ANSICHTEN VOM NIEDERRHEIN, VON BRABANT, FLANDERN, HOLLAND, ENGLAND UND FRANKREICH, IM APRIL, MAI UND JUNIUS 1790. VON GEORGE FORSTER . ZWEITER THEIL . BERLIN 1791. IN DER VOSSISCHEN BUCHHANDLUNG. ANSICHTEN . XV. Brüssel. N iemand soll mir wieder mit dem elenden Gemeinplatze kommen, den jetzt so mancher Apostel des Despotismus umherträgt, und den ich schon zum Ekel von Nachbetern wiederholen hörte: dass die Aufklärung Schuld an politischen Revolutionen sei. Hier in Brüssel sollen sie mir ihren Satz einmal anwenden! Ja, wahrlich, vollkommner war keine Unwissenheit, dicker keine Finsterniss, bleierner drückte nie das Joch des Glaubens die Vernunft in den Staub. Hier hat der Fanatismus Aufruhr gestiftet; Aberglaube, A 2 Dummheit und erschlaffte Denkkraft sind seine Werkzeuge gewesen. Was Revolutionen im Staat hervorbringt, ist gänzlich unabhängig von dem jedesmali¬ gen Grade der Einsicht des revoltirenden Volkes. Wenn seine Leidenschaften aufge¬ regt sind, (das geschehe nun durch den un¬ erträglichen Druck der Tyrannei oder durch die Aufwieglungskünste boshafter und herrsch¬ süchtiger Menschen:) dann ist die Revolu¬ tion zur Reife gediehen; nur mit dem Un¬ terschiede, dass jene besteht, weil sie einen wesentlichen Grund, eine materielle Veran¬ lassung hat, diese hingegen wieder in ihr Nichts zurücksinkt, sobald die Täuschung aufhört. Die Kirchen und Klöster in Brüssel sind zu allen Stunden des Tages mit Betenden angefüllt — und an den Thoren der Tempel lauert der Geist der Empörung ihnen auf. Hier lässt der Congress seine Mandate und Verordnungen anschlagen; hier lesen wir die täglich herauskommenden Aufforderungen an das Volk, gegen die so genannten Verräther des Vaterlandes, nämlich gegen die Demo¬ kraten, mit Feuer und Schwert zu wüthen; hier lästert die Zunge der Verläumdung den braven Van der Mersch ; hier stösst man Ver¬ wünschungen aus gegen die Holländischen Flüchtlinge, denen man die Freiheitsliebe zum Verbrechen macht; hier erdreistet man sich sogar, den heftigsten Ausbrüchen der Wuth, womit die aristokratische Partei die andere verfolgt, den Anstrich frommer Hand¬ lungen zu geben und die rechtgläubigen Ein¬ wohner im Namen ihrer Religionspflichten dazu anzuspornen! Unverkennbar ist der Geist, der in diesen Anschlagszetteln spukt; es giebt nur Eine Klasse von Menschen, die auf solche Weise Menschliches und Göttli¬ A 3 ches unter einander wirft, um die blöden Augen der Menge zu blenden und ihre schwa¬ che Vernunft durch kasuistische Cirkelschlüsse zu hintergehen. Das Siegel eines weit ärgeren Despotis¬ mus, als derjenige war, dem die Niederländer entronnen sind, klebt noch an ihrer Stirn, und ein Jahrhundert wird es nicht abwaschen können. Mit ihrer neuerlangten Freiheit wussten sie nichts anzufangen; sie war ihnen lästig: sie können ohne Beherrscher nicht bestehen. Nous ne voulons pas être libres , ”wir wollen nicht frei seyn,” antworten sie uns, wenn wir sie um ihrer Freiheit willen glücklich preisen; ohne doch vermögend zu seyn, uns nur etwas, das einem Grunde ähnlich gesehen hätte, zur Rechtfertigung dieses im Munde der Empörer so paradoxen Satzes vor¬ zubringen. Nous ne voulons pas être libres! Schon der Klang dieser Worte hat etwas so Unnatürliches, dass nur die lange Gewohn¬ heit nicht frei zu seyn, die Möglichkeit er¬ klärt, wie man seinen tückischen Führern so etwas nachsprechen könne. Nous ne vou¬ lons pas être libres ! Arme, betrogene Bra¬ banter! das sagt ihr ohne Bedenken hin; und indem ihr noch mit Entzücken euren Sieg über die weltliche Tyrannei erzählt, fühlt ihr nicht, wessen Sklaven ihr waret und noch seid? Schon recht! ihr könnt auch nicht mehr frei seyn; ihr seid geborene Knechte: Einem Herrn entlauft ihr; aber des andern Zeichen ist euch eingebrannt, an welchem es jedem Klügeren spottleicht wird, euch wieder zu kennen und einzufangen, wähntet ihr gleich, ihr wäret frei! Wie der Vogel, der den Faden bricht, und zum Walde kehrt: er schleppt des Gefängnisses Schmach, noch ein Stückchen des Fadens nach; er ist der alte, freigeborne Vogel nicht —! A 4 Aberglaube heisst der Faden, der aller¬ dings nur gar zu oft auch vom weltlichen Despoten ergriffen wird, und an dem er die gefesselten Nationen lenkt. Ein gefährliches Unterfangen! denn es darf sich, nur die Hie¬ rarchie an den Faden hängen, so schwingt sie das Volk und den Herrscher nach ihrer Willkühr umher. Brabant ist seines Aberglaubens wegen berühmt, Dank sei es Philipps grausamer Politik, die das Schwert in den Eingeweiden seiner selbstdenkenden Unterthanen wühlen liess und jedem Andersgesinnten den Schei¬ terhaufen zuerkannte. Die Rechtgläubigen, die allein in dem entvölkerten Lande übrig blieben, mochten wohl erblassen über ihrer eigenen Hände Werk. Triefend vom Blut ihrer Brüder, flohen sie vor dem grellen Lichte ihrer strafenden Vernunft und den Qualen einer vergeblichen Reue. Sie eilten, die Bürde des verwundeten Gewissens im mütterlichen Schoosse der Kirche abzuwerfen, und die Zauberin verwandelte den Bruder¬ mord in ein gottgefälliges Opfer. So ziemte es ihr, Verbrechen zu heiligen, die sie zu¬ erst gebot. Zitternd vor ihr, die damals das Menschengeschlecht eher vertilgen als ihrem Herrscherrecht entsagen wollte, hul¬ digten sie der unerforschlichen Weisheit, womit die Kirche alle Widersprüche verei¬ nigte, und schrieben der lästigen Zweiflerin Vernunft einen ewigen Scheidebrief. Das schöne Vorrecht einer Religion des Friedens, dem Verbrecher im Namen der versöhnten Gottheit Verzeihung und Gnade darzubieten, erstreckt sich nicht bis zur Auf¬ hebung der natürlichen Folgen des Übels. Geistliche Zurechnung mag sie dem Sünder erlassen; aber weder Reue noch Seligspre¬ chung können ungeschehen machen, was A 5 geschehen ist, können aus der Kette der Dinge ein einziges Glied reissen, das hier Wirkung war und dort wieder Ursache wird. In Brabant, wo die vorgeblichen Vertrauten der Götter nicht bloss zu verzeihen, sondern zu billigen, ja zu gebieten wagten, was die Natur als Verbrechen verabscheuet — wer¬ den hier allein die Verirrungen der wider sich selbst wüthenden Menschheit ohne Fol¬ gen geblieben seyn? Nimmermehr! Lieber läugne man allen Zusammenhang und jede Beziehung in der Natur; man lästre die un¬ verbrüchliche Treue, womit sie an ihren Gesetzen bekleibt, ehe man zweifelt, ob das Verzichtthun auf den Gebrauch der Vernunft, und ob die Betäubung des moralischen Ge¬ fühls eine andere Wirkung haben könne, als immer zunehmende Entartung! Seit jener unglücklichen Epoche, da hier die Philippe und die Albas mordeten, da das Blut der freien Edlen auf dem Richtplatze floss, erwähnt die Geschichte dieser Provin¬ zen nur dann, wenn fremde Kriegesheere sie zum Kampfplatz wählten, oder wenn sie, als ein Erbgut, aus einem Fürstenhause in das andere übertragen wurden. Nie wieder er¬ wachte in ihnen ein eigenthümlicher Geist, nie erhob sich aus ihrer Mitte ein grosser Mann! In Unthätigkeit versunken, behaup¬ teten sie nie die Rechte der Menschheit ge¬ gen die übermüthigen Nachbaren, die ih¬ rem Oberherrn das harte Gesetz vorgeschrie¬ ben hatten, die Flüsse seines Landes zu ver¬ schliessen, und seinen Städten mit dem Han¬ del auf dem Meere Wohlstand, Volksmenge und Mittel zur Bildung des Geistes zu rau¬ ben. Bei Josephs Versuche, dieses widerna¬ türliche Joch abzuwerfen, verhielten sich die Brabanter leidend, und die Flammänder sträub¬ ten sich; jene glaubten, am Speditionshandel hinlänglichen Ersatz für die gesperrte Schel¬ de zu besitzen, oder hatten sich schon ge¬ wöhnt, in ihren angeerbten Schätzen uner¬ schöpfliche Quellen des eingeschränkten, stil¬ len, müssigen Genusses zu finden; diese woll¬ ten ihr Ostende dem Flor von Antwerpen nicht opfern. Der Adel in beiden Provinzen befürchtete im vermehrten Wohlstande des Bürgers Verminderung seines Einflusses und Ansehens; und die Geistlichkeit, die in eini¬ gen Provinzen zum Besitz der Hälfte, und in Brabant voller zwei Drittheile von dem ganzen Landeigenthum gelangt war, begnügte sich an dem sichern Ertrage des fruchtbaren Bodens. Eine Zeitlang hatte zwar aus den Schutt¬ haufen der Freiheit die Kunst noch hervor¬ geblühet. Statt des Schwertes, das den Bel¬ giern aus der Hand gesunken war, hatten sie den Pinsel ergriffen; denn plötzlich er¬ lischt die Energie des menschlichen Geistes nicht: in ihrem Wirken unterbrochen, wirft sie sich gern erst in neue Kanäle. Der Luxus der Hauptstadt, der gehemmte Umlauf ungeheurer Kapitalien in den Handelsstädten, die Politik und die Hoffart der Klerisei und der geistlichen Orden gaben anfänglich den Künstlern Beschäftigung; allein auch diese Periode war bald verflossen, und alles neigte sich unter dem narkotischen Fittig der Pfaffenerziehung zum langen Geistes¬ schlafe. Um Gestalten hinzaubern zu kön¬ nen als lebten sie, um Menschen handelnd darstellen, ja in Thaten gross auch nur ahn¬ den zu können, müssen frühzeitig die Bilder des Mannichfaltigen den unbefangenen Geist zur Thätigkeit wecken und die Begierde zu schaffen in seinem Innern hervorrufen. Das träge Blut des Belgiers vermochte dies nie von selbst. Als der Rausch, den ihm die kriegerischen Zeiten zurückgelassen hatten, gänzlich verdünstet, als Van Dyk nach Eng¬ land verpflanzt und zu früh gestorben war, da welkte die Niederländische Kunst, und jene so genannten Malerakademien, welche noch jetzt in Mecheln und Antwerpen be¬ stehen, sanken in eine Geringfügigkeit, die ärger als Vernichtung ist. Die mechanischen Künste haben sich länger gehalten, weil die Art des Fleisses, welche kein Nachdenken erfordert, sondern das Werk der Übung und Gewöhnung ist, phlegmatischen Völkern zur andern Natur werden kann. Ihre Existenz in dieser, wie in jeder Rücksicht, ist maschinenmässiger, als die Existenz der lebhafteren, geistreicheren Menschen, deren unstätes Wesen mehr von eigenen Antrieben abhängt und daher öfter die Erscheinung des Müssigganges bewirkt. Noch giebt es in allen Belgischen Provinzen ansehnliche Wollen- und Leinenfabriken, ob¬ wohl die ersteren in Vergleich mit ihrem Flor im vierzehnten Jahrhundert, als Löwen und Ipern jedes viertausend, Mecheln über dreitausend, und Gent vierzigtausend Weber¬ stühle beschäftigen konnten, gleichsam nur armselige Trümmer der ehemaligen Wirk¬ samkeit verrathen. Lange vor dem Aus¬ bruche des Religionskrieges wanderten aber schon Tausende von Fabrikanten nach Eng¬ land, und während der Unruhen öffnete Eli¬ sabeth ihre Häfen den fleissigen Flüchtlingen, die um ihres Glaubens willen ihr Vaterland verliessen. Andere Zweige des städtischen Fleisses sind durch das Emporkommen aus¬ wärtiger Fabriken in Verfall gerathen, wie die Seidenmanufakturen in Antwerpen; oder der Wankelmuth der Mode hat ihren Ab¬ satz vermindert, wie dies mit den Brabanti¬ schen Spitzen und mit den gestickten Tep¬ pichen von Brüssel der Fall ist, an deren Stelle die Blonden und Papiertapeten gekom¬ men sind. Der Landmann allein ist geblieben, was er war: der arbeitsame, geduldige Bauer des fetten ergiebigen Erdreichs. Seine Saaten füllen die Scheuren des Adels und der Klö¬ ster; seine Heerden bedecken unübersehbare Weiden, und seine Gespinnste, das Werk seiner Nebenstunden, beschäftigen sowohl die noch übriggebliebenen einheimischen, als auch die benachbarten auswärtigen Fabrikan¬ ten. Aus diesen Quellen des Reichthums, so schlecht man sie auch benutzte, flossen jährlich noch Millionen in die Schatzkam¬ mern des Hauses Östreich. Hätten weise Führer durch zweckmässige Bildung der Ju¬ gend, hätten grosse Regenten durch Erwek¬ kung eines edlen Wetteifers, den Einflüssen der Sumpfluft und des nordischen Nebels ent¬ gegen¬ gegenarbeiten wollen; warum sollte es ihnen weniger geglückt seyn, als in dem benachbar¬ ten England? Allein die Vervollkommnung des dritten Standes war jederzeit, bis auf Jo¬ seph den Zweiten , dem stolzen Hofe zu klein, dem Adel und der Geistlichkeit ein Greuel. Oft indessen zwecken die unberechneten Folgen der Leidenschaft mehr als absicht¬ liche Vorkehrungen auf die Hervorbringung des Guten. Nirgends treibt die Habsucht mit weniger Zurückhaltung ihr Spiel, nir¬ gends häuft sich die Zahl der Processe so ins Unendliche, als in Ländern, wo ein ungebildeter, zahlreicher Adel, und eine nicht minder rohe, nicht minder zahlreiche Geistlichkeit den Besitz des Landes unter sich theilen. In den katholischen Nieder¬ landen, wie in Polen und Ungarn, nehmen diese Streitigkeiten, bei dem geschwächten moralischen Gefühl welches unausbleiblich II. Theil . B die versäumte Entwickelung der Vernunft be¬ gleitet, unter den Begüterten kein Ende. Daher schwang sich endlich aus dem Bür¬ gerstande die unentbehrlich gewordene Klasse der Rechtsgelehrten empor, und in diesem, allerdings nicht erlesenen Haufen, entwickel¬ ten sich gleichwohl die ersten Keime des Belgischen Patriotismus. Unter der furcht¬ baren Kohorte von drei- bis vierhundert Ad¬ vokaten, die dem Geiste der Unverträglichkeit in Brüssel das tägliche Opfer bringen, fan¬ den sich einige Männer, deren Studien und Amtsgeschäfte den glücklichen Erfolg für sie selbst hatten, ihre Begriffe von Recht und Pflicht jenseits des todten Buchstabens der Gesetze zu berichtigen und aufzuhellen. Mit dem Lichte, das ihnen plötzlich zuströmte, und das sie freilich weder in den Kreuzgän¬ gen der Jesuitenschulen noch in der finsteren Universität zu Löwen je erblicken konnten, prüften sie die Ansprüche des Fürsten, wenn er, selbst in guter Absicht, aus den Schranken heiliger Verträge trat, und sich nach seiner Überzeugung für berechtigt hielt, die Gemüther der Menschen eigenmächtig zu ihrem wahren Vortheil zu zwingen. Mit demselben Lichte erkannten sie das Verhältniss des Volkes zu seinen Repräsentanten, und vertheidigten die Rechte des Bürgers gegen die Eingriffe der Prä¬ laten und Ritter. Der Enthusiasmus, das Kind des Druckes und der verkannten Wahrheit, goss Feuer in ihre Reden und Entwürfe; al¬ lein ihre Beredsamkeit und ihr Beispiel wa¬ ren verschwendet an ein Volk, das sie nicht fassen konnte und gewohnt war, blindlings zu folgen. Joseph durfte die Joyeuse entrée vernichten und den Ständen ihre Vorrechte schmälern; das Volk hätte sich nicht geregt. Er nahm dem geweihten Müssiggänger seine überflüssigen Schätze — und das Volk stiess ihn vom Thron. B 2 XVI. Brüssel. S eitdem das Haus Östreich in engere Ver¬ bindung mit Frankreich getreten war, hatten die schönen Belgischen Provinzen von den ehemaligen feindlichen Überzügen ausgeru¬ het, und, eingeschränkt wie ihr Handel blieb, bloss durch ihren inneren Reichthum einen hohen Wohlstand erreicht. Karl von Lothringen , der eine lange Reihe von Jahren als Generalgouverneur seinen Hof zu Brüssel hielt, ward von den Niederländern so en¬ thusiastisch geliebt, wie es fast immer bei Fürsten der Fall ist, die sich an der Bereit¬ willigkeit der Nation zur Erlegung grosser Subsidien genügen lassen, ohne sich durch Neuerung und Reform einen Namen erwer¬ ben zu wollen, ohne durch stetes Missbilli¬ gen dessen, was Andere thaten, ihre Ein¬ sicht auf Kosten der Selbstachtung ganzer Millionen von Menschen geltend zu machen, ohne Macht und Gewalt blicken zu lassen, wo die Gesetze allein entscheiden sollten, oder wo Alles durch Güte auf dem gebahn¬ ten Wege zu erlangen war. Der Minister Stahremberg theilte mit dem Prinzen die Zuneigung des Volkes, und beide wussten seine Vorurtheile zu schonen, seinem Geschmacke zu schmeicheln und sei¬ ne Gutwilligkeit ohne Geräusch zu benutzen. Der glänzende Hof des Fürsten; seine Lieb¬ habereien; der so leicht und um so geringen Preis zu erkaufende erhabene Name eines Beschützers der Wissenschaften und Künste; die von ihm angefangene Verschönerung der Stadt, und seine Sorgfalt für die Unterhal¬ tung und die Vergnügungen des Volks: das waren seine Ansprüche auf eine Liebe, die ihm Bildsäulen zu Fuss und zu Pferde, an B 3 öffentlichen Plätzen und auf den Giebeln öffentlicher Gebäude, erwarb. Die Belgier zogen ruhig auf der breiten Heerstrasse der Gewohnheit fort, und verrichteten willig und mechanisch ihr Tagewerk, ohne sich um die Verwaltung der öffentlichen Ange¬ legenheiten zu kümmern. Ihr Vertrauen in die weise Führung der höhern Stände ging so weit, dass verschiedene Brabantische Städ¬ te von ihrem Recht, Abgeordnete zur Ver¬ sammlung zu schicken, keinen Gebrauch machten und der dritte Stand folglich zu¬ letzt wenig mehr als dem Namen nach exi¬ stirte. Die Geistlichkeit hatte beinahe in allen Provinzen, als erster und zahlreichster Landstand, ein entschiedenes Übergewicht. Ihre treue Ergebenheit gegen den Hof beru¬ hete auf einem gemeinschaftlichen Interesse. Die süsse Herrschaft über die Gemüther, in deren Besitze man sie nicht störte, war im¬ mer einige dem Landesherrn gezollte Millio¬ nen werth. Man versichert, dass Maria Theresia während des siebenjährigen Krieges an wirklich bewilligten Subsidien und an negoziirten Darlehen gegen hundert Millio¬ nen Gulden aus den Niederlanden gezogen habe; und noch kurz vor dem Ausbruche der Unruhen schätzte man den jährlichen Ertrag der kaiserlichen Einkünfte aus diesen Provinzen auf die unglaubliche Summe von sieben Millionen. Der Kaiser hatte seine Niederlande selbst besucht und mit seinem Kennerblicke die tief eingewurzelten Missbräuche ergründet, die sich dem grösseren Flor derselben widersetz¬ ten. Er fand das Volk ungebildet, in Aber¬ glauben versunken, träge und ungelehrig im Gebrauche seiner Geisteskräfte; übrigens aber mit physischen Vorzügen ausgestattet, stark und arbeitsam, und geneigt zum frohen, B 4 groben Sinnengenusse. Dem angeborenen Phlegma war Gutmüthigkeit zugesellt, eine glückliche Eigenschaft, durch die sich auf den Charakter noch wirken liess; gleichsam wie ein schwerer Körper Beweglichkeit be¬ kommt, wenn man ihn mit einem leich¬ teren verbindet. Allein die bisherigen Er¬ zieher dieses Volkes bedurften selbst einer sorgfältigeren Bildung. Mit dem Deutschen und Französischen Klerus war der Belgische nicht fortgeschritten; er war um mehr als ein Jahrhundert zurück, und der Abstich auffallend zwischen seinen, auf die Blind¬ heit des Volkes berechneten Anmassungen und der Lichtmasse in dem übrigen Europa, vor welcher kein erkünstelter oder unächter Heiligenschein bestehen kann. Hier war indess Beides, die hierarchische und die politische Macht des Staates, in den Händen der Geistlichkeit. Ihre Häupter herrschten in den Versammlungen der Stän¬ de; ihre Schlauköpfe wussten in Schulen und Akademien die Dummheit methodisch fortzupflanzen, und Alle, vom Höchsten bis zum Geringsten, lenkten das Gewissen der Einwohner nach ihrer Willkühr. Es for¬ derte Josephs ganze Thatkraft und seinen Herrschergeist, um hier nicht an Läuterung zu verzweifeln, sondern sie wirklich anfan¬ gen und durchsetzen zu wollen. Er fing zuerst mit Ersparnissen an, auf welche man unter der vorigen allzumilden Regierung nicht geachtet hatte. Durch sei¬ ne Bündnisse mit Frankreich gesichert, und durch den Augenschein überzeugt, dass der Verfall der Gränzfestungen den Barrieren¬ traktat von 1715 wesentlich schon aufgeho¬ ben habe, vermochte er im Jahr 1781 die Republik der vereinigten Niederlande dahin, diesen Traktat auch förmlich aufzuheben und B 5 ihre Besatzungen aus allen darin benannten Festungen zurückzuziehen. Sobald er die¬ sen Punkt gewonnen hatte, der die General¬ staaten im Grunde nur von einer unnützen und lästigen Ausgabe befreite, wurden alle niederländische Festungswerke, ausgenom¬ men die von Luxemburg, geschleift und die Summen, die ihr angeblicher Unterhalt dem Staate jährlich gekostet hatte, in Zu¬ kunft für das Ärarium gewonnen. Ähn¬ liche Reformen bedurften und erhielten jetzt alle Theile der Administration, und selbst die Gouvernantin der Niederlande, eine Schwester des Kaisers, wurde nebst ihrem Gemahl, dem Herzoge von Teschen, in ih¬ ren Einkünften auf eine bestimmte Summe eingeschränkt. Von dem Charakter des Volkes liessen sich vortheilhafte Veränderungen hoffen, wenn man es in neue Thätigkeit versetzte; es war vielleicht nur eine äussere Veranlassung nö¬ thig, um in demselben schlummernde Kräfte zur Wirksamkeit zu berufen. Schon die Eröffnung der Schelde allein hätte diesen Erfolg haben müssen, da die Erscheinungen, die ihre Verschliessung hervorbrachte, für ganz Europa so wichtig gewesen sind. Aber die eifersüchtige Politik der Nachbaren ver¬ eitelte diese glänzende Aussicht um so viel leichter, da die Belgische Nation nicht einen Funken der Begeisterung blicken liess, wo¬ mit jedes andere Volk, das fähig gewesen wäre seinen eigenen Vortheil zu erkennen, bei einer solchen Veranlassung dem Landes¬ herrn alle Kräfte dargeboten hätte. Diese Fühllosigkeit musste der Kaiser tief empfinden; sie musste ihn auf die Wurzel des Übels zurückführen und ihn in der ihm nur allzugegenwärtigen Überzeugung befesti¬ gen, dass seiner höheren Einsicht das grosse Werk, seine Unterthanen wieder zu besee¬ len, allein aufbehalten sei. Wenn er wenig Achtung für die Vernunft des grossen Hau¬ fens besass; wenn er den Beruf in sich fühl¬ te, seine Unterthanen, die ihm unmündige Kinder schienen, mit der ganzen Authorität des Vaters zu ihrem Besten anzuführen: wer findet den Irrthum nach solchen Beispielen nicht verzeihlich? wer bedauert nicht den Monarchen, dessen Volk so weit hinter ihm zurückgeblieben war, dass er sich zu seinen Bedürfnissen nicht mehr herablassen konnte? Die Gleichgültigkeit der Belgier gegen die Maassregeln des Kaisers, die keinen andern Zweck als den grösseren Flor ihres Vater¬ landes hatten, und bald hernach die störrige Widersetzlichkeit, die sie gegen seine vor¬ genommenen Neuerungen äusserten, erklären auch ein anderes Phänomen, welches sonst bei einem Fürsten, der so strenge Begriffe von Regentenpflicht hatte, befremdend schei¬ nen möchte; ich meine das bekannte Pro¬ jekt von einem Ländertausche, wodurch er diese so sehr verwahrloseten Menschen ih¬ rem Schicksal überlassen wollte. Wenig¬ stens ist es einleuchtend, dass einem Mo¬ narchen, der die unüberwindlichen Hinder¬ nisse, welche sich der Ausführung seiner Vervollkommnungsplane in den Weg legen würden, jetzt schon anfing zu ahnden, der Gedanke nahe liegen musste, diese Bürde von sich zu werfen, um seine unermüdete Thätigkeit mit mehrerem Vortheil, und viel¬ leicht mit glücklicherem Erfolge, anderen, ihm näher liegenden Provinzen zu widmen. Erst als dieser grosse Plan vereitelt ward, und der Deutsche Bund sogar in Zukunft seine Ausführung unwahrscheinlich machte, gewannen die Reformen des Kaisers in den Niederlanden ein ernstlicheres Ansehen. Wie weit ging denn nun des Kaisers Befugniss und Recht, seine Neuerungen durchzusetzen? Über diese Frage ward be¬ reits lange und wird auch noch gestritten. Du weisst, was ich von solchen Fragen hal¬ te, wobei jede Partei gewisse Positionen, als ausgemacht, zum Grunde legt, und keine bis auf die letzten Vernunftgründe zurückgeht. Denkende Männer, nicht bloss die maschi¬ nenmässigen Aktenleser, denkende Männer, die sich sonst von den Fesseln des Vorur¬ theils frei zu erhalten wissen, können sich doch in einem solchen Falle, wo das Glück eines Volkes von den Maassregeln eines Für¬ sten abhängt, vor einer kaltblütigen Erörte¬ rung scheuen und wohl gar verlangen, dass das Herkommen, die Gewohnheit, das An¬ sehen der Person, und die einmal bestehende Authorität als unantastbare Heiligthümer gel¬ ten sollen. Das Gefühl, welches sie zu die¬ ser Forderung verleitet, macht ihrem Herzen Ehre; indess freilich nur auf Kosten des Verstandes. Sie verwechseln nämlich han deln und denken , und ohne es selbst zu wollen, begünstigen sie dadurch einen ärge¬ ren Despotismus, als denjenigen, den sie be¬ streiten. Die Folge der kaiserlichen Refor¬ men war Widerstand, Aufruhr, Krieg; das Blut von Tausenden musste fliessen, die Ru¬ he von Millionen ward geopfert — für was? — für den Einfall eines Monarchen. Rühm¬ lich und gut war seine Absicht; aber bei ei¬ nem zweifelhaften Erfolg, und wenn so vie¬ ler Menschen Wohl auf dem Spiele steht, darf niemand selbst das Gute nicht durch gewaltsame Mittel erzwingen, dem Volke die gewissen oder eingebildeten Vortheile, die es schon geniesst, nicht eigenmächtig entreissen, so lange es in demjenigen, was man ihm an ihrer Stelle darbietet, keinen Gewinn erkennt. Im Gegentheil, man soll die goldene Regel des frommen Bonafides befolgen: Wenn an das Gute, das ich zu thun vermeine, gar zu nah was gar zu Schlimmes gränzt: so thu’ ich lieber das Gute nicht; weil wir das Schlimme zwar so ziemlich zuverlässig kennen, aber bei weitem nicht das Gute. — Noch mehr: der Thron schützt so wenig vor Irrthum, dass er unter gleichen Umstän¬ den oft eine Quelle desselben wird. Der Kaiser konnte wirklich irren, er konnte wohl gar in guter Absicht etwas wollen, das an sich ungerecht und in allen seinen Fol¬ gen schädlich war. Wohlan! jene Maximen wollen wir einstweilen gutheissen, diese Möglichkeit zugestehen. Allein, wenn gleich der Kaiser in den Niederlanden nichts hätte ändern sollen, so durfte er darum doch ein¬ sehen . sehen , was recht und gut, was der Bestim¬ mung des Menschen und seiner ganzen Na¬ tur gemäss sei oder nicht. Mehr fordern wir auch nicht für uns; aber dies Wenige darf man uns nicht verweigern, wenn man nicht allen Fortschritt der Erkenntniss hem¬ men und uns dem Rechte des Stärkeren un¬ terwerfen will. Ein anderes ist es, erken¬ nen und öffentlich bekennen, was wahr, gut und recht genannt zu werden verdient, die Vernunft dort anwenden, wo sie am un¬ entbehrlichsten ist, zur Prüfung der wich¬ tigsten Verhältnisse des Lebens; ein anderes, die Welt nach dieser Erkenntniss, die sich nur allmälig einimpfen, nur langsam mit¬ theilen und verbreiten lässt, plötzlich um¬ schaffen und mit Gewalt vervollkommnen wollen. Überdiess liesse sich auch noch Manches gegen die Allgemeinheit der Regel des guten II. Theil . C Klosterbruders in Lessings Nathan einwen¬ den. Sie ist an ihrer Stelle in der Sitten¬ lehre des einfachguten, stillen, beschränkten Menschen, der sich vom Geräusche der Welt zurückgezogen hat, in ihre Händel sich nicht mischen mag und den Rest des Lebens frommen Übungen widmen will. Allein, wer darf behaupten, dass diese Regel für alle Klassen von Menschen, nach der jetzigen Lage der Sachen, zur Richtschnur tauge? Andere Kräfte, andere Gaben, andere Er¬ fahrungen und Ausbildungen haben auch ei¬ ne andere Sittenlehre, wie einen ganz ver¬ schiedenen Beruf. Lessing sagt an einem andern Orte sehr schön, sehr wahr und edel: was Blut kostet, ist gewiss kein Blut werth; allein man würde seinem Geiste unrecht thun, wenn man ihm die Folgerung andich¬ ten wollte, dass er alles Blutvergiessen für entbehrlich gehalten habe. Sein durchdrin¬ gender Verstand wusste zu wohl, dass alles, was geschehen ist, hat seyn müssen. Für Meinungen ward ja von jeher Blut vergos¬ sen; und können wir läugnen, dass ohne die gewaltsamen Mittel sie fortzupflanzen, wir vielleicht in unsern Wäldern noch Ei¬ cheln frässen und Menschen, wie die Thiere, jagten? Der sanftmüthige Stifter des Chri¬ stenthums sah voraus, dass er nicht den Frieden, sondern das Schwert und die Zwie¬ tracht brächte; und dennoch folgte er sei¬ nem inneren Berufe. Wer wollte auch eines Luthers Feuereifer nach Bonafides Sanftmuth richten! Allerdings giebt es Fälle, wo man den Blick über die etwanigen Nachtheile hinaus, die im gegenwärtigen Augenblick aus einer Reform entspringen können, auf die guten Folgen richten darf, welche die Zukunft erst reifen und offenbaren wird. Allerdings darf man säen auf Hoffnung der C 2 zukünftigen Erndte. Die Frage ist nur, wel¬ ches sind die privilegirten Menschen, die es wagen dürfen, sich über die vorhin erwähn¬ te Einschränkung hinwegzusetzen und ihrem eigenen Blick in die Zukunft zu trauen? Wer darf die jetzige Ruhe in Erwartung der zukünftigen Wohlfahrt stören? Giebt es Merkmale, an welchen sich diese überle¬ genen Geister im voraus erkennen lassen? oder bleibt es nicht immer in der Welt bei der alten Einrichtung, dass ein jeder nach seiner Einsicht und seinem Gefühle handeln müsse, auf seine Gefahr? Wenn die Speculation einen Grundsatz aufstellt, so giebt sie ihm eine Allgemein¬ heit, die er in der Anwendung nicht behal¬ ten kann, wo unaufhörlich entgegengesetzte Tendenzen von Principien, die an sich gleich richtig, gleich gut und gleich allgemein sind, den Handelnden wo nicht in Verlegen¬ heit setzen, doch zu Rücksichten nöthigen, die seine absolute Wirksamkeit einschrän¬ ken. So mag es denn auch mit dem Be¬ griffe von Volksglückseligkeit beschaffen seyn, den man zuweilen so fest an die Er¬ haltung einer ruhigen Existenz zu knüpfen pflegt. Kein Bewegungsgrund — so will man behaupten — soll stark genug seyn, den Vortheil zu überwiegen, der aus dem ungestörten Genusse der physischen Befrie¬ digung entspringt. Auf die Gefahr, den Menschen in seiner einförmigen Lebensweise zu stören, soll es nicht erlaubt seyn, ihn in neue Verhältnisse zu versetzen, die er bloss der Neuheit wegen hasst. Wie aber, wenn jemand einsähe, dass, indem alles jetzt beim Alten sein Bewenden hätte, das Missverhält¬ niss bald zu einer Höhe steigen müsste, wo¬ durch die Bande des Staats gewaltsam auf¬ gelöset würden? Wie, wenn das ungestörte C 3 Beharren in einem Zustande der unvollkom¬ menen Bildung, die den Menschen der Thier¬ heit näher lässt als jenem Ziele, welches ihm in der Perfektibilität seiner Geisteskräfte gesteckt ist; wenn dieses schläfrige, träge Vegetiren endlich Unfähigkeit zur Vervoll¬ kommnung bewirkte; eine solche Erstar¬ rung der Organe, die zur Vervollkomm¬ nung dienen, zuwege brächte, dass die sinn¬ liche Maschine keinen sittlichen Werth mehr erlangen, keiner subjektiven Ausbildung mehr fähig seyn, sondern bloss zu thie¬ rischen Funktionen tauglich bleiben könn¬ te? Dann dürfte doch einem Manne, der grosse Macht in Händen hat, und den Be¬ ruf in sich fühlt, mächtig in die Schicksale der Menschheit zu wirken, die Pflicht näher liegen, den Menschen Fähigkeit und Wür¬ digkeit zum Genuss ihres Daseyns zu ver¬ schaffen, als jene, ihnen einen Genuss zu sichern, der ihnen den Weg zum Ziel ihrer höheren Bestimmung abschneidet. Wer den Zweck will, muss auch die Mittel wollen. Ist die innere , sittliche Freiheit die wahre Grundlage menschlicher Glückseligkeit; ist alles Glück unsicher, ausser demjenigen, welches in dem Bewusstseyn der moralischen Unabhängigkeit besteht: so hintergeht man uns, wenn man in allen Fällen auf die Er¬ haltung des gegenwärtigen Zustandes dringt und den hohen Genius anfeindet, der vielen Menschen Veranlassung gab, durch unge¬ hemmte Wirksamkeit der Geisteskräfte sich zu jenem Bewusstseyn emporzuschwingen. Die aristokratische Partei schreiet über Entweihung ihrer Rechte. Allein, ”in ei¬ nem Staate, wo das Volk nicht wirklich re¬ präsentirt wird,” erwidert die Gegenpartei, ”dort existirt, strenge genommen, keine rechtmässige Gewalt; alles ist Usurpation, C 4 und selbst die freiwillige Ergebung des Vol¬ kes in den höchsten Willen der Aristokra¬ ten setzt eine schon früher an seinem Ver¬ stande verübte Gewaltthätigkeit voraus, ist ein Beweis von gekränkter Menschenwürde und verletztem Menschenrecht.‟ Alle so genannte Souverainitätsrechte, behaupten die Demokraten ferner, sind ihrer Natur zufolge allen Menschen unveräusserlich eigen, und jede unwiderrufliche Übertragung derselben, wann und wo sie auch erschlichen ward, ist nur ein Kennzeichen von menschlicher Ohnmacht und Unwissenheit. Diese beiden Eigenschaf¬ ten sind allerdings so allgemein durch unsere Gattung verbreitet, dass sie gleichsam ihre charakteristische Bezeichnung ausmachen und allen Herrschern der Erde, statt des wirkli¬ chen Rechtes, welches sie nimmermehr er¬ weisen können, ein im verjährten Besitz und in fortdauernder Schwäche der Völker ge¬ gründetes, der Vernunft sogar furchtbar ge¬ wordenes Scheinrecht ertheilen. So lange die grosse Masse des Menschengeschlechts in einem Zustande der Unmündigkeit bleibt — und es hatte noch unlängst den Anschein, dass sie es ewig bleiben würde — so lange kann dieser Unterschied subtil und überflü¬ ssig scheinen; für denkende Menschen aber und für Völker, welche anfangen sich zu fühlen, ist er ohne Zweifel sehr gegründet und sehr erheblich zugleich. Nach diesen Voraussetzungen wäre es demnach offenbar: wer Josephs Recht, in den Niederlanden nach seiner Erkenntniss des Bessern zu herr¬ schen, in Zweifel zieht, und seine Reform gewaltthätig nennt, der darf ihm wenigstens nicht das usurpirte, im Stumpfsinn und im Aberglauben des Volkes geschöpfte Recht der Stände entgegensetzen. Doch die Frage von Recht bei Seite, so C 5 lässt sich allerdings noch bezweifeln, ob es der Klugheit des Regenten gerathen war, im gegenwärtigen Falle den Despotismus der Aristokratie entgegen zu stellen und es dar¬ auf ankommen zu lassen, auf wessen Seite das Volk sich neigen würde. — Das Volk? Trägt es nicht überall die Fesseln der Ge¬ wohnheit als einen angeerbten Schmuck, den zu veräussern oder gegen eine schönere und nützlichere Zierde zu vertauschen, es für ein Verbrechen hält! War es nicht in den Nieder¬ landen insbesondere gleichgültig gegen jede Neuerung, auch wenn sie ihm, wie die Eröff¬ nung der Schelde, mit keinem Umsturz seiner Verfassungen drohete, und vielmehr reinen Gewinn zu bringen versprach? Konnte man vergessen, dass es in der Hand seiner Beicht¬ väter ein bloss leidendes Werkzeug ist? Vielleicht verachtete der Kaiser die wirklich auffallende Erschlaffung selbst dieser Theo¬ kraten, die dicke Finsterniss, in welcher ih¬ re Geisteskräfte schlummern, die Feigheit, die so oft die Gefährtin eines bösen Gewis¬ sens ist; er glaubte vielleicht, die Sybariten¬ seelen würden zittern vor dem Ernst eines Mannes. Diese Überzeugung wäre dann ein neuer Beweis des Scharfblicks, womit Jo¬ seph die Menschen durchschaute. Wirklich zitterten sie, so oft er ihnen in furchtbarer Herrschergestalt erschien. Erst nach dem unglücklichen Feldzuge wider die Türken im Jahr 1788 wuchs ihr Muth gegen den sterbenden Kaiser, und selbst dann bedurfte es genau des ganzen Zusammenflusses von Begünstigungen des Schicksals, um ihnen das Zeichen zum Aufruhr zu entlocken. Die Lieblingsidee des Kaisers, eine völ¬ lige Gleichförmigkeit des Administrationswe¬ sens und der Gesetzgebung in allen seinen Staaten einzuführen, ist ebenfalls nicht frei von Tadel geblieben. Es scheint in der That natürlicher, die Formen nach dem ver¬ schiedenen Genie der Völker abzuändern, als alle Völker in Eine Form zu zwängen. In Italien, Deutschland, Böhmen, Ungarn und Belgien sind die Menschen viel zu weit von einander verschieden in physischen und mo¬ ralischen Anlagen, in Sitten und Gewohn¬ heiten, um gleichen Handlungen denselben Werth oder Unwerth beizumessen. Die Verschiedenheit des Bodens, der Lage, des Himmelstrichs bestimmt diese Mannichfaltig¬ keit im Menschengeschlechte, wie in der ganzen organischen Schöpfung, die nur durch sie desto reicher und schöner unseren Augen und unserem Verstande entgegenglänzt. Sie durch irgend einen Mechanismus einschrän¬ ken wollen, scheint beinah eine Versündi¬ gung an der Natur. Allein zur Rechtferti¬ gung des Kaisers muss man sich erinnern, dass er am Rhein und an der Donau, am Po wie an der Maas und Schelde, eine weit unbegreiflichere Gleichförmigkeit als die war, die er einführen wollte, wirklich errungen sah: eine Gleichförmigkeit des Glaubens an unsichtbare, die Vernunft und ihre Formen weit übersteigende Dinge, eine allgemeine, unbedingte Gleichförmigkeit, die sich bis auf die individuellsten Bestimmungen erstreckt, die sich ein Recht der unumschränkten Herrschaft über alle Gemüther des Erdkrei¬ ses anmasst und keinen Widerspruch erträgt. Die Entstehung eines ähnlichen Systems in politischer Hinsicht, in dem Verstande eines Monarchen, ist also leicht begreiflich, wenn man gleich bedauert, dass er es für so wich¬ tig halten konnte. Ein solches Maschinen¬ werk hätte seinen Stolz beleidigen, es hätte seinem Geiste zu klein seyn müssen. Der grosse Mann nimmt die Menschen wie sie sind, und indem er ihnen den Glauben an ihre Spontaneität und Selbstbestimmung lässt, weiss er sie, unfühlbar wie die Gottheit, nach seinem Willen und zu seinem Zwecke zu lenken. Bereits im Jahre 1785 fing der Kaiser an, dieses System, welches er in seinen Deut¬ schen Staaten zum Theil schon gegründet hatte, auch in den Niederlanden einzuführen. Das Verbot der Einfuhr fremder Fabrikate und der Ausfuhr der rohen inländischen Pro¬ dukte fiel dem Speditionshandel dieser Pro¬ vinzen sehr zur Last, indem es die Trans¬ portkosten durch die Erhebung starker Tran¬ sitozölle um ein merkliches erhöhte. Die Eintheilung des Landes in neun Kreise, nach dem Muster der Östreichischen, die Ernen¬ nung der Intendanten in den Kreishaupt¬ mannschaften, die Einführung des neuen Gerichtssystems durch den Freiherrn von Martini , der dieses Geschäft in den Italieni¬ schen Besitzungen des Kaisers bereits glück¬ lich beendigt hatte, und die Abstellung ver¬ schiedener in den Privilegien zwar gegrün¬ deten, aber durch die Länge der Zeit in Missbräuche ausgearteten Einrichtungen, be¬ drohete den Adel und die höheren Stände überhaupt mit einer grossen Schmälerung ihrer bisher genossenen Vorrechte und des überwiegenden Einflusses, den sie seit un¬ denklichen Zeiten im Lande behauptet hat¬ ten. Es war des Kaisers Absicht, allen sei¬ nen Unterthanen, ohne Ansehen des Ranges, des Standes und der Person, gleichen Schutz des Gesetzes angedeihen zu lassen und von allen einen gleichförmigen Beitrag zu den Bedürfnissen des Staates zu fordern. Diesen gerechten und billigen Vorsatz konnte er aber nicht anders bewerkstelligen, als indem er den bisherigen Gang der Geschäfte in den Gerichtshöfen abänderte; wo derselbe zu verwickelt war und ihm gar zu viele Schwie¬ rigkeiten in den Weg legte, die Tribunale selbst aufhob, und zur Erhebung der neuen Steuern andere Beamten, mit anderen Vor¬ schriften und Vollmachten als die vorigen, einsetzte. Beinahe noch wichtiger war derjenige Theil seiner Reform, welcher die Diener der Religion betraf. In ihrer Person wollte er dem Volke bessere Erzieher und Führer be¬ reiten, und stiftete zu dem Ende überall in seinen Landen, mithin auch in den Belgi¬ schen Provinzen, ein Generalseminarium , ein Erziehungsinstitut für künftige Priester und Pfarrer, wo sie nach besseren Grundsätzen als bisher gebildet, und in den Pflichten nicht bloss des hierarchischen Systems, son¬ dern auch der Menschheit und des Bürgers, zweckmässig unterrichtet werden sollten. Löwen, Löwen, diese alte, einst berühmte, durch die Freigebigkeit ihrer Stifter vor allen andern begüterte Universität, die jetzt in den Pfuhl des ultramontanischen Verderbens gesunken war, erheischte die ganze Aufmerksamkeit und Sorgfalt des Monarchen und seiner Stu¬ diencommission. Die beinah uneingeschränk¬ ten Gerechtsame dieser hohen Schule hatten daselbst in den Händen herrschsüchtiger Prie¬ ster ein System von Missbräuchen, eine Ver¬ schwörung wider die Menschheit und was sie adelt, die Denkkraft, erzeugt, dessen schauderhafte Wirkungen ohne gänzliche Um¬ schmelzung der Universität nicht vertilgt werden konnten. Es wurden anfänglich vier Direktoren in den vier Fakultäten er¬ nannt., um die Studien nach einem neuen Plan daselbst einzurichten; allein diese Vor¬ kehrung, welche bei einem von der Geist¬ lichkeit und dem päbstlichen Nuntius unter II. Theil . D den Studenten angezettelten Tumult, und in der Folge bei jeder Veranlassung, den heftigsten Widerspruch erlitt, ward zuletzt unzulänglich befunden. Die Erziehung des Volkes, der Hauptge¬ genstand von Josephs väterlicher Fürsorge, konnte nicht ohne grosse Kosten auf einen besseren Fuss gesetzt werden; die neuen Besoldungen der Schullehrer und Seelsorger beliefen sich auf ansehnliche Summen, zu deren Bestreitung der Fond erst ausgemittelt werden musste. Den Kaiser führte sein Plan hier, wie in Östreich, Ungarn und der Lombardei, zu den todtliegenden oder ge¬ missbrauchten Schätzen der Klöster. Die frommen Gaben und Stiftungen, womit die Vorzeit der Heiligkeit des monastischen Le¬ bens fröhnte, zugleich aber sie wahrschein¬ lich auf die Zukunft hin untergrub und in wollüstigen Müssiggang verwandelte, sollten nunmehr ihre bisher verfehlte Bestimmung erreichen und, in einen allgemeinen Reli¬ gionsfond gesammelt, dem Bedürfnisse des Volkes, geläuterte, einfache Begriffe von Got¬ tesdienst und Christuslehre zu empfangen, heilig seyn. Die Klöster erhielten also den Befehl, den Betrag ihres Vermögens anzuge¬ ben; zugleich bestimmte man die Dörfer, wo neue Pfarren angelegt werden sollten: und um den Anfang der Rückkehr zur ur¬ sprünglichen Einfalt und Reinheit des Chri¬ stenthums zu begründen, erschien das Verbot der Processionen und Wallfahrten, die den Müssiggang, den Aberglauben und die Im¬ moralität im Volk unterhielten; die Andäch¬ telei der Brüderschaften verschwand; die überflüssigen Feiertage wurden abgestellt, und solchergestalt ward mancher Faden zer¬ schnitten, durch welchen es der Römischen Seelentyrannei vor Zeiten gelungen war, ihr D 2 weites Reich auch in den Niederlanden zu begründen. Endlich schritt der Kaiser zur Aufhebung der entbehrlichsten Klöster, und liess die Güter der erledigten Prälaturen für Rechnung des Religionsfonds administriren. Alle diese Neuerungen brachten die Geist¬ lichkeit in den Niederlanden mehr als in allen übrigen Provinzen seines Reiches wi¬ der ihn auf; und da sich alle Stände und alle Volksklassen zu gleicher Zeit für ge¬ kränkt und in ihren Rechten angegriffen hielten, alle nur erst das Unbequeme und die Last der Reformen empfanden, ohne in die Zukunft, wo ihnen wahre Vortheile winkten, hinausblicken zu wollen oder zu können, so erhob sich hier gleichsam eine allgemeine Stimme der Missbilligung, der Weigerung und des Unwillens. Diese Uebereinstimmung gab den Vor¬ stellungen, welche die Stände gegen die Ver¬ ordnungen ihres Landesherrn einschickten, einen kühnen, zuversichtlichen, trotzigen Ton. Geduld und Güte waren die Beruhi¬ gungsmittel, deren sich der Kaiser anfänglich dagegen bediente. Den Nuntius Zondadari , als den Urheber der Unruhen in Löwen, hatte man aus dem Lande gejagt; aber den Kardinal von Frankenberg , der sich dabei nicht minder thätig bewiesen, behandelte Joseph , nachdem er ihn vor sich nach Wien hatte berufen lassen, mit ausgezeichneter Langmuth, und dem Bischofe von Namur verzieh er sein noch gröberes Vergehen. Die neue gerichtliche und politische Verfassung nahm mit dem ersten Januar 1787 ihren An¬ fang; der Staatsrath, der geheime und der Finanzrath wurden abgeschafft, und an ihre Stelle ein einziges Generalgouvernement mit einem dazu gehörigen Rath eingesetzt, wor¬ in der bevollmächtigte Minister des Kaisers D 3 den Vorsitz führte und über die sämmtli¬ chen politischen und ökonomischen Angele¬ genheiten des Landes entschied. Alle De¬ putationen oder immerwährende Ausschüsse der Stände in den Niederlanden hob der Kaiser mit einem Federstrich auf, und liess dagegen einige Abgeordnete von den Stän¬ den als Beisitzer in den Gouvernementsrath eintreten. Alle bis dahin subsistirende Ge¬ richtshöfe, den hohen Rath von Brabant mit einbegriffen, alle Gerichtsbarkeiten der Guts¬ besitzer auf dem platten Lande, alle geist¬ liche Tribunale und nicht minder die Ge¬ richte der Universität Löwen annullirte er zu gleicher Zeit, um einem souverainen Ju¬ stizhofe ( conseil souverain de justice ) Platz zu machen, der in Brüssel residiren, und als höchste Instanz in erforderlichem Falle die Revision der ebenfalls zu Brüssel oder zu Luxemburg, in den dortigen Appellationsge¬ richten entschiedenen Processe übernehmen sollte. Die Eintheilung der sämmtlichen Östreichischen Niederlande in neun Kreise war mit der Aufhebung aller bisherigen Grands-Baillis , Kastellane und anderer Be¬ amten verbunden, und schien berechnet, um die vorige Eintheilung nach den Provinzen gänzlich aufzulösen. Die Gubernialräthe oder Intendanten und ihre Kommissarien erhiel¬ ten die Oberaufsicht über alle Magistratsper¬ sonen und alle Administratoren der öffent¬ lichen Einkünfte, nebst einer Jurisdiktion, welche ihnen die summarische Justiz anver¬ traute. Dieses furchtbare Heer von neuen Ver¬ fügungen drohete den Ständen augenschein¬ lich mit dem Verlust ihrer ganzen Authori¬ tät; einer Authorität, die, so sehr sie mit dem wahren Interesse des Belgischen Volkes stritt, ihnen gleichwohl durch langwierigen D 4 Besitz und durch die feierliche eidliche Be¬ kräftigung aller ihrer Privilegien, von jedem neuen Thronbesteiger, und namentlich auch von Joseph dem Zweiten im Jahr 1781, zu¬ gesichert worden war. Der Adel, nebst dem dritten Stande, dessen Zustimmung unter den jetzigen Umständen leicht gewonnen ward, verbanden sich mit der Geistlichkeit zu gegenseitigem Beistande; sie wurden ei¬ nig, zuerst das politische und gerichtliche System des Kaisers anzugreifen, und sobald ihnen dieses gelungen seyn würde, mit ver¬ einigten Kräften von neuem auf die Zurück¬ nahme aller Verordnungen zu dringen, wel¬ che die geistliche Reform zum Ziele hatten. Eine betrügliche Ruhe ging dem Aus¬ bruch dieser verabredeten Bewegungen vor¬ her. Der Kaiser hatte seinen Entschluss be¬ kannt gemacht, seine erhabene Freundin, Katharina die Grosse , auf ihrem Zuge nach Taurien zu besuchen, und die Niederländer warteten den Zeitpunkt seiner Entfernung ab, um ihr Vorhaben auszuführen. Am 11ten April hatte der Kaiser seine Residenz ver¬ lassen; am 17ten versammelten sich die Bra¬ bantischen Stände, und am 26sten weigerten sie sich die gewöhnlichen Subsidien zu be¬ willigen, es sei denn, dass alle neue Einrich¬ tungen, als unverträglich mit ihren Vorrech¬ ten, wieder aufgehoben würden. Das vom Kaiser abgesetzte Conseil von Brabant er¬ klärte am 8ten Mai die neuen Gerichte für verfassungswidrig und alle ihre Procedu¬ ren für nichtig. In Flandern, Hennegau, Tournesis, Mecheln und Geldern folgte man diesem Beispiele; nur Limburg und Luxem¬ burg blieben ruhig und äusserten ihre Zu¬ friedenheit mit der neuen Verfassung. Das Vorrecht der Niederländer, nur in ihrem Vaterlande gerichtet zu werden, war in der D 5 Person eines Seifensieders, de Hont , verletzt worden. Er sollte Betrug an einer landes¬ herrlichen Kasse verübt haben; man hatte ihn in Verhaft genommen und nach Wien geliefert. Das Volk, gestimmt und gereizt durch die Widersetzlichkeit der Stände ge¬ gen das Gouvernement, bediente sich dieses Vorwandes, um mit einem allgemeinen Auf¬ ruhr zu drohen. Schon umringte es das Rathhaus, und schickte zu den versammelten Ständen hinauf, um anzufragen, ob es zu den Waffen greifen solle; schon sah man Vornehme und Geringe, ohne Unterschied des Geschlechts, sich unter diesen Pöbel mischen, um ihn zu Gewalttätigkeiten an¬ zufeuern; schon schleppte man Strohmänner, mit dem daran befestigten Namen ”Kreis¬ hauptmann” durch die Strassen, und ver¬ brannte sie auf öffentlichem Markt; man warf dem Minister, Grafen von Bolgiojoso , und anderen Kaiserlichen Beamten die Fen¬ ster ein, und bewog dadurch den Präsiden¬ ten des souverainen Justizhofes, von Crum¬ pipen , seinen Posten zu resigniren. Die Concessionen, wozu sich die Erzherzogin Christine nebst ihrem Gemahl genöthigt sah, schienen das Volk und die Stände nur be¬ herzter zu machen. Am 30sten Mai erfolg¬ te in Brüssel ein neuer Auflauf, der mit den fürchterlichsten Symptomen ungezügelter Wuth im Pöbel, und mit einer ungestümen Forderung von Seiten der Stände an die Generalgouverneurs begleitet war. Die pe¬ remptorisch verlangte und noch denselben Abend erfolgte Entschliessung, von der man schwerlich erfahren wird, wie viel davon erzwungen, und wie viel freiwillig oder ab¬ sichtlich zugestanden war, enthielt die Ver¬ sicherung, die Privilegien, Freiheiten, Her¬ kommen und Gebräuche, wie sie seit zwei hundert Jahren bestanden hätten, unverän¬ dert aufrecht zu erhalten und alles zu an¬ nulliren, was dawider geschehen sei. Das Volk ging am andern Morgen von einem Extrem zum andern über, von aufrühreri¬ scher Wuth zu ausgelassener Freude. Sechs¬ hundert junge Brabanter, aufs prächtigste gekleidet, zogen die Generalgouverneurs in ihrem Wagen unter Begleitung der Musik in die Komödie; die Stadt war erleuchtet, man lösete die Kanonen und läutete mit allen Glocken. Des Kaisers beschleunigte Rückkehr nach Wien verwandelte die schönen Hoffnungen, womit man sich schon wiegte, in Trauren und Zagen. Er berief die Generalgouver¬ neurs und den Minister Belgiojoso zurück, und forderte von den Ständen eine Deputa¬ tion, die ihm ihre Beschwerden vorlegen sollte. Die Stände sowohl als auch der Ma¬ gistrat von Brüssel machten Mine, die Erz¬ herzogin und den Herzog zurückzuhalten; sie weigerten sich sogar die Deputirten ab¬ zuschicken. Der Kaiser erneuerte seinen Befehl, und man gehorchte. Nach der Ab¬ reise der Generalgouverneurs und des Mini¬ sters vereinigte Graf Murray auf Verfügung des Kaisers in seiner Person die Befehlsha¬ berstelle über die Truppen mit der Würde eines Interimsgouverneurs. Er liess die Be¬ satzungen der verschiedenen Städte ausmar¬ schiren, Lager im Felde beziehen und sich mit Munitionen und Artillerie versehen. Diese Maassregeln hielten die Bürgercorps, die sich hier und dort zu formiren und zu bewaffnen angefangen hatten, in einiger Furcht, welche sich auf die gewisse Nach¬ richt, dass der Kaiser ein beträchtliches Krie¬ gesheer nach den Niederlanden beordert habe, noch um ein Merkliches vermehrte. Die von Wien zurückgekommenen Deputirten bewogen endlich die Stände, sich dem Wil¬ len des Kaisers zu unterwerfen und alles wieder auf den Fuss herzustellen, wie es vor dem ersten April gewesen war. Alle Provinzen fügten sich einer Verordnung, welche die beleidigte Monarchenehre als Genugthuung befolgt wissen wollte, und be¬ willigten endlich die noch immer vorenthal¬ tenen Subsidien. Die Bürgerschaft in Brüs¬ sel allein hatte sich in ihre Uniformen und Kokarden verliebt, und weigerte sich sie abzulegen. Murray liess am 19ten Septem¬ ber Truppen einmarschiren, und der Schwin¬ del der Einwohner ging wirklich so weit. dass sie sich zur Gegenwehr setzten. Die ganze Stadt war eine Scene des wüthendsten Aufruhrs. In diesem schrecklichen Augen¬ blick entwarf ein kaiserlicher General den Plan einer allgemeinen Plünderung und Ver¬ heerung der Stadt. Das Schwert würde Joseph den Zweiten fürchterlich an den Ein¬ wohnern von Brüssel gerächt haben, fürch¬ terlicher, als sein im Grunde menschli¬ ches Herz es je ertragen hätte, wenn nicht der Herzog von Ursel , schon damals der ei¬ frigste Gegner despotischer Maassregeln, ins Mittel getreten wäre. Sein Ansehen und seine Geistesgegenwart retteten die Stadt. Nachdem der Auflauf zwei Personen das Leben gekostet hatte, gelang es dem Herzog am 20sten, die Bürgerschaft zu ruhiger Fol¬ geleistung zu bereden. Die Nachgiebigkeit der Generalgouver¬ neurs hatte jedoch den Kaiser zu sehr kom¬ promittirt, als dass er im Ernst daran hätte denken können, seinen Reformationsplan durchsetzen zu wollen. Kaum war also jeder Widerstand besiegt und der Nacken der Sträubenden unter das Joch gebeugt, als bereits am 21sten September, vermöge einer zu diesem Behuf schon fertig liegenden De¬ pesche, den Ständen alle ihre Forderungen zugestanden wurden, und die alte Landesver¬ fassung, bis auf wenige, zu näherer Ver¬ ständigung aufgehobene Punkte, in ihre ehemaligen Rechte trat. Ohne Zweifel hatte der zwischen Russland und der Pfor¬ te jetzt ausgebrochene Krieg, woran der Kaiser thätigen Antheil nehmen musste, ei¬ nen nicht geringen Einfluss auf diese Ent¬ schliessung. Damit indess künftighin die Güte und Sanftmuth der Generalgouverneurs vor ähnlichem Missbrauch gesichert werden möchte, schickte der Kaiser den Grafen von Trautmannsdorf , mit einer erweiterten Voll¬ macht, als seinen Minister nach den Nieder¬ landen; und wie der Erfolg zeigte, so lag ein Theil dieser Sicherung in der Art des Verhältnisses, welches der Kaiser zwischen seiner seiner Schwester, ihrem Gemahl und diesem Minister festgesetzt hatte. Der General d'Alton , erhielt zu gleicher Zeit das Kom¬ mando aller in den Niederlanden befindli¬ chen Truppen, an der Stelle des zurückbe¬ rufenen Grafen von Murray . Gegen das Ende Januars 1788 kehrten der Herzog Albert und die Erzherzogin Christine in ihr Gene¬ ralgouvernement nach Brüssel zurück. Die Stände der Belgischen Provinzen hat¬ ten nunmehr in politischer Rücksicht ihren Endzweck völlig erreicht, und es wäre un¬ gerecht, ihnen so viel Einsicht abzusprechen, als dazu gehörte, sich an diesen Vortheilen zu begnügen und die vorbehaltenen Punkte, nämlich die Einrichtung des Generalsemina¬ riums und die Angelegenheiten der Univer¬ sität Löwen, des Kaisers Willkühr zu über¬ lassen. Unter den edlen Familien in Brabant und Flandern gab es unstreitig auch einzelne II. Theil . E gebildete und aufgeklärte Personen, denen die Reformen des Kaisers im geistlichen Fache in ihrem wahren, wohlthätigen Licht erschienen, und die es folglich gern sahen, dass das Erziehungswesen eine bessere Ein¬ richtung bekam. Allein die Geistlichkeit erinnerte jetzt ihre Verbündeten an den vor¬ hin mit ihnen abgeschlossenen Vertrag; sie forderte von ihnen unbedingte Unterstützung zur Wiedererlangung aller ihrer Privilegien, und wusste es dahin zu bringen, dass man sich verpflichtet glaubte, diese treue Bundes¬ genossin, die sich zur Aufwiegelung des Volkes so geschäftig erwiesen hatte, nicht zu verlassen. Auf diesen Beistand trotzten die Bischöfe, indem sie auf die Erhaltung ihrer Priesterse¬ minarien drangen und sich jeder Neuerung, die der Kaiser zu Löwen vornehmen wollte, muthig widersetzten. Bei der Eröffnung sei¬ nes Generalseminariums am 15. Januar 1788 fanden sich keine Zuhörer ein, um die Vor¬ lesungen der neuen Professoren zu hören Das Gouvernement liess hierauf die bischöf¬ lichen Seminarien verschliessen und den Leh¬ rern bei Strafe verbieten, daselbst Vorlesun¬ gen zu halten; allein der Kardinal-Erzbischof von Mecheln wagte es, gegen dieses Verbot einen förmlichen Process anhängig zu ma¬ chen. Schon einige Zeit vorher hatte auch der Universitätsmagistrat versucht, sich als einen unmittelbaren Landstand anerkennen zu lassen, eine Anmassung, welche in den Privilegien keinen Grund hatte und daher auch bald durch ernste Maassregeln zurück¬ gewiesen ward. Dessen ungeachtet äusser¬ ten viele der vorigen Universitätsglieder eine so halsstarrige Widersetzlichkeit, dass man sie in Verhaft nehmen musste; andere ent¬ fernten sich, um diesem Schicksal zu entge¬ E 2 hen, und die Studenten zogen haufenweise fort. Dies bewog den Kaiser, am 17ten Ju¬ lius eine neue Verordnung ergehen zu las¬ sen, vermöge deren er die medicinische, ju¬ ristische und philosophische Fakultäten nach Brüssel verlegte, die theologische hingegen sammt dem Generalseminarium zu Löwen liess, und dem Kardinal, der seinen Process mittlerweile verloren hatte, nebst den ande¬ ren Bischöfen anbefahl, sich dorthin zu be¬ geben und die daselbst vorgetragene Lehre zu prüfen, um sich von ihrer Orthodoxie zu überzeugen. Die allgemeine Bewegung, wel¬ che diese Verfügungen in Brabant verursach¬ ten, liess sich leicht auf ihre Quelle zurück¬ führen, und die militairische Gewalt dämpf¬ te die Unruhen, welche darüber in Brüssel, Mecheln und Antwerpen entstanden. Diese Tumulte waren indess nur das Vor¬ spiel zu wichtigeren Auftritten. In Hennegau und Brabant hatte die Geistlichkeit alle Gemü¬ ther gestimmt, mit dem Adel und den Ständen alles gekartet. Wenige Monate zuvor hatten diese letzteren dem Kaiser in den unterwür¬ figsten Ausdrücken ihre gänzliche Rückkehr zu seiner väterlichen Huld bezeugt, und ihn angeflehet, die Spur aller vorhergegangenen Irrungen durch die Wiederkehr seines Zu¬ trauens zu vernichten. Jetzt bewilligten die beiden höheren Stände die Subsidien, von denen sie jedoch voraus wussten, dass der so genannte dritte Stand, der nur aus den Abgeordneten der drei Städte Brüssel, Me¬ cheln und Antwerpen besteht, der Abrede gemäss, die Zahlung verweigern würde. Den Vorwand zu dieser Verweigerung schämte man sich nicht von der unterbliebenen Her¬ stellung der Processionen und Brüderschaf¬ ten zu entlehnen; man forderte die Zurück¬ gabe aller aufgehobenen Klöster, und die E 3 unbedingte Zurücknahme