S ammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen S chriften, Zur Verbesserung des Urtheiles und des Witzes in den Wercken der Wohlredenheit und der Poesie. Eilfftes Stuͤck. Zuͤrich , Bey Conrad Orell und Comp. 1743 . Z wey S chreiben an die Deutsche Gesellschaft von Greifswalde verschiedene Critische Streite betreffend, die zu unserer Zeit die deutschen Kunstrichter beunruhigen: Das Erste Von Hr. Prof. Gottscheden Das Andere Von Petermann von Langnau. D Amit ich einigen besorglichen Mißdeu- tungen vorbiege, welche bey Gelegen- heit dieser beyden Schreiben gemachet werden moͤgten, muß ich einen kurtzen Vor- bericht vorhergehen lassen. Das erste von denselben lasse ich zwar den beruͤhmten Mann verantworten, unter dessen Nahmen und Per- son es gestellt ist; ich habe dabey nichts wei- ter gethan, als daß ich seine Gedancken und Empfindungen ins Schweitzerische uͤbersetzet, so, wie ich sie in dem Jnnersten seines Cha- racters und Gemuͤths gelesen habe, und ich habe sie so wahrscheinlich, und so glaubwir- dig gemachet, daß ihnen zur wuͤrcklichen Wahr- heit weiter nichts fehlet, als das Gestaͤndniß des Hr. Gottscheds. Jn Ansehung des an- dern Schreibens aber, vor welches ich mei- nen eigenen Nahmen gesetzet habe, halte ich vor noͤhtig mich ausdruͤcklich zu erklaͤren, daß ich, ob ich gleich den Titel meines Schrei- bens an die gantze Gesellschaft von Greifswal- de gerichtet habe, in welcher diese Monaths- schrift entsprungen ist; dennoch wohl erkenne, daß in derselben geschickte Mitglieder sind, welche an den Versehungen, von denen ich re- A 2 de, de, keinen Antheil haben koͤnnen. Verschie- dene verstaͤndigere und gruͤndlichere Artickel ge- ben wir genugsam zu erkennen, daß sie von Maͤnnern verfertiget worden, welche gruͤnd- liche Einsichten und aufrichtige Absichten mit sich zu ihrer Arbeit gebracht haben. Und vermuthlich wird aus Antrieb derselben die Bedingung in den Vorbericht eingeflossen seyn, daß die hier und dar bemerckten Fehler nicht auf die gemeine Rechnung derer, die an dieser Monathsschrift arbeiten, geschrieben, noch weniger der gantzen Gesellschaft zur Last geleget werden. Sie haben daran vorsichtig gehandelt, und es ist billig daß man ihnen Recht wiederfahren lasse. Jch mache dem- nach eine Ausnahme von ihnen, und bin es gar wohl zufrieden, daß sie meine Anklage von sich und der gantzen Gesellschaft abwel- zen, und weiter auf denjenigen einzeln Mann, oder die wenigen Personen schieben, welchen sie eigentlich zukommen. Jch kenne diese nicht, sonst haͤtte ich das Schreiben geradezu an sie gestellt; aber die Gesellschaft wird sie schon kennen, und zur Verantwortung derer Feh- ler, die sie nicht auf ihre eigene Rechnung nehmen will, anzuhalten wissen. Also steht es in der Gewalt der Gesellschaft zu verhuͤten, daß die Unschuldigen mit den Schuldigen nicht vermischet werden. Jn- Jndessen habe ich mich dieses mahl noch hin- terhalten meine Antungen uͤber einen oder zween Artickel im V. St. zu machen, weil ich sehe, daß man es in denselben so arg gemacht hat, daß es schwer faͤllt, diejenigen von aller Schuld looszusagen, welche zwar davon eigentlich nicht Verfasser sind, jedoch sich uͤberhaupt zur Auf- sicht uͤber das gantze Werck anheischig ge- macht haben. Dieses hat die gantze Gesell- schaft in dem Vorberichte gethan, und zu we- nigerm hat man sich in einem gesellschaftlichen Wercke nicht verbindlich machen koͤnnen. Vielleicht hindert meine Erklaͤrung nicht, daß diejenigen aus der Gesellschaft, auf wel- che meine Beschuldigungen fallen, mich nicht zu dem Gelehrten zehlen, von welchem man in dem Vorberichte sagt, er glaube, daß man in critischen Schriften aufhoͤren muͤsse hoͤflich zu seyn. Jch glaube dieses nicht, aber ich meyne doch, daß man ohne Verletzung der Hoͤflichkeit unwissende und hochmuͤthige Scri- benten die schwere Hand der critischen Straffe gerechtigkeit empfinden lassen duͤrfe. A 3 Hrn. Hr. Pr. Gottscheds Schreiben Hrn. Johann Christoph Gottscheds Schreiben an die deutsche Gesellschaft von Greifswalde. Werthe Herꝛen und Freunde. J Ch bin eurer Gesellschaft seit euerm Ur- sprunge gewogen gewesen, und habe euer bey Gelegenheiten schriftlich und muͤndlich mit allem Ruhme gedacht, weil ich mir von euern Bemuͤhungen nicht bloß zum Aufnehmen der gesunden Critick und der Sprache uͤberhaupt, sondern insbesondere meiner Critick und Sprache viel gutes versprochen. Denn Mein Vertrauen zu euch blieb nicht dabey stehen, daß ihr dem Geschmack aufzuhelffen beflissen seyn wuͤrdet, sondern erfuͤllete mich mit der Hoffnung, daß ihr meinen Geschmack als meine Nachfolger annehmen und ausbreiten wuͤrdet, so wie ich ihn in meiner Dichtkunst fuͤr die Deutschen, und folglich fuͤr euch, in meiner Redekunst, und meinen Beytraͤgen nach seinem unbestimmten und will- kuͤrlichen, jedoch allemahl unbetruͤglichen Vermoͤ- gen zur Nachfolge angepriesen habe. Mir war desto mehr daran gelegen daß ihr ohne eigensinnige Ausnahmen meinen Meynungen beyfielet, und euch offentlich zu meinem Anhange schluͤget, weil in hac temporum injuria nur allzu viele freche Juͤnglinge sich hier und dar die Freyheit anmassen, von meinen Vorschrifften abzuweichen, und den Fein- an die d. Ges. von Greifswalde. Feinden ein mehrers einzurauͤmen, als mit mei- nem Ansehen bestehen kan. Allein ich muß schier glauben, daß ich mich selbst in meinem zu sichern Zutrauen auf eure Gefaͤlligkeit betrogen habe. Ei- ne Menge unbedachter und uͤbereilter Reden und Anmerckungen in eurer Monathsschrift macht mich hierinn furchtsam und argwoͤhnisch, ungeachtet ich mich gegen alle boͤse Gedancken, die sie mir erwe- ken, aus allen Kraͤfften sperre und straͤube, und mich zu bereden trachte, daß es vielmehr Unacht- samkeit und Unvorsichtigkeit, als boͤser Wille und Eigensinnigkeit sey. Da ich euch nun noch nicht fuͤr Ueberlauͤffer zu meinen Feinden halten will, so gedencke ich euch die Sachen, die mir in eurer Monathsschrift so bedencklich und nachtheilig vorkommen, mit aller Freundlichkeit und Geduld vorzustellen, in der Hoffnung, daß ihr selber be- greiffen werdet, wie grossen Abbruch dergleichen Verfahren einer so beruͤhmten Gesellschaft, wie die eurige in kurtzer Zeit werden wird, meinem Ansehen, meiner Herrschaft und meinem Ruh- me nothwendig bey nachsinnenden und freyen Ge- muͤthern thun muͤsse. I. Jhr bekennet zwar, daß die Nachricht und Abhandlung von meiner Dichtkunst (wie ihr sie schlechtweg nennet) in der Absicht dieses Buch unsern Landesleuten erst noch bekannt zu machen, gantz unnoͤthig waͤre: Jhr nennet es ein vortreff- liches, ein schaͤtzbares Werck: Aber, wenn dieses Bekaͤnntniß aufrichtig und von Hertzen ge- meinet ist, was war es denn noͤthig den Werth A 4 die- Hr. Pr. Gottscheds Schreiben dieses Wercks erst noch so muͤhsam zu beweisen? Ein Beweis laͤßt ja allemahl vermuthen, daß die Sache nicht voͤllig unstreitig und ausser Zweifel sey, und dergleichen Verdacht ist zuweilen von groͤsserer Kraft, als der Beweis, womit man ihn heben will. Lasse man die Leute in ihrem Wahn im- merhin ungestoͤrt, sonst duͤrfte man einen eben so schlechten Danck davon tragen, als jene beym Horatz, die sich alle Muͤhe gegeben, den gluͤckseli- gen Wahnwitzigen zu curieren, dafuͤr aber statt des erwarteten Dancks hoͤren muͤssen: ‒ ‒ ‒ Pol me oecidistis amici, Non servastis, ait, cui sic extorta voluptas, Et demtus per vim mentis gratissimus error! Das weit schlimmere dabey ist wohl dieses, daß die Art euers Beweises die Schaͤtzbarkeit meines Buchs, im Grunde gantz verdaͤchtig und zweifel- haft machet, in waͤhrender zeit, daß ihr selbige zu verfechten und anzupreisen vermeinet: Jhr neh- met euern Erweis her von dem starcken Abgang und allgemeinen Beyfall, den mein Buch in einer Zeit von wenig Jahren in gantz Deutschland gefunden: Allein ihr gebet ja in dem I. St. eurer Beytraͤge Bl. 6. selbst mit duͤrren Worten zu verstehen, daß der allgemeine Beyfall, den eine Sache erhaͤlt, die wuͤrckliche Guͤte derselben nicht unwieder- sprechlich ausmache. Und es kan euch nicht ver- borgen seyn, wie wenig meine tadelsuͤchtigen Schweitzerischen Gegner aus diesem Grund, auf den ich ehedem in meinen Vorreden auch selbst ge- trotzet hatte, gehen lassen, und wie sie sich hier und an die d. Ges. von Greifswalde. und dar in ihren Spottschriften etwas rechts darauf zu gute thun: So daß nicht ohne Grund zu besor- gen ist, sie werden noch behaupten duͤrffen, es sey nicht unmoͤglich, daß ein Buch viel gelesen werde, und doch noch unbekannt sey: Nachdem sie sich unterstanden haben zu behaupten, daß oͤf- ters das schlechteste Buch von der Welt den staͤrcke- sten Abgang und einen allgemeinen Beyfall erhal- ten koͤnne. Und was werden dann eure sonst freygebige Versprechungen von dem eben so gefaͤl- ligen Urtheil der kuͤnftigen Zeiten fuͤr ein Ansehen behalten? II. Was war es nothwendig die zwo ersten Auflagen meiner Critischen Dichtkunst, deren Ge- daͤchtniß ich nur uͤberhaupt und der Zahl nach zu er- halten suche, aus der Vergessenheit, in die ich sie durch die wichtigen Veraͤnderungen und Ver- besserungen der dritten Herausgabe gestuͤrtzt zu ha- ben verhoffete, wieder hervorzuziehen, und ihre Maͤngel in Vergleichung mit der Vollkommenheit dieser letztern aller Welt zu offenbaren. Jch hat- te mich versichert, es koͤnnte keinem meiner Schuͤ- ler und Verehrer verborgen seyn, daß ich es mit meinen Schriften lediglich wollte gehalten wissen, wie mit einem Testament, da allezeit das spaͤtere die vorhergehenden aufhebet, und alleine rechts- guͤltig bleibet. Und was vor Absichten kan man wohl demjenigen zutrauen, der ein veraltetes und an dem Rechten unguͤltiges Testament wieder aus dem Staube hervorziehet, anders, als daß er mit Fleiß den Neid derjenigen, die sich durch die neue testamentliche Verordnung verkuͤrtzt zu seyn A 5 glau- Hr. Pr. Gottscheds Schreiben glauben, habe rege machen und ohne Noth und Beruff Streit erwecken wollen? So habe ich in meinen ersten Schriften meine Gnaden und Lob- spruͤche nach meiner freyen Willkuhr ausgetheilet: Nach eben dieser Freyheit habe ich in der neuen Herausgabe meiner Critischen Dichtkunst die Nah- men und das Andencken einer Neuberin, der Schweitzerischen Mahler, Hrn. Koͤnigs, Hrn. Bodmers und anderer, weil sie sich meiner vo- rigen Huld unwuͤrdig gemachet, gaͤntzlich aus- geloͤschet, in der Meynung, daß hinfuͤr des in meinen vorigen Schriften aus allzuguthertziger Ue- bereilung ihnen verschwendeten Lobs nicht mehr solle gedacht werden. Diese meine Absicht war auch fuͤr alle diejenigen, die es mit meinem Ruhm treu- lich und recht von Hertzen gut meynen, unschwer zu errathen. Wenn ich demnach noch am billig- sten und gelindesten von eurem Vorsatz urtheilen soll, nach welchem ihr die drey Ausgaben meiner Critischen Dichtkunst in eine Vergleichung zu zie- hen unternommen habet, so muß ich es einer nach- laͤssigen Unbedachtsamkeit zuschreiben, daß ihr euch nicht habet vorstellen koͤnnen, daß die Ausfuͤhrung eines solchen Vorsatzes nothwendig den Neid und die Eifersucht der an ihrem Ruhme gekraͤnckten Personen gegen mich zur Rache aufhetzen werde: Denn dadurch setzet ihr mich in die verdrießliche Nothwendigkeit, daß ich mich entweder einer strafe baren Uebereilung in meinen erstern freygebigen Lo- beserhebungen, oder eines boßhaften Neides in Zuruͤckziehung derselben schuldig geben muß: We- nigstens machet ihr mein Lob und Tadel einer ver- haßten an die d. Ges. von Greifswalde. haßten Partheylichkeit bey aller Welt verdaͤchtig, und raubet meinem Urtheil von andern den erworbe- nen Schein und Credit der Critischen Gerechtigkeit. III. Wie nachlaͤssig fuͤhret ihr nicht meine Sa- che, da ihr so kahl dahersaget: „Jhm ist wie- „dersprochen worden, und er hat sich bisweilen „verantwortet.„ Es weiß ja jedermann, daß sich verantworten und sich rechtfertigen zwey- erley ist: Und wird nicht die Einschraͤnckung durch das Zeitwoͤrtgen bisweilen den billigen Verdacht erwecken, als ob es mir an dem Vermoͤgen ge- fehlet haͤtte, mich uͤberall und in allen Stuͤcken zu verantworten? Jst denn ein Schriftverfasser, zu- mahl wenn er seine Zeit nuͤtzlicher zu gebrauchen weiß, eben nothwendig verbunden, sich gegen alle wiedrigen Urtheile von seinen Schriften zu verthei- digen, oder, kan man aus der Unterlassung des- selben untruͤglich schliessen, daß solches aus Unver- moͤgen geschehen sey? Habe ich nicht hier und dar ausdruͤcklich bezeuget, daß ich weder Lust noch Zeit habe, mich mit meinen Tadlern einzulassen. IV. Es ist freylich an dem, daß ich bey der letzten Ausgabe meiner Critischen Dichtkunst die Worte: fuͤr die Deutschen; auf dem Titelblatt mit gutem Bedacht ausgestrichen habe, um da- durch den Schweitzern den spoͤttischen Fuͤrwurff abzuschneiden, als ob die meinige nicht eine allge- meine, sondern eine nur allein fuͤr die Deutschen eingerichtete Dichtkunst sey: Was hat euch aber gedrungen meine geheimen Absichten bey dieser Ver- aͤnderung, die ich mit Fleiß verborgen halten woll- te, offentlich zu verrathen, und den schimpflichen Fuͤr- Hr. Pr. Gottscheds Schreiben Fuͤrwurff der Schweitzer, der meiner Dichtkunst zur Verkleinerung gereichet, wiederum aufzuwaͤr- men und zu erneuern. Jhr moͤget wohl nicht be- dacht haben, daß ihr dadurch zum Gespoͤtte neuen Anlaß gebet, dem ich durch die listige Veraͤnde- rung des Titels voͤllig vorgebogen zu haben ver- meint hatte. Die Schweitzer werden sagen: Der Leipzigische Verfasser hat den Gebrauch seines Buchs selbst eingeschraͤncket, da er auf dem Ti- telblatt der zwo ersten Ausgaben ausdruͤcklich gese- zet hat: Versuch einer Critischen Dichtkunst fuͤr die Deutschen. Nun kan er ja nicht gemeint haben, daß sein Buch darum fuͤr die Deutschen sey, weil es in deutscher Sprache geschrieben, und von niemandem, der diese Sprache nicht verste- het, koͤnne gelesen werden; denn so waͤre dieser Zusatz bey seinen meisten uͤbrigen Schriften eben so noͤthig gewesen; da haͤtte er mit gleichem Grund schreiben sollen, Gottscheds Redekunst fuͤr die Deutschen, Gottscheds Weltweißheit fuͤr die Deutschen, Baylens Woͤrterbuch fuͤr die Deut- schen ꝛc. ꝛc. Da sich nun diese Einschraͤnckung nicht auf die Sprache, in welcher das Buch ge- schrieben ist, beziehen kan, so muß sie sich noth- wendig auf die Sachen beziehen, die darinnen ab- gehandelt werden: Es muͤssen hiemit nach des Ver- fassers eigenem Gestaͤndniß uͤberhaupt solche Sa- chen darinnen abgehandelt werden, die fuͤr die Deutschen alleine brauchbar sind, und die kein an- derer, wenn ihn gleich die Sprache nicht hinder- te, brauchen koͤnnte. Jst nun aber dieses Buch in den zwo ersten Ausgaben allein fuͤr die Deut- schen an die d. Ges. von Greifswalde. schen gewiedmet und brauchbar gewesen, so kan die neue Ausgabe, die dem Wesen nach und uͤ- berhaupt von den beyden erstern nicht unterschie- den ist, in ihrem Gebrauche nicht allgemeiner seyn, wenn gleich die Worte: fuͤr die Deutschen; auf dem Titelblatte gaͤntzlich ausgelassen worden, denn die Veraͤnderung des Titels veraͤndert darum das Wesen der Sache nicht. Sie werden darum auch das Ausloͤschen dieser Einschraͤnckung auf dem Ti- telblatt der dritten Ausgabe als eine Rechtfertigung ihres gefuͤhrten Tadels und als ein Bekenntniß aufnehmen, daß ich diesen Zusatz: fuͤr die Deut- schen; ehedem ohne Bedacht und Verstand hin- geschrieben, und diesen Fehler in 14. Jahren nicht eher erkennt habe, als bis sie mir selbigen vorge- ruͤcket haben. Durch diese und dergleichen Gedan- ken, die ich durch die stille Veraͤnderung gaͤntz- lich zu unterdruͤcken bedacht gewesen; ihr aber durch eure unzeitige Antung ohne Noth veranlasset, ma- chet ihr noch selbst die beygefuͤgte pathetische Be- straffung uͤber die satyrischen Spoͤttereyen und un- reinen Absichten der Schweitzer gantz unkraͤftig und abgeschmackt. V. Was fuͤr ein Geist hat euch doch eingegeben, die fuͤr mein gegenwaͤrtiges Ansehen allzu nieder- traͤchtige Vorrede, die sich bey der ersten Ausga- be meiner Critischen Dichtkunst findet, aus dem Staube der Vergessenheit wieder hervorzuziehen, und so gar ihrem Jnnhalt nach zu wiederholen? Jhr nennet sie unter allen dreyen die merckwuͤr- digste: Und ich habe sie unter allen dreyen allein fuͤr