von Stahl, „Spiegel“ , in den Grund des Laufes gleiten lässt und dann diesen gegen das Licht hält. Der Reflex des Spiegels erhellt die Laufwandungen so vollständig, dass man jede rostige Stelle sofort erkennen kann. Mit Ausnahme des Goldes unterliegen alle für unsere Zwecke in Betracht kommende Metalle der Oxydation. Diese ist zweifacher Art; die eine ist vorteilhaft und wirkt konservierend, die andere ist un- bedingt schädlich und muss hintangehalten werden. Bronze nimmt, je nach ihrer Zusammensetzung, durch die Ein- wirkung des Sauerstoffes der Luft an der Oberfläche allmählich eine andere Färbung an, indem sich halbkohlensaures Kupferoxydhydrat entwickelt; sie wird erst bräunlich und erhält später, ohne die Glätte einzubüssen, eine tiefgrünliche Farbe. Diese feine Kruste, die gegen die zerstörende Einwirkung der Witterung schützt, ist die schon im Altertume gepriesene patina antiqua. Gegenstände, welche auf natür- lichem Wege diese Patina erhalten haben, werden von Kennern stets mit Interesse, unter Umständen selbst mit hoher Bewunderung be- trachtet. Man soll, um die Patinabildung nicht zu stören, einen Bronzegegenstand nie mit Tüchern abwischen, sondern lediglich mit einem Haarpinsel oder Flederwisch vom Staube befreien. Etwas anderes ist es mit einem Oxyd, das sich an einzelnen Stellen, vornehmlich in scharfen Vertiefungen ansetzt, sich von da immer weiter verbreitet und den Gegenstand allmählich zerstört. Es ist im Gegensatze zur Patina von hellgrüner, dem Schweinfurter Grün ähnlicher Farbe und hat ein kalkähnliches Aussehen; dieses essig- saure Kupferoxyd, der sogenannte „Grünspan“ , muss entfernt werden, wenn man den Gegenstand erhalten will. Diesem Feinde unterliegen auch andere Metalle, wie Kupfer und Messing gleich allen Kupferlegierungen. Auch hier ist das Öl das beste Mittel zur Entfernung des Schadens. Am sichersten und schnellsten würde freilich Essig oder Weinsteinsäure wirken, beide würden das Oxyd augenblicklich entfernen; aber selbst bei sorglichster Reinigung der Stellen würden die Säuren die Ursache zu neuem Oxydansatze werden. Somit ist nur Baum- oder Steinöl zu empfehlen; wenn es nötig ist, hilft man mit kleinen Holzstückchen nach, um die Kruste aufzulockern. Silber verliert durch den Zutritt des Schwefelwasserstoffes in der Luft im Oxydul den Glanz und verändert seine Farbe ins Tiefgraue, zuweilen ins Bräunliche. Den grauen Farbton nennt man „Altsilber“ . Diese Kruste, so sehr sie auch die künstlerische Wirkung eines 3. Einige Worte über die Erhaltung der Waffen. Gegenstandes beeinträchtigt, hat den Vorzug, dass sie gleich der Bronzepatina konservierend wirkt, sie darf daher nicht entfernt werden. Bräunliche Färbungen nimmt man in der Regel weg, indem man den Gegenstand mit Seife leicht einreibt und diese nach einigen Stunden mit frischem Wasser wieder wegwäscht. Organische Stoffe, wie Holz, Horn, Bein etc., bedürfen zu ihrer Erhaltung frischer Luft, die aber nicht feucht sein darf. Bei Stücken von Holz wird nasse Fäulung wohl kaum vorkommen, wohl aber die sog. Trockenfäule , welche den Stoff in eine mehlige Substanz auf- löst. Hier hilft kein anderes Mittel, als dass man den Gegenstand mit Substanzen tränkt, die fäulniswidrig sind, wie konzentrierte Salz- sole, Meerwasser, Alaun u. dgl. Man hüte sich aber, den Gegen- stand etwa mit kieselsaurem Natron, dem sogenannten Wasserglas, zu überziehen, weil gerade der Mangel an Luft die Trockenfäule ver- ursacht und Wasserglas den Zutritt der Luft nahezu aufhebt. Ein gefährlicher Feind gewisser Holzarten, besonders harziger, ist der Holzwurm, von dem in Sammlungen gewöhnlich nur eine Art, der sogenannte Nagebohrer (Anobium striatum), vorkommt. Um ihn zu vernichten, tränke man die Bohrlöcher mit Benzin; dann verklebe man sie mit Wachs, um beobachten zu können, ob sich später noch neue Löcher bilden, in welchem Falle man das Mittel wiederholt. Auch in Horn zeigen sich nicht selten kleine Bohrkäfer; man tötet sie leicht mit Terpentinöl. Das Elfenbein hat die üble Eigenschaft, dass es im Verlaufe der Zeit eine bräunliche Farbe annimmt; man hilft dem am sichersten und ohne Schaden ab, wenn man den betreffenden Gegenstand unter einem Glassturz oder zwischen geschlossenen Fenstern dem Sonnen- lichte aussetzt, wodurch die Oberfläche sich nach und nach wieder vollständig bleicht. Ein anderes, etwas schärferes Mittel ist das Be- feuchten mit Seifenwasser oder Benzin und nachträgliches Reinigen der Flächen mit Kalkstaub, der mit weichen Bürsten darübergerieben wird. Durch das Alter gelb gewordenes Elfenbein befeuchtet man auch mit rektifiziertem Terpentinöl und setzt es dann längere Zeit der Sonne aus. Will die gelbliche Färbung nicht weichen, dann wäre die Anwendung flüssiger, schwefeliger Säure am Platze; sie ist aber als letztes und schärfstes Mittel nur im Notfalle und nur mit aller Vorsicht zu gebrauchen. Das Schwierigste ist die Erhaltung textiler Gegenstände, Sattel- überzüge, Fütterungen, Fahnen u. dgl. Solche aus Wolle und Leinen besitzen einen argen Feind in der sogenannten Kleidermotte (Tinea sarcitella), die nur durch Einstäuben mit Arsenik oder dem bekannten Insektenpulver auszurotten ist. Stete Lüftung ist sehr zu empfehlen, ebenso ist starke Sonnen- oder Ofenwärme der Brut dieser Insekten schädlich. IV. Bemerkungen für Freunde und Sammler von Waffen. Fahnen, namentlich bemalte, dürfen nie in kleine Falten gelegt werden, weil jeder scharfe Bug leicht Bruch erzeugt. Das Restau- rieren der Fahnenblätter durch Steppen ist nur bei kleinen Schäden anzuwenden. Ausbesserungen grosser Löcher durch Applikationen sind unstatthaft. In einigen Sammlungen werden derlei Abgänge an dem Stoff durch ein Gitter aus gleichfarbigen Seidenfäden von etwa 0.5 cm. messenden Quadraten ausgefüllt. Löcher an Sattelpolsterungen werden durch Unterlegen eines reinen Seidenstoffes oder besser durch Leder soweit ausgefüllt, dass die Füllung nicht herausfallen kann. Das Wappen der Nürnberger Plattner von 1524. Nach A. Grensers „Zunftwappen“. V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen. A ls die gewaltige Bewegung der östlichen Völker nach dem Westen und Süden Europas im 9. Jahrhundert ihr Ende nahm, lag der gesamte Kontinent im Banne des Barbarismus. Die antike Kultur war zurückgegangen, eingeschrumpft; was noch davon geblieben, fand bei den fremden Eroberern mit ihren unklaren Erinnerungen an die einstige Grösse des Römerreiches nur nach der äusserlichen Seite hin eine Wertschätzung. Aber mit der festen Niederlassung der Eroberer begann aus der eigenen Volkskraft heraus, unterstützt von den vorhandenen autochthonen Elementen, eine neue Kultur fast aus den rohesten Anfängen heraus emporzukeimen, die trotz unausgesetzter Störungen langsam aber stetig zum kräftigen Baume erwuchs. Der Weg vom Barbarismus zur Gesittung war auch hier genau derselbe wie allenthalben, wo immer ein Volk nach geistiger Entwickelung ringt. Auch hier tritt das Streben nach Sicherheit des Lebens und des Be- sitzes naturgemäss der Sehnsucht nach Behaglichkeit, nach einer feineren Gestaltung des Lebens voran, und die lautesten Forderungen sind auf die Vervollkommnung der Waffe gerichtet. Wenn wir den Weg, den Kunst und Technik im Waffenwesen von ihrem Wiedererstehen am Beginne des Mittelalters genommen haben, verfolgen, so dürfen wir nicht ausser acht lassen, dass die neu in Europa eingedrungenen Völker von noch ziemlich lebhaften Tradi- tionen aus dem Kulturgebiete des Orients erfüllt waren, dass sie in Gebieten sich sesshaft machten, in denen einesteils die antike Kultur nicht gänzlich ausgestorben andernteils eine noch unentwickelte zwar, aber in sich selbst geschlossene Kultur vorhanden war, die in den Resten der autochthonen Bevölkerung wurzelte. Wenn wir diese wich- tigen Umstände uns stets vor Augen halten, dann erst werden wir mit klarerem Blicke jene Wandlungen verstehen, welche die Technik im Waffenwesen und jenes versöhnende Element darin erfahren hat, das nach der Schönheit zielt. V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen. Der Waffenschmied ist ein Eisenarbeiter, von seiner Fähigkeit, das harte Metall zu bearbeiten und zu formen, hängt die Güte der Waffe ab. Schon in antiker Zeit war darin der Orientale, vor allem der Inder, den westlichen Nationen weit überlegen und ist es ge- blieben bis auf die Gegenwart; denn noch heute ist man mit dem riesigsten Aufwande von Mitteln in Europa nicht im stande, eine Klinge von der Güte einer indischen, persischen oder japanesischen herzustellen. Von der Zubereitung des Eisens im Oriente in älterer Zeit ist man nur ungenügend unterrichtet. In Europa war die Zubereitung des Eisens lange Zeit äusserst primitiv. Das uralte Pochen in Mörsern und das Sieben hatte sich vom Altertume her bis ins Mittelalter fort- vererbt, und erst 1519 wurde zu Joachimsthal im Erzgebirge das erste nasse Pochwerk angelegt. In der Frühzeit des Mittelalters bot dem Waffenschmiede die Fertigung der Schwertklinge die grössten Schwierigkeiten, daher man guten Schwertern schwärmerische Ver- ehrung widmete und ihnen nicht selten auch wunderbare Kräfte bei- mass. Der alte Haubert, die Brünne und auch der spätere Lentner wurde nur aus kleinen Eisenstückchen und geschmiedetem Draht ge- bildet, die Schilde aus mehreren Blechstücken zusammengesetzt, die untereinander vernietet waren; selbst der Helm bestand aus mehreren verschweissten Stücken, aber eine Klinge, zumal von grösserer Länge, zu fertigen, das gehörte bei den hohen Ansprüchen an die Leistungs- fähigkeit zu den schwierigsten Aufgaben, und daraus erklärt sich, dass die ersten Waffenschmiede ihr Verfahren mit dem Schleier tiefsten Geheimnisses zu umgeben trachteten. In grossen Mengen sendeten die sarazenischen Werkstätten Siziliens, die maurischen Spaniens vom 9. Jahrhundert an ihre unübertrefflichen Klingen nach Europa. Später, im 11. Jahrhundert entwickelte sich eine namhafte Einfuhr aus Damaskus über Byzanz nach Venedig, ebenso aus Indien nach Genua. Eine ausserordentliche Geschicklichkeit und ungemeine Vorsicht und Geduld erforderte das Schmieden einer Schwertklinge, das Ver- schweissen des eigentlichen Kerns aus weichem Eisen mit den äusseren Partien an den Schneiden aus feinstem Stahl. Diese schwierige, nur mit dem Handhammer ausgeübte Technik war aus dem Oriente ge- kommen. Die Keltiberer und viele andere Gebirgsvölker fertigten ihre Klingen, indem sie Eisenplatten in feuchte Erde vergruben und sie so lange darin liegen liessen, bis der Rost die schwächeren, schlech- teren Teile ausgefressen hatte. Aus den festesten, übriggebliebenen Teilen schmiedeten sie dann ihre Schwerter, die zu den vortrefflichsten gehörten. Das Verfahren ist nicht unglaubwürdig, denn wir wissen, dass der Rost weit weniger den Stahl als das Eisen ergreift; je un- reiner dieses ist, desto eher wird es verzehrt, so dass die besten Partien übrigbleiben. Die Japaner beobachteten ein ganz ähnliches Verfahren. V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen. In Japan gehörte der Schwertfeger zu den vornehmsten Hand- werkern; sein Stand legte ihm und seinen Angehörigen grosse Ver- pflichtungen auf, vor allem in Reinheit der Sitten und Übung der Mildthätigkeit. Das Schwert wurde in reich geschmückter Werkstätte vollendet, wobei der Meister in seiner vollen Amtstracht im Beisein seiner Familie und seines Auftraggebers das Werk vollbrachte. Vor noch nicht 20 Jahren galt der Verkauf einer Klinge als ein schmäh- licher Handel, und ein Mann der Kriegerkaste, der Samurai, hätte sich eher töten lassen, als sein Schwert zu veräussern. Schwertklingen hervorragender Meister wurden mit 5-, selbst 6000 Gulden bezahlt. Wir bringen am betreffenden Orte eine Liste der hervorragendsten japanesischen Schwertfeger vom 1. bis ins 17. Jahrhundert. Zu den Anforderungen an eine gute Klinge zählte nicht allein die Güte des Eisens, sondern auch die Schärfe und Korrektheit des Schliffes und dessen feine Polierung. Die Technik des Schleifens ist ohne Zweifel von den Orientalen zu uns gekommen; sie wurde aber schon im 8. Jahrhundert in Europa mit staunenswerter Kunst geübt. Das Schleifen erfolgte auf sogenannten Schleifmühlen, somit auf voll- ständig mechanischem Wege mit Benutzung der Wasserkraft. Nur so sind die wunderbar regelmässigen Hohlschliffe mit schnurgeraden oder kreisförmigen, scharfen Kanten zu erklären. Zur höchsten Stufe der Vollkommenheit brachten es im 14. Jahrhundert die Mailänder. In der Via Mulino delle armi am Kanal bei der Porta Ticinese reihte sich damals Mühle an Mühle, und hier fertigte man jene vielgesuchten Klingen mit unterbrochenen Hohlschliffen, Paternosterklingen u. dgl. noch im 17. Jahrhundert. Vom Ende des 11. Jahrhunderts werden den Waffenschmieden auch für die Schutzwaffe bedeutendere Aufgaben gestellt. Zunächst wurde das Scheitelstück des Helmes aus einem Stücke erzeugt, eine Technik, die im Oriente schon seit Jahrhunderten mit grosser Ge- schicklichkeit geübt wurde. Ein entsprechend dickes, scheibenförmiges Eisenstück musste dazu in rot glühendem Zustande mittels schwerer Fallhämmer vorerst in eine schalenförmige Form gebracht werden; dann erst wurde das Stück mit Meissel und Hammer feiner ausge- arbeitet. Wie wir bei dem Abschnitte: „Der Helm“ erwähnten, wurde das „Treiben“ der Helme im 16. Jahrhundert mit solchem Geschick betrieben, dass nicht nur das Scheitelstück, sondern aus diesem auch der in der späteren Zeit, um 1580, oft 12 Centimeter hohe Kamm herausgetrieben wurde — als Handarbeit eine unglaubliche Leistung. Schon am Beginne des 11. Jahrhunderts wurden die italienischen Rundschilde aus einem Stück erzeugt, eine Leistung, die weniger für die Treibarbeit, als bei der Grösse des Gegenstandes für die vorge- schrittene Eisenbereitung spricht. Mit der Entwickelung dieser Treib- technik bildete sich eine angesehene Gilde, die der „Helmschmiede“, die erst gegen das Ende des 15. Jahrhunderts allmählich in jene der Boeheim , Waffenkunde. 38 V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen. „Plattner“ aufging, welche sich mit der Erzeugung ganzer Platten- harnische befassten. Aus dem 12. Jahrhundert dringt eine Kunde zu uns, wonach Pavia in der Erzeugung von Helmen berühmt war. Die dortige Helmindustrie ist aber weit älter und ragt bereits aus römischer Zeit ins Mittelalter hinein. Bedeutende Aufgaben werden um 1560 den italienischen Plattnern in der Fertigung der jüngsten Harnische (nicht Zeuge) zum Gestech über das Dill gestellt, an denen einzelne Verstärkungsstücke kolossale Dimensionen haben. Eine nicht minder in Achtung stehende Gilde bildeten vom frühen Mittelalter her die Brunner (prûner) oder Sarwürcher (sarburher), die Verfertiger der Panzer aus verschiedenartigen Ringgeflechten. Sie entstand mit dem Auftreten des Harnisches aus auf Lederriemen ge- zogenen Ringen; als diese abkamen, fertigten sie das sogenannte Panzer- oder Musszeug, das spätere Panzerhemd. Die Ringe des Panzerhemdes wurden aus geschmiedeten, platt gearbeiteten, draht- ähnlichen Stücken erzeugt, die auf kaltem Wege durch Nietung zu Ringen gebildet wurden. In den älteren Panzerhemden des 14. und 15. Jahrhunderts ist je ein Ring geschweisst, der andere kalt genietet. Später werden die Ringe durchaus nur genietet. Gezogener Draht wird auch im 16. Jahrhundert zu Panzerhemden oder Kragen nie verwendet. Um 1570 kamen die Panzerhemden ganz ausser Gebrauch, damit verschwindet ein einst hochbedeutender Handwerkszweig. Vom Oriente her gelangt am Ende des 15. Jahrhunderts eine Art der Verarbeitung des Eisens, welche sich an der Oberfläche des- selben durch eine gewässerte Textur kenntlich macht, in das Abend- land; es ist die sogenannte Damaszierung : die Erzeugung des Damaststahles . Der Name leitet sich von der Stadt Damaskus her, wo diese Art der Eisenbereitung, namentlich für Klingen, schon im Altertume betrieben wurde. Der Ursprung des Verfahrens ist aber von den südlichen Abhängen des Himalaja, von jener ältesten Eisenstätte der Welt, herzuleiten. Wir besitzen noch heute alte indische Schwert- und Dolchklingen von ausgezeichnetem Stahle gleicher Zubereitung. Damaszierte (wurmbunte) Klingen werden schon im 6. Jahrhundert erwähnt, stammten aber zweifellos aus orientalischen Werkstätten. Die eigentümliche Textur des echten Damaststahles ist keine äusserliche Dekorierung, sie erstreckt sich nicht allein auf die Ober- fläche, sondern auf die ganze Masse. Die Textur entsteht durch eine innere Kristallisation, die die halb geschmolzenen Stahlpartikel bei ihrer langsamen Erstarrung erleiden. Wir dürfen sie demnach nicht zu den Dekorationen des Eisens zählen und auch nicht, wie es oft ge- schieht, mit wirklich nur äusserlich auftretenden Dekorationen, wie „imitierter Damast“, „Mattätzung“ oder gar „Tausia“, „Niello“ etc., ver- wechseln. Das Verfahren zur Bereitung des Damast- oder Wutzstahles ist V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen. bis jetzt noch nicht völlig aufgeklärt, doch ist man schon seit 40 Jahren durch die Versuche Clouets, Crivellis, Bréants und vor allem Anossows so weit gekommen, dass man ihn sehr täuschend nachzuahmen weiss. Im allgemeinen besteht Damaststahl in einer Verschweissung mehrerer kohlenstoffreicher Stahlplatten oder von Drähten verschiedener Sorten bei äusserst langsamer Abkühlung. Aus der Art der vorherigen Drehung und Bewegung dieser Partikel entstehen die verschiedenen Formen. Die eigentümliche Textur tritt durch eine Behandlung mit Säuren hervor, welche die verschiedenen Eisenpartikel auch verschieden angreifen. Im Oriente unterscheidet man den Scham , den in Damaskus erzeugten aber minderwertigen Bulat (Bûlâd, was im Arabischen schlechtweg Stahl bedeutet), den Taban, Karataban (schwarzen Taban), Khorassan, Karakhorassan (schwarzen Khorassan), Gyndy, Kumgyndy und Neiris . Wir unterscheiden hauptsächlich den ge- wässerten Damast, Banddamast (Tabandamast), das schraubenförmig gewundene Muster, den Rosendamast , endlich den seltener vor- kommenden Mosaikdamast , der verschiedene sich wiederholende Muster ersichtlich werden lässt. Imitierter Damast wird durch Ätzung an der Oberfläche erzeugt und ist bei einiger Aufmerksamkeit leicht zu erkennen. Bei Plattenharnischen wurde im 15. Jahrhundert ein grosses Ge- wicht auf das Härten der Bruststücke gelegt, und man war darin namentlich in Mailand unstreitig sehr weit gekommen. Um 1480 scheint das Verfahren in Vergessenheit geraten zu sein, denn Maxi- milian I. bemühte sich eifrigst, es wieder zu entdecken, was ihm denn, wie es heisst, auch gelang. Welche Werkzeuge der Plattner zu seiner Arbeit verwendete, ist aus einigen Verlassenschaftsinventaren des 16. Jahrhunderts bekannt. In welcher Art man den Harnisch bearbeitete, bevor er in der Schleifmühle geschliffen und gewischt und damit glänzend gemacht wurde, darüber belehrt uns der Jugendharnisch Karls V. von 1511, den wir in Fig. 165, Seite 154, in Abbildung gebracht haben. Der- selbe ist nie vollendet und nur hammerfertig geworden, so dass man an ihm jede Spur des Hammers und Meissels deutlich erkennen kann. Bevor wir zu den künstlerischen Dekorationsarten übergehen, erwähnen wir noch flüchtig der verschiedenen Arten der Färbung des Eisens. Wollen wir von dem Anstrich mit Farben absehen, so führen wir vorerst das Blauanlaufen desselben an. Es erfolgte in Muffeln auf Holzkohlenfeuer und wurde besonders in Italien mit solchem Ge- schick geübt, dass nicht nur die grössten Stücke in gleicher Färbung erscheinen, sondern auch alle Farbnüancen im Prozesse festgehalten werden konnten. Beliebt war das Violett und besonders das Rot (alla sanguigna). Das Verfahren, das man anwandte, um dem Eisen 38* V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen. einen feinen grauen Ton zu geben, in welchem die hervorragendsten tauschierten Mailänder Harnische und auch gleichzeitige arabische Schutzwaffen erscheinen, ist noch nicht wieder entdeckt worden. Be- kannt ist das Schwarzanlaufen , das durch Einsetzen in heisse Asche bewirkt wird, das heute häufig angewendete Brunieren kommt in Mailand schon um 1530 zur Anwendung. Die zum Schmuck der Waffen angewendeten Mittel sind so zahlreich und mannigfaltig, dass sie alle zu beschreiben den Rahmen unseres Werkes weit überschreiten würden. Wir müssen uns daher darauf beschränken, diejenigen einer Besprechung zu unterziehen, welche allgemeiner vorkommen, und solche, über welche irrige An- schauungen herrschen. Als die alten dekorativen Verfahren, welche aus dem Oriente über Byzanz im frühen Mittelalter ins Abendland gekommen waren, wie das Email, die Auflagen von getriebenem Goldblech etc., in Ab- nahme kamen, entstanden allgemach, zuerst in Italien, allerlei andere wirksame Techniken, welche, wenn auch anfänglich nur roh und un- geschickt geübt, doch mit der Zeit zu bewundernswerter Ausbildung gelangten. Es gibt kein Gebiet des Kunsthandwerks, welches an den Arbeiter mehr und mannigfachere Anforderungen stellte als die Waffen- schmiedekunst. Die Beurteilung der künstlerischen Ausschmückung der Waffen erfordert damit auch die umfassendste Kenntnis der kunsttechnischen Mittel und Verfahrungsarten. An Harnischen, Schilden u. dgl. kommt um die Mitte des 15. Jahrhunderts in Italien die Gravierung in Anwendung, seit 1480 schon häufig in Verbindung mit der Vergoldung. Diese Vergoldung war eine chemische mit Goldamalgam, dessen Quecksilberzusatz durch Erhitzen zum Verflüchtigen gebracht wurde. Alle Vergoldungen an Schutzwaffen, Klingen u. dgl. wurden durch diese Feuervergol- dung hergestellt. Bei der primitiven Behandlungsart war sie für den Arbeiter, der Quecksilberdünste wegen, nicht gefahrlos. Mailänder Harnische des Figino , um 1560, weisen eine ungemein starke und schöne Vergoldung auf. Um das Ende des 15. Jahrhunderts werden Harnische, Schilde u. dgl. durch verzierte Berandungen, Striche und Embleme in Ätzung geziert. Das Verfahren in jener Periode ist zwar im allgemeinen, aber nicht in seinen Einzelheiten bekannt, und moderne Fälschungen sind noch immer leicht erkennbar. Wir unterscheiden die Hoch- ätzung von der Tiefätzung , je nachdem der dargestellte Gegen- stand erhaben bleibt und nur der Grund vertieft ist oder umgekehrt. Im ersten Falle stellt der dargestellte Gegenstand ein sehr flaches Relief dar, im zweiten nähert sich die Darstellung der Kupferstich- technik. Nach der koloristischen Wirkung unterscheiden wir die Schwarzätzung und die vergoldete Ätzung. Bei jener werden die eingeätzten Vertiefungen mit einer Mengung von Schwarzlot und V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen. ranzigem Öl eingerieben und sodann das Stück der Hitze ausgesetzt, so dass das Öl sich verflüchtigt und das Schwarzlot sich mit dem Ätzgrunde verbindet. Bei der vergoldeten Ätzung, die nicht selten mit der Schwarzätzung im Vereine auftritt, ist das Verfahren dasselbe wie bei der Vergoldung von Gravierungen. Im allgemeinen bemerkt, bestand das Ätzverfahren darin, dass auf die zu behandelnde Eisen- oder Stahlfläche eine Paste, deren Hauptbestandteile Wachs, Asphalt und Baumharz waren, für die aber jeder Ätzmaler sein besonderes Rezept hatte, in erwärmtem Zustande dünn aufgetragen, sodann die Zeichnung, nachdem sie leicht aufge- paust worden war, mit einem Griffel aus Holz, Bein, auch Stahl oder auch mit der Borste des Stachelschweines derart ausgeführt wurde, dass die Striche die Wachsschicht bis auf das Metall durchdrangen. Darauf wurde mit Wachs ein erhöhter Rand gebildet und das Ätz- wasser über die Fläche gegossen. Dieses Ätzwasser bestand in einer Mischung von Essigsäure, Scheidewasser und Alkohol. Auch in Bezug auf dieses bewahrte jeder einzelne Meister das Geheimnis der Mischung. Bei dieser kam es vorzüglich auf grosse Schärfe an, wäh- rend es von der Erfahrung abhing, wann das Ätzwasser zu entfernen war, um die Säure nicht zu tief in den Stahl einfressen zu lassen oder keine zu schwache Zeichnung zu erhalten. Zum Nachätzen entschloss man sich nur ungern, wenn die Zeichnung nicht gleich mit der wünschenswerten Schärfe hervortrat. An deutschen Harnischen kamen am Anfange des 16. Jahr- hunderts ganz eigentümliche künstlerische Behandlungsarten in An- wendung. Wir erwähnen da zunächst der Malerei auf gebläutem Metall . Das Verfahren ist höchst einfach. Die gebläute Fläche wird mit Wachs überzogen und wie beim Radieren der Kupferstiche die Zeichnung mittelst hölzerner Griffel eingedrückt, bis das Metall zum Vorschein kommt. Ein momentanes Eintauchen des fertigen Stückes in scharfen Essig genügt, um die Bläuung von den vom Wachs freien Stellen zu entfernen. Wird nun der Ätzgrund durch Terpentin entfernt, so erscheint die Zeichnung blank im gebläuten Grunde. Auf gebläutem Eisen wird nicht selten auch die Zeichnung ausgeschabt . Wir begegnen derartigen Arbeiten noch im 17. Jahr- hundert. Ein anderes Verfahren, die Verzierung in Goldschmelz , be- steht im Gegensatze zu seiner Benennung eigentlich aus einer Art Plattierung mit Blattgold. Das zu verzierende Stück wird sehr rein metallisch hergestellt und bis zu dem Punkte erhitzt, dass es anfängt, farbig anzulaufen. Dann wird ein Stück Blattgold aufgelegt und mit dem Polierstahl bearbeitet, wodurch es sich dann mit dem Grunde innig verbindet. Manche schöne Augsburger Harnische finden wir (um 1510) in dieser Art verziert. Uralt ist die Verzierung der Metallflächen in Niello . Wie V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen. Brinkmann bemerkt, Cellini , Tractat., S. 162. spricht schon Plinius von ähnlicher ägyp- tischer Arbeit, nicht minder beschreibt dieses Verfahren der Presbyter Theophilus in seiner Diversarum artium schedula III, 27 schon völlig so, ja noch eingehender als Cellini in seinen Traktaten. Man versteht unter Nielloarbeit eine eingravierte Zeichnung auf einer Gold-, Silber- oder anderen Metallfläche, welche mit einer dunklen schwefe- ligen Metallmasse, dem nigellum der Alten, ausgefüllt ist. Die Technik wird noch heute in den grossen Zentren der Kunstindustrie und, wenn auch in minderer Gediegenheit, in Tula bei Moskau be- trieben. Das nigellum besteht in einer Mischung von Silber, Kupfer und Blei in reinstem Zustande im Verhältnisse wie 1 zu 2 zu 3. Die Wirkung dieses dunkelgrauen Metalls in entsprechender Zeich- nung auf blankem Grunde ist eine äusserst ansprechende und vor- nehme. Die Technik ist ohne Zweifel auf dem Wege über den Orient, wo sie noch heute, wie z. B. in Persien, betrieben wird, nach Italien und von da schon im frühesten Mittelalter durch Mönche nach Deutschland gekommen. Ihre Anwendung findet sie meist an Schwertgriffen und Scheiden, überhaupt an Handwaffen, selten an Schutzwaffen. Nur im Oriente finden wir auch Helme und Panzer mit Nielloverzierungen. In Europa sind es im Mittelalter vorzüglich nur die Italiener, welche sich der Niellotechnik bedienen; im 16. Jahr- hundert kommt sie stark in Abnahme. Wir wenden uns nun zu einer anderen Ziertechnik, welche durch ihr gleichfalls hohes Alter, wie durch ihre ungemeine Wirksamkeit hohe Beachtung verdient, die Tausia . Die Tausia, Tauschier- arbeit , italienisch und lateinisch tausia, tarsia, englisch empaistic work, besteht in der Einlage von Gold oder Silber in Eisen oder Stahl. Sie wird von mehreren Schriftstellern Damaszierung genannt, eine Benennung, die, wenn auch in Frankreich seit Jahrhunderten in Gebrauch, doch unrichtig ist und heute nur zu Verwirrungen Anlass gibt. In Italien erscheint sie im 16. Jahrhundert unter den Bezeich- nungen als Lavoro all’ Azzimina oder alla Gemina, welche beide sich aus dem Arabischen herleiten. Die Technik ist im Abendlande schon in antiker Zeit bekannt gewesen und an Ringen, Fibeln, Schliessen