aller Neuerungen im geistlichen Erziehungswesen. Der Kai¬ ser setzte dieser muthwilligen Forderung am 26. Januar 1789 eine sehr ernsthafte Erklä¬ rung entgegen, wodurch er sich von allen seinen übernommenen Verpflichtungen, we¬ gen der ohne Grund verweigerten Subsidien, loszusagen drohte. Die Stände von Brabant, denen es noch nicht Ernst war, den Klerus bei einer so frivolen Veranlassung in Schutz zu nehmen, beugten sich von neuem unter den Zepter, bewilligten die Steuern, und fleheten um Verzeihung und Gnade. Zu Mons hingegen im Hennegau, wo die Ent¬ lassung des Herzogs von Aremberg von sei¬ nem Ehrenposten als Grand-Bailli und die Wiederbesetzung dieser Stelle durch einen Ausländer, den verhassten General von Ar¬ berg , die Erbitterung schon weiter getrieben hatte, beharrten die Stände auf ihrer Wei¬ gerung, und es blieb kein anderes Mittel übrig, als die Cassation ihrer Versammlung und ihrer Privilegien, und die Gefangenneh¬ mung der vornehmsten Missvergnügten. Bei dem Kreislauf der Kenntnisse, wel¬ cher seinen Einfluss über alle Gegenden von Europa erstreckt, bei der Menge von statisti¬ schen Begriffen, welche durch die fortwäh¬ renden Missverständnisse von mehreren Jah¬ ren zwischen dem Volk und dem Monarchen immer genauer entwickelt werden mussten, wäre es in der That eine beispiellose, un¬ begreifliche Höhe und Allgemeinheit der Unvernunft gewesen, wenn unter zwei Mil¬ lionen Menschen die gute Seite der kaiser¬ lichen Reformen keinem eingeleuchtet hätte. So wenig Nachdenken im Allgemeinen unter den Niederländern Statt finden mochte, so tief sie auch gebeugt waren unter das Joch der Vorurtheile und des Aberglaubens, so E 4 gewiss mussten sich dennoch einzelne Men¬ schen finden, die in eigener Thätigkeit des Geistes zu reinen, unumstösslichen Resulta¬ ten gelangten, und Andere, die einer besseren Ueberzeugung, sobald sie sich ihnen darbot, offen und empfänglich waren. Solche Ein¬ zelne fanden sich wirklich, wie ich schon erwähnt habe, unter dem zahlreichen Heere der Niederländischen Rechtsgelehrten. Die Bürger, wenigstens die wohlhabendsten un¬ ter dieser Klasse, blieben nicht durchge¬ hends ohne Empfänglichkeit für ihren Un¬ terricht. In den Maassregeln des Kaisers — so sehr sie einen despotischen Geist verrie¬ then, und aus der Voraussetzung zu fliessen schienen, dass der Zweck in des Monarchen Hand die Mittel heiligen könne — erkannte man dennoch ein Bestreben, den aristokra¬ tischen sowohl, als den hierarchischen Ein¬ fluss einzuschränken und dem Volk ein grösse¬ res Gewicht beizulegen, mithin eine gewisse Annäherung zu dem Ziele der kleinen An¬ zahl von Patrioten, die eine vollkommnere Repräsentation für die einzige Grundfeste der Volksfreiheit hielten. Man hatte sich geschmeichelt, dass der Kampf zwischen dem Kaiser und den Ständen diese vortheilhafte Wendung nehmen würde; allein durch die plötzliche Wiederherstellung der alten Ver¬ fassung ging diese Aussicht verloren und es blieb nur noch der schwache Schimmer einer Möglichkeit, jene demokratischen Grundsätze im Stillen unter dem Volke zu verbreiten. So entstanden von jener Zeit an die patrio¬ tischen Versammlungen, wo die Advokaten Vonk , Verlooy und verschiedene andere auf ihre Mitbürger zu wirken suchten. Es gab sogar einzelne Personen vom höchsten Adel aus den ersten und berühmtesten Häusern, denen die Absichten dieser Demokraten E 5 nicht unbekannt blieben, und die sie unter der Hand begünstigten; entweder, weil sie selbst, von einem viel zu richtigen Gefühle geleitet, den Gedanken verwarfen, Theilneh¬ mer an der aristokratischen Tyrannei zu werden, oder weil ihr Ehrgeiz bei der De¬ magogenrolle besser seine Nahrung fand. Das Schicksal arbeitete indessen für diese Partei noch früher, als sie es erwarten konn¬ te. Die Unterwürfigkeit der Stände bei der letzten Veranlassung war so weit gegangen, dass sie sich sogar zu einiger Abänderung der Grundverfassung geneigt erklärt hatten. Dem Kaiser blieb es noch in frischem An¬ denken, dass die fehlerhafte Constitution des dritten Standes Schuld an der neulichen Ver¬ weigerung der Subsidien gewesen war. Er benutzte daher den günstigen Augenblick, um eine neue Verfassung dieses Standes in Vorschlag zu bringen, die ihn vor dem über¬ wiegenden Einflusse der beiden andern sicher stellen und den Stolz der drei bisher allein repräsentirten Städte herabstimmen sollte. Einen Vorschlag von dieser Art hatte man nur erwartet, um das vorige Misstrauen in seiner ganzen Starke zu äussern und die Larve des guten Vernehmens mit dem Monarchen wie¬ der abzuwerfen. Da der Kaiser zu gleicher Zeit die Absicht zu erkennen gab, die Be¬ willigung der Subsidien auf ewige Zeiten, wie man sie bereits im Jahr 1754 in Flan¬ dern ein- für allemal zugestanden hatte, auch in Brabant durchzusetzen; und da er sich für berechtigt hielt, von dem hohen Rath (Conseil) oder Justizhofe von Brabant die Promulgation seiner Edikte, wenn sie nicht mit den beschwornen Privilegien strit¬ ten, unverweigerlich fordern zu können: so versagten die versammelten Stände ihre Ein¬ willigung zu allen diesen Zumuthungen, und beharrten auf ihrem Entschlusse, selbst nach¬ dem der Kaiser, zum höchsten Zorn gereizt, das Conseil von Brabant und die Deputatio¬ nen der Stände kassirt und alle Rechte und Privilegien der so genannten Joyeuse Entrée oder des Grundvertrags zwischen ihm und den Belgiern, förmlich widerrufen und ver¬ nichtet hatte. Hierauf erfolgte noch am 18. Junius (1789) die Aufhebung der Stän¬ de selbst, wie im Hennegau. Eine so schnelle, so plötzliche Umstim¬ mung der Gemüther konnte nicht bloss ei¬ nem Anfall von übler Laune beigemessen werden; vielmehr musste sie schon von fern¬ her vorbereitet gewesen seyn. In der That hatte die Priesterschaft seit der Verschlie¬ ssung der bischöflichen Seminarien das Volk zur Aufkündigung alles Gehorsams unablässig angefeuert. Überall hörte man jetzt gegen die Person des Kaisers die gehässigsten Be¬ schuldigungen des Unglaubens und der Ketze¬ rei. Der Erzbischof und Kardinal von Me cheln fuhr fort, das Generalseminarium als irrgläubig zu verdammen und den Professo¬ ren verfängliche Fragen vorzulegen. Diesem Trotz folgte endlich die vom Minister dem Prälaten angedrohete Strafe, ihn von allen seinen Würden zu entsetzen, und die Zu¬ rückforderung der Ordenszeichen, womit die verstorbene Kaiserin ihn beschenkt hatte. Noch ungleich gefährlicher und ahndungs¬ werther musste dem Generalgouvernement das Betragen des Bischofs von Antwerpen erscheinen, indem es diesem sogar Hausar¬ rest ankündigte. Wie kräftig die Ermah¬ nungen dieser Friedensapostel gewesen seyn müssen, zeigt die fast unmittelbar darauf im Volk hervorgebrachte Gährung. Der Pöbel in Tirlemont, Löwen und Diest rottete sich zusammen, plünderte die Häuser der Kaiser¬ lichgesinnten nebst den landesherrlichen Kas¬ sen, und feuerte, unter Anführung der Mön¬ che, die ihnen das Beispiel gaben, auf die daselbst in Besatzung liegenden Truppen. Unstreitig trug die Fortdauer des Krieges gegen die Türken, die den Kaiser nöthigte, seine ganze Macht an den östlichen Gränzen der Monarchie zusammenzuziehen, nicht we¬ nig dazu bei, die Niederländer so beherzt zu machen. Der unvermuthete Umsturz der monarchischen Verfassung in Frankreich, welcher genau in diesen Zeitpunkt traf, ver¬ mehrte ebenfalls den Schwindel dieses miss¬ geleiteten Volkes. Endlich hatte auch die Eifersucht gewisser Europäischen Mächte ge¬ gen Joseph und seine grosse Bundesgenossin sichtbaren Antheil an der Verwegenheit, wo¬ mit die Unterthanen des Kaisers in allen seinen Staaten sich gegen seine Verordnun¬ gen auflehnten. Der Advokat Heinrich van der Noot negociirte heimlich im Namen des Belgischen Volkes, dessen bevollmächtigten Agenten er sich nannte, an einigen benach¬ barten Höfen, und körnte seine angeblichen Commitenten mit erdichteten oder auch wirk¬ lich erhaltenen Versprechungen. Unter allen diesen mitwirkenden Ursa¬ chen, die das Feuer der Empörung heimlich anfachten, war keine dem Kaiser so wichtig und so bedenklich, als die unbedingte Macht der Geistlichkeit über die Meinungen des Volkes. Er erkannte jetzt zu spät, dass, die Zeit allein etwa ausgenommen, nichts ver¬ mögend sei, den nachtheiligen Eindruck aus¬ zulöschen, den der Fanatismus in einem abergläubischen Volke gegen ihn heraufzau¬ bern konnte. So lange die Reformen nur die bürgerlichen Verhältnisse des Staats und seiner Glieder betrafen, hatte man sich zwar widersetzt, jedoch nicht aufgehört, den Lan¬ desherrn zu ehren und alle Pflichten gegen ihn zu erfüllen. Hingegen von dem Augen¬ blick an, wo die Priesterschaft seinen Glau¬ ben verdächtig machen und seinen Einrich¬ tungen den Anstrich gotteslästerlicher Ein¬ griffe in die Mysterien der Religion geben konnte, verwandelte sich die Achtung seiner Unterthanen in Abscheu und Hass. Die furchtbare Beschuldigung der Ketzerei hatte noch jetzt in den Niederlanden dieselbe Kraft, wie vor dreihundert Jahren im übri¬ gen Europa; sie lösete alle Bande der Pflicht und der Menschheit, und raubte dem Be¬ schuldigten alle Rechte. Joseph empfand also noch am Schlusse des achtzehnten Jahr¬ hunderts die ganze unwiderstehliche Gewalt der theologischen Zauberformeln, die vor Alters seine Vorfahren auf dem Kaiserthrone so tief gedemüthigt hatten. Er empfand vielleicht noch mehr; vielleicht schmerzte ihn ihn wirklich, in dem zerrütteten Zustande worin sich seine ganze Organisation so kurze Zeit vor ihrer Auflösung befand, die ver¬ lorne Liebe dieses verblendeten Volkes. Das Glück der Unterthanen hatte ihm bei allen seinen Reformen am Herzen gelegen; sie hatten dieses Ziel verfehlt, und er nahm sie zurück. Am 14ten August erschien wirklich ein neues Edikt, wodurch die Uni¬ versität zu Löwen in alle ihre Gerechtsame wieder eingesetzt und die bischöflichen Se¬ minarien von neuem eröffnet wurden. Allein der Zeitpunkt, worin diese Handlung die Gemüther hätte besänftigen können, war verstrichen; das Zutrauen des Volkes war dem Monarchen entrissen; eine leidenschaft¬ liche Erbitterung hatte sich aller Klassen be¬ mächtigt und sie alle gegen ihn unempfind¬ lich gemacht. Man schrieb der Ohnmacht, der Furcht, der Verstellung eine Nachgie¬ II . Theil . F bigkeit zu, woran diesesmal die Güte wirk¬ lich Theil gehabt haben konnte; und im Taumel der Freude über diesen Triumph fing man an zu glauben, das Volk dürfe nur wollen, um von seinem Herzog unabhängig zu seyn. Die demokratische Partei blieb bei dieser Lage der Sachen nicht unthätig. Der Ad¬ vokat Vonk entwarf den berühmten Plan einer Association, die er pro aris et focis nannte, und wozu er sich nur mit sieben anderen Verschwornen ( Verlooy , Torfs , Kint , Wenmals , Daubremez , Fisco und Har¬ di ) verband. Diese beeidigten jeder anfang¬ lich sieben bis zehn neue Mitglieder, welche wieder andere aufnahmen, und so ging es fort ins Unendliche. Jeder Verschworne gab sich einen Namen, den er auf eine Karte schrieb; derjenige, der ihn aufgenom¬ men hatte, schrieb den seinigen dazu, und liess die Karte auf diese Art an die ursprüng¬ lichen Häupter des Bundes gelangen. Sol¬ chergestalt übersahen diese auf einen Blick die Anzahl der Verbündeten, und ausser ihnen wusste niemand den ganzen Zusam¬ menhang der Verschwörung. Städte und Dörfer wurden auf diesem Wege zu einem gemeinschaftlichen Zwecke vereinigt; man leitete alles dahin ein, zu gleicher Zeit im ganzen Lande durch eine gewaltsame und plötzliche Anstrengung die Macht des Kai¬ sers zu bezwingen, ohne zuvor das geringste von diesem Vorhaben ahnden zu lassen. So wurden zu Mecheln dreitausend Menschen in drei Tagen für die Association gewonnen; ganz Löwen gehörte in acht Tagen dazu; in den anderen Städten von Brabant und Hennegau warb man ebenfalls die Majorität der Einwohner an. Fast zu gleicher Zeit beschloss die patrio¬ F 2 tische Versammlung in Brüssel, an den Grän¬ zen der Niederlande ein kleines Heer zu versammlen. Wer für das Vaterland die Waffen ergreifen wollte, ward heimlich in die Gegend von Hasselt im Lütticher Ge¬ biete geschickt und dort aus einer Kasse, wozu die reichen Klöster und Abteien, die Kaufleute von Antwerpen und andere Pri¬ vatpersonen grosse Summen gaben, bis zur gelegenen Zeit unterhalten. In der Hollän¬ dischen Gränzstadt Breda und ihrer Nach¬ barschaft versammelte sich ein zweiter Haufe von Flüchtlingen, den die patriotische Ver¬ sammlung zu Brüssel in der Folge ebenfalls in Sold nahm. Van der Noot , dessen Voll¬ macht einige Mitglieder des Prälaten- und des Bürgerstandes unterzeichnet hatten, fuhr noch lange fort, sich zu schmeicheln, dass eine auswärtige Macht den Niederländern Hülfstruppen bewilligen würde; doch end¬ lich verschwand sowohl diese Hoffnung, als die noch weniger gegründete auf Französi¬ schen Beistand. So kühn und wohl ersonnen diese Maass¬ regeln scheinen mögen, so wenig hätten sie gleichwohl gegen sechzehntausend Mann re¬ gulärer Truppen vermocht, welche d'Alton in den Niederlanden kommandirte. Allein zu den Unglücksfällen, welche die letzten Monate von Josephs Regierung bezeichneten, gehörte vorzüglich auch dieser, dass unter seinen Bevollmächtigten der Geist der Zwie¬ tracht herrschte. Die unumschränkte Macht des Ministers Trautmannsdorf musste ihn bei denen verhasst machen, die sich durch ihn von einem wirksamen Antheil an der Re¬ gierung ausgeschlossen fühlten; es konnte sogar das Interesse einiger Mitglieder des Gouvernements geworden seyn, den Unter¬ nehmungen der Niederländer den glücklich¬ F 3 sten Erfolg zu wünschen, so lange nicht die gänzliche Unabhängigkeit, sowohl der Sache als dem Namen nach, der letzte Endzweck der Insurgenten war. Das Missverständniss zwischen dem General und dem Minister hatte den Punkt erreicht, wo man so leicht die Pflichten gegen den Staat und den Lan¬ desherrn aus den Augen setzt, um den Ein¬ gebungen des Hasses und der Privatrache zu folgen. Trautmannsdorf erhielt beständig die freundschaftlichsten Ministerialversiche¬ rungen von dem Gesandten der Generalstaa¬ ten, dass seine Souveraine keinen Antheil an den Bewegungen der Niederländer näh¬ men, und affektirte daher, die bedenklichen Nachrichten, die ihm d’Alton von Zeit zu Zeit einschickte, für unbedeutend zu halten. Es war indess nicht zu läugnen, dass die Belgischen Flüchtlinge zu Breda unter der Hand allen Vorschub erhielten, der nicht für einen offenbaren Friedensbruch gelten konnte. Die Generalstaaten weigerten sich auch, den Niederländischen Emissar van der Noot , der sich im Haag aufhielt, auf Ansuchen des Kaiserlichen Gesandten, aus¬ zuliefern. Allein so lange die ganze Gefahr eines Angrifs nur von einem so kleinen, so schlecht gekleideten und bewaffneten, so gänzlich undisciplinirten Haufen, wie der zu Breda, herrühren sollte, war der Minister zu entschuldigen, dass sie ihm verächtlich schien. Vielleicht schmeichelte auch seinem Selbstgefühl der Gedanke, alles noch ohne Zuthun des Feldherrn beilegen und beruhigen zu können. So begreift man wenigstens, warum er den Kaiser von dieser Möglich¬ keit bis auf den letzten Augenblick zu über¬ zeugen und ihn zu gütigen Maassregeln zu stimmen suchte, indess er die kritische Lage der Sachen entweder verhehlte oder selbst F 4 nicht in ihrem ganzen gefahrvollen Umfang übersah Der Mann, der, im Gefühl seiner ihm anvertrauten Vollmacht, zu seinen eige¬ nen Kräften leicht ein grosses Zutrauen fas¬ sen mochte, gab auch wohl eine Seite sei¬ nes Charakters Preis, die man benutzen konnte, um ihn in seiner Täuschung zu er¬ halten. Die doppelte und schwer zu verei¬ nigende Absicht, dem Kaiser seine Provin¬ zen und sich selbst den ganzen Einfluss sei¬ nes Postens zu sichern, ward unausbleiblich eine Quelle schwankender, unzusammenhän¬ gender, widersprechender Handlungen, wel¬ che nur dazu dienten, der Nation die Schwä¬ che und innere Zerrüttung des Gouvernements noch deutlicher zu verrathen. Die Auswanderungen wurden indessen immer häufiger, und erregten endlich die Aufmerksamkeit der Regierung. Am 30sten September wurden sie bei Strafe des To¬ des und der Einziehung der Güter verbo¬ ten. Bald darauf marschirte der General Schröder mit einem ansehnlichen Detasche¬ ment nach Hasselt, um die daselbst ver¬ sammelten Insurgenten zu zerstreuen; allein bereits am 6. Oktober hatten sich diese nach den Städten und Dörfern des Holländischen Brabants gezogen und machten nunmehr mit dem zwischen Breda und Herzogenbusch ent¬ standenen Haufen ein Heer von vier- bis fünf¬ tausend Mann aus. Um die Geistlichkeit ausser Stand zu setzen, diese Truppen fer¬ nerhin zu besolden und mit Kriegesmunitio¬ nen zu versehen, erschien am 13. Oktober ein Edikt, welches die Einkünfte von zwölf begüterten Abteien, Tongerloo , St. Bernhard , Affligem , Gembloux , Villers , Vlierbeek , St . Gertrud , St. Michael , Diligem , Grimbergen , Everboden und Heylissem , sequestrirte und einer kaiserlichen Administration unterwarf. F 5 Von allen Seiten liefen jetzt Denunciationen gegen viele verdächtige Personen von allen Ständen bei der Regierung ein. Vonk und Verlooy entkamen aus Brüssel in dem Au¬ genblick, da man sich ihrer bemächtigen wollte; einige von ihren Verbündeten waren nicht so glücklich und geriethen in die Hände ihrer Verfolger. Allmälig wurden sogar die ersten Familien im Lande verdächtig gemacht. Fünf Mitglieder der Staaten von Brabant, die Grafen von Spangen , Lannoy , Duras , Coloma und Prudhomme d'Hailly, kamen in Verhaft; man bewachte die Herzoginnen von Aremberg und von Ursel in ihren Pallästen, und warf sowohl den Schriftsteller Linguet , als den kaiserlichen Fiskal le Coq und den Schweizer Secretan , Hofmeister der Söhne des Herzogs von Ursel, ins Gefängniss. Ganz Brüssel erbebte von dem Gerüchte einer Verschwörung, welche in ihren Wirkungen der Sicilianischen Vesper geglichen hätte; eine Anzahl Häuser, hiess es, sollten in die Luft gesprengt, die Officiere der Besatzung, die Glieder der Regierung und der Rech¬ nungskammer zu gleicher Zeit ermordet wer¬ den. Wie viel Wahres oder Erdichtetes in dieser Beschuldigung lag, könnten nur die Protokolle jener Zeit erweisen; allein was auch immer die Ursache gewesen seyn mag — dem Schweizer Secretan ward die Todesstrafe zuerkannt; man schleppte ihn in das finstere Behältniss, wo überwiesene Missethäter die Vollziehung ihres Urtheils abwarten müssen, und erst nach einer zweimonatlichen Gefan¬ genschaft rettete ihn endlich die Revolution. Alle Gefängnisse in Brüssel waren jetzt mit Personen aus allen Ständen, mit Priestern, Kaufleuten und Adelichen angefüllt, die man insgesammt irgend eines Verbrechens wider den Staat beschuldigte. Alles verkündigte die allgemeine Gährung, das gänzlich verlorne gegenseitige Zutrauen und die nahe Ent¬ scheidung. Die patriotische Armee setzte sich nun den 30. Oktober wirklich in Bewegung. Vonk hatte ihr in der Person seines Freundes, des ehemaligen kaiserlichen Obristen van der Mersch , einen geprüften Führer erworben. Ihre ersten Unternehmungen waren gegen Turnhout und die unbesetzten Schanzen Lillo und Liefkenshoek an der Schelde gerichtet. Der General Schröder , der ihnen am 27. nach Turnhout entgegenkam, hatte anfänglich ei¬ nigen Vortheil; als er aber in die Stadt ein¬ rückte, empfing man seine Truppen mit ei¬ nem heftigen Feuer aus den Fenstern und von den Dächern, welches ihn nach einem blutigen Gefechte zum Rückzug nöthigte. Die Insurgenten verliessen jedoch freiwillig alle diese Postirungen wieder, um von einer andern Seite, jenseits der Schelde, einen Ver¬ such auf Flandern zu wagen. Überall, wo sie erschienen, verbreiteten sie ein kühnes Manifest, welches van der Noot entworfen und unterzeichnet hatte, worin sie den Kaiser der Herzogswürde verlustig erklärten und ihm allen Gehorsam förmlich aufkündigten. Um diese Zeit hatte sich ein Ausschuss oder Comité der Stände von Brabant nach Breda begeben und dirigirte von dort aus die Ope¬ rationen des Patriotenheers. Hieher hatte eine streifende Partei auch den Kanzler von Crumpipen gefangen geführt, den jedoch die Generalstaaten, auf Ansuchen des kaiserlichen Chargé d'Affaires, wieder in Freiheit setzen liessen. Am 13. November ward Gent von den Insurgenten besetzt, die sich nach einem fürchterlichen viertägigen Kampfe, wobei ein Theil der Stadt eingeäschert ward, in dieser Hauptstadt von Flandern behaupteten. Zu gleicher Zeit erklärten sich alle Städte dieser Provinz gegen den Kaiser. Die Wirkungen der Vonkischen Verbrüderung äusserten sich plötzlich in allen Gegenden von Flandern, Brabant und Hennegau; Bürger und Bauern griffen zu den Waffen, und vertrieben oder vertilgten die kaiserlichen Besatzungen. Van der Mersch rückte jetzt zum zweitenmal an der Spitze von fünftausend Mann aus den Holländischen Gränzen bei Hoogstraaten in Brabant ein. Die Bestürzung über die von allen Seiten drohende Gefahr war bei den Anhängern der kaiserlichen Partei in Brüssel so gross, dass die Generalgouverneurs bereits am 18. November die Stadt verliessen und sich über Namur und Luxemburg nach Ko¬ blenz flüchteten. Verschiedene kaiserliche Beamte, nebst einigen Personen vom hohen Adel, folgten diesem Beispiel. Der Minister liess alle Gefängnisse in Brüssel, Antwerpen, Löwen und Mecheln öffnen, und die Verhaf¬ teten, die sich in die Hunderte beliefen, von welchem Range und Stande sie auch waren, ohne alle Bedingung in Freiheit setzen; er vernichtete am 20. das Generalseminarium zu Löwen, den Stein des Anstosses der Nie¬ derländischen Geistlichkeit; er widerrief am 21. im Namen des Kaisers das Edikt vom 18. Junius, stellte am 25. alle Privilegien von Brabant in ihrem ganzen Umfange wie¬ der her, versprach eine allgemeine Amnestie, dehnte sie am 26. auf alle Provinzen der Niederlande aus, und verbürgte sich mit seiner Ehre, dass der Kaiser den ganzen In¬ halt aller dieser Deklarationen genehmigen würde. Allein diese Maassregeln brachten jetzt auch nicht die geringste Wirkung her¬ vor, und änderten nichts in dem entschlosse¬ nen Gange der Gegenpartei. Schon am 23. November versammleten sich zu Gent die Stände von Flandern, und am 25sten be¬ schlossen sie vor allen übrigen Provinzen, dass der Kaiser aller Hoheitsrechte über die Grafschaft Flandern verlustig sei, und dass den sämmtlichen Provinzen der Vorschlag zu einer Niederländischen Union gethan wer¬ den solle. Nachdem van der Mersch über Diest und Tirlemont gegen Löwen vorgerückt war und den General d’ Alton genöthigt hatte, daselbst Vertheidigungsanstalten zu treffen, nahm er am 29sten seine Stellung bei Leau, woselbst noch an eben dem Tage der Oberste de Brou mit Friedensvorschlägen eintraf. Am 2. December ward auf zehn Tage ein Waffenstillstand geschlossen, den van der Mersch auf zwei Monate zu ver¬ längern versprach, wofern die Stände von Brabant zu Breda diese Verlängerung geneh¬ migen migen würden. Der Minister schmeichelte sich umsonst, auf diese Art zu neuen Un¬ terhandlungen Zeit zu gewinnen; weder die Stände von Flandern, noch der Committé von Breda wollte seine Vorschläge hören. Der ganze Vortheil des Waffenstillstandes blieb auf der Seite der Patrioten ; sie hatte man dadurch gleichsam förmlich anerkannt, man hatte ihnen in dem deshalb aufgesetzten schriftlichen Vergleiche diesen ehrenvollen Namen zugestanden, und man liess ihnen Zeit, ihre Armee durch Freiwillige und vor allem durch die schaarenweise einkommen¬ den Überläufer aus dem kaiserlichen Lager zu verstärken. Die Entfernung der Generalgouverneurs, die Nähe der patriotischen Armee, die Wich¬ tigkeit die man ihr durch einen erbetenen Waffenstillstand gegeben hatte, endlich die täglich auf einander folgenden Concessionen II. Theil . G des Ministers mussten der Gegenpartei Muth machen, alles zu unternehmen. Selbst die Vorkehrungen, welche d'Alton zur Erhal¬ tung der Ruhe in der Stadt getroffen hatte, dienten den Patrioten zur Erreichung ihres Endzweckes. Die Klöster, in denen die Truppen ein¬ quartiert lagen, boten die beste Gelegenheit dar, sie zum Überlaufen zu gewinnen; man druckte sogar den Schildwachen Geldstücke in die Hand, nahm ihnen ihre Waffen ab, und schaffte sie heimlich zur Stadt hinaus. Das Missverständniss zwischen ihrem General und dem Minister ward den Östreichischen Kriegern ein dringender Bewegungsgrund, ihre Fahnen zu verlassen, und dahin über¬ zugehen, wo die Freigebigkeit der Patrioten ihnen ausserordentliche Vortheile, und die Klugheit der Maassregeln grössere Sicherheit für ihr Leben bot. Am 7. December hatte Trautmannsdorf den Einwohnern die Aussen¬ werke Preis gegeben, welche d’Alton kurz zuvor hatte aufwerfen lassen, um die Stadt vertheidigen und zugleich in Furcht halten zu können. Von diesem Augenblick an ver¬ wandelte sich die Feigheit des Pöbels in das entgegengesetzte Extrem des tollkühnen Muths. Am 10. December ward in der Hauptkirche zu St. Gudula für das Glück der patriotischen Waffen eine feierliche Messe celebrirt. Gegen das Ende des Got¬ tesdienstes steckte jemand die Nationalko¬ karde an seinen Hut, und hob ihn, allen Anwesenden zum Signal, auf seinem Stock in die Höhe. In wenigen Minuten trug Al¬ les in der Kirche, in wenigen Stunden Alles in der Stadt die Kokarde. In diesem furchtbaren Zeitpunkt der all¬ gemeinen Ungebundenheit konnte nur Ein Gegenstand die Vorsorge des Gouvernements G 2 erheischen; man musste Brüssel vor seinem eigenen Pöbel retten. Dahin war es aber zwischen d’Alton und dem Minister gekom¬ men, dass dieser die Stadt in den Händen der Bürger sicherer glaubte, als unter dem Schutz eines Militairs, dessen Treue durch wieder¬ holte Desertion von einer Stunde zur andern verdächtiger, dessen Macht auch aus dem¬ selben Grunde immer unzulänglicher ward. Am Abend gab daher Trautmannsdorf den Bürgern ihre Waffen wieder; die Bürger¬ kompagnien zogen noch in derselben Nacht auf die Wache, und am folgenden Tage ver¬ legte der General, nach einigen unbedeuten¬ den Scharmützeln, alle seine Truppen in die höhere Gegend der Stadt. Der Waffenstill¬ stand war jetzt verstrichen; der Ausschuss zu Breda hatte sich standhaft geweigert, die vorgeschlagene Verlängerung zuzugestehen, und d’Alton musste befürchten, wenn er noch länger in Brüssel zögerte, dem General van der Mersch in die Hände zu fallen. Ein schneller Abzug rettete ihn vor einem allgemeinen Aufstand und Angriffe des Vol¬ kes. Er eilte so sehr, dass seine Krieges¬ kasse und drei Millionen an baarem Gelde im königlichen Schatze zurückblieben. Die Flucht des Ministers verrieth dieselben Symp¬ tome der Übereilung; erst als er schon zwei Meilen von Brüssel entfernt war, erinnerte er sich seines Versprechens an die auswär¬ tigen Minister, ihnen den Tag seiner Abreise zu notificiren. Der Abend dieses merkwür¬ digen Tages, des 12. Decembers, ward in Brüssel mit Freudenfeuern, Erleuchtungen und andern Feierlichkeiten begangen, und bereits am folgenden Morgen stellte man den hohen Justizhof von Brabant wieder her. An eben diesem Tage räumten die Kaiser¬ lichen die Stadt Mecheln, und am 14ten G 3 zog van der Mersch wie im Triumph zu Löwen ein. Namur ward von den Patrioten besetzt und das sehr verminderte Heer des Kaisers concentrirte sich, nachdem es alle zerstreute Kommandos und alle Besatzungen an sich gezogen hatte, in Luxemburg und der umliegenden Gegend. Die misslungenen Versuche der Patrioten, etwas in freiem Felde gegen diese geübten und disciplinirten Veteranen auszurichten, bestätigten die Ver¬ muthung, dass die bisherigen Fortschritte der Niederländer nicht sowohl ihrer Tapferkeit als vielmehr der Uneinigkeit unter den kai¬ serlichen Anführern, und ihren widerspre¬ chenden Maassregeln zugeschrieben werden müssten. Am 18. December intonirte der Kardinal- Erzbischof von Mecheln , der wahrend der letzten Unruhen, indess man ihn in Frank¬ reich glaubte, bei einem Krämer in Brüssel versteckt geblieben war, ein feierliches Te Deum in der Gudulakirche. Die Stände von Brabant waren zugegen; der Advokat van der Noot ward überall, als Befreier des Vaterlandes, vom Pöbel im Triumph umher geführt und bald hernach zum Minister der Brabantischen Stände ernannt. In allen Städten der abgefallenen Provinzen publicir¬ te man sein Manifest, und der ehrwürdigste Name, den das achtzehnte Jahrhundert aus¬ gesprochen hat, der Name Franklin , ward entheiligt, indem man diesen Priester¬ sklaven damit schmückte. Jetzt eilten De¬ putirte aus allen Provinzen nach Brüssel, um einen allgemeinen Niederländischen Congress zu bilden, welcher sich an die Stelle des Souverains setzte und das grosse Werk der Union am 11ten Januar 1790 vollendete. Die Vorschläge, die der Graf von Cobenzl vom Kaiser mitbrachte, wur¬ G 4 den ungehört verworfen, und die neue Macht der vereinigten Belgischen Staaten schien einen Augenblick ihre Unabhängig¬ keit vom Habsburgischen Stamme behaupten zu können. XVII. Brüssel. I n Paris, wo das Bedürfniss mit dem Publi¬ kum zu sprechen so allgemein, und der lei¬ dige Autortrieb so unüberwindlich ist, wird nach Verhältniss der Grösse des Orts kaum mehr geschrieben, als während der jetzigen Periode in den Niederlanden. Die Pressen überschwemmen täglich die Stadt mit einer Ladung von Pamphlets und fliegenden Blät¬ tern, die man, so lange das Revolutionsfieber währt, in allen öffentlichen Häusern begierig verschlingt; und obgleich die herrschende Partei nur solche Schriften duldet, die ihrer eigenen Sache das Wort reden, so werden dennoch unter der Hand von den Colpor¬ teurs auch die Aufsätze der so genannten Vonkisten verbreitet. Seitdem wir uns in Brüssel aufhalten, ist kein Tag hingegangen, G 5 der nicht etwas Neues in dieser Art hervor¬ gebracht hätte; allein unter dem ungeheuren Wuste von neuen politischen Controvers¬ schriften, den wir in den Buchläden an¬ sehen müssen, giebt es auch nicht ein ein¬ ziges Blatt, das den Stempel eines höheren, über das Gemeine und Alltägliche auch nur wenig erhabenen Geistes trüge. Plumpheit im Ausdruck, der gewöhnlich bis zu Schimpf¬ wörtern hinuntersteigt, ein schiefer oder vollends eingeschränkter Blick, ein mattes, oberflächliches, einseitiges, abgenutztes Rai¬ sonnement, und auf der aristokratischen Seite noch zu diesem allem ein blinder Fa¬ natismus, der seine Blösse schamlos zur Schau trägt — das ist die gemeinschaftliche Bezeichnung aller Niederländischen Hefte des Tages. Der Stil dieser Schriften ist un¬ ter aller Kritik; ein Franzose würde in dem Schwall von Barbarismen kaum seine Sprache wiedererkennen. Ich wüsste nicht, was hier eine Ausnahme verdiente; gewiss nicht das Manifest der Stände von Hennegau, das im¬ mer noch vor anderen gerühmt zu werden verdient; nicht Linguets Vertheidigung der Aristokratie, die so schal und dürftig ist, wie der Gegenstand es mit sich bringt; nicht die unzähligen Addressen an das Volk, und die Briefe der verschiedenen Demagogen, endlich auch nicht die Manifeste, Edikte und Staatsschriften des Congresses, der Stände und ihrer Minister. Unter dem Neuen von dieser Art, das mir eben in die Hände fällt, ist aber eine sehr ernsthafte Vorstellung bemerkenswerth, wodurch man bei dem Congress auf die Wiederherstellung des Jesuiten-Ordens in den Niederlanden anträgt. ( Mémoire à leurs hautes et souveraines Puissances , Nosseigneurs les Etats - unis des Pays Bas Catholiques , sur le r é tablissement des J é suites . 1790. 8. 48 S .) Ihr Verfasser rügt die Illegalität der Proce¬ duren bei der Aufhebung des Ordens, und erklärt das päbstliche Breve für nichtig und null, sowohl was das göttliche, als das na¬ türliche, peinliche und geistliche Recht be¬ trift. Diesen Satz führt er sehr weitläuftig und bündig aus; denn im Grunde ist wohl nichts leichter, als der Beweis, dass Macht und Gewalt in diesem Falle die Stelle des Rechts vertreten haben, wie wohlthätig auch immer die Folgen für die Fortschritte der Erkenntniss gewesen sind. Merkwürdig ist die Stelle, wo der Verfasser diesen Ausspruch von Pius VI anführt: ”indem man die Je¬ ”suiten zerstörte, hat man alles zerstört; ”diese umgestürzte Säule ist die Hauptstütze ”des heiligen Stuhls gewesen.” (S. 41.) Wenn diese Äusserung so gegründet wäre, als sie auffallend ist, so hat der heilige Stuhl in der That schon lange sehr unsicher gestanden; denn dieser Orden, so viel Ver¬ dienst auch einzelne bessere Mitglieder des¬ selben besassen, war doch im Grunde, wie alle übrige Mönchsorden, einzig und allein auf die Dummheit der Nationen berechnet, und sein Sturz selbst ist der überzeugendste Beweis von der Geringfügigkeit der in ihm vereinigten moralischen Kräfte, von dem Mangel an Geist und an Ausbildung im grossen Haufen seiner Glieder. Nichts kann daher den traurigen Zustand der Gemüths¬ kräfte in den Niederlanden anschaulicher und nachdrücklicher schildern, als dieses so lebhaft und dringend geäusserte Bedürfniss des Jesuitischen Unterrichts. Man möchte hier wirklich mit einem biblischen Ausdruck ausrufen: „wenn das Licht, das in euch ist, finster ist, wie gross wird denn die Finster¬ niss seyn!“ Hier habe ich noch einen ähnlichen Fang gethan. Ein gewisser Abbé Ghesquière hat eben eine Notion succincte de l’ancienne con¬ stitution des Provinces Belgiques drucken las¬ sen, die ich Dir doch bekannt machen muss. Er ist in der That einzig, dieser Abbé; denn er findet die Vorrechte der Niederländischen Klerisei ganz klar im Tacitus aufgezeichnet. Tacitus sagt im siebenten Kapitel seines Aufsatzes über die Sitten der Deutschen , dass ihre Könige nicht unumschränkte Herrscher waren ( nec regibus infinita aut libera potestas .) Also hatten die Belgier damals einen geist¬ lichen, adelichen und dritten Stand, deren Repräsentanten die königliche Macht in Schranken hielten! Wer wollte die Bün¬ digkeit dieses Schlusses antasten? Wer wollte noch in Zweifel ziehen, was ein ge¬ lehrtes Mitglied der Seeländischen Akademie, vermöge seiner seltenen Gewandheit in der Auslegungskunst, ergründet hat? Den Un¬ glauben hat er indess vorausgesehen, und tritt mit einem zweiten Citat auf, hinter welchem er unüberwindlich ist. Nicht erst im Tacitus , im Julius Cäsar steht schon der Beweis, dass die Staaten von Brabant die rechtmässigen Souverains dieses Landes sind. Der König der Eburonen, Ambiorix , sagt der erhabene Überwinder des Pompejus , hatte nicht mehr Antheil an den öffentlichen Entschlüssen und Unternehmungen, als die Menge des Volkes. (Suaque ejusmodi esse imperia , ut non minus haberet in se juris multitudo , quam ipse in multitudinem . ) Die Eburonen waren bekanntlich Belgier; die Belgier haben jetzt Bischöfe und Prälaten; also hatten die Eburonen einen Klerus, der zugleich erster Landstand war! Das ist klar wie die Sonne! Und wer es nicht glaubt, der sei Anathema zu Löwen und Douai und überall, wo man Beweise führt, wie der fromme Bollandus ! Wenn es wahr wäre, dass die Bataven und Eburonen bereits vor Christi Geburt so christliche Zuchtmeister hatten, so müsste man aufhören sich über ihren treuherzigen Glauben zu wundern, und vielmehr erstau¬ nen, dass ihnen doch noch mancher Zug von Menschlichkeit geblieben ist. In Ernst, je mehr ich die Brabanter kennen lerne, desto mehr söhne ich mich auch mit ihrer indo¬ lenten Gutmüthigkeit aus. Was Gutes an ihnen ist, könnte man mit dem Dichter sa¬ gen, ist ihnen eigen; ihre Fehler und Mängel fallen ihren Erziehern zur Last. Das Volk ist bescheiden, gefällig, höflich, und selbst dann, wenn es gereizt wird, in seinen lei¬ denschaftlichen Ausbrüchen noch menschlich und schonend. Die Revolution hat diesen Charakter in vielfältigen Beispielen bewährt. Als Als die Generalgouverneurs flohen, der Mi¬ nister und der Feldherr des Kaisers durch bewaffnete Bürger vertrieben wurden, blie¬ ben ihre Häuser unberührt; niemand ver¬ suchte, niemand drohete, sie zu zerstören, oder auch nur auszuplündern. So oft man es auch dahin zu bringen wusste, dass die niedrigsten Volksklassen in der furchtbaren Gestalt von Aufrührern erschienen und mit allgemeiner Zerstörung droheten; so selten sind gleichwohl die Fälle, wo ihrer Wuth ein Mensch geopfert ward. In dem Aufruhr vom 16. März dieses Jahres erbrach der Pö¬ bel fünf Häuser von der demokratischen Partei, und plünderte sie; dies war das ein¬ zige Beispiel von Zügellosigkeit seit dem Anfange der Belgischen Unruhen. Allein dies veranstaltete ein geringer Haufe von et¬ wa dreihundert zusammengerafften Menschen aus den Hefen der Stadt; keinen von ihnen II. Theil . H trieb ein lebhaftes Gefühl von vermeintli¬ chem Unrecht dazu an, sondern listige An¬ führer hatten sie durch Bestechungen und Verheissungen bewogen, eine Plünderung zu unternehmen, wobei für sie sehr viel zu ge¬ winnen und wenig oder nichts aufs Spiel zu setzen war. Dieser verworfene Haufe hätte dennoch die Wohnung des Kaufmanns Chapel gänzlich verschont, wenn nicht in dem Augenblick, da eine beredte Stimme sich zu seinem Vortheil hören liess, an sein Verdienst um seine Mitbürger erinnerte und bereits Eindruck zu machen anfing, drei Franciskanermönche, die sich in der Mitte des Tumults befanden, die Umstehenden an¬ gefeuert hätten, den Mann, der ihre Partei nicht hielt, zu bestürmen. Ein Ältester von einer der neun Gilden, Chapels Nachbar, fiel jetzt über dessen Vertheidiger her, warf ihn zu Boden, und liess das Volk, nach sei¬ nem Beispiel, ihn zertreten. Vor den Schreckbildern des gegenwärti¬ gen Zeitpunkts verfärben sich allerdings die Sitten; sie bekommen einen Anstrich von Misstrauen, Zurückhaltung und Strenge. Die Unsicherheit der politischen und bürgerlichen Existenz bringt diese Erscheinungen da her¬ vor, wo sonst die Üppigkeit ihren Wohnsitz aufgeschlagen zu haben schien. Die Freu¬ den der Tafel sind verschwunden, alle Ar¬ ten von Pracht und Aufwand eingestellt; genau, als ob man zu wichtigeren Bedürf¬ nissen Mittel aufsparen müsste oder durch eitles Gepränge die Augen des Volkes jetzt nicht auf sich ziehen möchte. Nur Ein Ar¬ tikel der hier im Schwange gehenden Aus¬ schweifungen konnte keine Verminderung leiden, weil die einzige Subsistenz einer all¬ zu zahlreichen Klasse von Unglücklichen darauf beruhet. Auch die Folgen der gar zu ungleichen Vertheilung der Güter, Armuth H 2 und Bettelei, mussten in ihrer ganzen Wi¬ drigkeit sichtbar bleiben; die Zahl der Bett¬ ler steigt, wie die Zahl der Mädchen, die ihre Reize feil bieten, bis in die Tausende. Wahrscheinlich auch in Beziehung auf jene despotischen Naturtriebe, die sich durch eine politische Revolution nicht so leicht, wie andere Gattungen des Luxus, bannen lassen, ist die Zahl der Modehändlerinnen hier so ausserordentlich gross; ich erinnere mich nicht, einen Ort gesehen zu haben, Paris nicht ausgenommen, wo die zum Verkauf und zur Verfertigung des Putzes dienenden Kramläden in allen Strassen so zahlreich wä¬ ren. Das schöne Geschlecht in Brüssel ver¬ dient vielleicht auch den Vorwurf, dass es sich durch öffentliche Unruhen und Calami¬ täten in den wichtigen Angelegenheiten der Toilette und des Putzes nicht irre machen Iässt. Allein ich fange jetzt an, unter der wohlhabenden Klasse einige hübsche Ge¬ sichtchen zu entdecken, denen man diese Schwachheit verzeiht; ich sehe einige schlan¬ kere Taillen, einige Blondinen von höherem Wuchs. Nur vermisst man den Promethei¬ schen Feuerfunken in ihrem Blick; diese schönen Automaten können nur sündigen und beten. Phlegma und überall Phlegma! Ich be¬ haupte sogar, dass sich dieses charakteristi¬ sche Phlegma in den Spielen der Kinder auf den Strassen wahrnehmen lässt. Wenigstens ist es merkwürdig, dass wir bisher in allen Brabantischen Städten, wo wir gewesen sind, ohne Ausnahme, die Mädchen von sieben bis dreizehn Jahren jeden Abend denselben Zeitvertreib vornehmen sahen; es war das bekannte Hüpfen über ein Seil, welches man sich im Kreise über den Kopf und unter den Füssen wegschwingt. Bald schwang H 3 jede ihr Seil für sich allein; bald waren es zwei, die ein längeres Seil um eine dritte bewegten. Diese lebhafte Bewegung ist ver¬ muthlich eine Wirkung des Instinkts, der für die Erhaltung eines Körpers wacht, in welchem sonst die Spontaneität fast gar nicht bemerklich ist. Eine weit allgemeinere Er¬ fahrung lehrt, dass gerade die trägsten Kin¬ der, wenn sie einmal in Bewegung sind, am längsten und heftigsten toben. Ich erinnere mich nicht, in Brabant einen Knaben bei diesem Spiele gesehen zu haben, und auch das ist eine Bestätigung meiner Hypothese. Bei den Erwachsenen ist diese Langsam¬ keit des Temperaments nicht zweifelhaft; allein sie äussert sich am stärksten in Ab¬ sicht auf den Gebrauch der Vernunft. Oft haben wir uns über die gleichgültige Ruhe gewundert, womit die Brabanter in die Zu¬ kunft sehen. Die Möglichkeit eines Östrei¬ chischen Angrifs scheint ihnen verborgen zu seyn, und fast durchgehends werfen sie jetzt den Gedanken von der Unentbehrlichkeit ei¬ nes auswärtigen Beistandes sehr weit weg. Vorgestern, als ein Gerücht sich verbreitete, dass Preussische Truppen von Lüttich nach Huy marschirten, in der scheinbaren Absicht, sich Luxemburg zu nähern, entstand eine allgemeine Missbilligung dieses Schrittes; so wenig Begrif hatte man von der Wichtigkeit einer Cooperation dieses mächtigen Nach¬ bars mit ihnen gegen ihren ehemaligen Lan¬ desherrn. Von den politischen Gesprächen der hiesigen gesellschaftlichen Kreise lässt sich, nach dem bisher Gesagten, wenig mehr als Ungereimtheit erwarten. Die Französi¬ sche Dreistigkeit, über solche Gegenstände ein eignes Urtheil zu fällen, zeugt wenig¬ stens, auch wenn es ungehirnt genug klin¬ gen sollte, von einer gewissen eigenthümli¬ H 4 chen Beweglichkeit der Geisteskräfte. Hier hingegen merkt man es jedem Wort und jeder Wendung an, dass diese Kräfte bisher brach gelegen haben. Könnte man die ver¬ schiedenen Urtheile jedesmal bis an ihre Quelle verfolgen, so würde sichs ausweisen, dass sie alle in drei oder vier Köpfen von der einen oder der andern Partei, ja, was noch merkwürdiger ist, zum Theil in frem¬ den Köpfen entstanden sind. Die gewöhn¬ liche Gewandheit in Vertheidigung, selbst angenommener Meinungen, die von einigem Nachdenken unzertrennlich ist, vermissen wir hier in einem kaum glaublichen Grade. Die Eingebungen sind so kenntlich, dass man den Hauch zu bemerken glaubt, mit dem sie aus einem Kopf in den andern übergingen. Die Verfechter der Stände, bei weitem die zahlreichste Partei, führen nur die alte Verfassung und die Joyeuse Entrée im Munde; sie sträuben sich heftig gegen die Freiheit, und kennen kein grösseres Übel, als eine Nationalversammlung. Umsonst versucht man es, ihnen begreiflich zu ma¬ chen, dass zwischen einer oligarchischen Ty¬ rannei und einer Französischen Demokratie noch ein drittes, eine verbesserte Repräsen¬ tation des Volkes, möglich sei: sie denken nichts bei den Ausdrücken, auf welche sie geschworen haben, und desto gewissenhafter beharren sie darauf. Allein, man glaube ja nicht, dass es der blinden Nachbeter in der andern Partei wenigere giebt. Neulich hörte ich einen eifrigen Demokraten sehr ernsthaft behaupten: die neuen Belgischen Staaten könnten das aristokratische System nicht be¬ halten, — weil es schon in Holland ange¬ nommen sei. Also hätte sein Vaterland nach dieser Logik am Ende gar keine Re¬ gierungsform bekommen müssen; denn un¬ H 5 ter den angränzenden Staaten giebt es auch schon Demokratien und Despotien! In dem heftigen Wortstreit, den man fast täglich an öffentlichen Orten hören kann, werfen die Parteien einander, und wie es scheint mit Recht, gänzlichen Mangel an Grundbegriffen vor; das heisst: aus Erfahrung kennen sie einander genau; doch damit ist dem Übel nicht abgeholfen. Es ist indess unläugbar ein gewisser Enthusiasmus vorhanden, der nur darum fremden Impulsionen folgt, weil er mit einer so ungewöhnlichen Leere der Phantasie, und einer gänzlichen Unfähigkeit, sich nach eigener Einsicht zu bestimmen, verbunden ist. Dieser Mangel an Spontaneität ist nirgends offenbarer, als in dem entschiedenen Siege der Aristokraten über die demokratische Partei. Van der Noot , der auch in Brabant den Ruf eines mittelmässigen Kopfes hat, war gleichwohl schlau genug, gleich bei der Gründung der Belgischen Unabhängigkeit diese Wendung vorauszusehen. Seine Ta¬ lente machten ihn dort unentbehrlich, wo sie, wie er wusste, immer noch ohne Riva¬ lität hervorleuchteten; allein sie hätten ihn nicht gerettet, wenn er es gewagt hätte, sich dem alles hinreissenden Strome des geist¬ lichen Einflusses zu widersetzen. Um an der Spitze zu stehen, und alles, wenn nicht dem Namen nach, doch in der That zu len¬ ken, musste er also zu dieser Fahne schwö¬ ren. Der Grosspönitenziar von Antwerpen, der so berüchtigte van Eupen , ein Bonze vom gemeinsten Schlage, dessen ganze Su¬ periorität in niedriger Verschmitztheit und heimlichen Ränken besteht, ward sein Ver¬ trauter und Gehülfe. Der schwache Kardi¬ nal war alles was man wollte in jedermanns, und blieb es folglich auch in ihren Händen. Die einzelne Stimme des Bischofs von Ant¬ werpen , eines Prälaten, dem man Einsicht und Festigkeit des Charakters zuerkennt, ver¬ hallt ungehört im Fauxbourdon einer Majo¬ rität von Mönchen, die im Gefühl ihrer Ta¬ lentlosigkeit Alles der Anordnung ihrer Mi¬ nister überlassen und nur dafür sorgen, dass ihr heiliges Interesse auf jedem Votum zu¬ oberst schwimmt. Bei allen Vortheilen, in deren Besitz die Partei der Stände sich behauptet hat, bietet indess dieses unglückliche Land, und vorzüg¬ lich die Hauptstadt, dennoch das Schauspiel der innerlichen Zerrüttung dar. Das man¬ nichfaltig verschiedene Interesse der Einwoh¬ ner; die Verbitterung, die bei den Siegern vom Widerstand, bei den Besiegten vom Ge¬ fühl des erlittenen Unrechts herrührt; die Eifersucht, womit ein Nachbar den andern belauscht; die Hinterlist, wovon die Stände selbst das Beispiel geben; die Hoffnung end¬ lich, welche den Bedrückten noch immer neuen Zunder giebt und sie auf eine glück¬ lichere Zukunft vertröstet: — dies Alles wirkt zusammen, um den Niederländern die Früchte ihrer Anstrengung zu rauben und vielleicht in kurzem wieder den Schatten ei¬ ner Unabhängigkeit zu entreissen, dessen Wesen sie noch nicht besitzen. So empö¬ rend auch die Anmassung der Brabantischen Stände scheinen musste, die sich die gesetz¬ gebende und die ausübende Macht zugleich zugeeignet haben, so unglücklich scheint der Zeitpunkt gewählt, die Rechtmässigkeit ihrer Forderungen zu untersuchen oder die Ver¬ fassung neu zu organisiren. Innere Einig¬ keit und festes Zusammenstimmen zum ge¬ meinschaftlichen Zwecke der Erhaltung konn¬ te ganz allein das Zutrauen der auswärtigen Mächte gewinnen, und die Anerkennung ihrer Unabhängigkeit beschleunigen. Tren¬ nung und Zwietracht können allein dem Östreichischen Hofe den Weg zur Wieder¬ eroberung der Niederlande bahnen. Nicht umsonst bemerkt man hier noch geheime Emissarien von verschiedenen mächtigen Hö¬ fen, statt der öffentlich akkreditirten Ge¬ sandten, die mit den Generalgouverneuren fast zu gleicher Zeit verschwunden sind. Von einigen Mächten gehen sogar mehrere Personen mit verschiedenen und zum Theil entgegengesetzten Aufträgen herum; Kanzel¬ listen, Kaufleute, Juden korrespondiren auf verschiedenen Wegen mit demselben Mi¬ nister, in so fern er hier die aristokratische Partei, dort die Patrioten, und noch an ei¬ nem dritten Orte eine dritte Klasse von po¬ litischen Sektirern sondiren lässt. Die Ver¬ einbarung der Moral mit der Politik der Kabinette, deren Möglichkeit ich nicht be¬ zweifeln will, ist wenigstens bis jetzt noch immer Spekulation geblieben, wenn man nicht etwa in dem hohen Grade Neuling ist, die öffentlichen Protestationen von Red¬ lichkeit der Absichten, und die Lobsprüche, die mancher Hof, mancher Fürst, manches Departement sich selbst ertheilt, für baare Münze zu nehmen. Thöricht wäre es also, glauben zu wollen, dass irgend ein Europäi¬ sches Kabinet die Ausnahme machen, und allein in einem Spiele, wo es darauf an¬ kommt nach der Regel zu gewinnen, eine zwecklose und ihm selbst nachtheilige Gross¬ muth ausüben werde. Ich erhalte hier Winke und Aufklärungen, die es ausser al¬ lem Zweifel setzen, dass sowohl von einem auswärtigen Erbstatthalter des katholischen Belgiens, als auch von einem unabhängigen Belgischen Herzoge, aus der Mitte des Nie¬ derländischen Adels, zu seiner Zeit sehr ernsthaft die Rede gewesen ist. Allein die Auftritte vom 15. bis 19. März, zusammen¬ genommen mit dem, was eben jetzt bei der Armee in Namur vorgeht, müssen, für den gegenwärtigen Zeitpunkt wenigstens, den Eifer der Nachbaren, sich, in die Belgischen Angelegenheiten zu mischen, bis zur Gleich¬ gültigkeit abkühlen. Ausser den Anhängern der Stände und der Geistlichkeit, ausser den Freunden der Demokratie, die aber durch die vorgestern erfolgte Entwafnung des Generals van der Mersch den empfindlichsten Stoss erlitten haben, giebt es hier noch eine starke kai¬ serliche Partei, wozu besonders die reich¬ sten Banquiers und Handlungshäuser gehö¬ ren. Bisher blieben sie hinter der Larve der Demokratie versteckt; allein jetzt ist es gar nicht unwahrscheinlich, dass selbst die eifrigsten Freunde der Volksfreiheit lieber mit mit den Royalisten die Wiederkehr des alten Systems zu befördern suchen, als unter dem eisernen Zepter der Stände länger geduldig leiden werden. Diese Gesinnung ist wenig¬ stens bei allen Freunden der hohen Häuser Aremberg und Ursel offenbar; sie geben sich kaum noch die Mühe, sie zu verhehlen. Diese beiden Häupter des Niederländischen Adels haben sich jederzeit standhaft gegen die Usurpation der Stände erklärt und die Volkspartei mit Enthusiasmus ergriffen; nie haben sie den Ständen den Huldigungseid, wozu man sie bereden wollte, abgelegt, und der flüchtige Gedanke einiger Patrioten, die¬ ser Familie den Belgischen Fürstenhut zu ertheilen, so fern er auch von der Ausfüh¬ rung war, beruhte wenigstens auf einer wirk¬ lichen Anerkennung ihrer persönlichen so¬ wohl, als ihrer angestammten Vorzüge. Der Herzog von Ursel diente im kaiser¬ II. Theil . I lichen Heere vor Belgrad und Orsova. Als die Revolution ausbrach, suchte der Kaiser ihn durch die schmeichelhafteste Begegnung zu gewinnen; allein umsonst. Der Herzog schlug alle Gnadenbezeigungen aus, eilte nach Brüssel, entsagte allen seinen militä¬ rischen Verhältnissen, und schickte seinen Kammerherrnschlüssel zurück. Die Stände übergaben ihm das Kriegsdepartement, indem sie ihm den Vorsitz darin ertheilten; sobald er aber merkte, dass ihre Minister es sich anmassten, auch hier ohne sein Vorwissen Verfügungen zu treffen und ihn von aller eigenen Wirksamkeit auszuschliessen, (wovon die Ernennung des Generals von Schönfeld zum zweiten Befehlshaber der Armee das auffallendste Beispiel war;) resignirte er so¬ gleich seinen Posten, und erklärte sich bald hernach, wie sein Schwager der Herzog von Aremberg , für die demokratische Partei. Am 8. März, bei der Ablegung des Eides, des¬ sen Abfassung die Parteien heftig erbittert hatte, bis endlich eine von beiden Seiten gebilligte Formel angenommen ward, erwähl¬ ten die Freiwilligen von Brüssel den Herzog von Ursel mit einstimmiger Akklamation zu ihrem Generalissimus, und zum Zeichen des Friedens umarmte ihn van der Noot auf öf¬ fentlichem Markte. Allein am 16ten, als der Herzog in die Versammlung der Stände ging und Vollmacht forderte, um die Ruhe in Brüssel wieder herzustellen, erhielt er die stolze Antwort, es würde schon ohne sein Zuthun geschehen; und als er vor etlichen Tagen mit dem Grafen la Marck nach Na¬ mur reisete, um die Armee unter van der Mersch zu besänftigen, wurden beide in Ver¬ haft genommen, sobald es dem General von Schönfeld gelungen war, sich Namurs zu bemeistern. Man ist noch ungewiss, ob er I 2 sie mit dem General van der Mersch hieher nach Brüssel schicken werde, oder nicht. Dies ist ein Beispiel der Eifersucht, die es den beiden Freunden, van der Noot und van Eupen , zur wichtigsten Angelegenheit macht, jeden grösseren Mann, es koste was es wolle, vom Ruder entfernt zu halten. Der Wettstreit mit der demokratischen Par¬ tei, in welchem sie die Oberhand behielten, giebt hiervon noch einen vollständigeren Be¬ grif, und beweiset zugleich, wie tief das Volk gesunken seyn muss, dem bei einer allgemein bekannten Ruchlosigkeit in der Wahl der Mittel, die Augen über das Be¬ tragen dieser herrschsüchtigen Menschen dennoch nicht aufgegangen sind. Die Uni¬ onsakte war kaum unterschrieben, die Un¬ abhängigkeit der Provinzen kaum feierlich angekündigt worden, als der Ausschuss der Stände schon die Versammlungen der patrio¬ tischen Gesellschaft, der man den glückli¬ chen Erfolg der Revolution fast einzig ver¬ dankte, unter dem Vorwande der Gehässigkeit und Gefahr geheimer Zusammenkünfte ver¬ bieten wollte. Allein damals trotzte die Ge¬ sellschaft auf ihre gute Sache: „ Den Tag und die Stunde,“ liess man dem Committé zur Antwort sagen, „wird öffentliche Sitzung gehalten; alle ruhige Bürger, alle Freunde des Vaterlandes dürfen zugegen seyn und die Berathschlagungen mit anhören, die nur das allgemeine Wohl zum Ziele haben.