Napoleon oder die hundert Tage . Ein Drama in fünf Aufzügen von Grabbe. Frankfurt am Main, Joh. Christ. Hermann'sche Buchhandlung. G. F. Kettembeil . 1831. Napoleon oder die hundert Tage . Ein Drama in fünf Aufzügen . 1 Erster Aufzug . Erste Scene . (Paris. Unter den Arcaden des Palais-royal. Vieles Volk treibt sich durch einander, darunter Buͤrger, Officiere, Soldaten, Marktschreier, Savoyardenknaben und Andere. Die sprechenden Personen halten sich im Vorgrunde auf. Vitry und Chassecoeur sind zwei abgedankte Kaiser- gardisten.) Lustig, Chassecoeur, die Welt ist noch nicht untergegangen, — man hört sie noch — dort oben im zweiten Stock wird entsetzlich gelärmt. So? — Ich hörte nichts — Warum lärmen sie? Der alte Kanonendonner steckt dir noch im Ohr. Hörst du denn nicht? Wie rollt das Geld, wie zanken sie sich — sie spielen. O mein Karabiner, dürft’ ich mit deiner Kolbe wieder die Kisten zerschmettern wie die Gehirne! Ja, ja, Vater Veilchen spielte um die Welt, und wir waren seine Croupiers. Blut und Tod! Wären wir es noch! Na, still, nur still — In unsrem schönen Frankreich blüh’n jeden Lenz das Veilchen, der Frohsinn und die Liebe wieder neu, — Veilchen- vater kommt auch zurück. Hier, meine Herren, ist zu sehen Ludwig der Achtzehnte, König von Frankreich und von Na- varra, der Ersehnte. (dem vorigen gegenuͤber:) Hier, meine Herren, sehen Sie einen der letzten des aussterbenden Geschlechtes der Dronten, wac- keligen Ganges, mit einem Schnabel gleich zwei Löffeln, von Isle de France und Bourbon bei Ma- dagascar, lange von den Naturforschern ersehnt, ihn zu betrachten und zu zerlegen. Hier ist zu sehen der Monsieur, der Herzog von Angouleme, sein Sohn, die Herzogin, dessen Gemahlin, der Herzog von Berry und das ganze bourbonische Haus. Hier erblicken Sie den langen Orang-Outang, gezähmt und fromm, aber noch immer beißig, den Pavian, ähnlichen Naturells, die Meerkatze, etwas toller als die beiden andern, und so genannt, weil sie über die See zu uns gekommen, den gewöhn- lichen Affen, nach Linn é e simia silvanus , und das ganze Geschlecht der Affen, wie es nicht einmal in dem Pflanzengarten oder den Tuillerien leibt und lebt. Mensch, du beleidigst den König und die Prinzen. Wie, mein Herr, wenn ich Affen zeige? Hier mein Privilegium. Rettet! Helft dem Unglücklichen! Was da? Aus dem zweiten Stock stürzt einer auf das Pflaster, und sein Gehirn beschmutzt die Kleider der Umstehenden. Wohl ein Spieler, der sein Alles verloren hat. Oder den die Mitspieler aus dem Fenster ge- worfen haben, weil er betrogen oder zuviel gewon- nen hat. Wie du rathen kannst. — Das Volk zittert und faßt ihn nicht an. Ich will ihm beispringen. Pah, laß ihn liegen. Freund, hätt’ er nun Frau und Kind, die ohne ihn verhungern müßten? Mir recht lieb. Ich muß auch hungern, — ich wollte die ganze Welt hungerte mit zur Gesell- schaft. — Vitry, Wir! Als wir Italien, Deutsch- land, Spanien, Rußland, und Gott weiß was sonst, plünderten und brandschatzten, tausend und aber tausend Damen dieser Länder caressirten oder noth- züchtigten, das Geld in Haufen auf die Straße warfen, den Kindern zum Spielwerk, weil wir jede Minute neues bekommen konnten, — hätten wir da gedacht, jetzt zusammen keine vier Sous in der Tasche zu haben, abgesetzt, der Gage beraubt zu seyn durch die schwammigen, seewässerigen, schwind- süchtelnden — Bonbons, oder wie es heißt. Kenne den Na- men nicht genau. — Doch höre! der kleine Sa- voyarde. (mit Murmelthier und dem Dudelsack:) La marmotte, la marmotte, Avec si, avec là, La marmotte ist da. Von den Alpen — Schläft im Winter, — Wacht im Sommer, — Und tanzt in Paris. La marmotte, la marmotte , Avec si, avec là, La marmotte ist da. Meine Damen und meine Herren, hieher gefäl- ligst. — Etwas Besseres als eine elende Marmotte, — die ganze Welt schauen Sie hier, wie sie rollt und lebt. Was schimpfst du mein Thierchen? Es ist wohl eben so gut als dein Guckkasten — (zu seinem Murmelthiere:) Armes Ding, siehst ordentlich betrübt aus, — der grobe Mensch hat dich beleidigt — O mein Schätzchen, freue dich, sey wieder munter, — Nie- mand glaubt dem Schimpfen — ich gebe dir auch zwei dicke, süße Wurzeln zu Mittag. Nur wieder munter! Sieh da, Zuschauer! — Willkommen! — Er- laubniß, daß ich erst die Gläser abwische — So — Treten Sie vor. — Da schauen Sie die große Schlacht an der Moskwa — Hier Bonaparte — Napoleon heißt es! — Bonaparte auf weißem Schimmel — Du lügst! Der Kaiser war zu Fuß und com- mandirte aus der Ferne. Ich hielt keine zwölf Schritt von ihm als Ordonnanz. Und da, meine Herren und Damen, erblicken Sie den großen, edlen Feldmarschall Kutusow — Die alte Schlafmütze, die den Löwen zu fangen verstand, aber nicht zu halten wußte. Hätt’ er mit seinen Leuten jeden Tag nur viertausend Schritt mehr gemacht, so kam kein Franzose aus Rußland. Und hier schauen Sie den Uebergang über die Beresina! Eh, da schlug ich ja die Pontons mit auf! Beresina! Eis und Todesschauer! — Da war ich auch — Laß doch sehen! (Er tritt an ein Glas des Guckkastens.) Mein Gott, wie erbärmlich! — Vitry, guck’ einmal! Ich gucke. Dummes Zeug. Ich hatte damals nichts im Leibe und stand drei Fuß tief im Wasser, unter herüberfliegendem feindlichen Kanonenhagel. Du gabst mir einen Schnaps — Es war mein vorletzter — Wie albern hier — weder Pioniere, Gardisten, Linie sind zu unterscheiden — Und wie wenig Leichen und Verwundete! (zum Ausrufer:) Mann, kannst du Frost, Hunger, Durst und Geschrei malen? Nein, mein Herr. So ist das Malerhandwerk Lumperei. Ah, und da sehen Sie die so braven, aber jetzt geschlagenen Franzosen über die Beresina flüchten. Mein Herr und Freund, die Schläge, die wir damals erhielten, will ich sämmtlich auf meinen Rücken nehmen, ohne daß er davon blau wird. Recht, Vitry! — Wir, nur achttausend Mann, umstellt wie ein Wildprett, schlugen uns durch sechszigtausend Schufte, und entkamen. Und das nannten sie Sieg! Die armen russischen Teufel wissen wohl nicht, was ein rechter Sieg ist. Und hier, meine Damen und Herren, die große Völkerschlacht bei Leipzig — Schauen Sie: da die bemooseten grauen Thürme der alten Stadt, — da die alte Garde zu Fuß, voran der Tambour Major, mit dem großen Stab, wie er ihn todver- höhnend lustig in die Luft wirft, — hier die alte Garde zu Pferde, im gelben Kornfelde haltend, wie ein Pfeil, der abgeschossen werden soll. — Dort die braven Linientruppen schon im Gefechte. Hier die preußischen Jäger mit den kurzen Flügel- hörnern — O Preußen und Patronen! — und da im Regen, unter dem Galgen, den er verdient, der Blutsauger, der jämmerliche cor- sische Edelmann, jetzt entflohen vor dem gerechten Zorne seines rechtmäßigen Fürsten, Ludwig’s des Achtzehnten, der meuchelmörd’rische Bonaparte — Wer sagt das? Schurke, mehr werth war Er, als alle deine Ludwigs, — wenigstens zahlte er den vollen Sold. Den Kaiser laß ich nicht beschimpfen! Entzwei den Guckkasten! Hülfe! Hülfe! — Conspiration! — Gensd’ar- mes! — Man spricht hier von Kaisern! Ja, und die Könige zittern! (kommt:) Kaiser, Kaiser, — ist er wieder da? Was weiß ich. Meinen Kasten haben sie mir in Stücken geschlagen. Er kostet funfzig Francs. Bitte die Angouleme, daß sie ihn dir bezahlt. — Hier ist deines Bleibens nicht mehr. (auf den Ausrufer losdringend:) Der Lump — Zerreißt ihn — (kommt:) Guckkasten-Kerl, fort mit dir, — du veranlas- sest Aufruhr — Ich lobe den König. Darum brauchst du Andre nicht zu schimpfen — Fort! Herrlich! Es lebe die Gensd’armerie! Chassecoeur. Die Stimme kenn’ ich von den Pyramiden her, als wir da unser Tricolor hoch über Cairos Mi- narets aufpflanzten, und der Nil zu unsern Füßen rollte. — Mein Hauptmann, seit Aegypten sah’ ich dich nicht. Ich focht während der Zeit bald in St. Do- mingo, bald in Deutschland, dann bei Cattaro, dann in schwedisch Pommern, und zuletzt bei Riga und Montereau. Na, ich war die Zeit über meistens in Oester- reich, Italien und Spanien, zuletzt in Rußland und Deutschland. Und bei Montereau kämpft’ ich auch, vielleicht in deiner Nähe. Chassecoeur, wir haben beide eine schlechte Car- riere gemacht, — ich bin Hauptmann geblieben, du, wie’s scheint, Gefreiter. Und nun sind wir überdem des Dienstes entlassen. Wahr — du und ich könnten so gut als Mar- schälle figuriren, wie die verrätherischen Schurken, der Augereau und der Marmont, vielleicht Kaiser dazu seyn, wie der Napoleon. La la! Den einen trägt, den andern ersäuft die Woge des Geschicks. Das Herz nur frisch, es ist die Fischblase, und hebt uns, wenn wir wollen, bis wir crepiren, sey es so oder so. (zu einer voruͤbergehenden Dirne:) Einen Kuß, mein Kind! Was verwahrst du an der Brust? Ist es et- was zu essen, Chassecoeur? Gib mir davon. Hauptmann, ich ess’ es nicht und doch macht es mich bisweilen satt und dich vielleicht auch. Nun geht es los mit seinen verwünschten Phra- sen, und sie rühren mich doch. Es ist ein Adler der Garde, von mir gerettet, als er unter tausend Leichen hinsinken wollte bei Leipzigs Elsterbrücke. Und — sonst hole mich der Satan! (wenn es einen gibt) die Sonne kommt zurück, zu der er wieder auffliegt. Ich glaub’ es auch: jetzt ist es zwar Nacht, und die Thoren wähnen, das Licht bliebe aus. Aber so wenig wie die Sonne dort oben, kann eine Größe wie die Seinige untergehen und Er kommt wieder. Das wäre! Hier werf’ ich meine letzten Sous in die Luft! Es lebe — Doch still — (Er haͤlt sich die Hand auf den Mund.) Deine paar Sous konntest du sparen. Was hilft es uns, daß der Kaiser zurückkommt, wenn wir unterdeß verhungert sind? Wer ist der Mann, Camerad? Von der jungen Garde zu Fuß, drittes Regi- ment, zweite Compagnie, heißt Philipp Vitry, und denkt wie ich. Er scheint sehr lustig, ungeachtet seines Elends. Das bin ich, mein Herr. Jetzt geht’s schlecht. Aber gibt’s künftig Gelegenheit, so habe ich zwei Hände zum Losschlagen, und gibt’s keine, habe ich zwei Füße zum Tanzen. Kommt das Weh, Scheuch’s mit Juchhe, Schlag den König am Morgen todt, Denke des Kaisers beim Abendbrot! Chassecoeur, laß dich umarmen! Ach, laß die ewigen Narrentheidun gen! — Der springt und lacht, und mir krümmen sich die Finger vor Wuth in die flache Hand, als wären sie zehn getretene Würmer und mir knirschen die Zähne nach — Die Angouleme mag sich nach ihren Pfaffen umsehen, kommt sie in meinen Bereich — Camerad, hoffe — Würge! Alles Lumpenzeug, so weit wir uns umsehen. Auch die sechs tausend verabschiedeten Offiziere der großen Armee, die sich gleich uns unter diesem Haufen herumtreiben? Nein. Ich sehe und schätze sie wohl. Aber daß auch sie sich so lumpen lassen müssen! — Sieh, 2 der da ist einer — und zwar von den Ingrim- migen, nicht still und traurig wie du — Freund, ich habe Familie — Ja so — Doch der da hat keine. — Am ab- getragenen, faserigen Ueberrock, den er so zornig schüttelt, an den alten Militärcamaschen, mit denen er auftritt, als ging’ es über Leichen, und dem blutdunkelnden Auge erkennt man ihn mitten in dem Hefen des vornehmen und niedrigen Gesindels, eines so schlecht als das andere. Tod und Hölle, der ist von anderem Stahl als die neuen königli- chen Haustruppen, vor denen jetzt Sieger von Ma- rengo das Gewehr präsentiren müssen. Der lief nicht den Bourbons nach, als sie wegliefen — Ge- schmiedet ist er in den Batteriefeuern von Auster- litz oder Borodino! Bruder, welch ein Tag, als unsere Lanzenreiter durch die östlichen Thore von Moskau auf den We- gen nach Asien hinsprengten! Ja, da konnte man noch denken in den Schatz- gewölben und Harems von Persien, China und Ost- indien zu schwelgen! Ach, es kommt Einem jetzt auf der Welt so erbärmlich vor, als wäre man schon sechsmal dagewesen und sechsmal gerädert worden. (Die Emigranten Marquis Hauterive und Herr von Vil- leneuve kommen.) Nicht mehr das alte Palais royal, mein Theu- rer. Alles anders — Und darum auch wohl schlechter? (nach einigem Bedenken mit verachtender Miene antwor- tend:) Ja, mein Freund, — schlechter. (zu dem Herrn von Villeneuve, mit dem er etwas weiter zur Seite tritt:) Was der Pöbel frech geworden ist. Er soll schon wieder werden wie sonst, bei meinem Degen. Es wird schwer halten. Denn, Herr von Vil- leneuve, sollte man nicht glauben die Welt wäre seit den achtziger Jahren untergegangen? Es gibt nicht nur am Hofe bürgerliche Dames d’atour, son- dern sie sollen auch wagen, sogar in Gegenwart des Königs sich auf die Tabourets zu setzen! Schändlich, entsetzlich! Bei Gott, wäre Lud- wig der Achtzehnte nicht mein angeborener König, ich könnt’ ihn wegen seiner schwächlichen Nachgie- bigkeit auf dieses Schwert fodern. Doch die Sache wird, muß Verläumdung seyn, von Antiroyalisten ausgesponnen, um den König zu erniedrigen. Und, Herr von Villeneuve, was sagen Sie zu den neugebackenen Fürsten, Herzogen und ihren Gemahlinnen, besonders zu der Frau des Ney, sogenannten Fürstin von der Moskwa? Ich achte sie des Wortes nicht werth. Welche geschmacklose Kleidung, welches dumm- dreiste Benehmen, welche wüste Conversation, wel- che Arroganz! — Weiß denn die Person nicht, daß wir recht wohl wissen, daß sie eine Bäckers- tochter ist? Mein Herr Marquis, das kommt alles davon her, daß die hochselige Maria Antoinette zu her- ablassend mit der Canaille umging und den König zum selben Benehmen verleitete. Nie etwas Gu- tes aus Oesterreich für Frankreich! Ach, die gute alte Zeit — die damaligen ele- ganten, zierlichen Salons — Nun überschwemmt von dem gemeinen Vieh! Es muß anders, anders, und es soll anders werden, Marquis, bei meinem Wappen. Schur- ken haben uns alle unsere alten Rechte und Güter geraubt, — jedes Gericht muß uns unser Eigen- thum wieder zuerkennen, denn wir haben ihm nie entsagt — — Denken Sie, mein Herr, mein so hübscher Landsitz, la Merveille bei Tours, an dem die Loire so lieblich sich hinschlängelt, in dessen Taxusgaͤngen wir beide so oft mit den Damen der Nachbarschaft uns im freundlichen Herbste von 1783 bis zum schwindenden Abendroth ergötzten, in dem ich schon als Kind stets die erste Blume des Frühlings für Adelaide, Vicomtesse von Clary brach, meiner todten aber nimmer vergessenen Ge- liebten, — gehört jetzt einem filzigen Fabrikherrn! Niedergerissen sind die hohen Hecken, Dampfma- schinen brausen in den Gewächshäusern und Kar- toffeln haben sich an die Stelle der kostbaren Tul- penzwiebeln von Harlem gedrängt! Nun, Blacas d’Aulps und die Angouleme wer- den uns schon helfen und — (Hauterive und Villeneuve gehen weiter.) (deutet ihnen nach:) Die beiden Emigranten! Welche Rockschöße, welche Backentaschen, welche altfränkische Mienen und Gedanken, welche Gespenster aus der guten, alten und sehr dummen Zeit! Von der Revolution mit ihren blutigen Jahren wissen sie nichts, Philipp Vitry, — das ist vor- über, sie aber sind geblieben, wie bisweilen der Bergstrom verbraus’t und das Gräslein bleibt, und vielleicht darum sich für stärker hält, als die Flu- then, welche es eben noch überschütteten und die Ufer auseinander rissen. Nicht einen Strohhalm weit sind sie aus sich und ihrem stolzen Wahn her- ausgegangen, und Ludwig der Achtzehnte selbst da- tirt ja seine Regierung seit fünf und zwanzig Jahren — Was zum Todtlachen ist! — Als er regiert haben will, schossen wir in Vincennes auf obrig- keitlichen Befehl seinen Vetter und Helfershelfer, den Enghien, todt und ich selbst band ihm, da es Nacht war, die Laterne vor die Brust, um besser zu zielen. O daß ich so alt geworden und nicht in einer Schlacht gefallen bin, ehe die Bourbons in Paris einzogen. (Zu einer Stuhlvermietherin:) Dame, darf ich mich niedersetzen? Meine Füße sind sehr müde, ich kann aber nicht für den Sitz zahlen. Ich seh’ Ihnen an, Sie sind ein Officier der großen Armee. Gebieten Sie über meine Stühle nach Belieben. Was Wichtiges! Wichtiges! Vom Palais Bourbon, aus der Deputirtenkammer! Hier die Journale! Her damit — Lies sie vor! Nein, hieher Ausrufer, — hieher — Deine wichtige Nachricht gehört an diesen Tisch! An das morsche, alte Brett? Respect vor ihm, Mann! Der Tisch ist clas- sisch — Auf diesem Fleck fiel zuerst das Fünkchen, welches die Welt entzündete. Hier saß ich am zwölften Juli des Jahres siebenzehnhundert neun und achtzig, Nachmittags gegen halb vier Uhr, an einem sonnigen Tage, und selbst noch jung und heiter verkaufte ich einem fröhlichen Bräutchen aus St. Mar ç eau einige Spitzen. Wir scherzten über den Preis und dachten an nichts als den Hochzeittag. Da kam ein Mann mit wild fluthen- den Locken, brennenden Augen, herzzerschmetternder Stimme — es war Camille Desmoulins, — die Thränen rannen ihm aus den Augen, zwei Pisto- len riß er aus der Tasche und rief: Necker hat den Abschied, eine Bartholomäusnacht ist wieder da, nehmt Waffen und wählt Cocarden, daß wir ein- ander erkennen. Und seitdem ist er, sind der ge- waltige Danton, der erhabene Herault de Sechelles, der schreckliche Robespierre unter dem Messer der Guillotine gefallen, seitdem hat der Kaiser über der Erde geleuchtet, daß man vor dem Glanze die Hand vor die Augen hielt, und ist doch dahin ge- schwunden wie ein Irwisch, drei meiner Söhne sind seitdem in den Schlachten geblieben, — viel, viel Blut und unzählige Seufzer hat mir die Revo- lution gekostet, aber sie ist mir um so theurer ge- worden und an diesem Tische lies die wichtigen Zeitungen! — Das ist ja jetzt mein letztes einziges Vergnügen! Ja, braves Mütterchen, an deinem Tische soll er sie lesen! Das soll er! Der Augenblick vom zwölften Juli 1789, Nachmittags halb vier Uhr, an diesem Tische erlebt, war mehr werth, als die Jahrhun- derte, die ihn vielleicht verderben! Nicht nöthig, daß ich hier lese, meine Herren. — da kommt Einer, der es euch deutlich genug sagen wird. (stuͤrmt durch die Menge an den Tisch der Putzhaͤndlerin:) Hört, hört, und nehmet euch in Acht, daß ich euch nicht mit meiner Nachricht die Ohren zer- sprenge! Alles, alles wird bedroht, die dummsten frechsten Hände greifen dreist in die Speichen des Schicksalrades — In der Deputirtenkammer ge- schehen vom Ministerium Anträge gegen die Käu- fer der Nationalgüter — Ha! (lacht:) Geht’s denen auch nicht besser als uns? Eh! Klöster sind wieder da, die Aechtung aller Herren der Revolution ist im Werke, Leibeigenschaft wird darauf folgen — (Marquis von Hauterive und Herr von Villeneuve sind wieder naͤher getreten.) Nun, mein Herr, das wäre alles noch so übel nicht. Das mein’ ich wahrlich auch. Was? »So übel nicht?« »Das mein ich auch?« Zu Boden die altadligen Schurken, die dummstolzen Feiglinge! Dumm , das mag seyn — stolz sind wir ge- wiß — Feiglinge aber zeugte Frankreichs Adel nimmer. — Probirt das an uns — — Zücken wir die Degen, Marquis, und lassen Sie uns un- tergehen wie Männer. Mit Freuden — Für Gott, für meinen König und mein Recht! Und für die Damen unserer Jugend! Jetzt wohl alte Schachteln! Schurke, du hast dir den Tod an den Hals gesprochen. (Er will den Vitry durchbohren.) Ich glaub’ es nicht — Dir aber und deinem Freunde will ich den Hals retten. (Er entwaffnet ihn und den Marquis.) Vitry, sey kein Narr — Laß mich den Hunden »Marquis und Herr von« im Gedränge Eins un- ter die Rippen geben — Niemand merkt es und sie sollen verrecken. Nein, die Kerle mögen schlecht seyn, aber sie haben Courage — Die schätz’ ich uͤberall — Hoch lebe der Muth, auch bei französischen Emigranten! Er lebe! (zum Marquis von Hauterive, indem er mit ihm entfernt wird:) Wer sollt’ es glauben, Marquis, daß gemei- nes Volk doch noch so viel Gefühl für Muth und Ehre haben könnte? Ach, es ist mehr augenblickliche Aufwallung als echtes Gefühl. All dieses Volk, bis zu dem Kanzler des Königs, zu dem invaliden Advokaten d’Ambray hinauf, kennt es uns, die Weltenstürmer? Sieht es nicht die große Nation an, als wäre sie ein albernes Kind? Nicht uns, der Gnade Englands — Nieder die Beefsteaks! — der Gnade Englands verdankt seinem Irr- wahn nach König Ludwig die Krone — Frank- reichs Krone! so leuchtend und so gewaltig, daß sie selbst einen Riesen, der sie trüge, und schwenkte er den Trident des Neptuns noch leichter als die großbrittannische Majestät, Aug’ und Haupt verblen- den und zerschmettern könnte! Und noch mehr: — wenn der König uns unsere Rechte läßt, so nennt er das nicht Gerechtigkeit, sondern er sagt: er setze seiner durch Gott und Blut angeerbten — Schlachtenblut, nicht Weiberblut macht adlig. — angeerbten Machtvollkommenheit Schranken. — Schranken! Schranken! — Wenn sie sich nur vor dem Worte hüteten: Ludwig der Sechszehnte stand vor den Schranken , die ihm das Volk setzte und zerschmetterte daran mit allen seinen Höflingen zu blutigem Schaum! — Wie? können uns jeden Tag ein paar Ordonnanzen im Moni- teur mit drei Zeilen nehmen, was wir in fünf und zwanzig Jahren errangen? Ist das Volk denn gar nichts? Ist es das Erbtheil einiger Familien? Ganz, ganz so, mein Sohn, wie Camille Des- moulins! Da kommen Gensd’armes! Laß sie kommen, Freund. Ich muß es aussprechen und die Wahrheit verkünden. Selig sind die, die da blind sind, und zu sehen wähnen, aber unselig sind die Sehenden, welche bemerken, daß Blinde nichts erblicken, und dennoch handeln, als sähen sie. Der König ist gut, aber das Geschmeiß der Aas- fliegen aus den Zeiten der Pompadour’s verdun- kelt ihm das Auge. — Hinter russischen, hinter preußischen Bayonetten wähnen sie die Nation mit Edicten niederschlagen und sich selbst erheben zu kön- nen — Aber wartet! — Nur nicht zu lange, mein Herr. Noch ist es nicht aller Tage Abend, und wär’ er da, so möchte wieder gebadet in den Wogen seines heimathlichen Mittelmeers mit neuem Glanze ein ungeheurer Meerstern aufsteigen, der die Nacht gar schnell vertriebe! Der Stern hat einen grünen Rock an, Obristen- epauletts, weiße Weste, weiße Hosen, einen kleinen Degen, und schlägt in der Bataille die Arme unter. Wir schwingen sie desto besser für ihn! Aufruhrschreier — Ihr werdet verhaftet. Zeigt ein Gesetz, welches das erlaubt. Frei zu reden, ist nirgends verboten. Frei essen wäre besser. Da kommt der Herzog von Orleans! Der ist von der Bourbonischen Ra ç e noch der Er- träglichste. Die krumme Nase hat er aber auch. Respect vor ihm, — Er ist der Sohn Egali- t é s, und kämpfte für Frankreich, als sein Vater auf dem Schaffot fiel. Gensd’armes, was für Leute verhaftet ihr da? Aufrührerische Redner, mein Fuͤrst. So laßt sie frei, auf der Stelle — (Es geschieht.) Wehe dem Lande, das sich vor Reden und Red- nern zu fürchten hat. Hoch Orleans, einst König. Das Letztere nie, — doch stets euer Freund. (Er entfernt sich.) Welch ein trefflicher Prinz! Würde auch endlich weggejagt, wenn er je König werden sollte. Ha! da kommt auch der Herzog von Berry! Zu Fuß, von der Revue seiner Hausgarden, der altadligen Zuckerhüte, die ihre Gewehre ver- stecken, wenn es regnet. O Dreikaiserschlacht bei Dresden! Freilich, da regnete es sehr, und wir trieben sie doch in die böhmischen Berghölen, wie das Vieh in den Stall. Sieh einmal den großen weißen Federstrauß, den der Junge am Kopfe trägt! Mir thun die Augen davor weh! I, Freund, das ist der Helmbusch Heinrich’s des Vierten, seines Ahnherrn — Seine Familie hat den Strauß so oft im Maul, daß ich fürchte, er wird endlich schmutzig. Heinrich der Vierte? Was war der? Was that er? 3 Er war König von Frankreich und schlug ein paarmal einige tausend Rebellen. Der Knirps! — Weiter nichts? Da frage die Gelehrten, ich weiß nicht Mehre- res. — — Der Berry bemerkt dich, sieht die Schmar- ren in deinem Gesicht. — Er will dich anreden. Er will durch mich einen Coup auf das Volk machen. Aber er irrt sich, der herzogliche Gelb- schnabel. Ich bin nicht darnach behandelt worden, ihm entgegen zu kommen. Und wenn er dir nun etwas verspricht? In den Dreck damit. Sie halten es doch nur so lange, als sie müssen. Alter, braver Camerad — Danke. Ich weiß nicht, daß ich je mit Eurer königlichen Hoheit zusammen gefochten. Woher hast du die ehrenvollen Narben? Das können Sie an ihren Namen hören: die- se heißt Quiberon, da stürzten wir die Emigran- ten in das Meer, — diese heißt Marengo, da packten wir Italien, — diese — ach! (fuͤr sich:) Ach, Leipzig! Und wenn es gerade schlechtes Wetter oder schlechte Zeit ist, wie jetzt eben, so schmerzen diese Narben entsetzlich. Mensch, wer bist du, daß du so zu reden wagst? Ach lieber, gnädiger Herr — Wer ich bin oder seyn soll, weiß ich nicht, aber wer ich war , das kann ich Ihnen sagen: (sich stolz aufrichtend:) Ein kaiserlicher Gardegrenadier zu Pferde, zweite Schwadron, dem Ehrenkreuze nahe. (zu seinem Begleiter:) Still, rege nicht alte Wunden auf. (Zu Chassecoeur:) Ich schaffe dir eine Versorgung im Dome der Invaliden. Deren bedarf ich noch nicht, Ew. königliche Hoheit. So nimm mit meinem guten Willen vorlieb. — Es lebe der König! — Hm! — (Alles schweigt; der Herzog von Berry mit seinem Gefolge ab.) Warlich, wenn das so schlimm mit den Bour- bons steht, wie jetzt — So fallen sie bald um. Ob sie gehöhnt oder gelobt werden, das Volk bekümmert sich nicht einmal um sie. Desto schlimmer, — es kennt sie nicht. Dafür kennt es einen Andren desto besser. — Kommt, laßt uns sehen, wo wir etwas zu essen erringen. — (Auf den Boden stampfend:) Oh! verdammtes Pflaster, das so viele Buben trägt! (Ab mit Vitry und dem alten Officier.) (mit Murmelthier und Dudelsack:) La marmotte, la marmotte Avec si, avec là ect. ect. Zweite Scene . (Paris. Große Gallerie in den Tuillerien.) (Gedraͤnge von Volk, viele altadelige Herren und Damen darunter. Schweizergarden stehen auf Wache. Kammer- herren und Kammerdiener eilen auf und ab.) Gleich kommt er, kommt er aus der heiligen Messe, hier vorbei, er, das Glück Frankreichs! — Amme halte meine kleine Enkelin hoch empor, daß sie ihn ja recht sieht! Und bestecke sie mit Lilien, — hier sind noch vier! (haͤlt ein Maͤdchen auf dem Arme:) Madame, Mademoiselle Victoire ist mit den weißen Cocarden schon über und über geschmückt und ich kann ihr keine mehr anheften. Thut nichts — Hefte, hefte — Versuch’s! — Das Weiße! welch eine Farbe — welche Rein- heit, welche Tugend schimmert aus ihm. — Ach, es ist ja auch das bourbonische Abzeichen. Madame, treten Sie vor — der König kommt mit seinem Hause. Zuruͤck! Wir sind treue Unterthanen Sr. Majestät, wün- schen gern Sein Antliz zu sehen — Laß mindestens diese Dame vor. Zurück! Das ist ein nordischer Bär! Er droht uns schon mit dem Bayonnet! Da ist die königliche Familie! (Koͤnig Ludwig mit dem Herzog, der Herzogin von Angou- leme, dem Prinzen Condé und Gefolge tritt auf.) Monsieur und der Herzog von Berry fehlen! Wir sehen ja hier der Erlauchten genug — Es lebe der König! Es lebe der König! Enkelin, rufe, ruf’: es lebe der König! Das »lebe der König« tönt sehr dünn! Dafür kommt es aber aus adeligen Kehlen. Welch ein Mann! Das ist, Herr Marquis, das ist noch ein König! Ein geborner ! Diese heitere Miene, dieser Adel im Antlitz — Die unwillkürliche Grazie — Selbst in dem scheinbar nachlässigen Gange — (zu dem andern:) Der dicke Herr König hinkt ja wie der Teufel — (zum ersten:) Das kommt vom Podagra. Und das Podagra kommt vom Saufen, Fres- sen und — Sieh einmal, welch ein ernsthaftes Bocksgesicht geht ihm zur linken Seite — Still, still! Die hagere Dame auf der rech- ten Seite ist Frau des Bocksgesichts, — sie selbst steht unter der Jesuitenkutte, er steht unter ihrem Pantoffel, der König steht unter ihm, und Frank- reich unter allen zusammen. Mönchskutte also unsre Krone, Weiberpantoffel unser Scepter, und Schwächlinge, die sich davon beherrschen lassen, unsere Tyrannen! — — — Diese Procession mit ihren Pfaffen, — und der Kaiser mitten unter dem Generalstabe zu Pferde an den Linien der Sieger dahinfliegend — Ver- gleiche! (zu der Madame de Serr é :) Die Herzogin von Angouleme ist wirklich noch immer sehr schön. Wahr, Marquis! Habsburgs Adler scheint über den Lilien Bourbons zu schweben, sieht man den erhabenen Zug ihrer Nase und den blendenden Teint ihrer Wangen! Sehr fein ausgedrückt, Madame — Wie fröh- lich der König dasteht und in seiner treuen Na- tion sich umschaut. Nation? Höre doch, Nachbar! die paar alten, der Guillottine entlaufenen Weiber und Herren nennen sich Nation! Wie sollte er nicht heiter seyn, Marquis? — Wir alle, alle, sind ja seine Kinder. (fuͤr sich:) Ja, ihr seyd alte Kinder, — junge hat er nicht und kann sie auch nicht mehr machen. Komm, laß uns fortgehen. Ich kann dieß nicht mehr hören und anschauen. Dieses Geschlecht ist schlimmer als schlimm, es ist ekelhaft ! Was seh’ ich? Der König winkt mir, tritt auf mich zu! (zum Koͤnige:) Zurück! Ich bin der König, Freund. Und dieß ist mein Posten, auf den mich mein Officier gestellt hat und für den ich bezahlt werde. Zurück, oder — Schon gut, gut, braver Krieger — (fuͤr sich:) Was für ein treues, dummes Thier! (laut:) Madame de Serr é , ich kenne Sie, und wünschte Sie zu grüßen — aber Sie sehen, meine Krieger sind so felsentreu, daß sie auch mich nicht zu Ihnen kommen lassen und im Stande wären, mich gegen mich selbst zu schützen. Sire, dieses ist der größte Tag meines Lebens — Ich — (Der Koͤnig mit seiner Begleitung ab.) Sie fällt in Ohnmacht — O seliger Tod! Könnt’ ich jetzt sterben! O welch ein Monarch! — Welche Worte: »ich kenne Sie, wünschte Sie zu grüßen!