verwerfflich gehalten, und darum in der letz- ten Hr. Pr. Gottscheds Schreiben ten Ausgabe derselben allein keinen Platz goͤnnen wollen, da ich die von der zweyten Ausgabe un- veraͤndert beybehalten habe. Man muß sich selbst bereden koͤnnen, daß ich ohne zureichenden Grund nur so in den Tag hinein wehle und verwerffe, wenn man nicht mercken kan, daß ich durch die Ver- werffung dieser meiner ersten Vorrede zu der Dicht- kunst, selbige zu einer ewigen Vergessenheit ver- dammt wissen wolle. Wenn sonst kein anderer Grund waͤre, der sie in meinen Augen verwerff- lich machen koͤnnte, so waͤren es die mir seit A. 1740. so verhaßten Nahmen der Zuͤrichischen Mahler, Hrn. Prof. Bodmers, und des Hrn. Geh. Secr. Koͤnigs, die diese Vorrede noch so gar als meine Lehrmeister und Anfuͤhrer zu Criti- schen Untersuchungen und zu dem guten Geschmack in der Poesie, ja als so viel Wetzsteine meiner Floͤte unverschaͤmter Weise angeben darf. Wie wuͤrde es zusammenstimmen, wenn ich diese Nah- men durch eine neue Auflage dieser Vorrede haͤtte zu verewigen gesucht, da ich dieselben aus meinem gantzen Wercke, als meines fernern Schutzes un- wuͤrdig, gaͤntzlich ausgetilget habe? Jch wieder- ruffe demnach hiermit offentlich, was ich zu Gun- sten dieser drey Nahmen jemahls wissendlich oder unwissendlich geredt oder geschrieben habe, oder was andere aus meinen ersten Schriften, die vor A. 1740. ans Liecht getreten sind, zum Ruhme derselben jetzt oder ins Kuͤnstige anfuͤhren moͤchten. VI. Was die Vertheidigung der Critick in die- ser verworffenen Vorrede ansiehet, so setzet ihr mich ohne Noth und aus blossem Mißverstande mit Hrn. an die d. Ges. von Greifswalde. Hrn. Bodmer in einen Widerspruch. Hrn. Bod- mers Antung faͤllt nicht so fast auf die bloͤde Art und Gefaͤlligkeit, womit ich die Benennung mei- ner Critischen Dichtkunst entschuldiget habe, als vielmehr auf diejenigen von meinen deutschen Le- sern, deren falsche Begriffe und wiedrige Vor- stellungen von dem Nahmen der Critick meine Ent- schuldigung noͤthig gemachet haben. VII. Was ferner den Auszug von meinem Poetischen Lebenslauff anlanget, so begleitet ihr denselben mit einer so zweydeutigen Anmerckung, die der Schweitzerische Spottgeist Conrector Er- lenbach nicht schimpflicher fuͤr mich haͤtte erden- ken koͤnnen, bey dem unbaͤndigen Vorsatz, den er hat, mich uͤberall laͤcherlich und verdaͤchtig zu machen. Jhr saget: „Hr. Gottsched hat uns „das vollkommene Bild eines Kunstrichters in sei- „ner Person selbst gegeben; und also duͤrffen wir „nicht zweifeln, daß es seinem Urbilde aͤhnlich sey.„ Giebt denn das Zeugniß von seinem eigenen Lob und Geschicklichkeit einer Erzehlung einen Anstrich der Glaubwuͤrdigkeit? Oder wem hat man jemahls seine Worte anders als eine Spottrede aufgenom- men, wenn er sich von einem andern ungefehr also ausgedruͤckt hat: Sēmpronius ist ein Grundge- lehrter Mann; es muß wahr seyn: Denn er hat es selbs gesagt? Und wohin muß es wohl abgese- hen seyn, wenn ihr die spoͤttische Anmerckung der Hrn. Schweitzer ohne Antung, ja fast mit Bey- fall anfuͤhret, da sie vorgeben duͤrffen, die gros- sen Kunstrichter wuͤrden die Gedancken, die ich ihnen abgeborget, nicht mehr fuͤr die ihrigen er- ken- Hr. Pr. Gottscheds Schreiben kennen, so sehr seyn sie von mir uͤbel gefasset und verderbt worden. VIII. Wenn ihr in eurem Urtheil von meiner Uebersetzung von Horatzens Dichtkunst mir zuerst einen ruͤhmlichen Fleiß, den ich in dreymaliger Ausbesserung derselben gluͤcklich angewandt habe, zugestehet: Bald hernach aber mich einer strafba- ren Nachlaͤssigkeit und die Uebersetzung selbst hier und dar matter und undeutlicher Ausdruͤcke, die Horatzens Sinn nicht erreichen, beschuldiget, was heißt dieses wohl anders, als mir einen groben Un- verstand, und bey einem unbedachten Vorsatz und loͤblichen Fleisse ein unuͤberwindliches Unvermoͤgen Schuld geben? Und verraͤth dieses nicht eine klei- ne Tadelsucht, wenn ihr meiner Uebersetzung ei- nen einzigen Fehler vorruͤcken koͤnnet, der darzu nicht viel auf sich hat; inzwischen aber dieselbe gantz dreiste verdaͤchtig machet, als ob sie hier und dar von dergleichen wimmle? IX. Mit was vor Befugniß will man mir einen Theil der Schuld von dem bey Anlasse meiner unschuldigen Dichtkunst entstandenen und noch im- mer fortdaurenden so feindseligen Kriege aufbuͤr- den, da ich bisdahin mich nur gantz leidend verhal- ten, und die harten Streiche, die die Schweitzer auf mich gefuͤhret, mit einer sanftmuͤthigen und ge- duldigen Großmuth erduldet, und so viel moͤglich gewesen, verachtet habe, ausser daß ich nur eini- ge wenige mahl, aber gantz verstohlner und ver- kappter Weise auf dem Kampfplatz erschienen bin. Was darnach das ungemessene Lob, welches dem mir so verhaßten Breitingerschen Nahmen beygele- get an die d. Ges. von Greifswalde. get wird, und die unbillige Vergleichung meiner Person, Verdienste, und meines Werckes mit der Person, den Verdiensten, und dem Wercke dieses Schweitzers anlanget, so erlaubet mir mein Un- muth nicht mich deutlicher daruͤber zu erklaͤren: Jch sage nur so viel, daß dieses alles Wirckun- gen einer unuͤberlegten Syncretisterey in gantz wie- derwertigen Dingen seyn. X. Was that es noth die haͤmischen Urtheile der Schweitzer von meiner Critischen Dichtkunst so weitlaͤustig anzufuͤhren, zumahlen da ihr doch selbst bekennen muͤsset, daß sie voller Haß, Bit- terkeit und Parteylichkeit stecken? Allein diese Schweitzerschen Urtheile sind noch fast ertraͤglicher, als die Vertheidigung selbst, die ihr denselben ent- gegen zu setzen beliebt, und die ein verstaͤndiger Le- ser kaum anders als fuͤr einen kurtzweilenden Schertz, zu meinem groͤsten Nachtheil, aufnehmen kan. Jhr ziehet Folgen aus diesen Schweitzerschen Urthei- len, welche die Schweitzer selbst bey aller ihrer Grobheit und unbaͤndigen Spottenslust annoch zu bescheiden und bloͤde gewesen sind, mir zu meiner Beschimpfung vorzuwerffen: Jhr scheuet euch nicht zu bekennen, daß wann das Urtheil der Schwei- zer je Grund haben sollte, meine Dichtkunst noth- wendig das elendeste und abgeschmackteste Ge- schmiere, und ich einer von den beruͤhmtesten elenden Scribenten seyn muͤßte. Werden nicht die Schweitzer diese Folge willig einraͤumen? Jst aber denn dadurch die Ehre meiner Dichtkunst ge- rettet, oder die Gruͤndlichkeit ihres Urtheiles von derselben wiederleget? Wie wollet ihr erweislich [Crit. Sam̃l. XI. St.] B ma- Hr. Pr. Gottscheds Schreiben machen koͤnnen, daß es einen offenbaren Wider- spruch einschliesse, und also schlechterdings unmoͤg- lich sey, daß ich, oder ein andrer sonst ehrlicher, beruͤhmter und nicht ungeschickter Mann, ein elen- des und abgeschmacktes Buch von der Dichtkunst schreiben koͤnne? Jhr suchet ferner das spoͤttische Urtheil der Schweitzer von meiner Dichtkunst da- durch verdaͤchtig zu machen, daß sie zehn Jahre lang der Verfuͤhrung so Vieler ungewarnet zuge- sehen, ohne derselben durch die fruͤhere Eroͤffnung ihres Urtheiles Einhalt zu thun: Gerade als ob sie einen Beruff haͤtten unsere Thorheiten, so bald sie dieselben einsehen und erkennen, in oͤffentlichen Schriften der Welt bekannt zu machen! Oder als wenn ein langmuͤthiger Aufschub der Straffe, bis die Bosheit uͤberhand nimmt, die Verbrechen der Menschen gaͤntzlich entschuldigte und rechtferti- gete, und den Richter seines Straffamts verlustig machete! Oder als wenn dieses Urtheil der Schwei- zer von meiner Dichtkunst, da es erst nach zehn Jahren bekannt worden, fuͤr meinen Ruhm nicht noch allzufruͤhe erschollen waͤre; daserne man aus- ser Stand seyn sollte, die Begruͤndtniß desselben directe und geradezu zu widerlegen! Auf diesen Fuß liesse sich ja der elende Scribent Philippi ge- gen die schwere Zuͤchtigung eines Liscovs mit eben so gutem Grunde vertheidigen. Wie wenig feh- let es uͤberdas nicht, daß ihr euch nicht selbst wie- dersprechet, da ihr das Urtheil der Schweitzer izo unter dem Scheine der Feindseligkeit verdaͤchtig zu machen suchet; nachdem ihr oben Bl. 425. nicht undeutlich zu verstehen gegeben habet, daß die Schwei- an die d. Ges. von Greifswalde. Schweitzer aus blosser Gefaͤlligkeit gegen mich, nicht eher als bis ich sie dazu gereitzt und gleichsam aufgefodert hatte, ihre aufrichtige Meynung von der Gottschedischen Dichtkunst frey heraus- sagen wollen, welches sie bisher eben noch nicht gethan hatten: Woraus ja zu schliessen, daß sie schon, noch ehe sie von mir aufgebracht worden, eine gantz widrige Meynung von meinem Buche gehabt, selbige aber offentlich zu entdecken, alleine durch die Gefaͤlligkeit gegen mich waͤren zu- ruͤckgehalten worden. Zugeschweigen, daß es noch nicht unwidersprechlich erwiesen ist, daß ei- ner von seinem Feinde niemahls keine Wahrheit sagen koͤnne: Plutarch in seiner Abhandlung von dem Nutzen, den einer von seinen Feinden ziehen kan, hat davon gantz andere Gedancken; und der Verdacht der Parteylichkeit haftet erst dann- zumahlen, wenn man den Grund oder Ungrund eines Urtheils einzusehen allerdings unvermoͤgend ist. Endlich verrathet ihr eure Neigung, die Par- tey meiner Feinde nicht voͤllig ungeschuͤtzt zu las- sen, wenn ihr mit duͤrren Worten saget: Wir wollen die Dichtkunst des Hrn. Gottscheds gar nicht von allen Fehlern frey sprechen; wir ken- nen und verehren auch die Verdienste der Her- ren Schweitzer. Womit ihr ja die Begruͤnd- niß ihres Urtheils von meiner Critischen Dichtkunst wenigstens in vielen Stuͤcken zu billigen scheinet. XI. Die Vertheidigung meiner Gedancken von dem Geschmack in dem dritten Capitel meiner Cri- tischen Dichtkunst gegen die Beschuldigung der Schweitzer, leistet mir zwar die Gewaͤhr, daß B 2 ihr Hr. Pr. Gottscheds Schreiben ihr geschickt genung seyd, meine Worte und Ge- dancken recht vorsichtig herauszusuchen und zu mei- nem Vortheil zu kehren, wo es euch nicht an dem Willen fehlet. Doch auch diese Vertheidigung muß den Geist der Syncretisterey, und die Nei- gung einen Theil meines Ruhms der Gefaͤlligkeit fuͤr die Schweitzer aufzuopfern, verrathen: Oder was hat sonst der folgende Ausspruch, den ihr Bl. 430. habet einfliessen lassen, anders zu bedeuten? Wo es heißt: Nach der Vergleichnng , die der Critische Hr. Geschichtschreiber wuͤrcklich anstellet, kan der Hr. Gottsched ohnmoͤglich von einem Critischen Enthusiasmus freygespro- chen werden: Sonderlich wenn man bey dem 9ten §. des angefuͤhrten Capitels stehen bleibt. Jst dieses nicht so viel als zugestanden, daß ich mir in dem Capitel meiner Dichtkunst, welches von dem poetischen Geschmack handelt, selbst wie- derspreche, und Weisses und Schwartzes unter ein- ander werffe? XII. Dieser Geist der Syncretisterey, und ei- ne heimliche Lust mich dem Gespoͤtte meiner Fein- de bloß zugeben, offenbaret sich auch in einigen folgenden Artickeln eurer Vertheidigung. Z. Ex. Jn dem Urtheil von Bessers Gedichte uͤber seine Kuͤhlweinin, wo ihr euch deutlich fuͤr Hrn. Bod- mer erklaͤret, und mich einer Ungeschicklichktit mein sonst begruͤndtes Urtheil zu rechtfertigen oͤffent- lich beschuldiget. Jn dem Urtheil uͤber den Cani- zischen Ausdruck sterbend leben Bl. 440. wo ihr wiederum meinem Tadler voͤllig Recht gebet. Jn dem Puncten von der Lehre der Figuren in der Poesie an die d. Ges. von Greifswalde. Poesie Bl. 439. wo ihr euch gaͤntzlich auf die Par- tey meines Gegners zu schlagen scheinet. Jn der Streitfrage, ob und wieferne Schoch das ihm beygelegte Lob verdiene, wollet ihr euch gar nicht in eine Eroͤrterung einlassen, sondern eine genaue Neutralitaͤt beobachten. Am allerdeutlichsten aber verraͤth sich die Syncretistische Gleichguͤltigkeit in dem Artickel uͤber die Frage: Ob die Critick gluͤcklicher auf verstorbene, oder auf lebendige ge- richtet werde? Wo ihr bald, wie Bl. 444. Bod- mern fast gaͤnzlich Beyfall gebet; bald aber, wie auf der folgenden Seite, behauptet, es lasse sich nichts gewisses bestimmen; sondern es komme auf die Gemuͤths-Beschaffenheit eines jeden Kunstrichters an. Heißt dieses nicht auf beyden Seiten hinken? Man vergleiche darmit was ihr oben auf der 417ten Seite aus meiner Vor- rede zu der Dichtkunst von dem Amt eines Cri- tici anfuͤhret. XIII. Das Urtheil von Milton und von Hrn. Bodmers Uebersetzung, welches ich in der dritten Ausgabe meiner Critischen Dichtkunst auf der 685. Seite unter dem Scheine einer Erklaͤrung gaͤntzlich widerruffen habe, begleitet ihr mit einer recht spoͤtti- schen Anmerckung, die keine andere Wirckung ha- ben kan, als daß sie mich bey jedermann zum Ge- laͤchter machen muß. Jhr saget: Wo die letz- tern Gedancken allemahl die besten sind, so muß dieses Urtheil, welches den Milton und die Bodmerische Uebersetzung zugleich, des Ungeheu- ren, Rauhen und Widrigen beschuldiget, noth- B 3 wen- Hr. Pr. Gottscheds Schreiben wendig vor jenem gelten. Heißt dieses nicht ludere in re seria? XIV. Eure letzte Anmerckung von der wichti- gen Veraͤnderung, da ich in der letzten Auflage meiner Dichtkunst anstatt meiner eigenen, lauter Exempel von unsern besten Dichtern eingeschoben habe, giebt mir wiedrum eine Probe, wie gluͤck- lich ihr seyd, wenn ihr nur wollet, eine Sache nach ihrem besten Vortheil vorstellig zu machen. Denn da sonst diese vorgenommene Veraͤnderung in der That eine Wirckung von dem Tadel der Schwei- zer ist, und hiemit als ein oͤffentliches Gestaͤndniß eines wichtigen Versehens und der Begruͤndniß ihres Tadels koͤnnte angesehen werden; so habet ihr eure Anmerckung so geschickt zu drehen gewußt, daß kaum jemand, der nicht von diesem gantzen Streite vollkommen unterrichtet ist, die wahre Ur- sache dieser vorgenommenen Veraͤnderungen und diese fuͤr meine Ehre so nachtheiligen Folgen mer- ken wird. Daferne ihr nun, wie ich nicht zweifeln darf, aus allen diesen Vorstellungen begreiffen werdet, wie uͤbel mein Ansehen durch dergleichen Ausdruͤ- ke und eine solche zweydeutige Art meinen Wider- sachern zu begegnen versorget ist, so verlasse ich mich darauf, daß ihr euch kuͤnftig in euern Ur- theilen von mir und meinen Feinden besser in Acht nehmen und eine groͤssere Vorsichtigkeit brauchen werdet. Denn ich sage aufrichtig, daß ich euch lieber unter den offentlicherklaͤrten Freunden der Schweitzer sehen wollte, als daß ihr euch derge- stalt unter sie und mich vertheilet, wenigstens eure Freund- an die d. Ges. von Greifswalde. Freundschaft gegen mir auf eine so wanckelmuͤthi- ge Art ausdruͤcket. Jch uͤberlasse euch selbst die boͤsen Folgen zu betrachten, die daher fuͤr euch ent- stehen moͤgen, wenn ihr mir nicht sicherere Proben von eurer Gefaͤlligkeit gebet. Sinnet nach, ob dieses mit eurem Vorhaben meine Freundschaft zu verdienen uͤbereinkomme. Das Ungluͤck ist, daß man solchen Leuten zu viel Gehoͤre giebt, welche nichts als Unruh und Streit suchen. Man ma- chet sich von meinem Ansehen einen gantz falschen Begriff, und schreibet mir dann die Absicht zu, daß ich desselben gegen heimsche und fremde miß- brauchen wuͤrde. Jch wollte dennoch nicht gerne genoͤthiget werden, alle die Vortheile meiner Macht gegen meine Mißguͤnstigen oder gegen mei- ne mißlichen Freunde anzuwenden. Jhr koͤnnet die- ses denjenigen unter euch zu verstehen geben, wel- che auf die Seite des Gegentheils zu hinken schei- nen; bildet euch aber nicht ein, daß Furcht und Bloͤdigkeit an diesen Erinnerungen einigen Antheil haben. Nichts anders leget mir dieselben in die Feder als der Verdruß, den ich haben wuͤrde, wenn ich euch nicht mehr unter meine Freunde zehlen duͤrffte. Die Erfahrung hat es gezeiget, daß meine Freundschaft so vortheilhaft ist, als meine Feindschaft nachtheilig seyn kan; ich will nicht sa- gen, bey was vor Anlaͤssen dieses geschehen ist, die moͤgen es sagen, die es empfunden haben. Den- noch bin ich niemahls zu dem aͤussersten Mittel fort- geschritten, als wenn die Vermahnungen keinen Eingang mehr gefunden haben. Jch fuͤrchte dieses B 4 nicht Hr. Pr. Gottscheds Schreiben nicht von eurer Gesellschaft, und in dieser Zu- versicht will ich mich gerne unterschreiben Leipzig, den 28. Mey. 1743. Euern gewogenen Freund und Goͤnner. G. Peter- an die d. Ges. von Greifswalde. Petermañs von Langnau Schreiben an die deutsche Gesellschafft von Greifswalde. Meine Herren! W Er den Vorbericht zu dem ersten Bande eurer