Peter Schlemihl's wundersame Geschichte mitgetheilt von Adelbert von Chamisso und herausgegeben von Friedrich Baron de la Motte Fouqué. Mit einem Kupfer. Nuͤrnberg, bei Johann Leonhard Schrag . 1814 . An Adelbert von Chamisso. Trift Frank' und Deutscher jetzt zusammen, Und Jeder edlen Muth's entbrannt, So faͤhrt an's tapfre Schwert die Hand, Und Kampf entspruͤht in wilden Flammen. Wir treffen uns auf hoͤherm Feld, Wir zwei verklaͤrt in reinerm Feuer. Heil Dir, mein Frommer, mein Getreuer, Und dem, was uns verbunden haͤlt! Fouqué . Dem Herrn Regierungs-Assessor und Buchhaͤndler J. E. Hitzig , Wohlgeboren, in Berlin . Vorwort . An Freund Eduard . B ewahren, lieber Ednard , sollen wir die Geschichte des armen Schlemihl , dergestalt bewahren, daß sie vor Augen, die nicht hineinzusehn haben, beschirmt bleibe. Das ist eine schlimme Aufgabe. Es gibt solcher Augen eine ganze Menge, und welcher Sterbliche kann die Schicksale eines Manuscriptes bestimmen, eines Din¬ ges, das beinah noch schlimmer zu huͤten ist, als ein gesprochenes Wort. Da mach' ich's denn wie ein Schwindelnder, der in der Angst lieber gleich in den Abgrund springt: ich lasse die ganze Geschichte drucken. Und doch, Eduard , es gibt ernstere und bessere Gruͤnde fuͤr mein Benehmen. Es truͤgt mich Alles, oder in unserm lie¬ ben Deutschlande schlagen der Herzen viel, die den armen Schlemihl zu verstehen faͤhig sind und auch werth, und uͤber manch eines aͤchten Landsmannes Gesicht wird bei dem herben Scherz, den das Leben mit ihm, und bei dem arglosen, den er mit sich selbst treibt, ein geruͤhrtes Laͤcheln ziehn. Und Du, mein Eduard , wenn Du das grundehrliche Buch ansiehst, und dabei denkst, daß viele unbekannte Her¬ zensverwandte es mit uns lieben lernen, fuͤhlst auch vielleicht einen Balsamtropfen in die heisse Wunde fallen, die Dir und Allen, die Dich lieben, der Tod geschla¬ gen hat. Und endlich: es gibt — ich habe mich durch mannichfache Erfahrung davon uͤber¬ zeugt — es gibt fuͤr die gedruckten Buͤcher einen Genius, der sie in die rechten Haͤn¬ de bringt, und, wenn nicht immer, doch sehr oft die unrechten davon abhaͤlt. Auf allen Fall hat er ein unsichtbares Vorhaͤng¬ schloß vor jedwedem aͤchten Geistes- und Gemuͤthswerke, und weiß mit einer ganz untruͤglichen Geschicklichkeit auf- und zuzu¬ schließen. Diesem Genius, mein sehr lieber Schlemihl , vertraue ich Dein Laͤcheln und Deine Thraͤnen an, und somit Gott befohlen! Fouqué. D u vergissest Niemanden, Du wirst Dich noch eines gewissen Peter Schle ¬ mihl's erinnern, den Du in fruͤheren Jah¬ ren ein paar Mal bei mir gesehen hast, ein langbeiniger Bursch', den man ungeschickt glaubte, weil er linkisch war und der we¬ gen seiner Traͤgheit fuͤr faul galt. Ich hatte ihn lieb, — Du kannst nicht vergessen ha¬ ben, Eduard , wie er uns einmal in un¬ serer gruͤnen Zeit durch die Sonnette lief, ich brachte ihn mit auf einen der poetischen Thee's, wo er mir noch waͤhrend des Schrei¬ bens einschlief, ohne das Lesen abzuwarten. Nun erinnere ich mich auch eines Witzes, den Du auf ihn machtest. Du hattest ihn nemlich schon, Gott weiß, wo und wann, in einer alten schwarzen Kurtka gesehen, die er freilich damals noch immer trug, und sagtest: “der ganze Kerl waͤre gluͤcklich zu schaͤtzen, wenn seine Seele nur halb so un¬ sterblich waͤre, als seine Kurtka.„ — So wenig galt er bei Euch. — Ich hatte ihn lieb. — Von diesem Schlemihl nun, den ich seit langen Jahren aus dem Gesicht verloren hatte, ruͤhrt das Heft her, das ich Dir mittheilen will — Dir nur, Eduard , meinem naͤchsten, innigsten Freund, mei¬ nem bess'rem Ich, vor dem ich kein Ge¬ heimniß verwahren kann, theil' ich es mit, nur Dir und, es versteht sich von selbst, unserm Fouqué , gleich Dir in meiner Seele eingewurzelt — aber in ihm theil' ich es blos dem Freunde mit, nicht dem Dich¬ ter. — Ihr werdet einsehen, wie unange¬ nehm es mir seyn wuͤrde, wenn etwa die Beichte, die ein ehrlicher Mann im Ver¬ trauen auf meine Freundschaft und Red¬ lichkeit an meiner Brust ablegt, in einem Dichterwerke an den Pranger geheftet wuͤr¬ de, oder nur wenn uͤberhaupt unheilig ver¬ fahren wuͤrde, wie mit einem Erzeugniß schlechten Witzes, mit einer Sache, die das nicht ist, und seyn darf. Freilich, muß ich selbst gestehen, daß es um die Geschichte Schad’ ist, die unter des guten Mannes Feder nur albern geworden, daß sie nicht von einer geschickteren fremden Hand in ih¬ rer ganzen komischen Kraft dargestellt wer¬ den kann. — Was wuͤrde nicht Jean Paul daraus gemacht haben. — Übri¬ gens, lieber Freund, moͤgen hier Manche genannt seyn, die noch leben; auch das will beachtet seyn. — Noch ein Wort uͤber die Art, wie diese Blaͤtter an mich gelangt sind. Ge¬ stern fruͤh bei meinem Erwachen, gab man sie mir ab, — ein wunderlicher Mann, der einen langen grauen Bart trug, eine ganz abgenuͤtzte schwarze Kurtka an hatte, eine botanische Kapsel daruͤber umgehangen, und bei dem feuchten, regnichten Wetter Pantoffeln uͤber seine Stiefel, hatte sich nach mir erkundigt, und dieses fuͤr mich hinterlassen; er hatte, aus Berlin zu kom¬ men, vorgegeben. — — — Kunersdorf, den 27 sten September 1813. P. S. Ich lege dir eine Zeichnung bei, die der kunstreiche Leopold , der eben an seinem Fenster stand, von der auffallenden Erschei¬ nung entworfen hat. Als er den Werth, den ich auf diese Skizze legte, gesehen hat, hat er sie mir gerne geschenkt. I. Nach I. N ach einer gluͤcklichen, jedoch fuͤr mich sehr beschwerlichen Seefahrt, erreichten wir endlich den Hafen. Sobald ich mit dem Boote an’s Land kam, belud ich mich selbst mit meiner kleinen Habseligkeit, und durch das wimmelnde Volk mich draͤngend, ging ich in das naͤchste, geringste Haus hinein, vor welchem ich ein Schild haͤngen sah. Ich begehrte ein Zimmer, der Hausknecht maß mich mit einem Blick und fuͤhrte mich un¬ ter’s Dach. Ich ließ mir frisches Wasser geben, und genau beschreiben, wo ich den Herrn Tho¬ mas John aufzusuchen habe: — “Vor dem Norderthor, das erste Landhaus zur rechten Hand, ein großes, neues Haus, von roth und weißem Marmor mit vielen Saͤulen.„ Gut. — Es war noch fruͤh an der Zeit, ich schnuͤrte sogleich A mein Buͤndel auf, nahm meinen neu gewandten schwarzen Rock heraus, zog mich reinlich an in meine besten Kleider, steckte das Empfehlungsschrei¬ ben zu mir, und setzte mich alsbald auf den Weg zu dem Manne, der mir bei meinen bescheidenen Hoffnungen foͤrderlich seyn sollte. Nachdem ich die lange Norderstraße hinauf¬ gestiegen, und das Thor erreicht, sah ich bald die Saͤulen durch das Gruͤne schimmern — “also hier,„ dacht' ich. Ich wischte den Staub von meinen Fuͤßen mit meinem Schnupftuch ab, setzte mein Halstuch in Ordnung, und zog in Gottes Namen die Klingel. Die Thuͤr' sprang auf. Auf dem Flur hatt' ich ein Verhoͤr zu besteh'n, der Portier ließ mich aber anmelden, und ich hatte die Ehre, in den Park gerufen zu werden, wo Herr John — mit einer kleinen Gesellschaft sich erging. Ich erkannte gleich den Mann am Glanze seiner wohlbeleibten Selbstzufriedenheit. Er em¬ pfing mich sehr gut, — wie ein Reicher einen ar¬ men Teufel, wandte sich sogar gegen mich, ohne sich jedoch von der uͤbrigen Gesellschaft abzuwen¬ den, und nahm mir den dargehaltenen Brief aus der Hand. — “So, so! von meinem Bruder, ich habe lange nichts von ihm gehoͤrt. Er ist doch gesund? — Dort,„ fuhr er gegen die Gesell¬ schaft fort, ohne die Antwort zu erwarten, und wies mit dem Brief auf einen Huͤgel, “dort laß ich das neue Gebaͤude auffuͤhren.„ Er brach das Siegel auf und das Gespraͤch nicht ab, das sich auf den Reichthum lenkte. “Wer nicht Herr ist wenigstens einer Million,„ warf er hinein, “der ist, man verzeihe mir das Wort, ein Schuft!„ “O wie wahr!„ rief ich aus mit vollem uͤber¬ stroͤmenden Gefuͤhl. Das mußte ihm gefallen, er laͤchelte mich an und sagte: “Bleiben Sie hier, lieber Freund, nachher hab' ich vielleicht Zeit, Ihnen zu sagen, was ich hiezu denke,„ er deutete auf den Brief, den er sodann einsteckte, und wandte sich wieder zu der Gesellschaft. — Er bot einer jungen Dame den Arm, andere Herr'n bemuͤhten sich um andere Schoͤnen, es fand sich, was sich paßte, und man wall'te dem rosenum¬ bluͤh'ten Huͤgel zu. Ich schlich hinterher ohne Jemanden beschwer¬ lich zu fallen, denn keine Seele bekuͤmmerte sich A 2 weiter um mich. Die Gesellschaft war sehr auf¬ geraͤumt, es ward getaͤndelt und gescherzt, man sprach zuweilen von leichtsinnigen Dingen wichtig, von wichtigen oͤfters leichtsinnig, und gemaͤchlich erging besonders der Witz uͤber abwesende Freunde und deren Verhaͤltnisse. Ich war da zu fremd, um von alle dem Vieles zu verstehen, zu bekuͤm¬ mert und in mich gekehrt, um den Sinn auf solche Raͤthsel zu haben. Wir hatten den Rosenhain erreicht. Die schoͤne Fanny , wie es schien, die Herrin des Tages, wollte aus Eigensinn einen bluͤhenden Zweig selbst brechen, sie verletzte sich an einem Dorn, und wie von den dunkeln Rosen, floß Pur¬ pur auf ihre zarte Hand. Dieses Ereigniß brach¬ te die ganze Gesellschaft in Bewegung. Es wur¬ de Englisch Pflaster gesucht. Ein stiller, duͤnner, hag'rer, laͤnglichter, aͤltlicher Mann, der neben mit ging, und den ich noch nicht bemerkt hatte, steckte sogleich die Hand in die knapp anliegende Schoßtasche seines altfraͤnkischen grautaffentnen Rockes, brachte eine kleine Brieftasche daraus her¬ vor, oͤffnete sie, und reichte der Dame mit devoter Verbeugung das Verlangte. Sie empfing es oh¬ ne Aufmerksamkeit fuͤr den Geber und ohne Dank, die Wunde ward verbunden, und man ging wei¬ ter den Huͤgel hinan, von dessen Ruͤcken man die weite Aussicht uͤber das gruͤne Labyrinth des Parkes nach dem unermeßlichen Ozean genießen wollte. Der Anblick war wirklich groß und herrlich. Ein lichter Punkt erschien am Horizont zwischen der dunkeln Fluth und der Blaͤue des Himmels. “Ein Fernrohr her!„ rief John , und noch be¬ vor das auf den Ruf erscheinende Dienervolk in Bewegung kam, hatte der graue Mann, beschei¬ den sich verneigend, die Hand schon in die Rock¬ tasche gesteckt, daraus einen schoͤnen Dolon hervor¬ gezogen, und es dem Herrn John eingehaͤndigt. Dieser, es sogleich an das Aug' bringend, benach¬ richtigte die Gesellschaft: es sei das Schiff, das gestern ausgelaufen, und das widrige Winde im Angesicht des Hafens zuruͤcke hielten. Das Fern¬ rohr ging von Hand zu Hand, und nicht wieder in die des Eigenthuͤmers; ich aber sah verwun¬ dernd den Mann an, und wußte nicht, wie die große Maschine aus der winzigen Tasche heraus¬ gekommen war; es schien aber Niemanden auf¬ gefallen zu seyn, und man bekuͤmmerte sich nicht mehr um den grauen Mann als um mich selber. Erfrischungen wurden gereicht, das seltenste Obst aller Zonen in den kostbarsten Gefaͤßen. Herr John machte die Honneurs mit leichtem Anstand und richtete da zum zweiten Mal ein Wort an mich: “Essen Sie nur; das haben Sie auf der See nicht gehabt.„ Ich verbeugte mich, aber er sah es nicht, er sprach schon mit jemand Anderem. Man haͤtte sich gern auf den Rasen, am Abhange des Huͤgels, der ausgespannten Land¬ schaft gegen uͤber gelagert, haͤtte man die Feuch¬ tigkeit der Erde nicht gescheut. Es waͤre goͤttlich, meinte Wer aus der Gesellschaft, wenn man tuͤr¬ kische Teppiche haͤtte, sie hier auszubreiten. Der Wunsch war nicht sobald ausgesprochen, als schon der Mann im grauen Rock die Hand in der Tasche hatte, und mit bescheidener, ja demuͤthi¬ ger Geberde, einen reichen, golddurchwirkten, tuͤr¬ kischen Teppich daraus zu ziehen bemuͤht war. Be¬ diente nehmen ihn im Empfang, als muͤsse es so seyn, und entfalten ihn am begehrten Ort. Die Gesellschaft nahm ohne Umstaͤnde Platz darauf; ich wiederum sah betroffen den Mann, die Tasche, den Teppich an, der uͤber zwanzig Schritt in der Laͤnge und zehn in der Breite maß, und rieb mir die Augen, nicht wissend, was ich dazu denken sollte, besonders, da Niemand etwas Merkwuͤr¬ diges darin fand. Ich haͤtte gern Aufschluß uͤber den Mann gehabt, und gefragt, wer er sei, nur wußt' ich nicht, an wen ich mich richten sollte, denn ich fuͤrchtete mich fast noch mehr vor den Herr'n Be¬ dienten, als vor den bedienten Herr'n. Ich faßte endlich ein Herz, und trat an einen jungen Mann heran, der mir von minderem Ansehen schien als die Andern, und der oͤfter allein gestanden hatte. Ich bat ihn leise, mir zu sagen, wer der gefaͤl¬ lige Mann sei dort im grauen Kleide, — “Die¬ ser? der wie ein Ende Zwirn aussieht, der ei¬ nem Schneider aus der Nadel entlaufen ist?„ Ja, der allein steht — “den kenn' nicht,„ gab er mir zur Antwort, und, wie es schien, ei¬ ne laͤngere Unterhaltung mit mir zu vermeiden, wandt' er sich weg und sprach von gleichguͤltigen Dingen mit einem Andern. Die Sonne fing jetzt staͤrker zu scheinen an, und ward den Damen beschwerlich; die schoͤne Fanny richtete nachlaͤßig an den grauen Mann, den, so viel ich weiß, noch Niemand angeredet hatte, die leichtsinnige Frage: ob er nicht auch vielleicht ein Zelt bei sich habe? Er beantwortete sie durch eine so tiefe Verbeugung, als widerfuͤhre ihm eine unverdiente Ehre, und hatte schon die Hand in der Tasche, aus der ich Zeuge, Stangen, Schnuͤre, Eisenwerk, kurz, Alles, was zu dem prachtvoll'sten Lustzelt gehoͤrt, herauskommen sah. Die jungen Herr'n halfen es ausspannen, und es uͤberhing die ganze Ausdehnung des Teppichs — und Keiner fand noch etwas Außerordentliches darin. — Mir war schon lang' unheimlich, ja graulich zu Muthe, wie ward mir vollends, als beim naͤchst ausgesprochenen Wunsch ich ihn noch aus seiner Tasche drei Reitpferde, ich sage dir, drei schoͤne, große Rappen mit Sattel und Zeug, her¬ ausziehen sah, — denke Dir, um Gotteswillen! drei gesattelte Pferde noch aus derselben Tasche, woraus schon eine Brieftasche, ein Fernrohr, ein gewirkter Teppich, zwanzig Schritte lang und zehn breit, ein Lustzelt von derselben Groͤße, und alle dazu gehoͤrige Stangen und Eisen, herausgekom¬ men waren — wenn ich Dir nicht betheuerte, es selbst mit eigenen Augen angesehen zu haben, wuͤrdest Du es gewiß nicht glauben. — So verlegen und demuͤthig der Mann selbst zu seyn schien, so wenig Aufmerksamkeit ihm auch die Andern schenkten, so ward mir doch seine bloße Erscheinung, von der ich kein Auge ab¬ wenden konnte, so schauerlich, daß ich sie nicht laͤnger ertragen konnte. Ich beschloß, mich aus der Gesellschaft zu steh¬ len, was bei der unbedeutenden Rolle, die ich darin¬ nen spielte, mir ein Leichtes schien. Ich wollte nach der Stadt zuruͤckkehren, am andern Morgen mein Gluͤck beim Herrn John wieder versuchen, und, wenn ich den Muth dazu faͤnde, ihn uͤber den selt¬ samen grauen Mann befragen. — Waͤre es mir nur so zu entkommen gegluͤckt! Ich hatte mich schon wirklich durch den Ro¬ senhain, den Huͤgel hinab, gluͤcklich geschlichen, und befand mich auf einem freien Rasenplatz, als ich aus Furcht, außer den Wegen durch’s Gras gehend angetroffen zu werden, einen forschenden Blick um mich warf. — Wie erschrack ich, als ich den Mann im grauen Rock hinter mir her und auf mich zukommen sah. Er nahm sogleich den Hut vor mir ab, und verneigte sich so tief, als noch Niemand vor mir gethan hatte. Es war kein Zweifel, er wollte mich anreden, und ich konnte, ohne grob zu seyn, es nicht vermeiden. Ich nahm den Hut auch ab, verneigte mich wie¬ der, und stand da in der Sonne mit bloßem Haupt wie angewurzelt. Ich sah’ ihn voller Furcht stier an, und war wie ein Vogel, den eine Schlange gebannt hat. Er selber schien sehr verlegen zu seyn; er hob den Blick nicht auf, ver¬ beugte sich zu verschiedenen Malen, trat naͤher, und redete mich an mit leiser, unsicherer Stimme, ungefaͤhr im Tone eines Bettelnden. “Moͤge der Herr meine Zudringlichkeit ent¬ schuldigen, wenn ich es wage, ihn so unbe¬ kannter Weise aufzusuchen, ich habe eine Bitte an ihn. Vergoͤnnen Sie gnaͤdigst —„ “Aber um Gotteswillen, mein Herr!„ brach ich in mei¬ ner Angst aus, “was kann ich fuͤr einen Mann thun, der„ — — — wir stutzten Beide, und wur¬ den, wie mir daͤucht, roth. Er nahm nach einem Augenblick des Schwei¬ gens wieder das Wort: “Waͤhrend der kurzen Zeit, wo ich das Gluͤck genoß, mich in Ihrer Naͤhe zu befinden, hab' ich, mein Herr, einige Mal — erlauben Sie, daß ich es Ihnen sage, — wirk¬ lich mit unaussprechlicher Bewunderung den schoͤ¬ nen, schoͤnen Schatten betrachten koͤnnen, den Sie in der Sonne, und gleichsam mit einer gewissen edlen Verachtung, ohne selbst darauf zu merken, von sich werfen, den herrlichen Schatten da zu Ihren Fuͤßen. Verzeihen Sie mir die freilich kuͤh¬ ne Zumuthung. Sollten Sie sich wohl nicht ab¬ geneigt finden, mir diesen Ihren Schatten zu uͤber¬ lassen.„ Er schwieg, und mir gings wie ein Muͤhlrad im Kopfe herum. Was sollt' ich aus dem selt¬ samen Antrag machen, mir meinen Schatten ab¬ zukaufen? Er muß verruͤckt seyn, dacht' ich, und mit veraͤndertem Tone, der zu der Demuth des seinigen besser paßte, erwiederte ich also: “Ei, ei! guter Freund, habt Ihr denn nicht an euerm eignen Schatten genug? das heiß' ich mir einen Handel von einer ganz absonderlichen Sorte.„ Er fiel sogleich wieder ein: “Ich hab' in meiner Tasche Manches, was dem Herrn nicht ganz unwerth scheinen moͤchte; fuͤr diesen unschaͤtz¬ baren Schatten halt' ich den hoͤchsten Preis zu gering.