« »So felsen- treu, mich gegen mich selbst zu schützen«! — — Man sollte sie in Erz graben, — hier ein Monu- ment errichten! — Wie groß ist er! wie huldvoll! — O kennte ihn die Canaille! begriffe Sie diesen Geist! diesen Adel! — Aber wir wollen sie zü- geln, und will sie nicht begreifen, so wollen wir es sie lehren! (kommt aus dem Winkel:) Ihr? Wer sprach das? Ein kleiner Ofenheizer — da springt er mit sei- ner Gabel davon. Der elende Junge! — Doch der König »ich kenne Sie«, »felsentreu« — ungeheure Worte! Erholen Sie sich wieder, Madame de Serr é ! Mir ist’s noch immer, als wär’ ich im Himmel. Ich bitte sehen sie auf! Da geht der königliche Oberceremonienmeister mit dem uralten Speise- napfe der Bourbons, mit dem Nef vorbei. Mit dem Nef! — O Gott, auch das Nef ist wieder da! Ja, Christus ist erstanden! jetzt erst glaub’ ich es recht! Das Nef, das Nef! O Frankreich ist gerettet! (Alle ab bis auf die Schweizergardisten.) (tritt vor:) Rudi, du hast den König zu barsch behandelt. Dem Canton Lucern hab’ ich geschworen, dir muß ich gehorchen, und so lang du es nicht befiehlst, ist es mir Eins, ob ich für oder wider dieses schnat- ternde Gesindel Jemand todtschlage. Dritte Scene . (Koͤnigliche Zimmer in den Tuillerien.) (Koͤnig Ludwig und die Herzogin von Angouleme kommen.) Wo ist Berry? Auf der Revue, Sire, und mein Gemahl geht ihm eben entgegen. Revue! Revue! ich traue den Truppen nicht; sie gehorchen uns nur aus Noth, ein Theil ist feig, ein anderer falsch. Das sag’ ich dir: weit lieber würd’ ich in Hartwell wieder meine Kräuter und Blumen suchen, und nach Linn é ihre Ordnungen bestimmen, als auf dem Thron Frankreichs sitzen. Sire, der Thron von Frankreich ist dein, — du erbtest ihn, und deinen spätesten Enkeln bist du schuldig, daß du ihn bewahrst. Gott führte dich auf ihn zurück, — versuche mit deinem Zagen Gott nicht. Du schmerzbeladene Tochter Frankreichs, Kind der beiden königlichen Menschenopfer — Mein Vater! mein Vater! meine Mutter! — du lange Eingekerkerte, — wie kommt es, daß gerade du, die des Schicksals Schwere am härtesten empfand, von allen meines Stammes die Stärkste bist, bloß im Vertrauen auf Gott? Gott? — Wo es an Menschen fehlt, da erscheint er! — Oheim, ich lernt’ ihn kennen, dort in dem Tempel, Tempel, ja des Abgrundes der Revolu- tion, doch für mich des Lichts. — Wer so wie ich, ein zartes Kind, da im Gefängnisse schmachtet, und bangen Ohrs die Häupter des Vaters und der Mutter von den Schaffotten rollen hört — o, wen so wie mich dieses Paris umbraus’t, rebel- lisch, jede Straße von dem Geschrei der Mörder- rotten aufdonnernd, knirschend unter den Rädern der ewig auf- und abziehenden Henkerkarren, — wer selbst eine Capet, Tag und Nacht nichts als »Capet, Capet nieder« rufen hört, — wem, wie mir, die letzten Sterne sinken, und wer dann im uner- meßlichen Dunkel gar nichts mehr fühlt, als das Zittern des eignen kleinen Herzens, — dem nahe Gott, wie mir! — Er ist der letzte, einzige, aber größte Trost. Mir nahte er, und ich ward stark und ruhig. Theure Nichte, ich glaube, du sagst die Wahr- heit, und Trost sinkt in meine Brust, wenn ich fern von unseren Diplomaten dich höre. Bei dem ersten Tritt, den ich auf die Küsten meines Landes jüngst wieder that, durchschauerte auch mich das unbe- greifliche, aber gewaltige Walten der Vorsehung! — Komm an das Fenster: da breitet Paris sich aus! — Welche Stürme sind nicht hingebraus’t durch jene Straßen? Kein Fleckchen, das nicht von dem Blute, welches darauf vergossen, Inschrift tragen könnte, von der Bluthochzeit bis zu der Guillotine. Ungeachtet all des Scherzes, all des Schimmers, die hier gaukeln, weht es mich an, wie Moder, wenn ich diesen Steinhaufen sehe. — Noch keine drei Jahre und dort rückten mit Siegesklän- gen, mit feuerathmenden Geschützen, Pferd an Pferd gedrängt, und Bayonnet an Bayonnet, dicht wie Blätter und Aehren im Frühling, die Weltbezwin- ger stolzen Zuges von Spanien nach Moskau. Und mit seinem ruhmestrunkenen, nie gesättigten Auge sah Er in ihnen nur die Zeichen seiner Allmacht. Die mächtigen Parlamente Englands wurden bang und flüsterten wie Haufen furchtsamer Vögel, — wollten Frieden machen, er möge kosten, was er wolle, auch wenn sie an mir das heilige Gastrecht verletzen, mich aus ihrem Reiche weisen sollten. — Und nun! — Die Schlachtendonner sind verklun- gen, — Europa ist still, — wo die Adler raseten, blühen wieder friedlich die drei Lilien, und Er, der Große, ward ein armer Einsiedler von Elba, starrt vielleicht grade jetzt in das Meer, und er- kennt in ihm das Element, welches er nie besiegen konnte, und das ihm, ein Spiegel, groß wie Er selbst, höhnisch sein Antlitz zurückwirft. König, nenn’ ihn gewaltig, riesenhaft, unge- heuer, — doch nimmermehr groß den Mörder d’Enghiens, — nun und nimmer der groß, welcher Treue, Recht, Ehr’ und Liebe dem Ruhm und der Macht aufopfert. Das kann auch der Dämon der Hölle. Die wahre Größe gibt Ruhm, Macht, jeden Außenschein für Ehre, Recht und inneres Glück dahin — Er aber that das nie — O, ich kenne ihn — dieser Kaisertiger hätte sich vor seinem 4 Feinde, den er mit den Klauen nicht erreichen konnte, zum Wurm verwandelt, sich von ihm treten lassen, wenn er nur wußte, daß er ihm alsdann giftig in die Ferse stechen konnte. (tritt ein:) Ihre königlichen Hoheiten, der Herzog von An- gouleme und der Herzog von Berry. Meine geliebten Neffen mögen kommen. (Oberceremonienmeister ab.) (Herzog von Angouleme und Herzog von Berry treten ein.) Sire, Sire, ich flehe, schonen Sie nicht mehr die Canaille, das Volk! Ja, Sire, es wird zu arg. Was ist geschehen? Gemahl, es ist doch kein Blut geflossen? Nein, Gemahlin. Also wieder Kindereien, mit denen ihr den Oheim belästigt. Vielleicht. Sire, ich komme von dem Palais royal. Dort seh’ ich einen Lump, den ich an seinen Narben, oder, wie man es nennen sollte, an den Brand- maalen aus den Schlachten des corsischen Rebellen, als einen seiner Söldner erkannte. Ich trat dem Kerl höflich entgegen, redete ihn freundlich an, und wähnte, ihn dadurch wieder auf den rechten Weg zu führen, und dem Volke zu zeigen, wie gütig ein Bourbon ist. Der Schurke beantwortete meine wohlgemeintesten Anträge mit nichts als Grobheiten, und als ich zuletzt rief »es lebe der König«, schwieg er, und der Pöbel mit ihm. — Das kann kein königlicher Prinz länger verbeißen, Sire, er müßte denn Elephantenzähne haben. Ich habe es noch eiumal gethan, um Ihrem Wunsche zu folgen, — aber, Sire, ich bürge nicht so weit für mein Temperament, daß ich versichern könnte, es auch künftig zu thun. Und, Sire, wie mir Bruder Berry erzählt, ist der Orleans vorher am nemlichen Orte, wo Berry mit Soldaten gesprochen, vorbeigekommen, und alles Volk hat ihm ein Lebehoch zugerufen. Ja, und noch mehr. Sie nannten ihn: »einst König«. Nun der Einst-König hüte sich vor uns und vor Ihnen, Sire, wenn er conspiriren sollte, und ich glaube, er thut es. Das wäre kein Wunder, Freund. Das Haus der Orleans wimmelte stets von Mördern der Bourbons. Sie wollen die ersten in dem Geschlecht seyn, wo sie nur die zweiten sind. Vergiftete der Regent nicht die Nachkommenschaft des großen Ludwigs? Brachte der sogenannte Egalit é nicht meinen Vater auf das Schaffot? Doch der jetzige Orleans, Gemahlin, ist besser als seine Vorfahren. Er ist — ein Orleans. Und das —? Sagt alles. Jeder artet nach dem Geschlecht, aus dem er entsprossen. Zeige mir in Bonapar- tes Blut ein Tröpfchen von dem ewigen Adelssinn der Montmorencys! Er war stets ein gemeiner Corse. Ein durch Jahrhunderte geheiligter Name ist der leuchtendste Wegweiser für den Enkel. Aber es gibt Ausnahmen, und wahrlich! der einst so unbekannte Corse schmückte mein Land mit einem Ruhmeskranze, wie er kein anderes Reich dieser Erde ziert, und ich bin ihm dafür dankbar. Ja, Sire, Er schmückte oder befleckte es mit einem Ruhmeskranze, wie kein anderes Land ihn besitzt. Kennst du die Blätter daran? Sie triefen blutroth, wie Schlachtfelder, und werden fallen, wie die gelben Herbstblätter. — O, lob’ ihn wie du willst, er war kleiner als sein Glück, und dar- um verließ es ihn. Er lebt noch, Beste. — Wenn er es wieder ergriffe? So schlüg’ ich ihm auf die Hand. Die Haus- truppen, welche ich befehlige, sind auch tapfere Franzosen, noch dazu von echten Edelleuten com- mandirt, und seinen Abentheurern mehr als ge- wachsen. Ich habe Nachrichten. Er soll oft an Elbas nördlichem Ufer stehen, und nach Frankreich schauen — Seine Blicke bedeuteten selten Heil. Die Blicke des armen Teufels? Des Thoren, dem sein gutes Loos den Mund so voll warf, daß er alles wieder ausspeien mußte? Dessen, der jetzt als eine lebendige Schandsäule auf seiner Insel umherwandelt? Dessen, den ich, wenn ich damals erwachsen gewesen wäre, mit zwanzig- tausend Mann treuer Soldaten mitten in seiner Glorie leicht hätte nach Vincennes führen wollen? Wo aber waren die zwanzigtausend treuen Soldaten? (tritt ein:) Der Kanzler und der Minister des Hauses harren draußen. Ach, d’Ambray und Blacas. Laß sie eintreten. (Oberceremonienmeister ab.) (Graf Blacas d’Aulps und d’Ambray treten ein.) Jetzt, Neffe Berry, frage diese erfahrenen Ge- schäftsmänner, ob unser Reich noch das alte ist, und wir den Corsen nicht zu fürchten brauchen? Das Reich ist das alte, Sire, und wir brau- chen ihn nicht zu fürchten, so gewiß ich hier mei- nen alten Degen trage. Sire, es ist so, wie mein College sagt. Die Nation liebt und verehrt die königliche Familie grenzenlos, — Jedermann sehnt sich nach der Verfassung, wie sie etwa 1786 noch makellos in reiner Glorie prangte, — keine Stunde, wo ich nicht Briefe von Präfecten, Generalen, Maires erhielte, die diesen Wunsch nicht aussprächen, — nur ein paar Schwindelköpfe, besser für das Irren- als für das Zuchthaus, wagen anders zu denken. Die Gensd’armerie wird auch ihnen Vernunft bei- bringen. Herr d’Ambray, wenn Sie nicht zuerst wieder die alte Achtung für Religion, für die angeborenen Herrscher, für die gesetzlichen Ordnungen herstellen, hilft Ihnen keine Gensd’armerie. Und, königliche Hoheit, wer sonst würde alles das herstellen? Die, welche die Herzen beherrschen, sie auf dem Schaffot beseeligen, — die tüchtigen Geistlichen, und vor allen die vom Neide so oft verläumdeten Väter Jesu. — Sire, führe sie wieder ein. Wieder! wieder! Nichte, das Wort ist nur zu sehr in der Mode! — Verwechsle mir auch nicht die Diener des Herrn mit dem Herrn selbst. König und Mensch, fühle deine Schwäche — Wie wolltest du den Herrn kennen lernen, ohne die auserwählten Diener, die dich zu ihm führen? Sire, das »wieder« möchte bis jetzt eher zu wenig, als zu sehr Mode seyn — Die Revolution riß frech ein, lassen Sie uns kühn wieder auf- bauen. Warum nicht auch die Collegien der Je- suiten? Sire, die werden die heiligsten und feste- sten Grundlagen Ihres Thrones bilden. Und dann lassen Sie uns in den Reihen unserer Braven bis auf den gemeinsten Tambour, alle die ausmerzen, welche dem Adler des Corsen folgten, — weg mit den etwa noch existirenden Pensionen seiner Offi- ciere, — wenn wir die Summen auch nur an loyale Präfecten und Maires verwenden, sind sie besser benutzt als jetzt, — so lange dieses Kriegs- volk nicht darbt, so lange trotzt es. Sire, und nehmen Sie den verruchten Käufern der Nationalgüter, welche Sie, den Adel, die Kirche und uns alle beraubt, — die Sie selbst in Hartwell so oft Räuber genannt haben, die Beute wieder ab, — das Gesindel verwendet sie nur, daß es Feuer unter dem Thron anlegt. Mein lieber Blacas und d’Ambray, ihr habt Recht. Doch auch das Recht will mit Klugheit ausgeübt seyn. Greifen wir die Nationalgüter voreilig an, so erregen wir einen Aufstand, den wir ein paar Jahre später vermeiden konnten. — Was meinst du, Angouleme? Sire, ich denke, wie meine Gemahlin — Ich sehe und sehe schon lange, — da auf dem Dache sitzt ein wunderschöner Tauberich — könnte man ihn fangen! — Das öffentliche Recht, Sire, will allerdings mit Politik gehandhabt seyn. Aber das eigne bür- gerliche Gesetz der Revolutionäre und Bonaparti- sten, ihr Code Napoléon, spricht gegen usurpirten Besitz. Und spricht das Gesetz nicht so, dann kehren wir es um. Für elende Assignaten erschacher- ten die Plebejer unsere Ländereien! Assignaten! Nenne sie nicht elend! Ich sah die zitternden Hände, welche sie bei Lebensstrafe, für ihr Geld annehmen mußten. Die Assignaten waren mit Königsblut geschrieben, Blacas. Meine Herren, ich ergreife den Mittelweg. — Der Mittelweg ist oft doppeltgefährlich. Hier nicht. Es sollen fürerst nur Worte vom Thron fallen, die den Nationalgutskäufern andeuten, wie sie für billigen Ersatz ihr Besitzthum an dessen Herren zurückliefern können. Oheim, du bist zu liberal. Wir möchtem dasselbe sagen. Der König selbst zu liberal? Ja, Sire, und deßhalb, weil er sich zu stark hält, als daß er glaubte, das Ungeheuer des Li- beralismus fürchten zu müssen. (tritt ein:) Sire, der Brief einer Estaffette von Lyon. Gut — ich will ihn lesen. (Oberceremonienmeister ab.) (waͤhrend er den Brief lies’t:) — Nachrichten von neuen Verschwörungen. Eine Gesellschaft der eisernen Nadel, die den Bo- naparte wieder auf den Thron setzen will, ist ent- deckt. Der Corse muß fort vom nahen Elba, auf eine abgelegene Insel, weit weg, zum Beispiel nach St. Helena oder St. Lucie. Nicht übel wäre das für uns und auch für ihn. Ich merk’ es allgemach auch. — Wir wollen bei Talleyrand in Wien anfragen, ob und wie es mit Einwilligung der fremden Monarchen möglich zu machen ist. Der Talleyrand saß auch in der Nationalver- sammlung! Nun, er ist doch aus einem altadligen Geschlecht und zurückgekommen zu seiner Pflicht. Wo ist Monsieur? Ich wünsch’ ihn in dieser Angelegenheit zu befragen. Se. königliche Hoheit erholen sich von den Wun- den, welche Ihnen der Schmerz über die Nach- richt des Todes Ihres treuen Dieners Bussy ge- schlagen hat, in der eben aufblühenden Natur auf einer Jagd im Forste von Fontainebleau. So will ich ihn nicht stören. Gemahl, der König geht — Laß uns folgen. Wie du befiehlst. — Der Tauberich, der Tau- berich da oben — Welch einen Kropf hat er — Und siehe die allerliebsten Täubchen, die ihn um- flattern — Ich hätt’ ihn längst todtgeschossen, aber ich muß ihn lebendig haben. Unser Houdet soll ihn fangen. Hast du von den neuen Verschwörungen gehört? Das alberne Zeug. Laß uns nicht daran denken. Ach! (Alle entfernen sich.) Vierte Scene . (Noͤrdliches Gestade von Elba, nicht weit von Porto Ferrajo.) (Anbrechender Abend.) (Napoleon steht am Ufer, Bertrand neben ihm, — eine Ordonnanz von der polnischen Legion haͤlt zu Pferde in der Naͤhe.) Bertrand, dies ist ein herrlicher Platz — Ich lieb’ ihn Abends — da das Meer, der Spiegel der Sternenwelt, hinbrausend nach den Küsten von — Ach — Der Bergwerksdirektor zu Porto Ferrajo ist abgesetzt. Er hat betrogen. Ew. Majestät, der Mann war doch — Ich hab’ es gesagt — — Pole in Gedanken? wo denkst du hin? Wegreiten möcht’ ich über das Meer, nach Marseille, Paris, und zuletzt nach meinem Vater- lande, aber nimmer ohne dich, mein Feldherr und mein Vater. Ein Schiff erscheint da — Welche Flagge führt es? Man kann sie nicht erkennen. Vermuthlich ein französischer Levantefahrer, der von Marseille kommt. Der Glückliche! er war an den Küsten Frank- reichs. — Ob man im schönen Frankreich noch meiner gedenkt? Kaiser? Du fragst? — So lange die Sonne in die Prachtfenster der Paläste und in die schmalen Glasscheiben der Hütten funkelt, wird man Deiner gedenken, oder Frankreich verdiente unter- zugehen. Möglich. Aber die Leute sind vergeßlich — Der Marmont, Augereau — Die Veräther! Ha! statt an Thaten zehrt man jetzt an Erin- nerungen! Zuckte nicht einst das stolze Oesterreich, wie ein Wurm in dieser Hand? Nicht Preußen? Ließ ich sie beide nicht leben und bestehen? — Wie undankbar die Welt, das elende, schlechte Scheusal! — Mein eigner Schwiegervater — Verzeih’ ihm, — er wurde es, weil du befahlst — Als er nicht mehr zu gehorchen brauchte, zerriß er die Bande — Bande — sage, das Herz seiner Tochter. Was kümmert das den Stolz und die Politik der alten Herrschergeschlechter? Die Thoren! Sie sehnen sich noch einst nach dieser kleinen Hand, wenn sie längst Asche ist, denn Ich, Ich bin es, der sie gerettet hat — Ließ ich den empörten Wogen der Revolution ihren Lauf, dämmt’ ich sie nicht in ihre Ufer zurück, — schwang’ ich nicht Schwert und Scepter, statt das Beil der Guillotine immer weiter stürzen zu lassen, — wahr- haftig, wie dort am Strande die Muscheln, wären all die morschen Throne, sammt den Amphibien, die darin vegetiren, hinweggeschwemmt, und schöner als jenes Abendroth begrüßten wir vielleicht die Aurora einer jungen Zeit. — Ich hielt mich zu stark, und hoffte sie selbst schaffen zu können. — O ich muß sprechen, denn ich vermag ja jetzt nicht anders. Diese Scholle Elba kenn’ ich nun auch und habe sie satt. Ein Bischen Dreck! — Wie jämmerlich ein kleiner Fürst, der nicht drein schla- gen kann — Werde wieder ein großer. Ist die Canaille es werth? Ist sie nicht zu klein, um Größe zu fassen? Weil sie so niedrig war, ward ich so riesenhaft. Du warst mehr als die Welt. Und jetzt! Bertrand, welch ein Ende! Hier hingeschmiedet, ein anderer Prometheus, den Geier im Herzen. Hingeschmiedet, nicht von der Kraft und Gewalt, sondern von der Ueberzahl der Schwa- chen und Elenden — Sohn, Mutter, von mir ge- rissen — Thäte man das einem Bauer? Erderschütterer, den Bauer fürchtet man nicht. 5 Hat Rußlands Alexander so ganz vergessen, wie er auf dem Niemen sich beugte? Hat der Preu- ßenkönig — O Sire, den tadle nicht. Er verlor durch Deine Schlachten die schönste Rose im Schnee des Nordlands. Ich habe sie erblickt und das Auge ward mir feucht, als ich ihren Tod erfuhr. Konnt’ ich davor? — Weswegen blühte sie im Gleise meines Siegeswagens? Das Geschick trieb seine Räder zermalmend über noch viel härtere Herzen: Pichegrü, d’Enghien, Moreau — Du, selbst so Gewaltiger, glaubst ein Geschick? Ja, es stand bei mir in Corsica, meiner meer- umbraus’ten Wiege, und wird auch meinen Sarg umbrausen. In Moskaus Flammen, nachdem ich lange es vergessen, sah ich es mit seinen Fittichen sich wieder über mich erheben. — Nicht Völker oder Krieger haben mich bezwungen — Das Schick- sal war es. — Was ist dir? Mein Kaiser, vielleicht — kaum wag’ ich es zu sagen — Sag’ es! — vielleicht mein Freund — Es könnte seyn. Doch glaubst du es, so schweige davon. — ich kann es nicht ertragen, Dich so zu sehen, wie jetzt, einen — Nun? — einen Löwen im Käfich. — Auch meine Ge- mahlin härmt sich ab. Ihre Schönheit, ihre Hei- terkeit schwinden dahin seit Deinem Fall. Ich weiß. — Wie steht’s wohl in Frankreich? Schlecht, Sire. Der König schwach, die Prin- zen übermüthig, die Ultras siegend, Deine alten Krieger verhöhnt — O mein Land, mein Land! — Man sage, was man will, ich hab’ es stets geliebt! — Fühlten meine Feinde den Schmerz, der mich seinetwillen durchbrennt, — die Jämmerlinge stürben daran, wie Mücken am Lichte! Es ist gestern ein Officier aus Frankreich an- gekommen. Aus Frankreich? Er komme. — Aber bemerkte ihn keiner der fremden Späher? Nein, — er schlich als italiänischer Matrose verkleidet bis zu uns. Wie heißt er? Graf St. P — le. Von dem hört’ ich früher. — Er focht brav bei Champeaubert. Da ist er, Sire. (Der Officier tritt vor.) Wer sind Sie? Graf St. P — le, Ew. Majestät. Was wollen Sie hier? Ewr. Majestät dienen. Geht nicht, mein Herr. Habe schon Officiere genug. Ich kann Sie nicht besolden. Sold verlang’ ich nicht. So? — Haben Sie Briefe? Nein, Sire. Adieu. Sire, Briefe mitzunehmen, war gefährlich. Aber ich redete mit Fouch é Fouch é — Was sagte er? Sagen Sie es mir, — gleich und heimlich. (Der Officier spricht heimlich mit ihm.) Es ist gut. — Wie ist’s mit den Bourbons? Mir zahlen sie meine Gelder nicht. Ich könnte ihnen, als souverainer Fürst von Elba, Krieg er- klären, wegen gebrochenen Vertrags. Der König übersetzt den Horaz, Monsieur geht auf die Jagd, die Angouleme betet, ihr Mann hört zu, Berry liebt die Damen. Das Volk? Aergert sich, daß Pfaffen, Betschwestern und emigrirte Edelleute es beherrschen sollen. Das unselige Bourbonische Haus! Es wird noch einst in einem adligen Nonnenkloster ausster- ben. — Das Heer? Es schweigt. Und denkt? An Sie! Die Bourbons haben Haustruppen, rothe Com- pagnien? Die Haustruppen sind Greise oder Kinder. An den rothen Compagnien ist nichts Rothes als ihre Montur, — bei Marengo oder Austerlitz wur- den sie wahrlich nicht roth gefärbt. Die gefangenen Veteranen der großen Armee? Kommen täglich aus Rußland zurück — Ha, wieder da! — und werden ohne Pension verabschiedet, oder mit halber Pension, die nicht bezahlt wird, entlassen — Besser, besser stets und besser! Hätt’ ich den treuesten meiner Freunde nach Paris geschickt, mein Reich zu verwalten, er hätte nicht so gut für mein Interesse gesorgt, als die Bourbons! — O meine Gardegrenadiere, wandelnde Festungs- wälle mir in der off’nen Schlacht, und alle, alle, die ihr Bayonette für mich aufpflanztet, Säbel für mich schwanget, bald sonn’ ich mich wieder in eurem Waffenglanze, und das Gleichgewicht Eu- ropas fliegt bebend aus den Angeln! Kaiser, endlich? Gleichgewicht! Als ob man Völker abwägen und zählen könnte! Die Erde ist am glücklichsten, wenn das größte Volk das herrschendste ist, stark genug überall sich und seine Gesetze zu erhalten, und wer ist größer, als meine Franzosen? — Con- greß zu Wien! Da streiten sie sich um den Man- tel des Herrn, den sie hier am Kreuze wähnen — mein Polen, mein Sachsen wird zertheilt, — Nie- mand wird von dem halben Bissen satt, ja, er wird Gift im Munde — Aber der Herr erstand! — — Europa, der kindisch gewordene Greis bedarf der Zuchtruthe, und was meinen Sie, St. P — le, wer könnte sie besser schwingen, als Ich? Der Prinz von Messeriano fordert Elba als sein Eigenthum zurück. Der Knabe! Auch spricht man davon, Dich nach St. Hele- na zu versetzen. Wie? wenn es mir nun gefiele, den Fuß nach Frankreich zu setzen? Nicht zwei Tage und ich bin dort. O Sire, Sire, dahin! Sie nur können es erlösen! Man denkt mit mir zu spaßen. Es ist zum Todtlachen! — Meine Herren, wird nicht, so wie ich bei Toulon lande, der weltbekannte Klang mei- ner Kriegstrompete wie ein Blitz durch alle Busen schmettern? Wird mein Adler nicht im Augenblick von Thurm zu Thurm bis St. Denis hinfliegen? O lande, lande! Graf St. P — le, wer sendet Sie? Verschwo- rene wider die Bourbons? Sire, nein. Die Nation ruft sie, Das wollt’ ich — Verschworene sind immer Schurken, die nur ein Werkzeug für ihre Pläne suchen, welches sie nachher gerne wegwerfen. Auch Italien, aus dem ich eben komme, ist voll Unruhe. Selbst der König von Neapel bereut seinen Abfall. Ich weiß — Er wird vernünftig aus Noth. Der und der Bernadotte — Bernadotte, welcher vom nahen Rußland alles, vom fernen Frankreich nichts zu fürchten hatte, der seine Schildwache, wenn er mit mir hielt, dicht unter den Fenstern des Czaarenschlosses zu Petersburg aufstellen konnte, sind untreu geworden, — Murat aus Tollheit, und Bernadotte aus Eifersucht auf mich — — Die Ar- men! Mit mir ging die Sonne unter, die diese Planeten im Schwunge erhielt — Nicht drei Jahre und Europas Fürstenhäuser schämen sich der unadli- gen, bloß von meiner Größe ausgebrüteten Flie- gen! — Wo ist Cambronne? Hält dicht hinter uns, bei dem dich begleitenden Detachement der Uhlanen. Pole, ruf den Cammandeur der Garde! Ha! Gleich! (Reitet fort und kommt bald darauf mit Cambronne zuruͤck.) General, sind die Magazine versorgt? Sire, wie Sie geboten. Theilen Sie an jeden Infanteristen und jeden Reiter Rationen auf vier Tage aus. — Sind die Brigg und die beiden in Beschlag genommenen Kauffahrer im Stande, morgen mit den Truppen abzusegeln? Ja, Sire. (halb fuͤr sich.) Was wird das? Cambronne, Morgen früh fünf Uhr lassen Sie die Reveille schlagen. Welche? die alte oder die neue? Die von Jena! O, so stampft binnen sechs Wochen das Pferd jenes Reiters auf dem Pflaster von Paris. Es bäumt sich schon, General. Es stampft da früher: am 20. März, dem Geburtstage meines Sohns. Campbell aber mit dem englischen Geschwader? Hindert uns nicht. Ich hab’ ihn nach Livorno locken lassen, dort die Merkwürdigkeiten zu bese- hen, und heut’ Abend zecht er daselbst Madera mit einigen seiner Landsleute, die nicht wissen, wie sie verleitet sind, ihn einladen zu lassen, so wenig als er weiß, warum er eigentlich eingeladen ist — O das Gepack! Also da, der ersehnte, der große Augenblick! Es lebe der Kaiser! (zu dem Officier.) Wie viel haben wir gesprochen, Er Selbst mit, und Er hat alles gethan, ehe wir sprachen. Er ist groß und gütig — ist ein Gott. (gegen das Meer gewendet). Amphitrite, gewaltige, blauäugige Jungfrau, — schon lange läßt du mich umsonst um dich buhlen, — ich soll dir schmeicheln, und ich möchte doch lieber als Mann mit Waffen dich den Händen der Krämer entringen, die dich, o Göttin, mit der Elle messen und zur Sclavin machen wollen, — aber ich weiß, du liebst ihn doch, den Sohn der Revolution, — einst vergaßest du deine Launen und trugst ihn mit sichren Armen von den Pyra- miden nach dem kleinen Glockenthurm von Frejus, — morgen trägst du mich von Elba noch einmal dahin. — Amphitrite, schlummre süß. (Alle ab.) Zweiter Aufzug. Erste Scene. (Paris im Jardin des Plantes.) (Ein alter Gaͤrtner und seine Nichte treten auf.) Nicht so wild Kind, nicht gesprungen, — hier ging einst Büffon sehr ruhig und ordnete sein System. Onkel, Onkel, welch ein Morgen! Wie durch- schimmert ihn die Frühlingssonne! Eintrinken möcht’ ich ihn! Du Wilde, sieh nach den Bäumen — Haben Weide und Kastanie schon Knospen? Ja! alle, alle, und die Silberpappeln knospen dazu — O, Ça ira, ça ira. Nichte, das sag’ ich dir ernstlich, thu was du willst, aber singe mir keine politischen Lieder. Ça ira? politisch? Ich meinte, bald geht’s los, und die Blumen brechen aus. Wir können die Fenster von den Beeten neh- men — Ah, wie richten sich schon die Gräser auf. Hier Phalaris canariensis. Welch ein weitläuftiger Name für ein so klei- nes, zierliches Ding. — Man möchte die Gräschen ausreißen und küssen, so allerliebst stehen sie da. Die Kanone der Sternwarte donnert schon die zehnte Stunde an. Wir müssen fleißig seyn, wol- len wir vor Mittag noch etwas beschicken. Etwas beschicken? — Das überlaß heute den Leuten ringsum in der staubigen Stadt — Wir wollen hier das frische Grün genießen. — — Die schöne Kokosblüthe in jenem Gewächshause nehm’ ich mir zum Stickmuster. Stickmuster, ja — Seit einem Jahre denkst du bei jeder Blume an Putz, Stickmuster und den unseeligen Pierre. Ich glaube, du hingest ihm den ganzen Gartenflor um den Hals, deines Onkels Herz dazu. Mein Herz gern, deines nicht, Onkel. In dei- ner Brust, die für meine Mutter und mich so treu sorgte, säß’ es doch besser als an seinem Halse. — Aber, wahr ist wahr, und schön ist schön, und gut ist gut: wahr, schön und gut ist er. Er stört mich hier, und der Oberintendant des Gartens hat es schon übel genommen, daß ich ihn einlasse. Er ist ein Bonapartist oder gar ein Revolutionär. — Wäre Pierre das (ich weiß wahrhaftig nicht, ob er es ist, denn auf sein politisches Geschwatz acht’ ich so wenig wie der schlafende Müller auf das rauschende Rad), so müßten die Bonapartisten und Revolutionaire herrliche Leute seyn. Kind, Kind, ehre mir die Bourbons, unsere Herren. Vor einem