Ueber die deutsche Litteratur, die Maͤngel die man ihr vorwerfen kann, die Ursachen derselben und die Mittel sie zu verbessern . Aus dem Franzoͤsischen uͤbersetzt. Berlin , gedruckt bey G. Jac. Decker , Koͤnigl. Hof-Buchdr. 1780 . Ueber die deutsche Litteratur; die Maͤngel, die man ihr vorwerfen kann; die Ur- sachen derselben; und die Mittel sie zu verbessern. S ie wundern sich, mein Herr, daß ich immer noch nicht meine Stimme mit der Ihrigen vereinigen will, um den Fortschritten, welche nach Ih- rem Urtheil, die deutsche Litteratur fast taͤglich macht, Beyfall zu geben. Ich liebe unser gemeinschaftliches Vaterland so sehr wie Sie; aber gerade eben dieses ist mir ein Beweggrund, ihm nicht eher Lob zu bewil- ligen, bis es sich desselben wuͤrdig gemacht hat. Man erklaͤrt nicht einen Mann fuͤr Sieger, der noch mitten in der Laufbahn ist, es zu werden. Ich erwarte, daß er das Ziel wird erreicht haben, und dann wird mein Beyfall eben so aufrichtig, als gerecht seyn. A 2 Sie Sie wissen, daß in der gelehrten Republik eine vollkommene Freyheit der Meynungen herrscht. Sie sehen die Gegenstaͤnde aus einem, ich aus einem an- dern Gesichtspunkt. Erlauben Sie also, daß ich mich erklaͤre, und Ihnen meine Art zu denken, so wie mei- ne Ideen uͤber die alte und neue Litteratur, genauer entwickele. Ich werde sie in Absicht der Sprachen, der Wissenschaften und des Geschmacks betrachten. Ich mache mit Griechenland , dieser Wiege der schoͤ- nen Kuͤnste, den Anfang. Die Sprache der griechi- schen Nation ist die harmonischste von allen, welche je geredet worden. Ihre ersten Theologen und Ge- schichtschreiber waren Dichter. Diese brachten gluͤck- liche Wendungen in ihre Sprache, wurden Schoͤpfer einer Menge mahlerischer Ausdruͤcke, und fuͤr alle ihre Nachfolger, Lehrer der Kunst, sich mit Anmuth, Fein- heit und Wuͤrde auszudruͤcken. Ich gehe von Athen nach Rom uͤber, und finde hier eine Republik, welche zuerst lange Zeit mit ihren Nachbarn krieget, und dann fuͤr die Ehre und die Ver- groͤsserung ihres Reichs kaͤmpft. Alles in diesem Staat war Nerve und Kraft, und nicht eher, bis Rom s Nebenbuhlerin, Carthago , zerstoͤrt war, fanden hier die Wissenschaften Eingang. Der große Scipio der Afrikaner , der Freund des Laͤlius und Polybius , war der erste Roͤmer, der die Wissenschaften beschuͤtzte. Dann folgten die Gracchen ; dann Antonius und Crassus Crassus , zwey beruͤhmte Redner ihrer Zeit. Doch ge- langten die Sprache und der Styl der roͤmischen Be- redsamkeit nicht eher zu ihrer Reife, als zu den Zeiten des Cicero , des Hortensius , und der vortrefflichen Ge- nies, welche die Zierde der Regierung August s waren. Diese kurze Uebersicht bezeichnet mir den natuͤr- lichen Gang der Litteratur. Ich bin uͤberzeugt, daß kein Schriftsteller gut in einer Sprache schreiben koͤn- ne, die noch nicht ausgebildet und verfeinert ist. Ich sehe auch, daß man in allen Laͤndern mit dem Noth- wendigen anfaͤngt, und erst nachher das Angenehme hinzufuͤgt. Die roͤmische Republik faͤngt damit an, sich zu bilden; dann kaͤmpft sie, um Laͤnder zu bekom- men; dann sucht sie dieselben anzubauen; und nicht eher, bis sie nach den Punischen Kriegen, eine feste und dauerhafte Verfassung erhalten, entsteht der Geschmack fuͤr die Kuͤnste, und gelangt die lateinische Sprache und Beredsamkeit zu einiger Vollkommenheit. Ich be- merke aber hiebey, daß zwischen dem Zeitalter des aͤl- tern Scipio und dem Consulat des Cicero sich ein Zeit- raum von hundert und sechzig Jahren befindet. Ich schließe hieraus, daß die Fortschritte zur Vollkommen- heit in allen Dingen, langsam sind, und daß der Kern, den man in die Erde pflanzt, erst Wurzel fassen, her- vorkeimen, seine Zweige ausbreiten, Kraft und Staͤrke gewinnen muͤsse, ehe er Blumen und Fruͤchte hervor- bringen koͤnne. Ich beurtheile dann Deutschland nach A 3 diesen diesen Regeln, um den Standpunkt, in welchem wir uns itzt wirklich befinden, mit Billigkeit zu bestim- men; ich befreye mich von allen Vorurtheilen und las- se mich blos von der Wahrheit leiten. Und nun finde ich eine noch halb-barbarische Sprache, in so viele ver- schiedene Dialekte vertheilt, als Deutschland Provin- zen hat. Jeder Kreiß haͤlt sich uͤberzeugt, seine Sprache sey die wahre aͤchte und deutsche. Wir besitzen noch keine von der ganzen Nation gebilligte Sammlung, in der man alle Worte und Redensarten faͤnde, nach denen man die Reinigkeit der Sprache sicher beurthei- len koͤnnte. Was man in Schwaben schreibt, ist in Hamburg kaum verstaͤndlich; und der oͤsterreichische Styl ist fuͤr die Sachsen dunkel. Es ist also physisch unmoͤglich daß auch ein Schriftsteller von dem groͤß- ten Geist, diese noch ungebildete Sprache vortrefflich behandeln koͤnne. Verlangt man vom Phidias eine Venus von Gnidus; so muß man ihm einen Marmor ohne Fehler, feine Meißel und gute Grabstichel geben. Nur dann darf man von seiner Arbeit etwas erwarten; aber ohne Werkzeuge laͤßt sich kein Kuͤnstler denken. Man koͤnnte mir vielleicht den Einwurf machen, daß auch die griechischen Republiken ehemals eben so viele verschiedene Dialekte hatten, als wir; und daß man noch itzt das Vaterland eines Italiaͤners an seinem Styl und seiner Aussprache erkennen koͤnne, die immer in einem Lande anders sind, als in dem andern. Ich zweifle zweifle an der Richtigkeit dieser Behauptungen gar nicht; aber sie duͤrfen uns nicht abhalten, den fernern Fortschritten der Litteratur im alten Griechenland und im neuern Italien , weiter nachzugehen. Die beruͤhm- ten Dichter, Redner und Geschichtschreiber dieser Laͤn- der setzten die Sprache derselben durch ihre Schriften fest. Das Publikum nahm nach einer stillschweigen- den Uebereinstimmung, die Wendungen, Phrasen und Metaphern, als die besten und richtigsten an, welche jene große Kuͤnstler in ihren Werken gebraucht hatten. Ihre Ausdruͤcke wurden nach und nach allgemein aus- gebreitet, und die Sprachen wurden durch sie verschoͤ- nert, veredelt und bereichert. Werfen wir nun wieder einen Blick auf unser Vaterland, so finden wir ein Gewirre von Sprache, ohne alle Anmuth, das jeder nach seinen Einfaͤllen be- handelt. Man kennt hier keine Wahl der Ausdruͤcke, man vernachlaͤßigt die eigentlichsten und ausdruͤckend- sten Worte; und man verschwemmt oft allen Sinn und Gedanken in einem Meer von Episoden. Ich ge- be mir alle Muͤhe, um unsere Homer e, unsere Virgil e, unsere Anacreon s, unsere Horatz e, unsere Demosthen e, unsere Cicero ne, unsere Thucydides , unsere Livius , aus- zuforschen; aber ich finde sie nirgend, alle meine Muͤhe ist umsonst. Ich daͤchte also, wir waͤren aufrichtig, und gestuͤnden nur ehrlich, daß bis itzt die schoͤnen Wissenschaften in unserm Boden, noch nicht haben ge- A 4 deihen deihen wollen. Deutschland hat Philosophen gehabt, welche die Vergleichung mit den Alten aushalten, und sie sogar in mehr als einer Gattung uͤbertreffen. Ich werde auch hierauf nachher noch zuruͤckkommen. Aber in Absicht der schoͤnen Wissenschaften muͤssen wir unsre Duͤrftigkeit nur gestehen. Alles was ich Ihnen, ohne mich zum Schmeichler meiner Landsleute zu erniedri- gen, zugestehn kann, ist, daß wir in der kleinen Gat- tung der Fabel einen Gellert gehabt haben, der sich ne- ben Aesop und Phaͤdrus gesetzt. Die Gedichte des Canitz sind ertraͤglich, aber nicht von Seiten der Sprache, sondern mehr, weil er, jedoch nur schwach, den Horatz nachahmt. Ich will auch die Idyllen des Gesner nicht ganz uͤbergehen, die einige Vertheidiger haben; aber ich muß mir doch die Erlaubniß ausbe- dingen, ihnen die Werke des Tibull , Catull , und Propertz vorzuziehn. Wenn ich die Geschichtschrei- ber durchgehe, finde ich nur die deutsche Geschich- te von Mascow , welche am wenigsten fehlerhaft ist. Und erwarten Sie wohl im Ernst, daß ich Ihnen vom Verdienst unsrer Redner etwas sagen soll? Ich wuͤßte Ihnen wenigstens keinen zu nennen, als den beruͤhmten Quandt zu Koͤnigsberg , der die seltene und in seiner Art einzige Gabe besaß, seine Sprache harmonisch zu machen, und ich muß leider! zu unsrer Schande hin- zusetzen, daß dieses Verdienst gar nicht erkannt wor- den, und seinen Namen nicht beruͤhmt gemacht habe. Und Und wie kann man auch verlangen, daß die Menschen sich beeifern sollen, jeder in seiner Art vollkommen zu werden, wenn der Ruhm nicht ihre Belohnung ist? Indeß will ich zu den Herrn, die ich genannt habe, noch einen Ungenannten hinzusetzen, von dem ich reimlose Verse gesehn habe; die Cadenz und Harmonie der- selben entstand aus der Abwechselung der Dactylen und Spondaͤen; sie waren voll von Verstand; und mein Ohr wurde sehr angenehm durch einen Wohllaut der Toͤne geschmeichelt, dessen ich unsre Sprache kaum faͤhig geglaubt hatte. Ich moͤchte behaupten, daß die- se Art von Versification sich am besten fuͤr unsre Spra- che schicke, und sehr große Vorzuͤge vor dem Reim ha- be. Wollte man sich Muͤhe geben, sie dadurch voll- kommener zu machen; so wuͤrde man es wahrscheinlich hierinn weit bringen. Vom deutschen Theater moͤchte ich Ihnen lieber gar nichts sagen. Die Melpomene ist bey uns von sehr seltsamen Leuten verehret worden; einige traben auf hohen Stelzen einher, andre kriechen im Staube; alle uͤbertreten die Regeln der Kunst, koͤnnen daher nicht interessiren und ruͤhren, und muͤssen von den Altaͤren der tragischen Muse verwiesen werden. Die Liebhaber der Thalia sind etwas gluͤcklicher gewesen; sie haben uns wenigstens eine wahre und originelle Comoͤdie geliefert, ich meyne den Postzug . Der Dichter dieses Stuͤcks hat unsre Sitten und unser eigenthuͤmliches Laͤcherliche auf A 5 das das Theater gebracht. Das Stuͤck ist sehr gut gemacht, und Moliere selbst haͤtte den Gegenstand desselben nicht gluͤcklicher bearbeiten koͤnnen. Es thut mir leid, daß ich Ihnen nicht eine groͤßre Menge unsrer guten Pro- dukte aufzaͤhlen kann. Ich mache deshalb der Nation keine Vorwuͤrfe; es fehlt ihr nicht an Genie und Geist. Aber gewisse Ursachen haben sie zuruͤckgehalten und ver- hindert, sich zu gleicher Zeit mit ihren Nachbarn zu erheben. Lassen Sie uns bis zu der Wiederauflebung der Wissenschaften zuruͤckgehn, und die verschiedene La- ge gegen einander halten, in der sich Italien , Frank- reich und Deutschland , zur Zeit dieser Revolution des menschlichen Geistes befanden. Sie wissen, daß die Wissenschaften zuerst in Ita- lien wieder gebohren wurden, wo das Haus Este, die Medicis und der Pabst Leo X. sie beschuͤtzten und ihre Fortschritte beguͤnstigten. Zu eben dieser Zeit, da Ita- lien verfeinert wurde, war Deutschland , durch die Zaͤn- kereyen der