Vom Kriege . Hinterlassenes Werk des Generals Carl von Clausewitz. Dritter Theil . Berlin , bei Ferdinand Dümmler . 1834 . Hinterlassene Werke des Generals Carl von Clausewitz über Krieg und Kriegfuͤhrung . Dritter Band . Berlin , bei Ferdinand Dümmler . 1834 . Vom Kriege . Hinterlassenes Werk des Generals Carl von Clausewitz. Dritter Theil . Berlin , bei Ferdinand Dümmler . 1834 . N achdem ich es schon einmal gewagt habe zu den Lesern des vorliegenden Werkes zu sprechen und diese Kuͤhnheit, so viel ich weiß, mit Nachsicht aufgenom- men worden ist, muß ich um die Erlaubniß bitten auch diesen dritten Theil mit einigen Zeilen zu beglei- ten, und zwar zuvoͤrderst um dessen verspaͤtetes Er- scheinen zu erklaͤren und zu entschuldigen. Dieser Theil enthaͤlt das siebente und achte Buch des Werkes vom Kriege, welche beide leider unvollen- det geblieben sind und nur in fluͤchtigen Skizzen und Vorarbeiten vorhanden waren. Man wollte sie den Lesern nicht vorenthalten, denn auch in dieser unvoll- endeten Gestalt waren sie von Interesse, da sie wenig- stens den Weg andeuten den der Verfasser zu gehen beabsichtigte. Sie bedurften jedoch einer sorgfaͤltigen Durchsicht und da der Herr Major O’Etzel, der die Guͤte hatte diese Arbeit zu uͤbernehmen, durch Dienst- geschaͤfte lange in derselben gestoͤrt wurde, schien es um so zweckmaͤßiger diesem dritten Theile den vierten ganz vollendeten vorangehn zu lassen, als dieser den Feldzug von 1796, mithin den Anfang der eigentlichen Kriegsgeschichte enthielt und schon von mehreren Sei- ten der Wunsch ausgesprochen worden war, auch mit dieser Abtheilung des vorliegenden Werkes so bald als moͤglich bekannt gemacht zu werden. Man hoffte diese n dritten Theil zugleich mit dem fuͤnften herausgeben zu koͤnnen, aber auch dies war nicht moͤglich, und so muß denn die Nachsicht der Leser wegen dieser doppelten Unterbrechung der natuͤr- lichen Reihenfolge in Anspruch genommen werden. Es sind den beiden unvollendeten Buͤchern des Werkes vom Kriege noch einige Aufsaͤtze beigefuͤgt worden, die zwar nicht eigentlich zu demselben gehoͤ- ren, aber doch in so naher Beziehung damit stehn, daß sie hoffentlich nicht unwillkommen sein werden. Der erste dieser Aufsaͤtze wurde durch den Unter- richt veranlaßt den der Verfasser in den Jahren 1810, 11 und 12 die Ehre hatte Seiner Koͤniglichen Hoheit dem Kronprinzen zu ertheilen. Derselbe enthaͤlt erstens den Entwurf den der Verfasser dem Herrn General von Gaudi, Gouverneur des Kronprinzen, vorlegte; zweitens die Übersicht des Ganzen mit welcher er die- sen Unterricht schloß. Es ist schon in der Vorrede zum ersten Bande gesagt worden daß diese Arbeit gleichsam den Keim des ganzen Werkes vom Kriege enthaͤlt, und schon in dieser Hinsicht duͤrfte sie wohl fuͤr die meisten Leser ein besonderes Interesse haben. Seine Koͤnigliche Hoheit der Kronprinz haben die Gnade gehabt den Druck dieses Aufsatzes zu erlauben, wofuͤr ich Hoͤchstdenselben hier nochmals meinen unter- thaͤnigsten Dank zu Fuͤßen lege. Berlin den 5. Dezember 1833. Marie von Clausewitz. Inhalt . Siebentes Buch . Seite Der Angriff . 1 ‒ 86 1. Kapitel . Der Angriff in Beziehung auf die Verthei- digung 3 2. ‒ ‒ Natur des strategischen Angriffs 5 3. ‒ ‒ Vom Gegenstande des strategischen Angriffs 9 4. ‒ ‒ Abnehmende Kraft des Angriffs 10 5. ‒ ‒ Kulminationspunkt des Angriffs 11 6. ‒ ‒ Vernichtung der feindlichen Streitkräfte 13 7. ‒ ‒ Die Offensivschlacht 14 8. ‒ ‒ Flußübergänge 16 9. ‒ ‒ Angriff von Defensivstellungen 21 10. ‒ ‒ Angriff verschanzter Läger 22 11. ‒ ‒ Angriff eines Gebirges 24 12. ‒ ‒ Angriff von Linienkordons 29 13. ‒ ‒ Manövriren 30 14. ‒ ‒ Angriff von Morästen, Überschwemmungen, Wäldern 34 15. ‒ ‒ Angriff eines Kriegstheaters mit Entschei- dung 36 16. ‒ ‒ Angriff eines Kriegstheaters ohne Entschei- dung 41 17. ‒ ‒ Angriff von Festungen 47 18. ‒ ‒ Angriff von Transporten 53 19. ‒ ‒ Angriff einer feindlichen Armee in Quar- tieren 57 20. ‒ ‒ Diversion 66 21. ‒ ‒ Invasion 70 Achtes Buch . Seite Kriegsplan . 87 ‒ 202 1. Kapitel . Einleitung 89 2. ‒ ‒ Absoluter und wirklicher Krieg 92 3. ‒ ‒ A. Innerer Zusammenhang des Krieges 97 B. Von der Größe des kriegerischen Zwecks und der Anstrengung 102 4. ‒ ‒ Nähere Bestimmungen des kriegerischen Ziels. Niederwerfung des Feindes 121 5. ‒ ‒ Fortsetzung. Beschränktes Ziel 132 6. ‒ ‒ A. Einfluß des politischen Zwecks auf das kriegerische Ziel 135 B. Der Krieg ist ein Instrument der Po- litik 139 7. ‒ ‒ Beschränktes Ziel. Angriffskrieg 150 8. ‒ ‒ Beschränktes Ziel. Vertheidigung 154 9. ‒ ‒ Kriegsplan, wenn Niederwerfung des Fein- des das Ziel ist 161 Anhang . 1. Übersicht des Sr. Königl. Hoheit dem Kronprin- zen in den Jahren 1810, 1811 und 1812 vom Verfasser ertheilten militärischen Unterrichts. 203 ‒ 262 Entwurf der dem Herrn General von Gaudi vorgelegt wurde 205 Die wichtigsten Grundsätze des Kriegführens, zur Ergänzung meines Unterrichts bei Sr. Königl. Hoheit dem Kron- prinzen 210 2. Über die organische Eintheilung der Streitkräfte. 263 ‒ 274 3. Skizze eines Plans zur Taktik oder Gefechtslehre. 275 ‒ 386 Leitfaden zur Bearbeitung der Taktik oder Gefechtslehre 281 Skizzen zum siebenten Buche . Der Angriff . III 1 Erstes Kapitel. Der Angriff in Beziehung auf die Vertheidigung . W enn zwei Begriffe wahre logische Gegensaͤtze bilden, der eine also das Complement des andern wird, so geht im Grunde aus dem einen schon der andere hervor; wo aber auch die Beschraͤnktheit unseres Geistes nicht gestattet beide mit einem Blicke zu uͤbersehen und in der Totalitaͤt des einen durch den bloßen Gegensatz die Totalitaͤt des andern wiederzufinden, da wird doch in jedem Fall von dem einen immer ein bedeutendes und fuͤr viele Theile genuͤgendes Licht auf den andern fallen. So glauben wir daß die ersten Kapitel der Vertheidigung ein hinrei- chendes Licht auf den Angriff werfen in allen Punkten welche sie beruͤhren. Aber so wird es nicht durchgehends bei allen Gegenstaͤnden sein; das Gedankensystem hat nie- mals ganz erschoͤpft werden koͤnnen, es ist also natuͤrlich daß da, wo der Gegensatz nicht so unmittelbar in der Wur- zel des Begriffs liegt wie bei den ersten Kapiteln, aus Dem was in der Vertheidigung gesagt ist nicht unmittelbar Dasjenige folgt was vom Angriff gesagt werden kann. Eine Veraͤnderung des Standpunktes bringt uns dem Ge- genstande naͤher, und es ist also natuͤrlich, Dasjenige, was 1* man aus dem entfernten Standpunkte uͤberblickt hat, aus diesem naͤhern in Betrachtung zu ziehen. Es wird also eine Ergaͤnzung des Gedankensystems sein, wobei nicht sel- ten Das, was vom Angriff gesagt wird, noch ein neues Licht auf die Vertheidigung wirft. So werden wir in dem Angriff meistens dieselben Gegenstaͤnde vor uns haben, die in der Vertheidigung dagewesen sind. Aber es ist nicht in unserer Ansicht und nicht in der Natur der Sache, nach Art der meisten Ingenieurlehrbuͤcher, beim Angriffe alle positiven Werthe, welche wir in der Vertheidigung ge- funden haben, zu umgehen oder zu vernichten, und zu be- weisen daß es gegen jedes Mittel der Vertheidigung irgend ein unfehlbares Mittel des Angriffs gebe. Die Verthei- digung hat ihre Staͤrken und Schwaͤchen; sind die erstern auch nicht unuͤberwindlich, so kosten sie doch einen unver- haͤltnißmaͤßigen Preis, und das muß von jedem Stand- punkte aus wahr bleiben oder man widerspricht sich. Fer- ner ist es nicht unsere Absicht das Widerspiel der Mittel erschoͤpfend durchzugehen; jedes Mittel der Vertheidigung fuͤhrt zu einem Mittel des Angriffs, aber oft liegt dieses so nahe daß man nicht noͤthig hat erst von dem Stand- punkte der Vertheidigung zu dem des Angriffs uͤberzuge- hen um es gewahr zu werden; das eine ergiebt sich aus dem andern von selbst. Unsere Absicht ist bei einem je- den Gegenstande die eigenthuͤmlichen Verhaͤltnisse des An- griffs, insoweit sie nicht unmittelbar aus der Vertheidigung hervorgehen, anzugeben, und diese Art der Behandlung muß uns dann nothwendig auch zu manchen Kapiteln fuͤhren, die in der Vertheidigung keine korrespondirende haben. Zwites Kapitel. Natur des strategischen Angriffs . Wir haben gesehen daß die Vertheidigung im Kriege uͤberhaupt, also auch die strategische, kein absolutes Abwar- ten und Abwehren, also kein vollkommenes Leiden ist, son- dern ein relatives, folg l ich mit mehr oder weniger offensi- ven Prinzip i en durchdrungen. Eben so ist der Angriff kein homogenes Ganze, sondern mit der Vertheidigung unauf- hoͤrlich vermengt. Der Unterschied aber ist daß die Ver- theidigung ohne Ruͤckstoß gar nicht gedacht werden kann, daß dieser ein nothwendiger Bestandtheil derselben ist. So ist es aber nicht beim Angriff; der Stoß oder der Akt des Angriffs ist an sich ein vollstaͤndiger Begriff, die Ver- theidigung ist ihm an sich nicht noͤthig, aber Zeit und Raum, an welche er gebunden ist, fuͤhren ihm die Vertheidigung als ein nothwendiges Übel zu. Denn erstlich kann er nicht in einer stetigen Folge bis zur Vollendung fortgefuͤhrt werden, sondern erfordert Ruhepunkte, und in dieser Zeit der Ruhe, wo er selbst neutralisirt ist, tritt der Zustand der Vertheidigung von selbst ein. Zweitens ist der Raum welchen die vorschreitende Streitkraft hinter sich laͤßt und den sie zu ihrem Bestehen nothwendig braucht, nicht immer durch den Angriff an sich gedeckt, sondern muß besonders geschuͤtzt werden. Es ist also der Akt des Angriffs im Kriege, vor- zugsweise aber in der Strategie ein bestaͤndiges Wechseln und Verbinden von Angriff und Vertheidigung, wobei aber letztere nicht als eine wirksame Vorbereitung zum Angriff, als eine Steigerung desselben anzusehen ist, also nicht als ein thaͤtiges Prinzip, sondern als ein bloßes nothwendiges Übel, als das retardirende Gewicht welches die bloße Schwere der Masse hervorbringt; sie ist seine Erbsuͤnde, sein Todesprinzip. Wir sagen ein retardirendes Ge- wicht, weil, wenn die Vertheidigung Nichts fuͤr den An- griff thut, sie schon durch den bloßen Zeitverlust, welchen sie repraͤsentirt, seine Wirkung vermindern muß. Aber kann dieser Bestandtheil von Vertheidigung, der in jedem Angriffe enthalten ist, nicht auch positiv nachtheilig auf denselben einwirken? Wenn man sich sagt daß der An- griff die schwaͤchere, die Vertheidigung die staͤr- kere Form des Krieges ist, so scheint daraus zu folgen daß diese nicht positiv nachtheilig auf jene einwirken koͤnne, denn so lange man fuͤr die schwaͤchere Form noch Kraͤfte genug hat, muͤssen diese um so mehr fuͤr die staͤrkere ausreichen. Dies ist im Allgemeinen d. h. in der Haupt- sache wahr, und wie es sich noch naͤher bestimmt, werden wir im Kapitel von dem Kulminationspunkt des Sieges genauer auseinandersetzen; aber wir muͤssen nicht vergessen daß jene Überlegenheit der strategischen Ver- theidigung eben zum Theil darin ihren Grund hat, daß der Angriff selbst nicht ohne Beimischung von Vertheidi- gung sein kann, und zwar von einer Vertheidigung viel schwaͤcherer Art; was er von der Vertheidigung mit sich herumschleppen muß, sind die schlimmsten Elemente dersel- ben; von diesen kann nicht mehr behauptet werden was vom Ganzen gilt, und so begreift sich wie diese Elemente der Vertheidigung auch positiv ein schwaͤchendes Prinzip fuͤr den Angriff werden koͤnnen. Eben diese Augenblicke einer schwachen Vertheidigung im Angriff sind es ja, in welche die positive Thaͤtigkeit des offensiven Prinzips in der Vertheidigung eingreifen soll. In welcher verschie- denen Lage befinden sich, waͤhrend der 12 Stunden Rast die einem Tagwerk zu folgen pflegen, der Vertheidiger in seiner ausgesuchten ihm wohlbe ka nnten, zubereiteten Stellung, und der Angreifende in seinem Marschlager, in welches er wie ein Blinder hineingetappt ist; oder, waͤhrend der laͤngern Rast, die eine neue Einrichtung der Verpflegung, das Abwarten von Verstaͤrkungen u. s. w. erfordern kann, wo der Ver- theidiger in der Naͤhe seiner Festungen und Vorraͤthe und der Angreifende wie der Vogel auf dem Aste ist. Aber jeder Angriff muß mit einem Vertheidigen endigen; wie dies beschaffen sein wird, haͤngt von Umstaͤnden ab; diese koͤnnen sehr guͤnstig sein wenn die feindlichen Streitkraͤfte zerstoͤrt sind, aber auch sehr schwierig wenn dies nicht der Fall ist. Obgleich diese Vertheidigung nicht mehr zum Angriff selbst gehoͤrt, so muß doch ihre Beschaffenheit auf ihn zuruͤckwirken und seinen Werth mitbestimmen helfen. Das Resultat dieser Betrachtung ist: daß bei jedem Angriff auf die demselben nothwendig beiwohnende Verthei- digung Ruͤcksicht genommen werden muß, um die Nach- theile welchen er unterworfen ist klar einzusehen und sich darauf gefaßt machen zu koͤnnen. Dagegen ist der Angriff in einer andern Beziehung vollkommen in sich immer ein und derselbe. Die Verthei- digung aber hat ihre Stufen, naͤmlich je mehr das Prin- zip des Abwartens erschoͤpft werden soll. Dies giebt For- men die sich wesentlich von einander unterscheiden, wie wir in dem Kapitel von den Widerstandsarten entwickelt haben. Da der Angriff nur ein thaͤtiges Prinzip hat, und die Vertheidigung in ihm nur ein todtes Gewicht ist das sich an ihn haͤngt, so ist eine solche Verschiedenheit in ihm nicht vorhanden. Freilich findet in der Energie des An- griffs, in der Schnelligkeit und Kraft des Stoßes ein ungeheurer Unterschied statt, aber das ist nur ein Unter- schied in den Graden, nicht in der Art. — Man koͤnnte sich wohl denken daß auch der Angreifende einmal die ver- theidigende Form waͤhlte um besser zum Ziele zu kommen, daß er sich z. B. in einer guten Stellung aufstellte um sich darin angreifen zu lassen; aber diese Faͤlle sind so sel- ten daß wir in unserer Gruppirung der Begriffe und der Sachen, wo wir immer von dem Praktischen ausgehen, nicht darauf Ruͤcksicht zu nehmen brauchen. Es findet also beim Angriff keine solche Steigerung statt wie sie die Wi- derstandsarten darbieten. Endlich besteht der Umfang der Angriffsmittel in der Regel nur aus der Streitkraft; zu dieser muß man dann freilich auch die Festungen rechnen, die, in der Naͤhe des feindlichen Kriegstheaters gelegen, auf den Angriff einen merklichen Einfluß haben. Aber dieser Einfluß wird mit dem Vorschreiten immer schwaͤcher, und es ist begreiflich daß beim Angriffe die eigenen Festungen niemals eine so wesentliche Rolle spielen koͤnnen wie bei der Vertheidigung, wo sie oftmals eine Hauptsache werden. Der Beistand des Volkes laͤßt sich mit dem Angriff in solchen Faͤllen verbunden denken, wo die Einwohner dem Angreifenden mehr zugethan sind als ihrem eigenen Heere; endlich kann der Angreifende auch Bundesgenossen haben, aber sie sind dann bloß das Ergebniß besonderer oder zufaͤlliger Ver- haͤltnisse, nicht eine aus der Natur des Angriffs hervorge- hende Huͤlfe. Wenn wir also in der Vertheidigung Fe- stungen, Volksaufstand und Bundesgenossen in den Um- fang der Widerstandsmittel aufgenommen haben, so koͤn- nen wir dies nicht auch beim Angriff thun; dort gehoͤren sie zur Natur der Sache, hier finden sie sich selten und sind dann meistens zufaͤllig. Drittes Kapitel. Vom Gegenstande des strategischen Angriffs . Das Niederwerfen des Feindes ist das Ziel des Krieges, Vernichtung der feindlichen Streitkraͤfte das Mit- tel. Es bleibt beim Angriff wie bei der Vertheidigung. Diese fuͤhrt durch die Vernichtung der feindlichen Streit- kraͤfte zum Angriff, dieser zur Eroberung des Landes; es ist also dies sein Gegenstand, braucht aber nicht das ganze Land zu sein, sondern kann sich auf einen Theil, eine Pro- vinz, einen Landstrich, eine Festung u. s. w. beschraͤnken. Alle diese Dinge koͤnnen einen genuͤgenden Werth haben als politische Gewichte beim Frieden, entweder zum Behal- ten oder zum Austausch. Der Gegenstand des strategischen Angriffs kann also von der Eroberung des ganzen Landes in zahllosen Abstu- fungen herab gedacht werden bis zum unbedeutendsten Platz. Sobald dieser Gegenstand erreicht ist und der Angriff auf- hoͤrt, tritt die Vertheidigung ein. — Man koͤnnte sich also einen strategischen Angriff als eine bestimmt begrenzte Ein- heit denken. So ist es aber, wenn wir die Sache prak- tisch nehmen, d. h. nach den wirklichen Erscheinungen, nicht. Hier laufen die Angriffsmomente, d. h. die Absich- ten und Maaßregeln, oft eben so unbestimmt in die Ver- theidigung aus, wie die Plaͤne der Vertheidigung in den Angriff. Selten oder wenigstens nicht immer schreibt sich der Feldherr genau vor was er erobern will, sondern er laͤßt es von den Ereignissen abhaͤngen. Sein Angriff fuͤhrt ihn oft weiter als er gedacht hat, er bekoͤmmt oft nach mehr oder weniger kurzer Rast neue Gewalt, ohne daß man veranlaßt waͤre zwei ganz verschiedene Akte daraus zu machen; ein andermal koͤmmt er fruͤher zum Stehen als er gedacht, ohne jedoch seinen Plan aufzugeben und in eine wahre Vertheidigung uͤberzugehen. Man sieht also, daß, wenn die erfolgreiche Vertheidigung unmerklich in den An- griff uͤbergehen kann, dies umgekehrt auch bei dem Angriff der Fall ist. Diese Abstufungen muß man im Auge ha- ben, wenn man von Dem, was wir von dem Angriff allge- mein sagen, nicht eine falsche Anwendung machen will. Viertes Kapitel. Abnehmende Kraft des Angriffs . Dies ist ein Hauptgegenstand der Strategie; von seiner richtigen Wuͤrdigung im einzelnen Fall haͤngt das richtige Urtheil uͤber Das ab was man thun kann. Die Schwaͤchung der absoluten Macht entsteht: 1. durch den Zweck des Angriffs das feindliche Land selbst zu besetzen; dies tritt meistens erst nach der ersten Entscheidung ein, aber mit der ersten Entschei- dung hoͤrt so der Angriff nicht auf; 2. durch das Beduͤrfniß der angreifenden Armeen das Land hinter sich zu besetzen, um sich die Verbindungslinien zu sichern und leben zu koͤnnen; 3. durch Verluste in Gefechten und durch Krankheiten; 4. Entfernung von den Ergaͤnzungsquellen; 5. Belagerungen, Einschließungen von Festungen; 6. Nachlassen in den Anstrengungen; 7. Abtreten von Verbuͤndeten. Aber diesen Schwaͤchungsgruͤnden gegenuͤber befinden sich auch einige die den Angriff verstaͤrken koͤnnen. Es ist jedoch klar daß erst die Ausgleichung dieser verschiedenen Groͤßen das allgemeine Resultat bestimmt; so kann z. B. die Schwaͤchung des Angriffs durch die Schwaͤchung der Vertheidigung zum Theil oder ganz aufgewogen oder uͤber- wogen werden. Dies Letztere ist selten der Fall; man muß nur nicht immer alle im Felde stehende Streitkraͤfte mit einander vergleichen, sondern die an der Spitze oder die auf den entscheidenden Punkten sich gegenuͤberstehen- den. — Beispiele verschiedener Art: die Franzosen in Östreich und Preußen, in Rußland; die Verbuͤndeten in Frankreich, die Franzosen in Spanien. Fünftes Kapitel. Kulminationspunkt des Angriffs . Der Erfolg im Angriff ist das Resultat einer vor- handenen Überlegenheit, wohlverstanden physische und mo- ralische Kraͤfte zusammengenommen. Wir haben im vori- gen Kapitel gezeigt daß sich die Kraft des Angriffs nach und nach erschoͤpft; moͤglicher Weise kann die Überlegen- heit dabei wachsen, aber in der großen Mehrheit der Faͤlle wird sie abnehmen. Der Angreifende kauft Friedens- vortheile ein, die ihm bei den Unterhandlungen Etwas gel- ten sollen, die er aber auf der Stelle baar mit seinen S t reitkraͤften bezahlen muß. Fuͤhrt dieses im Vortheil des Angriffs sich taͤglich vermindernde Übergewicht bis zun Frieden, so ist der Zweck erreicht. — Es giebt stra- tegische Angriffe die unmittelbar zum Frieden gefuͤhrt ha- ben — aber die wenigsten sind von der Art, und die mei- sten fuͤhren nur bis zu einem Punkt wo die Kraͤfte noch eben hinreichen, sich in der Vertheidigung zu halten und den Frieden abzuwarten. — Jenseit dieses Punktes liegt der Umschwung, der Ruͤckschlag; die Gewalt eines solchen Ruͤckschlages ist gewoͤhnlich viel groͤßer als die Kraft des Stoßes war. Dies nennen wir den Kulminationspunkt des Angriffs. — Da der Zweck des Angriffs der Besitz des feindlichen Landes ist, so folgt: daß das Vorschreiten so lange dauern muß bis die Überlegenheit erschoͤpft ist; dies treibt also an das Ziel und kann auch leicht daruͤber hinausfuͤhren. — Bedenkt man aus wie viel Elementen die Gleichung der Kraͤfte zusammengesetzt ist, so begreift man wie schwer es in manchen Faͤllen auszumachen ist wer von beiden die Überlegenheit auf seiner Seite hat. Oft haͤngt Alles an dem seidenen Faden der Einbildung. Es kommt also Alles darauf an, den Kulminations- punkt mit einem feinen Takt des Urtheils herauszufuͤhlen. — Hier stoßen wir auf einen scheinbaren Widerspruch. — Die Vertheidigung ist staͤrker als der Angriff, man sollte also glauben daß dieser nie zu weit fuͤhren koͤnne, denn so lange die schwaͤchere Form stark genug bleibt, ist man es ja fuͤr die staͤrkere um so mehr Hier folgt in dem Manuskripte die Stelle: „Entwickelung dieses Gegenstandes nach B. III. , in dem Auf- satz über den Kulminationspunkt des Sieges.“ Unter diesem Titel findet sich nun in einem Umschlage mit der Aufschrift: einzelne Abhandlungen als Materialien , ein Aufsatz, welcher eine Bearbeitung des hier nur skizzirten Kapitels zu sein scheint und am Ende des siebenten Buches abgedruckt ist. Anmerk. der Herausgeberim . . Sechstes Kapitel. Vernichtung der feindlichen Streitkraͤfte . Vernichtung der feindlichen Streitkraͤfte ist das Mit- tel zum Ziel. — Was darunter verstanden wird. — Preis den es kostet. — Verschiedene Gesichtspunkte welche dabei moͤglich sind: 1. nur so viel zu vernichten als der Gegenstand des An- griffs erfordert; 2. oder so viel als uͤberhaupt moͤglich ist; 3. wenn die Schonung der eigenen dabei der Hauptge- sichtspunkt wird; 4. dies kann wieder so weit gehn, daß der Angriff nur bei guͤnstiger Gelegenheit Etwas zur Vernich- tung der feindlichen Streitkraͤfte unternimmt; wie dies bei dem Gegenstand des Angriffs auch der Fall sein kann und im dritten Kapitel schon vorgekommen ist. Das einzige Mittel zur Zerstoͤrung der feindlichen Streit- kraͤfte ist das Gefecht, aber freilich auf eine doppelte Art: 1. unmittelbar; 2. mittelbar, durch Kombination von Gefechten. — Wenn also die Schlacht das Hauptmittel ist, so ist sie doch nicht das einzige. Die Einnahme einer Festung, eines Stuͤck Landes ist an sich schon eine Zerstoͤ- rung der feindlichen Streitkraͤfte, sie kann aber auch zu einer groͤßern fuͤhren, es also auch mittelbar werden. Die Besetzung eines unvertheidigten Landstrichs kann also, außer dem Werth welchen sie als eine unmittelbare Zweckerfuͤllung hat, auch noch als Zerstoͤrung der feindli- chen Streitkraͤfte gelten. Das Herausmanoͤvriren des Fein- des aus einer von ihm besetzten Gegend ist etwas nicht viel Anderes, und kann also nur unter demselben Gesichts- punkt, nicht wie ein eigentlicher Waffenerfolg angesehen werden. — Diese Mittel werden meistens uͤberschaͤtzt, — selten haben sie den Werth einer Schlacht; und dabei ist immer noch zu fuͤrchten daß man die nachtheilige Lage uͤbersieht in welche sie fuͤhren; wegen des geringen Preises den sie kosten sind sie verfuͤhrerisch. Überall muͤssen sie als geringere Einsaͤtze angesehen werden, die auch nur zu geringen Gewinnen fuͤhren und sich fuͤr beschraͤnktere Verhaͤltnisse und schwaͤchere Motive passen. Dann sind sie offenbar besser als zwecklose Schlach- ten. — Siege deren Erfolge sich nicht erschoͤpfen lassen. Siebentes Kapitel. Die Offensivschlacht . Was wir von der Defensivschlacht gesagt haben, wirft schon ein großes Licht auf die Offensivschlacht. Wir haben dort die Schlacht im Auge gehabt wo die Vertheidigung am staͤrksten ausgesprochen ist, um das Wesen derselben fuͤhlbar zu machen, — die wenigsten Schlachten sind aber so, die meisten sind halbe rencontres, wo der Defensivcharakter sehr verlorengeht. So ist es aber nicht mit der Offensivschlacht; sie behaͤlt ihren Cha- rakter unter allen Umstaͤnden und darf ihn um so drei- ster behaupten als der Vertheidiger sich nicht in seinem eigentlichen esse befindet. Darum bleibt auch bei der nicht recht ausgesprochenen Defensivschlacht und bei den wahren rencontres immer Etwas von dem Unterschiede in dem Charakter der Schlacht auf Seiten des Einen und des Andern. Die Haupteigenthuͤmlichkeit der Offensivschlacht ist das Umfassen oder Umgehen, also zugleich die Lieferung der Schlacht. Das Gefecht mit umfassenden Linien hat an sich ganz offenbar große Vortheile; dies ist ein Gegenstand der Tak- tik. Diese Vortheile kann der Angriff nicht aufgeben, weil die Vertheidigung ein Mittel dagegen hat, denn die- ses Mittel kann er selbst nicht anwenden in sofern es mit den uͤbrigen Verhaͤltnissen der Vertheidigung zu genau zusam- menhaͤngt. Um den umfassenden Feind mit Vortheil wie- der zu umfassen, muß man sich in einer ausgesuchten und wohl eingerichteten Stellung befinden. Aber was viel wich- tiger ist, nicht alle Vortheile welche die Vertheidigung darbietet kommen wirklich in Anwendung; die meisten Vertheidigungen sind ein duͤrftiger Nothbehelf und die Vertheidiger befinden sich meistens in einer sehr bedraͤng- ten und bedrohten Lage, wo sie, das Schlimmste erwar- tend, dem Angriff auf halbem Wege entgegenkommen. Die Folge ist, daß Schlachten mit umfassenden Linien oder gar mit verwandter Fronte, welche eigentlich die Folge eines vortheilhaften Verhaͤltnisses der Verbindungslinien sein sollten, gewoͤhnlich die Folge der moralischen und phy- sischen Überlegenheit sind. Marengo, Austerlitz, Jena. — Bei der ersten Schlacht ist uͤbrigens die Basis des An- greifenden, wenn auch nicht der der Vertheidigung uͤberle- gen, doch wegen der nahen Grenze meistens sehr groß, also kann er schon Etwas wagen. — Der Seitenanfall, d. h. die Schlacht mit verwandter Fronte, ist uͤbrigens wirksamer als die umfassende. — Falsche Vorstellung, daß ein umfassendes strategisches Vorruͤcken von Hause aus damit verbunden sein muͤsse, wie bei Prag. Dies hat selten Etwas damit gemein und ist eine sehr miß- liche Sache, woruͤber in dem Angriff eines Kriegstheaters das Naͤhere. — So wie in der Vertheidigungsschlacht der Feldherr das Beduͤrfniß hat die Entscheidung moͤglichst lange hinzuhalten, Zeit zu gewinnen, weil eine unent- schiedene Vertheidigungsschlacht mit Sonnenuntergang ge- woͤhnlich eine gewonnene ist: so hat der Feldherr in der Angriffsschlacht das Beduͤrfniß die Entscheidung zu be- schleunigen; aber von der andern Seite ist mit der Über- eilung eine große Gefahr verbunden, weil sie zur Verschwen- dung der Kraͤfte fuͤhrt. Eine Eigenthuͤmlichkeit der An- griffsschlacht ist in den meisten Faͤllen die Ungewißheit uͤber die Lage des Gegners; sie ist ein wirkliches Hinein- tappen in unbekannte Verhaͤltnisse. Austerlitz, Wagram, Hohenlinden, Jena, Katzbach. Je mehr sie das ist, um so mehr Vereinigung der Kraͤfte, um so mehr Umgehen als Umfassen. Daß die Hauptfruͤchte des Sieges erst im Verfolgen errungen werden, lehrt schon das zwoͤlfte Kapi- tel des vierten Buchs. Der Natur der Sache nach ist bei der Offensivschlacht das Verfolgen mehr ein integri- render Theil der ganzen Handlung als in der Vertheidi- gungsschlacht. Achtes Kapitel. Flußuͤbergaͤnge . 1. Ein betraͤchtlicher Fluß welcher die Richtungslinie des Angriffs durchschneidet ist immer eine sehr unbequeme Sache fuͤr den Angreifenden; denn er ist, wenn er ihn uͤberschritten hat, meistens auf eine Bruͤcke eingeschraͤnkt, und wird also, wenn er nicht dicht an demselben stehen blei- bleiben will, in all’ seinem Handeln sehr beengt sein. Denkt er gar darauf dem Feinde jenseits ein entscheidendes Gefecht zu geben oder darf er erwarten daß dieser ihm dazu entgegenkommen wird, so begiebt er sich in große Gefahren; ohne bedeutende moralische und physische Über- legenheit wird sich also ein Feldherr in diese Lage nicht begeben. 2. Aus dieser Schwierigkeit des bloßen Hintersichneh- mens des Flusses entsteht auch die Moͤglichkeit ihn wirk- lich zu vertheidigen viel oͤfter als es sonst der Fall sein wuͤrde. Setzt man voraus daß diese Vertheidigung nicht als das einzige Heil betrachtet, sondern so eingerichtet wird daß, wenn sie selbst mißlungen ist, doch noch ein Wider- stand in der Naͤhe des Flusses moͤglich bleibt: so treten zu dem Widerstand, welchen der Angreifende durch die Ver- theidigung des Flusses erleiden kann, in seinem Kalkuͤl auch noch alle Vortheile wovon unter No. 1. gesprochen ist, und Beides zusammen macht daß man die Feldherrn beim Angriff vor einem vertheidigten Fluß so viel Respekt haben sieht. 3. Aber wir haben im vorigen Buch gesehn, daß unter gewissen Bedingungen die eigentliche Vertheidigung des Flusses recht gute Erfolge verspricht, und wenn wir auf die Erfahrung sehen, so muͤssen wir gestehen daß diese Erfolge eigentlich noch viel haͤufiger eintreten als die Theo- rie sie verspricht, weil man in dieser doch nur mit den wirklichen Verhaͤltnissen rechnet wie sie sich finden, waͤh- rend in der Ausfuͤhrung dem Angreifenden gewoͤhnlich alle etwas schwieriger erscheinen als sie wirklich sind, und da- her ein starker Hemmschuh seines Handelns werden. Ist nun gar von einem Angriff die Rede, der nicht auf eine große Entscheidung geht und nicht mit durchgreifender III 2 Energie gefuͤhrt wird, so kann man sagen daß in der Aus- fuͤhrung eine Menge von kleinen, in der Theorie gar nicht zu berechnenden Hindernissen und Zufaͤllen sich zum Nach- theil des Angreifenden zeigen werden, weil er der Handelnde ist, also mit ihnen am ersten in Konflikt kommt. Man bedenke nur wie oft die an sich unbedeutenden lombar- dischen Fluͤsse mit Erfolg vertheidigt worden sind. — Wenn es in der Kriegsgeschichte dagegen auch Flußverthei- digungen giebt die nicht das von ihnen Erwartete geleistet haben, so liegt es darin daß man zuweilen von diesem Mittel ganz uͤbertriebene Wirkung verlangt hat, die sich ganz und gar nicht auf seine taktische Natur gruͤndete, sondern bloß auf seine aus der Erfahrung bekannte Wirk- samkeit, die man dann noch uͤber alle Gebuͤhr ausdeh- nen wollte. 4. Nur dann wenn der Vertheidiger den Fehler macht, auf die Vertheidigung des Flusses sein ganzes Heil zu bauen, und sich in den Fall setzt durch ihre Spren- gung in große Verlegenheiten und eine Art Katastrophe zu gerathen, nur dann kann die Flußvertheidigung als eine dem Angriff guͤnstige Form des Widerstandes angesehen werden, denn es ist allerdings leichter eine Flußvertheidi- digung zu sprengen als eine gewoͤhnliche Schlacht zu gewinnen. 5. Es folgt aus dem Bisherigen von selbst, daß Fluß- vertheidigungen von einem großen Werth werden wenn keine große Entscheidung gesucht wird, daß aber da wo diese von der Übermacht oder Energie des Gegners zu er- warten ist, dies Mittel, wenn es falsch angewendet wird, von einem positiven Werth fuͤr den Angreifenden sein kann. 6. Die wenigsten Flußvertheidigungen sind so, daß sie nicht umgangen werden koͤnnten, sei es im Allgemeinen der ganzen Vertheidigungslinie oder im Besonderen eines einzelnen Punktes. Es bleibt also dem uͤberlegenen, auf große Schlaͤge ausgehenden Angreifenden immer das Mit- tel auf einem Punkt zu demonstriren und auf einem an- dern uͤberzugehen und dann die ersten nachtheiligen Ver- haͤltnisse im Gefecht, welche ihn treffen koͤnnen, durch die Überzahl und ein ruͤcksichtsloses Vordringen gut zu machen, denn auch dies Letztere wird durch die Überlegenheit moͤg- lich gemacht. Ein eigentliches taktisches Forciren eines vertheidigten Flusses, indem man einen feindlichen Haupt- posten durch uͤberlegenes Feuer und uͤberlegene Tapferkeit vertreibt, kommt daher selten oder nie vor, und der Aus- druck eines gewaltsamen Überganges ist immer nur strate- gisch zu nehmen, in sofern der Angreifende durch seinen Übergang an einer gar nicht oder wenig vertheidigten Stelle, innerhalb der angeordneten Linie, alle Nachtheile, die ihm nach der Absicht des Vertheidigers aus seinem Übergang erwachsen sollen, bravirt. — Das Schlechteste aber was der Angreifende thun kann ist ein wirklicher Übergang auf mehreren Punkten, wenn sie nicht ganz nahe bei einander liegen und ein gemeinschaftliches Schlagen gestatten; denn da der Vertheidiger nothwendig getheilt sein muß, so be- giebt der Angreifende sich durch ein Theilen seiner Kraͤfte seines natuͤrlichen Vortheils. Dadurch verlor Bellegarde 1814 die Schlacht am Mincio, wo zufaͤllig beide Armeen zugleich an verschiedenen Punkten uͤbergingen, und die Östreicher mehr getheilt als die Franzosen. 7. Bleibt der Vertheidiger diesseit des Flusses, so versteht es sich von selbst daß es zwei Wege giebt ihn strategisch zu besiegen: entweder indem man dessenungeachtet auf irgend einem Punkt uͤbergeht und also den Verthei- diger in demselben Mittel uͤberbietet, oder durch eine Schlacht. 2* Bei dem ersten sollten die Verhaͤltnisse der Basis und Verbindungslinien vorzuͤglich entscheiden, aber freilich sieht man oft die speziellen Anstalten mehr entscheiden als die allgemeinen Verhaͤltnisse; wer bessere Posten zu waͤhlen weiß, besser sich einzurichten, wem besser gehorcht wird, wer schneller marschirt u. s. w., kann mit Vortheil gegen die allgemeinen Umstaͤnde ankaͤmpfen. Was das zweite Mittel betrifft, so setzt es bei dem Angreifenden die Mit- tel, die Verhaͤltnisse und den Entschluß zu einer Schlacht voraus; wo aber diese vorauszusetzen sind, da wird der Vertheidiger nicht leicht diese Art von Flußvertheidigung wagen. 8. Als Endresultat muͤssen wir also sagen, daß, wenn auch der Übergang uͤber einen Fluß an und fuͤr sich in den wenigsten Faͤllen große Schwierigkeiten hat, doch in allen Faͤllen, die keine große Entscheidung mit sich fuͤhren, sich so viel Bedenken fuͤr die Folgen und entfernteren Verhaͤltnisse daran anknuͤpfen, daß allerdings der Angreifende dadurch leicht zum Stehen gebracht werden kann; so daß er entweder den Vertheidiger diesseit des Flusses laͤßt, oder allenfalls uͤbergeht, aber dann dicht am Fluß stehen bleibt. Denn daß beide Theile lange an verschiedenen Seiten des Flus- ses einander gegenuͤber bleiben, kommt nur in wenigen Faͤllen vor. Aber auch in Faͤllen großer Entscheidung ist ein Fluß ein wichtiges Objekt; er schwaͤcht und stoͤrt immer die Offensive, und das Guͤnstigste in diesem Fall ist wenn der Vertheidiger dadurch verleitet wird ihn als eine takti- sche Barriere zu betrachten und aus seiner eigentlichen Vertheidigung den Hauptakt seines Widerstandes zu ma- chen, so daß der Angreifende den Vortheil in die Haͤnde bekommt den entscheidenden Schlag auf eine leichte Art zu thun. — Freilich wird dieser Schlag im ersten Augen- blick niemals eine vollstaͤndige Niederlage des Gegners sein, aber er wird in einzelnen vortheilhaften Gefechten bestehen und diese dann beim Gegner sehr schlechte allgemeine Ver- haͤltnisse herbeifuͤhren, wie 1796 bei den Östreichern am Niederrhein. Neuntes Kapitel. Angriff von Defensivstellungen . Im Buche von der Vertheidigung ist hinreichend aus- einandergesetzt, in wiefern Defensivstellungen zwingen wer- den, sie entweder anzugreifen oder sein Vorschreiten aufzu- geben. Nur solche die das thun sind zweckmaͤßig, und geeignet die Angriffskraft ganz oder zum Theil zu verzeh- ren oder zu neutralisiren, und in so weit vermag der An- griff Nichts dagegen, d. h. es giebt in seinem Bereich kein Mittel diesen Vortheil aufzuwiegen. Aber nicht alle De- fensivstellungen die vorkommen sind wirklich so. Sieht der Angreifende daß er sein Ziel verfolgen kann ohne sie an- zugreifen, so waͤre der Angriff ein Fehler; kann er sein Ziel nicht verfolgen, so fraͤgt es sich: ob er den Gegner durch Flankenbedrohung herausmanoͤvriren kann. Nur wenn diese Mittel unwirksam sind, entschließt man sich zum Angriff einer guten Stellung und dann pflegt der Angriff von der Seite her immer etwas weniger Schwie- rigkeit darzubieten; aber die Wahl zwischen beiden Seiten entscheidet die Lage und Richtung der gegenseitigen Ruͤck- zugslinien, also die Bedrohung des feindlichen Ruͤckzugs und die Sicherung des eigenen. Zwischen beiden kann dann Konkurrenz entstehen, und dabei gebuͤhrt der ersten Ruͤcksicht ein natuͤrlicher Vorzug, denn sie ist selbst offen- siver Natur, also mit dem Angriff homogen, waͤhrend die andere defensiver Natur ist. Aber es ist gewiß und muß hier als eine Hauptwahrheit betrachtet werden: daß einen tuͤchtigen Gegner in einer guten Stellung an- zugreifen ein mißliches Ding ist . Es fehlt freilich nicht an Beispielen solcher Schlachten, und zwar gluͤckli- cher, wie Torgau, Wagram, (Dresden nennen wir nicht, weil wir den Gegner in derselben nicht tuͤchtig nennen moͤ- gen); aber im Ganzen ist die Gefahr sehr gering und verschwindet gegen die Unzahl der Faͤlle wo wir die ent- schlossensten Feldherrn vor guten Stellungen salutiren sahn. Aber man muß mit dem Gegenstand, den wir hier im Auge haben, nicht die gewoͤhnlichen Schlachten verwech- seln. Die meisten Schlachten sind wahre rencontres, in denen zwar der Eine steht, aber in einer unzubereiteten Stellung. Zehntes Kapitel. Angriff verschanzter Laͤger . Es war eine Zeitlang Mode, sehr geringschaͤtzend von Schanzen und ihren Wirkungen zu sprechen. Die kordonartigen Linien der franzoͤsischen Grenzen welche oft gesprengt worden waren, das verschanzte Lager von Bres- lau, in dem der Herzog von Bevern die Schlacht verlor, die Schlacht bei Torgau und mehrere andere Faͤlle hatten dies Urtheil herbeigefuͤhrt, und die durch Bewegung und Offensivmittel errungenen Siege Friedrichs des Großen hatten auf alle Vertheidigung, alles stehende Gefecht und na- mentlich alle Schanzen einen Reflex geworfen, der diese Geringschaͤtzung noch vermehrte. Freilich wenn ein Paar Tausend Mann mehrere Meilen Land vertheidigen sollen, oder wenn Schanzen nichts Anders sind als umgekehrte Laufgraͤben, so sind sie fuͤr Nichts zu rechnen und es ent- steht also durch das Vertrauen, welches man auf sie setzt, eine gefaͤhrliche Luͤcke. Aber ist es denn nicht Widerspruch oder vielmehr Unsinn, wenn man dies, im Geist eines ge- meinen Schwadroneurs, wie Tempelhoff es thut, auf den Be- griff der Verschanzung selbst ausdehnt? Wozu waͤren dann uͤberhaupt Schanzen, wenn sie nicht geeignet waͤren die Vertheidiger zu verstaͤrken? Nein! — nicht nur die Ver- nunft sondern auch hundert und tausend Erfahrungen zei- gen daß eine gut eingerichtete, gut besetzte, gut verthei- digte Schanze als ein in der Regel unnehmbarer Punkt zu betrachten ist und auch so von den Angrei- fenden betrachtet wird. Von diesem Element der Wirk- samkeit einer einzelnen Schanze ausgegangen, ist es wohl nicht zu bezweifeln daß der Angriff eines verschanzten La- gers eine sehr schwierige, meistens eine unmoͤgliche Aufgabe fuͤr den Angreifenden ist. Es liegt in der Natur der verschanzten Laͤger daß sie schwach besetzt sind; aber mit guten Terrainhindernissen und tuͤchtigen Schanzen kann man sich auch gegen eine große Überzahl wehren. Friedrich der Große hielt den Angriff auf das Lager von Pirna fuͤr unthunlich, ob er gleich das Doppelte der Besatzung dagegen anwenden konnte, und wenn spaͤter hin und wieder behauptet worden ist daß es wohl haͤtte genommen werden koͤnnen, so gruͤndet sich der einzige Beweis dieser Behauptung auf den sehr schlech- ten Zustand der saͤchsischen Truppen, welches denn freilich Nichts gegen die Wirksamkeit der Schanzen beweist. Aber es ist die Frage, ob diejenigen, welche hinterher den Angriff nicht allein fuͤr moͤglich sondern sogar fuͤr leicht gehalten haben, in dem Augenblick sich dazu entschlossen haͤtten. Wir glauben also daß der Angriff eines verschanzten Lagers zu den ganz ungewoͤhnlichen Mitteln der Offensive gehoͤrt. Nur wenn die Schanzen in der Eile aufgewor- fen, nicht vollendet, noch weniger mit Zugangshindernissen verstaͤrkt sind, oder wenn uͤberhaupt, wie das oft der Fall ist, das ganze Lager nur ein Schema von Dem ist was es sein sollte, eine halbfertige Ruine, dann kann ein An- griff darauf rathsam sein und sogar ein Weg werden, den Gegner mit Leichtigkeit zu besiegen. Eilftes Kapitel. Angriff eines Gebirges . Was ein Gebirge in den allgemeinen strategischen Beziehungen ist, sowohl bei der Vertheidigung als selbst beim Angriff, geht hinreichend aus dem fuͤnften und den folgenden Kapiteln des sechsten Buchs hervor. Auch die Rolle welche ein Gebirge als eigentliche Vertheidigungsli- nie spielt, haben wir dort zu entwickeln gesucht, und dar- aus geht schon hervor wie dasselbe in dieser Bedeutung von Seiten des Angriffs zu betrachten ist. Es bleibt uns daher uͤber diesen wichtigen Gegenstand hier Wenig zu sa- gen uͤbrig. Unser Hauptresultat war dort: daß die Ver- theidigung den ganz verschiedenen Gesichtspunkt eines un- tergeordneten Gefechts oder einer Hauptschlacht annehmen muß, daß im ersten Fall der Angriff eines Gebirges nur als ein nothwendiges Übel betrachtet werden kann, weil er alle Verhaͤltnisse gegen sich hat, daß aber im zweiten Fall sich die Vortheile auf Seite des Angriffs befinden. Ein Angriff also, der mit den Kraͤften und dem Ent- schluß zu einer Schlacht ausgeruͤstet ist, wird seinem Geg- ner im Gebirge begegnen und gewiß seine Rechnung dabei finden. Aber wir muͤssen auch hier noch einmal darauf zuruͤck- kommen, daß es schwer sein wird diesem Resultat Gehoͤr zu verschaffen, weil es gegen den Augenschein und auf den ersten Blick auch gegen alle Kriegserfahrung laͤuft. Noch in den meisten Faͤllen hat man naͤmlich gesehn, daß eine zum Angriff vordringende Armee, sie mag nun eine Haupt- schlacht suchen oder nicht, es fuͤr ein unerhoͤrtes Gluͤck ge- halten hat, wenn der Feind das Zwischengebirge nicht be- setzt hatte, und sie beeilte sich dann ihm zuvorzukommen, und Niemand wird in diesem Zuvorkommen einen Wider- spruch mit dem Interesse des Angreifenden finden. Dies ist auch in unserer Ansicht sehr zulaͤssig, nur muß man hier genauer unterscheiden. Eine Armee, die dem Feinde entgegengeht, um ihm eine Hauptschlacht zu liefern, wird, wenn sie ein unbesetztes Gebirge zu uͤberschreiten hat, die natuͤrliche Besorgniß ha- ben, daß der Feind nur eben diejenigen Paͤsse, welcher sie sich dazu bedienen will, im letzten Augenblick verrennt; in diesem Fall wuͤrden fuͤr den Angreifenden nicht mehr die- selben Vortheile vorhanden sein, die ihm eine gewoͤhnliche Gebirgsstellung des Feindes dargeboten haͤtte. Dieser ist naͤmlich dann nicht mehr uͤbernatuͤrlich ausgedehnt, ist nicht mehr ungewiß uͤber den Weg welchen der Angreifende einschlaͤgt, der Angreifende hat die Wahl seiner Stra- ßen nicht mit Ruͤcksicht auf die feindliche Aufstellung waͤh- len koͤnnen, und es ist also diese Schlacht im Gebirge nicht mehr mit allen den Vorzuͤgen fuͤr den Angreifenden ausgeruͤstet, von denen wir im sechsten Buche gesprochen haben; unter solchen Umstaͤnden koͤnnte der Vertheidiger in einer unangreifbaren Stellung gefunden werden. So- nach wuͤrde ja dem Vertheidiger auf diese Weise doch das Mittel zu Gebot stehen, einen vortheilhaften Gebrauch fuͤr seine Hauptschlacht aus dem Gebirge zu ziehen. — Moͤglich waͤre dies allerdings, aber wenn man die Schwierigkeiten bedenkt, die es fuͤr den Vertheidiger haben wuͤrde, sich im letzten Augenblick in einer guten Stellung im Gebirge fest- zusetzen, zumal wenn er es vorher ganz unbesetzt gelassen haͤtte, so wird man wohl dieses Vertheidigungsmittel fuͤr ein ganz unzuverlaͤssiges, und also auch den Fall, welchen der Angreifende zu fuͤrchten hat, fuͤr einen sehr unwahr- scheinlichen halten. Aber darum weil dieser Fall sehr unwahrscheinlich ist, bleibt es doch natuͤrlich ihn zu fuͤrch- ten. Denn im Kriege ist es oft der Fall daß eine Be- sorgniß sehr natuͤrlich und doch ziemlich uͤberfluͤssig ist. Aber ein anderer Gegenstand, welchen der Angreifende hier zu fuͤrchten hat, ist die vorlaͤufige Gebirgsvertheidigung durch eine Avantgarde oder Vorpostenkette. Auch dieses Mittel wird nur in den wenigsten Faͤllen seinem Interesse zusagen, aber der Angreifende ist nicht wohl im Stande zu unterscheiden in wiefern dies der Fall sein wird oder nicht, und so fuͤrchtet er das Schlimmste. Ferner widerspricht unsere Ansicht in diesem Punkt kei- neswegs der Moͤglichkeit daß eine Stellung durch den Gebirgscharakter des Terrains ganz unangreifbar werde; es giebt dergleichen Stellungen, die darum noch nicht im Gebirge liegen, Pirna, Schmottseifen, Meißen, Feldkirch; und gerade weil sie nicht im Gebirge liegen, sind sie taug- licher. Aber man kann sich auch sehr wohl denken, daß solche Stellungen im Gebirge selbst gefunden werden koͤn- nen, wo sich die Vertheidiger von den gewoͤhnlichen Nach- theilen der Gebirgsstellungen losmachen koͤnnen, z. B. auf hohen Plateaus , doch sind sie aͤußerst selten und wir konnten nur die Mehrzahl im Auge haben. Wie wenig sich Gebirge zu entscheidenden Vertheidi- gungsschlachten eignen, sehen wir gerade aus der Kriegs- geschichte, denn die großen Feldherren, wenn sie es auf eine solche Schlacht ankommen lassen wollten, haben sich lieber in der Ebene aufgestellt, und es finden sich in der ganzen Kriegsgeschichte keine anderen Beispiele entscheiden- der Gefechte im Gebirge, als die im Revolutionskrieg, wo offenbar eine falsche Anwendung und Analogie den Ge- brauch der Gebirgsstellungen auch da herbeigefuͤhrt hat, wo man auf entscheidende Schlaͤge rechnen mußte, 1793 und 1794 in den Vogesen, und 1795, 96 und 97 in Ita- lien. Jedermann hat Melas angeklagt, daß er 1800 die Alpendurchgaͤnge nicht besetzt hatte; aber das sind Kritiken des ersten Einfalls, des bloßen, man moͤchte sagen kindi- schen Urtheils nach dem Augenschein. Bonaparte an Melas Stelle haͤtte sie eben so wenig besetzt. Die Anordnung eines Gebirgsangriffs ist groͤßtentheils taktischer Natur, nur glauben wir hier fuͤr die ersten Um- risse, also fuͤr diejenigen Theile, welche der Strategie zu- naͤchst liegen und mit ihr zusammenfallen, Folgendes ange- ben zu muͤssen: 1. Da man im Gebirge nicht wie in anderen Gegen- den von der Straße ausweichen und aus einem zwei oder drei machen kann, wenn das Beduͤrfniß des Augenblicks es erfordert die Masse der Truppen zu theilen, sondern meistens in langen Defileen stockt, so muß das Vorgehen uͤberhaupt auf mehreren Straßen oder vielmehr auf einer etwas breiteren Fronte geschehen. 2. Gegen eine weit ausgedehnte Gebirgsvertheidigung wird natuͤrlich der Angriff mit gesammelten Kraͤften gesche- hen; an ein Umfassen des Ganzen ist da nicht zu denken, und wenn ein bedeutender Siegserfolg eintreten soll, so muß er mehr durch das Sprengen der feindlichen Linie und das Abdraͤngen der Fluͤgelpartien erreicht werden als durch umfassendes Abschneiden. Schnelles unaufhaltsames Vordringen auf der Hauptruͤckzugsstraße des Feindes ist da das natuͤrliche Bestreben des Angreifenden. 3. Ist aber der Feind in einer weniger gesammel- ten Aufstellung im Gebirge anzugreifen, so sind die Um- gehungen ein sehr wesentlicher Theil des Angriffs, denn die Stoͤße auf die Fronte werden auf die groͤßte Staͤrke des Vertheidigers treffen; die Umgehungen aber muͤssen wieder mehr auf ein wahres Abschneiden als auf einen taktischen Seiten- oder Ruͤckenanfall abzielen, denn selbst im Ruͤcken sind Gebirgsstellungen, wenn es nicht an Kraͤf- ten fehlt, noch eines großen Widerstandes faͤhig; und es ist der schnellste Erfolg immer nur von der Besorgniß zu erwarten, die man dem Feinde giebt, daß er seinen Ruͤck- zug verliere; und diese Besorgniß entsteht im Gebirge fruͤ- her und wirkt staͤrker, weil man sich im schlimmsten Fall nicht so leicht mit dem Degen in der Faust Platz machen kann. Aber eine bloße Demonstration ist hier nicht das genuͤgende Mittel; sie wuͤrde den Feind allenfalls aus seiner Stellung herausmanoͤvriren, aber keinen sonderlichen Erfolg geben, es muß also auf ein wirkliches Abschneiden abgesehn sein. Zwölftes Kapitel. Angriff von Linienkordons . Wenn in ihrer Vertheidigung und in ihrem Angriff eine Hauptentscheidung enthalten sein soll, so gereichen sie dem Angreifenden zu einem wahren Vortheil, denn ihre uͤbernatuͤrliche Ausdehnung widerspricht noch mehr als die unmittelbare Fluß- oder Gebirgsvertheidigung allen Erfor- dernissen einer entscheidenden Schlacht. Eugens Linien von Denain 1712 sind wohl hierher zu zaͤhlen, denn ihr Verlust glich einer verlorenen Schlacht vollkommen, schwerlich aber haͤtte Villars in einer konzentrirten Stellung gegen Eugen diesen Sieg erfochten. Wo die Mittel zu einer entschei- denden Schlacht nicht im Angriff liegen, da sind selbst Linien respektirt, wenn sie naͤmlich von der feindlichen Hauptarmee besetzt sind; wie die von Stollhofen unter Ludwig von Baden im Jahre 1703 selbst von Villars respektirt wurden. Sind sie aber nur von einer unterge- ordneten Streitkraft besetzt, so kommt freilich Alles auf die Staͤrke des Korps an, welches man zu ihrem Angriff verwenden kann. Der Widerstand ist dann meistens nicht groß, aber freilich das Resultat des Sieges auch selten Viel werth. Die Cirkumvallationslinien der Belagerer haben einen eigenen Charakter, wovon in dem Kapitel vom Angriff eines Kriegstheaters gesprochen werden soll. Alle kordonartige Aufstellungen, z. B. verstaͤrkte Vor- postenlinien u. s. w., haben immer das Eigenthuͤmliche daß sie leicht zu sprengen sind; aber wenn es nicht geschieht um weiter vorzudringen und eine Entscheidung daraus zu nehmen, so geben sie nur einen schwachen Erfolg, der meistens nicht der Muͤhe werth ist die man darauf ge- wendet hat. Dreizehntes Kapitel. Manoͤvriren . 1. Schon im dreißigsten Kapitel des sechsten Buchs ist dasselbe beruͤhrt. Es ist aber allerdings, obgleich dem Vertheidiger und Angreifenden gemeinschaftlich, doch immer etwas mehr angreifender als vertheidigender Natur, daher wir es hier naͤher charakterisiren wollen. 2. Das Manoͤvriren steht nicht der gewaltsamen Aus- fuͤhrung des Angriffs durch große Gefechte, sondern jeder solchen Ausfuͤhrung des Angriffs entgegen, die unmittelbar aus den Mitteln desselben hervorgeht, waͤre es auch eine Wirkung auf die feindlichen Verbindungslinien, auf den Ruͤckzug, eine Diversion u. s. w. 3. Halten wir uns an den Sprachgebrauch, so liegt in dem Begriff des Manoͤvrirens eine Wirksamkeit, welche gewissermaßen aus Nichts, d. h. aus dem Gleichgewicht , erst hervorgerufen wird durch die Fehler welche man dem Feinde ablockt. Es sind die ersten Zuͤge im Schach- spiel. Es ist also ein Spiel gleichgewichtiger Kraͤfte, um eine gluͤckliche Gelegenheit zu Erfolgen herbeizufuͤhren und diese dann als eine Überlegenheit uͤber den Gegner zu be- nutzen. 4. Diejenigen Interessen aber, welche theils als das Ziel, theils als die Stuͤtzpunkte des Handelns hierbei be- trachtet werden muͤssen, sind hauptsaͤchlich: a ) die Verpflegung, welche man dem Gegner abzuschnei- den oder zu beschraͤnken sucht; b ) die Vereinigung mit anderen Korps; c ) die Bedrohung anderer Verbindungen mit dem In- nern des Landes oder mit andern Armeen und Korps; d ) die Bedrohung des Ruͤckzuges; e ) der Angriff einzelner Punkte mit uͤberlegenen Kraͤften. Diese fuͤnf Interessen koͤnnen sich in den allerkleinsten Einzelnheiten der individuellen Lage festsetzen, und diese da- durch zu dem Gegenstand werden um den sich eine Zeit lang Alles dreht. Eine Bruͤcke, eine Straße, eine Schanze spielen dann oft die Hauptrolle. Es ist leicht in jedem Fall darzuthun, daß nur die Beziehung, die sie zu einem der eben genannten Gegenstaͤnde haben, ihnen die Wichtig- keit giebt. f ) Das Resultat eines gluͤcklichen Manoͤvers ist dann fuͤr den Angreifenden, oder vielmehr fuͤr den aktiven Theil, welches allerdings auch der Vertheidigende sein kann, ein Stuͤckchen Land, ein Magazin u. s. w. g ) Bei dem strategischen Manoͤver kommen zwei Ge- gensaͤtze vor, die das Ansehn verschiedener Manoͤver haben und auch wohl zu Ableitung falscher Maximen und Regeln gebraucht worden sind, wovon vier Glieder, aber im Grunde alle nothwendige Bestandtheile der Sache sind und als solche betrachtet werden muͤssen. Der erste Gegensatz ist das Umfassen und das Wirken auf inneren Linien, der zweite das Zusammenhalten der Kraͤfte und das Ausdehnen in vielen Posten. h ) Was den ersten Gegensatz betrifft, so kann man durchaus nicht sagen daß eins der beiden Glieder vor dem andern einen allgemeinen Vorzug verdiene; denn theils ist es natuͤrlich, daß das Bestreben der einen Art die andere als sein natuͤrliches Gegengewicht, als seine wahre Arzenei hervorruft; theils ist das Umfassen dem Angriff, das Blei- ben auf den inneren Linien aber der Vertheidigung homogen, und es wird also meistens jenes dem Angreifenden, dieses dem Vertheidiger mehr zusagen. Diejenige Form wird die Oberhand behalten, die am besten gehandhabt wird. i ) Die Glieder des andern Gegensatzes lassen sich eben so wenig eins dem andern unterordnen. Dem Staͤrkeren ist es verstattet sich in mehreren Posten auszudehnen; dadurch wird er sich in vielen Ruͤcksichten ein bequemes strategisches Dasein und Handeln verschaffen und die Kraͤfte seiner Truppen schonen. Der Schwaͤchere muß sich mehr zusam- menhalten und durch Bewegung den Schaden einzubringen suchen der ihm sonst daraus erwachsen wuͤrde. Diese groͤ- ßere Beweglichkeit setzt einen hoͤheren Grad von Fertigkeit in den Maͤrschen voraus. Der Schwaͤchere muß also seine physischen und moralischen Kraͤfte mehr anstrengen, — ein letz- tes Resultat, was uns natuͤrlich uͤberall entgegentreten muß, wenn wir immer konsequent geblieben sind, und wel- ches man daher gewissermaßen als die logische Probe des Raͤsonnements betrachten kann. Friedrich der Große gegen Daun im Jahre 1759 und 1760, und gegen Laudon 1761, und Montecuculi gegen Tuͤrenne 1673 und 75 haben im- mer fuͤr die kunstvollsten Ereignisse dieser Art gegolten und aus ihnen haben wir hauptsaͤchlich unsere Ansichten ent- nommen. k ) So wie die vier Glieder der gedachten beiden Gegen- saͤtze nicht zu falschen Maximen und Regeln gemißbraucht werden sollen, so muͤssen wir auch warnen, anderen allge- meinen Verhaͤltnissen, z. B. der Basis, dem Terrain u. s. w. eine Wichtigkeit und einen durchgreifenden Einfluß beizu- legen, die sich in der Wirklichkeit nicht finden. Je kleiner die die Interessen sind, um die es sich handelt, um so wichti- ger werden die Einzelnheiten des Orts und des Augen- blicks, um so mehr tritt das Allgemeine und Große zu- ruͤck, welches in dem kleinen Kalkuͤl gewissermaßen nicht Platz hat. Giebt es, allgemein betrachtet, eine widersin- nigere Lage als die Tuͤrenne’s im Jahre 1675, als er mit dem Ruͤcken dicht am Rhein in einer Ausdehnung von 3 Meilen stand und seine Ruͤckzugsbruͤcke auf seinem aͤu- ßersten rechten Fluͤgel hatte? Gleichwohl erfuͤllten seine Maaß- regeln ihren Zweck und es geschieht nicht mit Unrecht daß ihnen ein hoher Grad von Kunst und Verstaͤndigkeit zuge- schrieben wird. Man begreift aber diesen Erfolg und diese Kunst erst, wenn man mehr auf das Einzelne achtet, und es nach dem Werth wuͤrdigt, den es in dem individuellen Fall haben mußte. l ) Wir sind also uͤberzeugt, daß es fuͤr das Manoͤvri- ren keine Art von Regeln giebt, daß keine Manier, kein allgemeiner Grundsatz den Werth des Handelns bestimmen kann, sondern daß uͤberlegene Thaͤtigkeit, Praͤcision, Ord- nung, Gehorsam, Unerschrockenheit in den individuellsten und kleinsten Umstaͤnden die Mittel finden koͤnnen sich fuͤhl- bare Vortheile zu verschaffen, und daß also von jenen Eigenschaften hauptsaͤchlich der Sieg in diesem Wettkampf abhaͤngen wird. III 3 Vierzehntes Kapitel. Angriff von Moraͤsten, Überschwemmungen, Waͤldern . Moraͤste, d. h. ungangbare Wiesen, die nur durch wenig Daͤmme durchschnitten sind, bieten dem taktischen Angriff eigene Schwierigkeiten dar, wie wir das schon bei der Vertheidigung gesagt haben. Ihre Breite erlaubt nicht den Feind durch Geschuͤtz vom jenseitigen Ufer zu vertrei- ben und eigene Übergangsmittel zu konstruiren. Die stra- tegische Folge ist, daß man ihren Angriff zu vermeiden und sie zu umgehen sucht. Wo die Kultur so groß ist, wie in manchen Niederungsstrichen, daß die Durchgaͤnge zahllos werden, da ist der Widerstand des Vertheidigers zwar relativ noch immer stark genug, aber fuͤr eine abso- lute Entscheidung auch um so schwaͤcher und also ganz un- geeignet. — Dagegen wird, wenn die Niederung, wie in Holland, durch eine Überschwemmung gesteigert ist, der Wi- derstand bis zum absoluten wachsen koͤnnen und dann jeder Angriff daran zu Schanden werden. Holland hat es im Jahre 1672 gezeigt, wo nach Eroberung und Besetzung aller außerhalb der Überschwemmungslinie liegenden Festun- gen doch noch 50,000 Mann franzoͤsischer Truppen uͤbrig blieben, die erst unter Cond é und dann unter Luxemburg nicht im Stande waren die Überschwemmungslinie zu uͤber- waͤltigen, obgleich vielleicht nur 20,000 Mann diese Linie vertheidigten. Wenn der Feldzug der Preußen von 1787 unter dem Herzog von Braunschweig gegen die Hollaͤnder ein ganz entgegengesetztes Resultat zeigt, daß mit fast gar keiner Übermacht und sehr unbedeutendem Verlust diese Linien uͤberwaͤltigt wurden, so muß man die Ursache in dem durch politische Meinungen gespaltenen Zustande der Vertheidiger und der fehlenden Einheit im Befehl suchen, und doch ist Nichts ausgemachter als daß das Gelingen des Feldzuges, d. h. das Vordringen durch die letzte Über- schwemmungslinie, bis vor die Mauern von Amsterdam auf einer so feinen Spitze ruhte daß man unmoͤglich dar- aus eine Folgerung ziehen kann. Diese Spitze war das unbewachte Harlemer Meer. Vermittelst desselben umging der Herzog die Vertheidigungslinie und kam dem Posten von Amselvoen in den Ruͤcken. Haͤtten die Hollaͤnder auf diesem Meer ein Paar Schiffe gehabt, so waͤre der Her- zog niemals bis vor Amsterdam gekommen; denn er war au bout de son latin. Welchen Einfluß dies auf den Friedensschluß gehabt haͤtte geht uns hier Nichts an, aber es ist dadurch ausgemacht daß von einem Überwaͤltigen der letzten Überschwemmungslinie nicht weiter die Rede sein konnte. Der Winter ist freilich der natuͤrliche Feind dieses Vertheidigungsmittels, wie die Franzosen 1794 und 95 ge- zeigt haben, aber es gehoͤrt ein strenger Winter dazu. Waͤlder von geringer Zugaͤnglichkeit haben wir gleich- falls zu den Mitteln gezaͤhlt welche der Vertheidigung einen kraͤftigen Beistand darbieten. Sind sie von geringer Tiefe, so kann der Angreifende auf ein Paar nahe bei einander liegenden Wegen durchdringen und die bessere Ge- gend erreichen, denn die taktische Staͤrke der einzelnen Punkte wird nicht groß sein, weil ein Wald niemals so absolut undurchdringlich gedacht werden kann wie ein Fluß oder Morast. — Aber wenn, wie in Rußland und Polen, ein bedeutender Landstrich fast uͤberall mit Wald bedeckt ist und die Kraft des Angreifenden ihn nicht daruͤber hin- 3* ausfuͤhren kann, so wird allerdings seine Lage eine sehr beschwerliche sein. Man bedenke nur, mit wie vielen Schwierigkeiten der Verpflegung er zu kaͤmpfen hat und wie wenig er im Stande ist, im Dunkel der Waͤlder den uͤberall gegenwaͤrtigen Gegner seine Überlegenheit in der Zahl fuͤhlen zu lassen. Gewiß gehoͤrt dies zu den schlimm- sten Lagen, in die sich der Angriff begeben kann. Funfzehntes Kapitel. Angriff eines Kriegstheaters mit Ent- scheidung . Die meisten Gegenstaͤnde sind schon im sechsten Buch beruͤhrt und geben fuͤr den Angriff, durch den bloßen Re- flex, das gehoͤrige Licht. Der Begriff eines geschlossenen Kriegstheaters hat oh- nehin eine naͤhere Beziehung zur Vertheidigung als zum Angriff. Manche Hauptpunkte, Gegenstand des An- griffs, Wirkungssphaͤre des Sieges , sind in diesem Buche schon abgehandelt, und das Durchgreifendste und Wesentlichste uͤber die Natur des Angriffs wird sich beim Kriegsplan erst darstellen lassen; doch bleibt uns hier noch Manches zu sagen und wir wollen wieder mit dem Feldzug den Anfang machen, in welchem die Absicht einer großen Entscheidung vorhanden ist. 1. Das naͤchste Ziel des Angriffs ist ein Sieg. Alle Vortheile, welche der Vertheidiger in der Natur seiner Lage findet, kann der Angreifende nur durch Überlegenheit gut machen, und allenfalls durch den maͤßigen Vorzug welchen das Gefuͤhl, der Angreifende und Vorschreitende zu sein, dem Heere giebt. Meistens wird dies letztere sehr uͤberschaͤtzt, denn es dauert nicht lange und haͤlt gegen reel- lere Schwierigkeiten nicht Stich. Es versteht sich daß wir hierbei voraussetzen, daß der Vertheidiger eben so feh- lerfrei und angemessen verfahre wie der Angreifende. Wir wollen mit dieser Bemerkung die dunklen Ideen von Über- fall und Überraschung entfernen, welche man sich beim An- griff gewoͤhnlich als reichliche Siegesquellen denkt und die doch ohne besondere individuelle Umstaͤnde nicht eintreten. Wie es mit dem eigentlichen strategischen Überfall ist, ha- den wir schon an einem andern Ort gesagt. — Fehlt also dem Angriff die physische Überlegenheit, so muß eine mo- ralische da sein, um die Nachtheile der Form aufzuwiegen, und wo auch diese fehlt, ist der Angriff nicht motivirt und wird nicht gluͤcklich sein. 2. So wie Vorsicht der eigentliche Genius der Ver- theidigung ist, so ist es Kuͤhnheit und Zuversicht beim An- greifenden; nicht daß die entgegengesetzten Eigenschaften beiden fehlen duͤrften, sondern es stehen die ihnen zur Seite in einer staͤrkeren Affinitaͤt damit. Alle diese Eigenschaften sind ja uͤberhaupt nur noͤthig, weil das Handeln kein ma- thematisches Konstruiren ist, sondern eine Thaͤtigkeit in dunklen oder hoͤchstens daͤmmernden Regionen, wo man sich demjenigen Fuͤhrer anvertrauen muß, der sich am mei- sten fuͤr unser Ziel eignet. — Je moralisch schwaͤcher sich der Vertheidiger zeigt, um so dreister muß der Angreifende werden. 3. Zum Sieg gehoͤrt das Treffen der feindlichen Haupt- macht mit der eigenen. Dies hat beim Angriff weniger Zweifel als bei der Vertheidigung, denn der Angreifende sucht den Vertheidiger, welcher ja gewoͤhnlich schon steht, in seiner Stellung auf. Allein wir haben behauptet (bei der Vertheidigung), er solle ihn, wenn der Vertheidiger sich falsch gestellt hat, nicht aufsuchen, weil er sicher sein koͤnne daß dieser ihn aufsuchen wuͤrde und er dann den Vortheil haͤtte ihn unvorbereitet zu treffen. Es kommt hierbei Alles auf die wichtigste Straße und Richtung an, und diesen Punkt haben wir bei der Vertheidigung uneroͤrtert gelassen und auf dieses Kapitel verwiesen. Wir wollen also hier das Noͤthige daruͤber sagen. 4. Welches die naͤheren Gegenstaͤnde des Angriffs und also die Zwecke des Sieges sein koͤnnen, haben wir schon fruͤher gesagt; liegen nun diese innerhalb des Kriegstheaters welches angegriffen wird und innerhalb der wahrscheinlichen Siegessphaͤre, so sind die Wege dahin die natuͤrlichen Rich- tungen des Stoßes. Aber wir muͤssen nicht vergessen, daß der Gegenstand des Angriffs gewoͤhnlich erst seine Bedeu- tung mit dem Sieg erhaͤlt, daß der Sieg also immer in Verbindung damit gedacht werden muß; es kommt also dem Angreifenden nicht so sehr darauf an, den Gegenstand bloß zu erreichen, sondern als Sieger, und so wird denn die Richtung seines Stoßes nicht sowohl auf den Gegenstand selbst, als auf den Weg treffen muͤssen den das feind- liche Heer dahin zu nehmen hat. Dieser Weg ist uns das naͤchste Objekt. Die feindliche Armee zu treffen, ehe sie jenen Gegenstand erreicht, sie davon abzuschneiden und in dieser Lage zu schlagen, giebt den potenzirten Sieg. — Waͤre also die feindliche Hauptstadt das Hauptobjekt des An- griffs, und der Vertheidiger haͤtte sich nicht zwischen ihr und dem Angreifenden aufgestellt, so haͤtte dieser Unrecht gerade auf die Hauptstadt loszugehen, sondern er thut bes- ser, auf die Verbindung zwischen der feindlichen Armee und der Hauptstadt seine Richtung zu nehmen und dort den Sieg zu suchen der ihn dahin bringen soll. Liegt in der Siegessphaͤre des Angriffs kein großes Objekt, so ist die Verbindung der feindlichen Armee mit dem naͤchsten großen Objekt der Punkt welcher die vor- herrschende Wichtigkeit hat. Es wird sich also jeder An- greifende fragen: wenn ich in der Schlacht gluͤcklich bin, was fange ich mit dem Siege an? Das Eroberungsobjekt, worauf ihn dieses fuͤhrt, ist dann die natuͤrliche Richtung des Stoßes. Hat der Vertheidiger sich in dieser Richtung aufgestellt, so ist er im Recht und es bleibt Nichts uͤbrig, als ihn da aufzusuchen. Waͤre seine Stellung zu stark, so muͤßte der Angreifende das Vorbeigehn versuchen, d. h. aus der Noth eine Tugend machen. Ist der Vertheidiger aber nicht auf der rechten Stelle, so waͤhlt der Angrei- fende diese Richtung und wendet sich, sobald er in die Hoͤhe des Vertheidigers kommt und dieser sich unterdeß nicht seitwaͤrts vorgeschoben hat, in die Richtung seiner Verbindungslinie mit dem Gegenstand, um die feindliche Armee dort aufzusuchen; waͤre sie ganz stehen geblieben, so wuͤrde der Angreifende gegen dieselbe umkehren muͤssen, um sie von hinten anzugreifen. Unter allen Wegen, deren Wahl der Angreifende zum Objekt hat, sind die großen Handelsstraßen immer die besten und natuͤrlichsten. Wo sie eine zu starke Biegung machen, muß man freilich fuͤr diese Stellen die geraderen, wenn auch kleineren Wege waͤhlen, denn eine von der geraden Linie stark abweichende Ruͤckzugsstraße hat immer große Bedenklichkeiten. 5. Zu einer Theilung der Macht hat der Angreifende, der auf eine große Entscheidung ausgeht, durchaus keine Ursache, und es ist meistens, wenn es dennoch geschieht, als ein Fehler der Unklarheit zu betrachten. Er soll also mit seinen Kolonnen nur in solcher Breite vorruͤcken, daß alle zugleich schlagen koͤnnen. Hat der Feind selbst seine Macht getheilt, so wird das dem Angreifenden um so mehr zum Vortheil gereichen, nur koͤnnen dabei freilich kleine Demonstrationen vorkommen, die gewissermaßen die strate- gischen fausses attaques sind und die Bestimmung haben jene Vortheile festzuhalten; die dadurch veranlaßte Thei- lung der Macht waͤre dann gerechtfertigt. Die ohnehin nothwendige Theilung in mehrere Kolon- nen muß zur umfassenden Anordnung des taktischen An- griffs benutzt werden, denn diese Form ist dem Angriff natuͤrlich und darf nicht ohne Noth versaͤumt werden. Aber sie muß taktischer Natur bleiben, denn ein strategisches Umfassen, waͤhrend ein großer Schlag geschieht, ist voll- kommene Kraftverschwendung. Es waͤre also nur zu ent- schuldigen, wenn der Angreifende so stark waͤre daß der Erfolg gar nicht als zweifelhaft betrachtet werden koͤnnte. 6. Aber auch der Angriff hat seine Vorsicht, denn der Angreifende hat auch einen Ruͤcken, hat Verbindungen, die gesichert werden muͤssen. Diese Sicherung muß aber wo moͤglich durch die Art geschehen wie er sich vorbewegt, d. h. also eo ipso durch die Armee selbst. Wenn dazu besondere Kraͤfte bestimmt werden muͤssen, also eine Thei- lung der Kraͤfte hervorgerufen wird, so kann dies natuͤrlich der Kraft des Stoßes selbst nur schaden. — Da eine betraͤchtliche Armee immer in der Breite von wenigstens einem Marsch vorzuruͤcken pflegt, so wird, wenn die Ruͤck- zugsverbindungslinien nicht zu sehr von der senkrechten ab- weichen, die Deckung derselben meistens schon durch die Fronte der Armee erreicht. Die Gefahren dieser Art, welchen der Angreifende ausgesetzt ist, muͤssen hauptsaͤchlich nach der Lage und dem Charakter des Gegners abgemessen werden. Wo Alles unter dem Atmosphaͤrendruck einer großen Entscheidung ruht, bleibt dem Vertheidiger fuͤr Unternehmungen dieser Art wenig Spielraum; der Angreifende wird also in den gewoͤhnlichen Faͤllen nicht Viel zu fuͤrchten haben. Aber wenn das Vorschreiten voruͤber ist, der Angreifende nach und nach selbst in den Zustand der Vertheidigung mehr und mehr uͤbergeht, dann wird die Deckung des Ruͤckens immer nothwendiger, immer mehr eine Hauptsache. Denn da der Ruͤcken eines Angreifenden der Natur der Sache nach schwaͤcher ist als der des Vertheidigers, so kann dieser schon lange vorher, ehe er zum wirklichen Angriff uͤbergeht, und sogar indem er selbst noch immer Land einraͤumt, an- gefangen haben auf die Verbindungslinien des Angreifen- den zu wirken. Sechszehntes Kapitel. Angriff eines Kriegstheaters ohne Entscheidung . 1. Wenn auch der Wille und die Kraft nicht zu einer großen Entscheidung hinreichen, so kann doch noch die bestimmte Absicht eines strategischen Angriffs vorhanden sein, auf irgend ein geringes Objekt gerichtet. Gelingt der Angriff, so kommt mit der Erreichung dieses Objekts das Ganze in Ruhe und Gleichgewicht. Finden sich eini- germaßen Schwierigkeiten, so tritt der Stillstand des all- gemeinen Fortschreitens schon vorher ein. Nun tritt eine bloße Gelegenheitsoffensive oder auch ein strategisches Ma- noͤvriren an die Stelle. Dies ist der Charakter der mei- sten Feldzuͤge. 2. Die Gegenstaͤnde welche das Ziel einer solchen Offensive ausmachen sind: a) Ein Landstrich . Vortheile der Verpflegung, allenfalls auch Kontributionen, Schonung des Landes, Äquivalent beim Frieden sind die Vortheile welche daraus fließen. Zuweilen knuͤpft sich auch der Begriff der Waf- fenehre daran, wie in den Feldzuͤgen der franzoͤsischen Feldherrn unter Ludwig XIV. unaufhoͤrlich vorkommt. Einen sehr wesentlichen Unterschied macht es ob der Landstrich behauptet werden kann oder nicht. Das Erstere ist gewoͤhnlich nur der Fall, wenn er sich an das eigene Kriegstheater anschließt und ein natuͤrliches Kom- plement desselben ausmacht. Nur solche koͤnnen beim Frieden als Äquivalent in Betrachtung kommen, die an- dern sind gewoͤhnlich nur fuͤr die Dauer eines Feldzugs eingenommen und sollen im Winter verlassen werden. b) Ein bedeutendes feindliches Magazin . Wenn es nicht bedeutend ist, so kann es auch nicht wohl als der Gegenstand einer den ganzen Feldzug bestimmenden Offensive angesehen werden. Es bringt zwar an und fuͤr sich dem Vertheidiger Verlust und dem Angreifenden Ge- winn, indessen ist der Hauptvortheil des Letzteren dabei doch, daß der Vertheidiger dadurch genoͤthigt wird ein Stuͤck zuruͤckzugehen und einen Landstrich aufzugeben den er sonst gehalten haͤtte. Die Eroberung des Magazins ist also eigentlich mehr das Mittel und wird hier nur als Zweck angefuͤhrt, weil sie das naͤchste bestimmte Ziel des Handelns wird. c) Die Eroberung einer Festung . Wir haben von der Eroberung der Festungen ein eigenes Kapitel handeln lassen und verweisen darauf zuruͤck. Aus den da- selbst entwickelten Gruͤnden ist es begreiflich, wie die Fe- stungen immer den vorzuͤglichsten und erwuͤnschtesten Ge- genstand derjenigen Angriffskriege und Feldzuͤge ausmachen, die auf ein voͤlliges Niederwerfen des Gegners oder auf die Eroberung eines bedeutenden Theils seines Landes ihre Absicht nicht richten koͤnnen; und so ist es denn leicht erklaͤrlich wie in den festungsreichen Niederlanden sich Alles immer um die Besetzung der einen oder der anderen Festung drehte, und zwar so, daß meistens dabei die Suc- cessiveroberung der ganzen Provinz nicht einmal als Hauptlineament durchschien , sondern daß jede Fe- stung wie eine diskrete Groͤße betrachtet wurde, die an sich etwas werth waͤre und bei der wohl mehr auf die Bequemlichkeit und Leichtigkeit des Unternehmens als auf den Werth des Platzes gesehen wurde. Indessen ist eine Belagerung eines nicht ganz unbe- deutenden Platzes immer ein bedeutendes Unternehmen, weil es große Geldausgaben verursacht und bei Kriegen, wo sich’s nicht immer um das Ganze handelt, diese sehr be- ruͤcksichtigt werden muͤssen . Daher gehoͤrt eine solche Be- lagerung hier schon zu den bedeutenden Gegenstaͤnden eines strategischen Angriffs. Je unbedeutender der Platz ist, oder je weniger es mit der Belagerung ernst ist, je weniger Vorbereitungen dazu getroffen sind, je mehr Alles en passant gemacht werden soll, um so kleiner wird dies strategische Ziel, um so angemessener ganz schwachen Kraͤften und Ab- sichten, und oft sinkt dann das Ganze zu einer bloßen Spiegelfechterei hinab, um den Feldzug mit Ehren hinzu- bringen, weil man als Angreifender doch irgend Etwas thun will. d) Ein vortheilhaftes Gefecht, Treffen oder gar eine Schlacht um der Trophaͤen oder gar um der bloßen Waffenehre willen, und zuweilen auch aus bloßem Ehrgeiz des Feldherrn; daß dies vorkommt, koͤnnte nur der bezweifeln, der gar keine Kriegsgeschichte wuͤßte. In den Feldzuͤgen der Franzosen zur Zeit Ludwig XIV. sind die meisten Offensivschlachten von der Art. Aber nothwendiger ist es zu bemerken, daß diese Dinge nicht ohne objektives Gewicht, nicht bloßes Spiel der Eitelkeit sind; sie sind von einem sehr bestimmten Einfluß auf den Frieden, fuͤhren also ziemlich direkt ans Ziel. Die Waf- fenehre, das moralische Übergewicht des Heeres und des Feldherrn sind Dinge die unsichtbar wirken, aber den gan- zen kriegerischen Akt unaufhoͤrlich durchdringen. Das Ziel eines solchen Gefechts setzt freilich voraus: a ) daß man eine ziemliche Aussicht zum Siege habe, b ) daß man bei dem Verlust des Gefechts nicht zu Viel auf das Spiel setze. — Mit einer solchen Schlacht, die man in beengten Verhaͤltnissen und mit beschraͤnktem Ziel liefert, muß man natuͤrlich nicht Siege verwechseln, die bloß aus moralischer Schwaͤche unbenutzt geblieben sind. 3. Mit Ausnahme des letzten dieser Gegenstaͤnde (d) lassen sich alle ohne bedeutendes Gefecht erreichen, und ge- woͤhnlich werden sie vom Angreifenden ohne ein solches erstrebt. Die Mittel nun welche ohne entscheidendes Ge- fecht dem Angreifenden zu Gebot stehen, liegen in allen den Interessen welche der Vertheidiger in seinem Kriegs- theater hat: das Bedrohen seiner Verbindungslinien sei es mit Gegenstaͤnden des Unterhalts, wie Magazinen, frucht- baren Provinzen, Wasserstraßen u. s. w., oder mit andern Korps, oder mit maͤchtigen Punkten, wie Bruͤcken, Paͤssen u. s. w.; das Einnehmen starker Stellungen aus denen er uns nicht wieder vertreiben kann und die ihm unbequem liegen; die Einnahme bedeutender Staͤdte, fruchtbarer Landstriche, unruhiger Gegenden die zur Rebellion verfuͤhrt werden koͤnnten; das Bedrohen schwacher Verbuͤndeten u. s. w. Indem der Angriff jene Verbindungen wirklich unterbricht, und zwar auf eine solche Weise daß der Vertheidiger sie sich nicht ohne bedeutende Opfer wieder oͤffnen kann, indem er jene Punkte einzunehmen sich an- schickt: noͤthigt er den Vertheidiger eine andere Stellung mehr ruͤckwaͤrts oder seitwaͤrts zu nehmen, um jene Objekte zu decken und lieber geringere aufzugeben. So wird denn ein Landstrich frei; ein Magazin, eine Festung entbloͤßt; jenes der Eroberung, diese der Belagerung preisgegeben. Dabei koͤnnen kleinere und groͤßere Gefechte vorkommen, aber sie werden dann nicht gesucht und als Zweck behan- delt, sondern als ein nothwendiges Übel, und koͤnnen einen gewissen Grad der Groͤße und Wichtigkeit nicht uͤber- schreiten. 