Briefe zu Befoͤrderung der Humanitaͤt . Briefe zu Befoͤrderung der Humanitaͤt . Herausgegeben von J. G. Herder . Zweite Sammlung. Riga, 1793. bei Johann Friedrich Hartknoch . 14. M ehrmals finde ich in Ihren Briefen den Geist der Zeit genannt; wollen wir uns einander nicht diesen Ausdruck aufklaͤren? Ist er ein Genius, ein Daͤmon? oder ein Poltergeist, ein Wiederkommender aus alten Graͤbern? oder gar ein Lufthauch der Mode, ein Schall der Aeolsharfe? Man haͤlt ihn fuͤr Eins und das Andre. Woher kommt er? wohin will er? wo ist sein Regiment? wo seine Macht und Ge- walt? Muß er herrschen? muß er dienen? kann man ihn lenken? A 3 Hat man Schriften daruͤber? Wie lernt man ihn aus der Erfahrung kennen? Ist er der Genius der Humanitaͤt selbst? oder dessen Freund, Vorbote, Diener? 15. W arum sollte ich Ihnen auf Ihren lako- nischen Brief nicht eben so raͤthselhaft ant- worten, als Sie gefragt haben? „Was ist der Geist der Zeiten?“ Aller- dings ein maͤchtiger Genius, ein gewaltiger Daͤmon. Wenn Averroës glaubte, daß das ganze Menschengeschlecht nur Eine Seele habe, an welcher jedes Individuum auf seine Weise, bald thaͤtig, bald leidend Theilnehme: so wuͤrde ich diese Dichtung eher auf den Geist der Zeit anwenden. Wir stehen alle unter seinem Gebiet bald thaͤtig, bald leidend. „Ist er ein Schall der Aeoͤlsharfe? ein Lufthauch der Mode?“ Die fluͤchtige Mode A 4 ist seine unaͤchte Schwester; er ist ihr nicht gewogen, lernt aber auch von ihr, und hat mit ihr zuweilen lehrreichen Umgang. Desto entschiedner hasset er seinen wahren Feind und Verlaͤumder, den Geist des Aufruhrs, der Zwietracht, den unreinen, abgeschmack- ten Poͤbelsinn und Wahnsinn. Wo dieser sich hoͤren laͤßt, in welchen Gesellschaften und Kreisen er ihn auch nur vermuthet, fliehet er vor ihm und verachtet selbst die Lehre aus seinem Munde. Die Stimme des gelaͤuterten Zeitgeistes ist verstaͤndig, uͤberredend, sanft, freundlich. Bald laͤßet sie sich wie ein Laut auf der Aeolsharfe hoͤ- ren; bald toͤnt sie in vollen Choͤren. Der gelaͤuterte Geist der Zeiten (moͤchte ich mit jenem alten Buche sagen,) ist „heilig, einig, „mannichfalt, scharf und behende, rein und „klar, ernst und frei, wohlthaͤtig, leutselig, „vest, gewiß, sicher. Er vermag alles, sie- „het alles, und gehet durch alle Geister, „wie verstaͤndig, lauter und scharf sie sind.“ „Woher kommt er?“ Wie sein Name sagt, aus dem Schoos der Zeiten. Der menschlichen Natur einwohnend hatten ihn einst in unserm rauheren Klima die Pfaͤfferei und der wilde Kriegsgeist lange unterdruͤckt gehalten; sie schlossen ihn ein in Hoͤlen, Thuͤrme, Schloͤsser und Kloͤster. Er ent- kam; die Reformation machte ihn frei; Kuͤnste und Wissenschaften, am meisten aber die Buchdruckerei gaben ihm Fluͤgel. Seine ernste Mutter, die selbstdenkende Phi - losophie hat ihn, zumal an den Schrif- ten der Alten, unterwiesen; sein ernster Vater, der muͤhsame Versuch hat ihn erzogen, und durch die Vorbilder der wuͤr- digsten, groͤßten Maͤnner gereift und ge- staͤrket. Er ist kein Kind mehr, wiewohl er bei jeder neuen Begebenheit ein Kind schei- A 5 net; alle Erfahrungen voriger Zeiten sind in seine Seele gedruͤckt, sind auf seine Glie- der verbreitet. „Wohin will er?“ Wohin er kommen kann. Er hat aus den vorigen Zeiten ge- sammlet, sammlet aus den jetzigen, und dringt in die folgenden Zeiten. Seine Macht ist groß, aber unsichtbar; der Verstaͤndige bemerkt und nutzt sie; dem Unweisen wird sie, meistens zu spaͤt, nur in erfolgten Wir- kungen glaubhaft. „Muß der Geist der Zeit herrschen oder dienen?“ Er muß beides an Stelle und Ort. Der Weise giebt ihm nach, um zu rechter Zeit ihn zu lenken; wozu aber eine sehr behutsame, sichre Hand gehoͤret. In- dessen wird er offenbar gelenkt; nicht von der Menge, sondern von wenigen, tiefer als andre blickenden, standhaften und gluͤck- lichen Geistern. Oft leben und wirken diese in der groͤßesten Stille; aber Einer ihrer Gedanken, den der Geist der Zeiten auffaßt, bringt ein ganzes Chaos der Dinge zur Wohlgestalt und Ordnung. Gluͤcklich sind Die, denen die Vorsehung solch einen er- habnen Platz gab, in welchem Stande sie auch leben; selten wird dieser Platz durch Muͤhe erstrebt, selten durch lautes Geraͤusch angekuͤndigt, meistens nur in Folgen be- merkt; oft muͤssen die großen Lenker auch viel wagen, viel leiden. „Hat man Schriften uͤber den Geist der Zeiten?“ Das weiß ich nicht; am besten lernt man ihn aus Geschichten, die im Geist ihrer Zeiten geschrieben sind und aus der Erfahrung kennen, wo Eins das Andre er- laͤutert. Ohne nachdenkende Erfahrung versteht man die Buͤcher nicht; diese wie- derum machen uns auf den lebendigen Geist der Zeiten aufmerksam. Das Rad rollet fort, ist immer dasselbe, und zeigt immer eine andre Seite. „Geist der Zeiten, ist er der Genius der Humanitaͤt selbst; oder dessen Freund, Vor- bote, Diener?“ Ich wollte, daß er das Erste waͤre, glaube es aber nicht; das Letzte hoffe ich nicht nur, sondern bin dessen fast gewiß. Daß er ein Freund , ein Vor - bote , ein Diener der Humanitaͤt werde, wollen auch wir an unserm unmerk- lichkleinen Theile befoͤrdern. 16. S chwerlich wird unser Freund mit der raͤthselhaften Aufloͤsung seines Raͤthsels be- friediget seyn; also darf ich in einem offe- nern, wenn auch etwas schwereren Tone fortfahren. Was Geist ist, laͤßt sich nicht beschrei- ben, nicht zeichnen, nicht mahlen; aber empfinden laͤßet es sich, es aͤußert sich durch Worte, Bewegungen, durch Anstreben, Kraft und Wirkung. In der sinnlichen Welt unterscheiden wir Geist vom Koͤrper, und eignen Jenem alle das zu, was den Koͤrper bis auf seine Elemente beseelet, was Leben in sich haͤlt und Leben erwecket, Kraͤfte an sich zieht und Kraͤfte fortpflanzet. In den aͤltesten Sprachen also ist Geist der Ausdruck unsichtbarer strebender Gewalt; dagegen Leib , Fleisch , Koͤrper , Leich - nam entweder die Bezeichnung todter Traͤg- heit, oder einer organischen Wohnung, eines Werkzeuges, das der einwohnende Geist als ein maͤchtiger Kuͤnstler gebrauchet. Die Zeit ist ein Gedankenbild nachfol- gender, in einander verketteter Zustaͤnde; sie ist ein Maas der Dinge nach der Folge unsrer Gedanken; die Dinge selbst sind ihr gemessener Inhalt. Geist der Zeiten hieße also die Summe der Gedanken, Gesinnungen, An- strebungen, Triebe und lebendigen Kraͤfte, die in einem bestimmten Fortlauf der Dinge mit gegebnen Ursachen und Wirkungen sich aͤußern. Die Elemente der Begebenheiten sehen wir nie; wir bemerken blos ihre Er- scheinungen, und ordnen uns ihre Gestalten in einer wahrgenommenen Verbindung. Wollen wir also vom Geist unsrer Zeit reden: so muͤssen wir erst bestimmen, was unsre Zeit sei, welchen Umfang wir ihr geben koͤnnen und moͤgen. Auf unsrer runden Erde exsistiren auf einmal alle Zei- ten, alle Stunden des Tages und Jahres, vielleicht auch alle Zustaͤnde des menschli- chen Geschlechts; wenigstens koͤnnen wir voraussetzen, daß sie exsistirt haben und exsi- stiren werden. Alle Modificationen wech- seln auf ihr, haben gewechselt und werden wechseln, nachdem der Strom der Begeben- heiten langsamer oder schneller die Wellen treibet. Wenn wir uns demnach auf Europa bezirken: so ist Europa auch nur ein Gedan- kenbild, das wir uns etwa nach der Lage seiner Laͤnder, nach ihrer Aehnlichkeit, Ge- meinschaft und Unterhandlung zusammen- ordnen. Denken wir uns das einst oder jetzt katholische, oder uͤberhaupt das christ - liche Europa : so ist auch in ihm nach Laͤndern und Situationen der Geist der Zeit sehr verschieden. Er aͤndert sich sogar mit Classen der Einwohner, geschweige mit ih- ren Beduͤrfnissen, Neigungen und Einsich- ten. Ein einziger Umstand, eine vielleicht falsche oder uͤbertriebene Nachricht, kurz ein Wind und Wahn stimmt oft die Denkart und Meinung eines ganzen Volkes. Wenn also unser Freund vom Geist der Zeiten als einem verstaͤndigen, scharfen, klaren Wesen sprach: so kann er damit nur die Grundsaͤtze und Meinungen der scharf - sichtigsten , verstaͤndigsten Maͤnner gemeint haben. Sie machten sich vom Wahne des Poͤbels los, und lassen sich nicht nach jedem Winke lenken. So wenig ihrer hie hie und da seyn moͤgen; um so vester sind sie in sich selbst, um so standhafter hangen sie mit andern zusammen, und bilden aller- dings eine Kette im Fortgange der Zeiten. Das Lesen der Alten und Neuern, Gespraͤ- che und eine gemeinschaftliche Bemerkung dessen, was vorgegangen ist und taͤglich vorgeht, binden sie vest und vester an ein- ander; sie machen wirklich eine unsichtbare Kirche, auch wo sie nie von einander gehoͤrt haben. Diesen Gemeingeist des aufgeklaͤr- ten oder sich aufklaͤrenden Europa auszu- rotten ist unmoͤglich; wozu waͤre aber auch die unnuͤtze Muͤhe? Je aufgeklaͤrter er ist, gewiß desto weniger ist er schaͤdlich. Wo er irrt, kann er nur durch Wahrheit, nicht durch Zwang gebessert werden: denn Geist allein kann mit Geist kaͤmpfen. Erlauben Sie mir zu Ende meines Brie- fes auch ein Raͤthsel. Irre ich nicht, so Zweite Samml. B sind drei Hauptbegebenheiten oder Epochen Europa 's, an denen dieser Europaͤische Weltgeist haftet. Eine ist laͤngst voruͤber; sie dauerte fuͤnf bis achthundert Jahre und kommt hoffentlich nie wieder. Die zweite ist geschehen und geht in ihren Wirkungen fort; ihr Werth ist anerkannt, und muß, der Natur der Sache nach, im- mer mehr anerkannt werden. Ueber der dritten bruͤtet der Weltgeist, und wir wol- len ihm wuͤnschen, daß er in sanfter Stille ein gluͤckliches Ei ausbruͤten moͤge. Es ist aber ein gewaltiggroßes Straußen-Ei; der gluͤhende Sand und die allmaͤchtige Sonne moͤgen es ihm ausbruͤten helfen! 17. L assen Sie uns zusehen, ob ich Ihr Raͤth- sel inne habe. Die erste Begebenheit, an welcher der Europaͤische Zeitgeist haftet, ist die Bepflanzung unsres Welttheils nach den Roͤmischen Zeiten , die po - litische und religioͤse Organisa - tion der Voͤlker , die jetzt Europa be- wohnen. Sie ist der Einschlag zum Gewe- be; die meisten zweifelhaften Fragen der folgenden Zeiten bezogen sich auf die Ein- richtung, die damals gemacht ward. Einen Theil dieser Fragen hat die zweite große Be- gebenheit, die Wiederauflebung der Wissenschaften und die Reforma - tion aufgeloͤset; vom eilften bis zum sech- B 2 zehnten Jahrhunderte hat die Zeit uͤber vie- les entweder schon entschieden und entschei- det noch, oder sie sammlet Kraͤfte und Athem, um kuͤnftig entscheiden zu koͤnnen. Wahr- scheinlich ist das die dritte Begebenheit, von der Sie reden. Merken Sie sich aber, m. Fr., Eins. Bei der Reformation war groͤßtentheils von blos geistigen Guͤtern, von Freiheit des Gewissens und Denkens, von Glaubensar- tikeln und Religion die Rede: denn an den Gebrauch der Kirchenguͤter wollen wir nicht, koͤnnen auch nicht allemal mit billigendem Vergnuͤgen denken. Die fortgehende Cul- tur des Menschengeschlechts, die aus der Erweckung der Wissenschaften entsprang, ist auch ein geistiges Gut; man kann ihren Fortgang hemmen, aber nicht vernichten. Eine andre Beschaffenheit scheinet es mir mit der Reformation zu haben, von der jetzt die Rede seyn soll; wie waͤre es, wenn wir daruͤber den alten Reformator selbst hoͤrten? Luthers Gedanken von der Regiments- aͤnderung. „Des weltlichen Regiments Werk und Ehre ist, daß es aus wilden Thieren Men- schen macht, und Menschen erhaͤlt, daß es nicht wilde Thiere werden. „Meinest du nicht, wenn die Voͤgel und Thiere reden koͤnnten, und das weltliche Regiment unter den Menschen sehen soll- ten; sie wuͤrden sagen: o ihr Lieben, ihr seyd nicht Menschen, sondern Goͤtter gegen uns. Wer will dies Regiment nun erhal- ten, ohne wir Menschen, denen es Gott befohlen hat, und die sein auch selbst wahr- lich bedoͤrfen? Die wilden Thiere werdens nicht thun; Holz und Steine auch nicht. B 3 Welche Menschen aber koͤnnens erhalten? Fuͤrwahr nicht allein, die mit der Faust herrschen wollen, wie jetzt viel sich lassen duͤnken: denn wo die Faust allein soll re- gieren, da wird gewiß zuletzt ein Thierwe- sen draus, daß wer den andern uͤbermag, stoße ihn in den Sack; wie wir vor Au- gen wohl Exempel gnug sehen, was Faust ohne Weisheit und Vernunft Gutes schafft. Darum sagt auch Salomo: „Weisheit muͤße „regieren und nicht die Gewalt. Weisheit „ist besser, denn Harnisch oder Waffen. „Weisheit ist besser, denn Kraft;“ daß kurzum nicht Faustrecht , sondern Kopf - recht regieren muß unter den Boͤsen so- wohl, als unter den Guten.“ An einem andern Ort sagt er: „Ehe das geschehen wird, daß Kaiser, Koͤnige und Fuͤrsten mit dem ganzen Reich dazu thaͤten, das Regiment zu bessern, wollen wir den obersten Herrn aller Herren oben in den Wolken sehen kommen und mit ihm davon fahren. Indeß mag das Regiment, der boͤse Pelz, ein plumpes Regiment blei- ben, und (die Personat ungemenget!) Gott befohlen lassen seyn, welchen er will her- vorziehen und erheben. Aenderung der Re- giment und Rechte gehen ohn groß Blut- vergießen nicht ab, wie alle Historien zeu- gen; und ehe man in Deutschland eine neue Weise des Reichs anrichtete, so wuͤr- de es dreimal verheeret.“ „Wiewohl mich auch zuweilen duͤnkt, daß die Regiment und Juristen wohl auch eines Luthers beduͤrften; aber ich besor- ge, sie moͤchten einen Muͤnzer kriegen; darum ich nicht hoffen kann noch will, daß sie einen Luther kriegen werden. Es ist nicht zu rathen, daß man es aͤndere; sondern flicke und pletze daran, wer kann, B 4 weil wir leben, strafe den Misbrauch, und lege Pflaster auf die Blattern. Wird man die Blattern ausreißen mit Unbarmherzig- keit: so wird den Schmerzen und Schaden niemand mehr fuͤhlen, denn solche kluge Barbierer. Aendern und Bessern sind zweier- lei. Eines steht in der Menschen Haͤnden und in Gottes Verhaͤngen, das andre in Gottes Haͤnden und Gnaden.