Critis. Versuche gelesen hat, der wird von eurer Unparteylichkeit im Urtheilen eine so guͤtige Meynung vorgefasset haben, daß er sich nicht entsehen wird, eure Urtheile und Nachrichten fuͤr sicher und zuver- laͤßig anzunehmen: Denn es ist nichts, das die Leser, zumahl solche, denen das Nachdencken ohnedem ein wenig verdrießlich ist, in dem Ver- trauen auf die Unbetruͤglichkeit ihres Scriben- ten sicherer mache, und ihre eigene Untersuchung und Pruͤffung mehr hemme, als dergleichen star- ke Versicherungen, daß man sich an keine Ar- beit wagen wolle, die sich uͤber unsere Kraͤfte erstrecket; daß man nichts ohne Grund loben oder tadeln; alles aus einem reinen Grund herleiten wolle, und was dergleichen mehr in eurem Vorbericht zu lesen ist. Nach so stoltzen Versicherungen mag sich dann ein Schrifft- verfasser noch so sehr erniedrigen, seine Fehlbar- keit bekennen, und sich die Erinnerungen seiner Leser ausbitten; Dieses alles wird die seinen Lesern vorhin beygebrachte gute Meynung und das erschlichene Zutrauen eben so wenig ver- B 5 min- Von Langnau Schreiben mindern, als andere in dem taͤglichen Umgange gewoͤhnliche Hoͤflichkeiten unserm Stand, Rang und Ansehen einigen Abbruch thun; Jm Ge- gentheil wird eine solche Erniedrigung seiner selbs schon ohne dies sichere und gemaͤchliche Leser in ihrer Sicherheit nur mehr staͤrcken, und sie auf die Gedancken fuͤhren, wenn der Ver- fasser der Gruͤndlichkeit seiner Schrift nicht ge- nugsam trauen koͤnnte, so wuͤrde er nicht so ernstlich auf eine Untersuchung dringen. Bey einer solchen Auffuͤhrung eines Schrift- verfassers koͤmmt es demnach lediglich auf die Untersuchung an, wie ferne er in der Ausfuͤh- rung seines Vorsatzes die großsprechenden Ver- sicherungen erfuͤllet, und denen strengen Gesetzen, die er selbst zur Richtschnur einer billigen Pruͤf- fung seiner Schrifften vorgeleget hat, eine Ge- nuͤge geleistet habe? Thut die Ausfuͤhrung ei- nem so strengen Vorsatz keine Genuͤge, so ist die Gefahr der Verfuͤhrung von einer solchen Schrift gedoppelt, indem sie die Leser nicht allein mit irrigen Meynungen und Urtheilen taͤuschet, son- dern durch das Blendwerck großsprechender Versicherungen annoch die Erkaͤnntniß des Jrr- thums und Betrugs schwer machet, ja gaͤntzlich hindert. Wenn ich mir nun die Freyheit heraus neh- me, auf diesen Blaͤttern eine Untersuchung an- zustellen, wieferne diejenigen Artickel des ersten Bandes eurer Critischen Versuche, in welchen ihr euch in eine Beurtheilung der Schweitzeri- schen Critischen Schriften, und einiger beson- derer von denselben aufgeworffener Streitfra- gen an die d. Ges. von Greifswalde. gen einlasset, die Pruͤffung aushalten, so werde ich in dieser Untersuchung die Regeln, die ihr euch selbst gemachet, und nach denen ihr auch wollet beurtheilet werden, zum Grund und Au- genmerck setzen, und euer Verfahren darnach pruͤffen: Jch werde mich demnach bestaͤndig er- innern, daß nach eurer eigenen in dem allgemei- nen Vorbericht gegebenen Versicherung, 1. Keiner sich an eine Arbeit gewaget, die sich uͤber seine Kraͤfte erstrecket; 2. Daß ihr nie- mals gelobet oder getadelt, ohne den Grund anzugeben, warum ihr gelober oder getadelt; 3. Daß alle eure Urtheile aus einem reinen Grund herfliessen, und keine unlautere Absich- ten mit untergelauffen; 4. Daß eure Aus- spruͤche frey von allem Stoltz mit einer so hoͤf- lichen Bescheidenheit sollen vorgetragen wer- den, die denjenigen wohl anstehet, die sich er- innern, daß sie selbst nicht ohnfehlbar sind. An diese Regeln werde ich mich steiff halten, und nach denselben eure Critische Gerechtigkeit pruͤf- fen: Alle Unhoͤflichkeit, die der Wahrheit nach- theilig ist, eben so behutsam vermeiden; als sehr ich diejenige so genannte Hoͤflichkeit, die der Wahrheit im Licht stehet, und logicalische Schluͤsse entkraͤfftet, verabscheue; Und im uͤbrigen dann euch uͤberlassen, welchem von eu- ren Gesellschaftern ihr die Last der Vertheidi- gung auftragen wollet, wo ich etwann in mei- nen Anmerckungen und Schluͤssen moͤgte geir- ret, oder euch zu nahe getreten haben, denn ich masse mir kein Vorrecht der Unfehlbarkeit an, und werde meine Meynungen fuͤr keine un- Von Langnau Schreiben unwidersprechlich erwiesene Wahrheiten aus- geben. Es sind vornemlich drey Artickel in dem er- sten Bande eurer C ritischen Versuche, wo ihr euer Urtheil von den Critischen Schriften und Gedancken der Schweitzer offenherzig entdecket: der VI te des IV ten Stuͤcks, und der III te und zum Theil auch der I ste des V ten Stuͤcks. Wir wollen sie nach der Ordnung durchlauffen. A. Jn dem VI ten Artickel des IV ten Stuͤ- kes giebt die Vertheidigung von Hrn. Prof. Gottscheds Versuch einer Critischen Dichtkunst Anlaß manches Urtheil der Schweitzer auf die Capelle zu setzen, und davon eure Meynung zu eroͤffnen. Gerade auf der 415. Seiten wird aus dem Anhange des Ergaͤntzungs-Stuͤckes zu Hrn. D. Trillers Fabelwercke eine Stelle aus einer Anmerckung angefuͤhret, welche behaup- tet, daß die Gottschedische Dichtkunst eine nur allein fuͤr die Deutschen eingerichtete Dichtkunst sey. Ueber diese Stelle wird der Verfasser die- ses Artickels so empfindlich, daß er in einer beygefuͤgten ernsthaften Straffpredigt, die mit einer recht Postillenmaͤssigen Bewegung vorge- bracht wird, die Absichten des Schweitzerschen Kunstrichters, als ein anderer Hertzenkuͤndi- ger, entdecket und mit der groͤsten Gewißheit bestimmet; uͤber die Spoͤtter dieser letzten Zei- ten eine bittere und gantz aufgeweckte Klage fuͤh- ret; und endlich dieselbe mit einem feyerlichen Glaubensbekaͤnntniß zum Ruhm der Gottsche- dischen Dichtkunst beschliesset. Koͤnnte man hier nicht mit Recht fragen: Tan- an die d. Ges. von Greifswalde. Tantæne animis COELESTIBUS iræ? Allein wir wollen sehen aus was fuͤr einer rei- nen Quelle diese Strafpredigt moͤgte geflossen seyn. Hr. Prof. Gottsched hat in den zwo er- sten Ausgaben seines Versuches einer Critischen Dichtkunst auf dem Titelblatt hingesetzt: Ver- such einer Critischen Dichtkunst vor oder fuͤr die Deutschen. Das Titelblatt eines Buchs soll den Haupt-Jnnhalt, die Absicht, und den Gebrauch desselben begrifflich bestimmen. Auf einem Titelblatt sollte demnach von rechts- wegen kein uͤberfluͤssiges Wort stehen, das nicht einer von diesen Absichten befoͤrderlich seyn koͤnnte: Ob nun gleich dem Schweitzer- schen Kunstrichter die Einschraͤnckung auf dem Gottschedischen Titelblatte fuͤr die Deutschen gantz neu und seltsam vorgekommen, weilen er sich nicht besinnen konnte, daß jemahls ein anderer Schriftverfasser vor Hrn. Prof. Gottscheden sich einer solchen Einschraͤnckung des Gebrauchs seines Buchs auf eine beson- dere Nation bedienet haͤtte; so hat er den- noch fuͤr fest angenommen, daß Hr. Prof. Gottsched, als ein beruͤhmter Lehrer der deut- schen Weltweißheit, auch in diesem Falle nichts ohne zureichenden Grund gethan habe, daß folglich der Zusatz fuͤr die Deutschen auf dem Titelblatte seiner Dichtkunst eine in ver- nuͤnftigen Absichten gegruͤndete Nothwendig- keit haben muͤßte. Auf diesen aus einem gut- muͤthigen und recht billigen Hertzen angenom- menen Grundsatz nahm er sich fuͤr, diejeni- gen Von Langnau Schreiben gen Absichten, die diesen Zusatz der Einschraͤn- kung des Gebrauchs fuͤr die Deutschen noth- wendig machten, zu errathen. Es kam ihm erstlich in Sinn, ob vielleicht Hr. Gottsched seine Absicht bey dieser Einschraͤnckung auf die Sprache, in welcher sein Buch geschrie- ben, gerichtet haben moͤgte; denn er erin- nerte sich wohl, daß Hr. Gottscheden nicht un- bekannt ist, daß er der erste gewesen, der ei- nen Versuch einer Critischen Dichtkunst in deutscher Sprache der Deutschen Welt gelie- fert hat. Allein er besann sich gleich, eines- theils daß der Großmeister und Befoͤrderer der deutschen Sprachgenossenschaft, wenn er diese Absicht gehabt haͤtte, sich gantz anders und viel deutlicher und reiner wuͤrde ausge- druͤckt, und etwann so geschrieben haben: Der erste Versuch einer deutschen Critischen Dicht- kunst, dergleichen in deutscher Sprache bis- her nicht gesehen worden. Und anderntheils befand er, daß die Einschraͤnckung des Ge- brauchs eines so nuͤtzlichen Buchs fuͤr die Deut- schen in Absicht auf die Sprache gantz uͤberfluͤs- sig und fuͤr einen philosophischen Kunstrichter, der nichts ohne zureichenden Grund zu schreiben gewohnt ist, gantz nicht anstaͤndig waͤre: Aller- massen es nicht noͤthig ist, daß man einen, der der deutschen Sprache gantz unkundig ist, war- ne, daß er kein deutsches Buch lese. Da nun aber ein Buch fuͤr die Leser nicht mehr als in zweyen Absichten, nemlich entweder in Anse- hung der Sprache, oder in Ansehung der Sa- chen an die d. Ges. von Greifswalde. chen und Gedancken, brauchbar oder unbrauch- bar seyn kan, mußte der Schweitzer nicht noth- wendig auf die Vermuthung fallen, wenn die- ser Zusatz anders nicht muͤssig und ohne Ver- stand seyn soll, so muͤsse er den Gebrauch dieses Buchs in Absicht auf den Jnnhalt und die Ma- terie oder die Gedancken einschraͤncken, und es fuͤr die Deutschen allein vor brauchbar erklaͤren? Jn dieser Absicht konnten demnach die Worte fuͤr die Deutschen keinen andern Verstand ha- ben, als daß die in diesem Buche abgehandel- ten Materien, wenn es gleich in eine andere Sprache uͤbersetzt wuͤrde, dennoch von nieman- dem als von einem gebohrnen Deutschen koͤnn- ten verstanden und zu Nutze gemachet werden. Sollte nun aber dieser Sinn Platz haben, so mußte ferners folgen, daß die abgehandelten Materien nicht aus der allgemeinen Natur der Menschen uͤberhaupt hergeleitet und erwiesen worden seyn, denn so koͤnnte das Buch in An- sehung seines Jnnhalts nicht bloß fuͤr die Deut- schen verstaͤndlich und brauchbar seyn: Folglich konnte er nichts anders schliessen, als daß Hr. Gottsched seine Regeln, daß sie allein fuͤr die Deutschen brauchbar waͤren, nothwendig aus der besondern Natur der deutschen Nation muͤß- te hergefuͤhret haben. Es mag wohl seyn, daß der Schweitzersche Kunstrichter auch diese letzte- re Erklaͤrung mit ihren Folgen Hrn. Prof. Gott- scheden nicht im Ernst zugeschrieben hat; son- dern dadurch nur so viel hat zu verstehen geben wollen, daß diese Einschraͤnckung fuͤr die Deut- schen Von Langnau Schreiben schen keinen gesunden Verstand leide, und von Hrn. Gottsched ohne Bedacht sey hingeschrie- ben worden: Denn wenn es wahr seyn sollte, wie ihr in eurem Glaubensbekaͤnntniß versichert zu seyn vorgebet, daß die Critische Dichtkunst des Hrn. Gottscheds mit Vergnuͤgen und Nu- zen von den Auslaͤndern, die unsrer Sprache kundig sind, sollte koͤnnen gelesen und verstan- den werden; so moͤgte ich gerne vernehmen, was denn die Einschraͤnckung fuͤr die Deutschen auf dem Titelblatte der Critischen Dichtkunst eigentlich zu bedeuten habe; und ob der Ver- stand, den dieser Zusatz leiden kan, nicht alle- mahl laͤcherlich herauskomme? Wer will es aber einem mit Recht verargen koͤnnen, wenn er uͤber einem laͤcherlichen Ausdrucke das Maul ein wenig verkruͤmmt? Zugeschweigen, daß der Schweitzer an dem Orte, wo er diese Critick anbringet, eben nicht Ursache gehabt hat, gar zu bloͤde, kaltsinnig und ernsthaft mit Hrn. Prof. Gottsched zu reden, allermassen das un- gesaltzene Gespoͤtte, welches dieser in seinen Beytraͤgen uͤber die neue Schweitzersche Dicht- kunst ausgegossen, eine zuͤchtigende und demuͤ- thigende Abfertigung erforderte, und noch wohl eher eine so bewegliche Straffpredigt verdienet haͤtte, als diejenige ist, mit welcher ihr die Schweitzersche Anmerckung begleitet. Wir muͤs- sen aber diese Critische Straffpredigt selbst noch ein wenig beleuchten. Jhr saget: Diese Beur- theilung ist gewiß nicht aus einem reinen Cri- tischen Eifer geflossen. Die Herrn Schweitzer wuͤr- an die d. Ges. von Greifswalde. wuͤrden sonsten nicht wieder ihre Gewohnheit, die letzte Beschuldigung, (daß nemlich Hrn. Gottscheds Dichtkunst niemand als ein gebor- ner Deutscher brauchen koͤnne, weil sie ihre Re- geln aus der besondern Natur der Deutschen her- leite) so schlechthin ohne Erklaͤrung und Be- weis stehen lassen. Jst denn das eigene Ge- staͤndniß des Hrn. Prof. Gottscheds nicht Be- weises genug? Er sagt ja selbst sein Buch sey nur fuͤr die Deutschen brauchbar, nicht in An- sehung der Sprache, denn darinn hat es fuͤr alle andern deutsche Buͤcher nichts eigenes vor- aus; hiemit in Ansehung der Materie oder des Jnnhalts; wie koͤnnten aber die Regeln dieser Dichtkunst nur fuͤr die Deutschen brauchbar seyn, wenn sie aus allgemeinen Grundsaͤtzen, aus der allgemeinen menschlichen Natur waͤren her- geleitet worden? Wenn ihr also diese Folge und Erklaͤrung nicht fuͤr guͤltig erklaͤren wollet; so bleibet nichts uͤbrig, als daß ihr bekennet, die- se Worte fuͤr die Deutschen haben gar keinen gesunden Verstand, und seyn vom Hrn. Prof. ohne Bedacht und ohne zureichenden Grund hin- geschmiert worden. Was wird aber diese Be- schuldigung vor ein schlechtes Zutrauen fuͤr die Gruͤndlichkeit des Werckes selbst gebaͤhren, wenn dem Verfasser nicht einmahl die Faͤhigkeit zuge- standen wird, ein Titelblatt mit Verstande zu schreiben? Dic alium Quintiliane colorem! Und wie muͤßte wohl die Antung und Bestraf- [Crit. Sam̃l. XI. St.] C fung Von Langnau Schreiben fung dieses Fehlers beschaffen seyn, wenn sie von euch das Zeugniß verdienen sollte, daß sie aus einem reinen Critischen Eifer geflossen? Vielleicht muͤßte sie ohngefehr so abgefasset seyn: „Jch will mich hier unterstehen, einen kleinen „Fehler an dem Titelblatte der Gottschedischen „Dichtkunst auszusetzen: Die Gemuͤthsbillig- „keit des Hrn. Professors ist mir gar zu bekannt, „als daß ich fuͤrchten sollte, er werde meine „Freyheit mißbilligen. Er verlanget nicht, „daß man auf alle seine Meynungen einen Eyd „schwoͤren soll. Die Einschraͤnckungs-Woͤrt- „gen fuͤr die Deutschen haben hier nicht mehr „zu bedeuten, als leere Worte, die keinen ge- „sunden Verstand leiden, man kan sie ohne „Abbruch des Verstandes ausstreichen. Nie- „mand aber sey so unhoͤflich und unbescheiden, „daß er von dem Titelblatt auf das Buch selbst „einen Schluß machen, und sich durch die straff- „bare Vermuthung an dem beruͤhmten Manne „versuͤndigen wollte, als ob in dem Wercke „selbs eben dergleichen unverstaͤndige Versehen „moͤgten mit untergelauffen seyn. Man wen- „det eben nicht allemahl den groͤsten Fleiß auf „das Titelblatt, welchem der beruffene Nah- „me des Verfassers das groͤste Ansehen geben „muß: Et bonus nonnunquam dormitat Ho- „merus.„ Eure folgende Klage uͤber den Miß- brauch der Critick ist gantz pathetisch, und ent- decket durch die doppelte Frage und die beyge- fuͤgte nachdruͤckliche Apostrophe ein gantz beweg- tes Gemuͤth; Sie lautet: „Wird man aber „nicht an die d. Ges. von Greifswalde. „nicht die vortreffliche Critick zu dem gehaͤssig- „sten Dinge von der Welt machen, wo man „fortfaͤhret, auch die groͤbsten Spoͤttereyen „darein zu mischen? Oder ist der vortrefflich- „ste Criticus vielleicht derjenige, der den an- „dern am laͤcherlichsten machen kan? Man ver- „huͤte doch, damit unsre Welt nicht anfange, „Critische und Satyrische Schrifften fuͤr einer- „ley zu halten!