4. Die Einwirkung des Vertheidigers auf die Ver- bindungslinien des Angreifenden ist eine Reactionsart die in den Kriegen mit großer Entscheidung nur dann vorkom- men kann, wenn die Operationslinien sehr groß werden, dagegen ist diese Reactionsart bei Kriegen ohne große Ent- scheidung mehr in der Natur der Sache. Die Verbin- dungslinien des Gegners werden zwar hier selten sehr lang sein, aber es kommt auch hier nicht darauf an, dem Geg- ner so große Verluste der Art beizubringen, eine bloße Be- laͤstigung und Verkuͤrzung seines Unterhalts thut oft schon Wirkung, und was den Linien an Laͤnge fehlt, ersetzt eini- germaßen die Laͤnge der Zeit, welche man auf diese Be- kaͤmpfung des Gegners verwenden kann; darum wird also die Deckung seiner strategischen Flanken ein wichtiger Ge- genstand des Angreifenden. Wenn also zwischen dem An- greifenden und Vertheidiger ein Kampf der Art entsteht, ein Überbieten, so muß der Angreifende seine natuͤrlichen Nachtheile durch seine Überlegenheit gut machen. Bleibt dem Ersteren noch so viel Vermoͤgen und Entschluß, ein- mal einen bedeutenden Streich gegen ein feindliches Korps oder die feindliche Hauptarmee selbst zu wagen, so wird er sich durch diese Gefahr, die er uͤber seinem Gegner schwe- ben laͤßt, noch am besten decken koͤnnen. 5. Schließlich muͤssen wir noch eines bedeutenden Vor- theils gedenken, den in Kriegen dieser Art der Angreifende allerdings uͤber seinen Gegner hat, naͤmlich ihn seiner Ab- sicht und seinem Vermoͤgen nach besser beurtheilen zu koͤn- nen als dies umgekehrt der Fall ist. In welchem Grade ein Angreifender unternehmend und dreist sein wird, ist viel schwerer vorherzusehen, als ob der Vertheidiger etwas Gro- ßes im Sinn fuͤhrt. Gewoͤhnlich liegt, praktisch genom- men, schon in der Wahl dieser Kriegsform eine Garantie, daß man nichts Positives wolle; außerdem sind die An- stalten zu einer großen Reaction von den gewoͤhnlichen Ver- theidigungsanstalten viel verschiedener als die Anstalten des Angriffs bei groͤßeren oder geringeren Absichten; endlich ist der Vertheidiger genoͤthigt seine Maaßregeln fruͤher zu nehmen und der Angreifende in dem Vortheil der Hinterhand. Siebenzehntes Kapitel. Angriff von Festungen . Der Angriff von Festungen kann uns natuͤrlich nicht von der Seite der fortifikatorischen Arbeiten hier beschaͤf- tigen, sondern: erstens in Beziehung auf den damit verbun- denen strategischen Zweck; zweitens auf die Wahl unter mehreren Festungen; drittens auf die Art die Belagerung zu decken. Daß der Verlust einer Festung die feindliche Verthei- digung schwaͤcht, besonders dann wenn sie ein wesentliches Stuͤck derselben ausgemacht hat, daß dem Angreifenden aus ihrem Besitz große Bequemlichkeiten entspringen, in- dem er sie zu Magazinen und Depots gebrauchen, Land- striche und Quartiere dadurch decken kann u. s. w., daß sie, wenn sein Angriff zuletzt in die Vertheidigung uͤbergehen sollte, die staͤrksten Stuͤtzen dieser Vertheidigung werden: alle diese Beziehungen, welche die Festungen zu den Kriegs- theatern in dem Fortgang des Krieges haben, lassen sich hinreichend aus Dem erkennen, was wir im Buch von der Vertheidigung uͤber die Festungen gesagt haben, der Re- flex davon wird das noͤthige Licht uͤber den Angriff ver- breiten. Auch in Beziehung auf die Eroberung fester Plaͤtze findet ein großer Unterschied zwischen den Feldzuͤgen mit einer großen Entscheidung und den andern statt. Dort ist diese Eroberung immer als ein nothwendiges Uebel anzu- sehen. Man belagert nur was man schlechterdings nicht unbelagert lassen kann, so lange man naͤmlich noch Etwas zu entscheiden hat. Nur wenn die Entscheidung ganz gege- ben, die Krise, die Spannung der Kraͤfte auf geraume Zeit voruͤber, und also ein Zustand der Ruhe eingetreten ist: dann dient die Eroberung der festen Plaͤtze als eine Konsolidirung der gemachten Eroberung und dann kann sie meistens, zwar nicht ohne Anstrengung und Kraftauf- wand, aber doch ohne Gefahr ausgefuͤhrt werden. In der Krise selbst ist die Belagerung einer Festung eine hohe Stei- gerung derselben zum Nachtheil des Angreifenden; es ist au- genscheinlich daß Nichts so sehr seine Kraͤfte schwaͤcht und also Nichts so gemacht ist ihm auf eine Zeitlang sein Überge- wicht zu rauben. Aber es giebt Faͤlle wo die Eroberung einer oder der andern Festung ganz unerlaͤßlich ist, wenn der Angriff uͤberhaupt fortschreiten soll, und in diesen ist das Belagern als ein intensives Fortschreiten des An- griffs zu betrachten; die Krise wird dann um so groͤßer je weniger vorher schon entschieden ist. Was uͤber diesen Gegenstand noch in Betrachtung zu ziehen ist, gehoͤrt in das Buch vom Kriegsplan. In den Feldzuͤgen mit einem beschraͤnkten Ziel ist die Festung gewoͤhnlich nicht das Mittel, sondern der Zweck selbst; sie wird als eine selbststaͤndige kleine Eroberung angesehen und als solche hat sie folgende Vorzuͤge vor jeder andern: 1. daß die Festung eine kleine sehr bestimmt begraͤnzte Eroberung ist, die nicht zu einer groͤßeren Kraftanstrengung noͤthigt und also keinen Ruͤckschlag befuͤrchten laͤßt; 2. daß sie beim Frieden als Äquivalent so gut gel- tend zu machen ist; 3. daß die Belagerung ein intensives Fortschreiten des Angriffs ist oder wenigstens so aussieht, ohne daß die Schwaͤchung der Kraͤfte dabei immer zunehme, wie das jedes andere Vorschreiten im Angriff mit sich bringt; 4. 4. daß die Belagerung ein Unternehmen ohne Ka- tastrophe ist. Alle diese Dinge machen, daß die Eroberung eines oder mehrerer feindlicher Plaͤtze sehr gewoͤhnlich ein Gegen- genstand derjenigen strategischen Angriffe ist, die sich kein groͤßeres Ziel vorsetzen koͤnnen. Die Gruͤnde, welche bei der Wahl der Festung, welche belagert werden soll, bestimmen, im Fall diese uͤberhaupt zweifelhaft seyn kann, sind: a) Daß sie bequem zu behalten sei, also als Äqui- valent beim Frieden recht hoch stehe. b) Die Mittel der Eroberung. Geringe Mittel lassen nur kleine Festungen zu, und es ist besser daß man eine kleine wirklich einnimmt als vor einer großen scheitert. c) Die fortifikatorische Staͤrke. Sie steht ja offenbar nicht immer mit der Wichtigkeit in Verhaͤltniß; Nichts waͤre thoͤrichter als vor einem sehr festen Platz von geringer Wichtigkeit seine Kraͤfte zu verschwenden, wenn man einen weniger starken zum Gegenstand seines Angriffs machen kann d) Die Staͤrke der Ausruͤstung, also auch der Besatzung Ist die Festung schwach besetzt und ausgeruͤstet, so ist ihre Er- oberung natuͤrlich leichter; aber es ist hierbei zu bemerken, daß die Staͤrke der Besatzung und Ausruͤstung zugleich zu denjenigen Dingen gezaͤhlt werden muß, die die Wichtig- keit des Platzes mit bestimmen, weil Besatzung und Aus- ruͤstung unmittelbar zu den Streitkraͤften des Feindes ge- hoͤren, welches nicht in dem Maaße mit den Fortifikations- werken der Fall ist. Die Eroberung einer Festung mit starker Besatzung kann also die Opfer, welche sie kostet, viel eher lohnen als die einer mit besonders starken Werken. e) Die Leichtigkeit der Belagerungstransporte. Die meisten Belagerungen scheitern aus Mangel an Mitteln, III 4 und diese fehlen meistens wegen der Schwierigkeit des Transports. Eugen’s Belagerung von Landreci 1712 und Friedrichs des Großen Belagerung von Olmuͤtz 1758 sind die hervorstechendsten Beispiele. f) Endlich ist die Leichtigkeit der Deckung noch als ein Punkt zu betrachten. Es giebt zwei wesentlich verschiedene Arten die Be- lagerung zu decken: durch Verschanzung der Belage- rungsarmee, also durch eine Circumvallationslinie, und durch eine sogenannte Observationslinie. Die ersteren sind ganz aus der Mode gekommen, obgleich offenbar eine Haupt- sache fuͤr sie spricht: daß naͤmlich auf diese Art die Macht des Angreifenden diejenige Schwaͤchung durch Theilung eigentlich gar nicht erfaͤhrt, die ein großer Nachtheil des Belagerers uͤberhaupt ist. Aber freilich findet die Schwaͤ- chung auf eine andere Weise doch in einem sehr merk- lichen Grade statt. 1. Die Stellung um die Festung herum erfordert in der Regel eine zu große Ausdehnung fuͤr die Staͤrke des Heeres. 2. Die Besatzung, welche, ihre Staͤrke noch zur feind- lichen Entsatzarmee hinzugefuͤgt, Nichts geben wuͤrde als die Macht welche urspruͤnglich der unsrigen entgegenstand, ist unter diesen Umstaͤnden als ein feindliches Korps mitten in unserm Lager zu betrachten, welches aber, durch seine Waͤlle geschuͤtzt, unverwundbar oder wenigstens nicht zu uͤberwaͤltigen ist, wodurch seine Wirksamkeit sehr erhoͤht wird. 3. Die Vertheidigung einer Circumvallationslinie laͤßt Nichts als die absoluteste Defension zu, weil die unguͤn- stigste und schwaͤchste aller moͤglichen Aufstellungsformen, in einem Kreise mit der Fronte nach Außen, allen vortheil- haften Anfaͤllen auf das Äußerste widerstrebt. Es bleibt also Nichts uͤbrig als sich in seinen Verschanzungen aufs Äußerste zu wehren. Daß diese Umstaͤnde eine viel groͤßere Schwaͤchung der Vertheidigung herbeifuͤhren koͤnnen, als die Verminderung des Heeres um ein Drittel seiner Streiter, welche vielleicht bei einer Observationsarmee stattfinden wuͤrde, ist leicht begreiflich. Bedenkt man nun noch die allgemeine Vorliebe die man seit Friedrich dem Großen fuͤr die soge- nannte Offensive (es ist eigentlich nicht immer eine solche), fuͤr Bewegungen und Manoͤvriren hat, und den Wider- willen gegen Schanzen, so wird man sich nicht wundern, wenn die Circumvallationslinien ganz außer Mode gekom- men sind. Aber jene Schwaͤchung des taktischen Wider- standes ist keineswegs der einzige Nachtheil derselben, und wir haben nur die Vorurtheile, die sich auch hineindraͤngen, gleich neben jenem Nachtheil aufgezaͤhlt, weil sie ihm zu- naͤchst verwandt sind. Eine Circumvallationslinie deckt vom ganzen Kriegstheater im Grunde nur den Raum den sie einschließt, alles Übrige ist dem Feinde mehr oder weniger preisgegeben, wenn nicht besondere Detache- ments zur Deckung bestimmt werden, woraus aber eine Theilung der Kraͤfte entstehen wuͤrde, die man doch ver- meiden will. Also wird der Belagernde, schon wegen der zur Belagerung noͤthigen Zufuhren, immer in Besorgniß und Verlegenheit sein, und es ist uͤberhaupt eine Deckung derselben durch Circumvallationslinien, wenn die Armee und die Belagerungsbeduͤrfnisse einigermaßen betraͤchtlich sind und wenn der Feind mit einer namhaften Macht im Felde ist, nicht anders denkbar als unter Verhaͤltnissen wie die in den Niederlanden, wo ein ganzes System nahe bei einander liegender Festungen und dazwischen angelegter Linien die uͤbrigen Theile des Kriegstheaters deckt und die 4* Zufuhrlinien in einem hohen Grade abkuͤrzt. In der Zeit vor Ludwig XIV. war mit der Aufstellung einer Streitkraft noch nicht der Begriff eines Kriegstheaters verbunden. Namentlich zogen die Armeen im dreißigjaͤh- rigen Kriege sporadisch hin und her, vor dieser oder jener Festung, in deren Naͤhe sich nicht gerade ein feindliches Korps befand, und belagerten so lange wie die mitgebrach- ten Belagerungsmittel zureichten und bis eine feindliche Armee sich zum Ersatz naͤherte. Da waren die Circum- vallationslinien in der Natur der Sache. In der Folge werden sie wohl nur in wenigen Faͤllen wieder gebraucht werden koͤnnen, wenn naͤmlich die Ver- haͤltnisse aͤhnlicher Art sind; wenn der Feind im Felde ganz schwach ist, wenn der Begriff des Kriegstheaters gegen den der Belagerung selbst gewissermaßen verschwindet: dann wird es natuͤrlich seyn seine Kraͤfte bei der Belagerung selbst vereinigt zu behalten, weil diese dadurch unstreitig in einem hohen Grade an Energie gewinnt. Die Circumvallationslinien unter Ludwig XIV. bei Cambrai und Valenciennes haben wenig geleistet, als jene von Tuͤrenne gegen Cond é , und diese von Cond é gegen Tuͤ- renne gestuͤrmt wurden; aber man darf auch nicht uͤbersehen in wie unendlich vielen andern Faͤllen sie respektirt worden sind, selbst dann wenn die dringendste Aufforderung zum Entsatz vorhanden und der Feldherr des Vertheidigers ein sehr unternehmender Mann war, wie 1708, als Villars es nicht wagte die Verbuͤndeten in ihren Linien vor Lille anzugreifen. Auch Friedrich der Große bei Olmuͤtz 1758 und bei Dresden 1760 hatte, obgleich keine eigentliche Circumvallationslinie, doch ein System das im Wesent- lichen damit zusammenfiel, er belagerte und deckte mit der- selben Armee. Die Entfernung der oͤstreichischen Armee bei Ol- muͤtz verleitete ihn dazu, aber die Verluste seiner Transporte bei Domstaͤdtel ließen es ihn bereuen; 1760 bei Dresden wurde dies Verfahren durch die Geringschaͤtzung welche er fuͤr die Reichsarmee hatte und durch die Eile mit welcher er Dresden einnehmen wollte, motivirt. Endlich ist es ein Nachtheil der Circumvallations- linien, daß das Belagerungsgeschuͤtz im ungluͤcklichen Fall schwerer zu retten ist. Wird die Entscheidung einen oder ein Paar Tagemaͤrsche von dem belagerten Orte ge- geben, so kann die Aufhebung erfolgen ehe der Feind an- kommt, und man gewinnt mit dem großen Transport auch wohl einen Vorsprung von einem Marsch. Bei Aufstellung der Observationsarmee kommt vor- zuͤglich die Frage in Betrachtung: in welcher Entfernung von der Belagerung? Diese Frage wird sich in den mei- sten Faͤllen durch das Terrain beantworten oder durch die Stellung anderer Armeen und Korps, mit welchen die Belagerungsarmee in Verbindung bleiben will. Sonst ist leicht einzusehen, daß die groͤßere Entfernung die Belage- rung besser deckt, aber die kleinere, welche nicht uͤber einige Meilen betraͤgt, auch leichter erlaubt daß beide Armeen sich unterstuͤtzen. Achtzehntes Kapitel. Angriff von Transporten . Der Angriff und die Vertheidigung eines Transports sind ein Gegenstand der Taktik; wir wuͤrden also hier gar Nichts daruͤber zu sagen haben, wenn nicht der Gegenstand uͤberhaupt gewissermaßen erst als moͤglich nachgewiesen werden muͤßte, welches nur aus strategischen Gruͤnden und Verhaͤltnissen geschehen kann. Schon bei der Vertheidi- gung haͤtten wir in dieser Beziehung davon zu reden ge- habt, wenn nicht das Wenige was daruͤber zu sagen ist, sich fuͤglich fuͤr Angriff und Vertheidigung zusammenfas- sen ließe, und der erstere dabei der Sache die Hauptwich- tigkeit giebt. Ein maͤßiger Transport von 3- bis 400 Wagen, sie moͤgen nun geladen haben was sie wollen, nimmt eine halbe Meile ein, ein bedeutender mehrere Meilen. Wie ist nun daran zu denken eine solche Entfernung mit so wenig Truppen zu decken als gewoͤhnlich zur Begleitung bestimmt sind? Nimmt man zu dieser Schwierigkeit die Unbeweg- lichkeit dieser Masse, die nur im langsamsten Schritt fort- kriecht und wobei doch immer die Gefahr der Verwirrung zu befuͤrchten ist, endlich daß es dabei auf eine partielle Deckung eines jeden Theils ankommt, weil sogleich Alles stockt und in Verwirrung geraͤth sobald ein Theil vom Feinde erreicht wird: so kann man sich mit Recht fragen, wie ist die Deckung und Vertheidigung eines solchen Din- ges uͤberhaupt moͤglich? — oder mit andern Worten: warum werden nicht alle genommen die angegriffen werden und warum werden nicht alle angegriffen die uͤberhaupt gedeckt werden muͤssen, d. i. die dem Feinde zugaͤnglich sind? Es ist offenbar daß alle taktischen Auskunftsmittel, wie die hoͤchst unpraktische Verkuͤrzung durch bestaͤndiges Auf- und Abmarschieren, die Tempelhof vorschlaͤgt, oder wie die viel bessere durch Theilung in mehrere Kolonnen, zu der Scharnhorst raͤth, nur schwache Huͤlfen gegen das Grund- uͤbel sind. Der Aufschluß liegt darin, daß bei weitem die mei- sten Transporte schon durch ihr strategisches Verhaͤltniß eine allgemeine Sicherung genießen, die sie vor jedem an- dern dem feindlichen Angriff bloßgestellten Theile voraus- haben und die ihren geringen Vertheidigungsmitteln eine viel groͤßere Wirksamkeit giebt. Sie finden naͤmlich immer mehr oder weniger im Ruͤcken des eigenen Heeres oder wenigstens in großer Entfernung vom feindlichen statt. Die Folge ist daß nur schwache Haufen zu ihrem Angriff abgesendet werden koͤnnen und daß diese schwachen genoͤ- thigt sind sich durch starke Reserven zu decken, um nicht Flanken und Ruͤcken durch einen herbeieilenden anderweiti- gen Feind zu verlieren. Nimmt man hierzu, daß eben die Unbehuͤlflichkeit solcher Fuhrwerke es sehr schwer macht sie fortzuschaffen, daß der Angreifende sich meistens begnuͤgen muß die Straͤnge abzuhauen, die Pferde wegzufuͤhren, Pulverkarren in die Luft zu sprengen u. s. w., wodurch das Ganze aufgehalten und desorganisirt wird, aber doch nicht wirklich verloren geht: so sieht man noch mehr ein, wie die Sicherheit eines solchen Transports mehr in diesen allgemeinen Verhaͤltnissen als in dem Widerstand seiner Bedeckung liegt. Kommt nun dieser Widerstand der Be- deckung hinzu, welcher durch entschlossenes Draufgehen zwar nicht seinen Transport unmittelbar schuͤtzen, aber das Sy- stem des feindlichen Angriffs stoͤren kann, so erscheint zu- letzt der Angriff der Transporte, anstatt leicht und unfehl- bar zu sein, als ziemlich schwierig und in seinen Folgen ungewiß. Aber ein Hauptpunkt bleibt noch uͤbrig: es ist die Gefahr daß die feindliche Armee oder ein Korps derselben an dem Angreifenden Rache nimmt und ihn durch eine Niederlage fuͤr das Unternehmen hinterher bestraft. Diese Besorgniß haͤlt eine Menge Unternehmungen zuruͤck, ohne daß die Ursache ans Licht tritt, so daß man die Sicherheit in der Bedeckung sucht und sich nicht genug wundern kann wie eine so bemitleidenswerthe Verfassung, wie die einer Bedeckung ist, solche Ehrfurcht einfloͤßen kann. Um die Wahrheit dieser Bemerkung zu fuͤhlen, denke man an den beruͤhmten Ruͤckzug welchen Friedrich der Große 1758 nach der Belagerung von Olmuͤtz durch Boͤhmen machte, wo die Haͤlfte seiner Armee in Pelotons aufgeloͤst war um einen aus 4000 Fuhrwerken bestehenden Train zu decken. Was hinderte Daun dieses Unding an- zufallen? Die Furcht, daß ihm Friedrich der Große mit der andern Haͤlfte auf den Leib ruͤcken und ihn in eine Schlacht verwickeln wuͤrde, die Daun nicht suchte. Was hinderte Laudon in Zischbowitz den Transport, dem er immer zur Seite war, fruͤher und dreister anzufallen als er that? Die Furcht Etwas auf die Finger zu bekommen. Zehn Meilen von seiner Hauptarmee entfernt und durch die preu- ßische Armee ganz von ihr getrennt, glaubte er sich in Gefahr einer tuͤchtigen Niederlage, wenn der durch Daun auf keine Weise beschaͤftigte Koͤnig den groͤßeren Theil seiner Kraͤfte gegen ihn richtete. Nur wenn die strategische Lage eines Heeres dasselbe in die widernatuͤrliche Nothwendigkeit verwickelt, seine Transporte ganz seitwaͤrts oder gar von vornher zu be- ziehen: dann werden diese Transporte in wirklich großer Gefahr sein und folglich ein vortheilhaftes Objekt des Angriffs fuͤr den Gegner werden, wenn ihm seine Lage erlaubt Kraͤfte dazu abzusenden. Derselbe Feldzug zeigt in dem aufgehobenen Transport von Domstaͤdtel den voll- kommensten Erfolg eines solchen Unternehmens. Die Straße nach Neiße lag in der linken Seite der preußi- schen Aufstellung, und des Koͤnigs Kraͤfte waren durch die Belagerung und das gegen Daun aufgestellte Korps so neutralisirt, daß die Parteigaͤnger fuͤr sich selbst gar Nichts zu besorgen hatten und sich mit vollkommener Muße an ihren Angriff begeben konnten. Eugen 1712 zog als er Landreci belagerte seine Be- lagerungsbeduͤrfnisse von Bouchain uͤber Denain heran, also eigentlich vor der Fronte der strategischen Aufstellung. Welche Mittel er anwendete um die unter diesen Umstaͤn- den so schwierige Deckung zu bewirken, und in welche Schwierigkeiten er sich verwickelte, die mit einem foͤrmli- chen Umschwung der Angelegenheiten endigten, ist bekannt. Wir ziehen also das Resultat: daß der Angriff von Transporten, wie leicht er auch, taktisch betrachtet, sich aus- nehmen moͤge, doch aus strategischen Gruͤnden nicht so viel fuͤr sich hat, sondern nur in den ungewoͤhnlichen Faͤl- len sehr preisgegebener Verbindungslinien bedeutende Er- folge verspricht. Neunzehntes Kapitel. Angriff einer feindlichen Armee in Quartieren . Wir haben in der Vertheidigung diesen Gegenstand nicht gehabt, weil eine Quartierlinie nicht als ein Ver- theidigungsmittel betrachtet werden kann, sondern als ein bloßer Zustand des Heeres, und zwar als einer der eine sehr geringe Schlachtfertigkeit mit sich fuͤhrt. Wir haben uns also in Beziehung auf diese Schlachtfertigkeit mit Dem begnuͤgt, was wir im dreizehnten Kapitel des fuͤnften Buchs uͤber diesen Zustand eines Heeres zu sagen hatten. Hier beim Angriff aber haben wir eines feindlichen Heeres in Quartieren allerdings als eines besonderen Ge- genstandes zu gedenken; denn theils ist ein solcher Angriff sehr eigenthuͤmlicher Art, theils kann er als ein strategi- sches Mittel von besonderer Wirksamkeit betrachtet werden. Es ist also hier nicht die Rede von dem Anfall eines ein- zelnen feindlichen Quartiers oder eines kleinen in wenig Doͤrfer vertheilten Korps, denn die Anordnungen dazu sind ganz taktischer Natur: sondern von dem Angriff einer bedeutenden in mehr oder weniger ausgedehnte Quar- tiere vertheilten Streitkraft, so daß nicht mehr der Über- fall des einzelnen Quartiers selbst, sondern das Verhin- dern der Versammlung das Ziel ist. Der Angriff einer feindlichen Armee in Quartieren ist also der Überfall einer nicht versammelten Armee. Soll der Überfall als gelungen betrachtet werden, so muß die feindliche Armee den vorher bestimmten Versammlungs- punkt nicht mehr erreichen, also genoͤthigt sein einen an- dern, weiter ruͤckwaͤrts gelegenen zu waͤhlen; da dies Zu- ruͤckverlegen im Augenblick der Noth selten unter einem Tagemarsch, gewoͤhnlich aber mehrere betragen wird: so ist der Terrainverlust welcher dadurch entsteht nicht unbedeu- tend, und dies ist der erste Vortheil welcher dem Angrei- fenden zu Theil wird. Nun kann aber dieser auf die allgemeinen Verhaͤlt- nisse sich beziehende Überfall allerdings im Anfang zugleich Überfall einiger einzelner Quartiere sein; nur freilich nicht aller und nicht sehr vieler, weil schon das Letztere ein sol- ches Ausbreiten und Zerstreuen der Angriffsarmee voraus- setzen wuͤrde wie in keinem Fall rathsam waͤre. Es koͤn- nen also nur die vordersten feindlichen Quartiere, welche in der Richtung der vorruͤckenden Kolonnen liegen, uͤber- fallen werden, und auch dies wird wohl selten bei vielen und im vollkommenen Maaße gelingen, weil das Annaͤhern einer bedeutenden Macht nicht so unbemerkt geschehen kann. Doch ist dieses Element des Angriffs keineswegs zu uͤber- sehen, und wir rechnen die Erfolge welche daraus hervor- gehen als den zweiten Vortheil eines solchen Überfalls. Ein dritter Vortheil sind die partiellen Gefechte wozu der Feind veranlaßt wird und in denen er große Verluste erleiden kann. Eine betraͤchtliche Truppenmasse versammelt sich naͤmlich nicht in einzelnen Bataillonen auf dem Hauptversammlungspunkt, sondern sie vereinigt sich gewoͤhn- lich erst in Brigaden oder Divisionen oder doch in Korps, und diese Massen koͤnnen dann nicht in eiligster Flucht nach dem Rendezvous eilen, sondern sie sind genoͤ- thigt, wenn eine feindliche Kolonne an sie geraͤth, das Ge- fecht anzunehmen; nun koͤnnen sie zwar darin als Sieger gedacht werden, wenn naͤmlich die angreifende Kolonne nicht stark genug war, aber selbst im Siegen verlieren sie Zeit, und uͤberhaupt ist leicht begreiflich, daß ein Korps unter solchen Verhaͤltnissen und bei der allgemeinen Ten- denz, einen ruͤckwaͤrts gelegenen Punkt zu gewinnen, von seinem Siege keinen sonderlichen Gebrauch machen kann. Sie koͤnnen aber auch geschlagen werden und das ist an sich wahrscheinlicher, weil sie nicht die Zeit haben, sich zu einem guten Wiederstand einzurichten. Es laͤßt sich also wohl denken, daß bei einem gut angelegten und ausgefuͤhr- ten Überfall der Angreifende, durch diese partiellen Ge- fechte, zu bedeutenden Trophaͤen kommen werde, die dann eine Hauptsache in dem allgemeinen Erfolg sein werden. Endlich ist der vierte Vortheil und der Schlußstein des Ganzen eine gewisse momentane Desorganisation des feindlichen Heeres und eine Entmuthigung desselben, die es selten erlauben von den endlich versammelten Kraͤften Gebrauch zu machen, sondern gewoͤhnlich den Überfallenen noͤthigen noch mehr Land zu raͤumen und uͤberhaupt einen ganz andern Abschnitt in seinen Operationen zu machen. Dies sind die eigenthuͤmlichen Erfolge eines gelunge- nen Überfalls der feindlichen Quartiere, d. h. eines sol- chen wo der Gegner nicht im Stande gewesen ist, sein Heer ohne Verlust da zu versammeln wo es in seinem Plane lag. Aber das Gelingen wird der Natur der Sache nach sehr viel Abstufungen haben und so werden die Er- folge in einem Fall sehr bedeutend, in dem andern kaum nennenswerth sein. Aber selbst da wo sie bedeutend sind, weil das Unternehmen sehr gut gelungen ist, werden sie doch selten den Erfolg einer gewonnenen Hauptschlacht ge- ben, theils weil die Trophaͤen selten so groß sein werden, theils weil der moralische Eindruck nicht so hoch ange- schlagen werden kann. Dieses Gesammtresultat muß man im Auge haben, um sich nicht von einem solchen Unternehmen mehr zu ver- sprechen als es leisten kann. Manche halten es fuͤr das non plus ultra offensiver Wirksamkeit; das ist es aber, wie uns diese naͤhere Betrachtung und auch die Kriegsge- schichte lehrt, keineswegs. Einer der glaͤnzendsten Ueberfaͤlle ist der welchen der Herzog von Lothringen 1643 bei Duttlingen gegen die franzoͤsischen Quartiere unter dem General Ranzau unter- nahm. Das Korps war 16,000 Mann stark, verlor den kommandirenden General und 7000 Mann. Es war eine vollkommene Niederlage. Der Mangel an allen Vor- posten ließ diesen Erfolg zu. Der Überfall welchen Tuͤrenne im Jahr 1644 bei Mergentheim (Mariendal wie die Franzosen es nennen) erlitt, war in seinen Wirkungen allerdings gleichfalls einer Niederlage gleich zu achten, denn er verlor von 8000 Mann 3000, welches hauptsaͤchlich davon herruͤhrte daß er sich verleiten ließ mit den versammelten Trnppen einen unzei- tigen Widerstand zu thun. Auf aͤhnliche Wirkungen kann man daher nicht oft rechnen; es war mehr der Erfolg eines schlecht uͤberlegten Treffens als des eigentlichen Über- falls, denn Tuͤrenne haͤtte fuͤglich dem Gefecht ausweichen und sich mit seinen in entlegenere Quartiere geschickten Truppen anderswo vereinigen koͤnnen. Ein dritter beruͤhmt gewordener Überfall ist der wel- chen Tuͤrenne gegen die unter dem großen Kurfuͤrsten, dem kaiserlichen General Bournonville und dem Herzoge von Lothringen im Elsaß stehenden Verbuͤndeten im Jahr 1674 unternahm. Die Trophaͤen waren sehr gering, der Verlust der Verbuͤndeten nicht uͤber 2 bis 3000 Mann, welches bei einer Macht von 50,000 Mann nicht entschei- dend sein konnte; aber sie glaubten doch im Elsaß keinen weiteren Widerstand wagen zu koͤnnen und zogen sich uͤber den Rhein zuruͤck. Dieser strategische Erfolg war Alles was Tuͤrenne brauchte, aber man muß die Ursachen nicht in dem eigentlichen Überfall suchen. Tuͤrenne uͤberraschte mehr die Plaͤne des Gegners als die Truppen desselben, die Uneinigkeit der verbuͤndeten Heerfuͤhrer und der nahe Rhein thaten das Übrige. Diese Begebenheit verdient uͤberhaupt genauer angesehn zu werden, weil sie gewoͤhnlich falsch aufgefaßt wird. 1741 uͤberfaͤllt Neiperg den Koͤnig in seinen Quar- tieren, der ganze Erfolg besteht aber nur darin, daß der Koͤnig ihm mit nicht ganz vereinigten Kraͤften und in ver- kehrter Fronte die Schlacht von Molwitz liefern muß. 1745 uͤberfaͤllt Friedrich der Große den Herzog von Lothringen in der Lausitz in seinen Quartieren; der Haupt- erfolg entsteht durch den wirklichen Überfall eines der be- deutendsten Quartiere, naͤmlich von Hennersdorf, wodurch die Östreicher einen Verlust von 2000 Mann erleiden; der allgemeine Erfolg ist, daß der Herzog von Lothringen durch die Oberlausitz nach Boͤhmen zuruͤckkehrt, aber frei- lich nicht verhindert wird auf dem linken Ufer der Elbe wieder nach Sachsen zuruͤckzukehren, so daß ohne die Schlacht von Kesselsdorf kein bedeutender Erfolg einge- treten waͤre. 1758 uͤberfaͤllt der Herzog Ferdinand die franzoͤsischen Quartiere; der naͤchste Erfolg ist der Verlust von einigen tausend Mann und daß die Franzosen ihre Aufstellung hinter der Aller nehmen muͤssen. Der moralische Ein- druck mag wohl etwas weiter gereicht und auf die spaͤtere Raͤumung ganz Westphalens Einfluß gehabt haben. Wenn wir aus diesen verschiedenen Beispielen ein Resultat uͤber die Wirksamkeit eines solchen Angriffs zie- hen wollen, so sind nur die beiden ersten gewonnenen Schlachten gleich zu achten. Hier waren aber die Korps nur klein und der Mangel an Vorposten in der damaligen Kriegfuͤhrung ein sehr beguͤnstigender Umstand. Die vier anderen Faͤlle, obgleich sie zu den vollkommen gelungenen Unternehmungen gezaͤhlt werden muͤssen, sind in ihrem Er- folg einer gewonnenen Schlacht offenbar nicht gleichzu- stellen. Der allgemeine Erfolg konnte hier nur bei einem Gegner von schwachem Willen und Charakter eintreten und daher blieb er in dem Fall von 1741 ganz aus. Im Jahr 1806 hatte die preußische Armee den Plan die Franzosen in Franken auf diese Weise zu uͤber- fallen. Der Fall war wohl zu einem genuͤgenden Resultat geeignet. Bonaparte war nicht gegenwaͤrtig, die franzoͤsi- schen Corps in sehr ausgedehnten Quartieren; unter diesen Umstaͤnden durfte die preußische Armee bei großer Ent- schlossenheit und Schnelle wohl darauf rechnen sie mit mehr oder weniger Verlust uͤber den Rhein zu treiben. Dies war aber auch alles; haͤtte sie auf mehr gerechnet, z. B. ein Verfolgen ihrer Vortheile uͤber den Rhein, oder ein sol- ches moralisches Übergewicht daß die Franzosen es in demselben Feldzug nicht gewagt haͤtten wieder auf dem rechten Rheinufer zu erscheinen, so waͤre diese Rechnung ganz ohne genuͤgenden Grund gewesen. 1812 Anfangs August wollten die Russen von Smo- lensk her die franzoͤsischen Quartiere uͤberfallen, als Na- poleon in der Gegend von Witepsk seine Armee einen Halt hatte machen lassen. Es verging ihnen aber in der Aus- fuͤhrung der Muth dazu und das war ein Gluͤck fuͤr sie, da der franzoͤsische Feldherr mit seinem Centro dem ihri- gen nicht allein um mehr als das Doppelte uͤberlegen war, sondern auch der entschlossenste Feldherr der je da gewesen ist, da der Verlust von einigen Meilen Raum gar Nichts entscheiden konnte, gar kein Terrainabschnitt nahe genug lag um ihre Erfolge bis an denselben zu treiben und da- durch einigermaßen sichern zu koͤnnen; da es auch nicht etwa ein Feldzug war der sich matt zu seinem Ende hin- schleppt, sondern der erste Plan eines Angreifenden der seinen Gegner vollkommen niederwerfen will. — So koͤnnen die kleinen Vortheile, welche ein Überfall der Quartiere gewaͤhren kann, nicht anders als im aͤußersten Mißver- haͤltniß mit der Aufgabe erscheinen — sie konnten unmoͤg- lich so viel Ungleichheit der Kraͤfte und Verhaͤltnisse gut machen. — Dieser Versuch zeigt aber wie eine dunkle Vorstellung von diesem Mittel zu einer ganz falschen An- wendung desselben verleiten kann. Das bisher Gesagte stellt den Gegenstand als strate- gisches Mittel ins Licht. Es liegt aber in der Natur desselben, daß seine Ausfuͤhrung nicht bloß taktisch ist, sondern zum Theil der Strategie selbst wieder angehoͤrt, in sofern naͤmlich ein solcher Angriff gewoͤhnlich in einer betraͤchtlichen Breite geschieht und die Armee welche ihn ausfuͤhrt, zum Schlagen kommen kann, und meistens kom- men wird, ehe sie vereinigt ist, so daß das Ganze ein Agglomerat einzelner Gefechte wird. Wir muͤssen also nun auch ein Paar Worte uͤber die natuͤrlichste Einrichtung eines solchen Angriffs sagen. Die erste Bedingung also ist: die feindliche Quar- tierfronte in einer gewissen Breite anzugreifen, denn nur so wird man mehrere Quartiere wirklich uͤberfallen, an- dere abschneiden und uͤberhaupt die Desorganisation die man sich vorgesetzt hat in das feindliche Heer bringen koͤn- nen. — Die Anzahl und Entfernung der Kolonnen haͤngt dann von den individuellen Umstaͤnden ab. Zweitens. Die Richtung der verschiedenen Kolonnen muß konzentrisch gegen einen Punkt gehen, auf dem man sich vereinigen will; denn der Gegner endet mehr oder weniger mit einer Vereinigung und so muͤssen wir es auch. Dieser Vereinigungspunkt wird wo moͤglich der feindliche Verbindungspunkt sein oder auf der Ruͤckzugslinie des feindlichen Heeres liegen, natuͤrlich am besten da wo diese irgend einen Terrainabschnitt durchschneidet. Drittens. Die einzelnen Kolonnen muͤssen, wo sie mit feindlichen Kraͤften zusammentreffen, diese mit großer Entschlossenheit, mit Wagniß und Kuͤhnheit anfallen, denn sie haben die allgemeinen Verhaͤltnisse fuͤr sich und da ist das Wa- gen immer am rechten Ort. Die Folge ist, daß die Be- fehlshaber der einzelnen Kolonnen in dieser Beziehung große Freiheit und Vollmacht haben muͤssen. Viertens. Die taktischen Angriffsplane gegen die sich zu- zuerst stellenden feindlichen Korps muͤssen immer auf das Umgehen gerichtet sein, denn vom Trennen und Abschnei- den wird ja der Haupterfolg erwartet. Fuͤnftens. Die einzelnen Kolonnen muͤssen aus allen Waffen bestehen und duͤrfen nicht zu schwach an Reiterei sein, es kann sogar gut sein wenn die ganze Reserveka- vallerie unter sie vertheilt wird; denn es waͤre ein gro- ßer Irrthum wenn man glaubte, diese koͤnnte als solche bei diesem Unternehmen eine Hauptrolle spielen. Das erste beste Dorf, die kleinste Bruͤcke, der unbedeutendste Busch haͤlt sie auf. Sechstens. Ob es gleich in der Natur eines Über- falls ist, daß der Angreifende seine Avantgarde nicht weit voraus haben darf, so gilt doch das nur von der Annaͤherung, Ist das Gefecht in der feindlichen Quartierlinie schon wirklich angefangen, also das was vom eigentlichen Überfall zu erwarten war bereits gewonnen, so muͤssen die Kolonnen Avantgarden von allen Waffen so weit als moͤglich vorschieben, denn diese koͤnnen durch ihre schnelleren Bewegungen die Verwirrung beim Feinde sehr vermehren. Nur dadurch wird man im Stande sein hier und da den Troß von Bagage, Artillerie, Commandirten und Traineurs wegzunehmen, welcher einem eiligst aufbrechenden Kantonnement nachzuziehen pflegt, und diese Avantgarden muͤssen das Hauptmittel des Umgehens und Abschneidens werden. Siebentens. Endlich muß fuͤr eintretende Ungluͤcks- faͤlle der Ruͤckzug und die Versammlung des Heeres ange- geben werden. III 5 Zwanzigstes Kapitel. Diversion . Unter Diversion versteht der Sprachgebrauch einen solchen Anfall des feindlichen Landes, wodurch Kraͤfte von dem Hauptpunkt abgezogen werden. Nur wenn dies die Hauptabsicht ist und nicht der Gegenstand welchen man bei der Gelegenheit angreift und erobert, ist es eine Unter- nehmung eigenthuͤmlicher Art, sonst bleibt es ein gewoͤhn- licher Angriff. Natuͤrlich muß die Diversion darum doch immer ein Angriffsobjekt haben, denn nur der Werth dieses Objekts kann den Feind veranlassen Truppen dahin zu schicken; außerdem sind diese Objekte, im Fall die Unternehmung als Diversion nicht wirkt, eine Entschaͤdigung fuͤr die dar- auf gewandten Kraͤfte. Diese Angriffsobjekte koͤnnen nun Festungen sein oder bedeutende Magazine oder reiche und große Staͤdte, be- sonders Hauptstaͤdte, Kontributionen aller Art, endlich Beistand unzufriedener Unterthanen des Feindes. Daß Diversionen nuͤtzlich sein koͤnnen ist leicht zu be- greifen, aber gewiß sind sie es nicht immer, sondern oft sogar schaͤdlich. Die Hauptbedingung ist: daß sie mehr Streitkraͤfte des Feindes vom Hauptkriegstheater abziehen als wir auf die Diversion verwenden, denn wenn sie nur eben so viel abziehen, so hoͤrt die Wirksamkeit als eigent- liche Diversion auf und das Unternehmen wird ein unter- geordneter Angriff. Selbst da wo man einen Nebenangriff anordnet weil man der Umstaͤnde wegen die Aussicht hat mit wenig Kraͤften unverhaͤltnißmaͤßig Viel auszurichten, z. B. eine wichtige Festung leicht zu nehmen, muß man es nicht mehr Diversion nennen. Man pflegt es freilich auch Di- version zu nennen wenn ein Staat, waͤhrend er sich gegen einen andern wehrt, durch einen dritten angefallen wird, — aber ein solcher Anfall unterscheidet sich von einem gewoͤhn- lichen Angriff in Nichts als der Richtung, es ist also kein Grund ihm einen besonderen Namen zu geben, denn in der Theorie soll man durch eigene Benennungen auch nur Eigenthuͤmliches bezeichnen. Wenn aber schwache Kraͤfte staͤrkere herbeiziehen sollen, so muͤssen offenbar eigenthuͤmliche Verhaͤltnisse die Veran- lassung dazu geben, und es ist also fuͤr den Zweck einer Diversion nicht genug, irgend eine Streitkraft auf einen bisher unbetretenen Punkt abzuschicken. Wenn der Angreifende irgend eine feindliche Provinz, die nicht zum Hauptkriegstheater gehoͤrt, durch einen kleinen Haufen von 1000 Mann heimsuchen laͤßt, um Kontribu- tionen einzutreiben u. s. w., so ist freilich vorherzusehen, daß der Feind dies nicht durch 1000 Mann verhindern kann die er dahin absendet, sondern er wird, wenn er die Provinz gegen Streifereien sichern will, allerdings mehr dahin schicken muͤssen. Aber, muß man fragen, kann der Vertheidiger, anstatt seine Provinz zu sichern, nicht das Gleichgewicht dadurch herstellen daß er die korrespondirende Provinz unseres Landes durch ein eben solches Detasche- ment heimsuchen laͤßt? Es muß also, wenn fuͤr den Angreifenden ein Vortheil hervorgehn soll, zuvor feststehen daß in der Provinz des Vertheidigers mehr zu holen oder zu bedrohen ist als in der unsrigen. Ist dies der Fall, so kann es nicht fehlen daß eine ganz schwache Diversion 5* mehr feindliche Streitkraͤfte beschaͤftigen wird als die ihri- gen betragen. Dagegen geht aus der Natur der Sache hervor, daß, je mehr die Massen wachsen, dieser Vortheil schwindet, denn 50,000 Mann koͤnnen eine maͤßige Provinz nicht nur gegen 50,000 Mann mit Erfolg vertheidigen, sondern selbst gegen eine etwas groͤßere Zahl. Bei staͤrke- ren Diversionen wird also der Vortheil sehr zweifelhaft, und je groͤßer sie werden, um so entschiedener muͤssen die uͤbrigen Verhaͤltnisse sich schon zum Vortheil der Diversion stellen, wenn bei dieser uͤberhaupt etwas Gutes heraus- kommen soll. Diese vortheilhaften Verhaͤltnisse koͤnnen nun sein: a ) Streitkraͤfte welche der Angreifende fuͤr die Di- version disponibel machen kann ohne den Hauptangriff zu schwaͤchen; b ) Punkte des Vertheidigers die von großer Wich- tigkeit sind und durch die Diversion bedroht werden koͤnnen; c ) unzufriedene Unterthanen desselben; d ) eine reiche Provinz welche betraͤchtliche Kriegs- mittel hergeben kann. Wenn eine solche Diversion unternommen werden soll, die, nach diesen verschiedenen Ruͤcksichten gepruͤft, Erfolg verspricht, so wird man finden daß die Gelegenheit dazu nicht haͤufig ist. Aber nun kommt noch ein Hauptpunkt. Jede Diver- sion bringt den Krieg in eine Gegend, wohin er ohne sie nicht gekommen waͤre; dadurch wird sie mehr oder weniger immer feindliche Streitkraͤfte wecken die sonst geruht haͤt- ten, sie wird dies aber auf eine hoͤchst fuͤhlbare Weise thun wenn der Gegner durch Milizen und Nationalbe- waffnungsmittel zum Kriege ausgeruͤstet ist. Es ist ja ganz in der Natur der Sache und die Erfahrung lehrt es hinlaͤnglich daß, wenn eine Gegend ploͤtzlich von einer feindlichen Abtheilung bedroht wird und zu ihrer Verthei- digung Nichts vorgekehrt ist, Alles was sich in einer sol- chen Gegend an tuͤchtigen Beamten vorfindet, alle moͤg- liche außergewoͤhnliche Mittel aufbietet und in Gang setzt um das Übel abzuwehren. Es entstehen also hier neue Wiederstandskraͤfte, und zwar solche die dem Volkskrieg nahe liegen und ihn leicht wecken koͤnnen. Dieser Punkt muß bei jeder Diversion wohl ins Auge gefaßt werden, damit man sich nicht seine eigene Grube graͤbt. Die Unternehmung auf Nordholland im Jahr 1799, auf Walcheren 1809 sind, als Diversionen betrachtet, nur in sofern zu rechtfertigen als man die englischen Trup- pen nicht anders brauchen konnte, aber es ist nicht zwei- felhaft daß dadurch die Summe der Widerstandsmittel bei den Franzosen erhoͤht worden ist, und eben das wuͤrde jede Landung in Frankreich selbst thun. Daß die franzoͤ- sische Kuͤste bedroht sei, hat allerdings große Vortheile, weil es doch eine bedeutende Truppenzahl, die die Kuͤste bewachen, neutralisirt, aber die Landung mit einer bedeu- tenden Macht wird immer nur dann zu rechtfertigen sein wenn man auf den Beistand einer Provinz gegen ihre Regie- rung rechnen kann. Je weniger eine große Entscheidung im Kriege vor- liegt, um so eher sind Diversionen zulaͤssig, aber freilich um so kleiner wird auch der Gewinn welcher aus ihnen zu ziehen ist. Sie sind nur ein Mittel die gar zu stagnante Masse in Bewegung zu bringen. Ausfuͤhrung . 1. Eine Diversion kann einen wirklichen Angriff in sich schließen, dann ist die Ausfuͤhrung von keinem beson- dern Charakter begleitet als dem der Kuͤhnheit und Eile. 2. Sie kann aber auch die Absicht haben mehr zu scheinen als sie ist, indem sie zugleich Demonstration ist. Welche besonderen Mittel hier anzuwenden sind kann nur ein schlauer Verstand angeben, der die Verhaͤltnisse und Menschen gut kennt. Daß hierbei immer eine große Zer- streuung der Kraͤfte nothwendig wird, ist in der Natur der Sache. 3. Sind die Kraͤfte nicht ganz unbedeutend und ist der Ruͤckzug auf gewisse Punkte beschraͤnkt, so ist eine Reserve, an die sich Alles anschließt, eine wesentliche Be- dingung. Einundzwanzigstes Kapitel. Invasion . Was wir davon zu sagen haben besteht fast nur in der Worterklaͤrung. Wir finden den Ausdruck in den neueren Schriftstellern sehr haͤufig gebraucht, und sogar mit der Praͤtension etwas Eigenthuͤmliches dadurch zu bezeichnen, — guerre d’invasion kommt bei den Franzosen unaufhoͤrlich vor. Sie bezeichnen damit jeden in das feindliche Land weit vorgehenden Angriff und moͤch- ten ihn allenfalls als Gegensatz aufstellen von einem me- thodischen, d. h. einem der nur an der Grenze nagt. Aber dies ist ein unphilosophischer Sprachwirrwarr. Ob ein Angriff an der Grenze bleiben, tief in das feindliche Land vordringen, ob er sich mit der Einnahme der festen Plaͤtze vor Allem beschaͤftigen, oder den Kern der feindlichen Macht aufsuchen und unablaͤssig verfolgen soll, haͤngt nicht von einer Manier ab, sondern ist Folge der Umstaͤnde, wenig- stens kann die Theorie es nicht anders einraͤumen. In gewissen Faͤllen kann das weite Vordringen methodischer und sogar vorsichtiger sein als das Verweilen an der Grenze, in den meisten Faͤllen aber ist es nichts Anders als eben der gluͤckliche Erfolg eines mit Kraft unternommenen An- griffs und folglich von diesem nicht verschieden. Über den Kulminationspunkt des Sieges Vergl. das vierte und fuͤnfte Kapitel. . Nicht in jedem Kriege ist der Sieger im Stande den Gegner voͤllig niederzuwerfen. Es tritt oft und mei- stens ein Kulminationspunkt des Sieges ein. Die Masse der Erfahrungen zeigt dies hinlaͤnglich; weil aber der Ge- genstand fuͤr die Theorie des Krieges besonders wichtig und der Stuͤtzpunkt fast aller Feldzugsplane ist, weil da- bei auf seiner Oberflaͤche, wie bei schillernden Farben, ein Lichtspiel von scheinbaren Widerspruͤchen schwebt, so wol- len wir ihn schaͤrfer ins Auge fassen und uns mit den inneren Gruͤnden beschaͤftigen. Der Sieg entspringt in der Regel schon aus einem Übergewicht der Summe aller physischen und moralischen Kraͤfte, unstreitig vermehrt er dieses Übergewicht, denn sonst wuͤrde man ihn nicht suchen und theuer erkaufen. Dies thut der Sieg selbst unbedenklich, auch seine Folgen thun es, aber diese nicht bis ans aͤußerste Ende, sondern meistens nur bis auf einen gewissen Punkt. Dieser Punkt kann sehr nahe liegen und liegt zuweilen so nahe, daß die ganzen Folgen der siegreichen Schlacht sich auf die Ver- mehrung der moralischen Überlegenheit beschraͤnken koͤnnen. Wie das zusammenhaͤngt haben wir zu untersuchen. In dem Fortschreiten des kriegerischen Aktes begegnet die Streitkraft unaufhoͤrlich Elementen die sie vergroͤßern und andern die sie verringern. Es kommt also auf das Übergewicht an. Da jede Verminderung der Kraft als eine Vermehrung der feindlichen anzusehen ist, so folgt hieraus von selbst daß dieser doppelte Strom von Zu- und Abfluß beim Vorgehen wie beim Zuruͤckgehen stattfinde. Es kommt darauf an die hauptsaͤchlichste Ursache die- ser Veraͤnderung in dem einen Fall zu untersuchen, um uͤber den andern mit entschieden zu haben. Beim Vorgehen sind die hauptsaͤchlichsten Ursachen der Verstaͤrkung: 1. der Verlust welchen die feindliche Streitkraft erleidet, weil er gewoͤhnlich groͤßer ist als der unsrige; 2. der Verlust welchen der Feind an todten Streit- kraͤften, als: Magazinen, Depots, Bruͤcken u. s. w., er- leidet und den wir gar nicht mit ihm theilen; 3. von dem Augenblick an wo wir das feindliche Gebiet betreten, der Verlust von Provinzen, folglich von Quellen neuer Streitkraft; 4. fuͤr uns der Gewinn eines Theils dieser Quellen; mit andern Worten: der Vortheil auf Kosten des Feindes zu leben; 5. der Verlust des innern Zusammenhanges und der regelmaͤßigen Bewegung aller Theile beim Feinde; 6. die Verbuͤndeten des Gegners lassen von ihm los und andere wenden sich uns zu; 7. endlich Muthlosigkeit des Gegners, wobei ihm die Waffen zum Theil aus den Haͤnden fallen. Die Ursachen der Schwaͤchung sind: 1. daß wir genoͤthigt sind feindliche Festungen zu be- lagern, zu berennen oder zu beobachten; oder daß der Feind vor dem Siege dasselbe that und beim Ruͤckzug diese Korps an sich zieht; 2. von dem Augenblick an wo wir das feindliche Gebiet betreten aͤndert sich die Natur des Kriegstheaters, es wird feindlich; wir muͤssen dasselbe besetzen, denn es gehoͤrt uns nur so weit wie wir es besetzt haben, und doch bietet es der ganzen Maschine uͤberall Schwierigkei- ten dar, die nothwendig zur Schwaͤchung ihrer Wirkungen fuͤhren muͤssen; 3. wir entfernen uns von unsern Quellen waͤhrend der Gegner sich den seinigen naͤhert; dies verursacht Auf- enthalt in dem Ersatz der ausgegebenen Kraͤfte; 4. die Gefahr des bedrohten Staats ruft andere Maͤchte zu seinem Schutz auf; 5. endlich groͤßere Anstrengung des Gegners wegen der Groͤße der Gefahr, dagegen ein Nachlassen in den Anstrengungen von Seiten des siegenden Staates. Alle diese Vortheile und Nachtheile koͤnnen mit ein- ander bestehen, sich gewissermaßen einander begegnen und ihren Weg in entgegengesetzter Richtung fortsetzen. Nur die letzten begegnen sich wie wahre Gegensaͤtze, koͤnnen nicht an einander vorbei, schließen also einander aus. Dies allein schon zeigt wie unendlich verschieden die Wirkungen des Sieges sein koͤnnen, je nachdem sie den Gegner be- taͤuben oder zu groͤßerer Kraftanstrengung draͤngen. Wir wollen jeden der einzelnen Punkte mit ein Paar Bemerkungen zu charakterisiren versuchen. 1. Der Verlust der feindlichen Streitkraft nach einer Niederlage kann im ersten Augenblick am staͤrksten sein und dann taͤglich geringer werden, bis er auf einen Punkt kommt wo er mit dem unsrigen ins Gleichgewicht tritt, er kann aber auch mit jedem Tage in steigender Progression wachsen. Die Verschiedenheit der Lagen und Verhaͤltnisse entscheidet. Allgemein kann man bloß sagen daß bei einem guten Heere das Erstere, bei einem schlech- ten das Andere gewoͤhnlicher sein wird; naͤchst dem Geist des Heeres ist der Geist der Regierung das Wichtigste dabei. Es ist im Kriege sehr wichtig beide Faͤlle zu un- terscheiden, um nicht aufzuhoͤren wo man erst recht anfan- gen sollte und umgekehrt. 2. Eben so kann der Verlust des Feindes in todten Streitkraͤften ab- oder zunehmen, und dies haͤngt von der zufaͤlligen Lage und Beschaffenheit seiner Vorrathsoͤrter ab. Dieser Gegenstand kann sich uͤbrigens seiner Wich- tigkeit nach heutiges Tages nicht mehr mit den andern messen. 3. Der dritte Vortheil muß nothwendig mit dem Vor- schreiten im Steigen bleiben, ja man kann sagen daß er uͤber- haupt erst in Betrachtung kommt wenn man schon tief in den feindlichen Staat vorgedrungen ist, d. h. ein Viertel bis ein Drittel seiner Laͤnder hinter sich hat. Übrigens kommt dabei noch der innere Werth in Betrachtung, den die Pro- vinzen in Beziehung auf den Krieg haben. Eben so muß der 4. Vortheil mit dem Vorschreiten wachsen. Aber es ist von diesen beiden letzten zu bemerken, daß ihr Einfluß auf die im Kampf begriffenen Streit- kraͤfte selten schnell fuͤhlbar ist, sondern daß sie erst lang- samer auf einem Umwege wirken und daß man also um ihrer willen den Bogen nicht zu scharf spannen, d. h. sich in keine zu gefaͤhrliche Lage begeben soll. Der 5. Vortheil kommt wieder erst in Betracht wenn man schon bedeutend vorgeschritten ist und die Gestalt des feindlichen Landes Gelegenheit giebt, einige Provinzen von der Hauptmasse zu trennen, die dann wie abgebundene Glieder bald abzusterben pflegen. Von dem 6. und 7. ist es wenigstens wahrscheinlich daß sie mit dem Vorschreiten wachsen, wir werden uͤbri- gens von beiden weiter unten sprechen. Gehen wir jetzt zu den Schwaͤchungsursachen uͤber. 1. Das Belagern, Berennen und Einschließen der Fe- stungen wird in den meisten Faͤllen mit dem Vorschreiten wachsen. Diese Schwaͤchung allein wirkt auf den augen- blicklichen Stand der Streitkraͤfte so maͤchtig daß sie in dieser Beziehung leicht alle Vortheile aufwiegen kann. Frei- lich hat man in neueren Zeiten angefangen Festungen mit sehr wenigem Volk zu berennen oder gar mit noch weni- gerem zu beobachten; auch muß der Feind diese Festungen mit Besatzungen versehen. Nichts desto weniger bleibt es ein wichtiges Sicherungsprinzip. Die Besatzungen bestehen gewoͤhnlich zur Haͤlfte aus Leuten die vorher nicht mit- spielten, vor denjenigen welche nahe an der Verbindungs- straße liegen muß man doch das Doppelte der Besatzung zuruͤcklassen, und will man nur eine einzige bedeutende foͤrmlich belagern oder aushungern, so kostet sie eine kleine Armee. 2. Die zweite Ursache, die Einrichtung eines Kriegs- theaters im feindlichen Lande, waͤchst nothwendig mit dem Vorschreiten und ist, wenn auch nicht fuͤr den augenblick- lichen Stand der Streitkraͤfte, doch fuͤr die dauernde Lage desselben noch wirksamer als die zweite. Nur denjenigen Theil des feindlichen Landes koͤnnen wir als unser Kriegstheater betrachten den wir besetzt, d. h. wo wir entweder kleine Korps im freien Felde oder hin und wieder Besatzungen in den betraͤchtlichsten Staͤdten, auf den Etappenoͤrtern u. s. w. gelassen haben; wie klein nun auch die Garnisonen sind die wir zuruͤcklassen, so schwaͤcht es doch die Streitkraft betraͤchtlich. Aber dies ist das Geringste. Jede Armee hat strategische Flanken, naͤmlich die Gegend welche sich auf beiden Seiten ihrer Verbindungs- linien hinziehet; weil die feindliche Armee sie aber gleich- falls hat, so ist die Schwaͤche dieser Theile nicht fuͤhlbar. Dies ist aber nur der Fall im eigenen Lande; so wie man sich im feindlichen befindet wird, die Schwaͤche dieser Theile fuͤhlbar, weil bei einer sehr langen, wenig oder gar nicht gedeckten Linie die unbedeutendste Unternehmung einigen Erfolg verspricht und diese uͤberall aus einer feindlichen Gegend hervorgehen kann. Je weiter man vordringt, um so laͤnger werden diese Flanken und die daraus entstehende Gefahr waͤchst in stei- gender Progression; denn nicht bloß sind sie schwer zu decken, sondern der Unternehmungsgeist des Feindes wird auch hauptsaͤchlich erst durch die langen ungesicherten Ver- bindungslinien hervorgerufen, und die Folgen welche ihr Verlust im Fall eines Ruͤckzugs haben kann, sind hoͤchst bedenklich. Alles dieses traͤgt dazu bei, der vorschreitenden Armee mit jedem Schritt den sie weiter thut ein neues Gewicht anzuhaͤngen, so daß, wenn sie nicht mit einer ungewoͤhnlichen Überlegenheit angefangen hat, sie sich nach und nach immer mehr beengt in ihren Planen, immer mehr geschwaͤcht in ihrer Stoßkraft und zuletzt ungewiß und besorglich in ihrer Lage fuͤhlt. 3. Die dritte Ursache, die Entfernung von der Quelle aus welcher die unaufhoͤrlich sich schwaͤchende Streit- kraft auch unaufhoͤrlich ergaͤnzt werden muß, steigt mit der Entfernung. Eine erobernde Armee gleicht hierin dem Licht einer Lampe; je weiter sich das naͤhrende Öl hinunter senkt und vom Focus entfernt, um so kleiner wird dieser bis er nachher ganz erlischt. Freilich kann der Reichthum eroberter Provinzen die- ses Übel sehr vermindern, doch niemals ganz aufheben, weil es immer eine Menge Gegenstaͤnde giebt die man von Hause kommen lassen muß, namentlich Menschen, weil die Leistungen des feindlichen Landes in der Allgemein- heit der Faͤlle nicht so schnell und sicher sind als die im eigenen Lande, weil fuͤr ein unvermuthet entstehendes Beduͤrfniß nicht so schnell Huͤlfe geschafft werden kann, weil Mißverstaͤndnisse und Fehler aller Art nicht so fruͤh entdeckt und verbessert werden koͤnnen. Fuͤhrt der Fuͤrst sein Heer nicht selbst an, wie das in den letzten Kriegen Sitte geworden, ist er demselben nicht mehr nahe, so entsteht noch ein neuer sehr großer Nachtheil aus dem Zeitverlust den das Hin- und Herfragen mit sich bringt, denn die groͤßte Vollmacht eines Heerfuͤhrers kann den weiten Raum seines Wirkungskreises nicht ausfuͤllen. 4. Die Veraͤnderung der politischen Verbindungen. Sind diese Veraͤnderungen welche der Sieg hervorruft von der Art, daß sie dem Sieger nachtheilig sein werden, so werden sie wahrscheinlich mit seinen Fortschritten im gera- den Verhaͤltniß stehen, eben so wie das der Fall ist wenn sie ihm guͤnstig sind. Hier kommt Alles auf die bestehenden politischen Verbindungen, Interessen, Gewohnheiten, Rich- tungen, auf Fuͤrsten, Minister, Guͤnstlinge und Maitressen u. s. w. an. Allgemein kann man nur sagen, daß, wenn ein großer Staat besiegt wird, der kleinere Bundesgenossen hat, diese bald das Reißaus zu nehmen pflegen und daß dann der Sieger in dieser Beziehung mit jedem Schlage staͤrker wird; ist aber der besiegte Staat kleiner, so wer- den sich viel eher Beschuͤtzer aufwerfen wenn er in seinem Daseyn bedroht wird, und Andere, die geholfen haben ihn zu erschuͤttern, werden umkehren, wenn sie glauben daß es zu viel wird. 5. Der groͤßere Widerstand welcher beim Feinde hervorgerufen wird. Einmal fallen dem Feinde die Waf- fen aus den Haͤnden vor Schreck und Betaͤubung, ein andermal ergreift ihn ein enthusiastischer Paroxismus, Alles eilt zu den Waffen und der Widerstand ist nach der er- sten Niederlage viel groͤßer als vor derselben. Der Cha- rakter des Volks und der Regierung, die Natur des Lan- des, die politischen Verbindungen desselben sind die Data aus denen das Wahrscheinliche errathen werden muß. Wie unendlich verschieden machen diese beiden letzten Punkte allein die Plane, welche man im Kriege in dem einen und dem andern Fall machen darf und machen soll. Waͤhrend der Eine durch Ängstlichkeit und sogenanntes methodisches Verfahren sein bestes Gluͤck verscherzt, plumpt der Andere bis uͤber die Ohren hinein und sieht dann hin- terher aus wie Einer den man eben aus dem Wasser ge- zogen hat, ganz bestuͤrzt und verwundert. Noch muͤssen wir hier der Erschlaffung gedenken welche bei dem Sieger nicht selten dann zu Hause eintritt, wenn die Gefahr entfernt ist; waͤhrend doch umgekehrt neue Anstrengungen noͤthig waͤren um den Sieg zu unter- stuͤtzen. Wirft man einen allgemeinen Blick auf diese verschiedenen einander entgegengesetzten Principien, so er- giebt sich ohne Zweifel, daß die Benutzung des Sieges, das Vorschreiten in dem Angriffskriege in der Allgemein- heit der Faͤlle die Überlegenheit vereinzelt, mit welcher man angefangen oder die man durch den Sieg erwor- ben hat. Hier muß uns nothwendig die Frage einfallen — wenn dem so ist, was treibt nun den Sieger zum Ver- folgen seiner Siegesbahn, zum Vorschreiten in der Offen- sive? Und kann dies wirklich noch eine Benutzung des Sieges genannt werden? Waͤre es nicht besser da inne zu halten wo noch gar keine Verringerung des erhaltenen Übergewichts stattgefunden hat? Hierauf muß man natuͤrlich antworten: das Überge- wicht der Streitkraͤfte ist nicht der Zweck sondern das Mittel. Der Zweck ist entweder den Feind niederzumachen oder ihm wenigstens einen Theil seiner Laͤnder zu nehmen, um sich dadurch zwar nicht fuͤr den augenblicklichen Stand der Streitkraͤfte , aber doch fuͤr den Stand des Krieges und des Friedens in den Vortheil zu setzen. Selbst wenn wir den Gegner ganz niederwerfen wollen, muͤssen wir uns gefallen lassen daß vielleicht jeder Schritt vor- waͤrts unsere Überlegenheit schwaͤcht, woraus aber nicht nothwendig folgt daß sie vor dem Fall des Gegners Null werden muͤsse; der Fall des Gegners kann vorher eintreten, und ließe sich dieser mit dem letzten Minimum des Über- gewichts erreichen, so waͤre es ein Fehler dieses nicht daran gewendet zu haben. Das Übergewicht also welches man im Kriege hat oder erwirbt, ist nur das Mittel, nicht der Zweck, und muß fuͤr diesen daran gesetzt werden. Aber man muß den Punkt kennen wohin es reicht um nicht uͤber diesen hinauszugehen und, anstatt neue Vortheile, Schande zu ernten. Daß es sich mit dem Erschoͤpfen des strategischen Ubergewichts in dem strategischen Angriff also verhaͤlt, dar- uͤber brauchen wir besondere Faͤlle der Erfahrung nicht anzufuͤh- ren; die Masse der Erscheinungen hat uns vielmehr gedraͤngt die inneren Gruͤnde dafuͤr aufzusuchen. Nur seit Bonapartes Erscheinen kennen wir Feldzuͤge unter gebildeten Voͤlkern wo das Übergewicht ununterbrochen bis zum Fall des Gegners fuͤhrte; vor ihm endigte jeder Feldzug damit, daß die sie- gende Armee einen Punkt zu gewinnen suchte wo sie sich mit dem bloßen Gleichgewicht erhalten konnte, und daß in diesem die Bewegung des Sieges aufhoͤrte oder auch wohl daß gar ein Ruͤckzug nothwendig wurde. Dieser Kulminationspunkt des Sieges wird nun auch in der Folge in allen Kriegen vorkommen wo das Niederwerfen des Gegners nicht das kriegerische Ziel sein kann und so werden doch immer die meisten Kriege sein. Es ist also das das natuͤrliche Ziel aller einzelnen Feldzugsplaͤne der Wen- depunkt des Angriffs zur Vertheidigung. Nun ist aber das Überschreiten dieses Zieles nicht etwa bloß eine unnuͤtze Kraftanstrengung die keinen Erfolg mehr giebt, sondern eine verderbliche welche Ruͤckschlaͤge verursacht, und diese Ruͤckschlaͤge sind nach einer ganz allgemeinen Erfahrung immer von unverhaͤltniß- maͤßiger Wirkung. Diese letztere Erscheinung ist so allge- mein, scheint so naturgemaͤß und dem inneren Menschen verstaͤndlich, daß wir uns uͤberheben koͤnnen die Ursachen davon umstaͤndlich anzugeben. Mangel an Einrichtung in dem eben eroberten Lande, und der starke Gegensatz, welchen ein bedeutender Verlust gegen den erwarteten neuen Erfolg in den Gemuͤthern bildet, sind in jedem Fall die haupt- saͤchlichsten. Die moralischen Kraͤfte, Ermuthigung auf der einen Seite, die oft bis zum Übermuth steigt, Nieder- geschlagenheit auf der andern bekommen hier gewoͤhnlich ein ungewoͤhnlich lebhaftes Spiel. Die Verluste beim Ruͤckzug werden dadurch groͤßer, und man dankt in der Regel dem Himmel, wenn man mit der Ruͤckgabe des Eroberten davon kommt ohne Einbuße vom eigenen Lande zu leiden. Hier muͤssen wir einen anscheinenden Widerspruch beseitigen, welcher sich zu ergeben scheint. Man sollte naͤmlich glauben, daß so lange das Vor- schreiten im Angriff seinen Fortgang hat, auch noch Über- legenheit vorhanden sei, und da die Vertheidigung welche am Ende der Siegeslaufbahn eintritt, eine staͤrkere Form des Krieges ist als der Angriff, so sei um so weniger Gefahr daß man unversehens der Schwaͤchere werde. Und doch ist dem also, und wir muͤssen, wenn wir die Geschichte im Auge III 6 haben, daß oft die groͤßte Gefahr des Umschwungs erst eintritt in dem Augenblick wo der Angriff nachlaͤßt und in Vertheidigung uͤbergeht. Wir wollen uns nach dem Grunde umsehen. Die Überlegenheit welche wir der vertheidigenden Kriegs- form zugeschrieben haben, liegt: 1. in der Benutzung der Gegend; 2. in dem Besitz eines eingerichteten Kriegstheaters; 3. in dem Beistand des Volkes; 4. in dem Vortheil des Abwartens. Es ist klar, daß diese Prinzipe nicht immer im glei- chen Maaße vorhanden und wirksam seyn werden, und daß folglich eine Vertheidigung der anderen nicht immer gleich ist, daß folglich auch die Vertheidigung nicht immer die- selbe Üeberlegenheit uͤber den Angriff haben wird. Na- mentlich muß dies der Fall sein bei einer Vertheidigung die nach einem erschoͤpften Angriff eintritt und deren Kriegstheater gewoͤhnlich an der Spitze eines weit vorge- schobenen Offensivdreiecks zu liegen kommt. Diese behaͤlt von den genannten vier Prinzipien nur das erste, die Be- nutzung der Gegend, unveraͤndert, das zweite faͤllt meistens ganz weg, das dritte wird negativ und das vierte wird sehr geschwaͤcht. Nur uͤber das letzte ein Paar Worte zur Erlaͤuterung. Wenn naͤmlich das eingebildete Gleichgewicht, in wel- chem oft ganze Feldzuͤge erfolglos verstreichen, weil der, an welchem das Handeln ist, nicht die nothwendige Ent- schlossenheit besitzt, und worin wir den Vortheil des Ab- wartens finden, — wenn dieses Gleichgewicht durch einen Offensivakt gestoͤrt, das feindliche Interesse verletzt, sein Wille zum Handeln hin gedraͤngt ist, so ist die Wahr- scheinlichkeit, daß er in muͤßiger Unentschlossenheit bleiben werde, sehr verringert. Eine Vertheidigung, die man auf erobertem Boden einrichtet, hat einen viel mehr heraus- fordernden Charakter als eine bei sich zu Haus; es wird ihr gewissermaßen das offensive Prinzip eingeimpft und ihre Natur dadurch geschwaͤcht. Die Ruhe, welche Daun Friedrich II. in Schlesien und Sachsen goͤnnte, wuͤrde er ihm in Boͤhmen nicht gestattet haben. Es ist also klar, daß die Vertheidigung, welche in eine Offensivunternehmung verflochten ist, in allen ihren Hauptprinzipien geschwaͤcht sein und also nicht mehr die Überlegenheit uͤber diese haben wird, welche ihr urspruͤng- lich zukommt. Wie kein Vertheidigungsfeldzug aus bloßen Verthei- digungselementen zusammengesetzt ist, so besteht auch kein Angriffsfeldzug aus lauter Angriffselementen, weil außer den kurzen Zwischenperioden eines jeden Feldzugs, in wel- chen beide Heere sich in der Vertheidigung befinden, jeder Angriff, der nicht bis zum Frieden reicht, nothwendig mit einer Vertheidigung endigen muß. Auf diese Weise ist es die Vertheidigung selbst, welche zur Schwaͤchung des Angriffs beitraͤgt. Dies ist so wenig eine muͤßige Spitzfindigkeit, daß wir es vielmehr als den haupt- saͤchlichsten Nachtheil des Angriffs betrachten, dadurch spaͤter in eine ganz unvortheilhafte Vertheidigung versetzt zu werden. Und hiermit ist denn erklaͤrt wie der Unterschied, wel- cher in der Staͤrke der offensiven und defensiven Kriegs- form urspruͤnglich besteht, nach und nach geringer wird. Wir wollen nun noch zeigen wie er ganz verschwinden und auf eine kurze Zeit in die entgegengesetzte Groͤße uͤberge- hen kann. 6* Will man uns erlauben einen Huͤlfsbegriff aus der Natur herbeizurufen, so werden wir uns kuͤrzer fassen koͤnnen. Es ist die Zeit welche in der Koͤrperwelt jede Kraft braucht um sich wirksam zu zeigen. Eine Kraft, die hinreichend waͤre einen bewegten Koͤrper aufzuhalten, wenn sie langsam und nach und nach angewendet wird, wird von ihm uͤberwaͤltigt werden wenn es an Zeit fehlt. Dieses Gesetz der Koͤrperwelt ist ein treffendes Bild fuͤr manche Erscheinung unseres inneren Lebens. Sind wir einmal zu einer ge- wissen Richtung des Gedankenzuges angeregt, so ist nicht jeder an sich hinreichende Grund im Stande eine Veraͤn- derung oder ein Innehalten hervorzubringen. Es ist Zeit, Ruhe, nachhaltiger Eindruck des Bewußtseins erforderlich. So ist es auch im Kriege. Hat die Seele einmal eine be- stimmte Richtung fort zum Ziele oder zuruͤckgewendet nach einem Rettungshafen, so geschieht es leicht, daß die Gruͤnde, welche den Einen zum Innehalten noͤthigen, den Anderen zum Unternehmen berechtigen, nicht leicht in ihrer ganzen Staͤrke gefuͤhlt werden, und da die Handlung indeß fort- schreitet, so kommt man im Strom der Bewegung uͤber die Grenze des Gleichgewichts, uͤber die Kulminationslinie hinaus ohne es gewahr zu werden; ja es kann geschehen daß dem Angreifenden, unterstuͤtzt von den moralischen Kraͤften, die vorzugsweise im Angriff liegen, das Weiter- schreiten trotz der erschoͤpften Kraft weniger beschwerlich wird als das Innehalten, so wie Pferden welche eine Last den Berg hinauf ziehen. Hiermit glauben wir nun ohne inneren Widerspruch gezeigt zu haben, wie der Angreifende uͤber denjenigen Punkt hinaus kommen kann, der ihm im Augenblick des Innehaltens und der Vertheidigung noch Erfolge, d. h. Gleichgewicht verspricht. Es ist also wichtig beim Entwurf des Feldzugs diesen Punkt richtig festzuhal- ten, sowohl fuͤr den Angreifenden, damit er nicht uͤber sein Vermoͤgen unternehme, gewissermaßen Schulden mache; als fuͤr den Vertheidiger, damit er diesen Nachtheil, in welchen sich der Angreifende begeben hat, erkenne und benuͤtze. Werfen wir nun einen Blick zuruͤck auf alle die Gegenstaͤnde welche der Feldherr bei dieser Feststellung im Auge haben soll, und erinnern uns, daß er von den wich- tigsten die Richtung und den Werth erst durch den Über- blick vieler andern nahen und entfernten Verhaͤltnisse schaͤtzen, gewissermaßen errathen muß — errathen, ob das feindliche Heer nach dem ersten Stoß einen festeren Kern, eine immer zunehmende Dichtigkeit zeigen oder ob es wie die bologneser Flaschen in Staub zerfallen wird sobald man seine Oberflaͤche verletzt; — errathen, wie groß die Schwaͤchung und Laͤhmung sein werde die das Versiegen einzelner Quellen, das Unterbrechen einzelner Verbindungen im feindlichen Kriegsstaat hervorbringt; — errathen, ob der Gegner von dem brennenden Schmerz der Wunde die er ihm geschlagen ohnmaͤchtig zusammensinkt, oder wie ein verwundeter Stier zur Wuth gesteigert wird; — errathen ob die andern Maͤchte erschreckt oder entruͤstet sein, ob und welche politische Verbindungen sich loͤsen oder bilden werden, — sagen wir uns, daß er dies Alles und vieles Andere mit dem Takt seines Urtheils treffen soll wie der Schuͤtze sein Ziel: so muͤssen wir eingestehen, daß ein solcher Akt des menschlichen Geistes nichts Geringes sei. Tausend Abwege bieten sich dem Urtheil, die sich hier- und dorthin verlaufen; und was die Menge, Verwickelung und Viel- seitigkeit der Gegenstaͤnde nicht thun, das thut die Gefahr und Verantwortlichkeit. Und so geschieht es denn daß die große Mehrheit der Feldherrn lieber weit hinter dem Ziel zuruͤckbleibt als sich ihm zu sehr zu nahen, und daß ein schoͤner Muth und hoher Unternehmungsgeist oft daruͤber hinaus geraͤth und also seinen Zweck verfehlt. Nur wer mit geringen Mit- teln Großes thut hat es gluͤcklich getroffen. Skizzen zum achten Buche . Kriegsplan . Erstes Kapitel. Einleitung . I n dem Kapitel vom Wesen und Zweck des Krieges haben wir seinen Gesammtbegriff gewissermaßen skizzirt und seine Verhaͤltnisse zu den ihn umgebenden Dingen ange- deutet, um mit einer richtigen Grundvorstellung anzufangen. Wir haben die mannigfaltigen Schwierigkeiten auf welche der Verstand dabei stoͤßt, durchblicken lassen, uns eine genauere Betrachtung derselben vorbehaltend, und sind bei dem Resultat stehen geblieben, daß die Niederwerfung des Feindes, folglich die Vernichtung seiner Streitkraͤfte das Hauptziel des ganzen kriegerischen Aktes sei. Dies hat uns in den Stand gesetzt im folgenden Kapitel zu zeigen daß das Mittel, dessen sich der kriegerische Akt bedient, allein das Gefecht sei. Auf diese Weise glauben wir vor- laͤufig einen richtigen Standpunkt gewonnen zu haben. Nachdem wir nun die beachtungswerthesten Verhaͤlt- nisse und Formen, welche in dem kriegerischen Handeln außerhalb des Gefechts vorkommen, einzeln durchgegangen sind, um ihren Werth theils nach der Natur der Sache, theils nach der Erfahrung welche die Kriegsgeschichte dar- bietet, bestimmter anzugeben, sie von unbestimmten, zweideuti- gen Vorstellungen, die damit verbunden zu sein pflegen, zu reinigen und auch bei ihnen das eigentliche Ziel des kriegerischen Aktes, die Vernichtung des Feindes, uͤberall gehoͤrig als die Hauptsache herantreten zu lassen: kehren wir nun zu dem Ganzen des Krieges zuruͤck, indem wir uns vornehmen von dem Kriegs- und Feldzugsplan zu reden, und sind also genoͤthigt an die Vorstellungen un- seres ersten Buches wieder anzuknuͤpfen. In diesen Kapiteln, welche die Gesammtfrage abhan- deln sollen, ist die eigentlichste Strategie, das Umfassendste und Wichtigste derselben enthalten. Wir betreten dieses Innerste ihres Gebietes, in welchem alle uͤbrigen Faͤden zusammenlaufen, nicht ohne Scheu. In der That ist diese Scheu nicht mehr als billig. Wenn man auf der einen Seite sieht wie das kriege- rische Handeln so hoͤchst einfach erscheint, wenn man hoͤrt und liest wie die groͤßten Feldherrn gerade am einfachsten und schlichtesten sich daruͤber ausdruͤcken, wie das Regieren und Bewegen der aus hunderttausend Gliedern zusammen- gesetzten schwerfaͤlligen Maschine in ihrem Munde sich nicht anders ausnimmt als ob von ihrem einzigen Indi- viduo die Rede sei, so daß der ganze ungeheuere Akt des Krieges zu einer Art Zweikampf individualisirt wird; wenn man dabei die Motive ihres Handelns bald mit ein Paar einfachen Vorstellungen, bald mit irgend einer Regung des Gemuͤthes angegeben findet; wenn man diese leichte, sichere, man moͤchte sagen leichtfertige Weise sieht, wie sie den Gegenstand auffassen; und nun von der andern Seite die Anzahl von Verhaͤltnissen die fuͤr den untersuchenden Ver- stand in Anregung kommen; die großen, oft unbestimmten Entfernungen, in welchen die einzelnen Faͤden auslaufen und die Unzahl von Combinationen die vor uns liegen; wenn man dabei an die Verpflichtung denkt welche die Theorie hat, diese Dinge systematisch, d. h. mit Klarheit und Vollstaͤndigkeit aufzufassen und das Handeln immer auf die Nothwendigkeit des zureichenden Grundes zuruͤck- zufuͤhren: so uͤberfaͤllt uns die Angst mit unwiderstehlicher Gewalt, zu einem pedantischen Schulmeisterthum hinabge- rissen zu werden, in den untern Raͤumen schwerfaͤlliger Begriffe herumzukriechen und dem großen Feldherrn in seinem leichten Uberblick also niemals zu begegnen. Wenn so das Resultat theoretischer Bemuͤhungen sein sollte, so waͤre es eben so gut oder vielmehr besser sie gar nicht angestellt zu haben; sie ziehen der Theorie die Ge- ringschaͤtzung des Talentes zu, und fallen bald in Ver- gessenheit. Und von der andern Seite ist dieser leichte Überblick des Feldherrn, diese einfache Vorstellungsart, diese Personifizirung des ganzen kriegerischen Handelns so ganz und gar die Seele jeder guten Kriegfuͤhrung, daß nur bei diesser großartigen Weise sich die Freiheit der Seele denken laͤßt, die noͤthig ist, wenn sie uͤber die Ereignisse herrschen und nicht von ihnen uͤberwaͤltigt werden soll. Mit einiger Scheu setzen wir unsern Schritt fort; wir koͤnnen es nur, wenn wir den Weg verfolgen welchen wir uns gleich anfangs vorgezeichnet haben. Die Theorie soll mit einem klaren Blick die Masse der Gegenstaͤnde beleuchten, damit der Verstand sich leichter in ihnen finden; sie soll das Unkraut ausreißen welches der Irrthum uͤberall hat hervorschießen lassen; sie soll die Verhaͤltnisse der Dinge unter einander zeigen, das Wichtige von dem Un- wichtigen sondern. Wo sich die Vorstellungen von selbst zu einem solchen Kern der Wahrheit zusammenfinden, den wir Grundsatz nennen, wo sie von selbst eine solche Linie halten die eine Regel bildet, da soll die Theorie es angeben. Was nun der Geist von dieser unterirdischen Wande- rung zwischen den Fundamental-Vorstellungen der Sache mit sich nimmt, die Lichtstrahlen welche in ihm geweckt werden, das ist der Nutzen welchen ihm die Theorie gewaͤhrt. Sie kann ihm keine Formeln zur Aufloͤsung der Aufgaben mitgeben, sie kann seinen Weg nicht auf eine schmale Linie der Nothwendigkeit einschraͤnken durch Grundsaͤtze, die sie zu beiden Seiten aufmarschiren laͤßt. Sie laͤßt ihn einen Blick in die Masse der Gegenstaͤnde und ihrer Verhaͤltnisse thun und entlaͤßt ihn dann wieder in die hoͤheren Re- gionen des Handelns, um nach dem Maaß der ihm ge- wordenen natuͤrlichen Kraͤfte mit der vereinten Thaͤtigkeit Aller zu handeln, und sich des Wahren und Rechten wie eines einzelnen klaren Gedankens bewußt zu werden, der, durch den Gesammtdruck aller jener Kraͤfte hervorge- trieben, mehr ein Produkt der Gefahr als des Denkens zu sein scheint. Zweites Kapitel. Absoluter und wirklicher Krieg . Der Kriegsplan faßt den ganzen kriegerischen Akt zusammen, durch ihn wird er zur einzelnen Handlung, die einen letzten endlichen Zweck haben muß, in welchem sich alle besonderen Zwecke ausgeglichen haben. Man faͤngt keinen Krieg an, oder man sollte vernuͤnftiger Weise keinen anfangen, ohne sich zu sagen, was man mit und was man in demselben erreichen will, das Erstere ist der Zweck, das Andere das Ziel. Durch diesen Hauptgedanken werden alle Richtungen gegeben, der Umfang der Mittel, das Maaß der Energie bestimmt, und er aͤußert seinen Einfluß bis in die kleinsten Glieder der Handlung hinab. Wir haben im ersten Kapitel gesagt, daß die Nieder- werfung des Gegners das natuͤrliche Ziel des kriegerischen Aktes sei, und daß, wenn man bei der philosophischen Strenge des Begriffs stehen bleiben will, es im Grunde ein anderes nicht geben koͤnne. Da diese Vorstellung von beiden kriegfuͤhrenden Thei- len gedacht werden muß, so wuͤrde daraus folgen, daß es im kriegerischen Akt keinen Stillstand geben und nicht eher Ruhe eintreten koͤnne, bis einer der beiden Theile wirklich niedergeworfen sei. In dem Kapitel von dem Stillstand im kriegerischen Akt haben wir gezeigt wie das bloße Prinzip der Feind- schaft auf den Traͤger desselben, den Menschen und alle Umstaͤnde angewendet, aus denen es den Krieg zusammen- setzt, aus inneren Gruͤnden der Maschine einen Aufenthalt und eine Ermaͤßigung erleidet. Aber diese Modifikation ist lange nicht hinreichend um uns von dem urspruͤnglichen Begriff des Krieges zu der konkreten Gestalt desselben, wie wir sie fast uͤberall finden, uͤberzufuͤhren. Die meisten Kriege erscheinen nur wie eine gegenseitige Entruͤstung, wobei Jeder zu den Waffen greift, um sich selbst zu schuͤtzen und dem Andern Furcht einzufloͤßen, und — gelegentlich ihm einen Streich beizubringen. Es sind also nicht zwei sich einander zerstoͤ- rende Elemente die zusammengebracht sind, sondern es sind Spannungen noch getrennter Elemente, die sich in einzel- nen kleinen Schlaͤgen entladen. Welches ist nun aber die nicht leitende Scheidewand, die das totale Entladen verhindert? Warum geschieht der philosophischen Vorstellungsweise nicht Genuͤge? Jene Scheidewand liegt in der großen Zahl von Dingen, Kraͤften, Verhaͤltnissen, die der Krieg im Staatsleben beruͤhrt, und durch deren unzaͤhlbare Windungen sich die logische Consequenz nicht wie an dem einfachen Faden von ein Paar Schluͤssen fortfuͤhren laͤßt; in diesen Windungen bleibt sie stecken, und der Mensch, der gewohnt ist im Großen und Kleinen mehr nach einzelnen vorherrschenden Vorstellungen und Gefuͤhlen, als nach strenger logischer Folge zu handeln, wird sich hier seiner Unklarheit, Halb- heit und Inconsequenz kaum bewußt. Haͤtte aber auch die Intelligenz von welcher der Krieg ausgeht, wirklich alle diese Verhaͤltnisse durchlaufen koͤnnen, ohne ihr Ziel einen Augenblick zu verlieren, so wuͤrden alle uͤbrigen Intelligenzen im Staate, welche da- bei in Betrachtung kommen, nicht eben das koͤnnen, und also ein Widerstreben entstehen und mithin eine Kraft noͤthig sein, die Inertie der ganzen Masse zu uͤberwinden, und diese Kraft wird meistens unzureichend sein. Diese Inconsequenz findet bei dem einen der beiden Theile statt, oder bei dem andern, oder bei beiden, und wird so die Ursache daß der Krieg zu etwas ganz Anderem wird als er dem Begriff nach sein sollte, zu einem Halb- dinge, zu einem Wesen ohne inneren Zusammenhang. So finden wir ihn fast uͤberall und man koͤnnte zweifeln, daß unsere Vorstellung von dem ihm absolut zu- kommenden Wesen einige Realitaͤt haͤtte, wenn wir nicht gerade in unseren Tagen den wirklichen Krieg in dieser absoluten Vollkommenheit haͤtten auftreten sehn. Nach einer kurzen Einleitung, die die franzoͤsische Revolution ge- macht hat, hat ihn der ruͤcksichtslose Bonaparte schnell auf diesen Punkt gebracht. Unter ihm ist er rastlos vorgeschritten, bis der Gegner niederlag; und fast eben so rastlos sind die Ruͤckschlaͤge erfolgt. Ist es nicht na- tuͤrlich und nothwendig, daß uns diese Erscheinung auf den urspruͤnglichen Begriff des Krieges mit allen strengen Folgerungen zuruͤckfuͤhrt? Sollen wir nun dabei stehen bleiben und alle Kriege, wie sehr sie sich auch davon entfernen, darnach beurtheilen? Alle Forderungen der Theorie daraus ableiten? Wir muͤssen uns jetzt darin entscheiden, denn wir koͤnnen kein gescheutes Wort vom Kriegsplan sagen, ohne bei uns selbst ausgemacht zu haben, ob der Krieg nur so sein soll oder noch anders sein kann. Wenn wir uns zu dem Ersteren entschließen, wird unsere Theorie sich uͤberall dem Nothwendigen mehr naͤhern, mehr eine klare abgemachte Sache sein. Aber was sollen wir dann zu allen Kriegen sagen, welche seit Alexander und einigem Feldzuͤgen der Roͤmer bis auf Bonaparte ge- fuͤhrt worden sind? Wir mußten sie in Pausch und Bogen verwerfen und konnten es doch vielleicht nicht ohne uns unserer Anmaßung zu schaͤmen. Was aber schlimm ist, wir mußten uns sagen daß im naͤchsten Jahrzehend vielleicht wieder ein Krieg der Art da sein wird, unserer Theorie zum Trotz, und daß diese Theorie mit einer starken Logik doch sehr ohnmaͤchtig bleibt gegen die Ge- walt der Umstaͤnde. Wir werden uns also dazu verstehen muͤssen, den Krieg wie