u. dgl. vielfach angewendet worden. Auch unter den Germanen war sie nicht unbekannt und unter den Merowingern, die doch eine origi- nale Kunst nicht besassen, wurde sie häufig und mit ungemeinem Geschick ausgeübt. Später geriet sie im Abendlande in Vergessenheit und wurde nur von Indern, Persern und Arabern gepflegt, von welch’ letzteren sie die Spanier und Italiener wieder erlernten. Vom An- fange des 16. Jahrhunderts an wurde sie besonders in Toledo, Florenz und Mailand mit ausserordentlichem Erfolge betrieben, aus welchen Städten tauschierte Waffen über ganz Europa sich verbreiteten und V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen. allenthalben Bewunderung erregten. Das Verfahren besteht darin, dass ein beliebiges Ornament mittelst des Grabstichels in eine eiserne Platte graviert, und in die gemachten Vertiefungen Gold oder Silber in kleinen Partikeln mittelst kleiner flacher Hämmer eingeschlagen wird. Ein Untergraben der Schnitte, das, wie einige meinen, zur besseren Befestigung der Einlagen erforderlich sei, findet bei diesem Verfahren nicht statt, da die fertige Platte später erhitzt wird, wobei sich die Einlage innig mit der Unterlage verbindet. Man unter- scheidet zweierlei Arten von Tauschierarbeit, die eingeschlagene , wobei die Einlage in einer Ebene mit der Platte erscheint, und die aufgeschlagene , bei welcher die Einlagepartikel über die Bildfläche hervorragen und somit ein flaches Relief darstellen. Letztere, welche besonders in Spanien vorkommt, ist bedeutend schwieriger, da die vorstehenden Einlagekörper eine Nacharbeit erforderten, während bei der eingeschlagenen Tausia die Flächen einfach abgeschliffen und poliert wurden, ehe man das Eisen der grauen oder blauen Färbung unterzog. Es ist zu beachten, dass die Tausia sich immer nur auf verhältnismässig schmale Linien und Partien von geringer Ausdehnung beschränkt, während die Vergoldung grösserer Flächen mit Blattgold erfolgt, das mit dem Polierstahl geglättet wird. In der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts kommt eine dekorative Technik in Aufnahme, die auf dem Gebiet des Waffenwesens voll- ständig neu erscheint, die Treibarbeit in Eisen, das „repoussé“. Zwar wurde die Treibarbeit in Gold schon von unterschiedlichen Völkern, selbst im hohen Norden, in der Bronzezeit geübt (Minuterie, Grosserie), in der Glanzzeit von Byzanz bildete sie einen Hauptteil der kunstindustriellen Technik, später treten auch Treibarbeiten in Silber an Helmen, Schilden etc. bei barbarischen, von antiker Kultur beeinflussten Völkern auf, aber die Härte des Eisens hatte bisher stets ein Hindernis für die plastische Gestaltung desselben durch Treibarbeit gebildet. Erst mit der Ausbildung der Plattenharnische steigerte sich die Gewandtheit der Waffenschmiede in der Treibarbeit im Eisen derart, dass diese auch zu feineren Kunstarbeiten dien- lich wurde. Treibarbeit im engeren Sinne nennt man die Darstellung eines Reliefbildes in einer eisernen Platte (Schlagblech) mittelst verschieden- artiger Hämmer und Punzen. Die Technik ist namentlich in Eisen schwierig, weil der Gegenstand je nach Bedürfnis in mehr oder weniger erhitztem Zustande bearbeitet werden muss. Die Arbeit beginnt stets an der Rückseite durch das Austreiben der allgemeinen plastischen Form, die feinere Ausgestaltung erfolgt sodann teils von der Vorder-, teils von der Rückseite; daher auch die französische Bezeichnung répousser, entgegentreiben. Die berühmtesten Treibarbeiten wiesen Mailand, Florenz und Augsburg auf. Eine andere Technik, die mit der Treibarbeit viele Ähnlichkeit V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen. hat, ist der Eisenschnitt . Besteht erstere in der künstlerischen Bearbeitung des Eisenbleches, so ist es hier ein massives Stück, dessen künstlerische Form durch dieselben Werkzeuge, mit Zuhilfenahme von Grabsticheln und Schneideeisen hervorgebracht wird. Bei anderem Metalle wird die gleiche Technik ebenfalls als Schneidearbeit bezeichnet. Auch hier steht im 16. Jahrhundert wieder Italien allen übrigen Ländern weit voran. Im 17. Jahrhundert finden sich aber schon französische und deutsche Meister, welche die Italiener in der Schön- heit der Arbeit übertreffen. Der Natur des bearbeiteten Gegenstandes nach tritt die Treibarbeit hauptsächlich bei Schutzwaffen auf, welche aus Schlagblech gefertigt sind, während der Eisen- oder Metallschnitt bei Schwert-, Degen- und Dolchgriffen, Gewehrschlössern, Läufen, Steigbügeln, Gebissen u. dgl. in Anwendung kommt. Sowohl die Treibarbeit, wie der Eisenschnitt erscheinen namentlich in Mailand, Florenz, Venedig, später auch in Augsburg und München sehr häufig in Verbindung mit Tausia und Vergoldung. Dieser Zusammenwirkung verdanken wir die herrlichen Harnische, Schilde und Helme, welche wir noch heute in den reicheren Waffensammlungen bewundern. In Spanien finden wir an Harnischen, Schilden u. dgl. am An- fange des 17. Jahrhunderts eine Punzenarbeit im Verein mit Ver- goldung, wobei die Ornamente wenig motiviert erscheinen, so dass das Ganze einer Inkrustation vergleichbar ist; diese Technik bezeichnet bereits deutlich den Verfall kunsttechnischer Darstellungskraft. In der Dekoration des Metalles tritt das Email schon im frühen Mittelalter auf und wird, wie im Arbeitsgebiete des Goldschmiedes, auch in jenem der Waffen vielfach angewendet. Auch hier verfolgen wir dasselbe in allen seinen Entwickelungsstadien vom Email cloi- sonné bis zum malerisch durchgebildeten Emailgemälde. So in den frühesten Epochen das Zellenemail, vorzüglich an Schwertern und Schilden, das Grubenemail an Sätteln und an Pferdezeugen, ebenso das durchsichtige Reliefemail, das später auch für Schwert- und Degengefässe als Scheidenbeschläge vielfach in Anwendung gelangt, und namentlich in Frankreich (Limoges) und in Italien (Florenz) geübt wird. Das Maleremail kommt vorzüglich im 17. Jahrhundert an Schäften von Prunkgewehren, Pulverhörnern u. dgl. zur Anwendung. Elfenbein , geschnitzt oder graviert, wird in älterer Zeit vor- wiegend zu Sattelbelegen, Schwert- und Dolchgefässen, in späterer auch zu Gewehrschäften, Pulverhörnern verwendet. Die Schnitz- arbeit besorgten die Bildschnitzer, deren viele für den Schmuck von Waffen thätig waren. Ein eigenes Kunstfach betrieben die Elfen- beingraveure , deren Technik eine besondere Gewandtheit erforderte, da ein reines Durchtrennen der Fasern quer auf die Richtung der- selben nicht geringe Schwierigkeiten bietet. Darum wurden auch kleinere Arbeiten auf der Hirnfläche des Elfenbeines ausgeführt. Nach vollendeter Gravierung wurde dieselbe mit schwarzer oder an- V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen. derer Farbe eingerieben, die Fläche leicht abgeschabt und poliert, so dass allein die Zeichnung farbig erschien. Einlegearbeiten in Elfenbeingrund wurden selten gemacht und auch dann nicht in feineren Mustern. Weit leichter ist das Holz für Zierarbeiten zu behandeln, und Holzschnitzereien finden sich denn auch sehr häufig an Waffenstücken. Auch dieses ist ein vorzügliches und wirksames Material für die Schnitzkunst, zu welcher es häufig verwendet erscheint. Bewunderns- werter und wirksamer ist aber die Einlegetechnik, die Tarsia oder Intarsia, in der vorwiegend die Italiener, später auch die Deutschen Unübertreffliches geleistet haben. Es ist erstaunlich, wie mannig- faltig sich die Wirkung dieser Technik je nach der Wahl und der Zusammenstellung des Materiales darstellt und was für verschiedene koloristische Wirkungen damit erzielt werden können. In den Grund, den hier immer das Holz bildet, werden Partikel von anderen Holz- arten, häufiger aber Elfenbein, Hirschhorn, später auch Perlmutter, Schildpatt und selbst Metall derart eingefügt, dass sie in gleicher Ebene mit der Grundoberfläche liegen. Elfenbein und Horn wird nicht selten zierlich graviert. In vielen Fällen kommen verschiedene dieser Einlegematerialien im Vereine zur Anwendung. Das vorzüg- lichste Augenmerk hat der Arbeiter darauf zu legen, dass die Teile sich derart scharf in den Grund einfügen, dass nicht der geringste merkbare Zwischenraum entsteht. Ausbesserungen in der Art, dass die klaffenden Fugen mit Kitt ausgefüllt worden, sind augenblicklich zu erkennen, wenn man den Gegenstand gegen das Licht hält, weil der Kitt nie die Glätte des Materiales annimmt und stets matt er- scheint. Es gibt Arbeiten ähnlicher Art von etwa 1560, meist an Gewehr- und Faustrohrschäften vorkommend, welche aussehen, als ob sie in schwarzgebeiztes Holz eingelegt seien, aber von einer so staunens- werten Feinheit in der Zeichnung sind, dass ihre Herstellung in dieser Art Technik kaum zu begreifen ist. Den eigentlichen Grundstoff an derlei Intarsien bildet in der That nicht das Holz, sondern eine Asphaltmasse, in welche die Elfenbeinartikel eingepresst erscheinen. Wie sich nach genauerer Untersuchung ergibt, sind in die schwarze Asphaltmasse, die in erwärmtem Zustande aufgetragen war, die Elfenbein- stücke hineingedrückt worden. Nach der Erkaltung muss die Fläche glatt geschabt, leicht geglättet, endlich die Gravierung des Elfenbeins vorgenommen worden sein. In dieser Technik ausgeführte Schäfte finden sich in mehreren grossen Sammlungen, wo sie aber bisher nirgends beachtet wurden. Der Verfasser hat sie nur immer bei deutschen Stücken angetroffen. Aus dem früheren Mittelalter haben sich nur wenige Waffen- stücke bis in die Gegenwart herein erhalten, welche unter die Werke der Kunst zu reihen sind. Diese wenigen Zeugen aber in Verbin- V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen. dung mit zahlreichen Belegstellen in Chroniken und Handschriften lassen uns erkennen, wie auch in einer Periode, in welcher die kul- turellen Kräfte sich erst wieder sammelten, die Freude an schönen Waffen in den Kreisen der Vornehmen sich regte und viele Kunst- arbeiter beschäftigt waren, das ernste Werkzeug des Krieges kunstvoll und reich zu gestalten. Wir haben im Verlaufe unserer Darstellung unterschiedliche Proben von reich geschmückten Waffen vom Beginne des Mittelalters bis an dessen Ende in Skizzen gebracht, wir haben wiederholt Ge- legenheit genommen, charakteristische Stellen aus Handschriften zu citieren, in welchen kostbare Waffenstücke erwähnt werden; wenn wir aber nach Meistern forschen, welche hervorragend in der Erzeu- gung kunstvoller Waffen thätig gewesen sind, dann finden wir nur etliche Namen etwa vom Ende des 13. Jahrhunderts an, viele schon zweifelhaft dadurch, dass sie in Gedichten erwähnt werden, wertlos, weil wir sie in keine Beziehung zu bestimmten Thatsachen bringen können. Im Mittelalter ging der Meister in seinem Werke auf, an ihn erinnert nur selten eine Marke, deren Bedeutung auch im Laufe der Jahrhunderte in Vergessenheit geriet, fast nie ein Name, und auch dieser besitzt meist keinen kunsthistorischen Wert. Erst mit der Renaissance in Italien im 14. Jahrhundert änderte sich das Verhältnis, in welchem der Meister bis dahin zu seinem Werke stand; er tritt anspruchsvoller und damit greifbarer hervor. Es mehren sich die Zeichen, die das Werk seiner Hand bezeugen; immer häufiger nennen sich die Künstler auf ihren Werken, in keiner anderen Absicht, als des eigenen Ruhmes und der eigenen Ehre halber. Die nördlichen Länder waren noch lange unter dem Banne der Anschauungen des Mittelalters, als in Italien die Meister der Kunst mit Selbstbewusstsein sich ihrer Werke rühmten. In den Städten Norditaliens erschallen Namen von Kunstarbeitern, deren Bedeutung wir nun schon ermessen können durch glaubwürdige Berichte über ihre Leistungen, ja durch manche ihrer Werke selbst, die sich glück- licherweise noch erhalten haben. Florenz, die Stadt der Goldschmiede, wird in den Aufschreibungen zuerst als Erzeugungsort prunkvoller Waffen gerühmt. Am Beginne des 15. Jahrhunderts verbreitet sich die Erzeugung derselben nach Mailand und Brescia, in welchen Orten schon seit dem 13. Jahrhun- dert das Waffenhandwerk blühte, dann auch nach Bologna und Rom. Betrachten wir den Gang der Entwickelung der Waffenerzeugung Italiens im allgemeinen, so müssen wir mit Brescia als der ältesten Stätte derselben in Italien, deren Entstehen noch in die antike Zeit zurückreicht, beginnen. Die natürliche Bedingung des Entstehens und Gedeihens der Brescianer Waffenindustrie war die Nähe der eisenreichen Berge des Monte Prealba und des Monte Conche bis Gardone und Caino hinauf, und nicht minder die wasserreichen Ge- V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen. rinne der Melle und Garza. Bis ins 16. Jahrhundert beschäftigten sich die Werke nur mit der Erzeugung von Klingen und Spiesseisen, von da an und mit grossem Erfolge mit der Fertigung von Feuer- waffen. In ersterer hat sich Pietro Caino einen unsterblichen Namen gemacht, in letzterer haben Cominazzo , Vater und Sohn, Lazarino und Giovanni Francino nicht weniger Ruhm erworben. Schon im 13. Jahrhundert erwarb sich Brescia durch seine grossartige Pro- duktivität den Beinamen l’armata. Vergessen ist heute die einst so grossartige Stätte der Waffen- erzeugung von Belluno und Seravalle im Friaulischen, von welcher die Republik Venedig bis ins 16. Jahrhundert ihre sämtlichen Waffen bezog. Noch Maximilian I. liess einen grossen Teil seiner Kürisser und Landsknechte mit Waffen aus dem Friaul ausrüsten, und schon früher erwarben Kaiser Friedrich III. und Erzherzog Siegmund von Tirol dortselbst Waffen für ihre Söldnerhaufen. An sie erinnert noch eine Waffe: der sogenannte Friaulerspiess, das Spetum. Aus Belluno stammen die unerklärlich leichten Klingen, welche im 16. Jahrhundert so sehr beliebt waren und die auch noch heute von Kennern hoch geschätzt werden. Sie sind eine Erfindung des Vittore Camelio , der dafür 1509 vom Senate zu Venedig ein Privilegium auf fünf Jahre erhielt. Noch um 1740 fertigt man in Belluno Pistolen, die ein Gewicht haben, als wären sie aus weichem Holz gearbeitet. Urbani de Gheltof , Les arts industriels à Venise etc. Venise 1885. Berühmte Klingen aus Friaul tragen die Bezeichnung „Jesus-Maria“ und „Angone“. Von den vielen ausgezeichneten Meistern haben besonders die Brüder Andrea und Giandonato Ferarra aus Fon- zaso bei Belluno ihre Namen rühmlichst auf die Nachwelt gebracht. Florenz war, gleichwie Venedig, nicht die Stätte einer Waffen- erzeugung im grossen Stile, wie etwa Brescia, bedeutend aber für Prunkwaffen. Es ist anzunehmen, dass auf die Entwürfe für den Zierat die grossen Bildhauer des Quattrocento, wie Donatello — von dem es übrigens erwiesen ist — Benedetto da Majano u. a. Einfluss gehabt haben. Man irrt jedoch, wenn man Benvenuto Cellini unter die Waffenschmiede rechnet. Er selbst spricht weder in seiner Vita noch in seinen Trattati davon, dass er Waffen gefertigt hätte; nur nebenher ist einmal bei ihm von Dolchscheiden die Rede. Aller- dings mögen Schüler von ihm sich später der Waffenerzeugung zuge- wendet haben. Die Kunst der Waffenschmiede von Florenz steht vollkommen unter dem Einflusse der grossen Ornamentisten Italiens, voran Ra- phaels. Vermittelt wurden die phantasievollen Arabesken und Gro- tesken, welche den Kunstarbeitern als Vorbilder dienten, durch zahl- lose Stiche im Verlage von zumeist römischen Kunsthändlern, so des Lafreri, des Rossi (Rubeis) u. a. Durch diese Blätter gelangte auch V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen. der italienische Ornamentstil nach Deutschland und den Niederlanden, in welch beiden Ländern alsbald massenhaft ähnliche Stiche er- schienen, in denen die erhaltenen Vorbilder dem nationalen Ge- schmacke entsprechend variiert sind; so dass wir von da an von niederländischem und deutschem Ornamentstil sprechen können. Florenz hat im 16. Jahrhundert hochbedeutende Meister in unserem Fache aufzuweisen. So Gasparo Mola, Pifanio Piripe genannt Tacito , den Franzosen Guglielmo Lemaître, Aluigi Lani u. s. w., welche sämtlich nicht allein ausgezeichnete Treibarbeiter (Ziseleure), sondern auch Tausiatoren gewesen sind. Petrini nennt uns in seinem Manuskripte über die Waffenschmiede auch einen ge- wissen Repa als unübertrefflich in diesem Fache. Petrini, Antonio , Arte fabrile ovvero Armeria universale dove si conten- gono tutta la qualità e natura del ferro ecc. 1642. Manuskript der Bibl. Maglia- becchiana. (Cl. XIX, 16.) Mitgeteilt in E. Plon, Benvenuto Cellini. Man kann mit allem Rechte sagen, dass in der Waffenerzeugung vom Fabrikat für den gemeinen Gebrauch bis zu dessen höchster künstlerischer Ausführung vom 13. Jahrhundert an Mailand den ersten Rang eingenommen hat. Der Ruf seiner Erzeugnisse drang weit über Europa hinaus und seine Harnische und anderen Waffen fanden Ab- satz ebenso an der westafrikanischen Küste wie in Ägypten bis nach Arabien und Persien. Die Herrscher Englands und Frankreichs be- mühten sich, mailändische Waffenschmiede ins Land zu ziehen, um die so hoch entwickelte Industrie bei sich heimisch zu machen, so Heinrich IV. von England. Karl VI. von Frankreich errichtete eine Kolonie in Lyon, Ludwig XI. in Paris, Karl VIII. in Bordeaux. Auch Kaiser Maximilian I. berief zwei vorzügliche Meister, die Me- rate , nach Arbois in Flandern. Wir kennen bereits namhafte Mailänder Meister im 13. Jahr- hundert; ihre Weltbedeutung in der Waffenerzeugung erlangte die Stadt aber erst, als aus ihren Mauern die ersten vollständigen Platten- harnische für Ross und Mann in die Welt gesendet wurden. Mit diesem Zeitpunkt nahm die Industrie einen Aufschwung, der ohne Beispiel dasteht; der Mailänder Harnisch wurde in Form und Güte sprichwörtlich in der Welt, um das Ausgezeichnetste zu bezeichnen. Den hervorragendsten Anteil an diesem grossartigen Ergebnisse hatte Petrolo da Missaglia aus der Familie Nigroli. Nach seinem Tode am Anfange des 15. Jahrhunderts übernahm sein Sohn Tomaso die Führung mit steigendem Erfolge. Als Tomaso um 1468 starb, hinterliess er seinem Sohne Antonio eine der grossartigsten Werk- stätten der Welt, eine Faktorei von riesiger Leistungsfähigkeit. Die Stadt Mailand liess dem venezianischen Gesandten Giorgio Contarini, der auf seiner Reise nach Deutschland 1492 diese Stadt berührte, auch die Werkstätte der Missaglia als eine hervorragende Sehens- V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen. würdigkeit zeigen, und Contarini erschöpfte sich in der Bewunderung über deren Grösse und Leistungsfähigkeit. Itinerario di Germania. Mscrpt. Biblioteca Trivulziana. Das Rohmaterial ent- nahmen die Mailänder Werkstätten aus den nahe gelegenen Minen von Valassina, Valsassina, bei Premana etc. Vergl. hierüber des Verfassers Abhandlung: „Werke Mailänder Waffen- schmiede in den kais. Sammlungen“. Jahrbuch d. kunsthist, Sammlungen des kais. Hauses Bd. IX, p. 375. Nicht geringer wie in der einfachen Gebrauchsware gestalteten sich die Erfolge in der Fertigung von Prunkwaffen, ja Mailand über- traf darin nicht nur das kunstreiche Florenz, sondern auch die wett- eifernden spanischen Werkstätten. Die Thätigkeit der Mailänder in der Kunstarbeit erstreckte sich vorwiegend auf fein ziselierte Schwert- und Degengriffe, tauschierte Spiesseisen, ferner aber auf die herrlich getriebenen und tauschierten Harnische, die in ihrem mattgrauen Tone und der reichen Goldzier eine Spezialität bildeten, die nir- gends übertroffen wurde. Wenn man die Reihe der Mailänder Kunstarbeiter überblickt, welche auf dem Waffengebiete im 16. Jahrhundert beschäftigt waren, so staunt man über die grosse Zahl derselben, ja es ist nahezu un- erklärlich, woher alle diese Kräfte genommen wurden, wenn man be- denkt, dass zahlreiche Mailänder Meister in anderen italienischen Städten, ja in Frankreich und England arbeiteten und es fast keinen Hof gab, an welchem nicht ein Mailänder „Wehrvergolder“ ange- stellt war. Von den, wie erwähnt, ungemein zahlreichen Meistern nennen wir nur die hervorragendsten, wie Pietro Cantoni , die Brüder Nigroli, Bartolomeo Campi, Lucio Piccinino, Giovanni Battista Serabaglio , von welchen Werke teils in Madrid, teils in Wien sich befinden; ferner Giovanni Pietro Figino, Antonio Romero, Bartolomeo Piatti, Martino genannt il Ghinello . Andere nennen wir unter den Waffenschmieden am Schlusse dieses Werkes. Die Entwürfe zu den Zeichnungen entnahmen die Mailänder sowohl aus den Ornamentstichen, als auch aus Handzeichnungen des Caradosso , des Agostino Busti und nicht minder des Giovanni Battista Mantuano (Ghisi, auch Bertano genannt), der selbst in anbetracht des prachtvollen Schildes, den er mit eigener Hand fertigte, unter die bedeutendsten Treibarbeiter zu zählen ist. Wie wir bereits erwähnten, besass Mailand zahlreiche und vor- zügliche Werkstätten zur Erzeugung von Klingen. Diese ahmten die spanischen Klingen mit Giftzügen in staunenswerter Weise nach. Speziell in der Klingenschleiferei sind die Mailänder als unerreicht anzusehen. Die berühmtesten Klingenschmiede waren Antonio Piccinino und dessen Sohn Federigo . V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen. Der zur Zeit ungemein grosse Bedarf, sowie das grosse Talent der Italiener für Handfertigkeiten waren Ursache, dass neben der genannten noch zahlreiche Waffenwerkstätten in kleinen Städten ent- standen, von denen einige grosse Bedeutung erlangten. So jene in Lucca, der alten Eisenindustriestätte, in Neapel, in Pistoja, wo be- sonders Gewehrläufe erzeugt wurden. Hervorragend in diesem Fa- brikationszweige sind Maffia und Bastiano da Pistoja , von welchem man noch hier und da Arbeiten antrifft. Von bemerkenswerten Waffen- künstlern anderer Orte seien noch hervorgehoben Geronimo Spacini in Bologna, Caremolo in Mantua, Serafino Bresciano in Brescia. Schon vom Beginne des 16. Jahrhunderts an sammelten sich zahlreiche Waffenschmiede in Rom, welche namentlich unter Julius II. und Leo X. auch eine nicht gering zu schätzende künstlerische Thätigkeit entfalteten. Die Leistungen lassen sich an vielen ausge- zeichnet schönen Waffen, wie unter anderen an den geweihten Schwertern ermessen, welche die Päpste an Könige und Fürsten zu verschenken pflegten. Die Waffenkünstler Italiens standen mitten im Kreise der grossen Künstler der Renaissance, der Humanisten und Poeten und unmittel- bar unter ihrem belebenden Einflusse; nicht so die Kunstwaffenschmiede Spaniens , deren Erzeugnisse gleichwohl in Technik und Dekoration hervorragten. An den schönen Prunkwaffen Spaniens haften keine Namen von Kunstheroen wie in Italien, das spanische Kunstleben, an sich mehr ausgeglichen, gab auch dem Kunsthandwerk ein gleich- förmigeres Gepräge, aus welchem nur Reminiszenzen an den maurischen Stil und starke Anklänge an die Italiener, speziell die Mailänder zu entnehmen sind. Die spanische Waffenindustrie konzentrierte sich vom Mittelalter an, wie nahezu überall, um die Gewinnungsstätten ihres vorzüglichsten Materiales, des Eisens, und da sehen wir drei Gebiete hervorragen, jenes den Tajo entlang, von den Bergen von Toledo bis zu den Ab- hängen des Gebirges der Sierra de S. Memede, jenes an der Küste des Golfes von Biscaja, von Guipúzcoa bis in die Ebene von Leon herab. Endlich das Gebiet von Murcia nördlich bis Albacete, süd- lich bis Almeria reichend. Ersteres hatte als Hauptindustrieort Toledo, das zweite Bilbao, Mondragon und Sahagun, das dritte Albacete und Almeria. Isolierter von den Gewinnungsstätten lag ein hervorragender Industrieort: Sevilla. Waren die beiden südlichen Orte, Toledo und Albacete, durch die Kunstfertigkeit der Mauren zu ungemeiner Bedeutung gelangt, so stellt Bilbao sich als der Vorort einer Waffenfabrikation dar, die ihre Ur- anfänge noch unter den Iberern sucht und die selbst von den Römern und Galliern geschont wurde. Die Erzeugung war aber lange von primitivster Art und blieb seit ältester Zeit die gleiche. Im Gebiet von Murcia machten sich die Mauren nach ihrem Übertritte nach V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen. Spanien zuerst sesshaft. Al Makkari berichtet in seiner Geschichte der mohammedanischen Herrschaft in Spanien, dass im Königreiche Murcia die berühmtesten Fabriken von Panzerhemden, Kunstharnischen und mit Gold eingelegten Stahlrüstungen bestanden. Riaño , J., The industrial Arts in Spain. London 1879. Mit dem Vorrücken der Araber breitete sich die Industrie längs des Tajo aus. Leider sind uns aus jener Zeit nur wenig Daten geblieben, doch wissen wir, dass Abderhaman II. (822—852) die dortige Waffenfabrikation refor- mierte und dass Al Hakem II. um 965 dem Könige Don Sancho von Leon ein reiches Geschenk mit Toledaner Arbeiten machte. Näher tritt uns die Industrie von Toledo erst, als das Gebiet unter christ- liche Herrschaft gelangt war (1492). Da hören wir von dem Neu- begründer derselben Julian del Rey, der, ein Maure und Dienstmann Boabdils, nach dessen Gefangennahme den christlichen Glauben an- nahm. Ferdinand der Katholische soll sein Taufpate gewesen sein. Julian, der mit dem maurischen Waffenschmied Reduan identisch sein dürfte, führte als Zeichen ein vierfüssiges Tier, vermutlich eine Nach- ahmung des Passauer Wolfes, in dem die Spanier ein Hündchen, „perillo“, erblickten. Die berühmtesten Klingenschmiede Spaniens gehören desungeachtet erst der 2. Hälfte des 16. und 17. Jahrhun- derts an; so Juan Martinez aus der Familie Menchaca in Lissa- bon, später in Sevilla und Madrid, um 1560, Juan de la Horta um 1545, Juan de Alman (Alemania?) um 1550, Miguel Cantero um 1564, Lupus Aguado um 1567, Alonso de Sahagun der Ältere um 1570, der Jüngere, Luis , um 1620, Hortuno de Aguirre um 1604, die beiden Francesco Ruiz , Vater und Sohn, 1580—1617, Thomas de Ayala , der Fertiger der hochberühmten „Thomasklingen“ um 1625, endlich die beiden Sebastian Hernandez , Vater und Sohn, welche gleichfalls dem 17. Jahrhundert angehören. Bald danach ging diese Industrie so rasch zurück, dass sich beispiels- weise bemerkt, unter Karl III. 1760 nicht ein einziger Klingenschmied fand, dem die Leitung der vom Staate neugegründeten Toledaner Klingenfabrik anzuvertrauen gewesen wäre. Endlich übergab man sie dem 70jährigen Luis Calisto , dem die Wiedererstehung der Industrie zu danken ist. Die Fabrikation der Feuergewehre kam erst am Ende des 16. Jahrhunderts in Spanien in Aufnahme, die ersten Läufe wurden noch aus Deutschland bezogen. Martinez de Espinar Alonso , Arte de Ballesteria y Monteria. Madrid 1644. Im Verlaufe des Jahrhunderts und bis etwa 1780 gelangte sie zu ungemein rascher Entwickelung. Wir werden am Schlusse die Namen der besten Büchsenmacher verzeichnen. Die Ursache des späteren Rückganges dieser Industrie lag darin, dass die Spanier sich der Forderung gezogener Läufe nicht anbequemen V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen. wollten und damit den Markt allgemach verloren. Melchior Alvarez um 1780 war der erste, der gezogene und Doppelläufe verfertigte. Erwähnen wir noch der ausgezeichneten Panzerhemden, welche weit und breit versendet wurden, der vorzüglichen Sattelfabrikation in Galizien und Cordova, ferner der angesehenen Fabrikation von Armrüsten in Saragossa, so haben wir in kurzen Zügen die technische Waffenindustrie Spaniens geschildert. Wenden wir uns schliesslich der Frage zu, was Spanien im Kunstgebiete geleistet hat, so können wir auf zahlreiche, herrliche Gebilde verweisen, die namentlich nach der kunsttechnischen Seite zu würdigen sind. An keinem der Meister, so viele wir auch kennen, haftet aber ein gleich hoher Ruhm wie an den Italienern, die in innigem Vereine mit den ersten Grössen der Kunst zu schaffen pflegten. Und dennoch, wenn auch nicht die Meister, die spanische Kunstwaffen- erzeugung gelangte, durch Spanier selbst überliefert, an den deutschen und anderen Höfen zu so grosser