Robinson der Juͤngere, zur angenehmen und nuͤzlichen Unterhaltung fuͤr Kinder. Zweiter Theil von J. H. Campe. Mit Chursaͤchsischer Freiheit. Hamburg 1780, beim Verfasser und in Commißion bei Carl Ernst Bohn. Zwoͤlfter Abend. „ V aͤterchen, was wilst du uns denn nun erzaͤhlen?„ fragte Lotte, da sich Alle wieder unter dem Apfelbaume eingefun- den hatten, und der Vater Miene machte, als ob er fuͤr seine Kleinen abermahls etwas in Bereitschaft habe. (Die ganze Gesel- schaft hatte unterdeß Unterricht im Korb- machen genommen, womit sie jezt eben be- schaͤftiget war.) „Von Robinson! „ antwortete der Va- ter, und die Versamlung machte große Au- gen. A 2 Lot- Lotte. J, der ist ja todt! Johannes. O stille doch, Lotte! Er kan ja wohl wieder aufgelebt sein; weißt du nicht, daß wir schon einmahl geglaubt haben, daß er todt sei, und da lebt' er ja doch noch. Vater. Robinson kriegte, wie wir zu- lezt gehoͤrt haben, Verzukkungen; neigte sein Haupt und hoͤrte auf, sich seiner bewust zu sein. Ob er wirklich todt, oder nur von ei- ner starken Ohnmacht uͤberfallen sei, war noch unentschieden. Ueber eine gute halbe Stunde lag er in dem Zustande einer gaͤnzlichen Sinlosigkeit. Endlich — wer haͤtt' es wohl gedacht! — kehrte das Bewustsein wieder in seine Sele zuruͤk. Alle. Ah! das ist gut! das ist schoͤn, daß er noch nicht todt ist! Vater. Mit einem tiefen Seufzer fing er wieder an, auf die gewoͤhnliche Weise Athem zu holen. Dan schlug er seine Augen auf und blikte umher, als wenn er sehen wolte, wo er waͤre? Denn wirklich war er in in diesem Augenblicke selbst noch zweifelhaft, ob er aus seinem Leibe herausgegangen sei, oder nicht? Endlich uͤberzeugte er sich von dem Leztern und zwar zu seiner großen Be- truͤbniß, weil der Tod ihm jezt wuͤnschens- wuͤrdiger, als das Leben, schien. Er fuͤhlte sich sehr mat, aber doch ohne sonderliche Schmerzen. Stat der troknen brennenden Hize, die er vorher empfunden hatte, quol jezt ein starker wohlthaͤtiger Schweiß aus allen seinen Gliedern. Um denselben zu unterhalten, bedekt' er sich noch immer mit Fellen, und kaum hatt' er eine halbe Stun- de in dieser Lage zugebracht, als er anfing große Erleichterung zu spuͤren. Aber jezt quaͤlte ihn der Durst auf die allerempfindlichste Weise. Das uͤbrige Was- ser war nicht mehr trinkbar; zum Gluͤk er- innerte er sich der Zitronen. Mit vieler Muͤ- he biß er endlich eine derselben an, und genoß ihres Saftes zu seiner merklichen Erquikkung. Dan gerieth er, unter fortdauerndem Schweis- se, in einen sanften Schlummer, der sich A 3 erst erst mit dem Aufgange der Sonne en- digte. O wie viel leichter war's ihm jezt ums Herz, als am gestrigen Tage! Die Wuth der Krankheit hatte sich offenbar gelegt und sein ganzes jeziges Uebel bestand nur noch in bloßer Mattigkeit. Er fuͤhlte sogar schon wieder einigen Appetit und speisete eine der gebratenen Kartoffeln, auf die er etwas Zitro- nensaft treufelte, um den Geschmak derselben erfrischender zu machen. Die beiden vorigen Tage hatt' er sich gar nicht um seine Lama's bekuͤmmert; jezt aber war es ihm ein ruͤhrender Anblik, sie zu sei- nen Fuͤßen liegen zu sehen, indem einige der- selben ihn star ansahen, als wenn sie sich er- kundigen wolten, ob's noch nicht besser mit ihm waͤre? Zum Gluͤk koͤnnen diese Thiere, so wie die Kamele, sich viele Tage ohne Ge- traͤnk behelfen: sonst wuͤrd' es jezt schlim um sie ausgesehen haben; weil sie nun schon seit zwei Tagen nicht getrunken hatten, und Ro- binson auch jezt noch viel zu schwach war, um um aufstehen und Wasser fuͤr sie holen zu koͤnnen. Da das alte Mutterlama ihm so nahe kam, daß er es erreichen konte: so wandte er alle seine Kraͤfte an, ihm etwas Milch aus dem Eiter zu ziehen, damit sie ihm nicht vergehen moͤgte. Der Genuß dieser frischen Milch mußte seinem kranken Koͤrper auch wohl zutraͤglich sein, denn es ward ihm recht wohl darnach. Nachher verfiel er von neuem in einen er- quikkenden Schlaf, aus dem er erst bei Son- nenuntergang wieder erwachte. Und da ver- spuͤrte er schon viel staͤrkern Hunger. Er aß also wieder einige Kartoffeln mit Zitronensaft und legte sich abermahls schlafen. Dieser fortdauernde erquikkende Schlaf und die Guͤte seiner Natur wirkten so stark zur Wiederherstellung seiner Kraͤfte, daß er am folgenden Morgen schon wieder aufstehen und — wiewohl mit schwachen zitternden Fuͤßen — einige Schritte versuchen konte. A 4 Er Er schwankte aus der Hoͤhle bis auf sei- nen Hofplaz. Hier hob er seine Augen gen Himmel; ein sanfterwaͤrmender Strahl der Morgensonne fiel durch die Baͤume auf sein Angesicht, und es ward ihm, als wenn er neu gebohren wuͤrde. „O du ewiger Quel des Lebens, rief er aus, indem er sich auf seine Knie warf; Gott! Gott! habe Dank, daß du mich noch einmahl deine schoͤne Sonne erblikken, und in ihrem Lichte die Wunder deiner Schoͤpfung sehen laͤßt! Habe Dank! Dank! Dank! daß du mich nicht verlassen hast in meiner Noth; daß du noch einmahl mich zuruͤk gerufen hast ins Leben, um mir noch mehr Zeit zu meiner Besserung zu schen- ken! Laß mich doch ja jeden Tag meines noch uͤbrigen Lebens dazu anwenden, damit ich zu jeder Zeit bereit gefunden werde, hinzureisen nach dem Orte unserer ewigen Bestimmung, wo wir den Lohn unserer guten und boͤsen Thaten empfangen werden!„ Nach diesem kurzen, aber herzlichen Ge- bete weidete er seine Augen bald an dem gros- sen sen blauen Gewoͤlbe des Himmels, bald an den Baͤumen und Stauden, die in frisches Gruͤn gekleidet und mit Thau beperlt, so la- chend vor ihm da standen, bald an seinen treuen Lama's, die sich freudig und liebkosend um ihn her drengten. Es war ihm, als waͤr' er von einer langen Reise wieder zu den Seinigen gekommen; sein Herz floß uͤber und ergoß sich in suͤßen Freudentraͤnen. Der Genuß der frischen Luft, und des frischen Wassers, welches er mit Milch ver- mischte, und die stille Heiterkeit seines Ge- muͤths trugen nicht wenig dazu bei, ihn voͤl- lig wieder herzustellen. In einigen Tagen waren alle seine Kraͤfte ersezt, und er sahe sich wieder im Stande, zu seinen Arbeiten zuruͤkzukehren. Das erste, was er vornahm, war eine Untersuchung, was wohl aus seinen Toͤpfen moͤgte geworden sein? Er oͤfnete den Ofen und siehe da! alle seine Gefaͤsse waren so schoͤn glasirt, als wenn sie von einem unserer Toͤpfer waͤren gemacht worden. In der Freude A 5 daruͤ- daruͤber vergaß er eine Zeitlang, daß er von dieser seiner wohlgerathnen Arbeit nun keinen Gebrauch werde machen koͤnnen, weil sein Feuer ausgegangen war. Da ihm dieses end- lich einfiel, stand er mit gesenktem Haupte, sahe bald die Toͤpfe und Tiegel, bald die Feuerstelle in seiner Kuͤche an, und stieß ei- nen tiefen Seufzer aus. Doch blieb seine Betruͤbniß diesmahl in den Schranken der Maͤßigkeit. Er dachte nemlich: eben die guͤtige Vorsehung, die dir neulich Feuer verschafte, kan dir ja, entwe- der auf eben dieselbe, oder auf eine andere Weise, auch zum zweitenmahle dazu verhel- fen, wenn es ihr gefaͤllig ist. Ueberdem wust' er nun schon, daß er keinen Winter hier zu besorgen habe; und ohngeachtet er von Ju- gend auf an Fleischspeisen gewoͤhnt war: so hoft' er doch, daß er auch ohne dieselben, blos von Fruͤchten und von der Milch seiner Lama's, wuͤrde leben koͤnnen. Lotte. J, er konte ja auch geraͤucher- tes Fleisch essen; das braucht ja nicht erst gekocht zu werden! Va- Vater. Das ist wahr; aber womit solt' er denn sein Fleisch raͤuchern? Lotte. Ja so! daran hatt' ich nicht ge- dacht. Vater. Es reuete ihn indeß nicht, die Toͤpfe gemacht zu haben: denn er konte sie nun wenigstens zu Milchgefaͤßen brauchen. Den groͤßten davon hatte er zu einem beson- dern Gebrauche ausersehen. Johannes. Nu, wozu denn? Vater. Er bildete sich ein, daß ihm seine Kartoffeln noch besser schmekken wuͤrden, wenn er sie mit etwas Butter essen koͤnte. Gottlieb. Das glaub' ich! Vater. Aber ein hoͤlzernes Butterfaß zu verfertigen, war ihm unmoͤglich. Er wolte daher versuchen, ob die Butter sich nicht auch in einem großen Topfe machen liesse. Er samlete also so viel Rahm, als er noͤthig zu haben glaubte. Dan machte er einen kleinen hoͤlzernen Teller mit einem Loche in der Mit- te, in welches er einen Stok stekte. Mit diesem Werkzeuge fuhr er dan in dem mit Rahm Rahm angefuͤlten Topfe so lange auf und nieder, bis die Butter von der Buttermilch abgesondert war; worauf er sie mit Wasser wusch und mit etwas Salz vermischte. So war er also auch damit gluͤklich zu Stande gekommen: aber indem er der Frucht seines Fleisses jezt geniessen wolte, fiel ihm erst ein, daß er auch keine Kartoffeln mehr braten koͤnte, weil er kein Feuer haͤtte, woran er in der Hize seiner Geschaͤftigkeit wiederum gar nicht gedacht hatte. Da stand nun die schoͤne Butter, welche ungegessen bleiben solte, und Robinson stand daneben mit traurigem Ge- sichte. Er sahe sich nun auf einmahl wieder in seinen anfaͤnglichen armseligen Zustand ver- sezt. Austern, Milch, Kokusnuͤsse, und ro- hes Fleisch waren nun wieder seine einzigen Nahrungsmittel geworden, und es stand da- hin, ob er diese immer wuͤrde haben koͤnnen? Das schlimste dabei war, daß er gar kein Mittel vor sich sahe, wie er seinen Zustand etwa verbessern koͤnte. Was Was solt' er nun vornehmen? Alles, was er mit seinen bloßen Haͤnden machen konte, war schon gethan. Es schien ihm al- so weiter nichts mehr uͤbrig zu sein, als seine Lebenszeit mit Nichtsthun und mit Schlafen hinzubringen. Der schreklichste Zustand, den er sich nur denken konte. Denn die Arbeit- samkeit war ihm jezt schon so sehr zur Ge- wohnheit geworden, daß er nicht mehr leben konte, ohne sich mit einer nuͤzlichen Verrich- tung die Zeit zu vertreiben; und er pflegte nachher oft zu sagen, daß er die Besserung seines Herzens vornemlich dem Umstande zu verdanken habe, daß er durch die anfaͤngliche Huͤlflosigkeit seines einsamen Aufenthalts zu einer bestaͤndigen Geschaͤftigkeit sei gezwungen worden. Die Arbeitsamkeit, sezt' er hinzu, die Arbeitsamkeit, lieben Leute, ist die Mutter vieler Tugenden; so wie die Faulheit der Anfang aller Laster ist! Johannes. Ja, darin hat er gewiß auch Recht! Wenn man nichts zu thun hat, so faͤlt einem lauter dum Zeug ein! Va- Vater. Richtig! eben darum gab er nach- her allen jungen Leuten den Rath, sich doch ja von Kindheit an zu gewoͤhnen, immer geschaͤf- tig zu sein. Denn, sagt' er, so wie man sich gewoͤhnt in der Jugend, so bleibt man ge- meiniglich all sein Lebelang, faul oder fleißig, geschikt oder ungeschikt, ein guter oder ein schlechter Mensch. Nikolas. Das wollen wir uns merken! Vater. Thut das, Kinder, und richtet euch darnach: es wird euch nicht gereuen. Unser armer Robinson dachte also lange hin und her, was er doch nun wohl fuͤr eine Arbeit wieder vornehmen koͤnte, um nicht muͤßig zu sein; und was meint ihr wohl, auf was fuͤr eine er endlich verfallen sei? Johannes. Ich wuͤste wohl, was ich gemacht haͤtte! Vater. Nun, laß doch hoͤren! Johannes. Ich haͤtte die Lamafelle ger- ben wollen, damit ich nicht noͤthig gehabt haͤtte, sie so rauh am Leibe zu tragen. Das mußte doch sehr unbequem sein in einem so heissen Lande! Va- Vater. Und wie haͤttest du denn das anfangen wollen? Johannes. O ich weiß wohl, wie die Lohgerber es machen! Wir haben's ja ge- sehn! Vater. Nun? Johannes. Erst legen sie die rauhen Haͤute einige Tage ins Wasser, daß sie recht durchweichen. Hernach kriegen sie sie auf den Schabebaum und fahren mit dem Streich- eisen daruͤber her, um das eingezogene Was- ser wieder heraus zu reiben. Dan salzen sie die Felle ein und bedekken sie, daß die frische Luft nicht dazu kommen kan. Das nennen sie die Felle in die Schwize bringen: denn da fangen sie ordentlich an zu schwizen, wie ein Mensch, der stark arbeitet. Darnach koͤnnen sie die Haare mit dem Streicheisen abschaben. Wenn das geschehn ist, so legen sie die Felle in die Treibfarbe, die aus Bir- kenrinde, aus Sauerteig und aus einer sau- ern Bruͤhe von Eichenrinde gemacht wird. Endlich werden diese Felle in die Lohgrube gelegt gelegt, und mit einer Bruͤhe uͤbergossen, die auch aus Eichenrinde gemacht ist; und davon werden sie denn voͤllig gegerbt, oder gar ge- macht. Vater. Gut, Johannes; aber erinnerst du dich auch noch, was das eigentlich fuͤr Le- der wird, das der Lohgerber auf diese Weise bereitet. Johannes. Ja, so was, das man zu Schuhen, zu Stiefeln, und zum Pferdege- schirre braucht? Vater. Also Leder, welches nicht so ge- schmeidig zu sein braucht, als dasjenige, was wir zu Beinkleider, zu Handschuhen und zu so etwas brauchen? Johannes. Nein! Vater. Und wer bereitet denn das? Johannes. Das thut der Weißger- ber; aber dessen seine Werkstat haben wir ja noch nicht gesehen. Vater. So ging es Robinson auch; er hatte weder des Lohgerbers noch des Weiß- gerbers Werkstat jemahls besucht; und daher kont' kont' er es weder dem Einen, noch dem An- dern nachmachen. Diderich. Wie macht es denn der Weiß- gerber? Vater. Anfangs eben so, wie der Lohger- ber, nur daß er die Felle nicht durch Lohe oder Kalk (denn den brauchen die Lohgerber auch) son- dern durch warmes Wasser, mit Waizenkleie und Sauerteig vermischt, und hernach durch Aschenlauge beizt. Wir wollen naͤchstens zu ihm gehen. Johannes. Wenn's Robinson nun auch gewust hatte, wie die Weißgerber es anfan- gen: so haͤtt' er's doch nicht nachmachen koͤn- nen, weil er keine Waizenkleie, und keinen Sauerteig hatte. Vater. Siehst du? Also die Lust must' er sich schon vergehen lassen. Nikolas. Nu, was that er denn? Vater. Tag und Nacht lag ihm der Gedanke im Kopfe, ob's ihm wohl nicht moͤg- lich waͤre, ein kleines Schif zu verfertigen. B Jo- Johannes. Was wolt' er denn mit dem Schiffe? Vater. Was er damit wolte? Versu- chen, ob er nicht vielleicht aus seiner Einsam- keit, die ihm durch den Verlust des Feuers wieder so traurig geworden war, sich damit befreien und wieder zu Menschen kommen koͤnte. Er hatte Ursache zu vermuthen, daß das feste Land von Amerika nicht sehr fern sein koͤnne; und er war entschlossen, wenn er nur einen kleinen Kahn haͤtte, keine Gefahr zu achten, um, wo moͤglich, nach diesem fe- sten Lande hinzukommen. Vol von diesen Gedanken lief er eines Tages aus, um einen Baum aufzusuchen, den er durch Aushoͤhlen zu einem kleinen Kah- ne machen koͤnte. Da er in dieser Absicht ei- nige Gegenden durchlief, wo er bisher noch nicht gewesen war: so entdekte er noch man- ches ihm unbekante Gewaͤchs, womit er al- lerlei Versuche anzustellen beschloß, um zu er- fahren, ob's ihm nicht zum Unterhalte die- nen koͤnne? Un- Unter andern fand er einige Stauden von indianischem Korn, oder Maiz, welches man bei uns tuͤrkschen Waizen zu nennen pflegt. Nikolas. Ah! wovon ich in meinem Garten habe? Vater. Von dem nemlichen! Er bewun- derte die grossen Aehren oder Kolben, an de- ren jeder er uͤber 200 grosse Koͤrner zaͤhlte, die wie Korallen an einander gereihet waren. Er zweifelte nicht, daß man Mehlspeisen und Brod davon machen koͤnne: aber wie solt'er die Koͤrner mahlen? Wie das Mehl von der Kleie reinigen? Wie endlich Brod oder an- dere Speisen daraus bakken, da er nicht ein- mahl Feuer hatte? Demohngeachtet nahm er einige Kolben davon mit, um die Koͤrner zu pflanzen. Denn, dacht' er, wer weiß, ob ich nicht mit der Zeit einen nuͤzlichen Gebrauch davon machen lerne? Ferner entdekt' er einen Fruchtbaum, der ihm gleichfals noch niemahls vorgekommen war. Er sahe grosse Kapseln daran hengen, B 2 und und da er eine davon erbrach, fand er wohl 60 Bohnen darin. Der Geschmak derselben wolte ihm nicht sehr gefallen. Indeß stekt' er auch von diesen eine reife Schote in seine Jagdtasche. Johannes. Was mogte denn das fuͤr eine Frucht sein? Vater. Es waren Kakaobohnen, von denen die Schokolade gemacht wird. Johannes. Ah! nun kan er kuͤnftig Schokolade trinken! Vater. Sobald wohl nicht! denn erst- lich kent er die Kakaobohnen nicht; und dan, so muͤssen sie auch erst beim Feuer geroͤstet, klein gestossen und mit Zukker vermischt wer- den; und wir wissen ja, daß er weder Feu- er, noch Zukker hat. Auch thut man gemei- niglich noch allerlei Gewuͤrz hinzu, als Kar- domomen, Vanille und Gewuͤrznaͤgelein, die er auch nicht hatte. Doch dessen haͤtt' er auch wohl entbehren koͤnnen, wenn er nur ge- wust haͤtte, wie er wieder zum Feuer kommen solte. End- Endlich fand er einen grossen Kokusbaum, der vor Alter schon auf der einen Seite ein wenig hohl geworden war, und der ihm sehr tauglich schien, einen kleinen Kahn abzugeben, wenn er ihn nur umhauen und voͤllig aushoͤh- len koͤnte. Aber einen so nuͤzlichen Baum, in der Ungewißheit, ob es ihm auch je gelin- gen wuͤrde ein Schif daraus zu machen, aufs Gerathewohl zu verderben? — Er erschrak vor dem Gedanken, und wuste lange nicht, was er thun solte? Indeß merkt' er sich die Stelle, wo er stand, und ging unentschlossen nach Hause. Auf seinem Ruͤkwege fand er, was er zu finden laͤngst gewuͤnscht hatte, ein Papageien- nest mit fluͤggen Jungen. Wie groß war seine Freude uͤber diesen Fund! Aber indem er hinzutrat, um die Jungen auszunehmen, flatterten sie alle davon, bis auf einen, den er gluͤklich haschte. Er begnuͤgte sich damit, und eilte froh zu Hause. Diderich. Was konte denn ein Papa- gei ihm eben helfen? B 3 Va- Vater. Er wolte ihn einige Worte aus- sprechen lehren, um die Freude zu haben, einmahl wieder eine menschenaͤhnliche Stimme zu hoͤren. Uns freilich, die wir mitten in der menschlichen Geselschaft leben und die wir des Gluͤks, Menschen zu sehen, Menschen zu hoͤren, mit Menschen zu reden und mit ihnen umzugehen, alle Tage geniessen, scheint die Freude, welche Robinson sich von dem Ge- schwaͤz dieses Papageien versprach, eben nicht von grosser Erheblichkeit zu sein. Aber wenn wir uns in seine Stelle versezen koͤnnen: so werden wir begreifen, daß das, was uns ei- ne unerhebliche Kleinigkeit scheint, fuͤr ihn ein großer Zuwachs an wirklicher Gluͤkseeligkeit sein muste. Er eilte also froh nach Hause, verfertigte noch, so gut er konte, einen Kaͤfig, sezte den- selben mit seinem neuen Freunde neben seine Lagerstelle, und legte sich schlafen. Drei- Dreizehnter Abend. A m folgenden Abend rief der Vater seine Kleinen etwas fruͤher zusammen, weil er, wie er sagte, erst eine Rathsversamlung mit ihnen halten muͤste, bevor er in seiner Erzaͤhlung weiter gehen koͤnte. Woruͤber wollen wir uns denn berathschla- gen? riefen die Kleinen, indem sie rund um ihn herum zusammentraten. Vater. Ueber eine Sache, die unserm Robinson die ganze Nacht hindurch im Kopfe herum gegangen ist, und wovor er kein Auge hat zu thun koͤnnen. Alle. Nun? Vater. Es war die Frage, ob er den alten Kokusbaum, den er gestern gesehen hat- te, in der ungewissen Hofnung, ob er dar- aus ein Schif wuͤrde machen koͤnnen, umhau- en oder stehen lassen solte. B 4 Jo- Johannes. Ich haͤtt' ihn huͤbsch wol- len stehen lassen. Diderich. Und ich haͤtt' ihn umge- hauen. Vater. Da sind also zwei entgegenge- sezte Meinungen; der Eine wil den Baum umhauen, der Andere wil ihn stehen lassen. Laßt doch hoͤren, ihr Andern, was ihr dazu sagt? Gotlieb. Ich halt' es mit Johannes. Lotte. Ich auch, lieber Vater! Der Baum sol stehen bleiben. Frizchen. Nein er sol umgehauen wer- den, daß der arme Robinson ein Schif kriegt. Nikolas. Das sag ich auch! Vater. Nun so stelt euch in zwei Par- theien; und dan wollen wir hoͤren, was je- der fuͤr Grund zu seiner Meinung hat. — So! Nun, Johannes, mache du den Anfang; warum sol der Baum stehen bleiben? Johannes. I, weil er so schoͤne Fruͤchte traͤgt, und weil diese Art von Baͤumen so was Seltenes auf der Insel ist! Dide- Diderich. O es ist schon ein alter Baum; der wird doch nicht lange mehr Fruͤchte tra- gen! Johannes. Woher weißt du das? Er ist ja nur erst ein wenig hohl; und wie viel hohle Baͤume giebts nicht, die noch manches Jahr Fruͤchte tragen. Nikolas. Robinson hat ja schon an- dere Baͤume gepfropft; nun wird er bald Ko- kusbaͤume genug kriegen? Gotlieb. Ja, aber sind die denn so- gleich groß? Da koͤnnen ja wohl vier Jahre uͤber hingehen, ehe die anfangen, Fruͤchte zu tragen. Frizchen. Ist es denn nicht besser, daß er ein Schif kriegt, und wieder zu Menschen faͤhrt, als daß er da immer auf seiner Insel sizt und Kokusnuͤsse ißt? Johannes. Ja, wenn das Schif so gleich fertig waͤre! Womit wil er denn den Baum umhauen, und womit wil er ihn aus- hoͤhlen, da er nur eine steinerne Axt hat? B 5 Di- Diderich. O, wenn er nur lange ge- nug daran hauet und nicht ungeduldig wird, so wird er schon damit zu Stande kommen! Gotlieb. Aber denn so hat er ja noch kein Segel! Was wil er denn mit dem blos- sen Schiffe anfangen? Nikolas. O er muß sich mit Rudern helfen! Lotte. Ja, das wird schoͤn gehen! Weißt du nicht mehr, da wir bei Travemuͤnde auf der Ostsee waren Die Geselschaft hatte einige Zeit vorher die- se versprochene Lustreise gethan. ), und dem einen Ma- trosen das Ruder brach, wie es uns da bei- nahe gegangen waͤre? Vater sagte ja, wenn das zerbrochene Ruder nicht noch zu gebrau- chen gewesen waͤre: so haͤtte uns der andere Matrose allein nicht wieder ans Land bringen koͤnnen. Diderich. O das war auch ein grosser Kahn, und waren ja achtzhen Menschen drin. Wenn sich Robinson einen kleinen Kahn und zwei zwei Ruder macht, so wird er ihn schon al- lein regieren koͤnnen. Vater. Nun, Kinder, ihr seht, die Sache ist gar nicht leicht zu entscheiden. Al- les, was ihr da gesagt habt, ging dem guten Robinson die ganze Nacht hindurch auch im Kopfe herum; und das nennt man eine Sa- che uͤberlegen , wenn man nachdenkt, ob es besser sei, sie zu thun, oder nicht zu thun. Seitdem Robinson die traurigen Folgen sei- ner uͤbereilten Entschliessung, in die weite Welt zu reisen, empfunden hatte, hatt' er sich's zur bestaͤndigen Regel gemacht, nie wieder etwas zu thun, ohne erst vor- her eine vernuͤnftige Ueberlegung dar- uͤber angestelt zu haben. Das that er also auch jezt. Nachdem er nun die Sache lange genug hin und her uͤberdacht hatte; so fand er, daß Alles auf die Frage ankomme: ob es recht sei, einen kleinen, aber ge- wissen Vortheil hinzugeben, um einen groͤssern, aber noch ungewissen Vor- theil dadurch zu erlangen? Da fiel ihm nun nun zuerst die Fabel von dem Hunde ein, der das Stuͤk Fleisch, welches er im Munde hielt, fahren ließ, um nach dem Schatten desselben im Wasser zu greifen, und daruͤber am Ende gar nichts hatte. Aber bald darauf erinnerte er sich auch, wie es die Landleute machen; daß sie nemlich einen Theil des Korns, welches sie schon haben, ausstreuen, in der Hofnung, noch weit mehr dadurch zu gewinnen. Das Verfahren des Hundes nent jederman unvernuͤnftig , das Verfahren des Landmans hingegen vernuͤnftig und klug: „was mag denn wohl, dachte Robinson, der Unterschied hiebei sein?„ Er san noch ein Weilchen daruͤber nach und dan sagt' er zu sich selbst: „ja, ja, so ists! Der Hund handelte unvernuͤnftig, weil er nur seiner Begierde folgte, ohne zu uͤber- legen, ob er das, was er haschen wolte, auch wirklich erlangen koͤnte. Der Akkersman aber handelt vernuͤnftig, weil er mit großer Wahrscheinlichkeit hoffen kan, daß er mehr Korn wieder bekommen werde, als er aus- streuet.„ „Nun, „Nun, sagt' er ferner, bin ich nicht in demselben Falle? Ist es nicht wahrscheinlich, daß ich durch anhaltenden Fleiß endlich damit zu Stande kommen werde, aus dem alten Baume einen Kahn zu machen? Und wenn mir dieses gluͤkken solte, hab' ich dan nicht Hofnung, mich damit aus dieser traurigen Einoͤde befreien zu koͤnnen?„ Der Gedanke an seine Befreiung wurde in diesem Augenblikke so lebhaft in seiner Se- le, daß er ploͤtzlich aufsprang, sein steinernes Beil ergrif, und spornstreichs nach dem Bau- me hinlief, um das große Werk sogleich an- zufangen. Aber hatt' er jemahls ein muͤhseeliges und langwieriges Geschaͤft unternommen, so war es dieses! Tausend andere Menschen wuͤrden nach dem ersten Hiebe den Arm muthlos wieder haben sinken lassen, und die Sache fuͤr unmoͤg- lich gehalten haben. Aber Robinson hatte sich nun einmahl, wie wir wissen, zum Gesez gemacht, sich durch keine Schwierigkeit von ir- gend einem vernuͤnftigen Vorhaben abschrekken zu lassen; lassen; und also blieb er auch diesmahl mit großer Standhaftigkeit bei seinem einmahl ge- faßten Vorsaze, die Ausfuͤhrung desselben moͤgte ihm auch noch so viel Zeit und noch so viel Arbeit kosten! Nachdem er von Sonnenaufgang an, bis gegen Mittag fast unaufhoͤrlich gearbeitet hat- te, war das Loch, welches er durch tausend Hiebe in den Stam gehauen hatte, noch nicht so groß, daß er seine Hand hineinlegen konte. Daraus koͤnt ihr in voraus schliessen, wie viel Zeit er brauchen wird, um den ganzen ziem- lich dikken Baum voͤllig umzuhauen, und ein Schif daraus zu zimmern. Er sahe nun wohl, daß das eine Arbeit von mehreren Jahren sein wuͤrde; und er hielt daher fuͤr noͤthig, eine ordentliche Ein- theilung seiner Tageszeit zu machen, um fuͤr jede Stunde ein gewisses Geschaͤft zu haben: Denn er hatte nun schon aus der Erfahrung gelernet, daß bei einem geschaͤftigen Leben nichts mehr unsern Fleiß befoͤrdert und erleich- tert, als Ordnung und regelmaͤßige Ein- thei- theilung der Tagesstunden. Hier ist ein Verzeichniß, woraus ihr sehen koͤnt, wo- zu er jede Stunde gewidmet hatte. Sobald der Tag anbrach, stand er auf, und lief nach der Quelle, um Kopf, Haͤnde, Brust und Fuͤsse zu waschen. Da er kein Handtuch hatte, so must' er sich von der Luft troknen lassen, welches er dadurch befoͤrderte, daß er jedesmahl in vollem Laufe nach seiner Wohnung zuruͤk rante. Dan kleidete er sich voͤllig an. War dieses geschehen, so erstieg er den Huͤgel uͤber seiner Hoͤhle, wo er eine freie Aussicht hatte, warf sich daselbst auf die Knie und verrichtete ein andaͤchtiges Mor- gengebeth, wobei er nie vergaß, Gott um Seegen fuͤr seine lieben Eltern zu bitten. Hierauf molk er seine Lama's, von denen er sich nach und nach eine kleine Heerde zugezo- gen hatte. Einen Theil der jedesmahligen Milch verwahrt' er in seinem Keller, die Ue- brige genoß er zum Fruͤhstuͤk. Daruͤber war denn ohngefaͤhr eine Stunde verflossen. Nun legt' er alles, was zu seiner Bewafnung ge- gehoͤrte, an und machte sich auf den Weg, entweder gleich nach dem Orte, wo der Baum stand, oder, fals es eben Ebbezeit war, erst nach dem Strande, um einige Au- stern zum Mittagsessen aufzu l esen. Seine Lama's liefen dan gewoͤhnlich alle hinter ihm her und weideten neben ihm herum, indeß er selbst mit Hauen beschaͤftiget war. Gegen zehn Uhr war die Hize gemeinig- lich schon so stark, daß er mit seiner Arbeit einhalten muste. Dan ging er wieder nach dem Strande, theils um Austern zu suchen, fals er des Morgens keine gefunden hatte, theils um sich zu baden, welches er gewoͤhnli- cher Weise des Tages zweimahl zu verrichten pflegte. Gegen eilf Uhr war er mit seiner ganzen Begleitung wieder zu Hause. Dan molk er abermahls die milchgebenden Lama's; bereitete Kaͤse aus der sauergeworde- nen Milch, und richtete seine kleine Mittags- mahlzeit an, die gemeiniglich aus Milch mit frischem Kaͤse vermischt, einigen Austern und einer halben Kokusnuß bestand. Es kam ihm dabei dabei sehr zu statten, daß man in diesen heis- sen Erdgegenden nicht halb so viel Appetit zu haben pflegt, als in den kaͤlteren Laͤndern. Demohngeachtet sehnt' er sich sehr nach Fleisch- speisen und konte endlich nicht umhin, wie- der zu dem anfaͤnglich von ihm erdachten Mit- tel, das Fleisch durch Klopfen muͤrbe zu ma- chen, seine Zuflucht zu nehmen. Waͤhrend seiner Mahlzeit beschaͤftigte er sich mit seinem Papagai, dem er allerlei vor- plauderte, um ihn einige Worte sprechen zu lehren. Frizchen. Womit fuͤtterte er ihn denn? Vater. In der Wildheit pflegen die Papagaien sich groͤßtentheils von Kokusnuͤssen, Eicheln und Kuͤrbiskoͤrnern zu naͤhren: zahm essen sie fast alles, was Menschen essen. Ro- binson fuͤtterte den Seinigen mit Kokusnuͤs- sen und Kaͤse. Nach der Mahlzeit ruhete er eine Stunde im Schatten oder in seiner Hoͤhle aus, der Papagai und die Lama's um ihn herum. Da kont er nun zuweilen sizen und zu den C Thie- Thieren plaudern ordentlich wie ein kleines Kind, das mit seiner Puppe redet, und sich einbildet, daß die Puppe es verstehe. So groß war das Beduͤrfniß seines Herzens, ir- gend einem lebendigen Wesen seine Gedanken und seine Empfindungen mitzutheilen, daß er oft daruͤber vergaß, daß er zu unvernuͤnftigen Thieren rede. Und wenn sein Papchen, den er Pol nante, dan je zuweilen ein verstaͤnd- liches Wort ihm nachschwazte: o wer war da gluͤklicher, als er! Er glaubte eine mensch- liche Stimme zu hoͤren; vergaß Insel, La- ma's und Papagai und war in seiner Einbil- dung mitten in Europa. Aber dieser suͤße Traum dauerte gemeiniglich nur eine Minu- te; dan saß er wieder da im vollen Bewust- sein seines klaͤglichen Einsiedlerlebens und seuf- te: armer Robinson! Gegen zwei Uhr Nachmittags — Nikoles. Ja, wie wust' er denn im- mer, was die Glokke geschlagen hatte? Vater. Anfangs macht' er es blos so, wie es die Landleute zu machen pflegen; er beob- beobachtete den Stand der Sonne und schloß daraus auf die jedesmalige Tageszeit. End- lich fiel 's ihm gar ein, eine Art von Son- nenuhr zu machen. Johannes. Na, was der doch nicht al- les machen wil! Vater. Freilig keine solche, als man bei uns machen kan, denn wo haͤtt' er dazu die noͤthige Geschiklichkeit, die Werkzeuge und die Materialien hergenommen? Aber doch eine, an der er wenigstens sehen konte, zu welcher Zeit es jedesmahl Mittag sei. Johannes. Auch die wuͤst' ich doch ge- wiß nicht zu machen! Vater. Und doch ist nichts leichter, als das! — Er stekte nemlich blos eine grade Stange senkrecht in die Erde. Je naͤher es nun gegen Mittag kam, desto kuͤrzer wurde der Schatten dieser Stange. Er merkte sich also den Ort, wohin der Schatten der Stange fiel, wenn er am kuͤrzesten war; bezeichnete diesen Ort mit einem Striche, den er die Mittagslinie nante, und so oft dan der C 2 Schat- Schatten der Stange wieder in diese Mittagslinie fiel, wust' er, daß es grade Mittag sei. — Er bemerkte aber hierbei etwas Sonderbares, welches in Europa nie gesehen wird. Johannes. Was denn? Vater. Dieses, daß in einer Jahrszeit der Schatten der Stange, eben so wie bei uns, zur Mittagszeit nach dem Nordpol, in einer andern Jahrszeit hingegen grade um- gekehrt, nemlich nach dem Suͤdpol, hinfiel. Ja, was das Sonderbarste war, zuweilen machte die Stange zur Mittagszeit gar kei- nen Schatten. Diderich. Ja, das glaub ich; weil die Insel, worauf er war, zwischen den beiden Wendezirkeln lag. Vater. Richtig! — Ihr Kleineren, be- greift das noch nicht. Aber geduldet euch; in vier Wochen werd' ich auch mit euch die Geographie anfangen; dan solt ihr dies und noch viele andere merkwuͤrdige Dinge auch ein- sehen lernen. — Um Um nun aber wieder zu den taͤglichen Be- schaͤftigungen unsers fleißigen Robinsons zu- ruͤk zu kommen: so pflegte er um zwei Uhr Nachmittags wieder an seine Schif bauerarbeit zu gehen. Unter dieser wirklich schweren Ar- beit bracht' er dan jedesmahl wiederum zwei volle Stunden hin. Waren diese verflossen, so lief er abermahls nach dem Strande, theils um sich zum zweitenmahle zu baden, theils um wieder Austern zu suchen. Den Rest des Nachmittags wandt' er zu allerlei Gar- tenarbeit an. Bald pflanzt' er Maiz oder Kartoffeln, in der Hofnung einst wieder Feu- er zu bekommen, um diese Gewaͤchse nuzen zu koͤnnen; bald pfropft' er noch mehr Kokusrei- ser ein; bald begoß er die gepfropften jungen Staͤmme; bald pflanzt' er Hekken, um sein Gartenland einzuschliessen; und bald beschnitt' er die Baumwand vor seiner Hoͤhle, um die Zweige so zu ziehen, daß sie mit der Zeit zu- sammen wuͤchsen und eine große Laube aus- machten. C 3 Zu Zu Robinsons Leidwesen dauerte der laͤng- ste Tag auf dieser Insel hoͤchstens 13 Stun- den, so daß es mitten im Sommer Abends um 7 Uhr schon finster ward. Er mußte also alle Geschaͤfte, wobey er Licht brauchte, noch vor dieser Zeit vollenden. — Gegen sechs Uhr also, wenn sonst nichts Wichtiges zu thun mehr uͤbrig war, stelte er gemeiniglich noch einige ritterliche Leibesuͤbun- gen an. Gotlieb. Was heißt das? Vater. Er uͤbte sich im Bogenschiessen und im Spießwerfen, um, in Fal der Noth, sich gegen einen Anfal der Wilden, vor wel- chen ihm immer noch bange war, vertheidigen zu koͤnnen. In beiden bracht' er es nach und nach zu einer solchen Fertigkeit, daß er ein Ziel, welches nicht groͤßer, als ein Gulden war, nur sehr selten verfehlte. Sobald die Daͤmmerung anbrach, molk er wiederum seine Lama's und hielt darauf eine laͤndliche und maͤßige Abendmahlzeit, wozu er sich von den Sternen oder von dem Monde leuch- ten ließ. Die Die lezte Stunde des Abends wandt' er zum Nachdenken uͤber sich selbst an. Er sezte sich nemlich entweder auf dem Gipfel des Berges nieder, wo er das ganze Sternbesaͤte Himmelsgewoͤlbe uͤber sich hatte, oder er lust- wandelte auch wohl in der Abendkuͤhle nach dem Strande zu. Dan pflegt' er sich selbst in Gedanken folgende Fragen vorzulegen: „Wie hast du diesen Tag nun wieder hinge- bracht? Bist du im Genuß der Gaben Got- tes, die dir heute wiederum zu Theil gewor- den sind, auch wohl des großen Gebers der- selben immer eingedenk gewesen? Hat dein Herz auch Liebe und Dankbarkeit gegen ihn em- pfunden? Hast du ihm vertrau't, wenn's dir uͤbel ging, und hast du seiner nicht ver- gessen, wenn du froͤlich warest? Hast du je- den boͤsen Gedanken, der dir einfiel, jede boͤse Begierde, die in dir rege ward, auch so gleich unterdruͤkt? Und hast du also heute wirklich zugenommen im Guten?„ So oft nun sein Herz auf diese und aͤhnliche Fragen mit einem freudigen Ja! antworten C 4 konte: konte: o wie war ihm dan so wohl! Und mit welcher Inbrunst sang er dan ein Loblied zum Preise des großen Gottes, der zum Gutes thun ihm Seegen verliehen hatte! So oft er aber Ursache fand, mit sich selbst nicht so ganz zufrie- den zu sein: o wie schmerzte es ihn dan, einen Tag seines Lebens verloren zu haben! Denn fuͤr verloren hielt er jeden Tag, an dem er etwas gedacht oder gethan hatte, was er am Abend desselben misbilligen mußte. Neben dem Striche, womit er einen solchen Tag in seinem Kalenderbaume bezeich- nete, pflegte er ein Kreuz einzugraben, um sich beim Anblik desselben seines Unrechts zu erin- nern, und sich ins kuͤnftige destomehr davor in Acht zu nehmen. Seht, lieben Kinder, so machte es Ro- binson, um taͤglich besser und froͤmmer zu werden. Ist es euch nun auch ein wirklicher Ernst mit der Ausbesserung eures Herzens: so rathe ich euch, ihm darin nachzuahmen. Sezt gleichfals, so wie er, eine Abendstunde fest, um uͤber eure Auffuͤhrung an dem jedesmahl ver- verflossenen Tage im Stillen nachzudenken; und findet sichs, daß ihr etwas gedacht, gere- det, oder gethan habt, was ihr vor Gott und eurem eigenen Gewissen nicht gut heissen koͤnt: so schreibt es in ein kleines Buͤchelchen, um euch von Zeit zu Zeit wieder daran zu erinnern, und vor der abermahligen Begehung ebendesselben Fehlers auf immer in acht zu nehmen. So werdet ihr, gleich ihm, von Tage zu Tage besser, und also auch von Tage zu Tage zufriedener und gluͤklicher werden. — Hiermit stand der Vater auf; und jeder von der Geselschaft ging allein in einen beson- dern Gang des Gartens, um den guten Rath desselben sogleich in Erfuͤllung zu bringen. Vier- Vierzehnter Abend. N un, Kinder, — fuhr der Vater am fol- genden Abend fort — auf eben die Weise, wie ich euch gestern erzaͤhlt habe, lebte unser Robinson einen Tag, wie den andern, drei volle Jahre lang. In dieser ganzen Zeit sezte er seine Schifbauerarbeit unablaͤßig fort; und wie weit meint ihr nun wohl, daß er in der langen Zeit mit dieser seiner Arbeit ge- kommen sei? — Ach! der Stam war noch nicht einmahl zur Haͤlfte ausgehoͤhlt, und es schien noch immer sehr zweifelhaft zu sein, ob er, bei aller seiner Arbeitsamkeit, in drei oder vier andern Jahren mit dem ganzen Werke zu Stande kommen wuͤrde! Dennoch arbeitete er unermuͤdet fort: denn was solt' er anders machen? Und etwas zu thun thun wolt' er und must' er doch nun einmahl haben! — Eines Tages aber fiel ihm ploͤzlich ein, daß er diese Insel nun schon so lange bewohne, und gleichwohl erst den kleinsten Theil derselben gesehen habe. Das ist doch nicht recht, dacht' er, daß du durch deine Furchtsamkeit dich so lange hast abhalten las- sen, eine Reise von einem Ende der Insel bis an das andere zu thun. Wer weiß, was du in andern Gegenden derselben zu deinem Vor- theil haͤttest entdekken koͤnnen! Dieser Gedanke wurde so lebendig in sei- ner Sele, daß er sich auf der Stelle entschloß, die Reise gleich mit Anbruch des folgenden Tages anzutreten. Nikolas. Wie groß war denn die Insel wohl? Vater. Ohngefaͤhr so groß, als das ganze hamburgische Gebiet zusammen ge- nommen, das Amt Rizebuͤttel nicht mit ge- rechnet; — etwa vier Meilen lang und zwoͤlf im Umkreise. Noch Noch an eben demselben Tage machte er alles zu seiner Abreise fertig. Am andern Morgen bepakte er eins seiner Lama's mit Lebensmitteln auf vier Tage, legte seine ganze Ruͤstung an, empfahl sich dem goͤtlichen Schuze und machte sich getrost auf den Weg. Seine Absicht aber war, sich, so viel moͤglich, am Stran- de zu halten, weil er den dichten Waͤldern, aus Furcht vor wilden Thieren, noch immer nicht traute. An diesem ersten Tage seiner Wander- schaft fiel eben nichts Merkwuͤrdiges mit ihm vor. Er machte ohngefaͤhr drei Meilen an demselben, und je weiter er kam, desto mehr uͤberzeugte er sich, daß er seinen Aufenthalt grade in der unfruchtbarsten Gegend der Insel genommen habe. An vielen Orten fand er Fruchtbaͤume, die er noch nie gesehen hatte, von denen er aber mit Recht vermuthete, daß sie ihm ein gesundes und wohlschmekkendes Nahrungsmittel gewaͤhren wuͤrden. Nachher lernte er, mit dem eigentlichen Gebrauch derselben, auch ihre Nahmen kennen. Es be- fand fand sich darunter der Brodfruchtbaum, der eine große Frucht traͤgt, welche die In- dianer auf mancherlei Weise zuzurichten wissen, und sie dan stat des Brodes essen; ferner der Papiermaulbeerbaum, aus dessen Rinde die Japaneser ein schoͤnes Papier, und die Bewohner der Insel Otaheite ein schoͤnes Sommerzeug zu Kleidern verfertigen, wovon ich euch nachher eine kleine Probe zeigen wil, die ich aus England erhalten habe. Die Nacht brachte Robinson aus Furcht vor wilden Thieren auf einem Baume zu; und mit Anbruch des Tages sezt' er seine Reise fort. Er war noch nicht lange gegangen, als er das aͤusserste suͤdliche Ende der Insel erreichte. Hier war der Boden an einigen Stellen etwas sandigt. Indem er nun nach der lezten Land- spize hingehen wolte: blieb er ploͤzlich, wie vom Donner geruͤhrt, auf einer Stelle stehen, wurde blaß, wie die Wand, und zitterte am ganzen Leibe. Johannes. Warum denn? Va- Vater. Er sahe, was er hier zu sehen nicht vermuthet hatte, — die Fußstapfen eines, oder mehrerer Menschen, im Sande. Nikolas. Und davor erschrickt er so? Das solte ihm ja lieb sein! Vater. Die Ursache seines Schreckens war diese: er dachte sich in diesem Augenblik- ke den Menschen, von dem diese Spur herruͤhrte, nicht als ein mit ihm verbruͤdertes, Liebe ath- mendes Wesen, welches bereit waͤre, ihm zu helfen und zu dienen, wo es nur koͤnte: son- dern als ein grausames menschenfeindliches Ge- schoͤpf, daß ihn wuͤthend anfallen, ihn toͤdten und verschlingen wuͤrde. Mit einem Worte: er dachte sich bei dieser Spur keinen gesitteten Europaͤer; sondern einen wilden menschenfres- senden Kannibalen, deren es damahls, wie ihr schon wißt, auf den Karibischen Inseln sol gegeben haben. Gotlieb. Ja, das glaub' ich; da must' er auch wohl vor erschrecken! Vater. Aber weiser und besser waͤre es doch gewesen, wenn er sich von Jugend an haͤtte haͤtte gewoͤhnt gehabt, vor keiner auch noch so gros- sen Gefahr dergestalt zu erschrekken, daß er seines Verstandes nicht mehr machtig bliebe. Und dahin, meine lieben Kinder, koͤnnen wir es alle bringen, wenn wir uns nur fruͤhzeitig genug bemuͤhen, gesund und stark an Leib und Sele zu werden. Johannes. Ja, wie wird man das aber? Vater. Dadurch, lieber Johannes, wenn man durch eine arbeitsame, maͤßige und, so viel moͤglich, natuͤrliche Lebensart seinen Koͤrper ab- zuhaͤrten, und seinen Geist durch unbefleckte Tugend und Gottesfurcht uͤber jede Abwech- selung des Schiksals zu erheben und gegen je- des Ungluͤk im Voraus zu bewafnen sucht. Wenn ihr also, nach unserm Beispiel, euch mit einem maͤßigen Genusse gesunder, einfa- cher, und unerkuͤnstelter Speisen zu begnuͤgen, und das suͤße Gift der Lekkereien immer mehr zu verschmaͤhen lernt; wenn ihr den Muͤssiggang, als eine Pest des Leibes und der Sele flieht und, so viel es immer moͤglich ist, bald durch Kopf- Kopfarbeit — durch Lernen und Nachden- ken — bald durch Handarbeit beschaͤftiget seid; wenn ihr euch oft freiwillig uͤbt, et- was sehr Angenehmes, das ihr gar zu gern haben moͤgtet und auch haben koͤntet, aus eigener Entschliessung zu entbehren, und etwas sehr Unangenehmes, das euch aͤusserst zuwider ist und das ihr auch abwehren koͤn- tet, mit Vorsaz zu uͤbernehmen; wenn ihr euch der Huͤlfleistungen anderer Menschen so wenig als moͤglich bedient, und vielmehr durch euren eigenen Verstand, und durch eure eigene Leibeskraͤfte eure jedesmaligen Beduͤrfnisse zu befriedigen, euch selbst zu rathen und aus Ver- legenheiten zu ziehen sucht; wenn ihr endlich in eurem ganzen Leben den großen Schaz eines guten Gewissens zu bewahren, und dadurch euch des Beifals und der Liebe unsers almaͤch- tigen und alguͤtigen himmlischen Vaters zu ver- sichern euch bestrebt: dan, liebste Kinder, werdet ihr gesund und stark an Leib und Sele sein; dan werdet ihr bei jeder Abwechselung des Schiksals ruhig bleiben, weil ihr alsdan uͤber- zeugt zeugt seid, daß euch nichts begegnen kan, was euch nicht von einem weisen und liebe- vollen Gotte zu eurem wahren Besten zuge- sandt werde. — Unser Robinson hatte es, wie wir sehen, in dieser auf Gottesfurcht gegruͤndeten Stand- haftigkeit noch nicht so weit gebracht, als zu seiner Ruhe und Gluͤckseeligkeit noͤthig gewesen waͤre. Daran war wohl ohnstreitig dieses Schuld, daß er nun einige Jahre hindurch ein ganz ruhiges von allen Gefahren und Un- gluͤksfaͤllen freies Leben gefuͤhrt hatte. Die gar zu große Ruhe und Sicherheit verderben den Menschen, machen ihn weibisch und furcht- sam; und es ist daher eine wahre Wohlthat Gottes, wenn er uns zuweilen einige Wider- waͤrtigkeiten zuschikt, die unsere Leibes- und Selenkraͤfte in Thaͤtigkeit sezen und unsern Muth durch Uebung staͤrken muͤssen. Robinson stand, wie wir gehoͤrt haben, beim Anblik der Menschenspur, wie vom Don- ner geruͤhrt. Furchtsam blikt' er umher, lauschte mit großer Aengstlichkeit auf jedes D kleine kleine Geraͤusch der Blaͤtter, und wuste vor Verwirrung lange nicht, wozu er sich entschlies- sen solte. Endlich rafte er sich auf, flohe, wie einer, der verfolgt wird, und hatte nicht das Herz, auch nur ein einziges mahl sich umzu- sehen. Aber ploͤzlich machte ihn etwas stuzen, und verwandelte seine Furcht in Grausen und Entsezen. Er sahe — bereitet euch, Kinder, einen schreklichen Anblik zu ertragen, und den schauervollen Zustand zu sehen, worin Men- schen gerathen koͤnnen, welche ohne Erziehung und Unterricht aufwachsen und sich selbst uͤber- lassen bleiben! — Er sahe einen Ort, woselbst ein runder Kreis in die Erde gegraben war, in dessen Mitte er eine ehemalige Feuerstelle erblikte. Rund um diesen Ort herum lagen — mich schaudert indem ichs erzaͤhlen muß — Hirnschalen, Haͤnde, Fuͤße und andere Gebei- ne menschlicher Koͤrper, von denen das Fleisch abgenagt war. Alle. Von wem? von wem? Va- Vater. Von — Menschen; doch nein, nur von menschenaͤhnlichen Geschoͤpfen, die so dum und viehisch aufgewachsen waren, daß sie, gleich wilden Thieren, weder von Ekkel, noch von mitleidiger Menschenliebe abgehalten wur- den, das Fleisch ihrer geschlachteten Bruͤder zu verzehren. Es wohnten nemlich damahls, wie ich, wo mir recht ist, schon einmahl er- zaͤhlt habe, auf den Karibischen Inseln wilde Menschen, die man Karaiben, Kan- nibalen oder Menschenfresser