Theologen, in zwey Partheyen getheilt, de- ren jede durch erbitterten Haß gegen die andere, und durch fanatischen Enthusiasmus, sich auszeichnete. In Frankreich bemuͤhte sich dagegen Franz I. mit Italien den Ruhm der Wiederherstellung der Wissenschaften zu theilen. Aber seine Muͤhe war vergeblich, sie in sein Vaterland heruͤberzubringen. Die franzoͤsische Mo- narchie befand sich damals in einem Zustande der Er- mattung, erschoͤpft durch die Loskaufung ihres Koͤ- nigs nigs von Carl V. Die Kriege der Ligue hinderten nach Franz I. Tode, die Franzosen, sich mit den schoͤnen Kuͤnsten zu beschaͤftigen. Nicht eher als gegen das Ende der Re- gierung Ludwig XIII. da die Wunden der buͤrgerli- chen Kriege geheilt und die Zeitumstaͤnde, unter dem Cardinal Richelieu , guͤnstiger waren, kam man auf den Plan Franz I. zuruͤck. Der Hof ermunterte die Gelehrten und die schoͤnen Geister, die Nacheiferung ward allgemein, und es dauerte nicht lange, so gab unter Ludwig XIV. Paris weder Rom noch Florenz etwas nach. Und nun, wie sahe es um diese Zeit in Deutschland aus? Gerade damals, wie Richelieu sich den hohen Ruhm erwarb, seine Nation zu bilden, wuͤthete der dreyßigjaͤhrige Krieg in seinem groͤßten Feuer. Deutsch- land wurde durch zwanzig verschiedene Armeen verwuͤ- stet und gepluͤndert, die Sieger oder Besiegte, allemal die Zerstoͤrung hinter sich fuͤhrten. Das Land wurde verwuͤstet und nicht wieder angebauet, die Staͤdte bey- nahe ganz verlassen. Auch nach dem westphaͤlischen Frieden hatte Deutschland noch nicht Zeit, sich wieder zu erholen. Bald mußte es der damals sehr furchtba- ren Macht des ottomannischen Reichs widerstehen; bald gegen die franzoͤsischen Armeen kaͤmpfen, welche die Herrschaft ihres Reichs uͤber Deutschland auszu- breiten suchten. Zu eben der Zeit, als die Tuͤrken Wien belagerten, Melak die Pfalz verwuͤstete, wo Staͤdte und Doͤrfer von den Flammen verzehret wurden, und wo wo selbst die sonst heilige Freystatt des Todes durch die ausgelassene Frechheit der Soldaten verletzt wurde, welche, die Leichname der Churfuͤrsten aus ihrer Gruft hervorzogen, um ihre elende Ueberbleibsel sich zuzueig- nen; wo verlassene Muͤtter mit ihren abgezehrten Kin- dern auf dem Arm, sich aus den Truͤmmern ihres Va- terlandes retteten: zu eben dieser Zeit, darf man nicht erwarten, daß man zu Wien und Manheim , Sonnets verfertigt und sich mit witzigen Epigrammen beschaͤf- tigt habe. Die Musen verlangen ruhige Zufluchtsor- te; sie fliehen die Gegenden, wo die Verwirrung herrscht und alles zerstoͤrt wird. Erst nach dem spanischen Successionskriege fieng man an einigermassen wieder- herzustellen, was so vieles auf einander folgende Elend vernichtet hatte. Nicht also dem Geiste und Genie der Nation muß man die schwachen Fortschritte, die wir bisher gemacht, beymessen; sondern wir muͤssen die Ursache derselben allein in einer Folge trauriger Umstaͤnde, in den fast unaufhoͤrlichen Kriegen suchen, die unser Vaterland zerstoͤrten, und eben so arm an Menschen, als an Gelde, machten. Lassen Sie uns den Faden der Begebenheiten nie aus den Augen verliehren, sondern itzt den Gang un- srer Vaͤter beobachten. Sie werden mit mir die Weis- heit loben, die ihr Betragen leitete. Sie handelten gerade so, wie es der Lage, in der sie sich befanden, an- gemessen war. Sie fiengen an, sich auf den Landbau zu zu legen, und aus Feldern, zu deren Bearbeitung bis- her keine Haͤnde da waren, einen neuen Werth zu ziehn. Sie stellten die zerstoͤrten Haͤuser wieder her; sie be- guͤnstigten die Fortpflanzung und Vermehrung des menschlichen Geschlechtes. Man ist allenthalben be- muͤht gewesen, wuͤste und verlassene Laͤnder wieder ur- bar zu machen; die vermehrte Bevoͤlkerung hat Indu- strie hervorgebracht; auch der Luxus hat sich bey uns eingefunden, ein Verderben fuͤr kleine Staaten, aber nuͤtzlich fuͤr die großen, in denen er die Circulation des Geldes befoͤrdert. Durchreisen Sie itzt einmal Deutsch- land von einer seiner Graͤnzen bis zur andern; allent- halben finden sie ehemalige Flecken in bluͤhende Staͤdte verwandelt. Hier liegt Muͤnster , etwas weiter hin Cassel ; hier Dresden und Leipzig . In Franken fin- den Sie Wuͤrzburg , Nuͤrnberg . Wenn Sie sich dem Rhein naͤhern, kommen Sie uͤber Fulda und Frankfurt am Mayn , nach Manheim , von da zu- ruͤck uͤber Mainz nach Bonn . Jede dieser Staͤdte stellt dem erstaunten Reisenden Gebaͤude dar, die er an der Stelle des ehmaligen hercynischen Waldes nicht vermuthet haͤtte. Die maͤnnliche Thaͤtigkeit unsrer Landsleute begnuͤgte sich also damit nicht, nur blos den Verlust zu ersetzen, den das oͤffentliche Ungluͤck verur- sacht hatte; sie erhob sich weiter und brachte das zur Vollkommenheit, wovon unsre Vorfahren nur die er- sten Entwuͤrfe versucht hatten. Seit der Zeit dieser gluͤck- gluͤcklichen Veraͤnderungen sehen wir den Wohlstand weit allgemeiner werden. Der niedere Stand des Landmanns und Buͤrgers schmachtet nicht mehr in ei- ner schaͤndlichen Unterdruͤckung; Vaͤter koͤnnen itzt ih- re Soͤhne den Wissenschaften widmen, ohne sich zu verschulden. Dies sind die Erstlinge der gluͤcklichen Revolution, die wir noch zu erwarten haben; itzt sind die Bande, welche das Genie unsrer Vorfahren fessel- ten, zerbrochen; schon bemerkt man, wie der Saame einer edlen Nacheiferung unter uns zu keimen anfaͤngt. Wir schaͤmen uns, in gewissen Gattungen noch nicht mit unsern Nachbarn uns vergleichen zu duͤrfen; wir wuͤnschen mit unermuͤdeten Arbeiten die Zeit wieder zu gewinnen, die wir durch unsre Widerwaͤrtigkeiten ver- lohren haben. Ueberhaupt ist itzt der Geschmack der Nation so eifrig auf alles gerichtet, was unser Vater- land beruͤhmt machen kann, daß man bey diesen Ge- sinnungen gar nicht zweifeln darf, die Musen werden auch uns zu seiner Zeit in den Tempel des Ruhms einfuͤh- ren. Wir wollen also untersuchen, wie das noch uͤbrig gebliebene Unkraut der Barbaren aus unserm Boden voͤllig auszurotten seyn moͤchte, und was noch zu thun waͤre, um die Vollkommenheit zu beschleunigen, zu der sich unsre Landsleute zu erheben wuͤnschen. Ich wie- derhole, was ich Ihnen schon gesagt habe; man muß damit anfangen die Sprache zu verbessern. Sie muß noch gefeilt, abgehobelt, und durch geschickte Haͤnde bearbei- bearbeitet werden. Deutlichkeit ist die erste Regel, welche alle, die reden und schreiben, beobachten muͤssen, weil ihre Absicht ist, die Gedanken und Begriffe zu mahlen, und durch Worte auszudruͤcken. Wozu dient es, die richtigsten, staͤrksten und glaͤnzendesten Ideen zu denken, wenn man sie nicht verstaͤndlich ausdruͤcken kann? Vielen von unsern Schriftstellern gefaͤllt ein verworrner Styl; sie schließen eine Parenthese in die andere, und oft findet man erst am Ende einer Seite das Wort, von welchem der Sinn der ganzen Periode abhaͤngt. Nichts verwirrt die Construktion mehr; anstatt reich zu seyn, ist man nachlaͤßig, und es wuͤrde leichter seyn, das Raͤthsel des Sphynx aufzuloͤ- sen, als ihre Gedanken. Eben so schaͤdlich fuͤr die Fort- schritte der Wissenschaften, als die Fehler, welche ich unsrer Sprache und unserm Styl vorgeworfen, ist der Mangel eines gruͤndlichen Studirens. Man hat un- serer Nation ehemals Pedanterie vorgeworfen, weil wir eine Menge Commentatoren, und gar zu sorgfaͤl- tige Untersucher von Kleinigkeiten unter unsern Ge- lehrten hatten. Um sich von diesem Vorwurf zu be- freyen, faͤngt man itzt an, das Studium der gelehrten Sprachen ganz zu vernachlaͤßigen; und um nicht fuͤr einen Pedanten gehalten zu werden, bleibt man in allen Wissenschaften nur bey der Oberflaͤche stehn. Wenige unsrer heutigen Gelehrten koͤnnen ohne Schwie- rigkeit die griechischen und lateinischen klassischen Schrift- Schriftsteller lesen. Will man aber sein Ohr durch die Harmonie der homerischen Verse bilden; so muß man diesen Dichter ganz fertig ohne Huͤlfe eines Woͤr- terbuchs lesen koͤnnen. Eben dieses gilt vom Demo- sthenes , Aristoteles , Thucydides und Plato . Und eben so wird eine vollkommene Kenntniß der Sprache dazu erfodert, wenn man die lateinischen Classiker ge- nau kennen lernen will. Aber unsre heutige Jugend legt sich fast gar nicht auf das Griechische, und weni- ge lernen so viel Latein, um die Werke der großen Maͤnner aus dem Zeitalter des Augusts , nur mittel- maͤßig uͤbersetzen zu koͤnnen. Und doch sind diese alten Schriftsteller die reichen Quellen, aus denen unsre Vor- gaͤnger, die Italiaͤner, die Franzosen und Englaͤnder, ihre Kenntnisse geschoͤpft haben. Sie haben sich, so viel sie konnten, nach diesen großen Mustern gebildet; ihre Art zu denken, sich eigen gemacht, und bey Bewun- derung der großen Schoͤnheiten, von denen die Werke der Alten voll sind, haben sie auch die Fehler derselben nicht uͤbersehen. Denn billig muß man mit Einsicht und Unterscheidung schaͤtzen, und sich nie einer blin- den Schmeicheley uͤberlaßen. Jene gluͤckliche Zeiten, de- ren die Italiaͤner, Franzosen und Englaͤnder vor uns genossen haben, fangen nun unvermerkt an sich zu ver- liehren. Das Publikum ist gleichsam gesaͤttigt von den Werken, die es erhalten hat; Kenntnisse werden weniger geschaͤtzt, nachdem sie mehr verbreitet worden. Diese Diese Nationen glauben sich schon im Besitz des Ruhms, den ihre Vorfahren erworben haben, und schlummern auf ihren Lorbeeren ein. Aber ich finde, daß diese Di- gression mich von meinem Gegenstande ableitet; ich kehre zu ihm zuruͤck, und fahre fort zu untersuchen, was vor Fehler mehr in unsrer Art zu studiren sich finden? Ich glaube zu bemerken, daß die Schulen nicht so viele gute und geschickte Lehrer haben, als sie beduͤrf- ten. Denn wir haben viele Schulen, und alle wollen versorgt seyn. Wenn die Lehrer Pedanten sind, wenn ihr beschraͤnkter Geist sich in Kleinigkeiten vertieft, und uͤber denselben wichtige Sachen vergißt; wenn ihr Unterricht verworren, langweilig und leer von Sa- chen ist; so peinigen sie ihre Schuͤler, und bringen ih- nen oft auf immer einen Widerwillen fuͤr den Wissen- schaften bey. Andre Schullehrer verrichten ihr Amt wie bloße Miethlinge. Es kuͤmmert sie wenig, ob die Schuͤler von ihrem Unterricht Nutzen haben oder nicht; sie sind zufrieden, wenn sie nur ihren Gehalt richtig ausgezahlt bekommen. Noch aͤrger ist es, wenn die Lehrer selbst keine Kenntnisse haben. Was koͤnnen sie andre lehren, wenn sie selbst nichts wissen? Ich weiß freylich sehr wohl, daß es gluͤcklicherweise noch Aus- nahmen von dieser Regel giebt, und daß man auch in Deutschland einige sehr geschickte Schulmaͤnner findet. So wenig ich dieses leugne, so wuͤnsche ich nur, daß