“ Der Vorwurf des Geheimnisses traf also nicht eine Gesellschaft, welche aus den Banquiers und reichen Kaufleuten, aus dem ganzen nicht repräsentirten Adel, aus den Bürgern mehrerer Städte, verschiedenen Mit¬ gliedern des dritten Standes von Brüssel, und den vornehmsten Advokaten dieser Stadt bestand. I 3 Allerdings hatte die Aristokratie wohl Ursache, gegen diese Gesellschaft die heftig¬ sten Maassregeln zu ergreifen, wenn sie sich in ihrer angemassten Oberherrschaft behaup¬ ten wollte. Den Patrioten gnügte es nicht, den Kaiser vertrieben zu haben; sie wollten Freiheit in den Niederlanden, nicht die alte Tyrannei unter einem neuen Namen. In dieser Absicht entwarfen sie eine Bittschrift an die Stände, welche bald von zwölfhun¬ dert der angesehensten Männer in der Pro¬ vinz unterzeichnet ward. Sie stellten ihnen darin die Nothwendigkeit vor, nach dem Beispiele der Stände von Flandern die Sou¬ verainität des Volkes feierlich anzuerkennen, die Finanzadministration zu verbessern und die Lasten des Volkes zu erleichtern, das Kommerz zu beleben, die Armee zu organi¬ siren, die Pressfreiheit zu bewilligen, und alle Stellen und Ämter nur ad interim , bis zur Versammlung der Nation, zu be¬ setzen. Nie hatten die Forderungen Josephs des Zweiten dem Ansehen der Stände furchtba¬ rer gedrohet, als diese Bitten jetzt zu drohen schienen, denen Vonk in seinen Considéra¬ tions impartiales sur la position actuelle du Brabant durch unumstössliche, mit Beschei¬ denheit und Mässigung vorgetragene Gründe, den grössten Nachdruck verlieh. Der erste und fruchtbarste Gedanke, den van der Noot und seine Gehülfen diesem patrioti¬ tischen Vorhaben entgegensetzten, war na¬ türlicherweise der, dass man suchen müsste, den Eindruck jener billigen und vernünfti¬ gen Vorstellungen durch den Einfluss der Geistlichkeit auf die Gemüther zu verwi¬ schen, indem man jede Neuerung unter den jetzigen Umständen als gefährlich und feind¬ selig gegen das Vaterland schildern liesse. I 4 Es ward sogleich ein Cirkularschreiben an alle Pfarrer im ganzen Lande erlassen, worin man ihnen anbefahl, eine Gegenaddresse an die Stände, welche auf Bestrafung der Neue¬ rer und Störer der öffentlichen Ruhe drang, in ihren Kirchspielen unterzeichnen zu las¬ sen. Zwei Brabantische Officiere reiseten mit dieser Addresse im ganzen Lande um¬ her, und bedienten sich allerlei unerlaubter Mittel, und sogar der Gewalt, um Unter¬ schriften zu erzwingen. Der Kanonikus du Vivier , Sekretär des Kardinals , arbeitete mit einem frommen Eifer zu demselben Zweck; und solchergestalt brachte man in kurzer Zeit die Namen von viermal hunderttausend Bra¬ bantern zusammen, welche diese Gegenad¬ dresse unterstützten. Durch diese Spiegelfechterei liess sich in¬ dess die patriotische Gesellschaft nicht irre machen; vielmehr setzte sie ihre Versamm¬ lungen fort, und bemühte sich, ihre repu¬ blikanischen Grundsätze in ein helles Licht zu stellen. Die sechs Kompagnien von Frei¬ willigen, welche zu den fünf so genannten Sermens oder Bürgerinnungen von Brüssel ge¬ hörten, und keinesweges die Oberherrschaft der Stände begünstigten, waren vielleicht den Aristokraten vor allen übrigen Einwohnern furchtbar, weil sie die Waffen trugen und die Sicherheit der Stadt ihnen allein anvertrauet war. Sie durften nur wollen, und die ganze oligarchische Tyrannei verschwand. Um sich ihrer zu versichern, ward ihnen am 6. Fe¬ bruar ein Eid deferirt, den sie den Ständen, als ihrem rechtmässigen Landesherrn, leisten sollten. Eduard von Walkiers , ein reicher Banquier, der unter der vorigen Regierung den Titel eines Vicomte erhalten hatte, wi¬ dersetzte sich dieser Zumuthung als Ältester ( doyen ) der Innung von St. Sebastian und I 5 Chef der einen zu dieser Innung gehörigen Compagnie von Freiwilligen. Auch die übri¬ gen Compagnien weigerten sich, diese Ei¬ desformel anzunehmen, die ihre Absicht gar zu deutlich an der Stirne trug. Van der Noot sah sich also genöthigt, einen günsti¬ geren Zeitpunkt abzuwarten. Mittlerweile kehrte der Herzog von Arem¬ berg aus dem südlichen Frankreich in sein Vaterland zurück, und nahm am 10ten von den sämmtlichen Freiwilligen, die auf dem grossen Platze vor dem Rathhause versam¬ melt waren, den Ehrennamen ihres É lu des é lus (Erwählten der Erwählten) unter lauten Freudensbezeugungen des Volkes an. Am folgenden Tage leistete er in dieser Eigen¬ schaft den Bürgerinnungen einen Eid, aber nicht, wie man auch von ihm gefordert hatte, den Ständen, deren Rechtmässigkeit er zu gleicher Zeit in Zweifel zog. Ohne der patriotischen Gesellschaft förmlich beizutre¬ ten, billigte er nebst seinem Bruder, dem Grafen de la Marck , nicht nur alle ihre Schritte, sondern äusserte auch bei mehreren Gelegenheiten seine ausgezeichnete Hochach¬ tung für verschiedene Mitglieder dieses de¬ mokratischen Bundes und namentlich für den Advokaten Vonk , den eifrigen Verfechter der Volksfreiheit. Von diesem Augenblick an erhob die demokratische Partei das Haupt, und schien sich mit grossen Hofnungen zu schmeicheln. Die patriotische Gesellschaft wählte Herrn Vonk zu ihrem Präsidenten, sie wählte ei¬ nen Sekretär, sie führte nach dem Beispiel ähnlicher Clubs in England und Frankreich eine gewisse Ordnung ein, nach welcher ih¬ re Versammlungen gehalten wurden, sie ent¬ schied über die vorkommenden wichtigen politischen Fragen durch Mehrheit der Stimmen, und liess die Generale van der Mersch , de Rosières und Kleinberg durch ei¬ ne Deputation feierlich zum Beitritt einladen. Alles schien zu erkennen zu geben, dass sie sich für eine Kopie der Französischen Na¬ tionalversammlung und vielleicht sogar für das Vorbild einer Niederländischen angese¬ hen wissen wollte. Desto unglücklicher war es für sie, wenn ihre Absichten wirklich rein und auf das wahre Wohl des Vaterlan¬ des gerichtet waren, dass ein unreifer Enthu¬ siasmus in einigen Köpfen brauste, und am 25. Februar, an dem Tage nachdem der General van der Mersch ganz unverhoft in Brüssel von der Armee eingetroffen war, einen Auflauf bewirkte, wobei es auf nichts geringeres als eine Gegenrevolution angese¬ hen schien. Ein dunkles Gerücht verbreitete sich am Abend des 21sten durch die ganze Stadt, dass man eine neue Kokarde — die Kokarde der Freiheit wurde sie emphatisch genannt — in der Kirche zu St. Gudula aufstecken wolle, und dabei sagte man sich die Absicht ins Ohr, — die Stände müsse man vom Ruder des Staats entfernen. Am folgenden Morgen strömte alles nach St. Gu¬ dula, und Eduard Walkiers versammelte, auf allen Fall, seine Compagnie. Diesmal zit¬ terten die neuen Minister für ihre politische Existenz. Die ehrwürdige Stimme des Prie¬ sters war nochmals ihre einzige Zuflucht; sie schickten dem Pfarrer der Hauptkirche diese schriftlich abgefasste Erklärung: ”Wir ”Unterzeichneten versichern, dass das Mani¬ ”fest des Brabantischen Volkes nach allen ”Stücken seines Inhaltes befolgt werden soll; ”dass alles, was vorgeht, im Namen des ”Volkes geschieht, in welchem die Souve¬ ”rainität inwohnend ist, und wogegen die ”Stände sich nie etwas haben anmassen wol¬ ”len.” Van der Noot und van Eupen hat¬ ten diesen Aufsatz eigenhändig unterschrie¬ ben, und der Pfarrer las ihn von der Kanzel ab. Eine so unerwartete Nachgiebigkeit von Seiten der Stände veränderte plötzlich die Stimmung des zusammengerotteten Volkes, und beim Weggehen aus der Messe, anstatt die Aristokratie zu bestürmen, fielen einige fanatische Köpfe über einen demokratisch¬ gesinnten Officier her, den Walkiers aber mit seinen Freiwilligen sogleich aus ihren Händen riss. In der Kirche hatte hier und dort einer versucht, die neue Kokarde auf¬ zustecken, und einige wurden in Verhaft ge¬ nommen, bei denen man sie in der Tasche fand. Noch jetzt ist es daher gefährlich, sich mit einer andern, als der ächten Bra¬ bantischen dreifarbigen Kokarde sehen zu lassen; und es ist uns selbst widerfahren, dass ein Freiwilliger uns höflich anredete: wir wären vermuthlich Fremde und wüssten nicht, dass das weisse Bändchen an unserer Kokarde verboten sei. Niemand in Brüssel wollte etwas um diesen Auflauf gewusst haben; man setzte ihn auf Rechnung der Royalisten, denen man die Absicht beimass, sie hätten dadurch alles in Verwirrung bringen wollen; als ob durch diese Verwirrung, zu einer Zeit, wo keine Östreichische Truppen sie benutzen konnten, etwas für die Sache des Kaisers wäre gewonnen worden? Den Ständen und ihren Ministern schien der Schlag von einer ganz andern Seite her zu kommen; allein ohne die deutlichsten Beweise war jetzt eine öffentliche Beschuldigung von dieser gehäs¬ sigen Art nicht rathsam. Zudem stand ih¬ nen Walkiers mit seinen Freiwilligen und seinem thätigen, unternehmenden Geist über¬ all im Wege. Gern hätte man ihm diesen Auftritt vom 25. Februar Schuld gegeben; es wurden sogar in dieser Absicht Briefe zwi¬ schen dem Kriegesdepartement und ihm ge¬ wechselt; allein diese Korrespondenz schlug ganz zu seinem Vortheil aus, indem er den Winken und Anspielungen der Ministerial¬ partei den Ton eines beleidigten Mannes, der seiner guten Sache gewiss ist, mit allem Trotze dieses Bewusstseyns entgegensetzte. Die eben bekannt gewordene nachdrucks¬ volle Remonstranz der demokratischen Par¬ tei an die Stände, worin man ihnen noch¬ mals vorhält, dass die gesetzgebende und die vollziehende Macht ohne Gefahr für den Staat nicht länger in einer Hand vereinigt bleiben dürfen, gestattete jetzt keine andere als indirekte Maassregeln gegen einen so mächtigen Feind. Man wusste den Stadt¬ magistrat dahin zu bewegen, dass er am 28. Februar die Compagnie von Walkiers auf¬ hob, hob, unter dem Vorwande, dass jeder Ser¬ ment deren nur Eine haben könne; allein die Freiwilligen eilten am folgenden Mor¬ gen mit Ungestüm auf das Rathhaus, und auf ihre Vorstellung nahm der Magistrat seine Verordnung zurück. Walkiers , an dem die Reihe war, zog mit den Seinen auf die Wache, und triumphirte im lauten Bei¬ fall des Volkes. Es war nunmehr nöthiger als jemals, die Freiwilligen beeidigen zu lassen. Man be¬ rathschlagte sich über die zu adoptirende Formel, und van der Noot bot die Hände zu einem Vergleiche mit der patriotischen So¬ cietät. So wichtig schien diese Ceremonie in den Augen Aller, dass man nicht Behut¬ samkeit genug anwenden zu können glaubte, um keine Zweideutigkeit übrig zu lassen, hinter welche sich die eine oder die andere Partei flüchten könnte. Endlich, nachdem II. Theil . K man mehr als Einen Vorschlag verworfen, nachdem van der Noot vergebens die ver¬ sammelten Freiwilligen auf dem grossen Platze haranguirt hatte, ward eine ganz kurze Formel in allgemeinen Ausdrücken adoptirt, die Alles so unbestimmt liess, wie beide Parteien es wünschen konnten, um bei einer scheinbaren Übereinkunft sich zu über¬ reden, man habe auf keinen Anspruch Ver¬ zicht gethan. Diese Feierlichkeit, wobei sich, wie ich Dir schon erzählt habe, der Herzog von Ursel und van der Noot . zum Zeichen der Versöhnung beider Parteien um¬ armten, ward am 9. März vollzogen, und gleich darauf wies auch der hohe Rath oder Justizhof von Brabant die Bitte um Aufhe¬ bung der patriotischen Gesellschaft als un¬ statthaft zurück. Dagegen aber kassirte der Congress, als Souverain der Niederlande, be¬ reits am 13. März ein Regiment von besol¬ deten Truppen, welches den Einfall gehabt hatte, nach dem Beispiele der Freiwilligen, dem Volke den Eid der Treue schwören zu wollen. Walkiers hatte indessen den Ehrgeiz der Minister und der Stände zu tief beleidigt, und sein hochfliegender Patriotismus war ihnen zu furchtbar geworden, als dass sie nicht vor allem seinen Sturz hätten beschliessen sollen. Man grif ihn von der einzigen Seite an, wo er verletzbar blieb, das ist: man wirkte durch eine Überschwemmung von fliegenden Blät¬ tern, und durch öffentlich ausgestreute Be¬ schuldigungen auf die Leichtgläubigkeit des unwissenden und immer noch von Priestern beherrschten Volkes. Es gelang den Emis¬ sarien der Geistlichkeit und der Aristokratie, den Saamen des Misstrauens unter die Bür¬ ger von Brüssel und sogar unter die Frei¬ willigen auszustreuen; es gelang ihnen, sie zu trennen, indem man den Grund einer K 2 verabscheuungswürdigen Verschwörung auf¬ deckte, einer Verschwörung, wodurch eine geringe Anzahl von Ehrgeizigen, unter dem Vorwande das Volk in seine Souverainitäts¬ rechte einzusetzen, sich selbst der Regierung zu bemächtigen gedächten. Walkiers , sagte man, sei das Haupt des Komplots; die Of¬ ficiere der Freiwilligen wären seine Verbün¬ deten, und eine Nationalversammlung, die man berufen wolle, würde nur als Werkzeug ihrer Tyrannei, nach dem Beispiel der Fran¬ zösischen, alle Rechte der Bürger umstossen, die Altäre berauben und die heiligen Diener der Religion misshandeln. Hatte denn, wirst Du fragen, das Volk von Brüssel in einer so langen Periode von politischer Gährung noch nicht gelernt, ge¬ gen Verläumdungen auf seiner Hut zu seyn, und seinen Verdacht aus reineren Quellen als den Brochüren des Tages zu schöpfen? hatte es noch nicht Gelegenheit genug ge¬ habt, den Charakter der verschiedenen Häup¬ ter der Parteien zu ergründen, und ein Ur¬ theil über sie zu fällen, welches nicht von jedem Hauche verändert werden konnte? Unstreitig muss sich jedem Unparteiischen bei einer so plötzlichen Umstimmung der Gemüther der Gedanke lebhaft vergegenwär¬ tigen, dass gerade die Wahrscheinlichkeit der Beschuldigung diese grosse Wirkung hervor¬ gebracht habe. Auch ohne etwas von wirk¬ lich vorhandenen geheimen Absichten, von einem trüglichen dessous des cartes zu ahn¬ den oder zu glauben, konnte gleichwohl die Schilderung wahr und treffend seyn, die man im voraus von einer Niederländischen Nationalversammlung entwarf. Sie musste, wenn sie Gutes bewirken wollte, die bishe¬ rige Verfassung vernichten und die Miss¬ bräuche ausrotten, welche der moralischen K 3 Freiheit, dieser einzig wahren Quelle der bürgerlichen, entgegen wirkten; sie wäre folg¬ lich dem Klerus und besonders der Ordens¬ geistlichkeit furchtbar geworden. Nach dem Zustande der Aufklärung in den Belgischen Provinzen, und nach der Seltenheit gründli¬ cher Einsichten und grosser Talente zu ur¬ theilen, war endlich auch, ohne dem Patrio¬ tismus der Demokraten zu nahe zu treten, die Prophezeihung, dass die Nationalver¬ sammlung nur ein Instrument in den Hän¬ den weniger Demagogen werden könne, die unverdächtigste Lobrede aus des Feindes Mund auf das Verdienst und die Fähigkeiten eines Walkiers , eines Vonk und der übrigen Häupter der patriotischen Gesellschaft. Unter den jetzigen Umständen war die ausgestreute Besorgniss, dass die Religion in Gefahr sei, gleichsam eine Losung für die Majorität der Bürger von Brüssel, die demo¬ kratische Partei zu verlassen und für die Erhaltung des einmal bestehenden Regie¬ rungssystems zu eifern. Kaum war van der Noot dieser Stimmung gewiss, so sprang die Mine, die er seinen Nebenbuhlern bereitet hatte. Es kam jetzt darauf an; welche Par¬ tei der andern zuvorkommen würde, und er hatte seine Maassregeln so gut berechnet, dass er sein Vorhaben ausführte, ehe die Armee die Bewegungen in Brüssel unter¬ stützen konnte. Am 15. März überreichte die patriotische Gesellschaft den Ständen ei¬ ne Bittschrift, worin sie zwar sehr beschei¬ den, jedoch mit Ernst, auf eine neue Orga¬ nisation der Verfassung antrug und den Stän¬ den gleichwohl, wegen ihres bekannten Wi¬ derwillens gegen eine Nationalversammlung, die Art der Zusammenberufung der Volks¬ repräsentanten gänzlich anheimstellte. Diese Bittschrift war kaum überreicht und gelesen. K 4 so verbreitete man im Publikum ein Ver¬ zeichniss der Störer der öffentlichen Ruhe, deren ganzes Verbrechen in der Unterzeich¬ nung jenes Aufsatzes bestand, welchen man sich indess wohl hütete, durch den Druck bekannt zu machen. Dagegen aber las man an den Kirchthüren überall einen Anschlags¬ zettel, worin man das Volk aufforderte, sich am folgenden Morgen um neun Uhr zu ver¬ sammeln, indem eine Verschwörung wider den Staat und die Religion im Werke sei. Ähnliche Zettel verurtheilten die Herzoge von Aremberg und Ursel , den Grafen la Marck , Eduard Walkiers , Vonk , Herries und Godin zum Laternenpfahl. Früh am 16ten erschien der Pöbel und insbesondere die Bootsknechte, Träger und anderes Ge¬ sindel, welches sich in der Nähe des so ge¬ nannten Hafens aufhält, und unter dem Na¬ men capons du rivage bekannt ist, vor dem Rathhause, unter Anführung der beiden Eh¬ renmänner, die vor einiger Zeit so viele Unterschriften für die berüchtigte Gegenad¬ dresse eingetrieben hatten. Die Gildemeister standen auf den Stufen, und schwenkten dem Haufen, der den Staaten und van der Noot ein Vivat über das andere brachte, mit Hü¬ ten und Schnupftüchern Beifall zu. Auf dieses Signal ging die Plünderung der Häuser an, welche man zuvor zu dem Ende gezeich¬ net hatte. Der Kaufmann Chapel kam mit eingeworfenen Fenstern und Thüren davon; hingegen fünf andere Häuser wurden nicht nur erbrochen und gänzlich verwüstet, son¬ dern auch in einem der Besitzer tödtlich verwundet. Walkiers mit seinen Freiwilli¬ gen gab verschiedentlich Feuer auf diese Banditen; allein die anderen Compagnien, anstatt ihn zu unterstützen, droheten viel¬ mehr, ihre Waffen gegen ihn zu kehren. K 5 Am 17ten erkaufte van der Noot die Ruhe der Stadt von den Plünderern mit ei¬ nem Versprechen von dreitausend Gulden, die ihnen richtig ausgezahlt wurden; allein noch nicht zufrieden mit diesem Opfer, und ihrer Instruktion getreu, forderten sie den Kopf ihres Widersachers, Walkiers . Man lud ihn in der Dämmerung vor die versam¬ melten Stände, stellte ihm vor, seine Com¬ pagnie habe den Hass des Volkes auf sich gezogen, und bewog ihn durch diese blosse Vorstellung, sie abzudanken. Van der Noot geleitete ihn mitten durch den aufgebrachten Pöbel nach Hause. In derselben Nacht ver¬ liess er Brüssel, und mit seiner Abreise er¬ losch die letzte Hofnung der Demokraten. Der hohe Rath von Brabant publicirte noch an demselben Tage das Aufhebungsdekret der patriotischen Gesellschaft, und ihre Häup¬ ter entflohen theils zur Armee in Namur, theils nach Lille im Französischen Flan¬ dern. — So gewaltsam dieses Mittel auch war, wodurch die Stände über die Freunde der Volksfreiheit den Sieg behielten, so hätte man es ihnen dennoch in einer solchen Krise verziehen, wenn nur auch ihre Regierung von nun an die wohlthätigen Wirkungen geäussert hätte, um derentwillen es sich ver¬ lohnte, dem Kaiser die Oberherrschaft zu entreissen. Allein von einer so übel orga¬ nisirten Versammlung durfte man sich kei¬ nen edlen Gebrauch der Kräfte versprechen. Sie benutzte den ersten Augenblick, in wel¬ chem sie sich ohne Nebenbuhler fühlte, um vermittelst tyrannischer Maassregeln die Mög¬ lichkeit eines abermaligen republikanischen Kampfes zu verhüten. Die Pressfreiheit, das Palladium freier Völker, ward unverzüglich abgeschaft; eine strenge Büchercensur wach¬ te für die Erhaltung politischer und geist¬ licher Finsternisse, und das Verbot aller auswärtigen Zeitungen, welche demokratische Grundsätze begünstigten, krönte diese des achtzehnten Jahrhunderts unwürdige Verord¬ nungen. Der Schleier des Geheimnisses deckt alle Berathschlagungen der gesetzge¬ benden Macht; feindseliger Hass verfolgt die Überreste der patriotischen Gesellschaft; aus Furcht vor strenger Ahndung werden die Namen Vonk , Walkiers , Ursel und la Marck an öffentlichen Orten nicht ausgesprochen, und der Enthusiasmus der noch glühet, und noch zuweilen ein paar hitzige Disputanten an einander bringt, wird allmälich erkalten und in jene todte Gleichgültigkeit gegen das gemeine Beste ausarten, welche überall herr¬ schen muss, wo nicht von den Gesetzen, son¬ der von der Willkühr und den Leidenschaften der Regenten das Leben und das Eigenthum des Bürgers abhängt. XVIII. Brüssel. G ewöhnlich bedaure ich nicht die unter¬ jochten Völker; ihre Sklaverei sei auf ihrem eigenen Haupte! Gegen die Löwenkräfte des freien Menschen, der seine Freiheit über alles liebt, sind alle Höllenkünste der Ty¬ rannei unwirksam. Der Übermuth der Rö¬ mischen Eroberungssucht konnte ja nicht ein¬ mal das kleine Saguntum bezwingen. Hel¬ dentod in den Flammen und unter den Schutthaufen ihrer einstürzenden Gebäude war der letzte und edelste Sieg dieser ächten Republikaner! Heute dauert mich gleichwohl das Schick¬ sal der Brabanter. Unter besseren Führern wären Menschen aus ihnen geworden; der Stoff liegt da in ihrem Wesen, roh, vom Gift einer allzu üppigen Kultur noch nicht durchdrungen, sondern nur das Opfer des unüberwindlichen Betrugs. Heute haben wir sie in einer Aufwallung von republikani¬ schem Geiste gesehen, die gänzlich unvorbe¬ reitet und nur desto rührender war. Wir kamen von Schooneberg , dem Landhause der Generalgouverneurs, zurück, und in allen Strassen sahen wir ganze Schaaren von Men¬ schen in die Buchläden stürzen, und mit unbeschreiblicher Ungeduld nach einem Blatte greifen, das eben jetzt die Presse verliess. Es war ein Brief des Generals van der Mersch an die Staaten von Flandern, worin er ihnen seine Ankunft in Brüssel meldet, und auf die strengste Untersuchung seines Betragens dringt. Die Neugier des Publikums spannte um so mehr auf dieses Blatt, da seit einigen Tagen die wüthendsten anonymischen Af¬ fichen und Handbillets gegen den General ausgestreuet werden, worin er ein Verräther des Vaterlandes genannt und absichtlich zum Gegenstande der allgemeinen Indignation auf¬ gestellt wird. Die lebhafte Theilnahme an seinem Schicksal, die, so verschieden auch der Beweggrund seyn mochte, durch alle Klassen der Einwohner zu gehen schien, hatte wenigstens mehr als Neugier zum Grunde, und verrieth einen Funken des Frei¬ heitsgefühls, wovon man sich in Despotien so gar keine Vorstellung machen kann. Es war ein erfreulicher Anblick Alles, Alt und Jung, Männer, Weiber, Kinder, Vornehme und Geringe hinzu strömen zu sehen, um die erste Sylbe der Rechtfertigung eines An¬ geklagten zu lesen! Diese Bewegung dauerte mehrere Stunden; die Druckerei konnte nicht schnell genug die hinlängliche Anzahl Exemplare liefern; man riss einander den Brief aus der Hand, man stritt sich, wer das erste von dem neuankommenden Vorrathe be¬ sitzen sollte, man drang den Buchhändlern das Geld im Voraus auf, man bot doppelte, zehnfache Zahlung, und wartete, wie dies unter andern unser eigener Fall war, Stun¬ denlang auf einen Abdruck. So ging es fort bis spät in die Nacht. Van der Mersch ist gestern Abend hier eingetroffen; dies ist der vollendende Schlag, welcher das Gebäude der Aristokratie in den Niederlanden befestigt. Die Armee in Na¬ mur war bisher noch immer eine Stütze der Volkspartei geblieben; mit den Waffen in der Hand hatte sie die Bittschrift der patrio¬ tischen Gesellschaft gebilligt. Sie war in ih¬ rem Eifer noch weiter gegangen. Eine un¬ begreifliche Gleichgültigkeit der Brabantischen Stände sowohl, als des mit ihnen einstimmi¬ gen, ebenfalls von van der Noot inspirirten Congresses, hatte die Armee an allen Bedürf¬ nissen, an Pferden und Geschütz, an Geld, an an Lebensmitteln und Kleidungsstücken den äussersten Mangel leiden lassen; ein grosser Theil der in Namur liegenden Truppen hatte weder Uniformen, noch Schuhe. Vielleicht empfanden die vereinigten Provinzen schon jetzt die grosse Schwierigkeit, zu den Ver¬ theidigungsanstalten, die ihre Lage erforderte, die nöthigen Summen herbeizuschaffen; viel¬ leicht war auch die verdächtige Treue die¬ ses Heeres die Ursache, dass die Stände säumten und zögerten, um es nicht wider sich selbst zu bewaffnen. Wahr ist es in¬ dessen, dass ein allgemeines Missvergnügen unter den Truppen zu Namur ausgebrochen war, dass der Mangel häufige Veranlassung zu den grössten Unordnungen und zur De¬ sertion gab, und dass van der Mersch , nach¬ dem seine wiederholten Vorstellungen an den Congress nichts gefruchtet, den Entschluss gefasst hatte, seine Befehlshaberstelle nieder¬ II. Theil . L zulegen. Bei diesen Umständen versammel¬ ten sich am 31. März alle Officiere der dor¬ tigen Besatzung, und äusserten einmüthig das Verlangen, dass van der Mersch den Ober¬ befehl der Armee behalten, der Herzog von Ursel wieder an die Spitze des Kriegesdepar¬ tements gesetzt werden, und der Graf la Marck zum zweiten Befehlshaber ernannt werden möchte. Zugleich schrieben sie an alle Provinzen um ihre Mitwirkung zur Ab¬ schaffung der Missbräuche und Wiederher¬ stellung der guten Ordnung. Diese Wünsche mit der am 1. April von dem General erhal¬ tenen schriftlichen Zustimmung, überschick¬ ten die Officiere dem Congress in einem Briefe, worin sie ohne Umschweif behaupten, das einzige Rettungsmittel für den kranken Staat darin gefunden zu haben, dass sie eini¬ gen Ehrgeizigen ihre über die ganze Nation usurpirte Macht zu entreissen beschlossen. hätten. Um zu gleicher Zeit das Schreckbild einer Nationalversammlung zu entfernen, er¬ schien am folgenden Tage eine Erklärung, welche die nach Namur geflüchteten Patrio¬ ten Vonk , Verlooy , Daubremez und Wee ¬ maels unterzeichnet hatten, worin sie noch¬ mals versicherten, dass sie in der Bittschrift vom 15. März auf eine Versammlung dieser Art keinesweges angetragen hätten, sondern im Gegentheil auf die Verfassung der drei Stände fest zu halten gesonnen wären, und lediglich eine mehr befriedigende Repräsen¬ tation als die jetzige, nach dem Beispiele von Flandern, verlangten. Dieser Erklärung er¬ theilte die Armee am 3. April ihre Zustim¬ mung. Sie war um so merkwürdiger, da das Projekt des Congresses, oder, wie er sich selbst nannte, der Belgischen Generalstaaten , vom 31. März mit ihr gleichen Inhalt hatte, den einzigen Umstand ausgenommen, dass L 2 der Congress behauptete: noch sei es zu früh, an eine verbesserte Repräsentation zu den¬ ken, indem auf die Vertheidigung gegen den auswärtigen Feind alle Kräfte und alle Sor¬ gen gerichtet werden müssten; wenn aber der Zeitpunkt gekommen seyn würde, wolle man selbst die Nation dazu auffordern, und mittlerweile wünsche man die Zustimmung und Garantie aller Provinzen zu diesem Ent¬ wurfe. Die Stände von Flandern säumten nicht, diesem Vorschlag ihren Beifall zu er¬ theilen, indem sie sich zugleich vorbehiel¬ ten, in ihrer Provinz mit der bereits ange¬ fangenen Verbesserung der Konstitution fort¬ zufahren und sie zu vollenden, ohne die Aufforderung des Congresses abzuwarten. Diese Äusserung war um so schicklicher, da es mit dem ganzen Vorschlage des Con¬ gresses nur darauf angesehen war, dem Volke Staub in die Augen zu werfen, und die Stände von Brabant nicht die geringste Rücksicht darauf nahmen, sondern fort¬ fuhren, ihre vermeinten Ansprüche auf die Souverainität dieser Provinz geltend zu machen. Die Nachricht von den demokratischen Gesinnungen der Armee erschütterte nicht nur die Stände von Brabant, sondern auch die bisher so eifrigen Freunde des Generals van der Mersch , die Stände von Flandern. Sie forderten den Congress auf, alle Kräfte anzustrengen, um die Gefahr abzuwenden, die von dorther dem Vaterlande drohte, und sie waren es auch, welche den Vor¬ schlag thaten, den General nach Brüssel vor den Congress fordern zu lassen, da¬ mit er von seiner Aufführung Rechenschaft gäbe. Im Weigerungsfalle wollten sie ihm die noch kürzlich bewilligte Zulage von zweitausend Gulden zu seiner Besoldung ent¬ L 3 ziehen Die Provinzen hatten ihm ein jährliches Gehalt von funfzehntausend Gulden nebst zehntausend Gulden Tafelgeldern zugestanden. . Von einer andern Seite erboten sich die beiden patriotischen Freunde, der Herzog von Ursel und der Graf de la Marck , in einem Schreiben an den Congress, sich nach Namur zu begeben, und vermittelst des Vertrauens, welches ihnen die Armee bezeigt habe, den Ausbruch des Unglücks zu verhüten. Da sie gleich bei ihrer An¬ kunft das vorhin erwahnte Projekt des Con¬ gresses vom 31. März der Armee bekannt machten, so gelang es ihnen, eine Erklärung unter dem 5. April von derselben und von dem General van der Mersch zu erhalten, worin sie ihre völlige Zufriedenheit mit dem Jnhalt dieses Projekts in Absicht auf die künftige Reform der Verfassung zu erkennen gaben. Allein van der Noot wusste ein zu¬ verlässigeres Mittel, für die Erhaltung seiner Partei zu sorgen. Er liess ein Korps von fünftausend Mann, welches bisher in Löwen gestanden hatte und den Ständen von Bra¬ bant ergeben war, unter Anführung des Ge¬ nerals von Schönfeld nach Namur marschi¬ ren. Van der Mersch , der von dieser Maass¬ regel keine Nachricht aus Brüssel erhalten hatte, rückte mit seiner in drittehalbtausend Mann bestehenden Besatzung dem andern Korps entgegen. Bald erfuhr er indess durch die an ihn geschickten Adjutanten, dass der Congress nicht nur diese Truppen be¬ ordert habe, sondern dass sich auch depu¬ tirte Mitglieder des Congresses an ihrer Spitze befänden, vor denen er sich stellen müsse. Er begab sich sogleich zu ihnen, und da er inne ward, dass der ganze An¬ schlag hauptsächlich auf seine Person ge¬ münzt war, so beschloss er auf der Stelle, L 4 vor dem Congress in Brüssel zu erscheinen. So vermied er den Ausbruch eines Bürger¬ krieges, in welchem Brüder gegen Brüder hätten fechten müssen. Der Herzog von Ursel und der Graf la Marck haben nur wenige Stunden lang Arrest gehabt und sind wieder auf freien Fuss gestellt. Das ist die Geschichte jenes merkwürdigen Tages, die heute die ganze Stadt beschäftiget. Gestern und vorgestern waren die Nachrichten über dieses Ereigniss noch zu unbestimmt und widersprechend. Ich kann es der demokratischen Partei nicht verdenken, dass sie hier noch einen Versuch wagte, sich wieder emporzuschwin¬ gen. In dem leidenschaftlichen Zustande, den der Parteigeist voraussetzt, den die Treu¬ losigkeit der Gegner unterhält und den die getäuschte Hofnung so leicht bis zur Wuth erhöhet, wäre es unbillig, ganz überlegte, mit kalter Besonnenheit nach dem richtigen Maass¬ stabe der Bürgerpflicht abgemessene Hand¬ lungen, selbst von edleren und besseren Men¬ schen zu erwarten. Im Gegentheil, je rei¬ ner und herzerhebender das Bewusstseyn der Demokratenhäupter war; je inniger sie ihre moralische Überlegenheit über einen van der Noot und einen van Eupen fühlten: desto flammender musste ihr Eifer sie begeistern, das bethörte Volk von Brabant aus den Hän¬ den solcher Anführer zu erretten. Dies vor¬ ausgesetzt, lassen sich auch gewisse Unregel¬ mässigkeiten leichter entschuldigen, die bei dieser Gelegenheit vorfielen, und deren Ver¬ hütung nicht allemal in der Gewalt der Gut¬ meinenden ist, die sich an die Spitze einer Partei stellen. Unstreitig wagte die Armee einen dreisten Schritt, als sie einige Mitglie¬ der des Congresses, die mit Depeschen nach Namur gekommen waren, gefänglich einzog, L 5 ihre Briefe las und sie öffentlich im Druck erscheinen liess, wenn es gleich die Absicht dieser Emissarien war, ihnen eine Eidesfor¬ mel hinterlistigerweise aufzudringen, welche die Freiwilligen in Brüssel längst verworfen hatten. Van der Mersch selbst, im Ver¬ trauen auf den Beistand seiner Truppen, sprach am 3. April aus einem Tone, der den Ständen von Brabant feindselig klingen muss¬ te; und es ist noch die Frage, ob er nicht am 5ten das Schwert zur Entscheidung ge¬ zogen haben würde, wenn nicht van der Noots Emissarien den Augenblick seines Aus¬ zuges aus Namur benutzt hätten, um den Magistrat dieser Stadt umzustimmen, und den Pöbel mit einer ansehnlichen Summe, die Einige auf funfzigtausend Gulden ange¬ ben, zu erkaufen. Daher fand der General, als er wieder in die Stadt ziehen wollte, die Thore gegen sich und seine Truppen ver¬ schlossen, und dieser Umstand, sagt man, bewog ihn zum gütlichen Vergleich. Eben so wenig lässt es sich läugnen, dass die Reise des Herzogs von Ursel und seines Freundes, in einem Zeitpunkte, wo Vonk und seine Verbündeten sich wirklich schon zu Namur aufhielten, den Anschein hatte, dass es ih¬ nen mehr darum zu thun war, die Gährung der dortigen Armee zu benutzen, als sie stil¬ len zu helfen. Nehmen wir aber an, dass sie gegen die Usurpation der Stände die gu¬ te und gerechte Sache zu haben wähnten, wer könnte sie tadeln, wenn sie sich der Mittel bedienten, welche das Schicksal ihnen darbot, um sie geltend zu machen? Weit schwerer, ich glaube sogar unmög¬ lich, wird es seyn, sie in einer andern Rück¬ sicht zu entschuldigen. Das Vorurtheil des Volkes musste ihnen ehrwürdig seyn, wenn es unheilbar war, wenn sie voraussehen konnten, dass seine Anhänglichkeit an die Stände sich weder durch Gründe noch durch Gewalt bezwingen liess; in diesem Falle war folglich ihre Widersetzlichkeit zwecklos und ungerecht. Hatten sie hingegen die Möglichkeit in Händen, durch eine grosse Anstrengung die aristokratische Tyrannei zu stürzen, so bleibt ihnen ewig die Reue, aus Kleinmuth die Gelegenheit verfehlt zu ha¬ ben, das Vaterland zum zweitenmal zu be¬ freien. Alle absolute Bestimmungen sind Werke der Spekulation, und nicht von die¬ ser Welt; hier hängt alles von Verhältnissen und Umständen ab; das Wahre und Gute entlehnt, wie Recht und Gerechtigkeit, seine Farbe von der Zeit und den Dingen. Die Beistimmung der Welt zu unseren Grund¬ sätzen können wir daher nicht erzwingen; allein die Schuld ist an uns, wenn sie un¬ serm Charakter keine Hochachtung zollt. Besser ist es, die Waffen für eine gute Sache nicht ergreifen, als wenn man sie einmal ergriffen hat, nicht lieber mit den Waffen in der Hand zu siegen oder zu sterben. Wenn uns da noch Unvollkommenheiten betrüben, wo grössere und edlere Mensch¬ heit uns anzieht, wie werden wir den Blick mit Widerwillen wegwenden von jenen Un¬ glücklichen, deren sittliche Missgestalt kein Zug von guter Bedeutung mildert? Der glückliche Erfolg ihrer Unternehmungen kann aus ihrem Namen die Brandmale nicht tilgen, womit die Wahl der niedrigsten Mittel, Doppelzunge, Arglist, Bestechung, Verrath, Aufwiegelung und Missbrauch der Gottesfurcht des Pöbels, Plünderung und Mord der Bürger, sie gezeichnet hat. Ge¬ wiss, die Brabanter sind bedaurenswerth, dass Menschen von dieser Gattung ihre Führer geworden sind und ihr ganzes Ver¬ trauen besitzen! Sie waren es, die dem Volk einen so tödtlichen Hass gegen die ganze Verwandtschaft seines ehemaligen Für¬ sten einflössten, dass Josephs Tod und Leo¬ polds strenge Missbilligung aller seiner Neue¬ rungen noch keinen Eindruck auf die Her¬ zen haben machen können, so empfänglich sonst die unverdorbene Natur des Menschen für sanftere Empfindungen zu seyn pflegt, wenn der Tod des Beleidigers Genugthuung giebt und alle seine Schulden tilgt. Die grossen Anerbietungen des Königs von Un¬ garn und Böhmen , haben zwar hier in Brüs¬ sel und noch mehr in Flandern die Partei der so genannten Royalisten verstärkt; allein die Masse des Volkes hat von seinen Seel¬ sorgern gelernt, den Namen Leopold mit Abscheu zu nennen und mit demselben, wie mit Josephs Namen, den furchtbaren, dunk¬ len Begrif der Irrgläubigkeit zu verbinden. Diese Schreckbilder mögen hinreichend seyn, um den Ständen den Gehorsam der Braban¬ ter zuzusichern; werden sie ihnen aber auch einst Kraft und Muth einflössen, Leopolds Krieger zurückzuschlagen? In der That, der Anblick der Freiwilligen, die wir hier täglich aufziehen sehen, und was wir von dem Zustande der Disciplin und der Taktik bei der Armee vernehmen können, lässt diese Vermuthung nicht aufkommen. Die einzige gegründete Hofnung der Stände von Brabant und der übrigen Provinzen auf die Erhaltung ihrer Unabhängigkeit, liegt in der Eifersucht der Mächte Europens gegen das Haus Östreich. Auf eine oder die andre Art ist diesem zerrütteten Lande die Wiederkehr der Ruhe zu wünschen. Es ist betrübt zu sehen, wie verscheucht und verwildert alles in wissen¬ schaftlicher Hinsicht hier aussieht. Zwar hatte der fromme Eifer von jeher gesorgt, dass des Guten in diesem Fache nicht zu viel werden möchte; allein unter dem Prin¬ zen Karl hatten wenigstens die Erfahrungs¬ wissenschaften ihre ersten unverdächtigen Blüthen gezeigt. Man hatte wohl etwas von wunderbaren Bastarten zwischen Kaninchen und Hühnern gefabelt; indess war doch die Menagerie vorhanden, wo dieses Monstrum, das im Grunde nur das bekannte Japanische, frisirte Huhn war, unter vielen andern Thie¬ ren vorgezeigt ward. Diese Menagerie, das Naturalienkabinet des Prinzen, seine Gemäl¬ desammlung, sein physikalischer Apparat, seine Bibliothek; von dem allem ist kaum noch eine Spur geblieben. Wir besuchten eine so genannte königliche Bibliothek unter Aufsicht des Abbé Chevalier , die höchstens in zwölftausend Bänden besteht. Die Ein¬ thei¬ theilung in Theologia , Humaniora , Juris¬ prudentia , Historia , Scientiae et Artes , mag zur Beurtheilung der Ordnung und selbst des Inhalts dienen. In demselben Hause zeigt man auch ein öffentliches Naturalien¬ kabinet, in einem dunklen, einäugigen Zim¬ mer. Es besteht in etlichen Petrefakten und Krystalldrusen, einigen ausgestopften Schlan¬ gen und Vögeln, einigen Schubkasten voll Konchylien, Schmetterlingen und Mineralien ohne Ordnung und Auswahl, einem Schar¬ lachrock mit Gold, den einst ein König ge¬ tragen hat, und einem Grönländischen Ka¬ not. Dies und einige physikalische Instru¬ mente, die wir in des Abbé Manns Behau¬ sung fanden, sind die Reste der grossen Sammlung, die Prinz Karl hier angelegt hatte. Die Akademie der Wissenschaften, bei welcher derselbe Abbé Mann der Se¬ kretär ist, verhält sich bei den jetzigen Zeit¬ II. Theil . M läuften ganz still, wie es Philosophen ge¬ ziemt; allein sie war immer von friedlieben¬ der Natur und hat wenig Aufsehen in der Welt machen, am wenigsten durch ein zu schnell verbreitetes Licht der Vernunft den Glauben gefährden wollen. Herr Mann ist ein Mitglied der erloschenen Gesellschaft, um deren Wiederherstellung man sich in den Belgischen Staaten schon so viele Mühe gegeben hat, und ausser seinen physikali¬ schen Arbeiten auch durch die Bekehrung des Lord Montague berühmt. Von dem Verfall der hiesigen Manufak¬ turen habe ich schon bei einer andern Ge¬ legenheit etwas erwähnt. Die Englischen und Französischen Kamelotte haben dem Absatz der hiesigen, die ehemals so berühmt waren, so starken Abbruch gethan, dass es jetzt keine grosse Unternehmungen in dieser Gattung von Waaren mehr giebt. Die Quantität der Kamelotte, die jährlich fabri¬ zirt werden, ist daher nicht mehr so be¬ trächtlich wie ehedem. Von den nicht minder berühmten Brüsseler gewirkten Ta¬ peten existirten vor wenigen Jahren noch fünf Fabriken; jetzt ist die des Herrn van der Borght nur noch allein im Gange, und es arbeiten nur noch fünf Fabrikanten darin. Dennoch klagt man über die grossen Vor¬ räthe, die dem Eigenthümer auf den Händen bleiben. Die Arbeiter sitzen zwei und zwei an einem Stuhl, wie es bei der Basse-lisse gewöhnlich ist. Die Tapeten waren schön gezeichnet und mit ungemeiner Präcision ausgeführt. Man zeigte ein vortrefliches Stück nach Teniers , ein anderes nach le Brün , u. s. f. Die Elle von solchen Tapeten kostet zwei Karolin. Von den zwei grossen Zuckerraffinerien der Herren Rowis und Dan ¬ hot , die in ihrer Art gut eingerichtet sind, M 2 will ich nichts sagen; aber eine in Europa wahrscheinlich einzige Kutschenfabrik ver¬ dient, dass ich sie Dir näher beschreibe. Herr Simon , ihr Eigenthümer, hat gewöhn¬ lich hundert bis hundert und zwanzig Ar¬ beiter, die in weitläuftigen, durch grosse Fenster schön erleuchteten Sälen sitzen und einander in die Hand arbeiten. Die Höhe des Saals erlaubte ihm, eine Galerie oben rund herum zu führen, auf welcher, so wie unten, die Arbeiter um ihre Tische sitzen. Die gegenwärtigen Unruhen haben indessen die Zahl der Arbeiter bis auf die Hälfte ver¬ mindert. Alles was zu einer Kutsche ge¬ hört, das Eisenwerk, Leder, Holz, der Lak, die Vergoldung, und Farbe, alles wird hier innerhalb des Bezirks dieser Einen Fabrik verfertigt. In den Sälen hangen Tafeln, auf welchen die Gesetze geschrieben stehen, de¬ nen sich jeder Handwerker, wenn er hier arbeiten will, unterwerfen muss. Es wird darin bestimmt, wenn man sich einfinden, wie lange man arbeiten soll; auf das Aus¬ bleiben, auf überlautes Plaudern bei der Ar¬ beit, u. s. w. stehen Geldstrafen; aber dem gesetzmässigen Betragen wird dagegen auch eine Belohnung zu Theil. Der Holzvorrath, den wir hier sahen, ward allein auf achtzig¬ tausend Gulden geschätzt; er bestand unter andern in einer grossen Menge Ahorn aus der Schweiz, und einer ansehnlichen Quan¬ tität Mahogany, welches Herr Simon schon deswegen so stark verbraucht, weil er seinen guten Lak auf kein anderes Holz setzt. Die Fasern unseres Büchen- und Rüsterholzes werden unter dem Lak immer wieder sicht¬ bar und machen ihn rissig. Die Schmiede hatte sechs Essen, wovon jetzt aber nur zwei noch brannten. Mit diesen Vorkehrungen verbindet der Eigenthümer die höchste Soli¬ M 3 dität und Eleganz, ja, was mehr als alles mit Bewunderung erfüllt, einen erfinderi¬ schen Scharfsinn, einen mechanischen In¬ stinkt möcht’ ich es nennen, entwickelt und vervollkommnet durch wirkliches Stu¬ dium der Naturgesetze und der angewandten Mathematik, wodurch die Vertheilung der Lasten zu einem hohen Grade der Vollkom¬ menheit getrieben und der enge Raum einer Kutsche auf eine fast unglaubliche Weise benutzt wird. Für einen Mann, der öfters lange Reisen machen muss, wüsste ich nichts Unentbehrlicheres als einen Reisewagen, wie ich ihn hier gesehen habe, worin man Tisch und Bett und alle ersinnliche Bequemlich¬ keiten vereinigt hat. Wenn der arme Li - Bu aus den Pelew-Inseln sich schon über eine Londoner Miethskutsche extasiiren und sie ein Haus zum Fahren nennen konnte — was hätte er nicht beim Anblick dieses Wunderdinges gesagt! Es ist in der That ein angenehmes Schauspiel, den menschli¬ chen Geist auch auf diese Art glücklich ge¬ gen Schwierigkeiten kämpfen und sie besie¬ gen zu sehen! Herr Simon pflegt zwanzig bis dreissig Wagen vorräthig zu haben, und alle Europäische Höfe bestellen ihre Galla¬ wagen bei ihm. Sein Name stand auf der berüchtigten Proskriptionsliste vom 15. März; denn auch er hatte die Addresse an die Staa¬ ten unterzeichnet und war ein so eifriges Mitglied der patriotischen Gesellschaft, dass er bereits unter des Kaisers Regierung hatte die Flucht ergreifen müssen. Die Zerstö¬ rung seines Hauses und seiner Fabrik war ihm zugedacht; allein er machte die ernst¬ lichsten Vertheidigungsanstalten, und liess in der Stadt bekannt werden, er habe Pul¬ verminen gelegt, und wolle, auf den Fall eines Angrifs, seine Feuerspritzen mit Schei¬ M 4 dewasser laden. Diese schreckliche Drohung war hinreichend, van der Noots Myrmido¬ nen die Lust zum Plündern hier zu vertrei¬ ben. Gleichwohl ist Herr Simon , um seiner persönlichen Sicherheit willen, vor einigen Tagen, nach dem Beispiel anderer Demokra¬ ten, aus dem Lande gegangen. Es kann nicht fehlen, dass nicht auch der Handel unter der gegenwärtigen Tyrannei der Stände und der gewaltsamen Anstren¬ gung, wozu die Selbsterhaltung sie zwingt, wesentliche Einschränkungen leiden sollte. Die Entfernung eines Partikuliers wie Eduard Walkiers , dessen Vermögen man auf dreissig Millionen Gulden schätzt, muss auf die Ak¬ tivität seiner Handelsgeschäfte, mithin auf die ganze Cirkulation in den Niederlanden, einen nachtheiligen Einfluss haben. Man rechnet, dass Walkiers , um die Revolution in Brüssel am 11. und 12. December vori¬ gen Jahres zu bewirken und d’Altons Trup¬ pen durch Bestechung zu entwafnen, beinahe eine halbe Million verwendet haben soll. Nächst ihm sind die Herren Overmann und Schumaker die reichsten Kaufleute in Brüs¬ sel. Sie bewiesen dem Kaiser, dass sie ihm jährlich gegen funfzigtausend Gulden Abga¬ ben zahlten und den inländischen Fuhrleu¬ ten beinahe sechzigtausend Gulden zu ver¬ dienen gäben. Romberg , der den Speditions¬ handel von Brüssel nach Löwen zu verle¬ gen suchte, besteht noch ebenfalls als einer der vermögendsten Niederländischen Ban¬ quiers. Unser Aufenthalt ist viel zu kurz gewesen, als dass er uns gestattet hätte, in diese merkantilischen Verhältnisse und ihre Verwickelung mit dem politischen Interesse einen tieferen und mehr ins Detail dringen¬ den Blick zu thun. Morgen verlassen wir Brüssel; doch zuvor will ich Dir, so müde M 5 ich auch bin, von unserer heutigen Spatzier¬ fahrt ein paar Worte sagen. Eine halbe Stunde vor der Stadt, an dem Kanal von Mecheln, liegt das Lustschloss Schooneberg , bei Laken, welches wir heute in Augenschein nahmen. Vor acht Jahren erndtete man auf dem Platze, den jetzt ein Pallast und ein Park mit hohen Bäumen und geschmackvollen Tempeln zieren, noch den herrlichsten Waizen. Der Herzog Albert von Teschen und seine Gemahlin , die Gou¬ vernantin der Niederlande, die Lieblingstoch¬ ter der Kaiserin Maria Theresia , kauften gleich nach ihrer Ankunft das Landgut, wel¬ ches diesen Platz okkupirt, mit dem alten darauf befindlichen Schlosse, das ihnen zum Absteigequartier diente, so oft sie heraus¬ kamen um den Bau zu dirigiren. Die ganze neue Anlage ist ein Werk des Herzogs, ein herrliches Denkmal seines Geschmacks, sei¬ nes Kunstgefühls und seines ordnenden Geistes. Nach seinen eigenen Handzeich¬ nungen ward das Schloss in allen seinen Theilen aufgeführt. Es ist ein schön pro¬ portionirtes Gebäude mit einer Kupole in der Mitte, die über einem prächtigen Peri¬ styl von zwölf Korinthischen Säulen steht. Dieser schöne Saal ist ganz von weissem Stein erbauet, mit Verzierungen nicht über¬ laden, wohl aber reich geschmückt und von den entzückendsten Verhältnissen. Der Fuss¬ boden ist mit vielfarbigem Marmor ausge¬ legt, und die Kamine von Karrarischem Marmor, mit Basreliefs nach den schönsten antiken Mustern, meisterhaft verziert. Die Einrichtung und das Ameublement der übri¬ gen Zimmer ist eben so schön als prächtig und geschmackvoll; besonders sind die Spie¬ gel aus den Pariser Gobelins von ungeheurer Grösse. Was mir am meisten gefiel, war die edle, elegante Simplicität der kleinen Privatkapelle; sie ist ein Viereck mit einer halben Kuppel zur Nische, worin eine mit sehr viel Geist gearbeitete und sehr sorgfäl¬ tig nach einem Römischen Original vollen¬ dete Muse oder Göttin von Karrarischem Marmor, mit Krone und Zepter zu ihren Füssen, unter dem Namen der heiligen Chri¬ s ti na , die Hausgottheit vorstellt. Der Bild¬ hauer le Roy in Namur ist der Urheber die¬ ses schönen Kunstwerkes. Über ihrem Haup¬ te ist ein leuchtender Triangel im Plafond angebracht; und in der Mitte des Zimmers schwebt eine Taube an der Decke, schön gearbeitet und den übrigen, reichen Palmy¬ renischen Verzierungen gar nicht heterogen. Man glaubt wirklich in einem Tempel des Alterthums zu seyn, und die Illusion wird noch vollkommener werden, wenn erst statt des hölzernen, angemalten Sarkophags, der den Altar vorstellt, einer von Porphyr da stehen wird. Die Stühle und Schirme in mehreren Zimmern hat die Erzherzogin selbst mit reicher Stickerei geschmückt. Nie sah ich eine glücklichere Anwendung der Japanischen oder Chinesischen Porzellantöpfe, die man gewöhnlich in fürstlichen Pallästen antrift, als hier. Eine grosse Urne war in herrlich vergoldetes Bronze gefasst, das sich in ein antikes dreifüssiges Untergestell vom schönsten Geschmack endigte. Über der¬ selben stand ein langes, cylindrisches Porzel¬ langefäss, mit dem unteren durch die Ein¬ fassung verbunden, welche sodann als ein prächtiger Leuchter mit vielen Armen empor stieg und in der Mitte sich in ein Bündel Thyrsusstäbe endigte. Der Park hat schöne Partien und gab uns einen angenehmen Vorschmack des Ver¬ gnügens, welches wir in England, dem Va¬ terlande der wahren Gartenkunst zu ge¬ niessen hoffen. Ein gegrabener Kanal, der mit dem schifbaren Kanal von Vilvoorden zusammenhängt, hat völlig das täuschende Ansehen eines sich schlängelnden Flusses. Die Kaskade, die freilich nur vermittelst einer Feuermaschine von der neuen Bolton¬ schen Erfindung spielt, ist kühn und wild, und steht mit einer eben so schönen unter¬ irdischen Felsengrotte in Verbindung. Der Cylinder der Feuermaschine hat vier und vierzig Zoll im Durchmesser, und wenn die Kaskade anderthalb Stunden laufen soll, werden sechzig Centner Steinkohlen ver¬ brannt. Die botanischen Anlagen zeichnen sich durch Kostbarkeit, vollkommene Errei¬ chung des Zweckes, und Seltenheit der exo¬ tischen Pflanzen aus. Ein Botaniker würde davon urtheilen können, wenn ich ihm nur einige nennte, die ich in den Treibhäusern sah. Unter andern bemerkte ich im Grünhause: Cycas circinalis, Yucca filamentosa, Dracaena Draco, Phyllis Nobla, Gardenia Thunbergia, Gerbera Manghas, Au¬ cuba japonica, Myrtus pimentosa et Pimenta (latifolia), Taxus elongata, Ficus racemosa, Mesembryanthemum Aitonis, Plumbago undulata, Illicium anisatum, Elate sylvestris, Chamaerops humilis, Tamari dus indica, Fi¬ cus benghalensis, Melia Azedarach, Cassia occidentalis, Jatropha urens et Manihot, Sterculia platanifolia, Ale¬ tris uvaria et hyacinthoides, Camellia japonica, Ilex asiatica, Achras Sapota, Arum pictum, Columnea scandens, Agave foetida, Crescentia Cujete, Carica Pa¬ paya, Polypodium aureum et lusitanicum. — Im heisse¬ sten Treibhause: Mimosa nilotica, glauca, farnesiana, Hura crepitans, Bixa orellana, Ficus indica, maxima, religiosa, lucida, pumila et malabarica, Passiflora mali¬ formis, quadrangularis, et suberosa, Erythrina Corallo¬ dendron, Cassia Fistula, Annona muricata et squamosa, Hibiscus Rosa sinensis, Dracaena terminalis, ferrea et Störkia, Costus arabicus, Phyllanthus Epiphyllanthus, Die Orangerie, die Blumenbeete, die Officen, die Menagerie, der Chinesische Thurm, sind in ihrer Art zweckmässig und schön. Der Thurm hat in elf Etagen zwei¬ hundert ein und dreissig Stufen, und ist über hundert und zwanzig Fuss hoch. Die Aus¬ sicht auf dem obersten Gipfel ist unermess¬ lich: wir sahen den Thurm von St. Romuald in Hernandia sonora, Hamellia coccinea, Solanum verbas¬ cifolium, Tradescantia discolor, Guaiacum officinale, Cestrum nocturnum et vespertinum, Plumeria alba, Ehretia tinifolia, Bignonia scandens, Nyctanthes Sam¬ bac, Juglans baccata, Duranta Ellisia, Heliocarpus americana, Portlandia hexandra, Plumbago rosea, Trol¬ lius asiaticus, Malpighia glabra, Spigelia marilandica, Psidium pyriferum, Callicarpa americana, Grewia ame¬ ricana, Laurus Borbonia, Murraya exotica, Petiveria alliacea, Vinca rosea, Justicia hyssopifolia, Asclepias nivea et fruticosa, Calophyllum Calaba, Thea viridis et Bohea, Alströmeria peregrina, Geranium laevigatum, Senecio populifolios, Iberis gibraltaria, Arum segui¬ num, Olea fragrans, Atragene indica, Lycium japo¬ nicum, Crinum americanum et zeylanicum, Pancra¬ tium amboinense et caribaeum, Amaryllis Belladonna, aurea, radicans, regina, crispa et vittata, Lychnis coc¬ cinea, Abrus precatorius, Smilax Sarsaparilla, Colum¬ nea humilis, Nerium gardenifolium. in Mecheln, so trübe auch das Wetter war; wenn aber der Horizont heiter ist, sieht man Antwerpen. Alles in dieser Anlage verräth nicht bloss das Kunstgefühl und den Geschmack der er¬ habenen Besitzer, sondern auch ihre beson¬ dere Liebe für dieses Werk ihrer schönsten Stunden, wo sie ausruheten von der trauri¬ gen Geschäftigkeit eines politischen Verhält¬ nisses, welches sie grossentheils zu blinden Werkzeugen eines fremden und von ihren Herzen wie von ihrer Einsicht nicht immer gebilligten Willens herabwürdigte. So man¬ che Eigenthümlichkeit in dem Detail der hiesigen Gärten führt ganz natürlich den Ge¬ danken herbei, dass je mehrere von ihren Ideen sich hier realisirten, desto werther auch dieser ländliche Aufenthalt ihnen wer¬ den musste, desto vollkommener und inniger der Genuss eines von den Fesseln der Eti¬ II. Theil . N quette und der falschen Freundschaft ent¬ bundenen Lebens, das ihrem edleren Sinne angemessen war. Ich läugne daher nicht, dass es mich schmerzte, hier sowohl, als im Schlosse zu Brüssel, die Dienerschaft der ehemaligen Generalgouverneurs in voller Ar¬ beit anzutreffen, um alle Mobilien, mit In¬ begrif der Tapeten, einzupacken und zufolge einer von den Ständen erhaltenen Erlaubniss ausser Landes zu schicken. Der Lieblings¬ wissenschaft der Erzherzogin, der Kräuter¬ kunde, der sie hier mit so grosser Freige¬ bigkeit ihre Pflege hatte angedeihen lassen, sollte nun auch dieser Schutz entzogen wer¬ den; dergestalt, dass in kurzem keine Spur von dem schöpferischen Geiste übrig seyn wird, auf dessen Geheiss diese Steinmassen sich im schönsten Ebenmaasse der Griechi¬ schen Baukunst erhoben, und tausendfaches Leben aus allen Welttheilen in diesen Gär¬ ten blühte! — Dies ist das Schicksal der allzuzarten Blume der Geisteskultur; die Sorgfalt und Mühe von ganzen Menschen¬ altern sie gross zu ziehen, zerstört ein Hauch der Unwissenheit! Wie viele Jahrhunderte würden wohl hingehen müssen, ehe diese feisten Mönche von Sankt Michel, von Ton¬ gerloo und Everbude, von Gembloux, Grim¬ bergen, Sankt Bernard, Vlierbeck und wie die dreizehn Abteien heissen, den ächten Menschensinn wieder erlangten, dass es et¬ was mehr in der Welt zu thun giebt, als den Leib zu pflegen und das Gebet der Lip¬ pen zu opfern? Ehe sie erkennen lernten, dass — ........ Nein! wozu sollt' ich die Danaidenarbeit fortsetzen und berechnen, wenn die Unmöglichkeit möglich werden kann? Wer den Genuss kennt, wo Gefühl und Verstand, durch täglichen Kampf und täglichen Sieg bereichert, einander unauf¬ N 2 hörlich berichtigen, der darf nicht rechten mit dem Schicksal, welches oft die Völker mitten in ihrer Laufbahn aufhält und ihre Entwickelung zu höheren Zwecken des Da¬ seyns eigenmächtig verspätet. Die Mensch¬ heit scheint hier nicht reif zu seyn zu die¬ ser Entwickelung. Sie ist nicht unempfäng¬ lich für das Gute; allein ihr Wille wankt, und ihr Geist ist gebunden. Ganz Brabant vergötterte den Herzog Albert; es war nur Eine Stimme über seine Tugend; mitten in den heftigsten Ausbrüchen des Aufruhrs blieb die Liebe des Volkes ihm treu und äusserte sich im lauten Zuruf: Albert lebe! Aber nie dachte dieses Volk ohne eigene Energie den Gedanken, sich den Fürsten, den es liebte, statt der Tyrannen zu wählen, die seine Priester ihm gaben. XIX. Lille. I n ein paar regnichten Tagen sind wir von Brüssel durch das Hennegau nach dieser Hauptstadt des Französischen Flanderns ge¬ kommen. Einige unbedeutende, wogichte Erhöhungen des Erdreichs abgerechnet, läuft die Heerstrasse überall in einer schönen ebe¬ nen Gegend fort, und ist auch überall so vortreflich und dauerhaft, wie jenseits Brüs¬ sel gebauet; der Boden hat völlig dasselbe Ansehen von Ergiebigkeit, und der Anbau verräth eben den Fleiss. Mehrentheils sind die Wege mit hohen Espen bepflanzt; stel¬ lenweise zeigen sich ziemlich grosse Wal¬ dungen und verschönern den Aufputz der Landschaft. Die kleinen Städte folgen so nahe auf einander, als wenn sie hingesäet wären, und wir freueten uns des Anscheins von Wohlstand, der darin herrschte. N 3 Wenige Stunden brachten uns nach Enghien, wo der Herzog von Aremberg sich jetzt aufhält. Sein Schloss ist alt und baufäl¬ lig, aber mit weitläuftigen Nebengebäuden ver¬ sehen und mit einem Park von sehr grossem Umfang umgeben, der zum Theil im Ge¬ schmack von Le Notre , zum Theil im Eng¬ lischen Geschmack angelegt ist, und einen schönen Fluss oder eigentlich einen Kanal enthält, der zu Lustschiffahrten dient. Auf einer von diesem Wasser gebildeten Insel überraschte uns eine Kolonnade mit einer Menge Bildsäulen und Brustbilder von Mar¬ mor. Die Treibhäuser, wohin uns der Her¬ zog selbst führte, sind ebenfalls von der neuesten Englischen Einrichtung. Wir wan¬ derten lange Zeit unter schönen Kirschbäu¬ men, die mit ihren reifen Früchten prangten und neben denen die Erdbeerbeete ihren Überfluss zur Schau legten. Ein Englischer Gärtner, ein Schüler des allgemein berühm¬ ten Browne , war der Zauberer, der hier im April den Reichthum des Julius hervorzu¬ bringen gewusst hatte. Fast noch vollkomm¬ ner in ihrer Art sind die Ställe des Herzogs, wo wir eine Anzahl vorzüglich schöner Reit¬ pferde sahen, die ihr Eigenthümer mit Na¬ men kannte, und deren besondere Plätze er zu finden wusste, obgleich ein unglücklicher Schuss auf der Jagd ihn vor mehreren Jahren beider Augen beraubt hat. Dieses harte Schicksal dünkt einen zehn¬ fach härter, wenn man den liebenswürdigen Mann persönlich kennt, den es betroffen hat. Seine Gesichtsbildung gehört zu den seltneren, wo Zartheit und Harmonie des Edlen den Ausdruck einer höheren Empfäng¬ lichkeit hervorbringen; er ist noch jetzt ein schöner Mann. Die Moralität seines Cha¬ rakters entspricht, wie es sich von selbst N 4 versteht, diesen Zügen. Was man schon so oft an Blinden bemerkte, jene innere Ruhe und eine Fähigkeit zum frohen Genusse des Lebens, fand ich in ihm wieder bis zur Vollkommenheit erhöhet; man möchte sa¬ gen, die Einbildungskraft der Blinden sei unablässig so geschäftig, wie es die unsrige nur in den Augenblicken ist, wo wir die Augen freiwillig schliessen, um, von äusseren Eindrücken ungestört, die Bildervorräthe des inneren Sinnes schärfer zu fassen. Dieser glückliche Blinde hat mich wiederholt ver¬ sichert, dass ihn keine Langeweile und kein Unmuth verfolgt; er ist immer von der hei¬ tersten Laune und hat seine übrigen Sinne gewöhnt, ihm den Verlust des zartesten und edelsten erträglich zu machen. Ohne ihn genau anzusehen, wird man in seinen Hand¬ lungen nicht leicht gewahr, dass er seines Gesichtes beraubt ist; er spielt alle Karten¬ spiele, er reitet sogar auf die Jagd, und seine Phantasie scheint ihm Gestalten und Farben mit ihrem ganzen mannichfachen Spiel so lebhaft zu malen, dass er mit Wär¬ me, als von einem gegenwärtigen Genusse, davon sprechen kann. Ich glaube, man thut dem Manne unrecht, dessen Geistesauge so hell sieht und alles mit einem so heitern Strale beleuchtet, wenn man ihm einen Ehr¬ geiz andichtet, der nur mit einer allzu¬ schlechten oder allzuguten Meinung von den Menschen bestehen kann. Erst müsste man ihm seine Augen wiedergeben; dann dürfte es verzeihlicher scheinen, zu zweifeln, ob er eine angebotene Krone ausschlagen könne? Allein die meisten Köpfe finden es unbe¬ greiflich, wie man eine Krone ausschlägt; so fern ist man noch in unseren vermeint¬ lich erleuchteten Zeiten von einer richtigen Schätzung der Dinge. Sollen wir es den N 5 Völkern verdenken, dass sie sich von der Fürstenwürde verkehrte Begriffe machen? Die Geschichte ist Schuld daran. Sie lehrt, dass, bis auf wenige seltene Ausnahmen, Missbrauch und Nichtgebrauch der Sinne das begleitende Kennzeichen gekrönter Häup¬ ter war. Wie unvermeidlich führt nicht diese Thatsache auf die Folgerung, dass man auch ohne Sinne gar wohl eine Krone tra¬ gen könne! Wir fanden hier den Bruder des Herzogs, Grafen la Marck , und verschiedene eifrige Anhänger der demokratischen Partei; insbe¬ sondere den feinen, besonnenen und zugleich kühnen Secr e tan , der beinahe das Opfer sei¬ nes Patriotismus geworden wäre. Der feu¬ rige Graf la Marck , der im vorigen Kriege an der Küste Koromandel gegen die Eng¬ länder gefochten hatte, weckte durch seine Erzählungen manches ruhende Bild von mei¬ ner Reise mit Cook . In diesem geistvollen Cirkel, wo jeder so viel galt, als er seinem innern Gehalte nach werth ist, eilten die Stunden schnell vorüber; es war Mitter¬ nacht, ehe wir das gastfreie Schloss ver¬ liessen. Die Einwohner des Hennegaus gefielen uns auf den ersten Blick, zumal die Männer, mit ihren gesunden, festen, muskulösen Ge¬ sichtern und der starkgezeichneten Nase und Mund, die wir im Limburgischen schon ge¬ sehen hatten, die uns aber in Brabant wie¬ der verschwunden waren. Ihr Charakter ist lebhaft, gutmüthig und fest; so lautete das einstimmige Zeugniss des Herzogs und seiner Gesellschaft. Allein woran mag es liegen, dass wir auch in dieser Provinz noch keine schöne Weiber sahen? Überall herrscht die vollkommenste Ruhe, und der Landmann, wie der Städter, lässt sich in der Ausübung seines gewohnten Fleisses nicht stören. Das kleine Städtchen Ath und das noch kleinere Leuze, durch welche wir kamen, handeln mit Leinwand und Wollenzeugen von ihrer eigenen Arbeit. Leinwand ist auch das Hauptprodukt des Städtchens Enghien, wo der Herzog von Aremberg , wie er uns selbst erzählte, von jeder Elle Leinwand, die dort verkauft wird, eine Abgabe erhebt, die in einem halben gigot , das ist, dem Sechzehn¬ theil eines sol , besteht. Diese Abgabe ist für jährliche funfzehnhundert Gulden ver¬ pachtet, wobei der Pächter wahrscheinlich noch eben so viel wie der Herzog gewinnt. Nach dieser Berechnung würden aus Enghien allein 960‚000 Ellen Leinwand verkauft, wel¬ ches wirklich übertrieben zu seyn scheint. Die Flandrische Leinwand, sowohl die grobe als die feine ( toile au lait ) wird wenig oder gar nicht kalandert; sie ist fester und dich¬ ter als die Schlesiche, und geht hauptsäch¬ lich nach Spanien. Die Wollenzeuge, die man in Leuze verfertigt, sind meistentheils Kamlotte; auch werden daselbst viele wol¬ lene Strümpfe gewebt, und in der umliegen¬ den Gegend von dem fleissigen Landmanne in seinen Nebenstunden gestrickt. Durch die Ruinen der weitläuftigen Fe¬ stungswerke von Tournai, kamen wir um Mittag in diese grosse, aber wenig bevölkerte Hauptstadt des Ländchens Tournesis, wel¬ ches eine eigene Belgische Provinz ausmacht. Die Gegend hier herum schien uns nicht so sorgfältig angebauet, wie es gewöhnlich in den Niederlanden der Fall ist; und selbst die Demolition der Festungswerke trug et¬ was dazu bei, das Bild der Verwüstung greller zu zeichnen. Wenn man sich freuen soll, dass diese unnatürlichen Denkmäler der zügellosen Leidenschaft unserer barbarischen Vorältern endlich als unnütz abgeschaft werden, so muss wenigstens das schöne Schauspiel des Fleisses und der emsigen Be¬ triebsamkeit uns für den angenehmen Ein¬ druck entschädigen, den der Anblick aller grossen durch Menschenhände ausgeführten Werke uns gewährt. Lieber lasse man uns die alten Bastionen und Gräben, als diese öden Schutthaufen, welche die Ohnmacht und das Phlegma der Nation so widrig be¬ zeichnen. Diese Eigenschaften drangen sich uns indess in einer noch ungleich verächtli¬ cheren Gestalt auf, als wir in Erwartung unseres Mittagsmahls einen Spatziergang in der Stadt machten und auf dem grossen Markte die Freiwilligen exerciren sahen. Es ist nicht möglich, das Lächerliche dieser gro¬ tesken Gruppe mit Worten zu schildern; selbst Hogarths Talent hätte verzweifeln müssen bei dieser trägen, charakterlosen Un¬ ordnung. Was ich sah, war eine übelge¬ wählte, buntscheckige, und zum Theil wirk¬ lich abentheuerlich gekleidete Wachtparade, aber ohne alle Einheit, ohne diese Anzie¬ hungskraft, diesen Geist des Ganzen, der die Bestandtheile bindet und zu einem le¬ bendigen Körper beseelt. Man sah augen¬ scheinlich, nicht nur, dass Soldat und Soldat nichts gemein hatten, sondern dass der Mensch, sein Rock und sein Gewehr heterogene Thei¬ le waren, die bloss der Zufall zusammenge¬ häuft, nicht das Gesetz der inneren Noth¬ wendigkeit zu einer unzertrennlichen Indi¬ vidualität erhoben hatte. Die Officiere wa¬ ren so unansehnlich wie die Gemeinen, und trieben ihr Handwerk mit einer Lässigkeit und Lauigkeit, die uns vom Lachen bis zum Unmuth brachte. Unter vier bis fünfhun¬ dert Menschen sahen wir nicht Einen von ansehnlicher Statur; dagegen eine Menge Knaben von funfzehn Jahren. Der einzige Mensch, der einen Begrif von seiner Pflicht zu haben schien, und folglich der einzige, der diese todte Masse noch ein wenig zu beleben vermochte, war der Regimentstambour. Tournai hat einige schöne Plätze und Gebäude, aber nicht über 24,000 Einwohner, bei einem Umfange, der eine ungleich grössere Volksmenge verspricht. Die vor¬ theilhafte Lage der Stadt an der schifbaren Schelde hat ihren Handel dennoch nicht empor bringen können; dagegen gedeihen hier die Priester, Mönche und Nonnen von allen Benennungen und Farben, und geben das bekannte gute Beispiel ihrer nützlichen Thätigkeit. Auch wimmelte hier alles von Bettlern, bis Joseph der Zweite ihr einträg¬ liches und dem Staate so vortheilhaftes Ge¬ werbe verbot. Verhältnissmässig ist indess mehr Leben auf den Strassen von Tournai, als als in Mecheln und in den Brabantischen Städten, durch welche wir gekommen sind, wenn gleich der grösste Theil der Einwoh¬ ner sich von Fabrikarbeiten nährt. Die hier verfertigten Kamelotte und Berkane sieht man überall; die Weiber gehen nie ohne einen langen Mantel von diesem Zeuge aus, der bis an die Knöchel hinunter geht, mit ei¬ nem grossen Capüchon versehen ist und in Schmutz und Regen so gute Dienste leistet, wie im Sommer gegen den Staub. Diese graue Tracht hat zwar nichts Zierliches; sie ist aber viel erträglicher, als die schwarzen Kappen, womit man die Weiber in Brüssel gespensterähnlich umherschleichen sieht. Ich glaubte mich an die Ufer des Kokytus ver¬ setzt, als ich zum erstenmal diese scheussli¬ chen schwarzen Hüllen auf dem Markt er¬ blickte, wo sie in allen Graden der Vortref¬ lichkeit, ganz abgenutzt und zerlumpt oder II. Theil . O ganz neu, von wollenem oder halbseidenem Stoffe oder gar vom besten Gros de Tours neben mir hinzogen. Ein solcher Anblick lässt wenigstens für den Kunstsinn des Lan¬ des, wo man damit überrascht wird, nicht viel hoffen. Zu Pont à Tressan, auf dem halben We¬ ge zwischen Tournai (Doornik) und Lille, betritt man die Französische Gränze und vertauscht das Niederländische Phlegma mit Französischer Leichtigkeit. Unser Postillion schwatzte unaufhörlich und brachte uns in Einem Jagen nach der Stadt. Vor drei Ta¬ gen war hier alles in der fürchterlichsten Unordnung. Die Besatzung in der Citadelle, die aus den Dragonern von Colonel-Général und den Chasseurs à cheval de Normandie besteht, hatte mit den beiden Infanterieregi¬ mentern in der Stadt, Royal Vaisseaux und la Couronne , einen heftigen Streit angefan¬ gen, wobei es zu offenbaren Feindseligkeiten gekommen war. Den 8ten und 9ten April waren wirklich einige Dragoner auf dem Platze geblieben, und die Infanterie hatte wegen der engen Gassen augenscheinlich den Vortheil. Die Reiter zogen sich in die Ci¬ tadelle zurück und liessen durch einen An¬ schlagszettel vom 11ten April, der jetzt an allen Ecken der Strassen zu lesen ist, den Bürgern kund thun: sie würden sich ruhig verhalten, aber ohne Befehl vom König und der Nation die Citadelle an niemand, am wenigsten an Truppen von der Miliz, ablie¬ fern. Die Bürgerschaft, die am ganzen Han¬ del keinen Antheil genommen, sondern nur sorgfältig ihre Kramläden und Thüren ver¬ schlossen hatte, schickt jetzt Deputirte nach Paris, um Verhaltungsbefehle einzuholen, und vermuthlich werden die verdächtigen Dragoner an einen andern Ort verlegt wer¬ O 2 den müssen. Die Officiere von Colonel - Général sind als Feinde der neuen Constitu¬ tion bekannt, und man versichert allgemein, dass sie nichts unversucht gelassen hätten, um ihre Leute zum Streit mit der Infanterie, die sich entschieden für die Volkspartei er¬ klärt hatte, zu reizen. In allen Vierteln von Lille waren die Schenken offen, und die Dragoner konnten darin unentgeldlich ze¬ chen. Ein Infanterist fiel einem Haufen der Betrunkenen in die Hände, und ward von ihnen ermordet. Dies brachte die andern Regimenter auf. Wo sich Dragoner blicken liessen, gab man Feuer auf sie; und da diese zuletzt mit Wuth gegen die Infan¬ terie anrückten, so entstand ein ordentli¬ ches Scharmützel. Ein Garde national soll ums Leben gekommen seyn, weil seine Uni¬ form ihn einem Dragoner ähnlich machte. Nunmehr aber sind zwölftausend Bürger in den Waffen und auf viele Meilen weit ist keinem Hahn eine Feder übrig geblieben, denn man hat die panache mit drei Livres bezahlt. Das Gerücht hatte diese Schlägerei so ungeheuer vergrössert, dass niemand in den Niederlanden uns rathen wollte, die Reise nach Lille fortzusetzen. Wenn man den muthvollen Anhängern der Brabantischen Stände hätte Glauben beimessen wollen, so war es nichts Geringeres, als die offenbare Gegenrevolution, die in jener Gränzfestung zuerst ausgebrochen seyn sollte; man malte uns ganz Frankreich in Flammen, und Paris in einen Schutthaufen verwandelt. Wir ver¬ sicherten, es sei uns darum zu thun, das Schauspiel grosser Begebenheiten mitzuneh¬ men, wo es sich auf unserm Wege fände, und eine Gegenrevolution sei nun eben un¬ sere Sache. Je näher wir Lille kamen, de¬ O 3 sto unbedeutender wurden die Berichte, die wir von dem Tumult einziehen konnten; und als wir uns nun hier innerhalb der Thore befanden, hatte alles das Ansehen der tiefsten, bürgerlichen Ruhe: alle Läden wa¬ ren offen, alle Strassen wimmelten, des Re¬ genwetters ungeachtet, von geschäftigen Men¬ schen, und nur das Schauspielhaus blieb heute noch verschlossen, um nicht zu neuen Händeln Veranlassung zu geben. Du wirst also wissen, woran Du Dich zu halten hast, wenn die Zeitungen, wie gewöhnlich, von einem schrecklichen Blutbade schreiben, und die politischen Kannengiesser von Verwir¬ rung und Anarchie sprudeln werden. Es ist der Mühe nicht werth, die Armseligkeit zu widerlegen, womit einige verworfene Schrift¬ steller unter uns die wenigen unvermeidli¬ lichen Unglücksfälle, die eine grosse Revolu¬ tion nothwendig mit sich bringen musste, als Enormitäten der ersten Grösse und als Schand¬ flecken der Geschichte darzustellen bemühet sind, indess sie den systematischen Mord von Tausenden, durch den Ehrgeiz krieg¬ führender Despoten, und die langsame Ver¬ giftung der Freuden von Hunderttausenden, durch die Erpressung unerschwinglicher Ab¬ gaben für nichts achten, oder wohl gar als ruhmvolle Thaten mit ihrem feilen Lobe vor dem Fluch der gegenwärtigen und kommen¬ den Generationen zu sichern hoffen. Es war schon spät, als wir hier eintra¬ fen; wir haben aber doch noch einen Gang durch die Stadt gemacht und uns ihres schö¬ nen, wohlhabenden Anblickes erfreuet. Ganze Strassen haben ein regelmässiges Ansehen, als wären alle Häuser Theile eines Ganzen. Die Häuser sind durchgehends drei und mehr Stockwerke hoch und von massiver Bauart. Die öffentlichen Gebäude, wie das Hôtel O 4 oder Bureau des Comptes , und selbst das grosse, ganz isolirte Theater, sind neu und schön, wenn gleich nicht fehlerfrei. An der Esplanade zwischen der Stadt und der Cita¬ delle läuft eine sehr schöne, breite Allee längs der Stadt hin, und bietet den Einwohnern einen herrlichen Spazierweg dar. Das Ge¬ wühl auf den Strassen war uns nach dem todten Brabant ein erfreulicher Anblick; al¬ lein man rechnet auch, dass Lille hundert¬ tausend Einwohner hat, und es ist bekannt, dass es einen starken Handel treibt. Auch die Vorstadt ( Fauxbourg aux malades ) ist weitläuftig und die Gegend ohne Erhöhun¬ gen dennoch bewundernswürdig schön, und gleichsam einem Garten ähnlich. Ausserhalb dieser Vorstadt zählten wir gegen hundert Windmühlen, und vielleicht verbarg uns der Wald eben so viele andere. Der Rübsamen, den wir hier und schon durchgehends in Brabant und Hennegau mit seinen goldgelben Blüthen grosse Strecken Landes prächtig schmücken sahen, wird auf diesen Mühlen gepresst, und das Öl ist ein wichtiger Han¬ delsartikel für Lille, indem es sowohl zum Essen, als zum Brennen in Lampen gebraucht wird. Die frühzeitigen Blüthen dieser Öl¬ pflanze beweisen schon die Anwesenheit ih¬ res innerlichen Wärmestoffs, der sich noch deutlicher im Öl offenbart. Diese Eigen¬ schaft sichert die Pflanze gegen den Frost. Auf unserm schnellen Fluge haben wir nicht Zeit, die hiesigen Kirchen zu besehen, wo noch manche gute Stücke von Flammän¬ discher Kunst aufbewahrt werden. Eben so wenig können wir uns aufhalten, die Spie¬ gelfabriken, die Tabaksfabriken, u. s. f. zu untersuchen, die hier nebst so manchen an¬ dern viele tausend Arbeiter beschäftigen. Merkwürdig ist es indess, dass in der hiesi¬ O 5 gen Gegend fast gar kein Tabak gebauet wird, so geschickt auch der Boden dazu zu seyn scheint, und so zahlreich auch die Fa¬ brikorte hier herum, nämlich Lille, Dünkir¬ chen, St. Omer, Tournai, Ath, Leuze u. s. f. sind, wo man diese Pflanze verarbeitet. — Morgen eilen wir weiter. XX. Antwerpen. E ndlich haben wir erfreuliche Sonnenblicke statt des ewigen Nebels und Regens, der uns das Vergnügen unserer Küstenfahrt ein we¬ nig schmälerte. Nur in Dünkirchen lächelte die Sonne einmal zwischen den Wolken hervor, und diesen heitern Zwischenraum liessen wir nicht unbenutzt. In den fünf Tagen, die wir auf der Reise von Lille hier¬ her zugebracht haben, sind uns indess so viele Gegenstände von mancherlei Art vor dem äussern und innern Sinne vorübergegan¬ gen, dass Du Dich auf einen langen Bericht gefasst halten musst. Wir ruhen hier aus, ehe wir von neuem unsere Augen und un¬ sern Geist zur Beobachtung dieser grossen Stadt anstrengen, die ihren Ruhm überlebt hat. Es giebt vielleicht keine Arbeit, welche so die Kräfte erschöpft, als dieses unaufhör¬ liche, mit aufmerksamer Spannung verbun¬ dene Sehen und Hören; allein, wenn es wahr ist, dass die Dauer unseres Daseyns nur nach der Zahl der erhaltnen Sensationen berechnet werden muss, so haben wir in diesen wenigen Tagen mehrere Jahre von Leben gewonnen. Der Weg von Lille nach Dünkirchen führte uns über Armentieres, Bailleul, Cassel und Bergen. Es regnete beinah unablässig den ganzen Tag; allein ob uns gleich die Aussicht dadurch benommen ward, bemerk¬ ten wir doch, dass sie im Durchschnitt de¬ nen im Hennegau ähnlich bleibt. In Armen¬ tieres hielten wir uns nicht auf, so gern wir auch die dortigen Leinwandbleichen in Au¬ genschein genommen hätten, wo man bereits die wichtige Erfindung des Französischen Chemikers Bertholet , mit dephlogisticirter Salzsäure schnell, sicher und unübertreflich schön zu bleichen, in Ausübung gebracht haben soll. Die Preussischen Bleichanstalten im Westphälischen folgen bereits diesem Bei¬ spiel, und selbst in Spanien wird diese Me¬ thode schon angewendet. In Bailleul hörten wir das Volk auf dem Markte schon wieder Flämisch sprechen, und diese Sprache geht bis Dünkirchen fort. Das Französische in dieser Gegend ist ein er¬ bärmliches patois oder Kauderwelsch; es ist nicht sowohl ein Provinzialdialekt als eine Sprache des Pöbels, der nicht seine eigene Muttersprache, sondern eine erlernte spricht. Die hiesige Menschenrace ist gross und wohl¬ gebildet; vielleicht bezieht sich die Franzö¬ sische Redensart, un grand flandrin , auf diese Grösse, wiewohl sie auch den Neben¬ begrif des Tölpischen oder Ungeschickten mit sich führt. In allen diesen Städtchen tragen die Weiber jene langen Kamelottmän¬ tel, wie im Hennegau; nur dass wir unter vielen grauen auch einige scharlachfarbene sahen. Wir hielten unsere Mittagsmahlzeit zu Cassel, ( Mont-Cassel ) das wegen seiner ro¬ mantischen Lage auf einem Berge so be¬ rühmt, übrigens aber ein unbedeutender klei¬ ner Ort ist. Im Sommer, an einem hellen Tage, wäre es fast nicht möglich, sich von diesem Anblick loszureissen. Die nächsten Hügel haben malerische Formen und sind ganz mit Wald gekrönt. Die unabsehlichen Gefilde von Flandern, Hennegau und Artois liegen ausgebreitet da, und verlaufen sich in die dunkelblaue Ferne, wo nur die hohen Kirchthürme von Bergen, Dünkirchen, Fürne, Ipern und anderen Städten wunderbar hin¬ ausragen und ein Gefühl von Sicherheit und ruhiger Wohnung in dieser schattigen, mit unendlichem Reichthum abwechselnder For¬ men geschmückten Gegend einflössen. O dies ist das Land der lieblichen, der kühlen Schatten! Hier begränzen die hochbewipfel¬ ten, schlanken Ulmen, Espen, Pappeln, Lin¬ den, Eichen und Weiden jedes Feld und jeden Weg, jeden Graben und jeden Kanal; hier laufen sie meilenweit fort in majestäti¬ schen Alleen, bekleiden die Heerstrassen, oder sammeln sich in Gruppen auf den weiten Ebenen und den Anhöhen, um die zerstreu¬ ten Hütten und um die stillen Dörfer. Die Anmuth, die Mannigfaltigkeit und Pracht dieser hohen, schön gestalteten Bäume ver¬ leiht den hiesigen Landschaften einen eigen¬ thümlichen Charakter. Der Teppich der Wie¬ sen ist in diesen nassen Tagen herrlich grün geworden; die Weizenäcker schimmern mit einer wahrhaften Smaragdfarbe; die Knospen der Bäume wollen trotz dem kalten Hauch der Nordwinde ihren Reichthum nicht länger verschliessen; die Kirsch- und Birn- und Äpfelbäume in den Gärten, die Pfirsich- und Aprikosenbäume an den Mauern öffnen mit¬ ten im Regen ihre Blüthen. Bei dieser üp¬ pigen Pracht des Frühlings entbehrten wir dennoch den Anblick der Dünen und des Meeres, den uns der Nebel neidisch ver¬ hüllte. Jener unermessliche blaue Horizont, der sich an die Wölbung des azurnen Him¬ mels anschliesst, muss der hiesigen Aussicht eine erhabene Vollkommenheit geben, die nur in wenigen Punkten unserer Erde er¬ reicht werden kann. — Der Hügel, von wel¬ chem wir diesen Anblick genossen, scheint ein blosser Sandhügel zu seyn, deren es hier mehrere giebt, die weiter durch das Artois in die Picardie hinein fortsetzen und ver¬ muthlich auf Kalk stehen. Vor Lille und in der dortigen Gegend findet man sehr weissen Kalk¬ Kalkstein, und in der Picardie bekanntlich, wie in England, Kreide. Die Schönheit der Landschaft war plötz¬ lich, wie durch einen Zauber, verschwunden, sobald wir die kleine Festung Bergen (oder St. Winoxbergen) hinter uns gelassen hatten. Wir befanden uns auf einer niedrigen, offe¬ nen Fläche, wo, ausser einigen Reihen von abgekappten Weiden in allerlei Richtungen, sonst kein Baum und keine Hecke zu sehen war. Die ganze ungeheure Ebene bestand aus Wiesen und Viehtriften, und war längs dem Seeufer von nackten weissen Sandhü¬ geln, den so genannten Dünen , umgeben. An einigen Stellen stach man Lehm zu Zie¬ geln, die sich gelb brennen lassen; übrigens aber schien uns alles öde und leer, zumal nach dem Anblick einer solchen Gegend, wie wir eben verlassen hatten. Der Stein¬ damm, auf welchem wir fuhren, war indess II. Theil . P unverbesserlich, und bald erreichten wir das kleine geschäftige Dünkirchen, welches, wie sein Name deutlich zu erkennen giebt, in den Dünen angelegt worden ist. Durch die Länge der Zeit und durch den Anbau ist aber alles dergestalt weggeebnet und abgetra¬ gen worden, dass man keine Erhöhung mehr gewahr wird und nur in einiger Entfernung zu beiden Seiten der Stadt die Hügel fort¬ streichen sieht. Die unregelmässige Gestalt dieser Sand¬ haufen, die sich wie die stürmischen Wellen des Meeres, das sie bildete, dem Auge dar¬ stellen, höchstens aber vierzig Fuss in senk¬ rechter Linie über die Wasserfläche hinaus¬ ragen, und mit einigen Pflänzchen spärlich bewachsen sind, giebt der Gegend etwas Be¬ fremdliches, Verödetes, Abschreckendes. Ihre Veränderlichkeit verursacht den Einwohnern dieser Küsten manche Besorgniss; die Winde können den Flugsand, woraus die Dünen bestehen, stellenweis ganz verwehen und eine Lücke machen, wo das Meer bei ausser¬ ordentlichen Fluthen leicht durchbricht, sich in die niedrige Fläche ergiesst und den le¬ bendigen Geschöpfen sowohl, als dem Lande selbst das Daseyn raubt. Wo diese fürchter¬ lichen Katastrophen auch nicht erfolgen, sind wenigstens die angränzenden Äcker und Wie¬ sen dem Versanden ausgesetzt, welches sie auf ganze Jahrhunderte hinaus unbrauchbar macht. Nicht weit von Dünkirchen, auf der Flandrischen Gränze, zeigte man uns ein merkwürdiges Beispiel von der Wirkung der Stürme. Ein Kirchthurm stand im Sande vergraben und nur seine Spitze ragte noch hervor. Das Pfarrhaus war gänzlich ver¬ schwunden, und man hatte sich genöthigt gesehen, weiter östlich von den Dünen das ganze Dorf neu anzulegen. Auch die Ka¬ P 2 ninchen, die in diesen Sandhügeln häufig graben und wühlen, tragen zur Schwächung dieser Vormauer gegen die See das ihrige bei. Wir hofften vergebens, beim ersten An¬ blick von Dünkirchen, den Gegenstand der Eifersucht einer grossen Nation an irgend einem auffallenden Zuge zu erkennen. Die Stadt ist nichts weniger als glänzend, ob sie gleich dreissig tausend Einwohner zählt, die mehrentheils von der Schiffahrt leben. Al¬ lein die Nähe der Englischen Küste begün¬ stigt hier den Schleichhandel, und in Krie¬ geszeiten die Kaperei so sehr, dass England mehr als Einmal auf die Vernichtung des Ortes bedacht gewesen ist, und in seinen Friedenstraktaten mit Frankreich die Demo¬ lition des Hafens und der Festungswerke be¬ dungen hat. Von Seiten Frankreichs aber hat man diese Bedingung jederzeit unerfüllt gelassen; und im Grunde giebt es auch kein wirksames Mittel gegen den Schleichhandel, das einzige ausgenommen, dessen sich der Minister Pitt durch den Commerztraktat be¬ dient hat, die Herabsetzung der Zölle, wo¬ durch der rechtmässige Kaufmann einen reichlicheren Absatz gewinnt, indem das Ri¬ sico des Contrebandiers zu gross wird. Dieser Traktat scheint wirklich schon auf den Wohlstand von Dünkirchen einige nach¬ theilige Wirkungen zu äussern, wiewohl die vielen Fabrikanstalten es noch aufrecht er¬ halten. Es sind hier verschiedene ansehn¬ liche Englische Handlungshäuser etablirt, und das reichste Comptoir im ganzen Orte gehört der Irländischen Familie Conolly . Auch sieht man mehrere Englische Kaffeehäuser, wo alles nach der in England üblichen Art eingerichtet ist, und nichts als Englisch ge¬ sprochen wird. Eine der grössten Fabriken, P 3 die Gärberei vor der Stadt, ist ebenfalls ei¬ nes Engländers Eigenthum. Gleich daneben liegt ein grosses Glashaus, welches Flaschen von grünem Glase liefert. Einer von den wichtigsten Handelsarti¬ keln in Dünkirchen ist der Wachholder¬ branntwein ( genièvre ), wovon ansehnliche Quantitäten nach England gehen, und, weil noch immer eine sehr schwere Abgabe dar¬ auf haftet, mehrentheils auf verbotenem We¬ ge hineingeführt werden. Dort, wie in den Niederlanden, hält man dieses Getränk für eine Panacee in Magenbeschwerden; ein Vor¬ urtheil, das schon manches Leben verkürzt hat. Vor diesem zog man allen Wachhol¬ derbranntwein aus Holland; jetzt destilliren ihn die Einwohner von Dünkirchen selbst, seitdem sie einige Holländer, die sich dar¬ auf verstanden, zu sich herüber gelockt haben. Nicht minder wichtig für Dünkirchen ist die Raffinerie des Kochsalzes, welche gegen zwanzig Siedereien beschäftigt. Eine übel¬ verstandene Geheimnisskrämerei scheint je¬ doch bei den Eigenthümern obzuwalten; denn man wies uns von zweien, sogar mit einiger Ungefälligkeit, zurück, wiewohl das ganze hiesige Geheimniss vermuthlich nur darin be¬ steht, dass man statt der viereckigen Pfannen runde braucht. Das Salz wird aus Franzö¬ sischem Steinsalz bereitet und ist verhältniss¬ mässig sehr wohlfeil. Man leitet das See¬ wasser unmittelbar in die Behälter, wo jenes Salz aufgelöset wird; allein diese Bequem¬ lichkeit der Lage wird durch das Ungemach, an gutem Trinkwasser Mangel zu leiden, gar zu theuer erkauft. Keiner von den Brunnen ist nur erträglich, und die Einwoh¬ ner müssen sich kümmerlich genug mit Regenwasser behelfen. Im Sommer ist P 4 daher Dünkirchen ein ungesunder Aufent¬ halt. Das Portal der Pfarrkirche hat mir dort gefallen. Ein schönes Fronton von richtigen Verhältnissen ruht auf einer Reihe prächtiger, korinthischer Säulen; und wäre nicht die Füllung mit hässlichen, pausbackigen Engels¬ köpfen und steinernen Wolken verunstaltet, und ständen nicht über den Ecken des Fron¬ tons ein paar verunglückte pastetenähnliche Thürmchen, so wäre es wirklich, mit dem einfachen: D EO S . statt aller Aufschrift, eins der schönsten, die ich gesehen habe. Die Gemälde von Reyns , Porbus , Elias , Leys und Claassens , die das Innere der Kir¬ che verzieren, kann ich füglich mit Still¬ schweigen übergehen. Dass aber eine Stadt mit dreissigtausend Einwohnern nur Eine Pfarrkirche hat, ist ein trauriger Beweis von dem verkehrten Einfluss der Mönche, denen es hier an Klöstern nicht gebricht. Seit zwölf Jahren zum erstenmal begrüsste ich hier wieder das Meer. Ich werde Dir nicht schildern können, was dabei in mir vorging. Dem Eindrucke ganz überlassen, den dieser Anblick auf mich machte, sank ich gleichsam unwillkührlich in mich selbst zurück, und das Bild jener drei Jahre, die ich auf dem Ocean zubrachte, und die mein ganzes Schicksal bestimmten, stand vor mei¬ ner Seele. Die Unermesslichkeit des Meeres ergreift den Schauenden finstrer und tiefer, als die des gestirnten Himmels. Dort an der stillen, unbeweglichen Bühne funkeln ewig unauslöschliche Lichter. Hier hingegen ist nichts wesentlich getrennt; ein grosses Ganze, und die Wellen nur vergängliche Phänomene. Ihr Spiel lässt nicht den Ein¬ druck der Selbstständigkeit des Mannichfal¬ tigen zurück; sie entstehen und thürmen sich, sie schäumen und verschwinden; das P 5 Unermessliche verschlingt sie wieder. Nir¬ gends ist die Natur furchtbarer, als hier in der unerbittlichen Strenge ihrer Gesetze; nirgends fühlt man anschaulicher, dass, ge¬ gen die gesammte Gattung gehalten, das Einzelne nur die Welle ist, die aus dem Nichtseyn durch einen Punkt des abgeson¬ derten Daseyns wieder in das Nichtseyn übergeht, indess das Ganze in unwandelbarer Einheit sich fortwälzt. — — Der Hafen von Dünkirchen ist klein, beinahe gänzlich durch Menschenhände ge¬ bildet und so seicht, dass er nur kleine Schiffe aufnehmen kann. Innerhalb dessel¬ ben ist ein vortreflich eingerichtetes Bassin, wo die Schiffe ausgebessert und neue vom Werft hineingelassen werden. Wir sahen und bewunderten die mechanischen Kräfte, wodurch man eine von diesen grossen Holz¬ massen auf die Seite legte und ihr einen neuen Boden statt des ganz vermoderten gab. Die Sandbänke vor dem Eingang des Hafens, und seine Krümmungen zwischen den Stein¬ dämmen ( jetées ) zu beiden Seiten, gewähren den Schiffen vollkommene Sicherheit, so sehr sie ihnen auch das Ein- und Auslaufen erschweren. Die Dämme erstrecken sich weit ins Meer hinaus und bestehen aus ein¬ gerammelten Pfosten, die mit verflochtenem Strauchwerk oder so genannten Faschinen verbunden sind und zwischen deren Reihen man alles mit Granit- und schwarzen Jaspis¬ blöcken ausgefüllt hat. Auf jeder Seite des Hafens liegt eine kleine Schanze, welche den Eingang bestreicht. Es war jeizt Ebbe¬ zeit, und auf dem entblössten Sande lagen Seesterne, Meernesseln, Korallinen, Madre¬ poren, Muscheln, Seetang, kleine Krebse, kurz allerlei, was in den Fluthen Leben hat, in Menge angeschwemmt. Insbesondere er¬ staunten wir über die vielen viereckigen, ge¬ hörnten kleinen Beutelchen, von einer glat¬ ten, schwarzen, faserigen, lederartigen Sub¬ stanz, die man Seemäuse nennt, ob sie gleich eigentlich die Hülsen oder Eierschalen der jungen Rochen sind. Wir beschäftigten uns einige Zeit mit der Einsammlung dieser Naturalien. Plötzlich umleuchtete uns die Sonne. Die düstre graue Farbe des Wassers verwandelte sich in durchsichtiges, dunkel¬ bläuliches, auf den Untiefen blasseres Grün; die Brandung an den äussersten Sandbänken schien uns näher gerückt und brauste schäu¬ mend daher wie eine Schneelavine; grosse Strecken des Meeres glänzten silberähnlich im zurückgeworfenen Licht, und am fernen Horizonte blinkten Segel, wie weisse Punkte. Eine neue Welt ging uns auf. Wir ahnde¬ ten in Gedanken das gegenüber liegende Ufer und die entfernten Küsten, die der Ocean dem kühnen Fleisse des Menschen zugänglich macht. Wie heilig ist das Ele¬ ment, das Welttheile verbindet! Die wiederkehrende Fluth, die allmählig alle Sandbänke bedeckte, rief uns von unserm Staunen in den engern Kreis der menschli¬ chen Geschäftigkeit zurück. Wir trockneten unsere eingesammelten Schätze am Feuer, und machten uns zur Abfahrt nach Fürnen (Veurne) fertig. Ehe ich aber mit meiner Erzählung weiter eile, will ich Dir mit zwei Worten das Theater beschreiben, das wir noch am Abend unserer Ankunft in Dünkir¬ chen besuchten. Truppe, Orchester und Publikum — alles schien uns Karrikatur. Das Parkett, der Balkon und fast alle Logen waren mit Officieren angefüllt; denn es lie¬ gen hier zwei Regimenter in Besatzung. Von der lärmenden Konversation, die uns in den Ohren gellte, hat man keinen Begrif; man hätte denken sollen, morgen würde den Herren ewiges Stillschweigen auferlegt und hier bedienten sie sich zum letztenmal der Ungebundenheit ihrer Zunge. Sobald die Vorstellung anging, ward es noch ärger; der ganze Schwarm sang oder heulte alle Arien der Operette nach. Zum Glück waren die Schauspieler so schlecht, dass es ziemlich gleichgültig seyn konnte, wer uns die Zeit vertriebe. So urtheilte aber das hiesige Pu¬ blikum nicht; vielmehr schien es an dem Geplärr, den Gestikulationen und dem ziem¬ lich derben Scherz seiner Histrionen grosses Wohlbehagen zu finden. Ich glaube, dieser ungebildete Geschmack bezeichnet nicht bloss den Unterschied zwischen der Provinz und der Hauptstadt; die Verschiedenheit der Ab¬ stammung trägt gewiss auch das ihrige dazu bei. Die Flämischen Organe sind um einige Grade gröber als die Französischen, und be¬ kanntlich je roher der Mensch, desto plum¬ per muss die Erschütterung sein, die seine Sinne befriedigt. Mozart’s und Paesiello’s Kunst wird an die Midasohren verschwen¬ det, die nur für Ditters Gassenhauer offen sind. Eben so unempfänglich bleibt ein schlaffes, ungebildetes Publikum für das Ta¬ lent des Schauspielers, der die Natur in ih¬ ren zartesten, verborgensten Bewegungen er¬ forscht und ihre Bescheidenheit nie über¬ schreitet; wenn hingegen der Kasperl mit lautem Beifall Possen reisst, oder, was noch ärger ist, ein mittelmässiger Akteur die aben¬ theuerlichsten Verzerrungen und die schwül¬ stigsten Deklamationen als ächte dramatische Begeisterung geltend macht. Irre ich indess nicht, so sind die hiesigen Einwohner von manchem Französischen Nationalfehler frei, ob sie gleich in Gesellschaft weniger glän¬ zen; die ungezwungene Artigkeit ihrer süd¬ lichen Nachbarn gattet sich sehr angenehm zu ihrer eigenen Simplicität und Bonhommie, und bildet zwischen den Flämingern und Franzosen eine Zwitterrace, der man leicht die gute Seite abgewinnt. — Die Barke nach Fürnen geht täglich um drei Uhr Nachmittags auf dem Kanal von hier ab, durch eine ärmliche, wenig bebaute und fast gar nicht beschattete Fläche, über welche diesmal ein scharfer, kalter Wind hinstrich, der uns, trotz unseren Mänteln, ganz durchdrang. Dazu trug freilich die Gebrechlichkeit des Fahrzeuges viel bei. Der innere Raum desselben stand voll Wassers, und erhielt den Fussboden beständig ange¬ feuchtet; auch waren in der Kajüte alle Fen¬ ster zerschlagen und der Wind hatte überall freies Spiel. Desto mehr bewunderten wir den Fleiss unserer Gesellschafterinnen, einer reichen Kaufmannsfrau aus Dünkirchen und ihrer ihrer achtzehnjährigen Tochter, die in einem fort strickten. Bei dem Dorfe Hoyenkerken befanden wir uns wieder auf Flandrischem Boden, und wurden von den Zollbedienten visitirt. Abends gegen neun Uhr traten wir zu Fürnen im Stadthaus oder vielmehr in der Conciergerie ab, welche fast durchgehends in allen Flandrischen Landstädten ein Wirths¬ haus vorstellt. Wir hatten diesmal Ursache, mit unserer Bewirthung vollkommen zufrie¬ den zu seyn, und bezahlten die Ehre, auf dem Schlafzimmer unserer Reisegefährtinnen zu speisen, bloss mit der geduldigen Auf¬ merksamkeit, die wir ihrer Familienge¬ schichte widmen mussten. Das kleine Städtchen hatte am Morgen ein freundliches Ansehen; die Häuser ver¬ kündigten, ihrer altmodigen Bauart un¬ geachtet, einen gewissen Wohlstand, und die Strassen waren so breit und so reinlich II . Theil . Q gehalten, dass man es ihnen nicht anmerkte, welcher Handelszweig die Einwohner berei¬ chert. Fürnen ist der grösste Viehmarkt in Flandern, der die angränzenden Provinzen von Frankreich mit fetten Ochsen versieht, und die Kastellanei, der dieser Ort seinen Namen giebt, hat die vortreflichsten Weiden im ganzen Lande. Die umliegende Gegend wird von Kanälen nach allen Richtungen durchschnitten, und auf einem derselben schiften wir uns wieder nach Nieuport ein. Unsere Barke war jedoch nicht besser, als die von Dünkirchen, und selbst der Kanal hatte ein vernachlässigtes Ansehen, woraus man ziemlich sicher schliessen darf, dass diese Reiseroute nur selten besucht wird. Der ärmliche Anblick von Nieuport führte uns nicht in die Versuchung, so lange da zu bleiben, bis die Barke nach Ostende abginge; wir mietheten lieber ein kleines Fuhrwerk mit einem Pferde, das unbehülflichste Ding, in dem ich je gefahren bin, und setzten un¬ sere Reise zu Lande fort. In dem kleinen Hafen zählten wir nur funfzehn Fahrzeuge von ganz unbedeutender Grösse, die jetzt während der Ebbe insgesammt auf dem Sande trocken lagen. Der hiesige Handel ist übrigens so geringfügig, dass sich mitten am Tage fast niemand auf der Strasse regte. Unter den Fischerhütten, aus denen das kleine Städtchen besteht, bemerkten wir kaum ein gutes Gebäude. Jetzt fuhren wir also über eine weite, kahle Ebene, wo die Viehtriften, die Gräsereien und Wiesen mit einigen Äckern abwechselten. Die grosse Anzahl der umherliegenden, mit Gemüs- und Obstgärten umgebenen Dörfer bezeugte gleichwohl die starke Bevölkerung dieser Gegend von Flan¬ dern. Allein so nahe an den unfruchtbaren Dünen waren die Kühe auf der Weide sehr Q 2 mager und klein, die Pferde kurzbeinig und von plumper Gestalt. Die kümmerliche Nah¬ rung dieses Sandbodens scheint dem genüg¬ samen Esel angemessener zu seyn; auch sa¬ hen wir diese Thiere überall haufenweis am Wege, und zu mehreren Hunderten auf den Marktplätzen in Dünkirchen und Ostende, mit den Erzeugnissen des Landes beladen. Wir hatten gelacht, als man uns in Brüs¬ sel erzählte, dass, wenn die Niederländer ihre Unabhängigkeit nicht mit Würde be¬ haupten könnten, sowohl England, als ein anderer Nachbar die Gelegenheit wahrneh¬ men dürfte, um ihnen das Schicksal ohn¬ mächtiger und uneiniger Republiken zu be¬ reiten, wovon dieses Jahrhundert schon mehr als Ein Beispiel sah. Bei unserer Ankunft in Ostende aber 'schien uns der Anfang zur Ausführung schon gemacht und dieser Ort in eine Englische Seestadt verwandelt. Das dritte oder vierte Haus ist immer von Eng¬ ländern bewohnt, und nicht etwa nur Kauf¬ leute und Mäkler, sondern auch Krämer und Professionisten von dieser Nation haben sich hier in grosser Anzahl niedergelassen. Da¬ her bemerkt man auch in den Sitten und der Lebensart der hiesigen Einwohner eine sichtbare Übereinstimmung mit denen der Brittischen Inseln, die sich bis auf den Haus¬ rath, die Zubereitung der Speisen und die Lebensmittel selbst erstreckt. So wahr ist es, dass diese unternehmende Nation, die bereits den Handel der halben Welt besitzt, keine Gelegenheit unbenutzt lassen kann, um sich eines jeden neuen Zweiges, der etwa hervorsprosst, zu bemächtigen. Wo ihre Schiffe nicht unter ihrer eigenen Flagge fahren, müssen fremde Namen sie decken. Mit ihren Kapitalen und unter ihrem Ein¬ fluss handelt Schweden nach Indien und Q 3 China, und indess Holland durch die Aus¬ wanderung so vieler reichen Familien, durch die nachtheilige Verbindung mit Frankreich und eine Reihe von zusammentreffenden Un¬ glücksfällen einen unheilbaren Stoss erlitten hat, indess Frankreichs Handel wegen seiner inneren Gährung danieder liegt, indess Dän¬ nemark ungeachtet eines funfzigjährigen Frie¬ dens von seinen Administratoren zu Grunde gerichtet ist, und Spanien und Portugal durch Piastern und Diamanten, weder reich noch mächtig werden können, blüht Englands Handel überall, umfasst alle Welttheile und hat seit dem heilsamen Verlust der Kolonien einen unglaublich grossen Zuwachs erhalten. Diese bewundernswürdige Thätigkeit ist so augenscheinlich das Resultat der bürgerlichen Freiheit und der durch sie allein errungenen Entwickelung der Vernunft, dass selbst die äusserste Anstrengung der Regierungen in an¬ deren Ländern, dem Handel aufzuhelfen, bloss an den Gebrechen der Verfassungen hat scheitern müssen. Was ein Monarch für die Aufnahme des Handels thun kann, hat Joseph der Zweite hier grossmüthig ge¬ leistet. Der Hafen von Ostende ist ein Denk¬ mal seiner thätigen Verwendung für die Wohlfahrt der Niederlande. Doch Vernunft und vernünftige Bildung konnte die Regen¬ tenallmacht nicht schaffen; das Gefühl von eigener Kraft und eigenem Werth, das nur dem freien Menschen werden kann, vermoch¬ te selbst Joseph nicht herauf zu zaubern. Ostende ist übrigens nur ein schlechter Ersatz für die geschlossene Schelde. Die Küste läuft in gerader Richtung, ohne Ein¬ bucht fort, und der Zugang zu dem Hafen wird durch viele Untiefen erschwert und unsicher gemacht. Zwischen zwei Dämmen sieht man die kleine, enge, unbequeme Öff¬ Q 4 nung, die nur bei gewissen Winden und nur mit der Fluth zugänglich ist. Daher steht am Eingang, auf der Batterie, die ihn be¬ streicht, ein hoher Flaggestock errichtet, wo man eine Flagge ganz zu oberst wehen lässt, so lange es hohes Wasser ist; bei halber Ebbe lässt man sie am halben Stocke herun¬ ter, und sobald das Wasser den niedrigsten Standpunkt erreicht, wird sie ganz eingezo¬ gen. Alsdann liegen die Schiffe beinahe trok¬ ken im Hafen. Wir zählten in allem nur vierzig Fahrzeuge, obgleich der Hafen eine weit grössere Anzahl aufnehmen kann. Ei¬ gentlich ist er nur ein tief ausgegrabener Ka¬ nal, mit einem dauerhaften pilotis zu beiden Seiten, zwischen welchem ein festes Geflecht von Strauchzäunen in vielen Reihen über einander fortläuft. Dadurch sucht man zu verhindern, dass die Ebbe und Fluth den Hafen nicht versande, indem sie den Sand vom Ufer mit sich fortreisst. Über jeder jetée stehen Baaken aufgepflanzt, und links an der Mündung des Hafens dient eine Säule mit grossen, klaren Laternen den Schiffenden des Nachts zum Merkzeichen. In den Ha¬ fen öffnen sich mehrere geräumige Bassins; allein bei allen diesen kostbaren Einrichtun¬ gen kämpft man vergebens mit den Schwie¬ rigkeiten der Lage, mit der geringen Tiefe, mit der unvermeidlichen Verschlemmung und mit der Veränderlichkeit der Sandbänke längs der Küste. Ostende hatte nur einen glänzenden Au¬ genblick; den nämlich, als es der einzige neutrale Hafen an der Küste war, als wäh¬ rend des Amerikanischen Krieges England, Frankreich und Holland wechselseitig ihren Handel der feindlichen Kaperei Preis ge¬ ben mussten und des Kaisers Flagge allein unangefochten den Ocean beschiffte. Die Q 5 Geschäftigkeit und der Wohlstand jenes Zeit¬ punkts verschwanden aber mit dem Friedens¬ schlusse um so plötzlicher, da sie nicht so¬ wohl Wirkungen der eigenen Belgischen Be¬ triebsamkeit, als vielmehr täuschende Erschei¬ nungen waren, welche fremde Kaufleute hier zuwege gebracht hatten. Auch die freie Schiffahrt nach Ostindien, welche Joseph der Zweite diesem von ihm so sehr begün¬ stigten Hafen trotz der Holländischen Rekla¬ mation zusicherte, blieb so unbedeutend, dass sie auf den Flor von Ostende keinen Ein¬ fluss hatte. Ist es nicht erlaubt, bei jener widersinni¬ gen Einschränkung des Belgischen Handels, bei dem Verbot nach Indien zu schiffen, bei der Verschliessung der Schelde, über den Ton mancher Publicisten zu lächeln, die das heilige Wort Recht noch auszusprechen wagen? Diese unnatürliche Forderung der Holländer an ihre Nachbarn ist der sieg¬ reichste Beweis, dass die Eifersucht der Staaten, wo sie sich zur Übermacht gesellen kann, ohne Bedenken alle, selbst die eviden¬ testen Rechte der Menschheit, verletzt und alle Gränzen des Völkerrechts willkührlich überschreitet. Josephs Vorfahren mussten sich diese, durch keinen Vorwand zu be¬ schönigende Gewaltthätigkeit gefallen lassen, weil das Schicksal es so wollte. Und wer forderte dieses unbillige Opfer? wer verbot den Brabantern auf ihren eigenen Flüssen in See zu fahren? Dasselbe Volk, das über Ungerechtigkeit schrie, als Englands Häfen ihm nicht offen blieben, das über Cromwells berühmte Navigationsakte, dieses Bollwerk des Englischen Seehandels, die Welt mit sei¬ nen Wehklagen erfüllte. Die Geschichte ist ein Gewebe von ähnlichen Inkonsequenzen und Widersprüchen; die Verträge der Na¬ tionen unter einander, wie die der Fürsten mit ihren Untergebenen, sind fast nirgends auf natürliches Recht, auf Billigkeit, die der Augenschein und der gerade Verstand zu er¬ kennen geben, gegründet; überall zwingt der Übermuth des Mächtigeren dem Schwachen eine Aufopferung ab, die kein Mensch von dem andern zu fordern berechtigt ist und die dann auch nicht länger gelten kann, als die Gewalt fortdauert, welche sie ertrotzte. Wir wundern oder ärgern uns, dass jedes Jahrzehend uns immer wieder dasselbe Schau¬ spiel giebt, welches bereits seit Jahrtausenden die Völker entzweite; dass die Gränzstrei¬ tigkeiten, die man längst beigelegt glaubte, immer von neuem ausbrechen; dass die Fe¬ dern der Diplomatiker und Staatsmänner un¬ aufhörlich mit Deduktionen beschäftigt sind, worin man sich auf beschworene Verträge, auf anerkannte Vergleichspunkte und darin gegründete Ansprüche beruft; dass die strei¬ tenden Höfe zu einer subtilen Auslegungs¬ kunst, zu bequemen Reticenzen, zu schwan¬ kenden, vieldeutigen Ausdrücken ihre Zu¬ flucht nehmen und endlich doch den ver¬ worrenen Knoten mit dem Schwerte lösen. Allein die fruchtbare Quelle ihrer Misshel¬ ligkeiten strömt unvermindert fort; und wer begreift nicht, dass sie nie versiegen kann, so lange man von Friedenstraktaten, Verfas¬ sungen und Gesetzen ausgeht, die, weil sie nicht auf dem unerschütterlichen Grunde der allgemeinen vernünftigen Natur des Menschen ruhen, sondern Convenienzen des Augen¬ blickes oder Blendwerke politischer Sophis¬ men sind, die Feuerprobe der Wahrheit nicht bestehen können? Keiner Nation, keiner Macht, keinem Stande wird tausendjähriger Besitz ein unveräusserliches Recht übertra¬ gen; die Ansprüche der Vernunft auf alle Menschenrechte dauren ewig und werden durch gewaltthätige Übertäubung eher ver¬ stärkt als verjährt. Nach tausend und zehn¬ tausend Siegen der räuberischen Übermacht, die nur das Maass ihrer Ungerechtigkeit häu¬ fen, kehrt der wahre, dauernde Friede dann erst zurück, wenn jeder Usurpation gesteuert worden und jeder Mensch in seine Rechte getreten ist. Wir würden den Tyrannen verwünschen hören, der dem einzelnen Menschen das freie Verkehr auf offener Heerstrasse, ausser den Mauern seines Hauses oder den Glänzen sei¬ nes Erbstückes, untersagte; unser Gefühl em¬ pört sich wirklich, wenn wir nur von Verbo¬ ten dieser Art lesen, die ein Asiatischer Herr¬ scher ergehen lässt, so oft es ihm gefällt, sei¬ ne Heerde von Beischläferinnen frische Luft schöpfen zu lassen. Wer indess zugeben will, dass eine despotische Gewalt recht¬ mässig seyn könne, dem liesse sich auch diese willkührliche Anwendung derselben als gesetzmässig erweisen. Die Verordnungen der Japanischen und Chinesischen Kaiser, die von ihren Reichen alle Fremden entfer¬ nen, scheinen uns zwar elende Verwahrungs¬ mittel einer feigen, misstrauischen, kurzsich¬ tigen Politik; allein wir bestreiten nicht das Recht dieser Despoten, innerhalb der Grän¬ zen ihres Landes jedem Ausländer den Zu¬ tritt zu wehren oder zu gestatten. Hingegen das ausschliessende Eigenthumsrecht irgend eines Volkes zum Ocean ist eine so lächer¬ liche Absurdität, dass der Übermuth gewisser Seemächte, statt einer Anerkennung ihrer Anmassungen, nur den Hass, den Neid und Groll der Nebenbuhler hat erregen können. Wo bleibt also nun der Schatten des Rechts, kraft dessen die Holländer ihren Nachbarn die Schelde verschliessen und den Handel auf dem Meere verweigern durften? Der all¬ gemeine Kongress des Menschengeschlechtes müsste allenfalls einstimmig beschlossen ha¬ ben, dass die Belgier ihre Flüsse von der Natur umsonst empfangen, dass der Ocean vergebens ihre Küsten bespühlt — — doch, was sage ich? auch dieser Ausspruch würde noch ungerecht seyn, wenn nicht zugleich ein Nationalverbrechen erwiesen werden könn¬ te, das jene Ausschliessung als Strafe oder vielmehr als Nothwehr nach sich zöge. Ein solches Verbrechen aber, einer ganzen Na¬ tion gegen die gesammte Menschengattung — worin anders könnte es bestehen, als in ei¬ ner gänzlichen Verkennung aller Rechte der Nachbarn? Das strafbare Volk müsste selbst, entweder aus eigener Willkühr oder im ge¬ missbrauchten Namen der Gottheit, die Welt unterjochen und ihre Bewohner unumschränkt beherrschen wollen — es müsste ein Volk von von Eroberern oder von Priestern seyn. Wie man einen Rasenden bindet, um nicht das Opfer seiner Wuth zu werden, so sind auch alle Maassregeln erlaubt, welche die Selbst¬ erhaltung gegen eine Gesellschaft von sol¬ chen Grundsätzen heischt; sobald sie fremdes Recht mit Füssen tritt, ist sie alles eigenen verlustig. Gegen die Römer , als sie nach der Allein¬ herrschaft über die bekannte Erde dürsteten, gegen Philipp den Zweiten , gegen die Hil¬ debrande und die Borgia sollte der allge¬ meine Völkerbund aufgestanden seyn, ihre Schwerter und Zepter zerbrochen und ihren Mörderhänden Fesseln angelegt haben. Spa¬ niens Ohnmacht zur Zeit des Münsteri¬ schen Friedens drohte ja den Europäischen Mächten mit keiner Universalmonarchie; die schwache Seele Philipps des Vierten durfte und konnte diesen Riesengedanken nicht II. Theil . R denken. Allein das Schlimmstevorausge¬ setzt, so hatten doch die Belgier nicht verdient, statt ihres Herrschers zu büssen. Wenn also die unerbittliche Nothwendigkeit ihnen damals eine stillschweigende Einwilli¬ gung in die Verschliessung ihrer Flüsse ab¬ drang — wird heute etwas anderes, als diesel¬ be Furcht vor feindlicher Überlegenheit, ihre Enkel abhalten können, ihr angebornes, nie zu veräusserndes Recht zurückzufordern und den schimpflichen Vergleich zu zerreissen? Ein zerrissener Vergleich! ein Riss im West¬ phälischen Frieden! Das sind freilich gräss¬ liche Worte am Ohr des Aktenlesers, der über dieses Lesen seine Menschheit verwel¬ ken und verdorren liess; allein wie mancher Schwertstich hat nicht schon das alte Perga¬ ment durchlöchert? Was die Potentaten von Europa einander garantirten, sollte freilich ewig dauern müssen; nur Schade, dass die Erfahrung hier die Theorie so bündig wider¬ legt, und jedem Fürstenvertrage keine längere Dauer verspricht, als bis zur nächsten Gele¬ genheit, wo er mit Vortheil gebrochen wer¬ den kann. In der Seele der Politik ist ein Friedenstraktat vom Augenblick der Unter¬ zeichnung an vernichtet; denn in diesem Augenblick hatte sie ihren Endzweck durch ihn erreicht. Gegen die Theorie selbst möchte der ge¬ sunde Verstand auch wohl erhebliche Ein¬ wendungen machen. Wie? es hätte nur der Übereinkunft etlicher hohlen oder schiefen Köpfe bedurft, um einem Volke den Ge¬ brauch eines untheilbaren Elements einzuräu¬ men und ihn dem andern abzusprechen? Dann könnte es wohl auch einem Friedens¬ kongress einfallen, diesem oder jenem Volke Luft und Feuer zu verbieten, oder ihm vor¬ zuschreiben, wo und wenn es athmen solle? R 2 Doch es ist unmöglich, die Anmassungen der Politiker hypothetisch weiter zu treiben, als sie wirklich in der Ausübung getrieben worden sind. Hat man sich doch, allem, was der Menschheit heilig ist, zum Hohn, nicht entblödet, in Friedensschlüssen vorzu¬ schreiben, welche Modifikationen des Den¬ kens und Glaubens erlaubt seyn sollen! Es mag ein köstliches Ding um das Bündniss von 1648 seyn, das doch bekanntlich den Ausbruch von zehn oder mehr blutigen Krie¬ gen nicht verhindert hat; es mag einer ge¬ wissen Klasse von Menschen bequemer seyn, den Krüppelbau der Politik auf seinem mor¬ schen Grunde fortzusetzen, als die ewigen Pfeiler, Natur und Vernunft , zu Stützen ei¬ nes unerschütterlichen Friedenstempels zu wählen; einträglicher, den Stoff zu neuem Zwist und Kriege beizubehalten und die Be¬ schlüsse der Unwissenheit und der Despoten¬ arroganz für Quellen des Rechtes und Ge¬ setzes auszuschreien, als jenes unselige Joch der Autoritäten abzuschütteln: nur hoffe man nicht, dass eine Gesetzgebung, der es an in¬ nerer Gerechtigkeit gebricht, aus Überzeu¬ gung befolgt werden könne; nur beschuldige man die Völker nicht des Mangels an Mo¬ ralität, wenn sie Traktaten verletzen, deren Erhaltung einzig und allein auf Furcht und Eifersucht beruhte. Der Ocean ist keines Menschen Eigenthum; er ist und bleibt al¬ len gemein, die ihn benutzen wollen. Mit diesem refrain will ich Ostende verlassen. Wir fuhren zu Lande nach Brügge. Bis an das Dorf Gessel sieht man immerfort je¬ ne kahle Fläche, die mit wenig Abwechse¬ lung für das Auge von den Dünen bis an die etwas höher gelegene Ebene von Flan¬ dern reicht. Zwischen Gessel und Jabick wechseln grosse Strecken Heide mit Eichen¬ R 3 und Buchengebüsch, nebst einigen Fichten und einem reichlichen Vorrath von Pfriemen ( Spartium scoparium ); näher hin nach Brügge verdichtet sich der Eichenwald. Die Stadt ist von mittlerer Grösse und nach altflämi¬ scher Art zum Theil sehr gut gebauet. Al¬ lein umsonst bemühten wir uns, in ihr die Spur des berühmten Handels-Emporiums zu erblicken, das im vierzehnten Jahrhundert alle nordischen Nationen mit Waaren des Luxus versorgte. Wir bestiegen die mit Recht gepriesene Barke, welche die Staaten von Flandern für die Fahrt nach Gent un¬ terhalten. Hier vergassen wir das Ungemach der bisherigen Reise; denn bequemer ist Kleopatra auf dem Cydnus, und Katharina auf dem Dnepr nicht gefahren. Sowohl im Hintertheil als im Vordertheil dieses sehr geräumigen Fahrzeuges findet man eine schön getäfelte Kajüte mit grossen Fenstern und weich gepolsterten Bänken. Die Reinlich¬ keit gränzt hier überall an Pracht und Ele¬ ganz. Eine dritte noch geräumigere Abthei¬ lung in der Mitte diente den Reisenden aus der geringen Volksklasse zum Aufenthalt; daneben sind Küchen, Vorrathskammern und Bequemlichkeiten aller Art zur Verpflegung der Passagiere angebracht. Das Kaminfeuer in unserer Kajüte verbreitete eine wohlthä¬ tige Wärme, bei welcher wir in Erwartung der Mittagsmahlzeit unsere Anzeichnungen über das am vorigen Tage Gesehene ins Reine brachten. Die Tafel wurde sehr gut und um billi¬ gen Preis servirt. Die Gesellschaft, die zu¬ weilen funfzig Personen stark seyn soll, war diesmal zufälligerweise sehr klein, und be¬ stand aus einem Priester, einem Officier der Freiwilligen von Brügge, einem Französischen Nationalgardisten und Kaufmann aus Lille, R 4 und einer Spitzenhändlerin aus Gent. Am Ton des Flämischen Officiers konnten wir sogleich abnehmen, dass er nicht zur aristo¬ kratischen Partei gehörte, die überhaupt in Flandern weder so viele, noch so eifrige An¬ hänger, als in Brabant, haben soll. Die Un¬ gezogenheit seiner Ausfälle gegen die Geist¬ lichheit, in Gegenwart eines dem Anschein nach bescheidenen Mannes von diesem Stan¬ de, konnte nur durch die Erbitterungen des Parteigeistes entschuldigt werden. Der Fran¬ zose hinterbrachte uns die Neuigkeit, dass der König von England nach Deutschland reisen würde, um seine Güter unweit Strass¬ burg zu besehen. Wir versuchten es ihm begreiflich zu machen, dass vom Kurfürsten¬ thum Hannover die Rede sei; allein es war verlorne Mühe, seine geographischen Kennt¬ nisse berichtigen zu wollen: Hamburg und Strassburg galten ihm gleich; genug, beide lagen jenseits der Allemagne françoise . Diese Unempfänglichkeit darf man indessen nicht geradezu Beschränktheit nennen; viel¬ mehr ist sie nur die Folge jenes, Alles vor sich hinwerfenden Leichtsinnes, dem es so lächerlich scheint, in der Bestimmtheit ge¬ wisser, für den jetzigen Augenblick nicht in¬ teressirender Begriffe ein Verdienst zu su¬ chen, als wir die Verwirrung finden, die aus solchen Vernachlässigungen entspringt. Wir wissen freilich mehr, und thun uns viel dar¬ auf zu gute; allein ist es wohl eine Frage, wer von beiden an dem, was er hat, durch schnelle Verarbeitung und mannichfaltige Verbindung, der reichste ist? Der Kanal ist sehr breit und wohl unter¬ halten; seine Ausgrabung zwischen den hohen Ufern muss grosse Summen gekostet haben. Anstalten dieser Art, die zuerst die Erhaltung des trocknen, dem Ocean abgewonnenen Lan¬ R 5 des, demnächst den Handel und zuletzt die Be¬ quemlichkeit zur Absicht hatten, können nur nach und nach zu ihrer jetzigen Vollkom¬ menheit gediehen seyn. Fünf Pferde zogen uns in den stillen Gewässern dieses Kanals, ohne dass wir die leiseste Bewegung spürten. Der Wind begünstigte uns überdies, so dass wir ein grosses Segel führten und in etwas mehr als sechs Stunden Gent erreichten. Hier standen schon mehrere Miethskutschen in Bereitschaft, um die Reisenden in ihr Quartier zu bringen. Gent ist eine grosse, schöne, alte Stadt. Ihre Strassen sind ziemlich breit; die Häuser massiv, zum Theil von guter Bauart; die Kirchen zahlreich und mit grosser Pracht ge¬ schmückt. Alles scheint hier den ehemaligen Wohlstand der Einwohner, und Spuren von dem jetzigen zu verrathen; doch ist die Volksmenge, wie in allen Niederländischen Städten, nach Verhältniss des Umfanges zu gering und es fehlt überall an Betrieb. Der erste Anblick einer Stadt, wobei man so le¬ bendig in verflossene Jahrhunderte und ihre Begebenheiten versetzt wird, hat gleichwohl etwas Einnehmendes, das zuweilen bis zur Erschütterung gehen kann. Ich wurde recht lebhaft an den Stolz Karls des Fünften auf sein blühendes Gent, und zugleich an die Ty¬ rannenleidenschaft erinnert, womit er selbst dem Wohlstande desselben den tödtlichsten Streich versetzte, als ich sein Standbild auf einer hohen Säule am Marktplatz erblickte. Als Kunstwerk betrachtet, macht es keinen vortheilhaften Eindruck. Der Kaiser steht wirklich sehr unsicher auf dieser gefährlichen Höhe; das Zepter und der Reichsapfel von ungeheurer Grösse scheinen ihn völlig aus dem Gleichgewichte zu bringen; seine Kniee sind gebogen, und bald möchte ich fürchten, er sei in Begriff herabzugleiten. Im Glanz der Abendsonne, welche diesen vergoldeten Koloss bestralte, konnte ich mich einer Re¬ miniscenz aus Blumauers travestirter Äneis nicht erwehren; ich dachte an jenes Back¬ werk, wo der fromme Held zuoberst »ganz von Butter» stand. Es hat schon etwas Un¬ natürliches, Statuen auf den Dächern unserer Häuser anzubringen, die nicht, wie im Orient, zum Aufenthalt der Menschen eingerichtet sind; allein noch ungleich widersinniger scheint es, einen Menschen auf den Gipfel einer Säule zu stellen, den nur ein Verrück¬ ter oder ein Phantast, wie Simeon Stylites , bewohnen kann. Wenn gleich die Alten uns das Beispiel solcher Denkmäler gegeben ha¬ ben, so bin ich doch nicht der Meinung, dass wir ihrem Muster jederzeit blindlings folgen sollen. Auch war bereits der gute Geschmack in Verfall gerathen, als man z. B. in Alexandrien auf die schöne Porphyrsäule die Statue des Kaisers Severus stellte. Die Aufmerksamkeit, die ein grosser Mann bloss durch die Höhe seines Standorts erregen kann, ist sicherlich seiner nicht werth. Al¬ lerdings giebt es aber auch Fürsten in Menge, die man nicht hoch genug stellen kann, da¬ mit sich nur jemand ihrer erinnere. Die Nachwelt vergisst die Wohlthaten, sie ver¬ gisst aber aber auch die Ungerechtigkeit der Regenten; wie wäre es sonst möglich, dass Kaiser Karl auf dieser Säule noch über den Köpfen einer so tief beleidigten Gesammtheit sicher steht? Für den philosophischen Ge¬ schichtsforscher verwandeln sich freilich un ter solchen Umständen die Ehrensäulen in Denkmäler der Schande. Der Brand vom 14. und 15. November des vorigen Jahres hat in der Gegend des Schlosses fürchterlich gewüthet. Viele der schönsten und prächtigsten Gebäude sind ein Raub der Flammen geworden, womit die Kaiserlichen damals die Stadt in einen Schutt¬ haufen zu verwandeln drohten und ihren Vor¬ satz auch ausgeführt hätten, wenn das Regen¬ wetter ihnen nicht so ungünstig gewesen wäre. Wenn es im Kriege erlaubt ist, sich aller Mittel ohne Unterschied gegen den Feind zu bedienen;(ein Satz, der doch auch seine vielfältige Einschränkung leidet) so gehörte es gleichwohl zu den unglücklichen Verket¬ tungen des Schicksals, welches den verstor¬ benen Kaiser so rastlos verfolgte, dass sich unter den Befehlshabern seines Niederländi¬ schen Heeres ein Mann befinden musste, der eine entschiedene Neigung äusserte, die här¬ testen Maassregeln zu ergreifen, und dem das Blut seiner Mitbürger ziemlich feil zu seyn schien. Jene schauderhafte Vernichtung von Brüssel, welche der Herzog von Ursel am zwanzigsten September 1787 so glücklich ver¬ hütet hatte, wollte jetzt der Erfinder dieses grausamen Anschlags mit Gent wirklich be¬ ginnen. Es war nicht etwa ein zügelloser Pöbel, wie der Parisische, der sich einen Augenblick vergass und an einzelnen Opfern die tausendjährige Schuld seiner Unterdrücker rächte; Deutsche Soldaten, denen die Flam¬ mänder noch vor kurzem die gastfreieste Pflege hatten angedeihen lassen, wurden hier von ihren Officieren angeführt zur Plünde¬ rung ihrer Wohlthäter, zur Einäscherung der Stadt und zum nächtlichen Kindermord. Die Ereignisse jener zwei schrecklichen Nächte sind von der grässlichen Art, dass sie in die Geschichte der feudalischen Zerrüttungen, nicht in das achtzehnte Jahrhundert, zu ge¬ hören scheinen, dass sie neben den übrigen Atrocitäten, welche das Ungeheuer der will¬ kührlichen Gewalt ausgebrütet hat, ihre Stelle verdienen Ich habe vor mir das Bulletin officiel van wege het Comité-Generael aengesteld binnen de stad Gant , unterzeichnet G. B. Schel¬ lekens, Greffier van het Comité-Generael der Nederlanden, d. 25. November 1789. 