Beliebtheit, dass an diesen die spanischen „Wehrvergolder“ mit den italienischen in Wettbewerb traten. Man hat die französische Waffenerzeugung vom Mittelalter bis ins 17. Jahrhundert bisher als unbedeutend dargestellt, vielleicht weil kein Autor in der Lage war, auf namhaftere Werkstätten und tüchtigere Meister hinzudeuten. Diese geringe Bewertung entspricht jedoch nicht den Ergebnissen neuerer Forschung. Für das frühere Mittelalter lässt schon die verhältnismässig hohe Kultur Südfrankreichs eine tüchtige Waffenindustrie voraussetzen, wie auch anzunehmen ist, dass italienische und spanische Kunstfertigkeit ihre Ausläufer in der Provence gefunden haben. Im 13. Jahrhundert werden die kleinen Bassinets von Montauban allenthalben getragen, und die Dichter er- wähnen am Ende des 13. Jahrhunderts mit ungemeinem Lobe der Harnische von Monségur, vom Anfange des 14. der Waffen von Mortemer. Gay , V., Glossaire archéologique. Im 15. und 16. Jahrhundert fehlt es auch nicht an Namen bedeutender Waffenschmiede und auch nicht an solchen, die dem Hofe kunstreichere Arbeiten zu liefern im stande waren. Wir erwähnen darunter nur einige, wie Jehan de Bonnes , den Hof- plattner des Königs René um 1450, den Hofplattner Thomassin Baigneux um 1456, die berühmten Waffenschmiede von Tours, Jacques Merville um 1510 und S. Remy Farant um 1568, die bedeutenden Tausiatoren Roquelin Dehoux um 1561, Germain Pilon um 1550 und den Fertiger der überaus kunstreichen Dolche Thevenin Martineau . All diese unleugbar ansehnliche Bethätigung französischen Kunst- fleisses genügte weitaus nicht den stolzen Plänen der französischen Könige, welche dahin gerichtet waren, Frankreich zum ersten Kultur- V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen. staate zu machen. In der Erzeugung von Zier- wie von gemeinen Waffen fühlte sich Frankreich von Mailand noch zu abhängig, darum die wiederholte Bemühung der Könige vom Ende des 14. Jahr- hunderts an, berühmte Waffenmeister Mailands ins Land zu ziehen, um hier eine Schule zu bilden. Es ist dies ganz derselbe Weg, den die Könige bei den höheren Künsten mit der Schule von Fontainebleau einschlugen. Einen bedeutenden Aufschwung von 1410 an nahm die Schule zu Lyon unter Karl VI., deren bedeutendste Meister die Mai- länder Martin de Tras 1410—1435, der Tausiator François Forcia um 1537 und die Brüder Baptiste und Cäsar Gambeo 1543—1549 waren. Rondot , Natalis. Les artistes et les maîtres des métiers étrangers ayant travaillé à Lyon. Gazette de Beaux-Arts 1883. Ludwig XI. machte 1466 erneuerte Anstren- gungen, um Mailänder Meister an sich zu ziehen. Karl VIII. gründete 1490 zu Bordeaux eine neue Ansiedelung von Waffenschmieden, meist aus Mailändern, unter denen Ambroise Caron zu grossem Ansehen und Reichtum kam. Inzwischen war um 1540 die Waffenschmiede- kunst Deutschlands zu hoher Entwickelung gekommen, und schnell war Franz I. zur Hand, deutsche, namentlich Tiroler- und Augsburger Plattner nach Frankreich zu ziehen. Diese Bemühungen der Könige waren von guten Erfolgen begleitet, denn wir sehen im 16. Jahr- hundert zahlreiche Franzosen in Spanien, Italien und in Deutschland als Kunstarbeiter beschäftigt. Von 1640 an hebt sich Frankreich mächtig in seiner industriellen Kunst und damit auch in der Erzeugung kunstvoller Waffen, besonders in Feuergewehren, Degen u. dgl. Es wird darin tonangebend zu einer Zeit, in welcher die deutsche Kunstindustrie starr zu werden droht, die italienische und spanische, obwohl sie noch über gewichtige Namen verfügen, doch ersichtlich sich im Rückgange befinden. Zu den ersten Meistern zählen die Büchsenmacher Bertrand Piraube um 1670, Adrien Reynier , genannt le Hollandois, um 1724 und Louis Renard , genannt Saint-Malo, um 1643. Allen voran dürfte der schon früher genannte Philipp Cordier d’Aubigny , 1635—1665, stehen, dessen Arbeiten zu den schönsten der Zeit zählen und der auch der Erfindung des Flintenschlosses nicht ferne steht. In den Niederlanden erscheint die Waffenerzeugung bis ans Ende des 14. Jahrhunderts nicht bedeutender als etwa im nördlichen Deutschland, doch hatten sich in den vielen Städten daselbst Zünfte herangebildet, welche als tüchtig und befähigt angesehen werden konnten. Wie überhaupt alle Künste und Gewerbe unter burgundischer Herrschaft einen gewaltigen Aufschwung genommen hatten, so kam auch um 1400 das Waffenhandwerk in den niederländischen Städten, vom Hofe unterstützt, zu ungemeiner Blüte. Die erste Anregung gaben die zahlreichen Turniere, die um diese Zeit zu besonderer Be- Boeheim , Waffenkunde. 39 V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen. liebtheit gelangten; nicht minder gab die Prachtliebe der beiden bur- gundischen Herzoge Philipp und Karl Gelegenheit zu einer künst- lerischen Ausstattung der Waffen. Die am Beginne des 15. Jahr- hunderts zunehmende Bedeutung der niederländischen Waffenschmiede kennzeichnet sich dadurch, dass wir von da an Namen von bedeu- tenderen Meistern in den Urkunden antreffen, so um 1407 Lodequin Hughes in Brüssel, um 1423 Jehan Wisseron in Brüssel, um 1438 den Hofplattner Massin de Fromont . Um 1462 wirkt der berühmte Waffenschmied Ambroise Ruphin ; um 1468 aber der Hofplattner Karls des Kühnen, Lancelot de Gindertale , der in seiner Leistungsfähigkeit mit dem gleichzeitigen Tomaso Missaglia in Mailand zu vergleichen ist. Um diese Zeit hatten sich auch die Zünfte der Armrustmacher mächtig gehoben, die sich später vorzugs- weise überseeischer Holzarten für die Säulen bedienten. Berühmt war um 1469 Luc de Muldre . L’art ancien à l’Exposition Nationale Belge, publié sous la Direction de Camille de Roddaz, Armurerie par E. Vanvinkeroy, Chef de la Section d’armes au Musée Royal d’antiquités à Bruxelles. Bruxelles et Paris 1881. Unter Philipp dem Guten wurde die Geschützgiesserei zu Mecheln gegründet. Karl V. erneuerte sie 1520, wobei sich der kaiserliche Büchsenmeister Hans Poppenrieder grosse Verdienste erwarb. Der letzte bedeutende Giesser in Mecheln war P. F. Dietrich um 1760. Mit dem Ende Karls des Kühnen, 1477, schien das Waffen- schmiedhandwerk in Brüssel, Valenciennes, Mecheln etc. einen Rück- schritt zu machen. Der einzige Plattner von Bedeutung um 1480 war Francis Scroo . Auch die quantitative Leistungsfähigkeit war in Abnahme. 1495 berief König Maximilian I. die Mailänder Waffen- schmiede Gabriel und Francesco Merate nach den Niederlanden und etablierte sie in Arbois. Im Verlaufe des 16. Jahrhunderts herrschte in der Erzeugung der Waffen in diesen Gebieten eine ungemeine Thätigkeit, ihre Be- deutung ist aber nur nach der technischen Seite hin zu würdigen. Man kann zwar in der 2. Hälfte des Jahrhunderts ganz gut von einer Schule des Waffenhandwerks in den Niederlanden sprechen, aber die künstlerische Fähigkeit, die sie aufwies, blieb weit zurück hinter jener, die zur Zeit Philipps des Guten und Karls des Kühnen herrschte. Fast gleichzeitig mit der französischen Gewehrfabrikation um 1640 erhob sich auch die niederländische, und sie erreichte jene auch in Bezug auf die künstlerische Ausstattung der Erzeugnisse, beeinflusst von den Amsterdamer Ornamentisten, deren Stil schon vom Ende des 16. Jahrhunderts an das niederländische Kunsthandwerk be- herrschte. Örtlich in Verbindung, doch getrennt in politischer Be- ziehung von den Niederlanden stand das Gebiet von Lüttich. Eine bedeutende Waffenschmiedestätte, besitzt sie in ihrem genetischen V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen. Wesen viele Ähnlichkeit mit Passau, denn auch Lüttich, am Zusammen- flusse der Ourthe mit der Maas, verdankt seine Bedeutung seinen bischöflichen Herrschern. War die Eisenindustrie schon vom 9. Jahr- hundert dort lebhaft betrieben, so hob sie sich als Industrie für Ge- schütze und Eisenwaffen und besonders Feuergewehren im nieder- ländischen Befreiungskriege des 16. Jahrhunderts auf eine ungeahnte Höhe. In jener Zeit diente sie den Spaniern wie den Kaiserlichen in der Waffenausrüstung. Oftmals versuchten die fremden Herrscher die dortige Erzeugungsweise bei sich heimisch zu machen und Ar- beiter an sich zu ziehen. Massenhaft war ihre Leistung für Napoleon I. 1809—1814. England ist, nach der technischen Seite hin betrachtet, vom Beginne des Mittelalters an als hervorragend in der Waffenerzeugung zu betrachten. Seit Richard I. bilden sich dort in den Harnischen und anderen Waffen besondere nationale Formen heraus, was immer als Zeichen einer gewissen Selbständigkeit des Geschmacks anzusehen ist. Vom Beginne des 16. Jahrhunderts an förderte die Prunkliebe des Hofes und der Adligen bis zu einem gewissen Grade auch die künstlerische Fähigkeit der Londoner Waffenschmiede. Im 17. Jahr- hundert beginnt eine ausgezeichnete Industrie in Feuergewehren, be- merkenswert durch tadelloses Metall und bewunderungswürdige Arbeit. Auf das Festland hat die Waffenindustrie Englands bis ins 18. Jahr- hundert hinein nur zeitweilig und vorübergehend Einfluss gewonnen. Um Deutschlands Waffenindustrie übersichtlich zu beschreiben, müssen wir bis ins frühe Mittelalter zurückgreifen, in die Epoche Karls des Grossen, in welcher die reich verzierten Schwerter Kölns im ganzen Reiche grosse Berühmtheit genossen. Soweit wir nach Waffenstücken und Beschreibungen urteilen können, ist diese älteste Waffenstätte vom Oriente beeinflusst worden. Sarazenische Arbeiten von der Nordküste Afrikas, arabische, über Byzanz kommend, hatten längst ihren Weg nach Deutschland gefunden und wurden dort in ihrer Technik nachgeahmt, wobei die Goldschmiede vorzugsweise behilflich waren. Weniger kunstreich als die kölnische und mehr auf die Massen berechnet war die altberühmte Waffenindustrie Passaus . Nach der Verlegung des von den Avaren bedrohten Bistums Lorch nach Passau im 8. Jahrhundert wanderten auch zahlreiche Eisenarbeiter aus den heutigen nordsteirischen und österreichischen Gebieten mit ihrem Seelenhirten aus und gründeten in der genannten Stadt eine Industrie, die rasch zu hoher Entwickelung kam und im ganzen Mittelalter einen Weltruhm genoss. Die Werkstätten, die zum Teil abhängig von dem Bischofe waren, führten in ihren Erzeugnissen, die meist aus Schwertklingen bestanden, vom 13. Jahrhundert an das Wappen des Bistums, den „Wolf“, und wohl auch den Bischofstab. Das alt- berühmte Zeichen wurde im späten Mittelalter vielfach gefälscht. Eine Chronikstelle besagt, dass Herzog Albrecht im Jahre 1349 die 39* V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen. Passauer Werkstätten mit dem Wolfszeichen begabt habe; die Nach- richt ist aber apokryph. Dagegen ist die Angabe zuverlässig, dass Kaiser Karl IV. dem Passauer Messerschmiede Georg Springinklee für seine Zunft ein Wappen verliehen habe, das in einer Krone be- stand, in deren Zinken drei blanke Schwerter stecken. In einem gewissen Kontakte mit Passau stand die Schwertindustrie Regens- burgs . Im Rolandsliede wird als Verfertiger des Schwertes Rolands (Durenda) der Schmied Madelger aus Regensburg erwähnt. Es ist bezeichnend, dass althochdeutsch madalgêr, mittelhochdeutsch madelger die Kreuzwurz (Gentiana cruciata) genannt wurde, die in der nordischen Mythologie eine nicht unbedeutende Rolle spielt. Sie erhielt ihren Namen von Madelger, dem Vater Heimirs. (Grimm, Mythologie.) Die Passauer verstanden es, ihre Erzeugnisse mit abergläubischem Nimbus zu umgeben. Mit einer Passauer Klinge konnte man sich „fest“, d. i. unverwundbar machen, wie auch die „Passauer Kunst“ eine Unzahl von Geheimmitteln in sich fasste. Der fromme Schwindel währte bis zum westfälischen Frieden. Bis ins 12. Jahrhundert reicht die Waffenindustrie Solingens zurück. Nach einer Tradition soll sie durch Adolf IV. von Berg 1147, nach anderer Annahme erst 1290 gleichfalls von dahin einge- wanderten steirischen Eisenarbeitern gegründet worden sein; ihren raschen Aufschwung verdankt sie der gewaltigen Bewegung in den Kreuzzügen. Im 16. Jahrhundert wendeten sich die zahlreichen Werkstätten vorzüglich der Fabrikation von Degen und Rappieren zu, in welcher sie heute selbst von den englischen nicht übertroffen werden. Solinger Degenklingen des 16. und 17. Jahrhunderts haben viele Ähnlichkeiten mit gleichzeitigen spanischen, wie denn auch erwiesen ist, dass viele Solinger Schwertfeger zeitweise in Spanien arbeiteten. Ein Hauptort der Waffenerzeugung war Suhl in Thüringen; die dortige Waffenindustrie bestand schon vor 1380 und lieferte ihre Harnische und Schwerter der Ritterschaft Deutschlands. 1563 be- gründete der letzte Graf von Henneberg die dortige Feuerwaffen- industrie im grossen Stile, die sich bis auf unsere Tage in grossem Ansehen erhielt. Die Büchsenmacherfamilie Klett hat an ihrem Ruhme nicht geringen Anteil. Mit diesen grossen Zentren teilten aber auch viele andere deutsche Städte den Ruhm einer ungemeinen Produktionsfähigkeit auf dem Gebiete der Waffen. Schon im frühen Mittelalter tritt Nürnberg in dieser Hinsicht achtunggebietend hervor. Eine der ältesten Nürn- berger Zünfte ist die Messererzunft von 1285. Im 14. Jahrhundert, wo die Nürnberger Werkstätten bereits für die ersten Deutschlands galten, nimmt die Kunst hier immer mehr Einfluss auf das Hand- werk. Indes kommt in Bezug auf die künstlerische Ausstattung die Nürnberger Waffenindustrie erst vom Ende des 15. Jahrhunderts zu vollem Glanze, und wir zählen von da an Meister, deren Namen für V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen. alle Zeiten in der Kunstgeschichte prangen werden, wie die Plattner Hans Grunewalt, Wilhelm von Worms , Vater und Sohn, Konrad Lochner, Valentin Siebenbürger , die Büchsengiesser Sebald Behaim, Andreas Pegnitzer , Vater und Sohn, und viele andere. Wie in Italien, so waren auch in Deutschland die Be- ziehungen zwischen Kunst und Handwerk immer inniger geworden. War die erste Anregung hierzu auch aus Italien gekommen, die grosse geistige Kraft der Nation bildete die fremden Elemente doch in staunens- wert kurzer Zeit nach ihren Anschauungen um, und der grosse deutsche Meister Albrecht Dürer steht mitten im industriellen Gebiete wie eine eherne Säule da. Er, der Meister im grossen Stile, nimmt Ein- fluss auf die kleinsten Verhältnisse im nationalen Kunstleben; ihm ist es nicht zu gering, von der Staffelei weg sich an den Tisch zu setzen, um den Entwurf zu einem Gerät zu machen. Der Kaiser wünscht 1517 eine Zeichnung zu einem silbernen Harnisch, und er zeichnet einen solchen in allen Einzelheiten. Er ist von dem berühmten Colman Helmschmied ausgeführt worden und würde, wäre er uns erhalten geblieben, in künstlerischer Schönheit von keinem der Welt übertroffen werden, wie uns einige noch vorhandene Skizzen lehren. Und wie Dürer, so waren auch seine künstlerischen Zeitgenossen und Nachfolger für das Waffenwesen mit Erfolg thätig. So sehen wir im Skizzenbuche des Hans Baldung Grün Musterzeichnungen von Harnischen; so wissen wir, dass die beiden Burgkmair am Waffen- wesen, ebenso wie Albrecht Altdorfer mit Entwürfen beteiligt waren. Auf dekorativem Gebiete ragt in der fränkischen Schule vor allem A. Aldegrever hervor, der der Ornamentik eine eigene Richtung gab, und welchen bedeutenden Einfluss haben nicht der ältere L. Cranach, Aug. Hirsvogel, Virgil Solis und die Goldschmiede Jamnitzer auf die Verzierung der Waffen genommen! Im Verlaufe des 16. Jahrhunderts trat gegen das mächtige Nürn- berg eine lebenskräftige Rivalin auf: Augsburg . Von alter Zeit her war hier eine gute, wenn auch nicht tonangebende Waffenwerkstätte, aber erst die volkstümliche schwäbische Kunst gab den Anstoss zu einer Entwickelung, die Nürnbergs Ruhm bald überholte. Immer grösser wurde die Zahl der Plattner der alten Augusta Vindelicorum. In der vordersten Reihe stehen die Kolman Helmschmied , deren Thätigkeit sich bis 1440 hinauf verfolgen lässt. Dem ältesten uns be- kannten Sprossen der Familie, Georg, folgte dessen Sohn Lorenz (gest. 1516), diesem der berühmte Enkel Koloman (gest. 1532) und diesem wieder dessen Urenkel Desiderius, der die Leistungen selbst der Italiener in den Schatten stellte. Weiter sind zu nennen der talentvolle Wilhelm Seusenhofer aus Innsbruck, Matthäus Frauenbrys, Anton Pfeffenhauser und zahllose andere. Im Geschützgusse ragt vor allen der Vorarlberger Gregor Löffler hervor, der Augsburg seiner prächtigen Geschütze halber sprichwörtlich gemacht hat. V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen. Fragen wir nach den Meistern, welche dem Waffenwesen sein künstlerisches Gepräge aufgedrückt und die deutsche Waffenschmiede- kunst zu ungemeiner Bedeutung erhoben haben, dann stossen wir nicht allein auf Maler, sondern auch auf Bildhauer, Goldschmiede und selbst auf einfache Ätzkünstler. Neben den Nürnbergern und den beiden Burgkmair ist hier noch Hans Holbein d. j., der, wenn auch von der Heimat fern, doch ersichtlich grossen Einfluss auf die dekorative Kunst im Waffenwesen Augsburgs gehabt hat. Wie Augsburg später in den Wettbewerb getreten ist, so fand es auch bereits eine andere Art des Kunstbetriebes vor. Es lernte die Ent- würfe von Künstlern grossen Stils allgemach entbehren und fand seine Ornamentisten in einer Unzahl von Goldschmieden, Emailisten und Ätzmalern, die, wie Jörg Sorg, Marquart, Christof Lenker, Schanternell, Attemstätter , die Ätzmaler Roth und viele andere, Vorzügliches leisteten. Daneben boten der Industrie die zahlreichen Ornamentstiche aus dem Weigelschen Verlage und jene aus den Niederlanden des Hieronymus Cock treffliche Muster. Wir nennen hier unter anderen Theodor de Bry, Michel le Blon, Cornelis Floris und Johann Vredeman Vries . Selbst die Benutzung italie- nischer Vorlagen ist bei Desiderius Kolman nachzuweisen. Von nicht geringer Bedeutung war der Einfluss einiger Höfe in Deutschland auf die Entwickelung des Waffenschmiedewesens. In Bayern errichtete Herzog Albrecht IV. 1492 zu München die Stuck- giesserei am Glockenbache, um deren Förderung sich die Familie Ernst wesentliche Verdienste erwarb. Die Plattnerei war in Lands- hut heimisch, ihr hervorragendster Meister war Franz Grosschedel . In Sachsen wirkte von 1460 an die berühmte Stuckgiesserfamilie Hilger in Dresden , ebendort waren die Plattner Hans und Sig- mund Rosenberger berühmt in ihrem Fache, und in Annaberg stand die Familie der von Speyer in verdientem Ansehen. Gurlitt , Corn., Deutsche Turniere, Rüstungen und Plattner im 16. Jahr- hundert. Dresden, 1889. Diese von den Kunstzentren Deutschlands entfernten Meister lassen auf dem dekorativen Gebiete den Einfluss einer bestimmten Schule nicht erkennen. Sie nehmen ihre Vorbilder überall her, selbst von Franzosen wie Jacques Ducerceau . Übrigens tauchen Ornamentisten nach und nach in den kleinsten Städten auf, wo Kunstarbeiten gefertigt wurden. Besonders zahlreich scheinen sie in München gewesen zu sein, wie u. a. aus den von Hefner-Alteneck publizierten Handzeichnungen aus dem kgl. Kupferstichkabinett zu München zu entnehmen ist. Als ein Hauptmeister der Ornamentik erscheint dabei Hans Mielich , der Entwürfe zu Harnischen für Franz I. und Heinrich II. von Frankreich lieferte, ferner Christof Schwarz aus Ingolstadt, der für einen Harnisch Rudolfs II. V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen. Zeichnungen fertigte. Hans Bol und Hans Boksberger sind eben- falls durch die genannte Veröffentlichung zu verdientem Ansehen gekommen. Mit der Einführung des Feuergewehres erstand für Deutschland ein neues Gebiet der Waffenindustrie, auf dem es viele Jahrzehnte den Ton angab. Namentlich war das deutsche oder Radschloss eine Spezialität, in deren Erzeugung selbst die nacheifernden Brescianer es nicht zu höherer Bedeutung zu bringen vermochten. Eigenartig und bewundernswert war auch die Einlagetechnik der deutschen Schäfter, mit der diese in der ganzen Welt den höchsten Ruhm er- warben. Selbst nach der Erfindung des Flintenschlosses hatte Deutsch- land noch namhafte Meister aufzuweisen, die allerdings den heimischen Stil verliessen, wie Armand Bongarde in Düsseldorf, Ulrich Mänz in Braunschweig, S. Hauschka in Wolfenbüttel, J. A. Kuchenreuter in Regensburg u. a. Für die Büchsenmacherei bildete sich damals eine eigene, den Franzosen nachgebildete Kunstlitteratur; wir erwähnen daraus nur der Ausgaben des Peter Schenck in Amsterdam 1692 und des Christof Weigel in Nürnberg. In den österreichischen Erbländern finden wir eine Waffen- industrie, die bis in das Altertum und an den Beginn der Eisen- periode hinaufreicht. Die römischen Schriftsteller, wie Plinius, be- richten uns von der Güte des norischen Stahles und Tacitus von der dortselbst rege betriebenen Fabrikation von Waffen. Diese In- dustrie scheint selbst unter den Wirren der Völkerwanderung nicht gänzlich zu Grunde gegangen zu sein. Sie stammt keinesfalls von den Römern, sondern von illyrischen Kelten her; wir schliessen dies daraus, dass diesem Volksstamme der Bergbau eigentümlich war und dass der Zug einzelner von den Avaren bedrängter Familien nicht nach Süden, sondern gerade donauaufwärts ging. Die Eisen-, damit auch Waffenindustrie Noricums beschränkte sich nicht auf das heutige Steiermark allein, sie reichte von der Donau bis nach Kärnten und von der Enns, dem Anisus der Alten, bis an die Abdachung des Wienerwaldes und an die Raab. Die hier gefertigten Waffen gingen teils nach Italien und in die pannonischen Landschaften, teils donau- aufwärts, bis die Passauer Werkstätten das nördliche Gebiet für sich gewannen. Während der Periode der Kreuzzüge scheint die stei- rische Waffenindustrie zu grosser Bedeutung und ungemeiner Leistungs- fähigkeit gekommen zu sein. Es ergibt sich das aus dem mächtig zunehmenden Selbstbewusstsein der Korporationen und den allent- halben erlassenen Privilegien im 12. und 13. Jahrhundert. Um diese Zeit mehren sich auch die Werkstätten in den grösseren Städten Böhmens und Ungarns, die den in diesen Ländern nicht unbedeuten- den Ertrag an Eisen und Stahl verarbeiten. Im Hussitenkriege gelangten einige Bezirke in Böhmen , welche schon im frühen Mittelalter als Eisenindustrie treibend genannt werden, V. Kunst und Technik im Waffensehmiedwesen. wie Beraun, Kuttenberg etc., zu vorübergehender Bedeutung. Auch unter König Podiebrad wurden Versuche gemacht, das Land im Waffenwesen minder abhängig zu machen; sie scheiterten zumeist an der unüberwindlichen Konkurrenz Passaus. So gross die Leistungsfähigkeit der Schmiedewerkstätten im Mittel- alter auch war, so litten ihre Erzeugnisse doch an dem Gebrechen der Regellosigkeit der Formen, ein Umstand, der einzelne Herrscher im 14. Jahrh. veranlasste, auf die Formengebung Einfluss zu nehmen. Diese durch gesetzliche Vorschriften bewirkte Reform wird freilich erst im 15. Jahrhundert merkbar. In Tirol ist es Friedrich mit der leeren Tasche, der eine geregelte einheitliche Bewaffnung seines Kriegs- volkes anzubahnen versuchte, insofern er den Geschützguss zuerst in eigene Hände nahm. Sein Nachfolger Sigismund setzte die Be- mühungen eifrig fort. Er ist als der eigentliche Schöpfer der be- rühmten Stuckgiesserschule anzusehen, die unter Maximilian I. ihre grossartige praktische Verwertung fand. Unter Sigismund bildeten sich Jörg Endorfer, Peter Layminger, Hans Prein, Linhart Peringer u. a. Die anderen Waffen wurden je nach dem politischen Verhältnis aus Italien oder aus Passau bezogen. Mit dem Regie- rungsantritte Maximilians I. trat im gesamten Kriegswesen der öster- reichischen Erblande und Deutschlands ein ungeheuerer Umschwung ein. Dieser Herrscher war es, der zuerst ein vollständiges System der Bewaffnung ins Leben rief und bei dessen Durchführung auf die Produktion der Erblande eine möglichst weitgehende Rücksicht nahm. Jetzt trat die Innsbrucker Giesserei tonangebend mit Meistern hervor, die an Fähigkeit selbst die Augsburger und Nürnberger überragten; so Hans Seelos, Stefan Godl, Hans During , und vor allen Peter Laymingers berühmter Sohn Gregor Löffler . Nicht allein für das Geschützwesen, auch für die übrigen Angriffswaffen: Spiesse, Schwerter, Armrüste, später um 1500 auch für die Handfeuerwaffen wurden bezüglich ihrer Formen Bestimmungen getroffen, die mit der neugebildeten Heeresorganisation im Einklange standen. Spiesse und Schwerter kamen aus Leoben , zum Teil auch aus dem Bellunesischen, Armrüste aus Tirol und dem Donauthale, Hakenbüchsen aus Mürz- zuschlag und aus Steyr . Ein bedeutender Nachdruck wurde auf die Entwickelung des Artilleriezeugwesens gelegt. Unter Kaiser Maxi- milian I. bildeten die österreichischen Heereseinrichtungen das Muster für jene aller übrigen Länder, selbst Frankreich nicht ausgenommen. Maximilian bediente sich zur Durchführung seiner Reformen des Bartholomäus Freysleben , eines äusserst begabten Mannes, der als einfacher Schlosser seine Laufbahn begonnen hatte und später seines organisatorischen Talentes wegen des Kaisers vollstes Vertrauen genoss. Die wiederholt erwähnten Zeugbücher Maximilians I., eine wichtige Quelle zur Kenntnis des Waffenwesens am Beginne des 16. Jahrhunderts, sind unter seiner Leitung entstanden. Als ein von V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen. dem Kaiser für Waffenentwürfe beschäftigter Künstler wird uns der Briefmaler Nicolaus Glockendon genannt. Das österreichische Plattnerwesen hatte, wie die Giesskunst, ihre Heimstätte in Tirol. Als der vollständige Plattenharnisch üblich wurde, arbeitete zu Innsbruck die Plattnerfamilie Treytz ; sie lieferte ausgezeichnete Harnische, die weit und breit begehrt wurden. Die tirolische Plattnerei scheint aus der mailändischen Schule erwachsen zu sein. In der Treytzschen Werkstätte bildete sich der mit Recht berühmte Hans Seusenhofer , der Harnischmeister Maximilians I. Ihm folgte zu Innsbruck dessen Sohn Jörg Seusenhofer , ein Bruder Jörgs war der berühmte Wilhelm dieses Namens zu Augsburg, dessen wir bereits gedacht haben. Unter Ferdinand I. nahm die Bedeutung der speziell österreichi- schen Waffenindustrie etwas ab, wenigstens werden für den Bedarf an Waffen die Industrien in den Reichslanden, wie Augsburg, Passau, ferner Mailand, Brescia, und selbst in Spanien mehr in Anspruch genommen. Ungarisch-orientalische Formen beeinflussten damals mehr und mehr das deutsche Waffenwesen; von hier aus gehen sie auch auf italienische Werkstätten über. Deutsche Ätzmaler, die Zischäggen, Säbelscheiden etc. mit ihren charakteristischen Renaissanceornamenten verzierten, versuchen nicht selten auch den orientalischen Stil nach- zuahmen, was ihnen manchmal wunderbar gelingt. Am Ende des 16. Jahrhunderts und das ganze 17. Jahrhundert hindurch sind geätzte Schwertklingen auch bei Jagdschwertern sehr beliebt gewesen. Im letzteren Jahrhundert bildete sich für die Klingenätzung eine eigene bäuerliche Industrie im Algäu, in dem Schwarz- und dem Bregenzer- walde heraus, die zwar rohe aber äusserst charakteristische Erzeugnisse zu Tage förderte. Ferdinand I. gründete 1558 die heute noch immer ansehnliche Feuergewehrindustrie zu Ferlach in Kärnten. Er berief hierzu Arbeiter aus den Niederlanden. Das Eisen zur Fertigung der Läufe wurde aus der nächsten Umgebung bezogen, wie auch die Bohrungen am Orte selbst vorgenommen wurden. Ihre Berühmtheit verdankt sie den ausserordentlich präzisen Montierungen. Unter Kaiser Rudolf wurden die italienischen Industriestädte für Waffen sehr in Anspruch genommen, aber auch Passau arbeitet viel für den Kur- fürsten Maximilian von Bayern. Von etwa 1600 an hebt sich in den österreichischen Erblanden die Fabrikation von Feuergewehren. Im Jahre 1657 gründete Kaiser Ferdinand III. die später zu bedeuten- dem Ansehen gelangte Feuergewehrfabrik zu Wiener Neustadt, deren erste Arbeiter gleichfalls Niederländer waren. Sie wurde indes um 1750 wieder