Briefe aus Paris 1832—1833 von Ludwig Boͤrne . Sechster Theil . Paris . Bei L . Brunet . 1834 . Gesammelte Schriften von Ludwig Boͤrne . Vierzehnter Theil . Paris . Bei L . Brunet . 1834 . Inhalt zum VI. Bande. Ein und zwanzigster Brief Seite 1 Zwei und zwanzigster Brief 15 Drei und zwanzigster Brief 28 Vier und zwanzigster Brief 43 Fünf und zwanzigster Brief 54 Sechs und zwanzigster Brief 74 Sieben und zwanzigster Brief 87 Acht und zwanzigster Brief 106 Neun und zwanzigster Brief 118 Dreißigster Brief 135 Ein und dreißigster Brief Seite 160 Zwei und dreißigster Brief — 179 Drei und dreißigster Brief — 197 Vier und dreißigster Brief — 201 Fünf und dreißigster Brief — 222 Sechs und dreißigster Brief — 225 Ein und zwanzigster Brief. Paris, Montag, den 21. Januar 1833. H eute ist der Jahrestag der Hinrichtung Lud¬ wig XVI . Es sind gerade vierzig Jahre. Um diesen jour funeste et à jamâis déplo¬ rable , wie vorgestern die Pairskammer beschlossen, religiös würdig zu feiern, mit Gebet, Reue, Buße und Thränen, um zu zeigen wie jede Republik eine Tiger-Essenz ist, und jede Monarchie eine See von Mandelmilch und Rosenwasser — will ich Ihnen folgende lustige und herzbrechende Geschichte mittheilen. Ich habe sie aus einer französischen Schweizer- Zeitung übersetzt. Vorher aber will ich Sie daran erinnern, was ich Ihnen kürzlich einmal von den Wassersäcken der Welt geschrieben, und wie das VI . 1 Fürstenthum Neuschatel, von dem Könige von Preußen beherrscht, der Wassersack der Schweitz sei. Jetzt lesen Sie. Die Patrioten in den Gefängnissen von Neufchatel. „Am 8. December des vorigen Jahrs, begab „sich Herr von Perrot, Maire von Neufchatel und „Präsident des Criminalgerichts in die Gefängnisse, „um den wegen politischen Vergehen Eingekerkerten, „die sogenannte Amnestie zu verkündigen, mit welcher „der König von Preußen, in seiner unerschöpflichen „Güte, sie zu begnadigen geruhte. Diese Magistrats¬ „person legte den Unglücklichen einen Eid auf, nach „welchem sie auf den königlichen Scepter zu schwören „hatten: „daß sie an der Person ihrer Richter sich „nicht zu rächen suchen; daß sie keinen Groll, gegen „wen es auch sei, bewahren; daß sie ihrem Gefäng¬ „nisse Treue hüten, und während der ganzen Zeit „ihrer Gefangenschaft kein Mittel zur Flucht ver¬ „suchen wollen.“ Alle Gefangenen sprachen die „Eidesformel aus: nur Dubois der zum Tode ver¬ „urtheilt, dessen Strafe aber in lebenslängliche Ge¬ „fangenschaft mit beständiger Zwangsarbeit verwandelt „worden war, weigerte sich zu schwören; dieser un¬ „glückliche Patriot, als man ihm den Scepter vorhielt, „erklärte, daß er sich ein solches Gelöbniß nicht „auflegen könnte. Auf eine zweite Aufforderung „wiederholte Weigerung, worauf der Maire befahl „Dubois in das Gefängniß zurückzuführen.“ „Fünf Minuten später, fielen auf einen Befehl „des Maires, zwei Gensd'armes über Dubois her, „knebelten ihn, legten ihm Handschellen an, schleppten „ihn die Treppe herunter, zerrten ihn über den „Gefängnißhof, und warfen ihn in ein Loch, das „man den Käfig nennt, um vierzehen Tage, bei „Wasser und Brod darin zu schmachten. Dieses „Folter-Instrument, ganz genau nach dem Modelle „desjenigen verfertigt, das der Cardinal de la Belue, „auf Befehl Ludwig XI . ersonnen, ist ein Käfig von „ohngefähr fünf und einem halben Fuß ins Gevierte, „in dem man weder sitzen noch stehen kann, und in „einem alten Thurme des Gefängnisses angebracht. „Der Unglückliche, den man hineinsperrt, muß sich „auf dem Stroh, das man ihm unterlegt nieder¬ „krümmen. Der Käfig ist aus starken Eichenbohlen „gezimmert, empfängt nur ein wenig Licht durch die „Fensteröffnung einer innern Thüre, und das blos „wenn eine äußere Thüre von Eisen, die den Eingang 1* „des Thurms schließet, geöffnet wird. Im Sommer „kann der Unglückliche, den man in dieses Loch sperrt, „es noch aushalten! aber im strengen Winter wird „es unerträglich, da die Luft von allen Seiten ein¬ „dringt. Auch wurde der unglückliche Dubois, „nachdem er die Folter des Winterfrostes acht und „vierzig Stunden ausgehalten, von dem Gefängniß- „Wärter in dem erschrecklichen Zustande eines er¬ „frornen Menschen gefunden. Er hatte keinen Puls „mehr und war steif wie eine Leiche. Der Kerker¬ „meister entsetzte sich über die Folgen dieser kanni¬ „balischen Grausamkeit, eilte fort, Decken und „warme Speisen zu holen, und bemühte sich mit „Hülfe seines Sohnes, das unglückliche Schlacht¬ „opfer in das Leben zurückzurufen. Gleich darauf „setzte er den Maire von den Folgen seines barbari¬ „schen Befehls in Kenntniß. Dieser ließ Dubois „in sein altes Gefängniß zurückbringen und forderte „ihn von neuem auf den verlangten Eid zu leisten. „Der Gefangene mußte sich in sein schmachvolles „Schicksal finden, doch bei sich wohl begreifend, „daß ein solcher abgefolteter Eid nur Wort und „Wind sei.“ „Dieses ist die genaue Darstellung von der „Lage des unglücklichen Dubois, die uns einer „seiner Leidensgenossen, der glücklicher als er, nach „Verlauf seiner Strafzeit, das Gefängniß verlassen „durfte, mitgetheilt hat. Eidgenossen! Nach solchen „Schandthaten dürfen wir nicht mehr allein die „Henker von Modena und Lissabon verwünschen. „Die Preußisch-Neufchateller Zwerg-Tyrannen, haben „sich zur Höhe jener zu erheben gewußt. Das „sind die Qualen, welche unsere Brüder in den „Gefängnissen von Neufchatel, und alle die, welche „die würdige Regierung dort noch hineinführen kann, „täglich zu erdulden haben! Berner! das ist das „Schicksal, welches jeden Augenblick Meuren bedroht. „Und im Herzen der Schweiz mit seinen milden „und patriarchalischen Sitten, und im Herzen der „republikanischen Schweiz werden solche monarchisch- „aristokratische Schandthaten geduldet! Und warum sie nicht dulden, wenn sie aus so guten lieben Händen kommen? Der preußische Staat ist der glücklichste der Welt, er hat die aller¬ besten Schulen. Dort wird das Volk gründlich zum constitutionellen Leben erzogen; in den Schulen muß die Freiheit von der Pike auf, vom a b c an dienen. Sie halten jetzt schon am a, b ab; im zwanzigsten Jahrhunderte kommen sie an das b, a ba und nach eben so viel Jahrhunderten als das Alphabet Buch¬ staben hat, werden die Reichsstände zusammen¬ gerufen. Was mich aber an dieser schönen Ge¬ schichte von dem Menschenkäfig am meisten ergötzte, war der Scepter, dieses heilige Kreuz worauf man schwören ließ. Das ist ein Seitenstück zur Buße vor dem Bilde des Königs von Baiern. Die Des¬ potie in Deutschland wird täglich orientalischer, romantischer, sie funkelt wie Smaragden und Rubinen. Man glaubt den Calderon, oder ein Mährchen aus tausend und einer Nacht zu lesen. Es kömmt noch dahin, daß man die Angeschuldigten kleiner Ketzereien in ein Krystall-Gefängniß sperren wird, oder sie zur Buße mit nackten Füßen auf Perlen wird gehen lassen — und daß man die Angeschuldigten großer Ketzereien, an einen Galgen von Sandelholz hängen wird. — Schwamm herbei! Die erste Seite der deutschen Eselshaut ist sauber; jetzt zur zweiten. Ein Eßwaarenhändler in München „ a l'honneur de prévenir la haute noblesse et le respectable public .“ daß er frische Trüffeln bekomme. Es ist das Erstemal, daß ich so etwas in französischer Sprache lese und es nimmt sich ganz gut aus. Aber nicht gut nimmt es sich aus, daß das ver¬ ehrungswürdige Publikum so entsetzlich einfältig ist, so etwas zu dulden. Das verehrungswürdige Publi¬ kum sollte sich vereinigen, bei keinem Handelsmanne etwas zu kaufen, der die Frechheit hat in seinen Ankündigungen besonders von dem hohen Adel zu sprechen. Möchten sie doch endlich einmal zur Be¬ sinnung, endlich einmal zum Bewußtsein ihrer Macht kommen! Möchten sie doch endlich begreifen lernen, daß die Sitten mächtiger sind als die Gesetze, und daß nur die Gesetze in den Ständen des Adels sind, die Sitten aber in den Ständen des Volks! Wären die Sitten nicht mächtiger als die Gesetze, es stünde heute schlimm in Frankreich mit Freiheit und Gleich¬ heit. Es giebt keinen entscheidenden Tag, es giebt kein Schlachtfeld, keinen großen Sieg der Freiheit. Ist eine Seite der Geschichte herabgeschrieben, werden die Zahlen addirt, und diese Summe nennt man eine Revolution. Fällt das Buch wieder in die Hand des Feindes, glaubt er die Revolution vernichtet zu haben, wenn er jene Summe nicht als Transport auf die neue Seite setzt. Er meint die Rechnung von vorn anzufangen, er merkt nicht, daß die alte Rechnung fortgeht — er ist ein Esel. Aber seid Ihr keine Esel! Ihr werdet nie etwas zu addiren bekommen, wenn ihr nicht täglich auf¬ schreibt, Brüche zu Brüchen, Zahlen zu Zahlen gestellt. Es giebt nur Minuten, nur kleine Händel, kleine Zänkereien der Freiheit. Spottreden, Epigramme, Prügel, Ohrfeigen, Thüre hinaus, Treppe hinunter werfen. Aber jeder Tag hat vier und zwanzig Stunden, jede Familie hat fünf Seelen, und Ihr glaubt es nicht was fünf Seelen in vier und zwanzig Stunden verrichten können, wenn sie ernstlich und immer wollen . . . . . Du verehrungswürdiges Frankfurter Publikum — warum bist du denn so gar einfältig, dich in deinem Concertsaale auf die Hinterstühle zu setzen, und dem hohen Adel die Vordern zu überlassen? Thut das nicht, setzt euch selbst mit euren Weibern und Töchtern vorn hin. Zwar weiß ich wie viel es einem bescheidenen Manne kostet, sich in einen öffentlichen Kampf mit der Eitel¬ keit einzulassen; aber es soll auch nicht Einer allein, alle Bürger sollen sich zugleich hervorstellen. Und werdet ihr auch verbannt, bringt der guten Sache das Opfer. Seid nicht demüthig, seid nicht blöde, seid nicht schwach. Eure Demuth ist ihr Hochmuth, eure Blödigkeit ist ihre Frechheit, eure Schwäche ist ihre Stärke. Geht jede Stunde einen Schritt, aber geht diesen Schritt jede Stunde und ihr werdet bald an das Ziel gelangen. — „ Göttliche Gerechtigkeit wie — lange noch wirst du deine Blitze schlafen lassen ?“ Sie glauben vielleicht ich hätte das gesagt? O nein, es steht im frankfurter französischen Journale und wird bei einer, ich weiß nicht mehr welcher, Gelegenheit ausgerufen, wo die Fürsten¬ schaft oder der Adel irgend eine Schleppe bekommen. Das Wort ist schön, aber die ganze hohe deutsche Bundesversammlung, mit allen ihren Excellenzen, Grafen und Baronen, mit allen ihren Legationsräthen und Gesandtschafts-Sekretairen, mit dem großen Heere ihrer besoldeten Zeitungsschreiber, hatte so etwas Schönes nicht sagen können, sie mußte sich erst einen Franzosen dazu kommen lassen. Der verstehts! Er spricht wie wir, er macht unsere Stimme nach, er meint Gott wäre blind und harthörig wie der Patriarch Isaac, werde seinem spitzbübischen Sohn Jakob für seinen Erstgebohrnen halten und ihm seinen Segen geben. Wahrhaftig es gefällt mir, daß sie selbst die schlafenden Blitze der Gerechtigkeit aufwecken! Dritte Seite . Noch einmal Preußen. Prussia for ever . Die Preußische Regierung, wie jede germanischen Ursprungs — es ist des Tacitus wegen — besoldet Spione in Paris, um dort auf ihre geliebten treuen Unterthanen etwas Acht zu geben. Dagegen läßt sich nichts sagen, keine Mon¬ archie kann der Spione entbehren, man lebt so lange man kann. Warum haben Republiken, warum haben Nordamerika, die Schweiz, die freien deutschen Städte keine Spione? Weil dort die Regierungen nicht zu befürchten brauchen, daß ihre Bürger ein¬ mal den Verstand verlieren und ihre freie Verfassung gegen einen Fürsten vertauschen möchten. Die Be¬ wohner einer Monarchie aber wünschen sich einen Freistaat sobald sie zu Verstande kommen; je ver¬ nünftiger sie also werden je mehr Spione braucht ein Fürst. Das ist also ganz in der Ordnung. Außerordentlich ist es aber, eine sehr außerordentliche Naivität, daß eine Regierung es eingesteht und drucken läßt, sie treibe Spionerie, wie es die Preu¬ ßische gethan. Da ist ein gewisser Traxler in Cöln, ein königlich Preußischer Paradiesvogel, ich meine: einer der Seeligen im Preußischen Paradiese, das so herrliche Rüben und Schulen hat — der ließ etwas in einem Pariser Blatte von der Seeligkeit aller Rhein¬ preußen drucken und von ihrer Anbetung gegen die Mark Brandenburg. Die preußischen Behörden entdecken den Namen des Spaßvogels und sperrten den Traxler in einen Käfig. Ein Gefängniß ist die beste Widerlegung aller Sophismen, es ist die wahre Schule der Logik. Der Temps (darin standen die Artikel) fragte: wie denn die Preußische Regierung ohne Verletzung des Briefgeheimnisses ihren Correspondenten habe entdecken können? Der Preußische Advokat antwortete: Briefe öffnen! Pfui! so etwas erlaubt sich seine Herrschaft nicht; aber „ den klugen Maasregeln unseres Gouvernements „ist es zuzuschreiben, daß man endlich durch Ver¬ „ mittlung eines Agenten der Pariser Poli¬ „ zei , die Originalbriefe des Traxlers und „mehrere von andern ähnlichen unnützen Gesellen , „für Pariser ultraliberale Blätter bestimmt, erhielt .... „ Der deutlichste Beweis , mit welchem Ver¬ „ trauen diese Radicalreformers und Lügenver¬ „breiter unsere Regierung verehren , daß sie „nicht Scheu trugen ihre Correspondenzen frank „und frei durch die Post an die vollständigen „Adressen der Zeitungs-Büreaus abgehen zu „lassen ..... Nur von Traxlers Briefen „wurde bis jetzt erst Gebrauch gemacht, die andern „ sind wohl noch aufgespart zur gelegenen „Zeit ..... Die Landes gesetze dürften dies „wahrhaft verbrecherische Treiben leicht als lands¬ „verrätherisch betrachten und eine Strafe be¬ „ stimmen , welche als Warnung für ähnliche Brief¬ „steller, der Strenge und des Ernstes nicht entbehren „wird.“ Unnütze Gesellen, Lügenverbreiter — das ist der Oden-Styl monarchischer Begeisterung; mit dem wollen wir nicht rechten; der Preußische Correspon¬ dent als er so schrieb, kam vielleicht eben vom Tische. Wir wollen uns an die Prosa halten. Die klugen Maasregeln der Preußischen Regierung sind bewunderungswürdig! Der große Friedrich mit seinen herrlich blauen Augen stand vor mir, aber ob er lachte oder weinte, konnte ich nicht unter¬ scheiden; denn schnell verhüllte er sich das Gesicht, als ich von seinen Enkeln erzählte ... Als einen Beweis der Verehrung , als ein Zeichen des Vertrauens sieht es die Preußische Regierung an, wenn ihre Unterthanen sie nicht für so niederträchtig halten, daß sie die Briefe öffne! So sind alle Monarchien. Jede monarchische Rgierung will für jedes Unrecht, mit welchem sie ihre Unterthanen verschont, gelobt sein; dann soll man ihre Gerechtigkeit preisen. Jedes Gut, das sie ihren Unterthanen nicht raubt, will sie als Geschenk betrachtet wissen, wofür man Dank schuldig sei. Wenn sie den Bürgern erlaubt, jedem so gut er es versteht, den Weg seines Glückes zu verfolgen, seinem Wohlstande nachzugehen, wenn sie ja einmal nicht hindert, rühmt sie sich, Wohlstand über das Land zu verbreiten und die Selbsthuldigung nimmt kein Ende. Das ist wörtlich wahr . War doch neulich in einem Russischen Zeitungsartikel zu lesen: „Die Polen hatten alle ihre moralischen und „ physischen Kräfte der Regierung zu verdanken, „die sie schmählich verriethen, ob sie ihnen gleich „ die Mittel verschafft hat , mit denen ein „achtmonatlicher blutiger Krieg geführt ward.“ Wenn ein unglückliches Volk, nachdem es die Ty¬ rannei ausgesogen, noch so viel Kraft behielt, sich der Tyrannei zu widersetzen, wird ihm das als Ver¬ brechen, als Undank angerechnet! Nichts haben sie den Polen übrig gelassen; aber um für die Freiheit zu kämpfen braucht es keiner andern Waffe, als der Liebe zu ihr. Ist das nicht artig, wenn der Preußische Advokat sagt: nur den Traxler habe man einstweilen vor¬ genommen, die andern gleichschuldigen Pariser Correspondenten werden zur gelegenen Zeit aufgespart ? Das ist Gerechtigkeit! Sie sind wohl noch nicht fett genug die Andern? Ihr ver¬ wahrt sie wohl für eueren nächsten Freiheits-Schmaus? Und: die Gesetze — dürften — leicht — eine Strafe bestimmen — die des Ernstes nicht ent¬ behren wird ! Also das Gesetz ist Richter, das Gesetz wird bestimmen! O mein Friedrich! Mittwoch, den 23. Januar. ..... Schicken Sie mir Ihre Sachen, ich werde nicht grob sein, wenigstens diese Woche nicht mehr, ich bin ganz erschöpft. Ich freue mich, daß dem *** meine Briefe so gut gefallen. Ich will auch auf die Jugend wir¬ ken; wir Alten sind keines Punkts auf dem i der Freiheit würdig. Grüßen Sie ihn herzlich von mir und seine Frau, und sie sollen der *** mehr Zucker in den Thee werfen, damit sie nicht so sauer spreche. — Glauben Sie ja keinem, der sagt ich wäre kein Gelehrter; das ist boshafte Verläumdung. Zwei und zwanzigster Brief. Paris, Freitag den 25. Januar 1833. Wenn ich nur den bösen Zauber begreifen könnte, der die Italiener hier verhindert, den Don Juan ge¬ hörig zu Stande zu bringen. Man spielte ihn vor einigen Tagen wieder und ich habe mich gelangweilt wie immer. Es ist Mozarts Musik; aber ohne ih¬ ren Geist. Es ist die nämliche Gestalt, Haltung, Farbe; aber ohne Leben. Es ist eine Wachsfigur, es ist gemaltes Feuer. Ich wollte unser Guhr käme einmal hierher und suchte dem ungläubigen Orchester etwas Religion beizubringen. Als ich gestern über den Boulevard St. An¬ toine, der jetzt Boulevard Beaumarchais heißt, spazieren ging, sah ich mir genau drei Häuser an, die nicht weit von einander liegen. Ich sah hinein, hinauf und da es alle drei Eckhäuser sind, machte ich die Runde um sie, ganz wie ein Dieb, der kund¬ schaften will, auf welche beste Art er in der Nacht einsteigen könnte. In diesen Häusern wohnten einst berühmte Menschen. Solche verödete Wohnstätten rühren mich mehr als die Gräber auf dem Kirch¬ hofe. Dort war früher nichts und jetzt lebt da der Tod, es ist eine Art Geburt. Hier aber war frü¬ her alles, und jetzt ist das Leben todt, da ist die wahre Vernichtung. Und welches Leben war in die¬ sen Häusern! Alle Lust und aller Schmerz des Da¬ seins; alle Weisheit und alle Thorheit des Lebens; Reichthum, Armuth, die Freuden der Jugend, die Leiden des Alters, Witz, Geist, Aberglaube, Philo¬ sophie, Edelmuth, Gaunerei, Freundschaft, Treue und Verrath, aristokratische Verderbniß und demo¬ kratische Wuth, zwei Jahrhunderte und beide ver¬ raucht, und das ganze Paradies und die ganze Hölle, die zwischen der glücklichen und unglücklichen Liebe siegen . Jetzt wird in allen drei gemeine Krämerei getrieben! In dem ersten Hause hat Cagliostro ge¬ wohnt. Es sieht etwas labyrinthisch und theatralisch aus und ist ganz geeignet zu einem Schauplatze für Geisterbeschwörungen, Goldmacherei, Somnambulisti¬ schen Spuk und andere Täuschungen. Göthes aristo¬ kratische Verstocktheit und beispiellos enge Hofbe¬ schränkung wurden mir durch nichts klarer als durch die falsche Ansicht, unter welcher er das Leben des Cagliostro und die Halsbandgeschichte betrachtete. Er sah sie als revolutionaire Erscheinungen, als die ersten Blitze an, mit welchen das Weltgewitter be¬ gann. Und sie waren gerade das Gegentheil: das helle Aufflackern einer verlöschenden Zeit. Caglio¬ stro's Treiben war eine Parodie der monarchischen Taschenschauspielerkunst. Ganz wie er, zu gleichen Zwecken und mit gleichen Mitteln, haben die Für¬ sten aller Zeiten, die Völker aller Länder betrogen, so oft wegen unzureichender Macht die List nöthig geworden. Die Halsbandgeschichte war die Sitten¬ verderbniß aller Höfe, nur daß sie hier zum ersten¬ male öffentlich geworden. Freilich wenn wahr ist, was neulich die Monteskikelchen an der Ilm und der Saale, die edlen Ritter des Thüringer Waldes, die Großherzoglich-Sachsen-Weimar-Eisnach-Mos¬ kowitsche Adelskammer behauptet: Daß Oef¬ fentlichkeit der Anfang aller Revolutionen gewesen — dann war die Halsbandgeschichte wohl eine revolutionaire Erscheinung. Aber an wem die Schuld, wenn keine Monarchie die Oeffentlichket er¬ tragen kann? Das andere Haus gehörte einst der Ninon de l'Enclos , der schönen Magdalene — ohne Reue — die alle die unendliche Barmherzigkeit Gottes erschö¬ pfen muß, wenn er ihr so viel vergeben will als sie ge¬ liebt hat. Ihre Zeitgenossen wunderten sich, daß sie VI . 2 noch im höchsten Alter Bewunderer gefunden. Wie würden diese erst erstaunen, wenn sie heute lebten, und sähen, daß noch jetzt, nachdem Ninon länger als hundert Jahre todt ist, noch jeder Mann von Gefühl sie liebt? Es ist ein großer Streit unter den Gelehrten, in welchem Alter Ninon zum letzten male glücklich gewesen, ob in ihrem siebenzigsten oder in ihrem achtzigsten Jahre. Ich glaube aber weder das eine noch das andere; denn sie war neunzig Jahre alt als sie starb. Chesterfield fragte einmal eine Dame von vierundsiebenzig Jahren, in welchem Alter die Frauen zu lieben aufhörten? diese erwie¬ derte: Mylord, das weiß ich nicht, Sie müssen eine ältere fragen. Ninon's Haus hat drei Seiten, die nach drei verschiedenen Straßen gehen. Vorn nach dem Boulevard ist eine Hofmauer, vielleicht früher eine Gartenmauer, die zwei Pavillons verbindet. Den einen garstig roth angestrichen, verunziert eine Weinschenke der gemeinsten Art. Zu dem andern, höher auf einer Terrasse gelegen, der einen Balkon hat, davon herunter zu springen, führt von der Straße aus eine kleine, holde, anliebelnde Treppe, so eng, daß in dunkler Nacht ein gehender und ein kommender Liebhaber sich unmöglich hätten ausweichen können. Doch für solche Fälle war gesorgt. Auf der entgegengesetzten Seite nach einer andern Straße, hat das Haus noch eine Thüre. Da ist der Haupt¬ Eingang, das Thor. Jetzt hängt eine Tafel davor: Apartement à louer . Wie würde Ninon dar¬ über lachen, wenn sie das läse. Ein nicht-mö¬ blirtes Apartement, also nur jahrweise zu vermiethen. Sie hat ihr Haus oft genug vermiethet; aber die längste Miethzeit war nicht länger als ein Tag un¬ serer Antipoden. Das Haus hat ungewöhnlich viele Fenster, welche die ganze Höhe der Zimmer einneh¬ men, und von denen jetzt mehr als die Hälfte ver¬ mauert sind. Diese vielen Fenster gehören zu dem Nachruhme der Ninon. Sie heuchelte nicht; in welchem Zimmer, in welchem Winkel sie auch war, es konnte ihr jeder Nachbar in das Herz sehen. Sie war so edel, daß, sobald ein Mann ihre Gunst erhielt, er das Recht ihr ein Geschenk zu machen aus immer verlor. Edel und doch gestorben — wie traurig! Aber es sterben auch gewöhnliche Men¬ schen, die nichts haben als das Leben, und das ist noch trauriger. Das dritte Haus war das von Beaumar¬ chais . Dieses suchte ich eigentlich auf, die andern sah ich nur im Vorübergehen. Ich hatte eine Wall¬ fahrt dahin gelobt, als ich einige Tage vorher im Theater Fran ç ais, Figaro's Hochzeit aufführen gesehen. Das Haus liegt oder lag vielmehr am Ende des Boulevards und am Eingang der Vorstadt 2* St. Antoine, sehr bezeichnend als Grenze zwischen Monarchie und Republik, wie Beaumarchais selbst eine war. Das Haus, der Garten, einst zu den Merkwürdigkeiten von Paris gehörend, die jeder Fremde zu sehen eilte, sind verschwunden. Nur die Gartenmauern stehen noch, hoch, mit Frazenmäulern zum Abflusse des Wassers versehen; es scheint der Garten lag auf einer Terrasse. Auch noch ein Lust¬ häuschen hat sich erhalten, von launischer Bauart, einen reichen Besitzer verrathend. Ich trat in den geräumigen Hof. Dieser umschließt jetzt ein neues Gebäude zur Salzniederlage bestimmt. Salz — Beaumarchais — es ist ein Erbe der seiner nicht ganz unwürdig ist. Beaumarchais gehörte zum Salze seiner Zeit Unser heutiges Leben hat kein Gewürz mehr, es ist wie ein Kinderbrei. Auch ist jetzt die Menschheit ein Kind, das in die Schule geht. Nichts trauriger als eine solche Zeit der Ent¬ wickelung und der Lehre, wie die unsere und die schon ein halbes Jahrhundert dauert. Man ist da immer entweder zu jung oder zu alt. Ist man zu jung, ist man gedankenlos und die Zeit geht einem verlo¬ ren; ist man zu alt, ist man sorgenvoll und man geht selbst verloren In der ganzen französischen Geschichte, war das achtzehnte Jahrhundert gewiß das glücklichste für alle genußliebenden Menschen, Philosophen und Müssiggänger. Wer aber von je¬ nen Menschen, beim Ausbruche der Revolution, sich und die Freiheit verstanden, hätte sich unter den Trümmern der Bastille müssen begraben lassen. Auch unter den Ehen, welche die Liebe geschlossen, giebt es Glückliche, wenn auch selten; aber wer die Freiheit geheirathet, nachdem er sie als Jungfrau ge¬ liebt, ist immer unglücklich. Natürlich. Die Wehen der Zeiten kommen nach den Geburten und man er¬ kauft die Vater- und Mutterfreuden nicht mit Angst und Schmerzen, sondern man bezahlt sie damit, nachdem man sie schon genossen. Beaumarchais war nicht so glücklich einen Tag nach der Monarchie zu sterben. Er lebte lange in die Revolution hin¬ ein, hörte ihre Versprechungen, erfuhr ihre Täu¬ schungen, dann starb er und sah ihre Erfüllungen nicht mehr. Es ist merkwürdig, wie aller Geist der Men¬ schen nichts hilft, wenn der Geist der Zeiten sich ändert. In einer Nacht war Beaumarchais ein Dummkopf geworden; in einer Nacht hatte er allen seinen schönen Muth, seine Klugheit, seine Ge¬ wandtheit, seine sonst so unerschütterliche Festig¬ keit verloren. Mit dem Kriege des Lebens hatten sich die Rüstungen des Lebens geändert, und die Revolution fand Beaumarchais wie im Schlafrocke. Wie wäre es erst Voltaire ergangen, der so viel waffenreicher als Beaumarchais, sich so viel wehrloser gefühlt hätte! Sie kennen Beaumarchais als Schriftsteller, aber wissen vielleicht nicht, daß er einer der größten und thätigsten Geschäftsmänner, einer der unternehmend¬ sten Köpfe, einer der feinsten Hofleute und gewandt¬ sten Weltleute gewesen, und daß er in allen Verle¬ genheiten, in allen Gefahren des geselligen und bür¬ gerlichen Lebens, immer den größten Muth und eine bewunderungswürdige Geistesgegenwart gezeigt. Sein Abentheuer mit Clavigo in Spanien ist durch Göthe bekannt geworden; aber erst gestern habe ich aus seinen hinterlassenen Briefen erfahren, wie er einst ganz allein in einem Walde bei Nürnberg von Räu¬ bern angefallen worden, und, ob zwar schwer ver¬ wundet, sich durch seine Unerschrockenheit und Tapfer¬ keit gerettet hatte, nachdem er einen der Räuber nieder¬ gestoßen, die andern verjagt. Er war zugleich ein Ouvrard und ein Voltaire. Durch seine kühnen und glücklichen Handelsunternehmungen ward er einer der reichsten Männer von Frankreich. Im Amerika¬ nischen Freiheitskriege, machte er den Insurgenten, im Einverständnisse mit der französischen Regierung, große Waffenlieferungen. Da gab es nun, wie im¬ mer bei solchen Unternehmungen, Kapereien, Schiff¬ brüche, verzögerte oder verweigerte Bezahlungen. Beaumarchais, durch seine Gewandtheit, wußte aus allen diesen Verwicklungen sich zu seinem Vortheile zu ziehen. Nun, dieser nämliche Beaumarchais zeigte sich in der Revolution unerfahren wie ein Kind, feige wie ein deutscher Stubengelehrter. Er unternahm auch für die revoultionaire Regierung, Gewehrlieferungen; verlor aber nicht allein sein Geld, sondern fast auch seinen Kopf darüber. Früher hatte er es mit Mi nistern einer absoluten Monarchie zu thun. Die Cabinetsthüren solcher Großen schließen und öffnen sich jedem leicht und sanft, der Schlösser und An¬ geln zu ölen versteht. Später hatte es Beaumar¬ chais mit ehrlichen , das heißt mit gefährlichen Leuten zu thun; das wußte er nicht zu unterscheiden und ging zu Grunde darüber. Man hörte, daß er im Auslande Waffen auf¬ kaufte, und er kam in Verdacht, dieses für Rechnung der Feinde zu thun; das Gerücht verbreitet sich im Volke. In einer Nacht stürmten die Vorstädter, Racheglühend, sein Haus. Sie schrien, es wären Waffen darin versteckt. Beaumarchais flüchtete sich in Todesfurcht. Das ganze Haus wurde umgekehrt, die Erde des Gartens wurde tief aufgewühlt; man fand nichts. Besonders die Weiber des heiligen An¬ tonius waren wie rasend. Man hat sie oft die Fu¬ rien der Revolution genannt; aber nein, sie waren die Rachefurien der Monarchie , sie ka¬ men hinter der Sünde. Die Feinde der Freiheit möchten gern die Strafe für das Verbrechen erschei¬ nen lassen. Die angstzitternden Diener Beaumar¬ chais, waren im Hause zurückgeblieben und konnten später ihrem Herrn von dem Hergange erzählen. In dem reichen und vollen Hause wurde nichts entwendet, auch nicht von dem Werthe eines Pfennigs. Kein Glas Wein wurde angenommen, die Wuthentbrann¬ ten löschten ihren Durst mit Wasser. Der zer¬ lumpte Kerl, der die Rotte anführte, erklärte es würde jeder niedergestochen, der nur etwas anrühre. Eine Frau hatte im Garten eine Nelke abge¬ brochen; sie bekam dreißig Ohrfeigen, und wäre bei¬ nahe im Springbrunnen ersäuft worden. Als Beau¬ marchais den andern Morgen in sein Haus zurück¬ kehrte, war er erstaunt, alle seine Schätze wiederzu¬ finden. Er war erstaunt — so wenig verstand er die Revolution, er der doch selbst dreißig Jahre daran gearbeitet! Er starb 1799 in seinem sieben¬ zigsten Jahre, bei ungeschwächter Kraft des Körpers und des Geistes; nur seine Heiterkeit hatte er ver¬ loren. Ein Freund, der ihn noch wenige Stunden vor seinem Tode, ohne das geringste Zeichen von Uebelbefinden gesehen, äußerte die Vermuthung, er möchte sich freiwillig das Leben geraubt haben. Beaumarchais sagte ihm beim Scheiden: „ Ich bin nicht neugierig mehr “ ... Und wo sich die¬ ses alles begab, wo solch eine Welt von Leben lebte, wird jetzt Kochsalz verkauft! Ich bin gestört worden sonst hätte ich Ihnen noch von der Auffüh¬ rung des Figaro gesprochen. Aber ich thue es in meinem Nächsten. Samstag, den 26 Januar. ..... Nun, das ist schön, daß Sie mir nachkommen und von meiner Weisheit zu erfahren wünschen, was von den türkischen Angelegenheiten zu halten sei. Seit acht Tagen suche ich das mit aller Macht zurückzustoßen. Ich habe schon an Eu¬ ropa schwer zu tragen und jetzt soll ich gar noch den Orient auf mich laden! Das halte ich nicht aus. Und daß Sie es nur wissen: mir hat der Zorn der Götter, das böse Geschick, oder wie man es nennen will, jetzt eine Herkules-Arbeit zugeworfen, die alle meine Kraft verzehrt. Ich schreibe Ihnen ein andermal davon; die Geschichte ist merkwürdig, aber weitläufig. Nur so viel in der Kürze: Die eilfte Plage Aegyptens ist über mich gekommen; ich habe seit einiger Zeit die Pflicht, eine junge schöne Frau, fast noch ein Kind, die vor einigen Monaten geheirathet hat, in ihrer schrecklichen Eifersucht über eine erträumte Geliebte ihres Mannes zu beruhigen, und sie nennt mich alle fünf Minuten ihren respec¬ table ami . Augen, roth und naß vor Liebe, und ich bin ihr ein respectable ami , ein Schnee¬ mann, an dem sie ihren heißen Schmerz abkühlen will! Braucht es da noch des halben Mondes um mich rasend zu machen? Ich verwünsche Sonne, Mond und Sterne und die ganze dumme Astronomie, die mich zum respectable ami gemacht. Doch genug für heute. Drei und zwanzigster Brief . Paris, Samstag, den 26. Januar 1833. In der Hochzeit des Figaro spielte die alte Mars die Susanna. So etwas kann mich zugleich betrübt und zornig machen. Wenn ausgezeichnete Menschen, von ächten und anerkannten Verdiensten, sich solche kleine Eitelkeiten erlauben, was bleibt dann der Gemeinheit übrig? Sechszig Jahre ist sie alt und übernimmt eine Rolle, für die man schon im dreißigsten nicht jung genug mehr ist. Eine Frau, welche die seltene glückliche Natur einer Ninon hätte, könnte vielleicht in ihrem sechszigsten Jahr noch eine Susanne seyn ; aber eine spielen — niemals. Und was mir am schlimmsten schien, war: daß die Mars besonnen genug blieb, ihr Vermögen zu be¬ rechnen, und aus Furcht es zu übersteigen, es nicht einmal zu erreichen wagte. Sie stand nun da in ihrer edlen Art, wie eine betagte Königin und wagte, besorgt die Majestät ihrer Würde oder ihres Alters zu verletzen, nicht die kleinste jugendlich heitere Be¬ wegung, die sich doch selbst eine betagte Königin zu¬ weilen erlauben dürfte. Sie hatte so eine vornehme Haltung, daß die Gräfin als Kammermädchen neben ihr