West-oestlicher DIVAN . von Goethe . Stuttgard , in der Cottaischen Buchhandlung 1819. Moganni Nameh . Buch des Sängers . Zwanzig Jahre liess ich gehn Und genoss was mir beschieden; Eine Reihe völlig schön Wie die Zeit der Barmekiden . 1 Hegire . Nord und West und Süd zersplittern, Throne bersten, Reiche zittern, Flüchte du, im reinen Osten Patriarchenluft zu kosten, Unter Lieben, Trinken, Singen, Soll dich Chisers Quell verjüngen. Dort, im Reinen und im Rechten, Will ich menschlichen Geschlechten In des Ursprungs Tiefe dringen, Wo sie noch von Gott empfingen Himmelslehr’ in Erdesprachen, Und sich nicht den Kopf zerbrachen. 1 * Wo sie Väter hoch verehrten, Jeden fremden Dienst verwehrten; Will mich freun der Jugendschranke: Glaube weit, eng der Gedanke, Wie das Wort so wichtig dort war, Weil es ein gesprochen Wort war. Will mich unter Hirten mischen, An Oasen mich erfrischen, Wenn mit Caravanen wandle, Schawl, Caffee und Moschus handle. Jeden Pfad will ich betreten Von der Wüste zu den Städten. Bösen Felsweg auf und nieder Trösten Hafis deine Lieder, Wenn der Führer mit Entzücken, Von des Maulthiers hohem Rücken, Singt, die Sterne zu erwecken, Und die Räuber zu erschrecken. Will in Bädern und in Schenken Heil’ger Hafis dein gedenken, Wenn den Schleyer Liebchen lüftet, Schüttlend Ambralocken düftet. Ja des Dichters Liebeflüstern Mache selbst die Huris lüstern. Wolltet ihr ihm dies beneiden, Oder etwa gar verleiden; Wisset nur, dass Dichterworte Um des Paradieses Pforte Immer leise klopfend schweben, Sich erbittend ew’ges Leben. Segenspfänder . Talisman in Carneol Gläubigen bringt er Glück und Wohl, Steht er gar auf Onyx Grunde Küss ihn mit geweihtem Munde! Alles Uebel treibt er fort, Schützet dich und schützt den Ort: Wenn das eingegrabne Wort Allahs Namen rein verkündet, Dich zu Lieb’ und That entzündet. Und besonders werden Frauen Sich am Talisman erbauen. Amulete sind dergleichen Auf Papier geschriebne Zeichen; Doch man ist nicht im Gedränge Wie auf edlen Steines Enge, Und vergönnt ist frommen Seelen Längre Verse hier zu wählen. Männer hängen die Papiere Gläubig um, als Scapulire. Die Inschrift aber hat nichts hinter sich, Sie ist sie selbst, und muss dir alles sagen, Was hinter drein, mit redlichem Behagen Du gerne sagst: Ich sag’ es! Ich! Doch Abraxas bring’ ich selten! Hier soll meist das Fratzenhafte, Das ein düstrer Wahnsinn schaffte, Für das allerhöchste gelten. Sag’ ich euch absurde Dinge, Denkt, dass ich Abraxas bringe. Ein Siegelring ist schwer zu zeichnen, Den höchsten Sinn im engsten Raum; Doch weisst du dir ein Aechtes anzueignen, Gegraben steht das Wort, du denkst es kaum. Freysinn . Lasst mich nur auf meinem Sattel gelten! Bleibt in euren Hütten, euren Zelten! Und ich reite froh in alle Ferne, Ueber meiner Mütze nur die Sterne. Er hat euch die Gestirne gesetzt Als Leiter zu Land und See; Damit ihr euch daran ergötzt, Stets blickend in die Höh. Talismane, Amulete, Abraxas, Inschriften und Siegel . Gottes ist der Orient! Gottes ist der Occident! Nord- und südliches Gelände Ruht im Frieden seiner Hände. Er, der einzige Gerechte, Will für jedermann das Rechte. Sey, von seinen hundert Namen, Dieser hochgelobet! Amen. Mich verwirren will das Irren; Doch du weisst mich zu entwirren. Wenn ich handle, wenn ich dichte Gieb du meinem Weg die Richte. Ob ich Ird’sches denk’ und sinne, Das gereicht zu höherem Gewinne. Mit dem Staube nicht der Geist zerstoben Dringet, in sich selbst gedrängt, nach oben. Im Athemholen sind zweyerley Gnaden: Die Luft einziehn, sich ihrer entladen. Jenes bedrängt, dieses erfrischt; So wunderbar ist das Leben gemischt. Du danke Gott, wenn er dich presst, Und dank’ ihm, wenn er dich wieder entlässt. Vier Gnaden . Dass Araber an ihrem Theil Die Weite froh durchziehen Hat Allah zu gemeinem Heil Der Gnaden vier verliehen. Den Turban erst, der besser schmückt Als alle Kaiserkronen, Ein Zelt, das man vom Orte rückt Um überall zu wohnen. Ein Schwerdt, das tüchtiger beschützt Als Fels und hohe Mauern, Ein Liedchen, das gefällt und nützt, Worauf die Mädchen lauern. Und Blumen sing’ ich ungestört Von Ihrem Schawl herunter, Sie weiss recht wohl was Ihr gehört Und bleibt mir hold und munter. Und Blum’ und Früchte weiss ich euch Gar zierlich aufzutischen, Wollt ihr Moralien zugleich, So geb’ ich von den frischen. Geständniss. Was ist schwer zu verbergen? Das Feuer! Denn bey Tage verräth’s der Rauch, Bey Nacht die Flamme, das Ungeheuer. Ferner ist schwer zu verbergen auch Die Liebe, noch so stille gehegt, Sie doch gar leicht aus den Augen schlägt. Am schwersten zu bergen ist ein Gedicht, Man stellt es untern Scheffel nicht. Hat es der Dichter frisch gesungen, So ist er ganz davon durchdrungen, Hat er es zierlich nett geschrieben, Will er die ganze Welt soll’s lieben. Er liest es jedem froh und laut, Ob es uns quält, ob es erbaut. Elemente . Aus wie vielen Elementen Soll ein ächtes Lied sich nähren? Dass es Layen gern empfinden, Meister es mit Freuden hören. Liebe sey vor allen Dingen Unser Thema, wenn wir singen; Kann sie gar das Lied durchdringen, Wird’s um desto besser klingen. Dann muss Klang der Gläser tönen, Und Rubin des Weins erglänzen: Denn für Liebende, für Trinker Winkt man mit den schönsten Kränzen. Waffenklang wird auch gefodert, Dass auch die Trommete schmettre; Dass, wenn Glück zu Flammen lodert, Sich im Sieg der Held vergöttre. Dann zuletzt ist unerlässlich, Dass der Dichter manches hasse, Was unleidlich ist und hässlich Nicht wie Schönes leben lasse. Weiss der Sänger dieser Viere Urgewalt’gen Stoff zu mischen, Hafis gleich wird er die Völker Ewig freuen und erfrischen. Erschaffen und Beleben . Hans Adam war ein Erdenklos, Den Gott zum Menschen machte, Doch bracht’ er aus der Mutter Schooss Noch vieles Ungeschlachte. Die Elohim zur Nas’ hinein Den besten Geist ihm bliesen, Nun schien er schon was mehr zu seyn, Denn er fing an zu niesen. Doch mit Gebein und Glied und Kopf Blieb er ein halber Klumpen, Bis endlich Noah für den Tropf Das Wahre fand, den Humpen. Der Klumpe fühlt sogleich den Schwung, Sobald er sich benetzet, So wie der Teig durch Säuerung Sich in Bewegung setzet. So, Hafis, mag dein holder Sang, Dein heiliges Exempel Uns führen, bey der Gläser Klang, Zu unsres Schöpfers Tempel. 2 Zwiespalt . Wenn links an Baches Rand Cupido flötet, Im Felde rechter Hand Mavors drommetet, Da wird dorthin das Ohr Lieblich gezogen, Doch um des Liedes Flor Durch Lärm betrogen. Nun flötets immer voll Im Kriegesthunder, Ich werde rasend, toll, Ist das ein Wunder. Fort wächst der Flötenton Schall der Posaunen, Ich irre, rase schon, Ist das zu staunen! Phaenomen . Wenn zu der Regenwand Phoebus sich gattet, Gleich steht ein Bogenrand Farbig beschattet. Im Nebel gleichen Kreis Seh ich gezogen, Zwar ist der Bogen weiss, Doch Himmelsbogen. So sollst du, muntrer Greis, Dich nicht betrüben, Sind gleich die Haare weiss, Doch wirst du lieben. 2 * Liebliches . Was doch buntes dort verbindet Mir den Himmel mit der Höhe? Morgennebelung verblindet Mir des Blickes scharfe Sehe. Sind es Zelten des Vessires Die er lieben Frauen baute? Sind es Teppiche des Festes Weil er sich der Liebsten traute? Roth und weiss, gemischt, gesprenkelt Wüsst’ ich schönres nicht zu schauen; Doch wie Hafis kommt dein Schiras Auf des Nordens trübe Gauen? Ja es sind die bunten Mohne, Die sich nachbarlich erstrecken, Und, dem Kriegesgott zum Hohne, Felder streifweis freundlich decken. Möge stets so der Gescheute Nutzend Blumenzierde pflegen, Und ein Sonnenschein, wie heute, Klären sie auf meinen Wegen! Im Gegenwärtigen Vergangnes. Ros’ und Lilie morgenthaulich Blüht im Garten meiner Nähe, Hinten an bebuscht und traulich Steigt der Felsen in die Höhe. Und mit hohem Wald umzogen, Und mit Ritterschloss gekrönet, Lenkt sich hin des Gipfels Bogen, Bis er sich dem Thal versöhnet. Und da duftets wie vor Alters, Da wir noch von Liebe litten, Und die Saiten meines Psalters Mit dem Morgenstrahl sich stritten. Wo das Jagdlied aus den Büschen, Fülle runden Tons enthauchte, Anzufeuern, zu erfrischen Wie’s der Busen wollt’ und brauchte. Nun die Wälder ewig sprossen So ermuthigt euch mit diesen, Was ihr sonst für euch genossen Lässt in Andern sich geniessen. Niemand wird uns dann beschreien Dass wirs uns alleine gönnen, Nun in allen Lebensreihen Müsset ihr geniessen können. Und mit diesem Lied und Wendung Sind wir wieder bey Hafisen Denn es ziemt des Tags Vollendung Mit Geniessern zu geniessen Lied und Gebilde . Mag der Grieche seinen Thon Zu Gestalten drücken, An der eignen Hände Sohn Steigern sein Entzücken; Aber uns ist wonnereich In den Euphrat greifen, Und im flüssgen Element Hin und wieder schweifen. Löscht ich so der Seele Brand Lied es wird erschallen; Schöpft des Dichters reine Hand Wasser wird sich ballen. Dreistigkeit . Worauf kommt es überall an Dass der Mensch gesundet? Jeder höret gern den Schall an Der zum Ton sich rundet. Alles weg! was deinen Lauf stört! Nur kein düster Streben! Eh er singt und eh er aufhört Muss der Dichter leben. Und so mag des Lebens Erzklang Durch die Seele dröhnen! Fühlt der Dichter sich das Herz bang Wird sich selbst versöhnen. Derb und Tüchtig. Dichten ist ein Uebermuth, Niemand schelte mich! Habt getrost ein warmes Blut Froh und frey wie ich. Sollte jeder Stunde Pein Bitter schmecken mir; Würd’ ich auch bescheiden seyn Und noch mehr als ihr. Denn Bescheidenheit ist fein Wenn das Mädchen blüht, Sie will zart geworben seyn Die den Rohen flieht. Auch ist gut Bescheidenheit Spricht ein weiser Mann, Der von Zeit und Ewigkeit Mich belehren kann! Dichten ist ein Uebermuth! Treib’ es gern allein. Freund und Frauen, frisch von Blut, Kommt nur auch herein. Mönchlein ohne Kapp’ und Kutt’ Schwatze nicht auf mich ein, Zwar du machest mich caput, Nicht bescheiden! Nein. Deiner Phrasen leeres Was Treibet mich davon, Abgeschliffen hab’ ich das An den Solen schon. Wenn des Dichters Mühle geht Halte sie nicht ein: Denn wer einmal uns versteht Wird uns auch verzeihn. Allleben . Staub ist eins der Elemente Das du gar geschickt bezwingest Hafis, wenn zu Liebchens Ehren, Du ein zierlich Liedchen singest. Denn der Staub auf ihrer Schwelle Ist dem Teppich vorzuziehen, Dessen goldgewirkte Blumen Mahmuds Günstlinge beknieen. Treibt der Wind von ihrer Pforte Wolken Staubs behend vorüber, Mehr als Moschus sind die Düfte Und als Rosenöl dir lieber. Staub den hab’ ich längst entbehret In dem stets umhüllten Norden, Aber in dem heissen Süden Ist er mir genugsam worden. Doch schon längst das liebe Pforten Mir auf ihren Angeln schwiegen! Heile mich Gewitterregen, Lass mich dass es grunelt riechen! Wenn jetzt alle Donner rollen Und der ganze Himmel leuchtet, Wird der wilde Staub des Windes Nach dem Boden hingefeuchtet. Und sogleich entspringt ein Leben, Schwillt ein heilig, heimlich Wirken, Und es grunelt und es grünet In den irdischen Bezirken. Selige Sehnsucht . Sagt es niemand, nur den Weisen, Weil die Menge gleich verhöhnet, Das Lebend’ge will ich preisen Das nach Flammentod sich sehnet. In der Liebesnächte Kühlung, Die dich zeugte, wo du zeugtest, Ueberfällt dich fremde Fühlung Wenn die stille Kerze leuchtet. Nicht mehr bleibest du umfangen In der Finsterniss Beschattung, Und dich reisset neu Verlangen Auf zu höherer Begattung. Keine Ferne macht dich schwierig, Kommst geflogen und gebannt. Und zuletzt, des Lichts begierig, Bist du Schmetterling verbrannt, Und so lang du das nicht hast, Dieses: Stirb und werde! Bist du nur ein trüber Gast Auf der dunklen Erde. Thut ein Schilf sich doch hervor Welten zu versüssen! Möge meinem Schreibe-Rohr Liebliches entfliessen! Hafis Nameh . Buch Hafis . Sey das Wort die Braut genannt, Bräutigam der Geist; Diese Hochzeit hat gekannt Wer Hafisen preist. 3 Beyname . Dichter . Mohamed Schemseddin sage, Warum hat dein Volk, das hehre, Hafis dich genannt? Hafis . Ich ehre, Ich erwiedre deine Frage. Weil, in glücklichem Gedächtniss, Des Corans geweiht Vermächtniss Unverändert ich verwahre, Und damit so fromm gebahre Dass gemeinen Tages Schlechtniss 3 * Weder mich noch die berühret Die Prophetenwort und Saamen Schätzen wie es sich gebühret, Darum gab man mir den Namen. Dichter . Hafis drum, so will mir scheinen, Möcht’ ich dir nicht gerne weichen: Denn wenn wir wie andre meynen, Werden wir den andern gleichen. Und so gleich ich dir vollkommen Der ich unsrer heil’gen Bücher Herrlich Bild an mich genommen, Wie auf jenes Tuch der Tücher Sich des Herren Bildniss drückte, Mich in stiller Brust erquickte, Trotz Verneinung, Hindrung, Raubens, Mit dem heitren Bild des Glaubens. Anklage . Wisst ihr denn auf wen die Teufel lauern, In der Wüste, zwischen Fels und Mauern? Und, wie sie den Augenblick erpassen, Nach der Hölle sie entführend fassen? Lügner sind es und der Bösewicht. Der Poete warum scheut er nicht Sich mit solchen Leuten einzulassen! Weiss denn der mit wem er geht und wandelt? Er der immer nur im Wahnsinn handelt. Gränzenlos, von eigensinn’gem Lieben, Wird er in die Oede fortgetrieben, Seiner Klagen Reim, in Sand geschrieben, Sind vom Winde gleich verjagt; Er versteht nicht was er sagt, Was er sagt wird er nicht halten. Doch sein Lied man lässt es immer walten, Da es doch dem Coran widerspricht. Lehret nun, ihr des Gesetzes Kenner, Weisheit-fromme, hochgelahrte Männer, Treuer Mosleminen feste Pflicht. Hafis, in’s besondre, schaffet Aergernisse, Mirza sprengt den Geist ins Ungewisse, Saget, was man thun und lassen müsse? Fetwa . Hafis Dichterzüge sie bezeichnen Ausgemachte Wahrheit unauslöschlich; Aber hie und da auch Kleinigkeiten Ausserhalb der Gränze des Gesetzes. Willst du sicher gehn, so musst du wissen Schlangengift und Theriak zu sondern — Doch der reinen Wollust edler Handlung Sich mit frohem Muth zu überlassen, Und vor solcher, der nur ew’ge Pein folgt, Mit besonnenem Sinn sich zu verwahren, Ist gewiss das beste um nicht zu fehlen. Dieses schrieb der arme Ebusund euch, Gott verzeih ihm seine Sünden alle. Der Deutsche dankt . Heiliger Ebusund, du hast’s getroffen! Solche Heilige wünschet sich der Dichter: Denn gerade jene Kleinigkeiten Ausserhalb der Gränze des Gesetzes, Sind das Erbtheil wo er, übermüthig, Selbst im Kummer lustig, sich beweget. Schlangengift und Theriak muss Ihm das eine wie das andere scheinen, Tödten wird nicht jenes, dies nicht heilen: Denn das wahre Leben ist des Handelns Ew’ge Unschuld, die sich so erweiset Dass sie niemand schadet als sich selber. Und so kann der alte Dichter hoffen Dass die Houris ihn im Paradiese, Als verklärten Jüngling wohl empfangen, Heiliger Ebusund, du hast’s getroffen! Fetwa . Der Mufti las des Misri Gedichte, Eins nach dem andern, alle zusammen, Und wohlbedächtig warf sie in die Flammen, Das schöngeschriebne Buch es ging zu nichte. Verbrannt sey jeder, sprach der hohe Richter, Wer spricht und glaubt wie Misri — er allein Sey ausgenommen von des Feuers Pein: Denn Allah gab die Gabe jedem Dichter. Misbraucht er sie im Wandel seiner Sünden, So seh’ er zu mit Gott sich abzufinden. Unbegrenzt . Dass du nicht enden kannst das macht dich gross, Und dass du nie beginnst das ist dein Loos. Dein Lied ist drehend wie das Sterngewölbe, Anfang und Ende immer fort dasselbe, Und was die Mitte bringt ist offenbar, Das was zu Ende bleibt und Anfangs war. Du bist der Freuden ächte Dichterquelle, Und ungezählt entfliesst dir Well’ auf Welle. Zum Küssen stets bereiter Mund, Ein Brustgesang der lieblich fliesset, Zum Trinken stets gereizter Schlund, Ein gutes Herz das sich ergiesset. Und mag die ganze Welt versinken, Hafis mit dir, mit dir allein Will ich wetteifern! Lust und Pein Sey uns den Zwillingen gemein! Wie du zu lieben und zu trinken Das soll mein Stolz, mein Leben seyn. Nun töne Lied mit eignem Feuer! Denn du bist älter, du bist neuer. Nachbildung . In deine Reimart hoff’ ich mich zu finden, Das Wiederholen soll mir auch gefallen, Erst werd’ ich Sinn, sodann auch Worte finden; Zum zweytenmal soll mir kein Klang erschallen, Er müsste denn besondern Sinn begründen, Wie du’s vermagst begünstigter vor allen. Denn wie ein Funke fähig zu entzünden Die Kaiserstadt, wenn Flammen grimmig wallen, Sich winderzeugend, glühn von eignen Winden, Er, schon erloschen, schwand zu Sternenhallen; So schlangs von dir sich fort mit ew’gen Gluten Ein deutsches Herz von frischem zu ermuthen. Zugemessne Rhythmen reizen freylich, Das Talent erfreut sich wohl darin; Doch wie schnelle widern sie abscheulich, Hohle Masken ohne Blut und Sinn. Selbst der Geist erscheint sich nicht erfreulich, Wenn er nicht, auf neue Form bedacht, Jener todten Form ein Ende macht. Offenbar Geheimniss . Sie haben dich heiliger Hafis Die mystische Zunge genannt, Und haben, die Wortgelehrten, Den Werth des Worts nicht erkannt. Mystisch heissest du ihnen, Weil sie närrisches bey dir denken, Und ihren unlautern Wein In deinen Namen verschenken. Du aber bist mystisch rein Weil sie dich nicht verstehn, Der du, ohne fromm zu seyn, selig bist! Das wollen sie dir nicht zugestehn. Wink . Und doch haben sie Recht die ich schelte: Denn dass ein Wort nicht einfach gelte Das müsste sich wohl von selbst verstehn. Das Wort ist ein Fächer! Zwischen den Stäben Blicken ein Paar schöne Augen hervor. Der Fächer ist nur ein lieblicher Flor, Er verdeckt mir zwar das Gesicht; Aber das Mädchen verbirgt er nicht, Weil das schönste was sie besitzt Das Auge, mir in’s Auge blitzt. Usch Nameh . Buch der Liebe . Musterbilder . Hör’ und bewahre Sechs Liebespaare. Wortbild entzündet, Liebe schürt zu: Rustan und Rodawu. Unbekannte sind sich nah: Jussuph und Suleika. Liebe nicht Liebesgewinn: Ferhad und Schirin. Nur für einander da: Medschnun und Leila. Liebend im Alter sah Dschemil auf Boteinah. Süsse Liebeslaune, Salomo und die Braune! Hast du sie wohl vermerkt, Bist im Lieben gestärkt. 4 Lesebuch . Wunderlichstes Buch der Bücher Ist das Buch der Liebe; Aufmerksam hab’ ich’s gelesen: Wenig Blätter Freuden, Ganze Hefte Leiden, Einen Abschnitt macht die Trennung. Wiedersehn! ein klein Capitel Fragmentarisch. Bände Kummers Mit Erklärungen verlängert, Endlos ohne Maas. O! Nisami! — doch am Ende Hast den rechten Weg gefunden; Unauflösliches wer löst es? Liebende sich wieder findend. Gewarnt . Auch in Locken hab’ ich mich Gar zu gern verfangen, Und so Hafis! wär’s wie dir Deinem Freund ergangen. Aber Zöpfe flechten sie Nun aus langen Haaren, Unterm Helme fechten sie, Wie wir wohl erfahren. Wer sich aber wohl besann Lässt sich so nicht zwingen: Schwere Ketten fürchtet man, Rennt in leichte Schlingen. 4 * Versunken . Voll Locken kraus ein Haupt so rund! — Und darf ich dann in solchen reicheu Haaren, Mit vollen Händen hin und wieder fahren Da fühl’ ich mich von Herzensgrund gesund. Und küss’ ich Stirne, Bogen, Auge, Mund, Dann bin ich frisch und immer wieder wund. Der fünfgezackte Kamm wo sollt’ er stocken? Er kehrt schon wieder zu den Locken. Das Ohr versagt sich nicht dem Spiel, Hier ist nicht Fleisch, hier ist nicht Haut, So zart zum Scherz so liebeviel! Doch wie man auf dem Köpfchen kraut, Man wird in solchen reichen Haaren Für ewig auf und nieder fahren. So hast du Hafis auch gethan, Wir fangen es von vornen an. Bedenklich . Soll ich von Smaragden reden, Die dein Finger niedlich zeigt? Manchmal ist ein Wort vonnöthen, Oft ist’s besser dass man schweigt. Also sag’ ich: dass die Farbe Grün und augerquicklich sey! Sage nicht dass Schmerz und Narbe Zu befürchten nah dabey. Immerhin! du magst es lesen! Warum übst du solche Macht! „So gefährlich ist dein Wesen Als erquicklich der Smaragd.“ Schlechter Trost . Mitternachts weint’ und schluchtzt’ ich, Weil ich dein entbehrte. Da kamen Nachtgespenster Und ich schämte mich. Nachtgespenster, sagt ich, Schluchzend und weinend Feindet ihr mich, dem ihr sonst Schlafendem vorüberzogt. Grosse Güter vermiss’ ich. Denkt nicht schlimmer von mir Den ihr sonst weise nanntet, Grosses Uebel betrifft ihn! — Und die Nachtgespenster Mit langen Gesichtern Zogen vorbey, Ob ich weise oder thörig Völlig unbekümmert. Genügsam . „Wie irrig wähnest du Aus Liebe gehöre das Mädchen dir zu. Das könnte mich nun gar nicht freuen, Sie versteht sich auf Schmeicheleyen.“ Dichter . Ich bin zufrieden dass ich’s habe! Mir diene zur Entschuldigung: Liebe ist freywillige Gabe Schmeicheley Huldigung. Gruss . O wie selig ward mir! Im Lande wandl’ ich Wo Hudhud über den Weg läuft. Des alten Meeres Muscheln Im Stein sucht’ ich die versteinten, Hudhud lief einher Die Krone entfaltend. Stolzirte, neckischer Art, Ueber das Todte scherzend Der Lebend’ge. Hudhud, sagt’ ich, fürwahr! Ein schöner Vogel bist du. Eile doch, Wiedehopf! Eile der Geliebten Zu verkünden dass ich ihr Ewig angehöre. Hast du doch auch Zwischen Salomo Und Saba’s Königin Ehemals den Kuppler gemacht! Ergebung . „Du vergehst und bist so freundlich, Verzehrst dich und singst so schön.“ Dichter . Die Liebe behandelt mich feindlich! Da will ich gern gestehn Ich singe mit schwerem Herzen. Sieh doch einmal die Kerzen, Sie leuchten indem sie vergehn. Unvermeidlich . Wer kann gebieten den Vögeln Still zu seyn auf der Flur? Und wer verbieten zu zappeln Den Schafen unter der Schur? Stell’ ich mich wohl ungebärdig Wenn mir die Wolle kraust? Nein! Die Ungebärden entzwingt mir Der Scheerer der mich zerzaust. Wer will mir wehren zu singen Nach Lust zum Himmel hinan? Den Wolken zu vertrauen Wie lieb sie mir’s angethan. Geheimes . Ueber meines Liebchens Aeugeln Stehn verwundert alle Leute, Ich, der Wissende, dagegen Weiss recht gut was das bedeute. Denn es heisst; Ich liebe diesen, Und nicht etwa den und jenen, Lasset nur ihr guten Leute Euer Wundern, euer Sehnen. Ja, mit ungeheuren Mächten Blicket sie wohl in die Runde; Doch sie sucht nur zu verkünden Ihm die nächste süsse Stunde. Geheimstes . „Wir sind emsig nachzuspüren, Wir, die Anecdotenjäger, Wer dein Liebchen sey und ob du Nicht auch habest viele Schwäger. Denn dass du verliebt bist sehn wir, Mögen dir es gerne gönnen; Doch dass Liebchen so dich liebe Werden wir nicht glauben können.“ Ungehindert, liebe Herren, Sucht sie auf, nur hört das Eine: Ihr erschrecket wenn sie dasteht, Ist sie fort, ihr koost dem Scheine. Wisst ihr wie Schehâb-eddin Sich auf Arafat entmantelt, Niemand haltet ihr für thörig Der in seinem Sinne handelt. Wenn vor deines Kaysers Throne, Oder vor der Vielgeliebten Je dein Name wird gesprochen Sey es dir zu höchstem Lohne. Darum war’s der höchste Jammer Als einst Medschnun sterbend wollte Dass vor Leila seinen Namen Man forthin nicht nennen sollte. Tefkir Nameh . Buch der Betrachtungen . Höre den Rath den die Leyer tönt; Doch er nutzet nur wenn du fähig bist; Das glücklichste Wort es wird verhöhnt Wenn der Hörer ein Schiefohr ist. „Was tönt denn die Leyer?“ sie tönet laut: Die schönste das ist nicht die beste Braut, Doch wenn wir dich unter uns zählen sollen, So musst du das Schönste, das Beste wollen. 5 Fünf Dinge . Fünf Dinge bringen fünfe nicht hervor, Du, dieser Lehre öffne du dein Ohr: Der stolzen Brust wird Freundschaft nicht ent- sprossen. Unhöflich sind der Niedrigkeit Genossen; Ein Bösewicht gelangt zu keiner Grösse; Der Neidische erbarmt sich nicht der Blösse; Der Lügner hofft vergeblich Treu’ und Glauben; Das halte fest und niemand lass dir’s rauben. Fünf andere . Was verkürzt mir die Zeit? Thätigkeit! Was macht sie unerträglich lang? Müssiggang! Was bringt in Schulden? Harren und Dulden! Was macht Gewinnen? Nicht lange besinnen! Was bringt zu Ehren? Sich wehren! 5 * Lieblich ist des Mädchens Blick der winket, Trinkers Blick ist lieblich eh er trinket, Gruss des Herren der befehlen konnte, Sonnenschein im Herbst der dich besonnte. Lieblicher als alles dieses habe Stets vor Augen, wie sich kleiner Gabe Dürft’ge Hand so hübsch entgegen dränget, Zierlich dankbar was du reichst empfänget. Welch ein Blick! ein Gruss! ein sprechend Streben! Schau es recht und du wirst immer geben. Und was im Pend-Nameh steht Ist dir aus der Brust geschrieben: Jeden dem du selber giebst Wirst du wie dich selber lieben. Reiche froh den Pfennig hin, Häufe nicht ein Gold-Vermächtniss, Eile freudig vorzuziehn Gegenwart vor dem Gedächtniss. Reitest du bey e’nem Schmied vorbey, Weisst nicht wann er dein Pferd beschlägt; Siehst du eine Hütte im Felde frey, Weisst nicht ob sie dir ein Liebchen hegt; Einem Jüngling begegnest du schön und kühn, Er überwindet dich künftig oder du ihn. Am sichersten kannst du vom Rebstock sagen Er werde für dich was Gutes tragen. So bist du denn der Welt empfohlen, Das Uebrige will ich nicht wiederholen. Behandelt die Frauen mit Nachsicht! Aus krummer Rippe ward sie erschaffen, Gott konnte sie nicht ganz grade machen. Willst du sie biegen, sie bricht. Lässt du sie ruhig, sie wird noch krümmer, Du guter Adam, was ist denn schlimmer? — Behandelt die Frauen mit Nachsicht: Es ist nicht gut dass euch eine Rippe bricht. Das Leben ist ein Gänsespiel: Je mehr man vorwärts gehet, Je früher kommt man an das Ziel, Wo niemand gerne stehet. Man sagt die Gänse wären dumm, O! glaubt mir nicht den Leuten: Denn eine sieht einmal sich rum Mich rückwärts zu bedeuten. Ganz anders ist’s in dieser Welt Wo alles vorwärts drücket, Wenn einer stolpert oder fällt Keine Seele rückwärts blicket. Freygebiger wird betrogen, Geizhafter ausgesogen, Verständiger irrgeleitet, Vernünftiger leer geweitet, Der Harte wird umgangen, Der Gimpel wird gefangen. Beherrsche diese Lüge, Betrogener betrüge! Wer befehlen kann wird loben Und er wird auch wieder schelten, Und das muss dir, treuer Diener, Eines wie das andre gelten. Denn er lobt wohl das Geringe, Schilt auch, wo er sollte loben, Aber bleibst du guter Dinge Wird er dich zuletzt erproben. Und so haltet’s auch ihr Hohen Gegen Gott wie der Geringe, Thut und leidet, wie sich’s findet, Bleibt nur immer guter Dinge. An Schach Sedschan und seines Gleichen . Durch allen Schall und Klang Der Transoxanen Erkühnt sich unser Sang Auf deine Bahnen! Uns ist für gar nichts bang, In dir lebendig, Dein Leben daure lang Dein Reich beständig. Höchste Gunst . Ungezähmt so wie ich war Hab’ ich einen Herrn gefunden, Und gezähmt nach manchem Jahr Eine Herrin auch gefunden. Da sie Prüfung nicht gespart Haben sie mich treu gefunden, Und mit Sorgfalt mich bewahrt Als den Schatz den sie gefunden. Niemand diente zweyen Herrn Der dabey sein Glück gefunden; Herr und Herrin sehn es gern Dass sie beyde mich gefunden, Und mir leuchtet Glück und Stern Da ich beyde Sie gefunden. Ferdusi spricht . O Welt! wie schamlos und boshaft bist du! Du nährst und erziehest und tödtest zugleich. Nur wer von Allah begünstiget ist, Der nährt sich, erzieht sich, lebendig und reich. Was heisst denn Reichthum? — Eine wärmende Sonne, Geniesst sie der Bettler, wie wir sie geniessen! Es möge doch keinen der Reichen verdriessen Des Bettlers, im Eigensinn, selige Wonne. Dschelâl-eddîn Rumi spricht . Verweilst du in der Welt, sie fleieht als Traum, Du reisest, ein Geschick bestimmt den Raum, Nicht Hitze, Kälte nicht vermagst du fest zu halten, Und was dir blüht, sogleich wird es veralten. Suleika spricht . Der Spiegel sagt mir ich bin schön! Ihr sagt: zu altern sey auch mein Geschick. Vor Gott muss alles ewig stehn, In mir liebt Ihn, für diesen Augenblick. Rendsch Nameh . Buch des Unmuths . „Wo hast du das genommen? Wie konnt’ es zu dir kommen? Wie aus dem Lebensplunder Erwarbst du diesen Zunder? Der Funken letzte Gluthen Von frischem zu ermuthen.“ Euch mög’ es nicht bedünkeln Es sey gemeines Fünkeln; Auf ungemessner Ferne, Im Ocean der Sterne, Mich hatt’ ich nicht verloren, Ich war wie neu geboren. 6 Von weisser Schaafe Wogen Die Hügel überzogen, Umsorgt von ernsten Hirten, Die gern und schmal bewirthen. So ruhig, liebe Leute, Dass jeder mich erfreute. In schauerlichen Nächten, Bedrohet von Gefechten, Das Stöhnen der Cameele Durchdrang das Ohr, die Seele. Und derer die sie führen Einbildung und Stolziren. Und immer ging es weiter Und immer ward es breiter Und unser ganzes Ziehen Es schien ein ewig Fliehen, Blau, hinter Wüst’ und Heere, Der Streif erlogner Meere. Keinen Reimer wird man finden Der sich nicht den besten hielte, Keinen Fiedler der nicht lieber Eigne Melodieen spielte. Und ich konnte sie nicht tadeln; Wenn wir andern Ehre geben Müssen wir uns selbst entadeln. Lebt man denn wenn andre leben? Und so fand ich’s denn auch juste In gewissen Antichambern, Wo man nicht zu sondern wusste Mäusedreck von Koriandern. 6 * Das Gewesne wollte hassen Solche rüstige neue Besen, Diese dann nicht gelten lassen Was sonst Besen war gewesen. Und wo sich die Völker trennen, Gegenseitig im Verachten, Keins von beyden wird bekennen Dass sie nach demselben trachten. Und das grobe Selbstempfinden Haben Leute hart gescholten, Die am wenigsten verwinden, Wenn die andern was gegolten. Befindet sich einer heiter und gut, Gleich will ihn der Nachbar peinigen; So lang der Tüchtige lebt und thut, Möchten sie ihn gerne steinigen. Ist er hinterher aber todt, Gleich sammeln sie grosse Spenden Zu Ehren seiner Lebensnoth Ein Denkmal zu vollenden, Doch ihren Vortheil sollte dann Die Menge wohl ermessen, Gescheiter wär’s den guten Mann Auf immerdar vergessen. Uebermacht, Ihr könnt es spüren, Ist nicht aus der Welt zu bannen; Mir gefällt zu conversiren Mit Gescheiten, mit Tyrannen. Da die dummen Eingeengten Immerfort am stärksten pochten. Und die Halben, die Beschränkten Gar zu gern uns unterjochten; Hab’ ich mich für frey erkläret, Von den Narren, von den Weisen, Diese bleiben ungestöret, Jene möchten sich zerreissen. Denken in Gewalt und Liebe Müssten wir zuletzt uns gatten, Machen mir die Sonne trübe Und erhitzen mir den Schatten. Hafis auch und Ulrich Hutten Mussten ganz bestimmt sich rüsten Gegen braun’ und blaue Kutten; Meine gehn wie andre Christen. „Aber nenn’ uns doch die Feinde!“ Niemand soll sie unterscheiden: Denn ich hab’ in der Gemeinde Schon genug daran zu leiden. Wenn du auf dem Guten ruhst, Nimmer werd’ ich’s tadeln, Wenn du gar das Gute thust, Sieh das soll dich adeln; Hast du aber deinen Zaun Um dein Gut gezogen, Leb ich frey und lebe traun Keineswegs betrogen. Denn die Menschen sie sind gut, Würden besser bleiben, Sollte nicht wie’s einer thut Auch der Andre treiben. Auf dem Weg da ists ein Wort, Niemand wird’s verdammen: Wollen wir an Einen Ort, Nun! wir gehn zusammen. Vieles wird sich da und hie Uns entgegen stellen. In der Liebe mag man nie Helfer und Gesellen, Geld und Ehre hätte man Gern allein zur Spende Und der Wein, der treue Mann, Der entzweyt am Ende. Hat doch über solches Zeug Hafis auch gesprochen, Ueber manchen dummen Streich Sich den Kopf zerbrochen, Und ich seh nicht was es frommt Aus der Welt zu laufen, Magst du, wenn das Schlimmste kommt, Aus einmal dich raufen. Als wenn das auf Namen ruhte! Was sich schweigend nur entfaltet. Lieb’ ich doch das schöne Gute Wie es sich aus Gott gestaltet. Jemand lieb’ ich, das ist nöthig, Niemand hass’ ich; soll ich hassen; Auch dazu bin ich erbötig, Hasse gleich in ganzen Massen. Willst sie aber näher kennen, Sich auf’s Rechte, sich auf’s Schlechte, Was sie ganz fürtrefflich nennen Ist wahrscheinlich nicht das Rechte. Denn das Rechte zu ergreifen Muss man aus dem Grunde leben, Und saalbadrisch auszuschweifen Dünket mich ein seicht Bestreben. Wohl! Herr Knitterer er kann sich Mit Zersplitterer vereinen, Und Verwitterer alsdann sich Allenfalls der beste scheinen. Dass nur immer in Erneuung Jeder täglich neues höre, Und zugleich auch die Zerstreuung Jeden in sich selbst zerstöre. Dies der Landsmann wünscht und liebet, Mag er Deutsch mag Teutsch sich schreiben, Und das Lied nur heimlich piepet: Also war es und wird bleiben. Medschnun heisst — ich will nicht sagen Dass es grad’ ein Toller heisse; Doch ihr müsst mich nicht verklagen Dass ich mich als Medschnun preise. Wenn die Brust, die redlich volle, Sich entladet euch zu retten, Ruft ihr nicht: das ist der Tolle! Holet Stricke, schaffet Ketten! Und wenn ihr zuletzt in Fesseln Seht die Klügeren verschmachten, Sengt es euch wie Feuernesseln Das vergebens zu betrachten. Hab’ ich euch denn je gerathen Wie ihr Kriege führen solltet? Schalt ich euch nach euren Thaten Wenn ihr Friede schliessen wolltet? Und so hab’ ich auch den Fischer Ruhig sehen Netze werfen, Brauchte dem gewandten Tischer Winkelmaas nicht einzuschärfen. Aber ihr wollt’ besser wissen Was ich weiss, der ich bedachte Was Natur, für mich beflissen, Schon zu meinem Eigen machte. Fühlt ihr euch dergleichen Stärke, Nun, so fördert eure Sachen; Seht ihr aber meine Werke, Lernet erst: so wollt’ er’s machen. Wanderers Gemüthsruhe . Ueber’s Niederträchtige Niemand sich beklage; Denn es ist das Mächtige, Was man dir auch sage. In dem Schlechten waltet es Sich zu Hochgewinne, Und mit Rechtem schaltet es Ganz nach seinem Sinne. Wandrer! — Gegen solche Noth Wolltest du dich sträuben? Wirbelwind und trocknen Koth Lass sie drehn und stäuben. Wer wird von der Welt verlangen? Was sie selbst vermisst und träumet, Rückwärts oder seitwärts blickend Stets den Tag des Tags versäumet. Ihr Bemühn ist guter Wille, Hinkt nur nach dem raschen Leben Und was du vor Jahren brauchtest, Möchte sie dir heute geben. Glaubst du denn von Mund zu Ohr Sey ein redlicher Gewinnst? Ueberliefrung, o! du Thor! Ist auch wohl ein Hirngespinnst. Nun geht erst das Urtheil an. Dich vermag aus Glaubensketten Der Verstand allein zu retten, Dem du schon Verzicht gethan. Und wer franzet oder brittet, Italiänert oder teutschet, Einer will nur wie der andre Was die Eigenliebe heischet. Denn es ist kein Anerkennen, Weder vieler, noch des einen, Wenn es nicht am Tage fördert Wo man selbst was möchte scheinen. Morgen habe denn das Rechte Seine Freunde wohlgesinnet, Wenn nur heute noch das Schlechte Vollen Platz und Gunst gewinnet. Wer nicht von dreytausend Jahren Sich weiss Rechenschaft zu geben, Bleib im Dunkeln unerfahren, Mag von Tag zu Tage leben. 7 Aergert’s jemand dass es Gott gefallen Mahomed zu gönnen Schutz und Glück, Um den stärksten Balken seiner Hallen Da befestig’ er den derben Strick, Knüpfe sich daran! das hält und trägt, Er wird fühlen dass sein Zorn sich legt. Hikmet-Nameh . Buch der Sprüche . 7 * Talismane werd’ ich in dem Buch zerstreuen, Das bewirkt ein Gleichgewicht. Wer mit gläubiger Nadel sticht Ueberall soll gutes Wort ihn freuen. Vom heut’gen Tag, von heut’ger Nacht Verlange nichts Als was die gestrigen gebracht. Wer geboren in bösten Tagen Dem werden selbst die bösen behagen. Wie etwas sey leicht Weiss der es erfunden und der es erreicht. Das Meer fluthet immer, Das Land behält es nimmer. Was klagst du über Feinde? Sollten solche je werden Freunde, Denen das Wesen wie du bist Im Stillen ein ewiger Vorwurf ist. Dümmer ist nichts zu ertragen, Als wenn Dumme sagen den Weisen: Dass sie sich in grossen Tagen Sollten bescheidentlich erweisen. Wenn Gott so schlechter Nachbar wäre Als ich bin und als du bist, Wir hätten beyde wenig Ehre; Der lässt einen jeden wie er ist. Gesteht’s! Die Dichter des Orients Sind grösser als wir des Occidents. Worin wir sie aber völlig erreichen, Das ist im Hass auf unsres Gleichen. Ueberall will jeder obenauf seyn, Wie’s eben in der Welt so geht. Jeder sollte freylich grob seyn, Aber nur in dem was er versteht. Verschon uns Gott mit deinem Grimme! Zaunkönige gewinnen Stimme. Will der Neid sich doch zerreissen, Lass ihn seinen Hunger speissen. Sich im Respect zu erhalten Muss man recht borstig seyn. Alles jagt man mit Falken, Nur nicht das wilde Schwein. Was hilft’s dem Pfaffen-Orden Der mir den Weg verrannt? Was nicht gerade erfasst worden Wird auch schief nicht erkannt. Einen Helden mit Lust preisen und nennen Wird jeder der selbst als kühner stritt. Des Menschen Werth kann niemand erkennen Der nicht selbst Hitze und Kälte litt. Gutes thu’ rein aus des Guten Liebe, Was du thust verbleibt dir nicht; Und wenn es auch dir verbliebe, Bleibt es deinen Kindern nicht. Soll man dich nicht auf’s schmälichste berauben, Verbirg dein Gold, dein Weggehn, deinen Glauben. Wie kommt’s dass man an jedem Orte So viel Gutes, so viel Dummes hört? Die Jüngsten wiederholen der Aeltesten Worte, Und glauben dass es ihnen angehört. Lass dich nur in keiner Zeit Zum Widerspruch verleiten, Weise fallen in Unwissenheit Wenn sie mit Unwissenden streiten. „Warum ist Wahrheit fern und weit? Birgt sich hinab in tiefste Gründe?“ Niemand verstehet zur rechten Zeit! — Wenn man zur rechten Zeit verstünde; So wäre Wahrheit nah und breit, Und wäre lieblich und gelinde. Was willst du untersuchen Wohin die Milde fliesst. In’s Wasser wirf deine Kuchen, Wer weiss wer sie geniesst. Als ich einmal eine Spinne erschlagen, Dacht ich ob ich das wohl gesollt? Hat Gott ihr doch wie mir gewollt Einen Antheil an diesen Tagen! „Dunkel ist die Nacht, bey Gott ist Licht. Warum hat er uns nicht auch so zugericht?“ Welch eine bunte Gemeinde! An Gottes Tisch sitzen Freund und Feinde. Ihr nennt mich einen kargen Mann; Gebt mir was ich verprassen kann. Soll ich dir die Gegend zeigen, Musst du erst das Dach besteigen. Wer schweigt hat wenig zu sorgen, Der Mensch bleibt unter der Zunge verborgen. Ein Herre mit zwey Gesind Er wird nicht wohl gepflegt. Ein Haus worin zwey Weiber sind Es wird nicht rein gefegt. Ihr lieben Leute bleibt dabey Und sagt nur: Autos epha! Was sagt ihr lange Mann und Weib, Adam, so heissts, und Eva. Wofür ich Allah höchlich danke? Dass er Leiden und Wissen getrennt. Verzweifeln müsste jeder Kranke Das Uebel kennend wie der Arzt es kennt. Närrisch, dass jeder in seinem Falle Seine besondere Meynung preisst! Wenn Islam Gott ergeben heisst, Im Islam leben und sterben wir alle. Wer auf die Welt kommt baut ein neues Haus, Er geht und lässt es einem zweyten, Der wird sich’s anders zubereiten Und niemand baut es aus. Wer in mein Haus tritt der kann schelten Was ich liess viele Jahte gelten; Vor der Thür aber müsst’ er passen Wenn ich ihn nicht wollte gelten lassen. Herr! lass dir gefallen Dieses kleine Haus, Grössre kann man bauen, Mehr kommt nicht heraus. Du bist auf immer geborgen, Das nimmt dir niemand wieder: Zwey Freunde, ohne Sorgen, Weinbecher, Büchlein Lieder. „Was brachte Lokman nicht hervor, Den man den garst’gen hiess!“ Die Süssigkeit liegt nicht im Rohr, Der Zucker der ist süss. Herrlich ist der Orient Ueber’s Mittelmeer gedrungen, Nur wer Hafis liebt und kennt Weiss was Calderon gesungen. „Was schmückst du die eine Hand denn nun Weit mehr als ihr gebührte.“ Was sollte denn die linke thun, Wenn sie die rechte nicht zierte? Wenn man auch nach Mecca triebe Christus Esel, würd’ er nicht Dadurch besser abgericht, Sondern stets ein Esel bliebe. Getretner Quark Wird breit, nicht stark. Schlägst du ihn aber mit Gewalt In feste Form, er nimmt Gestalt. Dergleichen Steine wirst du kennen, Europäer Pisé sie nennen. Betrübt euch nicht ihr guten Seelen! Denn wer nicht fehlt weiss wohl wenn andre fehlen; Allein wer fehlt der ist erst recht daran, Er weiss nun deutlich wie sie wohl gethan. Du hast gar vielen nicht gedankt Die dir so manches Gute gegeben! Darüber bin ich nicht erkrankt, Ihre Gaben mir im Herzen leben. Guten Ruf musst du dir machen, Unterscheiden wohl die Sachen, Wer was weiter will verdirbt. Die Flut der Leidenschaft sie stürmt vergebens An’s unbezwungne, feste Land. — Sie wirft poetische Perlen an den Strand, Und das ist schon Gewinn des Lebens. Timur Nameh . Buch des Timur . 8 Der Winter und Timur . So umgab sie nun der Winter Mit gewalt’gem Grimme. Streuend Seinen Eishauch zwischen alle, Hetzt er die verschiednen Winde Widerwärtig auf sie ein. Ueber sie gab er Gewaltkraft Seinen frostgespitzten Stürmen, Stieg in Timurs Rath hernieder, Schrie ihn drohend an und sprach so: Leise, langsam, Unglücksel’ger! Wandle du Tyrann des Unrechts; Sollen länger noch die Herzen Sengen, brennen deinen Flammen? Bist du der verdammten Geister Einer, wohl! ich bin der andre. 8 * Du bist Greis, ich auch, erstarren Machen wir so Land als Menschen. Mars! Du bist’s! ich bin Saturnus, Uebelthätige Gestirne, Im Verein die Schrecklichsten. Tödest du die Seele, kältest Du den Luftkreis; meine Lüfte Sind noch kälter als du seyn kannst. Quälen deine wilden Heere Gläubige mit tausend Martern; Wohl, in meinen Tagen soll sich, Geb es Gott! was schlimmres finden. Und bey Gott! Dir schenk’ ich nichts Hör’ es Gott was ich dir biete! Ja bey Gott! von Todeskälte Nicht, o Greis, vertheid’gen soll dich Breite Kohlenglut vom Heerde, Keine Flamme des Decembers. An Suleika . Dir mit Wohlgeruch zu kosen, Deine Freuden zu erhöhn, Knospend müssen tausend Rosen Erst in Gluten untergehn. Um ein Fläschchen zu besitzen Das den Ruch auf ewig hält, Schlank wie deine Fingerspitzen, Da bedarf es einer Welt. Einer Welt von Lebenstrieben, Die, in ihrer Fülle Drang, Ahndeten schon Bulbuls Lieben, Seeleregenden Gesang. Sollte jene Quaal uns quälen? Da sie unsre Lust vermehrt. Hat nicht Myriaden Seelen Timurs Herrschaft aufgezehrt! Suleika Nameh . Buch Suleika . Ich gedachte in der Nacht Dass ich den Mond sähe im Schlaf; Als ich aber erwachte Ging unvermuthet die Sonne auf. Einladung . Musst nicht vor dem Tage fliehen: Denn der Tag den du ereilest Ist nicht besser als der heut’ge; Aber wenn du froh verweilest Wo ich mir die Welt beseit’ge, Um die Welt an mich zu ziehen; Bist du gleich mit mir geborgen, Heut ist heute, morgen morgen, Und was folgt und was vergangen Reisst nicht hin und bleibt nicht hangen. Bleibe du, mein Allerliebstes, Denn du bringst es und du giebst es. Dass Suleika von Jussuff entzückt war Ist keine Kunst, Er war jung, Jugend hat Gunst, Er war schön, sie sagen zum Entzücken, Schön war sie, konnten einander beglücken. Aber dass du, die so lange mir erharrt war, Feurige Jugendblicke mir schickst, Jetzt mich liebst, mich später beglückst, Das sollen meine Lieder preissen Sollst mir ewig Suleika heissen. Da du nun Suleika heissest Sollt ich auch benamset seyn, Wenn du deinen Geliebten preisest, Hatem! das soll der Name seyn. Nur dass man mich daran erkennet, Keine Anmassung soll es seyn. Wer sich St. Georgenritter nennet Denkt nicht gleich Sanct Georg zu seyn. Nicht Hatem Thai, nicht der Alles Gebende Kann ich in meiner Armuth seyn, Hatem Zograi nicht, der reichlichst Lebende Von allen Dichtern, möcht’ ich seyn. Aber beyde doch im Auge zu haben Es wird nicht ganz verwerflich seyn: Zu nehmen, zu geben des Glückes Gaben Wird immer ein gross Vergnügen seyn. Sich liebend an einander zu laben Wird Paradieses Wonne seyn. Hatem . Nicht Gelegenheit macht Diebe, Sie ist selbst der grösste Dieb, Denn sie stahl den Rest der Liebe Die mir noch im Herzen blieb. Dir hat sie ihn übergeben Meines Lebens Vollgewinn, Dass ich nun, verarmt, mein Leben Nur von dir gewärtig bin. Doch ich fühle schon Erbarmen Im Carfunkel deines Blicks Und erfreu’ in deinen Armen Mich erneuerten Geschicks. Suleika . Hochbeglückt in deiner Liebe Schelt ich nicht Gelegenheit, Ward sie auch an dir zum Diebe Wie mich solch ein Raub erfreut! Und wozu denn auch berauben? Gieb dich mir aus freyer Wahl, Gar zu gerne möcht ich glauben — Ja! ich bin’s die dich bestahl. Was so willig du gegeben Bringt dir herrlichen Gewinn, Meine Ruh, mein reiches Leben Geb’ ich freudig, nimm es hin. Scherze nicht! Nichts von Verarmen! Macht uns nicht die Liebe reich? Halt ich dich in meinen Armen, Jedem Glück ist meines gleich. Der Liebende wird nicht irre gehn, Wär’s um ihn her auch noch so trübe. Sollten Leila und Medschnun auferstehn, Von mir erführen sie den Weg der Liebe. Ist’s möglich dass ich Liebchen dich kose! Vernehme der göttlichen Stimme Schall! Unmöglich scheint immer die Rose, Unbegreiflich die Nachtigall. Suleika . Als ich auf dem Euphrat schiffte, Streifte sich der goldne Ring Fingerab, in Wasserklüfte, Den ich jüngst von dir empfing. Also träumt’ ich, Morgenröthe Blitzt in’s Auge durch den Baum, Sag Poete, sag Prophete! Was bedeutet dieser Traum? Hatem . Dies zu deuten bin erbötig! Hab’ ich dir nicht oft erzählt Wie der Doge von Venedig Mit dem Meere sich vermählt. So von deinen Fingergliedern Fiel der Ring dem Euphrat zu. Ach zu tausend Himmelsliedern Süsser Traum begeisterst du! Mich, der von den Indostanen Streifte bis Damascus hin, Um mit neuen Caravanen Bis an’s rothe Meer zu ziehn. Mich vermählst du deinem Flusse, Der Terrasse, diesem Hayn, Hier soll bis zum letzten Kusse Dir mein Geist gewidmet seyn. Kenne wohl der Männer Blicke, Einer sagt: ich liebe, leide! Ich begehre, ja verzweifle! Und was sonst ist kennt ein Mädchen. Alles das kann mir nicht helfen, Alles das kann mich nicht rühren; Aber Hatem! deine Blicke Geben erst dem Tage Glanz. Denn sie sagen: Die gefällt mir, Wie mir sonst nicht’s mag gefallen. Seh ich Rosen, seh ich Lilien, Aller Gärten Zier und Ehre, So Cypressen, Myrten, Veilchen, Aufgeregt zum Schmuck der Erde. Und geschmückt ist sie ein Wunder, Mit Erstaunen uns umfangend, Uns erquickend, heilend, segnend, Dass wir uns gesundet fühlen. 