aufgegeben. In Tirol, in Böhmen erstehen ausgezeich- nete Meister für geschnitzte und eingelegte deutsche Schäfte, für Rad- schlösser etc. Später treten auf diesem Gebiete die Wiener Meister hervor, die ersichtlich im Kontakte mit den Augsburgern stehen, aber auch Brescianer Eisenarbeit zu erreichen streben. All diesen Be- V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen. mühungen macht die Erfindung des Flintenschlosses und die Umge- staltung des Schaftes nach französischem Muster ein Ende. So wie im westlichen Deutschland beeilen sich auch die österreichischen Büchsen- macher, die neuen Gewehrformen nachzuahmen, und nach wenigen Jahrzehnten, um 1680, arbeiten sie Ziergewehre für die Jagd, Pistolen und dgl., die den französischen an Güte nicht nachstehen, in der Zeichnung der Verzierungen aber diese nicht selten übertreffen. Zu den hervorragendsten Meistern zählen wir S. Hauschka und Neu- reiter in Prag, L. Becher in Karlsbad, G. Keiser in Wien, G. Dünkl in Schwatz u. a. Zum Schluss wenden wir uns zum Oriente, der ja als die Wiege der Waffenschmiedekunst anzusehen ist. Von den Schneegebirgen des Himalaya zogen in der Mitte des 2. Jahrtausends vor Christi die ersten Eisenschmiede in den Pendschab hinab, mächtig breitete sich in dessen Thälern die Waffenindustrie aus und von hier aus gelangte die Verarbeitung des Eisens zu Waffen nach Hinterindien, Siam, China, Japan einerseits, nach Persien, Arabien und Phönizien ande- rerseits. Zur Zeit Alexanders des Grossen besass indischer Stahl, der schon damals als Rohprodukt in den Handel kam, einen ungemein hohen Wert. Indisches Eisen wird der feinen Politur wegen, die es annahm, bei den Alten ferrum candidum Beck , D. Ludw. Die Geschichte des Eisens. Braunschweig 1884. genannt. Die berühmtesten Klingen lieferte das Gebiet von Bokhara, der Stahl aber gelangte dahin aus Missore, Lahore, teils auch aus Kutsch und aus den Blauen Bergen. Die indischen Waffen wurden in grossen Massen nach Europa ausgeführt, ein Teil über Adola, das heutige Aden; ein nicht minder bedeutender ging auf den Markt nach Damaskus. Nächst Indien ist Persien in der Klingenerzeugung zu hohem Ruhme gelangt, wiewohl auch hier meist indischer Stahl verarbeitet wurde. Grosses Ansehen genossen die Werkstätten von Khorassan, deren Hauptsitz die Stadt Mesched war, nicht minder geschätzt waren die Klingen aus Kerman , jene aus Schiras und Ispahan . Im Mittel- alter wurden auch die Panzer von Samarkand , die Klingen von Herat mit Auszeichnung genannt. Für die Waffenerzeugung war seit dem Altertume auch Armenien ein klassisches Gebiet. Sein Ruhm schreibt sich von einer uralten Waffenschmiedfamilie her, den Yedi-Kardasch, den sieben Brüdern. Beck , l. c. Vom Mittelalter an ragen die Werkstätten von Erzerum, Tiflis und Akhlat durch ihre Erzeugnisse hervor, die selbst bis auf den Markt von Damaskus zu dringen vermochten. Die bedeutsamste Stadt in der Geschichte der Waffen ist Da- maskus am Antilibanon. Die schönste, berühmteste und nach der Meinung der Orientalen auch die älteste, auf deren Markte die kost- V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen. barsten Schätze Indiens und Persiens sich sammelten. Wer ein kost- bares Schwert erwerben wollte, zog nach Damaskus. Seine Klingen sind bis zum heutigen Tage sprichwörtlich geworden, und wenn auch nicht alle dort gekauften Klingen aus dieser Stadt selbst, ja die besten aus Persien und Tiflis stammten, so zählte man dort doch hochbe- rühmte Klingenschmiede. Die ersten und reichsten Tausiaarbeiten kamen aus Indien und Siam, wurden aber, da sie zuerst von dem ungeheuren Bazar von Damaskus aus in die Welt gelangten, durch- weg als Damaszenerarbeiten berühmt. In der Periode der Kreuzzüge, wo ein Massenbedarf an Waffen eingetreten war, entwickelte sich die quantitative Leistungsfähigkeit der Industrie in Damaskus selbst so grossartig, dass sie die persische und armenische Ware allmählich völlig verdrängte, obwohl diese die einheimischen Erzeugnisse an Güte überragten. Wiederholt wurden bei der Eroberung der Stadt die Eisenarbeiter von den Siegern fortgeführt, so von Nebukadnezar, und noch am Ende des 14. Jahrhunderts auch von Timur-Leng. Eigentümlich hat sich die Waffenschmiedekunst unter den Arabern entwickelt. Die Araber waren vorwiegend ein Wandervolk, ihre ein- zigen Ansiedelungen am Roten Meere aber sind uralt. Schon 3000 v. Chr. erkämpften sie sich die Bergwerke am Sinai, und der dort sich entwickelnde Bergbau fand eine ungemeine Unterstützung in der Neigung des Arabers zur Handelsthätigkeit. Vom Sinai, aus Usal, dem heutigen Sanaa, gelangten die aus feinstem Stahl gearbeiteten Waffen nach Tyrus und von da nach Europa. Die arabischen Waffenschmiede waren nirgends sesshaft; sie wanderten unter den nomadischen Stämmen herum und hatten die Gewohnheit, dass sie, an einem Orte angelangt, den Tag ihrer Weiter- reise nie angaben, weshalb man sich auf ihre Beteuerungen nie ver- lassen konnte. Ihre Unzuverlässigkeit wurde darum sprichwörtlich. Die berühmtesten arabischen Schwerter waren die Hanifitischen, von ihrem Meister Alhanaf-ben-Kais so genannt. Auch die Klingen des Waffenschmiedes Soraidj werden in den Schriften mit grosser Verehrung erwähnt. Nicht weniger berühmt waren die arabischen Ringpanzer, die nicht selten eigene Namen trugen. Die besten Ring- panzer kamen aus Soluk in Jemen. Zweifelsohne hat zur Entwicke- lung der arabischen Waffenschmiedekunst persischer Einfluss beige- tragen. Die eigentliche Kunsttechnik der Inder, Perser und Araber er- streckte sich hauptsächlich auf die Tausia, das Niello und die Schnitzerei. Die Entwickelung des Stiles war, wie überhaupt im Oriente, durch die religiösen Satzungen beeinflusst, die ihr einen nur sehr schmalen Weg übrigliessen. Die Inder vermeiden figürliche Darstellungen, unter denen sie immer nur Göttergestalten verstanden, auf profanen Gegenständen. Den Arabern verbietet das mohammedanische Gesetz geradezu die Nachbildung der menschlichen Gestalt und der Tierwelt. Ohne V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen. Zweifel benutzten die Araber vor Mohammed figürliche Motive zu dekorativen Zwecken, aber Waffen aus jener fernen Zeit sind nicht auf uns gekommen. So beschränkte sich der orientalische Motivenschatz notgedrungen auf das botanische Gebiet. Die stilistische Ausgestaltung der Pflanzenwelt bei den Arabern hat mit den Uranfängen der Kunst im Norden Europas, in den altslawischen Gebieten etc. eine über- raschende Ähnlichkeit. Die Schrift als dekoratives Mittel zu be- nutzen haben die Araber um das Jahr 1000 n. Chr. zuerst begonnen; nach ihnen versuchten es auch die Perser, die als Schiiten übrigens an figürlichen Darstellungen keinen Anstoss zu nehmen pflegten. Ornamente mit eingestreuten Tieren sind daher, wenn nicht ihr Stil auf andere Gebiete, wie etwa Indien, Siam, China etc., weist, was leicht zu unterscheiden ist, als persisch zu betrachten, wenn auch arabische Formen mit unterlaufen. Die Sarazenen, sowie die Mauren in Sizilien und Spanien haben sich nicht immer strenge an das mo- hammedanische Gesetz gehalten, denn wir besitzen von ihnen zahl- reiche ornamentale Gebilde mit Tier- und selbst mit Menschenge- stalten. Der Löwenhof der Alhambra ist ja für dieses Hinwegsetzen über religiöse Satzungen ein monumentaler Beweis. Ungemeines Ge- schick zeigen alle orientalischen Völker in der farbigen Behandlung des Ornaments; das erlernten von ihnen auch die Byzantiner. Die übermässige Auszierung der Gegenstände mit kostbaren Steinen, die wir vom 7. Jahrhundert her an arabischen Waffen, später auch an byzantinischen merken, bedeuten einen Rückgang in der dekora- tiven Kunst. Vorwiegend wird der Türkis verwendet, der vom Sinai und aus Persien von Nischapur bei Mesched bezogen wurde. So geschickt die Chinesen auch in allen Handfertigkeiten sind und so alt auch ihre Bekanntschaft mit dem Eisen ist, in der Waffen- fabrikation standen sie immer hinter ihren westlichen Nachbarn, den Siamesen und Indern, aber auch hinter ihren Brüdern, den Japanern, zurück. Die ältesten Eisenwerke Chinas waren in Schansi und Tschilili in der Provinz Ho und in Hai-schan im Südwesten; die dort bereiteten Stahlsorten wurden zu Schwertern, Spiesseisen und Messern verarbeitet. Weit vollkommener ist die Eisen- und Stahlbereitung, sowie die Waffenindustrie in Japan . Das Eisen wird an verschiedenen Stellen gewonnen, am meisten da, wo die drei Provinzen Mimesaka, Bitspi und Bisen zusammenstossen. Japanesische Klingen sind so vortrefflich gearbeitet, dass sie den Damaskklingen zur Seite gestellt werden; freilich standen sie auch ungemein hoch im Preise. Die Bereitung des Stahles wird als Geheimnis gehütet; nach Swedenborg Swedenborgius , De Ferro. 1734. p. 194. — Beck , l. c. schmieden sie Eisen in Stangen aus, die sie an gewissen sumpfigen Orten in den Boden eingraben und sie dort so lange liegen lassen, bis sie zum grössten V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen. Teile vom Roste verzehrt sind; dann graben sie sie aus, schmieden sie von neuem und vergraben sie nochmals. So behandeln sie das Metall 8—10 Jahre, d. h. so lange, bis die minderwertigen Teile fast gänzlich durch die Salze im Sumpfwasser verzehrt sind. Der übrig- bleibende Teil ist der reinste Stahl. Das Handwerk des Schwertfegers gehörte in Japan zu den ge- achtetsten Gewerben, und selbst Prinzen, wie Idzumi (um 1350) hielten es nicht unter ihrer Würde, Klingen zu schmieden Die Liste der berühmten Schwertfeger Japans reicht 800 Jahre hinauf, der älteste bekannte ist Jukimitzu ; seine Klingen werden nur noch als Weihgeschenke in Tempeln getroffen; der berühmteste aber ist Másamune (2. Jahrhundert). Klingen dieses Meisters tragen keine Zeichen. Der Samurai (Krieger), sagte er, der werth sei, seine Klinge zu besitzen, müsse sie auch ohne Inschrift erkennen. VI. Die hervorragendsten Waffensammlungen. 1. Das königliche Zeughaus in Berlin. S o grossartig und bedeutend die Waffensammlung des königlichen Zeughauses in Berlin auch ist, so ist sie doch erst eine Schöpfung jüngster Zeit, erstanden unter dem Eindrucke der grossen deutschen Siege als eine Versinnlichung der Grösse und Kraft der deutschen Nation und ihrer Thaten in der Geschichte. Die Waffensammlung des Zeughauses ist weniger vom technischen als historischen Gesichtspunkte von Bedeutung. Sie dient nur nebenher zur Beleuchtung der Entwickelung des Waffenwesens, und hat ihren Hauptwert als Material für die Geschichte des Heeres, denn die Hauptmenge datiert erst von etwa 1740, die Reihe beginnt mit Er- innerungsstücken aus dem ersten schlesischen Kriege und endet mit den Trophäen aus dem letzten Kriege gegen Frankreich. Die Sammlung füllt alle Räume des königlichen Zeughauses an der Schlossbrücke, welches bis zum Jahre 1875 teilweise noch dem praktischen Zwecke der Aufbewahrung des Kriegsmateriales diente. Das Gebäude selbst, ein Architekturwerk ersten Ranges, wurde be- kanntlich 1695 von dem Baumeister Nering begonnen, den plastischen Schmuck verdankt es dem berühmten Schlüter, der vielleicht auch auf die Gestaltung der Architektur Einfluss hatte. Später wurde Martin Grünberg mit der Bauleitung betraut, 1705 führte Johann de Bodt den Bau zu Ende. Erst 1730 wurde das Gebäude voll be- zogen. Am 22. März 1875 befahl Kaiser Wilhelm I. dem preussischen Staatsministerium, dem Landtage eine Gesetzesvorlage zu unterbreiten zur Gewährung der Mittel für eine Umgestaltung des Hauses zu einer Ruhmeshalle in Verbindung mit einer Waffensammlung. Diese Vor- lage erhielt am 22. März Gesetzeskraft, worauf sogleich mit der Aus- führung begonnen wurde. In baulicher Hinsicht hat dabei der Ge- 1. Das königliche Zeughaus in Berlin. 2. Das Musée d’Armures in Brüssel. heime Regierungsrat Hitzig, in Bezug auf die Neubildung der Samm- lung aber der damalige Oberstleutnant von Ising und der Geheime Regierungsrat Weiss sich grosse Verdienste erworben. Die ganze Sammlung ist auf das obere und untere Geschoss verteilt. Im oberen Geschoss befinden sich die Sammlungen 1. der morgenländischen und abendländischen Waffen, diese vom 15. bis zum 19. Jahrhundert laufend, 2. die Mustersammlung und 3. die ge- trennt aufgestellte Sammlung des Prinzen Karl von Preussen, welche käuflich erworben wurde. Im unteren Stockwerk sind die Geschütz- sammlung, die Sammlung des Ingenieurwesens und die der Nach- bildungen untergebracht. Die Sammlung zählt rund 8000 Nummern, ohne die des Prinzen Karl, die an 1883 Stücke umfasst; sie enthält zum grossen Teile auch Uniform- und Ausrüstungsstücke, Pläne, Modelle, ferner Gedenk- stücke, welche nicht eigentlich in das Waffenfach gehören, aber, dem historischen Charakter der Sammlung entsprechend, hier nicht fehlen durften. 2. Das Musée d’Armures in Brüssel. Der Hof der Herzoge von Burgund war im 15. Jahrhundert durch die Pracht seiner Erscheinung und speziell durch Schönheit, Zahl und Reichtum seiner Waffen weltberühmt. Anton von Burgund begann 1406 im Schlosse von Caudenberg zu Brüssel eine Sammlung alter Waffen, welche später, zur Zeit der Regierung Philipps des Guten und Karls des Kühnen, unter dem Namen „Königliches Arsenal“, sich glänzend entfaltete, der grösste Teil dieser Schätze ging aber leider in den letzten Burgunderkriegen zu Grunde. Während der Regierung Maximilians I. und Karls V. erhielt das Arsenal royal wieder reichen Ersatz, so dass es zu den schönsten und reichhaltig- sten der Welt gezählt werden konnte. Auch unter der Regierungs- zeit Albrecht VII. und Isabellas, nicht minder unter Erzherzog Leo- pold Wilhelm erhielt es neue Bereicherungen. Unter letztgenanntem gelangte 1653 das berühmte Schwert Chilperichs in das Arsenal, das aber nach Frankreich gekommen ist und sich nun in Paris befindet. Nach wiederholtem Ortswechsel gelangte die Sammlung 1773 in die Rue de la Paille, wo sie in den Wirren des Krieges 1794 bis auf einen kleinen Rest zu Grunde ging. Die jetzige Sammlung entstand erst im Jahre 1835; sie enthält zwar noch Stücke der alten, doch besteht ihr heutiger Reichtum nur aus einer Reihe glücklicher Erwerbungen, wie u. a. der Sammlung des Grafen Hompesch, eines Teiles des Inhaltes des Arsenales der alten Sultane zu Konstantinopel etc. Im Jahre 1847 wurde das ge- samte Musealwesen neu organisiert, das Musée „Royal d’Antiquités et d’Armures“ gegründet und in dem alten, 1381 erbauten Befesti- VI. Die hervorragendsten Waffensammlungen. gungsturme „la Porte de Hal“ untergebracht, der von der alten Be- festigung Brüssel allein übrig geblieben ist. Die Aufstellung in diesem Gebäude ist keine günstige, da die Räume durchweg des nötigen Lichtes entbehren. Das Museum in Brüssel ist im ganzen ähnlich dem Musée d’Ar- tillerie in Paris organisiert; es enthält demnach ausser einer ethnolo- gischen Sammlung noch Musterstücke aus der Gegenwart. In der Sammlung älterer Waffen sind hochwertvolle Stücke zu verzeichnen, wie solche nur in den erlesensten Sammlungen angetroffen werden. Die orientalische Partie ist zwar klein, zählt aber zu den besten und wertvollsten und wird stets vermehrt. Das Musée zählt, unter Abrechnung der nicht zu den Waffen gehörigen Stücke 2400 Nummern. 3. Das königliche historische Museum und die königliche Gewehrgalerie zu Dresden. Der Gründer des historischen Museums zu Dresden ist Kurfürst August I. von Sachsen, der während seiner mehr als dreissigjährigen Regierung (1553—1586) eine grosse Menge von Kunstwerken, Rari- täten, alten Waffen u. dgl. sammelte und 1556 unter der Bezeich- nung: „Kunst- und Raritätenkammer“ im kurfürstlichen Schlosse auf- stellen liess. Unter seinem Nachfolger, Christian I., wurde die Samm- lung in das prachtvolle Stallgebäude übersiedelt, das dieser Fürst 1586 erbauen liess. Einen eifrigen Förderer fand sie später an Kurfürst August II. dem Starken, der ihre Übertragung in das 1711 von Pöp- pelmann erbaute Gebäude des Zwingers veranlasste. Dieser Fürst war auch der Gründer der königlichen Gewehrgalerie, die sich seit ihrer Entstehung im königlichen Schlosse befindet. Ihre gegenwärtige Organisation erhielt die Sammlung unter der Regierung König Antons im Jahre 1833, wo sie in neun Sälen und langen Galerien ziemlich nach chronologischer Ordnung im Joanneum aufgestellt wurde. Seit dieser Zeit führt sie den Titel: „Historisches Museum“. Das Museum enthält nicht allein Waffen und Jagdgeräte, sondern auch Gerätschaften, Möbel und Gefässe der italienischen und deutschen Renaissance und geschichtlich interessante Gegenstände, welche mit dem Waffenwesen nichts gemein haben. In Ansehung der Waffen allein gehört das historische Museum zu Dresden zu den kostbarsten und reichhaltigsten Europas. Der Zeit nach gehen die Gegenstände, wenige Stücke ausgenommen, nicht über das 16. Jahrhundert zurück, sie bezeugen aber durch ihre Pracht und ihre Schönheit den hohen Kunstsinn der sächsischen Herrscher jener Zeit. Die schönsten Erzeugnisse des 17. und dem Anfange des 18. Jahrhunderts verdankt das Museum dem Sammeleifer Augusts II. 4. Rüstkammer zu Emden. Manche Stücke werden bestimmten Personen zugeschrieben. Von diesen Zuschreibungen sind viele durch Belege beglaubigt, andere be- ruhen zwar nur auf Traditionen, haben aber in Ansehung der ur- sprünglichen Zugehörigkeit der Stücke zu der kurfürstlichen Sammlung die Wahrscheinlichkeit für sich. Von grosser Bedeutung ist die Samm- lung türkischer und persischer Waffen und Kriegsgeräte, die grössten- teils von August II. zusammengebracht wurde. Ihr reiht sich eine wertvolle ethnologische Sammlung an, die noch fortwährend vermehrt wird. An älteren, künstlerisch ausgestatteten Sätteln und Pferdezeugen ist das Museum eines der reichsten der Welt. Die königliche Gewehrgalerie, 1730 gegründet, Seit 1733 ist sie in der königl. Stallgalerie aufgestellt. enthält über 2000 Nummern, die am reichsten ausgestatteten Jagdgewehre sind vorwiegend französischer und deutscher Arbeit. Sie ist als die reich- haltigste und instruktivste Sammlung von Feuerwaffen des 18. Jahr- hunderts zu betrachten. Bei der Zusammensetzung des historischen Museums ist es schwierig, den quantitativen Gehalt desselben an speziell dem Waffen- gebiete angehörenden Gegenständen ziffernmässig festzustellen. Der Gesamtstand beträgt rund 30000 Nummern. Einer übersichtlichen Schätzung nach dürfte die Zahl der Waffen kaum die Hälfte obiger Nummernzahl betragen. 4. Die Rüstkammer der Stadt Emden. Die reichhaltige Waffensammlung der Stadt Emden in Ostfries- land ist nicht, wie es sonst der Fall zu sein pflegt, aus den ver- schiedensten Orten zusammengetragen, sondern bildet in ihrem weit- aus grössten Teile den Waffenbesitz, den die Stadt vom Ende des 16. bis in das vorige Jahrhundert angeschafft hatte. Darauf deutet auch die alte, noch übliche Bezeichnung: „Rüstkammer“. Den ur- sprünglichen Charakter hat sie indes, gleich der Wiener, Grazer etc., allgemach verloren und ist eine rein museale Anstalt geworden. Einzelne schöne Stücke sind im Laufe der Zeit als Geschenke hinzu- gekommen, doch stammen auch sie aus der Umgebung der Stadt. Die Emdener Rüstkammer zählt kein Waffenstück, dessen Alter über das 16. Jahrhundert hinausreicht. Von diesem Zeitpunkt aber angefangen, bietet sie ein sehr lehrreiches Bild der lokalen Bewaffnung. Sehr reich ist sie an schönen und interessanten Feuerwaffen. Die Sammlung ist noch gegenwärtig in den ursprünglich für sie bestimmten Räumen im oberen Stockwerke des 1576 erbauten Rat- hauses in einer langen Halle untergebracht und in neuerer Zeit auf Grund des ältesten Kataloges von 1839 inventiert und neu aufgestellt worden. Sie zählt an Waffenobjekten rund 2400 Nummern. Boeheim , Waffenkunde. 40 VI. Die hervorragendsten Waffensammlungen. 5. Die gräflich Erbachsche Sammlung im Schlosse zu Erbach. In den gräflich Erbachschen Sammlungen bilden die Kriegs- und Jagdwaffen besondere Abteilungen; diese geniessen wegen ihres waffentechnischen und künstlerischen Wertes wie auch in anbetracht der Zahl und Mannigfaltigkeit ihrer Gegenstände einen Weltruf. Der Gründer der Sammlungen ist der Urgrossvater des jetzigen Besitzers, Graf Franz zu Erbach-Erbach, der die Waffensammlung um 1820 aus einer kleinen Rüstkammer bildete, die er im Schlosse vor- gefunden hatte. Diese ist in dem sogenannten Rittersaal, in der Ge- wehrkammer und in der Hirschgalerie aufgestellt. Die Sammlungen zählen rund 1100 Gegenstände, wovon allein 650 Stück auf Jagd- waffen entfallen. 6. Das Landeszeughaus in Graz. Ein Zeughaus mit allem seinem Inhalte und seiner unversehrten Einrichtung aus der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts ist eine Erschei- nung, die einzig dasteht in der Welt. Schon um deswillen muss das Landeszeughaus in Graz das höchste Interesse des Waffenfreundes in Anspruch nehmen. Wenngleich anzunehmen ist, dass das Land in seinem schon seit dem 14. Jahrhundert und bis zur Stunde an demselben Orte bestehenden Landhause eine Rüstkammer besass, so erfahren wir doch erst 1547 etwas von den darin untergebrachten Waffen. Das gegen- wärtige Zeughaus mit seinen vier Stockwerken stammt aus dem Jahre 1642, und sein Waffeninhalt wie seine Lagerungseinrichtungen haben sich seit dem 17. Jahrhundert wunderbar erhalten. Mit Ausnahme von wenigen Gegenständen, die noch dem 15. Jahrhundert angehören, besteht der Inhalt aus gemeinen, knechtischen Waffen vom Ende des 16. und aus dem 17. Jahrhundert, aber in ungemein grosser Zahl, in einer Reichhaltigkeit und einer relativen Vollständigkeit, die Staunen erregt. Für das Studium des Waffenwesens vom rein waffentechnischen und historischen Gesichtspunkte ist das Grazer Zeughaus von hoher Wichtigkeit. Der Bestand ist ungemein gross; er beziffert sich mit 26000 Stücken, worunter freilich massenhaft Stücke gleicher Form sich befinden. So zählt es nicht weniger als 1000 Fussangeln von einerlei Gestalt und dgl., aber anderseits auch Formen, die nur hier allein angetroffen werden. 7. Historische Sammlung in Kopenhagen. 7. Die historische Waffensammlung in Kopenhagen. Die historische Waffensammlung des Zeughauses geht in ihren Anfängen bis 1604 zurück, in welchem Jahre König Christian IV. die noch aus der Zeit Friedrichs II. stammenden Waffen in dem Gebäude der königlichen Bibliothek vereinte und dazu auch die in einzelnen Städten noch vorhandenen Waffenbestände heranzog. Im vorigen Jahrhundert wurde die Sammlung an ihren heutigen Ort im Zeughaus übertragen, wo die Geschütze im Hofe, die übrigen Stücke in zwei Stockwerken untergebracht sind. Die historische Waffen- sammlung entspricht auch hier nur teilweise ihrer Bezeichnung, da sie in ihrer Zusammensetzung und Anordnung mehr eine kriegsge- schichtliche Sammlung Dänemarks ist, insofern die Waffe nicht um ihrer selbst willen, sondern als geschichtlicher Zeuge erscheint und auf deren Entwickelungsgang erst in zweiter Linie Rücksicht genom- men ist. Dessenungeachtet gehört diese museale Anstalt auch in Be- ziehung auf das Waffenwesen zu den wertvollsten und lehrreichsten der Welt. Sie besteht aus der Geschützsammlung, der Sammlung der Handfeuerwaffen, der blanken Waffen, der Schutzwaffen, endlich aus der Sammlung von verschiedenen Ausrüstungsgegenständen, Fahnen, Feldspiel etc. Die Sammlung zählt rund 3000 Nummern. 8. Die Sammlung von Waffen im Tower zu London. Die ansehnliche, ebenso kostbare wie seltene Gegenstände ent- haltende Waffensammlung im Tower zu London diente ursprünglich rein praktischen Zwecken. Sie ging aus einer Rüstkammer der Könige und ihrer Dienstleute hervor. Als solche mag sie schon unter Wil- helm dem Eroberer entstanden sein, der 1078 den ältesten Teil des Tower, den „White Tower“, erbaute. Freilich reicht kein Stück der heutigen Sammlung mehr in diese Periode hinan. Die früheste Er- wähnung einer königlichen Rüstkammer finden wir erst unter der Regierung Eduards VI. 1547. Diesen Charakter als eine der königlichen Stallmeisterei unter- stehende Rüstkammer behielt sie bis ans Ende des 17. Jahrhunderts und erst Karl II. bildete sie zu einem mehr musealen Institut aus, indem er den Inhalt in dem alten, an den weissen Tower angebauten Hors Armoury neu aufstellen liess, die Gewehrsammlung in dem Small Armoury mit ihr organisch vereinigte und sie dem Publikum eröffnete. Im Jahre 1841 verbrannte die Gewehrsammlung, wobei nicht weniger als 150000 alter Gewehre zu Grunde gingen. In den Jahren 1882 und 1883 wurde das alte Hors Armoury an der Südseite abgebrochen und damit der alte Turm freigelegt, die Waffen aber wurden in den 40* VI. Die hervorragendsten Waffensammlungen. 3. Stock des White Tower übertragen, wo sie nun in dem sogenannten „Council Chamber“ und einem anstossenden Zimmer aufgestellt sind. Im Jahre 1885 fand an der von der St. Johannes-Kapelle zur Waffen- sammlung führenden Treppe die bekannte Dynamitexplosion statt, welche aber der Sammlung nur geringen Schaden zufügte. Die Waffensammlung des Towers gehört, wie erwähnt, zu den reichhaltigsten und wertvollsten, die es gibt. Als museale Anstalt hat sie durch Llelewin Meyrik ihre Würdigung gefunden, ihre Aufstellung aber ist noch nach romantischen Anschauungen erfolgt, wie denn auch nicht hierher gehörige kulturgeschichtliche Objekte, als Folterwerkzeuge u. dgl., darin aufgenommen sind. Eine grosse Bedeutung besitzt die Sammlung wegen ihrer zahlreichen Harnische und Waffen aus dem 15. Jahrhundert; aber auch das 16. Jahrhundert ist in schönen und interessanten Gegenständen vertreten. Nicht minder erwähnenswert sind die orientalischen Waffen, eine Spezialsammlung, die nur von der kaiserlichen Sammlung in Tsarskoe-Selo übertroffen wird; ferner die Sammlung alter Geschütze, die ausserhalb des weissen Towers aufgestellt ist. Über die Anzahl der Stücke sind keine Daten bekannt geworden, doch dürfte sie sich auf nicht ganz 6000 belaufen, wobei freilich manches unzugehörige mit unterläuft und auch moderne Waffen in- begriffen sind. Der Organisator war bemüht, ein Bild der Kriegs- trachten von der Zeit Eduards I. (1272!) bis auf Jacob II. (1688) vor Augen zu stellen, eine Idee, die schlechterdings Nachbildungen nötig machen und zu mancherlei gewaltsamen Zusammenstellungen führen musste. Die Zuschreibungen an bestimmte Personen sind nur von äusseren Merkmalen hergeleitet und deshalb, von dem waffen- wissenschaftlichen und künstlerischen Werte abgesehen, nicht immer über jeden Zweifel erhaben. Dem Studium bietet die Sammlung im Tower ein weites und sehr wenig bebautes Feld, der sorgfältigen Betrachtung des Liebhabers sollte sie nicht entgehen. 