erschien, und es war ganz wunderlich zu sehen, wenn die Dienerin saß und die Gebieterin neben ihr stand. Wenn Figaro oder der Page ihr einen Kuß raubte, ließ sie es geschehen, wie ein Spalier von dem Knaben eine Birn abreißen. Diese Nachsicht, die freilich ein gebildetes Publikum überall mit einer beliebten Schauspielerin hat, finde ich kaum löblich. Gewiß ist es für Menschen von Gefühl eine rüh¬ rende Vorstellung, sich zu ihrem Vergnügen eine Künstlerin bemühen zu sehen, die einst ihre Väter entzückt hat. Aber wir müssen auch an unsere Kin¬ der denken, und aus Dankbarkeit für den Genuß den unsere Eltern gehabt, nicht den Enkeln den Ge¬ nuß entziehen. Wenn, wie es an vielen Orten ge¬ schieht, eine Schauspielerin eine jugendliche Rolle zwan¬ zig Jahr zu lange behauptet, so werden dadurch die jungen Künstlerinnen in ihrer Ausbildung zurückge¬ halten, und oft stirbt darüber ein ganzes Theaterge¬ schlecht aus, das die bedeutendsten Rollen nie auf neue würdige Art darstellen sah. Aber wie viel strenger noch als es geschehen hätte ich die Mars beurtheilt, hätte nicht eine ge¬ wisse Ehrfurcht meinen Tadel bescheidener gemacht. An dem nämlichen Tage, da man Figaro aufführte, war es aus den Zeitungen bekannt geworden, daß die Mars von einem ihrer ehemaligen Liebhaber un¬ vermuthet eine Erbschaft von vierzigtausend Franken Renten gemacht habe. Das Geld ist der wahre Cothurn, die Mars kam mir zuweilen erhaben vor. Diese Erbschaftsgeschichte ist sehr merkwürdig und voller Moral und Philosophie; sogar etwas Religion kömmt darin vor. Sollten Sie vielleicht in der Zeitung diese Geschichte nicht gelesen haben, schreiben Sie mir es, ich erzähle sie Ihnen dann. Damit Sie aber während der vierzehn Tage die darüber hinge¬ hen werden, keine üble Meinung von der Mars he¬ gen, will ich Ihnen gleich erklären, was hier unter Liebhaber zu verstehen sei. Der alte Herr der un¬ sere Susanna zur Erbin eingesetzt, war ihr Liebha¬ ber, wie man keinem Bettler wehren kann, der Lieb¬ haber jeder Königin zu sein. Er hatte sie, aber sie hatte ihn nicht lieb. Sie gab ihm kein Gehör und nie Zutritt in ihr Haus. Aber ein edler Mann rächt sich für weibliche Grausamkeit nie anders, als durch ein Geschenk von vierzig tausend Franken Renten. Die Rolle des Figaro wurde von Mon¬ rose ganz unleidlich dargestellt. Dieser Monrose ist sonst einer der besten Schauspieler des Theater Fran ç ais, besonders ausgezeichnet in den spitzbübi¬ schen Bedienten der Stücke Molieres. Aber eben die metallene Gefühllosigkeit und Unverschämtheit jener spitzbübischen Bedienten wußte er nicht los zu werden, und Figaro's Geist, Grazie und Sentimen¬ talität verstand er nicht aufzufassen, oder verstand sie nicht darzustellen. Die Melodie seines Spiels und Beaumarchais Worte, paßten gar nicht zusammen. So war diese Aufführung eine der langweiligsten die man sich denken kann, und was die Unlust noch ver¬ mehrte, war die Schläfrigkeit des Publikums, dessen rege Theilnahme durch Lob und Tadel eigentlich die Pariser Komödie so anziehend macht. Doch eben diese Apathie der Zuschauer interessirte mich auf eine andere Art und beschäftigte mich den ganzen Abend. Man besucht einen Freund in seiner Krankheit oder in den Tagen seiner Wiedergenesung, da hört er nicht auf von seinen Schmerzen oder von seiner Er¬ leichterung zu sprechen, zu jammern oder zu lächeln; man besuche ihn vier Wochen später und frage ihn wie er sich befindet — er versteht die Frage nicht mehr. Ganz so erschien mir das heutige Frankreich, wenn ich es mit dem des achtzehnten Jahrhunderts, mit dem Frankreich Beaumarchais verglich. Es hat seine Schmerzen, seine Genesung, seinen Arzt und seine Gesundheit vergessen. Jener Figaro, jenes große Zeughaus voll Spott, Tadel, Witz, Humor und Satyre, daß einst eine Welt gegen eine Welt bewaffnete, was ist aus ihm geworden? verschmäh¬ tes Kinderspielwerk; das erwachsene Volk hat keine Freude mehr daran. Wo sonst der Sturm des Bei¬ falls tobte, da war es still; man klatschte nicht, man lächelte kaum. 1785 kam das Stück auf die Bühne, 1789 wurde es unter freiem Himmel aufge¬ führt. Beaumarchais hatte die Möbels der Monar¬ chie mit zarter Pfauenfeder leicht abgestäupt; fünf Jahre später zerschlug die Nationalversammlung die Möbels, und bald stürzte das leere Haus zusammen. Staub ist die Schminke jeder alten Monarchie; den fort, und man sieht ihre Runzeln, ihr garstiges Per¬ gament, und sie wird ein Spott der Jugend. Figaro's Hochzeit war eine Welt-Komödie, bil¬ dete Epoche in der großen und majestätischen Geschichte Frankreichs. Und kömmt mir einer und kauderwelscht von Demagogen, von Volksverführern, von Zeitungs¬ schreibern, von Lügenverbreitern, von Revolutios-Fa¬ brikanten: so will ich ihm beweisen, bis er roth wird, daß Ludwig XIV . indem er die Aufführung des Tartüffe, und Ludwig XVI . indem er die Auf¬ führung des Figaro gestattete — jener der Geistlich¬ keit, dieser dem Adel die erste Wunde beigebracht, und daß es also zwei französische Könige gewesen, welche die französische Revolution herbeigeführt. Denn Adel und Geistlichkeit sind die beiden Enden des Ba¬ lancier-Baumes der Fürsten, da jede Regierung die nicht auf dem Boden des Volkes ruht, jede monar¬ chische Regierung nur Seiltänzerei ist; fort die Stange, Plautz der König! Und hierin ist wieder etwas, das meine deutsche Hoffnung bis zur Unsichtbarkeit entfernt, und meine Ungeduld und Verzweiflung vermehrt. Wir haben keinen Figaro auf der deutschen Bühne, wir werden nie einen bekommen, denn man wird nie seine Auf¬ führung erlauben. Und kömmt einmal die Zeit, daß man zu einem solchen Stücke keine Erlaubniß mehr gebraucht, braucht man auch das Stück nicht mehr. Um gerecht zu sein, muß man sagen: die Könige aus dem Hause Bourbon hatten Alle etwas könig¬ liches; in einer verdorbenen Zeit gingen ihnen Ge¬ rechtigkeit und Menschlichkeit nie ganz verloren; der Hof hatte sie, sie hatten nicht den Hof verdorben, und sie blieben immer die besten unter den Hofleu¬ ten. Um gerechter zu sein muß man sagen; der französische Adel des achtzehnten Jahrhunderts war gebildet, geistreich, von milden Sitten und weit ent¬ fernt von dem düstern Hochmuthe des deutschen Adels. Darum aber weil sie so gewesen, sahen sie die Revolution nicht kommen und gingen ihrem Ver¬ Vl. 8 derben entgegen. Unsere Fürsten und unsere Edel¬ leute spotten jetzt über solche Verblendung und über¬ heben sich ihrer eigenen Weisheit. Sie mögen spot¬ ten. Wenn sich ein Erdbeben naht, das wittert der tiefsinnigste Naturforscher nicht; aber die Hunde wer¬ den gleich unruhig und heulen. Es ist noch etwas Anders was die deutschen Verhältnisse so mißlich macht, weil es der Freiheit ihre besten Waffen raubt: die Kunst und die Wissen¬ schaft. Unsere Gelehrten, Schriftsteller und Dichter haben keinen Zutritt in die höhern Stände; weil unser hochmüthiger und geistloser Adel sie zugleich verachtet und fürchtet. Und geschieht es selten ein¬ mal; daß man sie nicht zurückstößt, sind sie blöde und unbeholfen, weil sie arm sind, und sie den Muth und den Stolz nicht gewinnen können, den nur die Unabhängigkeit giebt. Beaumarchais, der Sohn eines bürgerlichen Uhrmachers, seinen Geist zum Passe, den damals kein Minister, keine Exzellenz, kein Edel¬ mann das Visa zu verweigern die Unverschämtheit hatte, drang durch seine Gewandheit bis zu den Stufen des Thrones vor, und erhob sich zu einem der reichsten Männer Frankreichs. Als Figaro er¬ schien, sagte man: es habe dem Dichter weniger Geist gekostet das Stück zu schreiben, als es auf die Bühne zu bringen. Was hat Beaumarchais nicht Alles gethan und geduldet, um seinen Zweck zu er¬ reichen! Unser Raupach hielte solch ein schleichend Nervenfieber keine vier Wochen aus. Zuerst las Beaumarchais seine Komödie in allen Salons, Bou¬ doirs und Kabinetten vor und bettelte sich einen Reichthum von den schönsten, mächtigsten und galan¬ testen Stimmen zusammen. Die Kabale war um¬ garnt, ehe sie sich dessen versah. Dann legte er das Stück der Prüfung von neun verschiedenen Cen¬ soren vor, die es Alle einer nach dem andern prüften, und nach den vollzogenen Aenderungen, die sie zur Bedingung machten, genehmigten. Aber noch stan¬ den hohe Berge von Hindernissen im Wege. Beau¬ marchais wandte sich an die Minister und bat, sie möchten ein Tribunal von Akademikern, Censoren, Schriftstellern, Welt- und Hofleuten errichten, die das Lustspiel lesen und prüfen möchten. Das ge¬ schah. Es wurde gelesen, geprüft, berathschlagt, wieder verbessert und endlich genehmigt. Er war noch weit vom Ziel. Da wandte er sich an den König. Dieser beschloß, zu besserer Prüfung das Stück auf einem Hoftheater vor einem Ausschusse von Zuschauern, an welchen nichts mehr zu verder¬ ben ist, spielen zu lassen. Der Tag der Aufführung war schon bestimmt, die Zuschauer waren eingeladen, die Schauspieler angekleidet, die Lichter brannten, die Straßen waren mit Equipagen bedeckt — da kommen neue königliche Skrupel, und es wurde Alles 3 * wieder abbestellt. Endlich kam der Krönungstag sener Beharrlichkeit und Figaro betrat die Bühne. Der Grund ihrer Widersetzlichkeit den damals die Gegner Beaumarchais anführten, oder der Vor¬ wand den sie gebrauchten, war weniger die politische Bedeutung der Komödie, als ihre sittliche Ausgelassen¬ heit. So urtheilten leichtsinnige Franzosen. Aber ein nordischer Fürst der damals in Paris war, eine deutsch-solide, edelmännische Natur, die zu abgehärtet in jeder Tugend ist, um das verbuhlte Lüftchen eines unsittlichen Wortes nur zu fühlen, fand gleich den wahren gefährlichen Punct auf. Der König von Schweden der damals in Paris war, sagte zu Ma¬ ria Antoinette: „cette. comédie n'est pas indé¬ cente, mais insolente,“ Er meinte die Keckheit, mit welcher darin die Schwächen der Regierungen und des Adels verspottet wurden. Der weise Fürst hatte es genau errathen. Sechs Jahre später lernte er in seinem eignen Lande die Bescheidenheit des Adels, der Unverschämtheit des Bürgerstandes gegen¬ über, kennen und schätzen. Auf einem Hof-Masken¬ balle, unter fröhlich rauschender Musik, unter Tanz, Scherz und Lachen, umwölkt von dem Dampfe des Punschnapfs, fiel Gustav III. meuchelmörderisch von den Händen seines treuen und insolenzwidrigen Adels. Gift, Dolch, Kugel und Schnur, sind freilich be¬ scheidenere Wege als Figaro's Monologen, eine Re¬ gierung zurecht zu weisen. Heinrich IV ., Gustav III ., Paul I . fielen von edlen Mörderhänden; kaum ein Land das nicht einen Fürsten gehabt, der das Rache¬ opfer des Adels oder der Geistlichkeit geworden. Aber solche Tage sind keine jours funestes et à jamais déplorables , die man bei jedem Wie¬ derkehr mit Trauer und Buße begeht. Wenn Adel und Pfaffheit einen König meuchelmorden , so ist das ehrwürdiger Richter Spur ; wenn aber, wie es nur zweimal geschehen nach tausendjähriger Ge¬ duld, ein Volk seinen König richtet, ist das schnö¬ der Meuchelmord , ein jour funeste et à jamais déplorable ! Das sagen Adel und Geistlichkeit, die ihre Privelegien klug zu wahren wissen. Dienstag, den 29. Januar 1833. Ein Abbe Chatel in Paris hat seit der letzten Revolution eine neue Kirche unter den Namen Eglise catholique française primaticale gegründet. Sie erklärt sich unabhängig von dem Papste und führt nach und nach wichtige Verbesserungen in die Glaubenslehre und den Gottesdienst ein. Die An¬ hänger dieser Kirche vermehren sich täglich. Kürzlich wurde darin eine musikalische Messe zum Andenken Mo¬ liere's, Talma's, Philipp's der Raucourt und aller an¬ dern Schauspieler und Schauspielerinnen gefeiert, wel¬ chen zur Zeit ihres Todes, die katholische Kirche ein christliches Begräbniß verweigert hatte. Der Teufel mag sich freuen über eine solche späte Genuthuung , mich macht das immer toll. Die Freunde und Anver¬ wandte Moliere's und der Andern, jetzt selbst todt — erfahren sie denn von der heutigen Wiederher¬ stellung giebt sie ihnen Trost, lindert sie den alten Schmerz den sie gefühlt, als die ewig tückische und Liebe heuchelnde katholische Kirche, die Leiche eines guten Menschen beschimpfte und hinaus in den Koth der Gasse warf? Jetzt kommen sie und das ist mein ewiger Jammer! Seit drei Jahrhunderten peinigen sich die Völker ab, ihre unwissenden und entarteten Fürsten und Regierungen zur Weisheit, Menschlichkeit und Gerechtigkeit zu erziehen, und jetzt sitzen wir schon da Jahrhunderte lang in Schmerzen und Ungeduld, sehen den Schneckengang der Ausbil¬ dung mit an und schmachten und dulden, bis es der lieben Jugend, die uns beherrscht endlich einmal ge¬ fallen wird, lesen zu lernen im Buche der Weisheit und Gerechtigkeit und sich die ersten Grundsätze der Sittenlehre einzuprägen. Man sage nicht das Volk wäre einverstanden gewesen mit der Excommunikation der Schauspieler; das war es nicht, wenigstens nicht im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert. Ob es zu Molieres Zeit noch so tief stand, weiß ich nicht, doch ich zweifle; doch wäre es auch gewesen — wann hat sich denn je Ludwig XIV . um die Stimme und Meinung des Volks bekümmert? Es hätte ihm nur ein Wort gekostet und keiner hätte zu murren gewagt, wenn Moliere auch mit dem Ge¬ pränge eines Papstes wäre beerdigt worden. Jede Thorheit, jeder Aberglaube des Volkes, wenn sie dazu dienen, die Tyrannei der Fürsten und die Macht der Regierungen zu verstärken, wird geachtet und ge¬ liebkoset; da ist des Volkes Stimme, Gottes Stimme. Wenn aber die öffentliche Meinung das Gute, das Gerechte will, verspottet man sie, und verlangt sie mit Beharrlichkeit, antwortet man ihr mit Flinten¬ schüssen! Die Unverschämten! Man höre doch wie sie jetzt über neue Ereignisse, wo dumme verführte Völker Tyrannei begehren, sprechen, wie sie ihrem Bruder Sultan Mahmud und ihrer Schwester der Königin von Spanien, den Text lesen. Was! Ihr trotzt dem Volke? Ihr wollt ihm liberale Institu¬ tionen aufdringen, die es verabscheut? Ist das menschlich, ist das gerecht, ist das königlich? Könnt Ihr das vor Gott und seinen Propheten verantwor¬ ten? Das Volk ist gut, das Volk ist weise, das Volk ist gerecht, das liebe Volk weiß immer was es will, was ihm gut ist; das Volk ist das Land; das Volk ist Alles. Wer es mit dem Volke verdirbt geht zu Grunde. . . . So reden sie. Hat doch neulich Euer monsieur Durand in Frankfurt, der französische Advokat des deutschen Bundes, als er von der mißlichen Lage des Sultans sprach, ausgerufen: ces réformes ré ¬ pugnaient à son peuple, et c'est de son peuple qu'il aurait besoin aujourd'hui .“ O mein sehr weiser, mein sehr bundestäglicher Herr Durand — wenn sie wieder einmal den Berg Sinai hinaufsteigen, wenn sie wieder eine Zusammenkunft mit Egeria haben, wenn ihnen Mahomeds Taube wieder einmal in das Ohr flüstert, dann fragen Sie doch Ihr Orakel: wie es denn mit den Reformen wäre, welche die Bundestagbeschlüsse dem Widerwil¬ len des deutschen Volkes aufgedrungen, und ob nicht eine Zeit kommen könnte, wo dieses üble Folgen hätte? Lassen Sie an dem Thore des taxischen Hauses, an den Pallästen des Königs von Baiern, des Großherzogs von Baden, des Großherzogs von Darmstadt, des Kurfürsten von Hessen, und aller übrigen weintrinkenden Sultane Ihre goldenen Worte mit goldenen Buchstaben in Marmor graben: „ ces réformes répugnaient à son peuple , et c'est de son peuple qu'il aurait besoin aujourd'hui .“ Unten drunter lassen Sie einst¬ weilen 183 ... setzen; die vierte Jahreszahl und der Monatstag, sind dann schnell hinzugethan. Mittwoch, den 30. Januar. Ein Professor Wolf in Jena, sagt in seinem Buche über die schöne Litteratur: „Börne hat es in „seiner letzten Zeit mit dem Publikum verdorben „durch seine Briefe aus Paris, weil er den Spaß „zuweit trieb und die Menge zu beschränkt war um ein¬ „zusehn, daß jene Uebertreibungen wirklich nichts sind, „als etwas grober und zu Zeiten unziemlicher Spaß.“ Dieser unbeschränkte Wolf ist auch einer von un¬ sern Leuten , die es in der christlich deutschen Bildung bis zur blonden Philisterei gebracht. Einer der einmal eine Ohrfeige bekam, fragte: mein Herr ist das Spaß oder Ernst? — völliger Ernst. — Nun das ist Ihr Glück, denn solchen dummen Spaß kann ich nicht ertragen. — Der schrankenlose Professor, wenn er jetzt meine neuen Briefe liest, wird auch sagen: Nun das ist sein Glück, daß er Alles für Ernst erklärt, denn solchen dummen Spaß können wir nicht vertragen. Adieu! Vier und zwanzigster Brief. Paris, Donnerstag den 31. Januar 1833. Berenger , die Nachtigall mit der Adlerklaue, hat wieder gesungen. Gestern wurde ein neuer Band Lieder von ihm ausgegeben. Ich hatte noch nicht Zeit sie zu lesen; aber in meinem nächsten Briefe schreibe ich Ihnen darüber und dann schicke ich Ihnen das Buch durch die erste Gelegenheit. Ein Reisender der aus Deutschland kam, hat mir meine Briefe geliehen, die hier immer noch nicht angekommen sind. Der erste Band kam mir unbe¬ deutend vor, im zweiten habe ich einige gute Sachen gefunden! Es scheint, daß ich im Januar und Fe¬ bruar am meisten Verstand habe. Das kann aber nicht immer so gewesen sein; denn in einem dieser Monate habe ich Sie einst kennen gelernt. Als Conrad das Buch liegen sah, rief er aus: „Sind „das Ihre neuen Briefe! Das wird wieder große „Freude im Lande sein.“ Schöne Freude! In der Münchner Hofzeitung soll stehen: wenn Deutsch¬ land noch einen Galgen übrig hat, verdiente ich wegen meiner radikalen Niederträchtigkeit daran gehangen zu werden. Ich werde mich aber um das Hofpöbel- Geschwätz und um das ganze monarchische Gesindel nicht mehr bekümmern. Nicht die geringste Lust habe ich ein Wunder zu wiederholen und meine Rezensen¬ ten zum zweitenmal aus dem Tode zu erwecken. Friede sei mit ihren Gebeinen. Einmal war nöthig, aber einmal ist auch genug. Uebermorgen wird im Theater der Porte-St.- Martin, ein neues Drama von Victor Hugo aufge¬ führt. Ich war eben dort mir einen Platz zu neh¬ men; es war aber keiner mehr zu haben. Schon auf acht Tage hinaus sind alle Plätze bestellt. So ungeschickt bin ich immer, ich komme jedesmal zu spät, und seit ich Paris besuche, ist es mir noch nie¬ mals gelungen einer ersten Vorstellung beizuwohnen, welche immer die interessanteste ist. Das wird be¬ sonders diesmal der Fall sein; denn wegen der Ver¬ folgung die Victor Hugo neulich von den Ministern zu erdulden hatte, werden seine Freunde und die Feinde der Regierung gewiß Rache zu nehmen suchen. Ohne dies spielt das neue Drama in dem Hause Borgia, diesem bekannten Italienischen Fürstenge¬ schlechte, dessen Blut von der Sünde schwarz ge¬ worden war. Da werden Dichter und Zuhörer dem monarchischen Prinzip wohl wieder etwas auf den Fuß treten. Das unglückliche monarchische Prinzip! Aus Angst und Verzweiflung, daß man ihm einen Theil seiner Schätze geraubt hat, packt er sich gleich Molieres Geizigen, an der eignen Brust und schreit: halt den Spitzbuben! Mein Geld heraus! So weh thut ihm keiner seiner Feinde, als er sich selbst thut. Sie werden aus den Pariser Zeitungen halb errathen haben, welche neue Thorheiten und Schändlichkeiten die Regierung wegen der Her¬ zogin von Berry begangen hat. Sie schickte zwei hiesige Aerzte nach Blaye. Daran wäre nun weiter nichts auffallendes gewesen, da die Legitimisten selbst laut gejammert hatten, die Berry sei krank und würde dem dortigen Klima unterliegen. Aber die Minister des Königs — es kam darauf an, die Ge¬ burt des Herzogs von Bordeaux verdächtig zu ma¬ chen — ließen drucken: die Aerzte hätten eine ganz besondere wichtige Sendung, sie hätten den Auftrag einen Punkt der gerichtlichen Medizin in das Reine zu bringen. Darauf schreiben die legetimisti¬ schen Blätter von Gift, sprachen von Vergiftung. Natürlich war das Verläumdung. Die Aerzte kamen von Blaye zurück und die Legitimisten, diese dummen Pfaffen des monarchischen Prinzips, erzählten den wahren Hergang der Sache, wie sie ihn zu wissen glaubten. Die Aerzte wären verlegen, schamroth, stotternd vor der Herzogin erschienen und hätten kein Wort hervorzubringen gewußt. Sie aber, wie es der Wittwe eines Märtyrers, der Mutter des Wunderkindes gezieme, wäre stolz vor die armen Doktoren hingetreten und hätte erhaben, erhaben, sehr erhaben über alle weiblichen Schwächen, ihnen selbst den Mund geöffnet und gesagt: „Ich weiß, „warum Ihr gekommen; jetzt seid Ihr hier, jetzt un¬ „tersucht Ihr alles gehörig, und nicht eher sollt Ihr „das Zimmer verlassen, bis Ihr alles gehörig unter¬ „sucht habt. Man soll wissen, woran man ist:“ Die medizinischen Richter untersuchten alles gehörig und fanden alles gehörig, und gingen darauf mit rother Stirne fort. Mich ärgert die Geschichte. Jetzt wird nun Jarke mit dem ganzen monarchischen Trosse frohlockend ausrufen: „ Seht Ihr , seht Ihr , was von einer repräsentativen Verfassung heraus¬ kömmt, welche schöne Folgen Oeffentlichkeit und Preßfreiheit haben? Hat man in einem Lande das nicht mit der Preßfreiheit verflucht ist, je von der Mütterlichkeit einer Prinzessin Wittwe reden ge¬ hört?“ Ganz Recht hat Herr Jarke. In solch einem glücklichen Lande erfährt man dergleichen nie. Nichts ist abschenlicher und furchtbarer als die Pre߬ freiheit; sogar einer fürstlichen verwittweten Unschuld kann sie einen bösen Leumund machen. Was das elend kranke monarchische Prinzip im¬ merfort an sich kurirt! wahrhaftig man muß Mitleid mit ihm haben. Da es sieht, daß ihm Aerzte und Apotheker nicht helfen können, nimmt es zu alten Weibern seine Zuflucht, und gebraucht sympathetische Mittel. Vorgestern war ein Ball bei Hofe und da erschienen mehrere Damen „die presque jolies et „ à peu près jeunes “ waren, zum allgemeinen Er¬ staunen mit Puder in den Haaren, und gekleidet nach der Mode aus der tugendhaften Zeit der Regentschaft. Die königliche Familie überhäufte diese tugendhaften ge¬ puderten, loyalen, monarchischen, fast schönen und ungefähr jungen weiblichen Köpfe, mit Gunst¬ bezeugungen aller Art. Der Herzog Decazes machte ihnen den Hof im Namen der Camarilla. Thiers sagte ihnen im Namen der Doktrinairs die schönsten Schmeicheleien. Im Namen des diplomatischen Corps überreichte ihnen der päpstliche Nuncius Confect und Eis. Herr Pasquier im Namen der Pairs, erklärte diesen Tag für einem jour heureux et à jamais mémorable . Aber im Namen des Volks wurden sie von allen übrigen ausgelacht. Von Thiers wun¬ dert es mich, da er doch eine Geschichte der franzö¬ sischen Revolution geschrieben und wissen mußte, daß Mirabeau und Robespierre sehr gepudert waren und daß Madame Rolland eine steife Schnürbrust getra¬ gen. Den andern Tag schickten drei Gesandte Cou¬ riere an ihre Höfe und man glaubt, dieser Puder werde sehr viel zur Schlichtung der Belgischen Angele¬ genheit beitragen, weil die heilige Allianz an dem ernsten Willen Louis Philipps, das reine monarchi¬ sche Princip herzustellen und die ungepuderte und un¬ geschminkte Preßfreiheit zu vertilgen, nun nicht län¬ ger mehr zweifeln könnte. Aus Spanien blüht uns wieder eine neue Hoff¬ nung entgegen. Es ist dort in mehreren Provinzen eine bedeutende Revolution ausgebrochen; zwar eine Carlistische, aber die hilft auch. Sie unterscheidet sich von einer liberalen nicht mehr als Kreuz-Aß von Herz-Aß; der Werth ist der nämliche uud die Farbe des Trumpfes kann allstündlich ändern. Auf keine Weise ist zu fürchten daß sich die Spanier in den Schlaf protokolliren lassen. Eine diplomatische Con¬ ferenz verdaut nimmermehr solch ein hartes Volk. Wenn das dort Bestand hat, werden wir es in Deutschland bald an den frischen Ohrfeigen spüren, die man uns geben wird, wir sind die Menins aller ungezogenen Völker — sie die Unarten, wir die Schläge. VI . 4 Samstag, den 2. Februar. Die Hefte von Rießer mögen Sie mir schicken. Was ich früher von ihm gelesen, deutet auf ein vorzügliches Talent; aber mit seinem Journale ist es ein großer Mißverstand. Wer für die Juden wirken will, der darf sie nicht isoliren; das thun ja eben deren Feinde zu ihrem Verderben. Was nützt ein eignes Journal für die Juden? Ihre Freunde brauchen es nicht, denn sie bedürfen keiner Zusprache; ihre Gegner nehmen es gar nicht in die Hand. Um ihnen zu helfen, muß man ihre Sache mit dem Rechte und den Ansprüchen der allgemeinen Freiheit in Verbindung bringen. Man muß nur immer gelegentlich, unerwartet von ihnen sprechen, damit der ungeneigte Leser gezwungen werde sich damit zu beschäftigen, weil es auf seinem Wege liegt. Ich meine auch, es wäre auf diese Weise leichter die Juden zu vertheidigen, jedem der keine blinde Liebe für sie hat. Ich habe oft und warm für sie ge¬ sprochen! hätte ich sie aber isolirt, wäre mir die Gerechtigkeit gar zu sauer geworden. Es scheint, Rießer möchte die Nationalität der Juden gewahrt sehen. Aber die Nationalität der Juden ist auf eine schöne und beneidenswerthe Art zu Grunde gegangen; sie ist zur Universalität geworden. Die Juden beherrschen die Welt, wie es ihnen Gott verheißen; denn das Christenthum beherrscht die Welt, dieser schöne Schmetterling, der aus der garstigen Raupe des Judenthums hervorgegangen. Die scheinbeherrschte Menge, hier und dort, mag das verkennen, aber der denkende Mann begreift es. Die Juden sind die Lehrer des Cosmopolitismus, und die ganze Welt ist ihre Schule. Und weil sie die Lehrer des Cosmopolitismus sind, sind sie auch die Apostel der Freiheit. Keine Freiheit ist möglich, so lang es Nationen giebt. Was die Völker trennt, vereinigt die Fürsten; der wechselseitige Haß, der die Einen trennt und schwach läßt, verbindet die Andern zu wechselseitiger Liebe und macht sie stark. Die Könige werden Brüder bleiben und verbündet gegen die Völker, so lange ein thörichter Haß diese auseinander hält. Auch die Edelleute sind stark, weil sie kein Vaterland kennen. Deutsche! Fran¬ zosen! Ihr zumal, Schiedsrichter der Welt, laßt euch nicht länger thöricht von euren Herrschern zum wahnsinnigen Patriotismus entflammen. Weil man euere Vereinigung fürchtet, soll wechselseitiges Mi߬ trauen euch ewig getrennt halten. Was sie als Vaterlandsliebe preisen ist die Quelle eures Ver¬ derbens. Verstopft sie, werfet Kronen und Scepter 4* und zerschlagene Throne hinein, und ebnet den Boden mit dem Pergament-Schutte eures Adels. Dann bringt die Freiheit, Ihr Deutsche dem Norden, Ihr Franzosen dem Süden, und dann ist überall wo ein Mensch athmet euer Vaterland, und Liebe eure Religion. Sie sind neugierig? Das ist merkwürdig. So etwas habe ich von einem Frauenzimmer nie gehört. In Diderots Encyclopädie, in der von Krünitz im Conversationslexicon, in der Biographie universelle , im Bayle, in der großen englischen Weltgeschichte, im Büffon, in der Bibel, im Koran, in meinen gesammelten Schriften, in keinem dieser Werke ist auch nur ein Wort zu finden das auf die Existenz weiblicher Neugierde hindeutet. Es ist die merkwürdigste Entdeckung seit der Sündfluth. Aber es thut mir leid, ich muß Sie schmachten lassen. Aufrichtig zu sprechen, es ist etwas in dieser Ge¬ schichte, daß ich nicht mittheilen darf. So habe ich reiflich zu überlegen, wie ich sie Ihnen erzählen soll, ohne etwas hinzuzulügen, und doch zugleich zu ver¬ schweigen, was geheim bleiben muß. Die halbe Wahrheit zu sagen, das ist eine künstliche Drechsler¬ arbeit; ganz zu lügen ist viel leichter. Uebrigens kann ich Sie versichern, daß die Geschichte gar nicht so romantisch ist, als Sie sich vielleicht vorstellen. Ich habe mehr wissentschaftliches als Kunstinteresse daran, und wäre ich nicht so wißbegierig, hätte ich mich schon längst dabei gelangweilt, doch das kann ich Ihnen mittheilen, daß jetzt die Tochter nicht mehr allein eifersüchtig ist, sondern auch die Mutter, und daß erstere mich seit vierzehn Tagen nicht mehr re¬ spectable nennt, sondern aimable ; einmal sagte sie sogar adorable . Ich weiß nicht was sie mit mir vor hat, aber sie abelt mich in einem fort. Bald wird ihr nichts mehr übrig bleiben, als mich exé¬ crable zu nennen. Jetzt schmachten Sie ruhig fort und lassen Sie sich durch nichts stören. Es wird nicht lange dauern — vier Wochen, sechs Wochen, vielleicht zehn, höchstens ein Jahr oder anderthalb. Fuͤnf und zwanzigster Brief. Paris, Montag, den 4. Februar 1833. Berangers neue Lieder haben nicht das jugend¬ liche Herz der frühern, in welchem reines Quellblut sprudelte. Wir aber die den Dichter lieben, lesen sie wieder frisch. So blühen verwelkte Blumen neu auf, wenn man sie in warmes Wasser stellt. Be¬ ranger fühlt es selbst, daß er schwächer geworden; aber er sagt: nicht sein Alter allein, sondern auch der Ernst der Zeit, hätte seine Sangesweise schwer und nachdenklich gemacht. Mir aber scheint, daß seine Verachtung nicht mehr ausgereicht für die Ver¬ ächtlichkeit, sein Spott nicht mehr für die Lächerlich¬ keit der jetzigen Machthaber und ihres Treibens und daß darum sein sonst so siegsfroher Kampf alle Freu¬ digkeit verloren. Er hat die Gedichte Lucian Bonaparten zugeeignet, der ihn einst in seiner Jugend von der Armuth rettete und ihm wieder forthalf. Die Worte der Zueignung sind würdig und rührend. Da sagt er uuter andern: J 'ai toujours penché à „croire qu'a certaines les lettres et les „arts ne doivent pas être des simples objets de luxe .“ Das mögen sich unsere deutschen gelehrten Zeug-Fabrikanten und unsere poetischen Goldarbeiter merken, die, in der Schule Göthes gebildet, ihre Wissenschaft und Kunst und ihr edles Gewerbe her¬ abzuwürdigen glauben, wenn sie je auf etwas anders als auf neue Erfindungen für die Lust der Reichen und Vornehmen sinnen, wenn sie je an etwas anderm, als an Kronen und Ordenssternen arbeiten. In der Vorrede sagt Beranger: das wären seine letzten Lie¬ der und er wolle den Rest seines Lebens verwenden, die Denkwürdigkeiten seiner Zeit aufzuschreiben. Diese Drohung braucht uns keine Sorge zu machen; Dichter und Liebende schwören oft falsch. „Das Glück der Menschheit war der „Traum meines Lebens .