„ Nun uͤberfiel es mich wieder kalt, da ich an die Tasche erinnert ward, und ich wußte nicht, wie ich ihn hatte guter Freund nennen koͤnnen. Ich nahm wieder das Wort, und suchte es, wo moͤglich, mit unendlicher Hoͤflichkeit wieder gut zu machen. “Aber, mein Herr, verzeihen Sie Ihrem unterthaͤnigsten Knecht. Ich verstehe wohl Ihre Meinung nicht ganz gut, wie koͤnnt' ich nur mei¬ nen Schatten — — —„ Er unterbrach mich: “Ich erbitte mir nur Dero Erlaubniß, hier auf der Stelle diesen edlen Schatten aufheben zu duͤrfen, und zu mir zu stecken; wie ich das mache, sei meine Sorge. Dagegen als Beweis meiner Erkenntlichkeit gegen den Herrn, uͤberlasse ich ihm die Wahl unter allen Kleinodien, die ich in der Tasche bei mir fuͤhre: die aͤchte Spring¬ wurzel, die Alraunwurzel, Wechselpfennige, Raub¬ thaler, das Tellertuch von Rolands Knappen, ein Galgenmaͤnnlein zu beliebigem Preis; doch, das wird wohl nichts fuͤr Sie seyn: besser, Fortuna¬ ti Wuͤnschhuͤtlein, neu und haltbar wieder restau¬ rirt; auch ein Gluͤcksseckel, wie der seine gewesen.„ “Fortunati Gluͤcksseckel,„ fiel ich ihm in die Re¬ de, und wie groß meine Angst auch war, hatte er mit dem einen Wort meinen ganzen Sinn ge¬ fangen. Ich bekam einen Schwindel, und es flimmerte mir wie doppelte Dukaten vor den Au¬ gen. — “Belieben gnaͤdigst der Herr diesen Seckel zu besichtigen und zu erproben.„ Er steckte die Hand in die Tasche und zog einen maͤßig großen, fest¬ genaͤhten Beutel von starkem Korduanleder, an zwei tuͤchtigen ledernen Schnuͤren heraus und haͤn¬ digte mir selbigen ein. Ich griff hinein, und zog zehn Goldstuͤcke daraus, und wieder zehn, und wieder zehn, und wieder zehn; ich hielt ihm schnell die Hand hin: “Topp! der Handel gilt, fuͤr den Beutel haben Sie meinen Schatten.„ Er schlug ein, kniete dann ungesaͤumt vor mir nie¬ der, und mit einer bewundernswuͤrdigen Geschick¬ lichkeit sah ich ihn meinen Schatten, vom Kopf bis zu meinen Fuͤßen, leise von dem Grase loͤ¬ sen, aufheben, zusammenrollen und falten, und zuletzt einstecken. Er stand auf, verbeugte sich noch einmal vor mir, und zog sich nach dem Ro¬ sengebuͤsche zuruͤck. Mich duͤnkt’, ich hoͤrte ihn da leise fuͤr sich lachen. Ich aber hielt den Beu¬ tel bei den Schnuͤren fest, rund um mich her war die Erde sonnenhell, und in mir war noch keine Besinnung. II. I ch kam endlich wieder zu Sinnen, und eilte, diesen Ort zu verlassen, wo ich hoffentlich nichts mehr zu thun hatte. Ich fuͤllte erst meine Taschen mit Gold, dann band ich mir die Schnuͤre des Beutels um den Hals fest, und verbarg ihn selbst auf meiner Brust. Ich kam unbeachtet aus dem Park, erreichte die Landstrasse, und nahm meinen Weg nach der Stadt. Wie ich in Ge¬ danken dem Thore zu ging, hoͤrt’ ich hinter mir schreien: “Junger Herr! he! junger Herr! hoͤ¬ ren Sie doch! —„ Ich sah mich um, ein al¬ tes Weib rief mir nach: “Sehe sich der Herr doch vor, Sie haben Ihren Schatten verloren.„ — “Danke Muͤtterchen,„ ich warf ihr ein Gold¬ stuͤck fuͤr den wohlgemeinten Rath hin, und trat unter die Baͤume. Am Thore mußt’ ich gleich wieder von der Schildwacht hoͤren: “Wo hat der Herr seinen Schatten gelassen?„ und gleich wieder darauf von ein Paar Frauen: “Jesus Maria! der arme Mensch hat keinen Schatten!„ Das fing an mich zu ver¬ drießen, und ich vermied sehr sorgfaͤltig, in die Sonne zu treten. Das ging aber nicht uͤberall an, zum Beispiel nicht uͤber die Breitestrasse, die ich zunaͤchst durchkreuzen mußte, und zwar, zu meinem Unheil, in eben der Stunde, wo die Kna¬ ben aus der Schule gingen. Ein verdammter buckeliger Schlingel, ich seh' ihn noch, hatte es gleich weg, daß mir ein Schatten fehle. Er ver¬ rieth mich mit großem Geschrei der saͤmtlichen literarischen Strassenjugend der Vorstadt, welche sofort mich zu rezensiren und mit Koth zu bewer¬ fen anfing: “Ordentliche Leute pflegten ihren Schatten mit sich zu nehmen, wann sie in die Sonne gingen.„ Um sie von mir abzuwehren, warf ich Gold zu vollen Haͤnden unter sie, und sprang in einen Miethswagen, zu dem mir mit¬ leidige Seelen verhalfen. Sobald ich mich in der rollenden Kutsche al¬ lein fand, fing ich bitterlich an zu weinen. Es mußte schon die Ahnung in mir aufsteigen: daß, um um so viel das Gold auf Erden Verdienst und Tu¬ gend uͤberwiegt, um so viel der Schatten hoͤher als selbst das Gold geschaͤtzt werde; und wie ich fruͤher den Reichthum meinem Gewissen aufgeopfert, hatte ich jetzt den Schatten fuͤr bloßes Geld hingege¬ ben, was konnte, was sollte auf Erden aus mir werden! Ich war noch sehr verstoͤrt, als der Wagen vor meinem alten Wirthshaus hielt, ich erschrack uͤber die Vorstellung, nur noch jenes schlechte Dachzimmer zu betreten. Ich ließ mir meine Sachen herabholen, empfing den aͤrmlichen Buͤn¬ del mit Verachtung, warf einige Goldstuͤcke hin, und befahl, vor das vornehmste Hotel vorzufah¬ ren. Das Haus war gegen Norden gelegen, ich hatte die Sonne nicht zu fuͤrchten, ich schickte den Kutscher mit Gold weg, ließ mir die besten Zimmer vorn heraus anweisen, und verschloß mich darin, so bald ich konnte. Was denkest Du, daß ich nun anfing? — O mein lieber Chamisso , selbst vor Dir es zu gestehen, macht mich erroͤthen. Ich zog den un¬ gluͤcklichen Seckel aus meiner Brust hervor, und B mit einer Art Wuth, die, wie eine flackernde Feuersbrunst, sich in mir durch sich selbst mehrte, zog ich Gold daraus, und Gold, und Gold, und immer mehr Gold, und streute es auf den Estrich, und schritt daruͤber hin, und ließ es klirren, und warf, mein armes Herz an dem Glanze, an dem Klange weidend, immer des Metalles mehr zu dem Metalle, bis ich ermuͤdet selbst auf das rei¬ che Lager sank und schwelgend darin wuͤhlte, mich daruͤber waͤlzte. So verging der Tag, der Abend, ich schloß meine Thuͤr' nicht auf, die Nacht fand mich liegend auf dem Golde, und darauf uͤber¬ mannte mich der Schlaf. Da traͤumt' es mir von Dir, es ward mir, als stuͤnde ich hinter der Glasthuͤr Deines kleinen Zimmers, und saͤhe Dich von da an Deinem Ar¬ beitstische zwischen einem Skelet und einem Bun¬ de getrockneter Pflanzen sitzen, vor Dir waren Haller, Humbold und Linne′ aufgeschlagen, auf Deinem Sopha lagen ein Band Goͤthe und der Zauberring, ich betrachtete Dich lange, und je¬ des Ding in Deiner Stube, und dann Dich wie¬ der, Du ruͤhrtest Dich aber nicht, Du hattest auch nicht Athem, du warst todt. Ich erwachte. Es schien noch sehr fruͤh zu seyn. Meine Uhr stand. Ich war wie zerschla¬ gen, durstig und hungrig auch noch, ich hatte seit dem vorigen Morgen nichts gegessen. Ich stieß von mir mit Unwillen und Überdruß dieses Gold, an dem ich kurz vorher mein thoͤrichtes Herz ge¬ saͤttiget: nun wußt' ich verdrießlich nicht, was ich damit anfangen sollte. Es durfte nicht so liegen bleiben — ich versuchte, ob es der Beutel wieder verschlingen wollte — Nein. Keines meiner Fen¬ ster oͤffnete sich uͤber die See. Ich mußte mich bequemen, es muͤhsam und mit sauerm Schweiß zu einem großen Schrank, der in einem Kabinet stand, zu schleppen, und es darin zu verpacken. Ich ließ nur einige Handvoll da liegen. Nachdem ich mit der Arbeit fertig geworden, legt' ich mich erschoͤpft in einen Lehnstuhl, und erwartete, daß sich Leute im Hause zu regen anfingen. Ich ließ, sobald es moͤglich war, zu essen bringen, und den Wirth zu mir kommen. Ich besprach mit diesem Mann die kuͤnftige Einrichtung meines Hauses. Er empfahl mir fuͤr den naͤhern Dienst um meine Person einen ge¬ B 2 wissen Bendel , dessen treue und verstaͤndige Phy¬ sionomie mich gleich gewann. Derselbe war’s, dessen Anhaͤnglichkeit mich seither troͤstend durch das Elend des Lebens begleitete, und mir mein duͤst’res Loos ertragen half. Ich brachte den gan¬ zen Tag auf meinen Zimmern, mit herrenlosen Knechten, Schustern, Schneidern und Kaufleu¬ ten zu, ich richtete mich ein, und kaufte beson¬ ders sehr viele Kostbarkeiten und Edelsteine, um nur Etwas des vielen aufgespeicherten Goldes los zu seyn; es schien aber gar nicht, als koͤnne der Haufen sich vermindern. Ich schwebte indeß uͤber meinen Zustand in den aͤngstigendsten Zweifeln. Ich wagte keinen Schritt aus meiner Thuͤr’, und ließ Abends vier¬ zig Wachskerzen in meinem Saal anzuͤnden, be¬ vor ich aus dem Dunkel heraus kam. Ich ge¬ dachte mit Grauen des fuͤrchterlichen Auftrittes mit den Schulknaben. Ich beschloß, so viel Muth ich auch dazu bedurfte, die oͤffentliche Meinung noch einmal zu pruͤfen. — Die Naͤchte waren zu der Zeit mondhell. Abends spaͤt warf ich einen weiten Mantel um, druͤckte mir den Hut tief in die Augen, und schlich, zitternd wie ein Verbre¬ cher, aus dem Hause. Erst auf einem entlege¬ nen Platz trat ich aus dem Schatten der Haͤuser, in deren Schutz ich so weit gekommen war, an das Mondeslicht hervor; gefaßt, mein Schicksal aus dem Munde der Voruͤbergehenden zu ver¬ nehmen. Erspare mir, lieber Freund, die schmerzliche Wiederholung alles dessen, was ich erdulden mu߬ te. Die Frauen bezeugten oft das tiefste Mit¬ leid, das ich ihnen einfloͤßte; Aeußerungen, die mir die Seele nicht minder durchbohrten, als der Hohn der Jugend und die hochmuͤthige Verach¬ tung der Maͤnner, besonders solcher dicken, wohl¬ beleibten, die selbst einen breiten Schatten war¬ fen. Ein schoͤnes, holdes Maͤdchen, die, wie es schien, ihre Eltern begleitete, indem diese bedaͤch¬ tig nur vor ihre Fuͤße sahen, wandte von Unge¬ faͤhr ihr leuchtendes Auge auf mich; sie erschrack sichtbarlich, da sie meine Schattenlosigkeit be¬ merkte, verhuͤllte ihr schoͤnes Antlitz in ihren Schleier, ließ den Kopf sinken, und ging laut¬ los voruͤber. Ich ertrug es laͤnger nicht. Salzige Stroͤme brachen aus meinen Augen, und mit durchschnit¬ tenem Herzen zog ich mich schwankend in's Dunkel zuruͤck. Ich mußte mich an den Haͤusern halten, um meine Schritte zu sichern, und erreichte lang¬ sam und spaͤt meine Wohnung. Ich brachte die Nacht schlaflos zu. Am an¬ dern Tage war meine erste Sorge, nach dem Manne im grauen Rocke uͤberall suchen zu lassen. Vielleicht sollte es mir gelingen, ihn wieder zu finden, und wie gluͤcklich! wenn ihn, wie mich, der thoͤrichte Handel gereuen sollte. Ich ließ Bendel vor mir kommen, er schien Gewandheit und Geschick zu besitzen, — ich schilderte ihm ge¬ nau den Mann, in dessen Besitz ein Schatz sich befand, ohne den mir das Leben nur eine Qual sei. Ich sagte ihm die Zeit, den Ort, wo ich ihn gesehen; beschrieb ihm Alle, die zugegen gewesen, und fuͤgte dieses Zeichen noch hinzu: er solle sich nach einem Dolon'schen Fernrohr, nach einem golddurch¬ wirkten tuͤrkischen Teppich, nach einem Prachtlust¬ zelt, und endlich nach den schwarzen Reithengsten genau erkundigen, deren Geschichte, ohne zu be¬ stimmen wie, mit der des raͤthselhaften Mannes, zusammenhienge, welcher Allen unbedeutend ge¬ schienen, und dessen Erscheinung die Ruhe und das Gluͤck meines Lebens zerstoͤrt hatte. Wie ich ausgeredet, holt' ich Gold her, eine Last, wie ich sie nur zu tragen vermochte, und legte Edelsteine und Juwelen noch hinzu fuͤr ei¬ nen groͤßern Werth. “ Bendel ,„ sprach ich, “dieses ebnet viele Wege, und macht Vieles leicht, was unmoͤglich schien; sei nicht karg damit, wie ich es nicht bin, sondern geh', und erfreue Deinen Herrn mit Nachrichten, auf denen seine alleinige Hoffnung beruht.„ Er ging. Spaͤt kam er und traurig zuruͤck. Keiner von den Leuten des Herrn John , Keiner von seinen Gaͤsten, er hatte Alle gesprochen, wu߬ te sich nur entfernt an den Mann im grauen Rocke zu erinnern. Der neue Teleskop war da, und Keiner wußte, wo er hergekommen; der Tep¬ pich, das Zelt waren da noch auf demselben Huͤ¬ gel ausgebreitet und aufgeschlagen, die Knechte ruͤhmten den Reichthum ihres Herrn, und Keiner wußte, von wannen diese neuen Kostbarkeiten ihm zugekommen. Er selbst hatte seinen Wohlgefallen daran, und ihn kuͤmmerte es nicht, daß er nicht wisse, woher er sie habe; die Pferde hatten die jungen Herren, die sie geritten, in ihren Staͤl¬ len, und sie priesen die Freigebigkeit des Herrn John , der sie ihnen an jenem Tage geschenkt. So viel erhellte aus der ausfuͤhrlichen Erzaͤhlung Bendels , dessen rascher Eifer und verstaͤndige Fuͤhrung, auch bei so fruchtlosem Erfolg, mein verdientes Lob erhielten. Ich winkte ihm duͤster, mich allein zu lassen. “Ich habe,„ hub er wieder an, “meinem Herrn Bericht abgestattet, uͤber die Angelegenheit, die ihm am wichtigsten war. Mir bleibt noch ein Auftrag auszurichten, den mir heute fruͤh Je¬ mand gegeben, welchem ich vor der Thuͤr begeg¬ nete, da ich zu dem Geschaͤfte ausging, wo ich so ungluͤcklich gewesen. Die eigenen Worte des Mannes waren: “Sagen Sie dem Herrn Pe ¬ „ ter Schlemihl , er wuͤrde mich hier nicht „mehr sehen, da ich uͤber’s Meer gehe; und ein „guͤnstiger Wind mich so eben nach dem Hafen „ruft. Aber uͤber Jahr und Tag werde ich die „Ehre haben, ihn selber aufzusuchen, und ein „anderes, ihm dann vielleicht annehmliches Ge¬ „schaͤft, vorschlagen. Empfehlen Sie mich ihm „unterthaͤnigst, und versichern ihn meines Dan¬ „kes.„ Ich frug ihn, wer er waͤre, er sagte aber, Sie kennten ihn schon.„ “Wie sah der Mann aus?„ rief ich voller Ahnung. Und Bendel beschrieb mir den Mann im grauen Rocke Zug fuͤr Zug, Wort fuͤr Wort, wie er getreu in seiner vorigen Erzaͤhlung des Man¬ nes erwaͤhnt, nach dem er sich erkundigt. — “Ungluͤcklicher,„ schrie ich haͤnderingend, “das war er ja selbst!„ und ihm fiel es wie Schuppen von den Augen. — “Ja, er war es, war es wirklich,„ rief er erschreckt aus, “und ich Verblendeter, Bloͤdsinniger, habe ihn nicht er¬ kannt: ihn nicht erkannt und meinen Herrn ver¬ rathen.„ Er brach, heiß weinend, in die bittersten Vorwuͤrfe gegen sich selber aus, und die Ver¬ zweiflung, in der er war, mußte mir selber Mit¬ leiden einfloͤßen. Ich sprach ihm Trost ein, ver¬ sicherte ihn wiederholt, ich setzte keinen Zweifel in seine Treue, und schickte ihn alsbald nach dem Hafen, um, wo moͤglich, die Spuren des seltsamen Mannes zu verfolgen. Aber an diesem selben Morgen waren sehr verschiedene Schiffe, die widrige Winde im Hafen zuruͤckgehalten, ausge¬ laufen, alle nach anderen Weltstrichen, alle nach anderen Kuͤsten bestimmt; und der graue Mann war spurlos wie ein Schatten verschwunden. III. W as haͤlfen Fluͤgel dem in eisernen Ket¬ ten fest Angeschmiedeten? er muͤßte dennoch, und schrecklicher, verzweifeln. Ich lag, wie Taffner bei seinem Hort, fern von jedem menschlichen Zu¬ spruch, bei meinem Golde darbend, aber ich hatte nicht das Herz nach ihm, sondern ich fluchte ihm, um dessentwillen ich mich von allem Leben abge¬ schnitten sah. Bei mir allein mein duͤst'res Ge¬ heimniß hegend, fuͤrchtete ich mich vor dem letzten meiner Knechte, den ich zugleich beneiden mußte; denn er hatte einen Schatten, er durfte sich sehen lassen in der Sonne. Ich vertrauerte einsam in meinen Zimmern die Tag' und Naͤchte, und Gram zehrte an meinem Herzen. Noch Einer haͤrmte sich unter meinen Au¬ gen ab, mein treuer Bendel hoͤrte nicht auf, sich mit stillen Vorwuͤrfen zu martern, daß er das Zutrauen seines guͤtigen Herrn betrogen, und Jenen nicht erkannt, nach dem er ausgeschickt war, und mit dem er mein trauriges Schicksal in enger Verflechtung denken mußte. Ich aber konn¬ te ihm keine Schuld geben, ich erkannte in dem Ereigniß die fabelhafte Natur des Unbekannten. Nichts unversucht zu lassen, schickt' ich einst Bendel mit einem kostbaren brillantenen Ring zu dem beruͤhmtesten Maler der Stadt, den ich, mich zu besuchen, einladen ließ. Er kam, ich entfernte meine Leute, verschloß die Thuͤr, setzte mich zu dem Mann, und, nachdem ich seine Kunst gepriesen, kam ich mit schwerem Herzen zur Sa¬ che, ich ließ ihm zuvor das strengste Geheimniß geloben. “Herr Professor,„ fuhr ich fort, “koͤnnten Sie wohl einem Menschen, der auf die ungluͤcklichste Weise von der Welt um seinen Schatten gekommen ist, einen falschen Schatten malen?„ — “Sie meinen einen Schlagschatten?„ — “den mein’ ich allerdings.„ — “Aber,„ frug er mich wei¬ ter, “durch welche Ungeschicklichkeit, durch welche Nachlaͤßigkeit konnte er denn seinen Schlagschatten verlieren?„ — “Wie es kam,„ erwiederte ich, “mag nun sehr gleichguͤltig seyn, doch so viel,„ log ich ihm unverschaͤmt vor: “In Rußland, wo er im vorigen Winter eine Reise that, fror ihm einmal, bei einer außerordentlichen Kaͤlte, sein Schatten dergestalt am Boden fest, daß er ihn nicht wieder loß bekommen konnte.„ “Der falsche Schlagschatten, den ich ihm ma¬ len koͤnnte,„ erwiederte der Professor, “wuͤrde doch nur ein solcher seyn, den er bei der leisesten Bewegung wieder verlieren muͤßte, — zumal wer an dem eignen angebornen Schatten so wenig fest hing, als aus Ihrer Erzaͤhlung selbst sich abneh¬ men laͤßt; wer keinen Schatten hat, gehe nicht in die Sonne, das ist das Vernuͤnftigste und Si¬ cherste.