9. Die Armeria Real zu Madrid. Die Armeria Real ist, gleich der Hof-Waffensammlung zu Wien, nicht aus einer gewöhnlichen Zeugkammer, sondern aus den Waffen- kammern habsburgischer Fürsten erwachsen. Ihren Grundstock bilden die Harnische und Waffen Karls V., von denen ein Teil in Simancas, ein anderer zu Valladolid bewahrt wurde. Vierzehn der schönsten Leibharnische mit anderen auserlesenen Waffenstücken hatte der kranke Kaiser mit sich in das Kloster zu San Yuste genommen. Im Jahre 1565 ordnete König Philipp II. die Übertragung der sämtlichen Waffen aus den genannten Orten nach Madrid an und liess zu deren Unterbringung gegenüber dem königlichen Palaste, an 10. Das bayrische Nationalmuseum in München. der Stelle des alten Alcazars durch Gasparo de Vega ein grosses Gebäude, die Stallmeisterei (las caballerizas) errichten. In der Folge vergrösserte sich die Armeria durch Waffenstücke der folgenden Herr- scher und nach und nach wandelte sich die für Kriegszwecke ange- legte Waffenkammer in ein Museum um. Wenn wir von der Beraubung, die die Armeria in den Napoleo- nischen Kriegen erlitten hat, absehen, erhielt sich ihr alter Bestand bis auf den heutigen Tag. Als ein ehrwürdiges Denkmal der ruhm- vollen Geschichte Spaniens bildete sie zu allen Zeiten den Stolz der Nation, und alle Parteien trugen die äusserste Sorge, dass die kostbare Sammlung selbst mitten revolutionärer Aufstände nicht geschädigt wurde. Ungeachtet aller dieser für ihre Erhaltung günstigen Umstände fiel sie dennoch vor einigen Jahren einer Katastrophe zum Opfer, die sie der völligen Vernichtung nahe brachte. Am 9. Juli 1884 entstand in dem Gebäude Feuer, das sich mit ungemeiner Schnellig- keit nach allen Seiten verbreitete. Nur der Geistesgegenwart des ver- ewigten Königs Alphons XII. war es zu danken, dass wenigstens ein erheblicher Teil des Inhaltes gerettet wurde. Er drang in das bren- nende Gebäude, rettete das nächstbeste Stück und forderte die zahl- reiche Umgebung auf, das Gleiche zu thun. Mit Enthusiasmus und Kühnheit folgten die Anwesenden dem königlichen Beispiele. Die Armeria war und ist noch heute die kostbarste Waffen- sammlung in Europa. Sie enthält eine unschätzbare Menge von Waffen maurischer wie christlicher Herkunft vom 13. bis ins 15. Jahrhundert, wie eine solche nirgends angetroffen wird. An den Harnischen und Waffen Karls V. und Philipps II. haben die berühm- testen Kunstarbeiter Spaniens, Deutschlands und Italiens das Erlesenste zu schaffen sich bemüht. Der Gesamtbestand hat einen ungemeinen historischen Wert, und wenn auch viele der historischen Daten, die an einzelnen Stücken geknüpft werden, nur auf Tradition beruhen, so dürfte doch eine nähere Durchforschung der Archive von Simancas eine Fülle von interessanten und wichtigen Belegen zur Geschichte derselben ans Licht bringen. Einen wichtigen, ja unschätzbaren Be- leg hierzu, eine Grundlage zum Studium bildet ein vorhandener Bild- kodex aus dem Beginne der Regierungszeit Philipp II. Vor dem Brande 1884 zählte die Armeria nicht ganz 2700 Nummern, über ihren gegenwärtigen etwas verminderten Bestand sind dem Verfasser bisher noch keine authentischen Nachrichten zuge- kommen. 10. Das bayrische Nationalmuseum in München. Wenn auch der Bestand des bayrischen Nationalmuseums an Waffen infolge der getroffenen Aufstellung nicht so im Zusammen- hange vorgeführt wird, wie dies zu wünschen wäre, so ist er doch an VI. Die hervorragendsten Waffensammlungen. älteren und wertvollen Stücken reich genug, um der Besichtigung und dem Studium jedes Geschichtsfreundes angelegentlich empfohlen zu werden. Das bayrische Nationalmuseum entstand im November 1853 auf Anregung des Freiherrn von Aretin. Der Bau des Gebäudes, nach Plänen Ed. Riedels ausgeführt, wurde zum grössten Teile aus den Privatmitteln Königs Maximilian II. bestritten. Der Grundstock der reichen Sammlungen wurde dadurch gebildet, dass die ehemaligen „Vereinigten Sammlungen“ zur Bildung des Nationalmuseums aufgelöst und dass aus den königlichen Schlössern alles Dienliche herangezogen wurde. Ansehnliche Beiträge erhielt das Nationalmuseum durch per- sönliche Geschenke König Ludwigs I. Ausserdem wurde das Museum noch durch Ankäufe von anderen Sammlungen, wie Ainmiller, Mar- tinengo, Reider, auch durch Geschenke z. B. von der Universität Erlangen etc. bedeutend vermehrt. Die Waffen sind zwischen ver- schiedenem Hausrat gruppiert, im zweiten Stockwerk die Stücke vom 13. bis zum 16. Jahrhundert und im dritten die vom 16. Jahrhun- dert bis zur Neuzeit. Einzelne ganz interessante Stücke sind auch dekorativ im Stiegenhause aufgestellt. 11. Das königlich bayrische Armeemuseum in München. Als Schöpfer des heutigen Armeemuseums ist eigentlich Herzog Maximilian anzusehen, der hinter der Neuen Feste ein Zeughaus erbauen liess. Ein Teil desselben diente schon damals zur Aufbe- wahrung von Trophäen. Im Jahre 1864 nach dem Abbruche des Zeughauses wurden die Zeugen des Ruhmes des bayrischen Heeres in das neue, von Gläser erbaute Hauptzeughaus an der Staatsstrasse nach Dachau übertragen. In dieser Zeit kamen bedeutende Mengen an Waffen in andere Museen des Landes. Um nun die noch vor- handene Sammlung in ihrem Bestande und in ihrem historischen Charakter zu bewahren, fasste der damalige Kriegsminister den Ent- schluss, die in den verschiedenen Zeughäusern und bei Militäranstalten noch vorhandenen alten Stücke mit der genannten zu vereinigen und aus dem gewonnenen Ganzen ein historisches Museum des bayrischen Heeres zu bilden. Im Jahre 1879 wurde mit dessen Bildung be- gonnen und am 25. August 1881 konnte es eröffnet werden. Das bayrische Armeemuseum ist keine Waffensammlung im gewöhn- lichen Sinne, sondern umfasst auch andere Gedenkstücke, Gemälde etc. Nichtsdestoweniger bietet es Kennern und Freunden der Waffenkunde reiche Gelegenheit zum Studium der Entwickelung des Waffenwesens, insbesondere für die Zeit des 17. und 18. Jahrhunderts. Das Museum zählt, alle Gegenstände eingerechnet, rund 7000 Nummern. Würdinger , J., Das königl. bayr. Armeemuseum etc. 1882. 12. Die Waffensammlung des germanischen Museums zu Nürnberg. 12. Die Waffensammlung des germanischen Museums zu Nürnberg. Die Waffensammlung bildet nur einen kleinen Teil dieses in seiner Grossartigkeit und Vielseitigkeit bewundernswerten kunst- und kulturhistorischen Museums. Demungeachtet zählt sie, auch an sich betrachtet, dank neuerer namhafter Erwerbungen zu den beträchtlichsten und wertvollsten Europas und enthält Unica von unberechenbarem Werte. Die Gründung dieses Museums erfolgte auf der zu Dresden im Jahre 1852 abgehaltenen Versammlung deutscher Geschichts- und Altertumsforscher. Der Grundstock bestand aus der Privatsammlung des Freiherrn Hans von und zu Aufsess , welcher auch als erster Direktor dem neuerrichteten Institute vorstand. Die Mittel zur Er- haltung und Vermehrung werden durch freiwillige Beiträge, sowohl von seiten der Regierungen, wie von den Fürsten und dem Volke gewonnen. Als Sitz des Museums war von vornherein Nürnberg be- stimmt, wo es in den ersten Jahren im Turme des Tiergärtnerthores aufgestellt wurde. Im Jahre 1856 wurde durch käufliche Erwerbung des Karthäuserklosters dem Museum ein vergrössertes Heim geschaffen, das sich jedoch bald wieder als zu beschränkt darstellte, so dass an eine Erweiterung gedacht werden musste. Diese erfolgte durch Er- werbung und Abtragung des alten gotischen Augustinerklosters, welches in gleicher Form im Anschlusse an die Karthause wieder aufgebaut wurde. Gegenwärtig sind auch die so gewonnenen weiten Räume für die rasch sich mehrenden Sammlungen zu enge geworden; es wird darum in nächster Zeit im Anschlusse an den bisherigen Kom- plex zu einem Neubaue geschritten werden, für den die erforderliche Bodenfläche in genügendem Masse vorhanden ist. Der Grundstock der Waffenabteilung stammt aus der Sammlung Aufsess, die 1864 angekauft wurde. Einen bedeutenden Zuwachs erhielt sie durch eine andere Sammlung, die der Verein der deut- schen Standesherrn für das Museum käuflich erworben hatte. Seit dieser Zeit vermehrte sie sich durch zum Teil hochwertvolle Einzel- stücke. Die letzte aussergewöhnlich glückliche Bereicherung wurde der Sammlung im Jahre 1889 durch Ankauf des wertvollsten Teiles der reichen und unschätzbaren Waffensammlung des Fürsten Sulkowsky auf Schloss Feistritz in Niederösterreich zu teil, die am Ende des vorigen Jahrhunderts durch den Bankier Josef Freiherrn von Dietrich in Wien gegründet wurde. Mit dieser bedeutenden Erwerbung, wodurch namentlich die Sammlung von Turnierwaffen wesentlich gewann, ist die Waffensammlung auf rund 2000 Nummern angewachsen. VI. Die hervorragendsten Waffensammlungen. 13. Das Musée d’Artillerie in Paris. Das unter den grossen Waffensammlungen durch Zahl und Wert seiner Stücke hervorragende Musée d’Artillerie verdankt seine Ent- stehung dem Grossmeister der Artillerie, Marschall Duc d’Humières 1684. Diese erste Sammlung alter Waffen und Kriegsmodelle, die zur Belehrung junger Artillerieoffiziere dienen sollte, wurde in den Sälen des Magasin royal in der Bastille aufgestellt. Im Jahre 1755 vermehrte der Generalleutnant de Vallière die Sammlung durch einige ältere Waffenstücke, die aus verschiedenen Arsenalen in der Provinz nach Paris geschafft wurden, und ordnete die Aufstellung eines Inventars an, das noch vorhanden ist. Auf Veranlassung des berühmten Generals Gribeauval wurde die Sammlung 1788 in das neuerbaute Musée d’Artillerie in weite und schöne Säle übertragen. Ihre anfängliche frische Entwickelung wurde durch die Revolution jäh unterbrochen. Das Gebäude wurde am 14. Juli 1789 vernichtet, die Sammlung aber verschleppt. Verschiedene Versuche (1791—1794), eine ähnliche Sammlung wiederherzustellen, scheiterten anfänglich, doch gelang es nach und nach bei den wiederholten Waffenrequisitionen, alte Waffen auszu- scheiden und mit diesen den Grund zu einem neuen Waffenmuseum zu legen. Mit Senatsdekret vom 4. Frimaire 1796 wurde die Heran- ziehung aller der Bewahrung wert scheinenden Waffen im Reiche an- geordnet. Nicht ohne Widerstand gelang die Ausführung dieses De- kretes. So lieferte Strassburg seine älteren Waffen erst 1799 aus, und Bonaparte vermochte der Stadt Sedan gegenüber erst 1804 das Dekret durchzusetzen. Eine beträchtliche Zahl von Waffen erhielt das Museum aus dem Schlosse Chantilly. Im Jahre 1814 wurde die Sammlung in der Bibliothek des ancien convent aufgestellt und neu organisiert. Von 1815—1830 erhielt das Musée bedeutende Ver- mehrungen, um die vorhandenen Lücken auszufüllen. Während der Julirevolution wurde es trotz des heftigsten Widerstandes der Schweizer und des Konservators Carpegna am 28. Juli 1830 ausgeleert, indes sorgte die Pariser Bevölkerung dafür, dass schon vom folgenden Tage an ein grosser Teil des Verschleppten zurückgebracht wurde. Das Fehlende wurde durch Erwerbung der Sammlung des Duc de Reggio teilweise wieder ergänzt. Im Jahre 1848 und auch 1871 erlitt das Musée keine Verluste. Napoleon III. schuf 1852 das Musée des Souverains im Louvre, infolgedessen wurden alle auf die Herrscher sich beziehenden Waffenstücke, darunter 5 Harnische, dahin abgegeben, 1872 nach Auflösung dieses Museums aber wieder eingereiht. Im Jahre 1879 wurde dem Staate die reiche Waffensammlung Napoleons III. zu Pierrefonds als Eigentum rechtlich zugesprochen und mit dem 14. Das Musée Cluny in Paris. Musée d’Artillerie vereinigt. Die Sammlung vom Schloss Pierrefonds wurde von Napoleon III. 1861 ge- gründet. Sie bestand zum grössten Teile aus der angekauften Sammlung des Fürsten Soltikoff, dann aus gelegentlichen Erwerbungen des Kaisers, endlich aus Objekten, die dem Musée du Louvre gehörten, das eine Domäne des Staates ist. Der Katalog von Penguilly l’Haridon 1867 ist nicht im Buchhandel erschienen. Gegenwärtig ist das Musée im vorderen Trakte des Hôtels des Invalides gegen die Esplanade zu im Erdge- schoss und ersten Stockwerke in ziemlich dichter Anordnung auf- gestellt. Wie schon aus der Art des Zustandekommens und den Schick- salen dieses Museums zu entnehmen ist, leidet es an dem Übelstande, dass viele Gegenstände, die es besitzt, unvollständig sind. Es ver- wahrt Waffen aus allen Ländern und dennoch ist keine Nation, am allerwenigsten Frankreich, derart vertreten, dass man sich ein Bild von der Eigentümlichkeit ihrer Leistungen verschaffen kann. Die fast willkürliche Aufstellung trägt auch nicht dazu bei, das Studium zu er- leichtern. Immerhin besitzt es eine der auserlesensten Sammlungen antiker Waffen und nächst der Wiener und Nürnberger die reichste an Turnierwaffen. Das 16. Jahrhundert ist in jeder Hinsicht am besten vertreten. Bedeutend ist die Sammlung von Feuerwaffen zu nennen, und zahlreiche Unika bilden die Glanzpunkte der Sammlung. Für die Zuschreibungen an bestimmte Personen hat man zumeist kein anderes Beweismittel als äusserliche Anzeichen, Wappen, Devisen etc. und die Tradition. Das Musée d’Artillerie ist keine eigentliche Waffensammlung nach unseren Begriffen, es enthält ausser Waffen noch ethnographische Gegenstände, Andenken an den Kriegsruhm Frankreichs, Ehrenzeichen, Trophäen, moderne Waffen und Modelle, aber auch Darstellungen der Kriegertracht in Frankreich u. dgl. Sie ist somit mehr eine kulturgeschichtliche Sammlung auf militärischem Gebiete. Nach Aus- scheidung aller derjenigen Stücke, welche für das historische Waffen- wesen keine Bedeutung haben, zählt das Museum nach dem Kataloge von Penguilly l’Haridon mit Zurechnung bekannt gewordener Neu- erwerbungen an 5000 Nummern. An Geschützen und Artillerie- geräten verzeichnet der oben erwähnte Katalog ungefähr 1419 Stücke. 14. Das Musée Cluny in Paris. Das alte Hotel Cluny in Paris, 1340 an der Stelle der antiken Kaiserthermen der alten Lutetia erbaut, enthält eine reiche Sammlung von Gegenständen der Vergangenheit, und wiewohl die hier bewahrten Waffen an Zahl nur gering sind und kaum 100 Stück übersteigen, so sind sie dennoch so bedeutend an historischem und künstlerischem Werte, dass wir diese wichtige Anstalt hier nicht übergehen dürfen. VI. Die hervorragendsten Waffensammlungen. Die Sammlung ist im Jahre 1833 durch den als Altertumsforscher hervorragenden Alexander Du Sommerard (1779—1842) ins Leben gerufen, der die Baulichkeiten des seit der Revolution in Privathände übergegangenen Konventes käuflich an sich brachte und deren Räume mit den Resten alten Kunstfleisses füllte. Nach dessen Tode wurde das ausgedehnte Gebäude mit den Sammlungen 1843 von dem Staate angekauft und führt seitdem den offiziellen Titel: „Musée des thermes et de l’hôtel de Cluny“. Seit jener Zeit wurde die Sammlung teils durch Ankäufe des Staates, teils durch reiche Legate und Geschenke Privater erheblich vermehrt. E. du Sommerard, Catalogue du Musée de Cluny. Paris 1877. 15. Fürstlich Hohenzollernsches Museum in Sigmaringen. Das berühmte Hohenzollernsche Museum, das sich auf alle Ge- biete der Kunst und des Kunstgewerbes erstreckt, stammt aus dem alten Familienbesitze des fürstlichen Hauses. Seine gegenwärtige Organisation in sechzehn Abteilungen hat es durch den Fürsten Karl Anton von Hohenzollern erhalten, durch dessen Kunstliebe und Sammeleifer es zu einem der wertvollsten Museen gediehen ist. Es wurde im Jahre 1867 in einem eigens für den Zweck errichteten Gebäude eröffnet. Die 11. Abteilung enthält die Waffensammlung. Sie enthält die seltensten und kunstreichsten Stücke. Bei ihrem hohen Werte für die Kulturgeschichte und besonders für die Waffenwissen- schaft ist es sehr zu bedauern, dass sie noch nicht katalogisiert ist. Die Sammlung der Waffen enthält rund 2500 Nummern. 16. Das Museum der Waffen und historischen Kostüme in Stockholm. Die ältesten Waffenstücke dieses reichen Museums reichen bis in die Zeit der ersten Könige aus dem Hause Wasa zurück; die königliche Garderobe aus jener Zeit wurde leider zerstreut. Erst unter der Königin Christine wurde mit der Bildung eines Museums historischer Waffen begonnen. Der Grosskanzler Axel Oxenstierna fasste 1633 den Plan zu einem grossen Museum nach heutiger Art, worin die Gedenkstücke an die Siege der schwedischen Herrscher vor Augen geführt werden solten. Die Absicht blieb unausgeführt, und die alten Waffenstücke und Trophäen, die Reste der alten Waffenkammern, blieben im königlichen Palaste, wo sie einen Be- standteil des Arsenals bildeten. Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts wurden die vorhandenen Schätze dem Volke zugänglich gemacht und 17. Die kaiserliche Waffensammlung zu Zarskoë-Selo. seit die Gedenkstücke Gustav Adolfs hinzukamen, bildete das Ka- binett für Schweden einen Gegenstand besonderer Verehrung. Im Jahre 1691 wurde die Sammlung, wenn auch immer dem Arsenal angehörig, in ein Palais übertragen, das ehemals dem Grafen Magnus Gabriel de la Gardie gehörte, und blieb dort bis 1793, wo dieses in ein Theater umgewandelt wurde. Von da gelangte sie ins Schloss Fredrikshof und zehn Jahre später in eine alte Orangerie des könig- lichen Gartens. Wenige Jahre darnach wurde der Inhalt der Samm- lung auf sonderbare Weise zerstreut, die historischen Stücke gelangten 1817 in die Kirche zu Riddarholmen, die kostbareren Waffen ins königliche Palais, die Waffen, die bei den Karoussels Gustavs III. dienten, ins Schloss zu Gripsholm, anderes in die Magazine des Theaters etc. Erst 1850 wurde alles wieder in Stockholm gesammelt und im Palais des Kronprinzen aufgestellt. Seit 1856 war die Samm- lung so lange in einem gemieteten Privathause untergebracht, bis sie 1865 ins Nationalmuseum übertragen werden konnte. Als dieses den industriellen Künsten gewidmet wurde, verfügte König Oskar II. 1884 deren Aufstellung im königlichen Palais in dessen Nordwest- trakte, wo sie im ersten Stocke die Räume der alten königlichen Bibliothek und eine Galerie, im Zwischenstocke eine andere Galerie und einen Saal einnimmt, der ehemals das Skulpturenmuseum ent- hielt. In dieser Aufstellung wurde das Museum am 31. Juli 1885 eröffnet. Seit der Mitte unseres Jahrhunderts wurde die Sammlung durch namhafte Legate und Ankäufe vergrössert, so durch Spenden des Kämmerers J. O. de Blomstedt 1858, das Legat des Baron E. M. Willebrand 1859, durch den Ankauf der Sammlung des Barons G. Fleetwood 1862, ferner durch das Legat Karls XV. 1872, zumeist aus der Sammlung M. A. L. Soldins bestehend, die der König an sich brachte, durch das Legat des Grafen Axel Bielke u. a. Das Museum, zu den grösseren Europas zählend, ist reich an Harnischen und Waffen von kunstvoller und prächtiger Ausführung. Für die ältere Waffenindustrie Schwedens und Dänemarks ist es eine reiche Quelle des Studiums. Unerreicht aber steht es in seinen historischen Kostümen da, die, wenn sie auch nicht speziell in unser Gebiet fallen, doch ihres ungemeinen Wertes halber hier einer Er- wähnung verdienen. Das Museum zählt rund 5700 Nummern. Nach dem sehr tüchtig gearbeiteten Guide des Conservators C. A. Ossbahr. Stockholm 1889. 17. Die kaiserliche Waffensammlung zu Zarskoë-Selo. Die kaiserliche Waffensammlung ist in einem schlossähnlichen, in modern gotischem Stile gehaltenen Gebäude im Garten des kaiser- lichen Lustschlosses Zarskoë-Selo aufgestellt. Vordem stand auf VI. Die hervorragendsten Waffensammlungen. der Stelle ein Jagdschlösschen der Kaiserin Katharina II. in der Art des Trianon. Kaiser Alexander I. liess es um 1801 abbrechen und dafür das gegenwärtige Gebäude zur Unterbringung der zahl- reichen, von ihm selbst in allen Ländern erkauften und sonst erwor- benen Waffen errichten. Schon unter Alexander I. nahm der Sammel- trieb die Richtung auf orientalische Gegenstände, später erweiterte sich das Programm und ging auch auf indische und altrussische aus den jetzigen Gebieten des Reiches aus. Die Sammlung ist den vor- handenen Räumlichkeiten entsprechend in 6 Abteilungen aufgestellt. Sie verteilt sich in das Erdgeschoss, die Gewehrkammer, den grossen Saal, das türkische Kabinett, das indo-musulmanische und in das russische Kabinett. Ausserdem enthält noch das Stiegenhaus zahlreiche Waffenstücke. Die Sammlung bewahrt fast durchgängig in ihrer künst- lerischen Ausführung auserlesene Stücke; bei der Art der Erwerbung sind aber auch viele Stücke hinzugekommen, die aus anderen grossen Sammlungen stammen; so aus Paris, aus Wien etc. Viele der kost- barsten Stücke erwarb Kaiser Alexander in Paris und Florenz. Die orientalische Abteilung ist die reichste und vollständigste der Welt, und sie wird noch heute nach systematischem Plane vermehrt. Die Sammlung zählt an 5000 Nummern. 18. Die Armeria Reale zu Turin. Der Gründer der kostbaren Armeria Reale zu Turin ist Karl Emanuel I. von Savoyen. Gleich Wilhelm V. von Bayern, August I. von Sachsen, Erzherzog Ferdinand von Tirol war auch dieser kunst- liebende Fürst bestrebt, hervorragende Kunstwerke und Andenken berühmter Helden zu sammeln. Das Gebäude, worin die Sammlung früher aufgestellt war, wurde durch Brand zerstört. Dies war die Veranlassung, dass sie in das Arsenal übertragen und von dem Grafen Vittorio di Seissel d’Aix neu geordnet wurde. Ihre Wiedereröff- nung fand im Frühjahre 1837 statt. Nach Demolierung des alten Arsenales ordnete König Viktor Emanuel ihre Überführung in den königlichen Palast an, wo sie in dem östlichen Flügel gegenüber dem Palazzo Madama in einem grossen galerieartigen und einem etwas kleineren Saale untergebracht wurde. Die königliche Armeria enthält viele Stücke, welche nicht strenge ins Waffenfach gehören; so u. a. zahlreiche Geschenke von Fürsten, Kommunen u. dgl. Der Hauptteil der Armeria besteht aus so auserlesenen, teils historisch wichtigen, teils kunstvoll gearbeiteten Waffenstücken, dass die Sammlung unge- achtet ihrer geringeren Ausdehnung zu den wertvollsten zu zählen ist. Sehr reich ist sie an Zierwaffen des 16. Jahrhunderts, doch kann sie sich auch, was ihren Besitz an Stücken aus dem 15. Jahrhundert anlangt, mit manch grösserer Sammlung messen. Die Zuschreibungen 19. Die Sammlung des Arsenales zu Venedig. an bestimmte Personen begründen sich auf äussere Merkmale an den Gegenständen selbst. Gegenwärtig wird sie unter der Leitung ihres Direktors, des Generalleutnants und Senators Conte Raffaele Ca- dorna , einer Neuaufstellung unterzogen. Die Armeria dürfte an Waffenstücken etwa 2500 Nummern zählen. 19. Die Sammlung des Arsenales zu Venedig. Die Sammlung ist im ersten Stockwerke eines nach vorne ge- legenen Traktes in dem im Jahre 1304 begonnenen Arsenale unter- gebracht und nimmt einen einzigen aber sehr ausgedehnten Saal ein. Für den Bedarf des Staates wurden schon im 14. Jahrhundert be- deutende Vorräte im Arsenale aufgestapelt. Historische Gedenkstücke aber wurden bis ins 18. Jahrhundert im Dogenpalaste gesammelt. Somit ist die Sammlung aus einem Zeughause entstanden, dessen Inhalt freilich im Laufe der Jahrhunderte zum grössten Teile verloren ging, denn, abgesehen von einigen wenigen anderen, gehören die ältesten Stücke der Sammlung erst der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts, ein nicht geringer Teil der späteren aber dem 16. Jahrhundert an. Wenngleich die Bewaffnung der Venezianer von 16. Jahrhundert an vorzugsweise hier studiert werden kann, so ist die Sammlung gleich- wohl an Gedenkstücken der reichen Geschichte der Republik verhält- nismässig arm. Der grösste Teil wurde im Taumel der Revolution 1797 geraubt. Zudem gerieten die historischen Traditionen, die an den Gegenständen haften, unter der militärischen Leitung in Ver- gessenheit, weshalb die an sich gewiss sehr wertvolle Sammlung mehr von waffenwissenschaftlicher als von historischer Bedeutung ist. In künstlerischer und kunsttechnischer Beziehung sind nur einige, aber erlesene Stücke hervorzuheben. Ein Katalog existiert nicht. Nach oberflächlicher Schätzung dürfte die Sammlung an 2000 Nummern zählen. 20. Die Waffensammlung des kaiserl. Hauses in Wien. Den Grundstock der Waffensammlung des kaiserlichen Hauses bilden gewissermassen die Hinterlassenschaften Maximilians I. (gest. 1519) und Ferdinands I. (gest. 1564.) Nach dem Ableben dieses Herrschers wurde der gesamte Nachlass an Waffen unter dessen drei Söhne geteilt. Der Teil Maximilians II. verblieb in Wien im soge- nannten Salzburger Hofe, der später umgebaut und zum kaiserlichen Zeughaus bestimmt wurde, jener Ferdinands von Tirol gelangte nach Prag und später nach Innsbruck, bez. in’s Schloss Ambras, jener Karls von Steiermarck nach Graz. Nach Karls Tode, 1599, fiel dessen Teil VI. Die hervorragendsten Waffensammlungen. wieder an die Hauptlinie zurück, wurde aber erst 1765 nach Wien übertragen. Der ererbte Besitz Ferdinands wurde von diesem in be- deutendem Masse durch Sammlung von Waffen berühmter Personen der vergangenen Zeit und seiner eigenen Zeit vermehrt und damit eine an historischem und künstlerischem Werte einzig dastehende Waffensammlung geschaffen. Nach dem Hintritte ihres genialen Grün- ders, 1595, gelangte die Sammlung an dessen ältesten Sohn, Karl von Burgau, von dem sie durch Kauf in kaiserlichen Privatbesitz kam. Die Sammlung blieb bis 1806 im Schlosse Ambras, in welchem Jahre sie der Kriegsereignisse halber nach Wien übergeführt wurde. Obgleich nun beide Sammlungen sich in Wien befanden, blieben sie doch bis jetzt räumlich getrennt. Die vorher erwähnte kaiserliche Waffensammlung gelangte vom alten Zeughause 1856 in das neu- erbaute Artilleriearsenal. Der frühere Besitz des Erzherzogs Ferdi- nand wurde mit der Bezeichnung Ambraser Sammlung mit den übrigen Kunstgegenständen dieser Sammlung im unteren Belvedere aufgestellt. Im Augenblicke ist der ganze museale Kunstbesitz des kaiser- lichen Hauses in das neuerbaute kunsthistorische Hofmuseum am Burgring übertragen. Dadurch ist die Vereinigung beider Waffen- sammlungen, jener des Arsenales mit jener der Ambraser Sammlung, herbeigeführt worden, und man ist soeben daran, den Gesamtbestand zu ordnen, eine Aufgabe, die, was die Abteilung der Waffen anbe- langt, bereits durchgeführt ist. Der hohe Wert dieser zu den hervorragendsten der Welt zäh- lenden Sammlung besteht nicht allein in ihrem reichen Inhalte an künstlerisch hervorragenden Gegenständen, nicht in den, waffenwissen- schaftlich betrachtet, hochinteressanten Formen derselben, sondern in ihrer historischen Bedeutung insofern, als in ihr eine ungemein grosse Zahl von Harnischen und Waffen berühmter Personen bewahrt werden. Die Richtigkeit der betreffenden Zuschreibungen ist durch zahlreiche Inventare, die bis in das Jahr 1580 hinaufreichen und nicht minder durch Bildwerke des 16. Jahrhunderts bis zur Evidenz erwiesen. Die Sammlung enthält hauptsächlich Waffen vom Mittelalter bis zum Beginne des 30jährigen Krieges; nur die Jagdwaffen reichen bis zum Anfange unseres Jahrhunderts. Ihr Gesamtstand ist etwas über 5000 Nummern. Einzig in ihrer Art erscheint sie in Bezug auf Turnierwaffen, darunter zahlreiche Unika; auf diesem kulturwissen- schaftlichen Gebiete ist sie von einer Reichhaltigkeit und einem For- menreichtum, der unübertroffen dasteht. Als eine wichtige Ergänzung dieser einzigen Sammlung ist die Bibliothek der kunsthistorischen Sammlungen des kaiserlichen Hauses anzusehen, die kulturhistorisch wichtige Bildhandschriften und Druck- werke über das Kriegs- und Turnierwesen, die Fecht- und Reitkunst etc. enthält. 