“ Ferner sagt er: „Wenn das natuͤrliche Recht und Vernunft in allen Koͤpfen steck- te, die Menschenkoͤpfen gleich sind, so koͤnn- ten die Narren, Kinder und Weiber eben so wohl regieren und kriegen als David, Augustus, Hannibal, und muͤßten Phor- mionen so gut seyn, als Hannibals; ja alle Menschen muͤßten gleich seyn und kei- ner uͤber den andern regieren. Welch ein Aufruhr und wuͤst Ding sollt hieraus wer- den? Aber nun hats Gott also geschaf- fen, daß die Menschen ungleich sind, und einer den andern regieren, einer dem an- dern gehorchen soll. Zween koͤnnen mit einander singen (d. i. Gott alle gleich lo- ben;) aber nicht mit einander reden (d. i. regieren). Einer muß reden, der andre hoͤren. Darum findet sichs auch also, daß unter denen, die sich natuͤrlicher Vernunft und Rechts vermessen und ruͤhmen, gar viel weidliche und große natuͤrliche Narren sind; denn das edle Kleinod, so natuͤrlich Recht und Vernunft heißt, ist ein selten Ding unter Menschenkindern. Aber das ist der Teufel und Plage in der Welt, daß wir in allen Dingen, an leiblicher Staͤrke, Groͤße, Schoͤne, Guͤtern, Gesicht, Farbe, unter einander ungleich sind; und allein in der Weisheit und Gluͤck alle wollen gleich seyn, da wir doch am allerungleichsten unter einander sind. Und B 5 was noch wohl aͤrger ist, ein jeglicher will hierinn uͤber den andern seyn; und kann den schaͤndlichen Narren und Kluͤglingen niemand nichts rechts thun, wie Salomon spricht! „ein Narr duͤnkt sich kluͤger seyn, denn sieben Weisen, die das Recht setzen.“ Also schreibt auch Plato, es sei zweier- lei Recht, Naturrecht und Gesetzrecht; ich wills das gesunde Recht und das kran - ke Recht nennen. Denn was aus Kraft der Natur geschieht, das gehet frisch hin- durch, auch ohn alles Gesetz, reißt auch wohl durch alle Gesetze. Aber wo die Na- tur nicht da ist und solls mit Gesetzen her- ausbringen, das ist Bettelei und Flick- werk; geschieht gleichwohl nicht mehr, denn in der kranken Natur steckt. Als wenn ich ein gemein Gesetz stellete: man soll zwo Semmel essen und ein Roͤsel Wein trin- ken zur Mahlzeit. Kommt ein Gesunder zu Tisch, der frißet wohl vier oder sechs Semmel, und trinket eine Kanne oder zwo, und thut mehr denn das Gesetz giebt. Kommt ein Kranker dazu, der ißt eine halbe Semmel und trinkt drei Loͤffel voll, und thut doch nicht mehr an solchem Ge- setz, denn seine kranke Natur vermag; oder muß sterben, wo er soll das Gesetz halten. Hier ists nun besser, ich lasse den Gesun- den ohn alles Gesetz essen und trinken, was und wieviel er will; dem Kranken gebe ich Maas und Gesetze, wieviel er kann, daß er dem Gesunden nicht nachmuͤße. Nun ist die Welt ein krank Ding und eben ein solcher Pelz, da Haut und Haar nicht gut an ist. Die gesunden Helden sind selten und Gott giebt sie theuer, und muß doch regiert seyn, wo Menschen nicht sol- len wilde Thier werden. Darum bleibts in der Welt gemeiniglich eitel Flickwerk und Bettelei; und ist ein rechter Spital, da es beide Fuͤrsten und Herrn und allen Regierenden fehlet an Weisheit und Muth d. i. an Gluͤck und Gottes Treiben, wie den Kranken an Kraft und Staͤrke. Dar- um muß man hie flicken und pletzen, sich behelfen aus den Buchstaben oder Buͤchern, mit der Helden Recht, mit Spruͤchen und Exempeln; und muͤssen also der stummen Meister (d. i. der Buͤcher) Schuͤler seyn und bleiben. Und machens doch nimmer- mehr so gut, als daselbst geschrieben ste- het; sondern kriechen hienach und halten uns dran als an den Baͤnken oder Stek- ken, folgen auch daneben dem Rath der Besten, so mit uns leben; bis die Zeit kommt, daß Gott wieder einen gesunden Helden oder Wundermann giebt, unter dessen Hand alles besser gehet, oder ja so gut als in keinem Buch stehet, der das Recht entweder aͤndert oder also meistert, daß es im Lande alles gruͤnet und bluͤhet, mit Friede, Zucht, Schutz, Strafe, daß es ein gesund Regiment heißen mag; und den- noch daneben bei seinem Leben aufs hoͤchste gefuͤrchtet, geehret, geliebt und nach sei- nem Tod ewiglich geruͤhmet wird. Und wenns ein Kranker oder Ungleicher dem- selben wollt nachthun und gleich oder besser seyn, den hat Gott gewiß zur Plage der Welt geschickt, wie die Heiden auch schrei- ben: der Helden Kinder sind eitel Plagen. Denn was hilft große hohe Weisheit und treflich herzlich guter Muth oder Mei- nung, wenns nicht die Gedanken sind, die Gott treibt und Gluͤck dazu giebt? Es sind doch eitel Fehlgedanken und vergebliche Meinungen, ja auch wohl schaͤdliche und verderbliche. Darum ists sehr wohlgeredt: „die gelehrten, die verkehrten.“ Jt. „ein weiser Mann thut keine kleine Thorheit.“ Und zeigen alle Historien auch der Heiden, daß die weisen und gutmeinenden Leute haben Land und Leute verderbet. Welches alles gesagt ist von den Selbstweisen oder kranken Regierenden, die Gott nicht ge- trieben, noch Gluͤck dazu gegeben hat; und habens doch wollen seyn. Also ist ihnen das Regiment zu hoch gewest, habens nicht koͤnnen ertragen noch hinausfuͤhren, sind also drunter erdruckt und umkommen, als Cicero, Demosthenes, Brutus, die doch aus der Maassen verstaͤndige und hochweise Leute waren, daß sie mochten heißen Licht in natuͤrlichem Recht und Vernunft; und ha- ben zuletzt das elende Klaglied singen muͤs- sen: „ich haͤtt' es nicht gemeinet.“ Ja Lie- ber! das gute Meinen macht viel Leute weinen. Summa, es ist eine hohe Gabe, wo Gott einen Wundermann giebt, den er selbst regiert; derselbe mag ein Koͤnig, Fuͤrst und Herr heißen mit Ehren, er sei selbst Herr oder Rath zu Hofe. Darum spricht auch Salomo: zu laufen hilft nicht schnell seyn ; zum Streit hilft nicht stark seyn ; zum Reichthum hilft nicht klug seyn ; Angenehm seyn , dazu hilft nicht , alles wohl koͤnnen ; sondern es liegt alles an der Zeit und am Gluͤck .“ Was ist das anders gesagt, denn so viel: Weisheit mag da seyn, hohe Vernunft mag da seyn, schoͤne Gedanken und kluge Anschlaͤge moͤ- gen da seyn; aber es hilft nichts, wenn sie Gott nicht giebt und treibt, sondern gehet alles hinter sich.“ So weit Luther . 18. L uther war ein patriotischer großer Mann. Als Lehrer der Deutschen Nation, ja als Mitreformator des ganzen jetzt aufgeklaͤr- ten Europa ist er laͤngst anerkannt; auch Voͤlker, die seine Religionssaͤtze nicht an- nehmen, genießen seiner Reformation Fruͤch- te. Er griff den geistlichen Despotismus, der alles freie gesunde Denken aufhebt oder untergraͤbt, als ein wahrer Herkules an, und gab ganzen Voͤlkern, und zwar zuerst in den schwersten, den geistlichen Dingen den Gebrauch der Vernunft wie- der. Die Macht seiner Sprache und sei- nes biedern Geistes vereinte sich mit Wis- sen- senschaften, die von und mit ihm auflebten, vergesellschaftete sich mit den Bemuͤhungen der besten Koͤpfe in allen Staͤnden, die zum Theil sehr verschieden von ihm dachten; so bildete sich zuerst ein populares litera - risches Publikum in Deutschland und in den angrenzenden Laͤndern. Jetzt las was sonst nie gelesen hatte; es lernte lesen, was sonst nicht lesen konnte. Schulen und Akademieen wurden gestiftet, Deutsche geist- liche Lieder gesungen, und in Deutscher Sprache haͤufiger als sonst gepredigt. Das Volk bekam die Bibel, wenigstens den Ka- techismus in die Haͤnde; zahlreiche Sekten der Wiedertaͤufer und andrer Irrlehrer ent- standen, deren viele, jede auf ihre Weise, zu gelehrter oder popularer Eroͤrterung strei- tiger Materien, also auch zu Uebung des Verstandes, zu Politur der Sprachen und des Geschmacks beitrug. Waͤre man seinem Zweite Samml. C Geist gefolgt, und haͤtte in dieser Art freier Untersuchung auch Gegenstaͤnde beherzigt, die zunaͤchst nicht in seiner Moͤnchs- und Kir- chen-Sphaͤre lagen, daß man naͤmlich auf sie die Grundsaͤtze anwendete, nach denen Er dachte und handelte. — Doch was nuͤtzt es, vergangne Zeiten zu lehren oder zu ta- deln? Laßet uns seine Denkart, selbst seine deutlichen Winke, und die von ihm eben so stark als naiv gesagten Wahrheiten fuͤr unsre Zeit nutzen und anwenden! Ich habe mir aus seinen Schriften eine ziemliche Anzahl Spruͤche und Lehren angemerkt, in denen er (wie er sich selbst mehrmals nannte) sich wirklich als Ecclesiastes , als Prediger und Lehrer der Deutschen Nation darstellt. Neulich fuͤhrte ich an, was er von der Re - gimentsveraͤnderung dachte; laßet uns jetzt hoͤren, was er vom Poͤbel und von den Tyrannen haͤlt. Luthers Gedanken vom Poͤbel und von den Tyrannen. „Die Heiden, weil sie nicht erkannt ha- ben, daß weltliches Regiment Gottes Ord- nung sei, (denn sie habens fuͤr ein mensch- lich Gluͤck und That gehalten,) die haben frisch darein gegriffen, und nicht allein bil- lig, sondern auch loͤblich gehalten, unnuͤtze, boͤse Obrigkeit abzusetzen, zu wuͤrgen und zu verjagen. Es ist aber dahinten eine boͤse Folge oder Exempel, daß wo es gebilligt wird, Tyrannen zu morden oder zu verja- gen, reißt es bald ein, und wird ein ge- meiner Muthwille daraus, daß man Ty- rannen schilt, die nicht Tyrannen sind, und sie ermordet, wie es dem Poͤbel in Sinn kommt; als uns die roͤmischen Historien wohl zeigen, da sie manchen feinen Kaiser toͤdteten, allein darum, daß er ihnen nicht C 2 gefiel, oder nicht ihren Willen thaͤt und ließ sie Herren seyn. Man darf dem Poͤbel nicht viel pfeifen, er tollet sonst gern; und ist bil- liger, demselben zehn Ellen abbrechen, denn Eine Hand breit, ja eines Fingers breit einraͤumen in solchem Fall: Denn der Poͤbel hat und weiß keine Maasse, und steckt in einem jeglichen mehr denn fuͤnf Tyrannen. Die Rache ist mein , sagt Gott, ich will vergelten ! Ein boͤser Tyrann ist leidlicher, dann ein boͤser Krieg; welches du mußt billigen, wenn du deine eigne Ver- nunft und Erfahrung fragst. Gott laͤßt einen Buben regieren um des Volks Suͤnde willen. Gar fein koͤnnen wir sehen, daß ein Bube regiert; aber das will niemand sehen, daß er um des Volks Suͤnde willen regieret. Laß dich nicht irren, daß die Obrigkeit boͤse ist; es liegt ihr die Strafe und Ungluͤck naͤ- her, denn du begehren moͤchtest. — „Obrigkeit aͤndern und Obrigkeit bes- sern, sind zwei Dinge, so weit von einan- der als Himmel und Erde. Aendern mag leichtlich geschehen; bessern ist mißlich und gefaͤhrlich. Warum? Es stehet nicht in unserm Willen und Vermoͤgen, sondern al- lein in Gottes Willen und Hand. Der tolle Poͤbel aber fragt nicht viel, wie es besser werde, sondern daß es nur anders werde; wenn es denn aͤrger wird, so will er aber- mal ein Anderes haben. So kriegt er denn Hummeln fuͤr Fliegen, und zuletzt Horniße fuͤr Hummeln. Und wie die Froͤsche vorzei- ten auch nicht mochten den Klotz zum Herren leiden, kriegten sie den Storch dafuͤr, der sie auf den Kopf hackte und fraß sie. Es ist ein verzweifelt, verflucht Ding um einen tollen Poͤbel, welchen niemand so wohl regieren kann, als die Tyrannen; dieselbi- gen sind der Knittel, dem Hunde an den C 3 Hals gebunden. Sollten sie besserer Weise zu regieren seyn, Gott wuͤrde auch andre Ordnung uͤber sie gesetzt haben, denn das Schwert und die Tyrannen. Das Schwert zeigt wohl an, was es fuͤr Kinder unter sich habe, naͤmlich eitel verzweifelte Buben, wo sie es thun doͤrften.“ — „Deßgleichen will ich und kann auch nicht getroͤstet haben unsre Nephilim, die Tyrannen, Wuchrer und Schelmen unter dem Adel, die sich lassen duͤnken, Gott habe uns das Evangelium darum gegeben, daß sie moͤgen geizen, schinden, und allen Muth- willen treiben, ihre Fuͤrsten pochen, Land und Leute druͤcken, und Alles in Allem seyn wollen; das ihnen nicht befohlen, sondern verboten ist. Diese sind es, so dazu helfen, daß Gottes Zorn den Tuͤrken zum Drescher uͤber uns, uͤber sie selbst auch schicket, wo sie nicht Buße thun werden. Denn unmoͤg- lich ists, daß Deutschland sollte stehen blei- ben, auch untraͤglich und unleidlich, wo solche Tyrannei, Wucher, Geiz, Muthwille des Adels, Buͤrgers, Bauers und aller Staͤnde so sollten bleiben und zunehmen; es behielte zuletzt der arme Mann keine Rinde vom Brot im Hause, und moͤchte lieber oder ja so gern unter den Tuͤrken sitzen, als unter solchen Christen. Es stellen und zieren sich fast der mehrere Theil des Adels so laͤsterlich und so schaͤndlich, daß sie damit dem gemei- nen Mann boͤses Blut und argen Wahn machen, als sei der ganze Adel durch und durch kein Nutze.“ — „Woher werden Tyrannen? Weil sie ihr Vertrauen auf ihre Macht setzen. Alle Weltweisen haben geklagt uͤber die Beschwe- rung, so im Regiment ist; und daher pfle- gen auch die Tyrannen zu kommen, welche, wenn sie sehen, daß ihre Rathschlaͤge und C 4 ihr Thun, das alles sehr fein verordnet, keinen Fortgang oder Gluͤck haben, oder daß ihnen andre Widerstand thun, so wer- den sie gar toll und unsinnig, und werden aus frommen Fuͤrsten Tyrannen, die mit Gewalt und andrer Leute Schaden, (welche sie meinen, daß sie ihnen im Wege liegen,) sich unterstehen, hindurchzubrechen und da- mit ihre Gewalt zu erhalten: denn es sind nicht tapfere Helden, die sich selbst zwingen koͤnnten, sondern hangen und folgen ihren Begierden nach.“ — „Also werden auch zur Zeit des An- tichrists etliche seyn, welche so genau auf den Frommen Achtung geben werden, ob er et- was aus Unvorsichtigkeit rede oder thue, das sie entweder mit Gewalt oder mit List koͤn- nen verdrehen, oder gewaltsamer Weise auf so einen Verstand ziehen, der wider den hei- ligen Sitz der Bestie sei, damit sie alsobald nach Gewohnheit unsrer Papisten schreien koͤnnen „zum Feuer!“ da doch derjenige, der es gesagt, entweder niemals daran ge- dacht, oder es doch niemals hat oͤffentlich vorbringen wollen. Ja wenn auch der Fromme etwas mit aller moͤglichsten Vor- sicht geredet hat, und sich keiner Gefahr be- fuͤrchten koͤnnen: so wird doch dieses der Gottlosen Amt seyn, die besten Reden zu verlaͤstern und in den unschuldigen Sylben Gift, wie die Spinne in den Rosen, zu finden. Dieses thun sie ihrem Beduͤnken nach nicht aus unweiser Absicht, (sintemal sie dieses aus der Erfahrung als eine gewiße Sache haben, daß es um ein tyrannisches Reich nicht gar zu sicher und gluͤcklich stehe) wenn sie nur diejenige zu Grunde richten, die entweder als Schuldige koͤnnen uͤber- wiesen, oder doch der faͤlschlichen Anklage koͤnnen verdaͤchtig gemacht werden; sondern C 5 man muͤße auch allen andern zum Exempel und Schrecken diejenigen plagen, die sich nichts weniger befuͤrchtet, als daß sie ein- mal in dergleichen Fallstricke und Netze ver- fallen sollten. Daß also niemand ist, der sich nicht fuͤr einem Tyrannen zu fuͤrchten habe, wenn er sich gleich auf sein gut Ge- wissen verlassen kann und sich keines boͤsen Anschlags wider den Tyrannen bewußt ist.