“ Hätte Beranger nur das nicht gesagt! Das sagen ja eben die Andern auch, die das Glück der Menschheit nicht wollen. Sie spotten: Ihr träumt, Ihr schwärmt! Nein, es ist kein Traum; aber freilich wenn man schläft ist alles Traum. Schlummert nicht, wachet auf! Es giebt jetzt zehntausendmal mehr glückliche Menschen, als es vor vierhundert Jahren gab. Aber gewiß lebten da¬ mals auch Dichter und Philosophen, welche von dem Glücke der Menschheit träumten, und gewiß wurden sie von den Weltleuten auch verhöhnt wegen ihrer Schwärmereien. Und doch ist alles besser geworden, und ohne Zweifel übersteigt die Wohlfahrt der heuti¬ gen Welt, weit die Hoffnung jener Gutgesinnten, weit die Furcht jener Schlechtgesinnten. Was hat sich geändert? Hat das Glück der Menschheit sich vermehrt? Nein. Die Summe des Glücks ist im¬ mer die nämliche, nur kömmt es darauf an wie sie vertheilt ist. In jenen frühen Jahrhunderten war alles Land und Gut, aller Reichthum und alle Lust des Lebens, waren alle Waffen zur Vertheidigung der Güter des Lebens in alleinigem Besitze der Edel¬ leute und alle Kunst und Wissenschaft und göttliche Erkenntniß waren Eigenthum der Geistlichkeit. Sie hatten alles, wußten alles, konnten alles; das Volk war arm, dumm und wehrlos. Der Frühling kam, der Adel und Geistlichkeit aufgelöst und da flossen Reichthum und Wissen von selbst auf das Land herab. Vollendet jetzt das Werk, mit eures Geistes, mit eurer Hände Kraft, und wartet nicht auf die Zeit die lang¬ sam zerstört und noch langsamer bildet. Die Zeit ist eine Seidenraupe; wollt ihr Seide spinnen, dürft Ihr nicht warten, bis sich der Schmetterling entfal¬ tet. Gott gab dem Menschen die Zukunft, daß er sie zur Gegenwart mache; aber wir sind zu faul und niederträchtig feige, daß wir die Gegenwart zur Zukunft werden lassen. Die Vergangenheit ist unsere Gegenwart, und wir Narren sind zufrieden wenn wir altbacken Brod essen. Jeder Fürst eines großen Landes verzehrt das Glück von hunderttausend seiner Unterthanen, jeder kleine Fürst nach Verhältniß noch mehr. Jede Universität macht das Land zehn Mei¬ len in der Runde dumm. Wenige sollen Alles wissen, damit Alle nichts wissen. Unsere Gelehrten sind die Schatzmeister der Aufklärung. Diese Nar¬ ren bilden sich ein, sie würden von den Regierungen gut bezahlt, damit sie den Schatz in Ruhe und Frie¬ den genießen. O nein; man stellt sie an daß sie den Schatz wohl verschlossen halten, damit nichts davon unter das Volk komme. Mit dem allein was die Göttinger Bibliothek gekostet, könnte man in ganz Deutschland Dorfbibliotheken errichten. Wenn man dreißig Fürsten in zwanzig Millionen Bürger und Bauern, wenn man dreißig Professoren in dreißig tausend Schulmeister zerschlüge — in jedem gehei¬ men Hofrath stecken ihrer tausend — wäre ein gan¬ zes Volk wohlhabend, gebildet, sittlich und glücklich. Dann würde das Unglück der Menschheit, der Traum der Schlechten sein. Wonach ich in diesen Liedern am begierigsten sah, können Sie sich leicht denken. Nach den Ge¬ sinnungen und Aeußerungen Berangers über den Zu¬ stand Frankreichs. Mit wahrer Angst suchte ich das auf; denn ich habe seit zwei Jahren oft flüstern hö¬ ren: nicht aus Mangel an Stoff ließ Beranger sei¬ nen Zorn schweigen, sondern aus einem andern Man¬ gel. Ich glaubte das halb und es machte mir Kum¬ mer. Ich glaubte es — denn die schöne Zeit ist nicht mehr, wo nur die Verläumdung edle Menschen beschädigen konnte; das thut auch jetzt der Argwohn der Guten, der wie ein Rost das reinste Gold der Tugend verzehrt. Der Wein, welchen die Macht in großen Strömen fließen läßt, die Vernunft und das Herz der Welt zu überschwemmen, daß sie ihr Mit¬ schuldige werde, hat auch viele der Edelsten berauscht und die Regierungen haben es in ihrer geheimen Scheidekunst so weit gebracht, daß sie selbst aus Ro¬ senwasser das stärkste Gift destilliren können Dank dem Himmel, das fand ich nicht in den Liedern; ich fand aber auch nicht Alles was ich suchte. Den Stoff den ihm die Regierung Louis Philipp's angeboten, der viel schöner und reicher ist, als der der frühern Zeit, hat Beranger träge bear¬ beitet. Aber es giebt außer der Bestechung durch Geld, noch eine andere; die durch Worte und Schmeicheleien. Viele von den alten Freunden Be¬ rangers theilen jetzt den Gewinnst und die Sünden der Macht. Es kann ihm wohl einer derselben vor¬ gestellt haben: er möge bedenken, welchen großen Einfluß seine Lieder auf das Volk hätten und daß sie am meisten die Revolution vorbereitet. Er möge bedenken, in welcher gefährlichen Lage der König den Partheien und dem Lande gegenüber stehe — das bedenken und darum schonen. Vielleicht zeigte man ihm auch in einiger Entfernung ein Endchen von ir¬ gend einem Geheimnisse der heiligen Allianz. Da ließ sich der gute Beranger überlisten und versprach zu schweigen. Später sah er wohl ein, daß er ge¬ täuscht worden, aber er hatte einmal sein Wort ge¬ geben. So zielen Berangers politischen Lieder, zwar auf die Scheibe, aber nicht mehr wie früher auf das Schwarze. Das was ich in meinen vorjährigen Briefen mittheilte, la paix, und das deutlich den Stempel des Dichters trägt, ist nicht gedruckt worden. Die Minister und die Kammer und die unhandgreifliche Regierung bespöttelt er etwas in dem Liede la restauration de la chan¬ son . In den ersten Tagen nach der Revolution hatte Beranger gesagt, „ on vient de détrôner „Charles X et la chanson.“ Darauf bezieht sich das Lied, von welchem hier die zwei ersten Stro¬ phen folgen. Oui, chanson, Muse ma fille J'ai déclaré net Qu'avec Charles et sa famille On te détrônait. Mais chaque loi qu'on nous donne Te rappelle ici. Chanson, reprends ta Couronne — Messieurs, grand merci! Je croyais qu'on allait faire Du grand et du neuf; Même étendre un peu la sphère De quatre — vingt — neuf. Mais point! On rébadigeonne Un trône noirci. Chanson, reprends ta Couronne — Messieurs, grand merci! Diesem Liede unmittelbar vorher geht ein an¬ deres, dem es gleichsam als Beweis folgt. Der Minister Sebastiani wollte, so zart wie möglich, den Dichter reich machen. Er antwortete ihm in dem schönen Liede: Le refu s, darin sagt er: Qu'un peu d'argent pleuve en mon trou. Vite il s'en va, Dieu sait par où! D'en conserver je désespère. Pour recoudre à fond mes goussets, J'aurais dû prendre, à son décès, Les aiguilles de mon grand-père. Ami, pourtant gardez votre or. Las! j'épousai, bien jeune encor, La Liberté, dame un peu rude. Moi, qui dans mes vers ai chanté Plus d'une facile beauté, Je meurs l'esclave d'une prude. La Liberté! c'est, Monseigneur, Une femme folle d'honneur; C'est une bégueule enivrée Qui, dans la rue ou le salon, Pour le moindre bout de galon, Va criant: A bas la livrée! Aus einem philosophischen Gedichte Les Fous sind folgende schöne Verse: Combien de temps une pensée, Vierge obscure, attend son époux! Les sots la traitent d'insensée; Le sage lui dit: Cachez-vous. Mais la rencontrant loin du monde, Un fou qui croit au lendemain, L'épouse; elle devient féconde Pour le bonheur du genre humain. Qui découvrit un nouveau monde? Un fou qu'on raillait en tout lieu. Sur la croix que son sang inonde, Un fou qui meurt nous légue un Dieu. Si demain, oubliant d'éclore, Le jour manquait, eh bien! Demain Quelque fou trouverait encore Un flambeau pour le genre humain. Ob Sie zwar die Gedichte bald erhalten wer¬ den, habe ich mir doch die große Mühe gegeben, zwei derselben worin Beranger seine Liebe zu den Königen herrlich tönen ließ, ganz für Sie abzuschrei¬ ben. Ich weiß welche Freude es Ihnen macht in meinem armen ausgetrockneten Mühlbache wieder etwas Wasser zu sehen. Conseil aux Belges. Finissez-en nos fréres en Belgique Faites un roi, morbleu, finissez-en. Depuis huit mois, vos airs de république Donnent la fièvre à tout bon courtisan. D'un roi toujours la matière se trouve: C'est Jean, c'est Paul, c'est mon voisin, c'est moi. Tout oeuf royal éclôt sans qu'on le couve. Faites un roi, morbleu, faites un roi. Faites un roi, faites un roi. Quels biens sur vous un prince va répandre! D'abord viendra l'étiquette aux grands airs; Puis des cordons et des croix à revendre; Puis ducs, marquis, comtes, barons et pairs. Puis un beau trône, en or, en soie, en nacre, Dont le cousin prête à plus d'un émoi. S'il plait au ciel, vous aurez même un sacre. Faites un roi, morbleu, faites un roi. Faites un roi, faites un roi. Puis vous aurez baisemains et parades, Discours et vers, feux d'artifice et fleurs; Puis force gens qui se disent malades Dès qu'un bobo cause au roi des douleurs Bonnet de pauvre et royal diadème Ont leur vermine: un dieu fit cette loi. Les courtisans rougent l'orgueil suprême. Faites un roi, morbleu, faites un roi. Faites un roi, faites un roi. Chez vous pleuvront laquais de toute sorte; Juges, préfets, gensdarmes, espions; Nombreux soldats pour leur prêter main-forte; Joie à brûler un cent de lampions. Vient le budget! nourrir Athène et Sparte Eut, en vingt ans, moins couté. sur ma foi. L'ogre a diné; peuples, payez la carte. Faites un roi, morbleu, faites un roi. Faites un roi, faites un roi. Mais, quoi! je raille; on le sait bien en France; J'y suis du trône un des chauds partisans D'ailleurs l'histoire a répondu d'avance: Nous n'y voyons que princes bienfaisans. Pères du peuple ils le fout pâmer d'aise; Plus il s'instruit moins ils en ont d'effroi; Au bon Henri succède Louis treize. Faites un roi, morbleu, faites un roi. Faites un roi, faites un roi. Prédiction de Nostradamus pour l'an deux mil. Nostradamus, qui vit naître Henri quatre Grand astrologue, a prédit dans ses vers, Qu'en l'an deux mil, date qu'on peut débattre, De la médaille on verrait le revers. Alors, dit-il, Paris dans l'allégresse, Au pied du louvre oura cette voix: „Heureux Français, soulagez ma détresse; „Faites l'aumône aux dernier de vos rois.“ Or, cette voix sera celle d'un homme Pauvre, à scrofule, en haillons, sans souliers Qui, né proscrit, vieux, arrivant de Rome, Fera spectacle aux petits écoliers. Un senateur criera: „L'homme à besace! „Les mendians sont bannis par nos lois. „— Hélas! monsieur, je suis seul de ma race. „Faites l'aumône au dernier de vos rois. „Es-tu vraiment de la race royale? „— Oui, repondra cet homme, fier encor. „J'ai vu dans Rome, alors ville papale, „A mon aïeul, couronne et sceptre d'or. „Il les vendit pour nourrir le courage „De faux agens, d'écrivains maladroits. „Moi, j'ai pour sceptre un bâton de voyage. „Faites l'aumône au dernier de vos rois. „Mon père âgé, mort en prison pour dettes „D'un bon métier n'osa point me pourvoir. „Je tends la main; riches, partout vous êtes „Bien durs au pauvre, et Dieu me l'a fait voir. „Je foule enfin cette plage féconde „Qui repoussa mes aïeux tant de fois. „Ah! par pitié pour les grandeurs du monde „Faites l'aumône au dernier de vos rois. „Le senateur dira: Viens, je t'emméne „Dans mon palais; vis heureux parmi nous. „Contre les rois nous n'avons plus de haine: „Ce qu'il en reste embrasse nos genoux. „En attendant que le sénat décide „A ses bienfaits si ton sort a des droits, „Moi, qui suis né d'un vieux sang régicide, „Je fais l'aumône au dernier de nos rois.“ VI . 5 Nostradamus ajoute en son vieux style: La république au prince accordera Cent louis de rente, et, citoyen utile, Pour maire, un jour, Saint-Cloud le choisira Sur l'an deux mil on dira dans l'histoire Qu'assise au trône et des arts et des lois, La France en paix reposant sous sa gloire, A fait l'aumône au dernier de ses rois. Dienstag, den 5. Februar. Weiber heraus! Herbei mit Stecknadeln, mit Nähnadeln, mit Haarnadeln, mit Stricknadeln, mit scharfen Zungen, mit Fischbeinen, mit Zwirnknäulen, mit Haarflechten! Es gilt eure Ehre; ich führe euch an. Die Darmstädter wollen euch den Zutritt in ihre Kammer verweigern. Sie haben euch gelä¬ stert deutsch und französisch. Sie haben gesprochen von Ariovist von Cäsar, von den Römern, von den Germanen, von Montesquieu, vom Orient, vom Occident, von den Spartanischen Frauen, von Göthe, Schiller, von den schätzbaren Winken, welche die phi¬ losophischen Schriften des Königlich-Preußischen Staatsministers Ancillon über diesen Punkt enthalten. Von Himmel und Erden, von Gott und Teufel. Sie haben gesprochen von dem dröhnenden Ge¬ heule der germanischen Weiber und wie Cä¬ sar vier Wochen gebraucht, seine Soldaten an den Graus zu gewöhnen und wie er früher die Schlacht nicht gewagt. Zwar hat eure Sache durch eine kleine Stimmenmehrheit gesiegt; aber das hilft euch 5 * nichts. Die Regierung dort wird euch nie in die Kammer lassen, denn sie zittert vor euch. Sie fürch¬ tet, manchem würde euer Lächeln mehr sein als das gnädige Lächeln des Fürsten, euer Händedruck schmei¬ chelnder als das Achselzucken eines Ministers und euer Spott gefährlicher als die Unzufriedenheit des Preußischen Gesandten. Darum sammelt euch! In Ordnung! Die Häßlichsten im ersten Gliede! Vor¬ wärts! .... Was ist? Ihr zaudert? Habt ihr Furcht? .. Ja so! ... Die Schönsten voraus! Marsch! ... Halt! Kehrt wieder um und gehet nach Hause. Es fällt mir eben ein, daß sie Recht haben; es sind schon Weiber genug in allen deutschen Kammern. Von den Duellen welche in diesen Tagen zwi¬ schen carlistischen und liberalen Journalisten Statt gefunden, werden Sie in den Zeitungen gelesen ha¬ ben. Aber bei euch mag man wohl die Bedeutung dieses Ereignisses nicht ganz fühlen. Es war sehr wichtig, es hat die Regierung aus ihrem süßen Traum geweckt. Man dachte, das Volk wäre todt, weil es nicht mehr brüllte, und da kam mancher Esel, wenn auch zitternd, herangestolpert, um durch einen Fu߬ tritt seine Tapferkeit und seine treue Anhänglichkeit für die doktrinäre Eselei zu beweisen. Da brüllte der Löwe wieder einmal und sie bekamen Angst. Die unverschämte Herausforderung der Legitimisten, die doch so schwach sind wegen ihrer geringen Zahl, wurde so gedeutet: daß diese Parthei durch den ge¬ heimen Schutz der Regierung sich stark fühle. Hat doch der Minister Broglie in der Kammer erklärt, die Vertreibung Carls X ., die ganze Revolution, sei keine Handlung des Rechts gewesen, sondern nichts als eine That der Gewalt, die man achten müsse, weil man müsse . So erkannte die öffent¬ liche Meinung in dem Trotze der Carlisten nichts als die Arglist der Regierung, und sie sprach sich so stark aus, daß die Doktrine ihre Fühlhörner er¬ schrocken in ihr Schneckenhaus zurückzog. Carrel , der Redakteur der National, der sich für die liberale Parthei hervorgestellt, ist lebensgefährlich verwundet worden. Jetzt ist er außer Gefahr. Wäre er ge¬ blieben, hätte er vielleicht ein riesengroßes Grab be¬ kommen. Auch haben der Hof, das Ministerium und die Gesandtschaften sich öffentlich oder im Stillen, so ängstlich um das Befinden dieses Republikaners erkundigen lassen, als wäre es ein legitimer Prinz. Von den amis des droits de l'homme allein haben sich achttausend gemeldet, um, je zwan¬ zig, es mit den Carlisten auszufechten. Ein Freund der gestern auf dem Büreau der Tribüne war, erzählte mir, die Zimmer wären alle von gemei¬ nen Arbeitsleuten voll gewesen, die gekommen wa¬ ren sich unter die Duellanten einschreiben zu lassen. Ich billige sonst Duelle bei gewöhnlichen Belei¬ digungen nicht. Die sogenannte Ehre ist nichts, als die falsche Münze der Tugend, ein kindisches und nichtswürdiges Ordensbändchen, das sich der Hoch¬ muth der Aristokratie erfunden, damit ihre Verdienst¬ losigkeit zu schmücken. Aber Duelle aus politischen Gründen preise ich. Man stirbt für die Freiheit so ehrenvoll in einem Zweikampfe und auf dem Schaf¬ fotte, als auf dem Schlachtfelde. — So will ich Ihnen denn die Erbschaftsge¬ schichte der Mars erzählen. Bei dieser Gelegenheit aber muß ich die Künstlerin um Verzeihung bitten; ich habe ihr großes Unrecht gethan. Wie ich gestern in einer Biographie gelesen, ist sie 1778 geboren, also gegenwärtig erst 55 Jahre alt und nicht 60, wie ich neulich gewiß nicht aus Bosheit, aber aus jugendlichem Leichtsinne behauptet hatte. Es geschah vor vielen Jahren, daß ein alter reicher Marquis sich in die Mars verliebte. Aber sie erbarmte sich seiner nicht. Er schrieb ihr seidne Liebesbriefe, hoch und weich ausgepolstert mit Bankzetteln; die Edle schickte ihm den Flaum sammt dem Ueberzuge zu¬ rück. Kürzlich befreite der Tod den armen Marquis von seinen Liebesleiden. Einmal fuhr er über den Platz Vendome der Wagen wurde umgeworfen, und der Marquis brach ein Bein. Man eilte herbei ihm zu helfen und ihn nach Hause zu tragen. Aber er erklärte mit fester Stimme den Umstehenden: hier liege ich und hier bleibe ich liegen und lasse mich nicht anrühren, bis der Wundarzt der Demoiselle Mars kömmt und mich in seine Behandlung nimmt. Man schickte zur Mars. Diese, zwar aufgebracht aber doch betrübt über den alten Narren, fuhr gleich zu ihrem Freunde und Arzt Düpuytrin und bat ihn, die Heilung des Marquis zu übernehmen. Nahe Ver¬ wandte hinterließ er nicht. Als seine vermuthlichen Erben das Inventarium machen ließen, und über die vielen schönen Sachen sich freueten, fanden sie unter der reichen Verlassenschaft ein Bild der Mars von Gerard gemalt. Die Erben dachten, die Mars werde dieses Bild wohl gern an sich bringen, und ließen sie das wissen. Sie eilte auch gleich in das Sterbehaus, ihr Bild in Augenschein zu nehmen. Während sie mit den Erben um den Preis des Bild¬ nisses unterhandelte, kamen aus dem Nebenzimmer die Notare mit einem Testamente heraus, das sie eben erst unvermuthet gefunden und gleich geöffnet hatten und sagten der Mars: sie möge nur das Bild und alles behalten, es gehöre alles ihr, sie wäre Universal-Legatarin. Die Mars stand mit einem Susanne-Lächeln, die Erben standen mit Ba¬ zile-Mäulern da. So belohnt der Himmel weibliche Tugenden. Noch eine andere Denkwürdigkeit ereignete sich bei diesem Anlasse. Als die Bücher des Marquis versteigert wurden, kam eine alte Bibel an die Reihe, vielleicht dreißig Sous im Kaufwerthe. Der Auc¬ tionator durchblätterte das Buch, ehe er es losschlug, um zu sehen, ob es nicht defekt sei, und der Käu¬ fer damit betrogen werde. Da fielen Bankzettel, nach und nach funfzig Stück, heraus, die als Papier¬ streifen zur Bezeichnung kräftiger und erbaulicher Stellen in der Bibel lagen. Denken Sie nur, wäre diese heilige Schrift nicht zufällig untersucht worden und ein armer frommer Teufel hätte sie gekauft für dreißig Sous, und zu Hause fünf und zwanzig viel¬ leicht funfzig Tausend Franken darin gefunden — das hätte vielleicht das Christenthum über ganz Pa¬ ris verbreiten können! Nutzanwendung : 1) Man weise alte Marquis zurück; ihr Tod ist einträglicher als ihr Leben. 2) Man kaufe alte Bibeln. — Es schrieb mir heute einer aus Stuttgart: der König habe darum die Kammer nicht selbst eröffnet, weil Pfitzer (Verfasser der Briefe zweier Deutschen) unter den Abgeordneten wäre, und den Schwur eines solchen Mannes könne er nicht annehmen. Ach! was habe ich wieder eine volle und schmutzige Esels¬ haut! Das ist meine wahre Peau de chagrin ; aber eine ganz andere als Balzac's seine. Diese wurde kleiner nach jeder Thorheit und Sünde: meine wächst nach jeder. Doch heute still davon. Lud¬ wig XIV . schrieb ein staatsrechtliches Buch zur Be¬ lehrung seines Nachfolgers. Darin ist der Grund¬ satz aufgestellt: „ Die Nation ist nichts für sich , sie ist ganz in der Person des Königs auf¬ gelöst .“ (La nation ne fait pas corps, elle ré¬ side toute entière dans la personne du roi.) Ludwig der letzte wird einst sprechen wie Ludwig XIV . gesprochen. Der letzte Wilhelm, der letzte Friedrich, der letzte Franz, der letzte Carl werden ge¬ sinnt sein, wie der erste Wilhelm, der erste Friedrich, der erste Franz, der erste Carl gesinnt waren. Es giebt keine andere Hülfe, als daß uns der letzte von allen befreie. Fuͤnf und zwanzigster Brief. Paris, Donnerstag, den 7. Februar 1833. Der Journalist Traxler aus Cöln, von dem ich Ihnen neulich geschrieben, hat sich gerettet und ist glücklich in Paris angekommen. Gestern besuchte er mich. Als er Abends, da es schon dunkel war, von dem Gerichte zurückkam, wo er sein Urtheil em¬ pfangen, bat er den Gerichtsdiener, der ihn in das Gefängniß führen sollte, ihn vorher in seine Woh¬ nung zu begleiten, wo er einiges Nöthige zu bestellen habe. Dem Verlangen wurde nachgegeben. Als der Huissier in das Zimmer eingetreten war, sprang Traxler hinaus, verschloß die Thüre hinter sich, stürzte auf die Straße hinunter, lief ohne Hut und Mantel zum Thore hinaus und kam so glücklich über die Grenze. Auch ist in diesen Tagen ein Bier¬ brauer aus Leipzig hier angekommen, der zu fünf¬ zehnjähriger Zuchthausstrafe verurtheilt war. Er saß schon lange in Pirna fest, als es ihm gelang seinen Kerker zu durchbrechen um den weiten Weg durch Deutschland nicht unerkannt, aber unverrathen zurückzulegen. So haben sich schon sehr viele Patrio¬ ten gerettet, von welchen ich sechs in Frankreich be¬ gegnet und gesprochen habe. Wenn man die Er¬ zählung von ihrer oft wunderbaren Rettung anhört, gewahrt man leicht und mit großer Freude, daß die¬ jenigen welche sie zu bewachen hatten, mit ihrer Flucht einverstanden waren, so, daß wenn sie auch nicht behülflich dabei gewesen, sie doch die Augen zu¬ gedrückt. Die Flüchtlinge dürfen zwar aus Klugheit und Dankbarkeit von einem solchen Einverständnisse nicht sprechen, doch aus den angegebenen Umständen erräth man es bald. Einer dieser Patrioten aber, der das Vertrauen zu mir unbedenklich fand, gestand es, daß ein Polizei-Beamter, und zwar ein solcher, der sich seit mehreren Jahren durch seine blinde Folg¬ samkeit gegen die Tyrannei ausgezeichnet hat, und darum in der ganzen Stadt verhaßt ist, ihm, ob er ihn früher zwar gar nicht gekannt, zu seiner Flucht behülflich ge¬ wesen. Wie erfreulich ist es nicht warzunehmen, daß die Karyaditen der Throne mit Menschengesich¬ tern und steinerner Brust, endlich auch warm werden und sich beklagen. Der gute Geist in Deutschland breitet sich im¬ mer mehr aus, auch unter den Offizieren und Un¬ ter-Offizieren. Und was dann? Die deutschen Fürsten werden bald keine andere Macht haben, als der Gerechtigkeit nachzugeben oder unterzugehen, und selbst diese Wahl bleibt ihnen nicht lange mehr. Sie brüten jetzt über die Wiederherstellung der alten deutschen Reichsgerichte, aber in den alten Kessel soll neues Gebräu kommen. Man spricht von deut¬ schen National-Gefängnissen, von hohen deutschen Bundesthürmen die gebaut werden sollen. Ich weiß das Nähere noch nicht, werde es aber bald erfahren. In den Blättern die Sie mir geschickt, habe ich von Weitzels „ Politische Ansichten der Ge¬ genwart “ nur noch einige Bruchstücke gefunden; ich hätte aber wahrscheinlich aus dem ganzen nicht klug werden können. Wer hieß aber auch den Mann schreiben in dieser Zeit und in seinen Verhältnissen? Wenn er sagt: „Der Gedanke aber, jetzt in Europa „der Monarchie, die sich mit der Aristokratie verbun¬ „den, ein Gegengewicht zu geben, kömmt um manche „Jahrzehente zu früh“ — so will ich mich auf¬ knüpfen lassen, wenn das sein Ernst war. Weitzel ist einer der besten und klarsten politischen Köpfe Deutsch¬ lands und sein Rath mit der Ausbesserung des Hau¬ ses zu warten, weil es noch manche Jahrzehente dau¬ ern könnte, bis uns das Dach über den Kopf zu¬ sammenstürzt, war gewiß nicht aufrichtig. Wenn einmal Aristokratie und Monarchie zusammenfallen, dann bleibt uns nichts mehr zu thun übrig. Man verliert alle Geduld. Da bitten sie uns täglich, wir möchten doch so gut sein, die Wirkung der Zeit ab¬ zuwarten. Als wenn Zeit und Natur zu etwas aus nichts schaffen! Als wenn sie nicht selbst vorher zer¬ stören müßten, um Neues zu bilden! Für solche Dummköpfe halten sie uns, daß sie uns unaufhörlich vorpredigen, wir möchten, ehe wir das verhaßte Alte zerstören, das beliebte Neue vorher aufführen. Wo wir aber Bauplätze herbekommen sollen, wenn wir nicht vorher den alten Schutt wegräumen; wo wir Zimmerholz hernehmen sollen, wenn wir keine Bäume umhauen — das Geheimniß predigen sie uns nicht. Und wenn sie zanken: Der Liberalismus könne nur zerstören , finden sich in Deutschland gutmü¬ thige, aber einfältige Menschen genug, die vor dem Schrecken dieses Vorwurfs zusammenfahren, und, aus Furcht für Mordbrenner gehalten zu werden, nach Hause schleichen, die Nachtmütze aufsetzen und in den Andachtsstunden lesen. Es ist etwas in den Deutschen, auch in den Freisinnigen, was ich nicht verstehe, wozu, mir es begreiflich zu machen, meine Psychologie nicht aus¬ reicht. Ich erstaune täglich über die Gefühllosigkeit, mit welcher die liberalen Deputirten der Kammer die unverschämten Reden der Minister anhören. Ich sage nicht sie sollen der Gewalt, Gewalt entgegen setzen; denn sie haben keine. Ich sage nicht: sie sollen der Frechheit wie es sich gebührt antworten und der Pflicht und Ehre ihren persönlichen Vortheil aufopfern; aber ich sage: sie sollen ihr antworten müssen . Ich bin auch kein Held, weder der Tapfer¬ keit noch der Tugend; ich würde vielleicht auch zahm seyn der Macht gegenüber; ich wäre wohl auch nicht aufopfernd genug für das Wohl des Volkes, das bei uns solche Aufopferung selten vergütet, mit Weib und Kindern zu verhungern; stünde ich der Anma¬ ßung eines Mächtigen gegenüber, würde ich vielleicht auch überlegen und schweigen. Es gäbe aber Ver¬ hältnisse in denen ich unfähig bliebe zu überlegen, in denen mein Herz den Verstand verdunkelte, und in solchen Verhältnissen stünde ich auch der Anmaßung eines Königs gegenüber, würde ich seine Krone, seine Kerker, seine Henker vergessen, und ihm begeg¬ nen wie es sich gebührt. Ich könnte mich wie ein Knecht, wie ein Verbrecher, wie ein Dummkopf ge¬ duldig behandeln lassen; aber wie einen Schulbuben — nie. Und warum sind sie Schulbuben, wo sie sich die Schwächeren fühlen? Weil sie Schulmeister sind wo die Stärkeren; der ganze Unterschied besteht nur in den Jahren. Ihre Frömmigkeit, ihre Sentimen¬ talität richtet sie zu Grunde. Vor lauter Begeiste¬ rung für das Gute, verlieren sie den Geist es zu Stande zu bringen. Thränen der Menschenliebe und Rührung verdunkeln ihnen den Blick, und der dümmste Jäger kann sie dann mit Händen fangen. So ein edler Deputirter sitzt, ohne es zu merken, wie ein Falk auf der Faust seines gnädigen Herrn und zeigt sich etwas hoch oben in der Luft, was der gnädige Herr mit seinem Geschosse nicht erreichen kann, nimmt er ihm die Kappe ab und läßt ihn steigen. Das edle Thier steigt, steigt, steigt, holt aus den Wolken ein Täubchen herab, und den Blick von der Sonne geblendet, gewahrt er gar nicht, daß er wieder zur alten Faust zurückkehrt und man ihm die Kappe von neuem über die Augen gezogen. Dann lachen die Junker verstohlen. In Cassel feierten sie den Jahrestag der Ver¬ fassung und schrieben am folgenden Tage: „ Tau¬ send stille Gebete und Wünsche für sie stei¬ gen zu dem Ewigen .“ Aber der Ewige selbst, ist nicht ewig genug, mit eurer ewigen Geduld ewige Geduld zu haben, und laute Flüche wären ihm wohl¬ gefälliger, als stille Gebete. Der Eröffnung der Würtemberger Stände ging ein feierlicher Gottesdienst voraus, und ein Prälat — versteht sich ein Haas — predigte über den Psalmen-Vers „ daß die Furcht des Herrn Ehre und Heil in das Land bringe “ und ging dann geschickt von dem Könige David auf den König Wilhelm über und nä¬ selte „ von der Treue gegen unsern verehr¬ ten König .“ Und die Deputirten fürchten die Furcht und laufen nicht zur Kirche hinaus! Und dann wird die Sitzung eröffnet, „ nachdem der Präsident in einer kurzen Anrede den Segen des Him¬ mels erfleht für den bevorstehenden Land¬ tag !“ Und dann erhebt sich ein hochherziger Depu¬ tirter, den ganz gewiß irgend ein loser Schelm von Staatsrath heimlich an seiner Großmuth gewitzelt, und macht den Vorschlag: man solle die Diäten der Deputirten von 5 auf 4 Gulden herabsetzen. Taumelnd stand gleich alles auf, was Edles auf den Bänken saß, und alle, einer nach den Andern, schrien wie die Kinder: „ ich auch , ich auch !“ Es war eine Rührung zum Ersaufen, und die Junker im Trocknen lachten wieder. Darauf nahm ein anderer Deputirter das Wort und sprach: „Ich verzichte nicht „auf meine fünf Gulden dreißig Kreuzer; ich werde „aber einen Gulden täglich den Armen zukommen lassen.“ Auch diese schönen Worte hatten vielstimmi¬ gen Widerhall. Endlich stand einer auf und rief: „Wenn man mich zum Präsidenten der Kammer er¬ „wählen sollte, werde ich mich, statt der festgesetzten „fünftausend Gulden, mit dreitausend begnügen.“ Und jetzt hielt die Tugend eine herzallerliebste Ver¬ steigerung und Einer forderte immer weniger als der Andere. Diesesmal aber als die Junker sahen, wie sich die Moral in Tausende verstieg, lachten sie nicht mehr, sondern sie murrten ....... Und solchen unverständigen Menschen ist das Wohl des Landes anvertraut! So lassen sie sich von ihrem Her¬ zen zum Besten haben! Sie sehen nicht ein, daß sie für einige tausend Gulden die sie durch Verminderung der Taggelder dem Volke ersparen, ihm vielleicht Millionen an andern Lasten auflegen. Denn wenn die Diäten so gering sind, daß sie den Deputirtenden Verlust ihrer Zeit nicht mehr vergüten, müssen sie zurücktreten und ihre Stellen den Reichen und den Staatsbeamten überlassen. Diese aber werden wie immer die Auflage so viel als möglich auf die untern Volksklassen wälzen. Es ist schön wenn einer edel ist; aber das sei er im Geheim. Edelleuten und Ministern gegenüber, soll ein Bürger Vl. 6 seine Tugend verstecken. So bald diese merken, daß sie es mit einem edlen Deputirten zu thun haben, übervortheilen sie ihn um so mehr, und betrügen in ihm das ganze Volk. Im Gegentheile, wir müssen stets Eigennutz heucheln, damit sie Achtung vor uns bekommen. Freitag, den 8. Februar. Der Spott, den jetzt die deutschen Fürsten mit ihren Ständen treiben, empört mich nicht; ich bin dessen schadenfroh. Ein edler Mann kann oft der Gewalt unterliegen und immer unverdient; aber der List unverdient, nur das Erstemal. Wen sie zum zweitenmale täuscht, der hat sein Geschick verschuldet, und es ist das zweite Mal, daß sich die deutsche Freiheit bethören läßt. Wieder einmal haben die konstitutionellen Fürsten die Schranken der Verfassung durchbrochen, die uns gegen ihren Uebermuth ge¬ schützt; wieder einmal jubeln sie wie die entsprunge¬ nen Sklaven. Die Gitterstangen die sie einge¬ schränkt, dienen ihnen jetzt zu Waffen diese Einschrän¬ kuug zu rächen, und mit den Gesetzen die sie aus den Boden gerissen, zerstören sie die Gesetze, die noch aufrecht stehen. Und nicht mehr wie früher, begnügen sie sich ihre Widersacher die ihnen in die Hände fallen, einzeln zu bestrafen; nein: sie bestra¬ fen die Städte, die Gemeinden, in welchen sich Wi¬ dersacher gegen sie hervorgestellt. Der König von 6 * Baiern hat die Stadt Würzburg, durch Verpflanzung mehrerer Aemter, durch Entfernung der berühmte¬ sten Universitätslehrer zu Grunde gerichtet. Die Garnison, der heilige Bischof, die allerheiligsten Edelleute verlassen die kleine gewerblose Stadt Frei¬ burg, um die Bürger zu züchtigen, daß sie Rotteck zum Bürgermeister gewählt. Der König von Wür¬ temberg, aus Unzufriedenheit, daß die Bevölkerung der Hauptstadt sich so freisinnig zeigt, will mit sei¬ nem Hofe und mit seiner Leibgarde nach Luwigsburg ziehen. Der Magistrat von Stuttgart um das große Unheil von dem Wohlstande der Gemeinde abzuwen¬ den, haben dem Könige einige von der Bürgerschaft unterzeichnete Adresse überreicht, worin diese den Kö¬ nig bittet nicht von Stuttgart wegzuziehen. So liegen jetzt alle Deutschen an einer gemein¬ schaftlichen Kette, und sie haben doch wenigstens eine Galeere zum Vaterlande. In Baiern soll es nicht mehr zu ertragen sein. Ich habe heute drei ange¬ sehene und reiche Gutsbesitzer aus Rheinbaiern ge¬ sprochen, die nach Amerika reisen, um für eine große Menge ihrer Landsleute eine Niederlassung auszu¬ mitteln. In Rheinbaiern, erzählen sie, steige die Tyrannei täglich, und sie wollten sich retten, wäh¬ rend ihnen noch Kraft zur Rettung bliebe. Das sind keine Advokaten, keine Demagogen, keine Schrift¬ steller, keine Journalisten, keine Freiheits-Theoretiker, keine schwärmenden Jünglinge; es sind Gutsbesitzer, schlichte Landbauern — und doch können sie es nicht ertragen! Samstag, den 9. Februar. Die Erklärung von Alexis in der Nürnberger Zeitung hat mich sehr ergötzt. Ich hatte es noch nicht gelesen. Sie haben das nicht verstanden wenn Sie jene Erklärung als einen Versuch ansehen, den Spott abzuwenden der den armen Häring in Berlin wahrscheinlich getroffen hat. Das nicht. Gegen die Beschuldigungen der Demagogie, die ich aus Scherz und Satyre gegen ihn vorgebracht, sucht er sich zu vertheidigen, und die Regierung dort hat vielleicht darauf Rücksicht genommen. In solchen Sachen verstehen sie keinen Spaß, wie man zu sa¬ gen pflegt. Ich habe kaum gehofft, daß sie so dumm sein werden. Uebrigens können Sie sich leicht den¬ ken, daß ich nichts darauf antworten werde, über¬ haupt keinem. Sieben und zwanzigster Brief. Paris, Samstag, den 9. Februar 1833. Den König von Griechenland, den Sohn des Baierischen Großbüttels, vor dem, wie die Zeitungen erzählen, von München an bis Brindisi, eine Rauch¬ wolke von den köstlichsten deutschen und italienischen Schmeichelgewürzes herzog — nennt ein hiesiges Blatt: einen roitelet idiot, sourd et bossu . Ich habe kein französisches Wörterbuch bei der Hand, und weiß nicht was idiot heißt. Ich ver¬ muthe es heißt dumm oder gar einfältig . Das wäre ein Unglück. Die Buckligkeit hätte nichts zu sagen: auch Sokrates war bucklig. Die Taubheit aller Könige wäre eine Wonne des Menschengeschlechts; denn bei ihnen fielen dann alle akustischen Täuschun¬ gen weg, es blieben nur noch die optischen übrig; ihre Höfe könnten sie um die Hälfte weniger betrügen, und ihre Völker wären um die Hälfte weniger un¬ glücklich. Aber dumm , wäre dumm. Man braucht mehr Verstand die Griechen zu regieren, als das ganze übrige Europa zusammengenommen. Diese Entdeckung von den schönen Eigenschaften des Kö¬ nigs Otto, hat viel dazu beigetragen die französische Kammer bedenklich zu machen, ob sie die Garantie bewilligen solle, welche die Regierung für den drit¬ ten Theil des griechischen Anleihens zu übernehmen versprochen. Der Zeitungsredakteur ging mit dem Briefe, den er von einem baierischen geflüchteten Pa¬ trioten aus Straßburg erhielt, zu Düpin, wo an dem Tage die Deputirten versammelt waren; dort theilte er seine Nachrichten mit, von welchen er den wichtigsten Theil, ich weiß nicht warum, nicht drucken ließ, und sie machten einen großen Eindruck, der auf die Kommission der Kammer über ging. Aber was liegt daran? Sowohl die alt- als die neubaierischen Herzen, die von München wie die aus dem Spessart, sind, seit ihnen der Professor Thiersch erzählt, das Sophokles und Aechylus mit dichterischer Begeiste¬ rung vom Bier gesprochen, so entzückt über die He¬ lenesirung ihres Ottos, daß sie die noch fehlenden zwanzig Millionen gern hergeben werden und sollten sie darüber verarmen und mit einer Hopfenstange in der Hand die Welt durchbetteln müssen. Die Baiern begreifen recht gut die unermeßlich heilsamen Folgen, die der Staatsvertrag, den der Baierische Vater mit dem Griechischen Sohne ge¬ schlossen für Bier und Vaterland haben muß. Beide Majestäten verbürgen sich darin wechselseitig ihre Länder und Unterthanen. Sollte einmal der König von Baiern, von Oesterreich oder seinem eigenen treuen Volke ange¬ griffen werden, muß ihm der König von Griechen¬ land Hülfe schicken. Sollte dieser einmal von Oe¬ sterreich, Rußland, Frankreich, England, den Türken, dem Pascha von Aegypten oder von seinen eignen geliebten Unterthanen, die ihn anbeten, bedroht wer¬ den: dann muß ihm der König von Baiern Hülfe leisten. Wenn ein Baierisches Regiment in Franken, mit den Leiden des Volks zu sympathisiren anfängt, schickt man es schnell nach Griechenland. Mögen immerhin die Soldaten sich verzweiflungsvoll auf die Erde werfen, und sich die Stirne auf dem Pflaster zerschmettern; mögen sie immerhin bei der Einschif¬ fung sich empören — man weiß sie zu zwingen. Wenn ein griechisches Regiment in Nauplia sich mer¬ ken läßt, daß es seinen König doch gar zu bucklig finde — schickt man es nach München. Die Grie¬ chen in Baiern und die Baiern in Griechenland ver¬ stehen das Volk nicht unter dem sie leben, und hassen und mishandeln es zum Heile und Segen des mo¬ narchischen Prinzips. Der Kaiser von Oesterreich übt auch diese schöne Regierungskunst. Die Ungari¬ schen Soldaten werden nach Italien, die Italienischen nach Ungarn geschickt. Der Ungar versteht kein italienisch außer dem Wenigen was ihm Abends in der Kaserne beigebracht wird. Es wird ihm aber nichts gelehrt als caro amico , und man sagt ihm caro amico hieße Hundsfott . Wenn nun der gutmüthige Ungar in einer Weinschenke sitzt, und ein gutmüthiger Italiener reicht ihm die Hand und sagt fratello mio, caro amico ! — stößt ihm der Ungar seinen Degen in den Leib. Wenn ein junger italienischer Offizier an den Ufern der Donau gedan¬ kenvoll hinschleicht, und weint Sehnsuchtsthränen nach seinem unglücklichen Vaterlande, tritt ein edler Un¬ gar zu ihm und sagt in seiner Sprache: Nicht wei¬ nen Bruder, du wirst dein schönes Vaterland bald wiedersehen! Der schmerzbetäubte Italiener glaubt der Ungar spotte seiner und schlägt ihm ins Gesicht. Sie duelliren sich, der Ungar bleibt tod, und das monarchische Prinzip giebt am nämlichen Abende dem italienischen Offizier-Corps einen Champagnerpunsch. Wollen Sie nächsten Sommer mit mir eine Wallfahrt zur Madonna di bacio machen. Der Baierische Volksfreund hat neulich den Vorschlag gemacht: „an der Stelle wo die betrübte königliche „Mutter, ihrem vielleicht auf immer scheidenden in¬ „nigst geliebten Sohne, dem Könige von Griechen¬ „land den letzten Abschiedskuß gegeben, vermittelst „Beiträge patriotischer Baiern eine Kapelle zu bauen.