21. Die Waffensammlung der Stadt Wien. 21. Die Waffensammlung der Stadt Wien. Die Waffensammlung der Stadt Wien ging aus der schon seit dem 15. Jahrh. bestandenen städtischen Rüstkammer hervor, die sich um 1445 am alten Fleischmarkt bei St. Laurenz befand. Im Jahre 1562 erbaute die Stadt ein neues Zeughaus am Hof, das 1732 umgeändert und nach den Plänen Anton Ospels mit einer neuen Fassade versehen wurde. Im Jahre 1873 wurde die Sammlung anlässlich der Welt- ausstellung durch Kustos Leitner chronologisch geordnet. In den Jahren 1885 und 1886 veranlasste die Gemeinde deren Übertragung in das neuerbaute Rathaus und deren organische Einfügung in das historische Museum der Stadt, dessen IV. Abteilung sie bildet. Die Sammlung besitzt ausser einer sehr bedeutenden Anzahl von Setztartschen nicht viele Waffen aus dem 15. und dem Anfange des 16. Jahrhunderts. Ungemein reichhaltig ist sie aber an Stücken aus der Zeit nach 1540, die zwar von gemeiner Art, aber doch kultur- geschichtlich äusserst interessant sind. Bemerkenswert ist der Bestand an türkischen Waffen, Trophäen von 1683, nicht minder die Abtei- lung, die die Bewaffnung der Bürgerwehr vom 18. Jahrhundert bis zum Jahre 1848 enthält. Die Sammlung umfasst etwa 1500 Num- mern. Ausser den vorerwähnten bedeutenderen öffentlichen Waffensamm- lungen in Europa zählen wir eine geradezu ungeheuere Zahl von solchen, die sich im Privatbesitz befinden. In Frankreich sind die Sammlungen Arosa, Spitzer und W. H. Riggs zu den wertvollsten zu rechnen; sie geniessen wegen ihrer unschätzbaren Kunstwaffen einen Weltruf. In England zählte schon Leber Leber, Fr. v., Wiens kais. Zeughaus, 1844. um 1840 an 20 Privat- sammlungen von grösserer Bedeutung, so jene von Cristy zu Lon- don , jene im Schlosse Warwick und die Sammlung Neville in Andley-End u. v. a. Eine der bedeutendsten ist die Waffensamm- lung der Königin zu Windsor . In Belgien und den Niederlanden sind die Sammlungen M. Nuyt, Delpier und Van Zuylen in Brüssel und die Sammlung J. P. Six in Amsterdam hervorzuheben. In Italien bezeichnen wir das Museo Filangieri im Palazzo Como zu Neapel . Die Sammlung Poldi-Pezzoli und Carlo Bazzero in Mailand und die Sammlung Raoul Richards in Rom , welche leider vor kurzem unter den Hammer gekommen ist. In Spanien dürfte die Sammlung des Marquis von Villa-Secca in Madrid als die hervorragendste anzusehen sein. Nicht minder ist Deutschland reich an bedeutenden Privatsamm- lungen. Wir nennen die des Fürsten Fugger-Babenhausen und von Soeter in Augsburg , des Franz Lipperheide in Berlin , VI. Die hervorragendsten Waffensammlungen. des Baron Rothschild in Frankfurt a. M., Renné in Konstanz, Spengel und Hefner-Alteneck in München, Töchtermann in Freiburg, Wittmann in Geisenheim, Fleischhauer in Col- mar, Forscher in Hautzenbücher und Lilienthal in Elber- feld . Die Sammlung im Schlosse Monbijou in Berlin und im Schloss Löwenburg auf der Wilhelmshöhe bei Kassel , und Klemm in Dresden u. v. a. In Schweden ist die durch den Feldmarschall Gustav Wrangel gegründete Sammlung im Schlosse Skokloster am Mälarsee zu verzeichnen; sie ist gegenwärtig im Besitze des Grafen von Brahe . Ferner gedenken wir des Museums von Christiania , jenes K. Karls XV. in Stockholm , ferner die Sammlung Hammer ebendaselbst. In der Schweiz hat fast jede der Kantonhauptstädte seine kleine aber wertvolle Waffensammlung, namentlich Genf, Luzern, Solo- thurn, Schaffhausen und das Gymnasium zu Murten . In Russ- land haben wir noch das Waffenmuseum in Moskau hervor. In der österreich-ungarischen Monarchie hat sich noch aus alter Zeit ein ansehnlicher Besitz an alten Waffen erhalten. Beson- ders finden sich noch in einzelnen Schlössern Tirols namhafte Samm- lungen als Reste alter Rüstkammern; zu den wertvollsten zählen die des Grafen Trapp in Churburg und des Grafen Enzenberg in Schloss Tratzberg im Unterinnthale. Aber auch in Böhmen, Öster- reich und Steiermark finden sich sehr bemerkenswerte Sammlungen, wie die der Stadt Eger , die des Grafen Breuner in Grafenegg , und des Grafen H. Wilczek in Seebarn in Niederösterreich, Az in Linz , Fürst Lobkowitz in Raudnitz u. v. a. Nicht minder wertvoll sind die Sammlungen des Fürsten Johann Liechtenstein in Sebenstein und Feldsberg , jene zu Frauenberg in Böhmen, dem Fürsten Adolf Schwarzenberg gehörig, des Grafen Attems zu Graz u. a. Unvergleichlich schöne und kunstreich gearbeitete Waffen besitzt Baron Nathanael Rothschild in Wien . Einzig in ihrer Art und reich an kostbaren italienischen Prunkwaffen ist die Samm- lung Modena in Wien , gegenwärtig im Besitze des Erzherzogs Franz von Österreich-Este. In Ungarn, wo übrigens ein reicher Besitz von Waffen, meist aus den Türkenkriegen herrührend, auf zahl- reichen Schlössern verstreut sich findet, ist die fürstl. Essterhazysche Sammlung in Forchtenstein zu den ausgedehntesten und interessan- testen zu zählen. VII. Die Beschau- und Meisterzeichen und die Namen der Waffenschmiede mit ihren Marken. I n den meisten älteren Stätten des Waffenhandwerkes besass die arbeitende Körperschaft eine feste Organisation im Sinne des Zunftwesens. Die ältesten derartigen Ordnungen schreiben sich be- reits vom Beginne des 13. Jahrhunderts her, ihr Ursprung reicht aber ohne Zweifel noch viel weiter in das Mittelalter zurück. Das Vor- bild zu einem solchen strammen Zusammenschluss der Angehörigen desselben Gewerbes finden wir ebenso in Byzanz wie unter den sara- zenischen Handwerkern in Sizilien und unter den maurischen in Spanien. Die grossen Erfolge der orientalischen Werkstätten forderte gebieterisch zu einer Nachahmung ihrer allgemeinen Organisation auf. Die Gesetze, die diese Verbindungen sich auferlegten, betreffen vor allem die Disziplin der Genossen, sodann die strenge Aufsicht über das Erzeugnis ihrer Hände. In dieser Hinsicht wurde jedes in der Genossenschaft gefertigte Stück von gewählten erfahrenen Meistern, die „Beschaumeister“, geprüft und nach entsprechendem Befunde mit einem vereinbarten Zeichen, „Beschauzeichen“, versehen, das bei Eisenwaren im Mittelalter eingraviert und in Gold oder Messing tauschiert, später „in das Gesenk“ geschlagen wurde. Mit den Formen dieser Marken haben sich die Forscher noch zu wenig beschäftigt; doch sind wir in der Lage, eine Anzahl der wichtigsten in dem nachfolgenden Verzeichnisse zu bringen, bemerken jedoch, dass im Laufe der Zeit zwar die allgemeinen Formen, nicht aber die Detail- formen sich gleich blieben, dass somit auf Grund dieser Abweichungen ganz gut auf das Alter des Gegenstandes geschlossen werden kann. Wir können begreiflicherweise auf derlei Subtilitäten hier nicht näher eingehen und müssen sie der Beobachtung des einzelnen über- lassen. Der Gebrauch, dem handwerklichen Erzeugnisse den Namen oder ein diesen vertretendes Zeichen des Verfertigers beizufügen, ist dem Boeheim , Waffenkunde. 41 VII. Die Beschau- und Meisterzeichen etc. Altertum fremd, Bezeichnungen dieser Art kommen bei Antiken nur ganz vereinzelt vor. Auch das Mittelalter kannte ihn anfangs nicht, was um deswillen begreiflich ist, weil nach der christlichen Auffassung alles Bestehende als Werk Gottes erschien. Erst mit dem Erwachen des humanistischen Geistes im 14. Jahrhundert wagte es der Meister mit dem Anspruche an die Schätzung seiner Person und seiner Arbeit hervorzutreten. In den Passauer Werkstätten hat sich die mittelalterliche Tradition am längsten erhalten, weshalb nur wenige Namen von den ihr ange- hörigen Meistern bekannt geworden sind. Waren bis dahin die Ar- beiten, vorzugsweise die Klingen nur mit dem Stempel der grossen Genossenschaften versehen, so gesellt sich diesem nun der Name oder die Marke des Meisters hinzu. Das Studium dieser Marken ist für die Waffenkunde und speziell für die richtige Schätzung des Wertes der Waffe von grosser Wichtigkeit, denn überall, wo wir die Beschaf- fenheit einer Waffe nicht praktisch erproben können, bietet die Kenntnis des Meisters den Massstab für die Schätzung ihres Wertes, das gilt auch für das rein Künstlerische und Dekorative. Es ist leicht begreiflich, dass berühmte Marken, wie der „Wolf“, der „Bischofstab“, der „Mohrenkopf“, der „Bischofskopf“, einige spa- nische Marken, so der „Espadero del Rey“, „Sahagun“, „Toledo“, „Ayala“ u. a., nicht minder einige von Italienern, wie Piccinino, Caino, den Ferarra, endlich den Cominazzi herrührende mehr oder weniger häufig gefälscht worden sind. Derartige Nachahmungen zu erkennen, ist nicht immer leicht und lernt sich erst durch langjährige Er- fahrung. Der Begriff der Fälschung ist übrigens, beim Lichte betrachtet, soweit es sich um Klingen handelt, ausserordentlich dehnbar, und von verschiedenen Gesichtspunkten aus zu beurteilen. Bis ins hohe Mittelalter hinauf diente die Marke als eine Art Reklame, sie erweist sich deutlich als eine Spekulation auf den guten Glauben des Käufers. So führten z. B. die sarazenischen Waffenschmiede Siziliens im 9. Jahrhundert das verhasste Kreuz auf ihren Klingen mit Rücksicht auf ihre nahezu ausnahmslos christliche Kundschaft in Europa. Diese zu hohem Ansehen gelangte Marke wurde dann von den italienischen Werkstätten in ganz gleicher Form bis ins 14. Jahrhundert angewendet. Sie sahen sich dazu gezwungen, weil jeder Käufer dieses Zeichen verlangte, und anders bezeichnete Klingen nicht an den Mann zu bringen waren. Ein ganz ähnlicher Fall spielte sich im Norden ab. Der Passauer Wolf war zu solchem Ruhme gelangt, dass die anderen Werkstätten im eigenen Geschäftsinteresse sich genötigt sahen, den Wolf auf ihre Klingen zu setzen, nur um nicht zu Grunde zu gehen. Thatsache ist, dass durch jede zur Berühmtheit gelangte Marke der Vertrieb von Waren mit anderen Marken erschwert wurde, eine miss- liche Lage, der sich die Händler dadurch zu erwehren suchten, dass VII. Die Beschau- und Meisterzeichen etc. sie das berühmt gewordene Zeichen auch auf ihren Waren anbrachten. Nicht immer ist dabei an eine Fälschung im vollen Sinne des Wortes zu denken, denn es finden sich zahlreiche Klingen, auf denen der Meister neben der fremden Marke seinen Namen, seine eigene Marke, ja nicht selten den Ort der Erzeugung beigefügt hat. Damit erklärt sich das häufige Vorkommen von Klingen, die den Namen Ferrara, Piccinino etc., den spanischen Halbmond oder die Marke der Meister von Sahagun etc. tragen, zum grossen Teile aber in Deutschland ge- schmiedet sind. Wie Solingen schon frühzeitig den Wolf unbe- rechtigt führte, der, nebenher bemerkt, im 15. Jahrhundert gleich- falls in Spanien gefälscht wurde, so führte es im 16. Jahrhundert Marken, die mit spanischen auffällige Ähnlichkeit haben. Es war dies die Zeit, wo die spanischen Werkstätten mit ihren Degenklingen ganz Europa überfluteten. In dem folgenden Verzeichnisse bringen wir u. a. auch jene Marken spanischer Klingenschmiede, die uns durch Iubinal „L’Armeria Real de Madrid“ vermittelt wurden. Der Vergleich mit den wirklichen Marken hat freilich ergeben, dass der Zeichner aus Ungeschicklichkeit nur den allgemeinen Charakter wiederzugeben vermochte und keines- wegs faksimile darstellte. Wir haben darum in einigen Fällen die genaueren Faksimilia nach Abdrücken an deren Stelle gesetzt. Es sei noch bemerkt, dass die Franzosen vom 17. Jahrhundert an auf Klingen und Gewehren in der Regel keine Marken führten, sondern zumeist ihre vollen Namen darauf setzten, und oft auch den Erzeugungsort beifügten. Zu dem folgenden Verzeichnisse der Marken und Meister be- merken wir, dass der Verfasser es dabei durchaus nicht auf Voll- ständigkeit gesehen hat. Was ihn bei der Auswahl aus einer mehr als zehnfachen Zahl leitete, war die Absicht, die ersten und besten Meister zu kennzeichnen, die ihm vor Augen getreten sind. Diese Auswahl dürfte für den Zweck dieses Werkes wohl genügen. Unter den beiläufig 700 Namen, die wir hier bringen, findet sich mancher, der bisher unbekannt war oder weniger geachtet dastand. Manche Meisternamen sind den Archiven entnommen, die meisten aber geben wir nach den in Sammlungen noch vorhandenen Werken und haben zur Förderung des Studiums die Orte angeführt, wo sich solche finden, ohne jedoch darauf auszugehen, den Gegenstand zu erschöpfen. Der Kürze halber haben wir diese Orte in Chiffren gegeben, und zwar: Wien W. , Paris P. , Madrid Mdr. , Turin T. , London L. , Brüssel Br. , Berlin Bl. , Graz G. , München Mch. , Frankfurt a. M. Fr. , Dresden Drd. , Emden E. , Erbach Erb. , Sigma- ringen Sg. , Venedig V. , Mailand Mld. , Florenz Fl. , Ambras A. , Capo di Monte Cap. , Wartburg Wtbg., Kopenhagen Kop. , Nürn- berg N. , Stockholm Stockh. Meister von besonderem Rufe wurden mit einem Sternchen bezeichnet. 41* VII. Die Beschau- und Meisterzeichen etc. Mit diesem Hinweise wird man die Gegenstände in den Waffen- sammlungen aufsuchen müssen und auch zweifelsohne ohne Schwie- rigkeit finden. Alle Künstler aufzuzählen, die für das Waffenfach Entwürfe geliefert haben, schien unthunlich, da nahezu alle Meister des Quattro- und Cinquecento in Italien, und eine sehr grosse An- zahl von Niederländern und Deutschen dabei in Frage gekommen wären. Wir haben uns darauf beschränkt, nur jene Ornamentisten zu nennen, die sich ganz besonders mit Entwürfen für Waffen be- fasst haben. 1. Deutschland und die habsburgischen Erbländer. Aarau , Johann von. Angeblich der erste bekannte Geschützgiesser. Augs- burg, 1375—1378. Achen , Johann van, Maler. Köln, Venedig, Wien, Prag, gest. 1600; fertigt Entwürfe für Waffendeko- rationen. Agent , J. F., Klingenschmied. Solingen um 1712. * Aldegrever , Heinrich, Maler, Ätzer. Soest, geb. 1502, gest. 1558, lieferte Zeichnungen von Waffen. Algyeyer , Martin, Ätzer von Kalender- klingen. Solingen, 17. Jahrh. Drd. Alleitner , Jacob, Klingenätzer aus der Schule der im Bauernstile arbeitenden Ätzmeister aus dem Algäu, dem Schwarz- und dem Bregenzerwald. Um 1668. Ancinus , Petrus, Klingenschmied. Re- gensburg, um 1660. P. * Arbe , Giovanni B., aus der Familie della Tolle, Büchsengiesser. Ragusa, gest. 1540. W. N. Armgerdt , Michael, Büchsenmacher. Dresden, um 1588. Arbeitet auch in Leipzig. Arnold , Friedrich, Büchsengiesser. Fulda, um 1630. Appenzeller , auch Appetzeller, Hans. Büchsengiesser. Innsbruck. Arbeitet für Maximilian I. und Karl von Bur- gund 1490—1499. Attemstetter , David, Emaillist. Augs- burg. Arbeitet einiges in Waffen für K. Rudolf II., gest. 1617. Monogramm: D. A. oder D. A. F. * Baldung , Hans, genannt Grün, Maler, Zeichner von Waffenformen. Strass- burg, geb. 1470 oder 1476, gest. 1545. Marke: nebst der Jahreszahl. Baur , Wilhelm, Büchsenschäfter. Ell- wangen, um 1690. Mch. Bebinckhorn , auch Bebickenhorn und Bebickhorn, Wolf, Plattner. Dresden. Kommt aus Kassel, 1577—1591. Drd. Becher , Hans, Plattner. Nürnberg, gest. 1589. W. Becher , Leopold, Büchsenmacher, Karls- bad. W. Kop. 1. Deutschland und die habsburgischen Erbländer. Behaim , Sebald, Büchsengiesser. Nürn- berg, gest. 1534. Benninck , Büchsengiesserfamilie. Lübeck. * Albert , Lübeck, Berlin, Kopen- hagen, gest. 1690. W. Bl. Kop. Reinhold , Rathgiesser, gest. um 1617. Berns , Arnold, Klingenschmied. So- lingen, 16. Jahrh., Ende. Bl. Berns , Johannes, Klingenschmied. So- lingen, 17. Jahrh., Anfang. Berns , Meves, Klingenschmied. So- lingen, 17. Jahrh., Anfang. W. Seine Marke, der Hirsch, nebenst. Bertholt , Nikolaus, Schwertfeger. Nürnberg, dann in Dresden. Um 1530. Wird später Rüstknecht am sächsischen Hofe. Boel , Augustin, Klingenschmied. So- lingen, um 1550. W. * Bongarde , Armand, Büchsenmacher, Eisenschneider. Düsseldorf, um 1700. P. W. Drd. Boxberger (auch Bocksberger), Johann, Maler, Formschneider. Salzburg, Augs- burg, Landshut, München. Fertigt Entwürfe für Waffendekorationen. 16. Jahrh., 2. Hälfte. Brabenter , Heinrich, Klingenschmied. Solingen, 17. Jahrh., Anfang. Bl. Brabenter , Wilhelm, Plattner. So- lingen? 16. Jahrh., Ende. L. Bras , Peter von Meigen, Klingenschmied. 17. Jahrh. W. Marke: Brentel , Friedrich, Maler, Zeichner von Prunkwaffen. Strassburg, geb. 1580, gest. 1651. Bronnauer , Georg, Ätzmaler. Nürn- berg, um 1610. A. Bry , Theodor de, Goldschmied, Zeichner von Prunkwaffen, Beschlägen u. dgl. Frankfurt a. M., geb. 1528, gest. 1598. Bulff , auch Wulff, Plattner „vecino de Lancuete“. In der Nähe von Lands- hut. Bisher noch unbekannter Meister, der vieles und Kunstreiches 1550—1551 für Philipp II. von Spanien arbeitete. * Burgkmair , Hans, der Ältere, Maler. Augsburg, geb. 1473, gest. 1531. Diente den Kaisern Maximilian I. und Karl V. in der Auszierung der Harnische. Cloeter , P. und C., Büchsenmacher. Mannheim, 17. Jahrh. St. Kop. Danner , Rudolf, Laufschmied. Nürn- berg, starb um 1625. * Danner , Wolf, Laufschmied. Nürn- berg, starb 1552. Dax , Johann Georg, Büchsenmacher. München, 18. Jahrh., Anfang. P. W. Dietrich , Armrustmacher. Wien, u. 1392. Dinckelmayer , Joh. Lukas, Büchsen- giesser, Schriftsteller. Nürnberg, 1590 bis 1608. W. Dinger , Clemente, Klingenschmied, wahrscheinlich ein Solinger, arbeitet später in Spanien. Sig. Clemente Dinger espadero. Mi signal parajo (an dieser Stelle) Anno 1677. P. Drechsler , auch Dressler, Drexler, Trechsel, Tresseler, hervorragende Büchsenmacherfamilie. Balthasar , Büchsenmacher. Dres- den, um 1580. * Christof , Bruder des Vorigen, Büchsenmacher, Mechaniker. Dres- den, geb. um 1550. Arbeitet bis ca. 1624. Bezeichnet CT od. CTMD. od. CTDEM, endlich auch mit vollem Namen. VII. Die Beschau- und Meisterzeichen etc. Lorenz , Büchsenmacher, Vater der Vorigen. Dresden. Erscheint zu- erst 1558, stirbt ca. 1579. * Dürer , Albrecht, Maler, Zeichner von Waffenformen. Nürnberg, geb. 1471, gest. 1523. Entwirft 1517 für Maxi- milian I. Zeichnungen für einen sil- bernen Harnisch. Marke bekannt: Eberharrt , Jacob, Büchsenmacher. Suhl, um 1590. Eckehardus , Gold-Waffenschmied. Deutsch. Sein Name erscheint auf einem Dolche mit Bronzegriff aus dem 10. Jahrhundert in der Sammlung H. Garthe zu Köln. Ehmer , auch Eimer, Franz, Tischler und Büchsenschäfter. Chemnitz, um 1570. Arbeitet für Kurfürst Christian I. von Sachsen. Eisenhoit , Anton, Treibarbeiter, geb. 1554. Münster. Elsesser , Bernhard, Büchsenschäfter. Innsbruck. Arbeitet 1574—1582 für den kaiserlichen Hof Zeichnet E. B. W. Elsesser , Wigelio, Bruder des Vorigen. Büchsenschäfter. Innsbruck. Arbeitet 1574 für den kaiserlichen Hof. * Endorfer , Jörg, Büchsengiesser aus Augsburg. Innsbruck, 1480—1494. Entzinger , Johann, Büchsenmacher. Baden, um 1660. W. P. Ernst , Büchsenmacherfamilie. München, von 1492—1740 thätig. Ernst , A. B., Büchsenmacher um, 1730. Mch. Erttel , Joh. Georg, Büchsenmacher. Dresden, um 1680. Drd. W. Escher , H. Caspar, Büchsenmacher. Leipzig, um 1660. Kop. Fehr , Georg, Büchsenmacher. Dresden, um 1650. Kop. Feil , Hans, Büchsenmeister und Plattner. Dresden, 1576—1592. Fichtner , Nikolaus, Büchsenmacher. Dresden, um 1650. Kop. * Frauenbreis , Frauenpreiss, Matthäus, der Ältere, Plattner. Augsburg, stirbt 1549, markiert: Mdr. * Frauenbreis , Matthäus, Sohn des Vorigen, Plattner. Augsburg, wirkt von 1549 bis etwa 1575, markiert gleich seinem Vater. W. Mdr. Freund , Büchsenmacherfamilie. Georg Karl und Christoph Wilhelm. Fürstenau und München, 18. Jahrh. Arbeiten viel für den Erbachschen Hof. P. Erb. Frey , zahlreiche Büchsengiesserfamilie. München. * Martin , Büchsengiesser, gest. 1605. Gemlich , Ambrosius, Klingenschmied. München, um 1530. Arbeitet für Karl V. W. Glockendon , Malerfamilie. Nürnberg. * Albert , Bruder des Nikolaus, Brief- maler, Harnischätzer. Seine Marke findet sich auf einem schön geätzten Harnische des Konrad von Bemel- berg von ca. 1532. W. * Nikolaus , Briefmaler. Ihm werden die Abbildungen in den Zeug- büchern Maximilians I. 1514 zu- geschrieben. Godl , Büchsengiesserfamilie. Innsbruck. Michael , um 1486. * Stephan , Büchsenmeister Erzher- zogs Sigmund von Tirol 1508— 1529. 1. Deutschland und die habsburgischen Erbländer. Göbeln , Stephan, Büchsengiesser. Frank- furt a. M., um 1522. Gol , Enrico, Klingenschmied. Solingen. Ist ein Deutscher, der auch in Spanien arbeitet. Signiert auch „Spadero del Rey“ und „En Alemania fecit“, ferner: „Mi sinnal Santismo Crucificio“. 17. Jahrh. W. Mdr. P. Grienwalt , Michael, Büchsenmacher. Augsburg? Um 1664. Arbeitet für Ludwig XIV. Griesser , Georg, Büchsenschäfter. Augs- burg? Ist 1567—1569 am Hofe Maxi- milians II. angestellt. Grossschedl , Franz, Plattner. Lands- hut, um 1568. Arbeitet für den bay- rischen und tirolischen Hof. Ihm ge- hört vermutlich die nebenstehende Marke: (Siehe auch unter Monogrammisten.) Grünewald , Hans, Plattner. Nürn- berg, starb 1503. Marke: Gsell , Ägydius, Büchsenmacher. Artz- berg, um 1650. W. Kop. Gull , Michael, Büchsenmacher. Deutsch. 17. Jahrh. W. Guter , Büchsenmacher, Erfinder der Windbüchse. Nürnberg, um 1560. Halil , Leopold, Stückgiesser. Wien, 1716—1750. W. Hamerl , Josef, Büchsenmacher. Wien, 18. Jahrh. P. W. Hans , Meister, Plattner. Augsburg, um 1551. Arbeitet für Philipp II. von Spanien. Hartel (Harrtel), Johannes, Graveur. Deutsch. 17. Jahrh. Graviert Schloss- platten. W. Hauer , Anton, Ätzmaler. Nürnberg, um 1612. W. * Hauschka , S., Büchsenmacher. Wolfen- büttel, Prag, um 1710. Arbeitet für den kais. Hof. W. Heintzberger , Konrad, Büchsengiesser. Frankfurt a. M., um 1373, Büchsen- meister der Stadt, gest. vor 1378. Heishaupt , Daniel, Büchsenmacher. Ulm, um 1780. P. Helmschmied , mit dem Familien- namen Kolman, Plattnerfamilie. Augs- burg. * Coloman , geb. 1470, gest. 1532, arbeitet für den kaiserlichen u. spanischen Hof. Marke: * Desiderius , dessen Sohn, arbeitet für den kaiserlichen und spanischen Hof, um 1552. Führt die gleiche Marke wie Coloman. * Lorenz , 1490, Grossvater des Vorigen, Hofplattner Maximi- lians I., gest. 1516. Marke: Henkel , Peter, Klingenschmied. So- lingen, um 1624. Hermann , Valentin, Büchsenschäfter. Nürnberg, stirbt dort 1598. Herold , ausgebreitete Kunstgiesser- familie. Nürnberg. Andreas . Nürnberg, Dresden. Baltasar sen. VII. Die Beschau- und Meisterzeichen etc. * Baltasar jun. Wien, geb. 1625, gest. 1683. W. P. Bl. * Wolf Hieronymus , gest. 1693. Herold , berühmte Büchsenmacher- familie. Dresden. Balthasar , um 1690. Kop. * Christian , um 1670. Drd. Heumann , Georg, Messerschmied. Zeichner von Prunkwaffen. Nürnberg, 17. Jahrh., Anfang. Heyder , Nikolaus, Büchsenschäfter. Nürnberg, stirbt Anfang des 17. Jahr- hunderts. Hilger , ursprünglich Kannegiesser ge- nannt, zahlreiche Stückgiesserfamilie. * Martin I. Freiberg, geb. 1484, gest. 1544. Martin II. Freiberg, Graz, Dresden, geb. 1538, gest. 1601. * Wolf , Sohn Martins I. Freiberg und Dresden, geb. 1511, gest. 1577. Hinterhäusel , Friedrich, Geschütz- giesser. Nürnberg, gest. 1708. Hirder , Geschützgiesserfamilie. Nürn- berg. * Sebald , Schüler des M. Mertz, s. d. gest. 1563, in Diensten Friedrichs von Pfalzbayern. Hirschvogel , Augustin, Ätzmaler. Nürnberg, Wien, geb. Nürnberg 1503, gest. Wien 1553. Arbeitet für die Stadt. Hörl , Hanns, Büchsenschmied. Nürn- berg, 16. Jahrh., 2. Hälfte. Zeichen: H. H. * Holbein , Hans, Maler. Augsburg, Basel, London, geb. 1498, gest. 1554. Liefert Zeichnungen für Waffen. Hopfer , Daniel, Maler, Harnischätzer. Augsburg. Arbeitet 1566 mit seinem Bruder Georg für Maximilian II. und für den spanischen Hof. Stirbt 1598. Mdr. Hopp , Johann, Klingenschmied. So- lingen, 16. Jahrh., Anfang. —P. * Horn (Horum), Klemens, Klingen- schmied. Solingen, 16. Jahrh., An- fang, lebte noch 1625. W. P. Bl. Marke: Einhorn, häufig auch der volle Name mit lat. Sinnsprüchen. Es kommen aber auch auf seinen Klingen andere Zeichen vor, wie der „Wolf“, „3 tief ins Gesenk geschlagene Mohren- köpfe“, die Brescianer Marke u. a. Jacobi , Johann, Stuckgiesser. Berlin, um 1700. P. Bl. Ill , Lorenz, Büchsenmacher. Augsburg, 17. Jahrh., 2. Hälfte. P. Keindt , Johannes, Klingenschmied. Solingen, 16. Jahrh., 1. Hälfte. P. Keiser , Caspar, Büchsenmacher. Eger, um 1660. W. * Keiser , Georg, Büchsenmacher. Wien, geb. 1647, gest. nach 1732. Arbeitet für den kaiserlichen Hof. W. Drd. Kop. P. Keuller , Klemens, Klingenschmied. Solingen, Ende des 16. Jahrh. Bl. Kiefuss , Johann, Büchsenmacher, an- geblich Erfinder des Radschlosses. Nürnberg, 1517. Kinig (Chinig, vielleicht König), Ma- thias, Harnischätzer. Innsbruck, um 1560. Kirsbaum , Johannes, Klingenschmied. Solingen, Anfang des 16. Jahrh. Bl. Klein , Weilm., Klingenschmied. So- lingen, 16. Jahrh. Mch. W. Stockh. Klett , zahlreiche Büchsenmacherfamilie. Hans in Ottensen, 1610—1618. Bez. H. K. Kop. 1. Deutschland und die habsburgischen Erbländer. * Stephan und Valentin in Suhl, um 1586. P. W. Drd. J. C. in Potsdam, 18. Jahrh., Ende. Sigmund , um 1650. Köster , Gerhardus, Büchsengiesser. Emden, um 1619. E. Kopp , Sebald, Büchsengiesser. Würz- burg, gest. nach 1683. * Kotter , Augustinus, genannt Sparr, Büchsenmacher. Nürnberg, stirbt nach 1635. W. Bl. E. P. Drd. Kraus , Hans, Büchsenschäfter. Wien. Diente 1569 im Hofstaate Maximi- lians II. Krenge , Hermann, Büchsenschäfter. Dresden. Stammt aus Wolfenbüttel, stirbt 1580. Kuchenreuter , Büchsenmacherfamilie. Johann Andreas , Regensburg, 18. Jahrh., Anf. P. W. Drd. Kuchenreuter , Christoph. Regensburg, 18. Jahrh., Anf. Stockh. Kuler (Woller?), Klemens, Klingen- schmied. Solingen, „Clemens Kuler en Alemania. Mi sinnal es el navio“. (Siehe auch unter den Monogram- misten.) Mdr. Lamarre , Heinrich (?), Büchsenmacher. Wien, 19. Jahrh. W. P. Leuthner , genannt der Pollak, Hans, Plattner. Dresden. Wird 1551 kur- fürstlicher Rüstmeister, arbeitet für den sächsischen, brandenburgischen und schwedischen Hof bis 1560. * Leygebe , Gottfried, Eisenschneider. Nürnberg, geb. 1630, gest. 1683. Drd. Mch. Lienhart , Paul, Büchsenmacher (Schäf- ter?). München. Mch. P. Lobenschrod , Konrad, Klingen- schmied. Nürnberg, starb um 1592. * Lochner , Kunz, Eisenschneider, Platt- ner. Nürnberg, gest. 1567. Arbeitete für Erzherzog Maximilian v. Österreich. Seine Marke: ein zum Grimmen ge- schickter zweischwänziger Löwe in einem Tartschenschilde. W. Wtbg. Stockh. Bl. Erb. * Sebald , Plattner. Nürnberg, starb 1550 Löffler , Geschützgiesserfamilie. Inns- bruck. Christoph , von und zu Büchsen- hausen, Sohn des Hans Christoph. Büchsenmeister Rudolfs II. in Prag, steht 1568—1593 in kaiserl. Diensten, gest. 1623. * Gregor , Sohn des Peter, gest. 1565. Innsbruck, Augsburg. Büchsenmeister Karls V. * Hans Christoph , Sohn des Gregor, wirkt auch in Graz. W. * Peter , genannt Layminger, vom heil. Kreuz, Bregenz, später Inns- bruck, Büchsenmeister Maximi- lians I., gest. um 1520. Wenzel , Bruder des Vorigen, gest. 1528. Mänz , Ulrich, Büchsenmacher. Braun- schweig. Arbeitet für Kaiser Karl VI. um 1708. W. Marckwart , Bartholomeus, Büchsen- macher. Augsburg, gest. 1552. Marquart , Martin, Goldschmied, Platt- ner. Augsburg, um 1568. Arbeitet für Kaiser Maximilian II. Matl , auch Mätl , Mathäus, Büchsen- macher, deutsch, um 1661. P. W Matzenkopf , Franz, Büchsenmacher, Graveur. Prag, 17. Jahrh. Maucher , Christoph, Büchsenschäfter. Schwäbisch-Gmünd, um 1700. VII. Die Beschau- und Meisterzeichen etc. * Maucher , Johann Michael, Büchsen- schäfter. Schwäbisch-Gmünd, später Würzburg, 1670—1693. Mch. Maucher , Onuphrius, Büchsenschäfter. Schwäbisch-Gmünd, um 1670. Mayr , Konrad, Büchsenschäfter. Prag. Arbeitet 1570 für Maximilian II. Maystetter , Hans, Plattner. Augs- burg. Graz. Wird 1510 von Maxi- milian I. bestellt. Meissner , Hans, Büchsengiesser. Lands- hut, 16. Jahrh., 1. Hälfte, um 1540. Mch. Memmingen , Abraham von, Büchsen- giesser, Schriftsteller. Memmingen, um 1414. Sein Feuerwerksbuch das Vorbild für die vielen Kopien im 15. Jahrh. Mentel , Hans, Büchsenmacher, Ätzmaler. Prag, um 1650. W. Stockh. * Mertz , Martin, Büchsengiesser, Schrift- steller. Amberg, 1425—1476 in Diensten Kurfürst Friedrich des Sieg- reichen, gest. 1501. Mielich , auch Muelich, Hans, Zeichner von Waffen. München, gest. 1572. Milotta , Büchsenmacher. Dresden, um 1750. Drd. W. Morales , Jacob de, Wehrvergolder. Regensburg. Ein Spanier; wird 1546 am Hofe König Ferdinands I. ange- stellt. Morgenroth , Hans, Büchsenmacher. Nürnberg, um 1600. P Moum , Hans, Klingenschmied. Solingen, 1600—1625, signiert: „Hans Moum me fecit Solingen. Soli Deo Gloria“, markiert zwei kleine S, aber auch Müllner , Paulus, Büchsenschäfter. Nürnberg, stirbt 1598. Munich , Peter, Klingenschmied. So- lingen, 16. Jahrh., Ende. Markiert: Bischofskopf tief ins Ge- senk geschlagen. Emd. Bl. Munsten , Andreas. Er scheint auch in Toledo und Calatayel gearbeitet zu haben. Siehe unter Spanier Munesten. Munsten , Peter, Klingenschmied. Bru- der des Vorigen. Solingen, später in London, um 1595. Seine Klingen führen als Zeichen den „wilden Mann“, zuweilen auch den Wolf. Bl. Sigm. P. Drd. St. Neidhardt , Wolfgang, Giesser. Ulm, gest. 1598. Neron , Lorenz de, Schwertgrifferzeuger (Wehrvergolder). Prag. Erscheint im Hofstaat Rudolfs II. 1568—1581. Neureiter , Johann, Büchsenmacher. Salzburg, 17. Jahrh. P. W. * Oberacker , Niklas, Büchsengiesser. Augsburg, um 1500. 