Jahre mußt’ ich ja das erste Ka- pitel des kaiserlichen Katechismus auswendig ler- nen, und Napoleon anbeten. Weißt du, wie du mir drohtest, als ich bei dem Aufsagen stotterte? Vor einem Jahre, Kind! — Jetzt schreiben wir 1815. So — 1814 und 1815, das ist der Unterschied, — Es geht wohl mit den Herrschern, wie mit den Blumen, — jedes Jahr neue. — Ach, sieh’ da meine wieder grünende Ulme! Der König Ludwig der Achtzehnte gibt mir mein Brot, — und da kommt der verwünschte Pierre mit Damen — Damen? Was? Ha, der — 6 Damen der Halle. So — die machen mich nicht eifersüchtig. (Pierre und Damen der Halle.) Elise, meine Elise! — Und alle Lilien ausge- rottet, mein Vater! Warum? Der König wird fortgejagt, — Napoleon kommt wieder. Die Lilien weg! Die Lilien weg! Stille, stille — Vor dem Garten stehen Gens- d’armes, die dieses hören möchten. Weg Gensd’armes und Lilien! Meine Damen verwechseln sie nicht das Reich der Natur mit dem Reiche der Bourbons, nicht blühende Lilien mit gemalten. Gut gesagt! Bedenken Sie, daß dort die Büste Linn é ’s steht. Auch Büff — Linn é , was war der? Ein herrlicher Mann, Madame. Erst Schu- sterjunge in Lyon, dann Fürst von Pommern, Schweden und den Haidschnucken, und immer da- bei ein eifriger Republikaner und Beschützer des botanischen Gartens. Behalte deine Blumen, Gärtner. Hoch lebe der Fürst Linn é ! (Die Damen der Halle ab.) Mir wirbelt der Kopf: — Linn é ein Schuster- junge, dann Fürst, Republikaner, und das alles so sicher gesagt. — Ich will sie eines Besseren be- lehren — Linn é war — Still! — Rufe sie nicht zurück. Ich selbst mußte sie wider Willen hieher führen. Gott weiß, was ihnen einmal vom Linn é in den Ohren ge- klungen hat, und was klingt, glauben sie, und er- zählen es noch schallender wieder. — — Elise, schmollst du? Revolutionsmensch — Das verstehst du nicht. — Geliebte — Und das »Geliebte« verstehst du nicht. — Ha, da die weißen Kirschblüthen — sitzen sie nicht am Baume wie junge Lämmer, die am grünen Berge klettern? — Wie schön! In deinem Auge blitzen sie schöner. — Napo- leon soll jetzt, wie man munkelt — Folge mir unter den Kirschbaum. Zweite Scene. (Paris. Unter den Arcaden des Palais-royal.) (Vieles Volk, Buͤrger, Officiere, Soldaten u. s. w., etwa wie in der ersten Scene des ersten Aufzuges.) Bist satt, Chassecoeur? Ja, von überreifen, übersüßen Kartoffeln. Sollen wir zur Seelenmesse, welche die Ma- dame über den Gebeinen ihres Vaters halten läßt? Lieber zur Hölle. — Madame ist sehr gnädig. Wenn die Gebeine, für welche sie jetzt betet, nicht eher einem Schreckensmann angehören, als dem längst in Kalk vermoderten Capet, bin ich verflucht. Gönn’ ihr die Knochen. Fleisch ist nicht daran. (kommt:) Was Neues! Das Neue ist heutzutag was Altes. An meinen Tisch, Herr! Immer die Politik am Putztische. Wieder tolle Streiche! — Die Emigranten werden entschädigt. Wofür? Dafür, daß sie zur Zeit der Noth wegliefen. Wovon entschädigt? Von dem Gelde und Blute der Nation. Chassecoeur, wir wollen künftig auch weglaufen. O! Alter Junge, ärgere dich nicht zu arg. Aus dem jetzigen Spaß wird einmal wieder Ernst. Die Ultra’s machen die offenbarsten Schritte, die Constitution umzustürzen. Ist sie ihnen noch nicht schlecht genug? Die Angouleme läßt die Jesuiten zurückrufen. Wir jagen sie wieder fort. In Nismes ermordet man schon die Protestan- ten, und Niemand wehrt. Freund, daran zweifle ich: sie genießen des Schutzes unseres legitimen Herrschers. Teufel, was ist denn legitim? Das, was alt ist. Wie alt? Weiß nicht genau. (mit dem Murmelthier und Dudelsack:) La marmotte, la marmotte etc. Der verdammte Junge mit seiner Bettelei. Man kann nichts vor seinem Singsang hören. Laß ihn. Murmelthiere sind vermuthlich legi- tim. Wenigstens waren sie schon unter Heinrich dem Vierten in Paris. O mein Philipp! Bitte, Kind, nicht zu nahe, — mit Vorsicht. Wie, du kennst mich nicht mehr? hast du mich nicht geliebt? Kenn’ ich jedes Sousstück, das mir durch die Hand gegangen ist? Eben so wenig jedes Mäd- chen, das ich geliebt habe. Ach, Philipp, unter den Fahnen der großen Armee schwurst du mir Treue. Auf wie lange? Auf ewig. Das bedeutet seit dreißig Jahren so viel als gar nichts. Fahre wohl, Geliebte. Ha, du — Geschwiegen, Mademoiselle, geschwiegen, sag’ ich, — hier kommen Zeitungen. Was gibt es, Zeitungsverbreiter? Sie sprechen! Wer? Die beiden Felsen im Meere! Welche Zeit! Die Steine reden! Carnot, Fouch é — hier ihre Memoiren im Auszuge in den Zeitungen, — sie haben dem Kö- nige die Wahrheit gesagt, ihm die Albernheiten der Restaurationsminister so deutlich vorgerückt, als wir sie uns hier sagen — Ach, das hilft nicht viel, denn gut sagen ist leichter als recht hören. Her, her die Zeitungen! Ich muß sie selbst sehen! Wir wollen sie auch sehen! Her, her damit! Da habt ihr sie! (Er wirft die Zeitungen in die Luft.) (ergreift, wie viele Andere, ein Blatt und lies’t:) Ha — O — Richtig — Juchhe — schändlich — Wie wahr — Ja, anders, anders muß es werden, — Blut und Tod! — Gut, gut. — Herr- lich! — Auf Elba rührt sich’s allmählich — Im Pflanzengarten ist auch Lärm gewesen — Gut, gut, je schlechter, so besser — Das Korn gibt erst Mehl, wenn es zermalmt ist — Adieu, meine Herren, — ich muß zu Freunden. (Ab.) Was ist dir? Was treibst du mit den Armen? «Auf Elba rührt sich’s allmählich» — Ich schwinge in Gedanken den Säbel! Wo ist Louise? Fort? — Nein, sieh: ein junger Engländer entführt mir ihre Reize. Wohl bekomm’s, Mylord! Dritte Scene. (Paris. Tuillerien. Saal der Herzogin von Angouleme.) (Die Herzogin von Angouleme, und ihre Dame d’Atour, die Graͤfin von Choisy.) Liebe Choisy, lies mir etwas vor. Mir schmerzt der Kopf. Gern, königliche Hoheit. — Soll ich etwas neu Erschienenes lesen? Thu’ es. Nur keine Zeitungen. — Was das für ein öder, trüber Nachmittag ist, — selbst die heilige Messe erfreute mich nicht. Hier ist ein Gedicht vom Herrn C — n, einem der neuen Poeten. Lies den Seneca oder den C — n. Mir ist’s eins. Ich lese, Hoheit. (Sie lies’t:) »Es steht der Sultaninnen Erste Am Fenster ihres Marmorschlosses. O welche wohlgefügte Marmorquadern, Wie schimmern sie selbst durch die Nacht! O welche Rosen blühen in dem Zimmer, O welche Ambradüfte hauchen da! Doch was sind Marmorquadern, Rosen, Ambra, Wenn die Gestalt der Sultanin, mit Den prächt’gen Schultern, blendend weiß, Als wäre frischer Schnee darauf gefallen, Mit ihren Lippen, dunkelroth, Als wehten Flammen dir entgegen, Mit ihrem Liebesflüstern, wundersüß, Als hauchte Duft aus Edens Pforten, Darunter steht in ihrer Schöne! Die Diener und die Dienerinnen Erwarten knieend ihre Worte, Der Sultan selbst vergißt das Reichsschwert, Harrt in dem Hintergrunde liebeseufzend, Und schwelgt in ihres Nackens Anschau’n. Sie blickt hinaus: vor ihren Augen steigt Das Heer der Sterne freudetrunken auf, Der Bosphorus jauchzt auf mit seinen Wogen, Die große Stambul ahnet ihre Nähe Und bebt vor wonnigem Gefühle, Die Küsten Asias und Europas schmeicheln Zu den Sandalen ihres zarten Fußes, — Sie blickt zurück, — sie faßt ihr Herz — Wie sinkt die Poesie. Auch in ihr Revolution. Was für falsche Verse! Wer hat denn den Versen das Gesetz gegeben, daß sie gerade seyn müssen, wie die des Racine oder eines anderen Classikers? Auch du eine Empörerin, Choisy? — Die Welt ist überreif. — Lies das Ende des Gedichtes. Es ist kurz: (sie lies’t:) «Und Sie seufzt!» — Und Sie seufzt — — Ja, das mag wahr seyn, ungeachtet des zu kurzen Verses. Jesus Maria, wenn Er gelandet wäre! Wie kommst du auf den Gedanken? Königliche Hoheit, der Gedanke kommt über mich. Unsere Staatsmänner werden Ihn vor der Lan- dung zu behüten wissen. — Aber die Brust ist auch mir überschwer. — Ich gehe zu meinem Oheim. (Beide ab.) Vierte Scene. (Paris. Tuillerien. Die Zimmer des Koͤnigs.) (Koͤnig Ludwig, der Herzog von Angouleme, der Herzog von Berry. Recht abscheulich — abscheulich, da liegen die Brochüren von Carnot und Fouch é . Beide ver- theidigen, jeder auf seine eigenthümliche, tückische Weise, die sogenannten Rechte der Königsmörder und der Revolution, und beschimpfen meine Maaß- regeln und die meiner treuen Minister. Ich mag die Papiere nicht anfassen. Hängt die Kerle! (tritt ein:) Die Herrn Blacas d’Aulps und d’Ambray. Mir willkommen. (Oberceremonienmeister ab; Blacas d’Aulps und d’Ambray treten ein.) Sire, der gute Marquis von Brandenburg will Sachsen haben. Und Rußland greift nach Polen. Gönnet ihnen das. Mit Erlaubniß, Sire: mit Polen mag es so werden, aber Sachsen ist ein uraltes Haus. Wir hatten Dauphinen aus ihm. Und, Sire, ein Theil unseres europäischen Ein- flusses beruht auf der fortdauernden Zerstücktheit Deutschlands — Wir dürfen da keine Macht zu sehr anwachsen lassen. — Auch Talleyrand denkt so, und hat schon protestirt. Talleyrand? Ich gebe nach. — Er trifft stets das Rechte. Zugleich warnt er vor Elba. Elba, immer und ewig Elba! Laßt doch den Namen verbieten! — Was will denn Elba? — Wir besitzen Frankreich. 7 Verzeihen Eure Königliche Hoheit: Bonaparte soll mit Murat conspiriren. Und das? Ist lächerlich. Aber einige Vorsicht ist auch nicht ganz unnütz. Lieber d’Ambray, Vorsicht! — Bei zwei simp- len Glückskindern! — Murat ist ein Narr, Bo- naparte nicht viel Besseres, — darum figurirten sie unter dem Pöbel einige Jahre als große Hans- würste — Gottlob, die Zeit ist vorbei. (tritt auf:) Seine Königliche Hoheit Monsieur. Er komme. (Oberceremonienmeister ab. Monsieur kommt.) Woher Bruder? Von der Jagd und der Messe. Manches Wild- prett hab’ ich geschossen. Wenn wir es schmausen, wollen wir der treff- lichen Hand denken, die es schoß. Sire, ich bin müde und kann am Abendessen nicht Theil nehmen. Ich bitte, mich entfernen zu dürfen, nachdem ich Ihnen hiermit meine Aufwar- tung gemacht. Das Wildprett ist schon in den Küchen. — — Apropos, was fällt mir doch ein? — Ja, eben hör’ ich, Bonaparte ist gelandet bei Toulon. Wie? Es ist so. Der Mensch scheint durchaus sich verderben zu wollen. — Sire und Bruder, ich küsse Ihnen die Hand. — Schlafen Sie gut, meine Herren. (Ab.) Blacas, d’Ambray? Hörten Sie? Monsieur sagt’s. Es wird wahr seyn. Der Präfect Toulons muß ihn arretiren, kurz verhören, und sofort erschießen lassen. Wie dumm sind die Schurken! Wagt der Kronendieb an der Küste eines Volkes zu landen, welches er jahrelang tyrannisirte, — welches ge- gen ihn nur erbittert, gegen uns nur dankbar ist. Ich dächte doch, Berry, du zögest deine Haus- truppen zusammen. Wie Sie befehlen, Sire. Sollte den Verwe- genen aber nicht schon irgend ein Dorfmaire er- wischt haben? Wohl möglich. Doch mache deine Haustrup- pen immerhin marschfertig. Ach, bekümmern wir uns um den Raufbold nicht. (tritt ein:) Ihre Königliche Hoheit, die Herzogin von An- gouleme. Mir sehr erwünscht. (Oberceremonienmeister ab. — Die Herzogin von Angouleme tritt ein.) Mein König, ich kann nicht eher schlafen, als bis ich Deine Hand geküßt. Mein Bruder hat heute viel Wildprett geschos- sen. Ich lade dich und die Prinzen zum Mahl. Wo ist Monsieur? Wohl schon zu Bett. Er war ermüdet. Darf ich mich mit meinem Gemahl über eine Kleinigkeit — Den Tauberich, Gemahlin, hat Houdet erwischt! — unterhalten? Weshalb nicht? — Doch erst noch Eins: Bo- naparte ist bei Toulon gelandet. Schütze mich der Heiland! Die Ahnung der Choisy! Gelandet! — Großer Gott, wer litt das? — Und ihr steht hier ruhig, König, Angou- leme, Berry, Blacas, d’Ambray? Seyd ihr Bild- säulen? Nun, nun! Gemahlin, nicht so heftig. Du bekommst wie- der die Migraine. Was Migraine — Er —! Was will er denn mit seinen wenigen Leuten? Königliche Hoheit, ruhig, — lassen Sie es mit der Personage gut seyn. Ueberlassen Sie ihn den Jurys. Ihn den Jurys? — Menschen, wißt ihr, wer seine Jurys sind? — Die Heere Europas, und kein Anderer — O Waffen, Waffen, Waffen! — Sturmglocken geläutet — Alles, alles aufgeboten, in der Kirche wie auf dem Schlachtfelde! — Ge- landet — — Weh’ mein Herz — — Nun macht Er seine Tigersprünge, wie einst von Aegypten nach Paris, von Eylau nach Madrid, von Madrid nach Wien, nach Moskau — O, ich fühle schon seine Krallen! Diener, Diener, sie wird ohnmächtig — cöllni- sches Wasser — Es wird schon geholt. Cöllnisches Wasser — Französisches Feuer schafft her für euch alle! — Ich bitte, bitte, schickt doch nach dem Telegraphen! — Ach, er wird schon mit Nachricht da seyn! — (tritt ein:) Der Oberdirector des Telegraphen. Komme. (Oberceremonienmeister ab. — Der Oberdirector des Tele- graphen kommt.) Sire, Bonaparte steht seit etwa anderthalb Stunden mit einigen tausend Mann vor Lyon. Je tiefer im Lande er ist, so eher wird er ge- fangen. (Oberdirector des Telegraphen auf einen Wink des Koͤnigs ab.) Schon vor Lyon! Seit anderthalb Stunden! — So ist er jetzt darin — vielleicht schon diesseits, uns ganz nahe! — Eure Couriere und telegraphi- schen Depeschen waren stets langsamer als Er! Was rathen Sie, meine Herren? Lassen Sie uns, Sire, einige hundert Verdäch- tige, welche ihn in Lyon und Paris unterstützen könnten, verbannen, und er erlischt von selbst, wie ein Licht ohne Brennstoff. Wahrlich, das Beste. Ich will eine Liste sol- cher Uebelgesinnten aufsetzen, und sie zu dem Fuße des Throns legen. Thu’n Sie es — ich werde sie nachsehen und beurtheilen. — Indeß jetzt den Ney gerufen, Für- sten von — Ich weiß nicht, wie der Mann sonst heißt. (Blacas d’Aulps geht in den Vorsaal, spricht mit dem Ober- ceremonienmeister, und kommt zuruͤck.) Der Ney, der Ney — Der unsere Zuflucht? — Kleiner und häßlicher ist sie nicht zu finden! Er heißt der Brave der Braven, und alle al- ten Krieger lieben ihn. Er ist einer der Frechsten unter den Schlechten, und wenn die alten Krieger ihn lieben, müssen wir ihn hassen. (tritt ein:) Se. Durchlaucht der Fürst von der Moskwa. Er trete ein. (Oberceremonienmeister ab.) O hättet ihr selbst Muth, ihr bedürftet des elsasser Sergeanten nicht. Auch nicht mit einem Blick werd’ ich ihn anseh’n, (an das Fenster tretend) lieber dort die Straßen. (tritt ein:) Sire — Mein Marschall — (fuͤr sich:) Werden sie höflich? — vermuthlich, weil sie etwas von mir wollen. Meine Gemahlin hat mir das stets prophezeit. — und mein Vetter — (fuͤr sich:) Vetter, Vetter — Hörte das meine Gemahlin — sie jubelte! (wieder laut, aber verlegen:) Monarch? (zu d’Ambray:) Wie wenig kennt das Vieh die Etiquettenspra- che des Hofes. Wie konnte er in Bonapartes Feldlagern Ver- nunft lernen? (zu Ney:) Ja, Fürst, — jeder Marschall Frankreichs ist Vetter, und hoffentlich auch Freund des Königs. Bis in den Tod, Sire! (zu d’Ambray:) Wie groß der König ist — mit dem einzigen Worte »Vetter« hat er ihn erobert. (halb zu Blacas d’Aulps gewendet:) Und wie klein der Sergeant ist, daß ihn so ein Wort besticht! Wie schwach wir, daß wir ihn bestechen! Königliche Hoheit, Sie hörten —? Alles, was Sie und d’Ambray flüsterten. Mein Ohr ist aus Versailles. (Sie tritt wieder an das Fenster.) Vetter, der Bonaparte ist bei Toulon gelandet. (bestuͤrzt:) Wie — was? — Es ist eine Erdichtung! Nichts weniger. Er ist gelandet, und Sie sol- len uns von ihm befreien. Ich —? Von ihm? — Im Namen der — im Namen Gottes denn, wenn es seyn — wenn es geht. Wie sollt’ es nicht gehen, wenn der Brave der Braven, dem der Corse seine größten Siege ver- dankt, einmal gegen ihn ficht? Wir mindestens trauen es Ihnen zu. Wirklich, Sire? Ich gebe Ihnen die Hand darauf. (fuͤr sich:) Pfui! Das ist zuviel, König, — das verdien’ ich nicht. — Offen gesagt, (denn so großer Güte ge- genüber kann ich nichts mehr verbergen): ich war nicht der beste Royalist, hatte zwar über den Kai- ser mich hart zu beschweren, aber die Kaiserzeit nicht ganz zu vergessen — Sire, ich mach’ es wieder gut — weg aus meiner Brust die letzte Erinnerung an Ihn und seine Heerzüge — himmel- tief steht er unter Ihnen — — Ja, geben Sie mir Truppen, ich zieh’ ihm entgegen, und bring’ ihn Ihnen gefangen oder todt! — — Wie konnt’ ich so verblendet seyn — — Alles, alles an die- sem Hofe ist edler, anmuthsvoller, erhabener als am buntscheckigen Lager zu St. Cloud! So eilen Sie, Vetter, von Familie und Freun- den Abschied zu nehmen, denn Ihre Bestallung und meine Befehle folgen Ihnen auf der Ferse. (Ney entfernt sich.) Da abermals ein Pröbchen von der Treue und der Kraft des neuen Adels! Unter dem Ney dien’ ich in keinem Fall. Ich auch nicht. Ihr behaltet die Haustruppen ausschließlich. (tritt ein:) Ein Courier, Majestät — Er komme. (Oberceremonienmeister ab.) Bald werd’ ich aber für heute der Audienzen müde. (Der Courier tritt auf.) Woher? Sire, von Wien. Ihre Botschaft? Sie ist mündlich und schriftlich. Die mündliche? Murat greift die Oesterreicher an — (wendet sich vom Fenster:) Ha, klaffen bereits seine Hunde um Ihn? Bonaparte ist in die Acht erklärt — Recht von dem Congresse. — Talleyrand? Ist heiter. Das ist ein gutes Zeichen. — Der Congreß selbst? Ist bei der Nachricht von Bonapartes Landung auseinander geflogen. Himmel, was? Ich selbst sah die Tausende der Adjutanten und Stallbedienten reiten, als Caleschen hinter Caleschen, der Kaiser von Rußland und der König von Preußen mit den ihrigen unter ihnen, aus dem Thor fuhren. Die schwachen Menschen. Fliehen vor einem Abentheurer. Kanntest du den Abentheurer bei Austerlitz und bei Jena? Nein. Da lernten ihn die beiden Herrscher kennen. Ihn nicht, wohl aber sein Glück. (zu dem Courier:) Ihre Schriften — (Der Courier uͤbergibt sie ihm.) Sie selbst sind bis auf Weiteres entlassen. (Courier ab.) Talleyrand schreibt, er sey besorgter, als er in seinen Mienen merken lassen dürfe. Die Landung von Elba würde zum Weltereigniß, erdrückten wir es nicht im Keim. Bonaparte ist toll, Talleyrand ist toll! Das ist Alles! Talleyrand toll? Ich weiß nicht. — Doch Bonaparte, der das wirklich thut, was Talleyrand oft heucheln soll, der kein Auge aufschlägt, keinen Schritt macht, ohne berechnet zu haben, wohin er blickt, wohin er tritt? — Schlecht ist er, ja oft klein pfiffig, — aber toll? So möcht’ ich hören, was klug ist. Halt’ ihn nicht fuͤr zu gefährlich. Er ist gefährlich. Frage nach bei Jacobinern und Royalisten, frage nach an den plötzlich von ihm geraubten Küsten Aegyptens oder der Nordsee, frage nach an den Mauern von Danzig und Sar- ragossa — Wie die stilldunkle Wetternacht ist er — Erst wenn du getroffen bist, merkst du: es hat ge- blitzt. — Sieh, unter’m Busen bricht mir die mit Lilien geschmückte Goldspange jach auseinander — Auch das kommt unerwartet, aus Angst vor Ihm — — Ist selbst diese Kleinigkeit nicht bedeutend? (tritt ein:) Sire, das Nef ist aufgesetzt. So laßt uns speißen. (Oberceremonienmeister ab.) (fuͤr sich:) Jetzt speisen! Welch unverwüstlicher Appetit! — (Laut:) Majestät, darf ich Eines bitten? Fod’re. Laßt sofort meinen Gemahl nach der Gegend von Lyon eilen, Berry ihn mit einem Theil der Haustruppen begleiten. Vielleicht treibt der An- blick der königlichen Prinzen den Empörern die Schaamröthe, falls sie davon etwas haben, in das Gesicht. Ich selbst bitte um Urlaub nach meiner treuen Stadt Bordeaux. Diese Perle an der See soll er mir ohne Kampf nicht nehmen. Du verlangst viel. Doch halb und halb hab’ ich Gewährung versprochen — — Wenn die Prin- zen nichts erinnern? Ich bin conform mit meiner Gemahlin, Sire. (fuͤr sich:) Unangenehme Reise. Das Wetter wird seit Mit- tag auch schlecht. Den Spazirritt nach Lyon mach’ ich zur Ab- wechslung mit. Aber heute laßt uns erst von dem Wildprett Monsieurs kosten. 8 Sire, ich komme mir selbst wie ein gehetztes Wild vor und mag dergleichen nicht essen. Ver- schone mich mit dem Mahl — Laß mich noch diese Nacht nach Bordeaux. Wünschest du es, so muß ich es bewilligen, so lang auch der kurze Abschied meinem Herzen schmer- zen wird. Ich küsse Deine Hand, Sire — — Ach, wo sehen wir uns wieder? In Paris. Und wie ? Du bist zu furchtsam. Furchtsam? — Sire, Waffen, Waffen! Waffen ! (Ab. Der Koͤnig, der Herzog von Angouleme, und der Herzog von Berry ebenfalls.) (zu d’Ambray, indem er mit ihm folgt:) Die Herzogin behandelt den Vorfall auf die überspannteste Art. Es ist eine Dame, Herr Graf, — da hilft nichts — die Damen lassen sich eher alles andere ausreden, als ihre Schwächen. (Beide auch ab.) Fünfte Scene . (Paris. Greveplatz, in der Gegend der Laterne.) (Zwei Buͤrger kommen.) Das ist eine Nacht! Hut in’s Gesicht, Mantel enger um die Schul- tern! — Oben regnet’s, unten marschirt Ney mit Truppen aus den Thoren. Gott weiß, was das bedeutet! Schade um den Ney. Er war ein anderer Kerl, als er noch unter Napoleon im Feuer stand, und nicht in den bourbonischen Vorhöfen kroch. Still — Patrouillen — (kommt:) Wer da? Bürger von Paris. Begeben Sie sich nach Haus, meine Herren, — im Namen des Königs! (Patrouille zieht vorbei.) Freund, was ist das —? — Ha schon wieder eine Patrouille. — Gensd’armes zu Pferde. Wer da? Zu Haus Leute, in eure Betten, zu euren Weibern — auf der Stelle — Herr, ihr sprecht als wären wir Sclaver . In den Betten ist es wärmer und besser als hier. Der Mann hat Recht und Verstand. Komm, Freund. Es wird hier draußen mehr und mehr unheimlich. Nun, wär’ auch eine Empörung im Ausbruch, — die Nationalgarde, wozu auch wir gehören — — und die ihre Officiere von den Vorstädtern an der Laterne da aufknüpfen läßt, weil sie stets an ihr Vermögen denkt, der Vorstädter an sein Nichts? Wahr, wahr! Zu Haus, zu Haus! Noch immer geschwatzt? Tod und Hölle, fort! (Patrouille und die beiden Buͤrger ab.) (Fouch é und Carnot begegnen sich von verschiedenen Seiten. Beide sind tief in Maͤntel gehuͤllt.) Ha, du bist es! — Ich schickte zu dir — du warest nicht zu Haus. Hier dacht’ ich dich zu finden. Als ich hörte, daß du geschickt hattest, sucht’ ich dich auch hier, Otranto — oder, wie ich dich lieber nenne, Fouch é . (kommt:) Wer hier? (zu Carnot:) Die Narren will ich anführen. Ich kenne ihre Losung. Sie sollen uns für zwei Mouchards erster Sorte halten. (Zu den Gensd’armes:) Wo ihr Officier? Da bin ich. (Nachdem ihm Fouch é etwas in das Ohr gesagt hat:) Wünsch’ Ihnen Glück im Geschäft, meine Herren. (Die Patrouille zieht weiter.) Hm, bediene dich nicht des Betruges. Muß man es jetzt nicht thun, wenn man unter den Schurken das Gute durchsetzen will? Ha, da — Wie wird dir? Ein unwillkührlicher Schauder ist verzeihlich: bedenke, wo wir stehen, hergebannt vom dunklen Triebe. Die berüchtigte Laterne des Greveplatzes faßt mit ihrem Mörderarm über uns in die Nacht und dort, in der Mitte rasselte die permanente Guillotine, als auch du im Wohlfahrtsausschuß saßest. Da stand sie — das blutige Ungeheuer — Du selbst unterzeichnetest die Todesurtheile der Tausende und aber Tausende, welche unter ihr fielen, mit. Eben deshalb bin ich bewegter als du. — Fouch é , welche Eichen verloren hier ihre Kronen! Dieser Platz ist der Opferaltar Frankreichs! — Hier sanken Danton, Herault de Sechelles, Robes- pierre — auch der König fiel nicht weit von hier. Gereut es dich? Nimmer! Es ging nicht anders. — Was mit den Leuten zu machen, wenn ihre Zeit vorüber war, und ihre Anhänger doch trotzen und rückwir- ken wollten? Du hast in deinem Memoire gesprochen. Du in dem deinigen. — Wir sind Eins, nur unser Ausdruck ist verschieden. Aber sprechen wir auch mit den Zungen aller zwei und dreißig Winde, es hilft nichts. Drum sag’ an, was ist zu thun ? Die Bourbons müssen fort mit ihrer alten Zeit, — sie haben bewiesen, daß sie nichts Neues lernen können, und — erschrick nicht, Republicaner — Bonaparte muß zurück. Bonaparte? Weißt du, was du sagst? Der vertilgte die Freiheit mehr als alle Tyrannen von Valois und Bourbon. Ja, man schelte den Wohl- fahrtsausschuß und sein Blutsystem, wie man wolle: seine Ideen waren größer als der Egoismus des Generals Bonaparte. Gewiß. Aber wir bedürfen irgend eines neuen Menschen an der Spitze, und können Napoleon nicht übergeh’n. Auch ist er nicht mehr der von 1811. Sein Ruhmesglanz war sein Diadem. Im Regen von Leipzig erblich es so ziemlich, und blieb nur so viel Schimmer übrig, als wir gebrauchen mögen, ohne zu fürchten, er blitze uns abermals damit zu Boden. Er werde wieder Kaiser, jedoch kräftig gebändigt mit einer Constitution. Die zerbricht er auf bekannte Manier, sobald er zwei Schlachten gewonnen hat. Zwei — oder sicherer drei Schlachten soll er nicht auf der Reihe gewinnen. Mensch — ehemaliger Polizeiminister — Sprich den »Polizeiminister« nicht bitter aus. Frankreich besteht ohne solchen keine vier Wochen. Bonaparte kann nicht zurückkommen. Ausge- stoßen von aller Welt ist er auf Elba. War ! Wie? Was schreiben wir heute? Den siebenzehnten März. Gut, so ist er schon in Auxerre. Raserei! Nein, — lies mein Tagebuch, hier bei dem rothen Schein der furchtbaren Laterne, — am dreizehnten reis’te er von Lyon ab. Unmöglich! Das Wort kennt Er nicht, oder will es nicht kennen, was auch etwas sagt. — — Siehst du, wie der Telegraph mit Feuerlichtern auch bei Nacht geht? Und weißt du, welche Nachricht er eben empfängt und sie nach allen Ecken an Frank- reichs Präfecten und Gouverneure weiter ver- breitet? Nein. Wart’ einen Augenblick — Da hab’ ich den Schlüssel der Chiffre, — er verbreitet: Bonaparte ist diesseits Lyon gefangen, seine Leute sind zer- sprengt und er ist vor die Assisen gestellt. Das klingt anders als deine Behauptungen. O du unschuldiges, kindliches Genie! — Wär’ ich wie du, und kennte blos die Wissenschaft und die Tugend, nicht aber die Menschen! — — Wisse: in einer Stunde ist halb Frankreich getäuscht, — denn die Telegraphenlinie von Toulon lügt, und das äußerst grob, wie es für den Verstand von Blacas d’Aulps paßt. Wahrscheinlich hat Napo- leon, um die Bourbons desto sicherer zu machen, dabei selbst die Hand im Spiel. Wie wäre er über Lyon heraus gekommen, haͤtt’ er nicht schon eine Armee um sich, wären nicht Grenoble, nicht alle Truppen zu ihm übergegangen? Noch wenige Tage und er ist in Paris. So mag er regieren. Aber jeder Blutstropfen empört sich bei dem Gedanken, daß er den asiati- schen Despoten erneut. Ich wiederhole, das soll er nicht, und wären auch wir beide nur einig. — Folge mir, — ich kenne eine Wirthschaft in St. Martin, wo wir uns unbeachteter sprechen können als auf diesem Platz oder in unsren Hotels. Alleswissender, was machen jetzt die Bourbons? Sehen nach dem Telegraphen und glauben, bis sie fühlen , daß sie irrten. Vielleicht ist auch zu dem Letzteren ihr Fell noch zu hart. Möglich, daß sie bald flüchten müssen, und doch wähnen, es sey etwa nichts mehr als eine Promenade. — Teufel, wer schnarcht da auf der Treppe? — Heda! wer seyd ihr? (mit Vitry aufspringend:) Zwei Kaisergardisten, ohne Brot und Obdach! Ah, die thun uns nichts! — Habt ihr etwas gehört, so sagt es nicht wieder! (Mit Carnot ab.) Hast du etwas gehört? Nichts Rechtes. Ich schlief schon ganz er- träglich. Ich auch. — Wir wollen uns wieder hinlegen. (Sie thun es.) Dritter Aufzug . Erste Scene . (Paris. Greveplatz in der Naͤhe der Laterne. Es ist Nach- mittag.) (Volk, zum Theil muͤßig, zum Theil beschaͤftigt. Chassecoeur, Vitry und ein Schneidermeister im Vorgrunde.) Es ist nicht richtig, Chassecoeur! Nachts wecken uns verdächtige Gespräch, Ney ist fort mit den Truppen, die Angouleme soll schon auf dem Wege nach Bordeaux seyn, und dort geht ein kleiner Emigrant mit seinem Reisebündel — Adieu, mein Herr! Wir kommen wieder, Herr von Namenlos — (Fuͤr sich:) O Feuer, Schwert, Schaffotte — Das ganze ab- trünnige Frankreich soll brennen und bluten! (Ab.) Wer weiß, wohin der Emigrant betteln geht, und die Angouleme wird in ihrem Bordeaux beten wollen, daß sie ein Kind bekömmt, wie die Jung- frau Maria, ohne Hülfe ihres Mannes, weil ihr diese Hülfe doch nicht helfen kann. — Hol’s der Teufel! Meine Herren, meine Herren, die Herzoge Angouleme und Berry fahren aus der Stadt, auch die Herren Blacas d’Aulps und d’Ambray haben seit einer Viertelstunde Reisepelze an. — Es wird wieder lustig. Convulsivischer Wurm, wer bist du? Herr Mensch, ein pariser Kleiderfabricant, der Sie, wenn Sie seine Ehre beleidigen, mit dieser Nadel sieben und siebenzigmal durchbohrt, ehe Sie ihm eine einzige Wunde mit dem Degen anflicken! Ich zittre schon. (kommt:) Mann, lieber Mann, find’ ich dich endlich, — o nach Haus! Auch unsre Straße ist voll Lärm und Bewegung! Man sagt der Kaiser käme zurück. Sollt’ es seyn? — O! Dummes, infames Weib, sprich leiser — (Leise:) Käm’ er zurück, so wäre das viel für Frankreichs Ehre und für meine Wohlfahrt. — Geh, Nadeln und Zwirn angeschafft, soviel du kannst! Wir machen bald Monturen! — Ich sondire hier nur noch ein bischen die Stimmung von Paris, — es ist der beste Platz dazu. — Drum geh, ich komme gleich nach. Gleich? — Ist das gewiß? Meinst du, ich würde dich und meine Würm- chen in der Gefahr allein lassen? (Frau des Schneidermeisters ab.) Jesus! heiliger Geist! Da kommt der König! Und welchen Rock trägt er! De anno 1790 — Ge- schmack, Geschmack, du sinkst in das Meer! Das verschulden die Engländer! (tritt auf:) Ach Gott, ich weine — wie erschütternd geht es in der Deputirtenkammer her. — Alle Depu- tirten wollen sich für den König opfern — Thun sie es auch? Sie hätten es gewiß gethan, wenn er nicht zu schnell Abschied genommen hätte. Und wie sprach er! Thränen, sag’ ich, Thränen im Auge! Mit einem battistenen Schnupftuch voll gestickter Lilien wischte er sie ab — ach, die Lilien werden unter solchen Tropfen nur zu herbe genäßt. Da hält der Königsmann mit seiner Kutsche im Gedränge. Er wird etwas herschwatzen, was wir in die- ser Entfernung gar nicht hören, und von den Nächststehenden kaum drei, ohne daß sie es be- greifen. Desto mehr Respect haben sie davor. 