B ihre ihre Zahl groͤßer seyn moͤchte. Ueber die fehlerhafte Methode der meisten Lehrer, ihren Schuͤlern die Gram- matik, Rhetorik und Dialektik beyzubringen, koͤnnte ich noch Vieles sagen. Wie kann man von ihnen er- warten, daß sie den Geschmack ihrer Untergebnen bil- den werden, wenn sie einen verworrenen Styl fuͤr ei- nen ideenreichen; wenn sie das Triviale und Niedrige fuͤr naiv, die fehlerhafte Nachlaͤßigkeit der Prose fuͤr edle Simplicitaͤt; Galimathias fuͤr erhaben hal- ten; wenn sie die Aufsaͤtze ihrer Schuͤler nicht mit Ge- nauigkeit verbessern, und nicht ihnen ihre Fehler vorhal- ten, ohne sie niederzuschlagen? wenn sie ihnen nicht sorg- faͤltig die Regeln einschaͤrfen, die sie bey dem Schreiben immer vor Augen haben muͤssen? Gegen die genaue Richtigkeit der Metaphern, werden eben so oft Fehler von den Lehrern begangen. Ich erinnere mich in meiner Jugend in einer Zueigungsschrift des Prof. Heineccius an eine Koͤnigin, folgende schoͤne Phrase gelesen zu ha- ben: „ Ihro Majestaͤt glaͤnzen , wie ein Karfunkel , „am Finger der itzigen Zeit“. Kann man sich schlech- ter ausdruͤcken? Warum ist die Koͤnigin ein Karfunkel? Wer hat der Zeit einen Finger gegeben? Wenn die Kuͤnstler die Zeit vorstellen, so geben sie ihr Fluͤgel , weil sie ohne Unterlaß davon fliegt; eine Wasseruhr , weil die Stunden die Zeit abtheilen; und sie bewaff- nen ihren Arm mit einer Sichel , um anzudeuten, daß sie alles, was da ist, wegmaͤhet und zerstoͤrt. Wenn aber aber die Lehrer sich auf eine so niedrige und laͤcher- liche Art ausdruͤcken, was kann man denn von ihren Schuͤlern sich versprechen? Aber lassen Sie uns von den niedern Schulen auf die Universitaͤten uͤbergehen, und sie gleichfalls un- partheyisch untersuchen. Ein Fehler, der mir sogleich in die Augen faͤllt, ist, daß man gar keine allgemeine Methode hat, die Wissenschaften zu lehren. Jeder Professor macht sich selbst seine eigne. Meiner Mey- nung nach aber giebt es nur eine gute Methode, an die man sich halten sollte. Aber wie verfaͤhrt man hier- inn itzt? Ein Professor der Rechte, z. E. hat einige Lieblinge unter den beruͤhmten Rechtsgelehrten, und er- klaͤrt nur dieser ihre Meynungen: er haͤlt sich allein an ihre Schriften, ohne sich um das zu bekuͤmmern, was andre Schriftsteller uͤber das Recht geschrieben haben; er erhebt die Wuͤrde seiner Wissenschaft, um seine Kenntnisse zu zeigen; er bemuͤht sich mit Fleiß dunkel in seinen Vorlesungen zu seyn, um fuͤr ein Orakel ge- halten zu werden; er erklaͤrt die Gesetze von Memphis , wenn von dem Herkommen des Stifts Osnabruͤck die Rede ist; und er verbreitet sich uͤber die Gesetze des Minos , wenn er einen kuͤnftigen Beysitzer der Gerich- te von St. Gallen bilden soll. Der Lehrer der Weltweisheit hat gewoͤhnlich auch sein Lieblingssystem, an das er sich nur allein haͤlt. Seine Schuͤler verlassen seine Hoͤrsaͤle mit noch mehr B 2 Vor Vorurtheilen im Kopf, als sie hineinbrachten; sie ha- ben nur einen kleinen Theil menschlicher Meynungen durchgelaufen, und kennen noch lange nicht alles Ir- rige und Abgeschmackte derselben. Ich habe bey mir selbst die Frage noch nicht ent- scheiden koͤnnen, ob die Medicin eine Kunst sey oder nicht? Aber ich bin fest uͤberzeugt, daß kein Mensch in der Welt das Vermoͤgen habe, einen Magen, Lun- ge oder Niere neu zu machen, wenn diese fuͤr das menschliche Leben wesentliche Theile einmal verletzt sind; und ich rathe meinen Freunden sehr, wenn sie krank sind, ihre Zuflucht zu einem Arzt zu nehmen, der schon mehr als einen Kirchhoff angefuͤllt hat, und nicht zu einem jungen Schuͤler von Hoffmann oder Boerhave , der noch nicht Gelegenheit gehabt, irgend einen Menschen zu toͤdten. An den Lehrern der Geometrie habe ich gar nichts zu tadeln. Diese Wissenschaft allein hat niemals Sek- ten gehabt; sie ist auf die Analysis, die Synthesis und den Calkul gegruͤndet; sie beschaͤftigt sich nur mit ganz unwidersprechlichen Wahrheiten, und die Methode, sie zu lehren, ist in allen Laͤndern dieselbe. Auch in Absicht der Theologie will ich ein ehrer- bietiges Stillschweigen beobachten. Man sagt, sie sey eine goͤttliche Wissenschaft, in deren Heiligthum sich die Layen nicht wagen duͤrfen. Aber Aber gegen die Herren Professoren der Geschich- te, glaube ich etwas weniger Behutsamkeit beobachten zu duͤrfen; und es wird mir erlaubt seyn, ihrer Pruͤ- fung einige kleine Zweifel vorzulegen. Ich neh- me mir also die Freyheit, sie zu fragen: Ob das Studium der Chronologie der nuͤtzlichste Theil der Geschichte? und ob es ein unverzeilicher Fehler sey, im Todesjahr des Belus , oder in Absicht des Tages zu irren, da das Pferd des Darius durch sein wiehern, seinen Herrn auf den Thron von Persien brachte? Ob so viel darauf ankomme, zu wissen, ob die goldne Bulle um sechs Uhr Morgens, oder um vier Uhr Nach- mittags publicirt sey? Was mich betrifft, so begnuͤge ich mich den Inhalt der goldnen Bulle, und dieses zu wissen, daß sie im Jahr 1356. bekannt gemacht worden. Ich will hiemit gar nicht die Geschichtschreiber entschul- digen, welche Anachronismen begehen. Indeß wuͤrde ich kleine Versehen dieser Art mit mehr Nachsicht be- urtheilen, als die weit wichtigern Fehler, wenn ein Ge- schichtschreiber die Begebenheiten verwirrt erzaͤhlt wenn er ihre Ursachen nicht mit Deutlichkeit entwickelt, wenn er keine gute Methode beobachtet, wenn er sich lang bey Kleinigkeiten aufhaͤlt, und uͤber die wichtig- sten Gegenstaͤnde leicht wegeilt. Ich denke ohngefehr eben so uͤber die Genealogie, und glaube nicht, daß man einen Gelehrten steinigen muͤsse, weil er etwa die Genealogie der heil. Helena, Mutter Kaiser Constan- B 3 tins tins, oder der Hildegard, der Gemahlinn oder Mai- tresse Carl des Großen, nicht genau auseinander zu setzen weiß. Der Lehrer der Geschichte muß nur das lehren, was zu wissen noͤthig ist, und das uͤbrige uͤbergehn. Vielleicht finden Sie meine Kritik zu strenge? „Nichts, werden Sie sagen, „ist hienieden in unsrer Welt „ganz vollkommen, und unsre Sprache, unsre Schu- „len und Universitaͤten haben also das Recht, es auch „nicht zu seyn. Die Kritik; koͤnnten Sie hinzusetzen, „ist eine leichte Sache, aber die Kunst ist schwer; man „muͤsse sich nicht begnuͤgen, blos die Fehler anzuzeigen, „sondern auch die Regeln, die man befolgen sollte, um „es besser zu machen, angeben.“ Ich gestehe die Rich- tigkeit Ihrer Forderung ein, m. H. und bin ganz ge- neigt Sie zu befriedigen. Eben die Mittel, duͤnkt mich, durch welche andre Nationen zur Vollkommen- heit gelangt sind, haben wir auch, und es kaͤme nur darauf an, sie anzuwenden. Ich habe schon seit vieler Zeit in meinen muͤßigen Stunden diese Materien durch- gedacht; sie sind mir also gegenwaͤrtig genug, daß ich sie hier auseinandersetzen und Ihrem erleuchtetem Ur- theil vorlegen kann; es versteht sich von selbst, daß ich keinen Anspruch darauf mache, in meinen Grundsaͤtzen unfehlbar zu seyn. Lassen Sie uns wieder bey der deutschen Sprache anfangen, die nach meiner Beschuldigung, verwirrt und schwer zu bearbeiten ist, wenig Wohllaut hat, und auch auch nicht reich an Metaphern ist, die doch nothwendig sind, um neue Wendungen und Anmuth in ausgebildete Sprachen zu bringen. Wir werden den Weg, auf dem wir diese Fehler verbessern koͤnnen, am besten aus- findig machen, wenn wir demjenigen nachgehen, auf dem unsre Nachbarn zu dem Grade der Vollkommen- heit gelangt sind, den wir noch zu erreichen suchen. In Italien redte man zur Zeit Carl des Großen , noch einen barbarischen Mischmasch von Sprache, der aus Worten, die man von den Gothen und Longobarden entlehnt hatte, zusammengesetzt, und mit lateinischen Phrasen gemischt war, die fuͤr die Ohren von Cicero und Virgil ganz unverstaͤndlich wuͤrden gewesen seyn. Indeß blieb diese Sprache in der Unvollkommen- heit waͤhrend der Folge barbarischer Jahrhunderte. Erst lange nachher erschien Dante ; seine Verse be- zauberten die Leser, und die Italiaͤner fiengen nun an zu glauben, daß ihre Sprache doch vielleicht wuͤrdig seyn duͤrfte, auf die der Ueberwinder der Welt zu fol- gen. Endlich kurz vor und waͤhrend der Wiederherstel- lung der Wissenschaften bluͤhten Petrarka , Ariost , Sannazar und der Cardinal Bembo. Das Genie dieser beruͤhmten Maͤnner hat vornehmlich der italiaͤ- nischen Sprache ihre bleibende Gestalt gegeben. Zu gleicher Zeit bildete sich die Akademie della Crusca , die fuͤr die Erhaltung, so wie fuͤr die Reinigkeit des Styls, sorgte. B 4 Ich Ich gehe itzt nach Frankreich uͤber, und finde am Hofe Franz I. eine eben so mißtoͤnende und unbestimm- te Sprache, als itzt unsre deutsche seyn kann. Die Verehrer von Marot , Rabelais und Montagne moͤgen es mir verzeihn, wenn ich bekenne, daß ich bey den gro- ben und ohne alle Anmuth geschriebenen Werken jener Schriftsteller nur Langeweile und Widerwillen empfun- den habe. Nach ihnen, waͤhrend der Regierung Hein- rich IV. erschien Malherbe . Er war Frankreich s er- ster Dichter, oder vielmehr, um genauer zu reden, er- war als Versmacher weniger fehlerhaft, als seine Vor- gaͤnger. Um zu beweisen, wie wenig er die Vollkom- menheit in seiner Kunst erreicht hatte, darf ich Ihrer Erinnerung nur folgende Stelle aus einer seiner Oden zuruͤckrufen: Prends ta foudre, Louis , et va comme un Lion, Donner le dernier coup à la derniere tête de la rebellion. (Ergreif deinen Donner, Ludwig , und, wie ein Loͤwe, versetze dem letzten Haupt der Rebellion, den letzten Schlag.) Hat man wohl jemals einen Loͤwen mit einem Donner bewaffnet gesehn? Die Fabel giebt ihn in die Haͤnde des Obersten der Goͤtter, sie bewaffnet auch wohl seinen Begleiter, den Adler, damit; aber nie hat der Loͤwe dieses Attribut gehabt. Doch lassen Sie uns den Mal- herbe mit seinen unschicklichen Gleichnissen verlassen, und und zu den Corneille , den Racine , den Despreaux , den Bossuets , den Fleschiers , den Pascals , den Fene- lons , den Boursaults , den Vaugelas uͤbergehn. Die- se sind die wahren Vaͤter der franzoͤsischen Sprache. Sie haben den Styl gebildet, den Gebrauch der Woͤrter fest- gesetzt, die Perioden harmonisch gemacht, und dem bar- barischen und mißtoͤnenden Dialekt ihrer Vorfahren, Kraft und Energie gegeben. Man nahm die Werke dieser schoͤnen Geister mit groͤster Begierde und Bey- fall auf. Was gefaͤllt, wird leicht im Gedaͤchtniß be- halten. Wer Talent fuͤr die Wissenschaften hatte, ahmte sie nach. Der Styl und Geschmack dieser gros- sen Maͤnner theilte sich nachher der ganzen Nation mit. Erlauben Sie mir hier im Vorbeygehn noch die An- merkung zu machen, daß in Griechenland , in