„ Er stand auf und entfernte sich, indem er auf mich einen durchbohrenden Blick warf, den der meine nicht ertragen konnte. Ich sank in meinen Sessel zuruͤck, und verhuͤllte mein Gesicht in meine Haͤnde. So fand mich noch Bendel , als er herein trat. Er sah den Schmerz seines Herrn, und wollte sich still, ehrerbietig zuruͤckziehen. — Ich blickte auf — ich erlag unter der Last meines Kummers, ich mußte ihn mittheilen. “Bendel,„ rief ich ihm zu, “Bendel! Du Einziger, der Du meine Leiden siehst und ehrst, sie nicht erforschen zu wollen, sondern still und fromm mit zu fuͤh¬ len scheinst, komm zu mir, Bendel , und sei der Naͤchste meines Herzens. Die Schaͤtze mei¬ nes Goldes hab' ich vor Dir nicht verschlossen, nicht verschließen will ich vor dir die Schaͤtze meines Grames — Bendel , verlasse mich nicht. Ben ¬ del , Du siehst mich reich, freigebig, guͤtig, Du waͤhnst, es sollte die Welt mich verherrlichen, und Du sieh'st mich die Welt flieh'n, und mich vor ihr verschließen. Bendel , sie hat gerichtet, die Welt, und mich verstoßen, und auch Du viel¬ leicht, wirst Dich von mir wenden, wenn Du mein schreckliches Geheimniß erfaͤhrst. Bendel , ich bin reich, freigebig, guͤtig, aber — o Gott! — ich habe keinen Schatten!„ — “Keinen Schatten?„ rief der gute Junge erschreckt aus, und die hellen Thraͤnen stuͤrzten ihm aus den Augen. — “Weh mir, daß ich geboren ward, einem schattenlosen Herrn zu dienen!„ Er schwieg, und ich hielt mein Gesicht in meinen Haͤnden. — “ Bendel ,„ setzt' ich spaͤt und zitternd hin¬ zu, “nun hast Du mein Vertrauen, nun kannst Du es verrathen. Geh' hin und zeuge wider mich.„ — Er schien in schwerem Kampfe mit sich selber, endlich stuͤrzte er vor mir nieder, und ergriff meine Hand, die er mit seinen Thraͤnen be¬ netzte. “Nein,„ rief er aus, “was die Welt auch meine, ich kann und werde um Schattens¬ willen meinen guͤtigen Herrn nicht verlassen, ich werde recht, und nicht klug handeln, ich werde bei Ihnen bleiben, Ihnen meinen Schatten bor¬ gen, Ihnen helfen, wo ich kann, mit Ihnen wei¬ nen.„ Ich fiel ihm um den Hals, ob solcher ungewohnten Gesinnung staunend; . denn ich war von ihm uͤberzeugt, daß er es nicht um Geld that. Seitdem aͤnderten sich in Etwas mein Schick¬ sal und meine Lebensweise. Es ist unbeschreiblich, wie vorsorglich Bendel mein Gebrechen zu ver¬ helen wußte. Überall war er vor mir und mit mir, alles vorhersehend, Anstalten treffend, und wo Gefahr unversehens drohte, mich schnell mit seinem Schatten uͤberdeckend, denn er war groͤßer und staͤrker als ich. So wagt' ich mich wieder unter die Menschen, und begann eine Rolle in der Welt zu spielen. Ich mußte freilich viele Eigenheiten und Laune scheinbar annehmen. Sol¬ che stehen aber dem Reichen gut, und so lange die Wahrheit nur verborgen blieb, genoß ich alle der Ehre und Achtung, die meinem Golde zukam. Ich sah ruhiger dem uͤber Jahr und Tag ver¬ heißenen Besuch des raͤthselhaften Unbekannten ent¬ gegen. Ich fuͤhlte sehr wohl, daß ich mich nicht lange an einem Orte aufhalten durfte, wo man mich schon ohne Schatten gesehen, und wo ich leicht verrathen werden konnte; auch dacht' ich vielleicht nur allein noch daran, wie ich mich bei Herrn John gezeigt, und es war mir eine druͤckende Erinnerung, demnach wollt' ich hier bloß Probe halten, um an¬ derswo leichter und zuversichtlicher auftreten zu koͤn¬ nen — doch fand sich, was mich eine Zeitlang an meine Eitelkeit festhielt: das ist im Menschen, wo der Anker am zuverlaͤßigsten Grund faßt. Eben Eben die schoͤne Fanny , der ich am dritten Ort wieder begegnete, schenkte mir, ohne sich zu erinnern, mich jemals gesehen zu haben, einige Aufmerksamkeit, denn jetzt hatt' ich Witz und Ver¬ stand. — Wenn ich redete, hoͤrte man zu, und ich wußte selber nicht, wie ich zu der Kunst ge¬ kommen war, das Gespraͤch so leicht zu fuͤhren und zu beherrschen. Der Eindruck, den ich auf die Schoͤne gemacht zu haben einsah, machte aus mir, was sie eben begehrte, einen Narren, und ich folgte ihr seither mit tausend Muͤhen durch Schatten und Daͤmmerung, wo ich nur konnte. Ich war nur eitel darauf, sie uͤber mich eitel zu machen, und konnte mir, selbst mit dem besten Willen nicht, den Rausch aus dem Kopf ins Herz zwingen. Aber wozu die ganz gemeine Geschichte dir lang und breit wiederholen? — Du selber hast sie mir oft genug von andern Ehrenleuten erzaͤhlt. — Zu dem alten wohlbekannten Spiele, worin ich gutmuͤthig eine abgedroschene Rolle uͤbernommen, kam freilich eine ganz eigens gedichtete Katastro¬ phe hinzu, mir und ihr und Allen unerwartet. C Da ich an einem schoͤnen Abend nach mei¬ ner Gewohnheit eine Gesellschaft in einem erleuch¬ teten Garten versammelt hatte, wandelte ich mit der Herrin Arm in Arm, in einiger Entfernung von den uͤbrigen Gaͤsten, und bemuͤhte mich, ihr Redesarten vorzudrechseln. Sie sah sittig vor sich nieder, und erwiederte leise den Druck meiner Hand; da trat unversehens hinter uns der Mond aus den Wolken hervor — und sie sah nur ih¬ ren Schatten vor sich hinfallen. Sie fuhr zusam¬ men, und blickte bestuͤrzt mich an, dann wieder auf die Erde, mit dem Auge meinen Schatten begehrend; und was in ihr vorging, malte sich so sonderbar in ihren Mienen, daß ich in ein lautes Gelaͤchter haͤtte ausbrechen moͤgen, wenn es mir nicht selber eiskalt uͤber den Ruͤcken gelaufen waͤre. Ich ließ sie aus meinem Arm in eine Ohn¬ macht sinken, schoß wie ein Pfeil durch die ent¬ setzten Gaͤste, erreichte die Thuͤr', warf mich in den ersten Wagen, den ich da haltend fand, und fuhr nach der Stadt zuruͤck, wo ich diesmal zu meinem Unheil den vorsichtigen Bendel gelassen hatte. Er erschrack, als er mich sah, ein Wort entdeckte ihm Alles. Es wurden auf der Stelle Postpferde geholt. Ich nahm nur einen meiner Leute mit mir, einen abgefeimten Spitzbuben, Na¬ mens Roscal , der sich mir durch seine Gewand¬ heit nothwendig zu machen gewußt, und der nichts vom heutigen Vorfall ahnen konnte. Ich legte in derselben Nacht noch dreißig Meilen zuruͤck. Bendel blieb hinter mir, mein Haus aufzuloͤsen, Gold zu spenden, und mir das Noͤthigste nachzu¬ bringen. Als er mich am andern Tage einholte, warf ich mich in seine Arme, und schwur ihm, nicht etwa keine Thorheit mehr zu begehen, son¬ dern nur kuͤnftig vorsichtiger zu seyn. Wir setzten unsre Reise ununterbrochen fort, uͤber die Grenze und das Gebirg, und erst am andern Abhang durch das hohe Bollwerk von jenem Ungluͤcksboden getrennt, ließ ich mich bewegen, in einem nah' gelegenen, und wenig besuchten Bad'ort von den uͤberstandenen Muͤhseligkeiten auszurasten. C 2 IV. I ch werde in meiner Erzaͤhlung schnell uͤber eine Zeit hineilen muͤssen, bei der ich, wie gerne, verweilen wuͤrde, wenn ich ihren lebendigen Geist in der Erinnerung herauf zu beschwoͤren vermoͤchte. Aber die Farbe, die sie belebte, und nur wieder beleben kann, ist in mir verloschen, und wann ich in meiner Brust wieder finden will, was sie da¬ mals so maͤchtig erhob, die Schmerzen und das Gluͤck, den frommen Wahn, — da schlag' ich vergebens an einen Felsen, der keinen lebendigen Quell mehr gewaͤhrt, und der Gott ist von mir gewichen. Wie veraͤndert blickt sie mich jetzt an, diese vergangene Zeit! — Ich sollte dort in dem Bade eine heroische Rolle tragiren, schlecht einstu¬ dirt, und ein Neuling auf der Buͤhne, vergaft' ich mich aus dem Stuͤcke heraus in ein paar blaue Augen. Die Eltern, vom Spiele getaͤuscht, bie¬ ten Alles auf, den Handel nur schnell fest zu ma¬ chen, und die gemeine Posse beschließt eine Ver¬ hoͤhnung. Und das ist Alles, Alles! — Das kommt mir albern und abgeschmackt vor, und schrecklich wiederum, daß so mir vorkommen kann, was da¬ mals so reich, so groß, die Brust mir schwellte. Mina , wie ich damals weinte, als ich dich verlor, so wein' ich jetzt, dich auch in mir ver¬ loren zu haben. Bin ich denn so alt worden? — o traurige Vernunft! Nur noch ein Pulsschlag jener Zeit, ein Moment jenes Wachens, — aber nein! einsam auf dem hohen oͤden Meere deiner bittern Fluth, und laͤngst aus dem letzten Pokale der Champagner Elfe entspruͤht! Ich hatte Bendel mit einigen Goldsaͤcken voraus geschickt, um mir im Staͤdtchen eine Woh¬ nung nach meinen Beduͤrfnissen einzurichten. Er hatte dort viel Geld ausgestreut, und sich uͤber den vornehmen Fremden, dem er diente, etwas unbe¬ stimmt ausgedruͤckt, denn ich wollte nicht genannt seyn, das brachte die guten Leute auf sonderbare Gedanken. Sobald mein Haus zu meinem Em¬ pfang bereit war, kam Bendel wieder zu mir, und holte mich dahin ab. Wir machten uns auf die Reise. Ungefaͤhr eine Stunde vom Orte, auf einem sonnigen Plan, ward uns der Weg durch eine festlich geschmuͤckte Menge versperrt. Der Wagen hielt. Musik, Glockengelaͤute, Kanonenschuͤße wur¬ den gehoͤrt, ein lautes Vivat durchdrang die Luft, — vor dem Schlage des Wagens erschien in weißen Kleidern ein Chor Jungfrauen von ausnehmen¬ der Schoͤnheit, die aber vor der Einen, wie die Sterne der Nacht vor der Sonne verschwanden. Sie trat aus der Mitte der Schwestern hervor; die hohe zarte Bildung kniete verschaͤmt erroͤthend vor mir nieder, und hielt mir auf seidenem Kis¬ sen, einen aus Lorbeer, Oelzweigen und Rosen geflochtenen Kranz entgegen, indem sie von Ma¬ jestaͤt, Ehrfurcht und Liebe einige Worte sprach, die ich nicht verstand, aber deren zauberischer Sil¬ berklang mein Ohr und Herz berauschten, — es war mir, als waͤre schon einmal die himmlische Erscheinung an mir voruͤber gewallt. Der Chor fiel ein, und sang das Lob eines guten Koͤniges und das Gluͤck seines Volkes. Und dieser Auftritt, lieber Freund, mitten in der Sonne, — sie kniete noch immer zwei Schritte vor mir, und ich, ohne Schatten, konnte die Kluft nicht uͤberspringen, nicht wieder vor dem Engel auf die Knie fallen. O, was haͤtt’ ich nicht da fuͤr einen Schatten gegeben. Ich mußte meine Schaam, meine Angst, meine Ver¬ zweiflung tief in den Grund meines Wagens ver¬ bergen. Bendel besann sich endlich fuͤr mich, er sprang von der andern Seite aus dem Wagen heraus, ich rief ihn noch zuruͤck und reichte ihm aus meinem Kaͤstchen, das mir eben zur Hand lag, eine reiche diamantene Krone, die die schoͤne Fanny hatte zieren sollen. Er trat vor, und sprach im Namen seines Herrn, welcher solche Eh¬ renbezeugungen nicht annehmen koͤnne noch wolle; es muͤsse hier ein Irrthum vorwalten, jedoch seien die guten Einwohner der Stadt fuͤr ihren guten Willen bedankt. Er nahm indeß den dargehalte¬ nen Kranz von seinem Ort, und legte den bril¬ lantenen Reif an dessen Stelle; dann reichte er ehrerbietig der schoͤnen Jungfrau die Hand zum Aufstehen, entfernte mit einem Wink Geistlich¬ keit, Magistratus und alle Deputationen. Nie¬ mand ward weiter vorgelassen. Er hieß den Hau¬ fen sich theilen und den Pferden Raum geben, schwang sich wieder in den Wagen, und fort ging's weiter in gestrecktem Galopp unter eine aus Laub¬ werk und Blumen erbaute Pforte hinweg, dem Staͤdtchen zu. — Die Kanonen wurden immer frischweg abgefeuert. — Der Wagen hielt vor meinem Hause; ich sprang behend' in die Thuͤr', die Menge theilend, die die Begierde, mich zu se¬ hen, herbeigerufen hatte. Der Poͤbel schrie Vi¬ vat unter meinem Fenster, und ich ließ doppelte Dukaten daraus regnen; am Abend ward die Stadt freiwillig erleuchtet. — Und ich wußte immer noch nicht, was das Alles bedeuten sollte, und fuͤr wen ich angesehen wurde. Ich schickte Rascal'n auf Kundschaft aus. Er ließ sich dann erzaͤhlen, weßmaßen man be¬ reits sichere Nachrichten gehabt, der gute Koͤnig von Preußen reise unter dem Namen eines Gra¬ fen durch das Land; wie mein Adjutant er¬ kannt worden waͤre, und wie er sich und mich verrathen habe, wie groß endlich die Freude gewe¬ sen, da man die Gewißheit gehabt, mich im Orte selbst zu besitzen. Nun sah man freilich ein, da ich offenbar das strengste Inkognito beobachten wol¬ le, wie sehr man Unrecht gehabt, den Schleier so zudringlich zu luͤften. Ich haͤtte aber so huldreich, so gnadenvoll gezuͤrnt, — ich wuͤrde gewiß dem guten Herzen verzeihen muͤssen. Meinem Schlingel kam die Sache so spaßhaft vor, daß er mit strafenden Reden sein Moͤglich¬ stes that, die guten Leute einstweilen in ihrem Glauben zu bestaͤrken. Er stattete mir einen sehr komischen Bericht ab, und da er mich dadurch er¬ heitert sah, gab er mir selbst seine veruͤbte Bos¬ heit zum Besten. — Muß ich's bekennen? es schmeichelte mir doch, sei es auch nur so, fuͤr das verehrte Haupt angesehen worden zu seyn. Ich hieß zu dem morgenden Abend unter den Baͤumen, die den Raum vor meinem Hause be¬ schatteten, ein Fest bereiten, und die ganze Stadt dazu einladen. Der geheimnißreichen Kraft mei¬ nes Seckels, Bendel's Bemuͤhungen und der be¬ henden Erfindsamkeit Rascal's gelang es selbst die Zeit zu besiegen. Es ist wirklich erstaunlich, wie reich und schoͤn sich Alles in den wenigen Stunden anordnete. Die Pracht und der Über¬ fluß, die da sich erzeugten; auch die sinnreiche Er¬ leuchtung war so weise vertheilt, daß ich mich ganz sicher fuͤhlte. Es blieb mir nichts zu erinnern, ich mußte meine Diener loben. Es dunkelte der Abend. Die Gaͤste erschie¬ nen, und wurden mir vorgestellt. Es ward die Majestaͤt nicht mehr beruͤhrt; aber ich hieß in tie¬ fer Ehrfurcht und Demuth: Herr Graf. Was sollt' ich thun? Ich ließ mir den Grafen gefal¬ len, und blieb von Stund' an der Graf Peter. Mitten im festlichen Gewuͤhle begehrte meine Seele nur nach der Einen. Spaͤt erschien sie; sie, die die Krone war und trug. Sie folgte sittsam ihren Eltern, und schien nicht zu wissen, daß sie die Schoͤnste sei. Es wurden mir der Herr Forst¬ meister, seine Frau und seine Tochter vorgestellt. Ich wußte den Alten viel Angenehmes und Ver¬ bindliches zu sagen; vor der Tochter stand ich wie ein ausgescholtener Knabe da, und vermochte kein Wort hervor zu lallen. Ich bat sie endlich stam¬ melnd, dies Fest zu wuͤrdigen, das Amt, deren Zeichen sie schmuͤckte, darin zu verwalten. Sie bat verschaͤmt mit einem ruͤhrenden Blick um Scho¬ nung; aber verschaͤmter vor ihr, als sie selbst, bracht ich ihr als erster Unterthan meine Huldi¬ gung in steifer Ehrfurcht, und der Wink des Gra¬ fen ward allen Gaͤsten ein Gebot, dem nachzule¬ ben sich Jeder freudig beeiferte. Majestaͤt, Un¬ schuld und Grazie beherrschten, mit der Schoͤnheit im Bund, ein frohes Fest. Die gluͤcklichen Eltern Mina's glaubten ihnen nur zur Ehren ihr Kind erhoͤht, ich selber war in einem unbeschreiblichen Rausch. Ich ließ Alles, was ich noch von den Juwelen hatte, die ich damals, um beschwerliches Gold loß zu werden, gekauft, alle Perlen, alles Edelgestein in zwei verdeckte Schuͤsseln legen, und bei Tische unter dem Namen der Koͤnigin, ihren Gespielinnen und allen Damen herumreichen; Gold ward indessen ununterbrochen uͤber die gezogenen Schranken unter das jubelnde Volk geworfen. Bendel am andern Morgen eroͤffnete mir im Vertrauen, der Verdacht, den er laͤngst gegen Roscal's Redlichkeit gehegt, sei nunmehr zur Gewißheit worden. Er habe gestern ganze Saͤcke Goldes unterschlagen. “Lasset uns,„ erwiedert’ ich, “dem armen Schelmen die kleine Beute goͤn¬ nen, ich spende gern Allen, warum nicht auch ihm? Gestern hat er mir, haben mir alle neuen Leute, die du mir gegeben, redlich gedient, sie ha¬ ben mir froh ein frohes Fest begehen helfen.