9 Still! still! — Der große Monarch! Erhöbe sich der König nur nicht, bliebe er nur ruhig sitzen, und verdeckte seine Frackschöße, denn von allen im Universum sind sie die abscheulichsten. Weit auseinander klaffend! Ist das französisch? Es ist nicht einmal englisch — es ist barbarisch! An dem Kleide den Mann — wer sich albern kleidet, ist albern — Aus mit unserm schönen Lande! — So gewiß die Revolution nicht entste- hen konnte, wenn man Reifrock, Perücke und Pu- der beibehalten und sich daher wohl gehütet hätte, einander auf den Leib oder in die Haare zu kom- men, so sicher kann die königliche Würde nicht be- stehen, wenn der König durch seine Frackschöße eine Sache zeigt, die zwar auch groß und gewal- tig, aber nichts minder als majestätisch ist. (Man hoͤrt den Koͤnig reden.) Ach — das ist zum Herzbrechen — Lang lebe der König! (Die Kutsche des Koͤnigs faͤhrt weiter.) Was sprach er? O, mein Herr, welche Zunge vermag es wieder zu sagen? »Die rührendsten Beweise der Liebe hätt’ er von seinem Volke erhalten! wenige Ver- räther störten Frankreichs Glück! Er wolle sich an die Spitze der Armee stellen!« O, der wahre Sohn Heinrichs des Vierten! Der alte podagrische — will an die Spitze der Armee? Alles sehr gut, meine Dame, aber weshalb läuft er fort, wenn so rührende Beweise der Liebe und so wenig Verräther da sind? — Volk, Volk, laß dich durch Mitleid und Edelmuth nicht um deine Klugheit betrügen! Der König will nach Wien und dort auf dem Congresse Frankreichs beste Provinzen verschenken! Dafür sollen ihm die Russen helfen, alle Nicht-Emigranten zu un- terdrücken! Das ist schon lange im Werk ge- wesen! (wuͤthend:) Der verfluchte bourbonische Heuchler! Ihm nach — fanget, fesselt ihn! Recht so — und soll er verbluten, so thu’ er es an unseren treuen Herzen! (Fuͤr sich:) Das verdirbt die Kleider und nützt meinem Ge- schäft. Er ist schon fort — über alle Berge! Schimpft nach Belieben — Er war doch ein guter Mann. Ja, er aß Rostbeef, aber keine Ofenschrauben. Du schilderst ihn. Was da? (stuͤrzen herein:) Napoleon ist gelandet — Vitry! Chassecoeur! das Veilchen blüht! Die beiden Gardisten springen auf, als ging’ es zum Tanze! — und bei Chalons für Saone ist er gehängt worden! Wer sagt das? Der Moniteur und der Telegraph. Sey ruhig, Chassecoeur. — Wenn die beiden zusammen es sagen, so ist es doppelte Lüge. War- um liefe der König sonst weg? (stuͤrzt herein:) Der Kaiser ist in Fontainebleau! Donner und Hagel! — Neys Armee? Ist zu ihm übergegangen, und hat ihm den Marschall mitgebracht! Die armen Bourbons! (zu Chassecoeur:) Von nun an laß das Raisonniren — nicht mehr nöthig — denk’ an deine Waffen. Sie liegen geputzt und blank im Winkel. Die meinigen auch! (zu einem Nebenstehenden:) Paß auf, jetzt stift’ ich eine Revolution. Wodurch? Narr, durch diesen Pflasterstein — — Ich blicke, blicke und blicke auf ihn hin. « La marmotte » — (Er stockt und deutet auf den Schneidermeister:) Was hat der Mensch? Was sieht der? Was geschieht? (Es draͤngt sich allmaͤhlig eine große Volksmasse um den Schneidermeister.) (halb laut:) Hm — Hum — Oh! Großer Gott! Was ist? (murmelt:) Gefahr — Paris — Die Seine — Aristokra- ten — Was sagt er? Verstehst du nicht? Die Aristokraten wollen Paris untergraben, es mit Pulver von Vincennes in die Luft sprengen, wollen die Seine ableiten, und die Zufuhr sperren! Wir Unglücklichen! o, unsere Kinder! Waffen! Waffen! — Die Arsenale erbrochen! — Waffen! Waffen! (kommt:) Meine Herren, es ist wahr — man will die Seine ableiten — Hier hab’ ich eine Schaufel — sie lag an ihrem Ufer — Zeugniß genug! Die Schaufel — o, die Schaufeln! Man minirt unter der Seine — Zehntausend Schaufeln sind entdeckt! Auf! auf! Wir wollen uns wehren für Leben, Weib und Kind, oder was es sonst seyn mag! (fuͤr sich:) Das Letzte klingt lustig — »Was es seyn mag!« — Sie wissen nicht, was sie wollen, und werden nehmen, was sie bekommen. — Ich aber weiß mein Theil, — neue Regierung, neue Kleider! (Halb fuͤr sich:) Das Brot — Gott, das Brot — Die Bäcker, die Müller erwürgt! Sie sind von den Ministern bestochen, uns aushungern zu lassen! Es findet sich kein Brot mehr in der Stadt! Brot, Brot, Brot! Wie sie auf einmal hungrig werden! — Aber — o wer kommt da? — Weh! die Vorstadt St. Antoine! Die ganze Stadtsippschaft, mit welcher ich mich bis jetzt vergnügte, rettet weder mich noch sich gegen das Belieben dieser Bestien von Habe- nichts und Herren von Schlagzu! — Ach, wir lebten unter dem achtzehnten Ludwig so glücklich! Auch du? Freilich. Wie sonst hätt’ ich so kühn scherzen können? (Er horcht auf:) Und Himmel! schon das alte, wilde ça ira — Mir fröstelt’s im Blut! Es wird weiß, wie Schnee! (treten auf, singend:) Ah! ça ira, ça ira, Suivant les maximes de l’Evangile, Ah ça ira, ça ira, ça ira, Du legislateur tout s’accomplira. Wie paßt das heute? Ça ira, mein Herr, heißt so viel als «Kopf ab, wo es uns gefällt». Mit dem Inhalt ist es einer- lei, aber die Bedeutung und Wirkung ist dieselbe. — Wir Armen! Ja, Chassecoeur, so etwas hast du in Rußland nicht gesehen, — das sind die echten Ohnehosen und Schonungslosen — Ihre Piken sind schlimmer als die der feigen Kosaken! Ah! ça ira, ça ira, ça ira, Celui qui s’éleve, on l’abaissera, Celui qui s’abaisse, on l’élevera, Ah ça ira, ça ira, ça ira. Le peuple armée toujours se gardera, Le clergé regrette le bien qu’il a, Ah ça ira, ça ira, ça ira, Par justice la nation l’aura, Ah! ça ira, ça ira, ça ira. Welche Orchesterbegleitung! Ein zerlumpter Bärenführer mit der Trommel und ein schmutziger Junge mit einem Triangel! Na, Opern, jetzt ist es aus mit euch! Pierrot et Margot chantent à la guinguette, Ah! ça ira, ça ira, ça ira, Rejouissons nous, le bon tems viendra, Ah! ça ira, ça ira, ça ira. Wie gern lief’ ich weg — die verwünschte Neu- gierde! Es sieht zu curios aus — O — da ist Jouve, der Kopfabhacker von Versailles und Avig- non, wieder an der Spitze, eine ellenhohe rothe Mütze auf dem Kopfe — Seit zwanzig Jahren sah’ ich ihn nicht — — Und da tragen sie auf den Schultern eine Hure, in ihrer Jugend, als Gott vom Wohlfahrtsausschuß abgesetzt war, Göt- tin der Vernunft, und jetzt dieselbe noch einmal, aber recht gealtert. Hoch die Vernunft! Die Hölle mit ihr! Und der Himmel breche zusammen! Der Teufel soll Gott seyn! Das soll er, er ist ein braver Kerl! Das ist er, Brüder, aber eben darum der Ver- läumdete, der Unterdrückte — (Zu dem Schneidermeister:) Lumpenhund, was blinzelst du mit den Augen? Vor Freude, mein Herr, daß in Frankreich auch der Teufel zu Recht und Ehre kommt. Jouve, laß den Mann geh’n — er ist so übel nicht — Dann ist er schlecht genug — Wer nicht für uns ist, der ist wider uns — Dieser, merk’ ich, ist ein Schuft, der seine Courage da hat, wo er nichts zu fürchten braucht, — der die Fahne auf der einen Seite weiß, auf der anderen dreifarbig trägt, und sie nach dem Winde schwingt. — Seht, wie er anfängt, sich hin und her zu wenden — er möchte jetzt gern fort, nach Haus, sich dort mit seiner Familie hinter dem Ofen verstecken, biswei- len an die Fensterladen schleichen, durch die Ritzen gucken, und ohne Gefahr bemerken, was es auf der Straße für Unheil gibt, um gleich darauf in Sicherheit darüber zu schwatzen — Derlei Memmen sind schändlicher als die öffentlichen Mordbrenner — — Schneiderfetzen, (denn so etwas wirst du seyn) Courage, Scheere, Nadeln heraus, — hier mein Schmiedehammer — Wehre dich oder crepire! Weh mir! Nieder! (Er schlaͤgt ihn zur Erde:) Ha! Blut! Blut! Blut! Schaut, schaut, schaut, da fließt, da flammt es — Gehirn, Gehirn, da spritzt es, da raucht es — Wie herrlich! Wie süß! Schneiderblut und Schneidergehirn — Besseres Blut thut uns noth — Wer noch keine rothe Mütze hat, färbe sich, bis wir edleres haben, mit diesem Blute das Haar. (Viele Vorstaͤdter thun es.) Vorwärts — die Tuillerien angesteckt — Es lebe die Freiheit! Sie lebe! Da kommt Nationalgarde! Geh’ du hin, und sag’ ihren Anführern, sie möchten sich mit ihren Leuten auf der Stelle, und zwar mit gekrümmtem Buckel nach Hause begeben, sonst würd’ ich ihnen in der Manier, wie ich sie 1789 in Versailles lernte, ihre Köpfe, falls sie et- was von Kopf haben möchten, dergestalt abhacken, daß dieselben, ehe sie den Mund zum Schrei auf- sperren könnten, auf dem Boden lägen. — (Der von Jouve Angeredete ab.) — Wer ein guter Patriot ist, folgt mir nach! Hacket dem verrätherischen Schneider die Finger ab, und steckt sie in den Mund als Zigarren der Nation! Her die Finger! — Ach, er hat nur zehn! Geduld, es gibt Verräther genug, um noch tausende zu erhalten. Bekommen wir den König oder den Kaiser in die Hände, sie gehören beide mit dazu. Der Kaiser? Camerad, still — den Kaiser und uns hat die Revolution gemacht, diese aber machten die Revo- lution und den Kaiser. Welcher Bengel wagte mir in die Rede zu fallen und nach dem Kaiser zu fragen? Da hast du es, Chassecoeur. Ein kaiserlicher Gardegrenadier zu Pferde. Leute, der Kerl macht sich Titel — An den Arm der Laterne mit ihm! An den Laternenarm den Verräther! Bitte, bitte, schont ihn, ihr Helden der Revo- lution — Ah — Schöne, allerschönste Göttin der Vernunft, leg’ ein Wort für den Unvernünftigen ein — Es ge- ziemt der Vernunft, die Tollen zu bemitleiden. Jouve, laß den Narren närrisch seyn. Er ist so geboren und in der Armee so erzogen — er kann es nicht ändern. Du sagst es, Göttin. — Aber du kaiserlicher Gardegrenadier zu Pferde, merke dir mit deinem schwachen Verstande die Kleinigkeit: soll dir nicht hineingeschlagen werden, so reiße gegen französische Bürger das Maul nicht zu weit auf. Hölle — Sacht! — der Kaiser ist gewiß bald da. (kommt:) Meine Herren — (beiseit zu ihm:) Herr Redner, still — Die da verstehen den Teufel von Ihrem Brei, und wen sie nicht verste- hen, den bewundern sie nicht, wie unsre Bekannten im Palais-royal, sondern sie bringen ihn um. (Gensd’armerie zu Pferde kommt.) Auseinander, Pöbel! (zu einem seiner Nebenmaͤnner:) Schleich’ dich hinter das Pferd des Gend’ar- meshauptmanns, reiß’ ihn rücklings herunter — ich falle ihn und seinen Gaul von vorn an (Jouves Nebenmann ab.) Was wollen Sie, mein Herr? Nur Ruhe. Die soll Ihnen werden, in zwei Minuten. — Leute, habt ihr recht starke Stricke? Der Kerl ist fett und schwer. Empörung! Schießt, haut ein, Gensd’armes! Wer ist mehr, ein Gensd’armes oder ein Fran- zose? Ihr hauet nicht ein, Bürger Gensd’armes, aber euren elenden Hauptmann hängen wir an jene Laterne, so gewiß als ihn mein Freund in diesem Augenblick vom Pferde reißt. Rettet mich, Cameraden! Findest deine Cameraden in der Hölle. (Er schlaͤgt das Pferd des Hauptmanns der Gensd’armes nieder.) In die Luft den Kerl! Hopsa! Schändlich — — Thut alles, nur meinem Halse nicht zu weh — (Er haͤngt:) Ach! (Er stirbt.) 10 Wo sind die anderen Gensd’armes? Schnell auseinander und fortgeritten. Das war von ihnen weise gehandelt! (Aufhorchend:) Was für Trompeten? Ha! (horchen auch auf:) Dort zahllose Reiterei! Kennt ihr die klirrenden Kalpaks von Blech und Stahl? Es sind polnische Lanzenreiter. In Ordnung, Brüder — Man will uns im Namen des längst hingerichteten Kaisers überrum- peln! — Da Trommeln? Die Infanterie von Ney, an den Tschackos das Tricolor! Satan, von jener Seite? Artillerie, bedeckt von den Kuirassiren Milhauds. Wie konnte der kleine Corporal das alles so schnell ordnen? — Er ist doch ein tüchtigerer Kerl als Mirabeau, Robespierre oder ich — Schade, daß er tyrannisirt! — Links? und hinter uns? Links die Garde zu Fuß mit der alten Parade- musik, hinter uns die Garde zu Pferd, — so weit man blickt nichts als Bärenmützen! Unsre Cameraden, unsre Cameraden — In Reih und Glied mit ihnen — Jetzt Pöbel zittre! — (Sie eilen zu der vorbeiruͤckenden Garde.) Vorstädter, Ruhe! — Wir spielen nicht mehr mit Ludwig’s Gensd’armes, sondern mit Ihm. Er ist ein schlechter Kerl, aber sein Handwerk ver- steht er. Paris liegt in seinen Ketten, eh’ es ihn nahe ahnte. — Da ’ne Kröte von einer Kutsche — Dragoner um sie her — Was wollen die bei dem erbärmli- chen Dinge? Ich möcht’ es visitiren. Der Blick aus dem Kutschschlag war vom Au- ge des Mannes von Austerlitz. Wieder zwei Kutschen mit kaiserlichen Wappen! Voll von Prinzen und Prinzessinnen des kaiser- lichen Hauses. — Wo Aas, da die Raben, sonst begreif’s der Henker, wo diese Personen auf ein- mal herkommen. (Fuͤr sich:) Der Imperator zurück, und in der Mode, so lang es dauert. Ich mache sie mit und trage morgen wieder einen eleganten Frack. Die Jacobinermü- tzen überdauern am Ende doch Alles. (Laut:) Es beginnt zu dämmern! Hausbewohner, Lichter an die Fenster, zu Ehren des Kaisers und der Nation! — Damen von Paris, muß man euch erinnern? Das Volk erwartet schon lange von euren schönen Händen dreifarbige Cokarden! (Die Fenster werden erhellt, — Damen eilen an dieselben und werfen die Cokarden in Menge unter das Volk.) Heil den Damen von Paris! Liebe Frau, laß die weißen Cokarden, die sie wegwerfen, morgen mit dem Frühesten aufsuchen, und sorgfältig in einen Koffer packen — Vor ei- nem Jahre macht’ ich es eben so mit den dreifar- bigen, habe drei Koffer davon voll und pass’ auf, ich setze sie jetzt reißend ab. (Ruft:) Hier dreifarbige Cokarden, das Stück zu einem Sous! Hund, du wagst die Farben der Nation zu ver- kaufen? — Du kommst meiner Laune gelegen! (Zu seinen Leuten:) Nehmt ihm die Cokarden! (Wieder zu dem Kraͤmer:) Dir schaff’ ich dafür das Tricolor umsonst: sieh, diese Faust ballt sich unter deiner Nase, und du wirst weiß, — jetzt erwürgt sie dich und du wirst blau wie der heitere Himmel, — nunmehr zer- stampf’ ich deinen Kopf, und du wirst roth vor Blut. Gott, o Gott! Die Gans fällt in Ohnmacht — nothzüchtigt sie, wenn sie so viel werth ist, aber im Namen des Kaisers! Jouve hoch und abermals hoch! Bährenführer pfeif’ und trommle, Triangler klingle! (Es geschieht.) Nach den Tuillerien! (Alle ab.) Zweite Scene . (Vor den Tuillerien. — Abenddaͤmmerung. — Alte Garde- grenadiere zu Fuß, und polnische Lanzenreiter auf Wache. Ueberall Volk.) Was hast du da? Betten aus dem Schloß. Wer schlief darin? Die königlichen Haustruppen. Die haben ja einen Geschmack wie die Wickel- kinder der — Ich wenigstens kannte außer Stroh und Straßenpflaster seit vierzehn Jahren kein Bett, und schlafe so besser, je härter ich liege. Volk, nimm dich in Acht! Es stäuben Federn! (Er wirft die Betten unter das Volk, und legt sich zum Schlafe auf das Pflaster, viele seiner Cameraden eben- falls. — Das Volk streitet sich um die Betten und reißt sie bei der Gelegenheit zu Stuͤcken.) (kommt mit seinen Vorstaͤdtern. Fuͤr sich:) Wie es hier stehen mag? — Ha, schlimm — Hat der Kaiser hunderttausend Mann, die so wie diese für ihn sich in den Dreck lagern, so macht ganz Europa mit allen diplomatischen Sophas nichts gegen ihn. Auf die Seite, Platz gemacht! Weshalb, Kerl? Es sprengen zwanzig, dreißig Estafetten aus dem Thor des Pallastes. Und da kommen gerade dreißig wieder an — Gleich und gleich hebt sich! Da fliegen Adjutanten heraus! Und da jagen Caleschen herein! (fuͤr sich:) Er ist da — und schon reißt er Frankreich in seinen Strudel — — Aber hier ein kaiserlicher Wagen, die Hortense darin — Die Wache liegt zum Theil schlafend auf dem Boden — Macht sie nicht die Honneurs oder kommt sie in Unordnung, so fass’ ich frischen Muth, stürme noch heute Nacht die Tuillerien, und pflanze auf seiner Leiche den Freiheitsbaum auf! (ruft:) In’s Gewehr! — Königin Hortense! (Die ganze Wache kommt in Bewegung, und haͤlt gleich darauf zu Pferde und zu Fuß in Ordnung.) Präsentirt das Gewehr! Trommel gerührt! Säbel heraus! Trompete geblasen! (Trommeln und Trompeten.) Es lebe Hortense! (blickt aus dem Wagenfenster:) Ich danke! Die ist doch hübscher als die Angouleme. (fuͤr sich:) Hier ist nichts zu machen — Die Leute sind zu einexercirt und zu begeistert — Weg meine Träume — Es lebe der Kaiser! Hoch der Kaiser! Gewehr ab! (Es geschieht.) Säbel ein! (Es geschieht.) Nun schlaft, bis die Schildwachen euch wecken. Dritte Scene . (Abend. Zimmer in den Tuillerien. Erleuchtet. Napoleon. Viele dienstthuende Officiere um ihn. Andere sitzen und schreiben.) Wo Cambronne? Sire, er visitirt die Wachen. Diese Zimmer — Ich bin wieder zu Haus, und Frankreich ist mein! — Hier wandelten also vor ein paar Stunden Blacas d’Aulps und d’Am- bray? Ah, (halb laut:) S’il est un tems pour la folie, il en est un pour la raison. Wem gehörten diese Bücher? Dem König Ludwig. Ich bin doch neugierig — (Er blickt in mehrere:) Gebete! — Mit Gebeten und Jesuiten zwingt man nicht mehr die Welt — Die Bücher beiseit, und Landcharten auf den Tisch — (Zu einem Officier:) Lassen Sie in die Zeitungen setzen: binnen drei Wochen würden die Kaiserin und der König von Rom hier seyn. (Adjutant ab. Napoleon fuͤr sich:) O mein Sohn — in den Krallen von Habsburg — Ich kann’s, ich mag’s nicht denken! (Zu einem schreibenden Officier:) Die Depechen? Sind fertig, Sire. Fort mit ihnen in die Provinzen. — — Hier neue! — Welch sonderbares Ding von einem Stuhl? Des Königs Rollstuhl. (setzt sich hinein:) In dem sitzt es sich freilich bequem — in dem konnte man leicht vergessen, daß es in Frankreich und auf Elba ganz anders war, als in diesem Zimmer. (Wieder aufstehend:) Schließt den Stuhl beiseit. (tritt ein:) Sire, hier Depechen — schriftliche Nachrichten von dem Telegraphen — Her damit — — Die Depeche ist albern — (Er wirft sie weg.) — Da Aufruhr in der Vend é e — General Tra- vot kennt den Distrikt seit zwanzig Jahren — Er soll hin mit zehntausend Mann — Schnell, schnell das expedirt, ihr Schreibenden! Die Truppen nimmt er aus Nantes und Angers. — — — Hier — o, alles, alles seit dem April von 1814 in Frankreich Ruin, Festungen und bürgerliche Ord- nungen — bloß mit den Einkünften der Pfaffen steht’s gut — wenigstens beschweren sich die Ge- meinden über das Unmaß derselben. (Zu den Schreibenden:) Die Missionskreuze auf den Marktplätzen sollen fort, — kein Geistlicher unter Bischofsrang erhält mehr Gehalt als ein Bezirksrichter. — Nochmals der Telegraph? — Murat mar- schirt. Konnt’ er denn nicht warten, bis Ich ge- rüstet war? Die Uebereilung ist schlimm für ihn und etwas Schade für mich. — Zwölf Zimmer sollen in Toulon königlich eingerichtet, und ihm überlassen werden, kommt er auf der Flucht dahin. — Bildet sich der Mensch ein, er könne in Einem Feld- zuge mit seinem neapolitanischen Gesindel Italien organisiren — Das ist eine Arbeit für Jahrhunderte — Geistliche und weltliche Politik haben zu fleißig dafür gesorgt. (tritt ein:) Der König flüchtet, wie man erfahren, über Lille. Alle Behörden und alle Festungscommandanten sollen ihn laufen lassen, so viel er kann. Hab’ ich ihn, so macht er mir Plage, hab’ ich ihn nicht, so bin ich mit der Plage verschont und er thut mir keinen Schaden. (Kammerherr ab.) Sire, das Volk ruft Ihnen immer donnernder Vivat — Schon gut. Und es fleht, Sire, Sich einen Augenblick am Fenster zu zeigen, um sein Sehnen nach Ihrem Antlitz zu stillen. Die Canaille wird anmaßend — Die Bour- bons haben, so hochadlig sie sind, die Zügel doch recht schlaff gehalten — — Nun — (Er geht einen Augenblick an das Fenster, lautes Geschrei: „es lebe der Kaiser“ erschallt. Er tritt zuruͤck, und) (kommt wieder:) Neue Depechen — Gut. Uebrigens verbitt’ ich, mir künftig jedes- mal die Couriere und Depechen förmlich anzumel- den. Wer Beruf oder Muth hat, mir etwas zu bringen, mit mir zu sprechen, komme unangemeldet. Europa blickt voll Erwartung hieher, und läßt mir keine Zeit zur Etiquette. Wie Sie befehlen, Sire. Apropos — Standen Sie bei Ludwig dem Achtzehnten im Dienst? Sire, ja — einige Zeit. (fuͤr sich:) «Sire, ja — einige Zeit» — Ein stotternder Zweideutler. (Laut:) Meines Dienstes sind Sie entlassen. (Kammerherr ab. Couriere, Ordonanzen treten ein.) Die Botschaften — Ah, Gilly hat den Angouleme bei Lyon gefangen — (Zu einem Officier:) Der Telegraph hat nach Lyon zu berichten, daß General Gilly den Herzog von Angouleme im er- sten besten Seehafen denen, die ihn zu besitzen wünschen, ausliefre. (Officier ab.) Wieder der Telegraph — Die Angouleme ist nach tapferer Gegenwehr aus Bordeaux vertrieben. — Sie ist der einzige bourbonische Sprößling, der Hosen zu tragen verdiente. — — Was bringst du? Dieses, Sire. Auch vom Telegraphen. — Pah, der Congreß in Wien ist auseinander. Daß der auseinander lief, wußt’ ich, als ich von Elba den Fuß in das Schiff setzte. — — Und du? Depechen von Montmedy. (waͤhrend er lies’t:) In Preußen marschirt’s — Der sonst so spar- same Staat schickt seine Soldaten sogar auf der Post an unsre Nordgrenze — Die Niederlande machen es eben so — — Nun, kommt ihr mir zu voreilig entgegen, so rechnet’s euch selbst zu, wenn ihr mich zu früh findet. (Zu den Schreibenden:) Ist alles fertig? Ja, Sire. So schickt es fort. (Mehrere ab.) — — Du hast? Telegraphische Nachrichten von Brest und von Toulon — Ha, England — (Er lies’t:) — Die englischen Flotten überall an Frankreichs Küsten mit ausgesteckter, rother, großer Krieges- flagge — Orlogs, kommt meinen Strandbatterien nicht zu nahe! — — Und ganz Frankreich ist von den Herren in St. James in den Blokadezustand erklärt? — Ei, warum verbieten sie uns nicht auch das Athmen? 11 (kommt:) Sire, hier die Ausfertigungen — Bist fleißig gewesen; ich glaube, du hast in drei Tagen weder unterwegs noch hier geschlafen. Konnt’ ich’s vor Freude? — Da wollt’ ich denn doch bei dem Wachen auch etwas thätig seyn. Was macht deine Frau? Sitzt am Stickrahmen, springt wieder auf, tanzt, küßt ihr Kind, empfängt Bekannte, glüht vor Freude und Gesundheit, und ruft einmal über das andere: es lebe Gott, es lebe der Kaiser, und jetzt mögen wir dazu leben! Grüße sie von mir — Nun? Sire, noch etwas — Ich merke, was Schlimmes — Entdeck’ es, — ich bin kein Bourbon, — wer wie sie das Schlim- me nicht erblicken will, vermeidet es nicht. Die Telegraphen melden von allen Seiten, daß nirgends, vom kleinsten deutschen Fürstenhofe bis nach Wien, Berlin und der Newa deine Briefe angenommen sind. So will Ich Selbst sie den Herren bringen, und dreimal hunderttausend Mann dazu. — Künf- tig läßt du in jedem officiellen Schreiben, das «Wir» und das «von Gottes Gnaden» aus. Ich bin Ich, das heißt Napoleon Bonaparte, der sich in zwei Jahren Selbst schuf, während Jahrtausend lange erbrechtliche Zeugungen nicht vermochten, aus denen, die sich da scheuen, meine Briefe an- zurühren, etwas Tüchtiges zu schaffen. — Jetzt durchzuckt es mich wie ein Blitz, und ich sehe klar in die tiefsten Gefilde der Zukunft: es wäre klüger von mir gewesen, hätt’ ich — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — Sind einmal alle Vorurtheile der alten Zeit um- gewälzt, so schadet es den Enkeln meines Sohnes noch in späten Jahrhunderten, daß sie von einer als kaiserliche Prinzessin geborenen Mutter ent- sprungen und dadurch der Anhänglichkeit an lächer- liche Ahnenideen verdächtig sind! Auch haben alle Mitglieder des Congresses — Zaud’re nicht — — eine Art Acht über dich ausgesprochen. Es ist spaßhaft. Geächtet? Mich? Warum? Sire — Ich will dir es sagen: alle die Leute mit all ih- ren Generalen, den alten, tollen Blücher vielleicht ausgenommen, beben nicht vor Frankreich, wie es jetzt ist, sondern vor meinem Genie. — Geächtet! Ich! Ich kann mir die schönen Phrasen denken, in welchen die Aechtung ausposaunt ist — vom «Störer des Weltfriedens, Eroberer, Tyrannen» wird’s darin wimmeln. — Eh, eine treffliche Spra- che im Munde der Theiler von Polen — Vermieden sie nur die politische Scheinsucht, — würden sie nur nicht zugleich kleinliche Heuchler, indem sie große Gewaltthaten begehen, — aber da wird alles mit erlogenen Beweggründen motivirt, jeder Raub mit glatten Worten ausgeputzt, und beides dient blos die Bewältiger und Räuber verhaßter und verächtlicher und die Unterdrückten und Beraubten erbitterter zu machen! — Geächtet! — Weil ich als Kaiser, als unabhängiger Fürst von Elba, den Bourbons, die mir meine Pension nicht zahlten, Krieg gemacht? Hat Rußland je so viel Ursach zum Krieg mit den Osmanen gehabt? — O Gott sey gelobt, daß ich Waffen genug habe, um meinen Grimm nicht wie ein armer Sultan verbeißen zu müssen! — Bertrand, am dreizehnten Juni, Abends sieben Uhr, steh’ ich mit meiner ganzen Armee bei Avesnes und weder sie soll wissen, wie sie dort zusammengekommen ist, noch der Feind mich eher ahnen, als bis ich mitten in seinen Cantonnirungen hause. — Nimm diese Charte, — die Marschrouten hab’ ich schon darauf bezeichnet, — laß bis morgen früh an die Heertheile und Platzcommandanten die nöthigen Befehle ergangen seyn. (Bertrand ab. Fouch é und Carnot treten auf) (Fuͤr sich:) Die beiden zusammen? — Ich hätte jeden lieber einzeln — Doch der freie Eintritt ist einmal er- laubt. Sire, unsre Glückwünsche zur Wiederbesteigung Ihres Thrones. Otranto, — Sie übernehmen wieder das Por- tefeuille des Polizeiministers. Sire — Und Ihnen, Graf Carnot, Dank für die Ver- theidigung von Antwerpen. Leider war sie vergeblich, — ich mußt’ es auf Befehl des Königs übergeben. Thut nichts. Belgien entläuft uns doch nicht. Wissen Sie, meine Herren, daß bereits ganz Eu- ropa gegen uns proclamirt und marschirt. Wir wissen es. Was thun wir? Sire, geben Sie Frankreich eine liberale Con- stitution, mit sichren Garantien, und die Despoten Europas erzittern, während der Bürger von Paris fröhlich sein Vaudeville singt. So auch sprach neulich ein braver junger Mann, Labedoyere. «Liberalismus», «Constitution» lauten gut, aber Carnot, Sie erfuhren selbst, wie wenig die Menge davon versteht. Der gute, wohlmei- nende Advocat aus Arras, Robespierre, mußte zum Schreckensmann werden, als er die Republik auf- recht erhalten wollte, und Sie selbst waren sein College. Dafür haben die Zeitungsschreiber ihn und Sie so mit Tinte übergossen, daß es lange wäh- ren wird, ehe der Strom der Geschichte beide wie- der weiß wäscht. — — — Was ich für den Au- genblick thun kann, soll indeß geschehen — Die Zukunft schaffe weiter. Alles was in der neuen bourbonischen Charte nach Feudalismus und Pfaf- fenthum schmeckt, will ich durch eine Zusatzacte wegschaffen, und diese Acte auf einem Maifelde, ähnlich jenem der fränkischen Kaiser, publiciren lassen. Aber, aber, glauben Sie, meine Herren, Charten und Constitutionen sind zerreißbarer als das Papier, auf welches man sie druckt. Sire, eine Druckerei bedeutet jetzt mehr als eine römische Legion. Und bedeutete sie weniger als eine französi- sche Compagnie — besser, das Gute wollen, als das Schlechte thun. Sie, Carnot, sind mein Minister des Innern. Sire, Sie geben mir ein Amt, dessen Geschäfte ich nicht kenne. Das Kriegsministerium wär’ ihnen lieber, aber Davoust ist der dermaligen Armee bekannter als Sie — Er hat es. — Drum nehmen Sie den Minister des Innern an, wär’s auch nur als nicht verschmähtes Zeichen meines Zutrauens, und seyen Sie ohne Sorge, ob Sie dazu passen, — Sie pas- sen zu jedem großen Staatsdienst, denn Sie sind weise, kühn und brav. — Meine