1. Deutschland und die habsburgischen Erbländer. * Oberländer , Johann, Büchsenmacher. Nürnberg, geb. 1640, gest. 1714. Erfinder der Luftbüchsen. Obresch (Obrist), Heinrich, Plattner, Panzermacher. Graz, um 1590. Marke: Olig , Hans, Klingenschmied. Solingen, um 1640. W. Paras , Albergh (Albert?), Büchsen- macher, deutsch, um 1640. Markiert: A. P. Pater , Heinrich, Klingenschmied. So- lingen, um 1580. Marke: Paulus , Klingenschmied. Solingen, um 1600. Paulus , M., Büchsenschäfter, Schnitzer. Elwangen, um 1697. Mch. Pech , Peter, Büchsenmacher. München, um 1540. Arbeitet für den spa- nischen Hof. * Peffenhauser , auch Pellenhauser, Pfeffenhauser, Anton, Plattner. Augs- burg, 1566—1594. Arbeitet für den kaiserlichen, den sächsischen und spanischen Hof. Md. W. Drd. Marke: Pegnitzer , Büchsengiesserfamilie, Nürn- berg. Andreas , der Ältere. Nürnberg, geht 1543 nach Culmbach. * Andreas , der Jüngere. Nürnberg, gest. 1549. Peringer , Büchsengiesserfamilie, Lands- hut. * Erhart , ein Schüler Seb. Hirders s. d., um 1550. Mch. Leonhart , um 1566. W. Pister , Büchsenmacher. Schmalkalden, 18. Jahrh. Erb. Poëter , Klemens, Klingenschmied. So- lingen, 17. Jahrh. P. Polhammer , auch Polhaimer jun., Hans, Harnischätzer. Innsbruck, 1547—1564. W. Bl. P. Preu , Leonhart, Büchsenschäfter. Nürn- berg, starb 1596. Qualek , Martin, Büchsenmacher. Wien, um 1670. H. W. Reck (Regk), Georg, Büchsenmacher. Mannheim, 1782—1796. E. P. Recknagel , Caspar, Büchsenmacher. Nürnberg, starb 1632. Reig , Medardus, Büchsengiesser. Graz, 1682—1688. W. Reisser , Hermann, Klingenschmied. Passau, 17. Jahrh., Anfang. Richter , Konrad, Plattner. Augsburg, um 1550. Arbeitet für den kaiserl. und den tirolischen Hof. Ringler , Hans, Plattner. Nürnberg, um 1560. W. Ris , Christoph, Büchsenmacher. Wien, um 1750. W. Rocher , Büchsenmacher. Karlsbad, 18. Jahrh. Stockh. W. Roen , Franziskus, Büchsengiesser. Glück- stadt, um 1660. Kop. Rockenberger , auch Rosenberger, Plattnerfamilie. Dresden. * Hans wird 1543 Bürger, arbeitet für die Höfe des Kaisers, der Rheinpfalz, Sachsen und Meck- lenburg, erscheint bis 1570. * Sigmund wird 1554 Hofplattner, 1554—1572, VII. Die Beschau- und Meisterzeichen etc. Roggenberger , Heinrich, Büchsen- giesser. Passau. Kommt 1436 nach Augsburg. Rotschmied , Mart., Plattner. Nürn- berg, starb 1597. G. * Rücker , auch Rucker, Ruckarth und Rückert, Thomas, Schwertfeger, Eisen- schneider, Mechaniker. Augsburg. Arbeitet um 1575 für den sächsischen Hof und für Kaiser Rudolf II. Drd. Ruef , Franz, Laufschmied. Elwangen, um 1680. Mch. P. * Sadeler , Johann, Zeichner von Ge- schützen. Sander , Jan, Büchsen- und Armrust- macher. Hannover, um 1669. P. Samitsch , Daniel, Büchsenmacher. Deutsch. Liefert für König Ferdi- nand I., 1544. Schenck , Peter, Kupferstecher, Zeichner von Prunkwaffen. Amsterdam, geb. zu Elberfeld um 1645, gest. um 1715. Schenckh , Johann Caspar, Elfenbein- schnitzer. Wien. Arbeitet um 1665 viel für den kaiserl. Hof Prunkwaffen und Jagdgeräte, gest. 1674. W. Schinzel , Elias, Büchsenmacher. Berlin, um 1680. Kop. Bl. Schnee , Hans, Büchsengiesser. Inns- bruck, Verona, gest. 1517. Schwarz , Christoph, Maler. Ingolstadt. Hofmaler des Herzogs Wilhelm V. von Bayern, gest. 1594. Zeichner von Harnischdekorationen. W. Schwenck , Johann, Büchsenmacher. Wiener-Neustadt, 17. Jahrh. Kop. Seelos , eigentlich Reuter, Büchsen- giesserfamilie. Innsbruck. * Hans , arbeitet für E. H. Sigis- mund und Kaiser Maximilian I., um 1480. Jörg , um 1516. Seusenhofer , Plattnerfamilie. Inns- bruck. * Hans , wird 1515 Wappenmeister in Innsbruck, geb. 1475, gest. 1555. * Jörg , Sohn des Vorigen, arbeitet für den französischen, spanischen und den kaiserl. Hof bis über 1558. W. Bl. P. Marke: * Konrad , arbeitet für Maximilian I., für Aragonien, Brandenburg etc., 1502, starb 1518. * Seusenhofer , Wilhelm, Plattner. Augsburg gest. 1547. * Siebenbürger , Valentin, Plattner. Nürnberg. Wird 1531 Meister, gest. nach 1547. W. Bl. Darmst. Erb. P. Sigm. Marke: Siegling , Valentin, Büchsenmacher. Frankfurt a. M., 18. Jahrh. P. Sigmann , Georg, Goldschmied, Treib- arbeiter. Deutsch. L. * Solis , Virgil, Maler, Ornamentist, Zeichner von Prunkwaffen. Nürnberg, geb. 1514, gest. 1562. Sommer , Johann, Büchsenmacher. Bam- berg, um 1680. Sorg , Jörg, Zeichner, Ätzmaler. Augs- burg. Entwirft seinem Schwager, den Plattner Coloman Helmschmied, und dessem Sohn Desiderius um 1560 Harnische, darunter solche Maximi- lians II. Mdr. Bl. 1. Deutschland und die habsburgischen Erbländer. Spazierer , Büchsenmacher. Prag, 18. Jahrh. P. Speyer , von, zahlreiche Plattnerfamilie. Annaberg und Dresden. * Peter , der Ältere. Annaberg. Ar- beitet für den sächsischen, bran- denburgischen und dänischen Hof um 1560. Bl. Marke: * Wolf , der Ältere. Annaberg und Dresden. Arbeitet als sächsischer Hofplattner auch für den tiro- lischen Hof, starb 1580. Springenklee , Georg, Messerer Klin- genschmied. Passau. Erhält später von Kaiser Karl IV. ein eigenes Wappen. Steigentesch , Georg, Klingenschmied. Solingen, um 1630. Emd. Steinweg , Johann, Büchsenmacher. München, um 1690. Mch. Stengel , J. C, Graveur. Wien? 16. Jahrh., Ende. Mch. Stifter , Hans Christoph, Büchsenmacher. Prag. Arbeitet um 1660 und bis nach 1684. Marke: ein Löwe. Drd. W. Stockh. A. P. Stockmann , Hans, Büchsenmacher. Dresden, ca. 1590—1621. Zeichnet: H. S. Stockmar , J. L., Büchsenmacher. Heidersbach bei Suhl, 18. Jahrh. Drd. Stockmar , Johann Nikolaus, Büchsen- macher. Heidersbach, um 1740. Drd. Stramayr (Strohmayer), Hans, Ätz- maler. Wien, um 1580. Arbeitet für Erzherzog Ernst. Sussebecker , Martin, Büchsenmacher. Dresden, um 1640. E. Kop. Sustris , Friedrich, Maler. Amsterdam, München. Fertigt Entwürfe für Waffen- dekorationen. 17. Jahrh. Treytz , zahlreiche Plattnerfamilie. Inns- bruck. * Adrian , 1469—1517. Marke: Christian , um 1484, stirbt 1517. Jörg , 1469—1478. Konrad , starb vor 1469. Undeutsch , Hans, Plattner. Dresden, um 1560. Veit , Plattner. Nürnberg, Ende des 15. Jahrh. Marke: N. W. Voigt , Caspar, Geschützgiesser. Dres- den, um 1549. Walther (von Arles?), Büchsengiesser. Augsburg. Giesst bereits 1373 daselbst Büchsen. Weinhold , Johann Gottfried, Stück- giesser. Dresden, um 1740. W. * Weiss , H., Büchsenmacher. Suhl, 18. Jahrh. L. Wenger , Maximilian, Büchsenmacher und Rohrschmied. Mitte des 17. Jahrh. Bez. MAX. W. — Stockh. Werder , Felix, Büchsenmacher. Zürich. Der Verfertiger des ältesten datierten Flintenschlosses von 1652. W. Wetschgi , Andreas, Büchsenmacher. Augsburg, 18. Jahrh., Mitte. Kop. W. Stockh. VII. Die Beschau- und Meisterzeichen etc. Wetter , Othmar, Messerschmied, Eisen- schneider. München und Dresden. Arbeitet prächtige Schwert- und Degen- griffe. Um 1590. Drd. Marke: W. in Gold eingelegt. Weyditz , Christoph, Elfenbeinschnitzer. Augsburg, um 1560. Weyer , Franz Wilhelm, Büchsenmacher aus Nürnberg, später in Wien. Aus- gezeichneter Graveur. 17. Jahrh, Anf. P. Emd. Drd. Wilczinski , Lukas, Klingenschmied. Posen? um 1610. Arbeitet Kalender- schwerter. Bl. Widerstein , Büchsengiesser Nürn- berg, 1449—1470. Giesst die unter dem Namen die Widersteiner bekannten Geschütze. Wildemann , Marx, Büchsenmacher. Dresden. Arbeitet für den sächsischen Hof bis 1587. Winffang siehe Wynsang. * Wirsberg , Peter, Klingenschmied. So- lingen, Bürgermeister dieser Stadt 1611—1617, um 1580. H. Mch. P. W. * Wirsberg , Wilhelm, Klingenschmied. Solingen, Bürgermeister dieser Stadt 1573, um 1540. Md. P. Drd. Stockh. Marke: das halbe Rad. Wirsberg , Wolf Ernst, Klingenschmied. Wien, Rüstmeister Kaiser Maximi- lians II. um 1565. Woller , Klemens, Klingenschmied. So- lingen, 17. Jahrh., Ende. W. Marke: ein Hahn. Worms , von, Plattnerfamilie. Nürn- berg. Wilhelm , der Ältere, starb 1539. * Wilhelm , der Jüngere, Sohn des Vorigen, Hofplattner Karls V. Marke: Wundes , Johannes, Klingenschmied. Solingen. Arbeitet 1560—1610, führt als Marke den „Königskopf“ und den „Reichsapfel“. P. W. Stockh. Wynsang (auch Wynnfang), Hans, Büchsengiesser. Passau. Liefert für König Ferdinand I. 1544. W. Zaruba , Andreas, Büchsenmacher. Salz- burg, um 1700. P. W. Zellner , Büchsenmacherfamilie. Salz- burg, Wien. Cajetan , 18. Jahrh. Caspar , Wien, 18. Jahrh. W. Franz X. Salzburg, 18. Jahrh. Johann Georg , Salzburg, 18. Jahrh. Kilian arbeitet in Wien um 1720 für den Erzbischof von Salzburg. 2. England, Schweden, Dänemark. Marcus , Salzburg, 18. Jahrh., Anfg. * Zilli , Markus, Büchsenmacher, Lauf- schmied. Memmingen, 1670—1690. Mch. Zoller , Melchior, Klingenschmied. Augsburg, um 1600. Mch. Zündt (?) Matthias. Nach Nagler Monogr. IV, 1971 Goldschmied, Zeichner von Prunkwaffen. Nürnberg, 16. Jahrh., 2. Hälfte. L. 2. England, Schweden, Dänemark. Bars , David, Büchsenmacher. Stock- holm, um 1730. Drd. Bate , Büchsenmacher. London, Ende des 18. Jahrh. P. Burting , P., Büchsengiesser. Fossum Jaernvaerk. Norwegen, um 1690. Kop. Clark , Büchsenmacher. London, 18. Jahrh. P. Dam , Claus, Stückgiesser. Kopenhagen, um 1620. Kop. Endtfelder , Hans Wolf, Stückgiesser. Kopenhagen, um 1600. Kop. Freeman , James, Büchsenmacher. London, 18. Jahrh. Drd. Froomen , Peter, Büchsenmacher. Jön- köping. Schweden, 18. Jahrh., Ende. Stockh. Kalthoff , Laasen Matthias, Büchsen- macher. Dänemark, 1652—1679. Kop. Kalthoff , Peter, Büchsenmacher. Dänemark, um 1646. Kop. Kapell , Heinrich, Büchsenmacher. Kopenhagen, 17. Jahrh. Stockh. Koch , Johann, Büchsenmacher und Uhr- macher. Stockholm, um 1670. Stockh. Kohl , Caspar, Klingenschmied. Garp- strömmen und Wira in Schweden, 17. Jahrh. Stockh. * Kohl , David, Sohn des Vorigen, Klingen- schmied. Wira, Stockholm, geb. 1628, gest. 1685. Stockh. Koster , Assuerus van der Hart, Stück- giesser. Kopenhagen, um 1680. Kop. Mard , B., Büchsenmacher. Stockholm? 18. Jahrh., Anf. Stockh. Mathias von Nürnberg, Stückgiesser. Kopenhagen, um 1559. Kop. Metzger , Johann Georg und Michael, Büchsenmacher. Stockholm, um 1750. Stockh. Murdoch , H., Büchsenmacher. Schott- land, 17. Jahrh. Mdr. Neidhart , Andreas, Büchsenmacher. Kopenhagen, 1636—1650. Bez. A. N. — Kop. Nusbaum , J., Büchsenmacher. Stock- holm, um 1780. Stockh. Nusbaum , Matthias Vincenz, Büchsen- macher. Breslau. Nusbaum , Moriz Friedrich, Büchsen- macher. Stockholm, um 1747. Ostermann , Friedrich, Büchsenmacher. Kopenhagen, 18. Jahrh., Anf. Stockh. Marke: Rosenhell , J., Büchsenmacher. Norr- telge, Schweden, um 1790. Stockh. Rundberg , Gebrüder, Büchsenmacher. Jönköping, Schweden, später Paris, 18. Jahrh., Ende. Stockh. Starbus , Peter, Büchsenmacher. Amster- dam, später in Stockholm, 17. Jahrh., Ende. Stockh. Kop. Stephean , Büchsenmacher. London, 18. Jahrh, Ende. P. VII. Die Beschau- und Meisterzeichen etc. Tommer , Büchsenmacher. Kopenhagen, 1612—1631. Liefert dem dänischen Hof. Kop. Tonner , A., Büchsenschäfter. Kopen- hagen, um 1610—1630. Kop. Wilson , Büchsenmacher. London, 18. Jahrh. Stockh. Zimmermann , Hans, Büchsenmacher. Kopenhagen, Ende des 17. Jahrh. Stockh. 3. Frankreich. * Aubigny , Philippe Cordier d’, Kupfer- stecher, Zeichner von Prunkgewehren. Paris, 1635—1665. Barnabo , Meister, Waffenschmied. Paris, um 1400. * Berain , Jean, sen, Ornamentist in Feuerwaffen, Schriftsteller. Paris, geb. 1639, gest. 1711. P. Stockh. Berain , Jean, jun., Ornamentist in Feuerwaffen, Schriftsteller. Paris. Bercan , auch Berquen, Jacques, Stück- giesser. Lyon, um 1790. Arbeitet mit seinem Bruder Baltasar. W. Bereau , Antoine de, Stückgiesser. Strassburg, 1714—1734. W. Bérenger de Falize, Stückgiesser. Douai, 1694 bis ca. 1730. W. P. Bérenger , J., Stückgiesser. Douai, 1759—1801. W. Berger , richtig Bergier, Pierre, Uhr- macher und Büchsenmacher. Grenoble, um 1634. Arbeitet für Ludwig XIV. Bernard , Schwertfeger. Paris. Zum schwarzen Kopf an der porte Saint- Michel. Zeichen zur Sonne. Um 1750. Binago , Antonio de, Waffenschmied. Lyon, 1482, gest. zwischen 1494 und 1498. Bizouard , Büchsenmacher. Marseille, um 1850. Arbeitet für den Bey von Tunis. W. Bourgeois , Büchsenmacher. Lizieux, um 1690. Arbeitet für Ludwig XIV. Boutet , Direktor der Waffenmanufaktur Versailles, um 1800. P. Stockh. Boutifar , Schwertfeger. Paris, 18. Jahrh. W. Brézin , Stückgiesser. Paris, um 1790 bis ca. 1812. W. P. * Brisseville , Henry, Schlosser, Zeichner von Waffen, Fachschriftsteller. Paris, um 1663. Caillovel , Jean, Büchsenmacher. Paris? Um 1680. Arbeitet für Lud- wig XIV. Caron , Ambroise, aus Mailand, Waffen- schmied, Plattner. Bordeaux, 16. Jahrh., Mitte. Chateau (Chasteau), Büchsenmacher. Paris, um 1750. W. D. E. Chevalier , Nicolaus, Schnitzer. Franz. Um 1720. W. P. Col , Büchsenmacher, Paris, Arquebusier des menus plaisirs du Roi. Um 1754. Colas , Nicolas, Büchsenmacher. Paris? Um 1690. Arbeitet für Ludwig XIV. Collombe , De la, Büchsenmacher, Zeichner, Fachschriftsteller. Paris, um 1702. P. Colombo , Laufschmied. Frankreich, um 1680. Cordier , Jean, Graveur von Flinten- bestandteilen. Paris, um 1690. Cormier , Thomas, Armrustmacher. Angier, um 1465. Crucy , Stückgiesser. Strassburg, um 1809. W. * D’Artein , Jean Baptiste, Chevalier, Stückgiesser, Fachschriftsteller. Strass- burg, 1760—1797. W. 3. Frankreich. Decaplein , richtig Le Chapelain, J., Büchsenmacher. Cherbourg, um 1624. Arbeitet für Ludwig XIV. De la Bletterie , Büchsenmacher. Paris, Arquebusier et Archer du Roi et des Princes. Um 1785. Drd. Des Chasaux , Büchsenmacher. Paris, um 1790. Arbeitet für den Konsul Bonaparte. Deseines , auch De Saintes, Büchsen- macher. Paris, Arquebusier ordinaire du Roi. Um 1763. W. Duclos , François, Büchsenmacher. Paris. Seit 1636 mit Pierre Boulle, tourneur et menuisier du roi (vermutlich dem Grossvater des berühmten André Boulle), im Louvre etabliert. Dumesnil , genannt le Normand, Robert, Armrustmacher. Paris, um 1528. Dupont , François, königl. Stückgiesser. Algier, um 1840. Dutrevil , Büchsenmacher. Paris, um 1710. Drd. Forcia , Franzesco, Waffenschmied, Tausiator. Lyon. Arbeitet für Franz I. 1537—1538. Frèrejean , Stückgiesser. Pont de Vaux, um 1780. W. Gambeo , Künstlerfamilie, Tausiatoren. Mailand, Lyon, Paris. Battista arbeitet im Verein mit seinem Bruder Cesar meist Degen- griffe. Verlassen 1549 Lyon, um in die Dienste des Königs zu treten. Cesare arbeitet für Heinrich II. um 1550. Glerd , H. L., Büchsenmacher. Paris, 18. Jahrh. Gor , J., Commissaire général des fon- deries. Paris, um 1740. P. Goulet , Jacques de, Büchsenmacher. Vitré, um 1680. Arbeitet für Lud- wig XIV. Goulet , Jean de, des Vorigen Bruder, Büchsenmacher. Vitré, um 1680. Ar- beitet für Ludwig XIV. Gruché , Büchsenmacher. Paris, Anf. des 18. Jahrh. Arbeitet für K. Karl VI. W. Kop. Haber , Büchsenmacher. Nancy. Arbeitet für Ludwig XIV. um 1690. Haucher , Pierre, Armrustmacher. Paris, um 1488. * Holandais , le, eigentl. Adrien Reynier, königl. Büchsenmacher, Fachschrift- steiler, seit 1724 in der Galerie des Louvre etabliert. Paris. Drd. Kop. Ein gleichnamiger Sohn, gleichfalls k. Büchsenmacher im Louvre, stirbt 1743. Beide bezeichnen zuweilen gemein- schaftlich: Les Holandais. Jacquard , Antoine, Büchsenmacher, Kupferstecher, Zeichner, Poitiers, 1619—1650. Junquyères , Guitard, Plattner. Bor- deaux, um 1375. Keller , Geschützgiesser. Douai, um 1688. W. P. Lacollombe , Büchsenmacher, Graveur. Paris, um 1702. * Languedoc , J., Büchsenmacher. Paris, 18. Jahrh. Sign.: Drd. Larchier , Guillemin, Büchsengiesser. Paris, „artilleur du roy“, 1396. * La Roche , Büchsenmacher. Paris, starb 1769. Arbeitet in der Galerie des Louvre. Drd. W. * Le Conte , Büchsenmacher. Paris. Arbeitet nach Jean Berain s. d. Stockh. Lécourreur , François, Büchsenmacher. Paris. War anfangs im Louvre etabliert, seit 1653 im Palais Royal, gest. 1658. Jean , dessen Sohn, Büchsenmacher. Paris. Seit 1658 im Palais Royal etabliert, gest. 1697. Boeheim , Waffenkunde. 42 VII. Die Beschau- und Meisterzeichen etc. Philipp , dessen Enkel, Büchsen- macher. Paris. Gleichfalls im Palais Royal etabliert. Leloup , Guillaume, auch Le Loupe, Armrustmacher. Lyon, 1418—1421. Lemoyne , Jehan, Klingenschmied. Französisch, um 1600. „Maître de l’epée couronnée“. Lepage , M. H., Büchsenmacher. Paris, 18. Jahrh., Mitte. P. W. Lorraine , le, Büchsenmacher. Valence, 13. Jahrh. Drd. * Marcou , François, Büchsenmacher, Fachschriftsteller. Paris, kgl. Büchsen- macher, geb. 1595, gest. nach 1660. * Maritz , Stückgiesserfamilie aus Bern. Der Ältere. Strassburg. Erfinder der Kanonenbohrmaschinen, um 1710. W. P. Johann , der Jüngere. Douai, 1730—1778, später um 1785 im Haag. W. P. Kop. Masson , Alexander, Eisenschneider. Paris, Ende des 17. Jahrh. Stockh. Masson , Antoine, Eisenschneider. Orleans, gest. 1684. P. Mazue , Martin, Büchsenmacher. Vitré, um 1612. Arquebusier du Roi. Meissonnier , Aurèle, Zeichner von Waffen. Paris, Hofkünstler, gest. um 1740. Merment du Perry , Waffenschmied. Aix, um 1448. Mesnil , Robert du, Armrustmacher. Paris (?), um 1529. Michelet , Bogenmacher. Nogent, um 1400. Noli , Jehan, Klingenschmied. Tours, um 1488. Liefert dem Hofe. Page , Le, Büchsenmacher. Paris, um 1800. Drd. P. Pelouse , Büchsenmacher, Waffen- schmied. Paris. Arbeitet für Lud- wig XV. um 1760. Périer frères, Stückgiesser. Paris, um 1790. W. Pessonneau , der Ältere, Büchsenmacher. Lyon. 18. Jahrh. Pilon , Germain, Waffenschmied, Tau- siator. Paris, 16. Jahrh., Mitte. P. * Piraube , Bertrand, Büchsenmacher. Paris. Kommt 1670 in die Galerie des Louvre. W. Drd. L. Stockh. Winds. Wolw. W. Prevoteau , Waffenschmied, Schwert- feger. Paris, um 1790. Fertigt die Preise für die Volksfeste der Republik. * Raoult , Büchsenmacher. Versailles, Lyon, 18. Jahrh. Mch. * Renard , Louis, genannt Saint-Malo, Büchsenmacher. Paris. „Arquebusier et garde du cabinet des armes du Roy“. Seit 1643 im Louvre etabliert. Schüler seines Vaters Pierre. Renier , H., Büchsenmacher. Paris, 18. Jahrh. P. Renier , Jean, Büchsenmacher. Paris, 18. Jahrh. P. Selier , Philippe, Büchsenmacher. Paris, 18. Jahrh. P. W. E. Sellier , G. de, Büchsenmacher. Paris, 18. Jahrh. P. Simonin , Jean, Büchsenmacher. Lune- ville, um 1620. P. Spinelli , Nicolò, auch Nicolas de Florence oder Nicolò di Forzore, Gold- schmied. Lyon. Arbeitet kostbare Degengriffe, um 1485, starb 1499. Thomas , Claude, Büchsenmacher. Epinal, um 1620. E. Thomas de Milan, Plattner. Lyon. Arbeitet für Ludwig XI., 1466—1471. * Thurenne (Thuraine), de, kön. Büch- senmacher, Fachschriftsteller. Paris, um 1660. Liefert dem franz. Hof. Drd. P. Bez. zuweilen gemeinschaftlich mit einem Sohne Les Thuraines. Kop. Tondeux , Jehan, le, Armrustmacher. 4. Belgien, Niederlande. Paris? um 1480. Liefert Lud- wig XI. Trébuchet wird im Parsival als Waffen- schmied erwähnt. Villequin , Pierre, Messerer. Paris, um 1380. Liefert dem König. Woeiriot , Pierre, auch Pierre Woieriot de Bouzey, Bildhauer, Zeichner von Schwert- und Degengefässen. Lyon, geb. 1532. Bez. P. Woieriot Lotharingus. 4. Belgien, Niederlande. Alexandre , Jehan, Armrustmacher. Brüssel, 1520—1530. Artilleur l’, Jean, Bogenmacher. Bur- gund, 1400. Basse , Julian, Büchsenmacher. Brüssel, um 1620. Beugen , Pieter van, Büchsenmacher. Utrecht, 17. Jahrh. Stockh. Bol , Hans, Maler. Mecheln, Antwerpen. Amsterdam, gest. 1583. Fertigt Ent- würfe für Waffendekorationen. Breton , Pierre le, Bogenmacher. Lüttich? um 1538. Brugman , Hughes, Klingenschmied. Brüssel, um 1490. Cant , auch Kant, Cornelis, Büchsen- macher. Amterdam, 17. Jahrh. Kop. P. Ceule , Jean, Büchsenmacher. Utrecht, 17. Jahrh. Kop. Chastel , Thierry, Plattner. Brüssel. Hofplattner Philipp des Guten, 1432 1433. Cornet , du, Plattnerfamilie. Brügge, Valenciennes. Baltasar arbeitet in Brügge 1468 bis 1470 für den Herzog. Valentin arbeitet in Valenciennes als Hofplattner um 1468. Coster , Cornelis, Büchsenmacher. Utrecht, 18. Jahrh. W E. Ettor (Hector?), Waffenschmied. Flan- dern. Soll das Radschloss erfunden haben. 16. Jahrh.? (Siehe auch unter Italien Ettore.) Fourbisseur , Mathieu le, Waffen- schmied. Brüssel, um 1400. Fromont , Massin de, Plattner. Brüssel? Herzogl. Hofplattner, 1438—1440. Gheyn , Jacob de, Maler, Ornamentist, Zeichner von Prunkwaffen. Antwerpen, geb. 1565, gest. 1615. * Giammo , G., Büchsenmacher aus Flandern, arbeitet in England, 16. Jahr- hundert. Marke: ein Nagel. Gindertale , Lancelot de, herzogl. Hof- plattner. Brüssel, um 1460. God , Jehan, Schwertfeger. Brüssel, um 1460. Haye , Loys de la, Armrustmacher. Brügge, um 1440. Haynau , Guérart de, Waffenschmied Philipps des Guten. Brüssel, um 1444. Henry le serrurier, Armrustmacher. Brüssel, um 1304. Hogvorst , Jehan van, Armrustmacher. Mecheln. Liefert 1501 für Philipp den Schönen. Jaghere , Gille de, Klingenschmied. Gent, um 1540. La Pierre , Büchsenmacher. Maestricht, 17. Jahrh., Ende. op. Leblon , auch Le Blon, Michael, Gold- schmied, Zeichner von Prunkwaffen, Beschlägen u. dgl. Amsterdam, geb. 1587, gest. 1656. David , Büchsenmacher. Lüttich, 18. Jahrh. Stockh. Lodequin , Hughes, Waffenschmied. 42* VII. Die Beschau- und Meisterzeichen etc. Brüssel. Liefert 1407—1409 für Anton von Brabant. Malherbe , Oscar, Büchsenmacher. Lüttich. Verfertigte Tschinken. 18. Jahrh. Drd. Mehault , J., Bogenmacher. Arras, um 1419. Merate , Plattnerfamilie. Mailand-Arbois. Gabriel tritt mit seinem Bruder Francesco 1495 in die Dienste Maximilians I., arbeitete bis 1509 in Arbois in Flandern. Marke: Mercier , F., Büchsenmacher. Lüttich, 18. Jahrh. Bl. Merveilles , Jacques, Plattner. Tours, um 1510. Moniot , Vincent de, Plattner. Namur, gest. um 1632. Muldre , Lucas de, Armrustmacher. Brüssel, um 1469. Niquet , Claude, Büchsenmacher. Liège, 18. Jahrh. P. Pentermann , Büchsenmacher. Utrecht, 18. Jahrh., Anfang. E. W. * Ruphin , Ambroise, Plattner. Brüssel, um 1470. Rycker , Martin de, Spiessmacher. Brügge, 1520—1530. Arbeitete für Karl V. St. Catherine , Pieron de, Maler. Lille, Bogenmaler, um 1355. * Scroo , Francis, Plattner. Brüssel. Ist 1480—1496 Hofplattner Maximilians I. Sohlingen , Pieter van, Büchsenmacher. Utrecht, um 1760. Drd. Tanner , M. C. D., Sohn, Büchsen- macher. Lüttich, um 1760. Liefert dem hannov. und braunschweigschen Hof. P. E. Tomson \& Zoonen , Büchsenmacher. Rotterdam. Liefern für Napoleon I. P. Vestale , Lancelot de, Plattner. Brüssel. Ist um 1460 Hofplattner. Voys , Jacques, Plattner. Brüssel. Ar- beitet für Philipp den Schönen. Marke: Mdr. W. Wambaix , Pierre, Plattner. Brüssel. Arbeitet für Maximilian I. um 1496. Watt , Jehan, Plattner. Brüssel. Ar- beitet um 1496 für den Herzog. Wisseron , Jehan, Plattner. Brüssel. Arbeitet 1423—1440 für den Herzog. Wyk , Jean de, Büchsenmacher. Utrecht, 17. Jahrh. Kop. 5. Italien. Albergeti , auch Alberghetti , Ge- schützgiesserfamilie. Stammt aus Massa-Fiscalia. Antonio Orazio , Geschützgiesser der Republik Venedig, geb. da- selbst. 17. Jahrh. L. * Battista , genannt Zuanne, Ge- schützgiesser. Florenz. Sohn des Giulio. In Diensten Ferdinands II. von Toscana. Arbeitet auch mit Gian da Bologna, 16. Jahrh., Ende. 5. Italien. * Giovanni Battista , Geschütz- giesser. Venedig. Enkel Sigis- mondos. 17. Jahrh. Giulio , Geschützgiesser. Venedig, 16. Jahrh. * Sigismondo , der Ältere, Ge- schützgiesser. Venedig. Sohn des alten Albergeti und 1487 vom Senate angestellt, arbeitet dort bis 1524, geht nach Massa- Fiscalia bei Ferrara, lebte noch 1530. * Sigismondo , Geschützgiesser. Venedig. Arbeitete auch in Eng- land. V. Albergotti , Francesco, Laufschmied. Brescia, 17. Jahrh. Zeichnet: F. A. * Badile , Maffeo, Büchsenmacher. Brescia, 17. Jahrh., Ende. P. Bartolomeo da Cremona, Geschütz- giesser. Venedig, starb 1487. Bastiano da Pistoja, Laufschmied. Pistoja, 17. Jahrh. Zeichnet: B. P. Bernardino d’ Antonio di Milano (Mis- saglia?), Geschützgiesser der Republik Florenz 1497—1512. * Biancardi , Giov., Antonio, Plattner. Mailand. 16. Jahrh. Boia il, M., Büchsenmacher. Brescia, 17. Jahrh. Marke: eine Bärenpranke mit den Buch- staben M. B. Bonisolo , Antonio, Büchsenmacher. Brescia? 17. Jahrh. P. Bouquero , Stückgiesser. Turin, um 1810. P. W. Caffi , Lorenzo, Büchsenmacher. Italien, um 1620. Arbeitet für Lud- wig XIV. * Caino , Pietro, Klingenschmied. Mai- land, 16. Jahrh., Ende. Führte ver- schiedene Marken und zwar nebst dem Namen noch dreimal hintereinander die Buchstaben P. S. M., ferner den hier gegebenen Stempel: endlich auch zuweilen einen Mond. Klingen von ihm werden oft gefälscht. P. W. Bl. Stockh. Camelio , Vittore, Waffenschmied. Ve- nedig, Brescia, um 1500. Erfindet den leichten Stahl. * Campi , Bartolomeo, Goldschmied, Treibarbeiter, Kriegsingenieur. Mai- land. Gebürtig aus Pesaro, nach an- deren aus Cremona. Dient der Re- publik Venedig und dem Herzog Guidobald II. von Urbino, später Heinrich II. von Frankreich. Im Dienste Philipps II. von Spanien unter Alba, starb er vor Harlem 1573. Von ihm ein getriebener Schild, gefertigt für Karl V. um 1550, bez. B. C. F. und G. G. — Mdr. Cani , Ventura, Büchsenmacher. Bres- cia? um 1630. P. * Cantoni , Bernardino, Plattner. Mai- land. Arbeitet für Kaiser Maximi- lian I. um 1500. — Mdr. Caravaggio (Caldara), Polidore de, Maler. Neapel. Schüler Raphaels, zeichnete viele Degengriffe um 1530. * Caremolo di Modrone, Plattner. VII. Die Beschau- und Meisterzeichen etc. Mantua. Arbeitet für den spanischen und mantuanischen Hof, geb. 1489, gest. 1543. * Cenni , Cosimo, Geschützgiesser. Flo- renz. Stand im Dienste Cosimos von Medici, in Florenz, woselbst er eine reiche Thätigkeit entfaltete. Einer der besten Geschützgiesser, die es gegeben hat, arbeitet um 1630. Fl. * Censori , bedeutende Geschützgiesser- familie. Anchise , Sohn des Orazio, geboren in Bologna, arbeitet in Modena um 1550. Giovanni Battista , arbeitet in Ferrara um 1630. Orazio , geboren in Bologna. Rom, 16. Jahrh., 2. Hälfte. Chiesa , Pompeo della, königl. Plattner, Treibarbeiter, Tausiator. Mailand. Arbeitet für den spanischen Hof um 1590. T. W. Cinalti , der Ältere, Klingenschmied. Pisa, 16. Jahrh., Ende. Civo , Bernardo, Plattner. Mailand, Schüler des Biancardi s. d. Um 1560. Cominazzo , berühmte Laufschmied- familie. Brescia, Gardone. * Lazarino , der Jüngere, bez. La- zarino Cominazzo“, gest. 1696 zu Gardone. W. Bl. P. Drd. V. Mdr. Mch. Stockh. E. Kop. * Lazaro , der Alte, bez. „Lazari Cominaz“, um 1620. W. Cominazzo , Angelo Lazarino, Lauf- schmied. Gardone, 16. Jahrh. Mdr. Cominazzo , Bartolo, Laufschmied. Brescia, um 1804. Mdr. Conti , Nicolò de, Geschützgiesser. Ve- nedig, um 1570. Desandri , Juan, Klingenschmied. Bres- cia? 16. Jahrh. Bezeichnet mit dem Worte Scacchi. Bl. Diomede , Büchsenmacher. Brescia, 17. Jahrh. P. Donatello , Donato di Betto Bardi ge- nannt. Bildhauer, Goldschmied. Florenz, geb. 1383, gest. 1466. Fertigt auch Schwert und Degengriffe. T. Ettore , Büchsenmacher. Brescia. Nach Petrini ein Deutscher. Wird seiner berühmten Radschlösser wegen il gran Maestro da Brescia genannt. 16. Jahrh., Ende. Bez. H. T. Felliciano , Büchsenmacher. Verona. Nach Petrini ein ausgezeichneter Meister, führt als Zeichen eine Sonne. 16. Jahrh, Ende. Feramosca , Caesar, Goldschmied. Italien. Liefert Karl V. ein reich- geziertes Schwert. 1524. 5. Italien. * Ferrante , Bellino, Treibarbeiter, Tau- siator. Mailand, um 1570. * Ferrara , Andrea, Klingenschmied. Belluno, geb. um 1530, gest. nach 1583. W. Drd. P. Stockh. * Ferrara , Giandonato, Klingenschmied. Bruder des Vorigen. Belluno, 1560. Bez. Zandona. W. Drd. Bl. Stockh. * Figino , Giov. Pietro, Tausiator. Mai- land, um 1540. Nach Morigia No- biltà di Milano als Erfinder (!) der Tauschierkunst bezeichnet. Francini , Bartolin, Büchsenmacher. Florenz, 17. Jahrh. War ein Fran- zose, zeichnet B. F. und einen Phönix im Schilde. Francino , berühmte Laufschmied- familie. Brescia. Alessandro , 18. Jahrh. Drd. Claudio , Klingenschmied. Brescia, 17. Jahrh., Anf. Geronimo , 18. Jahrh. Drd. * Giovanni . sig. G. F., um 1640. W. Ambr. Mdr. P. Furmigano (Formicano?), Pietro An- tonio, Klingenschmied aus Padua, um 1570, der die Marken des Juan Mar- tinez sen. benützt. W. Gajardo , Giacomello, Armrustmacher. Venedig, um 1400. * Gavacciolo , Giovanni Antonio, Büchsenmacher, Eisenschneider. Bres- cia, 17. Jahrh. Schüler der Paratici (s. d.). Marke anfänglich G. A. G., später einen zur Sonne aufblickenden Adler mit der Umschrift: „Sole, Sole gaudet.