„ — Es war nicht weiter die Rede davon. Ras¬ cal blieb der erste meiner Dienerschaft, Bendel war aber mein Freund und mein Vertrauter. Die¬ ser war gewohnt worden, meinen Reichthum als unerschoͤpflich zu denken, und er spaͤhte nicht nach dessen Quellen. — Er half mir vielmehr, in meinen Sinn eingehend, Gelegenheiten ersinnen, ihn darzuthun und Gold zu vergeuden. Von jenem Unbekannten, dem blassen Schleicher, wußt' er nur so viel: Ich duͤrfe allein durch ihn von dem Fluche erloͤst werden, der auf mir lastete, und fuͤrchte ihn, auf dem meine einzige Hoffnung ruh¬ te. Übrigens sei ich davon uͤberzeugt, er koͤnne mich uͤberall auffinden, ich ihn nirgends, darum ich, den versprochenen Tag erwartend, jede ver¬ gebliche Nachsuchung eingestellt. Die Pracht meines Festes und mein Beneh¬ men dabei, erhielten Anfangs die starkglaͤubigen Einwohner der Stadt bei ihrer vorgefaßten Mei¬ nung. Es ergab sich freilich sehr bald aus den Zeitungen, daß die ganze fabelhafte Reise des Koͤ¬ nigs von Preußen ein bloßes ungegruͤndetes Ge¬ ruͤcht gewesen. Ein Koͤnig war ich aber nun ein¬ mal, und mußte schlechterdings ein Koͤnig bleiben, und zwar einer der reichsten und koͤniglichsten, die es immer geben mag. Nur wußte man nicht recht, welcher. Die Welt hat nie Grund gehabt, uͤber Mangel an Monarchen zu klagen, am we¬ nigsten in unsern Tagen; die guten Leute, die noch keinen mit Augen gesehen, riethen mit glei¬ chem Gluͤck bald auf diesen, bald auf jenen — Graf Peter blieb immer der er war. — Einst erschien unter den Badegaͤsten ein Han¬ delsmann, der Bankerot gemacht hatte, um sich zu bereichern; der allgemeine Achtung genoß, und einen breiten, obgleich etwas blassen Schatten von sich warf. Er wollte hier das Vermoͤgen, das er gesammelt, zum Prunk ausstellen, und es fiel so¬ gar ihm ein, mit mir wetteifern zu wollen. Ich sprach meinem Seckel zu, und hatte sehr bald den armen Teufel so weit, daß er, um sein Ansehen zu retten, abermals Bankerot machen mußte und uͤber das Gebirg ziehen. So ward ich ihn loß. — Ich habe in dieser Gegend viele Taugenichts und Muͤßiggaͤnger gemacht! Bei der koͤniglichen Pracht und Verschwen¬ dung, womit ich mir Alles unterwarf, lebt' ich in meinem Hause sehr einfach und eingezogen. Ich hatte mir die groͤßte Vorsicht zur Regel ge¬ macht, es durfte, unter keinem Vorwand, kein Anderer, als Bendel , die Zimmer, die ich be¬ wohnte, betreten. So lange die Sonne schien, hielt' ich mich mit ihm darin verschlossen, und es hieß: der Graf arbeite in seinem Kabinet. Mit diesen Arbeiten standen die haͤufigen Kuriere in Verbindung, die ich um jede Kleinigkeit abschickte und erhielt. — Ich nahm nur am Abend unter meinen Baͤumen, oder in meinem, nach Ben¬ del 's Angabe geschickt und reich erleuchteten Saale Gesellschaft an. Wann ich ausging, wobei mich stets Bendel mit Argusaugen bewachen mußte, so war es nur nach dem Foͤrstergarten, und um des Einen willen; denn meines Lebens innerlich¬ stes Herz war meine Liebe. O mein guter Chamisso , ich will hoffen, du habest noch nicht vergessen, was Liebe sei! Ich lasse Dir hier Vieles zu ergaͤnzen. Mina war wirklich ein liebewerthes, gutes, frommes Kind. Ich hatte ihre ganze Phantasie an mich gefesselt, sie wußte in ihrer Demuth nicht, wo¬ mit sie werth gewesen, daß ich nur nach ihr ge¬ blickt; und sie vergalt Liebe um Liebe mit der vollen jugendlichen Kraft eines unschuldigen Her¬ zens. Sie liebte wie ein Weib, ganz hin sich opfernd; selbst vergessen, hingegeben den nur mei¬ nend, der ihr Leben war; unbekuͤmmert, solle sie selbst zu Grunde gehen, das heißt, sie liebte wirk¬ lich. — Ich aber — o welche schreckliche Stunden — — schrecklich! und wuͤrdig dennoch, daß ich sie zuruͤck¬ wuͤnsche, hab’ ich oft an Bendel's Brust ver¬ weint, als nach dem ersten bewußtlosen Rausch ich mich besonnen, mich selbst scharf angeschaut, der ich ohne Schatten mit tuͤckischer Selbstsucht, die¬ sen Engel verderbend, die reine Seele an mich gelogen und gestolen! Dann beschloß ich, mich ihr selber zu verrathen; dann gelobt' ich mit theu¬ ren Eidschwuͤren, mich von ihr zu reißen und zu entfliehen; dann brach ich wieder in Thraͤnen aus, und verabredete mit Bendel'n , wie ich sie auf dem Abend im Foͤrstergarten besuchen wolle. — Zu andern Zeiten log ich mir selber vom na¬ he bevorstehenden Besuch des grauen Unbekannten große Hoffnungen vor, und weinte wieder, wann ich daran zu glauben vergebens versucht hatte. Ich hatte den Tag ausgerechnet, wo ich den Furcht¬ baren wieder zu sehen erwartete; denn er hatte ge¬ sagt, in Jahr und Tag, und ich glaubte an sein Wort. Die Eltern waren gute, ehrbare, alte Leute, die ihr einziges Kind sehr liebten, das ganze Ver¬ haͤltniß uͤberraschte sie, als es schon bestand, und sie wußten nicht, was sie dabei thun sollten. Sie hatten fruͤher nicht getraͤumt, der Graf Peter koͤnne nur an ihr Kind denken, nun liebte er sie gar, und ward wieder geliebt. — Die Mutter war wohl eitel genug, an die Moͤglichkeit einer Verbindung zu denken, und darauf hinzuarbeiten, der der gesunde Menschenverstand des Alten gab sol¬ chen uͤberspannten Vorstellungen nicht Raum. Bei¬ de waren uͤberzeugt von der Reinheit meiner Lie¬ be — sie konnten nichts thun, als fuͤr ihr Kind beten. Es faͤllt mir ein Brief in die Hand, den ich noch aus dieser Zeit von Mina habe. — Ja, das sind ihre Zuͤge, ich will Dir ihn abschreiben. “Bin ein schwaches, thoͤrichtes Maͤdchen, koͤnnte mir einbilden, daß mein Geliebter, weil ich ihn innig, innig liebe, dem armen Maͤdchen nicht weh thun moͤchte. — Ach, Du bist so gut, so unaussprechlich gut; aber mißbrauche mich nicht. Du sollst mir nichts opfern, mir nichts opfern wol¬ len; o Gott! ich koͤnnte mich hassen, wenn Du das thaͤtest. Nein — Du hast mich unendlich gluͤcklich gemacht, Du hast mich Dich lieben ge¬ lehrt. Zeuch hin! — Weiß doch mein Schicksal, Graf Peter gehoͤrt nicht mir, gehoͤrt der Welt an. Will stolz seyn, wenn ich hoͤre: das ist er gewesen, und das war er wieder, und das hat er vollbracht; da haben sie ihn angebetet, und da haben sie ihn veroͤgttert . Siehe, wenn ich das D denke, zuͤrne ich Dir, daß Du bei einem einfaͤltigen Kinde Deiner hohen Schicksale vergessen kannst. — Zeuch hin, sonst macht der Gedanke mich noch un¬ gluͤcklich, die ich, ach! durch Dich so gluͤcklich, so selig bin. — Hab' ich nicht auch einen Oelzweig und eine Rosenknospe in Dein Leben geflochten, wie in den Kranz, den ich Dir uͤberreichen durfte? Habe Dich im Herzen, mein Geliebter, fuͤrchte nicht, von mir zu gehen — werde sterben ach so selig, so unaussprechlich selig durch Dich.„ — Du kannst Dir denken, wie mir die Worte durch's Herz schneiden mußten. Ich erklaͤrte ihr, ich sei nicht das, wofuͤr man mich anzusehen schien; ich sei nur ein reicher, aber unendlich elender Mann. Auf mir ruhe ein Fluch, der das einzige Geheimniß zwischen ihr und mir seyn solle, weil ich nicht noch ohne Hoffnung sei, daß er geloͤst werde. Dies sei das Gift meiner Tage: daß ich sie mit in den Abgrund hinreißen koͤnne, sie, die das einzige Licht, das einzige Gluͤck, das ein¬ zige Herz meines Lebens sei. Dann weinte sie wieder, daß ich ungluͤcklich war, ach, sie war so liebevoll, so gut. Um Eine Thraͤne nur mir zu erkaufen, hatte sie, mit welcher Seligkeit, sich selbst ganz hingeopfert. Sie war indeß weit entfernt, meine Worte richtig zu deuten, sie ahnete nun in mir irgend einen Fuͤrsten, den ein schwerer Bann getroffen, irgend ein hohes, geaͤchtetes Haupt, und ihre Ein¬ bildungskraft malte sich geschaͤftig, unter heroischen Bildern den Geliebten herrlich aus. Einst sagte ich ihr: “ Mina , der letzte Tag im kuͤnftigen Monat kann mein Schicksal aͤndern und entscheiden — geschieht es nicht, so muß ich sterben, weil ich Dich nicht ungluͤcklich machen will.„ — Sie verbarg weinend ihr Haupt an meiner Brust. “Ändert sich Dein Schicksal, laß mich nur Dich gluͤcklich wissen, ich habe keinen Anspruch an Dich — Bist Du elend, binde mich an Dein Elend, daß ich es Dir tragen helfe.„ — “Maͤdchen, Maͤdchen, nimm es zuruͤck, das rasche Wort, das thoͤrichte, das Deinen Lippen entflohen — und kenn'st Du es, dieses Elend, kenn'st Du ihn, diesen Fluch? Weißt Du, wer Dein Geliebter. — – – – was er – – ? — D2 Siehst Du mich nicht krampfhaft zusammenschau¬ dern, und vor Dir ein Geheimniß haben?„ Sie fiel schluchzend mir zu Fuͤßen, und wiederholte mit Eidschwur ihre Bitte. — Ich erklaͤrte mich gegen den hereintretenden Forstmeister, meine Absicht sei, am ersten des naͤchstkuͤnftigen Monats um die Hand seiner Toch¬ ter anzuhalten — ich setzte diese Zeit fest, weil sich bis dahin Manches ereignen duͤrfte, was Ein¬ fluß auf mein Schicksal haben koͤnnte. Unwandel¬ bar sei nur meine Liebe zu seiner Tochter. — Der gute Mann erschrack ordentlich, als er solche Worte aus dem Munde des Grafen Pe¬ ter vernahm. Er fiel mir um den Hals, und ward wieder ganz verschaͤmt, sich vergessen zu ha¬ ben. Nun fiel es ihm ein, zu zweifeln, zu er¬ waͤgen und zu forschen; er sprach von Mitgift, von Sicherheit, von Zukunft fuͤr sein liebes Kind. Ich dankte ihm, mich daran zu mahnen. Ich sagte ihm, ich wuͤnsche in dieser Gegend, wo ich geliebt zu seyn schien, mich anzusiedeln, und ein sorgen¬ freies Leben zu fuͤhren. Ich bat ihn, die schoͤnsten Guͤter, die im Lande ausgebeten wurden, unter dem Namen seiner Tochter zu kaufen, und die Be¬ zahlung auf mich anzuweisen. Es koͤnne darin ein Vater dem Liebenden am besten dienen. — Es gab ihm viel zu thun, denn uͤberall war ihm ein Fremder zu vorgekommen; er kaufte auch nur fuͤr ungefaͤhr eine Million. Daß ich ihn damit beschaͤftigte, war im Grunde eine unschuldige List, um ihn zu entfer¬ nen, und ich hatte schon aͤhnliche mit ihm gebraucht, denn ich muß gestehen, daß er etwas laͤstig war. Die gute Mutter war dagegen etwas taub, und nicht, wie er, auf die Ehre eifersuͤchtig, den Herrn Grafen zu unterhalten. Die Mutter kam hinzu, die gluͤcklichen Leute drangen in mich, den Abend laͤnger unter ihnen zu bleiben; ich durfte keine Minute weilen: ich sah schon den aufgehenden Mond am Horizonte daͤm¬ mern. — Meine Zeit war um. — Am naͤchsten Abend ging ich wieder nach dem Foͤrstergarten. Ich hatte den Mantel weit uͤber die Schulter geworfen, den Hut tief in die Au¬ gen gedruͤckt, ich ging auf Mina zu; wie sie auf¬ sah, und mich anblickte, machte sie eine unwill¬ kuͤhrliche Bewegung; da stand mir wieder klar vor der Seele die Erscheinung jener schaurigen Nacht, wo ich mich im Mondschein ohne Schatten ge¬ zeigt. Sie war es wirklich. Hatte sie mich aber auch jetzt erkannt? Sie war still und gedanken¬ voll — mir lag es zentnerschwer auf der Brust — Ich stand von meinem Sitz auf. Sie warf sich stille weinend an meine Brust. Ich ging. Nun fand ich sie oͤfters in Thraͤnen; mir ward's finster und finsterer um die Seele, — nur die Eltern schwammen in unuͤberschwaͤnglicher Gluͤckseligkeit; der verhaͤngnißvolle Tag ruͤckte her¬ an, bang und dumpf, wie eine Gewitterwolke. Der Vorabend war da — ich konnte kaum mehr athmen. Ich hatte vorsorglich einige Kisten mit Gold angefuͤllt, ich wachte die zwoͤlfte Stunde heran. — Sie schlug. — Nun saß ich da, das Auge auf die Zeiger der Uhr gerichtet, die Sekunden, die Minuten zaͤhlend, wie Dolchstiche. Bei jedem Laͤrm, der sich regte, fuhr ich auf, der Tag brach an. Die bleiernen Stunden verdraͤngten einander, es ward Mittag, Abend, Nacht; es ruͤckten die Zeiger, welkte die Hoffnung; es schlug eilf, und nichts erschien; die letzten Minuten der letzten Stunde fielen, und nichts erschien, es schlug der erste Schlag, der letzte Schlag der zwoͤlften Stunde, und ich sank hoffnungslos in unendlichen Thraͤnen auf mein Lager zuruͤck. Morgen sollt' ich — auf immer schattenlos, um die Hand der Geliebten an¬ halten; banger Schlaf druͤckte mir gegen den Morgen die Augen zu. V. E s war noch fruͤh, als mich Stimmen weckten, die sich in meinem Vorzimmer, in hef¬ tigem Wortwechsel erhoben. Ich horchte auf. — Bendel verbot meine Thuͤr; Rascal schwur hoch und theuer, keine Befehle von seines Glei¬ chen anzunehmen, und bestand darauf, in meine Zimmer einzudringen. Der guͤtige Bendel ver¬ wies ihm, daß solche Worte, falls sie zu meinen Ohren kaͤmen, ihn um einen vortheilhaften Dienst bringen wuͤrden. Rascal drohte Hand an ihn zu legen, wenn er ihm den Eingang noch laͤnger vertreten wollte. — Ich hatte mich halb angezogen, ich riß zornig die Thuͤr auf, und fuhr auf Rascal’n zu — “Was willst Du Schurke – – – –,„ er trat zwei Schritte zuruͤck, und antwortete ganz kalt: “Sie unterthaͤnigst bitten, Herr Graf, mir doch einmal Ihren Schatten sehen zu lassen, — die Sonne scheint eben so schoͤn auf dem Hofe. —„ Ich war wie vom Donner geruͤhrt. Es dauerte lange, bis ich die Sprache wieder fand. — “Wie kann ein Knecht gegen seinen Herrn – – ?„ Er fiel mir ganz ruhig in die Rede: “Ein Knecht kann ein sehr ehrlicher Mann seyn und einem Schattenlosen nicht dienen wollen, ich fordre mei¬ ne Entlassung.„ Ich mußte andre Saiten auf¬ ziehen. “Aber Rascal , lieber Rascal , wer hat Dich auf die ungluͤckliche Idee gebracht, wie kannst Du denken – – – –?„ er fuhr im selben Tone fort: “Es wollen Leute behaupten, Sie haͤtten keinen Schatten — und kurz, Sie zeigen mir Ihren Schatten, oder geben mir meine Ent¬ lassung.„ Bendel , bleich und zitternd, aber besonne¬ ner als ich, machte mir ein Zeichen, ich nahm zu dem Alles beschwichtigenden Golde meine Zuflucht, — auch das hatte seine Macht verloren — er warf's mir vor die Fuͤße; “von einem Schattenlosen nehme ich nichts an.„ Er kehrte mir den Ruͤcken und ging, den Hut auf dem Kopf, ein Liedchen pfei¬ fend, langsam aus dem Zimmer. Ich stand mit Bendel da wie versteint, gedanken- und re¬ gungslos ihm nachsehend. Schwer — aufseufzend, und den Tod im Herzen, schickt' ich mich endlich an, mein Wort zu loͤsen, und, wie ein Verbrecher vor seinen Rich¬ tern, in dem Foͤrstergarten zu erscheinen. Ich stieg in der dunklen Laube ab, welche nach mir benannt war, und wo sie mich auch diesmal er¬ warten mußten. Die Mutter kam mir sorgenfrei und freudig entgegen. Mina saß da, bleich und schoͤn, wie der erste Schnee, der manchmal im Herbste die letzten Blumen kuͤßt, und gleich in bitt’res Wasser zerfließen wird. Der Forstmeister, ein geschriebenes Blatt in der Hand, ging heftig auf und ab, und schien Vieles in sich zu unter¬ druͤcken, was mit fliegender Roͤthe und Blaͤsse wechselnd, sich auf seinem sonst unbeweglichen Ge¬ sichte malte. Er kam auf mich zu, als ich her¬ eintrat, und verlangte mit oft unterbrochenen Wor¬ ten, mich allein zu sprechen. Der Gang, auf den er mich, ihm zu folgen, einlud, fuͤhrte nach ei¬ nem freien, besonnten Theile des Gartens — ich ließ mich stumm auf einen Sitz nieder, und es erfolgte ein langes Schweigen, das selbst die gute Mutter nicht zu unterbrechen wagte. Der Forstmeister stuͤrmte immer noch unglei¬ chen Schrittes die Laube auf und ab, er stand mit einem Mal vor mir still, blickte ins Papier, das er hielt, und fragte mich mit pruͤfendem Blick: “Sollte Ihnen, Herr Graf, ein gewisser Peter Schlemihl wirklich nicht unbekannt seyn?„ Ich schwieg — “ein Mann von vorzuͤglichem Cha¬ rakter und von besonderen Gaben.„ Er erwar¬ tete eine Antwort. — “Und wenn ich selber der Mann waͤre?„ “dem,„ fuͤgte er heftig hinzu, “sein Schatten abhanden gekommen ist!!„ “O meine Ahnung, meine Ahnung,„ rief Mina aus, “ja, ich weiß es laͤngst, er hat keinen Schat¬ ten!„ und sie warf sich in die Arme der Mut¬ ter, welche erschreckt, sie krampfhaft an sich schlies¬ send, ihr Vorwuͤrfe machte, daß sie zum Unheil solch ein Geheimniß in sich verschlossen. Sie aber war, wie Arethusa, in einen Thraͤnenquell ge¬ wandelt, der beim Klang meiner Stimme haͤufiger floß, und bei meinem Nahen stuͤrmisch aufbrauste. “Und Sie haben,„ hub der Forstmeister grimmig wieder an, “und Sie haben mit uner¬ hoͤrter Frechheit diese und mich zu betruͤgen keinen Anstand genommen; und Sie gaben vor, sie zu lieben, die Sie so weit herunter gebracht haben, sehen Sie, wie sie da weint und ringt. O schreck¬ lich! schrecklich! —„ Ich hatte dergestalt alle Besinnung verloren, daß ich, wie irre redend, anfing: Es waͤre doch am Ende ein Schatten, nichts als ein Schatten, man koͤnne auch ohne das fertig werden, und es waͤre nicht der Muͤhe werth, solchen Laͤrm davon zu er¬ heben. Aber ich fuͤhlte so sehr den Ungrund von dem, was ich sprach, daß ich von selbst aufhoͤrte, ohne daß er mich einer Antwort gewuͤrdigt. Ich fuͤgte noch hinzu: was man einmal verloren, koͤn¬ ne man ein andermal wieder finden. Er fuhr mich zornig an. — “Gestehen Sie mir's, mein Herr, gestehen Sie mir's, wie sind Sie um ihren Schatten gekommen?„ Ich mußte wieder luͤgen: “Es trat mir dereinst ein unge¬ schlachter Mann so flaͤmisch in meinen Schatten, daß er ein großes Loch darein riß — ich habe ihn nur zum Ausbessern gegeben, denn Gold vermag viel, ich habe ihn schon gestern wieder bekommen sollen. –„ “Wohl, mein Herr, ganz wohl!„ erwiederte der Forstmeister, “Sie werben um meine Toch¬ ter, das thun auch Andere, ich habe als ein Va¬ ter fuͤr sie zu sorgen, ich gebe Ihnen drei Tage Frist, binnen welcher Sie sich nach einem Schat¬ ten umthun moͤgen; erscheinen Sie binnen drei Tage vor mir mit einem wohlangepaßten Schat¬ ten, so sollen Sie mir willkommen seyn; am vier¬ ten Tage aber — das sag' ich Ihnen, — ist meine Tochter die Frau eines Andern. —„ Ich wollte noch versuchen, ein Wort an Mina zu richten, aber sie schloß sich, heftiger schluchzend, fester an ihre Mutter, und diese winkte mir still¬ schweigend, mich zu entfernen. Ich schwankte hinweg, und mir war's, als schloͤße sich hinter mir die Welt zu. Der liebevollen Aufsicht Bendel 's entsprun¬ gen, durchschweifte ich in irrem Lauf Waͤlder und Fluren. Angstschweiß trof von meiner Stirne, ein dumpftes Stoͤhnen entrang sich meiner Brust, in mir tobte Wahnsinn. — Ich weiß nicht, wie lange es so gedauert ha¬ ben mochte, als ich mich auf einer sonnigen Heide beim Ärmel anhalten fuͤhlte. — Ich stand still und sah mich um — — es war der Mann im grauen Rock, der sich nach mir außer Athem ge¬ laufen zu haben schien. Er nahm sogleich das Wort: “Ich hatte mich auf dem heutigen Tage an¬ gemeldet, Sie haben die Zeit nicht erwarten koͤn¬ nen. Es steht aber Alles noch gut, Sie nehmen Rath an, tauschen Ihren Schatten wieder ein, der Ihnen zu Gebote steht, und kehren sogleich wie¬ der um. Sie sollen in dem Foͤrstergarten willkom¬ men seyn, und Alles ist nur ein Scherz gewesen; den Rascal , der Sie verrathen hat, und um Ihre Braut wirbt, nehm' ich auf mich, der Kerl ist reif.„ Ich stand noch wie im Schlafe da. — “Auf den heutigen Tag angemeldet —?„ ich uͤberdachte noch einmal die Zeit — er hatte Recht, ich hatte mich stets um einen Tag verrechnet. Ich suchte mit der rechten Hand nach dem Seckel auf mei¬ ner Brust, — er errieth meine Meinung, und trat zwei Schritte zuruͤck. “Nein, Herr Graf, der ist in zu guten Haͤnden, den behalten Sie. —„ Ich sah ihn mit stieren Augen, verwundert fragend an, er fuhr fort: “Ich erbitte mir blos eine Kleinigkeit zum Andenken: Sie sind nur so gut, und unterschrei¬ ben mir den Zettel da.„ — auf dem Pergament standen die Worte: “Kraft dieser meiner Unterschrift vermache ich dem Inhaber dieses meine Seele nach ihrer natuͤrlichen Trennung von meinem Leibe.„ Ich sah mit stummen Staunen die Schrift und den grauen Unbekannten abwechselnd an. — Er hatte unterdessen mit einer neu geschnittenen Feder einen Tropfen Bluts aufgefangen, der mir aus einem frischen Dornenriß auf die Hand floß, und hielt sie mir hin. — “Wer sind Sie denn?„ frug ich ihn end¬ lich: “was thut's,„ gab er mir zur Antwort, “und sieht man es mir nicht an? ein armer Teufel, gleichsam so eine Art von Gelehrten und Physikus, der von seinen Freunden fuͤr vortreff¬ liche Kuͤnste schlechten Dank erntet, und fuͤr sich selber auf Erden keinen andern Spaß hat, als sein Bißchen Experimentiren — aber unterschrei¬ ben Sie doch. Rechts, da unten. Peter Schlemihl .