Herren, für heute gute Nacht. (mit Carnot abgehend, flüstert diesem zu:) Die alte Manier, als wäre gar kein Elba gewesen. Der listig kühne Fouch é und der ehrliche Re- publicaner Carnot sind immer zehnmal besser als der klug feige Talleyrand, welcher mit dem Winde schifft, und nachher sagt, er hätte ihn gemacht. Weh ihm, irrt er sich einmal um die Breite eines Haares, der Seiltänzer! Weh ihm, irrt er sich jetzt an mir! (Hortense tritt ein.) Warum kommst du erst jetzt? Du bist seit einer Stunde hier. — Ich hörte deinen Wagen. So genau weiß das mein Kaiser? Ich sollte mir schmeicheln. Und deine Reisekleider abgelegt — in Goldstoff — Welch ein Gürtel, — eine Sammlung von Diamanten. Ich schmückte mich, um dich in würdiger Tracht zu grüßen. Frischer Lorbeer im Haar? — Davon muß ich bald ein paar Blätter verdienen. Ach, seit wir uns nicht gesehen, Kaiser, ist manches, manches Schmerzliche über deine Familie ergangen, — du sprühtest Funken, wüßtest du, wie undankbar, wie schlecht die Menschen sind! Allein das Geschick that doch den härtesten Schlag — Hortense, ich bitte, laß deine Gewohnheit, ma- che mich nicht schwermüthig — Ich habe andere Geschäfte. — Einen Augenblick hast du übrig für das Ange- denken an Die, die Jahre lang nur dich dachte — die bescheidene Blume, welche du der prächtigen Rose des stolzen Oesterreichs opfertest, — sank dahin. Josephine! — — Hortense, du bist hart — O, ihr Tod hat mir schon genug schmerzvolle Nächte gekostet — Ja, Sie war mein guter Stern! — Mit ihr erlosch mein Glück! — — — Selige Tage, wo ich in Italiens Gefilden den Tod verachtete, und nur siegte, um ihr meine Triumphe zu mel- den! Das hat mich zum Helden geschaffen! — Sprach sie von mir noch in den letzten Stunden? Als sie nicht mehr sprechen konnte, blickte sie auf das goldne N über ihrem Betthimmel, und ließ sich die Hand auf das Herz legen. Ha! — — Genug, Hortense. Es ist überhaupt alles anders geworden. Ich bin, wie in einer Wuͤste. Berthier ist fern, Duroc, Bessieres sind längst gefallen, Junot hat sich aus dem Fenster zu Tode gestürzt, Louise und meinen Sohn hält man zurück, und noch schlimmer als das alles, viele sind weder gestorben, noch haben sie sich ent- fernt, aber sie wurden Verräther. Selbst der Ney — Er ist der Muthigste meiner Marschälle, doch an Character der Schwächste. Du hättest das Ge- sicht sehen müssen, mit dem er vor mich trat, als seine Truppen zu mir abfielen. Er hatte im Ernst gegen mich kämpfen wollen, und konnte nun nicht das Auge aufschlagen. Als ich ihm aber entgegen ging und that als wüßt’ ich nichts, ward er wie ein geretteter armer Sünder, wäre mir fast zu Füßen gefallen, und ich bin überzeugt, er streitet nächstens verwegener für mich als je. Ich würd’ ihn nicht wieder anstellen. Ich muß es thun — Sein Name hat einen guten Klang im Heere. Es gibt Einen unter deinen Ministern, der treuer ist als alle deine Marschälle — Er harrt im Vorsaal, Wonne im Auge — Das ist Maret. Du erräthst ihn. Keine Kunst, — er ist gewandt wie ein Aal, klammert sich aber auch eben so fest an. — Er bekommt das Staatssecretariat zurück. Auch deine Brüder: Lucian — Der Präsident der Fünfhundert naht sich dem Kaiser? O weh, ich muß ihm hülfsbedürftig, sei- ner Großmuth würdig erscheinen. Auch Joseph, Jerome — Die beiden unterscheid’ ich nicht. Jeder fühlt sich in dem Teiche wohl, in den ich ihn setze. Beurtheile nicht alle so hart. Bedenke, was würde die Welt, wären wir alle wie du! Nun, die würde nicht so übel. Ewiger Krieg und Lärm würde aus ihr — Hortense — Verzeihe, Kaiser — — Bin ich zu frei, ist deine Güte schuld. — Aber wie viele Kuirassiere, Dra- goner, Batterien, Grenadiere, Voltigeurs, ziehen wohl schon auf allen Straßen? — O gesteh’ es nur — Ich kenne dich. — Dir donnern bereits tausend Kanonen im Haupte — — Schone, schone die Jugend Frankreichs, schone die Mütter, welche mit zerriss’nen Herzen ihre Söhne in den Tod senden! Die Truppen, welche jetzt marschiren, sind Veteranen aus Spanien und Rußland, haben schwerlich noch Mütter, und hätten sie deren, wel- che Französin wäre so schlecht, ihren Sohn nicht gern dem Vaterlande auf dem Felde der Ehre zu opfern? Wo stirbt er besser? Feld der Ehre — sage oft: Feld der — (Sie stockt.) Sprich. — der Eitelkeit. Der Albernheit beschuldigen mich die faden Zeitungsschreiber. — Hortense, denke du besser von mir: nie kämpft’ ich ohne Grund. Zog ich nach Spanien, so war es, um die Heimtücke des Cabinets von Madrid zu strafen, die letzten Bour- bonen des Continents, welche mich nie aufrichtig lieben konnten, aus meinem Rücken zu entfernen, den Engländern mit einem gewaltigen Bollwerk das Mittelmeer zu schließen. Zog ich nach Ruß- land, so war es, endlich mit einem Schlag zu ent- scheiden, ob südlicher Geist oder nordische Knuten die Welt beherrschen sollten. Jetzt hätt’ ich indeß gern Frieden — doch Groß und Klein ist gegen mich, und ich muß kämpfen. Du mußt — ja, weil du willst. Ihr Weiber! Wer euch belehren will, beschwört das Feuer. — Hortense tanze, — du verstehst es meisterhaft, — aber nie wieder ein Wort über Politik. (tritt ein:) Paris ist illuminirt. Mir lieb, — so haben die Lichtzieher vielen Absatz. (Zu Hortense:) Komm mit in den Vorsaal, Maret und die Brüder zu überraschen. (Zu den Schreibenden:) Meine Herren, schnell! (Mit Hortense ab.) Vierter Aufzug . Erste Scene . (Paris. Das Marsfeld. Eine große, mit rothem Sammet uͤberzogene Buͤhne ist im Hintergrunde errichtet. Mitten auf derselben der Thronsitz des Kaisers, — ringsum, amphitheatralisch geordnet, die Sitze der Pairs und der Deputirten. Kanonen donnern, Truppen und National- garden ziehen auf. Volk uͤberall. Jouve im blauen Frack darunter.) Eine Zigarre, mein Herr, à la reine Hortense . Her damit, Bengel. Was kostet der Stümmel? Zwei Sous, denn heute — Denn heute machen wohlfeile Constitutionen schlechte Zigarren theuer. Da — drei Sous! Gnädiger Herr — Wie schrecklich donnern die Kanonen — von allen Seiten, den ganzen Morgen schon. Es sind die bestellten Salven vom Invaliden- hause, von Montmartre und Vincennes. Heute ist doch ein großer Tag. Wenigstens knallt er sehr. — Mademoiselle, oder, wie ich glauben muß, Madame, weil Ihre Schönheit schon irgend Jemand zur Heirath be- zaubert haben wird, — (fuͤr sich:) Wie galant der Herr ist! — lassen Sie uns weiter links gehen — Von hier aus erblicken wir nichts. (Fuͤr sich:) Auch eine vor Eitelkeit lächelnde Bestie, — viel- leicht gut genug zur Zerstreuung. Mein Herr, wie dringen wir so weit durch? Es ist überall Volk. 12 Volk! Weiter nichts? Auseinander der Dreck — (Er ruft:) Ein Adler! ein Adler! Da fliegt er — von der Militärschule herüber — Welches günstige Zeichen! (durcheinander:) Ein Adler! ein Adler! — Siehst du ihn? — Nein — Da ist er! — Das ist ja eine Wolke — — Wolke? Ein Haufen Adler, wollt ihr sagen! Nun, meine Dame, lassen Sie die Herren den Himmel betrachten, — wir kommen auf der Erde desto weiter. Sie sind ein Genie, mein Herr, und ihre Hände sind sehr kräftig. Es geht mir wie einigen Monarchen: zum Amusement schmiede ich bisweilen. Mein Wagen hält nicht weit von uns. — Fah- ren Sie mit mir nach Haus zum Souper? Ohne andere Begleitung? Nur Ihre Ehre soll mich führen. (fuͤr sich:) Wer weiß, wohin wir dann gerathen. (Laut:) Ich nehme die Einladung an, und Sie sollen mei- ne Ehre Ihrer Erwartung gemäß finden. — — Oh, — da stehen schon die allerliebsten Weihnachts- puppen, die Nationalgarden, — dort sprengen Ma- melucken oder gut verkleidete Franzosen heran — da brüstet sich die alte, da die neue Garde zu Pferd und zu Fuß mit dem schnöden Trabanten- stolze — Wie Sie alles scharf und richtig bezeichnen! Der Erzbischof von Paris mit seinen Pfaffen fängt an die Ceremonie einzuräuchern — Wenn die Religion von dem vielen Dampf, den sie ma- chen muß, nur nicht bald selbst verdampft! — Sehen, sehen Sie! Pairs, Deputirte, Sena- toren setzen sich auf ihre Plätze! — Welche präch- tige Mäntel sie tragen! Und da steigt Bonaparte auf das Gerüst mit seinen gleichfalls aufgeputzten Ministern. Hoch lebe der Kaiser! Er ist wahrlich ein großer Mann. Er verstand, auf unsren Nacken sich zu erheben. Wie Sie sagen? — — Wie ernst-majestätisch er blickt. So lang er weiß, daß ihn die Menge anblickt. Zu Hause ist er nach den Umständen mürrisch, lu- stig, schwatzhaft, wie jeder Andere. Geht er aus, so überlegt er, wenn er im Zweifel ist, erst mit dem Comödianten Talma Minenspiel und Faltenwurf. (Fuͤr sich:) ’S ist ja alles Comödie — Es wird nächstens schwer halten Theaterprinzessinnen von echten zu unterscheiden. Da tritt ein Herr vor, die additionelle Zusatz- note zu lesen. Ja, er spuckt schon aus. Diese Note wird die Revolution beendigen. Auf das Ende, Madame, folgt stets wieder ein Anfang. (Er horcht auf:) Ah, er lies’t — Wahrhaftig, wie ich vermuthete, der alte Brei in neuen Schüsseln — «Die Pairs- kammer erblich» — Daß grade ein Bonaparte nicht spüren will, wie erbärmlich die aristokratische Erblichkeit ist — «Der Kaiser ernennt die Pairs» — Früher hieß es «der König ernennt sie» — «Kein Mitglied der Repräsentantenkammer kann wegen Schulden verhaftet werden» — Da werden sich die Bankerotteurs in Masse hineinmachen — «Der Kaiser bezeichnet aus der Pairskammer die Präsidenten der Wahlcollegien auf Lebenslang» — Er wird seine Leute schon finden — «Der Gottes- dienst frei» — Das Präsent kostet nichts — Ich wollte, es hieße: «unbedingt freie Presse». — Gottlob, der Herr Vorleser ist zu Ende. Der Kaiser hebt die Hand in die Höhe und beschwört die Acte! Und die Pairs und Deputirten der Wahlcolle- gien äffen ihm nach. Das Volk erhebt sich — Wir müssen auch schwören — La marmotte, la marmotte — Junge, laß das Singen, — man beschwört hier die Zusatzacte der Charte der französischen Nation. Weiter nichts? Ich bin auch ein patentirter Franzose. (Er reckt drei Finger empor.) (fuͤr sich:) Heiligkeit des Eides! — Schaffotte und Later- nen an seine Stelle! Sie wirken besser! Wir beschwören die Constitution und die addi- tionelle Charte! Madame, Madame, — wir schwören mit! Ist’s Zeit? — Was die Dienstmagd da präch- tige Straußfedern trägt — Geschwind, geschwind lassen Sie sich dadurch nicht aufhalten — (Er und die Dame:) Wir schwören mit! (Er fuͤr sich:) Fünfmal hunderttausend Meineidige, mich selbst mit eingeschlossen, ohne daß ein Blitz auf sie fällt, sind doch eine interessante Erscheinung! Was ha- ben wir nicht alles beschworen und gebrochen, die erste, die zweite, die dritte Constitution, die Sa- tzungen Napoleons, die Charte der Bourbons — Der Kaiser entfernt sich. Welch herrliche Musik die Truppen haben! Madame, Ihren Arm? Mit Vergnügen, mein Herr. (fuͤr sich:) Die ehebrecherische Coquette! — — — Ob nicht im unerforschten Innern der Erde schwarze Höllenlegionen lauern und endlich einmal an das Licht brechen, um all den Schandflitter der Ober- fläche zu vernichten? Oder ob nicht einmal Come- ten mit feuerrothen, zu Berge stehenden Haaren — Doch was sollten unsre Albernheiten, was sollte ein elendes, der Verwesung entgegentaumelndes Gewimmel, wie dieser Haufen, Erdentiefen oder Sternhöhen empören? (Laut:) Kommen Sie, Madame. Zweite Scene . (Paris. Ein Zimmer in den Tuillerien.) (Napoleon und Hortense treten ein.) Nun geht’s in das Feld, Hortense. — Ich und meine Armee werden unsre Schuldigkeit zu thun wissen. Ahnt’ ich nicht, daß es so kommen würde? — Bitte, Sire, nimm dieses Etui. Wahrlich, schön überzogen — Adler, Bienen, Veilchen darauf gestickt. — Und darin? Allerlieb- ste Sachen! Ein ganzes kostbares Schreibzeug en miniature darunter! Länder, womit du zu spielen gewohnt bist, kann ich dir nicht geben. Nimm die Kleinigkeit, und denke dabei der großen Liebe der armen Hortense. — Wann sticktest du den Ueberzug? Als — o — als du fern warest. Auch etwas wie Thränen darauf gefallen? Harter, fragst du? — Es waren trübe Stun- den — ja, entsetzliche! Hätt’ ich doch nicht gefragt — — Dein Etui vergess’ ich nicht unter den Donnern der Schlacht. Und, Kaiser, schone deiner Gesundheit, — du thust es leider nie. Was ist auch zu schonen in einem Feldzuge? Feldzug, Feldzug! — Ach, laß uns flüchten? Wohin? Nach Nordamerika. Gute, dahin flüchte ein Bürger, der sich einmal gegen seinen Monarchen empört hat; Napoleon aber kann nicht flüchten, kann sich nicht verstecken. Ist er nicht vernichtet, oder nicht behütet wie Feuer, so stürzt Europa zürnend oder liebend ihm nach. — Nordamerika wird übrigens binnen vier- zig Jahren ein größeres Carthago, der atlantische Ocean ein größeres Mittelmeer, um welches die alte und neue Welt sich lagern — Wie lange, liebe Hortense, währt das aber? Zwei, drei ärm- liche Jahrhunderte und dann wandeln auf den In- seln und Küsten der noch grenzenloseren Südsee die Herrscher des Menschengeschlechts. Bei jedem Anlaß in den entferntesten politi- schen Ideen! (Bertrand kommt) Alles im Marsch? Ja, Sire. Die Truppen sollen die Adler mit Flor um- hängen, bis sie einen Sieg errungen haben. Be- sonders das Augenmerk auf die Artillerie und schwere Reiterei gerichtet, denn wir müssen dieses- mal rascher als je niederschmettern und zuschlagen — Drouot commandirt die erstere, Milhaud die andere, zu den Cavalleristen meistentheils Elsasser oder Normannen genommen, — sie reiten am be- sten, aber einige Gascogner unter sie gemengt, damit sie durch die verleitet werden, auch toll darauf los zu reiten, — die Kuirasse sollen ein Drittel dichter als früher seyn, um recht nah dem Feinde in’s Auge blicken zu können, — Kriegs- manifeste nicht nöthig, weil ich Formalien nicht mehr beobachte, — für die Armee ein paar Pro- clamationen gegen die Preußen und Engländer, denen wir zuerst begegnen, — meine Schnautzbärte lesen sie zwar nicht, wickeln sie um die Patronen, aber mancher meint doch unbesehens, es wäre et- was darin, — von den alten dotirten, zu Herzogen und Fürsten gemachten Marschällen bloß der Ney mit mir nach Norden, — nützt’ es mir nicht, daß Europa glaubt, er sey freiwillig zu mir übergegan- gen, auch ihn behielt’ ich vielleicht nicht, — die Mehrzahl jener Herren waren tüchtigere und red- lichere Corporale als Generale, — mehrere sonsti- ge Anordnungen kennst du, und ich bitte, besorg’ alles so gut wie du meine Marschordres besorgt hast, wofür ich dir auch danke. Den Dank verdien’ ich nicht, denn für dich zu arbeiten ist mir Ehre und Freude. (Er entfernt sich) Wenn der Mann all das behält und expedirt, was du ihm eben und jede Stunde aufträgst, so ist er ein Genie, fast größer als du selbst! Käm’ es auf das bloße Talent, und nicht auf die Thatkraft an, durch welche es in Bewegung gesetzt wird, so wäre Berthier statt meiner Kaiser der Franzosen. (Er klingelt. Ein Ordonnanz-Officier tritt ein:) Sind die Mitglieder des Ministeriums versammelt? Ja, Sire. So will ich noch einmal bei ihnen präsidiren, und selbst sehen, was und wie sie arbeiten. Und dann — Mach’ ich einen Staatsbesuch in der Pairs- und einen in der Deputirtenkammer. Zuletzt aber? Nehm’ ich Abschied von dir und besiege die Coalition, oder erblicke dich nie wieder. Trifft das Letztere ein, so sey mir die Blind- heit willkommen. (Beide ab.) Dritte Scene . (Paris. Platz vor dem kaiserlichen Marstall.) (Drei kaiserliche Piqueurs treten auf.) Den jungen Araber vor. Das arme Geschöpf! (Geht ab.) Was hilft das Bedauern? Der Kaiser zieht vermuthlich in’s Feld, reitet schnell, aber schlecht, und wir müssen das Thier mit uns’rem Unterricht so lange quälen, bis wir sicher sind, daß es ihn nicht abwirft. (kommt mit dem Pferde zuruͤck:) Da ist der Araber. Ein treffliches Gewächs! — Hussa, über den Block! (Das Pferd setzt uͤber einen Holzblock.) Ha! muckt die Creatur? — Sie zuckte bei dem Uebersetzen mit dem linken Vorderbein. (Er schlaͤgt heftig auf das Pferd.) Schone das Thier! Eh, junger Mensch — kennst du den Kaiser genau? Nein. Ich bin ja erst seit drei Tagen in sei- nem Dienst. So wisse, er haut bisweilen mit seiner Reit- peitsche ärger auf seinen Piqueur als dieser auf sein Pferd, wenn es nicht so sicher springt als dieses da lernen soll. Es ist wahr, — ich weiß es von Eßlingen her. Die gelad’nen Pistolen! (Er schießt zwei Pistolen vor den Ohren des Pferdes ab.) Es bäumt sich — Prügelt es! (Es geschieht.) Die Kanonen herbei. (Ein Commando der Artillerie faͤhrt mit einigen Kanonen vor.) Das Pferd mitten unter die Geschütze ’ Brennt ab! (Es geschieht.) Schlagt den Gaul — Er zittert! O Gott, das unselige Pferd! Es muß mit dem Kaiser in die Schlacht, und da gilt keine Furcht vor Geknall. — Bayonette her — Blinzelt ihm damit dicht vor den Augen. (Es geschieht.) Ah, da erschrickt es nicht mehr. Bravo, Araber! Pst! Laß das Schmeicheln — Es möchte sich verwöhnen — Der Kaiser schmeichelt ihm auch nicht. — Jetzt setze dich darauf und tumml’ es in die Runde, bis es über und über Schweiß ist! (Der zweite Piqueur thut es.) So — so — — Und nun mit ihm in die Schwem- me, wo das Wasser am kältesten — Auch die Sporen in seine Seiten, daß es lernt wie sein Blut fließt. (Zweiter Piqueur mit dem Pferde ab.) 13 Bei Gott, des Kaisers Pferd seyn, ist eben so schwer als sein Piqueur oder sein Minister. — Teufel, da kommt der Oberstallmeister — Gewiß wieder Befehl über Befehl, einer eiliger als der andere — Unter dem Kaiser sind die Stunden tau- sendmal kleiner als die Geschäfte. (mit Gefolge zu Pferde:) Erster Piqueur, in einer Stunde mit allen Reit- pferden und Feldequipagen im schnellsten Marsch nach Laon. Dort das Weitere. Hab’ ich Zeit zum Abschied von Frau und Kind? Nein. Auch gut. So spar’ ich meine paar Thränen für schicklichere Gelegenheit. — — Aber das ist verflucht, Herr Oberstallmeister: mein bester Col- lege ritt eben mit dem besten Gaul in die Schwem- me, und kehrt kaum in einer Stunde — — Doch wartet — ich hohl’ ihn ein, oder — (Zum dritten Piqueur:) Den Soliman aus dem Stall, — ist er auch der eigensinnigste, steifste aller Gäule, so ist er doch zugleich der tollste und schnellste, beinah wie — (Dritter Piqueur fuͤhrt das Pferd Soliman vor.) (sich auf den Soliman setzend:) Herr Oberstallmeister, der Kaiser liefert binnen vierzehn Tagen eine große Bataille, oder ich kenne seine Marstallsgebote sehr schlecht. (Er braus’t mit dem Pferde davon.) Vierte Scene . (Nachmittag. Preußisches Feldlager bei Ligny. Viele Feuer. Soldaten aller Waffengattungen um und zwischen dem- selben. Einige rauchen, andere kochen, andere striegeln ihre Pferde etc. Marketender und Marketenderinnen an vielen Orten. An einem Feuer im Vordergrunde sitzen auf Holzbloͤcken ein ostpreußischer Feldwebel und ein Berliner Freiwilliger. Ein schlesischer Infanterist steht bei ihnen. Ueber den Flammen haͤngt ein Kessel.) Schlesier, da hast du zwei Münzgroschen. Hole mich von jene Marketenderin einen blauen Zwirn, und vor dir einen halben. (Der Schlesier geht) Herr Feldwebel — Was ist? Ihre Pfeife ist leer — Darf ein Berliner Bür- gersohn Sie etwas Tabak anbieten? Habe noch selbst Tabak. Danke. (Der Schlesier kommt zuruͤck.) (trinkt:) Das wärmt! — — Herr Feldwebel, wir be- kommen schlechtes Wetter — der Himmel ist gräu- lich grau. Das ist er. Wie lange liegen wir wohl noch hier? Bis wir aufstehn. (fuͤr sich:) Der Kerl ist, wie ein berühmter Autor sagt, göttlich grob. Statt mir mit ihm zu ennuyiren, will ich lesen und mir bilden. (Er zieht ein Buch aus der Tasche. Dann laut:) Schlesier, wenn Huhn und Krieckente gar gekocht sind, verkündest du es mich. Woher habt ihr das Geflügel? Requirirt, requirirt — Herr Feldwebel, Sie essen mit. Gern. Herr Feldwebel, was halten Sie von diese Campagne? Wir müssen tüchtig auf die Franzosen los- schlagen. Versteht sich, so weh es mich thun wird. — Wann sind wir wohl in Paris? Sobald wir einrücken. Waren Sie schon einmal da? Ja, 1814. Ist es so schön wie unsre große Hauptstadt? So ziemlich. Huhn und Ente sind gar. Herr Feldwebel, so wollen wir die verfluchten Luder mit einander theilen. — Da, Sie die Ente, ich das Huhn — Kamm, Schnabel und Füße sind dein Theil, Schlesier. Behandle den Burschen nicht wie einen Hund. Es ist man ein Wasserpole, ohne Bildung, aus die Gegend von Ratibor. Der Kamm schmeckt ihm wie Syrup. Camerad Schlesier, hier hast du von meiner Ente das halbe Bruststück. Herr Feldwebel, kennen Sie die Gebrüder Schlegel? Nein. Die kennen Ihnen auch nicht, aber kennten sie Ihnen, so würden sie sagen, Sie wären äußerst sentimental. Alle Donner, ein ostpreußischer im Regiment geborener und aufgewachsener vierzigjähriger Feld- webel sentimental? Ja ja, Ihr Herz ist weicher als sie ahnen. Es geht Sie, wie Alexander dem Großen, als er seinen Freund zu geschwind todtgeschlagen hatte. Warum nicht gar wie Napoleon, als er aus Rußland flüchtete? Napoleon? — O, der ist auch noch lange kein Iffland! — — Kannten Sie Iffland? War er nicht Comödiant? Comödiant! Sey Gott mich gnädig! — Ein Schauspieler, ein darstellender Künstler, ein Mime war er wie keiner unter die Sonne. Lesen, stu- diren Sie die Journale — — ach, Sie hätten die großartige Characteristik sehen sollen, mit welcher er wundersam eindrang in den Geist der Rolle — Na, Lemm, Beschort sind auch sehr schätzbare Ta- lente, aber — Wer kommt da zu Pferde? Aufgestanden! Der Feldmarschall und General Gneisenau! Der Feldmarschall ist doch ein großer Kopf! Woran merkst du das? Das sieht man ja, so wie er die Mütze ab- nimmt. (Bluͤcher und Gneisenau sind bis in den Vorgrund gesprengt. Adjutanten hinter ihnen.) Camerad, was für ein Buch das? Isabella von Mirando oder die Kuirassier- beute — Wirf’s in das Feuer. — Feldwebel, Sie kenn’ ich. An der Katzbach präsentirt’ ich Ewr. Durch- laucht zwei von mir gefangene Franzosen. Wahr. Und Sie haben kein eisernes Kreuz? — Hier das meinige. Heften Sie es sogleich an die Brust, und wenn die Kugeln pfeifen, denken Sie bei ihm: es ist doch alles Kreuz, Jammer und Elend, aber das beste Kreuz ist doch immer das des Königs — — Wisset Leute, Bonaparte soll in der Nähe seyn, angekommen wie ein Dieb in der Nacht. Ist es so, so haben wir morgen früh Bataille, und wenn das Heer will, morgen Abend Sieg. Der Posten von St. Amand muß verstärkt werden. Nicht vielmehr der von Sombref? Er liegt dem Feinde näher. Der französische Kaiser — Nenne den Schurken nicht Kaiser, der meiner Königin das Herz brach. Napoleon wird uns gern von den Engländern trennen, auf die Seite werfen wollen, und, du kennst ihn, da wird er ohne sich umzusehen die Stellung zuerst angreifen, die uns zunächst mit ihnen verbindet, und, diese ist: St. Amand. Du hast Recht, Freund. — St. Amand mit fünf Infanterie- und drei Dragoner-Regimentern verstärkt. (Mehrere Adjutanten ab.) Couriere zu Wellington — Gruß ihm, und die Bitte, er möge vorrücken — Andere zu Bülow: der breche sofort mit seinem Corps auf und sey morgen mit Tagesanbruch hier. Jetzt erfahren wir ein Mehreres. — Da schickt Ziethen drei Husaren von der Vorhut. (Drei ziethensche Husaren jagen heran.) Es könnten verkleidete französische Spione seyn. Dem Bonaparte ist keine List fremd. — Die Pa- role? Zorndorf! Richtig. — Was gibt es? Französische Truppen zu Fuß und zu Pferde, wie Sand am Meer, in Charleroi, Chatelet, Mar- chienne, Avesnes. Ihre Voltigeurs drängen sich schon an uns und schießen aus Strauch und Busch. Haben die Feinde viele Kanonen? Unabsehbare Züge. Sogenannte Kaisergardisten unter ihnen? Regiment an Regiment. So ist Er mit seiner ganzen Armee da, und hat uns überrascht. Doch, es soll ihm wenig hel- fen, denn er macht uns nicht bestürzt. — Zurück zu Ziethen — er ziehe sich fechtend bis Sombref. (Die drei ziethenschen Husaren wieder ab.) Allarm, Feldherr? Versteht sich, auf der Stelle! Ueberall Rappel! Der Generalmarsch durch’s Lager — Neue Patro- nen ausgetheilt, die Güte der alten untersucht! (Viele Adjutanten ab.) Und wir beiden, Freund Gneisenau, einen Ritt nach Charleroi hin — Es sieht sich nicht besser als mit eignen Augen. (Mit Gneisenau ab. Gleich darauf Rappel und General- marsch im ganzen preußischen Bivouac. Alle zerstreut gewesenen Soldaten eilen zu ihren Compagnien und Schwadronen, rasch sich waffnend und ordnend.) Adieu, Berliner und Schlesier — Gott mit euch in der Schlacht! (Ab.) Herr Schlesier, holen Sie für uns beide noch einen großen Kümmel. (Schlesier geht.) Mein Jesus, welch ungeheurer Unterschied, wenn man erwartet, ob es losgeht, oder wenn es los- geht. Vorher besah ich die Gefahr halb mit Lust, fast wie einen schön gemalten Bären, — jetzt wird der Bär lebendig, und mich bebt der Hemdschlapp. O hätte meine Mutter mir bei sich behalten, mir nie geboren, ich brauchte doch nicht zu sterben, — oder wär’ ich doch kein Freiwilliger geworden — Ach, der mußt’ ich werden, sonst hätten sie mir unfreiwillig dazu gemacht! (Schlesier kommt mit dem Schnaps zuruͤck.) Zittern Sie nicht vor die Bataille? Nein. Gnädiger Himmel, wie kommt denn das? Es hilft ja zu nichts, — ich muß doch mit vorrücken. (fuͤr sich:) Das gesteh’ ich, der weiß sich in die Umstände zu finden. Diesem könnte die Polizei Rock und Camisol wegnehmen und er wäre grenzenlos zu- frieden! (Laut:) Wissen Sie auch, warum wir kämpfen? Das hört man auf allen Wegen — Für Kö- nig, Freiheit, Vaterland — Was halten Sie von die Freiheit? Man sagt, sie wäre was Gutes. (fuͤr sich:) — — Wie ich ahnte, — pure Dummheit — wasserpolackisches Vieh! — Der hat gut sprechen, hat gut crepiren! Ob der dahin sinkt oder nicht, — es ist man ein Ochs weniger oder mehr, — aber ein Kopf wie der meinige — Jammerschade wär’ es! — (Laut:) Da, trinken Sie das Glas aus. (leert das Glas. Dann:) Leben Sie wohl, — ich muß zu meinem Re- giment. (Ab.) Was? Auch du Brutus, dem ich so viele halbe Schnäpse gegeben? — Gott, o Gott, nun bin ich so ganz allein mit meiner Angst! (kommt:) Schul-, Kriegs-Camerad, was hier gezaudert? Mit mir zu unsrer Compagnie. Man erschießt dich, bist du nicht sogleich da. Herr Regierungsrath — Zum Geier den Regierungsrath! Wer denkt an Rang und Titel, wenn der Corse mit seinen Horden hereinbricht, um Preußens und Deutsch- lands Ehre zu zertreten? — Ich bin Freiwilliger und Gemeiner wie du. Das ist richtig mit Preußens Ehre, denn die Franzosen haben in Berlin erschrecklich geschändet — Unsre Magd Lotte weiß auch davon zu sagen — — Aber vor dem Erschießen, wenn ich zu spät komme, ist mich nun gar nicht bange, — zwischen dem und mir steht noch ein deutsches Standrecht, und das schont das Pulver. Horch, der Zapfenstreich unsres Regiments! Sehr mißtönig! sehr schlechte Noten! Fort mit mir! Ich wollte, Sie würden verwundet — Wie schnell trüg’ ich Ihnen aus die Schlacht! (Der andere Berliner reißt ihn mit sich fort. Bluͤcher und Gneisenau kommen zuruͤck.) Teufel, man muß sich in Acht nehmen — die französischen Tirailleure sind ja schon überall wie das Unkraut — Da tanzmeistert wieder ein Hau- fen aus der Holzung! — — Heda, von jenem brandenburgischen Husarenregiment zwei Schwa- dronen hieher! (Die zwei Schwadronen sprengen auf seinen Wink heran.) Husaren, in die Trompete gestoßen, und heraus die Preußenschwerter! (Es geschieht.) Ha, wie das blitzt — Es thut Einem wohl wie ein warmer Sonnenstrahl am kalten Wintertag. — — Seht ihr jene vorausgelaufenen Franzosenhunde? Wetterleuchtet unter ihnen mit euren Säbeln und jagt sie zurück wie der Habicht die jungen Hühner. Wir jagen sie! (Sie sprengen fort.) Hast du geseh’n, Gneisenau, wie der welsche Grünrock seine Raubrotten herausgeputzt hat? Selbst als er nach Rußland zog, prunkten seine Reitergarden nicht mit so prachtvollen, hohen, ro- then Federn! Auch die paar Kuirassiere, die ich erblickte, waren wie mit Erz übergossen. Hatten aber auch dabei wieder die schöngeputz- testen Lappen Bärenfelles vorn am Helm — Ohne Flitter geht’s bei den Franzosen nicht ab. Ein Narr verarg’ es ihnen, daß sie bei Tüch- tigem und Großem auch den Glanz lieben, wenn ihnen der Schimmer nur nicht meistens die Haupt- sache würde. — Und ihre Reiter verdienen die herrliche Montur wahrhaftig nicht, — ein gutes Pferd schämt sich einen von ihnen zu tragen, — sie reiten wie die Judenjungen, nicht bügel-, nicht sattelfest. 