Iphigenie auf Tauris. Ein Schauspiel . Von Goethe . Ächte Ausgabe . Leipzig, bey Georg Joachim Göschen, 1787 . Iphigenie auf Tauris . Ein Schauspiel . A Personen . Iphigenie. Thoas, König der Taurier. Orest. Pylades. Arkas. Schauplatz Hain vor Dianens Tempel. Erster Aufzug . Erster Auftritt . H eraus in eure Schatten, rege Wipfel Des alten, heil’gen, dichtbelaubten Haines, Wie in der Göttinn stilles Heiligthum, Tret’ ich noch jetzt mit schauderndem Gefühl, Als wenn ich sie zum erstenmal beträte, A 2 Iphigenie auf Tauris Und es gewöhnt sich nicht mein Geist hierher. So manches Jahr bewahrt mich hier verborgen Ein hoher Wille, dem ich mich ergebe; Doch immer bin ich, wie im ersten, fremd. Denn ach mich trennt das Meer von den Ge- liebten, Und an dem Ufer steh’ ich lange Tage, Das Land der Griechen mit der Seele suchend; Und gegen meine Seufzer bringt die Welle Nur dumpfe Töne brausend mir herüber. Weh dem, der fern von Eltern und Geschwistern Ein einsam Leben führt! Ihm zehrt der Gram Das nächste Glück vor seinen Lippen weg. Ihm schwärmen abwärts immer die Gedanken Nach seines Vaters Hallen, wo die Sonne Zuerst den Himmel vor ihm aufschloß, wo Sich Mitgeborne spielend fest und fester Mit sanften Banden aneinander knüpften. Ich rechte mit den Göttern nicht; allein Der Frauen Zustand ist beklagenswerth. Zu Haus’ und in dem Kriege herrscht der Mann Und in der Fremde weiß er sich zu helfen. Ein Schauspiel . Ihn freuet der Besitz; ihn krönt der Sieg; Ein ehrenvoller Tod ist ihm bereitet. Wie eng-gebunden ist des Weibes Glück! Schon einem rauhen Gatten zu gehorchen, Ist Pflicht und Trost; wie elend, wenn sie gar Ein feindlich Schicksal in die Ferne treibt! So hält mich Thoas hier, ein edler Mann, In ernsten, heil’gen Sklavenbanden fest. O wie beschämt gesteh’ ich, daß ich dir Mit stillem Widerwillen diene, Göttinn, Dir meiner Retterinn! Mein Leben sollte Zu freyem Dienste dir gewidmet seyn. Auch hab’ ich stets auf dich gehofft und hoffe Noch jetzt auf dich Diana, die du mich, Des größten Königes verstoßne Tochter, In deinen heil’gen, sanften Arm genommen. Ja, Tochter Zevs, wenn du den hohen Mann, Den du, die Tochter fodernd, ängstigtest; Wenn du den göttergleichen Agamemnon, Der dir sein Liebstes zum Altare brachte, Von Troja’s umgewandten Mauern rühmlich Nach seinem Vaterland zurückbegleitet, Die Gattinn ihm, Elektren und den Sohn, Iphigenie auf Tauris Die schönen Schätze, wohl erhalten hast; So gib auch mich den Meinen endlich wieder, Und rette mich, die du vom Tod’ errettet, Auch von dem Leben hier, dem zweyten Tode. Zweyter Auftritt . Iphigenie. Arkas . Der König sendet mich hieher und beut Der Priesterinn Dianens Gruß und Heil. Dieß ist der Tag, da Tauris seiner Göttinn Für wunderbare neue Siege dankt. Ich eile vor dem König’ und dem Heer’, Zu melden, daß er kommt und daß es naht. Wir sind bereit, sie würdig zu empfangen, Und unsre Göttinn sieht willkomm’nem Opfer Von Thoas Hand mit Gnadenblick entgegen. Ein Schauspiel . O fänd’ ich auch den Blick der Priesterinn, Der werthen, vielgeehrten, deinen Blick O heil’ge Jungfrau, heller, leuchtender, Uns allen gutes Zeichen! Noch bedeckt Der Gram geheimnißvoll dein Innerstes; Vergebens harren wir schon Jahre lang Auf ein vertraulich Wort aus deiner Brust. So lang’ ich dich an dieser Stäte kenne, Ist dieß der Blick, vor dem ich immer schaudre; Und wie mit Eisenbanden bleibt die Seele In’s Innerste des Busens dir geschmiedet. Wie’s der Vertriebnen, der Verwais’ten ziemt. Scheinst du dir hier vertrieben und verwais’t? Kann uns zum Vaterland’ die Fremde werden? Und dir ist fremd das Vaterland geworden. Iphigenie auf Tauris Das ist’s, warum mein blutend Herz nicht heilt. In erster Jugend, da sich kaum die Seele An Vater, Mutter und Geschwister band; Die neuen Schößlinge, gesellt und lieblich, Vom Fuß der alten Stämme himmelwärts Zu dringen strebten; leider faßte da Ein fremder Fluch mich an und trennte mich Von den Geliebten, riß das schöne Band Mit ehrner Faust entzwey. Sie war dahin, Der Jugend beste Freude, das Gedeihn Der ersten Jahre. Selbst gerettet, war Ich nur ein Schatten mir, und frische Lust Des Lebens blüht in mir nicht wieder auf. Wenn du dich so unglücklich nennen willst; So darf ich dich auch wohl undankbar nennen. Dank habt ihr stets. Doch nicht den reinen Dank, Um dessentwillen man die Wohlthat thut; Ein Schauspiel . Den frohen Blick, der ein zufriednes Leben Und ein geneigtes Herz dem Wirthe zeigt. Als dich ein tief-geheimnißvolles Schicksal Vor so viel Jahren diesem Tempel brachte, Kam Thoas, dir als einer Gottgegeb’nen Mit Ehrfurcht und mit Neigung zu begegnen. Und dieses Ufer ward dir hold und freundlich, Das jedem Fremden sonst voll Grausens war, Weil niemand unser Reich vor dir betrat, Der an Dianens heil’gen Stufen nicht Nach altem Brauch, ein blut’ges Opfer, fiel. Frey athmen macht das Leben nicht allein. Welch Leben ist’s, das an der heil’gen Stäte, Gleich einem Schatten um sein eigen Grab, Ich nur vertrauern muß? Und nenn’ ich das Ein fröhlich selbstbewußtes Leben, wenn Uns jeder Tag, vergebens hingeträumt, Zu jenen grauen Tagen vorbereitet, Die an dem Ufer Lethe’s, selbstvergessend, Die Trauerschaar der Abgeschiednen feiert? Ein unnütz Leben ist ein früher Tod; Dieß Frauenschicksal ist vor allen mein’s. Iphigenie auf Tauris Den edeln Stolz, daß du dir selbst nicht g’nügest, Verzeih’ ich dir, so sehr ich dich bedaure: Er raubet den Genuß des Lebens dir. Du hast hier nichts gethan seit deiner Ankunft? Wer hat des Königs trüben Sinn erheitert? Wer hat den alten grausamen Gebrauch, Daß am Altar Dianens jeder Fremde Sein Leben blutend läßt, von Jahr zu Jahr Mit sanfter Überredung aufgehalten, Und die Gefangnen vom gewissen Tod’ In’s Vaterland so oft zurückgeschickt? Hat nicht Diane, statt erzürnt zu seyn Daß sie der blut’gen alten Opfer mangelt, Dein sanft Gebeth in reichem Maß erhört? Umschwebt mit frohem Fluge nicht der Sieg Das Heer? und eilt er nicht sogar voraus? Und fühlt nicht jeglicher ein besser Loos, Seitdem der König, der uns weis’ und tapfer So lang geführet, nun sich auch der Milde In deiner Gegenwart erfreut und uns Des schweigenden Gehorsams Pflicht erleichtert. Ein Schauspiel . Das nennst du unnütz? wenn von deinem Wesen Auf Tausende herab ein Balsam träufelt; Wenn du dem Volke, dem ein Gott dich brachte, Des neuen Glückes ew’ge Quelle wirst, Und an dem unwirthbaren Todes-Ufer Dem Fremden Heil und Rückkehr zubereitest? Das Wenige verschwindet leicht dem Blick, Der vorwärts sieht wie viel noch übrig bleibt. Doch lobst du den, der was er thut nicht schätzt? Man tadelt den, der seine Thaten wägt. Auch den, der wahren Werth zu stolz nicht achtet, Wie den, der falschen Werth zu eitel hebt. Glaub’ mir und hör’ auf eines Mannes Wort, Der treu und redlich dir ergeben ist: Wenn heut der König mit dir redet, so Erleichtr’ ihm, was er dir zu sagen denkt. Iphigenie auf Tauris Du ängstest mich mit jedem guten Worte; Oft wich ich seinem Antrag mühsam aus. Bedenke was du thust und was dir nützt. Seitdem der König seinen Sohn verloren, Vertraut er wenigen der Seinen mehr, Und diesen Wenigen nicht mehr wie sonst. Mißgünstig sieht er jedes Edeln Sohn Als seines Reiches Folger an; er fürchtet Ein einsam hülflos Alter, ja vielleicht Verwegnen Aufstand und frühzeit’gen Tod. Der Scythe setzt in’s Reden keinen Vorzug, Am wenigsten der König. Er, der nur Gewohnt ist zu befehlen und zu thun, Kennt nicht die Kunst, von weitem ein Ge- spräch Nach seiner Absicht langsam fein zu lenken. Erschwer’s ihm nicht durch ein rückhaltend Wei- gern, Durch ein vorsetzlich Mißverstehen. Geh Gefällig ihm den halben Weg entgegen. Ein Schauspiel . Soll ich beschleunigen was mich bedroht? Willst du sein Werben eine Drohung nennen? Es ist die schrecklichste von allen mir. Gib ihm für seine Neigung nur Vertraun. Wenn er von Furcht erst meine Seele lös’t. Warum verschweigst du deine Herkunft ihm? Weil einer Priesterinn Geheimniß ziemt. Dem König’ sollte nichts Geheimniß seyn; Und ob er’s gleich nicht fordert, fühlt er’s doch Und fühlt es tief in seiner großen Seele, Daß du sorgfältig dich vor ihm verwahrst. Nährt er Verdruß und Unmuth gegen mich? Iphigenie auf Tauris So scheint es fast. Zwar schweigt er auch von dir; Doch haben hingeworfne Worte mich Belehrt, daß seine Seele fest den Wunsch Ergriffen hat, dich zu besitzen. Laß, O überlaß ihn nicht sich selbst! damit In seinem Busen nicht der Unmuth reife Und dir Entsetzen bringe, du zu spät An meinen treuen Rath mit Reue denkest. Wie? sinnt der König, was kein edler Mann, Der seinen Nahmen liebt und dem Verehrung Der Himmlischen den Busen bändiget, Je denken sollte? Sinnt er vom Altar Mich in sein Bette mit Gewalt zu ziehn? So ruf’ ich alle Götter und vor allen Dianen die entschloßne Göttinn an, Die ihren Schutz der Priesterinn gewiß, Und Jungfrau einer Jungfrau, gern gewährt. Sey ruhig! Ein gewaltsam neues Blut Treibt nicht den König, solche Jünglingsthat Ein Schauspiel . Verwegen auszuüben. Wie er sinnt, Befürcht’ ich andern harten Schluß von ihm, Den unaufhaltbar er vollenden wird: Denn seine Seel’ ist fest und unbeweglich. Drum bitt’ ich dich, vertrau’ ihm; sey ihm dankbar, Wenn du ihm weiter nichts gewähren kannst. O sage was dir weiter noch bekannt ist. Erfahr’s von ihm. Ich seh’ den König kommen; Du ehrst ihn, und dich heißt dein eigen Herz, Ihm freundlich und vertraulich zu begegnen. Ein edler Mann wird durch ein gutes Wort Der Frauen weit geführt. allein. Zwar seh’ ich nicht, Wie ich dem Rath des Treuen folgen soll. Doch folg’ ich gern der Pflicht, dem Könige Für seine Wohlthat gutes Wort zu geben, Und wünsche mir, daß ich dem Mächtigen, Was ihm gefällt, mit Wahrheit sagen möge. Iphigenie auf Tauris Dritter Auftritt. Iphigenie. Thoas. Mit königlichen Gütern segne dich Die Göttinn! Sie gewähre Sieg und Ruhm Und Reichthum und das Wohl der Deinigen Und jedes frommen Wunsches Fülle dir! Daß, der du über viele sorgend herrschest, Du auch vor vielen seltnes Glück genießest. Zufrieden wär’ ich, wenn mein Volk mich rühmte: Was ich erwarb, genießen andre mehr Als ich. Der ist am glücklichsten, er sey Ein König oder ein Geringer, dem In seinem Hause Wohl bereitet ist. Du nahmest Theil an meinen tiefen Schmerzen, Als mir das Schwert der Feinde meinen Sohn, Den letzten, besten, von der Seite riß. So lang’ die Rache meinen Geist besaß, Empfand ich nicht die Öde meiner Wohnung; Ein Schauspiel. Doch jetzt, da ich befriedigt wiederkehre, Ihr Reich zerstört, mein Sohn gerochen ist, Bleibt mir zu Hause nichts das mich ergetze. Der fröhliche Gehorsam, den ich sonst Aus einem jeden Auge blicken sah, Ist nun von Sorg’ und Unmuth still gedämpft. Ein jeder sinnt was künftig werden wird, Und folgt dem Kinderlosen, weil er muß. Nun komm’ ich heut in diesen Tempel, den Ich oft betrat um Sieg zu bitten und Für Sieg zu danken. Einen alten Wunsch Trag’ ich im Busen, der auch dir nicht fremd, Noch unerwartet ist: ich hoffe, dich Zum Segen meines Volks und mir zum Segen, Als Braut in meine Wohnung einzuführen. Der Unbekannten biethest du zu viel, O König, an. Es steht die Flüchtige Beschämt vor dir, die nichts an diesem Ufer Als Schutz und Ruhe sucht, die du ihr gabst. B Iphigenie auf Tauris Daß du in das Geheimniß deiner Abkunft Vor mir wie vor dem Letzten stets dich hüllest, Wär’ unter keinem Volke recht und gut. Dieß Ufer schreckt die Fremden: das Gesetz Gebiethet’s und die Noth. Allein von dir, Die jedes frommen Rechts genießt, ein wohl Von uns empfangner Gast nach eignem Sinn Und Willen ihres Tages sich erfreut, Von dir hofft’ ich Vertrauen, das der Wirth Für seine Treue wohl erwarten