„ — Ich schuͤttelte mit dem Kopf, und sagte: “Verzeihen Sie, mein Herr, das unterschreibe ich nicht.„ — “Nicht!„ wiederholte er verwun¬ dert, “und warum nicht?„ — “Es scheint mir doch gewissermassen bedenk¬ lich, meine Seele an meinen Schatten zu sez¬ zen. — —„ “So, so!„ wiederholte er, “be¬ denklich,„ und er brach in ein lautes Gelaͤchter gegen mich aus. “Und, wenn ich fragen darf, was ist denn das fuͤr ein Ding, Ihre Seele? ha¬ ben Sie es je gesehen, und was denken Sie da¬ mit anzufangen, wenn Sie einst todt sind. Seien Sie doch froh, einen Liebhaber zu finden, der Ih¬ nen bei Lebenszeit noch, den Nachlaß dieses X. , dieser galvanischen Kraft oder polarisirenden Wirk¬ samkeit, samkeit, und was alles das naͤrrische Ding seyn soll, mit etwas Wirklichem bezahlen will, nemlich mit Ihrem leibhaftigen Schatten, durch den Sie zu der Hand Ihrer Geliebten und zu der Erfuͤl¬ lung aller Ihrer Wuͤnsche gelangen koͤnnen. Wol¬ len Sie lieber selbst das arme junge Blut dem niedertraͤchtigen Schurken, dem Rascal zustoßen und ausliefern? — Nein, das muͤssen Sie doch mit eigenen Augen ansehen; kommen Sie, ich leihe Ihnen die Tarnkappe hier,„ (er zog etwas aus der Tasche) “und wir wallfahrten ungesehen nach dem Foͤrstergarten. —„ Ich muß gestehen, daß ich mich uͤberaus schaͤmte, von diesem Manne ausgelacht zu werden. Er war mir von Herzensgrunde verhaßt, und ich glaube, daß mich dieser persoͤnliche Widerwille mehr als Grundsaͤtze oder Vorurtheile abhielt, mei¬ nen Schatten, so nothwendig er mir auch war, mit der begehrten Unterschrift zu erkaufen. Auch war mir der Gedanke unertraͤglich, den Gang, den er mir antrug, in seiner Gesellschaft zu unterneh¬ men. Diesen haͤßlichen Schleicher, diesen hohn¬ laͤchelnden Kobold, zwischen mich und meine Ge¬ E liebte, zwei blutig zerrissene Herzen, spoͤttisch hin¬ treten zu sehen, empoͤrte mein innigstes Gefuͤhl. Ich nahm, was geschehen war, als verhaͤngt an, mein Elend als unabwendbar, und mich zu dem Manne kehrend, sagte ich ihm: “Mein Herr, ich habe Ihnen meinen Schat¬ ten fuͤr diesen, an sich sehr vorzuͤglichen Seckel verkauft, und es hat mich genug gereut. Kann der Handel zuruͤckgehen, in Gottes Namen!„ Er schuͤttelte mit dem Kopf und zog ein sehr finsteres Gesicht. Ich fuhr fort: — “So will ich Ih¬ nen auch weiter nichts von meiner Habe verkau¬ fen, sei es auch um den angebotenen Preis meines Schattens, und unterschreibe also nichts. Daraus laͤßt sich auch abnehmen, daß die Verkappung, zu der Sie mich einladen, ungleich belustigender fuͤr Sie als fuͤr mich ausfallen muͤßte; halten Sie mich also fuͤr entschuldigt, und da es einmal nicht anders ist, — laßt uns scheiden!„ — “Es ist mir leid, Monsieur Schlemihl , daß Sie eigensinnig das Geschaͤft von der Hand weisen, das ich Ihnen freundschaftlich anbot. In¬ dessen, vielleicht bin ich ein andermal gluͤcklicher. Auf baldiges Wiedersehen! — A propos, erlau¬ ben Sie mir noch, Ihnen zu zeigen, daß ich die Sachen, die ich kaufe, keinesweges verschimmeln lasse, sondern in Ehren halte, und daß sie bei mir gut aufgehoben sind.„ — Er zog sogleich meinen Schatten aus seiner Tasche, und ihn mit einem geschickten Wurf auf der Haide entfaltend, breitete er ihn auf der Son¬ nenseite zu seinen Fuͤßen aus, so daß er zwischen den beiden ihm aufwartenden Schatten, dem mei¬ nen und dem seinen, daher ging, denn meiner mußte ihm gleichfalls gehorchen und nach allen sei¬ nen Bewegungen sich richten und bequemen. Als ich nach so langer Zeit einmal meinen armen Schatten wieder sah’, und ihn zu solchem schnoͤden Dienst herabgewuͤrdigt fand, eben als ich um seinetwillen in so namenloser Noth war, da brach mir das Herz, und ich fing bitterlich zu weinen an. Der Verhaßte stolzirte mit dem mir abgejagten Raub, und erneuerte unverschaͤmt sei¬ nen Antrag: E2 “Noch ist er fuͤr Sie zu haben, ein Feder¬ zug, und sie retten damit die arme ungluͤckliche Mina aus des Schuftes Klauen in des hochge¬ ehrten Herrn Grafen Arme — wie gesagt, nur ein Federzug.„ Meine Thraͤnen brachen mit er¬ neuter Kraft hervor, aber ich wandte mich weg, und winkte ihm, sich zu entfernen. Bendel , der voller Sorgen meine Spuren bis hieher verfolgt hatte, traf in diesem Augen¬ blick ein. Als mich die treue fromme Seele wei¬ nend fand, und meinen Schatten, denn er war nicht zu verkennen, in der Gewalt des wunderli¬ chen grauen Unbekannten sah, beschloß er gleich, sei es auch mit Gewalt, mich in den Besitz mei¬ nes Eigenthums wieder herzustellen, und da er selbst mit dem zarten Dinge nicht umzugehen ver¬ stand, griff er gleich den Mann mit Worten an, und ohne vieles Fragen, gebot er ihm stracks, mir das Meine unverzuͤglich verabfolgen zu las¬ sen. Dieser, statt aller Antwort, kehrte dem un¬ schuldigen Burschen den Ruͤcken und ging. Ben¬ del aber erhob den Kreuzdornknuͤttel, den er trug, und, ihm auf den Fersen folgend, ließ er ihn scho¬ nungslos unter wiederholtem Befehl, den Schat¬ ten herzugeben, die volle Kraft seines nervigten Armes fuͤhlen. Jener, als sei er solcher Be¬ handlung gewohnt, buͤckte den Kopf, woͤlbte die Schultern, und zog stillschweigend ruhigen Schrit¬ tes seinen Weg uͤber die Haide weiter, mir mei¬ nen Schatten zugleich und meinen treuen Diener entfuͤhrend. Ich hoͤrte lange noch den dumpfen Schall durch die Einoͤde droͤnen, bis er sich end¬ lich in der Entfernung verlor. Einsam war ich wie vorher mit meinem Ungluͤck. VI. A llein zuruͤckgeblieben auf der oͤden Haide, ließ ich unendlichen Thraͤnen freien Lauf, mein armes Herz von namenloser banger Last erleich¬ ternd. Aber ich sah meinem unuͤberschwaͤnglichen Elend keine Grenzen, keinen Ausgang, kein Ziel, und ich sog besonders mit grimmigem Durst an dem neuen Gifte, das der Unbekannte in meine Wunden gegossen. Als ich Minas Bild vor meine Seele rief, und die geliebte, suͤße Gestalt bleich und in Thraͤnen mir erschien, wie ich sie zuletzt in meiner Schmach gesehen, da trat frech und hoͤhnend Rascal's Schemen zwischen sie und mich, ich verhuͤllte mein Gesicht, und floh durch die Einoͤde, aber die scheußliche Erscheinung gab mich nicht frei, sondern verfolgte mich im Laufe, bis ich athemlos an den Boden sank, und die Erde mit erneuertem Thraͤnenquell befeuchtete. Und alles um einen Schatten! und diesen Schatten haͤtte mir ein Federzug wieder erworben. Ich uͤberdachte den befremdenden Antrag und mei¬ ne Weigerung. Es war wuͤst in mir, ich hatte weder Urtheil noch Fassungsvermoͤgen mehr. Der Tag verging. Ich stillte meinen Hun¬ ger mit wilden Fruͤchten, meinen Durst im naͤch¬ sten Bergstrom; die Nacht brach ein, ich lagerte mich unter einem Baum. Der feuchte Morgen weckte mich aus einem schweren Schlaf, in dem ich mich selber wie im Tode roͤcheln hoͤrte. Ben¬ del mußte meine Spur verloren haben, und es freute mich, es zu denken. Ich wollte nicht un¬ ter die Menschen zuruͤckkehren, vor welchen ich schreckhaft floh, wie das scheue Wild des Gebir¬ ges. So verlebte ich drei bange Tage. Ich befand mich am Morgen des vierten auf einer sandigen Ebene, welche die Sonne be¬ schien, und saß auf Felsentruͤmmern in ihrem Stral, denn ich liebte jetzt ihren lang' entbehrten Anblick zu genießen. Ich naͤhrte still mein Herz mit seiner Verzweiflung. Da schreckte mich ein leises Geraͤusch auf, ich warf, zur Flucht bereit, den Blick um mich her, ich sah Niemand: aber es kam auf dem sonnigen Sande an mir vorbei geglitten ein Menschenschatten, dem meinigen nicht unaͤhnlich, welcher, allein daher wandelnd, von seinem Herrn abgekommen zu seyn schien. Da erwachte in mir ein maͤchtiger Trieb: Schatten, dacht' ich, suchst du deinen Herrn? der will ich seyn. Und ich sprang hinzu, mich seiner zu bemaͤchtigen; ich dachte nemlich, daß, wenn es mir gluͤckte, in seine Spur zu treten, so, daß er mir an die Fuͤße kaͤme, er wohl daran haͤngen bleiben wuͤrde, und sich mit der Zeit an mich ge¬ woͤhnen. Der Schatten, auf meine Bewegung, nahm vor mir die Flucht, und ich mußte auf den leich¬ ten Fluͤchtling eine angestrengte Jagd beginnen, zu der mich allein der Gedanke, mich aus der furchtbaren Lage, in der ich war, zu retten, mit hinreichenden Kraͤften ausruͤsten konnte. Er floh einem freilich noch entfernten Walde zu, in dessen Schatten ich ihn nothwendig haͤtte verlie¬ ren muͤssen, — ich sah’s, ein Schreck durchzuckte mir das Herz, fachte meine Begierde an, befluͤ¬ gelte meinen L a uf — ich gewann sichtbarlich auf den Schatten, ich kam ihm nach und nach naͤher, ich mußte ihn erreichen. Nun hielt er ploͤtzlich an, und kehrte sich nach mir um. Wie der Loͤwe auf seine Beute, so schoß ich mit einem gewaltigen Sprunge hinzu, um ihn in Besitz zu nehmen — und traf unerwartet und hart auf koͤrperlichen Widerstand. Es wurden mir unsichtbar die un¬ erhoͤrtesten Rippenstoͤße ertheilt, die wohl je ein Mensch gefuͤhlt hat. Die Wirkung des Schreckens war in mir, die Arme krampfhaft zuzuschlagen und fest zu druͤcken, was ungesehen vor mir stand. Ich stuͤrzte in der schnellen Handlung vorwaͤrts gestreckt auf den Boden: ruͤckwaͤrts aber unter mir ein Mensch, den ich umfaßt hielt, und der jetzt erst sichtbar erschien. Nun ward mir auch das ganze Ereigniß sehr natuͤrlich erklaͤrbar. Der Mann mußte das un¬ sichtbare Vogelnest, welches den, der es haͤlt, nicht aber seinen Schatten, unsichtbar macht, erst ge¬ tragen und jetzt weggeworfen haben. Ich spaͤhete mit dem Blick umher, entdeckte gar bald den Schatten des unsichtbaren Nestes selbst, sprang auf und hinzu, und verfehlte nicht den theuern Raub. Ich hielt unsichtbar, schattenlos das Nest in Haͤnden. Der schnell sich aufrichtende Mann, sich so¬ gleich nach seinem begluͤckten Bezwinger umsehend, erblickte auf der weiten sonnigen Ebene weder ihn noch dessen Schatten, nach dem er besonders aͤngst¬ lich umherlauschte. Denn daß ich an und fuͤr mich schattenlos war, hatte er vorher nicht Muße gehabt zu bemerken, und konnte es nicht vermu¬ then. Als er sich uͤberzeugt’, daß jede Spur ver¬ schwunden, kehrte er in der hoͤchsten Verzweiflung die Hand gegen sich selber und raufte sich das Haar aus. Mir aber gab der errungene Schatz die Moͤglichkeit und die Begierde zugleich, mich wieder unter die Menschen zu mischen. Es fehlte mir nicht an Vorwand gegen mich selber, mei¬ nen schnoͤden Raub zu beschoͤnigen, oder vielmehr, ich bedurfte solcher nicht, und jedem Gedanken der Art zu entweichen, eilte ich hinweg, nach dem Un¬ gluͤcklichen nicht zuruͤckschauend, dessen aͤngstliche Stimme ich mir noch lange nachschallen hoͤrte. So wenigstens kamen mir damals alle Umstaͤnde dieses Ereignisses vor. Ich brannte nach dem Foͤrstergarten zu ge¬ hen, und durch mich selbst die Wahrheit dessen zu erkennen, was mir jener Verhaßte verkuͤndigt hat¬ te; ich wußte aber nicht, wo ich war, ich be¬ stieg, um mich in der Gegend um zu schauen, den naͤchsten Huͤgel, ich sah von seinem Gipfel das nahe Staͤdtchen und den Foͤrstergarten zu meinen Fuͤßen liegen. — Heftig klopfte mir das Herz, und Thraͤnen einer andern Art, als die ich bis dahin vergossen, traten mir in die Augen, ich sollte sie wiedersehen. — Bange Sehnsucht beschleunigte meine Schritte auf dem richtigsten Pfad hinab. Ich kam ungesehen an einigen Bauern vorbei, die aus der Stadt kamen. Sie sprachen von mir, Rascal’n und dem Foͤrster; ich wollte nichts anhoͤren, ich eilte voruͤber. Ich trat in den Garten, alle Schauer der Erwartung in der Brust — mir schallte es wie ein Lachen entgegen, mich schauderte, ich warf ei¬ nen schnellen Blick um mich her; ich konnte Nie¬ manden entdecken. Ich schritt weiter vor, mir war's, als vernaͤhme ich neben mir ein Geraͤusch wie von Menschentritten; es war aber nichts zu sehen: ich dachte mich von meinem Ohre getaͤuscht. Es war noch fruͤh, Niemand in Graf Peter's Laube, noch leer der Garten; ich durchschweifte die bekannten Gaͤnge, ich drang bis nach dem Wohnhause vor. Dasselbe Geraͤusch verfolgte mich vernehmlicher. Ich setzte mich mit angstvollem Herzen auf eine Bank, die im sonnigen Raume der Hausthuͤr gegen uͤber stand. Es ward mir, als hoͤrte ich den ungesehenen Kobold sich hohnlachend neben mich setzen. Der Schluͤssel ward in der Thuͤr gedreht, sie ging auf, der Forstmeister trat heraus, mit Papieren in der Hand. Ich fuͤhlte mir wie Nebel uͤber den Kopf zieh'n, ich sah mich um, und — Entsetzen! — der Mann im grauen Rock saß neben mir, mit satanischem Laͤcheln auf mich blickend. — Er hatte mir seine Tarnkappe mit uͤber den Kopf gezogen, zu seinen Fuͤßen la¬ gen sein und mein Schatten friedlich neben ein¬ ander; er spielte nachlaͤßig mit dem bekannten Pergament, das er in der Hand hielt, und, in¬ dem der Forstmeister mit den Papieren beschaͤftigt im Schatten der Laube auf- und abging — beugte er sich vertraulich zu meinem Ohr und fluͤ¬ sterte mir die Worte: “So haͤtten Sie denn doch meine Einladung angenommen, und da saͤßen wir einmal zwei Koͤpfe unter einer Kappe! — Schon recht! schon recht! Nun geben Sie mir aber auch mein Vo¬ gelnest zuruͤck, Sie brauchen es nicht mehr, und sind ein zu ehrlicher Mann, um es mir vorent¬ halten zu wollen — doch keinen Dank dafuͤr, ich versichere Sie, daß ich es Ihnen von Herzen gern geliehen habe.„ — Er nahm es unwei¬ gerlich aus meiner Hand, steckte es in die Tasche und lachte mich abermals aus, und zwar so laut, daß sich der Forstmeister nach dem Geraͤusch um¬ sah. — Ich saß wie versteinert da. “Sie muͤssen mir doch gestehen,„ fuhr er fort, “daß so eine Kappe viel bequemer ist. Sie deckt doch nicht nur ihren Mann, sondern auch seinen Schatten mit, und noch so viele an¬ dere, als er mit zu nehmen Lust hat. Sehen Sie, heute fuͤhr' ich wieder ihrer zwei. —„ Er lachte wieder. “Merken Sie Sich's, Schle ¬ mihl , was man Anfangs mit Gutem nicht will, das muß man am Ende doch gezwungen. Ich daͤchte noch, Sie kauften mir das Ding ab, neh¬ men die Braut zuruͤck, (denn noch ist es Zeit) und wir ließen den Rascal am Galgen bau¬ meln, das wird uns ein Leichtes, so lange es am Stricke nicht fehlt — Hoͤren Sie, ich gebe Ih¬ nen noch meine Muͤtze in den Kauf.„ Die Mutter trat heraus und das Gespraͤch begann. — “Was macht Mina ? —„ “Sie weint.„ — “Einfaͤltiges Kind! es ist doch nicht zu aͤndern!„ — “Freilich nicht; aber sie so fruͤh einem Andern zu geben – – – O Mann, Du bist grausam gegen Dein eigenes Kind.„ — “Nein, Mutter, das siehst Du sehr falsch. Wenn sie, noch bevor sie ihre doch kindischen Thraͤnen ausge¬ weint hat, sich als die Frau eines sehr reichen und geehrten Mannes findet, wird sie getroͤstet aus ihrem Schmerze wie aus einem Traum er¬ wachen, und Gott und uns danken, das wirst Du sehen!„ — “Gott gebe es!„ — “Sie besitzt freilich jetzt sehr ansehnliche Guͤter; aber nach dem Aufsehen, das die ungluͤckliche Geschichte mit dem Abentheurer gemacht hat, glaubst Du, daß sich sobald eine andere, fuͤr sie so passende Partie, als der Herr Rascal , finden moͤchte? Weißt Du, was fuͤr ein Vermoͤgen er besitzt, der Herr Rascal ? Er hat fuͤr sechs Millionen Guͤter hier im Lande, frei von allen Schulden, baar bezahlt. Ich habe die Dokumente in Haͤn¬ den gehabt; er war's, der mir uͤberall das Beste vorweg genommen hat; und außerdem im Porte feuille Papiere auf Thomas John fuͤr circa viertehalb Millionen.„ — “Er muß sehr viel gestolen haben.„ — “Was sind das wieder fuͤr Reden! Er hat weislich gespart, wo verschwen¬ det wurde.„ — “Ein Mann, der die Livree ge¬ tragen hat!„ — “Dummes Zeug! er hat doch einen untadlichen Schatten.„ — “Du hast Recht, aber – – –„ Der Mann im grauen Rock lachte und sah mich an. Die Thuͤre ging auf, und Mina trat heraus. Sie stuͤtzte sich auf den Arm einer Kam¬ merfrau, stille Thraͤnen flossen auf ihren schoͤnen blassen Wangen. Sie setzte sich in einen Sessel, der fuͤr sie unter den Linden bereitet war, und ihr Vater nahm einen Stuhl neben ihr. Er faßte zaͤrtlich ihre Hand, und redete sie, die heftiger zu weinen anfing, mit zarten Worten an: “Du bist mein gutes, liebes Kind, Du wirst auch vernuͤnftig seyn, wirst nicht Deinen alten Vater betruͤben wollen, der nur Dein Gluͤck will; ich begreife es wohl, liebes Herz, daß es Dich sehr erschuͤttert hat, Du bist wunderbar Deinem Ungluͤck entkommen! Bevor wir den schaͤndlichen Betrug entdeckt, hast Du diesen Unwuͤrdigen sehr geliebt; siehe Mina , ich weiß es, und mache Dir keine Vorwuͤrfe daruͤber. Ich selber, liebes Kind, ha¬ be ihn auch geliebt, so lange ich ihn fuͤr einen großen Herrn angesehen habe. Nun siehst Du sel¬ ber ein, wie anders Alles geworden. Was! ein jeder Pudel hat ja seinen Schatten, und mein lie¬ bes einziges Kind sollte einen Mann ‑ ‑ ‑ Nein, Du denkst auch gar nicht mehr an ihn. — Hoͤre, Mina , nun wirbt ein Mann um Dich, der die Sonne nicht scheut, ein geehrter Mann, der frei¬ lich kein Fuͤrst ist, aber zehn Millionen, zehnmal mehr mehr als Du in Vermoͤgen besitzt, ein Mann, der mein liebes Kind gluͤcklich machen wird. Erwie¬ dere mir nichts, widersetze Dich nicht, sei meine gute gehorsame Tochter, laß Deinen liebenden Vater fuͤr Dich sorgen, Deine Thraͤnen trocknen. Versprich mir, dem Herrn Rascal Deine Hand zu geben. — Sage, willst Du mir dies versprechen?