“ So weit abermals Luther. Bewahre der Himmel uns vor solchen Zeiten! denn leider es ist nur Ein Ding, Poͤbelsinn und Tyran- nei, mit zwei Namen genannt, wie die rechte und linke Seite. 19. T reu und Glaube ist der Eckstein aller menschlichen Gesellschaft. Auf Treu und Glaube sind Freundschaft, Ehe, Handel und Wandel, Regierung und alle andre Ver- haͤltnisse zwischen Menschen und Menschen gegruͤndet. Man untergrabe diesen Grund; alles wankt und stuͤrzt; alles faͤllt aus ein- ander. Es giebt keine einseitigen Pflichten und einseitige Rechte. Pflichten und Rechte gehoͤren zusammen, wie die obere und un- tere, wie die rechte und linke Seite. Was hier convex ist, ist dort concav; und bleibt dieselbe Sache, derselbe Koͤrper. Laßet Staaten, laßet Staͤnde gegen ein- ander Treu und Glauben verlieren; wer seinen Pflichten entsagt, verliert die Rechte, die der Pflicht anklebten; er taͤuscht und wird getaͤuschet; er handelt einseitig, so wird man auch gegen ihn handeln. Manche Vorzuͤge des Geistes und der Lebensweise hat man unsrer Nation abspre- chen wollen; das Lob, das man ihr, das man ihren braven Maͤnnern, ihren guten Regenten und Helden durch alle Zeiten zu- gestand, war die so genannte Deutsche Biederkeit , Treu und Glaube . Ihre Worte galten mehr als gesiegelte Brie- fe und Eidschwuͤre; der Herr bauete auf seine Unterthanen, Unterthanen auf ihren Herren; wenigstens ist dieses der Schild, den die meisten alten Spruͤche und Apoph- thegmen der Deutschen vor sich tragen. Laßet uns hoͤren, was zu seiner Zeit der alte Luther daruͤber saget: Deutsche, Deutschland. Es ist zwar eine gemeine Klage in allen Staͤnden und Leben uͤber falsche verlogne Leute, wie man spricht: „es ist keine Treu noch Glauben mehr.“ Die alten Roͤmer haben solch Laster an den Griechen getadelt, wie auch Cicero sagt: „ich gebe den Grie- chen, daß sie gelehrte, weise, kunstreiche, geschickte, beredte Leute sind; aber Treu und Glauben achtet das Volk nicht.“ Wohlan, es hat auch solch untreu falsch Volk itzt lange her seine Strafe gelitten vom Tuͤrken, der sie auch baar-uͤber bezahlet. Welschland hat es nachher auch gelernet, daß sie doͤrfen zusagen und schwoͤren was man will und darnach spot- ten, wenn sie es halten sollen. Darum haben sie auch ihre Plage redlich, und muͤßen beide Griechen und Wahlen Exempel seyn des andern Gebots Gottes, da er spricht: „Er solle nicht ungestraft bleiben, wer Gottes Namen misbraucht.“ Uns Deutsche hat keine Tugend so hoch geruͤhmet und wie ich glaube bisher so hoch erhoben und erhalten, als daß man uns fuͤr treue, wahrhaftige, bestaͤndige Leute gehalten hat, die da haben Ja Ja, kein Nein laßen seyn, wie deß viel Historien und Buͤcher Zeugen sind. Wir Deutsche haben noch ein Fuͤnklein (Gott wolle es erhalten und aufblasen) von der- selben alten Tugend, naͤmlich, daß wir uns dennoch ein wenig schaͤmen, und nicht gerne Luͤgner heißen, nicht dazu lachen, wie die Wahlen und Griechen, oder einen Scherz daraus treiben. Und obwohl die Welsche und Griechische Unart einreißet, so ist den- noch gleichwohl noch das uͤbrige bei uns, daß kein ernster, graͤulicher Scheltwort jemand reden oder hoͤren kann, denn so er einen Luͤgner schilt oder gescholten wird. Und mich duͤnkt, (soll es duͤnken heißen) daß kein schaͤdlicher Laster auf Erden sei, denn Luͤgen und Untreu beweisen; welches alle Gemein- schaft der Menschen zertrennet. Denn Luͤ- gen und Untreue zertrennet erstlich die Her- zen; wenn die Herzen getrennet sind, so gehen die Haͤnde auch von einander; wenn die Haͤnde von einander sind, was kann man da thun oder schaffen? Darum ist auch in Welschland solch schaͤndlich Trennen, Zwie- tracht und Ungluͤck. Denn wo Treu und Glauben aufhoͤret, da muß das Regiment auch ein Ende haben. Gott helf' uns Deut- schen! 20. I st Ihnen eine Ode Klopstocks zu Gesicht gekommen, die waͤhrend des letzten Nord- amerikanischen Seekrieges erschien, und auch schon damals in der Art diesen fuͤrchterlichen Krieg zu fuͤhren, Spuren einer zuneh - menden Humanitaͤt bemerkte? Sie wird Ihnen angenehm seyn, auch nur als ein poetischer Traum, als das Gemaͤhlde einer Gluͤckweißagenden Phantasie, gewiß aber noch mehr als eine Prophetenstimme der Zukunft betrachtet: Der jetzige Krieg. O Krieg, des schoͤneren Lorbeers werth, der unter dem schwellenden Segel, des Windes Fluge jetzo gefuͤhrt wird, du Krieg der edleren Helden, dich singe die Leier, die keine Kriege sang. Ein Ein hoher Genius der Menschlichkeit Begeistert dich! Du bist die Morgenroͤthe Eines nahenden großen Tag's. Europa's Bildung erhebt sich mit Adler- schwunge, Durch weise Zoͤgrung des Blutvergußes, Durch weisere Meidung, Durch goͤttliche Schonung In Stunden, da den Bruder toͤdtend Der erhabene Mensch zum Ungeheuer werden muß: Denn die Flotten schweben umher auf dem Ocean, Und suchen sich und finden sich nicht. Und wenn sie verwehet oder verstroͤmt sich endlich erblicken, So kaͤmpfen sie laͤnger als je Den viel-entscheidenden Kampf Um des Windes Beistand. Zweite Samml. D Und muß es denn zuletzt doch auch beginnen, Das Treffen, so schlagen sie fern. Fuͤrchter- lich bruͤllet Ihr Donner; aber er rollt Seine Tod' in das Meer. Kein Schiff wird erobert, und keins zu belastet Von der hineinrauschenden Woge, versinkt; Keins flammt in die Hoͤh', und treibet, Scheiter, umher uͤber gesunknen Leichen. Der Flotten und der Schiffe Gebieter Schlagen so, ohne gegebenes Wort. Was brauchen sie der Worte? Die tiefer- denkenden Maͤnner, sie handeln, verstehn sich durch ihr Handeln. Erdekoͤniginn, Europa, dich hebt bis hinauf Zu dem hohen Ziele deiner Bildung, Adler- schwung, Wenn unter deinen edleren Kriegern Diese heilige Schonung Sitte wird. O denn ist, was jetzo beginnt, der Morgen- roͤthen schoͤnste: Denn sie verkuͤndiget Einen seligen, nie noch von Menschen erlebten Tag, Der Jahrhunderte stralt Auf uns, die noch nicht wußten, der Krieg sey Das zischendste, tiefste Brandmahl der Mensch- heit. Mit welcher Hoheit Blick wird, wen die Heitre Des goldnen Tages labt, auf uns herabsehn! Bist du wahrer Zukunft Weißagerin, Leier, gewesen? Hat der Geist, der dich um- schwebt, Goͤttermenschen, oder hat er Vernichtungsscheue Gotteslaͤugner gesehn? Was Klopstock beim Seekriege bemerkt, ließe es sich prosaisch nicht auch beim Land- D 2 kriege, noch mehr aber beim Handel, bei jeder Art des Gewerbs und Fleißes, selbst in der Art der Erhebung oͤffentlicher Gefaͤlle und Lasten, bei Behandlung stehender Heere zu Friedenszeiten, (diesem entsetzlichen Druck der Menschheit,) bei Einrichtung oͤffentli- cher Gebaͤude, insonderheit der Gefaͤngniße und Krankenhaͤuser, bei Behandlung der Krankheiten und einer der aͤrgsten Krank- heiten unsres Welttheils, der Rechtshaͤndel und rechtlichen Strafen, noch klaͤrer endlich in Behandlung der Wissenschaften, Ein- richtungen der Policei, oͤffentlichen Religion, Erziehung und des ganzen haͤuslichen Lebens bemerken? Durch Noth gezwungen, wider unsern Willen muͤßen wir einmal, Gott gebe bald, vernuͤnftigere, billigere Men- schen werden. 21. V erzeihen Sie, meine Freunde, daß ich Ihrem hoffnungsvollen Glauben an den Geist der Zeiten nur furchtsam und zweifelnd beitrete. Denn sobald man dem Wort seine magische Gestalt nimmt, was bedeutet es mehr, als die herrschenden Meinun - gen , Sitten und Gewohnheiten un - sres Zeitalters ; und sollten diese eines so hohen Lobes werth seyn? Sollten sie so große und sichre Hoffnungen fuͤr die Zukunft gewaͤhren? D 3 Mir ist wohl bekannt, was fuͤr schoͤn klingende Worte seit geraumer Zeit in Schriften und Gesellschaften im Umlaufe sind; sehen Sie aber auf die Grundsaͤtze der Menschen, die in Handlungen zur taͤg- lichen Lebensweise uͤbergehen, was finden Sie da? Alle wahre, thaͤtige Gesinnungen zum Besten des Ganzen sind ihrer Natur nach mit Aufopferung verbunden; und wer opfert zu unsrer Zeit gern auf? Versuchen Sie's einmal, und bringen die kleinste Sa- che, die Muͤhe, Geld, Entsagung von Privatvortheilen, am meisten von der Eitel- keit fodert, zu Stande; und Sie werden gewahr, daß Sie ein Saitenloses Clavier spielen. Die lautsten Patrioten sind oft die engherzigsten Egoisten; die waͤrmsten Ver- theidiger des Guten sind nicht selten die kaͤltesten Seelen; Adler in Worten, in Handlungen Lastthiere der Erde. Hoffen Sie viel, sehr viel von aufge- klaͤrten, guten Fuͤrsten; das Unmoͤgliche aber hoffen Sie nie. Auch sie sind Men- schen; und nach ihrer gewoͤhnlichen Erzie- hung ists oft zu bewundern, daß sie es noch blieben. Sie tragen die Feßeln ihres Standes; die engste Feßel ist ihre eigne von Kindheit auf gewonnene Denkart. Selten giebt es einen Friederich, der sich uͤber das Gewohnte seiner Zeit fruͤh und doch mit Weisheit hinaussetzt; selten! Zudem be- duͤrfen sie als Regenten gnugsame Kenntniß der Dinge, Ueberlegung mit andern, zur Ausfuͤhrung Werkzeuge. Wenn sie diese nun nicht finden, wenn diese sie hintergehen und taͤuschen, wenn sie endlich aus Miß- trauen zu diesen unschicklicher Weise selbst zur Sache greifen; so wird die Geschichte Josephs II. daraus, der mit den reinsten, nothwendigsten, besten Absichten von der D 4 Welt im Hafen selbst scheiterte. Ach, es muß ein Gott vom Himmel kommen, oder außerordentlich-gute und große, das ist, wahrhaftig goͤttliche Menschen senden; oder die Verbeßerung der Welt auf dem gewoͤhn- lichen Wege der Zeit geht sehr langsam. Laßen Sie mich die herrschenden Gesin- nungen andrer Staͤnde und Innungen nicht durchgehn. Jede Zunft hat ihren Zunft- geist; der feßelt, zumal in unsern Zeiten, auch den besten Gemuͤthern Herzen und Haͤnde. Man fuͤhlt die Waͤnde des alten Systems erschuͤttert, und fuͤrchtet den Fall des ganzen Gebaͤudes; um so mißtrauischer haͤlt man sich also an jeden Balken, an jeden Span des Balkens, und glaubt, mit ihm schon gehe alles verloren. Das alte Schwert ist verrostet; desto aͤngstlicher putzt man Griff und Scheide. Ans Volk, wollen wir eher mit Be- dauren und Großmuth, als mit Stolz und Zuversicht denken. Jahrhunderte lang ists unerzogen geblieben; daß es erzogen werde, kann unser einziger Wunsch seyn, nicht daß es herrsche, nicht daß es gebiete und lehre. Die Beßerung muß vom Haupt kommen, nicht von Fuͤßen und Haͤnden; ich kenne nichts abscheulicheres, als eines wahnsinni- gen Volks Herrschaft. Laßen Sie sich auch die Stimmen unsrer Philosophen nicht bis zur Taͤuschung be- zaubern; die waͤrmsten sind nicht immer die hellesten Koͤpfe. Von ihren Wuͤnschen, vom Anschein der guten Sache eingenom- men, vom thaͤtigen Leben und von der wahren Gestalt der Dinge entfernt, ge- fallen sie sich in Spekulationen; oder als der zarteste empfindlichste Theil des Publi- kums troͤsten sie sich uͤber das, was nicht D 5 ist, mit Traͤumen, was seyn sollte, also auch seyn wird. Der kranke, zarte, fast nur in der Einbildung lebende Roußean , hat er mit seinen stark-ausgedruͤckten, rege- gefuͤhlten Visionen mehr Nutzen oder mehr Schaden gebracht? Ich wage es nicht zu entscheiden. Wie ich fuͤrchte, strebt der Geist unsrer Zeiten vorzuͤglich zur Aufloͤsung hin. Dem Einen Theil der Welt sollen alle Bande aufhoͤren; Alles soll leicht und lustig wer- den, weil wir des Alten satt, traͤge und erschlaft sind. Der andre Theil der Men- schen, der sich im Besitz, leider auch oft mit Haͤrte und Uebermuth fuͤhlet, verachtet die Beschwerden der andern, und scheint die Trommeten vor Jericho zu erwarten. Ein nicht erfreulicher Zustand. Ich kenne keine schlimmere Jahrszeit, als die, in welcher alle Elemente gegen einander zu seyn scheinen, wenn Kaͤlte, Regen und Sturm- winde toben. Selten hat eine Verfaßung, welche es auch sey, vom Grundgesetz ihrer Entstehung sich so weit abbiegen koͤnnen, daß sie ohne Sturz ihre Basis haͤtte verlaßen moͤgen. Die Staaten Europa's sind auf ein System kriegerischer und religioͤser Eroberung ge- gruͤndet; die Pfeiler dieses Systems wanken; die Zeit nagt an ihnen; stuͤrzen sie, so, fuͤrchte ich, geht unter den Truͤmmern des Schlechteren auch das Beste mit unter. Ver- goͤnnen Sie mir also, daß ich vom Geist unsrer Zeiten hinwegsehe, und mich noch etwas weiterhin an einige Gedanken des alten Philosophen zu Sans-Souci halte, der auch die Welt kannte. Fortsetzung einiger Gedanken Friedrichs II. „Ich bin durch ein Land gereiset, wo die Natur gewiß nichts gespart hat, den Boden fruchtbar, die Gegend lachend zu machen; aber es scheint, daß sie sich an Bildung der Pflanzen, Hecken und Fluͤße, die die Gegend verschoͤnen, erschoͤpft und nicht Kraft gnug gehabt habe, unser Ge- schlecht daselbst auch so vollkommen zu ma- chen. Ich habe fast ganz Westphalen auf unsrer Reise gesehen; und gewiß, wenn Gott seinen goͤttlichen Hauch dem Men- schen verlieh, so muß diese Nation davon wenig bekommen haben, daß man fast fragen moͤchte, ob diese Menschengestal- ten denkende Menschen sind oder nicht? (1738.) „Ihr habt Recht, daß die, die am consequentsten handeln sollten, d. i., die Koͤnigreiche regieren, und mit Einem Wort uͤber das Gluͤck und Ungluͤck der Voͤlker ent- scheiden, oft die sind, die sich am meisten dem Ungefaͤhr uͤberlaßen. Das macht, diese Koͤnige, Fuͤrsten, Minister sind Menschen wie andre; der ganze Unterschied, den das Gluͤck zwischen sie und Leute von geringerem Range gesetzt hat, ist, daß sie wichtigere Geschaͤfte betreiben. Ein Stral Wasser, der drei Fuß, ein andrer, der hundert Fuß hoch steigt, sind beides Wasserstralen, nur mit verschiedner Kraft emporgetrieben. Eine Koͤniginn von England, mit einem weib- lichen Hofe umgeben, wird in ihrer Regie- rung immer etwas Weibliches zeigen, Phan- tasieen und Launen.