14 Aber so wilder und verwegener. Ei was, die Verwegenheit einer schlechten Rei- terei ist einer guten gegenüber nichts als blindes Feuer. Fast all’ unsre Landwehruhlanen sind eben vom Pfluge genommene Bauern, aber keiner dar- unter, der nicht die Zügel besser hält als sieben- tausend Franzosen, und könnt’ ich heute Nacht die Herren mit einem Cavallerie-Ueberfall regaliren, wie einst bei Hainau und Laon, so wollt’ ich dir beweisen — Eine Ueberrumpelung ist unmöglich — die feind- lichen Vorposten sind zu zahlreich. Leider, — sorge du für die unsrigen. — Ich sehe mich derweilen im Heere um und finde hof- fentlich überall den alten Kriegsmuth. (Er und Gneisenau auf entgegengesetzten Seiten ab.) Fünfte Scene . (Andere Gegend des preußischen Feldlagers. Abenddaͤmme- rung. Ein Bataillon freiwilliger Jaͤger in Reih’ und Glied.) Es fehlt Niemand — — Büchsen ab — Aus dem Glied getreten und an den Wachtfeuern aus- geruht, bis das Flügelhorn ruft. Herr Major, setzen Sie sich in den Kreis, der sich um dieses Wachtfeuer lagert. Er enthält Ihre besten Bekannten. Gern, Brüder, deren Major zu seyn, mir die höchste Ehre ist. — Wann auch wohl säh’ man sich so gern bei dem Schein der geselligen Flamme noch einmal gegenseitig in das befreundete, lebens- frische Antlitz als am Vorabend der Schlacht? (Major und sechs Jaͤger setzen sich um das Feuer.) Freunde, denken wir unserer Lieben — Wie mancher zärtliche, besorgte Blick von Müttern, Schwestern, Bräuten richtet sich hierher! Mit ihnen das Auge des Königs. So umwölke der Himmel seine Sterne noch dichter als er schon thut, — uns leuchten bessere Sonnen als er besitzt. Große Augenblicke erwecken große Erinnerungen: es war doch eine wundervolle, Alles entflammende Zeit, als wir im Februar 1813 den Aufruf des Königes vernahmen und sofort Breslaus Straßen zu eng wurden für unsere bis zum Tode für das Vaterland begeisterten Schaaren, — als wir dann in den furchtbaren Schlachten von Lützen und Bautzen zurückgedrängt, aber nicht besiegt, sondern immer kühner, immer stolzer wurden, als selbst Rußlands Kaiser mit seinen Veteranen von Eylau und Borodino, denen wir die Ehre des Vorkam- pfes nicht gönnten, uns als staunende Zuschauer ihr bewunderndes Hurrah zurufen mußten — Wel- chen Klang hatten da alle großen Worte! Ja, das ganze Heer war wie electrisch, — Berliner und Schlesier, Pommer und Märker, alle Eine freudige, aber übergewaltige Gluth, so wie es hieß «auf den Feind!» — Jetzt ist’s ziemlich anders: die Feigheit unserer Diplomaten ließ auf Wiens Congresse sich die Früchte unserer Tapfer- keit rauben. Hielt man den Congreß im Feldlager der siegenden Nationen, so möchte für die Souve- rainität Kniphausens und für Aufbewahrung man- ches anderen Zeugs nicht so außerordentlich besser gesorgt seyn, als für das Interesse Europas, und insbesondere Preußens. Wir Preußen opferten das Meiste, den größern Lohn erhielten die Anderen. Was bedeutet der Quadratmeilengewinn gegen die Sternenkrone, die das dreimal erneuerte, aber dreimal wieder mit ihr geschmückte Preußenheer der beiden vergangenen Jahre umflicht? Die Lap- pen von Ländereien, welche Oesterreich, Rußland, England und Holland sich anflickten, fallen einstens doch ab, aber wahrlich die blutrothen Arcture der Schlachten, in denen wir vor allen die Kette des Weltherrschers zerreißen halfen, funkeln noch nach Jahrhunderten vom Himmel, und zeigen, wenn Preußen längst untergegangen, den spätesten Ge- schlechtern die Stellen, wo es prangte. Das, Herr Major, hilft alles nichts gegen den Spruch «besser ist besser», und besser war es, wenn Preußen, wenn Deutschland sich mehr con- solidirten. Alter Bruder Studio, ich sag’s auch: Ruhm ist gut, ein fideler Bursch ist auch gut, aber ein rundes Stück Land hält den Ruhm, ein rundes Stück Geld den Burschen am besten zusammen. Denken Sie an sich selbst, Herr Major — Goldnere Träume als die jetzigen, umglaͤnzten uns, als wir mit hochschlagender, in der Hitze der Schlacht entblößter Brust, durch die Gärten von Leipzig dem Feinde in die Flanken drängten — Preußens Hoheit, der Kaiserthron Deutschlands, dem sie als schützender Cherub zur Seite stand, warfen ihre Stralen mitten durch den Qualm der Geschütze. Der Rhein war wieder frei und deutsch, wie er geboren, in der Mosel und der Maas spie- gelten sich nur deutsche Gauen, — das schöne Elsaß, das freundliche Lothringen, das herrliche Burgund mit seinen sonne- und weinglühenden Ge- birgen, — wie grüßten wir sie schon als zurückge- wonnene Glieder deutscher Genossenschaft! — Und dermalen? Unser König ist nicht Schuld, ward nicht alles, wie wir wollten. Er wollte wie wir. Er hätte seinen Willen nur durchsetzen und den Augenblick ergreifen sollen, — nichts in der Welt konnte ihn damals hindern, und hätt’ er auch die vom sonst so bedenklichen Oesterreich so leichtsinnig aufgegebene römisch-deutsche Krone als ein herren- los gewordenes Gut in Besitz genommen und sich auf das Haupt gedrückt. Er konnt’ es wagen, — wir wären gern für ihn gefallen, und Hunderttausende mit uns. Wer fiele nicht gern für einen Herrscher, so ritterlich, gerecht und edel als Er? Ja, Napoleon ist auch groß, ist riesengroß, — aber er ist es nur für sich, und ist darum der Feind des übrigen Menschengeschlechtes, — unser König ist es für Alle. Marketenderin! (Marketenderin kommt.) Führst du einige Flaschen erträglichen Weines? — Guten hast du nicht, und kannst ihn auch im Felde nicht haben. Herr Major, ich hole Ihnen doch vier bis fünf sehr gute Flaschen. (Sie geht.) Kinder, noch einmal wechselseitig die Hand — Männerfreundschaft in der Lust wie in dem Kampf — Es gibt nichts Höheres. — Da — da — Ihr haltet Thränen zurück — Laßt sie rinnen — sie fließen edlen Abschiedsgefühlen, — wer sich deren schämt, wer die nicht besitzt, hat sie aus der Brust verbannt, weil er sich davor fürchtet. So kalt der Regen zu tröpfeln beginnt, so rauh der Wind weht, so nahe der corsische Löwe liegt, und vermuthlich schon auf den Hinterfüßen steht, und die Vordertatzen nach uns ausreckt, — wahr- haftig, mir ist’s hier wohler um das Herz, als wenn ich in der gut geheizten Stube am Theetisch sitze, daselbst Geschwätz vernehme, was die Secunde darauf vergessen ist, oder gar selbstgefällige belle- tristische Vorlesungen anhöre, bei denen ich mein Aufgähnen in Bewunderungsausrufungen verstecken muß. Ueberleb’ ich diesen Feldzug, so wird mir das Andenken an euch manche flaue Theevisite, in der ich sonst nichts gefühlt hätte, sehr heiß machen. Was bloß Theevisiten! Nicht nur bei ihnen, — auch in Sturm und Noth, unter Kanonenkugeln und unter Friedenssonnen, vor dem Trauungsal- tar und vor dem Grabeshügel, brenne in unseren Brüsten im ersten Glanze stets der Name eines Jeden von uns — Seht, die Marketenderin hat den Wein gebracht, und er ist unendlich trefflicher als ich vermuthete — das Weib ist eine brave Seele, sie kennt unsere Art, und hat für einen Augenblick, wie den gegenwärtigen, trefflichen Hoch- heimer aus dem Mutterfäßchen aufgespart. — An- gestoßen! Zuerst denn: «die Todten sollen leben», und über alle hinaus die auf den Schlachtfeldern von 1813 und 1814 hingesunkenen vaterländischen Helden! «Die Todten sollen leben», und mit ihnen der, welcher es schrieb: der erhabene, wetterleuchtende Schiller! Schiller hoch! Schillers Jünger nicht vergessen, der grade durch seinen Tod bewies, daß er ihm nicht nach- klimperte, sondern nachfühlte. Theodor Körner, hoch trotz seiner ofenhockeri- schen Recensenten! Wie wär’ es, wir sängen seine wilde Jagd? Ein herrlicher Einfall — Die Hornmusik des Bataillons begleite uns! (Die Hornisten des Bataillons treten herbei.) Angefangen! (singen, unter Begleitung der Hoͤrner:) «Was glänzt dort vom Walde im Sonnenschein? Hör’s näher und näher erbrausen. Es zieht sich herunter in düsteren Reih’n, Und gellende Hörner schallen darein, Und erfüllen die Seele mit Grausen. Und wenn ihr die schwarzen Gesellen fragt, Das ist Lützows wilde, verwegene Jagd!» Wer ließe sich nicht gern von Kartätschen zer- schmettern bei diesem Liede und seiner Musik? «Was zieht dort rasch durch den finstern Wald, Und streift von Bergen zu Bergen? Es legt sich in nächtlichen Hinterhalt, Das Hurrah jauchzt, und die Büchse knallt, Es fallen die fränkischen Schergen. Und wenn ihr die schwarzen Jäger fragt, Das ist Lützows wilde, verwegene Jagd.» «Wo die Reben dort glühen, dort braußt der Rhein, Der Wüthrich geborgen sich meinte, Da naht es schnell mit Gewitterschein, Und wirft sich mit rüst’gen Armen hinein, Und springt an’s Ufer der Feinde. Und wenn ihr die schwarzen Schwimmer fragt, Das ist Lützows wilde, verwegene Jagd.» «Was braußt dort im Thale die laute Schlacht, Was schlagen die Schwerter zusammen? Wildherzige Reiter schlagen die Schlacht, Und der Funke der Freiheit ist glühend erwacht, Und lodert in blutigen Flammen. Und wenn ihr die schwarzen Reiter fragt, Das ist Lützows wilde, verwegene Jagd.» (kommt zu Fuß von einigen Adjutanten begleitet.:) Recht, Kinder — ihr haltet mit eurem Singen und Musiciren das Lager wacher als ich mit zwanzig Tags- und Nachtsbefehlen. (springen auf:) Der Feldmarschall hoch, und noch einmal und tausendmal hoch! (Tusch der Hoͤrner.) Danke, danke, — ich bitte, hört nur wieder auf, — still die Hörner, — es ist genug. Ich muß gestehen, Feldherr, wir haben eben bei unseren Toasten an alle Welt gedacht, und Sie, das uns Nächste, Liebste vergessen. Major, das nehm’ ich nicht übel. Man sucht zuerst das, was man nicht bei der Hand hat. — Burschen, bleibt morgen so lustig wie heute. (Ein preußischer Unterofficier und mehrere Gemeine treten auf mit dem General Grasen Bourmont und einem Ad- jutanten desselben.) Herr Feldmarschall — Was bringst du? Zwei Franzosen. Weiter nichts? (Er blickt seitwaͤrts uͤber die Achseln nach Bourmont und dessen Adjutanten. Dann zu den Jaͤgern:) Man wird finster, wird man in eurer heiteren Gesellschaft durch solchen Anblick gestört. (Zu Bourmont:) Wer sind Sie und Ihr Nebenmann? Er ist mein Adjutant, und ich, Herr Feldmar- schall, erscheine hier freiwillig, und bin Graf Bourmont, General im sogenannten kaiserlichen Heere — Dennoch nunmehr ein Ueberläufer aus dem sel- bigen Heere? Ich werde Ihnen alle Operationspläne Bona- partes entdecken. Französische Entdeckungen mag ich nicht, — überdem sehen Sie grade nicht darnach aus, als hätt’ er Ihnen viel von seinen Operationen zum Besten gegeben. Solchen Empfang hätten treue Diener König Ludwigs des Achtzehnten, für den auch Sie käm- pfen, für den auch wir mit Ihnen und Ihren Truppen streiten wollen, nicht erwartet. Kennen Sie Deutschland? Ich habe Achtung für die lobenswürdige, loyale Nation, welche es bewohnt. So wissen Sie denn, Herr Graf, wenn wir kämpfen, so kämpfen wir just für dieses Land mit der von Ihnen geachteten, lobenswürdigen, loyalen Nation, — unser Blut opfern wir, daß nicht abermals ein Tyrann, wie Bonaparte es ist, von seinen Bivouacs aus uns und die Welt wie Negersclaven commandirt, — aber Gott soll uns behüten, daß wir für Ihren Sire Louis dix huit, den ich, als er emigrirt war, in Hamm sammt seinen Maitres- sen, recht gut kennen und schätzen lernte, nur an ein Degengehenk faßten, — unsrethalb mag er auf Frankreichs Thron oder auf seinem N — — sitzen, Kirschen oder Rostbeef essen, — abscheulich, wenn das Blut, welches wir verlieren, bloß für Herrn Ludwig den Achtzehnten hingeströmt seyn sollte. Ich ersuche, mich sofort in das englische Lager bringen zu lassen, Herr Blücher. Ich heiße Blücher, Fürst von Wahlstadt, bin königlich-preußischer Feldmarschall, dutze mich gern mit jedem braven deutschen Füselier, aber mit Ih- nen und Ihres Gleichen nicht, — verlange daher von Ihnen die geziemende Titulatur oder es — Eure Durchlaucht, es war verzeihliche Unvor- sicht, wenn ich — Schon gut. Machen Sie Ihre Unvorsicht durch einen Schwanz von Entschuldigungen nur nicht länger. (Zu dem Unterofficier und dessen Soldaten.) Schafft den Herrn mit seinem Begleiter zu den Engländern, und meldet dem Wellington dabei, es wäre mir eins, ob er sie zu König Ludwig schickte oder sie festhielte, — aber weder er noch ich dürf- ten Ueberläufern trauen. Ha! Pah! (Zu den Jaͤgern:) Kinder, singt wieder darauf los! (Bourmont und sein Adjutant werden fortgefuͤhrt, — Bluͤ- cher mit seiner Begleitung ab.) Wetter, der Feldmarschall ist ein Mann von Schrot und Korn. Wie schrumpften die beiden Franzosen zusammen, als er mit dem Fürsten Wahl- stadt herausrückte. Ja, und er ist darum so tüchtig, weil seine Nase im Feuer der Schlacht nicht weiß wird, — weil er immer grade aus sieht, wo andere links und rechts die Augen verdrehen, — weil er dem Napoleon ohne Furcht auf den Leib geht, und da- bei denkt: «hab’ ich dich, pack’ ich dich», — weil er die Franzosen so offenbar haßt, als er die Deut- schen liebt, — und kurz und wahr: Blücher ist ein rascher Mann, der mehr als ein Anderer 1813 und 1814 dem Corsen das Genick brach, weil er so ehrlich und kühn in die Welt sah, wie der Corse verschmitzt und verwegen. 15 Sechste Scene. (Wor Ligny. Das franzoͤsische Heer. Kanonen werden auf- gefahren, die Kaisergarden stehen in Schlachtordnung, die Infanterie- und Cavallerieregimenter der Linie marschiren an beiden Seiten auf. Napoleon liegt, bis an die Brust lose von einem gruͤnen Mantel uͤber- deckt, schlummernd auf der Lafette einer Kanone. Eine Menge Adjutanten und Ordonnanzen zu Pferd und zu Fuß, vom General bis zum Gemeinen, Chasse- coeur und Vitrv darunter, in seiner Naͤhe. Desgleichen viele Piqueurs mit gesattelten Handpferden. Bertrand und Cambronne stehen, ersterer rechts, der zweite links an seiner Seite, — der Obrist und Adjutant Labedoyere nicht weit von ihnen.) Chassecoeur, nun hast du, was du wolltest — Da schläft er, und die Gewitter der Schlacht um- ziehen uns, als wären es seine Träume. — Wie kann er schlafen? — Vor uns Preußen, vom Him- mel Regen, um uns schlachtdurstende, aufmarschi- rende Franzosen. Der Kaiser kann, was er will. So sah’ ich ihn schon oft. Lies, bis der Lärm losgeht die Proclamation. Was steht darin? (Die Proclamation fluͤchtig uͤberblickend:) Die «Preußen» — Ja, die Hunde hass’ ich. — Und «die Alliirten haben zwölf Millionen Polen, eine Million Sachsen, sechs Millionen Belgier an sich gerissen» — Meinetwegen noch neun und neunzig Millionen von all dem Volke dazu, aber nur kein Haar des Kaisers! (uͤbergibt die Proclamation einem Sergeanten der in der Naͤhe haltenden Garde zu Fuß:) Da — die heutige Proclamation. Proclamation? — Um die Patrone damit und sie den Preußen in den Leib gejagt — Die Ca- naillen rücken doch schon von jenen Höhen heran. (kommt:) Den Kaiser geweckt — Die Schlacht beginnt. Mein Herr, was schreien Sie dicht vor dem Ohr des Kaisers? Mit Ruhe und Anstand ge- sprochen! Die Preußen fahren dort Batterien auf. Lassen sie von den Preußen die ganze Hölle auffahren — Der Kaiser schlummert. Und die Rast ist ihm zu gönnen. Aber, meine Herren, die Armee geräth in Gefahr — Sie irren, Freund. Wäre das, so hätt’ er diese Stunde nicht zum Schlafen gewählt. (Der Capitain der Voltigeurs zieht sich zuruͤck. — Mehrere andere Officiere sind im Gespraͤch mit einander.) Die Preußen schieben uns Batterien unter die Nase — fast riech’ ich die Lunten. Man sieht ihren Achtzehnpfündnern bereits tief in die dunklen, hohlen Augen. Die Augen werden bald hell seyn und unsere Reihen licht machen. In der That, ich wollte der Kaiser wachte auf oder würde geweckt, ehe die feindlichen Batterien sich festwurzeln — Aber man darf ja kaum vom Erwecken etwas sagen, denn der Cambronne und Bertrand stehen neben seiner Lagerstätte wie die zurückdrohenden Cherubim an der Pforte des Pa- radieses. (singt:) Allons enfans de la patrie, Le jour de glorie est arrivé. Contre nous de la tyrannie L’étendard sanglant est levé. — Ein Adjutant an jenes Regiment — Der Kai- ser liebt die Marseillaise nicht — Man soll mit ihr aufhören. Herr General, die Marseillaise ist ein liberales Lied, passend für den Zeitgeist — Das Volk siegte mit ihm bei Valmy und Jemappes. Herr Obrist — «Liberal»? «Zeitgeist» — Die elende Kanonade von «Valmy» und das jäm- merliche Tirailleurgefecht von «Jemappes»? — Wissen Sie, wo wir stehen? Unter den Waffen der großen Armee. Da gibt es keinen anderen Liberalismus als Ihm zu gehorchen, keinen anderen Geist als den Seinigen, keine anderen Gefechte als die à la Cairo, Austerlitz, Jena und der Moskwa. Weh, ich habe mich geirrt, — ich dachte, end- lich die freisinnige Zeit, von den Umständen selbst bedungen, leuchten zu sehen, und es blinken schon wieder nichts als Bayonette, Säbel, Kuirasse und Kanonen. Sehen Sie, Herr Obrist, ein wenig an den Schwadronen und Bataillonen dieser Schnautzbärte hinunter, und zeigen Sie mir unter ihnen Einen, dem der Kaiser nicht lieber ist, als alle die zeit- geistigen Phrasen. Mein junger und tapferer Labedoyere, — ver- zagen Sie nicht ganz, halten Sie Sich an den Kaiser — Er kann die Welt eher umgestalten als die Welt ihn, und ich versichere, er hat in seiner großen Brust auch einen Platz für Ihren Libera- lismus, und schützt und fördert ihn da, wo er des Schutzes und der Förderung werth ist. Der Kaiser erwacht! Nun bin ich neugierig, was er zu den preußi- schen Batterien sagt, deren Auffahren er verschlief. (steht auf, — der Mantel, welcher ihn bedeckte, faͤllt zur Seite:) Alles wie ich befohlen? Jedes Regiment an seinem Posten. Was ist das dort? Sire, preußische Batterien. Albernes Zeug, — die sollen die feindliche Ar- mee maskiren und sind zu weit vorgerückt. Sie haben nicht Zeit zum Schuß, fällt man ihnen in die Flanke. Das fünf und fünfzigste Regiment am rechten Flügel thue das, im Geschwindschritt, — zwei Kuirassierschwadronen begleiten es. Chassecoeur, er ist wach! Man merkt es: das Regiment und die Kuiras- siere marschiren, die Batterien jagen zurück, und da — sehen wir die ganze preußische Armee. Was wohl die Officiere, welche hier eben schwazten, davon halten? Generalcommandant der Artillerie — (tritt vor:) Sire —? Die preußischen Colonnen entwickeln sich — Ligny ist die Mitte und der Schlüssel ihrer Schlacht- ordnung — merken Sie sich das — — Und nun lassen Sie uns anfangen. Sie befehlen — (Zu der Artillerie:) Abgeprotzt! (Es geschieht.) Jener Zwölfpündner den Signalschuß! (Der Zwölfpfunder wird abgefeuert. Sofort donnern auch alle franzoͤsischen Batterien, Heergeschrei, Trommeln, Trompeten, Janitscharenmusik dazwischen. Infanterie und Cavallerie ruͤckt vor, nur die Garde bleibt stehen. Die Preußen bewegen sich gleichermaßen unter gewalti- gem Artillerie- und Kleingewehrfeuer den Franzosen entgegen.) Ha! meine Schlachtendonner wieder — — In mir wird’s still — — — (Er schlaͤgt die Arme uͤbereinander.) Wer sollte sich nicht freuen, der ihn jetzt sieht? — Welche Ruhe, welche stillglänzende Blicke! Ja, nun ist’s mit ihm als stiegen heitere Som- merhimmel in seiner Brust auf, und erfüllten sie mit Wonne und Klarheit. Still und lächelnd wie jetzt, sah’ ich ihn in jeder Schlacht, selbst bei Leipzig. (fuͤr sich;) Josephine — Hortense — Das Etui — — Und mein Sohn! (sprengen heran:) Rechts, bei Sombref, drängen uns die Preußen zurück. Die zurückgedrängten Truppen sollen sich an den rechten Flügel der Garde schließen. (Kanonenkugeln schlagen in die Erde.) (ergreift einige und wirft sie fort:) Canaillen, ihr könntet ricochettiren! Wie heißt du? Philipp Vitry. Du bist Hauptmann. Gift und Tod, was hat der Kerl für Glück. Sire, trauen Sie mir Ehre zu? Hätt’ ich dich sonst zum Hauptmann gemacht? So versichr’ ich auf meine Ehre, hier dieser Chassecoeur verdient eher Hauptmann zu seyn als ich. Er dient schon seit Quiberon und rettete bei Leipzig einen Adler — Bitte, Sire, lassen Sie mich Gemeiner bleiben, und ernennen Sie ihn statt mei- ner zum Hauptmann. Ihr seyd beide Hauptleute. Mein Kaiser, wobei? In meiner Suite. (sprengt heran:) Graf Vandamme muß das eben von ihm ge- nommene St. Amand wieder räumen. Die Preu- ßen sind zahllos und wüthig wie die Teufel. Ob die Preußen St. Amand oder Otaheiti haben, ist in diesem Augenblick gleichgültig. — Aber melden Sie Vandamme: es wäre mir lieb, wenn er durch wiederholte hartnäckige Angriffe den Feind glauben machte, ich hielte etwas auf die Stellung. Blüchers Generalstab wär’ im Stande die Position bei Ligny wegen St. Amands noch mehr zu schwächen, als er schon gethan hat. (Der Fluͤgeladjutant ab:) Ordonnanzen zu Gerard: daß er bei Ligny all- mählig auch die Truppen der schweren Waffengat- tungen in das Gefecht führt. (Mehrere Ordonnanzen ab.) (wird von einer Kugel getroffen:) Jesus Maria! Karl wird fromm! (dem eine Kanonenkugel den Leib aufreißt:) Es lebe der Kaiser! Er lebe! Diese Kugeln kommen von Sombref. Vier Reservebatterien vor, unsre von dorther weichen- den Truppen besser zu bedecken. (hervorsprengend:) Der Fürst von der Moskwa bittet um Hülfe. Die englische Armee enfilirt mit ihm bei Quatre- bras eine Schlacht. Der Fürst von der Moskwa ist ein — Sie, mein Herr, melden ihm: ich wüßte, Wellington tanze noch in Brüssel, und er, der Marschall Ney, hätt’ es nur mit dem englischen Vortrab zu thun. Nicht erschrecken soll er sich von ihm lassen, — kühn zurückwerfen, oder doch aufhalten, bis ich hier gesiegt habe, soll er ihn. Dann läuft er von selbst. (Der Adjutant ab.) Daß doch die meisten Menschen Aug’ und gesunde Vernunft verlieren, sobald sie das Glück haben, mit zwanzig oder dreißigtausend Mann selbstständig auf dem Schlachtfelde zu stehen. (Zu mehreren Adjutanten: Schnell zum General Erlon. Er trenne und be- drohe mit seinem Corps zwischen Quatrebras und St. Amand die Engländer und die Preußen, — er schont aber seine Truppen, oder Bülow möchte bei St. Amand ankommen; wäre das, so stürzt er ihm entgegen. (Adjutanten ab. Zwei andere sprengen noch hintereinander heran.) General Gerard nimmt Ligny mit dem Bayon- net — Die Preußen treiben ihn Schritt vor Schritt wieder hinaus — Drei Voltigeurregimenter sollen sich debandiren, und dort die Preußen überall, von jedem Vor- sprung, jedem Fenster her, beängstigen helfen. (Adjutanten ab.) (jagt herbei:) Zwischen St. Amand und Ligny wird es schwarz wie die Nacht von sich anhäufender feindlicher Cavallerie. Die reitende Artillerie mit Kartätschen wider sie vor. (Reitende Artillerie jagt vor und schießt, kommt aber gleich darauf in Eile und Unordnung zuruͤck.) Was? Der wilde Blücher bricht doch los? — Milhauds Kuirassiermassen auf ihn ein. (Milhauds Kuirassiere sturmen los.) Ah, wie leuchtet und klirrt auf einmal die Luft von gezückten Schwertern. Und horch, jetzt treffen sie Blüchers Horden — Wie ingrimmig und gräßlich wiehern die gegen- einander kämpfenden Pferde! Bertrand, was sagst du zu der Schlacht? Die Preußen fechten besser wie bei Jena. Geschlagen werden sie doch, nur ein paar Stunden später. (Adjutanten kommen.) Milhauds Kuirassiere treiben die feindliche Rei- terei zurück — (spaͤter:) Blücher erholt sich und Milhaud weicht — Pajols Reiter dem Milhaud verhängten Zügels zu Hülfe. (Adjutanten ab.) Ha, da Einer von Gerard mit siegtrunkenem Ant- litz — Wie bei Ligny? Die westliche Seite ist unter unsren Kolben, und ganz Europa entreißt sie uns nicht wieder! Ein Pferd! (Es wird ihm ein Pferd gebracht, und er setzt sich auf.) Chassecoeur, nun muß die Garde daran, — der Feind ist mürbe. Mürb’ oder hart, die Garde macht ihn zu Brei. Lieber Drouot, ein Kreuzfeuer des schwersten Geschützes auf Lignys Ostseite. Wehe dem Mutterkinde, das noch darin ist! — Schwere Artillerie marsch! (Mit der schweren Artillerie ab.) Cambronne, alle Garden zum Sturm auf Ligny! Alte und junge Garden, zu Pferd und zu Fuß: den Kaiser salutirt! (den Befehl Cambronnes weiter rufend:) Den Kaiser salutirt! (salutirend:) Der Kaiser hoch! Und nun Bayonnette gefällt, Säbel geschwun- gen, — unser der letzte Trümmer von Ligny, oder der Tod! (Ab mit der Garde.) Estafetten nach Paris: ich hätte gesiegt, — während Blücher mir mit seiner Reiterei meinen linken Flügel habe zerbrechen wollen, hätt’ ich sein Centrum durchbrochen, und so weiter, wie jedes Auge es hier sieht. Zugleich der Municipalität durch den Moniteur angedeutet, sie möchte mit Ab- nahme der Vormundschaftsrechnungen nicht so nachlässig seyn, wie im vorigen Jahr, oder mein Zorn träfe sie ärger als die Preußen. (Adjutanten und Ordonnanzen ab. Sombref, Ligny, St. Amand lodern vor der franzoͤsischen Schlachtlinie in lich- ten Flammen, — hinter ihr Quatrebras, Pierrepont, Frasnes, Geminoncourt und andere Ortschaften eben so.) (sieht sich nach den Feuersbruͤnsten um:) Ist’s nun meine Schuld, daß ich mit einem unermeßlichen, weit und weiter sich ausdehnenden Flammendiadem, wie dieses, meine Stirn schmücken muß? Oder ist es das trübselige Fünkchen, die elende Aechtungsacte von Wien, welche diesen Weltbrand veranlaßt? (heransprengend:) Sire, Drouots Batterien haben auch die Ost- seite von Ligny zu Staub gemacht — sie schweigen, weil die Garden schon über die Trümmer vor- rücken, — nur einzelne preußische Jäger stecken noch hier und da hinter Hecken und Gräben. Ligny ganz mein! — Das Thor Europas ist erbrochen und ich stürme hindurch bis — (fuͤr sich:) Da spiegeln die goldglänzenden Kuppeln von Moskau sich schon wieder in seinem Auge. 16 Den schwarzen Krepp von den Legionsadlern, daß sie die wieder aufsteigende Sonne des Sieges sehen! (Zu Adjutanten und Ordonnanzen:) Grouchy verfolgt mit seinem Corps die Preußen, — unter ihm noch Vandamme und Pajol mit ih- ren Heertheilen, — er kann nicht rasch und kühn genug seyn, darf sich durch keine Demonstration, keine Position aufhalten lassen. (Viele Adjutanten und Ordonnanzen ab.) Wir, Bertrand, besehen einige Augenblicke das Schlachtfeld, und dann mit der großen Armee links, um mit Ney den Vortrab der Engländer auf ihre Hauptmacht zu werfen, diese zu vertilgen, und übermorgen in Brüssel zu schlafen. (Napoleon, Bertrand und die kaiserliche Suite ab.) Fünfter Aufzug. Erste Scene. (Abend. Ein Hotel in Bruͤssel. Viele große Saͤle, praͤch- tig erleuchtet. Herzog von Wellington mit Gefolge, Damen und Officiere hoͤchsten Ranges darunter, tritt ein. Der Herzog von Braunschweig kommt etwas spaͤter, den sogenannten „schwarzen Becker“, seinen Kammer- diener, zur Seite. Er setzt sich in eine Nische des vor- dersten Saales. Der schwarze Becker bleibt neben ihm stehen.) Becker, hast du alle meine Papiere in Ordnung? Ja, Eure Durchlaucht. Du bist ein braver Kerl, sorgst wohl zuerst für dich, dann aber zunächst für mich — Mehr kann man von einem Menschenkinde nicht ver- langen — Herr Herzog — Laß das gut seyn — So braun dein Gesicht, und so schwarz dein Haar ist — du bist mir lie- ber als viele der Herren, welche mich in Braun- schweig bei meiner Rückkehr mit ihren nichtssagen- den Fratzen und wohlfrisirten Perücken devotest empfingen, und dennoch mit — und mit den — unter einer Decke spielen möchten. Schwarzer Becker, vernichte jedes Papier, von dem es dir nicht gut scheint, daß es an das Licht komme — die alten Correspondenzen mit — — — —, und Gott weiß, mit wem sonst noch — fort damit! ’S ist alles Lumpenzeug. Sie befehlen Durchlaucht. Becker, ich falle bald — mir sagt’s die Ahnung so deutlich, daß ich nicht zweiflen mag. Es thut mir leid um meinen unmündigen ältesten Jungen, — man wird ihn vielleicht so — — und sich in solche Schaaffelle zu kleiden wissen, daß, wenn er in die welfischen Brausejahre kommt und mündig wird, und dann den ganzen Spuk der ausheimi- schen, einländischen und persönlichen Interessen er- blickt, er glaubt noch toller werden zu dürfen, als die, welche — — Wenn ich nicht mehr bin, Becker, so laß dich nicht im Braunschweigischen nieder, — gib dann das wild bewegte Leben auf, heirathe irgend wo anderwärts eine tüchtige Person, und denke bisweilen an mich, wenn du recht glücklich bist. Herzog — Laß das Weinen. Nichts verlachenswerther. — Ich sage dir, in diesen Tagen fall’ ich — Durchlaucht, gewiß Phantasien — Mag seyn, aber immer noch besser als Wel- lingtons Tanzlust — Er meint, er hätt’ es mit einem Jourdan zu thun — Bonaparte wird ihm den Unterschied zeigen. Bonaparte ist noch in Paris. Leicht möglich und eben so leicht nicht. Er ist in der Regel da, wo man ihn nicht vermuthet. Durchlaucht, zerstreuen Sie Sich — Hören Sie die Musik! Da das: God save the King! So lang es dauert. — Sind die Braunschwei- ger bereit? Immer unter Waffen. Gut. Durchlaucht, welch ein Schimmer von Uniformen — Da selbst der ehrliche Britte Picton in größ- tem Staat — Und gar der Herzog