nante, weil sie die abscheuliche Gewohnheit hatten, alle ihre Feinde, die sie im Kriege lebendig gefan- gen kriegten, zu schlachten, unter Tanzen und Singen zu braten, und dan mit unmenschli- chem Heißhunger zu verschlingen. Lotte. Fi! die abscheulichen Leute! Vater. Ihre unmenschlichen Sitten, lie- be Lotte, wollen wir verabscheuen, aber nicht die armen Leute selbst, die ja nichts davor koͤnnen, daß man sie nicht unterrichtet und erzogen hat. Haͤttest du das Ungluͤk gehabt, unter solchen armen Wilden geboren zu wer- D 2 den: den: gewiß! du wuͤrdest eben so, wie sie, nakt, wild und unvernuͤnftig in Waͤldern herumlau- fen, wuͤrdest dein Gesicht und deinen Leib mit Roͤthel beschmieren, man wuͤrde dir Ohren und Nase durchloͤchert haben, du wuͤrdest dich nicht wenig darauf einbilden, Vogelfedern, Mu- schelschalen und andere Dinge darin zu tragen, und an den unmenschlichen Mahlzeiten deiner wilden Eltern und Landsleute wuͤrdest du ei- nen eben so frohen Antheil nehmen, als du jezt an unsern bessern Speisen nimst. Freuet euch also, lieben Kinder, und danket Gott dafuͤr, daß er euch von gesitteten, vernuͤnftigen und menschlichgesinten Eltern hat lassen gebohren wer- den, die es euch so leicht machen, auch gesittete, vernuͤnftige und menschlichgesinte Menschen zu werden, und bedauert das Schiksal unsrer armen Bruͤder, die noch jezt in dem ungluͤkseeligen Zu- stande einer thierischen Wildheit leben! Frizchen. Wo sind denn wohl jezt noch solche Menschen? Johannes. Weit, weit von hier, Frizchen, auf einer Insel die man Neu: See- land land nent! Vater hat's uns vorigen Winter aus einer Reisebeschreibung vorgelesen. Da sollen die Leute auch noch so wild und barba- risch sein, daß sie Menschenfleisch essen. Aber die Englaͤnder, die sie entdekt haben, werden sie wohl zahm machen. Frizchen. Das ist gut! Vater. Laßt uns nun wieder zu unserm Robinson zuruͤkkehren. — Er wandte sein Gesicht von diesem graͤßlichen Schauspiel weg, ihm wurde uͤbel, und er wuͤrde in Ohnmacht gesunken sein, wenn die Natur sich nicht durch ein heftiges Erbrechen geholfen haͤtte. Sobald er sich ein wenig erhohlt hatte, rante er mit der aͤussersten Geschwindigkeit davon. Kaum daß sein treues Lama ihm fol- gen konte. Doch lief es ihm nach. Aber so sehr hatte die Furcht den Verstand unsers ar- men Robinsons umnebelt, daß er auf seiner Flucht dieses ihm folgenden Thieres vergaß, die Tritte desselben fuͤr den Fußtrit eines ihm nachjagenden Kannibalen hielt, und daher mit der groͤßten Selenangst alle seine Kraͤfte an- D 3 strengte, strengte, um ihm zu entlaufen. Noch nicht genug; auch seine Ruͤstung, seinen Spieß, seinen Bogen, sogar sein steinernes Beil — die er jezt uͤber alles haͤtte werth achten sol- len — warf er von sich, weil sie ihm im Laufen hinderten. Dabei achtete er so wenig auf den Weg, daß er bald hier, bald da aus- beugte und am Ende, da er gar nicht mehr wuste, wo er war, sich in einem ordentlichen Zirkel herum drehete und nach ohngefaͤhr ei- ner Stunde wieder an demselben schreklichen Orte war, von wannen sein Lauf angefangen hatte. Neues Entsezen! Neue Betaͤubung! denn er merkte nicht, daß dies eben der Ort sei, den er schon einmahl gesehen habe; sondern hielt ihn fuͤr ein zweites Denkmahl der un- menschlichen Grausamkeit derer, vor welchen er flohe. Er rante also mit der Schnelligkeit des Sturmwindes davon, und hoͤrte nicht eher auf zu laufen, bis er ermattet, ohnmaͤchtig und sinlos zu Boden stuͤrzte. In- Indeß er so lag und von sich selbst nichts wuste, fand sein Lama sich wieder bei ihm ein und lagerte sich zu seinen Fuͤssen. Zufaͤl- liger Weise war dies grade eben dieselbe Stelle, wo er vorher seine Waffen abgeworfen hatte Da er also nach einiger Zeit die Augen wie- der oͤfnete, fand er alle das Seinige neben sich im Grase liegen. Dies und alles vor- hergehende schien ihm jezt ein Traum zu sein; er wuste nicht, weder wie er selbst, noch wie alles dies hierher gekommen sei, so sehr hatte die Furcht ihn aller Besonnenheit beraubt! Er machte sich von neuem auf; aber da die Heftigkeit des Affekts sich unterdeß um etwas gelegt hatte: so war er nunmehr sorg- faͤltiger darauf bedacht, seine Waffen, das einzige Vertheidigungsmittel, welches er hat- te, zu erhalten, und nahm sie mit sich. Er fuͤhlte sich aber so entkraͤftet, daß es ihm un- moͤglich war, ferner eben so geschwind als vor- her zu laufen, so sehr die Furcht ihn auch dazu antrieb. Der Hunger war ihm fuͤr den ganzen Tag vergangen, und nur ein einzi- D 4 ges ges mahl nahm er sich die Zeit, seinen Durst bei einer Quelle zu stillen. Er hofte seine Burg zu erreichen; aber dies war ihm unmoͤglich. Da es schon ange- fangen hatte Nacht zu werden, befand er sich noch uͤber eine halbe Stunde weit von seiner Wohnung an einem Orte, den er seinen Sommerpallast zu nennen pflegte. Dieser bestand aus einer Laube und aus einer ziem- lich weiten Umzaͤunung, worin er einen Theil seiner Heerde hielt, weil hier viel fetteres Gras, als in der Gegend seiner ordentlichen Wohnung wuchs. Er hatte hier in dem lezt- verflossenen Jahre verschiedene Sommernaͤchte zugebracht, weil es daselbst weniger Musqui- tos gab; und darum hatte er dieser Laube den obbenanten Nahmen gegeben. Seine Kraͤfte waren gaͤnzlich erschoͤpft und es war ihm unmoͤglich weiter zu gehen, so gefaͤhrlich es ihm auch vorkam in einer un- verwahrten Laube zu schlafen. Er beschloß also da zu bleiben. Kaum aber hatte er sich, ganz ermattet, den Kopf vol schwerer Gedan- ken ken und mehr traͤumend als wachend, auf den Boden hingestrekt, als er ploͤzlich einen neuen Schrek hatte, der ihn beinahe getoͤdtet haͤtte. Johannes. Hilf Himmel! was dem doch alles begegnen muß! Nikolas. Was war's denn? Vater. Er hoͤrte eine Stimme, wie vom Himmel herab, die ihm ganz vernehm- lich zurief: Robinson, armer Robinson, wo bist du gewesen? wie komst du hierher? Gottlieb. Tausend! Was mogte denn das sein? Vater. Robinson sprang erschrokken auf, zitterte, wie ein Espenblat, und wuste nicht, ob er davon laufen oder bleiben solte. In demselben Augenblikke hoͤrt' er die nem- lichen Worte noch einmahl aussprechen, und da er seine Augen nach dem Orte, woher der Schal kam, hinrichtete: fand er — was meint ihr? Alle. Ja, wer kan das wissen! D 5 Va- Vater. — fand er, was der Furchtsa- me fast immer finden wuͤrde, wenn er sich nur Zeit zur Untersuchung naͤhme, — daß er gar nicht Ursache gehabt habe zu erschrekken. Die Stimme kam nemlich nicht vom Himmel, sondern von einem Zweige seiner Laube, auf welchem — sein lieber Papagai saß. Alle. Ah! Vater. Dieser hatte zu Hause vermuth- lich lange Weile gehabt, und weil er einige mahle seinen Herrn nach der Sommerlaube begleitet hatte: so sucht' er ihn hier auf. Robinson hatte ihm aber die Worte, die er jezt aussprach, zu mehreren mahlen vorge- sagt, und also hatt' er sie behalten. Wie froh war Robinson die Ursache sei- nes abermahligen Schrekkens entdekt zu ha- ben! Er strekte seine Hand aus, rief Pol! und flugs huͤpfte das vertrauliche kurzweilige Ding herab auf seinen Daumen, legte den Schnabel an seine Bakken und fuhr fort zu schwazen: Robinson, armer Robinson, wo bist du gewesen? Fast Fast die ganze Nacht hindurch konte Ro- binson vor Furcht und sorgsamen Gedanken kein Auge zu thun. Immer stand ihm der graͤßliche Ort vor Augen, den er gesehen hat- te, und vergebens bemuͤhete er sich, seine Ein- bildungskraft davon abzuziehen. O zu was fuͤr thoͤrigten und schaͤdlichen Entschliessungen schreitet der Mensch, wenn die Leidenschaften erst einmahl seinen Verstand verfinstert haben! Robinson faßte hundert Anschlaͤge sich zu retten, wo- von der eine immer noch unweiser, als der andere war. Unter andern — koͤnt ihr es glauben? — beschloß er, sobald es Tag ge- worden waͤre, alles zu zerstoͤren, was er bis jezt mit so viel sauerm Schweisse gemacht hatte. Er wolte die Laube, worin er jezt lag, dan die Verzaͤunung vor derselben, ein- reissen und seine Lama's laufen lassen, wohin sie wolten. Dan wolte er eine gleiche Ver- wuͤstung mit seiner ordentlichen Wohnung vor- nehmen und die schoͤne Baumwand zernichten, die er vor derselben angelegt hatte. Endlich wolt' er auch seine Gaͤrten und Pflanzungen gaͤnz- gaͤnzlich zerstoͤren, damit auf der ganzen Insel gar keine Spur irgend eines von Menschen- haͤnden gemachten Werkes uͤbrig bliebe. Johannes. J, warum denn das? Vater. Damit die Wilden, wenn sie etwa einmahl in diese Gegend kaͤmen, gar nicht merken koͤnten, daß ein Mensch da sei. Jezt wollen wir ihn seinen unruhigen Gedanken uͤberlassen, weil wir ihm doch nicht helfen koͤnnen; und indem wir uns auf unser eigenes sicheres Lager legen, wollen wir unsern freudigen Dank dem guten Gotte bringen, der uns in einem Lande gebohren werden ließ, wo wir unter gesitteten, uns liebenden und hel- fenden Menschen leben, und nichts von wil- den Unmenschen zu besorgen haben. Alle. Gute Nacht, Vater! Und Dank fuͤr die schoͤne Erzaͤhlung! Funf- Funfzehnter Abend. D er Vater fuhr fort: Kinder, es ist ein wahres Sprichwort: guter Rath komt Morgen. Das koͤnnen wir aus Robinsons Beispiel lernen. Ihr wisset, welche thoͤrigte Entschliessun- gen ihm gestern seine unmaͤßige Furcht eingab. Wohl bekam es ihm, daß er die Ausfuͤhrung derselben auf den morgenden Tag verschieben muste: denn kaum hatte das liebliche Tages- licht die dunkeln Schatten der Nacht vertrie- ben, als er die Dinge von einer ganz andern Seite betrachtete. Was er gestern fuͤr gut, weise und nothwendig hielt, das schien ihm jezt schlecht, thoͤrigt, und unnoͤthig zu seyn. Mit einem Worte, er verwarf alle die uͤber- eilten Anschlaͤge, welche die Furcht ihm einge- floͤßt hatte, und faßte andere, welche von der Vernunft gebilliget wurden. Sein Sein Beispiel, lieben Kinder, diene euch zur Warnung, daß ihr in Dingen, die einigen Aufschub leiden, nie gleich von der ersten Ent- schliessung unmittelbar zur That schreitet, son- dern vielmehr wenn es sein kan, die Ausfuͤh- rung auf den folgenden Tag verschiebet. Robinson fand jezt, daß seine gestrige Furcht uͤbertrieben gewesen sei. „Ich bin nun schon so lange hier, dacht' er bei sich selbst, und noch nie ist ein Wilder in die Gegend meiner Wohnung gekommen. Beweis genug, daß auf der Insel selbst keine leben muͤssen. Aller Wahrscheinlichkeit nach, kommen also nur zuweilen einige derselben von einer andern In- sel heruͤber, um hier ihre Siegesfeste zu fei- ern und ihre unmenschlichen Mahlzeiten anzu- stellen; und vermuthlich landen diese immer auf dem suͤdlichen Ende der Insel, und fah- ren wieder ab, ohne sich weiter auf derselben umzusehen. Das ist also abermahls ein grosser Beweis von der Guͤte der goͤtlichen Vorsehung, daß ich grade an diesen unfruchtbaren Theil der Insel habe muͤssen geworfen werden, wel- cher cher der sicherste fuͤr mich war. Wie solt' ich ihr denn nicht zutrauen duͤrfen, daß sie auch ferner mich beschuͤtzen und vor Gefahren behuͤten werde, da ihre weisen und guten Fuͤh- rungen bis hieher so sichtbar gewesen sind!„ Hier macht' er sich selbst die bittersten Vor- wuͤrfe, daß er bei seiner gestrigen uͤbertriebenen Furcht so wenig Vertrauen auf Gott bewie- sen habe; warf sich reuevol auf seine Knie und bat um Verzeihung dieser seiner abermah- ligen Verschuldung. Dan trat er neugestaͤrkt den Weg zu seiner Wohnung an, um dasje- nige ins Werk zu richten, was er nunmehr beschlossen hatte. Johannes. Was wolt' er denn nun thun? Vater. Er wolte nur noch einige Ver- anstaltungen zu seiner groͤssern Sicherheit tref- fen; und darin handelte er uͤberaus vernuͤnf- tig. Denn ohngeachtet wir der goͤtlichen Vor- sehung zutrauen muͤssen, daß sie, wenn wir nach ihrem heiligen Willen zu leben uns be- streben, uns in keiner Noth verlassen werde: so muͤssen wir doch auch von unserer Seite nichts nichts versaͤumen, was zu unserer Sicherheit und zu unserm Gluͤkke etwas beitragen kan. Denn dazu hat eben der liebe Gott uns un- sern Verstand und alle andere Kraͤfte unserer Sele und unsers Leibes gegeben, daß wir zur Befoͤrderung unserer Gluͤkseeligkeit sie an- wenden sollen. Das erste, was er vornahm, war dieses, daß er in einer kleinen Entfernung von der Baumwand, die seine Wohnung einschloß, einen dichten Wald anlegte, welcher verhin- dern solte, daß seine Burg von fern nicht koͤn- te gesehen werden. In dieser Absicht pflanzte er nach und nach wohl 2000 Zweige von dem weidenartigen Baume ein, dessen leichtes Fort- kommen und schnellen Wachsthum er nun schon erfahren hatte. Er pflanzte sie aber nicht in Reihen, sondern mit Fleiß unordentlich durch einander hin, damit das Ganze ein natuͤrli- ches, nicht durch Menschenhaͤnde angelegtes Gebuͤsch zu sein schien. Naͤchstdem beschloß er, aus dem innersten seiner Hoͤhle einen unterirdischen Gang bis an das das andere Ende des Berges durchzufuͤhren, um, im Fal der Noth, wenn seine Festung von Fein- den erstiegen waͤre, sich durch diesen Ausgang retten zu koͤnnen. Dies war aber wieder ein muͤhseeliges und langwieriges Geschaͤft und es versteht sich von selbst, daß die Schifbauerar- beit daruͤber vor's erste eingestelt werden muste. Er verfuhr aber bei diesem Ausgraben des unterirdischen Weges eben so, wie die Berg- leute bei Anlegung der Stollen verfahren. Gotlieb. Was sind das Stollen? Johannes. Weißt du nicht mehr? Erst graben ja die Bergleute so grade hinein in die Erde, als wenn sie einen Brunnen machen wol- ten, das nennen sie einen Schacht; und denn, wenn sie schon ein bischen tief gegraben haben: so machen sie erst Quergaͤnge zu den Seiten, und die nennen sie Stollen. Dan graben sie wieder einen Schacht und dan wieder einen Stollen, bis sie an Stellen kommen, wo das Erz liegt. Vater. Gut erklaͤrt! Nun, seht ihr, wenn sie nun so in die Quere, (man nent das E Ho- Horizontal ) graben: so wuͤrde ihnen die Erde von oben auf den Kopf fallen, wenn sie dieselbe nicht zu befestigen suchten. Also muͤssen sie, in- dem sie weiter arbeiten wollen, diese Erde erst durch Pfaͤle und Querhoͤlzer stuͤzen, damit sie fest liege; und eben so macht' es nun auch Ro- binson. Alle Erde, die er heraus arbeitete, warf er an die Baumwand, und trat sie fest, so daß dadurch nach und nach eine Erdmauer entstand, die wohl acht Fuß dik und wenigstens zehn Fuß hoch war. An verschiedenen Stellen hatt' er kleine Loͤcher, wie Schießscharten, offen gelas- sen, um durchsehen zu koͤnnen. Zugleich hatt' er einige Treppen eingeschnitten, um mit Be- quemlichkeit auf und absteigen und seine Festung, wenn es einmahl noͤthig sein solte, von der Mau- er herab vertheidigen zu koͤnnen. Nun schien er vor einem ploͤzlichen Ueber- falle hinlaͤnglich gesichert zu sein. Aber wie? wenn die Feinde sich einfallen liessen, ihn foͤrm- lich zu belagern? Wie da? Der Der Fal schien nicht unmoͤglich zu sein; er hielt es also fuͤr noͤthig, sich auch darauf gefaßt zu machen, um nicht durch Hunger und Durst zur Uebergabe genoͤthiget zu werden. In die- ser Absicht beschloß er, wenigstens ein milchge- bendes Lama immer auf seinem Hofraume zu halten und zum Unterhalte desselben einen nur in der Noth anzugreifenden Heuschober in Be- reitschaft zu haben; ferner so viel Kaͤse, als er nur immer ersparen koͤnte, aufzubewahren und endlich einen Vorrath von Fruͤchten und Austern von einem Tage zum andern so lange zu sparen, als sie sich nur halten wuͤrden. Auf die Ausfuͤhrung eines andern Einfals must' er Verzicht thun, weil er voraus sahe, daß sie ihm gar zu viel Zeit kosten wuͤrde. Er wuͤnschte nemlich, die Quelle, welche nicht weit von seiner Wohnung hervorsprudelte und einen kleinen Bach machte, durch seinen Hofraum lei- ten zu koͤnnen, um im Fal einer Belagerung auch mit Wasser versehen zu sein. Aber da haͤtte er eine ziemlich große Anhoͤhe durchstechen muͤs- sen, welches von einem einzigen Menschen ohne E 2 großen großen Zeitverlust nicht geschehen konte. Er hielt es daher fuͤr besser, dieses Projekt vor der Hand aufzugeben, und wieder zu seiner Schif- bauerarbeit zuruͤk zu kehren. So verstrichen ihm nun wieder einige Jah- re, in denen eben nichts vorfiel, welches erzaͤhlt zu werden verdiente. Ich eile daher zu einer der wichtigsten Begebenheiten, welche auf das Schiksal unsers guten Freundes einen groͤssern Einfluß hatte, als alles, was bis hieher auf seiner Insel ihm begegnet war. Es war an einem schoͤnen warmen Morgen, als Robinson , da er schon mit seinem Schif- bau beschaftiget war, in einiger Entfernung von sich unvermuthet einen starken Rauch aufsteigen sahe. Seine erste Empfindung bei diesem An- blik war Schrekken, die zweite Neugier; und beide trieben ihn an, so geschwind er konte nach dem Berge hinter seiner Wohnung zu laufen, um von da zu sehen, was doch die Ursache da- von sein moͤgte. Kaum hatt' er den Berg be- stiegen, als er zu seiner noch weit groͤssern Be- stuͤrzung wenigstens fuͤnf Kanoes, oder kleine Kaͤhne, Kaͤhne, am Strande, und bei einem großen Feuer wenigstens 30 Wilde erblikte, die unter barbarischen Gebehrden und Freudensbezeugun- gen einen Rundtanz hielten. So sehr nun auch Robinson auf ein solches Schauspiel vorbereitet war, so fehlte doch nicht viel, daß er nicht abermahls vor Angst und Schrekken alle Besonnenheit verlor. Doch rief er diesmahl seinen Muth und sein Vertrau- en auf Gott geschwinder zuruͤk; stieg eiligst hin- ab, um sich in den noͤthigen Vertheidigungs- stand zu sezen; legte seine ganze Ruͤstung an und faßte im Vertrauen auf Gott den maͤnlichen Entschluß, sein Leben, so lange er koͤnte, zu vertheidigen. Kaum hatt' er diese Entschlies- sung genommen und durch ein kurzes Gebet sich darin bestaͤrkt, als es ihm so leicht ums Herz ward, daß er Muth genug fuͤhlte, die Strik- leiter wieder hinan zu klettern, um die Bewe- gungen der Feinde von dem Gipfel des Berges herab zu beobachten. Aber wie schlug ihm das Herz von Unwillen und Entsezen, da er ziemlich deutlich zwei un- E 3 gluͤk- gluͤkliche Menschen aus den Kaͤhnen hohlen und nach dem Feuerplaze hinschleppen sahe! Er zwei- felte nicht, daß sie zur Schlachtbank gefuͤhrt werden solten, und in demselben Augenblikke wurde diese seine Vermuthung auf die schrek- lichste Weise bestaͤtiget. Einige der Unmenschen schlugen nemlich den einen Gefangenen zu Bo- den und ein Paar andere fielen uͤber ihn her, vermuthlich, um ihm den Leib aufzuschneiden und ihn zu ihrem abscheulichen Gastmahle zu zubereiten. Unterdeß stand der andere Gefan- gene als ein Zuschauer bei diesem unmenschlichen Schauspiele da, bis die Reihe an ihn kommen wuͤrde. Aber ploͤzlich, da dieser arme Mensch merkte, daß alle mit seinem geschlachteten Ka- meraden beschaͤftiget waren und eben nicht sehr auf ihn achteten, ergrif er, in der Hofnung sein Leben zu retten, die Flucht, und lief mit unglaublicher Geschwindigkeit grade nach der Ge- gend zu, wo Robinsons Wohnung war. Freude, Hofnung, Furcht und Grauen er- griffen jezt zugleich das Herz unsers Helden und faͤrbten seine Wangen bald mit hoher Roͤthe, bald bald mit Todtenblaͤsse; Freude und Hofnung, weil er bemerkte, daß der Entronnene viel schnel- ler laufen konte, als die, welche ihn verfolgten; Furcht und Grauen hingegen, weil der Verfolgte und die Verfolger ihren Weg grade nach seiner Burg zu nahmen. Indeß war zwischen diesen und jenen noch ein kleiner Meerbusen, den der Ungluͤkliche durchschwimmen muste, wenn er sich nicht gefangen geben wolte. Allein kaum war er dabei angekommen, als er ohne sich einen Augenblik zu besinnen, hineinplumpte und mit eben der Schnelligkeit, die er im Laufen bewie- sen hatte, nach dem gegenseitigen Ufer schwam. Zwei seiner Verfolger, welche die Vorder- sten waren, schwammen ihm nach, die uͤbrigen kehrten zu ihrem verruchten Gastmahle zuruͤk. Mit innigem Vergnuͤgen bemerkte Robinson, daß diese beiden auch im Schwimmen dem Er- sten bei weiten nicht gleich kamen. Dieser flohe schon gegen seine Wohnung zu, indeß die An- dern noch nicht zur Haͤlfte durchgeschwommen waren. E 4 In In diesem Augenblikke fuͤhlte unser Ro- binson sich von einem Muthe beseelt, der so groß und feurig noch nie in ihm erwacht war. Seine Blikke spruͤheten Feuer; sein Herz dreng- te ihn, dem Ungluͤklichen beizuspringen; er er- grif seine Lanze und ohne sich einen Augenblik laͤnger zu bedenken, rant' er den Berg hinab und war in einem Hui! zwischen dem Verfolg- ten und seinen Verfolgern. Halt! rief er dem Ersten mit lauter donnernder Stimme zu, in- dem er aus dem Gebuͤsch hervorsprang; halt! Der arme Fluͤchtling sahe sich um, und erschrak beim Anblik des uͤber und uͤber in Felle gehuͤlten Robinsons, den er vermuthlich fuͤr ein uͤber- menschliches Wesen hielt, dergestalt, daß er nicht wußte, ob er sich vor ihm niederwerfen oder entfliehen solte. Robinson winkte ihm mit der Hand, gab ihm zu erkennen, daß er zu seiner Beschuͤzung da sei, und ruͤkte dabei almaͤhlig gegen seine bei- den Verfolger an. Jezt war er so weit gekom- men, daß er den ersten mit seinem Spieß er- reichen konte. Er ermante sich, und versezte ihm ihm einen so nachdruͤklichen Stoß in den nakten Leib, daß er zu Boden stuͤrzte. Der Andere, welcher noch ohngefaͤhr hundert Schritte entfer- net war, stuzte; holte darauf einen Pfeil her- vor und schoß auf Robinson, indem dieser eben auf ihn los gehen wolte. Der Pfeil traf grade die Stelle des Herzens, — aber gluͤkli- cher Weise nur so schwach, daß er von der har- ten Pelzjakke, wie von einem Panzer zuruͤk- pralte, ohne ihm auch nur im geringsten zu ver- lezen. Unser muthige Streiter ließ dem Feinde nicht Zeit, einen zweiten Schuß zu thun; er rante auf ihn zu, und strekte ihn in den Sand, indem er eben wieder den Bogen spante. Und jezt sah er sich nach dem Geretteten um. Der arme Fluͤchtling stand zwischen Furcht und Hofnung noch auf derselben Stelle, auf der ihm Robinson zugerufen hatte, ungewiß ob das, was vorging, zu seiner Errettung ge- schaͤhe, oder ob die Reihe jezt an ihn kommen werde. Der Sieger rief ihm abermahls zu und winkte ihm, herbei zu kommen. Er gehorchte; E 5 stand stand aber bald wieder stille, trat abermahls etwas naͤher und stand von neuem stille und zwar mit sichtbarer Angst und in der Stellung eines Betenden. Robinson gab ihm alle er- sinliche Zeichen von Freundschaftsbezeugung und winkte ihm abermahls herzu zu treten. Er thats; doch kniete er alle zehn oder zwoͤlf Schritte mit den demuͤthigsten Gebehrden nieder, als wenn er ihm danken, und zugleich ihm huldigen wolte. Robinson nahm hierauf seine Maske ab um ihm ein menschliches und freundliches Ge- sicht zu zeigen; worauf er ohne Bedenken naͤher trat, vor ihm niederkniete, den Boden kuͤßte, sich plat niederlegte und Robinsons Fuß auf seinen Nakken sezte, vermuthlich zur Versiche- rung, daß er sein Sklav sein wolle. Unser Held, dem es mehr um einen Freund, als um einen Sklaven zu thun war, hob ihn liebreich auf, und suchte ihn auf jede nur moͤgliche Weise zu uͤberzeugen, daß er nichts als Gutes und Liebes von ihm zu erwarten habe. Allein da war noch mehr zu thun. Einer Einer der Erschlagenen, der den Stich nur in den Unterteib bekommen hatte und ver- muthlich nicht toͤdtlich verwundet war, fing an sich wieder zu erhohlen, und etwas ausgerisse- nes Gras in die Wunde zu stopfen um das Blut zu stillen. Robinson machte seinen Wilden aufmerksam darauf und dieser antwortete ihm einige Worte in seiner Landessprache, die jener zwar nicht verstand, aber welche doch wie Mu- sik in seinen Ohren toͤnten, weil es die erste menschliche Stimme war, die er nach so vielen Jahren wieder hoͤrte. Hierauf zeigte der In- dianer auf sein steinernes Beil, dan auf sich, und gab zu verstehen, daß er seinem Feinde vol- lends den Rest damit zu geben wuͤnschte. Unser Held, der ungern Menschenblut vergoß und gleichwohl die Nothwendigkeit, den Verwun- deten voͤllig umzubringen, erkante, gab seinem Schuzgenossen das Beil, und wandte seine Au- gen weg. Dieser lief drauf hin; und spaltete dem Verwundeten auf einen Streich den Sche- del bis in die Schulter herab. Dan kam er la- chend wieder zuruͤk und legte mit vielen sonder- baren baren Gebehrden das Beil und die Hirnschale des Erschlagenen zum Zeichen des Sieges zu Robin- sons Fuͤßen nieder. Dieser gab ihm durch Zeichen zu verstehen, daß er die Bogen und Pfeile der Getoͤdteten nehmen und ihm folgen solte. Der Wilde hin- gegen bedeutete ihm, daß er erst die todten Koͤr- per im Sande verscharren wolte, damit ihre Kameraden, wenn sie etwa nachfolgen solten, sie nicht finden moͤgten. Robinson bezeugte ihm Beifal uͤber diese seine Vorsichtigkeit, und da war er mit seinen Haͤnden so hurtig daruͤber aus, daß er in weniger, als einer Viertelstun- de schon beide Leichname verschart hatte. Dan wanderten Beide nach Robinsons Wohnung und erstiegen den Berg. Lotte. Aber, Vater, nun war ja Ro- binson ein Moͤrder geworden. Frizchen. J, das waren ja nur Wilde, die er umgebracht hatte; das thut nichts! Lotte. Ja, es waren aber doch Men- schen! Va- Vater. Allerdings waren sie das, Friz- chen, und wild oder gesittet thut hier nichts zur Sache. Die Frage ist nur, ob er ein Recht dazu hatte, diese Ungluͤklichen umzubringen? Was meinst du, Johannes? Johannes. Ich glaube, daß er recht daran that. Vater. Und warum? Johannes. Weil sie solche Unmenschen waren, und weil sie sonst den andern armen Wilden wuͤrden todt gemacht haben, der ihnen doch wohl nichts mogte zu Leide gethan haben. Vater. Aber wie konte Robinson das wissen? Vielleicht hatte dieser den Tod ver- dient? Vielleicht waren diejenigen, die ihn ver- folgten, Diener der Gerechtigkeit, die von ih- rem Oberhaupte dazu befehliget waren. Und dan, wer hatte Robinson zum Richter uͤber sie bestelt? Nikolas Ja, aber wenn er sie nicht ge- toͤdtet haͤtte, so wuͤrden sie seine Burg gesehen haben, und dan haͤtten sie es den Andern wie- der erzaͤhlt — Got- Gotlieb. Und denn waͤren sie alle gekom- men und haͤtten den armen Robinson selbst umgebracht. Frizchen. Und aufgefressen dazu! Vater. Jezt seid ihr auf dem rechten Flekke; zu seiner eigenen Sicherheit must' er's thun, ganz recht! Aber ist man denn wohl be- rechtiget, um sein eigenes Leben zu retten, ei- nen Andern umzubringen? Alle. O ja! Vater. Warum? Johannes. Weil Gott wil, daß wir unser Leben erhalten sollen, so lange wir nur koͤnnen. Wenn also einer uns umbringen wil, so muß es ja wohl recht sein, ihn erst umzu- bringen, damit er's wohl muͤsse bleiben lassen. Vater. Allerdings, lieben Kinder, ist eine solche Nothwehr nach menschlichen und goͤt- lichen Gesezen recht, aber — wohl gemerkt! — nur in dem einzigen Fal, wenn ganz und gar kein anderes Mittel zu unserer ei- genen Rettung uͤbrig ist. Haben wir hin- gegen Gelegenheit, entweder zu entfliehen, oder von von Andern beschuͤzt zu werden, oder unsern Ver- folger ausser Stand zu sezen, uns zu schaden: so ist ein Angrif auf sein Leben ein wirklicher Mord, und wird auch von der Obrigkeit, als ein solcher, bestraft. Vergeßt nicht, lieben Kinder, Gott zu danken, daß wir in einem Lande leben, in wel- chem die Obrigkeit so gute Veranstaltungen zu unserer Sicherheit getroffen hat, daß unter hun- dert tausend Menschen hoͤchst selten ein Ein- ziger in die traurige Nothwendigkeit gera- then kan, von dem Rechte der Nothwehr Gebrauch machen zu muͤssen. Genug fuͤr heute! Sech- Sechzehnter Abend. N achdem die Geselschaft am folgenden Abend sich wieder versamlet hatte, und das Gewoͤhn- liche „ ah! von Robinson! von Robin- son! „ von Mund zu Mund geflogen war, fuhr der Vater in seiner merkwuͤrdigen Erzaͤh- lung folgendermaßen fort: Das Schiksal unsers Robinsons, lieben Kinder, das uns allen so sehr am Herzen liegt, ist noch nicht entschieden. Er erstieg, wie wir gehoͤrt haben, mit seinem geretteten Wilden den Berg hinter seiner Wohnung; und da haben wir ihn gestern verlassen, ungewiß, was aus beiden weiter werden wuͤrde? Seine Lage war noch immer sehr gefaͤhrlich: denn was konte man wahrscheinlicher vermuthen, als daß die Wil- den, so bald sie ihre unmenschliche Mahlzeit wuͤrden vollendet haben, ihren ausgebliebenen beiden beiden Kameraden nachgehen und den entronne- nen Gefangenen aufsuchen wuͤrden? Und thaten sie das, wie sehr stand dan nicht zu besorgen, daß sie Robinsons Wohnung entdekken, sie mit Gewalt erstuͤrmen und ihn mit seinem Schuzgenossen zugleich abschlachten wuͤrden? Robinson schauderte bei diesem Gedanken, indem er auf dem Gipfel des Berges hinter ei- nem Baume stand, und den abscheulichen Freu- densbezeugungen und Taͤnzen der wilden Un- menschen von ferne zusahe. Er uͤberlegte in der Geschwindigkeit, was wohl am besten sei, zu fliehen? oder sich in seine Burg zu begeben? Ein Gedanke an Gott, den Beschuͤzer der Un- schuld, gab ihm Kraft und Muth das Leztere zu erwaͤhlen. Er kroch also, um nicht gesehen zu werden, hinter niedrigem Gestraͤuche bis zu seiner Strikleiter fort und befahl seinem Gefaͤhr- ten durch Zeichen ein Gleiches zu thun. Und so stiegen beide hinab. Hier machte der Wilde große Augen, da er die bequeme und ordentliche Einrichtung der Wohnung seines Erretters sahe, weil er so was F schoͤ- schoͤnes in seinem ganzen Leben noch nicht gese- hen hatte. Es war ihm ohngefaͤhr eben so da- bei zu Muthe, als wenn ein Landman, der nie aus seinem Dorfe gekommen ist, zum ersten- mahle in einen Pallast gefuͤhrt wird. Robinson gab ihm durch Zeichen zu ver- stehen, was er von seinen grausamen Landsleu- ten fuͤr sich und ihn besorgte, und bedeutete ihm, daß er entschlossen sei, sein Leben bis auf den lezten Blutstropfen gegen sie zu vertheidigen. Der Wilde verstand ihn, machte ein grimmiges Gesicht, schwenkte das Beil, welches er noch in Haͤnden hatte, einige mahl uͤber dem Kopfe, und wandte sich darauf mit fuͤrchterlichen Ge- behrden drohend nach der Seite hin, wo seine Feinde waren, als wenn er sie zum Kampf heraus foderte, um durch dies alles seinem Schuzhern zu erkennen zu geben, daß es ihm gleichfals nicht an Muthe fehle, sich tapfer ge- gen sie zu wehren. Robinson lobte seine Herzhaftigkeit, gab ihm einen Bogen nebst ei- nem seiner Spiesse (denn er hatte deren nach und nach mehrere verfertiget) in die Hand und stelte stelte ihn, als Schildwache, an ein kleines Loch, welches er mit Fleiß in der Baumwand gelassen hatte, und wodurch man den kleinen Zwischen- raum uͤbersehen konte, der das von ihm gepflanz- te Gebuͤsch von der Baumwand trente. Er selbst stelte sich in seiner ganzen Ruͤstung an die andere Seite der Wand, wo er gleichfals ein solches Wachtloch offen gelassen hatte. In dieser Stellung hatten sie ohngefaͤhr ei- ne Stunde zugebracht, als sie ploͤzlich durch ein wildes, aber noch ziemlich fernes Geschrei vieler Stimmen erschrekt wurden. Beide machten sich fertig zum Streit, und winkten einer dem andern zu, um sich gegenseitig aufzumuntern. Es wurde wieder stil; dan ertoͤnte abermahls ein aͤhnliches Geschrei und zwar schon etwas naͤher, worauf von neuem eine fuͤrchterliche Stille folg- te. Jezt — Lotte. O Vater, ich laufe weg, wenn sie kommen! Frizchen. Fi! wer wolte wohl so eine feige Memme sein! F 2 Got- Gotlieb. Laß du nur, Lotte! Robin- son wird sich schon wehren; davor ist mir gar nicht bange. Lotte. Na, ihr solt sehen, sie werden ihn gewiß todt machen. Johannes. O stille! Vater. Jezt ließ sich ziemlich nahe eine einzige rauhe Stimme hoͤren, die in das Ge- buͤsch fuͤrchterlich herein schrie und von dem Echo des Berges wiederhohlt wurde. Schon standen un- sere muthigen Kaͤmpfer bereit; schon hatte jeder sei- nen Bogen gespant, um dem Ersten der sich wuͤrde blikken lassen, einen Pfeil in den Leib zu schiessen. Ihre Augen funkelten von muthiger Erwartung und waren unverwandt auf diejenige Gegend des Gebuͤsches gerichtet, aus welcher die Stimme erschollen war. — Hier hielt der Vater ploͤzlich ein, und alle beobachteten ein erwartungsvolles Stilschweigen. Aber es erfolgte nichts. Endlich fragten ihn alle wie mit einem Munde: warum er denn nicht fortfuͤhre? Und der Vater antwortete: „Um „Um euch abermahls eine Gelegenheit zu geben, eure Begierden baͤndigen zu ler- nen! Vermuthlich seid ihr jezt alle sehr neu- gierig, den Ausgang des fuͤrchterlichen Kampfes zu wissen, der unserm Robinson bevorzuste- hen scheint; auch bin ich, wenn ihr es so wolt, sogleich bereit, ihn euch zu erzaͤhlen. Aber wie? wenn ihr freiwillig Verzicht darauf thaͤtet? Wenn ihr eure Neugierde bekaͤmpftet und die Befriedigung derselben bis auf Morgen verschoͤ- bet? Ihr solt indeß euren freien Willen haben; sprecht: wolt ihr? oder nicht?„ Wir wollen! Wir wollen! war die al- gemeine Antwort, und so wurde die Fortse- zung der Erzaͤhlung bis auf den folgenden Abend ausgesezt. Unsere jungen Leser muͤssen aber wissen, daß alle diese Kinder seit einiger Zeit, so manche Uebung in der Selbstuͤberwindung gehabt hat- ten, daß es ihnen gar nicht mehr sauer wurde, auch auf ihre liebsten Vergnuͤgungen, wenn es sein muste, mit lachendem Munde Verzicht zu thun; und sie werden wohl thun, wenn sie diese Kinder, die sich sehr gut dabei befinden, darin nachzuahmen suchen. F 3 Jeder Jeder sezte unterdeß, bis zum Essen getrom- melt wurde, seine gewoͤhnliche Handarbeit unter lehrreichen Gespraͤchen fort. Einige machten Koͤrbe, andere Schnuͤre und wiederum andere entwarfen Risse zu einer kleinen Festung, die man naͤchsten Tages auf dem großen Hofraume anlegen wolte; und erst am folgenden Abend fuhr der Vater in der abgebrochenen Erzaͤhlung also fort: Robinson und sein muthiger Bundsge- nosse blieben in derjenigen kriegerischen Stellung, worin wir sie gestern verlassen haben, bis gegen Abend stehen, ohne fernerhin das Geringste zu sehen oder zu hoͤren. Endlich ward es beiden sehr wahrscheinlich, daß die Wilden von ihrer vergeblichen Nachsuchung wohl muͤsten nachgelas- sen, und in ihren Kaͤhnen sich wieder nach ihrer Heimath begeben haben. Sie legten also ihre Waffen nieder, und Robinson hohlte etwas von seinem Vorrathe zum Abendessen herbei. Weil dieser merkwuͤrdige Tag, der in der Geschichte unsers Freundes sich so vorzuͤglich aus- zeichnet, grade ein Freitag war; so beschloß er er seinem geretteten Wilden den Nahmen des- selben zu geben und nant' ihn also Freitag. Robinson hatte jezt erst Zeit, ihn etwas genauer zu betrachten. Es war ein wohlgewach- sener junger Mensch, ohngefaͤhr zwanzig Jahr alt. Seine Haut war schwarzbraun und glaͤn- zend; sein Haar schwarz, aber nicht wolligt, wie das Haar der Mohren, sondern lang, sei- ne Nase kurz, aber nicht flach; seine Lippen wa- ren klein und seine Zaͤhne weiß, wie Elfenbein. In beiden Ohren trug er allerhand Muschel- werk und Federn, worauf er sich nicht wenig einzubilden schien. Uebrigens gieng er nakt vom Kopf bis zu den Fuͤßen. Eine von den vorzuͤglichsten Tugenden un- sers Robinsons war die Schamhaftigkeit. So groß daher auch sein Hunger war, so nahm er sich doch erst Zeit, fuͤr seinen nakten Hausge- nossen aus einem alten Felle eine Schuͤrze zu schneiden und sie durch Bindfaden zu befestigen. Dan gab er ihm zu verstehen, daß er sich neben ihm sezen solte, um das Abendbrod mit ihm zu essen. Freitag (denn so wollen wir ihn nun F 4 kuͤnf- kuͤnftig auch nennen) naͤherte sich ihm mit allen ersinlichen Zeichen der Ehrerbietung und der Dankbarkeit, kniete alsdan vor ihm nieder, legte seinen Kopf abermahls plat auf die Erde, und sezte eben so, wie er es das erstemahl gemacht hatte, seines Befreiers Fuß auf seinen Nakken. Robinsons Herz, welches die Freude uͤber einen so lange gewuͤnschten Geselschafter und Freund kaum fassen konte, haͤtte sich lieber durch Liebkosungen und zaͤrtliche Umarmungen ergos- sen: aber der Gedanke, daß es zu seiner eigenen Sicherheit gut sei, den neuen Gastfreund, des- sen Gemuͤthsart er noch nicht kante, eine Zeit- lang in den Schranken einer ehrerbietigen Unter- werfung zu erhalten, bewog ihn, die Huldigung desselben, als etwas, welches ihm gebuͤhre, an- zunehmen, und eine Zeitlang den Koͤnig mit ihm zu spielen. Er gab ihm also durch Zeichen und Gebehrden zu verstehen, daß er ihn zwar in seinen Schuz genommen habe, aber nur un- ter der Bedingung eines strengen Gehorsams: daß er sich also muͤsse gefallen lassen, alles das zu thun oder zu lassen, was er, sein Herr und Koͤ- Koͤnig ihm zu befehlen oder zu verbieten fuͤr gut erachten wuͤrde. Er bediente sich dabei des Worts Ratschike, womit die wilden Amerikaner ihre Oberhaͤupter zu benennen pflegen, wie er sich gluͤklicher Weise erinnerte, einmahl gehoͤrt zu haben. Mehr durch dieses Wort, als durch die da- mit verbundenen Zeichen, verstand Freitag die Meinung seines Herrn und aͤusserte seine Zufrie- denheit daruͤber, indem er das Wort Katschike einige mahl mit lauter Stimme widerholte, da- bei auf Robinson wies und sich von neuem ihm zu Fuͤßen warf. Ja, um zu zeigen, daß er recht gut wisse, was es mit der koͤniglichen Gewalt zu bedeuten habe, ergrif er den Spieß, gab ihn seinem Herrn in die Hand, und sezte die Spize desselben sich selbst auf die Brust, ver- muthlich um dadurch anzuzeigen, daß er mit Leib und Leben in seiner Macht stehe. Robinson reichte ihm hierauf mit der Wuͤrde eines Mo- narchen freundlich die Hand zum Zeichen seiner koͤniglichen Huld, und befahl ihm abermahls, sich zu lagern, um die Abendmahlzeit mit ihm F 5 ein- einzunehmen. Freitag gehorchte; doch so, daß er sich zu seinen Fuͤßen auf den flachen Bo- den niedersezte, indeß Robinson auf einer Grasbank saß. Seht, Kinder, auf diese oder auf eine aͤhn- liche Weise sind die ersten Koͤnige in der Welt entstanden. Es waren Maͤnner, die an Weis- heit, an Muth und an Leibesstaͤrke andern Men- schen uͤberlegen waren. Daher kamen diese zu ihnen, um sie zu bitten, sie gegen wilde Thiere, deren es anfangs mehr gab, als jezt, und gegen solche Menschen zu beschuͤzen, die ihnen Unrecht thun wolten. — Dafuͤr versprachen sie dan, ihnen in allen Stuͤkken gehorsam zu sein, und ihnen von ihren Heerden und von ihren Fruͤch- ten jaͤhrlich etwas abzugeben, damit sie selbst nicht noͤthig haͤtten, sich ihren Unterhalt zu er- werben, sondern sich ganz allein mit der Sorge fuͤr ihre Unterthanen beschaͤftigen koͤnten. Die- se jaͤhrliche Gabe, welche die Unterthanen dem Koͤnig zu bringen, versprachen, nante man dan den Tribut , oder die jaͤhrlichen Abgaben. So entstand die koͤnigliche Gewalt; so die Pflicht des des Gehorsams und der Unterwuͤrfigkeit gegen ei- nen oder mehrere Menschen, in deren Schuz man sich begeben hat. Robinson war also nunmehr ein wirklicher Koͤnig, nur daß seine Herschaft sich nicht wei- ter, als uͤber einen einzigen Unterthan und eini- ge Lamas erstrekte; den Papagai mit einbegrif- fen. Seine Majestaͤt geruhete indeß sich zu ihrem Vasallen so sehr herabzulassen, als es ihre Wuͤrde nur immer gestatten wolte. Frizchen. Was ist das, ein Vasal? Vater. Eben so viel, als Unterthan, lie- ber Friz. — Nach aufgehobner Tafel geruhete seine Ma- jestaͤt in hohen Gnaden zu verordnen, wie es mit dem Nachtlager gehalten werden solte. Sie fand fuͤr gut, ihren Unterthan — der nun zu- gleich auch ihr erster Staatsminister, und ihr Kammerdiener, ihr General und ihre Armee, ihr Kammerherr, Oberhofmar- schal, und Kastelan war, vor der Hand noch nicht in ihrer eigenen Hoͤhle, sondern in ihrem Keller schlafen zu lassen, weil sie es fuͤr bedenk- lich lich hielt, ihr Leben und das Geheimniß des ver- borgenen Ausganges aus der Hoͤhle einem Neu- ling anzuvertrauen, dessen Treue noch nicht ge- pruͤft und also auch noch nicht bewaͤhrt gefunden war. Freitag erhielt also die Anweisung, et- was Heu in den Keller zu tragen, um sich ein Lager daraus zu bereiten, indeß seine Majestaͤt selbst, um mehrerer Sicherheit willen, alle Waffen in ihr eigenes Schlafgemach trug. Dan geruhete sie im Angesicht ihres ganzen Reichs ein Beispiel von Herablassung und De- muth zu geben, welches vielleicht das Einzige in seiner Art ist. Ihr werdet daruͤber erstau- nen, und ihr wuͤrdet es fuͤr unglaublich halten, wenn ich euch nicht versicherte, daß es in den Jahr- buͤchern der Regierung unsers Robinsons mit klaren Worten gelesen werde und durch dieselben schon laͤngst weltkuͤndig geworden sei. Koͤnt ihr es glauben: Robinson, der Monarch, Robin- son, der unumschraͤnkte Koͤnig und Beherscher der ganzen Insel, Robinson, der Herr uͤber das Leben und den Tod aller seiner Unterthanen, verrichtete vor Freitags Augen das Amt einer Stal- Stalmagd, und molk mit eigener hoher Hand, die im Hofraum befindliche La- ma's, um seinem Premierminister, dem er dies Geschaͤft kuͤnftig zu uͤbertragen beschlossen hatte, zu zeigen, wie er es machen muͤsse! — Hier hielt der Vater ein, um dem algemei- nen Gelaͤchter Raum zu geben, welches dieser possierliche Umstand erregt hatte. Dan fuhr er folgendermaßen fort: Freitag wuste noch nicht, was das, was er seinen Herrn verrichten sahe, zu be deuten habe; denn sein und seiner Landsleute schwacher Ver- stand war noch nicht darauf verfal l en, daß die Milch der Thiere wohl eine nahrhafte und ge- sunde Speise sei. Noch nie hatt' er Milch ge- kostet und war daher ganz entzuͤkt uͤber den an- genehmen Geschmak derselben, da ihm Robin- son davon zu kosten gab. Nach alle dem, was beide an diesem Tage ausgestanden hatten, sehnten sie sich nun nach Schlaf und Ruhe. Robinson gebot daher sei- nen Vasallen zu Bette zu gehen; er selbst that ein Gleiches. Doch vergaß er nicht, ehe er sich schla- schlafen legte, Gott fuͤr die Abwendung der Ge- fahren des Tages, und fuͤr die Zufuͤhrung ei- nes menschlichen Gehuͤl f en inbruͤnstig zu dan- ken. Siebzehnter Abend. Johannes. N un sol mich doch verlangen zu hoͤren, was Robinson mit seinem Freitag alles vorneh- men wird! Diderich. O nun wird er schon viel mehr machen koͤnnen, als vorher, weil er jezt einen Gehuͤlfen hat! Vater. Ihr werdet immer mehr sehen, Kinder, was fuͤr große Vortheile dem Men- schen durch die Geselligkeit zufliessen, und wie viel Ursache wir also haben, Gott zu dan- ken, daß er den Trieb nach Umgang und Freund- schaft schaft mit andern Menschen uns so tief einge- pflanzt hat! Das erste, was Robinson mit seinem Freitag am andern Morgen vornahm, war ein Gang nach der Stelle, wo die Wilden den Tag vorher ihre unmenschliche Siegesmahlzeit gehal- ten hatten. Im Hingehen kamen sie zu naͤchst an den Ort, wo die beiden von Robinson er- schlagenen Wilden verschart lagen. Freitag zeigte seinem Herrn die Stelle, und ließ sich nicht undeutlich merken, daß er wohl Lust haͤt- te, die todten Leiber wieder aufzugraben, um eine Mahlzeit davon zu halten. Aber Robin- son machte ein erschrekliches, Unwillen und Ab- scheu ausdruͤkkendes Gesicht, hob seine Lanze drohend empor, und gab ihm zu verstehen, daß er ihn auf der Stelle toͤdten wuͤrde, sobald er sich jemahls wieder einfallen liesse, Menschen- fleisch zu essen. Freitag verstand die Drohun g , und unterwarf sich demuͤthig dem Willen sei- nes Herrn, ohngeachtet er nicht begreifen kon- te, was er doch fuͤr Ursachen haben moͤgte, ihm ein Vergnuͤgen zu versagen, von dessen Ab- Abscheulichkeit er ganz und gar keinen Begrif hatte. Jezt waren sie bei der Feuerstelle angekom- men. Welch ein Anblik! Hier lagen Knochen, dort halb zernagte Fleischstuͤkken von Menschen und an verschiedenen Stellen war der Boden mit Blut gefaͤrbt. Robinson muste seine Au- gen davon abkehren. Er befahl Freitag , al- les auf einen Haufen zu werfen, dan ein Loch in die Erde zu graben, und die traurigen Ueber- bleibsel der Unmenschlichkeit seiner Landsleute darin zu verscharren; und Freitag gehorchte. Robinson suchte unterdeß mit grosser Sorg- falt die Asche durch, ob nicht vielleicht ein Fuͤnk- chen Feuer moͤgte uͤbrig geblieben sein? Aber umsonst! Es war gaͤnzlich erloschen. Das war nun sehr traurig fuͤr ihn; denn nach dem der Himmel ihm einen Geselschafter verliehen hatte, blieb ihm vor der Hand fast nichts zu wuͤnschen uͤbrig, als — Feuer. Indem er nun mit ge- senktem Kopfe da stand und mit traurigen Blik- ken die todte Asche betrachtete: machte Freitag , der ihm eine Zeitlang aufmerksam zugesehen hatte, hatte, einige ihm unverstaͤndliche Zeichen, er- grif darauf ploͤzlich das Beil, rante wie der Wind nach dem Walde und ließ Robinson, der seine Absicht nicht begrif, vol Verwunde- rung uͤber dieses ploͤzliche Weglaufen zuruͤk. „Was ist das?