darf. Verbarg ich meiner Eltern Nahmen und Mein Haus, o König, war’s Verlegenheit, Nicht Mißtrau’n. Denn vielleicht, ach wüß- test du, Wer vor dir steht, und welch verwünschtes Haupt Du nährst und schützest; ein Entsetzen faßte Dein großes Herz mit seltnem Schauer an, Und statt die Seite deines Thrones mir Ein Schauspiel. Zu biethen, triebest du mich vor der Zeit Aus deinem Reiche; stießest mich vielleicht, Eh’ zu den Meinen frohe Rückkehr mir Und meiner Wandrung Ende zugedacht ist, Dem Elend zu, das jeden Schweifenden, Von seinem Haus’ Vertriebnen überall Mit kalter fremder Schreckenshand erwartet. Was auch der Rath der Götter mit dir sey, Und was sie deinem Haus’ und dir gedenken; So fehlt es doch, seitdem du bey uns wohnst Und eines frommen Gastes Recht genießest, An Segen nicht, der mir von oben kommt. Ich möchte schwer zu überreden seyn, Daß ich an dir ein schuldvoll Haupt beschütze. Dir bringt die Wohlthat Segen, nicht der Gast. Was man Verruchten thut, wird nicht gesegnet. Drum endige dein Schweigen und dein Wei- gern; B 2 Iphigenie auf Tauris Es fordert dieß kein ungerechter Mann. Die Göttinn übergab dich meinen Händen; Wie du ihr heilig warst, so warst du’s mir. Auch sey ihr Wink noch künftig mein Gesetz: Wenn du nach Hause Rückkehr hoffen kannst, So sprech’ ich dich von aller Fordrung los. Doch ist der Weg auf ewig dir versperrt, Und ist dein Stamm vertrieben, oder durch Ein ungeheures Unheil ausgelöscht, So bist du mein durch mehr als Ein Gesetz. Sprich offen! und du weißt, ich halte Wort. Vom alten Bande löset ungern sich Die Zunge los, ein langverschwiegenes Geheimniß endlich zu entdecken. Denn Einmal vertraut, verläßt es ohne Rückkehr Des tiefen Herzens sichre Wohnung, schadet, Wie es die Götter wollen, oder nützt. Vernimm! Ich bin aus Tantalus Geschlecht. Du sprichst ein großes Wort gelassen aus. Nennst du Den deinen Ahnherrn, den die Welt Ein Schauspiel. Als einen ehmals Hochbegnadigten Der Götter kennt? Ist’s jener Tantalus, Den Jupiter zu Rath und Tafel zog, An dessen alterfahrnen, vielen Sinn Verknüpfenden Gesprächen Götter selbst, Wie an Orakelsprüchen sich ergetzten? Er ist es; aber Götter sollten nicht Mit Menschen, wie mit ihres Gleichen, wan- deln; Das sterbliche Geschlecht ist viel zu schwach In ungewohnter Höhe nicht zu schwindeln. Unedel war er nicht und kein Verräther; Allein zum Knecht zu groß, und zum Gesellen Des großen Donn’rers nur ein Mensch. So war Auch sein Vergehen menschlich; ihr Gericht War streng, und Dichter singen: Übermuth Und Untreu stürzten ihn von Jovis Tisch Zur Schmach des alten Tartarus hinab. Ach und sein ganz Geschlecht trug ihren Haß! Trug es die Schuld des Ahnherrn oder eigne? Iphigenie auf Tauris Zwar die gewalt’ge Brust und der Titanen Kraftvolles Mark war seiner Söhn’ und Enkel Gewisses Erbtheil; doch es schmiedete Der Gott um ihre Stirn ein ehern Band. Rath, Mäßigung und Weisheit und Geduld Verbarg er ihrem scheuen düstern Blick; Zur Wuth ward ihnen jegliche Begier, Und gränzenlos drang ihre Wuth umher. Schon Pelops, der Gewaltig-wollende, Des Tantalus geliebter Sohn, erwarb Sich durch Verrath und Mord das schönste Weib, Des Önomaus Tochter, Hippodamien. Sie bringt den Wünschen des Gemahls zwey Söhne, Thyest und Atreus. Neidisch sehen sie Des Vaters Liebe zu dem ersten Sohn Aus einem andern Bette wachsend an. Der Haß verbindet sie, und heimlich wagt Das Paar im Brudermord die erste That. Der Vater wähnet Hippodamien Die Mörderinn, und grimmig fordert er Ein Schauspiel. Von ihr den Sohn zurück, und sie entleibt Sich selbst — Du schweigest? Fahre fort zu reden! Laß dein Vertrau’n dich nicht gereuen! Sprich! Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt, Der froh von ihren Thaten, ihrer Größe, Den Hörer unterhält und still sich freuend An’s Ende dieser schönen Reihe sich Geschlossen sieht! Denn es erzeugt nicht gleich Ein Haus den Halbgott noch das Ungeheuer; Erst eine Reihe Böser oder Guter Bringt endlich das Entsetzen, bringt die Freude Der Welt hervor. — Nach ihres Vaters Tode Gebiethen Atreus und Thyest der Stadt, Gemeinsam-herrschend. Lange konnte nicht Die Eintracht dauern. Bald entehrt Thyest Des Bruders Bette. Rächend treibet Atreus Ihn aus dem Reiche. Tückisch hatte schon Thyest, auf schwere Thaten sinnend, lange Dem Bruder einen Sohn entwandt und heimlich Iphigenie auf Tauris Ihn als den seinen schmeichelnd auferzogen. Dem füllet er die Brust mit Wuth und Rache Und sendet ihn zur Königsstadt, daß er Im Oheim seinen eignen Vater morde. Des Jünglings Vorsatz wird entdeckt; der König Straft grausam den gesandten Mörder, wähnend Er tödte seines Bruders Sohn. Zu spät Erfährt er, wer vor seinen trunknen Augen Gemartert stirbt; und die Begier der Rache Aus seiner Brust zu tilgen, sinnt er still Auf unerhörte That. Er scheint gelassen, Gleichgültig und versöhnt, und lockt den Bruder Mit seinen beyden Söhnen in das Reich Zurück, ergreift die Knaben, schlachtet sie Und setzt die ekle schaudervolle Speise Dem Vater bey dem ersten Mahle vor. Und da Thyest an seinem Fleische sich Gesättigt, eine Wehmuth ihn ergreift, Er nach den Kindern fragt, den Tritt, die Stimme Der Knaben an des Saales Thüre schon Zu hören glaubt, wirft Atreus grinsend Ihm Haupt und Füße der Erschlagnen hin. Ein Schauspiel. Du wendest schaudernd dein Gesicht, o König: So wendete die Sonn’ ihr Antlitz weg Und ihren Wagen aus dem ew’gen Gleise. Dieß sind die Ahnherrn deiner Priesterinn; Und viel unseliges Geschick der Männer, Viel Thaten des verworrnen Sinnes deckt Die Nacht mit schweren Fittigen und läßt Uns nur in grauenvolle Dämmrung sehn. Verbirg sie schweigend auch. Es sey genug Der Gräuel! Sage nun, durch welch ein Wunder Von diesem wilden Stamme Du entsprangst. Des Atreus ältster Sohn war Agamemnon; Er ist mein Vater. Doch ich darf es sagen, In ihm hab’ ich seit meiner ersten Zeit Ein Muster des vollkommnen Manns gesehn. Ihm brachte Clytemnestra mich, den Erstling Der Liebe, dann Elektren. Ruhig herrschte Der König, und es war dem Hause Tantals Die lang’ entbehrte Rast gewährt. Allein Iphigenie auf Tauris Es mangelte dem Glück der Eltern noch Ein Sohn, und kaum war dieser Wunsch erfüllt, Daß zwischen beyden Schwestern nun Orest Der Liebling wuchs; als neues Übel schon Dem sichern Hause zubereitet war. Der Ruf des Krieges ist zu euch gekommen, Der, um den Raub der schönsten Frau zu rächen, Die ganze Macht der Fürsten Griechenlands Um Trojens Mauern lagerte. Ob sie Die Stadt gewonnen, ihrer Rache Ziel Erreicht, vernahm ich nicht. Mein Vater führte Der Griechen Heer. In Aulis harrten sie Auf günst’gen Wind vergebens: denn Diane, Erzürnt auf ihren großen Führer, hielt Die Eilenden zurück und forderte Durch Kalchas Mund des Königs ältste Tochter. Sie lockten mit der Mutter mich in’s Lager; Sie rissen mich vor den Altar und weihten Der Göttinn dieses Haupt. — Sie war versöhnt; Sie wollte nicht mein Blut, und hüllte rettend In eine Wolke mich; in diesem Tempel Erkannt’ ich mich zuerst vom Tode wieder. Ich bin es selbst, bin Iphigenie, Ein Schauspiel. Des Atreus Enkel, Agamemnons Tochter, Der Göttinn Eigenthum, die mit dir spricht. Mehr Vorzug und Vertrauen geb’ ich nicht Der Königstochter als der Unbekannten. Ich wiederhohle meinen ersten Antrag: Komm, folge mir und theile was ich habe. Wie darf ich solchen Schritt, o König, wagen? Hat nicht die Göttinn, die mich rettete, Allein das Recht auf mein geweihtes Leben? Sie hat für mich den Schutzort ausgesucht, Und sie bewahrt mich einem Vater, den Sie durch den Schein genug gestraft, vielleicht Zur schönsten Freude seines Alters hier. Vielleicht ist mir die frohe Rückkehr nah; Und ich, auf ihren Weg nicht achtend, hätte Mich wieder ihren Willen hier gefesselt? Ein Zeichen bath ich, wenn ich bleiben sollte. Das Zeichen ist, daß du noch hier verweilst. Such’ Ausflucht solcher Art nicht ängstlich auf Iphigenie auf Tauris Man spricht vergebens viel, um zu versagen; Der andre hört von allem nur das Nein. Nicht Worte sind es, die nur blenden sollen; Ich habe dir mein tiefstes Herz entdeckt. Und sagst du dir nicht selbst, wie ich dem Vater, Der Mutter, den Geschwistern mich entgegen Mit ängstlichen Gefühlen sehnen muß? Daß in den alten Hallen, wo die Trauer Noch manchmal stille meinen Nahmen lispelt, Die Freude, wie um eine Neugeborne, Den schönsten Kranz von Säul’ an Säulen schlinge. O sendetest du mich auf Schiffen hin! Du gäbest mir und allen neues Leben. So kehr’ zurück! Thu’ was dein Herz dich heißt; Und höre nicht die Stimme guten Raths Und der Vernunft. Sey ganz ein Weib und gib Dich hin dem Triebe, der dich zügellos Ergreift und dahin oder dorthin reißt. Wenn ihnen eine Lust im Busen brennt, Ein Schauspiel. Hält vom Verräther sie kein heilig Band, Der sie dem Vater oder dem Gemahl Aus langbewährten, treuen Armen lockt; Und schweigt in ihrer Brust die rasche Gluth, So dringt auf sie vergebens treu und mächtig Der Überredung goldne Zunge los. Gedenk, o König, deines edeln Wortes! Willst du mein Zutrau’n so erwiedern? Du Schienst vorbereitet, alles zu vernehmen. Auf’s Ungehoffte war ich nicht bereitet; Doch sollt’ ich’s auch erwarten: wußt’ ich nicht, Daß ich mit einem Weibe handeln ging? Schilt nicht, o König, unser arm Geschlecht. Nicht herrlich wie die euern, aber nicht Unedel sind die Waffen eines Weibes. Glaub’ es, darin bin ich dir vorzuziehn, Daß ich dein Glück mehr als du selber kenne. Du wähnest, unbekannt mit dir und mir, Iphigenie auf Tauris Ein näher Band werd’ uns zum Glück vereinen, Voll guten Muthes, wie voll guten Willens, Dringst du in mich, daß ich mich fügen soll; Und hier dank’ ich den Göttern, daß sie mir Die Festigkeit gegeben, dieses Bündniß Nicht einzugehen, das sie nicht gebilligt. Es spricht kein Gott; es spricht dein eignes Herz. Sie reden nur durch unser Herz zu uns. Und hab’ Ich, sie zu hören, nicht das Recht? Es überbraust der Sturm die zarte Stimme. Die Priesterinn vernimmt sie wohl allein? Vor allen andern merke sie der Fürst. Ein Schauspiel . Dein heilig Amt und dein geerbtes Recht An Jovis Tisch bringt dich den Göttern näher, Als einen erdgebornen Wilden. So Büß’ ich nun das Vertrau’n, das du erzwangst. Ich bin ein Mensch; und besser ist’s wir enden. So bleibe denn mein Wort: Sey Priesterinn Der Göttinn, wie sie dich erkoren hat; Doch mir verzeih’ Diane, daß ich ihr Bisher mit Unrecht und mit innerm Vorwurf Die alten Opfer vorenthalten habe. Kein Fremder nahet glücklich unserm Ufer; Von Alters her ist ihm der Tod gewiß. Nur Du hast mich mit einer Freundlichkeit, In der ich bald der zarten Tochter Liebe, Bald stille Neigung einer Braut zu sehn Mich tief erfreute, wie mit Zauberbanden Gefesselt, daß ich meiner Pflicht vergaß. Du hattest mir die Sinnen eingewiegt, Iphigenie auf Tauris Das Murren meines Volks vernahm ich nicht; Nun rufen sie die Schuld von meines Sohnes Frühzeit’gem Tode lauter über mich. Um deinetwillen halt’ ich länger nicht Die Menge, die das Opfer dringend fordert. Um meinetwillen hab’ ich’s nie begehrt. Der mißversteht die Himmlischen, der sie Blutgierig wähnt; er dichtet ihnen nur Die eignen grausamen Begierden an. Entzog die Göttinn mich nicht selbst dem Priester? Ihr war mein Dienst willkommner, als mein Tod. Es ziemt sich nicht für uns, den heiligen Gebrauch mit leicht beweglicher Vernunft Nach unserm Sinn zu deuten und zu lenken. Thu deine Pflicht, ich werde meine thun. Zwey Fremde, die wir in des Ufers Höhlen Versteckt gefunden, und die meinem Lande Nichts gutes bringen, sind in meiner Hand. Ein Schauspiel . Mit diesen nehme deine Göttinn wieder Ihr erstes, rechtes, lang’ entbehrtes Opfer! Ich sende sie hierher; du weißt den