„ — Sie antwortete mit erstorbener Stimme: “Ich habe keinen Willen, keinen Wunsch fuͤrder auf Erden. Geschehe mit mir, was mein Vater will.„ Zugleich ward Herr Rascal angemeldet, und trat frech in den Kreis. Mina lag in Ohn¬ macht. Mein verhaßter Gefaͤhrte blickte mich zor¬ nig an und fluͤsterte mir die schnellen Worte: “Und das konnten Sie erdulden! was fließt Ih¬ nen denn statt des Blutes in den Adern?„ Er ritzte mir mit einer raschen Bewegung eine leichte Wunde in die Hand, es floß Blut, er fuhr fort: “Wahrhaftig! rothes Blut! — So unterschrei¬ ben Sie!„ Ich hatte das Pergament und die Feder in Haͤnden. F VII. I ch werde mich Deinem Urtheile bloß stel¬ len, lieber Chamisso , und es nicht zu bestehen suchen. Ich selbst habe lange strenges Gericht an mir selber vollzogen, denn ich habe den quaͤlenden Wurm in meinem Herzen genaͤhrt. Es schwebte immerwaͤhrend dieser ernste Moment meines Le¬ bens vor meiner Seele, und ich vermocht' es nur zweifelnden Blickes, mit Demuth und Zerknir¬ schung anzuschauen — Lieber Freund, wer leicht¬ sinnig nur den Fuß aus der geraden Strasse setzt, der wird unversehens in andere Pfade abgefuͤhrt, die abwaͤrts und immer abwaͤrts ihn ziehen; er sieht dann umsonst die Leitsterne am Himmel schimmern, ihm bleibt keine Wahl, er muß un¬ aufhaltsam den Abhang hinab, und sich selbst der Nemesis opfern. Nach dem uͤbereilten Fehltritt, der den Fluch auf mich geladen, hatt' ich durch Liebe frevelnd in eines andern Wesens Schicksal mich gedraͤngt: was blieb mir uͤbrig, als wo ich Verderben gesaͤt, wo schnelle Rettung von mir ge¬ heischt ward, eben rettend blindlings hinzuzusprin¬ gen? denn die letzte Stunde schlug. — Denke nicht so niedrig von mir, mein Adalbert , als zu meinen, es haͤtte mich irgend ein geforderter Preis zu theuer geduͤnkt, ich haͤtte mit irgend Et¬ was, was nur mein war, mehr als eben mit Gold gekargt. — Nein, Adalbert ; aber mit unuͤber¬ windlichem Hasse gegen diesen raͤthselhaften Schlei¬ cher auf krummen Wegen, war meine Seele an¬ gefuͤllt. Ich mochte ihm Unrecht thun, doch em¬ poͤrte mich jede Gemeinschaft mit ihm. — Auch hier trat, wie so oft schon in mein Leben, und wie uͤberhaupt so oft in die Weltgeschichte, ein Ereigniß an die Stelle einer That. Spaͤter habe ich mich mit mir selber versoͤhnt. Ich habe erst¬ lich die Nothwendigkeit verehren lernen, und was ist mehr, als die gethanene That, das geschehene Ereigniß ihr Eigenthum! Dann hab' ich auch diese Nothwendigkeit als eine weise Fuͤgung verehren lernen, die durch das gesammte große Getrieb' weht, darin wir bloß als mitwirkende getriebene F 2 treibende Raͤder eingreifen; was seyn soll, muß ge¬ schehen, was seyn sollte, geschah, und nicht ohne jene Fuͤgung, die ich endlich noch in meinem Schick¬ sale, und dem Schicksale derer, die das meine mit angrif, verehren lernte. Ich weiß nicht, ob ich es der Spannung mei¬ ner Seele, unter dem Drange so maͤchtiger Em¬ pfindungen zuschreiben soll, ob der Erschoͤpfung meiner physischen Kraͤfte, die waͤhrend der letzten Tage ungewohntes Darben geschwaͤcht, ob endlich dem zerstoͤrenden Aufruhr, den die Naͤhe dieses grauen Unholdes in meiner ganzen Natur erregte; genug, es befiel mich, als es an das Unterschrei¬ ben ging, eine tiefe Ohnmacht, und ich lag eine lange Zeit wie in den Armen des Todes. Fußstampfen und Fluchen waren die ersten Toͤne, die mein Ohr trafen, als ich zum Bewußt¬ seyn zuruͤckkehrte; ich oͤffnete die Augen, es war dunkel, mein verhaßter Begleiter war scheltend um mich bemuͤht. “Heißt das nicht wie ein al¬ tes Weib sich auffuͤhren. — Man raffe sich auf, und vollziehe frisch, was man beschlossen, oder hat man sich anders besonnen, und will lieber grei¬ nen ?„ — Ich richtete mich muͤhsam auf von der Erde, wo ich lag, und schaute schweigend um mich. Es war spaͤter Abend, aus dem hellerleuch¬ teten Foͤrsterhause erscholl festliche Musik, einzel¬ ne Gruppen von Menschen wallten durch die Gaͤn¬ ge des Gartens. Ein Paar traten im Gespraͤche naͤher, und nahmen Platz auf der Bank, worauf ich fruͤher gesessen hatte. Sie unterhielten sich von der an diesem Morgen vollzogenen Verbindung des reichen Herrn Rascal mit der Tochter des Hau¬ ses. — Es war also geschehen. — Ich streifte mit der Hand die Tarnkappe des sogleich mir verschwindenden Unbekannten von mei¬ nem Haupte weg, und eilte stillschweigend, in die tiefste Nacht des Gebuͤsches mich versenkend, den Weg uͤber Graf Peter's Laube einschlagend, dem Ausgang des Gartens zu. Unsichtbar aber geleitete mich mein Plagegeist, mich mit scharfen Worten verfolgend. “Das ist also der Dank fuͤr die Muͤhe, die man genommen hat, Monsieur, der schwache Nerven hat, den langen lieben Tag hindurch zu pflegen. Und man soll den Narren im Spiele abgeben. Gut, Herr Trotzkopf fliehn Sie nur vor mir, wir sind doch unzertrennlich. Sie haben mein Gold und ich Ihren Schatten; das laͤßt uns beiden keine Ruhe — Hat man je gehoͤrt, daß ein Schatten von seinem Herrn ge¬ lassen haͤtte. Ihrer zieht mich Ihnen nach, bis Sie ihn wieder zu Gnaden annehmen, und ich ihn los bin. Was Sie versaͤumt haben, aus fri¬ scher Lust zu thun, werden Sie, nur zu spaͤt, aus Überdruß und Langeweile nachholen muͤssen; man entgeht seinem Schicksale nicht.„ Er sprach aus demselben Tone fort und fort; ich floh um¬ sonst, er ließ nicht nach, und immer gegenwaͤr¬ tig, redete hoͤhnend von Gold und Schatten. Ich konnte zu keinem eigenen Gedanken kommen. Ich hatte durch menschenleere Strassen einen Weg nach meinem Hause eingeschlagen. Als ich davor stand, und es ansah, konnte ich es kaum er¬ kennen; hinter den eingeschlagenen Fenstern brann¬ te kein Licht. Die Thuͤren waren zu, kein Die¬ nervolk regte sich mehr darin. Er lachte laut auf neben mir: “Ja, ja! so geht's; aber Ihren Bendel finden Sie wohl daheim, den hat man juͤngst vorsorglich so muͤde nach Hause geschickt, daß er es wohl seitdem gehuͤtet haben wird.„ Er lachte wieder. “Der wird Geschichten zu erzaͤhlen haben. — Wohlan denn! fuͤr heute gute Nacht, auf baldiges Wiedersehen.„ Ich hatte wiederholt geklingelt, es erschien Licht; Bendel frug von innen, wer geklingelt habe. Als der gute Mann meine Stimme er¬ kannte, konnte er seine Freude kaum baͤndigen, die Thuͤr' flog auf, wir lagen weinend einander in den Armen. Ich fand ihn sehr veraͤndert, schwach und krank; mir war aber das Haar ganz grau geworden. Er fuͤhrte mich durch die veroͤdeten Zimmer nach einem innern verschont gebliebenen Gemach; er holte Speise und Trank herbei, wir setzten uns, er fing wieder an zu weinen. Er erzaͤhlte mir, daß er letzthin den grau gekleideten duͤrren Mann, den er mit meinem Schatten angetroffen hatte, so lange und so weit geschlagen habe, bis er selbst meine Spur verloren und vor Muͤdigkeit hingesunken sei; daß nachher, wie er mich nicht wiederfinden gekonnt, er nach Hause zuruͤckgekehrt, wo bald darauf der Poͤbel, auf Rascal's Anstiften, her¬ an gestuͤrmt, die Fenster eingeschlagen, und seine Zerstoͤrungslust gebuͤßt. So haͤtten sie an ihren Wohlthaͤter gehandelt. Meine Dienerschaft war aus einander geflohen. Die oͤrtliche Polizei hatte mich als verdaͤchtig aus der Stadt verwiesen, und mir eine Frist von vier und zwanzig Stunden fest¬ gesetzt, um deren Gebiet zu verlassen. Zu dem, was mir von Rascal's Reichthum und Ver¬ maͤhlung bekannt war, wußte er noch Vieles hin¬ zuzufuͤgen. Dieser Boͤsewicht, von dem Alles aus¬ gegangen, was hier gegen mich geschehen war, mußte vom Anbeginn mein Geheimniß besessen haben, es schien, er habe, vom Golde angezogen, sich an mich zu draͤngen gewußt, und schon in der ersten Zeit einen Schluͤssel zu jenem Gold¬ schrank sich verschaft, wo er den Grund zu dem Vermoͤgen gelegt, den noch zu vermehren er jetzt verschmaͤhen konnte. Das Alles erzaͤhlte mir Bendel unter haͤu¬ figen Thraͤnen, und weinte dann wieder vor Freuden, daß er mich wieder sah, mich wieder hatte, und daß, nachdem er lange gezweifelt, wo¬ hin das Ungluͤck mich gebracht haben mochte, er mich es ruhig und gefaßt ertragen sah. Denn solche Gestaltung hatte nun die Verzweiflung in mir genommen. Ich sah mein Elend riesengroß, unwandelbar vor mir, ich hatte ihm meine Thraͤ¬ nen ausgeweint, es konnte kein Geschrei mehr aus meiner Brust pressen, ich trug ihm kalt und gleichguͤltig mein entbloͤßtes Haupt entgegen. “ Bendel ,„ hub ich an, “Du weißt mein Loos. Nicht ohne fruͤheres Verschulden trift mich schwere Strafe. Du sollst laͤnger nicht, unschul¬ diger Mann, Dein Schicksal an das meine bin¬ den, ich will es nicht. Ich reite die Nacht noch fort, sattle mir ein Pferd, ich reite allein; du bleibst, ich will's. Es muͤssen hier noch einige Kisten Goldes liegen, das behalte Du. Ich wer¬ de allein unstaͤt in der Welt wandern; wann mir aber je eine heitere Stunde wieder lacht, und das Gluͤck mich versoͤhnet anblickt, dann will ich Deiner getreu gedenken, denn ich habe an Deiner getreuen Brust in schweren schmerzlichen Stunden geweint.„ Mit gebrochenem Herzen mußte der Redliche diesem letzten Befehle seines Herrn, woruͤber er in der Seele erschrack, gehorchen, ich war seinen Bitten, seinen Vorstellungen taub, blind seinen Thraͤnen; er fuͤhrte mir das Pferd vor. Ich druͤckte noch einmal den Weinenden an meine Brust, schwang mich in den Sattel und entfernte mich unter dem Mantel der Nacht von dem Grabe meines Lebens, unbekuͤmmert, welchen Weg mein Pferd mich fuͤhren werde; denn ich hatte weiter auf Erden kein Ziel, keinen Wunsch, keine Hoffnung. VIII. E s gesellte sich bald ein Fußgaͤnger zu mir, welcher mich bat, nachdem er eine Weile neben meinem Pferde geschritten war, da wir doch den¬ selben Weg hielten, einen Mantel, den er trug, hinten auf mein Pferd legen zu duͤrfen, ich ließ es stillschweigend geschehen. Er dankte mir mit leichtem Anstand fuͤr den leichten Dienst, lobte mein Pferd, nahm daraus Gelegenheit, das Gluͤck und die Macht der Reichen hoch zu preisen, und ließ sich, ich weiß nicht wie, in eine Art von Selbstgespraͤch ein, bei dem er mich bloß zum Zu¬ hoͤrer hatte. Er entfaltete seine Ansichten von dem Leben und der Welt, und kam sehr bald auf die Meta¬ physik, an die die Forderung erging, das Wort auf¬ zufinden, das aller Raͤthsel Loͤsung sei. Er setzte die Aufgabe mit vieler Klarheit aus einander, und schritt fuͤrder zu deren Beantwortung. Du weißt, mein Freund, daß ich deutlich er¬ kannt habe, seitdem ich den Philosophen durch die Schule gelaufen, daß ich zur philosophischen Spe¬ kulation keinesweges berufen bin, und daß ich mir dieses Feld voͤllig abgesprochen habe; ich habe seit¬ her Vieles auf sich beruhen lasseu , Vieles zu wis¬ sen und zu begreifen Verzicht geleistet, und bin, wie Du es mir selber gerathen, meinem geraden Sinn vertrauend, der Stimme in mir, so viel es in meiner Macht gewesen, auf dem eigenen Weg gefolgt. Nun schien mir dieser Redekuͤnst¬ ler mit großem Talent ein fest gefuͤgtes Gebaͤude aufzufuͤhren, das in sich selbst begruͤndet sich em¬ por trug, und wie durch eine innere Nothwendig¬ keit bestand. Nur vermißt' ich ganz in ihm, was ich eben darin haͤtte suchen wollen, und so ward es mir zu einem bloßen Kunstwerk, dessen zierliche Geschlossenheit und Vollendung dem Auge allein zur Ergoͤtzung diente; aber ich hoͤrte dem wohlbe¬ redten Manne gerne zu, der meine Aufmerksam¬ keit von meinen Leiden auf sich selbst abgelenkt, und ich haͤtte mich ihm willig ergeben, wenn er meine Seele wie meinen Verstand in Anspruch genommen haͤtte. Mittlerweile war die Zeit hingegangen, und unbemerkt hatte schon die Morgendaͤmmerung den Himmel erhellt; ich erschrack, als ich mit einmal aufblickte, und im Osten die Pracht der Farben sich entfalten sah, die die nahe Sonne verkuͤnden, und gegen sie war in dieser Stunde, wo die Schlagschatten mit ihrer ganzen Ausdehnung prun¬ ken, kein Schutz, kein Bollwerk in der offenen Gegend zu erseh'n! und ich war nicht allein; ich warf einen Blick auf meinen Begleiter und erschrack wieder. — Es war kein anderer als der Mann im grauen Rock. Er laͤchelte uͤber meine Bestuͤrzung, und fuhr fort, ohne mich zum Wort kommen zu lassen: “Laßt uns doch, wie es einmal in der Welt Sitte ist, unsern wechselseitigen Vortheil uns auf eine Weile verbinden, zu scheiden haben wir immer noch Zeit. Die Strasse hier laͤngs dem Gebirge, ob Sie gleich noch nicht daran gedacht haben, ist doch die einzige, die Sie vernuͤnftiger Weise ein¬ schlagen koͤnnen; hinab in das Thal duͤrfen Sie nicht, und uͤber das Gebirg werden Sie noch we¬ niger zuruͤckkehren wollen, von wo Sie hergekom¬ men sind — diese ist auch gerade meine Strasse. — Ich sehe Sie schon vor der aufgehenden Sonne erblassen. Ich will Ihnen Ihren Schatten auf die Zeit unserer Gesellschaft leihen, und Sie dul¬ den mich dafuͤr in Ihrer Naͤhe; Sie haben so Ihren Bendel nicht mehr bei sich; ich will Ih¬ nen gute Dienste leisten. Sie lieben mich nicht, das ist mir leid. Sie koͤnnen mich darum doch benutzen. Der Teufel ist nicht so schwarz, als man ihn malt. Gestern haben Sie mich geaͤr¬ gert, das ist wahr, heute will ich’s Ihnen nicht nachtragen, und ich habe Ihnen schon den Weg bis hieher verkuͤrzt, das muͤssen sie selbst geste¬ hen — nehmen Sie doch nur einmal Ihren Schatten auf Probe wieder an.„ Die Sonne war aufgegangen, auf der Strasse kamen uns Menschen entgegen, ich nahm, obgleich mit innerlichem Widerwillen, den Antrag an. Er ließ laͤchelnd meinen Schatten zur Erde glei¬ ten, der alsbald seine Stelle auf des Pferdes Schatten einnahm, und lustig neben mir hertrabte. Mir war sehr seltsam zu Muth. Ich ritt an ei¬ nem Trupp Landleute vorbei, die vor einem wohl¬ habenden Mann ehrerbietig mit entbloͤßtem Haup¬ te Platz machten. Ich ritt weiter, und blickte gierigen Auges und klopfenden Herzens seitwaͤrts vom Pferde herab auf diesen sonst meinen Schat¬ ten, den ich jetzt von einem Fremden, ja von ei¬ nem Feinde, erborgt hatte. Dieser ging unbekuͤmmert neben her, und pfiff eben ein Liedchen. Er zu Fuß, ich zu Pferd', ein Schwindel ergriff mich, die Versuchung war zu groß, ich wandte ploͤtzlich die Zuͤgel, druͤckte beide Sporen an, und so in voller Karriere einen Seitenweg eingeschlagen, aber ich entfuͤhrte den Schatten nicht, der bei der Wendung vom Pfer¬ de glitt und seinen gesetzmaͤßigen Eigenthuͤmer auf der Landstrasse erwartete. Ich mußte beschaͤmt umlenken, der Mann im grauen Rocke, als er ungestoͤrt sein Liedchen zu Ende gebracht, lachte mich aus, setzte mir den Schatten wieder zurecht, und belehrte mich, er wuͤrde erst an mir festhangen und bei mir bleiben wollen, wann ich ihn wie¬ derum als rechtmaͤßiges Eigenthum besitzen wuͤrde. “Ich halte Sie,„ fuhr er fort, “am Schatten fest, und Sie kommen mir nicht loß. Ein rei¬ cher Mann, wie Sie, braucht einmal einen Schatten, das ist nicht anders, Sie sind nur darin zu tadeln, daß Sie es nicht fruͤher einge¬ sehen haben.„ — Ich setzte meine Reise auf derselben Strasse fort; es fanden sich bei mir alle Bequemlichkeiten des Lebens, und selbst ihre Pracht wieder ein; ich konnte mich frei und leicht bewegen, da ich ei¬ nen, obgleich nur erborgten, Schatten besaß, und ich floͤßte uͤberall die Ehrfurcht ein, die der Reich¬ thum gebietet; aber ich hatte den Tod im Herzen. Mein wundersamer Begleiter, der sich selbst fuͤr den unwuͤrdigen Diener des reichsten Mannes in der Welt ausgab, war von einer außerordentlichen Dienstfertigkeit, uͤber die Maßen gewandt und ge¬ schickt, der wahre Inbegrif eines Kammerdieners fuͤr einen reichen Mann, aber er wich nicht von meiner Seite, und fuͤhrte unaufhoͤrlich das Wort gegen mich, stets die groͤßte Zuversicht an den Tag Tag legend, daß ich endlich, sei es auch nur, um ihn los zu werden, den Handel mit dem Schatten abschließen wuͤrde. — Er war mir eben so laͤstig als verhaßt. Ich konnte mich ordentlich vor ihm fuͤrchten. Ich hatte mich von ihm abhaͤngig ge¬ macht. Er hielt mich, nachdem er mich in die Herrlichkeit der Welt, die ich floh, zuruͤck gefuͤhrt hatte. Ich mußte seine Beredsamkeit uͤber mich ergehen lassen, und fuͤhlte schier, er habe Recht. Ein Reicher muß in der Welt einen Schatten haben, und, sobald ich den Stand behaupten wollte, den er mich wieder geltend zu machen ver¬ leitet hatte, war nur ein Ausgang zu ersehen. Dieses aber stand bei mir fest, nachdem ich mei¬ ne Liebe hingeopfert, nachdem mir das Leben ver¬ blaßt war, wollt’ ich meine Seele nicht, sei es um alle Schatten der Welt, dieser Kreatur ver¬ schreiben. Ich wußte nicht, wie es enden sollte. Wir saßen einst vor einer Hoͤle, welche die Fremden, die das Gebirg’ bereisen, zu besuchen pflegen. Man hoͤrt dort das Gebrause unterirdi¬ scher Stroͤme aus ungemessener Tiefe heraufschal¬ len, und kein Grund scheint den Stein, den man G hineinwirft, in seinem hallenden Fall aufzuhal¬ ten. Er malte mir, wie er oͤfters that, mit verschwenderischer Einbildungskraft und im schim¬ mernden Reize der glaͤnzendsten Farben, sorgfaͤltig ausgefuͤhrte Bilder von dem, was ich in der Welt, Kraft meines Saͤckels, ausfuͤhren wuͤrde, wenn ich erst meinen Schatten wieder in meiner Gewalt haͤtte. Die Ellenbogen auf die Knie gestuͤtzt, hielt ich mein Gesicht in meinen Haͤnden verborgen, und hoͤrte dem Falschen zu, das Herz zwiefach getheilt zwischen der Verfuͤhrung und dem stren¬ gen Willen in mir. Ich konnte bei solchem in¬ nerlichen Zwiespalt laͤnger nicht ausdauern, und begann den entscheidenden Kampf: “Sie scheinen, mein Herr, zu vergessen, daß ich Ihnen zwar erlaubt habe, unter gewissen Be¬ dingungen in meiner Begleitung zu bleiben, daß ich mir aber meine voͤllige Freiheit vorbehalten habe.