9 Wieder gern erkranken möchten. Da erblicktest du Suleika Und gesundetest erkrankend, Und erkranketest gesundend, Lächeltest und sahst herüber Wie du nie der Welt gelächlet. Und Suleika fühlt des Blickes Ewge Rede: Die gefällt mir Wie mir sonst nichts mag gefallen. Gingo biloba . Dieses Baum’s Blatt, der von Osten Meinem Garten anvertraut, Giebt geheimen Sinn zu kosten, Wie’s den Wissenden erbaut. Ist es Ein lebendig Wesen? Das sich in sich selbst getrennt, Sind es zwey? die sich erlesen, Dass man sie als eines kennt. Solche Frage zu erwiedern Fand ich wohl den rechten Sinn; Fühlst du nicht an meinen Liedern Dass ich Eins und doppelt bin? 9 * Suleika . Sag du hast wohl viel gedichtet? Hin und her dein Lied gerichtet? — Schöngeschrieben, deine Hand, Prachtgebunden, goldgerändet, Bis auf Punkt und Strich vollendet, Zierlichlockend manchen Band. Stets wo du sie hingewendet War’s gewiss ein Liebespfand. Hatem . Ja! von mächtig holden Blicken, Wie von lächlendem Entzücken Und von Zähnen blendend klar. Moschusduftend Lockenschlangen, Augenwimpern reizumhangen, Tausendfältige Gefahr! Denke nun wie von so langem Prophezeyt Suleika war. Suleika . Die Sonne kommt! Ein Prachterscheinen! Der Sichelmond umklammert sie. Wer konnte solch ein Paar vereinen? Dies Räthsel wie erklärt sich’s? Wie? Hatem . Der Sultan konnt’ es, er vermählte Das allerhöchste Weltenpaar, Um zu bezeichnen Auserwählte, Die tapfersten der treuen Schaar. Auch sey’s ein Bild von unsrer Wonne! Schon seh ich wieder mich und dich, Du nennst mich, Liebchen, deine Sonne, Komm, süsser Mond, umklammre mich! Komm Liebchen, komm! umwinde mir die Mütze Aus deiner Hand nur ist der Tulbend schön. Hat Abbas doch, auf Irans höchstem Sitze, Sein Haupt nicht zierlicher umwinden sehn. Ein Tulbend war das Band, das Alexandern In Schleifen schön vom Haupte fiel Und allen Folgeherrschern, jenen Andern, Als Königszierde wohlgefiel. Ein Tulbend ist’s der unsern Kaiser schmücket, Sie nennen’s Krone. Name geht wohl hin! Juweel und Perle! sey das Aug’ entzücket! Der schönste Schmuck ist stets der Mousselin. Und diesen hier, ganz rein und silberstreifig, Umwinde Liebchen um die Stirn umher. Was ist denn Hoheit? Mir ist sie geläufig! Du schaust mich an, ich bin so gross als Er. Nur wenig ist’s was ich verlange, Weil eben alles mir gefällt, Und dieses Wenige, wie lange, Giebt mir gefällig schon die Welt! Oft sitz’ ich heiter in der Schenke Und heiter im beschränkten Haus; Allein so bald ich dein gedenke, Dehnt sich mein Geist erobernd aus. Dir sollten Timurs Reiche dienen, Gehorchen sein gebietend Heer, Badaschan zollte dir Rubinen, Türkisse das Hyrkanische Meer. Getrocknet honigsüsse Früchte Von Bochara dem Sonnenland, Und tausend liebliche Gedichte Auf Seidenblatt von Samarkand. Da solltest du mit Freude lesen Was ich von Ormus dir verschrieb, Und wie das ganze Handelswesen Sich nur bewegte dir zu lieb. Wie in dem Lande der Bramanen Viel tausend Finger sich bemüht, Dass alle Pracht der Indostanen Für dich auf Woll’ und Seide blüht. Ja zu Verherrlichung der Lieben Giessbäche Soumelpours durchwühlt, Aus Erde, Grus, Gerill, Geschieben Dir Diamanten ausgespült. Wie Taucherschaar verwegner Männer Der Perle Schatz dem Golf entriss, Darauf ein Divan scharfer Kenner Sie dir zu reihen sich befliss. Wenn nun Bassora noch das Letzte, Gewürz und Weyrauch beigethan, Bringt alles was die Welt ergetzte Die Caravane dir heran. Doch alle diese Kaisergüter Verwirrten doch zuletzt den Blick; Und wahrhaft liebende Gemüther Eins nur im andern fühlt sein Glück. Hätt’ ich irgend wohl Bedenken Bochara und Samarcand, Süsses Liebchen, dir zu schenken? Dieser Städte Rausch und Tand. Aber frag einmal den Kaiser, Ob er dir die Städte giebt? Er ist herrlicher und weiser; Doch er weiss nicht wie man liebt. Herrscher! zu dergleichen Gaben Nimmermehr bestimmst du dich! Solch ein Mädchen muss man haben Und ein Bettler seyn wie ich. Die schön geschriebenen, Herrlich umgüldeten, Belächeltest du Die anmasslichen Blätter, Verziehst mein Prahlen Von deiner Lieb’ und meinem Durch dich glücklichen Gelingen, Verziehst anmuthigem Selbstlob. Selbstlob! Nur dem Neide stinkt’s, Wohlgeruch Freunden Und eignem Schmack! Freude des Daseyns ist gross, Grösser die Freud’ am Daseyn. Wenn du Suleika Mich überschwänglich beglückst, Deine Leidenschaft mir zuwirfst Als wär’s ein Ball, Dass ich ihn fange, Dir zurückwerfe Mein gewidmetes Ich; Das ist ein Augenblick! Und dann reisst mich von dir Bald der Franke, bald der Armenier. Aber Tage währt’s, Jahre dauert’s, dass ich neu erschaffe Tausendfältig deiner Verschwendungen Fülle Auftrösle die bunte Schnur meines Glücks, Geklöpplet tausendfadig Von dir, o Suleika. Hier nun dagegen Dichtrische Perlen, Die mir deiner Leidenschaft Gewaltige Brandung Warf an des Lebens Verödeten Strand aus. Mit spitzen Fingern Zierlich gelesen, Durchreiht mit juwelenem Goldschmuck. Nimm sie an deinen Hals, An deinen Busen! Die Regentropfen Allahs, Gereift in bescheidener Muschel. Lieb’ um Liebe, Stund’ um Stunde, Wort um Wort und Blick um Blick; Kuss um Kuss, vom treusten Munde, Hauch um Hauch und Glück um Glück. So am Abend, so am Morgen! Doch du fühlst an meinen Liedern Immer noch geheime Sorgen; Jussufs Reize möcht’ ich borgen Deine Schönheit zu erwiedern. Suleika . Volk und Knecht und Ueberwinder Sie gestehn, zu jeder Zeit, Höchstes Glück der Erdenkinder Sey nur die Persönlichkeit. Jedes Leben sey zu führen, Wenn man sich nicht selbst vermisst; Alles könne man verlieren, Wenn man bliebe was man ist. Hatem . Kann wohl seyn! so wird gemeynet; Doch ich bin auf andrer Spur, Alles Erdenglück vereinet Find’ ich in Suleika nur. Wie sie sich an mich verschwendet, Bin ich mir ein werthes Ich; Hätte sie sich weggewendet, Augenblicks verlör ich mich. Nun, mit Hatem wär’s zu Ende; Doch schon hab’ ich umgelost, Ich verkörpre mich behende In den Holden den sie kost. Wollte, wo nicht gar ein Rabbi, Das will mir so recht nicht ein; Doch Ferdusi, Motanabbi, Allenfalls der Kaiser seyn. Hatem . Wie des Goldschmieds Bazarlädchen Vielgefärbt, geschliffne Lichter, So umgeben hübsche Mädchen Den beynah ergrauten Dichter. Mädchen . Singst du schon Suleika wieder! Diese können wir nicht leiden, Nicht um dich — um deine Lieder Wollen, müssen wir sie neiden. Denn wenn sie auch garstig wäre Machtst du sie zum schönsten Wesen, Und so haben wir von Dschemil Und Boteinah viel gelesen. 10 Aber eben weil wir hübsch sind Möchten wir auch gern gemalt seyn, Und, wenn du es billig machest, Sollst du auch recht hübsch bezahlt seyn. Hatem . Bräunchen komm! Es wird schon gehen. Zöpfe, Kämme gross und kleine, Zieren Köpfchens nette Reine Wie die Kuppel ziert Moscheen. Du Blondinchen bist so zierlich, Aller Weis’ und Weg’ so nette, Man gedenkt nicht ungebührlich Also gleich der Minarette. Du dahinten hast der Augen Zweyerley, du kannst die beyden, Einzeln, nach Belieben brauchen. Doch ich sollte d i ch vermeiden. Leichtgedrückt die Augenlieder Eines, die den Stern bewhelmen Deutet auf den Schelm der Schelmen, Doch das andre schaut so bieder. Dies, wenn jen’s verwundend angelt, Heilend, nährend wird sich’s weisen. Niemand kann ich glücklich preisen Der des Doppelblicks ermangelt. Und so könnt’ ich alle loben Und so könnt’ ich alle lieben: Denn so wie ich euch erhoben War die Herrin mit beschrieben. Mädchen . Dichter will so gerne Knecht seyn, Weil die Herrschaft draus entspringet; Doch vor allem sollt’ ihm recht seyn, Wenn das Liebchen selber singet. 10 * Ist sie denn des Liedes mächtig? Wie’s auf unsern Lippen waltet: Denn es macht sie gar verdächtig Dass sie im Verborgnen schaltet. Hatem . Nun wer weiss was sie erfüllet! Kennt ihr solcher Tiefe Grund? Selbstgefühltes Lied entquillet, Selbstgedichtetes dem Mund. Von euch Dichterinnen allen Ist ihr eben keine gleich: Denn sie singt mir zu gefallen, Und ihr singt und liebt nur euch. Mädchen . Merke wohl, du hast uns eine Jener Huris vorgeheuchelt! Mag schon seyn, wenn es nur keine Sich auf dieser Erde schmeichelt. Hatem . Locken! haltet mich gefangen In dem Kreise des Gesichts! Euch geliebten braunen Schlangen Zu erwiedern hab’ ich nichts. Nur dies Herz es ist von Dauer, Schwillt in jugendlichstem Flor; Unter Schnee und Nebelschauer Rast ein Aetna dir hervor. Du beschämst wie Morgenröthe Jener Gipfel ernste Wand, Und noch einmal fühlet Hatem Frühlingshauch und Sommerbrand. Schenke her! Noch eine Flasche! Diesen Becher bring ich Ihr! Findet sie ein Häufchen Asche, Sagt sie: der verbrannte mir. Suleika . Nimmer will ich dich verlieren! Liebe giebt der Liebe Kraft. Magst du meine Jugend zieren Mit gewaltiger Leidenschaft. Ach! wie schmeichelt’s meinem Triebe, Wenn man meinen Dichter preist: Denn das Leben ist die Liebe, Und des Lebens Leben Geist. Lass deinen süssen Rubinenmund Zudringlichkeiten nicht verfluchen, Was hat Liebesschmerz andern Grund Als seine Heilung zu suchen. Bist du von deiner Geliebten getrennt Wie Orient vom Occident, Das Herz durch alle Wüste rennt, Es giebt sich überall selbst das Geleit, Für Liebende ist Bagdad nicht weit. O! dass der Sinnen doch so viele sind! Verwirrung bringen sie in’s Glück herein. Wenn ich dich sehe wünsch’ ich taub zu seyn, Wenn ich dich höre blind. Auch in der Ferne dir so nah! Und unerwartet kommt die Qual. Da hör’ ich wieder dich einmal, Auf einmal bist du wieder da! Wie sollt’ ich heiter bleiben Entfernt von Tag und Licht? Nun aber will ich schreiben Und trinken mag ich nicht. Wenn sie mich an sich lockte War Rede nicht im Brauch, Und wie die Zunge stockte So stockt die Feder auch. Nur zu! geliebter Schenke, Den Becher fülle still. Ich sage nur: Gedenke! Schon weiss man was ich will. Wenn ich dein gedenke, Fragt mich gleich der Schenke: Herr! Warum so still? Da von deinen Lehren Immer weiter hören Saki gerne will. Wenn ich mich vergesse Unter der Cypresse Hält er nichts davon, Und im stillen Kreise Bin ich doch so weise, Klug wie Salomon. An vollen Büschelzweigen, Geliebte, sieh’ nur hin! Lass dir die Früchte zeigen Umschalet stachlig grün. Sie hängen längst geballet, Still, unbekannt mit sich, Ein Ast der schaukelnd wallet Wiegt sie geduldiglich. Doch immer reift von Innen Und schwillt der braune Kern, Er möchte Luft gewinnen Und säh die Sonne gern. Die Schale platzt und nieder Macht er sich freudig los; So fallen meine Lieder Gehäuft in deinen Schoos. Suleika . An des lust’gen Brunnens Rand Der in Wasserfäden spielt Wusst ich nicht was fest mich hielt; Doch da war von deiner Hand Meine Chiffer leis’ gezogen, Nieder blickt’ ich dir gewogen. Hier am Ende des Canals Der gereihten Hauptallee Blick’ ich wieder in die Höh, Und da seh’ ich abermals Meine Lettern fein gezogen. Bleibe! bleibe mir gewogen! Hatem . Möge Wasser springend, wallend, Die Cypressen dir gestehn: Von Suleika zu Suleika Ist mein Kommen und mein Gehn. Suleika . Kaum dass ich dich wieder habe Dich mit Kuss und Liedern labe, Bist du still in dich gekehret; Was beengt? und drückt und störet? Hatem . Ach, Suleika, soll ich’s sagen? Statt zu loben möcht’ ich klagen! Sangest sonst nur meine Lieder, Immer neu und immer wieder. Sollte wohl auch diese loben, Doch sie sind nur eingeschoben; Nicht von Hafis, nicht Nisami, Nicht Saadi, nicht von Dschami. Kenn’ ich doch der Väter Menge, Sylb’ um Sylbe, Klang um Klänge, Im Gedächtniss unverloren; Diese da sind neu geboren. Gestern wurden sie gedichtet. Sag hast du dich neu verpflichtet? Hauchest du so froh-verwegen Fremden Athem mir entgegen! Der dich eben so belebet, Eben so in Liebe schwebet, Lockend, ladend zum Vereine So harmonisch als der meine. Suleika . War Hatem lange doch entfernt, Das Mädchen hatte was gelernt, Von ihm war sie so schön gelobt, Da hat die Trennung sich erprobt. Wohl dass sie dir nicht fremde scheinen; Sie sind Suleika’s, sind die deinen! Behramgur , sagt man, hat den Reim erfunden, Er sprach entzückt aus reiner Seele Drang; Dilara schnell, die Freundinn seiner Stunden, Erwiederte mit gleichem Wort und Klang. Und so, Geliebte! warst du mir beschieden Des Reims zu finden holden Lustgebrauch, Dass auch Behramgur ich, den Sassaniden, Nicht mehr beneiden darf: mir ward es auch. Hast mir diess Buch geweckt, du hast’s gegeben: Denn was ich froh, aus vollem Herzen, sprach, Das klang zurück aus deinem holden Leben, Wie Blick dem Blick, so Reim dem Reime nach. Nun tön’ es fort zu dir, auch aus der Ferne Das Wort erreicht, und schwände Ton und Schall Ist’s nicht der Mantel noch gesäter Sterne? Ist’s nicht der Liebe hochverklärtes All? Deinem Blick mich zu bequemen, Deinem Munde, deiner Brust, Deine Stimme zu vernehmen War die letzt’ und erste Lust. Gestern, Ach! war sie die letzte, Dann verlosch mir Leucht’ und Feuer, Jeder Scherz der mich ergetzte Wird nun schuldenschwer und theuer. Eh es Allah nicht gefällt Uns aufs neue zu vereinen, Giebt mir Sonne, Mond und Welt Nur Gelegenheit zum Weinen. Suleika . Was bedeutet die Bewegung? Bringt der Ost mir frohe Kunde? Seiner Schwingen frische Regung Kühlt des Herzens tiefe Wunde. Kosend spielt er mit dem Staube, Jagt ihn auf in leichten Wölkchen, Treibt zur sichern Rebenlaube Der Insecten frohes Völkchen. Lindert sanft der Sonne Glühen, Kühlt auch mir die heissen Wangen, Küsst die Reben noch im Fliehen, Die auf Feld und Hügel prangen. Und mir bringt sein leises Flüstern Von dem Freunde tausend Grüsse; Eh noch diese Hügel düstern Grüssen mich wohl tausend Küsse. 11 Und so kannst du weiter ziehen! Diene Freunden und Betrübten. Dort wo hohe Mauern glühen Find’ ich bald den Vielgeliebten. Ach! die wahre Herzenskunde, Liebeshauch, erfrischtes Leben Wird mir nur aus seinem Munde, Kann mir nur sein Athem geben. Hochbild . Die Sonne, Helios der Griechen, Fährt prächtig auf der Himmelsbahn, Gewiss das Weltall zu besiegen Blickt er umher, hinab, hinan. Er sieht die schönste Göttinn weinen, Die Wolkentochter, Himmelskind, Ihr scheint er nur allein zu scheinen, Für alle heitre Räume blind Versenkt er sich in Schmerz und Schauer Und häufiger quillt ihr Thränenguss; Er sendet Lust in ihre Trauer Und jeder Perle Kuss auf Kuss. Nun fühlt sie tief des Blicks Gewalten, Und unverwandt schaut sie hinauf, Die Perlen wollen sich gestalten: Denn jede nahm sein Bildniss auf. 11 * Und so, umkränzt von Farb’ und Bogen, Erheitert leuchtet ihr Gesicht, Entgegen kommt er ihr gezogen, Doch er! doch ach! erreicht sie nicht. So, nach des Schicksals hartem Loose, Weichst du mir Lieblichste davon, Und wär’ ich Helios der grosse Was nützte mir der Wagenthron? Nachklang . Es klingt so prächtig, wenn der Dichter Der Sonne bald, dem Kaiser sich vergleicht; Doch er verbirgt die traurigen Gesichter, Wenn er in düstren Nächten schleicht. Von Wolken streifenhaft befangen Versank zu Nacht des Himmels reinstes Blau; Vermagert bleich sind meine Wangen Und meine Herzensthränen grau. Lass mich nicht so der Nacht dem Schmerze, Du allerliebstes, du mein Mondgesicht! O du mein Phosphor, meine Kerze, Du meine Sonne, du mein Licht. Suleika . Ach! um deine feuchten Schwingen, West, wie sehr ich dich beneide: Denn du kannst ihm Kunde bringen Was ich in der Trennung leide. Die Bewegung deiner Flügel Weckt im Busen stilles Sehnen, Blumen, Augen, Wald und Hügel Stehn bey deinem Hauch in Thränen. Doch dein mildes sanftes Wehen Kühlt die wunden Augenlieder; Ach für Leid müsst’ ich vergehen, Hofft’ ich nicht zu sehn ihn wieder. Eile denn zu meinem Lieben, Spreche sanft zu seinem Herzen; Doch vermeid’ ihn zu betrüben Und verbirg ihm meine Schmerzen. Sag ihm, aber sag’s bescheiden: Seine Liebe sey mein Leben, Freudiges Gefühl von beyden Wird mir seine Nähe geben. Wiederfinden . Ist es möglich, Stern der Sterne, Drück’ ich wieder dich ans Herz! Ach! was ist die Nacht der Ferne Für ein Abgrund, für ein Schmerz. Ja du bist es! meiner Freuden Süsser, lieber Widerpart; Eingedenk vergangner Leiden Schaudr’ ich vor der Gegenwart. Als die Welt im tiefsten Grunde Lag an Gottes ew’ger Brust, Ordnet’ er die erste Stunde Mit erhabner Schöpfungslust, Und er sprach das Wort: Es werde! Da erklang ein schmerzlich Ach! Als das All, mit Machtgebärde, In die Wirklichkeiten brach. Auf that sich das Licht! sich trennte Scheu die Finsterniss von ihm, Und sogleich die Elemente Scheidend auseinander fliehn. Rasch, in wilden wüsten Träumen, Jedes nach der Weite rang, Starr, in ungemessnen Räumen, Ohne Sehnsucht, ohne Klang. Stumm war alles, still und öde, Einsam Gott zum erstenmal! Da erschuf er Morgenröthe, Die erbarmte sich der Quaal; Sie entwickelte dem Trüben Ein erklingend Farbenspiel Und nun konnte wieder lieben Was erst auseinander fiel. Und mit eiligem Bestreben Sucht sich was sich angehört, Und zu ungemessnem Leben Ist Gefühl und Blick gekehrt. Sey’s Ergreifen, sey es Raffen, Wenn es nur sich fasst und hält! Allah braucht nicht mehr zu schaffen, Wir erschaffen seine Welt. So, mit morgenrothen Flügeln Riss es mich an deinen Mund, Und die Nacht mit tausend Siegeln Kräftigt sternenhell den Bund. Beyde sind wir auf der Erde Musterhaft in Freud und Quaal Und ein zweytes Wort: Es werde! Trennt uns nicht zum zweytenmal. Vollmondnacht . Herrinn! sag was heisst das Flüstern? Was bewegt dir leis’ die Lippen? Lispelst immer vor dich hin, Lieblicher als Weines Nippen! Denkst du deinen Mundgeschwistern Noch ein Pärchen herzuziehn? Ich will küssen! Küssen! sagt’ ich. Schau! Im zweifelhaften Dunkel Glühen blühend alle Zweige, Nieder spielet Stern auf Stern, Und, smaragden, durchs Gesträuche Tausendfältiger Karfunkel; Doch dein Geist ist allem fern. Ich will küssen! Küssen! sagt’ ich. Dein Geliebter, fern, erprobet Gleicherweis im Sauersüssen, Fühlt ein unglücksel’ges Glück. Euch im Vollmond zu begrüssen Habt ihr heilig angelobet, Dieses ist der Augenblick. Ich will küssen! Küssen! sag’ ich. Geheimschrift . Lasst euch, o Diplomaten! Recht angelegen seyn, Und eure Potentaten Berathet rein und fein. Geheimer Chiffern Sendung Beschäftige die Welt, Bis endlich jede Wendung Sich selbst in’s Gleiche stellt. Mir von der Herrinn süsse Die Chiffer ist zur Hand, Woran ich schon geniesse, Weil sie die Kunst erfand. Es ist die Liebesfülle Im lieblichsten Revier, Der holde, treue Wille Wie zwischen mir und ihr. Von abertausend Blüten Ist es ein bunter Strauss, Von englischen Gemüthen Ein vollbewohntes Haus; Von buntesten Gefiedern Der Himmel übersä’t, Ein klingend Meer von Liedern Geruchvoll überweht. Ist unbedingten Strebens Geheime Doppelschrift, Die in das Mark des Lebens Wie Pfeil um Pfeile trifft. Was ich euch offenbaret War längst ein frommer Brauch, Und wenn ihr es gewahret, So schweigt und nutzt es auch. Abglanz . Ein Spiegel er ist mir geworden, Ich sehe so gerne hinein, Als hinge des Kaysers Orden An mir mit Doppelschein; Nicht etwa selbstgefällig Such’ ich mich überall; Ich bin so gerne gesellig Und das ist hier der Fall. Wenn ich nun vorm Spiegel stehe, Im stillen Wittwerhaus, Gleich guckt, eh’ ich mich versehe, Das Liebchen mit heraus. Schnell kehr’ ich mich um, und wieder Verschwand sie die ich sah, Dann blick ich in meine Lieder, Gleich ist sie wieder da. Die schreib’ ich immer schöner Und mehr nach meinem Sinn, Trotz Krittler und Verhöhner, Zu täglichem Gewinn. Ihr Bild in reichen Schranken Verherrlichet sich nur, In goldnen Rosenranken Und Rähmchen von Lasur. Suleika . Wie! Mit innigstem Behagen, Lied, empfind’ ich deinen Sinn! Liebevoll, du scheinst zu sagen: Dass ich ihm zur Seite bin. Dass Er ewig mein gedenket, Seiner Liebe Seligkeit Immerdar der Fernen schenket, Die ein Leben ihm geweiht. Ja! mein Herz, es ist der Spiegel, Freund! worinn du dich erblickt, Diese Brust, wo deine Siegel Kuss auf Kuss hereingedrückt. Süsses Dichten, lautre Wahrheit Fesselt mich in Sympathie! Rein verkörpert Liebesklarheit, Im Gewand der Poesie. 12 Die Welt durchaus ist lieblich anzuschauen, Vorzüglich aber schön die Welt der Dichter, Auf bunten, hellen oder silbergrauen Gefilden, Tag und Nacht, erglänzen Lichter. Heut ist mir alles herrlich, wenn’s nur bliebe, Ich sehe heut durchs Augenglas der Liebe. In tausend Formen magst du dich verstecken, Doch, Allerliebste, gleich erkenn’ ich dich, Du magst mit Zauberschleyern dich bedecken, Allgegenwärtige, gleich erkenn’ ich dich. An der Cypresse reinstem, jungen Streben, Allschöngewaschne, gleich erkenn’ ich dich, In des Canales reinem Wellenleben, Allschmeichelhafte, wohl erkenn’ ich dich. Wenn steigend sich der Wasserstrahl entfaltet, Allspielende, wie froh erkenn’ ich dich. Wenn Wolke sich gestaltend umgestaltet, Allmannigfaltige, dort erkenn’ ich dich. An des geblümten Schleyers Wiesenteppich, Allbuntbesternte, schön erkenn’ ich dich. Und greift umher ein tausendarmger Eppich, O! Allumklammernde, da kenn’ ich dich. 12 * Wenn am Gebirg der Morgen sich entzündet, Gleich, Allerheiternde, begrüss’ ich dich, Dann über mir der Himmel rein sich ründet, Allherzerweiternde, dann athm’ ich dich. Was ich mit äusserm Sinn, mit innerm kenne, Du Allbelehrende, kenn’ ich durch dich. Und wenn ich Allahs Namenhundert nenne, Mit jedem klingt ein Name nach für dich. Saki Nameh . Das Schenkenbuch . Ja, in der Schenke hab’ ich auch gesessen, Mir ward wie andern zugemessen, Sie schwatzten, schrieen, händelten von heut, So froh und traurig wie’s der Tag gebeut; Ich aber sass, im Innersten erfreut, An meine Liebste dacht’ ich — wie sie liebt? Das weiss ich nicht; was aber mich bedrängt! Ich liebe sie wie es ein Busen giebt Der treu sich Einer gab und knechtisch hängt. Wo war das Pergament, der Griffel wo? Die alles fassten! — doch so wars! ja so! Sitz’ ich allein, Wo kann ich besser seyn? Meinen Wein Trink’ ich allein, Niemand setzt mir Schranken, Ich hab’ so meine eigne Gedanken. So weit bracht’ es Muley, der Dieb, Dass er trunken schöne Lettern schrieb. Ob der Koran von Ewigkeit sey? Darnach frag’ ich nicht! Ob der Koran geschaffen sey? Das weiss ich nicht! Dass er das Buch der Bücher sey Glaub’ ich aus Mosleminen-Pflicht. Dass aber der Wein von Ewigkeit sey Daran zweifl’ ich nicht. Oder dass er vor den Engeln geschaffen sey Ist vielleicht auch kein Gedicht. Der Trinkende, wie es auch immer sey, Blickt Gott frischer ins Angesicht. Trunken müssen wir alle seyn! Jugend ist Trunkenheit ohne Wein; Trinkt sich das Alter wieder zu Jugend, So ist es wundervolle Tugend. Für Sorgen sorgt das liebe Leben Und Sorgenbrecher sind die Reben. Da wird nicht mehr nachgefragt! Wein ist ernstlich untersagt. Soll denn doch getrunken seyn, Trinke nur vom besten Wein: Doppelt wärest du ein Ketzer In Verdammniss um den Krätzer. So lang’ man nüchtern ist Gefällt das Schlechte, Wie man getrunken hat Weiss man das Rechte, Nur ist das Uebermaass Auch gleich zu handen; Hafis! o lehre mich Wie du’s verstanden. Denn meine Meinung ist Nicht übertrieben: Wenn man nicht trinken kann Soll man nicht lieben; Doch sollt ihr Trinker euch Nicht besser dünken, Wenn man nicht lieben kann Soll man nicht trinken. Suleika . Warum du nur oft so unhold bist? Hatem . Du weisst dass der Leib ein Kerker ist, Die Seele hat man hinein betrogen, Da hat sie nicht freye Ellebogen. Will sie sich da- und dorthin retten: Schnürt man den Kerker selbst in Ketten, Da ist das Liebchen doppelt gefährdet, Desshalb sie sich oft so seltsam gebärdet. Wenn der Körper ein Kerker ist, Warum nur der Kerker so durstig ist? Seele befindet sich wohl darinnen Und bliebe gern vergnügt bey Sinnen; Nun aber soll eine Flasche Wein Frisch eine nach der andern herein. Seele will’s nicht länger tragen, Sie an der Thüre in Stücke schlagen. Dem Kellner . Setze mir nicht, du Grobian, Mir den Krug so derb vor die Nase! Wer mir Wein bringt sehe mich freundlich an, Sonst trübt sich der Eilfer im Glase. Dem Schenken . Du zierlicher Knabe, du komm herein, Was stehst du denn da auf der Schwelle? Du sollst mir künftig der Schenke seyn, Jeder Wein ist schmackhaft und helle. Schenke spricht . Du, mit deinen braunen Locken, Geh’ mir weg verschmitzte Dirne! Schenk’ ich meinem Herrn zu Danke, Nun so küsst er mir die Stirne. Aber du, ich wollte wetten, Bist mir nicht damit zufrieden, Deine Wangen, deine Brüste Werden meinen Freund ermüden. Glaubst du wohl mich zu betrügen Dass du jetzt verschämt entweichest? Auf der Schwelle will ich liegen Und erwachen wenn du schleichest. Sie haben wegen der Trunkenheit Vielfältig uns verklagt, Und haben von der Trunkenheit Lange nicht genug gesagt. Gewöhnlich die Betrunkenheit Verschwindet so wie es tagt; Doch hat mich meine Betrunkenheit In der Nacht umher gejagt. Es ist die Liebestrunkenheit Die mich erbärmlich plagt, Von Tag zu Nacht, von Nacht zu Tag In meinem Herzen zagt. Dem Herzen das in Trunkenheit Der Lieder schwillt und ragt, Dass keine nüchterne Trunkenheit Sich gleich zu heben wagt. Lieb’, Lied und Weines Trunkenheit, Ob’s nachtet oder tagt, Die göttlichste Betrunkenheit Die mich entzückt und plagt. Schenke . Welch ein Zustand! Herr, so späte Schleichst du heut aus deiner Kammer; Perser nennen’s Bidamag buden, Deutsche sagen Katzenjammer. Dichter . Lass mich jetzt, geliebter Knabe, Mir will nicht die Welt gefallen, Nicht der Schein, der Duft der Rose, Nicht der Sang der Nachtigallen. Schenke . Eben das will ich behandeln, Und ich denk’, es soll mir klecken, Hier! geniess die frischen Mandeln Und der Wein wird wieder schmecken. 13 Dann will ich auf der Terrasse Dich mit frischen Lüften tränken, Wie ich dich in’s Auge fasse Giebst du einen Kuss dem Schenken. Schau! die Welt ist keine Höhle, Immer reich an Brut und Nestern, Rosenduft und Rosenöle! Bulbul auch, sie singt wie gestern. Jene garstige Vettel, Die buhlerische, Welt heisst man sie, Mich hat sie betrogen Wie die übrigen alle. Glaube nahm sie mir weg, Dann die Hoffnung, Nun wollte sie An die Liebe, Da riss ich aus. Den geretteten Schatz Für ewig zu sichern Theilt’ ich ihn weislich Zwischen Suleika und Saki. Jedes der beyden Beeifert sich um die Wette Höhere Zinsen zu entrichten. 13 * Und ich bin reicher als je. Den Glauben hab’ ich wieder! An ihre Liebe den Glauben. Er im Becher gewährt mir Herrliches Gefühl der Gegenwart; Was will da die Hoffnung! Schenke . Heute hast du gut gegessen, Doch du hast noch mehr getrunken; Was du bey dem Mahl vergessen Ist in diesen Napf gesunken. Sieh, das nennen wir ein Schwächen Wie’s dem satten Gast gelüstet, Dieses bring’ ich meinem Schwane Der sich auf den Wellen brüstet. Doch vom Singschwan will man wissen Dass er sich zu Grabe läutet; Lass mich jedes Lied vermissen, Wenn es auf dein Ende deutet. Schenke . Nennen dich den grossen Dichter, Wenn dich auf dem Markte zeigest; Gerne hör’ ich wenn du singest Und ich horche wenn du schweigest. Doch ich liebe dich noch lieber, Wenn du küssest zum Erinnern; Denn die Worte gehn vorüber Und der Kuss der bleibt im Innern. Reim auf Reim will was bedeuten, Besser ist es viel zu denken. Singe du den andern Leuten Und verstumme mit dem Schenken. Dichter . Schenke komm! Noch einen Becher! Schenke . Herr, du hast genug getrunken, Nennen dich den wilden Zecher! Dichter . Sahst du je dass ich gesunken? Schenke . Mohamed verbietets. Dichter . Liebchen! Hört es niemand, will dir’s sagen. Schenke . Wenn du einmal gerne redest, Brauch’ ich gar nicht viel zu fragen. Dichter . Horch! wir andre Muselmannen Nüchtern sollen wir gebückt seyn, Er in seinem heil’gen Eifer Möchte gern allein verrückt seyn. Sommernacht . Dichter . Niedergangen ist die Sonne, Doch im Westen glänzt es immer, Wissen möcht’ ich wohl, wie lange Dauert noch der goldne Schimmer? Schenke . Willst du, Herr, so will ich bleiben, Warten ausser diesen Zelten, Ist die Nacht des Schimmers Herrinn, Komm’ ich gleich es dir zu melden. Denn ich weiss du liebst das Droben, Das Unendliche zu schauen, Wenn sie sich einander loben Jene Feuer in dem Blauen. Und das hellste will nur sagen: Jetzo glänz’ ich meiner Stelle, Wollte Gott euch mehr betagen, Glänztet ihr wie ich so helle. Denn vor Gott ist alles herrlich, Eben weil er ist der beste, Und so schläft nun aller Vogel In dem gross und kleinen Neste. Einer sitzt auch wohl gestängelt Auf den Aesten der Cypresse, Wo der laue Wind ihn gängelt Bis zu Thaues luft’ger Nässe. Solches hast du mich gelehret, Oder etwas auch dergleichen, Was ich je dir abgehöret Wird dem Herzen nicht entweichen. Eule will ich, deinetwegen, Kauzen hier auf der Terrasse, Bis ich erst des Nordgestirnes Zwillings-Wendung wohl erpasse. Und da wird es Mitternacht seyn, Wo du oft zu früh ermunterst, Und dann wird es eine Pracht seyn, Wenn das All mit mir bewunderst. Dichter . Zwar in diesem Duft und Garten Tönet Bulbul ganze Nächte, Doch du könntest lange warten Bis die Nacht so viel vermöchte. Denn in dieser Zeit der Flora, Wie das Griechen-Volk sie nennet, Die Strohwittwe, die Aurora Ist in Hesperus entbrennet. Sieh dich um! sie kommt! wie schnelle! Ueber Blumenfelds Gelänge! — Hüben hell und drüben helle, Ja die Nacht kommt ins Gedränge. Und auf rothen leichten Solen Ihn, der mit der Sonn’ entlaufen, Eilt sie irrig einzohohlen; Fühlst du nicht ein Liebe-Schnaufen? Geh nur, lieblichster der Söhne, Tief in’s Innre schliess die Thüren; Denn sie möchte deine Schöne Als den Hesperus entführen. Mathal-Nameh . Buch der Parabeln . Vom Himmel sank, in wilder Meere Schauer, Ein Tropfe bangend, grässlich schlug die Flut, Doch lohnte Gott bescheidnen Glaubensmuth Und gab dem Tropfen Kraft und Dauer. Ihn schloss die stille Muschel ein Und nun, zu ew’gem Ruhm und Lohne, Die Perle glänzt an unsers Kaisers Krone Mit holdem Blick und mildem Schein. Bulbuls Nachtlied, durch die Schauer, Drang zu Allahs lichtem Throne, Und dem Wohlgesang zu Lohne Sperrt er sie in goldnen Bauer. Dieser sind des Menschen Glieder. Zwar sie fühlet sich beschränket; Doch wenn sie es recht bedenket, Singt das Seelchen immer wieder. Die Perle die der Muschel entrann, Die schönste, hochgeboren, Zum Juwelier, dem guten Mann, Sprach sie: ich bin verloren! Durchbohrst du mich, mein schönes All Es ist sogleich zerrüttet, Mit Schwestern muss ich, Fall für Fall, Zu schlechten seyn geküttet. „Ich denke jetzt nur an Gewinn, Du musst es mir verzeihen: Denn wenn ich hier nicht grausam bin, Wie soll die Schnur sich reihen?“ 14 Ich sah, mit Staunen und Vergnügen, Eine Pfauenfeder im Coran liegen, Willkommen an dem heilgen Platz! Der Erdgebilde höchster Schatz. An dir wie an des Himmels Sternen Ist Gottes Grösse im Kleinen zu lernen. Dass er, der Welten überblickt, Sein Auge hier hat aufgedrückt, Und so den leichten Flaum geschmückt Dass Könige kaum unternahmen Die Pracht des Vogels nachzuahmen. Bescheiden freue dich des Ruhms, So bist du werth des Heiligthums. Ein Kaiser hatte zwey Cassire, Einen zum Nehmen, einen zum Spenden; Diesem fiel’s nur so aus den Händen, Jener wusste nicht woher zu nehmen. Der Spendende starb, der Herrscher wusste nicht gleich, Wem das Geber-Amt sey anzuvertrauen, Und wie man kaum thät um sich schauen, So war der Nehmer unendlich reich, Man wusste kaum vor Gold zu leben, Weil man Einen Tag nichts ausgegeben. Da ward nun erst dem Kaiser klar Was Schuld an allem Unheil war. Den Zufall wusst’ er wohl zu schätzen Nie wieder die Stelle zu besetzen. 14 * Alle Menschen gross und klein Spinnen sich ein Gewebe fein, Wo sie mit ihrer Scheeren Spitzen Gar zierlich in der Mitte sitzen. Wenn nun darein ein Besen fährt, Sagen sie es sey unerhört, Man habe den grössten Pallast zerstört. Vom Himmel steigend Jesus bracht’ Des Evangeliums ewige Schrift, Den Jüngern las er sie Tag und Nacht; Ein göttlich Wort es wirkt und trifft. Er stieg zurück, nahm’s wieder mit; Sie aber hatten’s gut gefühlt Und jeder schrieb, so Schritt vor Schritt, Wie ers in seinem Sinn behielt Verschieden. Es hat nichts zu bedeuten: Sie hatten nicht gleiche Fähigkeiten; Doch damit können sich die Christen Bis zu dem jüngsten Tage fristen. Esist gut . Bey Mondenschein im Paradeis Fand Jehova im Schlafe tief Adam versunken, legte leis’ Zur Seit’ ein Evchen, das auch entschlief. Da lagen nun in Erdeschranken Gottes zwey lieblichste Gedanken. — Gut!!! rief er sich zum Meisterlohn, Er ging sogar nicht gern davon. Kein Wunder dass es uns berückt, Wenn Auge frisch in Auge blickt, Als hätten wir’s so weit gebracht Bey dem zu seyn der uns gedacht. Und ruft er uns, wohlan! es sey! Nur, das beding’ ich, alle zwey. Dich halten dieser Arme Schranken, Liebster von allen Gottes-Gedanken. Parsi Nameh . Buch des Parsen . Vermächtniss alt persischen Glaubens . Welch Vermächtniss, Brüder, sollt’ euch kommen Von dem Scheidenden, dem armen Frommen? Den ihr Jüngeren geduldig nährtet, Seine letzten Tage pflegend ehrtet. Wenn wir oft gesehn den König reiten, Gold an ihm und Gold an allen Seiten, Edelstein auf ihn und seine Grossen Ausgesät wie dichte Hagelschlossen. Habt ihr jemals ihn darum beneidet? Und nicht herrlicher den Blick geweidet, Wenn die Sonne sich auf Morgenflügeln Darnawends unzähligen Gipfelhügeln Bogenhaft hervorhob. Wer enthielte Sich des Blicks dahin? Ich fühlte, fühlte Tausendmal in so viel Lebenstagen Mich mit ihr, der kommenden, getragen. Gott auf seinem Throne zu erkennen, Ihn den Herrn des Lebensquells zu nennen, Jenes hohen Anblicks werth zu handeln Und in seinem Lichte fortzuwandeln. Aber stieg der Feuerkreis vollendet, Stand ich als in Finsterniss geblendet, Schlug den Busen, die erfrischten Glieder Warf ich, Stirn voran, zur Erde nieder. Und nun sey ein heiliges Vermächtniss Brüderlichem Wollen und Gedächtniss: Schwerer Dienste tägliche Bewahrung , Sonst bedarf es keiner Offenbarung. Regt ein Neugeborner fromme Hände, Dass man ihn sogleich zur Sonne wende! Tauche Leib und Geist im Feuerbade, Fühlen wird es jeden Morgens Gnade. Dem Lebendigen übergebt die Todten, Selbst die Thiere deckt mit Schutt und Boden Und so weit sich eure Kraft erstrecket Was euch unrein dünkt, es sey bedecket. Grabet euer Feld in’s zierlich Reine, Dass die Sonne gern den Fleiss bescheine, Wenn ihr Bäume pflanzt, so sey’s in Reihen, Denn sie lässt Geordnetes gedeihen. Auch dem Wasser darf es in Kanälen Nie am Laufe, nie an Reine fehlen, Wie euch Senderud aus Bergrevieren Rein entspringt, soll er sich rein verlieren. Sanften Fall des Wassers nicht zu schwächen, Sorgt die Gräben fleissig auszustechen, Rohr und Binse, Molch und Salamander, Ungeschöpfe! tilgt sie mit einander. Habt ihr Erd’ und Wasser so im Reinen, Wird die Sonne gern durch Lüfte scheinen, Wo sie, ihrer würdig aufgenommen, Leben wirkt, dem Leben Heil und Frommen. Ihr, von Müh zu Mühe so gepeinigt, Seyd getrost, nun ist das All gereinigt, Und nun darf der Mensch, als Priester, wagen Gottes Gleichniss aus dem Stein zu schlagen. Wo die Flamme brennt erkennet freudig, Hell ist Nacht und Glieder sind geschmeidig, An des Heerdes raschen Feuerkräften Reift das Rohe Thier- und Pflanzensäften. Schleppt ihr Holz herbey, so thut’s mit Wonne, Denn ihr tragt den Saamen irdscher Sonne, Pflückt ihr Pambeh, mögt ihr traulich sagen: Diese wird als Docht das Heilge tragen. Werdet ihr in jeder Lampe Brennen Fromm den Abglanz höhern Lichts erkennen, Soll euch nie ein Missgeschick verwehren Gottes Thron am Morgen zu verehren. Da ist unsers Daseyns Kaisersiegel, Uns und Engeln reiner Gottesspiegel, Und was nur am Lob des Höchsten stammelt Ist in Kreis’ um Kreise dort versammelt. Will dem Ufer Senderuds entsagen, Auf zum Darnavend die Flügel schlagen, Wie sie tagt ihr freudig zu begegnen Und von dorther ewig euch zu segnen. Wenn der Mensch die Erde schätzet, Weil die Sonne sie bescheinet, An der Rebe sich ergetzet Die dem scharfen Messer weinet, Da sie fühlt dass ihre Säfte, Wohlgekocht, die Welt erquickend, Werden regsam vielen Kräften, Aber mehreren erstickend; Weiss er das der Glut zu danken Die das alles lässt gedeihen; Wird Betrunkner stammlend wanken, Mässiger wird sich singend freuen. Chuld Nameh . Buch des Paradieses. Berechtigte Männer . Nach der Schlacht von Bedr, unterm Sternenhimmel. Mahomet spricht . Seine Todten mag der Feind betrauern: Denn sie liegen ohne Wiederkehren; Unsre Brüder sollt ihr nicht bedauern: Denn sie wandeln über jenen Sphären. Die Planeten haben alle sieben Die metallnen Thore weit gethan, Und schon klopfen die verklärten Lieben Paradieses Pforten kühnlich an. Finden, ungehofft und überglücklich, Herrlichkeiten, die mein Flug berührt, Als das Wunderpferd mich augenblicklich Durch die Himmel alle durchgeführt. 15 Weisheitsbaum an Baum cypresseragend Heben Aepfel goldner Zierd empor, Lebensbäume breite Schatten schlagend Decken Blumensitz und Kräuter-Flor. Und nun bringt ein süsser Wind von Osten Hergeführt die Himmels-Mädchen-Schaar; Mit den Augen fängst du an zu kosten, Schon der Anblick sättigt ganz und gar. Forschend stehn sie was du unternahmest? Grosse Plane? fährlich blutigen Straus? Dass du Held seyst sehn sie, weil du kamest; Welch ein Held du seyst? sie forschen’s aus. Und sie sehn es bald an deinen Wunden, Die sich selbst ein Ehrendenkmal schreibt. Glück und Hoheit alles ist verschwunden, Nur die Wunde für den Glauben bleibt. Führen zu Chiosken dich und Lauben, äulenreich von buntem Lichtgestein, Und zum edlen Saft verklärter Trauben Laden sie mit Nippen freundlich ein. Jüngling! mehr als Jüngling bist willkommen! Alle sind wie alle licht und klar; Hast du Eine dir an’s Herz genommen; Herrinn, Freundinn ist sie deiner Schaar. Doch die allertrefflichste gefällt sich Keineswegs in solchen Herrlichkeiten, Heiter, neidlos, redlich unterhält dich Von den mannigfalt’gen andrer Trefflichkeiten. Eine führt dich zu der andern Schmause, Den sich jede äusserst ausersinnt. Viele Frauen hast’ und Ruh im Hause, Werth dass man darob das Paradies gewinnt. Und so schicke dich in diesen Frieden: Denn du kannst ihn weiter nicht vertauschen; Solche Mädchen werden nicht ermüden, Solche Weine werden nicht berauschen. Und so war das Wenige zu melden Wie der sel’ge Musulman sich brüstet. Paradies der Männer Glaubenshelden Ist hiemit vollkommen ausgerüstet. 15 * Auserwählte Frauen . Frauen sollen nichts verlieren, Reiner Treue ziemt zu hoffen; Doch wir wissen nur von vieren Die alldort schon eingetroffen. Erst Suleika, Erdensonne, Gegen Jussuf ganz Begierde, Nun, des Paradieses Wonne, Glänzt sie der Entsagung Zierde. Dann die Allgebenedeyte, Die den Heiden Heil geboren, Und, getäuscht, in bitterm Leide, Sah den Sohn am Kreuz verloren. Mahom’s Gattinn auch! Sie baute Wohlfahrt ihm und Herrlichkeiten, Und empfahl bey Lebenszeiten Einen Gott und eine Traute. Kommt Fatima dann die Holde, Tochter, Gattinn sonder Fehle, Englisch allerreinste Seele In dem Leib von Honiggolde. Diese finden wir alldorten; Und wer Frauenlob gepriesen Der verdient an ewigen Orten Lustzuwandeln wohl mit diesen. Begünstigte Thiere . Vier Thieren auch verheissen war In’s Paradies zu kommen, Dort leben sie das ew’ge Jahr Mit Heiligen und Frommen. Den Vortritt hier ein Esel hat, Er kommt mit muntern Schritten: Denn Jesus zur Propheten-Stadt Auf ihm ist eingeritten. Halb schüchtern kommt ein Wolf sodann, Dem Mahomet befohlen: Lass dieses Schaf dem armen Mann, Dem Reichen magst du’s holen. Nun immer wedelnd, munter, brav, Mit seinem Herrn, dem braven, Das Hündlein das den Siebenschlaf So treulich mitgeschlafen. Abuherrira’s Katze hier Knurrt um den Herrn und schmeichelt: Denn immer ist’s ein heilig Thier Das der Prophet gestreichelt. Höheres und Höchstes. Dass wir solche Dinge lehren Möge man uns nicht bestrafen: Wie das alles zu erklären Dürft ihr euer Tiefstes fragen. Und so werdet ihr vernehmen Dass der Mensch, mit sich zufrieden, Gern sein Ich gerettet sähe, So dadroben wie hienieden. Und mein liebes Ich bedürfte Mancherley Bequemlichkeiten, Freuden wie ich hier sie schlürfte Wünscht’ ich auch für ew’ge Zeiten. So gefallen schöne Gärten Blum und Frucht und hübsche Kinder, Die uns allen hier gefielen, Auch verjüngtem Geist nicht minder. Und so möcht’ ich alle Freunde Jung und alt in Eins versammlen, Gar zu gern in deutscher Sprache Paradieses-Worte stammlen. Doch man horcht nun Dialekten Wie sich Mensch und Engel kosen, Der Grammatik, der versteckten, Declinirend Mohn und Rosen. Mag man ferner auch in Blicken Sich rhetorisch gern ergehen, Und zu himmlischem Entzücken Ohne Klang und Ton erhöhen. Ton und Klang jedoch entwindet Sich dem Worte selbstverständlich, Und entschiedener empfindet Der Verklärte sich unendlich. Ist somit dem Fünf der Sinne Vorgesehn im Paradiese, Sicher ist es ich gewinne Einen Sinn für alle diese. Und nun dring ich aller Orten Leichter durch die ewigen Kreise, Die durchdrungen sind vom Worte Gottes rein-lebendigerweise. Ungehemmt mit heissem Triebe Lässt sich da kein Ende finden, Bis im Anschaun ewiger Liebe Wir verschweben, wir verschwinden. Siebenschläfer . Sechs Begünstigte des Hofes Fliehen vor des Kaisers Grimme, Der als Gott sich lässt verehren, Doch als Gott sich nicht bewähret: Denn ihn hindert eine Fliege Guter Bissen sich zu freuen. Seine Diener scheuchen, wedlend, Nicht verjagen sie die Fliege. Sie umschwärmt ihn, sticht und irret Und verwirrt die ganze Tafel, Kehret wieder wie des hämischen Fliegengottes Abgesandter. Nun! so sagen sich die Knaben, Sollt’ ein Flieglein Gott verhindern? Sollt’ ein Gott auch trinken, speisen, Wie wir andern. Nein, der Eine Der die Sonn’ erschuf, den Mond auch, Und der Sterne Glut uns wölbte, Dieser ist’s, wir fliehn! — Die zarten Leicht beschuht, beputzte Knaben Nimmt ein Schäfer auf, verbirgt sie, Und sich selbst in Felsenhöhle. Schäfershund er will nicht weichen, Weggescheucht, den Fuss zerschmettert, Drängt er sich an seinen Herren, Und gesellt sich zum Verborgnen, Zu den Lieblingen des Schlafes. Und der Fürst dem sie entflohen, Liebentrüstet, sinnt auf Strafen, Weisset ab so Schwerdt als Feuer, In die Höhle sie mit Ziegeln Und mit Kalk sie lässt vermauern. Aber jene schlafen immer, Und der Engel, ihr Beschützer, Sagt, vor Gottes Thron, berichtend: So zur Rechten, so zur Linken Hab’ ich immer sie gewendet, Dass die schönen, jungen Glieder Nicht des Moders Qualm verletze. Spalten riss ich in die Felsen Dass die Sonne steigend, sinkend, Junge Wangen frisch erneute. Und so liegen sie beseligt. — Auch, auf heilen Vorderpfoten, Schläft das Hündlein süssen Schlummers. Jahre fliehen, Jahre kommen, Wachen endlich auf die Knaben Und die Mauer, die vermorschte, Altershalben ist gefallen. Und Jamblika sagt, der Schöne, Ausgebildete vor allen, Als der Schäfer fürchtend zaudert: Lauf ich hin! und hol’ euch Speise, Leben wag’ ich und das Goldstück! — Ephesus, gar manches Jahr schon, Ehrt die Lehre des Propheten Jesus. (Friede sey dem Guten.) Und er lief, da war der Thore Wart und Thurn und alles anders. Doch zum nächsten Beckerladen Wandt’ er sich nach Brot in Eile. — Schelm! so rief der Becker, hast du, Jüngling, einen Schatz gefunden! Gieb mir, dich verräth das Goldstück, Mir die Hälfte zum Versöhnen! Und sie hadern. — Vor den König Kommt der Handel; auch der König Will nur theilen wie der Becker. Nun bethätigt sich das Wunder, Nach und nach, aus hundert Zeichen. An dem selbsterbauten Pallast Weiss er sich sein Recht zu sichern. Denn ein Pfeiler durchgegraben Führt zu scharfbenamsten Schätzen. Gleich versammlen sich Geschlechter Ihre Sippschaft zu beweisen. Und als Ururvater prangend Steht Jamblikas Jugendfülle. Wie von Ahnherrn hört er sprechen Hier von seinem Sohn und Enkeln. Der Urenkel Schaar umgiebt ihn, Als ein Volk von tapfern Männern, Ihn den jüngsten zu verehren. Und ein Merkmal übers andre Dringt sich auf, Beweis vollendend; Sich und den Gefährten hat er Die Persönlichkeit bestätigt. Nun, zur Höhle kehrt er wieder, Volk und König ihn geleiten. — Nicht zum König, nicht zum Volke Kehrt der Auserwählte wieder: Denn die Sieben, die von lang’ her, Achte waren’s mit dem Hunde, Sich von aller Welt gesondert, Gabriels geheim Vermögen Hat, gemäss dem Willen Gottes, Sie dem Paradies geeignet, Und die Höhle schien vermauert. Gute Nacht ! Nun so legt euch liebe Lieder An den Busen meinem Volke Und in einer Moschus-Wolke Hüte Gabriel die Glieder Des Ermüdeten gefällig; Dass er frisch und wohlerhalten, Froh wie immer, gern gesellig, Möge Felsenklüfte spalten, Um des Paradieses Weiten, Mit Heroen aller Zeiten, Im Genusse zu durchschreiten; Wo das Schöne, stets das Neue, Immer wächst nach allen Seiten, Dass die Unzahl sich erfreue. Ja, das Hündlein gar, das treue, Darf die Herren hinbegleiten. Besserem Verständniss . Wer das Dichten will verstehen Muss in’s Land der Dichtung gehen; Wer den Dichter will verstehen Muss in Dichters Lande gehen. 