“ Die Patrioten werden beitragen, die Kapelle wird gebaut werden, Cornelius wird eine küssende Mut¬ tergottes , den griechischen Jesus auf den Armen, malen und wir — nun wir bewundern Cornelius. Aber so ein Teufel von Volksfreund hat kein Herz in der Brust. Was hat er nöthig eine betrübte Mutter noch mehr zu betrüben? Wäre nicht schö¬ ner gewesen er hätte der königlichen Mutter gesagt: „Betrübe dich nicht, königliche Mutter! Du hast „deinen Sohn nicht zum letztenmale geküßt, du wirst „ihn bald wiedersehen — ?“ Sollte die Ottolästerliche Correspondenz jenes Königs-, Biers- und Vaterlandsvergessenen baierischen Journalisten in Straßburg, die Folge haben, daß die französische Regierung ihren Theil des griechischen Anleihens übernimmt: so hätte ich wohl ein Mittel, die Garantie für die noch fehlenden zwanzig Millio¬ nen, ja eine größere herbeizuschaffen. Aber ich theile es nicht mit. Nicht als fehlte es mir an schuldiger Liebe und Verehrung für den König von Baiern; aber mein Herz treibt keinen Detailhandel Ich kann nicht jeden deutschen Fürsten besonders lieben, sondern ich liebe den deutschen Bund für alle. In Frank¬ furt habe ich ein großes Kommissionslager von Liebe und Anbetung und jede Gesandtschaft kann sich dort für ihren Herrn soviel davon holen, als ihm nach Verhältniß seiner Civilliste zukömmt. Steht aber wieder einmal ein baierischer Patriot unter dem Bilde seines Königs, das er anzubeten verurtheilt worden, werde ich ihn mit meinem Geheimnisse von seiner Schande loskaufen. Mein Finanzplan geht in's Rie¬ senhafte, und ist so groß als das was ich damit zu bezahlen gedenke. Ihnen will ich ihn gleich anver¬ trauen. Im menschlichen Blute ist wie bekannt, Eisen enthalten. Jetzt hat sich neulich ein hiesiger Chemi¬ ker zu dem Versuche angeboten, aus dem Blute ei¬ nes verstorbenen Menschen so viel Eisen zu ziehen, daß man daraus eine Denkmünze von der Größe eines Vierzigfrankenstücks prägen könne ... Ich sehe vorher, ein Spitzbube von königlichem geheimen Finanzrathe fällt mir hier in das Wort und sagt: der Vertrag gilt nichts, wir wissen Ihr Geheimniß schon .... Das ist Betrug, Herr Geheimer Fi¬ nanzrath! Freilich wissen Sie jetzt mein Geheim¬ niß, aber haben Sie es früher gewußt? Es ist das Ei des Columbus. Nein, der Vertrag gilt; Ihr sollt jenem armen blassen Jüngling dort, nicht das Herz brechen; er soll nicht das Götzenbild eines wahnsinnigen Tyrannen anbeten. Ihr laßt ihn frei und nehmt meinen Plan. Ist es nicht eine Schande von lüderlicher Eu¬ ropäischer Staatshaushaltung, daß in allen Ländern so vieles kostbare Blut der Unterthanen, ganz ohne persönlichen Vortheil ihrer Fürsten vergossen wird? Man antworte mir nicht: Das Blut welches die Sol¬ daten für die Fürsten vergießen, sei doch nicht ohne Nutzen. Nein. Nützt denn ein Soldat in der Schlacht durch sein eigenes Blut das er vergießt? Er nützt blos durch das Blut des Feindes das er vergießt. Sein eignes bringt dem Fürsten keinen Vortheil; denn sobald er todt hingestreckt oder verwundet wird, ist er kampfunfähig. Nun, warum sammelt man dieses Blut nicht in Spitälern und auf dem Schlacht¬ felde und bereitet Eisen daraus? Man bedenke nur welches Meer von Blut allein in Europa, nur allein im achtzehnten Jahrhunderte, nur allein in den Krie¬ gen vergossen wurde, die der französischen Revolution vorhergingen! Da ist der nordische Krieg, der öster¬ reichische Erbfolgekrieg, der polnische Krieg, der schle¬ sische Krieg, der siebenjährige Krieg, der baierische Erbfolgekrieg, der Krieg den in Europa der ameri¬ kanische Freiheitskampf zur Folge hatte, der Türken¬ krieg. Rußland und Schweden haben nicht soviel Eisen, als man aus all diesem Blute hätte ziehen können. Daraus hätte man Geld, Flinten, Säbel, Bomben, Kanonen bereitet. Und lacht nicht verächt¬ lich und sagt: das sei doch nur Eisen! Ist denn eine Kanone von Eisen? Sie ist vom reinsten Golde, denn damit holt man's. Ein Potosi habt ihr ver¬ schleudert! und das ist noch gar nichts .... O! Herr geheimer Finanzrath, ich war ein Dummkopf. Mit meinem Plane hätte ich den ganzen Rheinkreis, Siebenpfeifer, Wirth, Behr, Kurz, Wiedemann und die hundert von andern Schlachtopfern Eurer monar¬ chisch-aristokratisch-jesuitischen Tyrannei loskaufen können. Ich habe mich übereilt, doch es ist zu spät; ein ehrlicher Mann muß auch dem Teufel Wort halten. Nicht blos das Blut der Soldaten im Kriege, sondern auch das Blut aller Bürger in Friedenszei¬ ten, kann zur Metallbereitung benutzt und können dadurch die Fürstlichen Kassen unerschöpflich gemacht werden. Wie viele Millionen Bauern giebt es nicht in Europa, die ihre Steuern nicht mehr bezahlen k önnen. Man lege ihnen eine Blutsteuer auf, man lasse sie zur Ader. Wenn ein Bürger seine Geld¬ buße nicht entrichten kann, lasse man ihm zur Ader. Wie herrlich könnte man das Aderlassen benutzen, Preßvergehen zu verhindern oder zu bestrafen. Ein deutscher Journalist hat gewöhnlich weder Gut noch Geld um Caution zu leisten. Man setze tausend Unzen Blut als Caution für jeden Journalisten fest. Kann ein Preßverbrecher seine Geldbuße nicht abtra¬ gen, verurtheile man ihn zu einem täglichen Ader¬ lasse, auf drei, fünf, sieben, neun, vierzehn Jahre, oder nach der Baierischen Criminalpraxis auf unbe¬ stimmte Jahre. Man lasse den Journalisten Blut, bis die Europäischen Verhältnisse sich gebessert haben, bis die belgische, irländische, französische, deutsche, portugiesische, spanische, amerikanische, griechische, türkische, ägyptische Frage entschieden ist. Dann braucht auch ein deutscher Fürst nicht mehr den Kai¬ ser von Rußland um sein herrliches Sibirien zu be¬ neiden. Er kann dann auch seine Unterthanen zu den Bergwerken verurtheilen; denn ein reiches Berg¬ werk ist das menschliche Blut. Jetzt habt Ihr meinen Finanzplan, jetzt habt Ihr Euer griechisch Anleihen vollständig. Komm nun mit mir du elender armer Jüngling! Du weinst? Sehe diese Thräne da, die aus deinem Auge auf deine Hand gestürzt! Brennt sie dich nicht wie Scheide¬ wasser? Nicht einmal die Kraft, nicht einmal den Muth hattest du, deine Hand bis an die Augen zu erheben, um sie zu trocknen! Du weinst? Du flehest Gott an? Gott spottet deiner. Gott ist voll un¬ endlicher Lieb' und Barmherzigkeit. Er hilft jedem Unglücklichen in seinen Schmerzen, er tröstet selbst den Schuldigen in seiner Herzenspein; aber er hilft und tröstet nur, wenn der Unglückliche sich zu retten alle seine Kraft verbraucht und ihm keine mehr übrig geblieben. Dem Trägen und Feigen aber, leiht Gott nicht seine Kraft, sondern er verläßt ihn. Hilf dir selbst , dann wird dir der Himmel helfen ! Dienstag, den 12. Februar. Hilf dir selbst , dann wird dir der Him¬ mel helfen ! Das ist mein Triolet. Aber das Triolet der achtzeiligen deutschen Liberalen heißt: Mußt kräftig protestiren , schlägt man dir in's Gesicht . Und schlägt man so einen Pour¬ ceaugnac in's Gesicht, thut er noch groß damit und frohlockt überall herum: il ma donné un soufflet, ma is je lui dis bien son fait . Wie wehe macht mir dieser deutsche Protestantismus: Damals zu Lu¬ thers Zeiten, fingen sie auch mit protestiren an; aber endlich mußten sie zuschlagen, und da siegten sie. Es liegt in ihrer Natur, daß bei ihnen Jahre lang das kalte Fieber dem hitzigen vorschleicht, und daß, was bei andern Völkern Genesung ist, bei den Deutschen zu neuer Krankheit wird. Was wird bei uns nicht alles noch geschehen, welche Leiden werden erduldet werden müssen, bis sie es zu einer Revolu¬ tion bringen. Die Franzosen standen mit einem Sprunge darin. Hundertmal im Tage wünsche ich: hole sie der Nicolas! Wahrlich sie werden nicht eher spüren daß es Winter geworden, daß die Erde VI. 7 kahl ist, daß die Bäume abgestorben, die Lüfte ver¬ stummt sind und die Leiche des Vaterlandes in ih¬ rem Schneehemde unbegraben unter freiem Himmel liegt — nicht eher, bis man sie nach Sibirien schickt, und sie dort für den kaiserlichen Leib Fuchspelze er¬ jagen müssen und jeder Wunsch der warm aus dem Herzen kam, zwischen den Lippen gefriert, und als Eiszapfen aus dem Munde hängt. Es wird nicht besser, ehe es ärger wird. Da war wieder einmal ein freisinniger deutscher Mann edel gewesen, und hat durch seinen Edelmuth der guten Sache mehr geschadet, als ihr hundert Schurkenstreiche hätten schaden können. Ich meine Rotteck . Die Bürger von Freiburg haben Rotteck, nachdem die Regierung die erste Wahl verworfen, zum zweitenmal, und wenn wieder gehindert zum drittenmal zu ihrem Bürgermeister wählen wollen. Aber da stellte sich der edle Mann auf einen Sche¬ mel der Tugend und rief seinen Mitbürgern zu: sie möchten doch wegen seiner, die väterliche Rache des Landesvater nicht ihrer Stadt zuziehen, und lie¬ ber nachgeben und die Bürgermeisterwahl einem an¬ dern zuwenden. Das liberale deutsche Philisterthum wurde von solcher Hochherzigkeit bis zu Thränen ge¬ rührt, und ist heimlich schadenfroh, daß die hohe deutsche Bundesversammlung erröthen müsse, von solcher Großmuth beschämt worden zu sein. Solch' einen Mann zu verfolgen! Und daß ja nichts fehle an der vollständigen deutschen Reichsgeschichte, hat Rotteck — protestirt. Die Regierung möge sich alles nehmen was ihr beliebt, nur Recht soll man ihr nicht geben! So lassen sich diese edlen Menschen zum Besten haben, und Rotteck ein Meister der Weltgeschichte, der alle Gewaltthätigkeiten kennt, welche von Nimrod bis zu Nicolas die Herrn der Erde geübt, der alle ihre Schelmereien, alle ihre listigen Wege kennt: glaubt einem schönen Triebe seines Herzens zu folgen, während er nur ei¬ nem Stoße nachgab den man an einer elektrischen Kette von Carlsruhe bis nach Freiburg zu lei¬ ten wußte. War denn hier an Rotteck, an Frei¬ burg gelegen? Darauf kam es an, daß das Volk sein Recht behaupte, seinen Willen und seine Kraft geltend mache, und zeige, daß es der Nase¬ weisheit der Badischen Junker zu begegnen wisse. Ja sie werden nicht eher warm werden als bis sie nach Sibirien kommen. Der Kaiser Nikolaus allein verstände es, das träge deutsche Blut in ra¬ schere Bewegung zu setzen. Unsere inländische Ty¬ rannei bringt uns nicht weiter. Wir werden auch gefoltert, aber der Arzt steht uns zur Seite und fühlt uns von Minute zu Minute den Puls, und 7 * so oft das Leben zu entweichen droht, spannt man uns ab, und bringt uns nicht eher wieder auf die Folter, bis wir neue Kräfte gesammelt. Aber in Rußland ist man so weichherzig nicht. Befahl doch neulich ein kaiserlicher Ukas: Alle Zöglinge aller Schulen im Reiche , die sich schlecht aufführ¬ ten , sollten unter die Soldaten gesteckt , oder , wenn wegen körperlicher Mängel dienstunfähig , nach Sibirien verpflanzt werden ! Was man in einem despotischen Lande wie dort, unter schlechter Aufführung der Jugend versteht, kann man sich leicht denken. Das heißt nicht: Schulden machen, spielen, trinken, die Lehr¬ stunden versäumen, Liebschaften haben — sondern das heißt: freisinnige Meinungen offenba¬ ren . Und darum Knaben nach Sibirien verbannen! Und darum die heiligen Bande der Mutterliebe zer¬ reißen! Und darum das Fundament der Welt un¬ tergraben! Das würde bei uns wirken. Aber was geschieht in Deutschland? Höchstens wird ein frei¬ sinniger Mann zur Abbitte vor einem goldenen Rah¬ men und zur Zuchthausstrafe auf unbestimmte Zeit verurtheilt. Die deutschen Höfe sollten ihre Junker nach Petersburg schicken, daß sie dort regieren lernten. Es ist wirklich eine Schande, wie sehr die deut¬ schen Junker noch zurück sind. Die in Sachsen ha¬ ben es unter allen am weitesten gebracht; doch was ist's? In der ersten Kammer dort, in der Pago¬ den-Kammer — so oft in einer ministeriellen Mit¬ theilung, des Namen des Königs oder des Prinzen Mitregenten Erwähnung geschieht, oder so oft ein Minister in den Saal tritt, stehen die Edelleute auf und verneigen sich. Das ist alles. Ich bin nicht unbillig, ich sage nicht: das ist nichts. Es ist freilich eine Adelsperle, gegen welche die Perle, welche Kleopatra in ihrem Weine auflöste, nur eine Linse war. Aber ich sage: es ist wenig. Eine Perle! Schickt die edlen Pagoden nach Peters¬ burg. Ist es nicht abscheulich, wie man im kö¬ niglich mitregentlichen Sachsen den Bürgerstand verzärtelt? Die Biene enthielt eine Petition worin man um die Abschaffung des Lehnwesens bat — ein im neunzehnten Jahrhundert unerhörtes Verbrechen. Nun freilich hat man dieser Biene nicht blos den Stachel, sondern auch den Honig genommen; man hat sie zertreten, das Blatt unterdrückt, und den Redakteur, der mit der Zeitung seine zahlreiche Fa¬ milie ernährte, an den Bettelstab gebracht. Das ist etwas, aber lange nicht genug. In Rußland hätte man dem Bienen-Vater Nase und Ohren abgeschnit¬ ten und ihn nach Sibirien verbannt. Schickt die Junker nach Petersburg! — Von deutschen politischen Monatsschriften kenne ich nur ein einziges, das zu loben wäre: das welches der Professor Pölitz in Leipzig herausgiebt. Es war früher schon sehr gut, da der Mann nur erst Censor und Hofrath war; jetzt aber hat ihn der Großherzog von Darmstadt auch zum geheimen Rathe ernannt, und da wird das Journal noch viel besser werden. Diese Auskunft geben Sie einstwei¬ len *** in meinem Namen Ueber das Andere werde ich ihm bald selbst schreiben. — Heine's Französische Zustände habe ich erst vor wenigen Tagen bekommen, auch schon darin zu lesen angefangen, ich will aber meine Bemerkun¬ gen zusammen kommen lassen Das Buch kömmt mir sehr gelegen. Es soll mir dienen mich, vielleicht auch Heine zu ergänzen. Das ist bequem und an¬ genehm; es ist wie ein Treppengeländer. Man legt die Hand darauf und gleitet mit geschlossenen Augen sicher hinab. Heine, mir gegenüber kommt mir vor wie Melanchthon gegenüber Luther. (Ach was wäre das für eine schöne Tonne für unsere lieben dummen Wallfische!) Ich kann wie Luther sagen: „Ich bin „dazu geboren, daß ich mit Rotten und Teufeln „muß kriegen, und zu Felde liegen, darum meiner „Bücher viele stürmisch und kriegerisch sind. Ich „muß die Klötze und Steine ausrotten, Dornen und „Hecken weghauen, Pfützchen ausfüllen, Bahn machen „und zurichten; aber Melanchthon fährt säuberlich und „still daher, bauet und pflanzet, säet und begeußt „mit Lust, nachdem ihm Gott seine Gaben reichlich „gegeben hat. Soll ich aber einen Fehl haben, so „ist es mir lieber, daß ich zu hart rede und die „Wahrheit zu heftig herausstoße, denn daß ich irgend „einmal heuchelte und die Wahrheit inne behielte.“ Mittwoch, den 13. Februar. Gestern waren laue Frühlingslüfte in den Tui¬ lerien und man ging und saß viel spazieren. An solchen Tagen sprossen plötzlich die Stühle aus der Erde und prangen mit den schönsten Blumen. Blu¬ men — Weiber. Schon werde ich dichterisch und habe das ganze Herz voll Veilchen. Wie freue ich mich auf den Frühling! Wie will ich lieben! Auch will ich sobald ich meinen letzten Brief aus Paris geschrieben, eine Frühlingskur gebrauchen; Brunnen¬ kresse, den Werther oder was sonst das Blut rei¬ nigt. Das war ein harter Winterfeldzug! Ach! und das weiße Blut der Augen, was die Menschen Thränen nennen, wird für keine Wunde, weinen nicht für kämpfen angerechnet! Doch es sei; glücklich wer das nicht kennt. Wie freue ich mich auf die Seen, die Berge und auf das Schellengeläute der Heerden, das mich einlullt wie ein Wiegenlied. ..... Ich fange an Mitleiden mit Ihnen zu haben und kann Ihren Schmerz nicht länger ohne Rührung wahrnehmen. Sie sollen Alles erfahren aber heute ist es zu spät. In meinem nächsten oder nachnächsten Briefe werde ich die Geschichte zu er¬ zählen anfangen. Ich führe Sie von Fortsetzung zu Fortsetzung bis ich Paris verlasse und Sie wieder¬ sehe. Dann ist das Geheimniß gerettet. Mündlich kann ich lügen wie gedruckt, gedruckt aber oder schrift¬ lich lüge ich nie. Das ist mein Amt und mir hei¬ lig. Ich unterscheide mich hierin sehr von allen Mi¬ nistern, von welchen man mehrere Beispiele hat, daß sie in geselligen Verhältnissen nicht gelogen, in amt¬ lichen aber kein einziges Beispiel — ausgenommen in dem seltenen Falle wo sie die Wahrheit sagten, daß man sie nicht glaube. Also noch acht Tage warten. Acht und zwanzigster Brief. Paris, Freitag, den 15. Februar 1833. Menzels Artikel über Saphir ist wunderschön, gemüthlich und geistreich. Ich hatte ähnliche Gefühle als ich erfuhr, Saphir wäre ein Hofmann geworden, und gar unentgeltlich. Sich den Höfen zu verschen¬ ken, das heißt sie verächtlich machen, das heißt sie ganz zu Grunde richten. Es giebt keine gefährlichere Feindin des monarchischen Prinzips als die Uneigen¬ nützigkeit. Schöne Augen hat es nicht, wie bekannt, und seine Gehalte sind sein ganzer Gehalt. Aus einem Theater-Kritiker ein Theater-Intendant zu werden! Adam war so dumm, sich aus dem Para¬ diese verjagen zu lassen; aber so dumm war er nicht, daß er sich selbst mit dem flammenden Schwerdte vor das Paradies stellte, um die verbotenen Früchte darin gegen sich selbst zu bewachen. Vor einigen Jahren, als ich in Berlin war, ließ man mich dort ausforschen, ob ich nicht geneigt wäre, eine ministe¬ rielle Theater-Zeitung zu schreiben. Zu wie viele Thaler courant man mein ästhetisches Gewissen ab¬ geschätzt, erfuhr ich nicht; man wollte wahrscheinlich meiner Phantasie keine Schranken setzen. Ich kann Sie versichern, daß ich in meinem Herzen die größte Lust hatte, mich in solchen Künsten etwas zu ver¬ suchen. Es hätte mir Freude gemacht, eine Weile lang das monarchische Prinzip der Oper zu verthei¬ digen und den Jarke des Ballets zu spielen. Aber ich lehnte das Anerbieten ab, denn mit dem Teufel ist nicht gut zu spaßen. Ich hätte Saphir für klüger gehalten. Von rechtlicher Gesinnung mag ich nicht sprechen, man macht sich damit nur lächerlich; ich rede nur von der Klugheit. Saphir hätte bedenken sollen, daß man jede Achtung der Menschen, wie jede Herrschaft, nur durch die nehmlichen Mittel behauptet, durch die man sie erworben. Diesen Weg zu verlassen und abtrünnig zu werden, kann durch alle Schätze der Welt nicht vergütet werden. Um zehen Kronen ver¬ rieth Napoleon die Freiheit die ihn emporgehoben; er verlor alles und die Freiheit selbst erbte den Lohn den er empfangen sie zu verrathen. Ich höre, Sa¬ phir wundert sich daß man ihn nicht bezahlt, und daß man ihn nicht einmal gebraucht. Wenn man ihn also bezahlte und doch nicht gebrauchte, würde er sich um so mehr wundern. Begreift er denn nicht, daß wenn die Höfe einen unabhängigen Geist kaufen, dieses gar nicht geschieht um ihn zu verwenden? Was haben sie solchen nöthig? Es fehlt ihnen an Knechten nicht. Sie kaufen ihn nur, um ihn zu zerstören, um die menschliche Würde zu entheiligen, und frohlocken zu können: „Seht, so sind euere Op¬ positionshelden, euere Liberalen, euere Republikaner! Für Gold sind sie alle zu haben.“ Die Royalisten möchten die Ansicht geltend machen, ein wahrhaft Liberaler müsse uneigennützig, ein Republikaner tu¬ gendhaft sein. Es ist Schelmerei; sie möchten dem Liberalismus und dem Republikanismus den Handel verderben; denn mit so großen Aufopferungen, wird sich ihnen selten einer ergeben wollen. Ich kann aber meinen Glaubensgenossen, den Liberalen, zu ihrer Beruhigung die Versicherung geben, daß unsere politische Religion uns gar nicht verbietet, nach Her¬ zenslust Egoisten zu sein. Es giebt sehr viele edle Menschen unter den Royalisten und sehr viele Schufte unter den Republikanern. Aber das beweist weder für die Monarchie noch gegen die Republik. Viel¬ leicht fragen Sie mich: wenn das aber so ist, wenn der Liberalismus und die Republikanische Verhaftung die Menschen nicht besser macht, was wird dabei ge¬ wonnen? Darauf erwidere ich Ihnen; der Repu¬ blikanismus macht die Menschen nicht besser aber den Menschen. Der Egoismus in einer republika¬ nischen Sphäre, ist weder so breit im Raume, noch so lang in der Zeit, als der Egoismrs in einer mo¬ narchischen Sphäre. Nicht so breit — durch Kor¬ porations-Geist ; nicht so lang — durch Erb¬ lichkeit . Er beginnt und endet mit dem Leben, und tritt nicht über den Kreis der Familie hinaus. In¬ dividuel wie er ist, hat er nicht Raum genug unge¬ heuer, nicht Zeit genug trostlos zu werden für die bürgerliche Gesellschaft. Die Person hat die Verantwortlichkeit aller ihrer Handlungen auf sich allein zu nehmen, und dieses Gefühl wird auch der lasterhaftesten Natur Schranken setzen. Aber der Adel hat kein Gewissen; denn er theilt die Schuld mit den Tausenden seines Standes. Aber der schlechteste Fürst kann sich gerecht dünken; denn er betrachtet sich als einen treuen Verwalter, der ein Gut, das ihm von seinen Vorfahren anvertraut worden, ungeschmälert seinen Nachkommen überliefern will. Ich werde Ihnen das ein andersmal, deutlicher und umständlicher auseinander setzen. Wenn Sie wißbegierig sind erinnern Sie mich daran; meine liberale Spitzbubenschule steht Ihnen zu jeder Zeit offen. Es wird jetzt von sämmtlichen Regierungen ein allgemeines Europäisches Treibjagen auf die ehrlichen Leute gehalten, und ein edles Thier weiß gar nicht mehr, wo es sich vor all den Hunden und Jägern verstecken soll. Sehen Sie, wenn ein Thor einmal von einem Weisen etwas lernt, ein unwissender Mensch aus einem guten Buche eine Lehre zieht: können Sie sich darauf verlassen, daß es gerade eine Thor¬ heit und etwas Falsches sein wird, was sie sich an¬ eignen. Vor vielen Jahren hat Montesqieu in sei¬ nem berühmten Werke: von dem Geiste der Ge¬ setze , den Grundsatz aufgestellt: Die Tugend sei das Prinzip der Republiken , wie die Ehre das der Monarchie . Die ganze Weltgeschichte spricht dagegen. Doch glaubte man es wie ein Evangelium. Nun war in früherer Zeit von repu¬ blikanischen Gesinnungen in Europa nichts zu spüren; die Tugend, wo sie sich zeigte, flößte also keine Be¬ sorgnisse ein und die Fürsten trugen kein Bedenken einem ehrlichen Manne ein wichtiges Staatsamt an¬ zuvertrauen. Jetzt aber, da sich die republikanischen Neigungen täglich stärker aussprechen, erinnert man sich, daß die Tugend ihre einzige Nahrung sei, und man sucht die ehrlichen Leute wie die Wölfe auszu¬ rotten. Auch werden die Staatswälder täglich siche¬ rer und man wird bald mit der größten Ruhe bei Tage und bei Nacht darin reisen können. Ein frei¬ sinniger Mann nach dem andern fällt ab, durch Be¬ stechung oder andere Verführung. Das traurigste hierbei ist nun, nicht daß die Feinde der Freiheit dar¬ über frohlocken, sondern daß deren Freunde sich dar¬ über betrüben und in ihrem Glauben wankend ge¬ macht werden. Das ist nun auch eine Thorheit und zugleich eine Ungerechtigkeit. Wer die Tugend zer¬ stören will, braucht nur an ihr zu verzweifeln. Als der sterbende Cato sprach; es giebt keine Tu¬ gend ! — von dem Augenblicke an gab es keine mehr. Die Schande und das Verbrechen fallen auf die, welche verführen, nicht auf die welche sich ver¬ führen lassen. Der gesündeste, der stärkste, der blü¬ hendste Mann — ist er, darum, weil er so ist, der Wirkung des Giftes weniger ausgesetzt? Er un¬ terliegt ihm wie der schwächste. Wie mit der Ge¬ sundheit des Körpers ist es auch mit der Gesund¬ heit der Seele. Auch der edelste Mensch hat Au¬ genblicke in seinem Leben, in welchen er sich dem Teufel verschreiben möchte. Es sind Augenblicke der Noth, des Mangels, des Zorns, der Scham, der Liebe, des Hasses oder was es sonst ist, was einen guten Menschen aus seiner Bahn werfen kann. In solchen Augenblicken ruft er den Teufel an; aber zum Glücke kömmt der Teufel nicht. Die mitter¬ nächtliche Stunde geht vorüber, der Morgen däm¬ mert und die Seele ist gerettet. Doch die Polizei kömmt, sobald man sie ruft, bei Tage und bei Nacht, zu jeder Stunde durch den Schornstein und durch das Schlüsselloch. Ja sie kömmt auch ungerufen, denn sie kennt die Noth jedes Menschen, und wo keine ist, weiß sie solche herbeizuführen. Keiner ent¬ geht ihr, auf dessen Verderben sie es beharrlich an¬ gelegt. So fängt die Polizei die armen verlornen Seelen, welche die gebildete Welt in Frankreich: Freunde der Regierung , in Oesterreich gute Patrioten , in Preußen: Preußen , in Spanien: Freunde des Thrones und des Altars , in Rußland: Alt-Russen , in Baiern: Jesuiten nennt; welche aber der grobe Pöbel überall Spione heißt. Gegen das Gift der geheimen Regierung giebt es nur ein Gegengift; das wirksam ist: der Stolz. Zwar ist der Stolz auch ein Laster und vielleicht das größte unter allen. Aber eben weil es das größte und mächtigste ist, beherrscht es die andern Schwächen als Despot und unterdrückt sie alle. Den einzigen Rath den man ehrlichen Leuten geben kann, sich zu wahren, ist: seid stolz ! Bedenkt, daß ihr es mit Menschen zu thun habt, die ihr verachtet, und die euch verächtlich machen wollen, damit ihr das Recht verliert sie zu verachten. Bleibt fern von ihnen. Und weil man euch nur für stark hält; so lange ihr brüllt wie die Löwen — so brüllt! Knurrt, beißt, krazt den ganzen Tag, daß euch keiner nahe komme; ihr seid verloren sobald ihr liebenswür¬ dig seid. VI. 8 Samstag, den 16. Februar. „Guten Morgen, Kammerherr. — Ihr Hoheit „geruhen wohl geruht zu haben. — Waren gestern „bei Hofe? — Unterthänigst. — Was Neues? — „Die Gräfin Amalie war en extase über das schöne „Wort, das Ihre Hoheit in der Kammer ausgespro¬ „chen — Erinnere mich nicht. — Ihr Hoheit ge¬ „ruhten, als die Rede von der Oeffentlichkeit der „Sitzungen und dem Drucke der Verhandlungen war, „zu sagen: Thaten sind besser als Worte . — „Weiter? — der Graf bemerkte: vraiment le prince „ Jean est un mirabeau . Die kleine gelbe Baro¬ „nin Julie trat hinzu und sagte: oui monsieur le „ Comte , le prince est une mire — à — beau . „Darauf erwiederte die Gräfin: Et vous, madame, „ vous êtes une mirabelle . — c'est divin : Meine „Chocolade. Um eilf Uhr der graue Wagen vor. „Sie melden mich bei der Gräfin. Der Hofrath „Böttiger, Aufseher im Japanischen Palais, bittet „Ihre Hoheit unterthänigst einen Blick auf diese la¬ „teinische poetische Zeilen zu werfen. — Der Ja¬ „panische Narr soll mich in Frieden lassen mit sei¬ „nem Latein. Was will er? — Es ist eine Ode „ Horace — vorace , Kammerherr! — an Ihre Ho¬ „heit, über deren männlich-fürstlich-edel-hoch parle¬ „mentarisches Betragen. — Was ist's? — Wie „Ihre Hoheit zu sagen geruhten. Thaten sind „ besser als Worte . — Schicken Sie dem Hof¬ „rath zwei Dukaten und ich ließe danken. In der „allgemeinen Zeitung stehen Berichte über die Stände- „Versammlungen. — Worte, nichts als Worte; „ Thaten sind besser als Worte . Ich werde „mit dem Minister sprechen. Es darf keinem Un¬ „terthanen erlaubt sein, Berichte in eine auswärtige „Zeitung zu schicken, ohne sie vorher der inländischen „Censur vorgelegt zu haben. Wozu all das Ge¬ „schwätz? Thaten sind besser als Worte . „Meine Reitgerte! — Hoheit, diesesmal sind sie in „guten Händen. Der Hofrath Böttiger läßt mer¬ „ken: er sei Correspondent der allgemeinen Zeitung. „ — Was schreibt er? Bonbonnière ! — Er „spricht von der neulichen Sitzung, wo Ihr Hoheit „zu sagen geruhten: Thaten sind besser als „ Worte . — Drei Dukaten bringen sie ihm. — „Ein junger Künstler wagt es Ihrer Hoheit diese „Skizze zu einem Gemälde vorzulegen. Es ist die „Kammersitzung, in welcher Ihre Hoheit zu sagen „geruhte: Thaten sind besser als Worte . „Sämmtliche hohen Stände-Glieder sind porträtirt. „— Mais Diable ! man sieht ja ihre Gesichter nicht. „Nichts als Rücken; man meint ja es wäre der „Grundriß zu einem Brückenbau. — Delicieux ! „ Altesse . Der Maler wählte den Augenblick wo „der Minister in die Kammer tritt und sämmtliche „Mitglieder aufstehen und sich verneigen. — Hut! „Kammerherr, Sie erwarten mich bei der katholi¬ „schen Kirche, und wenn Sie mich bei der Gräfin „wieder einsteigen sehen, kommen Sie mir entgegen, „ Prenez cette Tabatière. A dio . — Thaten „ sind besser als Worte .