Dienst. Vierter Auftritt . allein. Du hast Wolken, gnädige Retterinn, Einzuhüllen unschuldig Verfolgte, Und auf Winden dem ehrnen Geschick sie Aus den Armen, über das Meer, Über der Erde weiteste Strecken Und wohin es dir gut dünkt zu tragen. Weise bist du und siehest das Künftige; Nicht vorüber ist dir das Vergangne, Und dein Blick ruht über den Deinen Wie dein Licht, das Leben der Nächte, Über der Erde ruhet und waltet. O enthalte vom Blut meine Hände! Nimmer bringt es Segen und Ruhe; C Iphigenie auf Tauris . Und die Gestalt des zufällig Ermordeten Wird auf des traurig-unwilligen Mörders Böse Stunde lauern — und schrecken. Denn die Unsterblichen lieben der Menschen Weit verbreitete gute Geschlechter, Und sie fristen das flüchtige Leben Gerne dem Sterblichen, wollen ihm gerne Ihres eigenen, ewigen Himmels Mitgenießendes fröhliches Anschau’n Eine Weile gönnen und lassen. Zweyter Aufzug . Erster Auftritt . Orest. Pylades . E s ist der Weg des Todes, den wir treten: Mit jedem Schritt wird meine Seele stiller. Als ich Apollen bath, das gräßliche Geleit der Rachegeister von der Seite Mir abzunehmen, schien er Hülf’ und Rettung Im Tempel seiner vielgeliebten Schwester, Die über Tauris herrscht, mit hoffnungsreichen Gewissen Götterworten zu versprechen; Und nun erfüllet sich’s, daß alle Noth C 2 Iphigenie auf Tauris Mit meinem Leben völlig enden soll. Wie leicht wird’s mir, dem eine Götterhand Das Herz zusammendrückt, den Sinn betäubt, Dem schönen Licht der Sonne zu entsagen. Und sollen Atreus Enkel in der Schlacht Ein siegbekröntes Ende nicht gewinnen; Soll ich wie meine Ahnen, wie mein Vater Als Opferthier im Jammertode bluten: So sey es! Besser hier vor dem Altar, Als im verworfnen Winkel, wo die Netze Der nahverwandte Meuchelmörder stellt. Laßt mir so lange Ruh’, ihr Unterird’schen, Die nach dem Blut’ ihr, das von meinen Tritten Hernieder träufend meinen Pfad bezeichnet, Wie losgelaßne Hunde spürend hetzt. Laßt mich, ich komme bald zu euch hinab; Das Licht des Tags soll euch nicht sehn, noch mich. Der Erde schöner grüner Teppich soll Kein Tummelplatz für Larven seyn. Dort unten Such’ ich euch auf: dort bindet alle dann Ein gleich Geschick in ew’ge matte Nacht. Nur dich, mein Pylades, dich, meiner Schuld Ein Schauspiel . Und meines Banns unschuldigen Genossen, Wie ungern nehm’ ich dich in jenes Trauerland Frühzeitig mit! Dein Leben oder Tod Gibt mir allein noch Hoffnung oder Furcht. Ich bin noch nicht, Orest, wie du bereit, In jenes Schattenreich hinabzugehn. Ich sinne noch, durch die verworrnen Pfade, Die nach der schwarzen Nacht zu führen scheinen, Uns zu dem Leben wieder aufzuwinden. Ich denke nicht den Tod; ich sinn’ und horche, Ob nicht zu irgend einer frohen Flucht Die Götter Rath und Wege zubereiten. Der Tod, gefürchtet oder ungefürchtet, Kommt unaufhaltsam. Wenn die Priesterinn Schon unsre Locken weihend abzuschneiden Die Hand erhebt, soll dein’ und meine Rettung Mein einziger Gedanke seyn. Erhebe Von diesem Unmuth deine Seele; zweifelnd Beschleunigest du die Gefahr. Apoll Gab uns das Wort: im Heiligthum der Schwester Iphigenie auf Tauris Sey Trost und Hülf’ und Rückkehr dir bereitet. Der Götter Worte sind nicht doppelsinnig, Wie der Gedrückte sie im Unmuth wähnt. Des Lebens dunkle Decke breitete Die Mutter schon mir um das zarte Haupt, Und so wuchs ich herauf, ein Ebenbild Des Vaters, und es war mein stummer Blick Ein bittrer Vorwurf ihr und ihrem Buhlen. Wie oft, wenn still Elektra meine Schwester Am Feuer in der tiefen Halle saß, Drängt’ ich beklommen mich an ihren Schoos, Und starrte, wie sie bitter weinte, sie Mit großen Augen an. Dann sagte sie Von unserm hohen Vater viel: wie sehr Verlangt’ ich ihn zu sehn, bey ihm zu seyn! Mich wünscht’ ich bald nach Troja, ihn bald her. Es kam der Tag — O laß von jener Stunde Sich Höllengeister nächtlich unterhalten! Uns gebe die Erinnrung schöner Zeit Ein Schauspiel . Zu frischem Heldenlaufe neue Kraft. Die Götter brauchen manchen guten Mann Zu ihrem Dienst auf dieser weiten Erde. Sie haben noch auf dich gezählt; sie gaben Dich nicht dem Vater zum Geleite mit, Da er unwillig nach dem Orkus ging. O wär’ ich, seinen Saum ergreifend, ihm Gefolgt. So haben die, die dich erhielten, Für mich gesorgt: denn was ich worden wäre, Wenn Du nicht lebtest, kann ich mir nicht denken; Da ich mit dir und deinetwillen nur Seit meiner Kindheit leb’ und leben mag. Erinnre mich nicht jener schönen Tage, Da mir dein Haus die freye Stäte gab, Dein edler Vater klug und liebevoll Die halb erstarrte junge Blüthe pflegte; Da du ein immer munterer Geselle, Gleich einem leichten bunten Schmetterling Iphigenie auf Tauris Um eine dunkle Blume, jeden Tag Um mich mit neuem Leben gaukeltest, Mir deine Lust in meine Seele spieltest, Daß ich, vergessend meiner Noth, mit dir In rascher Jugend hingerissen schwärmte. Da fing mein Leben an, als ich dich liebte. Sag: meine Noth begann, und du sprichst wahr. Das ist das Ängstliche von meinem Schicksal, Daß ich, wie ein verpesteter Vertriebner, Geheimen Schmerz und Tod im Busen trage; Daß, wo ich den gesund’sten Ort betrete, Gar bald um mich die blühenden Gesichter Den Schmerzenszug langsamen Tod’s verrathen. Der nächste wär’ ich diesen Tod zu sterben, Wenn je dein Hauch, Orest, vergiftete. Bin ich nicht immer noch voll Muth und Lust? Und Lust und Liebe sind die Fittige Zu großen Thaten. Ein Schauspiel . Große Thaten? Ja, Ich weiß die Zeit, da wir sie vor uns sahn! Wenn wir zusammen oft dem Wilde nach Durch Berg’ und Thäler rannten, und dereinst An Brust und Faust dem hohen Ahnherrn gleich Mit Keul’ und Schwert dem Ungeheuer so, Dem Räuber auf der Spur zu jagen hofften; Und dann wir Abends an der weiten See Uns an einander lehnend ruhig saßen, Die Wellen bis zu unsern Füßen spielten, Die Welt so weit, so offen vor uns lag; Da fuhr wohl einer manchmal nach dem Schwert, Und künft’ge Thaten drangen wie die Sterne Rings um uns her unzählig aus der Nacht. Unendlich ist das Werk, das zu vollführen Die Seele dringt. Wir möchten jede That So groß gleich thun als wie sie wächst und wird, Wenn Jahre lang durch Länder und Geschlechter Der Mund der Dichter sie vermehrend wälzt. Es klingt so schön was unsre Väter thaten, Iphigenie auf Tauris Wenn es in stillen Abendschatten ruhend Der Jüngling mit dem Ton der Harfe schlürft; Und was wir thun ist, wie es ihnen war, Voll Müh’ und eitel Stückwerk! So laufen wir nach dem was vor uns flieht, Und achten nicht des Weges den wir treten, Und sehen neben uns der Ahnherrn Tritte Und ihres Erdelebens Spuren kaum. Wir eilen immer ihrem Schatten nach, Der göttergleich in einer weiten Ferne Der Berge Haupt auf goldnen Wolken krönt. Ich halte nichts von dem, der von sich denkt Wie ihn das Volk vielleicht erheben möchte. Allein, o Jüngling, danke du den Göttern, Daß sie so früh durch dich so viel gethan. Wenn sie dem Menschen frohe That bescheren, Daß er ein Unheil von den Seinen wendet, Daß er sein Reich vermehrt, die Gränzen sichert, Und alte Feinde fallen oder fliehn; Dann mag er danken! denn ihm hat ein Gott Des Lebens erste, letzte Lust gegönn . Ein Schauspiel . Mich haben sie zum Schlächter auserkoren, Zum Mörder meiner doch verehrten Mutter, Und eine Schandthat schändlich rächend, mich Durch ihren Wink zu Grund’ gerichtet. Glaube, Sie haben es auf Tantals Haus gerichtet, Und ich, der Letzte, soll nicht schuldlos, soll Nicht ehrenvoll vergehn. Die Götter rächen Der Väter Missethat nicht an dem Sohn; Ein jeglicher, gut oder böse, nimmt Sich seinen Lohn mit seiner That hinweg. Es erbt der Eltern Segen, nicht ihr Fluch. Uns führt ihr Segen, dünkt mich, nicht hierher. Doch wenigstens der hohen Götter Wille. So ist’s ihr Wille denn, der uns verderbt. Iphigenie auf Tauris Thu’ was sie dir gebiethen und erwarte. Bringst du die Schwester zu Apollen hin, Und wohnen beyde dann vereint zu Delphis, Verehrt von einem Volk das edel denkt; So wird für diese That das hohe Paar Dir gnädig seyn, sie werden aus der Hand Der Unterird’schen dich erretten. Schon In diesen heil’gen Hain wagt keine sich. So hab’ ich wenigstens geruh’gen Tod. Ganz anders denk’ ich, und nicht ungeschickt Hab’ ich das schon Gescheh’ne mit dem Künft’gen Verbunden und im stillen ausgelegt. Vielleicht reift in der Götter Rath schon lange Das große Werk. Diane sehnet sich Von diesem rauhen Ufer der Barbaren Und ihren blut’gen Menschenopfern weg. Wir waren zu der schönen That bestimmt, Uns wird sie auferlegt, und seltsam sind Wir an der Pforte schon gezwungen hier. Ein Schauspiel . Mit seltner Kunst flichst du der Götter Rath Und deine Wünsche klug in eins zusammen. Was ist des Menschen Klugheit, wenn sie nicht Auf Jener Willen droben achtend lauscht? Zu einer schweren That beruft ein Gott Den edlen Mann, der viel verbrach, und legt Ihm auf was uns unmöglich scheint zu enden. Es siegt der Held, und büßend dienet er Den Göttern und der Welt, die ihn verehrt. Bin ich bestimmt, zu leben und zu handeln; So nehm’ ein Gott von meiner schweren Stirn Den Schwindel weg, der auf dem schlüpfrigen, Mit Mutterblut besprengten Pfade f o rt Mich zu den Todten reißt. Er trockne gnädig Die Quelle, die, mir aus der Mutter Wunden Entgegen sprudelnd, ewig mich befleckt. Erwart’ es ruhiger! Du mehrst das Übel Und nimmst das Amt der Furien auf dich. Iphigenie auf Tauris Laß mich nur sinnen, bleibe still! Zuletzt, Bedarf’s zur That vereinter Kräfte, dann Ruf’ ich dich auf, und beyde schreiten wir Mit überlegter Kühnheit zur Vollendung. Ich hör’ Ulyssen reden. Spotte nicht. Ein jeglicher muß seinen Helden wählen, Dem er die Wege zum Olymp hinauf Sich nacharbeitet. Laß es mich gestehn: Mir scheinet List und Klugheit nicht den Mann Zu schänden, der sich kühnen Thaten weiht. Ich schätze den, der tapfer ist und g’rad. Drum hab’ ich keinen Rath von dir verlangt. Schon ist ein Schritt gethan. Von unsern Wächtern Hab’ ich bisher gar vieles ausgelockt. Ich weiß, ein fremdes, göttergleiches Weib Ein Schauspiel . Hält jenes blutige Gesetz gefesselt; Ein reines Herz und Weihrauch und Gebeth Bringt sie den Göttern dar. Man rühmet hoch Die Gütige; man glaubet, sie entspringe Vom Stamm der Amazonen, sey geflohn, Um einem großen Unheil zu entgehn. Es scheint, ihr lichtes Reich verlor die Kraft Durch des Verbrechers Nähe, den der Fluch Wie eine breite Nacht verfolgt und deckt. Die fromme Blutgier lös’t den alten Brauch Von seinen Fesseln los, uns zu verderben. Der wilde Sinn des Königs tödtet uns; Ein Weib wird uns nicht retten, wenn er zürnt. Wohl uns, daß es ein Weib ist! denn ein Mann, Der beste selbst, gewöhnet seinen Geist An Grausamkeit, und macht sich auch zuletzt Aus dem, was er verabscheut, ein Gesetz, Wird aus Gewohnheit hart und fast unkenntlich. Allein ein Weib bleibt stät auf Einem Sinn, Iphigenie auf Tauris Den sie gefaßt. Du rechnest sicherer Auf sie im Guten wie im Bösen. — Still! Sie kommt; laß uns allein. Ich darf nicht gleich Ihr unsre Nahmen nennen, unser Schicksal Nicht ohne Rückhalt ihr vertrau’n. Du gehst, Und eh’ sie mit dir spricht treff’ ich dich noch. Zweyter Auftritt . Iphigenie. Pylades . Woher du seyst und kommst, o Fremdling, sprich! Mir scheint es, daß ich eher einem Griechen Als einem Scythen dich vergleichen soll. Sie nimmt ihm die Ketten ab. Gefährlich ist die Freyheit, die ich gebe; Die Götter wenden ab was euch bedroht! Ein Schauspiel . O süße Stimme! Vielwillkommner Ton Der Muttersprach’ in einem fremden Lande! Des väterlichen Hafens blaue Berge Seh’ ich Gefangner neu willkommen wieder Vor meinen Augen. Laß dir diese Freude Versichern, daß auch ich ein Grieche bin! Vergessen hab’ ich einen Augenblick, Wie sehr ich dein