15 S. in Oktav, welches über die verschiedenen Vorgänge bei der Einnahme von Gent und der Vertreibung der Kaise lichen einen umständlichen Bericht abstattet. . Neun und siebzig Kinder und Erwachsene wurden von den Soldaten theils getödtet, theils mit ihren Häusern verbrannt. Die Unmenschlichkeiten, die dabei vorgin¬ gen, mag ich nicht nachschreiben; aber sie gehören der Geschichte, welche der Nach¬ welt die folgenschwere Wahrheit beurkunden muss, dass, wenn gleich die Aufwallungen der Ungebundenheit in einem lange gemissbrauch¬ ten Volke zuweilen in blutige Rache ausarten können, sie gleichwohl von der barbarischen Fühllosigkeit des rohen Söldners weit über¬ troffen troffen werden. Traurig ist die Wahl zwi¬ schen zwei grossen Übeln; allein es liegt schon in der Natur der Sache, dass die Fol¬ gen der Anarchie, wie schwarz die Mieth¬ linge des Despotismus sie auch schildern mögen, nur Kinderspiele sind gegen die Schandthaten beleidigter Sklaventreiber. Ihre Erbitterung wird giftiger durch die vermeinte Kränkung ihrer Herrscherrechte; ihr Zweck ist nicht bloss Unterjochung, sondern zu¬ gleich Rache und Strafe; sie sind immer Krieger und Henker zugleich; sie zerstören und verwüsten aus Grundsatz und nach ei¬ nem vorher bedachten Plan. Ich begreife jetzt, wie der Anblick solcher Greuel den Muth der Bürger und Freiwilli¬ gen bis zur Tollkühnheit entflammen musste. Arberg verfehlte gänzlich seinen Endzweck, und sah sich genöthigt, unter Begünstigung der Nacht das Schloss zu räumen und seinen II. Theil . S Rückzug anzutreten. Das kleine Patrioten¬ heer, verstärkt durch die junge Mannschaft, die aus Courtray den Gentern zu Hülfe ge¬ kommen war und die Kaiserlichen von ei¬ nem Thore vertrieben hatte, stürzte am sechzehnten, nachdem es, unter den Waffen stehend, dem im Portal der Nikolauskirche gefeierten Hochamte beigewohnt und sich durch die allgemeine Absolution zu seinem Unternehmen gestärkt hatte, mit unwider¬ stehlicher Gewalt auf die Kasernen los, und erstieg die dort befindlichen Batterien. Bu¬ ben von siebzehn Jahren stachen die Kano¬ niere über den Haufen, die mit brennender Lunte in der Hand das Geschütz gegen sie lösen wollten. Schon hatten sie das Thor erreicht und schleppten Stroh zusammen, um die Kasernen in Brand zu stecken, als die Östreichischen Officiere unbewaffnet und mit entblösstem Haupt ihnen entgegen gingen und sich zu Kriegesgefangenen ergaben. Die Flammänder waren in diesem leidenschaft¬ lichen Augenblick besonnen genug, ihrem Unwillen, der so hoch gereitzt worden war, zu gebieten. Sie nahmen ihre Feinde in Schutz, als hätten diese mit erlaubten Waf¬ fen und nur gegen Männer gefochten. Die Einwohner haben das Schloss demo¬ lirt, weil es nicht länger haltbar war; dage¬ gen erfreute uns der Anblick vieler neuen Häuser, die bereits überall aus den Rui¬ nen hoch emporstiegen und vom Reich¬ thum der hiesigen Bürgerschaft ein gutes Vorurtheil bei uns erweckten. Ich weiss nicht, war es diese zufällige Scene der Ge¬ schäftigkeit, oder lag es vielmehr wirklich im Charakter der Flammänder, dass wir uns gleich auf den ersten Blick einen günstige¬ ren Begriff von ihnen als von ihren Braban¬ tischen Nachbarn abstrahirten. So viel ist S 2 wenigstens gewiss, dass diese Provinz, ob sie gleich weit später als Brabant gegen die Be¬ drückungen der Regierung reklamirte, den¬ noch früher und mit mehr Entschlossenheit zu entscheidenden Maassregeln griff; dass sie zuerst sich zu Gunsten des Comité von Bre¬ da und der Unabhängigkeit öffentlich erklär¬ te, bei der Errichtung der freiwilligen Corps den grössten Eifer bewies und an der völli¬ gen Vertreibung der Östreichischen Armee den stärksten Antheil hatte. Eine Spur von Seelenadel konnte wirklich den Flammändern ihre freiere Verfassung aufbewahrt haben. In der Versammlung ihrer Stände sind der Geistlichkeit zwei, dem Adel zwei, den Städten drei, und dem platten Lande eben¬ falls drei Stimmen zugetheilt; dergestalt, dass der dritte Stand allemal sicher auf die Mehr¬ heit rechnen kann, sobald es ihm ein Ernst ist, sich dem aristokratischen Einfluss zu ent¬ ziehen. Die Wiederherstellung des Adels, als eines votirenden Standes, in der Staaten¬ versammlung, ist ein Werk der Revolution. Seit dem Anfange des siebzehnten Jahrhun¬ derts hatte der Flandrische Adel Sitz und Stimme verloren, weil er eine Zeitlang die ganze Macht der Stände usurpirt hatte. Da es ihm nicht gelungen war, unter der Öst¬ reichischen Regierung seine Rechte wieder zu erlangen, so hatte er sich auf einem an¬ dern Wege zu behaupten und sein Interesse dadurch zu sichern gesucht, dass er so viele seiner Mitglieder als nur möglich war, zu Deputirten der grösseren und kleineren Städte wählen liess. Diese Einrichtung dauert noch fort, und erklärt die eifrige Theilnahme der Staaten von Flandern an der in Brabant ge¬ gen die demokratische Partei so glücklich ausgeführten Verfolgung. Das Volk und die Bürger murren indessen über die Gefangen¬ S 3 setzung des Generals van der Mersch , und fordern laut von ihren Ständen, dass sie sich seiner gegen den Kongress annehmen sollen. Das Raschere, das Entschiednere im Cha¬ rakter dieses Volkes ist auch in den Ge¬ sichtszügen ausgedrückt, und wohlgebildete Männer sind uns in diesem Theile von Flan¬ dern häufiger als in Brabant vorgekommen; allein ihre Erziehung ist der Brabantischen zu ähnlich, um uns hoffen zu lassen, dass sie mit ihrem Jahrhundert weiter als jene Nachbarn vorgerückt seyn könnten. Auch hier giebt es keinen Namen, den man im übrigen Europa mit Achtung oder mit Be¬ wunderung nennt. Zwar können ganze Völ¬ ker bei dieser Mittelmässigkeit glücklich seyn, so lange sie ruhig bleiben; doch wehe den Empörern, an deren Spitze kein grösserer Mensch einhergeht! Auch unter dem hiesigen Frauenzimmer habe ich manches hübsche Flämische Ge¬ sicht bemerkt und in einem Buchladen glaub¬ te ich an der Frau vom Hause das Ebenbild einer von Rubens Frauen zu sehen; nur Schade, dass diese schönen und zum Theil auch feinen Züge, dieses völlige Gesicht mit den grossen, offenen braunen Augen, den starken Augenbrauen, der kleinen, geraden Nase, den zarten rosenrothen Lippen und der durchschimmernden Röthe auf dem le¬ bendigen Weiss des Teints — so stumm und seelenlos erscheinen und von jener Empfäng¬ lichkeit, die überall das Erbe des Weibes seyn sollte, nichts verrathen. Ferne sei es, dass ich hier die ausgebildeten Reize des ideenreichen Wesens fordern sollte, die nach den Umständen unmöglich hier anzutreffen sind; aber Seele könnte doch das Auge stra¬ len, leise, sanft und innig könnten auch un¬ S 4 gebildete Mädchen empfinden. Von diesem allem zeigt das Äussere der Flammänderinnen keine Spur. Eine Schlaffheit des Geistes, die sich in Europa kaum abgespannter den¬ ken lässt, scheint sie für jeden Eindruck, der ausser dem Bezirk des mechanischen Hausregiments und der eben so mechani¬ schen Religionsübungen liegt, durchaus un¬ empfindlich zu machen. Wenn nicht die Nähe von England und Frankreich, der Han¬ del von Ostende und die Fabriken, die aus jener besseren Zeit im Lande noch übrig geblieben sind, Französische und Englische Moden einführten, würde man es hier kaum merken, dass der Begrif des Putzes auf den Begrif des Schönen eine Beziehung hat. Die Beschreibung der öffentlichen Ge¬ bäude und Kirchen, die man aus so vielen Reisebeschreibungen kennt, wirst Du mir gern erlassen; ich schweige also von dem ungeheuren Rathhause, von den dreihundert Brücken, die alle Theile dieser von Kanälen durchschnittenen Stadt verbinden, und selbst von der grossen Gothischen Masse der Ka¬ thedralkirche zu St. Bavo, mit den daran ge¬ klebten Stücken von Griechischer Architektur, die den Eindruck ihrer Grösse stören. Die Verschwendung von weissem und von schwar¬ zem Marmor in dem Innern dieses Tempels würde mir indess aufgefallen seyn, wenn mich nicht auf eine weit angenehmere Art die Kunst beschäftigt hätte. Die zahlreichen Kapellen enthalten einen Schatz von Flämi¬ schen Gemälden der ersten Klasse, von de¬ nen ich Dir wenigstens ein Paar bekannt machen muss, die für mich etwas Merkwür¬ diges hatten. Zuerst nenne ich die Auferste¬ hung Lazari, ein Meisterwerk von Otto Ve¬ nius , einem Lehrer des gepriesenen Rubens . Dieses in Absicht auf die Composition sehr S 5 fehlerhafte Stück, dessen Umrisse zum Theil verzehrt, dessen Schatten schon ein wenig schwarz geworden und dessen Farben trocken sind, hat dennoch einzelne schöne Partien. Die Hauptfigur, der in der Mitte stehende Christus, ist wie gewöhnlich verfehlt; er ist kalt, jüdisch und uninteressant; seine Dra¬ perie ist schwer und ungeschickt geworfen, seine aufgehobene Hand ruft nicht, winkt nicht, segnet nicht. Lazarus liegt halb im Schatten, wirklich schön von Angesicht und Gestalt; er blickt edel und seelenvoll zu sei¬ nem Retter auf und ist ungleich besser als alles übrige kolorirt. Seine Schwester Maria sitzt an seiner Gruft im Vordergrunde. Ihr Gesicht und die ganze Figur machen mit dem übrigen Bilde den merkwürdigsten Kon¬ trast; denn ihre Züge, ihre Kleidung und das ganze Kostume sind gänzlich aus der Römischen Schule entlehnt. Man glaubt eine Madonna von Raphael kopirt zu sehen, so ruhig und doch so edel gerührt ist dieser schöne Kopf. Martha und Magdalena sind dagegen hübsche Flammänderinnen im kur¬ zen buntseidenen Korsett. Petrus bückt sich, um dem Lazarus heraus zu helfen; sein blaues Gewand über dem breiten Rücken thut vortrefliche Wirkung. Die übrige Gruppe von Köpfen ist gar zu gedrängt voll und geht zu hoch in dem Bilde hinauf; auch fehlt es ihr an Auswahl. Du erinnerst Dich des schönen Sebastian von van Dyk in Düsseldorf. Hier ist einer von Hondhorst , der viel Verdienst hat. Aus dem schönen Körper zieht eine schwarz ge¬ kleidete weibliche Figur die Pfeile aus. Sehr leicht ruht ihre Hand auf dem zarten, ver¬ wundeten Körper; aber ihr Gesicht ist ohne Ausdruck, und mit eben den Zügen würde sie Spitzen waschen. Die Alte, ebenfalls ein gemeines Gesicht, empfiehlt Behutsamkeit mit Blick, Stellung und Hand. Das leidende Gesicht Sebastians ist edel und voll unbe¬ schreiblicher Milde; sein Auge ist schön, sanft redend und voll Vertrauen. Die Farben¬ gebung ist zwar nicht ganz natürlich, aber weich und von einem harmonischen, mo¬ desten Ton. Doch die Stellung des ange¬ bundenen, aus einander gedehnten Körpers zieht zuerst den Blick des Zuschauers auf sich, und man muss in der That unpar¬ teiisch das Verdienst hervorsuchen wollen, wenn dieser erste Eindruck nicht wegscheu¬ chen und alle nähere Untersuchung verhin¬ dern soll. Dass die Künstler es nicht fühlen, wie diese Marter den Zuschauer leiden lässt, und wie unmöglich es ist, mit einigem Ge¬ fühl ein solches Kunstwerk lieb zu gewinnen! Übrigens hat es mir wohl gethan, hier das Studium Italienischer Meister und Hondhorsts langen Aufenthalt in Italien zu erkennen; wo ich nicht irre, habe ich schon etwas von Michel Angelo gesehen, woran mich die frei und fest gezeichnete Figur dieses Sebastians erinnerte. Der St. Bavo von Rubens hat mir un¬ gleich weniger gefallen; das Stück ist in zwei Gruppen über einander getheilt, wovon die unterste aus vielen ziemlich ekelhaft durch ein¬ ander gewundenen Figuren besteht. Links im Vordergrunde stehen ein Paar plumpe Dirnen von Fleisch und Blut. Auch der Zeitgenosse von Rubens , der um den Ruhm eines grossen Künstlers mit ihm wetteifernde Crayer , lei¬ stete mir hier kein Genüge. Die Kreuzigung, die man von ihm in der Bischofskapelle be¬ wundert, ist schön kolorirt; aber der Körper ist verzeichnet. Sein Hiob ist interessanter: er blickt auf voll Vertrauen, das sogar an Extase und Freude gränzt; dagegen hört er auch nicht, was sein Weib, eine sehr ge¬ meine Hexe, ihm sagt. Von den drei Freun¬ den sitzen zwei mit niedergebücktem Haupte, und träumen, indess der dritte mit den Fin¬ gern spricht. Noch ein gepriesenes Gemälde dieses Meisters ist hier die Enthauptung des Täufers Johannes; aber welch ein Anblick! Eine zerrissene, unzusammenhangende Com¬ position, verwischte Farben, ein scheusslicher Rumpf und ein Bologneser Hündchen, wel¬ ches Blut leckt! Solch ein Gegenstand und solch eine Phantasie schicken sich für ein¬ ander, und um alles zu vollenden, gehört nur noch der Zuschauer dazu, der mit uns zugleich vor dem Bilde stand und voll Ent¬ zücken ausrief: ah quelle superbe effusion de sang! Unter einer grossen Anzahl von Gemäl¬ den, wovon die besten von Seghers , van Cleef , Roose und Porbus gemalt sind, keines aber hervorstechende Vorzüge besitzt, halte ich ein uraltes Stück von den Gebrüdern van Eyk noch für nennenswerth, weil es vielleicht das erste war, das in den Nieder¬ landen mit Ölfarben gemalt wurde. Der Ge¬ genstand ist aus der Offenbarung Johannis entlehnt: die Anbetung des Lammes. Der Composition fehlt es, wie man es sich von jener Zeit vorstellen kann, sowohl an Ord¬ nung und Klarheit, als an Wirkung und Grösse. Bei aller Verschwendung des Fleisses bleibt die Zeichnung steif und inkorrekt; Perspektive und Haltung fehlen ganz und gar; die Farben sind grell und bunt und ohne Schatten. So malte man aber auch in Italien vor Perugino’s Zeiten, und was uns dieses Gemälde merkwürdig macht, ist daher nicht der Geist, womit es ersonnen und aus¬ geführt worden ist, sondern die wichtige Erfindung der Ölmalerei, die damals in den Niederlanden zuerst an die Stelle des so lange üblich gewesenen al Fresco trat, wenn sie auch in Deutschland bereits weit länger bekannt gewesen seyn mag. Ich bin zwar weit entfernt, den Koloristen einen Vorzug vor den richtigen Zeichnern einräumen zu wollen; allein ich halte es wenigstens im Angesicht der Meisterwerke des Flämischen Pinsels für ein gar zu hartes Urtheil, die Er¬ findung, worauf der ganze Ruhm dieser Schule beruht, mit Lessing um des Miss¬ brauchs willen, der damit getrieben worden ist, lieber ganz aus der Welt hinweg zu wünschen. Der Vorwurf einer üblen An¬ wendung, selbst einer solchen, welche völlig zweckwidrig ist, trift wohl mehr oder weniger eine jede menschliche Erfindung; und wenn es nicht geläugnet werden kann, dass die Erlernung der beim Ölmalen erforderlichen Kunstgriffe manchen wackern Künstler mit¬ ten ten in seiner Laufbahn aufgehalten und in die Klasse der Mittelmässigkeit geworfen oder gar vom rechten Ziel der Kunst entfernt hat, so bleibt es doch auch unbestritten, dass mit Ölfarben manches unnachahmliche Bild auf die Leinwand hingezaubert worden ist, des¬ sen Schönheiten bei jeder andern Behandlung verloren gegangen wären. Am Kolorit, als solchem, ist freilich so viel nicht gelegen; aber durch die Verschmelzung der Farben¬ schattirungen, welche nur ihre Vermischung mit Öl möglich machte, sind feine Nüancen des Ausdrucks erreicht worden, wodurch die Kunst selbst an Würde gewonnen hat und für den Psychologen lehrreich geworden ist. Der Wunsch, in den übrigen Kirchen, Klöstern, Prälaturen, auf dem Rathhause und in den Privatsammlungen zu Gent den Denk¬ mälern der Flämischen Kunstepoche nachzu¬ spüren, musste für itzt der Nothwendigkeit II. Theil . T unseres Reiseplans weichen. Mit Tagesan¬ bruch eilten wir durch die reichste Gegend von Flandern hieher nach Antwerpen. Der Weg ging über eine herrlich bebaute Ebene. Triften, Wiesen, Äcker und Heerstrassen waren mit hohen Bäumen und Gebüschen eingefasst; der Steindamm war den grössten Theil des Weges so gut, wie im übrigen Brabant und Flandern. Die Vegetation schien indess kaum noch weiter vorgerückt, als wir sie in unserer milden Mainzer Gegend ver¬ lassen hatten; die Saaten allein prangten mit ihrem frischen Grün, und des Ölrettigs dichte, goldgelbe Blüthen bedeckten oft unabsehliche Strecken. Das Erdreich war an vielen Stel¬ len leicht und mit Sand gemischt, mithin gewissen Gattungen von Getreide vorzüglich angemessen. Überall sahen wir den Anbau zu derjenigen Vollkommenheit getrieben, wo bereits der Wohlstand der Einwohner durch ihren Fleiss hervorschimmert. Wie leicht müsste nicht hier, bei einer bessern Erzie¬ hung des Landvolkes und gehöriger Anlei¬ tung von Seiten der Gutsbesitzer, die Land¬ wirthschaft mit der Schwedischen und Eng¬ lischen wetteifern können! Allein es ist ja alles hier gleichsam darauf angelegt, den al¬ ten Vorurtheilen einen Charakter heiliger Unfehlbarkeit aufzuprägen. Mit Erstaunen und Freude mussten wir indess einander be¬ kennen, dass wir solche Flecken und solche Dörfer, als womit dieser Weg und die ganze Gegend gleichsam besäet ist, auf dem festen Lande noch nicht angetroffen hätten. Lockeren, St. Nikolas, u. a. m. beschämen die Städte vom dritten und vierten Range, die man in anderen Ländern über ihres gleichen rühmt. Sie sind beinahe Viertelmeilen lang, durchaus von Backsteinen sauber erbaut, mit breiten Strassen, gutem Pflaster und Reihen T 2 von Bäumen wohl versehen. Ordnung und Reinlichkeit, die unverkennbaren Begleiter des Wohlstandes, herrschten im Innern der Häuser, und der treuherzige Ton der Bewill¬ kommung, den wir von den Einwohnern vernahmen, bestätigte uns in der guten Mei¬ nung von ihrer Wohlhabenheit. Wir fanden alle Hände mit der Verfertigung von grober Leinwand zu Segeltuch, Gezelten u. d. gl. aus selbst gezogenem Hanf und Flachs beschäf¬ tigt. Dieser Anbau, nebst den darauf beru¬ henden Manufakturen und dem reichlichen Ertrage des Getreidebaues, scheint die Haupt¬ quelle des hiesigen Reichthumes zu seyn. Eine halbe Meile vor Antwerpen ver¬ schwanden die Bäume, Gebüsche und einge¬ zäunten Felder; die Gegend verwandelte sich in eine weit ausgebreitete Lande , eine kahle Ebene, wo Viehweiden und Wiesen an ein¬ ander gränzten, und an deren Horizont wir ringsum beschattete Dörfer, in der Mitte aber Antwerpen in seiner imposanten Grösse lie¬ gen sahen. Ein Wald von Thürmen, und vorzüglich der ungeheure Gothische, wie Fi¬ ligran gearbeitete Spitzthurm der Kathedral¬ kirche, ragte hoch empor; die Citadelle auf einer kleinen Erhöhung vergrösserte und ver¬ schönerte diesen Anblick, und die Bewegung auf- und absegelnder Barken auf der Schel¬ de, die wir zwischen ihren Ufern noch nicht sehen konnten, hatte etwas Zauberähnliches. Bald erblickten wir ihre gedemüthigten Ge¬ wässer, und seufzten von neuem über Euro¬ päische Politik und Europäisches Völker¬ recht. Der schöne, herrliche Fluss ist, wie die Themse, zum Handel gleichsam geschaf¬ fen; die Fluth steigt darin zwanzig Fuss hoch vor den Mauern der Stadt, und ver¬ doppelt alsdann seine Tiefe. Hier ist er nicht so breit, wie der Rhein vor Mainz; T 3 aber er trägt wegen des beträchtlichen Stei¬ gens und Fallens keine Brücke. Etliche Meilen weiter hinabwärts breitet er sich aus zu eines Meerbusens Weite. Wir sahen ei¬ nen Hafen, wo zweitausend Schiffe Raum finden würden, mit einigen kleinen Fahrzeu¬ gen besetzt. In wenigen Minuten führte uns ein kleiner Nachen von dem so genannten Haupt (oder der Spitze) von Flandern hin¬ über in die Stadt. XXI. Antwerpen. E s kostet eben keine grosse Mühe, in einer Stadt, die Raum für zweimal hundert tau¬ send Menschen enthält, zwischen den übrig gebliebenen vierzig tausend Einwohnern sich hindurch zu drängen; das blosse Sehen ist es, was uns am Abend ermüdet auf unser Zimmer zurück treibt, wo ich Dir heute noch erzählen will, welche Schätze der Flam¬ mändischen Kunst in diesen Paar Tagen vor uns die Schau und Musterung haben aushal¬ ten müssen. Was wir gesehen haben, ist nur ein sehr geringer Theil der in Antwer¬ pen noch vorhandenen Gemälde; alle Kir¬ chen, Abteien und Klöster, deren es hier mehr als dreissig giebt, sind über und über mit den Meisterwerken Niederländischer Ma¬ ler behängt; das weitläuftige Rathhaus, die T 3 Säle der Bürgerkompagnien, und die Börse, enthalten manches grosse und von Kennern gepriesene Werk, und ausserdem zählt man verschiedene erlesene Privatsammlungen von kleineren Stücken. Wenn die Menge dieser Kunstgebilde mit ihrem Werth in einem di¬ rekten Verhältniss stände, so müssten sowohl Maler als Liebhaber der Malerei nach Ant¬ werpen wie nach Rom wallfahrten und Jahre lang sich an dem Fleisse, der Geschicklich¬ keit und der Erfindungskraft der Niederlän¬ dischen Meister weiden; doch dass es wirk¬ lich nur zu selten geschieht, das setzt die hiesigen Schulen tiefer unter die Italienischen herab, als meine Lobsprüche sie wieder he¬ ben können. Die Malerei umfasst einen so grossen Kreis von Fertigkeiten und Kenntnissen, dass unter Hunderten, die sich ihr widmen, kaum Einer zu irgend einer auszeichnenden Stufe gelangt, und folglich wahre Künstlergrösse auf diesem Wege so schwer zu erringen ist, wie in jener von Homer und Pindar betre¬ tenen Laufbahn. Ob ein Marmorblock, oder zerriebene Farben, oder die Elemente der Sprache den rohen Stoff ausmachen, den der Künstler bilden soll: dies kann in so weit gleichgültig seyn, als nur die Arbeit den Werth des Kunstwerks bestimmt; und diese Arbeit nun — nach welchem andern Ver¬ hältnisse lässt sie sich schätzen, als dem ge¬ doppelten , des innern Werthes und Reich¬ thumes der schaffenden Seele, und des Gra¬ des der Vollkommenheit, in welchem sie sich mit ihrer Schöpfung identificirte? Oder sollte es hier wirklich nicht auf das erstere, nicht auf die Humanität des Künstlers an¬ kommen? sollte nur die Gabe darzustellen, gleichviel was dargestellt würde, den Meister bezeichnen? Dann freilich giebt es keine T 5 grösseren Maler als Douw und Miris und Metsü ; dann könnte es sich treffen, dass ein Harlekin der grösste Schauspieler genannt zu werden verdiente; dann hiesse das Geklin¬ gel und Geklapper der Sylben, und die, wie Paul Denners Köpfe, bis auf jedes Härchen mühsam, ekelhaft und geschwätzig nach dem Leben kopirten Sittengemälde unserer Idyl¬ lenschmiede das non plus ultra der Dicht¬ kunst. Unstreitig hat die blosse Nachahmung der Natur schon ihr grosses Verdienst; sie ist die unnachlässliche Bedingung zu weiteren Fortschritten. Es setzt sogar in allen drei Künsten, die ich eben erwähnte, ein weit getriebenes Studium, einen gewissen Umfang der Kenntnisse, der Erfahrung und Übung voraus, um nur den Mechanismus, so der Farbenmischung und Farbengebung, wie der metrischen Bewegungen und ihrer Anwen¬ dung, oder endlich der Mimik und De¬ klamation, auf die höchste Stufe der Voll¬ kommenheit zu bringen. Vielleicht aber liegt es schon in der Natur menschlicher An¬ lagen, dass gemeinhin bei der Concentration aller Kräfte auf diese mechanischen Vorü¬ bungen, die Fähigkeit zu den höheren Zwek¬ ken der Kunst hinanzusteigen, verloren geht oder wohl gar von Grund aus schon fehlt. In der Mechanik der Kunst konnten die Nie¬ derländer selbst einen Raphael übertreffen; allein wer seine Formen sieht, in seinen Ge¬ mälden Gedanken liest und Gefühle ahndet, den umfassenden, erschöpfenden wählenden Sinn darin erkennt, womit der hohe Künst¬ ler den Menschen und sein Treiben durch¬ schaute — wird ihm der nicht die kleinen Mängel seiner Palette gern erlassen? Ich möchte fast noch weiter gehen, ich möchte mich überreden, dass den grössten Meistern so viel von diesem Machwerk zu Gebote ge¬ standen, als sie gerade zur Vollkommenheit ihrer Darstellung bedurften, dass die üppige, wollüstige Vollendung eines Tizian den Ein¬ druck hätte stören können, den Raphaels erhabener Ernst hervorbringen sollte. So viel ist wenigstens gewiss, dass die Darstel¬ lung der Griechischen Gottheiten darum be¬ reits ausserhalb der Gränzen der Malerei zu liegen und ein ausschliessendes Eigenthum der Bildhauerei zu seyn scheint, weil das irdische Kolorit grossentheils die Täuschung vernichtet, welche das idealisirte Ebenmaass allein bewirken kann; die vortreflichsten ge¬ malten Göttinnen und Götter sind weiter nichts, und machen keinen andern Eindruck, als schöne Frauen und Männer. Wenn ich diese Bemerkung auf solche Gegen¬ stände anwende, die der Malerei vorzüg¬ lich angemessen sind und in deren Bearbei¬ tung sie eigentlich ihre höchste Vollkommen¬ heit erreicht, so dünkt es mich auch hier, dass der heroischen Natur, der idealischen Schönheit, der ästhetischen und sittlichen Grösse eine gewisse Täuschung, nicht nur der Formen, sondern auch der Farbengebung, nothwendig zugestanden werden müsse, wel¬ che mit dieser Einschränkung noch gedenk¬ bar, und gleichwohl über jede gewöhnliche und bekannte Natur hinwegschwebend, den Charakter des Erhabenen ausdrückt. Würde nicht, zum Beispiel, die Wärme, womit es erlaubt ist eine Danae, eine Leda oder eine Kleopatra zu malen, dem Bildniss einer Hei¬ ligen übel anstehen? Oder dürfte sich der Maler schmeicheln, wenn er die Himmelfahrt der Jungfrau schildert, die Phantasie des Zu¬ schauers befriedigen und bestechen zu kön¬ nen, wofern er nicht die Vorstellung eines schweren, materiellen Körpers von Fleisch und Blut so viel als möglich durch die Illu¬ sion des Kolorits zu entfernen suchte? Hiermit wäre also die Frage, welche Lessing im Anhang zu Laokoon S. 380 aufwirft, vorläufig be¬ antwortet und Richardsons Hofnung, dass Ra¬ phael übertroffen werden könne, vereitelt. Den Künstlern kann man es nicht oft ge¬ nug wiederholen, dass die treue Nachahmung der Natur keinesweges der Zweck der Kunst, sondern nur Mittel ist; dass Wahrscheinlich¬ keit ihr mehr als Wahrheit gilt, weil ihre Werke nicht zu den Wesen der Natur ge¬ hören, sondern Schöpfungen des menschli¬ chen Verstandes, Dichtungen sind; dass die Vollkommenheit dieser Geistesgeburten desto inniger empfunden wird, je unauflösbarer die Einheit und je lebendiger die Individualität ihres Ganzen ist; endlich, dass Schönheit ihr vollendendes äusserliches Gepräge und zugleich ihre inwohnende Seele bleiben muss. Vermittelst dieser Bestimmungen erklärt man sich leicht, warum in ächten Kunstwerken die Darstellung zuweilen so treu und wahr seyn kann, wie in blossen Kopien nach der Natur; da hingegen umgekehrt der genielose Fleiss, auch wenn er täuschend genau dar¬ stellt, auf den Namen der Kunst, im höhe¬ ren Verstande, keinen Anspruch machen darf. So würde es ebenfalls die Scheidung des Wesentlichen in der Kunst von dem Zufälli¬ gen sehr erleichtern, wenn man erwöge, dass sogar die rohesten Völker, die entweder ei¬ nen höchst unvollkommnen oder noch gar keinen Trieb zu materiellen Kunstgebilden äussern, bereits wahre Poësien besitzen, wel¬ che, verglichen mit den geglätteten und künstlich in einander gefügten dichterischen Produkten der verfeinerten Kultur, diesen oft den Preis der Gedankenfülle, der Stärke und Wahrheit des Gefühls, der Zartheit und Schönheit der Bilder abgewinnen. Man be¬ greift, wie diese Eigenschaften das einfache Hirtenlied, die Klagen und das Frohlocken der Liebe, den wilden Schlachtgesang, das Skolion beim Freudenmale und den rauschen¬ den Götterhymnus eines Halbwilden bezeich¬ nen können; denn sie gehen aus der schöp¬ ferischen Energie des Menschen unmittelbar hervor und sind unabhängig von dem Vehi¬ kel ihrer Mittheilung, der mehr oder minder gebildeten Sprache. Spröder ist der todte, körperliche Stoff, welchen der bildende Künstler ausser sich selbst suchen muss, um seine Einbildungskraft daran zu offenbaren. Statt des conventionellen Zeichens, des leicht hervorzubringenden Tones, muss er die Sa¬ che selbst, die er sich denkt, den Sinnen so darzustellen suchen, wie sie sich im Raum geberdet, und hiermit werden alle Einschrän¬ kungen seiner Kunst offenbar. Die mecha¬ nischen nischen Vortheile in der Behandlung des ro¬ hen Materials, die aus dem inneren Sinne zur äussern Wirklichkeit zu bringende, rich¬ tige Anschauung der Formen, die Erfahrung, welche den Künstler lehren muss, seinen Tiefblick durch die Veränderungen der äu¬ ssern Gestalt bis in die Modifikationen der Empfindung zu senken, und jene sinnlichen Erscheinungen als Zeichen dieser inneren nachzubilden — dies alles fordert einen un¬ geheuren Aufwand von Zeit und vorbereiten¬ der Anstrengung, wovon der Dichter, der sich selbst Organ ist, nichts zu wissen braucht. Je schwerer also die Darstellung und je längere Zeit sie erfordert, desto stren¬ ger bindet sie den Künstler an Einfalt und Einheit; je einfacher aber irgend eine Geburt des Geistes, desto mächtiger muss sie durch die Erhabenheit und Grösse des Gedankens auf den Schauenden wirken. Daher ist die II. Theil . U lebendige Ruhe eines Gottes der erhabenste Gegenstand des Meissels, und ein Augenblick, wo die Regungen der menschlichen Seele schön hervorschimmern durch ihre körper¬ liche Hülle, ist vor allen des Pinsels grosser Meister würdig. Wenn ich mit diesen Vorbegriffen die Werke der Niederländischen Schulen be¬ trachte, so hält es, wie mich dünkt, nicht schwer, das rechte Maass ihres Verdienstes anzugeben. Ich sehe grosse Anlagen, Riesen¬ kräfte, die unter einem glücklichern Himmel, in einem grössern Wirkungskreise, bei einer andern Erziehung und anderen bestimmenden Verhältnissen Wunder der Kunst hervorge¬ bracht hätten. Hier verzehren sie sich im Kampfe mit den Schwierigkeiten des Mecha¬ nismus, und wenn sie diese ganz besiegt ha¬ ben, ist der Gedanke, den sie darstellen wollen, des Sieges nicht werth. Als Tro¬ phäen können wir indess diese Werke nicht nur gelten lassen, sondern auch mit Dank und Bewunderung annehmen; Trophäen näm¬ lich, wie der Mensch sie auf seinen Zügen bis an die äusserste Gränze seiner Herrschaft über die sinnliche Welt erbeuten kann. Das Gesetz der Mannichfaltigkeit scheint eine Zusammenschmelzung aller Gattungen der Vollkommenheit in einem Menschen so we¬ nig wie in einem Werke zu gestatten; wo Licht und Schatten, Haltung, Effekt, wahre Färbung, treue Nachahmung gegeben werden, dort müssen wir nicht allein Verzicht thun auf die hohe ästhetische Begeisterung, die sich bis zur Darstellung der Harmonien zwi¬ schen dem sinnlichen und dem sittlichen Schönen emporschwingt, sondern wir müs¬ sen uns auch zufrieden geben, wenn das sehr löbliche Bemühen Effekt herauszubrin¬ gen, zu dem sehr anstössigen Fehler falscher U 2 Umrisse verleitet, der gerade dann am un¬ verzeihlichsten ist, wenn er nicht durch Schönheiten einer höhern Ordnung vergütet wird. Die Niederländer haben gezeigt, was sich mit Farben machen lässt, aber freilich nur mit Niederländischem Geiste und an Niederländischer Natur. Ist es nicht Recht¬ fertigung genug für sie, dass auch unter den Italienern die Meister in der Farbengebung weder in der Composition, noch in der Zeichnung, noch in der Erfindung, und am wenigsten im Erhabenen Meister waren? Was können sie dazu, dass eine reizende Venezia¬ nerin in der Cyprischen Rangordnung so hoch über einer handfesten Flämischen Dirne zu stehen kommt? — Jetzt, dünkt mich, wä¬ ren wir in der rechten Stimmung, um Nie¬ derländische Bilderkabinette zu besuchen. Man führte uns zuerst in die Privatsamm¬ lung des Herrn Huybrechts , der uns aber den Genuss seiner vaterländischen Kunst beinahe verleidet hätte, indem er mit einem Corregio prunkte. Zwar er selbst ahndete nichts von der gefährlichen Überlegenheit des Italieners; denn er besass gewiss eben so theure Stücke von Niederländischen Meistern! Zum Glück hatte dieses Gemälde so wenig von der be¬ lobten Anmuth des zarten Allegri, die Yorick in seiner Laune durch ein patronymisches Wort, the Corregiescity of Corregio , so schön individualisirt, dass die Flammänder noch mit heiler Haut davon kamen. Wenn das Stück ein Original ist, wofür ich es doch nicht halte, so hat es sich vortreflich con¬ servirt. Es stellt eine Mutter vor, mit dem schlafenden Kinde. Sie scheint nach der Na¬ tur gezeichnet; allein vielleicht eben darum sind die Züge so plump und haben die zu¬ rückstossende Bezeichnung der Dummheit. Auch dem Maler des seelenvollen Reizes ist U 3 es also nicht immer gelungen, ihn zu ha¬ schen im flüchtigen Augenblick der Beobach¬ tung, oder, dass ich es wahrer sage, ihn ei¬ nem Körper einzuhauchen, dem die Natur ihn versagte. Das Kind hingegen ist ein schlafender Amor, so schön und lächelnd im Schlafe, mit der Gesundheit Frische auf den Wangen. Unter den Niederländischen Gemälden in dieser Sammlung haben die Seestücke ein ausgezeichnetes Verdienst. Backhuisen ent¬ warf die segelnden Fahrzeuge mit vieler Wahrheit, und Bonaventura Pieters war vor andern glücklich, wenn er die durchsichtigen Wellen des aufgeregten Elements in ihrer grossen Verbindung, gleichsam als belebte Theile eines unermesslichen Ganzen, schil¬ derte. Die schöne Aussicht der Stadt Briel hatte vorzüglich diese Erhabenheit, welche mit der Idee von Leben und Bewegung in den Fluthen verbunden ist. Die Darstellung architektonischer Perspektiven im Innern Go¬ thischer Kirchen ist ebenfalls ein besonderes Niederländisches Talent, und obwohl die Gebäude selbst, die hier so zahlreich sind, nur treu kopirt werden durften, so erhöht es doch den Werth der Gemälde und gereicht der künstlerischen Phantasie zum Ruhme, dass sie den Gesichtspunkt der Diagonallinie wählte, um die Einförmigkeit der parallel laufenden Pfeiler brechen und malerische Kontraste hineinzaubern zu können. Insbe¬ sondere gefiel mir hier ein kleines Stück in dieser Gattung, von Flinck , wegen der vor¬ treflichen Vertheilung des Lichtes. Von dem sorgfältigen Gabriel Metsü zeigte man uns eine Violinspielerin, an welcher ausser ihrem Atlasrocke nichts Bewunderns¬ würdiges war; der Rock hatte freilich die täuschendste Ähnlichkeit mit dem schönsten U 4 ächten Atlas. Wie gefährlich hätte der Künstler mit diesem Talent zum Nachahmen seinen berühmtesten Mitbrüdern werden kön¬ nen, wenn er es auf edlere Gegenstände an¬ gewendet hätte! Allein das Schicksal, wel¬ ches ihm diesen beneidenswerthen Pinsel verlieh, fesselte seine Einbildungskraft an ei¬ nen Kleiderschrank, oder legte den maleri¬ schen Bildungstrieb in die Seele eines Schnei¬ ders. — Die Kenner sagen, dass die Hol¬ ländische Schule keinen grösseren Künstler als Franz Miris , den ältern, hervorgebracht hat. Ein altes Weib mit einer halb ausge¬ leerten Weinflasche rühmte hier die Kunst¬ erfahrenheit dieses Meisters. Man könnte an diesem Bilde die Transsubstantiation ad ocu ¬ lum demonstriren und im Gesicht der Alten genau angeben, wohin der fehlende Wein aus der Flasche gekommen sei. Die grösste Em¬ pfänglichkeit, verbunden mit dem seltensten Beobachtungsgeiste und einer grossen Kraft im Darstellen, können folglich ohne alle Fein¬ heit des Geschmackes und der Empfindung bestehen. An diesem ekelhaften Gemälde ist vorzüglich die sichere Nachahmung der Na¬ tur zu bewundern, wobei sich Miris so ganz auf sein richtiges Auffassen und festes Zeich¬ nen verlässt, und keinen Effekt, obwohl in einem so kleinen Stücke, durch Manier hat erzwingen wollen. Das Gegentheil bemerke ich hier an einem Bauerngelage von Cuylen¬ burg , das zwar in Teniers Geschmack gemalt ist, aber weder seine Leichtigkeit noch seine Wahrheit hat. Zu den grösseren Stücken in dieser Samm¬ lung gehört eine nackte, weibliche Figur, von schöner Farbengebung, von Peter van der Werff , einem Bruder des Ritters Adrian . Eine Königin von England und ein kühn skizzirtes Porträt des Bildhauers Feuherbe U 5 verdienen als Werke van Dyks genannt zu werden. Auch leuchtete uns hier ein Stral aus Rembrandts Phantasie, in Gestalt eines prächtigen Sultans, entgegen. Die Tochter des Blumenmalers Seghers und eine Nonne ( hospitalière ) von Rubens , hatten seine be¬ kannte Kraft im Porträt. Die Frische der Farben in dem letztern Bildniss war unüber¬ treflich; man möchte glauben, es käme nur eben von der Staffelei. Dass dieser wichtige Theil der Vorkenntnisse, welche die Malerei voraussetzt, die Wahl dauerhafter Farben, heutiges Tages so sehr vernachlässigt wird, gereicht unsern Künstlern schon jetzt zum Vorwurf, und bringt sie einst um den Ruhm, den sie von der Nachwelt ärndten könnten. Das Kabinet des Herrn van Lancker ent¬ hält einen noch ungleich grösseren Schatz von Niederländischen Schildereien. Die Landschaften von Both , van Goyen , Cuyp , Berghem , Wynants , Roos und anderen, eine reicher, niedlicher, vollendeter als die an¬ dere und jede mit dem eigenthümlichen Ver¬ dienst ihrer Urheber bezeichnet, buhlen hier um den Beifall des Kenners. Unstreitig hat die Phantasie des Landschaftsmalers ein gro¬ sses, weites Feld; die allgemeine Lebenskraft des Welltalls, die regen Elemente des Lich¬ tes, des Äthers, des Wassers und der allge¬ bärenden Erde geben ihr das begeisternde Schauspiel jenes grössten, anbetungswürdig¬ sten Wunders, einer immer jungen, aus ihrer Zerstörung stets wieder erstehenden Schöp¬ fung. Das Verhältniss aber zwischen der Landschaftsmalerei und ihrer älteren Schwe¬ ster, der Menschenbildnerin, scheint mir am besten dadurch bezeichnet zu werden, dass in der einen alles schon deutlicher, umgränz¬ ter Gedanke ist, was in der andern noch unbestimmbares, zartes, ergreifendes Gefühl bleiben muss. In der Landschaft wirken all¬ gemeine Harmonie, durchgeführte Einheit des Ganzen, grosse Kontraste, zarte Ver¬ schmelzungen, alles aber zu einem unnenn¬ baren Effekt, ohne abgeschnittenen, bleiben¬ den Umriss. Weder Lichtmassen noch Wol¬ ken, Luft und Gewässer, noch Felsen, Ge¬ birge und Unebenheiten des Bodens haben beständige, ihnen angeeignete Formen; selbst Bäume und Pflanzen sind in unendlich hö¬ herem Grad als die Thiere der Veränderlich¬ keit des Wuchses und der Gestalt unterwor¬ fen, und ihre Theile, Blüthen und Laub, verlieren sich mit ihren bestimmteren Formen in der Entfernung, aus welcher sie dem Auge begegnen, und fliessen zusammen zu Gruppen und Massen, denen der Künstler kaum auf dem Vordergrunde die Bestimmtheit der Na¬ tur mittheilen darf. In dämmernder Ferne hingestellt, kommen die Urbilder schon hie¬ roglyphisch bezeichnet an unsere Sehorgane; um so viel mehr ist die Bezeichnung, womit wir sie nachahmen können, in unserer Will¬ kühr, wofern sie nur ihren Zweck, nämlich den täuschenden Effekt jener schönen Ver¬ wirrung der Umrisse und jenes lieblichen Licht- und Schattenspiels, hervorbringt. Auch in dieser Gattung von Kunstgebilden kann indess die Phantasie des Malers ihre Grösse und Stärke zeigen; auch sie ist einer edlen, dichterischen Behandlung fähig, wenn nur das wesentliche Ziel der Kunst, die Zusam¬ menstellung des Schönen und die Belebung des gesammelten oder erfundenen Mannich¬ faltigen zur unauflösbaren Einheit, dem Künst¬ ler immerfort vor Augen schwebt. Der Man¬ gel unabänderlicher Formen hat zwar die Folge, dass es für die Landschaft kein be¬ stimmtes Ideal geben kann; allein dagegen ist die Freiheit des Künstlers desto unum¬ schränkter; das weite Reich des Natürlichen und Wahrscheinlichen liegt vor ihm, und es hängt von seiner Willkühr ab, gefällige Bil¬ der, sanfte Harmonien, erhabene Phänomene, mächtige Bewegungen, erschütternde Wirkun¬ gen daraus zu schöpfen. Etwas von diesem unbestimmten Schönen der Natur findet man in den Werken aller vorhin genannten Land¬ schaftsmaler; aber wenn es auf die Feuer¬ probe der Kritik ankommt, haben wir nur Einen Claude . Diese Sammlung enthält auch einen un¬ vergleichlich schönen Wouwermanns , den ich aber nicht mit der ekstatischen Bewun¬ derung ansehen kann, die ihm der Kenner zollen mag. Ist das Getümmel einer Schlacht, das Gewühl der Kämpfenden durch einander, der Anblick entseelter Leichname, sind die unbändigen Rosse, die durch den Dampf des Geschützes hervorstürzen — sind diese ge¬ waltigen Bilder nicht fähig, die Einbildungs¬ kraft zu spannen und ihr den schauervollen Gegenstand, der dem Künstler vorschwebte, zu vergegenwärtigen? Dies alles gebe ich zu, und dennoch, auf die Gefahr der Ver¬ wöhnung beschuldigt zu werden, verweile ich mich bei keinem Kunstwerk, das nur Verwirrung schildert. Was soll ich denn in diesem Gedränge? Für wen wird hier ge¬ stritten? Wer ist der Sieger und wessen die fliehende Fahne? Eine Schlacht kann uns interessiren, wenn wir um ihre Veranlassung wissen, wenn wir der einen Partei den Sieg wünschen, oder wenn sich etwas dabei er¬ eignet hat, was mitten in dem unmensch¬ lichsten Geschäft an edlere Empfindungen, an die bessere Seele im Menschen, erinnert. Daher wählen alle grosse Meister, wenn sie eine Schlacht vorstellen sollen, eine histori¬ sche Episode, wodurch sie sich von andern unterscheiden lässt, und, was noch wichtiger ist, wodurch sie den Zuschauer in Anspruch nehmen kann. Ohne diese Charakteristik ist die Schilderung des wilden Gemetzels so un¬ interessant wie ein Zeitungsartikel, und ich sehe nicht ein, warum die Künstler mehr als andere Leute gegen die Conventionen der guten Gesellschaft sollen verstossen dürfen. Dem wahren, schöpferischen Geiste gnügt es nicht, alles bilden zu können, was ihm ein¬ fällt; er will darstellen, was Anderen zu denken giebt und womit sich ihre Phantasie vorzugsweise beschäftigt. Könnte man doch auch unseren Dichterlingen so etwas begreif¬ lich machen! Herr van Lancker besitzt einen sehr schö¬ nen Teniers . Wenn die Malerei die magi¬ sche Kraft hätte, die man ihr wohl eher an¬ gedichtet hat, nicht bloss ästhetisch, sondern auch moralisch zu wirken, so möchte man jedem jedem Fürsten den täglichen Anblick dieses Gemäldes wünschen; es sollte ihn erinnern an das Bedürfniss des Volkes, nach voll¬ brachter Arbeit zu geniessen und des Lebens froh zu werden, an den Beruf des Herrschers, den Sinn für Freude zu erwecken und rege zu halten, an die grosse Erfahrung, dass die Menschen mit leichten Ketten spielen, die schweren aber zerbrechen oder unter ihrer Last hinsinken. Ausserdem nähmen sich freilich die Belustigungen der zahlreichsten Klasse des Menschengeschlechts im Leben besser aus als auf der Leinwand, wenn der Künstler (wie es hier der Fall ist) nur Kar¬ rikaturen einer tölpischen Fröhlichkeit schaf¬ fen kann. — Ostadens Bauern sind noch plumper, noch grotesker ungeschickt, als die von Teniers ; in einem von seinen Gemälden zeigte man uns sogar, als etwas Verdienstli¬ ches, eine kleine menschenähnliche Figur im II. Theil . X Hintergrunde, die, ihrer Unförmlichkeit unge¬ achtet, den Kennern ihren Urheber verräth. Das vorhin erwähnte Weib mit der Wein¬ flasche soll nicht den zehnten Theil so viel werth seyn, als hier der eingeschlafene Leier¬ mann von demselben Meister. Er schläft so fest, so süss über seinem Instrument, und alles um ihn und an ihm ist mit ermüden¬ der, ärgerlicher Treue, die nicht des klein¬ sten Striches vergisst, nicht mit englischer, sondern was zum Glück etwas anderes be¬ deutet, mit Holländischer Geduld vollendet. Wer noch mehr von diesem Bilde wissen wollte, würde mich in Verlegenheit setzen; denn ich habe Dir in der That alles gesagt: es ist ein schlafender Leiermann. In allen Künsten des Schönen bleibt es das unver¬ kennbare Zeichen von Kleinlichkeit des Gei¬ stes, wenn ihr Gebilde so beschaffen ist, dass die Phantasie nichts mehr hinzusetzen, nichts weiter darin suchen und ahnden, ihr luftiges Spiel damit mehr treiben kann. Ich beneide den ehrlichen Franz Miris nur um seine Zeit. Was mag man wohl zu loben finden an diesen kleinen nackten Figürchen von Poe¬ lenburg , mit ihren eckigen, breiten Schatten, ihren bunten Gewändern und der todten Kälte, womit sie die uninteressantesten Hand¬ lungen begehen, sich baden oder nach dem Bade sich ankleiden? Ich habe so wenig mit ihnen zu schaffen, wie mit dieser Mag¬ dalene von Paul Veronese , deren Ächtheit ich nicht untersuchen will, weil sie der Un¬ tersuchung nicht werth ist. Lieber betrachte ich daneben das schöne Porträt von van Dyks vortreflicher Arbeit; Du weisst, welch ein Lob dieser Name einem Portät geben kann. Von Rubens ist in dieser Sammlung eine Madonna mit dem Kinde, genau dieselbe, X 2 die auch in der Galerie zu Düsseldorf be¬ findlich ist und die mein Freund Hesse so schön gestochen hat; nur sind im hiesigen Gemälde noch einige Nebenfiguren und die Ausführung ist schlecht gerathen. Es waren noch ein Paar andere Stücke von Rubens im Zimmer, nicht ohne das ihm eigenthümliche Verdienst; allein ich hatte nur Augen für seine kleine, niedliche Skizze von Mariens Himmelfahrt. Die Stellung der zum christ¬ lichen Olymp hinauffahrenden Göttin ist wirk¬ lich schön; sie hält die rechte Hand empor und senkt die linke halb, gleichsam bereit mit Entzücken zu umfangen. Ihr Blick ist Wonne, ohne die Bescheidenheit der Demuth, aber auch ohne die Arroganz der Selbstsucht. Die Gruppe wäre gut gedacht, wenn nur die Engel fliegen könnten. Dass doch immer etwas Unvollkommenes oder Unpassendes die Freude verderben muss, die Rubens geben kann! Die Ausnahme von dieser Regel fanden wir bei Herrn van Haveren; die drei unver¬ gleichlichen Porträte von Rubens Hand, die er besitzt, gewähren in der That den rein¬ sten Genuss des ganzen Umfanges seiner Kunst. Zwei davon sind die Frauen, das dritte, wenn ich recht verstand, die Geliebte des Künstlers. Unmöglich kann man der Natur mit mehr Gewandtheit ihre gefäl¬ ligsten Züge ablauschen und wieder geben. Diese drei wohlbeleibten Flämischen Schönen liessen sich mit dieser durchschimmernden Sinnlichkeit die Liebkosungen des feurigen Künstlers gefallen, und ihm gnügten diese materiellen Reize, wenn er die Spannung vor der Staffelei durch eine andere ablösen wollte. Die täuschende Wahrheit der Kunst, die ganz etwas anderes ist, als die knechti¬ sche Treue eines Denner , eines blossen Ab¬ schreibers der Natur, hat Rubens hier zur höchsten Vollkommenheit gebracht, es sei im Kolorit oder besonders in dem Farben¬ spiel des Gesichtes, oder in der bestimmten Gestalt einzelner Züge und ihrer zarten Ver¬ schmelzung. Der wunderschöne Schatten, den der Strohhut Kunstliebhaber kennen den chapeau de paille von Rubens ; es bedarf aber kaum des Erinnerns, dass auf dergleichen zunftgerechte Benennungen hier weiter keine Rücksicht genommen wird. auf das schönste von den drei Gesichtern wirft, und die küssens¬ werthen Hände der beiden anderen Huldin¬ nen des Künstlers haben ihres Gleichen nicht, und beweisen unwidersprechlich, dass er sie mit Liebe malte. Man brachte uns von hier zu Herrn Lam - brechts , der nicht bloss Liebhaber, sondern zugleich Künstler seyn will, indem er seine Musse damit hinbringt, die alten Stücke sei¬ nes Kabinets mit einem glänzenden Firniss zu bepinseln, welches oft die schlimmste Wirkung thut. Er besitzt einige gute Por¬ träte von van Dyk , Rubens , Rembrandt und Jordaens ; von dem Letztern insbesondere den Kopf einer alten Frau, mit mehr Aus¬ druck und feineren Details, als man ihm zu¬ getraut hätte. Auch sahen wir einen Italie¬ nischen, alten Kopf von Spagnoletto , ein Paar grosse, köstliche Berghems , einige Poe¬ lenburgs , Ostaden und Teniers ; eine Menge Landschaften von verschiedenen Meistern, eine Aussicht von Antwerpen und der Schel¬ de, das schönste, was ich von Bonaventura Pieters noch gesehen habe, und ich weiss nicht wie viel Herrlichkeiten mehr, die man angafft, um sie gleich wieder zu vergessen. Auf einem grossen Gemälde hafteten unwill¬ kührlich unsere Blicke; es war nicht nur den Stücken dieser Sammlung, sondern über¬ haupt allem, was man uns in Antwerpen zei¬ X 4 gen konnte, gänzlich fremd. Kein Nieder¬ länder konnte den weiblichen Körper so denken, denn keine Niederländerin war je so gebaut; in meinem Leben sah ich nichts Schöneres als diese unbegreifliche Leda, bei einer so gewaltigen Figur; so denke ich mir die Gespielin eines Gottes. Der unselige Firniss hätte uns diesmal unwillig machen können; gern hätten wir uns die etwas schwärzeren Schatten gefallen lassen, und der Schnee des Schwans wäre uns weiss ge¬ nug geblieben, hätte man nur dem elastischen Leben dieses Wunderwerkes seine ursprüng¬ liche Weiche und den reinen Ton der Ti¬ zianischen Carnationen gelassen. Eine an¬ dere Unvollkommenheit musste mich über diese ästhetische Sünde trösten: der hässliche Kopf von widriger, zurückstossender Gemein¬ heit; derselbe, den wir schon in Brüssel an Tizians Danae so abscheulich gefunden hat¬ ten. Wie mag es wohl möglich seyn, die Vorliebe für ein Modell so weit zu treiben? Wenn die Reize des Körpers blind machen können gegen die Missgestalt des Gesichts, darf man denn nicht wenigstens vom Künst¬ ler fordern, dass er den Augenblick seiner Illusion nicht zum Augenblick der Beurthei¬ lung mache? Doch die wahre Ursache die¬ ses Gebrechens liegt wohl darin, dass Tizians Phantasie mit seiner Darstellungsgabe in um¬ gekehrtem Verhältnisse stand. In der reichen Prämonstratenserabtei St. Michael, wo wir das Thor zum Zeichen des Hohns über den verstorbenen Kaiser, der sie hatte einziehen wollen, mit den drei Braban¬ tischen Revolutionsfarben neu angestrichen fanden, zeigte man uns eine Menge Gemälde, die ich Dir nicht alle herzählen mag. In den Wohnzimmern des Abts hangen die klei¬ neren Stücke; doch hat der Segen Melchise¬ X 5 deks, von Rubens , Figuren in Lebensgrösse. Abraham steht seltsam mit einem Stück Tep¬ pich über dem Kopf verhüllt und gebückt vor dem Priester zu Salem. Könnte das Süjet diesem bunten Stück einen Werth ver¬ leihen, so müsste diesmal die Kunst wirklich bei der Religion darum betteln. Van Dyks Taufe Christi hat etwas mehr Anziehendes; Johannes wenigstens ist eine schöne, männ¬ liche Figur und in seine Jüdische Physiogno¬ mie hat der Künstler etwas Feines und Grosses gelegt. Die Stellung ist graziös, und der braune Farbenton treflich behandelt, um den von der Sonne verbrannten Asceten in der Wüste zu bezeichnen. Für den Maler hat auch das Mechanische der Ausführung in diesem Gemälde, die Arbeit des Pinsels, ei¬ nen unschätzbaren Werth. Der Christus hingegen ist, wie gewöhnlich, verfehlt. Der Kopf wäre noch schön genug; allein seine Demuth ist geistlos und ohne Würde; die Stellung hat etwas kläglich Zusammengekro¬ chenes und der ganze Körper ist platt, ohne Haltung und Ründung. Die Nebenfiguren verdienen, wie die Anordnung des Ganzen, keine Erwähnung. Eine Abnahme vom Kreuz, ebenfalls, von van Dyk , und die Ehebrecherin von Tintoret wollen wir übergehen, weil sich nichts Gutes von ihnen sagen lässt. Aber ein Paar Blumenstücke muss ich noch bewundern, die in ihrer Art vollkommen sind. Der Meister, der sie verfertigte, Peter Faes , ist ein jetzt lebender Maler in Antwer¬ pen. Ich sage nicht zu viel, wenn ich be¬ haupte, dass er sein Muster, den berühmten van Huysum , vollkommen erreicht, wo nicht gar noch übertrift. Das ungeheure Refektorium ist mit fünf ungeheuer grossen Schildereien von Erasmus Quellinus dem Jüngern tapezirt. Diese Stücke haben in einer gewissen Ferne erstaunlich viel Effekt; die Figuren springen gleichsam aus der Wand hervor und scheinen zu le¬ ben. In jedem Stück ist ein Aufwand von prächtigen Portalen, Hallen, Säulen, Treppen, und in jedem wird geschmauset, vermuthlich um den Mönchen ein gutes Beispiel zu ge¬ ben. Warum Quellin den reichen Mann des Evangeliums als Kardinal geschildert hat, wird sich wohl aus irgend einem Privathass erklären lassen. Mit diesen gemeinen Figu¬ ren dürfte indess wohl nur ein Heisshungri¬ ger sympathisiren, wenn ihm nicht Lazarus die Lust zum Essen benimmt, der hier so ekelhaft erscheint, wie die Parabel ihn be¬ schreibt. In der zur Abtei gehörigen Kirche hängt noch ein Bild von diesem Meister, in demselben Geschmack und von gleichem Verdienst. Es stellt die Heilung des Gicht¬ brüchigen vor; allein die Figuren verlieren sich in einer prächtigen Masse von Architek¬ tur, denn das Stück ist vierzig Fuss hoch und nach Verhältniss breit. Einem Maler, der nach diesem Maassstabe arbeitet, fehlt es wenigstens nicht an Feuer und gutem Muth; von Feinheit und Ausbildung wollen wir schweigen. Unser Führer liess uns in der Augustiner¬ kirche drei Stücken huldigen, weil sie von van Dyk , Rubens und Jordaens gemalt wor¬ den sind. Das Gemälde des erstern prangt mit schönen Engeln und einem heiligen Au¬ gustin, der in seiner Ekstase den Himmel offen sieht; ich glaube indess, ein so kläg¬ licher Christus, wie der über ihm sitzende, hätte den stolzen Bischof von Hippo bei aller seiner politischen Demuth ausser Fassung brin¬ gen können. Das grosse Altarblatt von Ru¬ bens sagt mit allen seinen Figuren nichts, und könnte eine Olla potrida von Heiligen heissen. Jordaens , im Märtyrerthum der hei¬ ligen Apollonia, ist abscheulich, ekelhaft und verworren. Im Vorbeigehen besuchten wir noch die Begräbnisskapelle von Rubens in der St. Jakobskirche; sie ist wegen des Ge¬ mäldes berühmt, wo er sich selbst und seine Familie als Heilige und Andächtige travestirt hat. Er selbst ist ein heiliger Georg und seine beiden Frauen stehen ihm zur Seite. Die Erfindung mag ihn nicht viel Kopfbre¬ chens gekostet haben; man kann aber nichts Meisterhafteres von Ausführung sehen. Ich komme endlich zur Kathedralkirche, deren Schätze, an Zahl und Werth der Ge¬ mälde, diesseits der Alpen mit nichts vergli¬ chen werden können. Der Kapellen und Al¬ täre in diesem Einen Tempel ist eine unge¬ heuer grosse Anzahl, und alle sind mehr oder weniger mit Schnitzwerk, Bildhauerei und Gemälden ausgeschmückt, an denen man die Geschichte und den Fortgang der Kunst in den Niederlanden studiren kann. Hier sieht man die Werke der älteren Maler, ei¬ nes Franz de Vrindt oder Floris und des in de Vrindts Tochter verliebten Grobschmiedes Quintin Matsys , den diese Liebe zum Maler schuf, des ältern und des jüngern Franck , des Martin de Vos, des Quillins , des Otto van Veene ( Venius ), der Rubens Lehrmeister war, und einer grossen Menge anderer aus späteren Zeiten. Das Verdienst der älteren Stücke ist mehrentheils ihr Alterthum; denn an Composition, Gruppirung, Haltung, Per¬ spektive, Licht und Schatten, Stellung, Leben, Schönheit der Formen und Umrisse, Wahl der Gegenstände u. dgl. ist nicht zu denken. Bei Martin de Vos fängt indess schon eine gute Periode an; er wusste von allem diesem etwas in seine Gemälde zu bringen, ob mir gleich seine witzige Erfindung, sich selbst als den Maler und Evangelisten Lukas vor¬ zustellen, wie er die vor ihm sitzende Ma¬ donna mit dem Kinde malt, indess sein Ochse hinter der Staffelei wiederkäuet, eben nicht gefallen wollte. Coebergers Sebastian hat schon mehr Interesse; er wird eben erst an¬ gebunden und seine Figur ist nicht übel ge¬ rathen, so fehlerhaft auch das Ganze ist. Von Rubens Arbeit sieht man hier die schönsten Stücke sorgfältig hinter Vorhängen oder auch hinter übermalten Flügelthüren ver¬ wahrt. Wir drängten uns während der Messe vor den Hochaltar, und knieten mit dem Haufen andächtiger Antwerper hin, um das grosse Altarblatt, welches die Himmelfahrt der Jungfrau vorstellt, mit Musse anzusehen, ohne Ärgerniss zu geben. Ich rathe indess jedem, der seinen Glauben lieb hat, diesen Vorwitz nicht nachzuahmen, und vielmehr nach dem Beispiel der frommen Gemeine, die die uns umgab, sich an die Brust zu schla¬ gen und den Blick auf die Erde zu heften, als den Gegenstand seiner Andacht verwegen ins Auge zu fassen. So lange man nicht weiss, was man anbetet, kann man sich seine Gottheit so göttlich träumen wie man will; ein Blick in dieses Empyräum, und es ist um alle Täuschung geschehen. Die dicke Lady Rubens sitzt zum Skandal der Christen¬ heit leibhaftig in den Wolken, so gemächlich und so fest wie in ihrem Lehnstuhl. Ob sie sich nicht schämen sollte, eine Göttin vor¬ zustellen — und eine Jungfrau dazu? Es scheint in der That nicht, als ob etwas ver¬ mögend wäre, sie aus ihrer gleichgültigen, phlegmatischen Ruhe zu bringen und in Entzücken oder wenigstens in Erstaunen zu versetzen; eine Himmelfahrt oder eine Fahrt auf der Treckschuit, alles ist ihr gleich. Was könnte denn auch Lady Rubens auf einer II. Theil . Y solchen Luftreise Merkwürdiges sehen? Nichts als das blaue Firmament und einige Wolken, deren nähere Bekanntschaft sie nicht interes¬ siren kann; sodann eine Menge runder Kin¬ derköpfe mit Flügeln und eine grosse Schaar von kleinen fliegenden Jungen in allerlei Po¬ situren, die am liebsten eine ungeheure, nicht allzu präsentable partie zum besten geben, womit die Dame wohl eher in der Kinder¬ stube bekannt wurde, die aber leider zum Fliegen gar nicht gemacht ist. In Italien, sagt man, hätten die Weiber Augen zu mehr als Einem Gebrauch: dort sind es die schö¬ nen Fenster der Natur, hinter denen man die Seele lieblich oder göttlich hervorstralen sieht; aber in Antwerpen! hier ist das Auge ja nur ein oeil de boeuf am Gewölbe des Schedels, um ein wenig Licht hineinzulassen! Unter dieser lieben Frau, die allen Ge¬ setzen der Physik spottet, steht eine Gruppe von bärtigen, ernsthaften Männern, die mit der äussersten Anstrengung ihrer Augen auf ein weisses Tuch sehen, das vor ihnen liegt. Von dem, was über ihnen, in den Lüften vorgeht, scheinen sie gar keine Ahndung zu haben; sonst hätte doch wohl einer hinauf¬ geguckt und noch grössere Augen gemacht. Kein Mensch begreift, was sie wollen; hätte man nur die Legende darunter geschrieben, so wäre nichts in der Welt so leicht zu ver¬ stehen gewesen. War es etwa ein politischer Kunstgrif des Malers, die Geschichte nur de¬ nen zu verrathen, die das Geheimniss schon wissen? Dieses prunkende Gemälde wird von al¬ len Kennern bewundert, von allen Künstlern mit tiefer Ehrfurcht angestaunt, von allen Reisenden begafft und auf das Wort ihres Miethslakaien gepriesen. Ich setze noch hin¬ zu: sie haben alle Recht. Nicht nur die Y 2 Ausführung eines Kunstwerkes von solchen Dimensionen ist etwas werth, sondern man verkennt auch an diesem Meisterwerke nicht den Genius des Künstlers. Alles, was hier vorgestellt wird, findet man einzeln in der Natur: solche Menschen, solche Kinder, solche Gestalten und solche Farben. Die Wahrheit, Leichtigkeit und Zuverlässigkeit, womit Rubens sie, aus der Natur aufgefasst, durch seine Hand verewigen konnte, bilden eine künstlerische Grösse, worin er keinen Nebenbuhler hat. Auf diesem ungeheuren Altarblatte umschweben nicht etwa nur ein halbes Dutzend Engel, wie in Guido’s Ge¬ mälde, die Jungfrau; sie bleiben nicht halb im Schatten, nicht halb hinter ihr verborgen, um die einfache Grösse des Eindruckes nicht zu stören; hier ist sie von einem ganzen himmlischen Hofstaat umringt; unzählige Kinderfiguren, immer in anderen Stellungen und Gruppen, Köpfe mit und ohne Körper, flattern auf allen Seiten um sie her und ver¬ lieren sich in einem Meer von Glorie. In der zweiten, irdischen Gruppe sieht man wieder eine Menge Figuren in Lebensgrösse zu einem schönen Ganzen verbunden; und welche Varietät der Stellungen, welche Har¬ monie der Farbenschattirungen, vor allem, welche Wahrheit und welcher Ausdruck herrschen auch hier in allen Köpfen! Doch die grösste Überlegenheit des Künstlers be¬ steht darin, dass er zur Verfertigung dieses grossen Gemäldes nur sechzehn Tage bedurfte. Erwägt man den Grad der Thätigkeit und des Feuers, der zu dieser erstaunlichen Schöpfung gehört, so fühlt man sich geneigt, ihr alle ih¬ re Gebrechen und Mängel zu verzeihen. In der Kapelle der Schützengilde wird die berühmte Abnehmung vom Kreuz aufbewahrt, die so allgemein für das höchste Kunstwerk Y 3 von Rubens anerkannt und um zwölf Jahre älter als die Himmelfahrt ist. Ich kann mich auf keine detaillirte Beschreibung dieses so oft beschriebenen, ohne Einschränkung und mit so grossem Rechte gepriesenen Gemäldes einlassen; doch Du kennst es schon aus dem schönen Kupferstich. In Absicht auf leben¬ dige Darstellung bleibt es ein Wunder; alles, was ich je gesehen habe, weicht zurück, um diesem Ausdruck Ehre zu geben. Die Zeich¬ nung ist korrekter, als Rubens gewöhnlich zu zeichnen pflegte; die Composition einfach und gross; die Gruppe schön, so schön, dass man darüber das Kreuz vergisst, dessen un¬ bezwingbare Steifigkeit sonst aller malerischen Grazie so nachtheilig zu seyn pflegt. Die Stellungen, die Gewänder, die Falten, das Licht, der Farbenton und die Carnationen — alles ist bis auf Kleinigkeiten meisterhaft er¬ sonnen und ausgeführt. Die Mutter und der Johannes sind wahrhafte Italienische Studien oder Reminiscenzen; bei dieser edleren Na¬ tur wird man den Übelstand kaum gewahr, dass Petrus, zu oberst auf dem Kreuze, im Eifer seiner Geschäftigkeit, den Zipfel des Tuches, worin der Leichnam ruht, in seinen Zähnen hält. Vielleicht ist die kalte Be¬ wunderung, die der Anblick dieses Bildes mir abnöthigte, ein grösseres Lob für den Künstler, als der Enthusiasmus, der darüber bei andern durch Nebenideen entstehen kann. Der Begrif des Erbaulichen darf schlechter dings bei der Beurtheilung eines Kunstwer¬ kes von keinem Gewichte seyn. Vergisst man aber einen Augenblick die Beziehung des vorgestellten Gegenstandes auf die Reli¬ gion, so wird man mir zugeben müssen, dass die Wahl nicht übler hätte getroffen werden können. Die Hauptfigur ist ein todter Leich¬ nam, und die Verzerrung seiner Glieder, die Y 4 keiner willkührlichen Bewegung mehr fähig sind, sondern der Behandlung der Umstehen¬ den gehorchen, ist mit dem ersten Augen¬ merk des Malers, der Darstellung des Schö¬ nen, schlechterdings nicht zu reimen. Dop¬ pelt ungünstig ist der Augenblick, wenn der Leichnam einen gekreuzigten Christus vor¬ stellen soll; denn es ist eben derselbe, wo alles Göttliche von ihm gewichen seyn und der entseelte Überrest der menschlichen Na¬ tur in seiner ganzen Dürftigkeit erscheinen muss. Es giebt Momente in der Mythologie des Christenthums, die dem Maler freie Hän¬ de lassen: Scenen, die eines grossen, erha¬ benen Styls, ohne Verletzung des Schönheits¬ sinnes, fähig sind und zu der zartesten Em¬ pfänglichkeit unseres Herzens reden; allein wessen mag die Schuld seyn, dass die Flä¬ mischen Künstler sie nicht wählten? Liegt sie an ihnen selbst, oder an den Aufbewah¬ rern dieser Mysterien? Haben jene den fei¬ nen Sinn nicht mitgebracht, der zu einer solchen Behandlung nöthig ist? oder haben diese den Gegenständen eine so plumpe Ein¬ kleidung gegeben, dass jedes Bemühen der Kunst daran scheitern muss? Bloss in dieser einen Kathedralkirche habe ich zweimal die Visitation der Jungfrau durch einen unver¬ schämten Fingerzeig der alten Elisabeth be¬ zeichnet gesehen, und eins von diesen saube¬ ren Stücken war übrigens ein gutes Bild von Rubens . O der Niederländischen Feinheit! Hier breche ich ab. Es giebt noch unzäh¬ lige Gemälde, sowohl in Kirchen als in Pri¬ vatsammlungen, wovon ich nichts gesagt, es giebt sogar viele, die ich nicht gesehen habe. Allein von dieser Probe lässt sich ein allge¬ meines Urtheil über den Geist und Geschmack der Flämischen Schule abstrahiren. Y 5 XXII. Antwerpen. W ie froh bin ich, dass unsere Pferde nach Rotterdam nun endlich auf morgen früh be¬ stellt sind! Ein längerer Aufenthalt unter diesen Andächtlern könnte wirklich die hei¬ terste Laune vergiften. Noch nie habe ich die Armuth unserer Sprachen so tief empfun¬ den, als seitdem ich hier von den Menschen um mich her mit den bekanntesten Wörtern eine mir ganz fremde Bedeutung verbinden höre. Man liefe Gefahr gesteinigt zu wer¬ den, wenn man sich merken liesse, dass die Freiheit noch in etwas anderem bestehen müsse, als van der Noots Bildniss im Knopf¬ loche zu tragen, dass Religion etwas mehr sey, als das gedankenlose Gemurmel der Ro¬ senkranzbeter. Die traurigste Abstumpfung, die je ein Volk erleiden konnte, ist hier die Folge des verlornen Handels. Selbst im Äussern zeigt die hiesige Race nichts Em¬ pfehlendes mehr. Am Sonntage sah ich in den verschiedenen Kirchen über die Hälfte der Einwohner versammelt, ohne nur ein Gesicht zu finden, auf dem das Auge mit Wohlgefallen geruhet hätte. Leere und Cha¬ rakterlosigkeit, die in Brabant überhaupt so durchgehends herrschen, äussern sich hier in einer noch unschmackhafteren Gestalt als an¬ derwärts, und nicht einmal eine Varietät in der Kleidertracht zieht die Aufmerksamkeit von dieser Ausartung der menschlichen Natur hinweg. Mit dem gehemmten Geldumlauf musste die Industrie zugleich ins Stocken ge¬ rathen, und ausser einigen Salz- und Zucker¬ raffinerien, einer Sammetfabrik und ein paar Baumwollenmanufakturen, enthält diese grosse Stadt keine hinreichende Anstalt, um die Hände der geringen Volksklasse zu beschäf¬ tigen. Die schönen breiten Strassen sind leer und öde, wie die zum Theil sehr präch¬ tigen, massiven Gebäude; nur an Sonn- und Festtagen kriecht die träge Menge aus ihren Schlupfwinkeln hervor, um an den zahlrei¬ chen Altären die Sünde des Müssigganges durch einen neuen abzubüssen. Die Klerisei beherrscht dieses erschlaffte Volk mit ihren einschläfernden Zauberformeln; denn nur die Andacht füllt die vielen müssigen Stunden aus, die nach dem Verlust des Handels ihm übrig blieben. Die Wissenschaften, die einst in Antwerpen blühten, sind bis auf die letzte Spur verschwunden. Die Nieder¬ ländischen Künste, deren goldenes Zeitalter in die Periode der gehemmten merkantili¬ schen Thätigkeit fiel, wurden nur auf kurze Zeit von dem brachliegenden Reichthum zu ihrer grössten Anstrengung gereizt; es währte nicht lange, so fand der Kapitalist, der seine Gelder nicht an auswärtige Spekulationen wagte, die Fortsetzung eines Aufwandes miss¬ lich, der zwar, gegen seine Millionen gerech¬ net, mässig scheinen konnte, aber gleichwohl ein todtes Kapital allmälig aufzehrte. Ant¬ werpen also ist nicht bloss erstorben in Ab¬ sicht des Handels, sondern auch der unge¬ heure Reichthum, den einzelne Familien noch daselbst besitzen, verursacht nicht einmal die kleine Cirkulation des Luxus. Der reichste Mann bringt seine Nachmittage, von Mönchen und Pfaffen umgeben, bei einer Flasche von Löwenschem Biere zu, und bleibt jedem an¬ dern Zuge der Geselligkeit verschlossen. Die Privatsammlungen von Gemälden schmelzen je länger je mehr zusammen, indem viele der vorzüglichsten Meisterwerke an auswär¬ tige Besitzer gekommen sind, und selbst der Überfluss an Diamanten und anderen Juwee¬ len, weswegen Antwerpen so berühmt ist, wird in Kurzem nicht mehr bedeutend seyn; denn man fängt an, auch diese Kostbarkeiten zu Gelde zu machen. Was der Eigennutz nicht mehr vermochte, das hat die Geistlichkeit noch bewirken kön¬ nen; sie hat diesen Klötzen Leben und Be¬ wegung eingehaucht und sie bis zur Wuth und Tollkühnheit für das Hirngespinst ihrer Freiheit begeistert. Ein Hirngespinst nenn’ ich es; nicht, dass ich vergessen könnte, im Empörer das Gefühl der beleidigten Mensch¬ heit zu ehren, sondern weil Josephs Allein¬ herrschaft menschlicher noch war, als die Oligarchie der Stände, und weil seit der Re¬ volution die Befreiung des Volkes unmög¬ licher als zuvor geworden ist. Wer die Räth¬ sel des Schicksals lösen mag, der sage mir nun, warum dieser furchtbare Gährungsstoff von unübertreflicher Wirksamkeit, warum die Religion, in den Händen der hiesigen Prie¬ ster das Wohl und die Bestimmung ihrer Brü¬ der immer nur hat vereiteln sollen? Welch eine wohlthätige Flamme hätte man nicht durch dieses Zaubermittel anzünden und näh¬ ren können im Busen empfänglicher, lehr¬ begieriger, folgsamer Menschen! Wie rei¬ zend wäre das Schauspiel geworden, wo Bei¬ spiel und Lehre zugleich gewirkt und in reiner Herzenseinfalt die zarten Keime des Glaubens gereift hätten zu vollendeten Früch¬ ten menschlicher Sittlichkeit! Dass der Miss¬ brauch jener an Stärke alles übertreffenden Triebfeder, indem er endlich der Humanität mit gänzlicher Vernichtung droht, die hart¬ näckigste Gegenwehr veranlassen, dass in diesem Kampfe die kalte, unbestechliche Ver¬ nunft sich aus ihren Banden freiwickeln, und den menschlichen Geist auf ihrer Ko¬ metenbahn mit sich fortreissen muss, wo er nach langem Umherkreisen zuletzt im Be¬ wusstseyn seiner Beschränktheit, durch neue Resignation sich seinem Ziele wieder zu nä¬ hern strebt — das rechne man den Priestern nirgends zum Verdienst. Das Gute, was ih¬ ren Handlungen folgte, das wirkten sie von jeher als blinde Werkzeuge einer höheren Ordnung der Dinge; ihre eigenen Absichten, ihre Plane, alle Äusserungen ihres freien Willens waren immer gegen die moralische Veredlung und Vervollkommnung ihrer Brü¬ der gerichtet. Hier, wo ihr Werk ihnen über Erwartung gelungen ist, wo der Aber¬ glaube in dem zähen, trägen Belgischen Tem¬ perament so tiefe Wurzel geschlagen und je¬ dem Reis der sittlichen Bildung den Nah¬ rungssaft ausgesogen hat, hier wird man einst desto kräftiger dem hierarchischen Gei¬ ste fluchen. Je länger sich die Erschütterung verspätet, um so viel zerrüttender dürfte sie werden, sobald die Sonne der Wahrheit auch auch über Brabant aufgeht. Die Hartnäckig¬ keit der Phlegmatiker bezwingt nur ein ge¬ waltsamer Schlag, wo die Beweglichkeit ei¬ nes leichter gemischten Blutes gelinderen Be¬ rührungen schon gehorcht. Mit geweiheten Hostien, mit Sündener¬ lassungen und Verheissungen jenseits des Gra¬ bes, mit der ganzen Übermacht ihres Einflus¬ ses auf die Gewissen, und, um ihrer Sache sicher zu seyn, auch mit jenem vor Oczakow erprobten Begeisterungsmittel, mit reichlich gespendetem Branntwein, haben die Mönche von Antwerpen ihre Beichtkinder zur Frei¬ heitswuth berauscht. Der Ausschuss von Breda ward von hier aus mit grossen Geld¬ summen unterstützt, wozu theils die Kapita¬ listen und Kaufleute, theils die reichen Prä¬ laten selbst das Ihrige beitrugen. Schon die¬ ser Eifer giebt den Maassstab für die Grösse des Gegenstandes, den sie sich erkämpfen II. Theil . Z wollten; einen noch bestimmteren haben wir an der Summe, die sonst jeder neu ernannte Prälat bei seinem Antritt dem Kaiser erlegen musste: der Abt zu St. Michael, hier in der Stadt, opferte achtzigtausend, der zu Tonger¬ loo hundert und dreissigtausend, und der zu Everbude hundert und funfzigtausend Gul¬ den. Diesen Tribut hat die neue Regierung der Stände abgeschafft; dem so eben erwähn¬ ten Abt zu St. Michael ist bereits dieses Er¬ sparniss zu Gute gekommen, und wie er es anzuwenden wisse, beweiset die prachtvolle, wollüstige Meublirung seiner Apartements. Der königliche Schatz, den man in Brüssel bei Trautmannsdorfs Flucht erbeutete, und die Abgaben des Volkes, die seit der Revo¬ lution um nichts erleichtert worden sind, haben den Prälaten ihre Vorschüsse mit Wu¬ cher ersetzt. Wenn also das Land von der neuen Staatsveränderung einigen Vortheil ge¬ niesst, so kann er nur darin bestehen, dass die sieben, oder, nach anderen Nachrichten, gar zwölf Millionen Gulden, die sonst jähr¬ lich nach Wien geschleppt wurden, nun hier bleiben und wegen der Kriegsrüstungen in Umlauf kommen müssen. Wie viel indess von diesem Gelde auch noch jetzt auf Schleif¬ wegen ins Ausland geht, wo diejenigen, die es sich zuzueignen wissen, ihrem Patriotis¬ mus unbeschadet, es sicherer als in Brabant glauben, wage ich nicht so nachzusprechen, wie ich es hier erzählen hörte. Schon allein die Einnahme der Citadelle von Antwerpen soll ungeheure Summen gekostet haben, die in Gestalt eines goldenen Regens den Bela¬ gerten zu Theil geworden sind. Der Macht der Belgischen Klerisei hat diese Eroberung die Krone aufgesetzt. Die Festung war mit allen Kriegsbedürfnissen und mit Lebensmitteln auf Jahre lang reich¬ Z 2 lich versehen, und was ihre Mauern nicht in sich fassten, hätte sie zu allen Zeiten durch angedrohte Einäscherung der Stadt er¬ halten können; denn ihre Batterien bestri¬ chen alle Quartiere, und sachkundige Männer von beiden Parteien kommen darin überein, dass sie nicht anders als durch eine regel¬ mässige Belagerung bezwungen werden konn¬ te. Bei der allgemeinen Überzeugung von ihrer Unbezwingbarkeit war die Übergabe ein Wunder in den Augen des Volkes; Vorneh¬ me sowohl als Geringe glaubten hier deut¬ lich Gottes Finger und seine Begünstigung der Revolution zu sehen. Ihre Priester hat¬ ten sie zu diesem Glauben vorbereitet und gestimmt; sie bestärkten ihn jetzt und fach¬ ten ihn an zur lodernden Flamme. Vom Tage der Capitulation an, bemächtigte sich ein Schwindel, der zum Theil noch fort¬ dauert, aller Köpfe, und am Tage der Über¬ gabe liefen aus den umliegenden Dörfern mehr als zehntausend bewaffnete Bauern zu¬ sammen, um Augenzeugen des neuen Wun¬ ders zu seyn. Noch jetzt sehen wir auf al¬ len Strassen von Antwerpen hohe Mastbäume stehen, mit den drei Farben der Unabhän¬ gigkeit, roth, gelb und schwarz angestrichen; von ihrer Spitze wehen Wimpel und Flaggen mit allerlei geistlichen Devisen und biblischen Sprüchen, und ganz zu oberst hängt der grosse, schirmende Freiheitshut. Im Taumel der Freude über den glücklichen Erfolg der Belgischen Waffen hatten die Antwerper die¬ se Siegeszeichen errichtet und ausgelassen um sie herumgetanzt; allein, was halfen ihnen ihr Wunderglaube und ihr sinnbildernder Rausch? Statt des edlen Selbstgefühls, statt des Bewusstseyns angeborner Rechte, womit die Herzen freier Menschen hoch empor¬ schlagen müssen, regte sich in ihnen nur blinde Vergötterung ihrer neuen Regenten; Z 3 wo andere Völker aus eigenem innerem Trie¬ be, kühn, stolz und freudig riefen: »es lebe die Nation! » da lernten sie erst von Mön¬ chen ihre Losung: »es lebe van der Noot! » Unsern Wunsch, die Citadelle selbst in Augenschein zu nehmen, konnte man für diesesmal nicht befriedigen; ein Verbot der Stände macht sie jetzt, wegen des dahin ge¬ führten Staatsgefangenen, van der Mersch , allen Fremden unzugänglich. Zwar versprach uns ein hiesiger Kaufmann, der zugleich eine wichtige Demagogenrolle spielte, uns den Eingang zu gestatten, wenn wir noch einige Tage länger bleiben wollten, bis er nämlich die Wache dort hätte; allein die Befriedi¬ gung der blossen Neugier war ein so grosses Opfer nicht werth. Uns hatte vielmehr al¬ les, was wir bisher in den Niederlanden ge¬ sehn und gehört und die Hunderte von po¬ litischen Zeitschriften, die wir hier gelesen hatten, bereits die feste Überzeugung einge¬ flösst, dass in dieser gährenden Masse, statt aller Belehrung für den Menschenforscher, nur Ekel und Unmuth zu gewinnen sei, und wir beneideten diejenigen nicht, die, um den Kreis ihres Wissens zu erweitern, (mit einem apokalyptischen Ausdruck) des Satans Tiefen ergründen mögen. Wenn in irgend einem Lande der Geist der Zwietracht aus¬ gebrochen ist, dann richtet die Vernunft, ohne alles Ansehen der Person, nach ihren ewig unumstösslichen Gesetzen, auf wessen Seite Recht, und was die gute Sache sei; es darf sie dann nicht irre machen, dass die erhitzten Parteien gemeiniglich ein verzerrtes Bild des moralischen Charakters ihrer Geg¬ ner mit ihren Gründen zugleich in ihre Schale werfen. Auf einem weit grösseren Schauplatz, im aufgeklärten Frankreich selbst, ist dieser schlaue Unterschleif nicht immer vermeidlich, obwohl auch dort die schein¬ Z 4 heilige Verläumdung, der Meuchelmord des guten Namens, die allgemeine, schwankende Beschuldigung der Unsittlichkeit und des Un¬ glaubens, die leidenschaftliche Wehklage über Entweihung der Heiligthümer, Zernichtung der Vorrechte, Raub des Eigenthums, nur von der Einen Seite kommen, die jederzeit den strengen, kaltblütigen Erörterungen der Ver¬ nunft durch diese Wendung ausgewichen ist. Allein unter den Vorwürfen und Rekrimina¬ tionen der Belgischen Parteien verschwindet sogar die Frage von Recht. Die augenschein¬ liche Unfähigkeit sowohl der Kaiserlich als der Ständisch Gesinnten, mit ruhiger Darle¬ gung der Gründe ihre Sache zu führen, er¬ hellt aus ihren gegenseitigen, grösstentheils bis zur Evidenz dokumentirten, persönlichen Invektiven, und zeugt von jenem allgemeinen Gräuel der Pfaffenerziehung, die hier alle Ge¬ müther tief hinunter in den Pfuhl der Un¬ wissenheit stürzte und in ihnen durch Sün¬ dentaxen alles moralische Gefühl erstickte. Wo Verbrechen und Laster nur so lange das Gewissen drücken, bis eine mechanische Büssung und das absolvo te es rein gewa¬ schen haben, da scheinen sie nur schwarz, wenn man sie an der Seele des Nächsten kleben sieht; wo man durch jene, allen feil gebotene Mittel die Gottheit leicht versöhnen kann, da nimmt man auf die beleidigte Menschheit beim Sündigen keine Rücksicht; Ehre folglich und Schande hören dort auf, die Triebfedern des Handelns zu seyn, und bald verliert sich sogar jede richtige Bestim¬ mung dieser Begriffe. Was diese Menschen einander seyn können, lasse ich dahingestellt; aber ohne Geisteskräfte, die man bewundern, ohne Ausbildung, die man schätzen, ohne Herzen, die man lieben darf, sind sie dem Wanderer todt, der traurend eilt aus ihren Gränzen zu treten. Z 5 XXIII. Haag. W ir verliessen Antwerpen, wie wir hinein¬ gekommen waren, ohne dass man uns die gewöhnlichen Fragen im Thore vorgelegt hätte; auch hatte man uns auf der ganzen Reise durch Brabant, Hennegau und Flan¬ dern nur Einmal nach unseren Pässen ge¬ fragt. Ich will glauben, dass diese Sorglo¬ sigkeit unserm unverdächtigen Aufzug Ehre macht; denn man hat Beispiele genug, dass die neuen Souveraine von Belgien gegen den Charakter der durchreisenden Fremden nicht gleichgültig geblieben sind. Kaum waren wir eine Strecke gefahren, so befanden wir uns schon auf einer trauri¬ gen, weit ausgebreiteten Heide, wo das Auge nur am Horizont und in sehr grossen Entfer¬ nungen von einander etliche Kirchthürme entdeckte. Harte, dürre Gräser, Heidekraut, einzelne zerstreute Birken und kleine Grup¬ pen von jungen Fichten waren die einzigen Pflanzenarten dieser öden, sumpfigen, versan¬ deten Ebene, die uns lebhaft an gewisse Ge¬ genden des nördlichen Deutschlands und Preussens erinnerte. In Zeit von sieben Stunden befanden wir uns auf Holländischem Gebiet. Die Einwohner eines Dörfchens, wo man unsere Pferde füttern liess, hatten hässliche, scharfgeschnittene Physiognomien, die aber viel Munterkeit und Thätigkeit ver¬ riethen; insbesondere bemerkten wir einige flinke, rasche Dirnen, die sich des Kutschers und der Pferde mit gleichem Eifer annahmen und mit der Brabantischen Schlaffheit sehr zu ihrem Vortheile kontrastirten. Der sandige Weg ging auf dem Rücken eines hohen Dammes bis nach dem kleinen Städtchen Zevenbergen, welches unweit des Busens liegt, der hier den Namen Hollands Diep erhält. Nach allen Seiten hin öffnete sich uns jetzt eine freundliche Aussicht: an einer Stelle war der Horizont seewärts unbe¬ gränzt; die Menge der hin und her segeln¬ den kleineren und grösseren Fahrzeuge, die Fischerleute in ihren Kähnen, die Seevögel, die in grossen Zügen über der Fläche des Wassers kreuzten, die langen Weidenalleen, die darüber hinaus ragenden Kirchthurmspit¬ zen und rothen Dächer in der Ferne, mach¬ ten zusammen einen angenehmen Effekt. Zu Moerdyk, das nur aus wenigen Häusern besteht, fuhren wir über den Hollands Diep und erinnerten uns an die furchtbare Über¬ schwemmung im funfzehnten Jahrhundert, (1421) die hier einen Bezirk von zwei und siebenzig Dörfern verschlang, ein Meer an ihrer Stelle zurück liess und Dordrecht vom festen Lande trennte. Auch an den jungen Prinzen von Oranien, Johann Wilhelm Friso, erinnerten wir uns, der (1711) im vier und zwanzigsten Lebensjahr auf eben der Fahrt, die wir jetzt glücklich zurücklegten, ertrun¬ ken ist. Jenseits des Busens zerstreute der Anblick des ersten saubern Holländischen Dorfes diese trüben Erinnerungen. Reinliche, nette Häu¬ serchen, Strassen mit Kanälen durchschnitten, an den Seiten mit Linden bepflanzt und über¬ all mit Klinkern oder kleinen Backsteinen gleichförmig und niedlich, wie bei uns zu¬ weilen der Boden des Vorsaals, gepflastert, und was diesem Äussern entsprach, gesunde, gut gekleidete, wohlhabende Einwohner, ga¬ ben uns in Stryen das Zeugniss, dass wir auf dem Boden der wahren, nicht der einge¬ bildeten Freiheit, und im Lande des Fleisses angekommen wären. Drei starke, wohlge¬ nährte Pferde waren nöthig, uns auf dem schweren Wege fortzubringen, der an man¬ chen Stellen so tiefe Geleise hatte, dass wir dem Umwerfen nahe waren. Als wir aber hernach durch das Dorf Haaringsdyk fuhren, das wenigstens eine halbe Stunde lang und wie eine Tenne mit Klinkern gepflastert ist, freueten wir uns wieder des reizenden Wohl¬ standes, der uns auf allen Seiten anlachte, und des Landes, wo der Mensch seine Be¬ stimmung, des Lebens froh zu werden, er¬ reicht, wo der gemeinste Bauer die Vortheile einer gesunden und bequemen Wohnung ge¬ niesst, wo er auf dem beneidenswerthen Mit¬ telpunkte zwischen Noth und Überfluss steht. Kann man diese Menschen sehen und fragen, ob es besser sei, dass mit dem Blut und Schweisse des Landmannes, der in elenden Hütten sein kümmerliches Leben hinbringt, die stolzen Palläste der Tyrannen zusammen¬ gekittet werden? Nachdem wir über die so genannte alte Maas, vermuthlich ihr ehemaliges einziges, jetzt aber zu einem schmalen Arm geschwun¬ denes Bett, gekommen waren, befanden wir uns gegen zehn Uhr Abends an dem Ufer der eigentlichen Maas, zu Kattendrecht, wo wir die Stätte von Rotterdam durch eine unendliche Reihe von Laternen längs dem jenseitigen Ufer bezeichnet sahen. Die späte Stunde bewog uns indess, diesseits in einem kleinen, ländlichen Gasthofe zu bleiben, wo die einfache aber gesunde Bewirthung unserm müden, hungrigen und vom Nordostwinde beinahe vor Kälte starrenden Körper wohl zu Statten kam. Hier setzten wir uns um den gemeinschaftlichen Feuerherd, und freue¬ ten uns der altmodigen Simplicität des Haus¬ herrn und seiner Tischgenossen. Man be¬ willkommte uns mit Herzlichkeit, zog uns die Stiefeln ab und präsentirte jedem ein Paar Pantoffeln, die wenigstens dreimal schwerer als die Stiefeln waren. Die treu¬ herzige Güte des Wirthes bewog ihn, mir die besondere Gefälligkeit zu erweisen, seine Pantoffeln, weil sie schon ausgewärmt wären, von den Füssen zu ziehen, um sie meinem Gebrauch zu überlassen. Das geringste, was ich thun konnte, war wohl, mich zu hüten, dass ich ihn nicht merken liesse, seine gut gemeinte Höflichkeit könne nach den Sat¬ zungen der feinen Welt ihm vielleicht gar zum Verstoss ausgelegt werden. Was hatte ich auch zu befürchten in diesem Wohnort der Gesundheit und Reinlichkeit? Unsere eklen Sitten zeugen oft nur von ihrem grän¬ zenlosen Verderben. Die für lecker gehal¬ tenen Kibitzeier, nebst Seefischen und Kartof¬ feln, machten unsere Abendmahlzeit aus, wo¬ zu wir den Wirth seine Flasche Wein, die übrige Familie aber gutes Bier trinken sahen. Das Das Schlafzimmer, welches man uns ein¬ räumte, war zugleich das Prunkzimmer die¬ ser Leute. Auf allen Seiten und insbeson¬ dere über dem Kamin, waren eine Menge zierlich geschnitzter und bemalter Brettchen über einander befestigt, worauf die irdene Waare von Delft, sauber und zierlich in Reihen geordnet, die Stelle der schlechten Kupferstiche vertrat, womit man bei uns die Wirthsstuben zu verzieren pflegt. Dass ich den ersten schönen, warmen Frühlingsmorgen nicht vergesse, den wir auf unserer Reise noch genossen haben, bedarf keiner Entschuldigung bei den Vertrauten der heiligen Frühe. Könnte ich nur auch den Reichthum der Aussicht beschreiben, die wir, von der Morgensonne beleuchtet, aus unserm Fenster, über das kleine Gärtchen des Wir¬ thes hinaus, erblickten. Der lebendige Strom, fast eine Englische Meile breit, floss sanft II. Theil . A a vorbei in leichten, versilberten Wellen, und trug auf seiner Azurfläche das hundertfältige Leben der Schiffe, der Brigantinen, der Schnauen, der kleineren Fahrzeuge von aller Art, die hinauf- und hinabwärts, oder hin¬ über und herüber segelten und ruderten, mit mannichfaltiger Richtung, Schnitt und Anzahl ihrer Segel, langsam gegen die Fluth an, oder pfeilschnell mit Wind und Strom und Fluth zugleich sich bewegten, oder auch mit eingezogenen Segeln und schwanken Masten, malerisch gebrochen durch die Horizontal¬ linie der Raaen und den Wald von Tau¬ werk, in des Flusses Mitte vor Anker lagen. Jenseits, im Sonnenglanze, hoben sich nah und deutlich die Gebäude von Rotterdam über dem Wasser; der grosse, viereckige Pfarrthurm, die weitläufigen Admiralitätsge¬ bäude, der herrliche, mit hohen Linden auf eine Stunde Weges besetzte Damm, der das Ufer begränzt, die Menge zwischen den Häu¬ sern hervor ragender Schiffsmasten, die un¬ zähligen Windmühlen in und neben und jen¬ seits der Stadt, zum Theil auf hohen thurm¬ ähnlichen Untersätzen errichtet, um den Wind besser zu fangen; endlich, die Vor¬ städte von Landhäusern und Gärten, die links und rechts in langer Reihe längs dem Strome sich erstrecken! Wir eilten, uns über den Fluss setzen zu lassen, und brachten den Tag damit zu, die Stadt kennen zu lernen und sie ganz zu um¬ gehen, welches einer der angenehmsten Spa¬ ziergänge ist, die man sich denken kann. Der Umfang von Rotterdam ist mittelmässig, und seiner reinlichen Schönheit und Nied¬ lichkeit haben die Reisenden nur Gerechtig¬ keit widerfahren lassen. Wenn man sich seinen Wohnort wählen könnte, so käme die Strasse am Hafen und längs der Maas, A a 2 die so breit und mit majestätischen Ulmen und Linden so köstlich beschattet ist, gewiss unter die Zahl der Competenten, die mir die Wahl erschweren würden. Die Aussicht auf den Fluss ist wirklich so anlockend, dass man sich kaum daran satt sehen kann. Nach der Landseite hin bemerkten wir eine Menge Leinwandbleichen, eine grösser und schöner als die andere, und in der Stadt selbst freute uns das Gewühl am Hafen, auf den Strassen und in den Kanälen; abgehende, ankom¬ mende Schiffe, Hunderte von befrachteten Kähnen, grosse so genannte Prahmen, rei¬ henweis gestellt, um den Schlamm der Ka¬ näle aufzunehmen und sie schiffbar zu er¬ halten; Karren, Schleifen, Schiebkarren, Trä¬ ger, rollende Fässer, Ballen von Waaren, das Zeichen des Betriebes und der Handelsge¬ schäftigkeit; dann auf der kleinen, netten Börse und in den Kaffeehäusern umher, die ein- und ausströmenden Schaaren von Kauf¬ leuten, Mäklern, Schiffskapitainen und Fremd¬ lingen aus allen Welttheilen, ein Bild der friedlichen Vereinigung des Menschenge¬ schlechtes zu gemeinsamen Zwecken des frohen, thätigen Lebensgenusses! Hier war es nicht leicht möglich, an äusseren Merkmalen den tiefen, unheilbaren Verfall des Holländischen Handels zu erken¬ nen, der gleichwohl seit dem Jahre 1779 durch eine in ihrer Art einzige Reihe von Unglücksfällen beschleunigt worden ist. In den hundert Jahren, die seit der Ermordung der beiden grossen de Wits (1672) verflossen sind, hatten die wiederholten Kriege mit Ludwig dem Vierzehnten, und die unter Wilhelm dem Dritten und seinen Nachfol¬ gern so schnell empor wachsende Handels¬ grösse von England, die Einschränkung des Holländischen Handels allmälich bewirkt und A a 3 seinen jetzigen Verfall unmerklich vorberei¬ tet. Die Neutralität der Niederlande wäh¬ rend des siebenjährigen Krieges eröffnete ih¬ nen eine Zeitlang vortheilhaftere Aussichten, die sich mit noch grösseren Hoffnungen beim Ausbruch der Streitigkeiten zwischen Eng¬ land und seinen Kolonien erneuerten. Als Frankreich und Spanien sich für die Unab¬ hängigkeit von Nordamerika erklärten und Russland seine bewaffnete Neutralität ersann, der die Mächte des Europäischen Nordens so folgsam beitraten, stieg der Handelsflor der vereinigten Provinzen plötzlich auf eine Höhe, wo sie das Maass ihrer politischen Kräfte verkennen lernten. Die unvorsichtigen Ver¬ bindungen mit Frankreich reizten die Eng¬ lische Nation zu einem Kriege, wobei für sie augenscheinlich mehr zu gewinnen als zu verlieren war. Der Erfolg rechtfertigte die politische Notwendigkeit dieser Maassregeln. Funfzig Millionen Gulden an Werth, das Ei¬ genthum der Republik, waren in unbewaff¬ neten Kauffahrern auf dem Meere, und die grössere Hälfte dieser reichen Beute ward den Englischon Kapern und Kriegesschiffen zu Theil. St. Eustathius, Essequebo und Demerary fielen in Amerika, so wie Nega¬ patnam in Ostindien, den Engländern in die Hände, und das Brittische Kabinet hatte noch überdies einen so entschiedenen Einfluss in die Administration der Niederländischen Affairen, dass die nach Brest bestimmte Hol¬ ländische Hülfsflotte zum offenbaren Nach¬ theil des Staates nicht auslaufen durfte. Kaum war der demüthigende Friede mit England wieder hergestellt, so musste man dem Kaiser noch grössere Opfer bringen, um ihm das reklamirte Recht der freien Schelde¬ fahrt von neuem abzukaufen. Die Millionen, womit man ihn für seine Forderung entschä¬ A a 4 digte; die Millionen, welche die Zurüstung zu einem Landkriege verschlungen hatte; die lange Gewohnheit der reichen Kapitalisten, ihr baares Geld ausser Landes zu verleihen, anstatt es im vaterländischen Kommerz in Umlauf zu bringen; und mehr als alles noch, der verderbliche Nothbehelf während des Krieges mit England, unter fremder Flagge zu fahren, wodurch ein grosser Theil des Zwischenhandels in andere Kanäle kam und auf immer für Holland verloren ging: alles vereinigte sich, um nicht nur in den Schatz¬ kammern des Staates eine gänzliche Erschöp¬ fung zu verursachen, sondern auch den Still¬ stand der Geschäfte zu bewirken, und in der allgemeinen Trauer, in der erzwungenen Ruhe, die Erbitterung der Parteien, die ein¬ ander die Schuld beimassen, aufs Höchste zu spannen. Auf der einen Seite die hart¬ näckige Verblendung der Handelsstädte, wo¬ mit sie auf ihrem Bündniss mit Frankreich bestanden, ohne dessen nahen Sturz, durch die gänzliche Zerrüttung seiner Finanzen, vor¬ her zu sehen; auf der andern die strafbare Anmassung gewisser Staatsbeamten, die Al¬ lianz, die sie nicht mehr verhindern konnten, durch Ungehorsam gegen ihren Souverain, Verrath des nun einmal zum Staatsinteresse angenommenen Systems und widerrechtliche Versuche gegen die Freiheit der Verfassung selbst, allmälich zu untergraben: dies waren die Extreme, deren Wiedervereinigung sich ohne Blutvergiessen nicht länger vermitteln liess. Der Ausbruch des Bürgerkrieges und die bewaffnete Dazwischenkunft des Königes von Preussen füllten das Maass der Leiden, welche über die Republik verhängt zu seyn schienen, und raubten ihr, was die Versehen einer kurzsichtigen Staatskunst noch ver¬ schont hatten: den häuslichen Wohlstand A a 5 und den innern Frieden der Familien. Selbst nach dem Abzuge der Preussen verschlang die Überschwemmung vom Jahre 1788, welche von den im vorigen Jahre durchstochenen Dämmen nicht länger abgewehrt werden konnte, in vielen Gegenden von Holland die aus den Verwüstungen eines feindlichen Über¬ zuges mit Noth gerettete Habe; zwei andere Überschwemmungen, die auf jene noch im Jahre 1789 folgten, verursachten bei Gorkum und an anderen Orten einen Schaden von einer halben Million; und endlich forderte die Zerrüttung der öffentlichen Finanzen eine ausserordentliche Hülfe, welche durch die auferlegte Schatzung des fünf und zwanzig¬ sten Pfennigs erzwungen ward und wovon ein nicht geringer Theil in die Privatkassen der Partei geflossen ist, welche in diesem für Hollands Flor so unglücklichen Kampfe die Oberhand behalten hat. Die unweise Rache einer unvollkommenen Amnestie und die darauf erfolgten häufigen Auswanderungen vieler begüterten Familien vollenden dieses Gemälde der Zerstörung, dessen Folgen schon im nahen Untergange der Westindischen und dem fast eben so hülflosen Zustande der Ostindischen Kompagnie am Tage liegen Hierzu kam noch seit 1790 die Überschwemmung bei Rotterdam, und der Brand der Admiralitätsmagazine zu Amsterdam, imgleichen die Gefahr der Ostindischen Kompagnie und die Ernennung zweier fürstlichen Kommissarien nach Batavia. . Aber dem geduldigen, beharrlichen Fleisse voriger Generationen, ihrer Mässigkeit und Sparsamkeit, ihrem freien Sinne, ihrem tap¬ fern Muthe, ihren kühnen Unternehmungen und ihrer rastlosen Thätigkeit ist es gelun¬ gen, eine solche Masse von Reichthümern in ihrem selbst geschaffenen Vaterlande zu häu¬ fen und unsern Welttheil so sehr an ihren Waarentausch zu gewöhnen, dass noch jetzt, nachdem man überall mit dem in Holland erborgten Gelde einen eigenen Aktivhandel zu begründen versucht hat, jenes bewun¬ dernswürdige Phänomen der Handelsindustrie nicht aus den grösseren Städten gewichen ist. Noch sind die Holländer, wenn gleich in geringerem Maasse als sonst, die Mäkler von ganz Europa, und bestimmen die Ge¬ setze des Geldhandels; noch schreibt Amster¬ dam den handeltreibenden Nationen den Wechselkurs vor! Wir verliessen Rotterdam den folgenden Morgen, nachdem wir der Bildsäule des vor¬ treflichen Erasmus unsere Andacht gezollt hatten. Wenn sie gleich auf künstlerisches Verdienst keinen Anspruch machen kann, so freute sie uns doch als ein Beweis der Dankbarkeit, womit Rotterdam die Grösse seines gelehrten Mitbürgers erkannte und ehrte. Wir fuhren auf dem Kanal nach Delft, und sahen an demselben eine Bolto¬ nische Feuermaschine erbaut, um das Wasser aus den niedrigen Wiesen in den Kanal zu heben. Es sollten zwei solche Maschinen hier errichtet werden; aber nur Eine ist zu Stande gekommen, und hat ungefähr hun¬ derttausend Gulden gekostet. Linker Hand liessen wir das Städtchen Schiedam mit sei¬ nen zahlreichen Geneuwer- (oder Wachhol¬ derbranntwein-) Brennereien liegen. Man wollte uns versichern, dass gegen zweihun¬ dert Brennereien dort eingerichtet wären, welche täglich fünfhundert Oxhoft dieses Getränkes versendeten. So übertrieben diese Angabe scheint, so gewiss ist et doch, dass die Fabrikation und Consumption dieses Ar¬ tikels sehr beträchtlich bleibt, und den Reich¬ thum von Schiedam, als des einzigen ächten Brauorts, ausmacht. Das Verhältniss der Wachholderbeeren zur übrigen Gahre ist nicht bekannt; sie geben aber unstreitig dem Fruchtbranntwein beides Geschmack und Geist. Der Genuss dieses Branntweins, wovon der gemeine Mann in Holland so grosse Quantitäten verbraucht, muss auf die Leibeskonstitution zurückwirken; wie er aber wirke, können nur einheimische Ärzte nach einer durch viele Jahre fortgesetzten Beobach¬ tung entscheiden. In dem netten, freilich aber etwas stillen und erstorbenen Delft besuchten wir eine Fayencefabrik, deren die Stadt gegenwärtig nur acht besitzt, indem das Englische gelbe Steingut dem schon längst verminderten Ab¬ satz dieser Waare den letzten Stoss gegeben hat. Der Thon, sagte man uns, käme aus Brabant über Brüssel, ob man gleich den Ort nicht bestimmt anzugeben wusste. Der Ofen, als das Wichtigste, weil er dem Porzellan¬ ofen vollkommen ähnlich seyn soll, besteht aus drei Kammern über einander. In die mittlere wird das Geschirr in Muffeln ein¬ gesetzt, und in der untersten das Feuer an¬ gemacht. Die Flamme schlägt durch Löcher zwischen den Muffeln durch, und die oberste Kammer bleibt für den Rauch. So geschmack¬ los die Mahlerei und selbst die Form an die¬ ser Fayence ist, verdient sie doch manchen so genannten Porzellanfabriken in Deutschland vorgezogen zu werden, die oft die elendeste Waare um theuren Preis verkaufen und ge¬ wöhnlich zum Nachtheil der herrschaftlichen Kammern bestehen. Es blieb uns noch so viel Zeit übrig, dass wir die beiden Kirchen besehen honnten. In der einen dienen die Grabmäler der Ad¬ mirale Tromp und Pieter Hein zur Erinne¬ rung an die Heldentugenden dieser wackern Republikaner. Des Naturforschers Leuwen¬ hoeks Porträt in einem schönen einfachen Basrelief von Marmor, ihm zum Andenken von seiner Tochter gesetzt, gefiel mir in Ab¬ sicht auf die Kunst ungleich besser. In der andern Kirche prunkt das kostbare, aber ge¬ schmacklose Monument des Prinzen Wilhelm des Ersten von Nassau , unter welchem zu¬ gleich die Gruft der Erbstatthalter befindlich ist. Schön ist jedoch eine Viktorie von Erz, die auf einer Fussspitze schwebt. Vor weni¬ gen Jahren hat man auch dem edlen Hugo de Groot (oder Grotius ) hier ein Denkmal errichtet. Wir kamen zur Mittagszeit im Haag an, und benutzten das Inkognito, wozu das Aus¬ bleiben unseres Gepäckes uns nöthigte, um das am Meere gelegene Dorf Scheveningen nach Tische zu besuchen. Sobald man zum Thore hinaus ist, — denn der Haag ist eine Stadt, und hat seine Barrieren, so wie seine Mu¬ Municipalität, wenn gleich die Reisenden einander beständig nachbeten, es sei das schönste Dorf in Europa, — also, wenn man zum Thor hinaus ist, befindet man sich in einer schönen, schnurgeraden Allee von grossen schattigen Linden und Eichen, die durch ein Wäldchen bis nach Scheveningen geht, und wo die Kühlung im Sommer köst¬ lich seyn muss. Der Anblick des Meeres war diesmal sehr schön; so still, und uner¬ messlich zugleich! Am Strande suchten wir jedoch vergebens nach naturhistorischen Sel¬ tenheiten; die Sandhügel waren leer und öde. Wir konnten uns nicht einmal von der Behauptung einiger Geologen vergewis¬ sern, der zufolge ein Thonlager unter dem Sande liegen soll. Das Meer, welches in Holland überhaupt nichts mehr ansetzt, hat im Gegentheil hier einen Theil vom Strande weggenommen, und die Kirche, die sonst II. Theil . B b mitten im Dorfe lag, liegt itzt ausserhalb desselben unweit des Meeres. Die vier Rei¬ hen von Dünen, etwa eine halbe Viertel¬ meile weit hinter einander, die man hier deutlich bemerkt, unterscheiden sich durch verschiedene Grade der Vegetation, welche sich in dem Maasse ihrer Entfernung vom Meere und des verringerten Einflusses der Seeluft vermehrt. Auf den vordersten Dünen wächst fast nichts als Schilf und Rietgras, nebst einigen Moosen und der gemeinen Stechpalme; da hingegen die entfernteren schon Birken, Pfriemen, den Sanddorn ( Hip¬ pophae ) und mehrere andere, freilich aus Mangel der Nahrung immer noch zwergar¬ tige Pflanzen hervorbringen. Der Nähe der Seeluft glaube ich es auch zuschreiben zu müssen, dass hier (im Haag) noch alle Bäume mit völlig verschlossenen Knospen nackt da standen, indess wir sie in Flandern und selbst in Rotterdam schon im Ausschlagen begriffen gefunden hatten. Die Argumente also, welche man von den verschiedenen Stufen des Pflanzenwachsthumes zu entlehnen pflegt, um die Entstehung der Dünen aus dem Meere selbst, das ihnen jetzt zu drohen scheint, darzuthun, fanden diesmal bei uns wenig Eingang, und wir fühlten uns geneigt, die Bildung dieser Sandhaufen so unentschie¬ den zu lassen, wie die Frage, ob ihr Sand bei Kattwyk, wo sich der Rhein verliert, so viel Gold enthalte, um die Kosten einer Wäsche für Rechnung des Staates, wie man behauptet hat, mit einigem Gewinn zu ver¬ güten? Unter diesen und ähnlichen Betrach¬ tungen wanderten wir zur Stadt zurück, ohne ein anderes Abentheuer, als den Anblick der heimkehrenden Fischweiber, die uns begeg¬ neten und die unmöglich irgendwo ver¬ wünschter oder hexenmässig hässlicher und unfläthiger aussehen können. B b 2 XXIV. Haag. Was man von der anmuthigen Lage dieses Ortes und den übrigen Vorzügen sagt, die ihn zum angenehmsten Aufenthalt in den ver¬ einigten Provinzen machen, ist keinesweges übertrieben. Die Gegend um die Esplanade und unweit derselben zeichnet sich durch grosse, bequeme und zum Theil prächtige Wohnhäuser aus, wovon einige beinahe den Namen Palläste verdienen. Die Reinlichkeit und eine gewisse, bis auf die kleinsten Be¬ quemlichkeiten sich erstreckende Vollständig¬ keit der äussern und innern Einrichtung, welche jederzeit den sichersten Beweis von Wohlhabenheit, verbunden mit einem feinen Sinn für Eleganz und Genuss des Lebens giebt, verschönern selbst die einfacheren Ge¬ bäude. Unter den hochbewipfelten Linden, die oft in mehreren Reihen neben einan¬ der stehen und der Stadt einen ländlichen Schmuck verleihen, geht man fast zu allen Jahrszeiten trocknes Fusses spazieren, und die Aussicht von der Strasse nach dem freien Felde, wo gewöhnlich die hiesige Garnison ihre kriegerischen Frühlingsübungen hält, er¬ quickt besonders jetzt das Auge durch das frisch hervorkeimende Grün der fetten Wie¬ sen, die von allen Seiten ein hochstämmiger, reizender Lustwald umfängt. Rings umher ist die Natur so schön, wie ein vollkommen flaches Land sie darbieten kann, und selbst mit dem verwöhnten Geschmack, den ich aus unseren Rheinländern mitgebracht habe, muss ich bekennen, dass die hiesige Land¬ schaft einen eigenthümlichen, grossen, wenn gleich keinesweges romantischen Charakter hat. Die Volksmasse im Haag ist so gemischt, B b 3 dass man es kaum wagen darf, den Schluss von ihrer Lebensweise, ihren Sitten und ih¬ ren Anlagen auf die Holländische Nation zu machen. Zu meinem grossen Vergnügen be¬ merkte ich jetzt fast gar keine Bettler auf den Strassen, die vor zwölf Jahren so stark damit besetzt waren, dass ein Fussgänger sich des Unwillens über ihre Zudringlichkeit kaum erwehren konnte. Desto auffallender ist ge¬ genwärtig das zahlreiche Militaire; den gan¬ zen Morgen manoeuvriren die verschiedenen Regimenter unter unsern Fenstern; den gan¬ zen Tag über hat man sie beständig vor Au¬ gen, und man kommt in keine Gesellschaft, wo man nicht Officiere sieht. Solchergestalt ist wenigstens die neuerdings befestigte Frei¬ heit sehr gut bewacht! Auch trägt man hier allgemein ihr Siegeszeichen, die Orangeko¬ karde, oder ein Band von dieser Farbe im Knopfloch, und der Pöbel duldet keinen Menschen ohne dieses Symbol der Confor¬ mität auf der Strasse. In den Sitten und der Lebensweise herrscht, ungeachtet der Residenz eines Hofes, noch manche Spur der alten republikanischen Ein¬ falt und Tugend. Die späte Stunde der Mittagsmahlzeit scheint durch die Verbin¬ dungen und Beziehungen der vornehmeren Einwohner mit dem Prinzen, den Versamm¬ lungen der Generalstaaten und der höheren Dikasterien allmählig Sitte geworden zu seyn. In den meisten Häusern isst man nicht vor drei Uhr, in den vornehmeren erst um vier; die arbeitende Klasse der Bürger macht in¬ dess hier, wie überall, eine Ausnahme, weil sie fester am alten Brauche hängt und im Grunde auch die Zwischenräume ihrer Mahl¬ zeiten nach der Erschöpfung des Körpers ab¬ messen muss. Die Tafel wird in den besten Häusern mit wenigen, gut zubereiteten Spei¬ B b 4 sen besetzt, und, so viel ich höre, hat das Beispiel der auswärtigen Gesandten und ein¬ zelner Familien des begüterten Adels den prassenden Aufwand und die leckere Ge¬ frässigkeit unseres Jahrhunderts noch nicht eingeführt. Das gewöhnliche Getränk bei Tische ist rother Wein von Bordeaux, des¬ sen man sich doch mit grosser Mässigkeit bedient, theils weil man mehrere Stunden bei der Mahlzeit zubringt, theils auch, weil zwischen den Mahlzeiten bei der Pfeife Wein getrunken wird; denn diese behält durchge¬ hends ihre Rechte und ist kaum noch aus einigen der ersten Häuser verbannt. Viel¬ leicht wird sie bei der hiesigen feuchten, nebeligen Seeluft nöthiger und zuträglicher oder wenigstens unschädlicher als ander¬ wärts, so sehr sie auch die Zähne verdirbt. Schwarze Zähne sieht man aber auch bei dem Frauenzimmer; sie werden vielleicht mit Unrecht auf Rechnung des täglich zwei¬ maligen Theetrinkens gesetzt, da die hiesige alkalescirende Diät mir weit eher die Schuld zu tragen scheint. Nun ich einmal des Frauenzimmers er¬ wähnt habe, erwartest Du wohl ein Wort zur näheren Bezeichnung desselben; allein ich beziehe mich auf meine vorige Bemer¬ kung: die gemischte Race im Haag gestattet mir kein allgemeines Urtheil. Die vielen, durch die Verbindungen des Hofes hieher gebrachten fremden Familien, die Französi¬ sche reformirte Kolonie und die Mischungen der Niederländer selbst aus allen Provinzen tragen auf eine fast nicht zu berechnende Art dazu bei, den hiesigen Einwohnern eine mehrentheils angenehme, wenn auch nicht charakteristisch nationale Gesichtsbildung zu geben. Die Französische Mode herrscht übri¬ gens, wie bei uns, mit unumschränkter Ge¬ B b 5 walt, und bestimmt die Bestandtheile, die Form und den Stoff des Anzuges. Bei der Mittelklasse scheint der Luxus nach Verhält¬ niss des Ortes und der Umstände sich noch ziemlich in Schranken zu halten; hier sah ich die Englischen grossen Baumwollentücher oder Shawls in allgemeinem Gebrauch. Die Weiber aus der geringen Volksklasse und die Mägde erscheinen dagegen in einem den Fremden äusserst missfälligen Costume. Ein kurzes, öfters weisses Mieder, dessen Schösse, wenn es deren hat, nicht zum Vorschein kommen, bezeichnet ungefähr die Holländi¬ sche, zum Umspannen nicht gemachte Taille; allein die Anzahl der Röcke und ihre Sub¬ stanz geben diesem Anzug etwas Ungeheures, so dass die untere Hälfte des Körpers, von den Hüften bis an die Waden, in einer Art von kurzer, dicker Tonne zu stecken scheint. Auf dem Kopfe eine dicht anschliessende Haube und bei den Landleuten darüber ein Strohhut, der um Rotterdam hinten gar kei¬ nen Rand, im Haag hingegen rundum ei¬ nen gleich breiten Rand hat, aber jederzeit mit dunkelfarbigem bunten Kattun gefüttert ist, vollenden diesen Anzug. Die Tracht der Mannspersonen ist weniger ausgezeichnet und fast allgemein von der grössten Simplicität. Das Volk hat eine Vorliebe für die braune Farbe; fast alle Schifferjacken und Schiffer¬ hosen sind von braunem Tuch oder Boy. In der Klasse der Handwerker und Krämer sind grosse Perücken noch sehr gebräuchlich, und man sieht oftmals einen ehrbaren Bür¬ ger, der mit einem spitzen dreieckigen Hut auf der grossen, runden Perücke und in ei¬ ner blossen Weste mit Ärmeln gravitätisch über die Strasse geht. Es wird uns schwer werden, wieder von hier wegzukommen; die Stunden gehen uns schnell wie Minuten hin, theils indem wir alle Sehenswürdigkeiten der Natur und Kunst in Augenschein nehmen, theils indem wir aus einer Gesellschaft in die andere gerathen, wo zwanglose Gastfreundschaft herrscht und die Forderungen eines an Geistesgenuss ge¬ wöhnten Reisenden in vollem Maasse befrie¬ digt werden. Die Annehmlichkeit und Leich¬ tigkeit der Haager im Umgang verräth den Einfluss des Auslandes und des Hofes; allein der gebildete, lehrreiche Ton des Gespräches versetzt sie auf eine höhere Stufe sowohl der Anlagen als der Bildung, und giebt ihren Zirkeln gleichen Rang mit den gebildetsten in England und Frankreich. In gewisser Rücksicht haben sie vielleicht vor beiden einigen Vorzug; man wird weder durch Leichtsinn und sprudelnden Witz, noch durch düstere Zurückhaltung und Taciturni¬ tät in Verlegenheit gesetzt. Ein grosser Reichthum von Ideen aller Art, hauptsächlich der statistischen und politischen, doch auch zugleich der im engern Verstande wissen¬ schaftlichen, ist in beständigem Umlauf; vor¬ züglich sind hier, und überhaupt in Holland, naturhistorische Kenntnisse nebst klassischer und humanistischer Gelehrsamkeit allgemei¬ ner als in manchen anderen Ländern ver¬ breitet. Den Plato , nicht etwa nur der hiesigen akademischen Schattengänge, sondern unseres Jahrhunderts, den eleganten und gelehrten Hemsterhuis , fanden wir sterbend und konn¬ ten ihn nicht mehr besuchen Er ist kurz nach unserer Abreise gestorben. . Wenn es noch eines Beweises bedürfte, dass Feinheit der Empfindung, Reichthum und Wahl der Ideen, Politur des Geschmackes, verbunden mit der Fertigkeit und den subtilen Stacheln des ächten Witzes, mit der lichtvollen Ord¬ nung einer herzlichen Philosophie und dem Dichterschmuck einer Alles verjüngenden Ein¬ bildungskraft, nicht an irgend eine Erdscholle gebunden sind, so würde wenigstens ein Mann, wie dieser, beweisen, dass Holland nicht aus der Zahl der Länder ausgeschlos¬ sen ist, wo die edelsten Kräfte und die zar¬ testen Empfänglichkeiten der menschlichen Natur den höchsten Punkt ihrer Entwicke¬ lung erlangen und die reifsten Früchte brin¬ gen können. Der Geist, der in diesem schwachen Körper wohnt, ist so empfindlich für Harmonien aller Art, und leidet so im eigentlichen Verstande bei jedem Missverhält¬ niss in der sinnlichen, wie in der sittlichen Natur, dass er sich sogar seiner vaterländi¬ schen Mundart nicht zum Vehikel seiner Ge¬ danken bedienen konnte, sondern alle seine Werke Französisch schrieb und auch diese Sprache zu seinen Zwecken gleichsam um¬ bildete, indem er ihr seinen eigenen Styl aufdrang. Seine Schriften sind unter uns weniger bekannt, als sie es verdienen; allein man muss sie in der Ursprache lesen, wenn man von ihrer Attischen Eleganz, die oft nur ein unnachahmlicher Lebenshauch ist, nichts verlieren will. Petrus Camper , einer der merkwürdigsten Männer, welche die Niederlande hervorge¬ bracht haben, war durch einen unzeitigen Tod wenige Wochen vor unserer Ankunft seinem Freunde Hemsterhuis vorangegangen. Seine ausnehmenden Verdienste um die Na¬ turgeschichte, die Anatomie und Wundarznei¬ kunst sind allgemein bekannt; die Universa¬ lität seiner Kenntnisse und Fähigkeiten, und insbesondere sein richtiger Sinn für das Schöne der Kunst, sind es schon weniger. Er bossirte, wusste den Bildhauermeissel zu führen, malte in Ölfarben und zeichnete ausserordentlich fertig mit der Feder. Er schrieb in vier Sprachen und arbeitete nicht nur mit unermüdeter Thätigkeit, sondern auch mit einem Feuer, dessen nur wahres Genie fähig ist. An seinem Beispiele konnte man abnehmen, was sich für die Wissen¬ schaften ausrichten lässt, sobald eifriger Wille und hinreichende Mittel zusammen¬ treffen. Ihm verdankt man in Holland die Einführung der Blatternimpfung und der in jenem Lande nicht minder wichtigen Im¬ pfung der ansteckenden Krankheit, die das Hornvieh hinwegrafft; sein rastloser Eifer bestritt und seine Kuren besiegten das thö¬ richte Vorurtheil, welches die Vorsorge für die Gesundheit für einen Eingrif in die Rechte der Vorsehung hielt, wie man in der Türkei vor Zeiten das Löschen bei einem Brande anzusehen pflegte, bis die Erfahrung gelehrt hatte, dass die Vorsehung in allen diesen diesen Fällen auf die Anwendung der gesun¬ den Vernunft mitgerechnet habe, und eben sowohl den Menschen, wie die Elemente und die Krankheitsmiasmen, zu ihren Werkzeugen gebrauche. Wenn Camper in irgend einer wichtigen Untersuchung begriffen war, konn¬ te nur die Unmöglichkeit ihn hindern, sie durchzuführen; weder kleine noch grosse Hindernisse, wenn sie nicht unübersteiglich waren, schreckten ihn zurück, und wenn es ihm darauf ankam, ein Paar Gerippe von Thieren mit einander zu vergleichen, achtete er die Entfernung von London und Paris für nichts. Reisen überhaupt, diese grosse, un¬ vergleichbare Quelle der sichersten Belehrung durch die eigenen Sinne, suchte er, so weit es anging, mit seinen Geschäften zu verein¬ baren. Bei der brennenden Begierde das Gute, oder was er dafür hielt, zu wirken, war ihm die wissenschaftliche und selbst die II. Theil . C c praktisch medizinische Laufbahn zu enge. Er besass ein eigenes Vermögen von einer halben Million, und konnte folglich in die¬ ser Rücksicht den Hof entbehren; allein er opferte dem Ruhm und der Ehre, mit einem Geiste, der freilich auch diese Leidenschaft adeln kann; und sowohl seine Bekanntschaft mit den inneren Angelegenheiten seines Va¬ terlandes, als seine auswärtigen Verbindun¬ gen, empfahlen ihn zu wichtigen Ämtern im Staate. In seiner Provinz Friesland hatte er Sitz und Stimme im Admiralitätskollegio, und gleich nach der Rückkehr des Erbstatt¬ halters, dessen Rechte er eifrig verfochten hatte, ward er zum Mitglied des hohen Staatsrathes ( Raad van Staaten ) ernannt. Diese Anhänglichkeit an die Oranische Par¬ tei hätte indess für die Wissenschaften eine sehr nachtheilige Folge haben können. Schon wollte man in Franeker sein Haus zu Klein Lankum, wo er die unschätzbarste Präpara¬ ten- und Naturaliensammlung besass, mit Kanonen in den Grund schiessen. In der Eile wurden die kostbarsten Stücke in Kisten gepackt oder vielmehr geworfen und fortge¬ schafft oder auch zum Theil vergraben. Als die Gefahr vorüber und die Ruhe wieder hergestellt war, strafte er seine Landsleute dadurch, dass er ihnen seine Gegenwart und sein berühmtes Kabinet entzog. Diese lehrreiche Sammlung haben wir hier mehrere Tage nach einander mit Bewil¬ ligung seines jüngsten Sohnes, des jetzigen würdigen Besitzers, sehr fleissig studirt, ob sie gleich für den Zergliederer, den Arzt, Wundarzt und Naturforscher Beschäftigung und Belehrung auf viele Wochen gewähren kann. Sie ist vorzüglich reich an solchen seltenen Stücken und Präparaten, welche die Funktionen der Theile des menschlichen C c 2 Körpers durch die Vergleichung mit ähnli¬ chen, aber anders proportionirten Theilen verschiedener Thiere erläutern. So manche Einrichtung in der menschlichen Organisation musste unerklärbar bleiben, bis ihr Nutzen an irgend einem Thiere, welches sie etwa in einem eminenteren Grade besass oder wo sich deutlicher die übrige Gestalt und Be¬ schaffenheit des Körpers darauf zu beziehen schien, endlich offenbar ward und somit in der Behandlung gewisser Krankheiten ein neues Licht aufging. Zur Geschichte der Krankheiten, so fern ihre materielle Veran¬ lassung an gewissen Theilen der Eingeweide sichtbar ist, hatte Camper viele der seltensten Präparate aufbewahrt, und mit nicht gerin¬ gerem Fleiss und Glück auch die Abarten der Menschengattung durch die abweichende Bildung ihrer Schedel zu erläutern gesucht Den Beweis hiervon giebt die so eben herausgekom¬ , wiewohl seine Sammlung in diesem Betracht weder so zahlreich ist, noch so viele Natio¬ nen in sich fasst, wie das Museum der Göt¬ tingischen Universität. Die Aufmerksamkeit auf den Knochenbau der Thiere, den man bisher zu sehr vernachlässigt hatte, ist seit kurzem fruchtbar an Entdeckungen gewesen. Zum erstenmal bewunderte ich hier die grosse Verschiedenheit des kleinen Orangutangs von dem grossen, dessen Ankunft aus Borneo mir der selige Camper selbst vor mehreren Jah¬ mene Schrift: Peter Camper über den na¬ türlichen Unterschied der Gesichtszüge in Menschen verschiedener Gegenden und verschiedenen Alters; über das Schöne antiker Bildsäulen und geschnittener Stei¬ ne; nebst Darstellung einer neuen Art, allerlei Menschenköpfe mit Sicherheit zu zeichnen. Nach des Verfassers Tode herausgegeben von seinem Sohne, Adrian Gilles Camper. Übersetzet von S. Th. Söm¬ merring. Mit zehn Kupfertafeln. 