„ — “Wenn Sie befehlen, so pack' ich ein.„ Die Drohung war ihm gelaͤufig. Ich schwieg; er setzte sich gleich daran, meinen Schatten wieder zusammen zu rollen. Ich er¬ blaßte, aber ich ließ es stumm geschehen. Es er¬ folgte ein langes Stillschweigen. Er nahm zuerst das Wort: “Sie koͤnnen mich nicht leiden, mein Herr, Sie hassen mich, ich weiß es; doch warum has¬ sen Sie mich? Ist es etwa, weil Sie mich auf oͤffentlicher Strasse angefallen, und mir mein Vo¬ gelnest mit Gewalt zu rauben gemeint, oder ist es darum, daß Sie mein Gut, den Schatten, den Sie Ihrer bloßen Ehrlichkeit anvertraut glaub¬ ten, mir diebischer Weise zu entwenden gesucht haben? Ich meinerseits hasse Sie darum nicht; ich finde ganz natuͤrlich, daß Sie alle Ihre Vor¬ theile, List und Gewalt geltend zu machen suchen; daß Sie uͤbrigens die allerstrengsten Grundsaͤtze ha¬ ben, und, wie die Ehrlichkeit selbst denken, ist ei¬ ne Liebhaberei, wogegen ich auch nichts habe. — Ich denke in der That nicht so streng als Sie; ich handle bloß, wie Sie denken. Oder hab' ich Ihnen etwa irgend wann den Daumen auf die Gurgel gedruͤckt, um Ihre wertheste Seele, zu der ich einmal Lust habe, an mich zu bringen! Hab' ich von wegen meines ausgetauschten Saͤckels einen Diener auf Sie los gelassen, hab' ich Ihnen damit G2 durchzugehen versucht?„ Ich hatte dagegen nichts zu erwiedern; er fuhr fort: “Schon recht, mein Herr, schon recht! Sie koͤnnen mich nicht leiden; auch das begreife ich wohl, und verarge es Ihnen weiter nicht. Wir muͤssen scheiden, das ist klar, und auch Sie fangen an, mir sehr langweilig vorzukommen. Um sich also meiner ferneren be¬ schaͤmenden Gegenwart voͤllig zu entziehen, rathe ich es Ihnen noch einmal: Kaufen Sie mir das Ding ab.„ — Ich hielt ihm den Saͤckel hin. “Um den Preis?„ — “Nein!„ — Ich seufzte schwer auf und nahm wieder das Wort: “Auch also. Ich dringe darauf, mein Herr, laßt uns scheiden, vertreten Sie mir laͤnger nicht den Weg auf einer Welt, die hoffentlich geraͤumig genug ist fuͤr uns beide.„ Er laͤchelte und erwiederte: “Ich gehe, mein Herr, zuvor aber will ich Sie unter¬ richten, wie Sie mir klingeln koͤnnen, wenn Sie je Verlangen nach Ihrem unterthaͤnigsten Knecht tragen sollten: Sie brauchen nur Ihren Saͤckel zu schuͤtteln, daß die ewigen Goldstuͤcke darinnen rasseln, der Ton zieht mich augenblicklich an. Ein Jeder denkt auf seinen Vortheil in dieser Welt; Sie sehen, daß ich auf Ihren zugleich bedacht bin, denn ich eroͤffne Ihnen offenbar eine neue Kraft — O dieser Saͤckel! — Und haͤtten gleich die Motten Ihren Schatten schon aufgefressen, der wuͤrde noch ein starkes Band zwischen uns seyn. Genug, Sie haben mich an meinem Gold, befehlen Sie auch in der Ferne uͤber Ihren Knecht, Sie wissen, daß ich mich meinen Freunden dienstfertig genug erweisen kann, und daß die Reichen besonders gut mit mir stehen; Sie ha¬ ben es selbst gesehen, — nur Ihren Schatten, mein Herr — das lassen Sie Sich gesagt seyn — nie wieder, als unter einer einzigen Bedingung.„ Gestalten der alten Zeit traten vor meine Seele. Ich frug ihn schnell: “Hatten Sie eine Unterschrift vom Herrn John ?„ — Er laͤchel¬ te. — “Mit einem so guten Freund, hab' ich es keinesweges noͤthig gehabt.„ — “Wo ist er? bei Gott, ich will es wissen!„ Er steckte zoͤgernd die Hand in die Tasche, und daraus bei den Haaren hervorgezogen erschien Thomas John's bleiche entstellte Gestalt, und die blauen Leichenlippen bewegten sich zu schweren Worten: “Justo judicio Dei judicatus sum; Justo ju¬ dicio Dei condemnatus sum .„ Ich entsetzte mich, und schnell den klingenden Saͤckel in den Abgrund werfend, sprach ich zu ihm die letzten Worte: “So beschwoͤr' ich Dich im Namen Gottes, Entsetzlicher! hebe Dich von dannen und lasse Dich nie wieder vor meinen Augen blicken!„ Er erhub sich finster und verschwand sogleich hin¬ ter den Felsenmassen, die den wild bewachsenen Ort begraͤnzten. IX. I ch saß da ohne Schatten und ohne Geld; aber ein schweres Gewicht war von meiner Brust genommen, ich war heiter. Haͤtte ich nicht auch meine Liebe verloren, oder haͤtt' ich mich nur bei deren Verlust vorwurfsfrei gefuͤhlt, ich glaube, ich haͤtte gluͤcklich seyn koͤnnen — ich wußte aber nicht, was ich anfangen sollte. Ich durchsuchte meine Taschen und fand noch einige Goldstuͤcke darin; ich zaͤhlte sie, und lachte. — Ich hatte meine Pferde unten im Wirthshause, ich schaͤmte mich, dahin zuruͤckzukehren, ich mußte wenigstens den Untergang der Sonne erwarten; sie stand noch hoch am Himmel: Ich legte mich in den Schatten der naͤchsten Baͤume und schlief ruhig ein. Anmuthige Bilder verwoben sich mir im luf¬ tigen Tanze zu einem gefaͤlligen Traum. Mina , einen Blumenkranz in den Haaren, schwebte an mir voruͤber, und laͤchelte mich freundlich an. Auch der ehrliche Bendel war mit Blumen be¬ kraͤnzt, und eilte mit freundlichem Gruße voruͤber. Viele sah' ich noch, und wie mich duͤnkt, auch Dich, Chamisso , im fernen Gewuͤhl; ein hel¬ les Licht schien, es hatte aber Keiner einen Schat¬ ten, und was seltsamer ist, es sah nicht uͤbel aus, — Blumen und Lieder, Liebe und Freude, unter Palmenhainen. – – – Ich konnte die be¬ weglichen, leicht verwehten, lieblichen Gestalten weder festhalten noch deuten; aber ich weiß, daß ich gerne solchen Traum traͤumte und mich vor dem Erwachen in Acht nahm; ich wachte wirklich schon, und hielt noch die Augen zu, um die wei¬ chenden Erscheinungen laͤnger vor meiner Seele zu behalten. Ich oͤffnete endlich die Augen, die Sonne stand noch am Himmel, aber im Osten; ich hatte die Nacht verschlafen. Ich nahm es fuͤr ein Zeichen, daß ich nicht nach dem Wirthshause zuruͤckkehren sollte. Ich gab leicht, was ich dort noch besaß, verloren, und beschloß, eine Neben¬ strasse, die durch den waldbewachsenen Fuß des Gebirges fuͤhrte, zu Fuße einzuschlagen, dem Schik¬ sal es anheim stellend, was es mit mir vor hat¬ te, zu erfuͤllen. Ich schaute nicht hinter mich zuruͤck, und dachte auch nicht daran, an Ben¬ del , den ich reich zuruͤck gelassen hatte, mich zu wenden, welches ich allerdings gekonnt haͤtte. Ich sah mich an auf den neuen Charakter, den ich in der Welt bekleiden sollte: Mein Anzug war sehr bescheiden. Ich hatte eine alte schwarze Kurtka an, die ich schon in Berlin getragen, und die mir, ich weiß nicht wie, zu dieser Reise erst wie¬ der in die Hand gekommen war. Ich hatte sonst eine Reisemuͤtze auf dem Kopf und ein Paar alte Stiefeln an den Fuͤßen. Ich erhob mich, schnitt mir an selbiger Stelle einen Knotenstock zum An¬ denken, und trat sogleich meine Wanderung an. Ich begegnete im Wald einem alten Bauer, der mich freundlich begruͤßte, und mit dem ich mich in Gespraͤch einließ. Ich erkundigte mich, wie ein wißbegieriger Reisender, erst nach dem Wege, dann nach der Gegend und deren Bewoh¬ ner, den Erzeugnissen des Gebirges und derlei mehr. Er antwortete verstaͤndig und redselig auf meine Fragen. Wir kamen an das Bette eines Bergstromes, der uͤber einen weiten Strich des Waldes seine Verwuͤstung verbreitet hatte. Mich schauderte innerlich vor dem sonnenhellen Raum, ich ließ den Landmann vorangehen. Er hielt aber mitten im gefaͤhrlichen Orte still, und wandte sich zu mir, um mir die Geschichte dieser Verwuͤstung zu erzaͤhlen. Er bemerkte bald, was mir fehlte, und hielt mitten in seiner Rede ein: “Aber wie geht denn das zu, der Herr hat ja keinen Schat¬ ten.„ — “Leider! leider!„ erwiederte ich seuf¬ zend. “Es sind mir waͤhrend einer boͤsen langen Krankheit, Haare, Naͤgel und Schatten ausgegan¬ gen. Seht, Vater, in meinem Alter, die Haare, die ich wieder gekriegt habe, ganz weiß, die Naͤgel sehr kurz, und der Schatten, der will noch nicht wieder wachsen.„ — “Ei! ei!„ versetzte der alte Mann kopfschuͤttelnd, “keinen Schatten, das ist boͤs! das war eine boͤse Krankheit, die der Herr ge¬ habt hat.„ Aber, er hub seine Erzaͤhlung nicht wie¬ der an, und bei dem naͤchsten Querweg, der sich dar¬ bot, ging er, ohne ein Wort zu sagen, von mir ab. — Bittere Thraͤnen zitterten aufs Neue in meinen Wangen und meine Heiterkeit war hin. Ich setzte traurigen Herzens meinen Weg fort, und suchte ferner keines Menschen Gesellschaft. Ich hielt mich im dunkelsten Wald, und mußte manchmal, um uͤber einen Strich, wo die Sonne schien, zu kommen, Stundenlang darauf warten, daß mir keines Menschen Aug' den Durchgang ver¬ bot. Am Abende suchte ich Herberge in den Doͤr¬ fern zu nehmen. Ich ging eigentlich nach einem Bergwerk im Gebirg, wo ich Arbeit unter der Erde zu finden gedachte; denn, davon abgesehen, daß meine jetzige Lage mir gebot, fuͤr meinen Le¬ bensunterhalt selbst zu sorgen, hatte ich dieses wohl erkannt, daß mich allein angestrengte Arbeit gegen meine zerstoͤrenden Gedanken schuͤtzen koͤnnte. Ein Paar regnichte Tage foͤrderten mich leicht auf den Weg, aber auf Kosten meiner Stiefeln, deren Solen fuͤr den Grafen Peter und nicht fuͤr den Fußknecht berechnet worden. Ich trat schon auf den bloßen Fuͤßen. Ich mußte ein Paar neue Stiefeln anschaffen. Am naͤchsten Morgen besorgte ich dieses Geschaͤft mit vielem Ernst in einem Flecken, wo Kirmes war, und wo in einer Bude alte und neue Stiefeln zu Kauf standen. Ich waͤhlte und handelte lange. Ich mußte auf ein Paar neue, die ich gerne gehabt haͤtte, Ver¬ zicht leisten; mich schreckte die unbillige Forde¬ rung. Ich begnuͤgte mich also mit alten, die noch gut und stark waren, und die mir der schoͤne blondlockige Knabe, der die Bude hielt, gegen gleich baare Bezahlung, freundlich laͤchelnd ein¬ haͤndigte, indem er mir Gluͤck auf den Weg wuͤnschte. Ich zog sie gleich an, und ging zum noͤrdlich gelegenen Thor aus dem Ort. Ich war in meinen Gedanken sehr vertieft, und sah kaum, wo ich den Fuß hinsetzte, denn ich dachte an das Bergwerk, wo ich auf den Abend noch anzulangen hoffte, und wo ich nicht recht wußte, wie ich mich ankuͤndigen sollte. Ich war noch keine zweihundert Schritte gegangen, als ich bemerkte, daß ich aus dem Wege gekommen war; ich sah mich darnach um, ich befand mich in ei¬ nem wuͤsten uralten Tannenwald, woran die Axt nie gelegt worden zu seyn schien. Ich drang noch einige Schritte vor, ich sah mich mitten unter oͤden Felsen, die nur mit Moos und Steinbruch¬ arten bewachsen waren, und zwischen welchen Schnee und Eisfelder lagen. Die Luft war sehr kalt, ich sah mich um, der Wald war hinter mir verschwunden. Ich machte noch einige Schritte — um mich herrschte die Stille des Todes, unabseh¬ bar dehnte sich das Eis, worauf ich stand, und worauf ein dichter Nebel schwer ruhte; die Sonne stand blutig am Rande des Horizontes. Die Kaͤlte war unertraͤglich. Ich wußte nicht, wie mir ge¬ schehen war, der erstarrende Frost zwang mich, meine Schritte zu beschleunigen, ich vernahm nur das Gebrause ferner Gewaͤsser, ein Schritt, und ich war am Eisufer eines Ozeans. Unzaͤhlbare Heerden von Seehunden stuͤrzten sich vor mir rauschend in die Fluth. Ich folgte diesem Ufer, ich sah wieder nackte Felsen, Land, Birken- und Tannenwaͤlder, ich lief noch ein Paar Minuten gerade vor mir hin. Es ward erstickend heiß, ich sah mich um, ich stand zwischen schoͤn gebauten Reisfeldern unter Maulbeerbaͤumen, ich setzte mich in deren Schatten, ich sah nach meiner Uhr, ich hatte vor nicht einer Viertelstunde den Markt¬ flecken verlassen, — ich glaubte zu traͤumen, ich biß mich in die Zunge, um mich zu erwecken; aber ich wachte wirklich. — Ich schloß die Augen zu, um meine Gedanken zusammen zu fassen. — Ich hoͤrte vor mir seltsame Sylben durch die Nase zaͤhlen; ich blickte auf: zwei Chinesen, an der asiatischen Gesichtsbildung unverkennbar, wenn ich auch ihrer Kleidung keinen Glauben beimessen wollte, redeten mich mit landesuͤblichen Begruͤs¬ sungen in ihrer Sprache an; ich stand auf und trat zwei Schritte zuruͤck. Ich sah sie nicht mehr, die Landschaft war ganz veraͤndert: Baͤume, Waͤl¬ der, statt der Reisfelder. Ich betrachtete diese Baͤume und die Kraͤuter, die um mich bluͤhten; die ich kannte, waren suͤdoͤstlich asiatische Gewaͤch¬ se; ich wollte auf den einen Baum zugehen, ein Schritt — und wiederum Alles veraͤndert. Ich trat nun an, wie ein Rekrut, der geuͤbt wird, und schritt langsam, gesetzt einher. Wunderbar ver¬ aͤnderliche Laͤnder, Fluren, Auen, Gebirge, Step¬ pen, Sandwuͤsten, entrollen sich vor meinem stau¬ nenden Blick: es war kein Zweifel, ich hatte Siebenmeilenstiefeln an den Fuͤßen. X. I ch fiel in stummer Andacht auf meine Knie und vergoß Thraͤnen des Dankes — denn klar stand ploͤtzlich meine Zukunft vor meiner Seele. Durch fruͤhe Schuld von der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen, ward ich zum Ersatz an die Natur, die ich stets geliebt, gewiesen, die Erde mir zu einem reichen Garten gegeben, das Studium zur Richtung und Kraft meines Lebens, zu ihrem Ziel die Wissenschaft. Es war nicht ein Entschluß, den ich faßte. Ich habe nur seitdem, was da hell und vollendet im Urbild vor mein inn¬ res Auge trat, getreu, mit stillem, strengen, un¬ ausgesetzten Fleiß darzustellen gesucht, und meine Selbstzufriedenheit hat von dem Zusammenfallen des Dargestellten mit dem Urbild abgehangen. Ich rafte mich auf, um ohne Zoͤgern mit fluͤchtigem Überblick Besitz von dem Felde zu neh¬ men, wo ich kuͤnftig aͤrnten wollte — ich stand auf den Hoͤhen des Tibet, und die Sonne, die mir vor wenigen Stunden aufgegangen war, neig¬ te sich hier schon am Abendhimmel, ich durchwan¬ derte Asien von Osten gegen Westen, sie in ih¬ rem Lauf einholend, und trat in Afrika ein. Ich sah mich neugierig darin um, indem ich es wie¬ derholt in allen Richtungen durchmaß. Wie ich durch Ägypten die alten Pyramiden und Tempel angafte, erblickte ich in der Wuͤste, unfern des hundertthorigen Theben, die Hoͤlen, wo christliche Einsiedler sonst wohnten. Es stand ploͤtzlich fest und klar in mir: hier ist dein Haus. — Ich erkor eine der verborgensten, die zugleich geraͤu¬ mig, bequem und den Schakalen unzugaͤnglich war, zu meinem kuͤnftigen Aufenthalte, und setzte meinen Stab weiter. Ich trat bei den Herkules-Saͤulen nach Eu¬ ropa uͤber, und nachdem ich seine suͤdlichen und noͤrd¬ lichen Provinzen in Augenschein genommen, trat ich von Nordasien uͤber den Polarglaͤtscher nach Groͤnland und Amerika uͤber, durchschweifte die beiden Theile dieses Kontinents, und der Winter, der der schon im Suͤden herrschte, trieb mich schnell vom Cap Horn nordwaͤrts zuruͤck. Ich verweilte mich, bis es im oͤstlichen Asien Tag wurde, und setzte erst nach einiger Ruh mei¬ ne Wanderung fort. Ich verfolgte durch beide Amerika die Bergkette, die die hoͤchsten bekannten Unebenheiten unserer Kugel in sich faßt. Ich schritt langsam und vorsichtig von Gipfel zu Gipfel, bald uͤber flammende Vulkane, bald uͤber beschneite Kuppeln, oft mit Muͤhe athmend, ich erreichte den Eliasberg, und sprang uͤber die Behringsstrasse nach Asien. — Ich verfolgte dessen westliche Kuͤ¬ sten in ihren vielfachen Wendungen, und unter¬ suchte mit besonderer Aufmerksamkeit, welche der dort gelegenen Inseln mir zugaͤnglich waͤren. Von der Halbinsel Malacca trugen mich meine Stie¬ fel auf Sumatra, Java, Bali und Lamboc, ich versuchte, selbst oft mit Gefahr, und dennoch im¬ mer vergebens, mir uͤber die kleinern Inseln und Felsen, wovon dieses Meer starrt, einen Über¬ gang nordwestlich nach Borneo und andern Inseln dieses Archipelagus zu bahnen. Ich mußte die Hoffnung aufgeben. Ich setzte mich endlich auf H die aͤußerste Spitze von Lamboc nieder; und das Gesicht gen Suͤden und Osten gewendet, weint' ich, wie am fest verschlossenen Gitter meines Ker¬ kers, daß ich doch sobald meine Begrenzung ge¬ funden. Das Merkwuͤrdige, zum Verstaͤndniß der Erde und ihres sonnengewirkten Kleides, der Pflan¬ zen und Thierwelt, so wesentlich nothwendige Neu¬ holland, und die Suͤdsee mit ihren Zoophyten-Inseln, waren mir untersagt, und so war, im Ursprunge schon, Alles, was ich sammeln und erbauen soll¬ te, bloßes Fragment zu bleiben verdammt. — O mein Adalbert , was ist es doch um die Be¬ muͤhungen der Menschen! Oft habe ich im strengsten Winter der suͤdli¬ chen Halbkugel vom Cap-Horn aus jene zweihun¬ dert Schritte, die mich etwa vom Land van Die¬ men und Neuholland trennten, selbst unbekuͤm¬ mert um die Ruͤckkehr, und sollte sich dieses schlechte Land uͤber mich, wie der Deckel meines Sarges, schließen, uͤber den Polarglaͤtscher west¬ waͤrts zuruͤck zu legen versucht, habe uͤber Treib¬ eis mit thoͤrigter Wagniß verzweiflungsvolle Schritte gethan, der Kaͤlte und dem Meere Trotz geboten. Umsonst, noch bin ich auf Neuholland nicht gewe¬ sen — ich kam dann jedesmal auf Lamboc zu¬ ruͤck und setzte mich auf seine aͤußerste Spitze nie¬ der, und weinte wieder, das Gesicht gen Suͤden und Osten gewendet, wie am fest verschlossenen Gitter meines Kerkers. Ich riß mich endlich von dieser Stelle und trat mit traurigem Herzen wieder in das innere Asien, ich durchschweifte es fuͤrder, die Morgen¬ daͤmmerung nach Westen verfolgend, und kam noch in der Nacht in die