„ dacht' er, indem er vol Erstaunen ihm nachsahe.„ Solte der Undank- bare dich verlassen, dich sogar deines Beils be- rauben wollen? Solt' er grausam genug sein, sich deiner Wohnung zu bemaͤchtigen, dich mit Gewalt davon ausschliessen, oder gar dich seinen unmenschlichen Landsleuten verrathen zu wol- len? — „Schaͤndlich! Schaͤndlich!„ rief er aus, und ergrif von Unwillen, uͤber eine so un- erhoͤrte Undankbarkeit entbrandt, den Spieß, um dem Verraͤther nachzulaufen und ihn zu hindern, seine schwarzen Anschlaͤge auszufuͤh- ren. Schon hatt' er mit schnellen Schritten sich auf den Weg gemacht, als er ploͤzlich Freitag in vollem Laufe wieder zuruͤkkommen sahe. Robinson blieb betroffen stehen, und sahe mit Verwunderung, daß sein vermeinter Verraͤther G im im Herzulaufen eine handvol duͤrres Gras in die Hoͤhe hielt, aus welchem Rauch empor stieg. Jezt faßt' es Flamme; Freitag warf es zur Erde, legte augenbliklich noch mehr troknes Gras und etwas Reisholz hinzu und Robinson sahe zu seinem freudigem Erstaunen in demselben Au- genblikke ein helles, luftiges Feuer auflodern. Auf einmahl war ihm Freitags ploͤzliches Weg- laufen begreiflich; und vor Freude ausser sich fiel er ihm um den Hals, druͤkte und kuͤßte ihn mit Inbrunst, und bat in Gedanken ihn tau- sendmahl um Verzeihung, daß er einen so un- gegruͤndeten Verdacht auf ihn geworfen hatte. Nikolas. Aber wo mogte denn Freitag das Feuer her gekriegt haben? Vater. Er war mit dem Beile in den Wald gerant, um von einem troknen Stamme zwei Holzstuͤkke abzuhauen. Diese hatt' er so geschwind und so geschikt zu reiben gewust, daß sie sich entzuͤndeten. Dan hatte er hurtig das glimmende Holz in etwas Heu gewikkelt, und war mit diesem Heu in der Hand so schnel, als moͤglich, davon gerant. Durch die geschwinde Be- Bewegung gerieth das entzuͤndete Heu in Flam- men. Fr. R. Da hat mir unser Freund Robin- son einmahl wieder gar nicht gefallen! Johannes. Warum nicht? Fr. R. Darum nicht, daß er, ohne hin- laͤngliche Anzeigen von Freitags Untreue zu haben, so gleich einen so schwarzen Argwohn gegen ihn faßte. Fi! wer wolte wohl so mis- trauisch sein! Johannes. Ja, es haͤtte aber doch wohl sein koͤnnen, daß es wahr gewesen waͤre, was er besorgte; und da must' er sich doch vor ihn in Acht nehmen! Fr. R. Versteh' mich recht, lieber Johan- nes! daß der Gedanke an Freitags moͤgliche Untreue ihm einfiel, verdenk' ich ihm nicht; auch das nicht, daß er ihm nachlief, um ihn zu hindern, fals er etwas wider ihn im Schilde fuͤhren solte: denn diese Vorsichtigkeit gegen ei- nen noch unbekanten Menschen war allerdings noͤthig und gut. Aber das verdenk ich ihm, daß er diesen Argwohn nun gleich fuͤr gegruͤndet G 2 hielt, hielt, daß er in Leidenschaft gerieth und, von Un- willen entbrandt, sich gar nicht einfallen ließ, daß Freitag doch wohl unschuldig sein koͤnte. — Nein! so weit muß unser Mistrauen gegen an- dere Menschen niemahls gehen, wenn wir nicht die gewissesten Beweise ihrer Untreue in Haͤnden haben. In zweifelhaften Faͤllen muß man von Andern immer das Beste, nie das Schlimste, vermuthen. Vater. Eine gute Regel! Merkt sie euch, Kinder, und richtet euch darnach. — Nun, unser Robinson war, wie gesagt, vor Freuden ausser sich, da er seinen Argwohn zernichtet und sich nun auf einmahl wieder im Besiz des so lange entbehrten und so sehnlich ge- wuͤnschten Feuers sahe. Lange weidete er seine Augen an den auflodernden Flammen und konte sich nicht sat daran sehen. Endlich nahm er ei- nen gluͤhenden Feuerbrand und lief damit, von Freitag begleitet, nach seiner Wohnung. Hier macht' er augenbliklich ein helles Feuer in seiner Kuͤche an, legte einige Kartoffeln dazu und flog darauf, wie der Wind, nach seiner Heerde, Heerde, um ein junges Lama zu holen. Die- ses wurde augenbliklich geschlachtet, abgestreift, zerlegt und ein Viertel davon an den Spieß ge- stekt. Freitag wurde zum Bratenwender be- stelt. Unterdeß daß dieser sein Amt verrichtete, schnit Robinson ein Bruststuͤk ab, und legt' es wohl gewaschen in einen seiner Toͤpfe. Dan schaͤlt' er einige Kartoffeln, zerstampfte zwischen zweien Steinen eine Handvol Maiz zu Mehl that bei- des zu dem Fleisch im Topf und goß so viel rei- nes Wasser darauf, als ihm noͤthig zu sein schien. Auch vergaß er nicht etwas Salz dazu zu wer- fen, und dan sezt' er diesen Topf gleichfals an das Feuer. Lotte. Ich weiß schon, was er davon machen wolte! — Suppe! Vater. Ganz recht; — eine Speise, die er nun wenigstens in acht Jahren nicht genossen hatte! Ihr koͤnt denken, wie der Mund ihm darnach waͤssern muste! Freitag machte bei diesen Zuruͤstungen gros- se Augen, weil er noch nicht begreifen konte, G 3 wo- wozu das alles solte? Vom Kochen hatt' er nie etwas gehoͤrt oder gesehen; er wuste daher auch schlechterdings nicht zu errathen, was das Was- ser im Topfe bei dem Feuer machen solle? Als nun Robinson auf einige Augenblikke in seine Hoͤhle gegangen war, und das Wasser im Topfe zu kochen anfing: stuzte Freitag , weil es ihm unbegreiflich war, was doch wohl das Wasser auf einmahl in Bewegung sezen moͤgte? Da es aber vollends aufbrausete und von allen Seiten anfing uͤberzulaufen, gerieth er auf den naͤrri- schen Einfal, daß vielleicht irgend ein lebendiges Thier darin sei, welches diese ploͤzliche Bewe- gung verursachte; und um zu verhuͤten, daß dieses Thier nicht alles Wasser aus dem Topfe heraus drengte: stekt' er hurtig seine Hand hinein, um es zu fangen. Aber in eben dem- selben Augenblikke fing er ein so entsezliches Ge- schrei an, daß die Felsenwand der Hoͤhle davon erbebte. Angst und Schrekken ergriffen unsern armen Robinson , da er dies gewaltige Geschrei ver- nahm, weil er in dem ersten Augenblikke nichts anders anders vermuthen konte, als daß die Wilden da waͤren und seinen Freitag schon gepakt haͤtten. Furcht und Selbstliebe riethen ihm, sich durch seinen verborgenen unterirdischen Gang auf die Flucht zu begeben, um sein eigenes Leben zu ret- ten. Aber er verwarf diesen Einfal augen- bliklich wieder, weil er es mit Recht fuͤr schaͤnd- lich hielt, seinen neuen Hausgenossen und Freund im Stiche zu lassen. Ohne sich also laͤnger zu besinnen, stuͤrzt' er aus der Hoͤhle hervor, fest entschlossen, fuͤr Freitags abermahlige Befrei- ung aus den Haͤnden der Unmenschen Blut und Leben zu wagen. Fr. B. So gefaͤlst du mir, Freund Ro- binson! Vater. Er stuͤrzte also hervor, das Beil in der Hand: aber — wie erstaunt' er nicht, da er Freitag ganz allein, wie einen Unsinnigen mit unaufhoͤrlichen Geschrei herumtanzen und die allerseltsamsten Gebehrden machen sahe. Lange stand er, wie verduzt, und wuste nicht, was er davon denken solte? Endlich kam es zu Er- klaͤrungen, und da erfuhr er denn durch Zeichen, G 4 daß daß das ganze Unheil nur darin bestehe, daß Freitag sich die Hand ein wenig verbrant habe. Diesen zu beruhigen, kostete ihm nicht we- nig Muͤhe. Damit ihr aber begreifen moͤget, (was Robinson erst ein Jahr nachher, da Freitag mit ihm reden konte, begrif) warum er, um einer solchen Kleinigkeit willen, einen so entsezlichen Lerm machte und sich so wunder- lich gebehrdete: so muß ich euch erst sagen, was unwissende, in ihrer Jugend nicht unterrichtete Menschen zu denken pflegen, wenn ihnen etwas begegnet, wovon sie die Ursache nicht einzusehen vermoͤgen. Diese armen einfaͤltigen Menschen gerathen nemlich alsdan fast immer auf den Gedanken, daß irgend ein unsichtbares Wesen, ein Geist, die Ursache von demjenigen sei, was sie nicht begreifen koͤnnen; und sie meinen, daß dieser Geist eine solche Wirkung auf Befehl irgend ei- nes Menschen thue, dem er dienstbar geworden sei. Einen solchen Menschen, dem sie diese Her- schaft uͤber einen oder mehrere Geister zutrauen, nennen sie dan einen Zauberer oder Hexen- mei- meister, und wenn's ein Frauenzimmer ist, eine Zauberin oder Hexe. Wenn zum Beispiel einem armen unwissen- den Landmann ploͤzlich ein Pferd oder eine Kuh krank wird, ohne daß ihm die Ursache dieser Krankheit bekant ist: so geraͤth er leicht auf den dummen Gedanken, daß irgend ein Hexen- meister oder eine Hexe im Dorfe sei, die sein Pferd oder seine Kuh bezaubert, das heißt, durch Huͤlfe eines unsichtbaren boͤsen Geistes krank gemacht haͤtten. Da giebt's denn gemei- niglich auch einen listigen und boshaften Betruͤ- ger, der sich der Unwissenheit und des Aberglau- bens dieser armen Leute zu Nuze macht, um Geld von ihnen zu ziehen. Ein solcher Betruͤ- ger bestaͤrkt sie darauf in ihrem Aberglauben; weiß sich eine wichtige Miene zu geben; sagt, sie haͤtten ganz recht, das Thier waͤre wirklich behext; aber, wenn sie ihm nur so oder so viel Geld geben wolten, so waͤre er im Stande, das Thier wieder zu entzaubern, oder den Zaube- rer und den boͤsen Geist zu zwingen, davon abzu- lassen. Das thun denn diese einfaͤltigen Leute, G 5 und und der Teufelsbanner (so nennen sie den Betruͤger) macht dafuͤr allerlei naͤrrische Gauke- leien. Wird das Vieh dan etwa zufaͤlliger Wei- se wieder gesund: so schwoͤren sie darauf, daß es wirklich behext gewesen, aber von dem klu- gen Manne (so pflegen sie den Betruͤger auch wohl zu nennen) wieder entzaubert worden sei. Stirbt das Vieh aber doch; nun so hat der klu- ge Man tausend Ausreden, wodurch er dem Volke begreiflich zu machen weiß, warum seine Bannung ohne seine Schuld fruchtlos geblieben sei. Je dummer die Menschen sind, desto mehr sind sie diesem schaͤdlichen Aberglauben ergeben. Ihr koͤnt also denken, daß er vornemlich unter den Wilden im Schwange gehen muß. Alles, was diese mit ihrem einfaͤltigen Verstande nicht begreifen koͤnnen, das schreiben sie den Wirkun- gen boͤser Geister zu; und dies war der Fal worin sich unser Freitag jezt befand. Nie hatt' er gehoͤrt oder erfahren, daß man Wasser heiß machen koͤnne; nie hatt' er auch gefuͤhlt, wie es thut, wenn man die Hand in ko- kochendes Wasser stekt: er konte also auch schlech- terdings nicht begreifen, woher die so sehr schmerzhafte Empfindung komme, die ihn ploͤz- lich uͤberfiel, so bald das kochende Wasser seine Hand beruͤhrte. Er glaubte also steif und fest, daß es mit Zauberei zugehe und daß sein Herr ein Hexenmeister sei. Nun, Kinder, — macht euch nur darauf gefaßt, — es wird euch kuͤnftig auch wohl ein- mahl eins und das Andere vorkommen, dessen Ursache ihr nicht werdet begreifen koͤnnen. Ihr werdet Taschenspieler und Gaukler sehen, die wunderseltsame Dinge machen koͤnnen, die z.B. dem Scheine nach, einen Vogel in eine Maus verwandeln, einen gekoͤpften Vogel wieder leben- dig machen koͤnnen u.s.w. ohne, daß ihr bei der groͤßten Aufmerksamkeit im Stande seid, die Gaukelei zu entdekken; wenn euch denn auch etwa der Gedanke anwandeln solte: das geht nicht mit rechten Dingen zu; das muß ein Hexenmeister sein! so erinnert euch unsers Freitags und seid versichert, daß es euch eben so, wie ihm geht, daß ihr nemlich aus Un- Unwissenheit etwas fuͤr Uebernatuͤrlich haltet, was im Grunde sehr natuͤrlich zu geht. Um euch noch mehr darauf vorzubereiten, wollen wir euch gelegentlich einige solcher Taschenspielerkuͤn- ste erklaͤren, damit ihr von diesen auf andere schliessen koͤnt. Es kostete, wie gesagt, viele Muͤhe, den armen Freitag zu beruhigen und ihn zu bewegen, sich wieder zu dem Braten zu sezen, um ihn zu wenden. Zwar that er dies endlich, aber den Topf sah er noch immer mit Grausen und sei- nen Herrn, den er nun fuͤr ein unmenschliches Wesen hielt, mit furchtsamer Ehrerbietung an. In diesem Glauben bestaͤrkte ihn die europaͤische weisse Gesichtsfarbe und der lange Bart dessel- ben, wodurch er ein ganz anderes Ansehen er- hielt, als Freitag nebst seinen schwarzbraunen und unbaͤrtigen Landsleuten hatten. Nikolas. Haben denn die Wilden in Amerika keinen Bart? Vater. Nein! man hat daher fast durch- gaͤngig geglaubt, daß die Natur den Amerika- nischen Maͤnnern den Bart versagt habe: jezt aber aber wil man bemerkt haben, daß sie ihn blos deswegen nicht haben, weil sie die Haare des Kinnes, so bald sie hervorwachsen, sorgfaͤltig auszuraufen pflegen. Suppe, Kartoffeln nnd Braten waren jezt gar. Da es an Loͤffeln fehlte, so goß Robin- son zwei Porzionen Suppe in zwei andere Toͤp- fe, um sie aus diesen zu trinken. Aber Frei- tag war durchaus nicht zu bewegen, einen der- selben anzunehmen, weil er die Suppe fuͤr einen Zaubertrank hielt; und es schauderte ihn, da er Robinson ansezen, und die bezauberte Bruͤhe trinken sahe. Von dem Braten hingegen und von den Kartoffeln aß auch er mit großem Wohl- gefallen. Wie sehr der Genuß warmer und nahrhafter Speisen unsern Robinson erfreuen muste, koͤnt ihr euch vorstellen. Er vergaß daruͤber al- ler ausgestandnen Muͤhseeligkeiten der verflosse- nen kuͤmmerlichen Jahre, vergaß, daß er noch immer auf seiner Insel sei, glaubte in ein ander Land, glaubte wieder mitten in Europa versezt zu sein. So weiß die guͤtige Vorsehung die Wun- Wunden unsers Herzens, die sie zu unserm Be- sten schlug, und die wir in der Empfindung des Schmerzens fuͤr unheilbar hielten, oft in einem einzigen Augenblikke durch den Balsam unver- hofter Freuden ganzlich wieder zu heilen! Ob uͤbrigens Robinson im Genuß dieser neuen Gottesgaben auch an den Geber derselben mit Lieb' und Dankbarkeit gedacht habe, brauch ich euch wohl nicht erst zu sagen. Nach der Mahlzeit lagert' er sich in seinem Gedankenwinkel, um uͤber die gluͤkliche Veraͤn- derung seines Zustandes ernsthafte Betrachtun- gen anzustellen. Alles hatte nun eine andere, viel angenehmere Gestalt fuͤr ihn gewonnen. Sein Leben war nun nicht mehr einsam; er hat- te einen Geselschafter, mit dem er jezt zwar noch nicht reden konte, aber dessen bloße Gesel- schaft ihm doch schon jezt zum Troste und zur Huͤlfe gereichte; er hatte wieder Feuer und der wohlschmekkenden und gesunden Nahrungsmit- tel genug, um die Beduͤrfnisse des Gaums und des Magens hinlaͤnglich befriedigen zu koͤnnen. „Was kan dich, dacht' er, nun noch hindern, ver- vergnuͤgt und unbekuͤmmert zu leben? Geneuß also der mannigfaltigen Wohlthaten des Him- mels; iß und trink von deiner Heerde und von den Fruͤchten des Landes das Beste, (denn du hast ja Ueberfluß an allem) und halte dich nun durch Ruhe und gutes Essen und Trinken schad- los fuͤr die ausgestandnen Muͤhseeligkeiten und den Mangel der verflossenen Jahre! Dein Frei- tag mag fuͤr dich arbeiten; er ist jung und stark und du hast es ja um ihn verdient, daß er dein Knecht sei.„ Hier stokten seine Gedanken; denn es kam ihnen eine andere Betrachtung in die Queer. „Aber wie? dacht' er, wenn deine ganze gegenwaͤrtige Gluͤkseeligkeit einmahl wieder ein Ende naͤhme? Wenn Freitag stuͤrbe? Wenn dein Feuer abermahls erloͤschte?„ Ein kalter Schauder lief ihm bei diesem Gedanken durch alle Glieder. „Und dacht' er weiter, wenn du durch ein weichliches und wolluͤstiges Leben dich dan so verwoͤhnt haͤttest, daß es dir unmoͤglich fiele, zu der Haͤrte und Armseeligkeit deiner vorigen Le- Lebensart zuruͤk zu kehren? Und wenn du den- noch, dazu zuruͤk zu kehren, gezwungen wuͤr- dest?„ Er stieß einen tiefen Seufzer aus. Dan dacht' er weiter: „Wem hast denn du es vornemlich zu zuschreiben, daß du durch Got- tes Huͤlfe manche Schwachheit und Untugend abgelegt hast, die dir vorher eigen waren? Nicht wahr, lediglich der arbeitsamen und maͤßigen Lebensart, die du bisher zu fuͤh- ren gezwungen warest? Und du woltest nun durch Muͤßiggang und sinliches Wohlleben dich in Gefahr sezen, der Gesundheit des Leibes und des Geistes, welche Maͤßigkeit und Arbeitsam- keit dir verliehen haben, wieder verlustig zu werden? da sei Gott vor! „ dacht' er, sprang von seinem Lager auf und ging mit hastigen Schritten in seinem Hofraume auf und nieder. Freitag trug unterdeß die uͤbrig gebliebenen Speisen in den Keller und ging, auf Robin- sons Befehl, die Lama's zu melken. Robinson fuhr in seiner Betrachtung also fort: „Und, dacht' er, wenn du von nun an ein ruhiges und schwelgerisches Leben fuͤhrtest, wie wie lange wuͤrd' es dauern, daß du aller uͤber- standenen Noth, und der vaͤterlichen Huͤlfe, die dein lieber Gott bis hieher dir geleistet hat, vergessen wuͤrdest? Wie bald wuͤrdest du uͤber- muͤthig, trozig, gottvergessen werden? Schrek- lich! schreklich!„ rief er aus und fiel auf seine Knie, um Gott zu bitten, daß er ihn doch ja vor diesem abscheulichen Undanke bewahren moͤgte. Noch stand er einige Minuten im tiefen Nachdenken; dan faßte seine Sele folgende maͤn- liche und wahrhaftig heilsame Entschliessung: „Ich wil, dacht' er, der neuen goͤtlichen Wohlthaten zwar geniessen; aber immer mit der groͤßten Maͤßigkeit. Die einfachsten Speisen sollen auch kuͤnftig meine Nahrung sein, so groß und mannigfaltig mein Vorrath auch immer sein mag. Meine Arbeiten wil ich eben so unver- drossen und eben so ununterbrochen fortsezen, als bisher, ohngeachtet sie nicht mehr eben so noth- wendig sein werden. An einem Tage einer jeden Woche, und dies sei der Sonnabend, wil ich von eben den rohen Speisen leben, die mich bis H hie- hieher ernaͤhrt haben, und den lezten Tag eines jeden Monats wil ich eben so einsam hinbrin- gen, als ich die ganze verflossene Zeit meines hiesigen Aufenthalts habe hinbringen muͤssen. Freitag sol dan jedesmahl einen Tag und eine Nacht sich fern von mir in meinem Sommer- pallast aufhalten.„ Er empfand, nachdem er diese tugendhaf- ten Vorsaͤze gefaßt hatte, die reine himlische Freude, welche jedes Bestreben unsers Geistes nach groͤsserer Volkommenheit allemahl zu beglei- ten pflegt. Seine Stirn gluͤhete, sein Herz empfand schon zum voraus die seeligen Folgen dieser freiwilligen Aufopferungen und schlug leb- hafter; es war ihm unaussprechlich wohl zu Muthe. Aber er kante nun schon die Wankel- muͤthigkeit des menschlichen Herzens, auch sei- nes Herzens, und sahe daher voraus, wie leicht es moͤglich sei, daß er dieser seiner guten Vor- saͤze wieder vergessen koͤnte. Er glaubte daher, daß es nicht undienlich sein wuͤrde, wenn er sich irgend ein sinliches Merkzeichen machte, bei dessen Anblik er sich taͤglich wieder daran erin- nern nern koͤnte. In dieser Absicht ergrif er sein Beil und hieb in die Felsenwand uͤber dem Ein- gange zu seiner Hoͤhle die beiden Worte ein: Arbeitsamkeit und Maͤßigkeit. Nun, Kinder, ich geb' euch bis Morgen Zeit, uͤber diesen lehrreichen Umstand in unsers Freundes Leben nachzudenken, ob vielleicht et- was darin sei, welches ihr zu eurem Besten nachmachen koͤntet. Wenn wir wieder zusam- men kommen, solt ihr mir eure Gedanken daruͤ- ber mittheilen, so wie ich euch die Meinigen sagen werde. Achtzehnter Abend. A m folgenden Tage war ein Fluͤstern und Zi- scheln und eine Bewegung unter dem kleinen Volke, daß man wohl merken konte, es sei irgend etwas Wichtiges unter ihnen auf dem Ta- H 2 pet. pet. Indeß konte man doch nicht erfahren, was es eigentlich sei, bis die Stunde zur Ro- binsonserzaͤhlung geschlagen hatte. Aber da ent- stand auch ein Zulaufen und ein Andrengen um den Vater herum, daß dieser sich auf die Gras- bank fluͤchten mußte, um nicht zerdruͤkt zu wer- den. Vater. Nun, was gibt's, was gibt's denn? Alle. Eine Bitte! lieber Vater! Eine Bitte! Vater. Und was denn fuͤr eine? Alle auf einmahl. O ich moͤgte — o ich wolte gern — o und ich — Vater. Sch! — Ja, da versteh ich kein Wort, wenn ihr alle zugleich sprechen wolt. Rede einer nach dem Andern! Diderich, fange an! Diderich. Ich und Nikolas und Johan- nes wolten bitten, daß es uns erlaubt waͤre, morgen Mittag nicht zu essen. Gotlieb. Und ich, und Frizchen und Lot- te wolten bitten, daß wir Morgen zum Fruͤh- stuͤk stuͤk nur ein Bischen trokken Brod und den Abend gar nichts essen duͤrften. Vater. Und warum das? Johannes. Ja, wir wollen uns auch gern uͤberwinden lernen. Nikolas. Und wolten uns uͤben, ein Bischen Hunger zu ertragen, damit es uns nicht sauer ankomme, wenn wir einmahl hun- gern muͤssen. Gotlieb. Ja, und denn wolten wir Vater auch noch bitten, daß es uns erlaubt sein moͤgte, Morgen Abend nicht zu Bette zu gehen und die ganze Nacht einmahl zu wachen. Vater. Und warum denn das? Gotlieb. J, weil es doch auch wohl ein- mahl kommen kan, daß wir wachen muͤssen; damit es uns denn nicht zu schwer werde. Vater. Ich freue mich, Kinder, daß ihr die Nothwendigkeit einsehet, sich zuweilen et- was Angenehmes mit Fleiß zu entziehen, um den Mangel desselben, wenn es sein muß, er- tragen zu lernen. Das macht stark an Leib und Sele. Eure Bitte sei euch also gewaͤhrt, doch H 3 unter unter der Bedingung, daß ihr es recht gern thut, daß ihr vergnuͤgt dabei seid, und daß ihr es frei heraus sagt, wenn's euch zu schwer fal- len solte. Alle. O es wird uns gewiß nicht zu schwer fallen. Fr. R. Ich folge eurem Beispiel, ihr Kleinen, und faste Morgen Abend auch. Fr. B. Und ich dem Eurigen, ihr Groͤs- sern; wir fasten zusammen Morgen Mittag, und die Nachtwache halt' ich mit euch Allen! Vater. Bravo! Bravo! — Nun, ich werde doch nicht allein zuruͤkbleiben auf dem Wege zum Guten? — Hoͤrt, wozu ich mich entschlossen habe! Ihr wißt, daß ich in meiner Jugend sehr verwoͤhnt worden bin. Man hat mir Kaffee und Thee, Bier und Wein zu trinken gegeben. Aus eigener Narheit habe ich als Juͤngling mir den Schnupftabak und Rauchtabak angewoͤhnt. Das Alles schwaͤcht nun den Koͤrper gar sehr und giebt uns so viel Beduͤrfnisse, daß uns alle Augenblikke etwas fehlt und macht daß wir un- zufrie- zufrieden sind, wenn wir es nicht haben koͤnnen. Ich habe oft Kopfschmerzen; vermuthlich wuͤrd' ich sie nicht haben, wenn ich nicht von Jugend auf an warme und erhizende Getraͤnke waͤre ge- woͤhnt worden. Dies und das Beispiel unsers Robinsons hat mich dan zu der Entschlies- sung gebracht, von nun an auf Alles dies Ver- zicht zu thun. Also von heute an, rauche und schnupfe ich keinen Tabak mehr; von heute an, trinke ich keinen Thee, keinen Kaffe, kein Bier und keinen Wein mehr, ausser an Geburtstagen und andern Freudenfesten, da wir gemeinschaft- lich ein wenig Wein trinken wollen, um uns auch uͤber diese Gottesgabe zu freuen und dem Geber derselben dafuͤr zu danken. Es wird mir sauer werden, dies Geluͤbde zu erfuͤllen, weil ich schon so lange verwoͤhnt gewe- sen und nun schon so alt bin. Aber mag's! desto groͤsser wird auch nachher meine Freude sein, wenn ich's doch werde erfuͤlt haben. Auch die Leute werden viel dawider einzuwenden ha- ben; der Eine wird sagen: „der wil den Son- H 4 der- derbaren machen, wil dem Diogenes Diogenes war ein Man, der sich alles ent- zog, was zur Erhaltung des Lebens nicht schlechterdings noͤthig war. nach- aͤffen!„ Der Andere: „der Man ist hipo- chondrisch, findet ein Vergnuͤgen daran sich selbst zu quaͤlen!„ So werden die guten Leute sprechen; aber, lieben Kinder, wenn man etwas thun wil, was vor Gott und vor unserm eige- nen Gewissen recht und gut ist, so muß man niemahls fragen: was werden die Leute da- zu sagen? man muß vielmehr die Leute sa- gen lassen, was sie wollen, und selbst thun, was man als recht erkant hat. Auch die Aerzte werden den Kopf uͤber mich schuͤtteln, werden mir, ich weiß nicht was fuͤr Krankheiten profe- zeihn, weil ich aufhoͤren wil krank an Leib und Seele zugleich zu sein: aber, lieben Kinder, wenn man Herz genug hat, auf den Weg der Natur zuruͤk kehren zu wollen, so muß man nicht die Aerzte um Rath fragen, welche selbst davon abgewichen sind. Ich habe geglaubt, daß es gut waͤre, euch dies Alles vorher zu sagen, damit ihr aus mei- nem nem Beispiele lernen moͤgtet, daß man viel kan, wenn man viel wil, und daß keine boͤse Gewohnheit so stark sei, daß wir sie mit Gottes Huͤlfe nicht solten uͤberwinden koͤnnen, wenn es nur ein rechter Ernst damit ist. — Nun, Kinder, zum Anfang werden diese Uebungen in der Enthaltsamkeit und Selbstbe- kaͤmpfung, die wir jezt beschlossen haben, schon hinreichend sein. Haben wir diese gluͤklich uͤber- standen, so wird uns jede folgende Uebung leich- ter werden. Also — es bleibt dabei, jeder thut, wozu er sich freiwillig entschlossen hat; und nun wieder zu unserm Robinson! Der Zustand desselben, war jezt gluͤklicher, als er, seit seiner Ankunft auf dieser Insel, je- mahls gewesen war. Die einzige große Sorge, die ihn jezt nur noch beunruhigte, war die, daß die Wilden vielleicht bald zuruͤk kommen wuͤrden, um ihre zuruͤkgebliebenen Gefaͤhrten aufzusuchen, und daß es dan leicht zwischen ihm und ihnen wieder zu blutigen Haͤndeln kommen duͤrfte. Er zitterte vor dem Gedanken, aber- mahls in die Nothwendigkeit versezt zu werden, H 5 Men- Menschenblut vergiessen zu muͤssen, und sein eige- nes zweifelhaftes Schiksal machte ihn nicht we- niger bekuͤmmert. Bei diesen Umstaͤnden erfoderte die Pflicht der Selbsterhaltung, auf seine eigene Sicher- heit, so viel moͤglich, bedacht zu sein. Schon laͤngst hatt' er den Wunsch gehegt, seine Burg zu einer ordentlichen kleinen Festung machen zu koͤnnen: aber so lange er noch allein war, schien ihm die Ausfuͤhrung dieses Anschlages unmoͤg- lich zu sein. Jezt aber, da er zwei Arme mehr hatte, kont' er so was schon unternehmen. Er stelte sich also auf den Gipfel des Berges, von wannen er den ganzen Plaz uͤbersehen konte, um den Plan dazu zu machen. Dieser war auch bald entworfen. Er durfte nur ausserhalb der Baumwand rund um seine Burg herum einen etwas breiten und tiefen Graben aufwerfen, und den inwendigen Rand desselben mit Palli- saden bepflanzen? Frizchen. Was sind das Pallisaden? Johannes. O du kannst auch leicht wie- der was vergessen! Weißt du nicht mehr, die spi- spizigen Pfaͤle, die Vater um das eine Ravelin an unserer kleinen Festung so dicht neben einan- der gepflanzt hat, — na! das sind Pallisaden. Frizchen. Ach ja! — Nu nur weiter! Vater. In diesen Graben beschloß er die kleine Quelle zu leiten, die ohnweit seiner Woh- nung entsprang, und zwar so, daß ein Theil des Bachs mitten durch seinen Hofraum floͤsse, damit es ihm, in Fall einer ordentlichen Bela- gerung, nicht an Wasser fehlen moͤgte. Es hielt schwer, alles dies seinem Freitag durch Zeichen verstaͤndlich zu machen. Indeß gluͤkt' es ihm endlich damit; und Freitag lief darauf nach dem Gestade, um allerlei Werkzeu- ge zum Graben und Schaufeln, nemlich grosse Muscheln und platte scharfe Steine zu suchen. Dan sezten beide sich in Arbeit. Ihr koͤnt denken, daß dies abermahls kein leichtes Geschaͤft gewesen sei. Der Graben mu- ste, wenn er etwas helfen solte, wenigstens drei Ellen tief und zum mindesten vier Ellen breit sein. Die Laͤnge desselben mogte sich leicht auf 80 bis 100 Schritte belaufen. Und dazu kein ei- eisernes Werkzeug, keine Hakke, keinen Spa- ten, keine Schaufel zu haben! Denkt einmahl nach, was das sagen wolle! Der Pallisaden be- durfte man beinahe 400 Stuͤk; und diese blos mit einem einzigen steinernen Beile behauen und zuspizen zu wollen: in der That kein leichtes Unternehmen! Und dan, so muste auch noch von der Quelle bis zu diesem Graben ein beina- he eben so tiefer Kanal gegraben werden, um das Wasser herzuleiten; und zwischen diesem Quel und der Wohnung war noch oben drein eine Anhoͤhe, welche durchgestochen werden muste! Aber alle diese Schwierigkeiten schrekten un- sern entschlossenen Freund nicht ab. Durch ein maͤssiges und immer arbeitsames Leben war auch sein Muth zu jeder wichtigen Unternehmung viel groͤsser geworden, als er bei weichlichen, im Muͤs- siggang und Wohlleben aufgewachsenen Menschen zu sein pflegt. Mit Gott und gutem Muth! war der Wahlspruch, mit welchem er jedes wich- tige Geschaͤft anfing; und wir wissen schon, daß er dan auch nicht eher nachließ, als bis das Werk geendiget war. So So also auch jezt. Beide, er und Frei- tag, arbeiteten taͤglich vom fruͤhen Morgen bis zum spaͤten Abend mit Lust und Eifer, und es war daher erstaunlich, wie viel sie, ihrer arm- seeligen Werkzeuge ungeachtet, an jedem Tage vor sich brachten. Zum Gluͤk wehete zwei Mo- nate hinter einander ein solcher Wind, der es den Wilden unmoͤglich machte, Robinsons Insel zu besuchen. Es war also auch, waͤhrend der Arbeit, kein Ueberfal von ihnen zu besorgen. Indeß nun Robinson so arbeitete, war er nebenbei bemuͤht, seinen Gehuͤlfen nach und nach so viel von der deutschen Sprache zu lehren, daß er ihn verstehen koͤnte, wenn er mit ihm redete; und dieser war so gelehrig, daß er in kurzer Zeit schon recht viel davon begriffen hatte. Robin- son macht' es dabei eben so, wie wir es mit euch zu machen pflegen, wenn wir euch latei- nisch oder franzoͤsisch lehren; er zeigte ihm im- mer das Ding, wovon er redete und dan sprach er den Nahmen desselben laut und deutlich aus. Wenn er aber von Sachen redete, die er ihm nicht zeigen konte, so machte er so vernehmliche Mie- Mienen und Gebehrden dazu, daß ihn Freitag doch wohl verstehen mußte. So lernte dieser, noch ehe ein halbes Jahr verstrich, so viel Deutsch, daß beide sich ihre Gedanken schon so ziemlich mittheilen konten. Ein neuer Zuwachs von Gluͤkseeligkeit fuͤr unsern Robinson! Bisher hatt' er an Frei- tag nur einen stummen Gehuͤlfen gehabt; nun ward er f aͤ hig, sein wirklicher Geselschafter, sein Freund zu werden. O wie verschwand nun gegen diese Freude das geringere Vergnuͤgen, welches vorher das gedankenlose Geschwaͤz des Papagaien ihm verursacht hatte! Freitag bewies sich immer mehr und mehr als einen gutherzigen, treuen jungen Menschen, in dem kein Falsch war; und schien seinem Herrn mit der aufrichtigsten Liebe zugethan zu sein. Daher gewan denn auch dieser ihn von Tage zu Tage lieber, und trug nach einiger Zeit gar kein Bedenken mehr, ihn neben sich in seiner eigenen Hoͤhle schlafen zu lassen. In weniger, als zwei Monaten, war die Grabenarbeit fertig geworden, und nun konten sie sie jeden Anfal der Wilden ziemlich ruhig erwar- ten. Denn ehe einer derselben uͤber den Gra- ben kommen und die Pallisaden ersteigen konte: war es ihnen leicht, ihn entweder mit Pfeilen zu erschiessen, oder mit den langen Spiessen zu erstechen. Fuͤr ihre Sicherheit war also nun wohl hinlaͤnglich gesorgt. Eines Tages, da Robinson und Freitag eine nahe am Strande liegende Anhoͤhe erstie- gen hatten, von der sie weit ins Meer hinaus sehen konten: gukte Freitag sehr scharf nach der Gegend hin, wo man, wie wohl nur ganz dun- kel, einige ferne Inseln liegen sahe. Auf ein- mahl fieng er an vor Freuden zu huͤpfen und zu springen und allerlei seltsame Gebehrden zu ma- chen. Auf Robinsons Frage: was ihn an- komme? rief er freudig aus, indem er fortfuhr zu tanzen: lustig! lustig! dort ist meine Heimath! Dort wohnt meine Nazion! Aus dem gluͤhenden Gesicht und den funkelnden Augen, womit er dies ausrief, leuchtete eine recht große Liebe zu seinem Vaterlande und der Wunsch hervor, wieder dahin zu kommen. Diese Diese Bemerkung war seinem Herrn gar nicht angenehm, ohngeachtet es sehr lobenswuͤrdig an Freitag war, daß er sein Vaterland mehr, als andere Laͤnder und seine zuruͤkgelassene Freunde und Anverwandte noch zaͤrtlicher, als jeden an- dern Menschen, liebte. Robinson, der da- her Anlaß nahm, zu besorgen, daß er ihn bei Gelegenheit, um seiner Landsleute willen, wohl e inmahl verlassen koͤnte, versuchte, ihn daruͤber auszufragen. Er fing also folgendes Gespraͤch mit ihm an, woraus ihr den ehrlichen Freitag noch besser werdet kennen lernen: Robinson. Haͤttest du denn wohl Lust, wieder unter deinen Landsleuten zu leben? Freitag. Ach ja! ich wolte recht froh sein, wenn ich wieder bei ihnen waͤre! Robinson. Du woltest vielleicht wieder Menschenfleisch mit ihnen essen? Freitag. (Ernsthaft) Nein! ich wolte sie lehren, daß sie nicht mehr so wild leben, daß sie Fleisch von Thieren und Milch, aber keine Menschen mehr essen solten. Ro- Robinson. Aber wenn sie dich selbst auf- aͤßen? Freitag. Das werden sie nicht! Robinson. Aber sie essen doch Menschen- fleisch? Freitag. Ja, aber nur das Fleisch ihrer getoͤdteten Feinde. Robinson. Koͤntest du denn wohl einen Kahn machen, worin man hinuͤberfahren koͤnte? Freitag. O ja! Robinson. Nun, so mache dir einen, und fahre nur immer hin zu ihnen. Hier sahe Freitag auf einmahl ganz ernst- haft und traurig vor sich nieder. Robinson. Nun, was ist dir? Woruͤber wirst du traurig? Freitag. Ich bin traurig, daß mein lie- ber Herr boͤse auf mich ist. Robinson. Boͤse? Wie das? Freitag. Ja, weil er mich von sich weg- schikken wil. Robinson. Du wuͤnschtest dich ja hin nach deiner Heimath! I Frei- Freitag. Ja, aber wenn mein Herr nicht da ist, wuͤnscht Freitag auch nicht hin. Robinson. Mich wuͤrde deine Nazion fuͤr einen Feind halten und auffressen; reise also nur immer allein ab. Freitag riß bei diesen Worten seinem Herrn das Beil von der Seite, gab's ihm in die Hand und hielt ihm den Kopf dar, damit er ihn mit dem Beile spalten moͤgte. Robinson. Was sol ich? Freitag. Mich umbringen! Besser um- gebracht, als weggeschikt! Die Traͤnen stuͤrzten ihm dabei aus den Au- gen. Robinson ward geruͤhrt, fiel ihm in die Arme und sagte: „Sei unbekuͤmmert, mein lieber Freitag! Auch ich wuͤnsche mich nie von dir zu trennen: denn ich liebe dich herzlich. Was ich gesagt habe, sagt' ich nur, um dich zu pruͤ- fen, ob ich dir wohl schon eben so lieb sei, als du mir bist.„ Er umarmte ihn hierauf von neuen, und wischte sich selbst eine Freudentraͤ- ne ab, die ihm aus dem Auge hervorgequollen war. Frei- Freitags Versicherung, daß er wohl einen Kahn machen koͤnne, war unserm Robinson sehr angenehm zu hoͤren gewesen. Er faßte ihn also bei der Hand und fuͤhrte ihn nach dem Orte, wo er selbst nun schon seit einigen Jah- ren an einem Schiffe gearbeitet hatte. Hier zeigt' er ihm den Blok, der noch nicht um den dritten Theil ausgehoͤhlt war und sagte ihm, wie viel Zeit er schon darauf verwandt habe. Freitag schuͤttelte den Kopf und laͤchelte. Auf Robinsons Frage: was er daran auszu- sezen faͤnde? antwortete er: daß es all' der Ar- beit nicht bedurft haͤtte; man koͤnte einen sol- chen Blok viel besser und zwar in kurzer Zeit durch Feuer aushoͤhlen. Wer war froher uͤber diese Nachricht, als Robinson! Schon sah er denn Kahn vollendet; schon sah er sich im Geiste auf dem Meere und landete schon, nach einer gluͤklichen Fahrt, in einer Gegend des festen Landes, wo Europaͤer waren! Wie schlug ihm vor Freuden das Herz bei diesem Gedanken an eine so nahe Erloͤsung! — Es ward beschlossen, I 2 das das Werk gleich mit Anbruch des morgenden Ta- ges anzufangen. Gotlieb. O nun wird die Freude bald aus sein! Vater. Wie so? Gotlieb. Ja, wenn er erst ein Schif hat, so wird er bald absegeln; und wenn er denn erst wieder in Europa ist: so kan Vater uns nichts mehr von ihm erzaͤhlen. Vater. Und woltest du auf dieses Ver- gnuͤgen nicht willig Verzicht thun, wenn du des armen Robinsons Befreiung dadurch erkau- fen koͤntest? Gotlieb. Ach ja, das ist auch wahr! Ich hatt' es nur nicht bedacht. Vater. Indeß, wer weiß, was wieder dazwischen kommen kan, daß der Schifbau oder die Abreise doch noch eingestelt werden muß? Die Zukunft ist ein ungewisses, veraͤnderliches Ding, und faͤlt gemeiniglich ganz anders aus, als wir erwartet hatten. Unsere Hofnungen, wenn sie auch noch so zuverlaͤßig zu sein scheinen, schlagen nicht selten fehl; und es ist daher sehr weise, weise, sich immer schon zum voraus darauf ge- faßt zu machen. — Robinson, der dies nun schon oft aus der Erfahrung gelernt hatte, ging jezt, von Frei- tag begleitet, mit dem frommen Vorsaze nach Hause, daß er die Erfuͤllung seines feurigsten Wunsches der alweisen und alguͤtigen Vorsehung uͤberlassen wolle, weil diese doch besser, als er selbst, wisse, was fuͤr ihn das Zutraͤglichste sei. Und so, meine lieben Kinder, wollen wir in aͤhnlichen Faͤllen es auch machen. Neunzehnter Abend. D a die Geselschaft am folgenden Abend wie- der zusammen kam, waren die beschlossenen Uebungen der Enthaltsamkeit zum Theil schon angestelt worden. Alle waren froh und guter Dinge; und der Vater fing die Unterredung mit folgenden Worten an: I 3 Nun, Nun, Kinder, wie thut das Fasten? Alle. O recht gut, recht gut! Vater. Ihr seht, ich selbst lebe auch noch, ohngeachtet ich heute nur Wasser und Milch ge- trunken habe. Nikolas. Wenn's darauf ankaͤme, so wolt' ich wohl noch laͤnger fasten! Alle. O ich auch! Ich auch! Das ist ja gar nichts! Vater. Laͤnger zu fasten ist nicht noͤthig; koͤnte auch eurer Gesundheit schaͤdlich werden: aber wenn ihr es wuͤnscht, so wil ich euch wohl andere Uebungen vorschlagen, die euch eben so nuͤzlich sein werden. Alle. O ja! O ja, lieber Vater! Vater. Fuͤr heute hat jeder von uns ge- nug gethan, besonders da diese Nacht noch ge- wacht werden sol. Aber, wenn ihr wirklich Lust habt, recht trefliche Menschen zu werden, die da gesund und stark an Leib und Sele, und also faͤhig sind, zum Gluͤk ihrer Nebenmen- schen viel, recht viel beizutragen: so hoͤrt, was wir thun wollen! Ich Ich wil fuͤr euch die Schriften der alten Weisen lesen, welche die Lehrer der großen und liebenswuͤrdigen Maͤnner waren, die euch, da ich die alte Geschichte erzaͤhlte, so sehr gefallen haben. Darin stehen die Vorschriften, welche jene weisen Maͤnner ihren Schuͤlern gaben, und durch deren Erfuͤllung diese ihre Schuͤler so groß und so gut geworden sind. Woͤchentlich wil ich eine dieser Vorschriften auf eine mit Papier uͤberzogene Tafel schreiben und sie euch erklaͤren. Dan wil ich jedesmahl euch dabei sagen, was fuͤr Uebungen ihr die Woche hindurch anstellen koͤnt, um euch die Erfuͤllung einer solchen Vor- schrift zu einer leichten und angenehmen Ge- wohnheit zu machen. Aber freilich wird das ohne Aufopferungen nicht abgehen; ihr werdet euch oft freiwillig entschliessen muͤssen, auf ein sehr liebes Vergnuͤgen Verzicht zu thun, und zuweilen etwas sehr Unangenehmes zu erdulden, um euch dadurch nach und nach diejenige Staͤrke der Sele zu erwerben, welche uns in den Stand sezt, jede unerlaubte Begierde in uns zu bekaͤm- pfen und jeden Verlust, jeden Mangel mit wei- I 4 ser ser Gleichmuͤthigkeit zu ertragen. Es versteht sich, daß wir Erwachsene euch in allen diesen Uebungen vorgehen und nichts von euch fodern werden, als was wir selbst zu leisten Herz genug haben. Wolt ihr diesen Vorschlag einge- hen? Alle gaben ihre Einstimmung durch ein lau- tes Ja! und durch freudiges Haͤndeklatschen zu erkennen. Es wurde also von diesem Augen- blikke an eine Schule der Weisheit unter ihnen errichtet, welche von andern Schulen sich vornehmlich dadurch auszeichnete, daß woͤchent- lich nur eine halbe Stunde gelehrt, und das Gelehrte wenigstens acht Tage hinter einander recht eigentlich zur Uebung gemacht ward. Viel- leicht theilen wir unsern jungen Lesern einmahl eine Nachricht von diesen Uebungen und von ih- ren erfreulichen Folgen mit, um auch sie die Mittel zu lehren, wodurch man ein vorzuͤglich guter, gemeinnuͤziger und gluͤklicher Mensch werden kan. Jezt wieder zu unserm Robinson! — Nachdem die gemeldete Verabredung genom- men men war, fuhr der Vater folgendermaßen fort. Kinder, das, wovon ich gestern Abend beim Schluß meiner Erzaͤhlung sagte, daß es moͤg- lich sei, hat sich nun wirklich zugetragen. Alle. Was denn? Was denn? Vater. Ich sagte, daß im menschlichen Leben unsere gewissesten Hofnungen oft ploͤzlich vereitelt werden; und daß daher auch Robinson, so wahrscheinlich und so nahe seine Erloͤsung auch zu sein schiene, doch leicht ein unvorhergesehenes Hinderniß antreffen duͤrfte, welches ihn noͤthig- te, noch laͤnger da zu bleiben. Dieses Hinder- niß nun fand sich schon am folgenden Tage ein. Es fing nemlich mit diesem Tage abermahls die gewoͤhnliche Regenzeit an, von welcher Ro- binson nun schon aus vieljaͤhriger Erfahrung wuste, daß sie jaͤhrlich zweimahl, und zwar im- mer um diejenige Zeit einzutreffen pflege, da Tag und Nacht einander gleich sind. Waͤhrend dieser Regenzeit, die gemeiniglich einen oder zwei Monate anhielt, war es unmoͤglich, aus- ser Hause etwas zu verrichten; so stark und un- I 5 auf- aufhoͤrlich stroͤmte alsdan der Regen herab! Auch hatte Robinson bemerkt, daß in jener Weltge- gend das Ausgehen und Naßwerden in dieser Jahrszeit der Gesundheit aͤusserst nachtheilig sei. Was war also nun zu thun? Der Schifbau muste aufgehoben und die Zeit mit haͤuslichen Verrich- tungen hingebracht werden. Wohl bekam es nun unserm Robinson an den regnigten Tagen und in den langen finstern Abendstunden, daß er wieder Feuer, noch mehr, daß er einen Geselschafter, einen Freund, hatte, mit dem er unter gemeinschaftlichen Hausarbei- ten die Zeit mit vertraulichen Gespraͤchen ver- treiben konte! Vormahls hatt' er diese traurigen Abende allein, unbeschaͤftiget und im Finstern hinbringen muͤssen: jezt saß er mit Freitag bei einer Lampe oder ohnweit dem Kuͤchenfeuer, ar- beitete und plauderte und fuͤhlte nie die Beschwer- lichkeit der langen Weile, die so druͤkkend ist. Freitag lehrte ihn allerlei kleine Kuͤnste, wodurch die Wilden ihren Zustand zu verbessern wissen; und dan lehrte Robinson ihn wieder andere Sachen, wovon die Wilden nichts ver- stehen. stehen. So nahmen beide zu an Kenntnissen und Geschiklichkeiten und brachten durch gemeinschaft- lichen Fleiß eine Menge kleiner Kunstwerke zu Stande, deren Verfertigung jedem von ihnen, wenn er sich ganz allein befunden haͤtte, wuͤrde unmoͤglich gewesen sein. Da fuͤhlte dan auch jeder von ihnen recht innig, wie gut es sei, daß die Menschen durch Geselligkeit und Freundschaft zusammen gehalten werden, und nicht, wie die wilden Thiere, einzeln auf dem Erdboden herum- schwaͤrmen! Freitag verstand sich unter andern auf die Verfertigung von Matten aus Baumbast, die er so fein und so dicht zu flechten wuste, daß sie fuͤglich zu Kleidungsstuͤkken gebraucht werden konten. Robinson lernte ihm diese Kunst ab; und da verfertigten beide einen solchen Vorrath davon, als hinreichend war, um fuͤr jeden einen ganzen Anzug daraus zu machen. O wie freute sich Robinson, daß ihm die beschwerliche Klei- dung aus steifen ungegaͤrbten Fellen nun endlich einmahl entbehrlich geworden war! Fer- Ferner verstand Freitag die Kunst, aus den Fasern, worin die Kokusnuͤsse eingewikkelt sind, und aus verschiedenen flachsartigen Kraͤu- tern Garn und Strikke zu drehen, welche dieje- nigen, die Robinson bisher gemacht hatte, bei weitem uͤbertrafen. Aus dem Garn wust' er Fischneze zu knuͤpfen, eine Arbeit, die beiden manchen langen Abend auf die angenehmste Wei- se verkuͤrzte. Waͤhrend dieser haͤuslichen Geschaͤftigkeit war Robinson vornemlich darauf bedacht, der Verstand seines armen wilden Freundes ein we- nig aufzuklaͤren, und ihm nach und nach einige wahre und wuͤrdige Begriffe von Gott beizu- bringen. Wie schwach und irrig Freitags Re- ligionserkentniß war, moͤget ihr aus folgendem Gespraͤche zwischen ihm und seinem Herrn erse- hen. Robinson. Sage mir doch, Freund Freitag, weißt du denn wohl, wer das Meer, die Erde, die Thiere und dich selbst erschaffen hat? Freitag. O ja! Das hat der Toupan gethan. Ro- Robinson. Wer ist denn Toupan? Freitag. J, der Donnerer! Robinson. Aber wer ist denn der Don- nerer? Freitag. Ein alter, alter Man, der laͤn- ger, als alle Dinge, lebt, und der den Donner macht. Er ist viel aͤlter, als Sonne, Mond und Sterne; und alle Dinge sagen O zu ihm. (Das solte so viel heissen, als: Alle beten ihn an. ) Robinson. Kommen denn die Leute in deinem Vaterlande irgendwo hin, wenn sie sterben? Freitag. Freilich thun sie das; sie kom- men zum Toupan. Robinson. Wo ist denn der? Freitag. Er wohnt auf hohen Gebirgen. Robinson. Hat denn jemand ihn da ge- sehn? Freitag. Es komt keiner zu' ihm hinauf, als die Owokakee's; (dieser Nahme solte so viel, als Priester bedeuten.) Diese sagen O zu ihm und erzaͤhlen uns denn wieder, was er ge- sprochen hat. Ro- Robinson. Haben denn die Leute, wenn sie nach dem Tode zu ihm kommen, es gut bei ihm? Freitag. O ja, wenn sie hier recht viel Feinde geschlachtet und aufgegessen haben! Robinson erschrak vor diesem klaͤglichen Irthume; und fing von dem Augenblikke an, ihm bessere Begriffe von Gott und von dem Le- ben nach dem Tode mitzutheilen. Er lehrte ihn, daß Gott ein unsichtbares, hoͤchst maͤchti- ges, hoͤchst weises und guͤtiges Wesen sei; daß er Alles, was da ist, erschaffen habe, und fuͤr alles sorge; er selbst aber habe nie einen Anfang genommen; daß er uͤberal zugegen sei, und wisse alles, was wir denken, reden und thun; daß er Wohlgefallen am Guten finde und alles Boͤse verabscheue; daß er daher hier und im ewigen Leben nur diejenigen gluͤklich machen koͤnne, die sich von ganzem Herzen bestrebt haͤtten, gut zu werden. Freitag hoͤrte diese erhabene und trostreiche Lehre mit ehrerbietiger Aufmerksamkeit an und praͤgte sie tief in sein Gedaͤchtniß ein. Er wol- te te immer mehr davon wissen, und weil Ro- binson eben so begierig war, ihn zu lehren, als er zu lernen: so sah er in kurzer Zeit die vorzuͤglichsten Religionswahrheiten so deutlich und so uͤberzeugend ein, als sein Lehrer sie ihm vortragen konte. Von der Zeit an schaͤzt' er sich unendlich gluͤklich, aus seinem Vaterlande auf diese Insel verschlagen zu sein, und er machte selbst die Anmerkung, daß der liebe Gott es doch recht gut mit ihm gemeint habe, da er ihn in die Haͤnde seiner Feinde haͤtte fallen lassen, weil er sonst wohl nie mit Robinson wuͤrde bekant ge- worden sein. „Und dan, sezt' er hinzu, haͤtt' ich diesen guten Gott in diesem Leben wohl nie- mals kennen gelernt!