von Welling- ton, der Prinz von Oranien — Der Herr Herzog halten immer den Mund auf, und hören doch oft recht schwer. — Nehmen die englischen Krebse sich nicht besser in Acht, so müs- sen sie bald nach gewohnter Manier zurück in die See, wie bei Corunna und Vlissingen. Da naht eine Damendeputation — Sie hat uns an den Todtenköpfen der Tschackos erkannt, und will Ew. Durchlaucht mit Lorbeeren bekränzen. Gehe zu den Damen, mache deine höflichsten Ver- beugungen, und sag’ ihnen: ich dankte für die Ehre. Wie Ew. Durchlaucht gebieten. (Er richtet den Befehl des Herzogs mit groͤßter Hoͤflichkeit aus, die Damen ziehen sich zuruͤck, und er geht wieder zum Herzog.) Schaffe mir einen Whisky. (Der schwarze Becker geht und bringt den Whisky.) (eine junge Dame hereinfuͤhrend:) Adeline — Was ich so lange in Londons ersten Cirkeln gesucht, — hier, auf dem Feldzug, find’ ich es auf einmal in Dir — entzückender Schönheits- glanz und unversiegbare Liebe. Wer weiß, wie viele herrlichere Blumen du vorbeigingst, ohne sie zu sehen, und wie zufällig dein Blick grade auf mich fiel. Nein, nein, — kein Zufall — Mein guter Ge- nius selbst führte mich in deine bräutlichen Arme. Siehe dort die Fürstin Ligne, die Herzogin von Chimay, die Gräfinnen von Barlaymont, und so manche Andere — Welche Gestalten! welche Grazien! Welch überreicher Schmuck strahlt von ihrem Haar und Gewand, und wie armselig ist er gegen sie selbst! — Edward, es ist unmöglich, daß du mich liebst, wenn du solche Göttinnen siehst. Deine Bescheidenheit ist göttlicher als all jener Prunk. — Oft schrien die ehernen Stimmen der Geschütze um mich, flogen Pulverwagen, Reiter und Pferde, Ingenieure und Bombenkessel in meiner Nähe auf, — an keine Dame Europas hätt’ ich gedacht in dem Getümmel, — aber an dein Auge gewiß, ja an die Spitze deines kleinen Fingers. Edward, nimm den Abschied — mache den Feldzug nicht mit. Es kommt zu keinem Feldzug, Geliebte. — Der Corse scheint keine Armee zusammen bringen zu können — Wir marschiren wohl ohne Aufenthalt nach Paris — Ach, wären wir auf deiner Stammburg, in den grünenden Auen von Sheffield! Der Prinz von Oranien fass’t die Hand der Fürstin Ligne, Wellington die der Herzogin von Chimay — Alles arrangirt sich — Der Ball be- ginnt — Horch! die Musik braus’t los, ein Aetna feuersprühender Töne — Treten wir in die Reihen. Musik! Musik! — Was rufen all die Töne? — mir nichts als deinen Namen! (Der Artillerieobrist tritt mit Adeline in die Tanzreihen.) Noch einen Whisky, Becker. (Der schwarze Becker holt den Whisky.) Da beginnen sie eine Gallopade. Wer weiß, ob nicht schon die Kuirassire des Milhaud hieher gallopiren. Lauter die Musik! — Herzogin, Sie glühen — Der Tanz greift Sie an. In den Armen des Siegers von Salamanca nimmer. (Dumpfe, aber sehr entfernte Toͤne.) (springt auf:) Becker, was ist das? (aus einem Fenster sehend:) Ein Gewitter zieht auf. (Wieder entfernte, immer lautere Toͤne.) Gewitter? Gewitter? — Ob aber am Himmel oder auf der Erde? — Melde Wellington, ich glaubte Kanonenschüsse zu hören. (geht zu dem Herzog von Wellington:) Der Herzog von Braunschweig vernimmt Ka- nonenschüsse — Ei, woher denn? — Hält er etwa diese Pau- ken oder die Donner des Unwetters dafür? — Vorwärts der Tanz! — Napoleon ist noch in Paris, oder daraus wieder nach Süden vertrieben. — Seine paar Bataillone bei Charleroi haben keine Kanonen, und unsere überstarken Avantgar- den sind Blücher bei Ligny und meine Truppen- theile bei Quatrebras — Vorwärts der Tanz! (zu dem Herzog von Braunschweig zuruͤckkehrend:) Wellington hält die Töne nicht für Kanonen- schüsse. (Lautere und stets lautere Klaͤnge.) So kenn’ ich sie besser als der Herr von Ciu- dad Rodrigo — Es sind die Klänge, unter denen mein Vater fiel! Ein schlechter Sohn, der sie hört und nicht von Rache entflammt ihnen entgegen stürzt — Folge mir! (Mit dem schwarzen Becker ab. Gleich darauf die Allarm- musik der Braunschweiger.) Hören Sie —? Ruhig, Beste, so schön Ihnen auch die Unruhe steht. — Der Braunschweig hat seine kriegerische Laune, läßt Allarm schlagen, und übt seine Trup- pen in der Wachsamkeit. (Immer naͤhere Kanonenschuͤsse.) Wehe, was donnert da? — Das sind doch nicht — Da schreckt auch der Herzog auf! Adeline, — vor deinem forschenden Blick kann ich nicht lügen — Du hörst — o Gott — feind- liche Kanonen! Jesus Christus! — Wie hast du dich geirrt — Napoleon marschirt doch heran! Wer könnte in ihm sich nicht irren? Er ist wie ein neuer plötzlich aufgetauchter, unerforschter Erdtheil — Oh, wer stürzt da herein? — Das sind nicht Menschen — Das sind Teufel. (Adjutanten Bluͤchers stuͤrzen in die Scene.) So nenne sie nicht — preußische Cameraden sind’s, noch schwarz vom Pulverdampfe der Bataille. Wo der Herzog Wellington? Dort steht er. Durchlaucht — Sie kommen? Aus der Schlacht. Also dennoch —? Ruhig, ruhig, Herzogin! Unmöglich, Herzog — Selbst Ihr Befehl be- zwingt meinen Schrecken nicht — Wie stäubt der Ball auseinander — (auf der Straße:) Der Feind! der Feind! er kommt! er kommt! Gott! ganz Brüssel in Bewegung! Der Feind! der Feind! Brüssel brennt schon Feuer! Feuer! Feuer! Madame, trauen Sie diesem tollen Straßenge- schrei nicht — Aber fahren Sie zu Haus, — eine zahlreiche Sauvegarde begleitet Sie. (Herzogin von Chimay ab.) Herzog, Napoleon erschien mit seiner Armee urplötzlich vor Ligny, Ney vor Quatrebras — Feldmarschall Blücher und mein Vortrab? Sind beide geschlagen, und ziehen sich hieher zurück. Was meint der Feldmarschall? Er hofft, Ihr Heer vor Brüssel schlagfertig aufgestellt zu finden, sonst schlägt er die zweite Schlacht auch ohne es. Bülows Corps? Hat an der Schlacht nicht Theil genommen, und stößt bald zu uns. Und Blücher kommt, wenn ich Stand halte? Er sagte es. So glaub’ ich es. — Sagen Sie ihm, Sie hätten mich leider in erbärmlichen Tanzschuhen ge- troffen, die ich leichtsinnig genug angezogen, — aber ich wollte selbst dieser Schuhe nicht werth seyn, träf’ er mein Heer nicht in Schlachtordnung vor dem Walde von Soignies. (Die preußischen Adjutanten ab.) Allarm! Allarm! Alle Truppen vorgeschoben nach Waterloo! Geliebte — Bleibe! Darf ich? — Schon rasseln meine Batterien über das Pflaster! Oh, diese Räder — Sie gehen durch mein Herz! Adeline, auch durch das meinige — Doch ich muß, ich muß — Wehe mir, die Rosenhimmel der Liebe auf deinen Wangen erbleichen — Welch ein schmerzliches Bild nehm’ ich mit in den Kampf — — Lebe wohl! Vielleicht seh’n wir uns wieder! — Diener, meine Braut zu ihrer Mutter geführt! (Ab, — Adeline, in Ohnmacht, wird fortgefuͤhrt. — Draußen marschirt Cavallerie, Artillerie, Infanterie, unter letzterer singend unter Begleitung der Sackpfeife:) Clan Douglas, Clan Douglas, Die Mutter, sie weint — Was »weint«! Dort trotzet der Feind! Clan Douglas, Clan Douglas, Fluß Avon blinkt schön — Was »schön«! Die Sachsen dran steh’n! Clan Douglas, Clan Douglas, Wie stürzt er Berg ab — Was »ab«! Wir kühn in das Grab! Clan Douglas, Clan Douglas, Was jammert die Braut — Was »Braut«! Der Feind ist schon laut! Clan Douglas, Clan Douglas, Wie steil unser Stieg — Was »Stieg«! Zu Rache und Sieg, Clan Douglas, Clan Douglas, Clan Douglas! Wetter, die Bergschotten sind eine brave, treue Nation, — Lieder auf die sächsischen Eroberer de anno 500 nach Christi Geburt begeistern sie noch heute gegen die Franzosen. — — Meine Herren vom Generalstabe: Bonaparte hat uns getäuscht und überrascht, aber das alles läßt sich gut machen durch Festigkeit. Wir waren eben im Tanz be- griffen, und sehr heiter, — seyen wir in der Schlacht auch so, und die Franzosen sollen bestürzt aussehen, wenn sie ihre Erbfeinde nicht im Tanz, sondern gewaffnet und ruhig sich gegenüber er- blicken. Vertheilen Sie sich in den Cantonnements, sorgen Sie, daß jeder Befehlshaber seine Schul- digkeit thut. Ja keine Unordnung unter den Trup- pen, — die strengste Disciplin geübt, — aber den Leuten Lebensmittel gegeben, so viel aufzu t reiben. Adieu! (Ab, — die Officiere gleichfalls.) Abgeräumt — Das Volk ist fort. Alle Reste in die Tasche — Da Kuchen über Kuchen — 17 Halbvolle Weinflaschen stehen dabei. Nehmt und trinkt sie aus mit den Hausmamsellen. (Fuͤr sich:) Ah, da find’ ich eine Brillantnadel — Himmel, wie das marschirt und trottirt! Ich hoffe, die Franzosen gewinnen doch. Ich sage lieber « Monsieur » als «Myn Her» oder «Ih- ro Hochedelmögenden». — — Daß die Küchenmäd- chen die Teller besser putzen, keinen gelben Rand darum lassen, sonst soll die Canaillen — — Hur- tig, mit mir hinunter — Eine Menge Officiere sprengt vor die Hausthür, und fordert noch einen Schluck, die Courage zu begießen. (Die Aufwaͤrter ab.) Zweite Scene . (Heerstraße in der Gegend von Wavre. Die preußische Armee auf dem Ruͤckzug. Bluͤcher, eine lange irdene Pfeife rauchend, und Gneisenau neben ihm, im Hinter- grunde zu Pferde auf einem Huͤgel. Linie und Land- wehr, hin und wieder in Schwadrone oder Compagnien geordnet, meistens aber aufgeloͤs’t, reiten und marschieren durcheinader. Artilleriezuͤge und Fuhrwerke jeder Art darunter. Auf den Kanonen und Wagen liegen und sitzen Verwundete und Gesunde. Jeden Augenblick stuͤr- zen Marode. Aus der Ferne ununterbrochener Kano- nendonner. Alles eilt vorwaͤrts. Es regnet.) (zu seinen Pferden:) Hot — ha! — Fritz, hot — links liegt ein Verwundeter — Hans, ha — — rechts ein frei- williger Jäger mit einem Hemde, so fein, daß Ei- nem das Herz weh thut, darüber zu fahren. Dieses ist schrecklich erhaben — Ob mein Was- serpolacke todt ist? He, Berliner — wie geht’s? Sieh, der Herr Feldwebel — leben Sie noch? — Es schmerzt mir vor Freude. Auch immer frische Courag? Courage? Weiter nichts? An die hab’ ich mir bald gewöhnt. Es sind mich gestern tausend Kugeln um den Kopf geflogen, und keine traf mir. Geht das so fort, so bin ich bald gar nicht mehr vor mich bange. Das ist mir lieb — Adieu — Herr Feldwebel — Nun? Sie steht die große Nase, die Sie haben, sehr gut — Wahrhaftig, ich möcht’ Ihnen damit auf dem Brandenburger Thore sehen, neben die Siegs- göttin, die jetzt wieder oben steht — Aber, Herr Feldwebel, ich muß Sie doch an etwas er- innern — Die deutsche Sprache, wie ich sie bei Herrn Professor Heinsius gelernt, verstehn Sie nicht im Mindesten. Es heißt nicht wie sie sagen: «es ist mir lieb» sondern «es ist mich lieb.» Weshalb? Deshalb, Herr Feldwebel — — — Nämlich: sagen Sie nicht: «mich wurde die Kuh gestoh- len?» — He? Ich sage so ohngefähr. Also? Verstehn Sie? — «Mich wurde die Kuh gestohlen» und «mich ist es lieb» — Das ist tout égal . Möglich — (Geht weiter.) Daß diese arme Würmer aus der Provinz durchaus nicht das Deutsche richtig sprechen lernen, oft gar zweifeln, daß in diese Hinsicht nichts über die Residenzer geht! (Feindliche Granaten und Haubitzen fallen, einige dicht neben dem Berliner. Er springt zuruͤck.) Daß dir der Donner! — Ganz gesund ist’s hier nicht! — — Was hilft’s aber! Ich bin im Tu- mult, und kann nicht hinaus — Und am Ende sind die Franzosen hinter die Königsmauer schlim- mer, als die hinter uns — Ephrim! Ephrim! Was läufst du? Ferdinand, su meine Cumpanie — Die ist weit voraus. Weit voraus? — O wär’ ich dann doch so eher bei sie! Ephrim! Hast einen Schuh im Dreck stecken lassen. Laß ihn stecken, obgleich er kostet anderthalb Thaler — Ach, halte mir nicht auf, laß mir vor- wärts, mein Jugendfreund! Wir gehen ja vorwärts! — Wie kommt es, Ephrim, daß du deinen Namen wieder kennst? Vor zwei Jahre in Berlin sahst du dir bei dem «Ephrim» nicht um, — «Ibrahim, Ibrahim» hieß es bei alle deine Bekannte, Mutter, Schwester und Bruder. Steckte der liebe Gott hier, er würde viel fra- gen, wie er hieße, sondern er nähme die Flügel des Sturmwindes und flöge vor die Geschosse da- von wie ein Lämmergeier. Spielt der kleine Moses auch noch immer «auf die Fleit?», und hören eure «Leit» noch immer «su» mit offnem Maul und harten Ohren? Wie kann ich hier wissen, was meiner Schwe- ster Kind thut in die Hauptstadt? (Kartaͤtschenschuͤsse schmettern in das fluͤchtige Heer.) Au wai, was ist alles Gold gegen einen Kartät- schenschuß? Ephrim, lauf doch nicht so — — Bist hungrig, Ephrim? Ich bin es, ich bin es! Ephrim, als wir noch auf die Schule gingen, betrogst du mir im Spiel um fünf Münzgroschen — Als ich sie nicht bezahlen wollte, sagtest du es meinem Vater, und ich bekam Prügel ärger als ein junger Gott. Das ist nicht wahr, ist nicht wahr — irrst dir — eure Magd, eure Magd, die Lotte, hat es gesagt an deinen Vater — Sie hatte belauscht unser Spiel — Nie gestand ich, daß ich deinem Vater gesagt hätte von die Sache. Daß du dieses nicht gestanden hast, Ephrim, glaub’ ich dich auf’s Wort — Willst essen, Ephrim? Ja, ja, ja — So siehe zu, wie du etwas bekommst, denn dieses Stück Rindfleisch — Ist gut, ist gut — Her damit! Ich will es lieber selbst essen, denn es ist nicht kauscher, Ephrim — es könnte dir um Vater Abrahams alten Schooß bringen und den gönn’ ich dich allzusehr — Schweinehund, ich bin wohl ein Jude — Nicht ganz, nicht ganz — Dein blondes Haar verräth einen Christen, der zwischen deinem Vater und deine Mutter — na, Ephrim, du kennst ja die musicalischen Intermezzos aus die Visiten bei Mauschels kleinen Concerten — Du Hund, wenn ich auch bin ein Jude, bin ich doch ein Bürger und ein Berliner Freiwilliger wie du — da! (Er gibt dem Berliner eine gewaltige Ohrfeige. Der Ber- liner will sie ihm grade wieder geben, als eine Kano- nenkugel dem Ephraim den Kopf abreißt.) (stuͤrzt zur Seite:) Ah, wie furchtbar rächt mir das Geschick! (Sich wieder aufrichtend:) Ephrim, warst doch ein guter Kerl — Bist ja todt! — (Die verfolgenden Franzosen beschießen die preußische Armee heftiger und die Fluͤchtigen suchen sich rascher vorwaͤrts zu draͤngen. Bluͤcher und Gneisenau sprengen vor.) Halt! (Viele Soldaten eilen ohngeachtet dieses Commandos weiter.) Steht, sag’ ich, steht — Wer den Fuß rührt, eine Waffe wegwirft, wird auf der Stelle erschossen! (Die Armee steht.) Kerle, seyd ihr furchtsamer als mein Gaul? Er bäumt sich vor Lust, da er Kanonen hört, und ihr lauft krummen Buckels davon? (Franzoͤsische Kugeln fallen dichter und dichter.) Feldherr, das Gehölz da — es nistet sich feind- liche Artillerie hinein — So soll die unsrige sich nach ihr umgucken — Sie hat ohnehin mit ihren zerbrochenen Rädern Zeit genug. Der Blücher ist göttlich! Nun, Kanoniere, losgebrennt! — — Ich will mittlerweile sehen, ob ich dem Volk im Holze nicht einen Haufen Jäger unserer Arrieregarde in den Rücken werfe. — Du, Berliner — Wie, Herr Feldmarschall, Sie kennen mir? Ich sah dich vorgestern im Bivouac — Halt’ einige Augenblicke meine Pfeife in Brand. Nur einige Augenblicke? Viele Jahrtausende, wenn Sie befehlen. Gneisenau, ich bin gleich zurück. (Jagt fort.) Meine Herren Officiere — Eifriger, eifriger! — Schneller, besser die Truppen geordnet — Unsre Leute sind tüchtig, stets so brav als ihre Anführer. Vernichtete dieser Rückzug irgend eine Compagnie, die Schande fiele lediglich auf ihren Hauptmann. (wieder heransprengend:) Höre zu, Gneisenau — Die Jäger machen sich schon mit «Piff» und «Paff» in das Gebüsch — Die Kanoniere hier waren auch nicht faul — Wahrhaftig nicht, sie haben den « Quivive’s » so geantwortet, daß dieselben umkehren und die Schnauze halten, — unser Rückzug bleibt eine Stunde lang ungestört. — Meine Pfeife! Hier, Herr Feldmarschall! — — Und darf ich bitten? Ja. Lassen Sie mir zu die freiwilligen Jäger, die da dicht mit dem Feinde scharmuziren. Seit die Zeit, daß ich aus Ihre Pfeife rauchte, ist’s mich, als hätt’ ich mir an einem Vulkan voll gesogen, wie ein unmündiges Kind, und ich crepire vor Schlachtwuth, — denn außerdem daß mir dieses Rauchen begeistert hat, ist’s zweitens klarer als ein reines Bierglas bei Wisotzky, daß mir hier die Franzosen unvermutheter und eher treffen, als wenn ich die Hallunken in das Gesicht sehe, ihre mörde- rische Bewegungen observire, mir hinter einen Baum stelle, und, selbst ziemlich gesichert, sie zu- erst todt zu schießen versuche. Du bist ein klug-braver Kerl. Mache dich so- gleich zu den freiwilligen Jägern. Dann, Herr Feldmarschall, brechen Sie ein Endchen von Ihre Pfeife, und verehren Sie es mich! Wozu? Zum Andenken, und dann auch, um mir bei die Jäger, da ich eine andere Uniform trage als sie, damit zu legitimiren. Da hast du es, toller Patron. Sehr gut gesagt, sehr schön, wenn ich auch am Inhalt des Ausdruckes zu zweifeln wage — Herr Feldmarschall, Sie sollen von mir sehr viel hören, oder schlimmstens doch gar nichts. (Ab.) Feldmarschall, rechts Musik — jetzt der alte Dessauer — da «Uso voran» — und nun wieder ein neuer Walzer! Gott sey gelobt, also endlich Bülow mit den Pommern! Reit’ ihm entgegen, und lies ihm we- gen seines ordnungswidrigen Ausbleibens die Le- viten. Was helfen die bei ihm? — Er wiegt sich in den Steigbügeln, sieht sich in der Gegend um, und läßt die Vorwürfe zum einen Ohr herein, zum an- dern hinaus. Freilich, so thut er — Aber, bei Gott, der leichte Sinn, welcher bei jedem Subalternen der Todesstrafe werth wäre, ist nicht strafbar bei dem Helden von Dennewitz. Vielleicht rettete er jüngst mit ihm Deutschland. Als wir 1813 noch immer zweifelten, den Corsen, sobald er uns persönlich gegenüberstand, anzugreifen, rief er nichts als: «hole der Kuckkuck das Zaudern! drauf los! den Versuch gewagt! ihr sollt sehen, er ist einer Mut- ter Sohn wie wir!» (Gneisenau reitet zu Buͤlow, welcher, zu Pferde, mit seinem Armeecorps unter Feldmusik in groͤßter Ordnung in die preußischen Linien ruͤckt.) Guten Tag, lieber Gneisenau. Bülow, des guten Tages bedürfen wir. Ihr seyd abscheulich mitgenommen. — Was macht Blücher? Dort hält er, gesund und frisch. Das freut mich. Er ist ein Degen, den weder Alter, Blut, noch Wetter blind oder rostig machen. — — Sapperment, wie ist eure Artillerie, In- fanterie, Cavallerie in Wirrwarr! ’Ne wahre Höl- lenwirthschaft! — Und was von dort? Flinten- schüsse? So nah habt ihr den Feind auf den Hacken? Tirailleurgefechte — Meine Pommern machen bald aus den Gefech- ten wieder eine Schlacht. — Sieh’ einmal die Teufelskerle an: beschmutzt bis über das Ohr, aber Gesichter frisch und kernig, wie eben ausgeschältes Obst, und auf den Beinen munter, als ging’ es auf der Jacobsleiter zum Himmel — Ein Gicht- brüchiger wird bei dem Anblick gesund.. — Will die alte Garde des Imperators Pommern fressen, bekommt sie harte Nüsse zu knacken. Du hast gut reden — Unsere Corps sind seit zwei Tagen im Feuer — Deines sah noch keine französische Lunte. Im Feuer, Feuer — Feuer hätt’ euch bei die- sem Unwetter erwärmen und erfreuen sollen. — Meine Leute prügeln sich noch, wer von ihnen zu- erst Napoleons Mörser erstürmt, sie zu Kochkesseln zu gebrauchen. Wir wollen das abwarten. — Der Feldmar- schall hat aber, wie ich dir im Ernst sage, im Sinn, dich vor eine Militärcommission zu stellen. Du mußtest gestern, der Ordre gemäß, bei Ligny seyn, und konntest da seyn, wenn auch später als dir befohlen. Die Schlacht hätte eine andere Wendung bekommen. Wahrhaftig, eine schöne andere Wendung! Abends, als ihr schon geschlagen war’t, und uns in der ersten Fluchtwuth angesteckt und mitgerissen hättet, wären wir eingetroffen, vom übermäßigen Marsch marode, und leeren Magens dazu. — Eh, ich hab’ erst Mann und Pferd sich sättigen, alles Tritt vor Tritt marschiren lassen, und da ist nun mein Corps, tüchtiger als je. — Der Feldmarschall achtet die Vernunft mehr als seine Ordres, und somit bin ich entschuldigt. Bilde den Vortrab des Heeres — Ziethen stößt mit der Masse der Reiterei gleich zu dir. Der Marsch geht über Wavre nach den Waldhöhen von Soignies. Gut, mein Freund. (Gneisenau ab.) Tambours, den Armeemarsch! — So! — — Und nun einen Kirchmeßwalzer, Hautboisten! — — Brave pommersche Jungen, ist’s nicht als wären wir auf einer Bauerhochzeit bei Pasewalk? Gibt’s etwas lustigeres als einen Feldzug? (Er und die Pommern ziehen weiter.) (wieder neben Bluͤcher:) Feldmarschall, der Bülow spricht und denkt über sein spätes Eintreffen so wie ich vermuthete — Aber sein Corps? Ist in einem herrlichen Zustande. Das ist die Hauptsache, und ich nehm’ ihm sein gestriges Ausbleiben nicht übel. (Zu dem Heere:) Cameraden, gestern sind wir mordmäßig geschlagen — Tröstet euch, und schlaget die Franzosen morgen mordmäßiger wieder. — Die Engländer warten auf uns vor dem Walde von Soignies. Kommen wir bei ihnen nicht zeitig an, so sind sie verloren, kommen wir zeitig, so helfen wir ihnen mitgewin- nen. — Also, dreist in diesen Dreck getreten, wir treten so früher auf die gebohnten Dielen des Louvre — — — Hölle, was für Physiognomien 18 sitzen ganz behaglich in ihren großen Halstüchern auf jenen Feldwägen? Feldchirurgen. Herunter mit den Balbiergesellen, in den Ku- gelregen mit dem Volk, daß es dort die Verwun- deten verbindet, und hier ihnen Platz macht — — Ein paar gute Schuster mit tüchtigen Gesellen wären dem Heere nöthiger als dieses ganze in Eil’ aufgeraffte Feldscheerergesindel. Die Franzosen drängen sich näher und näher in uns’ren Rücken — Nur nicht all zu bestürzt, — sie können uns ja desto eher in — — Melden Sie so etwas der Arrieregarde. Der Sieg liegt vor uns — Dorthin! (Alle ruͤcken weiter.) Dritte Scene . (Hohlweg vor dem Walde von Soignies. Mitten durch ihn die Straße nach Bruͤssel. Gebuͤsche auf beiden Seiten. Diese, so wie die Ufer des Hohlwegs sind von Deta- schements englischer Linientruppen, englischer Jaͤger und hannoverischer Scharfschuͤtzen besetzt. Hinter der Schlucht auf den Hoͤhen von Mont Saint Jean steht das Gros des wellingtonschen Heeres, — rechts von ihr das Vor- werk Houguemont, — in einiger Entfernung vor ihr das Gehoͤft la Haye Sainte, etwas weiter hin das Haus la Belle Alliance, und noch entfernter die Meierei Cail- lou, — links die Doͤrfer Planchenoit, Papellotte, Fri- chemont etc.) Wie heißt diese Gegend? Weiß nicht, James, — wir taufen sie bald mit Schlachtenblut. Ja, Sergeant. Schlacht gibt’s. Die Vorposten sind darnach gestellt. Gott verdamme, jedesmal, wenn man mit den Franzosen zu thun hat, regnet’s wie aus zerschla- genen Fässern. War’s nicht auch in Spanien im- mer so? ’S ist ja Suppenschlucker-Volk. Siehe, wie da Einige von ihnen über den Dreck hüpfen, jämmerlich leicht wie die Kibitze über den Sand. Warte, jenen naseweisen Leichtfuß, will ich mit einem schönen Stückchen Blei schwer machen. Prosit die Mahlzeit, James, — er riecht Lunte und versteckt sich hinter einer Erdhöhe. (sprengt vor:) Was ist das da linker Hand? Nebel, Dampf oder Feind? — Der verhenkerte Gußregen wäscht mir vor Aug’ und Fernrohr alle Gegenstände durcheinander. Herr General, ’s ist der gewöhnliche große Leichenqualm, der drei Tage lang vor der Schlacht auf den Feldern umherzieht. James, sey kein Narr — Es ist Nebel, Ge- neral, aber sehr entfernt. Hum — Der Nebel hält mir zu lange auf ei- nem Fleck. Mein General — Nun? Ich habe unter meiner Compagnie einen sech- zehnjährigen Burschen von den Harzjägern — Er sieht und schießt unglaublich weit — Rufen Sie ihn. Fritz! Fritz! (Fritz kommt.) Was dort links für Nebel? Nebel? Nebel? — Herr Hauptmann, ich sehe keinen. (Er wischt sich die Augen.) James, der ist scharfsichtig! Wie eine Nachteule. Was siehst du denn eigentlich? Das ist ja ganz deutlich. — Dort hält, tief in graue Mäntel gehüllt, ein Regiment französischer Dragoner, und guckt mit lauernden Katzenaugen hieher. Dacht’ ich’s doch! Wenn der Junge nicht lügt, so ist — Er ist — Das feindliche Gesindel will sich an uns nisten, um uns recht sicher, zur ungelegensten Zeit, mit den Krallen zu fassen. Soll ich ihm zeigen, daß wir es sehen? Schieß’ ich einen heraus? Der Bengel ist toll. Auf diese Entfernung treffen — Wie gesagt, der Junge ist ein Kobold aus Norddeutschland, und ein christlicher northumber- ländischer Jäger hütet sich ihn anzublicken. Schieß, Junge. Wie gern! (Er zielt kurze Zeit und schießt.) Hahaha! Da liegt des Königs Wildprett, sagt mein Vater, und erquickt treuer Unterthanen Beu- tel und Magen, wenn wir am Blocksberge ein Sechzehnender wilddieben. Wer fiel? Der Obrist, und die Uebrigen galloppiren da- von, wie ein Rudel Hirschkühe, wenn der Bock aus ihrer Mitte geschossen wird. Gott verdamme, der vermeinte Nebel zerstiebt auch im Hui. (tritt vor:) Verfluchter Dachshund, infamer Köter, was belügst du mich, deinen Vater? Das Hirn schlag’ ich dir ein! (Zum General:) Gnädiger Herr, wenn ich je mein Gewehr auf ein königliches Wild abgedrückt habe, will ich nie den Hahn auf eins gespannt — — Ach, kurz und gut, der Bengel lügt! Alter Borstenkopf, «wer sich entschuldigt, eh’ man klagt» — Beruhige dich, — triff du die Franzosen so brav wie dein Junge, und ihr seyd dem Könige die liebsten Schützen in Schlacht und Wald. Hussa, hinter uns vom Berge kommt wieder eine Menge Leute — Schieß’ ich darein? Bist du toll, Junge? — Das sind Linienba- taillone von Mont Saint Jean, uns zur Hülfe geschickt. O dürft ich nur immer schießen — Der Pul- vergeruch ist mir nun einmal in der Nase. Was saus’t? Eine bonapartische Paßkugel — Da schlägt sie in den Baum. Fritz, nun schieß, schieß in die Franzosen, so lang Athem und Pulver nicht ausgehn — (Laut:) Alles an die Ufer des Hohlwegs — Büchsen und Flinten frisch geladen, — den Flinten die Bayo- nette aufgeschraubt! — Donner, da drängen sie sich schon herein — Feuer! (an der Spitze der sich in den Hohlweg stuͤrzenden Colonne:) Laßt sie schießen, Cameraden! Hört ihr die Paßkugeln über uns, und seht ihr, wie sie dem Feinde Pferd und Mann hinschmettern? Sie kom- men aus französischen Geschützen und sind die ge- waltigen, helfenden Begleiter, aus der Ferne uns nachgesandt von dem Kaiser! Schurke der, welcher einen Schuß thut, bevor wir diesen Chauss é erand erklettert haben. Wächst das Volk aus dem Boden wie die Ameisen? — (Einen der am Chauss é erande emporgekletterten Franzosen mit dem Bayonnett durchbohrend und wegschleudernd:) Zurück, du Hungerleider! (vor Wuth schaͤumend, schwingt sich auf die Hoͤhe des Chaus- s é erandes und wirst den Engl á nder auf die Bayonnette der ihm nachdringenden Franzosen:) Und an den Spieß, du Sattfresser! — — Mir nach — mir nach — (sprengen heran:) Im Namen des Kaisers: zurück! Er sieht eine Ueberzahl englischer Linie und Artillerie sich gegen euch vom Berge stürzen — Zurück auf einige Augenblicke — Beefsteaks, wir kommen wieder! (Sie ziehen sich unter stark erwiederten Gewehrsalven zuruͤck.) (zu seinem Adjutanten:) Was für Flammen glänzen rechts hoch aus diesem Rauch? Der Lage nach das brennende Houguemont. Auch das schon? — Die Schlacht wird allge- mein. Sie ist es. Schauen Sie, la Haye Sainte lo- dert auch schon. — Ha, was da? Das ohrzerschneidende Geschrei unserer Ver- wundeten — — Himmel, warum steht das rechte Altengland da oben noch stets ruhig unter den Waffen? Der Herzog pflegt, wie er es nennt, seinen Augenblick zu erwarten. Bonaparte ist erfinderischer und kühner: er schafft sich nöthigenfalls den Augenblick. — Ah, wieder Kugeln über Kugeln hieher! Der Feind vergißt uns nicht. Herr Obrist, jetzt aber geht Altengland auf Mont Saint Jean auch los — Da — alle Batte- rien — Hören Sie! Es ist, als rasselten alle Heerschaaren der Hölle in eisernen Harnischen über unsere Häupter — Ha, und jetzt wettert ihnen die Artillerie der Fran- zosen entgegen — Ohne feige zu seyn, bückt man sich unwillkührlich. — — Wahrlich, ich habe noch keine Schlacht gekannt — Vittoria, wo man sich besinnen und athmen konnte, war Kinderspiel — — Hier jedoch: meilenweit die Luft nichts als zermalmender Donnerschlag und erstickender Rauch, — darin Blitze der Kanonen, flammende Dörfer, wie Irrlichter, immer verschwunden, immer wieder da — der Boden bebend unter den Sturmschritten der Heere, wie ein blutiges, ein zertretenes Herz, — Geschrei laut ausgestoßen, kaum vernommen — — Adjutant, das Alles, weil dort bei Caillou der kleine Mann steht? — Keine Antwort? — Gott, er ist gefallen! — Und dort naht wieder der feind- liche Vortrab — Mir lieb — So fluth’ ich mit unter die tobenden Wasser, denn einsam ruhig kann ich in diesem sturmempörten Ocean mich doch nicht halten. Vater, hier geht es ja gar nicht so her wie auf dem Exercierplatz. Dummer Junge, auf dem Exercierplatz schießt man blind, aber hier hat alles geladen. Vierte Scene . (Die Hoͤhen von Mont Saint Jean. Auf ihnen Wellingtons Heer. Im Vor- und Mittelgrunde die Infanterie in Quarr é es, — zwischen diesen die Artillerie, ununterbro- chen feuernd, — im Hintergrunde, welcher von dem Walde von Soignies umgraͤnzt wird, die Reiterei und die Reserven. Franzoͤsische Kanonenkugeln schmettern uͤberall in die Heerhaufen.) (Wellington mit seinem Generalstabe, neben ihm General Lord Somerset.) Ich beschwöre dich, Herzog, laß uns nicht wei- ter hier müssig stehen, und die braven Leute, ohne daß sie einen Finger an den Hahn der Flinte le- gen dürfen, hinschmettern von den Geschützen des Corsen. Unsere Kanoniere sind nicht müssig. Aber alle andern Truppen sind’s, — laß sie endlich die Bayonette fällen, die Säbel ziehen, und den gallischen Hähnen entgegenstürmen. Unmöglich — Europa’s, ja, des Erdkreises Schicksal schwebt in dieser Stunde auf dem Spiel — wir dürfen nicht eher wagen, bis wir des Er- folges gewiß sind, und ich fürchte, wenn Blücher nicht bald kommt, haben wir mit Ihm bei Cail- lou schon sehr viel gewagt. O träf’ ihn doch eine, eine von hunderttausend Kugeln, die dahin fliegen — — Herzog, sollen denn diese Höhen die riesenhafte Schlachtbank wer- den, auf welcher Altengland sich opfert für die undankbare Welt? Wenn es zum Aeußersten kommt — ja. O schau’ dort — wieder eine ganze Reihe der braven Bergschotten hinsinkend wie Aehren vor der Sichel — — Und hier — das erste Glied des Leibregiments eben so — Das zweite marschirt lächelnd ein, Milch und Blut auf den Wangen, die frischeste Jugend, die jemals im heiteren Eng- land schimmerte — ha, und da winseln sie auch schon im Staube — — Mutterherzen, Mutterher- zen, wie wird’s euch zerreißen, — mein Herz ist schon zu Trümmer! Und zertrümmert das Gehirn dazu — wir müssen ausharren bis die Hülfe naht. (heransprengend:) Die Franzosen nehmen Belle Alliance und drän- gen auf der Chauss é e hieher vor. Kartätschen über die Chauss é e! (Englisches Kartaͤtschenfeuer, — auf einmal ein franzoͤsischer Kanonendonner, der allen fruͤhern Schlachtlaͤrm, so arg er gewesen ist, uͤbertoͤnt. Die Englaͤnder stuͤrzen dichter als zuvor.) Teufel — meine Locken — reißt mich nicht mit — Sechs-, Zwölf-, Vierundzwanzig-Pfündner fliegen darüber hin. — — Wie? wird das Höllen- getöse, welches uns eben erschütterte, noch ärger? Es wird’s. — Auch ich finde Ihn und seine Mittel und die Art, wie er sie gebraucht, gewal- tiger als ich gedacht. Ich meinte einen etwas besseren General als Massena oder Soult, die wahrlich auch tüchtige Feldherrn sind, in Ihm zu treffen — — Aber da ist gar keine Aehnlichkeit, — wo die aufhören, fängt Er erst an — Doch darum nur so mehr Ruhe und Ausdauer — das Ungeheure überstürzt am leichtesten — Er läßt uns hier nur die Wahl zwischen Sieg und Tod, — eben darum erringen wir vielleicht den ersteren. (denen waͤhrend des folgenden Gespraͤchs, bis Milhaud er- scheint, — in stets dichtern Haufen andere folgen:) Hinter unsere Batterien! hinter unsere Batte- rien! Flüchtlinge, schämt euch, — haltet — Was gibt’s? Bonapartes Kuirassiere in unserem Rücken — Nichts hält ihnen Stand! Hm, — da schweigen auch seine Kanonen, weil sie sonst in seine eigne jetzt herankommende Caval- lerie schießen würden, — recht klar — erst wollt’ er unsre Reihen mit Kugeln lüften, dann mit den Haudegen der Kuirassiere vertilgen — So leicht geht es nicht, mein Herr! — Die Lücken der Quarr é es gefüllt — in die Quarr é es Batterien — Die Reserven näher ge- rückt — Die vorderste Reihe des Fußvolks auf die Kniee — die zweite schießt — Bayonette vorge- streckt — die Reiterei fürerst beiseit! 