Italien und in Frankreich die Poeten allemal die ersten waren, welche ihre Sprache biegsam und harmonisch, und da- durch auch zur Bearbeitung der Schriftsteller, welche nach ihnen in Prosa schrieben, faͤhiger machten. Gehe ich nach England uͤber, so finde ich dort eben das Gemaͤhlde, wie das von Frankreich und Italien . Dieses Land wurde zuerst von den Roͤmern, dann von den Angelsachsen, den Daͤnen, und endlich von Wil- helm dem Eroberer, Herzog der Normandie, erobert. Aus der Vermischung der Sprachen aller dieser ver- schiedenen Sieger, zu denen noch die Sprache der Be- siegten hinzukam, welche noch itzt im Fuͤrstenthum Wal- B 5 lis lis geredt wird, entstand das heutige Englische. Ich darf Ihnen nicht sagen, daß waͤhrend der barbarischen Jahrhunderte diese Sprache wenigstens eben so roh und ungebildet war, als die, von denen ich Ihnen ge- redet habe. Die Wiederauflebung der Wissenschaf- ten hatte bey allen Nationen dieselben Wirkungen. Europa der dicken Unwissenheit muͤde, mit der es so viele Jahrhunderte bedeckt gewesen war, wollte sich itzt auf- klaͤren. Auch England , das immer eifersuͤchtig auf Frankreich war, wollte selbst gute Schriftsteller her- vorbringen. Und da man, um zu schreiben, eine Sprache haben muß, in der sich schreiben laͤßt, so fieng man mit der Verbesserung der Sprache an. Um die- selbe zu beschleunigen, nahm man aus dem Lateinischen, Franzoͤsischen und Italiaͤnischen alle Worte an, die man noͤthig zu haben glaubte. Die englische Nation hatte auch wirklich beruͤhmte Schriftsteller, die aber nicht im Stande waren, die scharfen Toͤne ihrer Spra- che, welche die Ohren der Fremden so sehr beleidigen, sanft zu machen. Alle andre Sprachen verliehren, wenn man sie uͤbersetzt; die englische allein gewinnt dabey. Ich erinnere mich hiebey einer Antwort, die ich einmal einen Gelehrten, auf die Frage geben hoͤrte: Welcher Sprache sich die Schlange bedient habe, als sie unsre erste Mutter verfuͤhrte? Der englischen, ant- wortete jener, denn die Schlange zischt . Nehmen Sie diesen Einfall nach seinem Werthe. Nachdem Nachdem ich Ihnen nun gezeigt habe, wie andre Nationen verfuhren, als sie ihre Sprache bildeten und vollkommner machten; so werden Sie von selbst schlies- sen, daß es uns eben so gut gelingen werde, wie ihnen, wenn wir nur dieselben Mittel anwenden. Wir muͤs- sen große Redner und große Dichter haben, die uns diese Dienste thun, welche sie unsern Nachbarn geleistet haben, und die wir nicht von unsern Philosophen er- warten duͤrfen. Dieser ihr Geschaͤft ist, Irthuͤmer auszurotten und neue Wahrheiten zu entdecken. Aber Dichter und Redner muͤssen uns durch ihre Harmonie bezaubern, uns ruͤhren und uͤberreden. Da man aber nicht befehlen kann, daß Genies zu bestimmten Stun- den geboren werden sollen; so wollen wir sehen, ob wir nicht bis dahin, daß diese Genies unter uns erscheinen werden, unterdeß einige Mittel gebrauchen koͤnnen, un- sre Fortschritte zu beschleunigen. Um unsern Styl ge- drungner zu machen, sollten wir die unnuͤtzen Paren- thesen wegwerfen, um Energie zu bekommen, sollten wir die alten Schriftsteller uͤbersetzen, die sich mit der meisten Staͤrke und Anmuth ausgedruͤckt haben. Von den Griechen waͤren besonders Thucydides , Xenophon , die Poetik des Aristoteles , das Handbuch des Epictets , die Gedanken des Marc Aurels , gute Muster. Be- sonders sollte man sich auch bemuͤhen, die Staͤrke des Demosthenes in unsre Sprache gut uͤberzutragen. Von den Lateinern wuͤrde ich vorzuͤglich die Commen- tarien tarien des Caͤsars , den Sallust , Tacitus , und die Ar- tem poeticam des Horaz ; von den Franzosen aber die Pensées de Rochefoucault , die Lettres Persanes, den Esprit des Loix empfehlen. Die Schriften, welche ich hier vorschlage, sind in einem kurzen, sententioͤsen Styl geschrieben, werden also ihre Uebersetzer zwin- gen, muͤssige Phrasen und unnuͤtze Worte zu meiden. Unsre Schriftsteller werden allen ihren Scharfsinn an- wenden muͤssen, um ihre Ideen gedraͤngt und kurz zu- sammen zu ziehn, und dadurch ihrer Uebersetzung eben die Staͤrke zu geben, die man in den Originalen be- wundert. Doch muͤssen sie bey ihrer Bemuͤhung, mit Energie zu schreiben, sich auch wohl huͤten, daß sie nicht dunkel werden. Immer muͤssen sie sich erinnern, daß Deutlichkeit die erste Pflicht jedes Schriftstellers sey; sich daher nie von den Vorschriften der Grammatik ent- fernen, sondern die Worte, welche die Phrasen regie- ren, so stellen, daß niemals eine Zweydeutigkeit dar- aus entstehn koͤnne. Uebersetzungen dieser Art wuͤrden dann die Muster seyn, nach welchen unsre Schriftstel- ler bey ihren eignen Arbeiten sich bilden koͤnnten. Als- dann duͤrften wir uns schmeicheln, die Vorschrift be- folgt zu haben, welche Horatz in seiner Arte poetica den Schriftstellern giebt: Tot verba, tot pondera . Eine noch weit schwerere Bemuͤhung aber wuͤrde es seyn, die harten Toͤne sanfter zu machen, die wir noch so haͤufig in unsrer Sprache antreffen. Die Vo- kale kale schmeicheln dem Ohr, aber zu viele Consonanten hintereinander beleidigen es, weil sie schwer auszuspre- chen sind, und gar keinen Wohlklang haben. Auch haben wir unter unsern Huͤlfs- und Zeitwoͤrtern viele, deren letzte Sylben fast gar nicht gehoͤrt werden, und dadurch sehr unangenehm sind, als sagen, geben, neh- men . Man darf diesen Worten nur noch am Ende ein a hinzusetzen, und sie in sagena, gebena, nehme- na verwandeln, so werden sie unserm Ohre gefallen. Aber ich weiß sehr wohl, wenn auch der Kaiser selbst mit seinen acht Churfuͤrsten auf einem feyerlichen Reichstage durch ein Gesetz diese Aussprache anbefoͤh- le; so wuͤrden doch die eifrigen Verehrer des aͤchten alten Deutschen sich an diese Gesetze gar nicht gebun- den halten, sondern allenthalben in schoͤnem Latein ausruffen: Caesar non est super Grammaticos, und das Volk, das in allen Laͤndern uͤber die Sprachen entschei- det, wuͤrde immer fortfahren, sagen und geben aus- zusprechen. Die Franzosen haben durch ihre Aus- sprache viele Worte sanfter gemacht, die sonst das Ohr beleidigten, und die den Kaiser Julian veranlaßten, zu sagen: Daß die Gallier, wie die Kraͤhen kraͤchzten. Worte der Art, wie man sie sonst aussprach, sind, cro-jo-yent, voi-yai-yent . Itzt sagt man croyent, voyent . Wenn diese Worte schon nicht dem Ohr schmeicheln, so sind sie doch nicht so unangenehm mehr. Mit gewissen Worten, duͤnkt mich, koͤnnten wir eben so so verfahren. Noch einen Fehler darf ich nicht uͤber- gehen, ich meyne den, daß unsre Schriftsteller oft nie- drige und triviale Vergleichungen aus der Sprache des Poͤbels entlehnen. Ein gewisser Dichter, z. E. bediente sich in seiner Zueignungsschrift an einen Maͤ- cenaten folgenden Ausdrucks: Schieß, großer Goͤn- ner, schieß deine Strahlen Armdick auf deinen Knecht hernieder . Was halten Sie von diesen arm- dicken Strahlen? Haͤtte man nicht dem Dichter sagen sollen- „Mein Freund, lerne denken, ehe du dich mit „dem Schreiben abgiebst.“ Bey diesen Maͤngeln un- srer Litteratur, daͤchte ich also, wir ahmten nicht die Armen nach, die gern fuͤr reich gehalten seyn moͤchten; und wir thaͤten besser, ganz aufrichtig unsre Duͤrftig- keit zugestehn. Der Gedanke an dieselbe muß uns Muth einfloͤßen, durch unermuͤdete Arbeit die Schaͤtze der Litteratur auch fuͤr uns zu erwerben. Ihr Besitz fehlt nur noch, um den Ruhm unsrer Nation ganz vollkommen zu machen. Nachdem ich Ihnen nunmehr gezeigt, wie man unsre Sprache bilden koͤnnte; so erbitte ich mir nur noch Ihre Aufmerksamkeit, wegen der Maaßregeln, die man nehmen muͤßte, um den Kreiß unsrer Kenntnisse zu er- weitern, die Erwerbung derselben leichter und nuͤtz- licher zu machen, und dabey zugleich den Geschmack der Jugend zu bilden. Ich schlage also zuerst vor, daß man mit mehr Ueberlegung die Rectoren waͤhlen moͤge, denen denen man die Schulen anvertrauet, und daß man ihnen eine verstaͤndige und gute Methode vorschreibe, die sie beym Unterricht der Grammatik, der Dialektik und der Rhetorik beobachten muͤßten; daß man kleine unterscheidende Belohnungen fuͤr die Schuͤler, die sich hervorthun, und leichte Strafen fuͤr die Nachlaͤßigen einfuͤhrte. Wolf s Logik ist, meiner Meynung nach, die beste und deutlichste von allen. Alle Rektoren soll- ten sich also bey ihrem Unterricht derselben bedienen, da auch die von Batteux nicht uͤbersetzt ist, und jene nicht uͤbertrifft. In Absicht der Rhetorik sollte man sich blos an Quinctilian halten. Wer ihn studirt, und nicht zur Beredsamkeit gelangt, wird sie sicher nie- mals lernen. Der Styl dieses Werks ist hell und deutlich, er enthaͤlt alle Vorschriften und Regeln der Kunst. Bey diesem Unterricht aber muͤssen die Lehrer nie versaͤumen, die eignen Versuche der Schuͤler sorg- faͤltig zu pruͤfen, sich nicht begnuͤgen, ihre Fehler zu verbessern, sondern ihnen auch die Gruͤnde entwickeln, warum die Verbesserung noͤthig sey? auch die Stellen loben, die sie gut gemacht haben. Wenn die Lehrer die Methode, welche ich hier vorschlage, befolgen, so werden sie die Keime von Ta- lenten entwickeln, welche die Natur gesaͤet hat; sie werden die Urtheilskraft ihrer Schuͤler bilden, wenn sie dieselben gewoͤhnen, nie ohne Kenntniß der Sache zu entscheiden; aus Vordersaͤtzen allemal richtige Fol- gerungen gerungen zu ziehen. Die Rhetorik wird dann ihren Geist methodisch machen, sie werden die Kunst lernen, ihre Ideen zu ordnen, sie zu verbinden, eine an die an- dre zu knuͤpfen, auch gluͤckliche, unmerkliche und na- tuͤrliche Uebergaͤnge von einer zur andern zu finden. Sie werden ihren Styl allemal dem Gegenstande an- gemessen einrichten, nur an schicklichen Orten Figuren gebrauchen, sowohl um die Monotonie des Styls zu unterbrechen, als auch Blumen uͤber die Stellen auszu- streuen, die derselben faͤhig sind. Sie werden sich be- sonders vor dem Fehler huͤten, zwey Metaphern mitein- ander zu verwirren, welches den Sinn nothwendig dunkel und zweydeutig machen muß. Noch wird die Rhetorik sie lehren, eine Auswahl von Worten zu ma- chen, wie sie sich fuͤr das Auditorium schickt, an das sie gerichtet sind. Sie werden lernen, wie sie die Gemuͤ- ther einnehmen, wie sie gefallen, ruͤhren, Unwillen oder Mitleiden erregen, uͤberreden, und alle Stimmen ge- winnen koͤnnen. Sie werden dann empfinden, wie goͤttlich die Kunst sey, mit der man blos durch den ge- schickten Gebrauch der Worte, ohne Gewalt und Zwang, die Seelen und Herzen beherrschen, und in einer zahl- reichen Versammlung die Leidenschaften erregen kann, von denen man sie eingenommen wissen will. Waͤren die guten Schriftsteller