„ Von jezt an verrichtete Robinson sein Ge- beth immer in Freitags Gegenwart und es war recht ruͤhrend anzusehen, mit welcher freu- digen Andacht dieser ihm nachbetete. Und nun lebten beide so vergnuͤgt und gluͤklich, als zwei von aller uͤbrigen Geselschaft abgesonderte Men- schen nur immer leben koͤnnen. So So verstrich ihnen denn die Regenzeit, ohne daß sie es merkten. Schon klaͤrte der Himmel sich wieder auf; die Stuͤrme schwiegen, und die schweren Regenwolken waren voruͤber gezogen. Robinson und sein treuer Gefaͤhrte athmeten wieder eine reine sanfterwaͤrmte Fruͤhlingsluft, fuͤhlten sich beide neugestaͤrkt und schritten daher mit großer Munterkeit zu dem wichtigen Werke, welches sie vor der Regenzeit beschlossen hatten. Freitag, als der Meister in der Schifbau- kunst, fing an, den Stam mit Feuer auszu- brennen. Dies ging so geschwind und so gut von statten, daß Robinson nicht umhin kon- te, sich selbst einen Dumbart zu schelten, daß ihm dieses Mittel nicht auch eingefallen sei. Doch, sezt' er zu seinem Troste hinzu, wenn's mir nun auch eingefallen waͤre, so haͤtt' ich's ja doch nicht anwenden koͤnnen, weil ich kein Feu- er hatte! Ihr werdet mich hoffentlich der Muͤhe uͤber- heben, euch umstaͤndlich zu erzaͤhlen, wie die Arbeit an jedem Tage weiter fortuͤrkte, weil diese Erzaͤhlung weder angenehm, noch lehrreich sein sein wuͤrde. Ich begnuͤge mich also zu melden, daß das Schif, mit welchem Robinson allein, vielleicht nie, wenigstens in vielen Jahren nicht, wuͤrde fertig geworden sein, jezt durch ihre ver- einigten Kraͤfte binnen zwei Monaten gaͤnzlich vollendet ward. Es fehlte nur noch an einem Segel und an Rudern. Zu jenem machte sich Freitag, zu diesen Robinson anheischig. Gotlieb. Ja, wie kont' er denn ein Se- gel machen? Dazu braucht' er ja Leinewand! Vater. Leinewand zu machen verstand er nicht, hatte auch keinen Weberstuhl dazu: aber er konte, wie ich euch schon erzaͤhlt habe, feine Matten von Baumbast machen und dieser bedie- nen sich die Wilden stat des Segeltuchs. Beide wurden ungefaͤhr zu gleicher Zeit fer- tig, Robinson mit den Rudern und Freitag mit dem Segel; und nun war nur noch uͤbrig, das vollendete Schif vom Stapel laufen zu lassen. Frizchen. Was ist das? K Va- Vater. Hast du noch niemahls zugesehn, wenn sie ein neuerbautes Schif von dem Ufer auf die Elbe laufen lassen? Frizchen. O ja! das hab' ich schon gese- hen. Vater. Nun, da wirst du bemerkt haben, daß das Schif auf einem schmalen Geruͤst von schief liegenden Balken steht. Diese Balken heissen der Stapel. Sobald nun der Keil, der das Schif festhaͤlt, weggenommen wird, so schießt es auf den Balken hinab ins Wasser, und das nent man denn vom Stapel laufen. Zum Ungluͤk war der Ort, wo sie das Schif gezimmert hatten, einige tausend Schritte ent- fernt vom Strande, und es war daher die Fra- ge: wie sie es nun so weit fortbringen koͤnten? Es dahin zu tragen, oder zu schieben, oder fortzuwaͤlzen, schien unmoͤglich: denn dazu war es viel zu schwer. Was solten sie also machen? Hier stand der Karren einmahl wieder am Berge! Diderich. J, Robinson brauchte ja nur wieder solche Hebel zu machen, wie er neu- lich lich brauchte, da er die beiden großen Felsen- stuͤkke ganz allein aus seiner Hoͤhle waͤlzte! Vater. Er hatte den Vortheil, den die- ses einfache Werkzeug gewaͤhrt, nicht vergessen; er wandt' es daher auch jezt an, aber das Fort- waͤlzen ging dem ohngeachtet so langsam von statten, daß er wohl sahe, sie wuͤrden einen ganzen Monat darauf verwenden muͤssen. Zum Gluͤk erinnert' er sich zulezt eines andern eben so einfachen Huͤlfsmittels, dessen die Zimmer- leute und andere Handwerksmaͤnner in Europa sich zu bedienen pflegen, um große Lasten fort zu waͤlzen. Sie brauchen nemlich hierzu die Walzen — Frizchen. Was sind Walzen! Vater. Runde laͤnglichte Hoͤlzer, die sich eben deswegen, weil sie rund sind, mit leich- ter Muͤhe fortwaͤlzen lassen. Diese legen sie unter die Last, die sie nach einem andern Orte hinbringen wollen, und wenn sie dan die Last nur mit maͤßigen Kraͤften schieben: so rolt sie mit den Walzen von selbst fort. K 2 Ro- Robinson hatte kaum den Versuch davon gemacht, als er mit Vergnuͤgen sahe, wie leicht und wie geschwind sie das Schif fortbewegen konten! In zwei Tagen war es schon auf dem Wasser, und es machte beiden nicht wenig Freu- de, zu sehen, daß es volkommen brauchbar sei. Nun war also nichts mehr uͤbrig, als die noͤ- thigen Anstalten zur Abreise zu machen; das Schif mit so viel Lebensmitteln zu versehen, als es wuͤrde tragen koͤnnen und dan die von bei- den so sehnlich gewuͤnschte Reise anzutreten. Aber wohin nun eigentlich? Freitags Wuͤnsche gingen nach der Insel, auf welcher er zu Haus war; Robinson hingegen verlangte nach dem festen Lande von Amerika zu schiffen, wo er Spanier oder andere Europaͤer zu finden hofte. Freitags Vaterland war nur ohngefaͤhr vier Meilen, das feste Land hingegen uͤber zwoͤlf bis funfzehn Meilen entfernt. Wolten sie erst nach jenem fahren, so entfernten sie sich um einige Meilen mehr von diesem, und die Gefahr der Reise wurde also auch um so viel groͤsser. Auf der andern Seite aber kante Freitag nur das Fahr- Fahrwasser, das heißt, die schifbare Straße nach seiner Heimath; hingegen war die eigent- liche Fahrt nach dem festen Lande ihm voͤllig un- bekant. Robinson konte sie noch viel weniger kennen, weil er auf diesem Meere noch niemahls geschift hatte. Nun war also guter Rath wie- der theuer. Endlich siegte Robinsons Begierde, wieder zu gesitteten Menschen zu kommen uͤber alle Schwie- rigkeiten und uͤber alle Einwuͤrfe seines Gefaͤhrten. Es ward beschlossen, daß sie gleich am morgenden Tage alle Anstalten zu ihrer Abreise machen und dan mit dem ersten, dem besten guͤnstigen Winde, in Gottes Namen nach der Gegend abfahren wol- ten, in welcher, nach Freitags Vermuthung, die naͤchste Kuͤste des festen Landes lag. Und hiermit genug fuͤr heute: denn es ist Zeit, daß wir selbst auch Anstalt zu unserer vor- habenden Nachtwache machen. — Man versammelte sich hierauf in einer Wach- stube, alwo die Mutter schon allerlei haͤusliche Arbeiten in Bereitschaft hielt, womit die Wa- chenden sich die Nacht hindurch die Zeit vertrei- K 3 ben ben solten. Zwei wurden jedesmahl, als Schildwachen, in die entferntesten Ekken des Gartens ausgestelt und nach Verlauf einer Vier- telstunde unter Trommelschlag und Pfeifenklang von der ganzen Wache wieder abgeloͤst, indem zwei Andere an ihre Stelle traten. Nach Verlauf einer jeden Stunde wurde etwas Obst zur Erfrischung genossen. Es war eine herliche Sommernacht. Der halbe Mond an der einen Seite des Himmels und an der andern ein fernes Wettergewoͤlk, aus dem es unaufhoͤrlich blizte! Die Luft dabei so sanft erwaͤrmt, die ganze schlafende Natur so stille! Alle gestanden am folgenden Morgen, daß sie nie einen Tag, geschweige eine Nacht, mit mehr Vergnuͤgen hingebracht haͤtten, als diese. Zwan- Zwanzigster Abend. Vater. N un, Kinder, Robinson und Freitag ha- ben eingepakt, und der Wind ist guͤnstig. Macht euch also gefaßt, ihnen ein ewiges Lebewohl zu sagen: denn wer weiß, ob wir jemahls wieder von ihnen etwas sehen, oder hoͤren werden! Alle. (Bestuͤrzt und traurig.) Oh! Vater. So ist es nun einmahl in der Welt! Man kan nicht immer bei seinen Freun- den sein; der Schmerz der Trennung ist unver- meidlich; man muß sich also auch darauf schon in voraus vorzubereiten suchen. Da Robinson seine Burg verlassen hatte, blieb er auf dem Huͤgel uͤber derselben nachden- kend stehen, und hieß seinen Gefaͤhrten ein we- nig voran gehen. Dan uͤberdacht' er noch ein- mahl alle uͤberstandene Schiksale seines einsamen K 4 Le- Lebens an diesem Orte, und ward uͤber die wun- derbare Fuͤhrung des Himmels, die ihn bis da- hin so sichtbar geleitet hatte, tief im Innersten seines Herzens geruͤhrt. Ein Strom dankbarer Freudentraͤnen entstuͤrzte seinen Augen. Dan hob er seine ausgebreiteten Arme gen Himmel und betete mit gluͤhender Andacht: „O du lieber, lieber himlischer Vater, wie sol ich dir danken fuͤr Alles, was du bis hieher an mir gethan hast? Siehe! (indem er auf die Knie fiel) hier lieg' ich vor deinem alse- henden Auge im Staube, unfaͤhig, die heissen Gefuͤhle meines Herzens durch Worte auszu- druͤkken! Aber du siehst dies Herz, siehst die unaussprechlichen Empfindungen der Dankbar- keit, von denen es so ganz, so ganz durchdrun- gen ist. Dies von dir gebesserte, dich uͤber alles liebende Herz, dies so oft durch Truͤbsal verwun- dete, so oft von dir geheilte Herz, ist alles al- les, was ich dir, mein guͤtiger Vater, fuͤr alle deine unzaͤhlbaren Wohlthaten wieder zu geben vermag. Nim es an, mein Vater, o nim es ganz und vollende das Werk der Besserung, wel- ches ches du mit ihm angefangen hast! Siehe! ich werfe mich von neuem in deine Vaterarme! Mache du es mit mir nach deinem vaͤterlichen Wohlgefallen. Nur daß ich nie wieder verlasse den Weg der Tugend, auf den deine Barmher- zigkeit mich zuruͤkgefuͤhrt hat! Nur das nicht, mein Vater, nur das nicht! Sonst mag es mir gehen, wie dein weiser Rath beschlossen hat. Ich gehe, wohin du mich fuͤhren wirst; gehe im Vertrauen auf dich jeder neuen Gefahr, die meiner vielleicht wartet, muthig entgegen. Be- gleite mich, mein Gott; bewache meine unsterb- liche Sele mit deinem unsichtbaren Schuze bei jeder mir vielleicht bevorstehenden Versuchung zur Kleinmuͤthigkeit, zur Ungeduld und zur Un- dankbarkeit gegen dich — gegen dich, o du ewi- ge himlische Liebe, mein Schoͤpfer, mein Va- ter, mein Gott! Gott! Gott! — Hier wurde seine Empfindung so heftig, daß er nichts bestimtes mehr zu denken vermogte. Er warf sich mit dem Gesicht zur Erde, um auszuweinen. Dan richtete er sich, gestaͤrkt durch goͤtlichen Trost, wieder auf und uͤbersahe K 5 noch noch einmahl die ihm nun so liebe Gegend, die er jezt verlassen solte. Es war ihm, wie einem, der sein Vaterland verlassen sol, und es nie wie- der zu sehen hoffen darf. Sein nasser Blik blieb liebevol und traurig hangen an jedem Baume, in dessen Schatten ihm einst wohl gewesen war, an jedem Werke seiner Haͤnde, welches er im Schweisse seines Angesichts gemacht hatte. Es war ihm nicht anders dabei zu Muthe, als wenn er sich von eben so vielen Freunden trennen solte. Und da er nun vollends seine am Fuß des Ber- ges im Grase weidende Lama's erblikte, must' er sein Gesicht von ihnen wegkehren, um in sei- ner Entschliessung zur Abreise nicht wankend zu werden. Endlich hatt' er ausgekaͤmpft. Er ermante sich, breitete seine Arme gegen die ganze Gegend aus, als wenn er Alles, was darin war, um- armen wolte, und rief mit lauter Stimme aus: lebt wohl, ihr theuren Zeugen meiner uͤberstandenen Leiden! Lebt wohl! Wohl! Wohl! — Das lezte Wohl ver- lohr sich in einem lauten Schluchzen. Jezt rich- tete tete er noch einmahl seine Augen gen' Himmel und trat entschlossen den Weg zum Strande an. Im Weggehen bemerkt' er seinen trauten Pol, der von Baum zu Baum neben ihm her- flatterte. Er konte dem Verlangen, ihn mitzu- nehmen, nicht wiederstehn; also strekt' er seine Hand gegen ihn aus, rief: Pol! Pol! und Polchen huͤpfte hurtig herab, kletterte gaukelnd von seines Herrn Hand auf seine Schulter und blieb da sizen. So kam Robinson bei seinem, ihn mit Ungeduld erwartenden Freitag an und beide stiegen in das Schif. Es war der 30ste November des Morgens um 8 Uhr, im neunten Jahr des Aufenthalts unsers Freundes auf dieser einsamen Insel, da sie bei voͤllig heiterem Wetter und mit frischen guͤnsti- gen Winde vom Lande abstiessen. Sie waren kaum einige tausend Schritte fortgesegelt, als sie an ein Rif von Klippen kamen — Lotte. O sage uns doch erst, was das ist, ein Rif! Vater. So nennen die Schiffer eine Rei- he an einander haͤngender Felsen, die entwe- der der unter dem Wasser verborgen liegen, oder hie und da hervorragen. Dieses Rif, oder diese Kettenfelsen liefen von einem Vorgebirge der In- sel uͤber zwei deutsche Meilen weit schief in die See hinein. Daruͤber weg zu fahren, schien beiden gefaͤhrlich zu sein; also gaben sie dem Se- gel eine andere Richtung, um durch einen Um- weg dieser Felsenreihe auszubeugen. Nikolas. Wie konten sie denn aber wis- sen, wie weit das Rif ins Meer hinauslief, wenn das Wasser daruͤber herfloß? Vater. Das konten sie aus den Brechun- gen der Meereswogen sehen, die an solchen Or- ten, wo Felsen verborgen sind, hoͤher aufbrau- sen und zugleich schaͤumen, weil sie von denen unterm Wasser befindlichen Felsen aufgehalten und gebrochen werden. Kaum hatten sie die aͤusserste Spize des Rifs erreicht, als ihr Kahn auf einmahl mit solcher Geschwindigkeit fortgerissen ward, als wenn sie zwanzig Segel angesezt und den staͤrksten Sturm- wind im Ruͤkken gehabt haͤtten. Beide erschraken und strichen geschwind das Segel, weil sie glaubten, daß daß ein ploͤzlicher Windstoß Schuld daran waͤre. Aber das half nichts; es schoß vielmehr der Kahn noch eben so schnel durch die Fluth, als vorher: und nun sahen sie zu ihrem Schrekken, daß sie sich mitten auf einem reissenden Meerstrome befaͤnden. Frizchen. J, sind denn in dem Meere auch Stroͤme? Vater. O ja, Frizchen! Weil der Grund des Meeres eben so ungleich, als die Oberflaͤche des festen Landes, ist; weil es da eben so, wie hier zu Lande, Berge, Huͤgel und Thaͤler gibt: so kriegt das Wasser nach den niedrigern Gegenden hin einen staͤrkern Schuß, und daher entstehen dan mitten im Meere eben solche große Stroͤme, als unsere Elbe ist, und die pflegen gemeiniglich sehr reissend zu sein. Da ist es dan oft sehr ge- faͤhrlich fuͤr die Schiffe, besonders fuͤr die klei- nen, wenn sie auf einen solchen Meerstrom ge- rathen; weil sie nicht im Stande sind, wieder davon zu kommen, und oft wohl funfzig und mehr Meilen weit ins weite Meer verschlagen werden. Got- Gotlieb. Ach, armer, armer Robinson, wie wird dir's nun gehn? Lotte. Waͤr' er doch nur auf seiner Insel geblieben! Ich dacht' es wohl, das wieder was daraus herkommen wuͤrde! Vater. Diesmahl war es nicht Vorwiz, nicht Leichtsin, wodurch er zu dieser Reise ange- trieben ward. Er hatte vielmehr die vernuͤnf- tigsten Bewegungsgruͤnde dazu gehabt. Alles also, was ihm jezt begegnet, darf er fuͤr eine goͤtliche Schikkung halten; und in diese hatt' er sich ja ergeben. Beide strengten alle ihre Kraͤfte an, um wo moͤglich, den Kahn durch Rudern aus dem Strome heraus zu arbeiten; aber vergebens! Eine unwiderstehliche Gewalt riß sie mit der Schnelligkeit eines Pfeils dahin und schon wa- ren sie so weit fortgetrieben, daß sie das flache Land ihrer Insel aus dem Gesichte verloren. Ihr Untergang schien nun unvermeidlich zu sein: denn es konte hoͤchstens nur noch eine halbe Stunde waͤhren: so waren auch die hoͤchsten Gipfel der Berge aus ihrem Gesicht verschwun- den; den; und wenn dan auch die Gewalt des Stro- mes uͤber kurz oder lang nachließ: so war es ih- nen doch unmoͤglich den Ruͤkweg nach der Insel zu finden, weil sie keinen Kompaß hatten. Frizchen. Keinen — ? Vater. Keinen Kompaß, sag' ich. Ni- kolas, der ein Schifskapitain werden wil, wird dir sagen, was das sei. Nikolas. (lachend.) Wenn ich alles an- dere, was dazu gehoͤrt, auch schon so gut wuͤ- ste, als das? — Frizchen, das ist eine Mag- netnadel in einem kleinen runden Kaͤstchen — Frizchen. Ja, was ist eine Magnetna- del? Nikolas. Das ist eine ordentliche Nadel von Stahl; die hat man mit einem gewissen Stein bestrichen, welcher der Magnet genant wird. Dadurch hat die Nadel die wunderbare Eigenschaft gekriegt, daß sie immer nach Nor- den — dort hin uͤber Wandsbek hinaus — wei- set. Darnach richten sich denn die Schiffer, wenn sie nichts mehr, als Luft und Wasser se- hen koͤnnen, sonst wuͤrden sie auf dem großen Meere Meere sich bald verirren und gar nicht wissen, nach welcher Himmelsgegend sie hinsegeln. Vater. Hast du das verstanden, Friz? Frizchen. Ja! Nur zu! Vater. Da also Robinson einen solchen Kompaß nicht hatte: so war es ihm unmoͤglich wieder zuruͤk zu finden, so bald er die Insel voͤl- lig aus den Augen verloren hatte. Und welch ein schreklicher Zustand wartete seiner dan? Mit- ten auf den Ozean getrieben zu werden, in einem kleinen unsichern Nachen, und nur auf einige Tage Lebensmittel zu haben. Kan auch etwas Fuͤrchterlicheres erdacht werden? Aber hier zeigt' es sich recht sichtbarlich, was fuͤr ein unaussprechlicher großer Schaz eine wah- re Froͤmmigkeit und ein gutes Gewissen in Noth und Ungluͤk sind! Haͤtte Robinson diese nicht gehabt: wie haͤtt' er die uͤberwaͤltigende Last die- ser neuen Leiden ertragen koͤnnen? Er wuͤrde in Verzweiflung gerathen sein und seinem gequaͤl- ten Leben ein Ende gemacht haben, um dem langsamen und schreklichen Tode des Hungers zu entgehen. Sein Sein Gefaͤhrte, dessen Gottesfurcht noch nicht so fest gegruͤndet, und noch nicht durch so viele und so lange Leiden gestaͤrkt war, als die Froͤmmigkeit seines Herrn, war wirklich der Verzweiflung nahe. Unfaͤhig, ferner zu arbei- ten und voͤllig muthlos, legt' er das Ruder nie- der, sahe seinen Herrn klaͤglich ins Gesicht und fragte: ob sie nicht uͤber Bord springen wolten, um alle dem Jammer, der ihnen bevorstuͤnde, auf einmahl durch den Tod zu entgehen? Ro- binson redete ihm erst liebreich zu und suchte ihm Muth einzusprechen; dan verwies er ihm mit sanfter Stimme seinen schwachen Glauben an die alles lenkende goͤtliche Vorsehung, und erinnerte ihn an das, was er ihn davon gelehrt hatte. „Stehen wir, sezt' er hinzu, etwa nur zu Lande in Gottes, des Almaͤchtigen, Hand? Ist er nicht auch Herr des Ozeans, und kan er, wenn es ihm gefaͤlt, nicht auch diesen wilden Fluthen gebieten, daß sie uns wieder an einen sichern Ort fuͤhren muͤssen? Oder meinst du, daß du dich seiner Herschaft entziehen koͤn- nest, wenn du ins Meer springest? Wisse, un- L beson- besonnener Juͤngling, daß deine unsterbliche Sele immer und ewig ein Unterthan in Gottes uner- meßlichen Reiche bleibt, und daß es ihr ohnmoͤg- lich wohl darnach gehen kan, wenn sie, als eine Empoͤrerin gegen Gott, aus diesem Leben fluͤch- tet, ohne erst den Ruf ihres Schoͤpfers abzu- warten!„ Freitag fuͤhlte die Wahrheit dieser Vorstel- lungen in dem Innersten seiner Sele und schaͤm- te sich seiner Kleinmuͤthigkeit. Auf Robinsons Zureden ergrif er wieder das Ruder und beide fuhren unaufhoͤrlich fort zu arbeiten, ohngeach- tet nicht die mindeste Hofnung war, daß es et- was helfen wuͤrde. „Dies, sagte Robin- son, ist unsere Pflicht. So lange noch ein Fuͤnkchen Leben in uns ist, muͤssen wir unser Moͤglichstes thun, es zu erhalten. Dan koͤn- nen wir, wenn es sein muß, mit dem troͤsten- den Bewustsein sterben, daß es Gott so gewolt habe. Und sein Wille, lieber Freitag, fuhr er mit erhoͤhter Stimme und in edlem Feuer fort, sein Wille ist immer gut, immer gut und weise, weise, auch wenn wir schwache Erdenwuͤrmer es nicht begreifen koͤnnen!„ Der gewaltige Strom schoß indeß unaufhoͤr- lich fort; mit ihm der Kahn, und von der fer- nen Insel ragten jezt nur noch die Gipfel eini- ger Berge hervor. Jezt war nur noch die Spi- ze eines einzigen Berges zu sehen, der auf der Insel der hoͤchste war; und nun war alle Hof- nung einer moͤglichen Errettung dahin! Aber, wenn alle irdische Huͤlfe verschwin- det, wenn die Noth ungluͤklicher Menschen aufs hoͤchste gestiegen ist, und nirgends, nirgends mehr ein Rettungsmittel uͤbrig zu sein scheint; dan, lieben Kinder, dan pflegt die Hand der alles regierenden goͤttlichen Vorsehung am sicht- barsten einzugreifen, und uns durch Mittel zu helfen, die wir gar nicht voraus gesehen hatten. So gings auch hier. Indem Robinson selbst alle Hofnung des Lebens nun schon fuͤr gaͤnzlich verschwunden hielt und vor Mattigkeit zu rudern aufhoͤren muste: merkt' er ploͤzlich, daß die Schnelligkeit der Bewegung des Kahns etwas vermindert ward. Er sah ins Wasser, und fand L 2 es es weniger truͤbe, als es vorher gewesen war. Ein zweiter Blik auf der Oberflaͤche des Wassers hin uͤberzeugte ihn, daß der Strom sich hier getheilt habe, und daß der staͤrkste Arm dessel- ben gegen Norden stroͤme, indeß der andere minder schnel fliessende, auf dem ihr Nachen jezt fortschwam, sich durch eine Kruͤmmung nach Suͤden drehte. Mit unaussprechlicher Freude rief er seinem schon halb todten Gefaͤhrten zu: „munter, Freitag! Gott wil, daß wir leben sollen! „ Dan zeigt' er ihm den augenscheinlichen Grund seiner Hofnung; und vor Freude jauchzend grif- fen beide eiligst wieder zu den Rudern, die sie eben aus gaͤnzlicher Entkraͤftung niedergelegt hat- ten. Gestaͤrkt durch die unerwartete suͤße Hof- nung des Lebens arbeiteten sie mit einer unbe- schreiblichen Anstrengung dem Strome entgegen, und sahen mit Entzuͤkken, daß ihre Bemuͤhung diesmahl nicht vergebens war. Robinson, dessen Sele durch eine lange Reihe von Ungluͤks- faͤllen geuͤbt war, seine Aufmerksamkeit auf je- den besondern Umstand zu richten, bemerkte, daß daß ihnen jezt auch der Wind zu statten kommen wuͤrde. Augenbliklich spant' er das Segel aus; der Wind blies lebhaft hinein, und da beide mit den Rudern nachhalfen: so hatten sie in kurzer Zeit die unbeschreibliche Freude, sich aus dem Zuge des Stroms heraus und auf der ruhi- gen Oberflaͤche des stilstehenden Meeres zu sehn. Freitag weinte laut vor Freuden, sprang auf und wolte seinem Herrn um den Hals fal- len. Dieser aber bat ihn, seine Empfindungen vor jezt zu maͤßigen, weil noch ein gut Stuͤk Arbeit fuͤr sie uͤbrig waͤre, bevor sie sich fuͤr ganz gerettet halten koͤnten. Sie waren nemlich schon so weit verschlagen worden, daß sie von der gan- zen Insel nur noch ein kleines undeutliches schwarzes Flekchen am aͤussersten Horizont er- blikten. Frizchen. Am Horizont? Was ist das? Vater. Frizchen, wenn du draussen auf dem freien Felde bist, komt dir's da nicht vor, als wenn der Himmel rund umher, wie ein großes Gewoͤlbe, bis auf die Erde herab gehe? Frizchen. Ja! L 3 Va- Vater. Nun der Kreis so rund herum, wo die Erde aufzuhoͤren, und der Himmel anzu- fangen scheint, der wird der Horizont genant. Bald solst du mehr davon hoͤren. Unsere muntern Schiffer ruderten so rastlos zu, und der Wind blies so frisch gegen die Ostseite der Insel, auf welche sie jezt lossegelten, daß sie in kurzer Zeit schon wieder Berge hervorragen sahen. „Frisch! rief Robinson seinem Gefaͤhrten zu, der im Vordertheile saß und der Insel also den Ruͤkken zukehrte; frisch, Freitag! das Ende unserer Muͤhseeligkeit komt naher!„ Er hatte diese Worte kaum ausgesprochen, als der Kahn einen so heftigen Stoß empfing, daß beide Ru- derer von ihren Sizen herab der Laͤnge nach auf den Schifsboden hinstuͤrzten. In dem Au- genblikke stand der Kahn selbst stille und die Wel- len fingen an, uͤber Bord zu schlagen. Mutter. Ja, Kinder, so gern ich auch, so wie ihr, auf das Abendessen Verzicht thaͤte, wenn wir unsern armen Freund dadurch retten koͤnten: so muͤssen wir doch jezt aufbrechen. Das Essen Essen wartet auf uns, schon zweimahl hat Han- chen gerufen. Alle. Oh! Ein und zwanzigster Abend. Einige zugleich. O nur geschwind, lieber Vater, daß wir nur erst hoͤren, was aus dem armen Robin- son geworden sei! Vater. Eben, da er sich fuͤr gerettet hielt, stuͤrzt' er, wie wir gehoͤrt haben, in ein neues Ungluͤk, welches leicht noch groͤßer werden kon- te, als dasjenige, dem sie so eben erst entgangen waren. Der Kahn saß ploͤzlich fest und die Wel- len fingen an, uͤber Bord zu schlagen. War nun dasjenige, wovon das Schif festgehalten wurde, eine Felsenspize: so war es aller Wahr- scheinlichkeit nach, um sie geschehen! L 4 Ro- Robinson untersuchte, so geschwind als moͤglich, mit dem Ruder den Grund im Was- ser, und da er ihn rund um das Schif herum fest und das Wasser nicht uͤber eine halbe Elle tief fand: so besan er sich keinen Augenblik, son- dern sprang uͤber Bord. Freitag folgte seinem Beispiel und beide fanden z u ihrem großen Tro- ste, daß es nur eine Sandbank und kein Felsen sei, worauf sie gerathen waren. Beide strengten darauf alle ihre Kraͤfte an, um den Kahn wieder zuruͤk ins tiefere Wasser zu schieben. Es gluͤkte ihnen; das Schif ward flot, und beide sprangen wieder hinein. Lotte. Nun wird der arme Robinson gewiß den Schnupfen kriegen, weil er sich die Fuͤße naß gemacht hat! Vater. Liebe Lotte, wenn man durch eine arbeitsame und natuͤrliche Lebensart sich erst so abgehaͤrtet hat, als Robinson: so pflegt man von einer solchen Kleinigkeit den Schnupfen nicht mehr zu kriegen. Sei deswegen nur un- besorgt! Nach- Nachdem sie das eingespruͤzte Wasser, so gut es mit den Rudern gehen wolte, wieder ausge- worfen hatten, beschlossen sie, vorsichtiger zu Werke zu gehen und ohne Segel zu fahren, da- mit sie die Lenkung des Schiffes besser in ihrer Gewalt haͤtten. So ruderten sie also laͤngst der Sandbank hin, in der Hofnung, daß sie bald ein Ende nehmen wuͤrde. Aber sie musten wohl erst vier gute Stunden schiffen, ehe diese Hof- nung erfuͤlt ward: so weit lief die Bank von Norden nach Suͤden hin. Robinson merkte, daß sie sich bis in diejenige Gegend des Meeres hin erstrekke, wo er vor neun Jahren Schif- bruch gelitten hatte, und daß es also eben die- selbe sei, auf welcher das Schif damahls ge- strandet war. Frizchen. Was heißt das gestrandet? Gotlieb. O daß du doch auch immer den Vater unterbrechen must! Vater. Nun, das ist ja gut von ihm, daß er gern belehrt sein wil! Aber nicht so gut von dir, lieber Gotlieb, daß du daruͤber un- freundlich wirst! Huͤte dich kuͤnftig davor! — L 5 Stran- Stranden, lieber Friz, heißt, wenn ein Schif auf eine solche Sandbank oder auf einen Felsen geraͤth, und nicht wieder davon loskommen kan. Frizchen. Gut! Vater. Endlich erreichten sie wieder ein ordentliches Fahrwasser, und ruderten nun mit aller Gewalt der Insel zu, welche ihnen jezt schon ganz vor Augen lag. Sie erreichten endlich den Strand, da die Sonne eben ihre lezten Blikke auf den Gipfel der Berge warf, und stiegen ganz ermattet, aber unbeschreiblich froh uͤber ihre gluͤkliche Rettung, ans Land. Beide hatten den ganzen Tag keinen Bissen genossen. Sie konten daher die Zeit nicht ab- warten, da sie wieder in der Burg wuͤrden an- gekommen sein, und sezten sich gleich am Strande nieder, um von dem Vorrathe, den sie mit sich zu Schiffe genommen hatten, erst eine reich- liche Mahlzeit zu thun. Dan zogen sie den Kahn in eine kleine Bugt — ihr wißt doch, was das ist? Jo- Johannes. O ja! Wo das Wasser so etwas ins Land hineintrit. Es ist ja fast eben das, was ein Meerbusen ist. Vater. Nur, daß der Meerbusen groͤßer ist! — Sie zogen, sag' ich, den Kahn in eine Bugt und gingen, mit allem, was sie im Schif- fe gehabt hatten, beladen nach Hause. — Nikolas. O es ist doch wohl noch nicht aus? Vater. Robinson und Freitag haben sich bereits zur Ruhe begeben, und der lezte liegt schon im tiefen Schlaf versunken, indeß der erste noch ein feuriges Dankgebeth fuͤr seine abermahlige Errettung zu Gott schikt. Wir koͤnten's also auch so machen; aber da es noch so fruͤh am Tage ist: so wil ich die Nacht uͤber- springen und nun noch erzaͤhlen, was am fol- genden Tage geschahe. „Nun, Freitag , fragte Robinson beim Fruͤhstuͤk, haͤttest du Lust, dich noch einmahl so mit mir zu wagen, als gestern?„ Freitag. Gott bewahre! Ro- Robinson. Also entschließt du dich, dein Leben auf dieser Insel mit mir zu endigen? Freitag. Wenn nur mein Vater auch hier waͤre! Robinson. Also hast du noch einen Va- ter? Freitag. Wenn er nicht unterdeß gestor- ben ist! Hier legt' er die Kartoffel aus der Hand, und ein Paar große Traͤnen rolten ihm die Bak- ken herab. Robinson dachte an seine eigene Eltern und muste sich gleichfals die Augen wi- schen. Beide beobachteten eine Zeitlang ein ruͤh- rendes Stilschweigen. Robinson. Sei gutes Muths, Freitag! Dein Vater wird noch leben, und wenn es Got- tes Wille ist: so wollen wir naͤchstens hinuͤber fahren und ihn zu uns hohlen. Nun das war zu viel Freude fuͤr den armen Freitag ! Laut heulend sprang er auf, warf sich uͤber Robinsons Knie hin, klammerte sich fest daran und konte vor Schluchzen kein Wort sprechen. „Kin- „Kinder! rief hier die Mutter aus, welch ein Beispiel von Elternliebe an einem Wilden! An ei- nem Wilden, der seinem Vater keine Erziehung, keinen Unterricht, nur das bloße Leben, und noch da- zu ein recht armseliges Leben zu verdanken hatte!„ So gewiß, fuͤgte der Vater hinzu, hat Gott die Liebe und Dankbarkeit gegen Eltern allen Menschen ins Herz gelegt! Und welch ein Ungeheuer muͤste also nicht der sein — wenn es unter uns gesitteten Menschen einen solchen gabe — der diesen angebohrnen Trieb bei sich erstikte, und gegen seine Eltern gleichguͤltig werden, ih- nen wohl gar Kummer und Betruͤbniß verursa- chen koͤnte! Soltet ihr je einen solchen Unmen- schen antreffen: o so verweilet nicht mit ihm un- ter einen Dache; flieht ihn, als eine Pest der Geselschaft, als einen solchen, der auch jeder an- dern Unmenschlichkeit gleichfals fahig ist, und dem die gerechten Strafgerichte Gottes auf dem Fuße nacheilen! — Nachdem Freitag sich einiger maßen erhohlt hatte, fragte Robinson, ob er denn auch wohl der Fahrt nach seiner Heimath so voͤllig kundig waͤre, waͤre, daß sie nicht abermahls ein aͤhnliches Un- gluͤk, als ihr gestriges, zu besorgen haͤtten? und Freitag betheuerte, daß das Fahrwasser dahin ihm so bekant waͤre, daß er zur Nachtzeit dahin zu schiffen sich getraue, weil er sich oft mit dabei befunden haͤtte, wenn seine Landsleute heruͤber geschift waͤren, um hier ihre Sieges- feste zu feiern. Robinson. Also bist du oft mit dabei gewesen, wenn man Menschen schlachtete? Freitag. O ja! Robinson. Und hast sie mit verzehren helfen? Freitag. Leider! Ich wuste ja noch nicht, daß das was Boͤses sei! Robinson. An welcher Stelle unserer Insel pflegtet ihr dan zu landen? Freitag. Allemahl an der suͤdlichen Kuͤste, weil uns diese die naͤchste war, und weil es da Kokusbaͤume giebt. Robinson sahe hieraus noch deutlicher ein, wie viel Ursache er habe, Gott zu danken, daß er ihn an der noͤrdlichen Seite der Insel, und nicht nicht an der suͤdlichen hatte Schifbruch leiden lassen, weil er im lezten Falle gewiß in kurzer Zeit ein Raub der Wilden wuͤrde geworden sein. Er wiederhohlte hierauf das fuͤr Freitag so angenehme Versprechen, daß er in kurzem mit ihm hinuͤber fahren wolte, um seinen Vater abzuholen. Fuͤr jezt liesse sich's noch nicht thun, weil die Gartenarbeiten, zu denen es eben Zeit war, ihre Gegenwart erfoderten. Zu diesen ward also gleich geschritten. Ro- binson und Freitag gruben um die Wette und in den Ruhestunden waren sie darauf bedacht, sich immer brauchbarere Werkzeuge zu machen. Robinson , dessen Erfindungskraft und Geduld gleich unerschoͤpflich waren, kam so gar damit zu Stande, eine Harke zu verfertigen, ohngeach- tet er die Loͤcher, zu den Zaͤhnen mit einem spi- zigen Steine — ihr koͤnt denken wie langsam! ausboren muste. Freitag hingegen schnizte nach und nach mit einem steinernen Messer zwei Spaten aus so hartem Holze, daß sie ihnen bei- nahe dieselben Dienste leisteten, als wenn sie von Eisen gewesen waͤren. Und Und nun begnuͤgte sich Robinson nicht mehr damit, blos fuͤr die allernoͤthigsten Beduͤrfnisse zu sorgen: sondern er fing auch nach und nach an, auf eine Verschoͤnerung seines Aufenthalts zu denken. Und so, Kinder, ist es immer in der Welt gegangen. So lange die Menschen noch alle ihre Gedanken auf die Erwerbung ih- res Unterhalts und auf die Sicherheit ihres Le- bens richten musten, fiels ihnen gar nicht ein, sich auf diejenigen Kuͤnste zu legen, welche nur dazu dienen, die Gegenstaͤnde um uns her zu verschoͤnern, und unserer Sele feinere Vergnuͤ- gungen zu verschaffen, als die blos thierischen Vergnuͤgungen der Sinne sind. Aber kaum war fuͤr Nahrungsmittel und fuͤr Sicherheit hinlaͤng- lich gesorgt, so fingen sie auch an, das Schoͤne mit dem Nuͤzlichen, das Angenehme mit dem Nothwendigen verbinden zu wollen. So ent- standen dan die eigentliche Baukunst, die Mah- lerei, die Bildhauerkunst, die Tonkunst, und alle die uͤbrigen kuͤnstlichen Geschiklichkeiten, welche unter dem Nahmen der schoͤnen Kuͤn- ste begriffen werden. Ro- Robinson fing mit der Verbesserung und Verschoͤnerung des Gartenwesens an. Er theilte seinen Garten nach einem ordentlichen Plane in regelmaͤßige Felder ein; durchschnit diese Fel- der mit schnurgraden Wegen, legte lebendige Hekken, Lauben und Alleen an; bestimte den einen Plaz zum Blumengarten, den andern zum Kuͤchengarten und einen dritten zum Obst- garten. In diesen leztern pflanzt' er alles, was er von jungen Zitronenbaͤumen auf der In- sel finden konte, nebst einer Menge anderer jun- ger Baͤume, auf die er Kokusreiser pfropfte. Bei dieser lezten Arbeit machte Freitag beson- ders große Augen, weil er gar nicht begreifen konte, wozu das solte, bis ihm Robinson das Verstaͤndniß daruͤber oͤfnete. Jezt pflanzten sie Kartoffeln und Maiz in großer Menge und weil der Akker vielleicht von Erschaffung der Welt her brach gelegen hat- te; so wuchs das Gepflanzte bald zu einer sehr geseegneten Erndte auf. Unter durch stelten sie auch Fischereien an, weil Freitag wie ich erzaͤhlt habe, in der lezten M Re- Regenzeit die Neze dazu verfertiget hatte. Sie fingen jedesmahl weit mehr, als sie brauchen konten, und warfen daher die Ueberfluͤßigen wie- der ins Meer. Bei dieser Gelegenheit pflegten sie sich dan gemeiniglich auch zu baden; und da muste Robinson die erstaunliche Geschiklichkeit bewun- dern, welche Freitag im Schwimmen und Unter- tauchen bewies. Er suchte sich mit Fleiß ein fel- sichtes Ufer aus, wo die Meereswellen sich auf eine fuͤrchterliche Weise brachen. In diese sprang er scherzend von oben hinab, blieb einige Minuten unterm Wasser, so daß dem armen Robinson oft angst und bange dabei ward, kam dan wie- der hervor auf die Oberflaͤche des Wassers, legte sich auf den Ruͤkken um sich von den Wellen wiegen zu lassen und trieb allerlei Gaukeleien, deren umstaͤndliche Beschreibung beinahe alle Glaubwuͤrdigkeit verlieren wuͤrde. Robinson konte dabei nicht umhin, die erstaunlichen Anla- gen der menschlichen Natur zu bewundern, die zu allem faͤhig ist, was ihr von Jugend an zur Uebung gemacht wird. An An andern Tagen belustigten sie sich mit der Jagd, weil Freitag gleichfals Meister, so wohl in der Verfertigung, als auch in dem Ge- brauche des Bogens und der Pfeile war. Sie schossen Voͤgel und junge Lama's, doch nie mehr, als sie jedesmahl brauchen konten, weil Robin- son es mit Recht fuͤr suͤndlich hielt, ein Thier, es sei, welches es wolle, blos zur Lust oder um nichts zu quaͤlen und zu toͤdten. So sehr uͤbrigens Robinson dem guten Freitag am Verstande und an mancher Geschik- lichkeit uͤberlegen war: so verstand doch dieser auch wieder viele kleine Kuͤnste, welche seinem Herrn vorher unbekant gewesen waren, und die ihnen gleichwohl jezt vortreflich zu statten ka- men. Er wuste sich allerlei Werkzeuge aus Kno- chen, Steinen, Muscheln und andern Dingen zu machen, womit er manches so gut bearbeiten konte, als wenn er Werkzeuge von Eisen gehabt haͤtte. So macht' er sich z. E. aus dem Arm- beine eines Mannes, welches er zufaͤlliger Weise fand, einen Meissel; eine Raspel aus Ko- rallen; ein Messer aus Muscheln; eine Feile M 2 aus aus der scharfen Haut eines Fisches. Damit verfertigte er viel kleines Hausgeraͤth, welches die Bequemlichkeit ihres Lebens gar sehr ver- groͤsserte. Noch lernte Robinson von Freitag den Gebrauch der Kakaobohnen, die er bei einer ehe- maligen Wanderung auf seiner Insel entdekt und einige davon aufs Gerathewohl mit sich genom- men hatte. Er legte sie nemlich ans Feuer, so wie die Kartoffeln, und ließ sie roͤsten. Dan gewaͤhrten sie eine gar nicht unangenehme und dabei sehr nahrhafte und gesunde Speise. Robinson , welcher gar zu gern neue Ver- suche anstelte, zerstampfte einige derselben, nach- dem sie geroͤstet waren, zwischen zwei Steinen, schuͤttete das kleingeriebene Pulver in einen mit Lamamilch angefuͤlten Topf und sezte ihn ans Feuer. Wie erstaunt' er nicht, und wie groß war sein Vergnuͤgen, da er die daraus entstan- dene Suppe kostete und fand daß es ordentliche Schokolade sei. Frizchen. Ah! Schokolade? Va- Vater. Ja, nur daß das Gewuͤrz und der Zukker daran fehlten. — So vervielfaͤltig- ten sich nach und nach die Nahrungsmittel des guten Robinsons und die Quellen seines Ver- gnuͤgens! Aber zu seinem Ruhme muß ich sagen, daß er demohngeachtet bei seinem neulichen Vor- saze blieb, und eben so maͤßig und einfach zu le- ben fortfuhr, als er angefangen hatte. Beide stelten jezt oͤftere und lange Wander- schaften durch die ganze Insel an, besonders an solchen Tagen, an welchen ein Wind blies, der den Wilden entgegen war; und sie entdekten bei solchen Gelegenheiten noch Manches, was ihnen nuͤzlich werden konte. Endlich war der Garten voͤllig bestelt, und nun wurde der Tag bestimt, an welchem sie nach Freitags Heimath hinuͤber fahren und den Vater desselben abholen wolten. Je naͤher aber die Zeit zur Abfahrt heranruͤkte, desto oͤfterer fiel unserm Robinson der Gedanke aufs Herz: wie? wenn Freitags Landsleute dich dennoch als einen Feind behandelten? Wenn sie an Frei- tags Vorstellungen sich nicht kehrten, und du M 3 ein ein Opfer ihres abscheulichen Menschenhungers werden muͤstest? Er konte sich nicht enthalten, diese Besorgniß seinem Freunde mitzutheilen. Aber Freitag versicherte ihn bei Allem, was heilig ist, daß er nichts zu besorgen habe; er kenne seine Landsleute zu gut und wisse daher mit voͤlliger Gewißheit, daß sie keinem etwas zu Leide thaͤten, der nicht ihr Feind sei. Ro- binson war uͤberzeugt, daß er dies nicht sagen wuͤrde, wenn's nicht so waͤre. Er unterdruͤkte also alle aͤngstliche Sorgsamkeit, traute der Ehr- lichkeit seines Freundes, und beschloß, am fol- genden Morgen in Gottes Nahmen mit ihm abzufahren. Sie hatten in dieser Absicht den Kahn, der bis dahin auf den Strand gezogen war, wieder aufs Wasser gebracht und an einer in die Erde gestrekten Stange befestiget. Den Abend brach- ten sie damit zu, Kartoffeln zu braten und an- dere Speisen zuzurichten, die sie mitnehmen wolten, um sich wenigstens auf acht Tage mit Proviant zu versorgen. Freitag zeigte bei die- ser Gelegenheit, daß er auch in der Kochkunst so so unerfahren eben nicht sei, und lehrte seinen Herrn, ein ganzes junges Lama, welches sie ge- schossen hatten, in kuͤrzerer Zeit weit muͤrber zu braten, als es am Spiesse geschehen konte. Das fieng er so an. Er grub ohngefaͤhr zwei Fuß tief ein Loch in die Erde, welches er schichtweise mit troknem Holze und mit platten Steinen anfuͤlte. Die- ses Holz zuͤndete er an. Dan hielt er das junge Lama uͤber's Feuer um die Hare abzusengen, und nachdem dieses geschehen war, schabte er es mit einer Muschel so rein ab, als wenn es mit heissem Wasser waͤre abgebruͤhet worden. Mit eben dieser Muschel schnitt' er den Leib des Thie- res auf, um die Eingeweide heraus zu nehmen. Unterdeß war das Holz zu Kohlen gebrant; das Loch war durch und durch erhizt und die Steine waren gluͤhend geworden. Er warf darauf in der groͤßten Geschwindigkeit diese Steine nebst den Kohlen aus dem Loche hinaus; legte dan einige der heißgemachten Steine auf den Boden des Lochs und bedekte sie mit gruͤnen Kokusblaͤt- tern. Auf diese legt' er das Lama, bedekt' es M 4 aber- abermahls mit Blaͤttern und pakte die uͤbrigen heissen Steine darauf. Dan schuͤttete er das ganze Loch mit Erde zu. Nach einigen Stunden ward das Loch wie- der geoͤfnet und das Lama heraus genommen. Robinson, der ein Stuͤkchen davon kostete, muste gestehen, daß es weit muͤrber, saftiger, und wohlschmekkender sei, als wenn's am Spies- se waͤre gebraten worden; und er nahm sich da- her vor, kuͤnftig immer so zu verfahren. Johannes. Eben so machen's ja auch die Otahiter, wenn sie ihre Hunde braten? Vater. Das thun sie auch. Gotlieb. Ihre Hunde? Essen die denn Hundefleisch. Johannes. Ja wohl! Wir haben's vo- rigen Winter ja gelesen; und die Englaͤnder, die mit davon aßen, gestanden, daß es sehr gut schmekke. Einige. Fi! Vater. Ihr muͤßt nur wissen, daß die dortigen Hunde auch eine ganz andere Lebensart, als die Unsrigen, fuͤhren. Sie fressen kein Fleisch, Fleisch, sondern leben blos von Fruͤchten. Da mag denn ihr Fleisch auch wohl ganz anders schmekken, als das Fleisch der Unsrigen schmek- ken wuͤrde. Nun, Kinder, alle Vorbereitungen zu der beschlossenen Reise waren jezt gemacht. Wir wollen also unsere beiden Wanderer erst aus- schlafen lassen, und dan sehen, was es morgen geben wird. Zwei und zwanzigster Abend. Vater. R obinson und Freitag mogten kaum eine Stunde geschlafen haben, als der erste durch ein heftiges Gewitter, welches unterdeß entstanden war, ploͤzlich wieder gewekt wurde. Der Sturm- wind heulte fuͤrchterlich, und der Donner krach- te, daß die Erde davon erzitterte. „Hoͤrst du, M 5 Frei- Freitag? „ fragte Robinson, indem er sei- nen Schlafkammeraden anstieß. „Au weh! antwortete dieser; wenn uns das auf dem Meere getroffen haͤtte!„ Er hatte dieses kaum gesagt, als sie auf einmahl einen Knal hoͤrten, der ei- nem fernen Kanonenschusse aͤhnlich war. Freitag meinte, es sei der Donner; Ro- binson hingegen glaubte steif und fest, einen Kanonenschuß gehoͤrt zu haben, und gerieth dar- uͤber in die freudigste Bestuͤrzung. Er sprang eiligst vom Lager auf, lief nach der Kuͤche und befahl Freitag , ihm zu folgen. Hier ergrif er einen gluͤhenden Feuerbrand, und kletterte damit die Strikleiter hinauf. Freitag that ein Glei- ches, ohne zu wissen, was seines Herrn Absicht sei. Auf dem Gipfel des Berges machte Robin- son in groͤßter Geschwindigkeit ein großes Feuer an, um den Nothleidenden ein Zeichen zu ge- ben, daß sie hier bei ihm einen sichern Zufluchts- ort finden koͤnten. Er glaubte nemlich, daß ir- gend ein Schif in der Naͤhe sei, welches in Ge- fahr waͤre, und deswegen einen Nothschuß ge- than than habe. Aber kaum loderte die Flamme auf, als ein so entsezlicher Regenguß herabstuͤrzte, daß das Feuer augenbliklich wieder ausgeloͤscht wurde. Robinson und Freitag mußten sich in ihre Hoͤhle retten, um nicht fortgeschwemt zu werden. Nun wuͤthete der Sturm, nun rasselte der Plazregen, nun krachte der Donner mit unbe- schreiblicher Heftigkeit. Es erfolgte Schlag auf Schlag, und ohngeachtet Robinson sich ein- bildete, unter durch von Zeit zu Zeit noch mehr Kanonenschuͤsse zu hoͤren: so war er doch zulezt selbst zweifelhaft, ob's nicht vielleicht blos der Donner gewesen sei? Dem ohngeachtet hing er die ganze Nacht hindurch dem suͤßen Gedanken nach, daß ein Schif zu seiner Erloͤsung in der Naͤhe sei; daß dieses vielleicht der Gefahr, worin es sich jezt befinde, gluͤklich entkommen, und ihn, nebst seinem treuen Freitag , nach Europa fuͤhren wuͤrde. Zehnmahl versucht' er, ein neues Feuer anzulegen, aber der unaufhoͤr- liche Regen loͤschte jedesmahl es wieder aus. Es blieb ihm also weiter nichts uͤbrig, als fuͤr die Un- Ungluͤklichen zu beten; und das that er mit der groͤßten Innigkeit. Gotlieb. Fuͤrchtet er sich denn jezt nicht mehr so vor dem Gewitter, wie er sonst that? Vater. Du siehst, daß diese thoͤrichte Furcht ihn jezt auch verlassen haben muß; und woher wohl das? Johannes . Weil er jezt kein boͤses Ge- wissen mehr hat. Vater. Richtig! und dan auch wohl des- wegen, weil er jezt volkommen uͤberzeugt ist, daß Gott ein Gott der Liebe sei, und daß also denen, die from sind und recht thun, nichts be- gegnen kan, das nicht am Ende zu ihrem wah- ren Besten gereichte. — Erst mit Anbruch des Tages legte sich das Ungewitter; und Robinson rante, von Frei- tag begleitet, zwischen Furcht und Hofnung nach dem Strande, um zu sehen, ob er recht gehoͤrt habe, oder nicht? Aber das Erste, was sich ih- nen daselbst zeigte, war fuͤr beide aͤusserst trau- rig, besonders fuͤr den armen Freitag . Der Sturm hatte nemlich ihren Kahn losgerissen, und und in das weite Weltmeer fortgeschleudert. Es war recht klaͤglich anzusehen, wie Freitag sich gebehrdete, da er die schoͤne Hofnung, mit sei- nem Vater vereinigt zu werden, so auf ein- mahl zernichtet sahe! Er ward todtenblaß, stand eine Zeitlang ganz sprachlos, die starren Blikke zur Erde geheftet und schien mit seiner ganzen Sele abwesend zu sein. Dan brach er in einen Strom von Traͤnen aus, rang die Haͤnde, zer- schlug sich die Brust, und zerraufte sich das Haar. Robinson , der durch eigenes Ungluͤk ge- lernt hatte, einem Ungluͤklichen nach zu empfin- den, hatte Mitleid mit seinem Jammer, und suchte durch sanfte freundschaftliche Vorstellun- gen ihn zur Vernunft wieder zuruͤk zu bringen. „Wer weiß, sagt' er unter andern zu ihm, wo- zu es uns gut sein mag, den Kahn verloren zu haben? Wer weiß, was der Sturm, der Schuld daran ist, uns oder andern Menschen fuͤr große Vortheile mag gestiftet haben?