“ — — Mit Ausnahme Ihrer Worte die besser sind als alle Thaten. Dieser Brief ist kurz und bleibt kurz. Am mehr schreiben verhindert mich Viktor Hugos neues Drama, das vor einigen Tagen im Drucke erschienen und wor¬ über ich zwei Tage, mit Lesen und Notiren zuge¬ bracht. — Den *** habe ich immer als liberalen Mann gekannt. Ueberhaupt ist er brav und hat einen tüchtigen Charakter. Schade, daß seine Ver¬ hältniße ihn von politischer Thätigkeit, entfernt hal¬ ten. In unserm verkrüppelten deutschen Philister¬ walde, würde er als hohe Eiche hervorragen und man würde ihn aus den Fenstern der fürstlichen Palläste erkennen. Neun und zwanzigster Brief. Paris, Donnerstag, den 21. Februar 1833. Lucrecia Borgia habe ich gestern aufführen sehen, nachdem ich das Drama gelesen, und ich kann jetzt gründlich davon sprechen, ob die Dame schön oder häßlich sei, denn ich habe sie am Tage und beim Kerzenlichte betrachtet. Ich muß wieder den Brutus machen. So oft ich Victor Hugo richte, ist es mir als sollte ich meinen Sohn verurtheilen. Ich liebe den Rebellen: denn nur mit solcher Kraft und solcher Kühnheit kann man sich so weit und so hoch verirren und ich hoffe, daß wenn er erst ganz die Besinnung verloren, er zur Besonnenheit zurück¬ kehren wird. Zu besserm Verständniß sollte ich Ihnen vorher einiges aus der wahren Geschichte der fürstlichen Familie Borgia mittheilen, wenn auch nur mit un¬ leserlicher Hand, daß Sie so von der Hälfte der Wahrheit, die ich Ihnen erzählte, nur die Hälfte verstünden. Doch ich fürchte, noch so unleserlich, möchte das dem monarchischen Prinzip schaden, das jetzt kränklich und reizbar ist und das man schonen muß. Auch könnte dann geschehen, daß Sie vor Marat wie vor einem Heiligen niederfielen, und sie sollten keinen andern Mann anbeten, als den Einen. Nach reiflicher diätetischer Ueberlegung, habe ich beschlossen, Sie mit der letzen Scene der Tragödie zuerst bekannt zu machen. Wenn Sie es dort oben, auf dem Gipfel der Greuel ausgehalten, ist weiter unten ein wahres Vergnügen. Einige Schritte den Berg hinab und Sie werden glauben in einer tugend¬ haften Region zu sein, und auf der Mitte des Ber¬ ges wo man nur wenig mordet, könnte Ihnen die moralische Hitze vielleicht lästig fallen. Wenn in dem Drama Personen vorkommen die nur den Dolch gebrauchen, wird man gerührt, und man möchte ihnen um den Hals fallen. Mir erging es ganz im Ernste so. Ein Bandit, Vertrauter der Lucrecia, der alle ihre Missethaten ausführt oder einleitet, aber nur des Geldes willen, ohne Bosheit, erschien mir wie ein edler Ifländischer Justizrath und bei seinem Anblick ward mir ganz weinerlich zu Muthe. Also in der letzten Scene befinden wir uns in Ferrara, wo damals Herzog Alphons von Este herrschte. Seine Gemahlin war Lucrecia Borgia. Eine junge schöne Prinzessin, eine der Nympfen der Circe Borgia, hatte in ihrem Palaste eine Anzahl venetianischer Edelleute zu einem Abendmahle einge¬ laden. Die Ritter tragen Rosenkränze in den Haa¬ ren, die schönsten jungen Mädchen verherrlichen das Fest, und eine Schaar aufwartender Mohren, erhöhen durch ihr Nachtgesicht den Glanz der Blu¬ men, der Edelsteine und der goldenen Gefäße, die auf dem Tische prangen. Man lacht, man scherzt, man trinkt, man küßt, es ging gar nicht steif da zu und ich möchte wohl dabei gewesen sein. Beim De¬ sert tritt ein artiger Page mit goldenen Flaschen her¬ ein und fragt: Meine gnädigen Herren, Syrakuser oder Cyperwein? Die Ritter wählen Syrakuser. Unter den Gästen waren auch ein Ritter im schwar¬ zen Mantel der sich mitten im Taumel durch seine Ruhe und Besonnenheit auszeichnet, ob er sich zwar auch Weintrunken anstellt. Das ist aber mein wackerer Ifländischer Mensch, den ich so sehr liebe, weil er mit Justizräthlichem Pflichtgefühle seinen be¬ sten Freunden die Hälse abschneidet, da es sein Amt ist, und er dafür bezahlt wird. Wenn ihn seine Gebieterin Lucrecia Borgia etwas Gutes thun heißt, thut er es auch. Kurz er ist ein Muster von treuem Staatsdiener, und er hat zu seinem fünfzigjährigen Amts-Jubiläum ganz gewiß einen Orden vierter Klasse mit einem allerhöchsten Belobungsschreiben erhalten. Dieser schwarze Edelmann fängt plötzlich Streit an. Es war Schelmerei, es war verabredet. Die jungen Damen stellen sich erschrocken und verlassen den Saal. Die Händel werden beigelegt und man trinkt und lacht wie vor. Ein Weinlied wird an¬ gestimmt. Da mischen sich unsichtbare Geisterstimmen in den Chor, erst fern dann näher, erst leise dann stärker. Die lustigen Edelleute horchen auf, kehren aber bald zum Taumel der Vergessenheit zurück. Aber der wunderliche Gesang wird immer vernehm¬ barer. Es war ein Kirchenlied, ein Mönchsgemurmel, ein Grabgeläute. Die Ritter werden nüchterner. Da schlagen plötzlich große Flügelthüren auf, und man sieht im Hintergrunde, durch eine Estrade von dem Saale geschieden, ein schwarz behangenes von Kirchenlichtern erhelltes Zimmer, das Mönche in schwarzen und weißen Kutten, Fackeln in den Händen tragend, ausfüllen. Sie trugen Larven. Die weißen Gestalten steigen in den Saal hinab, und die Edel¬ leute in der Mitte nehmend, stellen sie sich in zwei Reihen, und singen ihr schauerlich Latein. Die Ritter lachen noch immer, sie meinen, die jungen Damen hätten sich einen Scherz machen wollen und sich als Mönche verkleidet. Darum hätten sie auch so schnell den Saal verlassen. Es tritt einer der Ritter zu den weißen Gestalten hin und reißt ihr die Maske ab. Da sieht er das wahrhaftige feuchte und bleierne Gesicht eines Mönchs. Den armen jungen Edelleuten gerinnt das Blut in den Adern. Jetzt kömmt aus dem Hintergrunde des Trauer¬ zimmers eine erhabene weibliche Gestalt hervor. Ihr weites schwarzes Sammtkleid, die goldene Schärpe um den Leib, das goldene Diadem in den Haaren, dessen Spitzen wie Irrlichter hin und her funkeln, gaben ihr das Ansehen einer Zauberin. Sie tritt an die Stufen der Estrade, und ruft mit Grimm und Spott in den Saal hinab: Du da! Ich habe Deinen Vater vergiftet. Nicht wahr, Du weißt das noch? Du da! Ich habe Deinen Bruder erwürgt. Du hast das gewiß nicht vergessen. Du dort! Ich habe Deinen Vetter ersäufen lassen, wie Dir wohl bekannt ist. So nennt sie fünf beim Namen. Jetzt müßt Ihr auch sterben, Ihr seid vergiftet. Aber beruhigt Euch, Ihr werdet christlich bedient werden. Mein Vater, der Papst, hat diese guten Mönche, für alle solche meine Angelegenheiten, gehörig ordinirt und dispensirt. Sie empfangen Euere Beichte und geben Euch die Absolution und ein christliches Begräbniß wird Euch zu Theil. Seht dort! Auf ihren Wink treten die schwarzen Kutten zurück, die im Hintergrund des Trauerzimmers bis jetzt verborgen und man sieht fünf Särge neben einander, mit schwarzen Tüchern und weißen Kreuzen behängt und von Wachskerzen umstellt. Ueber jedem Sarge ist der Name seines künftigen Bewohners geschrieben. Die vergifteten jungen Leute, von den singenden Mönchen umgeben, wankten zu ihren Särgen hinab. Das Trauerzimmer schließt sich. Lucrecia Borgia bleibt allein im Saale zurück; da gewahrt sie einen Jüngling und ruft entsetzt: Gennaro ! Daß der auch beim Mahle gewesen, daß er auch vergiftet worden, das wußte ich nicht. Sie liebt ihn leidenschaftlich, er ist alles in der Welt was sie liebt. Sie fleht ihn an, er möchte sein Leben erhalten, er besitze ja noch das Gegengift. Gennaro zieht ein Fläschchen aus der Tasche und fragt, ob das hinreiche alle seine Freunde zu retten? Lucrecia jammert: nein. Da wirft er das Fläschchen weg und sagt: so wolle er sterben, aber sie sterbe vorher. Er greift nach einem Messer und zückt es nach ihr. Lucrecia wehklagt zu seinen Füßen: tödte mich nicht! Du nicht. Gennaro bleibt entschlossen. Da gesteht Lucrecia, sie wäre seine Tante; desto schlimmer! schreit Gennaro und stößt ihr das Messer in die Brust. Lucrecia röchelt: ich bin deine Mutter ! und stirbt. Sie war seine wirk¬ liche Mutter; sie war aber auch seine Tante; sie war aber auch seine Großmutter. Die Genealogie der päpstlichen und fürstlichen Familie Borgia, war ein wunderliches, verwirrtes und künstliches Räthsel¬ spiel. Aber der Teufel konnte daraus klug werden. Was der letzten Scene alles vorhergeht, ist jetzt für Sie von keiner großen Bedeutung mehr, doch will ich es kurz erzählen. Der erste Act spielt in Venedig, auf der Gartenterasse hinter dem Palaste eines Nobile, der ein Nachfest gab. Einige der Ballgäste, junge Ritter, sind im Freien und erzählen sich ihre Abentheuer. Es sind die nämlichen Edelleute, die später in Ferrara von Lucrecia ver¬ giftet worden. Unter ihnen zeichnet sich durch sein stilles und schwärmerisches Wesen der junge Gennaro aus, den wir als Sohn der Borgia auch schon kennen. Er ist in venetianischen Kriegsdiensten, kennt seine Herkunft nicht, und schwärmt liebevoll mit dem Gedankenbilde seiner Mutter, die er nie gesehen. Er setzt sich auf eine Bank und schläft ein. Da naht sich eine maskirte Dame. Man hat vor uns keine Geheimnisse mehr: es ist Lucrecia Borgia. Diese hat ihren geliebten Sohn seit seiner Geburt nicht aus ihren mütterlichen Augen verloren. Sie sorgte im Stillen für ihn, ließ ihn bewachen, ihre Späher folgten ihm auf allen seinen Lebenswegen. Von diesen erfuhr sie, Gennaro sei jetzt in Venedig. Sie eilte ihm nach, sich an seinem Angesichte zu er¬ freuen. Sie findet ihn schlafend, betrachtet ihn lange mit Entzücken und weckt ihn endlich durch einen Kuß. Gennaro schlägt die Augen auf und sieht angenehm überrascht eine schöne Frau zu seiner Seite. Zwar hat er schon eine Liebe, aber das im Schlafe zu¬ gefallene Glück mag er darum doch nicht verschmähen. Er ist artig gegen die Schöne und das Heilige ihrer zärtlichen Erwiederung ahndet der Jüngling nicht. Er gesteht ihr, er fühle sich durch eine wunderbare Gewalt zu ihr hingezogen, ihr könne er alle seine Geheimnisse vertrauen. Er erzählt ihr von seiner unbekannten Mutter, liest ihr die Briefe vor, die er durch fremde Hand von ihr erhalten. Lucrecia Borgia vergißt alle ihre Verbrechen und ist einmal glücklich, weil sie sich schuldlos fühlt. Aber von dem Balkon des Pallastes herab, hat einer der Edelleute Lucrecia Borgia erkannt. Er theilt das Geheimniß seinen Freunden mit. Sie alle hatten eine Blutschuld an ihr zu rächen. Sie stürzen mit Fackeln in den Garten hinab und wie die Rachegötter umringen sie Lucrecia. Einer tritt nach dem Andern hervor, einer schreit nach dem Andern: du hast meinen Vater, du hast meinen Oheim ermordet. Lucrecia, sonst abgehärtet gegen solchen Vorwurf, fühlt sich jetzt zerschmettert von ihm. Sie kann den Schimpf nicht in Gegenwart ihres Sohnes er¬ tragen, vor dem allein sie rein erscheinen möchte, an dessen Achtung unter allen Menschen ihr allein gelegen ist. Die Unglückliche ringt die Hände, bittet um Schonung und Erbarmen. Aber die Zornent¬ brannten setzten ihr Strafgericht fort, und donnern der Sünderin alle ihre Schandthaten ins Gesicht. Da tritt Gennaro als Ritter der Dame hervor und gebietet bei seinem Schwerdte Ruhe und Stille. Seine Freunde fragen ihn: kennst du sie denn? Sie reißen ihr die Maske vom Gesichte. Es ist Lu¬ crecia Borgia! schreien sie. Gennaro, unter den wilden leichtsinnigen Gesellen der einzige tugendhafte und sittliche Mensch, haßt um so stärker als sie den weiblichen Teufel Lucrecia Borgia, deren Schreckensnamen durch ganz Italien zitterte. Er verhüllt sich das Gesicht, und wendet sich entsetzt von ihr ab. In dem folgenden Akte kommen die Ritter nach Ferrara. Lucrecia sich zu rächen, lockt sie zu einem Gastmahle und läßt sie vergiften, wie wir erfahren. Auch Gennaro kömmt nach Ferrara und wird von den Sbirren des Herzogs von Este gefangen genommen. Dieser nämlich, der das Leben seiner Gemahlin Lu¬ crecia nur zu gut kennt, läßt sie auf allen ihren Wegen beobachten, und so hatte er von seinen Spionen erfahren, daß Lucrecia in Venedig mit Gennaro , einem ihrer Liebhaber, eine heimliche Zusammenkunft gehabt. Der Jüngling wird von dem beleidigten Fürsten und dem eifersüchtigen Gatten, dem Tode geweiht. Vorher, als er noch frei war, ging er mit seinen Kriegsgesellen vor dem herzoglichen Pallaste auf und ab. Der weiche tugendhafte Jüngling in seinem glühenden Hasse gegen die verruchte Lucrecia, verflucht die Mauern, verflucht die Steine des Pallastes, flucht seiner höllischen Bewohnerin. Unter dem Thore war der Name Borgia eingehauen. Gennaro in seiner Leidenschaft springt hinauf und sticht mit seinem Dolche den Buchstaben B ab, so daß nur Orgia bleibt. Diesen Schimpf erfahren Lucrecia und der Herzog. Lucrecia kennt den Thäter nicht; aber der Herzog kennt ihn. Er hat ihn in seiner Gewalt. Der Herzog sitzt allein in seinem Zimmer. Da stürzt Lucrecia wuthentbrannt herein, da ist sie eine Furie wie in der Geschichte, keine liebende Mutter wie in der Fabel des Dichters. Und es blitzt aus ihren Augen, und donnert aus ihrem Munde. Und sie sagt ihrem Gemahl, welch ein Schimpf ihr geschehen, und sein Bettelvolk von Ferrara nähme sich gar zu viel heraus, und es sei doch sonderbar, daß er für ihre Ehre so wenig Sorge trage, daß er den Missethäter nicht aufsuchen lassen. Der Herzog hört sie kalt, ruhig und höhnisch an, und als sie ausgewüthet, sagt er: der Missethäter ist gefunden. Wie! gellt Lucrecia — er ist gefunden und noch frei? Er ist gefangen, erwiedert der Herzog. Er ist gefangen und lebt noch? frägt Lucrecia in ihrem Grimme. Er wird sterben, erwiedert der Herzog eiskalt. Lucrecia läßt ihren Gemahl bei seiner fürstlichen Würde schwören, den Verbrecher hinzurichten, wer er auch sei. Der Herzog giebt sein Fürstenwort höhnisch lächelnd. Er winkt, der Verbrecher wird hereingeführt, und Lucrecia erkennt mit Entsetzen ihren Gennaro. Das ist der Thäter nicht, spricht Lucrecia. Gennaro tritt hervor und sagt: ich bin der Thäter. Lucrecia bittet ihren Gemahl um ein heimliches Gespräch. Gennaro wird abgeführt. Jetzt bittet sie ihren Gemahl um das Leben des jungen Mannes. Sie wolle großmüthig sein, es sei nur eine Laune gewesen als sie seinen Tod gefordert. Der Herzog erinnert sie, daß er ihr sein Fürstenwort gegeben, den Ver¬ brecher zu bestrafen. Lucrecia erwiedert lächelnd: Eide sind für das Volk , nicht für uns Für¬ sten . Das ganze Haus beklatscht dieses Wort. Aber der Herzog läßt sich nicht erbitten. Alle Künste des Himmels und der Hölle ruft sie auf; Liebe und Haß, Wehmuth und Zorn, Lächeln und Thränen, Schmeicheleien und Drohungen. Alles umsonst. Sie droht ihrem Gemahle mit der Rache ihres Vaters des Papstes, mit ihrer eignen; sie erinnert ihn daran, daß er ihr vierter Mann sei. Der Herzog spottet ihrer. Sie ist erschöpft, ihr Köcher ist ausgeleert. Ganz matt frägt sie ihren Gemahl, warum er ihr das Leben des Jünglings nicht schenken, ihr nicht den kleinen Gefallen thun wolle? Jetzt fängt der beschneite Herzog zu rauchen an, und ein Feuerstrom des Zorns stürzt aus seinem Munde. Er donnert: „weil er dein Liebhaber ist“ und jetzt hält er ihr alle Schandthaten ihres Lebens vor und endet: „Deine geliebten Männer können auch künftig durch jede Thüre zu dir kommen; aber die Thüre, durch welche sie wieder herausgehen, werde ich be¬ wachen lassen — von dem Henker.“ Gennaro müßte sterben, sie solle selbst wählen zwischen Gift und Schwerdt. Lucrecia wählet Gift. Der Herzog läßt zwei Flaschen holen, eine silberne und eine goldene. In der goldenen sei der zubereitete Wein, den sie recht gut kenne. Daraus solle sie dem Gennaro einschenken, sich aber ja hüten, die Flaschen zu ver¬ wechseln, denn geschehe es, stünde draußen ein Mann mit einem nackten Schwerdte bereit, der auf einen Wink hereinstürzen und den geliebten Jüngling unter ihren Augen niederhauen werde. Gennaro wird zurückgeführt. Der Herzog stellt sich gnädig, verzeiht ihm, trinkt ihm zu. Er trinkt aus der silbernen Flasche, Lucrecia füllt mit angstzitternder Hand einen Becher aus der goldenen VI. 9 Flasche, und überreicht ihn ihrem Sohne. Der Herzog verläßt höhnisch das Zimmer. Lucrecia schreit ihrem Sohne zu: Ihr seid vergiftet; um Gotteswillen trinkt schnell aus diesem Fläschchen; es ist Gegengift, ein Tropfen und ihr seid gerettet. Aber Gennaro weigert sich zu trinken. Er sagt ihr: es sei ihm wohl bekannt, wie sie einst einen Fürsten vergiftet, indem sie ihm glauben gemacht, er sei es schon, und ihm im Gegengift ein Gift gegeben. Lucrecia verzweifelt über dieses verschuldete Mistrauen; aber die Mutterliebe giebt ihr Beredsamkeit, Gennaro glaubt und trinkt. Jetzt solle er schnell aus Ferrara eilen. Aber der unglückliche Jüngling läßt sich von seinen Freunden aufhalten und sich Abends zu dem Giftmahle verlocken. Dort, wie wir erfahren, stirbt er, nachdem er seine Mutter getödtet. Und wozu, wozu alle diese Greuel? Außer den Schandthaten, die auf der Bühne unter unsern Augen geschehen, werden auch alle die erzählt, welche die Borgias seit jeher begangen. Warum die Kunst zur Schinderin, die Bühne zu einem Schindanger machen? Victor Hugo sagt in der Vorrede zum Drama: „La paternité sanctifiant la difformité „physique, violà le roi s'amuse: la maternité „purifiant la difformité morale, voilà Lucrece „ Borgia ... à la chose la plus hideuse „mêlez une idée réligieuse, elle deviendra „sainte et pure. Attachez Dieu au gibet, vous „ avez la croix .“ Unvergleichlicher Unsinn! Freilich bleibt Gott auch noch am Kreuze Gott, aber das Kreuz macht ihn nicht zum Gotte, und die Anbetung findet ihn dort nur mit Schmerz. Freilich behält der Edelstein auch noch im Kothe seinen Werth, und wer ihn da findet mag ihn aufheben; aber den Edel¬ stein in solcher Fassung suchen und ihn darum vor¬ ziehen — käme das je Einem in den Sinn? Konnte uns der Dichter den Adel und die Macht der Mutter¬ liebe nur in einer Lucrecia Borgia zeigen? Und ihre Mutterliebe ist keine Perle im Schmutze, sie ist Schmutz in Schmutz. Ihr Sohn ist eine Frucht der Blutschande, es ist der Sohn ihres Bruders. Ich hätte noch gar manches zu sagen; aber mit einem guten Bruder Liberalen muß ich einige Nachsicht haben. Victor Hugo bemerkt in der Vor¬ rede: die Minister möchten sich ja nicht schmeicheln, er habe sie vergessen. Keineswegs. Er werde zwar seine Kunst mit allem Eifer forttreiben, aber darum die Politik nicht vernachlässigen. „ L'homme a deux mains .“ Schön gesagt! In Baiern bekäme er dafür ein doppeltes Urtheil. Fünf Jahr in's Zucht¬ haus für die rechte Hand und fünf Jahr in's Zucht¬ haus für die linke Hand. Doch hat unser gelehrter Frankfurter Feuerbach, in seinem unvergleichlich baierischen Criminal-Gesetzbuche für das Königreich 9 * Baiern, dieses, wie noch manches andere vergessen. Wenn die rechte Hand bestraft wird, daß sie geschrieben, verdient die linke Hand dafür bestraft zu werden, daß sie das Papier festgehalten. Ueberhaupt könnte ich das baierische Criminalgesetzbuch mit vielen astronomischen Neuigkeiten bereichern. Erst kürzlich entdeckte ich einen sehr fernen entfernten Versuch zum Versuche eines Hochverraths-Versuchs. Es ist ein kleiner Nebelstern, aber zwei Jahr Zuchthaus wären immer dabei zu verdienen. Samstag, den 23. Februar. Gestern Abend im Bette fing ich die Leidens¬ geschichte eines Italiänischen Staatsgefangenen zu lesen an. Nach dem Kapitel worin er von den schrecklichen Gefühlen spricht, mit welchen man am ersten Morgen in einem Gefängnisse erwacht, schlief ich ein. Und als ich diesen Morgen erwachte, war mein erster froher Gedanke: Du bist frei ! Und mein zweiter froher Gedanke war: Du bist nicht frei! Denn wärest du frei, würdest du nicht so froh sein, daß heute Samstag ist, der dir einen Brief bringt. Aber ich Glücklicher! Das ist kein carcero duro , und ich will es gern ertragen mein Leben lang. Ich erzähle Ihnen noch aus dem Buche. Es heißt: Le mie prigioni, memorie di Silvio Tellico da Saluzzo . Es ist ein Dichter aus Pie¬ mont, der zehen Jahre seines Lebens, von 1820 bis 1830, von seinem dreißigsten bis zu seinem vierzigsten Jahre, in verschiedenen Oestreichischen Staatsgefängnissen geschmachtet. Ich bringe das Buch mit. Künftigen Sommer, an solchen Abenden, wo die Lüfte trunken von den Bergen kommen, lese ich Ihnen daraus vor, Ihre Pulse zu stillen. Ich lernte Wilhelm Tell verstehen, und wie ihm vor dem Kerker eines Oestreichischen Landtags schaudern mußte. Wer an solche Luft gewöhnt, hat keine Tyrannei zu fürchten — er erträgt sie nicht. Ich hätte Ihnen noch einige Worte von der Demoiselle Georges sagen sollen, welche die Lucrecia Borgia ganz herrlich gespielt. Sie war ein Vulkan und alles was in dem dunklen Busen eines solchen Weibes kocht, kam donnernd und in Feuergüssen an den Tag. Das war freilich das Verdienst des Dichters, zugleich aber seine Schuld. Statt uns an den reinlichen gedeckten Tisch der Leidenschaft zu setzen, bringt er uns in ihre Küche, und dieses Mal war es des Teufels Küche. In mehreren Ecken des Saals wurde einigemal gezischt, bei solchen Stellen, wo alles zu nackt, zu roh, zu blutig erschien, wo einen das rothe Fleisch anekelte. Victor Hugo kömmt mir wie ein unmündiger reicher Erbe vor, der Wucherern in die Hände gefallen, und Schulden auf Schulden häuft. Wenn er es so forttreibt, kann er, bis er volljährig und ver¬ ständig wird, sich arm gelebt haben. Man soll von den Zinsen seines Geistes leben ... Und wie gefalle ich Ihnen als solider Mensch? Dreißigster Brief. Paris, Montag, den 25 Februar 1833. Soll ich über Heines französische Zustände ein vernünftig Wort versuchen? Ich wage es nicht. Das Fliegenartige Misbehagen, das mir beim Lesen des Buches um den Kopf summte, und sich bald auf diese bald auf jene Empfindung setzte, hat mich so ärgerlich gestimmt, daß ich mich nicht verbürgen kann — ich sage nicht für die Richtigkeit meines Urtheils, denn solche anmaßliche Bürgschaft übernehme ich nie — sondern nicht einmal für die Aufrichtigkeit meines Urtheils. Dabei bin ich aber besonnen genug geblieben, um zu vermuthen, daß diese Ver¬ stimmung nicht Heines Schuld ist. Wer so große Geheimnisse wie er besitzt, als wie: in der dreihundert¬ jährigen Unmenschlichkeit der Oesterreichischen Politik eine erhabene Ausdauer zu finden, und in dem Könige von Baiern einen der edelsten und geist¬ reichsten Fürsten , die je einen Thron geziert ; den König der Franzosen, als hätte er das kalte Fieber, an dem einen Tage für gut, an dem andern für schlecht, am dritten wieder für gut, am vierten wieder für schlecht zu erklären; wer es kühn und großartig findet, daß die Herren von Rothschild, während der Cholera ruhig in Paris geblieben, aber die unbezahlten Mühen der deutschen Patrioten lächerlich findet; und wer bei aller dieser Weich¬ müthigkeit sich selbst noch für einen gefesteten Mann hält — Wer so große Geheimnisse besitzt, der mag noch größere haben, die das Räthselhafte seines Buches erklären; ich aber kenne sie nicht. Ich kann mich, nicht blos in das Denken und Fühlen jedes Andern, sondern auch in sein Blut und seine Nerven versetzen, mich an die Quellen aller seiner Gesinnungen und Gefühle stellen, und ihrem Laufe nachgehen mit unermüdlicher Geduld. Doch muß ich dabei mein eigenes Wesen nicht aufzuopfern haben, sondern nur zu beseitigen auf eine Weile. Ich kann Nachsicht haben mit Kinderspielen, Nachsicht mit den Leidenschaften eines Jünglings. Wenn aber an einem Tage des blutigsten Kampfes ein Knabe, der auf dem Schlachtfelde nach Schmetterlingen jagt, mir zwischen die Beine kömmt; wenn an einem Tage der höchsten Noth, wo wir heiß zu Gott beten, ein junger Geck uns zur Seite, in der Kirche nichts sieht als die schönen Mädchen, und mit ihnen lieb¬ äugelt und flüstert — so darf uns das, unbeschadet unserer Philosophie und Menschlichkeit, wohl ärgerlich machen. Heine ist ein Künstler, ein Dichter, und zur allgemeinsten Anerkennung fehlt ihm nur noch seine eigne. Weil er oft noch etwas anders sein will als ein Dichter, verliert er sich oft. Wem wie ihm, die Form das höchste ist, dem muß sie auch das einzige bleiben; denn sobald er den Rand übersteigt fließt er in's Schrankenlose hinab, und es trinkt ihn der Sand. Wer die Kunst als seine Gottheit verehrt, und je nach Laune auch manches Gebet an die Natur richtet, der frevelt gegen Kunst und Natur zugleich. Heine bettelt der Natur ihren Nektar und Blüthenstaub ab, und bauet mit bildendem Wachse der Kunst ihre Zellen. Aber er bildet die Zelle nicht, daß sie den Honig bewahre, sondern sammelt den Honig, damit die Zelle auszufüllen. Darum rührt er auch nicht wenn er weint; denn man weiß, daß er mit den Thränen nur seine Nelkenbeete begießt. Darum überzeugt er nicht, wenn er auch die Wahr¬ heit spricht, denn man weiß, daß er an der Wahr¬ heit nur das Schöne liebt. Aber die Wahrheit ist nicht immer schön, sie bleibt es nicht immer. Es dauert lange bis sie in Blüthe kömmt, und sie muß verblühen ehe sie Früchte trägt. Heine würde die deutsche Freiheit anbeten, wenn sie in voller Blüthe stände; da sie aber wegen des rauhen Winters, mit Mist bedeckt ist, erkennt er sie nicht und verachtet sie. Mit welcher schönen Begeisterung hat er nicht von dem Kampfe der Republikaner in der St. Mery Kirche und von ihrem Heldentode gesprochen! Es war ein glücklicher Kampf, es war ihnen vergönnt den schönen Trotz gegen die Tyrannei zu zeigen und den schönen Tod für die Freiheit zu sterben. Wäre der Kampf nicht schön gewesen, und dazu hätte es nur einer andern Oertlichkeit bedurft, wo man die Republikaner hätte zerstreuen und fangen können — hätte sich Heine über sie lustig gemacht. Was Brutus gethan würde Heine verherrlichen so schön er nur vermag; würde aber ein Schneider den blutigen Dolch aus dem Herzen einer entehrten jungen Rähterin ziehen, die gar Bärbelchen hieße und damit die dummträgen Bürger zu ihrer Selbst¬ befreiung stacheln — er lachte darüber. Man ver¬ setze Heine in das Ballhaus , zu jener denkwürdigen Stunde, wo Frankreich aus seinem tausendjährigen Schlafe erwachte und schwur, es wolle nicht mehr träumen — es wäre der tollheißeste Jakobiner, der wüthendste Feind der Aristokraten und ließe alle Edelleute und Fürsten mit Wonne an einem Tage niedermetzeln. Aber sähe er aus der Rocktasche der feuerspeienden Mirabeau, auf deutsche Studenten- Art eine Tabackspfeife mit roth-schwarz-goldener Quaste hervorragen — dann Pfui Freiheit! und er ginge hin und machte schöne Verse auf Marie-An¬ toinettens schöne Augen. Wenn er in seinem Buche die heilige Würde des Absolutismus preißt, so ge¬ schah es, außer daß es eine Rede-Uebung war, die sich an dem Tollsten versuchte, nicht darum, weil er politisch reinen Herzens ist, wie er sagt; sondern er that es, weil er Athemreines Mundes bleiben möchte, und er wohl an jenem Tage als er das schrieb einem deutschen Liberalen Sauerkraut mit Bratwurst essen gesehen. Wie kann man je dem glauben, der selbst nichts glaubt? Heine schämt sich so sehr etwas zu glauben, daß er Gott den „Herrn ,“ mit lauter Initialbuchstaben drucken läßt, um anzuzeigen, daß es ein Kunstausdruck sei, den er nicht zu verantworten habe. Den verzärtelten Heine bei seiner Sybariti¬ schen Natur kann das Fallen eines Rosenblattes im Schlafe stören; wie sollte er behaglich auf der Frei¬ heit ruhen, die so knorrig ist? Er bleibe fern von ihr. Wen jede Unebenheit ermüdet, wen jeder Widerspruch verwirrt macht, der gehe nicht, denke nicht, lege sich in sein Bett und schließe die Augen. Wo giebt es denn eine Wahrheit, in der nicht etwas Lüge wäre? Wo eine Schönheit, die nicht ihre Flecken hätte? Wo ein Erhabenes, dem nicht eine Lächerlichkeit zur Seite stünde? Die Natur dichtet selten, und reimet niemals; wem ihre Prosa und ihre Ungereimtheiten nicht behagen, der wende sich zur Poesie. Die Natur regiert republikanisch, sie läßt jedem Dinge seinen Willen, bis zur Reife der Missethat, und straft dann erst. Wer schwache Nerven hat und Gefahren scheut, der diene der Kunst, der absoluten, die jeden rauhen Gedanken ausstreicht, ehe er zur That wird, und an jeder That feilt, bis sie zu schmächtig wird zur Missethat. Heine hat in meinen Augen so großen Werth, daß es ihm nicht immer gelingen wird sich zu über¬ schätzen. Also nicht diese Selbstüberschätzung mache ich ihn zum Vorwurfe, sondern daß er überhaupt die Wirksamkeit einzelner Menschen überschätzt, ob er es zwar in seinem eigenen Buche so klar und schön dargethan, daß heute die Individuen nichts mehr gelten, daß selbst Voltaire und Rousseau von keiner Bedeutung wären, weil jetzt die Chöre handelten und die Personen sprächen. Was sind wir denn, wenn wir viel sind? Nichts als die Herolde des Volks. Wenn wir verkündigen und mit lauter ver¬ nehmlicher Stimme, was uns, jedem von seiner Parthei aufgetragen, werden wir gelobt und belohnt; wenn wir unvernehmlich sprechen, oder gar verräthe¬ risch eine falsche Botschaft bringen, werden wir getadelt und gezüchtigt. Das vergißt eben Heine, und weil er glaubt, er wie mancher Andere auch, könnte eine Parthei zu Grunde richten, oder ihr aufhelfen, hält er sich für wichtig; sieht umher wem er gefalle, wem nicht; träumt von Freunden und Feinden, und weil er nicht weiß wo er geht und wohin er will, weiß er weder wo seine Freunde noch wo seine Feinde stehen, sucht sie bald hier, bald dort, und weiß sie weder hier noch dort zu finden. Uns an¬ dern miserabeln Menschen, hat die Natur zum Glücke nur einen Rücken gegeben, so daß wir die Schläge des Schicksals nur von einer Seite fürchten; der arme Heine aber hat zwei Rücken, er fürchtet die Schläge der Aristokraten und die Schläge der Demo¬ kraten, und um beiden auszuweichen, muß er zugleich vorwärts und rückwärts gehen. Um den Demokraten zu gefallen sagt Heine: Die Jesuitisch-Aristokratische-Parthei in Deutschland verläumde und verfolge ihn, weil er dem Absolutismus kühn, die Stirne biete. Dann um den Aristokraten zu gefallen sagt er: er habe dem Jakobinismus kühn die Stirne geboten; er sei ein guter Royalist und werde ewig monarchisch gesinnt bleiben; in einem Pariser Putzladen, wo er vorigen Sommer bekannt war, sei er unter den acht Putzmachermädchen mit ihren acht Liebhabern — alle sechszehen von höchst gefährlicher republikanischer Gesinnung — der einzige Royalist gewesen, und darum stünden ihm die Demo¬ kraten nach dem Leben. Ganz wörtlich sagt er: „ Ich bin bei Gott ! kein Republikaner, ich weiß „ wenn die Republikaner siegen , so schneiden „ sie mir die Kehle ab .“ Ferner. „Wenn die „Insurrektion vom 5. Juni nicht scheiterte, wäre „es ihnen leicht gelungen, mir den Tod zu be¬ „ reiten , den sie mir zugedacht : Ich verzeihe „ihnen gerne diese Narrheit.