er sein soll, nicht aus seinem bloßen Begriff zu konstruiren, sondern allem Fremdartigen, was sich darin einmischt und daransetzt, seinen Platz zu lassen, aller natuͤrlichen Schwere und Reibung der Theile, der ganzen Inkonsequenz, Unklarheit und Verzagtheit des menschlichen Geistes; wir werden die Ansicht fassen muͤssen, daß der Krieg und die Gestalt welche man ihm giebt, hervorgeht aus augenblicklich vorhergehenden Ideen, Ge- fuͤhlen und Verhaͤltnissen, ja wir muͤssen, wenn wir ganz wahr sein wollen, einraͤumen, daß dies selbst der Fall ge- wesen ist wo er seine absolute Gestalt angenommen hat, naͤmlich unter Bonaparte. Muͤssen wir das, muͤssen wir zugeben daß der Krieg entspringt und seine Gestalt erhaͤlt nicht aus einer end- lichen Abgleichung aller unzaͤhligen Verhaͤltnisse die er beruͤhrt, sondern aus einzelnen unter ihnen, die gerade vorherrschen: so folgt von selbst, daß er auf einem Spiel von Moͤglichkeiten, Wahrscheinlichkeiten, Gluͤck und Ungluͤck beruht, in dem sich die strenge logische Folgerung oft ganz verliert und wobei sie uͤberhaupt ein sehr unbehuͤlf- liches, unbequemes Instrument des Kopfes ist; auch folgt dann, daß der Krieg ein Ding sein kann, was bald mehr bald weniger Krieg ist. Dies Alles muß die Theorie zugeben, aber es ist ihre Pflicht, die absolute Gestalt des Krieges obenan zu stellen und sie als einen allgemeinen Richtpunkt zu brauchen; damit Derjenige, der aus der Theorie Etwas lernen will, sich gewoͤhne, sie nie aus den Augen zu verlieren, sie als das urspruͤngliche Maaß aller seiner Hoffnungen und Be- fuͤrchtungen zu betrachten, um sich ihr zu naͤhern wo er es kann oder wo er es muß . Daß eine Hauptvorstellung, welche unserem Denken und Handeln zum Grunde liegt, ihm auch da, wo die naͤchsten Entscheidungsgruͤnde aus ganz andern Regionen kommen, einen gewissen Ton und Charakter giebt, ist eben so gewiß, als daß der Maler seinem Bilde durch die Farben, womit er es untermalt, diesen oder jenen Ton geben kann. Daß die Theorie dies jetzt mit Wirksamkeit thun kann, verdankt sie den letzten Kriegen. Ohne diese warnenden Bei- Beispiele von der zerstoͤrenden Kraft des losgelassenen Elementes wuͤrde sie sich vergeblich heiser schreien; Nie- mand wuͤrde fuͤr moͤglich halten was jetzt von Allen erlebt ist. Wuͤrde Preußen im Jahr 1798 es gewagt haben mit 70,000 Mann in Frankreich einzudringen, wenn es geahnt haͤtte daß der Ruͤckschlag im Fall des Nichtge- lingens so stark sein wuͤrde das alte europaͤische Gleich- gewicht uͤber den Haufen zu werfen? Wuͤrde Preußen im Jahr 1806 den Krieg gegen Frankreich mit 100,000 Mann angefangen haben, wenn es erwogen haͤtte daß der erste Pistolenschuß ein Funken in den Minenherd sei, der es in die Luft sprengen sollte? Drittes Kapitel . A. Innerer Zusammenhang des Krieges . Je nachdem man die absolute Gestalt des Krieges oder eine der davon mehr oder weniger entfernten wirk- lichen im Auge hat, entstehen zwei verschiedene Vorstellun- gen von dem Erfolge desselben. Bei der absoluten Gestalt des Krieges, wo Alles aus nothwendigen Gruͤnden geschieht, Alles rasch ineinander- greift, kein, wenn ich so sagen darf, wesenloser neutraler Zwischenraum entsteht, giebt es, wegen der vielfaͤltigen Wechselwirkungen die der Krieg in sich schließt Erstes Kapitel des ersten Buches. , wegen des Zusammenhanges in welchem, strenge genommen, die III 7 ganze Reihe der aufeinander folgenden Gefechte steht Zweites Kapitel des ersten Buches. , wegen des Kulminationspunktes, den jeder Sieg hat, uͤber welchen hinaus das Gebiet der Verluste und Nieder- lagen angeht Viertes und fünftes Kapitel des siebenten Buches (vom Kulminationspunkt des Sieges.) , wegen aller dieser natuͤrlichen Verhaͤlt- nisse des Krieges, sage ich, giebt es nur einen Erfolg, naͤmlich den Enderfolg . Bis dahin ist Nichts entschieden, Nichts gewonnen, Nichts verloren. Hier ist es, wo man sich unaufhoͤrlich sagen muß: das Ende kroͤnt das Werk. In dieser Vorstellung ist also der Krieg ein untheilbares Ganze, dessen Glieder (die einzelnen Erfolge) nur Werth haben in Beziehung auf dies Ganze. Die Eroberung von Moskau und von halb Rußland 1812 hatte fuͤr Bona- parte nur Werth, wenn sie ihm den beabsichtigten Frieden verschaffte. Sie war aber nur ein Stuͤck seines Feldzugs- plans und diesem fehlte noch ein Theil, naͤmlich die Zertruͤmmerung des russischen Heeres; denkt man sich diese zu den uͤbrigen Erfolgen hinzu, so war der Friede so ge- wiß, wie Dinge der Art werden koͤnnen. Diesen zweiten Theil konnte Bonaparte nicht mehr erringen, weil er ihn fruͤher versaͤumt hatte, und so wurde ihm der ganze erste Theil nicht bloß unnuͤtz, sondern verderblich. — Dieser Vorstellung von dem Zusammenhange der Erfolge im Kriege, welche man als eine aͤußerste betrach- ten kann, steht eine andere aͤußerste gegenuͤber, nach welcher derselbe aus einzelnen fuͤr sich bestehenden Erfolgen zusam- mengesetzt ist, bei denen, wie im Spiel bei den Partien, die vorhergehenden keinen Einfluß auf die nachfolgenden haben. Hier kommt es also nur auf die Summe der Erfolge an, und man kann jeden einzelnen wie eine Spielmarke zuruͤcklegen. So wie die erste Vorstellungsart ihre Wahrheit aus der Natur der Sache schoͤpft, so finden wir die der zweiten in der Geschichte. Es giebt eine Unzahl von Faͤllen, wo ein kleiner maͤßiger Vortheil hat gewonnen werden koͤnnen, ohne daß sich daran irgend eine erschwerende Bedingung geknuͤpft haͤtte. Je mehr das Element des Krieges ermaͤßigt ist, um so haͤufiger werden diese Faͤlle, aber so wenig wie je in einem Kriege die erste der Vor- stellungsarten vollkommen wahr ist, eben so wenig giebt es Kriege wo die letztere uͤberall zutrifft, und die erstere entbehrlich waͤre. Halten wir uns an die erste dieser beiden Vorstel- lungsarten, so muͤssen wir die Nothwendigkeit einsehn, daß ein jeder Krieg von Hause aus als ein Ganzes aufgefaßt werde, und daß beim ersten Schritt vorwaͤrts der Feldherr schon das Ziel im Auge habe, wohin alle Linien laufen. Lassen wir die zweite Vorstellungsart zu, so koͤnnen untergeordnete Vortheile um ihrer selbst willen verfolgt und das Weitere den weiteren Ergebnissen uͤberlassen werden. Da keine dieser beiden Vorstellungsarten ohne Re- sultat ist, so kann die Theorie auch keine derselben ent- behren. Der Unterschied aber, den sie im Gebrauch derselben macht, besteht darin, daß sie fordert: die erstere als die Grundvorstellung auch uͤberall zum Grunde zu legen und die letztere nur als eine Modifikation zu ge- brauchen, die durch die Umstaͤnde gerechtfertigt wird. Wenn Friedrich der Große in den Jahren 1742, 1744, 1757 und 1758 von Schlesien und Sachsen aus eine neue Offensivspitze in den oͤstreichischen Staat hin- eintrieb, von der er recht gut wußte daß sie nicht zu einer 7* neuen dauernden Eroberung fuͤhren konnte, wie die von Schlesien und Sachsen war, so geschah es, weil er damit nicht die Niederwerfung des oͤstreichischen Staates, sondern einen untergeordneten Zweck, naͤmlich Zeit- und Kraftgewinn beabsichtigte, und er durfte diesen untergeordneten Zweck verfolgen ohne zu fuͤrchten daß er damit sein ganzes Dasein auf das Spiel setzte. Hätte Friedrich der Große die Schlacht von Kollin gewonnen, und mithin die östreichische Hauptarmee mit ihren beiden obersten Feldherren in Prag gefangen genommen, so war das ein so furchtbarer Schlag, daß er allerdings daran denken konnte, auf Wien zu gehen, die östreichische Monarchie zu erschüttern und dadurch den Frieden unmittelbar zu ge- winnen. Dieser, für die damaligen Zeiten unerhörte Erfolg, der den Er- folgen der neuesten Kriege ganz ähnlich, nur wegen des kleinen Davids und des großen Goliaths viel wunderbarer und glänzender gewesen wäre, würde nach dem Gewinn dieser einen Schlacht höchst wahrscheinlich ein- getreten sein, welches aber der oben gemachten Behauptung nicht wider- spricht; denn diese spricht nur von Dem, was der König mit seiner Offen- sive ursprünglich beabsichtigte; die Einschließung und Gefangennahme der feindlichen Hauptarmee aber war ein Ereigniß, was außer aller Berech- nung lag und woran der König nicht gedacht hatte, wenigstens nicht eher als bis die Östreicher durch ihre ungeschickte Aufstellung bei Prag dazu Veranlassung gaben. Wenn aber Preußen 1806 und Östreich 1805 und 1809 sich noch ein viel beschei- deneres Ziel vorsetzte, naͤmlich: die Franzosen uͤber den Rhein zu treiben, so konnten sie das vernuͤnftigerweise nicht, ohne im Geiste die ganze Reihe der Begebenheiten zu durchlaufen, die sich, sowohl im Fall des guten als schlechten Erfolges, wahrscheinlich an den ersten Schritt anknuͤpfen und bis zum Frieden fuͤhren wuͤrde. Dies war ganz unerlaͤßlich, sowohl, um bei sich auszumachen wie weit sie ihren Sieg ohne Gefahr verfolgen konnten, als, wie und wo sie den feindlichen Sieg zum Stehen zu bringen, im Stande waͤren. Worin der Unterschied beider Verhaͤltnisse sei, zeigt eine aufmerksame Betrachtung der Geschichte. Im acht- zehnten Jahrhundert, zur Zeit der schlesischen Kriege, war der Krieg noch eine bloße Angelegenheit des Kabinets, an welchem das Volk nur als blindes Instrument Theil nahm; im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts standen die beiderseitigen Voͤlker in der Wageschale. Die Feld- herren welche Friedrich dem Großen gegenuͤberstanden waren Maͤnner die im Auftrag handelten, und eben des- wegen Maͤnner in welchen die Behutsamkeit ein vorherr- schender Charakterzug war; der Gegner der Östreicher und Preußen war, um es kurz zu sagen, der Kriegsgott selbst. Mußten diese verschiedenen Verhaͤltnisse nicht ganz verschiedene Betrachtungen veranlassen? Mußten sie nicht im Jahre 1805, 1806 und 1809 den Blick auf das Äußerste der Ungluͤcksfaͤlle als auf eine nahe Moͤglichkeit, ja als auf eine große Wahrscheinlichkeit richten, und mit- hin zu ganz andern Anstrengungen und Plaͤnen fuͤhren, als solche, deren Gegenstand ein Paar Festungen und eine maͤßige Provinz sein konnten? Sie haben es nicht in gehoͤrigem Maaße gethan, wie- wohl die Maͤchte Preußen und Östreich bei ihren Ruͤstungen die Gewitterschwere der politischen Atmosphaͤre hinreichend fuͤhlten. Sie haben es nicht vermocht, weil sie damals noch nicht so deutlich von der Geschichte entwickelt waren. Eben jene Feldzuͤge von 1805, 1806 und 1809, so wie die spaͤteren, haben es uns so sehr erleichtert den Begriff des neueren, des absoluten Krieges in seiner zerschmettern- den Energie davon zu abstrahiren. Die Theorie fordert also, daß bei jedem Kriege zuerst sein Charakter und seine großen Umrisse nach der Wahr- scheinlichkeit aufgefaßt werden, die die politischen Groͤßen und Verhaͤltnisse ergeben. Je mehr nach dieser Wahr- scheinlichkeit sein Charakter sich dem absoluten Kriege naͤhert, je mehr die Umrisse die Masse der kriegfuͤhrenden Staaten umfassen und in den Strudel hineinziehen: um so leichter wird der Zusammenhang seiner Begebenheiten, um so nothwendiger nicht den ersten Schritt zu thun ohne an den letzten zu denken. Drittes Kapitel . B. Von der Groͤße des kriegerischen Zwecks und der Anstrengung . Der Zwang, welchen wir unserem Gegner anthun muͤssen, wird sich nach der Groͤße unserer und seiner poli- tischen Forderungen richten. Insofern diese gegenseitig bekannt sind, wuͤrde es dasselbe Maaß der Anstrengung geben; allein sie liegen nicht immer so offen da, und dies kann ein erster Grund zur Verschiedenheit in den Mitteln sein, die Beide aufbieten. Die Lage und Verhaͤltnisse der Staaten sind einander nicht gleich, dies kann ein zweiter Grund werden. Die Willensstaͤrke, der Charakter, die Faͤhigkeiten der Regierungen sind sich eben so wenig gleich, dies ist ein dritter Grund. Diese drei Ruͤcksichten bringen eine Ungewißheit in die Berechnung des Widerstandes welchen man finden wird, folglich der Mittel die man anwenden soll, und des Ziels welches man sich setzen darf. Da im Kriege aus unzureichenden Anstrengungen nicht bloß ein Nichterfolg, sondern positiver Schaden entstehen kann, so treibt das beide Theile sich einander zu uͤberbieten, wodurch eine Wechselwirkung entsteht. Diese koͤnnte an das aͤußerste Ziel der Anstrengungen fuͤhren, wenn sich ein solches bestimmen ließe. Dann wuͤrde aber die Ruͤcksicht auf die Groͤße der politischen Forderungen verloren gehen, das Mittel alles Verhaͤltniß zum Zweck verlieren, und in den meisten Faͤllen diese Absicht einer aͤußersten Anstrengung an dem Gegengewicht der eigenen inneren Verhaͤltnisse scheitern. Auf diese Weise wird der Kriegsunternehmer wieder in einen Mittelweg zuruͤckgefuͤhrt, in welchem er gewisser- maaßen nach dem direkten Grundsatz handelt, um diejenigen Kraͤfte aufzuwenden und sich im Kriege dasjenige Ziel zu stellen, welches zur Erreichung seines politischen Zweckes eben hinreicht. Um diesen Grundsatz moͤglich zu machen, muß er jeder absoluten Nothwendigkeit des Erfolges entsagen, die entfernten Moͤglichkeiten aus der Rechnung weglassen. Hier verlaͤßt also die Thaͤtigkeit des Verstandes das Gebiet der strengen Wissenschaft, der Logik und Mathe- matik, und wird, im weiten Verstande des Wortes, zur Kunst, d. h. zu der Fertigkeit, aus einer unuͤbersehbaren Menge von Gegenstaͤnden und Verhaͤltnissen die wichtigsten und entscheidenden durch den Takt des Urtheils herauszu- finden. Dieser Takt des Urtheils besteht unstreitig mehr oder weniger in einer dunkeln Vergleichung aller Groͤßen und Verhaͤltnisse, wodurch die entfernten und unwichtigen schneller beseitigt und die naͤchsten und wichtigsten schneller herausgefunden werden, als wenn dies auf dem Wege strenger Schlußfolge geschehen sollte. Um also das Maaß der Mittel kennen zu lernen, welches wir fuͤr den Krieg aufzubieten haben, muͤssen wir den politischen Zweck desselben unserer Seits und von Seiten des Feindes bedenken; wir muͤssen die Kraͤfte und Verhaͤlt- nisse des feindlichen Staates und des unsrigen; wir muͤssen den Charakter seiner Regierung, seines Volkes, die Faͤhig- keiten beider, und alles das wieder von unserer Seite; wir muͤssen die politischen Verbindungen anderer Staaten und die Wirkungen, welche der Krieg darin hervorbringen kann, in Betrachtung ziehen. Daß das Abwaͤgen dieser mannichfachen und mannichfach durcheinandergreifenden Ge- genstaͤnde eine große Aufgabe, daß es ein wahrer Lichtblick des Genies ist, hierin schnell das Rechte herauszufinden, waͤhrend es ganz unmoͤglich sein wuͤrde, durch eine bloße schulgerechte Überlegung der Mannichfaltigkeit Herr zu werden: ist leicht zu begreifen. In diesem Sinne hat Bonaparte ganz richtig gesagt: es wuͤrde eine algebraische Aufgabe werden, vor der selbst ein Newton zuruͤckschrecken koͤnnte. Erschweren die Mannichfaltigkeit und Groͤße der Ver- haͤltnisse und die Unsicherheit des rechten Maaßes das guͤnstige Resultat in hohem Grade, so muͤssen wir nicht uͤbersehen, daß die ungeheure vergleichungslose Wichtig- keit der Sache, wenn auch nicht die Verwickelung und Schwierigkeit der Aufgabe, doch das Verdienst der Loͤsung steigert. Die Freiheit und Thaͤtigkeit des Geistes wird im gewoͤhnlichen Menschen durch die Gefahr und Verantwort- lichkeit nicht erhoͤhet, sondern heruntergedruͤckt; wo aber diese Dinge das Urtheil befluͤgeln und kraͤftigen, da duͤrfen wir nicht an seltener Seelengroͤße zweifeln. Wir muͤssen also zuvoͤrderst einraͤumen, daß das Ur- theil uͤber einen bevorstehenden Krieg, uͤber das Ziel welches er haben darf, uͤber die Mittel welche noͤthig sind, nur aus dem Gesammtuͤberblick aller Verhaͤltnisse entstehen kann, in welchem also die individuellsten Zuͤge des Augen- blicks mitverflochten sind, und daß dieses Urtheil, wie jedes im kriegerischen Leben, niemals rein objektiv sein kann, sondern nach den Geistes- und Gemuͤthseigenschaften der Fuͤrsten, Staatsmaͤnner, Feldherren bestimmt wird, sei es daß sie in einer Person vereinigt sind oder nicht. Allgemein und einer abstrakten Behandlung faͤhiger wird der Gegenstand schon dann, wenn wir auf die allgemeinen Verhaͤltnisse der Staaten sehen, die sie von ihrer Zeit und den Umstaͤnden erhalten haben. Wir muͤssen uns hier einen fluͤchtigen Blick auf die Geschichte erlauben. Halbgebildete Tartaren, Republiken der alten Welt, Lehnsherren und Handelsstaͤdte des Mittelalters, Koͤnige des achtzehnten Jahrhunderts, endlich Fuͤrsten und Voͤlker des neunzehnten Jahrhunderts: alle fuͤhren den Krieg auf ihre Weise, fuͤhren ihn anders, mit andern Mitteln und nach einem andern Ziel. Die Tartarenschwaͤrme suchen neue Wohnsitze. Sie ziehen mit dem ganzen Volke aus, mit Weib und Kind, sie sind also zahlreich, wie verhaͤltnißmaͤßig kein anderes Heer, und ihr Ziel ist Unterwerfung oder Vertreibung des Gegners. Sie wuͤrden mit diesen Mitteln bald Alles vor sich niederwerfen, ließe sich damit ein hoher Kulturzustand vereinigen. Die alten Republiken, mit Ausnahme Roms, sind von geringem Umfange; noch geringer ist der Umfang ihres Heeres, denn sie schließen die große Masse, den Poͤ- bel, aus; sie sind zu zahlreich und zu nahe bei einander um nicht in dem natuͤrlichen Gleichgewicht, in welches sich nach einem ganz allgemeinen Naturgesetz kleine abgesonderte Theile immer setzen, Hinderniß zu großen Unternehmungen zu finden; daher beschraͤnken sich ihre Kriege auf Ver- heerungen des flachen Landes und Einnahme einzelner Staͤdte, um in diesen sich fuͤr die Folge einen maͤßigen Einfluß zu sichern. Nur Rom macht davon eine Ausnahme, doch erst in seinen spaͤteren Zeiten. Lange kaͤmpfte es mit kleinen Schaaren um Beute und um Buͤndniß mit seinen Nach- barn den gewoͤhnlichen Kampf. Es wird groß, mehr durch die Buͤndnisse die es schließt und in welchen sich die benachbarten Voͤlker nach und nach mit ihm zu einem Ganzen verschmelzen, als durch wahre Unterwerfungen. Nur erst, nachdem es sich auf diese Weise in ganz Unter- italien ausgebreitet hat, faͤngt es an wirklich erobernd vor- zuschreiten. Carthago faͤllt, Spanien und Gallien werden erobert, Griechenland unterworfen, und in Asien und Ägypten seine Herrschaft ausgebreitet. In dieser Zeit sind seine Streitkraͤfte ungeheuer, ohne daß seine Anstrengungen es waͤren; sie werden mit seinen Reichthuͤmern bestritten; es gleicht nicht mehr den alten Republiken und nicht mehr sich selbst. Es steht einzig da. Eben so einzig in ihrer Art sind die Kriege Alexan- ders. Mit einem kleinen, aber durch seine innere Voll- kommenheit ausgezeichneten Heere wirft er die morschen Gebaͤude der asiatischen Staaten nieder. Ohne Rast und ruͤcksichtslos durchzieht er das weite Asien und dringt bis Indien vor. Republiken konnten das nicht; das konnte so schnell nur ein Koͤnig vollbringen, der gewissermaßen sein eigener Condottiero war. Die großen und kleinen Monarchien des Mittelalters fuͤhrten ihre Kriege mit Lehnsheeren. Da war Alles auf eine kurze Zeit beschraͤnkt; was in der nicht ausgerichtet werden konnte, mußte als unausfuͤhrbar angesehen werden. Das Lehnsheer selbst bestand aus einer Einschachtelung von Vasallenthum; das Band welches dasselbe zusammenhielt war halb gesetzliche Pflicht, halb freiwilliges Buͤndniß, das Ganze eine wahre Confoͤderation. Bewaffnung und Taktik waren auf das Faustrecht, auf den Kampf des Einzelnen gegruͤndet, also fuͤr eine groͤßere Masse wenig geschickt. Überhaupt hat es nie eine Zeit gegeben wo der Staatsverband so locker und der einzelne Staatsbuͤrger so selbststaͤndig war. Dies Alles bedingte die Kriege dieser Zeit auf die bestimmteste Art. Sie wurden verhaͤltniß- maͤßig rasch gefuͤhrt, muͤßiges im Felde Liegen kam wenig vor, aber der Zweck bestand meistens nur in Zuͤchtigung, nicht in Niederwerfung des Feindes; man trieb seine Heerden weg, verbrannte seine Burgen und zog wieder nach Haus. Die großen Handelsstaͤdte und kleinen Republiken brachten die Condottieri auf. Das war eine kostbare, mithin dem aͤußeren Umfange nach sehr beschraͤnkte Kriegs- macht. Noch geringer war sie ihrer intensiven Kraft nach zu schaͤtzen; von hoͤchster Energie und Anstrengung konnte da so wenig die Rede sein, daß es meist nur eine Spiegelfechterei wurde. Mit einem Wort: Haß und Feind- schaft regten den Staat nicht mehr zu persoͤnlicher Thaͤ- tigkeit an, somdern wurden ein Gegenstand seines Handels; der Krieg verlor einen großen Theil seiner Gefahr, veraͤn- derte durchaus seine Natur, und Nichts was man aus dieser Natur fuͤr ihn bestimmen kann paßte auf denselben. Das Lehnssystem zog sich nach und nach zu einer bestimmten Territorialherrschaft zusammen, der Staatsver- band wurde enger, die persoͤnlichen Verpflichtungen ver- wandelten sich in saͤchliche, das Geld trat nach und nach an die Stelle der meisten, und aus den Lehnsheeren wur- den Soͤldner. Die Condottieri machten den Übergang dazu und waren daher eine Zeitlang auch das Instru- ment der groͤßeren Staaten; es dauerte aber nicht lange, so wurde aus dem auf kurze Zeit gemietheten Soldaten ein stehender Soͤldner , und die Kriegsmacht der Staa- ten war nun auf das auf den Staatsschatz gegruͤndete stehende Heer gekommen. Daß das langsame Fortschreiten zu diesem Ziel ein mannigfaches Ineinandergreifen aller drei Arten von Kriegsmacht verursachte, ist natuͤrlich. Unter Heinrich IV. finden wir Lehnsleute, Condottieri und stehendes Heer bei- sammen. Die Condottieri haben sich bis in den 30jaͤh- rigen Krieg, ja mit einzelnen schwaͤcheren Spuren bis ins achtzehnte Jahrhundert hineingezogen. Eben so eigenthuͤmlich wie die Kriegsmacht dieser verschiedenen Zeiten war, waren es auch die uͤbrigen Ver- haͤltnisse der Staaten in Europa. Im Grunde war dieser Welttheil in eine Masse von kleinen Staaten zerfallen, die theils in sich unruhige Republiken, theils kleine in ihrer Regierungsgewalt hoͤchst beschraͤnkte und unsichere Monarchien waren. Ein solcher Staat war gar nicht als eine wahre Einheit zu betrachten, sondern als ein Agglo- merat von lockerverbundenen Kraͤften. Einen solchen Staat darf man sich also auch nicht wie eine Intelligenz denken die nach einfachen logischen Gesetzen handelt. Von diesem Gesichtspunkt aus muß man die aͤußere Politik und die Kriege des Mittelalters betrachten. Man denke nur an die bestaͤndigen Zuͤge der deutschen Kaiser nach Italien waͤhrend eines halben Jahrtausends, ohne daß je eine gruͤndliche Eroberung dieses Landes daraus folgte, oder auch nur die Absicht war. Es ist leicht, dies als einen sich immer erneuernden Fehler, als eine in der Zeit gegruͤndete falsche Ansicht zu betrachten, aber es ist vernuͤnftiger es als eine Folge von hundert großen Ursachen anzusehn in die wir uns allenfalls hinein denken koͤnnen, die wir aber darum doch nicht mit der Lebendigkeit ergreifen wie der mit ihnen im Konflikt begriffene Handelnde. So lange die großen Staaten, welche aus diesem Chaos her- vorgegangen sind, Zeit gebraucht haben sich zusammenzufuͤ- gen und auszubilden, geht ihre Kraft und Anstrengung hauptsaͤchlich nur darauf hinaus; es giebt der Kriege gegen einen aͤußern Feind weniger und die es giebt tragen das Gepraͤge des unreifen Staatsverbandes. Die Kriege der Englaͤnder gegen Frankreich treten am fruͤhesten hervor, und doch ist Frankreich damals noch nicht als eine wahre Monarchie zu betrachten, sondern als ein Agglomerat von Herzogthuͤmern und Grafschaften; England, obgleich es dabei mehr als Einheit erscheint, ficht doch mit Lehnsheeren und unter vielen inneren Unruhen. Unter Ludwig XI. thut Frankreich den staͤrksten Schritt zn seiner inneren Einheit, unter Karl VIII. erscheint es als erobernde Macht in Italien, und unter Ludwig XIV. hat es seinen Staat und sein stehendes Heer auf den hoͤchsten Grad ausgebildet. Spanien faͤngt seine Einheit unter Ferdinand dem Katholischen an, durch zufaͤllige Heirathsverbindungen entsteht ploͤtzlich unter Karl V. die große spanische Monarchie aus Spanien, Burgund, Deutschland und Italien zusammen- gesetzt. Was diesem Koloß an Einheit und innerem Staatsverbande fehlt, ersetzt er durch Geld, und die ste- hende Kriegsmacht desselben geraͤth zuerst mit der ste- henden Kriegsmacht Frankreichs in Beruͤhrung. Der große spanische Koloß zerfaͤllt nach Karls V. Abdankung in zwei Theile, Spanien und Östreich. Dies letztere tritt nun, durch Boͤhmen und Ungarn verstaͤrkt, als große Macht auf und schleppt die deutsche Konfoͤderation wie eine Scha- luppe hinter sich her. Das Ende des siebzehnten Jahrhunderts, die Zeit Ludwigs XIV. laͤßt sich als den Punkt in der Ge- schichte betrachten, wo die stehende Kriegsmacht, wie wir sie im achtzehnten Jahrhundert finden, ihre Hoͤhe erreicht hatte. Diese Kriegsmacht war auf Werbung und Geld begruͤndet. Die Staaten hatten sich zur vollkommenen Einheit ausgebildet und die Regierungen, indem sie die Leistungen ihrer Unterthanen in Geldabgaben verwandelten, ihre ganze Macht in ihren Geldkasten konzentrirt. Durch die schnell vorgeschrittene Kultur und eine sich immer mehr ausbildende Verwaltung war diese Macht, im Vergleich mit der fruͤheren, sehr groß geworden. Frankreich ruͤckte mit ein Paar Mal hunderttausend Mann stehender Trup- pen ins Feld, und nach Verhaͤltniß die uͤbrigen Maͤchte. Auch die uͤbrigen Verhaͤltnisse der Staaten hatten sich anders gestaltet. Europa war unter ein Dutzend Koͤnigreiche und ein Paar Republiken vertheilt; es war denkbar daß zwei davon einen großen Kampf mit einander kaͤmpften ohne daß zehnmal so viel andere davon beruͤhrt wurden, wie es ehedem geschehen mußte. Die moͤglichen Kombinationen der politischen Verhaͤltnisse waren immer noch sehr mannigfaltig, aber sie waren doch zu uͤber- sehen und von Zeit zu Zeit nach Wahrscheinlichkeiten fest- zustellen. Die inneren Verhaͤltnisse hatten sich fast uͤberall zu einer schlichten Monarchie vereinfacht, die staͤndischen Rechte und Einwirkungen hatten nach und nach aufgehoͤrt und das Kabinet war eine vollkommene Einheit, welche den Staat nach Außen hin vertrat. Es war also dahin ge- kommen, daß ein tuͤchtiges Instrument und ein unabhaͤn- giger Wille dem Kriege eine seinem Begriff entsprechende Gestalt geben konnte. Auch traten in dieser Epoche drei neue Alexander auf: Gustav Adolph, Karl XII. und Friedrich der Große, die es versuchten aus kleinen Staaten, vermittelst eines maͤßigen und sehr vervollkommneten Heeres, große Monar- chien zu stiften und Alles vor sich niederwerfen. Haͤtten sie es nur mit asiatischen Reichen zu thun gehabt, so wuͤr- den sie in ihrer Rolle dem Alexander aͤhnlicher geworden sein. In jedem Fall kann man sie, in Ruͤcksicht auf Das was man im Kriege wagen duͤrfte, als die Vorlaͤufer Bonapartes ansehn. Allein was der Krieg von der einen Seite an Kraft und Consequenz gewann, ging ihm auf der anderen Seite wieder verloren. Die Heere wurden aus dem Schatz unterhalten, den der Fuͤrst halb und halb wie seine Privatkasse ansah oder wenigstens wie einen der Regierung und nicht dem Volke angehoͤrigen Gegenstand. Die Verhaͤltnisse mit den andern Staaten beruͤhrten, ein Paar Handelsgegenstaͤnde ausge- nommen, meistens nur das Interesse des Schatzes oder der Regierung und nicht des Volkes; wenigstens waren uͤberall die Begriffe so gestellt. Das Kabinet sah sich also an wie den Besitzer und Verwalter großer Guͤter, die es stets zu vermehren trachtete, ohne daß die Gutsunter- thanen bei dieser Vermehrung ein sonderliches Interesse haben konnten. Das Volk also, welches bei den Tarta- renzuͤgen Alles im Kriege ist, bei den alten Republiken und im Mittelalter, wenn man den Begriff desselben ge- hoͤrig auf die eigentlichen Staatsbuͤrger beschraͤnkt, sehr Vieles gewesen war, ward bei diesem Zustand des achtzehn- ten Jahrhunderts unmittelbar Nichts, sondern hatte bloß durch seine allgemeinen Tugenden oder Fehler noch einen mittelbaren Einfluß auf den Krieg. Auf diese Weise wurde der Krieg, in eben dem Maaße wie sich die Regierung vom Volke trennte und sich als den Staat ansah, ein bloßes Geschaͤft der Regierungen, welches sie vermittelst der Thaler in ihrem Koffer und der muͤßigen Herumtreiber in ihren und den benachbarten Provinzen zu Stande brachten. Die Folge war, daß die Mittel, welche sie aufbieten konnten, ein ziemlich bestimmtes Maaß hatten, welches die eine von der andern gegenseitig uͤbersehen konnte, und zwar ein Maaß, sowohl ihrem Um- fang als ihrer Dauer nach; dies raubte dem Kriege die gefaͤhrlichste seiner Seiten: naͤmlich das Bestreben zu dem Äußersten, und die dunkle Reihe von Moͤglichkeiten die sich daran knuͤpft. Man kannte ungefaͤhr die Geldmittel, den Schatz, den Kredit seines Gegners; man kannte die Groͤße seines Heeres. Bedeutende Vermehrungen im Augenblick des Krieges waren nicht thunlich. Indem man so die Grenzen der feindlichen Kraͤfte uͤbersah, wußte man sich vor einem gaͤnzlichen Untergange ziemlich sicher, und indem man die Beschraͤnkung der eigenen fuͤhlte, sah man sich auf ein maͤßiges Ziel zuruͤckgewiesen. Vor dem Äußersten geschuͤtzt, brauchte man nicht mehr das Äußerste zu wagen. Die Nothwendigkeit trieb nicht mehr dazu, es konnte also nur der Muth und Ehrgeiz dazu treiben. Aber diese fanden in den Staatsverhaͤltnissen ein maͤchtiges Gegengewicht. Selbst die koͤniglichen Feldherren mußten behutsam mit dem Kriegsinstrumente umgehen. Wenn das Heer zer- truͤmmert wurde, so war kein neues zu beschaffen, und außer dem Heere gab es Nichts. Dies heischte große Vorsicht bei allen Unternehmungen. Nur wenn sich ein entschiedener Vortheil zu ergeben schien, machte man Ge- brauch von der kostbaren Sache; diesen herbeizufuͤhren war eine Kunst des Feldherrn; so lange aber wie er nicht her- beigefuͤhrt war, schwebte man gewissermaßen im absoluten Nichts, Nichts, es gab keinen Grund zum Handeln und alle Kraͤfte, naͤmlich alle Motive, schienen zu ruhen. Das ur- spruͤngliche Motiv des Aggressors erstarb in Vorsicht und Bedenklichkeit. So wurde der Krieg, seinem Wesen nach, ein wirk- liches Spiel, wobei Zeit und Zufall die Karten mischten; seiner Bedeutung nach war er aber nur eine etwas ver- staͤrkte Diplomatie, eine kraͤftigere Art zu unterhandeln, in der Schlachten und Belagerungen die Hauptnoten waren. Sich in einen maͤßigen Vortheil zu setzen, um beim Friedensschluß davon Gebrauch zu machen, war das Ziel auch des Ehrgeizigsten. Diese beschraͤnkte, zusammengeschrumpfte Gestalt des Krieges ruͤhrte, wie wir gesagt haben, von der schmalen Unterlage her, worauf er sich stuͤtzte. Daß aber ausge- zeichnete Feldherren und Koͤnige wie Gustav Adolph, Karl XII. und Friedrich der Große mit ebenso aus- gezeichneten Heeren nicht staͤrker aus der Masse der Totalerscheinungen hervortreten konnten, daß auch sie sich gefallen lassen mußten, in dem allgemeinen Niveau des mittelmaͤßigen Erfolges zu bleiben, lag in dem politischen Gleichgewicht Europas. Was fruͤher bei der Menge kleiner Staaten das unmittelbare, ganz natuͤrliche In- teresse, die Naͤhe, die Beruͤhrung, die verwandtschaftliche Verbindung, die persoͤnliche Bekanntschaft gethan hatte, um den einzelnen zu verhindern schnell groß zu werden, das that jetzt, wo die Staaten groͤßer und ihre Centra weiter von einander entfernt waren, die groͤßere Ausbildung der Geschaͤfte. Die politischen Interessen, Anziehungen und Abstoßungen hatten sich zu einem sehr verfeinerten System ausgebildet, so daß kein Kanonenschuß in Europa geschehen konnte, ohne daß alle Kabinette ihren Theil daran hatten. III 8 Ein neuer Alexander mußte sich also neben seinem guten Schwerte auch eine gute Feder halten, und doch brachte er es mit seinen Eroberungen selten weit. Aber auch Ludwig XIV. , obgleich er die Absicht hatte das europaͤische Gleichgewicht umzustoßen, und sich am Ende des siebzehnten Jahrhunderts schon auf dem Punkte befand, sich wenig um die allgemeine Feindschaft zu bekuͤm- mern, fuͤhrte den Krieg auf die hergebrachte Weise, denn seine Kriegsmacht war zwar die des groͤßten und reichsten Monarchen, aber ihrer Natur nach wie die der andern. Pluͤnderungen und Verheerungen des feindlichen Ge- bietes, welche bei den Tartaren, bei den alten Voͤlkern und selbst im Mittelalter eine so große Rolle spielen, waren nicht mehr im Geist der Zeit. Man sah es mit Recht wie eine unnuͤtze Rohheit an, die leicht vergolten werden konnte und den feindlichen Unterthanen mehr traf als die feindliche Regierung, daher wirkungslos blieb und nur dazu diente die Voͤlker in ihrem Kulturzustande ewig zuruͤckzuhalten. Der Krieg wurde also nicht bloß seinen Mitteln, sondern auch seinem Ziele nach immer mehr auf das Heer selbst beschraͤnkt. Das Heer mit seinen Festun- gen und einigen eingerichteten Stellungen machte einen Staat im Staate aus, innerhalb dessen sich das kriege- rische Element langsam verzehrte. Ganz Europa freute sich dieser Richtung und hielt sie fuͤr eine nothwendige Folge des fortschreitenden Geistes. Obgleich hierin ein Irrthum lag, weil das Fortschreiten des Geistes niemals zu einem Widerspruch fuͤhren, niemals machen kann daß aus zweimal zwei fuͤnf wird, wie wir schon gesagt haben und noch in der Folge sagen muͤssen: so hatte allerdings diese Veraͤnderung eine wohlthaͤtige Wirkung fuͤr die Voͤlker; nur ist nicht zu verkennen daß sie den Krieg auch noch mehr zu einem bloßen Geschaͤft der Regierung machte und dem Interesse des Volkes noch mehr entfremdete. Der Kriegsplan eines Staates bestand in dieser Zeit, wenn er der Angreifende war, meistens darin, sich einer oder der andern feindlichen Provinz zu bemaͤchtigen; wenn er der Vertheidigende war, dies zu verhindern; der einzelne Feldzugsplan: die eine oder die andere feindliche Festung zu erobern, oder die Eroberung einer eigenen zu verhin- dern; nur wenn dazu eine Schlacht unvermeidlich war, wurde sie gesucht und geliefert. Wer ohne diese Unver- meidlichkeit eine Schlacht aus bloßem innern Siegesdrange suchte, galt fuͤr einen kecken Feldherrn. Gewoͤhnlich ver- strich der Feldzug uͤber einer Belagerung, oder wenn es hoch kam, uͤber zwei, und die Winterquartiere, die wie eine neutrale Nothwendigkeit betrachtet wurden, in welchen die schlechte Verfassung des Einen niemals ein Vortheil des Andern werden konnte, in welchen die gegenseitigen Beziehungen Beider fast gaͤnzlich aufhoͤrten, ich sage die Winterquartiere bildeten eine bestimmte Abgraͤnzung der Thaͤtigkeit, welche in einem Feldzuge statthaben sollte. Waren die Kraͤfte zu sehr im Gleichgewicht oder war der Unternehmende von Beiden entschieden der Schwaͤchere, so kam es auch nicht zur Schlacht und Belagerung, und dann drehte sich die ganze Thaͤtigkeit eines Feldzuges um Erhaltung gewisser Stellungen und Magazine und die regelmaͤßige Auszehrung gewisser Gegenden. So lange der Krieg allgemein so gefuͤhrt wurde und die natuͤrlichen Beschraͤnkungen seiner Gewalt immer so nahe und sichtbar waren, fand Niemand darin etwas Widersprechendes, sondern Alles in der schoͤnsten Ordnung, und die Kritik, welche im achtzehnten Jahrhundert anfing das Feld der Kriegskunst zu besuchen, richtete sich auf das 8* Einzelne, ohne sich viel um Anfang und Ende zu bekuͤm- mern. So gab es denn Groͤße und Vollkommenheit aller Art, und selbst Feldmarschall Daun, der hauptsaͤchlich dazu beitrug daß Friedrich der Große seinen Zweck vollkommen erreichte und Maria Theresia den ihrigen vollkommen verfehlte, mußte als ein großer Feldherr angesehen werden koͤnnen. Nur hin und wieder brach ein durchgreifendes Urtheil hervor, naͤmlich der gesunde Menschenverstand, welcher meinte daß man mit seiner Übermacht etwas Po- sitives erreichen muͤsse oder den Krieg mit aller Kunst schlecht fuͤhre. So waren die Sachen als die franzoͤsische Revolution ausbrach. Östreich und Preußen versuchten es mit ihrer diplomatischen Kriegskunst; sie zeigte sich bald unzureichend. Waͤhrend man, nach der gewoͤhnlichen Art die Sachen an- zusehen, auf eine sehr geschwaͤchte Kriegsmacht sich Hoff- nung machte, zeigte sich im Jahr 1793 eine solche von der man keine Vorstellung gehabt hatte. Der Krieg war urploͤtzlich wieder eine Sache des Volkes geworden, und zwar eines Volkes von 30 Millionen die sich alle als Staatsbuͤrger betrachteten. Ohne uns hier auf die naͤheren Umstaͤnde einzulassen, von welchen diese große Erscheinung begleitet war, wollen wir nur die Resultate festhalten, auf die es hier ankommt. Mit dieser Theilnahme des Volkes an dem Kriege trat, statt eines Kabinets und eines Heeres, das ganze Volk mit seinem natuͤrlichen Gewicht in die Waagschale. Nun hatten die Mittel welche angewandt, die Anstrengungen welche aufgeboten werden konnten, keine bestimmte Grenze mehr; die Energie mit welcher der Krieg selbst gefuͤhrt werden konnte, hatte kein Gegengewicht mehr, und folglich war die Gefahr fuͤr den Gegner die aͤußerste. Wenn der ganze Revolutionskrieg daruͤber hingegangen ist, ehe sich das in seiner Staͤrke fuͤhlbar machte und zur voͤlligen Klarheit wurde, wenn nicht schon die Revolutions- generale unaufhaltsam bis ans letzte Ziel vorgeschritten sind und die europaͤischen Monarchien zertruͤmmert haben, wenn die deutschen Heere noch hin und wieder Gelegenheit gehabt haben mit Gluͤck zu widerstehen und den Sieges- strom aufzuhalten: so lag dies wirklich nur in der tech- nischen Unvollkommenheit, womit die Franzosen zu kaͤmpfen hatten und die sich anfangs bei den gemeinen Soldaten, dann bei den Generalen, dann zur Zeit des Direktoriums beim Gouvernement selbst zeigte. Wie in Bonapartes Hand sich das alles vervoll- kommnet hatte, schritt diese auf die ganze Volkskraft gestuͤtzte Kriegsmacht zertruͤmmernd durch Europa, mit einer solchen Sicherheit und Zuverlaͤssigkeit, daß, wo ihr nur die alte Heeresmacht entgegengestellt wurde, auch nicht einmal ein zweifelhafter Augenblick entstand. Die Reaction ist noch zu rechter Zeit erwacht. In Spanien ist der Krieg von selbst zur Volkssache geworden. In Östreich hat die Regierung im Jahre 1809 zuerst ungewoͤhnliche Anstrengungen mit Reserven und Landwehren gemacht, die sich dem Ziele naͤherten und Alles uͤberstiegen was dieser Staat fruͤher als thunlich geglaubt hatte. In Rußland hat man 1812 das Beispiel von Spanien und Östreich zum Muster genommen; die ungeheuern Dimensionen dieses Reichs erlaubten den verspaͤteten Anstalten noch in Wirk- samkeit zu treten und vergroͤßerten diese Wirksamkeit von der andern Seite. Der Erfolg war glaͤnzend. In Deutsch- land raffte sich Preußen zuerst auf, machte den Krieg zur Volkssache und trat mit Kraͤften auf, die, bei halb so viel Einwohnern, gar keinem Gelde und Kredit doppelt so groß waren als die von 1806. Das uͤbrige Deutschland folgte fruͤher oder spaͤter dem Beispiele Preußens, und Östreich, obgleich weniger sich anstrengend als im Jahr 1809, trat doch auch mit ungewoͤhnlicher Kraft auf. So geschah es daß Deutschland und Rußland in den Jahren 1813 und 1814, Alles mitgerechnet was in Thaͤtigkeit war und was in diesen beiden Feldzuͤgen verbraucht wurde, mit etwa einer Million Menschen gegen Frankreich auftraten. Unter diesen Umstaͤnden war auch die Energie der Kriegfuͤhrung eine andere, und wenn sie die franzoͤsische nur theilweise erreichte und auf andern Punkten die Zag- haftigkeit vorwaltete, so war doch der Gang der Feldzuͤge im Allgemeinen nicht im alten sondern im neuen Stil. In acht Monaten wurde das Kriegstheater von der Oder an die Seine versetzt, das stolze Paris mußte zum ersten Mal sein Haupt beugen und der furchtbare Bonaparte lag gefesselt am Boden. Seit Bonaparte also hat der Krieg, indem er zuerst auf der einen Seite, dann auch auf der andern wieder Sache des ganzen Volkes wurde, eine ganz andere Natur ange- nommen, oder vielmehr er hat sich seiner wahren Natur, seiner absoluten Vollkommenheit sehr genaͤhert. Die Mittel welche aufgeboten worden sind, hatten keine sichtbare Grenze, sondern diese verlor sich in der Energie und dem Enthu- siasmus der Regierungen und ihrer Unterthanen. Die Energie der Kriegfuͤhrung war durch den Umfang der Mittel und das weite Feld moͤglichen Erfolgs, so wie durch die starke Anregung der Gemuͤther ungemein erhoͤht worden, das Ziel des kriegerischen Aktes war Niederwer- fung des Gegners; nur dann erst, wenn er ohnmaͤchtig zu Boden liege, glaubte man innehalten und sich uͤber die gegenseitigen Zwecke verstaͤndigen zu koͤnnen. So war also das kriegerische Element, von allen kon- ventionellen Schranken befreit, mit seiner ganzen natuͤrlichen Kraft losgebrochen. Die Ursache war die Theilnahme welche den Voͤlkern an dieser großen Staatsangelegenheit wurde; und diese Theilnahme entsprang theils aus den Verhaͤltnissen welche die franzoͤsische Revolution in dem Innern der Laͤnder herbeigefuͤhrt hatte, theils aus der Gefahr womit alle Voͤlker von dem franzoͤsischen bedroht waren. Ob es nun immer so bleiben wird, ob alle kuͤnftigen Kriege in Europa immer mit dem ganzen Gewicht der Staaten und folglich nur um große, den Voͤlkern nahe liegende Interessen gefuͤhrt sein werden oder ob nach und nach wieder eine Absonderung der Regierung von dem Volke eintreten wird, duͤrfte schwer zu entscheiden sein und am wenigsten wollen wir uns eine solche Entscheidung anmaßen. Aber man wird uns Recht geben wenn wir sagen daß Schranken, die gewissermaßen nur in der Be- wußtlosigkeit dessen was moͤglich sei lagen, wenn sie einmal eingerissen sind, sich nicht leicht wieder aufbauen lassen, und daß, wenigstens jedesmal so oft ein großes Interesse zur Sprache kommt, die gegenseitige Feindschaft sich auf die Art erledigen wird wie es in unsern Tagen geschehen ist. Wir schließen hier unsern geschichtlichen Überblick, den wir nicht angestellt haben um fuͤr jede Zeit in der Geschwindigkeit ein Paar Grundsaͤtze der Kriegfuͤhrung anzugeben, sondern nur um zu zeigen wie jede Zeit ihre eigenen Kriege, ihre eigenen beschraͤnkenden Bedingungen, ihre eigene Befangenheit hatte. Jede wuͤrde also auch ihre eigene Kriegstheorie behalten, selbst wenn man uͤberall, fruͤh und spaͤt, aufgelegt gewesen waͤre sie nach philosophi- schen Grundsaͤtzen zu bearbeiten. Die Begebenheiten jeder Zeit muͤssen also mit Ruͤcksicht auf ihre Eigenthuͤmlichkeiten beurtheilt werden, und nur der, welcher nicht sowohl durch ein aͤngstliches Studium aller kleinen Verhaͤltnisse als durch einen treffenden Blick auf die großen, sich in jede Zeit versetzt, ist im Stande die Feldherrn derselben zu verstehen und zu wuͤrdigen. Aber diese nach den eigenthuͤmlichen Verhaͤltnissen der Staaten und der Kriegsmacht bedingte Kriegfuͤhrung muß doch etwas noch Allgemeineres oder vielmehr etwas ganz Allgemeines in sich tragen, mit welchem vor Allem die Theorie es zu thun haben wird. Die letzte Zeit, wo der Krieg seine absolute Gewalt erreicht hatte, hat des allgemein Guͤltigen und Nothwen- digen am meisten. Aber es ist eben so unwahrscheinlich daß die Kriege fortan alle diesen großartigen Charakter haben werden, als daß sich je die weiten Schranken, welche ihnen geoͤffnet worden sind, ganz wieder schließen koͤnnen. Man wuͤrde also mit einer Theorie, die nur in diesem ab- soluten Kriege verweilte, alle Faͤlle wo fremdartige Ein- fluͤsse seine Natur veraͤndern entweder ausschließen oder als Fehler verdammen. Dies kann nicht der Zweck der Theorie sein, die die Lehre eines Krieges, nicht unter idea- len, sondern unter wirklichen Verhaͤltnissen sein soll. Die Theorie wird also, indem sie ihren pruͤfenden, scheidenden und ordnenden Blick auf die Gegenstaͤnde wirft, immer die Verschiedenartigkeit der Verhaͤltnisse im Auge haben, von welchen der Krieg ausgehn kann, und sie wird also die großen Lineamente desselben so angeben daß das Be- duͤrfniß der Zeit und des Augenblicks darin seinen Platz finde. Hiernach muͤssen wir sagen daß das Ziel welches sich der Kriegsunternehmer setzt, die Mittel welche er aufbietet, sich nach den ganz individuellen Zuͤgen seiner Lage richten, daß sie aber eben den Charakter der Zeit und der allge- meinen Verhaͤltnisse an sich tragen werden, endlich daß sie den allgemeinen Folgerungen welche aus der Natur des Krieges gezogen werden muͤssen, un- terworfen bleiben . Viertes Kapitel. Naͤhere Bestimmungen des kriegerischen Ziels. Niederwerfung des Feindes . Das Ziel des Krieges sollte nach seinem Begriff stets die Niederwerfung des Gegners sein; dies ist die Grundvorstellung von der wir ausgehen. Was ist nun diese Niederwerfung? Nicht immer ist die ganze Eroberung des feindlichen Staates dazu noͤ- thig. Waͤre man im Jahre 1792 nach Paris gekommen, so war, nach aller menschlichen Wahrscheinlichkeit, der Krieg mit der Revolutionsparthei vor der Hand geendigt; es war nicht einmal noͤthig ihre Heere vorher zu schlagen, denn diese Heere waren noch nicht als einzige Potenz zu betrachten. Im Jahre 1814 hingegen wuͤrde man auch mit Paris nicht Alles erreicht haben, sobald Bonaparte noch an der Spitze eines betraͤchtlichen Heeres geblieben waͤre; da aber sein Heer groͤßtentheils aufgerieben war, so entschied auch in den Jahren 1814 und 1815 die Ein- nahme von Paris Alles. Haͤtte Bonaparte im Jahre 1812 das russische Heer von 120,000 Mann, welches auf der Straße von Caluga stand, vor oder nach der Einnahme von Moskau gehoͤrig zertruͤmmern koͤnnen, wie er 1805 das oͤstreichische und 1806 das preußische Heer zertruͤmmert hat, so wuͤrde der Besitz jener Hauptstadt hoͤchst wahr- scheinlich den Frieden herbei gefuͤhrt haben, obgleich noch ein ungeheurer Landstrich zu erwerben blieb. Im Jahre 1805 entschied die Schlacht von Austerlitz; es war also der Besitz von Wien und zwei Dritteln der oͤstreichischen Staaten nicht hinreichend den Frieden zu gewinnen; von der andern Seite aber war auch nach jener Schlacht die Integritaͤt von ganz Ungarn nicht hinreichend ihn zu verhin- dern. Die Niederlage des russischen Heeres war der letzte Stoß der erforderlich war; der Kaiser Alexander hatte kein anderes in der Naͤhe und so war der Friede eine unzweifelhafte Folge des Sieges. Haͤtte sich die russische Armee schon an der Donau bei den Östreichern befunden und die Niederlage derselben getheilt, so waͤre wahrschein- lich die Eroberung Wiens gar nicht erforderlich gewesen und der Friede schon in Linz geschlossen. In andern Faͤllen reicht die vollstaͤndige Eroberung des Staates nicht hin, wie im Jahr 1807 in Preußen, wo der Stoß gegen die russische Huͤlfsmacht in dem zweifelhaften Siege von Eilau nicht entschieden genug gewesen war, und der unzweifelhafte Sieg bei Friedland werden mußte was der Sieg bei Austerlitz ein Jahr vorher gewesen war. Wir sehen, auch hier laͤßt sich der Erfolg nicht aus allgemeinen Ursachen bestimmen; die individuellen, die kein Mensch uͤbersieht der nicht zur Stelle ist, und viele mora- lische, die nie zur Sprache kommen, selbst die kleinsten Zuͤge und Zufaͤlle, die sich in der Geschichte nur als Anek- doten zeigen, sind oft entscheidend. Was sich die Theorie hier sagen kann ist Folgendes: Es kommt darauf an die vorherrschenden Verhaͤltnisse beider Staaten im Auge zu haben. Aus ihnen wird sich ein gewisser Schwerpunkt, ein Centrum der Kraft und Bewegung bilden, von wel- chem das Ganze abhaͤngt, und auf diesen Schwerpunkt des Gegners muß der gesammelte Stoß aller Kraͤfte ge- richtet sein. Das Kleine haͤngt stets vom Großen ab, das Un- wichtige von dem Wichtigen, das Zufaͤllige von dem We- sentlichen. Dies muß unsern Blick leiten. Alexander, Gustav Adolph, Karl XII. , Friedrich der Große hatten ihren Schwerpunkt in ihrem Heer, waͤre dies zertruͤmmert worden, so wuͤrden sie ihre Rolle schlecht ausgespielt haben; bei Staaten, die durch innere Partheiun- gen zerrissen sind, liegt er meistens in der Hauptstadt; bei kleinen Staaten, die sich an maͤchtige stuͤtzen, liegt er im Heer dieser Bundesgenossen; bei Buͤndnissen liegt er in der Einheit des Interesses; bei Volksbewaffnung in der Person der Hauptfuͤhrer und in der oͤffentlichen Mei- nung. Gegen diese Dinge muß der Stoß gerichtet sein. Hat der Gegner dadurch das Gleichgewicht verloren, so muß ihm keine Zeit gelassen werden es wieder zu gewinnen; der Stoß muß immer in dieser Richtung fortgesetzt wer- den, oder mit andern Worten, der Sieger muß ihn immer ganz und das Ganze nicht gegen einen Theil des Gegners richten. Nicht indem man mit gemuͤthlicher Ruhe und Übermacht eine feindliche Provinz erobert und den mehr gesicherten Besitz dieser kleinen Eroberung großen Erfolgen vorzieht, sondern indem man den Kern der feindlichen Macht immer wieder aufsucht, das Ganze daran setzt um das Ganze zu gewinnen, wird man den Gegner wirklich zu Boden werfen. Was aber auch das Hauptverhaͤltniß des Gegners sein mag, wogegen unsere Wirksamkeit zu richten ist, so bleibt doch die Besiegung und Zerstoͤrung seiner Streitkraft der sicherste Anfang und in allen Faͤllen ein sehr wesent- liches Stuͤck. Wir glauben daher daß nach der Masse der Erfah- rungen folgende Umstaͤnde die Niederwerfung des Gegners hauptsaͤchlich ausmachen: 1. Zertruͤmmerung seines Heeres, wenn es einigermaßen eine Potenz bildet. 2. Einnahme der feindlichen Hauptstadt, wenn sie nicht bloß der Mittelpunkt der Staatsgewalten, sondern auch der Sitz politischer Koͤrper und Partheiun- gen ist. 3. Ein wirksamer Stoß gegen den hauptsaͤchlichsten Bundesgenossen, wenn dieser an sich bedeutender ist als der Gegner. Wir haben uns bis jetzt den Gegner im Kriege immer als Einheit gedacht, welches fuͤr die allgemeinsten Beziehungen zulaͤssig war. Aber nachdem wir gesagt haben daß die Niederwerfung des Gegners in der Überwindung seines im Schwerpunkt vereinigten Widerstandes liegt, muͤssen wir diese Voraussetzung verlassen und den Fall unterscheiden wo wir es mit mehr als einem Gegner zu thun haben. Wenn sich zwei oder mehrere Staaten gegen einen dritten verbinden, so bildet das, politisch genommen, nur einen Krieg; indessen hat auch diese politische Einheit ihre Grade. Die Frage ist: ob jeder Staat ein selbststaͤndiges Interesse und eine selbststaͤndige Kraft dasselbe zu verfolgen besitzt, oder ob sich die Interessen und die Kraͤfte der uͤbrigen nur an das Interesse und die Kraft des einen unter ihnen anlehnen. Je mehr dies Letztere der Fall ist, um so leichter lassen sich die verschiedenen Gegner fuͤr uns als ein einziger betrachten, um so eher koͤnnen wir unsere Hauptunternehmung zu einem Hauptstoß vereinfachen; und so lange dies irgend moͤglich ist, bleibt es das durchgrei- fendste Mittel zum Erfolg. Wir wuͤrden also den Grundsatz aufstellen, daß, so lange wir im Stande sind die uͤbrigen Gegner in einem zu besiegen, die Niederwerfung dieses einen das Ziel des Krieges sein muß, weil wir in diesem einen den gemein- schaftlichen Schwerpunkt des ganzen Krieges treffen. Es giebt sehr wenig Faͤlle wo diese Vorstellungsart nicht zulaͤssig, wo diese Reduction mehrerer Schwerpunkte auf einen ohne Realitaͤt waͤre. Wo dies aber nicht ist, bleibt freilich Nichts uͤbrig als den Krieg wie zwei oder mehrere zu betrachten, wovon jeder sein eigenes Ziel hat. Da dieser Fall die Selbststaͤndigkeit mehrerer Feinde, folg- lich die große Überlegenheit aller voraussetzt, so wird darin von Niederwerfung des Gegners uͤberhaupt nicht die Rede sein koͤnnen. Wir wenden uns nun bestimmter zu der Frage, wann ein solches Ziel moͤglich und rathsam ist. Zuerst muß unsere Streitkraft hinreichend sein: 1. einen entscheidenden Sieg uͤber die feindliche zu er- halten; 2. den Kraftaufwand zu machen welcher noͤthig ist wenn wir den Sieg bis auf den Punkt verfolgen wo die Herstellung des Gleichgewichts nicht mehr denkbar ist. Sodann muͤssen wir nach unserer politischen Lage sicher sein durch einen solchen Erfolg nicht Feinde zu erwecken, die uns auf der Stelle zwingen koͤnnen von dem ersten Gegner abzulassen. Frankreich konnte im Jahr 1806 Preußen voͤllig niederwerfen, wenn es sich auch dadurch die ganze russische Kriegsmacht auf den Hals zog, denn es war im Stande sich in Preußen gegen Rußland zu wehren. Eben das konnte Frankreich 1808 in Spanien in Beziehung auf England, aber nicht in Beziehung auf Östreich. Es mußte 1809 sich in Spanien betraͤchtlich schwaͤchen und wuͤrde es ganz haben aufgeben muͤssen, wenn es nicht gegen Östreich schon eine zu große physische und moralische Überlegenheit gehabt haͤtte. Jene drei Instanzen muß man sich also wohl uͤber- legen, um nicht vor der letzten den Prozeß zu verlieren den man vor den fruͤheren gewonnen hat und dann in die Kosten verurtheilt zu werden. Bei dieser Überlegung der Kraͤfte und dessen was damit ausgerichtet werden kann, stellt sich haͤufig der Ge- danke ein, nach einer dynamischen Analogie, die Zeit als einen Faktor der Kraͤfte anzusehen und zu meinen: die halbe Anstrengung, die halbe Summe von Kraͤften wuͤrde hinreichen in zwei Jahren Das zu Stande zu bringen was in einem nur mit dem Ganzen errungen werden konnte. Diese Ansicht, welche, bald klar bald dunkel, den kriegerischen Entwuͤrfen zum Grunde liegt, ist durchaus falsch. Der kriegerische Akt braucht seine Zeit wie jedes Ding auf Erden; man kann nicht in acht Tagen zu Fuß von Wilna nach Moskau gehen, das versteht sich; aber von einer Wechselwirkung zwischen Zeit und Kraft, wie sie in der Dynamik statt findet, ist hier keine Spur. Die Zeit ist beiden Kriegfuͤhrenden noͤthig und es fraͤgt sich nur: welcher von beiden wird, seiner Stellung nach, am ersten besondere Vortheile von ihr zu er- warten haben; dies aber ist, die Eigenthuͤmlichkeit des einen Falles gegen den andern aufgewogen, offenbar der Unterliegende; freilich nicht nach dynamischen, aber nach psychologischen Gesetzen. Neid, Eifersucht, Besorgniß, auch wohl hin und wieder Edelmuth sind die natuͤrlichen Fuͤr- sprecher des Ungluͤcklichen, sie werden ihm auf der einen Seite Freunde erwecken, auf der andern das Buͤndniß seiner Feinde schwaͤchen und trennen. Es wird sich also mit der Zeit eher fuͤr den Eroberten etwas Vortheilhaftes ergeben als fuͤr den Erobernden. Ferner ist zu bedenken daß die Benutzung eines ersten Sieges, wie wir anderswo gezeigt haben, einen großen Kraftaufwand erfordert; dieser will nicht bloß gemacht, er will wie ein großer Hausstand unterhalten sein; nicht immer sind die Staatskraͤfte, welche uns den Besitz feindlicher Provinzen zugefuͤhrt, hinreichend, diese Mehrausgaben auszugleichen, nach und nach wird die Anstrengung schwieriger, zuletzt kann sie unzureichend werden, die Zeit also von selbst einen Umschwung herbeifuͤhren. Was Bonaparte im Jahr 1812 von Russen und Polen an Geld und andern Mitteln zog, konnte ihm das Hunderttausende von Menschen verschaffen, die er haͤtte nach Moskau senden muͤssen um sich zu behaupten? Sind die eroberten Provinzen aber bedeutend genug, liegen in ihnen Punkte die fuͤr die nicht eroberten wesent- lich sind, so daß das Übel wie ein Krebsschaden von selbst weiter frißt: so ist es freilich moͤglich daß der Erobernde bei diesem Zustande, wenn auch Nichts weiter geschieht, mehr gewinnt als verliert. Wenn nun keine Huͤlfe von Außen kommt, so kann die Zeit das angefangene Werk vollenden; was noch nicht erobert war, wird vielleicht von selbst nachfallen. So kann also die Zeit auch ein Faktor seiner Kraͤfte werden, aber dies ist der Fall wo dem Un- terliegenden kein Ruͤckstoß mehr moͤglich, wo ein Umschwung nicht mehr denkbar war, und wo also dieser Faktor seiner Kraͤfte fuͤr den Eroberer keinen Werth mehr hat; denn er hat die Hauptsache gethan, die Gefahr der Kulmination war voruͤber, mit einem Wort, der Gegner war schon niedergeworfen. Wir haben durch dieses Raisonnement klar machen wollen, daß keine Eroberung schnell genug vollendet werden kann; daß ihre Vertheilung auf einen groͤßeren Zeit- raum , als absolut noͤthig um die Handlung zu vollbringen, sie nicht erleichtert, sondern erschwert . Ist diese Behauptung richtig, so ist es auch die: daß, wenn man uͤberhaupt stark genug ist eine gewisse Eroberung zu voll- bringen, man es auch sein muͤsse um sie in einem Zuge zu machen, ohne Zwischenstation. Daß unbedeutende Ruhe- punkte, um die Kraͤfte zu sammeln, um eine und die andere Maaßregel zu treffen, hier nicht gemeint sind, versteht sich von selbst. Mit dieser Ansicht, die dem Angriffskriege einen Charakter des raschen unaufhaltsamen Entscheidens als wesentlich beilegt, glauben wir diejenige Meinung in ihren Quellen umgangen zu haben, die der unverhaltenen fortschreitenden Eroberung eine langsame, sogenannte metho- dische als mehr gesichert und vorsichtiger gegenuͤberstellt. Aber unsere Behauptung hat vielleicht selbst fuͤr Diejenigen, die uns willig bis zu ihr gefolgt sind, hinterher so sehr das Ansehn einer paradoxen, ist dem ersten Anschein so sehr entgegen, und greift eine Meinung an, die als ein altes Vorurtheil so tief gewurzelt, in Buͤchern tausendmal wiederholt worden ist, daß wir es fuͤr gerathen halten, die Scheingruͤnde welche uns entgegentreten naͤher zu un- tersuchen. Freilich ist es leichter ein nahes Ziel zu erreichen als ein entferntes; aber wenn das nahe unserer Absicht nicht entspricht, so folgt noch nicht daß ein Abschnitt, ein Ruhe- punkt punkt uns in den Stand setzt, die zweite Haͤlfte des Weges leichter zu durchlaufen. Ein kleiner Sprung ist leichter als ein großer, aber darum wird doch Niemand, der uͤber einen breiten Graben setzen will, zuerst mit einem halben Sprung hineinspringen. Wenn wir naͤher ins Auge fassen, was dem Begriff eines sogenannten methodischen Angriffskrieges zum Grunde liegt, so sind es gewoͤhnlich folgende Gegenstaͤnde: 1. Eroberung der feindlichen Festungen, auf welche man stoͤßt; 2. Aufhaͤufung noͤthiger Vorraͤthe; 3. Befestigung wichtiger Punkte, als: Niederlagen, Bruͤcken, Stellungen u. s. w.; 4. Ausruhen der Kraͤfte im Winter und Erholungs- quartiere; 5. Abwarten der Verstaͤrkungen des folgenden Jahres; Setzt man zur Erreichung aller dieser Zwecke einen foͤrmlichen Abschnitt im Laufe des Angriffs, einen Ruhe- punkt in der Bewegung fest, so glaubt man eine neue Basis und neue Kraͤfte zu gewinnen, als ruͤckte der eigene Staat hinter seiner Armee her, und als erhielte diese mit jedem neuen Feldzuge eine neue Schwungkraft. Alle diese preislichen Zwecke moͤgen den Angriffskrieg bequemer machen, aber sie machen ihn nicht in seinen Fol- gen sicherer, und sind meistens nur Scheinbenennungen fuͤr gewisse Gegengewichte im Gemuͤthe des Feldherrn oder in der Unentschlossenheit des Kabinets. Wir wollen sie vom linken Fluͤgel her aufzurollen suchen. 1. Das Abwarten neuer Kraͤfte ist eben so gut, und man kann wohl sagen, mehr der Fall des Gegners. Außerdem liegt es in der Natur der Sache daß ein Staat an Streitkraͤften in einem Jahr ziemlich III 9 dasselbe aufstellen kann, was er in zweien aufstellt; denn was ihm in diesem zweiten Jahre an Staats- kraͤften wirklich zuwaͤchst, ist im Verhaͤltniß zum Ganzen nur sehr unbedeutend. 2. Eben so ruht der Gegner sich mit uns zu gleicher Zeit aus. 3. Die Befestigung von Staͤdten und Stellungen ist nicht das Werk des Heeres, und also kein Grund zum Aufenthalt. 4. Wie die Heere sich jetzt verpflegen, sind Magazine mehr noͤthig wenn sie still stehen, als wenn sie im Vorschreiten sind. So lange dies gluͤcklich von statten geht, kommt man immer in den Besitz feind- licher Vorraͤthe, die da aushelfen wo die Gegend arm ist. 5. Die Eroberung der feindlichen Festungen kann nicht als ein Innehalten des Angriffs betrachtet werden, es ist ein intensives Vorschreiten, und also der da- durch veranlaßte aͤußere Stillstand nicht eigentlich der Fall wovon wir sprechen, nicht ein Aufhalten und Ermaͤßigen der Kraft. Ob aber die wirkliche Belagerung oder eine bloße Einschließung oder gar eine bloße Beobachtung des Einen oder Andern das Zweckmaͤßigste ist, bleibt eine Frage die erst nach den besonderen Umstaͤnden entschieden werden kann. Nur das koͤnnen wir allgemein sagen, daß bei der Beantwortung dieser Frage lediglich die andere ent- scheiden muß: ob man durch die bloße Einschließung und weiteres Vorschreiten in zu große Gefahr kommen wuͤrde. Wo das nicht ist, wo noch Raum zum Aus- breiten der Kraͤfte ist, da thut man besser, die foͤrmliche Belagerung bis ans Ende der ganzen An- griffsbewegung aufzusparen. Man muß sich also nicht durch den Gedanken verfuͤhren lassen, das Eroberte recht schnell in Sicherheit zu bringen, bei Seite zu legen, und daruͤber Wichtigeres versaͤumen. Es hat freilich das Ansehen als ob man beim wei- tern Vorschreiten das Errungene gleich wieder aufs Spiel setzte; — — Wir glauben also daß im Angriffskriege kein Ab- schnitt, kein Ruhepunkt, keine Zwischenstation naturgemaͤß ist, sondern daß man sie, wo sie unvermeidlich sind, als Übel betrachten muß, die den Erfolg nicht gewisser son- dern ungewisser machen, ja daß, wenn wir uns streng an die allgemeine Wahrheit halten wollen, es von einem Stationspunkt aus, den wir aus Schwaͤche haben suchen muͤssen, in der Regel keinen zweiten Anlauf zum Ziele giebt, daß, wenn dieser zweite Anlauf moͤglich ist, die Station nicht nothwendig war, und daß, wo ein Ziel fuͤr die Kraͤfte von Hause aus zu weit ist, es auch immer zu weit bleiben wird. Wir sagen, so sieht die allgemeine Wahrheit aus, und wollen damit nur die Idee entfernen, als koͤnne die Zeit an und fuͤr sich etwas zum Besten der Angreifenden thun. Da sich aber von einem Jahre zum andern die politischen Verhaͤltnisse aͤndern koͤnnen, so werden darum allein schon haͤufig Faͤlle vorkommen, die sich dieser allge- gemeinen Wahrheit entziehen. Es hat vielleicht das Ansehn als haͤtten wir unsern allgemeinen Gesichtspunkt verloren und nur den Angriffs- krieg im Auge gehabt; dies ist aber gar nicht unsere Meinung. Freilich wird derjenige, welcher sich die voͤllige Niedermachung seines Gegners zum Ziel setzen kann, nicht leicht in dem Falle sein zur Vertheidigung seine Zuflucht 9* zu nehmen, deren naͤchstes Ziel nur die Erhaltung des Besitzes ist; allein da wir durchaus dabei beharren muͤssen, eine Vertheidigung ohne alles positive Prinzip in der Strategie wie in der Taktik fuͤr einen inneren Wider- spruch zu erklaͤren, und also immer wieder darauf zuruͤck- kommen daß jede Vertheidigung nach Kraͤften suchen wird zum Angriff uͤberzugehen, sobald sie die Vortheile der Vertheidigung genossen hat: so muͤssen wir unter das Ziel, welches dieser Angriff haben kann und welches als das eigentliche Ziel der Vertheidigung zu betrachten ist, wie groß oder wie klein es sei, doch auch moͤglicher Weise die Niederwerfung des Feindes aufnehmen und sagen, daß es Faͤlle geben kann wo der Kriegfuͤhrende, ungeachtet er ein so großes Ziel im Auge hatte, es doch vorzog sich anfangs der vertheidigenden Form zu bedienen. Daß diese Vorstellung nicht ohne Realitaͤt sei, laͤßt sich durch den Feldzug von 1812 leicht beweisen. Der Kaiser Alexander hat vielleicht nicht daran gedacht, durch den Krieg, in welchen er sich einließ, seinen Gegner ganz zu Grunde zu richten, wie es nachher geschehen ist, aber waͤre ein solcher Gedanke unmoͤglich gewesen? und wuͤrde es nicht dabei immer sehr natuͤrlich geblieben sein daß die Russen den Krieg vertheidigungsweise anfingen? Fünftes Kapitel. Fortsetzung. Beschraͤnktes Ziel Wir haben im vorigen Kapitel gesagt, wie wir unter Niederwerfung des Feindes das eigentliche absolute Ziel des kriegerischen Aktes verstehen, wenn wir es fuͤr zulaͤssig halten; jetzt wollen wir betrachten was uͤbrig bleibt wenn die Bedingungen der Zulaͤssigkeit nicht erfuͤllt sind. Diese Bedingungen setzen eine große physische oder moralische Überlegenheit oder einen großen Unternehmungs- geist, einen Hang zu großen Wagnissen voraus. Wo nun dies Alles nicht ist, kann das Ziel des kriegerischen Aktes nur von zweierlei Art sein: entweder die Eroberung irgend eines kleinen oder maͤßigen Theils der feindlichen Laͤnder, oder das Erhalten des eigenen bis zu besseren Augenblicken; dies Letztere ist der gewoͤhnliche Fall des Vertheidigungs- krieges. Wo das Eine oder das Andere von rechter Art sei, daran erinnert uns schon der Ausdruck welchen wir bei dem Letzten gebraucht haben. Das Abwarten bis zu besseren Augenblicken setzt voraus daß wir von der Zukunft dergleichen zu erwarten haben, und es ist also dieses Abwarten, d. h. der Vertheidigungskrieg, allemal durch diese Aussicht motivirt; dagegen ist allemal der An- griffskrieg, d. h. die Benutzung des gegenwaͤrtigen Augen- genblicks da geboten, wo die Zukunft nicht uns sondern dem Feinde bessere Aussichten gewaͤhrt. Der dritte Fall, welcher vielleicht der gewoͤhnlichste ist, wuͤrde der sein wo beide Theile von der Zukunft nichts Be- stimmtes zu erwarten haben, wo also aus ihr auch kein Be- stimmungsgrund genommen werden kann. In diesem Fall ist der Angriffskrieg offenbar demjenigen geboten der politisch der Angreifende ist, d. h. der den positiven Grund hat; denn fuͤr diesen Zweck hat er sich bewaffnet, und alle Zeit, die ver- loren geht ohne hinreichendes Motiv, geht ihm verloren. Wir haben hier aus Gruͤnden fuͤr den Angriffs- oder Vertheidigungskrieg entschieden, die mit dem Machtverhaͤlt- niß weiter nichts zu thun haben, und es koͤnnte doch viel natuͤrlicher scheinen, dies wohl hauptsaͤchlich von dem Machtverhaͤltniß abhaͤngen zu lassen; wir glauben aber daß man gerade dann vom rechten Wege abkommen wuͤrde. Die logische Richtigkeit unserer so einfachen Schlußfolge wird Niemand bestreiten, wir wollen nun sehen ob sie im konkreten Falle ad absurdum fuͤhrt. Denken wir uns einen kleinen Staat der mit sehr uͤberlegenen Kraͤften in Conflict gerathen ist, aber voraus- sieht daß sich seine Lage mit jedem Jahre verschlimmern wird: muß er nicht, wenn er den Krieg nicht vermeiden kann, die Zeit benutzen wo seine Lage noch weniger schlimm ist? Er muß also angreifen; aber nicht weil der Angriff an sich ihm Vortheile gewaͤhrte, er wird vielmehr die Un- gleichheit der Kraͤfte noch vergroͤßern, sondern weil er das Beduͤrfniß hat die Sache entweder ganz zu entledigen ehe die schlimmen Perioden eintreten oder sich wenigstens einst- weilen Vortheile zu erringen, von denen er nachher zehren kann. Diese Lehre kann nicht absurd scheinen. Waͤre dieser kleine Staat ganz sicher daß die Gegner gegen ihn vor- schreiten werden, dann kann und mag er sich der Verthei- digung gegen sie zu Erringung seines ersten Erfolgs be- dienen, er ist dann nicht in Gefahr Zeit zu verlieren. Ferner, denken wir uns einen kleinen Staat mit einem groͤßeren im Kriege begriffen und die Zukunft ohne allen Einfluß auf ihre Entschluͤsse, so muͤssen wir doch, wenn der kleine Staat politisch der Angreifende ist, von ihm auch fordern daß er zu seinem Ziel vorschreite. Hat er die Keckheit gehabt sich gegen einen maͤchti- gern den positiven Zweck vorzusetzen, so muß er auch han- deln, d. h. den Gegner angreifen, wenn dieser ihm nicht die Muͤhe erspart. Das Abwarten waͤre eine Absurditaͤt; es muͤßte denn sein daß er seinen politischen Entschluß im Augenblick der Ausfuͤhrung geaͤndert haͤtte, ein Fall der haͤufig vorkommt und nicht wenig dazu beitraͤgt den Krie- gen einen unbestimmten Charakter zu geben, aus dem der Philosoph nicht weiß was er machen soll. Unsere Betrachtung uͤber das beschraͤnkte Ziel fuͤhrt uns zu dem Angriffskrieg mit einem solchen und zum Ver- theidigungskrieg; wir wollen beide in besonderen Kapiteln betrachten. Vorher aber muͤssen wir uns noch nach einer andern Seite hinwenden. Wir haben die Modifikation des kriegerischen Ziels bis jetzt bloß aus den inneren Gruͤnden abgeleitet. Die Natur der politischen Absicht haben wir nur in Betracht gezogen in sofern sie etwas Positives will oder nicht. Alles Übrige in der politischen Absicht ist im Grunde fuͤr den Krieg selbst etwas Fremdes, allein wir haben im zwei- ten Kapitel des ersten Buches (Zweck und Mittel im Kriege) bereits eingeraͤumt daß die Natur des politischen Zweckes, die Groͤße unserer oder der feindlichen Forderung und unser ganzes politisches Verhaͤltniß faktisch den entscheidendsten Einfluß auf die Kriegfuͤhrung behauptet, und wir wollen daher im folgenden Kapitel uns damit noch besonders be- schaͤftigen. Sechstes Kapitel . A. Einfluß des politischen Zweckes auf das kriegerische Ziel . Niemals wird man sehn daß ein Staat der in der Sache eines andern auftritt diese so ernsthaft nimmt wie seine eigene. Eine maͤßige Huͤlfsarmee wird vorgesandt; ist sie nicht gluͤcklich, so sieht man die Sache ziemlich als abgemacht an und sucht so wohlfeil als moͤglich herauszu- kommen. Es ist in der europaͤischen Politik eine hergebrachte Sache daß die Staaten sich in Schutz- und Trutzbuͤnd- nissen zu gegenseitigem Beistand verpflichten, aber nicht so als wenn die Feindschaft und das Interesse des Einen dadurch eben das fuͤr den Andern werden sollte, sondern indem sie sich einander, ohne Ruͤcksicht auf den Gegenstand des Krieges und die Anstrengungen des Gegners, im Vor- aus eine bestimmte, gewoͤhnlich sehr maͤßige Kriegsmacht zusagen. Bei einem solchen Akt der Bundesgenossenschaft betrachtet sich der Bundesgenosse mit dem Gegner nicht in einem eigentlichen Krieg begriffen, der nothwendig mit einer Kriegserklaͤrung anfangen und mit einem Friedens- schluß endigen muͤßte. Aber auch dieser Begriff besteht nirgend mit einiger Schaͤrfe und der Gebrauch schwankt hin und her. Die Sache wuͤrde eine Art von innerem Zusammen- hang haben und die Theorie des Krieges weniger in Ver- legenheit dabei kommen, wenn diese zugesagte Huͤlfe von 10-, 20- oder 30,000 Mann dem im Kriege begriffenen Staate voͤllig uͤberlassen wuͤrde, so daß er sie nach seinem Beduͤrfniß brauchen koͤnnte; alsdann waͤre sie wie eine gemiethete Truppe zu betrachten. Allein davon ist der Gebrauch weit entfernt. Gewoͤhnlich haben die Huͤlfstrup- pen ihren eigenen Feldherrn, der nur von seinem Hofe abhaͤngt und dem dieser ein Ziel steckt wie es sich mit der Halbheit seiner Absichten am besten vertraͤgt. Aber selbst dann, wenn zwei Staaten wirklich krieg- fuͤhrende gegen einen dritten sind, heißt es nicht immer: wir muͤssen diesen dritten als unsern Feind ansehn den wir vernichten muͤssen damit er uns nicht vernichte, sondern die Sache wird oft wie ein Handelsgeschaͤft abgemacht; ein jeder legt, nach Verhaͤltniß der Gefahr die er zu be- stehen und der Vortheile die er zu erwarten hat, eine Aktie von 30- bis 40,000 Mann ein und thut als koͤnne er Nichts als diese dabei verlieren. Dieser Gesichtspunkt findet nicht bloß dann statt wenn ein Staat dem andern in einer Angelegenheit beispringt die ihm ziemlich fremd ist, sondern selbst dann wenn beide ein gemeinsames großes Interesse haben, kann es ohne diplomatischen Ruͤckhalt nicht abgehn, und die Unter- handelnden pflegen sich nur zu einem geringen traktatenmaͤ- ßigen Beistand zu verstehen, um das Übrige ihrer kriege- rischen Kraͤfte nach den besonderen Ruͤcksichten zu gebrau- chen, zu welchen die Politik etwa fuͤhren koͤnnte. Diese Art den Buͤndnißkrieg zu betrachten war ganz allgemein, und hat nur in der neuesten Zeit, wo die aͤußerste Ge- fahr die Gemuͤther in die natuͤrlichen Wege hineintrieb, wie gegen Bonaparte, und wo schrankenlose Gewalt sie hinein zwang, wie mit Bonaparte, der natuͤrlichen weichen muͤssen. Sie ist eine Halbheit, eine Anomalie, denn Krieg und Friede sind im Grunde Begriffe die keiner Gradation faͤhig sind; aber sie ist nichts desto weniger kein bloßes diplomatisches Herkommen uͤber welches sich die Vernunft hinwegsetzen koͤnnte, sondern tief in der natuͤrlichen Be- schraͤnktheit und Schwaͤche des Menschen gegruͤndet. Endlich hat auch im eigenen Kriege die politische Veranlassung desselben einen maͤchtigen Einfluß auf seine Fuͤhrung. Wollen wir vom Feinde nur ein geringes Opfer, so begnuͤgen wir uns durch den Krieg nur ein geringes Äquivalent zu gewinnen, und dazu glauben wir mit maͤßi- gen Anstrengungen zu gelangen. Ungefaͤhr eben so schließt der Gegner. Findet nun der Eine oder der Andere daß er sich in seiner Rechnung etwas betrogen hat, daß er dem Feinde nicht wie er gewollt um Etwas uͤberlegen, sondern daß er selbst schwaͤcher ist: so fehlt es doch in dem Augen- blick gewoͤhnlich an Geld und an allen andern Mitteln, es fehlt an hinreichendem moralischen Anstoß zu groͤßerer Energie; man behilft sich also wie man kann, hofft von der Zukunft guͤnstige Ereignisse, wenn man auch gar kein Recht dazu hat und der Krieg schleppt sich unterdessen wie ein siecher Koͤrper kraftlos fort. So geschieht es daß die Wechselwirkung, das Über- bieten, das Gewaltsame und Unaufhaltsame des Krieges sich in der Stagnation schwacher Motive verlieren, und daß beide Partheien sich in sehr verkleinerten Kreisen mit einer Art Sicherheit bewegen. Laͤßt man diesen Einfluß des politisches Zweckes auf den Krieg einmal zu, wie man ihn denn zulassen muß, so so giebt es keine Grenze mehr, und man muß sich gefallen lassen auch zu solchen Kriegen herunterzusteigen, die in bloßer Bedrohung des Gegners und in einem Sub- sidium des Unterhandelns bestehen. Daß sich die Theorie des Krieges, wenn sie eine philosophische Überlegung sein und bleiben will, hier in Verlegenheit befindet, ist klar, Alles was in dem Begriff des Krieges Nothwendiges liegt, scheint vor ihr zu fliehen und sie ist in Gefahr jedes Stuͤtzpunktes zu entbehren. Aber es zeigt sich bald der natuͤrliche Ausweg. Je mehr in den kriegerischen Akt ein ermaͤßigendes Prinzip kommt, oder vielmehr: je schwaͤcher die Motive des Handelns wer- den, um so mehr geht das Handeln in ein Leiden uͤber, um so weniger traͤgt sich zu, um so weniger bedarf es lei- tender Grundsaͤtze. Die ganze Kriegskunst verwandelt sich in bloße Vorsicht und diese wird hauptsaͤchlich darauf ge- richtet sein daß das schwankende Gleichgewicht nicht ploͤtzlich zu unserem Nachtheil umschlage und der halbe Krieg sich in einen ganzen verwandle. Sechstes Kapitel . B. Der Krieg ist ein Instrument der Politik . Nachdem wir uns bis jetzt, bei dem Zwiespalt in dem die Natur des Krieges mit anderen Interessen des einzel- nen Menschen und des gesellschaftlichen Verbandes steht, bald nach der einen bald nach der andern Seite haben umsehn muͤssen, um keins dieser entgegengesetzten Elemente zu vernachlaͤssigen, ein Zwiespalt der in dem Menschen selbst gegruͤndet ist und den der philosophische Verstand also nicht loͤsen kann: wollen wir nun diejenige Einheit suchen, zu welcher sich im praktischen Leben diese wider- sprechenden Elemente verbinden, indem sie sich theilweis gegenseitig neutralisiren. Wir wuͤrden diese Einheit gleich von vorn herein aufgestellt haben, wenn es nicht nothwendig gewesen waͤre eben jene Widerspruͤche recht deutlich hervorzuheben und die verschiedenen Elemente auch getrennt zu betrachten. Diese Einheit nun ist der Begriff daß der Krieg nur ein Theil des politischen Ver- kehrs sei, also durch aus nichts Selbststaͤndiges . Man weiß freilich daß der Krieg nur durch den po- litischen Verkehr der Regierungen und der Voͤlker her- vorgerufen wird; aber gewoͤhnlich denkt man sich die Sache so, daß mit ihm jener Verkehr aufhoͤre und ein ganz anderer Zustand eintrete, welcher nur seinen eigenen Gesetzen unterworfen sei. Wir behaupten dagegen: der Krieg ist Nichts als eine Fortsetzung des politischen Verkehrs mit Einmischung anderer Mittel. Wir sagen mit Einmischung anderer Mittel, um damit zugleich zu behaupten daß dieser politische Verkehr durch den Krieg selbst nicht aufhoͤrt, nicht in etwas ganz Anderes verwandelt wird, sondern daß er in seinem Wesen fortbesteht, wie auch die Mittel gestaltet sein moͤgen deren er sich bedient, und daß die Hauptlinien, an welchen die kriegerischen Ereignisse fortlaufen und gebunden sind, nur seine Lineamente sind, die sich zwischen den Krieg durch bis zum Frieden fortziehen. Und wie waͤre es anders denkbar? Hoͤren denn mit den diplomatischen Noten je die politischen Verhaͤltnisse verschiedener Voͤlker und Regierungen auf? Ist nicht der Krieg bloß eine andere Art von Schrift und Sprache ihres Denkens? Er hat freilich seine eigene Grammatik, aber nicht seine eigene Logik. Hiernach kann der Krieg niemals von dem politischen Verkehr getrennt werden, und wenn dies in der Betrachtung irgendwo geschieht, werden gewissermaßen alle Faͤden des Verhaͤltnisses zerrissen und es entsteht ein sinn- und zweck- loses Ding. Diese Vorstellungsart wuͤrde selbst dann unentbehrlich sein, wenn der Krieg ganz Krieg, ganz das ungebundene Element der Feindschaft waͤre, denn alle die Gegenstaͤnde, auf welchen er ruht und die seine Hauptrichtungen bestim- men: eigene Macht, Macht des Gegners, beiderseitige Bundesgenossen, gegenseitiger Volks- und Regierungscha- rakter u. s. w., wie wir sie im ersten Kapitel des ersten Buches aufgezaͤhlt haben, sind sie nicht politischer Natur und haͤngen sie nicht mit dem ganzen politischen Verkehr so genau zusammen daß es unmoͤglich ist sie davon zu trennen? — Aber diese Vorstellungsart wird doppelt unent- behrlich wenn wir bedenken daß der wirkliche Krieg kein so konsequentes auf das Äußerste gerichtetes Bestreben ist, wie er seinem Begriff nach sein sollte, sondern ein Halb- ding, ein Widerspruch in sich; daß er als solcher nicht sei- nen eigenen Gesetzen folgen kann, sondern als Theil eines andern Ganzen betrachtet werden muß, — und dieses Ganze ist die Politik. Die Politik, indem sie sich des Krieges bedient, weicht allen strengen Folgerungen aus, welche aus seiner Natur hervorgehn, bekuͤmmert sich wenig um die endlichen Moͤg- lichkeiten und haͤlt sich nur an die naͤchsten Wahrschein- lichkeiten. Kommt dadurch viel Ungewißheit in den ganzen Handel, wird er also zu einer Art Spiel, so hegt die Politik eines jeden Kabinets zu sich das Vertrauen es dem Gegner in Gewandtheit und Scharfsicht bei diesem Spiel zuvorzuthun. So macht also die Politik aus dem Alles uͤberwaͤlti- genden Element des Krieges ein bloßes Instrument; aus dem furchtbaren Schlachtschwert, was mit beiden Haͤnden und ganzer Leibeskraft aufgehoben sein will, um damit einmal und nicht mehr zuzuschlagen, einen leichten handlichen Degen, der zuweilen selbst zum Rapier wird und mit dem sie Stoͤße, Finten und Paraden abwechseln laͤßt. So loͤsen sich die Widerspruͤche in welche der Krieg den von Natur furchtsamen Menschen verwickelt, wenn man dies fuͤr eine Loͤsung gelten lassen will. Gehoͤrt der Krieg der Politik an, so wird er ihren Charakter annehmen. Sobald sie großartiger und maͤch- tiger wird, so wird es auch der Krieg, und das kann bis zu der Hoͤhe steigen wo der Krieg zu seiner absoluten Ge- stalt gelangt. Wir haben also bei dieser Vorstellungsart nicht noͤthig, den Krieg in dieser Gestalt aus den Augen zu verlieren; viel- mehr muß fortwaͤhrend sein Bild im Hintergrunde schweben. Nur durch diese Vorstellungsart wird der Krieg wie- der zur Einheit, nur mit ihr kann man alle Kriege als Dinge einer Art betrachten, und nur durch sie wird dem Urtheil der rechte und genaue Stand und Gesichtspunkt gegeben, aus welchem die großen Entwuͤrfe gemacht und beurtheilt werden sollen. Freilich dringt das politische Element nicht tief in die Einzelnheiten des Krieges hinunter, man stellt keine Vedetten und fuͤhrt keine Patroulle nach politischen Ruͤck- sichten: aber desto entschiedener ist der Einfluß dieses Ele- ments bei dem Entwurf zum ganzen Kriege, zum Feldzuge und oft selbst zur Schlacht. Wir haben uns deshalb auch nicht beeilt diesen Ge- sichtspunkt gleich anfangs aufzustellen. Bei den einzelnen Gegenstaͤnden wuͤrde es uns wenig genutzt, unsere Auf- merksamkeit gewissermaßen zerstreut haben; bei dem Kriegs- und Feldzugsplan ist er unentbehrlich. Es ist uͤberhaupt Nichts so wichtig im Leben, als genau den Standpunkt auszumitteln, aus welchem die Dinge aufgefaßt und beurtheilt werden muͤssen, und an diesem festzuhalten; denn nur von einem Standpunkte aus koͤnnen wir die Masse der Erscheinungen mit Einheit auffassen, und nur die Einheit des Standpunktes kann uns vor Widerspruͤchen sichern. Wenn also auch bei Kriegsentwuͤrfen der zwei- und mehrfache Standpunkt nicht zulaͤssig ist, wonach die Dinge angesehen werden koͤnnten, jetzt mit dem Auge des Sol- daten, jetzt mit dem des Administrators, jetzt mit dem des Politikers u. s. w.: so fraͤgt es sich nun, ob es denn noth- wendig die Politik ist, der sich alles Übrige unterordnen muß. Daß die Politik alle Interessen der inneren Ver- waltung, auch die der Menschlichkeit und was sonst der philosophische Verstand zur Sprache bringen koͤnnte, in sich vereinigt und ausgleicht, wird vorausgesetzt; denn die Politik ist ja Nichts an sich, sondern ein bloßer Sachwal- ter aller dieser Interessen gegen andere Staaten. Daß sie eine falsche Richtung haben, dem Ehrgeiz, dem Privat- interesse, der Eitelkeit der Regierenden vorzugsweise dienen kann, gehoͤrt nicht hierher; denn in keinem Fall ist es die Kriegskunst welche als ihr Praͤceptor betrachtet werden kann, und wir koͤnnen hier die Politik nur als Repraͤsen- tanten aller Interessen der ganzen Gesellschaft betrachten. Die Frage bleibt also nur: ob bei Kriegsentwuͤrfen der politische Standpunkt dem rein militaͤrischen (wenn ein solcher uͤberhaupt denkbar waͤre) weichen, d. h. ganz verschwinden oder sich ihm unterordnen, oder ob er der herrschende bleiben und der militaͤrische ihm untergeordnet werden muͤsse. Daß der politische Gesichtspunkt mit dem Kriege ganz aufhoͤren sollte, wuͤrde nur denkbar sein, wenn die Kriege aus bloßer Feindschaft Kaͤmpfe auf Leben und Tod waͤren; wie sie sind, sind sie nichts als Äußerungen der Politik selbst, wie wir oben gezeigt haben. Das Unterord- nen des politischen Gesichtspunktes unter den militaͤri- schen waͤre widersinnig, denn die Politik hat den Krieg erzeugt; sie ist die Intelligenz, der Krieg aber bloß das Instrument, und nicht umgekehrt. Es bleibt also nur das Unterordnen des militaͤrischen Gesichtspunktes unter den politischen moͤglich. Denken wir an die Natur des wirklichen Krieges, erinnern wir uns des im dritten Kapitel dieses Buches Gesagten: daß jeder Krieg vor allen Dingen nach der Wahrscheinlichkeit seines Charakters und seiner Hauptumrisse aufgefaßt werden soll, wie sie sich aus den politischen Groͤßen und Verhaͤlt- nissen ergeben , und daß oft, ja wir koͤnnen in unsern Tagen wohl behaupten meistens der Krieg wie ein or- ganisches Ganze betrachtet werden muß, von dem sich die einzelnen Glieder nicht absondern lassen, wo also jede ein- zelne Thaͤtigkeit mit dem Ganzen zusammenstroͤmen und aus der Idee dieses Ganzen hervorgehen muß: so wird es uns vollkommen gewiß und klar, daß der oberste Standpunkt fuͤr die Leitung des Krieges, von dem die Hauptlinien ausgehen, kein anderer als der der Politik sein koͤnne. Von diesem Standpunkt aus sind die Entwuͤrfe wie aus einem Guß hervorgegangen, das Auffassen und Beur- theilen wird leichter, natuͤrlicher, die Überzeugung kraͤf- tiger, die Motive befriedigender und die Geschichte ver- staͤndlicher. Von diesem Standpunkte aus ist ein Streit zwischen den politischen und kriegerischen Interessen wenigstens nicht mehr in der Natur der Sache und also da, wo er ein- tritt, nur als eine Unvollkommenheit der Einsicht zu be- trachten. Daß die Politik an den Krieg Forderungen macht die er nicht leisten kann, waͤre gegen die Voraus- setzung, daß sie das Instrument kenne welches sie ge- brauchen will, also gegen eine natuͤrliche ganz unerlaͤßliche Voraussetzung. Beurtheilt sie aber den Verlauf der kriegerischen Ereignisse richtig, so ist es ganz ihre Sache und kann nur die ihrige sein, zu bestimmen, welche Ereig- nisse und welche Richtung der Begebenheiten dem Ziele des Krieges entsprechen. Mit einem Wort, die Kriegskunst auf ihrem hoͤchsten Stand- Standpunkte wird zur Politik, aber freilich eine Politik die statt Noten zu schreiben Schlachten liefert. Mit dieser Ansicht ist es eine unzulaͤssige und selbst schaͤdliche Unterscheidung, wonach ein großes kriegerisches Ereigniß oder der Plan zu einem solchen eine rein mili- taͤrische Beurtheilung zulassen soll; ja, es ist ein widersinniges Verfahren bei Kriegsentwuͤrfen Militaͤre zu Rathe zu ziehen, damit sie rein militaͤrisch daruͤber urtheilen sollen, wie die Kabinette wohl thun; aber noch widersinniger ist das Verlangen der Theoretiker, daß die vorhandenen Kriegsmittel dem Feldherrn uͤberwiesen werden sollen, um danach einen rein militaͤrischen Entwurf zum Kriege oder Feldzuge zu machen. Auch lehrt die allge- meine Erfahrung, daß, trotz der großen Mannigfaltigkeit und Ausbildung des heutigen Kriegswesens, die Haupt- lineamente des Krieges doch immer von den Kabinetten bestimmt worden sind, d. h. von einer, wenn man technisch sprechen will, nur politischen, nicht militaͤrischen Behoͤrde. Dies ist vollkommen in der Natur der Dinge. Keiner der Hauptentwuͤrfe, welche fuͤr einen Krieg noͤthig sind, kann ohne Einsichten in die politischen Verhaͤltnisse ge- macht werden, und man sagt eigentlich etwas ganz Anderes als man sagen will, wenn man, was haͤufig geschieht, von dem schaͤdlichen Einfluß der Politik auf die Fuͤhrung des Krieges spricht. Es ist nicht dieser Einfluß, sondern die Politik selbst, welche man tadeln sollte. Ist die Politik richtig, d. h. trifft sie ihr Ziel, so kann sie auf den Krieg in ihrem Sinn auch nur vortheilhaft wirken; und wo diese Einwirkung vom Ziel entfernt, ist die Quelle nur in der verkehrten Politik zu suchen. Nur dann, wenn die Politik sich von gewissen kriege- rischen Mitteln und Maaßregeln eine falsche, ihrer Natur III 10 nicht entsprechende Wirkung verspricht, kann sie mit ihren Bestimmungen einen schaͤdlichen Einfluß auf den Krieg haben. Wie Jemand in einer Sprache, der er nicht ganz gewachsen ist, mit einem richtigen Gedanken zuweilen Un- richtiges sagt, so wird die Politik dann oft Dinge anord- nen, die ihrer eigenen Absicht nicht entsprechen. Dies ist unendlich oft vorgekommen und dies macht es fuͤhlbar daß eine gewisse Einsicht in das Kriegswesen von der Fuͤhrung des politischen Verkehrs nicht getrennt werden sollte. Aber ehe wir ein Wort weiter reden, muͤssen wir uns vor einer falschen Deutung verwahren, die sehr nahe liegt. Wir sind weit entfernt zu glauben daß ein in Akten vergrabener Kriegsminister oder ein gelehrter Inge- nieur oder auch selbst ein im Felde tuͤchtiger Soldat darum den beßten Staatsminister abgeben wuͤrde, wo der Fuͤrst es nicht selbst ist; oder, mit andern Worten, wir wollen durchaus nicht daß diese Einsicht in das Kriegs- wesen die Haupteigenschaft desselben sei; ein großartiger, ausgezeichneter Kopf, ein starker Charakter, das sind die Haupteigenschaften; die Einsicht in das Kriegswesen laͤßt sich auf eine oder die andere Art wohl ergaͤnzen. Frank- reich ist in seinen kriegerischen und politischen Haͤndeln nie schlechter berathen gewesen, als unter den Gebruͤdern Belle- isle und dem Herzog von Choiseuil, obgleich alle drei gute Soldaten waren. Soll ein Krieg ganz den Absichten der Politik ent- sprechen und soll die Politik den Mitteln zum Kriege ganz angemessen sein, so bleibt, wo der Staatsmann und der Soldat nicht in einer Person vereinigt sind, nur ein gutes Mittel uͤbrig, naͤmlich den obersten Feldherrn zum Mitglied des Kabinets zu machen, damit dasselbe Theil an den Hauptmomenten seines Handelns nehme. Dies ist aber wieder nur moͤglich wenn das Kabinet, d. h. also die Regierung, selbst sich in der Naͤhe des Schauplatzes be- findet, damit die Dinge ohne merklichen Zeitverlust abge- macht werden koͤnnen. So hat es der Kaiser von Östreich im Jahre 1809 und so haben es die verbuͤndeten Monarchen in den Jah- ren 1813, 1814 und 1815 gemacht, und diese Einrichtung hat sich vollkommen bewaͤhrt. Hoͤchst gefaͤhrlich ist der Einfluß eines andern Mili- taͤrs als des obersten Feldherrn im Kabinet; selten wird das zum gesunden tuͤchtigen Handeln fuͤhren. Frankreichs Beispiel, wo Carnot 1793, 1794 und 1795 die Kriegs- angelegenheiten von Paris aus leitete, ist durchaus ver- werflich, weil der Terrorismus nur revolutionaͤren Re- gierungen zu Gebote steht. Wir wollen jetzt mit einer historischen Betrachtung schließen. Als in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhun- derts jene merkwuͤrdige Umwaͤlzung der europaͤischen Kriegs- kunst eintrat, wodurch die besten Heere einen Theil ihrer Kunst unwirksam werden sahen, und kriegerische Erfolge stattfanden, von deren Groͤße man bisher keinen Begriff gehabt hatte; schien es freilich daß aller falsche Kalkuͤl der Kriegskunst zur Last falle. Es war offenbar, daß sie, durch die Gewohnheit in engere Kreisen der Begriffe einge- schraͤnkt, uͤberfallen worden war durch Moͤglichkeiten, die außerhalb dieser Kreise, aber freilich nicht außerhalb der Natur der Dinge lagen. Diejenigen Beobachter welche den umfassendsten Blick hatten, schrieben die Erscheinung dem allgemeinen Einfluß zu, welchen die Politik seit Jahrhunderten auf die Kriegs- 10* kunst, zum groͤßten Nachtheil derselben, gehabt hatte und wodurch diese zu einem Halbdinge, oft zu einer wahren Spiegelfechterei herabgesunken war. Das Faktum war richtig, aber es war nur falsch dasselbe als ein zufaͤllig entstandenes, vermeidliches Verhaͤltniß anzusehen. Andere glaubten Alles aus dem augenblicklichen Ein- fluß der individuellen Politik Östreichs, Preußens, Eng- lands u. s. w. erklaͤren zu koͤnnen. Ist es aber wahr daß der eigentliche Überfall, wovon sich die Intelligenz getroffen fuͤhlte, innerhalb der Krieg- fuͤhrung faͤllt und nicht innerhalb der Politik selbst? d. h. nach unserer Sprache zu reden: ist das Ungluͤck entstanden aus dem Einfluß der Politik auf den Krieg oder aus der falschen Politik selbst? Die ungeheuren Wirkungen der franzoͤsischen Revo- lution nach Außen sind aber offenbar viel weniger in neuen Mitteln und Ansichten ihrer Kriegfuͤhrung, als in der ganz veraͤnderten Staats- und Verwaltungskunst, in dem Charakter der Regierung, in dem Zustande des Volks u. s. w. zu suchen. Daß die andern Regierungen alle diese Dinge unrichtig ansahen, daß sie mit gewoͤhnlichen Mit- teln Kraͤften die Wage halten wollten, die neu und uͤber- waͤltigend waren: das Alles sind Fehler der Politik. Haͤtte man nun diese Fehler von dem Standpunkte einer rein militaͤrischen Auffassung des Krieges einsehen und verbessern koͤnnen? Unmoͤglich. Denn wenn es auch wirklich einen philosophischen Strategen gegeben haͤtte, welcher bloß aus der Natur des feindseligen Elementes alle Folgen haͤtte herleiten und dadurch eine Prophezeiung entfernter Moͤglichkeiten aufstellen wollen: so waͤre es doch rein unmoͤglich gewesen solchen Hirnngespinnsten die geringste Folge zu geben. Nur wenn die Politik sich zu einer richtigen Wuͤrdi- gung der in Frankreich erwachten Kraͤfte und der in der Politik Europas neuentstehenden Verhaͤltnisse erhob, konnte sie das Resultat vorhersehen, welches fuͤr die großen Li- neamente des Krieges daraus entstehen wuͤrde, und nur auf diese Weise auf den nothwendigen Umfang der Mittel und die Wahl der besten Wege gefuͤhrt werden. Man kann also sagen: die zwanzigjaͤhrigen Siege der Revolution sind hauptsaͤchlich die Folge der fehlerhaften Politik der ihr gegenuͤberstehenden Regierungen. Freilich haben sich diese Fehler erst innerhalb des Krieges offenbart, und die Erscheinungen desselben haben den Erwartungen, welche die Politik hatte, voͤllig wider- sprochen. Dies ist aber nicht deshalb geschehen, weil die Politik versaͤumt hatte sich bei der Kriegskunst Raths zu erholen. Diejenige Kriegskunst, an welche ein Politiker glauben konnte, d. h. die aus der wirklichen Welt, die der Politik der Zeit zugehoͤrige, das ihr wohlbekannte Instrument dessen sie sich bis dahin bedient hatte, diese Kriegskunst, sage ich, war natuͤrlich in dem Irrthum der Politik mit- befangen und konnte sie darum nicht eines Besseren belehren. Es ist wahr, auch der Krieg selbst hat in seinem Wesen und in seinen Formen bedeutende Veraͤnderungen erlitten, die ihn seiner absoluten Gestalt naͤher gebracht haben; aber diese Veraͤnderungen sind nicht dadurch ent- standen daß die franzoͤsische Regierung gewissermaßen eman- cipirt, vom Gaͤngelbande der Politik losgelassen haͤtte, sondern sie sind aus der veraͤnderten Politik entstanden, welche aus der franzoͤsischen Revolution sowohl fuͤr Frankreich als fuͤr ganz Europa hervorgegangen ist. Diese Politik hatte andere Mittel, andere Kraͤfte auf- geboten und dadurch eine Energie der Kriegfuͤhrung moͤglich gemacht, an welche außerdem nicht zu denken ge- wesen waͤre. Also auch die wirklichen Veraͤnderungen der Kriegs- kunst sind eine Folge der veraͤnderten Politik, und weit entfernt, fuͤr die moͤgliche Trennung beider zu beweisen, sind sie vielmehr ein starker Beweis ihrer innigen Ver- einigung. Also noch einmal: der Krieg ist ein Instrument der Politik; er muß nothwendig ihren Charakter tragen, er muß mit ihrem Maaße messen; die Fuͤhrung des Krieges in seinen Hauptumrissen ist daher die Politik selbst, welche die Feder mit dem Degen vertauscht, aber darum nicht aufgehoͤrt hat nach ihren eigenen Gesetzen zu denken. Siebentes Kapitel. Beschraͤnktes Ziel. Angriffskrieg . Selbst dann, wenn auch nicht die Niederwerfung des Gegners das Ziel sein kann, kann es doch noch ein un- mittelbar positives sein, und dieses positive Ziel kann also nur in der Eroberung eines Theils der feindlichen Laͤnder bestehen. Der Nutzen einer solchen Eroberung besteht darin daß wir die feindlichen Staatskraͤfte, folglich auch seine Streitkraͤfte, schwaͤchen und die unsrigen vermehren; daß wir also den Krieg zum Theil auf seine Kosten fuͤhren. Ferner, daß beim Friedensschluß der Besitz feindlicher Provinzen als ein baarer Gewinn anzusehen ist, weil wir sie entweder behalten oder andere Vortheile dafuͤr eintauschen koͤnnen. Diese Ansicht von einer Eroberung des feindlichen Staates ist sehr natuͤrlich und wuͤrde Nichts gegen sich haben, wenn nicht der Vertheidigungszustand, welcher dem Angriff folgen muß, haͤufig Bedenken erregen koͤnnte. In dem Kapitel vom Kulminationspunkt des Sieges haben wir hinreichend auseinandergesetzt, auf welche Weise eine solche Offensive die Streitkraͤfte schwaͤcht, und daß ihr ein Zustand folgen kann der gefaͤhrliche Folgen besor- gen laͤßt. Diese Schwaͤchung unserer Streitkraft durch die Er- oberung eines feindlichen Landstrichs hat ihre Grade, und diese haͤngen am meisten von der geographischen Lage eines solchen Landstrichs ab. Je mehr er ein Supplement unse- rer eigenen Laͤnder ist, innerhalb derselben liegt oder sich an ihnen hinzieht, je mehr er in der Richtung der Haupt- kraͤfte liegt, um so weniger wird er unsere Streitkraft schwaͤchen. Sachsen, im siebenjaͤhrigen Kriege, war ein na- tuͤrliches Supplement des preußischen Kriegstheaters, und die Streitkraft Friedrichs des Großen wurde durch die Besetzung desselben nicht bloß nicht vermindert sondern verstaͤrkt, weil es Schlesien naͤher liegt als der Mark und diese doch zugleich deckt. Selbst Schlesien, nachdem Friedrich der Große im Jahr 1740 und 1741 es einmal erobert hatte, schwaͤchte seine Streitkraͤfte nicht, denn seiner Gestalt und Lage so wie der Beschaffenheit seiner Grenze nach bot es den Östreichern nur eine schmale Spitze dar, so lange sie nicht Meister von Sachsen waren, und dieser schmale Punkt des Contactes lag ohnehin noch in der Richtung welche die gegenseitigen Hauptstoͤße nehmen mußten. Wenn dagegen der eroberte Landstrich sich mitten zwischen die andern feindlichen Provinzen hineinstreckt, eine excentrische Lage hat und eine unguͤnstige Gestalt des Bodens, so waͤchst die Schwaͤchung so sichtbar daß nicht bloß eine siegreiche Schlacht dem Feinde erleichtert, sondern daß diese fuͤr ihn unnoͤthig wird. Die Östreicher haben jedesmal die Provence ohne Schlacht raͤumen muͤssen, wenn sie von Italien aus einen Versuch darauf gemacht haben. Die Franzosen im Jahr 1744 dankten Gott, aus Boͤhmen zu entkommen, auch ohne eine Schlacht verloren zu haben. Friedrich der Große konnte sich 1758 in Boͤhmen und Maͤhren nicht halten, mit derselben Streitkraft, die ihm im Jahre 1757 in Schlesien und Sachsen so glaͤnzende Erfolge gegeben hatte. Überhaupt gehoͤren die Beispiele von Armeen die sich in dem eroberten Landstrich nicht halten konnten, bloß weil ihre Streitkraft dadurch geschwaͤcht wurde, zu dem ge- woͤhnlichen Vorkommen, und es ist also nicht der Muͤhe werth noch andere davon herauszuheben. Es kommt also bei der Frage, ob wir uns ein solches Ziel stecken sollen, darauf an, ob wir uns versprechen koͤn- nen im Besitz der Eroberung zu bleiben oder ob ein voruͤbergehender Besitz (Invasion, Diversion) die darauf verwendeten Kraͤfte hinreichend vergilt, besonders ob nicht ein starker Ruͤckschlag zu befuͤrchten ist, der uns ganz aus dem Gleichgewicht wirft. Wie Vieles bei dieser Frage in jedem einzelnen Fall zu uͤberlegen ist, davon haben wir im Kapitel von dem Kulminationspunkt gesprochen. Nur Eins muͤssen wir noch hinzufuͤgen. Eine solche Offensive ist nicht immer geeignet Das- jenige wieder einzubringen, was wir auf andern Punkten verlieren. Waͤhrend wir uns mit einer Theileroberung beschaͤftigen, kann der Feind auf andern Punkten dasselbe thun, und wenn unser Unternehmen nicht von einer uͤber- wiegenden Wichtigkeit ist, so wird der Feind dadurch nicht gezwungen werden das seinige aufzugeben. Es kommt also auf eine reifliche Überlegung an, ob wir auf der einen Seite nicht mehr verlieren als wir auf der andern gewinnen. An und fuͤr sich verliert man immer mehr durch die feindliche Eroberung als man durch die eigene gewinnt, wenn auch der Werth beider Provinzen genau derselbe sein sollte, weil eine Menge von Kraͤften gewissermaßen als feux froids außer Wirksamkeit kommen. Allein da dies auch der Fall beim Gegner ist, so sollte dies eigent- lich kein Grund sein, mehr auf die Erhaltung als auf die Eroberung bedacht zu sein. Und doch ist es so. Die Erhaltung des Eigenen liegt immer naͤher, und der eigene Schmerz, den unser Staat erleidet, wird nur dann durch die Vergeltung aufgewogen und gewissermaßen neutrali- sirt, wenn diese merkliche Prozente verspricht d. h. viel groͤßer ist. Die Folge von Allem ist: daß ein solcher strategischer Angriff, der nur ein maͤßiges Ziel hat, sich viel weniger von der Vertheidigung der andern, durch ihn nicht unmit- telbar gedeckten Punkte losmachen kann, als einer der gegen den Schwerpunkt des feindlichen Staates gerichtet ist; es kann also in ihm auch die Vereinigung der Kraͤfte in Zeit und Ort niemals so weit getrieben werden. Damit sie nun wenigstens in der Zeit stattfinden koͤnne, so ent- steht das Beduͤrfniß von allen einigermaßen dazu geeigne- ten Punkten angriffsweise und zwar gleichzeitig vorzugehen, und es entgeht also diesem Angriff der andere Vortheil, daß er sich durch die Vertheidigung auf einzelnen Punkten mit weit geringeren Kraͤften behelfen koͤnnte. Auf diese Weise stellt sich bei einem so mittelmaͤßigen Ziele Alles mehr im Niveau; der ganze kriegerische Akt kann nicht mehr in eine Haupthandlung zusammengedraͤngt und diese nach Hauptgesichtspunkten geleitet werden; er breitet sich mehr aus; uͤberall wird die Friktion groͤßer, und uͤberall dem Zufall mehr Feld eingeraͤumt. Dies ist die natuͤrliche Tendenz der Sache. Der Feldherr wird durch sie heruntergezogen, immer mehr neu- tralisirt. Je mehr er sich fuͤhlt, je mehr innere Huͤlfs- mittel und aͤußere Gewalt er hat, um so mehr wird er suchen sich von dieser Tendenz loszumachen um einem einzelnen Punkt eine vorherrschende Wichtigkeit zu geben, sollte es auch nur durch ein groͤßeres Wagen moͤglich werden. Achtes Kapitel. Beschraͤnktes Ziel. Vertheidigung . Das endliche Ziel der Vertheidigungskriege kann niemals eine absolute Negation sein, wie wir es schon fruͤher gesagt haben. Es muß auch fuͤr den Schwaͤchsten irgend Etwas geben womit er seinem Gegner empfindlich werden, ihn bedrohen kann. Zwar koͤnnte man sagen, dieses Ziel koͤnne im Ermuͤ- den des Gegners bestehen, denn da dieser das Positive will, so ist im Grunde jede fehlgeschlagene Unternehmung, wenn sie auch keine andere Folgen hat als den Verlust der darauf verwendeten Kraͤfte, schon ein Zuruͤckschreiten, waͤhrend der Verlust welchen der Angegriffene erleidet, nicht vergeblich war, weil die Erhaltung sein Ziel war und dieses Ziel erreicht ist. So, wuͤrde man sagen, liegt fuͤr den Vertheidiger in der bloßen Erhaltung sein positi- ves Ziel. Diese Vorstellungsart koͤnnte gelten, wenn man im Stande waͤre zu sagen: der Angreifende muß nach einer bestimmten Anzahl vergeblicher Versuche ermuͤden und nachlassen. Allein diese Nothwendigkeit fehlt eben. Sehen wir auf das reelle Erschoͤpfen der Kraͤfte, so ist der Vertheidiger, bei der Totalvergleichung, im Nachtheil . Der Angriff schwaͤcht, aber nur in dem Sinn daß es einen Umschwungspunkt geben kann; wo dieser gar nicht mehr gedacht wird, ist die Schwaͤchung allerdings groͤßer beim Vertheidiger als beim Angreifenden; denn theils ist er der Schwaͤchere und bei gleicher Einbuße verliert er also mehr als der Andere, theils nimmt ihm jener ge- woͤhnlich einen Theil seiner Laͤnder und Huͤlfsquellen. Es kann also hieraus kein Grund des Nachlassens fuͤr den Gegner entnommen werden, und es bleibt immer nur die Vorstellung uͤbrig, daß, wenn der Angreifende seine Streiche wiederholt, waͤhrend der Vertheidiger Nichts thut als sie abzuwehren, dieser die Gefahr, daß einer fruͤher oder spaͤter gelingen koͤnnte, durch kein Gegengewicht aus- gleichen kann. Wenn also auch wirklich die Erschoͤpfung oder viel- mehr die Ermuͤdung des Staͤrkeren schon oft einen Frie- den herbeigefuͤhrt hat, so liegt das in jener Halbheit welche der Krieg meistens hat, und kann philosophisch nicht als das allgemeine und letzte Ziel irgend einer Ver- theidigung gedacht werden, und es bleibt Nichts uͤbrig als daß diese ihr Ziel in dem Begriff des Abwartens findet, der uͤberhaupt ihr eigentliches Charakteristikon ist. Dieser Begriff schließt eine Veraͤnderung der Umstaͤnde, eine Verbesserung der Lage in sich, die also, da wo sie durch innere Mittel, d. h. durch den Widerstand selbst, gar nicht erreicht werden kann, nur von Außen zu erwarten ist. Diese Verbesserung von Außen kann nun keine an- dere sein als andere politische Verhaͤltnisse; es entstehen entweder fuͤr den Vertheidiger neue Buͤndnisse oder alte, die gegen ihn gerichtet waren, zerfallen. Dies ist also das Ziel des Vertheidigers, im Fall seine Schwaͤche ihm nicht erlaubt an irgend einen bedeu- tenden Ruͤckstoß zu denken. So ist aber nicht jede Ver- theidigung nach dem Begriff welchen wir davon gegeben haben. Nach diesem ist sie die staͤrkere Form des Krieges, und kann also um dieser Staͤrke willen auch dann ange- wendet werden, wenn es auf einen mehr oder weniger starken Ruͤckschlag abgesehen ist. Diese beiden Faͤlle muß man von vorn herein tren- nen, weil sie Einfluß auf die Vertheidigung haben. Im ersten Fall sucht der Vertheidiger sein Land so lange wie moͤglich zu besitzen und intakt zu erhalten, weil er dabei die meiste Zeit gewinnt und Zeit gewinnen der einzige Weg zum Ziel ist. Das positive Ziel was er meist errreichen kann, was ihm Gelegenheit geben soll seine Absicht beim Frieden durchzusetzen, kann er noch nicht in seinen Kriegsplan aufnehmen. In dieser strategischen Pas- sivitaͤt sind die Vortheile welche er auf einzelnen Punkten erhalten kann bloße abgewehrte Streiche, das Übergewicht welches er auf diesen Punkten gewinnt fuͤhrt er auf andere Punkte uͤber, denn gewoͤhnlich ist da Noth an allen Ecken und Orten; hat er dazu keine Gelegenheit, so bleibt ihm oft nur der kleine Gewinn uͤbrig daß der Feind ihm eine Zeitlang Ruhe lassen wird. Kleine Offensivunternehmungen wobei es weniger auf einen bleibenden Besitz als auf einen einstweiligen Vortheil als Spielraum fuͤr spaͤtere Einbuße abgesehn ist, Inva- sionen, Diversionen, Unternehmungen gegen eine einzelne Festung, koͤnnen, wenn der Vertheidiger nicht allzuschwach ist, in diesem Vertheidigungssystem Platz finden, ohne das Ziel und Wesen desselben zu aͤndern. Im zweiten Fall aber, wo der Vertheidigung schon eine positive Absicht eingeimpft ist, nimmt sie auch mehr den positiven Charakter an, und zwar um so mehr je groͤ- ßer der Ruͤckstoß ist welchen die Verhaͤltnisse zulassen. Mit andern Worten: je mehr die Vertheidigung aus freier Wahl entstanden ist um den ersten Stoß sicher zu fuͤhren, um so kuͤhnere Schlingen darf der Vertheidiger dem Geg- ner legen. Das Kuͤhnste und, wenn es geraͤth, Wirksamste ist der Ruͤckzug ins Innere des Landes; und dieses Mittel ist dann zugleich dasjenige welches von dem andern System am weitesten entfernt ist. Man denke nur an die Verschiedenheit der Lage in welcher sich Friedrich der Große im siebenjaͤhrigen Kriege und Rußland im Jahr 1812 befunden haben. Als der Krieg anfing, hatte Friedrich durch seine Schlagfertigkeit eine Art Überlegenheit; dies verschaffte ihm den Vortheil sich Sachsens zu bemaͤchtigen, welches uͤbrigens so sehr ein natuͤrliches Complement seines Kriegs- theaters war, daß der Besitz desselben seine Streitkraͤfte nicht verminderte sondern vermehrte. Bei Eroͤffnung des Feldzugs von 1757 suchte er sei- nen strategischen Angriff fortzusetzen, welches, so lange die Russen und Franzosen noch nicht auf dem Kriegstheater von Schlesien, der Mark und Sachsen angekommen wa- ren, nicht unmoͤglich war. Der Angriff mißlang, er wurde fuͤr den uͤbrigen Theil des Feldzugs auf die Vertheidigung zuruͤckgeworfen, mußte Boͤhmen wieder raͤumen und das eigene Kriegstheater vom Feinde befreien, welches ihm nur gelang, indem er sich mit einer und derselben Armee erst gegen die Östreicher wandte, und diesen Vortheil verdankte er nur der Vertheidigung. Im Jahre 1758, wo seine Feinde den Kreis schon enger um ihn gezogen hatten und seine Streitkraͤfte an- fingen in ein sehr ungleiches Verhaͤltniß zu kommen, wollte er noch eine kleine Offensive in Maͤhren versuchen; er ge- dachte Olmuͤtz zu nehmen ehe seine Gegner recht unter den Waffen waͤren; nicht in der Hoffnung es zu behalten oder gar von da aus weiter vorzuschreiten, sondern es als ein Außenwerk, eine contre-approche gegen die Östreicher zu benutzen, die dann den uͤbrigen Feldzug, vielleicht auch noch einen zweiten, darauf verwenden mußten um es wieder zu nehmen. Auch dieser Angriff mißlang. Friedrich gab nun den Gedanken an jede wirkliche Offensive auf, weil er fuͤhlte wie sie nur das Mißverhaͤltniß in den Streit- kraͤften vermehrte. Eine zusammengezogene Aufstellung in der Mitte seiner Laͤnder, in Sachsen und Schlesien, eine Benutzung der kurzen Linien, um die Streitkraͤfte ploͤtzlich auf dem bedrohten Punkte zu vermehren, eine Schlacht wo sie unvermeidlich wurde, kleine Invasionen wo sich die Gelegenheit darbot, und demnaͤchst ein ruhiges Abwarten, ein Aufsparen seiner Mittel fuͤr bessere Zeiten, war nun sein Kriegsplan im Großen. Nach und nach wurde die Ausfuͤhrung immer passiver. Da er sah daß auch die Siege ihm zu viel kosteten, so versuchte er es mit Wenigerem auszukommen; es kam ihm nur auf Zeitgewinn an, nur auf die Erhaltung dessen was er noch besaß, er wurde mit dem Boden immer oͤkonomischer und scheuete sich nicht in ein wahrhaftes Cordonsystem uͤberzugehn. Diesen Na- men verdienen sowohl die Stellungen des Prinzen Heinrich in Sachsen als die des Koͤnigs im schlesischen Gebirge. In seinen Briefen an den Marquis d’Argens sieht man die Ungeduld mit der er den Winterquartieren entgegen sieht, und wie froh er ist wenn er sie wieder beziehen kann ohne merklich eingebuͤßt zu haben. Wer Friedrich hierin tadeln und darin nur seinen gesunkenen Muth sehen wollte, wuͤrde, wie es uns scheint, ein sehr unuͤberlegtes Urtheil faͤllen. Wenn das verschanzte Lager von Bunzelwitz, die Po- stirungen des Prinzen Heinrich in Sachsen und des Koͤnigs im schlesischen Gebirge uns jetzt nicht mehr wie solche Maaßnehmungen erscheinen, auf welche man seine letzte Hoffnung setzen kann, weil ein Bonaparte diese taktischen Spinngewebe bald durchstoßen wuͤrde: so muß man nicht vergessen daß die Zeiten sich geaͤndert haben, daß der Krieg ein ganz anderer geworden ist, von andern Kraͤften belebt, und daß also damals Stellungen wirksam sein konnten die es nicht mehr sind, daß aber auch der Charakter des Gegners Ruͤcksicht verdient. Gegen die Reichsarmee, gegen Daun und Butterlin konnte der Gebrauch von Mitteln, die Friedrich selbst fuͤr Nichts gehalten haben wuͤrde, die hoͤchste Weisheit sein. Der Erfolg hat diese Ansicht gerechtfertigt. Im ru- higen Abwarten hat Friedrich das Ziel erreicht, und Schwierigkeiten umgangen, gegen die seine Kraft zerschellt sein wuͤrde. — Das Verhaͤltniß der Streitkraͤfte, welche die Russen den Franzosen im Jahr 1812 bei Eroͤffnung des Feld- zugs entgegenzustellen hatten, war noch viel unguͤnstiger als es fuͤr Friedrich dem Großen im siebenjaͤhrigen Kriege gewesen war. Allein die Russen hatten die Aussicht sich im Laufe des Feldzugs betraͤchtlich zu verstaͤrken. Bona- parte hatte ganz Europa zu heimlichen Feinden, seine Macht war auf den aͤußersten Punkt hinausgeschraubt, ein ver- zehrender Krieg beschaͤftigte ihn in Spanien, und das weite Rußland erlaubte, durch einen hundert Meilen langen Ruͤck- zug, die Schwaͤchung der feindlichen Streitkraͤfte aufs Äußerste zu treiben. Unter diesen großartigen Umstaͤnden war nicht allein auf einen starken Ruͤckschlag zu rechnen, wenn das franzoͤsische Unternehmen nicht gelang (und wie konnte es gelingen wenn der Kaiser Alexander nicht Friede machte oder seine Unterthanen nicht rebellirten?), sondern dieser Ruͤckschlag konnte auch den Untergang des Gegners herbeifuͤhren. Die hoͤchste Weisheit haͤtte also keinen besseren Kriegsplan angeben koͤnnen, als derjenige war, welchen die Russen unabsichtlich befolgten. Daß man damals nicht so dachte und eine solche Ansicht fuͤr eine Extravaganz gehalten haben wuͤrde, ist fuͤr uns jetzt kein Grund sie nicht als die richtige aufzu- stellen. Sollen wir aus der Geschichte lernen, so muͤssen wir die Dinge, welche sich wirklich zugetragen haben, doch auch fuͤr die Folge als moͤglich ansehen, und daß die Reihe der großen Begebenheiten, die dem Marsch auf Moskau gefolgt sind, nicht eine Reihe von Zufaͤllen ist, wird Jeder einraͤumen der auf ein Urtheil in solchen Dingen Anspruch machen kann. Waͤre es den Russen moͤglich gewesen ihre Grenzen nothduͤrftig zu vertheidigen, so waͤre zwar ein Sinken der franzoͤsischen Macht und ein Umschwung des Gluͤcks immer wahrscheinlich geblieben, aber er waͤre gewiß nicht so gewaltsam und entscheidend eingetreten. Mit Opfern und Gefahren (die freilich fuͤr jedes andere Land viel groͤßer, fuͤr die meisten unmoͤglich gewesen waͤren) hat Rußland diesen ungeheuren Vortheil gekauft. So wird man immer einen großen positiven Erfolg nur durch positive, auf Entscheidung und nicht auf bloßes Ab- Abwarten gerichtete Maaßregeln herbeifuͤhren, kurz, man erhaͤlt auch in der Vertheidigung den großen Gewinn nur durch einen hohen Einsatz. Neuntes Kapitel. Kriegsplan, wenn Niederwerfung des Feindes das Ziel ist . Nachdem wir die verschiedenen Zielpunkte welche der Krieg haben kann naͤher charakterisirt haben, wollen wir die Anordnung des ganzen Krieges fuͤr die drei einzelnen Abstufungen durchgehen, welche sich nach jenen Zielpunkten ergeben haben. Nach Allem was wir bis jetzt uͤber den Gegenstand schon gesagt haben, werden zwei Hauptgrundsaͤtze den gan- zen Kriegsplan umfassen und allen uͤbrigen zur Richtung dienen. Der erste ist: das Gewicht der feindlichen Macht auf so wenig Schwerpunkte als moͤglich zuruͤckzufuͤhren, wenn es sein kann auf einen; wiederum den Stoß gegen diese Schwerpunkte auf so wenig Haupthandlungen als moͤglich zuruͤckzufuͤhren, wenn es sein kann auf eine; endlich alle untergeordnete Handlungen so untergeordnet als moͤglich zu halten. Mit einem Wort, der erste Grundsatz ist: so kon- zentrirt als moͤglich zu handeln. Der zweite Grundsatz ist: so schnell als moͤglich zu handeln, also keinen Aufenthalt und keinen Umweg ohne hinreichenden Grund. Das Reduziren der feindlichen Macht auf einen Schwerpunkt haͤngt ab: Erstens von dem politischen Zusammenhang derselben III 11 Sind es Heere eines Herrn, so hat es meist keine Schwie- rigkeit; sind es verbuͤndete Heere, deren das eine als bloßer Bundesgenosse ohne eigenes Interesse handelt, so ist die Schwierigkeit nicht viel groͤßer; sind es zu gemeinschaftli- chen Zwecken Verbuͤndete, so kommt es auf den Grad der Befreundung an; wir haben davon schon geredet. Zweitens von der Lage des Kriegstheaters auf wel- chem die verschiedenen feindlichen Heere erscheinen. Sind die feindlichen Kraͤfte auf einem Kriegstheater in einem Heere beisammen, so bilden sie faktisch eine Ein- heit und wir brauchen nach dem Übrigen nicht zu fragen; sind sie auf einem Kriegstheater in getrennten Heeren, die verschiedenen Maͤchten angehoͤren, so ist die Einheit nicht mehr absolut, es ist aber doch noch ein hinreichender Zu- sammenhang der Theile da, um durch einen entschiedenen Stoß gegen einen Theil den andern mitfortzureißen. Sind die Heere auf benachbarten, durch keine großen Na- turgegenstaͤnde getrennten Kriegstheatern aufgestellt, so fehlt es auch hier noch nicht an dem entschiedenen Einfluß des einen auf das andere; sind die Kriegstheater sehr weit von einander entfernt, liegen neutrale Strecken, große Gebirge u. s. w. dazwischen, so ist der Einfluß sehr zwei- felhaft, also unwahrscheinlich; liegen sie gar an ganz ver- schiedenen Seiten des bekriegten Staates, so daß die Wir- kungen gegen dieselben in excentrischen Linien aus einander gehen, so ist fast die Spur jedes Zusammenhanges ver- schwunden. Wenn Preußen von Rußland und Frankreich zugleich bekriegt wuͤrde, so waͤre das, in Beziehung auf die Krieg- fuͤhrung, so gut als wenn es zwei verschiedene Kriege waͤ- ren; allenfalls wuͤrde die Einheit in den Unterhandlungen zum Vorschein kommen. Die saͤchsische und die oͤstreichische Kriegsmacht im siebenjaͤhrigen Kriege waren dagegen als eine zu betrachten; was die eine litt mußte die andere mitempfinden, theils weil die Kriegstheater in derselben Richtung fuͤr Friedrich den Großen lagen, theils weil Sachsen gar keine politische Selbststaͤndigkeit hatte. So viel Feinde Bonaparte im Jahr 1813 zu be- kaͤmpfen hatte, so lagen sie ihm doch alle ziemlich nach einer Richtung hin, und die Kriegstheater ihrer Heere standen in einer nahen Verbindung und starken Wechsel- wirkung. Haͤtte er irgendwo durch Vereinigung seiner Kraͤfte die Hauptmacht uͤberwaͤltigen koͤnnen, so haͤtte er dadurch uͤber alle Theile entschieden. Wenn er die boͤhmi- sche Hauptarmee geschlagen haͤtte, uͤber Prag gegen Wien vorgedrungen waͤre, so haͤtte Bluͤcher bei dem besten Wil- len nicht in Sachsen bleiben koͤnnen, weil man ihn nach Boͤhmen zu Huͤlfe gerufen haben wuͤrde, und dem Kron- prinzen von Schweden wuͤrde es sogar an gutem Willen gefehlt haben in der Mark zu bleiben. Dagegen wird es fuͤr Östreich immer schwer sein, wenn es den Krieg gegen Frankreich am Rhein und in Italien zugleich fuͤhrt, durch einen erfolgreichen Stoß auf einem dieser Kriegstheater uͤber das andere mit zu ent- scheiden. Theils trennt die Schweiz mit ihren Bergen beide Kriegstheater zu stark, theils ist die Richtung der Straßen auf beiden excentrisch. Frankreich dagegen kann schon eher durch einen entscheidenden Erfolg auf dem einen uͤber das andere mitentscheiden, weil die Richtung seiner Kraͤfte auf beide koncentrisch gegen Wien und den Schwer- punkt der oͤstreichischen Monarchie geht; ferner kann man sagen, daß es leichter von Italien aus uͤber das rheinische Kriegstheater, als umgekehrt mitentscheiden kann, weil der 11* Stoß von Italien aus mehr auf das Centrum und der vom Rhein aus mehr auf den Fluͤgel der oͤstreichischen Macht trifft. Es geht hieraus hervor daß der Begriff von getrenn- ter und zusammenhaͤngender feindlicher Macht auch durch alle Stufenverhaͤltnisse fortlaͤuft und daß man also im einzelnen Fall erst uͤbersehen kann, welchen Einfluß die Begebenheiten des einen Kriegstheaters auf das andere haben werden, wonach sich dann erst ausmachen laͤßt, in wiefern man die verschiedenen Schwerpunkte der feindlichen Macht auf einen zuruͤckfuͤhren kann. Von dem Grundsatz, alle Kraft gegen den Schwer- punkt der feindlichen Macht zu richten, giebt es nur eine Ausnahme: wenn naͤmlich Nebenunternehmungen unge- woͤhnliche Vortheile versprechen, und doch setzen wir dabei voraus daß entschiedene Überlegenheit uns dazu in den Stand setzt ohne auf dem Hauptpunkt zu viel zu wagen. Als General Buͤlow im Jahr 1814 nach Holland marschirte, konnte man voraussehen daß die 30,000 Mann seines Korps nicht allein eben so viel Franzosen neutralisi- ren, sondern auch den Hollaͤndern und Englaͤndern Gelegen- heit geben wuͤrden, mit Kraͤften aufzutreten, die ohne dem gar nicht in Wirksamkeit gekommen waͤren. So wird also der erste Gesichtspunkt beim Entwurf des Krieges der sein: die Schwerpunkte der feindlichen Macht auszumitteln und sie wo moͤglich auf einen zuruͤckzufuͤhren. Der zweite wird sein: die Kraͤfte, welche gegen diesen Schwerpunkt gebraucht werden sollen, zu einer Haupthand- lung zu vereinigen. Hier koͤnnen nun folgende Gruͤnde fuͤr ein Theilen und Trennen der Streitkraͤfte uns entgegentreten: 1. Die urspruͤngliche Aufstellung der Streitkraͤfte, also auch die Lage der im Angriff begriffenen Staaten. Wenn die Vereinigung der Streitkraͤfte Umwege und Zeitverlust verursacht und die Gefahr beim getrennten Vordringen nicht zu groß ist, so kann dasselbe dadurch gerechtfertigt sein; denn eine nicht nothwendige Vereini- gung der Kraͤfte mit großem Zeitverlust zu bewerkstelligen und dem ersten Stoß dadurch seine Frische und Schnell- kraft zu benehmen, waͤre gegen den zweiten von uns auf- gestellten Hauptgrundsatz. In allen Faͤllen wo man Aus- sicht hat den Feind einigermaßen zu uͤberraschen, wird dies eine besondere Ruͤcksicht verdienen. Aber wichtiger ist noch der Fall, wenn der Angriff von verbuͤndeten Staaten unternommen wird, die gegen den angegriffenen Staat nicht auf einer Linie, nicht hinter, sondern neben einander liegen. Wenn Preußen und Öst- reich den Krieg gegen Frankreich unternehmen, so waͤre es eine sehr gezwungene, Zeit und Kraͤfte verschwendende Maaß- regel, wenn die Heere beider Maͤchte von einem Punkte aus vorgehen wollten, da die natuͤrliche Richtungslinie der Preußen vom Niederrhein und der Östreicher vom Ober- rhein auf das Herz von Frankreich geht. Die Vereinigung koͤnnte also hier nicht ohne Aufopferung erreicht werden, und es fraͤgt sich also in dem einzelnen Fall, ob sie so nothwendig ist diese Opfer bringen zu muͤssen. 2. Das getrennte Vorgehen kann groͤßere Erfolge darbieten. Da hier von dem getrennten Vorgehen gegen einen Schwerpunkt die Rede ist, so setzt das ein koncentri- sches Vorgehen voraus. Ein getrenntes Vorgehen auf parallelen oder excentrischen Linien gehoͤrt in die Rubrik der Nebenunternehmungen , wovon wir schon gespro- chen haben. Nun hat jeder koncentrische Angriff, in der Strategie wie in der Taktik, die Tendenz der groͤßeren Erfolge; denn wenn er gelingt, so ist nicht ein einfaches Werfen, sondern mehr oder weniger ein Abschneiden der feindlichen Armeen die Folge davon. Der koncentrische Angriff ist also immer der erfolgreichere, aber wegen der getrenn- ten Theile und des vergroͤßerten Kriegstheaters auch der gewagtere; es verhaͤlt sich damit wie mit Angriff und Vertheidigung, die schwaͤchere Form hat den groͤßten Er- folg fuͤr sich. Es kommt also darauf an, ob sich der Angreifende stark genug fuͤhlt nach diesem großen Ziel zu streben. Als Friedrich der Große im Jahr 1757 in Boͤhmen vordringen wollte, that er es mit getrennter Macht von Sachsen und Schlesien aus. Die beiden Hauptgruͤnde dazu waren: daß seine Macht sich im Winter so aufgestellt fand und ein Zusammenziehen derselben auf einen Punkt dem Stoß die Überraschung benommen haben wuͤrde; naͤchstdem aber daß durch dieses koncentrische Vordringen jedes der beiden oͤstreichischen Kriegstheater in seiner Flanke und im Ruͤcken bedroht war. Die Gefahr, welcher sich Friedrich der Große dabei aussetzte, war, daß eine seiner beiden Armeen von uͤberlegener Macht zu Grunde gerichtet wuͤrde; verstanden die Östreicher das nicht , so konnten sie die Schlacht entweder nur im Centro annehmen oder sie waren in Gefahr auf der einen oder andern Seite ganz aus ihrer Ruͤckzugslinie hinausgeworfen zu werden und eine Katastrophe zu erleben; und dies war der erhoͤhete Erfolg welchen dieses Vordringen dem Koͤnige versprach. Die Östreicher zogen die Schlacht im Centro vor, aber Prag, wo sie sich aufstellten, lag noch zu sehr im Einfluß des umfassenden Angriffs, der, weil sie sich ganz leidend verhielten, Zeit hatte in seine letzte Wirksamkeit auszu- laufen. Die Folge war, als sie die Schlacht verloren hatten, eine wahre Katastrophe; denn daß zwei Drittel der Armee mit dem kommandirenden General sich in Prag einschließen lassen mußten, kann wohl dafuͤr gelten. Dieser glaͤnzende Erfolg bei Eroͤffnung des Feldzugs lag in dem Wagstuͤck des koncentrischen Angriffs. Wenn Friedrich die Praͤzision seiner eigenen Bewegungen, die Energie seiner Generale, die moralische Überlegenheit seiner Truppen auf der einen Seite, und die Schwerfaͤlligkeit der Östreicher auf der andern fuͤr hinreichend hielt, um seinem Plan Erfolg zu versprechen, wer konnte ihn tadeln! Aber diese moralischen Groͤßen duͤrfen nicht aus dem Kalkuͤl wegge- lassen und der einfachen geometrischen Form des Angriffs schlechtweg die Ursache zugeschrieben werden. Man denke nur an den nicht weniger glaͤnzenden Feldzug Bonapartes im Jahr 1796, wo die Östreicher fuͤr ein koncentrisches Vordringen in Italien so auffallend bestraft wurden. Die Mittel welche dem franzoͤsischen General hier zu Gebot standen, haͤtten, mit Ausschluß der moralischen, auch dem oͤstreichischen Feldherrn im Jahr 1757 zu Gebot gestan- den, und zwar mehr als das, denn er war nicht, wie Bo- naparte, schwaͤcher als sein Gegner. Wo man also befuͤrchten muß, dem Gegner durch ein getrenntes koncentrisches Vor- dringen die Moͤglichkeit zu verschaffen, vermittelst der in- neren Linien die Ungleichheit der Streitkraͤfte aufzuheben: da ist es nicht zu rathen, und wenn es der Lage der Streitkraͤfte wegen statt finden muß, als ein nothwendiges Übel zu betrachten. Wenn wir von diesem Gesichtspunkt aus einen Blick auf den Plan werfen, welcher im Jahr 1814 fuͤr das Eindringen in Frankreich gemacht wurde, so koͤnnen wir ihn unmoͤglich billigen. Die russische, oͤstreichische und preußische Armee befanden sich auf einem Punkt bei Frank- furt am Main in der natuͤrlichsten und geradesten Rich- tung gegen den Schwerpunkt der franzoͤsischen Monarchie. Man trennte sie, um mit einer Armee von Mainz her, mit der andern durch die Schweiz in Frankreich einzudrin- gen. Da der Feind so schwach an Kraͤften war daß an eine Vertheidigung der Grenze nicht gedacht werden konnte, so war der ganze Vortheil welchen man von diesem kon- centrischen Vordringen zu erwarten hatte, wenn es gelang: daß, indem man mit der einen Armee Lothringen und den Elsaß eroberte, mit der andern die Franche-Comt é ge- nommen wurde War dieser kleine Vortheil der Muͤhe werth nach der Schweiz zu marschiren? — Wir wissen wohl daß noch andere, uͤbrigens eben so schlechte, Gruͤnde fuͤr diesen Marsch entschieden haben, wir bleiben aber hier bei dem Element stehen wovon wir gerade handeln. Von der andern Seite war Bonaparte der Mann der die Vertheidigung gegen einen koncentrischen Angriff sehr wohl verstand, wie sein meisterhafter Feldzug von 1796 gezeigt hatte, und wenn man ihm sehr an der Zahl uͤberlegen war, so raͤumte man doch bei jeder Gelegenheit ein, wie sehr er es moralisch sei. Er kam zu spaͤt bei seiner Armee nach Chalons an und dachte uͤberhaupt zu geringschaͤtzig von seinen Gegnern, und doch fehlte wenig daran daß er die beiden Armeen unvereinigt getroffen haͤtte; und wie fand er sie bei Brienne dennoch geschwaͤcht? Bluͤcher hatte von seinen 65,000 Mann noch 27,000 unter den Haͤnden, und die Hauptarmee von 200,000 Mann noch 100,000. Es war unmoͤglich dem Gegner ein besseres Spiel zu geben. Auch fuͤhlte man, von dem Augenblick an wo man zum Handeln schritt, kein sehnlicheres Beduͤrf- niß als die Wiedervereinigung. Wir glauben nach allen diesen Betrachtungen daß, wenn der koncentrische Angriff auch an sich das Mittel zu groͤßeren Erfolgen ist, er doch hauptsaͤchlich nur aus der urspruͤnglichen Vertheilung der Streitkraͤfte hervorge- hen soll, und daß es wenig Faͤlle geben wird wo man Recht hat um seinetwillen die kuͤrzeste und einfachste Rich- tung der Kraͤfte zu verlassen. 3. Die Ausbreitung eines Kriegstheaters kann ein Grund zum getrennten Vorgehen sein. Wenn eine angreifende Armee von einem Punkt aus vorgeht und mit Erfolg weiter in das feindliche Land eindringt, so wird zwar der Raum welchen sie beherrscht nicht genau auf die Wege die sie zieht beschraͤnkt bleiben, sondern sich etwas erweitern, doch wird dies von der Dichtigkeit und Cohaͤsion des feindlichen Staates abhangen , wenn wir uns dieses Bildes bedienen duͤrfen. Haͤngt der feindliche Staat nur locker zusammen, ist sein Volk weich- lich und des Krieges entwoͤhnt, so wird, ohne daß wir Viel dazu thun, sich hinter unserm siegreichen Heer ein weiter Landstrich oͤffnen; haben wir es aber mit einem tapfern und treuen Volke zu thun, so wird der Raum hinter unserm Heere mehr oder weniger ein schmales Dreieck sein. Um nun diesem Übel vorzubeugen, hat der Vorge- hende das Beduͤrfniß sein Vordringen in einer gewissen Breite anzuordnen. Ist die feindliche Macht auf einem Punkt vereinigt, so kann diese Breite nur so lange beibe- halten werden als wir nicht im Contact mit ihr sind, und muß sich zu ihrem Aufstellungspunkt hin verengen; das ist an sich verstaͤndlich. Aber wenn der Feind sich selbst in einer gewissen Breite aufgestellt hat, so wuͤrde eine ebenmaͤßige Vertheilung unserer Streitkraͤfte an sich nichts Widersinniges haben. Wir sprechen hier von einem Kriegstheater oder von meh- reren, die aber nahe bei einander liegen. Offenbar ist also dies da der Fall, wo, nach unserer Ansicht, die Hauptunter- nehmung uͤber die Nebenpunkte mitentscheiden soll. Kann man es nun immer darauf ankommen lassen, und darf man sich der Gefahr aussetzen welche entsteht wenn der Einfluß des Hauptpunktes auf die Nebenpunkte nicht groß genug ist? Verdient das Beduͤrfniß einer ge- wissen Breite des Kriegstheaters nicht eine besondere Ruͤcksicht? Hier wie uͤberall ist es unmoͤglich die Zahl der Com- binationen zu erschoͤpfen die stattfinden koͤnnen; aber wir behaupten, daß, mit wenig Ausnahmen, die Entscheidung auf dem Hauptpunkte die Nebenpunkte mittreffen werde. Nach diesem Grundsatz ist also die Handlung in allen Faͤllen einzurichten wo nicht das Gegentheil offenbar ist. Als Bonaparte in Rußland eindrang, durfte er mit Recht glauben die Streitkraͤfte der Russen an der oberen Duͤna durch die Überwaͤltigung der Hauptmacht mitfort- reißen zu koͤnnen. Er ließ anfangs nur das Korps von Oudinot gegen sie stehen, allein Wittgenstein ging zum Angriff uͤber, und Bonaparte war genoͤthigt auch noch das sechste Korps dahin zu schicken. Dagegen hatte er von Hause aus einen Theil seiner Streitkraͤfte gegen Bagration gerichtet; dieser aber wurde von der ruͤckgaͤngigen Bewegung der Mitte mitfortgerissen, und Bonaparte konnte diese Streitkraͤfte wieder an sich ziehen. Haͤtte Wittgenstein nicht die zweite Hauptstadt zu decken gehabt, so wuͤrde auch er Barklay gefolgt sein. In den Jahren 1805 und 1809 hatte Bonaparte bei Ulm und Regensburg uͤber Italien und Tyrol mit- entschieden, obgleich das erstere doch ein ziemlich entlegenes, fuͤr sich bestehendes Kriegstheater war. Im Jahre 1806 hat er bei Jena und Auerstaͤdt uͤber Alles entschieden was in Westphalen, Hessen und auf der frankfurter Straße gegen ihn geschehen konnte. Unter der Menge von Umstaͤnden welche auf den Widerstand der Seitentheile Einfluß haben koͤnnen, treten hauptsaͤchlich zwei hervor. Der erste ist: wenn man, wie in Rußland, einem Lande von großen Dimensionen und verhaͤltnißmaͤßig auch großen Kraͤften, den entscheidenden Schlag im Hauptpunkte lange verzoͤgern kann und nicht genoͤthigt ist dort Alles in der Eile zusammenzuraffen. Der zweite: wenn, wie im Jahre 1806 Schlesien, ein Seitenpunkt durch eine Masse von Festungen unge- woͤhnliche Selbststaͤndigkeit bekommt. Und doch hat Bo- naparte diesen Punkt mit großer Geringschaͤtzung behandelt, indem er, ob er ihn gleich bei seinem Marsch auf War- schau voͤllig hinter sich lassen mußte, doch nur 20,000 Mann unter seinem Bruder Jerome dahin anruͤcken ließ. Hat sich nun in einem vorliegenden Falle ergeben daß der Schlag auf den Hauptpunkt die Seitenpunkte hoͤchst wahrschein- lich nicht erschuͤttern wird, oder wirklich nicht erschuͤttert hat, so liegt doch darin, daß der Feind auf diesen Punkten wirklich Streitkraͤfte aufgestellt hat, und diesen werden dann, als ein nothwendiges Übel, andere angemessenere entgegengestellt werden muͤssen, weil man seine Verbindungslinie nicht von Hause aus absolut preisgeben kann. Die Vorsicht aber kann noch einen Schritt weiter gehen; sie kann fordern daß das Vorschreiten gegen den Hauptpunkt mit dem Vorschreiten auf Nebenpunkten genau Schritt halte, und daß folglich jedesmal mit dem Haupt- unternehmen innegehalten werde wenn die Nebenpunkte des Feindes nicht weichen wollen. Dieser Grundsatz wuͤrde dem unsrigen, Alles in eine Haupthandlung so viel als moͤglich zu vereinigen, zwar nicht geradezu widersprechen, allein der Geist, aus welchem er entspringt, ist dem Geist, in welchem der unsrige ge- dacht ist, vollkommen entgegen. Aus diesem Grundsatz wuͤrde ein solches Abmessen der Bewegung, ein solches Laͤhmen der Stoßkraft, ein solches Spiel von Zufaͤllen, ein solcher Zeitverlust entstehen, daß er sich mit einer Of- fensive, die auf die Niederwerfung des Gegners gerichtet ist, praktisch durchaus nicht vertraͤgt. Die Schwierigkeit wird noch groͤßer wenn die Kraͤfte dieser Nebenpunkte sich excentrisch zuruͤckziehen koͤnnen — was wuͤrde da aus der Einheit unseres Stoßes werden? Wir muͤssen uns also gegen die Abhaͤngigkeit des Hauptangriffs von den Nebenpunkten als Grundsatz durch- aus erklaͤren, und behaupten: daß ein auf das Niederwerfen des Gegners gerichteter Angriff, der nicht die Kuͤhnheit hat wie eine Pfeilspitze gegen das Herz des feindlichen Staates hinzuschießen, sein Ziel nicht erreichen kann. 4. Endlich liegt noch in der Erleichterung des Un- terhaltes ein vierter Grund zum getrennten Vorgehen. Es ist freilich viel angenehmer mit einer kleinen Armee durch eine wohlhabende Provinz zu ziehen, als mit einer großen durch eine arme; aber bei zweckmaͤßigen Maaßregeln und einem an Entbehrung gewoͤhnten Heere ist das Letztere nicht unmoͤglich, und es sollte also das Erstere niemals so viel Einfluß auf unsere Entschluͤsse haben um uns einer großen Gefahr auszusetzen. Wir haben nun hiermit den Gruͤnden zur Trennung der Kraͤfte, wodurch die eine Haupthandlung in mehrere zerlegt wird, ihr Recht eingeraͤumt, und werden nicht zu tadeln wagen wenn die Trennung nach einem dieser Gruͤnde mit deutlichem Bewußtsein des Zweckes und sorgfaͤltiger Abwaͤgung der Vortheile und Nachtheile geschieht. Wenn aber, wie es gewoͤhnlich geschieht, von einem ge- lehrten Generalstabe der Plan bloß aus Gewohnheit so gemacht wird, wenn die verschiedenen Kriegstheater wie die Felder im Schachspiel, jedes mit seinem Theil, vorher besetzt werden muͤssen ehe die Zuͤge anfangen, wenn diese Zuͤge mit einer eingebildeten Combinationsweisheit in ver- wickelten Linien und Verhaͤltnissen sich dem Ziele naͤhern, wenn die Heere sich heute trennen muͤssen um ihre ganze Kunst darin bestehen zu lassen sich in vierzehn Tagen mit groͤßter Gefahr wieder zu vereinigen — dann haben wir ein Graͤuel an diesem Verlassen des graden, einfachen, schlichten Weges um sich absichtlich in lauter Verwirrung zu stuͤrzen. Diese Thorheit tritt um so leichter ein, je weniger es der oberste Feldherr ist der den Krieg leitet und ihn in dem Sinne, wie wir im ersten Kapitel ange- deutet haben, als eine einfache Handlung seines, mit unge- heuren Kraͤften ausgeruͤsteten, Individuums fuͤhrt; je mehr also der ganze Plan in der Fabrik eines unpraktischen Generalstabes entstanden und aus den Ideen von einem Dutzend Halbwisser hervorgegangen ist. — Wir haben nun noch den dritten Theil unseres ersten Grundsatzes zu bedenken: naͤmlich die untergeordneten Theile so untergeordnet als moͤglich zu halten. Indem man den ganzen kriegerischen Akt auf ein einfaches Ziel zuruͤckzufuͤhren strebt und dieses so viel als moͤglich durch eine große Handlung zu erreichen sucht, beraubt man die uͤbrigen Beruͤhrungspunkte der gegenseiti- gen Kriegsstaaten eines Theiles ihrer Selbststaͤndigkeit; sie werden untergeordnete Handlungen. Koͤnnte man Alles absolut in eine einzige zusammendraͤngen, so wuͤrden jene Beruͤhrungspunkte ganz neutralisirt werden, das ist aber selten moͤglich, und es kommt also darauf an sie so in Schranken zu halten daß sie der Hauptsache nicht zu viel Kraͤfte entziehen. Wir fangen damit an, zu sagen daß der Kriegsplan diese Tendenz selbst dann haben muß, wenn es nicht moͤg- lich ist den ganzen feindlichen Widerstand auf einen Schwerpunkt zuruͤckzufuͤhren, wenn man also in dem Fall ist, wie wir uns schon einmal ausgedruͤckt haben, zwei fast ganz verschiedene Kriege zu gleicher Zeit zu fuͤhren. Immer muß der eine als die Hauptsache angesehen werden, auf welche sich vorzugsweise die Kraͤfte und Thaͤ- tigkeiten richten. Bei dieser Ansicht ist es vernuͤnftig, angriffsweise nur nach dieser einen Hauptseite hinzugehen, auf der andern aber vertheidigend zu bleiben. Nur wo ungewoͤhnliche Umstaͤnde zu einem Angriff einladen wuͤrde er zu recht- fertigen sein. Ferner wird man diese Vertheidigung, welche auf den untergeordneten Punkten statt findet, mit so wenigen Kraͤften als moͤglich zu fuͤhren, und sich aller Vortheilezu bedienen suchen welche diese Widerstandsform zu gewaͤhren vermag. Noch viel mehr wird diese Ansicht bei allen Kriegs- theatern gelten, auf welchen zwar auch Heere verschiedener Maͤchte auftreten, aber doch solche die in dem allgemeinen Schwerpunkte mitgetroffen werden. Gegen den Feind aber, welchem der Hauptstoß gilt, kann es hiernach auf Nebenkriegstheatern keine Vertheidi- gung mehr geben. Der Hauptangriff selbst und die durch andere Ruͤcksichten herbeigefuͤhrten untergeordneten Angriffe machen diesen Stoß aus, und machen jede Vertheidigung von Punkten, welche durch sie nicht unmittelbar gedeckt werden, uͤberfluͤssig. Auf die Hauptentscheidung kommt es an, in ihr wird jeder Verlust eingebracht. Reichen die Kraͤfte hin eine solche Hauptentscheidung vernuͤnftigerweise zu suchen, so kann die Moͤglichkeit des Fehlschlagens nicht mehr als ein Grund gebraucht werden, sich in jedem Fall auf andere Punkte fuͤr Schaden zu huͤten; denn dieses Fehlschlagen wird eben dadurch viel wahrschein- licher, und es ist also in unserer Handlung ein Wider- spruch entstanden. Aber dieses Vorhersehen der Haupthandlung uͤber die untergeordneten soll auch selbst bei den einzelnen Gliedern des ganzen Angriffs statt finden. Da sich aber meist aus anderweitigen Gruͤnden bestimmt, welche Kraͤfte von dem einen Kriegstheater und welche von dem andern gegen den gemeinschaftlichen Schwerpunkt vordringen sollen: so kann hier nur gemeint sein, daß ein Bestreben da sein muß die Haupthandlung vorwalten zu lassen , und daß Alles einfacher und weniger Zufaͤllen unterworfen sein wird, je mehr dieses Vorwalten erreicht werden kann. Der zweite Grundsatz betrifft den schnellen Gebrauch der Streitkraͤfte. Jeder unnuͤtze Zeitaufwand, jeder unnuͤtze Umweg ist eine Verschwendung der Kraͤfte, und also der Strategie ein Graͤuel. Aber wichtiger ist die Erinnerung, daß der Angriff uͤberhaupt fast seinen einzigen Vorzug in der Überraschung besitzt, womit die Eroͤffnung der Scene wirken kann. Das Ploͤtzliche und Unaufhaltsame sind seine staͤrksten Schwin- gen, und wo es auf die Niederwerfung des Gegners an- kommt kann er dieser selten entbehren. Hiermit fordert die Theorie also die kuͤrzesten Wege zum Ziel, und schließt die zahllosen Diskussionen uͤber rechts und links, hierhin oder dorthin von der Betrachtung ganz aus. Wenn wir an Das erinnern was wir in dem Kapitel von dem Gegenstand des strategischen Angriffs uͤber die Herzgrube der Staaten gesagt haben, ferner an Das was im vierten Kapitel dieses Buchs uͤber den Einfluß der Zeit vorkommt: so, glauben wir, bedarf es keiner weiteren Entwickelungen um zu zeigen daß jenem Grundsatz der Einfluß wirklich gebuͤhre welchen wir fuͤr ihn fordern. Bonaparte hat niemals anders gehandelt. Die naͤchste Hauptstraße von Heer zu Heer oder von Hauptstadt zu Hauptstadt war ihm immer der liebste Weg. Und worin wird nun die Haupthandlung, auf welche wir Alles zuruͤckgefuͤhrt und fuͤr welche wir eine rasche und unumwundene Vollziehung gefordert haben, bestehen? Was die Niederwerfung des Feindes sei, haben wir, soviel es sich im Allgemeinen thun laͤßt, im vierten Ka- pitel gesagt, und es waͤre unnuͤtz es zu wiederholen. Worauf es nun auch dabei im einzelnen Fall am Ende ankommen mag, so ist doch der Anfang dazu uͤberall der- selbe: die Vernichtung der feindlichen Streitkraft d. h. ein großer Sieg uͤber dieselbe und ihre Zertruͤmmerung. Je fruͤher, d. h. je naͤher an unseren Grenzen dieser Sieg gesucht wird, um so leichter ist er; je spaͤter d. h. je tiefer im feindlichen Lande er erfochten wird, um so entschei- dender ist er. Hier wie uͤberall halten sich die Leichtig- tigkeit des Erfolgs und die Groͤße desselben das Gleich- gewicht. Sind Sind wir also der feindlichen Streitkraft nicht so uͤberlegen daß der Sieg unzweifelhaft ist, so muͤssen wir sie, d. h. ihre Hauptmacht, wo moͤglich aufsuchen. Wir sagen wo moͤglich, denn wenn dieses Aufsuchen zu großen Umwegen, falschen Richtungen und Zeitverlust fuͤr uns fuͤhrte, so koͤnnte es leicht ein Fehler werden. Findet sich die feindliche Hauptmacht nicht auf unserem Wege und koͤnnen wir, weil es sonst gegen unser Interesse ist, sie nicht aufsuchen, so duͤrfen wir sicher sein sie spaͤter zu fin- den, denn sie wird nicht saͤumen sich uns entgegen zu werfen. Wir werden dann, wie wir eben gesagt haben, unter weniger vortheilhaften Umstaͤnden schlagen; ein Übel dem wir uns unterziehen muͤssen. Gewinnen wir die Schlacht dennoch, so wird sie um so entscheidender sein. Hieraus folgt, daß, in dem angenommenen Fall, ein absichtliches Vorbeigehen der feindlichen Hauptmacht, wenn sie sich schon auf unserem Wege befindet, ein Fehler sein wuͤrde, wenigstens in sofern man dabei eine Erleichterung des Sieges beabsichtigte. Dagegen folgt aus dem Obigen: daß man, bei einer sehr entschiedenen Überlegenheit, der feindlichen Hauptmacht absichtlich vorbeigehen koͤnne, um spaͤterhin eine entscheiden- dere Schlacht zu liefern. Wir haben von einem vollstaͤndigen Siege, also von einer Niederlage des Feindes und nicht von einer bloßen gewonnenen Schlacht gesprochen. Zu einem solchen Siege aber gehoͤrt ein umfassender Angriff oder eine Schlacht mit verwandter Fronte, denn beide geben dem Ausgang jedesmal einen entscheidenden Charakter. Es gehoͤrt also zum Wesentlichen des Kriegsplanes daß wir uns darauf einrichten, sowohl was die Masse der Streitkraͤfte betrifft die noͤthig, als die Richtungen welche ihnen zu geben sind, III 12 wovon das Weitere im Kapitel von dem Feldzugsplan gesagt werden soll. Daß auch Schlachten mit gerader Fronte zu vollkom- menen Niederlagen fuͤhren, ist zwar nicht unmoͤglich und es fehlt nicht an Beispielen in der Kriegsgeschichte, allein der Fall ist seltener, und wird immer seltener je mehr die Heere sich an Ausbildung und an Gewandheit aͤhnlicher werden. Jetzt macht man nicht mehr, wie bei Blenheim, einundzwanzig Bataillone in einem Dorfe gefangen. Ist nun der große Sieg erfochten, so soll von keiner Rast, von keinem Athemholen, von keinem Besinnen, von keinem Feststellen u. s. w. die Rede sein, sondern nur von der Verfolgung, von neuen Stoͤßen wo sie noͤthig sind, von der Einnahme der feindlichen Hauptstadt, von dem Angriff der feindlichen Huͤlfsheere oder was sonst als der Unterstuͤtzungspunkt des feindlichen Staates erscheint. Fuͤhrt uns der Strom des Sieges an feindlichen Festungen vorbei, so haͤngt es von unserer Staͤrke ab ob sie belagert werden sollen oder nicht. Bei großer Überle- genheit waͤre es ein Zeitverlust sich ihrer nicht so fruͤh als moͤglich zu bemaͤchtigen; sind wir aber des ferneren Er- folges an der Spitze nicht sicher, so muͤssen wir uns vor den Festungen mit so Wenigem als moͤglich behelfen, und das schließt die gruͤndliche Belagerung derselben aus. Von dem Augenblick an wo die Belagerung der Festungen uns zwingt mit dem Vorschreiten des Angriffs inne zu halten, hat dieser in der Regel seinen Kulminationspunkt er- reicht. Wir fordern also ein schnelles rastloses Vordringen und Nachdringen der Hauptmacht; wir haben es schon verworfen daß dieses Vorschreiten auf dem Hauptpunkte sich nach dem Erfolg auf den Nebenpunkten richte; die Folge wird also sein daß in allen gewoͤhnlichen Faͤllen unser Hauptheer nur einen schmalen Landstrich hinter sich behaͤlt, welchen es sein nennen kann und der also sein Kriegstheater ausmacht. Die Art wie dies die Stoßkraft an der Spitze schwaͤcht, die Gefahren welche dem Angrei- fenden daraus erwachsen, haben wir fruͤher gezeigt. Wird diese Schwierigkeit, wird dieses innere Gegengewicht nicht einen Punkt erreichen koͤnnen der das weitere Vordringen hemmt? Allerdings kann das sein. Aber so wie wir oben behauptet haben, daß es ein Fehler waͤre von Hause aus dieses verengte Kriegstheater vermeiden zu wollen und um dieses Zweckes willen dem Angriff seine Schnell- kraft zu benehmen, so behaupten wir auch jetzt: so lange der Feldherr seinen Gegner noch nicht niedergewor- fen hat, so lange er glaubt stark genug zu sein um das Ziel zu gewinnen, so lange muß er es verfolgen. Er thut es vielleicht mit steigender Gefahr, aber auch mit steigen- der Groͤße des Erfolgs. Kommt ein Punkt wo er es nicht wagt weiterzugehen, wo er glaubt fuͤr seinen Ruͤk- ken sorgen zu muͤssen, sich rechts und links auszubreiten — wohlan, es ist hoͤchst wahrscheinlich sein Kulminationspunkt. Die Flugkraft ist dann zu Ende, und wenn der Gegner nicht niedergeworfen ist so wird hoͤchst wahrscheinlich Nichts daraus werden. Alles was er zur intensiven Ausbildung seines An- griffs mit Eroberung von Festungen, Paͤssen, Provinzen thut, ist zwar noch ein langsames Vorschreiten, aber nur ein relatives, kein absolutes mehr. Der Feind ist nicht mehr auf der Flucht, er ruͤstet sich vielleicht schon zu er- neuertem Widerstand, und es ist also schon moͤglich daß, obgleich der Angreifende noch intensiv vorwaͤrtsschreitet, der Vertheidiger, indem er es auch thut, schon taͤglich et- was uͤber ihn gewinnt. Kurz wir kommen darauf zuruͤck: 12* es giebt in der Regel nach einem nothwendigen Halt keinen zweiten Anlauf. Die Theorie fordert also nur: daß, so lange die Idee besteht den Feind niederzuwerfen, rastlos gegen ihn vor- geschritten werde; giebt der Feldherr dieses Ziel auf, weil er die Gefahr dabei zu groß findet, so thut er recht inne zu halten und sich auszubreiten. Die Theorie tadelt dies nur wenn er es thut um dadurch zum Niederwerfen des Gegners geschickter zu werden. Wir sind nicht so thoͤricht zu behaupten daß es kein Beispiel von Staaten gaͤbe die nach und nach aufs Äu- ßerste gebracht worden waͤren. Erstlich ist der von uns aufgestellte Satz keine absolute Wahrheit, von der eine Ausnahme unmoͤglich waͤre, sondern er gruͤndet sich nur auf den wahrscheinlichen und gewoͤhnlichen Erfolg; sodann muß man unterscheiden ob der Untergang eines Staates nach und nach sich historisch zugetragen hat oder ob er gleich das Ziel des ersten Feldzugs gewesen war. Nur von diesem Fall sprechen wir hier, denn nur in ihm findet jene Spannung der Kraͤfte statt, die den Schwerpunkt der Last entweder uͤberwaͤltigt oder in Gefahr ist von ihm uͤberwaͤltigt zu werden. Wenn man sich im ersten Jahre einen maͤßigen Vortheil verschafft, zu diesem im folgenden einen andern hinzufuͤgt und so nach und nach langsam gegen das Ziel vorschreitet: so findet sich nirgend eine eminente Gefahr, aber dafuͤr ist sie auf viele Punkte vertheilt. Jeder Zwischenraum von einem Erfolg zum andern giebt dem Feinde neue Aussichten; die Wirkungen des fruͤheren Erfolges haben auf den spaͤteren einen sehr geringen Einfluß, oft keinen, oft einen negativen, weil der Feind sich erholt oder gar zu groͤßerem Widerstand ent- flammt wird, oder neue Huͤlfe von Außen bekommt, waͤhrend da, wo Alles in einem Zuge geschieht, der gestrige Erfolg den heutigen mit sich fortreißt, der Brand am Brande sich entzuͤndet. Wenn es Staaten giebt die durch successive Stoͤße uͤberwaͤltigt worden sind, und wo sich also die Zeit dem Vertheidiger, dessen Schutzheiliger sie ist, verderblich gezeigt hat, — wie unendlich viel zahlreicher sind die Beispiele wo die Absicht des Angreifenden daruͤber ganz verfehlt worden ist. Man denke nur an den Erfolg des siebenjaͤhrigen Krieges, wo die Östreicher das Ziel mit so viel Gemaͤchlichkeit, Behutsamkeit und Vorsicht zu er- reichen suchten daß sie es ganz verfehlten. Bei dieser Ansicht koͤnnen wir also gar nicht der Meinung sein, daß die Sorge fuͤr ein gehoͤrig eingerichtetes Kriegstheater dem Trieb nach Vorwaͤrts immer zur Seite stehen und ihm gewissermaßen das Gleichgewicht halten muͤsse, sondern wir sehen die Nachtheile die daraus er- wachsen als ein unvermeidliches Übel an, welches erst dann Ruͤcksicht verdient wenn uns nach vornhin keine Hoffnung mehr bleibt. Bonaparte’s Beispiel vom Jahre 1812, weit ent- fernt uns von unserer Behauptung zuruͤckzuschrecken, hat uns vielmehr darin bestaͤrkt. Sein Feldzug ist nicht mißrathen weil er zu schnell und zu weit vorgedrungen ist, wie die gewoͤhnliche Mei- nung geht, sondern weil die einzigen Mittel zum Erfolg fehlschlugen. Das russische Reich ist kein Land was man foͤrmlich erobern d. h. besetzt halten kann, wenigstens nicht mit den Kraͤften jetziger europaͤischer Staaten und auch nicht mit den 500,000 Mann die Bonaparte dazu an- fuͤhrte. Ein solches Land kann nur bezwungen werden durch eigene Schwaͤche und durch die Wirkungen des inne- ren Zwiespaltes. Um auf diese schwachen Stellen des politischen Daseins zu stoßen ist eine bis ins Herz des Staates gehende Erschuͤtterung nothwendig. Nur wenn Bonaparte mit seinem kraͤftigen Stoß bis Moskau hin- reichte, durfte er hoffen den Muth der Regierung und die Treue und Standhaftigkeit des Volkes zu erschuͤttern. In Moskau hoffte er den Frieden zu finden, und dies war das einzige vernuͤnftige Ziel welches er sich bei diesem Kriege stecken konnte. Er fuͤhrte also seine Hauptmacht gegen die Haupt- macht der Russen, die vor ihm zuruͤck uͤber das Lager von Drissa hinstolperte und erst bei Smolensk zum Stehen kam. Er riß Bagration mit fort, schlug beide und nahm Moskau ein. Er handelte hier wie er immer gehandelt hatte; nur auf diese Weise war er der Gebieter Europas geworden und nur auf diese Weise hatte er es werden koͤnnen. Wer also Bonaparte in allen seinen fruͤheren Feld- zuͤgen als den groͤßten Feldherrn bewundert, der soll sich in diesem nicht uͤber ihn erheben. Es ist erlaubt eine Begebenheit nach dem Erfolg zu beurtheilen, weil dieser die beste Kritik davon ist (siehe fuͤnftes Kapitel des zweiten Buches), aber dieses bloß aus dem Erfolg gezogene Urtheil muß man dann nicht mit menschlicher Weis- heit nachweisen wollen. Die Ursachen eines verungluͤckten Feldzugs aufsuchen, heißt noch nicht eine Kritik desselben machen; nur wenn man beweist daß diese Ursachen nicht haͤtten uͤbersehen oder unbeachtet bleiben sollen, macht man die Kritik und erhebt sich uͤber den Feldherrn. Nun behaupten wir, daß wer in dem Feldzug von 1812 bloß wegen seines ungeheueren Ruͤckschlages eine Absurditaͤt findet, waͤhrend er beim gluͤcklichen Erfolg darin die erhabensten Kombinationen gesehen haͤtte, eine voͤllige Unfaͤhigkeit des Urtheils zeigt. Waͤre Bonaparte in Litthauen stehen geblieben, wie die meisten Kritiker gewollt haben, um sich erst der Festun- gen zu versichern, deren es uͤbrigens, außer dem voͤllig seitwaͤrts gelegenen Riga, kaum eine gab, weil Bobruisk ein kleines unbedeutendes Nest ist: so wuͤrde er sich fuͤr den Winter in ein trauriges Vertheidigungssystem ver- wickelt haben; dann wuͤrden dieselben Leute die ersten ge- wesen sein welche ausgerufen haͤtten: das ist nicht mehr der alte Bonaparte! Wie, nicht einmal zu einer ersten Hauptschlacht hat er es getrieben, er der seine Eroberungen durch die Siege von Austerlitz und Friedland an den letzten Mauern der feindlichen Staaten zu besiegeln pflegte? Die feindliche Hauptstadt, das entbloͤßte zum Fall bereite Mos- kau hat er zu nehmen zaghaft versaͤumt und dadurch den Kern bestehen lassen um den sich neuer Widerstand sammeln konnte? Er hat das unerhoͤrte Gluͤck diesen ent- fernten ungeheuern Koloß zu uͤberfallen, wie man eine benachbarte Stadt oder wie Friedrich der Große das kleine nahe Schlesien uͤberfaͤllt, und er benutzt diesen Vor- theil nicht, haͤlt mitten im Siegeslauf inne als wenn sich ein boͤser Geist an seine Fersen gelegt haͤtte? — So wuͤrden die Leute geurtheilt haben, denn so sind die Urtheile der meisten Kritiker beschaffen. Wir sagen: der Feldzug von 1812 ist nicht gelungen, weil die feindliche Regierung fest, das Volk treu und standhaft blieb, weil er also nicht gelingen konnte. Es mag ein Fehler Bonapartes sein ihn unternommen zu haben, wenigstens hat der Erfolg gezeigt daß er sich in seinem Kalkuͤl betrogen hat, aber wir behaupten, daß, wenn dieses Ziel gesucht werden sollte, es der Hauptsache nach nicht anders zu erreichen war. Anstatt sich im Osten einen endlosen kostbaren Ver- theidigungskrieg aufzuladen, wie er ihn schon im Westen zu fuͤhren hatte, versuchte Bonaparte das einzige Mittel zum Zweck: mit einem kuͤhnen Schlag dem bestuͤrzten Gegner den Frieden abzugewinnen. Daß seine Armee dabei zu Grunde ging war die Gefahr welcher er sich dabei unterzog, es war der Einsatz im Spiel, der Preis der großen Hoffnung. Ist diese Zerstoͤrung seiner Streit- kraͤfte durch seine Schuld groͤßer geworden als noͤthig ge- wesen waͤre, so ist diese Schuld nicht in das weite Vordringen zu setzen, denn dies war Zweck und unvermeidlich, sondern in die spaͤte Eroͤffnung des Feldzugs, in die Menschen- verschwendung seiner Taktik, in den Mangel an Sorgfalt fuͤr den Unterhalt des Heeres und fuͤr die Einrichtung der Ruͤckzugsstraße, endlich in den etwas verspaͤteten Abmarsch von Moskau. Daß sich ihm die russischen Armeen an der Beresina vorlegen konnten, um ihm foͤrmlich den Ruͤckzug zu ver- wehren, ist kein starkes Argument gegen uns. Denn: erstlich hat gerade dies gezeigt wie schwer das wirkliche Abschnei- den zu bewirken ist, da sich der Abgeschnittene unter den unguͤnstigsten denkbaren Umstaͤnden am Ende den Weg noch gebahnt hat und dieser ganze Akt zur Vergroͤßerung seiner Katastrophe zwar beigetragen hat, aber sie doch nicht wesentlich ausmachte. Zweitens bot nur die seltene Beschaffenheit der Gegend die Mittel dar es so weit zu treiben, und ohne die, der großen Straße sich queervorlegenden, Suͤmpfe der Beresina, mit ihren wald- reichen unzugaͤnglichen Raͤndern, waͤre ein Abschneiden noch weniger moͤglich gewesen. Drittens giebt es uͤberhaupt kein Mittel sich gegen eine solche Moͤglichkeit anders zu sichern, als indem man seine Macht in einer gewissen Breite vorfuͤhrt, welches wir schon fruͤher verworfen ha- ben; denn ist man einmal darauf eingegangen in der Mitte vorzudringen und sich die Seiten durch Heere zu decken die man rechts und links zuruͤcklaͤßt, so muͤßte man bei jedem moͤglichen Unfall eines solchen Heeres mit der Spitze gleich zuruͤck eilen, und dann koͤnnte wohl aus dem Angriff nicht Viel werden. Man kann gar nicht sagen daß Bonaparte seine Seiten vernachlaͤssigt habe. Gegen Wittgenstein blieb eine uͤberlegene Macht stehen; vor Riga stand ein angemessenes Belagerungskorps, welches sogar dort uͤberfluͤssig war, und im Suͤden hatte Schwarzenberg 50,000 Mann, wo- mit er Tormassof uͤberlegen und selbst Tschitschagow bei- nahe gewachsen war; dazu kamen noch 30,000 Mann un- ter Victor im Mittelpunkt des Ruͤckens. — Selbst im Monat November, also im entscheidenden Augenblick als sich die russischen Streitkraͤfte verstaͤrkt hatten, und