„ — „Schoͤne Vortheile! antwortete Freitag in einem etwas bittern Tone; den Kahn hat er uns genommen; das das ist alles!„ — „Also, erwiederte Robin- son , weil du und ich mit unsern kurzsichtigen Augen keine andere Wirkung des Sturms, als die Wegfuͤhrung des Kahns, wahrnehmen; so glaubst du, daß auch Gott, der Alweise, keine andere Ursache, ihn zuschikken, gehabt habe? Unverstaͤndiger, wie kanst du dich erkuͤhnen, die Absichten des großen Gottes beurtheilen zu wollen! — „Ja, aber was koͤnt' er denn auch wohl fuͤr Nuzen fuͤr uns gehabt haben? „fragte Frei- tag . „Must du mich darum fragen? ant- worte Robinson. Bin ich alwissend, um die Absichten des Weltregenten verstehen zu koͤnnen? Vermuthen kann ich freilich dies und das: aber wer sagt mir, ob ich's getroffen habe? Viel- leicht hatten auf unserer Insel sich so viele unge- sunde Duͤnste gesammelt, daß ein Sturmwind noͤthig war, um sie zu zerstreuen, wenn wir beide nicht krank werden, oder sterben solten! Vielleicht haͤtte der Kahn, waͤr' er geblieben, uns ins Verderben gefuͤhrt! Vielleicht — Doch wozu alle diese vielleichts, da es uns genug sein sein muß, zu wissen, daß Gott es sei, der dem Sturmwinde gebietet, und daß dieser Gott ein weiser, und guͤtiger Vater aller seiner Geschoͤpfe sei? Freitag ging in sich; er bereuete seinen Un- verstand, und ergab sich in den Willen der Vor- sehung. Robinsons Blikke irreten unterdeß auf der weiten Flaͤche des Ozeans herum, ob er nicht vielleicht irgend wo ein Schif wahrneh- men moͤgte? Aber umsonst! Es war nirgends eins zu sehen. Er sahe also, daß er sich geirret haben muͤsse, und daß der gehoͤrte wiederholte Knal, dem er fuͤr Kanonenschuͤsse gehalten hatte, nichts anders, als der Donner, koͤnne gewesen sein. Traurig uͤber die Vereitelung einer so lieben Hofnung, ging er wieder zu Hause. Aber zu Hause hatt' er nicht Ruhe, nicht Rast, weil ihm immer ein Schif vor den Au- gen stand, das bei seiner Insel vor Anker lag. Er kletterte also wieder auf den Berg, von wan- nen er die westliche Kuͤste uͤbersehen konte: aber auch von da aus kont' er nicht entdekken, was der suͤße Traum ihm vorgespiegelt hatte. Auch damit damit noch nicht zufrieden, und noch immer un- ruhig, rant' er nach einem andern Berge, der viel hoͤher, als dieser, war, um von da nach der oͤstlichen Kuͤste der Insel hinzusehen. In einem Hui! hatt' er ihn erstiegen; und da er nun oben war, und nach der Morgenseite hin- blikte — Himmel! welch freudiges Erschrekken bemaͤchtigte sich da ploͤzlich seiner ganzen Sele, als er sahe — daß er sich doch nicht betrogen habe! Alle. Oh! Vater. Er sahe ein Schif, und zwar, der weiten Entfernung ungeachtet, so deutlich, daß er gar nicht zweifeln konte, es sei wirklich eins, und noch dazu ein recht großes. Ueber- hebet mich, Kinder, der vergeblichen Muͤhe, euch seine Freude, sein unaussprechliches Ent- zuͤkken zu beschreiben. Athemlos rant' er zuruͤk nach seiner Burg; ergrif seine Waffen und konte zu Freitag , der ihn vol Verwunderung an- staunte, weiter nichts sagen, als: sie sind da! Geschwind! Geschwind! und so, wie der Wind, Wind, die Strikleiter wieder hinauf und davon, als wenn er Fluͤgel haͤtte. Freitag schloß aus der Verwirrung, aus der Eilfertigkeit, und aus den abgebrochnen Wor- ten seines Herrn, daß die Wilden da waͤren. Er ergrif also gleichfals seine Waffen, und lief mit nicht geringerer Geschwindigkeit hinter ihm drein. Ueber zwei starke Meilen musten sie laufen, bevor sie an die Stelle des Strandes kamen, der gegen uͤber das Schif vor Anker zu liegen schien. Und hier war es, wo Freitag erst er- fuhr, wovon denn eigentlich die Rede sei. Ro- binson zeigte ihm das ferne Schif, woruͤber er denn gar große Augen machte, weil er der Ent- fernung ohngeachtet, wohl sehen konte, daß es hundert mahl groͤßer sei, als das groͤßte, wel- ches er jemahls gesehen hatte. Robinson wuste gar nicht, was er vor Freude alles angeben solte. Bald sprang er, bald jauchzt' er, bald fiel er seinem Freitag in die Arme und bat ihn, mit hellen Freudentraͤ- nen in den Augen, daß er sich doch auch freuen N moͤg- moͤgte! Nun ging' es nach Europa; nun nach Hamburg! Da solt' er einmahl sehen, wie man in Hamburg lebte! Was fuͤr Haͤuser da die Menschen bauen koͤnten! Wie bequem, wie ruhig, wie angenehm man da sein Leben hin- braͤchte! — Der Strom seiner Worte war un- erschoͤpflich. Ich glaube, er wuͤrde bis Mor- gen ununterbrochen fortgeredet haben; wenn er sich nicht auf einmahl besonnen haͤtte, daß es thoͤrigt waͤre, die Zeit mit unnuͤzen Worten hin- zubringen, und daß er vor allen Dingen suchen muͤsse, sich den Leuten auf dem Schiffe zu er- kennen zu geben. — Aber wie nun? Das war die Frage. Er versuchte seine Stimme ertoͤnen zu las- sen; aber er merkte bald, daß das vergebliche Muͤhe sei, ohngeachtet der Wind sich schon waͤh- rend des Ungewitters gedrehet hatte, und jezt von der Insel nach dem Schiffe zu bließ. Er hieß also seinen Freund, so geschwind, als moͤg- lich, ein Feuer anmachen, welches von dem Schiffe her gesehen werden koͤnte. Dieser kam auch bald damit zu Stande, und nun erregte Ro- binson binson eine Flamme, welche baumhoch empor loderte. Seine Augen waren darauf unver- ruͤkt nach dem Schiffe gerichtet, weil er alle Augenblikke erwartete, daß ein Boot abstoßen und zu ihnen kommen wuͤrde. Aber kein Boot wolte sich sehen lassen. Endlich, da das Feuer schon eine Stunde vergeblich gebrant hatte, that Freitag den Vor- schlag, er wolle, so weit es auch immer waͤre, hinschwimmen, und den Leuten sagen, daß sie herkommen solten. Robinson umarmte ihn dafuͤr, und bat ihn, doch ja fuͤr die Erhaltung seines Lebens dabei besorgt zu sein. Freitag warf darauf seine Mattenkleidung ab, brach ei- nen gruͤnen Zweig ab, den er in den Mund nahm, und sprang herzhaft ins Wasser. Ro- binsons waͤrmste Seegenswuͤnsche begleiteten ihn. Lotte. Was wolt' er denn mit dem gruͤ- nen Zweige machen? Vater. Ein gruͤner Zweig ist bei den Wil- den ein Zeichen des Friedens; und wer so sich ihnen naͤhert, dem pflegen sie nichts zu Leide zu N 2 thun. thun. Er nahm ihn also zu seiner Sicherheit mit. Freitag langte gluͤklich bei dem Schiffe an, schwam einige mahl um dasselbe herum und rief: holla! Aber da war keiner, der ihm antwortete. Endlich bemerkt' er die Schifsleiter, die an der Seite herab hing; er naͤherte sich ihr und stieg daran hinauf, den gruͤnen Zweig in der Hand. Als er so hoch gestiegen war, daß er auf das Verdek sehen konte, erschrekte ihn der Anblik eines Thiers, welches ihm ganz fremd war. Es war schwarz und zottigt; und in dem Au- genblikke, daß Freitag von ihm gesehen ward, erhob es eine Stimme, dergleichen dieser noch niemahls gehoͤrt hatte. Gleich darauf ward es wieder stille, und bezeigte sich so freundlich, daß Freitag die Furcht, die es anfangs ihm einge- floͤst hatte, wieder fahren ließ. Es kam in der demuͤthigsten Stellung herbei gekrochen, wedelte mit dem Schwanze und winselte so beweglich, daß Freitag wohl merkte, es wolle Schuz bei ihm suchen. Er wagte es daher, da es bis zu seinen Fuͤßen vorgekrochen war, es zu streicheln, und und das Thier schien ausser sich vor Freude zu sein. Freitag ging nun auf dem Verdekke herum und fuhr fort, sein Holla! mit lauter Stimme zu rufen; aber es wolte sich noch immer kein Mensch blikken lassen. Er stand jezt und staunte alle die wunderbaren Sachen an, die er auf dem Verdekke erblikte, und hatte da- bei den Ruͤkken gegen die Treppe gekehrt, wo- durch man vom Verdekke in das Innere des Schiffes hinab steigt; als er ploͤzlich einen so un- sanften und nachdruͤklichen Stoß von hinten er- hielt, daß er der Laͤnge nach hinstuͤrzte. Vol Schrekken richtete er sich wieder auf, sahe sich um und waͤre beinahe versteinert worden, da er ein ziemlich großes Thier mit großen krummen Hoͤrnern, und mit langem Barte erblikte, wel- ches sich eben wieder in eine drohende Stellung auf die Hinterfuͤße sezte, um ihm eine zweite Bewilkommung angedeien zu lassen. Freitag that einen lauten Schrei und sprang, ohne sich einen Augenblik zu besinnen, uͤber Bord ins Meer hinab. N 3 Das Das erstbeschriebene schwarze Thier, wel- ches ihr an der Beschreibung vermuthlich wohl werdet erkant haben — Johannes. O ja! ein Pudel! Vater. Getroffen! — Dieser Pudel, sa- ge ich, folgte Freitags Beispiele und sprang gleichfals uͤber Bord, um ihm nach zu schwim- men. Freitag, der das Plaͤtschern desselben hinter sich hoͤrte, bildete sich ein, daß das an- dere gehoͤrnte Ungeheuer ihm nachgesprungen waͤre, und gerieth daruͤber in solche Angst, daß er zum Schwimmen beinahe unfaͤhig geworden, und in den Abgrund versunken waͤre. Aber- mahls ein Beispiel, wie schaͤdlich die Furcht- samkeit sei, und wie sie uns immer Gefahren aussezt, die wir fuͤglich vermeiden koͤnten, wenn wir uns nicht von ihr regieren liessen! Er getrauete sich nicht, sich umzusehen und schwam, da er sich erst ein wenig wieder erhohlt hatte, so eilig fort, daß der Pudel ihm kaum folgen konte. Endlich erreicht' er den Strand und sank sprachlos und ohnmaͤchtig zu Robin- sons sons Fuͤßen nieder. Der Pudel erreichte bald darauf gleichfals das Land. Robinson bemuͤhete sich auf alle moͤgliche Weise den treuen Gefaͤhrten seines einsamen Le- bens wieder zu sich selbst zu bringen. Er kuͤßte, er streichelte, er ruͤttelte ihn und rief ihn laut bei Nahmen. Aber es verflossen erst verschie- dene Minuten, ehe er die Freude hatte, daß Freitag die Augen wieder eroͤfnete und Zeichen des wiederkehrenden Lebens von sich gab. End- lich war er wieder im Stande zu reden, und da erzaͤhlt' er ihm nun, was fuͤr ein entsezliches Abentheuer er ausgestanden habe; wie das Schif ein großer hoͤlzerner Berg zu sein schiene, aus welchem drei hohe Baͤume (er meinte die Mastbaͤume) hervorgewachsen waͤren; wie das schwarze Thier so freundlich gegen ihn gethan habe, und wie das gehoͤrnte baͤrtige Ungeheuer ihn darauf habe umbringen wollen; und wie er endlich glaube, daß dieses Ungeheuer der Herr des schwimmenden hoͤlzernen Berges sei, weil er keinen einzigen Menschen darauf gesehen habe. N 4 Ro- Robinson hoͤrte ihm vol Verwunderung zu. Er merkte aus der Beschreibung, daß das gehoͤrnte Ungeheuer nichts anders, als eine Zie- ge waͤre, und er schloß aus allen uͤbrigen Um- staͤnden, daß das Schif gestrandet sei, und daß die darauf befindliche Manschaft sich in die Boͤ- te gerettet und das Schif verlassen habe. Aber wo diese moͤgten geblieben sein, das war ihm un- erklaͤrlich. Haͤtten sie auf seine Insel sich geret- tet; so muͤsten sie ja, aller Wahrscheinlichkeit nach, an demselben Orte gelandet sein, wo er mit Freitag sich jezt selbst befand: aber da war nichts von ihnen zu hoͤren oder zu sehen. Waͤ- ren sie aber in den Boͤten verungluͤkt: so muͤste man ja wohl ihre Leichname und die Boͤte an den Strand getrieben finden. Endlich erinnerte er sich des Umstandes, daß der Wind waͤhrend des Ungewitters sich ploͤzlich gedrehet und oͤstlich geworden sei, da er anfangs westlich war. Dies schien ihm das ganze Geheimniß zu erklaͤren. Gewiß, dacht' er, sind die Leute, da sie in die Boͤte gesprungen waren, durch den ploͤzlich entstandenen Ostwind abgehalten worden, un- sere sere Kuͤste zu erreichen. Der Sturm hat sie nach Westen getrieben, und da sind sie entwe- der auf der Fahrt verungluͤkt — vielleicht auf den Meerstrom gerathen — oder an irgend eine westliche Insel getrieben worden. Gott gebe das Lezte seufzt' er; und theilte Freitag seine Muthmaßung mit, der sie gleichfals wahrschein- lich fand. Aber was ist nun zu thun? fragte Robin- son. Die Leute moͤgen nun entweder todt oder noch lebendig und nur verschlagen sein: so koͤn- nen wir in beiden Faͤllen nichts Besseres thun, als daß wir von dem Schiffe so viel Sachen zu retten suchen, als uns moͤglich sein wird. Aber wie? da wir keinen Kahn mehr haben! Hier empfand er selbst den Verlust des Kahns beinahe eben so schmerzlich, als Freitag es vorher ge- than hatte. Er zerrieb sich die Stirn, um ein Mittel ausfindig zu machen, den Verlust dessel- ben zu ersezen; aber er konte lange keins fin- den. Einen andern Kahn zu zimmern, wuͤrde zu viel Zeit gekostet haben. Hinzuschwimmen getraut' er sich nicht, weil es viel zu weit war: N 5 und und dan was haͤtt' er im Schwimmen auch eben fortbringen koͤnnen? Johannes. Ich weiß wohl, was ich ge- macht haͤtte? Vater. Nun, was denn? Johannes. Ein Floͤßholz. Vater. Grade, eben dasselbe fiel unserm Robinson zulezt auch ein! Ein Floͤßholz, dacht' er, wird noch am geschwindesten gemacht werden koͤnnen — Frizchen. Was ist denn das ein Floͤßholz? Johannes. Hast du nicht gesehen, da wir neulich nach dem Jagdschiffe fuhren, da lagen ja da auf der Elbe bei dem Teichthore eine Menge solcher Floͤßhoͤlzer? Frizchen. Ach ja, so ein Haufen Balken, die an einander gebunden sind, daß man ordent- lich darauf stehen und fahren kan, als wenn's ein Schif waͤre? Vater. Ganz recht! Ein solches Floͤßholz also wolte Robinson machen, um damit nach dem großen Schiffe zu fahren und so viele Sa- chen daraus abzuholen, als sie nur koͤnten. Er bere- beredete sich darauf mit Freitag , daß einer von ihnen nach Hause laufen solte, um auf einen ganzen Tag Speise, nebst allen vorraͤthigen Strikken und was sie von Handwerkszeuge hat- ten, herzuholen; und weil Freitag am hurtig- sten auf den Fuͤßen war: so wurde dieser hinge- sandt und Robinson blieb zuruͤk, um unterdeß Baͤume zu dem Floͤßholze zu faͤllen. Es wurde beinahe Abend ehe Freitag zuruͤk kam. Robinson hatte unterdeß seine herzliche Freude an dem Pudel, der ihm, als ein euro- paͤischer Landsman uͤberaus lieb und werth war. Auch der Pudel schien sich uͤber ihn zu freuen und machte ihm ungeheissen allerlei Kuͤnste vor, die er gelernt hatte. Robinson gab ihm bei Frei- tags Zuruͤkkunft von dem herbei gebrachten Es- sen die erste Porzion, ohngeachtet er selbst den ganzen Tag uͤber nichts genossen hatte. Da es zum Gluͤk eine mondhelle Nacht war; so arbeiteten beide unaufhoͤrlich fort bis nach Mitternacht. Dan stelte sich aber auch das Be- duͤrfniß des Schlafes so dringend ein, daß sie ihm ohnmoͤglich laͤnger widerstehen konten. Ni- Nikolas. Das glaub' ich, sie hatten auch die ganze vorige Nacht gewacht! Diderich. Und waren heute so sehr gelau- fen; besonders Freitag! Vater. Sie strekten sich also ins Gruͤne und uͤberliessen es dem Pudel, sie zu bewachen. Der Pudel legte sich zu ihren Fuͤßen und so ge- nossen sie der Wohlthat eines sanften und erquik- kenden Schlummers, bis die Morgenroͤthe her- vorbrach. Drei und zwanzigster Abend. Vater. D er anbrechende Morgen hatte kaum den un- tersten Rand des oͤstlichen Himmels geroͤthet: als der muntre Robinson seinen Gefaͤhrten wekte, um das Werk zu vollenden, welches sie gestern angefangen hatten. Sie arbeiteten den gan- ganzen Tag uͤber so unverdrossen, daß sie noch denselben Abend mit dem Floͤßholze zu Stande kamen. Sie hatten eine doppelte Reihe von Balken, theils durch Strikke, theils durch biegsame und zaͤhe Gerten von indianischen Weiden so fest an einander gebunden, daß sie ein voͤllig sichres Fahrzeug abgaben, welches ohngefaͤhr zwanzig Fuß lang und fast eben so breit war. Auch hatten sie die Vorsichtigkeit gehabt es dicht am Strande und auf Walzen zu erbauen, um es ohne Zeitverlust und ohne große Muͤhe gleich aufs Wasser bringen zu koͤnnen. Zum Gluͤk traf mit dem Anbruch des naͤch- sten Morgens grade die Zeit der Ebbe ein. Sie saͤumten also keinen Augenblik, das Floͤsholz vom Strande hinab zu rollen, um mit dem Wasser, welches vom Ufer sich in das Meer zu- ruͤk zog, wie auf einem Strome, nach dem ge- strandeten Schiffe hin zu fahren. Jezt ging die Reise fort, und ehe eine halbe Stunde verstrich, waren sie schon an Ort und Stelle. Wie Wie schlug unserm Robinson das Herz, da ihm das große Europaͤische Schif vor Augen stand! Es fehlte nicht viel, so haͤtt' er die Wand desselben gekuͤßt, so werth macht' es ihm der Umstand, daß es aus seinem Vaterlande gekom- men, von Europaͤern erbauet, von Europaͤern hierher gefuͤhrt war! Aber ach! diese lieben Europaͤer selbst waren verschwunden! Waren vielleicht vom Meere verschlungen worden! Wie zerriß dieser traurige Gedanke das Herz des ar- men Robinsons , der gern die Haͤlfte seines noch kuͤnftigen Lebens dahin gegeben haͤtte, wenn er damit die verschwundene Manschaft des Schif- fes wieder haͤtte herbei schaffen und mit ihnen nach Europa segeln koͤnnen! Aber das war nun einmahl unmoͤglich; es blieb ihm also nichts uͤbrig, als von der Ladung des Schiffes so viel zu retten, als er konte, um es zu seiner groͤsseren Bequemlichkeit anzuwenden. Gotlieb. Ja, durft' er denn aber etwas von den Sachen nehmen, die nicht sein waren? Vater. Was meinst du, Johannes? Durft' er? Jo- Johannes. Ja, er durfte sie wohl aus dem Schiffe heraus nehmen und ans Land brin- gen; aber wenn die Leute sich wieder einfanden: so must' er sie ihnen wieder geben. Vater. Richtig! Denn nahm er die Sa- chen nicht heraus, so wurden sie nach und nach ein Raub der Wellen. Deswegen kont' er auch mit gutem Gewissen sich so gleich dasjenige da- von zu eignen, was ihm an unentbehrlichsten war, und es den Leuten, wenn sie jemahls wie- derkaͤmen, fuͤr die Muͤhe und Arbeit anrechnen, die er auf die Rettung des Schifguts verwandt hatte. Was uͤberhaupt die gestrandeten Schiffe betrift: so sind die Menschen in einigen gesit- teten Laͤndern darin uͤbereingekommen, daß die geretteten Sachen jedesmahl in drei Porzionen getheilt werden. Die Eine davon kriegen die vorigen Besizer wieder, wenn sie noch leben, oder ihre Erben, wenn sie todt sind; die An- dere wird denjenigen zuerkant, welche diese Sa- chen gerettet haben, und die Dritte faͤlt dem Landesherrn zu. Ni- Nikolas. Dem Landesherrn? Warum kriegt denn der was davon ab? Vater, Das ist nun so eine Frage — die ich euch jezt wohl nicht gut werde beantworten koͤnnen. Indeß etwas kan ich euch doch daruͤber sagen, was euch schon jezt begreiflich sein wird. Seht, Kinder, der Koͤnig, oder der Fuͤrst, oder wie der Landesherr sonst heissen mag, haͤlt auf den Kuͤsten gewisse Leute, die dahin sehen muͤssen, daß von einem solchen gestrandeten Schif- fe nichts geraubt, sondern alles, was gerettet werden kan, huͤbsch an einen sichern Ort gebracht werde. Geschaͤhe dieses nicht, so wuͤrde der Kaufman, dem die Ladung des Schiffes gehoͤrte, wohl selten etwas davon wieder kriegen, weil die Sachen entweder verderben, oder gestohlen werden wuͤrden. Nun kostet es aber dem Lan- desherrn sein Geld, solche Leute, die darnach sehen muͤssen, zu unterhalten. Es ist also bil- lig, daß dieses von denen wieder erstattet wer- de, denen diese heilsame Anordnung zu Gute komt. Deswegen hat man also festgesezt, daß der dritte Theil der geborgenen Sachen (so pflegt pflegt man sie nemlich zu nennen) jedesmahl dem Herrn des Strandes zufallen solle; und diese einmahl festgesezte Anordnung nent man das Strandrecht. Diesem zufolge hatte Robinson das Recht, von allen Sachen, die er aus dem ge- strandeten Schiffe retten konte, gleich zwei Drit- tel als sein rechtmaͤßiges Eigenthum zu gebrau- chen, wozu sie gut waren. Johannes. Zwei Drittel? Vater. Ja; eins fuͤr Muͤhe und Arbeit, das Andere als einziger rechtmaͤßiger Herr der Insel, bei welcher der Schifbruch sich ereignet hatte. Diderich. Ja, wer hatte ihn denn aber zum Herrn der Insel gemacht? Vater. Die gesunde Vernunft. Ein Stuͤk Landes, das bisher noch gar keinen Herrn ge- habt hat, gehoͤrt natuͤrlicher Weise dem zu, der es zuerst in Besiz nimt. Und das war hier der Fal. Der erste Wunsch, der in Robinsons Sele erwachte, da er sich von der starken Em- O pfindung pfindung der Freude uͤber den Anblik eines Eu- ropaͤischen Schiffes erhohlt hatte, war dieser, daß das Schif noch unbeschaͤdigt sein, und wie- der flot werden moͤgte. In diesem Falle war er fest entschlossen, sich mit Freitag darauf zu sezen, und, wo nicht nach Europa selbst, doch nach irgend einem europaͤischen Pflanzorte in Amerika zu segeln; so gefaͤhrlich es auch im- mer sein moͤgte, sich mit einem großen unbe- manten Schiffe, und ohne die noͤthigen Kent- nisse von der Schiffarth zu haben, auf das of- fenbare Meer zu wagen. Er fuhr also auf dem Floͤßholze rund um das Schif herum, um den Grund des Meeres zu untersuchen; und da fand er denn bald zu seiner wahren Betruͤbniß, daß an kein Flotwerden desselben zu denken sei. Der Sturm hatte nemlich das Schif grade zwischen zwei Felsen geworfen, von denen es nun so zusammengeklemt wurde, daß es weder ruͤk- noch vorwaͤrts bewegt werden konte. Hier must' es also so lange stekken bleiben, bis die anschla- genden Wellen es nach und nach zertruͤmmern wuͤrden. Nachdem diese Hofnung also vereitelt war, war, eilte Robinson, an Bord des Schiffes zu steigen, um zu sehen, worin die Ladung des- selben bestehe, und ob diese auch noch unverdor- ben sei. Dem guten Freitag war der Schrek- ken von ehegestern noch so gegenwaͤrtig, daß er sich kaum entschliessen konte, seinen Herrn auf das Verdek des Schiffes zu begleiten. Er that es jedoch, wiewohl nicht ohne Zittern, beson- ders da das gehoͤrnte Ungeheuer das Erste war, was sich seinen Blikken wieder darbot. Aber das gehoͤrnte Ungeheuer war dasmahl nicht so muthig, als gestern. Es lag vielmehr so kraftlos da, als wenn es gar nicht mehr auf- zustehen vermoͤgte, weil ihm nemlich seit ehe- gestern keiner das gewoͤhnliche Futter gereicht hatte. Robinson, der diese Ursache seiner Mat- tigkeit merkte, ließ seine erste Sorge sein, etwas aufzusuchen, was er dem ausgehungerten Thiere zu fressen geben koͤnte. Weil er mit der innern Einrichtung eines Schiffes vollkommen bekant war; so fand er auch bald, was er suchte, und hatte das Vergnuͤgen zu sehen, wie begierig die Ziege von dem vorgeworfenen Futter ihren Heißhunger O 2 stil- stilte. Freitag hatte unterdeß an der ihm un- bekanten Gestalt des Thieres genug zu bewun- dern gehabt. Nun fing Robinson eine ordentliche Un- tersuchung an. Er stieg aus einer Kajuͤte in die andere, aus einem Schifsboden in den andern hinab, und sahe uͤberal tausend Dinge, die in Europa kaum geachtet werden, fuͤr ihn aber einen ganz unschaͤzbaren Werth hatten. Da waren ganze Tonnen vol Schifszwiebak , vol Reiß , vol Mehl , vol Korn , vol Wein , vol Schießpulver , vol Kugeln und Schroot; da waren Kanonen, Flinten, Pistolen, Degen, und Hirschfaͤnger; ferner Beile, Saͤgen, Meissel, Bohrer, Raspeln, Hobel, Hammer, eiserne Stangen, Naͤ- gel, Messer, Scheeren, Nadeln; da wa- ren Toͤpfe, Schuͤsseln, Teller, Loͤffel, Feuerzangen, Blasebaͤlge, Naͤpfe, und anderes hoͤlzernes, eisernes, zinnernes, und kupfernes Kuͤchengeraͤth; da waren endlich auch ganze Kisten vol Kleider, Waͤsche, Struͤm- pfe, Schuhe, Stiefel und hundert andere Sa- Sachen, fuͤr deren jede der entzuͤkte Robin- son gern seinen ganzen laͤngstvergessenen Gold- klumpen hin gegeben haben wuͤrde, wenn man eins oder das andere davon ihm zum Kauf an- geboten haͤtte. Freitag stand bei dem Allen wie verduzt, weil er so was niemahls gesehen hatte, und von den meisten dieser Wunderdinge auch die Absicht nicht errathen konte. Robinson hin- gegen war ganz ausser sich vor Entzuͤkken. Er weinte vor Freuden, grif, wie ein kleines Kind, nach Allem, was ihm vorkam, und warf das Er- griffene wieder aus den Haͤnden, so bald seine Augen auf einen andern Gegenstand fielen, der ihm noch wuͤnschenswuͤrdiger zu sein schien. Endlich wolt' er auch in den untersten Schifs- raum steigen: aber er fand, daß er ganz mit Wasser angefuͤlt sei, weil das Schif einen star- ken Lek bekommen hatte. Nun ging er mit sich selbst zu Rathe, was er fuͤr diesmahl mitnehmen wolte; und konte daruͤber lange nicht mit sich einig werden. Bald schien ihm dies, bald jenes das Unentbehrlichste O 3 zu zu sein, und daher verwarf er oft wieder, was er so eben erst gewaͤhlt hatte, um stat dessen eine andere Sache mitzunehmen. Endlich sucht' er folgende Dinge, als die schaͤzbarsten von al- len aus, um sie fuͤr diesmahl mitzunehmen: I) Eine kleine Tonne vol Schießpulver, nebst einem andern Toͤnchen vol Schroot; 2) Zwei Flinten, zwei Paar Pistolen, zwei Degen und Hirsch- faͤnger; 3) Doppelte Kleidungsstuͤkke vom Kopfe bis zu den Fuͤßen fuͤr sich und Freitag ; 4) Zwei Dutzend Hemde; 5) Zwei Beile, zwei Saͤ- gen, zwei Hobel, ein Paar Stangen Eisen, einen Hammer und einige andere Werkzeuge; 6) Einige Buͤcher, etwas Schreibpapier, nebst Tinte und Federn; 7) Ein Feuerzeug, nebst Zunder und Feuersteinen; 8) Ein Faß vol Zwie- bak; 9) Etwas Segeltuch, und 10) die Ziege. Frizchen. O, die Ziege hatt' er ja eben nicht noͤthig! Vater. Das ist wahr, Frizchen; aber die Ziege hatte seiner noͤthig, und Robinson war viel zu mitleidig gegen alle lebendige Ge- schoͤpfe, als daß er dieses arme Thier in der Un- gewiß- gewißheit, ob nicht vielleicht vor seiner Zuruͤk- kunft ein Sturm das Schif zertruͤmmern wuͤr- de, haͤtte zuruͤklassen koͤnnen, zumahl, da das Nothwendigste doch Raum auf seinem Floͤßhol- ze hatte. Er nahm sie also mit. Dahingegen ließ er etwas liegen, wornach in Europa die Leute am ehesten greifen wuͤrden, — ein ganzes Toͤnchen vol Goldkoͤrner, und ein Schaͤchtelchen mit kostbaren Diamanten, die er in der Kajuͤte des Kapitains gesehen hatte. Die- se mitzunehmen, fiel ihm gar nicht ein; weil er ganz und gar keinen Gebrauch davon zu machen wuste. Ueber dem Durchsuchen, dem Aufmachen und Auskramen, dem Frohlokken, dem Aus- waͤhlen und Aufladen war so viel Zeit verflossen, daß nur noch eine Stunde bis zur naͤchsten Fluth- zeit fehlte. Diese musten sie nun erwarten, weil sie sonst mit der Floͤße schwerlich haͤtten fortkommen koͤnnen. Diese Stunde wandte Robinson dazu an, einmahl wieder auf euro- paͤische Weise zu speisen. O 4 Er Er holte also ein Stuͤk geraͤuchertes Rind- fleisch, ein Paar Heringe, etwas Zwiebak, Butter und Kaͤse, und eine Flasche Wein her- bei, sezte alles dieses auf den Tisch in der Ka- juͤte des Kapitains, und ließ sich selbst mit Frei- tag auf den dabei stehenden Stuͤhlen nieder. Schon dieses, daß er endlich einmahl wieder von einem ordentlichen Tische, auf einem ordentlichen Stuhle sizend, von einem ordentlichen Teller mit Messer und Gabel essen solte, machte ihm mehr Freude, als ich euch beschreiben kan. Und nun vol- lends die Speisen selbst, vornehmlich das Brod, wornach er sich so oft vergebens gesehnt hatte, — o, ihr koͤnt euch gar keine Vorstellung davon machen, wie entzuͤkt er daruͤber war! Man muͤste, so wie er, neun Jahre aller dieser Nah- rungsmittel und Bequemlichkeiten des Lebens beraubt gewesen sein, um die Freude, die er jezt empfand, nach ihrem ganzen Umfange fas- sen zu koͤnnen. Freitag war mit der europaͤischen Art zu essen so wenig bekant, daß er gar nicht wuste, wie er Messer und Gabel brauchen solte. Robinson zeigt' zeigt' es ihm; aber indem er es nun nachma- chen und ein Stuͤk Fleisch auf der Gabel zum Mun- de reichen wolte, fuhr er damit zum Ohre hinauf und brachte, seiner bisherigen Gewohnheit nach, die Hand mit der Schale der Gabel zum Munde. Von dem Weine, den ihm Robinson zu ko- sten gab, wolt' er schlechterdings nicht trinken, weil sein nur an Wasser gewoͤhnter Gaum den Reiz eines starken Getraͤnkes nicht ertragen kon- te. Der Zwiebak hingegen behagte ihn ausneh- mend wohl. Jezt war die Fluthzeit da; beide stiegen also hinab zur Floͤsse und stiessen in See, um mit der anschwellenden Fluth dem Strande zu- zufliessen. In kurzer Zeit waren sie da, und eilten, die geborgenen Guͤter ans Land zu sezen. Und nun war Freitag sehr begierig zu er- fahren, was alle diese Dinge zu bedeuten haͤt- ten, und was fuͤr Nuzen sie gewaͤhrten? Das erste, was Robinson zur Befriedigung sei- ner Neugierde vornahm, war, daß er hinter einen Busch trat, sich daselbst ein Hemde und ein ganzes Kleid, welches eine Offizieruniform O 5 war, war, nebst Schuh und Struͤmpfen anzog; dan einen Degen an die Seite stekte, einen Tressen- hut aufsezte und so auf einmahl, wie umgeschaf- fen, hervortrat, und sich vor Freitags erstaun- ten Augen dahin pflanzte. Dieser wich vol Be- stuͤrzung einige Schritte zuruͤk, weil er in dem ersten Augenblikke wirklich zweifelhaft war, ob er seinen Herrn, oder ein anderes, vielleicht uͤbermenschliches Wesen sehe. Robinson, der uͤber sein Erstaunen laͤcheln muste, reichte ihm freundlich die Hand, und versicherte, daß er noch immer Robinson, noch immer sein Freund waͤre, ohngeachtet seine Kleidung und sein Gluͤks- zustand sich geaͤndert haͤtten. Er nahm hierauf eine ganze Matrosenkleidung, zeigte ihm, wie er jedes Stuͤk derselben anziehen muͤsse, und hieß ihn hinter den Busch zu gehen, um sich gleich- fals anzukleiden. Freitag gehorchte; aber es dauerte lange, ehe er mit dem Anzuge fertig werden konte. Bald hatt' er dies, bald jenes unrecht angelegt; das Hemde, zum Exempel, zog er erst verkehrt an, indem er die Beine durch die beiden Ermel stekte stekte, als wenn er Beinkleider anziehen wolte. Eben so macht' er es auch mit den Beinkleidern, in die er gleichfals die Fuͤße von unten zu stek- ken versuchte, und mit der Jakke, die er auf dem Ruͤkken zu knoͤpfen wolte. Nach und nach sah er seinen Irthum ein und verbesserte ihn, bis er endlich nach vielen vergeblichen Versuchen mit dem ganzen Anzuge voͤllig zu Stande kam. Er huͤpfte vor Freuden, wie ein Kind, da er sich so umgeschaffen sahe, und da er merkte, wie bequem diese Kleidung sei, und wie gut sie ihn vor den Stichen der Musquito's verwahren wuͤrde. Nur mit den Schuhen war er unzufrie- den, weil sie ihm etwas Entbehrliches und Un- bequemes zu sein schienen. Er bat sich also die Erlaubniß aus, sie wieder ablegen zu duͤrfen, welches Robinson seinem eigenen Gutbefin- den uͤberließ. Jezt zeigt' er ihm den Gebrauch der Beile und anderer Werkzeuge, woruͤber Freitag vor Freude und Bewunderung ganz ausser sich gesezt wurde. Sie machten sogleich Gebrauch davon, um einen kleinen Mastbaum fuͤr ihr Floͤßholz zu be- behauen; damit sie kuͤnftig ein Segel aufstek- ken koͤnten, und dan nicht erst auf die Zeit der Fluth zu warten brauchten. Robinson uͤber- nahm es, diese Arbeit allein fertig zu machen; und schikte Freitag unterdeß nach seiner Burg, um die Lama's zu melken; ein Geschaͤft, wel- ches sie nun schon zwei Tage hatten aussezen muͤssen. In Freitags Abwesenheit lud Robinson eine der Flinten, weil er sich das Vergnuͤgen vorbehalten hatte, seinen Freund mit den wun- derbaren Wirkungen des Schießpulvers zu uͤber- raschen. Da dieser nun zuruͤkgekommen war, und die Geschwindigkeit bewunderte, mit wel- cher Robinson seine Arbeit schon vollendet hatte, erblikte dieser einen Seefalken, der eben mit einem geraubten Fische davon flog. Schnel ergrif er die Flinte und rief aus: Gieb Ach- tung, Freitag, der sol herunter! Kaum hatt' er dieses gesagt, so druͤkt' er ab, und der Falke stuͤrzte aus der Luft zur Erde. Stelt euch des armen Freitags Erstaunen und Erschrekken vor! Er stuͤrzte, als waͤr er selbst selbst getroffen zu Boden, weil ihm ploͤzlich sein alter Aberglaube an den Toupan oder Donne- rer wieder einfiel, fuͤr den er in dem ersten Au- genblikke des Schrekkens seinen Herrn selbst hielt. Er fiel, wie gesagt, zu Boden; dan legt' er sich auf die Knie und strekte seine zitternden Haͤnde gegen Robinson aus, als wenn er ihn um Gnade bitten wolte. Reden kont' er nicht. Robinson war weit entfernt, mit irgend etwas, was die Religion betrift, Spaß trei- ben zu koͤnnen. Es war ihm daher, sobald er Freitags Gedanken vermuthete, augenbliklich leid, ihn nicht vorher uͤber das, was er thun wolte, belehrt zu haben; und er eilte, diesen Fehler wieder gut zu machen. Er hob den zit- ternden Freitag liebreich auf, umarmte ihn, bat ihn, sich nicht zu fuͤrchten, und sezte hinzu: er wolte ihn gleich auch lehren, einen solchen Bliz und Donnerschlag hervorzubringen, wo- mit es ganz natuͤrlich zuginge. Dan zeigt' er ihm die Einrichtung der Flinte, beschrieb ihm die Beschaffenheit und Wirkung des Schießpul- vers; lud die Flinte vor seinen Augen und gab sie sie ihm in die Hand, um selbst damit zu schies- sen. Aber Freitag, der noch viel zu furchtsam dazu war, bat ihn, es lieber selbst zu thun. Robinson machte darauf ein Ziel auf hundert Schritte, ließ Freitag neben sich stehen und feuerte die Flinte ab. Es fehlte nicht viel, so waͤre Freitag aber- mahls zu Boden gestuͤrzt: so uͤbernatuͤrlich schien ihm dasjenige zu sein, was er sahe und hoͤrte. Das Ziel war von vielen Schrootkoͤrnern getrof- fen, welche noch ziemlich tief ins Holz hinein- gedrungen waren. Robinson machte seinen Freitag aufmerksam darauf, und ließ ihn selbst den Schluß machen, wie sicher sie nun in Zu- kunft vor allen feindlichen Anfaͤllen der Wilden waͤren, nachdem sie diesen kuͤnstlichen Bliz und Donner in ihre Gewalt bekommen haͤtten. Frei- tag gewan hierdurch und durch Alles, was er auf dem Schiffe gesehen hatte, eine so tiefe Ehrfurcht gegen die Europaͤer und gegen seinen Herrn insbesondere, daß es ihm viele Tage hin- durch unmoͤglich war, sich wieder auf den ver- trau- trauten freundschaftlichen Ton gegen ihn herab zu stimmen. Indeß ruͤkte die Nacht heran, und machte den Geschaͤften dieses freudenreichen Tages ein Ende. Vier und zwanzigster Abend. A m folgenden Abend fuhr der Vater zur großen Freude seiner Kleinen, ohne alle Vor- rede, folgendermaßen fort: Suͤßer hatte unser Robinson noch nie ge- schlafen, als in dieser Nacht; denn seit dem er- sten Tage seines einsamen Aufenthalts auf dieser Insel war er noch nie so gluͤklich gewesen, als er sich jezt fuͤhlte. Aber nie empfand auch wohl ein Mensch mehr innige Dankbarkeit und Liebe gegen den himlischen Wohlthaͤter, dem er die- ses sein Gluͤk zu verdanken hatte, als er. Wie oft oft lag er, wenn er allein war, auf seinen Kni- en und dankte dem guten Geber aller Gaben fuͤr das, was er ihm verliehen hatte! Auch seinem Freitag sucht' er diese frommen Empfindungen der Dankbarkeit einzufloͤssen. Er lehrte ihn, bevor sie sich schlafen legten, das Loblied: Nun danket alle Gott! und dan stimten beide mit geruͤhrtem Herzen es zum Preise ihres gemein- schaftlichen himlischen Vaters an. — Am andern Morgen machten sie sich fruͤh auf; legten alle ihre Sachen in ein Gebuͤsch und bedekten sie, im Fal es etwa regnen solte, mit vielen Zweigen. Dan stiessen sie mit An- fang der Ebbe vom Lande, um wieder nach dem Wrak zu fahren. Frizchen. Was ist das Wrak? Vater. So nent man ein Schif, welches gestrandet und schon zum Theil zertruͤmmert ist. — Da sie gestern, wie ich zu erwaͤhnen ver- gaß, auch ein Paar gute Ruder mit sich genom- men hatten: so ging die Fahrt noch geschwin- der, als das erstemahl. Sie kamen abermahls gluͤklich an; und das erste, was sie vornahmen, war war dieses, daß sie alle Bretter, die sie in dem Schiffe fanden, auf ihr Floͤßholz herab liessen, um einen doppelten Fußboden davon zu machen, damit die Sachen, die sie mitnehmen wolten, trokner, als die gestrigen liegen moͤgten. Jezt suchte Robinson wieder Alles durch, um unter den vielen Sachen, die er nicht alle auf einmahl mitnehmen konte, eine kluge Auswahl zu treffen. Diesmahl ward ihm die Wahl schon weniger sauer, weil er das Allernothwendigste nun schon in Sicherheit gebracht hatte. Doch verfuhr er wiederum eben so bedaͤchtig, als das erstemahl. Unter andern beschloß er, diesmahl eine von den sechs kleinen Kanonen mitzunehmen, die er auf dem Schiffe fand. Johannes. Eine Kanone? — O dafuͤr haͤtt' er doch auch wohl etwas noͤthigeres neh- men koͤnnen! Vater. So scheint es uns, die wir die Sache von fern beurtheilen; Robinson hinge- gen, der seine ganze Lage in der Naͤhe uͤbersahe, fand, daß ihm diese Kanone, wenigstens zur P Be- Beruhigung seines Gemuͤths, hoͤchst noͤthig sei. Johannes. Wie so? Vater. Der Ort am Strande, wo er die geretteten Sachen vor der Hand hinlegen muste, war unbefestiget, und lag ungluͤklicher Weise in derjenigen Gegend, wo die Wilden gemeiniglich zu landen pflegten. Nun kont' er sich zwar ziemlich auf den Schuz seiner Flinten und Pisto- len verlassen, fals er angegriffen werden solte; aber der Gedanke, daß er alsdan wieder in die traurige Nothwendigkeit gerathen wuͤrde, einen oder den andern dieser armen Wilden zu toͤdten, machte ihn schaudern, so oft er ihm einfiel. Nun dacht' er, wenn er eine Kanone am Stran- de haͤtte: so koͤnt' er, wenn sie sich in ihren Ka- noes oder Kaͤhnen der Insel naͤhern wolten, schon von fern eine Kugel uͤber ihre Koͤpfe hin- schiessen, worauf sie dan vor Schrekken vermuth- lich wieder umkehren wuͤrden. Siehst du, Lieber, wie unsicher es ist, wenn wir das Betragen anderer Menschen zu beurtheilen uns anmassen wollen? Hoͤchst selten ken- kennen wir alle die Bewegungsgruͤnde, nach de- nen ein Anderer sich in seinem Verhalten rich- tet: wie duͤrfen wir uns dan einfallen lassen uns zu Richtern uͤber dasselbe aufzuwerfen? Ein wei- ser Man ist daher sehr langsam zum Urtheil uͤber Andere; giebt sich uͤberhaupt nicht damit ab, wenn er keinen eigentlichen Beruf dazu hat, weil er genug uͤber sich selbst und uͤber seine ei- gene Handlungen zu denken und zu urtheilen hat: und so, Kinder! wollen wir es kuͤnftig auch machen. Ausser der Kanone, brachten Robinson und Freitag diesmahl noch folgende Sachen auf ihre Floͤße: 1) Einen kleinen Sak vol Rok- ken, einen andern vol Gerste und noch einen dritten vol Erbsen; 2) Eine Kiste vol Naͤgel und Schrauben; 3) Ein Duzend Beile; 4) Ein Faͤßchen vol Schießpulver, nebst Ku- geln und Schroot; 5) Ein Segel, und 6) einen Schleifstein. Gotlieb. Wozu denn den? Vater. Um Beile, Messer und andere Werkzeuge wieder scharf zu machen, wenn sie stumpf sein wuͤrden. P 2 Got- Gotlieb. Hatt' er denn auf seiner Insel keine Steine? Vater. Steine in Menge; nur keine Schleifsteine! Hast du nicht bemerkt, daß diese von einer besondern Beschaffenheit, nemlich viel weicher sein muͤssen, als die andern Steine sind? Gotlieb. Ja! Vater. Nun, solcher weichen Sandsteine, hatt' er auf seiner Insel keine bemerkt; und doch ist ein Schleifstein fuͤr Alle, welche mit schar- fen Werkzeugen umgehen muͤssen, ein ungemein nuͤzliches und nothwendiges Ding. Er zog ihn also ohne Bedenken, den Goldkoͤrnern und Dia- manten vor, die er abermahls zuruͤk ließ. Ehe sie abfuhren, untersuchte Robinson den dermahligen Zustand des Schiffes und fand, daß das Wasser noch etwas hoͤher eingedrungen sei, und daß die Wellen und das Reiben an den Fel- sen schon viele Planken an beiden Seiten des Schiffes losgerissen haͤtten. Er sahe voraus, daß der erste sich ereignende Sturm das ganze Wrak zertruͤmmern wuͤrde. Um destomehr be- schloß er zu eilen, um von dem noch uͤbrigen Schifs- Schifsgute, so viel er nur immer koͤnte, zu retten. Da der Wind jezt landwaͤrts bließ, so kon- ten sie mit Huͤlfe des Segels und der Ruder abfahren, ohngeachtet die Ebbezeit erst kaum halb vorbei war. Unterweges machte Robin- son sich einen Vorwurf, der ein Beweis seiner Rechtschaffenheit war. Diderich. Woruͤber denn? Vater. Daruͤber, daß er das Gold und die Diamanten nicht mitgenommen habe. Diderich. Was wolt' er denn damit? Vater. Er selbst wolte nichts damit; aber er dachte so: es ist doch nicht ganz unmoͤglich, daß der Herr des Schiffes noch lebt, und wie- der herkommen kan, um zu sehen, ob er nicht noch etwas retten koͤnne. Wenn nun ploͤzlich ein Sturm entstuͤnde und der zerschmetterte das Schif, ehe du noch einmahl wieder zuruͤkfah- ren kanst, und Gold und Edelgesteine gingen verloren: wie woltest du es dan gegen den Be- sizer derselben, wie woltest du es vor Gott, und vor deinem eigenen Gewissen verantworten, P 3 daß daß du nur lauter solche Sachen gerettet hast, die dir nuͤzlich werden koͤnnen und nicht auch dasjenige, woran dem eigentlichen Herrn aller dieser Sachen am meisten gelegen sein muß? Wovon vielleicht sein und vieler andern Men- schen ganzer Gluͤkszustand abhaͤngen mag? Ro- binson! Robinson! sezt' er hinzu, indem er sich unwillig vor die Stirn schlug, wie viel fehlt noch daran, daß du schon so gut bist, als du sein soltest? Er konte kaum die Zeit abwarten, da sie an- landen und wieder abstoßen wuͤrden, um von neuem hinzufahren; so groß war die Unruhe seines Gewissens uͤber die Versaͤumung einer Pflicht, die ihm mit Recht heilig schien! Endlich kamen sie an; aber in dem Augen- blikke, da sie ans Land stoßen wolten, liefen sie große Gefahr, ihre ganze Ladung ins Meer ver- sinken zu sehen. Weil nemlich die Ebbezeit noch dauerte, so war das Wasser am Strande so seicht, daß das Vordertheil des Floͤßholzes auf einmahl auf den Sand rante und daher viel hoͤher zu stehen kam, als das Hintertheil, wel- ches ches noch vom Wasser getragen wurde. Zum Gluͤk standen Robinson und Freitag beide hinten und konten also die abgleitende Ladung zuruͤkhalten, daß sie nicht ins Wasser fiel. Nachdem sie Alles wieder befestiget hatten, musten sie sich entschliessen bis an die Knie durch Wasser und Schlam zu waten, um die Sachen so ans Land zu bringen. Sie thaten dies so hur- tig und so vorsichtig, daß nichts verloren ging, und daß sie noch vor der zuruͤkkehrenden Fluth- zeit wieder abfahren konten. Kaum war Robinson abermahls bei dem Wrakke angekommen, als er nichts eiligeres hatte, als das Toͤnchen mit den Goldkoͤrnern und das Schaͤchtelchen mit den Diamanten auf sein Floͤßholz zu bringen. Damit fiel ihm, wie man sagt, ein Stein von Herzen; und nun, nachdem er sich dieser Pflicht entlediget hatte, glaubt' er berechtiget zu sein, wieder fuͤr sich selbst zu sorgen. Diesmahl nahm er unter andern ein Paar Schubkarren, die, ich weiß nicht zu welchem Behufe, auf dem Schiffe waren, viel vorraͤ- P 4 thige thige Kleidungsstuͤkke und Waͤsche, viel Werkzeuge und Geraͤthschaft, eine Later- ne, nebst allen beschriebenen Papieren mit, die er in des Kapitains Kajuͤte fand; und da unter- deß die Fluthzeit zuruͤk gekehrt war, so segelten sie wieder ab, und erreichten, von Wind und Wasser fortgetrieben, in kurzer Zeit den Strand. Den noch uͤbrigen Theil des Tages widmete Robinson einem Geschaͤfte, welches ihm jezt das dringendste zu sein schien. Er zitterte nem- lich vor dem Gedanken, daß ein starker Regen einfallen, und seinen groͤßten Schaz, das Schieß- pulver, unbrauchbar machen koͤnte. Um diese Gefahr abzuwenden, beschloß