bedarf, und meinen Geist Der herrlichen Erscheinung zugewendet. O sage, wenn dir ein Verhängniß nicht Die Lippe schließt, aus welchem unsrer Stämme Du deine göttergleiche Herkunft zählst. Die Priesterinn, von ihrer Göttinn selbst Gewählet und geheiligt, spricht mit dir. Das laß dir g’nügen; sage, wer du seyst Und welch unselig-waltendes Geschick Mit dem Gefährten dich hierher gebracht. D Iphigenie auf Tauris Leicht kann ich dir erzählen, welch ein Übel Mit lastender Gesellschaft uns verfolgt. O könntest du der Hoffnung frohen Blick Uns auch so leicht, du Göttliche, gewähren! Aus Kreta sind wir, Söhne des Adrasts: Ich bin der jüngste, Cephalus genannt, Und er Laodamas, der älteste Des Hauses. Zwischen uns stand rauh und wild Ein mittlerer, und trennte schon im Spiel Der ersten Jugend Einigkeit und Lust. Gelassen folgten wir der Mutter Worten, So lang’ des Vaters Kraft vor Troja stritt; Doch als er beutereich zurücke kam Und kurz darauf verschied, da trennte bald Der Streit um Reich und Erbe die Geschwister. Ich neigte mich zum Ältsten. Er erschlug Den Bruder. Um der Blutschuld willen treibt Die Furie gewaltig ihn umher. Doch diesem wilden Ufer sendet uns Apoll, der Delphische, mit Hoffnung zu. Im Tempel seiner Schwester hieß er uns Ein Schauspiel . Der Hülfe segensvolle Hand erwarten. Gefangen sind wir und hierher gebracht, Und dir als Opfer dargestellt. Du weißt’s. Fiel Troja? Theurer Mann, versichr’ es mir. Es liegt. O sich’re du uns Rettung zu! Beschleunige die Hülfe, die ein Gott Versprach. Erbarme meines Bruders dich. O sag’ ihm bald ein gutes holdes Wort; Doch schone seiner wenn du mit ihm sprichst, Das bitt’ ich eifrig: denn es wird gar leicht Durch Freud’ und Schmerz und durch Erin- nerung Sein Innerstes ergriffen und zerrüttet. Ein sieberhafter Wahnsinn fällt ihn an, Und seine schöne freye Seele wird Den Furien zum Raube hingegeben. So groß dein Unglück ist, beschwör’ ich dich, Vergiß es, bis du mir genug gethan. D 2 Iphigenie auf Tauris Die hohe Stadt, die zehen lange Jahre Dem ganzen Heer der Griechen widerstand, Liegt nun im Schutte, steigt nicht wieder auf. Doch manche Gräber unsrer Besten heißen Uns an das Ufer der Barbaren denken. Achill liegt dort mit seinem schönen Freunde. So seyd ihr Götterbilder auch zu Staub! Auch Palamedes, Ajax Telamons, Sie sahn des Vaterlandes Tag nicht wieder. Er schweigt von meinem Vater, nennt ihn nicht Mit den Erschlagnen. Ja! er lebt mir noch! Ich werd’ ihn sehn. O hoffe, liebes Herz! Doch selig sind die Tausende, die starben Den bittersüßen Tod von Feindes Hand! Ein Schauspiel . Denn wüste Schrecken und ein traurig Ende Hat den Rückkehrenden statt des Triumphs Ein feindlich aufgebrachter Gott bereitet. Kommt denn der Menschen Stimme nicht zu euch? So weit sie reicht, trägt sie den Ruf umher Von unerhörten Thaten die geschah’n. So ist der Jammer, der Mycenens Hallen Mit immer wiederhohlten Seufzern füllt, Dir ein Geheimniß? — Klytemnestra hat Mit Hüls’ Ägisthens den Gemahl berückt, Am Tage seiner Rückkehr ihn ermordet! — Ja du verehrest dieses Königs Haus! Ich seh’ es, deine Brust bekämpft vergebens Das unerwartet ungeheure Wort. Bist du die Tochter eines Freundes? bist Du nachbarlich in dieser Stadt geboren? Verbirg es nicht und rechne mir’s nicht zu, Daß ich der erste diese Gräuel melde. Sag’ an, wie ward die schwere That vollbracht? Iphigenie auf Tauris Am Tage seiner Ankunft, da der König Vom Bad’ erquickt und ruhig, sein Gewand Aus der Gemahlinn Hand verlangend, stieg, Warf die Verderbliche ein faltenreich Und künstlich sich verwirrendes Gewebe Ihm auf die Schultern, um das edle Haupt; Und da er wie von einem Netze sich Vergebens zu entwickeln strebte, schlug Ägisth ihn, der Verräther, und verhüllt Ging zu den Todten dieser große Fürst. Und welchen Lohn erhielt der Mitverschworne? Ein Reich und Bette, das er schon besaß. So trieb zur Schandthat eine böse Lust? Und einer alten Rache tief Gefühl. Ein Schauspiel . Und wie beleidigte der König sie? Mit schwerer That, die, wenn Entschuldigung Des Mordes wäre, sie entschuldigte. Nach Aulis lockt’ er sie und brachte dort, Als eine Gottheit sich der Griechen Fahrt Mit ungestümen Winden widersetzte, Die ältste Tochter Iphigenien Vor den Altar Dianens, und sie fiel Ein blutig Opfer für der Griechen Heil. Dieß, sagt man, hat ihr einen Widerwillen So tief in’s Herz geprägt, daß sie dem Werben Ägisthens sich ergab und den Gemahl Mit Netzen des Verderbens selbst umschlang. sich verhüllend. Es ist genug. Du wirst mich wiedersehn. allein. Von dem Geschick des Königs-Hauses scheint Sie tief gerührt. Wer sie auch immer sey, Iphigenie auf Tauris . So hat sie selbst den König wohl gekannt Und ist, zu unserm Glück, aus hohem Hause Hierher verkauft. Nur stille, liebes Herz, Und laß dem Stern der Hoffnung, der uns blinkt, Mit frohem Muth uns klug entgegen steuern. Dritter Aufzug . Erster Auftritt . Iphigenie. Orest . U nglücklicher, ich löse deine Bande Zum Zeichen eines schmerzlichern Geschicks. Die Freyheit, die das Heiligthum gewährt, Ist wie der letzte, lichte Lebensblick Des schwer Erkrankten, Todesbothe. Noch Kann ich es mir und darf es mir nicht sagen, Daß ihr verloren seyd! Wie könnt’ ich euch Mit mörderischer Hand dem Tode weihen? Iphigenie auf Tauris Und niemand, wer es sey, darf euer Haupt, So lang’ ich Priesterinn Dianens bin, Berühren. Doch verweigr’ ich jene Pflicht, Wie sie der aufgebrachte König fordert; So wählt er eine meiner Jungfraun mir Zur Folgerinn, und ich vermag alsdann Mit heißem Wunsch allein euch beyzustehn. O werther Landsmann! Selbst der letzte Knecht, Der an den Herd der Vatergötter streifte, Ist uns in fremdem Lande hoch willkommen; Wie soll ich euch genug mit Freud’ und Segen Empfangen, die ihr mir das Bild der Helden, Die ich von Eltern her verehren lernte, Entgegen bringet und das innre Herz Mit neuer schöner Hoffnung schmeichelnd labet! Verbirgst du deinen Nahmen, deine Herkunst Mit klugem Vorsatz? oder darf ich wissen, Wer mir, gleich einer Himmlischen, begegnet? Du sollst mich kennen. Jetzo sag’ mir an, Was ich nur halb von deinem Bruder hörte, Ein Schauspiel . Das Ende derer, die von Troja kehrend Ein hartes unerwartetes Geschick Auf ihrer Wohnung Schwelle stumm empfing. Zwar ward ich jung an diesen Strand geführt; Doch wohl erinnr’ ich mich des scheuen Blicks, Den ich mit Staunen und mit Bangigkeit Auf jene Helden warf. Sie zogen aus, Als hätte der Olymp sich aufgethan Und die Gestalten der erlauchten Vorwelt Zum Schrecken Ilions herabgesendet, Und Agamemnon war vor allen herrlich! O sage mir! Er fiel, sein Haus betretend, Durch seiner Frauen und Ägisthus Tücke? Du sagst’s! Weh dir, unseliges Mycen! So haben Tantals Enkel Fluch auf Fluch Mit vollen wilden Händen ausgesät! Und gleich dem Unkraut, wüste Häupter schüttelnd Und tausendfält’gen Samen um sich streuend, Den Kindes Kindern nahverwandte Mörder Iphigenie auf Tauris Zur ew’gen Wechselwuth erzeugt! — Enthülle, Was von der Rede deines Bruders schnell Die Finsterniß des Schreckens mir verdeckte. Wie ist des großen Stammes letzter Sohn, Das holde Kind, bestimmt des Vaters Rächer Dereinst zu seyn, wie ist Orest dem Tage Des Bluts entgangen? Hat ein gleich Geschick Mit des Avernus Netzen ihn umschlungen? Ist er gerettet? Lebt er? Lebt Elektra? Sie leben. Goldne Sonne, leihe mir Die schönsten Strahlen, lege sie zum Dank Vor Jovis Thron! denn ich bin arm und stumm. Bist du gastfreundlich diesem Königs-Hause, Bist du mit nähern Banden ihm verbunden, Wie deine schöne Freude mir verräth: So bändige dein Herz und halt es fest! Denn unerträglich muß dem Fröhlichen Ein Schauspiel . Ein jäher Rückfall in die Schmerzen seyn. Du weißt nur, merk’ ich, Agamemnons Tod. Hab’ ich an dieser Nachricht nicht genug? Du hast des Gräuels Hälfte nur erfahren. Was fürcht’ ich noch? Orest, Elektra leben. Und fürchtest du für Klytemnestren nichts? Sie rettet weder Hoffnung, weder Furcht. Auch schied sie aus dem Land der Hoffnung ab. Vergoß sie reuig wüthend selbst ihr Blut? Nein, doch ihr eigen Blut gab ihr den Tod. Iphigenie auf Tauris Sprich deutlicher, daß ich nicht länger sinne. Die Ungewißheit schlägt mir tausendfältig Die dunkeln Schwingen um das bange Haupt. So haben mich die Götter ausersehn Zum Bothen einer That, die ich so gern In’s klanglos-dumpfe Höhlenreich der Nacht Verbergen möchte? Wider meinen Willen Zwingt mich dein holder Mund; allein er darf Auch etwas schmerzlich’s fodern und erhält’s. Am Tage da der Vater fiel, verbarg Elektra rettend ihren Bruder: Strophius, Des Vaters Schwäher, nahm ihn willig auf, Erzog ihn neben seinem eignen Sohne, Der, Pylades genannt, die schönsten Bande Der Freundschaft um den Angekommnen knüpfte. Und wie sie wuchsen, wuchs in ihrer Seele Die brennende Begier des Königs Tod Zu rächen. Unversehen, fremd gekleidet, Erreichen sie Mycen, als brächten sie Die Trauernachricht von Orestens Tode Ein Schauspiel. Mit seiner Asche. Wohl empfänget sie Die Königinn, sie treten in das Haus. Elektren gibt Orest sich zu erkennen; Sie bläs’t der Rache Feuer in ihm auf, Das vor der Mutter heil’ger Gegenwart In sich zurückgebrannt war. Stille führt Sie ihn zum Orte, wo sein Vater fiel, Wo eine alte leichte Spur des frech- Vergoßnen Blutes oftgewaschnen Boden Mit blassen ahndungsvollen Streifen färbte. Mit ihrer Feuerzunge schilderte Sie jeden Umstand der verruchten That, Ihr knechtisch elend durchgebrachtes Leben, Den Übermuth der glücklichen Verräther, Und die Gefahren, die nun der Geschwister Von einer stiefgeword’nen Mutter warteten; Hier drang sie jenen alten Dolch ihm auf, Der schon in Tantals Hause grimmig wüthete, Und Klytemnestra fiel durch Sohnes- Hand. Unsterbliche, die ihr den reinen Tag Auf immer neuen Wolken selig leber, Iphigenie auf Tauris Habt ihr nur darum mich so manches Jahr Von Menschen abgesondert, mich so nah Bey euch gehalten, mir die kindliche Beschäftigung, des heil’gen Feuers Gluth Zu nähren, aufgetragen, meine Seele Der Flamme gleich in ew’ger frommer Klarheit Zu euern Wohnungen hinaufgezogen, Daß ich nur meines Hauses Gräuel später Und tiefer fühlen sollte? — Sage mir Vom Unglücksel’gen! Sprich mir von Orest! — O könnte man von seinem Tode sprechen! Wie gährend stieg aus der Erschlagnen Blut Der Mutter Geist Und ruft der Nacht uralten Töchtern zu: „Laßt nicht den Muttermörder entfliehn! Verfolgt den Verbrecher! Euch ist er geweiht!