“ Ich nicht. Republi¬ kaner die solche Narren wären, daß sie Heine glaubten aus dem Wege räumen zu müssen um ihr Ziel zu erreichen, die gehörten in das Tollhaus. Auf diese Weise glaubt Heine bald dem Abso¬ lutismus, bald dem Jakobinismus kühn die Stirne zu bieten . Wie man aber einem Feinde die Stirne bieten kann, indem man sich von ihm abwendet, das begreife ich nicht. Jetzt wird zur Wiedervergeltung, der Jakobinismus durch eine gleiche Wendung auch Heine kühn die Stirne bieten. Dann sind sie quitt und so hart sie auch auf einander stoßen mögen, können sie sich nie sehr wehe thun. Diese weiche Art Krieg zu führen ist sehr löblich und an einem bla¬ senden Herolde, die Heldenthaten zu verkündigen, kann es keiner der Kämpfenden Stirne in diesem Falle fehlen. Gab es je einen Menschen, den die Natur be¬ stimmt hat, ein ehrlicher Mann zu sein, so ist es Heine und auf diesem Wege könnte er sein Glück machen. Er kann keine fünf Minuten, keine zwan¬ zig Zeilen heucheln, keinen Tag, keinen halben Bo¬ gen lügen. Wenn es eine Krone gälte, er kann kein Lächeln, keinen Spott, keinen Witz unterdrücken, und wenn er sein eignes Wesen verkennend, doch lügt, doch heuchelt, ernsthaft scheint wo er lachen, demü¬ thig wo er spotten möchte; so merkt es jeder gleich, und er hat von solcher Verstellung nur den Vor¬ wurf, nicht den Gewinn. Er gefällt sich den Je¬ suiten des Liberalismus zu spielen. Ich habe es schon einmal gesagt, daß dieses Spiel der guten Sache nützen kann; aber weil es eine einträgliche Rolle ist, darf sie kein ehrlicher Mann selbst übernehmen, sondern muß sie Andern überlassen. So, seiner bessern Natur zum Spotte, findet Heine seine Freude daran zu diplomatisiren, und seine Zähne zum Ge¬ fängnißgitter seiner Gedanken zu machen, hinter wel¬ chem sie jeder ganz deutlich sieht und dabei lacht. Denn zu verbergen, daß er etwas zu verbergen habe, so weit bringt er es in der Verstellung nie. Wenn ihn der Graf Moltke in einen Federkrieg über den Adel zu verwickeln sucht, bittet er ihn es zu unter¬ lassen; „denn es schien mir gerade damals bedenklich, „in meiner gewöhnlichen Weise, ein Thema öffentlich „zu erörtern, das die Tagesleidenschaften so furchtbar „ansprechen müßte.“ Diese Tagesleidenschaft gegen den Adel, die schon funfzig mal dreihundert fünf und sechszig Tage dauert, könnte weder Herr von Moltke noch Heine, noch sonst einer noch furchtbarer machen, als sie schon ist. Um von etwas warm zu sprechen, soll man also warten, bis die Leidenschaft, der er Nahrung geben kann, gedämpft ist, um sie dann von neuen zu entzünden? Das ist freilich die Weisheit der Diplomaten. Heine glaubt etwas zu wissen, daß Lafayette gegen die Beschuldigung der Theilnahme an der Juni-Insurrektion vertheidigen kann; aber „ eine leicht begreifliche Diskretion “ hält ihn ab sich deutlich auszusprechen. Wenn Heine auf die¬ sem Wege Minister wird, dann will ich verdammt sein, sein geheimer Sekretair zu werden, und ihn von Morgen bis Abend anzusehen, ohne zu lachen. VI. 10 Dienstag, den 26. Februar. Sie fragten mich neulich, was das für eine dumme Geschichte mit den Würtemberger Ständen wäre? Dumme Geschichte ist ein Pleonasmus. Die Geschichte der Menschheit ist nichts als eine Geschichte der Dummheit. Was aber diese besondere dumme Geschichte bedeute, will ich Ihnen erklären. Ich will Ihnen die Sache so klein und weich wie durchgeschlagene Erbsen machen, und wenn Sie meine durchgeschlagenen Stände noch nicht genießen können, so ist das nicht meine Schuld. Als man auf dem Wiener Kongresse den deut¬ schen Bund bildete, gaben sich Oesterreich und Preu¬ ßen die größte Mühe, die kleinen Fürsten dahin zu bringen, ihren Staaten repräsentative Verfassungen zu geben. Die großen Mächte hatten gut berechnet, daß dieses die kleinen Mächte von ihnen abhängig machen würde. Auch kam es wirklich so. Baiern, Würtemberg, Baden und die Uebrigen wären nicht zu Vasallen von Oesterreich und Preußen herabge¬ sunken, wenn sie unbeschränkte Regierungen gehabt hätten. Um die kleinen Fürsten leichter in das Garn zu locken, stellte sich Preußen damals an, als wolle es auch eine repräsentative Verfassung einführen. Die kleinen Fürsten merkten die List nicht und alle die Angst, die sie bei der Sache hatten, kam von ihren eigenen Völkern; die andern größern Gefahren sahen sie nicht. Aber diese Angst vor Constitutionen war fürchterlich. Schon sahen sie eine demokratische Sündfluth über ihre Throne zusammenstürzen und sie dachten gleich an Noah's Arche, in welcher sie sich im Falle der höchsten Noth mit all ihrem Viehe retten könnten. Wie es sich mit diesen Archen ver¬ halte, an welchen die kleinen deutschen Fürsten zim¬ mern, will ich Ihnen ein andersmal erklären. Ehe sie es nun wagten, ein kleines seichtes Wässerchen von Volksfreiheit durch ihre Ländchen schleichen zu lassen, zogen sie aus Furcht vor Ueberschwemmungen, Kanäle so breit und so tief, daß der Rhein, die Donau, und die Elbe zugleich darin Platz hätten. Und sie baueten Riesenwerke von Dämmen aus mäch¬ tigen Quadersteinen und gewaltigen Schleußen. Un¬ sere Constitutionen sind nichts anders als Gefäng¬ nisse der Freiheit: daß die Freiheit nicht frei im Lande herumlaufe, wird sie in eine Kammer gesperrt. In diese Constitutionen, besonders aber in das Wahlsystem der Volks-Deputirten und in der Ge¬ schäfts-Ordnung der Kammern, wurden hundert Be¬ 10 * stimmungen eingeführt, die alle den Zweck hatten, die kräftige Entwicklung eines wahren repräsentativen Systems zu verhindern. Bald darf man nicht spre¬ chen, bald darf man nicht hören, die Einen werden stumm, die Andern werden taub gemacht. Ist ein Bischen frischer Wind in der Kammer, werden gleich alle Segel eingezogen. Wird etwas verhandelt was das Volk nahe angeht, wird es aus der Kammer gejagt, es darf den Sitzungen nur beiwohnen, so oft sie langweilig sind. Man meint freilich das wäre oft genug. In Baiern müssen die Deputirten, die auf sechs Jahre gewählt werden, in der ersten Sitzung um die Plätze in der Kammer loosen. Diesen nume¬ rirten Platz muß jeder Deputirte wie ein Schulbube behalten, er darf ihn nicht wechseln. Dadurch wollte man verhindern, daß die Gleichgesinnten sich nicht neben einander setzen, sich verabredeten und Parthei machten. Die liebe deutsche Schuljugend läßt sich auch das alles gefallen. Eine andere Bestimmung ist fast in alle Con¬ stitutionen übergegangen. Passen Sie auf! Jetzt kömmt Ihre dumme Geschichte. Keiner darf als Deputirter gewählt werden , der irgend einmal eine Criminalstrafe ausgestanden hat . Hier dachte man aber keineswegs daran, ge¬ wöhnliche Spitzbuben aus der Kammer entfernt zu halten, Räuber, Mörder, Diebe, solche Fälle kommen bei den höhern Ständen selten vor, und Menschen die nur etwas weniges gestohlen, würde man gern als ministerielle Deputirte sehen, damit sie lernen sich vernünftiger zu betragen. Sondern es kam dar¬ auf an, ausgezeichnete Patrioten, Männer welche den Regierungen besonders gefährlich, besonders unlenk¬ sam schienen, von der Deputirten-Wahl auszuschlie¬ ßen. Mit einem solchen Gesetze war das eine Klei¬ nigkeit. Nichts ist in Deutschland leichter, als jeden ehrlichen Mann eine Criminal-Untersuchung, das heißt eine Ceiminalstrafe an den Hals zu werfen Und glauben Sie ja nicht daß hierbei die Regierungen willkürlich verführen; so glücklich sind wir nicht ein¬ mal; so glücklich sind wir nicht, daß unsere Fürsten, um Tyrannen zu sein, nöthig hätten, gesetzwidrig zu handeln. Die Tyrannei liegt schon in den Gesetzen. Alle deutsche Criminalgesetze wurden vor Einführung der repräsentativen Verfassungen, also ohne Mitwir¬ kung der Stände, von den Fürsten allein, also im Geiste der unbeschränkten Herrschaft und nicht im Geiste der Freiheit gemacht. Mit diesen Gesetzen können die unschuldigsten Handlungen als Verbrechen erklärt und als solche bestraft werden. Unsere guten deutschen Hofräthe und Professoren, die Gott segnen möge ich meine mit Verstand — kennen keinen andern Liberalismus als auf Legalität zu halten. Wenn einer von ihnen legal ins Zuchthaus kömmt, weil er etwas drucken lassen, was die Gesetze als Majestäts-Verbrechen erklärt, sind sie es zufrieden und wenn sie als Deputirte um den Despotismus herumschleichen, und irgendwo einen Eingang suchen, und an allen Wegen steht ein Plakat mit den Wor¬ ten: Legaler Weg , nämlich verbotener — keh¬ ren sie wieder um und glauben das ihrige gethan zu haben. Jeder eifrige Volksfreund und Vertheidiger der Freiheit muß irgend einmal etwas thun, wodurch er seine Gesinnung öffentlich beurkundet. Er wird et¬ was freisinniger schreiben, etwas drucken lassen, an einer politischen Versammlung Theil zu nehmen, eine Protestation gegen eine Maßregel der Tyrannei un¬ terzeichnen, oder etwas anders solcher Art. Alle diese Handlungen werden von den deutschen peinlichen Gesetzen als Majestäts-Verbrechen, Staatsverbrechen, Hochverrath angesehen und bestraft. Also alle Bür¬ ger, die sich solcher Verbrechen schuldig gemacht, fallen einer Criminal-Untersuchung und einer peinli¬ chen Strafe zu, und sind daher auf ihr ganzes Leben von der Volksrepräsentation ausgeschlossen. Nun ge¬ schah es, daß für die jetzige Sitzung der Würtem¬ berger Kammer, vier Männer zu Deputirten gewählt wurden, die viele Jahre vorher beim Demagogischen Umtriebe in Criminal-Untersuchung waren. Die Re¬ gierung erklärte, diese Wahl sei nach den Gesetzen ungültig! die Opposition erwiderte; sie wäre gültig, denn obzwar jene Deputirten wirklich in einer Cri¬ minal-Untersuchung gewesen, so hätten sie doch keine Criminalstrafe ausgestanden, weil sie damals von dem Könige begnadigt wurden. Darauf entgegneten die Minister: das Recht der königlichen Gnade sei beschränkt und ihre Folgen erstrecken sich nicht so weit , einem Bürger seine bürgerliche Ehre wiederzugeben . Minister, Diener des Königs, die sonst Himmel und Erde in Bewegung setzen, wenn einer nur mit dem kleinen Finger die Rechte der Krone anrührt, beschränken selbst diese Rechte! Das einzige Recht, welches die Freiheit selbst den Fürsten lassen würde, das Recht der Begnadigung , läßt sich der König gern be¬ schränken, nur um in der Kammer vier freisinnige Männer weniger zu haben! Aber die Würtember¬ gischen Minister könnten es einmal bitter bereuen, das Recht der Begnadigung, das doch von den Für¬ sten auch auf jede andere höchste Regierungsgewalt überginge, beschränkt zu haben. In Darmstadt ist etwas Aehnliches vorgefallen. Ein Advokat Hofmann, der vor vierzehn Jahren in Demagogischen Umtrieben verwickelt war, wurde zum Deputirten gewählt. Hofmann wurde damals aber nicht verurtheilt, sondern der Prozeß wurde niederge¬ schlagen, und der Angeschuldigte, wie die Juristen sagen: ab instantia absolvirt. Hören Sie was ab instantia absolviren heißt, es ist etwas sehr schönes. Wenn nach dem sehr christlichen und sehr menschlichen deutschen Criminalrechte, man einem An¬ geschuldigten sein Verbrechen nicht beweisen und ihn also auch nicht verurtheilen kann, die Richter aber haben Lust das Schwerdt der Gesetze ihm sein gan¬ zes Leben lang über dem Haupte hängen zu lassen, sprechen sie ihn nicht frei, sondern sie absolviren ihn ab instantia , so daß sie nach zwanzig Jahren den Prozeß wieder anknüpfen können. Hofmann wurde zum Deputirten gewählt. Die Regierung erklärte diese Wahl für ungültig, weil er in einer Criminal- Untersuchung verwickelt gewesen. Die Opposition erwiederte, aber Hofmann wäre doch nicht verurtheilt worden. Darauf entgegneten die Minister: aber Hofmann sei nicht freigesprochen worden, und wenn er es übrigens wünsche, würde man die unterbro¬ chene Untersuchung fortsetzen. Hofmann wurde ver¬ worfen. Da habe ich nun vor einigen Tagen aus einem Briefe aus Darmstadt erfahren, mit welchem Eifer und mit welcher Schelmerei, die Ausstoßung Hofmann's von der Regierung betrieben wurde. Hofmann war in Preußische, das heißt in Original- Patent-Demagogische Umtriebe verwickelt. Preußen verfolgte ihn am meisten. Nun müssen Sie wissen, daß seit den Bundestagsbeschlüssen, Deutschland in zwei Polizei-Distrikte eingetheilt ist. Das nördliche Deutschland hat den König von Preußen, das süd¬ liche den Kaiser von Oesterreich zum Polizei-Com¬ missair. Ueber Beiden steht der Kaiser von Ru߬ land als Polizei-Direktor. Darmstadt gehört zum Preußischen Distrikte. Daher war es die Obliegen¬ heit der Preußischen Regierung, Hofmann's Eintritt in die Kammer zu verhindern. Was geschieht also? Einem Edelmanne, Mitglied der Kammer, gab man ein Schreiben in die Hand, welches der Preußische Gesandte in Darmstadt von seiner Regierung erhal¬ ten haben sollte. Darin hieß es: Hofmann habe sich im Jahr 1819 noch ganz anderer, noch schwe¬ rerer Verbrechen schuldig gemacht, als die wegen welcher er damals in Untersuchung war. Und wenn er nach Preußen käme, würde er von neuem einge¬ steckt, und Preußen würde es durchaus nicht dulden, daß Hofmann in die Darmstädter Kammer trete. Diesen Brief zeigte jener Edelmann einigen bürger¬ lichen Deputirten im Vertrauen, und sagte ihnen — — wir wissen ja wie Edelleute mit Bürgern spre¬ chen: — „Lieber Heyer — und wie sonst die An¬ „dern heißen — Sie kennen mich ja, Sie wissen, „daß ich liberal bin. Glauben Sie mir auf mein „Wort, unser Großherzog hat den besten Willen. „Aber was wollen wir thun? Haben wir eine Ar¬ „mee von zweimalhunderttausend Mann? Können „wir uns Preußen widersetzen? Der Großherzog „hat mir gestern gesagt: vor dem Heyer ist mir am „meisten bange der wird Lärm machen.“ Dabei rieb sich der Baron die Hände, dabei zuckte er die Ach¬ seln, dabei klopfte er mit freiherrlichen Fingern auf die bürgerliche Schulter, und sagte in einer Viertel¬ stunde dreißig Mal: Lieber Heyer! Der liebe Heyer, sonst ein braver, liberaler, verständiger Mann, ließ sich bereden, einschüchtern, und stimmte mit seinen Freunden gegen Hofmann. Jetzt nach Cassel, wo die Wahlfreiheit auf eine andere Art verletzt worden. Wenn Sie diesen Brief gehörig studiren, werden Sie eine der vor¬ züglichsten Publizistin von Deutschland, und können Professorin des Staatsrechts auf einer deutschen Universität werden, und wenn Sie loyale College lesen gar geheime Hofräthin. Was ich Ihnen aber folgend mittheile, geschieht nicht zu Ihrer Belehrung, sondern zu meiner eignen. Vielleicht können Sie mir über etwas Aufklärung geben, worin ich ganz im Dunkeln bin. In Frankreich und England sind die Regierungen froh, wenn Staatsbeamte zu Depu¬ tirten gewählt werden! natürlich, weil diese von ih¬ nen abhängen und ihnen also am meisten anhängen: In Deutschland findet das Gegentheil statt. Wenn ein Staatsbeamter zum Deputirten gewählt wird: muß er, das Recht auszuüben, dazu die Erlaubniß seiner Vorgesetzten haben und diese Erlaubniß wird oft verweigert. Welche Feinheit dahinter steckt begreife ich nicht. Nun wurde Jordan, Professor in Mar¬ burg, einer der edelsten und muthigsten freisinnigen Männer Deutschlands, zum Deputirten in die Hessi¬ schen Stände gewählt. Die Minister erklärten, sie erlaubten Jordan nicht seine Stelle anzutreten, und sie verboten ihm nach Cassel zu kommen. Jordan sagte: nach der Verfassung brauche ein gewählter Staatsbeamter nur die Erlaubniß seines unmittel¬ baren Vorgesetzten. Dieser sein Vorgesetzter sei die Universität die ihn gewählt habe; die Erlaubniß des Ministers brauche er nicht. Jordan reiste nach Cassel, und die Mehrheit der Kammer entschied sich für ihn. Der Minister ließ Jordan den Befehl zu¬ kommen, binnen 24 Stunden bei 20 Thaler Strafe Cassel zu verlassen ... Stellen Sie sich vor: wenn hier ein Minister die Frechheit hätte, einem Deputirten bei 50 Franken Strafe den Be¬ fehl zukommen zu lassen, binnen 24 Stunden Paris zu verlassen! In Anklage-Zustand versetzte man den Narren nicht; aber man schickte ihn augenblicklich in einer Zwangsweste gekleidet nach Charenton. Aber unsere deutschen Philister hören so etwas erzählen, ohne daß sie sich darüber echauffiren, ja nicht einmal die Pfeife geht ihnen darüber aus. Gott erhalte mir meinen König Louis Philipp! Wahrhaftig ich mache mir Vorwürfe, daß ich je ein Wort gegen ihn geschrieben; ich thue es aber auch nicht mehr ... Jordan ging nicht aus Cassel und klagte bei den Gerichten. Diese verboten den Ministern bei fünfzig Thaler Strafe, Jordan nicht zu beunruhigen. Dieses war auch wieder ein Deutsches Temperier-Pulver! Die Gerichte hätten erklären sollen! Jordan als Deputirter wäre unver¬ letzlich, und die Minister die ihn antasteten, machten sich des Hochverraths schuldig. Wegen dieses Streits haben die Sitzungen ihre Kammern noch nicht er¬ öffnen können, und man ist begierig, was die preußische Regierung, zu deren Inspection auch Hessen gehört, in dieser Sache verfügen wird. Mittwoch, den 27. Februar. Heiland der Welt! Das monarchische Prinzip ist guter Hoffnung. Welch' ein Donnerschlag für mich! Die Herzogin von Berry, unsere liebe Frau von Blaye , die Enkelin Maria Theresiens, die gebenedeite Mutter des Wunderkindes, ist in ge¬ segneten Umständen, durch den heiligen Geist in Ge¬ stalt eines Italienischen Prinzen, und wird in zwei Monaten ein neues Wunderkind gebähren. Die Her¬ zogin hat es dem Gouverneur von Blaye zu wissen gethan: sie könne nicht länger schweigen, es sei ihr zu eng im Schlosse; seit sieben Monaten sei sie heim¬ lich an einen Italiänischen Prinzen verheurathet, den sie aus Schamhaftigkeit nicht nennen wolle, und ge¬ stern stand dieses Evangelium groß im Moniteur ge¬ druckt, und es wurde im Reichs-Archive niedergelegt zum ewigen Angedenken. Also war es doch wahr, was man neulich gemurmelt, als die Regierung zwei Aerzte so geheimnißvoll nach Blaye gesendet. Doch Verläumdung war es, was viele damals erzählten: der Jude Dautz sei der heilige Geist der Berry ge¬ wesen, und er habe nicht des Geldes wegen, sondern in einem Anfalle von eifersüchtiger Wuth, seine Freundin verrathen. Schade das es Verläumdung war! Wahrlich es wäre ein Glück für die Welt, wenn einmal jüdisches Blut in christlich-monarchische Adern käme. Vielleicht stiege dann wieder ein wei¬ ser König Salomo auf den Thron, der die Sprache der Thiere verstände, und seinen Hofleuten in das Herz sehen könnte ... Du gute Karoline! ich wäre Dir zugethan, wenn Du keine Fürstin wärest. Du hast viel geliebt und es wird Dir viel vergeben werden. Aber Du bist ein thörichtes Weib! Dein Sohn ist noch ein Knabe, noch siebenzig Male kann er den Kreislauf der Sonne erleben — ein Tag für das Glück, eine Ewigkeit für den Schmerz — und Du suchst eine Krone für ihn? Laß ihn eine Lazarone werden! Laß ihn sich sonnen unter dem schönen Himmel Dei¬ nes Vaterlandes! Laß ihn Muscheln suchen am Strande des blauen Meeres. Und ein Tag kann kommen, ein Tag des Schreckens und der Trauer, wo das wildtobende Volk durch die Straßen von Neapel braußt und man einen jammervollen König richtet. Dann schwankt Dein Sohn zu Deinem Grabe, kniet nieder und dankt es Deiner Asche mit heißen Thränen, daß Du ihn ein Bettler werden ließest! Du erfährst es jetzt: Deine nächsten Bluts¬ verwandten häufen Schmach auf Dein Haupt, und machen Dich zum Gespötte der Welt. Das ist das Loos der Könige! Opferpriester oder Schlachtopfer, sind sie schuldig oder unglücklich. Ein und dreißigster Brief. Paris, Mittwoch, den 27. Februar. Die Frankfurter Ober-Post-Amts-Zeitung hatte neulich, da sie etwas dumm monarchisches erzählte, hinter der Dummheit ein Fragezeicheu aufzustellen gewagt. Was ist das? Schon bei jeder anderen deutschen Zeitung sind Fragezeichen Generalbeichten, Roußeausche und Augustinische Bekenntnisse, und ver¬ rathen eine tugendhafte Reue und eine große innere Zerknirschung. Aber gar bei der Postzeitung, einem der Feigenblätter der deutschen Bundesversammlung! Das muß etwas bedeuten. Sollte sie vielleicht den Rest ihrer Abonnenten verlohren haben und durch die Heldenthat des Fragezeichens sie zurückzuführen suchen? Erkundigen Sie sich darnach. Was mir mein Michel für Verdruß macht, der deutsche Michel, der Dickkopf, ach! liebe Frau Ge¬ vatterin, das kann ich Ihnen gar nicht genug klagen. Der Junge bringt mich noch unter die Erde. Alle meine Vorstellungen, all' mein Bitten, mein Züchti¬ gen — es hilft alles nichts. Hören Sie, was er wieder gethan hat. In Freiburg wurde Michel zum Bürgermeister gewählt, denn Michel ist liberal. Aber die Regierung verwehrte die Wahl, denn un¬ sere Regierungen — und darüber muß ich lachen trotz meiner großen Betrübniß — haben Furcht vor Michel. Die Freiburger Bürger die Courage haben, nicht blos einen Tag, sondern zwei Tage lang, neh¬ men sich vor, Michel zum zweitenmale zu wählen. Was thut Michel? Auf seine gewohnte Art wird er gerührt, sentimental, großmüthig, tugendhaft, er¬ haben romantisch, und bittet seine guten Mitbürger sich wegen seiner in keine Ungelegenheiten zu setzen, und einen andern Bürgermeister zu wählen. Die Bürger deren zweitägiges Heldenfieber ohne dies vorüber war, ließen sich das nicht zweimal sagen, und aus Dankbarkeit gegen Michel, daß er sie von dem Drucke ihrer eignen Größe befreiet hat, wähl¬ ten sie seinen Neffen, den jungen Michel zum Bür¬ germeister. Die Regierung war das herzlich gern VI. 11 zufrieder und froh, daß sie so wohlfeil wegkam. Sie dachte, wie jede Regierung: das Volk ist ein Kind. Das eigensinnige Kiud will Wein haben; Mama gießt zwei Tropfen Wein in's Wasserglas, es sieht gelb aus — da hast du Wein, jetzt sei ruhig. Das Volk will Michel haben; die Regierung giebt ihm et¬ was, das eine Farbe wie Michel hat, und sagt: da hast du Michel, jetzt weine nicht mehr. Das alles versteht sich von selbst. Nun hören Sie aber was mein Michel weiter that. Nach geschehener Bürgermeisterwahl zogen die Freiburger Bürger mit Fackeln und Freudengeschrei vor das Michelsche Haus und riefen: es leben beide Michels hoch! Der junge Michel konnte vor Rüh¬ rung nicht sprechen, aber der alte Michel war leider nicht in solchem Grade gerührt; sondern er schrie zum Fenster hinaus: „Hoch lebe unser „vielgeliebter Großherzog Leopold, der Wiederher¬ „ steller der Verfassung und des freien „ Wahlrechts !“ Und die Bürger auf der Gasse schrien: „Hoch lebe unser vielgeliebter Großherzog „Leopold, der Wiederhersteller der Verfas¬ „ sung und des freien Wahlrechts !” Und hoch und abermals hoch! Und der alte ernste Münster, den man noch niemals lächeln gesehen, lachte daß er wackelte, so daß ihm eine steinerne Trottel von sei¬ ner Mütze herabfiel. Was that mein Michel in Stuttgard? Aber ich bin des Spaßes müde. In Stuttgart wurde Herr von Wangenheim, ein geistreicher und freisinni¬ ger Mann zum Deputirten gewählt. Die Regierung erkannte die Wahl nicht an wegen einer verletzten Förmlichkeit, die sie zum Vorwande eines Vorwan¬ des nahm — Um Deputirter seyn zu können muß man im Lande wohnen; nun wohne zwar Herr von Wangenheim im Lande, aber er habe nicht erklärt daß er im Lande wohne. So ohngefähr habe ich die Sache verstanden. Der eigentliche Grund der Wider¬ setzlichkeit war aber: Oesterreich und Preußen hätten den Herrn von Wangenheim mit Zorn in der Kam¬ mer gesehen, denn er stand früher selbst hinter den Coulissen der deutschen Bundes-Komödie, und war der erste jener Gesandten, von welchen, weil sie Liebelei mit der öffentlichen Meinung trieben, und die deutschen Völklein in ihrem Traume, daß sie ein Volk werden könnten , nicht stören hal¬ fen, die Bundesversammlung epurirt wurde. Uebri¬ gens hatte Herr von Wangenheim eine Schrift gegen die Bundestags-Beschlüsse herausgegeben. Dieser von der Regierung vorgeschützte Mangel der Form wurde aber von Herrn von Wangenheim gehoben, und die Bürger nahmen sich vor, ihn zum zweitenmale zu wählen. Was thut nun Herr von Wangenheim? ganz das nehmliche was Herr von Rotteck in Frei¬ 11* burg gethan. Er war großmüthig, gerührt, roman¬ tisch, empfindlich. Er schmollte mit der Regierung wie mit einem Liebchen. Er schrieb seinen Commit¬ tenten einen gerührten Brief: er entsage ihrer Wahl; denn durch deren Annahme würde er einen falschen Grundsatz, den die Minister geltend machen wollen, anerkennen und das wolle er nicht. Er verlasse Stuttgart, wünsche ihnen wohl zu leben, danke ihnen noch einmal herzlich und vertraue übrigens auf Gott. Wäre Herr von Wangenheim in die Kammer getre¬ ten, hätte er der Opposition die wenigen Stimmen die ihr zur Majorität noch fehlen, durch seinen Ein¬ fluß zuführen können. Aber um eines Paragraphs seines moralisch-politischen Kompendiums willen, ver¬ läßt er das Schlachtfeld, mögen Volk und Freiheit darüber ganz zu Grunde gehen. Möchte man sich da nicht die Haare aus dem Kopfe reißen? Ein Edelmann und doch edel! Ein Minister und doch großmüthig! Ein Diplomat und doch romantisch! So oft ich mit Schmerz und Unwillen wahrnahm, daß unsere deutschen bürgerlichen Deputirten, der Macht der Regierungen, die ein ungeheures Zeug¬ haus von Listen und Schelmereien besitzen, worin alle Waffen aufgehäuft liegen, welche geistliche und weltliche Tyrannei seit dreitausend Jahren geschmie¬ det haben, von den Leviten bis zu den Jesuiten, von dem Römischen Senate bis zu dem Venetianischen, von Kaiser Augustus bis Louis Philipp, von Mäcen bis Metternich — nichts entgegensetzen als ihren Gradsinn, ihre Aufrichtigkeit, ihre Treue, ihre Be¬ scheidenheit — so oft ich dieses wahrnahm, tröstete es mich in meinem Kummer, daß wenigstens der deutsche Adel noch Spitzbüberei besitze, und daß er einmal zu uns herüber kommen würde und dann wäre uns geholfen. Da kam nun wirklich einmal ein Edelman zu uns herüber und — er war ein ehrli¬ cher Mann! Ich weiß gar nicht mehr was ich thun soll. Der einzige Trost, der mich noch aufrecht hält und mich vor gänzlicher Verzweiflung schützt, ist, daß der Hofrath Böttiger in Weimar den Großherzoglichen Weimarischen Falkenorden bekommen hat, und daher meine Unsterblichkeit gesichert ist, die mich für alle Leiden die ich in diesem irdischen Jammerthale er¬ trage, entschädigen wird. Wenn ich es Ihnen nicht erkläre, begreifen Sie in Ihrem Leben nicht, wie meine Unsterblichkeit mit dem Weimarischen Falken¬ orden und einem Sächsischen Hofrathe, den sterblich¬ sten Dingen von der Welt zusammenhänge. Diese Dinge hatten früher nicht den geringsten Zusammen¬ hang; aber indem ich sie neben einander stelle, be¬ kommen sie einen. Schon in einem frühern Briefe hatte ich etwas gegen den Hofrath Böttiger geschrie¬ ben; aber so wenig als heute geschah es aus Bos¬ heit; ja was ich dort von seinen lateinischen Versen an eine höchste Erhabenheit erzählte, war wenigstens diesesmal gelogen. Die Sache ist: ich will ihn ärgern , damit ich unsterblich werde . Sie werden erstaunen über die Schelmereien die ich im Kopfe habe und welch' ein großer Staatsmann ich bin. Herr von Cotta erzählte mir einmal, daß der Hofrath Böttiger Verfasser der Nekrologien sei, die seit vielen Jahren die allgemeine Zeitung enthalte. Nekrologie heißt die Lebensbeschreibung einer ge¬ storbenen Person und kömmt aus dem Griechischen, von nekros , der Todte und logos , die Erzählung. Merken Sie sich das et embrassez-moi pour l'a¬ mour du grec . So oft ein berühmter Mann sein vierzigstes Jahr erreicht habe, — erfuhr ich — fange Böttiger dessen Nekrologie zu schreiben an und setze sie, von Jahr zu Jahre und Tag zu Tage gelassen fort; so daß sobald der berühmte Mann den Geist aufgiebt und noch vor seiner Beerdigung die Nekro¬ logie fertig ist und in die Zeitung geschickt wird, so daß kein anderer Nekrolog dem Hofrathe zuvor kom¬ men kann. Er, Cotta, sei einmal gefährlich krank ge¬ wesen und man habe ihn in Deutschland todt gesagt. Gleich mit der nächsten Post, nachdem sich das falsche Gerücht verbreitet, wäre sein Nekrolog, von Böttiger verfaßt, für die allgemeine Zeitung eingegangen. Sie kam aber zu früh und brauchte glücklicher Weise nicht honorirt zu werden. Da überlegte ich nun bei mir, daß, weil ich auch ein berühmter Mann bin und mein vierzigstes Jahr zurückgelegt habe, ich ganz ohne Zweifel in des Hofraths nekrologischem Schranke in der B - Schublade eingesargt liege. Zwar ist Böttiger viel älter als ich; da er aber einen Orden, nicht blos erhalten, sondern auch verdient hat und er überhaupt ein Mann ist, der nicht blos fünf grade sein läßt, sondern auch vier, wenn es ein großer Herr haben will: so gehört er zu denjenigen Menschen, die ein hohes Alter erreichen. Er kann mich daher leicht überleben und meine Nekrologie schreiben. Nun muß von zwei Dingen nothwendig eins geschehen: entwe¬ der er lobt mich oder er tadelt mich. Lobt er mich, so wird das auf Europa einen ungeheuern Einfluß haben; denn da es bekannt ist, daß ich sein Feind bin, wird jedermann begreifen, daß nur das große Gewicht meiner Verdienste ihn zur Gerechtigkeit zwin¬ gen konnte. Tadelt er mich aber, glaubt ihm keiner und er wtrd ausgelacht, weil man weiß daß ich ihn geärgert habe. Auf diese Weise hängt meine Un¬ sterblichkeit, und die Gemüthsruhe mit welcher ich meine Leiden ertrage, mit dem Weimarischen Falken¬ orden und dem Hofrathe Böttiger zusammen. Freitag den 1. März. Ueber die neue Preußische Judenordnung habe ich nicht gesprochen, weil ich gleich anfänglich ver¬ muthete, was sich auch jetzt zu bestätigen scheint, daß es damit kein Ernst gewesen. Aber ganz gewiß, war es nicht der Zufall oder die Tücke eines deutsch¬ christlichen Narren, die diesen wahnsinnigen Gesetz¬ entwurf bekannt gemacht. Er stand zuerst in der Leipziger Zeitung in einem Blatte, das ganz unter absolutistischer Eingebung steht. Auch hätte weder die Leipziger noch eine andere Zensur verstattet, daß eine Zeitung das Geheimniß einer deutschen Regie¬ rung bekannt mache, wäre die Mittheilung nicht von einer Hand geschehen, die aller Verantwortlich¬ keit überhebe. Ich zweifle nicht, daß der Artikel von einem der Helfershelfer der Preußischen oder einer andern Regierung eingesendet worden ist. Auch war der Gesetzentwurf in der allgemeinen Zeitung mit Bemerkungen begleitet, die den bekannten föditen Lobgeruch haben, mit welchen alle Handlungen der deutschen Fürsten beweihraucht zu werden pflegen. Es hieß dort nach Anführung der unerhörtesten Gräuel: „ Durch das ganze Gesetz blinkt ein Geist „ der Milde und der Versöhnung durch , „ vorzüglich aber das Bestreben des Staats , „ die Juden wieder zu dem alten Satze zurück¬ „ zuführen : im Schweiße deines Angesichts „ sollst du dein Brod essen .