er, noch an eben diesem Tage, aus einem großen mitgebrachten Segeltuche ein ordentliches Zelt zu machen, wo- runter sein ganzer Reichthum vor dem Regen sicher laͤge. Da er Scheere, Nadeln und Zwirn hatte, so ging ihm diese Arbeit geschwind von Haͤnden, und Freitag lernte ihm bald so viel davon ab, daß er ihm dabei helfen konte. Dieser konte die unschaͤzbare Erfindung einer Nadel und einer Scheere Scheere nicht genug bewundern und gestand zu wiederhohlten mahlen, daß er und seine Landes- leute, mit den kuͤnstlichen Europaͤern verglichen, doch nur recht arme Schelme waͤren. Sie wurden noch vor Abend mit dieser Ar- beit fertig; und da machte Robinson sich noch die Freude, seinem Freitag die erstaunliche Wir- kung einer Kanone zu zeigen. Er lud sie mit einer Kugel, stelte sie darauf so, daß der Schuß die Oberflaͤche des Wassers streifen muste, damit Freitag recht deutlich sehen koͤnte, wie weit die Kugel fortgeschnelt werden wuͤrde. Jezt brant' er sie ab, und ohngeachtet Freitag schon durch die beiden Flintenschuͤsse auf dieses Schauspiel vorbereitet war: so erschrak er doch von neuem uͤber den noch weit heftigern Knal der Kanone so sehr, daß ihm alle Glieder zitterten. Die Kugel tanzte auf der Oberflaͤche des Meeres hin und verlohr sich in einer unabsehlichen Entfer- nung. Freitag versicherte darauf, daß es nur eines einzigen solchen Schusses beduͤrfen wuͤrde, um alle seine Landsleute, wenn sie auch bei Tau- senden herbei kaͤmen, ploͤzlich in die Flucht zu P 5 jagen, jagen, weil sie den, der diesen Donner machte, gewiß fuͤr den Toupan halten wuͤrden. Da es finster geworden war, stekte Robin- son seine Laterne an, um die am Schiffe mit- gebrachten Schriften durchzusehen, ob er viel- leicht daraus erfahren moͤgte, wem das Schif zugehoͤrt habe, und welches die Bestimmung desselben gewesen sei? Aber zum Ungluͤk waren diese Schriften, so wie die Buͤcher, die er mit- genommen hatte, in einer Sprache abgefaßt, die er nicht verstand. Wie sehr bedauerte er hierbei abermahls, daß er in seiner Jugend nicht mehr Fleiß auf Erlernung der Sprachen gewandt habe! Aber diese Reue kam jezt zu spaͤt. Indeß gab ihm ein doppelter Umstand, den er bemerkte, einiges Licht uͤber den Lauf des Schiffes und uͤber die Absicht desselben. Er fand nemlich unter andern ein Paar Briefe, die nach Barbados gerichtet waren, einer Insel bei Amerika, auf welcher ein starker Sklaven- handel getrieben wird. Frizchen. Sklavenhandel? Va- Vater. Ich wil dir sagen, was das ist. In Afrika — du weißt doch noch, wo das liegt? Frizchen. O ja; dorthin, uͤber die gruͤne Bruͤkke und die Gaͤnseweide! — Nu nur zu! Vater. In Afrika also, wo die Mohren wohnen, sind die meisten Menschen noch so roh und ungesittet, wie das liebe Vieh. Ihre An- fuͤhrer oder Koͤnige, die selbst nicht viel kluͤger sind, gehen dan auch mit ihnen um, als wenn sie wirkliches Vieh waͤren. Wenn nun die Eu- ropaͤer dahin kommen, so bietet man ihnen gan- ze Heerden solcher schwarzen Menschen zum Ver- kauf an, recht so wie man hier die Ochsen zu Markte bringt. Viele Vaͤter fuͤhren auch wohl ihre eigene Kinder herbei, um sie fuͤr eine Klei- nigkeit los zu werden; und da kaufen denn die Europaͤer alle Jahr eine Menge derselben und fuͤhren sie nach Amerika, wo sie die haͤrteste Arbeit verrichten muͤssen und dabei recht jaͤm- merlich gehalten werden. Ein solcher Sklav (so nent man sie) ist dan recht schlim daran, und und wuͤnschte oft lieber zu sterben, als so zu leben. Gotlieb. Das ist doch aber auch gar nicht recht, daß man so mit Menschen um- geht! Vater. Freilich ist es unrecht; auch steht zu hoffen, daß dieser abscheuliche Sklavenhan- del mit der Zeit ganz werde abgeschaft wer- den. — Ferner fand Robinson eine Rechnung, aus der er ungefaͤhr so viel abnehmen konte, daß auf dem Schiffe hundert solcher Sklaven gewe- sen sein muͤsten, die man nach Barbados ha- be bringen wollen. Er machte von allem diesem seinem Freitag eine Beschreibung, und sezte hinzu: wer weiß, ob nicht diese Ungluͤklichen dem Sturme, der das Schif auf die Felsen trieb, vielleicht ihre Erloͤsung zu verdanken ha- ben? Ob sie nicht vielleicht durch Huͤlfe der Boͤte sich gerettet und irgend eine Insel erreicht ha- ben, auf der ihre Tirannen ihnen nun nicht mehr befehlen duͤrfen, und wo sie, nach ihrer Art, ein recht gluͤkliches und zufriedenes Leben fuͤh- ren? Frei- Freitag fand dies gar nicht unwahrschein- lich. Wohl dan, lieber Freitag! sezte Robin- son hinzu, indem sein Gesicht zu gluͤhen an- fing; haͤttest du also nun noch wohl das Herz, deine neuliche Frage zu wiederhohlen? Freitag. Welche? Robinson. Die: was der Sturm, der uns unsern Kahn entfuͤhrte, wohl fuͤr Nuzen gehabt haben koͤnne? Freitag ward beschaͤmt und schlug reuevol die Augen nieder. „O Freitag! rief hierauf Robinson mit frommem Eifer aus; erkenne die Hand des al- maͤchtigen und alweisen Gottes, die hier aber- mahls so sichtbarlich im Spiel gewesen ist! Siehe wie viel der Sturm uns wiedergeben muste, fuͤr das Wenige, was er uns zu neh- men Befehl hatte! Sieh ihn an, diesen ganzen Vorrath von Huͤlfsmitteln zu einem bequemen und gluͤklichen Leben — wuͤrden wir ihn haben, wenn der Sturm nicht gekommen waͤre? Zwar ist es traurig, sein Gluͤk dem Ungluͤkke anderer Men- Menschen verdanken zu muͤssen: aber wie? wenn nun auch die Meisten von denen, die auf dem gestrandeten Schiffe waren, jezt viel gluͤklicher lebten, als vormahls? Und daß dies wirklich der Fal sei, ist doch gar nicht unwahrscheinlich! Was duͤnket dich nun von der goͤtlichen Weltre- gierung? „Daß sie unbeschreiblich weise und gut sei, und daß ich ein Nar war! „erwiederte Frei- tag, indem er die Haͤnde faltete und zum Him- mel blikte, um Gott die Suͤnde abzubitten, die er aus Unverstand begangen hatte. Robinson verwahrte alle die durchgesuch- ten Papiere eben so sorgfaͤltig, als das Gold und die Edelgesteine; um, fals er jemahls wie- der nach Europa kommen solte, durch Huͤlfe der- selben, zu erfahren, an wen er diese gerette- ten Schaͤze zuruͤk geben muͤsse. Noch sechs Tage hinter einander fuhren sie fort, des Tages zwei bis dreimahl nach dem Wrak zu fahren und Alles, was sie bewegen konten, ans Land zu bringen. Tausend Klei- nigkeiten waren ihnen wichtig und wurden als solche solche von ihnen mitgenommen, die uns kaum des Aufhebens werth scheinen wuͤrden, weil wir den Mangel derselben noch nie empfunden haben. Ein Theil der Schifsladung bestand aus Elefan- tenzaͤhnen; diese liessen sie liegen, weil sie keinen Gebrauch davon machen konten. Ein Gleiches thaten sie mit einigen Tonnen vol Kaffebohnen, welche Robinson gleichfals verschmaͤhte, weil er nicht gesonnen war, sich jemahls wieder zu uͤberfluͤßigen und schaͤdlichen Lekkereien zu ver- woͤhnen. Dafuͤr aber suchten sie so viel Bretter loszubrechen und mitzunehmen, als sie nur im- mer konten, weil ihnen diese einen groͤssern Nu- zen und also auch einen groͤssern innern Werth zu haben schienen. Sogar die noch uͤbrigen fuͤnf Kanonen brachten sie ans Land, so wie alles Ei- senwerk, welches sie nur finden oder vom Schif- fe losmachen konten. Nachdem sie nun schon achtzehn mahl hin und her gefahren und mit ihrer jedesmahligen Ladung immer gluͤklich an Ort und Stelle an- gekommen waren; bemerkten sie, da sie sich abermahls an Bord des Wraks befanden, daß ein ein Ungewitter heran nahe. Sie eilten daher, so sehr sie konten, das Aufladen zu beschleuni- gen und fuhren in der Hofnung ab, daß sie, noch vor dem Ausbruche des Gewitters den Strand erreichen wuͤrden. Aber ihre Bemuͤ- hung war umsonst. Noch ehe sie die Haͤlfte der Fahrt zuruͤkgelegt hatten, erhob sich ein so ge- waltiger Sturm mit Donner, Bliz und Regen begleitet, daß die Wellen uͤber das Floͤßholz wegrolten und die darauf befindlichen Sachen in den Abgrund warfen. Sie selbst klammerten sich eine Zeitlang so fest an, daß die schaͤumen- den Wogen sie nicht wegspuͤlen konten, ohnge- achtet sie ihnen von Zeit zu Zeit fast einer Elle hoch uͤber dem Kopfe weggingen. Aber endlich konte das schwache Gebaͤude des Floͤßholzes der Wuth der Wellen nicht laͤnger widerstehen. Die Bande, wodurch die Bal- ken zusammen gehalten, loͤseten sich auf; die ganze Floͤße fiel aus einander. Lotte. O weh der arme Robinson! Alle. O stille! stille! Va- Vater. Freitag versuchte sich durch Schwimmen zu retten, Robinson hingegen ergrif einen Balken, mit dem er bald in den Abgrund hinabgeworfen, bald wieder hoch em- por gehoben wurde. Er war dabei oͤfter un- ter, als uͤber dem Wasser, war ganz betaͤubt, und konte weder hoͤren noch sehen. Jezt ver- liessen ihn seine Kraͤfte, und mit ihnen seine Besonnenheit. Er that noch einen lauten Schrei, und verschwand darauf in einer ungeheuern Welle, die von dem Balken ihn losriß. Zum Gluͤk war sein treuer Freitag ihm im- mer zur Seite geblieben, ohngeachtet er, wenn er gewolt haͤtte, sich weit geschwinder haͤtte ret- ten koͤnnen. Da dieser nun seinen Herrn vor seinen Augen versinken sahe, besan er sich keinen Augenblik, sondern tauchte unter, ergrif ihn mit der linken Hand, und arbeitete mit der rech- ten sich wieder empor. Und nun verdoppelte er seine Bemuͤhung mit so unerhoͤrter Anstren- gung, daß er in einigen Minuten zusamt dem Leichname seines lieben Herrn am Strande war. Q Alle. Alle. (Ganz erschrokken) Ach! — ach! dem Leichnam? Vater. So nenne ich ihn, weil in der That kein Fuͤnkchen von Leben mehr in ihm zu sein schien. Freitag trug den Erblaßten voͤllig ans Land, warf sich verzweiflungsvol uͤber ihn hin, rief ihm zu, ruͤttelte, rieb ihn am ganzen Leibe, und druͤkte zehnmahl die Lippen auf seinen Mund um ihm Athem einzublasen. Endlich hatt' er die unaussprechliche Freude, wieder einige Merkmah- le des Lebens wahrzunehmen; er fuhr in seinen Bemuͤhungen fort und Robinson fing an, sich seiner wieder bewust zu sein. „Wo bin ich?„ fragt' er mit schwacher zitternder Stimme, indem er die Augen wieder aufschlug. „In meinen Armen, lieber Herr!„ antwortete Freitag, dem die Traͤnen aus den Augen stuͤrzten. — Und nun gab es eine ruͤhren- de Scene, indem Robinson seinem Erretter dankte, und dieser nicht wuste, was er vor Freu- den uͤber die Wiederkehr seines geliebten Herrn ins Leben alles vornehmen solte. — Und, Und, Kinder, mit etwas Besserem koͤnnen wir die Erzaͤhlung dieses Tages wohl nicht endi- gen; also genug fuͤr heute! Fuͤnf und zwanzigster Abend. E s fanden sich abermahls verschiedene Abhal- tungen, welche den Vater hinderten, in der Erzaͤhlung fortzufahren. Die junge Geselschaft wurde unterdeß durch sechs neue Mitglieder ver- groͤssert. Diese hiessen Matthias, Ferdi- nand, Konrad, Hans, Christel, und Karl. Das war nun ein Wesen unter den Alten, wovon der Eine noch eher, als der Andere, den neuen Freunden wieder erzaͤhlen wolte, was sie von Robinson nun schon gehoͤrt hatten! Da wuste der Eine dies, der Andere das von ihm: da hatte der Eine dies, der Andere das noch Q 2 aus- ausgelassen, weswegen ein Dritter ihm in die Rede fiel, um die Luͤkke der Erzaͤhlung auszu- fuͤllen! Da also Alle zugleich redeten, so entstand zulezt ein so verwirtes Geschrei, daß man sein eigen Wort nicht hoͤren konte. Da sahe sich dan endlich der Vater genoͤthiget, um dem Wir- war ein Ende zu machen, die Erzaͤhlung von vorn wieder anzufangen, und sie bis dahin zu wiederhohlen, wo er zulezt stehn geblieben war. Dan fuhr er, zum algemeinen Frohlokken, fol- gendermaßen fort: Nun, Kinder, unser Robinson hat sich noch einmahl wieder erhohlt. Der Schlaf, des- sen er die Nacht uͤber unter seinem Zelte auf wirklichen Betten genoß, hat ihn so erquikt, daß er mit Anbruch des Morgens schon wieder da steht in seiner ganzen ungeschwaͤchten Kraft, und Gott fuͤr die Erhaltung seiner Gesundheit und seines Lebens dankt. Der Sturm hatte die ganze Nacht hindurch gewuͤthet. Er erwartete daher mit aͤngstlicher Neubegierde den Tag, um zu sehen, was aus dem Wrak moͤgte geworden sein? Jezt Jezt stieg die Sonne empor und da erblikt' er zu seinem Leidwesen, daß das Wrak gaͤnzlich verschwunden sei. Einzelne Bretter und Bal- ken, die an den Strand getrieben waren, be- wiesen, daß der Sturm es voͤllig zertruͤmmert habe. Es that ihm bei diesem Anblik wohl, sich bewust zu sein, daß er keinen Fleiß gespart habe, von dem Schifsgute so viel zu retten, als ihm nur immer moͤglich gewesen war; und wohl dem Menschen, dessen ganzes Betragen so weiß- lich eingerichtet ist, daß er bei jedem unangeneh- men Vorfal, wie jezt Robinson, zu sich selbst sagen kan: ich bin nicht Schuld daran! O dieses Bewustsein kan viel versuͤßen, was fuͤr unser Herz sonst unausstehlich bitter sein wuͤr- de! Robinson und Freitag zogen sorgfaͤltig jedes am Strande liegende Ueberbleibsel des Schiffes aufs Land, weil sie voraussahen, daß jedes Bret, jede Latte ihnen nuͤzlich werden koͤn- te. Dan wurde ein ordentlicher Plan zu ihrer naͤchsten Geschaͤftigkeit gemacht. Q 3 Die Die Sachen musten nemlich nach der Burg geschaft werden; aber sich beim Fortbringen der- selben jedesmahl so weit davon zu entfernen, schien ihnen mit Recht gefaͤhrlich zu sein. Ro- binson machte also die Anordnung, daß sie wechselseitig fortkarren und Wache halten wol- ten, einer des Vormittages, der Andere des Nachmittages. Er lud die Kanonen und pflanz- te sie an den Strand, die Muͤndung gegen das Meer gerichtet. Dan wurde ein Feuer ange- macht, welches der Wachhabende bestaͤndig un- terhalten solte; und neben den Kanonen lag eine Lunte in Bereitschaft, um sie, wenn es sein muͤste, ohne Verzug abfeuern zu koͤnnen. Robinson selbst machte den Anfang zur Fotbringung der Sachen. Um die bessern Klei- dungsstuͤkke zu schonen, hatte auch er einen Ma- trosenanzug angelegt und, stat seiner ehemali- gen Waffen, trug er jezt einen Hirschfaͤnger und zwei geladene Pistolen im Guͤrtel. Er lud zu- erst einige Faͤßchen mit Schießpulver nebst an- dern Sachen auf, fuͤr welche die Naͤsse am mei- sten zu fuͤrchten war; und darauf ging die Reise fort. Der Der Pudel, welcher ihm nie von der Seite kam, begleitete ihn, als ein nicht ganz unnuͤzer Reisegefaͤhrte. Robinson hatte ihm einen Strik ums Leib gebunden und diesen vorn am Karn befestiget, damit er durch Ziehen ihm hel- fen moͤgte. Weil nun die Pudel sehr gelehrige Geschoͤpfe sind; so fand sich auch dieser bald in seinen neuen Beruf, und verrichtete ihn in kur- zer Zeit so gut, als wenn er ein geuͤbter Karn- gaul gewesen waͤre. Auch trug er obenein noch ein Buͤndel mit den Zaͤhnen, welches man ihn zu thun schon vorher gelehrt hatte. Beim Zuruͤkkehren nahm Robinson alle seine zahmen zum Lasttragen schon gebrauchten Lama's mit, um sich ihrer gleichfals zum Fort- schaffen der Sachen zu bedienen. Da ihrer sieben waren, und da jedes derselben eine anderthalb Zentner schwere Last zu tragen vermogte: so koͤnt ihr denken, wie viel die ganze Karawane auf einmahl fortzubringen im Stande war. Da aber so viele Sachen in Robinsons Hoͤhle und Keller keinen Raum hatten: so ward in der Geschwindigkeit noch ein zweites großes Q 4 Zelt Zelt gemacht, welches man auf dem Hofplaze der Burg aufschlug, um bis auf Weiter zum Behaͤlter zu dienen. In acht Tagen war Alles fortgeschaft, einen Haufen Bretter ausgenom- men, die sie zwischen ein dichtes Gebuͤsch getra- gen hatten, um sie vor der Hand daselbst zu lassen. Lotte. Du hast uns ja nichts wieder von der Ziege erzaͤhlt? Vater. Ach, das haͤtt' ich bald vergessen. Nun, die Ziege nahmen sie, wie es sich von selbst versteht, auch mit, und thaten sie in die Verzaͤunung zu den zahmen Lama's, mit denen sie sich recht gut vertrug. — Nun gab's fuͤr Robinson und Freitag der angenehmen Arbeiten viele; und sie wusten kaum, was sie zuerst angreifen solten. Doch machte Ro- binson, der jezt in allen seinen Verrichtungen Ordnung und regelmaͤßige Eintheilung der Ge- schaͤfte liebte, bald einen Unterschied zwischen den noͤthigern und unnoͤthigern Arbeiten, und schrit zuerst zu jenen. Eine der noͤthigsten un- ter allen war die Erbauung eines Schuppens, oder oder einer kleinen Scheune, um diejenigen Sa- chen, welche in der Hoͤhle nicht Raum hatten, bequemer und sicherer zu verwahren, als es un- ter dem Zelte geschehen konte. Da kam es nun darauf an, sich in der Kunst der Zimmerleute zu uͤben, die freilich keiner von ihnen gelernt hatte. Aber was konte dem Fleisse unsers sinreichen Robinsons jezt zu schwer fallen, da er sich im Besiz aller der Werkzeuge sahe, die er noͤthig hatte? Die muͤhseeligsten und ungewohntesten Arbeiten waren ihm jezt ein Spiel, nachdem er mit so vielen andern, ohne Werkzeuge und ohne einen Gehuͤlfen zu haben, gluͤklich zu Stande gekommen war. Das Faͤllen und Behauen der Baͤume, das Zusammenfuͤgen und Aufrichten der Balken, das Aufmauern der Waͤnde von Baksteinen und die Anlegung eines doppelten Daches, eins von Brettern, das andre von Kokusblaͤttern — dies Alles ging mit bewun- dernswuͤrdiger Geschwindigkeit von statten. Jezt stand das Haͤuschen da, und glich den kleinen Wohnungen unserer Landleute. Sehr Q 5 weis- weislich hatte Robinson auch die Fenster aus den Kajuͤten des Schiffes ausgehoben; und diese kamen ihm jezt treflich zu statten, um den in- wendigen Raum des Gebaͤudes zu erhellen, ohne irgend ein Loch offen lassen zu duͤrfen. Das Glas war fuͤr Freitag ein vorzuͤglicher Gegen- stand der Bewunderung, weil er nie dergleichen gesehen hatte und nun erfuhr, was fuͤr eine große Bequemlichkeit es gewaͤhre. Nachdem nun Alles unter Dach und Fach gebracht war, ging Robinson mit dem Ge- danken um, sich einen bequemen Eingang zu sei- ner Burg zu verschaffen, ohne daß sie dadurch von ihrer Festigkeit etwas verlieren moͤgte. Das sicherste Mittel dazu schien ihm die Anlegung ei- nes ordentlichen Thors und einer Zugbruͤkke zu sein. Da er alles, was dazu erfodert wurde — Naͤgel, Ketten, Thuͤrangel, Hespen, Schloͤs- ser u. s. w. — in Ueberfluß hatte, so schritt' er sogleich zur Ausfuͤhrung dieses Vorsazes. Sie machten erst alles, was erfodert wurde, fer- tig; dan wurde eine Oefnung in dem Walle und der Baumwand nach der Groͤsse des schon vol- len- lendeten Thores gemacht, das Thor errichtet und die Zugbruͤkke so angelegt, daß sie, wenn sie aufgezogen ward, das Thor bedekte. Dan wurden die Kanonen, und zwar geladen, auf den Wal gepflanzt, so daß zwei die rechte, zwei die linke Flanke oder Seite, und zwei die Fa- ce, oder die Norderseite der Festung dekten. Und nun konten sie vor jedem Anfalle der Wil- den voͤllig ruhig sein, und hatten zugleich die Bequemlichkeit eines ordentlichen Einganges zu ihrer Wohnung. Jezt war die Zeit zur Erndte gekommen. Robinson bediente sich eines alten Schwerdts stat der Sichel, um den Maiz damit abzumaͤ- hen, und zum Ausgraben der Kartoffeln einer ordentlichen Hakke, die sich unter den geborge- nen Sachen befand. Wie ihnen nun das Alles durch Huͤlfe dieser Werkzeuge von der Hand ging! Es waͤre eine Lust gewesen, es anzusehen, eine noch groͤssere, sich ihnen als Mitarbeiter zu- zugesellen. Hans. Ich haͤtte moͤgen dabei wohl sein, um auch so mit zu arbeiten! Di- Diderich. O deswegen brauchst du nach keiner wuͤsten Insel zu fahren! Es laͤßt sich hier eben so gut arbeiten. Solst nur sehen, was uns Vater immer zu thun giebt, wenn wir Frei- stunden haben! Bald muͤssen wir Holz mit ihm pakken, bald klein gehauenes Holz in die Kuͤche fahren, bald im Garten graben, dan wieder Wasser zum Begiessen tragen, oder Unkraut ausgaͤten — o da giebt es immer genug zu thun! Vater. Und warum fuͤhr' ich denn wohl euch zu solchen Arbeiten an? Johannes. J, daß wir uns gewoͤhnen sollen, niemahls muͤßig zu sein, und weil uns das gesund und stark macht! Christel. Sollen wir denn auch immer mit arbeiten, Vater? Vater. Freilich! Ich werde euch ja nicht weniger lieben, als ich die Andern liebe, und werde euch also ja auch wohl alles das thun lassen, was ich fuͤr eine nuͤzliche Beschaͤftigung halte! Karl. O das ist scharmant! Da wollen wir eben so fleißig sein, als Robinson. Va- Vater. Wohl! Robinson, wie wir wissen, befand sich sehr wohl dabei; und so wer- den wir Alle die seeligen Folgen einer arbeitsa- men Lebensart gleichfals immer mehr erfah- ren. Die Erndte war jezt vollendet. Robinson verfertigte zwei Dreschflegel, lehrte Freitag den Gebrauch derselben, und dan klopften sie den Maiz in einem Tage aus. Sie gewannen zwei Saͤkke vol, welches ohngefaͤhr sechs Scheffel sein mogten. Auf einige Monate hatten sie Schifs- zwiebak vorraͤthig. Da aber dieser alsdan ein Ende nehmen muste, so war Robinson ent- schlossen, das Brodbakken selbst zu versuchen. Eine kleine Handmuͤhle hatt' er mit von dem Schiffe genommen. Es fehlte also nur an einem feinen Siebe, um das Mehl zu sichten und an einem Bakofen, um das daraus geknetete Brod zu bakken. Zu beiden muste Rath werden. Zum Siebe braucht' er ein duͤnnes Nesseltuch, wovon unter den geborgenen Sachen sich ein ganzes Stuͤk befand; und die Anlegung eines ordentli- chen Bakofens machte ihm den wenigsten Kum- mer. mer. Auch mit dieser Arbeit ward er fertig, noch ehe die gewoͤhnliche halbjaͤhrige Regenzeit eintraf. Und nun macht' er einen doppelten Versuch im Brodbakken, indem er einige Brode aus Rokkenmehl, andere aus Mehl von Maiz kne- tete. Die erstern aber waren bei weitem die schmakhaftesten; und Robinsons Entschlies- sung war daher gefaßt. Er beschloß nemlich, stat des tuͤrkischen Waizens, den groͤßten Theil seiner Aekker mit Rokken zu besaͤen, um immer hinlaͤnglichen Vorrath zum Brodbakken zu ha- ben. Dies schien ihm auch fuͤr seine und Frei- tags Haͤnde nicht zu viel Arbeit zu sein, weil sie auf dieser Insel zweimahl in jedem Jahre saͤen und aͤrndten koͤnten. Noch fehlte ihnen etwas, welches sie unter dem Schifsvorrathe nicht mit gefunden hatten, und welches ihnen gleichwohl sehr nuͤzlich gewe- sen waͤre, nemlich — ein Paar ordentliche Spa- ten von Eisen. Zwar hatte Freitag dergleichen aus hartem Holze geschnizt, aber besser ist doch besser, und mit einem eisernen Spaten kan man na- natuͤrlicher Weise noch mehr beschikken, als mit einem hoͤlzernen. Da nun Robinson fest ent- schlossen war, kuͤnftig den Akkerbau, als die an- genehmste und nuͤzlichste Arbeit unter allen, zu seiner bestaͤndigen Hauptbeschaͤftigung zu machen: so ging er mit dem Gedanken um, auch eine Schmiede anzulegen, um Spaten und vielleicht noch andere noͤthige Werkzeuge selbst zu verfer- tigen. Dieser Einfal war nicht so kuͤhn, als er euch vielleicht vorkommen mag: denn alles, was zu einer Schmiede gehoͤrt, fand sich unter seinem Vorrathe. Es waren nemlich darunter ein klei- ner Amboß , verschiedene Zangen , ein ziem- lich großer Blasebalg und so viel theils altes, theils noch unverarbeitetes Eisen , daß er wahr- scheinlicher Weise fuͤr sein ganzes Leben genug daran hatte. Der Vorsaz ward also auf der Stelle ausgefuͤhrt. Durch Huͤlfe eines groͤssern Daches von Bret- tern, welches sie uͤber der Kuͤche anbrachten, ward diese so sehr erweitert, daß sie zugleich zur Schmiede dienen, und auch beim Regenwetter darin darin gearbeitet werden konte. Sie verwand- ten also einen Theil der eingefallenen nassen Jahrszeit auf Schmiedearbeit; und auch diese muste ihnen, nach einigen wenigen vergeblichen Versuchen, gar treflich gelingen. Da die Spa- ten fertig waren, ging Robinson noch weiter und versuchte, ob er nicht auch gar einen Pflug erfinden koͤnte, der ihren Kraͤften angemessen waͤre? Er erfand ihn und seine Freude daruͤber war sehr groß. Dieser Pflug war von den Unsrigen freilich sehr verschieden; er bestand aus einem einzigen krummen Ast von einem Baume, an dessen ei- nem auf der Erde ruhenden krummen Ende die Pflugschaar befestiget war, nebst einer Hand- hebe, womit der Fuͤhrer des Pflugs ihn regie- ren und nach seinem Willen lenken konte; an das andere Ende hingegen haͤtten Ochsen oder Pferde gespant werden koͤnnen, wenn sie deren gehabt haͤtten. So aber war diese Stelle einem von ihnen selbst vorbehalten. Kurz, dieser Pflug hatte volkommen die Gestalt von demjenigen, dessen die alten Griechen sich zu bedienen pfleg- ten, ten, da sie anfingen, sich auf den Akkerbau zu legen und wovon ich euch hier eine Zeichnung zeigen kan. Ferdinand. Das ist ja ein kuͤrioͤser Pflug! Konrad. Waren denn keine Raͤder daran? Vater. Nein, wie du siehst. So ein- fach und ungekuͤnstelt, als dieser Pflug, sind anfangs alle andere Werkzeuge auch gewesen. Nach und nach nahmen die Menschen eine vor- theilhaftere Einrichtung nach der andern wahr, aͤnderten, verbesserten, und befoͤrderten so im- mer mehr und mehr den Nuzen und die Be- quemlichkeit eines jeden Dinges, dessen sie zu ih- ren Arbeiten bedurften. R In- Indeß hatte Robinson alle Ursache, sich uͤber diese seine Erfindung zu freuen, besonders da sie so ganz sein eigenes Werk war, weil er die Zeich- nung davon niemahls gesehen hatte. Es sind, so viel man weiß, erst viele Jahrhunderte ver- flossen, bevor die Menschen darauf verfielen, ein so einfaches Werkzeug, als dieser Pflug ist, zu erfinden; und die Erfinder desselben wurden von ihren Nachkommen fuͤr so ausserordentlich kluge Menschen gehalten, daß man ihrem An- denken sogar goͤtliche Ehre erwies. Weißt du noch, Johannes, wen die Egipzier fuͤr den Er- finder des Pflugs hielten? Johannes. O ja! Den Osiris , den sie deswegen nachher, als einen Gott, anbeteten. Vater. Die Phoͤnizier schrieben diese nuͤz- liche Erfindung einem gewissen Dagon zu, den sie deswegen auch fuͤr ein ausserordentliches We- sen hielten und ihn einen Sohn des Him- mels nanten. Nikolas. Aber haͤtte Robinson nicht die Lama's zum Pfluͤgen brauchen koͤnnen? Va- Vater. Anfangs zweifelte er, ob sie brauch- bar dazu sein wuͤrden, weil sie mehr zum Tra- gen, als zum Ziehen gemacht zu sein schienen. Indeß wolt' er doch auch dieses nicht unversucht lassen; und siehe! der Erfolg uͤbertraf seine Hof- nung. Die Thiere lernten nach und nach sich darein schikken; und endlich ging das Geschaͤft so gut von statten, als wenn Robinson und Frei- tag ausgelernte Landleute und die Lama's Och- sen oder Esel gewesen waͤren. Nun fehlte ihnen zur ordentlichen Bestellung des Akkers nur noch ein Werkzeug, dessen sie nicht fuͤglich entbehren konten, und welches sie gleichwohl auf dem Schiffe nicht vorgefunden hatten. Ferdinand. Ich weiß schon, was das fuͤr eins war! Vater. Und welches meinst du denn? Ferdinand. Eine Egge. Vater. Getroffen! Ohne diese kan das Land nicht wohl bestelt werden, weil man durch Huͤlfe derselben die dikken Erdschollen erst zer- truͤmmern muß, damit der eingestreute Same R 2 in in ein lokkeres Erdreich zu liegen komme, und mit Erde bedekt werde. Robinson schmiedete erst so viel eiserne Zakken, als er dazu noͤthig zu haben glaubte. Dan kam er, nach einigen vergeblichen Versu- chen, auch mit dem hoͤlzernen Gestelle zu Stan- de, worin diese Zakken befestiget werden musten. Endlich bohrte er in dieses Gestel so viel Loͤcher, als die Egge Zaͤhne haben solte, schlug die eiser- nen Zakken da hinein, und die Egge war fer- tig. Er saͤete nun, nach geendigter Regenzeit, zwei Scheffel Rokken, einen Scheffel Gerste, und einen halben Scheffel Erbsen aus; und hat- te nach fuͤnf Monaten die Freude, zwoͤlfmahl so viel wieder einzuaͤrndten, nemlich vier und zwanzig Scheffel Rokken, zwoͤlf Scheffel Ger- ste, und sechs Scheffel Erbsen; welches weit mehr war, als er und sein Freitag in einem halben Jahre verzehren konten. Aber, als ein kluger Hausvater, war er darauf bedacht, von Allem immer etwas uͤbrig zu haben, weil Zeiten des Mißwachses einfallen, oder seine Erndte ein- mahl mahl durch Hagel oder andere Zufaͤlle zernichtet werden konte. Er beschloß daher ein ordentli- ches Getraidemagazin anzulegen, worin immer von einem halben Jahre zum andern ein zu ih- rem Unterhalte hinlaͤnglicher Vorrath waͤre, auf den Fal, daß einmahl eine Erndte verloren ginge. In dieser Absicht rissen sie, bei anhaltender klarer Witterung das Dach des Schuppens wie- der ein, um noch ein zweites Stokwerk darauf zu sezen, welches zum Kornboden dienen solte. Dies kostete nun freilich schon mehr Kunst und Muͤhe, als die Errichtung des ersten Stoks ge- kostet hatte, aber ihr anhaltender unverdrosse- ner Fleiß uͤberwand alle Schwierigkeiten; und das Werk ward vollendet. Die Ziege hatte unterdeß zwei Junge gewor- fen, so daß nun auch diese Art von Thieren auf der Insel fortgepflanzt werden konte. Der Pu- del diente ihnen zum Nachtwaͤchter; und Pol, der Papagai, war ihr Geselschafter bei Tische, oft auch bei der Arbeit. Die Lama's hingegen waren ihnen nun schaͤzbarer, als jemahls: weil R 3 sie sie ihnen nicht nur Milch, Kaͤse und Butter ga- ben; sondern auch das Feld beakkern halfen. Zu Robinsons volkommener Gluͤkseeligkeit fehlte also weiter nichts mehr, als — was meint ihr? Gotlieb. Daß er nicht bei seinen Eltern war! Vater. Und — daß ihrer nur zwei wa- ren, wovon der Eine uͤber kurz oder lang ster- ben und den Andern wieder als einen armen, von allen Menschen getrenten Einsiedler zuruͤk lassen muste. Doch Robinson hielt es fuͤr Suͤnde, sein Leben dadurch zu verbittern, daß er sich vor Ungluͤksfaͤllen fuͤrchtete, die erst in der Zukunft moͤglich waren. Der Gott, dacht' er, der bis hieher immer Rath gewust hat, wird auch ferner helfen koͤnnen. Und so verfloß ihm jezt jeder seiner Tage in ungestoͤrter Zufriedenheit, weil er nunmehr Ruhe von innen und Ruhe von Aussen hatte. Und zu diesem Zustande verhelfe Gott euch Allen! — Die Mutter sagte: amen! und die Gesel- schaft ging aus einander. Sechs Sechs und zwanzigster Abend. Vater. N un, Kinder, diesmahl hab' ich euch recht viel zu erzaͤhlen! Alle. O herlich! herlich! Vater. Wenn ich nur an einem Abend damit fertig werden kan! Einige. O wir wollen Vater auch gar nicht unterbrechen; da wird's gewiß gehen. Vater. Nun, ich wil's versuchen. Be- reitet euch also immer zu einem neuen fuͤrchter- lichen Auftritte, von dem man noch nicht wissen kan, wie er ablaufen werde. (Die Kinder druͤkten einander ihre Vermu- thung durch eine Pantomime aus.) Wenn ich jezt fortfahren wolte euch alles das zu erzaͤhlen, was Robinson und Freitag durch Huͤlfe ihrer Werkzeuge taͤglich machten: so wuͤrd' R 4 euch euch wohl kein sonderlicher Gefalle damit gesche- hen? Johannes. O ja; aber das laͤßt sich ja wohl von selbst denken! Vater. Ich begnuͤge mich also, nur zu sagen, daß sie nach und nach fast alle Handwer- ker — den Bekker, Schmied, Schneider, Schuster, Zimmerman, Tischler, Radma- cher, Toͤpfer, Gaͤrtner, Akkersman, Jaͤger, Fischer — und noch viel andere so gluͤklich nach- ahmten, daß sie hunderterlei Dinge machen lern- ten, wozu wir andern europaͤischen Faullenzer der Huͤlfe eben so vieler Menschen beduͤrfen. Ihre Kraͤfte wuchsen in eben dem Grade, in welchem sie dieselben anstrengten; und auch ihr Gemuͤth wurde unter einer bestaͤndigen nuͤzlichen Geschaͤftigkeit je laͤnger je heiterer, je laͤnger je besser. Ein Beweis, daß der liebe Gott uns zu einer solchen Geschaͤftigkeit wohl recht eigent- lich geschaffen haben muß, weil wir allemahl ge- suͤnder, besser und gluͤklicher darnach werden. Mehr als ein halbes Jahr war nun unter sol- chen angenehmen Verrichtungen dahin geflossen, ohne 0hne daß Freitag esgewagt hatte, seinen Herrn an die Reise nach seiner Heimath zu erinnern; ob er gleich oft, nach vollendeter Arbeit, auf den Berge lief, von wannen er nach der Gegend seiner Geburtsinsel hinse- hen konte, und dan allemahl, wie ein Traͤumen- der, in tiefen Gedanken da stand und das Ungluͤk beseufzte, von seinem Vater vielleicht auf immer getrent zu sein. Robinson hingegen wolte bis dahin mit Fleiß nicht davon reden, weil er den Wunsch seines Freundes doch nicht eher erfuͤllen konte, bis sie mit den noͤthigsten Einrichtungen, welche ihre neue Lebensart erforderte, wuͤrden fertig geworden sein. Jezt war das Noͤthigste gethan; und nun war Robinson der erste, welcher in Vorschlag brachte, daß sie wieder ein Schif bauen wolten, um Freitags Vater abzuhohlen. Die Freude des guten Burschen uͤber diese erfreuliche Nach- richt war wieder eben so groß, als neulich und seine Dankbarkeit gegen Robinson aͤusserte sich gleichfals auf die nemliche Weise. Die Arbeit wurde also gleich am naͤchsten Morgen angefan- R 5 gen, gen, und ging nun, wie natuͤrlich, zehnmahl geschwinder und besser von statten, als das erste mahl. Eines Morgens, da Robinson mit haͤus- lichen Verrichtungen beschaͤftiget war, schikt' er Freitag nach dem Strande, um eine Schild- kroͤte zu suchen, weil sie von diesem angenehmen Gerichte schon in langer Zeit nicht genossen hat- ten. Dieser war noch nicht lange weg gewesen, als er ploͤzlich wieder zuruͤkflog und vom Laufen und Schrekken so ganz ausser Athem war, daß er nur mit stamlender Zunge die Worte hervor- bringen konte: sie sind da! da! Robinson erschrak und fragte eiligst, wer denn da waͤre? „ O Herr! O Herr! antwortete Freitag, ein, zwei, drei, sechs Kanoes! „ Er konte in der Angst die Zahl sechs nicht gleich finden. Robinson kletterte geschwind den Huͤgel hinauf und erblikte nicht ohne Grausen, was Freitag gesagt hatte, — sechs Kaͤhne vol Wil- den, die eben im Begrif waren, zu landen. Er stieg hierauf hurtig wieder hinab, sprach dem zit- zitternden Freitag Muth zu und fragte ihn dan: ob er entschlossen waͤre, ihm treulich bei- zustehen, fals es zwischen ihnen und den Wilden zu einem Gefechte kommen solte? „ Mit Leib und Leben!„ antwortete dieser, der sich unterdeß schon wieder erhohlt hatte, und seine kriegerische Tapferkeit zuruͤk rief. „Wohl denn, sagte Robinson, so wollen wir versu- chen, ob wir die Unmenschen verhindern koͤnnen, ihr abscheuliches Vorhaben auszufuͤhren. Meine Absicht wil ich dir unterweges sagen; jezt ist kei- ne Zeit zum Reden, sondern zum Thun. Hiermit zog er eine der kleinen Kanonen vom Walle herunter, die auf Radern ruhete; hohl- te sechs scharf geladene Flinten, vier Pistolen und zwei Saͤbel hervor. Jeder von ihnen stekte zwei Pistolen und einen Saͤbel in den Gurt, nahm drei Flinten auf die Schulter, und spante sich vor die Kanone, nachdem sie mit Kugeln, Schroot und Pulver sich hinlaͤnglich versorgt hatten. So ging der kriegerische Zug in stiller, furchtbarer Feierlichkeit zum Thor hinaus. Nach- Nachdem sie uͤber die Zugbruͤkke gegangen waren, machten sie Halt. Dan muste Freitag wieder, umkehren, um die Zugbruͤkke aufzuzie- hen, das Thor zu verschliessen und durch Huͤlfe der Strikleiter, die noch immer den Fels herab hing, sich mit dem Heerfuͤhrer wieder zu verei- nigen. Diese Vorsichtigkeit wandte Robinson auf den Fal an, daß ihr Unternehmen einen un- gluͤklichen Ausgang haͤtte; damit die Feinde sich alsdan ihrer Burg nicht bemaͤchtigen moͤgten. Und nun eroͤfnete Robinson seinen wohl- uͤberdachten Plan. „Wir wollen, sagt' er, um den Berg herum durch den Wald, wo er am dichtesten ist, marschiren, damit der Feind keine Kundschaft von uns bekomme. Dan wol- len wir uns ihnen in dem dikken Gebuͤsche, wel- ches sich beinahe bis an den Strand erstrekt, so sehr naͤhern, als wir, ohne gesehen zu werden, nur immer koͤnnen, und wenn wir bis dahin ge- kommen sind, wollen wir ploͤtzlich eine Kanonen- kugel uͤber ihre Koͤpfe hinschiessen. (Er hatte in dieser Absicht eine brennende Lunte mitgenom- men.) Vermuthlich werden die Barbaren da- durch durch so sehr erschrekt werden, daß sie ihre Beu- te im Stiche lassen und sogleich in ihren Boͤten die Flucht ergreifen.„ Freitag fand dies sehr wahrscheinlich. „Dan, fuhr Robinson fort, werden wir die Freude geniessen, die Ungluͤklichen, die sie braten wolten, gerettet zu haben, ohne daß ein einziger Tropfen Menschenbluts dabei vergossen worden ist. Solte aber, wider Vermuthen, unsere Hofnung fehlschlagen; solten die Kaniba- len auf ihre Menge trozen und sich nicht zur Flucht verstehen wollen: dan, lieber Freitag, muͤssen wir zeigen, daß wir Maͤnner sind, und der Gefahr, der wir uns in der besten Absicht ausgesezt haben, muthig entgegen gehen. Der, welcher alles sieht, weiß, warum wir unser Le- ben wagen, und wird es uns gewiß erhalten, wenn's uns nuͤzlich ist. Sein Wille geschehe!„ Er reichte hierauf seinem Mitstreiter die Hand, und beide gelobten sich einen gegenseiti- gen treuen Beistand bis auf den lezten Bluts- tropfen. Mitler- Mitlerweile waren sie mit leisen Schritten beinahe bis ans Ende des Gebuͤsches gekommen, und machten Halt. Hier fluͤsterte Robinson seinem Gefaͤhrten ins Ohr, er solte so vorsichtig, als moͤglich, sich hinter einen großen Baum schleichen, den er ihm zeigte, und ihm Bescheid bringen, ob man von da aus den Feind uͤberse- hen koͤnte. Freitag kam mit der Nachricht zu- ruͤk, daß man sie alda volkommen gut beobach- ten koͤnte; sie saßen alle ums Feuer herum und nagten an den gebratenen Gebeinen des Einen der Gefangenen der schon geschlachtet waͤre; ein Zwei- ter liege in einiger Entfernung gebunden auf der Erde, und den wuͤrden sie nun auch bald abschlach- ten; dieser Schiene aber keiner von seiner Na- zion, sondern ein weisser baͤrtiger Man zu sein. Robinson gluͤhete, besonders da er von dem weissen Manne hoͤrte. Er hatte ein von dem Schiffe gerettetes Fernglas zu sich gestekt; mit diesem schlich er selbst nach dem Baume und fand was Freitag ihm berichtet hatte. Vier- zig bis funfzig Kanibalen saßen um das Feuer herum herum und den noch uͤbrigen Gefangenen erkant' er ganz deutlich fuͤr einen Europaͤer . Nun hatt' er Muͤhe sich zu halten. Sein Blut fing an zu kochen; sein Herz pochte laut, und wenn er seiner Begierde haͤtte folgen wol- len, so waͤr' er unvorzuͤglich hervorgesprungen, um ein Blutbad unter ihnen anzurichten. Aber die Vernunft galt ihm mehr, als blinde Leiden- schaft; von ihr also ließ er sich leiten und hielt seinen Unwillen im Zaum. Das Gebuͤsch lief an einer andern Stelle et- was weiter hervor; dahin wandt' er sich also; pflanzte die Kanone hinter den lezten Busch, welcher eine kleine, von fern unbemerkbare Oef- nung hatte, und richtete sie so, daß die Kugel hoch uͤber den Koͤpfen der Wilden hinfliegen mu- ste, um ihnen kein Leides zuzufuͤgen. Dan fluͤ- sterte er Freitag ins Ohr: er solte ihm alles genau nachmachen. Hierauf legt' er zwei Flinten auf die Erde und die dritte behielt er in der Hand; Freitag that ein Gleiches. Dan hielt er die brennende Lunte Lunte auf das Zuͤndloch der Kanone und puf! — fuhr der Schuß dahin. In dem Augenblikke, daß der Knal gehoͤrt wurde, stuͤrzten die meisten Wilden von ihrem Rasensize zur Erde, als wenn sie mit einem mah- le alle waͤren erschossen worden. Robinson und Freitag hingegen standen vol Erwartung des Ausganges und hielten sich, fals es sein muͤste, bereit zum Kampfe. Nach einer halben Minute waren die betaͤubten Wilden wieder auf den Fuͤßen. Die Furchtsamsten unter ihnen ran- ten nach den Kaͤhnen, die Herzhafteren hinge- gen ergriffen die Waffen. Zum Ungluͤkke hatten sie von dem Kanonen- schusse, weder den Bliz des Pulvers, noch die uͤber sie hinfliegende Kugel wahrgenommen; son- dern nur allein den Knal gehoͤrt. Ihr Schrek- ken war daher auch nicht so groß, als man er- wartet hatte; und da sie nun rund um sich her- blikten, und nirgends etwas sahen, welches sie von neuem haͤtte erschrekken koͤnnen: so fingen sie ploͤzlich an, sich wieder zu erhohlen; die Fluͤcht- linge kehrten zuruͤk; Alle erhoben ein fuͤrchterli- ches ches Geheule und begannen, indem sie unter den grimmigsten Gebehrden ihre Waffen schwenkten, den ihnen gewoͤhnlichen Kriegestanz. Noch stand Robinson unentschlossen da, bis der Kriegestanz geendiget war. Als er aber darauf zu seinem Erstaunen sehen mußte, daß die wilde Geselschaft sich wieder lagerte und zwei von ihnen hingesandt wurden, um den armen Europaͤer herbei zu hohlen; war es ihm unmoͤg- lich laͤnger unthaͤtig zu bleiben. Er blikte Frei- tag an und fluͤsterte ihm blos die Worte zu: du zur Linken, und ich zur Rechten! Und nun in Gottes Nahmen! Mit diesen Wor- ten brandt' er seine Flinte los; und Freitag that ein Gleiches. Freitag hatte besser, als Robinson selbst gezielt; denn auf der linken Seite des Feuers stuͤrzten fuͤnf, auf der rechten nur drei nieder. Drei davon waren wirklich erschossen, fuͤnf hin- gegen nur verwundet. Die Bestuͤrzung, mit der nun Alle, die noch unbeschaͤdigt waren, auf- sprangen und davon liefen, war unbeschreiblich. Einige ranten hier hin, die Andern dorthin und S er- erhoben ein recht fuͤrchterliches Geheule. Ro- binson wolte jezt hervorspringen, um sie mit dem Saͤbel in der Faust voͤllig in die Flucht zu jagen, und seinen armen gebundenen Landsman zu befreien: aber zu seinem Erstaunen must er sehen, daß ein Trup der Fliehenden sich ploͤzlich wieder sammelte, und Anstalt zur Vertheidi- gung machte. Er ergrif also in der groͤßten Ge- schwindigkeit eine zweite Flinte und Freitag that abermahl ein Gleiches. „Bist du fertig?„ fragte Robinson; und da er ein Ja! zur Antwort erhielt, druͤkt' er wieder los und Frei- tag folgte seinem Beispiele. Diesmahl fielen nur zwei; es wurden aber so viele verwundet, daß sie mit Schreien und Heulen, als sinlose Menschen herum liefen, zum Theil blutig, zum Theil sehr hart verwundet. Von den Leztern stuͤrzten bald darauf noch drei, wiewohl nicht voͤllig todt; zur Erde. „Nun, Freitag! schrie Robinson, in- dem er die losgeschossene Flinte wegwarf und die noch geladene dritte ergrif, hervor! Mit die- sen Worten sprangen beide aus dem Gebuͤsch auf den den freien Plaz und Robinson flog zuerst nach dem armen Schlachtopfer, um ihn seine Erloͤ- sung anzukuͤndigen. Indem er bei ihm ankam, bemerkt' er daß Einige der fluͤchtigen Wilden bei seinem Anblikke stuzten; sich von neuem sammel- ten und zum Kampfe ruͤsteten. Er winkte sei- nem Gefaͤhrten, dieser verstand ihn, lief etwas naͤher hinzu, gab Feuer, und sahe zwei von ih- nen stuͤrzen. Robinson schnit unterdeß mit einem Mes- ser die Strikke von Binsen los, womit der Ge- fangene an Haͤnden und Fuͤßen gar jaͤmmerlich zusammen geschnuͤrt war. Er fragte ihn auf deutsch und englisch: wer er waͤre? und der Ge- fangene antwortete auf lateinisch: Christianus , ein Christ! Hispanus , ein Spanier! Mehr kont' er nicht vorbringen, so schwach fuͤhlt' er sich. Robinson hatte zum Gluͤk auf den Fal einer Verwundung ein Flaͤschchen vol Wein zu sich gestekt. Von diesem gab er dem Spanier zu trinken, und da er sich dadurch ploͤzlich gestaͤrkt fuͤhlte: so reichte ihm Robinson eine seiner Pistolen, nebst dem Saͤbel, damit er helfen S 2 moͤg- moͤgte, dem Gefechte ein Ende zu machen. Freitag muste unterdeß eilends die losgeschosse- nen Flinten herbei hohlen, um sie von neuem zu laden. Der Spanier hatte kaum die Pistole und den Saͤbel in Haͤnden, als er, wie eine Furie, auf seine Moͤrder losrante, und in einem Hui! zwei derselben erlegte. Freitag erhielt, um ihm beizustehen, die noch geladene sechste Flinte und Robinson lud unterdeß die Uebrigen. Die beiden Streiter fanden Widerstand und wurden bald von einander getrent, indem es zwischen dem Spanier und einem Wilden zum Handgemenge kam, und Freitag, nachdem er die Flinte ab- geschossen hatte, mit dem bloßen Saͤbel in der Faust einen ganzen Schwarm der Fluͤchtlinge vor sich hintrieb. Einige hieb er nieder, Andere sprangen ins Wasser, um nach ihren Kanoes zu schwimmen, und noch andere flohen in das Ge- buͤsch. Der Spanier hatte unterdeß einen harten Stand. Zwar war er troz seiner Mattigkeit, so tapfer auf den Wilden losgegangen, daß die- ser ser schon zwei schwere Hiebe von ihm in den Kopf bekommen hatte: aber nun wurde auch der Wil- de wuͤthend und drang mit seinem schweren stei- nernen Schlachtschwerdte so heftig auf ihn los, daß dieser kaum im Stande war, den Hieben desselben auszubeugen. Endlich faßte ihn der Wilde, warf ihn zu Boden, wandte ihm das Schwerdt aus den Haͤnden, und wolte ihm eben damit den Kopf vom Rumpfe hauen, als Ro- binson gluͤklicher Weise die Gefahr bemerkte und dem Kanibalen eine Kugel durch den Kopf jagte. Der Spanier war kaum wieder aufgesprun- gen, als er eine der wieder geladenen Flinten er- grif, um denen nach zu laufen, welche in das Ge- buͤsch fluͤchteten und Freitag geselte sich zu ihm. Da dieses nur wenige und noch dazu groͤßtentheils Verwundete waren: so hielt Robinson es fuͤr besser auf dem Schlachtfelde zuruͤk zu bleiben, als gleichfals nach zu laufen, um die Bewegung der noch uͤbrigen Feinde, die nunmehr in ihren Kaͤhnen waren, zu beobachten. Es waͤhrte nicht lange, so kehrten seine beiden Mitstreiter S 3 zuruͤk zuruͤk mit der Nachricht, daß im Gebuͤsch kei- ner mehr uͤbrig sei. Beide wolten unverzuͤglich in einen der zu- ruͤkgelassenen Kaͤhne springen, um denjenigen nachzueilen, die mit vollen Segeln zu entfliehen suchten; aber Robinson hielt sie zuruͤk und sagte: genug, meine Freunde! Wir haben des Menschenbluts schon mehr vergossen, als wir vielleicht gesolt haͤtten. Moͤgen die Uebrigen doch leben, da sie, uns zu schaden, weder Vorsaz noch Vermoͤgen mehr haben. „Aber, sagte Freitag, sie werden viel- leicht mit groͤsserer Manschaft zuruͤkkommen, wenn wir sie entfliehen lassen!