die franzoͤsischen schon sehr geschwaͤcht waren, war die Überle- genheit der Russen im Ruͤcken der moskauer Armee noch nicht so außerordentlich. Wittgenstein, Tschitschagow und Sacken bildeten zusammen eine Macht von 110,000 Mann. Schwarzenberg, Regnier, Victor, Oudinot und St. Cyr waren effektiv noch 80,000 Mann. Der behutsamste Ge- neral wuͤrde beim Vorgehen seinen Flanken kaum eine groͤßere Streitkraft widmen. Haͤtte Bonaparte von den 600,000 Mann, die im Jahr 1812 den Niemen uͤberschritten haben, statt 50,000 die mit Schwarzenberg, Regnier und Macdonald uͤber denselben zuruͤckgegangen sind, 250,000 zuruͤckgebracht, welches bei Vermeidung der Fehler die wir ihm vorge- worfen haben moͤglich war, so blieb es ein ungluͤcklicher Feldzug, aber die Theorie haͤtte Nichts dagegen einwenden koͤnnen, denn uͤber die Haͤlfte seines Heeres einzubuͤßen ist in solchem Fall nichts Ungewoͤhnliches, und nimmt sich fuͤr uns nur wegen des großes Maaßstabes so aus. — So viel uͤber die Haupthandlung, ihre nothwendige Tendenz und ihre unvermeidlichen Gefahren. Was die untergeordneten Handlungen betrifft, so sagen wir vor allen Dingen: es muß eine gemeinschaftliches Ziel aller da sein, aber dieses Ziel muß so gestellt werden daß es nicht die Thaͤtigkeiten einzelner Theile laͤhmt. Wenn man vom Ober- und Mittelrhein und von Holland aus gegen Frank- reich vordringt um sich bei Paris ein Rendezvous zu ge- ben, und jede Armee Nichts wagen, sondern sich so viel wie moͤglich intact erhalten soll bis diese Vereinigung erreicht ist, so nennen wir das einen verderblichen Plan. Es entsteht nothwendig ein Abwaͤgen der dreifachen Be- wegung, welche Zoͤgerung, Unentschlossenheit und Zaghaf- tigkeit in das Vorschreiten jedes Theils bringt. Besser ist es jedem Theil seine Armee fuͤr sich zuzumessen und nur die Einheit dahin zu setzen wo diese verschiedenen Thaͤtigkeiten von selbst zur Einheit werden. Dieses Trennen, um sich ein Paar Maͤrsche spaͤter wieder zu vereinigen, kommt fast in allen Kriegen vor und ist doch im Grunde ganz ohne Sinn. Ist man getrennt, so muß man wissen warum man es ist, und dieses warum muß erfuͤllt werden und kann nicht in der spaͤteren Ver- einigung bestehen wie bei einer Quadrillentour. Es soll also, wenn die Kriegsmacht zum Angriff auf getrennten Kriegstheatern vorgeht, jedem Heer seine Auf- gabe fuͤr sich bestehend gegeben werden, an deren Gegen- stand es seine Stoßkraft erschoͤpfen kann. Daß dies Letztere von allen Seiten geschehe, darauf kommt es an, und nicht darauf daß Alle verhaͤltnißmaͤßige Vortheile erringen. Wird einem der Heere seine Rolle zu schwer, weil der Feind eine andere Vertheilung gemacht hat als wir glaubten, erlebt es Ungluͤcksfaͤlle, so muß und darf dies keinen Einfluß auf die Thaͤtigkeit der andern haben, oder man wuͤrde von Hause aus die Wahrscheinlichkeit des allgemeinen Erfolges gegen sich selbst wenden. Nur wenn die Mehrheit ungluͤcklich ist oder die Haupttheile es sind, darf und muß dies Einfluß auf die andern haben: alsdann ist naͤmlich der Fall eines verfehlten Plans eingetreten. Eben diese Regel gilt fuͤr diejenigen Heere und Ab- theilungen welche urspruͤnglich zur Vertheidigung bestimmt sind und durch einen guͤnstigen Erfolg derselben zum An- griff uͤbergehen koͤnnen, wenn es nicht vorzuziehen ist ihre uͤberfluͤssigen Streitkraͤfte auf den Hauptpunkt der Offen- sive uͤberzufuͤhren, welches hauptsaͤchlich von der geographi- schen Lage des Kriegstheaters abhaͤngt. Aber was wird unter diesen Umstaͤnden aus der geo- metrischen Gestalt und Einheit des ganzen Angriffs, was aus Flanken und Ruͤcken der einem geschlagenen Theile benachbarten Abtheilungen? Das ist es eben was wir hauptsaͤchlich bekaͤmpfen wollen. Dieses Zusammenleimen eines großen Angriffs in ein geometrisches Viereck ist eine Verirrung in ein falsches Gedankensystem hinein. Wir haben in dem funfzehnten Kapitel des dritten Buches gezeigt daß das geometrische Element in der Strategie nicht so wirksam ist als in der Taktik, und wir wollen hier nur das Resultat wiederholen daß besonders beim Angriff die wirk- lichen Erfolge auf den einzelnen Punkten durchaus mehr Ruͤcksicht verdienen als die Figur, welche aus dem Angriff nach und nach durch die Verschiedenheit der Erfolge ent- stehen kann. In jedem Fall aber ist es eine ausgemachte Sache, daß, bei den großen Raͤumen in der Strategie, die Ruͤck- sichten und Entschluͤsse, welche die geometrische Lage der Theile veranlassen, fuͤglich dem Oberfeldherrn uͤberlassen bleiben koͤnnen; daß also keiner der Unterfeldherren das Recht hat nach Dem zu fragen was sein Nachbar thut oder unterlaͤßt, sondern angewiesen werden kann sein Ziel unbedingt zu verfolgen. Entsteht wirklich ein starkes Miß- verhaͤltniß daraus, so kann die Abhuͤlfe von oben her im- mer noch zur rechten Zeit gegeben werden. Und damit ist denn das Hauptuͤbel dieser getrennten Wirkungsweise ent- fernt: daß an die Stelle reeller Dinge eine Menge von Befuͤrchtungen und Voraussetzungen sich in den Verlauf der Begebenheit mischen, daß jeder Zufall nicht bloß den Theil den er trifft sondern consensualisch das Ganze afficirt, und daß persoͤnlichen Schwaͤchen und persoͤnlicher Feind- schaft der Unterfeldherren ein weites Feld eroͤffnet wird. Wir glauben daß man diese Ansicht nur dann paradox finden wird, wenn man noch nicht lange und ernst genug die Kriegsgeschichte im Auge gehabt, das Wichtige von dem Unwichtigen getrennt und den ganzen Einfluß der menschlichen Schwaͤchen gewuͤrdigt hat. Wenn es schon in der Taktik schwer ist den gluͤckli- chen Erfolg eines Angriffs in mehreren getrennten Ko- lonnen durch die genaue Zusammenstimmung aller Theile zu erhalten, wie das Urtheil aller Erfahrenen einraͤumt, wie viel schwieriger oder vielmehr wie ganz unmoͤglich wird dies in der Strategie sein, wo die Trennung so viel groͤßer ist. Sollte also das bestaͤndige Zusammenstimmen aller Theile eine nothwendige Bedingung des Erfolges sein, so muͤßte ein solcher strategischer Angriff durchaus verwor- fen werden. Aber von der einen Seite haͤngt es nicht von unserer Willkuͤhr ab ihn ganz zu verwerfen, weil Umstaͤnde dazu bestimmen koͤnnen uͤber welche wir gar nicht zu gebieten haben, von der andern ist selbst in der Taktik diese bestaͤndige Zusammenstimmung aller Theile fuͤr jeden Augenblick des Verlaufs nicht einmal noͤthig, und viel weniger ist sie es wie gesagt in der Strategie. Man muß also in dieser um so mehr davon absehen und um so mehr darauf beharren daß jedem Theil ein selbst- staͤndiges Stuͤck Arbeit zugemessen werde. Diesem haben wir noch eine wichtige Bemerkung an- zuschließen, sie betrifft die gute Vertheilung der Rollen. In den Jahren 1793 und 1794 befand sich die oͤstreichi- sche Hauptmacht in den Niederlanden, die preuß. am Oberrhein. Die oͤstreichischen Truppen wurden von Wien nach Cond é und Valenciennes gefahren, und durchkreuzten sich mit den preußischen, die von Berlin nach Landau mußten. Die Östreicher hatten zwar dort ihre belgischen Provinzen zu vertheidigen, und wenn sie Eroberungen im franzoͤsischen Flandern machten, so waren sie ihnen sehr gelegen, allein dies Interesse war nicht stark genug. Nach dem Tode des Fuͤrsten Kaunitz setzte der oͤstreichische Minister Thugut die Maaßregel durch, die Niederlande ganz aufzugeben um seine Kraͤfte mehr zu koncentriren. In der That haben die Östreicher nach Flandern fast noch einmal so weit als nach dem Elsaß, und in einer Zeit wo die Streit- kraͤfte sich in sehr gemessenen Grenzen befanden und Alles mit baarem Gelde unterhalten werden mußte, war das keine Kleinigkeit. Doch war die Absicht des Ministers Thugut offenbar noch eine andere: er wollte die Maͤchte, welche bei der Vertheidigung der Niederlande und des Niederrheins interessirt waren: Holland, England und Preu- ßen, durch die Dringlichkeit der Gefahr in den Fall setzen, staͤrkere Anstrengungen zu machen. Er hat sich in seinem Kalkuͤl betrogen, weil dem preußischen Kabinet damals auf keine Weise beizukommen war. Aber immer zeigt dieser Hergang den Einfluß des politischen Interesses auf den Gang des Krieges. Preußen hatte im Elsaß weder Etwas zu vertheidigen noch zu erobern. Es hatte im Jahr 1792 den Marsch durch Lothringen nach der Champagne in einem ritterlichen Sinne unternommen. Als dieser gegen den Drang der Umstaͤnde nicht mehr vorhielt, fuͤhrte es den Krieg nur noch mit halbem Interesse fort. Haͤtten sich die preußi- schen Truppen in den Niederlanden befunden, so waren sie mit Holland in unmittelbarer Verbindung, welches sie halb und halb als ihr eigenes Land ansehen konnten, da sie es im Jahr 1787 unterworfen hatten, sie deckten den Niederrhein und folglich denjenigen Theil der preußischen Monarchie, der dem Kriegstheater am naͤchsten lag. Auch mit England befand sich Preußen wegen der Subsidien in einem staͤrkeren Bundesverhaͤltnisse, welches unter diesen Umstaͤnden nicht so leicht in die Hinterlist ausarten konnte, welcher sich das preußische Kabinet damals schuldig ge- macht hat. Es waͤre also eine viel bessere Wirkung zu erwarten gewesen, wenn die Östreicher mit ihrer Hauptmacht am Oberrhein, die Preußen mit ihrer ganzen Macht in den Niederlanden aufgetreten waͤren und die Östreicher dort nur ein verhaͤltnißmaͤßiges Korps gelassen haͤtten. Wenn man im Jahr 1814 statt des unternehmenden Bluͤchers den General Barklay an die Spitze der schlesi- schen Armee gestellt und Bluͤcher unter Schwarzenberg bei der Hauptarmee behalten haͤtte, so waͤre der Feldzug vielleicht ganz verungluͤckt. Wenn der unternehmende Laudon, statt sein Kriegs- theater auf dem staͤrksten Punkt der preußischen Monarchie, naͤmlich in Schlesien zu haben, sich an der Stelle der Reichsarmee befunden haͤtte, so wuͤrde vielleicht der ganze siebenjaͤhrige Krieg eine andere Wendung genommen haben. Um diesem Gegenstande naͤher zu treten, muͤssen wir die Faͤlle nach ihren Hauptverschiedenheiten betrachten. Der erste ist: wenn wir den Krieg mit andern Maͤch- ten gemeinschaftlich fuͤhren, die nicht blos als unsere Bun- desgenossen auftreten, sondern ein selbststaͤndiges Interesse haben. Der zweite: wenn ein Bundesheer zu unserm Bei- stande herbeigekommen ist. Der dritte: wenn nur von der persoͤnlichen Eigen- thuͤmlichkeit der Generale die Rede ist. Fuͤr die beiden ersten Faͤlle kann man die Frage aufwerfen, ob es besser sei die Truppen der verschiedenen Maͤchte vollkommen zu vermischen, so daß die einzelnen Heere aus Korps verschiedener Maͤchte zusammengesetzt sind, wie das in den Jahren 1813 und 1814 stattgefunden hat; oder ob man sie so viel als moͤglich trennen soll, damit jede selbststaͤndiger handle. Offenbar ist das erste das Heilsamste, aber es setzt einen Grad von Befreundung und gemeinschaftlichem In- teresse voraus, der selten stattfinden wird. Bei dieser engen Verbindung der Streitkraͤfte wird den Kabinetten die Absonderung ihrer Interessen weit schwerer, und was den schaͤdlichen Einfluß egoistischer Ansichten bei den Heer- fuͤhrern betrifft, so kann er sich unter diesen Umstaͤnden nur bei den Unterfeldherren, also nur im Gebiet der Taktik und auch hier nicht so ungestraft und frei zeigen wie bei einer vollkommenen Trennung. Bei dieser geht er in die Strategie uͤber und wirkt also in entscheidenden Zuͤgen. Aber wie gesagt, es gehoͤrt eine seltene Hingebung von Seiten der Regierung dazu. Im Jahr 1813 draͤngte die Noth alle in diese Richtung, und doch ist es nicht genug zu preisen daß der Kaiser von Rußland, der mit der staͤrksten Streitkraft auftrat und das groͤßte Verdienst um den Umschwung des Gluͤcks hatte, seine Truppen den preußischen und oͤstreichischen Befehlshabern unterordnete, ohne den Ehrgeiz zu haben, mit einer selbststaͤndigen russi- schen Armee aufzutreten. Ist nun eine solche Vereinigung der Streitkraͤfte nicht zu erhalten, so ist eine vollkommene Trennung der- selben allerdings besser als eine halbe und das Schlimmste ist immer wenn zwei unabhaͤngige Feldherren verschiedener Maͤchte sich auf ein und demselben Kriegstheater befinden, wie das im siebenjaͤhrigen Kriege mit den Russen, Östrei- chern und der Reichsarmee haͤufig der Fall war. Bei einer vollkommenen Trennung der Kraͤfte sind auch die Lasten, welche uͤberwunden werden sollen, mehr getrennt, und es wird dann jeder von der seinigen gedruͤckt, also dnrch die Gewalt der Umstaͤnde mehr zur Thaͤtigkeit ge- draͤngt; befinden sie sich aber in naher Verbindung oder gar auf einem Kriegstheater, so ist dies nicht der Fall, und außerdem laͤhmt der uͤble Wille des Einen die Kraͤfte des Andern mit. Im ersten der drei angegebenen Faͤlle wird die voͤllige Trennung keine Schwierigkeiten haben, weil das natuͤrliche Interesse jeder Macht ihr gewoͤhnlich schon eine andere Richtung ihrer Kraͤfte zuweist; im zweiten Fall kann es daran fehlen, und dann bleibt in der Regel Nichts uͤbrig, als sich der Huͤlfsarmee, wenn ihre Staͤrke einigermaßen dazu geeignet ist, ganz unterzuordnen, wie die Östreicher am Ende des Feldzugs von 1815 und die Preußen im Feldzug von 1807 gethan haben. Was die persoͤnliche Eigenthuͤmlichkeit der Generale betrifft, so geht hier Alles in das Individuelle uͤber, aber die eine allgemeine Bemerkung duͤrfen wir nicht uͤbergehen, daß man nicht, wie wohl zu geschehen pflegt, die vorsich- tigsten und behutsamsten an die Spitze der untergeordneten Armeen stellen soll, sondern die unternehmendsten , denn wir kommen darauf zuruͤck: es ist bei der getrennten strategischen Wirksamkeit Nichts so wichtig als daß jeder Theil tuͤchtig arbeite, die volle Wirksamkeit seiner Kraͤfte aͤußere, wobei denn die Fehler welche auf einem Punkte begangen sein koͤnnen, durch die Geschicklichkeit auf andern ausgeglichen werden. Nun ist man aber dieser vollen Thaͤ- tigkeit aller Theile nur gewiß wenn die Fuͤhrer rasche unter- nehmende Leute sind, die der innere Trieb, das eigene Herz vorwaͤrtstreibt, weil eine bloße objektive kalte Überlegung von der Nothwendigkeit des Handelns selten ausreicht. Endlich bleibt noch die Bemerkung uͤbrig daß wenn es sonst die Umstaͤnde gestatten, die Truppen und Feld- herren in Beziehung auf ihre Bestimmung und auf die Natur der Gegend nach ihren Eigenthuͤmlichkeiten gebraucht werden sollen. Stehende Heere, gute Truppen, zahlreiche Reiterei, alte vorsichtige verstaͤndige Feldherren in offenen Gegen- den; Landmilizen, Volksbewaffnung, zusammengerafftes Gesindel, junge unternehmende Fuͤhrer in Waͤldern, Ber- gen und Paͤssen, Huͤlfsheere in reichen Provinzen wo sie sich gefallen. Was wir bisher uͤber den Kriegsplan im Allgemeinen und in diesem Kapitel uͤber denjenigen insbesondere gesagt haben welcher auf die Niederwerfung des Gegners ge- III 13 richtet ist, hatte die Absicht das Ziel desselben uͤber Alles hervorzuheben und demnaͤchst Grundsaͤtze anzugeben welche bei der Einrichtung der Mittel und Wege leiten sollen. Wir wollten dadurch ein klares Bewußtsein von Dem was man in einem solchen Kriege will und soll, bewirken. Das Nothwendige und Allgemeine wollten wir herausheben, dem Individuellen und Zufaͤlligen seinen Spielraum lassen, aber das Willkuͤhrliche, Unbegruͤndete, das Spie- lende oder Phantastische oder Sophistische wollten wir entfernen. Haben wir diesen Zweck erreicht, so sehen wir unsere Aufgabe als geloͤst an. Wer nun sehr betreten ist, hier Nichts von Umgehung der Fluͤsse, von Bemeisterung der Gebirge durch ihre be- herrschenden Punkte, von Vermeidung der festen Stellungen und Schluͤssel des Landes zu finden, der hat uns nicht verstanden und wir gestehen daß wir glauben ein solcher hat auch den Krieg in seinen großen Beziehungen noch nicht verstanden. Wir haben in den fruͤheren Buͤchern diese Gegen- staͤnde im Allgemeinen charakterisirt und dabei gefunden daß sie meistens von einer viel schwaͤcheren Natur sind als man nach ihrem Ruf glauben sollte. Um so weniger koͤnnen und sollen sie in einem Kriege dessen Ziel die Niederwerfung des Feindes ist, eine große Rolle spielen, naͤmlich eine solche die auf den ganzen Kriegsentwurf Ein- fluß haͤtte. Der Einrichtung des Oberbefehls werden wir am Schlusse dieses Buchs ein eigenes Kapitel widmen. — Wir wollen dies Kapitel mit einem Beispiel be- schließen. Wenn Östreich, Preußen, der deutsche Bund, die Niederlande und England einen Krieg gegen Frankreich beschließen, Rußland aber neutral bleibt, ein Fall der sich seit hundert und funfzig Jahren schon so oft erneuert hat, so sind sie im Stande einen Angriffskrieg zu fuͤhren der auf die Niederwerfung des Gegners gerichtet ist. Denn so groß und maͤchtig Frankreich ist, so kann es doch in den Fall kommen die groͤßere Haͤlfte seines Reichs von feindlichen Armeen uͤberschwemmt, die Hauptstadt in ihrem Besitz und sich auf unzureichende Huͤlfsquellen zuruͤckge- fuͤhrt zu sehen, ohne daß es außer Rußland eine Macht gaͤbe die es mit großer Wirksamkeit unterstuͤtzen koͤnnte. Spanien ist zu weit entfernt und zu unvortheilhaft gele- gen; die italienischen Staaten sind vor der Hand zu morsch und ohnmaͤchtig. Die genannten Laͤnder haben ohne ihre außereuro- paͤischen Besitzungen uͤber 75,000,000 Einwohner zu ge- bieten, waͤhrend Frankreich nur 30,000,000 hat, und das Heer welches sie zu einem ernstlich gemeinten Kriege gegen Frankreich aufzubieten haben, wuͤrde ohne Übertreibung fol- gendes sein koͤnnen. Östreich _ _ 250,000 Mann. Preußen _ _ 200,000 ‒ Das uͤbrige Deutschland _ _ 150,000 ‒ Die Niederlande _ _ 75,000 ‒ England _ _ 50,000 ‒ Summa 725,000 Mann. Treten diese effektiv auf, so sind sie der Macht welche Frankreich entgegenstellen kann hoͤchst wahrscheinlich weit uͤberlegen, denn dieses Land hat unter Bonaparte zu keiner Zeit eine Streitmasse von aͤhnlicher Staͤrke gehabt. Be- denkt man nun was an Festungsbesatzungen und Depots zur Bewachung der Kuͤste u. s. w. abgeht, so wird man die Wahrscheinlichkeit einer bedeutenden Überlegenheit auf 13* dem Hauptkriegstheater nicht bezweifeln, und auf diese ist der Zweck den Feind niederzuwerfen hauptsaͤchlich ge- gruͤndet. Der Schwerpunkt des franzoͤsischen Reichs liegt in seiner Kriegsmacht und in Paris. Jene in einer oder mehreren Hauptschlachten besiegen, Paris erobern, die Über- reste des feindlichen Heeres uͤber die Loire zuruͤckwerfen muß das Ziel der Verbuͤndeten sein. Die Herzgrube der franzoͤsischen Monarchie liegt zwischen Paris und Bruͤssel, dort ist die Grenze von der Hauptstadt nur 30 Meilen entfernt. Der eine Theil der Verbuͤndeten, die Englaͤnder, Niederlaͤnder, Preußen und die norddeutschen Staaten haben dort ihren natuͤrlichen Aufstellungspunkt, ihre Laͤnder liegen zum Theil in der Naͤhe, zum Theil gerade dahinter. Östreich und Suͤddeutschland kann seinen Krieg mit Be- quemlichkeit nur vom Oberrhein her fuͤhren. Die natuͤr- lichste Richtung geht auf Troyes und Paris oder auch auf Orleans. Beide Stoͤße, der von den Niederlanden wie der vom Oberrhein her, sind also ganz direkt und ohne Zwang, kurz und kraͤftig, und beide fuͤhren zum Schwerpunkt der feindlichen Macht. Auf diese beiden Punkte sollte also die ganze feindliche Macht vertheilt werden. Nur zwei Ruͤcksichten entfernen von dieser Einfach- heit des Plans. Die Östreicher werden Italien nicht entbloͤßen, sie werden dort in jedem Fall Meister der Begebenheiten bleiben wollen. Sie werden es also nicht darauf ankom- men lassen Italien durch einen Angriff auf das Herz von Frankreich mittelbar zu decken. Bei dem politischen Zu- stande des Landes ist diese Nebenabsicht nicht zu verwer- fen; aber es wuͤrde ein ganz entschiedener Fehler sein wenn wenn die alte schon so oft versuchte Idee eines Angriffs des suͤdlichen Frankreichs von Italien her damit verbun- den und aus diesem Grunde der italienischen Macht eine Groͤße gegeben wuͤrde die sie zur bloßen Sicherung gegen die aͤußersten Ungluͤcksfaͤlle im ersten Feldzuge nicht brauchte. Nur so viel soll in Italien bleiben, nur so viel darf der Hauptunternehmung entzogen werden, wenn man dem Hauptgedanken: Einheit des Plans, Vereinigung der Macht nicht untreu werden will. Wenn man Frank- reich an der Rhone erobern will, so ist das als wenn man eine Muskete an der Spitze ihres Bajonets aufheben will, aber auch als Nebenunternehmung ist ein Angriff auf das suͤdliche Frankreich verwerflich, denn er weckt nur neue Kraͤfte gegen uns. Jedesmal wo man eine entfernte Provinz angreift, ruͤhrt man Interessen und Thaͤtigkeiten auf die sonst geschlummert haͤtten. Nur wenn sich zeigt daß die in Italien gelassenen Kraͤfte fuͤr die bloße Siche- rung des Landes zu groß waͤren und also muͤßig bleiben muͤßten, ist ein Angriff auf das suͤdliche Frankreich von da aus gerechtfertigt. Wir wiederholen es daher: die italienische Macht muß so schwach gehalten werden als es die Umstaͤnde nur irgend zulassen, und sie ist hinreichend wenn die Östreicher nicht in einem Feldzuge das ganze Land verlieren koͤnnen. Nehmen wir diese Macht in unserem Beispiele mit 50,000 Mann an. Die andere Ruͤcksicht ist das Verhaͤltniß Frankreichs als Kuͤstenland. Da England zur See die Oberhand hat, so folgt daraus eine große Reizbarkeit Frankreichs laͤngs seiner ganzen atlantischen Kuͤste und folglich eine mehr oder weniger starke Besetzung derselben. Wie schwach diese nun auch eingerichtet sei, so wird doch die franzoͤsische Grenze damit verdreifacht, und es kann nicht fehlen daß dadurch den franzoͤsischen Armeen auf den Kriegstheatern eine Menge von Kraͤften entzogen werden. 20- oder 30,000 Mann disponibler Landungstruppen womit die Englaͤnder Frankreich bedrohen, wuͤrden vielleicht das Doppelte oder Dreifache von franzoͤsischen Kraͤften absor- biren, wobei man nicht bloß an Truppen, sondern auch an Geld, Kanonen u. s. w. denken muß, welche Flotte und Strandbatterien erfordern. Nehmen wir an daß die Englaͤnder dazu 25,000 Mann verwenden. Unser Kriegsplan wuͤrde also ganz einfacherweise darin bestehen. Erstens : Daß sich in den Niederlanden 200,000 Mann Preußen, 75,000 ‒ Niederlaͤnder, 25,000 ‒ Englaͤnder, 50,000 ‒ norddeutscher Bundestruppen, Summa 350,000 Mann versammelten, wovon etwa 50,000 zur Besetzung der Grenzfestungen verwendet wer- den und 300,000 uͤbrig bleiben um gegen Paris vorzu- dringen und den franzoͤsischen Armeen eine Hauptschlacht zu liefern. Zweitens : Daß sich 200,000 Östreicher und 100,000 Mann suͤddeutscher Truppen am Oberrhein versammelten, um gleichzeitig mit der niederlaͤndischen Armee vorzudringen und zwar gegen die obere Seine und von da gegen die Loire um der feindlichen Armee gleichfalls eine Haupt- schlacht zu liefern. An der Loire wuͤrden sich vielleicht diese beiden Stoͤße zu einem verbinden. Hiermit ist die Hauptsache bestimmt; was wir weiter zu sagen haben betrifft hauptsaͤchlich die Entfernung falscher Ideen und besteht in Folgendem. Erstens : Die vorgeschriebene Hauptschlacht zu suchen und sie mit einem Machtverhaͤltniß und unter Umstaͤnden zu liefern die einen entscheidenden Sieg versprechen, muß die Tendenz der Feldherren sein; diesem Zweck muͤssen sie Alles aufopfern und sich uͤbrigens in Belagerungen, Ein- schließungen, Besatzungen u. s. w. mit so Wenigem als moͤglich behelfen. Wenn sie, wie Schwarzenberg im Jahre 1814 that, sobald sie das feindliche Gebiet betreten in excentrischen Radien auseinandergehen, so ist Alles verloren, und die Verbuͤndeten verdankten im Jahre 1814 es nur der Ohnmacht Frankreichs daß nicht in den ersten vierzehn Tagen wirklich Alles verloren ging. Der Angriff soll einem kraͤftig getriebenen Pfeil und nicht einer Seifenblase gleichen die sich bis zum Zerplatzen ausdehnt. Zweitens : Die Schweiz muß man ihren eigenen Kraͤften uͤberlassen. Bleibt sie neutral, so hat man am Oberrhein einen guten Anlehnungspunkt; wird sie von Frankreich angegriffen, so mag sie sich ihrer Haut wehren, wozu sie im mehr als einer Hinsicht sehr geeignet ist. Nichts waͤre thoͤrichter als der Schweiz, weil sie das hoͤchste Land Europas ist, einen geographisch herrschenden Einfluß auf die Kriegsbegebenheiten einraͤumen zu wollen. Ein solcher Einfluß besteht nur unter gewissen sehr be- schraͤnkten Bedingungen, die hier gar nicht vorhanden sind. Waͤhrend die Franzosen im Herzen ihres Landes ange- griffen sind, koͤnnen sie keine kraͤftige Offensive von der Schweiz aus weder nach Italien noch nach Schwaben hinein unternehmen, und am wenigsten kann dabei die hohe Lage dieses Landes als ein entscheidender Umstand in Be- trachtung kommen. Der Vortheil des strategischen Domi- nirens ist zuerst hauptsaͤchlich bei der Vertheidigung wich- tig, und was fuͤr den Angriff von dieser Wichtigkeit uͤbrig bleibt kann sich in einem einzelnen Stoß zeigen. Wer dies nicht weiß hat die Sache nicht bis zur Klarheit durchdacht, und wenn im kuͤnftigen Rath des Machthabers und Feldherrn sich ein gelehrter Generalstabsoffizier finden sollte der mit sorgenvoller Stirn solche Weisheit auskramt, so erklaͤren wir es im Voraus fuͤr eitle Thorheit und wuͤnschen daß sich in eben diesem Rath irgend ein tuͤchtiger Haudegen, ein Kind des gesunden Menschenverstandes finden moͤge, der ihm das Wort beim Munde abschneidet. Drittens : Den Raum zwischen beiden Angriffen lassen wir so gut wie unbeachtet. Muß man, waͤhrend sich 600,000 Mann 30 und 40 Meilen von Paris ver- sammeln um gegen das Herz des franzoͤsischen Staates vorzudringen, noch darauf denken den Mittelrhein, also Berlin, Dresden, Wien und Muͤnchen zu decken? Darin waͤre kein Menschenverstand. Soll man die Verbindung decken? Das waͤre nicht unwichtig; aber dann kann man logisch bald dahin gefuͤhrt werden dieser Deckung die Staͤrke und Wichtigkeit eines Angriffs geben zu muͤssen, und also anstatt auf zwei Linien vorzugehn, wozu die Lage der Staaten unbedingt noͤthigt, auf dreien vorzugehen, wozu sie nicht noͤthigt, und diese drei wuͤrden dann viel- leicht zu fuͤnf oder gar zu sieben werden und so die ganze alte Litanei wieder an die Tagesordnung kommen. Unsere beiden Angriffe haben jeder ihr Ziel; die darauf verwendeten Kraͤfte sind hoͤchst wahrscheinlich den feindlichen merklich uͤberlegen; geht jeder seinen kraͤftigen Gang vorwaͤrts, so kann es nicht anders sein als daß sie gegenseitig vortheilhaft aufeinander wirken. Waͤre einer der beiden Angriffe ungluͤcklich, weil der Feind seine Macht zu ungleich vertheilt hat, so ist mit Recht zu erwarten daß der Erfolg des andern dieses Ungluͤck von selbst gut- machen werde, und dies ist der wahre Zusammenhang beider. Einen Zusammenhang welcher sich auf die Begebenheiten der einzelnen Tage erstreckte, koͤnnen sie bei der Entfernung nicht haben; sie brauchen ihn nicht, und darum ist die un- mittelbare oder vielmehr die gerade Verbindung von keinem so großen Werthe. Der Feind welcher in seinem Innersten angegriffen ist, wird ohnehin keine namhaften Streitkraͤfte zur Unter- brechung dieser Verbindung verwenden koͤnnen; Alles was zu fuͤrchten ist besteht vielmehr darin daß diese Unter- brechung durch die Mitwirkung der von Streifpartheien unterstuͤtzten Einwohner allein bewirkt werde, so daß dieser Zweck dem Feinde an eigentlicher Streitkraft Nichts kostet. Um Dem zu begegnen ist es hinreichend wenn von Trier aus ein 10- bis 15,000 Mann, an Kavallerie vorzuͤglich starkes Korps die Richtung auf Rheims haͤlt, es wird hinreichend sein jedem Partheigaͤnger uͤber den Leib zu marschiren und die Hoͤhe der großen Armee zu halten. Es soll weder Festungen einschließen noch beobachten, son- dern zwischen ihnen durchmarschiren, sich keine feste Basis halten und einer Übermacht nach jeder beliebigen Richtung ausweichen. Ein großes Ungluͤck wird ihm da nicht be- gegnen koͤnnen und wenn dies geschaͤhe, so waͤre es wieder kein großes Ungluͤck fuͤr das Ganze. Unter diesen Um- staͤnden wird ein solches Korps wahrscheinlich hinreichen einen Zwischenpunkt fuͤr die beiden Angriffe zu bilden. Viertens : Die beiden Nebenunternehmungen, naͤm- lich die oͤstreichische Armee in Italien und die englische Landungsarmee moͤgen ihrem Zweck nach bester Weise nachgehen. Wenn sie nicht muͤßig bleiben, so ist er der Hauptsache nach schon erfuͤllt und auf keinen Fall soll einer der beiden großen Angriffe in irgend einer Art davon abhaͤngig gemacht werden. Wir halten uns fest uͤberzeugt daß auf diese Weise Frankreich jedesmal niedergeworfen und gezuͤchtigt werden kann, wenn es sich einfallen laͤßt den Übermuth, womit es Europa 150 Jahre lang gedruͤckt hat, wieder anzuneh- men. Nur jenseit Paris an der Loire kann man von ihm die Bedingungen erhalten die zu Europas Ruhe noͤthig sind. Nur so wird sich schnell das natuͤrliche Verhaͤltniß von 30,000,000 zu 75,000,000 kundthun, nicht aber wenn jenes Land, wie 150 Jahre lang geschehen ist, von Duͤnkirchen bis Genua mit einem Guͤrtel von Ar- meen umschnallt werden soll, indem man funfzigerlei ver- schiedene kleine Zwecke sich vorsetzt, wovon keiner stark genug ist die Inertie, die Friktion, die fremdartigen Ein- fluͤsse zu uͤberwaͤltigen die sich uͤberall, besonders aber bei verbuͤndeten Heeren erzeugen und ewig regeneriren. Wie wenig einer solchen Anordnung die vorlaͤufigen Anordnungen des deutschen Bundesheeres entsprechen, wird dem Leser von selbst einfallen. In diesen Einrichtungen bildet der foͤderative Theil Deutschlands den Kern der deutschen Macht, und Preußen und Östreich durch ihn ge- schwaͤcht verlieren ihr natuͤrliches Gewicht. Ein foͤderativer Staat ist aber im Kriege ein sehr morscher Kern; da ist keine Einheit, keine Energie, keine vernuͤnftige Wahl des Feldherrn, keine Autoritaͤt, keine Verantwortlichkeit denkbar. Östreich und Preußen sind die beiden natuͤrlichen Mittelpunkte des Stoßes fuͤr das deutsche Reich, sie bil- den den Schwingungspunkt, die Staͤrke der Klinge, sie sind monarchische Staaten, des Krieges gewohnt, haben ihre bestimmten Interessen, Selbststaͤndigkeit der Macht, sind vorherrschend vor den andern. Diesen natuͤrlichen Lineamenten muß die Einrichtung folgen und nicht einer falschen Idee von Einheit, diese ist hier ganz unmoͤglich, und wer uͤber dem Unmoͤglichen das Moͤgliche versaͤumt, der ist ein Thor. Übersicht des Sr. Koͤnigl. Hoheit dem Kronprinzen in den Jahren 1810, 1811 und 1812 vom Verfasser ertheilten militaͤrischen Unterrichts . Entwurf der dem Herrn General von Gaudi vorgelegt wurde. B ei der Ansicht daß es nur eine vorlaͤufige Kenntniß sein soll welche Se. Koͤnigliche Hoheit der Kronprinz durch mich von der Kriegskunst erhalten werden, und daß Hoͤchstdieselben dadurch in den Stand gesetzt werden sollen die neuere Kriegsgeschichte zu verstehen, kommt es mir vorzuͤglich darauf an dem Prinzen eine deutliche Vor- stellung vom Kriege zu geben, und zwar auf einem Wege der nicht zu weitlaͤuftig ist und des Prinzen Kraͤfte nicht zu sehr in Anspruch nimmt. Denn bei dem Studio einer Wissenschaft die man aus dem Grunde erlernen will, wird erfordert daß man derselben seine Kraͤfte und Zeit eine Zeit lang vorzugs- weise widmet, und dies scheint beim Kronprinzen noch zu fruͤh zu sein. Ich habe aus diesen Ruͤcksichten den folgenden Weg gewaͤhlt, der mir der natuͤrlichen Ideenreihe eines jungen Menschen am naͤchsten zu liegen schien. Mein hoͤchstes Bestreben wird dabei sein: einmal, dem Prinzen immer verstaͤndlich zu bleiben, weil sonst bei dem aufmerksamsten Schuͤler sehr bald Langeweile, Zer- streuung und Ekel vor dem Gegenstande eintritt; zweitens, ihm keine falschen Vorstellungen in irgend einer Sache zu geben, wodurch einem ausfuͤhrlichen Unterrichte oder sei- nem eigenen Studio Schwierigkeiten in den Weg gelegt wuͤrden. Um des ersten Zweckes willen werde ich den Gegen- stand stets an den natuͤrlichen Menschenverstand so nahe als moͤglich anzuknuͤpfen suchen und mich daruͤber oft von dem wissenschaftlichen Geiste und von den Formen der Schule entfernen. Ich lege nun Ew. Hochwohlgeboren den fluͤchtig ent- worfenen Plan vor und bitte, meine Ansicht, wo sie nicht mit der Ihrigen uͤbereinstimmt, guͤtigst berichtigen zu wollen. Außer einer vorlaͤufigen Kenntniß der Waffen- und Truppenarten sind es doch vorzuͤglich die sogenannte ange- wandte oder hoͤhere Taktik und die Strategie, wovon man einige Begriffe haben muß, um die Kriegsgeschichte zu verstehen. Die Taktik oder Gefechtslehre ist eigentlich die Hauptsache, theils weil die Gefechte entscheiden, theils weil in ihr am meisten zu lehren ist. Die Strategie, oder die Lehre von der Kombination der einzelnen Gefechte zum Zwecke des Feldzuges, ist mehr ein Gegenstand der natuͤrlichen und gereiften Urtheilskraft; doch muͤssen die darin vorkommenden Gegenstaͤnde wenigstens deutlich ge- macht und in ihrem Zusammenhange gezeigt werden. Die Feldfortifikation erhaͤlt in einem solchen uͤber- sichtlichen Cursus am zweckmaͤßigsten ihre Stelle bei der Lehre von der Vertheidigung in der Taktik, die perma- nente Fortifikation in oder hinter der Strategie. Die Taktik selbst hat zwei verschiedene Arten von Gegenstaͤnden. Die einen koͤnnen verstanden werden ohne Begriffe von dem strategischen Zusammenhange des Gan- zen zu haben; dahin gehoͤrt die Stellung und Fechtart aller kleinern Theile von der Kompagnie und Eskadron bis zur Brigade von allen Waffen, in allen Terrainarten. Die andern haͤngen mit strategischen Vorstellungen zusam- men; dahin gehoͤrt das Verhalten ganzer Korps und Ar- meen im Gefechte, Vorposten, kleiner Krieg u. s. w., weil hier die Begriffe Position, Schlacht, Marsch u. s. w. ein- treten, die ohne Vorstellungen vom Zusammenhange des ganzen Feldzuges nicht verstanden werden koͤnnen. Ich werde daher beide Arten von Gegenstaͤnden tren- nen, mit einer ganz oberflaͤchlichen Darstellung des Krieges den Anfang machen, dann die Taktik oder das Verhalten im Gefechte der kleinern Theile folgen lassen und bei der bloßen Aufstellung (Schlachtordnung) ganzer Korps und Armeen stehen bleiben, um erst noch einmal zur Übersicht des Feldzuges zuruͤckzukehren und den Zusammenhang der Dinge naͤher anzugeben; dann werde ich die uͤbrigen Ka- pitel von der Taktik folgen lassen. Die Strategie wird endlich wieder mit einer Vorstel- lung von dem Laufe eines Feldzuges anfangen, um die Ge- genstaͤnde unter diesem neuen Gesichtspunkte zu betrachten. Hieraus entspringt nun folgende Ordnung: Waffen . Pulver, Musketen, Buͤchsen, Kanonen mit ihrem Zubehoͤr. Artillerie . Begriff von Schuß- und Wurfladungen. Bedienung des Geschuͤtzes. Organisation einer Batterie. Kosten des Geschuͤtzes und der Munition. Wirkung des Geschuͤtzes — Schußweiten — Wahr- scheinlichkeit des Treffens. Andere Truppenarten . Kavallerie leichte, schwere. Infanterie desgl. Formation — Bestimmung — Charakter. — Angewandte oder hoͤhere Taktik . Ein allgemeiner Begriff vom Kriege — Gefechte. Stellung und Fechtart kleiner Truppenabtheilungen. Eine Kompagnie Infanterie mit und ohne Artillerie in allen Arten von Terrain. Eine Eskadron Kavallerie ebenso. Beide zusammen. Immer in den verschiedenen Terrainarten. Schlachtordnung eines Korps von mehreren Brigaden. Schlachtordnung einer Armee von mehreren Korps. Die beiden letzten Titel ohne Beziehung aufs Terrain, weil sonst der Begriff von Position eintritt. Naͤhere Darstellung eines Feldzuges. Organisation der Armee bei Eroͤffnung des Feldzuges. Waͤhrend sie marschirt und Stellungen nimmt bedarf sie der Sicherheitsanstalten, Vorposten, Patrouillen, Re- kognoscirungen. — Detaschements. — Kleiner Krieg. — Wenn die Armee Stellungen waͤhlt, so beduͤrfen die- selben solcher Anordnungen daß die Armee sich darin ver- theidigen kann. — Taktische Defensive. — Verschan- zungen. — Angriff des Feindes in solchen Stellungen. — Ver- halten im Gefechte selbst. — Schlacht. — Ruͤckzug. — Verfolgen. — Maͤrsche. — Flußvertheidigungen, — Flußuͤbergaͤnge. — Postirungen. — Kantonirungen. — Stra- Strategie . Übersicht eines Feldzuges und eines ganzen Krieges in strategischer Hinsicht. — Was den Erfolg im Kriege bestimmt. — Operationsplan. — Operationslinie. — Einrichtung der Verpflegung. — Angriffskrieg. — Vertheidigungskrieg. — Positionen — Postirungen — Schlachten — Maͤr- sche — Flußvertheidigungen und Übergaͤnge. — Kantonirungen. — Winterquartiere. — Gebirgskrieg. — Kriegssystem ꝛc. ꝛc. — Die permanente Fortifikation und der Belagerungs- krieg gingen der Strategie entweder voran oder machten den Beschluß des Ganzen. III 14 Die wichtigsten Grundsaͤtze des Kriegfuͤhrens zur Ergaͤnzung meines Unterrichts bei Sr. Koͤniglichen Hoheit dem Kronprinzen . Diese Grundsaͤtze, obgleich das Resultat laͤngeren Nach- denkens und eines fortgesetzten Studiums der Kriegsge- schichte, sind gleichwohl nur ganz fluͤchtig aufgesetzt und leiden in Ruͤcksicht auf ihre Form durchaus keine strenge Kritik. Übrigens sind von der Menge der Gegenstaͤnde nur die wichtigsten herausgehoben, weil es wesentlich auf eine gewisse Kuͤrze ankam. Es koͤnnen daher diese Grund- saͤtze Ew. Koͤniglichen Hoheit nicht sowohl eine vollstaͤndige Belehrung gewaͤhren, als sie vielmehr Veranlassungen zum Eignen Nachdenken werden und bei diesem Nachdenken zum Leitfaden dienen sollen. I. Grundsaͤtze fuͤr den Krieg uͤberhaupt . 1. Die Theorie des Krieges beschaͤftigt sich zwar vorzuͤglich damit wie man auf den entscheidenden Punkten ein Übergewicht von physischen Kraͤften und Vortheilen erhalten koͤnne; allein wenn dieses nicht moͤglich ist, so lehrt die Theorie auch auf die moralischen Groͤßen kalku- liren: auf die wahrscheinlichen Fehler des Feindes, auf den Eindruck welchen ein kuͤhnes Unternehmen macht u. s. w., ja auf unsere eigene Verzweiflung selbst. Alles dieses liegt gar nicht außer dem Gebiete der Kriegskunst und ihrer Theorie, denn diese ist Nichts als ein vernuͤnf- tiges Nachdenken uͤber alle Lagen in welche man im Kriege kommen kann. Die gefaͤhrlichsten dieser Lagen muß man sich am haͤufigsten denken, muß am besten daruͤber mit sich einig werden. Das fuͤhrt zu heroischen Entschluͤssen aus Gruͤnden der Vernunft, die dann kein kalter Kluͤgler je erschuͤttern kann. Wer Ew. Koͤniglichen Hoheit je die Sache anders vorstellt ist ein Pedant, der Ihnen durch seine Ansichten nur schaͤdlich werden kann. Sie werden in großen Mo- menten des Lebens, im Getuͤmmel der Schlacht einst deut- lich fuͤhlen daß nur eine solche Ansicht aushelfen kann, da wo Huͤlfe am noͤthigsten ist und wo eine trockene Zahlen- pedanterie uns im Stiche laͤßt. 2. Natuͤrlich sucht man im Kriege immer die Wahr- scheinlichkeit des Erfolges auf seiner Seite zu haben, sei es indem man auf physische oder auf moralische Vortheile zaͤhlt. Allein dieses ist nicht immer moͤglich; man muß oft Etwas gegen die Wahrscheinlichkeit unternehmen, wenn man naͤmlich nichts Besseres thun kann . Wollten wir hier verzweifeln, so hoͤrte unsere vernuͤnftige Überlegung gerade da auf wo sie am nothwendigsten wird, da wo sich Alles gegen uns verschworen zu haben scheint. Wenn man also auch die Wahrscheinlichkeit des Er- folges gegen sich hat, so muß man das Unternehmen darum nicht fuͤr unmoͤglich oder unvernuͤnftig halten; ver- nuͤnftig ist es immer wenn wir nichts Besseres zu thun wissen und bei den wenigen Mitteln die wir haben Alles so gut als moͤglich einrichten. Damit es in einem solchen Falle nicht an Ruhe und Festigkeit fehle, die im Kriege immer am ersten in Gefahr kommen und die in einer solchen Lage so schwer zu be- wahren sind, ohne welche man aber mit den glaͤnzendsten 14* Eigenschaften des Geistes Nichts leistet: so muß man sich mit dem Gedanken eines ehrenvollen Unterganges vertraut machen, ihn immerfort bei sich naͤhren, sich ganz daran gewoͤhnen. Sein Sie uͤberzeugt, gnaͤdigster Herr, daß ohne diesen festen Entschluß sich im gluͤcklichsten Kriege nichts Großes leisten laͤßt, geschweige denn im ungluͤcklichsten. Friedrich II. hat dieser Gedanke gewiß waͤhrend sei- ner ersten schlesischen Kriege oft beschaͤftigt; weil er ver- traut damit war unternahm er an jenem merkwuͤrdigen 5. Dezember den Angriff der Östreicher bei Leuthen, nicht weil er herausgerechnet hatte daß er mit der schiefen Schlachtordnung die Östreicher hoͤchst wahrscheinlich schla- gen wuͤrde. 3. Bei allen Operationen welche Sie in einem be- stimmten Falle waͤhlen, bei allen Maaßregeln die Sie er- greifen koͤnnen, bleibt Ihnen immer die Wahl zwischen der kuͤhnsten und der vorsichtigsten. Einige Leute meinen die Theorie riethe immer zum Vorsichtigsten; das ist falsch; wenn die Theorie Etwas raͤth, so liegt es in der Natur des Krieges daß sie das Entscheidendste, also das Kuͤhnste rathen wuͤrde; aber die Theorie uͤberlaͤßt es hier dem Feld- herrn nach dem Maaßstabe seines eigenen Muthes, seines Unternehmungsgeistes, seines Selbstvertrauens zu waͤhlen. Waͤhlen Sie also nach dem Maaße dieser innern Kraft, aber vergessen Sie nicht daß kein Feldherr groß geworden ist ohne Kuͤhnheit. II. Taktik oder Gefechtslehre . Der Krieg besteht aus einer Kombination von vielen einzelnen Gefechten. Wenn nun diese Kombination auch weise oder unvernuͤnftig sein kann und der Erfolg davon sehr abhaͤngt, so ist doch zunaͤchst das Gefecht selbst noch wichtiger. Denn nur die Kombination von gluͤcklichen Ge- fechten giebt gute Erfolge. Das Wichtigste im Kriege bleibt also immer die Kunst seinen Gegner im Gefechte zu besiegen. Hierauf koͤnnen Ew. Koͤnigliche Hoheit nicht Aufmerksamkeit und Nachdenken genug verwenden. Fol- gende Grundsaͤtze halte ich fuͤr die wichtigsten. 1. Allgemeine Grundsaͤtze. A. Für die Vertheidigung . 1. Seine Truppen bei der Vertheidigung so lange als moͤglich verdeckt zu halten. Da man, nur den Mo- ment wo man selbst angreift ausgenommen, immer ange- griffen werden kann, also auf der Vertheidigung ist, so muß man sich immer so verdeckt als moͤglich aufstellen. 2. Nicht alle seine Truppen gleich ins Gefecht zu bringen. Dann hoͤrt alle Weisheit in der Fuͤhrung des Ge- fechts auf; nur mit disponibeln Truppen kann man dem Gefechte eine andere Wendung geben. 3. Sich wenig oder gar nicht um die Groͤße seiner Fronte zu bekuͤmmern, da sie an sich etwas Gleichguͤltiges ist und die Tiefe der Stellung (naͤmlich die Anzahl der Korps welche man hintereinander aufstellt) durch die Aus- dehnung der Fronte beschraͤnkt wird. Truppen die man hinten hat sind disponibel, sie koͤnnen sowohl gebraucht wer- den das Gefecht auf dem naͤmlichen Punkte zu erneuern, als um damit auf andern daneben liegenden Punkten zu erscheinen. Dieser Punkt ist eine Folge des vorigen. 4. Da der Feind in der Regel zugleich uͤberfluͤgelt und umfaßt waͤhrend er einen Theil der Fronte angreift, so sind die hintenstehenden Korps geeignet Dem zu begegnen, also den Mangel einer Anlehnung an Terrainhindernisse zu ersetzen. Sie sind dazu mehr geeignet als wenn sie mit in der Linie staͤnden und die Fronte verlaͤngerten, denn der Feind wuͤrde sie in diesem Falle selbst leicht um- gehen. Auch dieser Punkt ist eine naͤhere Bestimmung des zweiten. 5. Hat man viele Truppen die man zuruͤckstellt, so muß nur ein Theil gerade hinter der Fronte stehen; den andern stellt man seitwaͤrts zuruͤck. Von dieser letztern Stellung aus kann man die feind- lichen Kolonnen welche uns umgehen selbst wieder in die Flanke nehmen. 6. Ein Hauptgrundsatz ist: sich nie ganz passiv zu verhalten, sondern den Feind selbst waͤhrend er uns an- greift, von vorn und von der Seite anzufallen. Man vertheidigt sich also auf einer gewissen Linie nur um den Feind zu veranlassen seine Kraͤfte zum Angriff derselben zu entwickeln und geht dann mit andern zuruͤckgehalte- nen Truppen zum Angriff uͤber. Wie Ew. Koͤnigliche Hoheit einmal Selbst ganz vortrefflich gesagt haben, soll die Verschanzungskunst dem Vertheidiger nicht dienen sich wie hinter einem Walle mit mehr Sicherheit zu wehren, sondern den Feind mit mehr Erfolg anzugreifen, — eben das muß man von aller passiven Defensive sagen; sie ist immer nur das Mittel den Feind in der Gegend welche ich mir ausersehe, in der ich meine Truppen dis- ponirt, die ich fuͤr mich eingerichtet habe, mit Vortheil anzufallen. 7. Dieser Angriff der Vertheidigung kann statthaben in dem Augenblick wo der Feind mich wirklich angreift oder waͤhrend er im Marsch gegen mich begriffen ist. Sie kann auch so geschehen daß ich meine Truppen wenn der Feind sich zum Angriff anschickt, zuruͤckziehe, ihn dadurch in ein ihm fremdes Terrain hineinziehe und dann von allen Seiten uͤber ihn herfalle. Fuͤr alle diese Dispositionsarten ist die tiefe Aufstellung, naͤmlich die Aufstellung wo man nur ⅔ oder die Haͤlfte seiner Armee oder noch weniger in Fronte hat und das Übrige gerade und seitwaͤrts da- hinter, wo moͤglich versteckt, sehr passend; darum ist diese Aufstellungsart von einer unendlichen Wichtigkeit. 8. Wenn ich also 2 Divisionen haͤtte, so wuͤrde ich sie lieber hinter als nebeneinander stellen; wenn ich 3 haͤtte wuͤrde ich wenigstens eine zuruͤckstellen; bei 4 wahrscheinlich 2; bei 5 wenigstens 2, in manchen Faͤllen wohl 3 u. s. w. 9. Auf den Punkten wo man passiv bleibt muß man sich der Verschanzungskunst bedienen, aber in lauter einzelnen geschlossenen Werken von sehr starken Profilen. 10. Bei dem Plan welchen man sich fuͤr das Ge- fecht entwirft muß man einen großen Zweck waͤhlen: den Angriff einer großen feindlichen Kolonne und den voll- kommenen Sieg uͤber dieselbe. Waͤhlt man einen kleinen Zweck waͤhrend der Feind einem großen nachgeht, so kommt man offenbar zu kurz. Man spielt mit Thalern gegen Pfennige. 11. Hat man sich in seinem Vertheidigungsplane einen großen Zweck (die Vernichtung einer feindlichen Kolonne ꝛc.) vorgesetzt, so muß man diesen mit der hoͤchsten Energie, mit dem Aufwande der letzten Kraͤfte verfolgen. In den mei- sten Faͤllen wird der Angreifende seinem Zwecke auf einem andern Punkte nachgehen; waͤhrend wir auf seinen rechten Fluͤgel fallen wird er suchen mit seinem linken entschei- dende Vortheile zu erringen. Lassen wir nun fruͤher nach als der Feind, verfolgen wir unsere Absicht mit weniger Energie als er, so wird er seinen Zweck ganz erreichen, seinen Vortheil ganz erkaͤmpfen, wir den unsrigen nur halb. So hat er das Übergewicht, so wird der Sieg sein und wir muͤssen den halb errungenen Vortheil gleich- falls fahren lassen. Lesen Ew. Koͤnigliche Hoheit die Ge- schichte der Schlachten von Regensburg und Wagram mit Aufmerksamkeit, so wird Ihnen dies als wahr und wich- tig erscheinen. In beiden griff der Kaiser Napoleon mit seinem rechten Fluͤgel an und suchte mit dem linken zu wider- stehen. Eben Das that der Erzherzog Karl. Aber jener that es mit aller Entschlossenheit und Energie, dieser war unentschlossen und blieb immer auf dem halben Wege ste- hen. Was er mit dem siegreichen Theile seiner Armee er- focht waren unbedeutende Vortheile, was der Kaiser Na- poleon in derselben Zeit auf dem entgegengesetzten Punkte erfocht, entscheidende . 12. Lassen Sie mich die beiden letzten Grundsaͤtze noch einmal zusammenfassen, sie geben durch ihre Verbin- dung ein Produkt was unter allen Ursachen des Sieges in der heutigen Kriegskunst als die erste angesehen werden muß, naͤmlich: „Einen großen entscheidenden Zweck mit Energie und Beharrlichkeit zu verfolgen.“ 13. Die Gefahr im Falle des Nichtgelingens waͤchst dadurch, das ist wahr; aber die Vorsicht auf Unkosten des Zweckes zu vermehren ist keine Kunst, das ist eine falsche Vorsicht, wie ich schon in meinen allgemeinen Grund- saͤtzen gesagt habe, die der Natur des Krieges entgegen ist: fuͤr große Zwecke muß man im Kriege Großes wagen. Die rechte Vorsicht besteht darin: daß man wenn man Etwas im Kriege wagt, diejenigen Mittel die uns in der Erreichung unseres Zweckes nicht schwaͤchen aufzusuchen und anzuwenden nicht aus Faulheit, Traͤgheit und Leichtsinn unterlaͤßt. So ist die Vorsicht des Kaisers Napoleon, der noch nie große Zwecke aus Vorsicht furchtsam und mit halben Schritten verfolgt hat. Denken Sie, gnaͤdigster Herr, an die wenigen De- fensivschlachten die in der Geschichte gewonnen sind, so wer- den die schoͤnsten darunter in dem Geiste der hier gegebe- nen Grundsaͤtze gefuͤhrt sein, denn eben das Studium der Kriegsgeschichte hat diese Grundsaͤtze an die Hand gegeben. Bei Minden erschien der Herzog Ferdinand ploͤtzlich auf einem Schlachtfelde wo der Feind ihn nicht erwartet hatte und ging zum Angriff uͤber, waͤhrend er bei Tannhausen hinter Schanzen sich passiv wehrte. Bei Roßbach warf sich Friedrich II . auf einen Punkt und in einem Augenblick dem Feinde entgegen wo er nicht erwartet war. Bei Liegnitz trafen die Östreicher in der Nacht den Koͤnig in einer ganz andern Stellung an, als sie ihn Tags vorher gesehen hatten; er fiel mit der ganzen Armee uͤber eine Kolonne der feindlichen her und schlug diese ehe die andern zum Gefechte kommen konnten. Bei Hohenlinden hatte Moreau 5 Divisionen in sei- ner Fronte und 4 in seinem Ruͤcken und seitwaͤrts hinter sich. Er umging den Feind und fiel auf seine rechte Fluͤ- gelkolonne, ehe diese noch ihren Angriff ausfuͤhren konnte. Bei Regensburg vertheidigt sich der Marschall Da- voust passiv, waͤhrend Napoleon mit dem rechten Fluͤgel das 5te und 6te Armeekorps angreift und total schlaͤgt. Bei Wagram waren die Östreicher zwar die eigent- lichen Vertheidiger, doch kann man, da sie am zweiten Tage mit dem groͤßten Theil ihrer Macht den Kaiser an- griffen, auch diesen als den Vertheidiger betrachten. Mit seinem rechten Fluͤgel greift er den oͤstreichischen linken an, umgeht, schlaͤgt ihn, waͤhrend er sich um seinen ganz schwachen linken Fluͤgel (er bestand aus einer einzigen Di- vision) an der Donau nicht bekuͤmmerte, aber durch starke Reserven (tiefe Aufstellung) verhinderte daß der Sieg des oͤstreichischen rechten Fluͤgels Einfluß auf den Sieg be- kam den er am Rußbach erfocht. Er nahm mit diesen Reserven Aderklaa wieder. Nicht alle der obigen Grundsaͤtze sind in jeder der angefuͤhrten Schlachten deutlich enthalten, aber alle sind doch eine aktive Vertheidigung. Die Beweglichkeit der preußischen Armee unter Fried- rich II . war ihm ein Mittel zum Siege worauf wir jetzt nicht mehr rechnen koͤnnen, da die andern Armeen wenig- stens ebenso beweglich sind als wir. Von der andern Seite war das Umgehen in jener Zeit weniger allgemein und daher die tiefere Aufstellung weniger dringend. B . Fuͤr den Angriff . 1. Man sucht einen Punkt der feindlichen Stellung d. i. einen Theil seiner Truppen (eine Division, ein Korps) mit großer Überlegenheit anzufallen, waͤhrend man die uͤbrigen in Ungewißheit erhaͤlt (sie beschaͤftigt). Nur da- durch kann man bei gleicher oder kleinerer Macht mit Überlegenheit, also mit Wahrscheinlichkeit des Erfolges fechten. Ist man sehr schwach, so muß man nur sehr wenig zur Beschaͤftigung des Feindes auf andern Punkten nehmen, damit man auf dem entscheidenden Punkte so stark als moͤglich sei. Unstreitig hat Friedrich II . die Schlacht von Leuthen nur gewonnen, weil er die kleine Armee auf einem Flecke hatte und im Verhaͤltniß zum Feinde sehr konzentrirt war. 2. Den Hauptstoß richtet man gegen einen feindli- chen Fluͤgel, indem man ihn von vorn und von der Seite angreift oder auch ganz umgeht und von hinten kommt. Nur wenn man im Siegen den Feind von seiner Ruͤck- zugslinie abdraͤngt, hat man große Erfolge. 3. Wenn man auch stark ist, so waͤhlt man doch nur einen Punkt worauf man den Hauptstoß richten will und giebt sich auf diesem dafuͤr um so mehr Staͤrke; denn eine Armee foͤrmlich einzuschließen ist in den wenig- sten Faͤllen moͤglich oder wuͤrde eine ungeheure physische oder moralische Überlegenheit voraussetzen. Von den Ruͤck- zugslinien abdraͤngen kann man aber den Feind auch von einem Punkte seiner Flanke aus und das giebt schon große Erfolge. 4. Überhaupt ist die Gewißheit (hohe Wahrschein- lichkeit) des Sieges, d. h. die Gewißheit den Feind vom Schlachtfelde zu vertreiben, die Hauptsache. Darauf muß die Anlage der Schlacht gerichtet sein, denn es ist leicht einen erhaltenen nicht entschiedenen Sieg durch Ener- gie im Verfolgen entscheidend zu machen. 5. Man sucht den Feind auf dem Fluͤgel wo man ihn mit der Hauptstaͤrke angreift, konzentrisch anzufallen, d. h. so, daß seine Truppen sich von allen Seiten bekaͤmpft sehen. Gesetzt auch, der Feind hat hier Truppen genug um nach allen Seiten Fronte zu machen, so werden die Truppen unter solchen Umstaͤnden doch leichter muthlos, sie leiden mehr, kommen in Unordnung ꝛc., kurz man hat die Hoffnung sie eher zum Weichen zu bringen. 6. Dieses Umfassen des Feindes noͤthigt den Angrei- fenden seine Kraͤfte in der Fronte mehr zu entwickeln als der Vertheidiger. Wenn die Korps a b c den Theil e der feindlichen Armee konzentrisch anfallen sollen, so muͤssen sie sich na- tuͤrlich neben einander befinden. Aber nie muß diese Ent- wickelung unserer Kraͤfte in der Fronte so groß sein daß man nicht bedeutende Reserven behielte. Das wuͤrde der groͤßte Fehler sein, und wenn der Gegner einigermaßen gegen das Umgehen vorbereitet ist, zur Niederlage fuͤhren. Wenn a b c Korps sind die den Theil e angrei- fen, so muͤssen f g Korps sein die zur Reserve zuruͤckge- halten sind. Mit dieser tiefen Aufstellung ist man im Stande dem angegriffenen Punkte unaufhoͤrlich mit neuen Angriffen zuzusetzen und wenn unsere Truppen auf dem entgegengesetzten Ende geschlagen werden, so ist man nicht gleich genoͤthigt hier die Sache aufzugeben, weil man Etwas hat womit man den Feind entgegengehen kann. Die Franzosen in der Schlacht bei Wagram. Der linke Fluͤ- gel der sich dem oͤstreichischen rechten gegenuͤber an der Donau befand, war aͤußerst schwach und wurde auch total geschlagen. Selbst ihr Centrum bei Aderklaa war nicht sehr stark und wurde von den Östreichern am ersten Tage der Schlacht zum Weichen gebracht. Aber Alles das that Nichts, weil der Kaiser auf seinem rechten Fluͤgel mit welchem er den oͤstreichischen linken in Fronte und Flanke angriff, eine solche Tiefe hatte daß er mit einer gewalti- gen Kolonne Kavallerie und reitenden Artillerie den Öst- reichern nach Aderklaa entgegenruͤckte und sie hier, wenn auch nicht schlagen, doch zum Stehen bringen konnte. 7. Wie bei der Vertheidigung muß man auch beim Angriff einen solchen Theil der feindlichen Armee zum Gegenstande seines Anfalls nehmen dessen Niederlage ent- scheidende Vortheile giebt. 8. Wie bei der Vertheidigung muß man hier nicht eher loslassen als bis man seinen Zweck erreicht hat oder gar keine Mittel mehr uͤbrig sind. Ist der Vertheidiger auch aktiv, greift er uns auf andern Punkten an, so koͤn- nen wir den Sieg nicht anders erhalten als wenn wir ihn uͤberbieten an Energie und Kuͤhnheit. Ist er passiv, so wir dman ohnehin keine große Gefahr laufen. 9. Lange zusammenhaͤngende Truppenlinien vermei- det man ganz, sie wuͤrden nur zu Parallelangriffen fuͤhren, die jetzt nicht mehr zweckmaͤßig sind. Die einzelnen Divisionen machen ihre Angriffe fuͤr sich, obgleich nach hoͤhern Bestimmungen und also in Übereinstimmung. Nun ist aber eine Division (8- bis 10,000 Mann) nie in ein Treffen formirt, sondern in 2 oder 3 oder gar 4; daraus folgt schon daß keine lange zusammenhaͤngende Linie mehr vorkommen koͤnne. 10. Die Übereinstimmung der Divisionen und Armee- korps in ihren Angriffen muß nicht dadurch erhalten wer- den daß man sie von einem Punkte aus zu leiten sucht, so daß sie, obgleich von einander entfernt und vielleicht selbst durch den Feind von einander getrennt, dennoch im- mer in Verbindung bleiben, sich genau nach einander richten ꝛc. Dies ist die fehlerhafte, die schlechte Art das Zusammenwirken hervorzubringen, die tausend Zufaͤllen un- terworfen ist, bei der nie etwas Großes ausgerichtet wer- den kann und bei der man also gewiß sein kann von ei- nem kraͤftigen Gegner tuͤchtig geschlagen zu werden. Die wahre Art ist jedem einzelnen Korps- oder Di- visionskommandanten die Hauptrichtung seines Marsches anzugeben, den Feind zum Ziel und den Sieg uͤber den Feind zum Zweck zu setzen. Jeder Befehlshaber einer Kolonne hat also den Be- fehl den Feind anzugreifen wo er ihn findet und das mit allen Kraͤften. Er darf nicht verantwortlich gemacht wer- den fuͤr den Erfolg, denn das fuͤhrt zur Unentschlossen- heit; sondern er ist verantwortlich dafuͤr daß sein Korps mit allen Kraͤften und Aufopferungen Theil an dem Ge- fechte nehme. 11. Ein gut organisirtes selbststaͤndiges Korps kann dem uͤberlegensten Angriff eine Zeit lang (einige Stun- den) widerstehen und also nicht im Augenblick vernichtet werden; wenn es sich also auch wirklich zu fruͤh mit dem Feinde eingelassen hat, so wird sein Gefecht, gesetzt auch es wuͤrde geschlagen, doch fuͤr das Ganze nicht verloren gehen; der Feind wird seine Kraft an diesem einen Korps entwickeln und brechen und den uͤbrigen eine vortheilhafte Gelegenheit zum Anfall geben. Wie ein Korps dazu organisirt sein muͤsse, davon in der Folge. Man wird also des Zusammenwirkens der Kraͤfte gewiß dadurch daß jedes Korps eine gewisse Selbststaͤn- digkeit hat und daß jedes den Feind aufsucht und mit aller Aufopferung angreift. 12. Einer der wichtigsten Grundsaͤtze fuͤr den An- griffskrieg ist die Überraschung des Feindes. Je mehr der Angriff uͤberfallsweise geschehen kann, um so mehr wird man gluͤcklich sein. Die Überraschung welche der Verthei- diger durch die Verstecktheit seiner Maaßregeln, durch die verdeckte Aufstellung seiner Truppen hervorbringen kann, kann der Angreifende nur durch den unvermutheten An- marsch gewinnen. Diese Erscheinung ist aber in den neuern Kriegen sehr selten. Der Grund liegt theils in den bessern Sicherheits- anstalten die man jetzt hat, theils in der schnellen Fuͤhrung des Krieges, so daß selten ein langer Stillstand in den Operationen eintritt welcher den Einen einschlaͤferte und dem Andern Gelegenheit gaͤbe ihn ploͤtzlich anzufallen. Unter diesen Umstaͤnden kann man außer den eigent- lichen naͤchtlichen Überfaͤllen (wie bei Hochkirch) die im- mer moͤglich bleiben, den Feind nur noch dadurch uͤber- raschen daß man einen Marsch seitwaͤrts oder ruͤckwaͤrts thut und dann ploͤtzlich wieder gegen den Feind anruͤckt; ferner, wenn man entfernt steht, daß man durch eine ganz ungewoͤhnliche Anstrengung und Thaͤtigkeit schneller da ist als der Feind uns erwartet hat. 13. Der eigentliche Überfall (naͤchtlich wie bei Hoch- kirch) ist der beste um mit einer ganz kleinen Armee noch Etwas zu unternehmen; aber er ist fuͤr den Angreifenden welcher die Gegend weniger kennt als der Vertheidigende, mehrern Zufaͤllen unterworfen. Je weniger genau man die Gegend und die Anordnungen des Feindes kennt, um so groͤßer werden diese Zufaͤlle, daher dergleichen Angriffe in manchen Lagen nur als ein Mittel der Verzweiflung zu betrachten sind. 14. Bei diesen Angriffen muß man Alles noch viel einfacher einrichten und noch konzentrirter sein als bei Tage. 2. Grundsaͤtze fuͤr den Gebrauch der Truppen. 1. Kann man die Feuerwaffen nicht entbehren (und wenn man sie entbehren koͤnnte, warum fuͤhrt man sie mit?) so muß mit ihnen das Gefecht eroͤffnet werden und die Kavallerie muß erst gebraucht werden wenn der Feind durch Infanterie und Artillerie schon viel gelitten hat. Daraus folgt: a ) daß man die Kavallerie hinter die Infanterie stel- len muß, b ) daß man sich nicht zu leicht bewegen lassen muß das Gefecht mit ihr anzufangen. Nur in Faͤllen, wo Unordnungen des Feindes, schneller Ruͤckzug desselben Hoffnung des Erfolgs geben, muß man kuͤhn mit der Reiterei auf ihn losgehen. 2. Artillerie ist in ihrem Feuer viel wirksamer als Infanterie. Eine Batterie von 8 Sechspfuͤndern nimmt noch nicht den dritten Theil der Fronte eines Bataillons ein, hat nicht den achten Theil der Menschen die ein Ba- Bataillon stark ist und leistet gewiß zwei- bis dreimal so viel in der Wirkung des Feuers. Dagegen hat Ar- tillerie den Nachtheil nicht so beweglich zu sein wie die Infanterie. Im Allgemeinen gilt dies selbst von der leichtesten reitenden Artillerie, denn sie kann nicht wie die Infanterie in jedem Boden gebraucht werden. Man muß also die Artillerie von Hause aus auf den wichtigsten Punkten zusammenhalten, weil sie nicht wie die Infanterie im Fortschreiten des Gefechts sich gegen diese Punkte hin konzentriren kann. Eine große Batterie von 20 bis 30 Geschuͤtzen entscheidet meistens fuͤr den Punkt auf wel- chem sie sich befindet. 3. Aus den angegebenen und andern in die Augen fallenden Eigenthuͤmlichkeiten ergeben sich fuͤr den Gebrauch der einzelnen Waffen folgende Regeln: a ) Man faͤngt das Gefecht mit der Artillerie an, und zwar von Hause aus mit dem groͤßten Theile der- selben; nur bei großen Truppenmassen ist reitende und auch Fußartillerie zur Reserve. Man braucht die Artillerie dabei in groͤßern Massen auf einem Punkte. 20 bis 30 Kanonen vertheidigen den Hauptpunkt in einer großen Batterie oder beschießen den Theil der feindlichen Stellung welchen man an- fallen will. b ) Hierauf faͤngt man mit leichter Infanterie an — sei es mit Schuͤtzen, Jaͤgern oder Fuͤsilieren — hauptsaͤchlich um nicht gleich Anfangs zu viel Kraͤfte ins Spiel zu geben; man will erst versuchen, was man vor sich hat (denn das kann man selten or- dentlich uͤbersehen), man will sehen, wie sich das Gefecht wendet ꝛc. Kann man mit dieser Feuerlinie dem Feinde das III 15 Gleichgewicht halten und ist man nicht eilig, so hat man Unrecht sich mit Anwendung der uͤbrigen Kraͤfte zu uͤbereilen: man ermuͤde den Feind mit diesem Gefechte so sehr als moͤglich. c ) Bringt der Feind so viele Truppen ins Gefecht daß unsere Feuerlinie weichen muß oder duͤrfen wir nicht laͤnger zoͤgern, so ziehen wir eine volle Infan- terielinie heran, die sich auf 100 bis 200 Schritte vom Feinde entwickelt und schießt oder auch auf ihn eindringt wie es eben gehen will. d ) Dies ist die Hauptbestimmung der Infanterie; hat man sich aber so tief aufgestellt daß man nun noch eine Infanterielinie in Kolonnen zur Reserve hat, so ist man auf diesem Punkte ziemlich Herr des Gefechtes. Diese zweite Infanterielinie muß man wo moͤglich nur in Kolonnen zur Entscheidung ge- brauchen. e ) Die Kavallerie haͤlt bei dem Gefechte so nahe hin- ter den fechtenden Truppen als es ohne großen Verlust geschehen kann, naͤmlich außer dem Kar- taͤtsch- und Musketenfeuer. Sie muß aber bei der Hand sein, damit man jeden Erfolg der sich im Ge- fecht zeigt schnell benutzen koͤnne. 4. Indem man diese Regeln mehr oder weniger ge- nau befolgt, behaͤlt man folgenden Grundsatz, den ich nicht wichtig genug darstellen kann, im Auge: Seine Kraͤfte nicht alle mit einem Male auf gut Gluͤck ins Spiel zu bringen, wobei man alle Mittel das Gefecht zu leiten aus den Haͤnden giebt; seinen Gegner wo moͤglich zu ermuͤden mit wenigen Kraͤften und sich fuͤr den letzten entscheidenden Augenblick eine entscheidende Masse zu konserviren. Ist diese entscheidende Masse einmal darangesetzt, so muß sie von der hoͤchsten Kuͤhnheit geleitet werden. 5. Eine Schlachtordnung d. h. eine Aufstellungsart der Truppen vor und im Gefecht muß eingefuͤhrt sein fuͤr den ganzen Feldzug oder den ganzen Krieg. Diese Schlachtord- nung vertritt in allen Faͤllen wo es an aller Zeit zur Dis- position fehlt die Stelle derselben. Sie muß daher vorzuͤg- lich auf die Vertheidigung berechnet sein. Diese Schlacht- ordnung wird die Fechtart in der Armee auf einen ge- wissen Modus bringen, der sehr nothwendig und heilsam ist, weil es unvermeidlich bleibt daß ein großer Theil der Untergenerale und andern Offiziere die sich an der Spitze kleinerer Abtheilungen befinden, ohne besondere Kenntniß in der Taktik, auch wohl ohne vorzuͤgliche Anlagen fuͤr den Krieg sein wird. Es entsteht also daraus ein gewisser Methodismus, der da an die Stelle der Kunst tritt wo diese fehlt. Mei- ner Überzeugung nach ist das in den franzoͤsischen Armeen im hoͤchsten Grade der Fall. 6. Nach Dem was ich uͤber den Gebrauch der Waf- fen gesagt habe, wuͤrde diese Schlachtordnung fuͤr eine Brigade ungefaͤhr folgende sein: 15* a b ist die Linie der leichten Infanterie welche das Gefecht eroͤffnet, im durchschnittenen Terrain gewisser- maßen als Avantgarde dient; dann kommt die Artil- lerie c d , um auf vortheilhaften Punkten aufgestellt zu werden. So lange sie nicht postirt ist, bleibt sie hinter der ersten Infanterielinie. e f ist die erste In- fanterielinie, welche bestimmt ist aufzumarschiren und zu feuern, hier 4 Bataillone; g h ein Paar Kaval- lerieregimenter; i k ist die zweite Infanterielinie, die zur Reserve, zur Entscheidung des Gefechtes bestimmt ist; l m ihre Kavallerie. Nach eben diesen Grundsaͤtzen wird einem starken Korps eine aͤhnliche Aufstellung gegeben. Übrigens ist es nichts durchaus Wesentliches ob die Schlachtordnung ge- rade so oder ein wenig anders ist, wenn nur die oben an- gegebenen Grundsaͤtze darin befolgt sind. So z. B. kann die Kavallerie g h sich bei der gewoͤhnlichen Aufstellung mit in der Linie l m befinden und man nimmt sie nur in einzelnen Faͤllen vor, wenn sie in dieser Stellung zu weit zuruͤck sich zu befinden wuͤrde. 7. Die Armee besteht aus mehrern solcher selbststaͤn- digen Korps die ihren General und Generalstab haben. Sie werden neben und hintereinander aufgestellt, wie dies in den allgemeinen Grundsaͤtzen fuͤr das Gefecht angege- ben ist. Eins ist hier noch zu bemerken, daß man naͤm- lich, wenn man nicht ganz schwach an Kavallerie ist, sich eine besondere Kavalleriereserve bildet, die natuͤrlich hinten zu stehen kommt und folgende Bestimmungen hat: a ) Wenn der Feind im Ruͤckzuge vom Schlachtfelde begriffen ist, auf ihn einzudringen und die Kavallerie welche er zur Deckung seiner Ruͤckzuges anwendet, anzugreifen. Schlaͤgt man in diesem Augenblick die feindliche Kavallerie, so werden unvermeidlich große Erfolge eintreten wenn die feindliche Infanterie nicht Wunder der Tapferkeit thut. Kleine Kaval- leriehaufen wuͤrden hier den Zweck nicht erreichen. b ) Wenn der Feind auch ungeschlagen auf einem Ruͤck- marsch begriffen ist oder wenn er sich nach einer verlorenen Schlacht am folgenden Tage weiter zu- ruͤckzieht, ihn schneller zu verfolgen. Kavallerie mar- schirt schneller als Infanterie und macht auf die sich zuruͤckziehenden Truppen einen mehr imponirenden Eindruck. Das Verfolgen aber ist im Kriege naͤchst dem Schlagen das Wichtigste. c ) Wenn man den Feind im Großen (strategisch) um- gehen will und sich wegen des Umweges einer Waffe bedienen muß die schneller marschirt, so nimmt man diese Kavalleriereserve dazu. Damit dieses Korps einigermaßen mehr Selbststaͤn- digkeit erhaͤlt, so muß ihm eine bedeutende Masse reiten- der Artillerie mitgegeben werden; denn die Verbindung mehrerer Waffen giebt nur eine groͤßere Staͤrke. 8. Die Schlachtordnung der Truppen bezog sich auf das Gefecht; es war also ihr Aufmarsch. Die Ordnung im Marsche ist dem Wesentlichen nach folgende: a ) Jedes selbststaͤndige Korps (Brigade oder Division wie es heißen mag) hat seine eigene Avant- und Arriergarde und formit seine eigene Kolonne; das hindert aber nicht daß mehrere Korps auf einer Straße hinter einander marschiren und also im Gro- ßen gewissermaßen eine Kolonne bilden. b ) Die Korps marschiren in Folge der allgemeinen Schlachtordnung; wie sie nach dieser neben und hin- ter einander zu stehen kommen, so marschiren sie auch. c ) Die Ordnung in den Korps selbst bleibt immer un- veraͤndert folgende: die leichte Infanterie macht die Avant- und Arriergarde, ein Regiment Kavallerie ist ihr zugegeben, dann folgt die Infanterie, dann die Artillerie, zuletzt die uͤbrige Kavallerie. Diese Ordnung bleibt, man mag sich gegen den Feind bewegen, wo sie an sich die natuͤrliche Ordnung ist; oder mit ihm parallel, wo eigentlich Das was in der Aufstel- lung hintereinander stehen sollte, nebeneinander marschiren muͤßte. Kommt man zum Aufmarsch, so kann es nie an so viel Zeit fehlen daß man nicht die Kavallerie und das zweite Treffen rechts oder links herausziehen koͤnnte. 3. Grundsaͤtze fuͤr den Gebrauch des Terrains. 1. Das Terrain (der Boden, die Gegend) giebt im Kriegfuͤhren zwei Vortheile. Der erste ist daß es Hindernisse des Zugangs giebt, die dem Feinde das Vordringen auf diesem Punkte ent- weder unmoͤglich machen oder ihn noͤthigen langsamer zu marschiren, in Kolonnen zu bleiben ꝛc. Die zweite ist daß die Hindernisse uns erlauben un- sere Truppen verdeckt aufzustellen. Beide Vortheile sind sehr wichtig, aber der zweite scheint mir wichtiger als der erste; wenigstens ist es ge- wiß daß man ihn haͤufiger genießt, weil die einfachste Ge- gend in den meisten Faͤllen noch erlaubt sich mehr oder weniger verdeckt zu stellen. Fruͤher kannte man nur den ersten dieser beiden Vor- theile und machte wenig Gebrauch von dem zweiten. Jetzt hat die Beweglichkeit aller Armeen gemacht daß man je- nen weniger benutzen kann und eben darum muß man sich des zweiten um so haͤufiger bedienen. Der erste dieser bei- den Vortheile ist allein bei der Vertheidigung wirksam, der andere bei dem Angriff und der Vertheidigung. 2. Das Terrain als Zugangshinderniß betrachtet, kommt vorzuͤglich in folgenden Punkten vor: a ) als Flan- kenanlehnung, b ) als Fronteverstaͤrkung. 3. Um die Flanken daranzulehnen muß es ganz undurchdringlich sein: ein großer Strom, ein See, ein undurchdringlicher Morast. Alle diese Gegenstaͤnde finden sich aber selten, darum ist eine vollkommen sichere Anleh- nung der Flanken etwas Seltenes und zwar jetzt noch mehr als sonst, weil man sich mehr bewegt, nicht so lange in einer Stellung bleibt, folglich mehr Stellungen auf dem Kriegstheater benutzen muß. Ist das Hinderniß des Zugangs nicht ganz undurch- dringlich, so ist es eigentlich kein Stuͤtzpunkt fuͤr die die Flanke, sondern ein bloßer Verstaͤrkungspunkt. Dann muͤssen Truppen dahinter aufgestellt werden und fuͤr diese wird es dann wieder ein Zugangshinderniß. Es ist zwar immer noch vortheilhaft seine Flanke auf diese Art zu sichern, weil man dann weniger Truppen auf diesem Punkte gebraucht; aber man muß sich vor zwei Dingen huͤten: erstens, sich ganz auf eine solche Fe- stigkeit seiner Flanke zu verlassen, um also keine starke Reserve hinter sich zu haben; zweitens, sich auf beiden Fluͤgeln mit solchen Hindernissen zu umgeben, denn da sie nicht vollkommen sichern, so werden sie das Gefecht auf den Flanken auch nicht unmoͤglich machen; dann fuͤhren sie aber zu einer hoͤchst nachtheiligen Defensive, denn sie erlauben uns selbst nicht mit Leichtigkeit auf einem Fluͤgel zur aktiven Vertheidigung vorzubrechen und man wird sich in der unguͤnstigsten aller Formen mit zuruͤckgebliebenen Flanken a d , c b vertheidigen muͤssen. 4. Die eben angestellten Betrachtungen fuͤhren wieder auf die tiefe Aufstellung. Je weniger man seine Flanke sicher anlehnen kann, um so mehr muß man hinter sich Korps haben, die den umgehenden Theil des Feindes um- gehen koͤnnen. 5. Alle Arten von Terrain die man nicht in Fronte passiren kann, alle Ortschaften, alle Einheegerungen der Grundstuͤcke durch viele Hecken und Graͤben, alle sumpfigen Wiesen, endlich alle Berge die mit einiger Muͤhe erstiegen werden muͤssen, gehoͤren zu den Terrainhindernissen dieser Art, naͤmlich zu solchen die zwar passirt werden koͤnnen, aber nur mit Anstrengung und langsam, die also den da- hinter aufgestellten Truppen eine groͤßere Staͤrke in dem Gefechte geben. Waͤlder sind nur dann hierher zu rechnen, wenn sie sehr verwachsen und sumpfig sind. Ein gewoͤhn- licher hoher Wald ist eben so leicht zu passiren als die Ebene. In Ruͤcksicht der Waͤlder aber darf man einen Punkt nicht uͤbersehen, daß sie naͤmlich den Feind verber- gen. Stellt man sich hinein, so findet dieser Nachtheil fuͤr beide Theile Statt; sehr gefaͤhrlich und also ein gro- ßer Fehler ist es aber sie vor der Fronte oder auf den Flanken zu nehmen: dies darf durchaus nur geschehen wenn der Durchgang auf wenige Wege beschraͤnkt ist. Verhaue die man zu diesem Behufe anlegt helfen nicht Viel, sie sind leicht weggeraͤumt. 6. Aus allem diesen folgt daß man sich dieser Ter- rainhindernisse auf einer Flanke zu bedienen suchen wird, um hier mit wenigen Truppen verhaͤltnißmaͤßig einen star- ken Widerstand zu leisten, waͤhrend man auf der andern Flanke seine vorgesetzte Offensive ausfuͤhrt. Sehr zweck- maͤßig ist es mit diesen Hindernissen den Gebrauch der Schanzen zu verbinden, weil dann, wenn der Feind das Hinderniß passirt hat, unter dem Feuer der Schanzen diese die schwachen Truppen gegen einen zu uͤberlegenen Anfall und ein zu ploͤtzliches Zuruͤckwerfen sichern. 7. Als Zugangshinderniß auf der Fronte ist da wo man sich vertheidigen will jedes Hinderniß von großem Werthe. Alle Berge auf die man sich stellt werden allein aus dieser Ruͤcksicht besetzt. Denn auf die Wirkung der Waf- fen hat das Hoͤherstehen oft gar keinen, meistens keinen wichtigen Einfluß. Wenn wir oben stehen und der Feind, indem er sich uns naͤhert, muͤhsam steigen muß, so ruͤckt er nur langsam vor, kommt auseinander, langt mit er- schoͤpften Kraͤften an; Vortheile die bei gleicher Bravheit und Staͤrke entscheidend werden. Besonders muß man nicht uͤbersehen daß der schnelle Anfall im vollen Laufe moralisch so wirksam ist. Der vordringende Soldat be- taͤubt sich dadurch selbst gegen die Gefahr, der stehende verliert die Gegenwart des Geistes. Seine vorderste In- fanterie und Artillerie auf Berge zu stellen ist also immer sehr vortheilhaft. Ist der Fall des Berges so steil oder sein Abhang so wellenfoͤrmig und ungleich daß man ihn nicht wirksam beschießen kann, welches gar zu oft der Fall ist, so stellt man seine erste Linie nicht an den Rand des Berges, son- dern besetzt diesen hoͤchstens mit Schuͤtzen und stellt die volle Linie so daß der Feind in dem Augenblick wo er auf die Hoͤhe heraufkommt und sich wieder sammelt, in das wirksamste Feuer kommt. Alle andern Zugangshindernisse, als: kleine Fluͤsse, Baͤche, hohle Wege ꝛc. dienen die Fronte des Feindes zu brechen; er muß sich diesseits wieder formiren und das haͤlt ihn auf. Darum muͤssen sie in unser wirksamstes Feuer genommen werden. Dies wirksamste Feuer ist der Kartaͤtschenschuß (4- bis 600 Schritte) wenn viel Artille- rie da ist, der Flintenschuß (150 bis 200 Schritte) wenn wenig Artillerie auf diesem Punkte ist. 8. Es ist mithin ein Gesetz alle Hindernisse des Zu- ganges welche unsere Fronte verstaͤrken sollen in unser wirksamstes Feuer zu nehmen. Aber Eins ist wichtig zu bemerken, daß man nie den ganzen Widerstand auf diesem bloßen Feuern beruhen lassen, sondern immer einen be- deutenden Theil seiner Truppen (⅓ bis ½) zum Anfall mit dem Bajonet bereit haben muß in Kolonnen. Ist man also ganz schwach, so muß man bloß die Feuerlinie (Schuͤtzen und Kanonen) so nahe stellen daß sie das Hin- derniß beschießen, die uͤbrigen Truppen aber in Kolonnen, wo moͤglich verdeckt, 6- bis 800 Schritte weiter zuruͤck. 9. Eine andere Benutzungsart der Zugangshinder- nisse vor der Fronte ist die, wenn man dieselben etwas weiter vor der Fronte liegen laͤßt, so daß man sie nur unter dem wirksamen Kanonenschuß hat (1000 bis 2000 Schritte) und indem der Feind mit seinen Kolonnen uͤber- geht, diese von allen Seiten anfaͤllt. (Bei Minden that der Herzog Ferdinand etwas Ähnliches.) Alsdann dient das Terrainhinderniß der Absicht sich aktiv zu vertheidigen, und diese aktive Vertheidigung, von der wir fruͤher schon gesprochen haben, wird dann auf der Fronte ausgefuͤhrt. 10. In dem Bisherigen sind die Hindernisse des Bodens und der Gegend vorzuͤglich als zusammenhaͤngende Linien fuͤr groͤßere Stellungen betrachtet worden. Es ist aber noͤthig noch Etwas uͤber einzelne Punkte zu sagen. Einzelne isolirte Punkte koͤnnen uͤberhaupt nur ver- theidigt werden durch Schanzen oder bei einem starken Terrainhinderniß. Von den ersten ist hier nicht die Rede. Terrainhindernisse die isolirt gehalten werden sollen koͤnnen nur sein: a ) isolirte steile Hoͤhen. Hier sind Schanzen gleichfalls unentbehrlich, weil der Feind hier immer in einer mehr oder weniger großen Fronte gegen den Vertheidiger anruͤcken kann, dieser also am Ende immer im Ruͤcken genommen werden wird, weil man fast nie so stark ist nach allen Seiten Fronte zu machen. b ) Defileen. Unter diesem Ausdruck versteht man jeden engen Weg wo der Feind nur auf einem Punkte anruͤcken kann. Bruͤcken, Daͤmme, steile Felsschluchten gehoͤren hierher. In Ruͤcksicht aller dieser Faͤlle ist zu bemerken daß entweder der Angreifende sie durchaus nicht umgehen kann, wie Bruͤcken uͤber große Stroͤme, alsdann kann der Ver- theidiger dreist seine ganze Mannschaft aufstellen, um den Punkt des Überganges so wirksam als moͤglich zu be- schießen; oder daß man gegen das Umgehen nicht absolut gesichert ist, wie bei Bruͤcken uͤber kleine Fluͤsse und bei den meisten Gebirgsdefileen. Alsdann ist es nothwendig einen bedeutenden Theil (⅓ bis ½) seiner Truppen zum geschlossenen Anfall zuruͤckzubehalten. c ) Ortschaften, Doͤrfer, kleine Staͤdte ꝛc. Sind die Truppen sehr brav, fuͤhren sie den Krieg mit Enthusiasmus, so ist in den Haͤusern eine Vertheidi- gung Weniger gegen Viele moͤglich, wie es keine andere giebt. Ist man aber des einzelnen Mannes nicht gewiß, so ist es besser die Haͤuser, Gaͤrten ꝛc. nur mit Schuͤtzen zu besetzen, die Eingaͤnge mit Kanonen und den groͤßten Theil der Truppen (½ bis ¾) in geschlossenen Kolonnen entweder in dem Orte oder auch hinter demselben verdeckt aufzustellen, um damit uͤber den Feind herzufallen indem er eindringt. 