der Alten und Nachbarn einmal uͤbersetzt, so wuͤrde ich ihre Lektuͤre als eine nothwendige und hoͤchst wichtige Sache em- pfehlen. pfohlen. Zur Bildung in der Logik giebt es keine bes- sere Buͤcher, als Bayle ns Gedanken uͤber die Co- meten , und seinen Commentar uͤber die Worte: Noͤ- thige sie hereinzugehn . Nach meiner Einsicht ist Bayle der erste Dialektiker, den Europa je gehabt hat. Er raisonnirt nicht nur mit Staͤrke und Praͤcision; son- dern sein Hauptvorzug besteht besonders darinn, daß er immer mit einem Blick alles uͤbersieht, was nur ir- gend an einem Gegenstande gesehen werden kann; nichts entgeht ihm, nicht die schwache, nicht die starke Seite. Er weiß sogleich, wie ein Satz behauptet wer- den, und wie man die Einwuͤrfe derer, die ihn angreif- fen moͤchten, wiederlegen muͤsse. In seinem großen Dictionaire tadelt er den Ovid wegen seiner Erklaͤrung vom Chaos; die Artikel uͤber die Manichaͤer, den Zoroa- ster , den Epikur und so viele andre, sind vortreflich. Alle verdienen gelesen und studirt zu werden. Es wuͤr- de ein unschaͤtzbarer Vortheil fuͤr junge Leute seyn, wenn sie die Staͤrke des Raisonnements und den aus- nehmenden Scharfsinn dieses großen Mannes sich ganz eigen machten. Sie errathen schon von selbst, welche Schriftsteller ich besonders denen empfehlen werde, die sich vorzuͤg- lich auf die Beredsamkeit legen wollen. Damit sie den Grazien opfern lernen, wuͤrde ich ihnen rathen, die großen Dichter Homer und Virgil zu lesen, und eini- ge der auserlesensten Oden vom Horatz , einige Lieder C vom vom Anakreon damit zu verbinden. Um ihren Ge- schmack fuͤr die große Beredsamkeit zu bilden, wuͤrde ich ihnen den Demosthenes und Cicero in die Haͤnde geben. Man bemerke ihnen die Verschiedenheit des Verdiensts dieser beyden großen Redner. Bey dem ersten darf man nichts zusetzen, bey dem andern nichts wegnehmen. Denn muͤßte die Lektuͤre der besten Lei- chenreden des Bossuet und Flechiers , der franzoͤsischen Demosthenes und Cicero, und der Fastenpredigten des Massilon folgen, welche voll von Zuͤgen der er- habensten Beredsamkeit sind. Um zu lernen, wie man in der Geschichte schreiben muͤsse, wuͤrde ich den Li- vius , Sallustius und Tacitus empfehlen. Man muͤßte die erhabene Schreibart und die Schoͤnheit der Erzaͤh- lung dieser großen Schriftsteller den jungen Lesern recht entwickeln, dabey aber auch die Leichtglaͤubigkeit des Livius tadeln, der allemal am Ende jedes Jahrs ein Verzeichniß von Wundern auffuͤhrt, deren immer eines laͤcherlicher ist, als das andre. Nachher konnte man mit den jungen Leuten die Histoire universelle von Bossuer und die Revolutions romaines von Vertot durchlaufen, und auch noch die Einleitung von Robert- son s Geschichte Carl V. hinzusetzen. Diese Werke wuͤrden ihren Geschmack bilden, und ihnen lehren, wie man schreiben muͤsse. Hat aber ein Rektor selbst kei- ne Kenntnisse; so wird er sich begnuͤgen zu sagen: Hier hat Demosthenes ein sehr starkes rednerisches Argu- Argument gebraucht; da, und im groͤsten Theil seiner Rede bedient er sich des Enthymema; da ist eine Apostrophe; da eine Prosopopeia; da eine Me- tapher; hier eine Hyperbel . Dies alles ist recht gut, aber wenn der Lehrer die Schoͤnheiten seines Schriftstellers nicht besser zu entwickeln, und auch die Fehler (welche doch den groͤsten Rednern entwischen) zu bemerken weiß; so erfuͤllt er seine Pflicht nicht ganz. Ich dringe auf alles dieses so sehr, weil ich wuͤnschte, daß unsre Juͤnglinge die Schulen mit deutlichen und bestimmten Ideen verlassen moͤchten, und daß die Leh- rer sich nicht begnuͤgten, ihr Gedaͤchtniß anzufuͤllen, sondern vornehmlich ihre Urtheilskraft zu bilden such- ten, damit sie das Gute von dem Schlechten unterschei- den lernen, und nicht blos sagen, dies gefaͤllt mir nicht , sondern auch Gruͤnde angeben koͤnnen, warum sie etwas billigen oder verwerfen. Um sich zu uͤberzeugen, wie wenig Geschmack noch bis itzt in Deutschland herrsche, duͤrfen Sie nur unsre oͤffent- lichen Schauspiele besuchen. Sie finden daselbst die ab- scheulichen Stuͤcke von Shakespear aufgefuͤhrt, die man in unsre Sprache uͤbersetzt hat. Die ganze Versamm- lung findet ein ausnehmendes Vergnuͤgendaran , diese laͤcherlichen Farcen anzusehn, die nur wuͤrdig waͤren, vor den Wilden von Canada gespielt zu werden. Ich be- nrtheile diese Stuͤcke so hart, weil sie wider alle Regeln des Schauspiels suͤndigen. Diese Regeln sind nicht C 2 will- willkuͤhrlich. Sie finden dieselbe in der Poetik des Ari- stoteles , wo die drey Einheiten der Zeit, des Orts und der Handlung , als die einzigen und wahren Mittel vorgeschrieben sind, die Tragoͤdien interessant zu machen. In den Stuͤcken jenes englischen Schrift- stellers aber geht die Handlung ganze Jahre fort. Wo bleibt hier die Wahrscheinlichkeit? Bald erscheinen in denselben Lasttraͤger oder Todtengraͤber und reden, wie es sich fuͤr sie schickt. Dann kommen Koͤniginnen und Prinzen. Wie ist es moͤglich, daß ein so wunderliches Gemisch von Großem und Niedrigem, vom Tragischen und Harlequinspossen gefallen und ruͤhren koͤnne? Dem Shakespear kann man indeß seine sonderbare Ausschweifungen wohl verzeihen; denn er lebte zu ei- ner Zeit, da die Wissenschaften in England erst gebo- ren wurden, und man also noch keine Reife von densel- ben erwarten konnte. Aber erst vor einigen Jahren ist ein Goͤtz von Berlichingen auf unserm Theater er- schienen, eine abscheuliche Nachahmung jener schlechten englischen Stuͤcke: und doch bewilligt unser Publikum diesem eckelhaften Gewaͤsche seinen lauten Beyfall, und verlangt mit Eifer ihre oͤftere Widerholung. Ich weiß, daß man uͤber den Geschmack nicht streiten darf; indeß werden Sie mir doch erlauben zu sagen, daß die- jenigen, welche gleiches Vergnuͤgen daran finden, Seil- taͤnzer und Marionetten oder die Tragoͤdien des Raci- ne zu sehn, nur ihre Zeit zu verbringen suchen. Sie wollen wollen lieber, daß man zu ihren Augen als zu ihrem Verstande rede, und sie ziehen ein bloßes Schauspiel dem vor, was das Herz ruͤhrt. Aber lassen Sie uns wieder zu unserm Gegen- stande zuruͤckkommen. Ich habe Ihnen bisher von den niedern Schulen geredet, und werde nun eben so frey uͤber die Universitaͤten urtheilen, Ihnen solche Ver- besserungen vorschlagen, die Denjenigen, welche sich die Muͤhe geben wollen, uͤber die Sache gruͤndlich nach- zudenken, die nuͤtzlichsten und vortheilhaftesten scheinen werden. Man darf nicht glauben, daß die Methode, nach welcher die Professoren die Wissenschaften lehren, gleichguͤltig sey. Ist in derselben nicht Deutlichkeit und Bestimmtheit, so ist alle uͤbrige Muͤhe vergebens. Aber die meisten Professoren haben den Plan ihrer Vorlesun- gen einmal entworfen, und halten sich allein daran. Ob er gut oder schlecht sey, darum brkuͤmmert sich nie- mand. Man sieht auch, wie wenig Vortheil bey die- ser Art des Studirens herauskoͤmmt, und wie wenige junge Leute von diesen Vorlesungen so viel Kenntnisse als sie sollten, zuruͤckbringen. Nach meiner Idee muͤß- te man also jedem Professor genau die Regeln vor- schreiben, die er bey seinen Vorlesungen zu befolgen haͤtte. Ich will versuchen, diese Regeln in einem kurzen Ent- wurfe anzugeben. Den Geometer und den Theolo- gen uͤbergehe ich ganz, weil die Evidenz des erstern gar keiner Zusaͤtze mehr faͤhig ist, und man die einmal an- C 3 genom- genommenen Meynungen des andern nicht angreifen darf. Ich wende mich also sogleich zum Philosophen. Ich verlange, daß er seine Vorlesungen mit einer ge- nauen Definition der Philosophie anfange, daß er alsdann bis zu den entferntesten Zeiten zuruͤckgehe, und alle die verschiedenen Meynungen, welche die Men- schen gehabt und gelehrt haben, nach der Ordnung der Zeit, genau entwickele und beurtheile. Er muß, z. E. sich nicht begnuͤgen, bloß zu sagen, daß nach dem Sy- stem der Stoicker, die menschliche Seelen, Theilchen der Gottheit sind. So schoͤn und erhaben diese Idee auch bey dem ersten Anblick scheint; so muß unser Professor doch zeigen, wie sie einen wahren Widersprnch enthaͤlt, weil der Mensch, wenn er ein Theil der Gottheit waͤre, unendliche Kenntnisse haben muͤßte, die er doch nicht hat; weil, wenn Gott in dem Menschen waͤre, itzt der englische Gott mit dem franzoͤsischen und spanischen Krieg fuͤhren, und also die verschiedenen Theile der Gott- heit sich gegenseitig zu zerstoͤren suchen wuͤrden; weil endlich nach dieser Lehre, die schaͤndlichsten Handlun- gen und alle Verbrechen, welche die Menschen begehn, goͤttliche Werke seyn wuͤrden. Ist es nicht abge- schmackt, solche abscheuliche Meinungen anzunehmen? Sie koͤnnen eben deshalb, weil sie so ungereimt sind, nicht wahr seyn. Wenn Wenn der Lehrer zum System des Epikurs uͤber- geht, so wird er sich besonders dabey aufhalten, daß dieser Philosoph seinen Goͤttern alle Empfindung ab- leugnet, welches den Begriffen von der goͤttlichen Na- tur geradezu widerspricht. Er muß auch nicht verges- sen die Ungereimtheit des Satzes von der Bewegung der Atomen zu zeigen, und uͤberhaupt alles bemerken, was dem Raisonnement dieses Philosophen an Ge- nauigkeit und richtigem Zusammenhange fehlt. Er wird ohne Zweifel auch der acataleptischen oder scepti- schen Sekte erwaͤhnen, und frey gestehen, daß sich die Menschen oft in der Nothwendigkeit befinden, ihr Ur- theil zuruͤck zu halten, wenn die Analogie und die Er- fahrung ihnen keinen Leitfaden darbiethen, der sie aus diesem Irrgarten fuͤhren kann. Wenn unser Lehrer viele andre philosophische Systeme durchgegangen, wird er hernach zum Galilei kommen, dessen System er recht bestimmt vortragen, und die Ungereimtheit des Betragens der roͤmischen Clerisey zeigen muß, die nicht erlauben wollte, daß sich die Erde um ihre Achse dreh- te, daß es Menschen gaͤbe, die Antipoden von uns waͤ- ren; und die, so unfehlbar sie auch zu seyn glaubt, doch diesmal vor dem Richterstuhl der gesunden Vernunft ihren Prozeß verlohr. Hierauf folgen Copernikus , Tycho de Brache , und das Wirbelsystem des Descar- tes . Der Professor muß seinen Zuhoͤrern zeigen, wie unmoͤglich es sey, daß ein angefuͤllter Raum sich aller C 4 Bewe- Bewegung widersetze; und er wird bis zur Evidenz beweisen, Descartes mag sagen, was er will, daß die Thiere keine Maschienen sind. Hierauf muͤßte dann ein kurzer Abriß des Systems von Neuton folgen, nach welchem man den leeren Raum annehmen muß, ohne daß man bestimmen kann, ob er eine bloße Nega- tion alles Daseyns, oder ein Wesen sey, uͤber dessen Natur man durchaus keine bestimmte Begriffe haben kann. Dieses darf den Lehrer nicht abhalten