„ Nun, antwortete Robinson, indem er ihm freundlich auf die Schulter klopfte, so ist unser Heer ja auch um ein Drittel groͤsser, als es die- sen Morgen war; und zeigte dabei auf den Spa- nier. Jezt koͤnnen wir es immer mit einer gan- zen Legion dieser Armseeligen aufnehmen, beson- ders wenn wir ihren Anfal hinter Wal und Mau- er erwarten wollen. Lot- Lotte. Das war doch wieder recht schoͤn von Robinson, daß er die andern Wilden nicht auch todt machen wolte! Vater. Allerdings war das gut ge- handelt; denn grausam wuͤrd' es gewesen sein, ohne dringende Noth ein Einziges dieser armen Geschoͤpfe zu erwuͤrgen, die gar keinen Begrif davon hatten, daß das, was sie thaten, etwas Boͤses sei, und die sogar in dem traurigen Ir- thume standen, daß es etwas Verdienstliches sei, recht viele Feinde geschlachtet und verzehrt zu haben. Christel. O das haͤtten sie doch auch wohl wissen koͤnnen, daß das nicht huͤbsch sei! Vater. Und woher, lieber Christel, haͤt- ten sie das denn wohl wissen koͤnnen? Christel. O das weiß ja das kleinste Kind, daß es nicht recht ist, einen umzubringen, um ihn aufzuessen! Vater. Aber woher weiß denn dieses das kleinste Kind? Nicht wahr, weil es fruͤhzeitig belehrt worden ist? Christel. Ja! S 4 Va- Vater. Und wenn's nun nicht belehrt wor- den waͤre? Wenn sogar seine Eltern und andere erwachsene Menschen, die es liebte und ehrte, ihm von fruͤher Kindheit an immer vorgesagt haͤtten, daß es etwas sehr schoͤnes sei, seine Feinde zu ermorden und aufzuessen? Christel. Ja denn — Vater. Nicht wahr, dan wuͤrd' es wohl schwerlich einem Kinde jemahls einfallen, das Gegentheil zu vermuthen? Es wuͤrde vielmehr, sobald es groß genug dazu waͤre, mit schlachten und mit verzehren helfen. Und das war der Fal, worin diese armen Wilden sich befanden. Wohl, uns, daß Gott uns nicht unter ihnen, sondern von gesitteten Eltern hat lassen geboren werden, die uns fruͤhzeitig lehrten, was recht und unrecht, was gut und boͤse sei! Unser menschenfreundlicher Held ging jezt mit Traͤnen des Mitleids im Auge auf dem Schlacht- felde umher, um zu sehen, ob nicht Einem oder dem Andern von denen, die noch lebten, viel- leicht noch geholfen werden koͤnte? Aber die Mei- sten waren schon verschieden; und die uͤbrigen star- starben bald unter seinen Haͤnden, indem er ih- nen Wein in die Wunden goß und sie auf alle Weise zu ermuntern suchte. Es waren der Tod- ten uͤberhaupt ein und zwanzig. Die siegende Armee betreffend, so war kein Man von ihr ge- fallen, nicht einmahl einer verwundet worden; nur daß der Spanier, da er zu Boden gewor- fen war, eine Beule davon getragen hatte. Mathias. Wie mogte denn der Spanier den Wilden in die Haͤnde gefallen sein? Vater. Darnach zu fragen, hat Robin- son noch nicht Zeit; also muͤssen wir gleichfals unsere Neugierde bis Morgen sich gedulden las- sen. Alle. O schon wieder aus? S 5 Sie- Sieben und zwanzigster Abend. Mathias. N a, Vater, wie war denn der Spanier un- ter die Wilden gekommen? Vater. Nur noch ein wenig Geduld, so wirst du's hoͤren! Es hat sich unterdeß noch et- was Anderes ereignet, welches ich zuerst erzaͤh- len muß. Johannes. Nun, das sol mich wundern! Vater. Robinson war neugierig, einen der beiden zuruͤkgelassenen Kanoes zu besichtigen; trat also hinzu und fand in einem derselben zu seiner großen Verwunderung noch einen ungluͤk- lichen Menschen liegen, der so, wie der Spa- nier, an Haͤnden und Fuͤßen fest geknebelt war. Er schien mehr todt, als lebendig zu sein. Robinson eilte, seine Bande aufzuloͤsen, und wolte ihm aufhelfen. Allein er war weder im im Stande zu stehen, noch zu reden, sondern winselte nur erbaͤrmlich, weil er vermuthlich in der Meinung stand, daß man ihn jezt zur Schlachtbank fuͤhren wolte. Da dieser kein Europaͤer, sondern ein Wil- der war: so rief Robinson seinen Freitag herbei, der eben die todten Koͤrper zusammen schlepte, um in seiner Landessprache mit ihm zu reden. Aber kaum hatte dieser ihn recht ins Auge gefaßt, so erfolgte ein Auftrit, dem Ro- binson und der Spanier nicht ohne Traͤnen beiwohnen konten. Freitag war nemlich auf einmahl, wie ausser sich. Er flog dem Gefan- genen in die Arme, kuͤßte, druͤkte ihn, schrie, lachte, huͤpfte, tanzte, weinte, rang die Haͤn- de, zerschlug sich Gesicht und Brust, schrie wie- derum und bezeigte sich durchaus, als ein Wahn- wiziger. Es dauerte eine gute Weile, ehe Ro- binson auf sein wiederhohltes Fragen, die Antwort von ihm heraus brachte: mein Va- ter! Es ist unmoͤglich alle Aeusserungen der Ent- zuͤkkung und der kindlichen Liebe dieses guten Bur- Burschen zu beschreiben. Zwanzig mahl sprang er aus dem Kahne und wieder in den Kahn. Bald sezt' er sich nieder, machte seine Jakke auf und legte seines Vaters Kopf an seine Brust, um ihn zu erwaͤrmen; bald rieb er ihm die Ar- me und Knoͤchel, welche von dem festen Bin- den steif geworden waren; bald fiel er ihm wie- der um den Hals oder um den Leib und bedekte ihn mit liebevollen Kuͤssen. Robinson hatte noch etwas Wein in der Flasche, womit er ihn die angelaufenen Gliedmaßen seines Vaters be- streichen ließ; und ging, um ihn seiner Freude ganz zu uͤberlassen, ein wenig auf die Seite. Da er nach einer guten Weile zuruͤkkam, fragt' er ihn: ob er seinem Vater nicht ein bischen Brod gegeben haͤtte? „Der Schlingel hat alles selber aufgegessen!„ antwortete Freitag, in- dem er auf sich selbst wies. Robinson reichte ihm darauf sein eigenes Fruͤhstuͤk, welches er noch in der Tasche hatte, und Freitag gab es seinem Vater. Kaum hatt' er dies gethan, so sahe man ihn eiligst aus dem Kahne springen, und mit der Geschwindigkeit des Sturmwindes da- von von laufen. Ehe Robinson Wohin? aus- sprechen konte, war er ihm schon aus dem Ge- sichte. In kurzer Zeit sahe man ihn zuruͤk kommen, jedoch viel langsamer, als er hingelaufen war. Da er naͤher kam, zeigt' es sich, daß er in der einen Hand einen irdenen Krug mit Wasser, in der andern etwas Brod und Kaͤse trug. Jenes reicht' er seinem Vater, dieses seinem Herrn, um ihn fuͤr das abgetretene Fruͤhstuͤk schadlos zu halten. Das frische Wasser erquikte den Alten zusehends, weil er vor Durst beinahe ohnmaͤch- tig gewesen war. Jezt wandte sich Robinson zu dem Spa- nier, der sich ganz kraftlos ins Gras gestrekt hatte. Er ließ ihn gleichfals durch Freitag traͤnken und bot ihm etwas Brod und Kaͤse zur Erquikkung an. Dieser blikte mit freundlicher Dankbarkeit zu ihm auf; versuchte aufzustehen, aber es war ihm unmoͤglich; so viel Schmerzen empfand er in den Knoͤcheln der Haͤnde und Fuͤs- se, die von dem starken Binden sehr angeschwol- len waren. Freitag muste sich neben ihm se- zen, zen, um sie ihm gleichfals mit etwas Wein sanft zu reiben, so wie er vorher seinem Vater gethan hatte. Da war es nun sehr ruͤhrend anzusehen, wie dieser gute Sohn waͤhrend des ihm aufge- tragenen Geschaͤftes alle Augenblikke den Kopf nach seinem Vater hindrehete, um zu sehen, was er mache? Einmahl, da der Alte, um bes- ser auszuruhen, sich ganz niedergelegt hatte, flog Freitag, ohne ein Wort zu sagen, so geschwind zu ihm hin, daß man kaum bemerken konte, daß er den Boden beruͤhrte; kehrte aber augenbliklich wieder zuruͤk, so bald er gesehen hatte, daß sein Vater sich nur aus Gemaͤchlichkeit ein wenig nie- dergelegt habe. Dan wolte Robinson versu- chen, ob er mit Freitags Huͤlfe den Spanier nach dem Kahne fuͤhren koͤnte: aber Freitag, als ein junger starker Kerl, nahm den ganzen Spanier, als eine Kleinigkeit, auf den Ruͤkken, und trug ihn allein dahin. Nachdem sie darauf die Kanonen, und die Flinten, nebst den erbeu- teten Waffen der Erschlagenen in den andern Kahn gebracht hatten, sprang Freitag wieder in den er- ersten, und ruderte, ohngeachtet ein starker Wind zu wehen angefangen hatte, so schnel da- mit fort, daß Robinson nicht so geschwind am Strande laufen konte, als jener schifte. Die- ser war daher noch nicht auf die Haͤlfte des We- ges gekommen, als er Freitag schon wieder bei sich vorbei zuruͤk rennen sahe, um auch den an- dern Kahn herbei zu hohlen; und ehe noch Ro- binson an dem Orte anlangen konte, wo der erste Kahn mit den Kranken lag, war Freitag mit dem andern auch schon da. So groß war die Geschwindigkeit, mit welcher dieser laufen und rudern konte! Jezt waren sie der Burg gegen uͤber. Um die Fortbringung der beiden Kranken zu erleich- tern, lief Robinson hin, eine Tragbahre zu holen. Auf diese wurde Einer nach dem An- dern gesezt und von Robinson und Freitag zur Burg getragen. Beiden schien der Schlaf noͤthiger, als alles andere zu sein. Indeß nun Freitag fuͤr jeden ein Lager bereitete, waͤrmte Robinson etwas Wein, um ihre geschwollene Knoͤ- Knoͤchel damit zu waschen. Dan musten sie sich zur Ruhe begeben. Und nun machten die beiden Wirthe Anstalt zu einer erquikkenden Abendmahlzeit. Freitag wurde abgeschikt ein junges Lama zu holen und Robinson besorgte das Uebrige. Dieser konte nicht umhin zu laͤcheln, da ihm der Gedanke einfiel, daß er einem ordentlichen Koͤnige nun immer aͤhnlicher werde. Die ganze Insel war sein Eigenthum; seine Unterthanen, die ihm alle ihr Leben verdankten, hingen lediglich von sei- nem Willen ab, und waren verbunden, wenn es sein muͤste, Leib und Leben fuͤr ihn zu wa- gen. Am merkwuͤrdigsten schien ihm dabei der Umstand zu sein, daß er grade eben so viele Re- ligionssekten, als Unterthanen, in seinem Rei- che hatte. Freitag hatte diejenige christliche Religion von ihm angenommen, welche die Pro- testanten bekennen. (Ihr Groͤssern wißt, was dieser Nahme bedeutet; ihr Kleinern aber, muͤst euch gedulden, bis ihr erst ein wenig ver- staͤndiger geworden seid; dan solt ihr's auch hoͤ- ren.) Freitag also, war, wie gesagt, ein Pro- Protestant, der Spanier ein katholischer Christ, Freitags Vater sogar noch ein Heide. „Was must du nun wohl dabei thun?„ dachte Robinson . „Haͤttest du nicht etwa das Recht, sie alle mit Gewalt zu zwingen, sich zu demjenigen Glauben zu bekennen, den du fuͤr den besten haͤltst?„ Er san daruͤber nach, weil es eine Sache war, an die er noch niemahls ge- dacht hatte. Und was meint ihr nun, Kinder, daß sein gesunder Menschenverstand ihm darauf geant- wortet habe? Durft' er seine Unterthanen zwin- gen seine eigene Religion anzunehmen, oder nicht? Alle. O bei Leibe nicht! Vater. Warum denn nicht? Johannes. Ja, weil das keinen etwas angeht, was Einer glaubt, wenn er nur so lebt, wie sich's gebuͤhrt. Vater. Aber wenn nun Einer, der uͤber einen Andern Macht hat, einsieht, daß dieser einen Irthum habe; solt' es ihm dan nicht er- T laubt laubt sein, ihn zu zwingen, seinen Irthum fahren zu lassen? Hans. Ja, was wuͤrde das helfen? Da- durch, daß einer gezwungen wird, etwas zu glauben, wird er ja nicht kluͤger und nicht besser. Vater. Richtig! Denn dadurch wird er ja nicht uͤberzeugt, daß er vorher im Irthum gewesen sei. Und was kan uns ein Bekentniß nuͤzen, von dessen Wahrheit wir nicht uͤberzeugt sind? — Und denn, woher weiß denn der Erste so ganz gewiß, daß der Andere, den er zu sei- nem Glauben zwingen wil, im Irthum sei? Koͤnt' es nicht auch moͤglich sein, daß er, er selbst, sich darin befaͤnde? Hans. O ja! Vater. Warum? Hans. Weil alle Menschen irren koͤnnen. Vater. Und sich also keiner einfallen lassen darf, seine Meinungen fuͤr untruͤgliche Wahr- heit zu halten! Gott also, lieben Kinder, Gott allein, als dem einzigen Untrieglichen, koͤmt es zu, Richter unsers Glaubens zu sein. Er allein weiß ganz ge- genau, wie viel Wahrheit oder Irthum in un- seren Meinungen sei; er allein weiß auch ganz genau, wie redlich, oder wie leichtsinnig wir bei der Erforschung der Wahrheit zu Werke gegan- gen sind; er allein weiß auch also nur, in wie fern wir an unserm Irthume schuldig, oder un- schuldig sind. Unser Robinson stelte sich die Sache ohn- gefaͤhr eben so vor. Verwuͤnscht, rief er daher aus, verwuͤnscht sei der unvernuͤnftige Eifer, jemanden mit Gewalt zu seinem Glauben bekeh- ren zu wollen! Verwuͤnscht die blinde Wuth, seinen Bruder zu verfolgen und zu quaͤlen, blos weil er so ungluͤklich ist zu irren und so tugend- haft, nichts mit dem Munde bekennen zu wollen, wovon er in seinem Herzen noch nicht uͤberzeugt ist! Auf meiner Insel wenigstens sol diese Un- menschlichkeit nie stat finden. Zwar wil ich thun, was ich kan, um meine neuen Mitbuͤr- ger zu belehren: aber solt' ich nicht so gluͤklich sein, sie von ihrem Irthume und von der Wahr- heit meiner Religion zu uͤberzeugen: so moͤgen sie glauben, was sie koͤnnen und nicht mir — T 2 ih- ihrem irrenden Mitbruder — sondern Gott einst Rechenschaft davon geben. Es ward also beschlossen, daß Allen ohne Ausnahme, eine freie Religionsuͤbung zugestan- den werden solte, fals sie, nach erhaltenem Un- terrichte, nicht selbst fuͤr gut finden solten, ei- nen und eben denselben Glauben anzunehmen. Mitlerweile war Freitag zuruͤkgekommen und nun ging's frisch ans Kochen und ans Bra- ten. Dieser Tag, sagte Robinson, muß uns ein doppelter Festtag sein, weil wir zwei unserer Bruͤder aus den Klauen menschlicher Tiger ge- rissen haben, und weil du, Freitag, deinen Vater wieder erhalten hast. Das Beste also, was wir haben, sol heute auf unserm Tische sein! Freitag bedurfte nicht, zur Freude erst er- muntert zu werden. Noch nie war er so lustig gewesen, als heute. Er hoͤrte gar nicht auf, zu singen, zu springen und zu lachen; doch ver- richtete er dabei alles, was er zu thun hatte, auf das hurtigste und ordentlichste; und wenn man das thut, so ist Lustigkeit kein Fehler. Jezt Jezt waren die beiden Gaͤste erwacht. Ohn- geachtet sie noch einige Schmerzen empfanden, so fuͤhlten sie sich doch schon so erquikt und gestaͤrkt, daß sie, mit Freitags und Robinsons Huͤlfe aufstehen und sich zu Tische sezen konten. Und nun bezeigte sich der alte Wilde bei allem, was er hier sahe, eben so verwundrungsvol und er- staunt, als sein Sohn gewesen war, da er die europaͤischen Sachen zum erstenmahle sahe. Freitag muste seinem Herrn zum Dolmet- scher dienen, indem dieser sich mit seinem Va- ter und mit dem Spanier unterredete. Ferdinand. Verstand er denn Spanisch? Vater. Nein! Aber der Spanier der schon ein halbes Jahr unter den Wilden gelebt hatte, verstand schon etwas von Freitags Landesspra- che, und konte sich also gegen ihn einigermaas- sen verstaͤndlich machen. Der Hauptinhalt sei- ner Erzaͤhlung war folgender: „Unser Schif war zum Sklavenhandel be- stimt. Wir kamen von der afrikanischen Kuͤste, wo wir gegen allerlei europaͤische Sachen, Gold- koͤrner, Elfenbein, und schwarze Menschen T 3 ein- eingetauscht hatten. Der leztern hatten wir hundert geladen, die nach Barbados gefuͤhrt und alda verkauft werden solten. Zwanzig da- von waren aber schon gestorben, weil man sie, wie die Heringe, eingepakt hatte. Ein anhalten- der gewaltiger Sturm verschlug uns von un- serm Laufe bis an die Kuͤste von Brasilien und weil unser Schif dabei lek geworden war: so ge- traueten wir uns nicht wieder auf die hohe See zu fahren, sondern steuerten vielmehr laͤngst der Kuͤste des festen Landes herauf. Ploͤzlich uͤber- fiel uns ein abermahliger Sturm, der aus We- sten bließ. Dieser trieb uns wuͤthend von dem festen Lande weg und warf uns zur Nachtzeit, ohnweit einer Insel, auf Felsen. Wir thaten einige Nothschuͤsse und waren entschlossen, auf dem Schiffe auszuhalten, so lange es moͤglich sein wuͤrde. In dieser Absicht loͤseten wir die Fesseln der gefangenen Schwarzen, damit sie helfen solten, das eindringende Wasser auszu- pumpen. Aber diese fuͤhlten sich kaum auf frei- en Fuͤßen, als sie sich einmuͤthig der Boͤte be- maͤchtigten, um damit ihre Freiheit und ihr Le- ben zu retten.„ „Was „Was wolten wir nun thun? Sie zwingen konten wir nicht; denn unserer waren nur funf- zehen, ihrer hingegen achtzig und viele unter ih- nen hatten sich uͤberdem unserer Waffen bemaͤch- tiget. Ohne Boot aber auf einem gestrandeten Schiffe zuruͤk zu bleiben, war sichtbare Todes- gefahr. Wir legten uns also aufs Bitten und suchten diejenigen, welche kurz vorher unsere Sklaven gewesen waren, durch unser Flehen zu bewegen, entweder zu bleiben, oder uns we- nigstens mit zu nehmen. Und hier kan ich nicht umhin, die Großmuth und Menschlichkeit dieser armen Sklaven zu ruͤhmen. Ohngeachtet unser Verfahren gegen sie sehr hart gewesen war, lies- sen sie sich doch von Mitleid ruͤhren, und erlaub- ten uns, zu ihnen hinab zu steigen unter der Be- dingung, daß wir keine Waffen mitnaͤhmen. Wir gingen die Bedingung ein und sprangen in die Boͤte, die nun so sehr belastet waren, daß wir in jedem Augenblikke unsern Untergang er- warteten.„ „Wir bemuͤheten uns indeß, die nahgele- gene Insel zu erreichen; aber ploͤzlich drehete sich T 4 der der Wind, und trieb uns, alles Ruderns unge- achtet, wieder der offenbaren See zu. Unser Tod schien nun nicht mehr zweifelhaft zu sein. Allein zu unserm eigenen Erstaunen hielten sich die schwerbeladenen Boͤte, von hoch aufschwel- lenden Wogen geschaukelt, noch immer gluͤklich uͤber Wasser, bis wir endlich ganz unerwartet, und ohne einen einzigen Man verloren zu haben, an eine uns voͤllig unbekante Insel geworfen wur- den, deren armseelige Bewohner uns ungemein liebreich aufnahmen.„ „Bei diesen haben wir nun bis jezt gelebt, jeder so gut er konte; aber freilig armseelig ge- nug, weil die armen Wilden selbst nichts hatten, als die Fische, die sie fingen und einige wenige Fruͤchte, welche die Insel traͤgt. Dennoch theil- ten sie mit uns, was sie hatten, und gaben uns Anweisung, wie wir selbst fischen koͤnten. Am besten befanden sich unsere Schwarzen dabei, weil sie keine andere Lebensart gewohnt, und nun noch dazu in Freiheit waren.„ „Vor einigen Tagen wurde die Insel von einem benachbarten Volke kriegerisch angefallen. Alles Alles grif zu den Waffen, und da hielten wir es fuͤr Pflicht, unsern guten Gastfreunden bei- zustehen. Ich focht an der Seite dieses ehrli- chen Alten, der wie ein Loͤwe, dem man seine Jungen geraubt hat, in den Feind eindrang, wo er am diksten stand. Ich sahe ihn umringt, wol- te ihm beispringen und hatte das Ungluͤk mit ihm zugleich ergriffen zu werden.„ „Zwei Tage und zwei Naͤchte hab' ich in dieser traurigen Gefangenschaft, an Haͤnden und Fuͤßen geknebelt zu gebracht; und weder geges- sen, noch getrunken. Denn alles, was man mir vorwarf, waren faule Fische, welche die See ausgespien hatte.„ „Diesen Morgen mit Anbruch des Tages wurden wir in die Kanoes geschlept, um den Unmenschen, ihrer Gewohnheit nach, an einem andern Orte zur Speise zu dienen. Und da fuͤhr- te die goͤtliche Vorsehung euch, ihr edlen Maͤn- ner, zu unserer Rettung herbei, um uns eine Wohlthat zu erweisen, die wir euch nie werden vergelten koͤnnen.„ T 5 Hier Hier schwieg der Spanier und Traͤnen der Dankbarkeit rolten ihm die Wangen herab. Robinson war entzuͤkt, seine neuliche Ver- muthung so ganz bestaͤtiget zu sehen, und Frei- tag bewunderte mit ihm die Weisheit und Guͤte der goͤtlichen Vorsehung. Auf die Frage: wem das Schifsgut eigent- lich gehoͤrt habe? antwortete der Spanier: daß es von zwei Kaufleuten in Kadix ware be- frachtet worden; aber nur der Eine von ihnen, habe Kommißion gegeben an der afrikanischen Kuͤste Schwarze einzuhandeln; der Andere hin- gegen, dem dieser Handel ein Greuel gewesen sei, habe fuͤr seine Waaren nichts, als Gold- koͤrner, verlangt. Hierauf nahm Robinson den Spanier bei der Hand, fuͤhrte ihn in sein Vorrathshaus und in seine Hoͤhle und zeigte ihm, zu seinem Erstaunen, daß das Wichtigste von dem gestran- deten Schiffe hier beisammen sei. Freitag mu- ste ihm die Geschichte davon erzaͤhlen; und der Spanier konte vor lauter Verwunderung kaum ein Wort sprechen. Ro- Robinson erkundigte sich hierauf noch: fuͤr wessen Rechnung denn die Diamanten gewe- sen waͤren? Und wem die Offizierkleider gehoͤrt haͤtten, die er auf dem Schiffe vorgefunden habe? und erhielt zur Antwort: beides waͤre der Nachlaß eines englischen Offiziers gewesen, der sich lange in Ostindien aufgehalten habe, und auf seiner Ruͤkreise nach England so krank geworden sei, daß man ihn auf sein Verlangen an der afrikanischen Kuͤste ans Land gesezt habe. Daselbst sei er gestorben. Das Spanische Schif habe seinen Nachlaß nach Barbados mitneh- men sollen, um von da nach England gebracht zu werden. Robinson zeigte ihm darauf alle vom Schiffe gerettete Schriften vor, worin der Spa- nier so wohl den Nahmen des Kaufmans, dem die Goldkoͤrner gehoͤrten, als auch den Nahmen der Offizierwitwe fand, der die Diamanten und die Kleidungsstuͤkke ihres verstorbenen Mannes hatten geschikt werden sollen. Und von diesem Augenblikke an verwahrte Robinson die Gold- koͤrner, die Diamanten und diese Papiere als ein Heiligthum. Un- Unterdeß war der Abend angebrochen und die uͤberstandenen Muͤhseeligkeiten und Gefahren des Tages hatten Aller Kraͤfte so sehr erschoͤpft, daß sie der wohlthaͤtigen Erquikkungen des Schlafs fruͤher, als gewoͤhnlich, bedurften. Sie thaten also, was wir auch thun wollen, sobald wir Gott fuͤr die ungestoͤrte Ruhe und Gluͤkseeligkeit, die uns heute wieder zu Theil ward, werden gedankt haben. Acht und zwanzigster Abend. Vater. A m folgenden Morgen berief Robinson fruͤh- zeitig sein ganzes Reich zusammen, um mit ver- einigten Kraͤften ein Geschaͤft auszufuͤhren, wel- ches keinen Aufschub litte. Hans. Nun? Vater. Die todten Koͤrper der Erschlage- nen lagen noch auf dem Schlachtfelde, und es war war zu besorgen, daß durch die schaͤdlichen Aus- duͤnstungen derselben eine gefaͤhrliche Seuche ent- stehen koͤnte. Sie versahen sich also saͤmtlich mit Beilen und gingen nach dem furchtbaren Orte hin. Ferdinand. Mit Beilen? Vater. Ja; nicht um Graͤber zu machen, denn dazu wuͤrden sie Schaufeln und Spaten mitgenommen haben, sondern um Holz zu faͤl- len und einen Scheiterhaufen zu errichten, auf welchen sie die todten Leiber alle auf einmahl zu Asche zu brennen, sich vorgenommen hatten. Johannes. So wie es die Roͤmer mit ihren Todten machten! Vater. Auch andere Voͤlker des Alter- thums. Robinson wolte nemlich durchaus nicht die schaͤdliche Gewohnheit seiner, in diesem Stuͤkke noch sehr unweisen Landsleute mitma- chen, die damahls noch unverstaͤndig genug wa- ren, die Leiber ihrer Verstorbenen mitten in den Staͤdten, ja sogar in den Kirchen beizusezen, wo sie Seuchen und Tod fuͤr die Lebenden aus- hauchten. Ma- Mathias. J das thun sie ja noch! Vater. Leider! Und das sei euch aber- mahls ein Beispiel, wie schwer es den Menschen faͤlt, boͤse Gewohnheiten wieder abzuschaffen. Deswegen eben rathe ich euch so oft, daß ihr euch ja bestreben moͤget, fruͤhzeitig Weise und gut zu werden. Denn hat man Thorheiten und Laster erst einmahl angenommen und sind sie un- gluͤklicher weise uns erst zur Gewohnheit ge- worden: o dan haͤlt es sehr, sehr schwer, sie jemahls wieder abzulegen, wenn man ihre Schaͤd- lichkeit auch noch so deutlich erkant hat. Jederman weiß jezt, daß die Ausduͤnstun- gen der todten Koͤrper fuͤr die Lebenden vergif- tend sind: aber faͤhrt man nicht dem ohngeachtet fort, sie auf den Kirchhoͤfen in der Stadt zu be- graben, oder gar in Kirchengewoͤlbe zu sezen, wo sie nicht einmahl mit Erde bedekt sind. Viel- leicht wird noch ein ganzes Jahrhundert verstrei- chen, ehe es den Menschen einfaͤlt, an die Ab- schaffung dieses boͤsen Gebrauches mit Ernst zu denken. Hans. Hans. Ich wolte nur, daß ich etwas zu befehlen haͤtte: so solt's nicht lange mehr waͤhren! Vater. Sieh da, lieber Hans, eine der vorzuͤglichsten Ursachen, die dich und alle andere jungen Leute bewegen muß, euch recht viele und große Verdienste zu erwerben, diese nemlich: weil alsdan eure Mitmenschen viel Ver- trauen auf euch sezen und euch zu Aem- tern hervorziehen werden, die euch be- rechtigen, viele schaͤdliche Mißbraͤuche abzuschaffen und viele nuͤzliche Einrich- tungen einzufuͤhren. Euch alle scheint der Himmel dazu bestimt zu haben, solche viel ver- moͤgende Menschen zu werden, die ein Seegen fuͤr die ganze Geselschaft ihrer Mitbuͤrger sein koͤnnen: denn alles, was dazu gehoͤrt, hat sei- ne guͤtige Vorsehung an euch verwandt. Sie hat euch lassen von guten, rechtschaffenen Eltern gebohren werden, welche das Vertrauen und die Liebe ihrer Mitbuͤrger haben; sie hat euch einen gesunden Leib und unverwahrlosete Selenkraͤfte gegeben, und laͤßt euch nun auch eine Erzie- hung angedeien, deren sich noch nicht viele Men- schen schen ruͤhmen koͤnnen. Alles also, was dazu ge- hoͤrt, ein treflicher vielvermoͤgender Man zu werden, hat der guͤtige Himmel euch verliehen: Schande fuͤr den, der nun nicht wolte! Doch das besorge ich nicht von euch. Sol- tet ihr also, wie ich zu Gott hoffe, eure große Bestimmung erreichen; soltet ihr wirklich solche Maͤnner werden, welche Einfluß auf die Gluͤk- seeligkeit von tausend andern Menschen haben: o so braucht doch ja das Ansehen, welches man euch verwilligen wird, dazu, des Boͤsen immer weniger, des Guten immer mehr zu machen un- ter euren Bruͤdern, und Freud' und Gluͤksee- ligkeit rund um euch her zu verbreiten! Dan er- innert euch auch der heutigen Veranlassung zu dieser meiner vaͤterlichen Ermahnung und bewe- get, wenn ihr koͤnt, eure Mitbuͤrger, die Leich- name ihrer Todten an solchen Oertern zu ver- scharren, wo ihre Ausduͤnstungen keine Pest un- ter den Lebenden verursachen koͤnnen. Nikolas. Wenn ich nur wieder in die Stadt komme: so wil ich's meinem Grosvater und meinen Onkeln sagen; die sollens wohl ma- chen! Va- Vater. Thue das, lieber Nikolas! — Robinson und seine Gefaͤhrten waren jezt mit dem Verbrennen der todten Koͤrper fertig und gingen wieder nach Hause. Freitag hatte unterdeß seinen Vater gelehrt, daß gesittete Leute kein Menschenfleisch aͤßen, welches diesem anfangs auch gar nicht recht einleuchten wolte. Aber Freitag fuhr fort, ihm alles dasjenige wieder zu erzaͤhlen, was er selbst von seinem Herrn gelernt hatte, und brachte ihn dadurch in kurzer Zeit zu einem wahren Abscheu gegen diese unmenschliche Gewohnheit. Diesem Alten gab Robinson aus dem Grunde, weil er doch eher, als sein Sohn gewesen waͤre, den Nahmen Donnerstag ; und so wollen wir ihn denn kuͤnf- tig auch nennen. Jezt berief Robinson Alle zu einer Raths- versamlung, in welcher Freitag abermahls sein Dolmetscher so wohl gegen den Spanier, als auch gegen den alten Donnerstag , sein muste. Er selbst, als das Haupt der uͤbrigen, eroͤfnete die Sizung mit folgender kurzen Anrede: U „Mei- „Meine guten Freunde, wir, die wir hier versamlet sind, sehen uns jezt im Besize al- ler dererjenigen Dinge, die zu einem ruhigen und vergnuͤgten Leben erfodert werden. Aber ich fuͤr mein Theil werde dieses Seegens doch nicht mit ruhigem Herzen genießen koͤnnen, so lange es Menschen giebt, die ein groͤsseres Recht, als ich, dazu haͤtten, und die demohngeachtet in Mangel und Elend hinschmachten muͤssen. Eure Landsleute, europaͤischer Freund, die un- ter den Wilden noch zuruͤkgebliebenen Spanier, meine ich. Es ist daher mein ernstlicher Wille, daß mir jeder von euch seine Gedanken eroͤfne, wie wir es am kluͤglichsten anzufangen haben, um diese Nothleidenden mit uns zu vereinigen?„ Er schwieg; und jeder ließ nun seine Mei- nung hoͤren. Der Spanier erbot sich, in einem der erbeuteten Kaͤhne allein hinzufahren, um sie abzuholen. Ein Gleiches zu thun, war auch Donnerstag bereit. Freitag hingegen rieth, daß sein alter Vater zuruͤkbleiben, und daß es ihm vielmehr vergoͤnt sein moͤgte, den Spanier zu begleiten. Da nun hieruͤber ein großmuͤthiger Wet- Wetstreit entstand, indem der Eine noch lieber, als der Andere, sein Leben wagen wolte: so sa- he sich Robinson endlich genoͤthiget, einen entscheidenden Ausspruch zu thun, dem alle, wie es sich geziemte, freudigst sich unterwarfen. Dieser fiel dahin aus, daß Donnerstag und der Spanier abreisen, Freitag hingegen bei ihm zuruͤkbleiben solte. Karl. Warum schikt' er aber nicht lieber Freitag hin, als den armen Alten? Vater. Theils aus Liebe zu Freitag, den er unmoͤglich, ohne zu zittern, einer Gefahr aussezen konte, bei der er selbst nicht zu gegen waͤre, theils deswegen, weil der Alte noch bes- ser, als sein Sohn, mit dem Meere und der Schiffarth bekant zu sein schien. Der Spanier hingegen muste um deswillen mit, weil seine Landesleute auf Robinsons Einladung sonst wohl nicht zu kommen sich getrauet haͤtten. Es ward also beschlossen, daß die genanten beiden ihre Reise dahin naͤchstens antreten sol- ten. Vorher aber muste dafuͤr gesorgt werden, daß ein, wenigstens zehnmahl groͤsserer Akker U 2 um- umgearbeitet, und bestelt wuͤrde: weil die Ver- groͤsserung der Kolonie auch eine Vergroͤsserung des taͤglichen Aufwandes an Nahrungsmitteln zur Folge hatte. Alle wurden daher auf einige Wochen Ak- kersleute und da es jeder von ihnen mit der Ar- beit ehrlich meinte: so ging auch alles sehr gut und sehr geschwind von statten. Nach vierzehn Tagen war alles gethan und man machte daher Anstalt zu der beschlossenen Reise. Ehe diese aber vor sich ging, gab der Spa- nier einen Beweis seiner Ehrlichkeit und seiner dankbaren Liebe gegen Robinson, welcher zu- gleich von einer klugen Vorsichtigkeit zeugete. Er sagte nemlich: seine Landesleute waͤren, so wie er, nur gemeine Matrosen gewesen, also Leute ohne alle Erziehung. Er kenne sie nicht genau genug, um fuͤr aller gute Gemuͤthsart Buͤrge sein zu koͤnnen. Sein Rath waͤre daher, daß Robinson, als Herr der Insel, erst ge- wisse Bedingungen aufsezte, unter denen er sie aufnehmen wolte, und daß dan keiner mitge- nommen wuͤrde, als welcher diese Bedingungen sich gefallen liesse. Ro- Robinson freuete sich uͤber die Treue sei- nes neuen Unterthans, und that, was er ihm gerathen hatte. Die Bedingungen die er auf- sezte, waren folgende: „Wer auf Robinsons Insel leben, und an den Bequemlichkeiten, die sie darbietet, An- theil nehmen wil: der muß sich verpflichten: 1. Dem Willen des rechtmaͤßigen Herrn dersel- ben in allen Stuͤkken nachzukommen, und sich alle diejenigen Geseze und Anordnungen gern gefallen zu lassen, die derselbe zum Wohl des gan- zen Staats fuͤr noͤthig erachten wird; 2. Ein arbeitsames, maͤßiges und tugendhaftes Leben zu fuͤhren; weil kein Fauler, kein Schlemmer und uͤberhaupt kein lasterhafter Mensch auf dieser Insel geduldet werden sol; 3. Sich alles Zankens und Streitens zu enthal- ten, und im Fal einer Beleidigung, nie sein eigener Richter sein zu wollen, sondern viel- mehr seine Klage vor dem Herrn der Insel oder vor demjenigen anzubringen, dem dieser das Richteramt uͤbertragen wird; U 3 4. 4. Alle diejenigen Arbeiten, die zum Wohl der ganzen Geselschaft noͤthig sein werden, ohne Murren zu uͤbernehmen, und im Fal der Noth dem Herrn der Insel mit Leib und Leben beizu- stehen; 5. Mit Allen fuͤr einen Man wider denjenigen zu stehen, der sich erdreisten duͤrfte, das Eine oder das Andere dieser billigen Geseze zu uͤber- schreiten, um einen solchen entweder zum Ge- horsam zuruͤk zu bringen oder ihn auf immer von der Insel zu verbannen. Jeder wird ermahnt, diese Punkte erst reif- lich zu uͤberlegen und seinen Nahmen, stat einer eidlichen Versicherung, nur dan erst zu unter- schreiben, wenn er voͤllig entschlossen ist, ihnen in allen Stuͤkken nach zu leben. Robinson. Der Spanier muste diesen Aufsaz erst in sei- ne Landessprache uͤbersezen und es ward verab- redet, daß er Feder und Tinte mitnehmen solte, um um ihn von seinen Landesleuten, vor ihrer Ab- reise erst unterschreiben zu lassen. Und nun suchten sie sich den besten unter den beiden erbeuteten Kanoes aus, und mach- ten Anstalt zu ihrer Abreise. Konrad. Hatten denn alle die Spanier wohl in einem einzigen Kanoe Raum? Vater. Nein! Aber sie brauchten dieses kleine Schif auch nur zur Hinreise. Zuruͤk kon- ten sie in den Boͤten des gestrandeten Schiffes kommen, welche, wie der Spanier versicherte, noch in gutem Stande waren. Nachdem hinlaͤnglicher Proviant an Bord des Kahns gebracht war und sich ein guͤnstiger Wind erhob, nahmen unsere Reisende einen zaͤrtlichen Abschied von Robinson und Freitag und giengen unter Segel. Freitag war ganz ausser sich vor Betruͤbniß, daß er sich von seinem Vater trennen muste. Schon am Abend vor der Abreise desselben hatt' er stundenlang geweint und vor Traurigkeit gar nichts geniessen koͤnnen. Jezt aber da die Trennung wirklich vor sich ging, war er vollends untroͤstbar. Alle Augenblikke fiel er U 4 sei- seinem Vater von neuem um den Hals und be- nezte sein Gesicht mit Traͤnen. Der Alte muste sich endlich mit Gewalt von ihm loswinden; aber, da er schon im Schiffe war, und der Kahn jezt eben vom Lande stieß, sprang Freitag ihm nach ins Meer, und schwam an die Seite des Kahns, um ihn noch einmahl zu kuͤssen und ihm noch einmahl ein Lebewohl! zu zu schluchzen. Dan kehrte er wieder um nach dem Strande, sezte sich daselbst auf einer Anhoͤhe nieder und sahe dem forteilenden Kahne unter vielen Seufzern und Traͤnen so lange nach, bis er aus seinen Au- gen verschwunden war. Robinson, der ihn zu zerstreuen wuͤnschte, wandte den groͤßten Theil dieses Tages zur Jagd und zu Lustwanderungen durch die Gebirge an. Sie waren noch nicht weit gegangen, als der Pudel, der mit ihnen gelaufen war, an dem Fuße eines mit Gebuͤsch bewachsenen Felsens ste- hen blieb und unaufhoͤrlich zu bellen anfing. Man naͤherte sich dem Orte und fand ein Loch in dem Felsen, welches aber nur so groß war, daß daß man hineinkriechen, nicht hineingehen konte. Robinson, der nicht gern etwas ununter- sucht ließ, was seine Aufmerksamkeit einmahl an sich gezogen hatte, befahl seinem Begleiter, einen Versuch zu machen, ob er wohl hinein- kriechen koͤnne? und Freitag gehorchte. Aber kaum hatt' er den Kopf hineingestekt, als er mit einem entsezlichen Angstgeschrei wieder zuruͤk- sprang, und ohne sich an Robinsons Zuruf zu kehren, wie ein Unsinniger, davon lief. Endlich hohlte ihn Robinson wieder ein und erkun- digte sich mit einiger Befremdung nach der Ursa- che seiner Flucht. „Ach! ach! antwortete Frei- tag, der kaum reden konte, laß uns laufen, lie- ber Herr, so sehr wir koͤnnen; da ist ein entsez- liches Ding in dem Loche mit großen gluͤhenden Augen, und mit einem Rachen, daß es uns bei- de auf einmahl lebendig verschlingen koͤnte!„ „Nun, das muͤste ja freilich ein recht gros- ser Rachen sein, antwortete Robinson; aber das Ding muß ich doch auch sehen.„ U 5 „Ach! „Ach! ach! schrie Freitag und fiel vor ihm auf die Knie; um Gottes Willen nicht! Es fraͤße dich gewiß auf und dan haͤtte der arme Freitag keinen Herrn mehr!„ Robinson antwortete laͤchelnd: ob's ihn denn aufgefressen haͤtte? und da er dies nun eben nicht bejahen wolte: so befahl er ihm, geschwind nach Hause zu laufen, um die Laterne zu hohlen. Er selbst ging wieder zuruͤk nach dem Loche, um unterdeß mit geladener Flinte Schildwache davor zu hal- ten. „Und was in aller Welt dacht' er, kan denn das wohl sein; wovon dein Freitag so viel Fuͤrchterliches gesehen haben wil? Ein reissendes Thier? Ein Loͤwe, Tiger, Panther, oder so etwas? Ja, wenn das waͤre, so wuͤrd' ich tol- kuͤhn handeln, wenn ich hinein kroͤche. Aber gaͤb' es dergleichen auf dieser Insel, so wuͤrd' ich's ja schon laͤngst erfahren haben. Und dan — so wuͤrde ja auch Freitag nicht unverlezt zu- ruͤk gekehrt sein! Nein, nein! das ist es gewiß nicht; seine Furchtsamkeit hat ihm wieder einen Streich gespielt und ihn etwas sehenlassen, was nicht nicht da war. Ich muß es also schon untersu- chen, um den guten Jungen von dieser kindischen Leidenschaft zu heilen.„ Unterdeß kam Freitag mit der brennenden Laterne an, und versuchte noch einmahl mit Traͤ- nen in den Augen seinen Herrn zu bewegen, daß er sich doch nicht in eine so schrekliche Gefahr stuͤrzen moͤgte, in der er gewiß umkommen wuͤr- de. Aber Robinson kante keine Furcht, so- bald er eine Sache vernuͤnftig uͤberlegt hatte; und ließ sich daher in seinem Vorsaze nicht wan- kend machen. Er bat vielmehr Freitag, gu- tes Muths zu sein, nahm die brennende Laterne in die linke, eine scharf geladene Pistole in die rechte Hand und ging dem Abentheuer beherzt entgegen. Er hatte kaum den Kopf hineingestekt, als er bei dem schwachen Laternenschein wirklich et- was entdekte, was ihm selbst schaudern machte. Aber er wolte deswegen nicht gleich die Flucht er- greifen, sondern strekte vielmehr die Hand mit der Laterne aus, um das namenlose Unthier deutlicher wahr zu nehmen. Und da sah er denn, daß daß es nichts mehr, und nichts weniger, als ein alter Lamabok sei, der eben vor Alter und Ent- kraͤftung sterben wolte. Nachdem er rund um- her gesehen und weiter nichts, als dieses gar nicht fuͤrchterliche Thier bemerkt hatte, kroch er voͤllig hinein, und rief Freitag zu, daß er ihm folgen moͤgte. Freitag zitterte, wie ein Espenblat; gleich- wohl kont' ers nicht uͤber's Herz bringen, seinen guten Herrn im Stiche zu lassen. Er faßte al- so mit edler Selbstverlaͤugnung den Muth, ihm nachzukriechen, und sahe nun zu seiner Verwun- derung, wie sehr er sich in der Groͤsse der Au- gen und des Rachen des Thieres geirt habe. Siehst du, Freitag, rief ihm Robinson mit freundlicher Stimme entgegen, was die Furchtsamkeit uns alles weiß machen kan? Wo sind nun die großen gluͤhenden Augen? Wo ist der ungeheure Rachen, den du vorher zu sehen glaubtest? Freitag. Es kam mir doch wirklich so vor, als wenn ich sie saͤhe; ich haͤtte darauf schwoͤren wollen. Ro- Robinson. Daran zweifle ich nicht, daß es dir so vor kam; aber du haͤttest wissen sollen, daß die Furchtsamkeit eine Luͤgnerin ist, die uns allerlei vorgaukelt, was gar nicht da ist. Sieh, Freitag, so sind alle die alten Weibermaͤrchen von Gespenstern und ich weiß nicht von was fuͤr andern Undingen entstanden! Die Urheber sol- cher abgeschmakten Histoͤrchen waren furchtsame al- te Muͤtterchen oder ihnen aͤhnliche Hasenfuͤße von Maͤnnern, die, so wie du, sich einbildeten et- was zu sehen, was nicht da war, und die denn nachher, gerade so wie du, betheuerten, daß sie wirklich so etwas gesehen haͤtten. Werd' ein Man, Freitag; siehe kuͤnftig zweimahl zu und und verbanne aus deinem Herzen alle weibische Furchtsamkeit. Freitag gelobte sein Moͤglichstes zu thun. Der alte Lamabok war unterdeß verschieden und Robinson bemuͤhete sich mit Freitags Huͤlfe, ihn aus der Hoͤhle zu werfen, um ihn einzu- scharren. Und nun besahen sie mit groͤsserer Aufmerksamkeit den Ort, wo sie waren, und fanden daß es die geraͤumigste und angenehmste Grotte Grotte oder Hoͤhle sei, von der sie kuͤnftig einen sehr vortheilhaften Gebrauch wuͤrden machen koͤnnen. Sie war, wie ausgehauen, ungemein trokken und kuͤhl, und die Waͤnde, die von Kri- stal zu sein schienen, warfen das Licht der Later- ne von allen Seiten her so lebhaft zuruͤk, als wenn es ein Spiegelzimmer gewesen waͤre. Robinson beschloß so gleich, diese angeneh- me Grotte zu seinem Erquikkungsort bei schwuͤ- ler Sonnenhize und zugleich zu einem Keller fuͤr solche Sachen zu machen, welche die gar zu gros- se Waͤrme nicht ertragen koͤnnen. Zum Gluͤk war sie nicht uͤber eine Viertelstunde von der Burg entfernt. Freitag muste also unverzuͤg- lich hinlaufen, um Werkzeuge zu hohlen. Mit diesen fingen sie dan sogleich an, den Eingang zu vergroͤssern, um nachher eine ordentliche Thuͤr davor zu machen. Und diese Arbeit gewaͤhrte ihnen, in der Abwesenheit der beiden andern, eine sehr angenehme Unterhaltung. Neun Neun und zwanzigster Abend. Nikolas. J ezt ist mir immer bange, wenn Vater er- zaͤhlen wil. Vater. Wovor denn, lieber Nikolas? Nikolas. Davor, daß die Geschichte bald aus sei. Gotlieb. Wenn ich in Vaters Stelle waͤ- re, ich wolte sie so lang machen! o so lang, daß sie bis in Ewigkeit fortdauerte. Vater. Kinder, alle unsere Freuden hier auf Erden muͤssen einmahl ein Ende nehmen; also auch diese. Ihr werdet daher wohl thun, wenn ihr euch zum voraus darauf gefaßt macht. An Robinsons Horizonte zieht sich abermahls ein Ungewitter zusammen, vor dessen Ausgang ich euch nicht stehen kan. Seid also immer auf eurer Hut. — Schon Schon acht Tage waren verstrichen, und die Abgesandten liessen sich noch immer nicht wieder sehen. Man fieng an, daruͤber bekuͤmmert zu werden. Freitag lief des Tages wohl zwanzig mahl nach dem Berge oder an den Strand, und sahe sich die Augen muͤde, ohne etwas von ihnen entdekken zu koͤnnen. Eines Morgens aber, da Robinson noch zu Hause beschaͤftiget war, kam er ploͤzlich singend und springend zuruͤk gerant und schrie seinem Herrn schon von Weitem zu: sie kommen! sie kommen! Robinson, der uͤber diese angenehme Bot- schaft nicht weniger erfreut war, ergrif sein Fernglas und eilte damit den Huͤgel hinauf. Hier sah er wirklich in einer noch ziemlich weiten Entfernung ein ansehnliches Boot auf die Insel zu segeln; aber da er durch sein Fernglas ge- schaut hatte, schuͤttelte er den Kopf und sagte: Freitag, Freitag, ich sorge, das ist nicht richtig! Freitag wurde blaß. Robinson sahe noch einmahl hin, und ward immer bestuͤrzter. Endlich kont' er an dem, was er zu sehen glaubte, gar nicht mehr zweifeln und und theilte daher sein eigenes Erstaunen dem er- schroknen Freitag mit: Freitag, sagt' er, das sind nicht unsere Spanier mit deinem Vater; es ist eine englische Schaluppe, (ein großes Boot) und bewafnete Englaͤnder sind es, die ich darin wahrnehme! Freitag zitterte an allen Gliedern. Kom, sagte Robinson, und erstieg eiligst eine andere Anhoͤhe, von welcher die noͤrdliche Kuͤste besser uͤbersehen werden konte. Kaum waren sie daselbst angekommen, kaum hatten sie ihre Augen nach dem Meere hinge- richtet, als beide, wie versteinert, sprachlos ste- hen blieben. Sie sahen nemlich in einer Entfer- nung von einer guten deutschen Meile — ein an- sehnliches englisches Schif vor Anker liegen. Verwunderung, Furcht und Freude hatten in Robinsons Sele wechselsweise die Ober- hand; Freude uͤber den Anblik eines Schiffes, welches vielleicht zu seiner Erloͤsung da war; Verwunderung und Furcht hingegen uͤber die ei- gentliche Absicht der Ankunft desselben. Vom Sturme kont' es nicht hieher verschlagen sein: denn seit vielen Wochen hatte kein Sturm geweht. X Der Der ordentliche Lauf des Schiffes kont' es auch nicht hieher gefuͤhrt haben: denn was koͤnte ei- nen englischen Schiffer bewegen nach einer Welt- gegend hinzusegeln, in der die Englaͤnder keine Besizungen, und also auch keinen Verkehr hat- ten. Es entstand also die Besorgniß, daß es Seeraͤuber sein moͤgten. Frizchen. Was sind das fuͤr Leute? Vater. Es giebt hin und wieder, beson- ders ausser Europa, noch einige Menschen, die in ihrer Jugend so schlecht unterrichtet worden sind, daß sie nicht einmahl wissen, was der Dieb- stahl fuͤr ein großes Verbrechen sei. Diese elen- den Menschen machen sich daher kein Gewissen daraus, andern Leuten heimlich oder mit Ge- walt das Ihrige zu nehmen, und es sich zu zu- eignen. Geschieht dieses nun zu Lande, so nent man solche Leute Diebe oder Raͤuber; geschieht es aber auf dem Meere: so nent man sie See- raͤuber. Christel. Aber dies waren ja Englaͤnder? Vater. Das schienen sie zwar zu sein, aber Robinson dachte: wer weiß ob die Boͤse- wichter wichter nicht vielleicht das englische Schif erobert und sich darauf selbst so gekleidet haben, als ob sie Englaͤnder waͤren. — In den ersten huͤlflosen Jahren seines einsamen Aufenthalts auf dieser Insel wuͤrd' er es fuͤr ein Gluͤk gehalten haben, von Seeraͤubern entdekt und von ihnen als ein Sklav mit fortgeschlept zu werden, um nur wieder un- ter Menschen zu sein. Jezt aber, da sein Zu- stand unweit gluͤklicher war, schauderte ihn vor der Gefahr, einem solchen Gesindel in die Haͤn- de zu fallen. Er theilte also Freitag seine Be- sorgniß mit und ging mit ihm ab, um von fern das Vorhaben derer zu beobachten, welche sich in dem Boote naͤherten. Sie stelten sich auf eine mit Baͤumen und Ge- buͤsch bewachsene Anhoͤhe, von der sie alles, was vorging, bemerken konten, ohne selbst bemerkt zu werden. Hier sahen sie denn, daß die Schaluppe, in welcher sich eilf Man befanden, etwa eine Viertelmeile von ihnen, an einem flachen Ufer landete. Die Manschaft stieg aus. Acht von ihnen waren bewafnet, drei hingegen nicht. Diesen leztern, welche gefesselt X 2 wa- waren, wurden die Bande abgenommen, sobald sie am Strande waren. An den klaͤglichen Ge- behrden des Einen unter ihnen konte man sehr deutlich sehen, daß er die Bewafneten anflehete, indem er sich in einer bittenden Stellung vor ih- nen auf die Knie warf. Die beiden andern hu- ben von Zeit zu Zeit die Haͤnde empor, als wenn sie den Himmel um Huͤlfe und Errettung anfle- heten. Robinson ward bei diesem Anblikke ganz verwirt und wuste nicht, was er davon denken solte. Freitag hingegen naͤherte sich ihm mit einer triumphirenden Miene und sagte: siehst du, Herr, daß deine Landsleute ihre Gefange- nen auch auffressen? Geh, antwortete Robin- son etwas unwillig; das werden sie nicht! und so fuhr er fort durch sein Fernglas zu sehen. Mit Grausen sah er, daß einige der Be- wafneten zu verschiedenen mahlen das Schwerdt gegen den einen Gefangenen aufhoben, der in der flehenden Stellung vor ihnen lag. Endlich bemerkt' er, daß die drei Gefangenen zuruͤkge- lassen wurden, indem die Andern sich in den Wald zerstreuten. Alle Alle drei sezten sich kummervol an derselben Stelle nieder und schienen ganz in Verzweiflung zu sein. Dies erinnerte Robinson an seinen eigenen elenden Zustand an dem Tage, da er auf dieses Eiland geworfen ward, und er be- schloß, sich der Ungluͤklichen, fals sie es verdie- nen solten, anzunehmen, es koste auch, was es wolle. Freitag wurde also beordert, so viel Flin- ten, Pistolen, Saͤbel und Munizion — her- bei zu hohlen, als er nur tragen koͤnte. Lotte. Was ist das Munizion? Vater. Schießpulver und Kugeln. — Robinson selbst fand fuͤr noͤthig zuruͤk zu blei- ben, um zu sehen, was es ferner geben wuͤrde. Nachdem alles Noͤthige herbei geschaft und die Gewehre geladen waren, bemerkte man mit Ver- gnuͤgen, daß die herumschweifenden Matrosen, der eine hier der andere dort, sich in den Schatten legten, um die brennende Mittagshize zu ver- schlafen. Robinson wartete noch eine gute Viertelstunde; dan ging er beherzt auf die drei Ungluͤklichen zu, die noch immer an eben der X 3 Stel- Stelle saßen. Sie hatten ihm den Ruͤkken zu gekehrt, und fuhren, wie vom Donner geruͤhrt, zusammen, da ihnen Robinson ploͤzlich zurief: wer seid ihr? Sie sprangen auf, als wenn sie fliehen wol- ten; aber Robinson rief ihnen auf Englisch zu: sie solten sich nicht fuͤrchten; er sei zu ihrer Ret- tung da! „Dan muͤsten sie vom Himmel herab gesandt sein! sagte der Eine, indem er ehrerbie- tig den Hut abzog und ihn anstaunte. Alle Huͤlfe komt von Gott, sagte Robinson; aber geschwind, guten Leute, sagt mir, worin eure Noth besteht und wie ich euch helfen kan? “Ich bin der Kapitain des Schiffes, antwortete je- ner; dieser hier war mein Steuerman und der da ein Reisender;„ auf seine Gefaͤhrten zeigend. “Meine Matrosen haben sich wieder mich empoͤrt, um sich meines Schiffes zu bemaͤchtigen. Mich selbst und diese beiden ehrlichen Maͤnner, die ihr Verfahren misbilligten, wolten sie anfaͤnglich er- morden; endlich aber haben sie sich bewegen las- sen, uns das Leben zu schenken. Aber die Barm- herzigkeit, die sie uns erzeigen, ist fast noch schrek- schreklicher, als der Tod. Denn nun haben sie uns auf diese wuͤste Insel ausgesezt um hier in Mangel und Elend umzukommen. „Zwei Bedingungen, erwiederte Robin- son; und ich wil zu Ihrer Rettung Blut und Leben wagen!