11. Diese isolirten Posten dienen den großen Opera- tionen theils als Vorposten, wo es meistens nicht auf eine absolute Vertheidigung ankommt, sondern auf ein bloßes Aufhalten des Feindes, theils auf Punkten die in den Kombinationen welche man fuͤr die Armee entworfen hat, wichtig werden. Oft ist es noͤthig einen entlegenen Punkt festzuhalten, um Zeit zur Entwickelung der aktiven Ver- theidigungsmaaßregeln zu haben die man sich vorgesetzt hat. Ist aber der Punkt entlegen, so wird er dadurch von selbst isolirt. 12. Es sind nur noch zwei Bemerkungen uͤber die isolirten Punkte zu machen noͤthig. Die erste, daß man hinter diesen Punkten Truppen zur Aufnahme des zuruͤck- geworfenen Detaschements bereithalten muͤsse; die zweite, daß Der welcher eine solche Vertheidigung in die Reihe seiner Kombinationen aufnimmt, nie zu Viel darauf rech- nen muͤsse, wenn auch das Terrainhinderniß noch so stark ist; daß dagegen Der welchem die Vertheidigung aufgege- ben ist, auch unter den schlechtesten Umstaͤnden den Zweck zu erreichen sich vorsetzen muͤsse. Hier ist ein Geist der Entschlossenheit und Aufopferung noͤthig, der nur in dem Ehrgeize und Enthusiasmus seine Quelle findet. Hier muß man also solche Leute hinstellen denen es nicht an diesen edlen Seelenkraͤften fehlt. 13. Was die Benutzung des Terrains als Deckungs- mittels fuͤr unsere Aufstellung und unsern Anmarsch betrifft, so bedarf das keiner weitlaͤufigen Auseinandersetzung. Man stellt sich nicht auf den Berg welchen man ver- theidigen will (wie bisher so oft geschah), sondern dahinter; man stellt sich nicht vor den Wald, sondern hinein oder dahinter; das Letztere nur wenn man den Wald oder das Gehoͤlz dennoch uͤbersehen kann. Man behaͤlt seine Trup- pen in Kolonnen um sie leichter verdeckt aufstellen zu koͤn- nen; man benutzt Doͤrfer, kleine Gehoͤlze, alle Woͤlbungen des Terrains um seine Truppen dahinter zu verstecken; man waͤhlt beim Anruͤcken die durchschnittenste Gegend u. s. w. Es giebt fast keine Gegend in angebauten Laͤndern die so leicht zu uͤbersehen waͤre daß bei einer geschickten Benutzung der Hindernisse nicht ein großer Theil der Truppen des Vertheidigers unentdeckt bleiben sollten. Fuͤr den Angreifenden hat die Deckung seines Marsches mehr Schwierigkeiten, weil er den Wegen folgen muß. Es versteht sich von selbst daß man wenn man das Terrain zur Versteckung seiner Truppen benutzt, dies in Übereinstimmung mit den Zwecken thun muß und den Kom- binationen die man sich vorgesetzt hat; dahin gehoͤrt also vor allen Dingen daß man die Schlachtordnung nicht ganz auseinanderreiße, wenn man sich auch kleine Abweichungen davon erlaubt. 14. Fassen wir das bisher uͤber das Terrain Ge- sagte zusammen, so ergiebt sich fuͤr den Vertheidiger d. h. fuͤr die Wahl der Stellungen Folgendes als das Wichtigste: a ) Anlehnung einer oder beider Flanken; b ) freie Aussicht auf Fronte und Flanken; c ) Hindernisse des Zugangs auf der Fronte; d ) verdeckte Aufstellung der Truppen. Hierzu kommt noch e ) im Ruͤcken ein durchschnittenes Terrain, weil das im Falle eines Ungluͤcks das Verfolgen erschwert; aber keine zu nahen Defileen (wie bei Friedland), weil das Aufenthalt und Verwirrung verursacht. 15. Es waͤre pedantisch zu glauben diese Vortheile ließen sich bei jeder Stellung die man im Kriege bezieht alle erreichen. Nicht alle Stellungen sind von gleicher Wichtigkeit: sie sind um so wichtiger je wahrscheinlicher es ist darin angegriffen zu werden. Nur bei den wichtig- sten sucht man diese Vortheile alle zu erreichen, bei den andern mehr oder weniger. 16. Die Ruͤcksichten welche der Angreifende auf das Terrain zu nehmen hat vereinigen sich vorzuͤglich in den zwei Hauptpunkten: ein zu schwieriges Terrain nicht zum Angriffspunkt zu waͤhlen, von der andern Seite aber wo moͤglich durch die Gegend anzuruͤcken in der uns der Feind am wenigsten uͤbersehen kann. 17. Ich schließe diese Bemerkungen uͤber den Ge- brauch des Terrains mit einem Grundsatz der fuͤr die Vertheidigung von der hoͤchsten Wichtigkeit und als Schlußstein der ganzen Vertheidigungslehre zu betrachten ist, naͤmlich: Nie Alles von der Staͤrke des Terrains zu er- warten, sich folglich nie durch ein starkes Terrain zur passiven Defensive verleiten zu lassen. Denn ist das Terrain wirklich so stark daß es dem Angreifenden unmoͤglich wird uns zu vertreiben, so wird er es umgehen, welches immer moͤglich ist, und dann ist das staͤrkste Terrain uͤberfluͤssig; wir werden unter ganz andern Umstaͤnden, in einer ganz andern Gegend zur Schlacht ge- zwungen, und es ist so gut als haͤtten wir jenes Terrain gar nicht in unsere Kombinationen mit aufgenommen. Ist das Terrain aber nicht von einer solchen Staͤrke, ist ein Angriff in demselben noch moͤglich, so koͤnnen die Vor- theile dieses Terrains nie die Nachtheile einer passiven Vertheidigung aufwiegen. Alle Terrainhindernisse muͤssen also nur zu einer theilweisen Vertheidigung benutzt werden, um mit wenigen Truppen einen verhaͤltnißmaͤßig großen Widerstand zu leisten und Zeit fuͤr die Offensive zu ge- winnen, durch welche man auf andern Punkten den wah- ren Sieg zu erhalten sucht. III. Strategie . Sie ist die Verbindung der einzelnen Gefechte die den Krieg ausmachen, zum Zweck des Feldzuges und des Krieges. Weiß man zu fechten, weiß man zu siegen, so ist Wenig mehr uͤbrig. Denn gluͤckliche Erfolge zu verbinden ist leicht, weil es eine bloße Sache geuͤbter Urtheilskraft ist und nicht mehr, wie die Leitung des Gefechtes, auf be- sonderem Wissen beruht. Die wenigen Grundsaͤtze welche darin vorkommen, die vorzuͤglich auf der Verfassung der Staaten und Armeen beruhen, werden sich daher dem Wesentlichen nach sehr kurz zusammenfassen lassen. 1. Allgemeine Grundsaͤtze. 1. Es giebt beim Kriegfuͤhren drei Hauptzwecke: a ) die feindliche bewaffnete Macht zu besiegen und auf- zureiben; b ) sich in Besitz der todten Streitkraͤfte und der andern Quellen der feindlichen Armee zu setzen, und c ) die oͤffentliche Meinung zu gewinnen. 2. Um den ersten Zweck zu erreichen richtet man seine Hauptoperation immer gegen die feindliche Hauptar- mee oder doch gegen einen sehr bedeutenden Theil der feindlichen Macht; denn nur wenn man damit anfaͤngt diese zu schlagen, kann man den andern beiden Zwecken mit Erfolg nachgehen. 3. Um die feindlichen todten Kraͤfte zu erobern rich- tet man seine Operationen gegen diejenigen Punkte wo diese Kraͤfte am meisten konzentrirt sind: Hauptstaͤdte, Nieder- lagen, große Festungen. Auf dem Wege zu ihnen wird man man die feindliche Hauptmacht oder einen betraͤchtlichen Theil der feindlichen Armee antreffen. 4. Die Meinung gewinnt man durch große Siege und durch den Besitz der Hauptstadt. 5. Der erste und wichtigste Grundsatz den man zur Erreichung jener Zwecke sich machen muß ist der: alle Kraͤfte die uns gegeben sind mit der hoͤchsten Anstrengung aufzubieten. Jede Maͤßigung welche man hierin zeigt ist ein Zuruͤckbleiben hinter dem Ziele. Waͤre auch der Er- folg an sich ziemlich wahrscheinlich, so ist es doch hoͤchst unweise nicht die hoͤchste Anstrengung zu machen um seiner ganz gewiß zu werden; denn diese Anstrengung kann nie einen nachtheiligen Erfolg haben. Gesetzt das Land wuͤrde dadurch noch so sehr gedruͤckt, so entsteht daraus kein Nach- theil, denn der Druck wird um so schneller aufhoͤren. Von unendlichem Werthe ist der moralische Eindruck den diese Anstalten machen; jeder ist von dem Erfolge uͤberzeugt: dies ist das beste Mittel die Nation ploͤtzlich zu heben. 6. Der zweite Grundsatz ist: seine Macht da wo die Hauptschlaͤge geschehen sollen so viel als immer moͤglich zu konzentriren, sich auf andern Punkten Nachtheilen aus- zusetzen, um auf dem Hauptpunkte des Erfolges um so gewisser zu sein. Dieser Erfolg hebt alle andern Nach- theile wieder auf. 7. Der dritte Grundsatz ist: keine Zeit zu verlieren. Wenn uns nicht aus dem Zoͤgern besonders wichtige Vortheile entspringen, so ist es wichtig so schnell als moͤglich ans Werk zu gehen. Durch die Schnelligkeit werden Hundert Maaßregeln des Feindes im Keime er- stickt und die oͤffentliche Meinung wird am ersten fuͤr uns gewonnen. III 16 Die Überraschung spielt in der Strategie eine viel wich- tigere Rolle als in der Taktik; sie ist das wirksamste Prin- zip zum Siege. Der Kaiser von Frankreich, Friedrich II. , Gustav Adolph, Caͤsar, Hannibal, Alexander verdanken ih- rer Schnelligkeit die schoͤnsten Strahlen ihres Ruhmes. 8. Endlich ist der vierte Grundsatz: die Erfolge welche wir erringen, mit der hoͤchsten Energie zu benutzen. Das Verfolgen des geschlagenen Feindes giebt allein die Fruͤchte des Sieges. 9. Der erste dieser Grundsaͤtze ist die Grundlage der drei andern. Man kann bei ihnen das Hoͤchste wagen ohne Alles aufs Spiel zu setzen, wenn man den ersten Grundsatz befolgt hat. Er giebt das Mittel immer neue Kraͤfte hinter uns zu bilden, und mit neuen Kraͤften macht man jeden Ungluͤcksfall wieder gut. Hierin liegt diejenige Vorsicht welche man weise nen- nen kann, nicht darin daß man furchtsamen Schrittes vorwaͤrtsschreitet. 10. Kleine Staaten koͤnnen in der jetzigen Zeit keine Eroberungskriege fuͤhren. Fuͤr den Vertheidigungskrieg aber sind die Mittel auch kleiner Staaten unendlich groß. Darum halte ich mich fest uͤberzeugt daß wer alle seine Kraͤfte aufbietet um mit immer neuen Massen aufzutreten, wer alle ersinnlichen Mittel der Vorbereitung trifft, wer seine Kraͤfte auf dem Hauptpunkte zusammenhaͤlt, wer so ausgeruͤstet mit Determination und Energie einen großen Zweck verfolgt, der hat Alles gethan was sich im Großen fuͤr die strategische Leitung des Krieges thun laͤßt, und wenn er dabei nicht ganz ungluͤcklich im Gefechte ist, so wird er unausbleiblich in dem Maaße siegreich sein als sein Gegner hinter dieser Anstrengung und Energie zu- ruͤckbleibt. 11. Bei diesen Grundsaͤtzen kommt am Ende auf die Form in welcher die Operationen gefuͤhrt werden We- nig an. Indessen will ich versuchen das Wichtigste davon mit wenigen Worten klar zu machen. In der Taktik sucht man den Feind immer zu um- fassen, naͤmlich den Theil gegen welchen man seinen Haupt- angriff gerichtet hat, theils weil die konzentrische Wirkung der Streitkraͤfte vortheilhafter ist als die parallele, theils weil man nur so den Feind vom Ruͤckzugspunkte abdraͤn- gen kann. Wenden wir was sich dort auf den Feind und die Stellung bezieht hier auf seine Kriegstheater (also auch auf seine Verpflegung) an, so werden die einzelnen Ko- lonnen oder Armeen welche den Feind umfassen sollen, in den meisten Faͤllen so weit von einander entfernt sein daß sie nicht an einem und demselben Gefechte Theil nehmen koͤnnen. Der Gegner wird sich in der Mitte befinden und sich nach und nach gegen die einzelnen Korps wenden koͤn- nen, um diese mit ein und derselben Armee einzeln zu schlagen. Friedrichs II. Feldzuͤge geben davon Beispiele, besonders die von 1757 und 58. Da nun das Gefecht die Hauptsache, das Entschei- dende ist, so wird der konzentrisch Verfahrende, wenn er nicht eine ganz entscheidende Übermacht hat, mit den Schlachten alle Vortheile verlieren welche ihm das Um- fassen gewaͤhrt haben wuͤrde; denn die Einwirkung auf die Verpflegung wirkt nur sehr langsam, der Sieg in der Schlacht sehr schnell. In der Strategie ist also Der welcher sich zwischen dem Feinde befindet besser daran als Der welcher seinen Gegner umgiebt, besonders bei gleichen oder gar schwaͤchern Kraͤften. 16* Darin hat also der Oberst Jomini ganz Recht, und wenn Herr von Buͤlow mit so vielem Anschein von Wahr- heit das Gegentheil demonstrirt hat, so liegt es bloß darin daß er der Einwirkung auf die Verpflegung eine zu schnelle Wirkung zugeschrieben, den unausbleiblichen Erfolg einer Schlacht aber leichtsinnigerweise ganz geleugnet hat. Um den Feind von seinem Ruͤckzugspunkte abzuschnei- den ist ein strategisches Umgehen und Umfassen allerdings sehr wirksam; da man diesen Zweck aber auch allenfalls durch das taktische Umgehen erreichen kann, so wird das strategische Umgehen immer nur dann rathsam sein, wenn man (physisch und moralisch) so uͤberlegen ist daß man auf dem Hauptpunkte stark genug bleibt und mithin das deta- schirte Korps entbehren kann. Der Kaiser von Frankreich hat sich auf das strate- gische Umgehen nie eingelassen, wiewohl er doch physisch und moralisch so oft, fast immer uͤberlegen war. Friedrich II. that es nur ein einziges Mal im Angriff auf Boͤhmen 1757. Allerdings veranlaßte er dadurch daß die erste Schlacht von den Östreichern erst bei Prag ge- liefert werden konnte; allein was half ihm die Eroberung Boͤhmens bis Prag ohne entscheidenden Sieg? Die Schlacht von Kollin zwang ihn sie wieder aufzugeben; ein Beweis daß Schlachten Alles entscheiden. Bei Prag war er of- fenbar in Gefahr von der ganzen oͤstreichischen Macht an- gefallen zu werden ehe Schwerin herankam. Dieser Ge- fahr haͤtte er sich nicht ausgesetzt wenn er mit der ganzen Macht durch Sachsen gezogen waͤre. Bei Budin an der Eger waͤre dann vielleicht die erste Schlacht geliefert wor- den und diese waͤre eben so entscheidend gewesen wie die von Prag. Die Dislokation der preußischen Armee waͤh- rend des Winters in Schlesien und Sachsen hatte zu die- sem konzentrischen Einmarsch unstreitig Veranlassung ge- geben, und es ist wichtig zu bemerken daß Bestimmungs- gruͤnde dieser Art in den meisten Faͤllen dringender sind als die Vortheile in der Form der Aufstellung, denn die Leichtigkeit der Operationen befoͤrdert die Schnelligkeit, und die Friktion welche die ungeheure Maschine einer bewaff- neten Macht hat, ist schon so groß daß man sie nicht ohne Noth vermehren muß. 12. Durch den Grundsatz welchen wir eben ange- fuͤhrt haben, sich auf dem Hauptpunkte moͤglichst zu kon- zentriren, wird man ohnehin von dem Gedanken eines strategischen Umfassens abgezogen und die Aufstellung un- serer Streitkraͤfte ergiebt sich schon von selbst daraus. Darum durfte ich sagen daß die Form dieser Aufstellung wenig Werth hat. Einen Fall indessen giebt es doch wo die strategische Wirkung in des Feindes Flanke zu großen, einer Schlacht aͤhnlichen Erfolgen fuͤhrt: wenn der Feind in einem armen Lande mit großer Muͤhe Magazine auf- gehaͤuft hat, von deren Erhaltung seine Operationen durch- aus abhaͤngen. In diesem Falle kann es sogar rathsam werden mit der Hauptmacht nicht der feindlichen entgegen- zugehen, sondern auf die feindliche Basis zu marschiren. Es sind aber zwei Bedingungen erforderlich: a ) daß der Feind von seiner Basis so weit entfernt sei daß er dadurch zu einem bedeutenden Ruͤckzuge ge- zwungen werde, und b ) daß wir auf der Richtung welcher seine Hauptmacht folgt ihm durch Hindernisse der Natur und Kunst mit wenigen Truppen das Vorruͤcken so weit er- schweren koͤnnen, daß er hier nicht Eroberungen machen kann die ihm den Verlust seiner Basis ersetzen. 13. Die Verpflegung der Truppen ist eine noth- wendige Bedingung des Kriegfuͤhrens und hat deshalb einen großen Einfluß auf die Operationen, vorzuͤglich da- durch daß sie das Konzentriren der Massen nur bis auf einen gewissen Grad erlaubt und daß sie bei der Wahl der Operationslinie das Kriegstheater mitbestimmt. 14. Die Verpflegung der Truppen geschieht da wo die Provinz es irgend erlaubt auf Kosten der Provinz durch Requisitionen. Bei der jetzigen Kriegsart nehmen die Armeen einen betraͤchtlich groͤßern Raum ein als ehemals. Die Bildung eigener selbststaͤndiger Korps hat dies moͤglich gemacht ohne sich gegen Den in Nachtheil zu stel- len welcher auf die alte Art (mit 70- bis 100,000 Mann) auf einem Flecke konzentrirt steht; denn ein einzelnes Korps was so organisirt ist wie man sie jetzt organisirt hat, kann es mit einem zwei- und dreifach uͤberlegenen Feinde eine Zeit lang aufnehmen; die uͤbrigen kommen dann herbei, und wenn dies Korps auch wirklich schon geschlagen ist, so hat es nicht umsonst gefochten, wie das schon bei einer andern Gelegenheit bemerkt ist. Es ruͤcken also jetzt die einzelnen Divisionen und Korps von einander getrennt neben und hintereinander ins Feld, nur so weit zusammengehalten daß sie, wenn sie zu einer Armee gehoͤren, noch an der naͤmlichen Schlacht An- theil nehmen koͤnnen. Dies macht die augenblickliche Verpflegung ohne Magazine moͤglich. Die Einrichtung der Korps selbst mit ihrem Generalstabe und ihrer Verpflegungsbehoͤrde er- leichtert sie. 15. Da wo nicht wichtigere Gruͤnde entscheiden (z. B. die Stellung der feindlichen Hauptarmee), waͤhlt man die fruchtbarsten Provinzen zu seinen Operationen, denn die Leichtigkeit der Verpflegung befoͤrdert die Schnelligkeit der Unternehmungen. Wichtiger als die Verpflegung kann nur die Stellung der feindlichen Hauptarmee sein die man auf- sucht, die Lage der Hauptstadt und des Waffenplatzes die man erobern will. Alle andern Gruͤnde, z. B. die vor- theilhafte Form in der Aufstellung der Streitkraͤfte, wo- von wir schon gesprochen haben, sind in der Regel viel weniger wichtig. 16. Trotz dieser neuen Verpflegungsart ist man weit entfernt aller Magazine entbehren zu koͤnnen und ein wei- ser Feldherr wird, wenn auch die Kraͤfte der Provinz ganz hinreichen, doch nicht unterlassen fuͤr unvorhergesehene Faͤlle und um auf einzelnen Punkten sich mehr zusammen- halten zu koͤnnen, Magazine hinter sich anzulegen. Diese Vorsicht gehoͤrt zu denjenigen die nicht auf Unkosten des Zweckes genommen werden. 2. Vertheidigung. 1. Politisch heißt Vertheidigungskrieg ein solcher den man fuͤr seine Unabhaͤngigkeit fuͤhrt; strategisch heißt Ver- theidigungskrieg derjenige Feldzug in welchem ich mich be- schraͤnke den Feind in dem Kriegstheater zu bekaͤmpfen das ich mir fuͤr diesen Zweck zubereitet habe. Ob in die- sem Kriegstheater ich die Schlachten offensiv oder defensiv liefere aͤndert darin Nichts. 2. Man waͤhlt die strategische Defensive hauptsaͤchlich wenn der Feind uͤberlegen ist. Natuͤrlich geben Festungen und verschanzte Lager, welches die Hauptzubereitungen eines Kriegstheaters sind, große Vortheile, wohin auch noch die Kenntniß der Gegend und der Besitz guter Karten zu rech- nen ist. Mit diesen Vortheilen wird eine kleinere Armee oder eine Armee die auf einen kleineren Staat und gerin- gere Huͤlfsquellen basirt ist, eher im Stande sein dem Gegner zu widerstehen als ohne diese Huͤlfsmittel. Naͤchst Dem giebt es noch folgende zwei Gruͤnde die zur Wahl eines Defensivkrieges bestimmen koͤnnen. Erstens wenn die mein Kriegstheater umgebenden Pro- vinzen die Operationen der Verpflegung wegen außerordent- lich erschweren. In diesem Falle entziehe ich mich dem Nach- theil und der Feind muß sich demselben unterwerfen. Dies ist z. B. jetzt (1812) der Fall der russischen Armee. Zweitens wenn der Feind mir im Kriegfuͤhren uͤber- legen ist. In einem zubereiteten Kriegstheater welches wir ken- nen, wo alle Nebenumstaͤnde zu unserm Vortheil sind, ist der Krieg leichter zu fuͤhren; es werden nicht so viele Fehler begangen. In diesem Falle, naͤmlich wenn die Un- zuverlaͤssigkeit unserer Truppen und Generale uns zum Vertheidigungskrieg veranlaßt, verbindet man mit der strategischen Defensive gern die taktische — d. h. man liefert die Schlachten in den von uns zubereiteten Stellun- gen und zwar gleichfalls weil man dabei wenigern Feh- lern ausgesetzt ist. 3. In dem Vertheidigungskriege muß eben so gut wie in dem Angriffskriege ein großer Zweck verfolgt wer- den. Dieser kann kein anderer sein als die feindliche Armee aufzureiben, sei es durch eine Schlacht oder dadurch daß man ihr ihre Subsistenz bis aufs Äußerste erschwert, sie dadurch in eine schlechte Verfassung bringt und zum Ruͤckzuge noͤthigt, wobei sie nothwendig großen Verlusten ausgesetzt sein muß. Wellingtons Feldzug im Jahre 1810 und 11 giebt davon ein Beispiel. Der Vertheidigungskrieg besteht also nicht in einem muͤßigen Abwarten der Begebenheiten; abwarten muß man nur wenn man sichtbaren und entscheidenden Nutzen davon hat. Hoͤchst gefaͤhrlich ist fuͤr den Vertheidiger jene Ge- witterstille, die großen Schlaͤgen vorhergeht zu welchen der Angreifende neue Kraͤfte sammelt. Haͤtten die Östreicher nach der Schlacht von Aspern sich dreimal so sehr verstaͤrkt wie der Kaiser von Frank- reich, welches sie allerdings konnten, so war die Zeit der Ruhe welche bis zur Schlacht von Wagram eintrat, ih- nen nuͤtzlich; aber nur unter dieser Bedingung; da sie es nicht thaten, so ging ihnen diese Zeit verloren und es waͤre weiser gewesen Napoleons nachtheilige Lage zu benutzen, um die Folgen der Schlacht von Aspern zu ernten. 4. Die Festungen sind bestimmt einen bedeutenden Theil der feindlichen Armee durch die Belagerung zu be- schaͤftigen. Dieser Zeitpunkt muß also benutzt werden um den uͤbrigen Theil zu schlagen. Man muß also seine Schlachten hinter seinen Festungen, nicht vor denselben liefern. Man muß aber nicht muͤßig zusehen daß sie ge- nommen werden, wie Bennigsen that, waͤhrend Danzig belagert wurde. 5. Große Stroͤme, d. h. solche uͤber welche man nur mit vielen Umstaͤnden eine Bruͤcke zu Stande bringt, wie die Donau von Wien an und der Niederrhein, geben eine natuͤrliche Vertheidigungslinie. Nicht indem man sich laͤngs des Stromes gleichmaͤßig vertheilt um das Über- gehen absolut zu verhindern, welches gefaͤhrlich ist, sondern indem man ihn beobachtet und da wo der Feind uͤberge- gangen ist, in dem Augenblick wo er noch nicht alle Kraͤfte an sich gezogen hat, wo er noch auf ein enges Terrain nahe am Flusse eingeschraͤnkt ist, uͤber ihn von allen Seiten herfaͤllt. Die Schlacht von Aspern giebt da- von ein Beispiel. Bei der Schlacht von Wagram hat- ten die Östreicher den Franzosen ganz ohne Noth zu viel Terrain uͤberlassen, so daß die eigenthuͤmlichen Nachtheile des Flußuͤberganges dadurch aufgehoben wurden. 6. Gebirge sind das zweite Terrainhinderniß welches eine gute Vertheidigungslinie bildet. Entweder indem man sie vor sich liegen laͤßt und sie nur mit leichten Truppen besetzt, um sie gewissermaßen als einen Fluß zu betrachten uͤber welchen der Feind setzen muß und sobald er aus den Paͤssen mit einzelnen Kolonnen vordringt, uͤber eine der- selben herzufallen mit der ganzen Macht; oder indem man sich selbst hineinstellt. In dem letztern Falle darf man die einzelnen Paͤsse nur mit kleinen Korps vertheidigen und ein bedeutender Theil der Armee (⅓ bis ½) muß zur Reserve bleiben um damit eine der durchgedrungenen Ko- lonnen uͤberlegen anzufallen. Man muß also diese große Reserve nicht vereinzeln um das Durchdringen aller Ko- lonnen absolut zu verhindern, sondern sich von Hause aus vorsetzen damit auf diejenigen Kolonnen zu fallen welche man als die staͤrksten vermuthet. Schlaͤgt man auf diese Weise einen bedeutenden Theil der angreifenden Armee, so werden die durchgedrungenen Kolonnen sich von selbst wieder zuruͤckziehen. Die Formation der meisten Gebirge ist von der Art daß sich in der Mitte derselben mehr oder weniger hohe Ebenen befinden (Plateaus), waͤhrend die nach der Ebene zu gelegene Seite von steilen Thaͤlern durchbrochen ist, die die Eingaͤnge bilden. Der Vertheidiger findet also im Gebirge eine Gegend in der er sich schnell rechts und links bewegen kann, waͤhrend die angreifenden Kolonnen durch steile unzugaͤngliche Ruͤcken von einander getrennt sind. Nur wenn das Gebirge von dieser Art ist, leidet es eine gute Defensive. Ist es in seinem ganzen Innern rauh und unzugaͤnglich, so daß der Vertheidiger zerstreut und ohne Zusammenhang steht, so ist die Vertheidigung desselben mit der Hauptmacht eine gefaͤhrliche Maaßregel, denn unter diesen Umstaͤnden sind alle Vortheile fuͤr den Angreifenden, der einzelne Punkte mit großer Überlegen- heit anfallen kann, und kein Paß, kein einzelner Punkt ist so stark daß er durch eine uͤberlegene Macht nicht in- nerhalb eines Tages genommen werden koͤnnte. 7. In Ruͤcksicht des Gebirgskrieges ist uͤberhaupt zu bemerken daß darin Alles von der Geschicklichkeit der Untergeordneten, der Offiziere, noch mehr aber von dem Geiste der Soldaten uͤberhaupt abhaͤngt. Große Manoͤ- verfaͤhigkeit ist hier nicht erforderlich, aber kriegerischer Geist und Herz fuͤr die Sache, denn mehr oder weniger ist sich hier ein Jeder selbst uͤberlassen; daher kommt es daß besonders Nationalbewaffnungen ihre Rechnung im Ge- birgskriege finden, denn sie entbehren das Eine waͤhrend sie das Andere im hoͤchsten Grade besitzen. 8. Endlich ist in Ruͤcksicht auf die strategische De- fensive zu bemerken daß sie, weil sie an sich staͤrker ist als die Offensive, nur dazu dienen soll die ersten großen Er- folge zu erfechten und daß wenn dieser Zweck erreicht ist und der Frieden nicht unmittelbar darauf erfolgt, die wei- tern Erfolge nur durch die Offensive erreicht werden koͤn- nen; denn wer immer defensiv bleiben will setzt sich dem großen Nachtheil aus, immer auf eigene Kosten den Krieg zu fuͤhren. Dies haͤlt ein jeder Staat nur eine gewisse Zeit aus und er wuͤrde also, wenn er sich den Stoͤßen seines Gegners aussetzte ohne je wieder zu stoßen, hoͤchst wahrscheinlich am Ende ermatten und unterliegen. Man muß mit der Defensive anfangen damit man um so siche- rer mit der Offensive endigen koͤnne. 3. Angriff. 1. Der strategische Angriff geht dem Zwecke des Krieges unmittelbar nach, er ist unmittelbar auf die Zer- stoͤrung der feindlichen Streitkraͤfte gerichtet, waͤhrend die strategische Vertheidigung diesen Zweck zum Theil nur mittelbar zu erreichen sucht. Daher kommt es daß die Grundsaͤtze des Angriffs in den allgemeinen Grundsaͤtzen der Strategie schon enthalten sind. Nur zwei Gegen- staͤnde beduͤrfen einer naͤhern Erwaͤhnung. 2. Der erste ist die immerwaͤhrende Ergaͤnzung der Truppen und Waffen. Dem Vertheidiger wird dieses bei der Naͤhe seiner Huͤlfsquellen verhaͤltnißmaͤßig leichter. Der Angreifende, obgleich er in den meisten Faͤllen uͤber einen groͤßern Staat zu gebieten hat, muß seine Kraͤfte mehr oder weniger aus der Entfernung und also mit Schwierigkeit heranziehen. Damit es ihm nun nie an Kraͤften fehle, so muß er solche Einrichtungen treffen daß die Aushebung von Rekruten und der Transport der Waffen dem Beduͤrfniß ihres Gebrauches lange vorher- gehen. Die Straßen seiner Operationslinien muͤssen un- aufhoͤrlich mit anruͤckender Mannschaft und zugefuͤhrten Beduͤrfnissen bedeckt sein; auf diesen Straßen muͤssen Militaͤrstationen errichtet werden welche den schnellen Trans- port befoͤrdern. 3. In den gluͤcklichsten Faͤllen bei der hoͤchsten mo- ralischen und physischen Überlegenheit muß der Angreifende die Moͤglichkeit großer Ungluͤcksfaͤlle voraussetzen. Er muß sich also auf seinen Operationslinien solche Punkte schaffen wohin er sich mit einer geschlagenen Armee wen- den kann. Dies sind Festungen mit verschanzten Laͤgern oder auch verschanzte Laͤger allein. Große Stroͤme sind das beste Mittel den verfolgen- den Feind eine Zeit lang aufzuhalten. Man muß also die Übergaͤnge uͤber dieselben (Bruͤckenkoͤpfe, die von einer Reihe starker Redouten umgeben werden) sichern. Zur Besetzung dieser Punkte, zur Besetzung der wich- tigsten Staͤdte und der Festungen muͤssen mehr oder we- niger Truppen zuruͤckgelassen werden, je nachdem feindliche Einfaͤlle oder die Einwohner der Provinz mehr oder we- niger zu fuͤrchten sind. Diese bilden mit den heranruͤcken- den Verstaͤrkungen neue Korps, welche bei gluͤcklichem Er- folge der Armee nachgehen, im Ungluͤcksfall aber in den befestigten Punkten aufgestellt werden um den Ruͤckzug zu sichern. Der Kaiser von Frankreich hat sich in diesen Anord- nungen im Ruͤcken seiner Armee immer außerordentlich vorsichtig gezeigt und darum bei seinen kuͤhnsten Operatio- nen weniger gewagt als es das Ansehen hatte. IV. Über die Befolgung der gegebenen Grund- saͤtze im Kriege . Die Grundsaͤtze der Kriegskunst sind an sich hoͤchst einfach, liegen dem gesunden Menschenverstande ganz nahe und wenn sie in der Taktik etwas mehr als in der Stra- tegie auf einem besonderen Wissen beruhen, so ist doch auch dies Wissen von so geringem Umfange daß es sich kaum mit einer andern Wissenschaft an Mannigfaltigkeit und tiefem Zusammenhange vergleichen laͤßt. Gelehrsamkeit und tiefe Wissenschaft sind also hier durchaus nicht erfor- derlich, selbst nicht einmal große Eigenschaften des Ver- standes. Wuͤrde außer einer geuͤbten Urtheilskraft eine besondere Eigenschaft des Verstandes erfordert, so geht aus Allem hervor, daß es List oder Schlauheit waͤre. Es ist lange das gerade Gegentheil behauptet worden, aber nur aus einer falschen Ehrfurcht fuͤr die Sache, aus Eitel- keit der Schriftsteller die daruͤber geschrieben haben. Ein vorurtheilsloses Nachdenken muß uns davon uͤberzeugen; die Erfahrung aber hat uns diese Überzeugung noch staͤr- ker aufgedrungen. Noch in dem Revolutionskriege haben sich eine Menge Leute als geschickte Feldherrn, oft als Feldherrn der ersten Groͤße gezeigt, die keine militaͤrische Bildung genossen hatten. Von Cond é , Wallenstein, Su- warow und vielen andern ist es wenigstens sehr zweifelhaft. Das Kriegfuͤhren selbst ist sehr schwer, das leidet keinen Zweifel; allein die Schwierigkeit liegt nicht darin daß besondere Gelehrsamkeit oder großes Genie erfordert wuͤrde die wahren Grundsaͤtze des Kriegfuͤhrens einzuse- hen; dies vermag jeder gut organisirte Kopf der ohne Vorurtheil und mit der Sache nicht durchaus unbekannt ist. Selbst die Anwendung dieser Grundsaͤtze auf der Karte und dem Papier hat keine Schwierigkeit und einen guten Operationsplan entworfen zu haben ist noch kein großes Meisterstuͤck. Die ganze Schwierigkeit besteht darin: den Grundsaͤtzen welche man sich gemacht hat, in der Ausfuͤhrung treu zu bleiben . Auf diese Schwierigkeit aufmerksam zu machen ist der Zweck dieser Schlußbemerkung, und Ew. Koͤniglichen Hoheit davon ein deutliches klares Bild zu geben, sehe ich als das Wichtigste von Allem an was ich durch diesen Aufsatz habe erreichen wollen. Das ganze Kriegfuͤhren gleicht der Wirkung einer zusammengesetzten Maschine mit ungeheurer Friktion, so daß Kombinationen die man mit Leichtigkeit auf dem Papier entwirft, sich nur mit großen Anstrengungen aus- fuͤhren lassen. So sieht sich der freie Wille, der Geist des Feld- herrn in seinen Bewegungen alle Augenblick gehemmt und es wird von der einen Seite eine eigene Kraft der Seele, des Verstandes erfordert um diesen Widerstand zu uͤber- winden; von der andern Seite geht in dieser Friktion mancher gute Gedanke dennoch zu Grunde und man muß einfacher und schlichter einrichten was kombinirter eine groͤßere Wirkung gethan haͤtte. Die Ursachen dieser Friktion erschoͤpfend aufzuzaͤhlen ist vielleicht nicht moͤglich, aber die hauptsaͤchlichsten sind folgende: 1. Man weiß immer viel weniger von dem Stande und den Maßregeln des Feindes als man bei den Entwuͤr- fen voraussetzt. Tausend Zweifel stoßen uns auf in dem Augenblick wo wir einen gefaßten Entschluß ausfuͤhren wollen, uͤber die Gefahren die damit verbunden sein koͤnn- ten wenn wir uns sehr in unserer Voraussetzung betrogen haͤtten. Ein Gefuͤhl der Ängstlichkeit, was uͤberhaupt den Menschen bei der Ausfuͤhrung großer Dinge leicht antritt, bemaͤchtigt sich dann unserer und von dieser Ängstlichkeit zur Unentschlossenheit, von dieser zu halben Maaßregeln ist ein kleiner unmerklicher Schritt. 2. Nicht allein ungewiß uͤber die Staͤrke des Fein- des ist man, sondern das Geruͤcht (alle Nachrichten die wir durch Vorposten, durch Spione oder zufaͤllig von ihm erhalten) vergroͤßert seine Zahl. Der große Haufen der Menschen ist furchtsamer Natur und daher entsteht ein regelmaͤßiges Übertreiben der Gefahr. Alle Einwirkungen auf den Feldherrn vereinigen sich also darin, ihm eine falsche Vorstellung von der Staͤrke des Feindes welchen er vor sich hat zu geben; und hierin liegt ein neuer Quell der Unentschlossenheit. Man kann sich diese Ungewißheit nicht groß genug denken und es ist wichtig sich von Hause aus darauf vor- zubereiten. Hat man Alles vorher ruhig uͤberlegt, hat man den wahrscheinlichsten Fall ohne Vorurtheil gesucht und gefun- den, so muß man nicht gleich bereit sein die fruͤhere Mei- nung aufzugeben, sondern die Nachrichten welche einlaufen einer gewissen Kritik unterwerfen, mehrere mit einander vergleichen, nach neuen Nachrichten ausschicken u. s. w. Sehr haͤufig widerlegen sich die falschen Nachrichten da- durch auf der Stelle, oft werden sich die ersten Nachrich- ten bestaͤtigen, in beiden Faͤllen wird man also Gewißheit erhalten und danach seinen Entschluß nehmen koͤnnen. Fehlt es an dieser Gewißheit, so muß man sich selbst sa- gen daß im Kriege Nichts ohne Wagen ausgefuͤhrt werden kann; daß die Natur des Krieges durchaus nicht erlaubt immer zu sehen wo man hinschreitet; daß das Wahrschein- liche doch immer wahrscheinlich bleibt, wenn es auch nicht gleich sinnlich in die Augen faͤllt; und daß man bei sonst vernuͤnftigen Einrichtungen selbst durch einen Irrthum nicht gleich zu Grunde gerichtet werden kann. 3. Die Ungewißheit uͤber den jedesmaligen Zustand der Dinge betrifft nicht bloß den Feind, sondern auch die eigene Armee. Diese kann selten so zusammengehalten werden daß man in jedem Augenblick alle Theile derselben klar uͤberschaute. Ist man nun zur Ängstlichkeit geneigt, so werden neue Zweifel entstehen. Man will abwarten und ein Aufenthalt in der Wirkung des Ganzen ist die unvermeidliche Folge. Man muß also das Vertrauen zu seinen eigenen all- allgemeinen Einrichtungen haben daß sie der erwarte te n Wir- kung entsprechen werden. Vorzuͤglich gehoͤrt hierher das Vertrauen zu seinen Unterfeldherren; durchaus muß man also Leute dazu waͤhlen auf die man sich verlassen kann und jede andere Ruͤcksicht nachsetzen. Hat man seine Ein- richtungen zweckmaͤßig getroffen, hat man dabei auf die moͤglichen Ungluͤcksfaͤlle Ruͤcksicht genommen und sich also so eingerichtet daß wenn sie waͤhrend der Ausfuͤhrung ein- treten, man nicht gleich zu Grunde gerichtet ist: so muß man muthig fortschreiten durch die Nacht der Ungewißheit. 4. Will man mit großen Anstrengungen der Kraͤfte den Krieg fuͤhren, so werden die Unterbefehlshaber und selbst die Truppen (besonders wenn sie nicht kriegsge- wohnt sind) oft Schwierigkeiten finden die sie als unuͤber- windlich darstellen. Sie werden den Marsch zu weit, die Anstrengung zu groß, die Verpflegung unmoͤglich fin- den. Will man allen diesen Diffikultaͤten, wie Friedrich II. sie nannte, Gehoͤr geben, so wird man bald ganz unter- liegen und anstatt mit Kraft und Energie zu handeln, schwach und unthaͤtig sein. Dem Allen zu widerstehen ist ein Vertrauen in die eigene Einsicht und Überzeugung erforderlich, welches in dem Augenblicke gewoͤhnlich das Ansehen des Eigensinns hat, aber diejenige Kraft des Verstandes und Charakters ist, die wir Festigkeit nennen. 5. Alle Wirkungen auf welche man im Kriege rech- net, sind nie so praͤcis wie sie Der sich denkt welcher den Krieg nicht selbst mit Aufmerksamkeit beobachtet hat und daran gewoͤhnt ist. Oft betruͤgt man sich in dem Marsche einer Kolonne um viele Stunden ohne daß man sagen koͤnnte woran der Aufenthalt gelegen; oft treten Hindernisse ein, die sich nicht III 17 berechnen ließen; oft denkt man mit der Armee bis zu einem Punkte zu kommen und muß mehrere Stunden da- hinter zuruͤckbleiben; oft leistet ein kleiner Posten den wir ausgestellt viel weniger als wir erwarten konnten, ein feindlicher viel mehr; oft reichen die Kraͤfte einer Provinz nicht so weit als wir glaubten u. s. w. Aller dieser Aufenthalt ist nicht anders gut zu machen als mit sehr großen Anstrengungen, die der Feldherr nur erhalten wird durch eine Strenge die an Haͤrte graͤnzt. Nur dadurch, nur wenn er gewiß ist daß das Moͤgliche immer geleistet wird, darf er sicher sein daß diese klei- nen Schwierigkeiten nicht einen großen Einfluß auf die Operationen gewinnen, daß er nicht zu weit hinter einem Ziele zuruͤckbleibt welches er haͤtte erreichen koͤnnen. 6. Man darf sicher annehmen daß nie eine Armee sich in dem Zustande befindet, worin Der welcher in der Stube ihren Operationen folgt, sie voraussetzt. Ist er fuͤr diese Armee gestimmt so wird er sie um ⅓ bis zur Haͤlfte staͤrker und besser annehmen als sie ist. Es ist ziemlich natuͤrlich daß der Feldherr sich beim ersten Ent- wurf seiner Operationen in demselben Falle befindet; daß er seine Armee in der Folge zusammenschmelzen sieht, wie er es sich nicht gedacht hat; seine Kavallerie und Artille- rie unbrauchbar werden u. s. w. Was also dem Beob- achter und dem Feldherrn bei der Eroͤffnung des Feld- zuges selbst moͤglich und leicht scheint, wird in der Aus- fuͤhrung oft schwer und unmoͤglich. Ist nun der Feldherr ein Mann, der mit Kuͤhnheit und Staͤrke des Willens, von einem hohen Ehrgeiz getrieben, seine Zwecke dennoch verfolgt, so wird er sie erreichen, waͤhrend ein gewoͤhnli- cher Mensch in dem Zustande der Armee hinreichende Ent- schuldigung zu finden glaubt um nachzulassen. Massena in Genua und Portugal; dort waren die unendlichen Anstrengungen wozu die Staͤrke seines Cha- rakters, man kann sagen seine Haͤrte, die Menschen trieb, mit Erfolg gekroͤnt. Hier, in Portugal, ist er wenigstens viel spaͤter gewichen als ein Anderer. In den meisten Faͤllen befindet sich die feindliche Armee in einem aͤhnlichen Zustande. Wallenstein und Gu- stav Adolph bei Nuͤrnberg; der Kaiser von Frankreich und Bennigsen nach der Schlacht bei Eylau. Den Zu- stand des Feindes sieht man nicht, den eigenen hat man vor Augen; daher wirkt der letztere auf gewoͤhnliche Men- schen staͤrker als der erstere, weil bei gewoͤhnlichen Men- schen die sinnlichen Eindruͤcke staͤrker sind als die Sprache des Verstandes. 7. Die Verpflegung der Truppen hat, wie sie auch geschehen moͤge, durch Magazine oder Requisitionen, immer eine solche Schwierigkeit daß sie eine sehr entscheidende Stimme bei der Wahl der Maßregeln hat. Sie ist oft der wirksamsten Kombination entgegen und noͤthigt der Nahrung nachzugehen, wo man dem Siege, dem glaͤnzen- den Erfolge nachgehen moͤchte. Durch sie vorzuͤglich be- kommt die ganze Maschine die Schwerfaͤlligkeit, bei der ihre Wirkungen so weit hinter dem Fluge großer Ent- wuͤrfe zuruͤckbleiben. Ein General der von seinen Truppen die aͤußersten Anstrengungen, die hoͤchsten Entbehrungen mit tyrannischer Gewalt fordert, eine Armee die in langen Kriegen an diese Opfer gewoͤhnt ist — wie viel werden sie voraus haben, wie viel schneller werden sie trotz diesen Hindernis- sen ihr Ziel verfolgen! Bei gleich guten Entwuͤrfen wie verschieden der Erfolg! 17* 8. Überhaupt und fuͤr alle diese Faͤlle kann man folgende Bemerkung nicht scharf genug ins Auge fassen. Die sinnlich anschaulichen Vorstellungen welche man in der Ausfuͤhrung erhaͤlt, sind lebendiger als die welche man sich fruͤher durch reife Überlegung verschafft hat. Sie sind aber nur der erste Anschein der Dinge und dieser trifft, wie wir wissen, selten mit dem Wesen genau zu- sammen. Man ist also in Gefahr die reife Überlegung dem ersten Anschein aufzuopfern. Daß dieser erste Anschein in der Regel zur Furcht und uͤbergroßen Vorsicht hinwirkt, liegt in der natuͤrlichen Furchtsamkeit des Menschen die Alles einseitig ansieht. Dagegen muß man sich also waffnen, muß ein blin- des Vertrauen in die Resultate seiner eigenen fruͤhern reifen Überlegung setzen, um sich dadurch gegen die schwaͤ- chenden Eindruͤcke des Augenblicks zu staͤrken. Bei dieser Schwierigkeit der Ausfuͤhrung kommt es also auf die Sicherheit und Festigkeit der eigenen Über- zeugung an. Darum ist das Studium der Kriegsgeschichte so wichtig, weil man dadurch gewissermaßen die Dinge selbst kennen lernt, den Hergang selbst sieht. Die Grund- saͤtze welche man durch einen theoretischen Unterricht er- halten kann, sind nur geeignet dies Studium zu erleich- tern, auf das Wichtigste in der Kriegsgeschichte aufmerk- sam zu machen. Ew. Koͤnigliche Hoheit muͤssen sich also mit diesen Grundsaͤtzen in der Absicht bekannt machen sie beim Lesen der Kriegsgeschichte zu pruͤfen, zu sehen wo sie mit dem Hergange der Dinge uͤbereintreffen und wo sie von dem- selben berichtigt oder gar widerlegt werden. Naͤchstdem aber ist das Studium der Kriegsgeschichte beim Mangel eigener Erfahrung allein geeignet eine an- schauliche Vorstellung von Dem zu geben was ich hier die Friktion der ganzen Maschine genannt habe. Freilich muß man nicht bei den Hauptresultaten ste- hen bleiben, noch weniger sich an das Raisonnement der Geschichtsschreiber halten, sondern so viel als moͤglich ins Detail gehen. Denn die Geschichtsschreiber haben selten die hoͤchste Wahrheit in der Darstellung zum Zweck; ge- woͤhnlich wollen sie die Thaten ihrer Armee verschoͤnern oder auch die Übereinstimmung der Ereignisse mit den ver- meintlichen Regeln beweisen. Sie machen die Geschichte anstatt sie zu schreiben. Viel Geschichte ist fuͤr diesen Zweck nicht noͤthig. Die detaillirte Kenntniß von ein Paar einzelnen Gefechten ist nuͤtzlicher als die allgemeine Kennt- niß vieler Feldzuͤge. Es ist deshalb nuͤtzlicher, mehr einzelne Relationen und Tagebuͤcher zu lesen, wie man sie in den Zeitschriften findet, als eigentliche Geschichtsbuͤcher. Ein Muster einer solchen Relation das nicht uͤbertroffen werden kann, ist die Beschreibung der Vertheidigung von Menin im Jahre 1794, in den Denkwuͤrdigkeiten des Ge- nerals von Scharnhorst. Diese Erzaͤhlung, besonders die Erzaͤhlung des Ausfalles und Durchschlagens wird Ew. Koͤniglichen Hoheit einen Maßstab an die Hand geben wie man Kriegsgeschichte schreiben muß. Kein Gefecht in der Welt hat mir so wie dieses die Überzeugung gegeben daß man im Kriege bis zum letzten Augenblick nicht an dem Erfolge verzweifeln muß und daß die Wirkung guter Grundsaͤtze, die uͤberhaupt nie so re- gelmaͤßig vor sich gehen kann wie man es sich denkt, auch in den ungluͤcklichsten Faͤllen, wenn man ihren Ein- fluß schon ganz verloren glaubt, unerwartet wieder zum Vorschein kommt. Irgend ein großes Gefuͤhl muß die großen Kraͤfte des Feldherrn beleben. Sei es der Ehrgeiz wie in Caͤsar, der Haß des Feindes wie in Hannibal, der Stolz eines glorreichen Untergangs wie in Friedrich dem Großen. Öffnen Sie Ihr Herz einer solchen Empfindung. Sein Sie kuͤhn und verschlagen in Ihren Entwuͤrfen, fest und beharrlich in der Ausfuͤhrung, entschlossen einen glorreichen Untergang zu finden, und das Schicksal wird die Strahlenkrone auf Ihr jugendliches Haupt druͤcken, die eine Zierde des Fuͤrsten ist, deren Licht das Bild Ihrer Zuͤge in die Brust der spaͤtesten Enkel tragen wird. Über die organische Eintheilung der Streitkraͤfte. Kann als Erlaͤuterung vom fuͤnften Buche, fuͤnften Kapitel (Theil II , Seite 25) dienen. Über die organische Eintheilung der Streitkraͤfte . D aß die Bestimmungsgruͤnde fuͤr die Eintheilung und Staͤrke der verschiedenen Abtheilungen einer Truppe welche aus der Elementartaktik fließen, keine große Schaͤrfe ha- ben und viel Willkuͤhr zulassen, muß man schon vermuthen wenn man die Hundert Formationsarten sieht die in der Erfahrung vorkommen; aber es bedarf keines großen Nach- denkens um sich zu uͤberzeugen daß diese Gruͤnde keine ge- nauere Bestimmung geben koͤnnen. Was gewoͤhnlich in dieser Sache vorgebracht wird, wie z. B. wenn ein Ka- vallerieoffizier demonstrirt daß eine Kavallerieregiment nie- mals zu stark sein koͤnne, weil es sonst nicht im Stande sei Etwas auszurichten , verdient keiner ernsthaften Erwaͤhnung. So ist es schon mit den kleinen Theilen mit welchen die Elementartaktik es zu thun hat, naͤmlich den Kompagnien, Schwadronen, Bataillonen und Regimentern; viel schlimmer aber ist es noch mit den groͤßern Abtheilungen, wo sie gar nicht hinreicht und wo die hoͤhere Taktik oder die Lehre von der Anordnung eines Gefechtes es mit der Strategie ausmachen muß. Mit diesen Abtheilungen wollen wir uns hier beschaͤftigen; es sind die Brigaden, Divisionen, Korps und die Armeen. Beschaͤftigen wir uns zuerst einen Augenblick mit der Philosophie der Sache. Wozu sind uͤberhaupt die Massen in Theile geordnet? Offenbar weil Einer nur einer ge- wissen Anzahl unmittelbar befehlen kann. Der Feldherr kann nicht 50,000 Soldaten jeden auf seinen Fleck stellen und erhalten und ihm heißen was er thun und lassen soll; welches, wenn es denkbar waͤre, offenbar das Beste sein wuͤrde; denn keiner der unzaͤhligen Unterbefehlshaber thut Etwas hinzu (wenigstens waͤre dies eine Anomalie), jeder aber, der eine mehr, der andere weniger, benimmt dem Befehl Etwas von seiner urspruͤnglichen Kraft und der Idee Etwas von ihrer urspruͤnglichen Praͤzision. Außer- dem braucht, wenn mehrere untergeordnete Eintheilungen stattfinden, der Befehl ein Betraͤchtliches mehr an Zeit um sein Ziel zu erreichen. Woraus dann folgt daß die Eintheilungen und Untereintheilungen, woraus eine Stufen- leiter des Befehls entsteht, ein nothwendiges Übel seien. Hier hoͤrt unsere Philosophie auf und wir fangen an etwas taktisch und strategisch zu werden. Eine ganz isolirte Masse die gegen den Feind wie ein großes oder kleines selbststaͤndiges Ganze hingestellt wird, hat drei wesentliche Theile ohne welche sie kaum gedacht werden kann, naͤmlich einen Theil welchen sie vor- schiebt, einen welchen sie fuͤr unvorhergesehene Faͤlle zuruͤck- stellt, und den Haupttheil zwischen beiden, a b und c. Soll also die Eintheilung des groͤßern Ganzen auf Selbst- staͤndigkeit gerichtet sein, so muß dasselbe niemals weniger als drei Theile haben, wenn die permanente Eintheilung mit jenem konstanten Beduͤrfniß zusammenfallen soll, was doch natuͤrlich die Absicht sein muß. Aber es ist nicht schwer zu bemerken daß selbst diese drei Theile noch keine sehr natuͤrliche Ordnung geben; denn Niemand wird gern seinen vorgeschobenen und zuruͤckgehaltenen Theil so stark wie den Haupttheil machen wollen. Es wird also schon natuͤrlicher sein sich die Hauptmacht aus wenigstens zwei Theilen bestehend zu denken und also das Ganze aus vier, in der Ordnung a b c d. Aber wir sind hier offenbar noch nicht auf dem Punkt des Allernatuͤrlichsten. Da alle taktischen und strategischen Kraftaͤußerungen trotz aller jetzigen Tiefe sich immer linien- artig zeigen, so entsteht das Beduͤrfniß vom rechten Fluͤ- gel, linken Fluͤgel und Centrum von selbst, und es duͤrfte also wohl fuͤnf als die natuͤrlichste Zahl der Theile ange- sehen werden koͤnnen, in der Form a b c d e. Diese Anordnung erlaubt schon einen, ja im Nothfalle zwei Theile der Hauptmacht rechts oder links zu entsenden. Wer wie ich ein Freund starker Reserven ist wird nun den zuruͤckgestellten Theil vielleicht in dem Verhaͤltniß zum Ganzen zu schwach finden und deswegen einen neuen Theil hinzufuͤgen, um ⅓ in Reserve zu haben. Dann giebt die ganze Eintheilung die Ordnung a b c d e f. Ist von einer ganz großen Masse, von einer betraͤcht- lichen Armee die Rede, so muß die Strategie die Bemer- kung machen daß sich diese fast bestaͤndig in dem Falle befindet rechts und links Theile entsendet zu haben und daß man bei dieser deswegen fuͤglich zwei Theile mehr annehmen kann und dann die strategische Figur a b c d e f g h bekommen wuͤrde. Es waͤre also dadurch ausgemittelt daß man ein Ganzes nicht unter 3, nicht uͤber 8 Theile groß machen sollte. Hiermit scheint indessen noch sehr Wenig bestimmt, denn welch eine Zahl von verschiedenen Kombinationen er- geben sich wenn man bedenkt daß man eine Armee ein- theilen koͤnnte in 3 × 3 × 3, wenn man Korps, Divi- sionen und Brigaden auf diese Zahl fixiren wollte, welches 27 Brigaden gaͤbe, oder in jedes andere moͤgliche Produkt der zugelassenen 18 Faktoren. Es bleiben uns aber noch einige wichtige Ruͤcksich- ten uͤbrig. Wir haben uns nicht eingelassen auf die Staͤrke der Bataillone und Regimenter, weil wir das der Elementar- taktik uͤberlassen wollten; aus Dem was wir bisher ge- sagt haben, wuͤrde bloß folgen daß wir die Brigaden nicht schwaͤcher als zu 3 Bataillonen gemacht wissen wollten. Hierauf muͤssen wir nun allerdings auch beharren und werden darin wohl keinen Widerspruch finden; schwerer aber ist die groͤßte Staͤrke zu begrenzen welche die Bri- gaden haben koͤnnen. In der Regel wird die Brigade als eine solche Abtheilung angesehen, die noch von einem Manne unmittelbar, naͤmlich durch den Bereich seiner Stimme gefuͤhrt werden koͤnne und muͤsse. Halten wir uns daran , so wird sie freilich nicht uͤber 4- bis 5000 Mann sein und also nach der Staͤrke der Bataillone aus 6 oder 8 derselben bestehen duͤrfen. Aber wir muͤssen hier zugleich einen andern Gegenstand als ein neues Ele- ment in diese Untersuchung einfuͤhren. Dieses Element ist die Verbindung der Waffen. Daß diese Verbindung auf der Stufenleiter der Abtheilungen fruͤher eintreten muͤsse als bei der Armee, daruͤber ist jetzt in Europa nur eine Stimme. Die Einen wollen sie aber nur bei Korps d. h. Massen von 20- bis 30,000 Mann; die Andern schon bei Divisionen d. h. Massen von 8- bis 12,000 Mann. Wir wollen uns auf diese Streitfrage vor der Hand nicht einlassen, sondern nur bemerken was uns wohl kein Mensch widerlegen wird, daß hauptsaͤchlich die Verbindung der drei Waffen die Selbststaͤndigkeit einer Abtheilung konstituirt und daß also fuͤr Abtheilungen die bestimmt sind sich im Kriege haͤufig isolirt zu finden, diese Verbindung wenig- stens sehr wuͤnschenswerth bleibt. Allein es ist nicht bloß die Verbindung aller drei Waffen in Betracht zu ziehen, sondern auch die von zweien, naͤmlich der Artillerie und Infanterie. Diese aber tritt nach dem allgemein herrschenden Gebrauch schon sehr viel fruͤher ein, wiewohl in der neuern Zeit die Artilleristen, durch das Beispiel der Kavalleristen angefeuert, fast rebel- lisch geworden waͤren und wieder ihre eigne kleine Armee bilden zu wollen nicht uͤbel Miene machten. Sie haben sich indessen bis jetzt gefallen lassen muͤssen unter die Bri- gaden vertheilt zu werden. Diese Verbindung von Artil- lerie und Infanterie konstituirt also den Begriff der Bri- gade auf eine andere Weise und es kommt dann nur auf die Frage an, wie groß der Haufen Infanterie sein soll dem man zuerst eine Artillerieabtheilung auf eine perma- nente Art verbinden will. Der Einfluß dieser Ruͤcksicht ist viel bestimmter als man auf den ersten Anblick glauben sollte, denn die An- zahl der Kanonen welche man auf je 1000 Mann mit ins Feld nehmen kann, haͤngt selten von unserer Willkuͤhr ab, sondern bestimmt sich aus mancherlei andern zum Theil sehr entfernt liegenden Ursachen, und die Anzahl der Ge- schuͤtze die sich in eine Batterie vereinigen lassen hat viel mehr genuͤgende taktische Gruͤnde als irgend eine andere aͤhnliche Bestimmung; daher kommt es daß man nicht fraͤgt wie viel Geschuͤtze soll diese Masse Infanterie (z. B. Brigade) haben, sondern welche Masse Infanterie soll mit einer Batterie zusammengethan werden. Hat man z. B. 3 Kanonen auf 1000 Mann bei der Armee und rechnet man davon eine zu den Reservebatterien, so bleiben 2 bei den Truppen zu vertheilen, welches bei einer Batterie von 8 Geschuͤtzen eine Masse von 4000 Mann Infanterie gaͤbe. Da die hier genannten Verhaͤltnisse die am meisten gebraͤuchlichen sind, so zeigt dies daß wir hier ungefaͤhr auf dasselbe Resultat kommen. Hiermit wollen wir es genug sein lassen fuͤr die Bestimmung der Groͤße einer Brigade, die demzufolge aus 3- bis 5000 Mann beste- hen wuͤrde. Ob nun gleich hierdurch das Feld der Eintheilung auf der einen Seite begrenzt worden ist und es auf der andern Seite durch die Staͤrke der Armee als ein Gege- benes schon begrenzt war, so bleiben doch immer noch eine große Menge von moͤglichen Kombinationen uͤbrig, und es wuͤrde zu fruͤh sein den Grundsatz der moͤglichst geringsten Anzahl Theile daruͤber nach seiner Strenge schalten zu lassen; wir haben noch einige Ruͤcksichten allgemeiner Na- tur im Vorrath und muͤssen auch den besondern Ruͤcksich- ten des individuellen Falles ihre Rechte bewahren. Zuerst also muͤssen wir sagen daß die groͤßeren Theile auch wieder mehr Glieder haben muͤssen als die kleinen, weil sie gelenkiger sein muͤssen (wie schon oben beruͤhrt ist), und daß die kleinen mit zu vielen Gliedern nicht gut fer- tig werden koͤnnen. Wenn man eine Armee aus 2 Haupttheilen zusam- mensetzt, deren jede ihren besondern Befehlshaber hat Die Befehlshaberschaft ist der eigentliche Eintheilungsgrund. Wenn ein Feldmarschall 100,000 Mann kommandirt, wovon 50,000 Mann unter einen besondern General gestellt sind, waͤhrend der Feldmarschall die andern 50,000 in 5 Divisionen getheilt unmittelbar anführt, ein Fall der oft vorkommt, so ist das Ganze eigentlich nicht in 2 Theile getheilt, sondern gleich in 6, wovon nur einer fünfmal so groß ist als die andern. , so heißt das so viel als man will den Oberbefehlshaber neutralisiren. Dies wird Jeder der die Sache kennt ohne weitere Auseinandersetzungen verstehen. Nicht viel besser ist die Sache wenn die Armee in 3 Theile getheilt ist, denn es lassen sich ohne ein unaufhoͤrliches Zerreißen dieser 3 Glieder, womit man die Befehlshaber derselben sehr schnell verstimmt, keine gewandte Bewegungen und passende Gefechtsanordnungen machen. Je groͤßer die Zahl der Theile wird um so groͤßer wird die Macht des Oberbefehls und die Gewandtheit der ganzen Masse. Man hat also Ursach hier so weit zu ge- hen als es die Moͤglichkeit gestattet. Da man in einem großen Hauptquartiere, wie das der Armeefuͤhrung ist, viel mehr Mittel besitzt seine Befehle zur Wirksamkeit zu brin- gen als bei dem beschraͤnkteren Generalstabe eines Korps oder einer Division, so ist nach allgemeinen Gruͤnden eine Armee am besten in nicht weniger als 8 Theile eingetheilt. Man kann diese Zahl, wenn die uͤbrigen Umstaͤnde es an die Hand geben, auf 9 und 10 steigen lassen. Bei mehr als 10 Theilen aber wird schon eine Schwierigkeit ein- treten die Befehle immer mit der gehoͤrigen Schnelligkeit und Vollstaͤndigkeit zu geben, denn man muß nicht ver- gessen daß es hier nicht auf das bloße Befehlen ankommt, weil sonst eine Armee eben so viel Divisionen haben koͤnnte wie eine Kompagnie Koͤpfe hat, sondern daß eine Menge von Anordnungen und Untersuchungen damit verbunden sind und daß es leichter ist diese fuͤr 6 oder 8 Divisionen zu veranstalten als fuͤr 12 oder 15. Dagegen kann eine Division wenn sie an absoluter Staͤrke klein ist und also vorauszusetzen ist daß sie der Theil eines Korps sei, sich immer mit wenigern Theilen als dem angegebenen Normalsatz behelfen: ganz fuͤglich mit 4, zur Noth mit 3; 6 und 8 wuͤrde ihr beschwerlich wer- den, weil sie weniger Mittel hat die Befehle schnell in Wirksamkeit zu bringen. Diese Revision unserer eigenen Normalsaͤtze giebt uns das Resultat daß die Armee nicht unter 5 Theile ha- haben soll und bis zu 10 gehen kann; daß die Division nicht uͤber 5 haben soll und bis zu 4 heruntersteigen kann. Zwischen beiden nun liegen die Korps, und sowohl ihre Staͤrke als die Frage ob sie uͤberhaupt existiren sollen, haͤngt von dem Resultate der beiden andern Kombina- tionen ab. 200,000 Mann in 10 Divisionen und die Division in 5 Brigaden getheilt gaͤbe der Brigade eine Staͤrke von 4000 Mann. Man koͤnnte also bei einer solchen Macht noch mit Divisionen ausreichen. Man koͤnnte aber freilich diese Macht auch in 5 Korps, das Korps in 4 Divisionen, die Division in 4 Brigaden theilen, dann wuͤrde jede Brigade 2500 Mann stark. Mir scheint die erstere Eintheilung die vorzuͤglichere, denn erstlich hat man eine Stufe in der Ordnungsleiter weniger, der Befehl kommt also schneller an u. s. w. Zweitens sind 5 Glieder fuͤr eine Armee zu wenig, sie ist damit zu ungelenk; 4 fuͤr ein Korps sind es wieder, und 2500 Mann ist eine schwache Brigade, da man auf diese Weise 80 hat, statt daß die andere Eintheilung nur 50 giebt, also einfacher ist. Aber diese Vortheile opfert man auf um statt 10 Generalen nur 5 zu befehlen. So weit reichen die allgemeinen Betrachtungen. Un- endlich wichtig aber sind die Bestimmungen welche der in- dividuelle Fall an die Hand giebt. Zehn Divisionen lassen sich mit Leichtigkeit in der Ebene kommandiren; in weitlaͤufigen Gebirgsstellungen kann es ganz unmoͤglich werden. Ein großer Strom der die Armee theilt, noͤthigt auf der andern Seite einen besondern Befehlshaber zu bestellen. Gegen das Gewicht aller dieser lebendigen Faͤlle vermag III 18 die allgemeine Regel Nichts, und es ist zu bemerken daß mit dem Eintreten solcher Ursachen auch groͤßtentheils die Nachtheile verschwinden die manche Eintheilungsarten sonst hervorbringen. Aber freilich kann auch hier Mißbrauch entstehen, wenn zur Befriedigung irgend eines unzeitigen Ehrgeizes und aus Schwaͤche gegen persoͤnliche Ruͤcksichten schlechte Eintheilungen gemacht werden. Wie weit aber auch die Beduͤrfnisse der individuellen Faͤlle reichen, in der Regel bleiben die Eintheilungen doch allgemeinen Gruͤnden uͤberlassen, wie uns das die Erfahrung lehrt. Skizze eines Plans zur Taktik oder Gefechtslehre . 18* I. Einleitung. Feststellung der Begriffsgrenze zwischen Strategie und Taktik . II. Allgemeine Theorie des Gefechts . (Gefecht. — Quartiere. — Lager. — Maͤrsche.) 1. Natur des Gefechts. Wirksame Prinzipien in dem- selben. Haß und Feindschaft — Modifikation — Andere Gemuͤthskraͤfte — Verstand und Talent. 2. Naͤhere Bestimmung eines Gefechts — Selbststaͤn- diges Gefecht — Theil-Gefecht — wie die letztern entstehen. 3. Zweck des Gefechts: Sieg — Grade, Farben und Gewicht des Sieges. 4. Ursachen des Sieges d. i. des feindlichen Abzuges. 5. Arten des Gefechts nach den Waffen — Handge- fecht — Feuergefecht. 6. Verschiedene Akte des Gefechts. Zerstoͤrungs- und Entscheidungsakt. 7. Arten des Gefechts nach positiver oder negativer Ursache desselben. Angriff und Vertheidigung. 8. Plan des Gefechts. Strategischer Zweck des Ge- fechts. — Ziel in demselben — Mittel — Bestim- mung der Art des Gefechts — der Zeit — des Raumes — Wechselwirkung — Fuͤhrung. NB. Nach dieser Eintheilung ist der Faden dieses er- sten Theils auszuarbeiten. III. Gefechte, bestimmte Abtheilungen ohne alle Anwendung . (Formation — Schlachtordnung — Elementartaktik.) A. Die einzelnen Waffen. 1. Infanterie 2. Artillerie 3. Kavallerie ihre Wirkungen und daraus hervorge- hende Formation und Elementartaktik bei Angriff und Vertheidigung. B. Vereinigte Waffen bei Angriff und Vertheidigung. 1. Theorie der Waffenvereinigung. a) Infanterie und Artillerie. b) Infanterie und Kavallerie. c) Kavallerie und Artillerie. d) Alle drei vereinigt. 2. Bestimmte Abtheilungen die dadurch gebildet werden. a) Brigaden b) Divisionen c) Korps d) Armeen Schlachtordnung derselben — Stellung — Bewegung — Gefecht. IV. Gefechte in Verbindung mit Gegend und Boden . A. Über den Einfluß des Terrains auf das Gefecht im Allgemeinen. 1. Bei der Vertheidigung. 2. Beim Angriff. NB. Wenn die Betrachtung hier den logischen Faden verlaͤßt, so geschieht es ans praktischen Ruͤcksichten. Das Terrain muß so fruͤh als moͤglich in die Be- trachtung gezogen werden und man kann es nicht in die Betrachtung ziehen ohne sich gleich das Gefecht unter einer der beiden Formen von Angriff oder Vertheidigung zu denken, daher die Verschmelzung beider Gegenstaͤnde. B. Allgemeine Theorie der Vertheidigung. C. Allgemeine Theorie des Angriffs. D. Vertheidigungsgefechte bestimmter Abtheilungen. 1. Eines kleinen Haufens. 2. Einer Brigade. 3. Einer Division. 4. Eines Korps. 5. Einer Armee. E. Angriffsgefechte bestimmter Abtheilungen. 1. Eines kleinen Haufens. 2. Einer Brigade. 3. Einer Division. 4. Eines Korps. 5. Einer Armee. V. Gefechte mit bestimmten Zwecken . A. Vertheidigung. 1. Sicherheitsanstalten. a) Wachen. b) Patrouillen. c) Soutiens. d) Kleine Posten. e) Vorpostenketten. f) Verbindungsposten. g) Avantgarden. h) Arriergarden. i) Vorgeschobene Korps. k) Seitendeckung beim Marsch. l) Nachrichtendetaschements. m) Beobachtungsdetaschements. n) Rekognoszirungen. 2. Bedeckungen. a) Einzelner Posten. b) Von Wagenkolonnen. c) Fouragirungen. 3. Postirungen. Verschiedenheit der Zwecke. a) Im Gebirge. b) An Fluͤssen. c) An Moraͤsten. d) In Waͤldern. 4. Schlachten. Verschiedenheit der Zwecke. Ver- nichtung feindlicher Streitkraft — Besitz einer Gegend — Das bloße moralische Gewicht — Die Waffenehre. a) Vertheidigungsschlacht ohne Vorbereitung. b) In einer eingerichteten Stellung. c) In einer verschanzten Stellung. 5. Ruͤckzuͤge. a) Der einzelne Ruͤckzug (Abzug) im Angesicht des Feindes. α . Vor einem Gefecht. β . Im Lauf desselben. γ . Nach einem Gefecht. b) Strategischer Ruͤckzug, d. h. mehrere auf einer folgende einzelne Ruͤckzuͤge in ihren taktischen Anordnungen. B. Der Angriff. 1. Nach den Objekten der Vertheidigung eingetheilt und abgehandelt. 2. Nach ihm eigenthuͤmlichen Objekten. a) Überfall. b) Durchschlagen. VI. Von den Lagern und Quartieren . VII. Von den Maͤrschen . Leitfaden zur Bearbeitung der Taktik oder Gefechtslehre . I. Allgemeine Theorie der Gefechte . Zweck der Gefechte . 1. Was ist der Zweck des Gefechtes? a) Vernichtung der feindlichen Streitkraͤfte. b) Besitz irgend eines Gegenstandes. c) Der bloße Sieg als Waffenehre. d) Mehrere oder alle drei zusammengenommen. Theorie des Sieges . 2. Alle diese vier Gegenstaͤnde werden nur durch den Sieg erreicht. 3. Sieg ist der Abzug des Feindes vom Kampfplatz. 4. Dies kann der Feind nur thun; a) wenn er zu Viel verloren hat, α . also die Übermacht fuͤrchtet β . oder findet daß der Zweck ihn zu Viel kosten wuͤrde. b) Wenn er in seiner Ordnung zu sehr gestoͤrt ist, also in der Wirksamkeit des Ganzen. c) Wenn er in den Nachtheil des Terrains geraͤth, also zu viel Verluste bei Fortsetzung des Gefechts fuͤrchtet. (Hierin ist also der Verlust der Stellung mit inbegriffen.) d) Wenn die Form in der Aufstellung der Streitkraͤfte von zu großen Nachtheilen begleitet ist. e) Wenn er uͤberrascht oder gar uͤberfallen wird, also nicht Zeit hat seine Anordnungen zu treffen, seine Maßregeln gehoͤrig zu entwickeln. f) Wenn er gewahr wird daß sein Gegner ihm in der Zahl zu sehr uͤberlegen ist. g) Wenn er gewahr wird daß sein Gegner ihm an moralischen Kraͤften zu sehr uͤberlegen ist. 5. In allen diesen Faͤllen kann ein Feldherr vermocht werden das Gefecht aufzugeben, weil er keine Hoffnung zur bessern Wendung hat, sondern Schlimmeres befuͤrchtet als schon eingetreten ist. 6. Ohne einen dieser Gruͤnde waͤre ein Ruͤckzug nicht motivirt, kann also nicht der Entschluß des Feldherrn oder Befehlshabers sein. 7. Aber der Ruͤckzug kann ohne seinen Willen fak- tisch geschehen: a) Wenn die Truppen aus Mangel an Muth oder gutem Willen davongehen. b) Wenn der Schrecken sie vertreibt. 8. Unter diesen Umstaͤnden kann gegen den Willen des Befehlshabers und selbst bei vortheilhaften Resultaten, welche aus den uͤbrigen von a bis f beruͤhrten Verhaͤlt- nissen hervorgehen moͤgen, der Sieg des Gegners aner- kannt werden. 9. Dieser Fall kann und muß bei kleinen Haufen oft vorkommen. Die geringe Dauer des ganzen Aktes laͤßt da dem Befehlshaber oft kaum Zeit einen Entschluß zu fassen. 10 a. Bei großen Massen aber kann sich dieser Fall nur bei den Theilen ereignen, nicht wohl beim Ganzen. Indem aber mehrere Theile dem Gegner diesen zu leichten Sieg einraͤumen, kann fuͤr das Ganze in den von a bis e genannten Verhaͤltnissen ein nachtheiliges Resultat ent- stehen und so der Entschluß des Feldherrn zum Abzug dadurch bedingt werden. 10 b. Die unter a b c und d genannten nachthei- ligen Verhaͤltnisse zeigen sich bei großen Massen dem Feld- herrn nicht in den arithmetischen Summen aller einzelnen Nachtheile welche stattgefunden haben, denn so vollkom- men ist die Übersicht niemals, sondern sie zeigen sich da wo diese Nachtheile in engem Raume zusammengedraͤngt eine betraͤchtliche Masse bilden, welches nun entweder bei der Hauptmasse der Truppen oder bei einem bedeutenden Gliede der Fall ist. Nach dieser Haupterscheinung des ganzen Aktes richtet sich dann der Entschluß. 11. Endlich kann der Feldherr noch durch Gruͤnde die nicht im Gefecht liegen, sondern als aͤußerlich betrachtet werden muͤssen, z. B. Nachrichten welche den Zweck auf- heben oder die strategischen Verhaͤltnisse merklich aͤndern, zum Aufgeben des Gefechts und also zum Ruͤckzug bewo- gen werden. Dies wuͤrde ein Abbrechen des Gefechts sein und gehoͤrt nicht hierher, weil es kein taktischer, sondern ein strategischer Akt ist. 12. Das Aufgeben eines Gefechts ist also die Aner- kennung der augenblicklichen Überlegenheit des Gegners, sie sei physisch oder moralisch und das Nachgeben in seinen Willen . Darin liegt die erste moralische Kraft des Sieges. 13. Da man ein Gefecht nicht anders aufgeben kann als wenn man den Kampfplatz verlaͤßt, so ist der Abzug vom Schlachtfelde das Zeichen dieser Anerkennung, das Senken des Paniers . 14. Aber das Merkmal des Sieges entscheidet noch Nichts uͤber seine Groͤße, Wichtigkeit und seinen Glanz. Diese drei Dinge fallen oft zusammen, sind aber keines- wegs identisch. 15. Die Groͤße des Sieges haͤngt von der Groͤße der Massen uͤber die er erfochten wird, so wie von der Groͤße der Trophaͤen ab. Eroberte Geschuͤtze, Gefangene, genommenes Gepaͤck, Todte, Verwundete. Über einen kleinen Haufen kann man also keinen großen Sieg er- fechten. 16. Die Wichtigkeit des Sieges haͤngt von der Wich- tigkeit des Zwecks ab der erreicht wird. Die Einnahme einer wichtigen Stellung kann einen an sich unbedeutenden Sieg sehr wichtig machen. 17. Der Glanz des Sieges besteht in der relativen Groͤße welche die Trophaͤen zur siegenden Armee haben. 18. Es giebt also Siege verschiedener Art, beson- ders aber sehr vieler Abstufungen. Streng genommen kann kein Gefecht ohne Entscheidung bleiben, folglich ohne Sieg, aber der Sprachgebrauch und die Natur der Sache will daß man nur solche Gefechtsresultate als Siege be- trachtet, denen betraͤchtliche Anstrengungen vorhergegan- gen sind. 19. Wenn der Feind nur so Viel thut als noͤthig ist unsere ernstliche Absicht zu erforschen und sobald ihm diese kund ist nachgiebt, so kann man das keinen Sieg nennen; thut er mehr, so kann das nur sein um wirklich Sieger werden zu wollen und in diesem Fall ist er also, wenn er das Gefecht aufgiebt, als besiegt zu betrachten. 20. Da ein Gefecht nur aufgegeben werden kann wenn einer der beiden Theile oder beide die im Kontakt begriffenen Truppen etwas zuruͤcknehmen, so kann man eigentlich niemals streng sagen daß beide das Schlacht- feld behauptet haͤtten. Insofern man aber, wie die Natur der Sache und der Sprachgebrauch will, unter Schlachtfeld nur die Stellung der Hauptmassen versteht, weil nur beim Ruͤckzug der Hauptmassen die ersten Folgen des Sieges eintreten, so kann es allerdings Schlachten geben welche ganz unentschieden bleiben. Das Mittel zum Siege ist das Gefecht . 21. Das Mittel zum Siege ist das Gefecht. Da die in Nr. 4. von a bis g genannten Gegenstaͤnde den den Sieg bedingen, so ist auch das Gefecht auf diese Ge- genstaͤnde als seinen naͤhern Zweck gerichtet. 22. Wir muͤssen das Gefecht nun nach seinen ver- schiedenen Richtungen kennen lernen. Was ist ein einzelnes Gefecht ? 23. Materiell laͤßt sich jedes Gefecht in so viel ein- zelne Gefechte aufloͤsen als Fechtende da sind. Der Ein- zelne erscheint aber nur als eigene Groͤße wenn er einzeln d. h. selbststaͤndig ficht. 24. Von dem einzelnen Fechten steigen die Einheiten mit den Befehlsabtheilungen hinauf zu neuen Einheiten. 25. Diese Einheiten sind durch Zweck und Plan ver- bunden, aber nicht so eng daß die Glieder nicht eine ge- wisse Selbststaͤndigkeit behielten. Diese wird immer groͤ- ßer je weiter die Ordnung hinaufsteigt. Wie diese Loͤsung der Glieder entsteht, werden wir erst spaͤter zeigen koͤn- nen (Nr. 97. seq. ). 26. Es besteht also jedes Gesammtgefecht aus einer großen Menge einzelner Gefechte in absteigender Ordnung der Glieder bis zum letzten selbststaͤndig handelnden Gliede. 27. Es besteht aber auch ein Gesammtgefecht aus einzelnen auf einander folgenden Gefechten. 28. Alle einzelnen Gefechte nennen wir Theilgefechte und das Ganze Gesammtgefecht; den Begriff des Gesammt- gefechts aber knuͤpfen wir an die Bedingung des persoͤn- lichen Befehls, so daß nur Dasjenige zu einem Gefechte gehoͤrt was von einem Willen geleitet wird. (Bei Kor- donstellungen koͤnnen die Grenzen nie bestimmt werden.) 29. Was hier von der Theorie des Gefechts gesagt wird soll sich sowohl auf das Gesammtgefecht als auf die Theilgefechte beziehen. Prinzip des Gefechts . 30. Jeder Kampf ist eine Äußerung der Feindschaft die instinktmaͤßig in denselben uͤbergeht. 31. Dieser Instinkt zum Anfall und zur Vernichtung seines Feindes ist das eigentliche Element des Krieges. 32. Auch beim rohesten Menschen bleibt dieser Feind- schaftstrieb nicht bloßer Instinkt; der uͤberlegende Verstand tritt hinzu und es wird aus dem unabsichtlichen Instinkt eine Handlung der Absicht. 33. Auf diese Weise werden die Gemuͤthskraͤfte dem Verstande untergeordnet. 34. Niemals aber kann man sie als ganz eliminirt betrachten und die bloße Verstandesabsicht in ihre Stelle setzen, denn waͤren sie wirklich in der Verstandesabsicht ganz untergegangen, so wuͤrden sie sich im Kampf selbst wieder entzuͤnden. 35. Da unsere Kriege nicht Äußerungen der Feind- schaft Einzelner gegen Einzelne sind, so scheint das Gefecht aller eigentlichen Feindschaft zu entbehren und also ein rein verstandesmaͤßiges Handeln zu sein. 36. So ist es aber keineswegs. Theils fehlt es nie an dem Kollektivhaß der beiden Parteien, der sich dann in dem Einzelnen mehr oder weniger wirksam zeigt, so daß er von der gehaßten und befeindeten Partei auch den einzelnen Mann haßt und befeindet; theils entzuͤndet sich ein wirkliches Feindschaftsgefuͤhl im Kampfe selbst mehr oder weniger bei dem Einzelnen. 37. Ruhmbegierde, Ehrgeiz, Eigennutz und ésprit de corps vertreten mit andern Gemuͤthskraͤften die Feind- schaft wo diese nicht vorhanden ist. 38. Es wird also in einem Gefechte selten oder nie der bloße Wille des Befehlshabers, der bloße vorgeschrie- bene Zweck das einzige Motiv des Handelns in den Fech- tenden, sondern es wird immer ein sehr merklicher Theil der Gemuͤthskraͤfte wirksam sein. 39. Diese Wirksamkeit wird dadurch erhoͤht daß der Kampf sich in der Region der Gefahr bewegt, wo alle Gemuͤthskraͤfte mehr gelten. 40. Aber auch die Intelligenz welche den Kampf leitet kann nie eine bloße Verstandeskraft und der Kampf also nie Gegenstand bloßer Berechnung sein. a) Weil er ein Stoß lebendiger physischer und mora- lischer Kraͤfte gegen einander ist, die nur allgemeinen Schaͤtzungen aber keinen bestimmten Berechnungen unterworfen werden koͤnnen. b) Weil die Gemuͤthskraͤfte welche ins Spiel treten den Kampf zum Gegenstand einer Begeisterung und dadurch eines hoͤhern Urtheils machen koͤnnen. 41. Der Kampf kann also ein Gegenstand des Ta- lentes und des Genius sein im Gegensatz des berechnenden Verstandes. 42. Die Gemuͤthskraͤfte und der Genius nun welche sich im Kampfe zeigen, muͤssen als eigene moralische Groͤßen betrachtet werden, die in ihrer großen Ungleichheit und Elastizitaͤt unaufhoͤrlich uͤber die Linie des berechnenden Verstandes hinausspielen. 43. Es ist die Aufgabe der Kriegskunst in der Theo- rie und in der Ausfuͤhrung diese Kraͤfte zu beruͤcksichtigen. 44. Je hoͤher sie genutzt werden koͤnnen, um so kraͤf- tiger und erfolgreicher wird der Kampf sein. 45. Alle Erfindungen der Kunst, als Waffen, Orga- nisation, eingeuͤbte Taktik und die Grundsaͤtze fuͤr den Ge- brauch der Truppen im Gefechte sind Beschraͤnkungen des natuͤrlichen Instinkts, indem er auf Umwegen zu einem wirksameren Gebrauche seiner Kraͤfte gefuͤhrt werden soll. Aber die Gemuͤthskraͤfte lassen sich nicht so zuschneiden, und indem man sie zu sehr zum Instrument machen will raubt man ihnen Schwung und Kraft. Es muß ihnen also uͤberall, sowohl zwischen den Bestimmungen der Theo- rie als ihren stehenden Einrichtungen, durchaus ein gewisser Spielraum gelassen werden. Dazu gehoͤrt fuͤr die Theorie ein hoher Standpunkt und große Umsicht, fuͤr die Aus- fuͤhrung ein großer Takt des Urtheils. Zwei Gefechtsarten. Handgefecht und Feuergefecht . 46. Von allen Waffen die der menschliche Verstand erfunden hat sind diejenigen welche die Kaͤmpfer einander am naͤchsten bringen, dem rohen Faustkampfe am aͤhnlich- sten sind, die natuͤrlichsten, welche dem Instinkt am meisten zusagen. Der Dolch, die Streitaxt sind es mehr als die Lanze, der Wurfspieß, die Schleuder. 47. Die Waffen womit der Feind schon in der Ent- fernung bekaͤmpft wird sind mehr Instrumente des Ver- standes; sie lassen die Gemuͤthskraͤfte und den eigentlichen Kampf- Kampfinstinkt fast ganz ruhen, und zwar um so mehr je groͤßer die Entfernung ist in der sie wirksam sind. Bei der Schleuder kann man sich noch einen gewissen Ingrimm denken mit der sie geworfen wird, weniger schon beim Buͤchsenschuß, noch weniger beim Kanonenschuß. 48. Obgleich auch hier Übergaͤnge stattfinden, so bleibt doch bei allen neueren Waffen eine große Theilung sicht- lich, naͤmlich in die Hieb- und Stoßwaffen und in die Feuerwaffen; weil jene zum Handgefecht, diese zum Ge- fecht aus der Ferne fuͤhren. 49. Es entstehen daher zwei Fechtarten: das Hand- gefecht und das Feuergefecht. 50. Beide haben die Vernichtung des Gegners zum Zweck. 51. Im Handgefecht ist diese eine ganz unzweifel- hafte; im Feuergefecht nur eine mehr oder weniger wahr- scheinliche. Aus diesem Unterschiede folgt eine sehr ver- schiedene Bedeutung beider Gefechtsformen. 52. Weil im Handgefecht die Vernichtung nun ganz unzweifelhaft ist, so ist das geringste Übergewicht der Vor- theile oder des Muthes entscheidend, und es sucht Der welcher sich im Nachtheil befindet oder welcher schwaͤchern Muthes ist sich der Gefahr durch die Flucht zu entziehen. 53. Dies tritt bei allen Handgefechten zwischen Meh- reren so regelmaͤßig und gewoͤhnlich auch so fruͤh ein daß die eigentliche Vernichtungskraft dieses Gefechts dadurch sehr geschwaͤcht wird und seine Hauptwirkung mehr im Vertreiben als im Vernichten des Feindes besteht. 54. Sieht man also auf die Wirksamkeit welche das Handgefecht in der praktischen Welt hat, so muß man seinen Zweck nicht in die Vernichtung , sondern in die III 19 Vertreibung des Feindes setzen. Die Vernichtung wird zum Mittel. 55. So wie im Handgefecht urspruͤnglich die Ver- nichtung des Feindes der Zweck war, so ist im Feuerge- fecht urspruͤnglich die Vertreibung des Feindes der Zweck und die Vernichtung nur Mittel dazu. Man beschießt den Feind um ihn zu verjagen und sich das Handgefecht zu ersparen wozu man sich nicht ausgeruͤstet fuͤhlt. 56. Aber die Gefahr welche das Feuergefecht bringt ist keine ganz unvermeidliche, sondern eine mehr oder we- niger wahrscheinliche; sie ist also fuͤr den sinnlichen Ein- druck des Einzelnen nicht so groß, sondern wird es erst durch die Dauer und summarische Wirkung, die keinen so sinnlichen, also keinen so unmittelbar wirksamen Eindruck macht. Darum ist nicht nothwendig einer der beiden Theile in dem Falle sich ihr zu entziehen. Hieraus folgt daß die Vertreibung des Einen nicht sogleich und in vie- len Faͤllen gar nicht erfolgt. 