4. Ber¬ lin, 1792. C c 3 ren mit Frohlocken gemeldet hatte. Dieses Thier, das über vier Fuss hoch wird, kommt in einigen Stücken dem Menschen noch nä¬ her, als der kleine, gewöhnliche Orang¬ utang; hingegen weicht es in andern wieder mehr ab und geht in die Paviansgestalt über. Alles an seinem ungeheuren Schedel zeugt von Riesenstärke: der aufstehende Rand auf der Scheitel und über den Augenhöhlen, woran die Schläfemuskeln gesessen haben, das furchtbare Gebiss und die gewaltigen Kinnbacken, welche zur Vertheidigung gegen die grössten Tiger völlig hinreichend zu seyn scheinen. Das Schaltbein des Oberkiefers, ( os intermaxillare ) welches keinem Thiere fehlt, war hier so verwachsen, dass man es schlechterdings nicht erkennen konnte. Ne¬ ben dieser Asiatischen Seltenheit will ich nur noch einer Afrikanischen erwähnen, nämlich eines Affen oder eigentlich einer Meerkatze mit einer langen Nase; zum Be¬ lage der Behauptung, dass auch dort, wo die Analogie und die Bildung des Schedels eine solche Conformation dieses Theiles höchst unwahrscheinlich machen, die Natur dennoch eine Gestalt ausprägen kann, deren Möglich¬ keit wir erst zugleich mit ihrer Wirklichkeit aus der Erfahrung lernen müssen. Ich über¬ gehe den Unterschied zwischen dem Asiati¬ schen einhörnigen und dem Afrikanischen zweihörnigen Nashorn, der hier an den bei¬ den Schedeln, unter andern auch darin so auffallend ist, dass diesem die Schneidezähne gänzlich fehlen, die jenes besitzt. Eben so wenig will ich Dich mit dem so offenbaren specifischen Unterschiede zwischen dem Asia¬ tischen und Afrikanischen Elephanten, zwi¬ schen den Bären, die wir jetzt kennen, und jenen wenigstens viermal so grossen, deren Gerippe man aus den Höhlen im Bayreuthi¬ C c 4 schen aufgegraben hat, zwischen dem furcht¬ baren, unbekannten Thier, das ehemals am Ohio in Nordamerika existirte, und von des¬ sen Knochen man in diesem Kabinet einige schöne Stücke antrift, und dem kaum halb so grossen Elephanten, länger aufhalten. Der jüngere Camper hat diesem Kabinet noch eine prächtige, zum Theil auf seinen eigenen Reisen zusammengebrachte Mineraliensamm¬ lung einverleibt; auch besitzt er noch den unschätzbaren Nachlass von seines Vaters Handschriften, Zeichnungen, Kupferplatten und zum Drucke fertig liegenden Schriften, die der wahrhaft grosse Mann aus keiner andern Absicht zurücklegte, als um seiner Arbeit immer noch grössere Vollständigkeit zu geben. Der jetzige Besitzer des Kabinet¬ tes geht in wenigen Wochen damit nach Friesland auf sein Landgut zurück, weil ihm der Aufenthalt im Haag zu kostbar scheint; ein Umstand, der zugleich den Maassstab der hiesigen Theurung und des hiesigen Auf¬ wandes giebt. Lyonnets vortrefliches Conchylienkabinet hatte ich schon vor zwölf Jahren gesehen; jetzt hatte es seinen grössten Werth für uns verloren, denn der Sammler selbst, der un¬ nachahmliche Zergliederer der Weidenraupe, der ihre drittehalbtausend Muskeln zählte und das Werk vieler Jahre, die vollständige, bis an die äussersten Gränzen sowohl der menschlichen Sehkraft als des geduldigen Fleisses getriebene Untersuchung dieses In¬ sekts, mit eigener Hand in Kupfer ätzte, der berühmte Lyonnet , ist nicht mehr. Seine be¬ wundernswürdigen Arbeiten waren nur die Frucht seiner Nebenstunden; den General¬ staaten diente er als geheimer Sekretair und Déchiffreur. Allein man respektirt in repu¬ blikanischen Verfasssungen den individuellen C c 5 Charakter der Menschen und ihr freies Be¬ ginnen, anstatt mit dem Despotismus von dem falschen Grundsatz auszugehen, dass die Menschen nur für den Staat geschaffen und als Räder in der Maschine anzusehen sind, die ein Einziger bewegt. Daher ist dort dem Staate selbst die Musse der Beamten heilig, während man in Despotien so viele traurige Beispiele sieht, dass sie ohne Rast, und mit Aufopferung ihrer Individualität, ihrer Nachtruhe und ihrer Gesundheit das schwere Joch der Staatsgeschäfte tragen und als blosse Werkzeuge ihren Verstand, ihr Herz und ihren Willen verläugnen müssen. Wenn die wissenschaftliche Aufklärung hier grosse Fortschritte gemacht hat und ei¬ nige wissenschaftliche Begriffe mehr als an¬ derwärts in Umlauf gekommen sind, so darf man nicht vergessen, wie viel das Beispiel einzelner Männer dazu beitragen kann, wenn entweder ihr Charakter Achtung einflösst oder ihr Standpunkt die Augen Aller auf sie richtet. Ausser dem Einfluss, welchen Hem¬ sterhuis , Camper und Lyonnet auf ihre Lands¬ leute behaupteten, hat der Eifer, womit der ehemalige Russische Gesandte, Fürst Dimitri Gallizin , sich mehrere Jahre lang in allen Zweigen der Physik und neuerdings in der Mineralogie die gründlichsten Kenntnisse er¬ warb, unstreitig viel gewirkt, um sowohl die¬ sen Wissenschaften selbst, als denen, die sich ihnen widmeten, in den Augen des hiesigen Publikums einen günstigen Anstrich zu ge¬ ben. Das Mineralienkabinet des Fürsten ent¬ hält die Sammlung eines Kenners, der haupt¬ sächlich dasjenige aufbewahrt, was in seiner Art selten und seiner Beziehungen wegen lehrreich ist. Wir bewunderten darin ein anderthalb Fuss langes Stück von dem seit kurzem erst wieder bekannt gewordenen beugsamen Sandstein des Peiresk , der aus Brasilien gebracht wird, und wurden durch die Experimente des Fürsten überzeugt, dass die decomponirten Granitarten des Sieben¬ gebirges bei Bonn, noch stärker als Basalte vom Magnet gezogen werden. In der Mine¬ raliensammlung der Herren Voet , Vater und Sohn, überraschte uns nicht nur die Schön¬ heit und Auswahl der Stufen, sondern auch die hier ganz unerwartete Vollständigkeit. Ich nenne zuletzt ein Museum, welches in jeder Rücksicht die oberste Stelle ver¬ dient, und in der Welt kaum zwei oder drei Nebenbuhler hat, die man ihm mit einigem Recht an die Seite setzen kann: das wahr¬ haft fürstliche Naturalienkabinet des Prinzen von Oranien . Wenn man bedenkt, wie weit die Anlegung einer Sammlung von dieser Art die Kräfte des reichsten Privatmannes über¬ steigt, wie leicht hingegen ein Fürst, auch nur mit mässigen Einkünften, sich statt eines andern Vergnügens dieses Verdienst um die Wissenschaften erwerben kann, und endlich, wie unentbehrlich diese Anhäufungen aller bekannten Erzeugnisse des Erdbodens, zur allgemeinen Übersicht, zur zweckmässigen Anordnung, zur speciellen Geschichte der einzelnen Naturkörper und folglich zur Ver¬ vollkommnung der ersten, unentbehrlichsten unserer Kenntnisse sind; so erstaunt man, wie es möglich ist, dass so viele Privatper¬ sonen den Versuch gewagt haben, sich ein Naturalienkabinet zu sammeln, und dass im Ganzen genommen die Potentaten gegen die¬ sen wichtigen Zweig ihrer Pflichten so gleich¬ gültig haben bleiben können. Freilich mag die widersinnige, oder, dass ich richtiger schreibe, die negative Erziehung, die man den meisten Fürsten giebt, wohl Schuld dar¬ an seyn, dass ihre Begriffe von der Wich¬ tigkeit, dem Nutzen und der Nothwendigkeit der Dinge sehr oft mit denen, die andere vernünftige Menschen darüber hegen, in of¬ fenbarem Gegensatz stehen. Wie dem auch sei, so trift der Vorwurf jener Sorglosigkeit keinesweges den hiesigen Hof. Die Pracht, die Seltenheit, die Auswahl, der Aufputz und die sorgfältige Unterhaltung der Naturalien des Erbstatthalterischen Kabinets fallen nicht nur beim ersten Anblick auf, sondern die Bewunderung steigt, je länger und genauer man es untersucht. Die Geschenke, welche der Prinz zuweilen von den Gouverneuren der verschiedenen Holländischen Besitzungen in Indien erhält, so ansehnlich sie auch sind, verschwinden in der Menge und Mannigfal¬ tigkeit dessen, was für seine Rechnung aus allen Welttheilen hinzugekauft worden ist. Das mühsame Geschäft, ein so berühmt ge¬ wordenes Museum an einem von Reisenden so frequentirten Orte täglich vorzuzeigen, würde bald, da es ganz auf Einem Manne ruht, dem überdies die Sorge für die Erhal¬ tung und Vermehrung des Ganzen übertra¬ gen ist, die Kräfte dieses Einen erschöpfen, wenn man nicht zwischen dem grossen gaf¬ fenden Haufen und dem Naturforscher von Profession einen Unterschied machte. Die gewöhnlichen Neugierigen eilen hier, wie im Brittischen Museum zu London, in Zeit von zwei Stunden durch die ganze Ensilade von Zimmern. Gelehrte hingegen haben freien Zutritt, so oft und so lange sie wollen: eine Erlaubniss, die man zuweilen mit Unbeschei¬ denheit gemissbraucht hat, der wir aber auch schon die wichtigsten Aufschlüsse, zumal im Fache der Thiergeschichte, verdanken. Hier war es, wo Pallas zuerst den Grund zu sei¬ nem nachmaligen Ruhm als Naturforscher legte. Herr Vosmaer führte uns freundschaft¬ lich zu verschiedenenmalen in diesem rei¬ chen Tempel der Naturwissenschaft umher, und zeigte uns auch die neu hinzu gekom¬ menen Stücke, die noch nicht an ihrem be¬ stimmten Orte aufgestellt waren, wie z. B. das Skelet eines der grössten Krokodile aus dem Nil, und auf dem Boden das Gerippe des Camelopardalis der Alten oder der Gi¬ raffe der Neuern, dieses seltsamen Thieres, das mehr einem Traum der Einbildungskraft, als einem Glied in der Naturkette ähnlich sieht, und von dessen Trab, wie man sagt, der Springer im Schachspiel seinen Gang entlehnt. Sein ungeheuer langer Hals, der vorzüglich dazu beiträgt, ihm eine Höhe von achtzehn Fuss zu geben, besteht doch nur, wie bei allen vierfüssigen, säugenden Thie¬ ren, aus sieben Wirbeln; so streng beobach¬ tet die Natur selbst in ihren excentrischen Gestalten das Gesetz der Analogie. Von dem dem grossen Orangutang, wovon Camper bloss den Schedel besitzt, enthält das fürstliche Museum das vollständige Gerippe mit unge¬ heuer langen Armen, wie der bekanntere langarmige Affe, ( Gibbon , Golok oder Lar .) Es wäre thöricht, in Ernst das Merkwür¬ digste aus einem Kabinet ausheben zu wol¬ len, wo dem Naturforscher alles merkwürdig ist, und wo man dem Nichtkenner mit leich¬ ter Mühe jedes einzelne Naturprodukt von einer wichtigen und interessanten Seite dar¬ stellen kann; es wäre unmöglich und ermü¬ dend zugleich, das lange Verzeichniss des ganzen Vorraths abzuschreiben. Genug, das Kabinet, wo man mit Vergnügen die Nas¬ hörner und Flusspferde neben dem kleinsten Spitzmäuschen und Kolibritchen bemerkt, und wo, des grossen, schon vorhandenen Reichthums ungeachtet, noch immer für neue Vermehrungen gesorgt wird, verdient in II. Theil . D d jeder Rücksicht die Aufmerksamkeit des Di¬ lettanten und des Kenners. Die Menagerie des Prinzen im Loo hat den Fehler einer unge¬ sunden Lage, und dient daher zu wenig mehr, als zur Pflanzschule für das Naturalienkabinet. Ich könnte Dir jetzt noch etwas von den Versammlungszimmern der Generalstaaten und der hohen Dikasterien, im alten Schloss, im Oraniensaal, u. a. O. sagen, wenn ich nicht Vorkehrungen zu unserer Abreise treffen müss¬ te, die noch diese Nacht vor sich gehen soll. Ein wahrer Deus ex machina ist herabge¬ fahren, um die Bande zu lösen, die uns an den Haag gefesselt hielten. Morgen um zwölf Uhr stehen wir auf dem Admiralitätswerft in Amsterdam, und sehen den neuen Triton vom Stapel laufen; kaum bleibt uns so viel Zeit, dass wir von jedermann Abschied nehmen und uns über den Schmerz der allzu frühen Trennung beklagen können. XXV. Amsterdam. I n einer Nacht hat sich unser Schauplatz so sehr verändert, dass nichts gegenwärtig Vor¬ handenes eine Spur des gestrigen in unserm Gedächtniss weckt. Wir leben in einer an¬ dern Welt, mit Menschen einer andern Art. Wir haben zwei Schauspiele gesehen, die ich Dir zu schildern wünschte, um Deiner Ein¬ bildungskraft den Stoff zu einigen Vorstel¬ lungen von Amsterdam zu liefern. So spät es ist, will ich es noch diesen Abend versu¬ chen; die Gespenster des Gesehenen sind noch wach in meinem Kopf, und gönnen mir keine Ruhe. Wir standen auf dem Werft der Admira¬ lität; uns zur Seite stand das prächtige Ar¬ senal, ein Quadrat von mehr als zweihundert Fuss, auf achtzehntausend Pfählen ruhend, D d 2 und ganz mit Wasser umflossen. Schon wa¬ ren wir durch seine drei Stockwerke gestie¬ gen und hatten die aufgespeicherten Vorräthe für ganze Flotten gesehen. In bewunderns¬ würdiger Ordnung lagen hier, mit den Zei¬ chen jedes besondern Kriegesschiffs, in vie¬ len Kammern die Ankertaue und kleineren Seile, die Schiffblöcke und Segel, das grobe Geschütz mit seinen Munitionen, die Flinten, Pistolen und kurzen Waffen, die Laternen, Kompasse, Flaggen, mit Einem Worte alles , bis auf die geringsten Bedürfnisse der Aus¬ rüstung Dieses ganze Gebäude mit allen seinen Vorräthen brannte im Jahr 1791 ab, wodurch dem Staat ein Ver¬ lust von etlichen Millionen verursacht worden ist. . Vor uns breitete sich die uner¬ messliche Wasserfläche des Hafens aus, und in dämmernder Ferne blinkte der Sand des flachen, jenseitigen Ufers. Weit hinabwärts zur Linken hob sich der Wald von vielen tausend Mastbäumen der Kauffahrer; die Sonnenstralen spielten auf ihrem glänzenden Firniss. Am Ufer und nah und fern auf der Rhede lagen theils abgetakelt und ohne Ma¬ sten, theils im stolzesten Aufputz mit der Flagge, die im Winde flatterte, und dem langen, schmalen Wimpel am obersten Gip¬ fel der Stengen, die grösseren und kleineren Schiffe der Holländischen Seemacht. Wir ehrten das Bewusstseyn, womit uns der Ha¬ fenmeister die schwimmenden Schlösser zeig¬ te und mit Namen nannte, deren Donner noch zuletzt so rühmlich für Holland auf Doggersbank erscholl. Mit ihm bestiegen wir den Moritz von vier und siebenzig Ka¬ nonen, ein neues Schiff, das schon im Was¬ ser lag, und staunend durchsuchten wir alle Räume, wandelten umher auf den Verdecken, und betrachteten den Wunderbau dieser un¬ geheuren Maschine. Zur Rechten lagen die D d 3 Schiffe der Ostindischen Kompagnie bis nach der Insel Osterburg, wo ihre Werfte sind. Die ankommenden und auslaufenden Fahr¬ zeuge, sammt den kleinen rudernden Booten belebten die Scene. Um uns her auf dem geräumigen Werfte feierten die Tausende von Kattenburgern Die Einwohner der Insel Kattenburg, worauf die Ad¬ miralitätswerfte liegen, sind mehrentheils Arbeiter in denselben. von ihrer Arbeit; in mehreren grossen und kleinen Gruppen ging und stand die zehntausendköpfige Menge von Zuschauern; ein buntes Gewühl von See- und Landofficieren in ihren Uniformen, von Zimmerleuten in ihrem schmutzigen Schiffer¬ kostume, von müssigen, umhertobenden Kna¬ ben, von ehrsamen Amsterdammer Bürgern und Frauen, von Fremden endlich, die aus allen Ländern hier zusammen treffen und einander oft so sehr überraschen, wie uns hier eben jetzt die Erscheinung unseres R . aus Göttingen. Endlich naht der entscheidende Augenblick heran. Man stellt uns vorn an den Kiel der neuen Fregatte, so nah daran, dass der ge¬ theerte Bauch über unseren Köpfen schwebt. Völlig sicher stehen wir da und bewundern diese Kunst der Menschen, die jeden Gedan¬ ken von Gefahr entfernt. Könnte das Schif umwerfen, statt abzulaufen, so lägen hier Hunderte von uns zerschellt. Jetzt werden die Blöcke weggeschlagen, worauf es noch ruht; jetzt treibt man hinten einen Keil un¬ ter, um es dort höher zu heben; man kappt das Tau, woran es noch befestigt war — und nun, als fühlte der ungeheure Körper ein eigenes Leben, nun fängt er an, erst langsam und unmerklich, bald aber schneller sich zu bewegen; schon krachen unter ihm die kleinen, untergelegten Bretter, und sieh! D d 4 jetzt gleitet er mit immer zunehmender Ge¬ schwindigkeit ins Meer! Tief taucht sich der Schnabel ein, bis das Wasser die ganze Masse trägt; eben so tief versinkt jetzt wie¬ der das Hintertheil; die Fluthen laufen hoch am Ufer hinauf, und die umliegenden Schif¬ fe schwanken hin und her. Es jauchzt und frohlockt die Menge der Waghälse, die auf dem neuen Triton über unseren Köpfen weg¬ fahren; sie schwenken ihre Hüte und ein lauteres Jubelgeschrei vom Lande übertönt ihre Stimmen. So hebt sich himmelan das Herz von stolzer Freude über das Wollen und Vollbringen des menschlichen Geistes! Ich weile noch einen Augenblick auf die¬ sem Schauplatz der umfassendsten Geschäf¬ tigkeit; denn sie ist es, der die Stadt und selbst die Republik ihr Daseyn und ihre Grösse verdanken, und in der Betrachtung dieses Phänomens werden zugleich die Haupt¬ züge des Nationalcharakters offenbar. Wel¬ ches andere Volk in Europa hätte den aus¬ dauernden Muth gehabt, mit Philipp dem Tyrannen, dem mächtigen Beherrscher beider Indien und seinen Nachfolgern den achtzig¬ jährigen Krieg zu führen? Welches Volk hätte nicht in dem unglücklichen Jahr 1672, als Ludwig der Vierzehnte schon bis Muiden vorgedrungen war, ich will nicht sagen, sich ergeben, sondern zu zahlen aufgehört? Nur mit ihren durch den Handel erworbenen und concentrirten Kräften, mit ihren vorsichtig aufgehäuften Materialien zum Schiffbau und zur Ausrüstung ihrer ungeheuren Flotten, konnten die Niederländer so lange der verei¬ nigten Seemacht von Frankreich und England die Spitze bieten; allein ohne die freiwillige Einschränkung auf die ersten Bedürfnisse des Lebens, diese hohe Republikanertugend, die hier wenigstens in eben dem Maasse raison¬ D d 5 nirt als klimatisch und körperlich war, hät¬ ten sie zu einem solchen langwierigen Wett¬ streit weder physische Kräfte noch Stärke der Seele gehabt. Wahrlich, die Besonnen¬ heit, die mit unermüdetem Fleisse, mit dem redlichen Bestreben nach einem Vermögen, welches der Erwerb ihrer eigenen Hände sei, mit Geschicklichkeit in den mechanischen Künsten und Talent zu ihrer Vervollkomm¬ nung, mit Kühnheit auf dem Meere, mit Tapferkeit im Kampfe, mit Standhaftigkeit in Gefahr, mit Beharren in Widerwärtigkeit, mit Enthaltsamkeit im Überfluss, und, was über dieses alles geht, mit unauslöschlicher Freiheits- und Vaterlandsliebe verbunden ist — die darf man wohl etwas mehr als blosses Phlegma nennen! Also, nicht dem Auge allein, sondern auch dem Verstand erscheint Amsterdam von der Wasserseite in seinem höchsten Glanze. Ich stelle mich in Gedanken in die Mitte des Hafens, und betrachte links und rechts die Gruppen von vielen hundert Schiffen aus allen Gegenden von Europa; ich folge mit einem flüchtigen Blick den Küsten, die sich nach Alkmaar und Enkhuisen erstrecken und auf der andern Seite hin, den Busen des Texels bilden. Die Stadt mit ihren Werften, Docken, Lagerhäusern und Fabrikgebäuden; das Gewühl des fleissigen Bienenschwarmes längs dem unabsehlichen Ufer, auf den Stra¬ ssen und den Kanälen; die zauberähnliche Bewegung so vieler segelnden Schiffe und Boote auf dem Südersee, und der rastlose Umschwung der Tausende von Windmühlen um mich her — welch ein unbeschreibliches Leben, welche Gränzenlosigkeit in diesem Anblick! Handel und Schiffahrt umfassen und benutzen zu ihren Zwecken so manche Wissenschaft; aber dankbar bieten sie ihr auch wieder Hülfe zu ihrer Vervollkomm¬ nung. Der Eifer der Gewinnsucht schuf die Anfangsgründe der Mathematik, Mechanik, Physik, Astronomie und Geographie; die Ver¬ nunft bezahlte mit Wucher die Mühe, die man sich um ihre Ausbildung gab; sie knüpfte ferne Welttheile an einander, führte Nationen zusammen, häufte die Produkte al¬ ler verschiedenen Zonen — und immerfort vermehrte sich dabei ihr Reichthum von Be¬ griffen; immer schneller ward ihr Umlauf, immer schärfer ihre Läuterung. Was von neuen Ideen allenfalls nicht hier zur Stelle verarbeitet ward, kam doch als roher Stoff in die benachbarten Länder; dort verwebte man es in die Masse der bereits vorhandenen und angewandten Kenntnisse, und früher oder später kommt das neue Fabrikat der Vernunft an die Ufer der Amstel zurück. — Dies ist mir der Totaleindruck aller dieser unendlich mannigfaltigen, zu Einem Ganzen vereinigten Gegenstände, die vereinzelt und zergliedert so klein und unbedeutend erschei¬ nen. Das Ganze freilich bildet und wirkt sich ins Daseyn aus, ohne dass die Weise¬ sten und Geschäftigsten es sich träumen lie¬ ssen; sie sind nur kleine Triebfedern in der Maschine und nur Stückwerk ist ihre Arbeit. Das Ganze ist nur da für die Phantasie, die es aus einer gewissen Entfernung unbefangen beobachtet und die grösseren Resultate mit künstlerischer Einheit begabt; die allzu grosse Nähe des besonderen Gegenstandes, worauf die Seele jedes Einzelnen, als auf ihren Zweck, sich concentrirt, verbirgt ihr auch des Ganzen Zusammenhang und Gestalt. — Nachmittags machten wir nach unserer Gewohnheit einen Spaziergang durch die Stadt. Die Aussicht von der Amstelbrücke hält den Vergleich mit der Maas bei Rotter¬ dam nicht aus; dagegen sind die Hauptstra¬ ssen an den grossen Kanälen ( Heerengraft , Printzengraft , Keyzersgraft u. a. m.) weit län¬ ger und breiter als selbst der schöne Boom¬ paes , und ihre Häuser sind grossentheils Pal¬ läste. In einer kleinen Stadt fällt das Ge¬ wühl mehr auf, als hier, wo man Raum hat, einander auszuweichen; allein es giebt auch in Amsterdam Gegenden, wo man sich nur mit Mühe durch das Gewimmel in den en¬ gen Gassen durchdrängen kann. Den ganzen Tag herrscht überall ein unaufhörliches Ge¬ töse; die unzähligen Equipagen der Bürger¬ meister und Rathsherren, Staatsbeamten, Di¬ rektoren der Ostindischen Kompagnie, Ärzte und üppig gewordenen Reichen, der unun¬ terbrochene Waarentransport und die deshalb so oft aufgezogenen Zugbrücken sperren den Weg und verursachen ein beständiges Ru¬ fen und Gerassel; vom frühen Morgen an schreien Männer und Weiber auf allen Stra¬ ssen mancherlei Sachen zu verkaufen aus; die Kirchthürme haben Glockenspiele, und des Abends wandern Leiermänner und sin¬ gende Weiber umher. Im Rathhause, diesem grossen, prächtigen, mit architektonischen Zierrathen und Fehlern überhäuften Gebäude, welches gleichwohl ei¬ nige sehr schöne Säle und Zimmer enthält, sahen wir unter vielen Gemälden eins von Rembrandt , und eins von van Dyk , die als Porträtsammlungen einen hohen Rang be¬ haupten. Es ist auffallend, wie die besten Stücke von Bakker , Flinck , van der Helst , Sandraert und andern guten Malern wegfal¬ len, wenn man den van Dyk gesehen hat. Composition ist indess in keinem; denn es sind lauter an einander gedrängte Bildnisse von bekannten Männern, manchmal vierzig, funfzig und noch mehr auf Einem Ge¬ mälde. Die allegorischen Schildereien und Bildsäulen, sowohl im Gerichtssaal als im grossen Bürgersaal und in der Bürgermeister¬ kammer, sind leider! keine Ausnahmen von der allgemeinen Regel, die der modernen Al¬ legorie eben nicht zum Ruhm gereicht. Den Beschluss unseres heutigen Tagewer¬ kes machte die Holländische Komödie. Man gab Merciers Zoë , ein Drama, ( Toneelspel ) in gereimte Verse übersetzt. — Wie ich den ganzen Tag auf die physische Bildung und die Gesichtszüge des Volkes aufmerksam gewesen war, so liess ich mir auch auf die¬ sem Sammelplatz der Amsterdammer Bürger¬ welt die Fortsetzung meiner Beobachtungen angelegen seyn. In der That hält es schwer, die charakteristischen Umrisse bestimmt an¬ zugeben, worin das Unterscheidende der Hol¬ ländischen Nationalgestalt liegt. Der ganze Körper ist gewöhnlich sehr robust, und man wird wird selten eine Figur von feinen, eleganten Proportionen und zartem Knochenbau gewahr. Das Überfütterte aber, das Schlaffe, Abge¬ spannte, wodurch die Brabanter uns so zu¬ wider wurden, habe ich hier nur als seltene Ausnahme bemerkt; gewöhnlich ist hier alles feste Faser und derbes Fleisch. Der blonde Teint hat die starke Kirschenröthe der blut¬ reichsten Gesundheit, wobei die Haut nur selten so zart zu seyn pflegt, wie unsere Weichlinge sie verlangen und unsere Mäd¬ chen, diesem Geschmacke zu gefallen, sie sich wünschen und durch tausend fruchtlose Kün¬ ste zu schaffen suchen. Das blaue oder graue Auge hat unter den dichten Augen¬ brauen einen festen, kalten Blick. Lange Nasen und gerade Profile sind nicht unge¬ wöhnlich, und die Mundwinkel laufen selten scharf zu, sondern bleiben gutmüthig breit, womit zuweilen ein Ausdruck von Beschränkt¬ II. Theil . E e heit verbunden ist. Wie verschieden aber auch der Schnitt der Lippen sei, (denn es giebt deren, die allerdings sonderbar geschnit¬ ten sind und zumal unter dem Pöbel etwas Keckes, oft auch etwas Hartes verrathen,) so scheint mir doch um den Mund und an dem Halse das allgemeine physiognostische Wahr¬ zeichen, welches die Holländer kenntlich machen kann, am deutlichsten ausgeprägt. Ohne Scherz, ich glaube, dass die Theile, welche die Sprache bilden, wieder von ihr und für sie gebildet werden, und die hiesige ganz eigene vokalenreiche Mundart, mit ih¬ ren vielen breiten Doppellauten, ihren Gur¬ geltönen und ihrem weichen Gezisch, er¬ theilt der Kehle, der Zunge, den Mundmus¬ keln, Halsmuskeln und Wangen die eigen¬ thümliche Bewegung, die mit der Zeit auf die Gestalt dieser Theile wirkt. Man hat, wenn ich mich recht erinnere, die Bemer¬ kung schon eher gemacht, dass die republika¬ nische Verfassung den Sitten und zugleich dem Ausdruck der Gesichtszüge etwas Ein¬ förmiges giebt; ich finde hier das Phänomen bestätigt, was es auch für eine Bewandniss mit der Ursache haben mag. Indess herrscht doch in den hiesigen Physiognomien ein be¬ stimmter Charakter, der mit der Erziehung und Lebensweise, mit der Denkungsart und der Ausbildung im engsten Verhältnisse steht. Man sage nicht, weil überall nur eine kleine Anzahl von Begriffen unter den geringeren Volksklassen in Umlauf kommt, dass es gleichviel sei, worin diese bestehen und von welcher Art sie seyn mögen. Die überwie¬ gende Stärke, womit hier gewisse moralische Grundsätze auf die Handlungen des grossen Haufens einfliessen, die ebenfalls in Gefühl übergegangenen Ideen von Freiheit, die da¬ von unzertrennliche Selbstachtung und die E e 2 gefürchtete Gerechtigkeit der öffentlichen Mei¬ nung oder der allgemeinen Stimme des Pu¬ blikums, wirken, nebst vielen anderen Ursa¬ chen, um diese Menschen auf eine Stufe der Humanität zu heben, welche vielleicht von anderen Völkern mit glänzenderen Eigenschaf¬ ten nicht immer erreicht wird und über den Standpunkt der faden Racen unendlich erha¬ ben ist, die, gegen den Sporn der Ehre und der Schande unempfindlich, ihre Leere und moralische Nullität nur mit dem Firniss der Nachahmung und eines aberwitzigen Leicht¬ sinnes übertünchen. Es ist wahr, man ver¬ misst hier ziemlich allgemein jene leichte, spielende Flamme des Geistes, die aus dem Sterne der Augen leuchtet, im Aufschlag der Wimper proteusähnlich sich verändert, in den feinen Fältchen der Stirne lauscht und des Mundes gedankenreiche Stille umgaukelt; jenen leisen Lebensathem, der alles durch¬ haucht, jene Empfindung, die nur empfunden werden kann, jenen Blitz, der in einem Au¬ genblick zehn entfernte Ideen zündet und in die Feuerkette des Gedankens knüpft! Hier ist der Geist in der Masse gebunden und mit ihr verkörpert; roh, schwerfällig und einseitig ist der Volkssinn, aber nicht ohne Originalität und Energie. Das Vertrauen in eigene Kräfte, die selbstzufriedene Behaglich¬ keit, gewinnt oft das Ansehen von kalter Unempfindlichkeit; die langsame bedächtige Gleichmüthigkeit kann zuweilen in Trägheit und Amphibienzähigkeit ausarten; das ent¬ schiedene Wollen geht über in Starrsinn, und die nüchterne Sparsamkeit in Habsucht und Geiz. Solche Karrikaturen dringen sich durch ihre eckigen Züge dem Gedächtniss am leich¬ testen auf, und darüber vergisst nicht selten der Beobachter die Tugenden anzumerken, aus denen sie entspringen. E e 3 Diese unvollkommenen Entwürfe sind von den geringeren und mittleren Volksklassen entlehnt, aus denen im Holländischen Thea¬ ter der grösste Theil der Zuschauer besteht. Was reich ist und vornehm thut, besucht die Französische oder auch die Deutsche Truppe. Eine so unpatriotische Lauigkeit gegen die vaterländische Bühne hat die na¬ türlichen Folgen der Vernachlässigung gehabt und dieses Schauspiel zu einer plumpen Volksbelustigung herab gewürdigt. Die ein¬ zige Entschuldigung, die man vorbringen könnte, liegt in dem Dilemma: ob es besser sei, dem Volke auf die Gefahr seiner Sitt¬ lichkeit, etwas mehr ästhetisches Gefühl ein¬ zuflössen, oder ihm mit seiner Unmanierlich¬ keit seinen fest ausgesprochenen Charakter zu lassen? Die ungebildete Sinnlichkeit be¬ darf jederzeit eines kräftigen Stachels, womit sie aufgeregt und gekitzelt werden muss; es ge¬ hören in der That nicht nur gesunde, sondern auch dicke Nerven dazu, um das Gebrüll und Geheul der hiesigen Schauspieler zu er¬ tragen und so fürchterlich zu beklatschen. In meinem Leben habe ich nichts Entsetzli¬ cheres als ihre Deklamation gehört. Dekla¬ mation war es vom Anfang bis zum Ende des Stückes, ohne einen Moment von wah¬ rem Ausdruck der Empfindung, ohne einen Zug von Natur — und dennoch war augen¬ scheinlich dieses Geplärr ein Kunstwerk, dessen Erlernung den Schauspielern unglaub¬ liche Anstrengung gekostet haben muss, ehe sie ihre brutale Vollkommenheit darin er¬ langten. In der Sprache liegt wenigstens Eine Veranlassung, wiewohl gewiss keine Rechtfertigung, dieser beleidigenden Art des dramatischen Vortrages; die häufigen, stets wiederkehrenden Vokale und Doppellaute ( a , aa , ae , ai , o , au , oo , ou , ow u. s. f.) verur¬ E e 4 sachen eine Monotonie, welcher man nicht anders abzuhelfen wusste, als vermittelst ei¬ ner Modulation, die in lauter Dissonanzen forthüpft; ein Ohr, das Harmonie gewohnt ist, hat dabei völlig die Empfindung, wie wenn mit der grössten Wuth ein Contrebass unaufhörlich gestimmt wird. Die Mimik entsprach genau dieser Deklamation. Wären die Holländischen Schauspieler so ehrlich, wie die Kamtschadalen, die ohne Hehl die Bären für ihre Tanzmeister erkennen, so würden sie gestehen, dass sie von den Wind¬ mühlen gestikuliren gelernt haben. Ihre Ar¬ me waren unaufhörlich in der Luft, und die Hände flatterten mit einem krampfhaften Zit¬ tern und ausgespreizten Fingern in einer Dia¬ gonallinie vor dem Körper vorbei. Die Stel¬ lung der Herren liess mich oft besorgen, dass ein heftiges Bauchgrimmen sie plagte; so bog sich mit eingekniffenem Unterleib der ganze obere Theil des Körpers vorwärts, indess die Arme senkrecht, den Schenkeln parallel, her¬ abhingen. Geriethen sie aber in Affekt, so warfen sie sich auf den ersten besten, der ihnen nahe stand, gleichviel von wel¬ chem Geschlecht; und hatten sie etwas zu bitten, so wälzten sie sich im Staube, um¬ fassten — nicht die Kniee — sondern die Waden und Knöchel und berührten fast mit der Stirne die Erde. Die Heldin des Stückes stieg auch wieder einmal eben so mit dem Kopf und den Händen, in bestimmten tempi , an den Beinen und Schenkeln ihres Vaters hinan, bis bald in seine Umarmung; unglück¬ licher Weise konnten sie damals noch nicht einig werden, und er stiess sie endlich mit beiden Händen zur Erde, dass sie wie ein Sack liegen blieb. Diese Schauspielerin be¬ sass gleichwohl noch die meiste Kunst und, wenn ich das Wort nicht entweihe, sogar ei¬ E e 5 nigen Sinn für die Kunst; allein sie blieb doch mit den andern auf Einen Ton ge¬ stimmt. Sie hatte eine hübsche Figur und wusste sie vortheilhaft zu zeigen; ihre Stim¬ me, wie ich fast durchgehends an den Hol¬ länderinnen bemerke, war ein tiefer Tenor. Die Mannspersonen hatten, nach Holländi¬ scher Sitte, den Hut beständig auf dem Kopf, welches jedoch im Parterre weit unerträgli¬ cher als auf der Bühne war. Von der Fein¬ heit des Betragens im Parterre liesse sich ein artiger Nachtrag zum Grobianus schreiben; ein unaufhörliches Plaudern war das gering¬ ste, worüber ein Fremder hier in Erstau¬ nen gerathen konnte. Die unbequeme Ein¬ richtung der Sitze veranlasst manchen Auf¬ tritt, der anderwärts genau wie eine Inde¬ cenz aussehen würde; denn an Gefälligkeit und Achtung, die ohne persönliche Rück¬ sicht ihrem Geschlecht erzeigt werden müss¬ te, dürfen die hiesigen Frauenzimmer nicht denken. Ich habe über diese Erinnerungen an die mannigfaltigen Auftritte, die wir heute mit angesehen, nicht daran gedacht, Dir zu er¬ zählen, wie wir hergekommen sind; Du wirst es nicht mehr so wunderbar finden, dass ich hier schon in die dritte Stunde schreibe, wenn Du erfährst, dass wir die vorige Nacht ganz ruhig geschlafen haben, während der Genius dieses wasserreichen Landes, in Gestalt eines wackern Schiffers, uns sanft vom Haag nach Harlem führte. Der Graf B . von R. hatte uns die prächtige Jacht verschafft, die den Bürgermeistern vom Haag gehört. Wir fan¬ den beim Einsteigen zwei saubere Betten, mit allem versehen, was die verwöhntesten Sinne von Eleganz und Bequemlichkeit ver¬ langen können. Kaum hatten wir uns aus¬ gekleidet, (es war gleich nach Mitternacht) so ertönte überall in den Gebüschen längs dem Kanal das Lied der Nachtigallen, und sang uns in den Schlaf. Am folgenden Mor¬ gen erwachten wir eben, indem die Barke bei Hartekamp vorbeifuhr, jenem Garten des reichen Clifford , wo der grosse Linné sich so manche botanische Kenntnisse erwarb. Es kostete einen Wink, so liess unser Palinurus die Betten verschwinden. Wir blickten auf die umliegende Gegend durch zehn Fenster, deren jedes in einer überaus grossen Scheibe von prächtigem geschliffenem Spiegelglase be¬ stand, und fast schien sie uns dadurch einen besondern Grad von Anmuth zu erhalten. Der Morgen hatte Thränen im Auge; doch kamen auch Sonnenblicke und beleuchteten die Wiesen und Triften, die Dünen, die Meierhöfe und die Lustgärten, zwischen de¬ nen wir mit unmerklicher Bewegung hin¬ schlüpften. An den Ufern bald auf dieser, bald auf jener Seite lagen ruhig wiederkäuend die schönen Niederländischen Kühe. Schon zeigten sich die Thürme von Harlem, als der Capitain auf einem zierlichen Bord von Mahagoni das silberne Theegeschirr der Her¬ ren Bürgermeister hereinbrachte; nie hat man wollüstiger auf weich gepolsterten Sitzen im Angesicht einer lachenden Landschaft gefrüh¬ stückt. Vor den Thoren von Harlem stand, unsrer harrend, ein schönes Kabriolet, mit ein Paar unvergleichlichen Harttrabern bespannt; denn B — wollte nichts zur Hälfte gethan ha¬ ben. Wir verliessen also unsern lieblichen Kä¬ fig und fuhren oder flogen zwei Stunden lang auf einem vortreflichen Wege. Von Zeit zu Zeit sahen wir Leute mit Schaufeln stehen, womit sie die fast unmerklichen Fahrgeleise zuwarfen; andere schöpften Wasser aus dem Kanal und bespritzten den Weg, damit der wenige Staub sich legte. So eilten wir längs dem Harlemer Meer bis an den Punkt, wo nichts als der Strassendamm es von dem grösseren Y scheidet. Auf dieser Stelle hat die Aussicht eine erhabene Grösse; beide Gewässer sind von so weitem Umfange, dass man ihre entfernten Gränzen am Horizont nicht erkennen kann; man glaubt auf einem kleinen Eiland im unermesslichen Meere zu¬ stehen. Indess näherten wir uns dem ge¬ schäftigen, volk- und geldreichen Amsterdam; eine Menge Windmühlen zeichneten uns am Horizont seinen Umfang vor; in einer katho¬ lischen Stadt von dieser Grösse hätten hun¬ dert Kirchen mit ihren stolzen Thürmen den Anblick aus der Ferne verschönert. — Aus der Ferne! — XXVI. Amsterdam. I n dem entnervenden Klima von Indien ge¬ wöhnen sich die Europäischen Eroberer nur gar zu leicht an Asiatische, weichliche Üp¬ pigkeit und Pracht. Treibt sie hernach das unruhige Gefühl, womit sie dort vergebens Glück und Zufriedenheit suchten, mit ihrem Golde wieder nach Europa zurück, so ver¬ pflanzen sie die Orientalischen Sitten in ihr Vaterland. Man sträubt sich zwar in Repu¬ bliken eine Zeitlang gegen die Einführung des Luxus; allein der übermässige Reichthum bringt ihn unfehlbar in seinem Gefolge. Wenn gleich nüchterne Enthaltsamkeit meh¬ rere Generationen hindurch die Ersparnisse des Fleisses vervielfältigte, so kommt doch zuletzt das aufgehäufte Kapital an einen la¬ chenden Erben, der über die Besorgniss hin¬ aus, es nur vermindern zu können , die For¬ derungen der Gewinnsucht mit der Befriedi¬ gung seiner Sinne reimen lernt. Unglückli¬ cherweise pflegt dieser Aufwand selten anders als barbarisch und geschmacklos zu seyn, da der Sinn des Schönen, wodurch der Luxus al¬ lein erträglich wird, eine frühzeitige Bildung voraussetzt, die dem Sohn eines kargen Rei¬ chen nicht zu Theil werden kann. Von die¬ ser Seite hat die Ämsigkeit, wovon man hier so viele Beispiele sieht, der das Sammeln, statt blosses Mittel zu bleiben, alleiniger eng¬ herziger Zweck geworden ist, etwas Empö¬ rendes; man erkennt an ihr zu deutlich den Übergang einer vereinzelten tugendhaften Ge¬ wohnheit durch ihr Extrem in das verwand¬ te Laster, die Metamorphose der schönen, edlen Sparsamkeit in niedrigen, verächtlichen Geiz. In dieser traurigen Abgestorbenheit, die alle Verhältnisse des Menschen, bis auf das das Eine mit seinem Mammon, gänzlich ver¬ nichtet, geht nicht nur die Möglichkeit der individuellen Ausbildung verloren, sondern auch die Erziehung des künftigen Besitzers wird so sehr vernachlässigt oder verschroben, dass, wenn Temperament und Beispiel ihn in der Folge zum Prasser machen, sein Miss¬ brauch der ererbten Schätze genau so unmo¬ ralisch bleibt, wie es des Vaters Nichtge¬ brauch derselben war. Ich mache diese Betrachtung, indem ich erwäge, welche unzählige Verbindungen von nie vorherzusehenden Ursachen zur Entste¬ hung eines Volkscharakters mitwirken kön¬ nen, und wie sehr man Unrecht hat, den späten Enkeln eine Schuld beizumessen oder auch ein Lob zu ertheilen, wovon der Grund vor Jahrhunderten in einer nothwendigen Verkettung der Umstände gelegt worden ist. Die Widerwärtigkeiten, womit die Holländer II. Theil . F f in früheren Zeiten zu kämpfen hatten, stärk¬ ten in ihnen den hartnäckigen Geist der Un¬ abhängigkeit. Ihre Freiheitsliebe führte sie zu grossen Aufopferungen; ihre Enthaltsam¬ keit ward ihnen zur andern Natur. Indess alle Nationen Europens bereits einer Üppig¬ keit fröhnten, die, gleich einer ansteckenden Seuche, weder Geschlecht, noch Alter, noch Stand verschonte, blieben sie allein unange¬ fochten von ihrem verführerischen Reiz, in rauher, unzierlicher, republikanischer Einfalt. Aber ihr Muth, der ihnen das reiche Batavia schenkte, ihr Handelsfleiss, dem alles Gold von Asien und Europa in der Hand zurück¬ blieb, ihre Sparsamkeit selbst, die ihnen wehrte, die gesammelten Schätze wieder zu zerstreuen, bereiteten die jetzige Anwendung derselben vor. Jetzt befinden sich die Hol¬ länder in der Lage aller spät reifenden Völ¬ ker; indem sie aus jenem vegetirenden Le¬ ben erwachen, sehen sie ihre Vorgänger in der Laufbahn des Genusses als Muster an, denen sie mit verdoppelten Schritten, oder vielmehr mit einem Sprunge, nacheilen wol¬ len, und diese unglückliche Nachahmung stört sie in dem ruhigen Gange der ihnen angeeigneten Entwicklung. Dem physischen und klimatischen Naturell der Holländer, wie ihrem besonnenen Ge¬ müthscharakter, ziemte die äusserste Simpli¬ cität; ihre Kultur durfte sich nie von dieser Grundlage entfernen; sie musste lediglich dar¬ auf gerichtet seyn, dem Einfachen Eleganz und Grösse beizugesellen. Der bunte, klein¬ liche Luxus der Mode, der glatte Firniss herzloser Sitten, die wortreiche Leere der Ideen des Tages, stehen ihnen wie erborgte Kleider. Witz, Laune und Geist können unsere Aufmerksamkeit von diesen Missver¬ hältnissen des Welttons abziehen; ihr mun¬ F f 2 teres Spiel kann wenigstens auf einige Au¬ genblicke ergötzen, wenn schon nicht ent¬ schädigen für den Mangel an Schönheit und Harmonie; Französische Leichtigkeit endlich, scheint zu diesem Flitterstaate zu passen, wie Schmetterlingsflügel zum Schmelz der bren¬ nendsten Farbenkontraste. Bei anderen Na¬ tionen können zwar diese flüchtigen Blüthen des Französischen Charakters als einzelne Erscheinungen hervorsprossen; sie gehören aber nie zu dem specifischen Gepräge, wo¬ mit die Natur und das Schiksal sie von ein¬ ander ausgezeichnet haben. Allen Deutschen und Nordischen Völkern (fast möchte ich auch die Engländer mit einschliessen) macht daher ihre Organisation und ihre ganze Gei¬ stesanlage einen edleren Ernst und eine über¬ legte Einheit des Betragens zur natürlichen Pflicht; jede Abweichung von dieser Norm bestraft sich selbst durch die davon unzer¬ trennliche Lächerlichkeit, die niemanden so komisch auffällt, wie dem leichtsinnigen Volke, dessen Tracht und Manieren man un¬ geschickt nachahmen will. Selten wird ein Franzose sich die Zeit nehmen, den eigen¬ tümlichen Werth des Deutschen, Holländi¬ schen und Englischen Nationalcharakters aus¬ zuforschen und anzuerkennen; kein Wunder also, wenn ihm auf den ersten Blick die mei¬ sten fremden Gesellschaften eine Ähnlichkeit mit einem Abderitischen Maskenball zu verra¬ then scheinen, wo niemand Talent und Ver¬ satilität genug besitzt, um dem gewählten Charakter gemäss seine Rolle zu spielen, son¬ dern jeder treuherzig den ganzen Scherz darin sucht, hinter einer bedeutenden Larve ein Schafsgesicht zu verstecken. Es ist nicht etwa eine neue Ketzerei, die ich da predige; von allem unserm Beginnen gilt die Regel, dass eigene Empfindung sich F f 3 damit gleichsam identificiren muss, um es mit einer gewissen Würde zu stempeln. Die Religion selbst ist eben darum so tief herab¬ gesunken, weil sie bei den meisten Menschen als ein bloss überkommenes Erbstück im Ge¬ dächtniss haftet und nicht bis ins Herz und aus dem Herzen wieder, als eine schöne Blume der individuellen Menschheit, an das Licht gedrungen ist. Die Wissenschaften wer¬ den verächtlich im Munde des Lehrers, der sie mechanisch erlernte, um sie mechanisch herzuleiern. Die Formeln des gesitteten Um¬ ganges ekeln uns an, wenn kein Gefühl des Schicklichen, keine wahre Achtung für die ei¬ gene und die fremde Moralität sie länger würzt, ob sie gleich ursprünglich daraus entstanden. Der nachgeahmte Luxus, der nicht mit ori¬ ginellem Kunstsinn bezeichnet ist, kann eben so wenig einen angenehmen Eindruck ma¬ chen, wie jene Papageien- und Pudelkünste; er erscheint nie an seiner rechten Stelle, und bleibt dort immer fremd, wo man ihn nicht erfand. Ich trete nur an den Putztisch des Frauenzimmers, um mir noch einen Be¬ lag zu dieser Wahrheit zu holen. Unsere Kleidermoden entlehnen wir von Frankreich; allein wer dieses Land je betreten hat, wird mir bekennen müssen, dass ihre Extravaganz und Unnatürlichkeit dort lange nicht so un¬ erträglich scheinen, wie ausserhalb seiner Gränzen. Wie wenig Sinn für das ächte, Einfachschöne der Natur man immer den Französinnen, zugestehen mag — einen Sinn für das Passende und Gefällige des Anzuges wird man ihnen schwerlich abstreiten kön¬ nen. Sie sind gleichsam Eins mit ihrem Putz, und die Erfindung des Tages erhält unter ihren Händen das richtige Verhältniss zu ihren persönlichen Reizen. Wenn hinge¬ gen eine fremde Tracht zu ihren Nachbarin¬ F f 4 nen herüberkommt, bringt sie fast immer das empörende Schauspiel einer unbedingten Nachahmung zuwege; im Theater, in den Assembleen, in den Concert- und Tanzsälen sieht man nur lebendige Puppen, die ohne die mindeste Rücksicht auf ihren verschie¬ denen Körperbau und ihre Gesichtszüge, mit völlig gleichförmigem Putz behangen sind. Dieser Kontrast zwischen der erborgten Kleidung und der Gestalt so wie dem Cha¬ rakter des Frauenzimmers, scheint mir hier noch auffallender als bei uns zu seyn und zuweilen an Karrikatur zu gränzen. Wir haben die schöne Welt von Amsterdam im Französischen Theater versammelt gesehen, welches hier auf Subskription von einigen der vornehmsten Häuser unterhalten wird, und wo niemand Zutritt haben kann, der nicht von den Theilnehmern Billets be¬ kommt. Der Unterschied der Sitten zwi¬ schen diesem Publikum und jenem in dem Holländischen Schauspielhause zeigte schon, dass hier die erlesenste Gesellschaft versam¬ melt war. Alle Mannspersonen waren sau¬ ber gekleidet, zum Theil reich geputzt, und niemand liess es sich einfallen, den Hut auf¬ zusetzen. Unter den Damen zeigte sich manches hübsche Gesicht, dem nur etwas von jener allgemeineren Belebung fehlte, die eine zarte, rege Empfänglichkeit verräth. In Amsterdam mag wohl nicht der Geist auf den Wassern schweben; er schwebte nicht einmal in dem Walde von Strauss- und Hah¬ nenfedern, nicht in den Bändern, nicht in den Halstüchern, worin sich diese schöne Nixen, wie in Wolken, hüllten. Ihre Schuld ist es indess auch nicht, wenn sich überall der Ixion findet, der die Wolke für Juno selbst ansieht. Zum Abstich lass Dir eine Erscheinung F f 5 einer andern Art beschreiben: ein Mädchen, jung und schön, mit einem Teint von Lilien und Rosen, Lippen von Korall, gesunden schönen Zähnen und feinen, regelmässigen Zügen des kleinen Mediceischen Kopfes; kurz, ein Geschöpf, als hätt’ es Prometheus geschaffen — und seinen gestohlenen Feuer¬ funken mocht’ es auch schon empfinden. Ihr Haar verbarg sie unter einer dicht anlie¬ genden Kappe von feiner Gaze. Drei läng¬ liche, gebogene, goldene Spangen von getrie¬ bener Arbeit, die sich durch ihre Elasticität fest anschlossen, schienen diese Kappe am Gesicht fest zu halten; die eine ging über die Stirn hin und drückte sich nicht weit vom linken Schlaf ein; die beiden anderen lagen über den Ohren und knippen die vol¬ len Wangen. In den Ohrläppchen bingen kleine viereckige Zierathen von Metall, wie kleine Vorhängeschlösser, und über beiden Schläfen, an den Augen hinab, spielten feine, spiralförmig gewundene Schlängelchen von Silberdrath. Um den Hals ging eine dicke Schnur von rothen Korallen, vorn mit einem goldenen Schlosse. Eine unförmliche Juppe von Kattun mit langen abstehenden Schössen und an den Ärmeln einem kleinen zusam¬ men genähten Flügel; sodann die hässlichen, bauschigen Unterröcke und ein Paar Pantof¬ feln ohne Hackenstücke dazu, vollendeten den ganzen Anzug. Nicht wahr? man muss ausserordentlich schön seyn, um es in die¬ sem Wildenschmuck noch zu bleiben? Wäre diese Dirne einem Reisenden in Ost- oder Westindien begegnet, so hätte er ihren bar¬ barischen Kopfputz einer Abbildung werth geachtet und über das Ungeheure und Aben¬ theuerliche im Geschmack der ungebildeten Völker lang und breit disserirt; denn wir bedenken nie, wie ähnlich wir den Wilden sind, und geben diesen Namen sehr unei¬ gentlich allem, was in einem anderen Welt¬ theile nicht Parisisch gekleidet ist. In Alk¬ maar und Enkhuisen, und überhaupt in Nord¬ holland, ist die Tracht dieses Mädchens all¬ gemein üblich. Wir sahen sie in dem durch Peter den Grossen so berühmt gewordenen Sardam, wo sonst die Weiber über die ge¬ wöhnliche Holländische Kleidung mit schwarz seidenen Nonnenkappen erscheinen, die hin¬ ten und vorn den Hals und die Schultern be¬ decken und wunderhässlich aussehen. Sardam oder Zaandam , wie es sonst ei¬ gentlich heisst, verdienet so wenig wie der Haag ein Dorf genannt zu werden; es ist ein grosser Flecken, der allmälig zur Grösse einer Stadt herangewachsen ist und seine ei¬ gene Regierung hat. Die Einwohner sind auch nichts weniger als Bauern, wofür man sie gewöhnlich auszugeben pflegt, sondern reiche Kapitalisten, Schiffbaumeister, Hand¬ werker aller Art und Arbeiter in den unzäh¬ ligen Fabriken, Werften und Mühlen. Der Ort ist überaus niedlich und reinlich; fast ein jedes Haus mit seinem Gärtchen ist eine Insel und wird von einem Kanal umflossen. Da indess das Wasser in diesen Kanälen je¬ derzeit mehr oder weniger stockt, so halte ich die Luft hier keinesweges für gesund. Die Strassen sind äusserst sauber und regel¬ mässig mit kleinen Backsteinen gepflastert; es ist aber dessen ungeachtet von der über¬ triebenen Reinlichkeit keine Spur, worin, wie man uns versichert hatte, Sardam mit dem schönen Dorfe Broek übereinkommen soll. Broek wird von reichen Kaufleuten aus Am¬ sterdam bewohnt, die dort der ländlichen Ruhe geniessen und nur — noch täglich auf der Börse erscheinen. So ein Holländischer Alfius hat also, wie Du siehst, noch über den Römischen zu raffiniren gewusst und verbindet das Landleben mit dem Aktienhan¬ del, da Horaz dem seinigen nur die Wahl lässt: jamjam futurus rusticus, omnem relegit Idibus pecuniam; quaerit Calendis ponere. Dort soll man wirklich die Schuhe ausziehen müssen, ehe man durch die Hinterthür in den Tempel der Holländischen Reinlichkeit eingelassen wird; dort sind die Häuser und die Bäume mit bunten Farben bemalt; die Eigenthümer selbst geniessen die altmodigen Herrlichkeiten nicht, die sie dort angehäuft haben, und — sonderbar genug! — sie wis¬ sen nicht einmal von jenem Genusse der Ostentation, die so gern mit ihren Schätzen prunkt; das Bewusstseyn, sich einen solchen Raritätenkasten erbaut zu haben, genügt ih¬ nen so vollkommen, dass ein Fremder selten Erlaubniss erhalten kann, seine Neugier darin zu befriedigen. Um sie her herrscht eine Todtenstille; kein lebendiges Geschöpf darf sich dem Dorfe nähern, aus Furcht es zu verunreinigen; alle Thüren sind verschlossen, die kostbaren Vorhänge tief herab gesenkt, und nichts regt sich, ausser dem Wucherer, der im verborgensten Kämmerchen in seinem Golde scharrt. Wir nehmen diese Beschreibung auf Treu’ und Glauben; denn es bleibt uns keine Zeit übrig, uns durch eigene Erfahrung von ihrer Richtigkeit zu überzeugen. In Sardam, wie gesagt, geht es mit Menschen und Thieren so natürlich zu, wie in der übrigen Welt. Die Häuser sind nach Maassgabe der Bewoh¬ ner sehr verschieden; ich habe sehr ärmli¬ che, hölzerne Hütten und grosse steinerne Häuser gesehen; breite Strassen und enge Gässchen; einfache und mit Farben angestri¬ chene Bäume, und einen Wald, oder, mit dem Ritter von la Mancha zu reden, eine Armee von beinahe zweitausend Windmühlen, worin alles, was nur durch diese Vorrichtung bereitet werden kann, bis zur Übersättigung der Wissbegierde fabricirt wird. Der Schiff¬ bau ist noch jetzt ein wichtiger Zweig der hiesigen Betriebsamkeit, wiewohl er seit ei¬ niger Zeit sehr abgenommen hat. Die Ein¬ wohner, oder eigentlich der Pöbel von Sar¬ dam, besteht grossentheils aus so genannten Patrioten, die sich während der letzten Un¬ ruhen geweigert haben, für die Prinzlichge¬ sinnten zu arbeiten und jetzt, zur Strafe, von diesen keine Arbeit bekommen. Das Häus¬ chen, wo der Schöpfer der Russischen Des¬ potie gewohnt hat, ist winzig klein und mit einem ärmlichen Hausrath versehen. Seine Schlafstelle ist in der Wand angebracht, und ich glaube nicht, dass seine lange Figur darin hat hat ausgestreckt liegen können. Man zeigt den Fremden sein éloge historique , Französisch gedruckt, sein Bildniss in Kupferstich, das jemand aus Paris hieher geschenkt hat, und eine kleine goldene Denkmünze, etwa funf¬ zehn Dukaten schwer, ein Geschenk der jetzigen Russischen Kaiserin. Es ist merk¬ würdig genug, dass dieser ausserordentliche Mann gerade das aus seinem Staate gemacht hat, was er hat machen können und wollen. Eine andere Frage ist wohl, ob es nicht zu wünschen wäre, er hätte etwas anderes ge¬ wollt und gekonnt? Russland hat nun eine Marine — aber hat es auch Sitten? Damals war vielleicht so etwas zu versuchen; jetzt dürfte selbst Peters grosse Nachfolgerin die Aufgabe nicht mehr ausführbar finden; denn die feine Verderbniss der neuesten Kultur auf den rohen Stamm der Barbarei geimpft, ist nur ein Hinderniss mehr. — II. Theil . G g Wenn auf der einen Seite die Vermin¬ derung des Holländischen Handels, die Stok¬ kung des Geldumlaufes, die Einführung des Luxus und die Erschlaffung der vaterländi¬ schen Sitten ein trauriges Bild der Vergäng¬ lichkeit menschlicher Einrichtungen und des unausbleiblichen Verfalles der Reiche im Ge¬ müth des Beobachters zurücklassen; so giebt es doch auch Gegenstände in Amsterdam, die zu erfreulicheren Betrachtungen Anlass geben und den Zeitpunkt der gänzlichen Auf¬ lösung so weit in die dunkle Zukunft hinaus¬ zurücken scheinen, dass die Einbildungskraft wieder Feld gewinnt, sich noch ein blühen¬ des Zeitalter der Republik, wenn auch nicht in politischer Hinsicht, so doch mit Bezie¬ hung auf die Privatglückseligkeit der Ein¬ wohner, als Resultat einer höheren Kultur und eines geläuterten Geschmackes, mit fri¬ schen Farben auszumalen. An Mitteln zur Erreichung dieses Endzweckes wird es nicht fehlen, wenn auch der Handel noch ungleich grössere Einschränkungen leiden sollte; die Zinsen der bereits angelegten Kapitalien sind fast allein hinreichend, die Einwohner zu ernähren. Im Jahr 1781 hatten sie nicht we¬ niger als achthundert Millionen Gulden in Europa ausgeliehen. Die ungleich grösseren Summen, die im Waarenhandel oder in den kostbaren Anlagen unzähliger Fabriken sich verinteressiren, die Fonds, womit die Wall¬ fisch- und Heringsfischereien betrieben wer¬ den, die der Ost- und Westindischen Com¬ pagnien, die eigenen Staatsschulden der ver¬ einigten Niederlande, endlich der Ertrag des Erdreiches, wovon ich nur beispielsweise an¬ führen will, dass Nordholland allein auf den drei Märkten von Alkmaar, Hoorn und Pur¬ merend, in einem Durchschnitt von sieben Jahren, jährlich an Käse vierzehn Millionen G g 2 Pfunde verkauft hat, — machen zusammen eine Masse von Reichthum aus, wobei es den Niederländern, und sollte sich ihre An¬ zahl auch auf drittehalb Millionen belaufen, um ihre Existenz nicht bange werden kann. Es fällt aber auch in die Augen, dass seit einigen Jahren die Wissenschaften und Künste in Holland und insbesondere in Am¬ sterdam merkliche Fortschritte gemacht und von den reichen Kaufleuten ausserordentliche Unterstützung genossen haben. Die öffent¬ liche Lehranstalt, das so genannte Athenäum, welches seit anderthalb Jahrhunderten mit verdienstvollen Männern besetzt gewesen ist und dem Staate manchen vortreflichen Kopf gezogen hat, zeichnet sich noch gegenwärtig sowohl durch seine nützlichen Institute, als durch geschickte Lehrer in allen Fächern aus. Das schöne anatomische Kabinet, wel¬ ches Hovius sammelte, steht jetzt unter der Aufsicht des gelehrten Professors Bonn . Der botanische Garten, wo ehedem Commelin die Wissenschaft so sehr bereicherte, ist gegen¬ wärtig dem nicht minder berühmten Bur¬ mann anvertraut, der sein thätiges Leben gänzlich der Erhaltung seiner Mitbürger weiht und vom frühen Morgen an, bis in die Nacht, die einzige Stunde des Mittags¬ essens ausgenommen, seine Kranken besucht. Dies ist das Loos aller hiesigen Ärzte von einigem Ruf und insbesondere des als Physi¬ ker so allgemein geschätzten Dr. Deiman , dem man die neuerlichen pneumatisch-elek¬ trischen Experimente verdankt. Die unge¬ sunde Lage von Amsterdam und die starke Bevölkerung kommen zusammen, um die Zahl der Kranken, zumal in den Sommermonaten, hier so stark heranwachsen zu lassen, dass ein Arzt, der sehr en vogue ist, mehrmal im Tage Pferde wechseln muss. Unter den Ge¬ G g 3 lehrten, die wir hier kennen lernten, nenne ich mit wahrer Achtung einen Wyttenbach , dessen philologische Verdienste man auch bei uns und in England zu schätzen weiss, einen Nieuwland , dessen Bescheidenheit noch grösser ist, als das auszeichnende Genie, wo¬ mit er sich selbst zum Mathematiker und Sternkundigen gebildet hat, endlich den wür¬ digen Cras , der mit der Jurisprudenz eine so ausgebreitete als gründliche Belesenheit in vielen anderen Zweigen der Litteratur, eine allgemeine humane Theilnahme an allem, was unserer Gattung frommen kann mit dem gebildetsten Ton, und wahre Gastfreundschaft mit dem Wohlstand, der sie möglich macht, ohne Anmassung verbindet. Ich könnte Dir noch den wackern Hieronymus de Bos rüh¬ men, dem die ernsthaften Beschäftigungen eines Geheimschreibers (Clerk) der sechs und dreissig Rathsherren den