„ „Welches sind sie, edler Man?„ fragte der Schifskapitain. „Diese, antwortete Robinson, daß Sie, so lange Sie auf dieser Insel sind, meinen Wil- len in allen Stuͤkken nachleben wollen; und dan, daß sie mich und meinen Gefaͤhrten nach England zu bringen versprechen, wenn es mir gelingt, Ihnen wieder zu Ihrem Schiffe zu verhelfen.„ „Wir, das Schif und alles, was darauf ist, versezte der Schifskapitain, stehn Ihnen ganz zu Gebote.„ Wohl dan, sagte Robinson; hier ist fuͤr jeden eine Flinte und ein Schwerdt, die ich Ih- nen unter der Bedingung uͤberreiche, daß Sie nicht eher Gebrauch davon machen, bis ich es fuͤr noͤthig halten werde. Ihre Moͤrder liegen jezt und schlafen und zwar zerstreut; auf! las- X 4 sen sen Sie uns versuchen, ob wir sie, ohne Blut- vergiessen, in unsere Gewalt kriegen koͤnnen.„ Sie gingen, und Freitag muste die Strikke mitnehmen, mit welchen die drei Maͤnner an Haͤnden und Fuͤßen waren gebunden gewesen. Jezt naheten sie sich dem ersten, der auf dem Gesichte lag und so fest schlief, daß sie ihn an Haͤnden und Fuͤßen schon gepakt und ihm ein Schnupftuch in den Mund gestekt hatten, bevor er recht erwacht war. Man band ihm die Haͤn- de auf den Ruͤkken, befahl ihm auf derselben Stelle ohne sich zu regen und ohne den mindesten Laut von sich zu geben, liegen zu bleiben; wi- drigenfals man ihm unverzuͤglich eine Kugel durch den Kopf schießen wuͤrde. Man hatte ihn aber so gelegt, daß er das Gesicht nach der See hin- gerichtet hatte, und also nicht erfahren konte, wie es um seine Kameraden stuͤnde. Nun wandten sie sich zu dem Zweiten, dem es nicht besser ging. Er wurde eben so gebun- den, eben so gelegt und eben so bedroht, als sein Vorgaͤnger. Das Gluͤk, oder vielmehr die goͤtliche Vorsehung, zeigte sich auch hier, als eine eine Beschuͤzerin der Unschuld und als eine Raͤ- cherin des Unrechts. Schon waren sechs dieser Elenden auf die nemliche Art gebunden; als die beiden lezten ploͤzlich erwachten, aufsprangen und zu den Waffen griffen. „Nichtswuͤrdige, schrie ihnen Robinson zu, blikt auf eure Gefaͤhrten, seht unsere Ueberlegenheit und strekt augenblik- lich das Gewehr! Eine Minute Verzug kostet euch den Kopf!„ „Ach! Gnade! Gnade! Herr Kapitain;„ riefen jene zuruͤk, indem sie ihre Gewehre von sich warfen und sich selbst auf die Knie legten. Man band ihnen darauf, so wie den uͤbrigen, die Haͤnde; und fuͤhrte alle nach der neuentdek- ten Hoͤhle ins Gefaͤngniß, mit dem Andeuten, daß der erste, der einen Versuch machen wuͤrde, die hoͤlzerne Thuͤr zu erbrechen, von der Schild- wache, die man zuruͤklassen wuͤrde, erschossen werden solte. Vorher hatte man allen ihre Mes- ser abgenommen. Nun gingen Robinson und Freitag nebst ihren neuen Bundesgenossen nach der Schalup- pe, zogen sie durch Huͤlfe einiger Hebebaͤume voͤl- X 5 lig lig auf den Strand und hieben in den Boden derselben ein Loch, damit sie vor der Hand voͤl- lig unbrauchbar sein moͤgte. Ferdinand. Warum denn das? Vater. Sie sahen vorher, daß man von dem großen Schiffe ein zweites Boot abschikken wuͤrde, wenn das erstere ausbliebe. Sie wolten also ver- hindern, daß von diesem das erste Boot nicht mitgenommen werden moͤgte. Wie gedacht so geschehen. Gegen drei Uhr Nachmittags wurde auf dem Schiffe eine Kano- ne geloͤset, um die am Lande befindlichen Ma- trosen zuruͤk zu rufen; und da dieses Signal nach einer dreimahligen Wiederhohlung nicht befolgt wurde: so sahe man wirklich ein zweites Boot abstossen und auf die Insel zu segeln. Robin- son zog sich hierauf mit seinen Gefaͤhrten nach der Anhoͤhe zuruͤk, um von da aus zu sehen, was sie weiter zu thun haͤtten. Das Boot landete. Man lief nach dem er- sten und war nicht wenig erstaunt, es auf dem Strande und noch dazu durchloͤchert zu finden. Man sahe umher, und rief die unsichtbaren Ka- meraden eraden bei Nahmen, aber da war keiner wel- er antwortete. Es waren ihrer zehn, alle be- afnet. Robinson, welcher von dem Kapitain ge- drt hatte, daß unter den Gefangenen drei ehr- che Bursche waͤren, die blos aus Furcht vor n Uebrigen in die Rebellion gewilliget haͤtten, hikte Freitag mit dem Steuerman ab, diese geschwind, als moͤglich, herbei zu fuͤhren. Sie erschienen und der Kapitain, dem Robin- on unterdeß seine Meinung eroͤfnet hatte, leg- ihnen, nach einigen Vorwuͤrfen, die Frage or: ob sie ihm treu sein wolten, wenn er ihnen Verzeihung wiederfahren liesse? „Bis in den Tod!„ antworteten sie zitternd, indem sie sich v or ihm auf die Knie warfen. Der Kapitain f uhr fort: ich hab euch sonst immer als gute Bursche gekant; ich wil daher glauben, daß ihr einen Theil an der Empoͤrung gehabt habt und d aß ihr das, was vorgegangen ist, durch desto roͤssere Treue wieder gut machen werdet. Die rei Matrosen weinten laut vor Freud' und Dank- arkeit, und kuͤßten mit dem lebhaftesten Zeichen der Reue dem Kapitain die Hand. Dan uͤberreichte dieser ihnen ihre Waffen und befahl ihnen, die Befehle ihres gemeinschaftlichen Anfuͤhrers ge- nau zu befolgen. Die Manschaft des zweiten Boots hatte un- terdeß nicht aufgehoͤrt zu rufen und unter durch zu schiessen, in der Hofnung, daß ihre zerstreu- ten Kameraden sich einfinden wuͤrden. Endlich da sie sahen, daß alles vergeblich sei, schienen sie, bei anbrechender Abenddaͤmmerung fuͤr sich selbst besorgt zu werden und stiessen auf hundert Schritte vom Lande um sich alda vor Anker zu legen. Nun war zu besorgen, daß sie in kurzer Zeit nach dem Schiffe zuruͤkrudern wuͤrden, und daß dieses alsdan die verlornen Kameraden im Stiche lassen und davon segeln moͤgte; eine Be- sorgniß, welche den Kapitain und Robinson zugleich zittern machte. Gluͤklicher Weise kriegte der leztere einen Einfal von dem alle sich viel Gutes versprachen. Er befahl Freitag, nebst einem der Matro- sen in ein Gebuͤsch zu laufen, welches von dem Bote ein Paar tausend Schritte entfernt war und und von da aus auf das Schreien der Rufenden zu antworten. So bald sie merkten, daß man auf ihre Stimmen horchte, daß man ausstiege, um sie aufzusuchen, solten sie sich almaͤhlig tie- fer in das Gebuͤsch begeben, um die Leute aus dem Bote hinter sich her zu lokken und so weit, als moͤglich, zu entfernen. Dan solten sie selbst auf einem andern Wege eiligst zu ihnen zuruͤk kehren. Diese wohlersonnene Kriegeslist hatte den erwuͤnschtesten Erfolg. Die Matrosen im Bote hatten kaum eine antwortende Stimme vernom- men, als sie eiligst wieder ans Land ruderten, und mit den Flinten in der Hand nach der Ge- gend hinliefen, von wannen ihnen geantwortet wurde. Zwei liessen sie zur Bewachung des Boots zuruͤk. Freitag und sein Begleiter machten ihre Sa- chen treflich, und lokten diejenigen, die ihnen nachgingen, fast eine halbe Meile weit tief in das Gebuͤsch hinein. Dan kehrten sie mit einer Geschwindigkeit, die ihres Gleichen nicht gehabt hat, zu ihren Anfuͤhrern zuruͤk. Robinson hatte hatte unterdeß dem Kapitain seinen ganzen Plan mitgetheilt, der abermahls darauf hinaus lief, daß sie suchen wolten, sich der ganzen Geselschaft zu bemaͤchtigen, ohne daß ein Tropfen Bluts dabei vergossen wuͤrde. Es war unterdeß fast gaͤnzlich finster gewor- den. Stil, wie ein Maͤuschen, ruͤkte Robin- son mit seinen Gefaͤhrten gegen das Boot an, und waren schon bis auf zwanzig Schritte davon gekommen, ohne daß die darin wachenden beiden Matrosen das geringste merkten. Ploͤzlich spran- gen sie alle mit einem entsezlichen Geschrei und mit einem lauten Geklirre ihrer Waffen hervor und droheten Tod und Verderben, wenn ein ein- ziger sich zu ruͤhren wagte. Die beiden Ma- trosen riefen Pardon! und man sprang hinzu, ihnen die Haͤnde zu binden. Kaum war dies geschehen: so eilte man auch dieses Boot weit auf den Strand zu bringen. Dan zog man sich mit den beiden Gefangenen in das nahe dabei liegende Gebuͤsch zuruͤk, um die Ankunft der uͤbrigen zu erwarten. Diese kamen, jedoch nicht alle auf einmahl und aͤusserst ermuͤ- det det von dem langen vergeblichen Herumirren. Ihr Erstaunen, und ihr Wehklagen uͤber die Abwe- senheit des Boots war unbeschreiblich. Da ih- rer fuͤnf zusammen waren, wurde einer der Be- gnadigten Matrosen mit der Anfrage an sie ab- geschikt: ob sie sogleich gutwillig das Gewehr strekken und sich ergeben wolten? Wo nicht, so haͤtte der Stadthalter der Insel in einer Entfer- nung von dreißig Schritten funfzig Man auf- marschiren lassen, um sie alle nieder zu schiessen. Ihr Boot waͤre schon genommen, alle ihre Ka- meraden waͤren gefangen und sie haͤtten also blos zwischen Tod und Gefangenschaft zu waͤhlen. Robinson ließ hierauf alle seine Gefaͤhr- ten ein Geklirre mit den Waffen machen, um der Aussage des Matrosen noch mehr Wahr- scheinlichkeit zu geben. „Haben wir Pardon zu hoffen?„ fragte endlich Einer, dem der Kapi- tain ungesehen folgendermaßen zurief: Thomas Schmith, du kenst meine Stimme: leget ihr unverzuͤglich das Gewehr nieder, so sol euch das Leben geschenkt sein, bis auf Atkins. Dieser war nemlich einer der Urheber der Meuterei gewesen. Alle Alle warfen darauf augenbliklich ihre Flinten nieder und Atkins schrie: „ach! um Gottes Barmherzigkeit willen, Herr Kapitain, Pardon! Pardon! Sie sind ja alle eben so schlim gewesen, als ich. O Pardon! Pardon! „Der Kapitain antwortete: alles, was er thun koͤnte, waͤre, daß er ein Fuͤrwort beim Stadthalter fuͤr ihn einlegte. Was darauf erfolgen wuͤrde, muͤsse er erwarten. Hierauf wurde Freitag abgeschikt, der nebst den Matrosen ihnen allen die Haͤnde binden muste. Unterdeß kamen die drei lezten herbei, und da sie sahen und hoͤrten, was gesche- hen sei, wagten sie eben so wenig sich zu wider- sezen und liessen sich geduldig binden. Jezt traten auch der Kapitain und Robin- son, der fuͤr einen Offizier des Stadthalters angesehen wurde, hinzu, und der erstere suchte diejenigen von den Gefangenen aus, die er einer aufrichtigen Reue uͤber ihren Fehltrit faͤhig hielt. Diese wurden bis vor die Burg gefuͤhrt, die uͤbrigen nach der Grotte. Unter denen, die schon in der Grotte waren, ließ er gleichfals noch noch zwei abholen, denen er eine aͤhnliche Be- reuung ihres Fehltritts zu trauete. Was er mit diesen anfing, und was noch wei- ter vorfiel, das, Kinder, behalte ich mir vor, euch morgen zu erzaͤhlen. Dreißigster Abend. Vater. N un, Kinder, das Schiksal unsers Robin- sons ist seiner Entscheidung nahe. In einigen Stunden ist das Loos geworfen; und dan wird es sich zeigen, ob er abermahls ohne Hofnung einer Erloͤsung auf seiner Insel bleiben, oder ob ihm endlich sein langer heisser Wunsch, einmahl wieder zu seinen Eltern zu kommen, gewaͤhret werden sol? Es komt nemlich nun darauf an, ob der Schifskapitain durch Huͤlfe derjenigen Matrosen, Y die die er begnadiget hat, das Schif wieder erobern kan, oder nicht? Ist jenes, so haben die Muͤh- seligkeiten unsers Freundes ein Ende; ist aber dieses, ja so bleibt alles, wie es war, und es ist an keine Erloͤsung fuͤr ihn zu denken. Der Begnadigten, welche sich jezt vor der Burg versamlet hatten, waren zehn. Robin- son deutete ihnen im Nahmen des Stadthalters an, daß ihr Verbrechen ihnen unter der Bedin- gung verziehen werden solte, wenn sie ihren recht- maͤßigen Vorgesezten behuͤlflich waͤren, wieder Besiz von seinem Schiffe zu nehmen. Da nun alle die heiligste Versicherung gaben, daß sie die- se Bedingung gern und treulich erfuͤllen wuͤrden: so fuͤgte Robinson hinzu, daß sie hierdurch nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch zugleich das Leben ihrer noch gefangenen Kameraden ret- ten koͤnten, die, im Fal, daß das Schif nicht erobert wuͤrde, morgen mit Anbruch des Tages samt und sonders gehengt werden solten. Eben dieses Urtheil wurde auch den Gefan- genen kund gethan. Dan fuͤhrte man beide Par- theien, die Gefangenen und die Freigelassenen, zu- zusammen, damit diese durch jene in ihrer Treue bestaͤrkt werden moͤgten. Unterdeß muste der Schifszimmerman in aller Eile den durchloͤcher- ten Boden des einen Boots ausbessern; und da dieses geschehen war, wurden beide Boͤte in der groͤßten Geschwindigkeit wieder aufs Wasser ge- bracht. Darauf ward beschlossen, daß der Schifs- kapitain das eine, der Steuerman hingegen das andere Boot kommandiren, und daß die Man- schaft unter sie vertheilt werden solte. Alle wur- den mit Gewehr und Munizion versehen, und nachdem darauf Robinson den Schifskapitain umarmt und ihm Gluͤk zu seiner Unternehmung gewuͤnscht hatte, ging jener unter Segel. Nikolas. Das wundert mich doch, daß Robinson nicht mit ging! Vater. Es war nicht Furchtsamkeit, son- dern vernuͤnftige Ueberlegung, die ihn zuruͤk hielt. Die Gefangenen haͤtten losbrechen, haͤt- ten in seiner Abwesenheit sich der Burg bemaͤch- tigen koͤnnen; und dieser einzige sichere Aufent- halt, der zugleich alle Huͤlfsmittel zu seiner Gluͤkseeligkeit enthielt, war ihm viel zu wich- Y 2 tig, tig, als daß er ihn so leichtsinnig haͤtte aufs Spiel sezen koͤnnen. Der Kapitain hatte ihm daher selbst gerathen, daß er mit seinem Frei- tag zur Beschuͤzung dieses Orts zuruͤk bleiben moͤgte. Robinson, dessen ganzes Schiksal jezt ent- schieden werden solte, konte vor Unruhe und Be- aͤngstigung keine bleibende Staͤte finden. Bald sezt' er sich in seiner Hoͤhle nieder, bald stieg er wieder auf den Wal, bald kletterte er die Strik- leiter hinan, um von dem Gipfel des Huͤgels hinab durch die stille Nacht hin zu horchen, ob er nicht von dem Schiffe her irgend etwas hoͤren koͤnte. Ohngeachtet er den ganzen Tag uͤber fast nichts gegessen hatte, so war's ihm doch unmoͤg- lich, etwas zu geniessen. Seine Unruhe wuchs mit jedem Augenblikke, weil das verabredete Signal — drei Kanonenschuͤsse — welches ihn von dem gluͤklichen Ausgange der Unternehmung be- nachrichtigen solte, noch immer nicht gehoͤrt wur- de, ohngeachtet es schon Mitternacht war. Er besan sich indeß, daß er Unrecht habe, sich dem Affekte der Furcht und Hofnung so sehr zu uͤber- lassen, lassen, und er erinnerte sich noch zu rechter Zeit ei- ner Lehre, die er erst vor kurzem seinem Freitag gegeben hatte. In zweifelhaften Faͤllen, hatte er zu diesem gesagt, mache dich immer auf den schlimsten gefaßt. Komt dieser schlimste Fal nicht; desto besser fuͤr dich! Komt er aber wirklich, nun so bist du darauf vorberei- tet, und er wird dich nicht durch seine Ueberra- schung betaͤuben. Diesem Grundsaze zufolge stelte sich Robin- son den ungluͤklichen Ausgang der Unterneh- mung als unbezweifelt vor, und bot seine ganze Standhaftigkeit, sein ganzes Vertrauen auf die goͤtliche Vorsehung auf, um auch diesen Schlag des Schiksals zu ertragen. Schon hatt' er fast alle Hofnung gaͤnzlich aufgegeben, als auf ein- mahl der ferne Knal einer Kanone wirklich gehoͤrt wurde. Robinson fuhr auf, wie einer, der durch einen ploͤzlichen Schal aus dem Schlummer auf- geschrekt wird. Puf! hoͤrt' er den zweiten und abermahls puf! den dritten Kanonenschuß. Und nun war an der gluͤklichen Eroberung des Schifs Y 3 und und an seiner bevorstehenden Erloͤsung gar nicht zu zweifeln. Im hoͤchsten Taumel der Freude, mehr flie- gend, als tretend, huscht' er die Strikleiter hin- ab; fiel Freitag, welcher schlummernd auf ei- ner Grasbank saß, um den Hals, druͤkte ihn, und benezte, ohne ein Wort hervor bringen zu koͤnnen, sein Gesicht mit vielen Traͤnen. „Was ist dir, lieber Herr?„ fragte Freitag, indem er sich ermunterte, und uͤber die ungestuͤmen Lieb- kosungen, die ihm widerfuhren, ganz erschrekt war. Aber Robinson konte im Uebermaaß seiner Freude weiter nichts hervorbringen, als: ach, Freitag! „Gott sei dem Kopfe meines armen Herrn gnaͤdig!„ dachte Freitag, weil er auf die Ver- muthung gerieth, daß er wahnsinnig geworden sei. „Lege dich schlafen, lieber Herr!„ sagt' er zu ihm, und wolte ihm unter die Arme fas- sen, um ihn in die Hoͤhle zu fuͤhren. Aber Ro- binson sahe ihm mit unbeschreiblicher Freund- lichkeit ins Gesicht und antwortete: „Schla- fen, lieber Freitag? Ich, jezt schlafen, in dem dem Augenblikke, da der Himmel meinen einzi- gen langen Herzenswunsch erfuͤlt hat? Hast du die drei Kanonenschuͤsse nicht gehoͤrt? Weißt du noch nicht, daß das Schif erobert ist?„ Nun gingen Freitag die Augen auf. Auch er fing an, sich zu freuen, aber doch nicht so stark und nicht um seinetwegen, sondern um sei- nes guten Herrn willen. Denn der Gedanke, seinen vaterlaͤndischen Himmel auf immer ver- lassen zu muͤssen, verbitterte ihm das Vergnuͤgen, in Robinsons und seines Vaters Geselschaft nach einem Lande zu reisen, aus dem er schon so viele Wunderdinge gesehen hatte, und in dem er noch groͤssere zu sehn erwartete. Robinson war vor lauter Entzuͤkken jezt unruhiger, als jemahls. Bald kletterte er den Huͤgel hinan, warf sich da im Angesicht des stern- besaͤten Himmels auf seine Knie, um Gott fuͤr seine Erloͤsung zu danken; bald stieg er wieder hinab, umarmte seinen Freitag, sprach von nichts, als Hamburg, und fing schon an, sei- ne Sachen einzupakken. So verstrich ihm die ganze Nacht, ohne daß es ihm ein einzigesmahl Y 4 einge- eingefallen waͤre, sich zur Ruhe begeben zu wol- len. Mit Anbruch des Tages waren seine Augen unverwandt nach der Gegend hin gerichtet, wo das Schif vor Anker lag, und er erwartete mit Schmerzen den Augenblik der volkommenen Hel- le, um das Werkzeug seiner Befreiung, das Schif, mit seinen Augen zu sehen. Dieser Au- genblik kam; aber — o Himmel! wie groß war sein Entsezen, da er mit voͤlliger Gewisheit sehen muste, — daß das Schif verschwunden sei! Er that einen lauten Schrei, und sank zu Boden. Freitag rante herbei, und konte lange nicht erfahren, was seinem Herrn eigentlich angekom- men sei. Endlich strekte dieser seine zitternde Hand nach dem Meere hin, und sprach mit schwa- cher sterbender Stimme: Sieh hin! Freitag sahe hin; und nun wust' er, was seinem Herrn fehlte. (Die junge Geselschaft wuste nicht, wie sie sich bei dieser Stelle nehmen solte. Gern haͤtte sie sich der Freude uͤber die nun zu hoffende Ver- laͤngerung der Geschichte uͤberlassen; aber die Em- Empfindung des Mitleids uͤber des armen Ro- binsons abermahliges Ungluͤk daͤmpfte diese freudige Aufwallung, und ließ sie nicht zum Ausbruch kommen. Alle beobachteten daher ein tiefes Stilschweigen; und der Vater fuhr fort:) Unser Robinson giebt uns hier ein Beispiel, welches uns lehren kan, wie sehr auch gute, schon gebesserte Menschen auf ihrer Hut sein muͤssen, daß sie sich nicht von gar zu starken Leidenschaften dahin reissen lassen. Haͤtte Ro- binson sich nicht so ausschweifend gefreut: so wuͤrd' er sich nun auch nicht so ausschweifend be- truͤben; und haͤtte die Betruͤbniß nicht seinen ganzen Verstand so sehr umnebelt gehabt: so wuͤrd' er erkant haben, daß er auch diese goͤtli- che Schikkung mit geduldiger Unterwerfung sich muͤsse gefallen lassen, so sehr auch immer seine besten Hofnungen dadurch vereitelt wur- den. Besonders wuͤrd' er bedacht haben, daß die goͤtliche Vorsehung auch dan noch Mittel zu unserer Rettung weiß, wenn wir selbst kein ein- ziges mehr fuͤr moͤglich halten; und dieser Ge- danke wuͤrde ihn beruhiget haben. Seht, Kin- Y 5 der, der, wie viel selbst gute Menschen noch immer an sich zu bessern haben. Indem nun Robinson so trostlos da lag, und Freitag ihn zu beruhigen suchte: hoͤrten sie auf einmahl an der andern Seite des Huͤgels ein Geraͤusch, welches den Tritten mehrerer Menschen aͤhnlich war. Sie sprangen auf, blikten hin, und sahen mit freudigem Erstau- nen — den Schifskapitain, der mit einigen sei- ner Leute den Huͤgel herauf stieg. Ein Sprung, und Robinson lag in seinen Armen! Indem er sich umdrehete, hatt' er auf der westlichen Kuͤste das Schif in einer kleinen Bucht vor An- ker gesehen, und in demselben Augenblikke war sein Kummer verschwunden. Der bloße Anblik nemlich sagte ihm, daß der Kapitain noch vor Anbruch des Tages die Lage seines Schifs geaͤn- dert, und es auf diejenige Seite der Insel ge- bracht habe, wo es in einem bequemen Hafen sicher vor Anker liegen konte. Lange hing Robinson in stummer Entzuͤk- kung an dem Halse des eben so hoch erfreuten Schifskapitains, bis es endlich zu gegenseitigen Gluͤk- Gluͤkwuͤnschungen und Danksagungen kam. Dan erzaͤhlte der Kapitain, daß es ihm gelungen sei, sich des Schiffes zu bemaͤchtigen, ohne daß ein einziger Mensch verwundet oder getoͤdtet worden sei, weil man in der Dunkelheit der Nacht ihn selbst nicht bemerkt, und gar kein Bedenken getra- gen haͤtte, seine Begleiter aufzunehmen. Die Aergsten unter den Empoͤrern haͤtten sich nachher zwar zur Wehre stellen wollen: aber ihr Wider- stand sei fruchtlos gewesen. Man haͤtte sie er- griffen und in Fesseln gelegt. Hierauf uͤberließ er sich den Empfindungen der Dankbarkeit gegen seinen Erretter. „Sie sind es, sagt er, in- dem eine Traͤne ihm aus dem Auge quol; Sie sind es, edler Man, dessen Mitleid und Klug- heit mich und mein Schif gerettet haben. Dort steht es! es ist das Ihrige; befehlen Sie dar- uͤber und uͤber mich selbst, wie es Ihnen gut duͤnken wird.„ Dan ließ er einige Erfrischun- gen herbei tragen, die er aus dem Schiffe mit- gebracht hatte, und alle nahmen nun mit frohem Herzen ein wohlschmekkendes Fruͤhstuͤk ein. Unter- Unterdeß erzaͤhlte Robinson dem Schifs- kapitain seine wunderbaren Schiksale, und sezte diesen dadurch mehr, als einmahl, in das groͤßte Erstaunen. Dan bat der Kapitain, daß Ro- binson ihm nun vorschreiben moͤgte, was er fuͤr ihn thun solte; und Robinson antwortete: „Ich habe ausser dem, was ich gestern zur Bedingung meines Beistandes machte, noch eine dreyfache Bitte an Sie. Erstlich ersuche ich Sie, daß Sie so lange hier verziehen moͤ- gen, bis meines ehrlichen Freitags Vater mit den Spaniern zuruͤkkommen wird; zweytens, daß Sie ausser mir und meinen Hausleuten auch die saͤmtlichen Spanier aufnehmen und zu- erst nach Kadir segeln moͤgen, um diese daselbst auszusezen. Endlich bitte ich Sie, daß Sie auch den vornehmsten Aufruͤhrern das Leben schenken, und, stat einer andern Strafe, sie auf dieser meiner Insel zuruͤklassen moͤgen; weil ich versichert bin, daß dies das beste Mittel sein wird, sie zu bessern.„ Der Schifskapitain versicherte, daß alles puͤnktlich so geschehen solte, wie er es verlangte; ließ ließ die Gefangenen herbei fuͤhren; suchte die Aergsten darunter aus, und kuͤndigte ihnen ihr Urtheil an. Diese waren sehr erfreut daruͤber, weil sie wusten, daß sie nach den Gesezen das Leben verwirkt hatten. Der menschenfreundli- che Robinson gab ihnen Anweisung, wie sie sich ihren Lebensunterhalt erwerben koͤnten, und versprach, daß er ihnen seinen ganzen Reich- thum an Werkzeugen, Hausrath und Vieh zu- ruͤk lassen wolte. Er schaͤrfte ihnen dabei zu wiederhohlten mahlen Vertrauen auf Gott, Ar- beitsamkeit und Eintracht ein, und versicherte, daß diese Tugenden ihnen den Aufenthalt auf dieser Insel ungemein angenehm machen wuͤr- den. Indem er noch so sprach, kam Freitag ganz ausser Athem mit der frohen Nachricht herbei gerant, daß sein Vater mit den Spaniern ankaͤ- me und jezt eben landen wuͤrde. Die ganze Geselschaft machte sich also auf, ihnen entgegen zu gehen; aber Freitag flog vor allen andern hin, und hieng seinem alten Vater schon laͤngst am Halse, da die Uebrigen herbei kamen. Ro- Robinson erblikte mit Verwunderung, daß unter den Angekommenen auch zwei Frauensper- sonen waren; und da er sich bei Donnerstag darnach erkundigte, erfuhr er: daß sie die Wei- ber zweier Spanier waͤren, die sie sich von den eingebohrnen Wilden genommen haͤtten. Diese beiden Spanier hatten kaum gehoͤrt, daß Ro- binson abreisen, und einige Matrosen auf der Insel zuruͤk lassen wuͤrde: als sie sich von ihm die Erlaubniß ausbaten, mit ihren Weibern gleichfals da zu bleiben, weil sie nach allem, was sie von dieser Insel gehoͤrt haͤtten, sich kei- nen bessern Aufenthalt wuͤnschen koͤnten. Robinson hoͤrte diese Bitte gern und er- fuͤlte sie mit Vergnuͤgen. Es war ihm lieb, daß ein Paar Maͤnner zuruͤkblieben, denen ihre Ka- meraden einstimmig das Zeugniß der Ehrlichkeit gaben; weil er hofte, daß diese die uͤbrigen schlechten Burschen zu einem ordentlichen und friedfertigen Leben wuͤrden anhalten koͤnnen. In dieser Absicht beschloß er, die Andern alle von diesen beiden abhaͤngig zu machen. Er Er ließ sie daher alle vor sich kommen, um ihnen seinen Willen kund zu thun. Es waren uͤberhaupt sechs Englaͤnder und die beiden Spa- nier mit ihren Weibern. Robinson redete sie folgendermaassen an: „Keiner unter euch wird mir hoffentlich das Recht streitig machen, mit meinem Eigenthume — und dies ist die ganze Insel nebst allem, was darauf ist — zu schalten und zu walten, wie es mir gefaͤlt. Ich wuͤnsche aber, daß es euch allen, die ihr hier zuruͤk bleiben werdet, recht wohl gehen moͤge. Hierzu wird eine ordentliche Ein- richtung erfodert, und mir komt es zu, sie zu machen. Ich erklaͤre demnach, daß diese beiden Spanier kuͤnftig meine Stelle vertreten, und an meiner Stat die rechtmaͤßigen Herrn der In- sel sein sollen. Euch andern komt es also zu, ihnen den strengsten Gehorsam zu beweisen. Sie allein sollen meine Burg bewohnen; sie allein sollen alle Gewehre, alle Kriegsmunizion, alle Werkzeuge in Verwahrung haben; aber sie sol- len dabei auch verbunden sein, euch andern da- von zu leihen, was ihr beduͤrft, unter der Be- dingung, dingung, daß ihr euch friedfertig und in jeder Betrachtung ordentlich betraget. Giebt es Ge- fahren: so solt ihr alle fuͤr einen Man stehen; giebt es etwas zu arbeiten, es sei auf dem Felde oder im Garten, so sollen Alle diese Arbeit ge- meinschaftlich verrichten und die jedesmahlige Erndte unter sich theilen. Vielleicht habe ich einmahl Gelegenheit, mich nach euch erkundigen zu lassen; vielleicht beschliesse ich selbst einmahl, wieder hieher zuruͤk zu kehren, um den Rest mei- ner Tage auf dieser mir jezt so lieben Insel zu- zubringen. Wehe alsdan dem, der unterdeß diese meine Anordnung umstoßen wird! Er wuͤr- de ohne Barmherzigkeit in einen kleinen Nachen gesezt, und bei stuͤrmischer Witterung dem gros- sen Weltmeere Preiß gegeben werden.„ Alle bezeugten ihre Zufriedenheit mit dieser Einrichtung und gelobten den strengsten Gehor- sam an. Und nun machte Robinson ein Verzeichniß von den wenigen Sachen, die er mitnehmen wolte, und die daher am Bord gebracht werden solten. Sie bestanden 1) aus seiner selbst ge- machten machten Kleidung von Fellen, nebst Sonnen- schirm und Larve; 2) aus den von ihm verfer- tigten Spieß, Bogen und steinernen Beile; 3) aus seinem Pol, dem Pudel, und zweien La- ma's; 4) aus allerlei Werkzeuge und Geraͤth- schaft, die er selbst verfertiget hatte, da er noch allein war und endlich 5) aus den Goldkoͤrnern, den Diamanten, und seinem eigenen großen Gold- klumpen. Nachdem dies alles zu Schiffe gebracht, und der Wind sehr guͤnstig war, wurde die Abreise auf den folgenden Morgen festgesezt. Robin- son und Freitag bereiteten darauf eine Mahl- zeit zu, um den Schifskapitain und den zuruͤk- bleibenden Kolonisten vor ihrer Abreise erst ein kleines Fest zu geben. Das Beste, was sie hatten, wurde dazu hergegeben, und die Spei- sen waren so schmakhaft zubereitet worden, daß der Kapitain sich nicht genug uͤber Robin- sons Geschiklichkeit in der Kochkunst wundern konte. Um dem edlen Beispiele seines Wirths zu folgen, und zu der Gluͤkseeligkeit der Zu- ruͤkbleibenden auch etwas beizutragen, ließ er Z eine eine Menge Lebensmittel, Schießpulver, Eisen und Werkzeuge von dem Schiffe hohlen, womit er der Kolonie ein Geschenk machte. Gegen Abend bat sich Robinson die Er- laubniß aus, eine Stunde allein sein zu duͤrfen, weil er vor seiner Abreise noch einige wichtige Geschaͤfte abzuthun habe. Jederman verließ ihn; und er stieg den Huͤgel hinauf, um noch einmahl der ganzen Geschichte seines Aufenthalts auf dieser Insel nachzudenken, und sein volles Herz in kindlicher Dankbarkeit vor Gott zu er- gießen. Es fehlt mir an Worten, die frommen dankbaren Empfindungen desselben auszudruͤkken; aber wer ein Herz, wie das Seinige, hat, der bedarf auch meiner Beschreibung nicht; er wird es in sich selbst lesen koͤnnen. Jezt war der Augenblik zur Abreise da. Mit Traͤnen in den Augen ermahnte Robinson die Zuruͤkbleibenden noch einmahl zur Eintracht, zur Arbeitsamkeit und zur Froͤmmigkeit und empfahl sie darauf mit bruͤderlichem Herzen dem Schuze des Gottes, der ihn selbst so wunderbar geleitet hatte. Dan sah er sich noch einmahl um- her; her; dankte noch einmahl Gott fuͤr seine wun- derbare Erhaltung und fuͤr seine nunmehrige Er- loͤsung; rief darauf mit halb erstikter Stimme den Zuruͤkbleibenden das lezte Lebewohl! zu und ging von Freitag und Donnerstag begleitet an Bord. Einige. O weh! Nun ist 's aus. Johannes. Wartet doch! Wer weiß denn, ob nicht wieder etwas dazwischen komt! Vater. Der Wind wehete so frisch und so guͤnstig, daß es ihnen grade so vorkam, als wenn die Insel davon floͤge. So lange sie noch gesehen werden konte, stand Robinson stum und traurig auf dem Verdekke, die Augen unver- ruͤkt auf das geliebte Land gerichtet, welches ein zwoͤlfjaͤhriger Aufenthalt und die mannigfaltigen darauf entstandenen Muͤhseeligkeiten ihm so werth, als sein eigenes Vaterland, gemacht hat- ten. Endlich, da auch die lezte Bergspize aus seinen Augen verschwand, blikt' er gen Himmel, sagte sich selbst in Gedanken das Lied: Nun danket alle Gott! vor, und verfuͤgte sich mit Donnerstag und Freitag in die Kajuͤte des Z 2 Ka- Kapitains, um seinem beklommenen Herzen durch freundschaftliche Gespraͤche Luft zu machen. Ihre Fahrt war sehr gluͤklich. In 24 Tagen erreichten sie Cadix, woselbst die mitgenomme- nen Spanier ausgesezt wurden. Robinson selbst ging gleichfals an Land, um den Kaufman aufzusuchen, dessen Goldkoͤrner er gerettet hatte. Er fand ihn und hatte die Freude zu erfahren, daß dieser rechtschaffene Man durch ihn aus der groͤßten Verlegenheit gerissen werde. Der Ver- lust des Schiffes hatte nemlich die traurige Folge fuͤr ihn gehabt, daß er Bankerot machen muste. Frizchen. Was ist das? Vater. Wenn jemand mehr schuldig ist, als er bezahlen kan: so wird ihm alles, was er noch etwa hat, genommen, um es unter diejeni- gen zu vertheilen, denen er schuldig blieb, und das nent man denn Bankerot machen. Das Toͤnchen vol Goldkoͤrner war mehr, als hinreichend, des Kaufmans Schulden damit zu bezahlen. Den Ueberrest wolte der dankbare Man seinem Wohlthaͤter schenken; aber dieser war weit davon entfernt, es anzunehmen, weil er er, wie er sagte, durch das Bewustsein, das Ungluͤk eines ehrlichen Mannes abgewandt zu haben, uͤberfluͤßig belohnt war. Von da gingen sie wieder unter Segel, um nach England zu schiffen. Aber auf dieser Fahrt ereignete sich ein trauriger Unfal. Der alte Donnerstag wurde ploͤzlich krank; alle ange- wandte Bemuͤhungen, ihm zu helfen, waren vergebens; er starb. Was Freitag dabey litte; und wie unmaͤßig er den Tod eines so geliebten Vaters bejammerte, koͤnt ihr euch vorstellen. Auch die beiden Lama's konten das Seefahren nicht ertragen, und starben. Unterdeß langte das Schif gluͤklich zu Ports- mouth, einem bekanten Hafen in England, an. Hier hofte Robinson, die Offizierswitwe wieder vorzufinden, der er die Diamanten zustellen wolte. Er fand sie; aber in dem aller klaͤglichsten Zustande. Da sie seit zwei Jahren von ihrem verstorbenen Manne ganz und gar keine Unter- stuͤzung mehr aus Ostindien erhalten hatte, so war sie nach und nach mit ihren Kindern in die allergroͤßte Armuth versunken. Ihre Leiber Z 3 wa- waren kaum noch mit einigen alten Lumpen be- dekt, und Hunger und Elend hatte das Gesicht der Mutter und ihrer Kinder mit Todtenblaͤsse uͤberzogen. Robinson aͤrndtete hier abermahls die Wollust ein, deren jeder gute Mensch genies- set, wenn die goͤttliche Vorsehung sich seiner, als eines Werkzeuges, bedient, um dem Elende an- derer Menschen ein Ende zu machen. Er uͤber- gab die Diamanten und sahe darauf die hinwel- kende schon halb verhungerte Familie, wie eine schon halb erstorbene Pflanze nach einem erquik- kenden Sommerregen, in wenigen Tagen wieder aufbluͤhen, und einer Gluͤkseeligkeit genießen, auf die sie fuͤr dieses Leben schon laͤngst Verzicht gethan hatte. Da hier grade ein Schif vor Anker lag, wel- ches nach Hamburg bestimt war: so verließ er seinen bisherigen Fuͤhrer, um ihn nicht weiter zu bemuͤhen, und ging, von Freitag begleitet, an Bord dieses Hamburgischen Schiffes; welches bald darauf die Anker lichtete. Auch diese Fahrt ging geschwind und gluͤklich von statten. Schon hatten sie Heiligeland im Ge- Gesicht; schon erschien am fernen Horizonte Robinsons geliebtes Vaterland, bei dessen An- blik ihm das Herz vor Freude zerspringen wolte; schon erreichten sie die Muͤndung der Elbe, als ploͤzlich ein vom heftigsten Sturme begleitetes Gewitter ausbrach, wodurch das Schif mit un- widerstehlicher Gewalt gegen die Kuͤste getrieben wurde. Alles, was Geschiklichkeit und Fleiß vermoͤgen, wurde angewandt, um das Schif zu wenden und wieder die hohe See zu erreichen; aber umsonst, ein gewaltiger Windstoß vereitelte alle ihre Bemuͤhungen, riß das Schif dahin und warf es so unsanft auf eine Sandbank daß der Boden desselben zertruͤmmert wurde. Das Wasser stuͤrzte in demselben Augen- blikke so unerschoͤpflich hinein, daß an keine Ret- tung des Schifs zu denken war, und daß die Schifsgeselschaft nur noch eben so viel Zeit hatte, in die Boͤte zu springen, um, wo moͤglich, nur ihr eigenes Leben davon zu tragen. So kam Robinson mit seinen Gefaͤhrten, abermahls als ein armer Schifbruͤchiger, endlich zu Kux- haven an, ohne von seinem ganzen Reichthum Z 4 ir- irgend sonst etwas gerettet zu haben, als seinen treuen Pudel, der ihm nachgesprungen war, und seinen Pol, der ihm eben auf der Schulter saß, da der Schifbruch sich ereignete. Nach einiger Zeit erfuhr er, daß unter denen von dem Wrak des Schiffes geretteten Sachen, nur sein Schirm und seine selbstgemachte Pelzkleidung befindlich waͤren. Diese erhielt er, gegen Erlegung der Strandrechtskosten, wieder: sein ganzer großer Goldklumpen hingegen war verloren gegangen. Johannes. O der arme Robinson! Vater. Er ist nun grade wieder so reich, als er damahls war, da er von Hamburg ab- fuhr. Vielleicht, daß die Vorsehung ihn des- wegen alles wieder verlieren ließ, weil der An- blik seines Reichthums einen oder den andern leichtsinnigen jungen Menschen vielleicht haͤtte be- wegen koͤnnen, seinem Beispiele zu folgen, und auch aufs Gerathewohl in die weite Welt zu gehen, um, so wie er, mit gefundenen Schaͤzen zuruͤk zu kehren. Er fuͤr sein Theil beklagte diesen Verlust am wenigsten. Denn da er sich fest vorgenommen hatte, seine kuͤnftigen Tage in in eben so ununterbrochener Arbeitsamkeit und Maͤßigkeit hinzubringen, als er auf seiner Insel zu leben gewohnt gewesen war: so kont' er des Goldes fuͤglich entbehren. Jezt fuhr er in einem von Kuxhaven ab- gehenden Schiffe nach Hamburg. Da man bis gegen Stade uͤber heraufgesegelt war, er- blikt' er die Thuͤrme seiner Vaterstadt und muste vor Entzuͤkken weinen. Nur noch vier Stunden so war er da, so lag er schon in den Armen seines theuren geliebten Vaters. Den Tod seiner guten Mutter hatte er schon in Kuxhaven gehoͤrt, und seit einigen Tagen auf das schmerzlichste beweint. Jezt flog das Schif von hoher Fluth und gutem Winde getrieben bei Blankenese vorbei; jezt bei Neuenstaͤdten; nun war er gegen Altona uͤber und jezt in dem Hafen bei Ham- burg. Mit lautklopfendem Herzen sprang er aus dem Schiffe, und haͤtte er sich nicht vor den Zuschauern geschaͤmt, er wuͤrde auf sein Ange- sicht gefallen sein, den vaterlaͤndischen Boden zu kuͤssen. Er eilte durch die ihn angaffende Menge der Zuschauer und ging ins Baumhaus. Z 5 Von Von da schikt' er einen Boten nach seines Vaters Hause, um denselben nach und nach auf seine Erscheinung vorbereiten zu lassen. Erst muste der Abgeschikte ihm melden: es waͤre jemand da, der ihm angenehme Nachrichten von seinem Sohne bringen wolte; dan, daß sein Sohn die Ruͤkreise selbst nach Hamburg angetreten haͤtte; und endlich, daß der Jemand, der ihm diese frohe Nachricht braͤchte, sein Sohn selbst waͤre. Haͤtte Robinson diese Vorsicht nicht gebraucht: so wuͤrde die zu große Freude seinen alten Vater uͤberwaͤltiget und getoͤdtet haben. Und nun flog Robinson selbst durch die ihm noch sehr wohlbekanten Straßen nach seinem vaͤterlichen Hause; und fiel, da er es erreicht hatte, vor nahmenlosen Entzuͤkken ausser sich, seinem vor Freude zitternden Vater in die Arme. Mein Vater! — mein Sohn! Dies war alles, was beide hervorbringen konten. Stum, zitternd und athemlos blieb einer an dem andern haͤngen, bis endlich ein wohlthaͤtiger Strom von Traͤnen ihrem gepreßten Herzen einige Linderung verschafte. Frei- Freitag gafte unterdeß im stummen Er- staunen alle die unzaͤhlbaren Wunderdinge an, die seinen Augen sich darboten. Er konte sich nicht sat sehen, und war den ganzen ersten Tag wie betaͤubt. Wie ein Lauffeuer lief indeß das Geruͤcht von Robinsons Zuruͤkkunft und von den selt- samen Schiksalen desselben durch die Stadt. Alle sprachen von nichts, als von Robinson; alle wolten ihn sehen; alle wolten die Geschichte seiner Abentheuer aus seinem eigenen Munde hoͤren! Seines Vaters Haus wurde daher bald einem oͤffentlichen Versamlungsplaze gleich; und da half nichts, Robinson muste vom Morgen bis an den Abend erzaͤhlen. Bei diesen Erzaͤh- lungen vergaß er dan nie, den Vaͤtern und Muͤt- tern zuzurufen: Eltern, wenn ihr eure Kinder liebt, so gewoͤhnt sie ja fruͤhzeitig zu einem frommen, maͤßigen und arbeit samen Leben! und waren Kinder dabei: so gab er ihnen allemahl die goldne Regel mit: lieben Kinder seid gehorsam euren Eltern und Vorgesezten; lernt fleißig alles, was ihr ihr zu lernen nur immer Gelegenheit habt; fuͤrchtet Gott, und huͤtet euch — o huͤtet euch — vor Muͤßiggang, aus welchem nichts, als Boͤses, komt! Robinsons Vater war ein Makler. Er wuͤnschte, daß sein Sohn sich in diesen Geschaͤf- ten uͤben moͤgte, um nach seinem Tode an seine Stelle treten zu koͤnnen. Aber Robinson, der seit vielen Jahren an das Vergnuͤgen der Handarbeiten gewoͤhnt war, bat seinen Vater um die Erlaubniß, das Tischler-Handwerk zu lernen; und dieser ließ ihm seinen freien Willen. Er begab sich also nebst Freitag bei einem Mei- ster in die Lehre, und ehe noch ein Jahr ver- ging hatten sie ihm alles dergestalt abgelernt, daß sie selbst Meister werden konten. Beide legten darauf eine gemeinschaftliche Werkstat an; und blieben Lebenslang unzertren- liche Freunde und Gehuͤlfen. Fleiß und Maͤs- sigkeit waren ihnen so sehr zur andern Natur ge- worden, daß es ihnen unmoͤglich war, auch nur einen einen halben Tag muͤßig oder schwelgerisch hinzu- bringen. Zur Erinnerung an ihr ehemaliges Einsiedler-Leben sezten sie einen Tag in jeder Wo- che fest, an dem sie ihre vormahlige Lebensart, so gut es gehen wolte, zu erneuern suchten. Eintracht, Nachsicht mit den Fehlern anderer Menschen, Dienstfertigkeit, und Menschenliebe waren ihnen jezt so gewohnte Tugenden gewor- den, daß sie gar nicht begriffen, wie man ohne dieselben leben konte. Vornehmlich zeichneten sie sich durch eine reine, ungeheuchelte und thaͤ- tige Froͤmmigkeit aus. So oft sie den Nahmen Gottes aussprachen, strahlte Freude und Liebe aus ihren Augen; und ein Schauder uͤberfiel sie, wenn sie diesen heiligen Nahmen je zuweilen mit Leichtsin und Gedankenlosigkeit von andern aus- sprechen hoͤrten. Auch kroͤnte der Seegen des Himmels alles, was sie vornahmen, sichtbar- lich. Sie erlebten in Friede, Gesundheit und nuͤzlicher Geschaͤftigkeit ein hohes Alter, und die spaͤteste Nachkommenschaft wird das Andenken zweier Maͤnner ehren, die ihren Mitmenschen ein Beispiel gaben, wie man es machen muͤsse um um hier zufrieden, und einst ewig gluͤklich zu werden. Hier schwieg der Vater. Die junge Gesel- schaft blieb noch eine Zeitlang nachdenkend sizen, bis endlich bei allen der feurige Gedanke: so wil ich es auch machen! zur festen Entschlies- sung reifte.