„ Es wird schwer seyn, die vor- treffliche Critick fuͤr die elenden Scribenten oh- ne Nachtheil der Wahrheit jemahls angenehm zu machen: Und die hoͤfliche Bescheidenheit, die Jhr euch in euren Urtheilen zur Regel gesetzet, mag euch den Unterscheid zwischen einem feinen und gruͤndlichen Schertz, und zwischen den groͤb- sten Spoͤttereyen verborgen gehalten haben. Oder muß ein Criticus, der es mit einem stol- zen Verfasser aufgenommen hat, der sich selbst laͤcherlich machet, weinen, wenn er sein Be- finden daruͤber entdecken soll? Man wuͤrde sich fast bereden, wenn man diese Klage ließt, daß euch entweder die grossentheils unbillige und schimpfliche Art der Critick, welche Gottsched in seinen Beytraͤgen seit zehn Jahren in Deutsch- land ohne Einrede auch gegen die groͤsten Maͤn- ner gefuͤhret hat, gantz unbekannt seyn muͤßte, oder daß ihr sie heimlich billigter, da ihr so emp- findlich werdet, so bald man diesem stoltzen und eigenmaͤchtigen Richter der deutschen Welt we- gen solcher Fehler, die keineswegs zu entschul- digen sind, mit einer schertzenden Mine die Wahrheit saget, daß ihr euch nicht enthalten C 2 koͤn- Von Langnau Schreiben koͤnnet, seinen verdienten Hohn durch eine Pa- stormaͤssige Straffpredigt an den Schweitzern zu raͤchen. Jch ersuche euch demnach die bey- den Abschnitte in Conr. Erlenbachen Echo des deutschen Witzes, welche von der Critischen Hoͤflichkeit, und der Gerechtigkeit einiger hoch- deutscher Kunstrichter absonderlich handeln, und die ihr in dem VI ten Stuͤcke der Schweitzerschen Critischen Sammlungen antreffen koͤnnet, noch einmahl bedaͤchtlich zu durchlesen, und dann mit euren Regeln von der Critischen Unparteylichkeit zu Rath zu gehen, ob eure Straffpredigt besser auf Hrn. Gottsched oder auf die Schweitzer passe, und so ferner nachzudencken, wie ihr euch rechtfertigen wollt, daß ihr Gottschedens un- billige Critick in das zehnte Jahr in der deut- schen Welt ohne Warnung und Antung frey habet rasen und schwermen lassen, und noch itzo nicht wol vertragen koͤnnet, daß die Schweitzer sich unterfangen haben, die deutsche Welt von diesem eigensinnigen Critischen Tyrannen zu be- freyen, und ihn rechtschaffen zu demuͤthigen. Allein die zu dieser Klage hinzugefuͤgte seufzende Apostrophe verdienet noch eine besondere Be- trachtung: Man verhuͤte doch, damit unsre Welt nicht anfange, critische und satyrische Schrifften fuͤr einerley zu halten. Worauf mag denn wohl der so unendlich grosse Unter- scheid Critischer und Satyrischer Schrifften be- ruhen, daß auch die blosse Vorstellung der Gefahr von Vermischung derselben, so tiefge- holte Seufzer und gebrochne Stoßgebethgen aus- an die d. Ges. von Greifswalde. auspressen kan? Nach meinem schwachen Sin- ne waltet dieser Unterscheid zwischen beyden, daß die Critick zur Absicht hat zu unterrichten und zu verbessern; die Satyre hingegen zu beschaͤmen, zu bestraffen und zu warnen: Beyde suchen die Verbesserung des Nebenmenschen; die Critick durch bescheidenen Unterricht; die Satyre durch die Beschaͤmung. Wenn hiemit die Critick ei- nen heilsamen Eingang zur Verbesserung finden soll, so muß derjenige, dessen Verbesserung sie suchet, faͤhig seyn einen guten und wohlgemein- ten Unterricht mit stillem Gemuͤthe anzunehmen, und zu seiner Verbesserung anzuwenden. Jst jemand nicht in dieser Gemuͤths-Verfassung, so ist er fuͤr die Critick unverbesserlich. Folglich muͤßte man solche Menschen, die doch den weit groͤssern Theil ausmachen, ihrem Verderben voͤllig uͤberlassen, wenn nicht noch ein ander Mit- tel uͤbrig waͤre, wodurch man nicht ohne Hoff- nung fuͤrfahren koͤnnte, an deren Verbesserung zu arbeiten. Stoltze, eigensinnige Koͤpfe sind schwerlich durch blossen Unterricht zurecht zu brin- gen, weil es bey ihnen nicht so fast an der Ver- standes-Faͤhigkeit als an dem Willen fehlet; darum muß bey solchen die Satyre der Critick zu Huͤlffe kommen, wo man ihre Verbesserung nicht gaͤntzlich verlohren geben will. Dadurch muß man ihnen den Stoltz und Eigensinn zuerst brechen, damit sie wider faͤhig werden den Un- terricht der Critick zu ihrer Besserung anzuneh- men. Giebt es denn aber solche hartnaͤckige Suͤnder, die alle Mittel zu ihrer Verbesserung C 3 muth- Von Langnau Schreiben muthwillg von sich stossen, die man weder durch die uͤberzeugenden Warnungen der Critick, noch durch die gelinde Zuͤchtigung der Satyre zu ei- nem bessern Sinne verleiten kan, an denen hie- mit alle Arbeit als an schlechterdings unverbes- serlichen gaͤntzlich verloren, so kan man solche der Geissel einer beissenden Satyre zur gerechten Strafe uͤbergeben, damit wenigstens andere aus Furcht vor einem gleichen Gerichte von ihrer Hartnaͤckigkeit abgeschreckt, und unschuldige Seelen gegen die Verfuͤhrung verwahret wer- den. Wenn ich nun diese Gedancken von dem wahren Unterscheid der Critick und der Satyre mit einem Wunsch und Seufzer beschliessen soll- te, so wollte ich wuͤnschen, daß man verhuͤten koͤnnte, daß unter den beruͤhmten elenden Scri- benten der deutschen Welt keine fuͤr die Critick unverbesserliche Suͤnder mehr moͤgten gefunden werden, in welchem Falle weder die zuͤchtigende noch die straffende Satyre mehr noͤthig waͤre. So lange hergegen solche Scribenten noch vor- handen sind, die aus stolzem Eigenduͤnckel jeder- mann richten, Lob und Tadel nach ihrer Will- kuͤhr ausspenden und widerruffen, den Witz und Geist einer gantzen Nation auf ihren Credit nehmen; so lange wird die Verbindung der Sa- tyre mit der Critick keine so grosse Gefahr auf sich haben, daß es eben noͤthig seyn sollte, durch oͤffentliche Kirchengebethe die Abwendung dersel- ben zu erflehen. Was endlich eure letzte Klage uͤber diesen Artickel angehet, so habe ich daruͤber auch noch eine Anmerckung zu machen. Jhr sa- get: an die d. Ges. von Greifswalde. get: „Wo bleiben die reinen Absichten der „Critick, wenn man so gar auf eine gantze Na- „tion schimpfet, weil uns dieser oder jener Ge- „lehrte aus derselben boͤse gemacht hat?„ Da- fern ihr es vor einen Schimpf fuͤr die gantze deut- sche Nation aufnehmet, daß der Schweitzersche Kunstrichter gesagt hat: „Hr. Gottsched habe „seine Saͤtze und Regeln nicht aus der allge- „meinen Natur der Menschen uͤberhaupt, son- „dern aus der Natur der deutschen Nation ins- „besondere hergeleitet;„ so muͤsset ihr die ge- kraͤnckte Ehre der deutschen Nation nicht an dem Schweitzer, sondern an Hrn. Gottscheden raͤ- chen; sonst wuͤrde eure Rache uͤber einen un- schuldigen ergehen: Zumalen da ich oben aus- fuͤhrlich dargethan habe, daß die eigenen Worte des Hrn. Prof. auf dem Titel seiner Dichtkunst, wenn sie anders einen Verstand haben sollen, diesen nothwendig mit sich fuͤhren, und in sich einschliessen. Wenn sie aber keinen Verstand haben; hat denn der Schweitzer dadurch die gantze deutsche Nation beschimpft, daß er selbi- gen einen Verstand zugetrauet hat? Dazu koͤmmt, daß der Schweitzer an eben dem Orte, wo diese Stelle zu finden, gerade in den aller- naͤchst-folgenden Worten, bewiesen hat, daß Hr. Gottsched seine Urtheile aus der Natur der deutschen Nation wircklich herleite: Allein ihr habet nicht fuͤr gut angesehen, diesen Beweis mit anzufuͤhren, vielleicht auch darum, damit ihr dem Schweitzer wegen Mangel des Bewei- ses desto kecker einen unreinen Critischen Eifer C 4 Schuld Von Langnau Schreiben Schuld geben koͤnnet. Endlich ist noch zu mer- ken, daß der Schweitzersche Kunstrichter hier durch die deutsche Nation nur allein diejenigen verstanden haben will, die Hrn. Gottsched als den Vormund des deutschen Witzes glaͤubig er- kennen und verehren, und in ihrem Hertzen sprechen: Adorons ce grand homme, \& pensons comme il pense. Wer folglich diesen Schimpf, da man die deut- sche und die menschliche Natur von einander un- terscheidet, auf sich ziehet, der verrath sich eben dadurch, daß er vor dem Baal des deutschen Witzes die Knie gebogen habe. Es hat sich aber der Schweitzer darum der allgemeinen Benen- nung der deutschen Nation bedient, ob er gleich nur einen Theil darunter verstanden haben will, weil Hr. Gottsched diese allgemeine Benennung so oft gebraucht, als er sein selbst angemaßtes vormundschaftliches Amt ausuͤben will, ohnge- achtet nur sehr wenige solches erkennen wollen; wie aus der Vorrede zu dem von Hrn. Heine- ken uͤbersetzten griechischen Longin zu sehen ist: Womit auch uͤbereinstimmet, was der Verfas- ser der Goͤttingis. Zeitungen in dem 55. Stuͤcke dieses Jahrs auf der 495. Seite von den Leipzi- gischen Belustigern, als Hrn. Gottscheds ge- treuen Unter-Bedienten, sagt; „Man kan die „Verfasser der Belustigungen nicht durchgaͤn- „gig vor die Verfechter des deutschen Witzes „annehmen.„ B. Auf an die d. Ges. von Greifswalde. B. Auf der 416. Seite dieses VI. ten Artickels laßt ihr folgendes Urtheil einfliessen: „Der Herr „Verfasser war der erste, der uns sowohl dem „Namen, als der That nach, eine Critische „Dichtkunst geliefert hat.„ Dieses Urtheil ste- het mit demjenigen, welches ihr auf der 427. Sei- te aus dem II. ten Stuͤcke der Schweitzerschen Sammlungen anfuͤhret, in einem offenbaren Wie- derspruch, denn da heißt es: „Es verdiente auch „diese Dichtkunst in Absicht auf den Verfasser „viel ehender historisch, als critisch genennet zu „werden, es sey denn, daß man das vortreffliche „Critische Stuͤcke Bl. 181. wo er Sal. Francken „Abendsegen auf eine scharffsinnige Weise beur- „theilet, in eine besondere Betrachtung ziehen „wollte.„ Hier mangelt mir nichts als der Er- weis: Jhr widersprechet, ihr lobet; aber den Grund warum ihr widersprechet und lobet, den finde ich nirgends, ungeachtet der zweyten Regel, die ihr euch selbst gemachet habet. Es fraget sich nemlich, ob Herrn Gottscheds Dichtkunst mit Recht eine Critische Dichtkunst heissen koͤnne? Ei- ne Dichtkunst verdienet erst dannzumahl den Na- men Critisch, wenn sie nicht bloß verschiedene Ge- dancken und Meinungen andrer von verschiedenen Lehrsaͤtzen anfuͤhret, oder eine Anleitung und Re- geln giebt, wie ein Gedichte zu Stande zu bringen, oder auch die Regeln mit einer philosophischen Gruͤndlichkeit erweiset; sondern wenn sie, nach Hrn. Gottscheds eigner Erklaͤrung, „die Schoͤn- „heiten und Fehler vorkommender Meisterstuͤcke, „nach gruͤndlich erwiesenen und fest-gesetzten Re- C 5 „geln Von Langnau Schreiben „geln vernuͤnfftig pruͤffet, und richtig beurtheilet.„ Urtheile uͤber Sachen, die wir von andern em- pfangen und angenommen haben, gehoͤren nicht zu der critischen, sondern zu der historischen Erkennt- niß. Diesem zufolge sodere ich billig von euch, um euer Urtheil, und zugleich die Benennung der Gott- schedischen Dichtkunst als einer Critischen zu recht- fertigen, daß ihr mir diejenigen Meisterstuͤcke anzei- get, deren Schoͤnheiten und Fehler Herr Gottsched in seiner Dichtkunst zuerst nach vernuͤnftigen Regeln gepruͤfet und richtig beurtheilet hat. Sonst werde ich diese Dichtkunst immer nur fuͤr eine so-genannte Critische Dichtkunst ansehen, und behaupten, daß das Beywort Critisch auf dem Titel der Gottschedischen Dichtkunst eben so wenig einen zu- reichenden Grund habe, als der Zusatz fuͤr die Deutschen. Da hingegen der Schweitzerschen Dichtkunst dieses Beywort kaum ein deutscher Poet streitig machen wird. Siehe das VI. te Stuͤck der Schweitzerisch-critischen Sammlung Bl. 102. An- merck. Q. C. Auf der 424. Seite des VI. ten Artickels stellet ihr die Schweitzersche und die Gottschedische Dichtkunst in eine Vergleichung: „So gleich- „lautend der Titel auf beyden war, so unterschie- „den waren sie gleichwohl ihrem Jnnhalte nach. „Jn einem jeden Wercke war eine besondere Ord- „nung und Einrichtung. Man fand in dem er- „sten nothwendige Hauptstuͤcke, die man in dem „letzten vergebens suchte; und in dem letzten wur- „den dagegen wiederum vortreffliche Materien „ausgefuͤhret, die in dem erstern entweder gar „nicht, an die d. Ges. von Greifswalde. „nicht, oder nur mit wenigem waren beruͤhret „worden.„ Jch koͤnnte zwar auch hier den Be- weis fodern, was fuͤr nothwendige Hauptstuͤcke in der Breitingerschen Dichtkunst mangeln, die zu dem allgemeinen Theil gehoͤren, und in der Leipzi- gischen zu finden sind? Allein da dieses Urtheil von Herrn Gottscheds nur in Ansehung des hoͤflichern und gemilderten Ausdrucks unterschieden ist: die- ses Gottschedische Urtheil aber schon von andern zur Genuͤge beleuchtet worden; so will ich mit blossem Widerhohlen niemandem verdrießlich seyn, son- dern euch lediglich auf das verweisen, was daruͤ- ber in dem dritten Anhange zu dem Ergaͤntzungs- Stuͤcke der Trillerischen Fabeln in dem II. ten Stuͤcke der critischen Sammluugen von Zuͤrich Bl. 69. u. f. und in den Anmerckungen zu der neuen Vorrede zur III. Gottsched. Dichtk. in dem VI. ten Stuͤcke vorbedeuteter Sammlung Bl. 106. u. f. zu lesen vorkoͤmmt. D. Auf der 424. Seite des VI. ten Artickels traget ihr euch mit gantz geheimen Nachrichten von der ersten und wahren Ursache der entstande- nen Feindschaft zwischen Hrn. Gottsched und Hr. Breitinger. Jhr brauchet aber diese Nachrich- ten auf eine recht arglistige Weise nur um den Ver- dacht einer bey den Schweitzern gegen Hrn. Gott- scheden herrschenden heimlichen Feindseligkeit, die an dem hernach erwachsenen offenbaren Streit al- leine Schuld gewesen sey, den Lesern unvermerckt beyzubringen. Wie ferne aber ein solches Betra- gen mit der critischen Aufrichtigkeit und Unpartey- ligkeit, und mit euern großsprechenden Versiche- run- Von Langnau Schreiben rungen, und denen Regeln, die ihr euch selbst ge- machet haben wollet, uͤbereinstimme, das lasse ich alle redlichen Deutschen selbst ermessen. Damit aber die zuverlaͤssige Glaubwirdigkeit eurer gehei- men Nachrichten bey der heutigen unglaͤubigen Welt nicht etwann Noth leiden moͤgte, so war die Behutsamkeit solche zu verhehlen sehr nothwendig; Und die Worte: Die Geschichte dieser Tren- nung gehoͤret nicht an diesen Ort; zeigen, daß ihr gar wol mercket, wo es euch vortraͤglich ist, Geheimnißreich zu thun. Geheime Nachrichten kan niemand weder billigen noch verwerffen, sie koͤnnen wahr seyn; sie koͤnnen aber auch falsch oder gar erdichtet seyn. Nur so viel kan ich euch die- nen, daß Hr. Prof. Breitinger mit Hrn. Prof. Gottscheden niemals in einer freundschaftlichen Verbindung gestanden, und also die Trennung, davon euch eure geheime Nachrichten die Ursache entdecken sollen, recht unbegreifflich ist. Jnzwi- schen kan man die wahren Ursachen des erregten und noch immer fortdaurenden critischen Kriegs, in welchem Hr. Gottsched mit seinem Heere nach dem ersten Angriff sich in dem Streitfelde nur nicht mehr darf blicken lassen, aus der Vorrede zu der Echo des deutschen Witzes in dem IV. ten Stuͤcke der Critisch. Sammlung von Zuͤrich sattsam er- sehen. E. Auf der 425. Seiten des VI. ten Artickels machet ihr eine Erzehlung, die mir einen Mangel der Gemuͤthsbilligkeit nur zu sehr verraͤth, und eure großsprechenden Versicherungen einer aufrich- tigen Unparteylichkeit beschaͤmet; Es heißt: „Jm an die d. Ges. von Greifswalde. „Jm Jahr 1740. kam die beruͤhmte schweitzer- „sche Dichtkunst zum Vorschein. Des Hrn. „Gottscheds und seines Wercks ward in dersel- „ben nur sehr wenig gedacht; jedoch geschahe sol- „ches allemal in ziemlich spoͤttischen und gehaͤssi- „gen Ausdruͤcken.„ Jch muß hierbey erinnern, daß Hr. Prof. Breitinger, wenn anders die ge- heimen Nachrichten von einer fruͤhern Trennung, und einem gegen Hrn. Gottsched gefaßten Grol- len Grund haben sollten, bey diesem Wercke die beste Gelegenheit gehabt haͤtte, sich an Hr. Gott- sched zu reiben: da haͤtte er zeigen koͤnnen, wie wenig das Gottschedische Werck den Titel einer critischen Dichtkunst verdienete, und wie nothwen- dig es demnach waͤre, dasjenige erst noch auszu- fuͤhren, was der Titel desselben zwar versprochen hatte, aber wircklich nicht leisten koͤnnen. Die Gottschedischen Poesien, voraus auch diejenigen, die er seinen Lehrsaͤtzen als Muster beyzufuͤgen stolz genug gewesen, haͤtten ihm Materie zu critischen Untersuchungen vollauf an die Hand gegeben. Er haͤtte alle die Fehler, die erst seither von den Schwei- zern geoffenbaret worden, und noch tausend andere in diesem Buche vorstellen koͤnnen: und damit ich mich durch ein Exempel noch naͤher erklaͤre, wo haͤtte er bequemere Exempel schlechter Uebersetzun- gen, um das Capitel von der Kunst zu uͤbersetzen critisch zu beleuchten, finden koͤnnen, als an Hrn. Gottscheds Uebersetzung von Horazens Dicht- kunst, oder der deutschen Jphigenia? Alleindie- ses alles hat Hr. Breitinger bedaͤchtlich unterlas- sen; er wollte sich weder durch unzeitiges Loben ver- Von Langnau Schreiben versuͤndigen, noch durch den verhaßten obgleich ge- rechten Tadel den Vorwurff der Eisersucht oder des Handwercksneides auf den Hals laden. Es kan einer Hrn. Breitingers critische Dichtkunst gantz durchlesen; er wird daraus kaum mercken, daß ein Gottsched in der Welt ist, der eine criti- sche Dichtkunst geschrieben haben will: Jhr muͤs- set ihm selbs das Zeugniß geben, daß er des Hrn. Gottscheds und seines Werckes nur wenig ge- dacht: Aber wenn ihr sogleich hinzu fuͤget: Je- doch geschahe solches allemahl in ziemlich spoͤt- tischen und gehaͤssigen Ausdruͤcken; so ist die- ses eine critische Verlaͤumdung, die ihr mit den großsprechenden Versicherungen euers Vorberichts vergleichen koͤnnet. Jn beyden Theilen der Brei- tingerschen Dichtkunst koͤmmt der Nahme Gott- sched kaum dreymahl zum Vorscheine: Als nem- lich in dem II. ten Theile auf der 331. Seite in den Anmerckungen, wo er nur bloßhin, ohne den we- nigsten Zusatz, angefuͤhret wird; und in dem I. sten Theile auf der 325. Seite, wo seine Beschreibung der Sehnsucht nach friedlichen Zeiten, wircklich ge- lobet wird, und nach dem Register annoch auf der 304. wo sein Nahme nicht ausgedruckt wird son- dern es nur heisset, er buͤrdet Homer in der Be- schreibung des Schildes Achilles ein Versehen auf. Wer haͤtte nun glauben koͤnnen, daß eben der ernsthafte moralische Straf-Prediger, den wir oben angehoͤrt, und der nichts als Aufrichtigkeit, Unparteyligkeit, Hoͤflichkeit, Gemuͤthsbilligkeit ꝛc. und dergleichen in dem Munde fuͤhret, zur Erfin- dung solcher Verlaͤumdungen zum Behuf eines andern an die d. Ges. von Greifswalde. andern Hertz genug haben sollte, wenn wir ihm nicht hier, so zu reden, die Hand in dem Sack er- wischt haͤtten? Kan diese Verleumdung nicht „zum Beweise dienen, wie sehr die Beurtheilungs- „Kraft eines Kunstrichters koͤnne verdorben wer- „den, wenn er sich von Haß und Partheylichkeit „einnehmen laͤßt?