Teutschland und die Revolution . Von J . Görres . Coblenz , 1819 , in Commission bey H . J . Hölscher . Neque sie accipiatis, tamquam exprobraturns pr æ terita surre¬ xerim. Nam veterem quidem culpam intempestive objicere, inimici et alienis erroribus petulanter insultantis animi est: probi viri et salutis communis studiosi, peccata civifatis tegere, aut excusare malunt, nisi quoties ad calamitatem publicam amoliendam, præteritarum offensarum recordatio grande momentum habet. Nam ab errore quidem omni, homines quum simus, immunes haberi velle, nimium et superbum: sed ad eumdem Lapidem crebro impingere; ne¬ que saltem eventu temeritatem castigante ad cautionem eru¬ diri, id vero jam vix bene humanum est. Der Tarentinische Redner im Rathe gegen die Römer. Liv. D. II. L. XII. 12. N ach vier Jahren eines heftigen Partheykampfes, eines unsinnigen Widerstandes gegen die Ansprüche der Zeit und theilweiser Einräumungen von der einen Seite, und mancherley Uebertreibungen von der An¬ dern, ist es endlich dahin gediehen, daß eine allge¬ meine Gährung aller Gemüther durch ganz Teutsch¬ land sich bemeistert, und eine Stimmung eingetreten, wie sie wohl großen Catastrophen in der Geschichte voranzugehen pflegt. Was den thätigsten, ränkevollsten und verschmitztesten demagogischen Umtrieben für sich von unten herauf nimmer gelungen wäre, das fried¬ liche, ruheliebende, nüchterne und gemäßigte teutsche Volk in allen seinen Elementen und Tiefen aufzure¬ gen und zu erbittern, das haben die, so von oben die Sache bey dem langen Arme des Hebels ange¬ griffen, durch behendes Entgegenkommen glücklich zu Stande gebracht; und wie sie zum großen Theile die Ehre des gelungenen Werkes nicht ohne trifftige Gründe für sich in Anspruch nehmen dürfen, so rüsten sie sich auch mit freudigem Muthe zu vollbringen in kur¬ zer Frist, was etwa noch dem Ganzen an der Vol¬ lendung abgehen möchte, damit die Arbeit in allen ihren Theilen den Meister lobe. Indem sie jedesmal, wenn die aufgeregten Leidenschaften sich einigermaßen beruhigen wollten, zu schicklicher Zeit für einen neuen 1 Antrieb und Reiz gesorgt; indem sie mit glücklicher Gewandheit bey Jedem die schwache Seite aufgespürt und geschickt alle Vorkommnisse der Zeit benutzt, um mit scharfer Schneide sie gegen die wunden Stellen hinzurichten: haben sie das Geheimniß wirklich aus¬ gefunden, Alle aufzubringen, daß ein gemeines Ge¬ fühl des Unmuths von einem Ende des Vaterlandes zum Andern geht, und die Regierungen sich nun mit allem, was gut und edel und kräftig ist, in dieser Zeit in einen hoffnungslosen Streit verwickelt finden, und in Irrsale verloren, denen sie auf dem bisheri¬ gen Wege nimmer entrinnen mögen. Wie in drückend schwüler Sommerhitze die Schrecken eines dunkel auf¬ ziehenden Unwetters nichts über das innere Sehnen der Natur nach einer erfrischenden Kühle, die in sei¬ nem Gefolge geht, vermögen; so hat die Meinung auch schon mit dem Furchtbarsten sich beynahe aus¬ gesöhnt, wenn es nur die Schmach der Gegenwart hinwegzunehmen verspricht, und den Himmel von dem Qualm zu reinen Hoffnung giebt, der jetzt alle Glücks¬ sterne ihr verhüllt. Darum schrecken sie nicht jene Sturm¬ vögel, Vorboten des nahenden Ungewitters, die Jüng¬ linge, die sich, um das Schlechte und Nichtswürdige in seinen Organen aus dem Weg zu räumen, dem Tode weihen; noch hat es sie überrascht, als man ihr von Berlin aus die Entdeckung einer großen weitumgrei¬ fenden Conspiration zur