16 Einleitung . Alles hat seine Zeit! — Ein Spruch dessen Bedeutung man bey längerem Leben immer mehr anerkennen lernt; diesemnach giebt es eine Zeit zu schweigen, eine andere zu sprechen, und zum Letzten entschliesst sich diesmal der Dichter. Denn wenn dem früheren Alter Thun und Wirken gebührt, so ziemt dem späteren Betrachtung und Mit- theilung. Ich habe die Schriften meiner ersten Jahre ohne Vorwort in die Welt gesandt, ohne auch nur im mindesten anzudeuten wie es damit gemeynt sey; diess geschah im Glauben an die Nation, dass sie früher oder später das Vorgelegte benutzen werde. Und 16 * so gelang mehreren meiner Arbeiten augen- blickliche Wirkung, andere, nicht eben so fasslich und eindringend, bedurften um an- erkannt zu werden mehrerer Jahre. In- dessen gingen auch diese vorüber und ein zweytes, drittes nachwachsendes Geschlecht entschädigt mich doppelt und dreyfach für die Unbilden die ich von meinen früheren Zeitgenossen zu erdulden hatte. Nun wünscht’ ich aber, dass nichts den ersten guten Eindruck des gegenwärtigen Büchleins hindern möge. Ich entschliesse mich daher zu erläutern, zu erklären, nach- zuweisen, und zwar bloss in der Absicht dass ein unmittelbares Verständniss Lesern daraus erwachse, die mit dem Osten wenig oder nicht bekannt sind. Dagegen bedarf derjenige dieses Nachtrags nicht, der sich um Geschichte und Literatur einer so höchst merkwürdigen Weltregion näher umgethan hat. Er wird vielmehr die Quellen und Bäche leicht bezeichnen, deren erquickliches Nass ich auf meine Blumenbeete geleitet. Am liebsten aber wünschte der Verfas- ser vorstehender Gedichte als ein Reisen- der angesehen zu werden, dem es zum Lobe gereicht, wenn er sich der fremden Landes- art mit Neigung bequemt, deren Sprachge- brauch sich anzueignen trachtet, Gesinnun- gen zu theilen, Sitten aufzunehmen versteht. Man entschuldigt ihn, wenn es ihm auch nur bis auf einen gewissen Grad gelingt, wenn er immer noch an einem eignen Ac- cent, an einer unbezwinglichen Unbiegsam- keit seiner Landsmannschaft als Fremdling kenntlich bleibt. In diesem Sinne möge nun Verzeihung dem Büchlein gewährt seyn! Kenner vergeben mit Einsicht, Liebhaber, weniger gestört durch solche Mängel, neh- men das Dargebotne unbefangen auf. Damit aber alles was der Reisende zu- rückbringt den Seinigen schneller behage, übernimmt er die Rolle eines Handelsmanns, der seine Waaren gefällig auslegt und sie auf mancherley Weise angenehm zu machen aucht; ankündigende, beschreibende, ja lob- preisende Redensarten wird man ihm nicht verargen. Zuvörderst also darf unser Dichter wohl aussprechen dass er sich, im Sittlichen und Aesthetischen, Verständlichkeit zur ersten Pflicht gemacht, daher er sich denn auch der schlichtesten Sprache, in dem leichtesten, fasslichsten Sylbenmasse seiner Mundart be- fleissigt und nur von weitem auf dasjenige hindeutet, wo der Orientale durch Künst- lichkeit und Künsteley zu gefallen strebt. Das Verständniss jedoch wird durch manche nicht zu vermeidende fremde Worte gehindert, die desshalb dunkel sind, weil sie sich auf bestimmte Gegenstände bezie- hen, auf Glauben, Meynungen, Herkom- men, Fabeln und Sitten. Diese zu erklä- ren hielt man für die nächste Pflicht und hat dabey das Bedürfniss berücksichtigt, das aus Fragen und Einwendungen deutscher Hörenden und Lesenden hervorging. Ein angefügtes Register bezeichnet die Seite, wo dunkle Stellen vorkommen und auch wo sie erklärt werden. Dieses Erklären aber ge- schieht in einem gewissen Zusammenhange, damit nicht abgerissene Noten, sondern ein selbstständiger Text erscheine, der, obgleich nur flüchtig behandelt und lose verknüpft, dem Lesenden jedoch Uebersicht und Er- läuterung gewähre. Möge das Bestreben unseres diessmaligen Berufes angenehm seyn! Wir dürfen es hoffen: denn in einer Zeit, wo so vieles aus dem Orient unserer Sprache treulich an- geeignet wird, mag es verdienstlich erschei- nen, wenn auch wir von unserer Seite die Aufmerksamkeit dorthin zu lenken suchen, woher so manches Grosse, Schöne und Gute seit Jahrtausenden zu uns gelangte, woher täglich mehr zu hoffen ist. Hebräer . Naive Dichtkunst ist bey jeder Nation die erste, sie liegt allen folgenden zum Grunde; je frischer, je naturgemässer sie hervortritt, desto glücklicher entwickeln sich die nachherigen Epochen. Da wir von orientalischer Poesie spre- chen, so wird nothwendig der Bibel, als der ältesten Sammlung, zu gedenken. Ein gro- sser Theil des alten Testaments ist mit er- höhter Gesinnung, ist enthusiastisch ge- schrieben und gehört dem Felde der Dicht- kunst an. Erinnern wir uns nun lebhaft jener Zeit wo Herder und Eichhorn uns hierüber persönlich aufklärten, so gedenken wir ei- nes hohen Genusses, dem reinen orientali- schen Sonnenaufgang zu vergleichen. Was solche Männer uns verliehen und hinterlas- sen darf nur angedeutet werden, und man verzeiht uns die Eilfertigkeit mit welcher wir an diesen Schätzen vorüber gehen. Beyspiels willen jedoch gedenken wir des Buches Ruth, welches bey seinem ho- hen Zweck einem Könige von Israel an- ständige, interessante Voreltern zu verschaf- fen zugleich als das lieblichste kleine Ganze betrachtet werden kann, das uns episch und idyllisch überliefert worden ist. Wir verweilen sodann einen Augenblick bey dem hohen Lied, als dem zartesten und unnachahmlichsten was uns von Ausdruck leidenschaftlicher, anmuthiger Liebe zuge- kommen. Wir beklagen freylich dass uns die fragmentarisch durcheinander geworfe- nen, übereinander geschobenen Gedichte keinen vollen reinen Genuss gewähren, und doch sind wir entzückt uns in jene Zu- stände hinein zu ahnden, in welchen die Dichtenden gelebt. Durch und durch we- het eine milde Luft des lieblichsten Bezirks von Canaan; ländlich trauliche Verhältnisse, Wein-, Garten- und Gewürzbau, etwas von städtischer Beschränkung, sodann aber ein königlicher Hof, mit seinen Herrlichkeiten im Hintergrunde. Das Hauptthema jedoch bleibt glühende Neigung jugendlicher Her- zen, die sich suchen, finden, abstossen, an- ziehen, unter mancherley höchst einfachen Zuständen. Mehrmals gedachten wir aus dieser lieb- lichen Verwirrung einiges herauszuheben, aneinander zu reihen; aber gerade das Räth- selhaft-Unauflösliche giebt den wenigen Blättern Anmuth und Eigenthümlichkeit. Wie oft sind nicht wohldenkende, ordnungs- liebende Geister angelockt worden irgend einen verständigen Zusammenhang zu finden oder hinein zu legen und einem folgenden bleibt immer dieselbige Arbeit. Eben so hat das Buch Ruth seinen unbezwinglichen Reiz über manchen wa- ckern Mann schon ausgeübt, dass er dem Wahn sich hingab, das, in seinem Laconis- mus unschätzbar dargestellte Ereigniss, könne durch eine ausführliche, paraphrastische Be- handlung noch einigermassen gewinnen. Und so dürfte Buch für Buch das Buch aller Bücher darthun, dass es uns desshalb gegeben sey, damit wir uns daran, wie an einer zweiten Welt, versuchen, uns daran verirren, aufklären und ausbilden mögen. Araber . Bey einem östlichern Volke, den Ara- bern, finden wir herrliche Schätze an den Moallakat . Es sind Preisgesänge die aus dichterischen Kämpfen siegreich her- vorgingen; Gedichte, entsprungen vor Ma- homets Zeiten, mit goldenen Buchstaben geschrieben, aufgehängt an den Pforten des Gotteshauses zu Mekka. Sie deuten auf eine wandernde, heerdenreiche, kriegerische Na- tion, durch den Wechselstreit mehrerer Stämme innerlich beunruhigt. Dargestellt sind: festeste Anhänglichkeit an Stammge- nossen, Ehrbegierde, Tapferkeit, unver- söhnbare Rachelust gemildert durch Liebes- trauer, Wohlthätigkeit, Aufopferung, sämmt- lich gränzenlos. Diese Dichtungen geben uns einen hinlänglichen Begriff von der ho- hen Bildung des Stammes der Koraischiten, aus welchem Mahomet selbst entsprang, ih- nen aber eine düstre Religionshülle über- warf und jede Aussicht auf reinere Fort- schritte zu verhüllen wusste. Der Werth dieser trefflichen Gedichte, an Zahl Sieben, wird noch dadurch erhöht, dass die grösste Mannigfaltigkeit in ihnen herrscht. Hiervon können wir nicht kür- zere und würdigere Rechenschaft geben, als wenn wir einschaltend hinlegen, wie der einsichtige Jones ihren Charakter aus- spricht. „ Amralkais Gedicht ist weich, froh, glänzend, zierlich, mannigfaltig und anmuthig. Tarafas : kühn, aufgeregt, auf- springend und doch mit einiger Fröhlichkeit durchwebt. Das Gedicht von Zoheir scharf, ernst, keusch, voll moralischer Ge- bote und ernster Sprüche. Lebid ’s Dich- tung ist leicht, verliebt, zierlich, zart; sie erinnert an Virgil’s zweite Ekloge: denn er beschwert sich über der Geliebten Stolz und Hochmuth und nimmt daher Anlass seine Tugenden herzuzählen, den Ruhm seines Stammes in den Himmel zu erheben. Das Lied Antaras zeigt sich stolz, drohend, tref- fend, prächtig, doch nicht ohne Schönheit der Beschreibungen und Bilder. Amri ist heftig, erhaben, ruhmredig; Harez darauf voll Weisheit, Scharfsinn und Würde. Auch erscheinen die beiden letzten als poetisch- politische Streitreden, welche vor einer Ver- sammlung Araber gehalten wurden, um den verderblichen Hass zweyer Stämme zu be- schwichtigen.“ Wie wir nun durch dieses Wenige un- sere Leser gewiss aufregen jene Gedichte zu lesen oder wieder zu lesen; so fügen wir ein anderes bei, aus Mahomets Zeit, und völlig im Geiste jener. Man könnte den Charak- ter desselben als düster, ja finster anspre- chen, glühend, rachlustig und von Rache gesättigt. 1. Unter dem Felsen am Wege Erschlagen liegt er, In dessen Blut Kein Thau herabträuft. 2. Grosse Last legt’ er mir auf Und schied; Fürwahr diese Last Will ich tragen. 3. „Erbe meiner Rache Ist der Schwestersohn, Der Streitbare, Der Unversöhnliche. 4. Stumm schwitzt er Gift aus, Wie die Otter schweigt, Wie die Schlange Gift haucht Gegen die kein Zauber gilt. 5. Gewaltsame Botschaft kam über uns Grossen mächtigen Unglücks; Den stärksten hätte sie Ueberwältigt. 6. Mich hat das Schicksal geplündert, Den freundlichen verletzend, Dessen Gastfreund Nie beschädigt ward. 7. Sonnenhitze war er Am kalten Tag, Und brannte der Sirius War er Schatten und Kühlung. 8. Trocken von Hüften, Nicht kümmerlich, Feucht von Händen, Kühn und gewaltsam. 9. Mit festem Sinn Verfolgt’ er sein Ziel Bis er ruhte; Da ruht auch der feste Sinn. 10. Wolkenregen war er, Geschenke vertheilend; Wenn er anfiel, Ein grimmiger Löwe. 11. Staatlich vor dem Volke, Schwarzen Haares, langen Kleides, Auf den Feind rennend Ein magrer Wolf. 12. Zwey Geschmäcke theilt’ er aus Honig und Wermuth, Speise solcher Geschmäcke Kostete jeder. 13. Schreckend ritt er allein, Niemand begleitet’ ihn Als das Schwerdt von Jemen Mit Scharten geschmückt. 14. Mittags begannen wir Jünglinge Den feindseligen Zug, Zogen die Nacht hindurch, Wie schwebende Wolken ohne Ruh. 15. Jeder war ein Schwerdt Schwerdt umgürtet, Aus der Scheide gerissen Ein glänzender Blitz. 16. Sie schlürften die Geister des Schlafes, Aber wie sie mit den Köpfen nickten Schlugen wir sie Und sie waren dahin. 17. Rache nahmen wir völlige; Es entrannen von zwey Stämmen Gar wenige, Die wenigsten. 18. Und hat der Hudseilite Ihn zu verderben die Lanze gebrochen, Weil er mit seiner Lanze Die Hudseiliten zerbrach. 19. Auf rauhen Ruhplatz Legten sie ihn, An schroffen Fels wo selbst Kamele Die Klauen zerbrachen. 20. Als der Morgen ihn da begrüsst, Am düstern Ort, den Gemordeten, War er beraubt, Die Beute entwendet. 21. Nun aber sind gemordet von mir Die Hudseiliten mit tiefen Wunden. Mürbe macht mich nicht das Unglück, Es selbst wird mürbe. 22. Des Speeres Durst ward gelöscht Mit erstem Trinken, Versagt war ihm nicht Wiederholtes Trinken. 17 23. Nun ist der Wein wieder erlaubt Der erst versagt war, Mit vieler Arbeit Gewann ich mir die Erlaubniss. 24. Auf Schwerdt und Spiess Und auf’s Pferd erstreckt’ ich Die Vergünstigung, Das ist nun alles Gemeingut. 25. Reiche den Becher dann O! Sawad Ben Amre: Denn mein Körper um des Oheims willen Ist eine grosse Wunde. 26. Und den Todes-Kelch Reichten wir den Hudseiliten, Dessen Wirkung ist Jammer, Blindheit und Erniedrigung. 27. Da lachten die Hyänen Beim Tode der Hudseiliten, Und du sahest Wölfe Denen glänzte das Angesicht. 28. Die edelsten Geyer flogen daher, Sie schritten von Leiche zu Leiche, Und von dem reichlich bereiteten Mahle Nicht in die Höhe konnten sie steigen. Wenig bedarf es, um sich über dieses Gedicht zu verständigen. Die Grösse des Charakters, der Ernst, die rechtmässige Grausamkeit des Handelns sind hier eigent- lich das Mark der Poesie. Die zwey ersten Strophen geben die klare Exposition, in der dritten und vierten spricht der Todte und legt seinem Verwandten die Last auf ihn zu rächen. Die sechste und siebente schliesst sich dem Sinne nach an die ersten, sie ste- hen lyrisch versetzt, die siebente bis drey- zehnte erhebt den Erschlagenen, dass man die Grösse seines Verlustes empfinde. Die vierzehnte bis siebzehnte Strophe schildert die Expedition gegen die Feinde; die acht- zehnte führt wieder rückwärts, die neun- zehnte und zwanzigste könnte gleich nach den beiden ersten stehen. Die einundzwan- stigste und zweiundzwanzigste könnte nach 17 * der siebzehnten Platz finden, sodann folgt Siegeslust und Genuss beim Gastmahl, den Schluss aber macht die furchtbare Freude die erlegten Feinde, Hyänen und Geyern zum Raube, vor sich liegen zu sehen. Höchst merkwürdig erscheint uns bey diesem Gedicht, dass die reine Prosa der Handlung durch Transposition der einzelnen Ereignisse poetisch wird. Dadurch, und dass das Gedicht fast alles äussern Schmucks ermangelt, wird der Ernst desselben erhöht und wer sich recht hinein liest muss das Geschehene, von Anfang bis zu Ende, nach und nach vor der Einbildungskraft aufge- haut erblicken. Uebergang . Wenn wir uns nun zu einem friedli- chen, gesitteten Volke, den Persern wen- den, so müssen wir, da ihre Dichtungen eigentlich diese Arbeit veranlassten, in die früheste Zeit zurückgehen, damit uns da- durch die neuere verständlich werde. Merk- würdig bleibt es immer dem Geschichtsfor- scher dass, mag auch ein Land noch so oft von Feinden erobert, unterjocht, ja vernichtet seyn, sich doch ein gewisser Kern der Nation immer in seinem Charakter er- hält, und, ehe man sich’s versieht, eine alt bekannte Volkserscheinung wieder auf- tritt. In diesem Sinne möge es angenehm seyn von den ältesten Persern zu verneh- men und einen desto sicherern und freyeren Schritt, bis auf den heutigen Tag, eilig durchzuführen. Aeltere Perser . Auf das Anschauen der Natur gründete sich der alten Parsen Gottes-Verehrung, Sie wendeten sich, den Schöpfer anbetend, gegen die aufgehende Sonne, als der auffal- lend herrlichsten Erscheinung. Dort glaub- ten sie den Thron Gottes, von Engeln um- funkelt, zu erblicken. Die Glorie dieses herzerhebenden Dienstes konnte sich jeder, auch der Geringste täglich vergegenwärtigen. Aus der Hütte trat der Arme, der Krieger aus dem Zelt hervor und die religioseste aller Functionen war vollbracht. Dem neu- gebornen Kinde ertheilte man die Feuer- taufe in solchen Strahlen, und den ganzen Tag über, das ganze Leben hindurch, sah der Parse sich von dem Urgestirne bey al- len seinen Handlungen begleitet. Mond und Sterne erhellten die Nacht, ebenfalls unerreichbar, dem Gränzenlosen angehörig. Dagegen stellt sich das Feuer ihnen zur Seite; erleuchtend, erwärmend, nach sei- nem Vermögen. In Gegenwart dieses Stell- vertreters Gebete zu verrichten, sich vor dem unendlich Empfundenen zu beugen wird an- genehme fromme Pflicht. Reinlicher ist nichts als ein heiterer Sonnen-Aufgang und so reinlich musste man auch die Feuer ent- zünden und hewahren, wenn sie heilig, sonnenähnlich seyn und bleiben sollten. Zoroaster scheint die edle, reine Na- turreligion zuerst in einen umständlichen Cultus verwandelt zu haben. Das mentale Gebet, das alle Religionen einschliesst und ausschliesst, und nur bey wenigen, gottbe- günstigten Menschen den ganzen Lebens- wandel durchdringt, entwickelt sich bey den meisten nur als flammendes, beseeligen- des Gefühl des Augenblicks; nach dessen Verschwinden sogleich der sich selbst zu- rückgegebene, unbefriedigte, unbeschäftigte Mensch in die unendlichste Langeweile zu- rückfällt. Diese mit Ceremonien, mit Weihen und Entsühnen, mit Kommen und Gehen, Nei- gen und Beugen umständlich auszufüllen, ist Pflicht und Vortheil der Priesterschaft, welche denn ihr Gewerbe, durch Jahrhun- derte durch, in unendliche Kleinlichkeiten zersplittert. Wer von der ersten kindlich- frohen Verehrung einer aufgehenden Sonne bis zur Verrücktheit der Guebern, wie sie noch diesen Tag in Indien Statt findet, sich einen schnellen Ueberblick verschaffen kann, der mag dort eine frische, vom Schlaf dem ersten Tageslicht sich entgegenregende Na- tion erblicken, hier aber ein verdüstertes Volk, welches gemeine Langeweile durch fromme Langeweile zu tödten trachtet. Wichtig ist es jedoch zu bemerken, dass die alten Parsen nicht etwa nur das Feuer verehrt; ihre Religion ist durchaus auf die Würde der sämmtlichen Elemente gegründet, in sofern sie das Daseyn und die Macht Gottes verkündigen. Daher die heilige Scheu das Wasser, die Luft, die Erde zu besudeln. Eine solche Ehrfurcht vor allem was den Menschen Natürliches umgiebt leitet auf alle bürgerliche Tugen- den: Aufmerksamkeit, Reinlichkeit, Fleiss wird angeregt und genährt. Hierauf war die Landescultur gegründet, denn wie sie keinen Fluss verunreinigten, so wurden auch die Canäle mit sorgfältiger Wasserersparniss angelegt und rein gehalten, aus deren Cir- kulation die Fruchtbarkeit des Landes ent- quoll, so dass das Reich damals über das Zehnfache mehr bebaut war. Alles wozu die Sonne lächelte ward mit höchstem Fleiss betrieben, vor anderm aber die Weinrebe, das eigentlichste Kind der Sonne, gepflegt. Die seltsame Art ihre Todten zu be- statten leitet sich her aus eben dem über- triebenen Vorsatz, die reinen Elemente nicht zu verunreinigen. Auch die Stadtpolizey wirkt aus diesen Grundsätzen: Reinlichkeit der Strassen war eine Religions-Angelegen- heit, und noch jetzt, da die Guebern ver- trieben, verstossen, verachtet sind und nur allenfalls in Vorstädten in verrufenen Quar- tieren ihre Wohnung finden, vermacht ein Sterbender dieses Bekenntnisses irgend eine Summe, damit eine oder die andere Strasse der Hauptstadt sogleich möge völlig gerei- nigt werden. Durch eine so lebendige prak- tische Gottesverehrung ward jene unglaub- liche Bevölkerung möglich, von der die Ge- schichte ein Zeugniss giebt. Eine so zarte Religion, gegründet auf die Allgegenwart Gottes in seinen Werken der Sinnenwelt, muss einen eignen Einfluss auf die Sitten ausüben. Man betrachte ihre Hauptgebote und Verbote: nicht lügen, keine Schulden machen, nicht undankbar seyn! die Fruchtbarkeit dieser Lehren wird sich jeder Ethiker und Ascete leicht entwi- ckeln. Denn eigentlich enthält das erste Verbot die beyden andern und alle übrigen, die doch eigentlich nur aus Unwahrheit und Untreue entspringen; und daher mag der Teufel im Orient bloss unter Beziehung des ewigen Lügners angedeutet werden. Da diese Religion jedoch zur Beschau- lichkeit führt, so könnte sie leicht zur Weichlichkeit verleiten, so wie denn in den langen und weiten Kleidern auch et- was Weibliches angedeutet scheint. Doch war auch in ihren Sitten und Verfassungen die Gegenwirkung gross. Sie trugen Waf- fen, auch im Frieden und geselligen Leben, und übten sich im Gebrauch derselben auf alle mögliche Weise. Das geschickteste und heftigste Reiten war bey ihnen her- kömmlich, auch ihre Spiele, wie das mit Ballen und Schlägel, auf grossen Rennbah- nen, erhielt sie rüstig, kräftig, behend; und eine unbarmherzige Conscription machte sie sämmtlich zu Helden auf den ersten Wink des Königs. Schauen wir zurück auf ihren Gottes- sinn. Anfangs war der öffentliche Cultus auf wenige Feuer eingeschränkt und daher desto ehrwürdiger, dann vermehrte sich ein hochwürdiges Priesterthum nach und nach zahlreich, womit sich die Feuer vermehr- ten. Dass diese innigst verbundene geist- liche Macht sich gegen die weltliche gele- gentlich auflehnen würde, liegt in der Na- tur dieses ewig unverträglichen Verhältnis- ses. Nicht zu gedenken dass der Falsche Smerdis, der sich des Königreichs be- mächtigte, ein Magier gewesen, durch seine Genossen erhöht und eine Zeitlang gehal- ten worden, so treffen wir die Magier mehr- mals den Regenten fürchterlich. Durch Alexanders Invasion zerstreut, unter seinen Parthischen Nachfolgern nicht begünstigt, von den Sassaniden wieder her- vorgehoben und versammlet, bewiesen sie sich immer fest auf ihren Grundsätzen, und widerstrebten dem Regenten der diesen zu- widerhandelte. Wie sie denn die Verbin- dung des Chosru mit der schönen Schirin, einer Christin, auf alle Weise beyden Thei- len widersetzlich verleideten. Endlich von den Arabern auf immer verdrängt und nach Indien vertrieben und was von ihnen oder ihren Geistesverwand- ten in Persien zurückblieb bis auf den heu- tigen Tag verachtet und beschimpft, bald geduldet, bald verfolgt nach Willkühr der Herrscher, hält sich noch diese Religion hie und da in der frühesten Reinheit, selbst in kümmerlichen Winkeln, wie der Dich- ter solches durch das Vermächtniss des alten Parsen auszudrücken gesucht hat. Dass man daher dieser Religion durch lange Zeiten durch sehr viel schuldig gewor- den, dass in ihr die Möglichkeit einer höhern Cultur lag, die sich im westlichen Theile der östlichen Welt verbreitet, ist wohl nicht zu bezweifeln. Zwar ist es höchst schwierig einen Begriff zu geben, wie und woher sich diese Cultur ausbreitete. Viele Städte lagen als Lebenspunkte in vielen Regionen zerstreut; am bewundernswürdig- sten aber ist mir dass die fatale Nähe des indischen Götzendienstes nicht auf sie wir- ken konnte. Auffallend bleibt es, da die Städte von Balck und Bamian so nah an einander lagen, hier die verrücktesten Gö- tzen in riesenhafter Grösse verfertigt und angebetet zu sehen, indessen sich dort die Tempel des reinen Feuers erhielten, grosse Klöster dieses Bekenntnisses entstanden und eine Unzahl von Mobeden sich versammel- ten. Wie herrlich aber die Einrichtung solcher Anstalten müsse gewesen seyn, be- zeugen die ausserordentlichen Männer die von dort ausgegangen sind. Die Familie der Barmekiden stammte daher, die so lange als einflussreiche Staatsdiener glänzten, bis sie zuletzt, wie ein ungefähr ähnliches Geschlecht dieser Art zu unsern Zeiten, aus- gerottet und vertrieben worden. Regiment . Wenn der Philosoph aus Prinzipien sich ein Natur-Völker- und Staatsrecht aufer- baut, so forscht der Geschichtsfreund nach, wie es wohl mit solchen menschlichen Ver- hältnissen und Verbindungen von jeher ge- standen habe. Da finden wir denn im äl- testen Oriente: dass alle Herrschaft sich ableiten lasse von dem Rechte Krieg zu erklären. Dieses Recht liegt, wie alle übrige, anfangs in dem Willen, in der Leidenschaft des Volkes. Ein Stammglied wird verletzt, sogleich regt sich die Masse, unaufgefordert, Rache zu nehmen am Be- leidiger. Weil aber die Menge zwar han- deln und wirken, nicht aber sich führen mag, überträgt sie, durch Wahl, Sitte, Ge- wohnheit, die Anführung zum Kampfe ei- nem Einzigen, es sey für Einen Kriegszug, für mehrere; dem tüchtigen Manne verleiht sie den gefährlichen Posten auf Lebenszeit, auch wohl endlich für seine Nachkommen. Und so verschafft sich der Einzelne, durch die Fähigkeit Krieg zu führen, das Recht den Krieg zu erklären. Hieraus fliesst nun ferner die Befugniss jeden Staatsbürger, der ohnehin als kampf- lustig und streitfertig angesehen werden darf, in die Schlacht zu rufen, zu fordern, zu zwingen. Diese Conscription musste von jeher, wenn sie sich gerecht und wirksam erzeigen wollte, unbarmherzig seyn. Der erste Darius rüstet sich gegen verdächtige Nachbarn, das unzählige Volk gehorcht dem Wink. Ein Greis liefert drey Söhne, er bittet den Jüngsten vom Feldzuge zu be- freyen, der König sendet ihm den Knaben in Stücken zerhauen zurück. Hier ist also das Recht über Leben und Tod schon aus- gesprochen. In der Schlacht selbst leidets keine Frage: denn wird nicht oft willkühr- lich, ungeschickt ein ganzer Heerestheil vergebens aufgeopfert, und niemand fordert Rechenschaft vom Anführer. Nun zieht sich aber bey kriegerischen Nationen derselbe Zustand durch die kur- zen Friedenszeiten. Um den König her ist’s immer Krieg, und niemanden bey Hofe das Leben gesichert. Eben so werden die Steuern fort erhoben, die der Krieg nöthig machte. Desshalb setzte denn auch Darius Codomannus, vorsichtig, regelmässige Abga- ben fest, statt freywilliger Geschenke. Nach diesem Grundsatz, mit dieser Verfassung stieg die Persische Monarchie zu höchster Macht und Glückseligkeit, die denn doch zuletzt an dem Hochsinn einer benachbar- ten, kleinen, zerstückelten Nation endlich scheiterte. Geschichte . Die Perser, nachdem ausserordentliche Fürsten ihre Streitkräfte in eins versammelt und die Elasticität der Masse auf’s höchste gesteigert, zeigten sich, selbst entferntern Völkern, gefährlich, um so mehr den be- nachbarten. Alle waren überwunden, nur die Griechen, uneins unter sich, vereinigten sich gegen den zahlreichen, mehrmals her- andringenden Feind und entwickelten mu- sterhafte Aufopferung, die erste und letzte Tugend, worin alle übrigen enthalten sind. Dadurch ward Frist gewonnen dass, in dem Masse wie die Persische Macht inner- lich zerfiel, Philipp von Macedonien eine Einheit gründen konnte, die übrigen Grie- chen um sich zu versammeln und ihnen für 18 den Verlust ihrer innern Freiheit den Sieg über äussere Dränger vorzubereiten. Sein Sohn überzog die Perser und gewann das Reich. Nicht nur furchtbar sondern äusserst verhasst hatten sich diese der griechischen Nation gemacht, indem sie Staat und Gottes- dienst zugleich bekriegten. Sie, einer Reli- gion ergeben, wo die himmlischen Gestirne, das Feuer, die Elemente, als gottähnliche Wesen in freier Welt verehrt wurden, fan- den höchst scheltenswerth dass man die Göt- ter in Wohnungen einsperrte, sie unter Dach aubetete. Nun verbrannte und zer- störte man die Tempel, und schuf dadurch sich selbst ewig Hass erregende Denkmäler, indem die Weisheit der Griechen beschloss diese Ruinen niemals wieder aus ihrem Schutte zu erheben, sondern, zu Anreizung künftiger Rache, ahndungsvoll liegen zu lassen. Diese Gesinnungen ihren beleidigten Gottesdienst zu rächen, brachten die Grie- chen mit auf persischen Grund und Boden; manche Grausamkeit erklärt sich daher, auch will man den Brand von Persepolis damit entschuldigen. Die gottesdienstlichen Uebungen der Magier, die freilich, von ihrer ersten Ein- falt entfernt, auch schon Tempel und Klo- stergebäude bedurften, wurden gleichfalls zerstört, die Magier verjagt und zerstreut, von welchen jedoch immer eine grosse Menge versteckt sich sammelten und, auf bessere Zeiten, Gesinnung und Gottesdienst aufbewahrten. Ihre Geduld wurde freylich sehr geprüft: denn als mit Alexanders Tode die kurze Alleinherrschaft zerfiel und das Reich zersplitterte, bemächtigten sich die Parther des Theils, der uns gegenwärtig be- sonders beschäftigt. Sprache, Sitten, Re- ligion der Griechen ward bey ihnen ein- heimisch. Und so vergingen fünfhundert Jahre über der Asche der alten Tempel und Altäre, unter welchen das heilige Feuer im- merfort glimmend sich erhielt, so dass die Sassaniden, zu Anfang des dritten Jahrhun- derts unserer Zeitrechnung, als sie, die alte Religion wieder bekennend, den frühern Dienst herstellten, sogleich eine Anzahl Magier und Mobeden vorfanden, welche an und über der Gränze Indiens sich und ihre Gesinnungen im Stillen erhalten hat- 18 * ten. Die altpersische Sprache wurde her- vorgezogen, die griechische verdrängt und zu einer eignen Nationalität wieder Grund gelegt. Hier finden wir nun in einem Zeit- raum von vierhundert Jahren die mytholo- gische Vorgeschichte persischer Ereignisse, durch poetisch-prosaische Nachklänge, ei- nigermassen erhalten. Die glanzreiche Däm- merung derselben erfreut uns immerfort und eine Mannigfaltigkeit von Charakteren und Ereignissen erweckt grossen Antheil. Was wir aber auch von Bild- und Bau- kunst dieser Epoche vernehmen, so ging es damit doch bloss auf Pracht und Herrlich- keit, Grösse und Weitläuftigkeit und un- förmliche Gestalten hinaus; und wie konnt’ es auch anders werden? da sie ihre Kunst vom Abendlande hernehmen mussten, die schon dort so tief entwürdigt war. Der Dichter besitzt selbst einen Siegelring Sa- por des Ersten, einen Onyx, offenbar von einem westlichen Künstler damaliger Zeit, vielleicht einem Kriegsgefangnen, geschnit- ten. Und sollte der Siegelschneider des überwindenden Sassaniden geschickter ge- wesen seyn als der Stempelschneider des überwundenen Valentinian? Wie es aber mit den Münzen damaliger Zeit aussehe, ist uns leider nur zu wohl bekannt. Auch hat sich das Dichterisch-mährchen- hafte jener überbliebenen Monumente nach und nach, durch Bemühung der Kenner, zur historischen Prosa herabgestimmt. Da wir denn nun deutlich auch in diesem Bey- spiel begreifen, dass ein Volk auf einer hohen sittlich-religiosen Stufe stehen, sich mit Pracht und Prunk umgeben und in Be- zug auf Künste noch immer unter die bar- barischen gezählt werden kann. Eben so müssen wir auch, wenn wir orientalische und besonders persische Dicht- kunst der Folgezeit redlich schätzen und nicht, zu künftigem eignen Verdruss und Beschämung, solche überschätzen wollen, gar wohl bedenken, wo denn eigentlich die werthe, wahre Dichtkunst in jenen Tagen zu finden gewesen. Aus dem Westlande scheint sich nicht viel selbst nach dem nächsten Osten verlo- ren zu haben, Indien hielt man vorzüglich im Auge; und da denn doch den Verehrern des Feuers und der Elemente jene verrückt- monstrose Religion, dem Lebemenschen aber eine abstruse Philosophie keineswegs an- nehmlich seyn konnte; so nahm man von dort her, was allen Menschen immer gleich willkommen ist, Schriften die sich auf Weltklugheit beziehen; da man denn auf die Fabeln des Bidpai den höchsten Werth legte und dadurch schon eine künftige Poe- sie in ihrem tiefsten Grund zerstörte. Zu- gleich hatte man aus derselben Quelle das Schachspiel erhalten, welches, in Bezug mit jener Weltklugheit, allem Dichtersinn den Garaus zu machen völlig geeignet ist. Setzen wir dieses voraus, so werden wir das Naturell der späteren persichen Dichter, sobald sie durch günstige Anlässe hervorge- rufen wurden, höchlich rühmen und be- wundern, wie sie so manche Ungunst be- kämpfen, ihr ausweichen, oder vielleicht gar überwinden können. Die Nähe von Byzanz, die Kriege mit den westlichen Kaisern und daraus entsprin- genden wechselseitigen Verhältnisse bringen endlich ein Gemisch hervor, wobey die christliche Religion zwischen die der alten Parsen sich einschlingt, nicht ohne Wider- streben der Mobeden und dortigen Religions- bewahrer. Wie denn doch die mancherlei Verdrüsslichkeiten, ja grosses Unglück selbst, das den trefflichen Fürsten Chosru Parvis überfiel, bloss daher seinen Ursprung nahm, weil Schirin, liebenswürdig und reizend, am christlichen Glauben festhielt. Dieses alles, auch nur obenhin betrach- tet, nöthigt uns zu gestehen, dass die Vor- sätze, die Verfahrungsweise der Sassaniden alles Lob verdienen; nur waren sie nicht mächtig genug, in einer von Feinden rings umgebenen Lage, zur bewegtesten Zeit sich zu erhalten. Sie wurden, nach tüchtigem Widerstand, von den Arabern unterjocht, welche Mahomet durch Einheit zur furcht- barsten Macht erhoben hatte. Mahomet . Da wir bey unseren Betrachtungen vom Standpunkte der Poesie entweder ausgehen oder doch auf denselben zurückkehren, so wird es unsern Zwecken angemessen seyn von genanntem ausserordentlichen Manne vorerst zu erzählen, wie er heftig behauptet und betheuert: er sey Prophet und nicht Poet und daher auch sein Koran als göttli- ches Gesetz und nicht etwa als menschliches Buch, zum Unterricht oder zum Vergnügen, anzusehen. Wollen wir nun den Unterschied zwischen Poeten und Propheten näher an- deuten, so sagen wir: beyde sind von einem Gott ergriffen und befeuert, der Poet aber vergeudet die ihm verliehene Gabe im Ge- nuss, um Genuss hervorzubringen, Ehre durch das Hervorgebrachte zu erlangen, al- lenfalls ein bequemes Leben. Alle übrigen Zwecke versäumt er, sucht mannigfaltig zu seyn, sich in Gesinnung und Darstellung gränzenlos zu zeigen. Der Prophet hinge- gen sieht nur auf einen einzigen bestimmten Zweck; solchen zu erlangen, bedient er sich der einfachsten Mittel. Irgend eine Lehre will er verkünden und, wie um eine Stan- darte, durch sie und um sie die Völker ver- sammeln. Hiezu bedarf es nur dass die Welt glaube, er muss also eintönig werden und bleiben. Denn das Mannigfaltige glaubt man nicht, man erkennt es. Der ganze Inhalt des Korans, um mit wenigem viel zu sagen, findet sich zu An- fang der zweyten Sura und lautet folgender- massen. „Es ist kein Zweifel in diesem Buch. Es ist eine Unterrichtung der From- men, welche die Geheimnisse des Glau- bens vor wahr halten, die bestimmten Zeiten des Gebets beobachten und von demjenigen was wir ihnen verliehen haben Almosen austheilen; und welche der Offenbarung glauben, die den Prophe- ten vor dir herabgesandt worden, und ge- wisse Versicherung des zukünftigen Lebens haben: diese werden von ihrem Herrn ge- leitet und sollen glücklich und selig seyn. Die Ungläubigen betreffend, wird es ihnen gleichviel seyn, ob du sie vermahnest oder nicht vermahnest; sie werden doch nicht glauben. Gott hat ihre Herzen und Ohren versiegelt. Eine Dunkelheit bedecket ihr Gesicht und sie werden eine schwere Strafe leiden.“ Und so wiederholt sich der Koran Sure für Sure. Glauben und Unglauben theilen sich in Oberes und Unteres, Himmel und Hölle sind den Bekennern und Läugnern zu- gedacht. Nähere Bestimmung des Gebote- nen und Verbotenen, fabelhafte Geschichten jüdischer und christlicher Religion, Ampli- ficationen aller Art, gränzenlose Tautolo- gieen und Wiederholungen bilden den Kör- per dieses heiligen Buches, das uns, so oft wir auch daran gehen, immer von neuem an- widert, dann aber anzieht, in Erstaunen setzt und am Ende Verehrung abnöthigt. Worin es daher jedem Geschichtsfor- scher von der grössten Wichtigkeit bleiben muss, sprechen wir aus mit den Worten ei- nes vorzüglichen Mannes: „Die Hauptab- sicht des Korans scheint diese gewesen zu seyn, die Bekenner der drei verschiedenen, in dem volkreichen Arabien damals herr- schenden Religionen, die meistentheils ver- mischt unter einander in den Tag hinein lebten und ohne Hirten und Wegweiser herum irrten, indem der grösste Theil Gö- tzendiener und die übrigen entweder Juden oder Christen eines höchst irrigen und ketze- rischen Glaubens waren, in der Erkennt- niss und Verehrung des einigen, ewigen und unsichtbaren Gottes, durch dessen All- macht alle Dinge geschaffen sind, und die so es nicht sind geschaffen werden können, des allerhöchsteu Herrschers, Richters und Herrn aller Herrn, unter der Bestätigung gewisser Gesetze und den äusserlichen Zei- chen gewisser Ceremonien, theils von alter und theils von neuer Einsetzung, und die durch Vorstellung sowohl zeitlicher als ewiger Belohnungen und Strafen eingeschärft wurden, zu vereinigen und sie alle zu dem Gehorsam des Mahomet, als des Propheten und Gesandten Gottes zu bringen, der nach den wiederholten Erinnerungen, Verheissun- gen und Drohungen der vorigen Zeiten endlich Gottes wahre Religion auf Erden durch Gewalt der Waffen fortpflanzen und bestätigen sollte, um sowohl für den Hohen- priester, Bischoff oder Papst in geistlichen, als auch höchsten Prinzen in weltlichen Dingen erkannt zu werden.“ Behält man diese Ansicht fest im Auge, so kann man es dem Muselmann nicht ver- argen, wenn er die Zeit vor Mahomet die Zeit der Unwissenheit benennt, und völlig überzeugt ist dass mit dem Islam Erleuch- tung und Weisheit erst beginne. Der Styl des Korans ist seinem Inhalt und Zweck gemäss: streng, gross, furchtbar, stellenweis wahrhaft erhaben; so treibt ein Keil den andern und darf sich über die grosse Wirk- samkeit des Buches niemand verwundern. Wesshalb es denn auch von den ächten Ver- ehrern für unerschaffen und mit Gott gleich ewig erklärt wurde. Demohngeachtet aber fanden sich gute Köpfe, die eine bessere Dicht- und Schreibart der Vorzeit aner- kannten und behaupteten: dass, wenn es Gott nicht gefallen hätte durch Mahomet auf einmal seinen Willen und eine entschie- den gesetzliche Bildung zu offenbaren, die Araber nach und nach von selbst eine sol- che Stufe, und eine noch höhere würden erstiegen und reinere Begriffe in einer rei- nen Sprache entwickelt haben. Andere, verwegener, behaupteten, Ma- homet habe ihre Sprache und Literatur verdorben, so dass sie sich niemals wieder erholen werde. Der verwegenste jedoch, ein geistvoller Dichter, war kühn genug zu versichern: alles was Mahomet gesagt habe, wollte er auch gesagt haben, und besser, ja er sammelte sogar eine An- zahl Sectirer um sich her. Man bezeich- nete ihn desshalb mit dem Spottnamen Mo- tanabbi , unter welchem wir ihn kennen, welches so viel heisst als: einer der gern den Propheten spielen möchte. Ob nun gleich die Muselmännische Kri- tik selbst an dem Koran manches Bedenken findet, indem Stellen die man früher aus demselben angeführt gegenwärtig nicht mehr darin zu finden sind, andere, sich wider- sprechend, einander aufheben und was der- gleichen bey allen schriftlichen Ueberliefe- rungen nicht zu vermeidende Mängel sind; so wird doch dieses Buch für ewige Zeiten höchst wirksam verbleiben, indem es durch- aus praktisch und den Bedürfnissen einer Nation gemäss verfasst worden, welche ih- ren Ruhm auf alte Ueberlieferungen grün- det und an herkömmlichen Sitten festhält. In seiner Abneigung gegen Poesie er- scheint Mahomet auch höchst consequent, in- dem er alle Mährchen verbietet. Diese Spiele einer leichtfertigen Einbildungskraft, die vom Wirklichen bis zum Unmöglichen hin- und wiederschwebt, und das Unwahrscheinliche als ein Wahrhaftes und Zweifelloses vor- trägt, waren der orientalischen Sinnlichkeit, einer weichen Ruhe und bequemem Müssig- gang höchst angemessen. Diese Luftge- bilde über einem wunderlichen Boden schwan- kend, hatten sich zur Zeit der Sassaniden in’s Unendliche vermehrt, wie sie uns Tau- send und Eine Nacht, an einen losen Fa- den gereiht, als Beispiele darlegt. Ihr ei- gentlicher Charakter ist, dass sie keinen sittlichen Zweck haben und daher den Men- schen nicht auf sich selbst zurück, sondern ausser sich hinaus ins unbedingte Freie füh- ren und tragen. Gerade das Entgegenge- setzte wollte Mahomet bewirken. Man sehe wie er die Ueberlieferungen des alten Testaments und die Ereignisse patriarchali- scher Familien, die freilich auch auf einem unbedingten Glauben an Gott, einem un- wandelbaren Gehorsam und also gleich- falls auf einem Islam beruhen, in Legen- den zu verwandeln weiss, mit kluger Aus- führlichkeit den Glauben an Gott, Ver- trauen und Gehorsam immer mehr auszuspre- chen und einzuschärfen versteht; wobey er sich denn manches Mährchenhafte, ob- gleich immer zu seinen Zwecken dienlich, zu erlauben pflegt. Bewundernswürdig ist er, wenn man in diesem Sinne die Bege- benheiten Noahs, Abrahams, Josephs be- trachtet und beurtheilt. Kaliphen . Um aber in unsern eigensten Kreis zu- rückzukehren, wiederholen wir dass die Sassaniden bey vierhundert Jahre regier- ten, vielleicht zuletzt nicht mit früherer Kraft und Glanz; doch hätten sie sich wohl noch eine Weile erhalten, wäre die Macht der Araber nicht dergestalt gewach- sen dass ihr zu widerstehen kein älteres Reich im Stande war. Schon unter Omar, bald nach Mahomet, ging jene Dynastie zu Grunde, welche die altpersische Religion gehegt und einen seltenen Grad der Cultur verbreitet hatte. Die Araber stürmten sogleich auf alle Bücher los, nach ihrer Ansicht, nur über- flüssige oder schädliche Schreibereyen; sie zerstörten alle Denkmale der Literatur, so dass kaum die geringsten Bruchstücke zu uns gelangen konnten. Die sogleich einge- führte arabische Sprache verhinderte jede Wiederherstellung dessen was Nationell hei- ssen konnte. Doch auch hier überwog die Bildung des Ueberwundenen nach und nach die Rohheit des Ueberwinders und die Ma- hometanischen Sieger gefielen sich in der Prachtliebe, den angenehmen Sitten und den dichterischen Resten der Besiegten. Daher bleibt noch immer, als die glän- zendste Epoche berühmt, die Zeit, wo die Barmekiden Einfluss hatten zu Bagdad. Diese, vom Balch abstammend, nicht so- wohl selbst Mönche als Patrone und Be- schützer grosser Klöster und Bildungsan- stalten, bewahrten unter sich das heilige Feuer der Dicht- und Redekunst und be- haupteten durch ihre Welt-Klugheit und Charakter-Grösse einen hohen Rang auch in der politischen Sphäre. Die Zeit der Bar- mekiden heisst daher sprichwörtlich: eine Zeit localen, lebendigen Wesens und Wir- kens, von der man, wenn sie vorüber ist, nur hoffen kann dass sie erst nach gerau- men Jahren an fremden Orten unter ähn- lichen Umständen vielleicht wieder aufquel- len werde. 19 Aber auch das Caliphat war von kur- zer Dauer; das ungeheure Reich erhielt sich kaum vierhundert Jahre; die entfern- teren Statthalter machten sich nach und nach mehr und mehr unabhängig, indem sie den Caliphen, als eine geistliche, Ti- tel und Pfründen spendende Macht, allen- falls gelten liessen. Fortleitende Bemerkung . Physisch-climatische Einwirkung auf Bildung menschlicher Gestalt und körperli- cher Eigenschaften leugnet niemand, aber man denkt nicht immer daran dass Regie- rungsform eben auch einen moralisch-cli- matischen Zustand hervorbringe, worin die Charaktere auf verschiedene Weise sich aus- bilden. Von der Menge reden wir nicht, sondern von bedeutenden, ausgezeichneten Gestalten. In der Republik bilden sich grosse, glückliche, ruhig-rein thätige Charaktere; steigert sie sich zur Aristokratie, so ent- stehen würdige, consequente, tüchtige, im Befehlen und Gehorchen bewunderungswür- dige Männer. Geräth ein Staat in Anarchie, sogleich thun sich verwegene, kühne, sit- tenverachtende Menschen hervor, augen- blicklich gewaltsam wirkend, bis zum Ent- setzen, alle Mässigung verbannend. Die Despotie dagegen schafft grosse Charaktere; kluge, ruhige Uebersicht, strenge Thätig- keit, Festigkeit, Entschlossenheit, alles Ei- genschaften die man braucht um den Des- poten zu dienen, entwickeln sich in fähi- gen Geistern und verschaffen ihnen die er- sten Stellen des Staats, wo sie sich zu Herrschern ausbilden. Solche erwuchsen unter Alexander dem Grossen, nach dessen frühzeitigem Tode seine Generale sogleich als Könige dastanden. Auf die Caliphen häufte sich ein ungeheures Reich, das sie durch Statthalter mussten regieren lassen, deren Macht und Selbstständigkeit gedieh, indem die Kraft der obersten Herrscher ab- nahm. Ein solcher trefflicher Mann, der 19 * ein eigenes Reich sich zu gründen und zu verdienen wusste, ist derjenige, von dem wir nun zu reden haben, um den Grund der neueren persischen Dichtkunst und ihre bedeutenden Lebens-Anfänge kennen zu lernen. Mahmud von Gasna . Mahmud, dessen Vater, im Gebirge gegen Indien, ein starkes Reich gegründet hatte, indessen die Caliphen in der Fläche des Euphrats zur Nichtigkeit versanken, setzte die Thätigkeit seines Vorgängers fort und machte sich berühmt wie Alexander und Friedrich. Er lässt den Caliphen als eine Art geistlicher Macht gelten, die man wohl, zu eigenem Vortheil, einigermassen anerkennen mag; doch erweitert er erst sein Reich um sich her, dringt sodann auf Indien los, mit grosser Kraft und beson- derm Glück. Als eifrigster Mahometaner beweist er sich unermüdlich und streng in Ausbreitung seines Glaubens und Zerstö- rung des Götzendienstes. Der Glaube an den einigen Gott wirkt immer geisterhebend, indem er den Menschen auf die Einheit seines eignen Innern zurückweist. Näher steht der Nationalprophete, der nur Anhäng- lichkeit und Förmlichkeiten fordert und eine Religion auszubreiten befiehlt, die, wie eine jede, zu unendlichen Auslegungen und Missdeutungen dem Secten- und Par- teygeist Raum lässt und demohngeachtet im- mer dieselbige bleibt. Eine solche einfache Gottesverehrung musste mit dem Indischen Götzendienste im herbsten Widerspruch stehen, Gegenwir- kung und Kampf, ja blutige Vernichtungs- kriege hervorrufen, wobey sich der Eifer des Zerstörens und Bekehrens noch durch Gewinn unendlicher Schätze erhöht fühlte. Ungeheure, fratzenhafte Bilder, deren hoh- ler Körper mit Gold und Juwelen ausge- füllt erfunden ward, schlug man in Stücke und sendete sie, geviertheilt, verschiedene Schwellen Mahometanischer Heilorte zu pflastern.’ Noch jetzt sind die Indischen Ungeheuer jedem reinen Gefühle verhasst, wie grässlich mögen sie den bildlosen Ma- hometaner angeschaut haben! Nicht ganz am unrechten Orte wird hier die Bemerkung stehen, dass der ur- sprüngliche Werth einer jeden Religion erst nach Verlauf von Jahrhunderten aus ihren Folgen beurtheilt werden kann. Die Jüdische Religion wird immer einen gewis- sen starren Eigensinn, dabey aber auch freien Klugsinn und lebendige Thätigkeit verbrei- ten; die Mahometanische lässt ihren Beken- ner nicht aus einer dumpfen Beschränktheit heraus, indem sie, keine schweren Pflichten fordernd, ihm innerhalb derselben alles Wün- schenswerthe verleiht und zugleich, durch Aussicht auf die Zukunft, Tapferkeit und Religionspatriotismus einflösst und erhält. Die Indische Lehre taugte von Haus aus nichts, so wie denn gegenwärtig ihre vielen tausend Götter, und zwar nicht etwa untergeordnete, sondern alle gleich unbe- dingt mächtige Götter, die Zufälligkeiten des Lebens nur noch mehr verwirren, den Unsinn jeder Leidenschaft fördern und die Verrücktheit des Lasters, als die höchste Stufe der Heiligkeit und Seligkeit, begün- stigen. Auch selbst eine reinere Vielgötterey, wie die der Griechen und Römer, musste doch zuletzt auf falschem Wege ihre Beken- ner und sich selbst verlieren. Dagegen ge- bührt der christlichen das höchste Lob, deren reiner, edler Ursprung sich immerfort dadurch bethätigt, dass nach den grössten Verirrungen, in welche sie der dunkle Mensch hinein zog, eh man sichs versieht sie sich in ihrer ersten lieblichen Eigen- thümlichkeit, als Mission, als Hausgenos- sen- und Brüderschaft, zu Erquickung des sittlichen Menschenbedürnisses, immer wie- der hervorthut. Billigen wir nun den Eifer des Götzen- stürmers Mahmud, so gönnen wir ihm die zu gleicher Zeit gewonnenen unendlichen Schätze, und verehren besonders in ihm den Stifter persischer Dichtkunst und höherer Kultur. Er, selbst aus persischem Stamme, liess sich nicht etwa in die Beschräncktheit der Araber hineinziehen, er fühlte gar wohl dass der schönste Grund und Boden für Religion in der Nationalität zu finden sey; diese ruhet auf der Poesie, die uns älteste Geschichte in fabelhaften Bildern überliefert, nach und nach sodann ins Klare hervortritt und ohne Sprung die Vergangen- heit an die Gegenwart heranführt. Unter diesen Betrachtungen gelangen wir also in das zehnte Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Man werfe einen Blick auf die höhere Bildung die sich dem Orient, ungeachtet der ausschliessenden Religion, immerfort aufdrang. Hier sammelten sich, fast wider Willen der wilden und schwachen Beherrscher, die Reste Griechischer und Rö- mischer Verdienste und so vieler geistreichen Christen, deren Eigenheiten aus der Kirche ausgestossen worden, weil auch diese, wie der Islam, auf Eingläubigkeit los arbeiten musste. Doch zwey grosse Verzweigungen des menschlichen Wissens und Wirkens gelang- ten zu einer freyern Thätigkeit! Die Medicin sollte die Gebrechen des Mikrokosmus heilen, und die Sternkunde dasjenige dolmetschen, womit uns für die Zukunft der Himmel schmeicheln oder bedro- hen möchte; jene musste der Natur, diese der Mathematik huldigen, und so waren beide wohl empfohlen und versorgt. Die Geschäftsführung sodann unter despotischen Regenten blieb, auch bey grösster Anfmerksamkeit und Genauigkeit, immer gefahrvoll, und ein Canzleyver- wandter bedurfte so viel Muth sich in den Divan zu bewegen als ein Held zur Schlacht; einer war nicht sicherer seinen Heerd wieder zu sehn als der andere. Reisende Handelsleute brachten immer neuen Zuwachs an Schätzen und Kenntnis- sen herbey, das Innere des Landes, vom Euphrat bis zum Indus, bot eine eigne Welt von Gegenständen dar. Eine Masse wider einander streitender Völkerschaften, vertrie- bene, vertreibende, Herrscher, stellten überraschenden Wechsel von Sieg zur Knecht- schaft, von Obergewalt zur Dienstbarkeit nur gar zu oft vor Augen, und liessen geist- reiche Männer, über die traumartige Ver- gänglichkeit irdischer Dinge, die traurigsten Betrachtungen anstellen. Dieses alles und noch weit mehr, im weitesten Umfange unendlicher Zersplitte- rung und augenblicklicher Wiederherstel- lung, sollte man vor Augen haben, um billig gegen die folgenden Dichter, besonders ge- gen die Persischen zu seyn; denn jedermann wird eingestehen, dass die geschilderten Zustände keineswegs für ein Element gelten können, worin der Dichter sich nähren, erwachsen und gedeihen dürfte. Desswegen sey uns erlaubt schon das edle Verdienst der Persischen Dichter des ersten Zeitalters als problematisch anzusprechen. Auch diese darf man nicht nach dem Höchsten messen, man muss ihnen manches zugeben indem man sie liest, manches verzeihen wenn man sie gelesen hat. Dichterkönige . Viele Dichter versammelten sich an Mahmuds Hofe, man spricht von vierhunder- ten, die daselbst ihr Wesen getrieben. Und wie nun alles im Orient sich unterordnen, sich höheren Geboten fügen muss, so be- stellte ihnen auch der Fürst einen Dichter- fürsten, der sie prüfen, beurtheilen, sie zu Arbeiten, jedem Talent gemäss, auf- muntern sollte. Diese Stelle hat man als eine der vorzüglichsten am Hofe zu betrach- ten: er war Minister aller wissenschaftli- chen, historischpoetischen Geschäfte; durch ihn wurden die Gunstbezeigungen seinen Untergebenen zu Theil, und wenn er den Hof begleitete, geschah es in so grossem Gefolge, in so stattlichem Aufzuge, dass man ihn wohl für einen Vezier halten konnte. Ueberlieferungen . Wenn der Mensch daran denken soll von Ereignissen, die ihn zunächst betreffen, künftigen Geschlechtern Nachricht zu hin- terlassen, so gehört dazu ein gewisses Be- hagen an der Gegenwart, ein Gefühl von dem hohen Werthe derselben. Zuerst also befestigt er im Gedächtniss was er von Vätern vernommen und überliefert solches in fabelhaften Umhüllungen; denn mündli- che Ueberlieferung wird immer mährchen- haft wachsen. Ist aber die Schrift erfunden, ergreift die Schreibseligkeit ein Volk vor dem andern, so entstehen alsdann Chroniken, welche den poetischen Rhythmus behalten, wenn die Poesie der Einbildungskraft und des Gefühls längst verschwunden ist. Die späteste Zeit versorgt uns mit ausführlichen Denkschriften, Selbstbiographien unter mancherley Gestalten. Auch im Orient finden wir gar frühe Documente einer bedeutenden Weltausbil- dung. Sollten auch unsere heiligen Bücher später in Schriften verfasst seyn, so sind doch die Anlässe dazu als Ueberlieferungen uralt, und können nicht dankbar genug be- achtet werden. Wie vieles musste nicht auch in dem mittlern Orient, wie wir Persien und seine Umgebungen nennen dür- fen, jeden Augenblick entstehen, und sich trotz aller Verwüstung und Zersplitterung erhalten. Denn wenn es zu höherer Aus- bildung grosser Landstrecken dienlich ist, dass solche nicht Einem Herrn unterworfen, sondern unter mehrere getheilt seyen, so ist derselbe Zustand gleichfalls der Erhaltung nütze, weil das was an dem einen Ort zu Grunde geht, an dem andern fortbestehen, was aus dieser Ecke vertrieben wird, sich in jene flüchten kann. Auf solche Weise müssen, ungeachtet aller Zerstörung und Verwüstung, sich manche Abschriften aus frühern Zeiten er- halten haben, die man von Epoche zu Epo- che theils abgeschrieben, theils erneuert. So finden wir dass unter Jesdedschird, dem letzten Sassaniden, eine Reichsgeschichte verfasst worden, wahrscheinlich aus alten Chroniken zusammengestellt, dergleichen sich schon Ahasverus in dem Buch Esther bey schlaflosen Nächten vorlesen lässt. Copien jenes Werkes, welches Bastana- me betitelt war, erhielten sich: denn vier- hundert Jahre später wird unter Mansur I., aus dem Hause der Samaniden, eine Bear- beitung desselben vorgenommen, bleibt aber unvollendet und die Dynastie wird von den Gasnewiden verschlungen. Mahmud jedoch, genannten Stammes zweyter Beherrscher, ist von gleichem Triebe belebt, und ver- theilt sieben Abtheilungen des Bastaname unter sieben Hofdichter. Es gelingt An- sari seinen Herrn am meisten zu befriedi- gen, er wird zum Dichterkönig ernannt und beauftragt das Ganze zu bearbeiten. Er aber, bequem und klug genug, weiss das Geschäft zu verspäten und mochte sich im Stillen umthun, ob er nicht jemand fände, dem es zu übertragen wäre. Firdusi. Starb 1030. Die wichtige Epoche persischer Dicht- kunst, die wir nun erreichen, giebt uns zur Betrachtung Anlass, wie grosse Welt- ereignisse nur alsdann sich entwickeln, wenn gewisse Neigungen, Begriffe, Vorsätze hie und da, ohne Zusammenhang, einzeln aus- gesäet sich bewegen und im Stillen fort- wachsen, bis endlich früher oder später ein allgemeines Zusammenwirken hervortritt. In diesem Sinne ist es merkwürdig genug dass zu gleicher Zeit, als ein mächtiger Fürst auf die Wiederherstellung einer Volks- und Stammes-Literatur bedacht war, ein Gärt- nersohn zu Tus gleichfalls ein Exemplar des Bastaname sich zueignete und das ein- geborene schöne Talent solchen Studien eif- rig widmete. In Absicht über den dortigen Statthal- ter, wegen irgend einer Bedrängniss, zu klagen, begiebt er sich nach Hofe, ist lange vergebens bemüht zu Ansari durchzudrin- gen, und durch dessen Vorsprache seinen Zweck zu erreichen. Endlich macht eine glückliche, gehaltvolle Reimzeile, aus dem Stegreife gesprochen, ihn dem Dichterkö- nige bekannt, welcher, Vertrauen zu sei- nem Talente fassend, ihn empfiehlt und ihm den Auftrag des grossen Werkes verschafft. Firdusi beginnt das Schach Nameh unter günstigen Umständen, er wird im Anfange theilweis hinlänglich belohnt, nach drey- ssigjähriger Arbeit hingegen entspricht das königliche Geschenk seiner Erwartung kei- neswegs. Erbittert verlässt er den Hof und stirbt, eben da der König seiner mit Gunst abermals gedenkt. Mahmud überlebt ihn kaum ein Jahr, innerhalb welches der alte Essedi, Firdusi’s Meister, das Schach Nameh völlig zu Ende schreibt. Dieses Werk ist ein wichtiges, ernstes, mythisch-historisches National-Fundament, worin das Herkommen, das Daseyn, die Wirkung alter Helden aufbewahrt wird. Es bezieht sich auf frühere und spätere Vergangenheit, desshalb das eigentlich Ge- schichtliche zuletzt mehr hervortritt, die früheren Fabeln jedoch manche uralte Tra- ditions-Wahrheit verhüllt überliefern. Firdusi scheint überhaupt zu einem sol- chen Werke sich vortrefflich dadurch zu qualificiren, dass er leidenschaftlich am Al- ten, ächt Nationellen, festgehalten und auch, in Absicht auf Sprache, frühe Reinigkeit und Tüchtigkeit zu erreichen gesucht, wie er denn arabische Worte verbannt und das alte Pelehwi zu beachten bemüht war. Enweri. Stirbt 1152. Er studirt zu Tus, einer wegen bedeu- tender Lehranstalten berühmten, ja sogar wegen Ueberbildung verdächtigen Stadt; und als er, an der Thüre des Collegiums si- tzend, einen, mit Gefolge und Prunk, vor- beireitenden Grossen erblickt, zu seiner gro- ssen Verwunderung aber hört, dass es ein Hofdichter sey, entschliesst er sich zu glei- cher Höhe des Glücks zu gelangen. Ein 20 übernacht geschriebenes Gedicht, wodurch er sich die Gunst des Fürsten erwirbt, ist uns übrig geblieben. Aus diesem und aus mehreren Poesien die uns mitgetheilt worden blickt ein hei- terer Geist hervor, begabt mit unendlicher Umsicht und scharfem glücklichen Durch- schauen, er beherrscht einen unübersehba- ren Stoff. Er lebt in der Gegenwart, und wie er vom Schüler sogleich zum Hofmann übergeht, wird er ein freyer Encomiast und findet dass kein besser Handwerk sey, als mitlebende Menschen durch Lob zu ergö- tzen. Fürsten, Veziere, edle und schöne Frauen, Dichter und Musiker schmückt er mit seinem Preis und weiss auf einen jeden etwas Zierliches aus dem breiten Weltvor- rathe anzuwenden. Wir können daher nicht billig finden, dass man ihm die Verhältnisse in denen er gelebt und sein Talent genutzt, nach so viel hundert Jahren, zum Verbrechen macht. Was sollt’ aus dem Dichter werden, wenn es nicht hohe, mächtige, kluge, thätige, schöne und geschickte Menschen gäbe, an deren Vorzügen er sich auferbauen kann? An ihnen, wie die Rebe am Ulmenbaum, wie Epheu an der Mauer, rankt er sich hinauf, Auge und Sinn zu erquicken. Sollte man einen Juwelier schelten, der die Edelge- steine beyder Indien zum herrlichen Schmuck trefflicher Menschen zu verwenden sein Le- ben zubringt? Sollte man von ihm verlan- gen dass er das, freylich sehr nützliche Ge- schäft eines Strassenpflasterers übernähme? So gut aber unser Dichter mit der Erde stand, ward ihm der Himmel verderblich. Eine bedeutende, das Volk aufregende Weis- sagung: als werde an einem gewissen Tage ein ungeheurer Sturm das Land verwüsten, traf nicht ein und der Schach selbst konnte gegen den allgemeinen Unwillen des Hofes und der Stadt seinen Liebling nicht retten. Dieser floh. Auch in entfernter Provinz schützte ihn nur der entschiedene Charakter eines freundlichen Statthalters. Die Ehre der Astrologie kann jedoch gerettet werden, wenn man annimmt, dass die Zusammenkunft so vieler Planeten in Einem Zeichen auf die Zukunft von Dschen- 20 * gis Chan hindeute, welcher in Persien mehr Verwüstung anrichtete als irgend ein Sturm- wind hätte bewirken können. Nisami. Stirbt 1180. Ein zarter, hochbegabter Geist, der, wenn Firdusi die sämmtlichen Heldenüber- lieferungen erschöpfte, nunmehr die lieb- lichsten Wechselwirkungen innigster Liebe zum Stoffe seiner Gedichte wählt. Medsch- nun und Leila, Chosru und Schirin, Lie- bespaare, führt er vor; durch Ahndung, Geschick, Natur, Gewohnheit, Neigung, Leidenschaft für einander bestimmt, sich entschieden gewogen; dann aber durch Grille, Eigensinn, Zufall, Nöthigung und Zwang getrennt, eben so wunderlich wieder zu- sammengeführt und am Ende doch wieder auf eine oder die andere Weise weggerissen und geschieden. Aus diesen Stoffen und ihrer Behandlung erwächst die Erregung einer ideellen Sehn- sucht. Befriedigung finden wir nirgends. Die Anmuth ist gross, die Mannigfaltigkeit unendlich. Auch in seinen andern, unmittelbar moralischem Zweck gewidmeten Gedichten athmet gleiche liebenswürdige Klarheit. Was auch dem Menschen Zweideutiges begegnen mag, führt er jederzeit wieder ans Prakti- sche heran und findet in einem sittlichen Thun allen Räthseln die beste Auflösung. Uebrigens führt er, seinem ruhigen Geschäft gemäss, ein ruhiges Leben unter den Seldschugiden und wird in seiner Va- terstadt Gendsche begraben. Dschelaleddin Rumi. Stirbt 1262. Er begleitet seinen Vater, der, wegen Verdriesslichkeiten mit dem Sultan, sich von Balch hinweg begiebt, auf dem langen Reisezug. Unterwegs nach Mekka treffen sie Attar , der ein Buch göttlicher Ge- heimnisse dem Jünglinge verehrt und ihn zu heiligen Studien entzündet. Hiebey ist so viel zu bemerken: dass der eigentliche Dichter die Herrlichkeit der Welt in sich aufzunehmen berufen ist und desshalb immer eher zu loben als zu tadeln geneigt seyn wird. Daraus folgt, dass er den würdigsten Gegenstand aufzufinden sucht, und, wenn er alles durchgegangen, endlich sein Talent am liebsten zu Preis und Ver- herrlichung Gottes anwendet. Besonders aber liegt dieses Bedürfniss dem Orientalen am nächsten, weil er immer dem Ueber- schwenglichen zustrebt und solches bey Be- trachtung der Gottheit in grösster Fülle ge- wahr zu werden glaubt, so wie ihm denn bey jeder Ausführung niemand Uebertrie- benheit Schuld geben darf. Schon der sogenannte Mahometanische Rosenkranz, wodurch der Name Allah mit neun und neunzig Eigenschaften verherrlicht wird, ist eine solche Lob- und Preis-Lita- ney. Bejahende, verneinende Eigenschaften bezeichnen das unbegreiflichste Wesen; der Anbeter staunt, ergiebt und beruhigt sich. Und wenn der weltliche Dichter die ihm vorschwebenden Vollkommenheiten an vor- zügliche Personen verwendet, so flüchtet sich der Gottergebene in das unpersönliche Wesen, das von Ewigkeit her alles durch- dringt. So flüchtete sich Attar vom Hofe zur Beschaulichkeit, und Dschelaleddin, ein rei- ner Jüngling, der sich so eben auch vom Fürsten und der Hauptstadt entfernte, war um desto eher zu tieferen Studien zu ent- zünden. Nun zieht er mit seinem Vater, nach vollbrachten Wallfahrten, durch Klein-Asien, sie bleiben zu Iconium. Dort lehren sie, werden verfolgt, vertrieben, wieder einge- setzt, und liegen daselbst, mit einem ihrer treusten Lehrgenossen, begraben. Indessen hatte Dschengis Chan Persien erobert, ohne den ruhigen Ort ihres Aufenthaltes zu be- rühren. Nach obiger Darstellung wird man die- sem grossen Geiste nicht verargen, wenn er sich ins Abstruse gewendet. Seine Werke sehen etwas bunt aus, Geschichtchen, Mähr- chen, Parabeln, Legenden, Anecdoten, Bey- spiele, Probleme behandelt er, um eine ge- heimnissvolle Lehre eingängig zu machen, von der er selbst keine deutliche Rechenschaft zu geben weiss. Unterricht und Erhebung ist sein Zweck, im Ganzen aber sucht er durch die Einheitslehre alle Sehnsucht wo nicht zu erfüllen doch aufzulösen und an- zudeuten, dass im göttlichen Wesen zuletzt alles untertauche und sich verkläre. Saadi. Stirbt 1291, alt 102 Jahre. Gebürtig von Schiras, studirt er zu Bag- dad, wird als Jüngling durch Liebesunglück zum unstäten Leben eines Derwisch be- stimmt. Wallfahrtet funfzehnmal nach Mek- ka, gelangt auf seinen Wanderungen nach Indien und Klein-Asien, ja als Gefangener der Kreuzfahrer in’s Westland. Er über- steht wundersame Abentheuer, erwirbt aber schöne Länder- und Menschenkenntniss. Nach dreyssig Jahren zieht er sich zurück, bearbeitet seine Werke, und macht sie be- kannt. Er lebt und webt in einer grossen Erfahrungsbreite und ist reich an Anecdo- ten, die er mit Sprüchen und Versen aus- schmückt. Leser und Hörer zu unterrich- ten ist sein entschiedener Zweck. Sehr eingezogen in Schiras erlebt er das hundert und zweyte Jahr und wird da- selbst begraben. Dschenschis Nachkommen hatten Iran zum eignen Reiche gebildet, in welchem sich ruhig wohnen liess. Hafis. Stirbt 1389. Wer sich noch, aus der Hälfte des vo- rigen Jahrhunderts, erinnert, wie unter den Protestanten Deutschlands nicht allein Geist- liche, sondern auch wohl Layen gefunden wurden, welche mit den heiligen Schriften sich dergestalt bekannt gemacht, dass sie, als lebendige Concordanz, von allen Sprü- chen, wo und in welchem Zusammenhange sie zu finden, Rechenschaft zu geben sich geübt haben, die Hauptstellen aber auswen- dig wussten und solche zu irgend einer Anwendung immerfort bereit hielten; der wird zugleich gestehen dass für solche Män- ner eine grosse Bildung daraus erwachsen musste, weil das Gedächtniss, immer mit würdigen Gegenständen beschäftigt, dem Gefühl, dem Urtheil reinen Stoff zu Genuss und Behandlung aufbewahrte. Man nannte sie bibelfest und ein solcher Beyname gab eine vorzügliche Würde und unzwey- deutige Empfehlung. Das was nun bey uns Christen aus na- türlicher Anlage und gutem Willen ent- sprang, war bey den Mahometanern Pflicht: denn indem es einem solchen Glaubensgenos- sen zum grössten Verdienst gereichte Abschrif- ten des Korans selbst zu vervielfältigen oder vervielfältigen zu lassen, so war es kein geringeres denselben auswendig zu lernen, um bey jedem Anlass die gehörigen Stellen anfüh- ren, Erbauung befördern, Streitigkeit schlich- ten zu können. Man benannte solche Per- sonen mit dem Ehrentitel Hafis , und die- ser ist unserm Dichter als bezeichnender Hauptname geblieben. Nun ward, gar bald nach seinem Ur- sprunge, der Koran ein Gegenstand der un- endlichsten Auslegungen, gab Gelegenheit zu den spitzfindigsten Subtilitäten und, in- dem er die Sinnesweise eines jeden aufregte, entstanden gränzenlos abweichende Meinun- gen, verrückte Combinationen, ja die un- vernünftigsten Beziehungen aller Art wur- den versucht, so dass der eigentlich geist- reiche verständige Mann eifrig bemüht seyn musste, um nur wieder auf den Grund des reinen guten Textes zurück zu gelangen. Daher finden wir denn auch in der Ge- schichte des Islam Auslegung, Anwendung und Gebrauch oft bewundernswürdig. Zu einer solchen Gewandtheit war das schönste dichterische Talent erzogen und heran gebildet; ihm gehörte der ganze Ko- ran und was für Religionsgebäude man dar- auf gegründet war ihm kein Räthsel. Er sagt selbst: „Durch den Koran hab’ ich alles Was mir je gelang gemacht.“ Als Derwisch, Sofi, Scheich lehrte er in seinem Geburtsorte Schiras, auf welchen er sich beschränkte, wohl gelitten und ge- schätzt von der Familie Mosaffer und ihren Beziehungen. Er beschäftigte sich mit theo- logischen und grammatikalischen Arbeiten, und versammelte eine grosse Anzahl Schüler um sich her. Mit solchen ernsten Studien, mit einem wirklichen Lehramte stehen seine Gedichte völlig im Widerspruch, der sich wohl dadurch heben lässt, wenn man sagt: dass der Dichter nicht geradezu alles denken und leben müsse was er ausspricht, am wenigsten derjenige der in späterer Zeit in verwickelte Zustände geräth, wo er sich immer der rhetorischen Verstellung nähern und dasjenige vortragen wird was seine Zeitgenossen gerne hören. Diess scheint uns bey Hafis durchaus der Fall. Denn wie ein Mährchen-Erzähler auch nicht an die Zaubereyen glaubt die er vorspiegelt, sondern sie nur aufs beste zu beleben und auszustatten gedenkt, damit seine Zuhörer sich daran ergötzen, eben so wenig braucht gerade der lyrische Dichter dasjenige alles selbst auszuüben, womit er hohe und ge- ringe Leser und Sänger ergötzt und be- schmeichelt. Auch scheint unser Dichter keinen grossen Werth auf seine so leicht hinfliessenden Lieder gelegt zu haben, denn seine Schüler sammelten sie erst nach seinem Tode. Nur wenig sagen wir von diesen Dich- tungen, weil man-sie geniessen, sich damit in Einklang setzen sollte. Aus ihnen strömt eine fortquellende, mässige Lebendigkeit. Im Engen genügsam froh und klug, von der Fülle der Welt seinen Theil dahin neh- mend, in die Geheimnisse der Gottheit von fern hinein blickend, dagegen aber auch einmal Religionsübung und Sinnenlust ab- lehnend, eins wie das andere; wie denn überhaupt diese Dichtart, was sie auch zu befördern und zu lehren scheint, durch- aus eine sceptische Beweglichkeit behalten muss. Dschami. Stirbt 1494, alt 82 Jahre. Dschami fasst die ganze Erndte der bisherigen Bemühungen zusammen und zieht die Summe der religiosen, philosophischen, wissenschaftlichen, prosaisch-poetischen Cultur. Er hat einen grossen Vortheil drey und zwanzig Jahre nach Hafis Tode gebo- ren zu werden und als Jüngling abermals ein ganz freyes Feld vor sich zu finden. Die grösste Klarheit und Besonnenheit ist sein Eigenthum. Nun versucht und leistet er alles, erscheint sinnlich und übersinnlich zugleich; die Herrlichkeit der wirklichen und Dichterwelt liegt vor ihm, er bewegt sich zwischen beyden. Die Mystik konnte ihn nicht anmuthen; weil er aber ohne die- selbe den Kreis des National-Interesses nicht ausgefüllt hätte, so giebt er historisch Re- chenschaft von allen den Thorheiten, durch welche, stufenweis, der in seinem irdischen Wesen befangene Mensch sich der Gottheit unmittelbar anzunähern und sich zuletzt mit ihr zu vereinigen gedenkt; da denn doch zuletzt nur widernatürliche und widergei- stige, grasse Gestalten zum Vorscheine kom- men. Denn was thut der Mystiker anders? als dass er sich an Problemen vorbey schleicht, oder sie weiter schiebt, wenn es sich thun lässt. Uebersicht. Man hat aus der sehr schicklich-gere- gelten Folge der sieben ersten römischen Könige schliessen wollen, dass diese Ge- schichte klüglich und absichtlich erfunden sey, welches wir dahin gestellt seyn lassen; dagegen aber bemerken dass die sieben Dich- ter, welche von dem Perser für die ersten gehalten werden, und innerhalb eines Zeit- raums von fünfhundert Jahren nach und nach erschienen, wirklich ein ethisch-poe- tisches Verhältniss gegen einander haben, welches uns erdichtet scheinen könnte, wenn nicht ihre hinterlassenen Werke von ihrem wirklichen Daseyn das Zeugniss gäben. Betrachten wir aber dieses Siebenge- stirn genauer, wie es uns aus der Ferne vergönnt seyn mag; so finden wir dass sie alle ein fruchtbares, immer sich erneuendes Talent besassen, wodurch sie sich über die Mehrzahl sehr vorzüglicher Männer, über die Unzahl mittlerer, täglicher Talente er- hoben sahen; dabey aber auch in eine be- sondere Zeit, in eine Lage gelangten, wo sie eine grosse Erndte glücklich wegnehmen und gleich-talentvollen Nachkommen sogar die Wirkung auf eine Zeit lang verkümmern durften, bis wieder ein Zeitraum verging, in welchem die Natur dem Dichter neue Schätze abermals aufschliessen konnte. In diesem Sinne nehmen wir die Dar- gestellten einzeln nochmals durch und be- merken: dass Firdusi die ganzen vergangenen Staats- und Reichsereignisse, fabelhaft oder histo- risch aufbehalten, vorwegnahm, so dass einem Nachfolger nur Bezug und Anmer- kung, nicht aber neue Behandlung und Darstellung übrig blieb. Enveri hielt sich fest an der Gegen- wart. Glänzend und prächtig, wie die Na- tur ihm erschien, freud- und gabenvoll er- blickt er auch den Hof seines Schahs; bey- de Welten und ihre Vorzüge mit den lieb- lichsten Worten zu verknüpfen, war Pflicht und Behagen. Niemand hat es ihm hierin gleich gethan. 21 Nisami griff mit freundlicher Gewalt alles auf, was von Liebes- und Halbwun- derlegende in seinem Bezirk vorhanden seyn mochte. Schon im Koran war die Andeu- tung gegeben, wie man uralte lakonische Ueberlieferungen zu eigenen Zwecken be- handeln, ausführen und in gewisser Weit- läuftigkeit könne ergötzlich machen. Dschelaleddin Rumi findet sich unbehaglich auf dem problematischen Boden der Wirklichkeit, und sucht die Räthsel der innern und äussern Erscheinungen auf geistige, geistreiche Weise zu lösen, daher sind seine Werke neue Räthsel, neuer Auf- lösungen und Commentare bedürftig. End- lich fühlt er sich gedrungen in die Allei- nigkeits-Lehre zu flüchten, wodurch soviel gewonnen als verloren wird, und zuletzt das, so tröstliche als untröstliche, Zero übrig bleibt. Wie sollte nun also irgend eine Rede-Mittheilung poetisch oder pro- saisch weiter gelingen? Glücklicherweise wird Saadi , der Treffliche, in die weite Welt getrieben, mit gränzenlosen Einzeln- heiten der Empirie überhäuft, denen er allen etwas abzugewinnen weiss. Er fühlt die Nothwendigkeit sich zu sammeln, über- zeugt sich von der Pflicht zu belehren, und so ist er uns Westländern zuerst fruchtbar und segenreich geworden. Hafis , ein grosses heiteres Talent, das sich begnügt, alles abzuweisen wonach die Menschen begehren, Alles bey Seite zu schieben was sie nicht entbehren mögen, und dabey immer als lustiger Bruder ihres Gleichen erscheint. Er lässt sich nur in seinem National- und Zeitkreise richtig an- erkennen. Sobald man ihn aber gefasst hat, bleibt er ein lieblicher Lebensgeleiter. Wie ihn denn auch noch jetzt, unbewusst mehr als bewusst, Kameel- und Maulthier-Trei- ber fortsingen, keineswegs um des Sinnes halben, den er selbst muthwillig zerstü- ckelt, sondern der Stimmung wegen, die er ewig rein und erfreulich verbreitet. Wer konnte denn nun auf diesen folgen da alles andere von den Vorgängern wegge- nommen war? als Dschami , allem gewachsen was vor ihm geschehen und neben ihm geschah; wie er nun diess alles zusammen in Garben band, 21 * nachbildete, erneuerte, erweiterte, mit der grössten Klarheit die Tugenden und Fehler seiner Vorgänger in sich vereinigte, so blieb der Folgezeit nichts übrig als zu seyn wie er, insofern sie sich nicht verschlim- merte; und so ist es denn auch drey Jahr- hunderte durch geblieben. Wobey wir nur noch bemerken dass, wenn früher oder später das Drama hätte durchbrechen und ein Dichter dieser Art sich hervorthun können, der ganze Gang der Literatur eine andere Wendung genommen hätte. Wagten wir nun mit diesem Wenigen fünfhundert Jahre persischer Dicht- und Rede-Kunst zu schildern; so sey es, um mit Quintilian unserm alten Meister zu re- den, von Freunden aufgenommen in der Art wie man runde Zahlen erlaubt, nicht um genauer Bestimmung willen, sondern um etwas Allgemeines, bequemlichkeits- halber, annäherend auszusprechen. Allgemeines . Die Fruchtbarkeit und Mannigfaltigkeit der persischen Dichter entspringt aus einer unübersehbaren Breite der Aussenwelt und ihrem unendlichen Reichthum. Ein immer bewegtes öffentliches Leben, in welchem alle Gegenstände gleichen Werth haben, wogt vor unserer Einbildungskraft, desswe- gen uns ihre Vergleichungen oft so sehr auffallend und missbeliebig sind. Ohne Be- denken verknüpfen sie die edelsten und nie- drigsten Bilder, an welches Verfahren wir uns nicht so leicht gewöhnen. Sprechen wir es aber aufrichtig aus: ein eigentlicher Lebemann, der frey und praktisch athmet, hat kein ästhetisches Ge- fühl und keinen Geschmack, ihm genügt Realität im Handlen, Geniessen, Betrach- ten, eben so wie im Dichten; und wenn der Orientale, seltsame Wirkung hervorzu- bringen, das Ungereimte zusammenreimt, so soll der Deutsche, dem dergleichen wohl auch begegnet, dazu nicht scheel sehen. Die Verwirrung, die durch solche Pro- ductionen in der Einbildungskraft entsteht, ist derjenigen zu vergleichen, wenn wir durch einen orientalischen Bazar, durch eine eu- ropäische Messe gehen. Nicht immer sind die kostbarsten und niedrigsten Waaren im Raume weit gesondert, sie vermischen sich in unsern Augen und oft gewahren wir auch die Fässer, Kisten, Säcke, worin sie transportirt worden. Wie auf einem Obst- und Gemüsmarkt sehen wir nicht allein Kräuter, Wurzeln und Früchte, sondern auch hier und dort allerley Arten Abwürf- linge, Schalen und Strunke. Ferner kostets dem orientalischen Dich- ter nichts uns von der Erde in den Him- mel zu erheben und von da wieder herun- ter zu stürzen oder umgekehrt. Dem Aas eines faulenden Hundes versteht Nisami eine sittliche Betrachtung abzulocken, die uns in Erstaunen setzt und erbaut. Herr Jesus, der die Welt durchwandert, Ging einst an einem Markt vorbey, Ein todter Hund lag auf dem Wege, Geschleppet vor des Hauses Thor, Ein Haufe stand ums Aas umher Wie Geyer sich um Aeser sammlen. Der Eine sprach: mir wird das Hirn Von dem Gestank ganz ausgelöscht. Der Andere sprach: was braucht es viel Der Gräber Auswurf bringt nur Unglück. So sang ein Jeder seine Weise, Des todten Hundes Leib zu schmähen. Als nun an Jesus kam die Reih’, Sprach, ohne Schmäh’n, er guten Sinns, Er sprach aus gütiger Natur: Die Zähne sind wie Perlen weiss. Dies Wort macht den Umstehenden, Durchglühten Muscheln ähnlich, heiss. Jedermann fühlt sich betroffen, wenn der, so liebevolle als geistreiche Prophet, nach seiner eigensten Weise, Schonung und Nachsicht fordert. Wie kräftig weiss er die unruhige Menge auf sich selbst zurück zu führen, sich des Verwerfens, des Ver- wünschens zu schämen, unbeachteten Vor- zug mit Anerkennung, ja vielleicht mit Neid zu betrachten! Jeder Umstehende denkt nun an sein eigen Gebiss! Schöne Zähne sind überall, besonders auch im Morgen- land, als eine Gabe Gottes hoch angenehm. Ein faulendes Geschöpf wird, durch das Vollkommene was von ihm übrig bleibt, ein Gegenstand der Bewunderung und des frömmsten Nachdenkens. Nicht eben so klar und eindringlich wird uns das vortreffliche Gleichniss, womit die Parabel schliesst, wir tragen daher Sorge dasselbe anschaulich zu machen. In Gegenden, wo es an Kalklagern ge- bricht, werden Muschelschaalen zu Berei- tung eines höchst nöthigen Baumaterials an- gewendet und, zwischen dürres Reisig ge- schichtet, von der erregten Flamme durch- geglüht. Der Zuschauende kann sich das Gefühl nicht nehmen, dass diese Wesen, lebendig im Meere sich nährend und wach- send, noch kurz vorher der allgemeinen Lust des Daseyns nach ihrer Weise genossen und jetzt, nicht etwa verbrennen, sondern durch- geglüht, ihre völlige Gestalt behalten, wenn gleich alles Lebendige aus ihnen weggetrie- ben ist. Nehme man nunmehr an, dass die Nacht hereinbricht und diese organischen Reste dem Auge des Beschauers wirklich glühend erscheinen, so lässt sich kein herr- lichers Bild einer tiefen, heimlichen Seelen- qual vor Augen stellen. Will sich jemand hievon ein vollkommenes Anschauen erwer- ben, so ersuche er einen Chemiker ihm Austerschaalen in den Zustand der Phos- phoreszenz zu versetzen, wo er mit uns gestehen wird, dass ein siedend heisses Ge- fühl, welches den Menschen durchdringt, wenn ein gerechter Vorwurf ihn, mitten in dem Dünkel eines zutraulichen Selbst- gefühls, unerwartet betrifft, nicht furchtbarer auszusprechen sey. Solcher Gleichnisse würden sich zu Hunderten auffinden lassen, die das unmit- telbarste Anschauen des Natürlichen, Wirk- lichen voraussetzen und zugleich wiederum einen hohen sittlichen Begriff erwecken, der aus dem Grunde eines reinen ausgebil- deten Gefühls hervorsteigt. Höchst schätzenswerth ist, bey dieser gränzenlosen Breite, ihre Aufmerksamkeit aufs Einzelne, der scharfe liebevolle Blick der einem bedeutenden Gegenstand sein ei- genthümlichstes abzugewinnen sucht. Sie haben poetische Stillleben, die sich den besten niederländischer Künstler an die Seite setzen, ja im Sittlichen sich darüber erheben dürfen. Aus eben dieser Neigung und Fähigkeit werden sie gewisse Lieblings- gegenstände nicht los; kein Persischer Dich- ter ermüdet die Lampe blendend, die Kerze leuchtend vorzustellen. Eben daher kommt auch die Eintönigkeit die man ihnen vor- wirft; aber genau betrachtet, werden die Naturgegenstände hey ihnen zum Surrogat der Mythologie, Rose und Nachtigall neh- men den Platz ein von Apoll und Daphne. Wenn man bedenkt was ihnen abging, dass sie kein Theater, keine bildende Kunst hat- ten, ihr dichterisches Talent aber nicht ge- ringer war als irgend eins von jeher, so wird man, ihrer eigensten Welt befreundet, sie immer mehr bewundern müssen. Allgemeinstes . Der höchste Charakter orientalischer Dichtkunst ist, was wir Deutsche Geist nennen, das Vorwaltende des oberen Lei- tenden; hier sind alle übrige Eigenschaf- ten vereinigt, ohne dass irgend eine, das eigenthümliche Recht behauptend, hervor- träte. Der Geist gehört vorzüglich dem Alter, oder einer alternden Weltepoche. Uebersicht des Weltwesens, Ironie, freyen Gebrauch der Talente finden wir in allen Dichtern des Orients. Resultat und Prä- misse wird uns zugleich geboten, desshalb sehen wir auch wie grosser Werth auf ein Wort aus dem Stegreife gelegt wird. Jene Dichter haben alle Gegenstände gegenwär- tig und beziehen die entferntesten Dinge leicht auf einander, daher nähern sie sich auch dem was wir Witz nennen; doch steht der Witz nicht so hoch, denn dieser ist selbstsüchtig, selbstgefällig, wovon der Geist ganz frey bleibt, desshalb er auch überall genialisch genannt werden kann und muss. Aber nicht der Dichter allein erfreut sich solcher Verdienste, die ganze Nation ist geistreich, wie aus unzähligen Anecdo- ten hervortritt. Durch ein geistreiches Wort wird der Zorn eines Fürsten erregt, durch ein anderes wieder besänftigt. Neigung und Leidenschaft leben und weben in glei- chem Elemente; so erfinden Behramguhr und Dilara den Reim, Dschemil und Boteinah bleiben bis ins höchste Alter leidenschaft- lich verbunden. Die ganze Geschichte der persischen Dichtkunst wimmlet von solchen Fällen. Wenn man bedenkt, dass Nuschirwan, einer der letzten Sassaniden, um die Zeit Mahomets mit ungeheuren Kosten die Fabeln des Bidpai und das Schachspiel aus Indien kommen lässt, so ist der Zustand einer sol- chen Zeit vollkommen ausgesprochen. Jene, nach dem zu urtheilen was uns überliefert ist, überbieten einander an Lebensklugheit und freyeren Ansichten irdischer Dinge. Dess- halb konnte vier Jahrhunderte später, selbst in der ersten besten Epoche persischer Dicht- kunst, keine vollkommen-reine Naivetät statt finden. Die grosse Breite der Umsicht, die vom Dichter gefordert ward, das gesteigerte Wissen, die Hof- und Kriegsverhältnisse, alles verlangte grosse Besonnenheit. Neuere, Neueste . Nach Weise von Dschami und seiner Zeit vermischten folgende Dichter Poesie und Prosa immer mehr, so dass für alle Schreib- arten nur ein Styl angewendet wurde. Ge- schichte, Poesie, Philosophie, Canzley- und Briefstyl, alles wird auf gleiche Weise vorge- tragen und so geht es nun schon drey Jahr- hunderte fort. Ein Muster des allerneusten sind wir glücklicherweise im Stande vorzu- legen. Als der Persische Botschafter, Mirza Aboul Hassan Khan , sich in Peters- burg befand, ersuchte man ihn um einige Zeilen seiner Handschrift. Er war freund- lich genug ein Blatt zu schreiben, wovon wir die Uebersetzung hier einschalten. Ich bin durch die ganze Welt gereist, bin lange mit vielen Personen umgegangen, jeder Winkel gewährte mir einigen Nutzen, jeder Halm eine Aehre, und doch habe ich keinen Ort gesehen dieser Stadt vergleich- bar, noch ihren schönen Huris. Der Se- gen Gottes ruhe immer auf ihr! — Wie wohl hat jener Kaufmann gespro- chen, der unter die Räuber fiel die ihre Pfeile auf ihn richteten. Ein König der den Han- del unterdrückt, verschliesst die Thüre des Heils vor dem Gesichte seines Heeres. Wel- cher Verständige möchte bey solchem Ruf der Ungerechtigkeit sein Land besuchen? Willst du einen guten Namen erwerben, so behandle mit Achtung Kaufleute und Ge- sandte. Die Grossen behandeln Reisende wohl, um sich einen guten Ruf zu machen. Das Land das die Fremden nicht beschützt geht bald unter. Sey ein Freund der Frem- den und Reisenden, denn sie sind als Mittel eines guten Rufs zu betrachten; sey gastfrey, schätze die Vorüberziehenden, hüte dich un- gerecht gegen sie zu seyn. Wer diesen Rath des Gesandten befolgt, wird gewiss Vortheil davon ziehen. Man erzählt dass Omar ebn abd el asis ein mächtiger König war, und Nachts in seinem Kämmerlein voll Demuth und Un- terwerfung, das Angesicht zum Throne des Schöpfers wendend, sprach: O Herr! Gro- sses hast du anvertraut der Hand des schwa- chen Knechtes; um der Herrlichkeit der Reinen und Heiligen deines Reiches willen, verleihe mir Gerechtigkeit und Billigkeit, bewahre mich vor der Bosheit der Menschen; ich fürchte dass das Herz eines Unschuldi- gen durch mich könne betrübt worden seyn, und Fluch des Unterdrückten meinem Na- cken folge. Ein König soll immer an die Herrschaft und das Daseyn des höchsten Wesens gedenken, an die fortwährende Ver- änderlichkeit der irdischen Dinge, er soll bedenken dass die Krone von einem würdi- gen Haupt auf ein unwürdiges übergeht und sich nicht zum Stolze verleiten lassen. Denn ein König der hochmüthig wird, Freund und Nachbarn verachtet, kann nicht lange auf seinem Throne gedeihen; man soll sich niemals durch den Ruhm einiger Tage auf- blähen lassen. Die Welt gleicht einem Feuer das am Wege angezündet ist, wer so viel davon nimmt als nöthig, um sich auf dem Wege zu leuchten, erduldet kein Ue- bel, aber wer mehr nimmt verbrennt sich. Als man den Plato fragte, wie er in dieser Welt gelebt habe, antwortete er: mit Schmerzen bin ich hereingekommen, mein Leben war ein anhaltendes Erstaunen und ungern geh ich hinaus, und ich habe nichts gelernt als dass ich nichts weiss. Bleibe fern von dem der etwas unternimmt und unwissend ist, von einem Frommen der nicht unterrichtet ist; man könnte sie beide einem Esel vergleichen, der die Mühle dreht, ohne zu wissen warum. Der Säbel ist gut anzusehen, aber seine Wirkungen sind unangenehm. Ein wohldenkender Mann verbindet sich mit Fremden, aber der Bös- artige entfremdet sich seinem Nächsten. Ein König sagte zu einem der Behloul hiess: gieb mir einen Rath. Dieser versetzte: beneide keinen Geitzigen, keinen ungerech- ten Richter, keinen Reichen der sich nicht aufs Haushalten versteht, keinen Freygebi- gen der sein Geld unnütz verschwendet, keinen Gelehrten dem das Urtheil fehlt. Man erwirbt in der Welt entweder einen guten oder einen bösen Namen, da kann man nun zwischen beyden wählen, und da nun ein jeder sterben muss, gut oder bös, glücklich der, welcher den Ruhm eines Tu- gendhaften vorzog. Diese Zeilen schrieb, dem Verlangen eines Freundes gemäss, im Jahr 1231 der Hegire den Tag des Demazsul Sani, nach christlicher Zeitrechnung am .. May 1816, Mirza Eboul hassan Chan, von Schiraz , während seines Aufenthalts in der Hauptstadt St. Petersburg, als ausser- ordentlicher Abgesandter Sr. Majestät von Persien Fethali Schah Cadzar. Er hofft dass man mit Güte einem Unwissenden ver- zeihen wird, der es unternahm einige Worte zu schreiben. 22 Wie nun aus Vorstehendem klar ist, dass, seit drey Jahrhunderten, sich immer eine gewisse Prosa-Poesie erhalten hat, und Geschäfts- und Briefstyl öffentlich und in Privat-Verhandlungen immer derselbige bleibt; so erfahren wir, dass in der neu- sten Zeit am persischen Hofe sich noch im- mer Dichter befinden, welche die Chronik des Tages, und also alles was der Kaiser vornimmt und was sich ereignet, in Reime verfasst und zierlich geschrieben, einem hie- zu besonders bestellten Archivarius überlie- fern. Woraus denn erhellt dass in dem unwandelbaren Orient, seit Ahasverus Zei- ten, der sich solche Chroniken bey schlaf- losen Nächten vorlesen lies, sich keine wei- tere Veränderung zugetragen hat. Wir bemerken hiebey dass ein solches Vorlesen mit einer gewissen Declamation geschehe, welche mit Emphase, einem Stei- gen und Fallen des Tons vorgetragen wird, und mit der Art wie die französischen Trauerspiele declamirt werden sehr viel Aehnlichkeit haben soll. Es lässt sich dies um so eher denken, als die persischen Dop- pelverse einen ähnlichen Contrast bilden, wie die beyden Hälften des Alexandriners. Und so mag denn auch diese Beharr- lichkeit die Veranlassung seyn, dass die Perser ihre Gedichte seit acht hundert Jah- ren noch immer lieben, schätzen und ver- ehren; wie wir denn selbst Zeuge gewesen, dass ein Orientale ein vorzüglich eingebun- denes und erhaltenes Manuscript des Mes- newi mit eben so viel Ehrfurcht als wenn es der Koran wäre, betrachtete und be- handelte. Zweifel . Die persische Dichtkunst aber, und was ihr ähnlich ist, wird von dem West- länder niemals ganz rein, mit vollem Be- hagen aufgenommen werden; worüber wir aufgeklärt seyn müssen, wenn uns der Ge- nuss daran nicht unversehens gestört werden soll. 22 * Es ist aber nicht die Religion die uns von jener Dichtkunst entfernt. Die Ein- heit Gottes, Ergebung in seinen Willen, Vermittlung durch einen Propheten, alles stimmt mehr oder weniger mit unserm Glau- ben, mit unserer Vorstellungsweise über- ein. Unsere heiligen Bücher liegen auch dort, ob nur gleich legendenweis, zum Grund. In die Mährchen jener Gegend, Fabeln Parabeln, Anecdoten, Witz- und Scherz- reden sind wir längst eingeweiht. Auch ihre Mystik sollte uns ansprechen, sie ver- diente wenigstens, eines tiefen und gründ- lichen Ernstes wegen, mit der unsrigen verglichen zu werden, die in der neusten Zeit; genau betrachtet doch eigentlich nur eine charakter- und talentlose Sehnsucht ausdrückt; wie sie sich denn schon selbst parodirt, zeuge der Vers: Mir will ewiger Durst nur frommen Nach dem Durste. Despotie . Was aber dem Sinne der Westländer niemals eingehen kann, ist die geistige und körperliche Unterwürfigkeit unter seinen Herren und Oberen, die sich von uralten Zeiten herschreibt, indem Könige zuerst an die Stelle Gottes traten. Im alten Testa- ment lesen wir ohne sonderliches Befrem- den, wenn Mann und Weib vor Priester und Helden sich aufs Angesicht niederwirft und anbetet, denn dasselbe sind sie vor den Elohim zu thun gewohnt. Was zuerst aus natürlichem frommen Gefühl geschah verwandelte sich später in umständliche Hofsitte. Der Ku-tou , das dreymalige Niederwerfen dreymal wiederholt, schreibt sich dort her. Wie viele westliche Gesandt- schaften an östlichen Höfen sind an dieser Ceremonie gescheitert, und die persische Poe- sie kann im Ganzen bey uns nicht gut auf- genommen werden, wenn wir uns hierüber nicht vollkommen deutlich machen. Welcher Westländer kann erträglich finden dass der Orientale nicht allein sei- nen Kopf neunmal auf die Erde stösst, son- dern denselben sogar wegwirft irgend wo- hin zu Ziel und Zweck. Das Maillespiel zu Pferde, wo Ballen und Schlägel die grosse Rolle zugetheilt ist, erneuert sich oft vor dem Auge des Herr- schers und des Volkes, ja mit beyderseitiger persönlicher Theilnahme. Wenn aber der Dichter seinen Kopf als Ballen auf die Maillebahn des Schahs legt, damit der Fürst ihn gewahr werde, und mit dem Schlägel der Gunst zum Glück weiter fort spedire; so können und mögen wir freilich weder mit der Einbildungskraft noch mit der Em- pfindung folgen; denn so heisst es: Wie lang’ wirst ohne Hand und Fuss Du noch des Schicksals Ballen seyn! Und überspringst Du hundert Bahnen, Dem Schlägel kannst Du nicht entfliehn. Leg’ auf des Schahes Bahn den Kopf, Vielleicht dass er dich doch erblickt. Ferner: Nur dasjenige Gesicht Ist des Glückes Spiegelwand, Das gerieben ward am Staub Von dem Hufe dieses Pferdes. Nicht aber allein vor dem Sultan, son- dern auch vor Geliebten erniedrigt man sich eben so tief und noch häufiger: Mein Gesicht lag auf dem Weg, Keinen Schritt hat er vorbeygethan. Beym Staube deines Wegs Mein Hoffnungszelt! Bey deiner Füsse Staub Dem Wasser vorzuziehn. Denjenigen, der meine Scheitel Wie Staub zertritt mit Füssen, Will ich zum Kaiser machen, Wenn er zu mir zurückkommt. Man sieht deutlich hieraus dass eins so wenig als das andere heissen will, erst bey würdiger Gelegenheit angewendet, zu- letzt immer häufiger gebraucht und gemiss- braucht. So sagt Hafis wirklich possen- haft: Mein Kopf im Staub des Weges Des Wirthes seyn wird. Ein tieferes Studium würde vielleicht die Vermuthung bestätigen, dass frühere Dichter mit solchen Ausdrücken viel be- scheidener verfahren und nur spätere, auf demselben Schauplatz in derselben Sprache sich ergehend, endlich auch solche Miss- bräuche, nicht einmal recht im Ernst, son- dern parodistisch beliebt, bis sich end- lich die Tropen dergestalt vom Gegenstand weg verlieren, dass kein Verhältniss mehr weder gedacht noch empfunden werden kann. Und so schliessen wir denn mit den lieb- lichen Zeilen Enweris, welcher, so anmu- thig als schicklich, einen werthen Dichter seiner Zeit verehrt: Dem Vernünft’gen sind Lockspeise Schedschaai’s Gedichte, Hundert Vögel wie ich fliegen begierig darauf. Geh mein Gedicht und küss’ vor dem Herrn die Erde und sag’ ihm: Du, die Tugend der Zeit, Tugendepoche bist du. Einrede . Um uns nun über das Verhältniss der Despoten zu den Ihrigen, und wiefern es noch menschlich sey, einigermassen aufzu- klären, auch uns über das knechtische Ver- fahren der Dichter vielleicht zu beruhigen, möge eine und die andere Stelle hier eige- schaltet seyn, welche Zeugniss giebt wie Geschichts- und Weltkenner hierüber geur- theilt. Ein bedächtiger Engländer drückt sich folgendermassen aus: „Unumschränkte Gewalt, welche in Europa, durch Gewohnheiten und Umsicht einer gebildeten Zeit, zu gemässigten Re- gierungen gesänftiget wird, behält bey Asia- tischen Nationen immer einerley Charakter und bewegt sich beynahe in demselben Ver- lauf. Denn die geringen Unterschiede, welche des Menschen Staatswerth und Würde bezeichnen, sind bloss von des Despoten persönlicher Gemüthsart abhängig und von dessen Macht, ja öfters mehr von dieser als jener. Kann doch kein Land zum Glück gedeihen, das fortwährend dem Krieg aus- gesetzt ist, wie es von der frühsten Zeit an das Schicksal aller östlichen schwäche- ren Königreiche gewesen. Daraus folgt dass die grösste Glückseligkeit, deren die Masse unter unumschränkter Herrschaft ge- niessen kann, sich aus der Gewalt und dem Ruf ihres Monarchen herschreibe, so wie das Wohlbehagen, worin sich dessen Un- terthanen einigermassen erfreuen, wesent- lich auf den Stolz begründet ist, zu dem ein solcher Fürst sie erhebt.“ „Wir dürfen daher nicht bloss an nie- drige und verkäufliche Gesinnungen denken, wenn die Schmeicheley uns auffällt, welche sie dem Fürsten erzeigen. Fühllos gegen den Werth der Freyheit, unbekannt mit allen übrigen Regierungsformen, rühmen sie ihren eigenen Zustand, worin es ihnen we- der an Sicherheit ermangelt noch an Beha- gen, und sind nicht allein willig, sondern stolz sich vor einem erhöhten Manne zu de- müthigen, wenn sie in der Grösse seiner Macht Zuflucht finden und Schutz gegen grösseres unterdrückendes Uebel.“ Gleichfalls lässt sich ein deutscher Re- censent geist- und kenntnissreich also ver- nehmen: „Der Verfasser, allerdings Bewunderer des hohen Schwungs der Panegyriker dieses Zeitraums, tadelt zugleich mit Recht die sich im Ueberschwung der Lobpreisungen vergeudende Kraft edler Gemüther, und die Erniedrigung der Charakterwürde, welche diess gewöhnlich zur Folge hat. Allein es muss gleichwohl bemerkt werden dass in dem, in vielfachem Schmucke reicher Voll- endung aufgeführten, Kunstgebäude eines ächt poetischen Volkes panegyrische Dich- tung eben so wesentlich ist, als die satyri- sche, mit welcher sie nur den Gegensatz bildet, dessen Auflösung sich sodann ent- weder in der moralischen Dichtung, der ruhigen Richterin menschlicher Vorzüge und Gebrechen, der Führerin zum Ziele innerer Beruhigung, oder im Epos findet, welches mit unpartheyischer Kühnheit das Edelste menschlicher Trefflichkeit neben die nicht mehr getadelte, sondern als zum Gan- zen wirkende Gewöhnlichkeit des Lebens hinstellt, und beyde Gegensätze auflöst und zu einem reinen Bilde des Daseyns verei- nigt. Wenn es nämlich der menschlichen Natur gemäss, und ein Zeichen ihrer höhe- ren Abkunft ist, dass sie das Edle mensch- licher Handlungen, und jede höhere Voll- kommenheit mit Begeisterung erfasst, und sich an deren Erwägung gleichsam das in- nere Leben erneuert, so ist die Lobprei- sung auch der Macht und Gewalt, wie sie in Fürsten sich offenbart, eine herrliche Erscheinung im Gebiete der Poesie, und bey uns, mit vollestem Rechte zwar, nur darum in Verachtung gesunken, weil die- jenigen, die sich derselben hingaben, mei- stens nicht Dichter, sondern nur feile Schmeichler gewesen. Wer aber, der Cal- deron seinen König preisen hört, mag hier, wo der kühnste Aufschwung der Phantasie ihn mit fortreisst, an Käuflichkeit des Lo- bes denken? oder wer hat sein Herz noch gegen Pindars Siegeshymnen verwahren wol- len? Die despotische Natur der Herrscher- würde Persiens, wenn sie gleich in jener Zeit ihr Gegenbild in gemeiner Anbetung der Gewalt bey den meisten, welche Für- stenlob sangen, gefunden, hat dennoch durch die Idee verklärter Macht, die sie in edlen Gemüthern erzeugte, auch manche, der Be- wunderung der Nachwelt werthe Dichtun- gen hervorgerufen. Und wie die Dichter dieser Bewunderung noch heute werth sind, sind es auch diese Fürsten, bey welchen wir ächte Anerkennung der Würde des Menschen, und Begeisterung für die Kunst, welche ihr Andenken feyert, vorfinden. Enweri Chakani, Sahir Farjabi und Achestegi sind die Dichter dieses Zeit- raums im Fache der Panegyrik, deren Werke der Orient noch heute mit Entzücken liest, und so auch ihren edlen Namen vor jeder Verunglimpfung sicher stellt. Ein Beweis, wie nahe das Streben des panegyrischen Dichters an die höchste Forderung, die an den Menschen gestellt werden kann, gränze, ist der plötzliche Uebertritt eines dieser pa- negyrischen Dichter, Sanaji’s , zur reli- giösen Dichtung: aus dem Lobpreiser seines Fürsten ward er ein nur für Gott und die ewige Vollkommenheit begeisterter Sänger, nachdem er die Idee des Erhabenen, die er vorher im Leben aufzusuchen sich begnüg- te, nun jenseits dieses Daseyns zu finden gelernt hatte.