„ Wenn Gottsched selbst, da er gesehen, daß er mit der Wahrheit nicht mehr auskommen, noch den Verdacht des ersten An- griffs von sich ablehnen koͤnnte, auf eine solche Er- findung gefallen waͤre, so haͤtte man es ihm noch wohl uͤbersehen koͤnnen; aber daß ein dritter, den es eigentlich nichts angehet, ob Gottsched die Schweitzer gereitzt, und zum Kampf aufgefodert habe, oder nicht, und der die scheinheilige Larve ei- ner unparteyischen Bescheidenheit uͤberall annimmt, sich solcher Erfindungen bedienet, um demje- nigen Luft zu machen, und ein wenig aus der Noth zu helffen, den man auch der Wahrheit zu Leide gern beschuͤtzen moͤchte, das ist ein Beweiß eines gantz verderbten Willens, und ein solcher hat wol Ursache zu seufzen, daß die Critick nicht mit der Satyre vermenget werden moͤgte. Mithin, un- geachtet dieses eine offenbar falsche Zulage ist, daß Hrn. Gottscheds und seines Wercks allemal in ziemlich spoͤttischen und gehaͤssigen Ausdruͤcken ge- dacht worden sey, so oft desselben in der Breitin- gerschen Dichtkunst gedacht worden ist; so ist hinge- gen die wahre Ursache dieses Aergernisses, welches diese Leute so weit verleiten koͤnnen, daß sie endlich bey der Verlaͤumdung Schutz gesucht haben, kei- ne andere, als daß Herr Prof. Breitinger den be- Von Langnau Schreiben beruͤhmten Gottschedischen Nahmen nur so spar- sam in seine Schrift gemischet, und desselben nur so wenig gedacht hat: Diese stoltzen Leute neh- men es vor eine groͤssere Beschimpfung auf, wenn man ihrer gar nicht gedencket, als wenn man sie wircklich tadelt. Nach eben dieser betruͤglichen Arglistigkeit, wodurch ihr die Leser zum Vortheil euers Helden einnehmen wollet, schmecket auch der Verfolg eurer Erzehlung, wenn ihr Hrn. Gott- scheds Enthaltsamkeit von diesem Wercke des Schweitzerschen Kunstrichters eine vollstaͤndige Be- urtheilung zu geben, als eine Wirckung seines philosophischen und gleichguͤltigen Gemuͤths anmer- ket, da sie doch seinem Drohen zusolge nicht aus- geblieben waͤre, wenn er sich darzu gewachsen ge- funden haͤtte; wenn ihr uͤberdas verhehlet, daß Hr. Gottsched in dem XXIV. Stuͤck der Critis. Beytr. in dem saubern IV. ten Artickel Bl. 666. ein haͤmisches Urtheil von dieser Breitingerschen Dichtkunst gefaͤllet, da er die armselige Muthmas- sung, nach seinen prophetischen Einsichten in das kuͤnftige Geschicke der Buͤcher, anfuͤhret, vielleicht wird diese neue Dichtkunst noch ein Buch be- doͤrffen, welches sie anpreise und beliebt ma- che. Wenn aber anders wahr seyn soll, was ihr oben zu Anfange der 424. Seite gemeldet habet, so verurtheilet ihr diesen euern Helden selbs als ei- nen falschen Propheten. Wie kan nun wiederum hiermit und mit der Wahrheit bestehen, wenn ihr vorgebet, Hr. Gottsched habe nur auf einer Stel- le, und zwar nur gantz kurtz und ziemlich beschei- den von der neuen Dichtkunst sein Urtheil gegeben, und an die d. Ges. von Greifswalde. und diese kurtze Beurtheilung habe die Schwei- zer zu den bittersten Gegenbeschuldigungen auf- gebracht? Wer wuͤrde doch aus einem solchen Betragen vermuthen koͤnnen, daß euch so schwe- re Regeln, als euer Vorbericht sagt, in eurer Erzehlung geleitet haben sollten, da dieselbe gegen alle diese Regeln schnurstracks verstoͤsset? Und wer wird ins kuͤnftige euren Ausspruͤchen und Nachrichten mehr Glauben zustellen, oder sich eurer Beurtheilung unterwerffen, wenn er nicht zum voraus eurer Gewogenheit versichert ist? Jm uͤbrigen moͤget ihr aus den Urtheilen, welche die Schweitzer von Hrn. Gottscheds Dichtkunst gefaͤllt haben, noch so verhaßte Fol- gen ziehen, so werdet ihr darmit nichts mehrers erhalten, so lange diese Urtheile noch fest stehen, als daß man das Hertz fassen wird, euren Fol- gen, so fern sie schliessen, Platz zu geben, so pa- radox und widersinnig selbige etwann vor der Zeit moͤchten geschienen haben. Bey dem al- lem wird euch dennoch allezeit frey stehen, Hrn. Prof. Gottscheden als einen grossen Weltwei- sen, Uebersetzer, Kunstrichter und Poeten, als den deutschen Bayle, Racine und Fontenelle zu loben und zu verehren. Die Hrn. Schwei- zer haben euch ja nirgends zugemuthet, diesem verdienten Manne eure Hochachtung zu versa- gen, daß ihr deßwegen von ihnen die Erlaub- niß auszubitten gemuͤssiget seyn solltet, denjeni- gen zu loben, den ihr unmoͤglich tadeln koͤnnet: Und sie vor sich halten mehr auf Redlichkeit, als [Crit. Sam̃l. XI. St.[ D auf Von Langnau Schreiben auf Schmeicheleyen, und verlangen kein Lob, wenn sie es nicht verdienen. F. Auf der 429. Seite des VI ten Artickels kommet ihr auf die Vertheidigung der Gott- schedischen Erklaͤrung von dem Geschmacke. Wer die Gottschedische Sprache, die er in seinen Ma- gisterzeiten noch nicht geredet, sondern erst seit wenig Jahren sich angewoͤhnet hat, nicht ver- stehet, der wuͤrde glauben, daß der Briefwech- sel von der Natur des poetischen Geschmacks, so im Jahr 1729. gefuͤhrt worden, seine Ge- dancken, Erklaͤrungen und Saͤtze aus dem 3ten Capitel der Gottschedischen Dichtkunst hergelei- tet, und nur weitlaͤuftiger ausgefuͤhret haͤtte; allein da die Gottschedische Dichtkunst allererst 1730. hiemit ein Jahr spaͤter herausgegeben worden, so leidet die Zeitrechnung diesen Ver- stand nicht, und Hrn. Gottscheds Sprache will auch in der That gantz was anders sagen, eben wie, wenn er sagt, der grosse Leibnitz ist hier vollkommen meiner Meinung, solches nicht ein mehrers zu bedeuten hat, als, ich bin hierinn des grossen Leibnitzen Meinung, ich gebe derselben voͤlligen Beyfall: Nicht aber umgekehrt, als ob der grosse Leibnitz des Gott- scheds Meinung Beyfall gegeben haͤtte, denn auch hier leidet die Zeitrechnung diesen Ver- stand nicht. Damit man aber solches nicht mißdeutete, als ob man zu verstehen geben wol- le, Hr. Gottsched habe seine Abhandlung vom Geschmack im dritten Capitel der Dichtkunst aus dem Briefwechsel ausgeschrieben, so war erfor- an die d. Ges. von Greifswalde. erforderlich dieser Mißdeutung vorzubiegen, und ihn gegen diesen Argwohn zu vertheidigen: Es hat auch der Schweitzersche Verfasser der Nach- richten von dem Ursprung der Critick bey den Deutschen ihn von dieser Beschuldigung eben so geschickt, als von der Anklage des Ausschrei- bens uͤberhaupt loßgesprochen und seine Unschuld vertheidiget. Und ihr koͤnnet nichts buͤndigers wieder diese Vertheidigung einwenden, als daß Hr. Gottsched in seinem 3ten Capitel von dem Geschmack doch auch etwas weniges gesagt habe, welches mit dem Critischen Briefwechsel meistentheils uͤbereinstimme. Allein ist darmit erwiesen, was eigentlich sollte erwiesen werden, daß nemlich einer den andern koͤnnte ausgeschrie- ben haben? Kan es wohl anderst seyn, wenn zwey oder mehrere eine ausfuͤhrliche Erklaͤrung von dem Geschmack geben sollen, als daß sie einander in einigen wenigen Saͤtzen auch treffen muͤssen? Jch haͤtte vielmehr gewuͤnscht, daß ihr Hrn. Gottscheds Abhandlung von dem Ge- schmack gegen die Anklage der Verwirrung und Dunckelheit, worinnen der Schweitzer den Hauptunterscheid zwischen derselben und dem Critischen Briefwechsel setzet, zu vertheidigen unternommen haben wuͤrdet, so haͤtte ich An- laß gehabt meine weitern Gedancken von diesem 3ten Capitel der Gottschedischen Dichtkunst an den Tag zu legen, und euch eine Probe von ei- nem catechetischen Gottsched zur Beurtheilung vorzulegen. D 2 G. Auf Von Langnau Schreiben G. Auf der 434. Seite des VI ten Artickels beruͤhret ihr den Streit wegen des Schildes des Achilles beym Homer. Jch gebe euch aber den wohlgemeinten Rath, daß ihr euch zufolge der ersten Regel, die euch vorgeschrieben ist, nicht zuweit in diesen Streit einlasset, bevor ihr Hrn. Gottscheds Entscheid uͤber dieselbe in seinen An- merckungen zu des Aristoteles Dichtkunst, die schon lange im Manuscript fertig liegen, wo er den Dacier mit einer deutschen Großmuth ab- fertiget, werdet gelesen haben. Denn der klei- ne Versuch einer Vertheidigung des Gottsche- dischen Urtheils ist so schwach gerathen, daß zu fuͤrchten stehet, der Hr. Gottsched selbst werde euch wenig Danck dafuͤr wissen. Jhr saget erst- lich, nachdem ihr die angegebene Regel, nach welcher Hr. Breitinger meinet, daß das Wahr- scheinliche in den Beschreibungen von Gemaͤhl- den und andern dergleichen Kunstwercken muͤsse beurtheilet werden, fuͤr guͤltig erklaͤret, Homer wird nach dieser Regel schlecht koͤnnen ver- theidiget werden: Das ist wohl gesagt, aber wo bleibt der Beweis? Dacier hat ihn wircklich nach dieser Regel vertheidiget, und ihr habt ihn noch nicht widerlegt; und doch zweifelt ihr noch an der Moͤglichkeit einer guten Vertheidi- gung. So werdet ihr so gut seyn und in eurer Logick das Axioma, ab esle ad posse valet conse- quentia, ausstreichen. Nicht besser ist das fol- gende: „Der Herr Breitinger selbst hat wider „den Homer geschrieben, wenn er in der Ab- „handlung von der Aesopischen Fabel lehret, „wie an die d. Ges. von Greifswalde. „wie behutsem ein Dichter seyn muͤsse, den „Wercken der Kunst Verstand und Rede bey- „zulegen.„ Jch traue euch mehr Verstand zu, als daß ich noͤthig haben sollte, euch weitlaͤuftig zu erklaͤren, was fuͤr ein Unterschied zwischen der blossen Beschreibung eines Gemaͤhldes, und zwischen einer Fabel, obwalte; Die Beschrei- bung darf zum Lob der feinen Kunst des Mah- lers oder Giessers ohne Abbruch der Wahr- scheinlichkeit, dem Gemaͤhlde selbst zuschreiben, was immer ein aufmercksamer Beschauer dar- aus lernen kan, denn so ist nicht mehr in effec- tu als in causa: Aber die Fabel ist eine Geschich- te, sie will, daß man sich die Sachen einbilde, als ob sie wircklich geschehen waͤren; wenn man nun dichtet, daß ein Kuͤnstler seinem Wercke wircklich Verstand und Leben mitgetheilet, wer will sich solches als wircklich geschehen einbilden koͤnnen? Zugeschweigen, daß die an angezoge- nem Orte von Hrn. Breitingern eingeraͤumte Freyheit allen denjenigen Kunstwercken, die als Emblemata angesehen werden, und aufmercksa- men Beschauern einen heilsamen Unterricht ge- ben koͤnnen, Verstand und Rede beyzulegen, eben dienet, den Homer vollkommen zu rechtfer- tigen. Was endlich den Beyfall Virgils, auf den ihr euch beruffet, angehet, so beruhet der- selbe auf einem so seichten Grunde, daß ich mich dabey aufzuhalten, und meine Zeit darmit zu verderben, mich recht von Hertzen schaͤmen wuͤrde. D 3 H. Auf Von Langnau Schreiben H. Auf der 434. Seite des VI. ten Artickels gerathet ihr auf den Milton: Jhr saget; „Der- „selbe habe noch nach seinem Tode grosse Unra- „he, Zwistigkeit und oͤffentliche Feindschaft un- „ter unsern deutschen Kunstrichtern gestiftet.„ Milton ist bald 70. Jahre todt; Acht Jahre nach seinem Tode gab der von Berge der deut- schen Welt eine Reim-freye Uebersetzung von die- ses Engellaͤnders Gedichte: allein da dieser Ue- bersetzer eine den deutschen Ohren gantz unge- wohnte Versart folgte, und die Uebersetzung neben dem sehr hart, gezwungen, und unverstaͤnd- lich war, so ward dadurch das Miltonische Ge- dicht bey den Deutschen nicht bekannt, und die- se Uebersetzung hat nur ein dunckles Andencken von einem verwegenen Vorsatz bis auf unsere Zeiten fortbringen koͤnnen. Von dem Jahre 1682. bis auf das Jahr 1732. hiemit 50. gan- zer Jahre blieb Milton bey der deutschen Welt gantz unbekannt, wenigstens hat kein deutscher Kunstrichter desselben irgendswo gedacht; Bis endlich Hr. Gottsched in gedachtem 1732.sten Jahre in seinen Beytraͤgen eine Nachricht von des von Berge Uebersetzung gegeben, wo er den schlechten Beyfall, den diese Uebersetzung gefun- den, selbst der dadurch allzusehr veraͤnderten Gestalt Miltons zuschreibet, im uͤbrigen von dem Gedichte selbs urtheilet, „daß es die Eh- „re verdiene, so wol als das befreyte Jerusa- „lem des Tasso, einer Jlias und Aeneis an die „Seite gesetzt zu werden.„ Daß er aber die- ses Urtheil hernach voͤllig zuruͤck genommen, ist sich an die d. Ges. von Greifswalde. sich nicht zu verwundern, wenn man bedencket, was die mittlerzeit mit ihm vorgegangene grosse Veraͤnderung von seinen Magister-bis zu den Hoch-Edelgebohrnen Magnificentz-Zeiten noth- wendig vor eine wichtige Veraͤnderung in seinem Kopf habe nach sich ziehen muͤssen. Seine Ur- theile richten sich immer nach seinem Willen, und dieser nach seinen aͤusserlichen Umstaͤnden; dahero sie eben so unbestaͤndig seyn muͤssen. Wenn ihr demnach von Unruhe, Zwistigkeit und oͤffentlicher Feindschaft, die der Milton un- ter unsern deutschen Kunstrichtern gestifftet, gantz unbestimmt redet, so ist dieses nur von Hrn. Gottsched und seiner Schule zu verstehen, die gantze uͤbrige deutsche Welt ist dieses Streits halben eben so ruhig, als sie vorhin gewesen ist, ehe es Hrn. Gottsched beliebt hat, sein fuͤr Mil- ton allzuguͤtiges Urtheil zuruͤckzunehmen, wel- ches in das Jahr 1741. einfaͤllt. Jm uͤbrigen muß man uͤber die Entscheidung der Frage: „Ob es wahr sey, daß die Deutschen an Mil- „tons Gedichte keinen Geschmack finden,„ zu Rath ziehen, was davon in der Fortsezung der Echo des deutschen Wizes Artick. IX. in dem VI. ten Stuͤcke der Crit. Samml. von Bl. 54. bis 75. weitlaͤuftig ausgefuͤhrt worden ist. I. Auf der 436. Seite des VI. ten Artickels nehmet ihr die Vertheidigung Hrn. Gottscheds wegen einer von ihm verworffenen und von den Schweitzern verfochtenen metaphorischen Redens- Art uͤber euch, saget aber nichts neues, als was ihr in Gottscheds Biedermanne, und sonst bey D 4 andern Von Langnau Schreiben andern gelesen habet, und welches schon vielfaͤltig wiederlegt worden. Jhr gebet zu, daß die streiti- ge Redens-Art, die Augen uͤber einen Gegen- stand hinspazieren lassen, von den Schweitzern als eine Metapher aus der Analogie gruͤndlich ge- schuͤtzt und gerechtfertiget worden: Allein sie kom- me euch dennoch noch ziemlich verdaͤchtig fuͤr, da- rum weil sie gantz neu und ungewohut sey; und Hr. Breitinger selbs die Regel gegeben habe: Man muͤsse keine metaphorische Redensart fuͤr guͤl- tig annehmen, die mit dem allgemein einge- fuͤhrten Gebrauche, und mit der guten Mundart streite. Jhr behauptet hiemit einerseits, daß es freylich erlaubt und gut, und zuweilen nothwendig sey, neue Metaphern in eine Sprache einzufuͤh- ren, denn dieses hat euch Hr. Breitinger so gruͤndlich und uͤberzeugend gelehret, daß ihr ihm euren Beyfall nicht versagen koͤnnet. Aber auf der andern Seite glaubet ihr auch, daß es nicht er- laubt und gut sey, neue und bisher in dem Deut- schen ungebraͤuchliche Metaphern einzufuͤhren, denn ihr wollet, daß man eine metaphorische Redens- art, sie mag an ihr selbs noch so richtig seyn, nur darum verwerffe, weil sie neu und bisher nicht ge- braͤuchlich gewesen: und dieses sind eure alten tief- eingesessene Gedancken, die euch Hr. Gottsched gelehret, und die zu verlaͤugnen, wenn man gleich was bessers erkennet, sehr schwer faͤllt. Jhr glau- bet hiemit widersprechende Saͤtze, daß eben dassel- be Ding zugleich erlaubt und nicht erlaubt sey. Laß mir den einen Kunstrichter seyn, der sich zur ersten Regel gemacht hat: „Jch soll mich an kei- „ne an die d. Ges. von Greifswalde. „ne Arbeit wagen, die sich uͤber meine Kraͤfte „erstreckt!