“ Diese Schwei߬ treibende Eigenschaft der Judenordnung ist das wahre Kennzeichen jeder ächt deutschen Gesetzgebung. Was man aber mit diesem Carnewals-Spaße bezweckte: ob es ein kleiner Luftballon war, den man, um den Wind zu erforschen dem großen vor¬ aussteigen ließ? Ob man in Preußen oder einem andern Staate wirklich daran denkt, die Juden in den Status quo des fünfzehnten Jahrhunderts zurück¬ zuschnellen, und man vorher versuchen wollte, ob sie noch Elastizität genug haben sich das gefallen zu lassen? Ob man die Juden, und aus welchem Grunde nur ängstigen wollte? Ob es eine Wacht¬ parade war, das deutsche Volk überhaupt in Schrecken zu setzen? Ob der Entwurf, wie ich mich früher einmal ausgedrückt, ein Ochse war , den man der Boa-Schlange der deutschen Revolution in den Rachen jagen wollte , um sie wehrlos zu machen und dann zu tödten ? Oder was es sonst sein möchte — das kann ich nicht errathen. Doch es wird kund werden früher oder später. Uebrigens könnte Preußen eine solche Juden¬ ordnung einführen und es würde gar nichts dabei ver¬ lieren, außer daß dann auch die Kurzsichtigsten vorher¬ sehen würden, welche Zukunft dem ganzen Volke droht. Der alleinige Unterschied bliebe dann, daß man dem jüdischen Hunde mit einem Schnitte die Ohren kurz machte, während man sie dem christlichen nur nach und nach abschneiden würde „um dem armen Viehe nicht auf einmal zu wehe zu thun,“ wie jener Bediente sagte. Wenn man die Preußische Regierung beurtheilen will, muß man nicht blos auf das achten, was sie thut — denn das zeigt nur an was sie kann , sondern auch auf das, was sie spricht — welches anzeigt was sie will . Wenn ich das Berliner politische Wochenblatt lese, weiß ich gar nicht was ich denken soll. Ich sage denken — denn glauben Sie mir: ich drücke nie eine Empfindung aus, ehe ich von der heißen Dach¬ kammer des Gefühls, in den Eiskeller der ruhigsten Besonnenheit hinabgestiegen bin, und dort die Probe gehalten habe, ob der Kopf mit dem Herzen über¬ einstimmt. Und so oft diese Uebereinstimmung fehlt, lösche ich meine Empfindung aus. In dem Berliner Wochenblatte werden despotische Grundsätze gelehrt, die mit dem Prinzipe des Protestantismus gar nicht zu vereinigen sind. Und wenn Preußen dieses Prinzip, seine Hauptstütze, erschüttert, sinkt es zum Vasallen Oesterreichs hinab, um später von ihm wie ein Wurm zertreten zu werden. Wenn Preußen seine Zwecke erreicht, wird es die letzte unter den despotischen Mächten, statt daß es die erste unter den Freisinnigen könnte sein. Herr von Ancillon, der einzige dirigirende Minister in ganz Deutschland, der gut und schön schreiben kann — warum ver¬ theidigt er nicht einmal die Vernunftmäßigkeit des Preußischen Regierungssystems gegen die Unvernunft der revolutionären Schriftsteller? Wir verlangen nicht, daß er, ein deutscher Minister, selbst, unter seinem eignen Namen mit uns Erdenwürmern spreche. Wir wissen recht gut, daß Gott nur wenig Auser¬ wählten erscheint, und Angesicht in Angesicht mit ihnen redet. Aber Herr von Ancillon kann uns ja seine eigenhändigen Gesetztafeln durch einen seiner Moses schicken und versuchen ob wir dem goldenen Kalbe nicht abwendig zu machen wären. Aber er rede kalt, ruhig, vernünftig mit uns, und ohne alle Grobheit. Er nehme einmal auf eine Stunde an, daß wir es gut meinten, und nur in unwillkührlichen Irrthümern befangen wären. Wenn wir mit Worten wüthen, so ist das so natürlich als verzeihlich. Was sollten wir denn anders thun, da wir keine Macht, sondern nur Recht haben, und doch der Geist einen Körper haben muß, daß ihn auch die erkennen, die keine Sonntagskinder sind? Wenn aber die Organe der Regierung zornig reden, so ist das der lächer¬ lichste und zugleich der grausamste Pleonasmus. Ihre Gewehre, ihre Kanonen, ihre Kerker — was sind sie denn anders als plastische Grobheiten von Stein, Eisen und Stahl, während die unsern ganz unschädlich nur von Luft sind? — In Preußen geht man damit um, die Justiz¬ beamte für absetzbar zu erklären. Vielleicht wissen Sie nicht was das bedeutet. In den Staaten, wo der Despotismus nicht alle Schaam von sich geworfen, wo ihm noch ein kleiner Rest, ich sage nicht von Tugend, aber von Ehre geblieben, sind die Gerichts¬ personen unabsetzbar, das heißt: wenn sie einmal ihre Stelle erhalten, darf sie die Regierung ihnen nicht wieder nehmen. Dieses ist der letzte Anker der Ruhe für jeden Bürger, der nun nicht zu be¬ fürchten braucht, daß sein Richter in die traurige Lage kommen könnte, entweder seine Stelle zu ver¬ lieren und mit Weib und Kinder zu verhungern, oder einen Angeklagten zum Tode, zum Kerker, zu Geldbußen zu verurtheilen, sobald es einem Wahn¬ sinnigen, oder ruchlosen Minister beliebt. Dieser Schutz soll jetzt dem Preußischen Volke geraubt werden. Ich will es noch nicht glauben. Was bliebe denn jenen guten Preußen, die ich im Aus¬ lande so oft habe in die Enge treiben sehen, indem man ihnen die Verderblichkeit ihres vaterländischen Regierungssystems unwiderleglich klar machte, und die dann immer auf das Wort zurückkamen: aber wir haben doch eine unabhängige Justiz — was bliebe ihnen noch für ein Vorwand übrig, ihre Loyalität, der sie sich schon halb schämen, nothdürftig zu vertheidigen? Freilich blieben ihnen dann noch ihre gerühmten Abc -Schulen übrig. Ich möchte sie aber fragen: Ob man denn ihren gelehrten Abc - Bauren etwas anders zu lesen verstattet als die Befehle der Regierung? Nun freilich, wenn man anfängt, sogar in der Stadt Berlin selbst Verschwörungen zu entdecken, und selbst ein Cavallerie-Offizier und ein Regierungs¬ rath sich des Hochverraths verdächtig gemacht haben, dann scheint es Zeit, die Richter unter der Zucht¬ ruthe der Polizei zu bringen. Aber was wird es sie helfen? Sie werden höchstens einige junge Leute und dunkle Personen schuldig finden, aber nie einen Menschen von Bedeutung bis zur Straffälligkeit überführen können. Denn in Berlin reichen sich die freisinnigen Männer bis zu den ersten Stufen des Thrones die Hände und sie lassen sich nicht fallen. Ich freilich traute jenen Menschen nie, die seit fünf¬ zehen Jahren ihren guten Willen zu verheimlichen und dem Despotismus, ihn zu verderben, Vertrauen einzuflößen wußten; doch giebt es andere ehrliche Leute, die ihnen trauen. Mögen sie sich nicht täuschen! Ich war immer der Meinung, daß wer faul wartet, bis die Früchte reif herabfallen, nur faule Früchte lesen wird. Man muß die Freiheit von den Bäumen brechen. — Herr von Rotteck hat aus dem Sächsischen wieder einen liberalen Becher bekommen; es ist der zehente. Durch das neuliche Betragen des Herrn von Rotteck ist mir erst recht klar geworden, warum so viele deutsche Patrioten von 65 Pulsschlägen an diesem Manne hängen. Er treibt sein Becher¬ spiel mit einer Vollkommenheit, wie ich es auf den Boulevards noch nie gesehen. Er hat eine Art, Einem den Liberalismus so bequem zu machen, daß es eine Lust ist. An schönen Mai-Tagen, wo es weder zu kalt noch zu warm ist, geht er mit seinen politischen Freunden spazieren, und macht sich über die faulen Bäuche lustig, die bei so herrlichem Wetter im Zimmer eingeschlossen bleiben. Kömmt aber der Sommer der Freiheit und das Volk fängt zu donnern und zu blitzen an, wird, sobald der erste Tropfen fällt, der Regenschirm der Legalität auf¬ gespannt, man eilt in die Stadt zurück und wimmert: bleibt nur immer auf dem gesetzlichen Wege ! Nahen die Weihnachten der Tyrannei und Bundes¬ tagsbeschlüsse schneien vom Himmel herab, zieht Herr von Rotteck den Fuchspelz der Loyalität an, und er schreit zum Fenster hinaus: Hoch lebe unser vielgeliebter Großherzog , der Wieder¬ hersteller der freien Verfassung und des freien Wahlrechts ? Dabei ist man sicher, sich weder zu erhitzen, noch zu erkälten, und ein Jubel¬ senior zu werden und ein Belobungsschreiben zu erhalten. „ Wenn ich nur was davon hätt “ — sagt Staberl. Samstag den 2. März. ..... Die öffentliche Meinung ist zu ihrer frühern Ansicht von dem Vater des Wunderkindes von Blaye zurückgekehrt. Die drei Könige welche die gebenedeite Prinzessin begrüßten, kamen wirklich aus dem Morgenlande, und der heilige Geist war ihr Landsmann. Als der schändliche Deutz die Herzogin verrieth, rief sie, sich selbst noch schlimmer verrathend aus: Le misérable ! Je lui ai donné plus que ma vie ! Seine Wohlthäterin, seine Freundin, die Mutter seines Kindes, ein unglückliches, wehrloses Weib zu verrathen! Aber nur den kleinsten Theil meines Grolls wende ich einem solchen Niederträchtigen zu. Den größten Theil spare ich für die Niederträchtigkeit der Regierungen auf, die Verbrechen, welche tausenfachen irdischen Tod, und selbst den Fluch des allbarmherzigen Gottes verdienen, wie die schönste Tugend belohnen. Das ist aber das Verderben jeder fürstlichen Herr¬ schaft: sie kann sich nicht erhalten ohne Verrätherei; sie kann nicht ruhig leben, wenn nicht wechselseitiges Vl . 12 Mistrauen die Bürger aus einander hält. Man trete zu jeder Stunde in das geheime Kabinett jedes Königs, und findet man einen seiner Unterthanen bei ihm, mit dem er sich liebreich und freundlich, wie ein Bruder unterhält — ist es ein Weib, wird es eine Sängerin, ist es ein Mann, wird es ein Spion sein. Und selbst die Opersängerin hat nur den zweiten Platz in dem Herzen des Königs. Zwei und dreißigster Brief. Paris, Sonntag den 3. März 1833 Von dem aus dem Englischen übersetzten Werke: Mémoires d'un Cadet de famille par Trelawney, von dem ich Ihnen schon gesprochen, ist jetzt der dritte Theil erschienen. Ich kann Ihnen nichts schöneres zum Lesen empfehlen. Es wird Einem dabei, als wäre man früher blind, taub und von tausend Banden festgehalten, regungslos gewesen; und jetzt plötzlich frei geworden mit allen Sinnen und Gliedern, erfahre man erst, was die Welt sei, was leben heiße. Was der keckste Romanenschreiber in seinem Uebermuthe nur je erdichtet, ist Blödigkeit gegen das, was dieser Corsar wirklich gethan und 12* gelitten. Und doch ist nichts außerordentliches in ihm, als daß er sich außerordentlich viel Freiheit genommen. Nichts Ungewöhnliches ist ihm begegnet; aber er ist den gemeinen Dingen auf eine ungewöhn¬ liche Art begegnet und das hat ihn groß gemacht. Man sieht: es ist in jedem Menschen eine Kraft gleich der des Dampfes, und wer diese zu finden und zu gebrauchen versteht, kann mehr vollbringen als tausend andere vereinte Menschen. Aber nicht bloß ein Held ist Trelawney, er ist auch ein Meister im Malen und im Dichten. Nichts herrlicher als seine Beschreibungen von jener zauberhaften indischen Welt; nichts epischer und dramatischer als seine Schilderungen der Ereignisse und der Menschen und Völkerschaften die daran Theil genommen. Es begleiten ihn zwei komische Charaktere auf seinem abentheuerlichen Leben, der Koch und der Wundarzt des Schiffes, die Shakespear nicht schöner hätte darstellen können. Sie leben beide mit Geist und Herz nur in ihrer Kunst. Auf dem Meere und in der Sandwüste, bei Sturm und Sonnenschein, in der Schlacht und im lustigen Uebermuthe des Hafens, denken sie nur an kochen und heilen. Und auch hier sieht man was die Frei¬ heit vermag. Der Koch wagt Gerichte, vor denen Vatel gezittert, der Wundarzt Heilungen, vor welchen sich Dupüytrin versteckt hätte — und es gelingt beiden. Die unerhörtesten Speisen werden schmackhaft, die verzweiflungsvollsten Krankheiten und Wunden werden geheilt. Wie herrlich ist die Beschreibung einer Tiger¬ jagd! Die Schlachten von Marengo, Austerlitz und Eylau, sind, was der gezeigte Muth betrifft, Possenspiele dagegegen . Der Corsar schließt diese Schilderung mit den Worten: „Wie schön und glorreich wäre diese Jagd, wenn man in den Tigern, die Seelen aller Tyrannen der Erde ver¬ tilgen könnte!“ Denken Sie sich einen Helden in der Schlacht mit einer Rose vor der Brust; denken Sie sich eine Harfe, die durch den heulenden Sturm spielt, und einen Löwen, an seidner Schnur von einem schönen Kinde geführt — das war Zela dem Corsaren. Sie theilte alle seine Gefahren, und verschönte und belohnte sie. Da verlohr er sie durch den Tod. Am Strande des Meeres verbrannte er ihre Leiche, und wollte sich auf den Scheiterhaufen stürzen, den ihn aber seine Schwäche nicht erreichen ließ. Man entfernte den Bewußtlosen von der Jammerstätte. Mit Zela endeten die Träume seines Lebens, er erwachte und sein Glück war dahin. Er kehrte nach England zurück, begrub sich lebendig in dem Schooße monarchischer Erde und wehrte mit grimmiger Hand den Würmern, die an den Sarg seiner Freiheit herankrochen. Trelawney haßte die ganze Welt, und sein Herz, groß genug die ganze Welt zu lieben, theilte er zwischen Zela und van Ruyter , seinem Freunde und Seegenossen. Van Ruyter war der edlere von beiden. Auch er kehrte nach Europa zurück, gerieth in die Sonnenbahn des Kaisers Napoleon, der ihn hoch hielt und ihn verwenden wollte. Aber Ruyter ließ sich nur von Napoleon gebrauchen, so lange er ihn gebrauchen wollte, und wußte im Helden den Kaiser zu verachten. In einem Treffen gegen ein englisches Schiff verlohr er das Leben. Sie werden gern erfahren, wie van Ruyter von Napoleon dachte. „Er hat einige Dummköpfe von alten legitimen „Königen, von ihren wurmstichigen Thronen herab¬ „geworfen; er hat ihnen den Purpur vom Leibe „gerissen und sie dann wieder aufgerichtet, um mit „der Menschheit seinen Spott zu treiben. Indem „er dieses that, dachte er freilich die Tyrannei ver¬ „ewigen zu können, wenn er an die Stelle „der zernichteten Mächte Militair-Despoten setzte, „Aber er hoffte vergebens hierdurch seine Macht zu „befestigen, und die Ehrgeizigen durch die Bande „der Erkenntlichkeit an sich zu fesseln. Als wenn „sich ein Ehrgeiziger je um ein anderes Glück als „nur sein eignes bekümmern könnte! Napoleon kann „freilich für die Welt gute Folgen haben; doch sind „wir ihm keinen Dank dafür schuldig, denn er hat „bei allem sein Thun nicht das Gute beabsichtigt, „sondern das Böse. Ein verrosteter Riegel ist „schwer zurückgeschoben; ist es aber einmal geschehen „und es gelingt einem ihn wieder vorzuschieben, „wird er nie mehr so gut als früher schließen. „Was ein Meister zu seinem Vortheile seine Arbeiter „lehrt, das wenden diese später zu ihrem eignen an. „Napoleon hat unsern Kindern die Taschenspieler- „Künste mit Päpsten, Fürsten, Königen und andern „solchen Gliedermännern gezeigt. Wir Alten hängen „noch zu sehr an unserem Schaukelpferde und Blei¬ „soldaten; aber unsere Söhne werden die Puppen „unserer Zeit verachten, sie auf immer wegwerfen „und ein Männerspiel spielen.“ „Der Kaiser wollte mir, als ein Zeichen seiner „großmüthigen Gesinnung etwas schenken, das keinen „Schilling werth war — das Band der Ehren¬ „ legion . Er hätte mich entehrt durch meine „Ernennung zum Ritter; ich wäre lieber Glücksritter „und Gauner geworden. Trelawney verspricht in der Folge auch sein späteres Leben zu beschreiben. Um sich aus der verpesteten monarchischen Luft der europäischen Staaten zu retten, nahm er an allen jenen Kämpfen Theil, die, seit dem Sturze Napoleons, in allen Ländern für die Freiheit versucht worden sind. Von der Gesinnung und der Schreibart unseres Helden, mögen folgende Stellen zeugen. „Die Gicht, der Schlagfluß, die Wassersucht „und der Stein sind meine lieben Freunde und „Freundinnen. Ich verehre sie, ich grüße sie mit „dem Hute in der Hand, als die mächtigsten unter „den unversöhnlichen Feinden der Könige und Priester. „Das sind unbestechliche Jakobiner. Wenn der „Pfaff das Saatkorn eines armen Pächters gestohlen, „und seine Zehenten-Schweine verschlungen hat, „fühlt er freilich keine Bisse des Gewissens; aber „oft fühlt er ihre Qualen in den großen Zehen „seines Fußes, und das Schwein hört nicht auf „in seinem Bauche zu grunzen, als bis es sich an „seine Rippen und an seinem Halse fest gefressen „hat; dann erstickt es ihn, mit allen Anzeichen eines „gerechten Schlagflusses. „Ich beschäftige mich, die Geschichte meines „Lebens zu vollenden. Die Folge wird zeigen, daß „ich kein geduldiges Werkzeug in den Händen der „despotischen Willkühr war und mich nie zu jenen „niederträchtigen Sklaven gesellt habe, die in Haufen „zu den Füßen der Reichen und Mächtigen krochen. „Nach meiner Rückkehr in Europa hatten alle Ty¬ „rannen ihre Gladiatoren versammelt, um die ver¬ „maledeite Dynastie der Bourbons wieder auf den „Thron zu setzen. Das Kriegsgeschrei in Europa „war die Unverletzlichkeit und Machtvollkommenheit „der legitimen Tyrannen, und alle Dummköpfe, „Schwärmer und Narren, wurden gleich Jagdhunden „hinter die Freiheit gehetzt. Ueberall wurden Preise „auf die Köpfe der Patrioten gesetzt; man beraubte, „man verfolgte, man ermordete sie mit gerichtlichen „Floskeln. Dann wurden sie gleich Indischen „Parias aus der Gemeinde gejagt, und wer sie „berührte, war, wie sie, der Schmach verfallen. „Ich, der ich so viel von der Tyrannei gelitten, „haßte aus der tiefsten Seele jede Unterdrückung. „Ich stand dem Schwachen gegen den Starken bei; „ich schwur mich mit Leib und Seele dem Kriege „zu weihen, und in dem heiligen Kampfe gegen die „gekrönten Betrüger, ihre Minister und Pfaffen, „auch den Dolch nicht zu verschmähen. Als die „Tyrannei siegte, theilte ich das Geschick jener „unüberwindlichen Geister, die durch die ganze „Erde in der Verbannung umherschweiften, und ich „lieh' ihnen meine schwache Hülfe, die Betrügereien „jener von Motten zerfressenen Legenden, welche „das Menschengeschlecht so lange betrogen haben, „an den hellen Tag zu bringen.“ (O! hätten wir statt Rotteck und Welcker, den einzigen Trelawney auf unserer Seite.) „Ach! diese edlen und hochherzigen Menschen „sind nicht mehr! Sie fielen als Schlachtopfer „jener erhabenen Sache, die sie mit einer bewunde¬ „rungswürdigen Kraft vertheidigt; doch dauernde „Denkmäler haben sie zurückgelassen, und ihre „Namen werden ewig leben. Ach! lebten sie jetzt, „hätten sie den Baum, den sie pflanzen halfen „blühen gesehen! — — — hätten sie das Jahr „1830 und dann das ihm so glorreich folgende „Jahr 1831 erlebt, wie würden sie gejauchzt haben, „die Reihe der Tyrannen durchbrochen, ihre Dumm¬ „gläubigen gemaulkorbt, und die Verschwörung, „welche die Freiheit der Völker ersticken sollte, ver¬ „eitelt zu sehen. „Ja! die Sonne der Freiheit, erhebt sich über „den feilen Sklaven Europens, sie wird sie aus „ihrem langen Todesschlafe erwecken. Der Geist „der Freiheit schwebt wie ein Adler über der Erde, „und die Seelen der Menschen strahlen den Glanz „seiner goldenen Flügel zurück. Möge Frankreich, „dem Adler gleich, den es früher wie zum Spotte „zu seinem Sinnbilde genommen, jetzt aber im „Ernste annehmen muß — möge es seinen Kindern „seinen erhabenen Flug lehren; möge es sie lehren, „das Gestirn der Welt, in den Mittagsstrahlen „seines Ruhms, ohne geblendet zu werden anzu¬ „schauen. Die Hoffnungen und die Blicke aller „edlen Menschen sind jetzt auf Frankreich gerichtet, „und jedes Herz, das nur ein Hauch großherziger „Gesinnungen belebt, wird bei dem Klange dieses „schönen Namens, das reinste Mitgefühl wieder¬ „klingen“ ... Auch wir! Auch uns! Wir wollen mächtig rufen, und der Ruf steige von Ort zu Ort bis er zum Donner anwachse, bis der Taxische Pallast davon erbebe — es lebe die Freiheit ! es lebe Frankreich ! Montag den 4. März. Wie ich heute in der Zeitung gelesen, haben die Preußischen Minister das neue Judengesetz verworfen. Mit welcher Schadenfreude habe ich das so kommen sehen! Wie schlau ist der hohe deutsche Adel! das monarchische Prinzip ist in den Talmud gefahren und hat ihn geheiligt, und heilig sind alle die an ihn glauben. Bald wird der Messias der Juden geboren werden, bald wird das Wunderkind von Blaye das Licht der Welt erblicken. Der Jude Deutz, eines frommen Rabbiners glorreicher Sohn, ist jetzt Stiefvater des Herzogs von Bordeaux, Schwager des Königs von Neapel, noch verwandt mit dem Französischen, Spanischen, Portugiesischen Hause; verwandt mit Oesterreich, Preußen, Baiern, Ru߬ land, Hohenzollern-Sigmaringen und hundert andern ehrlichen und natürlichen Vettern. Und er wird sein Volk erheben und es großmachen, und die Juden werden zwar fortan, wie früher außer dem Gesetze leben; aber nicht wie früher unter dem Gesetze, sondern, Fürsten gleich, über dem Gesetze. Die schönen Tage Zions kehren zurück und das hohe Lied Salamonis wird ein allerhöchstes Lied werden. Dem armen Magistrate zu Freiberg in Sachsen, der erst kürzlich verordnete, es soll kein Jude ohne Begleitung eines Polizeidieners durch die Stadt reisen, wird es am Halse jucken, denn er wird sehr fürchten den Galgen verdient zu haben. Wehe nun allen, die je einen Juden gehaßt, verfolgt und ge¬ lästert, sie finden keinen Stein in Europa, auf dem sie ihr müdes Haupt niederlegen können. Zwischen Sibirien und der Haus-Vogtei, zwischen Köpenik und Spielberg, lauert auf sie alle zehen Schritte ein Hochverrath, alle zehen Schritte ein Majestätsver¬ brechen. Schon hat sich Deutz bei Gerard sein Porträt bestellt, vor dem jeder, der ihn einmal mit nicht gehöriger Ehrfurcht angesehen, knieend Abbitte thun muß. Der Bundestag wird eine Bundeslade, das Taxische Haus eine Stifshütte werden, und der rothe Adler-Orden wird erbleichen vor dem Juwelen- Glanze der Urim und Thumim . Ihr Töchter Israels, lernt die Nase rümpfen, Knixe machen und Französisch sprechen! denn Ihr werdet hoffähig werden. Und Ihr, meine guten Deutschen, aller Fürsten treues Volk ruft: es lebe unser viel¬ geliebter Deutz I ., der Wiederhersteller der weiblichen Verfassung in ihrer ursprüng¬ lichen Gestalt und des freien Herzens- Wahlrechts hoch ! Halleluja! Halleluja! — Nichts ist schwerer im menschlichen Leben — ausgenommen einen Zitronenkern herausfischen, wenn er am Boden eines vollen Glases Limonade liegt — als es mit den Deutschen acht Tage hinter einander gut zu meinen, so sehr sie es auch verdie¬ nen und so unglücklich sie auch sind. So oft ich über sie weine, haben meine Thränen nicht Zeit zu trocknen, und ich muß schon wieder lachen. So oft ich über sie lache — nun freilich das kann niemals lange dauern. Es ist nicht meine Schuld. Auch der beste Mensch, der doch jedes Kind, so oft es hinfällt mitleidig aufhebt, obzwar keine Gefahr dabei ist, muß doch lachen, wenn er einen erwachsenen Menschen fallen sieht, der sich doch so leicht beschä¬ digen kann. Das deutsche Volk ist ein solch erwach¬ sener Mensch mit Kindesbeinen, und man muß la¬ chen so oft es auf den Kopf fällt. Es ist gar zu ungeschickt, zu zerstreut, zu gelehrt. Da sind Rotteck und Welcker, Männer die es gewiß gut meinen, und auf welche sonst so viele als auf ihre Erretter sagen. Sie haben der guten Sache mehr geschadet als deren schlimmste Feinde. Sie haben sich und ihre Leidensgenossen aus der Sklaverei befreiet, ließen aber ihrem Tyrannen die Pferde im Stalle zurück, waren ehrlich und flüchteten sich zu Fuße und wurden bald von den verfolgenden Reitern wieder eingeholt und mit Schimpf zurückgeführt. Sie haben das Volk mitten auf seiner Siegesbahn aufgehalten, ja es oft zurückgehen heißen und jetzt steht es da, weiter vom Ziele als je, denn es kennt den Weg nicht mehr und hat die Richtung verlohren. Wo sie handeln sollten, sprechen sie, und wo sie reden sollten, die schlafenden Herzen aufzuwecken, sprachen sie so lange und viel, bis die wachen Herzen vor Müdigkeit wieder ein¬ schliefen. Da wurde Welcker wegen eines Preßver¬ gehens zu zweimonatlichem Gefängnisse verurtheilt. Der schuldige Artikel stand vor der Sündfluth, nehm¬ lich vor den Bundestagsbeschlüssen, im Freisinnigen. Ich erinnere mich nicht mehr was er strafwürdiges enthalten; ich glaube man fand darin ein Majestäts¬ verbrechen, daß Welcker ausgerufen hat: O du un¬ glücklicher Fürst ! Welcker appellirte an das Ge¬ richt zu Mannheim, und neulich kam die Sache dort vor. Zwei Tage dauerten die Verhandlungen, täglich sieben Stunden. Welkers Vertheidigungrede dauerte fünf Stunden. Wäre die Sitzung öffentlich gewesen, dann könnte ich wohl begreifen, wie er seine Vertheidigung benutzen wollte, dem Volke Dinge mitzutheilen, die ihm zu wissen gut sind. Wären Geschworne da, die man zu bewegen hat, könnte ich das auch begreifen. Aber in einem heimlichen Gerichte, vor Richtern, vor gelehrten und gebildeten Männern, die das alle eben so gut wissen als Welcker, aber es entweder nicht beachten wollen oder nicht beachten dürfen, fünf Stunden zu sprechen, das zeigt große Schwäche an. Fünf Stunden! Erinnern Sie sich noch, was ich Ihnen vorigen Winter geschrieben: wie hier einer der Geschwornen, auch bei einem unbedeutenden Preßprozeße, nach dem der Advokat des Angeschuldigten schon anderthalb Stunden gesprochen, plötzlich aufstand und rief: haltet ein, sonst rührt mich der Schlag, und wie er nach Hause ging und ihn wirklich der Schlag gerührt? Nun wahrlich, wäre ich einer von Welckers Richtern gewesen und der Schlag hätte mich verschont, hätte ich fromm die Hände gefaltet, die Augen zur Erde gerichtet und gebetet: „o du heiliger Rhadamantus da unten stärke mich, daß ich gerecht bleibe, denn es gelüstet mich sehr, den armen unschuldigen Mann der da vor mir steht, für jede Stunde die er gesprochen, auf ein Jahr zum Ge¬ fängniß zu verurtheilen! So heimlich wurde das Gericht gehalten, daß man Wachen außen vor die Fenster stellte, aus Furcht es möchte jemand horchen. Welcker wurde freigesprochen und Abends brachten die Bürger Musik im Fackelzuge, um die Unpartheilichkeit der Gerichte zu feiern . Die Freude galt Welcker, aber so mußte gedruckt werden. Ließen sich hier in Paris Menschen einfallen, einem Richter, zu Danke für seine Unpartheilichkeit eine Nachtmusik zu bringen, würde er diesen Unverschämten seinen Code Napoleon mit allen Kommentaren auf die Köpfe werfen, oder er klagte den andern Tag wegen Amtsbeleidigung. Aber bei uns ist keine Ehre, weder im Volke noch in der Regierung. VI. 13 Dienstag, den 5. März. Ich denke heute wie ich gestern dachte: es giebt keine Ehre mehr, weder im Volke noch in den Regierungen. Diese Münze der Tugend ist ganz verschwunden und dahin ist es gekommen, daß wer noch einen Theil von ihr besitzt, sie verstecken muß, daß er nicht beraubt und mishandelt werde. Das Verderben ist alt, nur seine Offenbarung ist neu; früher schlich es im Dunkeln, jetzt wandelt es frech am hellen Tage umher. So lange das monarchische Prinzip seine tägliche Sättigung fand, war es zahm und mild; jetzt da ihm oft die Nahrung mangelt, zeigt es seine angeborne wilde Natur, und geht wie ein reißendes Thier auf Beute aus. Die Fürsten sind eine Art höllische Berggeister, die in den Schacht des menschlichen Herzens hinabsteigen, dort das Erz vom Golde reinigen , das Gold mit Füßen treten und die Schlacke zu Tage fördern. Wo sie einen Gang der Tugend finden, wird er verschüttet, wo eine Ader der Leidenschaft, wird sie bearbeitet und zum Laster ausgebrannt. Nicht blos einzelne Menschen, ganze Provinzen, Städte, Gemeinden, werden verführt, bestochen, besoldet, zum schnödesten Knechtdienste angeworben. Weil der einzelne Mensch, so schwach und lüstern er auch ist, doch nicht immer das Herz hat, um seines eignen Vortheils willen ein Verbrechen auf sich allein zu nehmen, giebt man ihm den willkommenen Vorwand, seine Tugend für das beste seiner Gemeinde zu verkaufen; so beschwich¬ tigt er sein Gewissen, so vergißt er, daß ein Theil des Sünderlohns ihm selbst zukömmt. Der König von Baiern, von Oesterreich und den Jesuiten belehrt und gegängelt, übt diese Regierungskunst mit einer schauderhaften Unbedenklichkeit. Die Aqua Toffana der Machiavellisten-Politik wird in das reine deutsche Blut getröpfelt, daß es schwarz werde wie die Seele des Giftmischers. Die Aemter, die Behörden, die Gerichtshöfe, die der Stadt in welcher sie wohnen, Geldvortheile bringen, werden versteigert und den¬ jenigen Gemeinden zugeschlagen, die am meisten Niederträchtigkeit dafür bieten. So wurde Aschaffen¬ burg und Würzburg, Zweibrücken und Kaiserslautern hinter einander gehetzt. Die Bürgerschaft, die Magistrate schickten Deputationen nach München. Diese versprachen alles, verleugneten alles, verriethen alles was man wollte, und bettelten 13 * um einen Panisbrief. Der König empfing sie gnädig . Und das sind die Fürsten, die sich Stellvertreter Gottes nennen! Ein Glück für die Welt, daß es die Welt nicht glaubt — wer glaubte sonst noch an Gott? Drei und dreißigster Brief. Paris, Samstag, den 9. März 1833. Liebe Getreue!... Wenn Sie jetzt erwarten, ich würde Ihnen hierauf etwas Schönes sagen, haben Sie sich jammervoll verrechnet. Liebe Getreue bedeutet nichts anders als lieber Hund . Sie sind mein Stand und als solcher den deutschen Ständen gleich, mit welchen die Fürsten und Minister, so sehr sie Stände sind, nicht mehr Umstände machen als mit Hunden. Also: liebe Getreue! Lieber Hund! Du .... Du ist die einfache Zahl von Ihr , wie Ihr die Mehrzahl ist von Du . Die deutschen Fürsten und Minister reden ihre Stände mit Ihr an. Wäre nur ein Deputirter in der Kammer, der im Namen des Volks da säße, würden sie, weil er das Volk vorstellt, Du zu ihm sagen. Du ist der Kraftausdruck der Väterlichkeit und Schulmeisterlich¬ keit, das Band, welches Vater mit Kind, Schul¬ meister mit Schulbuben vereinigt .... Also: Liebe Getreue! Lieber Hund! Du hast in Deinem heutigen Briefe uns einen Antrag Deines Mannes mitgetheilt, des Inhalts: wir sollten erst im Mai zusammenkommen, statt wie es früher verabredet war, schon im März. Und hoffe er, daß, ob dies zwar unsern neuesten Bundesbeschlüssen entgegen sei, wir doch geneigt sein könnten, von unserer legislativen Machtvollkommenheit ein klein wenig nachzulassen. Dar¬ auf thun wir Dir zu wissen: Dieser Antrag ist eine Vermessenheit , welche Staunen erregen muß . Das monarchische Prinzip ist unser Glaubens¬ artikel, wir werden uns niemals ändern, sondern fort und fort mit unsern getreuen Hunden verfahren wie uns beliebt. Wir erwarten demnach, daß Du, sollte sie wiederkehren, diese Motion mit ver¬ dientem Unwillen aufnehmen werdest . Uebri¬ gens liebe Getreue, lieber Hund, bleiben wir Dir in Gnaden gewogen. — Fragt mich Einer: aber was sollten sie thun? Sie sind Beamte, von der Regierung ab¬ hängig; sollten sie, die Ehre des deutschen Volks zu retten, mit ihren Weibern und Kindern Hunger sterben? Ich sage nein, das fordere ich nicht, ich erwarte das nicht immer. Aber wie vergißt man sich nie, wie ist man auf seinen Vortheil, bei Tage und bei Nacht immer so wachsam, daß Einem nie¬ mals die Tugend überrascht, und man mit Aufopferung eine schmachvolle Beleidigung abwehrt? Erst vor einigen Tagen wurden hier zwei Staats-Beamte, weil sie den Tag vorher als Deputirte gegen die Minister gestimmt, ihrer Stellen entsetzt. Gleich in der folgenden Sitzung erhoben sich darauf eine Menge ministerieller Deputirten, die auch Beamte waren, und eiferten auf das heftigste gegen jene Absetzungen, gegen jenen schändlichen Seelenverkauf, den die Re¬ gierung von den Staatsbeamten fordert. Vielleicht bereuten alle diese Männer ihre edle Aufwallung schon eine Stunde später; vielleicht als sie nach Hause kamen, mit ihrer Familie um den vollen Tisch saßen, riefen sie schmerzlich aus: morgen müssen wir hungern! und verwünschten dann ihre Uebereilung. Vielleicht war es kein ruhiges Pflichtgefühl, das sie so handeln ließ, sondern nur eine Phantasie des Tugendrausches. Doch genug, sie vergaßen sich. Wehe aber denen die nie vergessen, daß sie schwache Menschen sind — Gott wird sie vergessen! Und die bessern unter den deutschen Volksver¬ tretern, die Unglückseligen! — sie verstehen den bösen Zauber mancher Worte nicht; sie vergessen, daß es ein Spott ist, mit ihrer Freiheit, so lange sie dulden, daß sie ihre Fürsten mit liebe Getreue und mit Ihr anreden! Wie aufmerksam ist man hier auf solche Wort-Despotie! Die mauvais sujets unter den französischen Ministern, steifen sich, ihre Berichte an den König mit fidel sujet zu unter¬ zeichnen. Niemals lassen die Oppositionsblätter dieses ungerügt hingehen. Und bekümmert sich auch ein Minister nicht um den Tadel, und kehrt zu seiner Kriecherei zurück, so wird doch durch die beharrliche Opposition, der tägliche Straßenkoth knechtischer Gesinnung weggekehrt, und er kann sich nicht Berges hoch anhäufen wie in Deutschland. Vier und dreißigster Brief. Paris, Sonntag den 10. März 1833. Die gerichtliche Untersuchung wegen des Tumults, der im Oktober 1831 in Frankfurt am Allerheiligen¬ thore stattgefunden, ist im Februar dieses Jahres beendigt worden. Also schmachten die der ver¬ brecherischen Theilnahme angeschuldigten Bürger schon sechszehen Monate lang im Kerker und wissen ihr Schicksal noch nicht. Jetzt hat man erst die Akten zum Richterspruche auf die Universität geschickt und es ist bekannt, welche lange Zeit der Verstand deutscher Gelehrten braucht, bis er zur Reife kömmt. Ist es nicht unerhört, ist es nicht schauderhaft, zwischen der Schuld und der Buße, oder zwischen der Un¬ schuld und der Freisprechung, eine Ewigkeit der Qual zu setzen, die entweder die verdiente Strafe grausam erhöht oder die Freisprechung ganz trügerisch macht? Das ist aber der Fluch unseres Vaterlandes, daß selbst die schlechtesten Regierungen keinen Platz mehr zur Willkühr finden, weil schon die böse Laune der Gesetze allen Raum einnimmt. Selbst der boshafteste Richter, wenn er einen Angeschuldigten, der in seine Hände gefallen, aus Rache peinigen wollte, vermöchte dies nicht, sobald die Anschuldigung ein Staatsverbrechen betrifft. Da hören alle Schranken zum Schutze des Unschuldigen, zum Troste des Schuldigen auf; der Richter hat keine zu übertreten. Jeder eines Staatsverbrechens An¬ geklagter, ist vogelfrei in seinem Kerker. Glücklich wenn er einem gewissenlosen Richter in die Hände fällt: Dann hat er doch Hoffnung ihn mit Gold zu bestechen. Ist aber der Richter ein ehrlicher Mann, ein sogenannter treuer Staatsdiener, ist der Unglück¬ liche verloren. Ein solcher treuer Staatsdiener sieht die Bäume vor dem Walde nicht; der Mensch ist ihm nichts, der Staat ist ihm alles, und — was noch unheilbringender: er sieht den ganzen Staat in der Regierung, und sieht die ganze Regierung in dem Fürsten. Auf diese Weise sind dreißig Millionen Deutsche nichts, und ihre dreißig Fürsten sind alles. Fragen Sie einen solchen