sein Au- ditorium zu belehren, wie vollkommen das System, das Neuton durch seinen Calkul auf der Studierstube fand, mit den Phaͤnomenen uͤbereinstimmt, die uns die Natur zeigt, und wie daher die neuere Weltweisen ge- zwungen worden, die Schwere, die Centripetal- und Centrifugalkraft anzunehmen, verborgene und unbe- greifliche Eigenschaften der Natur, von denen man bis auf unsre Zeiten gar keinen Begriff hatte. Nun wird die Reihe kommen, von Leibniz , dem System der Monaden , und der vorherbestimmten Harmonie zu reden. Unser Lehrer wird ohne Zweifel die Bemerkung machen, daß sich keine Zahl ohne Ein- heit denken lasse, und er wird daraus die Folgerung ziehen, daß die Materie zuletzt aus untrennbaren Koͤr- pern zusammengesetzt sey. Er wird auch noch seinen Zuhoͤrern bemerken, daß sich eine unendliche Theilbar- keit der Materie zwar wohl denken lasse, aber daß in der Natur selbst, die urspruͤnglichen Bestandtheile so fein fein sind, daß sie unsern Sinnen entwischen und man also nothwendig annehmen muͤsse, daß die ersten Grund- stoffe der Elemente unzerstoͤrbar sind. Denn aus nichts kann nichts hervorgebracht werden, und nichts kann vernichtet werden. Das System der vorherbe- stimmten Harmonie wird unser Weltweise als den Roman eines Mannes von vielem Geiste vorstellen, und dabey bemerken, wie die Natur allemal die kuͤrze- sten Wege waͤhle, um ihren Zweck zu erreichen, und wie man niemals ohne Noth die Wesen vervielfaͤltigen muͤsse. Hernach wird er zum Spinosa kommen, des- sen Wiederlegung ihm nicht viel Muͤhe kosten wird, da hier eben die Gruͤnde zu gebrauchen sind, deren man sich gegen die Stoicker bedienet. Nichts aber wird unserm Lehrer leichter seyn, als dieses System von der Seite zu zerstoͤren, da es die Existenz Gottes leugnet; er darf nur zeigen, wie jede Sache in der Welt zu ei- nem gewissen Zweck bestimmt, und auf das vollkom- menste so eingerichtet ist, diesen Zweck zu erfuͤllen. Alles, sogar das Wachsthum des geringsten Graß- halms , beweiset die Gottheit. Der Mensch besitzet einen Grad von Verstand , den er sich selbst nicht gegeben hat, hieraus folget unwidersprechlich, daß das Wesen , von dem er Alles hat, noch einen viel tiefern und unermeßlichern Verstand besitzen muͤsse. C 5 Auch Auch der Mallebranche muß nicht ganz verges- sen werden. Bey der Entwickelung der Grundsaͤtze dieses gelehrten Moͤnchs findet man bald, daß die na- tuͤrlichen Folgen derselben, uns zu dem System der Stoicker zuruͤckfuͤhren, nemlich zu der allgemeinen Weltseele, von der alle Wesen belebt und Theile sind. Wenn wir alles in Gott sehen, wenn alle unsre Em- pfindungen, unsre Gedanken, unser Wollen und Begeh- ren unmittelbar von seiner intellektuellen Einwuͤrkung auf unsre Organen herruͤhren; so sind wir bloße Ma- schienen, die durch goͤttliche Haͤnde in Bewegung ge- setzt werden. Die Gottheit bleibt alsdann nur allein uͤbrig und der Mensch verschwindet ganz. Ich traue unserm Herrn Professor zu viel Ueber- legung zu, als daß er den weisen Locke vergessen soll- te; er ist der einzige Metaphysiker, der die Einbildungs- kraft der gesunden Vernunft ganz aufopfert, der nur der Erfahrung folgt, und vorsichtig stille steht, so bald dieser sichre Fuͤhrer ihn verlaͤßt. Bey der Moral wird unser Lehrer etwas vom Sokrates sagen, dem Mar- kus Aurelius Gerechtigkeit wiederfahren laßen, und sich vorzuͤglich bey dem Buch des Cicero de officiis verweilen, dem besten, das je uͤber die Moral geschrie- ben worden, und jemals geschrieben werden wird. Mit den Aerzten habe ich nur zwey Worte zu re- den. Sie muͤssen besonders ihre Schuͤler gewoͤhnen, die Symptomen der Krankheiten sorgfaͤltig zu unter- suchen, suchen, um ihre Gattungen genau zu kennen. Diese Symptomen sind ein schneller oder schwacher, ein star- ker oder heftiger oder unterbrochner Puls; Trockenheit der Zunge; Beschaffenheit der Augen: die Natur der Ausduͤnstung; und alle Arten von Absonderungen, sowohl durch den Urin als den Stuhlgang. Hieraus zieht der Arzt Folgen, nach denen er mit einiger Sicherheit die Art des Marasmus bestimmen kann, welcher die Krank- heit verursacht, und nach diesen Kenntnissen waͤhlt er als- dann die sichersten Mittel sie zu heilen. Der Lehrer der Arzneykunst muß auch besonders sich Muͤhe geben, seinen Schuͤlern die ausnehmende Verschiedenheit der Tem- peramente und die Aufmerksamkeit, die sie erfordern, zu zeigen. Er muß ihnen deutlich machen, wie diesel- be Krankheit bey jedem Temperament ganz verschieden sich aͤusere, und wie nothwendig es daher sey, die Arz- neymittel auch in derselben Krankheit auf das genaue- ste nach der Constitution des Patienten, abzumessen. Nach allen diesem Unterricht wage ich es doch nicht zu hoffen, daß unsere junge Aesculape Wunder thun wer- den; aber das Publikum wird doch den Vortheil da- von haben, daß die Unwissenheit oder Traͤgheit der Aerzte kuͤnftig einige Buͤrger des Staats weniger toͤd- ten werden. Um kurz zu seyn, uͤbergehe ich die Botanik, die Chimie und Experimental-Physik, und komme daher de- sto eher zu dem Herrn Professor der Rechte, der mir eine eine sehr unfreundliche Mine zu haben scheint. Mein Herr, moͤchte ich zu ihm sagen, wir leben nicht mehr in dem Jahrhunderte der Worte, sondern der Sachen. Waͤre es Ihnen gefaͤllig, so wuͤnschte ich, zum Besten des Publikums, Sie braͤchten in Ihre hochgelahrten Vorlesungen, etwas weniger Pedantismus und dage- gen desto mehr gesunde Vernunft. Sie verderben nur Ihre Zeit, wenn Sie ein Staatsrecht lehren, das nicht einmal unter Privatpersonen gilt, das von den Maͤchtigen nicht geachtet wird, und den Schwachen kei- nen Schutz giebt; oder, wenn Sie Ihre Schuͤler ganz vollstaͤndig von den Gesetzen des Minos , des Solon , des Likurg , den zwoͤlf Tafeln, dem Justinianischen Co- dex unterrichten; und ihnen fast gar nichts von den Gesetzen und dem Herkommen unsrer Lande sagen. Um Sie zu beruhigen, wollen wir Ihnen gerne zugeben, daß Ihr Gehirn eine Quintessenz der vereinigten Ge- hirne des Bartolus und Cujacius ausmache; aber bedenken Sie doch dagegen auch, daß nichts kostbarer als die Zeit ist, und derjenige, der sie mit unnuͤtzen Phrasen hinbringt, fuͤr einen Verschwender erklaͤrt werden muͤsse, uͤber den Sie eine Sequestration er- kennen wuͤrden, wenn ihm vor Ihrem Richtstuhl der Prozeß gemacht werden sollte. Erlauben Sie mir also, so gelehrt Sie immer seyn moͤgen, daß ich als ein bloßer Laye (wenn Sie mir einigen Muth machen werden,) es wage, Ihnen einen juristischen Cursinn vorzuschlagen. Sie Sie fingen, daͤcht ich, mit dem Beweise an, daß Gesetze nothwendig sind, weil keine Gesellschaft ohne sie bestehen kann. Sie zeigten hierauf, wie es buͤrgerliche, Criminal- und blosse Conventionsgesetze gebe. Die ersten dienen dazu, alle Art von Besitz zu sichren, als Erbschaften, Heyrathsteuer, Leibge- dinge, Kauf- und Verkaufskontrakte, u. s. w. Sie enthalten die Grundsaͤtze, nach denen man die Graͤnzen bestimmen und streitige Rechte erklaͤren und entschei- den muß. Die peinlichen Gesetze haben mehr den Zweck von den Verbrechen abzuschrecken, als sie zu strafen. Die Strafen muͤssen immer den Verbrechen angemes- sen, und die gelindesten, so oft es nur moͤglich, den haͤrtesten vorgezogen werden. Conventionsgesetze sind diejenigen, welche die Regierungen einfuͤhren, um die Handlung und den Fleiß ihrer Staaten zu befoͤr- dern. Die beyden ersten Gattungen der Gesetze sind bleibend und ewig; die letztern aber sind Veraͤnderun- gen unterworfen, weil so wohl innere als aͤußere Ur- sachen die Regierungen veranlassen koͤnnen, einige die- ser Gesetze abzuschaffen und neue einzufuͤhren. Hat der Herr Professor diese vorlaͤufigen Grundsaͤtze mit der noͤthigen Deutlichkeit vorgetragen; so wuͤnschte ich, daß es ihm gefaͤllig seyn moͤchte, ohne den Grotius und Puffendorff weiter um Rath zu fragen, die Gesetze des Landes, in dem er lebt, genau durchzugehen und zu entwickeln. Er muß sich dabey ja huͤten, daß er seinen seinen Schuͤlern keinen Geschmack an der Streitsucht beybringe, und nicht Leute aus ihnen bilde, welche die Geschaͤfte noch mehr verwickeln, statt sie zu entwi- ckeln. Er wird sich besonders bemuͤhen, Richtigkeit, Deutlichkeit und Praͤcision in seine Vorlesungen zu bringen. Um seine Zoͤglinge von fruͤher Jugend an selbst an diese Methode zu gewoͤhnen, wird unser Leh- rer alles anwenden, um ihnen Verachtung der Streit- sucht beyzubringen, die uͤber alles sophistische Erklaͤ- rungen macht, und ein unerschoͤpfliches Repertorium von Subtilitaͤten und Chikanen zu seyn scheint. Ich wende mich itzt an den Professor der Ge- schichte, und stelle ihm zum Muster den beruͤhmten und gelehrten Thomasius vor. Diesem grossen Mann sich nur zu naͤhern, wird unserm Professor einen guten Ruf, ihm gleich zu werden, hohen Ruhm er- werben. Er muß seine Vorlesungen mit der alten Geschichte anfangen, und mit der neuen beschliessen; aber auch kein Volk vergessen, das in der Folge der Jahrhunderte sich ausgezeichnet, so wie Bossuet in seinem sonst sehr schaͤtzbaren Buch, die Sineser, die Russen, Pohlen und den ganzen Norden uͤbergangen hat. Vorzuͤglich muß sich unser Lehrer mit Deutsch- land beschaͤftigen, weil dieses fuͤr Deutsche das inte- ressanteste Land ist. Bey dem dunkeln und ungewissen Ursprung der Nation aber, muß der Lehrer sich nicht zu lange auf- halten, halten, weil wir zu wenig Denkmaale haben, und die Kenntniß, die man allenfals hieruͤber erwerben kann, wenig nuͤtzlich ist. Er wird auch das neunte, zehnte, eilfte und zwoͤlfte Jahrhundert nur durchlau- fen ohne sich dabey aufzuhalten. Im dreyzehnten wird er anfangen tiefer einzudringen, weil hier die Ge- schichte interessanter zu werden anfaͤngt. Je mehr er sich den neuern Zeiten naͤhert, desto mehr muß er sich in das Detail der Begebenheiten einlassen, weil sie im- mer mehr mit der Geschichte unsrer Zeit zusammen- haͤngen. Er muß dabey auch ein richtiges Verhaͤlt- niß beobachten, und sich immer laͤnger bey denen Be- gebenheiten verweilen, welche Folgen gehabt, als bey denen, welche (wenn ich mich so ausdruͤcken darf) fuͤr die Nachkommen gleichsam todt sind. Besonders wird der Professor auch den Ursprung der Rechte, Gebraͤuche und Gesetze bemerken, und zeigen bey wel- chen Veranlassungen sie im deutschen Reiche eingefuͤhrt sind. Er muß die Epoken angeben, da die Kaiserl. Reichsstaͤdte die Unmittelbarkeit erhielten; und worin ihre Privilegien bestanden? wie der Bund der Han- seestaͤdte entstanden? wie die Bischoͤfe und Aebte Sou- verains wurden? Er wird endlich, so gut er kann, es erklaͤren, wie die