“ (1738.) „Nichts zeigt so sehr die Verschiedenheit unsrer von den alten Zeiten, als die Art, wie das Alterthum große Maͤnner behan- delte und wie wir sie behandeln. Große Gesinnungen, Erhabenheit der Seele, Festig- keit gelten jetzt fuͤr chimaͤrische Tugenden. „Er will den Roͤmer machen, sagt man; davon ist man zuruͤckgekommen; das ist außer der Zeit.“ Desto schlimmer! Die Roͤmer, die sich dieser Tugenden anmaßten, waren große Maͤnner; warum sollten wir sie nicht nachahmen in dem, was Lob ver- dienet? (1738.) Unter hunderten, die zu denken glauben, ist kaum Einer, der selbst denkt. Die an- dern haben nur zwei oder drei Ideen, die sich in ihrem Hirn umher drehen, ohne neue Formen zu erhalten; und auch dieser Eine unter den hunderten denkt vielleicht, was ein andrer gedacht hat; sein Genie, seine Einbildungskraft ist nicht schaffend. Ein schoͤpferischer Geist vervielfaͤltiget Ideen, faßt zwischen Gegenstaͤnden Beziehungen auf, die der unaufmerksame Mensch kaum bemerket. Staͤrke des gesunden Verstandes ist, nach meiner Meinung, der wesentliche Theil eines Mannes von Genie. Mittheilen laͤßt sich dies kostbare und seltne Talent nicht; die Natur scheint damit zu geizen; um es Einmal zu ver- leihen, nimmt sie sich ein Jahrhundert Frist. „Der Vice-Gott der sieben Berge hat Avignon wieder bekommen; ein solcher Zug von Freigebigkeit ist selten bei den Regenten. Ganganelli wird daruͤber in die Faust lachen und bei sich selbst sagen: „auch die Pforten der Hoͤlle sollen sie nicht uͤberwaͤlti- gen!“ Und das geschieht im philosophischen, im achtzehnten Jahrhundert! Wohlan nun, ihr Herren Philosophen, bestrebt euch, be- streitet den Irrthum, haͤuft Gruͤnde auf Gruͤnde, um ihn in Staub zu legen; nie werdet ihr es verhindern, daß nicht viele Schwache uͤber wenige Starke den Sieg davon tragen sollten. Werfet die Vorur- theile zur Thuͤr hinaus; sie kommen zum Fenster hinein. Ein Andaͤchtler an der Spitze des Staats, ein Ehrsuͤchtiger, den sein Intereße mit dem Intereße der Kirche bindet, wirft an Einem Tage um, was zwanzig Jahre eurer Arbeiten kaum voll- fuͤhrt haben.“ (1771.) „Ich „Ich wuͤnsche Euch zum neuen Minister des Allerchristlichsten Koͤniges Gluͤck. Man sagt, es sey ein Mann von Geist; wenn er es ist, wird er weder die Imbecillitaͤt, noch die Schwachheit haben, Avignon dem Pabst zuruͤckzugeben. Man kann ein guter Ka- tholik seyn, und doch dem Statthalter Got- tes seine zeitlichen Besitzthuͤmer nehmen, die ihn zu sehr von seinen geistlichen Pflich- ten zerstreuen, und ihn oft in Gefahr seiner Seligkeit setzen. Wie fruchtbar auch unser Jahrhundert an Philosophen seyn moͤge, die unerschrocken, wirksam und eifrig Wahr- heiten verbreiten; so muß man sich doch nicht verwundern, daß der Aberglaube auch sein Werk forttreibet. Seine Wurzeln haben alles umschlungen; er ist ein Kind der Furcht, der Schwachheit und der Unwissen- heit; diese Dreieinigkeit herrscht in gemeinen Zweite Samml. E Seelen so allgewaltig, als eine andre in den Schulen der Theologen. Welche Wider- spruͤche vereinigen sich nicht im Gemuͤth des Menschen! Laß einen Schelm sich vorneh- men, Menschen zu betruͤgen; er wird Glau- bende finden. Der Mensch ist zum Irren gemacht; Irrthum kommt von selbst in seinen Geist; einige Wahrheiten entdeckt er nur durch unendliche Muͤhe. (1771.) „Die Welt wird von Gevattern und Gevatterinnen regiert; manchmal, wenn man gnug Data hat, kann man die Zu- kunft errathen, oft betruͤgt man sich aber. „Als ein aͤchter Schuͤler der Encyklopaͤ- disten predige ich den allgemeinen Frieden, wie wenn ich ein Apostel des Abbts St. Pierre waͤre, und vielleicht werde ich nicht mehr ausrichten als er. Ich sehe, daß es den Menschen leichter wird, Boͤses als Gu- tes zu thun; ich sehe, daß eine ungluͤckliche Verkettung der Umstaͤnde uns wider unsern Willen dahinreißt, und mit unsern Projekten spielt, wie der Sturmwind in dem fliegen- den Sande. Indeßen geht der ordentliche Gang der Dinge fort.“ (1773.) „Ich habe den Artikel Krieg in den encyklopaͤdischen Fragen gelesen. Wie? ein Fuͤrst, der seine Truppen in blaues Tuch kleidet, und ihnen Huͤte mit weißen Schnuͤ- ren giebt, der sie sich kehren laͤßt rechtsum und linksum, kann er sie Ehrenhalber einen Feldzug thun lassen, ohne den Ehrentitel eines Anfuͤhrers von Taugenichten zu ver- dienen, die nur aus Noth gedungene Henker E 2 werden, um das ehrbare Handwerk der Straßenraͤuber zu treiben? Die Philosophen muͤßen Missionare auf Bekehrungen aus- schicken, um unvermerkt die Staaten von den großen Armeen zu entladen, die sie in den Abgrund stuͤrzen, daß nach und nach keiner uͤbrig sey, der sich schlage. Kein Landesherr, kein Volk wird sodann die un- gluͤckliche Leidenschaft zu kriegen mehr haben, deren Folgen so verderblich sind; jedermann wird eine Vernunft aͤußern, so vollkommen als eine geometrische Demonstration. Ich bedaure sehr, daß mein Alter mich eines so schoͤnen Anblicks beraubet, von dem ich nicht einmal die Morgenroͤthe erleben wer- de. Beklagen wird man mich und meine Zeitgenoßen, daß wir in einem Jahrhun- dert der Finsterniß lebten, an dessen Ende zuerst die Daͤmmerung der vervollkommeten Vernunft anbrach. Alles haͤngt ja von der Zeit ab, in der ein Mensch auf die Welt tritt. (1773.) „Gegen das viertaͤgige Fieber und gegen den Krieg deklamiren, ist gleich vergebliche Arbeit. Die Regierungen lassen die Philo- sophen schreien, und gehen ihren Weg; das Fieber nimmt davon auch keine Kunde. Es hat Kriege gegeben, so lange die Welt ist; und wird Kriege geben, wenn wir nicht mehr hier sind. Ein Arzt muß das Fieber wegschaffen, nicht daruͤber satyrisiren.“ „Ludwig XV. ist nicht mehr. Es war ein guter Mann, der nur Einen Fehler hatte, daß er Koͤnig war. Laßet seinen Schatten in Friede. Man darf empfindlich seyn uͤber das Unrecht, das man leidet; man muß aber auch zu verzeihen wissen. E 3 Die finstre, gallichte Leidenschaft der Rache ziemt nicht fuͤr Menschen, die so kurz exsisti- ren. Wir muͤßen wechselseitig einander unsre Thorheiten vergessen, und uns auf den Genuß des Gluͤcks einschraͤnken, das unsre Natur uns goͤnnet.“ Wenn Turenne und Louvois die Pfalz in die Asche legten, wenn der Marschall von Belle-Isle im letzten Kriege den Vor- schlag that, ganz Heßen zu verwuͤsten: so sind solche Ausschweifungen ein ewiger Vor- wurf der franzoͤsischen Nation, die, so artig sie ist, sich zuweilen Grausamkeiten erlaubt hat, die nur fuͤr die aͤrgsten Barbaren ge- hoͤrten. Ludwig XV. indessen verwarf den Vorschlag des Marschall Belle-Isle, und zeigte sich hierinn groͤßer, als sein Vor- fahr. „Beim Leben der Koͤnige ist schwerer uͤber sie zu urtheilen, als nach ihrem Tode; ein einziger Umstand veraͤndert oft die Sache so, daß man billigen muß, was man vorher verdammte. Ludwig XIV. ward bei seinen Lebzeiten getadelt, daß er den Suc- ceßionskrieg unternahm; jetzt laͤßt man ihm Gerechtigkeit wiederfahren, und jeder Un- partheiische gestehet ein, daß er niedrig ge- handelt haͤtte, wenn er das Testament des Koͤniges von Spanien nicht haͤtte annehmen wollen. Jeder Mensch macht Fehler, also auch die Fuͤrsten; der wahre Weise der Stoiker und der vollkommene Fuͤrst haben nicht exisistirt und werden nicht exsistiren. Fuͤrsten wie Karl der kuͤhne, Ludwig XI. , Alexander VI. , Ludwig Sforzia sind die Geißeln ihrer Voͤlker und der Menschheit; solche Fuͤrsten aber exsistiren jetzt nicht in E 4 unserm Europa. Wir haben schwache Re- genten, nicht aber Ungeheuer, wie im 14ten und 15ten Jahrhundert. Schwaͤche ist ein unverbeßerlicher Fehler; man muß sich deßhalb an die Natur, nicht an die Person halten. Ich gebe zu, sie thun aus Schwachheit Boͤses; in Erbreichen ists aber einmal ein nothwendiges Uebel, daß auch solche Wesen an der Spitze der Nation stehen: denn in keiner Familie folgen große Maͤnner in Einer Reihe unverruͤckt auf ein- ander. Glaubt mir! menschliche Einrich- tungen werden nie zu einem gewissen Grade der Vollkommenheit kommen; man muß sich mit dem Beinahe gnuͤgen, und gegen un- abaͤnderliche Mißbraͤuche nicht gewaltsam declamiren. „Ich wuͤnsche der franzoͤsischen Nation Gluͤck uͤber die Wahl, die Ludwig XVI. an Ministern gemacht hat. Die Voͤlker, hat ein Alter gesagt, werden nicht gluͤcklich seyn, als wenn Weise ihre Koͤnige seyn werden. Die franzoͤsischen Minister, wenn sie gleich nicht Koͤnige sind, gelten doch fuͤr dieselben an Ansehen und Gewalt. Euer Koͤnig hat die besten Gesinnungen von der Welt, er will das Gute; nichts ist fuͤr ihn mehr zu fuͤrchten, als die Pest der Hoͤfe, die ihn mit der Zeit umkehre und verderbe. Er ist jung; er kennt die Listen und Feinheiten nicht, dadurch die Hofleute ihn in ihr In- tereße zu ziehen, ihn fuͤr ihren Haß oder ihre Ehrsucht einzunehmen suchen werden. Von Kindheit an ist er in der Schule des Fanatismus und der Imbecillitaͤt gewesen; dies muß fuͤrchten machen, daß er sich nicht getraue, selbst zu untersuchen, was man ihn verehren gelehrt hat. E 5 „Was Ihr von unsern Deutschen Bi- schoͤfen sagt, ist nur zu wahr; sie werden fett von den Zehnden aus Zion. Aber im heiligen Roͤmischen Reich machen das Her- kommen, die goldne Bulle und dergleichen alte Thorheiten die eingefuͤhrten Mißbraͤuche ehrwuͤrdig. Man siehet sie, zuckt die Schul- tern, und die Sachen gehen ihren Gang fort. Den Fanatismus zu vermindern, muß man an die Bischoͤfe noch nicht ruͤhren; aber die Moͤnche, insonderheit die Bettel- moͤnche muß man vermindern. Damit wird das Volk kuͤhler, und wird den Maͤch- tigen uͤberlaßen, die Bischoͤfe allgemach zum Besten des Staats zu disponiren. Dies ist der gangbare Weg. Allmaͤlich und ohn' alles Geraͤusch das Gebaͤude der Unvernunft untergraben, heißt es selbst fallen machen. In der Lage, in welcher der Pabst ist, muß er Bullen und Breve geben, wie seine ge- liebten Soͤhne sie irgend verlangen; diese Macht auf den idealischen Credit des Glau- bens gebauet, mindert sich wie sich der Glaube mindert; und wenn an der Spitze der Nationen nur einige Minister sind, die sich uͤber die gemeinen Vorurtheile erheben, so macht der heil. Vater banquerout. Schon sind seine Wechsel und Papiere zur Haͤlfte im Mißkredit. Ohne Zweifel wird die Nachwelt den Vortheil genießen, frei den- ken zu koͤnnen, und keine Auftritte mehr zu sehen, wie sie Toulouse und Amiens zeigten. „Ich kenne weder Turgot noch Males- herbes; wenn sie wahre Philosophen sind, sind sie an ihren Platz. Weder Vorurtheil, noch Leidenschaft gilt in den Geschaͤften; die einzige erlaubte Leidenschaft ist fuͤrs ge- meine Beste. So dachte Mark-Aurel, und so soll jeder Regent denken, der seine Pflicht erfuͤllen will. „Die Regierung in Pensylvanien, wie sie jetzt eingerichtet ist, gefaͤllt Euch; sie ist nur Ein Jahrhundert alt, laßt sie noch fuͤnf oder sechs Jahrhunderte fortdauren, und Ihr kennet sie nicht mehr. So wahr ist es, daß Unbestand eines der bestaͤndig- sten Gesetze der Welt sey. Laß Philosophen die weiseste Regierung gruͤnden; sie wird dasselbe Schicksal haben; und sind die Phi- losophen vor Irrthum immer gesichert ge- wesen? Sie haben ihn selbst oft auf die Bahn gebracht, wie des Aristoteles sub- stantielle Formen, der Galimathias des Plato, Deskartes Wirbel und Leibniz Monaden zeigen. Was ließe sich nicht von den Paradoxen sagen, mit denen Roußeau (wenn man ihn unter die Philosophen rech- nen kann,) Europa beschenkt hat; und doch hat er manchen guten Vaͤtern das Hirn so weit verruͤckt, daß sie ihren Kin- dern die Erziehung seines Emils geben. Aus allen diesen Beispielen folgt, daß ohn- geachtet der guten Absichten, ohngeachtet aller angewandten Muͤhe, die Menschen in keiner Sache zur Vollkommenheit ge- langen werden. „Ich wuͤnsche Euch zu Eurer guten Mei- nung von der Menschheit Gluͤck; ich, der ich aus Pflicht meines Standes diese Gat- tung Geschoͤpfe auf zwei Beinen ohne Fe- dern, sehr gut kenne, muß euch voraus- sagen, daß alle Philosophen der Welt das menschliche Geschlecht von dem Aberglauben nicht frei machen werden, an dem es haͤngt. Die Natur hat dieses Ingrediens in die Composition der ganzen Gattung gemischt; eine Furcht, eine Schwaͤche, eine Leicht- glaͤubigkeit, eine Uebereilung des Urtheils ziehet die Menschen durch einen natuͤrlichen Hang in das System des Wunderbaren; und es giebt nur wenig philosophische Seelen, die stark genug gebauet sind, um die tiefen Wurzeln der Vorurtheile, die die Erziehung in sie schlug, zu zerstoͤren. Diesen hat sein gesunder Verstand von einigen Volksirrthuͤmern losgemacht, er empoͤrte sich gegen Ungereimtheiten; jetzt kommt der Tod ihm naͤher, und aus Furcht faͤllt er in den Aberglauben zuruͤck; er stirbt als Kapuziner. Bei jenem haͤngt seine Art zu denken von einer guten oder uͤbeln Ver- dauung ab. Es ist also nicht gnug, Men- schen den Trug zu entnehmen; man muͤßte ihnen auch eigne Staͤrke des Geistes ein- hauchen koͤnnen; oder Empfindlichkeit und der Schrecken des Todes werden auch uͤber die staͤrksten, nach aller Methode vorge- tragenen Vernunftlehren triumphiren. Ihr glaubt, weil Quaker und Socinianer eine einfachere Religion festgestellet haben, man diese noch mehr simplificiren und auf solchen Grund einen neuen Glauben auffuͤhren koͤnnte; ich komme aber auf mein Voriges zuruͤck, und bin uͤberzeugt, daß wenn diese Heerde Neuglaubender angewachsen waͤre, sie in kurzem einen neuen Aberglauben in die Welt stellen wuͤrde; es sey denn, daß sie nur aus Seelen, frei von Furcht und Schwachheit bestuͤnde. Und diese sind nicht die gemeinsten. Das glaube ich indeß, daß die Stimme der Vernunft, wenn sie sich gegen den Fanatismus immer staͤrker er- hebt, die zukuͤnftige Generation duldsamer, als die jetzige ist, machen kann; und auch das ist schon viel gewonnen.“ 22. 