wahnsinnigen deutschen Staatsgelehrten: was bezweckt denn der Staat? Er antwortet Ihnen: die Sicherheit des Eigenthums , der Freiheit und des Lebens der Bürger. Lachen Sie wenn Sie nicht weinen müssen. Das Eigen¬ thum wird so sehr gesichert, daß die Abgaben um die Kosten des Staatsschutzes zu decken, den größten Theil der Nation zu Bettlern machen. Die Freiheit wird so sehr gesichert, daß die Bürger darüber zu Sklaven werden. Das Leben wird so sehr gesichert, daß man es hinter den Riegeln eines Kerkers bewahrt und man sein Bischen Leben, was sie Einem in der Freiheit lassen, zehen Male im Tage verwünscht. Was bleibt nun übrig, das verdiente gesichert zu werden? Jede Monarchie ohne Theilnahme des Volkes an der Regierung — in der Gesetzgebung durch Deputirte, in den Gerichten durch Geschworne, in der bewaffneten Macht durch Nationalgarden — ist nichts als eine organisirte Räuberei; ich ziehe die im Walde vor, wo man mit Muth sich oft retten kann, wo einem wenigstens die Wahl bleibt, sich in die Räuberbande aufnehmen zu lassen. Sicherheit! Denken Sie sich einen Geizigen, der immer besorgt wäre, man möchte ihm seine Schätze stehlen. Er baut sich ein großes mächtiges Haus, sie darin zu verwahren, und bringt tausend künstliche Befestigungen darin an. Die Baukosten verschlingen sein ganzes Vermögen, jetzt hat er ein Schatzgebäude, aber keinen Schatz mehr. So haben wir einen Staat aber keine Menschen darin. Die deutschen Strafgesetze gegen Staatsver¬ brechen, und besonders die Art und Weise auf welche mit einem Angeklagten die gerichtliche Untersuchung geführt, und die Gesetze auf einzelne Fälle angewen¬ det werden — das alles ist fürchterlich! Sie sind ein Frauenzimmer und brauchten diese Schändlichkei¬ ten nur zu fühlen, nicht zu verstehen; aber die Sache ist so klar, daß sie selbst ein Kind begreift und sich davor entsetzt. In einem monarchischen Staate wer¬ den Staat und Fürst für Eines angesehen, und so wird jedes Staatsverbrechen zur Beleidigung des Fürsten, und jede Beleidigung des Fürsten zum Staats¬ verbrechen. Und dieser Fürst der beleidigt worden, bestimmt selbst die Strafe der Beleidigung, bestraft selbst den Beleidiger; denn die Richter, die Gesetz¬ geber sind des Fürsten Beamte, werden von ihm ein¬ gesetzt und abgesetzt, und ihr Schicksal und das ihrer Familie hängt von ihrer Folgsamkeit gegen die Wünsche und Launen des Fürsten ab. So nimmt jede fürstliche Rache den Schein des Rechts und, was noch gefährlicher ist, selbst die verdienteste Strafe nimmt den Schein der Rache an. Bei aller Rechtspflege kömmt es nicht blos darauf an, daß Recht gesprochen werde, sondern auch daß jeder Bürger im Staate die Zuversicht habe, daß Recht gesprochen werde. Was hilft alle Sicherheit, wenn man nicht das Ge¬ fühl dieser Sicherheit hat? Der Traum einer Ge¬ fahr kann Einen im warmen, weichen Bette so sehr ängstigen, als diese Gefahr selbst. Aber dieses Ge¬ fühl der Sicherheit, diese Zuversicht auf strenge Rechtlichkeit kann ein deutscher Bürger nicht haben, in allen Fällen wo es ein Staatsverbrechen betrifft. Tiefe Nacht umgiebt den Kerker, die Untersuchung wird geheim geführt, der Richterspruch wird geheim gefällt, die Vertheidigung bleibt verborgen, der erste Strahl des Tages fällt auf das Blutgerüst, ein blei¬ ches, gramgefurchtes Haupt fällt — ob schuldlos oder schuldig, das wird Gott einst richten. Wie wird ein armer deutscher Staatsgefangener im Kerker behan¬ delt? Mit Menschlichkeit? Oder wird er gefoltert? Wer kann es wissen? Kömmt er endlich frei, haben oft lange Leiden die Kraft seiner Seele gebrochen, oder er hat wohl in seinem heißen Gebete um Ret¬ tung, den Himmel gelobt, wenn er ihn befreie, wolle er allen seinen Feinden vergeben, jede Kränkung ver¬ gessen er schweigt und klagt nicht. Vielleicht hat man ihm auch einen Schwur der Verschwiegen¬ heit als Preis seiner Befreiung aufgelegt In freien Staaten, wie in Frankreich und Eng¬ land, werden die gerichtliche Untersuchung und die Vertheidigung öffentlich geführt, und das Urtheil wird öffentlich gefällt. Nicht die Beamten des Königs richten einen Angeschuldigten, sondern das Volk selbst richtet ihn, durch seine Geschwornen. Der Einge¬ kerkerte ist keiner Willkühr Preis gegeben, denn die freie Presse bringt jede seiner Klage zur öffentlichen Kunde. Minder gefahrlos ist es unter reißenden Thieren wohnen, als in einem Lande ohne Oeffent¬ lichkeit der Gerichte, ohne Geschworne und ohne Preßfreiheit. Ein Tiger verurtheilt sein Schlacht¬ opfer zum augenblicklichen Tode, niemals zu lebens¬ länglicher Pein. Sie werden die Leidensgeschichte zweier unglücklichen Jünglinge in den Oestreichischen Staats¬ gefängnissen lesen, und dann werden Sie begreifen, wie die Zunge eines Tigers zur Liebkosung werden kann. Die Tugend und Gerechtigkeit eines deutschen Fürsten, wo sie noch gefunden wird, hilft hier gar nicht. Ist nicht der Kaiser von Oesterreich ein tugendhafter und ein gerechter Fürst? Wem hat das noch gefrommt? Die Bosheit, Leidenschaft und Grausamkeit liegen schon in den Gesetzen; aber diese stammen nicht von der Bosheit, Leidenschaft und Grausamkeit der Gesetzgeber, sondern von ihrer Ver¬ rücktheit. Sie vergessen, daß eine Regierung der Menschen willen da ist, und glauben der Mensch wäre geboren um regiert zu werden. Darin ist der Wahnsinn. Sie können täglich in der Zeitung lesen was in Baiern geschieht. Baiern in der Schule Oesterreichischer, Preußen in der Schule Russischer Tyrannei unterrichtet, jagen uns von Süd und Nord ihre unglücksschwangern Wolken zu, und bald wird das Verderben auf das Herz des Vaterlandes nieder¬ fahren und der Haselstock wird die Knute küssen und jeden treffen der sich seiner Zärtlichkeit in den Weg stellt. Ein Baierischer Handelsmann, der außer Lan¬ des ist, wird vorgeladen, sich „ gegen die Anschul¬ „ digung der Hülfsleistung zum entfernten „ Versuche des Hochverraths “ zu verantworten! Wäre das nicht so schrecklich, sollte man nicht glau¬ ben, eine Scene aus den femmes savantes oder den Précieuses ridicules zu lesen? Ein Anderer, ein Zeitungsredakteur, der sich geflüchtet, wurde wegen eines Preßvergehens, außer der knienden Abbitte vor dem Bilde des Königs und einer dreijährigen Zwangs¬ arbeitshaus-Strafe, noch verurtheilt: während seiner dreijährigen Strafzeit jedes Jahr den Tag vom drit¬ ten Juli in einem einsamen Gefängnisse zuzubringen, und während vierzehen Tage im Monat Juli, ab¬ wechselnd 3 Tage bei Wasser und Brod zu fasten. Als ich das deutsch las, hatte ich es ganz mißver¬ standen und so gedeutet: Der Gefangene bekomme drei Tage blos Wasser ohne Brod und drei Tage blos Brod ohne Wasser. Ich wunderte mich gar nicht darüber, denn ich dachte, es sei eine sinnreiche deutsche Rache gegen die französische Juli-Revolution. Aber aus dem Constitutionnel, der das Urtheil in seiner ganzer Ausdehnung mit den Unterschriften der Richter enthielt, erfuhr ich erst seinen wahren Sinn. Es heißt dort: verurtheilt ... „ à observer un jeûne de quinze jours chaque mois de Juillet de chaque année de son enprisonnement, de manière qu'il ne doit recevoir pendant trois jours que du pain et de l'eau, pendant les trois jours suivant la nourriture dûe aux pri¬ sonniers, et ainsi da suite et alternativement pendant la quinzaine .“ Was wird es dem Herrn Oestreicher (so heißt der verurtheilte Zeitungs- Redakteur) in der Freiheit gut schmecken! Er komme jedesmal im Juli zu uns, und wir wollen ihn vier¬ zehen Tage lang abwechselnd drei Tage mit Cham¬ pagner und Austern, und drei Tage mit Burgunder und Trüffelpasteten bewirthen und dabei auf die Ge¬ sundheit des Herrn Staatsrathes Feuerbach trinken — nämlich auf die Gesundheit seines Kopfes. Ich habe Ihnen schon früher gesagt, daß diese schönen Baierischen Kriminalgesetze keineswegs aus einer alten barbarischen Zeit herstammen, sondern daß sie im neunzehnten Jahrhundert, zwanzig Jahr nach der französischen Erklärung der Menschenrechte ver¬ faßt worden sind, und daß sie größtentheils der Staatsrath Feuerbach so herrlich ersonnen. Glauben Sie aber ja nicht, daß dieser unser berühmte Lands¬ mann darum ein boshafter oder einfältiger Mensch sein müsse. Ich kenne ihn zwar nicht, doch mag er der beste Mensch, der zärtlichste Gatte, der liebe¬ vollste Vater, der großmüthigste Freund sein. Das hilft aber hier alles nichts. Sobald einem deutschen Rechtsgelehrten Staatsverbrechen auf den Kopf fallen, wird er wie vom Schlage gerührt, alle seine Geistes¬ kräfte werden gelähmt, und er sinkt ganz zu dem irren Zustande eines kindisch und unmündig gewor¬ denen Geistes herab. Er ist dann kein Mensch mehr, er ist nur noch ein Thier das ißt und trinkt und — ein Staatsdiener. Das Wenigste von den bisher gesagten findet zwar auf Frankfurt eine Anwendung. Da dort keine monarchische, sondern eine republikanische Verfassung herrscht, konnte die Regierung nie zu dem Wahne kommen, daß sie den Staat ausmache. Aber doch sind unsere Gesetzgeber, Richter und Regenten noch in den Irrthümern einer alten Zeit gebildet. Sie haben immer noch von der Heiligkeit des Staats und der bestehenden Einrichtungen eine abergläubische Vorstellung. Wenn das nicht wäre, hätte nie ge¬ schehen können, daß man angeschuldigte Bürger VI. 14 sechszehen Monate lang provisorisch im Gefängnisse schmachten ließ. Wäre nicht die unselige Verehrung alles Bestehenden, hätte man längst bei Criminal- Verbrechen das mündliche Verfahren eingeführt und der Schneckengang schriftlicher Vertheidigung hätte nicht länger die Qual eines Eingekerkerten zur Un¬ erträglichkeit ausgedehnt. In Frankfurt ist nur ein einziger Criminalrichter, und dieser konnte bei den vielen andern Geschäften, die ihm oblagen, auch mit dem besten Willen und dem angestrengtesten Fleiße, jene Untersuchung nicht schneller fördern. Hätte man aber nur die geringste Vorstellung, daß nicht blos der Staat an den Bürger, sondern daß auch der Mensch an den Staat Ansprüche zu machen habe: Dann hätte man sich keinen Tag besonnen und hätte die Zahl der Untersuchungsrichter vermehrt und die Bedenklichkeit eine alte Gerichtsordnung umzuändern, und die Staatsausgaben um einige tausend Gulden zu vermehren, wäre hier, wo es auf die Freiheit mehrerer Bürger und die Ruhe ihrer Familien ankam, gar nicht in Betracht gekommen. Wie ich aber er¬ fahren, hat man sich erst kürzlich besonnen, und dem Criminalrichter, erst auf sein eignes Verlangen, einen Gehülfen gegeben. Die gerichtliche Untersuchung jenes Frankfurter Tumults, an dem nur wenige hundert Menschen Theil genommen, und wobei nur ein einziger das Leben verloren, hat sich durch sechszehen Monate hingeschleppt, und die Pariser Insurrektion im Juni, die den Umsturz der Monarchie bezweckte, woran viele tausend Menschen Theil genommen, wobei mehrere hundert das Leben verloren, war schon nach vier Monaten gerichtet! Und gewiß könnte sich weder der Staat beschweren, daß dem Gesetze nicht völlige Genugthuung widerfahren, noch einer der Angeschuldigten, daß er mit Unrecht verurtheilt worden sei. Viele wurden zum Tode verurtheilt und verdanken die Erhaltung ihres Lebens nur der königlichen Begnadigung. Viele Schuldige, die dem unerbittlichen Buchstaben des Gesetzes verfallen waren, wurden von der Barmherzigkeit der Geschwornen, die den Geist der Verhältnisse berücksichtigen, frei gesprochen. So fanden Strenge und Milde den ihnen gebührenden Platz, und vier Monate waren genug, alle diese Verwirrungen zu schlichten. Siebenpfeifer und Wirth , des Hochverraths durch Preßvergehen beschuldigt, schmachten schon zehen Monate im Gefängnisse, und ihr Urtheil ist noch nicht gesprochen, und die Untersuchung wegen des Pistolenschusses auf den König von Frankreich war schon nach zwei Monaten und einigen Tagen 14 * geendigt. Wenn diese Sache sich bis jetzt verzögert hat, so daß erst in dieser Woche die Angeklagten vor den Assisen erscheinen, so lag das an den An¬ geklagten selbst, die um Aufschub baten. Und die Beschuldigung eines Königsmordes ist doch ganz etwas Anderes, als die Anklage wegen Hülfsleistung zu dem entfernten Versuche eines Hoch¬ verraths — durch die Presse ! Ich mußte lachen, als ich vor einigen Wochen in einem Oppo¬ sitionsblatte las: „ Enfin , après deux mois et „plus d'instruction, a paru l'acte d'accusation „dressé à l'occasion du coup de pistolet tiré „sur le roi le 19 Novembre dernier.“ Endlich nach zwei Monaten und länger — welche eine närrische Ungeduld! Wenn in Deutschland Einer um jeden Preis ein hohes Alter erreichen wollte, könnte er nichts zweckmäßigeres thun, als eine blind¬ geladene Pistole auf einen Fürsten abzudrücken. In seinem Leben würde er nicht gerichtet werden. Nicht etwa als zweifle man einen Augenblick an seiner Schuld und seinem bösen Vorsatz! dieser Zweifel könnte dem Thäter keinen Tag seinen Kopf sichern. Aber man würde so lang und so weit den Fäden der Verschwörung nachgehen, man würde so tief nach der letzten Wurzelfaser des Geistes der Zeit graben, daß, ehe man von dem Ende der Welt und den Antipoden, wohin man zur Entdeckung der Mitschuldigen gereist, zurückkäme, ein ganzes Menschengeschlecht aussterben müsse. Millionen Deutsche würde man konfrontiren, das ganze Volk würde man zu Protokoll nehmen. Hat man doch den unglücklichen Sand, der sein Ver¬ brechen fast öffentlich beging, der mit blutigem Dolche auf die Straße stürzte, und die That augenblicklich eingestand, trotz seiner schmerzlichen Wunde, ein ganzes Jahr lang im Gefängnisse schmachten lassen! Man wollte damals alle Patrioten hinein verflechten, und die edelsten des Volkes zu Meuchelmördern brandmarken. Woher kömmt nun dieser Unterschied zwischen Frankreich und Deutschland? In Frankreich herrscht die öffentliche Meinung, die man wohl irre zu führen sucht, der man aber nicht zu trotzen wagt. Sie ist mächtiger als die Regierung und weit mächtiger als der König. In Frankreich ist das Volk der Staat. In Deutschland hat die öffentliche Meinung sich noch nich geltend zu machen verstanden, darum ist das Volk nichts; der Fürst ist der Staat, der Fürst ist alles. Wenn unsere Fürsten noch nicht, wie einst Ludwig XIV . mit der Reitpeitsche in der Hand, ihre Stände auseinander gejagt, so geschah es nur darum nicht, weil sie noch niemals bei ihren Ständen solchen Widerspruch gefunden, als ihn Ludwig XIV . in seinen ersten Regierungsjahren bei seinem Parlamente fand. Aber das wird noch kommen. Montag, den 11. März. Zwar — Sie werden nicht begreifen, wie hier das zwar herkömmt, ich selbst verstehe es nicht, aber es wird sich schon ein Zusammenhang finden und wo nicht, ist es auch kein Unglück. Zwar 1. Hat der Commerzienrath Hofmann in Darm¬ stadt, der einst den Griechen zu seinem Schaden sechszigtausend Flinten geliefert und später auch zu seinem Schaden den Preußen sich selbst, neulich in der Kammer darauf angetragen: man möchte das häufige Tanzen auf dem Lande untersagen, denn wenn die armen Bauern noch von dem Tanzen erhitzt, am Morgen nach der Kirchweihe nach Amerika aus¬ wanderten, so möchte das ihrer kostbaren steuer¬ pflichtigen Gesundheit schaden — worauf ein Bauer, Mitglied der hessischen Kammer und obzwar sehr vernünftig über diese Sache gesprochen, nämlich dagegen, worüber sich die andern Mitglieder sehr gewundert, da doch der Mann nicht studirt habe. Zwar 2. Weigert sich der Zeitungsredakteur Wiede¬ mann, vor dem Bilde des Königs von Baiern kniend Abbitte zu thun, wozu er verurtheilt worden; denn er meint, es sei ihm ganz gleichgültig, daß man seine fünf Jahre Zuchthausstrafe, wozu er auch ver¬ urtheilt worden, erst von dem Tage an zählen werde, wo er gekniet, da er von den fünf Jahren, während welcher er seiner Freiheit beraubt bleiben soll, nur die zwei ersten bedauere, die übrigen rechne er nicht. Zwar 3. Frägt der jämmerliche Hofrath Krug, was man denn so viel Wesens aus den Bundestags-Be¬ schlüssen mache, da sie doch vor der Hand nur auf sechs Jahre — im Leben eines Volkes weniger als sechs Tage im Leben eines Menschen bestehen und dann über deren Fortdauer von neuem berathschlagt werden soll ? Zwar 4. Ließ die Wiener Censur ein Gedicht Grill¬ parzers auf die Genesung des Kronprinzen von Oesterreich, darum nicht passiren, weil der Dichter zu viel von der Herzensgüte des Prinzen gesprochen, zu wenig aber von seinem Verstande, und diese Nachricht durfte nicht allein in allen zensirten Blättern gedruckt werden, sondern sie stand in den absolutistischen Blättern zuerst — wie man über¬ haupt seit achtzehen Jahren, sowohl in Wien selbst, als in ganz Deutschland, von nichts ungenirter und weniger spricht als von dem Verstande des Kron¬ prinzen von Oestreich — worüber sehr nachzudenken ist. Ich habe sehr darüber nachgedacht und halte den Kronprinz von Oestreich für einen zweiten Joseph den Zweiten. Zwar 5. Werden in Deutschland die Fürsten als Oberstallmeister, ihre Beamten als Reitknechte, ihre Staaten als Ställe, und ihre Unterthanen als Pferde betrachtet — weswegen auch, so oft ein Kronprinz den Thron besteigt, man zu sagen pflegt: er habe die Zügel der Regierung ergriffen. Zwar. 6. Eifert das Berliner politische Wochenblatt dagegen, daß die Pension der Bastillhelden so stark sei wie die der Ritter der Ehrenlegion, obzwar die Bastillhelden eine wahre Schandlegion wäre. Zwar 7. Hat der König Otto von Griechenland auf dem Schiffe mit englischen Offizieren eine Quadrille getanzt und sowohl in Neapel als in Corfu: nicht geringe Sensation bei dem schönen Ge¬ schlechte erregt — und hat der König von Baiern auf unterthänigste Bitte der Grenzpatrioten erlaubt, daß an der Stelle, wo König Otto die baierisch-tyrolische Grenze überschritten, und wohin er den folgenden Tag zurückgekehrt war, um Abschied von seinem lieben Vaterlande zu nehmen, welches er den vorigen Tag zu thun vergessen, weil er vor Rührung eingeschlafen war — hat erlaubt, daß zum ewigen Andenken dieser Rührung, dieses Schlafes und dieses Abschieds, an der dreimal gesegneten Stelle durch freiwillige Beiträge dem jungen Wittels¬ bacher eine Kapelle erbaut werde — jetzt schon die zweite — so daß sehr zu vermuthen ist, das neue Baierthum werde bald das alte Christenthum ver¬ drängen. Zwar 8. Pflegen die deutschen Volksdeputirten, wenn sie von dem Kammer-Präsidenten sprechen, nicht zu sagen: der Präsident , sondern das Präsidium — weil sie denken, Präsident wäre ein leichtes Ding, das der Wind fortwehen könne, Präsidium aber etwas gründlich-schweres, das fest hafte — welches sehr deutsche Art ist. Zwar 9. Wurde der Buchhändler Franckh in Stutt¬ gard, im Theater , also nach Sonnenunter¬ gang, citirt, gleich vor dem Criminalgerichte zu erscheinen, und als er sich dessen weigerte, beim Austritte aus dem Theater arretirt — die Nacht trägt die Livree der Könige. Zwar 10. Betragen die Staatsausgaben des Kur¬ fürstenthums Hessen 2,700,000 Thaler, und der Kurfürst mit seiner Familie kostet dem Lande nur 467,420 Thaler, also nicht mehr als den fünften bis sechsten Theil aller Staatsausgaben — welches ganz erstaunlich ist. Zwar 11. Wurde ein Berliner Polizei-Rath, den man nach Posen geschickt, dort nach Verschwörungen zu jagen, im Walde vor Posen von maskirten Reitern aus der Diligence gerissen, gezwungen, seine Papiere herauszugeben und dann fürchterlich durchgeprügelt — welche schöne Geschichte man aus dem Polnischen in das Deutsche übersetzen wollte. Zwar 12. Hat Herr von Gagern in der Darmstädter Kammer bewiesen, die unruhige Stimmung in Rhein¬ baiern käme von drei Ursachen her. Erstens , weil keine Residenzen im Lande wären. Zweitens , weil kein hoher Adel im Lande wäre. Drittens , weil keine Oper im Lande wäre; denn würde in Zweibrücken die Stumme von Portici aufgeführt, werde keiner aus Langerweile, Kunstliebe und Chanso¬ manie den Masaniello machen — und die Kammer hat nicht gelacht — so traurig ist sie! Aber .... da sitze ich nun mit meinem Aber und weiß nicht was ich damit machen soll. Sie sehen was dabei herauskömmt, wenn man leichtsinnig in den Tag hineinschreibt und nicht das Ende bedenkt. Lassen Sie sich das zur Warnung dienen. Aber .... Ich will es Ihnen offen gestehen, es war mir nur darum zu thun, so schnell als möglich Kehraus zu machen. Mein Taschenbuch ist voll und ich habe mir heute ein neues gekauft — in diesem Winter das dritte. Und nachdem ich das letzte Wort heraus¬ geschrieben, warf ich das Buch und den verfluchten Bleistift mit — er sollte mir zu keinem schuldlosen Worte dienen — in den Kamin, und stieß es mit der Zange in die Gluth. Garstig roch der Saffian und das Pergament und da lachte ich. Es sei ein Fett-Opfer den unterirdischen Göttern gebracht! .. Als mir aber durch die Seele ging, was ich seit zwei Monaten hineingeschrieben; die unerhörte Schmach, den unerträglichen Schmerz des Vater¬ landes, und dachte: und das Alle dem treuesten, dem edelsten, dem geistreichsten unter den Völkern der Erde — dem Volke, das unter allen Kindern Gottes, dem Vater am ähnlichsten geworden; all¬ liebend wie er, allgegenwärtig wie er, allwissend wie er; und darum, weil es ihm so gleicht, wie Gott selbst von den Teufeln der Welt am meisten ge¬ schändet — — da mußte ich weinen. Dann dachte ich wieder: sie frohlocken über unsern Jammer, sie hören ihn für den Schrei der Verzweiflung, für das Röcheln sterbender Hoffnung — und es ergrimmte in mir und als könnte ich Geister beschwören, rief ich: Trelawney ! Fünf und Dreißigster Brief. Paris, Freitag den 15. März 1833. Schon zweitausend Süd-Deutsche sind diesen Winter nach Amerika ausgezogen, und das waren „ nicht verarmte heimathlose Leute , nein wohlhabende , tüchtige und rüstige Männer .“ Dieser Stimme darf man glauben, sie ist keine liberalen Unwillens, denn sie kömmt aus dem Hanöverischen, wo die Freiheit taubstumm ist. Und zur Bekräftigung ihrer Hanöverlichkeit kann es dienen, daß jene Auswanderungen eine Modekrankheit genannt werden. Eine Modekrankheit! Noch ein Glück, daß unsere Fürsten sich nicht, wie einst die Priester, gelüsten lassen, auch die Aerzte ihrer Unter¬ thanen zu sein; sonst dürfte man ohne ihre aller¬ gnädigste Erlaubniß nicht krank werden und sterben, und sie hätten vielleicht, wie jetzt die Auswanderungen, auch die Cholera eine Modekrankheit genannt. Aber es ist darüber zu verzweifeln! Und doch kenne ich Kinder von freisinnigen Männern, die über diese Auswanderungen frohlockten, weil sie meinen, die Fürsten müssen sich darum schämen. Die sich schämen! Eher würde die Nacht roth als ein König. Unsere Fürsten, die sich jetzt Alles erlauben, weil die Furcht vor ihrem Adel sie gegen das Volk beherzt macht würden sie denn die Auswanderung der deutschen Patrioten dulden, wenn sie ihrer Tyrannei keinen Vortheil brächte? Wer wandert aus? Der, dem die Knechtschaft am unerträglichsten ist, der die Freiheit am herzlichsten liebt und darum am tüchtigsten wäre für sie zu kämpfen. Diese Thorheit kann uns um zehen Jahre zurückwerfen. Wenn man alle die Auswanderungen überdenkt, die seit Jahrhunderten, wegen religiösen oder politischen Druckes, in vielen Staaten unternommen wurden, so findet man, daß sie immer zu spät geschehen und also ohne Noth. Man wartete bis das Uebel den höchsten Grad erreicht, das heißt, bis es der Heilung nahe kam. So geschah es immer, daß bald darauf der böse Geist der Regierungen sich besserte, entweder durch freiwillige oder durch gezwungene Bekehrung. Ist es nicht eine bejammerswerthe Thorheit, daß Deutsche mit Mühen und Gefahren Amerika hinter dem Meere suchen, statt, bequemer und sicherer sich Amerika in das Haus zu schaffen? Mit der Hälfte des Geldes, das ihnen ihre Uebersiedlung kostet, mit der Hälfte der Beschwerden und Gefahren, die sie daran setzen, könnten sie in ihrem eignen Vaterlande die Freiheit erwerben. Warum sich nicht noch wenige Jahre gedulden — wenige Jahre, welche die Begeisterung des Kampfes und die Freude mannigfaltiger Siege zu einer Stunde verkürzen werden? Denn wahrlich, nicht Jahre, nur Frühlinge werden wir zu zählen haben, bis das Jahr der Freiheit kömmt. Amerika überlasse man den Fürsten, ihnen bleibe es eine Frei¬ stätte, und dort werden sie einst die Freiheit lieben lernen, wenn sie erfahren, daß sie selbst Tyrannen noch in ihrem verdienten Unglücke schützt. Sechs und dreißigster Brief. Paris, Sonntag den 17. März 1833. Swift wollte eine Geschichte von England schreiben, gab aber sein Vorhaben wieder auf. Als ihn ein Freund um die Ursache seiner Sinnesänderung fragte, antwortete er ihm: alle meine Könige und Helden sind solche Schufte, daß ich nichts mehr mit ihnen zu thun haben will. — — Obiges schrieb ich gestern, als mich ein Besuch unterbrach, und heute habe ich vergessen, was ich damit in Ver¬ bindung setzen wollte .... Was ich in Ver¬ bindung damit setzen wollte? Ach, wie dumm! Ich hörte einmal meinen Freund seine Frau bitten: sie möchte seinen abgefallenen Rock wieder an den Knopf nähen . VI. 15 Die kurzen Tage der langen Briefe sind jetzt vorüber. Ich danke Euch, Ihr Götter! Wie ich es satt bin! Uebermorgen ist der 20. März, an welchem, Morgens 8 Uhr 16 Minuten der Frühling beginnt. Von da an will ich lieben, selbst den Teufel, und lieben bis der Senne heimkehrt und die Blätter fallen. Nach der Traubenlese beginne ich meinen Kampf von neuen. Ach! Ich trinke ja keinen Wein mehr und wenn es nicht die Freiheit wäre, was sollte mein altes Herz erwärmen in den kalten Wintertagen? Die Freiheit liebte ich immer; aber als ich noch jung war und den Becher liebte, da träumte ich von ihr, und da vermißte ich sie selten, denn ich trank oft. Jetzt wache ich und bin nüchtern wie ein Bach, und wenn ich dampfe, ist es nur weil die Luft noch kälter ist als ich. Den Tag meiner Abreise kann ich noch nicht bestimmen, das hängt von meinem Holze ab. Ja wahrhaftig von meinem Brennholze; das ist mein Kerbholz, mein Kalender. Ich habe geschworen, kein frisches mehr kommen zu lassen, sondern in den Wagen zu steigen, sobald der letzte Scheit im Kamin liegt. Nein was ich diesen Winter Holz verbrannt habe, wage ich Ihnen nicht zu sagen; es möchte Ihrer Gesundheit schaden. Es ist gräulich ! Zehen brave deutsche Hausfrauen hätte das unter die Erde gebracht. Zum Glücke bin ich weder eine Frau, noch häuslich, noch brav, und ich habe es ausgehalten Aber länger könnte ich es auch nicht ertragen. Was zu arg ist, ist zu arg ! Holz, Philosopie , Geld, Freiheit — malé¬ diction ! O das schöne malédiction ! Wie ich mich gefreut habe, als Heine gleich in seinem ersten Artikel über die deutsche Literatur, gleich in dem ersten Blatte der Europe littéraire — in dem frommen heiligen Blatte welches das Gelübde der Keuschheit, der Armuth und des Gehorsams abgelegt, und in seiner Vignette, die Raubthiere aller fürstlichen Wappen Europens, als seine Herren zur Anbetung aufgestellt — daß Heine gleich in den ersten Zeilen, einen gefährlichen politischen Anfall bekommen und malédiction geschrien hat über die ewige Armuth der deutschen Schriftsteller! malé¬ diction und doch . . . . Darum eben ist ja der hohe deutsche Adel uns Liberalen so entgegen, weil er fürchtet, bei einer liberalen Staatsverfassung, sein Monopol der Verkäuflichkeit zu verlieren. Er wäre also thörigt, wenn er uns kaufte, um uns zu gewinnen, denn dieses Mittel eine Revolution zu verhüten, wäre ja die Revolution selbst, die verhütet werden soll. Keiner von uns wird es, auch nicht mit der allerlegationsräthlichsten Gesinnung, je dahin 15 * bringen, daß man ihm für seine Ehre auch nur das nöthige Brennholz liefere. Der Ehren-Handel ist kein freies bürgerliches Gewerbe; er ist ein Regal wie das Salz und wird nur wenigen General- Pächtern überlassen. Unsere vornehmen Freunde, und hätten sie auch „ Gedanken groß wie die Welt “ theilen doch nur ihre überirdischen Ge¬ danken mit uns; ihre unterirdischen , die mit Metallen vermischt sind behalten sie für sich allein. Ich sagte einmal gegen Heine: wenn ich nicht ehrlich wäre aus Dummheit, wäre ich ehrlich aus Klugheit. Er hat das nicht verstanden. Später wird er es verstehen lernen und meine Erfahrung theuer hezahlen müssen, die ihm von mir unentgeldlich angeboten wurde .... Ich hätte die größte Lust wieder einmal zu sagen: „ich bin der einzige gescheidte Mensch in Deutschland“ aber ich fürchte mich vor den Rezensenten. Es giebt noch mehrere solcher geistreichen Ochsen in Deutschland, die gar nicht begreifen, wie die Vollblütigkeit des monarchischen Prinzips mit ihr eigner Bleichsucht, und wie die häufigen Indigesti¬ onen der Diplomaten mit dem schriftstellerischen Hunger zusammenhängen. Ich wollte wetten, es ist dem dramatischen Dichter Raupach in Berlin noch nie durch den Sinn gegangen, daß wenn in Preußen eine Staatsverfassung gleich der französischen wäre, er eine jährliche Rente von zehntausend Thaler hätte, statt daß jetzt vielleicht, sein ganzes Vermögen, die Ersparniß dreißigjähriger Arbeit, nicht mehr beträgt! Und dabei könnte er dichten wie es ihm sein Herz eingiebt und nicht wie es der Hof ver¬ langt .... malédiction ! Dienstag, den 19. März. Die zwei jungen Leute, welche eines Mordver¬ suches gegen den König angeklagt waren, sind gestern Abend frei gesprochen worden. Ich müßte noch Holz auf vier Wochen haben, um mich gehörig über alle die Schändlichkeiten der geheimen Polizei aus¬ zusprechen, die bei dieser Gelegenheit wieder an den Tag gekommen. Sie werden die Verhandlungen in den Zeitungen lesen. Wie wohl muß sich ein Deutscher in einem Lande fühlen, wo er unter dem Schutze des Volkes steht, und wo ihn weder die giftigen Blicke noch die Fußtritte eines erboßten Königs erreichen können! Wahrlich in Frankreich fühlt sich selbst ein Verbrecher im Kerker freier, als in Baiern ein Unschuldiger selbst in der Freiheit. Der französischen Regierung war es natürlich nicht darum zu thun, zwei unschuldige junge Leute auf das Schaffot zu bringen — von dieser Grausamkeit ist sie weit entfernt, und noch entfernter ist sie von jener Pedanterie, die in Deutschland den Despo¬ tismus so furchtbar macht. Die Angeklagten wären, selbst schuldig befunden, ganz gewiß mit dem Leben begnadigt worden. Es lag der Regierung nur daran, der öffentlichen Meinung die Ansicht aufzudringen, daß man wirklich den König ermorden wollte, und daß der Pistolenschuß keine Polizeikomödie war, aufgeführt, um bei Eröffnung der Kammern dem Ministerium eine schwankende Majorität fest zu machen. Aber selbst nur diese Ehrenrettung zu erlangen, verlohr die Regierung alle Hoffnung, und sie gab den Kampf freiwillig auf. Gewöhnlich werden den Geschwornen zwei Fragen vorgelegt. Erstens : Ist das Verbrechen begangen worden? Zweitens : Sind die Angeklagten des begangenen Verbrechens schuldig? Diese erstere Frage wurde gestern gar nicht vorgelegt, sondern blos die Andere: Sind die Angeklagten des Mordversuchs gegen den König schuldig? Es ist bewunderungswürdig, mit welcher Kühn¬ heit, Geistesgegenwart und mit welcher Zuversicht des Rechts, die Angeklagten vor dem Gerichte gesprochen haben. Der königliche Prokurator, um die Ange¬ schuldigten den Geschwornen verdächtig zu machen, wies auf deren bekannte republikanische Gesinnung hin. Sie aber suchten diese Gesinnung gar nicht zu verbergen, sondern bekannten sich laut und froh¬ lockend zu ihr. Der eine sagte: „ Wir Republi ¬ kaner achten den König viel zu wenig , um ihn zu tödten . Haben wir ihn einmal vom Throne gestürzt , dann schicken wir ihn zum Lande hinaus und das ist alles .“ Solche Aeußerungen sind nach den französischen Gesetzen nicht strafbar, denn es darf jeder seine Meinung haben und aussprechen. Wenn sich einmal in Deutschland ein Republikaner gelüsten ließe, sich auf solche Weise vor einem Criminal-Gerichte zu ver¬ theidigen — ich glaube, er würde auf der Stelle mit dem Federmesser des Aktuars geköpft werden.