57. Ist dies der Fall, so muß in der Regel am Schlusse des Feuergefechts das Handgefecht zur Vertrei- bung gebraucht werden. 58. Dagegen waͤchst die Vernichtungskraft des Feuer- gefechts durch die Dauer eben so sehr, wie die des Hand- gefechts durch die schnelle Entscheidung verloren ging. 59. Daraus ist entstanden daß der generelle Zweck des Feuergefechts nicht mehr in die Vertreibung, sondern in die unmittelbare Wirkung des angewendeten Mittels gesetzt wird, naͤmlich in die Vernichtung, d. i. auf das Kollektiv- gefecht angewendet, in die Zerstoͤrung oder Schwaͤchung der feindlichen Streitkraͤfte gesetzt wird. 60. Hat das Handgefecht den Zweck der Vertrei- bung , das Feuergefecht den der Zerstoͤrung der feind- lichen Streitkraft, so ist jenes als das eigentliche Instru- ment der Entscheidung , dieses als das der Vorberei- tung zu betrachten. 61. Beiden bleibt aber darum doch einige Wirksam- keit des andern Prinzips. Das Handgefecht ist nicht ohne zerstoͤrende Kraft, das Feuergefecht nicht ohne vertreibende. 62. Die zerstoͤrende Kraft des Handgefechts ist in den meisten Faͤllen hoͤchst unbedeutend, sehr oft ist sie voͤllig Null; sie wuͤrde daher kaum noch in Betrachtung kommen wenn sie nicht in einigen Faͤllen durch die Ge- fangenen wieder sehr stiege. 63. Aber es ist wohl zu merken daß diese Faͤlle meistens erst eintreten wenn das Feuergefecht schon ge- wirkt hat. 64. Das Handgefecht ohne Feuergefecht wuͤrde also bei dem jetzigen Verhaͤltniß der Waffen eine sehr unbe- deutende Vernichtungskraft haben. 65. Die Vernichtungskraft des Feuergefechts kann durch die Dauer bis aufs Äußerste, d. h. bis zur Erschuͤt- terung oder Erschoͤpfung des Muthes gesteigert werden. 66. Die Folge ist daß bei Weitem der groͤßte An- theil an der Vernichtung feindlicher Streitkraͤfte dem Feuergefecht zukommt. 67. Durch die im Feuergefecht entstehende Schwaͤchung des Feindes wird entweder a) sein Ruͤckzug selbst motivirt werden, b) oder dem Handgefecht vorgearbeitet werden. 68. Durch die beim Handgefecht beabsichtigte Ver- treibung des Feindes wird ein eigentlicher Sieg erhalten, weil Vertreiben vom Kampfplatz Sieg ist. Ist das Ganze sehr klein, so kann dieser Sieg das Ganze um- fassen und uͤber den Erfolg entscheiden. 19* 69. Wo das Handgefecht nur zwischen Theilen des Ganzen stattfand oder wo mehrere successive Handgefechte das Gesammtgefecht ausmachen, kann der Erfolg im Einzel- nen nur als ein Sieg im Theilgefechte betrachtet werden. 70. Waͤre dieser Theil ein bedeutender des Ganzen, so koͤnnte das Ganze dadurch mit fortgerissen werden und also aus dem Siege des Theils unmittelbar ein Sieg uͤber das Ganze folgen. 71. Wenn aber der Erfolg des Handgefechts nicht ein Sieg des Ganzen ist, so ist er immer einer der fol- genden Vortheile: a) Gewinn an Terrain; b) Brechung der moralischen Kraft; c) Zerstoͤrung der Ordnung beim Gegner; d) Zerstoͤrung physischer Streitkraft. 72. Fuͤr das Theilgefecht ist also das Feuergefecht als ein Zerstoͤrungsakt, das Handgefecht als ein Entschei- dungsakt zu betrachten. Wie es fuͤr das Gesammtgefecht angesehen werden muß, werden wir spaͤter betrachten. Beziehung beider Gefechtsformen auf Angriff und Ver- theidigung . 73. Das Gefecht besteht ferner aus Angriff und Vertheidigung. 74. Der Angriff ist die positive Absicht; die Ver- theidigung die negative. Jener will den Gegner vertrei- ben, diese will sich bloß erhalten. 75. Aber das Erhalten ist kein bloßes Aushalten, also kein Leiden, sondern es haͤngt von einer aktiven Ruͤck- wirkung ab. Diese Ruͤckwirkung ist Vernichtung der an- greifenden Streitkraft. Also ist nur der Zweck, nicht das Mittel als negativ zu betrachten. 76. Da aber aus der Behauptung der Stellung bei der Vertheidigung von selbst folgt daß der Gegner weichen muß, so ist trotz des negativen Zwecks auch fuͤr den Ver- theidiger der Abzug, also das Weichen des Gegners das Siegeszeichen. 77. Urspruͤnglich ist wegen des gleichen Zwecks das Handgefecht das Element des Angriffs. 78. Da aber das Handgefecht ein so schwaches Zer- stoͤrungsprinzip in sich hat, so wuͤrde der Angreifende wel- cher sich desselben ganz allein bedienen wollte, in den meisten Faͤllen kaum als ein Fechtender zu betrachten und in jedem Falle das Spiel sehr ungleich sein. 79. Nur bei kleinen Haufen oder bei bloßer Reite- rei kann das Handgefecht den ganzen Angriff ausmachen. Je groͤßer die Massen werden, je mehr Artillerie und In- fanterie ins Spiel kommen, um so weniger reicht es zu. 80. Es muß also auch der Angriff so Viel von dem Feuergefecht in sich aufnehmen als noͤthig ist. 81. In diesem, naͤmlich im Feuergefecht sind beide Theile in Beziehung auf die Gefechtsart als sich gleich zu betrachten. Je groͤßer also das Verhaͤltniß desselben zum Handgefecht wird, um so mehr nimmt die urspruͤng- liche Ungleichheit zwischen Angriff und Vertheidigung ab. Was nun noch fuͤr das Handgefecht, zu dem der Angrei- fende zuletzt schreiten muß, an Nachtheilen uͤbrig bleibt, muß durch die eigenthuͤmlichen Vortheile desselben und durch Überlegenheit ausgeglichen werden. 82. Das Feuergefecht ist das natuͤrliche Element des Vertheidigers. 83. Wo der gluͤckliche Erfolg (Abzug des Angrei- fenden) schon durch dasselbe bewirkt wird, bedarf es der Handgefechte nicht. 84. Wo jener Erfolg nicht bewirkt wird und der Angreifende zum Handgefecht uͤbergeht, muß auch der Vertheidiger sich desselben bedienen. 85. Überhaupt schließt die Vertheidigung das Hand- gefecht auf keine Weise aus wo die Vortheile desselben groͤßer erscheinen als die des Feuergefechts. Vortheilhafte Bedingungen in beiden Gefechtsarten . 86. Wir muͤssen nun die Natur beider Gefechte im Allgemeinen naͤher betrachten, um die Dinge kennen zu lernen welche die Überlegenheit darin geben. 87. Das Feuergefecht . a) Die Überlegenheit im Gebrauch der Waffen (sie liegt in der Organisation und dem Werthe der Truppen). b) Überlegenheit in der Formation und der niedern Taktik als stehender Dispositionen. Bei dem Gebrauch ausgebildeter Streitkraͤfte im Gefecht koͤnnen diese Dinge nicht in Betrachtung kommen, da sie mit den Streitkraͤften schon ge- geben sind. Aber sie koͤnnen und muͤssen selbst als Gegenstand der Gefechtslehre im ausgedehntesten Sinne betrachtet werden. c) Die Zahl. d) Die Form der Aufstellung, so weit sie nicht schon in b enthalten ist. e) Das Terrain. 88. Da wir nur den Gebrauch ausgebildeter Streitkraͤfte abhandeln, so gehoͤren a und b nicht hier- her, sondern sind nur als ein Gegebenes gewissermaßen faktisch in Betracht zu ziehen. 89 a. Überlegenheit der Zahl . Wenn zwei ungleiche Massen Infanterie und Artille- rie parallel in gleichem Raume gegen einander aufgestellt sind, so wuͤrde, wenn alle Schuͤsse Zielschuͤsse auf die einzelnen Individuen waͤren, die Zahl der Treffer sich ver- halten wie die Zahl der Schießenden. Ebenso wuͤrden sich die Treffer verhalten wenn nach einer vollen Scheibe geschossen wuͤrde, also wenn das Ziel nicht mehr der ein- zelne Mann sondern ein Bataillon, eine Linie u. s. w. ist. So aber sind die Schuͤsse im Kriege selbst bei den Schuͤtzengefechten in der großen Mehrheit wirklich anzu- sehen. Nun ist aber die Scheibe nicht voll, sondern sie besteht aus Menschen und Zwischenraͤumen. Diese letztern nehmen in dem Maaße ab als die Zahl der Fechtenden auf demselben Raume zu nimmt. Folglich wird die Wir- kung eines Feuergefechts zwischen ungleicher Zahl zusam- mengesetzt sein aus der Zahl der Schießenden und der Zahl der feindlichen Truppen auf welche geschossen wird; d. h. mit andern Worten: die Überlegenheit in der Zahl giebt im Feuergefecht keine uͤberlegene Wirkung, weil man Das was man durch die Menge seiner Schuͤsse gewinnt, dadurch daß die feindlichen um so viel besser treffen, wie- der verliert. Angenommen 50 Mann befaͤnden sich in demselben Raume einem Bataillon von 500 gegenuͤber. Es sollen von den 50 Schuͤssen 30 in die Scheibe gehen, d. h. in den Quadratraum den das feindliche Bataillon einnimmt, so werden von den feindlichen 500 Schuͤssen 300 in den Raum gehen den unsere 50 Mann einnehmen. Nun ste- hen aber die 500 Mann noch zehnmal so dicht als die 50, es treffen also von unsern Kugeln zehnmal so viel als von den feindlichen, und mithin werden von unsern 50 Schuͤssen gerade so viel der Feinde wie von den feind- lichen 500 Schuͤssen der Unsrigen getroffen. Wenn gleich dies Resultat in der Wirklichkeit nicht genau zutreffen wird und im Allgemeinen ein kleiner Vor- theil fuͤr die Überlegenheit der Zahl bleiben mag, so ist doch gewiß daß es im Wesentlichen zutrifft: daß naͤmlich die einseitige Wirkung, d. i. der Erfolg im Feuergefecht, weit entfernt mit der Überlegenheit der Zahl genau Schritt zu halten, kaum davon affizirt wird. Dies Resultat ist von einer durchgreifenden Wichtig- keit, denn es macht die Basis derjenigen Ökonomie der Kraͤfte im vorbereitenden Zerstoͤrungsakte aus, welche als eins der sichersten Mittel zum Siege betrachtet werden kann. 89 b. Man glaube nicht daß dieses Resultat zu einem Absurdum fuͤhren koͤnnte, und daß z. B. 2 Mann (die kleinste Zahl welche einen laͤngern Raum einnehmen kann, der hier als Scheibe gedacht ist) dann eben so Viel leisten muͤßten als 2000, vorausgesetzt daß die 2 Mann so weit auseinander staͤnden wie die 2000. Wenn jene 2000 im- mer gerade vor sich hinschoͤssen, so wuͤrde es allerdings der Fall sein. Wenn aber die Zahl des Schwaͤchern so ge- ring ist daß der Staͤrkere sein Feuer konzentrirt auf die einzelnen Leute richtet, so muß natuͤrlich eine große Ver- schiedenheit der Wirkung eintreten; denn nun findet die gemachte Voraussetzung bloßer Scheibenschuͤsse nicht mehr statt. Ebenso wuͤrde eine zu schwache Feuerlinie den Geg- ner gar nicht vermoͤgen das Feuergefecht anzunehmen, son- dern gleich von ihm vertrieben werden. Man sieht also daß man die obige Folgerung nicht zu weit treiben darf, aber sie bleibt darum doch unendlich wichtig. Hundertmal hat man gesehen daß eine Feuerlinie einer doppelt so star- ken feindlichen das Gleichgewicht gehalten hat, und es ist leicht einzusehen welche Folgen das in der Ökonomie der Kraͤfte hat. 89 c. Man kann also sagen daß jeder der beiden Theile es in seiner Gewalt hat die gegenseitige d. i. die Gesammtwirkung des Feuers zu verstaͤrken oder zu schwaͤ- chen, je nachdem er mehr Streiter in die Feuerlinie bringt oder nicht. 90. Die Form der Aufstellung kann sein: a) In grader Fronte und in gleicher Ausdehnung, dann ist sie gleichguͤltig von beiden Seiten. b) In grader Fronte und in groͤßerer Ausdehnung, dann ist sie vortheilhaft. Dies ist begreiflicherweise we- gen der Schußweite sehr beschraͤnkt. c) Umfassend. Dann ist sie vortheilhaft wegen der doppelten Wirkung der Schuͤsse und weil die groͤ- ßere Ausdehnung von selbst daraus folgt. Die Gegensaͤtze von b und c ergeben sich von selbst als Nachtheile. 91. Das Terrain wirkt im Feuergefecht vor- theilhaft: a) Durch Deckung, wie eine Brustwehr. b) Durch Verbergung gegen den Feind, also als Hin- derniß beim Zielen. c) Als Hinderniß des Zugangs, wodurch der Feind in unserm Feuer lange aufgehalten, auch selbst am Feuern mehr gehindert wird. 92. Die Vortheile welche sich im Handgefecht wirk- sam zeigen, sind die naͤmlichen wie beim Feuergefecht. 93. Die beiden ersten Gegenstaͤnde ( a und b Nr. 87.) gehoͤren nicht hierher. Zu bemerken ist aber daß Überle- genheit im Gebrauch nicht so große Unterschiede wie beim Feuergefecht hervorbringen kann, daß dagegen der Muth hier eine ganz entscheidende Rolle spielt. Die unter b be- ruͤhrten Gegenstaͤnde werden wegen der Reiterei, die einen großen Theil der Handgefechte liefert, besonders wichtig. 94. Die Zahl ist hier sehr viel entscheidender als im Feuergefecht; sie ist fast die Hauptsache. 95. Die Form der Aufstellung ist gleichfalls noch viel entscheidender als im Feuergefecht und zwar ist bei gerader Linie umgekehrt die geringere Ausdehnung die vortheilhaftere. 96. Das Terrain . a) Als Hinderniß des Zugangs. Dies ist beim Hand- gefecht bei weitem die Hauptwirksamkeit desselben. b) Durch Verbergung. Dies beguͤnstigt die Überra- schung, welche im Handgefecht vorzuͤglich wichtig ist. Vereinzelung der Gefechte . 97. Wir haben in Nr. 23. gesehen daß ein jedes Gefecht ein viel gegliedertes Ganze ist, bei dem die Selbst- staͤndigkeit der Glieder ungleich ist, indem sie nach Unten hin abnimmt. Wir koͤnnen jetzt diesen Gegenstand naͤher untersuchen. 98. Man kann in jedem Gefecht fuͤglich als ein einfaches Glied betrachten was durch das Komman- dowort gefuͤhrt wird. Z. B. ein Bataillon, eine Bat- terie, ein Kavallerieregiment u. s. w., wenn diese Massen wirklich vereinigt sind. 99. Wo das Kommandowort nicht mehr zureicht tritt der Befehl ein, sei es muͤndlich oder schriftlich. 100. Das Kommandowort ist keiner Gradation faͤ- hig, es ist schon ein Theil der Ausfuͤhrung. Der Befehl aber hat Abstufungen von der hoͤchsten an das Komman- dowort grenzenden Bestimmtheit bis zur hoͤchsten Allge- meinheit. Er ist nicht die Ausfuͤhrung selbst, sondern nur ein Auftrag. 101. Alles was unter dem Kommandowort steht, hat keinen Willen; so wie aber statt desselben der Befehl eintritt, so hebt auch eine gewisse Selbststaͤndigkeit der Glie- der an, weil der Befehl allgemeiner Natur ist und der Wille des Fuͤhrers ihn ergaͤnzen muß wenn er nicht zureicht. 102. Ließe sich ein Gefecht in allen seinen neben und nach einander liegenden Theilen und Ereignissen genau vorher bestimmen und uͤbersehen, koͤnnte also der Plan desselben bis in die kleinsten Theile durchdringen wie bei der Einrichtung einer todten Maschiene, so wuͤrde der Be- fehl diese Unbestimmtheit nicht haben. 103. Aber die Fechtenden hoͤren nie auf Menschen und Individuen zu sein, koͤnnen nie zur willenlosen Ma- schine gemacht werden und der Boden auf dem sie fechten wird selten oder nie ein vollkommenes und leeres Planum sein, welches ohne allen Einfluß auf das Gefecht bliebe. Es ist also ganz unmoͤglich alle Wirkungen vorher zu berechnen. 104. Dieses Unzureichende des Plans nimmt zu mit der Dauer des Gefechts und mit der Zahl der Fechtenden. Das Handgefecht eines schwachen Haufens ist fast ganz in seinem Plan enthalten; im Feuergefecht, selbst kleiner Haufen, kann dagegen der Plan wegen der Dauer dessel- ben und der eintretenden Zwischenfaͤlle nicht in dem Maaße durchdringen. Von der andern Seite kann auch das Handgefecht großer Massen, z. B. einer Kavalleriedivision von 2. oder 3000 Pferden, nicht so von den Bestimmun- gen des ersten Plans durchdrungen werden, daß nicht haͤufig der Wille einzelner Fuͤhrer ihn ergaͤnzen muͤßte. Von einer großen Schlacht aber kann der Plan außer der Einleitung nur die Hauptumrisse angeben. 105. Da also dies Unvermoͤgen des Plans (Dispo- sition) mit der Zeit und dem Raum welche das Gefecht einnimmt, waͤchst, so wird auch in der Regel den groͤßern Truppenabtheilungen ein groͤßerer Spielraum gegeben wer- den muͤssen als den kleinern; und die Bestimmtheit des Befehls wird zunehmen in absteigender Ordnung bis zu den Theilen die durch das Kommandowort regiert werden. 106. Die Selbststaͤndigkeit der Theile wird aber ferner verschieden sein nach den Umstaͤnden in welchen sie sich befinden. Raum, Zeit, Charakter des Bodens und der Gegend, Natur des Auftrags muͤssen sie bei ein und derselben Abtheilung schwaͤchen oder verstaͤrken. 107. Außer dieser planmaͤßigen Trennung des Ge- sammtgefechts in gesonderte Glieder, wird auch eine unab- sichtliche entstehen koͤnnen und zwar: a) indem die beabsichtigte groͤßer wird als im Plane lag; b) indem da eine Trennung eintritt wo sie gar nicht sein, sondern das Kommandowort Alles fuͤhren sollte. 108. Diese ruͤhrt von Umstaͤnden her die sich nicht vorhersehen ließen. 109. Die Folge ist ungleicher Erfolg bei Theilen die zusammengehoͤren (weil sie sich naͤmlich in ungleichen Verhaͤltnissen befinden koͤnnen). 110. Es entsteht dadurch bei einzelnen Theilen das Beduͤrfniß einer Veraͤnderung die nicht im Plane des Ganzen gelegen hat. a) Indem sie sich Nachtheilen des Terrains, der Zahl, der Aufstellung entziehen wollen. b) Indem sie in allen diesen Punkten Vortheile erhal- ten die sie benutzen wollen. 111. Die Folge ist daß oft unwillkuͤhrlich oft mehr oder weniger absichtlich ein Feuergefecht in ein Handge- fecht und umgekehrt das letztere in das erstere uͤberge- hen wird. 112. Die Aufgabe ist dann diese Veraͤnderungen in den Plan des Ganzen einzupassen, indem sie: a) im Fall des Nachtheils auf eine oder die andere Weise gut gemacht; b) im Fall des Vortheils so weit benutzt werden als ohne Gefahr eines Umschlagens geschehen kann. 113. Es ist also die absichtliche und unabsichtliche Vereinzelung des Gesammtgefechts in mehr oder weniger selbststaͤndige Theilgefechte, welche einen Wechsel der Ge- fechtsformen, sowohl von Handgefecht und Feuergefecht, als von Angriff und Vertheidigung innerhalb des Ge- sammtgefechts hervorbringt. 114. Jetzt bleibt in dieser Beziehung noch das Ganze zu betrachten. Das Gefecht besteht aus zwei Akten, dem Zerstörungs- und dem Entscheidungsakt . 115 a. Aus dem Feuergefecht mit seinem Zerstoͤrungs- prinzip und aus dem Handgefecht mit seinem Vertrei- bungsprinzip gehen nach Nr. 36. fuͤr das partielle Ge- fecht zwei verschiedene Akte hervor: ein Zerstoͤrungsakt und ein Entscheidungsakt. 115 b. Je kleiner die Massen sind, um so mehr wer- den diese beiden Akte aus einem einfachen Feuergefecht und einem einfachen Handgefecht bestehen. 116. Je groͤßer die Massen werden, um so mehr werden diese beiden Akte kollektiv genommen werden muͤs- sen, so daß der Zerstoͤrungsakt aus einer Reihe von ne- ben und nach einander bestehenden Feuergefechten und der Entscheidungsakt eben so aus mehrern Handgefechten besteht. 117. Auf diese Weise setzt sich die Theilung des Gefechts nicht nur fort, sondern erweitert sich auch im- mer mehr, je groͤßer die kaͤmpfenden Massen werden, indem der Zerstoͤrungsakt und der Entscheidungsakt in der Zeit immer weiter von einander getrennt werden. Der Zerstörungsakt . 118. Je groͤßer das Ganze ist, um so wichtiger wird die physische Vernichtung, denn a) um so geringer ist der Einfluß des Fuͤhrers. Die- ser Einfluß aber ist beim Handgefecht viel wesent- licher als beim Feuergefecht. b) Um so geringer die moralische Ungleichheit. Bei großen Massen, ganzen Armeen z. B., bleibt Nichts als die nationale Verschiedenheit; bei kleinern kom- men die der Korps und die der Individuen, end- lich besondere zufaͤllige Umstaͤnde hinzu, die sich bei großen Massen ausgleichen . c) Um so tiefer ist die Aufstellung, d. h. um so mehr Reserven zur Erneuerung des Gefechts sind vorhan- den, wie wir in der Folge sehen werden. Es nimmt also die Zahl der einzelnen Gefechte zu und folglich die Dauer des Gesammtgefechtes und dadurch wird der Einfluß des ersten Augenblicks vermindert, der beim Vertreiben immer so Viel entscheidet. 119. Aus der vorigen Nummer folgt daß je groͤßer das Ganze ist um so mehr muß die physische Vernichtung die Entscheidung vorbereiten. 120. Diese Vorbereitung liegt darin daß sich die Masse der Kaͤmpfenden von beiden Seiten verkleinert, das Verhaͤltniß aber sich zu unserm Besten veraͤndert. 121. Das Erste ist zureichend wenn wir moralisch oder physisch uͤberlegen sind, das Zweite erforderlich wenn dies nicht der Fall ist. 122. Die Zerstoͤrung der feindlichen Streitkraͤfte besteht: a) in Allem was physisch außer Gefecht gesetzt ist. Todte, Verwundete und Gefangene. b) In dem was physisch und moralisch erschoͤpft ist. 123. In einem Feuergefecht von mehreren Stunden in welchem eine Truppe einen namhaften Verlust macht, z. B. ¼ oder ⅓ des Ganzen, ist der uͤbrige Theil vor der Hand fast wie eine ausgebrannte Schlacke zu betrachten. Denn: a) die Leute sind koͤrperlich erschoͤpft. b) Sie haben sich verschossen. c) Die Gewehre sind verschleimt. d) Viele haben sich mit den Verwundeten entfernt, ohne selbst verwundet zu sein. e) Die Übrigen fuͤhlen fuͤr diesen Tag das Ihrige ge- than zu haben und gehen, wenn sie einmal aus der Sphaͤre der Gefahr zuruͤckgenommen sind, nicht gern wieder hinein. f) Das urspruͤngliche Gefuͤhl des Muthes ist abge- stumpft, die Kampflust befriedigt. g) Die urspruͤngliche Organisation und Ordnung ist zum Theil gestoͤrt. 124. Die Folgen e und f treten mehr oder weniger ein je nachdem das Gefecht ungluͤcklich oder gluͤcklich ge- wesen ist. Eine Truppe die Terrain gewonnen oder das ihr anvertraute gluͤcklich behauptet hat, ist eher wieder zu gebrauchen als eine die zuruͤckgeworfen ist. 125 a. Es sind zwei Folgen von Nr. 123. in Be- tracht zu ziehen. Die erste ist die aus dem Gebrauch einer geringern Streitkraft im Feuergefecht als der Gegner sie anwendet er- wachsende Ökonomie der Kraͤfte . Denn wenn die Zerstoͤ- rung der Kraͤfte im Feuergefecht nicht blos durch die Ver- luste an Solchen die außer Gefecht gesetzt werden, entsteht, sondern auch dadurch daß Alles was gefochten hat in seiner Kraft geschwaͤcht ist, so wird natuͤrlich die Schwaͤchung fuͤr Den geringer sein der weniger angewendet hat. Wenn 500 Mann im Stande gewesen sind 1000 Mann das Gleichgewicht im Gefecht zu halten, so bleiben bei glei- chen Verlusten auf beiden Seiten, die wir auf 200 an- nehmen wollen, dem Einen 300 Mann mit erschoͤpften Kraͤften, dem andern 800 Mann, wovon 300 erschoͤpft, 500 aber frisch sind. 125 b. Die zweite Folge ist daß die Schwaͤchung des Gegners, also die Zerstoͤrung der feindlichen Streitkraͤfte , viel mehr Umfang hat als die Zahl der Todten, Verwundeten und Gefangenen. Die Zahl der letztern betraͤgt vielleicht nur ⅕ des Ganzen, es sollten also ⅚ uͤbrig bleiben. Aber unter diesem ⅚ sind eigentlich nur die ganz intakten Reserven und die Truppen welche zwar gebraucht worden sind aber noch wenig gelitten ha- ben, als brauchbar und die uͤbrigen (vielleicht 4/6) als ein caput mortuum zu betrachten. 126. Diese Verkleinerung der wirkenden Massen ist die erste Absicht des Zerstoͤrungsakts, weil die Entschei- dung nur mit den kleinern Massen gegeben werden kann. 127. Es ist aber nicht die absolute Groͤße der Massen Massen welche bei der Entscheidung ein Hinderniß ist (wiewohl auch diese absolute Groͤße etwas thut; 50 Mann gegen 50 Mann koͤnnen auf der Stelle zur Entscheidung schreiten, aber nicht 50,000 gegen 50,000) sondern die relative Groͤße . Wenn naͤmlich ⅚ des Ganzen im Zer- stoͤrungsakt ihre Kraͤfte schon an einander abgemessen ha- ben, so sind beide Feldherrn, wenn sie auch beide vollkom- men im Gleichgewicht geblieben waͤren, dem endlichen Be- schluß welchen sie zu fassen haben dennoch viel naͤher und es gehoͤrt nur noch ein verhaͤltnißmaͤßig kleiner Anstoß dazu um die Entscheidung zu geben. So ist es, das uͤbrig gebliebene Sechstheil mag einer Armee von 30,000 Mann angehoͤren, also 5000 Mann sein, oder einer von 150,000, also 25,000 Mann. 128. Aber die Hauptabsicht beider Theile im Zerstoͤ- rungsakt geht dahin, sich in demselben ein Übergewicht fuͤr den Entscheidungsakt zu verschaffen. 129. Dieses Übergewicht kann in Vernichtung feind- licher physischer Kraͤfte, aber auch in den uͤbrigen unter Nr. 4. angegebenen Gegenstaͤnden erreicht werden. 130. Es besteht also in dem Zerstoͤrungsakt ein na- tuͤrliches Bestreben alle Vortheile welche sich darbieten so gut als es die Verhaͤltnisse erlauben zu benutzen. 131. Nun zerfaͤllt das Gefecht groͤßerer Massen im- mer in mehrere partielle Gefechte (Nr. 23) die mehr oder weniger selbststaͤndig sind und also haͤufig in sich einen Zer- stoͤrungs- und einen Entscheidungsakt haben muͤssen, wenn man die Vortheile welche man durch den ersten erhalten hat benutzen will. 132. Durch diese geschickte und gluͤckliche Einmi- schung des Handgefechts wird man hauptsaͤchlich die Vor- theile erhalten welche man in Zerstoͤrung des feindlichen III 20 Muths und der feindlichen Ordnung und im Terrainge- winn sucht. 133. Aber selbst die physische Zerstoͤrung der feind- lichen Streitkraͤfte wird dadurch sehr gesteigert, denn Ge- fangene kann man nur durch das Handgefecht machen. Wenn also ein Bataillon durch unser Feuer erschuͤt- tert ist, wenn unser Bajonetangriff es aus seiner vortheil- haften Stellung wirft und wir senden ihm auf seiner Flucht ein Paar Schwadronen nach, so begreift man wie dieser partielle Erfolg bedeutende Vortheile aller Art in die Waagschale des allgemeinen legen wird; aber es ist freilich Bedingung daß es geschehe ohne in Verlegenheit mit dieser siegenden Truppe zu gerathen, denn wenn unser Bataillon und unsere Schwadronen dabei uͤberlegenen feind- lichen Kraͤften in die Haͤnde fielen, so waͤre diese partielle Entscheidung unzeitig gewesen. 134. Die Benutzung dieser partiellen Erfolge liegt in der Hand der Unterbefehlshaber und giebt derjenigen Armee eine große Überlegenheit, welche erfahrne Offiziere an der Spitze ihrer Divisionen, Brigaden, Regimenter, Bataillone, Batterien u. s. w. hat. 135. So sucht jeder der beiden Feldherrn schon im Zerstoͤrungsakt sich diejenigen Vortheile zu verschaffen die die Entscheidung geben und dadurch diese wenigstens vor- zubereiten. 136. Die wichtigsten Gegenstaͤnde unter allen sind hier stets genommene Geschuͤtze und genommenes Terrain. 137. Das Letztere nimmt an Wichtigkeit zu wenn der Feind sich in der Vertheidigung einer starken Stel- lung begriffen befand. 138. So ist der Zerstoͤrungsakt von beiden Seiten, vorzugsweise aber von Seiten des Angreifenden schon ein behutsames Vorschreiten zum Ziele. 139. Da im Feuergefecht die Zahl so wenig entschei- det (Nr. 53), so folgt von selbst das Bestreben in demsel- ben mit so wenig Kraͤften als nur moͤglich auszureichen. 140. Da im Zerstoͤrungsakt das Feuergefecht vor- herrscht, so herrscht auch das Bestreben der hoͤchsten Öko- nomie der Kraͤfte in demselben. 141. Da beim Handgefecht die Zahl ein so wesent- licher Gegenstand ist, so wird bei den Entscheidungen der partiellen Gefechte im Zerstoͤrungsakt auch haͤufig eine Mehrzahl angewendet werden muͤssen. 142. Im Ganzen muß aber der Charakter der Spar- samkeit auch hier vorherrschen, und es werden in der Re- gel nur die Entscheidungen angemessen sein die sich ohne große Überlegenheit der Zahl gleichsam von selbst machen. 143. Ein unzeitiges Bestreben nach Entscheidung hat zur Folge: a) wenn sie mit Ökonomie der Kraͤfte eingerichtet ist daß man in uͤberlegenen Massen hineingeraͤth; oder b) wenn die gehoͤrigen Kraͤfte angewendet werden daß man sich zu fruͤh erschoͤpft. 144. Die Frage ob es zeitgemaͤß ist eine Entschei- dung zu geben, widerholt sich also innerhalb des Zerstoͤ- rungsaktes sehr oft, sie tritt aber auch fuͤr die Hauptent- scheidung am Ende desselben ein. 145. Der Zerstoͤrungsakt hat deshalb das natuͤrliche Bestreben auf einzelnen Punkten in den Entscheidungs- akt uͤberzugehen, weil jeder Vortheil der sich in seinem Ver- lauf darbietet, erst durch die zum Beduͤrfniß gewordene Entscheidung sein volles Maaß erreichen kann. 146. Je erfolgreicher die im Zerstoͤrungsakt ange- 20* wendeten Mittel sind oder je groͤßer die physische oder moralische Überlegenheit war, um so staͤrker wird diese Tendenz des Ganzen sein. 147. Bei geringen oder negativen Erfolgen oder bei der Überlegenheit des Gegners kann sie aber auch in den einzelnen Punkten so selten und so schwach sein daß sie fuͤr das Ganze gar nicht vorhanden ist. 148. Diese natuͤrliche Tendenz kann im Einzelnen und im Allgemeinen zu unzeitigen Entscheidungen fuͤhren, ist aber, weit entfernt darum ein Übel zu sein, vielmehr eine ganz nothwendige Eigenschaft des Zerstoͤrungsaktes, weil ohne sie viel versaͤumt werden wuͤrde. 149. Das Urtheil des Fuͤhrers auf jedem Punkt und des Feldherrn fuͤr das Allgemeine muß bestimmen ob die sich darbietende Gelegenheit zu einer Entscheidung vortheilhaft ist oder nicht, d. h. ob sie nicht zu einem Ruͤckschlag und damit zu einem negativen Resultat fuͤhrt. 150. Die Leitung eines Gefechts in Beziehung auf die der Entscheidung vorangehende Vorbereitung oder viel- mehr Zubereitung desselben besteht also darin ein Feuer- gefecht und im weitern Sinne einen Zerstoͤrungsakt anzu- ordnen und demselben eine angemessene Dauer zu geben, d. h. die Entscheidung erst eintreten zu lassen wenn man glaubt daß der Zerstoͤrungsakt eine hinreichende Wirkung gethan hat. 151. Dieses Urtheil wird aber nicht sowohl nach der Uhr abzunehmen sein, nicht aus den bloßen Zeitver- haͤltnissen hervorgehen, sondern aus den Umstaͤnden welche sich ergeben haben, aus den Zeichen einer schon gewonne- nen Überlegenheit. 152. Da nun der Zerstoͤrungsakt, wenn er von gu- tem Erfolg begleitet ist, schon zur Entscheidung selbst strebt, so kommt es fuͤr den Fuͤhrer mehr darauf an zu beurtheilen wann und wo es Zeit ist ihm die Zuͤgel schie- ßen zu lassen. 153. Wenn die Tendenz zur Entscheidung in dem Zerstoͤrungsakt sehr schwach waͤre, so wuͤrde dies schon ein ziemlich sicheres Zeichen sein daß auf keinen Sieg zu rechnen sei. 154. Es werden also die Fuͤhrer und Feldherrn in diesem Falle meistens die Entscheidung nicht geben sondern empfangen. 155. Wo sie dennoch gegeben werden soll da geht sie von dem ausdruͤcklichen Befehl aus, der von allen der Fuͤhrung zu Gebote stehenden persoͤnlichen Mitteln der Ermunterung und des fortreißenden Einflusses begleitet sein muß. Der Entscheidungsakt . 156. Die Entscheidung ist dasjenige Ereigniß wo- durch der Entschluß zum Abzuge in dem einen der Feld- herrn hervorgerufen wird. 157. Die Gruͤnde zum Abzug haben wir in der 4ten Nummer angegeben. Diese koͤnnen nach und nach entstehen, indem sich schon im Zerstoͤrungsakt ein kleiner Nachtheil zum andern haͤuft und der Entschluß also ohne eigentlich entscheidendes Ereigniß gefaßt wird. In diesem Falle findet ein besonderer Entscheidungsakt nicht Statt. 158. Der Entschluß kann aber auch durch ein ein- zelnes bedeutend nachtheiliges Ereigniß, also ploͤtzlich her- vorgebracht werden, nachdem bis dahin Alles noch im Gleich- gewicht geschwebt hatte. 159. In diesem Falle nun ist die Handlung des Gegners welche dieses Ereigniß hervorgebracht hat als die gegebene Entscheidung zu betrachten. 160. Der gewoͤhnlichste Fall aber ist daß die Ent- scheidung im Laufe des Vernichtungsaktes nach und nach reift, daß aber der Entschluß des Besiegten durch ein be- sonderes Ereigniß den letzten Anstoß erhaͤlt. Also auch in diesem Falle ist die Entscheidung als eine gegebene zu be- trachten. 161. Ist die Entscheidung eine gegebene, so muß sie eine positive Handlung sein. a) Dies kann ein Angriff sein. b) Aber auch ein bloßes Anruͤcken neuer Reserven die versteckt gehalten worden. 162. Bei kleinen Haufen ist das Handgefecht in ei- nem einzigen Anfall oft zur Entscheidung schon zureichend. 163. Bei groͤßern Haufen kann der Angriff vermit- telst des bloßen Handgefechts auch noch zureichen, doch wird es dann schwerlich bei einem einzelnen Anfall bleiben. 164. Werden die Haufen noch groͤßer, so mischt sich das Feuergefecht ein. Wie bei dem Angriff bedeutender Kavalleriemassen die reitende Artillerie. 165. Bei großen aus allen Waffen bestehenden Massen wird die Entscheidung niemals in einem bloßen Handgefecht bestehen, sondern es wird ein neues Feuerge- fecht nothwendig werden. 166. Aber dieses Feuergefecht wird dann im Cha- rakter des Anfalls selbst sein; es wird in dichtern Mas- sen, also mit einer in Zeit und Raum sehr konzentrirten Wirkung als eine kurze Vorbereitung des eigentlichen Anfalls gebraucht werden. 167. Besteht die Entscheidung nicht mehr aus einem einzelnen Handgefecht, sondern aus einer Reihe von gleich- zeitigen und successiven Gefechten beider Art, so wird sie dadurch ein eigner Akt des Gesammtgefechts, wie das Nr. 115 ff. schon im Allgemeinen gesagt ist. 168. In diesem Akte wird das Handgefecht vor- herrschen. 169. In eben dem Maaße wie das Handgefecht vorherrscht, wird der Angriff vorherrschen, wiewohl auf einzelnen Punkten auch die Vertheidigung stattfinden kann. 170. Gegen das Ende einer Schlacht wird die Ruͤck- sicht auf den Ruͤckzugsweg immer wichtiger, daher wird die Wirkung auf diesen Weg ein wichtiges Vehikel zur Entscheidung. 171. Wo die Verhaͤltnisse es zulassen, wird deshalb schon von Hause aus der Plan der Schlacht auf diesen Punkt gerichtet. 172. Je mehr die Schlacht oder das Gefecht sich im Sinne dieses Planes ausbildet, um so mehr werden sich auch die Mittel entwickeln auf den feindlichen Ruͤck- zugsweg zu wirken. 173. Ein anderes großes Vehikel zum Siege ist die gebrochene Ordnung. Die kuͤnstliche Struktur mit welcher die Streitmassen in das Gefecht gehen, leidet in dem lan- gen Zerstoͤrungskampfe in dem sich ihre Kraͤfte ausringen sehr betraͤchtlich. Ist diese Erschuͤtterung und Schwaͤ- chung bis auf einen gewissen Punkt gekommen, so kann ein schnelles Vordringen mit konzentrirten Massen von Seiten des Einen in die Schlachtlinie des Andern eine große Verwirrung hervorbringen, die an keinen Sieg mehr denken laͤßt, sondern alle Kraͤfte in Anspruch nimmt um die einzelnen Theile in Sicherheit zu bringen und einen nothduͤrftigen Zusammenhang des Ganzen herzustellen. 174. Aus allem bisher Gesagten geht hervor daß wenn in dem Vorbereitungsakte die hoͤchste Ökonomie der Kraͤfte vorherrscht, im Entscheidungsakte die Überwaͤltigung durch die Zahl vorherrschen muß. 175. So wie im Vorbereitungsakte Geduld, Stand- haftigkeit und Kaͤlte vorherrschen sollen, so sollen im Ent- scheidungsakte Kuͤhnheit und Feuer vorherrschen. 176. Von beiden Feldherrn pflegt nur einer die Entscheidung zu geben, der andere nimmt sie an. 177. Wenn Alles noch im Gleichgewicht ist, so kann der welcher die Entscheidung giebt a) der Angreifende, b) der Vertheidigende sein. 178. Da der Angreifende den positiven Zweck hat, so ist es am natuͤrlichsten daß er sie giebt und daher tritt dieser Fall auch am haͤufigsten ein. 179. Ist aber das Gleichgewicht schon merklich ge- stoͤrt, so kann die Entscheidung gegeben werden a) von dem Feldherrn der im Vortheil ist, b) von dem welcher im Nachtheil ist. 180. Das Erstere ist offenbar das Natuͤrlichere, und ist dieser Feldherr zugleich der Angreifende, so wird es noch natuͤrlicher und daher wird es nur wenig Faͤlle geben wo die Entscheidung nicht von diesem Feldherrn ausginge. 181. Ist es aber der Vertheidiger welcher im Vor- theil ist, so ist es auch natuͤrlich daß er die Entscheidung giebt, so daß das nach und nach eingetretene Verhaͤltniß mehr entscheidet als die urspruͤngliche Absicht von Angriff und Vertheidigung. 182. Ein Angreifender welcher schon in merklichem Nachtheil ist und doch noch die Entscheidung giebt, sieht es als den letzten Versuch an seine urspruͤngliche Absicht zu erreichen. Wenn der im Vortheil befindliche Verthei- diger ihm Zeit dazu laͤßt, so ist es allerdings in der Na- tur der positiven Absicht des Angreifenden einen solchen letzten Versuch zu machen. 183 a. Ein Vertheidiger der in merklichem Nachtheil ist und dennoch die Entscheidung geben will, thut Etwas was ganz gegen die Natur der Dinge und als eine Hand- lung der Verzweiflung zu betrachten ist. 183 b. Der Erfolg im Entscheidungsakt richtet sich nach den eben entwickelten Verhaͤltnissen, so daß er in der Regel nur fuͤr Den sein wird welcher die Entscheidung giebt wenn diese aus natuͤrlichen Verhaͤltnissen hervorgeht. 184. Wo noch Alles im Gleichgewicht war ist der Erfolg gewoͤhnlich fuͤr Den welcher die Entscheidung giebt, denn in dem Augenblick einer zur Entscheidung gereiften Schlacht, wo sich die Kraͤfte an einander ausgerungen haben, ist das positive Prinzip von viel groͤßerem Gewicht als im Anfang derselben. 185. Der Feldherr welcher die Entscheidung empfaͤngt kann entweder sich dadurch augenblicklich zum Ruͤckzug be- stimmen lassen und allem weitern Gefecht ausweichen, oder er kann das Gefecht noch fortsetzen. 186. Setzt er es fort so kann es nur sein a) als Anfang seines Ruͤckzugs, indem er dadurch Zeit zu gewinnen sucht seine Einleitungen zu treffen; b) als einen wirklichen Kampf worin noch Erfolg zu hoffen ist. 187. Befindet sich der Feldherr welcher die Entschei- dung annimmt in sehr guͤnstigen Verhaͤltnissen, so kann er dabei auch auf der Vertheidigung bleiben. 188 a. Ist aber die Entscheidung aus natuͤrlichen d. h. guͤnstigen Verhaͤltnissen dessen der sie giebt hervorgegangen, so wird auch der Feldherr welcher sie annimmt mehr oder weniger zu einer aktiven Vertheidigung uͤbergehen, d. h. dem Anfall mit Anfall begegnen muͤssen, theils weil die natuͤrlichen Vortheile der Vertheidigung ( Stellung, Ord- nung, Überraschung ) im Verlaufe des Gefechts sich nach und nach erschoͤpfen und zuletzt nicht mehr betraͤcht- lich vorhanden sind, theils weil, wie wir Nr. 184 gesagt haben, das positive Prinzip ein immer groͤßeres Gewicht bekommt. Ihre Trennung in der Zeit . 188 b. Die hier gegebene Ansicht daß jedes Gefecht in zwei getrennte Akte zerfaͤllt, wird bei der ersten Betrach- tung viel Widerspruch finden. 189. Dieser Widerspruch wird theils aus einer ein- gewohnten falschen Ansicht vom Gefecht, theils daraus ent- stehen daß man auf den Begriff des Getrennten eine zu pedantische Wichtigkeit legt. 190. Man denkt sich den Gegensatz zwischen Angriff und Vertheidigung zu groß, beide Thaͤtigkeiten zu rein antithetisch, oder vielmehr man legt den Gegensatz dahin wo er sich in der Ausfuͤhrung nicht findet. 191. Die Folge ist daß man sich den Angreifenden vom ersten Augenblick bis zum letzten mit einem gleich- maͤßigen unausgesetzten Streben zum Vorschreiten und die Ermaͤßigung der vorschreitenden Bewegung immer nur wie eine ganz unwillkuͤhrlich erzwungene denkt, die un- mittelbar vom Widerstande ausgeht. 192. Nach dieser Vorstellungsart ist Nichts natuͤr- licher als daß jeder Angriff mit der hoͤchsten Energie des des Sturmes anfinge. 193. Fuͤr die Artillerie hat man doch auch bei die- ser Vorstellungsart sich schon an einen Vorbereitungsakt gewoͤhnt, weil es doch zu einleuchtend war daß sie sonst groͤßtentheils unnuͤtz sein wuͤrde. 194. Sonst aber hat man jenes unvermischte Stre- ben zum Vorschreiten fuͤr so naturgemaͤß gehalten daß man den Angriff ohne einen Schuß zu thun wie eine Art Ideal betrachtet hat. Selbst Friedrich der Große hat bis zur Schlacht von Zorndorf das Feuer beim Angriff wie etwas Ungehoͤriges betrachtet. 195. Wenn man auch davon spaͤter etwas zuruͤckge- kommen ist, so glaubt doch noch heute der große Haufe daß der Angreifende sich der bedeutendsten Punkte einer Stellung nicht zu fruͤh bemaͤchtigen koͤnne. 196. Diejenigen welche dem Feuer noch die meisten Concessionen machen, wollen doch gleich zum Angriff vor- ruͤcken, in großer Naͤhe einige Bataillonssalven geben und dann mit dem Bajonet draufgehen. 197. Aber ein Blick auf die Kriegsgeschichte und ein Blick auf unsere Waffen zeigt daß die absolute Ver- werfung des Feuers beim Angriff ein Absurdum ist. 198. Etwas mehr Bekanntschaft mit dem Gefecht und besonders die anschauliche Erfahrung lehrt auch daß eine Truppe die einmal ins Feuern verfaͤllt selten noch zu einem kraͤftigen Sturme zu brauchen ist. Folglich ist die in Nr. 196 erwaͤhnte Concession Nichts werth. 199. Endlich zeigt die Kriegsgeschichte eine unermeß- liche Menge von Faͤllen wo man einen errungenen Vor- theil mit großem Verlust wieder hat aufgeben muͤssen, weil man unvorsichtig vorgedrungen war. Es kann also auch der in Nr. 195 ausgesprochene Grundsatz nicht zu- gestanden werden. 200. Wir behaupten also daß die ganze hier be- ruͤhrte Vorstellungsart von der ungemischten Natur des Angriffs, wenn man uns diesen Ausdruck erlauben will, falsch ist, weil sie nur aͤußerst wenigen sehr eigenthuͤm- lichen Faͤllen entspricht. 201. Ist aber ein Anfang mit dem Handgefecht und der Entscheidung bei groͤßern Gefechten nicht in der Na- tur der Dinge, so entsteht von selbst eine Theilung in Vorbereitung der Entscheidung durch das Feuer und in Entscheidung , also in die beiden Akte mit denen wir uns beschaͤftigt haben. 202. Wir haben zugegeben daß sie bei ganz kleinen Gefechten wegfallen kann (z. B. kleinen Kavalleriehaufen). Es entsteht nun die Frage ob sie nicht am Ende auch wie- der aufhoͤrt wenn die Massen eine gewisse Groͤße bekom- men. Nicht als ob die Anwendung des Feuers aufhoͤren koͤnnte, das waͤre ein Widerspruch in sich, sondern ob die distinkte Trennung beider Thaͤtigkeiten aufhoͤren wird, so daß man sie nicht mehr als zwei getrennte Akte betrach- ten kann. 203. Man koͤnnte vielleicht sagen ein Bataillon solle schießen ehe es Sturm laͤuft; das Eine muß dem Andern vorhergehen, es entstehen also zwei verschiedene Akte; aber nur fuͤr das Bataillon, nicht fuͤr die groͤßere Abtheilung, die Brigade. Diese hat keinen fuͤr alle Bataillone be- stimmten Feuer- und Entscheidungsabschnitt, sie sucht von Hause aus das Objekt zu erreichen das ihr aufgegeben ist und uͤberlaͤßt das den Bataillonen. 204. Wer sieht nicht ein daß so alle Einheit verlo- ren gehen muͤßte? Bei der großen Naͤhe in welcher ein Bataillon neben dem andern sicht, muͤssen die Erfolge und Nichterfolge des einen nothwendig Einfluß auf die andern haben, und bei der geringen intensiven Wirkung unsers Flintenfeuers und folglich seiner betraͤchtlichen Dauer wenn es wirksam werden soll, muß jener Einfluß wegen dieser Dauer groͤßer und entscheidender werden. Aus diesem Grunde schon muß eine gewisse allgemeine Zeiteintheilung fuͤr das Zerstoͤrungs- und Entscheidungsgefecht auch bei der Brigade entstehen. 205. Aber ein noch wesentlicherer Grund ist daß man sich zur Entscheidung gern frischer, wenigstens anderer Truppen als zum Zerstoͤrungsakte bedient; diese aber wer- den von den Reserven genommen und die Reserven muͤssen ihrer Natur nach ein gemeinschaftliches Gut sein, koͤnnen nicht bataillonsweise vorher vertheilt werden. 206. So wie nun das Beduͤrfniß eines allgemeinen Abschnittes des Gefechts von den einzelnen Bataillonen zu der Brigade uͤbergeht, so geht es von dieser zur Division uͤber und von der Division zu noch groͤßern Abtheilungen. 207. Da aber die Theile eines Ganzen (Glieder der ersten Ordnung) immer unabhaͤngiger werden je groͤßer das Ganze ist, so wird allerdings auch die Einheit des Ganzen weniger beschraͤnkend auf sie wirken, und so entsteht es daß innerhalb eines Theilgefechts immer mehr Entschei- dungsakte vorkommen koͤnnen und werden je groͤßer das Ganze ist. 208. Es werden also die Entscheidungen bei einem groͤßern Theile sich nicht in dem Maaße zu einem einzigen Ganzen vereinigen, wie dies bei dem kleinern Theile der Fall ist, sondern sich in Zeit und Raum mehr vertheilen, doch wird immer noch eine merkliche Sonderung der bei- den verschiedenen Thaͤtigkeiten nach Anfang und Ende hin bemerkbar bleiben. 209. Nun koͤnnen die Theile so groß, ihre Trennung von einander kann so bedeutend werden daß ihre Thaͤtig- keit in dem Gefechte zwar noch von dem Willen des Feld- herrn ausgeht (wodurch die Selbststaͤndigkeit des Gefechts bedingt wird), daß aber diese Leitung sich auf eine anfaͤng- liche Bestimmung oder hoͤchstens auf ein Paar im ganzen Verlaufe des Gefechts beschraͤnkt; in diesem Falle verei- nigt ein solcher Theil den ganzen Organismus des Gefechts fast vollstaͤndig in sich. 210. Je groͤßer die Entscheidungen sind die einem Theil nach seinem Verhaͤltnisse zustehen, um so mehr wer- den sie schon die Entscheidung des Ganzen mitbestimmen, und man kann sich die Verhaͤltnisse der Theile so denken daß in ihrer Entscheidung schon die des Ganzen enthalten, ein eigener Entscheidungsakt fuͤr das Ganze also nicht mehr noͤthig ist. 211. Beispiel . Eine Brigade kann in einer großen Schlacht, deren Glieder erster Ordnung Korps sind, gleich von vorn herein den Auftrag haben ein Dorf zu nehmen. Sie wird sich dazu ihres Zerstoͤrungs- und ihres Entschei- dungsaktes fuͤr sich bedienen. Die Eroberung dieses Dor- fes kann nun auf die Entscheidung des Ganzen mehr oder weniger Einfluß haben, aber es ist nicht in der Natur der Dinge daß sie diese Entscheidung in einem hohen Grade bestimme oder gar schon selbst ausmache, weil eine Brigade im Anfange der Schlacht dazu ein zu unbedeu- tender Theil des Ganzen waͤre; dagegen kann man sich sehr wohl denken daß die ganze Eroberung dieses Dorfes noch zu den Zerstoͤrungsmaaßregeln gehoͤre wodurch die feindlichen Streitkraͤfte nur geschwaͤcht und erschuͤttert wer- den sollen. Denken wir uns dagegen ein bedeutendes Korps wel- ches vielleicht den dritten Theil oder gar die Haͤlfte des Ganzen ausmacht, mit dem Auftrage einen gewissen bedeu- tenden Theil der feindlichen Stellung zu nehmen, so kann dieser Theil sehr leicht so wichtig sein daß er uͤber das Ganze entscheidet und daß, wenn das Korps seinen Zweck erreicht hat, eine weitere Entscheidung nicht mehr noͤthig wird. Nun koͤnnen die Verhaͤltnisse leicht so gedacht wer- den daß diesem Korps wegen der Entfernung und wegen der Gegend im Laufe der Schlacht nur wenig Bestim- mungen zugehen koͤnnen, es muß ihm also die Vorberei- tung und die Entscheidung zugleich mitaufgetragen werden. Auf diese Weise kann der gemeinschaftliche Entscheidungs- akt ganz wegfallen und in abgesonderte Entscheidungsakte einiger großer Glieder zerlegt werden. 212. Dies ist nun in großen Schlachten allerdings oft der Fall und eine pedantische Vorstellung von der Trennung beider Theile , in welche wir das Gefecht zerlegen, wuͤrde also im Widerspruche mit dem Hergange einer solchen Schlacht sein. 213. Aber indem wir diesen Unterschied in der Ge- fechtsthaͤtigkeit feststellen und darauf einen großen Werth legen, war es gar nicht unsere Absicht diesen Werth auf die regelmaͤßige Absonderung und Trennung die- ser beiden Thaͤtigkeiten zu legen und dies als einen prak- tischen Grundsatz zu fordern, sondern wir wollen nur was wesentlich verschieden ist auch in der Vorstellung sondern und zeigen wie diese innere Verschiedenheit auch die Form des Gefechts von selbst beherrscht. 214. Die Trennung in der Form zeigt sich am ge- nauesten in dem ganz kleinen Gefechte, wo das einfache Feuer- und Handgefecht einander gegenuͤberstehen. Der Kontrast wird weniger stark wenn die Theile groͤßer wer- den, weil sich da in den beiden Akten die beiden Gefechts- formen von welchen sie ausgegangen sind, wieder zusam- menfinden; aber die Akte selbst werden groͤßer, nehmen mehr Zeit ein und ruͤcken folglich in der Zeit weiter aus- einander. 215. Die Trennung fuͤr das Ganze kann auch auf- hoͤren insofern die Entscheidung schon den Gliedern erster Ordnung uͤbertragen ist; aber selbst dann wird sich doch auch im Ganzen noch eine Spur davon zeigen, da man doch dahin streben wird die Entscheidungen dieser verschie- denen Glieder in Beziehung auf die Zeit in Zusammen- hang zu bringen, sei es daß man ein ganz gleichzeitiges Eintreten der Entscheidung oder ein Eintreten nach einer gewissen Ordnung fuͤr noͤthig haͤlt. 216. Es wird sich also der Unterschied dieser beiden Akte auch fuͤr das Ganze niemals ganz verlieren, und was davon fuͤr das Ganze verloren gegangen ist wird sich in den Gliedern erster Ordnung wiederfinden. 217. So muß also unsere Ansicht verstanden wer- den, und so verstanden wird ihr von der einen Seite die Realitaͤt nicht fehlen, von der andern wird sie in dem Fuͤhrer eines Gefechts, sei es groß oder klein, Theilge- fecht oder Gesammtgefecht, die Aufmerksamkeit darauf rich- ten jedem der beiden Thaͤtigkeitsakte sein gebuͤhrendes Theil zu geben, damit eben so wenig Etwas uͤbereilt als ver- saͤumt werde. 218. Übereilt werden die Sachen wenn dem Zerstoͤ- rungsprinzip nicht Raum und Zeit genug gegeben, wenn die Sache uͤbers Knie zerbrochen wird; ein ungluͤck- licher Ausgang der Entscheidung ist die Folge, die entwe- der gar nicht wieder gut zu machen ist oder doch ein we- sentlicher Nachtheil bleibt. 219. Versaͤumt wird uͤberall wo eine reife Entschei- dung aus Mangel an Muth oder aus falscher Ansicht unter- bleibt; bleibt; die Folge ist in jedem Falle Kraftverschwendung, sie kann aber auch ein positiver Nachtheil sein, weil die Reife der Entscheidung nicht ganz allein von der Dauer der Zerstoͤrung abhaͤngt, sondern auch von andern Umstaͤn- den d. h. von der guͤnstigen Gelegenheit. Plan des Gefechts. Definition . 220 a. Der Plan des Gefechts macht die Einheit desselben moͤglich; jedes gemeinschaftliche Handeln bedarf einer solchen Einheit. Diese Einheit ist nichts Anderes als der Zweck des Gefechts; von ihm gehen die Bestim- mungen aus welche fuͤr alle Theile noͤthig sind um den Zweck auf die beste Art zu erreichen. Die Feststellung des Zwecks und der aus ihm folgenden Bestimmungen ist also der Plan. 220 b. Wir verstehen hier unter Plan alle Bestim- mungen welche fuͤr das Gefecht gegeben werden, sei es vor demselben bei seinem Anfange oder in seinem Verlaufe; also die ganze Einwirkung der Intelligenz auf die Materie. 220 c. Offenbar besteht aber ein wesentlicher Unter- schied zwischen solchen Bestimmungen die nothwendig vorher gegeben werden muͤssen und die sich vorher geben lassen auf der einen Seite und solchen auf der andern die der Augenblick erzeugt. 220 d. Das Erstere ist der Plan im eigentlichen Sinne, das Letztere kann man die Fuͤhrung nennen. 221. Da diese Bestimmungen die der Augenblick erzeugt ihren reichhaltigsten Quell in der Wechselwirkung beider Gegner haben, so werden wir erst dann diesen Un- terschied festhalten und naͤher betrachten wenn wir uns mit der Wechselwirkung beschaͤftigen. 222. Ein Theil des Plans liegt schon stereotypisch III 21 in der Formation der Streitkraͤfte, wodurch die große Zahl der Glieder auf wenige zuruͤckgefuͤhrt wird. 223. Beim Theilgefecht ist diese Formation mehr die Hauptsache als beim Gesammtgefecht, sie macht da oft den ganzen Plan aus und zwar um so mehr je klei- ner der Theil ist. Ein Bataillon macht in einer großen Schlacht nicht viel andere Dispositionen als ihm durch das Reglement und den Übungsplatz vorgeschrieben sind; eine Division aber reicht damit nicht aus, hier werden schon individuelle Bestimmungen noͤthiger. 224. Im Gesammtgefecht ist aber auch beim klein- sten Haufen die Formation selten der ganze Plan, sondern dieser loͤst oft die Formation auf um Freiheit zur indivi- duellen Disposition zu bekommen. Eine Schwadron die einen Überfall auf einen kleinen feindlichen Posten unter- nimmt theilt sich in mehrere getrennte Kolonnen so gut wie die groͤßte Armee. Ziel des Plans . 225. Der Zweck des Gefechts macht die Einheit des Plans; wir koͤnnen ihn als das Ziel desselben betrach- ten, naͤmlich als diejenige Richtung nach der alle Thaͤtig- keiten hinlaufen sollen. 226. Zweck des Gefechts ist der Sieg, also alles Dasjenige was den Sieg bedingt und was in Nr. 4. auf- gezaͤhlt ist. 227. Alle die in Nr. 4. genannten Gegenstaͤnde koͤn- nen im Gefechte nur durch Vernichtung feindlicher Streit- kraft erreicht werden, sie erscheint also bei allen als das Mittel. 228. Sie ist aber in den meisten Faͤllen der Haupt- zweck selbst. 229. Wo das Letztere der Fall ist, ist der Plan auf die moͤglichst groͤßte Vernichtung feindlicher Streitkraft gerichtet. 230. Wo andere von den in Nr. 1. genannten Ge- genstaͤnden hoͤher gestellt werden als die Vernichtung der feindlichen Streitkraft, nimmt diese als Mittel eine unter- geordnete Stelle ein. Dann ist nicht mehr die groͤßtmoͤg- lichste sondern nur eine genuͤgende Vernichtung gefordert. Man darf dann die naͤchsten Wege zum Ziel einschlagen. 231 a. Es giebt Faͤlle wo die in Nr. 4. c d e f g genannten Gegenstaͤnde welche den Abzug des Feindes be- stimmen, ganz ohne Vernichtung feindlicher Streitkraͤfte erreicht werden koͤnnen; dann hat man den Feind durch ein Manoͤver uͤberwunden und nicht durch ein Gefecht. Aber dies ist kein Sieg, also nur brauchbar insofern man ganz andere Zwecke als einen Sieg hat. 231 b. In diesen Faͤllen wird zwar die Anwendung der Streitkraͤfte immer noch den Begriff eines Gefechts, also einer Vernichtung feindlicher Streitkraͤfte voraussetzen, aber nur als moͤglich , nicht als wahrscheinlich . Denn indem man seine Absicht auf andere Dinge als die Ver- nichtung feindlicher Streitkraͤfte richtet, setzt man voraus daß diese andern Dinge wirksam sein und es nicht zu einem namhaften Widerstande kommen lassen werden. Duͤrfte man diese Voraussetzung nicht machen, so koͤnnte man auch diese andern Gegenstaͤnde nicht zu seiner Absicht waͤhlen, und irrte man sich in der Voraussetzung, so waͤre der Plan ein verfehlter. 232. Aus der vorigen Nummer folgt daß uͤberall wo eine bedeutende Vernichtung feindlicher Streitkraͤfte die Bedingung des Sieges wird, sie auch der Hauptge- genstand des Plans sein muͤsse. 21* 233. Da nun ein Manoͤver als solches kein Gefecht ist sondern dasselbe nur anwendet insofern es als Manoͤ- ver nicht gelingen will, so koͤnnen die Gesetze fuͤr das Ge- sammtgefecht auch nicht auf den Fall eines Manoͤvers passen, und die eigenthuͤmlichen Dinge welche im Manoͤ- ver wirksam sind, koͤnnen in der Theorie des Gefechts nicht zur Gesetzgebung beitragen. 234. Es kommen freilich in der Ausfuͤhrung haͤufig gemischte Verhaͤltnisse vor, das hindert aber nicht die Dinge die in ihrem Wesen verschieden sind in der Theorie zu trennen; weiß man was man an jedem Theile hat, so lassen sich die Kombinationen nachher wieder machen. 235. Es ist also die Vernichtung feindlicher Streit- kraͤfte in allen Faͤllen die Absicht, und die in Nr. 4. b c d e f genannten Gegenstaͤnde werden dadurch erst hervor- gerufen und treten dann freilich als eigene Potenzen da- mit in Wechselwirkung. 236. Das was von diesen Gegenstaͤnden immer wie- derkehrt, d. h. nicht die Folge individueller Verhaͤltnisse ist, ist auch lediglich als eine Wirkung der Vernichtung feind- licher Streitkraft zu betrachten. 237. Insofern etwas ganz Allgemeines uͤber den Plan des Gefechts festzustellen ist kann es sich also nur auf die wirksamste Anwendung der eigenen Streitkraft zur Vernichtung der feindlichen beziehen. Verhältniß zwischen Größe und Sicherheit des Erfolgs . 238. Da man es im Kriege und folglich auch im Gefechte mit moralischen Kraͤften und Wirkungen zu thun hat, die sich nicht bestimmt berechnen lassen, so bleibt im- mer eine große Ungewißheit uͤber den Erfolg der ange- wendeten Mittel. 239. Diese wird noch vermehrt durch die Menge der Zufaͤlle mit welchen die kriegerische Handlung im Kon- takt ist. 240. Wo Ungewißheit ist wird das Wagen ein we- sentliches Element. 241. Wagen in der gewoͤhnlichen Bedeutung heißt auf Dinge bauen die mehr unwahrscheinlich als wahrschein- lich sind. Wagen in der weitesten Bedeutung aber heißt Dinge voraussetzen die nicht gewiß sind. In dieser letzten Bedeutung muͤssen wir es hier nehmen. 242. Gaͤbe es nun bei allen vorkommenden Faͤllen eine Linie zwischen Wahrscheinlichkeit und Unwahrscheinlich- keit, so koͤnnte man auf den Gedanken kommen sie zur Grenzlinie des Wagens zu machen, und also das Wagen uͤber dieselbe hinaus, naͤmlich das Wagen im engeren Sinne fuͤr unzulaͤssig zu halten. 243. Allein erstlich waͤre eine solche Linie eine Chi- maͤre, zweitens ist der Kampf nicht bloß ein Akt der Über- legung sondern auch der Leidenschaft und des Muthes. Man kann diese Dinge nicht ausschließen, wollte man sie aber zu sehr beschraͤnken, so wuͤrde man seinen eigenen Kraͤften die staͤrksten Prinzipe nehmen und dadurch in konstanten Nachtheil gerathen; denn in der Mehrheit der Faͤlle gleicht sich das unvermeidliche haͤufige Zuruͤckbleiben hinter der Linie nur dadurch aus daß zuweilen daruͤber hinausgegangen wird. 244. Je guͤnstiger die Voraussetzungen sind die man macht, d. h. je mehr man wagen will, um so groͤßer sind die Erfolge welche man bei denselben Mitteln erwartet, also die Zwecke welche man sich vorsetzt. 245. Je mehr man wagt um so geringer ist die Wahrscheinlichkeit, also die Sicherheit des Erfolgs. 246. Groͤße des Erfolgs und Sicherheit desselben stehen also bei denselben Mitteln im entgegengesetzten Ver- haͤltnisse. 247. Die erste Frage waͤre nun wie viel Werth man auf das eine oder andere dieser beiden entgegen- gesetzten Prinzipe legen soll? 248. Daruͤber kann nichts Allgemeines bestimmt werden, es ist vielmehr das Individuellste im ganzen Kriege. Einmal bestimmen es die Verhaͤltnisse die in manchen Faͤllen das groͤßte Wagniß zur Nothwendigkeit machen koͤnnen, und zweitens ist der Unternehmungsgeist und der Muth etwas rein Subjektives, was nicht vorgeschrie- ben werden kann. Man kann von einem Fuͤhrer fordern daß er seine Mittel und Verhaͤltnisse mit Sachkenntniß beurtheile, ihre Wirkungen nicht uͤberschaͤtze; thut er das Erstere, so muß man ihm uͤberlassen was er vermoͤge sei- nes Muthes damit auszurichten denkt. Verhältniß zwischen Größe des Erfolgs und des Preises . 249. Die zweite Frage in Beziehung auf die zu vernichtenden feindlichen Streitkraͤfte betrifft den Preis mit welchem man sie bezahlen will. 250. Bei der Absicht feindliche Streitkraͤfte zu ver- nichten ist freilich gewoͤhnlich die Bedingung gedacht, da- von mehr zu vernichten als wir selbst dabei aufopfern; aber diese Bedingung ist keineswegs nothwendig, denn es kann Faͤlle geben (z. B. den großer Überlegenheit) wo die bloße Verminderung der feindlichen Kraft ein Vortheil ist, wenn wir sie auch mit einer groͤßern der unsrigen bezahlen. 251. Aber selbst dann wenn unsere Absicht bestimmt darauf gerichtet ist mehr feindliche Streitkraͤfte zu ver- nichten als wir selbst dabei aufopfern, bleibt immer die Frage noch stehen uͤber die Groͤße dieser Opfer, denn mit ihnen waͤchst und faͤllt natuͤrlich das Resultat. 252. Man sieht wohl daß die Beantwortung dieser Frage von dem Werth abhaͤngt den unsere Streitkraͤfte fuͤr uns haben, also von den individuellen Verhaͤltnissen. Diesen muß es uͤberlassen bleiben, und man kann weder sagen daß die moͤglichste Schonung der eigenen Streit- kraͤfte, noch daß der ruͤcksichtslose Verbrauch derselben ein Gesetz sei. Bestimmung der Art des Gefechts für die einzelnen Glieder . 253. Der Plan des Gefechts bestimmt fuͤr die ein- zelnen Glieder wann, wo und wie gefochten werden soll, d. h. er bestimmt Zeit, Raum und Art des Gefechts. 254. Hier, wie uͤberall, lassen sich die allgemeinen d. h. die aus dem bloßen Begriff hervorgehenden Verhaͤlt- nisse von denen unterscheiden die der individuelle Fall her- beifuͤhrt. 255. Die mannigfaltigste Verschiedenheit der Ge- fechtsplane muß natuͤrlich aus den letztern hervorgehen, indem die eigenthuͤmlichen Vortheile und Nachtheile auf- gesucht, jene zur Wirksamkeit gebracht, diese neutralisirt werden. 256. Aber auch die allgemeinen Verhaͤltnisse geben gewisse Resultate und wenn diese der Zahl nach nur we- nige und der Form nach sehr einfache sind, so sind sie auch dafuͤr um so wichtiger, weil sie das eigentlichste We- sen der Sache betreffen und mithin bei allen uͤbrigen Ent- scheidungen das Fundament ausmachen. Angriff und Vertheidigung . 257. In Beziehung auf die Art des Gefechts giebt es nur zwei Unterschiede die uͤberall vorkommen, also all- gemein sind; der erste entspringt aus der positiven oder negativen Absicht und giebt den Angriff und die Verthei- digung, der andere aus der Natur der Waffen und giebt das Feuergefecht und das Handgefecht. 258. Strenge genommen waͤre Vertheidigung ein bloßes Abwehren des Stoßes und gebuͤhrte ihr also keine andere Waffe als der Schild. 259. Dies waͤre aber eine reine Negation, ein abso- lutes Leiden; Kriegfuͤhren aber ist kein Leiden; der Ver- theidigung kann also niemals der Begriff durchgehender Passivitaͤt zum Grunde gelegt werden. 260. Genau betrachtet ist die passiveste der Waffen, das Feuer, noch etwas Positives und Aktives. Aber die Vertheidigung bedient sich ja uͤberhaupt derselben Waffen wie der Angriff und auch derselben Gefechtsformen von Feuergefecht und Handgefecht. 261. Man muß also die Vertheidigung als einen Kampf betrachten, so gut wie den Angriff. 262. Dieser Kampf kann nur um den Sieg gefuͤhrt werden, der also eben so gut Zweck der Vertheidigung wie des Angriffs ist. 263. Man ist durch Nichts berechtigt sich den Sieg des Vertheidigers wie etwas Negatives zu denken; wenn er in einzelnen Faͤllen so Etwas ist, so liegt das in den individuellen Bedingungen; in den Begriff der Ver- theidigung darf es nicht aufgenommen werden, sonst wirkt es logisch auf die ganze Vorstellung des Kampfes zuruͤck und bringt Widerspruͤche hinein, oder fuͤhrt bei strenger Konsequenz wieder auf das Absurdum eines absoluten Leidens zuruͤck. 264. Und doch besteht ein hoͤchst wesentlicher Unter- schied zwischen Angriff und Vertheidigung, welcher aber auch der einzige im Prinzip ist: naͤmlich der daß der An- greifende die Handlung (das Gefecht) will und ins Leben ruft, der Vertheidiger aber dies abwartet. 265. Dies Prinzip geht durch den ganzen Krieg und also durch das ganze Gebiet des Gefechtes durch und aus ihm fließen urspruͤnglich alle Unterschiede zwischen Angriff und Vertheidigung. 266. Wer aber eine Handlung will muß damit et- was bezwecken und dieser Zweck muß etwas Positives sein, weil die Absicht daß Nichts geschehe keine Hand- lung hervorrufen koͤnnte. Der Angreifende muß also eine positive Absicht haben. 267. Der Sieg kann diese nicht sein, denn er ist bloßes Mittel. Selbst in dem Falle wo man den Sieg ganz um seiner selbst Willen suchte, der bloßen Waffen- ehre wegen oder um in den politischen Unterhandlungen mit seinem moralischen Gewichte zu wirken, ist immer diese Wirkung und nicht der Sieg selbst der Zweck. 268. Die Absicht des Sieges muß der Vertheidiger mit dem Angreifenden gemeinschaftlich haben, aber sie ent- springt bei Beiden aus verschiedenen Quellen: bei dem Angreifenden aus dem Zweck welchem der Sieg dienen soll, bei dem Vertheidiger aus dem bloßen Faktum des Gefechts. Jenem kommt sie von oben herab, diesem bildet sie sich von unten herauf. Wer sich schlaͤgt kann sich nur des Sieges willen schlagen. 269. Warum schlaͤgt sich nun der Vertheidiger, d. h. warum nimmt er das Gefecht an? Weil er die positive Absicht des Angreifenden nicht zulassen, d. h. zunaͤchst weil er den status quo erhalten will. Dies ist die naͤchste und nothwendige Absicht des Vertheidigers, was sich wei- ter daran anknuͤpft ist nicht nothwendig. 270. Die nothwendige Absicht des Vertheidigers oder vielmehr der nothwendige Theil in der Absicht des Ver- theidigers ist also negativ . 271 a. Überall wo diese Negativitaͤt des Vertheidigers vorhanden ist d. h. uͤberall und immer wo er das Inter- esse hat daß Nichts geschehe sondern die Sachen bleiben wie sie sind, muß er dadurch bestimmt werden nicht zu handeln sondern abzuwarten bis der Gegner handelt; von dem Augenblick an aber wo dieser handelt kann der Ver- theidiger seine Absicht durch bloßes Abwarten und Nicht- handeln nicht mehr erreichen; nun handelt er also eben so wie sein Gegner und es hoͤrt also der Unterschied auf. 271 b. Wendet man dies zuvoͤrderst blos auf das Gesammtgefecht an, so wuͤrde der ganze Unterschied zwi- schen Angriff und Vertheidigung darin bestehen daß die letztere den erstern abwartet, der Gang des Gefechts selbst aber dadurch nicht weiter bedingt werden. 272. Nun kann man aber dieses Prinzip der Ver- theidigung auch auf das Theilgefecht anwenden; es kann auch fuͤr Glieder und Theile des Ganzen das Interesse vorhanden sein daß keine Veraͤnderung entstehe und sie koͤnnen also dadurch zum Abwarten bestimmt werden. 273. Dies ist nicht allein moͤglich fuͤr Glieder und Theile des Vertheidigers sondern auch des Angreifenden und findet auch wirklich bei Beiden Statt. 274. Es liegt aber in der Natur der Sache daß es beim Vertheidiger haͤufiger vorkommen wird als beim Angreifenden, was sich erst zeigen laͤßt wenn die mit dem Vertheidigungsprinzip in Verbindung tretenden individuel- len Umstaͤnde in Betrachtung kommen. 275. Je weiter man sich in einem Gesammtgefecht das Vertheidigungsprinzip hinu n tersteigend denkt bis zu den kleinsten Gliedern und je allgemeiner auf alle Glieder aus- dehnt, um so passiver wird der ganze Widerstand, um so mehr wuͤrde sich die Vertheidigung jener Linie eines abso- luten Leidens naͤhern die wir als ein Absurdum ansehn. 276. Wo in dieser Richtung der Vortheil des Ab- wartens fuͤr den Vertheidiger aufhoͤrt, d. h. seine Wirk- samkeit erschoͤpft ist, wo gewissermaßen der Saͤttigungs- punkt eintritt, werden wir erst in der Folge naͤher betrach- ten koͤnnen. 277. Fuͤr jetzt ziehen wir nur den Schluß aus dem Bisherigen daß die Absicht von Angriff oder Vertheidi- gung nicht blos uͤber den Anfang eines Gefechtes Etwas bestimmt, sondern dasselbe auch in seinem Verlaufe durch- dringen kann, daß also dadurch wirklich zwei verschiedene Arten des Gefechts gegeben werden. 278. Der Plan des Gefechts hat also in jedem Falle fuͤr das Ganze zu bestimmen ob dasselbe Angriffs- oder Vertheidigungsgefecht sein soll. 279. Eben diese Bestimmung muß er fuͤr diejenigen Theile enthalten die er einer von ihrem Ganzen abwei- chenden Bestimmung unterwerfen will. 280. Lassen wir alle individuelle Verhaͤltnisse welche uͤber die Wahl von Angriff und Vertheidigung entschei- den koͤnnen jetzt noch unberuͤcksichtigt, so ergiebt sich nur ein Gesetz, naͤmlich daß man da wo man die Entscheidung aufhalten will vertheidigend, da wo man sie sucht angriffs- weise geht. 281. Wir werden diesen Grundsatz gleich mit einem andern in Verbindung treten und dadurch sich naͤher ge- stalten sehen. Feuergefecht und Handgefecht . 282. Der Plan des Gefechts muͤßte ferner die Wahl der aus den Waffen hervorgehenden Gefechtsformen naͤmlich des Feuergefechts und des Handgefechts bestimmen. 283. Allein diese beiden Formen sind nicht sowohl Glieder des Gefechts als primitive Bestandtheile desselben. Sie sind durch die Bewaffnung gegeben, gehoͤren zu ein- ander und machen zusammen erst das vollstaͤndige Ge- fechtsvermoͤgen aus. 284. Die Wahrheit dieser Ansicht, die uͤbrigens nur eine approximative, die Mehrheit der Faͤlle umfassende, keine absolute ist, beweist sich durch die Verbindung der Waffen in dem einzelnen Streiter und durch die zum Beduͤrfniß gewordene innige Verbindung der Truppengattungen. 285. Aber eine Trennung dieser beiden Elemente und ein Gebrauch des einen ohne das andere bleibt nicht nur moͤglich, sondern kommt auch sehr haͤufig vor. 286. In Beziehung auf das Zusammengehoͤren bei- der und ihre natuͤrliche Ordnung unter sich hat nun der Plan eines Gefechts Nichts zu bestimmen, da dies ganz allgemein durch den Begriff, durch die Formation und die Übungsplaͤtze feststeht, und es gehoͤrt also dies wie die Formation zu dem stereotypen Theile des Plans. 287. Über den getrennten Gebrauch dieser beiden Formen giebt es gar kein allgemeines Gesetz, wenn man nicht das dafuͤr gelten lassen will daß er immer nur wie ein nothwendiges Übel, d. i. wie eine schwaͤchere Wirkungs- form betrachtet werden muß. Saͤmmtliche Faͤlle wo man veranlaßt sein kann sich dieser schwaͤchern Form zu bedienen, gehoͤren in das Reich individueller Umstaͤnde. Z. B. fuͤr den Gebrauch des bloßen Handgefechts, wenn man uͤber- fallen will oder wenn sonst die Zeit zum Feuergefecht fehlt oder wenn man auf einen sehr uͤberlegenen Muth der Seinigen rechnen darf, sind offenbar Vorkommenheiten einzelne Faͤlle. Bestimmung von Zeit und Raum . 288. Fuͤr die Bestimmung von Zeit und Raum ist zuerst fuͤr beide gemeinschaftlich zu bemerken, daß fuͤr das Gesammtgefecht die Raumbestimmung allein der Verthei- digung, die Zeitbestimmung dem Angriff angehoͤrt. 289. Fuͤr die Theilgefechte aber hat sowohl der Plan eines Angriffs- wie der eines Vertheidigungsgefechts Bestimmungen fuͤr beide zu geben. Die Zeit . 290. Die Zeitbestimmung fuͤr die Theilgefechte welche auf den ersten Blick den Gegenstand hoͤchstens in ein Paar Punkten zu beruͤhren scheint, nimmt gleichwohl bei naͤherer Betrachtung eine ganz andere Wendung und durch- dringt ihn von einem Ende bis zum andern mit einem hoͤchst entscheidenden gesetzgebenden Gedanken, naͤmlich der Moͤglichkeit eines successiven Gebrauchs der Streitkraͤfte. Successiver Gebrauch der Streitkräfte . 291. An und fuͤr sich ist bei der gemeinschaftlichen Wirkung einzelner Kraͤfte die Gleichzeitigkeit eine Grund- bedingung. Dies ist nun auch im Kriege und nament- lich im Gefecht der Fall. Denn da die Zahl der Streit- kraͤfte in dem Produkt derselben ein Faktor ist, so wird bei uͤbrigens gleichen Umstaͤnden die gleichzeitige Anwen- dung aller Streitkraͤfte, d. h. die hoͤchste Vereinigung der- selben in der Zeit gegen einen Feind der sie nicht alle zu- gleich anwendet, den Sieg geben und zwar zuerst uͤber den Theil der feindlichen Streitkraͤfte der gebraucht wor- den ist; da aber durch diesen Sieg uͤber einen Theil die moralischen Kraͤfte des Siegers uͤberhaupt zu- und die des Besiegten abnehmen muͤssen, so folgt, wenn auch der Ver- lust der physischen Kraͤfte auf beiden Seiten gleich groß waͤre, daraus schon daß ein solcher Theilsieg die Ge- sammtkraͤfte des Siegers uͤber die Gesammtkraͤfte des Besiegten erhebt und folglich auch den Sieg im Gesammt- gefecht bedingt. 292. Aber die in der vorigen Nummer gemachte Folgerung setzt zwei Bedingungen voraus die nicht vor- handen sind: naͤmlich erstens daß die Zahl kein Maximum haben koͤnnte, zweitens daß der Gebrauch ein und dersel- ben Streitkraft so lange noch Etwas von ihr uͤbrig ist keine Graͤnzen haͤtte. 293. Was den ersten Punkt betrifft so begrenzt schon der Raum die Zahl der Streiter, denn was nicht zur Wirksamkeit kommen kann muß als uͤberfluͤssig be- trachtet werden. Dadurch wird also die Tiefe und die Ausdehnung der Aufstellung aller zur gleichzeitigen Wirk- samkeit bestimmten Streiter beschraͤnkt und mithin die Zahl der Streiter. 294. Aber eine viel wichtigere Beschraͤnkung der Zahl liegt in der Natur des Feuergefechts. Wir haben gesehen (89. c. ) daß die groͤßere Zahl in demselben inner- halb gewisser Grenzen nur die Wirkung hat die beidersei- tige also die Gesammtkraft des Feuergefechts zu verstaͤr- ken. Da also wo fuͤr einen Theil in dieser Verstaͤrkung nicht schon ein Vortheil liegt, hoͤrt sie auf wirksam fuͤr ihn zu sein; sie erreicht also da leicht ein Maximum. 295. Dies Maximum bestimmt sich ganz nach dem individuellen Fall, nach dem Terrain, dem moralischen Ver- haͤltniß der Truppen und den naͤhern Zwecken des Feuer- gefechts. Hier ist es genug zu sagen daß es ein sol- ches giebt. 296. Es hat also die Zahl der gleichzeitig anzuwen- deuden Streitkraͤfte ein Maximum, uͤber welches hinaus eine Verschwendung entstehen wuͤrde. 297. Eben so hat der Gebrauch einer und derselben Streitkraft seine Grenzen. Wie die im Feuergefecht ge- brauchte Streitkraft nach und nach unbrauchbar wird ha- ben wir (Nr. 123.) gesehen; aber auch im Handgefecht entsteht eine solche Verschlechterung. Ist die Erschoͤpfung der physischen Kraͤfte hier geringer als im Feuergefecht, so ist die der moralischen bei ungluͤcklichem Erfolge viel groͤßer. 298. Durch diese Verschlechterung welche die Streit- kraͤfte im Gebrauch auch an allen uͤbrig bleibenden Thei- len erfahren, kommt ein neues Prinzip in das Gefecht, naͤmlich die innere Überlegenheit frischer Streitkraͤfte ge- gen schon gebrauchte. 299. Es kommt aber noch ein zweiter Gegenstand in Betrachtung, der in einer voruͤbergehenden Verschlech- terung gebrauchter Streitkraͤfte besteht, naͤmlich in der Krise welche jedes Gefecht in ihr hervorbringt. 300. Das Handgefecht hat, praktisch genommen, keine Dauer. In dem Augenblick wo sich ein Kavallerie- regiment auf das andere stuͤrzt ist die Sache entschieden und die wenigen Sekunden des wirklichen Herumhauens sind als Zeit nicht der Rede werth; nicht viel anders ist es bei der Infanterie und bei großen Massen. Aber die Sache ist darum noch nicht ganz abgemacht; der kritische Zustand der sich in der Entscheidung entladen hat, ist mit ihr noch nicht ganz voruͤber; das siegende Regiment wel- ches dem besiegten mit verhaͤngtem Zuͤgel folgt, ist nicht gleich dem Regiment welches in geschlossener Ordnung auf dem Kampfplatz hielt; seine moralische Kraft ist allerdings gestiegen, aber seine physische und die Kraft seiner Ordnung in der Regel vielmehr geschwaͤcht. Es ist nur der Ver- lust den der Gegner an moralischer Kraft gemacht hat und der Umstand daß er eben so aufgeloͤst ist wodurch der Sieger sein Übergewicht behielt; kommt nun ein anderer Gegner der seine moralische Kraft noch nicht eingebuͤßt hat und die Ordnung auch nicht, so ist keine Frage daß er bei gleichem Werth der Truppen den Sieger schlagen wird. 301. Auch im Feuergefecht findet eine solche Krise statt, so daß Derjenige welcher durch sein Feuer eben sieg- reich gewesen und den Gegner abgewiesen hat, sich doch in dem Augenblicke in einem merklich geschwaͤchten Zustande seiner Ordnung und Kraft befindet, der so lange dauert bis Alles was sich in dem Ordnungsgefuͤge geloͤst hatte wieder in sein Verhaͤltniß gebracht worden ist. 302. Was wir hier von kleinern Theilen gesagt ha- ben gilt auch von groͤßern. 303. An sich ist die Krise bei kleinern Theilen groͤ- ßer, weil sie das Ganze gleichartiger durchdringt, aber sie ist von kuͤrzerer Dauer. 304. Am schwaͤchsten ist die Krise des Ganzen, be- sonders ganzer Armeen; sie dauert aber auch am laͤngsten, bei betraͤchtlichen Armeen oft viele Stunden. 305. So lange die Krise des Gefechtes beim Sie- ger dauert, liegt darin ein Mittel fuͤr den Besiegten das- selbe selbe herzustellen, d. i. seinen Erfolg zu wenden, wenn er frische Truppen in angemessener Zahl herbeifuͤhren kann. 306. Dadurch wird also der successive Gebrauch der Streitkraͤfte auf einem zweiten Wege als ein wirksames Prinzip eingefuͤhrt. 307. Ist aber der successive Gebrauch der Streit- kraͤfte in einer Reihe hinter einander folgender Gefechte moͤglich und ist der gleichzeitige Gebrauch nicht unbegrenzt, so folgt von selbst daß die Kraͤfte welche nicht im gleich- zeitigen Gebrauch wirksam sein, es im successiven werden koͤnnen. 308. Durch diese Reihe hinter einander liegender Theilgefechte wird die Dauer des Gesammtgefechts bedeu- tend ausgedehnt. 309. Diese Dauer nun bringt einen neuen Grund fuͤr den successiven Gebrauch der Streitkraͤfte in die Be- trachtung, indem es eine neue Groͤße in die Rechnung bringt; diese Groͤße ist das unvorhergesehene Er- eigniß . 310. Ist uͤberhaupt ein successiver Gebrauch der Streitkraͤfte moͤglich, so ist der Gebrauch welchen der Geg- ner von den seinigen macht nicht mehr bekannt; denn nur was er zu gleichzeitiger Wirkung anwendet liegt unserer Beurtheilung vor, das Andere nicht und wir koͤnnen uns nur im Allgemeinen darauf gefaßt machen. 311. Aber die bloße Dauer der Handlung bringt auch noch den reinen Zufall in die Rechnung und dieser ist der Natur der Sache nach im Kriege sehr viel groͤßer als sonst irgendwo. 312. Dieses unvorhergesehene Ereigniß also erfordert eine allgemeine Beruͤcksichtigung und diese kann nichts An- III 22 ders sein als das Zuruͤckstellen einer angemessenen Kraft, welches die eigentlichen Reserven sind. Tiefe der Aufstellung . 313. Alle Gefechte die successiv geliefert werden sol- len, erfordern nach den Gruͤnden aus welchen sie entsprin- gen frische Streitkraͤfte. Diese koͤnnen entweder noch ganz frisch d. i. ungebraucht sein, oder schon gebraucht, aber durch eine Erholung von dem Zustande der Schwaͤchung wieder mehr oder weniger hergestellt. Man sieht leicht ein daß dies viel Abstufungen hat. 314. Beides, der Gebrauch ganz frischer Streitkraͤfte, so wie der Gebrauch solcher die sich hergestellt haben, bedingt eine Zuruͤckstellung derselben, d. h. eine Aufstellung außer- halb der Region der Zerstoͤrung. 315. Auch dies hat seine Abstufungen, denn die Re- gion der Zerstoͤrung hoͤrt nicht mit einemmale auf, sondern verliert sich nach und nach bis sie zuletzt ganz aufhoͤrt. 316. Aber sehr merkliche Stufen bilden das Flinten- und das Kartaͤtschenfeuer. 317. Je weiter eine Truppe zuruͤckgestellt worden ist, um so frischer wird sie sich beim Gebrauch zeigen. 318. Jede Truppe aber die im wirksamen Flinten- und Kartaͤtschenfeuer gestanden hat, ist nicht mehr als eine frische zu betrachten. 319. Wir haben also einen dreifachen Grund fuͤr das Zuruͤckstellen gewisser Streitkraͤfte: a) Zum Abloͤsen oder Verstaͤrken erschoͤpfter Kraͤfte, besonders im Feuergefecht. b) Zur Benutzung der Krise in welcher der Sieger sich unmittelbar nach dem Erfolge befindet. c) Gegen unvorhergesehene Ereignisse. 