Thebais zu meinem vorbe¬ stimmten Hause, das ich in den gestrigen Nach¬ mittagsstunden beruͤhrt hatte. Sobald ich etwas ausgeruht, und es Tag uͤber Europa war, ließ ich meine erste Sorge seyn, Alles anzuschaffen, was ich bedurfte. — Zuvoͤr¬ derst Hemmschuhe, denn ich hatte erfahren, wie unbequem es sei, seinen Schritt nicht anders ver¬ kuͤrzen zu koͤnnen, um nahe Gegenstaͤnde gemaͤch¬ lich zu untersuchen, als indem man die Stiefel auszieht. Ein Paar Pantoffeln uͤbergezogen, hat¬ ten voͤllig die Wirkung, die ich mir davon ver¬ sprach, und spaͤterhin trug ich sogar deren immer H2 zwei Paar bei mir, weil ich oͤfter welche von den Fuͤßen warf, ohne Zeit zu haben, sie aufzuheben, wann Loͤwen, Menschen oder Hyaͤnen mich beim Botanisiren aufschreckten. Meine sehr gute Uhr war auf die kurze Dauer meiner Gaͤnge ein vor¬ treffliches Kronometer. Ich brauchte noch außer¬ dem einen Sextant, einige physikalische Instru¬ mente und Buͤcher. Ich machte, dieses Alles herbei zu schaffen, etliche bange Gaͤnge nach London und Paris, die ein mir guͤnstiger Nebel eben beschattete. Als der Rest meines Zaubergoldes erschoͤpft war, bracht' ich leicht zu findendes afrikanisches Elfenbein als Bezahlung herbei, wobei ich freilich die kleinsten Zaͤhne, die meine Kraͤfte nicht uͤberstiegen, aus¬ waͤhlen mußte. Ich ward bald mit Allem versehen und ausgeruͤstet, und ich fing sogleich als privatisi¬ render Gelehrter meine neue Lebensweise an. Ich streifte auf der Erde umher, bald ihre Hoͤhen, bald die Temperatur ihrer Quellen und die der Luft messend, bald Thiere beobachtend, bald Gewaͤchse untersuchend; ich eilte von dem Aequator nach dem Pole, von der einen Welt nach der andern; Erfahrungen mit Erfahrungen vergleichend. Die Eier der afrikanischen Strauße oder der noͤrdlichen Seevoͤgel, und Fruͤchte, beson¬ ders der Tropen-Palmen und Bananen, waren meine gewoͤhnlichste Nahrung. Fuͤr mangelndes Gluͤck hatt' ich als Surrogat die Nicotiana, und fuͤr menschliche Theilnahme und Bande die Liebe eines treuen Pudels, der mir meine Hoͤhle in der Thebais bewachte, und wann ich mit neuen Schaͤtzen beladen zu ihm zuruͤck kehrte, freudig an mich sprang, und es mich doch menschlich empfin¬ den ließ, daß ich nicht allein auf der Erde sei. Noch sollte mich ein Abentheuer unter die Men¬ schen zuruͤckfuͤhren. XI. Als ich einst auf Nordlands Kuͤsten, meine Stiefel gehemmt, Flechten und Algen sammelte, trat mir unversehens um die Ecke eines Felsens ein Eisbaͤr entgegen. Ich wollte, nach weggewor¬ fenen Pantoffeln, auf eine gegen uͤber liegende Insel treten, zu der mir ein dazwischen aus den Wellen hervorragender nackter Felsen den Übergang bahnte. Ich trat mit dem einen Fuß auf den Felsen fest auf, und stuͤrzte auf der andern Seite in das Meer, weil mir unbemerkt der Pantoffel am anderen Fuß haften geblieben war. Die große Kaͤlte ergrif mich, ich rettete mit Muͤhe mein Leben aus dieser Gefahr; sobald ich Land hielt, lief ich, so schnell ich konnte, nach der Lybischen Wuͤste, um mich da an der Sonne zu trocknen. Wie ich ihr aber ausgesetzt war, brannte sie mir so heiß auf den Kopf, daß ich sehr krank wieder nach Norden taumelte. Ich suchte durch heftige Bewegung mir Erleichterung zu verschaf¬ fen, und lief mit unsichern raschen Schritten von Westen nach Osten und von Osten nach Westen. Ich befand mich bald in dem Tag und bald in der Nacht; bald im Sommer und bald in der Winterkaͤlte. Ich weiß nicht, wie lange ich mich so auf der Erde herumtaumelte. Ein brennendes Fieber gluͤhte durch meine Adern, ich fuͤhlte mit großer Angst die Besinnung mich verlassen. Noch wollte das Ungluͤck, daß ich bei so unvorsichtigem Laufen Jemanden auf den Fuß trat. Ich mochte ihm weh gethan haben; ich erhielt einen starken Stoß, und ich fiel hin. — Als ich zuerst zum Bewußtseyn zuruͤckkehrte, lag ich gemaͤchlich in einem guten Bette, das un¬ ter vielen andern Betten in einem geraͤumigen und schoͤnen Saale stand. Es saß mir Jemand zu Haupten; es gingen Menschen durch den Saal von einem Bette zum andern. Sie kamen vor das meine und unterhielten sich von mir. Sie nannten mich aber Numero Zwoͤlf , und an der Wand zu meinen Fuͤßen stand doch ganz gewiß, es war keine Taͤuschung, ich konnte es deutlich le¬ sen, auf schwarzer Marmortafel mit großen golde¬ nen Buchstaben mein Name PETER SCHLEMIHL ganz richtig geschrieben. Auf der Tafel standen noch unter meinem Namen zwei Reihen Buch¬ staben, ich war aber zu schwach, um sie zusam¬ men zu bringen, ich machte die Augen wie¬ der zu. — Ich hoͤrte Etwas, worin von Peter Schle ¬ mihl die Rede war, laut und vernehmlich able¬ sen, ich konnte aber den Sinn nicht fassen; ich sah einen freundlichen Mann und eine sehr schoͤ¬ ne Frau in schwarzer Kleidung vor meinem Bette erscheinen. Die Gestalten waren mir nicht fremd und ich konnte sie nicht erkennen. Es verging einige Zeit, und ich kam wieder zu Kraͤften. Ich hieß Numero Zwoͤlf , und Numero Zwoͤlf galt seines langen Bartes we¬ gen fuͤr einen Juden, darum er aber nicht minder sorgfaͤltig gepflegt wurde. Daß er keinen Schatten hatte, schien unbemerkt geblieben zu seyn. Meine Stiefel befanden sich, wie man mich versicherte, nebst Allem, was man bei mir gefunden, als ich hieher gebracht worden, in gutem und sicherm Ge¬ wahrsam, um mir nach meiner Genesung wieder zugestellt zu werden. Der Ort, worin ich krank lag, hieß das SCHLEMIHLIUM ; was taͤglich von Peter Schlemihl abgelesen wurde, war eine Ermahnung fuͤr denselben, als den Ur¬ heber und Wohlthaͤter dieser Stiftung zu beten. Der freundliche Mann, den ich an meinem Bette gesehen hatte, war Bendel , die schoͤne Frau war Mina . Ich genas unerkannt im Schlemihlio , und erfuhr noch mehr, ich war in Bendel's Vaterstadt, wo er aus dem Überrest meines sonst nicht gesegneten Goldes dieses Hospitium, wo Un¬ gluͤckliche mich segneten, unter meinem Namen ge¬ stiftet hatte, und er fuͤhrte uͤber dasselbe die Auf¬ sicht. Mina war Wittwe, ein ungluͤcklicher Kri¬ minal-Prozeß hatte dem Herrn Rascal das Le¬ ben und ihr selbst ihr mehrstes Vermoͤgen gekostet. Ihre Eltern waren nicht mehr. Sie lebte hier als eine gottesfuͤrchtige Wittwe, und uͤbte Werke der Barmherzigkeit. — Sie unterhielt sich einst am Bette Numero Zwoͤlf mit dem Herrn Bendel : “Warum, edle Frau, wollen Sie sich so oft der boͤsen Luft, die hier herrscht, aussetzen? Sollte denn das Schick¬ sal mit Ihnen so hart seyn, daß Sie zu sterben begehrten?„ — “Nein, Herr Bendel , seit ich meinen langen Traum ausgetraͤumt habe, und in mir selber erwacht bin, geht es mir wohl, seitdem wuͤnsche ich nicht mehr und fuͤrchte nicht mehr den Tod. Seitdem denke ich heiter an Vergangenheit und Zukunft. Ist es nicht auch mit stillem in¬ nerlichem Gluͤck, daß Sie jetzt auf so gottselige Weise Ihrem Herrn und Freunde dienen?„ — “Sei Gott gedankt, ja, edle Frau. Es ist uns doch wundersam ergangen, wir haben viel Wohl und bitt'res Weh unbedachtsam aus dem vollen Be¬ cher geschluͤrft. Nun ist er leer; nun moͤchte Ei¬ ner meinen, das sei Alles nur die Probe gewesen, und, mit kluger Einsicht geruͤstet, den wirklichen Anfang erwarten. Ein anderer ist nun der wirk¬ liche Anfang, und man wuͤnscht das erste Gaukel¬ spiel nicht zuruͤck, und ist dennoch im Ganzen froh, es, wie es war, gelebt zu haben. Auch find' ich in mir das Zutrauen, daß es nun unserm al¬ ten Freund besser ergehen muß, als damals.„ — “Auch in mir,„ erwiederte die schoͤne Wittwe, und sie gingen an mir voruͤber. Dieses Gespraͤch hatte einen tiefen Eindruck in mir zuruͤck gelassen; aber ich zweifelte im Gei¬ ste, ob ich mich zu erkennen geben oder unerkannt von dannen gehen sollte. — Ich entschied mich. Ich ließ mir Papier und Bleistift geben, und schrieb die Worte: “Auch Eurem alten Freunde ergeht es nun besser als damals, und buͤßet er, so ist es Buße der Versoͤhnung.„ Hierauf begehrte ich mich anzuziehen, da ich mich staͤrker befaͤnde. Man holte den Schluͤssel zu dem kleinen Schrank, der neben meinem Bette stand, herbei. Ich fand Alles, was mir gehoͤrte, darin. Ich legte meine Kleider an, hing meine botanische Kapsel, worin ich mit Freuden meine nordischen Flechten wieder fand, uͤber meine schwar¬ ze Kurtka um, zog meine Stiefel an, legte den geschriebenen Zettel auf mein Bett, und, so wie die Thuͤr' aufging, war ich schon weit auf dem Wege nach der Thebais. Wie ich laͤngst der syrischen Kuͤste den Weg, auf den ich mich zum letzten Mal vom Hause ent¬ fernt hatte, zuruͤcklegte, sah ich mir meinen ar¬ men Figaro entgegen kommen. Dieser vortreffli¬ che Pudel schien seinen Herrn, denn er lange zu Hause erwartet haben mochte, auf die Spur nach¬ gehen zu wollen. Ich stand still, und rief ihm zu. Er sprang bellend an mich mit tausend ruͤh¬ renden Äußerungen seiner unschuldigen ausgelasse¬ nen Freude. Ich nahm ihn unter dem Arm, denn freilich konnte er mir nicht folgen, und brachte ihn mit mir wieder nach Hause. Ich fand dort Alles in der alten Ordnung, und kehrte nach und nach, so wie ich wieder Kraͤfte bekam, zu meinen vormaligen Beschaͤftigungen und zu meiner alten Lebensweise zuruͤck. Nur daß ich mich ein ganzes Jahr hindurch der mir ganz un¬ zutraͤglichen Polar-Kaͤlte enthielt. — Und so, mein lieber Chamisso , leb' ich noch heute. Meine Stiefel nutzen sich nicht ab, wie das sehr gelehrte Werk des beruͤhmten Tieckius , de rebus gestis Pollicilli , es mich Anfangs befuͤrchten lassen. Ihre Kraft bleibt un¬ gebrochen; nur meine Kraft geht dahin, doch hab’ ich den Trost, sie an einen Zweck in fortgesetzter Richtung und nicht fruchtlos verwendet zu haben. Ich habe, so weit meine Stiefel gereicht, die Erde, ihre Gestaltung, ihre Hoͤhen, ihre Tem¬ peratur, ihre Atmosphaͤre in ihrem Wechsel, die Erscheinungen ihrer magnetischen Kraft, das Le¬ ben auf ihr, besonders im Pflanzenreiche, gruͤnd¬ licher kennen gelernt, als vor mir irgend ein Mensch. Ich habe die Thatsachen mit moͤglich¬ ster Genauigkeit in klarer Ordnung aufgestellt in mehrern Werken, meine Folgerungen und Ansich¬ ten fluͤchtig in einigen Abhandlungen niedergelegt. — Ich habe die Geographie vom Innern von Afrika und von den noͤrdlichen Polarlaͤndern, vom Innern von Asien und von seinen oͤstlichen Kuͤsten, festgesetzt. Meine Historia stirpium plantarum utriusque orbis steht da als ein großes Fragment der Flora universalis terrae , und als ein Glied meines Systema naturae . Ich glaube darin nicht bloß die Zahl der bekannten Species maͤßig um mehr als ein Drittel vermehrt zu haben, sondern auch Etwas fuͤr das natuͤrliche System und fuͤr die Geographie der Pflanzen gethan zu haben. Ich arbeite jetzt fleißig an meiner Fauna. Ich werde Sorge tragen, daß vor meinem Tode meine Ma¬ nuskripte bei der Berliner Universitaͤt niederge¬ legt werden. Und Dich, mein lieber Chamisso , hab’ ich zum Bewahrer meiner wundersamen Geschichte er¬ koren, auf daß sie vielleicht, wenn ich von der Erde verschwunden bin, Manchem seiner Bewoh¬ ner zur nuͤtzlichen Lehre gereichen koͤnne. Du aber, mein Freund, willst Du unter den Menschen le¬ ben, so lerne verehren zuvoͤrderst den Schatten, sodann das Geld. Willst Du nur Dir und Dei¬ nem bessern Selbst leben, o so brauchst Du kei¬ nen Rath. Explicit . Literarische Anzeige. Geschichte des Zwillings a Pede , von Johannes Author . Nuͤrnberg, in Commission bei Joh. Leonh. Schrag, 1811. 174 S. 8. 18 gr. oder 1fl. 6 kr. E s gab eine Zeit, und vielleicht ist sie noch nicht ganz voruͤber, wo das Kapitel der Rhetorik de tropis et figuris , in Ausuͤbung ge¬ bracht, fuͤr Poesie gehalten wurde. Der Verstand hatte, so lange er noch wohlauf war, die stolze Freude, die aufgetriebenen Rudel, Voͤlker ꝛc. von Tropen und Figuren als allerlei ihm unterthane Kreatur aufbewahrend anzureihen und aufzuhen¬ ken. Wenn er aber muͤde war von dieser Jagd, und nun die Großen des Reichs (der Seele) zu leben und zu weben anfingen, ja ihn endlich selbst in die allgemeine Lust und Froͤhlichkeit mit hinein rissen, so daß er kein Wort gegen diese Satur¬ nalien aufbringen konnte: so kam alles vorher muͤh¬ sam Entbotene wie von selbst, und noch mehr, und nahm ungehindert Theil an der Freude; und es ging fast, wie es in der Oper heißt: die Erde ward ein Himmelreich, und Sterbliche den Goͤt¬ tern gleich. Nun wollte aber der Verstand, wenn er sich wieder begriff, sein Recht und Wesen, zu sondern und zu trennen, nicht aufgeben; und so loͤste er immer wieder das Zauberband, welches auch ihn in Himmel und Erde verknuͤpft hatte. Die himmlische Klarheit, in welcher alles schwamm, hielt er fuͤr Dunkelheit, aus welcher er sich ringen zu muͤssen glaubte: und so schied und schied er, was er nur konnte, und nannte dies Aufklaͤrung. Aber er merkte in der Arbeit gar nicht, daß er in dem Geschiedenen nur abgeschiedene Geister hat¬ te, welche auch von ihm wieder schieden und hin¬ flogen, wo sie hergekommen waren. Und so blieb und bleibt ihm ein Geheimniß, was nur so weit eines ist, als der Mensch aufgehoͤrt hat, ein Kind am Geiste zu seyn. Wir haben hiermit, fast unwillkuͤhrlich, das Feld angegeben, welches dieses Stiefelpaar (eben der Zwil¬ Zwilling a Pede) und sein Herr mit dem geist¬ reichsten Spotte und gemuͤthlichsten Scherze be¬ schreitet. Die prunkende Armseligkeit und Tyran¬ nei der Aufklaͤrung, besonders von Seiten der Er¬ ziehung, gibt sich hier selbst zum Besten; und ei¬ nen herrlichen Abstich dagegen gewaͤhrt die nur still und sanft durchleuchtende klare, ruhige Mil¬ de eines einfachen, gesunden Gemuͤths. Es sind aber uͤberhaupt gar vielfache Betrachtungen, zu welchen dies aͤcht humoristische Werk veranlaßt. Wer hier eine etwa nachzuerzaͤhlende, fleißig ge¬ fugte und sorgfaͤltig geglaͤttete, mit lustigen Ein¬ faͤllen durchspickte Geschichte suchte, moͤchte durch¬ aus seine Rechnung nicht finden: denn nicht lei¬ ser und loser haͤngen die Faͤden hier zusammen, wie in dem Gegenstande selbst alles zusammen¬ haͤngt: ja alles wird gewissermaßen sein eigenes Widerspiel, Widerspiel seiner selbst. Keckes Ab¬ springen, eine Freiheit, die eben im Einzelnen, allen logischen Zusammenhang verschmaͤhend, alles, was sich ihr bietet, mit hoͤherer, combinatorischer und doch spielender Kraft zwingt, Einem Ziele nach¬ zugehen, ein schaͤlkisches Verschweigen des innern Friedens und der Eintracht, welches diese disjecta I membra poetae doch zusammen haͤlt, und erst aus sich zum Scherz entlaͤßt, damit sie ihr eige¬ nes, selbststaͤndiges Spiel treiben, und mit diesem Tollwerden ihre Einseitigkeit und Nichtigkeit er¬ weisen — diese Elemente sind es, welche hier ganz unwillkuͤhrlich und absichtslos auf eine kindliche, demuͤthige und wahrhaft selige Einfalt des Ge¬ muͤths, als Gipfel aller Bildung, hintreiben. Aber der Reichthum des Witzes, welcher hier herrscht, und die ganze innere und aͤußere Welt, wo sie sich bietet, sein nennt, zeigt, daß hier keinesweges von einer unkraͤftigen, den Kampf scheuenden Einfalt die Rede sei; sondern von der Einfalt eines Wei¬ sen, der sich kraͤftig und heiter durch die Wider¬ spruͤche hindurch gerungen. Nur hier, im Mit¬ telpunkte, ist der Johannes Author fest zu halten; im Übrigen und Einzelnen entschluͤpft der Schalk unter den Haͤnden. So heißt es mitten im desul¬ torischsten Scherz: “Der Mensch ist ein Halb¬ gott; aber nicht wie Theseus, Herkules und an¬ dere: denn Nichtsthun, sagen alle, ist seine groͤßte Heldenthat. Die Helden fuͤhrten ewige Kriege; und auch hier lebt der Halbgott im Kriege mit der Welt, im Frieden mit sich; der Halbmensch im Streit mit sich und im Frieden mit der Welt; und wenn das gute Stuͤndlein bei ersterm kommt, so reichen sich beide die Hand, und der Mensch muß laͤcheln und sagen: es ist doch nicht alles ei¬ tel hienieden ꝛc.„ Denn hier muͤßte mehr abge¬ schrieben werden, als erlaubt ist. Die Freiheit dieses Werkchens, welche viel¬ leicht von vielen fuͤr Harmlosigkeit angesehen wer¬ den wird, scheint um so interessanter: da sie ei¬ nen so herben Gegensatz bildet gegen den Alexan¬ drinismus in der Poesie, welcher mit geglaͤtteter Muͤhseligkeit sie zu erhaschen glaubt, und wirk¬ lich auch wohl nicht selten den Beifall des Pub¬ likums stiehlt. Von diesem ist aber hier eben so wenig zu spuͤren, als andererseits von der er¬ zwungenen, ewig mit sich selbst coquettirenden Begeisterung fuͤr das Heilige, von der poetischen Verduͤnstung und Vergasung, in welcher sich heut zu Tage die unkraͤftigsten und unwissendsten Na¬ turen gefallen. Hier ist viel zwischen den Zei¬ len zu lesen: und wer nur dem Schalk die Huͤlle abziehen kann, auch wo er sie festhalten moͤchte, der wird ihn fuͤr eine recht kerngesunde, frische, schoͤne Natur ansprechen. I 2 Die Erwaͤhnung dieses seit seiner Erschei¬ nung nicht erwaͤhnten Werkchens glaubte Referent der Sache schuldig zu seyn. Der Verfasser scheint mit den Besten seiner Nation das Schicksal zu theilen, nicht gekannt, oder auch ignorirt zu wer¬ den: obwohl er, dem Geiste nach zu urtheilen, oͤfter vorkommt. Wenn es nun gleich, wie nach Schiller , bei den besten Frauen und Staaten, auch hier eintreffen sollte, daß diejenigen die be¬ sten seyn moͤchten, von denen man am wenigsten spricht: so thun doch auch Maͤnner das Ihrige, wenn sie das Anerkannte aussprechen, was wohl bei einer pseudonymen Schrift um so redlicher und loͤblicher ist. A. W.