22. G ern geben wir Ihnen den groͤßesten Theil Ihrer Zweifel , die Sie mit dem Ansehen des großen Koͤniges unterstuͤtzt haben, zu; aber was folgt daraus? Sol- len wir, wenn wir auch Ursache haͤtten, an der hoͤchsten Vollendung des edelsten Werks zu zweifeln, dies Werk deßwegen aufge- ben, und an der guten Sache verzweifeln? Das wollte der große Koͤnig nicht; er blieb seiner Pflicht getreu, und ließ die Hand nicht vom Steuer, wenn er gleich wußte, daß er sein Schiff nicht ewig regieren koͤnnte. Zu dieser Thaͤtigkeit munterte er seine Zweite Samml. F Freunde auf, hielt seine Unterthanen an; sie war ihm die Seele des Lebens. Auch sahe er wohl, daß die Zeit fortruͤckte. Es schei- net, (sagt er im Jahr 1777.) daß Europa jetzt im Zuge ist, sich uͤber alle Gegenstaͤn- de, die auf das Wohl der Menschheit am meisten Einfluß haben, aufzuklaͤren, und man muß Euch das Zeugniß geben, daß Ihr mehr als Einer unsrer Zeitgenossen dazu beigetragen habt, es mit der Fackel der Philosophie zu erleuchten.“ Wenn er auf seinem Standpunkt, dazu im hoͤchsten Alter nicht in jede brausende Hoffnung der Encyklopaͤdie einstimmen konnte, so war dies nicht nur ihm verzeihlich, sondern sehr vernuͤnftig. Der Menschheit zu viel und zu wenig zutrauen wollen; beides ist schaͤd- lich. Daß es zu unsrer Zeit edle, gute, große, selbst aufopfernde Seelen gebe, diesen Glau- ben wird mir niemand rauben: denn ich habe ihn durch Erfahrung bewaͤhret. Daß selbst diese Großmuth aber, wie alles Andre, das Gewand der Zeit tragen muͤße, kann uns nicht unerwartet seyn. Weil wir so- gar viel beduͤrfen, sind wir von gar viel Feßeln gebunden; daß diese druͤckenden Feßeln aber wenigstens der Großmuth loser gemacht werden moͤchten, wer wuͤnschet dies mehr als die aͤchte Humanitaͤt selbst? Fast kann sie ihres Wunsches auch nicht ungewiß seyn, da bei dem immer wachsen- den unersaͤttlichen Beduͤrfniß die Natur der Dinge selbst einen neuen Anfang herbeizu- fuͤhren scheinet. Wenn jeder Einzelne fuͤhlt, er koͤnne in seinem jetzigen Verhaͤltniß der leidenden Menschheit nicht zu Huͤlfe kom- men, wie er sollte; so werden, so muͤßen sich diese Verhaͤltnisse mit der Zeit aͤndern. Die Natur selbst arbeitet daran, und keine F 2 menschliche Kraft kann es hindern. Ist das Salz, das den Koͤrper wuͤrzen soll, abgeschmackt; wozu ist es nach dem Evan- gelium nuͤtz, als daß man es hinauswer- fe, und laße es die Leute zertreten? Auch daruͤber wollen wir uns also nicht wundern, wenn gewisse alte Aeste und Zweige unserer Verfassung nicht mehr so viel Cultur erhalten, als ehmals. Man fuͤhlt, daß sie duͤrre Aeste sind und wuͤnscht junge Sproßen an ihre Stelle. Laßet uns die beklagen, die als fruchtbare Zweige auf einem duͤrren Ast stehen; laßet uns die tadeln, die den Ast verdorren ließen oder ihm seinen Saft entzogen; die Ach- tung und Meinung der Zeit aber kann sich nur nach dem was da ist, nicht was es ehemals war oder kuͤnftig seyn wird, ge- stalten. Jedes der Menschheit erwiesene Unrecht raͤchet aufs fuͤrchterlichste sich selbst; und wehe, wem der Glaube oder Nicht- glaube hieran mit Spott und Verachtung in die Hand kommt. Staͤnde veralten; mithin verjuͤngen sich auch Staͤnde. Es ist Ein und dasselbe Gesetz der Natur, das diese Seite des Ra- des hinunter, jene emporkehrt. Neuen Most , sagt das Evangelium, faße man in neue Schlaͤuche ; so werden sie beide erhalten . Was hilft es, gegen die Vorurtheile der Erziehung Klage erheben? Man beßre die Erziehung, so fallen die Klagen weg. Philosophie aber kann dies nicht allein thun; sie ist nur der linke Arm, Regie- rung ist der rechte Arm der Menschheit. Nur mit beiden laͤßt sich das große Werk, und alsdann sehr leicht vollfuͤhren. Was nuͤtzt es, uͤber ungeschaffene oder halbgeschaffene Menschen zu klagen, deren F 3 Ausbildung ja uns allein uͤberlassen ward? Dem traͤgen Erdklos hauche Othem des Lebens ein; er wird sich munter bewegen, und dir froͤlich danken. Ists gnug, auch in der Regierung der Voͤlker Uebel zu bedauren, die wir heilen, denen wir zuvorkommen koͤnnen? Laßet Staͤnde, laßet Menschen in allen Aemtern und Bedienungen human und gerecht, groß, gut und billig denken; der Regent kann nicht anders, als mit und gleich ihnen den- ken. Denn nur aus einzelnen Theilen be- steht das Ganze; verbessern sich die Theile, und halten zusammen; das Ganze wird gut, ehe mans merket. Tadeln Sie mir also nicht meine Phi- losophen, auch bei ihren kraͤnklichen Kla- gen, oder bei ihren uͤberspannten Wuͤn- schen. Ist nicht der kraͤnkliche Theil des Koͤrpers der Witterung am meisten em- pfindlich? Der Hygrometer muß zart, das Quecksilber muß in einer glaͤsernen Roͤhre verschlossen seyn, wenn sie ihr Amt thun sollen. Anderntheils muß wer andre er- muntern, entflammen will, selbst warm und munter seyn. Der kaͤltere Beobachter oder Geschaͤftsmann wird ihn schon zurecht- weisen. Welch ein Ungluͤcksprophet sind Sie aber, daß Sie das barbarische Kriegs- und Eroberungssystem fuͤr die unerschuͤtterliche Grundveste Europa's halten? Das hat der große Koͤnig nicht gemeint, so manchen Einfall er sich zumal in juͤngern Jahren uͤber den guten Abbt St. Pierre erlaubte. Waͤre diese traurige Behauptung wahr, was koͤnnte man anders sagen, als: zum Wohl der Menschheit gehe das ungluͤckli- che Europa unter! Hat es nicht lange gnug sich selbst und die Welt beunruhigt? F 4 Triefen nicht alle Laͤnder vom Blut derer, die es erschlug, vom Schweiß derer, die es als Sklaven quaͤlte? Auf den Tafeln der Natur stehet das große Gesetz der Bil- ligkeit und Wiedervergeltung geschrieben: „ man mache gut , was man boͤse gemacht hat ; oder buͤße durch eig - ne Verbrechen .“ Ich hoffe das Erste. Europa wird gut machen, was es im Tau- mel der Leidenschaft, unter den Huͤllen des Aberglaubens und der Barbarei, unter dem Joch der Vorurtheile und des Despotis- mus boͤse gemacht hat; und die ganze Menschheit wird sich seiner klaͤreren Ver- nunft, seiner gesetzteren Billigkeit, seines richtigern Calculs freuen. Denken Sie sich eine Gattung Thiere, die nicht Beduͤrfnisses, sondern des Ver- gnuͤgens, der Kunst, der Raserei eines Einzigen ihrer Art wegen, sich selbst auf- riebe; was wuͤrden Sie vom Urheber der Natur sagen? Sich selbst zu regieren, einander zur Gluͤckseligkeit zu helfen, dazu ist das menschliche Geschlecht gemacht; nicht einander zu sieden, zu braten, und kuͤnst- lich zu morden. Der große Friederich nannte die Kriege Fieberanfaͤlle der Menschheit. Dem Fieber ruft man einen Arzt; auch dies Fieber wird seinen Arzt finden, der seine Anfaͤlle we- nigstens lindre und mindre. Denn das Menschengeschlecht dauert fort; was Eine Zeit nicht thun konnte, kann die andre. Plus vltra, ist der Spruch der Menschheit, plus vltra! Kein Herkules hat an ihre letzten Saͤulen gereicht; niemand wird sie erreichen. F 5 23. I sts Braga's Lied im Sternenklang, Ists, Tochter Dval's, Die nordische Parze. Braga ist der Gott der Dichtkunst. A. d. H. dein Weihgesang, Was rings die alte Nacht verjuͤngt, Und mich, ach meinen Staub durchdringt? — — Kann dies die Staͤte seyn, wo wir Ins Thal des Schweigens flohn? — Wie reizend, wie bezaubernd lacht Die heitre Gegend, wie voll sanfter Pracht! In schoͤn'rer Majestaͤt, in reiferm Strale Glaͤnzt diese Sonne. Milder fließt vom Thale Mir fremder Bluͤthen Fruͤhlingsduft, Und Balsamgeister steigen durch die Luft. — — — Ha nicht also in festlichem Gewand Gruͤßt' ich dich einst, mein muͤtterliches Land. Unfreundlich, ungeschmuͤckt und rauh und wuͤste In truͤbem Dunkel schauerte die Kuͤste. Kein Himmel leuchtete mild durch den Hain, Kein Tag der Aehren lud zu Freuden ein. In Hoͤlen lauschte Graun und Meuterei, Und was am Ufer scholl, war Kriegsge- schrei. — In sanfter aͤtherischer Musik schallten diese Worte um mein Ohr, indeß mein schlummerndes Auge im Traum ein sehr erfreuliches Gesicht sahe. An der Hand eines ehrwuͤrdigen Barden erschien ein alt- deutscher Druide. Der Druide suchte ver- gebens seinen laͤngst zerstoͤrten heiligen Hain, seine zertruͤmmerte Opferstaͤte. Der Barde suchte die verlohrnen Fußtapfen seiner Hel- den; er sah neue Gesetze, neue Anstalten fuͤr Ruhe, Ordnung, Recht und Wohlstand der Menschen; Gaͤrten und Fluren lachten um ihn her; neue Lieder erklangen, nicht blutige Heldenlieder. Da ergrif er seine laͤngst verstummte Harfe; er sang die Toͤ- ne, deren einzelne Laute ich eben aus der Erinnerung angefuͤhrt habe, und das Ge- sicht zog voruͤber. Die Stelle ist aus Gerstenbergs Ge - dicht eines Skalden . Koppenhagen und Leipzig 1766. Nur die zauberische Gegend blieb vor meinem Auge; ich wachte und traͤumte. Was ich sah, war die jetzige Welt und die Zukunft; ich glaubte, (so mischen wir im Traum die Dinge unter einander!) mit physisch-moralischen Geist von der unmit- telbarsten Gegenwart der Dinge auf ihre Folgen zu schließen; oder vielmehr nicht zu schließen, weil in der wachenden Er- scheinung Gegenwart und Zukunft nur Eins war. Es war die Blume in voller Gestalt; es war der Baum mit allen seinen Fruͤch- ten. Ach, sprach ich zu mir selbst, Ephe- meren, die wir glauben, mit uns gehe Himmel und Erde unter! Blinde, die so selten gewahr werden, woran sie selbst ar- beiten, und was sich vor ihnen entwickelt. Die Gegenwart ist schwanger von der Zu- kunft; das Schicksal der Nachwelt ist in unsrer Hand, wir haben den Faden ge- erbt, wir weben ihn, und spinnen ihn wei- ter. Wollen Sie, m. Freunde, etwas aus diesem meinem wachenden Traume wissen? Hier sind einige Zuͤge, von denen ich Ih- nen kuͤnftig genaue Rechenschaft zu geben hoffe: In der Folge des Briefwechsels finde ich diese Anlagen entwickelt. A. d. H. Denn, wie Sie wissen, Traͤume werden nur aus Erfahrungen, und das Grundgewebe dieser Hoffnungen sind sehr uͤberdachte Gedanken. Ich stellte mir den Zustand der kuͤnfti- gen Literatur aus dem Zusammenhange der jetzigen und der vergangenen vor; ich sah die Morgenroͤthe eines schoͤnen werden- den Tages. Was erfindsame, fleißige Gei- ster unsrer Zeit und der Vorzeit Nuͤtzliches versuchten, begannen, thaten, sah ich von der Nachwelt gebraucht und uͤbertroffen. Sie berichtigte Erfindungen, auf Anlagen bauete sie; sie schuf sich gleichsam neue Organe; die ganze Ansicht der Dinge war veraͤndert. Unsre Bemuͤhungen, die Alten in ih - rem Geist zu lesen, waren nichts weniger, als verkannt; ich hoͤrte den Namen eini- ger meiner Freunde mit Liebe und Hoch- achtung nennen. Man war aber weiter gekommen; man dachte, und schrieb wie die Alten. Zeiten, denen aͤhnlich, in denen die edelsten Griechen und Roͤmer schrieben, waren erschienen; man schrieb, was man sah und that; und schrieb merkwuͤrdige Dinge. Der Feldherr und Buͤrger, der Philosoph und Staatsmann trennten sich nicht von einander. Zeiten waren gekommen, in denen nicht Strafen allein, sondern auch oͤffentliche Ehren und Belohnungen waren. Da leb- ten Kuͤnstler, da sangen Dichter. Es war Griechenland und war es auch nicht: denn drittehalb Jahrtausende waren nicht um- sonst verflossen in dem immer auf einan- der bauenden Tempel der Zeiten. Mein Herz erhob sich, da ich aus meinen Tagen einzelne Laute meiner Bekannten und Freun- de hoͤrte. Ich sah ein Theater, wie ichs zu unsrer Zeit nicht gesehen hatte, dem Griechischen sehr aͤhnlich. Sogar der Chor erschien auf demselben wieder, als Zeuge einer all- gemeinen Theilnehmung an dem was ver- handelt ward; unserer Zeit fremde. Ich bemerkte den Zustand der Philoso- phie; Maͤnner, die mir theuer gewesen waren, erblickte ich als Gesetzgeber und Einrichter der Nachwelt. Meine ganze Seele war wie in den Tagen meiner Ju- gend. Gesetze endlich, Regierungen, der Zu- stand der Menschheit waren so, und so leicht veraͤndert, daß ich mich wunderte, wie wir das alles gewußt, gekannt und nicht angewandt haben konnten. Auch hier nannte man mir heilige, verehrte Na- men men meiner und der Vorzeit, die ich ge- liebt hatte. Allenthalben, auch im Tem- pel der Religion, verehrte man Eine Goͤt- tinn, aber nicht mit Worten, sondern in Thaten und Seele, die Humanitaͤt . In- dem auch ich sie anbeten wollte, riß mich ein neues Traumgesicht fort. Durch Sturm und Wellen, uͤber Felsen und Wuͤsten kam ich zum Sitze des alten Menschenfreundes, Prometheus . Er war nicht mehr an seinen Felsen geschmie- det; kein Adler zehrete mehr an seiner nim- merverzehrten Leber. Gewalt und Staͤr - ke , die ihn einst angeschmiedet hatten, die- neten ihm; die vom Stachel der Liebe um- hergetriebene Jo saß in menschlich-goͤttli- cher Gestalt ruhig zu seiner Seite. Der alte Ocean auf seinem gefluͤgelten Roß und die Zweite Samml. G Oceaniden auf ihrem Wagen, alle Menschen- freundlichen Nymphen und Pflegerinnen der Erde waren um ihn versammlet, und er sprach: „Meine Vorsicht konnte mich nicht truͤ- gen, denn ich wußte, was ich den Menschen gegeben hatte mit meinem Geschenk. Un - sterblichkeit ist nicht fuͤr sie auf Erden; aber mit dem Licht , das ich ihnen vom Olympus holte, hatten sie Alles. Traͤge Geschoͤpfe, daß sie so lang' in der Daͤmme- rung gingen; endlich haben sie das Mittel gefunden, das in ihnen selbst lag, die Ver - nunft . Sie giebt das Maas und die Waage, sich selbst zu regieren, Leidenschaf- ten, auch die staͤrksten und haͤrtesten zu uͤber- winden, und allein meiner Mutter The - mis zu gehorchen. Lange litt ich mit ihren Leiden; darum war ich an den Felsen ge- schmiedet, die Zeit und ein edler Goͤt - tersohn , der Sohn meines aͤrgsten Fein- des, haben mich befreiet.“ Das Traum- bild verschwand und ich erwachte. Multa renascentur quae iam cecidere, ca- dentque Quae nunc sunt in honore — Alter erit tum Typhis, et altera quae vehat Argo Delectos heroas: erunt etiam altera bella, Atque iterum ad Troiam magnus mittetur Achilles. G 2 24. I ch fuͤrchte, Ihr armer Prometheus wird lange noch die Fesseln tragen, die ihm Ge- walt und Staͤrke anlegten. Um indessen nicht alte Zweifel zu wiederholen, lege ich Ihnen nur noch Eine, aber eine Hauptfra- ge vor: „Waͤre die ganze Idee einer fortgehen- den, oder fortschreitenden Vervollkommung des Menschengeschlechts nicht ein bloßer Traum?