Churfuͤrsten das Recht erhalten ha- ben, den Kaiser zu waͤhlen. Auch die Verschie- denheit der Rechtsverwaltung in dieser Folge der Jahrhunderte, darf nicht uͤbergangen werden. Aber von von Carl V. an muß besonders unser Professor zeigen, daß er Beurtheilungskraft und Geschicklichkeit be- sitze. Von diesem Zeitpunkt an wird alles interessant und denkwuͤrdig. Daher muß der Lehrer alle Muͤhe anwenden, die Ursachen der großen Begebenheiten zu entwickeln. Gleichguͤltig gegen die Personen, muß er das Gute und Boͤse, wo er es findet, loben und ta- deln, wie ein jeder dasselbe verdient. Nun kommt die Zeit der Religionsunruhen, der Lehrer der Geschich- te muß sie wie ein Philosoph, beurtheilen. Hierauf folgen die Kriege, zu welchen jene Unruhen Gelegen- heit gaben, und Begebenheiten, welche mit der Wuͤr- de behandelt werden muͤssen, die ihr großes Interesse erfordert. Schweden , z. E. nimmt im dreyßigjaͤhri- gen Kriege die Parthey gegen den Kaiser. Hier muß also der Lehrer zeigen, was Gustav Adolph bewog, sich nach Deutschland zu begeben; und warum Frank- reich sich fuͤr Schweden und die protestantische Sache erklaͤrte; aber er muß sich wohl in Acht nehmen, die alten Unwahrheiten zu wiederholen, welche gar zu leichtglaͤubi- ge Geschichtschreiber verbreitet haben. Er wird also nicht sagen, daß Gustav Adolph von einem deutschen Fuͤr- sten getoͤdtet sey, der unter seiner Armee diente, weil dieses Vorgeben durch nichts bewiesen und ganz un- wahrscheinlich ist. Der westphaͤlische Friede verdient eine noch umstaͤndlichere Eroͤrterung, weil er die Haupt- stuͤtze der deutschen Freiheiten und ein Grundgesetz ge- worden worden ist, auf welches sich unsre heutige Verfassung gruͤndet, und wodurch der Ehrgeiz der Kaiser in sei- nen gebuͤhrenden Schranken erhalten wird. Nachher muß der Lehrer der Geschichte, die Begebenheiten unter der Regierung der Kaiser Leopold , Joseph I. und Carl VI. vortragen. Dieses Feld von so weitem Umfange wird ihm Gelegenheit genug geben, sein Genie und seine Gelehrsamkeit zu zeigen, wenn er nur nichts Wesent- liches uͤbergeht. Hat unser Professor die Begeben- heiten jedes Jahrhunderts auf diese Art auseinander- gesetzt; so muß er auch nicht vergessen, von den herr- schenden Meynungen desselben, und den wackern Maͤn- nern Rechenschaft zu geben, welche sich durch ihre Ta- lente, ihre Entdeckungen und ihre Schriften am meisten bekannt gemacht haben; er wird auch dabey die Auslaͤn- der nicht uͤbergehn, welche Zeitgenossen jener Deut- schen waren. Hat man auf diese Art die Geschichte behandelt, daß man ein Volk nach dem andern durch- geht; so wuͤrde es fuͤr die Schuͤler sehr nuͤtzlich seyn, wenn man nun alle Materien wieder nach der Zeitord- nung zusammenstellte und sie ihnen in einem großen Gemaͤhlde zeigte. Hier ist besonders die chronologi- sche Ordnung nothwendig, um nicht die Zeiten mit ein- ander zu verwechseln, und um zu lehren, daß man je- de wichtige Begebenheit immer in die Stelle setzen muͤsse, in die sie gehoͤrt; Zeitgenossen neben Zeitgenos- sen. Um das Gedaͤchtniß nicht zu sehr mit Datis zu D uͤber- laden, wuͤrde das beste seyn, die wichtigsten Vorfaͤlle zu Epoken zu machen. Diese sind Standpunkte fuͤr das Gedaͤchtniß, die man leicht behaͤlt, und welche ver- hindern, daß das unermeßliche Cahos der Geschichte sich nicht in dem Kopfe der jungen Leute verwirre. Ein solcher Cursus der Geschichte, wie ich ihn vorschla- ge, muß tief durchgedacht und wohl geordnet seyn, auch durchaus keine Kleinigkeiten enthalten. Nicht im Theatro Europaeo , nicht in der deutschen Geschich- te von Buͤnau muß der Geschichtslehrer Rath suchen; ich wuͤrde ihn lieber auf die Hefte vom Thomasius verweisen, wenn man sie noch haben kann. Wird die Geschichte auf diese Art gelehret, so ist es unstreitig das interressanteste, unterrichtendste und nuͤtzlichste Schauspiel fuͤr einen jungen Menschen, der in die Welt tritt, diese Reihe von Veraͤnderungen durchzugehen, die so oft die Gestalt der Welt veraͤn- dert haben. Nirgend lernt man das Nichts aller menschlichen Dinge besser kennen, als wenn man auf den Truͤmmern so vieler Reiche und maͤchtigen Staa- ten einherwandelt. Bey der unuͤbersehbaren Menge von Verbrechen, die man dem Blick des edlen Juͤng- lings vorbeyfuͤhrt, wird es ihm ein ausnehmendes Vergnuͤgen machen, doch zuweilen große und goͤttliche Seelen zu finden, die um Verzeihung fuͤr das uͤbrige verderbte Menschengeschlecht zu bitten scheinen. Hier findet er Muster, denen er nachahmen muß. Dort sieht sieht er gluͤckliche Menschen, mit Schmeichlern um- ringt; sie fliehn, so bald der Tod ihren Goͤtzen beruͤhrt; die Wahrheit erscheint dann, und die laute Stimme des oͤffentlichen Abscheues macht den gedungenen Paͤ- negyristen verstummen. Ich schmeichle mir, daß unser Professor so viel Verstand haben werde, um seinen Schuͤ- lern deutlich zu machen, wie eine edle Nacheiferung von einem strafbaren Ehrgeitz verschieden sey, und daß er sie zum Nachdenken uͤber so viele schreckliche Leiden- schaften anfuͤhren wird, die den maͤchtigsten Staaten das groͤste Ungluͤck bereitet haben. Mit hundert Exem- peln kann er beweisen, wie die guten Sitten die sicher- sten Mittel zur Erhaltung der Staaten sind, und wie ihre Verderbniß, die Einfuͤhrung des Luxus, und unge- maͤßigte Liebe der Reichthuͤmer zu allen Zeiten die Vor- laͤufer ihres Falls waren. Wenn der Professor den Plan befolgt, den ich ihm vorschlage; so wird er sich nicht darauf einschraͤn- ken, nur Begebenheiten in dem Gedaͤchtniß seiner Schuͤler zu haͤufen; sondern er wird sich bemuͤhen, ih- re Urtheilskraft zu bilden, und ihre Art zu denken, zu berichtigen, besonders aber ihnen Liebe zur Tugend ein- zufloͤssen, welches meiner Meinung nach, allen unver- dauten Kenntnissen weit vorzuziehen ist, mit denen man den Kopf eines jungen Menschen anzufuͤllen pflegt. D 2 Der Der Schluß von Allem, was ich Ihnen bisher vorgetragen, ist, daß man sich mit dem groͤßten Eifer bemuͤhen muͤßte, alle classische Autoren der alten und neuern Sprachen gut zu uͤbersetzen. Wir wuͤrden da- von den doppelten Vortheil haben, daß unsre Sprache gebildet, und die Kenntnisse allgemeiner gemacht wuͤr- den. Wenn wir die guten Schriftsteller unter uns naturalisirten, so wuͤrden sie uns neue Ideen zufuͤhren; ihre Diction und die Anmuth ihres Styls wuͤrde uns bereichern, und wie viele wichtige Kenntnisse wuͤrde nicht das Publikum dadurch erhalten? Ich glaube nicht, daß unter den sechs und zwanzig Millionen Menschen, die man Deutschland beylegt, sich hundert- tausend befinden, welche das Latein gut verstehn, be- sonders wenn Sie den Haufen der Pfaffen und Moͤnche abrechnen, die es kaum so weit gebracht haben, die Re- geln des Syntax nur einigermaßen zu verstehen. So sind also 25,900000 Menschen von den wichtigsten Kenntnissen ganz ausgeschlossen, weil sie dieselben nicht in ihrer Muttersprache bekommen koͤnnen. Welch eine gluͤckliche Veraͤnderung waͤre es also, wenn unter dieser Menge von Menschen jene Kennt- nisse allgemeiner gemacht werden koͤnnten. Der Edel- mann, der sein Leben auf dem Lande zubringt, wuͤrde sich diejenigen Buͤcher auswaͤhlen, die sich fuͤr ihn schick- ten, und durch sie sich eben so sehr unterrichten als be- lustigen. Der Buͤrger wuͤrde weniger roh werden, und und die muͤssigen Menschen faͤnden im Lesen eine sichere Zuflucht wider die Langeweile. Der Geschmack fuͤr die Wissenschaften wuͤrde allgemein werden, Anmuth und Vergnuͤgen uͤber die menschliche Gesellschaft ver- breiten, und eine unerschoͤpfliche Quelle fuͤr die Con- versation seyn. Aus solchem bestaͤndigen gegenseitigen Reiben der Geister wuͤrde der gute Geschmack und das feine Gefuͤhl entstehen, das mit eben so richtiger als geschwinder Beurtheilung das Schoͤne empfindet, das Mittelmaͤßige verwirft und das Schlechte verachtet. Das Publikum wird alsdenn auch uͤber neue Werke des Geschmacks mit mehr Erleuchtung urtheilen, und die Schriftsteller zwingen, ihre Werke mit groͤßerm Fleiß und mit Sorgfalt auszuarbeiten, und sie nicht eher herauszugeben, bis sie genau und oͤfterer gepruͤft und gefeilt sind. Der Gang, den ich zur Verbesserung unsrer Lit- teratur vorschlage, ist nicht aus meiner Einbildung ge- nommen; er ist der, den alle Voͤlker, die sich aufge- klaͤrt, gewaͤhlt haben. Jemehr der Geschmack fuͤr die Wissenschaften allgemeiner werden wird, desto mehr Vorzuͤge und andre Vortheile werden die zu erwarten haben, die sie mit besonderm Fleiß cultiviren; desto mehr wird das Beyspiel einiger immer mehrere an- feuern. Deutschland hat schon Maͤnner genug, die zu den muͤhsamsten Untersuchungen ganz gemacht sind, es hat Philosophen, Genies, und Alles, was man zu D 3 ihrer ihrer Entwicklung wuͤnschen kann, nur ein Prometheus fehlt noch, der das goͤttliche Feuer vom Himmel hole, und sie belebe. Eben das Land, welches den beruͤhm- ten Petrus de Vineis , den Canzler des ungluͤcklichen Kaisers Friedrich II. und die Verfasser der bekannten Epistolarum obscurorum virorum (die uͤber ihr Zeit- alter sehr erhaben sind) hervorgebracht hat; das Land, in welchem Erasmus geboren ist, dessen Lob der Narr- heit voll von Witz ist, und noch besser seyn wuͤrde, wenn man einige zu niedrige Stellen wegnaͤhme, an denen man das Kloster und den Geschmack der Zeit erkennet; ein Boden, der den eben so weisen als gelehrten Me- lanchton , und so viel andere große Maͤnner hervorge- bracht hat, ist noch nicht erschoͤpft, und kann noch im- mer wieder Genies erzeugen, die den genannten gleich kommen. Ich koͤnnte auch zu den angefuͤhrten noch große Namen hinzusetzen, denn ich rechne zu den unsri- gen auch einen Copernik , dessen Calkul das Plane- tensystem und dasjenige berichtigte, was Prolomaͤus etliche tausend Jahr vor ihm behauptet hatte. In ei- nem andern Theile Deutschland s entdeckte ein Moͤnch durch seine chymische Processe, die erstaunenswuͤrdige Wirkungen des Ausbruchs des Pulvers. Auch war es ein Deutscher, der die Buchdruckerey erfand, diese herrliche Kunst, welche die guten Buͤcher verewiger, und das Publikum in den Stand setzt sich mit gerin- gen Kosten zu unterrichten. Dem erfinderischen Geiste eines eines Otto Guerike haben wir die Luftpumpe zu danken. Und wie koͤnnte ich den großen Leibnitz uͤbergehen, dessen Name in ganz Europa so beruͤhmt ist. Hat ihn auch zuweilen die lebhafte Einbildung zu systematischen Traͤumen verleitet; so muß man doch gestehen, daß selbst seine Verirrungen seinen großen Geist beweisen. Ich koͤnnte diese Liste noch mit den Namen von Tho- masius , Bilfinger , Haller und sehr vielen andern