“ Sie horchen auf, es schaut ihr hohler Blick Mit der Begier des Adlers um sich her. Sie rühren sich in ihren schwarzen Höhlen, Und aus den Winkeln schleichen ihre Gefährten, Der Zweifel und die Reue, leis’ herbey. Ein Schauspiel. Vor ihnen steigt ein Dampf vom Acheron; In seinen Wolkenkreisen wälzet sich Die ewige Betrachtung des Gescheh’nen Verwirrend um des Schuld’gen Haupt umher. Und sie, berechtigt zum Verderben, treten Der gottbesäten Erde schönen Boden, Von dem ein alter Fluch sie längst verbannte. Den Flüchtigen verfolgt ihr schneller Fuß; Sie geben nur um neu zu schrecken Rast. Unseliger, du bist in gleichem Fall, Und fühlst was er, der arme Flüchtling, leidet! Was sagst du mir? Was wähnst du gleichen Fall? Dich drückt ein Brudermord wie jenen; mir Vertraute dieß dein jüngster Bruder schon. Ich kann nicht leiden, daß du große Seele Mit einem falschen Wort betrogen werdest. E Iphigenie auf Tauris Ein lügenhaft Gewebe knüpf’ ein Fremder Dem Fremden, sinnreich und der List gewohnt, Zur Falle vor die Füße; zwischen uns Sey Wahrheit! Ich bin Orest! und dieses schuld’ge Haupt Senkt nach der Grube sich und sucht den Tod; In jeglicher Gestalt sey er willkommen! Wer du auch seyst, so wünsch’ ich Rettung dir Und meinem Freunde; mir wünsch’ ich sie nicht. Du scheinst hier wider Willen zu verweilen; Erfindet Rath zur Flucht und laßt mich hier. Es stürze mein entseelter Leib vom Fels, Es rauche bis zum Meer’ hinab mein Blut, Und bringe Fluch dem Ufer der Barbaren! Geht ihr, daheim im schönen Griechenland Ein neues Leben freundlich anzufangen. Er entfernt sich. So steigst du denn, Erfüllung, schönste Tochter Des größten Vaters, endlich zu mir nieder! Wie ungeheuer steht dein Bild vor mir! Ein Schauspiel. Kaum reicht mein Blick dir an die Hände, die Mit Frucht und Segenskränzen angefüllt Die Schätze des Olympus niederbringen. Wie man den König an dem Übermaß Der Gaben kennt: denn ihm muß wenig scheinen Was Tausenden schon Reichthum ist; so kennt Man euch, ihr Götter, an gesparten, lang’ Und weise zubereiteten Geschenken. Denn ihr allein wißt was uns frommen kann, Und schaut der Zukunft ausgedehntes Reich, Wenn jedes Abends Stern und Nebelhülle Die Aussicht uns verdeckt. Gelassen hört Ihr unser Flehn, das um Beschleunigung Euch kindisch bittet; aber eure Hand Bricht unreif nie die goldnen Himmelsfrüchte; Und wehe dem, der ungeduldig sie Ertrotzend, saure Speise sich zum Tod’ Genießt. O laßt das lang’ erwartete, Noch kaum gedachte Glück nicht, wie den Schatten Des abgeschiednen Freundes, eitel mir Und dreyfach schmerzlicher vorübergehn! E 2 Iphigenie auf Tauris der wieder zu ihr tritt. Rufst du die Götter an für dich und Pylades, So nenne meinen Nahmen nicht mit euerm. Du rettest den Verbrecher nicht zu dem Du dich gesell’st, und theilest Fluch und Noth. Mein Schicksal ist an deines fest gebunden. Mit nichten! Laß allein und unbegleitet Mich zu den Todten gehn. Verhülltest du In deinen Schleyer selbst den Schuldigen; Du birgst ihn nicht vorm Blick der immer Wachen, Und deine Gegenwart, du Himmlische, Drängt sie nur seitwärts und verscheucht sie nicht. Sie dürfen mit den ehrnen frechen Füßen Des heil’gen Waldes Boden nicht betreten; Doch hör’ ich aus der Ferne hier und da Ihr gräßliches Gelächter. Wölfe harren So um den Baum, auf den ein Reisender Ein Schauspiel. Sich rettete. Da draußen ruhen sie Gelagert; und verlaß ich diesen Hain, Dann steigen sie, die Schlangenhäupter schüt- telnd, Von allen Seiten Staub erregend auf Und treiben ihre Beute vor sich her. Kannst du, Orest, ein freundlich Wort ver- nehmen? Spar’ es für einen Freund der Götter auf. Sie geben dir zu neuer Hoffnung Licht. Durch Rauch und Qualm seh’ ich den matten Schein Des Todtenflusses mir zur Hölle leuchten. Hast du Elektren, Eine Schwester nur? Iphigenie auf Tauris Die Eine kannt’ ich; doch die ältste nahm Ihr gut Geschick, das uns so schrecklich schien, Bey Zeiten aus dem Elend unsers Hauses. O laß dein Fragen, und geselle dich Nicht auch zu den Erinnyen; sie blasen Mir schadenfroh die Asche von der Seele, Und leiden nicht, daß sich die letzten Kohlen Von unsers Hauses Schreckensbrande still In mir verglimmen. Soll die Gluth denn ewig, Vorsetzlich angefacht, mit Höllenschwefel Genährt, mir auf der Seele marternd brennen? Ich bringe süßes Räuchwerk in die Flamme. O laß den reinen Hauch der Liebe dir Die Gluth des Busens leise wehend kühlen. Orest, mein Theurer, kannst du nicht ver- nehmen? Hat das Geleit der Schreckensgötter so Das Blut in deinen Adern aufgetrocknet? Schleicht, wie vom Haupt der gräßlichen Gor- gone, Ein Schauspiel. Versteinernd dir ein Zauber durch die Glie- der? O wenn vergoßnen Mutterblutes Stimme Zur Höll’ hinab mit dumpfen Tönen ruft: Soll nicht der reinen Schwester Segenswort Hülfreiche Götter vom Olympus rufen? Es ruft! es ruft! So willst du mein Ver- derben? Verbirgt in dir sich eine Rachegöttinn? Wer bist du, deren Stimme mir entsetzlich Das Innerste in seinen Tiefen wendet? Es zeigt sich dir im tiefsten Herzen an: Orest, ich bin’s! sieh Iphigenien! Ich lebe! Du! Mein Bruder! Iphigenie auf Tauris Laß! Hinweg! Ich rathe dir, berühre nicht die Locken! Wie von Kreusa’s Brautkleid zündet sich Ein unauslöschlich Feuer von mir fort. Laß mich! Wie Herkules will ich Unwürd’ger Den Tod voll Schmach, in mich verschlossen, sterben. Du wirst nicht untergehn! O daß ich nur Ein ruhig Wort von dir vernehmen könnte! O löse meine Zweifel, laß des Glückes, Des lang’ erflehten, mich auch sicher werden. Es wälzet sich ein Rad von Freud’ und Schmerz Durch meine Seele. Von dem fremden Manne Entfernet mich ein Schauer; doch es reiß’t Mein Innerstes gewaltig mich zum Bruder. Ist hier Lyäens Tempel? und ergreift Unbändig-heil’ge Wuth die Priesterinn? Ein Schauspiel. O höre mich! O sieh mich an, wie mir Nach einer langen Zeit das Herz sich öffnet, Der Seligkeit, dem Liebsten, was die Welt Noch für mich tragen kann, das Haupt zu küssen, Mit meinen Armen, die den leeren Winden Nur ausgebreitet waren, dich zu fassen. O laß mich! Laß mich! Denn es quillet heller Nicht vom Parnaß die ew’ge Quelle sprudelnd Von Fels zu Fels in’s gold’ne Thal hinab, Wie Freude mir vom Herzen wallend fließt, Und wie ein selig Meer mich rings umfängt. Orest! Orest! Mein Bruder! Schöne Nymphe, Ich traue dir und deinem Schmeicheln nicht. Diana fordert strenge Dienerinnen Und rächet das entweih’te Heiligthum. Entferne deinen Arm von meiner Brust! Und wenn du einen Jüngling rettend lieben, Das schöne Glück ihm zärtlich biethen willst; So wende meinem Freunde dein Gemüth, Iphigenie auf Tauris Dem würd’gern Manne zu. Er irr’t umher Auf jenem Felsenpfade; such’ ihn auf, Weis’ ihn zurecht und schone meiner. Fasse Dich, Bruder, und erkenne die Gefund’ne! Schilt einer Schwester reine Himmelsfreude Nicht unbesonnene, strafbare Lust. O nehmt den Wahn ihm von dem starren Auge, Daß uns der Augenblick der höchsten Freude Nicht dreyfach elend mache! Sie ist hier, Die längst verlorne Schwester. Vom Altar Riß mich die Göttinn weg und rettete Hierher mich in ihr eigen Heiligthum. Gefangen bist du, dargestellt zum Opfer, Und findest in der Priesterinn die Schwester. Unselige! So mag die Sonne denn Die letzten Gräuel unsers Hauses sehn! Ist nicht Elektra hier? damit auch sie Mit uns zu Grunde gehe, nicht ihr Leben Zu schwererem Geschick’ und Leiden friste. Gut, Priesterinn! ich folge zum Altar: Ein Schauspiel. Der Brudermord ist hergebrachte Sitte Des alten Stammes; und ich danke, Götter, Daß ihr mich ohne Kinder auszurotten Beschlossen habt. Und laß dir rathen, habe Die Sonne nicht zu lieb und nicht die Sterne; Komm, folge mir in’s dunkle Reich hinab! Wie sich vom Schwefelpfuhl’ erzeugte Drachen Bekämpfend die verwandte Brut verschlingen, Zerstört sich selbst das wüthende Geschlecht; Komm kinderlos und schuldlos mit hinab! Du siehst mich mit Erbarmen an? Laß ab! Mit solchen Blicken suchte Klytemnestra Sich einen Weg nach ihres Sohnes Herzen; Doch sein geschwung’ner Arm traf ihre Brust. Die Mutter fiel! — Tritt auf, unwill’ger Geist! Im Kreis geschlossen tretet an, ihr Furien, Und wohnet dem willkommnen Schauspiel bey, Dem letzten, gräßlichsten, das ihr bereitet! Nicht Haß und Rache schärfen ihren Dolch; Die liebevolle Schwester wird zur That Gezwungen. Weine nicht! Du hast nicht Schuld. Iphigenie auf Tauris Seit meinen ersten Jahren hab’ ich nichts Geliebt, wie ich dich lieben könnte, Schwester. Ja, schwinge deinen Stahl, verschone nicht, Zerreiße diesen Busen, und eröffne Den Strömen die hier sieden einen Weg. Er sinkt in Ermattung. Allein zu tragen dieses Glück und Elend Vermag ich nicht. — Wo bist du, Pylades? Wo find’ ich deine Hülfe, theurer Mann? Sie entfernt sich suchend. Zweyter Auftritt. aus seiner Betäubung erwachend und sich aufrichtend. Noch einen! reiche mir aus Lethe’s Fluthen Den letzten kühlen Becher der Erquickung! Bald ist der Krampf des Lebens aus dem Busen Hinweggespült; bald fließet still mein Geist, Ein Schauspiel. Der Quelle des Vergessens hingegeben, Zu euch, ihr Schatten, in die ew’gen Nebel. Gefällig laßt in eurer Ruhe sich Den umgetriebnen Sohn der Erde laben! — Welch ein Gelispel hör’ ich in den Zweigen, Welch ein Geräusch aus jener Dämmrung säu- seln? Sie kommen schon den neuen Gast zu sehn! Wer ist die Schaar, die herrlich mit einander Wie ein versammelt Fürstenhaus sich freut? Sie gehen friedlich, Alt’ und Junge, Männer Mit Weibern; göttergleich und ähnlich scheinen Die wandelnden Gestalten. Ja, sie sind’s, Die Ahnherrn meines Hauses! — Mit Thyesten Geht Atreus in vertraulichen Gesprächen, Die Knaben schlüpfen scherzend um sie her. Ist keine Feindschaft hier mehr unter euch? Verlosch die Rache wie das Licht der Sonne? So bin auch ich willkommen, und ich darf In euern feierlichen Zug mich mischen. Willkommen, Väter! euch grüßt Orest, Von euerm Stamm der letzte Mann; Was ihr gesa’t, hat er geärntet: Iphigenie auf Tauris Mit Fluch beladen stieg er herab. Doch leichter träget sich hier jede Bürde: Nehmt ihn, o nehmt ihn in euern Kreis! — Dich, Atreus, ehr’ ich, auch dich Thyesten; Wir sind hier alle der Feindschaft los. — Zeigt mir den Vater, den ich nur Einmal Im Leben sah! — Bist du’s, mein Vater? Und führst die Mutter vertraut mit dir? Darf Klytemnestra die Hand dir reichen; So darf Orest auch zu ihr treten Und darf ihr sagen: sieh deinen Sohn! — Seht euern Sohn! Heißt ihn willkommen. Auf Erden war in unserm Hause Der Gruß des Mordes gewisse Losung, Und das Geschlecht des alten Tantalus Hat seine Freuden jenseits der Nacht. Ihr ruft, Willkommen! und nehmt mich auf! O führt zum Alten, zum Ahnherrn mich! Wo ist der Alte? daß ich ihn sehe, Das theure Haupt, das vielverehrte, Das mit den Göttern zu Rathe saß. Ihr scheint zu zaudern, euch wegzuwenden? Was ist es? Leidet der Göttergleiche? Ein Schauspiel. Weh mir! es haben die Übermächt’gen Der Heldenbrust grausame Qualen Mit ehrnen Ketten fest aufgeschmiedet. Dritter Auftritt. Orest. Iphigenie. Pylades. Seyd ihr auch schon herabgekommen? Wohl Schwester dir! Noch fehlt Elektra: Ein güt’ger Gott send’ uns die Eine Mit sanften Pfeilen auch schnell herab. Dich, armer Freund, muß ich bedauern! Komm mit! Komm mit! zu Pluto’s Thron. Als neue Gäste den Wirth zu grüßen. Geschwister, die ihr an dem weiten Himmel Das schöne Licht bey Tag und Nacht herauf Den Menschen bringet, und den Abgeschiednen Nicht leuchten dürfet, rettet uns Geschwister! Iphigenie auf Tauris Du liebst, Diane, deinen holden Bruder Vor allem, was dir Erd’ und Himmel biethet, Und wendest dein jungfräulich Angesicht Nach seinem ew’gen Lichte sehnend still. O laß den einz’gen spätgefundnen mir Nicht in der Finsterniß des Wahnsinns rasen! Und ist dein Wille, da du hier mich bargst, Nunmehr vollendet, willst du mir durch ihn Und ihm durch mich die sel’ge Hülfe geben; So lös’ ihn von den Banden jenes Fluchs, Daß nicht die theure Zeit der Rettung schwinde. Erkennst du uns und diesen heil’gen Hain Und dieses Licht, das nicht den Todten leuchtet? Fühlst du den Arm des Freundes und der Schwester, Die dich noch fest, noch lebend halten? Faß’ Uns kräftig an; wir sind nicht leere Schatten. Merk auf mein Wort! Vernimm es! Raffe dich Zusammen! Jeder Augenblick ist theuer, Und unsre Rückkehr hängt an zarten Fäden, Die, scheint es, eine günst’ge Parze spinnt. Ein Schauspiel. zu Iphigenien. Laß mich zum erstenmal mit freyem Herzen In deinen Armen reine Freude haben! Ihr Götter, die mit flammender Gewalt Ihr schwere Wolken aufzuzehren wandelt, Und gnädig-ernst den lang’ erflehten Regen Mit Donnerstimmen und mit Windes-Brausen In wilden Strömen auf die Erde schüttet; Doch bald der Menschen grausendes Erwarten In Segen auflös’t und das bange Staunen In Freudeblick und lauten Dank verwandelt, Wenn in den Tropfen frischerquickter Blätter Die neue Sonne tausendfach sich spiegelt, Und Iris freundlich bunt mit leichter Hand Den grauen Flor der