320. Alles was zuruͤckgestellt ist gehoͤrt in diese Ka- tegorien, es mag sein von welcher Waffe es will, es mag zweites Treffen oder Reserve heißen, einem Theil oder dem Ganzen angehoͤren. Polarität des gleichzeitigen und des successiven Gebrauchs der Streitkräfte . 321. Da der gleichzeitige und der successive Gebrauch der Streitkraͤfte einander entgegengesetzt sind und jeder seine Vortheile hat, so sind sie als ein Paar Pole zu be- trachten welche den Entschluß jeder fuͤr sich an sich ziehen und ihn dadurch auf den Punkt stellen wo sie sich aus- gleichen, vorausgesetzt daß dieser Entschluß die gegenseitige Kraft richtig schaͤtzt. 322. Es kommt jetzt darauf an die Gesetze dieser Polaritaͤt, d. h. die Vortheile und Bedingungen beider Kraftverwendungen kennen zu lernen und dadurch auch ihr Verhaͤltniß unter einander. 323. Die gleichzeitige Anwendung der Streitkraͤfte kann eine Steigerung erleiden: A. Bei gleicher Fronte und zwar a) im Feuergefecht, b) im Handgefecht. B. Bei groͤßerer Fronte, d. h. umfassend. 324. Nur was zu gleicher Zeit zur Wirksamkeit ge- bracht wird, kann als gleichzeitig angewendet betrachtet werden. Es ist also bei gleicher Fronte begrenzt durch die Moͤglichkeit wirksam zu werden. Drei Glieder z. B. koͤnnen allenfalls im Feuergefecht noch zugleich wirken, sechs unmoͤglich. 325. Wir haben (Nr. 89) gezeigt daß zwei Feuer- linien von ungleicher Staͤrke sich das Gleichgewicht 22* halten koͤnnen und daß die Verminderung des einen Theils wenn sie gewisse Grenzen nicht uͤberschreitet, nur den Er- folg hat die gegenseitige Wirkung zu schwaͤchen . 326. Je schwaͤcher aber die Zerstoͤrungskraft des Feuergefechts wird, um so mehr Zeit wird erforderlich die gehoͤrige Wirkung hervorzubringen. Daher ist derjenige welcher hauptsaͤchlich Zeit gewinnen will (gewoͤhnlich der Vertheidiger) in dem Interesse die gemeinschaftliche (d. i. die Summe der gegenseitigen) Zerstoͤrungskraft des Feuer- gefechts so viel als moͤglich zu maͤßigen. 327. Ferner ist auch der in der Zahl bedeutend Schwaͤchere in diesem Fall, denn bei gleichen Verlusten sind die seinen relativ immer groͤßer. 328. Die entgegengesetzten Bedingungen werden die entgegengesetzten Interessen hervorbringen. 329. Wo kein besonderes Interesse fuͤr die Beschleu- nigung der Wirkung vorherrscht, werden beide Theile das Interesse haben sich mit so Wenigem als moͤglich zu be- helfen, d. h. wie schon (Nr. 89 b. ) gesagt ist, nur so viel anzuwenden um nicht durch die geringe Zahl den Gegner zu veranlassen sogleich ins Handgefecht uͤberzugehen. 330. Auf diese Weise ist also die gleichzeitige An- wendung der Streitkraͤfte im Feuergefecht durch den Mangel des Vortheils beschraͤnkt und auf den suc- cessiven Gebrauch der entbehrlichen Kraͤfte hingewiesen. 331. Im Handgefecht entscheidet die Überlegenheit der Zahl vor allen Dingen und die gleichzeitige An- wendung der Kraͤfte hat so sehr den Vorzug vor der successiven , daß diese durch den bloßen Begriff fast ganz ausgeschlossen und erst durch die Nebenumstaͤnde wie- der moͤglich wird. 332. Das Handgefecht ist naͤmlich eine Entscheidung und zwar eine die fast ohne alle Dauer ist; dies schließt die successive Kraftanwendung aus. 333. Aber wir haben schon gesagt daß die Krisis des Handgefechts die successive Kraftanwendung sehr beguͤnstigt. 334. Ferner sind die Entscheidungen der einzelnen Handgefechte wenn sie Theilgefechte eines groͤßern Ganzen sind, keine absolute; es muͤssen also die fernern moͤglichen Gefechte bei der Kraftverwendung gleich mitberuͤcksichtigt werden. 335. Dies fuͤhrt also auch beim Handgefecht dahin, nicht mehr Kraft zu gleicher Zeit anzuwenden als man eben noͤthig erachtet um des Erfolges gewiß zu sein. 336. Hier giebt es kein anderes allgemeines Gesetz als daß Umstaͤnde welche die Wirksamkeit erschweren (ho- her Muth des Feindes, starkes Terrain u. s. w.) eine groͤßere Anzahl Streitkraͤfte nothwendig machen. 337. Wichtig aber bleibt fuͤr die allgemeine Theorie die Bemerkung daß eine Kraftverschwendung beim Hand- gefecht nie so nachtheilig ist als im Feuergefecht, weil bei dem erstern die Truppen nur im Augenblick der Krise un- brauchbar werden, nicht dauernd. 338. Es ist also beim Handgefecht die gleichzeitige Anwendung der Kraͤfte so bedingt: daß sie in jedem Falle fuͤr den Erfolg hinreichend sein muͤssen und daß der suc- cessive Gebrauch die Unzulaͤnglichkeit auf keine Weise er- setzen kann, weil sich nicht wie im Feuergefecht die Erfolge addiren lassen, daß aber wenn dieser Grad erreicht ist, eine groͤßere gleichzeitige Kraftanwendung Verschwendung fein wuͤrde. 339. Nachdem wir beim Feuer- und Handgefecht die Anwendung großer Streitkraͤfte durch Vermehrung der Dichtigkeit derselben betrachtet haben, kommen wir zu derjenigen welche in einer groͤßern Fronte , d. h. der umfassenden Form moͤglich ist. 340. Eine groͤßere Summe von Streitkraͤften gleich- zeitig durch eine groͤßere Fronteausdehnung ins Gefecht zu bringen, ist auf zwei Arten denkbar. Naͤmlich: 1. Indem man durch eine groͤßere Fronte auch den Gegner zu einer Verlaͤngerung der seinigen veran- laßt. In diesem Falle giebt es uns keine Überle- genheit uͤber den Feind, aber es hat die Wirkung daß von beiden Seiten mehr Kraͤfte gleichzeitig ins Spiel gebracht werden. 2. Durch das Umfassen der feindlichen Fronte. 341. Die Wirkung von beiden Seiten mehr Kraͤfte sogleich zur Anwendung zu bringen, koͤnnte nur in wenigen Faͤllen fuͤr einen der beiden Theile einen Werth haben, und es ist ungewiß ob der Feind diese weitere Fronteaus- dehnung gleichfalls annehmen wird. 342. Nimmt er sie nicht an, so wird entweder ein Theil unserer Fronte, also unserer Streitkraͤfte muͤßig oder wir muͤssen den uͤberschießenden Theil unserer Fronte zu einem Umfassen des Feindes verwenden. 343. Die Furcht vor diesem Umfassen ist es denn auch allein die den Feind bewegen koͤnnte sich eben so weit auszudehnen. 344. Allein wenn der Feind umfaßt werden soll, so ist es offenbar besser sich gleich von Hause aus dazu ein- zurichten und es ist also die groͤßere Fronte nur unter die- sem Gesichtspunkt zu betrachten. 345. Die umfassende Form in dem Gebrauch der Streitkraͤfte hat nun das Eigenthuͤmliche daß sie nicht blos die Summe der gleichzeitig angewendeten Streitkraͤfte von beiden Seiten vermehrt, sondern auch gestattet eine groͤßere Streitkraft als der Gegner in Wirksamkeit zu bringen. 346. Wenn ein Bataillon, z. B. von 180 Schritt Fronte, nach vier Seiten gegen einen umfassenden Feind Fronte machen muß und dieser sich auf die wirksame Ge- wehrschußweite (150 Schritt) von diesem Bataillon be- findet, so hat er Raum fuͤr acht Bataillone welche gegen dies eine wirksam sein koͤnnen. 347. Wegen jener Eigenthuͤmlichkeit also gehoͤrt die umfassende Form hierher; wir muͤssen aber zugleich ihre andern Eigenthuͤmlichkeiten, naͤmlich ihre andern Vortheile und ihre Nachtheile hier mit in Betrachtung ziehen. 348. Ein zweiter Vortheil der umfassenden Form ist die staͤrkere Wirkung konzentrischer Feuer, insofern die Kugeln doppelt treffen koͤnnen. 349. Ein dritter Vortheil ist das Abschneiden des Ruͤckzugs. 350. Diese drei Vortheile des Umfassens nehmen ab je groͤßer die Streitkraͤfte oder vielmehr ihre Fronten werden und nehmen zu je kleiner sie sind. 351. Denn was den ersten betrifft (345), so blei- ben die Schußweiten dieselben, die Truppenmasse mag groß oder klein sein (wenn sie aus denselben Waffen be- steht) und es bleibt also auch die Differenz der umfassen- den Linie mit der umfaßten dieselbe und bekommt folglich einen immer geringeren Werth je groͤßer die Fronte- laͤnge wird. 352. Ein Bataillon koͤnnte auf 150 Schritt Ent- fernung von 8 Bataillonen umschlossen werden; 10 Ba- taillone wuͤrden nur von 20 Bataillonen umschlossen wer- den koͤnnen, also nicht vom Acht- sondern nur vom Zweifachen. 353. Aber die umschließende Form kommt selten oder nie ganz d. h. im vollen Kreise vor, sondern nur theil- weise, gewoͤhnlich unterhalb 180°. Denkt man sich nun die Streitkraft von der Groͤße einer betraͤchtlichen Armee, so sieht man wohl ein wie gering der oben entwickelte erste Vortheil unter solchen Umstaͤnden bleiben wird. 354. Genau so verhaͤlt es sich mit dem zweiten Vortheil, wie der Augenschein zeigt. 355. Auch der dritte Vortheil muß merklich abneh- men je groͤßer die Fronte ist, wie sich von selbst versteht; obgleich hier noch andere Verhaͤltnisse in Betrachtung kom- men werden. 356. Aber die umfassende Form hat auch einen eigen- thuͤmlichen Nachtheil; naͤmlich daß die Kraͤfte dabei im groͤßern Raum zerstreut und deshalb in zwei Beziehungen in ihrer Wirksamkeit geschwaͤcht sind. 357. Es kann naͤmlich die Zeit welche angewendet wird einen gewissen Raum zu durchlaufen, nicht zum Schlagen angewendet werden. Nun sind alle Bewegun- gen die nicht gerade senkrecht auf die feindliche Linie sind, bei dem Umfassenden im groͤßern Raum als bei dem Um- faßten; denn dieser bewegt sich mehr oder weniger auf den Radien seines kleinern Kreises, jener auf der Cir- cumferenz seines groͤßern, welches sehr bedeutende Unter- schiede giebt. 358. Hieraus folgt die Moͤglichkeit daß jener seine Kraͤfte leichter auf verschiedenen Punkten brauchen kann. 359. Aber auch die Einheit des Ganzen wird ge- schwaͤcht durch die groͤßern Raͤume welche Nachricht und Befehl zu durchlaufen haben. 360. Diese beiden Nachtheile des Umfassens nehmen mit der Fronteausdehnung zu. Bei einem Paar Bataillo- nen sind sie noch gar nicht merklich vorhanden, bei großen Armeen sind sie sehr betraͤchtlich. 361. Denn die Differenz zwischen Radius und Um- kreis bleibt dieselbe, es werden also die absoluten Unter- schiede immer groͤßer je groͤßer die Fronten sind; auf diese absoluten Unterschiede aber kommt es hier an. 362. Außerdem aber kommen bei ganz kleinen Thei- len wenig oder keine Seitenbewegungen vor, und sie neh- men zu je groͤßer die Theile werden. 363. Endlich faͤllt fuͤr das Durchlaufen der Nach- richten aller Unterschied weg so lange man die Raͤume uͤbersehen kann. 364. Sind also die Vortheile des Umfassens bei kleinen Fronten sehr groß und die Nachtheile sehr klein, nehmen die einen ab die andern zu mit dem Wachsen der Fronte, so folgt daß es einen Punkt geben wird wo sie sich das Gleichgewicht halten werden. 365. Über diesen Punkt hinaus kann also die Fronte- ausdehnung dem successiven Kraftgebrauch keine Vortheile mehr entgegenstellen, sondern es entstehen Nachtheile. 366. Das Gleichgewicht zwischen den Vortheilen suc- cessiver Kraftverwendung und denen einer groͤßern Fronte (Nr. 341) muß sich also diesseit jenes Punktes finden. 367. Um diesen Punkt des Gleichgewichts aufzu- suchen muͤssen wir die Vortheile der umfassenden Form noch bestimmter in Betrachtung ziehen. Der einfachste Weg dazu ist folgender. 368. Eine gewisse Fronte ist nothwendig um sich der Wirksamkeit der beiden ersten Nachtheile des Umfaßtwer- dens zu entziehen. 369. Was die konzentrische (doppelte) Wirkung des Feuers betrifft, so giebt es eine Frontelaͤnge wo diese ab- solut aufhoͤrt; naͤmlich wenn die Entfernung der zuruͤckge- bogenen Theile, im Fall man vom Feinde umfaßt wird, groͤßer ist als die Schußweiten. 370. Aber man braucht hinter jeder Aufstellung auch einen unbeschossenen Raum fuͤr die Reserve, fuͤr die Kom- mandirenden u. s. w., die sich hinter der Fronte befinden. Wenn diese von drei Seiten beschossen werden sollten, so wuͤrden sie aufhoͤren das zu sein wozu sie bestimmt sind. 371. Da diese Gegenstaͤnde bei groͤßern Massen selbst groͤßere Massen bilden und folglich mehr Raum brauchen, so muß der unbeschossene Raum hinter der Fronte auch um so groͤßer sein je groͤßer das Ganze ist, mithin muß um deßwillen die Fronte mit der Groͤße der Massen wachsen. 372. Aber der Raum hinter einer betraͤchtlichen Truppenmasse muß nicht bloß darum groͤßer sein weil die Reserven u. s. w. mehr Platz brauchen, sondern er muß auch außerdem noch groͤßer sein um die Sicherheit zu vermehren (zu steigern). Denn erstens wuͤrden verlorne Schuͤsse gegen groͤßere Truppenmassen und Trains eine viel groͤßere Wirkung haben als gegen ein Paar Batail- lone; zweitens dauern die Gefechte der großen Massen viel laͤnger und die Verluste welche hinter der Fronte bei den Truppen entstehen die nicht eigentlich im Gefechte sind, werden dadurch viel groͤßer. 373. Setzte man also fuͤr die nothwendige Fronte- laͤnge eine gewisse Groͤße fest, so muͤßte sie mit der Groͤße der Massen steigen. 374. Der andere Vortheil der umfassenden Form (die Überlegenheit der gleichzeitig wirkenden Kraͤfte) fuͤhrt auf keine bestimmte Groͤße fuͤr die Frontelaͤnge, sondern wir muͤssen hauptsaͤchlich dabei stehen bleiben daß er mit der Laͤnge der Fronte abnimmt. 375. Aber zur naͤhern Bestimmung muͤssen wir sa- gen daß sich die gleichzeitige Wirksamkeit groͤßerer Streit- kraͤfte hauptsaͤchlich auf das Flintenfeuer bezieht; denn fuͤr das Geschuͤtz wird, so lange dasselbe allein wirkt, es auch in der kleinern Kreislinie des Umfaßten niemals an Raum fehlen eben so viel aufzustellen als der Gegner in seiner groͤßern; denn man hat niemals so viel Geschuͤtz um damit eine zusammenhaͤngende Linie zu bilden. 376. Man wende nicht ein daß dem Gegner immer noch der Vortheil des groͤßern Raumes bleiben wuͤrde, weil seine Geschuͤtze nicht so dicht stehen und also weniger getroffen werden; denn man kann seine Batterien nicht gleichmaͤßig in einzelnen Kanonen auf dem großen Raume vertheilen. 377. Bei einem bloßen Artilleriegefechte oder einem Gefechte wo die Artillerie die Hauptwaffe ist, wird der Vortheil der groͤßern umfassenden Fronte allerdings vor- handen und wegen der groͤßern Schußweite, also der großen Differenz beider Fronten sehr groß sein. Dieser Fall tritt z. B. bei einzelnen Redouten ein. Aber bei Streitkraͤften wo die andern Waffen die Hauptsache sind und die Ar- tillerie untergeordnet ist, hoͤrt dieser Vortheil auf, weil es da, wie gesagt, auch dem Umfaßten nicht an Raum fehlt. 378. Es ist also hauptsaͤchlich das Infanterie-Feuer- gefecht wo sich die Vortheile der groͤßern Fronte zur gleich- zeitigen Anwendung groͤßerer Streitkraͤfte zeigen muͤssen. Hier betraͤgt die Differenz beider Fronten dreimal die Flintenschußweite (wenn das Umfassen bis auf 180° getrieben ist), also etwa 600 Schritt. Dies giebt fuͤr eine Fronte von 600 Schritt das Doppelte, ist also dann sehr fuͤhlbar; fuͤr eine Fronte von 3000 Schritt aber wuͤrde sie nur ⅕ geben, welches schon nicht mehr als ein sehr wirksamer Vortheil zu betrachten ist. 379. Man kann also sagen daß in dieser Beziehung die Frontelaͤnge hinreicht sobald die Differenz welche die Flintenschußweite giebt, aufhoͤrt eine merkliche Überlegen- heit zu geben. 380. Aus allem bisher uͤber diese beiden Vortheile des Umfassens Gesagten geht hervor daß kleine Massen Muͤhe haben sich die gehoͤrige Frontelaͤnge zu verschaffen, und dies ist so wahr daß sie, wie wir aus der Erfahrung sehen, meistens genoͤthigt sind die stereotype Ordnung ihrer Formation zu verlassen und sich viel mehr auszudehnen. Hoͤchst selten wird ein sich selbst uͤberlassenes Bataillon ein Gefecht in der bloßen Frontelaͤnge seiner gewoͤhnlichen Auf- stellung (150 bis 200 Schritt) annehmen, sondern sich in Kompagnien und diese wieder in Tirailleurs weiter ausein- anderziehen und, nachdem es einen Theil zur Reserve zu- ruͤckbehalten hat, mit dem Übrigen einen zwei-, drei- oder viermal so großen Raum einnehmen als es eigentlich sollte. 381. Je groͤßer aber die Massen werden um so leich- ter wird man zu der nothwendigen Frontelaͤnge kommen, weil diese zwar mit den Massen waͤchst (373), aber nicht in demselben Maaße . 382. Große Massen haben also nicht noͤthig die For- mationsordnung zu verlassen und koͤnnen vielmehr Truppen zuruͤckstellen. 383. Dies hat dahin gefuͤhrt daß man fuͤr die groͤßern Massen auch eine stereotype Ordnung mit zuruͤckgestellten Theilen eingefuͤhrt hat, wie die gewoͤhnlichen Schlachtord- nungen in zwei Treffen; gewoͤhnlich noch ein drittes von Kavallerie dahinter, auch außerdem noch eine Reserve von ⅛ bis ⅙ u. s. w. 384. Bei ganz großen Massen (Armeen von 100-, 150- bis 200,000 Mann) sehen wir die Reserven immer groͤßer werden (¼ bis ⅓), ein Beweis daß die Kraͤfte das Frontebeduͤrfniß immer mehr uͤbersteigen. 385. Wir fuͤhren das jetzt hier bloß an um durch einen Blick auf die Erfahrung die Wahrheit unserer Ent- wickelung mehr in die Augen fallen zu lassen. 386. So verhaͤlt es sich also mit den beiden ersten Vortheilen des Umfassens. Anders ist es mit dem dritten. 387. Die beiden ersten wirken auf die Sicherheit des Erfolgs, indem sie unsere Kraͤfte steigern, der dritte thut das auch, aber nur bei ganz kurzen Fronten. 388. Er wirkt naͤmlich auf den Muth der in der feindlichen Fronte Fechtenden, indem er ihnen die Vorstel- lung eines verlornen Ruͤckzugs giebt, die immer auf den Soldaten sehr stark wirkt. 389. Aber dies ist doch nur da der Fall wo die Gefahr abgeschnitten zu werden so nahe und augenschein- lich ist, daß der Eindruck davon alle Gesetze der Disciplin und des Befehls uͤberwaͤltigt und den Soldaten unwill- kuͤhrlich fortreißt. 390. Bei groͤßern Entfernungen wo der Soldat nur durch das in seinem Ruͤcken entstehende Kanonen- und Flintenfeuer mittelbar darauf hingefuͤhrt wird, koͤnnen Be- sorgnisse bei ihm entstehen, aber wenn der Geist nicht schon ganz schlecht ist, so werden sie ihn nicht verhindern den Befehlen des Fuͤhrers zu gehorchen. 391. In diesem Falle ist also der Vortheil des Ab- schneidens welchen der Umfassende hat, nicht mehr als ein solcher zu betrachten der die Sicherheit d. i. die Wahr- scheinlichkeit des Erfolgs erhoͤht, sondern als einer der die Groͤße eines schon eingetretenen Erfolgs steigert . 392. Auch in dieser Beziehung ist der dritte Vor- theil des Umfassens dem Gegensatz unterworfen daß er bei kurzer Fronte am groͤßten ist und mit der zunehmen- den Fronte abnimmt, wie der Augenschein lehrt. 393. Dies verhindert aber nicht daß die groͤßeren Massen nicht einer groͤßeren Fronte beduͤrfen sollten wie die kleinen, denn da der Ruͤckzug niemals in der ganzen Breite einer Aufstellung geschieht, sondern auf einzelnen Wegen, so folgt von selbst daß große Massen mehr Zeit dazu brauchen als kleine; diese laͤngere Zeit bedingt also eine breitere Fronte, damit der Feind der diese Fronte umfaßt nicht so schnell an die Punkte gelangt durch welche der Ruͤckzug geht. 394. Wirkt (nach 391) der dritte Vortheil des Umfassens in der Mehrheit der Faͤlle (naͤmlich bei nicht zu kurzen Fronten) nur auf die Groͤße, nicht auf die Sicherheit des Erfolgs, so folgt daraus daß er nach den Verhaͤltnissen und Absichten des Fechtenden einen ganz ver- schiedenen Werth bekommt. 395. Wo die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs ohnehin gering ist muß fuͤr diese zunaͤchst gesorgt werden; in solchem Falle kann also ein Vortheil der hauptsaͤchlich auf die Groͤße desselben geht nicht sehr in Betrachtung kommen. 396. Wenn dieser Vortheil aber gar der Wahr- scheinlichkeit des Erfolgs entgegen waͤre (365), so wuͤrde er in solchem Falle ein positiver Nachtheil werden. 397. In einem solchen Falle werden also die Vor- theile successiver Kraftanstrengungen denen der groͤßern Fronte fruͤher das Gleichgewicht halten. 398. Man sieht also der Indifferenzpunkt zwischen den beiden Polen der gleichzeitigen und der succes- siven Kraftverwendung, der Ausdehnung und Tiefe liegt nicht bloß anders bei großen als bei kleinen Massen, sondern auch anders nach Verhaͤltnissen und Absichten bei- der Theile. 399. Der Schwaͤchere und der Vorsichtige muß der successiven, der Staͤrkere und der Kuͤhne der gleichzeitigen Kraftanstrengung den Vorzug geben. 400. Es liegt in der Natur der Sache daß der Angreifende der Staͤrkere oder der Kuͤhnere ist; gleich- viel ob aus Charakterzug des Feldherrn oder aus Noth- wendigkeit. 401. Die umfassende Form des Gefechts, also die welche die meiste gleichzeitige Kraftanstrengung bei uns und beim Gegner bedingt, ist also dem Angreifenden natuͤrlich. 402. Die umfaßte, d. h. die welche die meiste suc- cessive Kraftanstrengung sucht und sich darum dem Um- fassen aussetzt, ist also die natuͤrliche Form der Verthei- digung. 403. In dem Erstern liegt die Tendenz einer schnel- len Entscheidung, in dem Letztern die des Zeitgewinnes, und diese Tendenzen sind mit dem Zweck beider Gefechts- formen in Harmonie. 404. Aber in der Natur der Vertheidigung kommt noch ein anderer Grund vor warum sie die tiefere Auf- stellung sucht. 405. Einer ihrer bedeutendsten Vortheile ist der Beistand der Gegend und des Bodens, von diesem aber macht die oͤrtliche Vertheidigung desselben ein wichtiges Element aus. 406. Nun sollte man glauben dies fuͤhrte dahin die Fronte so lang als moͤglich zu machen, um diesen Vor- theil so weit als moͤglich zu treiben. (Wirklich ist diese einseitige Ansicht als eins der hauptsaͤchlichsten Motive zu betrachten welches die Feldherren zu den ausgedehnten Stellungen hingezogen hat.) 407. Allein wir haben bisher die Fronteausdehnung stets so gedacht daß sie entweder zu einer eben so großen des Feindes fuͤhrte oder zur Überfluͤgelung , d. i. Um- fassung der feindlichen Fronte. 408. So lange man sich beide Theile gleich aktiv, also noch nicht unter dem Gesichtspunkte von Angriff und Vertheidigung denkt, hat die Verwendung einer groͤßern Fronte zum Umfassen auch keine Schwierigkeit. 409. Sobald aber mit dem Frontalgefecht mehr oder weniger oͤrtliche Vertheidigung verbunden wird, wie das bei der Vertheidigung der Fall ist, so hoͤrt jene Ver- wendung der uͤberschießenden Frontetheile auf; sie ist ent- weder gar nicht oder schwer mit der Überfluͤgelung zu ver- einigen. 410. Um diese Schwierigkeit richtig zu schaͤtzen muß man immer an die Gestalt der wirklichen Faͤlle denken, wo die natuͤrlichen Deckungsmittel des Bodens die Maaß- regeln des Feindes so schwer uͤbersehen lassen und also ein Scheingefecht die zu einer oͤrtlichen Vertheidigung ange- wiesenen Streitkraͤfte so leicht taͤuschen und in Unthaͤtig- keit erhalten kann. 411. Hieraus folgt daß man es in der Vertheidi- gung als einen sehr entschiedenen Nachtheil ansehen muß wenn man eine groͤßere Fronte hat als diejenige ist welche der Angreifende nothwendig zur Entwickelung sei- ner Kraͤfte braucht. 412. Wie groß die Fronte des Angreifenden noth- wendig werden muß soll uns spaͤter beschaͤftigen; hier ha- ben wir nur zu sagen daß wenn der Angreifende eine zu kleine kleine Fronte annimmt, der Vertheidiger ihn dafuͤr nicht dadurch bestraft daß er seine eigene Fronte von vorn her- ein groͤßer bestimmte, sondern durch offensive umfas- sende Gegenmaaßregeln . 413. Es ist also gewiß daß der Vertheidiger, um in keinem Falle in den Nachtheil einer zu großen Fronte zu gerathen, die kleinste nehmen wird die ihm die Um- staͤnde gestatten, denn dadurch bekommt er mehr Kraͤfte zum Zuruͤckstellen; diese koͤnnen aber nie in den Fall kom- men muͤßig zu bleiben, wie die Theile einer zu großen Fronte. 414. So lange der Vertheidiger sich mit der klein- sten Fronte begnuͤgt und die groͤßte Tiefe sucht, d. h. der natuͤrlichen Tendenz seiner Gefechtsform folgt, so lange hat der Angreifende die entgegengesetzte Tendenz: die Fronte- ausdehnung so groß als moͤglich zu machen, d. h. den Gegner so weit als moͤglich zu umfassen. 415. Aber dies ist nur eine Tendenz und kein Gesetz , denn wir haben gesehen daß die Vortheile dieses Umfassens abnehmen mit der Groͤße der Fronten und also auf gewissen Punkten dem Vortheil successiver Kraftver- wendung nicht mehr das Gleichgewicht halten koͤnnen. Die- sem Gesetze ist der Angreifende wie der Vertheidiger un- terworfen. 416. Hier sind nun zwei verschiedene Fronteausdeh- nungen zu unterscheiden: die welche der Vertheidiger durch seine genommene Aufstellung und die welche der Angrei- fende durch seine Überfluͤgelung bestimmt. 417. Ist die erste schon so groß daß alle Vortheile der Überfluͤgelung verschwinden oder unkraͤftig werden, so muß diese wegfallen; der Angreifende muß dann den III 23 Vortheil auf einem andern Wege suchen, wie wir gleich sehen werden. 418. Ist aber die erste Fronte so klein wie sie nur irgend sein konnte, hat mithin der Angreifende ein Recht durch Überfluͤgelung und Umfassung nach Vortheilen zu streben, so muß doch die Grenze dieses Umfassens wieder bestimmt werden. 419. Diese bestimmt sich durch die in einem uͤber- triebenen Umfassen liegenden (Nr. 356 bis 365 genannten) Nachtheile. 420. Jene Nachtheile entstehen wenn das Umfassen trotz einer zu großen feindlichen Fronteausdehnung gesucht wird; sie entstehen aber noch viel staͤrker wenn die Über- treibung in einem zu weiten Umfassen einer kurzen Linie liegt, wie der Augenschein lehrt. 421. Stellen sich dem Angreifenden diese Nachtheile entgegen, so muͤssen die Vortheile successiver Kraftverwen- dung, die der Gegner durch seine kurze Fronte erhaͤlt, um so mehr Gewicht bekommen. 422. Nun scheint es zwar daß Der welcher die kurze Fronte und tiefe Aufstellung nimmt dadurch nicht in dem einseitigen Genusse der successiven Kraftanwendung bleibt; denn wenn der Gegner eine eben so kleine Fronte nimmt und ihn also nicht umfaßt, so haben beide den Genuß der successiven Kraftverwendung in gleichem Grade; wenn der Gegner ihn aber umfaßt, so muß er ihm uͤberall eine Fronte entgegenstellen, also (mit Ausnahme des geringen hier nicht zu beruͤcksichtigenden Unterschiedes beider konzen- trischen Kreisstaͤrken) in eben so großer Fronte fechten. Aber es kommen hier vier Gegenstaͤnde zur Betrachtung. 423. Erstlich bleibt es, wenn auch der Gegner seine Fronte eben so sehr verkuͤrzt, immer ein Vortheil des Vertheidigers daß das Gefecht aus der Region der aus- gedehnten und schnell entschiedenen in die der konzentrirten dauernden uͤbergeht; denn die Dauer des Gefechts ist das Interesse des Vertheidigers. 424. Zweitens ist der Vertheidiger wenn er vom Gegner umfaßt wird nicht immer gezwungen die umfassen- den Glieder in paralleler Fronte zu bekaͤmpfen, sondern er kann sie in der Flanke und in dem Ruͤcken angreifen, wozu die geometrischen Verhaͤltnisse gerade die beste Gele- genheit geben; dies ist aber schon ein successiver Gebrauch der Streitkraͤfte, denn dieser bedingt ja nicht nothwendig daß die spaͤteren gerade so verwendet werden wie die fruͤ- heren oder daß die spaͤteren uͤberhaupt in die Stelle von fruͤheren treten, wie wir gleich naͤher angeben werden. Ohne das Zuruͤckstellen von Streitkraͤften waͤre ein solches Umfassen des Umfassenden nicht thunlich. 425. Drittens laͤßt die kurze Fronte mit viel zuruͤck- gestellten Kraͤften die Moͤglichkeit eines uͤbertriebenen Um- fassens von Seiten des Angreifenden zu (Nr. 420), wo- von dann eben vermittelst der zuruͤckgestellten Kraͤfte Nutzen gezogen werden kann. 426. Viertens endlich muß es als ein Vortheil be- trachtet werden daß der Vertheidiger dadurch vor dem entgegengesetzten Fehler einer Kraftverschwendung durch un- angegriffene Frontetheile gesichert ist. 427. Dies sind die Vortheile der tiefen Aufstellung, d. h. der successiven Kraftverwendung. Sie halten der Ausdehnung nicht bloß beim Vertheidiger auf einem ge- wissen Punkte das Gleichgewicht, sondern auch dem An- greifenden, d. h. sie veranlassen ihn eine gewisse Grenze des Umfassens nicht zu uͤberschreiten; die Tendenz zur Ausdeh- nung bis zu dieser Grenze hin koͤnnen sie nicht aufheben. 23* 428. Diese Tendenz aber wird geschwaͤcht oder ganz aufgehoben wenn der Vertheidiger sich zu sehr ausge- dehnt hat. 429. Zwar kann der Vertheidiger unter diesen Um- staͤnden, da es ihm an zuruͤckgestellten Massen fehlt, den Angreifenden fuͤr seine eigne große Ausdehnung beim Um- fassen nicht bestrafen, aber die Vortheile des Umfassens werden eo ipso zu gering. 430. Der Angreifende wird also die Vortheile des Umfassens nun nicht mehr suchen, wenn er nicht seiner Verhaͤltnisse wegen einen sehr großen Werth auf das Ab- schneiden legen muß. Auf diese Weise ist also die Ten- denz zum Umfassen geschwaͤcht. 431. Sie wird aber ganz aufgehoben wenn der Ver- theidiger eine so große Fronte genommen hat daß der An- greifende einen großen Theil derselben muͤßig lassen kann, denn dies ist ihm ein hoͤchst wirksamer Gewinn. 432. In solchen Faͤllen kommt also der Angreifende dazu seine Vortheile gar nicht mehr in der Ausdehnung und dem Umfassen, sondern auf der entgegengesetzten Seite, naͤmlich in der Konzentrirung seiner Kraͤfte gegen einen Punkt zu suchen. Daß aber dies mit einer tieferen Auf- stellung gleichbedeutend ist lehrt der Augenschein. 433. Wie weit der Angreifende die Verkleinerung seiner Fronte treiben darf haͤngt ab a) von der Groͤße der Massen; b) von der Groͤße der feindlichen Fronte; c) von seiner Bereitschaft zur Gegenoffensive. 434. Bei kleinen Massen kann man keinen Theil der feindlichen Fronte mit Vortheil unbeschaͤftigt lassen; denn diese Theile koͤnnen, da Alles uͤbersehen wird und die Raͤume nur klein sind, auf der Stelle zu anderer Wirk- samkeit gebracht werden. 435. Hieraus folgt eo ipso daß auch bei großen Massen und Fronten die angegriffene Fronte nicht zu klein sein darf, weil sonst der eben beruͤhrte Nachtheil wenig- stens theilweise daraus entstehen wuͤrde. 436. Im Allgemeinen aber ist es in der Natur der Sache daß der Angreifende, wenn er seinen Vortheil im Konzentriren der Kraͤfte suchen darf, weil ihn die uͤber- maͤßige Fronte des Vertheidigers oder dessen Passivitaͤt dazu berechtigt, in der Verkuͤrzung seiner Fronte weiter gehen darf als der Vertheidiger, weil sein Gegner nicht so auf die offensive Gegenwirkung des Umfassens einge- richtet ist. 437. Je groͤßer die Fronte des Vertheidigers ist um so mehr Theile kann er davon unbeschaͤftigt lassen. 438. Eben so je staͤrker die Absicht oͤrtlicher Ver- theidigung ausgesprochen ist. 439. Endlich je groͤßer uͤberhaupt die Massen sind. 440. Am meisten Vortheil wird also der Angreifende im Vereinigen seiner Kraͤfte finden wenn sich alle diese guͤnstigen Umstaͤnde vereinigen, naͤmlich große Massen, zu lange Fronte und viel oͤrtliche Vertheidigung des Gegners. 441. Bei der Raumbestimmung kann dieser Gegen- stand erst seine volle Erledigung finden. 442. Den Nutzen successiver Kraftverwendung haben wir bereits (Nr. 291 u. ff.) gezeigt. Wir haben hier nur noch darauf aufmerksam zu machen daß die Ur- sachen welche ihn bedingen nicht bloß auf die Erneuerung desselben Gefechts mit frischen Truppen fuͤhren, son- dern auch jede spaͤtere Anwendung der Streitkraͤfte in sich schließen. 443. In diesem spaͤtern Gebrauch liegt ein Haupt- vortheil , wie sich in der Folge zeigen wird. 444. Durch alle diese Entwickelungen sehen wir wie sich der Indifferenzpunkt zwischen dem gleichzeitigen und successiven Kraftgebrauch anders stellt nach der Groͤße der Theile , nach dem Verhaͤltniß der Macht , nach Lage und Absicht , nach Kuͤhnheit und Vorsicht . 445. Daß Gegend und Boden ebenfalls einen großen Einfluß darauf haben versteht sich von selbst und wird hier, wo wir von aller Anwendung abstrahiren, bloß beruͤhrt. 446. Bei so vielfaͤltigen Beziehungen und zusammen- gesetzten Verhaͤltnissen koͤnnen keine absolute Zahlen als Normalgroͤßen festgestellt werden, aber es muß doch irgend eine Einheit geben welche zum festen Punkte fuͤr diese zu- sammengesetzten wandelbaren Verhaͤltnisse dient. 447. Solcher Anhaltpunkte giebt es nun zwei, naͤm- lich nach beiden Seiten hin einen. Der erste ist daß eine gewisse Tiefe als eine solche angesehen wird deren Kraͤfte gleichzeitig wirken. Zum Besten der Ausdehnung eine geringere anzunehmen muß also nur wie ein nothwen- diges Übel betrachtet werden. Dies bestimmt also die nothwendige Tiefe. Der zweite ist die Sicherheit der Reserve, wovon wir schon gesprochen haben. Dies be- stimmt die nothwendige Ausdehnung. 448. Die eben erwaͤhnte nothwendige Tiefe liegt allen stehenden Formationen zum Grunde, und wir werden erst in der Folge, wenn wir in das Einzelne der Waffen- ordnung gehen, dies Resultat feststellen koͤnnen. 449. Ehe wir aber mit Antizipirung dieses Resul- tats unsere allgemeine Betrachtung zu einem Schlußresul- tate bringen koͤnnen, muͤssen wir noch die Raumbestimmung entwickeln, weil diese gleichfalls Einfluß darauf hat. Raumbestimmung . 450. Die Raumbestimmung beantwortet die Frage wo gefochten werden soll, sowohl fuͤr das Ganze als die Theile. 451. Der Ort des Gefechts fuͤr das Ganze ist eine strategische Bestimmung die uns hier Nichts angeht. Wir haben es hier nur mit der Konstruktion des Gefechts zu thun und muͤssen also voraussetzen daß beide Theile an einander kommen; also wird der allgemeine Ort des Ge- fechts entweder der sein wo die feindliche Armee ist ( beim Angriff ), oder der wo wir sie erwarten duͤrfen ( bei der Vertheidigung ). 452. Was die Raumbestimmung fuͤr die Glieder des Ganzen betrifft, so ist darin die geometrische Figur enthalten welche die gegenseitigen Streitkraͤfte im Gefechte einnehmen sollen. 453. Wir abstrahiren hier von den in der stehenden Formation enthaltenen Formen, welche wir spaͤter betrach- ten wollen. 454. Die geometrische Gestalt des Ganzen kann auf zwei zuruͤckgefuͤhrt werden: die geradlinige und die kon- zentrischer Kreise. Auf Eins von Beidem laͤuft alles An- dere hinaus. 455. Was naͤmlich wirklich mit einander im Gefecht gedacht werden soll muß in parallelen Grundlinien gedacht werden. Wenn also eine Armee senkrecht auf die Grund- linie der andern aufmarschirt ist, so muß diese entweder ihre Fronte ganz veraͤndern und sich parallel mit jener stellen, oder sie muß es wenigstens mit einem Theile thun. Unsere Armee aber muß den Theil gegen welchen kein Theil der feindlichen herumgeschwenkt ist selbst herum- schwenken, wenn sie zur Wirksamkeit kommen will; so entsteht also eine Aufstellung in konzentrischen Kreis- oder Polygonstuͤcken. 456. Die gradlinige Form ist offenbar als indiffe- rent zu betrachten, denn die Verhaͤltnisse sind von beiden Theilen ganz gleich. 457. Aber man kann nicht sagen, wie es auf den Blick scheint, daß die gradlinige Form nur aus dem gra- den und parallelen Angriff entspringt, sie kann auch ent- stehen wenn der Vertheidiger sich einem schiefen Angriff parallel entgegengestellt hat. In diesem Falle werden die uͤbrigen Umstaͤnde freilich nicht immer gleich sein, denn oft wird die neue Stellung nicht gut, oft wird sie nicht ganz vollendet sein u. s. w. Wir antizipiren dies hier nur um einer Verwechslung der Begriffe vorzubeugen. Die Indifferenz welche wir in diesem Falle sehen, liegt nur in der Form der Aufstellung. 458. Welcher Natur die Form in konzentrischen Kreisstuͤcken (oder Polygonstuͤcken, welches uns hier immer dasselbe ist) sei, haben wir bereits oben ausfuͤhrlich ent- wickelt, es ist die umfassende und die umfaßte Form, es bleibt uns daruͤber gar Nichts zu sagen uͤbrig. 459. Die Raumbestimmung fuͤr die Theile wuͤrde durch die geometrische Form der Grundlinien erschoͤpft sein, wenn uͤberall den feindlichen Streitkraͤften eigene entgegen- gesetzt werden muͤßten, dies ist aber nicht nothwendig und es entsteht jedesmal die Frage: sollen alle Theile der feindlichen Streitkraͤfte bekaͤmpft werden oder nicht ? und im letztern Falle welche ? 460. Koͤnnen wir einen Theil der feindlichen Streit- kraͤfte unbekaͤmpft lassen, so werden wir dadurch staͤrker gegen die andern, entweder im gleichzeitigen oder successi- ven Gebrauch der Streitkraͤfte. Ein Theil der feindli- chen Macht wird dann durch unsere ganze bekaͤmpft. 461. Auf diese Weise werden wir also auf den Punkten wo wir unsere Macht brauchen entweder der feindlichen uͤberlegen oder wenigstens staͤrker als es das allgemeine Machtverhaͤltniß mit sich bringt. 462. Diese Punkte aber koͤnnen bei der Voraus- setzung daß wir die uͤbrigen unbekaͤmpft lassen duͤrfen , fuͤr das Ganze genommen werden; es entsteht also eine kuͤnstliche Steigerung unserer Macht durch eine groͤßere Vereinigung derselben im Raume. 463. Daß dieses Mittel ein hoͤchst wichtiges Ele- ment aller Gefechtsplane ist leuchtet von selbst ein, es ist das am meisten gebrauchte. 464. Es kommt also darauf an diesen Gegenstand naͤher zu betrachten, um die Theile der feindlichen Macht zu bestimmen welche in diesem Sinne fuͤr das Ganze ge- nommen werden koͤnnen. 465. Wir haben in Nr. 4. die Motive angegeben welche den Ruͤckzug eines Fechtenden bestimmen. Es ist klar daß sich die Thatsachen aus welchen diese Motive entspringen, entweder auf die ganzen Streitkraͤfte oder wenigstens auf einen so wesentlichen Theil derselben be- ziehen daß dieser mehr gilt als alle uͤbrigen, also uͤber diese mitbestimmt. 466. Daß sich diese Thatsachen auf die ganze Streit- kraft beziehen, kann bei kleinen Massen sehr gut gedacht werden, aber bei groͤßern Massen nicht. Hier beziehen sich war auch die unter d f g angegebenen Motive auf das Ganze, aber die uͤbrigen, besonders der Verlust , be- ziehen sich immer nur auf gewisse Theile, denn bei groͤßern Massen ist es hoͤchst unwahrscheinlich daß alle Theile auf gleiche Weise affizirt werden. 467. Die Theile nun deren Zustand die Ursache des Ruͤckzugs wird, muͤssen natuͤrlich bedeutende Theile des Ganzen sein; wir wollen sie der Kuͤrze wegen die uͤber- wundenen nennen. 468. Diese uͤberwundenen Theile koͤnnen entweder bei einander liegen oder in der ganzen Streitkraft mehr oder weniger gleichmaͤßig vertheilt sein. 469. Es ist kein Grund vorhanden sich das Eine wirksamer als das Andere zu denken. Ist von einer Ar- mee ein Korps vollkommen geschlagen, alles Übrige aber intakt, so kann das in diesem Falle schlimmer, in jenem besser sein als wenn diese Verluste auf die ganze Masse gleichfoͤrmig vertheilt waͤren. 470. Aber der zweite Fall setzt eine gleichmaͤßige Anwendung der entgegenstehenden Kraͤfte voraus; wir aber beschaͤftigen uns hier mit der Wirkung einer ungleich- maͤßigen (auf einem oder einigen Punkten mehr vereinig- ten) Anwendung der Kraͤfte; wir haben es also nur mit dem ersten Falle zu thun. 471. Liegen die uͤberwundenen Theile bei einander, so kann man sie kollektiv als ein Ganzes betrachten und so verstehen wir es wenn wir von dem angegriffenen oder besiegten Theile oder Punkte sprechen. 472. Kann man bestimmen wie dieser Theil beschaf- fen sein muß um das Ganze zu beherrschen und in seiner Richtung mit fortzuziehen, so hat man dadurch auch be- stimmt gegen welchen Theil des Ganzen die Kraͤfte ge- richtet sein muͤssen die den eigentlichen Kampf kaͤmpfen sollen. 473. Wenn wir von allen Gegenstaͤnden des Ter- rains absehen, so haben wir den anzugreifenden Theil nur nach Lage und Groͤße zu bestimmen. Wir wollen zuerst die Groͤße in Betracht ziehen. 474. Es sind zwei Faͤlle zu unterscheiden: der erste wenn wir unsere Kraͤfte gegen einen Theil der feindli- chen vereinigen und den uͤbrigen gar nichts entgegen- stellen ; der zweite wenn wir dem uͤbrigen Theil blos geringere Kraͤfte entgegenstellen um ihn zu beschaͤftigen. Beides ist offenbar eine Vereinigung der Kraft im Raum. 475. Wie groß im erstern Falle der Theil der feind- lichen Streitkraft ist den wir nothwendig bekaͤmpfen muͤs- sen, ist offenbar gleichbedeutend mit der Frage: wie klein unsere Fronte sein darf ? Diesen Gegenstand aber haben wir bereits in Nr. 433 seq. entwickelt. 476. Um den Gegenstand im zweiten Falle naͤher ken- nen zu lernen, wollen wir uns zuerst denken daß der Gegner eben so positiv und thaͤtig sei als wir, woraus folgt daß wenn wir mit einem groͤßern Theile unsers Ganzen einen kleinern des seinigen schlagen, er dasselbe thut. 477. Wollen wir also den Totalerfolg fuͤr uns ha- ben, so muͤssen wir es so einrichten daß der Theil der feindlichen Macht den wir schlagen wollen, ein groͤßeres Verhaͤltniß zu seinem Ganzen habe als der von unserer Macht Preis gegebene Theil zu unserm Ganzen hat. 478. Wollen wir z. B. den Hauptkampf mit ¾ un- serer Macht fuͤhren und ¼ zur Beschaͤftigung der nicht an- gegriffenen Theile verwenden, so muß der Theil der feind- lichen Macht den wir ernsthaft bekaͤmpfen groͤßer sein als ¼, also etwa ⅓. Treten in diesem Falle die Erfolge in entgegengesetzten Richtungen ein, so schlagen wir mit ¾ unserer Macht ⅓ der feindlichen; der Feind aber mit ⅔ der seinigen ¼ der unsrigen, welches uns offenbar im Vor- theil laͤßt. 479. Waͤren wir dem Feinde sehr uͤberlegen , so daß die ¾ unserer Macht hinreichten uns uͤber ½ der seini- gen einen gewissen Sieg zu versprechen, so wuͤrde der To- talerfolg noch entscheidender fuͤr uns sein. 480. Je uͤberlegener wir in der Zahl sind, um so groͤßer darf der Theil der feindlichen Macht sein den wir ernstlich bekaͤmpfen und um so groͤßer wird dann der Er- folg sein. Je schwaͤcher wir sind um so kleiner muß der ernsthaft bekaͤmpfte Theil sein, welches mit dem natuͤrli- chen Gesetze daß der Schwache seine Kraͤfte mehr konzentriren muß zusammenfaͤllt. 481. Aber hierbei ist schweigend vorausgesetzt daß der Feind ungefaͤhr eben so viel Zeit braucht unsern schwa- chen Theil zu schlagen wie wir zur Vollbringung unsers Sieges uͤber den seinigen noͤthig haben. Waͤre das nicht sondern es faͤnde ein sehr merklicher Unterschied Statt, so wuͤrde er einen Theil der Truppen die er dort angewendet hat noch gegen unsere Hauptmacht brauchen koͤnnen. 482. Nun ist aber ein Sieg in der Regel um so schneller erfochten je ungleicher die Macht ist; es folgt also daraus daß wir den Theil welchen wir aufopfern wollen nicht willkuͤhrlich klein machen duͤrfen, sondern daß er zu der feindlichen Macht die er beschaͤftigen soll ein ertraͤgli- liches Verhaͤltniß behalten muß. Das Konzentriren hat also beim Schwachen seine Grenzen. 483. Aber die Nr. 476 gemachte Voraussetzung findet aͤußerst selten Anwendung. Gewoͤhnlich ist ein Theil des Vertheidigers oͤrtlich verwendet und dieser nicht im Stande das Vergeltungsrecht so schnell zu uͤben wie noͤthig waͤre, woraus denn hervorgeht daß der Angreifende beim Kon- zentriren seiner Kraͤfte auch jenes Verhaͤltniß noch etwas uͤberschreiten darf und daß er z. B. noch immer einige Wahrscheinlichkeit des Gesammterfolges fuͤr sich hat wenn er mit ⅔ seiner Kraͤfte ⅓ der feindlichen schlaͤgt, weil das von ihm uͤbrig gebliebene Drittheil schwerlich in eben dem Maaße ins Gedraͤnge kommen wird. 484. Wollte man aber in dieser Folgerung weiter gehen und den Schluß machen daß wenn der Vertheidi- ger gar nichts Positives gegen den schwaͤchern Theil des Angreifenden thaͤte (ein Fall der so sehr oft eintritt), dar- aus immer der Sieg des Angreifenden folgen muͤßte, so wuͤrde man einen Fehlschluß thun; denn in den Faͤllen wo der Angegriffene sich nicht an dem schwaͤchern Theile der feindlichen Macht zu entschaͤdigen sucht, unterbleibt dies hauptsaͤchlich weil er noch Mittel findet einen Theil seiner nicht angegriffenen Macht in das Gefecht gegen unsere Hauptmacht zu bringen und also den Sieg dersel- ben zweifelhaft zu machen. 485. Je kleiner der Theil der feindlichen Macht ist den wir angreifen um so eher wird das moͤglich sein, theils wegen des kleinen Raumes, theils und besonders weil die moralische Kraft des Sieges bei kleinen Massen so sehr viel geringer ist; der Sieg uͤber einen kleinen Theil macht den Feind nicht so leicht Kopf und Muth verlieren die noch vorhandenen Mittel zur Wiederherstellung anzuwenden. 486. Nur wenn der Feind sich in den Fall gesetzt hat weder das Eine noch das Andere thun zu koͤnnen, d. h. sich weder durch einen positiven Sieg uͤber unsern schwaͤchern Theil zu entschaͤdigen, noch sich mit den dort uͤberfluͤssigen Kraͤften dem Hauptangriff entgegenzustellen, oder wenn er aus Unentschlossenheit nicht dazu kommt, so darf der Angreifende hoffen auch mit einer verhaͤltnißmaͤ- ßig sehr kleinen Macht ihn durch das Mittel der Konzen- trirung zu uͤberwinden. 487. Aber die Theorie darf nicht blos den Verthei- diger als in dem Nachtheil befangen darstellen, die Kon- zentrirung der Kraͤfte des Gegners nicht gehoͤrig vergelten zu koͤnnen, sondern sie muß auch darauf hinweisen daß, ohne Bezichung auf Angriff und Vertheidigung, einer der beiden Theile es in der Regel sein wird. 488. Es ist naͤmlich die unverhaͤltnißmaͤßige Verei- nigung von Kraͤften auf einem Punkte um dadurch auf diesem uͤberlegen zu werden, immer mit auf die Hoffnung gebaut den Gegner damit zu uͤberraschen , damit er we- der Zeit hat auf diesen Punkt eben so viel Kraͤfte hinzu- bringen noch sich auf eine Wiedervergeltung einzurichten. Daß diese Überraschung gelingen werde hat einen Grund fuͤr sich, naͤmlich den des fruͤhern Entschlusses d. i. der Initiative. 489. Dieser Vortheil der Initiative hat aber auch wieder seinen Gegensatz, wovon weiter unten gehandelt wer- den soll; wir bemerken also hier blos daß er kein abso- luter Vortheil ist, dessen Wirkungen sich in allen Faͤllen zeigen muͤßten. 490. Aber wenn auch von dem Grunde des Gelin- gens der Überraschung, welcher in der Initiative liegt, abgesehen und kein objektiver Grund uͤbrig gelassen wird, so daß das Gelingen nichts mehr fuͤr sich hat als das Gluͤck, so ist das doch in der Theorie nicht verwerflich, denn der Krieg ist ein Spiel von dem das Wagen un- moͤglich ausgeschlossen werden kann. Es bleibt also zulaͤssig da wo alle andere Motive fehlen, auf gut Gluͤck einen Theil seiner Macht zu konzentriren in der Hoffnung da- mit den Gegner zu uͤberraschen. 491. Gelingt diese Überraschung auf der einen oder andern Seite, so wird daraus, es mag der Angreifende oder der Vertheidiger sein dem sie gelingt, fuͤr den an- dern Theil ein gewisses Unvermoͤgen folgen sich durch Wiedervergeltung zu entschaͤdigen. 492. Bisher haben wir uns mit der Groͤße des zu bekaͤmpfenden Theils oder Punktes beschaͤftigt, jetzt kom- men wir zur Lage desselben. 493. Sieht man von allem Terrain und andern individuellen Umstaͤnden ab, so koͤnnen wir nur die Fluͤ- gel, die Flanken, den Ruͤcken und das Centrum unter- scheiden als Punkte die ihre Eigenthuͤmlichkeiten haben. 494. Die Fluͤgel weil man dort die feindlichen Streit- kraͤfte umfassen kann. 495. Die Flanken weil man hoffen darf dort auf einem Terrain zu schlagen auf welchem der Feind nicht eingerichtet ist und ihm den Ruͤckzug zu erschweren. 496. Den Ruͤcken eben so wie die Flanken, nur daß das Erschweren oder voͤllige Abschneiden des Ruͤck- zugs hier noch mehr vorherrscht. 497. Bei Flanken und Ruͤcken aber wird nothwen- dig vorausgesetzt daß man den Feind zwingen koͤnne uns dort Streitkraͤfte entgegenzustellen; wo man dieser Wir- kung unsers Erscheinens nicht gewiß ist, wuͤrde es gefaͤhr- lich sein, denn wo man keinen Feind zu bekaͤmpfen hat ist man muͤßig, und wo dies mit der Hauptmacht der Fall waͤre wuͤrde man unzweifelhaft seinen Zweck verfehlen. 498. Ein solcher Fall daß der Gegner Flanken und Ruͤcken Preis giebt, ist nun zwar hoͤchst selten, aber er kommt doch vor und zwar am leichtesten wenn der Geg- ner sich durch offensive Gegenunternehmungen schadlos haͤlt (Wagram, Hohenlinden, Austerlitz gehoͤren z. B. hierher). 499. Das Centrum, worunter wir nichts verstehen als einen Theil der Fronte der nicht Fluͤgel ist, hat die Eigenthuͤmlichkeit daß es zur Trennung der Theile fuͤhrt, welches gewoͤhnlich das Sprengen genannt wird. 500. Das Sprengen steht offenbar dem Umschließen entgegen. Beide wirken im Fall des Sieges sehr zerstoͤ- rend auf die feindlichen Kraͤfte, aber jedes anders und zwar: a) Das Umfassen traͤgt zur Sicherheit des Erfolges durch seine moralische Wirkung bei indem es den Muth des Gegners schwaͤcht. b) Das Sprengen im Centro traͤgt zur Sicherheit des Erfolges bei indem es unsere Kraͤfte mehr bei ein- ander laͤßt. Beides ist schon vorgekommen. c) Das Umfassen kann unmittelbar zu einer Vernich- tung der feindlichen Armee fuͤhren wenn es mit sehr uͤberlegenen Kraͤften ausgefuͤhrt wird und ge- lingt. In jedem Falle ist, wenn es zum Siege fuͤhrt, der Erfolg der ersten Tage dabei groͤßer als beim Sprengen. d) Das Sprengen kann nur indirekt zur Vernichtung der feindlichen Armee fuͤhren und zeigt seine Wir- kungen nicht leicht schon am ersten Tage so groß, sondern mehr strategisch in den folgenden. 501. Aber das Sprengen der feindlichen Armee durch Vereinigung unserer Hauptkraͤfte gegen einen Punkt setzt eine uͤbertriebene Frontelaͤnge beim Feinde voraus, denn es ist viel schwerer die uͤbrigen Streitkraͤfte des Feindes durch geringere zu beschaͤftigen, weil die dem Hauptangriff zu- naͤchst liegenden feindlichen Kraͤfte leicht zur Bekaͤmpfung desselben verwendet werden koͤnnen. Nun liegen aber bei einem Centralangriff dergleichen zu beiden Seiten, bei ei- nem Fluͤgelangriff nur auf einer Seite 502. 502. Die Folge ist daß ein solcher Centralangriff in Gefahr ist durch einen konzentrischen Gegenangriff in eine sehr nachtheilige Gefechtsform zu gerathen. 503. Es wird also die Wahl unter diesen Punkten nach den bestehenden Verhaͤltnissen geschehen. Laͤnge der Fronte, Beschaffenheit und Lage der Ruͤckzugslinie, Werth der feindlichen Truppen und Eigenthuͤmlichkeit des Feld- herrn, endlich das Terrain werden bei dieser Wahl bestim- men. Wir werden diese Gegenstaͤnde erst in der Folge naͤher betrachten. 504. Wir haben die Vereinigung der Hauptmacht zum wirklichen Kampf auf einen Punkt betrachtet, sie kann aber allerdings auf mehreren Punkten, auf zweien , ja auf dreien Statt finden ohne daß es aufhoͤrt eine Kraftvereinigung gegen einen Theil feindlicher Macht zu sein. Nur wird freilich mit der Mehrzahl der Punkte die Kraft des Prinzips geschwaͤcht. 505. Bisher haben wir nur die objektiven Vortheile einer solchen Kraftvereinigung im Auge gehabt, naͤmlich ein besseres Kraftverhaͤltniß fuͤr den Hauptpunkt. Aber es giebt auch einen subjektiven Grund fuͤr die Fuͤhrer oder Feldherrn, naͤmlich den den Haupttheil seiner Macht mehr in seiner Hand zu haben. 506. Wenn gleich in einer Schlacht der Wille des Feldherrn und seine Intelligenz das Ganze leitet, so dringt doch dieser Wille und diese Intelligenz nur in einem sehr geschwaͤchten Grade bis zu den untern Gliedern durch und dies ist um so mehr der Fall je entfernter sich die Truppen von dem Feldherrn befinden; die Wichtigkeit und Selbststaͤndigkeit der Unterbefehlshaber nimmt zu und dies ist auf Kosten des obersten Willens. III 24 507. Es ist aber nicht nur natuͤrlich, sondern, so lange keine Anomalie Statt findet, auch vortheilhaft daß der Befehlshaber die groͤßte Wirksamkeit behalte die die Umstaͤnde nur gestatten wollen. Wechselwirkung . 508. Hiermit haben wir Alles erschoͤpft was sich uͤber die Verwendung der Streitkraͤfte im Gefecht, aus ihrer Natur selbst Allgemeines entwickeln laͤßt. 509. Nur einen Gegenstand haben wir noch zu be- trachten: es ist die Wechselwirkung der beiderseitigen Plaͤne und Handlungen. 510. Da der eigentliche Plan eines Gefechts nur Das feststellen kann was sich in der Handlung vorhersehn laͤßt, so ist er meistens auf drei Dinge beschraͤnkt: 1. Die großen Umrisse. 2. Die Vorbereitungen. 3. Die Einzelnheiten des Anfangs. 511. Es ist also nur der Anfang durch den Plan wirklich ganz festgestellt, der Verlauf muß es werden durch neue aus den Umstaͤnden hervorgehende Bestimmungen und Befehle, d. i. durch die Fuͤhrung . 512. Es ist klar daß es wuͤnschenswerth waͤre die Grundsaͤtze welche bei dem Plan befolgt werden auch bei der Fuͤhrung zu befolgen, denn Zweck und Mittel bleiben ja dieselben; wenn es also nicht uͤberall geschehen kann, so ist das nur als eine unvermeidliche Unvollkommenheit zu betrachten. 513. Aber es ist nicht zu verkennen daß das Han- deln der Fuͤhrung ganz anderer Natur ist als das des Entwurfs . Dieser wird außer der Region der Gefahr und mit voͤlliger Muße gemacht, jene liegt immer im Drange des Augenblicks. Der Plan entscheidet immer von einem hoͤhern Standpunkt aus mit einem weitern Gesichtskreise; die Fuͤhrung wird von dem naͤchsten und individuellsten bestimmt, oft mehr als bestimmt, fort- gerissen . Wir wollen spaͤter von dem Unterschiede in dem Charakter dieser beiden Thaͤtigkeiten der Intelligenz reden, hier aber noch davon absehen und uns damit be- gnuͤgen sie als verschiedene Epochen von einander getrennt zu haben. 514. Denkt man sich beide Theile so daß keiner etwas von den Anordnungen des Gegners kennt, so wird jeder die seinigen nur nach den allgemeinen Grundsaͤtzen der Theorie machen koͤnnen. Ein großer Theil davon liegt in der Formation und der sogenannten Elementartak- tik der Heere, die natuͤrlich nur auf das Allgemeine ge- gruͤndet ist. 515. Es ist aber offenbar daß eine Anordnung die sich nur auf das Allgemeine bezieht, nicht die Wirk- samkeit einer solchen haben kann die auf individuelle Um- staͤnde gebaut ist. 516. Folglich muß es ein sehr großer Vortheil sein seine Anordnungen spaͤter als der Feind und mit Beruͤck- sichtigung der feindlichen zu treffen; es ist die Hinterhand des Spielers. 517. Selten oder nie wird ein Gefecht ohne Be- ruͤcksichtigung individueller Umstaͤnde angeordnet. Der erste dessen Kenntniß niemals ganz fehlen kann ist das Terrain . 518. Die Kenntniß des Terrains wohnt vorzugs- weise dem Vertheidiger bei, denn nur er weiß genau und 24* vorher in welcher Gegend das Gefecht sein wird und hat also Zeit diese Gegend gehoͤrig zu untersuchen. Hier schlaͤgt die ganze Theorie der Stellungen, insofern sie in die Taktik gehoͤrt, Wurzel. 519. Auch der Angreifende lernt die Gegend kennen noch ehe das Gefecht angeht, aber nur unvollkommen, denn der Vertheidiger ist im Besitz und erlaubt ihm nicht naͤher zu untersuchen. Was er von Fern etwa erkennen kann dient ihm zur naͤhern Bestimmung seines Plans. 520. Will der Vertheidiger einen andern Gebrauch von der Gegend machen als den der bloßen Kenntniß, will er sie zu lokaler Vertheidigung benutzen, so folgt dar- aus mehr oder weniger eine bestimmte, ins Einzelne gehende Verwendung seiner Streitkraͤfte; dadurch kommt der Gegner in den Fall sie kennen zu lernen und bei seinem Plane zu beruͤcksichtigen. 521. Dies ist also die erste Beruͤcksichtigung des Gegners welche eintritt. 522. In den meisten Faͤllen ist diese Station als diejenige zu betrachten wo die Plaͤne beider Theile ab- schließen, was weiter geschieht gehoͤrt schon zur Fuͤhrung. 523. In Gefechten wo keiner der beiden Theile als eigentlicher Vertheidiger zu betrachten ist, wo beide einan- der entgegenkommen, vertreten Formation, Schlachtordnung und Elementartaktik, als stereotype Disposition, etwas mo- difizirt durch das Terrain, die Stelle eines eigentlichen Plans. 524. Bei kleinen Ganzen kommt dies sehr haͤufig vor, bei großen Ganzen sehr selten. 525. Ist aber die Handlung in Angriff und Verthei- digung getheilt, so befindet sich auf der Nr. 522 genannten Station der Angreifende, was die Wechselwirkung betrifft, offenbar im Vortheil. Zwar hat er die Initiative des Handelns ergriffen, aber der Gegner hat durch seine Ver- theidigungsanstalten einen großen Theil dessen was er thun will kund geben muͤssen. 526. Es ist aus diesem Grunde daß in der Theo- rie bisher der Angriff als eine uͤberwiegend vortheilhafte Form des Gefechtes betrachtet worden ist. 527. Den Angriff als die vortheilhaftere oder mit einem bestimmteren Ausdruck als die staͤrkere Form des Gefechts betrachten, fuͤhrt zu einem Absurdum, wie wir in der Folge zeigen werden. Dies hat man uͤbersehen. 528. Der Fehler des Schlusses liegt in der Über- schaͤtzung des Nr. 525 genannten Vortheils. Er ist wichtig in Beziehung auf die Wechselwirkung, aber diese ist nicht Alles . Der Vortheil sich des Terrains als einer Huͤlfs- macht zu bedienen und damit seine Streitkraͤfte gewisser- maßen zu multipliziren ist in sehr vielen Faͤllen von groͤ- ßerer Bedeutung und koͤnnte es mit gehoͤrigen Anordnun- gen in den meisten sein. 529. Aber ein falscher Gebrauch des Terrains (sehr ausgedehnte Stellungen) und ein falsches System der Ver- theidigung (bloße Passivitaͤt) haben allerdings jenem Vor- theil des Angreifenden, mit seinen Maaßregeln des Plans in der Hinterhand zu bleiben , eine solche Wichtigkeit gegeben daß der Angriff diesem Punkt allein fast die ganze Wirksamkeit zu danken hat die er in der Praxis uͤber sein natuͤrliches Maaß hinaus zeigt. 530. Aber die Einwirkung der Intelligenz hoͤrt mit dem eigentlichen Plan nicht auf und wir muͤssen das Ver- haͤltniß der Wechselwirkung durch das Gebiet der Fuͤh- rung verfolgen. 531. Das Gebiet der Fuͤhrung ist der Verlauf oder die Dauer des Gefechts; diese ist aber um so groͤ- ßer je mehr successive Kraftverwendung Statt findet. 532. Wo man also auf die Fuͤhrung viel rechnen will bedingt dies eine große Tiefe der Aufstellung. 533. Es entsteht zuerst die Frage ob es besser ist mehr dem Plane oder mehr der Fuͤhrung anzuvertrauen? 534. Es waͤre offenbar widersinnig irgend ein vor- handenes Datum absichtlich unberuͤcksichtigt zu lassen und wenn es fuͤr die beabsichtigte Handlung irgend einen Werth hat, diesen nicht mit in die Überlegung aufzunehmen. Hiermit aber ist nichts Anderes gesagt als daß man den Plan in die Handlung so weit hineingreifen lassen wird als Data vorhanden sind und daß das Feld der Fuͤhrung nur da anfangen wird wo der Plan nicht mehr hinrei- chen kann. Die Fuͤhrung ist also nur eine Stellvertretung des Plans und insofern wie ein nothwendiges Übel zu betrachten. 535. Aber wohlverstanden: es ist nur vom moti- virten Plane die Rede. Alle Bestimmungen die eine in- dividuelle Tendenz haben, muͤssen nicht auf willkuͤrliche Voraussetzungen , sondern auf Data gebaut sein. 536. Wo also die Data aufhoͤren muͤssen auch die Bestimmungen des Plans aufhoͤren. Denn es ist offenbar besser daß Etwas unbestimmt , d. h. unter die Obhut allgemeiner Grundsaͤtze gestellt bleibe, als daß es auf eine Weise bestimmt werde die nicht zu den Umstaͤnden paßt die sich hinterher ergeben. 537. Jeder Plan der im Verlauf des Gefechts zu viel Detail bestimmt, muß dadurch fehlerhaft und verderb- lich sein, denn das Detail haͤngt nicht blos von allgemei- nen Gruͤnden, sondern wieder von Einzelheiten ab die un- moͤglich vorher gekannt sein koͤnnen. 538. Wenn man uͤberlegt daß die Einwirkung einzel- ner Umstaͤnde (zufaͤlliger und anderer) zunimmt mit Zeit und Raum, so sieht man daß hier der Grund liegt warum sehr weit umfassende und kombinirte Bewegungen selten gelingen und haͤufig verderblich werden. 539. Überhaupt liegt hier der Grund der Verderb- lichkeit aller sehr zusammengesetzten und kuͤnstlichen Ge- fechtsplane. Sie sind saͤmmtlich, oft unbewußt, auf eine Masse von kleinen Voraussetzungen gegruͤndet von denen ein großer Theil nicht zutrifft. 540. Statt einer ungebuͤhrlichen Ausdehnung des Plans ist es also besser mehr der Fuͤhrung zu uͤberlassen. 541. Dies setzt aber (nach 532) eine tiefe Aufstel- lung d. h. große Reserven voraus. 542. Wir haben (525) gesehen daß der Angriff, was die Wechselwirkung betrifft, mit seinem Plane wei- ter reicht. 543. Dagegen hat der Vertheidiger durch das Ter- rain eine Menge von Veranlassungen den Gang seines Gefechts im Voraus zu bestimmen, d. h. mit seinem Plane weit in dasselbe hineinzugreifen. 544. Bliebe man auf diesem Standpunkt stehen, so wuͤrde man sagen daß die Plane des Vertheidigers viel durchgreifender sind als die des Angreifenden, daß die- ser viel mehr der Fuͤhrung uͤberlassen muß. 545. Aber dieser Vorzug des Vertheidigers ist nur scheinbar, nicht wirklich vorhanden. Wir duͤrfen naͤmlich nicht vergessen daß die Anordnungen die sich auf das Ter- rain beziehen, bloß Vorbereitungen sind die sich auf Voraussetzungen, nicht auf wirkliche Maaßregeln des Geg- ners gruͤnden. 546. Nur weil diese Voraussetzungen gewoͤhnlich sehr wahrscheinlich sind, und insofern sie das sind, ha- ben sie und die auf sie gegruͤndeten Anordnungen Werth. 547. Diese Bedingung aber, die fuͤr den Verthei- diger in seinen Voraussetzungen und darauf gebauten An- ordnungen gemacht wird, beschraͤnkt sie natuͤrlich sehr und noͤthigt ihn mit seinen Anordnungen und Planen vorsichtig zu sein. 548. Ist er damit zu weit gegangen , so kann der Angreifende sich ihnen entziehen und dann entsteht auf der Stelle eine todte Kraft, d. h. eine Kraftverschwendung . 549. Hierher gehoͤren die zu ausgedehnten Stellun- gen und zu haͤufig angewandte Lokalvertheidigung. 550. Gerade diese beiden Fehler haben oft den Nach- theil gezeigt welcher aus einer uͤbertriebenen Ausdehnung des Plans bei dem Vertheidiger entsteht und den Vortheil welchen der Angreifende aus der naturgemaͤßen Ausdeh- nung des seinigen ziehen kann. 551. Nur sehr starke Stellungen, die es aber auch unter allen Gesichtspunkten sind , geben dem Plane des Vertheidigers ein groͤßeres Gebiet als der Plan des Angreifenden haben kann. 552. In dem Maaße aber als die Stellung weni- ger ausgezeichnet gut ist, oder gar nicht vorhanden, oder daß Zeit fehlt sich gehoͤrig darin einzurichten, in dem Maaße wird der Vertheidiger mit den Bestimmungen sei- nes Plans hinter dem Angreifenden zuruͤckbleiben und sich mehr auf die Fuͤhrung verlassen muͤssen. 553. Dies Resultat fuͤhrt also wieder dahin daß der Vertheidiger vorzugsweise die successive Kraftverwen- dung suchen muß. 554. Aber wir haben fruͤher gesehen daß nur die großen Massen den Vortheil kurzer Fronten haben koͤn- nen, und wir muͤssen also jetzt sagen daß der Vertheidi- ger sich um so eher aus der Gefahr einer uͤbermaͤßi- gen durch das Terrain veranlaßten Ausdehnung seines Plans, einer verderblichen Kraftversplit- terung retten muß zu den Huͤlfsquellen die in der Fuͤh- rung, d. i. in den starken Reserven liegen. 555. Hieraus entsteht offenbar die Folgerung daß das Verhaͤltniß der Vertheidigung zum Angriff um so guͤnstiger wird je groͤßer die Massen werden. 556. Dauer des Gefechts, d. i. starke Reserven und moͤglichst successive Verwendung derselben , ist also die erste Bedingung fuͤr die Fuͤhrung , und die Überlegenheit in diesen Dingen muß also auch eine Über- legenheit in der Fuͤhrung mit sich bringen, abgesehen von aller Virtuositaͤt dessen der sie braucht, denn die hoͤchste Kunst kann ohne Mittel nicht wirksam werden, und man kann sich sehr gut denken daß der minder Geschickte, dem aber noch mehr Mittel zu Gebote stehen, im Verlauf des Gefechts das Übergewicht bekommt. 557. Nun giebt es noch eine zweite objektive Be- dingung welche im Allgemeinen die Überlegenheit in der Fuͤhrung giebt, und diese liegt ganz auf der Seite des Vertheidigers: es ist die Bekanntschaft mit der Gegend. Welchen Vortheil diese da geben muß wo es auf schnelle Entschluͤsse ankommt, die ohne Übersicht im Drange der Umstaͤnde genommen werden, ist an sich klar. 558. Es ist in der Natur der Dinge daß die Be- stimmungen des Plans mehr die Glieder hoͤherer Ord- nung, die der Fuͤhrung mehr die der niedern treffen; folglich wird jede einzelne der letztern von geringerer Be- deutung sein, aber natuͤrlich sind sie auch viel zahlreicher, wodurch der Unterschied in der Wichtigkeit zwischen Plan und Fuͤhrung zum Theil ausgeglichen wird. 559. Ferner ist es in der Natur der Sache daß in der Fuͤhrung die Wechselwirkung ihr eigentliches Feld hat, daß sie hier nie aufhoͤrt, weil beide Theile einander im Angesicht sind, und folglich daß sie den groͤßten Theil der Bestimmungen entweder veranlaßt oder modifizirt. 560. Ist nun der Vertheidiger besonders darauf hin- gewiesen die Kraͤfte fuͤr die Fuͤhrung aufzusparen (Nr. 553), ist er im Allgemeinen bei ihrem Gebrauche im Vortheil (Nr. 557), so folgt daraus daß er den Nachtheil in wel- chem er sich bei der Wechselwirkung der Plane befindet, durch das Übergewicht in der Wechselwirkung der Fuͤhrung nicht nur wieder gut machen, sondern auch ein Übergewicht in der Wechselwirkung uͤberhaupt wird erreichen koͤnnen. 561. Wie aber auch in dem einzelnen Falle das Ver- haͤltniß in dieser Beziehung zwischen beiden Theilen sei, es wird bis auf einen gewissen Grad das Bestreben vorhan- den sein muͤssen mit seinen Maaßregeln in die Hinter- hand zu kommen um die des Gegners dabei beruͤcksichti- gen zu koͤnnen. 562. Dies Bestreben ist der eigentliche Gedanke wel- cher den so sehr viel staͤrkeren Reserven zum Grunde liegt, die in der neuern Zeit bei großen Massen gebraucht werden. 563. Wir tragen kein Bedenken bei allen bedeuten- den Massen, naͤchst dem Terrain, in dieses Mittel das vorzuͤglichste Agens der Vertheidigung zu setzen. Charakter der Führung . 564. Wir haben gesagt daß in dem Charakter der Bestimmungen die den Plan und die die Fuͤhrung eines Gefechts geben ein Unterschied ist; die Ursache ist weil die Umstaͤnde verschieden sind unter denen die Intelligenz wirkt. 565. Diese Verschiedenheit der Umstaͤnde besteht in drei Elementen: naͤmlich in dem Mangel an Daten, in dem Mangel an Zeit und in der Gefahr. 566. Dinge die bei vollkommener Übersicht der Lage und des großen Zusammenhanges Hauptsachen werden, koͤnnen es nicht mehr sein wenn diese Übersicht fehlt; es werden also andere und zwar, wie sich von selbst versteht, naͤher liegende Erscheinungen vorherrschend wichtig. 567. Ist der Plan eines Gefechts also mehr eine geometrische, so ist die Fuͤhrung mehr eine optische Zeich- nung; jener mehr ein Grundriß, diese mehr eine perspekti- vische Ansicht. Wie dieser Fehler gut gemacht werden muß werden wir in der Folge sehen. 568. Außerdem daß Mangel an Zeit auf den Man- gel an Übersicht wirkt, wirkt er auch auf die Überlegung. Es kann weniger ein vergleichendes, abwaͤgendes, kritisches Urtheil als der bloße Takt wirksam werden, d. i. ein zur Übung gewordener Handgriff des Urtheils . Auch das muͤssen wir uns merken. 569. Daß das unmittelbare Gefuͤhl großer Gefahr fuͤr sich und Andere stoͤrend auf den bloßen Verstand wirkt ist in der menschlichen Natur. 570. Wenn also das Urtheil des Verstandes auf jede Weise beengt und geschwaͤcht wird, wohin kann es sich fluͤchten? — Nur zum Muth. 571. Es ist hier offenbar ein Muth doppelter Art erforderlich. Muth um nicht von der persoͤnlichen Gefahr uͤberwaͤltigt zu werden, und Muth um auf Ungewisses zu rechnen und sein Handeln darauf einzurichten. 572. Das Zweite pflegt man Muth des Verstandes (courage d’ésprit) zu nennen; fuͤr das Erste giebt es keinen dem Gesetz der Antithese genuͤgenden Namen. Die Ursache ist weil jene Benennung selbst nicht richtig ist. 573. Fragen wir uns was in der urspruͤnglichen Bedeutung Muth genannt wird, so ist es die persoͤnliche Aufopferung in der Gefahr, und von diesem Punkte muͤs- sen wir auch ausgehen, denn darauf stuͤtzt sich zuletzt Alles. 574. Ein solches Gefuͤhl der Aufopferung kann zwei ganz verschiedenartige Quellen haben: erstens Gleichguͤltig- keit gegen die Gefahr, sei es daß sie aus dem Organis- mus des Individuums oder aus Gleichguͤltigkeit gegen das Leben oder aus Gewohnheit der Gefahr hervorgehe, und zweitens positive Motive: Ehrgeiz, Vaterlandsliebe, Be- geisterung jeder Art. 575. Nur die erste ist als der echte angeborne oder zur Natur gewordene Muth zu betrachten, und er hat das Eigenthuͤmliche daß er mit dem Menschen ganz iden- tisch ist, also nie fehlt. 576. Anders ist es mit dem Muth der aus positi- ven Gefuͤhlen entspringt. Diese stellen sich den Eindruͤcken der Gefahr entgegen, dabei kommt es natuͤrlich auf ihr Verhaͤltniß zu denselben an. Es giebt Faͤlle wo sie viel weiter fuͤhren als die bloße Gleichguͤltigkeit gegen die Ge- fahr, in andern werden sie von dieser uͤberholt. Diese laͤßt das Urtheil nuͤchterner und fuͤhrt zur Standhaf- tigkeit , jene machen unternehmender und fuͤhren zur Kuͤhnheit . 577. Ist mit solchen Anregungen Gleichguͤltigkeit ge- gen die Gefahr verbunden, so entsteht der vollkommenste persoͤnliche Muth. 578. Dieser bisher betrachtete Muth ist etwas ganz Subjektives, er bezieht sich bloß auf die persoͤnliche Aufopfe- rung und kann darum persoͤnlicher Muth genannt werden. 579. Nun ist aber natuͤrlich daß Jemand der auf das Opfer seiner Person keinen großen Werth legt, auch die Aufopferung der Andern die zufolge seiner Stellung von seinem Willen abhaͤngig gemacht sind, nicht hoch an- schlaͤgt. Er betrachtet sie als eine Waare uͤber die er in eben dem Gefuͤhle schalten kann wie uͤber sich selbst. 580. Ebenso wird Der welcher durch irgend ein po- sitives Gefuͤhl in die Gefahr hineingezogen wird, dieses Gefuͤhl den Andern entweder leihen oder sich berechtigt glauben diese Andern seinem Gefuͤhle unterzuordnen. 581. Auf beide Arten bekommt der Muth einen ob- jektiven Wirkungskreis . Er wirkt nun nicht mehr bloß auf die eigene Aufopferung, sondern auf den Gebrauch der ihm untergebenen Streitkraͤfte. 582. Schließt der Muth alle zu lebhaften Eindruͤcke der Gefahr von der Seele aus, so wirkt er auf die Thaͤ- tigkeiten des Verstandes. Diese werden frei weil sie nicht mehr unter dem Druck der Besorgnisse stehen. 583. Aber freilich koͤnnen Verstandeskraͤfte die nicht vorhanden sind dadurch nicht entstehen und noch weniger Einsichten. 584. Es kann also der Muth bei Mangel an Ver- stand und Einsicht oft zu sehr falschen Schritten fuͤhren. 585. Ganz andern Ursprungs ist der Muth welchen man Muth des Verstandes genannt hat. Er entspringt aus der Überzeugung von der Nothwendigkeit des Wagens, oder auch von einer hoͤhern Einsicht welcher das Wagen nicht so groß als den Übrigen erscheint. 586. Diese Überzeugung kann auch in solchen Menschen entstehen die keinen persoͤnlichen Muth haben, aber sie wird erst Muth, d. h. sie wird erst eine Kraft die den Menschen im Drange des Augenblicks und der Gefahr aufrecht und im Gleichgewichte erhaͤlt, wenn sie auf das Gemuͤth zu- ruͤckwirkt, die edlern Kraͤfte desselben weckt und steigert, und darum ist der Ausdruck Muth des Verstandes nicht ganz richtig, denn aus dem Verstande selbst ent- springt er nie. Daß Gedanken Gefuͤhle hervorbringen koͤnnen und daß diese Gefuͤhle durch fortdauernde Einwir- kung des Denkvermoͤgens gesteigert werden koͤnnen, weiß Jeder aus der Erfahrung. 587. Indem auf der einen Seite der persoͤnliche Muth die Verstandeskraͤfte unterstuͤtzt und dadurch erhoͤht, auf der andern die Verstandesuͤberzeugung die Gemuͤths- kraͤfte weckt und belebt, naͤhern sich beide einander und koͤnnen zusammen fallen, d. h. dasselbe Resultat in der Fuͤhrung geben. Aber dies ist doch selten. Gewoͤhnlich haben die Handlungen des Muthes etwas von dem Cha- rakter seines Ursprungs. 588. Wo großer persoͤnlicher Muth und großer Ver- stand sich vereinigt finden, da muß natuͤrlich die Fuͤhrung die vollkommenste sein. 589. Daß der von der Verstandesuͤberzeugung aus- gehende Muth sich hauptsaͤchlich auf dasjenige Wagen be- zieht welches in dem Vertrauen zu ungewissen Dingen und zu gutem Gluͤck besteht und weniger auf die persoͤn- liche Gefahr, liegt in der Natur der Sache, denn diese kann nicht leicht ein Gegenstand großer Verstandesthaͤtig- keit werden. 590. Wir sehen also daß in der Gefechtsfuͤhrung, d. h. im Drange des Augenblicks und der Gefahr die Gemuͤthskraͤfte den Verstand unterstuͤtzen und dieser die Gemuͤthskraͤfte wecken muß. 591. Ein solcher erhoͤheter Zustand der Seele ist er- forderlich wenn das Urtheil ohne Übersicht, ohne Muße, im heftigsten Drange der Erscheinungen treffende Entschei- dungen geben soll. Man kann ihn das kriegerische Talent nennen. 592. Wenn man ein Gefecht mit seiner Masse großer und kleiner Glieder und der von ihm ausgehenden Hand- lungen betrachtet, so faͤllt in die Augen daß der Muth welcher von der persoͤnlichen Aufopferung ausgeht, in der niedern Region vorherrschen d. h. mehr uͤber die kleinen Glieder gebieten wird, der andere mehr uͤber die großen. 593. Je weiter man in dieser Gliederung hinunter- steigt um so einfacher wird das Handeln, um so mehr kann also der einfache Verstand zureichen, um so groͤßer aber wird die persoͤnliche Gefahr und folglich um so mehr ist der persoͤnliche Muth in Anspruch genommen. 594. Je hoͤher man hinaufsteigt um so wichtiger und folgereicher wird das Handeln des Einzelnen, weil die Gegenstaͤnde woruͤber er entscheidet mehr oder weniger in einem durchgreifenden Zusammenhange mit dem Ganzen stehen. Hieraus folgt daß viel mehr Übersicht erforder- lich waͤre. 595. Nun hat zwar die hoͤhere Stelle auch immer einen weiteren Horizont, uͤbersieht den Zusammenhang viel besser als die niedern; aber alle Übersicht die im Laufe eines Gefechts vermißt wird, fehlt doch hauptsaͤchlich hier, und es ist also auch hauptsaͤchlich hier wo so Vieles auf gut Gluͤck und mit dem bloßen Takte des Urtheils voll- bracht werden muß. 596. Dieser Charakter der Fuͤhrung steigert sich im- mer mehr je weiter das Gefecht vorruͤckt, denn um so weiter hat sich der Zustand von dem ersten der uns ganz bekannt war, entfernt. 597. Je laͤnger das Gefecht gedauert hat um so mehr Zufaͤlle, d. h. Ereignisse die außer unserer Berech- nung liegen, haben darin stattgefunden, um so mehr ist Alles aus dem Gefuͤge seiner Ordnung gewichen, um so wilder und verworrener sieht es hier und da schon aus. 598. Je weiter aber ein Gefecht vorgeruͤckt ist um so mehr haͤufen sich die Entscheidungen, um so naͤher ruͤk- ken sie an einander, um so weniger Zeit ist zur Überlegung. 599. So geschieht es daß auch die hoͤhern Glieder nach und nach, besonders fuͤr einzelne Punkte und Augen- blicke, in die Region hinabgezogen werden wo persoͤnlicher Muth mehr gilt als Überlegung und fast Alles macht. 600. Auf diese Weise erschoͤpfen sich in jedem Ge- fechte die Kombinationen immer mehr und zuletzt ist es fast der Muth allein der noch kaͤmpft und wirkt. 601. Wir sehen also daß es der Muth und die von ihm erhoͤhete Intelligenz sind welche die Schwierigkeiten auszugleichen haben die dem Handeln in der Fuͤhrung ent- entgegentreten. Wie weit sie das koͤnnen oder nicht ist darum nicht die Frage weil es beim Gegner ebenso aus- sieht; unsere Fehler und Mißgriffe also in der Allgemein- heit der Faͤlle durch die seinigen ausgeglichen werden. Aber worauf es sehr ankommen muß, das ist dem Gegner in Muth und Intelligenz, vor Allem aber in dem Ersten nicht nachzustehen . 602. Aber es giebt noch Eins was hier von großer Wichtigkeit ist, es ist der Takt des Urtheils . Dies gehoͤrt, außer dem angebornen Talent, hauptsaͤchlich der Übung an, welche mit den Erscheinungen vertraut und das Auffinden der Wahrheit, also das richtige Urtheil fast zur Gewohnheit macht . Hierin liegt der Hauptwerth der Kriegserfahrung und das große Übergewicht welches sie dem Heere geben kann. 603. Endlich haben wir noch zu sagen daß wenn die Umstaͤnde in der Gefechtsfuͤhrung immer dem Naͤheren eine uͤberwiegende Wichtigkeit uͤber das Hoͤherstehende oder Entfernte geben, dieser Fehler in der Ansicht der Dinge nur dadurch gut gemacht werden kann daß der Handelnde, in der Ungewißheit ob er das Rechte getroffen hat, seine Handlung zum Bestimmenden zu machen sucht. Dies geschieht indem er alle moͤgliche Erfolge die daraus zu ziehen sind, wirklich erstrebt. Auf diese Weise wird das Ganze welches immer von einem hohen Standpunkte aus geleitet werden sollte, da wo dieser nicht zu gewinnen war von einem untergeordneten aus in einer gewissen Richtung mit fortgerissen. Wir wollen mit einem Beispiel verstaͤndlicher zu wer- den suchen. Wenn ein Divisionsgeneral in dem Wirrwarr einer großen Schlacht außer den Zusammenhang des III 25 Ganzen gekommen ist und ungewiß ist ob er noch einen Angriff wagen soll oder nicht, so wird er, wenn er sich zum Angriff entschließt, doch allein darin eine Beruhigung fuͤr sich und das Ganze finden koͤnnen, daß er dahin strebt nicht allein mit seinem Angriff durchzudringen, sondern auch einen solchen Erfolg zu erhalten der, was unterdeß auf andern Punkten sich Schlimmes zugetragen haben koͤnnte, wieder gut machen wird. 604. Ein solches Handeln ist das was man im en- geren Sinne die Entschlossenheit nennt. Die Ansicht also welche wir hier geben, daß auf diese Weise allein das Ungefaͤhr beherrscht werden kann, fuͤhrt zur Entschlos- senheit ; diese bewahrt vor halben Maaßregeln und ist die glaͤnzendste Eigenschaft in der Fuͤhrung eines großen Kampfes. J. Hinterlassene Werke des Generals Carl von Clausewitz über Krieg und Kriegfuͤhrung. Dritter Band.