“ Prometheus wußte seinen armen Kranken kein anderes Heilmittel zu geben, als die taͤuschende, blinde Hoffnung. „Welche andre Gattung der Geschoͤpfe laͤßt sich vervollkommen? Und fuͤr wen? fuͤr sich, oder fuͤr andre? Welchen Beruf also, welche Sicherheit daruͤber haͤtte der einzige Mensch fuͤr sich? „Und wo steht sein Ziel der Vollkommen- heit? Die Linie dahin, ist sie eine Asym- ptote? eine Ellipse? eine Cykloide? oder welch eine andre Curve?“ „Das menschliche Geschlecht besteht nur in einzelnen Menschen. Werden wir voll- kommner gebohren, als unsre Vorfahren? vollkommner erzogen? Und wenn dies auch waͤre; der einzelne Mensch waͤchst, culmi- nirt und geht ruͤckwaͤrts. Ein andrer tritt an seine Stelle, waͤchst, culminirt und geht ruͤckwaͤrts. Er nimmt, was er etwa erwor- ben hatte, ins Grab; der andre hat neue Muͤhe im Erwerben, und eben den Aus- gang.“ „Was heißt Vervollkommung? Heißts Vermehrung der Kraͤfte? Diese bleiben in G 3 dem den Menschen von der Natur bestimm- ten Maas und Kreise. Der Mensch, so oft man ihn auch einen Gott, oder einen Engel nennete, kann nie ein Gott oder ein Engel werden.“ „Oder waͤre Vervollkommung eine Ver- mehrung von Werkzeugen und Mitteln zum Gebrauch menschlicher Kraͤfte? So kommt es immer doch darauf an, ob sie gut ge- braucht werden: denn in den Haͤnden des Boͤsewichts sind vermehrte Mittel, vermehr- te Uebel.“ „Also veraͤnderte sich die Frage dahin: „wird das menschliche Geschlecht (nicht cul- tivirter, sondern) moralisch-besser? Besser in Neigungen? in Grundsaͤtzen? in Anwen- dung dieser Grundsaͤtze zu Ordnung der Nei- gungen? zu Bezwingung der Leidenschaften? zu mehrerer und schwererer Tugenduͤbung? Getraueten Sie sich dieses zu behaupten?“ „Und woher behaupteten Sies? aus der Natur der Sache? aus dem Wesen der Menschheit? aus der Geschichte und Erfah- rung?“ „Ziehen Sie die Zusammenordnung der Menschen auf unserm Erdball klimatisch, local, politisch, und wie Sie ferner wollen, in Erwaͤgung; bemerken Sie den Wechsel der Dinge in Reichen, in Staaten, in Fa- milien, in Staͤnden; allenthalben werden Sie zwar Macht, Reichthum, Trieb, Lei- denschaft, blinde Neigung herrschend fin- den; aber auch erleuchtete Vernunft, Weis- heit, Guͤte? und zwar nach dem Fortgange der Zeiten mit wachsendem Lichte?“ „Chronologisch und genealogisch haͤngt freilich das Menschengeschlecht zusammen, oder ruͤcket fort ; aber auch dynamisch? rationell? moralisch?“ G 4 „Und verloͤre unser Geschlecht dabei, wenn es nicht fortruͤckte? Der einzelne Mensch nicht: denn der lebt auf seiner Stelle und kommt nicht wieder. Das Ganze auch nicht; dies lebt nur in einzelnen Theilen. Die wachsende Vollkommenheit des Ganzen waͤre ein Ideal, das keinem zu gut kommt, das nur in einem alles uͤbersehenden Geist exsi- stiren koͤnnte, etwa im Geist des Schoͤp- fers; und was waͤre fuͤr diesen ein solches Spielwerk?“ Vergoͤnnen Sie also, daß ich mit Les - sing den ganzen Traum von wachsender Vollkommenheit unseres Geschlechts fuͤr ei- nen heilsamen Trug annehme. Der Mensch muß nach etwas Hoͤherem streben, damit er nicht unter sich sinke. Er muß vor- waͤrts getrieben werden, damit er nur von der Stelle komme, und nicht in Traͤgheit ermatte. Der Wahn einer Perfectibilitaͤt und der Trieb dazu scheinet ihm nur als Ver- wahrungsmittel gegen die Unthaͤtigkeit und Verschlimmerung gegeben. Er geht wie in der Muͤhle das blinde Pferd, oder wie die kletternde Ziege. — — Oh man, proud man, drest in a little brief authority, most ignorant of what he is most assur'd, plays such fantastic tricks before high heav'n as make an angel weep. Shakesp. G 5 25. A lle Ihre Fragen uͤber den Fortgang uns- res Geschlechts, die eigentlich ein Buch er- forderten, beantwortet, wie mich duͤnkt, ein einziges Wort, Humanitaͤt , Mensch - heit . Waͤre die Frage: ob der Mensch mehr als Mensch, ein Ueber- ein Außermensch werden koͤnne und solle? so waͤre jede Zeile zu viel, die man deßhalb schriebe. Nun aber, da nur von den Gesetzen seiner Natur , vom unausloͤschlichen Cha - rakter seiner Art und Gattung die Rede ist: so erlauben Sie, daß ich sogar einige Paragraphen schreibe. Ueber den Charakter der Menschheit. 1. Vollkommenheit einer Sache kann nichts seyn, als daß das Ding sei, was es seyn soll und kann. 2. Vollkommenheit eines einzelnen Men- schen ist also, daß er im Continuum seiner Exsistenz Er selbst sei und werde. Daß er die Kraͤfte brauche, die die Natur ihm als Stammgut gegeben hat; daß er damit fuͤr sich und andre wuchere. 3. Erhaltung , Leben und Gesund - heit ist der Grund dieser Kraͤfte; was die- sen Grund schwaͤchet, oder wegnimmt, was Menschen hinopfert, oder verstuͤmmelt; es habe Namen, wie es wolle, ist unmensch- lich. 4. Mit dem Leben des Menschen faͤngt seine Erziehung an: denn Kraͤfte und Glieder bringt er zwar auf die Welt, aber den Ge- brauch dieser Kraͤfte und Glieder, ihre An- wendung, ihre Entwicklung muß er lernen. Ein Zustand der Gesellschaft also, der die Erziehung vernachlaͤßigt, oder auf falsche Wege lenkt, oder diese falsche Wege beguͤn- stigt, oder endlich die Erziehung der Men- schen schwer und unmoͤglich macht, ist inso- fern ein unmenschlicher Zustand. Er beraubt sich selbst seiner Glieder und des Besten, das an ihnen ist, des Gebrauchs ihrer Kraͤfte. Wozu haͤtten sich Menschen vereinigt, als daß sie dadurch vollkommenere, bessere, gluͤck- lichere Menschen wuͤrden? 5. Unfoͤrmliche also oder schiefaus - gebildete Menschen zeigen mit ihrer trau- rigen Exsistenz nichts weiter, als daß sie in einer ungluͤcklichen Gesellschaft von Kindheit auf lebten: denn Mensch zu werden, dazu bringt jeder Anlage gnug mit sich. 6. Sich allein kann kein Mensch leben, wenn er auch wollte. Die Fertigkeiten, die er sich erwirbt, die Tugenden oder Laster, die er ausuͤbt, kommen in einem kleinern oder groͤßeren Kreise andern zu Leid oder zur Freude. 7. Die gegenseitig - wohlthaͤtigste Einwirkung eines Menschen auf den Andern Jedem Individuum zu ver- schaffen und zu erleichtern; nur dies kann der Zweck aller menschlicher Verei - nigung seyn. Was ihn stoͤrt, hindert oder aufhebt, ist unmenschlich. Lebe der Mensch kurz oder lange, in diesem oder je- nem Stande; er soll seine Exsistenz genießen und das Beste davon andern mittheilen; dazu soll ihm die Gesellschaft, zu der er sich vereinigt hat, helfen. 8. Gehet ein Mensch von hinnen, so nimmt er nichts als das Bewußtseyn mit sich, sei- ner Pflicht, Mensch zu seyn, mehr oder minder ein Gnuͤge gethan zu haben. Alles andre bleibt hinter ihm, den Menschen . Der Gebrauch seiner Faͤhigkeiten, alle Zin- sen des Capitals seiner Kraͤfte, die das ihm geliehene Stammgut oft hoch uͤbersteigen, fallen seinem Geschlecht anheim. 9. An seine Stelle treten junge, ruͤstige Menschen, die mit diesen Guͤtern forthan - deln ; sie treten ab, und es kommen andre an ihre Stelle. Menschen sterben, aber die Menschheit perennirt unsterblich. Ihr Haupt- gut, der Gebrauch ihrer Kraͤfte, die Aus- bildung ihrer Faͤhigkeiten ist ein gemeines, bleibendes Gut; und muß natuͤrlicher Weise im fortgehenden Gebrauch fortwachsen . 10. Durch Uebung vermehren sich die Kraͤfte, nicht nur bei Einzelnen, sondern ungeheuer mehr bei Vielen nach und mit einander. Die Menschen schaffen sich immer mehrere und bessere Werkzeuge; sie lernen sich selbst einander immer mehr und besser als Werkzeuge gebrauchen. Die physi - sche Gewalt der Menschheit nimmt also zu: der Ball des Fortzutreibenden wird groͤßer; die Maschienen, die es forttreiben sollen, werden ausgearbeiteter, kuͤnstlicher, geschickter, feiner. 11. Denn die Natur des Menschen ist Kunst . Alles, wozu eine Anlage in sei- nem Daseyn ist, kann und muß mit der Zeit Kunst werden. 12. Alle Gegenstaͤnde , die in seinem Reich liegen, (und dies ist so groß als die Erde) laden ihn dazu ein; sie koͤnnen und werden von ihm, nicht ihrem Wesen nach, sondern nur zu seinem Gebrauch erforscht, gekannt, angewandt werden. Niemand ist, der ihm hierinn Grenzen setzen koͤnne; selbst der Tod nicht: denn das Menschengeschlecht ver- verjuͤnget sich mit immer neuen Ansichten der Dinge, mit immer jungen Kraͤften. 13. Unendlich sind die Verbindungen, in welche die Gegenstaͤnde der Natur ge- bracht werden koͤnnen; der Geist der Er- findungen zum Gebrauch derselben ist also unbeschraͤnkt und fortschreitend . Eine Erfindung weckt die andre auf; Eine Thaͤtigkeit erweckt die andre. Oft sind mit Einer Entdeckung tausend andre, und zehn- tausend auf sie gegruͤndete, neue Thaͤtig- keiten gegeben. 14. Nur stelle man sich die Linie dieses Fortganges nicht gerade, noch einfoͤr- mig; sondern nach allen Richtungen, in allen moͤglichen Wendungen und Winkeln Zweite Samml. H vor. Weder die Asymptote, noch die El- lipse und Cykloide moͤgen den Lauf der Natur uns vormahlen. Jetzt fallen die Menschen begierig uͤber einen Gegenstand her; jetzt verlassen sie ihn mitten im Werk; entweder seiner muͤde, oder weil ein an- drer neuerer Gegenstand sie zu sich hin- reißt. Wenn dieser ihnen alt geworden ist, werden sie zu jenem zuruͤckkehren; oder dieser wird sie gar auf jenen zuruͤckleiten. Denn fuͤr den Menschen ist Alles in der Natur verbunden, eben weil der Mensch nur Mensch ist und allein mit seinen Or- ganen die Natur siehet und gebrauchet. 15. Hieraus entspringt ein Wettkampf menschlicher Kraͤfte, der immer vermehrt werden muß, je mehr die Sphaͤre des Er- kenntnisses und der Uebung zunimmt. Ele- mente und Nationen kommen in Verbin- dung, die sich sonst nicht zu kennen schie- nen; je haͤrter sie in den Kampf gerathen, desto mehr reiben sich ihre Seiten allmaͤ- lich gegen einander ab, und es entstehen endlich gemeinschaftliche Productionen meh- rerer Voͤlker. 16. Ein Conflict aller Voͤlker unsrer Erde ist gar wohl zu gedenken; der Grund dazu ist sogar schon geleget. 17. Daß zu diesen Operationen die Natur viel Zeit, mancherlei Umwandlungen be- darf, ist nicht zu verwundern; ihr ist kei- ne Zeit zu lang, keine Bewegung zu ver- flochten. Alles was geschehen kann und soll, mag nur in aller Zeit, wie im gan - H 2 zen Raum der Dinge zu Stande ge- bracht werden; was heute nicht wird, weil es nicht geschehen kann, erfolgt morgen. 18. Der Mensch ist zwar das erste, aber nicht das einzige Geschoͤpf der Erde; er beherrscht die Welt, ist aber nicht das Uni- versum. Also stehen ihm oft die Ele - mente der Natur entgegen , daher er mit ihnen kaͤmpfet. Das Feuer zer- stoͤrt seine Werke; Ueberschwemmungen be- decken sein Land; Stuͤrme zertruͤmmern seine Schiffe, und Krankheiten morden sein Geschlecht. Alle dies ist ihm in den Weg gelegt, damit ers uͤberwinde . 19. Er hat dazu die Waffen in sich . Seine Klugheit hat Thiere bezwungen, und ge- braucht sie zu seiner Absicht; seine Vor- sicht setzt dem Feuer Grenzen und zwingt den Sturm, ihm zu dienen. Den Fluthen setzt er Waͤlle entgegen und geht auf ihren Wogen daher; den Krankheiten und dem verheerenden Tode selbst sucht und weiß er zu steuren. Zu seinen besten Guͤtern ist der Mensch durch Unfaͤlle gelangt, und tausend Entdeckungen waͤren ihm ver- borgen geblieben, haͤtte sie die Noth nicht erfunden. Sie ist das Gewicht an der Uhr, das alle Raͤder derselben treibet. 20. Ein Gleiches ists mit den Stuͤrmen in unsrer Brust, den Leidenschaften der Menschen . Die Natur hat die Charaktere unseres Geschlechts so verschieden gemacht, als diese irgend nur seyn konnten: denn alles Innere soll in der Menschheit her- H 3 ausgekehrt, alle ihre Kraͤfte sollen ent- wickelt werden. 21. Wie es unter den Thieren zerstoͤren - de und erhaltende Gattungen giebt; so unter den Menschen. Nur unter jenen und diesen sind die zerstoͤrenden Leiden- schaften die wenigern ; sie koͤnnen und muͤssen von den erhaltenden Neigungen unsrer Natur eingeschraͤnkt und bezwun- gen, zwar nicht ausgetilgt, aber unter eine Regel gebracht werden. 22. Diese Regel ist Vernunft , bei Hand- lungen Billigkeit und Guͤte . Eine Vernunftlose, blinde Macht ist zuletzt im- mer eine ohnmaͤchtige Macht; entweder zer- stoͤrt sie sich selbst, oder muß am Ende dem Verstande dienen. 23. Deßgleichen ist der wahre Verstand im- mer auch mit Billigkeit und Guͤte verbunden; sie fuͤhret auf ihn, er fuͤhret auf sie; Verstand und Guͤte sind die bei- den Pole, um deren Achse sich die Kugel der Humanitaͤt beweget. 24. Wo sie einander entgegengesetzt schei- nen, da ists mit einer oder dem andern nicht richtig; eben diese Divergenz aber macht Fehler sichtbar , und bringt den Calcul des Interesse unsres Geschlechts immer mehr zur Richtigkeit und Bestimmt- heit. Jeder feinere Fehler giebt eine neue , hoͤhere Regel der reinen all - umfassenden Guͤte und Wahrheit . H 4 25. Alle Laster und Fehler unsres Geschlechts muͤssen also dem Ganzen endlich zum Besten gereichen. Alles Elend, das aus Vorurtheilen, Traͤgheit und Unwissenheit entspringt, kann den Menschen seine Sphaͤ- re nur mehr kennen lehren; alle Aus- schweifungen rechts und links stoßen ihn am Ende auf seinen Mittelpunkt zuruͤck. 26. Je unwilliger, hartnaͤckiger, traͤger das Menschengeschlecht ist, desto mehr thut es sich selbst Schaden; diesen Schaden muß es tragen, buͤßen und entgelten; desto spaͤ- ter kommts zum Ziele. 27. Dies Ziel ausschließend jenseit des Grabes setzen, ist dem Menschengeschlecht nicht foͤrderlich, sondern schaͤdlich. Dort kann nur wachsen, was hier gepflanzt ist, und einem Menschen sein hiesiges Daseyn rauben, um ihn mit einem andern außer unsrer Welt zu belohnen, heißt den Men- schen um sein Daseyn betruͤgen. 28. Ja dem ganzen menschlichen Geschlecht, das also verfuͤhrt wird, seinen Endpunkt der Wirkung verruͤcken, heißt ihm den Sta- chel seiner Wirksamkeit aus der Hand drehn, und es im Schwindel erhalten. 29. Je reiner eine Religion war, desto mehr mußte und wollte sie die Humanitaͤt befoͤrdern. Dies ist der Pruͤfstein selbst der Mythologie der verschiednen Religionen. H 5 30. Die Religion Christi , die Er selbst hatte, lehrte und uͤbte, war die Huma - nitaͤt selbst. Nichts anders, als sie; sie aber auch im weitsten Inbegrif, in der reinsten Quelle, in der wirksamsten An- wendung. Christus kannte fuͤr sich keinen edleren Namen, als daß er sich den Men - schensohn d. i. einen Menschen nannte. 