„ Und was soll euch die aus Hrn. Brei- tinger ausser ihrem Zusammenhang angefuͤhrte Einschraͤnckung helffen? Wahrlich nichts anders, als daß sie euern gantz verblendeten Sinn noch mehr offenbaret: Sind denn, mit dem allge- mein eingefuͤhrten Sprachgebrauche streiten, und neu und bisher noch ganz ungebraͤuchlich seyn, gleichguͤltige Ausdruͤcke? Oder muͤssen alle bisher unter den Deutschen noch ungewohnte Me- taphern, eben darum mit dem allgemeinen Sprach- gebrauche streiten? Zudem hat nicht Hr. Breit. der von euch aus dem II. ten Theile seiner Dicht- kunst Bl. 339. angefuͤhrten Stelle, die er an die- sem Orte nicht einmal als eine Regel angiebt, so- gleich folgendes beygesetzet, welches eben dienet, dem ihm angedichteten Unverstand vorzubiegen, und euch zu rechte zu weisen: „Diese absonderli- „che Erfahrung stoͤßt den oben durch die Erfah- „rung festgesezten Grundsatz von der Freyheit neuer „Metaphern nicht uͤber einen Hauffen, sondern „setzet ihn nur in gewisse Schrancken, und ma- „chet von der allgemeinen Regel eine Ausnahme. „Und diese Schrancken werden wir leicht bestim- „men koͤnnen, wenn wir einmal die Ursachen, „welche uns die Einfuͤhrung neuer Metaphern „schwer, und oͤfters unmoͤglich machen, genug- „sam einsehen.„ Es werden auch hernach von Bl. 339. bis 348. diese Ursachen entdecket, und die Schrancken deutlich bestimmet; Woraus er denn Bl. 351. den Schluß machet: „Jch schliesse „also dahin, daß man neue Metaphern aus frem- D 5 „den Von Langnau Schreiben „den Sprachen, wenn sie mit dem eingefuͤhr- „ten Gebrauch der Woͤrter nicht streiten, „noch wider die Analogie, noch gegen die Natur „und Regeln einer guten Metapher verstossen, „sondern neben der Wahrscheinlichkeit noch eine „Nothwendigkeit zum Grund haben, darum nicht „verwerffen koͤnne, weil sie bisher ganz unge- „wohnt gewesen. ꝛc.„ Jm uͤbrigen, wenn die Deutschen das Wort spazieren durch einen Natio- nal-Schluß seines deutschen Buͤrgerrechts entsezen und in die Acht erklaͤren wollen, so moͤgen sie es meinethalben thun: wenn sie nur die Gnade haben, das durch dieses Wort bezeichnete Ergetzen nicht zu verbieten. So liegt mir auch wenig daran, ob sie mehr Ergetzen bey dem gehen, als bey dem spa- zieren finden: Aber das muß ich sie doch erinnern, daß wenn sie das Wort spazieren in die Acht er- klaͤren, und kuͤnftig das gehen darfuͤr gebrauchen wollen, sie damit das Ergetzen verlieren, welches man bisdahin durch spazieren fahren, spazieren reiten ausgedruͤcket hat; oder wo sie es dennoch beybehalten wollen, so werden sie es in Zukunft durch gehen reiten, gehen fahren bezeichnen muͤs- sen. Was endlich das vorgeschlagene tanzen und springen der Augen angehet, so verweise ich euch auf das III. Stuͤck der Critischen Sammlungen Bl. 28. und auf die Fortsetzung der Critischen Dichkunst Bl. 347. wo dieser ausschweiffende Vorschlag seine Abfertigung finden wird. K. So wenig, als ihr auf der 441. Seite des VI. ten Artickels, will ich die spitzige Frage an diesem Orte eroͤrtern: Ob Schoch in der Verfer- tigung an die d. Ges. von Greifswalde. tigung seiner Hirtenlieder Ehre eingelegt habe oder nicht? Jn dem Tempel des guten Geschmacks fuͤr die Deutschen Bl. 26. lese ich folgendes: „Man sagt, daß Schoch einsmal in diesen Tem- „pel hinein gehen wollen, und sich auf diese Verse „aus der Critick uͤber die deutschen Dichter sehr „getrost beruffen habe: Hingegen preißte Schoch, in Leipzigs kuͤhlen Luͤften, Als deutscher Theocrit, die Heerden und die Triften. „Doch die Critick hatte zu seinem Ungluͤcke ei- „nige Blaͤtter aus seine Friedensschaͤferey ge- „lesen, drum versagte sie ihm den Eingang, und „ließ hingegen den anmuthigen Hagedorn hinein, „der in seinen Schaͤfererzehlungen so ungekuͤnstelt, „zaͤrtlich und natuͤrlich ist.„ L. Auf der 444. Seite des VI. ten Artickels hoh- let ihr eine Streitfrage nach, daruͤber ihr euer Ur- theil bisdahin ausgestellt habet. Sie ist diese: „Ob die Critick gluͤcklicher auf verstorbene, oder „auf lebende gerichtet werde?„ Und euer Ent- scheid uͤber diese Frage ist wiederum so ungewiß, daß man fast vermuthen sollte, die Frage waͤre euch entweder zu hoch gewesen, so daß ihr euch nicht wohl habet zu recht finden koͤnnen; oder es haben euch beyde Meynungen beynahe gleich be- gruͤndet angeschienen, so daß ihr keiner euern Bey- fall geradezu habet versagen wollen. Jhr beken- net erstlich: „Es ist wahr, daß die Gruͤnde, die „der Herr Bodmer anfuͤhret, ein starckes Ge- „wicht haben, und wir glauben selbst, daß es ge- „wissermassen besser sey, die Critick gegen noch „leben- Von Langnau Schreiben „lebende, als gegen bereits verstorbene zu gebrau- „chen.„ Bald aber, nachdem ihr ein wenig uͤberlegt, wie heilsam es fuͤr die allgemeine Si- cherheit einiger heutigen Schriftverfasser seyn wuͤr- de, wenn man die noch lebenden mit Criticken und Tadel verschonen wollte; so erklaͤret ihr euch, „man „koͤnne uͤber diese Frage nichts gewisses bestim- „men; sondern es komme auf die Gemuͤths-Be- „schaffenheit eines jeden Kunstrichters an.„ Es koͤmmt aber aller Unterschied in Absicht auf die Ge- muͤthsbeschaffenheit eines Kunstrichters darauf an; daß er in seinen Urtheilen von dem Schoͤnen und Tadelhaften einer Schrift entweder gerecht und bescheiden; oder ungerecht und stoͤrrisch ist: Jst er gerecht und bescheiden, warum sollte er nicht so wohl berechtiget seyn, die Lebenden, als die Todten fuͤr sein Gericht zu fodern? Die Haupt-Absicht eines Schriftenrichters gehet voͤrderst auf die Ver- besserung desjenigen, der gefehlet hat; wo kan man aber von einem Todten einige Besserung hof- fen? Folglich kan die voͤrderste Haupt-Absicht der Critick bey den Todten unmoͤglich erzielet wer- den. Jst im Gegentheil ein Kunstrichter in sei- nen Urtheilen ungerecht und stoͤrrisch, wer will ihm denn die Todten Preis geben? Jst es nicht eine doppelte Ungerechtigkeit, mortuo insultare leoni, einen Todten verleumden; der sich nicht mehr ver- antworten kan? Darum wird auch in foro civili keine Actio gegen einen Todten verstattet. Jch moͤchte demnach wol sehen, wie ihr aus der Ge- muͤthsbeschaffenheit eines Schriftenrichters jemals die Nothwendigkeit und den Vorzug der Critick uͤber an die d. Ges. von Greifswalde. uͤber die Todten vor der Critick uͤber die Lebenden wolltet bestimmen, oder die Gottschedische Regel rechtfertigen koͤnnen, welche will, daß man die Critick nur allein auf die Todten richten soll. Das laͤßt sich aus der Gemuͤths-Beschaffenheit derjenigen, die diese Gottschedische Regel willig an- nehmen, und sie gerne verfechten moͤchten, wenn sie nur koͤnnten, bestimmen, was ihnen selbige so beliebt mache, nemlich das boͤse Gewissen elender Scribenten, und das gerechte Mißtrauen in ihre eigene Schriften. Das hat der elende Verfasser der Anmerckungen uͤber das Ergaͤntzungs-Stuͤck in den Leipzigischen Belustigungen des Witzes in der XVI. ten Anmerckung selbst aufrichtig gestanden, da er sagt: „Einjeder muß billig an dem Hrn. „Prof. Gottsched als eine wuͤrckliche Klugheit lo- „ben, daß er sich nicht auf eine strenge Beur- „theilung der Herren Jetztlebenden eingelassen. „ Was sollte er sich Feinde machen, da er es „ersparen konnte? „ Hr. Prof. Gottsched schreibt selbst in seiner ersten Vorrede zu der Dicht- kunst, wie ihr Bl. 417. aus ihm anfuͤhret: „Man „hat keine Ursache vor einer vernuͤnftigen Critick „einen Abscheu zu bezeugen, wenn man nur vor „sich sicher ist, und nicht fuͤrchten darf, selbst in „ihre Untersuchung zu gerathen. Wer ein gu- „tes Gewissen hat, daß nemlich seine Sachen „nach den wahren Kunstregeln ausgearbeitet wor- „den, der wird keine Feindschaft gegen die Cri- „ticos blicken lassen.„ Welche Worte ja eben so viel sagen, als: Derjenige, der eine gute und gerechte Critick uͤbel nehme und den Criticum des- wegen Von Laugnau Schreiben wegen anfeinde, der sey ein elender Scribent, und thue es aus keiner andern Ursache als weil ihm sein boͤses Gewissen Furcht einjage. Folglich be- stehet die Klugheit, die Gottsched durch die Regel, daß man die Lebenden nicht tadeln soll, an den Tag legen wollen, und die der Belu- stiger so sehr anpreiset, in der Behutsamkeit die elenden Scribenten nicht zu beunruhigen, oder durch einen gerechten Tadel zu beleidigen. Er wird aber nicht alle Jtztlebenden fuͤr solche elende Scribenten halten, die sich uͤber eine gerechte Critick so gleich erzoͤrnen, da er sich die Regel gemacht, daß er kei- nen Jtztlebenden tadeln wolle. M. Auf der 455. Seite des VI. ten Artickels wollet ihr den Hrn. Prof. Gottscheden gemach- ten Fuͤrwurf, daß er die Exempel zu seinen Lehr- saͤtzen nur allein aus seinen eigenen Schriften ge- nommen, damit abheben, daß ihr saget: „Doch „dieser Fuͤrwurff trift nur die beiden ersten Aus- „gaben seines Wercks; denn bey der letzten Auf- „lage sind anstatt seiner eigenen Arbeit lauter „Meisterstuͤcke von unsern besten Dichtern der „vorigen Zeit eingeschaltet worden.„ Jhr scheinet mit diesen Worten zu bekennen, daß der Fuͤrwurf die fuͤnfzehn Jahre, so lange nemlich die zwo ersten Ausgaben der Gottschedischen Dicht- kunst in den deutschen Schulen gebraucht worden, gerecht und begruͤndt gewesen sey. Und es ist in der That ein Stoltz ohne Exempel, daß ein Lehrer der Dichtkunst in allen Gattungen von Gedichten seine eigenen Hirngeburten als Muster darlege, da es schon laͤngsten zu einer Regel geworden: Op- tima an die d. Ges. von Greifswalde. tima quæque ad imitandum esse proponenda. Und da Hr. Gottsched unter diesen Mustern von seiner Arbeit auch Knittelverse andern zur Nachahmung geschrieben, und selbige als Ehren- und Lob-Ge- dichte aufgestellet hat, so ist die von Hrn. Sie- brand hieruͤber gemachte scherzhafte Antung wahr- haftig nicht ohne Grund gewesen, und hat nicht verdienet, daß er daruͤber in der feinen Gottsched- critischen Sprache von euch so veraͤchtlich gehalten wuͤrde: wie es Bl. 442. geschieht, wenn ihr sa- get: „Der Herr Siebrand hat sich von uns kei- „ner weitern Widerlegung zu befuͤrchten; Ei- „nem solchen Kunstrichter muß billig in Knittel- „versen geantwortet werden.„ Das heißt ziem- lich groß und unbescheiden thun, und ich bin sicher, daß ihr auf diesen Fuͤrwurff nichts antworten koͤnnet als Knittelverse. Mithin ist der ruhmraͤthige Stoltz, sich selbst der deutschen Welt zum Muster der Nach- ahmung aufzustellen, der dritten und letzten Aus- gabe niemahls vorgeworffen worden, wie ihr heim- tuͤckischer Weise scheinet zu verstehen zu geben. Und der gekuͤnstelte Schwung, den ihr eurer Rede ge- bet, da ihr saget: Doch dieser Fuͤrwurff trifft nur die beyden ersten Ausgaben seines Wercks, zeiget mir, daß ihr eben so wenig Redlichkeit ha- bet, als Hr. Gottsched, Fehler, die keines An- strichs faͤhig sind, und derer ihr euch heimlich schaͤ- met, zu bekennen. Und da Hr. Prof. Gottsched in der letzten Auflage, auf das mit Ernst und Schertz vermengte Zureden der Schweitzer, diese laͤcherliche Hoffartssuͤnde abgeleget, und zu einer so wichtigen Veraͤnderung geschritten, so ist dieses ein Von Langnau Schreiben ein Zeugniß theils, daß der Herr Professor fuͤr eine um etwas lebhafte Critick nicht gantz unver- besserlich sey, und theils von der heilsamen Wir- kung der Schweitzerschen Critick auf denselben, ohne welche diese fuͤr die Gottschedische Dichtkunst so ruͤhmliche und fuͤr die deutschen Schulen so nuͤtz- liche Hauptveraͤnderung seines Werckes niemahls erfolget waͤre, vielweniger aber wenn die Schwei- zer, nach eurem Rath, sich mit der Critick an Verstorbene gewaget haͤtten, d. i. wenn sie mit ihrer Critick dem noch lebenden Gottsched gescho- net haͤtten. Ob inzwischen die anstatt seiner eige- nen Arbeit neu eingeschalteten Stuͤcke aus unsern besten Dichtern eben lauter Meisterstuͤcke seyen, wie ihr Hrn. Gottscheden glaͤubig nachgebethet, das will ich hier eben so genau nicht ausmachen; sondern nur uͤberhaupt so viel sagen, daß ich man- ches darunter, sonderlich von Menantes und Neu- kirchen verfertigtes Stuͤcke davor nicht erkenne, auch bereit bin, meine rationes dubitandi auf Ver- langen deutlich anzugeben: So daß ich sorge, auch diese getroffene Wahl moͤgte den Geschmack Hrn. Prof. Gottscheds zuweilen beschimpfen, und es werde ihm eben nicht ruͤhmlich seyn, daß er Menantes und Neukirch unter unsre besten Dich- ter mitrechnet. Endlich lasse ich hier uneroͤrtert, ob die Einschaltung so vieler fremder Exempel oh- ne Critische Pruͤffung aus gedruͤckten und nicht un- bekannten Buͤchern in der neuen Ausgabe der Gott- schedischen Dichtkunst einen andern Grund ihrer Nothwendigkeit habe, als das Buch um mehr als einen dritten Theil zu vergroͤssern? und ob dieser Grund der Nothwendigkeit zureichend sey? an die d. Ges. von Greifswalde. N. Auf der 456. Seite des VI. ten Artickels, kommt noch eine feine und recht spitzfuͤndige Ge- genbeschuldigung unter einem fremden Nahmen zum Vorschein, womit ihr eure Critischen Be- trachtungen uͤber Hrn. Gottscheds neue Dicht- kunst auf eine sinnreiche Art beschliesset. Jhr stellet euch an, als ob ihr gegen einem Freunde die Partey des Schweitzers genommen habet, um demselben eine feine Stachelrede zu lehnen, die euch als einem Vertheidiger des Schweitzers eben nicht zum besten angestanden: Allein Non his auxiliis, nec defensoribus istis Tempus eget! Und welches ist denn diese so gar feine Stachel- rede? „Endlich ward er boͤse und sprach: Jst „denn der Herr Gottsched deßwegen zu tadeln „gewesen, so hat er es gleichwohl noch nicht „so arg gemacht, daß er eines seiner Gedichte „gantz und gar zergliedert, und uns sorgfaͤl- „tig alle Schoͤnheiten desselben angezeiget ha- „ben sollte, aus Furcht, es moͤchten dieselben „von andern nicht wahrgenommen werden.