“ Nachtrag . Diese Betrachtungen zweyer ernsten, bedächtigen Männer werden das Urtheil über persische Dichter und Enkomiasten zur Milde bewegen, indem zugleich unsere früheren Aeusserungen hiedurch bestätigt sind: in gefährlicher Zeit nämlich komme beym Regiment alles darauf an, dass der Fürst nicht allein seine Unterthanen be- schützen, sondern sie auch persönlich ge- gen den Feind anführen könne. Zu dieser, bis auf die neusten Tage, sich bestätigenden Wahrheit lassen sich uralte Beyspiele fin- den; wie wir denn das Reichsgrundgesetz anführen, welches Gott dem israelitischen Volke, mit dessen allgemeiner Zustimmung, in dem Augenblick ertheilt, da es ein-für allemal einen König wünscht. Wir setzen diese Constitution, die uns freilich heut zu Tag etwas wunderlich scheinen möchte, wörtlich hieher. „Und Samuel verkündigte dem Volk das Recht des Königes den sie von dem Herrn forderten: das wird des Königes Recht seyn, der über euch herrschen wird: Eure Söhne wird er nehmen zu seinen Wagen und Reutern, die vor seinem Wagen her- traben, und zu Hauptleuten über Tausend und über Funfzig, und zu Ackerleuten, die ihm seinen Acker bauen, und zu Schnittern in seiner Erndte, und dass sie seinen Har- nisch und was zu seinem Wagen gehört, machen. Eure Töchter aber wird er neh- men, dass sie Apothekerinnen, Köchinnen und Beckerinnen seyn. Eure besten Äcker und Weinberge und Obstgärten wird er nehmen und seinen Knechten geben. Dazu von eurer Saat und Weinbergen wird er den Zehnden nehmen und seinen Kämme- rern und Knechten geben. Und eure Knechte und Mägde und eure feinesten Jünglinge, und eure Esel wird er nehmen und seine Geschäfte damit ausrichten. Von euren Heerden wird er den Zehenden nehmen: und ihr müsset seine Knechte seyn.“ Als nun Samuel dem Volk das Bedenk- liche einer solchen Uebereinkunft zu Ge- müthe führen und ihnen abrathen will, ruft es einstimmig: „Mit nichten, sondern es soll ein König über uns seyn; dass wir auch seyn wie alle andere Heiden, dass uns un- ser König richte, und vor uns her ausziehe, wenn wir unsere Kriege führen.“ In diesem Sinne spricht der Perser: Mit Rath und Schwerdt umfasst und schützet Er das Land; Umfassende und Schirmer stehn in Gottes Hand. Ueberhaupt pflegt man bey Beurthei- lung der verschiedenen Regierungsformen nicht genug zu beachten, dass in allen, wie sie auch heissen, Freyheit und Knechtschaft zugleich polarisch existire. Steht die Ge- walt bey Einem, so ist die Menge unter- würfig, ist die Gewalt bey der Menge, so steht der Einzelne im Nachtheil; dieses geht denn durch alle Stufen durch, bis sich viel- leicht irgendwo ein Gleichgewicht, jedoch nur auf kurze Zeit, finden kann. Dem Ge- schichtsforscher ist es kein Geheimniss; in bewegten Augenblicken des Lebens jedoch kann man darüber nicht ins Klare kommen. Wie man denn niemals mehr von Freyheit reden hört als wenn eine Parthey die andere unterjochen will und es auf weiter nichts angesehen ist, als dass Gewalt, Einfluss und Vermögen aus einer Hand in die andere ge- hen sollen. Freyheit ist die leise Parole heimlich Verschworner, das laute Feldge- schrey der öffentlich Umwälzenden, ja das Losungswort der Despotie selbst, wenn sie ihre unterjochte Masse gegen den Feind anführt, und ihr von auswärtigem Druck Erlösung auf alle Zeiten verspricht. 23 Gegenwirkung . Doch so verfänglich-allgemeiner Be- trachtung wollen wir uns nicht hingeben, vielmehr in den Orient zurückwandern und schauen wie die menschliche Natur, die immer unbezwinglich bleibt, sich dem äussersten Druck entgegen setzt; und da finden wir denn überall dass der Frey- und Eigensinn der Einzelnen sich gegen die Allgewalt des Einen ins Gleichgewicht stellt; sie sind Sclaven, aber nicht unterworfen, sie erlauben sich Kühnheiten ohne gleichen. Bringen wir ein Beyspiel aus den älteren Zeiten, begeben wir uns zu einem Abend- gelag in das Zelt Alexanders, dort treffen wir ihn mit den Seinigen in lebhaften, hef- tigen, ja wilden Wechselreden. Clitus, Alexanders Milchbruder, Spiel- und Kriegsgefährte, verliert zwey Brüder im Felde, rettet dem König das Leben, zeigt sich als bedeutender General, treuer Statthalter wichtiger Provinzen. Die ange- masste Gottheit des Monarchen kann er nicht billigen; er hat ihn herankommen se- hen, dienst- und hülfsbedürftig gekannt; einen innern hypochondrischen Widerwillen mag er nähren, seine Verdienste vielleicht zu hoch anschlagen. Die Tischgespräche an Alexanders Ta- fel mögen immer von grosser Bedeutung ge- wesen seyn, alle Gäste waren tüchtige, ge- bildete Männer, alle zur Zeit des höchsten Rednerglanzes in Griechenland geboren. Gewöhnlich mochte man sich nüchterner Weise bedeutende Probleme aufgeben, wählen, oder zufällig ergreifen und solche sophistisch-rednerisch mit ziemlichem Be- wusstseyn gegeneinander behaupten. Wenn denn aber doch ein jeder die Parthey ver- theidigte der er zugethan war, Trunk und Leidenschaft sich wechselsweise steigerten; so musste es zuletzt zu gewaltsamen Scenen hinauslaufen. Auf diesem Wege begegnen wir der Vermuthung dass der Brand von Persepolis nicht bloss aus einer rohen, ab- surden Völlerey entglommen sey, vielmehr 23 * aus einem solchen Tischgespräch aufge- flammt, wo die eine Parthey behauptete, man müsse die Perser, da man sie einmal überwunden, auch nunmehr schonen, die andere aber, das schonungslose Verfahren der Asiaten in Zerstörung griechischer Tem- pel wieder vor die Seele der Gesellschaft führend, durch Steigerung des Wahnsinnes zu trunkener Wuth, die alten königlichen Denkmale in Asche verwandelte. Dass Frauen mitgewirkt, welche immer die hef- tigsten, unversöhnlichsten Feinde der Feinde sind, macht unsere Vermuthung noch wahr- scheinlicher. Sollte man jedoch hierüber noch eini- germassen zweifelhaft bleiben, so sind wir desto gewisser, was bey jenem Gelag, des- sen wir zuerst erwähnten, tödtlichen Zwie- spalt veranlasst habe; die Geschichte be- wahrt es uns auf. Es war nämlich der im- mer sich wiederholende Streit zwischen dem Alter und der Jugend. Die Alten, auf deren Seite Clitus argumentirte, konnten sich auf eine folgerechte Reihe von Thaten berufen, die sie, dem König, dem Vaterland, dem einmal vorgesteckten Ziele getreu, unabläs- sig mit Kraft und Weisheit ausgeführt. Die Jugend hingegen nahm zwar als be- kannt an, dass das alles geschehen, dass viel gethan worden und dass man wirklich an der Gränze von Indien sey; aber sie gab zu bedenken wie viel zu thun noch übrig bliebe, erbot sich das Gleiche zu leisten, und eine glänzende Zukunft versprechend, wusste sie den Glanz geleisteter Thaten zu verdunkeln. Dass der König sich auf diese Seite geschlagen ist natürlich, denn bey ihm konnte vom Geschehenen nicht mehr die Rede seyn. Clitus kehrte dagegen sei- nen heimlichen Unwillen heraus und wie- derholte, in des Königs Gegenwart, Missre- den, die dem Fürsten, als hinter seinem Rücken gesprochen, schon früher zu Ohren gekommen. Alexander hielt sich bewun- dernswürdig zusammen, doch leider zu lange. Clitus verging sich gränzenlos in widerwär- tigen. Reden, bis der König aufsprang, den seine Nächsten zuerst festhielten und Cli- tus bey Seite brachten. Dieser aber kehrt rasend mit neuen Schmähungen zurück, und Alexander stösst ihn, den Spiess von der Wache ergreifend, nieder. Was darauf erfolgt gehört nicht hier- her, nur bemerken wir, dass die bitterste Klage des verzweiflenden Königs die Be- trachtung enthält, er werde künftig, wie ein Thier im Walde, einsam leben, weil niemand in seiner Gegenwart ein freyes Wort hervorzubringen wagen könne. Diese Rede, sie gehöre dem König oder dem Ge- schichtsschreiber, bestätigt dasjenige was wir oben vermuthet. Noch im vorigen Jahrhunderte durfte man dem Kaiser von Persien bey Gastmalen unverschämt widersprechen, zuletzt wurde denn freylich der überkühne Tischgenosse bey den Füssen weg und am Fürsten nah vor- bey geschleppt, ob dieser ihn vielleicht be- gnadige? Geschah es nicht, hinaus mit ihm und zusammengehauen. Wie gränzenlos hartnäckig und wider- setzlich Günstlinge sich gegen den Kaiser betrugen, wird uns von glaubwürdigen Ge- schichtsschreibern anecdotenweis überliefert. Der Monarch ist wie das Schicksal, uner- bittlich, aber man trotzt ihm. Heftige Na- turen verfallen darüber in eine Art Wahn- sinn, wovon die wunderlichsten Beyspiele vorgelegt werden könnten. Der obersten Gewalt jedoch, von der alles herfliesst, Wohlthat und Pein, unter- werfen sich mässige, feste, folgerechte Na- turen, um nach ihrer Weise zu leben und zu wirken. Der Dichter aber hat am er- sten Ursache sich dem Höchsten, der sein Talent schätzt, zu widmen. Am Hof, im Umgange mit Grossen, eröffnet sich ihm eine Weltübersicht, deren er bedarf um zum Reichthum aller Stoffe zu gelangen. Hierin liegt nicht nur Entschuldigung, son- dern Berechtigung zu schmeicheln, wie es dem Panegyristen zukommt, der sein Hand- werk am besten ausübt, wenn er sich mit der Fülle des Stoffes bereichert, um Für- sten und Veziere, Mädchen und Knaben, Propheten und Heilige, ja zuletzt die Gott- heit selbst, menschlicher Weise überfüllt auszuschmücken. Auch unsern westlichen Dichter loben wir, dass er eine Welt von Putz und Pracht zusammengehäuft, um das Bild seiner Ge- liebten zu verherrlichen. Eingeschaltetes . Die Besonnenheit des Dichters bezieht sich eigentlich auf die Form, den Stoff giebt ihm die Welt nur allzufreygebig, der Ge- halt entspringt freywillig aus der Fülle sei- nes Innern; bewusstlos begegnen beyde ein- ander und zuletzt weiss man nicht, wem eigentlich der Reichthum angehöre. Aber die Form, ob sie schon vorzüg- lich im Genie liegt, will erkannt, will bedacht seyn, und hier wird Besonnenheit gefor- dert, dass Form, Stoff und Gehalt sich zu einander schicken, sich in einander fügen, sich einander durchdringen. Der Dichter steht viel zu hoch als dass er Parthey machen sollte. Heiterkeit und Bewusstseyn sind die schönen Gaben, für die er dem Schöpfer dankt: Bewusstseyn, dass er vor dem Furchtbaren nicht erschre- cke, Heiterkeit, dass er alles erfreulich dar- zustellen wisse. Orientalischer Poesie Ur-Elemente . In der Arabischen Sprache wird man wenig Stamm- und Wurzelworte finden, die, wo nicht unmittelbar, doch mittelst geringer An- und Umbildung sich nicht auf Kameel, Pferd und Schaaf bezögen. Diesen allerersten Natur- und Lebensaus- druck dürfen wir nicht einmal tropisch nen- nen. Alles was der Mensch natürlich frey ausspricht sind Lebensbezüge; nun ist der Araber mit Kameel und Pferd so innig ver- wandt als Leib mit Seele, ihm kann nichts begegnen, was nicht auch diese Geschöpfe zugleich ergriffe und ihr Wesen und Wir- ken mit dem seinigen lebendig verbände. Denkt man zu den obengenannten noch an- dere Haus- und wilde Thiere hinzu, die dem frey umherziehenden Beduinen oft genug vors Auge kommen, so wird man auch diese in allen Lebensbeziehungen antreffen. Schrei- tet man nun so fort und beachtet alles übri- ge Sichtbare; Berg und Wüste, Felsen und Ebene, Bäume, Kräuter, Blumen, Fluss und Meer und das vielgestirnte Firmament, so findet man dass dem Orientalen bey al- lem alles einfällt, so dass er, übers Kreuz das Fernste zu verknüpfen gewohnt, durch die geringste Buchstaben- und Silbenbiegung Widersprechendes aus einander herzuleiten kein Bedenken trägt. Hier sieht man dass die Sprache schon an und für sich produc- tiv ist und zwar, in so fern sie dem Ge- danken entgegen kommt, rednerisch, in so fern sie der Einbildungskraft zusagt, poe- tisch. Wer nun also, von den ersten noth- wendigen Ur-Tropen ausgehend, die freye- ren und kühneren bezeichnete, bis er end- lich zu den gewagtesten, willkührlichsten, ja zuletzt ungeschickten, conventionellen und abgeschmackten, gelangte, der hätte sich von den Hauptmomenten der orienta- lischen Dichtkunst eine freye Uebersicht verschafft. Er würde aber dabey sich leicht überzeugen, dass von dem was wir Ge- schmack nennen, von der Sonderung näm- lich des Schicklichen vom Unschicklichen, in jener Literatur gar nicht die Rede seyn könne. Ihre Tugenden lassen sich nicht von ihren Fehlern trennen, beyde beziehen sich auf einander, entspringen aus einander und man muss sie gelten lassen ohne Mä- ckeln und Markten. Nichts ist unerträgli- cher, als wenn Reiske und Michaelis jene Dichter bald in den Himmel heben, bald wieder wie einfältige Schulknaben be- handeln. Dabey lässt sich jedoch auffallend be- merken, dass die ältesten Dichter, die zu- nächst am Naturquell der Eindrücke lebten und ihre Sprache dichtend bildeten, sehr grosse Vorzüge haben müssen; diejenigen, die in eine schon durchgearbeitete Zeit, in verwickelte Verhältnisse kommen, zeigen zwar immer dasselbe Bestreben, verlieren aber allmählig die Spur des Rechten und Lobens- würdigen. Denn wenn sie nach entfernten und immer entfernteren Tropen haschen, so wird es baarer Unsinn, höchstens bleibt zuletzt nichts weiter als der allgemeinste Begriff, unter welchem die Gegenstände allenfalls möchten zusammen zu fassen seyn, der Begriff der alles Anschauen, und somit die Poesie selbst aufhebt. Uebergang von Tropen zu Gleichnissen . Weil nun alles Vorgesagte auch von den nahe verwandten Gleichnissen gilt, so wäre durch einige Beyspiele unsere Behaup- tung zu bestätigen. Man sieht den im freyen Felde auf- wachenden Jäger, der die aufgehende Sonne einem Falken vergleicht: That und Leben mir die Brust durchdringen, Wieder auf den Füssen steh’ ich fest: Denn der goldne Falke, breiter Schwingen, Ueberschwebet sein azurnes Nest. Oder noch prächtiger einem Löwen : Morgendämmerung wandte sich in’s Helle, Herz und Geist auf einmal wurden froh, Als die Nacht, die schüchterne Gazelle, Vor dem Dräun des Morgenlöwens floh. Wie muss nicht Marko Polo , der alles dieses und mehr geschaut, solche Gleichnisse bewundert haben! Unaufhörlich finden wir den Dichter wie er mit Locken spielt. Es stecken mehr als funfzig Angeln In jeder Locke deiner Haare; ist höchst lieblich an ein schönes locken- reiches Haupt gerichtet, die Einbildungs- kraft hat nichts dawider sich die Haarspi- tzen hakenartig zu denken. Wenn aber der Dichter sagt, dass er an Haaren aufge- hängt sey, so will es uns nicht recht ge- fallen. Wenn es nun aber gar vom Sultan heisst: In deiner Locken Banden liegt Des Feindes Hals verstrickt; so giebt es der Einbildungskraft entweder ein widerlich Bild oder gar keins. Dass wir von Wimpern gemordet werden, möchte wohl angehn, aber an Wimpern gespiesst seyn, kann uns nicht behagen; wenn ferner Wimpern, gar mit Besen verglichen, die Sterne vom Himmel herabkehren, so wird es uns doch zu bunt. Die Stirn der Schönen als Glättstein der Herzen; das Herz des Liebenden als Ge- schiebe von Thränenbächen fortgerollt und abgerundet; dergleichen mehr witzige als gefühlvolle Wagnisse nöthigen uns ein freundliches Lächeln ab. Höchst geistreich aber kann genannt werden, wenn der Dichter die Feinde des Schachs wie Zeltenbehör behandelt wis- sen will. Seyen sie stets wie Späne gespalten, wie Lappen zerrissen! Wie die Nägel geklopft! und wie die Pfähle ge- steckt! Hier sieht man den Dichter im Haupt- quartier; das immer wiederholte Ab- und Aufschlagen des Lagers schwebt ihm vor der Seele. Aus diesen wenigen Beyspielen, die man ins Unendliche vermehren könnte, erhellet, dass keine Gränze zwischen dem was in unserm Sinne lobenswürdig und tadelhaft heissen möchte gezogen werden könne, weil ihre Tugenden ganz eigentlich die Blüthen ihrer Fehler sind. Wollen wir an diesen Productionen der herrlichsten Geister Theil nehmen, so müssen wir uns orienta- lisiren, der Orient wird nicht zu uns her- über kommen. Und obgleich Uebersetzun- gen höchst löblich sind um uns anzulocken, einzuleiten, so ist doch aus allem Vorigen ersichtlich, dass in dieser Literatur die Spra- che als Sprache die erste Rolle spielt. Wer möchte sich nicht mit diesen Schätzen an der Quelle bekannt machen! Bedenken wir nun dass poetische Tech- nik den grössten Einfluss auf jede Dich- tungsweise nothwendig ausübe; so finden wir auch hier dass die zweyzeilig gereim- ten Verse der Orientalen einen Parallelis- mus fordern, welcher aber, statt den Geist zu sammeln, selben zerstreut, indem der Reim auf ganz fremdartige Gegenstände hin- weist. Dadurch erhalten ihre Gedichte einen Anstrich von Quodlibet, oder vorgeschrie- benen Endreimen, in welcher Art etwas Vorzügliches zu leisten freilich die ersten Talente gefordert werden. Wie nun hier- über die Nation streng geurtheilt hat, sieht man daran, dass sie in fünf hundert Jahren nur sieben Dichter als ihre Obersten aner- kennt. Warnung . Auf alles was wir bisher geäussert kön- nen wir uns wohl berufen, als Zeugniss besten Willens gegen orientalische Dicht- kunst. Wir dürfen es daher wohl wagen, Männern, denen eigentlich nähere ja un- mittelbare Kenntniss dieser Regionen ge- gönnt ist, mit einer Warnung entgegen zu gehen, welche den Zweck allen möglichen Schaden von einer so guten Sache abzu- wenden nicht verläugnen wird. Jedermann erleichtert sich durch Ver- gleichung das Urtheil, aber man erschwert sich’s auch: denn wenn ein Gleichniss, zu weit durchgeführt, hinkt, so wird ein ver- gleichendes Urtheil immer unpassender, je genauer man es betrachtet. Wir wollen uns nicht zu weit verlieren, sondern im gegenwärtigen Falle nur so viel sagen: wenn der vortreffliche Jones die orientalischen Dichter mit Lateinern und Griechen ver- gleicht, so hat er seine Ursachen, das Ver- hältniss zu England und den dortigen Alt- kritikern nöthigt ihn dazu. Er selbst, in der strengen classischen Schule gebildet, begriff wohl das ausschliessende Vorurtheil, das nichts wollte gelten lassen als was von Rom und Athen her auf uns vererbt wor- den. Er kannte, schätzte, liebte seinen Orient und wünschte dessen Productionen in Alt-England einzuführen, einzuschwär- zen, welches nicht anders als unter dem Stempel des Alterthums zu bewirken war. Dieses alles ist gegenwärtig ganz unnöthig, ja schädlich. Wir wissen die Dichtart der Orientalen zu schätzen, wir gestehen ihnen die grössten Vorzüge zu, aber man ver- gleiche sie mit sich selbst, man ehre sie in ihrem eignen Kreise, und vergesse doch dabey dass es Griechen und Römer gegeben. Niemanden verarge man, welchem Ho- raz bey Hafis einfällt. Hierüber hat ein Kenner sich bewundrungswürdig erklärt, so dass dieses Verhältniss nunmehr ausge- sprochen und für immer abgethan ist. Er sagt nämlich: 24 „Die Aehnlichkeit Hafisens mit Horaz in den Ansichten des Lebens ist auffallend, und möchte einzig nur durch die Aehnlich- keit der Zeitalter, in welchen beyde Dich- ter gelebt, wo, bey Zerstörung aller Sicher- heit des bürgerlichen Daseyns, der Mensch sich auf flüchtigen, gleichsam im Vorüber- gehen gehaschten Genuss des Lebens be- schränkt, zu erklären seyn.“ Was wir aber inständig bitten ist, dass man Firdusi nicht mit Homer vergleiche, weil er in jedem Sinne, dem Stoff, der Form, der Behandlung nach, verlieren muss. Wer sich hiervon überzeugen will verglei- che die furchtbare Monotonie der sieben Abenteuer des Isfendiar mit dem drey und zwanzigsten Gesang der Ilias, wo, zur Tod- tenfeyer Patroklos, die mannigfaltigsten Preise, von den verschiedenartigsten Helden, auf die verschiedenste Art gewonnen wer- den. Haben wir Deutsche nicht unsern herrlichen Niebelungen durch solche Ver- gleichung den grössten Schaden gethan? So höchst erfreulich sie sind, wenn man sich in ihren Kreis recht einbürgert und alles vertraulich und dankbar aufnimmt, so wun- derlich erscheinen sie, wenn man sie nach einem Massstabe misst, den man niemals bey ihnen anschlagen sollte. Es gilt ja schon dasselbe von dem Wer- ke eines einzigen Autors, der viel, mannig- faltig und lange geschrieben. Ueberlasse man doch der gemeinen unbehülflichen Menge vergleichend zu loben, zu wählen und zu verwerfen. Aber die Lehrer des Volks müssen auf einen Standpunct treten, wo eine allgemeine deutliche Uebersicht rei- nem unbewundenen Urtheil zu statten kommt. 24 * Vergleichung . Da wir nun so eben bey dem Urtheil über Schriftsteller alle Vergleichung abge- lehnt, so möchte man sich wundern, wenn wir unmittelbar darauf von einem Falle sprechen, in welchem wir sie zulässig fin- den. Wir hoffen jedoch dass man uns diese Ausnahme darum erlauben werde, weil der Gedanke nicht uns, vielmehr einem dritten angehört. Ein Mann, der des Orients Breite, Hö- hen und Tiefen durchdrungen, findet dass kein deutscher Schriftsteller sich den östli- chen Poeten und sonstigen Verfassern mehr als Jean Paul Richter genähert habe; dieser Ausspruch schien zu bedeutend, als dass wir ihm nicht gehörige Aufmerksam- keit hätten widmen sollen; auch können wir unsere Bemerkungen darüber um so leichter mittheilen, als wir uns nur auf das oben weitläufig Durchgeführte beziehen dürfen. Allerdings zeugen, um von der Per- sönlichkeit anzufangen, die Werke des ge- nannten Freundes von einem verständigen, umschauenden, einsichtigen, unterrichteten, ausgebildeten und dabey wohlwollenden, frommen Sinne. Ein so begabter Geist blickt, nach eigentlichst orientalischer Wei- se, munter und kühn in seiner Welt um- her, erschafft die seltsamsten Bezüge, ver- knüpft das Unverträgliche, jedoch derge- stalt dass ein geheimer ethischer Faden sich mitschlinge, wodurch das Ganze zu einer gewissen Einheit geleitet wird. Wenn wir nun vor kurzem die Natur- Elemente, woraus die älteren und vorzüg- lichsten Dichter des Orients ihre Werke bildeten, angedeutet und bezeichnet, so werden wir uns deutlich erklären, indem wir sagen: dass, wenn jene in einer frischen, einfachen Region gewirkt, dieser Freund hingegen in einer ausgebildeten, überbilde- ten, verbildeten, vertrakten Welt leben und wirken, und eben daher sich anschi- cken muss die seltsamsten Elemente zu be- herrschen. Um nun den Gegensatz zwischen der Umgebung eines Beduinen und unseres Autors mit wenigem anschaulich zu machen, ziehen wir aus einigen Blättern die bedeu- tendsten Ausdrücke: Barrierren-Traktat, Extrablätter, Car- dinäle, Nebenrecess, Billard, Bierkrüge, Reichsbänke, Sessionsstühle, Prinzipalcom- missarius, Enthusiasmus, Zepter-Queue, Bruststücke, Eichhornbauer, Agioteur, Schmutzfink, Incognito, Kolloquia, kano- nischer Billardsack, Gypsabdruck, Avance- ment, Hüttenjunge, Naturalisations-Acte, Pfingstprogram, Maurerisch, Manual-Pan- tomine, Amputirt, Supranumerar, Bijou- teriebude, Sabbaterweg u. s. f. Wenn nun diese sämmtlichen Ausdrü- cke einem gebildeten deutschen Leser be- kannt sind, oder durch das Conversations- Lexicon bekannt werden können, gerade wie dem Orientalen die Aussenwelt durch Handels- und Wallfahrts-Caravanen; so dürfen wir kühnlich einen ähnlichen Geist für berechtigt halten dieselbe Verfahrungs- Art auf einer völlig verschiednen Unterlage walten zu lassen. Gestehen wir also unserm so geschätz- ten als fruchtbaren Schriftsteller zu, dass er, in späteren Tagen lebend, um in seiner Epoche geistreich zu seyn, auf einen, durch Kunst, Wissenschaft, Technik, Politik, Kriegs- und Friedensverkehr und Verderb so unendlich verklausulirten, zersplitterten Zustand mannigfaltigst anspielen müsse; so glauben wir ihm die zugesprochene Orien- talität genugsam bestätigt zu haben. Einen Unterschied jedoch, den eines poetischen und prosaischen Verfahrens, he- ben wir hervor. Dem Poeten, welchem Takt, Paralell-Stellung, Sylbenfall, Reim die grössten Hindernisse in den Weg zu le- gen scheinen, gereicht alles zum entschie- densten Vortheil, wenn er die Räthselkno- ten glücklich löst, die ihm aufgegeben sind, oder die er sich selbst aufgiebt; die kühn- ste Metapher verzeihen wir wegen eines unerwarteten Reims und freuen uns der Besonnenheit des Dichters, die er, in einer so nothgedrungenen Stellung, behauptet. Der Prosaist hingegen hat die Ellebo- gen gänzlich frey und ist für jede Verwe- genheit verantwortlich, die er sich erlaubt; alles was den Geschmack verletzen könnte kommt auf seine Rechnung. Da nun aber, wie wir umständlich nachgewiesen, in einer solchen Dicht- und Schreibart das Schick- liche vom Unschicklichen abzusondern un- möglich ist; so kommt hier alles auf das Individuum an, das ein solches Wagstück unternimmt. Ist es ein Mann, wie Jean Paul, als Talent von Werth, als Mensch von Würde, so befreundet sich der angezogene Leser sogleich; alles ist erlaubt und will- kommen. Man fühlt sich in der Nähe des wohldenkenden Mannes behaglich, sein Ge- fühl theilt sich uns mit. Unsere Einbil- dungskraft erregt er, schmeichelt unseren Schwächen und festiget unsere Stärken. Man übt seinen eigenen Witz, indem man die wunderlich aufgegebenen Räthsel zu lösen sucht und freut sich in und hin- ter einer buntverschränkten Welt, wie hin- ter einer andern Charade, Unterhaltung, Erregung, Rührung, ja Erbauung zu finden. Diess ist ohngefähr was wir vorzubrin- gen wussten, um jene Vergleichung zu rech- fertigen; Uebereinstimmung und Differenz trachteten wir so kurz als möglich auszu- drücken; ein solcher Text könnte zu einer gränzenlosen Auslegung verführen. Verwahrung . Wenn jemand Wort und Ausdruck als heilige Zeugnisse betrachtet und sie nicht etwa, wie Scheidemünze oder Papiergeld, nur zu schnellem augenblicklichen Verkehr bringen, sondern im geistigen Handel und Wandel als wahres Aequivalent ausgetauscht wissen will; so kann man ihm nicht ver- übeln dass er aufmerksam macht, wie her- kömmliche Ausdrücke, woran niemand mehr Arges hat, doch einen schädlichen Einfluss verüben, Ansichten verdüstern, den Begriff entstellen und ganzen Fächern eine falsche Richtung geben. Von der Art möchte wohl der einge- führte Gebrauch seyn dass man den Titel: schöne Redekünste , als allgemeine Rubrik behandelt, unter welcher man Poe- sie und Prosa begreifen und eine neben der andern, ihren verschiedenen Theilen nach, aufstellen will. Poesie ist, rein und ächt betrachtet, weder Rede noch Kunst; keine Rede , weil sie zu ihrer Vollendung Takt, Gesang, Körperbewegung und Mimik bedarf; sie ist keine Kunst , weil alles auf dem Naturell beruht, welches zwar geregelt, aber nicht künstlerisch geängstiget werden darf; auch bleibt sie immer wahrhafter Ausdruck eines aufgeregten erhöhten Geistes, ohne Ziel und Zweck. Die Redekunst aber, im eigentlichen Sinne, ist eine Rede und eine Kunst; sie beruht auf einer deutlichen, mässig leiden- schaftlichen Rede , und ist Kunst in jedem Sinne. Sie verfolgt ihre Zwecke und ist Verstellung vom Anfang bis zu Ende. Durch jene von uns gerügte Rubrik ist nun die Poesie entwürdigt, indem sie der Redekunst bey- wo nicht untergeordnet wird, Namen und Ehre von ihr ableitet. Diese Benennung und Eintheilung hat freylich Beyfall und Platz gewonnen, weil höchst schätzenswerthe Bücher sie an der Stirne tragen, und schwer möchte man sich derselben sobald entwöhnen. Ein solches Verfahren kommt aber daher, weil man, bey Classification der Künste, den Künstler nicht zu Rathe zieht. Dem Literator kom- men die poetischen Werke zuerst als Buch- staben in die Hand, sie liegen als Bücher vor ihm, die er aufzustellen und zu ordnen berufen ist. Dichtarten . Allegorie, Ballade, Cantate, Drama, Elegie, Epigramm, Epistel, Epopee, Er- zählung, Fabel, Heroide, Idylle, Lehrge- dicht, Ode, Parodie, Roman, Romanze, Satyre. Wenn man vorgemeldete Dichtarten, die wir alphabetisch zusammengestellt, und noch mehrere dergleichen, methodisch zu ordnen versuchen wollte, so würde man auf grosse, nicht leicht zu beseitigende Schwie- rigkeiten stossen. Betrachtet man obige Rubriken genauer, so findet man dass sie bald nach äusseren Kennzeichen, bald nach dem Inhalt, wenige aber einer wesentlichen Form nach benamst sind. Man bemerkt schnell dass einige sich neben einander stel- len, andere sich andern unterordnen lassen. Zu Vergnügen und Genuss möchte jede wohl für sich bestehen und wirken, wenn man aber, zu didaktischen oder historischen Zwecken, einer rationelleren Anordnung bedürfte, so ist es wohl der Mühe werth sich nach einer solchen umzusehen. Wir brin- gen daher Folgendes der Prüfung dar. Naturformen der Dichtung. Es giebt nur drey ächte Naturformen der Poesie: die klar erzählende, die enthu- siastisch aufgeregte und die persönlich han- delnde: Epos, Lyrik und Drama . Diese drey Dichtweisen können zusammen oder abgesondert wirken. In dem kleinsten Ge- dicht findet man sie oft beysammen, und sie bringen eben durch diese Vereinigung im engsten Raume das herrlichste Gebild hervor, wie wir an den schätzenswerthe- sten Balladen aller Völker deutlich gewahr werden. Im älteren griechischen Trauer- spiel sehen wir sie gleichfalls alle drey ver- bunden und erst in einer gewissen Zeit- folge sondern sie sich. So lange der Chor die Hauptperson spielt zeigt sich Lyrik oben an, wie der Chor mehr Zuschauer wird treten die andern hervor, und zuletzt wo die Handlung sich persönlich und häus- lich zusammenzieht, findet man den Chor unbequem und lästig. Im französischen Trauerspiel ist die Exposition episch, die Mitte dramatisch und den fünften Act, der leidenschaftlich und enthusiastisch ausläuft, kann man lyrisch nennen. Das Homerische Heldengedicht ist rein episch; der Rhapsode waltet immer vor, was sich ereignet erzählt er; niemand darf den Mund aufthun, dem er nicht vorher das Wort verliehen, dessen Rede und Ant- wort er nicht angekündigt. Abgebrochene Wechselreden, die schönste Zierde des Dra- ma’s, sind nicht zulässig. Höre man aber nun den modernen Im- provisator auf öffentlichem Markte, der ei- nen geschichtlichen Gegenstand behandelt; er wird, um deutlich zu seyn, erst erzäh- len, dann, um Interesse zu erregen, als han- delnde Person sprechen, zuletzt enthusia- stisch auflodern und die Gemüther hinrei- ssen. So wunderlich sind diese Elemente zu verschlingen, die Dichtarten bis ins Un- endliche mannigfaltig; und desshalb auch so schwer eine Ordnung zu finden, wor- nach man sie neben oder nach einander auf- stellen könnte. Man wird sich aber eini- germassen dadurch helfen dass man die drey Hauptelemente in einem Kreis gegen einander überstellt und sich Musterstücke sucht, wo je- des Element einzeln obwaltet. Alsdann sammle man Beyspiele die sich nach der einen oder nach der andern Seite hinneigen, bis endlich die Vereinigung von allen dreyen erscheint und somit der ganze Kreis in sich geschlossen ist. Auf diesem Wege gelangt man zu schönen Ansichten, sowohl der Dichtarten, als des Charakters der Nationen und ihres Geschmacks in einer Zeitfolge. Und ob- gleich diese Verfahrungsart mehr zu eigner Belehrung, Unterhaltung und Massregel, als zum Unterricht anderer geeignet seyn mag, so wäre doch vielleicht ein Schema aufzustellen, welches zugleich die äusseren zufälligen Formen und diese inneren noth- wendigen Uranfänge in fasslicher Ordnung darbrächte. Der Versuch jedoch wird im- mer so schwierig seyn als in der Natur- kunde das Bestreben den Bezug auszufinden der äusseren Kennzeichen von Mineralien und Pflanzen zu ihren inneren Bestandthei- len, um eine naturgemässe Ordnung dem Geiste darzustellen. Nachtrag . Höchst merkwürdig ist dass die Persische Poesie kein Drama hat. Hätte ein drama- tischer Dichter aufstehen können, ihre ganze Literatur müsste ein anderes Ansehn gewonnen haben. Die Nation ist zur Ruhe geneigt, sie lässt sich gern etwas vorerzäh- len, daher die Unzahl Mährchen und die gränzenlosen Gedichte. So ist auch sonst das orientalische Leben an sich selbst nicht gesprächig; der Despotismus befördert keine Wechselreden und wir finden dass eine jede Einwendung gegen Willen und Befehl des Herrschers allenfalls nur in Citaten des Korans und bekannter Dichterstellen her- vortritt, welches aber zugleich einen geist- reichen Zustand, Breite, Tiefe und Conse- quenz der Bildung voraussetzt. Dass je- doch der Orientale die Gesprächsform so wenig als ein anderes Volk entbehren mag, sieht man an der Hochschätzung der Fabeln des Bidpai, der Wiederholung, Nachahmung und Fortsetzung derselben. Die Vögelge- spräche des Ferideddin Attar geben hievon gleichfalls das schönste Beyspiel. Buch-Orakel . Der in jedem Tag düster befangene, nach einer aufgehellten Zukunft sich um- schauende Mensch greift begierig nach Zu- fälligkeiten, um irgend eine weissagende Andeutung aufzuhaschen. Der Unentschlos- sene findet nur sein Heil im Entschluss, dem Ausspruch des Looses sich zu unter- werfen. Solcher Art ist die überall her- kömmliche Orakelfrage an irgend ein be- deutendes Buch, zwischen dessen Blätter man eine Nadel versenkt und die dadurch bezeich- nete Stelle beym Aufschlagen gläubig beach- tet. Wir waren früher mit Personen genau verbunden, welche sich auf diese Weise bey der Bibel, dem Schatzkästlein und ähnlichen 25 Erbauungswerken zutraulich Raths erholten und mehrmals in den grössten Nöthen Trost, ja Bestärkung fürs ganze Leben gewannen. Im Orient finden wir diese Sitte gleich- falls in Uebung, sie wird Fal genannt und die Ehre derselben begegnete Hafisen gleich nach seinem Tode. Denn als die Streng- gläubigen ihn nicht feyerlich beerdigen wollten, befragte man seine Gedichte, und als die bezeichnete Stelle seines Grabes er- wähnt, das die Wanderer dereinst vereh- ren würden, so folgerte man daraus dass er auch müsse ehrenvoll begraben werden. Der westliche Dichter spielt ebenfalls auf diese Gewohnheit an und wünscht dass sei- nem Büchlein gleiche Ehre wiederfahren möge. Blumen- und Zeichenwechsel. Um nicht zu viel Gutes von der soge- nannten Blumensprache zu denken, oder etwas Zartgefühltes davon zu erwarten, müssen wir uns durch Kenner belehren las- sen. Man hat nicht etwa einzelnen Blumen Bedeutung gegeben, um sie im Strauss als Geheimschrift zu überreichen, und es sind nicht Blumen allein, die bey einer solchen stummen Unterhaltung Wort und Buchsta- ben bilden, sondern alles Sichtbare, Trans- portable wird mit gleichem Rechte ange- wendet. Doch wie das geschehe, um eine Mit- theilung, einen Gefühl- und Gedankenwech- sel hervorzubringen, dieses können wir uns nur vorstellen, wenn wir die Haupteigenschaf- ten orientalischer Poesie vor Augen haben: den weit umgreifenden Blick über alle 25 * Welt-Gegenstände, die Leichtigkeit zu rei- men, sodann aber eine gewisse Lust und Richtung der Nation Räthsel aufzugeben, wodurch sich zugleich die Fähigkeit aus- bildet Räthsel aufzulösen, welches denje- nigen deutlich seyn wird, deren Talent sich dahin neigt Charaden, Logogryphen und dergleichen zu behandeln. Hiebey ist nun zu bemerken: wenn ein Liebendes dem Geliebten irgend einen Ge- genstand zusendet, so muss der Empfan- gende sich das Wort aussprechen, und suchen was sich darauf reimt, sodann aber ausspähen, welcher unter den vielen möglichen Reimen für den gegenwärtigen Zustand passen möchte? Dass hiebey eine leidenschaftliche Divination obwalten müs- se, fällt sogleich in die Augen. Ein Bey- spiel kann die Sache deutlich machen und so sey folgender kleine Roman in einer sol- chen Correspondenz durchgeführt. Die Wächter sind gebändiget Durch süsse Liebesthaten; Doch wie wir uns verständiget Das wollen wir verrathen; Denn, Liebchen, was uns Glück gebracht Das muss auch andren nutzen, So wollen wir der Liebesnacht Die düstern Lampen putzen. Und wer sodann mit uns erreicht Das Ohr recht abzufeimen, Und liebt wie wir, dem wird es leicht Den rechten Sinn zu reimen. Ich schickte dir, du schicktest mir, Es war sogleich verstanden. Amarante Ich sah und brannte. Raute Wer schaute? Haar vom Tiger Ein kühner Krieger. Haar der Gazelle An welcher Stelle? Büschel von Haaren Du sollt’s erfahren. Kreide Meide. Stroh Ich brenne lichterloh. Trauben Will’s erlauben. Corallen Kannst mir gefallen. Mandelkern Sehr gern. Rüben Willst mich betrüben. Carotten Willst meiner spotten. Zwiebeln Was willst du grübeln. Trauben, die weissen Was soll das heissen? Trauben, die blauen Soll ich vertrauen? Quecken Du willst mich necken. Nelken Soll ich verwelken! Narzissen Du musst es wissen. Veilchen Wart’ ein Weilchen. Kirschen Willst mich zerknirschen. Feder vom Raben Ich muss dich haben. Vom Papageyen Musst mich befreyen. Marronen Wo wollen wir wohnen? Bley Ich bin dabey. Rosenfarb Die Freude starb. Seide Ich leide. Bohnen Will dich schonen. Majoran Geht mich nichts an. Blau Nimm’s nicht genau. Traube Ich glaube. Behren Will’s verwehren. Feigen Kannst du schweigen? Gold Ich bin dir hold. Leder Gebrauch die Feder. Papier So bin ich dir. Maslieben Schreib nach Belieben. Nacht-Violen Ich lass es holen. Ein Faden Bist eingeladen. Ein Zweig Mach keinen Streich. Straus Ich bin zu Haus. Winden Wirst mich finden. Myrthen Will dich bewirthen. Jasmin Nimm mich hin. Melissen *** auf einem Kissen. Cypressen Will’s vergessen. Bohnenblüthe Du falsch Gemüthe. Kalk Bist ein Schalk. Kohlen Mag der *** dich holen. Und hätte mit Boteinah so Nicht Dschemil sich verstanden, Wie wäre denn so frisch und froh Ihr Name noch vorhanden? Vorstehende seltsame Mittheilungsart wird sehr bald unter lebhaften, einander gewogenen Personen auszuüben seyn. So- bald der Geist eine solche Richtung nimmt thut er Wunder. Zum Beleg aus manchen Geschichten nur Eine. Zwey liebende Paare machen eine Lust- fahrt von einigen Meilen, bringen einen frohen Tag mit einander zu; auf der Rück- kehr unterhalten sie sich Charaden aufzu- geben. Gar bald wird nicht nur eine jede, wie sie vom Munde kommt, sogleich er- rathen, sondern zuletzt sogar das Wort, das der andere denkt und eben zum Wort- räthsel umbilden will, durch die unmittel- barste Divination erkannt und ausgespro- chen. Indem man dergleichen zu unsern Zei- ten erzählt und betheuert, darf man nicht fürchten lächerlich zu werden, da solche psychische Erscheinungen noch lange nicht an dasjenige reichen, was der organische Magnetismus zu Tage gebracht hat. Chiffer . Eine andere Art aber sich zu verstän- digen ist geistreich und herzlich! Wenn bey der vorigen Ohr und Witz im Spiele war, so ist es hier ein zartliebender, ästhe- tischer Sinn, der sich der höchsten Dich- tung gleich stellt. Im Orient lernte man den Koran aus- wendig und so gaben die Suren und Verse, durch die mindeste Anspielung, ein leichtes Verständniss unter den Geübten. Das Glei- che haben wir in Deutschland erlebt, wo vor funfzig Jahren die Erziehung dahin ge- richtet war, die sämmtlichen Heranwach- senden bibelfest zu machen; man lernte nicht allein bedeutende Sprüche auswendig, sondern erlangte zugleich von dem übrigen genugsame Kenntniss. Nun gab es mehrere Menschen, die eine grosse Fertigkeit hatten auf alles was vorkam biblische Sprüche an- zuwenden und die heilige Schrift in der Conversation zu verbrauchen. Nicht zu läugnen ist, dass hieraus die witzigsten, anmuthigsten Erwiederungen entstanden, wie denn noch heutiges Tags gewisse ewig anwendbare Hauptstellen hie und da im Ge- spräch vorkommen. Gleicherweise bedient man sich classi- scher Worte, wodurch wir Gefühl und Er- eigniss als ewig wiederkehrend bezeichnen und aussprechen. Auch wir vor funfzig Jahren, als Jüng- linge, die einheimischen Dichter vereh- rend, belebten das Gedächtniss durch ihre Schriften und erzeigten ihnen den schön- sten Beyfall, indem wir unsere Gedanken durch ihre gewählten und gebildeten Worte ausdrückten und dadurch eingestanden dass sie besser als wir unser Innerstes zu ent- falten gewusst. Um aber zu unserm eigentlichen Zweck zu gelangen, erinnern wir an eine, zwar wohlbekannte, aber doch immer geheim- nissvolle Weise, sich in Chiffern mitzuthei- len. Wenn nämlich zwey Personen, die ein Buch verabreden und indem sie Seiten- und Zeilenzahl zu einem Briefe verbinden, gewiss sind, dass der Empfänger mit ge- ringem Bemühen den Sinn zusammen finden werde. Das Lied, welches wir mit der Rubrik Chiffer bezeichnet, will auf eine solche Verabredung hindeuten. Liebende werden einig Hafisens Gedichte zum Werkzeug ih- res Gefühlwechsels zu legen; sie bezeich- nen Seite und Zeile die ihren gegenwärti- gen Zustand ausdrückt, und so entstehen zusammengeschriebene Lieder vom schön- sten Ausdruck; herrliche zerstreute Stellen des unschätzbaren Dichters werden durch Leidenschaft und Gefühl verbunden, Nei- gung und Wahl verleihen dem Ganzen ein inneres Leben und die Entfernten finden ein tröstliches Ergeben, indem sie ihre Trauer mit Perlen seiner Worte schmücken. Dir zu eröffnen Mein Herz verlangt mich; Hört’ ich von deinem, Darnach verlangt mich; Wie blickt so traurig Die Welt mich an. In meinem Sinne Wohnet mein Freund nur, Und sonsten keiner Und keine Feindspur. Wie Sonnenaufgang Ward mir ein Vorsatz! Mein Leben will ich Nur zum Geschäfte Von seiner Liebe Von heut an machen. Ich denke seiner, Mir blutet’s Herz. Kraft hab’ ich keine Als ihn zu lieben, So recht im Stillen. Was soll das werden! Will ihn umarmen Und kann es nicht. Künftiger Divan . Man hat in Deutschland zu einer ge- wissen Zeit manche Druckschriften vertheilt, als Manuscript für Freunde . Wem dieses befremdlich seyn könnte, der bedenke dass doch am Ende jedes Buch nur für Theilnehmer, für Freunde, für Liebhaber des Verfassers geschrieben sey. Meinen Divan besonders möcht’ ich also bezeich- nen, dessen gegenwärtige Ausgabe nur als unvollkommen betrachtet werden kann. In jüngeren Jahren würd’ ich ihn länger zurück- gehalten haben, nun aber find’ ich es vor- theilhafter ihn selbst zusammenzustellen, als ein solches Geschäft, wie Hafis, den Nach- kommen zu hinterlassen. Denn eben dass dieses Büchlein so da steht, wie ich es jetzt mittheilen konnte, erregt meinen Wunsch ihm die gebührende Vollständigkeit nach und nach zu verleihen. Was davon allen- falls zu hoffen seyn möchte, will ich Buch für Buch der Reihe nach andeuten. Buch des Dichters . Hierin, wie es vorliegt, werden lebhafte Eindrücke man- cher Gegenstände und Erscheinungen auf Sinnlichkeit und Gemüth enthusiastisch aus- gedrückt und die näheren Bezüge des Dich- ters zum Orient angedeutet. Fährt er auf diese Weise fort, so kann der heitere Gar- ten aufs anmuthigste verziert werden; aber höchst erfreulich wird sich die Anlage er- weitern, wenn der Dichter nicht von sich und aus sich allein handeln wollte, viel- mehr auch seinen Dank, Gönnern und Freunden zu Ehren, ausspräche, um die Lebenden mit freundlichem Wort fest zu halten, die Abgeschiedenen ehrenvoll wie- der zurück zu rufen. Hiebey ist jedoch zu bedenken, dass der orientalische Flug und Schwung, jene reich und übermässig lobende Dichtart, dem Ge- fühl des Westländers vielleicht nicht zusagen möchte. Wir ergehen uns hoch und frey, ohne zu Hyperbeln unsre Zuflucht zu neh- men: denn wirklich nur eine reine, wohl- gefühlte Poesie vermag allenfalls die eigent- lichsten Vorzüge trefflicher Männer auszu- sprechen, deren Vollkommenheiten man erst recht empfindet, wenn sie dahin gegangen sind; wenn ihre Eigenheiten uns nicht mehr stören und das Eingreifende ihrer Wirkun- gen uns noch täglich und stündlich vor Augen tritt. Einen Theil dieser Schuld hatte der Dichter vor kurzem, bey einem herrlichen Feste in Allerhöchster Gegenwart, das Glück nach seiner Weise gemüthlich abzutragen. Das Buch Hafis . Wenn alle dieje- nigen, welche sich der arabischen und ver- wandter Sprachen bedienen, schon als Poe- ten geboren und erzogen werden, so kann man sich denken dass unter einer solchen Nation vorzügliche Geister ohne Zahl her- vorgehen. Wenn nun aber ein solches Volk in fünfhundert Jahren nur sieben Dichtern den ersten Rang zugesteht, so müssen wir einen solchen Ausspruch zwar mit Ehrfurcht annehmen, allein es wird uns zugleich vergönnt seyn nachzuforschen, worin ein solcher Vorzug eigentlich begründet seyn könne. Diese Aufgabe in sofern es möglich ist zu lösen, möchte wohl auch dem künftigen Divan vorbehalten seyn. Denn, um nur von Hafis zu reden, wächst Bewunderung und Neigung gegen ihn, jemehr man ihn kennen lernt. Das glücklichste Naturell, grosse Bildung, freye Facilität und die reine Ueberzeugung dass man den Menschen nur alsdann behagt, wenn man ihnen vorsingt was sie gern, leicht und bequem hören, wobey man ihnen denn auch etwas Schwe- res, Schwieriges, Unwillkommenes gele- gentlich mit unterschieben darf. Wenn Kenner im nachstehenden Liede Hafisens Bild einigermassen erblicken wollen, so würde den Westländer dieser Versuch ganz besonders erfreuen. An Hafis . Was alle wollen weisst du schon Und hast es wohl verstanden: Denn Sehnsucht hält, von Staub zu Thron, Uns all’ in strengen Banden. Es thut so weh, so wohl hernach, Wer sträubte sich dagegen? Und wenn den Hals der eine brach, Der andre bliebt verwegen. Verzeihe Meister, wie du weisst Dass ich mich oft vermesse, Wenn sie das Auge nach sich reisst Die wandelnde Cypresse. Wie Wurzelfasern schleicht ihr Fuss Und buhlet mit dem Boden; Wie leicht Gewölk verschmilzt ihr Gruss Wie Ost-Gekos ihr Oden. Das alles drängt uns ahndevoll, Wo Lock’ an Locke kräuselt, In brauner Fülle ringelnd schwoll, So dann im Winde säuselt. Nun öffnet sich die Stirne klar Dein Herz damit zu glätten, Vernimmst ein Lied so froh und wahr Den Geist darin zu betten. Und wenn die Lippen sich dabey Auf’s niedlichste bewegen, Sie machen dich auf einmal frey In Fesseln dich zu legen. Der Athem will nicht mehr zurück Die Seel’ zur Seele fliehend, Gerüche winden sich durchs Glück Unsichtbar wolkig ziehend. Doch wenn es allgewaltig brennt Dann greifst du nach der Schaale: Der Schenke läuft, der Schenke kömmt Zum erst- und zweytenmale. Sein Auge blitzt, sein Herz erbebt, Er hofft auf deine Lehren, Dich, wenn der Wein den Geist erhebt, Im höchsten Sinn zu hören. Ihm öffnet sich der Welten Raum Im Innern Heil und Orden, Es schwillt die Brust, es bräunt der Pflaum, Er ist ein Jüngling worden. 26 Und wenn dir kein Geheimniss blieb Was Herz und Welt enthalte, Dem Denker winkst du treu und lieb, Dass sich der Sinn entfalte. Auch dass vom Throne Fürstenhort Sich nicht für uns verliere, Giebst du dem Schach ein gutes Wort Und giebst es dem Veziere. Das alles kennst und singst du heut Und singst es morgen eben: So trägt uns freundlich dein Geleit Durchs rauhe, milde Leben. Buch der Liebe würde sehr an- schwellen, wenn sechs Liebespaare in ihren Freuden und Leiden entschiedener aufträ- ten und noch andere neben ihnen aus der düsteren Vergangenheit mehr oder weniger klar hervorgingen. Wamik und Asra z. B. von denen sich ausser den Namen keine weitere Nachricht findet, könnten folgender- massen eingeführt werden: Ja! Lieben ist ein gross Verdienst! Wer findet schöneren Gewinnst? — Du wirst nicht mächtig, wirst nicht reich; Jedoch den grössten Helden gleich. Man wird, so gut wie vom Propheten, Von Wamik und von Asra reden. — Nicht reden wird man, wird sie nennen: Die Namen müssen alle kennen. Was sie gethan, was sie geübt Das weiss kein Mensch! Dass sie geliebt Das wissen wir. Genug gesagt! Wenn man nach Wamik und Asra fragt. Nicht weniger ist dieses Buch geeignet zu symbolischer Abschweifung, deren man sich in den Feldern des Orients kaum ent- halten kann. Der geistreiche Mensch, nicht zufrieden mit dem was man ihm darstellt, betrachtet alles was sich den Sinnen dar- bietet, als eine Vermummung, wohinter ein höheres geistiges Leben sich schalkhaft-ei- gensinnig verstekt, um uns anzuziehen und in edlere Regionen aufzulocken. Verfährt hier der Dichter mit Bewusstseyn und Maass, so kann man es gelten lassen, sich daran freuen und zu entschiedenerem Auffluge die Fittige versuchen. 