19 Laß mich an die Spitze meiner Gardecavallerie! Nein, dazu ist’s noch nicht Zeit, und die Kui- rassiere Milhauds, ungeschwächt, wie sie noch sind, hieltest du doch nicht auf. Wie? Mit Pferden und Reitern wie die mei- nigen — Folge mir in jenes Quarr é e — (Mit ihm zu dem Quarr é e gehend:) Ja, ihr seyd brav — Aber Milhauds Kuirassiere, so schlecht die Menge der französischen Cavallerie seyn mag, sind die Elite der ältesten, fast unter jedem Himmelsstrich, gegen jede Nation geprüften Schlachtenreiter — (Sich einen Augenblick umwendend:) Da kommen sie — Betrachte sie — Sind ihre Gesichter nicht gelb und hart wie der Messing ih- rer Helme und Sturmketten? Sehen sie nicht aus, als hätten sie unter Spaniens Sonne oder Ruß- lands Schneegestöber sich Tag für Tag mit Blut abgewaschen? (zu seinen Kuirassierdivisionen:) Cameraden, eingehauen! — Ha, welche Wollust, diesen Narren, die Ihn nicht einmal kennen wollen, dicht vor ihrer Fronte in die Zähne zu rufen: hoch lebe der Kaiser! Hoch lebe der Kaiser! Und hoch unsre Schwerter, um so tiefer auf die Lumpen niederzuflammen! (Die Kuirassiere versuchen einzuhauen, Gewehrsalven empfan gen sie. Manche stuͤrzen, aber an den Panzern der Meisten rollen die Flintenkugeln ab.) Was? Hat uns der Kaiser nicht feste Westen gegeben? — — Und Schade, oder wir finden Schlüssel, die Thore dieser Vierecke zu sprengen! (Mit der linken Hand ein Pistol hervorreißend und es auf einen englischen in Reih’ und Glied stehenden Haupt- mann anschlagend:) Hauptmann da — wahre deine Epaulette, daß sie nicht schmutzig wird — (Er schießt ihn zu Boden, und sprengt uͤber den Leichnam in das Quarr é e:) Hohussa! (mit den uͤbrigen nachsprengend:) Fahne her! Eher mein Leben! So nimm den Tod! (Haut ihn nieder und nimmt die Fahne. — Die Artillerie des Quarr é es schießt mit Kartaͤtschen.) Diese Kanonen übergeritten! (Er stuͤrmt mit den Kuirassieren auf sie ein. Die Kano- niere brennen noch einmal die Geschuͤtze ab und fluͤchten.) Ha, unser die Kanonen! — Vernagelt sie! (springen von den Pferden:) Das verstehen wir! Der Teufel selbst soll sie nicht weiter gebrauchen können! Vorwärts, vorwärts in und über die anderen Quarr é es! Das feindliche Heer aufgerollt vom Aufgang bis zum Niedergang! Der Gott der Siege umathmet unsre Helme! Lord Somerset, jetzt an die Spitze der Garde- cavallerie, und warte meines Wortes. Endlich — Gott sey gelobt! Da haut der Milhaud das vierte Quarr é es zusammen! Diesesmal scheitert er hier an dem fünften! — Sechzig Reservekanonen herein! Vier Quarr é es zu Stücken — In das fünfte! Herr General, es öffnet sich von selbst — (Das Quarr é e oͤffnet sich und sechszig schwere Geschuͤtze des- selben geben Feuer.) Heiliger Name Gottes — — Vorwärts in diese Höllenküche, und werden wir auch selbst darin ge- braten — — Camerad, wo dein rechter Fuß? Mein Fuß? — Sacrament, da fliegt er hin, der Deserteur! Halte dich am Sattelknopf, wirst du ohnmäch- tig — — Nur drauf und dran! — — Nein, es geht nicht — Wir behalten sonst kein ganzes Pferd zum Zurückkommen! — Adieu, meine Herren — wir sprechen uns heute noch einmal, gleich nach dem zweiten Kugelsegen des Kaisers. (Mit den Kuirassieren ab.) Jetzt, Somerset, gib ihnen das Geleit! Den Schurken nach, Cavallerie König Georgs des Dritten! (Ab mit der englischen Gardecavallerie.) Zwei Adjutanten nach dem linken Flügel — Corke und Clinton sollen Houguemont wieder zu nehmen versuchen — Der Feind wird vielleicht durch die Diversion verwirrt. (Zwei Adjutanten eilen fort, — Lord Somerset kommt mit der Gardecavallerie zuruͤck.) Schon zurück? Wir haben sie bis unter die Bayonette ihrer Infanterie getrieben — Mancher Kuiraß von Nancy liegt im Koth. — — General Picton ist eben gefallen. Auch der? — So sehr er mein Freund war, ich kann ihn jetzt nicht betrauren — Es ist keine Zeit dazu, und der Tod würgt heute so allgemein, daß er etwas ganz Gewöhnliches scheint. (Der franzoͤsische Kanonendonner hebt wieder so furchtbar an, wie kurz vor der Ankunft der Milhaud’schen Kui- rassiere.) Ha, von Caillou her zum zweiten Angriff geschossen und gebrüllt! — Seyd gefaßt! Milhaud sprengt bald neugestärkt hieher! Noch ein paar solcher Angriffe, und unsere Ar- mee ist nicht mehr. Wäre kein Rückzug möglich durch den Wald von Soignies? Mein Herr, ein Rückzug ist doppelt unmöglich. Erstlich erlaubt ihn unsere Ehre nicht, und dann ist die Heerstraße durch den Wald so voll von flüchtigem Gesindel und Fuhrwerk, daß nicht eine Compagnie, geschweige siebenzig tausend Mann darauf zehn Schritt in Ordnung machen können. — O wäre der alte Blücher erst da! — — Was ist die Glocke, Somerset? Die Glocke von Waterloo schlug eben halb vier. Dorfthürmchen von Waterloo, du schlugst den Beginn der schwersten, unvergeßlichsten halben Stunde meines Lebens! — Um vier Uhr wollte Blücher im Forst von Frichemont seyn. — — Himmel, wenn er nun nicht — Ordonnanzen nach dem Forst, ob sie nicht endlich eine preußische Land- wehrkappe erblicken! Der zweite feindliche Reiterschwall naht! Altengland treibe ihn zurück wie den ersten. — Ich setze mich auf diesen Feldstuhl und weiche nicht davon, bis wir gesiegt haben oder eine Kugel mich davon wirft. Fünfte Scene . (Kleine Anhoͤhe von Caillou. Napoleon haͤlt auf ihr zu Pferde. Bertrand, Cambronne und seine Suite um ihn. Die Garden hinter ihm. Neben ihm der Paͤchter Lacoste. Milhaud und seine Kuirassiere kommen eben von ihrem zweiten abgeschlagenen Angriff zuruͤck.) General, wie ist’s da oben? Sire, die Engländer wehren sich matter als bei unserer ersten Attaque. Bereiten Sie sich zu der dritten — Alle irgend überflüssigen Regimentsgeschütze dort zu Drouot — Die Zeit drängt, und was ihr an Länge fehlt, müssen wir durch Schnelle und Stärke ersetzen. (Adjutanten ab, — die franzoͤsische Kanonade wird immer gewaltiger.) Jesus Maria! (blickt ihn sinster an:) Was gibt’s? Sire, Verzeihung — ich fürchte mich — mir ist das nicht gewohnt! Wann kamen die Engländer hier an? Gestern, Sire — Morgens neun oder zehn Uhr. Waren sie marode? Die, welche auf meinem Pachthof sich einquar- tirten, waren es, und wie es mir schien, auch alle übrigen, — aber es währte nicht lange, so re- staurirten sie sich bei zahllosen Marketenderfeuern. Das Haus Belle Alliance vor uns — — Hat es Gehöfte, Hecken um sich? Nein, es liegt offen an der Chauss é e. — Ist Milhaud bereit? Ja, Sire. Kellermann stößt mit seinen Reitern zu ihm und er versucht, während Drouots Batterien so lange einhalten, den dritten Angriff. (Adjutanten ab.) Weh, meine Frau und meine Kinder! Bauer, halte das Maul. Hier fallen engländische Kugeln! Laß dich das nicht kümmern. Verlierst du dein bischen Leben, was verlierst du Großes? Wellingtons Heer wehrt sich mit den Krämpfen der Verzweiflung. Sechs reitende Batterien dem Milhaud nachgesandt. Man soll auf Mont Saint Jean Posto fassen, es koste was es will. Ney ebenfalls dahin über la Haye Sainte, und mache seine Ueberweisheit bei Quatrebras gut durch stren- ge Befolgung meines Befehls. Kann er Haye Sainte nicht nehmen, so läßt er es sammt dessen feindlicher Besatzung am Wege liegen. — In ei- ner halben Stunde muß Mont Saint Jean mein seyn, oder ich erneue die Tage von Lodi und stelle mich selbst an die Spitze der Colonnen! (Viele Adjutanten ab.) Auf unsrem rechten Flügel ist’s zu still — Dahin zum Graf Erlon — ihm gesagt: auf dem Berge jenseits Papelotte, in den Vierecken des linken eng- lischen Flügels, wachse ein Marschallsstab von Frankreich. (Adjutanten ab, — andere kommen.) Der Fürst von der Moskwa ist über la Haye Sainte hinaus, — da aber wehren sich die Eng- länder hinter Verhacken wie Rasende, und das Blut fließt in Strömen. Und wogt es wie Meeresfluth, wenn wir nur siegen! Der Sieg soll des Blutes werth seyn. Der Stern des illegitimen, geächteten Napoleon von 1815 soll den Völkern freundlicher leuchten, als der Comet des Erderoberers von 1811. (Viele Verwundete, auf Ambulancen, werden vorbei gefahren.) Ihr Armen wißt auch nicht, weßhalb ihr seufzet und stöhnt. — Nach vierzig Jahren commentirten es euch Gassenlieder! (heransprengend:) Die letzten englischen Reserven rücken in das Feuer — Milhaud, Drouot und Ney sollen desto heftiger sie angreifen. Was da links? In der Gegend von Hougue- mont? Kanonendonner naht von dort — Prinz Jerome wird bedrängt. Was bedrängt! — Der Feind ist dort schwach, und neckt ihn eben darum mit Manoeuvers! — Zwei Schwadronen Gardelan ç iers mir nach! (Er galloppirt in Begleitung zweier Schwadronen Garde- lan ç iers nach Houguemont, — der Kanonendonner, wel- cher von dort sich naͤherte, verliert sich bald darauf in der Ferne.) Der Milhaud macht heute beneidenswerthe Chocs — wir bekommen zu thun, müssen wir mit seinen Kuirassieren wetteifern. Er ist im spanischen Kriege nicht umsonst braun geworden. Er erinnert an Murat. So ziemlich — aber mehr an seinen Muth als an seine Gewandtheit. Eine brillante Attaque, wie die des Murat bei Wagram, erleben wir wohl nicht wieder. Murat that auch besser, ließ er, statt um Neapels Lumpenthron sich zu raufen, seinen Feder- busch hier wehen! Kronen müssen einen eignen verlockenden Glanz haben, sonst begreif’ ich nie, wie ein Franzose nicht lieber Gemeiner im ersten besten Linienregi- ment seines Vaterlandes seyn will, als König von Neapel, oder Kaiser von Rußland. (Napoleon und Gefolge kommen zuruͤck.) Sire, es ist doch wahr: vorgestern ist der Herzog von Braunschweig gefallen — Gefangene Officiere seines Corps versicherten es mir eben in Houguemont. Ein Husarengeneral weniger. — — Lacoste, der Geschützdonner rechts? Von Wavre? Sire, ja. Grouchy treibt also die Preußen in die Dyle. Die Kanonade ist lebhaft, Sire — die Preußen leisten starken Widerstand. Schwerlich, oder Grouchy wär’ ein äußerst erbärmlicher Verfolger gewesen, — sie waren zu sehr geschlagen, — selbst Bülows Corps muß von der flüchtigen Masse mit in den allgemeinen Stru- del gerissen seyn. — Graf Lobau schiebe jedoch zur Vorsicht seine Teten bis in das Gehölz zwi- schen hier und Wavre. (Großes Krachen von Mont Saint Jean her, — ungeheure Flammenmassen fliegen dort in die Luft.) Brav, Drouot, das war ein Meisterschuß — zwanzig englische Pulverwagen gingen gewiß dar- auf! Bertrand — Cambronne — Sire, ist es Zeit? Ja. Garden, sturmfertig! Es geht grade aus, über la Haye Sainte, wo Milhaud und Ney sich an euch schließen. — Was pfeift da? Wehe, Meuchelmörder in unsren Reihen — ganz nahe Büchsenkugeln! Sire — Flügelhörner — Preußische Jäger keine zweihundert Schritt von uns. Einige Dragoner hin, die an der Dyle ver- sprengten jungen Tollköpfe zu ergreifen. (heransprengend:) Vom Graf Lobau: das ganze Gehölz von Fri- chemont ist voll von Preußen. (spaͤter:) Von Lobau: schon leichtes preußisches Geschütz im Walde von Frichemont. — Der General eilt ihrem Angriff entgegen zu kommen. Vom Graf Erlon: am linken Flügel der Eng- länder, auf der Höhe des Waldes von Frichemont erscheinen Blücher und Bülow mit zahllosen Heer- haufen, und Raketen über Raketen verkünden Wel- lington ihre Ankunft. Blücher? Bülow? — Ihre Corps müssen Trüm- mer seyn. Sire, nein. Zug auf Zug, endlos, rücken sie aus dem Walde — immer breiter wird ihre Fronte — ein Geschützfeuer entwickeln sie auf den Anhö- hen über dem anderen — ein durch die Wolken brechender Strahl der Abendsonne zeigte sie der halben Armee in voller Kampfordnung. (fuͤr sich:) Der Strahl war nicht von der Sonne von Austerlitz. Brechen Himmel und Erde ein? — Der Kaiser zuckte mit der Lippe! — — Sire, Sire, die Schlacht geht doch nicht verloren? Grouchy hat viel daran verdorben — (Fuͤr sich:) Daß das Schicksal des großen Frankreichs von 20 der Dummheit, Nachlässigkeit oder Schlechtigkeit eines einzigen Elenden abhängen kann! — Graf Lobau bittet Verstärkung — Ziethen kommt ihm und der Armee in den Rücken. Mouton soll sich in Planchenoit so verzweifelt wehren, wie einstens auf der Insel, von welcher er den Namen Lobau trägt. Von Erlon: Bülow hat Papelotte erstürmt. Meine schlechtesten Truppen gewesen, die Pa- pelotte so schnell sich nehmen ließen. — Erlon läßt nur seine Arrieregarde den Preußen gegenüber, und marschirt links ab zu Ney. (Adjutanten ab.) Vom Marschall Ney und General Milhaud: die ganze englische Linie setzt sich gegen uns in Bewegung. Zurück zum Marschall und zu Milhaud: gleich käm’ ich selbst — sie sollten sich halten bei la Haye Sainte, bei Gefahr ihrer Köpfe! (Zu den Adjutanten und Ordonnanzen seiner Suite:) Meine Herren, im Fluge zu allen Corps, welche nicht bei la Haye Sainte fechten, — sie sollen alle dahin, ob auch die Feinde, mit denen sie grade fechten, sie verfolgen oder nicht. (Viele Adjutanten und Ordonnanzen ab nach allen Seiten.) Drouot bittet um Munition — Alle Artilleriemunition zu ihm. General Drouots Kanonen drohen vor Hitze zu springen, und er wünscht — Er schießt bis die Kanonen springen. Ziethen pflanzt in unsrem Rücken Geschütze auf. Das merk’ ich — Dort stürzt Friant mit zer- schmetterter Stirn. Von Milhaud und Ney: Blücher treibt starke Colonnen auf Belle Alliance, und versucht beide Generale von hier abzuschneiden. Die Engländer? Rücken mehr und mehr vor. — Ney kämpft in wilder Verzweiflung. Seine schwache, schädliche Manier. — Mil- hauds Kuirassiere? Die Mehrzahl schon gefallen. (wendet sich zu den Garden, mit gewaltiger Stimme:) Garden, kann es eine irdische Kraft, so könnt ihr die Schlacht retten und Frankreich! Noch nie ließt ihr mich in euch irren, — auch heute zähl’ ich auf euch — Kaiser, zähle, und du findest lauter Treffer! Den Kaiser werf’ ich weg von mir — (vom Pferde springend:) ich bin wieder der General von Lodi, und mit dem Degen in der Hand führ’ ich selbst euch auf Mont Saint Jean! Ueber die Sterne der Kaiser! Kaiser, Kaiser — Entsetzlich — Da steht er, der Hut vom Kopf gefallen, den Degen in der Faust, wie der Gewöhnlichste seiner Souslieute- nants — Sire, die Pflicht gebietet dir, dein Leben nicht so auszusetzen, wie du im Begriff bist! Wie ich im Begriff bin? Schmettern hier nicht die Kugeln schon so dicht, wie irgendwo auf dem Schlachtfelde? Gewiß, Sire, doch daß du grade so wie jetzt — Wie «grade so?» Was heißt das? — Zeige den Platz ehrenvoller als dieser meinige, an der Spitze meiner Garden, unter den Todesdonnern der Schlacht? Hört ihr, was der Kaiser sagt? — Die Musik dazu. «Où peut on être mieux, Qu’au sein de sa famille!» Verdammt das Pferd, welches mich trägt, wenn der Kaiser zu Fuß ist! Ich werde Gemeiner, und kämpf’ als solcher! Wir auch! (Sie springen von den Pferden und ziehen die Degen.) Wo die Granitcolonne von Marengo? Sie tritt schon vor, und wünscht dich zunächst zu begleiten. Das soll sie auch. Ihre Soldaten waren die Genossen meines schönsten Tages, — so sollen sie auch Genossen und Helfer an meinem bösesten seyn! — — Garden aller Waffenarten mir nach! Herr Pächter Lacoste, leben Sie nun recht wohl und laufen Sie von hier was Sie können — Grüßen Sie die Frau und die lieben Kinder, und wenn Sie nach zehn Jahren mit denselben wieder zum tausendstenmale einen Kuchen essen, oder ihren Töchtern neue Kleider schenken, so freuen Sie sich ja von Neuem über Ihre Existenz und Ihr Glück — Wir gehen jenen Kanonenmündun- gen entgegen und bedürfen Ihrer Elendigkeit nicht mehr! — — Donner, welch ein Kugelregen — Die Melodie! «Freuet euch des Lebens, Weil noch das Lämpchen glüht!» (stuͤrzt:) O, wie süß ist der Tod! (Alle gegen Mont Saint Jean.) Sechste Scene. (Heerstraße vor dem Hause Belle Alliance.) (mit den Garden im Voruͤberziehen:) Graf Lobau ist bereits von den Preußen aus Planchenoit geworfen — Er soll sich auf uns zu- rückziehen, und einige Compagnien seiner Arriere- garde in dieses Haus werfen, um den verfolgen- den Feind aufzuhalten und zu necken. (Adjutanten ab. Napoleon und die Garden marschiren wei- ter: — Das Corps des Grafen Lobau, im Gefecht mit den Pommern unter Buͤlow, ruͤckt allmaͤhlig uͤber die Scene, dem Kaiser nach. Graf Lobau erscheint selbst.) Verwünschte Uebermacht — kann denn weder Geist noch Verzweiflung gegen sie retten? (mit den Pommern.) Jungen, das Pulver nicht geschont — Das ist heut ein herrlicher Tag! Immer wieder vor, alle Regimenter! Immer ihnen entgegen, alle Pommern! — — Feuer! Gleichfalls! Unmöglich sich gegen diese Unzahl zu halten — — Drei Compagnien in jenes Haus — — Alle Uebrigen mit nach Mont Saint Jean! Vier Bataillone stürmen dieses Haus, — alle Uebrigen hinterdrein nach Mont Saint Jean! (Das Buͤlow’sche Corps folgt dem des Grafen Lobau, — nur vier Bataillone bleiben zuruͤck, und erstuͤrmen unge- achtet der heftigen Gegenwehr der Franzosen, welche aus Thuͤren und Fenstern schießen, waͤhrend des Fol- genden Belle Alliance.) (mit zahllosen Reiterschaaren:) Bülow, gegrüßt! Es geht gut — wir sind Ihm von hier bis Mont Saint Jean im Rücken und in der Seite, und die Engländer klopfen Ihm auch schon vor die Brust! Ja, Victoria, Ziethen! Höre, wie er auf dem Berge mit all seinen Kanonen noch einmal auf- schreit von wegen des Rücken-, Seiten- und Brust- weh’s! Ha, welch Geschrei: »Die Garde flieht! Rette sich, wer sich retten kann!« Der ganze Mont Saint Jean wankt unter flüchtig werdenden Franzosen! Wie sich das Volk durcheinanderwälzt — Ca- vallerie, Infanterie, Artillerie — ein verwirrter, unauflösbarer Knäuel! Na, englische und preußische Geschütze lösen tüchtig am Knäuel, — ich will auch von dort ein paar passable Batterien hinein spielen lassen — Thu’ es, und ob auch einige von deinen Ku- geln in meine Reihen schlagen werden, — ich stürze mich doch mit der Cavallerie unter den Feind, ihn so eher zu vertilgen. Pommern, die Gewehre verkehrt genommen — zur Abwechslung! — Warum grade immer das Bayonnet oben? — Die Franzosen zu Brei! (im Vorbeisausen:) Alles verloren — der Kaiser todt! die Gar- den todt! — zurück nach Genappes, nach Genappes! (noch etwas geordnet:) Zurück nach Genappes! nach Genappes! Fußvolk Platz da, Platz! Es geht nicht — Bayonnette vor gegen die Unsinnigen! Was Bayonnette! Pferde und Kanonen dar- über weg! (Sie fahren uͤber einen Theil der Infanterie.) Pommern! können wir die Kanonen nicht neh- men? Sind denn unter euch nicht einige ehemalige Ackerknechte, die besser als jene feindlichen Infan- teristen ein paar Pferde aufzuhalten und ein paar Räder zu zerbrechen wissen? (Viele Soldaten seines Corps sprengen vor, und nehmen die Kanonen) Recht so! — Dreißig treffliche Zwölfpfündner! — Laßt sie ihren alten Herren mit ihren Kugeln Valet sagen! — Und, Burschen, lauft, springt, reitet und stürzt da nicht das bonapartische Heer, soweit man in der Dämmerung sehen kann — dahin, wo es am dicksten ist! (Ab mit seinem Corps.) Siebente Scene. (Blachfeld auf der andern Seite des Hauses Belle Alliance. Napoleon mit Bertrand und Officieren, zu Fuß, — zwei Schwadrone der Gardegrenadiere in geschlossener Ord- nung zur Bedeckung um sie, und Cambronne mit dem Ueberbleibsel der Granitcolonne von Marengo hinter ihnen.) Wir müssen hier mitten durch das Feld zurück, — die Chauss é e ist zerfahren und überdem von den Preußen erstürmt — — Der Abend wird kalt — Meinen Mantel und mein Pferd. (Bertrand haͤngt ihm den Mantel um, — ein Pferd wird vorgefuͤhrt.) Solch eine Flucht kennt die Geschichte nicht — Verrätherei, Zufall und Mißgeschick machen das tapferste Heer furchtsamer als ein Kind — Es ist aus — Wir haben seit Elba etwa hundert Tage groß geträumt — — Bertrand, was ist? Du schweigst? Sire — sprechen — jetzt — — — o Gott! — Sieh diese Gardegrenadiere — Congreven lo- dern in ihren Reihen, und sie schweigen doch! — — Nur Eines, du, in dessen Ruhmesglanz ich einzig lebte, sey billig, laß mich auch auf ewig dein künf- tiges Unglück theilen. (Er faͤllt dem Kaiser zu Fuͤßen.) Steh’ auf — du brichst mit mir das Brot des Elendes. — Aber deine Frau? Sire, sie wird dir in Thränen danken, wie ich? (zuruͤckblickend:) Da stürzen die feindlichen Truppen siegjubelnd heran, wähnen die Tyrannei vertrieben, den ewi- gen Frieden erobert, die goldne Zeit rückgeführt zu haben — Die Armen! Statt eines großen Ty- rannen, wie sie mich zu nennen belieben, werden sie bald lauter kleine besitzen, — statt ihnen ewigen Frieden zu geben, wird man sie in einen ewigen Geistesschlaf einzulullen versuchen, — statt der goldnen Zeit, wird eine sehr irdene, zerbröckliche kommen, voll Halbheit, albernen Lugs und Tandes, — von gewaltigen Schlachtthaten und Heroen wird man freilich nichts hören, desto mehr aber von diplomatischen Assembl é en, Convenienzbesuchen hoher Häupter, von Comödianten, Geigenspielern und Opernhuren — — bis der Weltgeist ersteht, an die Schleusen rührt, hinter denen die Wogen der Revolution und meines Kaiserthumes lauern, und sie von ihnen aufbrechen läßt, daß die Lücke gefüllt werde, welche nach meinem Austritt zurückbleibt. Mein Kaiser, gegenüber nahen die Engländer, seitwärts die Preußen — Es ist Zeit, daß du fliehest, oder daß — Oder? Imperator, falle! General, mein Glück fällt — Ich falle nicht. Verzeihung, Kaiser! Du hast Recht! Den Mantel mir fester zugemacht. — Es reg- net immer stärker. — — Bertrand, besteige ein Pferd, — thun Sie eben so meine Herren Offi- ciere. — Reitende Gardegrenadiere, bahnt uns den Weg! — Granitcolonne, lebe wohl! (Er, Bertrand, die ihn begleitenden Officiere sind zu Pferd gestiegen und reiten mit den Gardegrenadieren fort.) Er ist fort — Was will der andere Dreck, den man Erde, Stern oder Sonne nennt, noch bedeuten? — Er hat uns »lebe wohl« gesagt, und leicht das Auge gewischt — das heißt: sterbt mei- ner würdig! es geht nicht anders. — Also, Came- raden, die Schnurrbärte hübsch zurecht gedreht — bald sind wir im Himmel oder in der Hölle, und ein braver Franzose erscheint im Himmel wie in der Hölle geputzt! (Englische und preußische Reiterei von allen Seiten.) Seht ihr, wie unsere Spediteure uns umdrängen! — Also, Tambour, tüchtig auf dein Kalbsfell geschla- gen — Bedenke, von all den hunderttausend Trom- meln, die in den glorreichen Feldzügen des Kaisers erklangen, ist die deinige die letzte! — Und schlage lustig , — auch dazu hast du Grund, — du quälst dich mit Trommelschlag fortan nicht wieder! (Der Tambour trommelt ununterbrochen laut und kraͤftig darauf los.) Schießt! Unsinnige, laßt das Schießen — Schießt! — ihr entkommt doch nicht — Schießt! Wahnsinniges Volk — Ergebt euch! Laffe, die Garde stirbt, aber sie ergibt sich nicht! — Schießt so lang ihr athmet! (einhauend:) Nieder die grauen Trabanten des Tyrannen! Nieder —? Granitcolonne, hoch und stolz wie die Sonne, und gefallen herrlich wie sie! Schon gut — sieh’ nur — (Die Granitcolonne sammt Cambronne wird nach verzwei- feltem Kampfe zusammengehauen. Die alliirte Reiterei ruͤckt weiter, andere englische und preußische Truppen gleichfalls.) (mit Gneisenau und Gefolge heransprengend:) Wo mein großer Waffenbruder von Saint Jean? Da kommt er! 21 (heransprengend:) Guten Abend, Feldmarschall! Herzog, der Abend ist des Tages werth! Die Hand her, Helfer in der Noth! Zum «schönen Bunde», wie der Ort hier heißt! — — Engländer, Preußen, Generale, Unterof- ficiere, Gemeine — ich kann nicht weiter rücken bis ich mir die Brust gelüftet, meine Feldmütze abge- zogen, und euch gesagt habe: ihr alle, alle seyd meine hochachtbaren Waffengefährten, gleich brav in Glück und Noth — Wird die Zukunft eurer würdig — Heil dann! — Wird sie es nicht, dann tröstet euch damit, daß eure Aufopferung eine bes- sere verdiente! — — Wellington, laß deine Leute etwas rasten, — sie hatten heute die drückendste Arbeit — Dafür übernehmen wir so eifriger die Verfolgung, und verlaß dich darauf, sie soll unse- ren Sieg vollenden, wie noch keinen andern! — Vorwärts, Preußen! Nachträgliche Anzeige der Verlags- handlung. Zufaͤllige aͤußere Umstaͤnde haben das Erschei- nen des gegenwaͤrtigen Stuͤckes, dessen Herausgabe wir schon in der Mitte des vorigen Jahres ankuͤn- digten und das auch bis dahin in der Hand des Verfassers vollendet war, bis jetzt aufgehalten; doch hoffen wir, daß dasselbe nichts desto weniger eine eben so befreundete Aufnahme im Publicum finden wird, wie die fruͤheren Dichtungen unseres Verfassers, welche saͤmmtlich ebenfalls in unserem Verlage erschienen. Es sind dies: Dessen dramatische Dichtungen. Nebst einer Abhand- lung über die Shakspearo-Manie. 2 Bde. geh. 1827. Rthlr. 3 : 12 gG. oder fl. 6. „ Don Juan und Faust. Eine Tragödie. cart. 1829. Rthlr. 1 : 8 gGr. oder fl. 2 : 24 kr. „ Hohenstaufen. Ein Cyclus von Tragödien, 1r Bd. Kaiser Friedrich Barbarossa. 1829. Rthlr. 1 : 8 gGr. oder fl. 2 : 24 kr. „ Hohenstaufen. 2r Bd. Kaiser Heinrich IV. 1830. Rthlr. 1 : 8 gGr. oder fl. 2 : 24 kr. Frankfurt a. M. im Maͤrz 1831. J. Ch. Hermann’ sche Buchhandlung.