letzten Wolken trennt; O laßt mich auch an meiner Schwester Armen, An meines Freundes Brust, was ihr mir gönnt Mit vollem Dank genießen und behalten. Es löset sich der Fluch, mir sagt’s das Herz. Die Eumeniden ziehn, ich höre sie, Zum Tartarus und schlagen hinter sich Die ehrnen Thore fernabdonnernd zu. F Iphigenie auf Tauris. Die Erde dampft erquickenden Geruch Und ladet mich auf ihren Flächen ein, Nach Lebensfreud’ und großer That zu jagen. Versäumt die Zeit nicht, die gemessen ist! Der Wind der unsre Segel schwellt, er bringe Erst unsre volle Freude zum Olymp. Kommt! Es bedarf hier schnellen Rath und Schluß. Vierter Aufzug. Erster Auftritt. D enken die Himmlischen Einem der Erdgebornen Viele Verwirrungen zu, Und bereiten sie ihm Von der Freude zu Schmerzen Und von Schmerzen zur Freude Tief-erschütternden Übergang; Dann erziehen sie ihm In der Nähe der Stadt, Oder am fernen Gestade, F 2 Iphigenie auf Tauris Daß in Stunden der Noth Auch die Hülfe bereit sey, Einen ruhigen Freund. O segnet, Götter, unsern Pylades Und was er immer unternehmen mag! Er ist der Arm des Jünglings in der Schlacht, Des Greises leuchtend Aug’ in der Versamm- lung: Denn seine Seel’ ist stille; sie bewahr’t Der Ruhe heil’ges unerschöpftes Gut, Und den Umhergetriebnen reichet er Aus ihren Tiefen Rath und Hülfe. Mich Riß er vom Bruder los; den staunt’ ich an Und immer wieder an, und konnte mir Das Glück nicht eigen machen, ließ ihn nicht Aus meinen Armen los, und fühlte nicht Die Nähe der Gefahr die uns umgibt. Jetzt gehn sie ihren Anschlag auszuführen Der See zu, wo das Schiff mit den Gefährten In einer Bucht versteckt auf’s Zeichen lauert, Und haben kluges Wort mir in den Mund Gegeben, mich gelehrt was ich dem König’ Ein Schauspiel. Antworte, wenn er sendet und das Opfer Mir dringender gebiethet. Ach! ich sehe wohl, Ich muß mich leiten lassen wie ein Kind. Ich habe nicht gelernt zu hinterhalten, Noch jemand etwas abzulisten. Weh! O weh der Lüge! Sie befreyet nicht, Wie jedes andre wahrgesprochne Wort, Die Brust; sie macht uns nicht getrost, sie ängstet Den der sie heimlich schmiedet, und sie kehrt, Ein losgedruckter Pfeil von einem Gotte Gewendet und versagend, sich zurück Und trift den Schützen. Sorg’ auf Sorge schwankt Mir durch die Brust. Es greift die Furie Vielleicht den Bruder auf dem Boden wieder Des ungeweihten Ufers grimmig an? Entdeckt man sie vielleicht? Mich dünkt, ich höre Gewaffnete sich nahen! — Hier! — Der Bothe Kommt von dem Könige mit schnellem Schritt. Es schlägt mein Herz, es trübt sich meine Seele, Da ich des Mannes Angesicht erblicke, Dem ich mit falschem Wort begegnen soll. Iphigenie auf Tauris Zweyter Auftritt. Iphigenie. Arkas. Beschleunige das Opfer, Priesterinn! Der König wartet und es harrt das Volk. Ich folgte meiner Pflicht und deinem Wink, Wenn unvermuthet nicht ein Hinderniß Sich zwischen mich und die Erfüllung stellte. Was ist’s, das den Befehl des Königs hindert? Der Zufall, dessen wir nicht Meister sind. So sage mir’s, daß ich’s ihm schnell vermelde: Denn er beschloß bey sich der Beyden Tod. Die Götter haben ihn noch nicht beschlossen. Der ältste dieser Männer trägt die Schuld Ein Schauspiel. Des nahverwandten Bluts, das er vergoß. Die Furien verfolgen seinen Pfad, Ja in dem innern Tempel faßte selbst Das Übel ihn, und seine Gegenwart Entheiligte die reine Stäte. Nun Eil’ ich mit meinen Jungfraun, an dem Meere Der Göttinn Bild mit frischer Welle netzend Geheimnißvolle Weihe zu begehn. Es störe niemand unsern stillen Zug! Ich melde dieses neue Hinderniß Dem Könige geschwind, beginne du Das heil’ge Werk nicht eh’ bis er’s erlaubt. Dieß ist allein der Priest’rinn überlassen. Solch seltnen Fall soll auch der König wissen. Sein Rath wie sein Befehl verändert nichts. Oft wird der Mächtige zum Schein gefragt. Iphigenie auf Tauris Erdringe nicht, was ich versagen sollte. Versage nicht, was gut und nützlich ist. Ich gebe nach, wenn du nicht säumen willst. Schnell bin ich mit der Nachricht in dem Lager, Und schnell mit seinen Worten hier zurück. O könnt’ ich ihm noch Eine Bothschaft bringen, Die alles lös’te was uns jetzt verwirrt: Denn du hast nicht des Treuen Rath geachtet. Was ich vermochte, hab’ ich gern gethan. Noch änderst du den Sinn zur rechten Zeit. Das steht nun einmal nicht in unsret Macht. Du hältst unmöglich, was dir Mühe kostet. Ein Schauspiel. Dir scheint es möglich, weil der Wunsch dich trügt. Willst du denn alles so gelassen wagen? Ich hab’ es in der Götter Hand gelegt. Sie pflegen Menschen menschlich zu erretten. Auf ihren Fingerzeig kommt alles an. Ich sage dir, es liegt in deiner Hand. Des Königs aufgebrachter Sinn allein Bereitet diesen Fremden bittern Tod. Das Heer entwöhnte längst vom harten Opfer Und von dem blut’gen Dienste sein Gemüth. Ja mancher, den ein widriges Geschick An fremdes Ufer trug, empfand es selbst, Wie göttergleich dem armen Irrenden, Umhergetrieben an der fremden Gränze, Iphigenie auf Tauris Ein freundlich Menschenangesicht begegnet. O wende nicht von uns was du vermagst! Du endest leicht was du begonnen hast: Denn nirgends baut die Milde, die herab In menschlicher Gestalt vom Himmel kommt, Ein Reich sich schneller, als wo trüb’ und wild Ein neues Volk, voll Leben, Muth und Kraft, Sich selbst und banger Ahndung überlassen, Des Menschenlebens schwere Bürden trägt. Erschütt’re meine Seele nicht, die du Nach deinem Willen nicht bewegen kannst. So lang’ es Zeit ist, schont man weder Mühe Noch eines guten Wortes Wiederhohlung. Du machst dir Müh’ und mir erregst du Schmer- zen; Vergebens beydes: darum laß mich nun. Die Schmerzen sind’s, die ich zu Hülfe rufe: Denn es sind Freunde, Gutes rathen sie. Ein Schauspiel. Sie fassen meine Seele mit Gewalt, Doch tilgen sie den Widerwillen nicht. Fühlt eine schöne Seele Widerwillen Für eine Wohlthat, die der Edle reicht? Ja, wenn der Edle, was sich nicht geziemt, Statt meines Dankes mich erwerben will. Wer keine Neigung fühlt, dem mangelt es An einem Worte der Entschuld’gung nie. Dem Fürsten sag’ ich an, was hier gescheh’n. O wiederhohltest du in deiner Seele, Wie edel er sich gegen dich betrug Von deiner Ankunft an bis diesen Tag! Iphigenie auf Tauris Dritter Auftritt . allein. Von dieses Mannes Rede fühl’ ich mir Zur ungelegnen Zeit das Herz im Busen Auf einmal umgewendet. Ich erschrecke! — Denn wie die Fluth mit schnellen Strömen wachsend Die Felsen überspült, die in dem Sand’ Am Ufer liegen: so bedeckte ganz Ein Freudenstrom mein Innerstes. Ich hielt In meinen Armen das Unmögliche. Es schien sich eine Wolke wieder sanft Um mich zu legen, von der Erde mich Empor zu heben und in jenen Schlummer Mich einzuwiegen, den die gute Göttinn Um meine Schläfe legte, da ihr Arm Mich rettend faßte. — Meinen Bruder Ergriff das Herz mit einziger Gewalt: Ich horchte nur auf seines Freundes Rath; Nur sie zu retten drang die Seele vorwärts. Und wie den Klippen einer wüsten Insel Der Schiffer gern den Rücken wendet: so Ein Schauspiel . Lag Tauris hinter mir. Nun hat die Stimme Des treuen Manns mich wieder aufgeweckt, Daß ich auch Menschen hier verlasse mich Erinnert. Doppelt wird mir der Betrug Verhaßt. O bleibe ruhig, meine Seele! Beginnst du nun zu schwanken und zu zweifeln? Den festen Boden deiner Einsamkeit Mußt du verlassen! Wieder eingeschifft Ergreifen dich die Wellen schaukelnd, trüb’ Und bang verkennest du die Welt und dich. Vierter Auftritt . Iphigenie. Pylades . Wo ist sie? daß ich ihr mit schnellen Worten Die frohe Bothschaft unsrer Rettung bringe! Du siehst mich hier voll Sorgen und Erwartung Des sichern Trostes, den du mir versprichst. Iphigenie auf Tauris Dein Bruder ist geheilt! Den Felsenboden Des ungeweihten Ufers und den Sand Betraten wir mit fröhlichen Gesprächen; Der Hain blieb hinter uns, wir merkten’s nicht. Und herrlicher und immer herrlicher Umloderte der Jugend schöne Flamme Sein lockig Haupt; sein volles Auge glühte Von Muth und Hoffnung, und sein freyes Herz Ergab sich ganz der Freude, ganz der Lust, Dich seine Retterinn und mich zu retten. Gesegnet seyst du, und es möge nie Von deiner Lippe, die so Gutes sprach, Der Ton des Leidens und der Klage tönen! Ich bringe mehr als das: denn schön begleitet, Gleich einem Fürsten pflegt das Glück zu nah’n. Auch die Gefährten haben wir gefunden. In einer Felsenbucht verbargen sie Das Schiff und saßen traurig und erwartend. Ein Schauspiel . Sie sahen deinen Bruder, und es regten Sich alle jauchzend, und sie bathen dringend Der Abfahrt Stunde zu beschleunigen. Es sehnet jede Faust sich nach dem Ruder, Und selbst ein Wind erhob vom Lande lispelnd, Von allen gleich bemerkt, die holden Schwin- gen. Drum laß uns eilen, führe mich zum Tempel, Laß mich das Heiligthum betreten, laß Mich unsrer Wünsche Ziel verehrend fassen. Ich bin allein genug der Göttinn Bild Auf wohl geübten Schultern wegzutragen; Wie sehn’ ich mich nach der erwünschten Last! Er geht gegen den Tempel unter den letzten Wor- ten, ohne zu bemerken, daß Iphigenie nicht folgt; end- lich kehrt er sich um. Du stehst und zauderst — sage mir — du schweigst! Du scheinst verworren! Widersetzet sich Ein neues Unheil unserm Glück? Sag’ an! Hast du dem Könige das kluge Wort Vermelden lassen, das wir abgeredet? Iphigenie auf Tauris Ich habe, theurer Mann; doch wirst du schel- ten. Ein schweigender Verweis war mir dein An- blick! Des Königs Bothe kam, und wie du es Mir in den Mund gelegt, so sagt’ ich’s ihm. Er schien zu staunen, und verlangte dringend Die seltne Feier erst dem Könige Zu melden, seinen Willen zu vernehmen; Und nun erwart’ ich seine Wiederkehr. Weh’ uns! Erneuert schwebt nun die Gefahr Um unsre Schläfe! Warum hast du nicht In’s Priesterrecht dich weislich eingehüllt? Als eine Hülle hab’ ich’s nie gebraucht. So wirst du, reine Seele, dich und uns Zu Grunde richten. Warum dacht’ ich nicht Auf diesen Fall voraus, und lehrte dich Auch dieser Ford’rung auszuweichen! Ein Schauspiel . Schilt Nur mich, die Schuld ist mein, ich fühl’ es wohl; Doch konnt’ ich anders nicht dem Mann be- gegnen, Der mit Vernunft und Ernst von mir verlangte, Was ihm mein Herz als recht gestehen mußte. Gefährlicher zieht sich’s zusammen; doch auch so Laß uns nicht zagen, oder unbesonnen Und übereilt uns selbst verrathen. Ruhig Erwarte du die Wiederkunft des Bothen, Und dann steh fest, er bringe was er will: Denn solcher Weihung Feier anzuordnen Gehört der Priesterinn und nicht dem König. Und fordert er den fremden Mann zu sehn, Der von dem Wahnsinn schwer belastet ist; So lehn’ es ab, als hieltest du uns beyde Im Tempel wohl verwahrt. So schaff’ uns Luft, G Iphigenie auf Tauris Daß wir auf’s eiligste, den heil’gen Schatz Dem rauh unwürd’gen Volk entwendend, fliehn. Die besten Zeichen sendet uns Apoll, Und, eh wir die Bedingung fromm erfüllen, Erfüllt er göttlich sein Versprechen schon. Orest ist frey, geheilt! — Mit dem Befreyten O führet uns hinüber, günst’ge Winde, Zur Felsen-Insel die der Gott bewohnt; Dann nach Mycen, daß es lebendig werde, Daß von der Asche des verlosch’nen Herdes Die Vatergötter fröhlich sich erheben, Und schönes Feuer ihre Wohnungen Umleuchte! Deine Hand soll ihnen Weihrauch Zuerst aus gold’nen Schalen streuen. Du Bringst über jene Schwelle Heil und Leben wieder, Entsühnst den Fluch und schmückest neu die Deinen Mit frischen Lebensblüthen herrlich aus. Vernehm’ ich dich, so wendet sich, o Theurer, Wie sich die Blume nach der Sonne wendet, Ein Schauspiel . Die Seele, von dem Strahle deiner Worte Getroffen, sich dem süßen Troste nach. Wie köstlich ist des gegenwärt’gen Freundes Gewisse Rede, deren Himmelskraft Ein Einsamer entbehrt und still versinkt. Denn langsam reift, verschlossen