26 * Buch der Betrachtungen erwei- tert sich jeden Tag demjenigen der im Orient hauset; denn alles ist dort Betrachtung, die zwischen dem Sinnlichen und Uebersinnli- chen hin und her wogt, ohne sich für eins oder das andere zu entscheiden. Dieses Nachdenken, wozu man aufgefordert wird, ist von ganz eigner Art; es widmet sich nicht allein der Klugheit, obgleich diese die stärksten Forderungen macht, sondern es wird zugleich auf jene Puncte geführt, wo die seltsamsten Probleme des Erde-Le- bens strack und unerbittlich vor uns stehen und uns nöthigen dem Zufall, einer Vor- sehung und ihren unerforschlichen Rath- schlüssen die Knie zu beugen und unbe- dingte Ergebung als höchstes politisch-sitt- lich-religionses Gesetz auszusprechen. Buch des Unmuths . Wenn die übrigen Bücher anwachsen, so erlaubt man auch wohl diesem das gleiche Recht. Erst müssen sich anmuthige, liebevolle, verstän- dige Zuthaten versammlen, eh die Ausbrü- che des Unmuths erträglich seyn können. Allgemein menschliches Wohlwollen, nach- sichtiges hülfreiches Gefühl verbindet den Himmel mit der Erde und bereitet ein den Menschen gegönntes Paradies. Dagegen ist der Unmuth stets egoistisch, er besteht auf Forderungen, deren Gewährung ihm aussen blieb; er ist anmasslich, abstossend und er- freut niemand, selbst diejenigen kaum die von gleichem Gefühl ergriffen sind. Dem- ungeachtet aber kann der Mensch solche Explosionen nicht immer zurückhalten, ja er thut wohl, wenn er seinem Verdruss, besonders über verhinderte, gestörte Thätig- keit, auf diese Weise Luft zu machen trach- tet. Schon jetzt hätte dies Buch viel stär- ker und reicher seyn sollen; doch haben wir manches, um alle Missstimmung zu verhüten, bey Seite gelegt. Wie wir denn hierbey bemerken dass dergleichen Äusse- rungen, welche für den Augenblick bedenk- lich scheinen, in der Folge aber, als unver- fänglich, mit Heiterkeit und Wohlwollen aufgenommen werden, unter der Rubrik Paralipomena künftigen Jahren aufge- spart worden. Dagegen ergreifen wir diese Gelegen- heit von der Anmassung zu reden, und zwar vorerst, wie sie im Orient zur Erscheinung kommt. Der Herrscher selbst ist der erste Anmassliche, der die übrigen alle auszu- schliessen scheint. Ihm stehen alle zu Dienst, er ist Gebieter sein selbst, niemand gebie- tet ihm, und sein eigner Wille erschafft die übrige Welt, so dass er sich mit der Sonne, ja mit dem Weltall vergleichen kann. Auf- fallend ist es jedoch, dass er eben dadurch genöthigt ist sich einen Mitregenten zu erwählen, der ihm in diesem unbegränzten Felde beystehe, ja ihn ganz eigentlich auf dem Weltenthrone erhalte. Es ist der Dichter, der mit und neben ihm wirkt und ihn über alle Sterbliche erhöht. Sammlen sich nun an seinem Hofe viele dergleichen Talente, so giebt er ihnen einen Dichterkönig, und zeigt dadurch, dass er das höchste Talent für sei- nes Gleichen anerkenne. Hierdurch wird der Dichter aber aufgefordert, ja verleitet, eben so hoch von sich zu denken als von dem Fürsten, und sich im Mitbesitz der grössten Vorzüge und Glückseligkeiten zu fühlen. Hierin wird er bestärkt durch die gränzenlosen Geschenke die er erhält, durch den Reichthum den er sammelt, durch die Einwirkung die er ausübt. Auch setzt er sich in dieser Denkart so fest, dass ihn irgend ein Misslingen seiner Hoffnungen bis zum Wahnsinn treibt. Firdusi erwartet für sein Schah Nameh, nach einer früheren Aeusserung des Kaisers, sechzig tausend Goldstücke; da er aber dagegen nur sech- zig tausend Silberstücke erhält, eben da er sich im Bade befindet, theilt er die Summe in drey Theile, schenkt einen dem Bothen, einen dem Bademeister und den dritten dem Sorbetschenken, und vernichtet sogleich, mit wenigen ehrenrührigen Schmähzeilen, alles Lob was er seit so vielen Jahren dem Schah gespendet. Er entflieht, verbirgt sich, widerruft nicht, sondern trägt seinen Hass auf die Seinigen über, so dass seine Schwester ein ansehnliches Geschenk, vom begütigten Sultan abgesendet, aber leider erst nach des Bruders Tode ankommend, gleichfalls verschmäht und abweist. Wollten wir nun das alles weiter ent- wicklen, so würden wir sagen dass vom Thron, durch alle Stufen hinab, bis zum Derwisch an der Strassenecke, alles voller Anmassung zu finden sey, voll weltlichen und geistlichen Hochmuths, der auf die geringste Veranlassung sogleich gewaltsam hervorspringt. Mit diesem sittlichen Gebrechen, wenn mans dafür halten will, sieht es im West- lande gar wunderlich aus. Bescheidenheit ist eigentlich eine gesellige Tugend, sie deutet auf grosse Ausbildung; sie ist eine Selbstverleugnung nach aussen, welche, auf einem grossen innern Werthe ruhend, als die höchste Eigenschaft des Menschen an- gesehen wird. Und so hören wir, dass die Menge immer zuerst an den vorzüglichsten Menschen die Bescheidenheit preist, ohne sich auf ihre übrigen Qualitäten sonderlich einzulassen. Bescheidenheit aber ist immer mit Verstellung verknüpft und eine Art Schmeicheley, die um desto wirksamer ist als sie ohne Zudringlichkeit dem andern wohlthut, indem sie ihn in seinem behag- lichen Selbstgefühle nicht irre macht. Alles aber was man gute Gesellschaft nennt, be- steht in einer immer wachsenden Vernei- nung sein selbst, so dass die Societät zu- letzt ganz Null wird; es müsste denn das Talent sich ausbilden, dass wir, indem wir unsere Eitelkeit befriedigen, der Eitelkeit des andern zu schmeicheln wissen. Mit den Anmassungen unsers westli- chen Dichters aber möchten wir die Lands- leute gern versöhnen. Eine gewisse Auf- schneiderey durfte dem Divan nicht fehlen, wenn der orientalische Charakter einiger- massen ausgedrückt werden sollte. In die unerfreuliche Anmassung gegen die höheren Stände konnte der Dichter nicht verfallen. Seine glückliche Lage über- hob ihn jedes Kampfes mit Despotismus. In das Lob, das er seinen fürstlichen Ge- bietern zollen könnte, stimmt ja die Welt mit ein. Die hohen Personen, mit denen er sonst in Verhältniss gestanden, pries und preist man noch immer. Ja man kann dem Dichter vorwerfen, dass der enkomiastische Theil seines Divans nicht reich genug sey. Was aber das Buch des Unmuths be- trifft, so möchte man wohl einiges daran zu tadeln finden. Jeder Unmuthige drückt zu deutlich aus, dass seine persönliche Er- wartung nicht erfüllt, sein Verdienst nicht anerkannt sey. So auch er! Von oben herein ist er nicht beengt, aber von unten und von der Seite leidet er. Eine zudring- liche, oft platte, oft tückische Menge, mit ihren Chorführern, lähmt seine Thätigkeit; erst waffnet er sich mit Stolz und Verdruss, dann aber, zu scharf gereizt und gepresst, fühlt er Stärke genug sich durch sie durch- zuschlagen. Sodann aber werden wir ihm zuge- stehen, dass er mancherley Anmassungen dadurch zu mildern weiss, dass er sie, ge- fühlvoll und kunstreich, zuletzt auf die Ge- liebte bezieht, sich vor ihr demüthigt, ja vernichtet. Herz und Geist des Lesers wird ihm dieses zu gute schreiben. Buch der Sprüche , sollte vor an- dern anschwellen; es ist mit den Büchern der Betrachtung und des Unmuths ganz nahe verwandt. Orientalische Sprüche jedoch be- halten den eigenthümlichen Charakter der ganzen Dichtkunst, dass sie sich sehr oft auf sinnliche, sichtbare Gegenstände bezie- hen; und es finden sich viele darunter, die man mit Recht lakonische Parablen nen- nen könnte. Diese Art bleibt dem West- länder die schwerste, weil unsere Umge- bung zu trocken, geregelt und prosaisch erscheint. Alte deutsche Sprichwörter je- doch, wo sich der Sinn zum Gleichniss umbildet, können hier gleichfalls unser Muster seyn. Buch des Timur . Sollte eigentlich erst gegründet werden, und vielleicht müss- ten ein paar Jahre hingehen, damit uns die allzunah liegende Deutung ein erhöhtes An- schaun ungeheurer Weltereignisse nicht mehr verkümmerte. Erheitert könnte diese Tragödie werden, wenn man des fürchter- lichen Weltverwüsters launigen Zug- und Zeltgefährten Nussreddin Chodscha von Zeit zu Zeit auftreten zu lassen sich ent- schlösse. Gute Stunden, freyer Sinn wer- den hiezu die beste Förderniss verleihen. Ein Musterstück der Geschichtchen die zu uns herüber gekommen, fügen wir bey. Timur war ein hässlicher Mann; er hatte ein blindes Auge und einen lahmen Fuss. Indem nun eines Tags Chodscha um ihn war, kratzte sich Timur den Kopf, denn die Zeit des Barbierens war gekom- men, und befahl der Barbier solle geru- fen werden. Nachdem der Kopf gescho- ren war, gab der Barbier, wie gewöhnlich, Timur den Spiegel in die Hand. Timur sah sich im Spiegel und fand sein Ansehn gar zu hässlich. Darüber fing er an zu wei- nen, auch der Chodscha hub an zu weinen, und so weinten sie ein paar Stunden. Hier- auf trösteten einige Gesellschafter den Ti- mur und unterhielten ihn mit sonderbaren Erzählungen, um ihn alles vergessen zu machen. Timur hörte auf zu weinen, der Chodscha aber hörte nicht auf sondern fing erst recht an stärker zu weinen. Endlich sprach Timur zum Chodscha: höre! ich habe in den Spiegel geschaut und habe mich sehr hässlich gesehen, darüber be- trübte ich mich, weil ich nicht allein Kaiser bin, sondern auch viel Vermö- gen und Sclavinnen habe, daneben aber so hässlich bin, darum habe ich geweint. Und warum weinst du noch ohne Aufhören? Der Chodscha antwortete: wenn du nur einmal in den Spiegel gesehen und bei Be- schauung deines Gesichts es gar nicht hast aushalten können dich anzusehen, sondern darüber geweint hast, was sollen wir denn thun, die wir Nacht und Tag dein Gesicht anzusehen baben? Wenn wir nicht weinen, wer soll denn weinen! desshalb habe ich geweint. — Timur kam vor Lachen ausser sich. Buch Suleika Dieses, ohnehin das stärkste der ganzen Sammlung, möchte wohl für abgeschlossen anzusehen seyn. Der Hauch und Geist einer Leidenschaft, der durch das Ganze weht, kehrt nicht leicht wieder zurück, wenigstens ist dessen Rück- kehr, wie die eines guten Weinjahres, in Hoffnung und Demuth zu erwarten. Ueber das Betragen des westlichen Dichters aber, in diesem Buche dürfen wir einige Betrachtungen anstellen. Nach dem Beyspiele mancher östlichen Vorgänger hält er sich entfernt vom Sultan. Als genüg- samer Derwisch darf er sich sogar dem Fürsten vergleichen; denn der gründliche Bettler soll eine Art von König seyn. Ar- muth giebt Verwegenheit. Irdische Gü- ter und ihren Werth nicht anzuerkennen, nichts oder wenig davon zu verlangen ist sein Entschluss, der das sorgloseste Behagen erzeugt. Statt einen angstvollen Besitz zu suchen, verschenkt er in Gedanken Län- der und Schätze, und spottet über den der sie wirklich besass und verlor. Eigentlich aber hat sich unser Dichter zu einer frey- willigen Armuth bekannt, um desto stol- zer aufzutreten, dass es ein Mädchen ge- be, die ihm desswegen doch hold und ge- wärtig ist. Aber noch eines grössern Mangels rühmt er sich: ihm entwich die Jugend; sein Alter, seine grauen Haare schmückt er mit der Liebe Suleikas, nicht gecken- haft zudringlich, nein! ihrer Gegenliebe gewiss. Sie, die Geistreiche, weiss den Geist zu schätzen, der die Jugend früh zeitigt und das Alter verjüngt. Das Schenken-Buch . Weder die unmässige Neigung zu dem halb verbote- nen Weine, noch das Zartgefühl für die Schönheit eines heranwachsenden Knaben durfte im Divan vermisst werden; letzte- res wollte jedoch unseren Sitten gemäss in aller Reinheit behandelt seyn. Die Wechselneigung des früheren und späteren Alters deutet eigentlich auf ein ächt pädagogisches Verhältniss. Eine lei- denschaftliche Neigung des Kindes zum Greise ist keineswegs eine seltene, aber selten benutzte Erscheinung. Hier gewahre man den Bezug des Enkels zum Grossva- ter, des spätgebornen Erben zum über- raschten zärtlichen Vater. In diesem Ver- hältniss entwickelt sich eigentlich der Klugsinn der Kinder; sie sind aufmerksam auf Würde, Erfahrung, Gewalt des Aelte- ren; rein geborne Seelen empfinden dabey das Bedürfniss einer ehrfurchtsvollen Nei- gung; das Alter wird hievon ergriffen und festgehalten. Empfindet und benutzt die Jugend ihr Uebergewicht um kindliche Zwecke zu erreichen, kindische Bedürfnisse zu befriedigen, so versöhnt uns die An- muth mit frühzeitiger Schalkheit. Höchst rührend aber bleibt das heranstrebende Ge- fühl des Knaben, der, von dem hohen Gei- ste des Alters erregt, in sich selbst ein Staunen fühlt, das ihm weissagt, auch der- gleichen könne sich in ihm entwickeln. Wir versuchten so schöne Verhältnisse im Schenkenbuche anzudeuten und gegenwär- tig weiter auszulegen. Saadi hat jedoch uns einige Beyspiele erhalten, deren Zart- heit, gewiss allgemein anerkannt, das voll- kommenste Verständniss eröffnet. Folgendes nämlich erzählt er in seinem Rosengarten: „Als Mahmud der König zu Chuaresm mit dem König von Chattaj Friede machte, bin ich zu Kaschker (einer Stadt der Usbeken oder Tartern) in die Kirche gekommen, woselbst, wie ihr wisst, auch Schule gehalten wird, und habe allda einen Knaben gesehen, wunderschön von Gestalt und Angesicht. Dieser hatte eine Grammatik in der Hand um die Sprache rein und gründlich zu lernen; er las laut und zwar ein Exempel von einer Regel: sarab Seidon Amran . Seidon hat Am- ran geschlagen oder bekriegt. Amran ist der Accusativus. (Diese beiden Namen ste- hen aber hier zu allgemeiner Andeutung von Gegnern, wie die Deutschen sagen: Hinz oder Kunz.) Als er nun diese Worte einigemal wiederholt hatte, um sie dem Gedächtniss einzuprägen, sagte ich: es ha- ben ja Chuaresm und Chattaj endlich Friede gemacht, sollen denn Seidon und Amran stets Krieg gegeneinander führen? Der Knabe lachte allerliebst und fragte was ich für ein Landsmann sey? und als ich antwortete: von Schiras, fragte er: ob ich nicht etwas von Saadis Schriften auswendig könnte, da ihm die persische Sprache sehr wohl gefalle? Ich antwortete: gleichwie dein Ge- müth aus Liebe gegen die reine Sprache sich der Grammatik ergeben hat, also ist auch mein Herz der Liebe zu dir völlig ergeben, so dass deiner Natur Bildniss das Bildniss meines Verstandes entraubet. Er betrachtete mich mit Aufmerksamkeit, als wollt’ er forschen, ob das was ich sagte Worte des Dichters, oder meine eignen Gefühle seyen; ich aber fuhr fort: du hast das Herz eines Liebhabers in dein Netz gefangen, wie Seidon. Wir gingen gerne mit dir um, aber du bist gegen uns, wie Seidon gegen Amron, abgeneigt und feind- lich. Er aber antwortete mir mit einiger bescheidenen Verlegenheit in Versen aus meinen eignen Gedichten und ich hatte den Vortheil ihm auf eben die Weise das allerschönste sagen zu können, und so lebten wir einige Tage in anmuthigen Un- terhaltungen. Als aber der Hof sich wie- 27 der zur Reise beschickt und wir willens waren den Morgen früh aufzubrechen, sagte einer von unsern Gefährten zu ihm: das ist Saadi selbst nach dem du gefragt hast. Der Knabe kam eilend gelaufen, stellte sich mit aller Ehrerbietung gar freundlich gegen mir an und wünschte, dass er mich doch eher gekannt kätte, und sprach: wa- rum hast du diese Tage her mir nicht of- fenbaren und sagen wollen, ich bin Saadi, damit ich dir gebührende Ehre nach mei- nem Vermögen anthun und meine Dienste vor deinen Füssen demüthigen können. Aber ich antwortete: indem ich dich an- sah, kannte ich das Wort, ich bin’s , nicht aus mir bringen, mein Herz brach auf ge- gen dir als eine Rose die zu blühen be- ginnt. Er sprach ferner, ob es denn nicht möglich wäre dass ich noch etliche Tage daselbst verharrte, damit er etwas von mir in Kunst und Wissenschaft lernen könnte; aber ich antwortete: es kann nicht seyn: denn ich sehe hier vortreff- liche Leute zwischen grossen Bergen sit- zen, mir aber gefällt, mich vergnügt nur eine Höhle in der Welt zu haben und da- selbst zu verweilen. Und als er mir dar- auf etwas betrübt vorkam, sprach ich: wa- rum er sich nicht in die Stadt begebe, wo- selbst er sein Herz vom Bande der Trau- rigkeit befreien und fröhlicher leben könn- te. Er antwortete: da sind zwar viel schöne und anmuthige Bilder, es ist aber auch kothig und schlüpfrig in der Stadt, dass auch wohl Elephanten gleiten und fallen könnten. Und so würd’ auch ich, bei Anschauung böser Exempel, nicht auf festem Fusse bleiben. Als wir so gespro- chen, küssten wir uns darauf Kopf und Angesicht und nahmen unsern Abschied. Da wurde denn wahr was der Dichter sagt: Liebende sind im Scheiden dem schönen Apfel gleich; Wange die sich an Wange drückt wird vor Lust und Leben roth; die andere hingegen ist bleich wie Kummer und Krankheit.“ An einem andern Orte erzählt dersel- bige Dichter: „In meinen jungen Jahren pflog ich mit einem Jüngling meines Gleichen auf- richtige beständige Freundschaft. Sein Antlitz war meinen Augen die Himmelsre- 27 * gion, wohin wir uns, im Beten, als zu ei- nem Magnet wenden. Seine Gesellschaft war von meines ganzen Lebens-Wandel und Handel der beste Gewinn. Ich halte davor, dass keiner unter den Menschen, (unter den Engeln möchte es allenfalls seyn,) auf der Welt gewesen der sich ihm hätte vergleichen können an Gestalt, Auf- richtigkeit und Ehre. Nachdem ich sol- cher Freundschaft genossen, hab’ ich es verredet und es däucht mir unbillig zu seyn nach seinem Tode meine Liebe einem an- dern zuzuwenden. Ohngefähr gerieth sein Fuss in die Schlinge seines Verhängnisses, dass er schleunigst ins Grab musste. Ich habe eine gute Zeit auf seinem Grabe als ein Wächter gesessen und gelegen und gar viele Trauerlieder über seinen Tod und unser Scheiden ausgesprochen, welche mir und andern noch immer rührend bleiben.“ Buch der Parabeln . Obgleich die westlichen Nationen vom Reichthum des Orients sich vieles zugeeignet, so wird sich doch hier noch manches einzuerndten finden, welches näher zu bezeichnen wir folgendes eröffnen. Die Parabeln sowohl als andere Dicht- arten des Orients, die sich auf Sittlichkeit beziehen, kann man in drei verschiedene Rubriken nicht ungeschickt eintheilen: in ethische, moralische und ascetische. Die ersten enthalten Ereignisse und Andeutun- gen, die sich auf den Menschen überhaupt und seine Zustände beziehen, ohne dass dabey ausgesprochen werde was gut oder bös sey. Dieses aber wird durch die zwei- ten vorzüglich herausgesetzt und dem Hö- rer eine vernünftige Wahl vorbereitet. Die dritte hingegen fügt noch eine entschiedene Nöthigung hinzu: die sittliche Anregung wird Gebot und Gesetz. Diesen lässt sich eine vierte anfügen, sie stellen die wunder- baren Führungen und Fügungen dar, die aus unerforschlichen, unbegreiflichen Rath- schlüssen Gottes hervor gehen; lehren und bestätigen den eigentlichen Islam, die un- bedingte Ergebung in den Willen Gottes, die Ueberzeugung, dass niemand seinem einmal bestimmten Loose ausweichen kön- ne. Will man noch eine fünfte hinzuthun, welche man die mystische nennen müsste: sie treibt den Menschen aus dem vorher- gehenden Zustand, der noch immer ängst- lich und drückend bleibt, zur Vereinigung mit Gott schon in diesem Leben und zur vorläufigen Entsagung derjenigen Güter, deren allenfallsiger Verlust uns schmerzen könnte. Sondert man die verschiedenen Zwecke bey allen bildlichen Darstellungen des Orients, so hat man schon viel gewon- nen, indem man sich sonst in Vermischung derselben immer gehindert fühlt, bald eine Nutzanwendung sucht, wo keine ist, dann aber eine tieferliegende Bedeutung über- sicht. Auffallende Beyspiele sämmtlicher Arten zu geben, müsste das Buch der Pa- rabeln interessant und lehrreich machen. Wohin die von uns diessmal vorgetragenen zu ordnen seyn möchten, wird dem ein- sichtigen Leser überlassen. Buch des Parsen . Nur vielfache Ableitungen haben den Dichter verhindert die so abstrakt scheinende und doch so praktisch eingreifende Sonn- und Feuer- Verehrung in ihrem ganzen Umfange dich- terisch darzustellen, wozu der herrlichste Stoff sich anbietet. Möge ihm gegönnt seyn, das Versäumte glücklich nachzu- holen. Buch des Paradieses . Auch diese Region des Mahometanischen Glaubens hat noch viele wunderschöne Plätze, Paradiese im Paradiese, dass man sich daselbst gern ergehen, gern ansiedlen möchte. Scherz und Ernst verschlingen sich hier so lieb- lich in einander, und ein verklärtes Alltäg- liche verleiht uns Flügel zum Höheren und Höchsten zu gelangen. Und was sollte den Dichter hindern, Mahomets Wunderpferd zu besteigen und sich durch alle Himmel zu schwingen? warum sollte er nicht ehr- furchtsvoll jene heilige Nacht feyern, wo der Koran vollständig dem Propheten von obenher gebracht ward? Hier ist noch gar Manches zu gewinnen. Alt-Testamentliches . Nachdem ich mir nun mit der süssen Hoffnung geschmeichelt sowohl für den Divan als für die beygefügten Erklärungen in der Folge noch manches wirken zu kön- nen, durchlaufe ich die Vorarbeiten, die, ungenutzt und unausgeführt, in zahllosen Blättern vor mir liegen; und da find’ ich denn einen Aufsatz, vor fünf und zwan- zig Jahren geschrieben, auf noch ältere Papiere und Studien sich beziehend. Aus meinen biographischen Versuchen werden sich Freunde wohl erinnern, dass ich dem ersten Buch Mosis viel Zeit und Aufmerksamkeit gewidmet, und manchen jugendlichen Tag entlang in den Paradie- sen des Orients mich ergangen. Aber auch den folgenden historischen Schriften war Neigung und Fleiss zugewendet. Die vier letzten Bücher Mosis nöthigten zu pünct- lichen Bemühungen, und nachstehender Aufsatz enthält die wunderlichen Resultate derselben. Mag ihm nun an dieser Stelle ein Platz gegönnt seyn. Denn wie alle unsere Wanderungen im Orient durch die heiligen Schriften veranlasst worden, so kehren wir immer zu denselben zurück, als den erquicklichsten, obgleich hie und da getrübten, in die Erde sich verbergen- den, sodann aber rein und frisch wieder hervorspringenden Quellwassern. Israel in der Wüste . „Da kam ein neuer König auf in Egypten, der wusste nichts von Joseph.“ Wie dem Herrscher so auch dem Volke war das Andenken seines Wohlthäters ver- schwunden, den Israeliten selbst scheinen die Namen ihrer Urväter nur wie alt her- kömmliche Klänge von weitem zu tönen. Seit vier hundert Jahren hatte sich die kleine Familie unglaublich vermehrt. Das Versprechen, ihrem grossen Ahnherren von Gott unter so vielen Unwahrscheinlichkei- ten gethan, ist erfüllt; allein was hilft es ih- nen! Gerade diese grosse Zahl macht sie den Haupteinwohnern des Landes verdäch- tig. Man sucht sie zu quälen, zu ängsti- gen, zu belästigen, zu vertilgen, und so sehr sich auch ihre hartnäckige Natur da- gegen wehrt, so sehen sie doch ihr gänz- liches Verderben wohl voraus, als man sie, ein bisheriges freyes Hirtenvolk, nöthiget in und an ihren Grenzen mit eignen Hän- den feste Städte zu bauen, welche offenbar zu Zwing- und Kerkerplätzen für sie be- stimmt sind. Hier fragen wir nun, ehe wir weiter gehen und uns durch sonderbar, ja unglück- lich redigirte Bücher mühsam durcharbei- ten; was wird uns denn als Grund, als Urstoff von den vier letzten Büchern Mo- sis übrig bleiben, da wir manches dabey zu erinnern, manches daraus zu entfernen für nöthig finden? Das eigentliche, einzige und tiefste Thema der Welt- und Menschengeschichte, dem alle übrigen untergeordnet sind, bleibt der Conflict des Unglaubens und Glaubens. Alle Epochen, in welchen der Glaube herrscht, unter welcher Gestalt er auch wolle, sind glänzend, herzerhebend und fruchtbar für Mitwelt und Nachwelt. Alle Epochen dagegen in welchen der Unglau- be, in welcher Form es sey, einen küm- merlichen Sieg behauptet, und wenn sie auch einen Augenblick mit einem Schein- glanze prahlen sollten, verschwinden vor der Nachwelt, weil sich niemand gern mit Erkenntniss des Unfruchtbaren abquälen mag. Die vier letzten Bücher Mosis haben, wenn uns das erste den Triumph des Glau- bens darstellte, den Unglauben zum Thema, der, auf die kleinlichste Weise, den Glau- ben, der sich aber freylich auch nicht in seiner ganzen Fülle zeigt, zwar nicht be- streitet und bekämpft, jedoch sich ihm von Schritt zu Schritt in den Weg schiebt, und oft durch Wohlthaten, öfter aber noch durch greuliche Strafen nicht geheilt, nicht ausgerottet, sondern nur augenblick- lich beschwichtigt wird, und desshalb seinen schleichenden Gang dergestalt im- mer fortsetzt, dass ein grosses, edles, auf die herrlichsten Verheissungen eines zuver- lässigen Nationalgottes unternommenes Ge- schäft gleich in seinem Anfange zu schei- tern droht, und auch niemals in seiner ganzen Fülle vollendet werden kann. Wenn uns das Ungemüthliche dieses Inhalts, der, wenigstens für den ersten Anblick, verworrene, durch das Ganze lau- fende Grundfaden unlustig und verdriess- lich macht, so werden diese Bücher durch eine höchst traurige, unbegreifliche Redac- tion ganz ungeniessbar. Den Gang der Geschichte sehen wir überall gehemmt durch eingeschaltete zahllose Gesetze, von deren grösstem Theil man die eigentliche Ursache und Absicht nicht einsehen kann, wenigstens nicht warum sie in dem Augen- blick gegeben worden, oder, wenn sie spä- tern Ursprungs sind, warum sie hier ange- führt und eingeschaltet werden. Man sieht nicht ein, warum bey einem so ungeheuren Feldzuge, dem ohnehin so viel im Wege stand, man sich recht absichtlich und kleinlich bemüht, das religiöse Ceremonien-Gepäck zu vervielfältigen, wodurch jedes Vorwärts- kommen nnendlich erschwert werden muss. Man begreift nicht, warum Gesetze für die Zukunft, die noch völlig im Ungewis- sen schwebt, zu einer Zeit ausgesprochen werden, wo es jeden Tag, jede Stunde an Rath und That gebricht, und der Heerfüh- rer, der auf seinen Füssen stehen sollte, sich wiederholt aufs Angesicht wirft, um Gnaden und Strafen von oben zu erflehen, die beyde nur verzettelt gereicht werden, so dass man mit dem verirrten Volke den Hauptzweck völlig aus den Augen ver- liert. Um mich nun in diesem Labyrinthe zu finden, gab ich mir die Mühe, sorgfäl- tig zu sondern, was eigentliche Erzählung ist, es mochte nun für Historie für Fabel, oder für beides zusammen, für Poesie gel- ten. Ich sonderte dieses von dem was ge- lehret und geboten wird. Unter dem er- sten verstehe ich das, was allen Ländern, allen sittlichen Menschen gemäss seyn würde, und unter dem zweyten, was das Volk Israels besonders angeht und verbin- det. In wiefern mir das gelungen, wage ich selbst kaum zu beurtheilen, indem ich gegenwärtig nicht in der Lage bin, jene Studien nochmals vorzunehmen, sondern was ich hieraus aufzustellen gedenke, aus frühere nund späteren Papieren, wie es der Augenblick erlaubt, zusammentrage. Zwey Dinge sind es daher, auf die ich die Auf- merksamkeit meiner Leser zu richten wünsch- te. Erstlich, auf die Entwickelung der ganzen Begebenheit dieses wunderlichen Zugs aus dem Charakter des Feldherrn, der Anfangs nicht in dem günstigsten Lichte erscheint, und zweytens auf die Vermu- thung, dass der Zug keine vierzig, sondern kaum zwey Jahre gedauert; wodurch denn eben der Feldherr, dessen Betragen wir zuerst tadeln mussten, wieder gerechtfer- tigt und zu Ehren gebracht, zugleich aber auch die Ehre des Nationalgottes gegen den Unglimpf einer Härte, die noch uner- freulicher ist als die Halsstarrigkeit eines Volks, gerettet und beynah in seiner frü- hern Reinheit wieder hergestellt wird. Erinnern wir uns nun zuerst des Israe- litischen Volkes in Aegypten, an dessen bedrängter Lage die späteste Nachwelt auf- gerufen ist Theil zu nehmen. Unter diesem Geschlecht, aus dem gewaltsamen Stamme Levi, tritt ein gewaltsamer Mann hervor; lebhaftes Gefühl von Recht und Unrecht bezeichnen denselben. Würdig seiner grim- migen Ahnherren erscheint er, von denen der Stammvater ausruft: „Die Brüder Si- meon und Levi! ihre Schwerter sind mör- derische Waffen, meine Seele komme nicht in ihren Rath und meine Ehre sey nicht in ihrer Versammlung! denn in ihrem Zorn haben sie den Mann erwürgt und in ihrem Muthwillen haben sie den Ochsen verderbt! Verflucht sey ihr Zorn, dass er so heftig ist, und ihr Grimm, dass er so störrig ist! Ich will sie zerstreuen in Jakob und zer- streuen in Israel.“ Völlig nun in solchem Sinne kündigt sich Moses an. Den Egypter, der einen Israeliten misshandelt, erschlägt er heimlich. Sein patriotischer Meuchelmord wird ent- deckt und er muss entfliehen. Wer, eine solche Handlung begehend, sich als blossen Naturmenschen darstellt, nach dessen Er- ziehung hat man nicht Ursache zu fragen. Er sey von einer Fürstin als Knabe begün- stigt, er sey am Hofe erzogen worden; nichts hat auf ihn gewirkt; er ist ein treff- licher, starker Mann geworden, aber unter allen Verhältnissen roh geblieben. Und als einen solchen kräftigen, kurz gebundenen, verschlossenen, der Mittheilung unfähigen finden wir ihn auch in der Verbannung wieder. Seine kühne Faust erwirbt ihm die Neigung eines Midianitischen Fürsten- priesters, der ihn sogleich mit seiner Fa- milie verbindet. Nun lernt er die Wüste kennen, wo er künftig in dem beschwerli- chen Amte eines Heerführers auftreten soll. Und nun lasset uns vor allen Dingen einen Blick auf die Midianiten werfen, un- ter welchen sich Moses gegenwärtig befin- det. Wir haben sie als ein grosses Volk anzuerkennen, das, wie alle nomadischen und handlenden Völker, durch mannigfaltige Beschäftigung seiner Stämme, durch eine bewegliche Ausbreitung, noch grösser er- scheint als es ist. Wir finden die Midiani- ten am Berge Horeb, an der westlichen Seite des kleinen Meerbusens und sodann bis gegen Moab und den Arnon. Schon zeitig fanden wir sie als Handelsleute, die selbst durch Canaan caravanenweis nach Aegypten ziehn. Unter einem solchen gebildeten Volke lebt nunmehr Moses, aber auch als ein ab- gesonderter, verschlossener Hirte. In dem traurigsten Zustande, in welchem ein treff- licher Mann sich nur befinden mag, der, nicht zum Denken und Ueberlegen gebo- ren, bloss nach That strebt, sehen wir ihn einsam in der Wüste, stets im Geiste be- schäftigt mit den Schicksalen seines Volks, immer zu dem Gott seiner Ahnherren gewen- det, ängstlich die Verbannung fühlend, aus einem Lande, das, ohne der Väter Land zu seyn, doch gegenwärtig das Vaterland seines Volks ist. Zu schwach durch seine Faust in diesem grossen Anliegen zu wir- ken, unfähig einen Plan zu entwerfen, und, wenn er ihn entwürfe, ungeschickt zu je- der Unterhandlung, zu einem, die Persön- lichkeit begünstigenden, zusammenhangen- den mündlichen Vortrag. Kein Wunder wär’ es wenn in solchem Zustande eine so starke Natur sich selbst verzehrte. Einigen Trost kann ihm in dieser Lage die Verbindung geben, die ihm, durch hin 28 und wiederziehende Caravanen, mit den Seinigen erhalten wird. Nach manchem Zweifel und Zögern entschliesst er sich zu- rückzukehren und des Volkes Retter zu werden. Aaron, sein Bruder, kommt ihm entgegen, und nun erfährt er, dass die Gährung im Volke aufs höchste gestiegen sey. Jetzt dürfen es beide Brüder wagen, sich als Repräsentanten vor den König zu stellen. Allein dieser zeigt sich nichts we- niger als geneigt, eine grosse Anzahl Men- schen, die sich seit Jahrhunderten in sei- nem Lande, aus einem Hirtenvolk, zum Acker- bau, zu Handwerken und Künsten gebildet, sich mit seinen Unterthanen vermischt ha- ben, und deren ungeschlachte Masse we- nigstens bey Errichtung ungeheurer Monu- mente, bey Erbauung neuer Städte und Festen, frohnweis wohl zu gebrauchen ist, nunmehr so leicht wieder von sich, und in ihre alte Selbstständigkeit zurückzulassen. Das Gesuch wird also abgewiesen, und, bey einbrechenden Landplagen, immer drin- gender wiederholt, immer hartnäckiger ver- sagt. Aber das aufgeregte hebräische Volk, in Aussicht auf ein Erbland, das ihm eine uralte Ueberlieferung verhiess, in Hoffnung der Unabhängigkeit und Selbstbeherrschung, erkennt keine weiteren Pflichten. Unter dem Schein eines allgemeinen Festes lockt man Gold- und Silbergeschirre den Nach- barn ab, und in dem Augenblick da der Aegypter den Israeliten mit harmlosen Gast- malen beschäftigt glaubt, wird eine umge- kehrte sicilianische Vesper unternommen; der Fremde ermordet den Einheimischen, der Gast den Wirth, und, geleitet durch eine grausame Politik, erschlägt man nur den Erstgebornen, um, in einem Lande, wo die Erstgeburt so viele Rechte geniesst, den Eigennutz der Nachgebornen zu be- schäftigen, und der augenblicklichen Rache durch eine eilige Flucht entgehen zu kön- nen. Der Kunstgriff gelingt, man stösst die Mörder aus, anstatt sie zu bestrafen. Nur spät versammelt der König sein Heer, aber die, den Fussvölkern sonst so fürch- terlichen, Reiter und Sichelwagen streiten auf einem sumpfigen Boden einen unglei- chen Kampf mit dem leichten und leicht bewaffneten Nachtrab; wahrscheinlich mit demselben entschlossenen, kühnen Haufen, 28 * der sich bey dem Wagestück des allgemei- nen Mordes schon vorgeübt, und den wir in der Folge an seinen grausamen Thaten wieder zu erkennen, und zu bezeichnen, nicht verfehlen dürfen. Ein so zu Angriff und Vertheidigung wohlgerüsteter Heeres- und Volkszug konn- te mehr als einen Weg in das Land der Verheissung wählen; der erste am Meere her, über Gaza, war kein Karavanenweg und mochte, wegen der wohlgerüsteten, kriegerischen Einwohner, gefährlich wer- den; der zweyte, obgleich weiter, schien mehr Sicherheit und mehr Vortheile anzu- bieten. Er ging an dem rothen Meere hin bis zum Sinai, von hier an konnte man wieder zweyerley Richtung nehmen. Die erste, die zunächst zum Ziel führte, zog sich am kleinen Meerbusen hin durch das Land der Midianiter und der Moabiter zum Jordan; die zweyte, quer durch die Wüste, wies auf Kades; in jenem Falle blieb das Land Edom links, hier rechts. Jenen er- sten Weg hatte sich Moses wahrscheinlich vorgenommen, den zweyten hingegen ein- zulenken scheint er durch die klugen Mi- dianiter verleitet zu seyn, wie wir zu- nächst wahrscheinlich zu machen gedenken, wenn wir vorher von der düsteren Stim- mung gesprochen haben, in die uns die Darstellung der, diesen Zug begleitenden, äusseren Umstände versetzt. Der heitere Nachthimmel, von unend- lichen Sternen glühend, auf welchen Abra- ham von seinem Gott hingewiesen worden, breitet nicht mehr sein goldenes Gezelt über uns aus; anstatt jenen heiteren Him- melslichtern zu gleichen, bewegt sich ein unzählbares Volk, missmuthig in einer trau- rigen Wüste. Alle fröhlichen Phänomene sind verschwunden, nur Feuerflammen er- scheinen an allen Ecken und Enden. Der Herr, der aus einem brennenden Busche Mosen berufen hatte, zieht nun vor der Masse her, in einem trüben Gluthqualm, den man Tags für eine Wolkensäule, Nachts als ein Feuermeteor ansprechen kann. Aus dem umwölkten Gipfel Sinai’s schrecken Blitz und Donner, und bey gering schei- nenden Vergehen brechen Flammen aus dem Boden und verzehren die Enden des Lagers. Speise und Trank ermangeln immer aufs neue und der unmuthige Volkswunsch nach Rückkehr wird nur bänglicher, je weniger ihr Führer sich gründlich zu helfen weiss. Schon zeitig, ehe noch der Heereszug an den Sinai gelangt, kommt Jethro sei- nem Schwiegersohn entgegen, bringt ihm Tochter und Enkel, die zur Zeit der Noth im Vaterzelte verwahrt gewesen, und be- weis’t sich als einen klugen Mann. Ein Volk wie die Midianiter, das frey seiner Bestimmung nachgeht, und seine Kräfte in Uebung zu setzen Gelegenheit findet, muss gebildeter seyn als ein solches, das, unter fremdem Joche, in ewigem Widerstreit mit sich selbst und den Umständen lebt; und wie viel höherer Ansichten musste ein Füh- rer jenes Volkes fähig seyn, als ein trüb- sinniger, in sich selbst verschlossener, recht- schaffener Mann, der sich zwar zum Thun und Herrschen geboren fühlt, dem aber die Natur zu solchem gefährlichen Hand- werke die Werkzeuge versagt hat. Moses honnte sich zu dem Begriff nicht erheben, dass ein Herrscher nicht überall gegenwärtig seyn, nicht alles selbst thun müsse; im Gegentheil machte er sich durch persönliches Wirken seine Amtsführung höchst sauer und beschwerlich. Jethro giebt ihm erst darüber Licht, und hilft ihm das Volk organisiren und Unter-Obrigkeiten bestellen; worauf er freylich selbst hätte fallen sollen. Allein nicht bloss das Beste seines Schwähers und der Israeliten mag Jethro bedacht, sondern auch sein eigenes und der Midianiten Wohl erwägt haben. Ihm kommt Moses, den er ehemals als Flüchtling auf- genommen, den er unter seine Diener, un- ter seine Knechte noch vor kurzem gezählt, nun entgegen, an der Spitze einer grossen Volksmasse, die, ihren alten Sitz verlas- send, neuen Boden aufsucht und überall, wo sie sich hinlenkt, Furcht und Schre- cken verbreitet. Nun konnte dem einsichtigen Manne nicht verborgen bleiben, dass der nächste Weg der Kinder Israel durch die Besitzun- gen der Midianiter gehe, dass dieser Zug überall den Heerden seines Volkes begeg- nen, dessen Ansiedelungen berühren, ja auf dessen schon wohleingerichteten Städte tref- fen würde. Die Grundsätze eines derge- stalt auswandernden Volks sind kein Ge- heimniss, sie ruhen auf dem Eroberungs- rechte. Es zieht nicht ohne Widerstand, und in jedem Widerstand sieht es Unrecht; wer das Seinige vertheidigt ist ein Feind, den man ohne Schonung vertilgen kann. Es brauchte keinen ausserordentlichen Blick um das Schicksal zu übersehen, dem die Völker ausgesetzt seyn würden über die sich eine solche Heuschrecken-Wolke herabwälzte. Hieraus geht nun die Ver- muthung zunächst hervor, dass Jethro sei- nem Schwiegersohn den geraden und besten Weg verleidet, und ihn dagegen zu dem Wege quer durch die Wüste beredet; wel- che Ansicht dadurch mehr bestärkt wird, dass Hobab nicht von der Seite seines Schwagers weicht, bis er ihn den angera- thenen Weg einschlagen sieht, ja ihn so- gar noch weiter begleitet, um den ganzen Zug von den Wohnorten der Midianiter desto sicherer abzulenken. Vom Ausgange aus Egypten an gerech- net erst im vierzehnten Monat, geschah der Aufbruch von dem wir sprechen. Das Volk bezeichnete unterwegs einen Ort, wo es wegen Lüsternheit grosse Plage erlitten, durch den Namen Gelüstgräber , dann zogen sie gen Hazaroth , und lagerten sich ferner in der Wüste Paran . Dieser zurückgelegte Weg bleibt unbezweifelt. Sie waren nun schon nah an dem Ziel ihrer Reise, nur stand ihnen das Gebirg entge- gen, wodurch das Land Canaan von der Wüste getrennt wird. Man beschloss Kund- schafter auszuschicken und rückte indessen weiter vor bis Kades . Hierhin kehrten die Botschafter zurück, brachten Nachrich- ten von der Vortrefflichkeit des Landes, aber leider auch von der Furchtbarkeit der Einwohner. Hier entstand nun abermals ein trauriger Zwiespalt und der Wettstreit von Glauben und Unglauben begann aufs neue. Unglücklicher Weise hatte Moses noch weniger Feldherren- als Regententalente. Schon während des Streites gegen die Ama- lekiter begab er sich auf den Berg um zu beten, mittlerweile Josua an der Spitze des Heers den lange hin- und wieder schwan- kenden Sieg endlich dem Feinde abgewann. Nun zu Kades befand man sich wieder in einer zweydeutigen Lage. Josua und Ka- leb, die beherztesten unter den zwölf Ab- gesandten, rathen zum Angriff, rufen auf, getrauen sich das Land zu gewinnen. In- dessen wird durch übertriebene Beschrei- bung von bewaffneten Riesen-Geschlech- tern allenthalben Furcht und Schrecken er- regt; das verschüchterte Heer weigert sich hinauf zu rücken. Moses weiss sich wie- der nicht zu helfen, erst fordert er sie auf, dann scheint auch ihm ein Angriff von die- ser Seite gefährlich. Er schlägt vor nach Osten zu ziehen. Hier mochte nun einem biedern Theil des Heeres gar zu unwürdig scheinen, solch einen ernstlichen, mühsam verfolgten Plan, auf diesem ersehnten Punct, aufzugeben. Sie rotten sich zusammen und ziehen wirklich das Gebirg hinauf. Moses aber bleibt zurück, das Heiligthum setzt sich nicht in Bewegung, daher ziemt es weder Josua noch Kaleb sich an die Spitze der Kühneren zu stellen. Genug! der nicht unterstützte, eigenmächtige Vortrab wird geschlagen, Ungeduld vermehrt sich. Der so oft schon ausgebrochene Unmuth des Volkes, die mehreren Meutereyen, an de- nen sogar Aaron und Myriane Theil ge- nommen, brechen aufs neue desto lebhafter aus, und geben abermals ein Zeugniss, wie wenig Moses seinem grossen Berufe ge- wachsen war. Es ist schon an sich keine Frage, wird aber durch das Zeugniss Kalebs unwiderruflich bestätigt, dass an dieser Stelle möglich, ja unerlässlich gewesen ins Land Canaan einzudringen, Hebron, den Hain Mamre in Besitz zu nehmen, das heilige Grab Abrahams zu erobern und sich dadurch einen Ziel-Stütz- und Mittelpunct für das ganze Unternehmen zu verschaffen. Welcher Nachtheil musste dagegen dem unglücklichen Volk entspringen, wenn man den bisher befolgten, von Jethro zwar nicht ganz uneigennützig, aber doch nicht ganz verrätherisch vorgeschlagenen Plan auf ein- mal so freventlich aufzugeben, beschloss. Das zweyte Jahr, von dem Auszuge aus Egypten an gerechnet, war noch nicht vorüber und man hätte sich vor Ende des- selben, obgleich noch immer spät genug, im Besitz des schönsten Theils des erwünsch- ten Landes gesehen; allein die Bewohner, aufmerksam, hatten den Riegel vorgescho- ben, und wohin nun sich wenden? Man war nordwärts weit genug vorgerückt, und nun sollte man wieder ostwärts ziehen um jenen Weg endlich einzuschlagen, den man gleich anfangs hätte nehmen sollen. Allein gerade hier in Osten lag das von Gebirgen umgebene Land Edom vor, man wollte sich einen Durchzug erbitten, die klügeren Edomiter schlugen ihn rund ab. Sich durch- zufechten war nicht räthlich, man musste sich also zu einem Umweg, bey dem man die edomitischen Gebirge links liess, be- quemen, und hier ging die Reise im Gan- zen ohne Schwierigkeit von Statten, denn es bedurfte nur wenige Stationen Oboth, Iiim , um an den Bach Sared , den ersten der seine Wasser ins todte Meer giesst, und ferner an den Arnon zu gelan- gen. Indessen war Miriam verschieden, Aaron verschwunden, kurz nachdem sie sich gegen Mosen aufgelehnt hatten. Vom Bache Arnon an ging alles noch glücklicher wie bisher. Das Volk sah sich zum zweitenmale nah am Ziele seiner Wün- sche, in einer Gegend die wenig Hinder- nisse entgegensetzte; hier konnte man in Masse vordringen, und die Völker, welche den Durchzug verweigerten überwinden, verderben und vertreiben. Man schritt weiter vor, und so wurden Midianiter, Moabiter, Amoriter in ihren schönsten Be- sitzungen angegriffen, ja die ersten sogar, was Jethro vorsichtig abzuwenden gedachte, vertilgt, das linke Ufer des Jordans wurde genommen und einigen ungeduldigen Stäm- men Ansiedelung erlaubt, unterdessen man abermals, auf hergebrachte Weise, Gesetze gab, Anordnungen machte und den Jordan zu überschreiten zögerte. Unter diesen Ver- handlungen verschwand Moses selbst, wie Aaron verschwunden war, und wir müssten uns sehr irren, wenn nicht Josua und Ka- leb die seit einigen Jahren ertragene Re- gentschaft eines beschränkten Mannes zu endigen, und ihn so vielen Unglücklichen, die er vorausgeschickt, nachzusenden für gut gefunden hätten; um der Sache ein Ende zu machen und mit Ernst sich in den Besitz des ganzen rechten Jordanufers und des darin gelegenen Landes zu setzen. Man wird der Darstellung, wie sie hier gegeben ist, wohl gerne zugestehen, dass sie uns den Fortschritt eines wichtigen Un- ternehmens so rasch als consequent vor die Seele bringt; aber man wird ihr nicht sogleich Zutrauen und Beyfall schenken, weil sie jenen Heereszug, den der ausdrück- liche Buchstabe der heiligen Schrift auf sehr viele Jahre hinausdehnt, in kurzer Zeit vollbringen lässt. Wir müssen daher un- sere Gründe angeben, wodurch wir uns zu einer so grossen Abweichung berechtigt glauben, und diess kann nicht besser ge- schehen, als wenn wir über die Erdfläche, welche jene Volksmasse zu durchziehen hatte, und über die Zeit, welche jede Ca- ravane zu einem solchen Zuge bedürfen würde, unsere Betrachtungen anstellen und zugleich was uns in diesem besonderen Falle überliefert ist, gegen einander halten und erwägen. Wir übergehen den Zug vom rothen Meer bis an den Sinai, wir lassen ferner alles, was in der Gegend des Berges vor- gegangen, auf sich beruhen, und bemerken nur, dass die grosse Volksmasse am zwan- zigsten Tage des zweyten Monats, im zwey- ten Jahr der Auswanderung aus Egypten, vom Fusse des Sinai aufgebrochen. Von da bis zur Wüste Paran hatten sie keine vierzig Meilen, die eine beladene Caravane in fünf Tagen bequem zurücklegt. Man gebe der ganzen Colonne Zeit um jedes- mal heranzukommen, genugsame Rasttage, man setze anderen Aufenthalt, genug sie konnten auf alle Fälle in der Gegend ihrer Bestimmung in zwölf Tagen ankommen, welches denn auch mit der Bibel und der gewöhnlichen Meynung übereintrifft. Hier werden die Botschafter ausgeschickt, die ganze Volksmasse rückt nur um weniges weiter vor bis Kades, wohin die Abgesen- deten nach vierzig Tagen zurückkehren, worauf denn sogleich, nach schlecht aus- gefallenem Kriegsversuch, die Unterhand- lung mit den Edomitern unternommen wird. Man gebe dieser Negotiation so viel Zeit als man will, so wird man sie nicht wohl über dreissig Tage ausdehnen dürfen. Die Edomiter schlagen den Durchzug rein ab, und für Israel war es keineswegs räth- lich in einer so sehr gefährlichen Lage lange zu verweilen: denn wenn die Cana- niter mit den Edomitern einverstanden, jene von Norden, diese von Osten, aus ihren Gebirgen hervorgebrochen wären, so hätte Israel einen schlimmen Stand gehabt. Auch macht hier die Geschichtserzäh- lung keine Pause, sondern der Entschluss wird gleich gefasst um das Gebirge Edom herum zu ziehen. Nun beträgt der Zug um das Gebirge Edom, erst nach Süden, dann nach Norden gerichtet, bis an den Fluss Arnon abermals keine vierzig Meilen, welche also in fünf Tagen zurückzulegen gewesen wären. Summirt man nun auch jene vierzig Tage, in welchen sie den Tod Aarons betrauert hinzu, so behalten wir immer noch sechs Monate des zweyten Jahrs für jede Art von Retardation und Zaudern und zu denen Zügen übrig, welche die Kinder Israel glücklich bis an den Jordan bringen sollen. Wo kommen aber denn die übrigen achtunddreissig Jahre hin? Diese haben den Auslegern viel Mühe gemacht, so wie die einundvierzig Statio- nen, unter denen funfzehn sind von wel- chen die Geschichtserzählung nichts meldet, die aber, in dem Verzeichnisse eingeschal- tet, den Geographen viel Pein verursacht haben. Nun stehen die eingeschobenen Sta- tionen mit den überschüssigen Jahren in glücklich fabelbaftem Verhältniss; denn sechzehn Orte, von denen man nichts weiss, und achtunddreyssig Jahre, von de- nen man nichts erfährt, geben die beste Gelegenheit, sich mit den Kindern Israel in der Wüste zu verirren. Wir setzen die Stationen der Geschichts- erzählung, welche durch Begebenheiten merkwürdig geworden, den Stationen des Verzeichnisses entgegen, wo man dann die leeren Orts-Namen sehr wohl von denen unterscheiden wird, welchen ein historischer Gehalt inwohnt. Stationen der Kinder Israel in der Wüste . Geschichtserzählung nach dem II. III. IV. V. Buch Mose. Stationen-Verzeichniss nach dem IV. Buch Mose 33. Capitel. Raemses. Suchoth. Etham. Hahiroth. Hahiroth. Migdol. durchs Meer . 