„ Unstreitig waͤre es arg genug fuͤr Hrn. Prof. Gottscheden, wenn man seine Gedichte, die er der Welt selbst als Muster anpreiset, eines nach dem andern gantz und gar zergliederte, und sorgfaͤltig aussetzte, was seine blinden Verehrer bisher daran nicht wahrgenommen haben. Zwar sollte Hr. Gottsched diese Critische Operation selbst vorgenommen haben, wie dieser Unbe- kannte, den ihr redend einfuͤhret, zu wuͤnschen scheinet, so glaube ich auch, daß es fuͤr ihn [Crit. Saml. XI. St.] E eben Von Langnau Schreiben eben nicht so arg herausgekommen waͤre, er wuͤrde gewiß solche Schoͤnheiten darinn gefun- den und angezeigt haben, die von keinem an- dern Menschen weder zuvor noch darnach wuͤrden wahrgenommen worden seyn. Wie sollte es aber moͤglich seyn, daß Hr. Gottsched selbst mit seinen eigenen Gedichten dergleichen Critische und regelmaͤssige Operation sollte vornehmen koͤnnen, da dieselben mehr durch einen gluͤckli- chen Zufall, als nach einem uͤberlegten Ent- wurff, wie zerflossenes Bley in einen Klumpen, zusammen geronnen sind? Was nach Regeln soll untersucht, zergliedert und beurtheilt wer- den, das muß nach einem vernuͤnftigen Plan und gantz regelmaͤssig eingerichtet seyn. Ein re- gelmaͤssiger und vernuͤnftiger Verfasser muß von allem Rechenschaft geben und zeigen koͤnnen, in was vor Absichten er jeden Satz und Theil seiner Schrift an diesem Orte, in diesem Gra- de, in diesem Licht, in dieser Verbindung an- gebracht, wie eines in dem andern, und alles zusammen genommen in eben derselben Haupt- Absicht gegruͤndet sey. Und es wuͤrde uͤberaus nuͤtzlich seyn, wenn die Kunstrichter nicht nur andern Schriftverfassern auf die Spurgiengen, sondern auch jeder Verfasser, der nach Absich- ten und Regeln handelt, uns dieselben in seinen eignen Wercken verkundschaften und offenbah- ren wuͤrde, damit wir andere urtheilen koͤnnten, wiefern er seine Absichten gluͤcklich erreicht, und seinen Regeln eine Genuͤge geleistet habe. Die- ses kan ohne alle Prahlerey und Ruhmraͤthig- keit an die d. Ges. von Greifswalde. keit geschehen, weil man nicht mehr sagt, als daß man nach Absichten gehandelt, und nach welchen man an jedem Orte gehandelt habe, das Urtheil aber von denen Absichten und Regeln, und wie fern man es getroffen, jedermann frey laͤßt. Womit aber in keine Vergleichung kan gezogen werden, wenn man seine eigenen Ge- dichte, ohne einige Anzeige warum, einer gan- zen Nation als Muster zur Nachahmung anprei- set, zumahl wenn sie hernach bey einer genauern Pruͤfung meistens so elend und abgeschmackt be- funden werden. Jch hatte mir zu Anfang dieses Schreibens vorgenommen, mit meinen Untersuchungen wei- ter fortzugehen, allein da ich izo vorhersehe, daß der 3te Art. des V. ten St. mir zum wenig- sten so viel Materie zu verarbeiten an die Hand geben wuͤrde, als ich in dem VI. ten Art. des IV. ten St. gefunden habe, so will ich dieses Schreiben schliessen, und das uͤbrige kuͤnftig in einem neuen Schreiben nachbringen, damit so- wohl mir als meinen Gegnern die Buͤrde der Anklage und der Verantwortung, wenn sie so getheilet wird, einigermassen erleichtert werde. Jch werde destoweniger damit eilen, wenn ich vernehmen werde, daß meine gegenwaͤrtige Er- innerungen und Bestraffungen bey denjenigen, welche sie angehen, einigen Eingang gefunden, und einiges Nachsinnen erwecket haben; denn es wird mir nichts angenehmer seyn, als daß sie sich ohne meine Bemuͤhung begreiffen, und die Betrachtungen bey und unter sich selber an- E 2 stellen, Von Langnau Schreiben. stellen, welche ein jeder zum Nachsinnen gewoͤhn- ter Kopf bey einem wohlgearteten Gemuͤthe oh- ne grosse Kunst und mit wenigerm Verdrusse fuͤr sich selbst wird anstellen koͤnnen. Die Bestraf- fung ist nicht mein Endzweck, sondern ich suche durch die Bestraffung die Erbauung, und wenn diese ohne die erstere zu erhalten ist, so kostet es mich keine Muͤhe die Feder nieder zulegen. Jch hoffe dadurch die Freundschaft der Gesellschaft uͤberhaupt, aber hauptsaͤchlich derer besonderen Personen, welche sich von meinen Beschuldigun- gen getroffen sehen, vielmehr verdienet als ver- wuͤrcket zu haben. Was mich anlanget, so bin ich derselben, und der gantzen Gesellschaft Zuͤrich den 20. des Julius 1743. ergebener und gehorsamer Diener Petermann von Langnau. A rion, Eine Poetische E rzehlung. Arion, eine poet. Erzehlung. Arion Eine poetische Erzehlung. D Je Schiffer empfiengen den Wind mit froͤhlichem Gejauchze, die aufgeschwelleten Segel trugen das Schiff pfeilgeschwin- de durch die flache See weg, der starcke Mast bog sich, laͤngst hatte sich der gellende Klang verlohren, der abwechselend kam, verschwand, und bald et- was schwaͤcher unsre Fahrenden erreichte, und der ihnen von tausend Zungen nachgeschickt ward, die mit unverstaͤndlichem Gemische Gluͤck und Arion erthoͤnen liessen, die versengten Spitzen des Aetna wurden gantz blau, und vermischten sich mit den Wolcken: Als Arion, der zwar uͤber den innigen Abschied seiner Freunde einige Bitterkeit im Her- zen fuͤhlte, sich aber mit dem nahen Anblicke sei- nes Corinthens allen Unmuth vertrieb, auf das Oberdach des Schiffes hinauf stieg. Er satzte sich ohnweit von dem Orte, wo das goldene Geraͤthe lag, welches ihm der bezaubernde Ton seiner Leyer durch das fruchtbare Jtalien, und das ange- nehme Sicilien erworben hatte. Hier staͤmmete er sich auf seinen Arm, und betrachtete ein Stuͤ- ke nach dem andern; Ringe, darinn Rubinen brann- ten, Saphire, die das klare Gruͤne des Meeres nachmahleten, wenn uͤberher der blaue Himmel laͤchelt, oder den Schmuck, den Flora der jun- gen Erde umschuͤrzet, wo der fette Klee, und die E 4 braune Arion braune Viol mit einander in die Wette spielen; theure Teppiche, Becher, darauf die Kunst, und die Reinigkeit des Goldes, einander die Wage hielten. Er betrachtete sonderlich einen von diesen, ein Werck des beruͤhmten Alcons, dem Pallas selbst die Schlaͤge des Hammers gefuͤhret. Or- pheus stuhnd hier an der Schwelle des Avernus, der vor den bittern Blicken Plutons erzittert, er stuhnd da, wo das schwarze, Schrecken des dun- keln Gehoͤltzes an den schleichenden Schlamm des Cocytus stoͤßt, der sich durch wuͤsten Schilf neun- mahl um das erschreckende Reich herumziehet. Die leichten Schatten flatterten um ihn herum. Man sah Verzweiflung auf seinem Gesichte sitzen, als er mit seiner Hand die Saiten ruͤhrte, welche den Tartarus bezwangen, und die Lieder erklingen ließ, welche Hertzen, die von Erbarmen nichts wis- sen, bewegeten, Lieder die das Gebelle des drey- koͤpfigten Cerberus zum Stillschweigen noͤthigten, das Rasseln der Peinraͤder und der geschleppeten Ketten unterbrochen, bis in die innersten Kluͤfte des Erebus ergelleten, und das Felsen-Hertz des Hoͤllen-Gottes erweicheten. Arion erinnerte sich, bey Anschauung dieser Reichthuͤmer, derer, die sie ihm geschencket hatten. Habet Danck, sagte er, Meine Freunde, Meine Goͤnner. Doch auch ohne diese Zeichen wuͤrde sich euer Andencken bey mir niemahls verliehren. Jch werde stuͤndlich euer Gedaͤchtniß verehren. Jch weiß auch gewiß, Arion wird bey euch nicht vergessen werden, wenig- stens wird sein Bild euch vorschweben, wann ihr bey dem Ton einer Laute eure gewohnte Reyhen for- eine poetische Erzehlung. formieret, oder wann ihr an einen redlichen Freund sinnen wollet. Mit was vor Schmertzen mangle ich die Lust, die mir eure Liebe stuͤndlich zu machen bemuͤhet war. Jch wuͤrde ungerecht seyn, Mei- ne Freunde, wenn ich ohne Ursache unsern Um- gang getrennet haͤtte. Jch schien nicht standhaft zu seyn; aber ich mußte doch einmahl scheiden; be- dencket, daß wir nicht immer einander umfangen konnten. Allein ich habe vergebliche Furcht. Jhr habet selbst, obgleich ungerne, die Nothwendig- keit meines Scheidens erkennt. Jhr werdet mich eben sowohl abwesend lieben, als anwesend. Jhr habet ja selbst meine Abreise besorget, selbst das Schiff angeordnet, selbst eure getreuesten und er- fahrensten Knechte mir mitgegeben, die euch den baldigen Bericht bringen sollten, daß Arion ver- gnuͤgt bey seinem Periander sey. Ach Periander, Mein Koͤnig, Mein Freund, darf ich hoffen, daß mein Anblick dein grosses Hertz so ruͤhren wer- de, als mein Abscheid es gethan hat? Hoffen, daß meine Laute noch faͤhig sey dich zu ermuntern, dein sorgenvolles Gemuͤthe zu erheitern, und zu- gleich die Schaar deiner Diener freudig zu ma- chen? Die Ehrfurcht gegen dir allein machet, daß ich meine neue Geliebte habe verlassen koͤnnen. Jch weiß, wie freundlich dein Begruͤssen seyn wird, wie sorgfaͤltig dein Fragen nach meinen Zufaͤllen, seit dem du mich so ungerne aus deinen Armen weg- gelassen. Kuͤnftig widme ich mich gantz dir allein. Er ist der Anfang meines Gluͤckes. ‒ ‒ ‒ Dieses sagte Arion, das aufrichtige Hertz, als ein Geschrey von vermischten Stimmen, ein na- E 5 hes Arion hes Gepolter von Fußschlaͤgen, die Gefahr drohe- ten, ihm ein ploͤtzliches Schrecken verursachten, es betauͤbte ihn ein Getoͤne von Degen, das dem glich, welches erhitzte Soldaten machen, die durch innerlichen Zorn und die Anrede eines klugen Fuͤhrers angespornet, Wuth und Feuer von sich schnauben, wenn sie aus Unmuth uͤber den Ver- zug des Treffens knirrschen, und die schweren Spiesse auf ihren ehrenen Schilden anschlagen. Er erstaunete, da er die Knechte, welche seine Freun- ihm zur Aufwart auserlesen hatten, tobend auf sich eindringen sah. Jhre Haͤnde waren mit Mord- Gewehren bewaffnet, deren jedes ihm den nahen Tod drohete. Der allerschaͤndlichste Geitz hatte sie verblendet, und ihr Hertz vergiftet. Jhr Vor- haben zwang ihnen eine finstere Roͤthe aus, ihre Gesichter schienen verwirret, da sie dessen ansich- tig wurden, den sie ermorden wollten. Aber es war zu spaͤth, den Anschlag ohne Gefahr liegen zu lassen. Das vor Augen liegende Gold reitzte ihre Boßheit noch mehr. Jzo hieng uͤber seiner Scheitel der zitternde Stahl, der sein roͤthlichtes Haupt von dem Marmor-Halse wegreissen sollte; als Arion mit einem lauten Schrey ruͤckwaͤrts sprang, dem toͤdlichen Schlag auswich, und alle sein Ver- moͤgen nur fuͤr sein Leben anboth. Einmahl uͤber das andre rufte er seine Freunde, ihre Herren, ihre Gutthaͤter, ihre Ernaͤhrer. Sie sahen ein- ander an, schlossen sich in einen Kreiß, zweifel- haftige Seitenblicke fielen aus ihren Augen gegen Arion. Jhr Hertz schlug ihnen in dem Busen, da zwey widerwaͤrtige Begierden, Geitz und Furcht ein- eine poetische Erzehlung. einander bestuͤrmeten. Der Schluß war dieser: Arion sollte sich von der Hoͤhe des Schiffes hinun- ter in das Meer stuͤrtzen. Was sollte er thun? Scharfe Mordeisen, die vor und hinter ihm blinke- ten, verschlossen weitern Bitten den Weg, und noͤthigten ihn das Todes-Urtheil, das die Schiff- Knechte gefaͤllet hatten, ungesaͤumt an sich zu voll- ziehen. Er ergriff seine Harfe, seine bestaͤndige Begleiterinn, die Troͤsterinn in seinem Ungluͤcke, kuͤssend. Komm, sagte er, komm du Stiffterinn meiner vormahligen Freuden. Thue noch eines, komm, und hilff deinem Freunde auch den Tod versuͤssen. Und indem er selbige zwischen seinen Armen haͤlt, tritt er den lezten Weg betruͤbet und langsam an, und stieg auf den Voͤrderschnabel am Schiffe. Hier sah er sich aͤngstlich nach der Gegend um, von welcher er gekommen, nach dem sichern Gestade, das er in einer ungluͤckseligen Stunde verlassen, und sich dem gefaͤhrlichen Kiele anvertrauet, der ihn dem unversehenen Tode zu- fuͤhrete. Aber vergebens. Auf allen Seiten ist nichts als trauriges Schwartzes von Wolcken, die der Wind hinter dem Meere, das eine oͤde und unermeßliche Ebne schien, herfuͤr jagte. Es grauete ihm vor den ungeheuren Gestalten, mit denen das Wasser auf der Flaͤche und in der Tiefe besetzet war. Entweder wuͤrde ihn der Meerwolf mit scharfgespitzten Zaͤhnen, zwischen welchen die rothen Ueberbleibsel von dem letzten Raube noch stecketen, mitten entzwey sagen; oder eine graͤuliche Schlan- ge, die in rothe, gruͤne, und gelbe Schuppen verpantzert ist, deren Augen mit Blut und Gift unter- Arion unterschossen sind, die ihren Schwantz durch das flache Meer als einen langen Stamm nachziehet, wuͤrde ihn in ihrem beinernen und mit Gift ange- feuchteten Rachen zerquetschen. An seinem Ruͤ- ken jagten ihm graͤuliche und verraͤtherische Gesich- ter einen kalten Schweiß aus. Bis izo hatte er noch immer gehoffet, etwann ein Schiff von ferne zu erblicken, in welches er sich mit Schwimmen retten koͤnnte; aber die Augen schossen vergebens hin und her; er sah nichts als den nahen Tod. Wie ein zartes Rehe, welches das erste mahl von seiner sorgfaͤltigen Mutter, die ihm bestaͤndig zur Seite laͤufft, auf die Weide gefuͤhret wird, und durch ein ploͤtzliches Rauschen der Disteln, die den Nachsehenden den Weg hindern, das einsmahli- ge Geschrey der auf den Raub erpichten Jaͤger, das Bellen der Hunde, das lermende Getoͤne des Jagdhorns schuͤchtern wird, und sich verirret; wenn es sich gantz allein und umzingelt siehet, und mer- ket, daß es dem Verfolger selbst in die Haͤnde ge- lauffen, ungewiß hin und her schiesset, bloͤket, sich wundert, daß seine Mutter so lange ausbleibet ihm zu helffen: Da indessen der gewisse Pfeil von einer starcken Hand ihm nach dem Hertzen eilet, und sein zartes Blut auf die Erde verschuͤttet. So ver- lassen stuhnd Arion auf dem hohen Voͤrderschnabel des Schiffes, mitten unter erboßten Moͤrdern. Kurtz zuvor bluͤhete noch die Jugend auf seinen Wangen, und die spiegelglatte Stirne, wo sich noch keine sorgenvolle Falte aufgeleget hatte, zeig- te den Lentzen des Lebens an; aber izo saß die blas- se Farbe des Todes auf seinem Gesichte. Die wei- eine poetische Erzehlung. weiche Lufft strich bey ihm vorbey, und belustigte sich das lezte mahl mit seinen Haaren, legte sie ihm bald auf die Brust, bald streuete sie selbige auf die Schultern, bald streckte sie dieselbigen in die Laͤnge, und gerade hernach machte sie darinn eine wallende Bewegung, wie wenn ohngefehr ein Stein in die platte See faͤllt, augenblicklich um ihn herum cirkelfoͤrmige Wellen sich erheben, nie- dersincken, etwas entfehrnter sich wieder erhoͤhen, wieder verliehren, und bald in mehrerer Weite wieder da sind. Ein Guͤrtel hielt den Rest von seinem fliegenden Kleide fest, welches bis an die Schultern hinter sich gestreifet die Arme fast na- kend ließ. Die Harfe stuͤtzete er fest an seine Brust, und fuhr muͤhsam mit einer schweren Hand uͤber die scharfgezogenen Saiten, und ordnete die Toͤne an. Jene gehorsameten seinen Griffen. Darauf hub er mit einem tiefen Seufzer seine Augen nach dem Himmel; und damahls fiengen die goldenen Draͤte an sich zu beseelen, sie ant- worteten seufzend einander, hertzruͤhrende Klag- toͤne schwelleten von ihnen auf. Er mischte seine klingende Stimme unter die Musick, die auf der zitternden Harfe herumschweifete, und rufte den Vater der Goͤtter und der Menschen weheklagend an, daß er die schwartze Greuelthat mit seinem allessehenden Auge betrachten, und einen gerech- ten Urtheilspruch abfassen sollte. Er rufte den Apol- lo an, dessen Saiten selbst die Goͤtter zu Dienste stehen muͤssen, und dem er manch rauchendes Opfer auf seinen Altar geleget hatte. Und dich ruffete er an, Gerechte Nemesis, die verhuͤtet, daß die Arion die Boßheit nicht schon Himmel und Erden in das vorige Chaos zuruͤckgestuͤrtzet hat. Erschuͤttre dein schwartzes Gefieder, O Freundin der Unterdruͤck- ten, O Schrecken der Gottlosen! Fliege hernie- der, und besichtige eine Lasterthat, dergleichen die Vorwelt nur selten gesehen hat; sie ist werth, daß deine Hand sich zur Straffe ausstrecke, werth, daß dein Schwerdt sich zur Rache wetze. Jch sterbe, verlassen, huͤlfloß, von denen, die mich so gerne retten wuͤrden, weggerissen, die Hand niedriger Sclaven toͤdet mich, und versencket mich in ein ewiges Vergessen. O Unbestand! Nur einige Augenblicke aͤndern meine Scene so erschreck- lich! Nur wenige Minuten zuruͤck; da floß noch volles Wohlseyn um mich her! Jzo bin ich in der traurigen Nothwendigkeit mir meinen Lebensfa- den durch meine eigene Hand zu zerreissen. O fluͤchtiges Gluͤck! Hubest du mich darum so hoch, damit du mich desto tiefer faͤlletest? Goͤnnetest du mir darum so grosse Freude, damit mein Tod mir desto bitterer schmeckete? So hohe Goͤnner, da- mit verruchte Sclaven uͤber mich den Stab braͤ- chen? Wie uͤbel, Meine Freunde, O wie uͤbel schlaͤgt mir eure Guͤtigkeit aus! Jhr wolltet mir Diener geben, und ihr gabet mir Hencker; Be- gleiter, die mich besorgeten, aber was vor giftige Natern sind daraus erwachsen! Niemand ist auf Erde, der ein Zeuge dieser Frevelthat sey, der sie den kuͤnftigen Menschen zum Abscheue uͤbergebe. Dich ruffe ich zum Zeugnisse, O Sonne, ob du dich gleich izo mit dicken Wolcken umhuͤllest, und meinen Untergang nicht beschauen willst. Kuͤnftig wer- eine poetische Erzehlung. werde ich dein Licht nicht mehr geniessen. Kuͤnf- tig giebst du nicht mir die Freude, die du den Men- schen in ihr Hertz senckest. Mich wird bald eine ewige Dunckelheit begraben: Und du sey ein Zeu- ge, O Mond, der du im fehrnen Westen blaß stehest. Euer Wagen fahre niemahls diesen Ort vorbey, O Goͤttliche Gestirne, daß sich nicht das Andencken meines Unterganges bey euch erneuere. Meine Moͤrder sehen euch niemahls an, daß sie nicht ein Schauer ankomme, und sie nicht ihres verborgenen Lasters wegen gepeinigt werden. Und du, O Meer, dessen Wogen mich bald in den Abgrund verschlingen werden; Und ihr Thiere der See, denen ich als ein unschuldiges Opfer vorge- worffen werde, hoͤret niemahls auf, sie mit gehei- men Bissen zu quaͤlen, so oft sie sich euch naͤhern werden. Erzehlet ihr den Menschen einen Greuel der sonst auf immer wird verschwiegen bleiben. Gehabe dich wohl, elender Vatter, der mich in einer ungluͤckseligen Stunde gebohren hat! Du wirst deinen Sohn nicht mehr sehen, deinen Trost, der sich aus deinen zitternden Armen mit Gewalt weggerissen. Wie wird dein graues Haupt sich aͤngstigen, wenn du hoͤren must, daß er ein Op- fer schwartzer Verraͤtherey, ein Raub graͤulicher Thiere geworden! Wurdest du darum grau, O Ungluͤckseliger, damit dein Elend recht groß wuͤr- de? O traͤfe ich dich jetzo schon in den finstern Gaͤn- gen an, die ich bald betreten werde, damit ein schreckender Trauerbothe dich nicht mit Graͤmen und Verzweifeln ins Grab druͤckete! Lebe wohl, Gros- ser Goͤnner, die Goͤtter lassen deinen Namen in Arion in Corinth lange leben! Lebet wohl, O Freunde, die mir der Himmel gegoͤnnet hat! Jch verlasse euch; aber wie bitter wird mir das Scheiden! Nimmer- mehr wird mir vergoͤnnet werden, eure Freude mit zugeniessen. Nimmermehr mit euch