in dem Busen, Gedank’ ihm und Entschluß; die Gegenwart Des Liebenden entwickelte sie leicht. Leb’ wohl! Die Freunde will ich nun geschwind Beruhigen, die sehnlich wartend harren. Dann komm’ ich schnell zurück und lausche hier Im Felsenbusch versteckt auf deinen Wink — Was sinnest du? Auf einmal überschwebt Ein stiller Trauerzug die freye Stirne. Verzeih! Wie leichte Wolken vor der Sonne, So zieht mir vor der Seele leichte Sorge Und Bangigkeit vorüber. G 2 Iphigenie auf Tauris Fürchte nicht! Betrüglich schloß die Furcht mit der Gefahr Ein enges Bündniß; beyde sind Gesellen. Die Sorge nenn’ ich edel, die mich warnt, Den König, der mein zweyter Vater ward, Nicht tückisch zu betrügen, zu berauben. Der deinen Bruder schlachtet, dem entfliehst du. Es ist derselbe, der mir Gutes that. Das ist nicht Undank, was die Noth gebeut. Es bleibt wohl Undank; nur die Noth ent- schuldigt’s. Vor Göttern und vor Menschen dich gewiß. Ein Schauspiel . Allein mein eigen Herz ist nicht befriedigt Zu strenge Ford’rung ist verborgner Stolz. Ich untersuche nicht, ich fühle nur. Fühlst du dich recht, so mußt du dich verehren. Ganz unbefleckt genießt sich nur das Herz. So hast du dich im Tempel wohl bewahrt; Das Leben lehrt uns, weniger mit uns Und andern strenge seyn; du lernst es auch. So wunderbar ist dieß Geschlecht gebildet; So vielfach ist’s verschlungen und verknüpft, Daß keiner in sich selbst, noch mit den andern Sich rein und unverworren halten kann. Auch sind wir nicht bestellt uns selbst zu richten; Zu wandeln und auf seinen Weg zu sehen Iphigenie auf Tauris Ist eines Menschen erste, nächste Pflicht: Denn selten schätzt er recht was er gethan, Und was er thut weiß er fast nie zu schätzen. Fast überred’st du mich zu deiner Meinung. Braucht’s Überredung wo die Wahl versagt ist? Den Bruder, dich, und einen Freund zu retten Ist nur Ein Weg; fragt sich’s ob wir ihn gehn? O laß mich zaudern! denn du thätest selbst Ein solches Unrecht keinem Mann gelassen, Dem du für Wohlthat dich verpflichtet hieltest. Wenn wir zu Grunde gehen, wartet dein Ein härt’rer Vorwurf, der Verzweiflung trägt. Man sieht, du bist nicht an Verlust gewohnt, Da du dem großen Übel zu entgehen Ein falsches Wort nicht einmal opfern willst. Ein Schauspiel . O trüg’ ich doch ein männlich Herz in mir, Das, wenn es einen kühnen Vorsatz hegt, Vor jeder andern Stimme sich verschließt! Du weigerst dich umsonst; die ehrne Hand Der Noth gebiethet, und ihr ernster Wink Ist oberstes Gesetz, dem Götter selbst Sich unterwerfen müssen. Schweigend herrscht Des ew’gen Schicksals unberathne Schwester. Was sie dir auferlegt, das trage; thu’ Was sie gebeut. Das andre weißt du. Bald Komm’ ich zurück, aus deiner heil’gen Hand Der Rettung schönes Siegel zu empfangen. Iphigenie auf Tauris Fünfter Auftritt . Ich muß ihm folgen: denn die Meinigen Seh’ ich in dringender Gefahr. Doch ach! Mein eigen Schicksal macht mir bang’ und bänger. O soll ich nicht die stille Hoffnung retten, Die in der Einsamkeit ich schön genährt? Soll dieser Fluch denn ewig walten? Soll Nie dieß Geschlecht mit einem neuen Segen Sich wieder heben? — Nimmt doch alles ab! Das beste Glück, des Lebens schönste Kraft Ermattet endlich! Warum nicht der Fluch? So hofft’ ich denn vergebens, hier verwahrt, Von meines Hauses Schicksal abgeschieden, Dereinst mit reiner Hand und reinem Herzen Die schwer befleckte Wohnung zu entsühnen. Kaum wird in meinen Armen mir ein Bruder Vom grimm’gen Übel wundervoll und schnell Geheilt; kaum naht ein lang’ erflehtes Schiff Mich in den Port der Vaterwelt zu leiten: Ein Schauspiel . So legt die taube Noth ein doppelt Laster Mit ehrner Hand mir auf: das heilige, Mir anvertraute, viel verehrte Bild Zu rauben und den Mann zu hintergehn, Dem ich mein Leben und mein Schicksal danke. O daß in meinem Busen nicht zuletzt Ein Widerwillen keime! der Titanen, Der alten Götter tiefer Haß auf euch, Olympier, nicht auch die zarte Brust Mit Geierklauen fasse! Rettet mich, Und rettet euer Bild in meiner Seele! Vor meinen Ohren tönt das alte Lied — Vergessen hatt’ ich’s und vergaß es gern — Das Lied der Parcen, das sie grausend sangen, Als Tantalus vom gold’nen Stuhle fiel: Sie litten mit dem edlen Freunde; grimmig War ihre Brust, und furchtbar ihr Gesang. In unsrer Jugend sang’s die Amme mir Und den Geschwistern vor, ich merkt’ es wohl. Iphigenie auf Tauris Es fürchte die Götter Das Menschengeschlecht! Sie halten die Herrschaft In ewigen Händen, Und können sie brauchen Wie’s ihnen gefällt. Der fürchte sie doppelt Den je sie erheben! Auf Klippen und Wolken Sind Stühle bereitet Um goldene Tische. Erhebet ein Zwist sich: So stürzen die Gäste Geschmäht und geschändet In nächtliche Tiefen, Und harren vergebens, Im Finstern gebunden, Gerechten Gerichtes. Ein Schauspiel. Sie aber, sie bleiben In ewigen Festen An goldenen Tischen. Sie schreiten vom Berge Zu Bergen hinüber: Aus Schlünden der Tiefe Dampft ihnen der Athem Erstickter Titanen, Gleich Opfergerüchen, Ein leichtes Gewölke. Es wenden die Herrscher Ihr segnendes Auge Von ganzen Geschlechtern, Und meiden, im Enkel Die eh’mals geliebten, Still redenden Züge Des Ahnherrn zu sehn. Iphigenie auf Tauris. So sangen die Parcen; Es horcht der Verbannte, In nächtlichen Höhlen Der Alte die Lieder, Denkt Kinder und Enkel Und schüttelt das Haupt. Fünfter Aufzug. Erster Auftritt. Thoas. Arkas. V erwirrt muß ich gestehn daß ich nicht weiß, Wohin ich meinen Argwohn richten soll. Sind’s die Gefang’nen, die auf ihre Flucht Verstohlen sinnen? Ist’s die Priesterinn, Die ihnen hilft? Es mehrt sich das Gerücht: Das Schiff, das diese beyden hergebracht, Sey irgend noch in einer Bucht versteckt. Und jenes Mannes Wahnsinn, diese Weihe, Der heil’ge Vorwand dieser Zög’rung, rufen Den Argwohn lauter und die Vorsicht auf. Iphigenie auf Tauris Es komme schnell die Priesterinn herbey! Dann geht, durchsucht das Ufer scharf und schnell Vom Vorgebirge bis zum Hain der Göttinn. Verschonet seine heil’gen Tiefen, legt Bedacht’gen Hinterhalt und greift sie an; Wo ihr sie findet, faßt sie wie ihr pflegt. Zweyter Auftritt. allein, Entsetzlich wechselt mir der Grimm im Busen; Erst gegen sie, die ich so heilig hielt; Dann gegen mich, der ich sie zum Verrath Durch Nachsicht und durch Güte bildete. Zur Sklaverey gewöhnt der Mensch sich gut Und lernet leicht gehorchen, wenn man ihn Der Freyheit ganz beraubt. Ja, wäre sie In meiner Ahnherrn rohe Hand gefallen, Und hätte sie der heil’ge Grimm verschont: Ein Schauspiel. Sie wäre froh gewesen, sich allein Zu retten, hätte dankbar ihr Geschick Erkannt und fremdes Blut vor dem Altar Vergossen, hätte Pflicht genannt Was Noth war. Nun lockt meine Güte In ihrer Brust verweg’nen Wunsch herauf. Vergebens hofft’ ich, sie mir zu verbinden; Sie sinnt sich nun ein eigen Schicksal aus. Durch Schmeicheley gewann sie mir das Herz; Nun widersteh’ ich der: so sucht sie sich Den Weg durch List und Trug, und meine Güte Scheint ihr ein alt verjährtes Eigenthum. Dritter Auftritt. Iphigenie. Thoas. Du foderst mich! was bringt dich zu uns her? Du schiebst das Opfer auf; sag’ an, warum? Iphigenie auf Tauris Ich hab’ an Arkas alles klar erzählt. Von dir möcht’ ich es weiter noch vernehmen. Die Göttinn gibt dir Frist zur Überlegung. Sie scheint dir selbst gelegen, diese Frist. Wenn dir das Herz zum grausamen Entschluß Verhärtet ist: so solltest du nicht kommen! Ein König, der Unmenschliches verlangt, Find’t Diener g’nug, die gegen Gnad’ und Lohn Den halben Fluch der That begierig fassen; Doch seine Gegenwart bleibt unbefleckt. Er sinnt den Tod in einer schweren Wolke, Und seine Bothen bringen flammendes Verderben auf des Armen Haupt hinab; Er aber schwebt durch seine Höhen ruhig, Ein unerreichter Gott, im Sturme fort. Ein Schauspiel. Die heil’ge Lippe tönt ein wildes Lied. Nicht Priesterinn! nur Agamemnons Tochter. Der Unbekannten Wort verehrtest du, Der Fürstinn willst du rasch gebiethen? Nein! Von Jugend auf hab’ ich gelernt gehorchen, Erst meinen Eltern und dann einer Gottheit, Und folgsam fühlt’ ich immer meine Seele Am schönsten frey; allein dem harten Worte, Dem rauhen Ausspruch eines Mannes mich Zu fügen, lernt’ ich weder dort noch hier. Ein alt Gesetz, nicht ich, gebiethet dir. Wir fassen ein Gesetz begierig an, Das unsrer Leidenschaft zur Waffe dient. Ein andres spricht zu mir, ein älteres, Mich dir zu widersetzen, das Geboth, Dem jeder Fremde heilig ist. H Iphigenie auf Tauris Es scheinen die Gefangnen dir sehr nah Am Herzen: denn für Antheil und Bewegung Vergissest du der Klugheit erstes Wort, Daß man den Mächtigen nicht reitzen soll. Red’ oder schweig’ ich; immer kannst du wissen, Was mir im Herzen ist und immer bleibt. Lös’t die Erinnerung des gleichen Schicksals Nicht ein verschloßnes Herz zum Mitleid auf? Wie mehr denn meins! In ihnen seh’ ich mich. Ich habe vorm Altare selbst gezittert, Und feierlich umgab der frühe Tod Die Knieende; das Messer zuckte schon Den lebenvollen Busen zu durchbohren; Mein Innerstes entsetzte wirbelnd sich, Mein Auge brach, und — ich fand mich gerettet. Sind wir, was Götter gnädig uns gewährt, Unglücklichen nicht zu erstatten schuldig? Du weißt es, kennst mich, und du willst mich zwingen! Ein Schauspiel, Gehorche deinem Dienste, nicht dem Herrn. Laß ab! beschönige nicht die Gewalt, Die sich der Schwachheit eines Weibes freut. Ich bin so frey geboren als ein Mann. Stünd’ Agamemnons Sohn dir gegenüber, Und du verlangtest was sich nicht gebührt: So hat auch Er ein Schwert und einen Arm, Die Rechte seines Busens zu vertheid’gen. Ich habe nichts als Worte, und es ziemt Dem edlen Mann, der Frauen Wort zu achten. Ich acht’ es mehr als eines Bruders Schwert. Das Loos der Waffen wechselt hin und her: Kein kluger Streiter hält den Feind gering. Auch ohne Hülfe gegen Trutz und Härte Hat die Natur den Schwachen nicht gelassen. Sie gab zur List ihm Freude, lehrt’ ihn Künste; H 2 Iphigenie auf Tauris Bald weicht er aus, verspätet und umgeht. Ja der Gewaltige verdient, daß man sie übt. Die Vorsicht stellt der List sich klug entgegen. Und eine reine Seele braucht sie nicht. Sprich unbehutsam nicht dein eigen Urtheil. O sähest du wie meine Seele kämpft, Ein bös Geschick, das sie ergreifen will, Im ersten Anfall muthig abzutreiben! So steh’ ich denn hier wehrlos gegen dich? Die schöne Bitte, den anmuth’gen Zweig, In einer Frauen Hand gewaltiger Als Schwert und Waffe, stößest du zurück: Was bleibt mir nun mein Inn’res zu ver- theid’gen? Ruf’ ich die Göttinn um ein Wunder an? Ist keine Kraft in meiner Seele Tiefen? Ein Schauspiel. Es scheint, der beyden Fremden Schicksal macht Unmäßig dich besorgt. Wer sind sie? Sprich! Für die dein Geist gewaltig sich erhebt. Sie sind — sie scheinen — für Griechen halt’ ich sie. Landsleute sind es? und sie haben wohl Der Rückkehr schönes Bild in dir erneut? nach eimgem Stillschweigen. Hat denn zur unerhörten That der Mann Allein das Recht? Drückt denn Unmögliches Nur Er an die gewalt’ge Heldenbrust? Was nennt man groß? Was hebt die Seele schaudernd Dem immer wiederhohlenden Erzähler? Als was mit unwahrscheinlichem Erfolg Der Muthigste begann. Der in der Nacht Allein das Heer des Feindes überschleicht, Wie unversehen eine Flamme wüthend Iphigenie auf Tauris Die Schlafenden, Erwachenden ergreift, Zuletzt gedrängt von den Ermunterten Auf Feindes Pferden, doch mit Beute kehrt, Wird der allein gepriesen? der allein, Der einen sichern Weg verachtend kühn Gebirg’ und Wälder durchzustreifen geht, Daß er von Räubern eine Gegend säub’re? Ist uns nichts übrig? Muß ein zartes Weib Sich ihres angebornen Rechts entäußern, Wild gegen Wilde seyn, wie Amazonen Das Recht des