29 Mara, Wüste Sur. Mara, Wüste Etham. Elim. Elim. 12 Brunnen. Am Meer. Wüste Sin. Wüste Sin. Daphka. Alus. Raphidim. Raphidim. Wüste Sinai. Wüste Sinai. Lustgräber. Lustgräber. Hazeroth. Hazeroth. Rithma. Kades in Paran. Rimmon Perez. Libna. Rissa. Kehelata. Gebirg Sapher. Harada. Makeheleth. Tabath. Tharah. Mithka. Hasmona. Moseroth. Bnejaekon. Harpidad. Talhbatha. Abrona. Ezeongaber. Kades, Wüste Zin. Kades, Wüste Zin. Berg Hor, Gränze Edom. Berg Hor, Gränze Edom. Zalmona. Phunon. Oboth. Oboth. Ijim. Diban Gad. Almon Diblathaim. Gebirg Abarim. Gebirg Abarim, Nebo. Bach Sared. Arnon disseits. Mathana. Nahaliel. Bamoth. Berg Pispa. Jahzah. Hesbon. Sihan. Basan. Gefild der Moabiter am Jordan. Gefild der Moabiter am Jordan. Worauf wir nun aber vor allen Dingen merken müssen, ist, dass uns die Geschichte 29 * gleich von Hazeroth nach Kades führt, das Verzeichniss aber hinter Hazeroth das Kades auslässt und es erst nach der einge- schobenen Namenreihe hinter Ezeon-Gaber aufführt, und dadurch die Wüste Zin mit dem kleinen Arm des Arabischen Meerbu- sens in Berührung bringt. Hieran sind die Ausleger höchst irre geworden, indem ei- nige zwey Kades, andere hingegen, und zwar die meisten, nur eines annehmen, welche letztere Meynung wohl keinen Zwei- fel zulässt. Die Geschichtserzählung, wie wir sie sorgfältig von allen Einschiebseln getrennt haben, spricht von einem Kades in der Wüste Paran, und gleich darauf von einem Kades in der Wüste Zin; von dem ersten werden die Botschafter weggeschickt und von dem zweyten zieht die ganze Masse weg, nachdem die Edomiter den Durch- zug durch ihr Land verweigern. Hieraus geht von selbst hervor, dass es ein und eben derselbe Ort ist; denn der vorgehabte Zug durch Edom war eine Folge des fehl- geschlagenen Versuchs von dieser Seite in das Land Canaan einzudringen, und so viel ist noch aus anderen Stellen deutlich, dass die beyden öfters genannten Wüsten an einander stossen, Zin nördlicher, Paran südlicher lag, und Kades in einer Oase als Rastplatz zwischen beyden Wüsten gelegen war. Niemals wäre man auch auf den Ge- danken gekommen sich zwey Kades einzu- bilden, wenn man nicht in der Verlegen- heit gewesen wäre, die Kinder Israel lange genug in der Wüste herumzuführen. Die- jenigen jedoch, welche nur Ein Kades an- nehmen und dabey von dem vierzigjährigen Zug und den eingeschalteten Stationen Re- chenschaft geben wollen, sind noch übler dran, besonders wissen sie, wenn sie den Zug auf der Charte darstellen wollen, sich nicht wunderlich genug zu gebährden, um das Unmögliche anschaulich zu machen. Denn freylich ist das Auge ein besserer Richter des Unschicklichen, als der innere Sinn. Sanson schiebt die vierzehn un- ächten Stationen zwischen den Sinai und Kades. Hier kann er nicht genug Zick- zacks auf seine Charte zeichnen, und doch beträgt jede Station nur zwey Meilen, eine Strecke die nicht einmal hinreicht, dass sich ein solcher ungeheurer Heerwurm in Be- wegung setzen könnte. Wie bevölkert und bebaut muss nicht diese Wüste seyn, wo man alle zwey Mei- len, wo nicht Städte und Ortschaften, doch mit Namen bezeichnete Ruheplätze findet? Welcher Vortheil für den Heerführer und sein Volk! Dieser Reichthum der inneren Wüste aber wird dem Geographen bald verderblich. Er findet von Kades nur fünf Stationen bis Ezeongaber, und auf dem Rückwege nach Kades, wohin er sie doch bringen muss, unglücklicherweise gar keine; er legt daher einige seltsame, und selbst in jener Liste nicht genannte Städte dem reisenden Volk in den Weg, so wie man ehemals die geographische Leerheit mit Elephanten zudeckte. Kalmet sucht sich aus der Noth, durch wunderliche Kreuz- und Querzüge zu helfen, setzt einen Theil der überflüssigen Orte gegen das mittellän- dische Meer zu, macht Hazeroth und Mo- seroth zu Einem Orte, und bringt, durch die seltsamsten Irrsprünge, seine Leute end- lich an den Arnon. Well , der zwey Ka- des annimmt, verzerrt die Lage des Lan- des über die Massen. Bey Nolin tanzt die Caravane eine Polonaise, wodurch sie wieder ans rothe Meer gelangt und den Sinai nordwärts im Rücken hat. Es ist nicht möglich weniger Einbildungskraft, Anschauen, Genauigkeit und Urtheil zu zei- gen, als diese frommen, wohldenkenden Männer. Die Sache aber aufs genauste betrach- tet, wird es höchst wahrscheinlich, dass das überflüssige Stationen-Verzeichniss zu Rettung der problematischen vierzig Jahre eingeschoben werden. Denn in dem Texte, welchem wir bey unserer Erzählung genau folgen, steht: dass das Volk, da es von den Cananitern geschlagen, und ihm der Durchzug durchs Land Edom versagt wor- den, auf dem Wege zum Schilfmeer, ge- gen Ezeongaber, der Edomiter Land um- zogen. Daraus ist der Irrthum entstanden, dass sie wirklich an’s Schilfmeer nach Ezeon- gaber, das wahrscheinlich damals noch nicht existirte, gekommen, obgleich der Text von dem Umziehen des Gebirges Seir auf genannter Strasse spricht, so wie man sagt der Fuhrmann fährt die Leipziger Strasse, ohne dass er desshalb nothwendig nach Leipzig fahren müsse. Haben wir nun die überflüssigen Stationen bey Seite gebracht, so möchte es uns ja wohl auch mit den überflüssigen Jahren gelingen. Wir wissen dass die alttestamentliche Chronologie künst- lich ist, dass sich die ganze Zeitrechnung in bestimmte Kreise von neunundvierzig Jahren auflösen lässt, und dass also diese mystischen Epochen herauszubringen man- che historische Zahlen müssen verändert worden seyn. Und wo liessen sich sechs bis achtunddreissig Jahre die etwa in ei- nem Cyklus fehlten, bequemer einschieben, als in jene Epoche, die so sehr im Dun- keln lag, und die auf einem wüsten unbe- kannten Flecke sollte zugebracht worden seyn. Ohne daher an die Chronologie, das schwierigste aller Studien, nur irgend zu rühren, so wollen wir den poetischen Theil derselben hier zu Gunsten unserer Hypo- these kürzlich in Betracht ziehen. Mehrere runde, heilig, symbolisch, poetisch zu nennende Zahlen kommen in der Bibel so wie in anderen alterthümli- chen Schriften vor. Die Zahl Sieben scheint dem Schaffen, Wirken und Thun, die Zahl Vierzig hingegen dem Beschauen, Erwar- ten, vorzüglich aber der Absonderung ge- widmet zu seyn. Die Sündfluth, welche Noah und die Seinen von aller übrigen Welt abtrennen sollte, nimmt vierzig Tage zu; nachdem die Gewässer genugsam ge- standen, verlaufen sie während vierzig Ta- gen, und so lange noch hält Noah den Schalter der Arche verschlossen. Gleiche Zeit verweilt Moses zweymal auf Sinai, abgesondert von dem Volke; die Kund- schafter bleiben eben so lange in Canaan, und so soll denn auch das ganze Volk durch so viel mühselige Jahre abgesondert von allen Völkern, gleichen Zeitraum bestätigt und geheiligt haben. Ja ins neue Testa- ment geht die Bedeutung dieser Zahl in ihrem vollen Werth hinüber; Christus bleibt vierzig Tage in der Wüste um den Versu- cher abzuwarten. Wäre uns nun gelungen die Wande- rung der Kinder Israel vom Sinai, bis an den Jordan in einer kürzeren Zeit zu voll- bringen, ob wir gleich hiebey schon viel zu viel auf ein schwankendes, unwahr- scheinliches Retardiren Rücksicht genom- men; hätten wir uns so vieler fruchtlo- sen Jahre, so vieler unfruchtbaren Sta- tionen entledigt, so würde sogleich der grosse Heerführer, gegen das was wir an ihm zu erinnern gehabt, in seinem ganzen Werthe wieder hergestellt. Auch würde die Art wie in diesen Büchern Gott er- scheint uns nicht mehr so drückend seyn als bisher, wo er sich durchaus grauenvoll und schrecklich erzeigt; da schon wieder im Buch Josua und der Richter, sogar auch weiter hin, ein reineres patriarchalisches Wesen wieder hervortritt und der Gott Abrahams nach wie vor den Seinen freund- lich erscheint, wenn uns der Gott Mosis eine Zeitlang mit Grauen und Abscheu er- füllt hat. Uns hierüber aufzuklären spre- chen wir aus: wie der Mann so auch sein Gott. Daher also von dem Charakter Mo- sis noch einige Schlussworte! Ihr habt, könnte man uns zurufen, in dem Vorhergehenden mit allzu grosser Ver- wegenheit einem ausserordentlichen Manne diejenigen Eigenschaften abgesprochen, die bisher höchlich an ihm bewundert wurden, die Eigenschaften des Regenten und Heer- führers. Was aber zeichnet ihn denn aus? wodurch legitimirt er sich zu einem so wichtigen Beruf? Was giebt ihm die Kühn- heit sich, trotz innerer und äusserer Un- gunst, zu einem solchen Geschäfte hinzu- drängen, wenn ihm jene Haupterforder- nisse, jene unerlässlichen Talente fehlen, die ihr ihm mit unerhörter Frechheit ab- sprecht? Hierauf lasse man uns antwor- ten: Nicht die Talente, nicht das Geschick zu diesem oder jenem machen eigentlich den Mann der That , die Persönlichkeit ist’s von der in solchen Fällen alles ab- hängt. Der Charakter ruht auf der Per- sönlichkeit, nicht auf den Talenten. Ta- lente können sich zum Charakter gesellen, er gesellt sich nicht zu ihnen: denn ihm ist alles entbehrlich ausser er selbst. Und so gestehen wir gern, dass uns die Persön- lichkeit Mosis, von dem ersten Meuchel- mord an, durch alle Grausamkeiten durch, bis zum Verschwinden, ein höchst bedeu- tendes und würdiges Bild giebt, von einem Manne, der durch seine Natur zum Gröss- ten getrieben ist. Aber freylich wird ein solches Bild ganz entstellt, wenn wir einen kräftigen, kurz gebundenen, raschen That- mann, vierzig Jahre ohne Sinn und Noth, mit einer ungeheuren Volksmasse, auf ei- nem so kleinen Raum, im Angesicht seines grossen Zieles, herum taumeln sehen. Bloss durch die Verkürzung des Wegs und der Zeit, die er darauf zugebracht, haben wir alles Böse, was wir von ihm zu sagen ge- wagt, wieder ausgeglichen und ihn an seine rechte Stelle gehoben. Und so bleibt uns nichts mehr übrig, als dasjenige zu wiederholen, womit wir unsere Betrachtungen begonnen haben. Kein Schade geschieht den heiligen Schriften, so wenig als jeder anderen Ueberlieferung, wenn wir sie mit critischem Sinne behan- deln, wenn wir aufdecken, worin sie sich widerspricht, und wie oft das Ursprüngli- che, Bessere, durch nachherige Zusätze, Einschaltungen und Accommodationen ver- deckt, ja entstellt worden. Der innerliche, eigentliche Ur- und Grundwerth geht nur desto lebhafter und reiner hervor, und die- ser ist es auch, nach welchem jedermann, bewusst oder bewusstlos, hinblickt, hin- greift, sich daran erbaut und alles übrige, wo nicht wegwirft, doch fallen oder auf sich beruhen lässt. Summarische Wiederholung. Zweytes Jahr des Zugs . Verweilt am Sinai ‒ ‒ Monat 1 Tage 20 Reise bis Kades ‒ ‒ — ‒ — 5 Rasttage ‒ ‒ ‒ ‒ — ‒ — 5 Aufenthalt weg. Myriams Krankheit — ‒ — 7 Aussenbleiben der Kundschafter — ‒ — 40 Unterhandlung mit den Edomitern — ‒ — 30 Reise an den Arnon ‒ ‒ — ‒ — 5 Rasttage ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ — ‒ — 5 Trauer um Aaron ‒ ‒ ‒ — ‒ — 40 Tage 157 Zusammen also sechs Monate. Woraus deutlich erhellt, dass der Zug, man rechne auf Zaudern und Stockungen, Widerstand so viel man will, vor Ende des zweyten Jahrs gar wohl an den Jordan gelangen konnte. Nähere Hülfsmittel . Wenn uns die heiligen Schriften uran- fängliche Zustände und die allmälige Ent- wickelung einer bedeutenden Nation verge- genwärtigen; Männer aber, wie Michae- lis, Eichhorn, Paulus, Heeren , noch mehr Natur und Unmittelbarkeit in jenen Ueberlieferungen aufweisen als wir selbst hätten entdecken können; so ziehen wir, was die neuere und neuste Zeit an- geht, die grössten Vortheile aus Reisebe- schreibungen und andern dergleichen Docu- menten, die uns mehrere, nach Osten vor- dringende Westländer, nicht ohne Mühse- ligkeit, Genuss und Gefahr, nach Hause gebracht und zu herrlicher Belehrung mit- getheilt haben. Hievon berühren wir nur einige Männer, durch deren Augen wir jene weit entfernten, höchst fremdartigen Gegenstände zu betrachten, seit vielen Jah- ren beschäftigt gewesen. Wallfahrten und Kreuzzüge . Deren zahllose Beschreibungen beleh- ren zwar auch in ihrer Art; doch verwir- ren sie über den eigentlichsten Zustand des Orients mehr unsere Einbildungskraft, als dass sie ihr zur Hülfe kämen. Die Ein- seitigkeit der christlich-feindlichen Ansicht beschränkt uns durch ihre Beschränkung, die sich in der neuern Zeit nur einigerma- ssen erweitert, als wir nunmehr jene Kriegs- ereignisse durch orientalische Schriftsteller nach und nach kennen lernen. Indessen bleiben wir allen aufgeregten Wall- und Kreuzfahrern zu Dank verpflichtet, da wir ihren religiosen Enthusiasmus, ihrem kräf- tigen, unermüdlichen Widerstreit gegen öst- liches Zudringen doch eigentlich Beschü- tzung und Erhaltung der gebildeten euro- päischen Zustände schuldig geworden. Marco Polo . Dieser vorzügliche Mann steht aller- dings oben an. Seine Reise fällt in die zweyte Hälfte des dreyzehnten Jahrhun- derts; er gelangt bis in den fernsten Osten, führt uns in die fremdartigsten Verhältnis- se, worüber wir, da sie beynahe fabelhaft aussehen, in Verwunderung, in Erstaunen gerathen. Gelangen wir aber auch nicht sogleich über das Einzelne zur Deutlich- keit, so ist doch der gedrängte Vortrag die- ses weitausgreifenden Wanderers höchst ge- schickt das Gefühl des Unendlichen, Unge- heuren in uns aufzuregen. Wir befinden uns an dem Hof des Kublai Chan, der, als Nachfolger von Gengis, grenzenlose Land- strecken beherrschte. Denn was soll man von einem Reiche und dessen Ausdehnung halten, wo es unter andern heisst: „Per- sien ist eine grosse Provinz, die aus neun Königreichen besteht;“ und nach einem solchen Massstab wird alles übrige gemes- sen. So die Residenz, im Norden von Chi- na, unübersehbar; das Schloss des Chans, eine Stadt in der Stadt; daselbst aufgebäufte Schätze und Waffen; Beamte, Soldaten und Hofleute unzählbar; zu wiederholten Fest- mahlen jeder mit seiner Gattin berufen. Eben so ein Landaufenthalt! Einrichtung zu allem Vergnügen, besonders ein Heer von Jägern, und eine Jagdlust in der gröss- ten Ausbreitung. Gezähmte Leoparden, ab- gerichtete Falken, die thätigsten Gehülfen der Jagenden, zahllose Beute gehäuft. Da- bey das ganze Jahr Geschenke ausgespendet und empfangen. Gold und Silber; Juwe- len, Perlen, alle Arten von Kostbarkeiten im Besitz des Fürsten und seiner Begün- stigten; indessen sich die übrigen Millionen von Unterthanen wechselseitig mit einer Scheinmünze abzufinden haben. Begeben wir uns aus der Hauptstadt auf die Reise, so wissen wir vor lauter Vorstädten nicht, wo die Stadt aufhört. Wir finden sofort Wohnung an Wohnun- gen, Dorf an Dörfern, und den herrlichen Fluss hinab eine Reihe von Lustorten. Al- 30 les nach Tagereisen gerechnet und nicht wenigen. Nun zieht, vom Kaiser beauftragt, der Reisende nach andern Gegenden; er führt uns durch unübersehbare Wüsten, dann zu heerdenreichen Gauen, Bergreihen hinan, zu Menschen von wunderbaren Gestalten und Sitten, und lässt uns zuletzt, über Eis und Schnee, nach der ewigen Nacht des Poles hinschauen. Dann auf einmal trägt er uns, wie auf einem Zaubermantel, über die Halbinsel Indiens hinab. Wir sehen Ceylon unter uns liegen, Madagascar, Java; unser Blick irrt auf wunderlich benamste Inseln, und doch lässt er uns überall von Menschengestalten und Sitten, von Land- schaft, Bäumen, Pflanzen und Thieren, so manche Besonderheit erkennen, die für die Wahrheit seiner Anschauung bürgt, wenn gleich Vieles mährchenhaft erscheinen möch- te. Nur der wohlunterrichtete Geograph könnte dies alles ordnen und bewähren. Wir mussten uns mit dem allgemeinen Ein- druck begnügen; denn unsern ersten Stu- dien kamen keine Noten und Bemerkungen zu Hülfe. Johannes von Montevilla . Dessen Reise beginnt im Jahre 1320 und ist uns die Beschreibung derselben als Volksbuch, aber leider sehr ungestaltet, zu- gekommen. Man gesteht dem Verfasser zu dass er grosse Reisen gemacht, vieles ge- sehen und gut gesehen, auch richtig be- schrieben. Nun beliebt es ihm aber nicht nur mit fremdem Kalbe zu pflügen, sondern auch alte und neue Fabeln einzuschalten, wodurch denn das Wahre selbst seine Glaub- würdigkeit verliert. Aus der lateinischen Ursprache erst ins Niederdeutsche, sodann ins Oberdeutsche gebracht, erleidet das Büch- lein neue Verfälschung der Namen. Auch der Uebersetzer erlaubt sich auszulassen und einzuschalten, wie unser Görres , in sei- ner verdienstlichen Schrift über die deut- schen Volksbücher anzeigt, auf welche Weise Genuss und Nutzen an diesem bedeutenden Werke verkümmert worden. 30 * Pietro della Valle . Aus einem uralten römischen Geschlechte das seinen Stammbaum bis auf die edlen Familien der Republik zurückführen durf- te, ward Pietro della Valle geboren, im Jahre 1586 zu einer Zeit da die sämmt- lichen Reiche Europens sich einer hohen geistigen Bildung erfreuten. In Italien lebte Tasso noch, obgleich in traurigem Zustan- de; doch wirkten seine Gedichte auf alle vorzügliche Geister. Die Verskunst hatte sich so weit verbreitet, dass schon Impro- visatoren hervortraten und kein junger Mann von freyern Gesinnungen des Talents ent- behren durfte sich Reimweis auszudrücken. Sprachstudium, Grammatik, Red- und Styl- kunst wurden gründlich behandelt, und so wuchs in allen diesen Vorzügen unser Jüng- ling sorgfältig gebildet heran. Waffenübungen zu Fuss und zu Ross, die edle Fecht- und Reitkunst dienten ihm zu täglicher Entwickelung körperlicher Kräfte und der damit innig verbundenen Charakterstärke. Das wüste Treiben frü- herer Kreuzzüge hatte sich nun zur Kriegs- kunst und zu ritterlichem Wesen herange- bildet auch die Galanterie in sich aufge- nommen. Wir sehen den Jüngling wie er mehreren Schönen, besonders in Gedichten, den Hof macht, zuletzt aber höchst un- glücklich wird als ihn die eine, die er sich anzueignen, mit der er sich ernstlich zu verbinden gedenkt, hinantsetzt und einem unwürdigen sich hingiebt. Sein Schmerz ist gränzenlos und um sich Luft zu machen beschliesst er, im Pilgerkleide, nach dem heiligen Lande zu wallen. Im Jahre 1614 gelangt er nach Constan- tinopel, wo sein adeliches, einnehmendes Wesen die beste Aufnahme gewinnt. Nach Art seiner früheren Studien wirft er sich gleich auf die orientalischen Sprachen, ver- schafft sich zuerst eine Uebersicht der tür- kischen Literatur, Landesart und Sitten, und begiebt sich sodann, nicht ohne Be- dauern seiner neu erworbenen Freunde, nach Aegypten. Seinen dortigen Aufenthalt nutzt er ebenfalls um die alterthümliche Welt und ihre Spuren in der neueren auf das ernst- lichste zu suchen und zu verfolgen; von Cairo zieht er auf den Berg Sinai, das Grab der heiligen Catharina zu verehren, und kehrt, wie von einer Lustreise, zur Haupt- stadt Aegyptens zurück; gelangt, von da zum zweitenmale abreisend, in sechzehn Tagen nach Jerusalem, wodurch das wahre Maass der Entfernung beyder Städte sich unserer Einbildungskraft aufdrängt. Dort, das heilige Grab verehrend, erbittet er sich vom Erlöser, wie früher schon von der heiligen Catharina, Befreyung von seiner Leidenschaft; und wie Schuppen fällt es ihm von den Augen, dass er ein Thor ge- wesen, die bisher Angebetete für die ein- zige zu halten die eine solche Huldigung verdiene; seine Abneigung gegen das übrige weibliche Geschlecht ist verschwunden, er sieht sich nach einer Gemalin um und schreibt seinen Freunden, zu denen er bald zurückzukehren hofft, ihm eine würdige auszusuchen. Nachdem er nun alle heiligen Orte be- treten und bebetet, wozu ihm die Empfeh- lung seiner Freunde von Constantinopel, am meisten aber ein ihm zur Begleitung mitgegebenen Capighi, die besten Dienste thun, reist er mit dem vollständigsten Be- griff dieser Zustände weiter, erreicht Da- maskus, sodann Aleppo, woselbst er sich in syrische Kleidung hüllt und seinen Bart wachsen lässt. Hier nun begegnet ihm ein bedeutendes, schicksal-bestimmendes Aben- theuer. Ein Reisender gesellt sich zu ihm, der von der Schönheit und Liebenswürdig- keit einer jungen georgischen Christinn, die sich mit den Ihrigen zu Bagdad aufhält, nicht genug zu erzählen weiss, und Valle verliebt sich, nach ächt orientalischer Wei- se, in ein Wortbild, dem er begierig ent- gegen reist. Ihre Gegenwart vermehrt Neigung und Verlangen, er weiss die Mutter zu gewinnen, der Vater wird be- redet; doch geben beyde seiner ungestü- men Leidenschaft nur ungerne nach; ihre geliebte, anmuthige Tochter von sich zu lassen, scheint ein allzu grosses Opfer. Endlich wird sie seine Gattin und er ge- winnt dadurch für Leben und Reise den grössten Schatz. Denn ob er gleich mit adelichem Wissen und Kenntniss mancher Art ausgestattet die Wallfahrt angetreten und in Beobachtung dessen was sich un- mittelbar auf den Menschen bezieht so auf- merksam als glücklich, und im Betragen gegen jederman in allen Fällen musterhaft gewesen; so fehlt es ihm doch an Kennt- niss der Natur, deren Wissenschaft sich damals nur noch in dem engen Kreise ern- ster und bedächtiger Forscher bewegte. Da- her kann er die Aufträge seiner Freunde, die von Pflanzen und Hölzern, von Gewür- zen und Arzneyen Nachricht verlangen, nur unvollkommen befriedigen; die schöne Maani aber, als ein liebenswürdiger Haus- arzt, weiss von Wurzeln, Kräutern und Blumen wie sie wachsen, von Harzen, Bal- samen, Oelen, Saamen und Hölzern, wie sie der Handel bringt, genugsame Rechen- schaft zu geben und ihres Gatten Beobach- tung, der Landes-Art gemäss, zu berei- chern. Wichtiger aber ist diese Verbindung für Lebens- und Reisethätigkeit. Maani, zwar vollkommen weiblich, zeigt sich von resolutem, allen Ereignissen gewachsenem Charakter; sie fürchtet keine Gefahr, ja sucht sie eher auf und beträgt sich überall edel und ruhig; sie besteigt auf Mannsweise das Pferd, weiss es zu bezähmen und anzutrei- ben, und so bleibt sie eine muntere aufregende Gefährtin. Eben so wichtig ist es, dass sie unterwegs mit den sämmtlichen Frauen in Berührung kommt, und ihr Gatte da- her von den Männern gut aufgenommen, bewirthet und unterhalten wird, indem sie sich auf Frauenweise mit den Gattinnen zu bethun und zu beschäftigen weiss. Nun geniesst aber erst das junge Paar eines, bey den bisherigen Wanderungen im türkischen Reiche, unbekannten Glücks. Sie betreten Persien im dreyssigsten Jahre der Regierung Abbas des zweyten, der sich, wie Peter und Friedrich, den Namen des Grossen verdiente. Nach einer gefahrvollen, bänglichen Jugend wird er sogleich beym Antritt seiner Regierung aufs deutlichste gewahr, wie er, um sein Reich zu beschü- tzen, die Gränzen erweitern müsse, und was für Mittel es gebe auch innerliche Herrschaft zu sichern; zugleich geht Sinnen und Trachten dahin das entvölkerte Reich durch Fremdlinge wieder herzustellen und den Verkehr der Seinigen durch öffentliche Wege- und Gastanstalten zu beleben und zu erleichtern. Die grössten Einkünfte und Begünstigungen verwendet er zu gränzen- losen Bauten. Ispahan, zur Hauptstadt ge- würdigt, mit Palästen und Gärten, Cara- vansereyen und Häusern, für königliche Gäste übersäet; eine Vorstadt für die Ar- menier erbaut, die, sich dankbar zu bewei- sen, ununterbrochen Gelegenheit finden, in- dem sie für eigene und für königliche Rech- nung handelnd, Profit und Tribut dem Für- sten zu gleicher Zeit abzutragen klug ge- nug sind. Eine Vorstadt für Georgier, eine andere für Nachfahren der Feueranbeter, erweitern abermals die Stadt, die zuletzt so gränzenlos als eine unserer neuen Reichs- mittelpuncte sich erstreckt. Römisch-Ca- tholische Geistliche, besonders Carmeliten sind wohl aufgenommen und beschützt; we- niger die Griechische Religion die, unter dem Schutz der Türken stehend, dem all- gemeinen Feinde Europens und Asiens an- zugehören scheint. Ueber ein Jahr hatte sich della Valle in Ispahan aufgehalten und seine Zeit un- unterbrochen thätig benutzt, um von allen Zuständen und Verhältnissen genau Nach- richt einzuziehen. Wie lebendig sind da- her seine Darstellungen! wie genau seine Nachrichten! Endlich, nachdem er alles ausgekostet, fehlt ihm noch der Gipfel des ganzen Zustandes, die persönliche Bekannt- schaft des von ihm so hoch bewunderten Kaisers, der Begriff wie es bey Hof, im Gefecht, bey der Armee zugehe. In dem Lande Mazenderan, der süd- lichen Küste des Caspischen Meers, in ei- ner, freylich sumpfigen, ungesunden Ge- gend, legte sich der thätige unruhige Fürst abermals eine grosse Stadt an, Ferhabad benannt, und bevölkerte sie mit beorderten Bürgern; sogleich in der Nähe erbaut er sich manchen Bergsitz auf den Höhen des amphitheatralischen Kessels, nicht allzuweit von seinen Gegnern den Russen und Türken, in einer durch Bergrücken geschützten Lage. Dort residirt er gewöhnlich und della Valle sucht ihn auf. Mit Maani kommt er an, wird wohl empfangen, nach einem orientalisch klugen, vorsichtigen Zaudern, dem Könige vorgestellt, gewinnt dessen Gunst und wird zur Tafel und Trinkgelagen zugelassen, wo er vorzüglich von europäischer Verfassung, Sitte, Religion dem schon wohlunterrich- teten, wissensbegierigen Fürsten Rechen- schaft zu geben hat. Im Orient überhaupt, besonders aber in Persien, findet sich eine gewisse Naivi- tät und Unschuld des Betragens durch alle Stände bis zur Nähe des Throns. Zwar zeigt sich auf der obern Stufe eine ent- schiedene Förmlichkeit, bey Audienzen, Tafeln und sonst; bald aber entsteht in des Kaisers Umgebung eine Art von Carnevals- Freyheit, die sich höchst scherzhaft aus- nimmt. Erlustigt sich der Kaiser in Gär- ten und Kiosken, so darf niemand in Stie- feln auf die Teppiche treten worauf der Hof sich befindet. Ein tartarischer Fürst kömmt an, man zieht ihm den Stiefel aus; aber er, nicht geübt auf Einem Beine zu stehen, fängt an zu wanken; der Kaiser selbst tritt nun hinzu und hält ihn, bis die Operation vorüber ist. Gegen Abend steht der Kaiser in einem Hofzirkel in welchem goldene, weingefüllte Schaalen herumkrei- sen; mehrere von mässigem Gewicht, einige aber durch einen verstärkten Boden so schwer, dass der ununterrichtete Gast den Wein verschüttet, wo nicht gar den Be- cher, zu höchster Belustigung des Herrn und der Eingeweihten, fallen lässt. Und so trinkt man im Kreise herum, bis einer, unfähig länger sich auf den Füssen zu hal- ten, weggeführt wird, oder zur rechten Zeit hinwegschleicht. Beym Abschied wird dem Kaiser keine Ehrerbietung erzeigt, ei- ner verliert sich nach dem andern, bis zu- letzt der Herrscher allein bleibt, einer me- lancholischen Musik noch eine Zeitlang zu- hört und sich endlich auch zur Ruhe be- giebt. Noch seltsamere Geschichten wer- den aus dem Harem erzählt, wo die Frauen ihren Beherrscher kitzeln, sich mit ihm balgen, ihn auf den Teppich zu bringen su- chen, wobey er sich, unter grossem Geläch- ter, nur mit Schimpfreden zu helfen und zu rächen sucht. Indem wir nun dergleichen lustige Din- ge von den innern Unterhaltungen des Kai- serlichen Harems vernehmen, so dürfen wir nicht denken, dass der Fürst und sein Staats- Divan müssig oder nachlässig geblieben. Nicht der thätig-unruhige Geist Abbas des Grossen allein war es der ihn antrieb eine zweyte Hauptstadt am Caspischen Meer zu erbauen; Ferhabat lag zwar höchst günstig zu Jagd- und Hoflust, aber auch, von ei- ner Bergkette geschützt, nahe genug an der Gränze, dass der Kaiser jede Bewegung der Russen und Türken, seiner Erbfeinde, zeitig vernehmen und Gegenanstalten tref- fen konnte. Von den Russen war gegen- wärtig nichts zu fürchten, das innere Reich, durch Usurpatoren und Trugfürsten zerrüt- tet, genügte sich selbst nicht; die Türken hingegen hatte der Kaiser, schon vor zwölf Jahren in der glücklichsten Feldschlacht, dergestalt überwunden, dass er in der Folge von dort her nichts mehr zu befahren hat- te, vielmehr noch grosse Landstrecken ih- nen abgewann. Eigentlicher Friede jedoch konnte zwischen solchen Nachbarn sich nimmer befestigen, einzelne Neckereyen, öffentliche Demonstrationen weckten beyde Parteyen zu fortwährender Aufmerksam- keit. Gegenwärtig aber sieht sich Abbas zu ernsteren Kriegesrüstungen genöthigt. Völ- lig im urältesten Styl ruft er sein ganzes Heeresvolk in die Flächen von Aderbijan zusammen, es drängt sich in allen seinen Abtheilungen, zu Ross und Fuss, mit den mannigfaltigsten Waffen herbey; zugleich ein unendlicher Tross. Denn jeder nimmt, wie bey einer Auswanderung, Weiber, Kin- der und Gepäcke mit. Auch della Valle führt seine schöne Maani und ihre Frauen, zu Pferd und Senfte, dem Heer und Hofe nach, wesshalb ihn der Kaiser belobt, weil er sich hiedurch als einen angesehenen Mann beweist. Einer solchen ganzen Nation, die sich massenhaft in Bewegung setzt, darf es nun auch an gar nichts fehlen was sie zu Hause allenfalls bedürfen könnte; weshalb denn Kauf- und Handelsleute aller Art mitzie- hen, überall einen flüchtigen Bazar aufschla- gen, eines guten Absatzes gewärtig. Man vergleicht daher das Lager des Kaisers je- derzeit einer Stadt, worin denn auch so gute Polizey und Ordnung gehandhabt wird, dass niemand, bey grausamer Strafe, weder fouragiren noch requiriren, viel weniger aber plündern darf, sondern von Grossen und Kleinen alles baar bezahlt werden muss; wesshalb denn nicht allein alle auf dem Wege liegenden Städte sich mit Vorräthen reichlich versehen, sondern auch aus be- nachbarten und entfernteren Provinzen Le- bensmittel und Bedürfnisse unversiegbar zu- fliessen. Was aber lassen sich für strategische, was für tactische Operationen von einer solchen organisirten Unordnung erwarten? besonders wenn man erfährt dass alle Volks- Stamm- und Waffenabtheilungen sich im Gefecht vermischen und ohne bestimmten Vorder-, Neben- und Hintermann, wie es der Zufall giebt, durcheinander kämpfen; daher denn ein glücklich errungener Sieg so leicht umschlagen und eine einzige ver- lorne Schlacht auf viele Jahre hinaus das Schicksal eines Reiches bestimmen kann. Diesmal aber kommt es zu keinem sol- chen furchtbaren Faust- und Waffengemen- ge. Zwar dringt man, mit undenkbarer Beschwerniss, durchs Gebirge; aber man zaudert, weicht zurück, macht sogar An- stalten die eigenen Städte zu zerstören, da- mit der Feind in verwüsteten Landstrecken umkomme. Panischer Allarm, leere Sieges- botschaften schwanken durch einander; fre- ventlich abgelehnte, stolz verweigerte Frie- densbedingungen, verstellte Kampflust, hin- terlistiges Zögern verspäten erst und be- günstigen zuletzt den Frieden. Da zieht nun ein jeder, auf des Kaisers Befehl und Strafgebot ohne weitere Noth und Gefahr als was er von Weg und Gedränge gelit- ten, ungesäumt wieder nach Hause. Auch della Valle finden wir zu Casbin in der Nähe des Hofes wieder, unzufrie- den, dass der Feldzug gegen die Türken ein so baldiges Ende genommen. Denn wir haben ihn nicht bloss als einen neugierigen Reisenden, als einen vom Zufall hin und wieder getriebenen Abenteurer zu betrach- ten; er hegt vielmehr seine Zwecke die er unausgesetzt verfolgt. Persien war damals eigentlich ein Land für Fremde; Abbas vieljährige Liberalität zog manchen muntern Geist herbey, noch war es nicht die Zeit förmlicher Gesandtschaften, kühne, ge- wandte Reisende machen sich geltend. Schon hatte Sherley, ein Engländer, früher sich selbst beauftragt und spielte den Vermittler 31 zwischen Osten und Westen; so auch della Valle, unabhängig, wohlhabend, vornehm, gebildet, empfohlen, findet Eingang bey Hofe und sucht gegen die Türken zu rei- zen. Ihn treibt eben dasselbe christliche Mitgefühl das die ersten Kreuzfahrer auf- regte; er hatte die Misshandlungen from- mer Pilger am heiligen Grabe gesehen, zum Theil mit erduldet, und allen westlichen Nationen war daran gelegen, dass Constan- tinopel von Osten her beunruhigt werde: aber Abbas vertraut nicht den Christen, die, auf eignen Vortheil bedacht, ihm zur rechten Zeit niemals von ihrer Seite bey- gestanden. Nun hat er sich mit den Tür- ken verglichen; della Valle lässt aber nicht nach und sucht eine Verbindung Persiens mit den Kosaken am schwarzen Meer an- zuknüpfen. Nun kehrt er nach Ispahan zu- rück, mit Absicht sich anzusiedeln und die Römisch-Catholische Religion zu fördern. Erst die Verwandten seiner Frau, dann noch mehr Christen aus Georgien zieht er an sich, eine georgianische Waise nimmt er an Kindesstatt an, hält sich mit den Carmeli- ten, und führt nichts weniger im Sinne als vom Kaiser eine Landstrecke, zu Gründung eines neuen Roms, zu erhalten. Nun erscheint der Kaiser selbst wieder in Ispahan, Gesandte von allen Weltgegenden strömen herbey. Der Herrscher zu Pferd, auf dem grössten Platze, in Gegenwart sei- ner Soldaten, der angesehnsten Diener- schaft, bedeutender Fremden, deren Vor- nehmste auch alle zu Pferd mit Gefolge sich einfinden, ertheilt er launige Audien- zen; Geschenke werden gebracht, grosser Prunk damit getrieben, und doch werden sie bald hochfahrend verschmäht, bald da- rum jüdisch gemarktet, und so schwankt die Majestät immer zwischen dem Höchsten und Tiefsten. Sodann, bald geheimnissvoll verschlossen im Harem, bald vor aller Au- gen handelnd, sich in alles Öffentliche ein- mischend, zeigt sich der Kaiser in uner- müdlicher, eigenwilliger Thätigkeit. Durchaus auch bemerkt man einen be- sondern Freysinn in Religionssachen. Nur keinen Muhamedaner darf man zum Chri- stenthum bekehren; an Bekehrungen zum Islam, die er früher begünstigt, hat er selbst keine Freude mehr. Uebrigens mag man 31 * glauben und vornehmen was man will. So feyern z. B. die Armenier gerade das Fest der Kreuzestaufe, die sie in ihrer prächti- gen Vorstadt, durch welche der Fluss Syn- deruth läuft, feyerlichst begehen. Dieser Function will der Kaiser nicht allein mit grossem Gefolge beywohnen, auch hier kann er das Befehlen, das Anordnen nicht lassen. Erst bespricht er sich mit den Pfaf- fen was sie eigentlich vorhaben? dann sprengt er auf und ab, reitet hin und her, und gebietet dem Zug Ordnung und Ruhe, mit Genauigkeit wie er seine Krieger be- handelt hätte. Nach geendigter Feyer sam- melt er die Geistlichen und andere bedeu- tende Männer um sich her, bespricht sich mit ihnen über mancherley Religionsmey- nungen und Gebräuche. Doch diese Frey- heit der Gesinnung gegen andere Glaubens- genossen ist nicht bloss dem Kaiser per- sönlich, sie findet bey den Schiiten überhaupt statt. Diese, dem Ali anhän- gend, der, erst vom Caliphate verdrängt und als er endlich dazu gelangte, bald er- mordet wurde, können in manchem Sinne als die unterdrückte mahomedanische Reli- gionspartey angesehen werden; ihr Hass wendet sich daher hauptsächlich gegen die Sunniten , welche die zwischen Mahomed und Ali eingeschobenen Caliphen mit zäh- len und verehren. Die Türken sind diesem Glauben zugethan und eine sowohl politi- sche als religiöse Spaltung trennt die bey- den Völker; indem nun die Schiiten ihre eigenen verschieden denkenden Glaubensge- nossen aufs äusserste hassen, sind sie gleich- gültig gegen andere Bekenner und gewäh- ren ihnen weit eher als ihren eigentlichen Gegnern eine geneigte Aufnahme. Aber auch, schlimm genug! diese Li- beralität leidet unter den Einflüssen Kaiser- licher Willkühr! Ein Reich zu bevölkern oder zu entvölkern ist dem despotischen Willen gleich gemäss. Abbas, verkleidet auf dem Lande herumschleichend, vernimmt die Missreden einiger armenischen Frauen und fühlt sich dergestalt beleidigt, dass er die grausamsten Strafen über die sämmtli- chen männlichen Einwohner des Dorfes verhängt. Schrecken und Bekümmerniss verbreiten sich an den Ufern des Synde- ruths, und die Vorstadt Chalfa, erst durch die Theilnahme des Kaisers an ihrem Feste beglückt, versinkt in die tiefste Trauer. Und so theilen wir immer die Gefühle grosser, durch den Despotismus wechsels- weise erhöhten und erniedrigten Völker. Nun bewundern wir auf welchen hohen Grad von Sicherheit und Wohlstand Abbas, als Selbst- und Alleinherrscher das Reich erhoben, und zugleich diesem Zustand eine solche Dauer verliehen, dass seiner Nach- fahren Schwäche, Thorheit, folgeloses Be- tragen erst nach neunzig Jahren, das Reich völlig zu Grunde richten konnten; dann aber müssen wir freylich die Kehrseite die- ses imposanten Bildes hervorwenden. Da eine jede Alleinherrschaft allen Ein- fluss ablehnet und die Persönlichkeit des Regenten in grösster Sicherheit zu bewah- ren hat, so folgt hieraus, dass der Despot immerfort Verrath argwöhnen, überall Ge- fahr ahnden, auch Gewalt von allen Seiten befürchten müsse, weil er ja selbst nur durch Gewalt seinen erhabenen Posten be- hauptet. Eifersüchtig ist er daher auf je- den, der ausser ihm Ansehn und Vertrauen erweckt, glänzende Fertigkeiten zeigt, Schä- tze sammlet und an Thätigkeit mit ihm zu wetteifern scheint. Nun muss aber in je- dem Sinn der Nachfolger am meisten Ver- dacht erregen. Schon zeugt es von einem grossen Geist des königlichen Vaters wenn er seinen Sohn ohne Neid betrachtet, dem die Natur, in kurzem, alle bisherigen Be- sitzthümer und Erwerbnisse, ohne die Zu- stimmung des mächtig Wollenden, unwider- ruflich übertragen wird. Anderseits wird vom Sohne verlangt, dass er, edelmüthig, gebildet und geschmackvoll, seine Hoffnun- gen mässige, seinen Wunsch verberge und dem väterlichen Schicksal auch nicht dem Scheine nach vorgreife. Und doch! wo ist die menschliche Natur so rein und gross, so gelassen abwartend, so, unter nothwen- digen Bedingungen, mit Freude thätig? dass in einer solchen Lage sich der Vater nicht über den Sohn, der Sohn nicht über den Vater beklage. Und wären sie beyde en- gelrein, so werden sich Ohrenbläser zwi- schen sie stellen, die Unvorsichtigkeit wird zum Verbrechen, der Schein zum Beweis. Wie viele Beyspiele liefert uns die Ge- schichte! wovon wir nur des jammervollen Familienlabyrinths gedenken, in welchem wir den König Herodes befangen sehen. Nicht allein die Seinigen halten ihn immer in schwebender Gefahr, auch ein durch Weissagung merkwürdiges Kind erregt seine Sorgen, und veranlasst eine allgemein ver- breitete Grausamkeit, unmittelbar vor sei- nem Tode. Also erging es auch Abbas dem Gro- ssen; Söhne und Enkel machte man ver- dächtig und sie gaben Verdacht; einer ward unschuldig ermordet, der andere halb schul- dig geblendet. Dieser sprach: mich hast du nicht des Lichts beraubt, aber das Reich. Zu diesen unglücklichen Gebrechen der Despotie fügt sich unvermeidlich ein ande- res, wobey noch zufälliger und unvor- gesehener sich Gewalttbaten und Verbre- chen entwickeln. Ein jeder Mensch wird von seinen Gewohnheiten regiert, nur wird er, durch äussere Bedingungen eingeschränkt, sich mässig verhalten und Mässigung wird ihm zur Gewohnheit. Gerade das Entge- gengesetzte findet sich bey dem Despoten; ein uneingeschränkter Wille steigert sich selbst und muss, von aussen nicht gewarnt, nach dem völlig Gränzenlosen streben. Wir finden hiedurch das Räthsel gelös’t wie aus einem löblichen jungen Fürsten, dessen erste Regierungsjahre gesegnet wurden, sich nach und nach ein Tyrann entwickelt, der Welt zum Fluch, und zum Untergang der Seinen; die auch desshalb öfters dieser Qual eine gewaltsame Heilung zu verschaffen ge- nöthigt sind. Unglücklicherweise nun wird jenes, dem Menschen eingeborne, alle Tugenden be- fördernde Streben ins Unbedingte seiner Wirkung nach schrecklicher wenn physi- sche Reize sich dazu gesellen. Hieraus entsteht die höchste Steigerung, welche glücklicherweise zuletzt in völlige Betäu- bung sich auflös’t. Wir meynen den über- mässigen Gebrauch des Weins, welcher die geringe Gränze einer besonnenen Gerechtig- keit und Billigkeit, die selbst der Tyrann als Mensch nicht ganz verneinen kann, au- genblicklich durchbricht und ein gränzenlo- ses Unheil anrichtet. Wende man das Ge- sagte auf Abbas den Grossen an, der durch seine funfzigjährige Regierung sich zum einzigen, unbedingt-Wollenden seines aus- gebreiteten, bevölkerten Reichs erhoben hatte; denke man sich ihn freymüthiger Natur, gesellig und guter Laune, dann aber durch Verdacht, Verdruss und was am schlimmsten ist, durch übel verstandene Gerechtigkeitsliebe irre geführt, durch hef- tiges Trinken aufgeregt, und, dass wir das Letzte sagen, durch ein schnödes, unheil- bares körperliches Uebel gepeinigt und zur Verzweiflung gebracht: so wird man geste- hen dass diejenigen Verzeihung, wo nicht Lob verdienen, welche einer so schreckli- chen Erscheinung auf Erden ein Ende mach- ten. Selig preisen wir daher gebildete Völ- ker, deren Monarch sich selbst durch ein edles sittliches Bewusstseyn regiert; glück- lich die gemässigten, bedingten Regierun- gen, die ein Herrscher selbst zu lieben und zu fördern Ursache hat, weil sie ihn man- cher Verantwortung überheben, ihm gar manche Reue ersparen. Aber nicht allein der Fürst, sondern ein jeder der, durch Vertrauen, Gunst oder Anmassung, Theil an der höchsten Macht gewinnt, kommt in Gefahr den Kreis zu überschreiten, welchen Gesetz und Sitte, Menschen-Gefühl, Gewissen, Religion und Herkommen, zu Glück und Beruhigung um das Menschengeschlecht gezogen haben. Und so mögen Minister und Günstlinge, Volksvertreter und Volk auf ihrer Huth seyn, dass nicht auch sie, in den Strudel unbedingten Wollens hingerissen, sich und andere unwiederbringlich ins Verderben hinabziehen. Kehren wir nun zu unserm Reisenden zurück, so finden wir ihn in einer unbe- quemen Lage. Bey aller seiner Vorliebe für den Orient muss della Valle doch end- lich fühlen dass er in einem Lande wohnt wo an keine Folge zu denken ist, und wo mit dem reinsten Willen und grösster Thä- tigkeit kein neues Rom zu erbauen wäre. Die Verwandten seiner Frau lassen sich nicht einmal durch Familien-Bande halten; nachdem sie eine Zeitlang, zu Ispahan, in dem vertraulichsten Kreise gelebt finden sie es doch gerathener zurück an den Eu- phrat zu ziehen, und ihre gewohnte Le- bensweise dort fortzusetzen. Die übrigen Georgier zeigen wenig Eifer, ja die Car- meliten, denen das grosse Vorhaben vor- züglich am Herzen liegen musste, können von Rom her weder Antheil noch Beystand erfahren. Della Valle’s Eifer ermüdet und er ent- schliesst sich nach Europa zurückzukeh- ren, leider gerade zur ungünstigsten Zeit. Durch die Wüste zu ziehen scheint ihm unleidlich, er beschliesst über Indien zu gehen; aber jetzt eben entspinnen sich Kriegshändel zwischen Portugiesen, Spa- niern und Engländern wegen Ormus, dem bedeutendsten Handelsplatz, und Abbas findet seinem Vortheil gemäss Theil daran zu nehmen. Der Kaiser beschliesst die un- bequemen portugiesischen Nachbarn zu be- kämpfer, zu entfernen und die hülfreichen Engländer zuletzt; vielleicht durch List und Verzögerung, um ihre Absichten zu bringen und alle Vortheile sich zuzueignen. In solchen bedenklichen Zeitläuften überrascht nun unsern Reisenden das wun- derbare Gefühl eigner Art, das den Men- schen mit sich selbst in den grössten Zwie- spalt setzt, das Gefühl der weiten Entfer- nung vom Vaterlande, im Augenblick wo wir, unbehaglich in der Fremde, nach Hause zurückzuwandern, ja schon dort an- gelangt zu seyn wünschten. Fast unmög- lich ist es in solchem Fall sich der Unge- duld zu erwehren; auch unser Freund wird davon ergriffen, sein lebhafter Charakter, sein edles tüchtiges Selbstvertrauen täuschen ihn über die Schwierigkeiten die im Wege stehen. Seiner zu Wagnissen aufgelegten Kühnheit ist es bisher gelungen alle Hin- dernisse zu besiegen, alle Plane durchzu- setzen, er schmeichelt sich fernerhin mit gleichem Glück und entschliesst sich, da eine Rückkehr ihm durch die Wüste unerträg- lich scheint, zu dem Weg über Indien, in Gesellschaft seiner schönen Maani und ihrer Pflegetochter Mariuccia. Manches unangenehme Ereigniss tritt ein, als Vorbedeutung künftiger Gefahr; doch zieht er über Persepolis und Schiras, wie immer aufmerkend, Gegenstände, Sit- ten und Landesart genau bezeichnend und aufzeichnend. So gelangt er an den persi- schen Meerbusen, dort aber findet er, wie vorauszusehen gewesen, die sämmtlichen Häfen geschlossen, alle Schiffe, nach Kriegs- gebrauch, in Beschlag genommen. Dort am Ufer, in einer höchst ungesunden Ge- gend, trifft er Engländer gelagert, deren Caravane gleichfalls aufgehalten, einen gün- stigen Augenblick erpassen möchte. Freund- lich aufgenommen, schliesst er sich an sie an, errichtet seine Gezelte nächst den ih- rigen und eine Palmhütte zu besserer Be- quemlichkeit. Hier scheint ihm ein freund- licher Stern zu leuchten! Seine Ehe war bisher kinderlos, und zu grösster Freude beyder Gatten erklärt sich Maani guter Hoffnung; aber ihn ergreift eine Krank- heit, schlechte Kost und böse Luft zeigen den schlimmsten Einfluss auf ihn und lei- der auch auf Maani, sie kommt zu früh nieder und das Fieber verlässt sie nicht. Ihr standhafter Charakter, auch ohne ärzt- liche Hülfe, erhält sie noch eine Zeitlang, sodann aber fühlt sie ihr Ende heranna- hen, ergiebt sich in frommer Gelassen- heit, verlangt aus der Palmenhütte unter die Zelte gebracht zu seyn, woselbst sie, indem Mariuccia die geweihte Kerze hält und della Valle die herkömmlichen Gebete verrichtet, in seinen Armen verscheidet. Sie hatte das dreyundzwanzigste Jahr er- reicht. Einem solchen ungeheuren Verluste zu schmeicheln beschliesst er fest und unwi- derruflich den Leichnam in sein Erbbegräb- niss mit nach Rom zu nehmen. An Har- zen, Balsamen und kostbaren Specereyen fehlt es ihm, glücklicherweise findet er eine Ladung des besten Kampfers, welcher, kunstreich durch erfahrne Personen ange- wendet, den Körper erhalten soll. Hiedurch aber übernimmt er die grösste Beschwerde, indem er so fortan den Aber- glauben der Cameeltreiber, die habsüchtigen Vorurtheile der Beamten, die Aufmerksam- keit der Zollbedienten auf der ganzen künf- tigen Reise zu beschwichtigen oder zu be- stechen hat. Nun begleiten wir ihn nach Lar, der Hauptstadt des Laristan, wo er bessere Luft, gute Aufnahme findet, und die Er- oberung von Ormus durch die Perser ab- wartet. Aber auch ihre Triumphe dienen ihm zu keiner Förderniss. Er sieht sich wieder nach Schiras zurückgedrängt, bis er denn doch endlich mit einem englischen Schiffe nach Indien geht. Hier finden wir sein Betragen dem bisherigen gleich; sein standhafter Muth, seine Kenntnisse, seine adlichen Eigenschaften verdienen ihm über- all leichten Eintritt und ehrenvolles Ver- weilen, endlich aber wird er doch