31. Je beßer ein Staat ist, desto angele- gentlicher und gluͤcklicher wird in ihm die Humanitaͤt gepfleget ; je inhumaner, desto ungluͤcklicher und aͤrger. Dies geht durch alle Glieder und Verbindungen des- selben von der Huͤtte an bis zum Throne. 32. Der Politik ist der Mensch ein Mit - tel ; der Moral ist er Zweck . Beide Wissenschaften muͤssen Eins werden, oder sie sind schaͤdlich wider einander. Alle da- bei erscheinende Disparaten indeß muͤssen die Menschen belehren, damit sie, wenig- stens durch eigenen Schaden klug werden. 33. Wie jeden aufmerksamen einzelnen Menschen das Gesetz der Natur zur Hu- manitaͤt fuͤhret; seine rauhen Ecken wer- den ihm abgestoßen, er muß sich uͤberwin- den, andern nachgeben, und seine Kraͤfte zum Besten andrer gebrauchen lernen: so wirken die verschiedenen Charaktere und Sinnesarten zum Wohl des groͤs- seren Ganzen. Jeder fuͤhlt die Uebel der Welt nach seiner eigenen Lage ; er hat also die Pflicht auf sich, sich ihrer von dieser Seite anzunehmen, dem Mangelhaf- ten, Schwachen, Gedruckten an dem Theil zu Huͤlfe zu kommen, da es ihm sein Verstand und sein Herz gebietet. Ge- lingts, so hat er dabei in ihm selbst die eigenste Freude; gelingts jetzt und ihm nicht, so wirds zu anderer Zeit einem an- dern gelingen. Er aber hat gethan, was Er thun sollte und konnte. 34. Ist der Staat das, was er seyn soll, das Auge der allgemeinen Ver - nunft , das Ohr und Herz der all - gemeinen Billigkeit und Guͤte : so wird er jede dieser Stimmen hoͤren, und die Thaͤtigkeit der Menschen nach ihren verschiednen Neigungen, Empfindbarkeiten, Schwaͤchen und Beduͤrfnissen aufwecken und ermuntern. 35. Es ist nur Ein Bau , der fortge- fuͤhrt werden soll, der simpelste, groͤßeste; er erstrecket sich uͤber alle Jahrhunderte und Nationen; wie physisch, so ist auch moralisch und politisch die Menschheit im ewigen Fortgange und Stre - ben . 36. Die Perfectibilitaͤt ist also keine Taͤuschung; sie ist Mittel und Endzweck zu Ausbildung alles dessen, was der Charak- ter unsres Geschlechts Humanitaͤt ver- langet und gewaͤhret. Hebet eure Augen auf und sehet. Al- lenthalben ist die Saat gesaͤet; hier ver- weset und keimt, dort waͤchset sie und reift zu einer neuen Aussaat. Dort liegt sie unter Schnee und Eise; getrost! das Eis schmilzt; der Schnee waͤrmt und decket die Saat. Kein Uebel, das der Menschheit begegnet, kann und soll ihr anders als ersprießlich werden. Es laͤge ja selbst an ihr, wenn es ihr nicht ersprießlich wuͤrde: denn auch Laster, Fehler und Schwachhei- ten der Menschen stehen als Naturbege- benheiten unter Regeln, und sind oder sie koͤnnen berechnet werden. Das ist mein Credo. Speremus atque agamus. 26. N eulich sprach Jemand von einer Gesell- schaft, von der er sonderbare Dinge be- hauptete. Er sagte, „ihre wahre Thaten „seyn so groß, so weit aussehend, daß „ganze Jahrhunderte vergehen koͤnnten, „ehe man sagen duͤrfte: das haben sie ge- „than! Gleichwohl haͤtten sie alles Gute „gethan, was noch in der Welt ist (merke „wohl, sagte er: in der Welt !) und fuͤh- „ren fort, an alle dem Guten zu arbeiten, „was noch in der Welt werden wird, (merke „wohl, sagte er, in der Welt !) Und, „(setzte er hinzu,) die wahren Thaten dieser „Gesellschaft zielen dahin, um groͤßtentheils „alles, was man gemeiniglich gute Thaten „nennt, entbehrlich zu machen.“ Wer war begieriger uͤber dieses Raͤthsel als ich? Und hier ist ungefaͤhr unser Ge- spraͤch daruͤber. Gespraͤch uͤber eine unsichtbar-sichtbare Gesellschaft. Er . Wofuͤr haͤltst du die buͤrgerliche Gesell- schaft der Menschen? Ich . Fuͤr etwas sehr Gutes. Er . Ohnstreitig. Aber haͤltst du sie fuͤr Zweck oder fuͤr Mittel? Glaubst du, daß die Menschen fuͤr die Staaten erschaffen wor- worden? oder daß die Staaten fuͤr die Menschen sind? Ich . Jenes scheinen einige behaupten zu wollen, dieses aber mag wohl das Wah- rere seyn. Er . So denke ich auch. Die Staaten ver- einigen die Menschen, damit durch diese und in dieser Vereinigung jeder einzelne Mensch seinen Theil von Gluͤckseligkeit desto beßer und sichrer genießen koͤnne. Das Totale der einzelnen Gluͤckseligkeiten aller Glieder ist die Gluͤckseligkeit des Staats. Außer dieser giebt es gar keine. Jede andre Gluͤckseligkeit des Staats, bei welcher auch noch so wenig einzelne Glieder leiden, ist Bemaͤntelung der Ty- rannei. Anders nichts. — Zweite Samml. I Ich . Gut also! Das buͤrgerliche Leben des Menschen, alle Staatsverfaßungen sind nichts als Mittel zur menschlichen Gluͤck- seligkeit. Was weiter? Er . Nichts als Mittel, und Mittel mensch- licher Erfindung; ob ich gleich nicht laͤugnen will, daß die Natur alles so ein- gerichtet, daß der Mensch sehr bald auf diese Erfindung gerathen muͤßen. Nun sage mir, wenn die Staatsverfassungen Mittel, Mittel menschlicher Erfindungen sind: sollten sie allein von dem Schicksale menschlicher Mittel ausgenommen seyn? Ich . Was nennest du Schicksale menschlicher Mittel? Er . Das, was unzertrennlich mit mensch- lichen Mitteln verbunden ist, daß sie nicht unfehlbar sind. Daß sie ihrer Absicht nicht allein nicht entsprechen, sondern auch wohl gerade das Gegentheil davon bewirken. Ich . Ich glaube dich zu verstehen. Aber man weiß ja wohl, woher es kommt, wenn so viel einzelne Menschen durch die Staatsverfassung an ihrer Gluͤckseligkeit nichts gewinnen. Der Staatsverfassun- gen sind viele; eine ist also beßer, als die andre; manche ist sehr fehlerhaft, mit ihrer Absicht offenbar streitend; und die beste soll vielleicht noch erfunden werden. Er . Das ungerechnet! Setze die beste Staatsverfassung, die sich nur denken laͤßt, schon erfunden; setze, daß alle Menschen in der ganzen Welt diese beste Staatsverfassung angenommen haben: meynst du nicht, daß auch dann noch, selbst aus dieser besten Staatsverfassung, I 2 Dinge entspringen muͤßen, welche der menschlichen Gluͤckseligkeit hoͤchst nach- theilig sind, und wovon der Mensch in dem Stande der Natur schlechterdings nicht gewußt haͤtte? Ich . Es wuͤrde dir schwer werden, eins von jenen nachtheiligen Dingen zu nennen — Er . Die auch aus der besten Staatsver- fassung nothwendig entspringen muͤßen? O zehne fuͤr eines. Ich . Nur Eines erst. Er . Wir nehmen also die beste Staatsver- fassung fuͤr erfunden an; wir nehmen an, daß alle Menschen in der Welt in dieser besten Staatsverfassung leben; wuͤrden deßwegen alle Menschen in der Welt nur Einen Staat ausmachen? Ich . Wohl schwerlich. Ein so ungeheurer Staat wuͤrde keiner Verwaltung faͤhig seyn. Er muͤßte sich also in mehrere kleine Staaten vertheilen, die alle nach den naͤmlichen Gesetzen verwaltet wuͤrden. Er . Und jeder dieser kleineren Staaten haͤtte sein eignes Intereße? jedes Glied desselben haͤtte das Intereße seines Staats? Ich . Wie anders? Er . Diese verschiedenen Intereße wuͤrden oͤfters mit einander in Collision kommen, so wie jetzt; und zwei Glieder aus zwei verschiedenen Staaten wuͤrden einander eben so wenig mit unbefangenem Ge- muͤth begegnen koͤnnen, als jetzt ein Deut- scher einem Franzosen, ein Franzose einem Englaͤnder begegnet. I 3 Ich . Sehr wahrscheinlich. Er . Das ist: wenn jetzt ein Deutscher einem Franzosen, ein Franzose einem Englaͤnder begegnet, so begegnet nicht mehr ein bloßer Mensch einem bloßen Menschen, sondern ein solcher Mensch begegnet einem solchen Menschen, die ihrer verschiedenen Tendenz sich bewußt sind, welches sie gegen einander kalt, zuruͤckhaltend, mißtrauisch macht, noch ehe sie fuͤr ihre einzelne Person das ge- ringste mit einander zu schaffen und zu theilen haben. Ich . Das ist leider wahr. Er . Nun so ist es denn auch wahr, daß das Mittel welches die Menschen ver- einiget, um sie durch diese Vereinigung ihres Gluͤcks zu versichern, die Menschen zugleich trennet . Tritt einen Schritt weiter. Viele von den kleinern Staaten wuͤrden ein ganz verschiedenes Klima, folglich ganz verschiedene Beduͤrfniße und Befriedigungen, folglich ganz verschiedene Gewohnheiten und Sitten, folglich ganz verschiedene Sittenlehren, folglich ganz verschiedene Religionen haben? Ich . Das ist ein gewaltiger Schritt. Er . Haͤtten sie das; so wuͤrden sie auch, sie moͤchten heißen, wie sie wollten, sich unter einander nicht anders verhalten, als sich unsre Christen und Juden und Tuͤrken von jeher unter einander verhal- ten haben. Nicht als bloße Menschen gegen bloße Menschen; sondern als solche Menschen gegen solche Men- schen, die sich einen gewissen geistigen Vorzug gegen einander streitig machen, und darauf Rechte gruͤnden, die dem I 4 natuͤrlichen Menschen nimmermehr ein- fallen koͤnnten. Ich . Allenfalls daͤchte ich doch, so wie du angenommen hast, daß alle Staaten einerlei Verfassung haͤtten, daß sie auch wohl alle Einerlei Religion haben koͤnn- ten. Ja ich begreife nicht, wie Einerlei Staatsverfaßung ohne Einerlei Religion auch nur moͤglich ist. Er . Ich eben so wenig. Auch nahm ich jenes nur an, um dir deine Ausflucht abzuschneiden. Eines ist zuverlaͤßig eben so unmoͤglich, als das andre. Ein Staat, mehrere Staaten. Mehrere Staaten, mehrere Staatsverfassungen. Mehrere Staatsverfassungen, mehrere Religio- nen. — Nun sieh da das zweite Un- heil, welches die buͤrgerliche Gesellschaft ganz ihrer Absicht entgegen verursacht. Sie kann die Menschen nicht vereinigen, ohne sie zu trennen; nicht trennen, ohne Kluͤfte zwischen ihnen zu befestigen, ohne Scheidemauern durch sie hinzuziehen. Laß mich noch das dritte hinzufuͤgen. Nicht gnug, daß die buͤrgerliche Gesellschaft die Menschen in verschiedene Voͤlker und Religionen theilet und trennet. Diese Trennung in wenige große Theile, deren jeder fuͤr sich ein Ganzes waͤre, waͤre doch immer noch beßer als gar kein Ganzes. — Nein; die buͤrgerliche Gesellschaft setzt ihre Trennung auch in jedem dieser Theile gleichsam bis ins Unendliche fort. Ich . Wie so? Er . Oder meynst du, daß ein Staat sich ohne Verschiedenheit von Staͤnden denken laͤßt? Er sey gut oder schlecht, der Vollkommenheit mehr oder weniger I 5 nahe; ohnmoͤglich koͤnnen alle Glieder unter sich das naͤmliche Verhaͤltniß ha- ben. — Wenn sie auch alle an der Gesetz- gebung Antheil haͤtten; so koͤnnen sie doch nicht gleichen Antheil haben, wenigstens nicht gleich unmittelbaren Antheil. Es wird also vornehmere und geringere Glie- der geben. — Wenn Anfangs auch alle Besitzungen des Staats unter sie gleich vertheilet worden: so kann diese gleiche Vertheilung doch keine zwei Menschenalter bestehen. Es wird bald reichere und aͤrmere Glieder geben. Ich . Das versteht sich. Er . Nun uͤberlege, wie viel Uebel es in der Welt wohl giebt, die in dieser Ver- schiedenheit der Staͤnde ihren Grund nicht haͤtten. Ich . Wenn ich dir doch widersprechen koͤnn- te! Aber was willst du damit? Mir das buͤrgerliche Leben dadurch verleiden? Mich wuͤnschen machen, daß den Men- schen der Gedanke, sich in Staaten zu vereinigen, nie moͤge gekommen seyn? Er . Verkennst du mich so weit? Wenn die buͤrgerliche Gesellschaft auch nur das Gute haͤtte, daß allein in ihr die menschliche Vernunft angebauet werden kann; ich wuͤrde sie auch bei weit groͤßern Uebeln noch segnen. Ich . Wer des Feuers genießen will, muß sich den Rauch gefallen lassen. Er . Allerdings. Aber weil der Rauch bei dem Feuer unvermeidlich ist, durfte man darum keinen Rauchfang erfinden? Und der den Rauchfang erfand, war der dar- um ein Feind des Feuers? Sieh, dahin wollte ich. Ich . Wohin? Ich verstehe dich nicht. Er . Das Gleichniß war doch sehr paßend. — Wenn die Menschen nicht anders in Staaten vereinigt werden konnten, als durch jene Trennungen, werden sie dar- um gut, jene Trennungen? Ich . Das wohl nicht. Er . Werden Sie darum heilig, jene Tren- nungen? Ich . Wie heilig? Er . Daß es verboten seyn sollte, Hand an sie zu legen. Ich . In Absicht.. Er . In Absicht, sie nicht groͤßer einreißen zu lassen, als die Nothwendigkeit erfor- dert. In Absicht, ihre Folgen so un- schaͤdlich zu machen, als moͤglich. Ich . Wie koͤnnte das verboten seyn? Er . Aber geboten kann es doch auch nicht seyn; durch buͤrgerliche Gesetze nicht ge- boten. Denn buͤrgerliche Gesetze erstrecken sich nie uͤber die Grenzen ihres Staats. Und dieses wuͤrde nun gerade außer den Grenzen aller und jeder Staaten lie- gen. — Folglich kann es nur ein opus super erogatum seyn, und es waͤre blos zu wuͤnschen, daß sich die Weisesten und Be- sten eines jeden Staats diesem operi super erogato freiwillig unterzoͤgen. Ich . Recht sehr zu wuͤnschen. Er . Recht sehr zu wuͤnschen, daß es in jedem Staat Maͤnner geben moͤchte, die uͤber die Vorurtheile der Voͤlkerschaft hinweg waͤren und genau wuͤßten, wo Patriotismus Tugend zu seyn aufhoͤret. Ich . Recht sehr zu wuͤnschen! Er . Recht sehr zu wuͤnschen, daß es in jedem Staat Maͤnner geben moͤchte, die dem Vorurtheil ihrer angebohrnen Religion nicht unterlaͤgen; nicht glaub- ten, daß alles nothwendig gut und wahr seyn muͤße, was sie fuͤr gut und wahr erkennen. Ich . Recht sehr zu wuͤnschen! Er . Recht sehr zu wuͤnschen, daß es in jedem Staat Maͤnner geben moͤchte, wel- che buͤrgerliche Hoheit nicht blen- det, und buͤrgerliche Geringfuͤgigkeit nicht eckelt; in deren Gesellschaft der Hohe sich gern herablaͤßt, und der Ge- ringe sich dreist erhebet. Ich . Recht sehr zu wuͤnschen! Er . Und wenn er erfuͤllt waͤre, dieser Wunsch? Nicht blos hier und da; nicht blos dann und wann. Wie wenn es der- gleichen Maͤnner jetzt uͤberall gaͤbe? zu allen Zeiten nun ferner geben muͤßte? Ich . Wollte Gott! Er . Und diese Maͤnner nicht in einer un- wirksamen Zerstreuung lebten? nicht im- mer in einer unsichtbaren Kirche? Ich . Schoͤner Traum! Er . Daß ich es kurz mache. Und diese Maͤnner die *** waͤren? (Hier nannte er mir den Namen der Gesellschaft; doch ohne mich im mindesten zu ihr einzuladen. Er, der aufrichtigste Mann, gestand selbst, daß die genannten Absichten zu ihrem Geschaͤft nur so mit gehoͤrten; daß „dies Geschaͤft nichts „willkuͤhrliches, nichts entbehrliches, son- „dern