feinen Sinn für Rö¬ mische Dichtkunst nicht benommen haben; ich könnte lange bei dem wunderschönen Kabinet des Schatzmeisters der Ostindischen Compagnie, Herrn Temminck , verweilen und Dir die unnachahmliche, anderwärts noch nie erreichte Vollkommenheit in der Kunst die Vögel auszustopfen, anschaulich zu machen suchen; ich könnte Dir die Menge und Schönheit der neuen Gattungen von Vögeln rühmen, womit der edle Sonderling, le Vail¬ lant , diese Sammlung seines ersten Wohlthä¬ ters und Beschützers bereichert hat; allein es ist Zeit, dass ich noch mit einigen Zeilen eines Instituts erwähne, welches vielleicht nur in Amsterdam so schnell entstehen und zur Reife gedeihen konnte, — ich meine das pracht¬ volle Felix meritis Der Sinnspruch, der die Interessen dieses Unter¬ nehmens vereinigte und womit sie auf das Glück an¬ . G g 4 Vor ein paar Jahren hatten einige der reichsten Einwohner von Amsterdam den Ge¬ danken, für die wissenschaftliche Bildung und die Erweckung des Kunstsinnes unter ihren Mitbürgern zu sorgen. Jene Leere, welche dem Kaufmann, nach vollbrachter Arbeit, in seinen Nebenstunden bleibt, sollte nun aus¬ gefüllt und sein Kopf mit Ideen bereichert werden, die zum Glück des Lebens so viel mehr als todte Schätze beitragen können und um deren Erwerb die vorige Generation sich gleichwohl so wenig bekümmert hatte, dass auch die jetzige ihren Mangel noch nicht hin¬ länglich fühlte. Die Beschaffenheit des Unter¬ richtes sollte zu gleicher Zeit für das Bedürf¬ niss des schönen Geschlechtes berechnet seyn, und indem man dieser empfänglicheren Hälfte spielten, welches wissenschaftliche Verdienste gewäh¬ ren, ist zugleich der Name des Instituts geworden. unserer Gattung die Quellen der Erkenntniss eröffnete, glaubte man mit Recht auf eine dreifache Art für die Männer zu sorgen, theils durch Erweckung eines edlen Wetteifers zwi¬ schen beiden Geschlechtern, theils weil man ihrem häuslichen Glück durch die Vervoll¬ kommnung ihrer Gattinnen und Töchter zu vernünftigen und wohlunterrichteten Gesell¬ schafterinnen einen wesentlichen Zuwachs verschaffte, theils aber auch, indem man die ersten Erzieherinnen der künftigen Genera¬ tion mit zweckmässigen Kenntnissen ausrü¬ stete und ihre Urtheilskraft schärfte und übte. Man umfasste die ganze Masse der Belehrung, deren man zu bedürfen glaubte, in den fünf Klassen der Philosophie, der Mathematik, der schönen Wissenschaften, der Tonkunst und der Zeichenkunst. Zur Philosophie rech¬ nete man Naturkunde, Physik und Chemie, so wie zur Mathematik noch die Sternkunde. G g 5 Die Ausführung dieses Planes war dem Um¬ fange und der Bestimmung desselben, so wie der Stadt und des Publikums würdig. Eine Million Gulden — ich sage noch einmal: eine Million Gulden! — wurden zusammen¬ geschossen, und an der Heerengrast , der vor¬ nehmsten Strasse in der Stadt, erhob sich ein prächtiger Bau, durchaus zu diesem Endzweck eingerichtet, an dessen Fronton der Sinnspruch der Gesellschaft: Felix meritis , in grossen goldenen Buchstaben prangt. Jede Klasse hat hier ihre eigenen Säle und Zimmer, ihre In¬ strumente und anderweitigen Erfordernisse. Der Concertsaal ist eine schöne Rotunde, die beinahe neunhundert Menschen enthalten kann und wo das Orchestra nebst den Öfen und Luftzügen dem Baumeister vorzüglich Ehre macht. Der Saal, wo man nach lebendigen Modellen zeichnet, hat ebenfalls eine zweck¬ mässige Einrichtung und Beleuchtung. Das physikalische Kabinet und die Sternwarte im obersten Stock waren noch nicht fertig; über¬ all aber herrschte Vollständigkeit, Eleganz und reiner Geschmack. Die gelehrten Mit¬ glieder bezeigen ihren Eifer durch die Vorle¬ sungen, die sie zur Belehrung der anderen halten. Einen schöneren Bund der Menschen als diesen kann man sich nicht denken, wo jeder in die gemeinschaftliche Masse bringt, was er auf seinem Wege fand, es sei nun Gold oder Wissenschaft. Die Anzahl der Interessenten soll sich gegenwärtig beinahe auf eintausend belaufen. Wie ungeduldig oder wie spöttisch würde man bei dieser Erzählung in vielen Gesell¬ schaften fragen, ob denn dieses Institut gar keine Mängel habe? Es ist so leicht, indem man tadelt, einige Kenntnisse geltend zu ma¬ chen, dass man gewöhnlich zuerst an allen Dingen das Fehlerhafte hervorsucht und dar¬ über oft ihre wesentlichen Vorzüge vergisst; recensiren und tadeln sind daher im Wörter¬ buche manches jungen Gelehrten vollkommene Synonymen. Ich gebe zu, dass eine strenge Prüfung auch hier verschiedene Gebrechen entdecken würde; allein ich kann mir jetzt den Genuss nicht schmälern lassen, den ein so lebhafter Enthusiasmus für das Gute ge¬ währt. Man nannte uns einige demokratisch gesinnte Kaufleute als die Hauptstützen die¬ ses Unternehmens. Die heitere Aussicht in die Zukunft, welche diese Anwendung ihrer Kapitalien ihnen eröffnet, sollte ihnen das traurige Andenken an ihre misslungenen po¬ litischen Plane aus dem Sinne schlagen hel¬ fen. Es kann nun gleichgelten, welche Par¬ tei das Recht auf ihrer Seite hatte: das erste Bedürfniss des Staates ist Aufhellung der Be¬ griffe und Läuterung des Geschmackes; denn nur auf diesem Wege wird ein richtiges Ur¬ theil über das wahre Interesse des Bürgers möglich. Unwissenheit ist der grosse allge¬ meine Unterdrücker aller gesellschaftlichen Verträge, und diesen zu stürzen durch sanfte, wohlthätige Verbreitung des Lichtes der Ver¬ nunft, ist fürwahr die edelste Rache. Reine Vaterlandsliebe kann überall nur das Eigenthum einer geringen Anzahl von Auserwählten seyn und in unseren Zeiten, wo auf der einen Seite blinde Anhänglichkeit an altes Herkommen, auf der andern tiefes Sittenverderbniss und vermessene Neuerungs¬ sucht herrschen, wäre es kein Wunder, wenn diese erhabene Tugend beinahe gänzlich aus¬ gestorben schiene. Der Kampf des unver¬ nünftigen Vorurtheils mit aufgeblasenem Halb¬ wissen bringt überall der wahren Bildung der Nationen mehr Schaden als Gewinn, und hält die Menschheit vom Ziele ihrer Vervoll¬ kommnung entfernt. Ohne die zarteste Reiz¬ barkeit des moralischen Gefühls kann die Entwickelung der übrigen Geisteskräfte genau so gefährlich werden, als ihre Vernachlässi¬ gung es bis dahin gewesen ist; die Ertödtung aber jenes Gefühls, diese unverzeihliche Sün¬ de des religiösen und politischen Despotis¬ mus, der die Menschheit in den Ketten der mechanischen Gewöhnung gefangen hält, be¬ reitet jene furchtbaren Zerrüttungen vor, die von der jetzigen Art der Fortschritte im Den¬ ken unzertrennlich sind. In Holland hält die Orthodoxie gebunden, was die freiere Staatsverfassung vor weltlicher Übermacht be¬ schützte. Natürlicherweise ging daher das Bestreben der wenigen redlich gesinnten Pa¬ trioten auf die Befreiung des Volkes vom schweren Joche der Meinungen; sie wünsch¬ ten den Einfluss der orthodoxen Geistlichkeit zu vermindern und den Zeloten unter ihnen Schranken zu setzen. Allein diesen uneigen¬ nützigen Charakter konnte die Partei nicht beibehalten, sobald sie das Süsse der Herr¬ scherrolle gekostet hatte; um die Oberhand, um das Ruder im Staate, galt der Kampf, und eine Aristokratie wollte die andere ver¬ treiben. Im Taumel des Sieges hätte man die Stimme der Mässigung nicht gehört und manchen willkührlichen Schritt gethan, die Herrschaft der Vernunft zu erweitern, die gleichwohl nur über freiwillige Untergebene gebieten kann. Der Hof kannte die Macht der Geistlichkeit über die Majorität der Ge¬ müther; er wusste sich diese Stütze zu si¬ chern und gab dadurch einen Beweis von Regentenklugheit, den man nur deshalb we¬ niger achtet, weil er nicht ungewöhnlich ist. Thörichter kann in der That kaum eine For¬ derung seyn, als diese, die man jetzt so oft machen hört, dass in einem Zeitpunkt, wo Eigennutz und Privatinteresse mehr als je¬ mals die Götter des Erdenrundes geworden sind, gerade die Fürsten der Lieblingsneigung des menschlichen Herzens, der Herrschsucht, und den Mitteln, wodurch sie ihrer Befriedi¬ gung sicher bleiben, freiwillig entsagen sollen. Die Vernunft der Wenigen, die ein Herz sie zu wärmen hatten, ist auch hier zu der edlen Reife gediehen, die sich selbst genügt, still und ruhig wirkt, auf Hoffnung säet und mit Vertrauen harrt. In schwächeren Köpfen gährt und braust der Reichthum neuer und heller Begriffe mit den ungezähmten Leiden¬ schaften, und gebiert riesenhafte Entwürfe, wilde Schwärmerei, ungeduldigen Eifer. Das Volk ist nirgends, mithin auch hier nicht, reif zu einer dauerhaften Revolution, weder der kirchlichen noch der politischen Verfas¬ sung; überall fehlt das Organ, wodurch der Geist der Gährung in dasselbe übergehen, sich mit ihm verbinden und eine gemein¬ schaft¬ schaftliche, vorbereitende Stimmung bewirken soll; überall scheitern die Versuche, sowohl der namenlosen Ehrgeizigen, als der grössten Menschen, eine neue Ordnung der Dinge ein¬ zuführen. In Holland herrscht noch die in¬ tolerante Synode von Dordrecht, und ein Hof¬ stede darf ungestraft verfolgen, verurtheilen und verfluchen. Selbst in England wagt es die gesetzgebende Macht nicht mehr, seit Gordons Aufruhr zu Gunsten der bedrückten Religionsparteien etwas zu unternehmen. Was Friedrich der Grosse und Joseph der Zweite in ihren Staaten der Vernunft einräumen wollten, wird entweder von ihren Nachfol¬ gern vorsichtig zurückgenommen oder von ihren Unterthanen ungestüm vernichtet. Hier müssen allmälig Religionsedikte und Kate¬ chismusvorschriften erscheinen; dort (in Bra¬ bant) wiegelt der Clerus das Volk zur Em¬ pörung auf und usurpirt die Rechte des Re¬ II. Theil . H h genten. In Italien versinkt die Synode von Pistoja in ihr voriges Nichts; am Rhein wird an Josephs Sterbetage die Emser Punk¬ tation zerrissen. Spanien und Portugal schla¬ fen noch den Todesschlaf der betäubten Ver¬ nunft; und ob in Frankreich die Heiligkeit der Hierarchie versinken wird vor der grö¬ ssern Heiligkeit des Staatskredits, liegt noch vom Schleier der Zukunft tief verhüllt. Diese allgemeine Übereinstimmung ist nicht das Werk des Zufalls: eine allgemeine Ursache bringt sie hervor; und warum wollten wir der Politik den Sinn absprechen, die Zeichen der Zeit zu erkennen? Warum wollten wir von der Weisheit der Kabinette verlangen, dass sie eher das unmündige Menschenge¬ schlecht sich selbst überlassen sollte, als jene unverkennbare Majestät der Wahrheit hervorleuchtet, gegen welche die Willkühr ohnmächtig und ihr Widerstand eitel ist? Eine ganz andere Frage ist es aber, ob die herrschende Partei in allen Ländern und von allen Sekten weise handelt, ihre Über¬ macht noch jetzt in ihrem äussersten Umfange geltend zu machen, oder ob es nicht räthli¬ cher wäre, zu einer Zeit, wo sie noch mit guter Art Concessionen machen kann, dem Genius der Vernunft ein Opfer zu bringen? Es sei die Bewegung, die einmal entstanden ist, auch noch so schwach, so ist sie doch durch keine Macht mehr vertilgbar. Vom Druck erhalten Parteien und Sekten ihre Spannkraft; der Widerstand erhärtet ihren Sinn, die Absonderung giebt ihnen Einseitig¬ keit und Strenge; Misshandlung macht sie ehrwürdig; ihre Standhaftigkeit im Leiden flösst Enthusiasmus für sie ein; ihre Kräfte, extensiver Wirksamkeit beraubt, wirken in ihnen selbst subjektive, romantische Tugend. Alsdann bricht plötzlich ihr Feuer unaufhalt¬ H h 2 sam hervor und verzehrt alles, was sich ihm widersetzt. Die Revolutionen, welche ge¬ waltsamer Druck veranlasst, sind heftige, schnelle, von Grund aus umwälzende Kräm¬ pfe, wie in der äussern Natur, so im Men¬ schen. Es ist unmöglich, dem Zeitpunkt ei¬ ner solchen Veränderung zu entgehen; allein ihn weit hinaus zu rücken, bleibt das Werk menschlicher Klugheit, welche die Gemüther durch Nachgiebigkeit besänftigt und, wo sie nicht überreden kann, wenigstens den Zwist vermeidet, der die unausbleibliche Folge ei¬ ner unbilligen Behandlung der Andersgesinn¬ ten ist. Die in Holland wieder hergestellte Ruhe hat unläugbare, wohlthätige Folgen für seine innere und äussere Betriebsamkeit hervorge¬ bracht; man hat einem zerrüttenden Bürger¬ kriege vorgebeugt, dessen Ausgang ungewiss war, der aber in dem jetzigen Zeitpunkt, wo England ohnehin schon allen Aktivhandel an sich reisst, unheilbare Wunden geschlagen hätte. Wie sehr ist es nicht bei dieser gu¬ ten Wendung der Sache zu bedauern, dass die siegende Partei keine Schonung kannte, sondern sich vielmehr für berechtigt hielt, die beleidigte zu spielen und die Hälfte der Nation für ihre — Meinungen zu bestrafen! Meinungen, in so gleichen Schalen gewogen, dass eine Nation sich ihrentwegen in zwei beinahe gleich starke Hälften theilt, können ohne Ungerechtigkeit keiner von beiden zum Verbrechen gedeutet werden. Man hatte nun einmal auf beiden Seiten das Schwert gezo¬ gen für etwas — wie chimärisch es immer sei — was man für Freiheit hielt. Besiegt zu werden und den Irrthum eingestehen zu müssen, ist unter solchen Umständen schon Strafe genug; hier eine desto empfindlichere Strafe, je gewisser die besiegte Partei durch H h 3 ihre entschiedene Mehrheit ihren Endzweck zu erreichen hoffen durfte, wenn eine fremde Dazwischenkunft nicht der Schale gegen sie den Ausschlag gegeben hätte. Allein die Rachsucht der Sieger hat in Holland drei¬ hundert der angesehensten Familien zu einer freiwilligen Verbannung aus ihrem Vaterlande gezwungen; fünfhundert andere hat die Ent¬ setzung von den Ämtern, die sie bisher be¬ kleideten, zu Grunde gerichtet. In Friesland geht die Verbitterung noch ungleich weiter und die häufigen Confiscationen, wären sie auch nur Wiedervergeltungen für den von den Patrioten zuvor verübten Missbrauch ih¬ rer Übermacht, erhalten doch dadurch, dass sie nach geschlossenem Frieden, gleichsam mit kaltem Blute vorgenommen werden, ei¬ nen gehässigeren Anstrich. Auch ist das Feuer, das vorhin aufloderte, noch keines¬ weges gedämpft; es glimmt überall unter der Asche und wird durch jede neue Misshand¬ lung der Patrioten genährt. Das Andenken an empfangene Beleidigungen ist im Busen des Niederländers beinahe unvertilgbar; der tiefe, mit ihm alternde Groll ist von seinem Charakter unzertrennlich und, wie schon an¬ dere mit Recht erinnert haben, in seiner gan¬ zen Organisation gegründet. So tief wird schwerlich ein anderer Europäer gekränkt, wie man einen Holländer kränken kann. Diese Kränkungen sind die unzerstörbaren Keime einer neuen Revolution, die nach ei¬ nem Jahrhundert vielleicht erst reifen wird; allein auch alsdann noch wird die Rache den Kindern der Unterdrückten zurufen: » man schonte eurer Väter nicht! « H h 4 XXVII. Helvoetsluis. I n wenigen Stunden gehen wir zu Schiffe; aus dem Fenster, wo ich schreibe, kann ich unser Packetboot liegen und sich durch sei¬ nen schlankeren Bau von den kleinen Hollän¬ dischen Fahrzeugen auszeichnen sehn. Wäh¬ rend dass die Reisegesellschaft sich hier ver¬ sammelt, will ich unsere Abschiedsbemerkun¬ gen über Holland, auf der Fahrt von Amster¬ dam hierher, so im Flug' aufzeichnen, wie wir sie im Fluge angestellt haben. In Amsterdam, wie im Haag, nahte die Abschiedsstunde zu früh für unsere Wünsche heran. Kaum hatten wir die Hälfte der Merkwürdigkeiten besehen, welche man in dieser grossen Stadt den Fremden zu zeigen pflegt, kaum fingen wir an, eine Menge der interessantesten Bekanntschaften zu machen, so erwachte der Maimorgen, auf den unsere Abreise unwiderruflich festgesetzt war. Von allen Regeln, deren Beobachtung dem Rei¬ senden oft unmöglich wird, ist keine so leicht übertreten, als diese gewissenhafte Ein¬ theilung der Zeit, und keine, wobei die Standhaftigkeit der Entschlüsse sich selbst besser belohnt. Wir fuhren um fünf Uhr Morgens mit der Barke nach Harlem. Hier war unser erster Gang zum Landhause des in allen Welttheilen bekannten Herrn Henry Hope , der uns in Amsterdam den Erlaubniss¬ schein dazu gegeben hatte, einen Talisman, ohne welchen man in Holland selten ein Privathaus besehen darf. Ein angenehmer Spaziergang durch ein Gehölz führte uns bis an das Gebäude, dessen Äusseres weniger verspricht, als man im Innern findet. Die winkelige Form verräth noch den seltsamen Geschmack des ehemaligen Besitzers, und H h 5 das feuchte Klima löset unaufhörlich den Gipsüberzug ab, womit die Mauern beworfen sind. Inwendig fällt sogleich eine prächtige Treppe vom schönsten, weissen Marmor ins Auge, die in der That alle Forderungen der Kunst befriedigt. Die Zimmer sind sehr reich meublirt und mit Zierathen fast über¬ laden. Ein Parquet von kostbaren Ost- und Westindischen Hölzern, und Kamine von gel¬ bem, Parischem Marmor verriethen uns den königlichen Reichthum des Besitzers. Auf einigen grossen Tischen ahmte der feinste Lackfirniss den Parischen Marmor so voll¬ kommen nach, dass wir mit den Augen al¬ lein den Unterschied nicht entdeckt hätten. Drei prächtige Säle, die grösstentheils von obenher erleuchtet werden, bilden eine Ge¬ mäldegalerie, die wir eigentlich, zu sehen, hergekommen waren, und die uns dennoch sehr überraschte. Die Stücke sind nicht nur zahlreich und erlesen, sondern auch grossen¬ theils aus der Italienischen Schule. Zwar kann nicht alles in einer so grossen Samm¬ lung von gleicher Vortreflichkeit seyn; Man¬ nichfaltigkeit gehört zu einer Galerie, und um einen Künstlernamen mehr darin nennen zu können, räumt man oft einem Bilde ei¬ nen Platz ein, das die Forderungen des Ken¬ ners und des Malers befriedigt, wenn es auch den Kunstliebhaber gleichgültig lässt. In¬ dessen bleibt immer so viel zu bewundern, dass Du bei den folgenden Anzeichnungen wohl inne werden wirst, welch ein Fest der Augen und des innern Sinnes ich in einem Lande genoss, wo ich seit langer Zeit nur Flämische und Holländische Kunstwerke ge¬ sehen hatte. Im ersten Zimmer ruhte ich vor allem auf drei grossen Landschaften des grossen Pous ¬ sin , den schönsten, die ich noch von ihm gesehen hatte. Sein so gänzlich von dem sanften Claude verschiedener Styl, das Rie¬ senhafte, Einfache und Erhabene seiner Phan¬ tasie, war dunkel genug, um sich mit ihr zu vertiefen, und doch klar und göttlich genug, um sich nie ganz zu verlieren! Das Blau des Ultramarins, welches in dem einen Stück zu sehr hervorsticht, giebt ihm jetzt eine Härte und etwas Trocknes, womit es sicher¬ lich nicht aus der Hand des Meisters kam. Von einem ganz verschiedenen Werth, doch in ihrer Art auch treflich behandelt, ist Backhuisens Aussicht von Rotterdam und der Maas, mit herrlichen Wellen und Schif¬ fen und einem meisterhaften Effekt des zwi¬ schen trüben Wolken hervorbrechenden Lich¬ tes. In einem Paar von Rubens skizzirten Landschaften herrscht sein wildes Feuer; die Menschen und Thiere darin sind übrigens unförmlich, und von der Ausführung lässt sich gar nicht sprechen. Seine Ehebrecherin im Tempel, ein grosses Kniestück, hat das Verdienst, welches man seinen guten Wer¬ ken nicht absprechen kann, Ausdruck und Wahrheit in den Köpfen, aber ein livides Kolorit und viel hässliche Natur. Im zweiten Zimmer fand ich eine Susanna von — oder nach — Dominichino , sehr frisch und wohlbehalten, von jener in Düs¬ seldorf ganz verschieden, aber nichts edler gedacht; eine fleischige, Rubensische Dirne, ohne alle Jungfräulichkeit. Es ist wahr, diese Masse von Fleisch und Blut scheint zu leben, und die Maler glauben oft, man dürfe weiter nichts an sie fordern. Ist es denn gleichviel, ob Gibbon und Schiller eine Ge¬ schichte erzählen oder der Zeitungsschreiber? Ariost und Wieland oder Grecour? Wie reich ist dagegen für die Empfindung und den Verstand diese schöne, einzelne Fi¬ gur, die stehend oder wankend, ihren rech¬ ten Arm auf einem Kissen ruhen und das göttliche Haupt voll Leiden und Liebe zu¬ rücksinken lässt! Ihr Auge bricht von einem brennendern Schmerz, als dem des Schlan¬ genbisses an ihrer Brust. Sie steht da in vollendetem Ebenmaass, in unverbesserlichen Umrissen, ein Wesen höherer Art. Eine an¬ dere Stellung konnte sie nicht wählen; diese reine, zwanglose Grazie, diese einfach wahre Natur ist edel und schön zugleich. Sie ist ganz unverhüllt, ein wenig marmorn von Substanz und Farbe; doch was ist Farbe ge¬ gen Form, und was ist Bekleidung gegen Blösse, wenn diese Form sie heiligt? Malen für den denkenden Geist und malen für den thierischen Sinn, Zampieri’s Susanna und Guido’s Kleopatra schaffen — wem das ei¬ nerlei seyn kann, wer wohl lieber dort zu¬ greifen, als hier von Seele zu Seele empfin¬ den mag, — den wollen wir doch freundlich bitten, an dieser heiligen Magdalena unseres Guido schnell vorüber zu gehen. Es ist eine ganze, sitzende Figur in Lebensgrösse, mit ei¬ nem Kopf, der schöner wird, je länger man ihn ansieht. Im Kolorit ist der Künstler hier ungewöhnlich glücklich gewesen; der ganze, milde Farbenton des Stückes ist gut gewählt. Diese Gestalt musste drappirt werden, denn sie hat sinnlichen Reiz; der zart unterschei¬ dende Meister empfand dieses Gesetz der hö¬ heren Kunst; nur ist das Gewand nicht glücklich geworfen. Im Gesicht ist alles aus¬ gedruckt, was man von einer reuevollen Magdalena erwartet; doch wird es nicht durch Leidenschaft entstellt, wodurch die Stümper in der Malerei gewöhnlich den Af¬ fekt bezeichnen müssen. Für die Menge der Beobachter geht der zartere Ausdruck des Seelenzustandes gänzlich verloren; sie merken nicht, dass man traurig ist, wenn man nicht heult und schluchzt oder sich wüthend zur Erde niederwirft; sie kennen keine Freude, ohne das Grinzen des Satyrs, und so geht es durch alle Modificationen des Gemüthes. — Mit Vergnügen betrachtete ich hier noch einen schönen Engelskopf von Guido , und damit ich alle seine Bilder zu¬ sammenstelle, im dritten Zimmer einen ko¬ lossalischen Christuskopf, mit einem Adel angethan, den nur das Studium der Antike geben konnte, und ein wunderschönes, schla¬ fendes Kind im Arm der Mutter, die so ganz liebende Mutter ist. Der Eid des Brutus bei Lukreziens ent¬ seeltem Körper, von Hamilton , hat richtige Zeichnung und schöne Farbengebung; das weiche Fleisch des eben erst durchbohrten Leichnams ist gut gehalten; das Ganze, wie solche Geschichten, wenn nicht der höhere Ge¬ Genius der Malerei hinzukommt, immer be¬ handelt zu werden pflegen, eine kalte Dekla¬ mation. Carlo Maratti’s schlafende Venus verdiente wohl ein gutes Wort. Es ist nicht möglich, einen schönern weiblichen Kopf zu bilden, und schön ist auch die ganze Gestalt, so dass der Adonis gänzlich vor ihr verschwin¬ det. Männliche Schönheit glückt überhaupt den Künstlern seltner, vielleicht weil sie wirklich seltner ist. Winkelmann würde sa¬ gen, die vollkommenste Form muss auch die seltenste seyn. Das Kolorit dieses Stückes hat übrigens etwas gelitten; ein Unfall, der auch einer Venus mit dem Amor, von Ti¬ zian , widerfahren ist. Schöner ist von die¬ sem Meister die Tochter Cymons erhalten, die ihren alten Vater im Gefängniss aus ih¬ ren Brüsten tränkt; leider ist diese Geschich¬ te kein schicklicher Gegenstand für die Ma¬ lerei. In der Nähe hängt ein kleines Brust¬ II. Theil . I i bild einer Lukrezie, die sich ersticht; sie ist nicht schön, sie ist nicht edel, mit Einem Worte: es ist die wahre Lukrezie nicht; aber sie lebt und ersticht sich. An dem Busen dieses Weibes sollten sich die Maler blind studiren, bis sie von Tizian lernten, wo Na¬ tur und Wahrheit sich scheiden von Manier. Der sterbende Gladiator mit einem Anti¬ nouskopf, der wild aufblickt, mit offenem Munde, und den linken Arm hinter sich aus¬ streckt, ist eine schöne, riesenhafte Figur, deren Härte übrigens trotz dem dunkelbrau¬ nen Kolorit ihr marmornes Urbild verräth. Ich hätte es nicht errathen, dass dieses aus Antiken zusammengesetzte Bild einen Johan¬ nes in der Wüste vorstellen soll, und möch¬ te den grossen Caracci gern gefragt haben, was nun ein solches Machwerk zum Johan¬ nes charakterisirt? Bei einem andern gro¬ ssen, grässlichen Gemälde, das den Herkules und Kakus vorstellen soll, müsste ich eine ähnliche Frage an den Künstler thun. Vom Kakus sieht man den blutenden Hinterkopf, nicht das Gesicht; woher soll man erfahren, ob er ein Bösewicht ist, der sein Schicksal verdient? Kein Zug auf Herkules Gesicht be¬ zeichnet den Rächer der beleidigten Mensch¬ heit. Was unterscheidet hier den Halbgott von einem Banditen? Ich sehe nur einen wilden Kerl, der mit beiden Händen eine Keule über dem Kopfe schwingt, um einem Unglücklichen, dem er den Fuss in den Nacken setzt, den letzten Streich zu geben. Wahrlich, wenn ich Heldenthaten verrichtet hätte, ich würde mir Meister Annibal’s Bio¬ graphie verbitten. Der alte Perin del Vaga gefällt mir bes¬ ser in seiner santa famiglia ; das schönste Kind küsst eine holde, gute, sanft duldende Mutter; Elisabeth ist alt, aber nicht widrig, I i 2 und der kleine Johannes von untergeordneter Schönheit. Welch ein Abstich dieses Bildes aus der ältesten Italienischen Kunstepoche, gegen die geschmacklosen, hölzernen Grup¬ pen der ersten Niederländischen Künstler! — Hier ist übrigens noch eine Madonna mit dem Kinde, angeblich von Raphael . Zwei Landschaften von Claude le Lorrain , vereinigen mit Ägyptischen und Orientali¬ schen Gebäuden seine Wärme, seinen Reich¬ thum, seine Klarheit und sein Vermögen für die Phantasie des Zuschauers zu malen. Das eine Stück, wo Pharao’s Tochter den kleinen Moses findet, ist köstlich; das andere aber noch viel vortreflicher. Die Palläste sind wahre Feenpalläste. Ein kolossalischer Mannskopf, von Mengs , mit einem Ausdruck von heftigem Schmerz im offenen Munde, ist brav gemalt, aber kalt. Ich eile weg von ein paar grossen Bildern, welche die Venus bei dem erschlagenen Ado¬ nis vorstellen sollen. Was nur die Venus des Trevisano an ihrem getödteten Freunde so ängstlich zu untersuchen haben kann? Die von Paul Veronese scheint aus einem Amsterdammer Müsiko entlaufen zu seyn. Zum Beschlusse noch ein erotisches Ge¬ dicht. Amor spielt mit einer reizenden Nym¬ phe, die ihr Gesicht zur Hälfte mit der Hand verbirgt, aber den lieben, schalkhaften Blick des schönen Glanzauges so hervorstralen lässt, wie Sonnenstralen hinter dem Wolken¬ saum. Hingegossen ist die ganze Figur, Gra¬ zie ihre Stellung und all’ ihr Regen. Das Gewand, woran Amor zupft, ist nymphen¬ haft, phantastisch und von den Charitinnen angelegt. Ein Kolorit, so frisch, wie von der Staffelei! Das lose Mädchen erröthet nicht bloss auf der Wange. Im Grase vor ihr, hebt ein buntes Schlängelchen den Kopf Ii 3 in die Höhe: latet anguis in herba! Eine feine Allegorie und desto unnachahmlicher, weil der Zuschauer schon sie denkt, eh’ er noch den Wink des Künstlers gewahr wird. Dieses Gemälde ist modern; aber seines Plat¬ zes unter den Werken des Italienischen Pinsels würdig. Es ist von Sir Joshua Reynolds . Wir spazierten hierauf in die Gegend, wo die berühmten Harlemer Blumengärten liegen. Wohl mag es wahr seyn, dass der Wind ganze Tagereisen weit die würzhaften Wohl¬ gerüche des glücklichen Arabiens den Schif¬ fenden im Ocean zuführt, da wir in diesem nördlichen Klima schon von fern den Duft der Hyacinthen und Aurikeln verspürten. Es war ein warmer Vormittag; die Sonne schien am heitern Himmel, und in ihrem Lichte be¬ wunderten wir die Farben der Natur, deren Pracht und Glanz alle Nachahmung und al¬ len Ausdruck, so weit übersteigen. Wir über¬ sahen die ganze Fläche eines grossen Blumen¬ gartens, wo Tulpen von verschiedenen Farben in langen Beeten mit einander abwechselten und ein streifiges Band von Feuerfarb, Citro¬ nengelb, Schneeweiss, Karminroth und vielen andern Schattirungen darstellten. Die minder glänzende Hyacinthenflor befriedigte das Auge fast noch mehr bei einer näheren Untersuchung der Grösse, Zahl und Gestalt ihrer Glocken, und ihrer mannichfaltigen Farbenstufung. Wie man sonst einen zu grossen Werth auf die¬ sen Zweig der Gartenkunst legte, so wird er jetzt beinahe zu sehr verachtet. Es ist doch keine Kleinigkeit, dass der Mensch die We¬ sen der Natur modificiren kann, ohne sie bloss zu verunstalten! Das ehemalige Aktien¬ spiel, wozu die seltenen Tulpenzwiebeln nur die eingebildete Veranlassung oder eigentlich nur die Form und Einkleidung hergaben, hat gänzlich aufgehört. I i 4 Jetzt wollten wir noch die typographischen Instrumente in Augenschein nehmen, womit man hier vor der Erfindung der beweglichen Lettern druckte; allein der jetzige Eigenthü¬ mer des Kosterschen Apparats, Herr Ensche ¬ de , war entweder nicht zu Hause, oder liess sich verläugnen. Nach Tische besuchten wir das so genannte Teylerische Institut. Pe ¬ ter Teyler van der Hulst , ein reicher Kauf¬ mann, der in seinem Leben keine besondere Neigung für die Wissenschaften geäussert hatte, vermachte sein ganzes Vermögen den Armen und der Physik. Zu diesem doppel¬ ten Endzweck haben die Curatoren des Ver¬ mächtnisses beinahe hunderttausend Gulden jährlicher Einkünfte zu verwenden. Wir sa¬ hen die Bibliothek, eine Kupferstichsammlung, einen unvergleichlichen Apparat von physika¬ lischen Instrumenten und ein bereits sehr an¬ sehnliches und prächtiges Naturalienkabinet. Die grosse Elektrisirmaschine, die in ihrer Art einzig ist, kennt man aus dem treflichen Bericht des D . van Marum , der über das Kabinet die Aufsicht führt. Sie steht in ei¬ nem grossen, mit Geschmack dekorirten Saal, und ihre Scheiben haben gegen sechs Fuss im Durchmesser. Mit solchen Werkzeugen lassen sich Erscheinungen hervorrufen, die bei jedem schwächern Apparat unmöglich sind. Die Anwendung der Elektricität auf die Schmelzung und Verkalchung der Me¬ talle und auf die Scheidung der Luftarten liefert hiervon mehr als Einen Beweis, und mit der Zeit, wenn wir dem Himmel seine Geheimnisse nicht ablernen, wozu es freilich nicht viel Anschein hat, werden unsere Wis¬ senschaften doch überall den Punkt genauer treffen, wo das Sinnliche in das Übersinn¬ liche, das Materielle in das Immaterielle, Effekt in Ursach und Kraft übergeht. Die I i 5 neuesten Versuche, die Herr van Marum hier angestellt hat, liefern den Beweis, dass eine gänzliche Beraubung der Reizbarkeit mit der Tödtung der Thiere durch den Blitz al¬ lemal verbunden ist. Der Aal, zum Beispiel, dessen abgesonderte Stücke, wenn man ihn zerschnitten hat, sich nach langer Zeit noch krümmen und bewegen, blieb steif und an allen den Theilen unregsam, durch welche der tödtende Stral seinen Weg genommen hatte. Die Administratoren dieses Vermächtnisses könnten ohne Zweifel, wenn wahrer Eifer um die Wissenschaft sie beseelte, noch weit grössere Ausgaben in dem Geiste des Stifters bestreiten, ohne Besorgniss, sich von Mitteln entblösst zu sehen, oder auch nur die jährli¬ chen Zinsen des ungeheuren Kapitals zu er¬ schöpfen. Allein die Versuchung bei einer sol¬ chen Geldmasse ist zu gross zum Vermehren und Anhäufen, als dass man ihr widerstehen könnte; wenn aber einmal ein Fond zu einer dis¬ proportionirten Grösse herangewachsen ist, wer sichert ihn dann vor jener räuberischen Staats¬ nothwendigkeit, der in einem Augenblick des öffentlichen Misskredits alle Bedenklichkeiten weichen müssen? Hatte nicht die Universität Leiden bereits eine halbe Million erspart, womit sie während der neulichen Unruhen den Entschluss fasste, ein neues akademisches Gebäude zu errichten? Würde der Gross¬ pensionar van Bleiswyk diesen der Univer¬ sität so unentbehrlich gewordenen Bau nicht durchgesetzt haben, wenn er aus dem Schiff¬ bruche seines Einflusses bei dem Siege der Oranischen Partei mehr als den blossen Eh¬ rentitel eines Curators gerettet hätte? Jene ungeheure Contribution von achtzig Millionen verschlang die kleinen Ersparnisse der Wis¬ senschaften, und keine Stimme klagt in Eu¬ ropa über diesen — mehr als Kirchenraub. Wie darf man es wagen, nach einer solchen That noch von den eingezogenen Gütern müssiger Prälaten und Mönche in Frankreich zu sprechen? Zuletzt führte uns Herr van Marum , der uns sehr freundschaftlich aufnahm, auch in das Naturalienkabinet der Harlemer Societät der Wissenschaften, welches zwar minder glänzend, aber durch seine zweckmässige Einrichtung und die genau befolgte Linnäi¬ sche Methode vorzüglich lehrreich ist. Der zoologische Theil enthält besonders viele sel¬ tene Stücke und ist in den Klassen der Säug¬ thiere, der Vögel und der Zoophyten ziem¬ lich vollständig. So verstrich uns die Zeit bis zum Abend, da wir ein leichtes Fuhrwerk bestiegen, das uns in drei Stunden unter be¬ ständigem Wetterleuchten und Blitzen nach Leiden brachte. Wir eilten so schnell da¬ von, dass uns der heftige Patriotismus der Harlemer während der letzten Unruhen kaum eingefallen wäre, wenn uns nicht das Symbol desselben, die Menge der Spitzhunde (Hol¬ ländisch: Keessen ) auf allen Strassen daran erinnert hätte. In allen Volksbewegungen scheint es gefährlich zu seyn, gegen die Par¬ tei, die der Pöbel begünstigt, zu viel Verach¬ tung blicken zu lassen. Die Spottnamen, womit man sie zu erniedrigen meint, ver¬ wandeln sich leicht in ehrenvolle Benennun¬ gen, wodurch das Band der Vereinigung nur noch fester wird. Die Mehrheit behauptet unwiderlegbar das Recht, den Sprachgebrauch zu bestimmen. Als die von Philipp dem Zweiten unterdrückte Partei freiwillig den Namen Geusen ( gueux , Bettler) adoptirte, ward sie dem Tyrannen furchtbar; als die Neuengländer nach den Gefechten bei Lexing¬ ton und auf Bunkershill mit ihrem und mit Brittischem Blute den Vorwurf der Feigheit abgewaschen hatten, der auf dem Namen Yankies haftete, setzten sie ihren Stolz darin, sich ihre Feinde von Yankies besiegt und durch diesen Namen noch tiefer gedemüthigt zu denken. So kannten auch bald die Hollän¬ dischen Patrioten kein Wort, das sie stärker begeistern konnte, als das Anfangs gehässige Kees ; als eine Anspielung darauf, trugen die Weiber ein goldenes oder porzellanenes Hünd¬ chen an ihrem Halsgeschmeide; die Männer trugen es als Brelocque an der Uhrkette, und so ward es ein Abzeichen, woran man sich einander zu erkennen gab. Mit der Besichtigung der Sehenswürdig¬ keiten in Leiden und im Umgange mit den dortigen Gelehrten haben wir ein paar ver¬ gnügte Tage zugebracht. Wer mit allen Vor¬ urtheilen gegen die Niederländer, die man zumal in Deutschland bis zum Überdruss wie¬ derholt, plötzlich hieher verschlagen würde, dem könnte wohl ein Zweifel aufsteigen, ob er sich auch auf Holländischem Boden be¬ fände; so vereinigen sich hier die gründlich¬ sten Kenntnisse mit ächter Urbanität und milden Sitten, vor allem aber mit der Be¬ scheidenheit und der aufmerksamen Achtung gegen Fremde, die sich auf ein Gefühl vom eigenen Werthe gründen und nie zur klein¬ lichen Eitelkeit des Pedanten herabsinken. Der gute Ton unter den hiesigen Professoren ist eine natürliche Folge dieser Selbstachtung, verbunden mit der willigen Anerkennung ih¬ rer gegenseitigen Verdienste. Vielleicht trägt auch der Umstand, dass die meisten eigenes Vermögen besitzen und einige zu den wohl¬ habendsten Einwohnern des Ortes gezählt werden, etwas dazu bei, den kleinlichen Neid und die Scheelsucht zu verbannen, die bei einer grösseren Ungleichheit sowohl der Ta¬ lente als der Glücksgüter beinahe unvermeid¬ lich sind. Die Universität ist wirklich noch mit Männern besetzt, die ihrem alten Ruhm Ehre machen. Pestel , Ruhnken , Schultens , Luzac , sind Namen, die unter Gelehrten kei¬ ner Empfehlung bedürfen; sie würden sich in jeder Gesellschaft Aufmerksamkeit und Achtung erwerben, und wir ehrten in ihnen allen noch mehr den Menschen als den Pro¬ fessor. Es freute mich besonders, meinen alten Bekannten, den am Vorgebirge der gu¬ ten Hofnung geborenen D. Voltelen , einen geschickten Chemiker, als Rektor der Univer¬ sität wiederzusehen; dagegen mussten wir auf die Bekanntschaft des treflichen Natur¬ forschers Brugmans , der eben nach dem Haag gereiset war, für itzt Verzicht thun. Sandi¬ fort , der thätige Nachfolger des grossen Al¬ binus , zeigte uns freundschaftlich seines Vor¬ gängers und seine eigenen anatomischen Schätze, Schätze, seine reiche Bibliothek und sein grosses osteologisches Werk, wozu er bereits eine beträchtliche Anzahl Kupfertafeln fertig liegen hat. Den feinen Genuss, den die höchste Ausbildung des Geistes und die zar¬ teste Empfänglichkeit des Gefühls gewährt, durften wir uns vom Zufall und einem Auf¬ enthalt von wenigen Stunden nicht verspre¬ chen; desto schöner war die Überraschung, die uns in Herrn M—s Wohnung erwartete. Ich wage es nicht, die Empfindung zu be¬ schreiben, womit wir gewisse Saiten berühren und erbeben fühlten, die während unserer ganzen Reise kaum aus ihrer Ruhe gekom¬ men waren. Unserm Vergnügen fehlte dies¬ mal nichts; wir gingen berauscht von unserm Glücke davon, das uns mit einem so wohl¬ thätigen Eindruck von der in diesem Hause herrschenden Harmonie, aus Holland entliess. Wir hatten nun in diesem Lande an der II. Theil . K k Seite eines mit Kenntnissen reichlich ausge¬ rüsteten, an Kopf und Herz gleich schätzba¬ ren Mannes, auch das gefunden, was in allen Ländern so selten ist: eine Gefährtin von Ge¬ fühl und Verstand, von gebildetem Urtheil, ohne Anmassung, mit sanfter Weiblichkeit und jener glücklichen, mit sich selbst einigen Ruhe der besseren Menschheit! Einen frohen, geselligen Abend brachten wir bei Herrn van G —, einem jungen Man¬ ne von vortreflichem Charakter zu, der hier der Mennonitischen Gemeine als Prediger vorsteht. Diese Mennoniten sind nicht mehr die alten fanatischen Wiedertäufer; es giebt in den Niederlanden keine aufgeklärtere und vernünftigere Menschen. Überhaupt macht man in freien Staaten oft die Bemerkung, dass die schwärmerischsten Sekten, indem man ihnen Zeit zum Gähren lässt, sich end¬ lich in stille, weise, nützliche Bürger ver¬ wandeln. Die Wohlfahrt des Staates hat keine herzlicheren Freunde, die Freiheit der Verfassung und der Vernunft keine eifrigeren Verfechter, die Wissenschaft keine thätigeren Beförderer als diese, jetzt in ihrer Kleidung von den anderen Einwohnern nicht mehr zu unterscheidenden Mennoniten. Sie zählen vie¬ le der reichsten Familien in Holland zu ihrer Gemeinschaft, deren jetziges religiöses Band wohl eher in einem bescheidenen und schüch¬ ternen Gebrauche der Vernunft bei allen unauf¬ lösbaren Zweifeln des Übernatürlichen, als in dem ehemaligen Mysticismus besteht. Des starken Regens ungeachtet, der gleich nach unserer Ankunft fiel, war doch am fol¬ genden Morgen das Pflaster so rein, wie es nur in Holland und in einer Stadt möglich ist, wo die Reinlichkeit und die stille Handthie¬ rung der Einwohner zusammentreffen. Wirk¬ lich ist in Leiden wenig Bewegung auf den K k 2 Strassen; die vielen Fabriken beschäftigen die für ihren Umfang ziemlich beträchtliche Volks¬ menge, und die Zahl der Studirenden ist ver¬ hältnissmässig nur gering. Wir konnten also gleich unsere Gänge durch die schönen, mit Bäumen bepflanzten und mit Kanälen durch¬ schnittenen Strassen vornehmen. Wir besahen das alte, baufällige akademische Gebäude, die Universitätsbibliothek, den botanischen Garten und das Naturalienkabinet; lauter Institute, die einer kräftigen Unterstützung bedürfen, ehe sie einigermassen ihrem Endzwecke werden entsprechen können. An einem schönen Abend machten wir endlich nach unserer Gewohnheit einen Spa¬ ziergang rund um die Stadt. Die Sorgfalt, wo¬ mit der breite Weg, bloss für Fussgänger, wie eine Gartenallee unterhalten wird; die überall willkommene, nirgends ängstlich erkünstelte Reinlichkeit; die heiligen Schatten ehrwürdi¬ ger Linden und Ulmen, unter denen wir wan delten; die Pracht der Blüthen in den Obstgär¬ ten rund umher; die balsamische, mit Wohl¬ gerüchen erfüllte Luft, in welcher kein Blätt¬ chen sich bewegte und kaum die Nachtigal¬ len zu flöten wagten; die gut und einfach ge¬ kleideten Bürger, die uns einzeln oder paar¬ weis begegneten und uns zuletzt in der Däm¬ merung ganz allein liessen; der unverhoffte Anblick des Rheins, der hier ein stiller, kaum merklich fliessender Kanal von unansehnlicher Breite geworden ist; das Heer der Gedanken, das sich bei diesem Genuss in uns regte; die Heiterkeit des traulichen, einsamen Gesprä¬ ches, der kühne Flügelschlag der Phantasie, von dieser zauberischen Gegenwart hinüber in die Gefilde der Erinnerung, und nun, heili¬ ge, beglückende Schauer der sanftesten Schwer¬ muth — wer vermag das Bewusstseyn zu be¬ schreiben, das so ergriffen wird? K k 3 Um sechs Uhr Morgens verliessen wir Leiden. Von allen Seiten um uns her er¬ tönte ununterbrochener Gesang der erwachen¬ den Vögel. Die Sonne vergoldete die Thürme hinter uns. Unsere Barke umflatterten die Kibitze, die Brachvögel, die Schnepfen, die Meerschwalben, und alles jauchzte und ju¬ belte in der Luft und auf den Wiesen. Das bunte Vieh, in hundert kleinen, zerstreuten Heerden bedeckte die unermessliche Ebene, die mit frischem smaragdfarbenem Grün dem reinen blauen Himmel entgegen lachte; ein leichtes Lüftchen liebkosete die spiegelglatte Fläche des Kanals, worauf wir hinglitten, und ein Spiegel in der Kajüte malte uns immer wieder zum zweitenmal die Aussich¬ ten, die in entgegengesetzter Richtung vor unserm Auge vorüberflogen. Sogar die wort¬ kargen Schiffer fühlten den Einfluss des be¬ lebenden Frühlings und glückwünschten ein¬ ander naiv und energisch zum köstlichen Wetter. Diese Schiffer auf den Kanälen, die ich sorgfältig von den Schiffenden zur See unter¬ scheide, dürften leicht die langsamsten, phleg¬ matischsten unter allen Einwohnern von Hol¬ land seyn, und weil die meisten Reisenden sie beständig vor Augen, vielleicht auch von ihrer Indolenz am meisten zu dulden haben, ist vermuthlich auch von ihnen der so allge¬ mein bekannte Nationalcharakter abstrahirt, der keinesweges so genau auf die übrigen Volksklassen passt. Ihnen begegnet nie et¬ was Ungewöhnliches auf ihren Fahrten; ruhig sitzen sie da, lassen sich und ihren Nachen vom Pferde ziehen, und fühlen kaum, dass sich das Fahrzeug unter ihnen bewegt. Alle Gegenstände sind ihnen unterweges bekannt, alle kehren zur gesetzten Minute wieder vor ihr Auge zurück; sie sehen auf dem Hin¬ K k 4 und Herwege von einer Stadt zur andern nichts Neues, die Passagiere ausgenommen, die ihnen so gleichgültig sind, wie die Bäu¬ me am Rain der Kanäle. Ihr ganzes Ge¬ schäft heischt nicht die mindeste Anstren¬ gung; der eine führt das Ruder, der andere vorn giebt Acht auf das Seil, löset es ab, wenn die Barke unter einer Brücke hinzieht, und greift es, sobald sie hindurch ist, auf der andern Seite wieder auf. Einige Augen¬ blicke vor der Ankunft sammelt der Steuer¬ mann die Bezahlung von den Passagieren ein. So treibt er es den ganzen Tag und am fol¬ genden Morgen geht es wieder so fort. Hier¬ aus entspringt jene Gemessenheit und Lang¬ samkeit in allen Bewegungen, die einen leb¬ haften Menschen oft in Verzweiflung brin¬ gen möchte. Alles geschieht zu seiner Mi¬ nute, aber gewiss auch keine Sekunde früher. Kein Muskel verzieht sich in dem festen, dicken, ruhigen, rothen Gesicht, wenn auch auf der Wange des Fremden die Farbe zehn¬ mal geht und kommt. Eine bei uns ganz ungewöhnliche Höflichkeit, ohne die minde¬ ste Affektation oder Ziererei, kann man in¬ dess diesen Menschen so wenig, wie ihren Landsleuten überhaupt, absprechen. Sie grü¬ ssen die Vorübergehenden sehr herzlich und freundlich, ziehen vor dem Geringsten den Hut ab, antworten mit Gefälligkeit und Be¬ reitwilligkeit auf alle Fragen, weisen einen gern zurecht und äussern also in ihrem Be¬ tragen, wie in ihrer Kleidung und in allen anderen Verhältnissen, die Art von Rechtlich¬ keit , die nur wohlhabenden Nationen eigen ist. Die Politik ist ihr liebstes Gespräch, ihre einzige Lektüre die Zeitungen, ihr Zeit¬ vertreib die Tabakspfeife, und ihr Labsal ein Glas Wachholderbranntwein. Auf ihre Ehr¬ lichkeit kann man sich vollkommen verlassen; K k 5 mit der grössten Aufmerksamkeit sorgen sie, dass man alles aus dem Schiffe mitnimmt und nichts vergisst. — Ohne in Delft anzuhalten, gingen wir zu Fuss um die Stadt, und setzten uns auf der andern Seite in die Barke, die nach Maas- Sluis abgeht, woselbst wir zu Mittag eintra¬ fen. Dort waren wir von Helvoet noch drei Stunden Weges entfernt; weil aber die hie¬ sige Bewirthung nicht die beste und billigste ist und das Packetboot erst heute abgehen sollte, entschlossen wir uns, daselbst in ei¬ nem sehr bequemen Gasthofe zu übernachten. Maas-Sluis ist ein niedlicher kleiner Flecken, dessen Hafen mit Fischerfahrzeugen angefüllt war, indem von hier aus und dem benach¬ barten Vlaardingen der Kabeliau- und He¬ ringsfang betrieben wird. Nichts giebt einen so klaren Begrif von Holländischer Reinlich¬ keit als der Umstand, dass man sie auch in einem Fischerstädtchen, ungeachtet der von den Beschäftigungen der Einwohner fast un¬ zertrennlichen Unsauberkeit, in einem hohen Grade noch antrift. Das Schauspiel der Ar¬ beitsamkeit unterhielt uns eine geraume Zeit, indem wir hier umhergingen. Wir bemerk¬ ten unter andern, was man uns bereits in dem Admiralitätswerfte zu Amsterdam gelehrt hatte, dass der Theer, der aus Steinkohlen geschwehlt wird, allmälig an der Stelle des aus dem Tannenharz bereiteten in Gebrauch kommt, indem er vor diesem letztern wesent¬ liche Vorzüge hat. Von zwei Kriegesschif¬ fen, die man nach Ostindien geschickt hatte, kam das mit Holztheer bestrichene von Wür mern ganz zerfressen nach Holland zurück, da hingegen das andere, welches man mit Steinkohlentheer überzogen hatte, fast gar nicht angegriffen war. England bereitet gegenwärtig noch allein diesen Theer, und von dort aus wird er nach Holland aus¬ geführt. Nach dem Essen machten wir einen lan¬ gen Spaziergang durch die Wiesen und Vieh¬ weiden an der Maas, und lagerten uns auf dem üppig hervorgrünenden Klee an einem Damme, um die Sonne im Strom sich spie¬ geln zu sehen. Seine ganze Oberfläche war wie der Sternhimmel, nur unendlich dichter, mit funkelnden und flimmernden Punkten be¬ säet, indem der leichte Wind die Oberfläche des Wassers kräuselte und in jedem Ränd¬ chen, das sich erhob, ein Stral zurückgewor¬ fen ward. Dichter und dichter gesäet, ver¬ schränkten sich in Reihen und Glieder die Funken, bis sie senkrecht unter der Sonne zusammenflossen in ein Silbermeer von Licht, das blendend vor uns lag. Die zarten Blü¬ then unseres Rasenbettes hielten wir über uns in das Licht, gegen den Azur des Him¬ mels; da schien uns ihr Rosenroth in das unermessliche Blau hineingehaucht; von der Sonne durchschimmert, schien ihr Wesen von ätherischer Substanz; so rein und zart sind die Farben und die Gewebe der Tau¬ sendkünstlerin Natur! Auf diesen schönen Abend folgte ein trü¬ ber, neblichter Morgen. Wir liessen uns über die Maas setzen, und fuhren in einem offenen Wagen über die Insel Rosenburg an den südlicheren Arm desselben Flusses, wo wir nochmals übersetzen mussten, um unsern Einzug in die nette kleine Festung Briel zu halten, den ersten festen Platz, den die Nie¬ derländer den Spaniern entrissen. Ein an¬ muthiger Weg von wenig mehr als zwei Stunden, durch frische Saaten, fette Wiesen und unabsehliche Felder von Ölrettig, führte uns endlich hierher nach Helvoetsluis, wo wir eine Anzahl der schönsten Holländischen Kriegesschiffe theils im Hafen vor Anker, theils im Werfte abgetakelt liegen sahen. Die niedrige Gewinnsucht, die sich hier den Zeitpunkt zu Nutze macht, wo die Reisen¬ den, indem sie den guten Wind oder die Abfertigung des Packetbootes abwarten müs¬ sen, ohne Rettung in ihren Krallen liegen, scheint in der That das moralische Gefühl der hiesigen Einwohner fast ganz erstickt zu haben; indess sind es nicht die Einheimi¬ schen allein, sondern auch Ausländer, die jene verächtliche Rolle spielen und ihre klei¬ ne Tyrannei ungeahndet an den Vorüberzie¬ henden ausüben. Wir sind von dem allge¬ meinen Loose der Reisenden an diesem Orte nicht verschont geblieben; aber keine Miss¬ handlung, die uns noch begegnen kann, wird den guten Eindruck schwächen, den unsere Reise durch Holland in unserm Gedächtnisse zurücklässt. Das Bild einer freien und ar¬ beitsamen, gesunden und wohlgekleideten, genügsamen und reinlichen, gutgearteten und durch Erziehung zu einer auf Grundsatz ru¬ henden Tugend gebildeten Nation — sei auch mit ihrer Ruhe Gleichgültigkeit und Kälte, mit ihrer Einfalt Einseitigkeit und Beschränkt¬ heit, mit ihrer Ämsigkeit kleinliche Liebe des todten Eigenthumes zuweilen unvermeidlich verbunden — bleibt uns dennoch ein erfreuli¬ ches, versöhnendes Exemplar der Menscheit, das uns zumal für jenen scheusslichen Anblick belohnt, den die erschlaffte, zur herz- und geisttödtenden Sklaverei unter dem Joche der papistischen Hierarchie so tief herabgesun¬ kene menschliche Natur in Brabant, bei so viel mehr versprechenden Anlagen, uns ge¬ währte. Ende des zweiten Bandes . Inhalt des zweiten Bandes . XV. Brüssel. Revolution aus Unwissenheit. Fanatismus. Nous ne voulons pas être libres. Wirkungen des Verfol¬ gungsgeistes auf die Anlagen im Menschen. Kein grosser Mann in Brabant. — Gleichgültigkeit und dummer Widerstand der Niederländer gegen Jo¬ sephs Wiedereröffnung der Schelde. Vergängliches Phänomen des Kunstsinnes. Phlegma. Mechani¬ sche Künste und Ackerbau. Prozesssucht. Erwa¬ chen des Begrifs von den Rechten der Menschheit bei den Rechtsgelehrten. Einfluss der hierarchi¬ schen Seelentyrannei. S. 3 XVI. Brüssel. Zustand der Belgier unter Pr. Karl von Lothringen. Staatseinkünfte aus den Niederlanden. Josephs Er¬ sparnisse. Aufhebung des Barrierentraktats. Schelde- und Tausch-Projekte. Über die Rechtmässigkeit von Josephs Maassregeln. Wer auf Hofnung säen dürfe. Missbrauch des Princips, das von Erhaltung der Ruhe ausgeht. Usurpation des Adels und des Klerus. Chimären der Gleichförmigkeit in Verfas¬ sung und Gesetzgebung, wie in der Religion. Ein¬ füh¬ führung des neuen politischen Systems und des Generalseminariums. Kampf mit dem Aberglauben. Ausbruch der Widersetzlichkeit während des Kaisers Aufenthalt in Cherson. Nachgiebigkeit der Gene¬ ralgouverneurs. Widerrufung aller Neuerungen. Rebellion der Geistlichkeit. Weigerung der Subsi¬ dien. Aufhebung der Joyeuse Entrée. Mönche schiessen auf die Truppen in Tirlemont. Vonks patriotische Verbrüderung Emigranten in Hasselt und Breda. Uneinigkeit zwischen d’Alton und Trautmannsdorf. Einnahme von Gent. Waffen¬ stillstand von Leau. Unruhen in Brüssel. Die vergebliche Milde des Ministers. Räumung der Hauptstadt und Flucht der Kaiserlichen. Van der Noots Triumph. Unabhängigkeitsakte der vereinig¬ ten Belgischen Staaten. S. 20 XVII. Brüssel. Brabantische Broschüren. Vorgeschlagene Wiederein¬ setzung der Jesuiten. Der Abbé Ghesquière. Cha¬ rakterzüge der Brabanter. Einfluss der Revolution auf die Sitten. Phlegmatisches Temperament. Po¬ litik der Nachbarn. Kaiserliche Partei. Die Pa¬ triotische Gesellschaft und ihre Bittschrift an die Stände. Erzwungene Gegenaddresse. Walkiers. Mordbrennerei in Brüssel von den Söldnern der Stände. Ihr Sieg über Walkiers. Aufhebung der patriotischen Gesellschaft. S. 105 L l XVIII. Brüssel. Bedaurenswerthe Lage des Brabantischen Volkes. Auf¬ wallung über den Brief des Generals van der Mersch. Geschichte seiner Entwafnung. Schwan¬ kendes Betragen der Volkspartei. Aristokratische Verblendung gegen Leopolds Anerbietungen. Zu¬ stand der Wissenschaften in Brüssel. Königliche Bibliothek. Verfall der Manufakturen und des Handels. Simons Wagenfabrik. Beschreibung des Lustschlosses Schooneberg. Allgemeine Liebe des Volkes für den Herzog Albert. S. 157 XIX. Lille. Reise nach Enghien. Aufenthalt daselbst bei dem Herzog von Aremberg. Ansicht des Hennegaus. Demolition der Festungswerke von Tournai. Ver¬ ächtliche Miliz daselbst. Kamelottmäntel und schwarze Kappen. Pont à Tressan; Französische Gränze. Tumult in Lille. Die Stadt und umlie¬ gende Gegenden. S. 197 XX. Antwerpen. Lebensdauer. Bleichen in Armentieres. Grands Flandrins. Aussicht von Mont-Cassel. Dünkirchen. Dünen. Schleichhandel. Wachholderbranntwein- und Salzsie¬ dereien. Portal der Pfarrkirche. Ansicht des Hafens und des Meeres. Karrikatur eines Theaters. Fahrt auf der Barke nach Fürnen, Nieuport und Ostende. Digression über das Völkerrecht und die geschlossene Schelde. Brügge. Die Barke von Gent. Geographi¬ sche Kenntnisse eines Franzosen. Gent. Standbild Karls des Fünften. Der Brand und Kindermord vom 14. und 15. November 1789. Verfassung der Provinz Flandern. Charakter der Flamänder und Flamände¬ rinnen. Gemälde zu St. Bavo. Reise durch Locke¬ ren und St. Niklaas nach Antwerpen. Erste Erblik¬ kung dieser Stadt. S. 219 XXI. Antwerpen. Schätze der Niederländischen Kunst. Über die Mechanik der Malerei. Gränzen der Koloristen. Sammlungen der Herren Huybrechts und van Lancker. Angeblicher Correggio. Seestücke. Architekturstücke. Metsü und Miris. Landschaftmalerei. Bataillenstücke. Bau¬ rengelage. Le chapeau de paille und zwei andere Porträte von Rubens, bey Herrn van Haveren. Samm¬ lung des Herrn Lambrechts. Leda von Tizian. Prä¬ monstratenserabtei. Van Dyks Taufe Christi. Peter Faes, jetztlebender Blumenmaler. ungeheu¬ re Gemälde. Augustiner- und St. Jakobskirche. Ka¬ thedralkirche. Himmelfahrt Mariä von Rubens, und dessen Abnahme vom Kreuz. S. 295 XXII. Antwerpen. Andächtelei und Stumpfsinn. Frugalität aus Geiz. Prie¬ L l 2 sterintriguen und Priestereigennutz. Einnahme der Citadelle von Antwerpen. Allgemeines Sittenverderb¬ niss in Brabant. Abschied von den Östreichischen Niederlanden. S. 346 XXIII. Haag. Abfahrt von Antwerpen. Ankunft im Holländischen Ge¬ biete. Moerdyk. Hollands Diep. Johann Wilhelm Friso. Das Dorf Stryen. Holländische Sauberkeit. Kattendrecht. Hospitalität und Sitteneinfalt. Ein Frühlingsmorgen an der Maas. Aussicht von Rotter¬ dam. Verfall des Holländischen Handels. Schiedam und sein Wachholderbranntwein. Fayencefabrik und Denkmäler in Delft. Ankunft im Haag. Spazier¬ gang nach Scheveningen S. 362 XXIV. Haag. Schöne Lage des Ortes. Gemischte Einwohner. Zahl¬ reiches Militair. Späte Essensstunde. Mässigkeit. Tabakspfeife. Kleidungsanzeichnungen. Guter Ton im Haag. Hemsterhuis, Camper und Lyonnet. Cam¬ pers, Lyonnets, Gallizius, Voets und des Erbstatt¬ halters Naturalienkabinette S . 388 XXV. Amsterdam. Werfte der Admiralität. Die Fregatte Triton läuft vom Stapel. Holländischer Nationalcharkter. Wirkung und Gegenwirkung des Handels und der Schiffahrt und der darauf angewendeten Geisteskräfte. Spa¬ ziergang in der Stadt. Das Rathhaus. Die Hollän¬ dische Bühne. Physiognostisches Urtheil über die Holländer. Etwas von der hiesigen dramatischen Kunst. Sitten im Parterre. — Reise auf der Bürger¬ meistersjacht vom Haag nach Harlem, und von da nach Amsterdam S. 419 XXVI. Amsterdam. Wanderung der klimatischen Üppigkeit aus Indien nach Europa. Entstehung des Luxus in Freistaaten. Ver¬ schiedenheit des nordischen und des Französischen Charakters. Ungelenkigkeit der Holländer bei Fran¬ zösischen Sitten und Moden. Französische Bühne in Amsterdam. Porträt einer Nordholländerin. Sardam und Broek. Peter der Grosse. Aufklärung und Läuterung des Geschmackes in Amsterdam. Das Athenäum und dessen jetzige Lehrer. Mühsame Be¬ schäftigung der Ärzte. Felix meritis . Patrioten. Holländische Orthodoxie. Symptome der Unreifheit für Aufklärung im Volke, durch ganz Europa. Re¬ gentenklugheit. Unausbleibliche Gährung. Pflicht der menschenfreundlichen Regenten. Rachsucht der in Holland obsiegenden Partei. Charakteristische Empfindlichkeit S. 447 XXVII. Helvoetsluis. Abreise von Amsterdam. Regel für Reisende. Henry Hope’s Landsitz und Gemäldegalerie bei Harlem. — Landschaften von Poussin und von Rubens. Susan¬ na von Dominichino. Guido’s Kleopatra und seine Magdalena. Venus von Carlo Maratti. Lukrezie von Tizian. Caracci’s Johannes; dessen Herkules und Kakus. Perin del Vagas heilige Familie. Claude le Lorrain. Venus und Adonis, von Trevisano und von Paul Veronese. Latet an guis in herba , von Sir Joshua Reynolds. — Harlemer Blumenflor. Kosters Druckproben. Teylers Institut. Willkühr¬ liche Anwendung des Fonds der Universität Leiden. Naturalienkabinet der Harlemer Societät der Wissen¬ schaften. Keessen . Sehenswürdigkeiten in Lei¬ den. Professoren. Herr und Madame M—. Men¬ noniten. Metamorphose des Fanatismus. Reinlich¬ keit der Stadt Leiden. Verfall der Universitätsge¬ bäude und öffentlichen Institute. Spaziergang um die Stadt. Abreise von Leiden. Schöner Morgen. Skizze zum Porträt eines Holländischen Schiffers. Maassluis. Theer von Steinkohlen. Naturschönheit. Reise über Briel nach Helvoet. Gewinnsucht der Einwohner von Helvoet. Erinnerung an Holland und Bild seiner Bewohner. S. 488 Gedruckt bei Johann Friedrich Unger.