“ Ghinello , Martino il, Tausiator. Mai- land, um 1580. Ghisi , Giov. Battista, genannt Man- tuano, auch Bertano, Bildhauer, Treib- arbeiter. Mantua, geb. zu Mantua 1503, gest. daselbst 1575. Von ihm ein berühmter Prunkschild. Giorgiutti , Giorgio, Klingenschmied. Belluno, 16. Jahrh. Guiano , Lorenzo (vielleicht Guaina und ein Bruder des Anchise d. N. in Mantua), Plattner. Brescia, um 1550. P. Harivel , Stückgiesser. Modena, um 1750. W. Lani , Gebrüder, Treibarbeiter, Tausia- toren. Florenz. Adriano , um 1530. Aluigi . Lazarino , siehe Cominazzo. Lazarino , Lazaro, Laufschmied. Bres- cia. Sig.: „Zaro Zarino“. 17. Jahrh., Ende. W. P. * Lemaitre , Guglielmo, von Geburt Franzose, genannt „il gran Maestro“, Eisenschneider in Waffen. Florenz, Anf. des 17. Jahrh. Arbeitet für Cosmos II. von Medici. Lermé , Büchsenmacher. Brescia, 18. Jahrh. W. Lopez , Francisco, Klingenschmied Neapel, 16. Jahrh., Ende. Kop. Lorenzoni , Micchele, Büchsenmacher. Florenz, 18. Jahrh., Anfang. Be- rühmter Konstrukteur. W. Kop. Maffeo , Büchsenmacher. Brescia, 17. Jahrh. P. * Maffia , Laufschmied. Pistoja, um 1590. Berühmt durch seine langen, bis 10 Ellen messenden Läufe. Bez. M. P. * Marchetti , Filippo, Laufschmied. Brescia, Ende des 16. Jahrh. Zeichnet mit Namen. Matinni Antanni , Klingenschmied. Italien, ein Meister Antonio Martini oder Martino Antani, der um 1550 arbeitet, er führt als Marke den ge- krönten Mohrenkopf. W. VII. Die Beschau- und Meisterzeichen etc. Mazzaroli , Francesco, der Ältere, Büchsengiesser. Venedig, um 1670. W. Zarsk. Stockh. Mazzaroli , Giovanni, der Jüngere, Büchsengiesser. Venedig, um 1708. Kop. Michelagnolo (Viviani), Plattner. Florenz. Arbeitet für Julian von Medici. 15. Jahrh., Ende. Missaglia da , eigentl. Negroli, Waffen- schmiedfamilie. Mailand. * Antonio , Sohn des Tomaso, her- zogl. Hofplattner, gest. nach 1492, führte nachfolgende Marken: * Petrajolo , herzogl. Hofplattner, um 1390. Marken: * Tomaso , herzogl. Hofplattner, gest. wahrscheinlich 1468, führte ähnliche Marke wie Petrajolo. Arbeitet für den pfälzischen Hof. Mitiano , Klingenschmied. Arezzo, 17. Jahrh., Anfang. Seine Klingen zählten zu den besten Italiens. * Mola , Gasparo, Goldschmied, Me- dailleur, Waffenschmied. Mailand, geb. zu Breglio, arbeitet für den sa- voyschen und florentinischen Hof, starb 1640 zu Rom, sig. G. M. F. Fl. Motta , Giovanni, Klingenschmied. Neapel? 16. Jahrh., Mitte. Kop. * Mutto , Geronimo, Büchsenmacher. Ital. 18. Jahrh. P. Mutti , G. J. E., Laufschmied. Italien. Marke: Giraffe, Sterne u. a. Zeichen. Drd. Negroli , Waffenschmiedfamilie. Aus der Familie der Missaglia. Mailand. * Francesco arbeitet für den kaiserl. und mantuanischen Hof, ist im Hofstaate des Kaisers angestellt, 1549 bis 1551. Mdr. * Giacomo , des Vorigen Bruder, Zeichnet wie Philipp mit vollem Namen. W. * Philipp , der Vorigen Bruder, arbeitet für den kaiserl. Hof, für Frankreich und die Herzoge von Savoyen und Urbino, meist in Ver- bindung mit Giacomo, seinem Bruder, 1530—1590. Mdr. W. Neron , Damianus de, Waffenschmied, Tausiator. Venedig, um 1550. So dürfte der Meister der Inschrift auf einem Degen: „DAMIANVS. DE NERVE“ zu deuten sein. W. Paras , Albergh (Albert), Niederländer. Nach Petrini bedeutender Klingen- schmied. Florenz? 16. Jahrh . Bez. A. P. * Paratici , Battistino, Büchsenmacher. Brescia. Arbeitete auch in Florenz. 17. Jahrh., Anf. Marke: 5. Italien. Parigino , Gian, Büchsenmacher. Flo- renz, 16. Jahrh., Ende. Marke: Lilie, im Schilde daneben G. P. Patrolaus , Klingenschmied. Italien? 15. Jahrh. Bl. Pedro di Napoli, Klingenschmied. Neapel, 16. Jahrh., Ende. Kop. Petrini , Giuseppe, Waffenschmied. Florenz, Hofkünstler Cosmos II. von Medici, 17. Jahrh., 1. Hälfte. Piatti , Bartolomeo, Tausiator. Mai- land, um 1560. * Piccinino , Waffenschmiedfamilie. Mailand. Antonio , Klingenschmied, geb. 1509, gest. 1589. Ältere Marke. Jüngere Marke. W. P. Mch. Mdr. V. Bl. L. Frederigo , des Vorigen Sohn, Klingenschmied. Arbeitet bis über 1600. Marke: P. Drd. H. * Piccinino , Lucio, des Vorigen jün- gerer Bruder, Waffenschmied, Treib- arbeiter, Tausiator. Mailand. Sohn des Antonio, arbeitet für Karl V. und Aless. Farnese, 1550—1570. W. Bl. Z. Pierus , Klingenschmied. Rom? um 1446. Arbeitet für Papst Eugen IV. Sig. „Pierus me fece“. Pillizone , eigentlich Pellizoni, Fran- cesco, genannt il Basso, Tausiator. Mailand, 16. Jahrh. * Piripe , später Pifanio (Stefano), Tacito genannt, Treibarbeiter. Arbeitet für den florentinischen Hof und für Ur- bino um 1550. Zarsk. Repa , Treibarbeiter in Waffen. Florenz. Arbeitet für Guidobald II. von Ur- bino. Nach Petrini ein Sohn des Numa Babilonico. (?) Pisano , Vittore, Bildhauer, Baumeister. Pisa, Florenz, Venedig, zeichnet Geschützmodelle, gest. 1345. Rivolta , N., Klingenschmied. Mai- land. Sig.: Il Rivolta in Milano alla Corona. * Rizzo , Paolo, erscheint auch unter Die Beschau- und Meisterzeichen etc. Paolo Azzimina, Tausiator. Venedig, um 1580. V. Romero , Antonio, Plattner. Mailand, um 1590. Arbeitet für Alfonso II. d’Este von Ferrara. * Serabaglia , Giovanni B., aus der Familie der Busti, Waffenschmied, Tausiator. Mailand, um 1560. Arbeitet für Erzherzog Ferdinand von Tirol. Serafino , genannt Bresciano, Waffen- schmied, Tausiator. Brescia. Arbeitet für Franz I. von Frankreich um 1540. Sirrico , Pirro (Pietro), Waffenschmied. Florenz. Arbeitet für Karl V. um 1550. Spacini , Hieronymus, Treibarbeiter. Mailand, ein Bologneser. Arbeitet für Karl V. um 1550. Turcone , Pompeo, Treibarbeiter. Mai- land, um 1580. Valerio , Vincenzo, Tausiator. Rom. Arbeitet für den mantuanischen Hof um 1520. Venasolo , Antonio, Büchsenmacher. Brescia, 16. Jahrh, Ende. Mdr. * Verdiani , Rafaele, Büchsenmacher. Florenz. War nach Petrini ein Schüler des Antonio von Medici. 17. Jahrh. Visin , Renaldo de, Armrustmacher. Asolo, um 1560. V. Zoppo , Klingenschmied. Pisa, 17. Jahrh., Anfang. 6. Spanien. Portugal. Aguado , Lupus, Sohn des Juan Mutelo, Klingenschmied. Toledo, San Clemente, um 1560. Mdr. Aguirre , Domingo, Sohn des Nicolas d. N. des älteren, führte auch dessen Marken und auch den Phönix. Aguirre , Hortuno de, Nicolas, der Äl- tere, Klingenschmied. Toledo, um 1580. Aguirre , Hortuno de Nicolas, der Jüngere, Klingenschmied. Toledo, um 1630. Bl. Mdr. W. Stockh. Alcado , C., Klingenschmied. Toledo. Arbeitete auch in Cuella und in Ba- dajoz, 17. Jahrh., Anf. Alcazes , Francisco de, Klingenschmied. Toledo. Arbeitete auch in Madrid, 16. Jahrh., Ende. Alman , Gil de, wahrscheinlich de Ale- mania und ein Bruder des Juan d. N., Klingenschmied. Toledo, um 1560. Führt das gleiche Zeichen mit dem Letztgenannten. Alman , Juan de, wahrscheinl. de Ale- mania, Klingenschmied. Toledo, um 1550. Führt als Marke zwei Sterne: 6. Spanien, Portugal. Arechiga (Achega), Pedro de, Klingen- schmied. Toledo, 17. Jahrh., Anf. Er führte nebst dem Toledaner Stem- pel nebenstehende Marke: Armenta , José de, Büchsenmacher. Ciudad de los Angelos (Mexiko), um 1705. Mdr. Avila , Fabianus de, Tausiator. Spanien, Hofkünstler Karls V., 1547—1548. * Ayala , Thomas, Klingenschmied. To- ledo, 17. Jahrh., 1. Hälfte. Soll von 1615—1625 gearbeitet haben. W. P. Drd. Bl. T. Führt nebenstehende Marken: Azcoitia , Armrustmacher-Familie. Ma- drid? el viejo, um 1550. Christobal , de, um 1590. Juan . Balbastro , Armrustmacher. Monzon (Aragonien), um 1530. Ballesteros , Francisco, Stückgiesser. Madrid, um 1620. Mdr. Belen , Juan, Büchsenmacher. Barcelona, um 1690. Arbeitet für Karl II. Marke: ein steigender Löwe. Belén , Juan, Büchsenmacher. Madrid, um 1680. Mdr. Bis , Francisco, Büchsenmacher. Madrid, um 1730. Soll nach Marchesi ein Deutscher gewesen sein. Mdr. Bis , Nicolás, Büchsenmacher. Madrid, um 1730. Mdr. Drd. Marken: ein Kreuz, ein Reichsapfel, vier Blätter in Gold eingeschlagen, ferner: Blanco , Juan, der Ältere, Armrust- macher. Spanien, um 1550. * Bustindui , Juan Esteban, Büchsen- macher. Eibar., um 1800. P.W.Mdr. Bustindui , Jusepe, Büchsenmacher. Valencia. W. Marke: Bustindui , Santos, Büchsenmacher. Valencia. Mdr. Calisto , Luis, Klingenschmied. Toledo, 18. Jahrh., Mitte, geb. um 1690. Der Wiederbegründer der Klingenindustrie Toledos. 1760. * Cano , José, Büchsenmacher. Madrid. 1730—1750. Cantero , Miguel, Klingenschmied. To- ledo? um 1560. Signiert zuweilen: „Opus laudat Artificium. Miguel Cantero“. Mdr. Stockh. * Clamade , Domingo Sanchez, genannt el Tigerero, Klingenschmied. Toledo, VII. Die Beschau- und Meisterzeichen etc. um 1590. Führte als Marke eine Schere: Michele Sanchez , dessen Bruder, arbeitet auch in Lissabon. Führt das gleiche Zeichen. * Coma , vielleicht Antonio Comas, be- rühmter spanischer Laufschmied, des- sen Arbeiten die ersten Büchsenmacher benützten. 18. Jahrh. Drd. Corrientes , Dionisio, Klingenschmied. Toledo. Corrientes , Domingo, Klingenschmied. Toledo. Arbeitet auch in Madrid. 16. Jahrh., Ende. Cristobal , Francesco, Stückgiesser. Malaga. Christobal , Bartolomeo, Stückgiesser. Malaga. Arbeiten beide für Chr. Co- lumbus. Ende des 15. Jahrh. Delaorta , Johannes, auch dela Horta, Klingenschmied. Spanien, um 1545. P. Ein gleichzeitig wirkender dieses Namens führt die Marke: Domingo , il maestro, der Ältere, Klin- genschmied. Toledo, 16. Jahrh., 2. Hälfte. Domingo , il maestro, der Jüngere, Klingenschmied. Toledo, 17. Jahrh. Anfang. * Esquivel , Diego, Büchsenmacher. Madrid, um 1720. Mdr. Marke: ein Hirsch, ein Kreuz und vier Granatäpfel in Gold ein- geschl. Fernandez , Juan, Armrustmacher. Spanien 1550. Mdr. Fernandez , Juan, Büchsenmacher. Madrid, um 1720. Mdr. * Fernandez , Caspar, Büchsenmacher. Salamanca. Einer der besten Meister arbeitete für König Ferdinand. Fernandez , G., Laufschmied. Spanien, 18. Jahrh. Drd. Marke: 1 Pferd und 6 Sterne. Fernandez , Juan, Laufschmied. Spa- nien, 18. Jahrh., Ende. Drd. W. Marke: Adler mit Reichsapfel und Szepter und 3 Lilien. Frisleva (Freysleben?), Cristobal, Lauf- schmied. Ricla, um 1560. Mdr. Marke: X. Gaya , Thomas, Klingenschmied. To- ledo, Anfang des 17. Jahrh. P. Wahrscheinlich richtiger Thomas Ayala s. d. Gonzalo , Simon, Klingenschmied. To- ledo, um 1617. Führt als Marke ein G in einem Schilde. 6. Spanien, Portugal. Gomez , Francisco, Klingenschmied. Toledo, 16. Jahrh., Ende. Gomez , Jusepe, Sohn des Francisco, Klingenschmied. Toledo, 17. Jahrh., Anfang. Hera , Jusepe de la, Klingenschmiede. Toledo. Unter diesem Namen er- scheinen vier Meister, vom Alten bis zum Urenkel herab. Die beiden äl- teren führten als Marke in einem Schilde ein G, darunter ein S längs durchstrichen, die beiden jüngeren die Devise: „La misma“. Hernandez , Pedro, Klingenschmied. Toledo, 17. Jahrh., 1. Hälfte. P. Drd. Marken: * Hernandez , Sebastian, der Ältere, Klingenschmied. Toledo, um 1570. Mdr. Bl. W. Drd. Marken: Sebastian , der Jüngere. Toledo, um 1630. Arbeitet auch in Sevilla. Führte als Marke den „wilden Mann“. W. Joannes , Klingenschmied. Toledo, Valenzia, 16. Jahrh., 1. Hälfte. Ar- beitete für Kaiser Karl V. Mdr. Juanes , genannt der Alte, Klingen- schmied. Toledo, 16. Jahrh. Juani , auch Ivanni, Klingenschmied. Spanien, um 1554. Zeichnet mit dem Halbmond wie Juan Martinez sen. und vermutlich identisch mit ihm. W. Lafra , Adriano de, Klingenschmied. Toledo. Arbeitete auch in San Cle- mente, 16. Jahrh., Ende. Lazama , Pedro de, Klingenschmied. Toledo, Sevilla, 16. Jahrh., Mitte. W. Lazonetta , Pedro de, Klingenschmied. Toledo. Arbeitete auch in Bilbao. Lechuga , Cristobal, Modelleur von Geschützen, Fachschriftsteller. Baeza, 16. Jahrh., Ende. Mdr. * Lopez , Francisco, Büchsenmacher. Madrid, um 1760. Einer der besten Meister, arbeitete für Karl III. VII. Die Beschau- und Meisterzeichen etc. Marcuarte , Klingenschmiedfamilie. Spanien. Felipe , Bruder des Simon d. j. Pedro , dessen Bruder, arbeiten für Philipp III. und IV. Simon , der Alte, um 1600 Simon , der Junge. Marke: eine Sichel im Schilde. * Martinez , Juan, der Ältere, Klingen- schmied. Toledo, Espadero del Rey, 16. Jahrh., Mitte. Devise: „In te Domine speravi non.“ Führt das Zeichen des Espadero die gekrönte Lilie, ferner den Halbmond. Die im Palomares angeführte Marke findet sich auf keiner seiner Klingen. Mdr. W. Martinez , Juan, der Jüngere, Klingen- schmied. Toledo, 16. Jahrh., 2. Hälfte. Devise: „In te Domine speravi.“ Mdr. W. Martinez , Juan, aus der Familie Menchaca, Klingenschmied. Toledo, 17. Jahrh., Anf. Arbeitet auch in Lissabon. Micerguillo , Büchsenmacher. Madrid, San Clemente? 16. Jahrh., 2. Hälfte. Mdr. Miguel , Armrustmacher. Saragossa, um 1533. Monte del, Pedro, Klingenschmied. Spanien, Toledo? 18 Jahrh. Marke: Halbmond. Drd. Munesten , Andreas, Klingenschmied. Toledo, Calatayel. Scheint mit dem Deutschen Andreas Munsten, in So- lingen identisch zu sein, s. d. 17. Jahrh., Anf. Munoz , Pedro, genannt il Toledano, Büchsenmacher. Sevilla, um 1600. Bez. mit ganzem Namen. Orengo , Juan, Klingenschmied. Tor- tosa, 15. Jahrh. Marke unbekannt. Orozco , Domingo de, Klingenschmied. Toledo, 16. Jahrh., Ende. Orozco , Pedro de, Klingenschmied. Toledo. Vermutlich ein Bruder des Vorigen. Führt die Marke Domingos und die nebenstehende Palacios , Pedro, Büchsenmacher. Spa- nien, 16. Jahrh., Ende. Mdr. Pueblas , Armrustmacher. Madrid, um 1560. L. Reduan , Waffenschmied Boabdils. To- ledo, Sevilla? 15. Jahrh., 2. Hälfte. Mdr. Wahrscheinlich identisch mit dem späteren Julian del Rey s. d. Rey , Julian del, Klingenschmied. Gra- nada, Saragossa und Toledo. Ein Maure, nahm um 1495 das Christen- tum an, wobei Ferdinand der Katho- lische sein Taufpate war. Seine Marke eine einem Hunde ähnliche Figur: 6. Spanien, Portugal. wahrscheinlich aber eine Nachahmung des Passauer „Wolf“. Der ursprüng- liche Name des Julian vor seiner Be- kehrung war vermutlich Reduan s. d. Rey soll auch andere als die oben angegebene Marke geführt haben, u. a. auch einen Halbmond. Arbeitet später für Karl V. Mdr. V. Reyna , de la, Büchsenmacher. Madrid, um 1750. Rios , Alonso de los, Klingenschmied. Toledo. Arbeitete auch in Cordova, 16. Jahrh., Ende. Ruiz , Antonio, der Alte, Klingenschmied. Toledo, Madrid, um 1520. Ruiz , Francisco, der Ältere, Klingen- schmied. Toledo, um 1617. Bl. Drd. Ruiz , Francesco, der Jüngere, Klingen- schmied. Toledo, 17. Jahrh., 1. Hälfte. Stockh. Ruiz , Juan, um 1590. Ruiz , Sebastian, Rappiermacher Kaiser Maximilians II. um 1568—1570. Geht in letzterem Jahre nach Spanien zurück. * Sahagun , Alonso de, der Ältere, Klingenschmied. Toledo, um 1570, Ende. Die Sahagun führen den Na- men nach der Stadt im Königreiche Leon. Marke: ein gekröntes S, zu- weilen auch den Doppeladler tief im Gesenk. P. W. Sahagun , Alonso Luis de, der Jün- gere. Toledo. Führte ein gekröntes S ähnlich dem vorigen. W. Stockh. Sahagun , Luis de, Klingenschmied, Sohn des älteren Alonso d. N. Toledo. Führt die Marke des Vaters. Sahagun , Luis de, Sohn des jüngeren Alonso d. N. Führt die Marke des Vaters. Salado , Juan, Büchsenmacher. Arbei- tete an verschiedenen Orten, zuletzt in Salamanca, um 1580. Marke: ein Pferd. Salcedo , Juan de, Klingenschmied. Toledo. Arbeitete auch in Valladolid, 16. Jahrh., Ende. Sutil , Manuel, Büchsenmacher. Madrid, um 1735. Mdr. Toro , Juan de, Sohn des Pedro d. N. VII. Die Beschau- und Meisterzeichen etc. Klingenschmied. Toledo, 17. Jahrh., Anfang. Toro , Pedro de, Klingenschmied. To- ledo, 16. Jahrh., Ende. Velmonte , Pedro del, Klingenschmied. Toledo. W. Velmonte , Luis de, Sohn des Pedro, Klingenschmied. Toledo, 17. Jahrh. Führt die Marke seines Vaters. Ventura , Diego, Büchsenmacher. Ma- drid, um 1720. W. Drd. Marke: ein Hund, ein Kreuz und 9 Lilien. Zabala , Andreas Martinez de Garcia, genannt Zabala der Junge. Klingen- schmied. Toledo. Zabala , Juan Martinez de Garcia, ge- nannt Zabala der Alte, Klingenschmied. Toledo, um 1550. Zamora , Francisco de, Klingenschmied. Toledo. Arbeitete auch in Sevilla, 16. Jahrh., Ende. 7. Russland und der Orient. Ali (Abu Abi) , Büchsenmacher. Argél. 18. Jahrh. Zeichnet: Mdr. Ali , Waffenschmied. Afrika. Um 1550. Aristoteles von Bologna, Büchsen- giesser. Moskau. Um 1460. Bascat , Ali Mustapha, Büchsenmacher. Türkei. 18. Jahrh. Mdr. Essedullah , Klingenschmied. Ispa- han. Um 1839. W. Höder , Martin H., Büchsenmacher, Moskau. Um 1690. E. Jasátzuná , Klingenschmied. Japan, Provinz Echisen. Arbeitete um 1500 für die Familie Jokugawa, aus welcher 7. Russland und der Orient. der jetzige Kaiser stammt und führt deren Wappen als Marke. Wir verzeichnen hier einige der berühmtesten und ältesten Klingen- schmiede Japans, deren Arbeiten sich in der in ihrer Art einzig da- stehenden Messersammlung der k. k. Versuchsanstalt für Eisen- und Stahl- industrie zu Steyr in Oberösterreich finden. Der Gründer und Vorstand dieser Sammlung, Kustos J. Peter- mandl , hatte die Güte, uns nicht allein die Daten über selbe, sondern auch deren Marken in guten Ab- drücken zu liefern, für welche kolle- giale Gefälligkeit wir demselben hier unseren verbindlichsten Dank sagen. Die Erwerbungen an japanesischen Klingen jener Sammlung stammen aus dem Nachlasse des 1884 verstorbenen Dr. Albrecht von Roretz , welcher längere Zeit als Professor und Spital- arzt in Nangoin bei Kioto angestellt war. Von diesem Sammler stammen auch die uns gütigst übermittelten Daten. Ismael , Geschützgiesser. Konstanti- nopel. Um 1201 der Hedschra. * Jukimitzu , der älteste und berühm- teste Klingenschmied in Japan, Pro- vinz Soshin, um 1000 n. Chr., Vater und Lehrer des berühmten Klingen- schmiedes Masamune (s. d.). Seine Klingen, ungemein selten, werden fast nur mehr in Tempeln als Weihge- schenke getroffen. Seine Marke können wir nur in einigen Spuren nach- weisen, doch können diese noch zum Vergleiche mit anderen echten seiner Hand dienen. Karaihi , Osman, Büchsenmacher, Lauf- schmied. Türkei. 13. Jahrh. Mdr. Komaï , Tausiator. Tokio in Japan, 16. Jahrh. Kuniharu , Klingenschmied. Provinz Boeheim , Waffenkunde. 43 VII. Die Beschau- und Meisterzeichen etc. Janata. Seine Klingen waren sehr beliebt, er arbeitete auch für den berühmten Feldherrn Shigeniuri aus Nagato. Kütschük , Ali, Laufschmied. Türkei, 18. Jahrh. Másamune , Klingenschmied. Japan, Provinz Soshin, um 1150. Führte keine Marke. Das Handwerk war lange Zeit in der Familie vererbt, so dass echte Klingen des hier bezeich- neten ältesten der Familie und be- rühmtesten nur in der Leichtigkeit der Klinge und der Feinheit der Schneide zu erkennen sind. Viele Fälschungen. Muramassa , Klingenschmied. Japan, Provinz Soshin, um 1300. Seine Klingen gelten einzelnen Familien als unglückbringend, so auch der kai- serlichen; man betrachtet sie mit aber- gläubischer Scheu. Der Stahl seiner Klingen ist eigentümlich dunkelschim- mernd, die Klinge selbst vorzüglich schneidend. Sádajuki , Klingenschmied. Provinz Jámató in Japan, um 1200. Sadamune , Klingenschmied. Japan, Provinz Soshin, um 1260. Adoptiv- sohn und Schüler Másamunes s. d. Seine Klingen, besonders der Panzer- stecher „ken“ sind hoch geschätzt. Führt auf der Angel keine Marke, nur auf der Klinge eigentümliche Zeichen. 8. Monogrammisten. Sarazenische Marke des 13. Jahr- hunderts in Goldtausia auf der Klinge eines Schwertes, welches dem Cid zuge- schrieben wird. Mdr. Deutsche Klingenschmiedmarke. 14. Jahrh. W. Deutsche Klingenschmiedmarken 14. Jahrh. eingehauen. W. Klingenschmiedzeichen in Messing tauschiert. 13. Jahrhundert, welches im 14. und 15. Jahrhundert häufig nach- geahmt wird. Italienisch. W. Unbekannter, vermutlich spanischer Stechzeugplattner, der für Karl V. um 1520 arbeitet. Mdr. Unbekannter, vielleicht niederländi- scher Plattner vom Ende des 15. Jahr- hunderts. Mdr. 8. Monogrammisten. Unbekannter spanischer Plattner. 16. Jahrh. Mdr. Marke am Schwerte des heiligen Mauritius. Sarazenisch. Anfang des 12. Jahrhunderts. W. Zeichen der Klingenschmiede von Lyon (nach Hiltl). 16. Jahrh. Mitte. Zeichen der Waffenschmiede von Abbeville. Beschaumarke der Waffenschmiede von Augsburg. Der Pinienapfel oder sogenannte „Stadtpyr“. Marke auf dem Zeremonienschwerte des römisch-deutschen Reiches in Gold tauschiert. 12. Jahrh. Ende. W. Unbekannter Plattner vom Ende des 15. Jahrhunderts. Italienisch, vielleicht Mailändisch. W. Mdr. Marke der kgl. Plattnerwerkstätte zu Arbois in Burgund, errichtet von Maximilian I. und geleitet von den Mai- länder Plattnern Gabriel und Francesco Merate, 1498—1509. W. Die sogenannte Skorpionmarke eines vielfach thätigen Mailänder Klingen- schmiedes. Sie erscheint auch mit dem Buchstaben M. 16. Jahrh. Anfang. W. Bl. Drd. Unbekannter deutscher vielleicht Augsburger Plattner vom Anfange des 16. Jahrhunderts, der für Karl V. ar- beitet. W. Unbekannter Augsburger Plattner. Um 1490. W. 43* VII. Die Beschau- und Meisterzeichen etc. Beschaumarke der Waffenschmiede von Nürnberg. Das geteilte Nürnberger Wappen. 16. Jahrh. Anfang. Klingenschmiedzeichen auf einem Schwerte Karls IV. Belluneser Meister des 14. Jahrh. Drd. Unbekannter deutscher Plattner und Klingenschmied. Um 1500, der für Maximilian I. und Philipp den Schönen arbeitet. W. Unbekannter Augsburger Plattner. Um 1500. W. Unbekanntes, vermutlich Brescianer Klingenschmiedzeichen des 16. Jahrh. W. Drd. Bl. Vdg. Marke vom Schwerte des heiligen Ferdinand. 13. Jahrh. Mdr Monogramm eines bedeutenden deut- schen Ätzmalers. Um 1500. W. Marke am Schwerte Ferdinands des Katholischen. In Kupfer tauschiert. 15. Jahrh. Vermutlich Mailändisch. Mdr. Marke auf Brescianer Klingen. 16. Jahrh. W. Drd. P. Bl. Beschaumarke der Klingenschmiede von Mailand. 16. Jahrh. W. Bl. Drd. Mdr. Häufig vorkommendes italienisches Klingenschmiedzeichen, mit welchem um 1530 ein Meister für Karl V. thätig ist, das aber bis ins 17. Jahrhundert auch von Solinger Meistern geführt wird. W. Unbekannter Mailänder Klingen- schmied. 16. Jahrh. W. Drd. Bl. Vdg. Mdr. Marke auf mit Valencia bezeichneten Klingen. 16. Jahrh. Drd. Unbekannter italienischer Klingen- schmied. Um 1510. Bl. Französisches Klingenschmiedzeichen unter Ludwig XII. 15. Jahrh. Ende. 8. Monogrammisten. Französischer Klingenschmied. 16. Jahrh. Bl. Zeichen der Klingenschmiede von Rheims (nach Hiltl). Bl. Französisches Klingenschmiedzeichen aus der Zeit Franz I. 16. Jahrh. Bl. Unbekannter italienischer, vielleicht Mailänder Plattner vom Ende des 15. Jahrhunderts. W. Behördliche Beschaumarke von To- ledo auf Klingen. 16. Jahrh. Zeichen des Espadero del Rey oder königlichen Schwertfegers in Spanien. 16. Jahrh. Die Fischmarke, berühmte türkische Klingenschmiedmarke. Berühmte türkische Klingenschmied- marken. Berühmte türkische Klingenschmied- marke. Häufig auftretendes Zeichen auf alt- arabischen Klingen, den Dsû-l-fakâr dar- stellend. Indisch arabische Marken aus Gorka im Nepaul. Zarsk. Unbekannter Augsburger Plattner. Um 1530. W. Mailänder Klingenschmied. Um 1540 W. Mailänder Klingenschmied. Um 1560. W. VII. Die Beschau- und Meisterzeichen. Behördliche Beschaumarke auf Klin- gen von Venedig. 16. Jahrh. Anfang. W. Vdg. Klingenschmiedmarke. Italienisch. Um 1500. Klingenschmiedmarke. Italienisch. Um 1500. Beschaumarke der Plattner und Klin- genschmiede von Wien. 15. u. 16. Jahrh. W. Marke auf Landsknecht-Schwert- klingen. 16. Jahrh. Anfang. Eingeschlagenes Zeichen auf Schäften von echtem Ebenholz an Augsburger Gewehren. 16. Jahrh. Ende. Unbekannter Atzmaler Deutsch. 16. Jahrh. Anfang, vielleicht Michael Gemlich. Unbekannter Augsburger Stechzeug- plattner. 15. Jahrh. Ende. Unbekannter Augsburger Stechzeug- plattner. 15. Jahrh. Ende. Unbekannter Stechzeugplattner, viel- leicht Merate. 15. Jahrh. Ende. Zeichen auf Mailänder Klingen 16. Jahrh. Zeichen der Suhler Laufschmiede 17. Jahrh. Unbekannte Klingenschmiedmarke vielleicht der Innsbrucker Treytz s. d. Unbekanntes italienisches Klingen- schmiedzeichen. 16. Jahrh. Marke von Pistoja auf Gewehrläufen. 18. Jahrh 8. Monogrammisten. Marke der Werkstätten von Bilbao. Unbekannter niederländischer Plattner der für König Philipp IV. von Spanien arbeitet. 17. Jahrh. Eingehauene Marke auf Steyr’er Klingen des 17. Jahrhunderts, die häufig irrige Schätzungen veranlasst. Unbekannter Landshuter Stechzeug- plattner vom Ende des 15. Jahrhunderts. vielleicht Franz Grossschedl s. d. Die Armrust mit dem Marcuslöwen, Häufig vorkommende geschätzte Marke eines Belluneser Klingenschmiedes, der für die Republik Venedig arbeitet. Das Schiff. Geschätzte Belluneser Marke auf venezianischen Klingen, die aber auch, wie wir bemerkt haben, von Solinger Werkstätten, wie von Clemens Kuler, nachgeahmt wird. Italienische Marke spanischer Form, vermutlich Brescianisch. 16. Jahrh. Der sogenannte kleine Mond. Bres- cianer Marke des 16. Jahrhunderts. Die Brille, Oberitalienische Marke der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts. Unbekannter oberitalienischer Meister der unter dem spanischen Zeichen der Espadero del Rey arbeitet. 17. Jahrh. Unbekannter Meister, vielleicht Juan dela Orta. Berühmter Büchsenmacher aus Nürn- berg, A · K mit dem Zeichen der Traube. 16. Jahrh. Berühmter Augsburger Radschloss- macher I · H mit dem Zeichen der Hand. 16. Jahrh. Berühmter Radschlossmacher aus Nürnberg, vielleicht Peter Danner, mit dem Zeichen der Hand. 17. Jahrh. Anfang. VII. Die Beschau- und Meisterzeichen etc. Unbekannter Klingenschmied mit dem Zeichen der Lichtscheere auf dessen Klingen, auch der Wolf und der Reichs- apfel in Tausia erscheint. Deutscher Büchsenmacher mit dem Zeichen der Schlange von 1562. W. Bl. Mailänder Klingenschmied, dessen Klingen Damianus de Neron benützt. W. Zeichen der königlichen Waffenfabrik in Neapel unter Karl III. 18. Jahrh. Marke eines deutschen Meisters, der den Toledaner Stempel und das Zeichen des Espadero del Rey benützt. 17. Jahrh. Nürnberger Laufschmied vom An- fange des 17. Jahrhunderts, der ausge- zeichnete gezogene Rohre fertigt. Vorzüglicher Büchsenmacher, der aussergewöhnlich schön gearbeitete Faust- rohre liefert. Von ihm ein Faustrohr des sächsischen Generals Teufel von 1556. Bl. Ansehnlicher Nürnberger Büchsen- macher vom Ende des 16. Jahrhunderts. Bedeutender Laufschmied, wahr- scheinlich aus Augsburg, der auch das Zeichen des Spornes führt. 16. Jahrh. Ende. Bl. Berichtigungen. Seite 96, 9. Zeile v. u. ist nach dem Worte Schössen einzuschalten: und Gesässschurz. „ 96, 7. „ „ „ statt Vorderschurz zu setzen: Gesässschurz. „ 97, 6. „ „ „ ist der Zwischensatz, des Verteidigers von Wien 1529, zu streichen und dafür zu setzen: gest. 1550. „ 99, 9. „ „ „ ist statt Desiderius zu setzen: Koloman. „ 124, 16. „ „ „ „ „ der Codex aureus zu setzen: Psalterium aureum. „ 125, 8. „ „ „ „ „ Codex zu setzen: Psalterium. „ 190, 11. „ „ o. „ nach dem Worte angezogen einzuschalten: wurden. „ 197, 15. „ „ u. „ statt Codex zu setzen: Psalterium. „ 213, 7. „ „ o. „ „ 228 zu setzen 230. „ 220, 3. „ „ u. „ „ Thunschen zu setzen: Thun’schen. „ 224, 10. „ „ o. „ „ Codex aureus zu setzen: Psalterium aureum. „ 255, 15. „ „ „ „ „ Schweinschwerter zu setzen: Schwein- oder Anlauf- schwerter. „ 360 Der Text der beiden Figuren 423 und 424 ist zu verwechseln. „ 544, 2. Zeile v. u. ist statt Stechtartsche zu setzen: Renntartsche. „ 548. In Figur 634 sind Verwechselungen vorgekommen, so ist d ein Turnier- spiess und gehört zu Figur 638. „ 551. In Figur 638 sind b und c Scharfeisen und gehören zu Fig. 548. „ 640, 13. Zeile v. u. ist nach Linz einzuschalten: gegenwärtig im Museum Francisco-Carolinum daselbst. Druck von Ramm \& Seemann in Leipzig.