vergroͤssern, wenn ich nicht besser faͤnde, von der neue- sten und gegenwaͤrtigen Zeit nichts zu sagen. Das Lob der erwaͤhnten wuͤrde die Eigenliebe der uͤbergan- genen beleidigen. Ich sehe voraus, daß man meinem Raisonnement vielleicht noch einen Einwurf entgegensetzen wird, den ich noch beantworten muß. Waͤhrend der buͤrgerlichen Kriege, sagt man vielleicht, bluͤhte in Italien Pico von Mirandola ; ich gestehe dieses ein, aber der Mann war auch nur ein bloßer Gelehrter. Waͤhrend daß Cromwell , (kann man mir weiter einwerfen,) die Ver- fassung seines Vaterlandes umstuͤrzte, und seinen Koͤ- nig auf dem Schafot hinrichten ließ, erschien Tindal mit seinem Leviathan , und bald nachher Milton mit seinem verlohrnen Paradiese ; ja schon zur Zeit der Koͤnigin Elisabeth und Jacob I. erleuchtete der Canz- ler Bacon ganz Europa , und wurde ein Orakel fuͤr die Philosophie, da er die noch moͤglichen Entdeckun- gen und den Weg anzeigte, auf dem man zu ihnen ge- D 4 langen langen koͤnte. Auch in Frankreich waren die vortref- lichsten Schriftsteller Zeitgenossen der blutigen Kriege unter Ludwig XIV. Warum, kann man also sagen, waren unsre deutsche Kriege so viel fuͤrchterlicher fuͤr die Wissenschaften, als bey andern Nationen? Es wird mir nicht schwer seyn hierauf zu antworten. In Italien haben die Wissenschaften nur zu der Zeit ge- bluͤhet, als Lorenz von Medicis , der Papst Leo X. und das Haus Este ihnen Schutz gaben. Es fielen in diese Zeit einige voruͤbergehende, aber nicht zerstoͤ- rende Kriege; und Italien , eifersuͤchtig auf die Eh- re die Wissenschaften wieder hergestellt zu haben, un- terstuͤtzte sie so sehr, als es nur irgend seine Kraͤfte er- laubten. In England zielte Cromwel s durch den Fa- natismus unterstuͤtzte Politik, nur allein auf den Ihren; grausam gegen seinen Koͤnig regierte er die Nation mit Weisheit. Daher war England s Handel nie so bluͤhend als waͤhrend seinem Protektorat. Der Be- hemoth war auch nur eine Partheyschrift. Das ver- lohrne Paradies von Milton ist unstreitig von hoͤ- herem Werth; der Dichter desselben besaß eine unge- mein starke Einbildungskraft, und nahm das Sujet aus einer der religioͤsen Farcen, die zu seiner Zeit noch in Italien gespielt wurden; aber man muß besonders bemerken, daß England damals schon wieder ruhig und in bluͤhendem Wohlstande war. Der Canzler Bacon lebte an dem feinen und aufgeklaͤrten Hofe der der Elisabeth ; er besaß die durchdringenden Augen vom Adler des Jupiters, mit denen er die Wissenschaf- ten durchschauete, und die Weisheit der Minerva, um sie zu ordnen. Bacon s Genie gehoͤrt unter die selte- nen Phaͤnomene, die immer nur einzeln und in weiter Entfernung von einander erscheinen, und die ihrem Jahrhundert eben so viel Ehre machen, als dem mensch- lichen Geschlecht uͤberhaupt. In Frankreich hatte Richelieus Ministerium das schoͤne Jahrhundert von Ludwig XIV. schon von ferne bereitet. Die Wissenschaften fiengen mit dem Anfang seiner Regierung an sich zu verbreiten, und konnten durch den Krieg de la Fronde , der nur ein Kinderspiel war, nicht unterbrochen werden. Ludwig XIV. begie- rig nach jeder Art von Ruhm, wollte seine Nation zur ersten in Absicht des Geschmacks und der Litteratur machen, wie sie es durch ihre Macht, ihre Eroberun- gen, ihre Politik und Handel schon war. Seine sieg- reichen Waffen drangen in die Lande seiner Feinde ein. Frankreich war stolz uͤber das Gluͤck seines Monarchen, ohne die Verwuͤstungen des Krieges zu empfinden. Ganz natuͤrlich also ließen die Musen, die gern immer neben Ruhe und Ueberfluß wohnen, sich in seinem Reiche nieder. Aber ich muß Sie auf noch einen Unterschied auf- merksam machen, der sich zwischen uns und unsern Nach- barn, die uns vorgegangen sind, befindet. In Ita- D 5 lien, lien, in Frankreich und England schrieben die ersten Gelehrten und ihre Nachfolger allemal in der Landes- sprache. Das Publikum nahm ihre Werke mit groͤß- ter Begierde auf, und die Kenntnisse verbreiteten sich durch die ganze Nation. Bey uns war es hierinn ganz anders. Die Religionszaͤnkereyen lieferten uns eini- ge Streiter, welche ganz unverstaͤndliche Materien auf eine sehr dunkle Art untersuchten; dieselben Saͤtze bald behaupteten, bald bestritten; und die Sophismen nur mit Schimpfworten vermengten. Unsere ersten Ge- lehrten waren, wie sie es allenthalben gewesen, Maͤn- ner, die nur Begebenheiten in ihrem Gedaͤchtniß an- haͤuften; Pedanten ohne Beurtheilungskraft, wie die Lipsius , die Freinshemius , die Gronovius , die Graͤ- vius , welche auf eine sehr schwerfaͤllige Art einige dunk- le Phrasen wieder herstellten, die sie in alten Manu- scripten fanden. Dieses konnte bis auf einen gewissen Grad ganz nuͤtzlich seyn; aber man mußte nicht allen seinen Fleiß und Aufmerksamkeit auf dergleichen un- wichtige Kleinigkeiten wenden. Und doch machte die pedantische Eitelkeit dieser Herren auf den Beyfall von ganz Europa Anspruch; theils um ihr schoͤnes La- tein zu zeigen, theils um auch von fremden Pedanten bewundert zu werden, schrieben sie durchaus nicht an- ders, als lateinisch. Ihre Werke waren daher fuͤr das ganze uͤbrige Deutschland ungeschrieben. Hier- aus entstanden zwey Unbequemlichkeiten. Die deutsche Sprache Sprache wurde gar nicht cultivirt und blieb immer mit ihrem alten Rost bedeckt. Der Haupttheil der Nation, der kein Latein verstand, konnte sich auf kei- ne Weise unterrichten, und blieb immer mit dicker Unwissenheit umhuͤllt. Dies sind Wahrheiten, de- nen Niemand etwas entgegensetzen kann. Unsre Herren Gelehrten sollten sich zuweilen erinnern, daß die Wissenschaften die Nahrungsmittel der Seele sind; das Gedaͤchtniß empfaͤngt sie, wie der Magen die Spei- sen; wenn die Urtheilskraft aber nicht ihre Verdauung befoͤrdert, so ist Unverdaulichkeit des Geistes unver- meidlich. Wenn die Wissenschaften Schaͤtze sind, so muß man sie nicht aufhaͤufen und verschließen; sondern dadurch nutzen, daß man sie in allgemeinen Umlauf- bringt, und dieses kann nur durch die Sprache gesche- hen, welche alle Buͤrger des Staats verstehn. Noch nicht seit langer Zeit haben unsre Gelehr- ten es gewagt, in ihrer Muttersprache zu schreiben, und schaͤmen sich nicht mehr Deutsche zu seyn. Sie wis- sen, daß das erste deutsche Woͤrterbuch noch nicht alt ist; ich erroͤthe fast dafuͤr, wenn ich bedenke, daß ein so ausnehmend nuͤtzliches Buch nicht wenigstens hun- dert Jahre vor mir in die Welt gekommen ist. Bey alle dem bemerkt man itzt, daß uns allmaͤhlich eine Gaͤhrung und Veraͤnderung bevorstehe. Man faͤngt an von Ruhm der Nation zu reden; wir wollen uns in gleiche Reihe mit unsern Nachbarn erheben, und Wege Wege zum Parnaß, so wie zum Tempel des Anden- kens bahnen. Wer ein feines Gefuͤhl hat, kann dieses schon bemerken. Man muß also nur die alten und neuern klassischen Schriftsteller in unsre Sprache uͤber- setzen. Soll das Geld bey uns circuliren, so muͤssen wir es ins Publikum bringen, und die Wissenschaften, die ehemals so selten waren, allgemeiner machen. Um endlich nichts zu uͤbergehen, was die Fortschritte un- serer Litteratur aufgehalten hat, will ich auch noch den Umstand bemerken, daß an den meisten Hoͤfen die deutsche Sprache so wenig geredet wird. Unter Kai- ser Joseph I. redete man in Wien nur Italiaͤnisch; unter Carl VI. wurde dieses vom Spanischen verdrun- gen; und waͤhrend der Regierung Franz I. eines ge- bornen Lothringers, wurde am Wiener Hofe weit mehr Franzoͤsisch als Deutsch geredet. An den Churfuͤrstli- chen Hoͤfen gieng es eben so. Sie werden hievon kei- ne andre Ursache finden, als die ich Ihnen schon oft an- gefuͤhrt habe. Die spanische, italiaͤnische und franzoͤ- sische Sprache waren gebildet und bestimmt; die un- sre war es nicht. Aber es muß uns troͤsten, daß Frank- reich eben dieses Schicksal erfahren hat. Unter Franz I. Carl IX. und Heinrich III. redte man in allen guten Gesellschaften mehr Spanisch und Italiaͤnisch als Fran- zoͤsisch. Die Landessprache bekam nicht eher die Ober- hand, bis sie feiner, deutlich und zierlich geworden, auch von einer Menge klassischer Schriftsteller durch mah- lerische lerische Ausdruͤcke verschoͤnert war und grammatikali- sche Bestimmtheit erhalten hatte. Unter der Regie- rung Ludwig XIV. verbreitete sich die franzoͤsische Sprache durch ganz Europa , und dieß ruͤhrte zum Theil daher, weil man begierig war, die schoͤnen Schrift- steller und die guten Uebersetzungen der Alten zu lesen, welche man damals in dieser Sprache fand. Itzt ist dieselbe das allgemeinste Mittel geworden, um in allen Staͤdten und Haͤusern Zutritt zu erhalten. Wer von Lissabon nach Petersburg und von Stockholm nach Neapel reiset, und franzoͤsisch redet, wird allenthalben verstanden. Diese einzige Sprache macht uns eine Menge andre entbehrlich, die wir sonst wissen muͤßten, und die unser Gedaͤchtniß mit Worten beladen wuͤr- den, an deren Stelle wir itzt Sachen bringen koͤnnen, welches gewiß ein erheblicher Vorzug ist. Ich habe Ihnen nun die verschiedenen Hinder- nisse entwickelt, welche uns in der Litteratur nicht so geschwind haben gehen lassen, als unsre Nachbarn. Indeß uͤbertreffen die Spaͤtern zuweilen ihre Vorgaͤn- ger. Dieß koͤnnte vielleicht bey uns eher der Fall seyn, als man es glauben sollte; wenn nur unsre Regenten Geschmack an den Wissenschaften bekommen; diejenigen ermuntern, die sich mit denselben beschaͤftigen, und de- nen Lob und Belohnungen ertheilen, welche es vorzuͤg- lich weit bringen. Wenn wir Medicis haben, werden auch unsre Genies hervorkeimen; und die Auguste wer- den den schon Virgile machen. Wir werden dann auch unsre klassischen Schriftsteller bekommen; Jeder wird sie lesen wollen; unsre Nachbarn werden Deutsch ler- nen und die Hoͤfe es mit Vergnuͤgen reden. Und viel- leicht bringen unsre guten Schriftsteller es dahin, daß unsre zur Vollkommenheit gebrachte und verfeinerte Sprache noch einst von einem Ende von Europa bis zum andern wird geredet werden. Noch sind diese schoͤ- nen Tage unsrer Litteratur nicht gekommen; aber sie naͤhern sich, und erscheinen gewiß. Ich kuͤndige sie Ihnen an, obgleich mein Alter mir die Hoffnung nimmt, sie noch selbst zu sehen. Ich bin wie Moses , ich sehe das gelobte Land von ferne, werde aber nicht selbst hereinkommen. Erlauben Sie mir diese Vergleichung. Ich lasse sonst den Moses in allen seinen Wuͤrden, und will mich auf keine Weise mit ihm in Vergleichung setzen. Auch sind die schoͤnen Tage unsrer Litteratur, denen wir entgegen sehen, gewiß weit mehr werth, als die nackten und duͤrftigen Felsen des unfrucht- baren Jdumaͤa .