zu schertzen, mich bey euch zu entladen. Wuͤrde mir nur noch einmahl erlaubet euch zu sehen, euch anzureden, nur noch ein einziges mahl euch mei- nen Kummer zu klagen: Jch wuͤrde alsdann gerne wieder zuruͤcke kehren; alsdann wuͤrde ich mich freudiger dem Tod uͤbergeben. Aber eine uner- meßliche Kluft scheidet mich von euch. Gebet doch Achtung, O Freunde, wenn diese Uebelthaͤter zu euch kommen; alles an ihnen wird euch von Arion reden; ihre Haͤnde, Augen, Blicke, al- les wird euch ihre Mordthat verrathen. Gehabe dich wohl! Schoͤnes Corinth! Gehabet euch wohl ihr geheimen Sommergaͤnge, die ihr mich so oft einsam gehoͤret, wenn mein Mund Ehrfurchtsvoll einen Gott oder eine Goͤttin besungen hat. Jhr kuͤhlen Gruͤnde, ihr stillen Waͤlder, ihr Triften, wo mich die aufgehende Sonne stets gefunden, und da sie mir taͤglich den letzten Blick gegeben hat, und da ich so oft ihren Untergang mit meiner Stimme begleitet habe! Jch werde nimmermehr die warmen Luͤfte fuͤhlen, die euch durchhauchen. Jhr werdet mich nimmermehr sehen, ausgenom- men wenn mein Schatten bey euch herum irren wird, mit aͤngstlichen Seufzern die Menschen zu erschrecken, und die Goͤtter zur Rache zu zwin- gen. Mir ist schon, ich sehe das untere Reich, da eine stete Daͤmmerung herrschet, woselbst der Mit- eine poetische Erzehlung. Mittag die Dunckelheit nicht einmahl vertrei- ben kan. Jch sehe schon die schwartzen Kluͤfte, die ein immerwaͤhrendes Schrecken und Ver- zweiflen anfuͤllet; den Schwarm unseliger Gei- ster, die sich aͤchzend um das Gestade herum draͤngen, und denen ein hartes Schicksal den Durchgang in das selige Reich versperret. Jch rieche schon den schweflichten Duft des Cocytus; Jch hoͤre schon von fehrnen das hoͤllische Getuͤm- mel. Ein Brausen faͤllt mir fuͤr die Ohren; ein ploͤtzlicher Nebel drehet alles vor mir um; ein Schauer durchfaͤhrt mich; die Glieder fangen an zu beben; und das Blut wird mir in den A- dern kalt. Er sagte dieses und die Rede erstarb in seinem Munde. Er sah sich noch einmahl erblasset um, und hieng mit dem Leibe uͤber dem schwartzen Abgrund, wo graͤßliche Thiere schon gegen ihn die Zaͤhne bloͤketen, schluͤpfte mit den Fuͤssen aus, und eilete mit schnellem Falle dem Tode zu. Dreymahl wiederholte seine Laute den lezten Schlag noch in dem Falle mit Seufzen; da der erste Ton sich schon laͤngst in die Luft verlohren hatte. Die Meervoͤgel unterbrachen ihren Flug; andere kamen vom fernen Lande her; und da sie das Ende seines Gesanges ausgewartet hat- ten, eilten sie mit klagendem Geschrey weg, da- mit sie seinen Untergang nicht ansehen muͤßten. Philomela wurde ihrer Wunde wiederum inne, die sie damahls schmertzte, als die harte Faust des Weidmanns ihr die nackete Zucht wegge- raubet; da sie bey dicker Nacht auf einsamen [Crit. Sam̃l. XI. St.] F Zwei- Arion Zweigen sitzend erbaͤrmliche Seufzerherfuͤr gluch- sete, mit Graͤmen sich abkraͤnckete, und den finstern Wald mit Klagen erfuͤllete. Ja es ist ein Geruͤchte, daß selbst einigen von den Uebel- thaͤtern das Hertz bey Arions Klagen gewancket habe; aber Morfus, den ein unsinniger Geitz mehr als Felsenhart gemachet, und der alle Spuren der Menschheit in sich ertoͤdet hatte, fiel mit thierischem Gebruͤlle auf ihn ein, und hub das Eisen zu einem schnellen Schlage empor, und damahls stuͤrtzte sich Arion mit schwerem Falle in den Tod. Kaum hatte das oberste Wasser ihn beruͤhret, als etwas sich unter ihm regete, ihn empor hub, und schnell durch die See wegfuͤhrete. Arion ermunterte sich, und raffete seine Kraͤfte zusam- men, da er sich auf dem breiten Ruͤcken eines schuppichten Delphins erblickete, der ihn allbe- reits aus dem Gesichte seiner Verraͤther wegge- tragen hatte. Sein Klagelied fuͤhrete dieses edle Thier aus der Tiefe hervor, es schwamm naͤchst an dem voͤrdern Theile des Schiffes, bald de- kete es sich mit leichten Wellen, bald ragete sein hoher Leib gantz empor; es war unmuthig, daß Arion sich so lange graͤmete, und erwartete den Fall, damit es ihn aus der Hand der Moͤrder davon truͤge. Jetzund legte es seinen runden Kopf fuͤr sich auf die Wellen, und stieß sie rau- schend von einander, seine Floßfedern schlugen auf beyden Seiten mit Macht in die See, sein maͤchtiger Leib stieß sich fort, mit dem breiten Schweife regierte es den geschwinden Lauf nach dem eine poetische Erzehlung. dem Lande, und ließ hinter sich einen langen Strich in der See; indem es stets die klaren Au- genwirbel nach der Seite trieb, und um seine theu- re Buͤrde bekuͤmmert war. Arion schmiegte sich fest an dessen schluͤpfrigen Ruͤcken, das Finstere, welches sein Gesicht ver- unzieret hatte, verzog sich, seine Haare rollten sich nach der Naͤsse wieder in Circkel, er wurde neu belebet, und fuhr munter auf dem hohen Delphin daher; von welchem er rund um sich her die glaͤserne See besah, die sich als einen Spiegel flaͤchte, und das blaue Himmelsgewoͤl- be, den gehoͤrnten Mond, die thauenden Abend- wolcken mit wiederschlagendem Lichte spielend darlegte. Die murmlenden Saiten schienen mißvergnuͤgt, daß er so lange verzog seine Er- loͤsung zu besingen. Er gehorsamete ihrem Ver- mahnen, und legete sich mit Ernst auf seine Har- fe, und besang nochmahlen mit gedaͤmpften Toͤ- nen das schaͤndliche Vornehmen seiner Verraͤ- ther. Die schwirrenden Saiten bezeugeten ei- nen Abscheu, und die Toͤne, die sich klagend in die Hoͤhe zwangen, blieben schwebend liegen, da er seine lezten Wuͤnsche wiederholete. Bald faͤhrt er mit leichtem Weben uͤber die Saiten, wie Winde welche uͤber das wallende Gras hin- schluͤpfen; bald eilen beyde Haͤnde beschaͤftiget hin und her, und schlagen oben und unten an die gespanneten Daͤrme, geschwinder als ihnen das Auge nachfolgen konnte: Die Toͤne laufen auf, und fallen ploͤtzlich nieder, Und kraͤuseln sich im Lauf, und strecken sich dann wieder, Und werden rasch, und geil, und schnellen, springen, jauchzen; F 3 da Arion da er sein neues Leben begruͤßte, und den un- tern Delphin prieß, der ihn von den Hoͤllenpfor- ten zuruͤck getragen hatte. Dieser hoͤrete es, und gab nach seiner Art ein grosses Vergnuͤgen zu erkennen. Die Augen flogen ihm unbestaͤndig herum, sein grosses Haupt hub sich hoch empor, so daß das Wasser nur den weissen Hals be- ruͤhrte, und dann neben hinunter glitschte. Der starcke Schweif rollte sich, und das Wasser, welches aus beyden Naseloͤchern herfuͤr sprudelte, trieb seine Bogen noch einmahl so hoch. Arions Stimme trug sich uͤber die ebene See weg, drang selbst die Wellen durch, und mach- te die Geschoͤpfe rege, welche in fremdem Mee- re wohneten, Delphinen, Meerpferde, Thie- re die keinen Nahmen haben, welche die Son- ne selten vorhin gesehen hatte. Ein blauer Schwarm stieg nach dem andern aus der Tiefe herfuͤr, sie schossen gleich geschwinde heran, sie schienen von Ferne wie wohl ausgeruͤstete Schif- fe, die in gerade Linien hingestellet das Treffen erwarten. Sie flogen wie der Wind, sie wa- ren schon da; ein Hauffen der kaum zu uͤberse- hen war, und dennoch war nichts zu hoͤren, als ein sanftes Geraͤusche von der See, welche sie mit ihren Leibern zerschnitten. Sie athmeten kaum, damit ihnen nicht ein Ton von der Goͤtt- lichen Harmonie entgienge. Man wuͤrde gesagt haben, da die Wallfische aller Orten aus ihren Gruͤften hervorkamen, Neptum jagete etwa mit seinem Muschelwagen, der wenn er von den Vogelschnellen Pferden gezogen wird, mit den eine poetische Erzehlung. den ehrenen Achsen nicht einmahl das Wasser be- ruͤhret, durch die Flaͤche hin, und die Meerthiere waͤren da, ihrem Herren den Gehorsam zu be- zeigen. Der wallende Ton arbeitete sich durch bis zu den glaͤsernen Zimmern, in welchen die Meer- goͤtter ihre feuchten Wohnungen haben; diese erstauneten einsmahls, recketen ihre Ohren nach dem Klange hin, indem sie eine Musick bewun- derten, die selbst reitzender war, als der muth- willigen Najaden, wenn diese bey kuͤhlem Abend einander singend in der Fluth herum jagen, und den Triton, den Glaucus, und die uͤbrigen muntern Meergoͤtter, die in dem nahen Schilf auf sie lauren, heranlocken. Unter diesen strecke- ten einige ihre Haͤupter uͤber die hoͤchsten Wel- len hervor; sie erblicketen den reitenden Arion, und strichen geschwind ihr troͤpflend Haar fuͤr den Ohren weg. Alsbald sind Nesaͤe, Spio, Ly- corias, samt der uͤbrigen Schaar ihrer Freund- innen auch da. Sie laͤchelten, und wurden roth da sie sich uͤbertroffen sahen. Sie schwam- men in einem Circkel um Arion herum. Mit einer reitzenden Unachtsamkeit flatterten ihre guͤl- dene Locken auf der nacketen Brust her, die man zwischen denselben mit einer hohen Rosenfarbe frisch aufsteigen sah. Die gantze Gesellschaft be- gleitete den Arion, sonderlich die neue Farth zu betrachten, dergleichen ihr Reich niemahls ge- sehen hatte. Nicht anderst als ehemahls das unwissende Volck einem hitzigen Thessalier starr nachsah; wenn er mit scharfen Spornen den F 4 schaͤu- Arion schaͤumenden Gaul ritzte, der den Peneus mit Rennen uͤberholt, mit klappenden Huffen den schwindenden Grund erschuͤttert, und schnell dem Aug entweicht. Die Goͤtter, welche auf den leichten Wol- ken herum schweben, und mit stets wachendem Auge die Thaten der Menschen beschauen, se- hen sonst mit Vergnuͤgen von den ewigen Mau- ren des Himmels herunter, wenn Zephyr mit heischholem Odem die Wellen kraͤuselt, wie et- wann hier sich eine regelmaͤssige Stadt an das Meer gepflantzet hat, dort ein hoher Port die ungeheure See einzudaͤmmen suchet, und seinen wuͤtenden Wogen zu trotzen scheinet, oder wie ein kuͤhner Mast von einem Welttheile in den andern hineilet. Jzo hatten sie den treulosen Anschlag der Schiffer gehoͤret. Arions Klagen hatten sie geruͤhret. Sie wollten nicht, daß er der Boßheit aufgeopfert wuͤrde. Sie wollten ihn unversehrt nach Corinth bringen, und dem Koͤnig seinem Freunde in die Arme liefern, be- vor die Schiffsleute seine Verraͤther daselbst an Bord kaͤmen; damit diese Lasterhafte mit pein- lichen Strafen gezuͤchtiget wuͤrden. Nunmehr fuhr Arion schnell dem Lande zu. Er empfand schon die gewohnte Luft, er sah schon von weitem die spitzen Thuͤrme, die uͤber Corinth herfuͤr rageten, wie etwann eine schwan- ke Aehre aus dem gelben Haufen ihr Haupt noch einmahl hoͤher als die andern empor recket, das hohe Schloß, die abgetheilten Aecker, die brau- nen Waͤlder, die der Berge Ruͤcken umhuͤlle- ten, eine poetische Erzehlung. ten, Fluͤsse welche die vollen Feld e r umfaßten, und bald gerade, bald geschlancke, vorsich, hindersich, izo breit, dann schmal, unordentlich- lieblich sich umherziehen, als wie eine blaue Ader durch rothen und gelben Marmel ungewiß her- umirret. Er entdeckte die ihm geheimen Bu- chen, praͤchtige Landhaͤuser, das Gestade, wo er mit Sorgen entlassen worden. Echo fieng schon an, ihm klingend aus dem nahen Felsen zu antworten, Echo die er so oft ermuͤdet hatte, wenn er das krumme Thal mit dem Namen seiner frischen Licoris erfuͤllet hatte. F 5 Neue Neue Fabeln. Neue Fabeln. I. Der ruhmsuͤchtige Baͤr. E Jn auf den Ruhm erpichter Baͤr Kam bey sich selbst auf die Gedancken, Die Nachwelt wuͤrd es ihm verdancken, Vernaͤhme sie, wie groß er einst gewesen waͤr. Er sprach daruͤber seine Jungen, Jch sehe, sagt er, mich gezwungen, Daß ich den grossen Coͤrper messe, Damit ich dessen seltne Groͤsse Der Nachwelt so vor Augen lege, Daß sie es deutlich fassen moͤge. Jhm fielen gleich die Jungen bey Und schwuren: Ja, bey unsrer Treu, Wir sahen auch schon viele Baͤren; Jedoch, es wird noch lange waͤhren, Eh daß in unserm Koͤnigreiche Sich einer dir an Groͤsse gleiche. Darum so sey darauf beflissen, Daß es die spaͤten Enckel wissen. Der Neue Fabeln. Der Alte dacht jetzt allgemach Dem edlen Unternehmen nach, Und rief, als ers zuletzt erfunden, Jndem die Kinder um ihn stuhnden: Fuͤrwahr es haben Kunst und Witz Jn meinem Coͤrper ihren Sitz! Gleich leget er sich in den Schnee, Er streckt die Pfoten in die Hoͤh, Und heißt die Kleinen auf ihn tretten; Dann sagt er: Jzo will ich wetten, So sieht man Haut, so sieht man Haar, Zusammt der Groͤsse sonnenklar. Kein Fuͤrst hat noch in seinem Schild Von einem Baͤr ein schoͤner Bild. Ein jeder von den Jungen preist Des alten Baͤren scharfen Geist, Jndem sie Bild und Gegenbild betrachten, Und es des Urbilds wuͤrdig achten. Ein jeder sprach: Es ist gerathen, Fuͤrwahr der Alte hats errathen. Sie dachten nicht (ein Baͤr denckt nicht so weit,) Daß dieses Meisterstuͤck trotz seiner Wuͤrde, Trotz aller seiner Aehnlichkeit, Jm naͤchsten Schnee versincken wuͤrde. Es schneyte nicht sobald, als es verschwand; Witz, Kunst und Arbeit war vergebens angewandt. Neue Fabeln. II. Die Wachteln. E Jn unzehlbares Wachtelnheer Befand sich allbereit am Strande, Und zielte stuͤndlich uͤber Meer Nach jenem weitentlegnen Lande. Eh sie die Reise unternahmen Verschluͤckten sie den Bilsensamen, Wenn sie die Artzeney genommen, Von ihrer Fettigkeit zu kommen; Dieweil des Fettes schwere Buͤrde Sie sonst am Streichen hindern wuͤrde. Doch hoͤrte man die Jungen zancken, Die einen sagten: Wir erkrancken, Wenn wir so viele Tage fasten. Die andern sprachen: Auszurasten, Jst auf dem unbegraͤntzten Meer Kein Aufenthalt fuͤr unser Heer. Zudem ist unser schwacher Flug Vom Untergange Vorboths gnug. Die Alten sprachen: Sorget nicht, Es dienet euch zum Unterricht, Daß wir nicht eh von Lande gehen, Biß daß die guten Winde wehen. Auch finden wir bey Sturm und Wetter Jm Meer an allen Orten Blaͤtter, Auf welche sich die Muͤden setzen, Und dieses sonder sich zu netzen. Es ist uns noch ihr lieben Jungen, Auf allen Reisen wohl gelungen. Die kluge Rede fand Gehoͤr, Sie machten sich gefaßt zur Reise Und thaten nach der Aeltern Weise. Jzt gieng der Zug hoch uͤber Meer, Und sie erfuhren gleich den Alten Daß Jupiter die gantze Schaar Vor augenscheinlicher Gefahr Durch seinen weisen Schutz erhalten. III. Neue Fabeln. III. Die Meise und der Sperling. E S hatte die behertzte Meise Das warme Jahr durch ihre Speise Nach eignem Wuͤnschen und Verlangen Vollauf und ohne Muͤh empfangen. Bald fieng der Nordwind an zu rasen, Es wurde durch sein kaltes Blasen Des Berges Gipfel silberweiß, Der Bach, der Teich, der Fluß zu Eiß, Das Feld als Stein, und durch die Kaͤlte Sah man in vielen Baͤumen Spaͤlte. Ey Vogel, nimmst du so verlieb Mit der mit Eiß gewuͤrtzten Speise? So sprach der kleine Saatedieb, Der Sperling, zu der muntern Meise. Jch fuͤrchte sehr, du muͤssest sterben, Und durch der Kaͤlte Grimm verderben. Was hilft dich izt dein stetes Springen, Dein Huͤpfen, Fliegen, und dein Singen, Dein Zizipa, dein Zizipa? Sing eh: O weh! mein End ist nah! Sieh doch, wie hab ich es so gut, Jch zeuge taͤglich frisches Blut; Von Ueberfluß an Speltz und Gersten Moͤgt ich, du siehst es selbst, zerbersten. Die aufgeweckte Meise spricht: Der Meisen Stamm vergehet nicht, So lang im Boden Wuͤrmer leben, Und Muͤcken in den Luͤften schweben. Mein Freund, es waͤr ein gleiches Wunder, Gieng ein Geschlecht, mein oder deines, unter. Nein! Wer nichts nach dem Morgen fragt, Der lebt vergnuͤgt, und unverzagt. Der holde Lentz mit seinen Schaͤtzen Wird meinen Mangel schon ersetzen. Jch singe schon, als waͤr er da, Mein Zizipa, mein Zizipa. IV. Neue Fabeln. IV. Die Lerche und der Storch. N Achdem die Lerch der Berge Spitze Mit ihrer holden Stimm erfuͤllt, Ersieht sie sich zu ihrem Sitze Ein Feld, wo Thau auf Blumen quillt. Sie sencket sich der Erden zu, Doch einsmahls stoͤret ihre Ruh Ein Storch, der dort spatzieren gieng, Und Froschen oder Bienen fieng. Bist du es, sprach der Storch zur Lerche. Ein Hertz gefaßt! du weist die Stoͤrche Verschlingen kein gefiedert Thier, Drum traue mir, und bleibe hier. Fuͤr dich sind Stoͤrche keine Fremden; Dich soll denn meine Gegenwart O liebste Lerche, nicht befremden. Was Federn hat, ist einer Art. So recht, erwiederte die Lerche Mein Leib ist viel zu klein fuͤr Stoͤrche, Doch sind die Froschen fast so klein, Und schlingst du sie so schnell hinein. Was mehr ist, frissest du ja Bienen, Die Meisen sonst zur Speise dienen. Nein, nein, dein blutgefaͤrbter Schnabel Lehrt mich es seye keine Fabel, Daß du der Schlangen Meister seyst. Ey vivant, ruft sie, meine Fluͤgel! Und fliegt auf einen fernen Huͤgel. ENDE.