nach dem persischen Meerbusen zurück und zur Heimfahrt durch die Wüste genöthigt. Hier erduldet er alle gefürchteten Un- bilden. Von Stammhäuptern decimirt, taxirt von Zollbeamten, beraubt von Arabern und selbst in der Christenheit überall vexirt und verspätet, bringt er doch endlich Curiosi- täten und Kostbarkeiten genug, das Selt- samste und Kostbarste aber, den Körper seiner geliebten Maani nach Rom. Dort, auf Ara cöli, begeht er ein herrliches Lei- chenfest und als er in die Grube hinab- steigt, ihr die letzte Ehre zu erweisen, fin- den wir zwey Jungfräulein neben ihm, Silvia , eine während seiner Abwesenheit anmuthig herangewachsenen Tochter, und Tinatin di Ziba , die wir bisher unter dem Namen Mariuccia gekannt, beyde un- gefähr funfzehnjährig. Letztere, die seit dem Tode seiner Gemalin eine treue Rei- segefährtin und einziger Trost gewesen, nunmehr zu heirathen entschliesst er sich, gegen den Willen seiner Verwandten, ja des Papstes, die ihm vornehmere und rei- chere Verbindungen zudenken. Nun be- thätigt er, noch mehrere Jahre glanzreich, einen heftig-kühnen und muthigen Cha- rakter, nicht ohne Händel, Verdruss und Gefahr, und hinterlässt bey seinem Tode, der im sechsundsechzigsten Jahre erfolgt, eine zahlreiche Nachkommenschaft. Entschuldigung . Es lässt sich bemerken dass ein jeder den Weg, auf welchem er zu irgend einer Kenntniss und Einsicht gelangt, allen übri- gen vorziehen und seine Nachfolger gern auf denselben einleiten und einweihen möch- te. In diesem Sinne hab’ ich Peter della Valle umständlich dargestellt, weil er der- jenige Reisende war, durch den mir die Eigenthümlichkeiten des Orients am ersten 32 und klarsten aufgegangen, und meinem Vor- urtheil will scheinen dass ich durch diese Darstellung erst meinem Divan einen ei- genthümlichen Grund und Boden gewon- nen habe. Möge diess andern zur Aufmun- terung gereichen, in dieser Zeit, die so reich an Blättern und einzelnen Heften ist, einen Folianten durchzulesen, durch den sie entschieden in eine bedeutende Welt gelangen, die ihnen in den neusten Reise- beschreibungen zwar oberflächlich-umgeän- dert, im Grund aber als dieselbe erschei- nen wird, welche sie dem vorzüglichen Manne zu seiner Zeit erschien. Wer den Dichter will verstehen Muss in Dichters Lande gehen; Er im Orient sich freue Dass das Alte sey das Neue. Olearius . Die Bogenzahl unserer, bis hierher ab- gedruckten Arbeiten erinnert uns vorsich- tiger und weniger abschweifend von nun an fortzufahren. Desswegen sprechen wir von dem genannten trefflichen Manne nur im Vorübergehen. Sehr merkwürdig ist es, verschiedene Nationen als Reisende zu be- trachten. Wir finden Engländer, unter welchen wir Sherley und Herbert ungern vorbeygingen; sodann aber Italiäner; zu- letzt Franzosen. Hier trete nun ein Deut- scher hervor in seiner Kraft und Würde. Leider war er auf seiner Reise nach dem persischen Hof an einen Mann gebunden, der mehr als Abenteurer, denn als Gesand- ter erscheint; in beidem Sinne aber sich eigenwillig, ungeschickt, ja unsinnig be- nimmt. Der Geradsinn des trefflichen Olea- rius lässt sich dadurch nicht irre machen; er giebt uns höchst erfreuliche und belehrende Reiseberichte, die um so schätzbarer sind, 32 * als er nur wenige Jahre nach della Valle und kurz nach dem Tode Abbas des Gro- ssen nach Persien kam, und bey seiner Rückkehr die Deutschen mit Saadi dem Trefflichen, durch eine tüchtige und er- freuliche Uebersetzung bekannt machte. Ungern brechen wir ab, weil wir auch diesem Manne, für das Gute das wir ihm schuldig sind, gründlichen Dank abzutra- gen wünschten. In gleicher Stellung finden wir uns gegen die beyden folgenden, deren Verdienste wir auch nur oberflächlich be- rühren dürfen. Tavernier und Chardin . Ersterer, Goldschmidt und Juwelen- händler, dringt mit Verstand und klugem Betragen, kostbar-kunstreiche Waaren zu seiner Empfehlung vorzeigend, an die orien- talischen Höfe und weiss sich überall zu schicken und zu finden. Er gelangt nach Indien zu den Demantgruben, und, nach einer gefahrvollen Rückreise, wird er im Westen nicht zum freundlichsten aufgenom- men. Dessen hinterlassene Schriften sind höchst belehrend, und doch wird er von seinem Landsmann, Nachfolger und Rival Chardin nicht sowohl im Lebensgange gehindert, als in der öffentlichen Meynung nachher verdunkelt. Dieser, der sich gleich zu Anfang seiner Reise durch die grössten Hindernisse durcharbeiten muss, versteht denn auch die Sinnesweise orientalischer Macht- und Geldhaber, die zwischen Gross- muth und Eigennutz schwankt, trefflich zu benutzen, und ihrer, beym Besitz der gröss- ten Schätze, nie zu stillenden Begier nach frischen Juwelen und fremden Goldarbeiten vielfach zu dienen, desshalb er denn auch nicht ohne Glück und Vortheil wieder nach Hause zurückkehrt. An diesen beyden Männern ist Ver- stand, Gleichmuth, Gewandtheit, Beharr- lichkeit, einnehmendes Betragen und Stand- haftigkeit nicht genug zu bewundern, und könnte jeder Weltmann sie auf seiner Le- bensreise als Muster verehren. Sie besassen aber zwey Vortheile, die nicht einem je- den zu statten kommen; sie waren Prote- stanten und Franzosen zugleich. Eigen- schaften, die, zusammen verbunden, höchst fähige Individuen hervorzubringen im Stande sind. Neuere und neuste Reisende . Was wir dem achtzehnten und schon dem neunzehnten Jahrhundert verdanken, darf hier gar nicht berührt werden. Die Engländer haben uns in der letzten Zeit über die unbekanntesten Gegenden aufge- klärt. Das Königreich Kabul, das alte Gedrosien und Caramanien sind uns zu- gänglich geworden. Wer kann seine Bli- cke zurückhalten dass sie nicht über den Indus hinüberstreifen und dort die grosse Thätigkeit anerkennen die täglich weiter um sich greift; und so muss sich denn, hie- durch gefördert, auch im Occident, die Lust nach ferner und tieferer Sprachkennt- niss immer erweitern. Wenn wir beden- ken, welche Schritte Geist und Fleiss Hand in Hand gethan haben, um aus dem be- schränkten hebräisch-rabbinischen Kreise bis zur Tiefe und Weite des Sanscrit zu gelangen; so erfreut man sich, seit so vie- len Jahren, Zeuge dieses Fortschreitens zu seyn. Selbst die Kriege die, so manches hindernd, zerstören, haben der gründlichen Einsicht viele Vortheile gebracht. Von den Himelaja-Gebirgen herab sind uns die Län- dereyen zu beiden Seiten des Indus, die bisher noch mährchenhaft genug geblieben, klar, mit der übrigen Welt im Zusammen- hang erschienen. Ueber die Halbinsel hin- unter bis Java können wir nach Belieben, nach Kräften und Gelegenheit unsere Ueber- sicht ausdehnen und uns im Besondersten unterrichten; und so öffnet sich den jün- gern Freunden des Orients eine Pforte nach der andern, um die Geheimnisse jener Ur- welt, die Mängel einer seltsamen Verfas- sung und unglücklichen Religion, so wie die Herrlichkeit der Poesie kennen zu ler- nen, in die sich reine Menschheit, edle Sitte, Heiterkeit und Liebe flüchtet, um uns über Castenstreit, phantastische Reli- gions-Ungeheuer und abstrusen Mysticis- mus zu trösten und zu überzeugen, dass doch zuletzt in ihr das Heil der Mensch- heit aufbewahrt bleibe. Lehrer; Abgeschiedene, Mitlebende . Sich selbst genaue Rechenschaft zu ge- ben von wem wir, auf unserem Lebens- und Studiengange, dieses oder jenes gelernt, wie wir nicht allein durch Freunde und Genossen, sondern auch durch Widersacher und Feinde gefördert worden, ist eine schwierige, kaum zu lösende Aufgabe. In- dessen fühl’ ich mich angetrieben einige Männer zu nennen, denen ich besonderen Dank abzutragen schuldig bin. Jones . Die Verdienste dieses Mannes sind so weltbekannt und an mehr als einem Orte umständlich gerühmt, dass mir nichts übrig bleibt als nur im Allgemeinen anzu- erkennen dass ich aus seinen Bemühungen von jeher möglichsten Vortheil zu ziehen gesucht habe; doch will ich eine Seite be- zeichnen, von welcher er mir besonders merkwürdig geworden. Er, nach ächter englischer Bildungs- weise, in griechischer und lateinischer Li- teratur dergestalt gegründet, dass er nicht allein die Producte derselben zu würdern, sondern auch selbst in diesen Sprachen zu arbeiten weiss, mit den europäischen Lite- raturen gleichfalls bekannt, in den orien- talischen bewandert, erfreut er sich der doppelt schönen Gabe, einmal eine jede Nation in ihren eigensten Verdiensten zu schätzen, sodann aber das Schöne und Gute worin sie sämmtlich einander nothwendig gleichen überall aufzufinden. Bey der Mittheilung seiner Einsichten jedoch findet er manche Schwierigkeit, vor- züglich stellt sich ihm die Vorliebe seiner Nation für alte classische Literatur entge- gen und wenn man ihn genau beobachtet, so wird man leicht gewahr dass er, als ein kluger Mann, das Unbekannte ans Be- kannte, das Schätzenswerthe an das Ge- schätzte anzuschliessen sucht; er verschleyert seine Vorliebe für asiatische Dichtkunst und giebt mit gewandter Bescheidenheit meistens solche Beyspiele, die er lateinischen und griechischen hochbelobten Gedichten gar wohl an die Seite stellen darf, er be- nutzt die rhythmischen antiken Formen, um die anmuthigen Zartheiten des Orients auch Classicisten eingänglich zu machen. Aber nicht allein von alterthümlicher, sondern auch von patriotischer Seite mochte er viel Verdruss erlebt haben, ihn schmerzte Herab- setzung orientalischer Dichtkunst; welches deutlich hervorleuchtet aus dem hart-iro- nischen, nur zweyblättrigen Aufsatz: Arabs, sive de Poësi Anglorum Dialogus , am Schlusse seines Werkes: über Asiatische Dichtkunst. Hier stellt er uns mit offenbarer Bitterkeit vor Augen, wie absurd sich Milton und Pope im orientalischen Gewand ausnähmen; woraus denn folgt, was auch wir so oft wiederholen, dass man jeden Dichter in seiner Sprache und im eigenthümlichen Be- zirk seiner Zeit und Sitten aufsuchen, ken- nen und schätzen müsse. Eichhorn . Mit vergnüglicher An- erkennung bemerke ich, dass ich bey meinen gegenwärtigen Arbeiten noch das- selbe Exemplar benutze, welches mir der hochverdiente Mann, von seiner Ausgabe des Jones’schen Werks, vor zweyundvier- zig Jahren verehrte, als wir ihn noch un- ter die Unseren zählten und aus seinem Munde gar manches Heilsam-Belehrende vernahmen. Auch die ganze Zeit über bin ich seinem Lehrgange im Stillen gefolgt, und in diesen letzten Tagen freute ich mich höchlich abermals von seiner Hand das höchst wichtige Werk, das uns die Propheten und ihre Zustände aufklärt, vollendet zu erhalten. Denn was ist erfreulicher, für den ruhig-verständigen Mann, wie für den aufgeregten Dichter, als zu sehen, wie jene gottbegabten Männer mit hohem Gei- ste ihre bewegte Zeitumgebung betrachte- ten und auf das Wundersam-Bedenkliche was vorging strafend, warnend, tröstend und herzerhebend hindeuteten. Mit diesem Wenigen sey mein dankba- rer Lebensbezug zu diesem würdigen Manne treulich ausgesprochen. Lorsbach . Schuldigkeit ist es hier auch des wackern Lorsbach zu gedenken. Er kam betagt in unsern Kreis, wo er, in keinem Sinne, für sich eine behagliche La- ge fand; doch gab er mir gern über alles worüber ich ihn befragte treuen Bescheid, sobald es innerhalb der Grenze seiner Kennt- nisse lag, die er oft mochte zu scharf ge- zogen haben. Wundersam schien es mir anfangs ihn als keinen sonderlichen Freund orientali- scher Poesie zu finden; und doch geht es einem jeden auf ähnliche Weise, der auf irgend ein Geschäft mit Vorliebe und En- thusiasmus Zeit und Kräfte verwendet und doch zuletzt eine gehoffte Ausbeute nicht zu finden glaubt. Und dann ist ja das Al- ter die Zeit die des Genusses entbehrt, da wo ihn der Mensch am meisten verdiente. Sein Verstand und seine Redlichkeit waren gleich heiter und ich erinnere mich der Stunden die ich mit ihm zubrachte immer mit Vergnügen. Von Diez . Einen bedeutenden Einfluss auf mein Studium, den ich dankbar erkenne, hatte der Prälat von Diez. Zur Zeit da ich mich um orientalische Literatur näher beküm- merte, war mir das Buch des Kabus zu Handen gekommen, und schien mir so be- deutend, dass ich ihm viele Zeit widmete und mehrere Freunde zu dessen Betrachtung aufforderte. Durch einen Reisenden bot ich jenem schätzbaren Manne, dem ich so viel Belehrung schuldig geworden, einen ver- bindlichen Gruss. Er sendete mir dagegen freundlich das kleine Büchlein über die Tulpen. Nun liess ich, auf seidenartiges Papier, einen kleinen Raum mit prächtiger goldner Blumen-Einfassung verzieren, wor- in ich nachfolgendes Gedicht schrieb: Wie man mit Vorsicht auf der Erde wandelt, Es sey bergauf, es sey hinab vom Thron, Und wie man Menschen, wie man Pferde handelt Das alles lehrt der König seinen Sohn. Wir wissens nun, durch Dich der uns beschenkte; Jetzt fügest du der Tulpe Flor daran, Und wenn mich nicht der goldne Rahm beschränkte Wo endete was Du für uns gethan. Und so entspann sich eine briefliche Unterhaltung, die der würdige Mann, bis an sein Ende, mit fast unleserlicher Hand, unter Leiden und Schmerzen getreulich fort- setzte. Da ich nun mit Sitten und Geschichte des Orients bisher nur im Allgemeinen, mit Sprache so gut wie gar nicht bekannt ge- wesen, war eine solche Freundlichkeit mir von der grössten Bedeutung. Denn weil es mir, bey einem vorgezeichneten, metho- dischen Verfahren, um augenblickliche Auf- klärung zu thun war, welche in Büchern zu finden Kraft und Zeit verzehrenden Auf- wand erfordert hätte, so wendete ich mich in bedenklichen Fällen an ihn, und erhielt auf meine Frage jederzeit genügende und fördernde Antwort. Diese seine Briefe ver- dienten gar wohl wegen ihres Gehalts ge- druckt und als ein Denkmal seiner Kennt- nisse und seines Wohlwollens aufgestellt zu werden. Da ich seine strenge und ei- gene Gemüthsart kannte, so hütete ich mich ihn von gewisser Seite zu berühren; doch war er gefällig genug, ganz gegen seine Denkweise, als ich den Charakter des Nussreddin Chodscha , des lustigen Reise- und Zeltgefährten des Welteroberers Timur, zu kennen wünschte, mir einige jener Anecdoten zu übersetzen. Woraus denn abermal hervorging, dass gar manche verfängliche Mährchen, welche die West- länder nach ihrer Weise behandelt, sich vom Orient herschreiben, jedoch die ei- gentliche Farbe, den wahren angemessenen Ton bey der Umbildung meistentheils ver- loren. Da von diesem Buche das Manuscript sich nun auf der Königlichen Bibliothek zu Berlin befindet, wäre es sehr zu wün- schen dass ein Meister dieses Faches uns eine Uebersetzung gäbe. Vielleicht wäre sie in lateinischer Sprache am füglichsten zu unternehmen, damit der Gelehrte vor- erst vollständige Kenntniss davon erhielte. Für das deutsche Publikum liesse sich als- denn recht wohl eine anständige Ueberse- tzung im Auszug veranstalten. Dass ich an des Freundes übrigen Schriften, den Denkwürdigkeiten des Orients u. s. w. Theil genommen und Nutzen daraus gezogen, davon möge gegen- wärtiges Heft Beweise führen; bedenklicher ist es zu bekennen dass auch seine, nicht gerade immer zu billigende, Streitsucht mir vielen Nutzen geschafft. Erinnert man sich aber seiner Universitäts-Jahre, wo man gewiss zum Fechtboden eilte, wenn ein paar Mei- ster oder Senioren Kraft und Gewandtheit gegen einander versuchten, so wird niemand in Abrede seyn, dass man bey solcher Ge- legenheit Stärken und Schwächen gewahr wurde, die einem Schüler vielleicht für immer verborgen geblieben wären. Der Verfasser des Buches Kabus, Kjekjawus , König der Dilemiten, wel- che das Gebirgs-Land Ghilan, das gegen Mittag den Pontus euxinus abschliesst, bewohnten, wird uns bey näherer Bekannt- 33 schaft doppelt lieb werden. Als Kronprinz höchst sorgfältig zum freysten, thätigsten Leben erzogen, verliess er das Land, um weit in Osten sich auszubilden und zu prü- fen. Kurz nach dem Tode Mahmuds, von welchem wir so viel Rühmliches zu melden hatten, kam er nach Gasna, wurde von dessen Sohne Messud freundlichst aufge- nommen und, in Gefolg mancher Kriegs- und Friedensdienste, mit einer Schwester vermählt. An einem Hofe, wo vor we- nigen Jahren Firdusi das Schach Nameh ge- schrieben, wo eine grosse Versammlung von Dichtern und talentvollen Menschen nicht ausgestorben war, wo der neue Herr- scher, kühn und kriegerisch wie sein Va- ter, geistreiche Gesellschaft zu schätzen wusste, konnte Kjekjawus auf seiner Irr- fahrt den köstlichsten Raum zu fernerer Ausbildung finden. Doch müssen wir zuerst von seiner Erziehung sprechen. Sein Vater hatte, die körperliche Ausbildung aufs höchste zu stei- gern, ihn einem trefflichen Pädagogen über- geben. Dieser brachte den Sohn zurück, geübt in allen ritterlichen Gewandtheiten: zu schiessen, zu reiten, reitend zu schie- ssen, den Speer zu werfen, den Schlägel zu führen und damit den Ball aufs geschick- teste zu treffen. Nachdem diess alles voll- kommen gelang und der König zufrieden schien, auch desshalb den Lehrmeister höch- lich lobte, fügte er hinzu: Ich habe doch noch eins zu erinnern. Du hast meinen Sohn in allem unterrichtet, wozu er frem- der Werkzeuge bedarf, ohne Pferd kann er nicht reiten, nicht schiessen ohne Bo- gen, was ist sein Arm wenn er keinen Wurfspiess hat, und was wäre das Spiel ohne Schlägel und Ball. Das Einzige hast du ihn nicht gelehrt, wo er sein selbst al- lein bedarf, welches das Nothwendigste ist und wo ihm niemand helfen kann. Der Lehrer stand beschämt und vernahm dass dem Prinzen die Kunst zu schwimmen feh- le. Auch diese wurde, jedoch mit einigem Widerwillen des Prinzen, erlernt und diese rettete ihm das Leben, als er auf einer Reise nach Mekka, mit einer grossen Men- ge Pilger, auf dem Euphrat scheiternd nur mit wenigen davon kam. 33 * Dass er geistig in gleich hohem Grade gebildet gewesen beweist die gute Auf- nahme die er an dem Hofe von Gasna ge- funden, dass er zum Gesellschafter des Für- sten ernannt war, welches damals viel hei- ssen wollte, weil er gewandt seyn musste, verständig und angenehm von allem Vor- kommenden genügende Rechenschaft zu ge- ben. Unsicher war die Thronfolge von Ghi- lan, unsicher der Besitz des Reiches selbst, wegen mächtiger, eroberungssüchtiger Nach- barn. Endlich nach dem Tode seines erst abgesetzten, dann wieder eingesetzten kö- niglichen Vaters bestieg Kjekjawus mit grosser Weisheit und entschiedener Erge- benheit in die mögliche Folge der Ereig- nisse den Thron, und, in hohem Alter, da er voraussah dass der Sohn Ghilan Schach noch einen gefährlichern Stand haben werde als er selbst, schreibt er diess merkwürdige Buch, worin er zu seinem Sohne spricht: „dass er ihn mit Künsten und Wissenschaften aus dem doppelten Grunde bekannt mache, um entweder durch irgend eine Kunst seinen Unterhalt zu ge- winnen, wenn er durchs Schicksal in die Nothwendigkeit versetzt werden möchte, oder im Fall er der Kunst zum Unterhalt nicht bedürfte, doch wenigstens vom Grun- de jeder Saohe wohl unterrichtet zu seyn, wenn er bey der Hoheit verbleiben sollte. Wäre in unsern Tagen den hohen Emigrirten, die sich oft mit musterhafter Ergebung von ihrer Hände Arbeit nährten, ein solches Buch zu Handen gekommen, wie tröstlich wäre es ihnen gewesen. Dass ein so vortreffliches, ja unschätz- bares Buch nicht mehr bekannt geworden, daran mag hauptsächlich Ursache seyn, dass es der Verfasser auf seine eigene Kosten herausgab und die Firma Nicolai solches nur in Commission genommen hatte, wo- durch gleich für ein solches Werk im Buch- handel eine ursprüngliche Stockung entsteht. Damit aber das Vaterland wisse, welcher Schatz ihm hier zubereitet liegt, so setzen wir den Inhalt der Capitel hierher und er- suchen die schätzbaren Tagesblätter, wie das Morgenblatt und der Gesellschaft- ter , die so erbaulichen als erfreulichen Anecdoten und Geschichten, nicht weniger die grossen unvergleichlichen Maximen, die dieses Werk enthält, vorläufig allgemein bekannt zu machen. Inhalt des Buches Kabus capitelweise . 1) Erkenntniss Gottes. 2) Lob des Propheten. 3) Gott wird gepriesen. 4) Fülle des Gottesdienstes ist nothwendig und nützlich. 5) Pflichten gegen Vater und Mutter. 6) Herkunft durch Tugend zu erhöhen. 7) Nach welchen Regeln man sprechen muss. 8) Die letzten Regeln Nuschirewans. 9) Zustand des Alters und der Jugend. 10) Wohlanständigkeit und Regeln beym Essen. 11) Verhalten beym Weintrinken. 12) Wie Gäste einzuladen und zu bewir- then. 13) Auf welche Weise gescherzt. Stein und Schach gespielt werden muss. 14) Beschaffenheit der Liebenden. 15) Nutzen und Schaden der Beywohnung. 16) Wie man sich baden und waschen muss. 17) Zustand des Schlafens und Ruhens. 18) Ordnung bey der Jagd. 19) Wie Ballspiel zu treiben. 20) Wie man dem Feind entgegen gehen muss. 21) Mittel das Vermögen zu vermehren. 22) Wie anvertraut Gut zu bewahren und zurück zu geben. 23) Kauf der Sclaven und Sclavinnen. 24) Wo man Besitzungen ankaufen muss. 25) Pferdekauf und Kennzeichen der besten. 26) Wie der Mann ein Weib nehmen muss. 27) Ordnung bey Auferziehung der Kinder. 28) Vortheile sich Freunde zu machen und sie zu wählen. 29) Gegen der Feinde Anschläge und Ränke nicht sorglos zu seyn. 30) Verdienstlich ist es zu verzeihen. 31) Wie man Wissenschaft suchen muss. 32) Kaufhandel. 33) Regeln der Aerzte und wie man leben muss. 34) Regeln der Sternkundigen. 35) Eigenschaften der Dichter und Dicht- kunst. 36) Regeln der Musiker. 37) Die Art Kaisern zu dienen. 38) Stand der Vertrauten und Gesellschafter der Kaiser. 39) Regeln der Canzley-Aemter. 40) Ordnung des Vezirats. 41) Regeln der Heerführerschaft. 42) Regeln der Kaiser. 43) Regeln des Ackerbaues und der Land- wirthschaft. 44) Vorzüge der Tugend. Wie man nun aus einem Buche solchen Inhalts sich ohne Frage eine ausgebreitete Kenntniss der orientalischen Zustände ver- sprechen kann, so wird man nicht zweiflen dass man darin Analogien genug finden wer- de sich in seiner europäischen Lage zu be- lehren und zu beurtheilen. Zum Schluss eine kurze chronologische Wiederholung. König Kjekjawus kam un- gefähr zur Regierung Heg 450=1058, re- gierte noch Heg 473=1080, vermählt mit einer Tochter des Sultan Mahmud von Ghasna. Sein Sohn, Ghilan Schach, für welchen er das Werk schrieb, ward seiner Länder beraubt. Man weiss wenig von seinem Leben, nichts von seinem Tode. Siehe Diez Uebersetzung. Berlin 1811. Diejenige Buchhandlung die vorgemelde- tes Werk in Verlag oder Commission über- nommen wird ersucht solches anzuzeigen. Ein billiger Preis wird die wünschenswerthe Verbreitung erleichtern. Von Hammer . Wie viel ich diesem würdigen Mann schuldig geworden, beweist mein Büchlein in allen seinen Theilen. Längst war ich auf Hafis und dessen Gedichte aufmerksam, aber was mir auch Literatur, Reisebeschrei- bung Zeitblatt und sonst zu Gesicht brachte, gab mir keinen Begriff, keine Anschauung von dem Werth, von dem Verdienste die- ses ausserordentlichen Mannes. Endlich aber, als mir, im Frühling 1813, die voll- ständige Uebersetzung aller seiner Werke zukam, ergriff ich mit besonderer Vorliebe sein inneres Wesen und suchte mich durch eigene Production mit ihm in Verhältniss zu setzen. Diese freundliche Beschäftigung half mir über bedenkliche Zeiten hinweg, und liess mich zuletzt die Früchte des er- rungenen Friedens aufs angenehmste genie- ssen. Schon seit einigen Jahren war mir der schwunghafte Betrieb der Fundgruben im Allgemeinen bekannt geworden, nun aber erschien die Zeit wo ich Vortheil daraus gewinnen sollte. Nach mannichfaltigen Sei- ten hin deutete dieses Werk, erregte und befriedigte zugleich das Bedürfniss der Zeit; und hier bewahrheitete sich mir abermals die Erfahrung, dass wir in jedem Fach von den Mitlebenden auf das schönste gefördert werden, sobald man sich ihrer Vorzüge dankbar und freundlich bedienen mag. Kennt- nissreiche Männer belehren uns über die Vergangenheit, sie geben den Standpunct an, auf welchem sich die augenblickliche Thätigkeit hervorthut, sie deuten vorwärts auf den nächsten Weg, den wir einzuschla- gen haben. Glücklicher Weise wird ge- nanntes herrliche Werk noch immer mit gleichem Eifer fortgesetzt, und wenn man auch in diesem Felde seine Untersuchungen rückwärts anstellt; so kehrt man doch im- mer gern mit erneutem Antheil zu demje- nigen zurück, was uns hier so frisch ge- niessbar und brauchbar von vielen Seiten geboten wird. Um jedoch eines zu erinnern muss ich gestehen, dass mich diese wichtige Samm- lung noch schneller gefördert hätte, wenn die Herausgeber, die freylich nur für voll- endete Kenner eintragen und arbeiten, auch auf Laien und Liebhaber ihr Augenmerk gerichtet und, wo nicht allen, doch meh- reren Aufsätzen eine kurze Einleitung, über die Umstände vergangner Zeit, Persönlich- keiten, Localitäten, vorgesetzt hätten; da denn freylich manches mühsame und zer- streuende Nachsuchen dem Lernbegierigen wäre erspart worden. Doch alles was damals zu wünschen blieb ist uns jetzt in reichlichem Masse ge- worden, durch das unschätzbare Werk, das uns Geschichte persischer Dichtkunst überliefert. Denn ich gestehe gern dass schon im Jahre 1814, als die Göttinger Anzeigen uns die erste Nachricht von des- sen Inhalt vorläufig bekannt machten, ich sogleich meine Studien nach den gegebenen Rubriken ordnete und einrichtete, wodurch mir ein ansehnlicher Vortheil geworden. Als nun aber das mit Ungeduld erwartete Ganze endlich erschien, fand man sich auf einmal wie mitten in einer bekannten Welt, deren Verhältnisse man klar im Einzelnen erkennen und beachten konnte, da wo man sonst nur im Allgemeinsten, durch wech- selnde Nebelschichten bindurchsah. Möge man mit meiner Benutzung die- ses Werks einigermassen zufrieden seyn und die Absicht erkennen auch diejenigen anzulocken, welche diesen gehäuften Schatz auf ihrem Lebenswege vielleicht weit zur Seite gelassen hätten. Gewiss besitzen wir nun ein Fun- dament, worauf die persische Literatur herrlich und übersehbar aufgebaut werden kann, nach dessen Muster auch andere Li- teraturen Stellung und Förderniss gewin- nen sollen. Höchst wünschenswerth bleibt es jedoch dass man die chronologische Ord- nung immerfort beybehalte und nicht etwa einen Versuch mache einer systematischen Aufstellung, nach den verschiedenen Dicht- arten. Bey den orientalischen Poeten ist alles zu sehr gemischt, als dass man das Einzelne sondern könnte; der Charakter der Zeit und des Dichters in seiner Zeit ist allein belehrend und wirkt belebend auf einen jeden; wie es hier geschehen, bleibe ja die Behandlung sofortan. Mögen die Verdienste der glänzenden Schirin, des lieblich ernst belehrenden Klee- blatts, das uns eben am Schluss unserer Arbeit erfreut, allgemein anerkannt werden. Uebersetzungen . Da nun aber auch der Deutsche durch Uebersetzungen aller Art gegen den Orient immer weiter vorrückt, so finden wir uns veranlasst etwas zwar Bekanntes, doch nie genug zu Wiederholendes an dieser Stelle beyzubringen. Es giebt dreyerley Arten Uebersetzung. Die erste macht uns in unserm eigenen Sinne mit dem Auslande bekannt, eine schlicht ‒ prosaische ist hiezu die beste. Denn indem die Prosa alle Eigenthümlich- keiten einer jeden Dichtkunst völlig auf- hebt und selbst den poetischen Enthusias- mus auf eine allgemeine Wasser-Ebne nie- derzieht, so leistet sie für den Anfang den grössten Dienst, weil sie uns mit dem frem- den Vortrefflichen, mitten in unserer natio- nellen Häuslichkeit, in unserem gemeinen Leben überrascht und, ohne dass wir wis- sen wie uns geschieht, eine höhere Stim- mung verleihend, wahrhaft erbaut. Eine solche Wirkung wird Luthers Bibelüber- setzung jederzeit hervorbringen. Hätte man die Nibelungen gleich in tüchtige Prosa gesetzt und sie zu einem Volksbuche gestempelt, so wäre viel ge- wonnen worden, und der seltsame, ernste, düstere, grauerliche Rittersinn hätte uns mit seiner vollkommenen Kraft angespro- chen. Ob dieses jetzt noch räthlich und thunlich sey werden diejenigen am besten beurtheilen, die sich diesen alterthümlichen Geschäften entschiedener gewidmet haben. Eine zweyte Epoche folgt hierauf, wo man sich in die Zustände des Auslandes zwar zu versetzen, aber eigentlich nur fremden Sinn sich anzueignen und mit eig- nem Sinne wieder darzustellen bemüht ist. Solche Zeit möchte ich im reinsten Wort- verstand die parodistische nennen. Meistentheils sind es geistreiche Menschen, die sich zu einem solchen Geschäft beru- fen fühlen. Die Franzosen bedienen sich dieser Art bey Uebersetzung aller poetischen Werke; Beyspiele zu Hunderten lassen sich in Delilles Uebertragungen finden. Der Franzose, wie er sich fremde Worte mund- recht macht, verfährt auch so mit den Ge- fühlen, Gedanken, ja den Gegenständen, er fordert durchaus für jede fremde Frucht ein Surrogat das auf seinem eignen Grund und Boden gewachsen sey. Wielands Uebersetzungen gehören zu dieser Art und Weise; auch er hatte einen eigenthümlichen Verstands- und Geschmack- sinn, mit dem er sich dem Alterthum, dem Auslande nur insofern annäherte, als er seine Convenienz dabey fand. Dieser vor- zügliche Mann darf als Repräsentant seiner Zeit angesehen werden; er hat ausseror- dentlich gewirkt, indem gerade das was ihn anmuthete, wie er sichs zueignete und es wieder mittheilte, auch seinen Zeitge- nossen angenehm und geniessbar begeg- nete. Weil man aber weder im Vollkommenen noch Unvollkommenen lange verharren kann, sondern eine Umwandlung nach der andern immerhin erfolgen muss; so erleb- ten wir den dritten Zeitraum, welcher der höchste und letzte zu nennen ist, derjenige nämlich, wo man die Uebersetzung dem Ori- ginal identisch machen möchte, so dass eins nicht anstatt des andern, sondern an der Stelle des andern gelten solle. Diese Art erlitt anfangs den grössten Widerstand; denn der Uebersetzer der sich fest an sein Original anschliesst giebt mehr oder weniger die Originalität seiner Nation auf, und so entsteht ein Drittes, wozu der Geschmack der Menge sich erst heran bil- den muss. Der nie genug zu schätzende Voss konnte das Publikum zuerst nicht befriedi- gen, bis man sich nach und nach in die neue Art hinein hörte, hinein bequemte. Wer nun aber jetzt übersieht was gesche- hen ist, welche Versatilität unter die Deut- schen gekommen, welche rhetorische, rhyth- mische, metrische Vortheile dem geistreich talentvollen Jüngling zur Hand sind, wie nun Ariost und Tasso, Shakespear und Cal- deron, als eingedeutschte Fremde, uns doppelt und dreyfach vorgeführt werden, der darf hoffen dass die Literargeschichte unbewunden aussprechen werde, wer die- sen Weg unter mancherley Hindernissen zuerst einschlug. 34 Die von Hammerschen Arbeiten deuten nun auch meistens auf ähnliche Behandlung orientalischer Meisterwerke, bey welchen vorzüglich die Annäherung an äussere Form zu empfehlen ist. Wie unendlich vortheil- hafter zeigen sich die Stellen einer Ueber- setzung des Firdusi, welche uns genannter Freund geliefert, gegen diejenigen eines Umarbeiters, wovon einiges in den Fund- gruben zu lesen ist. Diese Art einen Dich- ter umzubilden halten wir für den traurig- sten Missgriff den ein fleissiger, dem Ge- schäft übrigens gewachsener Uebersetzer thun könnte. Da aber bey jeder Literatur jene drey Epochen sich wiederholen, umkehren, ja die Behandlungsarten sich gleichzeitig aus- üben lassen; so wäre jetzt eine prosaische Uebersetzung des Schahname und der Werke des Nisami immer noch am Platz. Man benutzte sie zur überhineilenden, den Haupt- sinn aufschliessenden Lectür, wir erfreuten uns am Geschichtlichen, Fabelhaften, Ethi- schen im Allgemeinen und vertrauten uns immer näher mit den Gesinnungen und Denkweisen, bis wir uns endlich damit völlig verbrüdern könnten. Man erinnere sich des entschiedensten Beyfalls den wir Deutschen einer solchen Uebersetzung der Sakontala gezollt, und wir können das Glück was sie gemacht gar wohl jener allgemeinen Prosa zuschrei- ben, in welche das Gedicht aufgelöst wor- den. Nun aber wär’ es an der Zeit uns davon eine Uebersetzung der dritten Art zu geben, die den verschiedenen Dialecten, rhythmischen, metrischen und prosaischen Sprachweisen des Originals entspräche und uns dieses Gedicht in seiner ganzen Eigen- thümlichkeit aufs neue erfreulich und ein- heimisch machte. Da nun in Paris eine Handschrift dieses ewigen Werkes befind- lich, so könnte ein dort hausender Deut- scher sich um uns ein unsterblich Verdienst durch solche Arbeit erwerben. Der englische Uebersetzer des Wolken- boten, Megadhuta , ist gleichfalls aller Ehren werth, denn die erste Bekanntschaft mit einem solchen Werke macht immer Epoche in unserem Leben. Aber seine Uebersetzung ist eigentlich aus der zwey- 34 * ten Epoche, paraphrastisch und suppleto- risch, sie schmeichelt durch den fünffüssi- gen Jambus dem nordöstlichen Ohr und Sinn. Unserm Kosegarten dagegen ver- danke ich wenige Verse unmittelbar aus der Ursprache, welche freylich einen ganz andern Aufschluss geben. Ueberdiess hat sich der Engländer Transpositionen der Motive erlaubt, die der geübte ästhetische Blick sogleich entdeckt und missbilligt. Warum wir aber die dritte Epoche auch zugleich die letzte genannt, erklären wir noch mit Wenigem. Eine Ueberse- tzung die sich mit dem Original zu iden- tificiren strebt nähert sich zuletzt der Inter- linear-Version und erleichtert höchlich das Verständniss des Originals, hiedurch wer- den wir an den Grundtext hinangeführt, ja getrieben und so ist denn zuletzt der ganze Zirkel abgeschlossen, in welchem sich die Annäherung des Fremden und Einheimi- schen, des Bekannten und Unbekannten bewegt. Endlicher Abschluss ! In wiefern es uns gelungen ist den ur- ältesten abgeschiedenen Orient an den neu- sten, lebendigsten anzuknüpfen, werden Kenner und Freunde mit Wohlwollen be- urtheilen. Uns kam jedoch abermals eini- ges zur Hand das, der Geschichte des Tags angehörig, zu frohem und belebtem Schlusse des Ganzen erfreulich dienen möchte. Als, vor etwa vier Jahren, der nach Petersburg bestimmte persische Gesandte die Aufträge seines Kaisers erhielt, ver- säumte die erlauchte Gemalin des Monar- chen keineswegs diese Gelegenheit, sie sen- dete vielmehr von ihrer Seite bedeutende Geschenke Ihro der Kaiserin Mutter aller Reussen Majestät, begleitet von einem Brie- fe, dessen Uebersetzung wir mitzutheilen das Glück haben. Schreiben der Gemalin des Kaisers von Persien an Ihro Majestät die Kaiserin Mutter aller Reussen . So lange die Elemente dauern aus wel- chen die Welt besteht möge die erlauchte Frau des Pallasts der Grösse, das Schatz- kästchen der Perle des Reiches, die Con- stellation der Gestirne der Herrschaft, die, welche die glänzende Sonne des grossen Reiches getragen, den Zirkel des Mittel- punkts der Oberherrschaft, den Palmbaum der Frucht der obersten Gewalt, möge sie immer glücklich seyn und bewahrt vor allen Unfällen. Nach dargebrachten diesen meinen auf- richtigsten Wünschen hab’ ich die Ehre an- zumelden, dass, nachdem in unsern glück- lichen Zeiten, durch Wirkung der grossen Barmherzigkeit des allgewaltigen Wesens, die Gärten der zwey hohen Mächte aufs neue frische Rosenblüthen hervortreiben und alles was sich zwischen die beyden herrlichen Höfe eingeschlichen durch auf- richtigste Einigkeit und Freundschaft be- seitigt ist; auch in Anerkennung dieser grossen Wohlthat, nunmehr alle welche mit einem oder dem andern Hofe verbun- den sind, nicht aufhören werden freund- schaftliche Verhältnisse und Briefwechsel zu unterhalten. Nun also in diesem Momente, da Se. Excellenz Mirsa Abul Hassan Chan, Ge- sandter an dem grossen russischen Hofe, nach dessen Hauptstadt abreist, hab’ ich nöthig gefunden die Thüre der Freundschaft durch den Schlüssel dieses aufrichtigen Brie- fes zu eröffnen. Und, weil es ein alter Ge- brauch ist, gemäss den Grundsätzen der Freundschaft und Herzlichkeit, dass Freun- de sich Geschenke darbringen, so bitte ich die dargebotenen artigsten Schmuckwaaren unseres Landes gefällig aufzunehmen. Ich hoffe dass Sie dagegen, durch einige Trop- fen freundlicher Briefe, den Garten eines Herzens erquicken werden, das Sie höch- lich liebt. Wie ich denn bitte mich mit Aufträgen zu erfreuen, die ich angelegent- lichst zu erfüllen mich erbiete. Gott erhalte Ihre Tage rein, glücklich und ruhmvoll. Geschenke . Eine Perlenschnur an Gewicht 498 Karat. Fünf indische Schawls. Ein Pappenkästchen, Ispahanische Arbeit. Eine kleine Schachtel, Federn darein zu legen. Behältniss mit Geräthschaften zu nothwen- digem Gebrauch. Fünf Stück Brokate. Wie ferner der in Petersburg verwei- lende Gesandte über die Verhältnisse beyder Nationen sich klug, bescheidentlich aus- drückt, konnten wir unsern Landsleuten, im Gefolg der Geschichte persischer Lite- ratur und Poesie, schon oben darlegen. Neuerdings aber finden wir diesen gleichsam gebornen Gesandten , auf seiner Durchreise für England, in Wien von Gnadengaben seines Kaisers erreicht, denen der Herrscher selbst, durch dichte- rischen Ausdruck, Bedeutung und Glanz vollkommen verleihen will. Auch diese Gedichte fügen wir hinzu, als endlichen Schlussstein unseres zwar mit mancherley Materialien, aber doch, Gott gebe! dauer- haft aufgeführten Domgewölbes. Auf die Fahne . Fetch Ali Schah der Türk ist Dschemschid gleich, Weltlicht, und Irans Herr, der Erden Sonne. Sein Schirm wirft auf die Weltflur weiten Schatten, Sein Gurt haucht Muskus in Saturns Gehirn. Iran ist Löwenschlucht, sein Fürst die Sonne; Drum prangen Leu und Sonn’ in Daras Banner. Das Haupt des Boten Abul Hassan Chan Erhebt zum Himmelsdom das seidne Banner. Aus Liebe ward nach London er gesandt Und brachte Glück und Heil dem Christenherrn. # # Auf das Ordensband mit dem Bilde der Sonne und des Königes . Es segne Gott dies Band des edlen Glanzes; Die Sonne zieht den Schleyer vor ihm weg. Sein Schmuck kam von des zweyten Mani Pinsel, Das Bild Fetch Ali Schahs mit Sonnenkrone. Ein Bote gross des Herrn mit Himmelshof Ist Abul Hassan Chan, gelehrt und weise, Von Haupt zu Fuss gesenkt in Herrschersperlen; Den Dienstweg schritt vom Haupt zum Ende er, Da man sein Haupt zur Sonne wollt’ erheben, Gab man ihm mit die Himmelssonn’ als Diener. So frohe Botschaft ist von grossem Sinn Für den Gesandten edel und belobt; Sein Bund ist Bund des Weltgebieters Dara, Sein Wort ist Wort des Herrn mit Himmelsglanz. Die orientalischen Höfe beobachten, unter dem Schein einer kindlichen Naivetät, ein besonderes kluges, listiges Betragen und Verfahren; vorstehende Gedichte sind Be- weis davon. Die neueste Russische Gesandtschaft nach Persien fand Mirsa Abul Hassan Chan zwar bey Hofe, aber nicht in ausgezeich- neter Gunst, er hält sich bescheiden zur Gesandtschaft, leistet ihr manche Dienste und erregt ihre Dankbarkeit. Einige Jahre darauf wird derselbige Mann, mit stattli- chem Gefolge, nach England gesendet, um ihn aber recht zu verherrlichen bedient man sich eines eigenen Mittels. Man stattet ihn bey seiner Abreise nicht mit allen Vorzü- gen aus, die man ihm zudenkt, sondern lässt ihn mit Creditiven und was sonst nö- thig ist seinen Weg antreten. Allein kaum ist er in Wien angelangt, so ereilen ihn glänzende Bestätigungen seiner Würde, auf- fallende Zeugnisse seiner Bedeutung. Eine Fahne mit Insignien des Reichs wird ihm gesendet, ein Ordensband mit dem Gleich- niss der Sonne, ja mit dem Ebenbild des Kaisers selbst verziert, das alles erhebt ihn zum Stellvertreter der höchsten Macht, in und mit ihm ist die Majestät gegenwärtig. Dabey aber lässt man’s nicht bewenden, Gedichte werden hinzugefügt, die, nach orientalischer Weise, in glänzenden Meta- phern und Hyperbeln, Fahne, Sonne und Ebenbild erst verherrlichen. Zum bessern Verständnisse des Einzel- nen fügen wir wenige Bemerkungen hinzu. Der Kaiser nennt sich einen Türken , als aus dem Stamme Katschar entsprungen, wel- cher zur türkischen Zunge gehört. Es wer- den nämlich alle Hauptstämme Persiens, welche das Kriegsheer stellen, nach Spra- che und Abstammung getheilt in die Stäm- me der Türkischen, Kurdischen, Lurischen und Arabischen Zunge. Er vergleicht sich mit Dschemschid , wie die Perser ihre mächtigen Fürsten mit ihren alten Königen, in Beziehung auf ge- wisse Eigenschaften, zusammen stellen. Feridun an Würde, ein Dschemschid an Glanz, Alexander an Macht, ein Darius an Schutz. Schirm ist der Kaiser selbst, Schatten Gottes auf Erden, nur bedarf er freilich am heissen Sommertage eines Schirms, dieser aber beschattet ihn nicht allein, son- dern die ganze Welt. Der Moschusge- ruch , der feinste, dauerndste, theilbarste, steigt von des Kaisers Gürtel bis in Saturns Gehirn. Saturn ist für sie noch immer der oberste der Planeten, sein Kreis schliesst die untere Welt ab, hier ist das Haupt, das Gehirn des Ganzen, wo Gehirn ist, sind Sinne, der Saturn ist also noch em- pfänglich für Moschusgeruch, der von dem Gürtel des Kaisers aufsteigt. Dara ist der Name Darius und bedeutet Herrscher, sie lassen auf keine Weise von der Erinnerung ihrer Voreltern los. Dass Iran Löwen- schlucht genannt wird, finden wir dess- halb bedeutend, weil der Theil von Per- sien, wo jetzt der Hof sich gewöhnlich aufhält, meist gebirgig ist, und sich gar wohl das Reich als eine Schlucht denken lässt, von Kriegern, Löwen bevölkert. Das seidene Banner erhöhet nun ausdrück- lich den Gesandten so hoch als möglich, und ein freundliches liebevolles Verhältniss zu England wird zuletzt ausgesprochen. Bey dem zweyten Gedicht können wir die allgemeine Anmerkung vorausschicken, dass Wortbezüge der Persischen Dichtkunst ein inneres anmuthiges Leben verleihen, sie kommen oft vor und erfreuen uns durch sinnigen Anklang. Das Band gilt auch für jede Art von Bezirkung, die einen Eingang hat und desswegen wohl auch eines Pförtners bedarf, wie das Original sich ausdrückt und sagt: „dessen Vorhang (oder Thor) die Sonne aufhebt (öffnet)“, denn das Thor vieler orientalischen Gemächer bildet ein Vorhang; der Halter und Aufheber des Vorhanges ist daher der Pförtner. Unter Mani ist Ma- nes gemeint, Sectenhaupt der Manichaer, er soll ein geschickter Maler gewesen seyn, und seine seltsamen Irrlehren hauptsächlich durch Gemälde verbreitet haben. Er steht hier wie wir Apelles und Raphael sagen würden. Bey dem Wort Herrscher- perlen fühlt sich die Einbildungskraft seltsam angeregt. Perlen gelten auch für Tropfen und so wird ein Perlenmeer denk- bar, in welches die gnädige Majestät den Günstling untertaucht. Zieht sie ihn wieder hervor, so bleiben die Tropfen an ihm hängen, und er ist köstlich geschmückt 35 von Haupt zu Fuss. Nun aber hat der Dienstweg auch Haupt und Fuss, An- fang und Ende, Beginn und Ziel; weil nun also diesen der Diener treu durchschrit- ten, wird er gelobt und belohnt. Die fol- genden Zeilen deuten abermals auf die Ab- sicht den Gesandten überschwenglich zu erhöhen, und ihm an dem Hofe, wo er hingesandt worden, das höchste Vertrauen zu sichern, eben als wenn der Kaiser selbst gegenwärtig wäre. Daraus wir denn schlie- ssen, dass die Absendung nach England von der grössten Bedeutung sey. Man hat von der Persischen Dicht- kunst mit Wahrheit gesagt, sie sey in ewiger Diastole und Systole begriffen, vor- stehende Gedichte bewahrheiten diese An- sicht. Immer geht es darin ins Grenzen- lose und gleich wieder ins Bestimmte zu- rück. Der Herrscher ist Weltlicht und zugleich seines Reiches Herr, der Schirm, der ihn vor der Sonne schützt, breitet seine Schatten über die Weltflur aus, die Wohl- gerüche seines Leibgurts sind dem Saturn noch ruchbar, und so weiter fort strebt alles hinaus und herein, aus den fabelhaf- testen Zeiten zum augenblicklichen Hoftag. Hieraus lernen wir abermals, dass ihre Tropen, Metaphern, Hyperbeln niemals einzeln, sondern im Sinn und Zusammen- hange des Ganzen aufzunehmen sind. Revision . Betrachtet man den Antheil der, von den ältesten bis auf die neusten Zeiten, schriftlicher Ueberlieferung gegönnt wor- den; so findet sich derselbe meistens da- durch belebt, dass an jenen Pergamenten und Blättern immer noch etwas zu verän- dern und zu verbessern ist. Wäre es mög- lich dass uns eine anerkannt-fehlerlose Ab- schrift eines alten Autors eingehändigt wür- de, so möchte solcher vielleicht gar bald zur Seite liegen. Auch darf nicht geleugnet werden dass wir persönlich einem Buche gar manchen 35 * Druckfehler verzeihen, indem wir uns durch dessen Entdeckung geschmeichelt fühlen. Möge diese menschliche Eigenheit auch unserer Druckschrift zu gute kommen, da verschiedenen Mängeln abzuhelfen, manche Fehler zu verbessern, uns oder andern, künftig vorbehalten bleibt; doch wird ein kleiner Beytrag hiezu nicht unfreundlich abgewiesen werden. Zuvörderst also möge von der Recht- schreibung orientalischer Namen die Rede seyn, an welchen eine durchgängige Gleich- heit kaum zu erreichen ist. Denn, bey dem grossen Unterschiede der östlichen und westlichen Sprachen, hält es schwer für die Alphabete jener bey uns reine Aequi- valente zu finden. Da nun ferner die eu- ropäischen Sprachen unter sich, wegen verschiedener Abstammung und einzelner Dialecte, dem eignen Alphabet verschiede- nen Werth und Bedeutung beylegen; so wird eine Uebereinstimmung noch schwie- riger. Unter französischem Geleit sind wir hauptsächlich in jene Gegenden eingeführt worden. Herbelots Wörterbuch kam unsern Wünschen zu Hülfe. Nun musste der französische Gelehrte orientalische Worte und Namen der nationellen Ausspra- che und Hörweise aneignen und gefällig machen, welches denn auch in deutsche Cultur nach und nach herüberging. So sa- gen wir noch Hegire lieber als Hedschra, des angenehmen Klanges und der alten Be- kanntschaft wegen. Wie viel haben an ihrer Seite die Engländer nicht geleistet! Und, ob sie schon über die Aussprache ihres eignen Idioms nicht einig sind, sich doch, wie billig, des Rechts bedient, jene Namen nach ihrer Weise auszusprechen und zu schreiben, wodurch wir abermals in Schwan- ken und Zweifel gerathen. Die Deutschen, denen es am leichte- sten fällt zu schreiben wie sie sprechen, die sich fremden Klängen, Quantitäten und Accenten nicht ungern gleichstellen, gingen ernstlich zu Werke. Eben aber weil sie dem Ausländischen und Fremden sich im- mer mehr anzunähern bemüht gewesen, so findet man auch hier zwischen älteren und neueren Schriften grossen Unterschied, so dass man sich einer sichern Autorität zu unterwerfen kaum Ueberzeugung findet. Dieser Sorge hat mich jedoch der eben so einsichtige als gefällige Freund, J. G. L. Kosegarten , dem ich auch obige Uebersetzung der Kaiserlichen Gedichte ver- danke, gar freundlich enthoben und Be- richtigungen, wie sie im Register enthalten sind, wo auch zugleich einige Druckfehler bemerkt worden, mitgetheilt. Möge dieser zuverlässige Mann meine Vorbereitung zu einem künftigen Divan gleichfalls geneigt begünstigen.