etwas nothwendiges sey, darauf „man durch eignes Nachdenken eben so- „wohl verfallen koͤnne, als man durch „andre darauf gefuͤhrt wird; daß Worte, „Zeichen und Gebraͤuche, daß die ganze „Aufnahme in diese Gesellschaft nichts „Nothwendiges, nichts Wesentliches sey;“ und durch diese Winke geleitet war ich auf sicherm Wege. Es begann zwischen uns ein zweites Gespraͤch, ohngefaͤhr folgendermassen: Ich . Wenn es auch außer deiner Gesell- schaft eine andre, freiere Gesellschaft gaͤbe, die das große Geschaͤft, wovon wir sprachen, nicht als Nebensache, son- dern als Hauptzweck; nicht verschlossen, sondern vor aller Welt; nicht in Gebraͤu- chen und Sinnbildern, sondern in klaren Worten und Thaten; nicht in zwei oder drei Nationen, sondern unter allen auf- geklaͤrten Voͤlkern der Erde triebe; nicht wahr, wahr, so entließest du mir die Aufnahme in deine kleine Gesellschaft? Er . Herzlich gern. Das Nitrum muß ja wohl in der Luft seyn, ehe es sich als Salpeter an den Waͤnden einer dunkeln Kammer ansetzt. Ich . Zumal wenn ich in dieser Gesellschaft, die zu allen Zeiten exsistirt hat und exsisti- ren wird, laͤngst gelebt, und in ihr mein Vaterland, meine innigste Freunde ge- funden haͤtte? Er . Desto beßer. Ich . Und in meiner Gesellschaft nichts von dem zu befuͤrchten waͤre, was ich in der deinigen immer noch besorgen muß; wo nicht Trug fuͤr Wahrheit, so wenigstens paͤdagogische Anleitung, Pedanterie des Herkommens, Aufhalt? Zweite Samml. K Er . Ganz nach meinem Sinn; aber nenne mir deine Gesellschaft. Ich . Die Gesellschaft aller denken - den Menschen in allen Welt - theilen . Er . Groß genug ist sie; aber leider eine zerstreute, unsichtbare Kirche. Ich . Sie ist gesammelt, sie ist sichtbar. Faust oder Guttenberg war, wie soll ich sagen? ihr Meister vom Stuhl, oder vielmehr ihr erster dienender Bruder. Ich treffe in ihr alles an, was mich uͤber jede Trennung der buͤrgerlichen Gesell- schaft erhebt, und mich zum Umgange nicht mit solchen und solchen Men- schen, sondern mit Menschen uͤber - haupt , nicht nur einfuͤhrt, sondern auch bildet. Er . Ich verstehe dich wohl. Seitdem die Buchdruckerei ihre Worte und Zeichen in alle Welt sendet, sollte es, meynst du, keine geheime Worte und Zeichen mehr geben. Indeßen stiftet auch die Buch- druckerei nur eine idealische Gesellschaft. Ich . Wie es in diesen Dingen seyn muß. Ueber Grundsaͤtze koͤnnen sich nur Geister einander erklaͤren; die Zusammenkunft der Koͤrper ist sehr entbehrlich, wenn sie nicht zugleich auch meistens sehr zer- streuend und verfuͤhrerisch waͤre. Im Umgange mit Geistern auf Fausts Man- tel bleibt meine Seele frei; sie kann jedes Wort, jedes Bild pruͤfen. Er . Und sie heben dich uͤber alle Vorur- theile der Staaten, der Religion, der Staͤnde? K 2 Ich . Voͤllig. Entweder denke ich bei meinen Gesellschaftern Homer , Plato , Xeno - phon , Tacitus , Mark - Antonin , Baco , Fenelon gar nicht daran, zu welchem Staat oder Stande sie gehoͤrten, welches Volkes und welcher Religion sie waren; oder wenn sie mich daran erin- nern, geschiehets gewiß mit weniger Stoͤrung, als es in deiner sichtbaren Ge- sellschaft je geschehen kann und mag. Er . Gewiß. Ich . Und kann darauf rechnen, daß sich in dieser Gesellschaft, an eben diesen Grund- saͤtzen und Lehren alle edlen Geister der Welt mit mir vereinigen. Er . Und du kannst selbst mit ihnen sprechen, dich ihnen vernehmlich und hoͤrbar ma- chen auf eben dem Wege. Ich . Wenn ichs wie Du koͤnnte! Ich sprach mit deinem Geist, ehe ich deine Person sah; ich kannte dich, ohne von einer ge- heimen Gesellschaft zu seyn, am Wort, am Griff, am Schlage. Deine und an- drer Thaten haben laͤngst und sicherer bei mir bewirkt, was Gebraͤuche und Zei- chen nur sehr unsicher und langsam bewir- ken koͤnnten; sie haben mich uͤber jedes Vorurtheil von Staatsverfassung, ange- bohrner Religion, Rang und Staͤnden laͤngst erhoben. Er . Welche Thaten? Ich . Poesie , Philosophie und Ge - schichte sind, wie mich duͤnkt, die drei Lichter, die hieruͤber Nationen, Sekten und Geschlechter erleuchten; ein heili - ges Dreieck ! Poesie erhebt den Men- schen durch eine angenehme, sinnliche Ge- K 3 genwart der Dinge uͤber alle jene Tren- nungen und Einseitigkeiten. Philosophie giebt ihm veste, bleibende Grundsaͤtze daruͤber; und wenn es ihm noͤthig ist, wird ihm die Geschichte naͤhere Maximen nicht versagen. Er . Ob aber auch diese Grundsaͤtze, diese Maximen und Anschauungen Thaten wirkten? Gaͤbe nicht die Gesellschaft einen Antrieb mehr? Ich . Ich nehme dir deine eignen Worte aus dem Munde. „Sage mir nichts, von der Menge der Antriebe. Lieber einem einzigen Antriebe alle moͤgliche intensive Kraft gegeben! — Die Menge solcher Antriebe ist wie die Menge der Raͤder in einer Maschiene. Je mehr Raͤder, desto wandelbarer.“ Er . Und was waͤre dein einziger An- trieb? Ich . Humanitaͤt . Gaͤbe man diesem Begriff alle seine Staͤrke, zeigte man ihn im ganzen Umfange seiner Wirkungen, und legte ihn als Pflicht, als unumgaͤng- liche, allgemeine, erste Pflicht sich und andern ans Herz; alle Vorurtheile von Staatsintereße, angebohrner Religion, und das thoͤrichtste Vorurtheil unter allen, von Rang und Stande wuͤrden — Er . Verschwinden? Da irrest du dich sehr. Ich . Nicht verschwinden; aber gedaͤmpft, eingeschraͤnkt, unschaͤdlich gemacht wer- den; was Deine genannte und vielleicht Verdienstvolle Gesellschaft ja auch nur bewirken konnte , wenn sie es bewirken K 4 wollte . Weißt du es nicht beßer als ich, daß alle dergleichen Siege uͤber das Vorurtheil von innen heraus, nicht von außen hinein erfochten werden muͤßen? Die Denkart macht den Menschen, nicht die Gesellschaft; wo jene da ist, formt und stimmt sich diese von selbst. Setze zwei Menschen von gleichen Grund- saͤtzen zusammen; ohne Griff und Zeichen verstehen sie sich, und bauen in stillen Thaten den großen, edlen Bau der Hu- manitaͤt fort. Jeder, nachdem er kann, in seiner Lage, praktisch; er freuet sich aber auch am Werk andrer Haͤnde, weil er uͤberzeugt ist, daß dies unendliche, unabsehliche Gebaͤude nur von allen Haͤnden vollfuͤhrt werden kann, daß alle Zeiten , alle Beziehungen dazu erfordert werden, mithin ein Jeder einen Jeden nicht einmal kennen darf, kennen soll, geschweige, daß er ihn durch Eidschwuͤre, durch Gesetze und Symbole baͤnde. Er . Du bist auf dem rechten Wege; auf ihm giebt es freie Arbeit. Kein wahres Licht laͤßt sich verbergen, wenn man es auch verbergen wollte; und das reinste Licht sucht man nicht eben in den Gruͤften. Ich . Alle solche Symbole moͤgen einst gut und nothwendig gewesen seyn; sie sind aber, wie mich duͤnkt, nicht mehr fuͤr un- sre Zeiten. Fuͤr unsre Zeiten ist gerade das Gegentheil ihrer Methode noͤthig, rei - ne , helle , offenbare Wahrheit . Er . Ich wuͤnsche dir Gluͤck. Glaubst du aber nicht, daß man auch dem Wort Humanitaͤt einen Fleck anhaͤngen werde? K 5 Ich . Das waͤre sehr inhuman. Wir sind nichts als Menschen ; sey du der Erste unsrer Gesellschaft Der erste Theil dieses Gespraͤchs ist aus Leßings Ernst und Falk , Gespraͤche fuͤr Freimaurer , Wolfenbuͤttel 1781. genom- men, denen der zweite Theil des Gespraͤchs eine andre Wendung giebt. A. d. H. . Inhalt der zweiten Sammlung. Br. 14. Was ist der Geist der Zeit? S. 5. — 15. Beantwortung der Frage S. 7. — 16. Beantwortung eines andern S. 13. — 17. Fortsetzung. Luthers Gedanken von der Regimentsveraͤnderung S. 19. — 18. Luther ein Lehrer der Deutschen Nation. Seine Gedanken vom Poͤbel und von den Tyrannen S. 32. — 19. Vom Eckstein der menschlichen Ge- sellschaft. Lob der Deutschen von Luther S. 43. — 20. Klopstocks Ode uͤber den Nordame- rikanischen Seekrieg S. 48. Br. 21. Zweifel uͤber den Geist der Zeiten. Fortsetzung einiger Gedanken Friedrichs II. S. 53. — 22. Beantwortung dieser Zweifel S. 81. — 23. Ein Traum, und ein Gesicht der Zukunft S. 90. — 24. Ueber die fortschreitende Ver- vollkommung des Menschenge- schlechts, Fragen und Zweifel S. 100. — 25. Beantwortung dieser Fragen. Lehr- saͤtze uͤber den Charakter der Menschheit S. 106. — 26. Ueber eine unsichtbar-sichtbare Ge- sellschaft, zwei Gespraͤche S. 127. Buͤcher-Anzeigen. In dem Verlage Hartknochs in Riga, wird in zukuͤnftiger Ostermesse der erste Band eines aus zwey Baͤnden bestehenden erlaͤuternden Auszuges aus den critischen Schriften des Hrn. Professor Kant erschei- nen. Daß durch eine vielfache Behandlung der tie- fen Untersuchungen des großen Weltweisen und durch freye Mittheilung der Resultate des Nachdenkens man sich dem Ziel der faßlichsten Darstellung der- selben naͤhern werde, laͤßt sich erwarten. Der Ver- fasser der angekuͤndigten Schrift hat dieses Ziel vor Augen gehabt und seine Bemuͤhungen duͤrften viel- leicht nicht ganz vergeblich seyn. Gemaͤhlde von St . Petersburg von Heinrich Storch . 8. 2 Thle mit Kupfern von Chodowiecky . Dieses sehr interessante Werk erscheint bald nach der Ostermesse und zugleich eine Franzoͤsische Uebersetzung desselben von einem schon ruͤhmlich bekannten Gelehrten in der Schweiz. Das Studium der Geographie hat in unserm Zeitalter durch vortrefliche Karten eine grosse Erleichterung bekommen und ist unter den gebil- deten Staͤnden allgemeiner geworden. Ich mache mir daher die Hoffnung, dass die Ankuͤndigung Eines Atlasses von Liefland vielen Beyfall und Aufmunterung erhalten wird; zumahl, da wir bis jetzt noch keine richtige Karte von dieser grossen und bluͤhenden Provinz haben. Herr Graf von Mellin hat sich seit meh- rern Jahren mit der Verfertigung dieses Atlasses beschaͤftiget und mit patriotischem Fleiss, mit unermuͤdeter Geduld und mit grossem Aufwand von Kosten und Zeit ein Werk vollendet, wel- ches in Absicht der Genauigkeit und der ganzen Ausfuͤhrung musterhaft und einzig in seiner Art ist. Der Stich ist von der Meisterhand des Herrn Jaͤcks und der Schoͤnheit des Werks vollkommen angemessen, wovon man sich durch das erste Blatt, welches in der Ostermesse 1792. erschie- nen ist, augenscheinlich uͤberzeugen kann. Die- ses erste Blatt stellt den Rigischen Kreis mit al- len Doͤrfern, (deren lettische Volksbenennungen beygefuͤgt sind,) Hoflagern, Muͤhlen, Post- und Landstrassen, alle Communicationswege von ei- nem Guthe zum andern auf das genaueste dar. Jeder Kenner siehet leicht, dass bey einer so aͤu- sserst muͤhsamen Arbeit, die Vollendung des Ganzen sich nicht genau angeben laͤsst; indes- sen hoff' ich innerhalb zwey Jahren den ganzen Atlas fertig zu liefern. Er wird aus zehn Blaͤt- tern bestehn, denen noch die Karte von Alt- liefland nach der Eintheilung Heinrich des Let- ten bis 1552 beygefuͤgt wird. Der Wendensche, Wolmarsche, Werrosche Kreis sind bereits in den Haͤnden des Herrn Jaͤcks und werden naͤch- stens fertig. Alsdann folgen die uͤbrigen Kreise und zuletzt die Generalkarte des ganzen Gou- vernements. Das Format ist gross Royal und die Abdruͤcke sind auf Papier Velin. Das erste Blatt kostet 1 Rthlr. in Ld'or a 5 Rthlr. Ich ersuche die Liebhaber beym Ankauf des ersten Blattes auf die folgenden, welche nach Verhaͤltniss etwas mehr oder weniger kosten werden, zu subscri- biren. In Deutschland ist diese Karte bey Herrn Vieweg sen. in Berlin Herrn Voss und Leo in Leipzig und Herrn Fauche in Hamburg zu haben. Folgende Buͤcher sind zur Oster-Messe 1793. bei Fr. Vieweg dem aͤlteren erschienen und in allen Buchhandlungen zu haben. Betrachtungen uͤber die franz. Revolution, nach dem Engl. des Hrn Burke, neubearbeitet, mit einer Einleitung, Anmerkungen und politischen Ab- handlungen, von Fr. Gentz, gr. 8. 2Bd. 2thl. 12 gr. Bibliothek kleiner Originalwerke der Deutschen. 3tes Baͤndchen mit einem Kupfer. 12mo. 1thl. Friedrich von Zoliern und seine schoͤne Else. Stamm- eltern des koͤnigl. preuß. Hauses. Dramatisch be- arbeitet von Albrecht. 8. Mit Kupfern. 1ter. Theil. 20 gr. Fr . von Kleist , das Glück der Liebe, gr. 8. Mit den Portraͤts des Hrn. und der Frau von Kleist, von Bolt . 12 gr. — — Zamori , oder die Philosophie der Liebe. gr. 8. Mit einem Kpf. nach Chodowiecki von Cl. Kohl. 1thl. 6 gr. — — Dass. Werk auf geglaͤttetem Schweizer- papier. 1thl. 18 gr. Miltons, Johann, verlohrnes Paradies, uͤbersetzt von S. G. Burde 8. 2Thle mit einem Kupf. nach Chodowiecki von Bolt 1thl. 16 gr. — — Dasselbe Buch auf geglaͤttetem Schwei- zerpapier. 2thl. 16 gr. Meyer, J. L. W. Spiele des Witzes und der Phan- tasie. 8. Mit einem Kupfer von Meil. 16 gr. Monatschrift, Deutsche fuͤrs Jahr 1793. Januar bis May. gr. 8. Mit Kupfern. Jedes Stuͤck. 8 gr. Pyl, Dr. J. T. Repertorium fuͤr die oͤffentliche und gerichtliche Arzneywissenschaft. 3. Bandes 2. Stuͤck. gr. 8. 12 gr. Reinhard , Dr. F. V. vom Werth der Kleinig- keiten in der Moral. (Als ein Anhang zu dessen System der christlichen Moral.) Mit Zusaͤtzen des Verfassers. Aus dem Lateinischen mit Anmerk. von J. C. J. Eck. gr. 8. 18 gr. Sangerhausen , C. F. Moral fuͤr Preußens Krieger, in Vorlesungen, 8. 16 gr. Sprengel, C. K. das entdeckte Geheimniß der Na- tur im Bau und in der Befruchtung der Blu- men. Mit 26 Kupfertaf. welche mehrere hun- dert einzelne Abbildungen enthalten. Nach der Natur vom Verfasser selbst gezeichnet, und von Capieur und andern Kuͤnstlern in Kupfer gesto- chen. gr 4. 3thl. 16 gr. Starcke Gemaͤhlde aus dem haͤuslichen Leben und Erzaͤhlungen 1. Samml. 8. Mit einem Kupf. nach Chodowiecki. 21 gr. Tieftrunk , Dr. J. H. Dilucidationes ad theo- reticam relig. christ. partem, ita ut libelli a D. S. F. N. Morus V. C. editi ct, epitome theo- logiae christianae, inscripti potissimum ratio sit habita. Vol. r. 8 maj. 1thl. Versuch einer Geschichte der Religions- und Kir- chenverbesserung D. M Luthers, fuͤr Studie- rende. Mit einer Vorrede von J. H. Tieftrunk. 8. 1ster Theil. von Wolff , P. B. Praktische Bemerkungen uͤber die Anwendbarkeit der Koppelwirthschaft in den Preuß. Staaten. Ein Accessit. Nebst Anmerk uͤber die vom Herrn Kurator der Aka- demie am 27. Sept. 1792. diesen Gegenstand be- treffend, gehaltene Vorlesung. gr. 8. 12 gr.