Schwerts euch rauben und mit Blute Die Unterdrückung rächen? Auf und ab Steigt in der Brust ein kühnes Unternehmen: Ich werde großem Vorwurf nicht entgehn, Noch schwerem Übel wenn es mir mißlingt; Allein Euch leg’ ich’s auf die Kniee! Wenn Ihr wahrhaft seyd, wie ihr gepriesen werdet; So zeigt’s durch euern Beystand und verherr- licht Durch mich die Wahrheit! — Ja, vernimm, o König, Es wird ein heimlicher Betrug geschmiedet; Ein Schauspiel. Vergebens fragst du den Gefangnen nach; Sie sind hinweg und suchen ihre Freunde, Die mit dem Schiff’ am Ufer warten, auf. Der ältste, den das Übel hier ergriffen Und nun verlassen hat — es ist Orest, Mein Bruder, und der andre sein Vertrauter, Sein Jugendfreund, mit Nahmen Pylades. Apoll schickt sie von Delphi diesem Ufer Mit göttlichen Befehlen zu, das Bild Dianens wegzurauben und zu ihm Die Schwester hinzubringen, und dafür Verspricht er dem von Furien Verfolgten, Des Mutterblutes Schuldigen, Befreyung. Uns beyde hab’ ich nun, die Überbliebnen Von Tantals Haus’, in deine Hand gelegt: Verdirb uns — wenn du darfst. Du glaubst, es höre Der rohe Scythe, der Barbar, die Stimme Der Wahrheit und der Menschlichkeit, die Atreus, Der Grieche, nicht vernahm? Iphigenie auf Tauris Es hört sie jeder, Geboren unter jedem Himmel, dem Des Lebens Quelle durch den Busen rein Und ungehindert fließt. — Was sinnst du mir, O König, schweigend in der tiefen Seele? Ist es Verderben? so tödte mich zuerst! Denn nun empfind’ ich, da uns keine Rettung Mehr übrig bleibt, die gräßliche Gefahr, Worein ich die Geliebten übereilt Vorsetzlich stürzte. Weh! ich werde sie Gebunden vor mir sehn! Mit welchen Blicken Kann ich von meinem Bruder Abschied nehmen, Den ich ermorde? Nimmer kann ich ihm Mehr in die vielgeliebten Augen schaun! So haben die Betrüger künstlich-dichtend Der lang’ Verschloßnen, ihre Wünsche leicht Und willig Glaubenden, ein solch Gespinnst Um’s Haupt geworfen! Ein Schauspiel. Nein! o König, nein! Ich könnte hintergangen werden; diese Sind treu und wahr. Wirst du sie anders finden, So laß sie fallen und verstoße mich, Verbanne mich zur Strafe meiner Thorheit An einer Klippen-Insel traurig Ufer. Ist aber dieser Mann der langerflehte, Geliebte Bruder: so entlaß uns, sey Auch den Geschwistern wie der Schwester freundlich. Mein Vater fiel durch seiner Frauen Schuld, Und sie durch ihren Sohn. Die letzte Hoffnung Von Atreus Stamme ruht auf ihm allein. Laß mich mit reinem Herzen, reiner Hand, Hinübergehn und unser Haus entsühnen. Du hältst mir Wort! — Wenn zu den Mei- nen je Mir Rückkehr zubereitet wäre, schwurst Du mich zu lassen; und sie ist es nun. Ein König sagt nicht, wie gemeine Menschen, Verlegen zu, daß er den Bittenden Iphigenie auf Tauris Auf einen Augenblick entferne; noch Verspricht er auf den Fall den er nicht hofft: Dann fühlt er erst die Höhe seiner Würde, Wenn er den Harrenden beglücken kann. Unwillig, wie sich Feuer gegen Wasser Im Kampfe wehrt und gischend seinen Feind Zu tilgen sucht, so wehret sich der Zorn In meinem Busen gegen deine Worte. O laß die Gnade, wie das heil’ge Licht Der stillen Opferflamme, mir umkränzt Von Lobgesang und Dank und Freude lodern. Wie oft besänftigte mich diese Stimme! O reiche mir die Hand zum Friedenszeichen. Du forderst viel in einer kurzen Zeit. Ein Schauspiel . Um Gut’s zu thun braucht’s keiner Überlegung. Sehr viel! denn auch dem Guten folgt das Übel. Der Zweifel ist’s, der Gutes böse macht. Bedenke nicht; gewähre wie du’s fühlst. Vierter Auftritt . Orest gewassnet. Die Vorigen . nach der Scene gekehrt. Verdoppelt eure Kräfte! Haltet sie Zurück! Nur wenig Augenblicke! Weicht Der Menge nicht, und deckt den Weg zum Schiffe Mir und der Schwester. Iphigenie auf Tauris Zu Iphigenien ohne den König zu sehen. Komm, wir sind verrathen. Geringer Raum bleibt uns zur Flucht. Ge- schwind! Er erblickt den König. nach dem Schwerte greifend. In meiner Gegenwart führt ungestraft Kein Mann das nackte Schwert. Entheiliget Der Göttinn Wohnung nicht durch Wuth und Mord. Gebiethet euerm Volke Stillstand, höret Die Priesterinn, die Schwester. Sage mir! Wer ist es, der uns droht? Verehr’ in ihm Den König, der mein zweyter Vater ward! Ein Schauspiel . Verzeih’ mir, Bruder; doch mein kindlich Herz Hat unser ganz Geschick in seine Hand Gelegt. Gestanden hab’ ich euern Anschlag Und meine Seele vom Verrath gerettet. Will er die Rückkehr friedlich uns gewähren? Dein blinkend Schwert verbiethet mir die Ant- wort. der das Schwert einsteckt. So sprich! du siehst ich horche deinen Worten. Iphigenie auf Tauris Fünfter Auftritt . Die Vorigen. Pylades . Bald nach ihm Arkas , beyde mit bloßen Schwertern. Verweilet nicht! Die letzten Kräfte raffen Die Unsrigen zusammen; weichend werden Sie nach der See langsam zurückgedrängt. Welch ein Gespräch der Fürsten sind’ ich hier! Dieß ist des Königes verehrtes Haupt! Gelassen, wie es dir, o König, ziemt, Stehst du den Feinden gegen über. Gleich Ist die Verwegenheit bestraft; es weicht Und fällt ihr Anhang, und ihr Schiff ist unser. Ein Wort von dir; so steht’s in Flammen. Geh! Gebiethe Stillstand meinem Volke! Keiner Beschädige den Feind, so lang’ wir reden. Arkas ab. Ein Schauspiel . Ich nehm’ es an. Geh’, sammle, treuer Freund, Den Rest des Volkes; harret still, welch Ende Die Götter unsern Thaten zubereiten. Pylades ab. Sechster Auftritt . Iphigenie. Thoas. Orest . Befreyt von Sorge mich, eh’ ihr zu sprechen Beginnet. Ich befürchte bösen Zwist, Wenn du, o König, nicht der Billigkeit Gelinde Stimme hörest; du, mein Bruder, Der raschen Jugend nicht gebiethen willst. Ich halte meinen Zorn, wie es dem Älter’n Geziemt, zurück. Antworte mir! Womit Iphigenie auf Tauris Bezeugst du, daß du Agamemnons Sohn Und dieser Bruder bist? Hier ist das Schwert, Mit dem er Troja’s tapfre Männer schlug. Dieß nahm ich seinem Mörder ab, und bath Die Himmlischen, den Muth und Arm, das Glück Des großen Königes mir zu verleihn, Und einen schönern Tod mir zu gewähren. Wähl’ einen aus den Edlen deines Heers Und stelle mir den Besten gegen über. So weit die Erde Heldensöhue nährt, Ist keinem Fremdling dieß Gesuch verweigert. Dieß Vorrecht hat die alte Sitte nie Dem Fremden hier gestattet. So beginne Die neue Sitte denn von dir und mir! Ein Schauspiel . Nachahmend heiliget ein ganzes Volk Die edle That der Herrscher zum Gesetz. Und laß mich nicht allein für unsre Freyheit, Laß mich, den Fremden für die Fremden, kämpfen. Fall’ ich, so ist ihr Urtheil mit dem meinen Gesprochen: aber gönnet mir das Glück Zu überwinden; so betrete nie Ein Mann dieß Ufer, dem der schnelle Blick Hülfreicher Liebe nicht begegnet, und Getröstet scheide jeglicher hinweg! Nicht unwerth scheinest du, o Jüngling, mir Der Ahnherrn, deren du dich rühmst, zu seyn. Groß ist die Zahl der edeln, tapfern Männer, Die mich begleiten; doch ich stehe selbst In meinen Jahren noch dem Feinde, bin Bereit mit dir der Waffen Loos zu wagen. J Iphigenie auf Tauris Mit nichten! Dieses blutigen Beweises Bedarf es nicht, o König! Laßt die Hand Vom Schwerte! Denkt an mich und mein Geschick. Der rasche Kampf verewigt einen Mann: Er falle gleich, so preiset ihn das Lied. Allein die Thränen, die unendlichen Der überbliebnen, der verlaßnen Frau, Zählt keine Nachwelt, und der Dichter schweigt Von tausend durchgeweinten Tag- und Näch- ten, Wo eine stille Seele den verlornen, Rasch-abgeschied’nen Freund vergebens sich Zurückzurufen bangt und sich verzehrt. Mich selbst hat eine Sorge gleich gewarnt, Daß der Betrug nicht eines Räubers mich Vom sichern Schutzort reiße, mich der Knecht- schaft Verrathe. Fleißig hab’ ich sie befragt, Nach jedem Umstand mich erkundigt, Zeichen Gefordert, und gewiß ist nun mein Herz. Ein Schauspiel . Sieh hier an seiner rechten Hand das Mahl Wie von drey Sternen, das am Tage schon Da er geboren ward, sich zeigte, das Auf schwere That mit dieser Faust zu üben Der Priester deutete. Dann überzeugt Mich doppelt diese Schramme, die ihm hier Die Augenbraue spaltet. Als ein Kind Ließ ihn Elektra, rasch und unvorsichtig Nach ihrer Art, aus ihren Armen stürzen. Er schlug auf einen Dreyfuß auf — Er ist’s — Soll ich dir noch die Ähnlichkeit des Vaters, Soll ich das inn’re Jauchzen meines Herzens Dir auch als Zeugen der Versich’rung nennen? Und hübe deine Rede jeden Zweifel Und bändigt’ ich den Zorn in meiner Brust: So würden doch die Waffen zwischen uns Entscheiden müssen; Friede seh’ ich nicht. J 2 Iphigenie auf Tauris Sie sind gekommen, du bekennest selbst, Das heil’ge Bild der Görtinn mir zu rauben. Glaubt ihr, ich sehe dieß gelassen an? Der Grieche wendet oft sein lüstern Auge Den fernen Schätzen der Barbaren zu, Dem goldnen Felle, Pferden, schönen Töch- tern; Doch führte sie Gewalt und List nicht immer Mit den erlangten Gütern glücklich heim. Das Bild, o König, soll uns nicht entzweyen! Jetzt kennen wir den Irrthum, den ein Gott Wie einen Schleyer um das Haupt uns legte, Da er den Weg hierher uns wandern hieß. Um Rath und um Befreyung bath ich ihn Von dem Geleit der Furien; er sprach: „Bringst du die Schwester, die an Tauris Ufer Im Heiligthume wider Willen bleibt, Nach Griechenland; so löset sich der Fluch.“ Ein Schauspiel . Wir legten’s von Apollens Schwester aus, Und er gedachte dich! Die strengen Bande Sind nun gelös’t; du bist den Deinen wieder, Du Heilige, geschenkt. Von dir berührt War ich geheilt; in deinen Armen faßte Das Übel mich mit allen seinen Klauen Zum letztenmal, und schüttelte das Mark Entsetzlich mir zusammen; dann entfloh’s Wie eine Schlange zu der Höhle. Neu Genieß’ ich nun durch dich das weite Licht Des Tages. Schön und herrlich zeigt sich mir Der Göttinn Rath. Gleich einem heil’gen Bilde, Daran der Stadt unwandelbar Geschick Durch ein geheimes Götterwort gebannt ist, Nahm sie dich weg, dich Schützerinn des Hau- ses; Bewahrte dich in einer heil’gen Stille Zum Segen deines Bruders und der Deinen. Da alle Rettung auf der weiten Erde Verloren schien, gibst du uns alles wieder. Iphigenie auf Tauris Laß deine Seele sich zum Frieden wenden, O König! Hindre nicht, daß sie die Weihe Des väterlichen Hauses nun vollbringe, Mich der entsühnten Halle wiedergebe, Mir auf das Haupt die alte Krone drücke! Vergilt den Segen, den sie dir gebracht, Und laß des nähern Rechtes mich genießen! Gewalt und List, der Männer höchster Ruhm, Wird durch die Wahrheit dieser hohen Seele Beschämt, und reines kindliches Vertrauen Zu einem edeln Manne wird belohnt. Denk’ an dein Wort, und laß durch diese Rede Aus einem g’raden treuen Munde dich Bewegen! Sieh’ uns an! Du hast nicht oft Zu solcher edeln That Gelegenheit. Versagen kannst du’s nicht; gewähr’ es bald. So geht! Ein Schauspiel . Nicht so, mein König! Ohne Segen, In Widerwillen, scheid’ ich nicht von dir. Verbann’ uns nicht! Ein freundlich Gastrecht walte Von dir zu uns: so sind wir nicht auf ewig Getrennt und abgeschieden. Werth und theuer Wie mir mein Vater war, so bist du’s mir, Und dieser Eindruck bleibt in meiner Seele. Bringt der Geringste deines Volkes je Den Ton der Stimme mir in’s Ohr zurück, Den ich an euch gewohnt zu hören bin, Und seh’ ich an dem Ärmsten eure Tracht; Empfangen will ich ihn wie einen Gott, Ich will ihm selbst ein Lager zubereiten, Auf einen Stuhl ihn an das Feuer laden, Und nur nach dir und deinem Schicksal fragen. O geben dir die Götter deiner Thaten Und deiner Milde wohlverdienten Lohn! Leb wohl! O wende dich zu uns und gib Ein holdes Wort des Abschieds mir zurück! Iphigenie auf Tauris . Dann schwellt der Wind die Segel sanfter an, Und Thränen fließen lindernder vom Auge Des Scheidenden. Leb’ wohl! und reiche mir Zum Pfand der alten Freundschaft deine Rechte. Lebt wohl!