Begründung einer teutschen Republik angesagt, weil die Erfahrung des letzten Menschenalters ihr die Kenntniß des allgemeinen Welt¬ gesetzes sattsam eingeprägt, dem zufolge jedes Aeu¬ ßerste seinen Gegensatz nothwendig und unausbleiblich hervorrufen muß. Nur Eines hat sie mitten im Lärm erbrochener Kisten und Kasten, im Gehen und Kom¬ men der Gensdarmen und Polizeyhäscher, beym hasti¬ gen Ueberrennen aller rechtlichen Formen in der vor¬ sichtigsten Behutsamkeit, bey der Beunruhigung ruhi¬ ger Männer, die der gewöhnlichste Lebenstatt schon zum voraus freysprechen mußte, beym Verhören und Versiegeln, Verhaften und der Haft entlassen; nur Eines hat sie in Mitte all dieser erschrecklichen Bewe¬ gungen verwundert, daß man über dem Aufspüren geheimer im Finstern gehender Verschwörungen, die eine Große nicht erkennt, die ihre weitläuftigen Ver¬ zweigungen über ganz Teutschland durch alle Stände, Alter und Geschlechter hinverbreitet; die murrend an jedem Heerde sitzt, auf Märkten und Straßen sich laut ausspricht; die ohne Zeichen sich in allen ihren Gliedern leicht erkennt, ohne geheime Obern und ohne Antrieb aus einer Mitte heraus doch im beßten Einverständniß stets zusammenwirkt; die mit viel tau¬ send offnen Augen in's Verborgenste hineinschaut, und der viel tausend Arme stets zu Gebote stehen: jene Verschwörung nämlich, in der das entrüstete Natio¬ nalgefühl, die betrogene Hoffnung, der mißhandelte Stolz, das gedrückte Leben, sich gegen die starre Willkühr, den Mechanism erstorbener Formen, das fressende Gift bewußtlos gewordener despotischer Re¬ gierungsmaximen, die das Verderben der Zeiten aus¬ gebrütet, und die Verstocktheit der Vorurtheile ver¬ bunden haben, und die mächtig und furchtbar wie nie eine Andere, wachsend mit jedem Tage in Mach und Thätigkeit, ihr Ziel so sicher erlangen wird, daß 1* die Gefahr nicht aufs Hintenbleiben, wohl aber aufs Ueberschnellen steht. Da die Sachen nun also stehen, und bis die Hand, die den Franzosen ihr Mane, Thecel, Phares in die Flammen von Moscau hineingeschrieben, auch unsere Sentenz unwiderruflich in brennenden Zügen an den Himmel schreibt, ist an Jeden, dem das Ge¬ tümmel der Zeit die Sinne nicht verwirrt, und der das Haupt noch in ruhiger Besonnenheit über den bewegten Fluthen hält, das Gebot ergangen, zu stehen auf der Warte der Zeit, zu wachen und zu merken auf die Zeichen, zu rufen und zu warnen ohne Unter¬ laß. Allerdings hat Schweigen seine Zeit und das Reden die seinige. Wenn der menschliche Dünkel keck das hohe Roß beschreitet, und mit verhängtem Zügel nach allen Gelüsten seiner Einbildungen und Leidenschaften jagt; wenn die Gewalt ihres Ursprungs und des innern Richtmaßes der Dinge vergessend, geängstigt durch eine Zeit, die sie nicht begreift, noch weniger zu bändigen weiß, alle ihre Fassung verliert, taumelnd alle Grenzpfähle der Nemesis niederreißt, und nicht blos die ethischen Schranken des Erlaubten und Unerlaubten durchbricht, sondern sogar alle die feinern Beziehungen dessen, was ziemlich ist und was sich nimmer ziemt, mißkennt und ohne Haltung bald tyrannische Gewaltthat übt, bald wieder schwach und nachgiebig, weil sie durch jene ihr Recht verwirkte, sich alles gefallen läßt: im Anfalle eines solchen Pa¬ roxismus mag allerdings der Einzelne ruhig zur Seite treten, und vertrauen auf das starke Weltgesetz, das Gott wie in die Natur, so in die Gesellschaft hinein¬ gelegt, und das mit ruhig unscheinbarem Wirken und kaum sichtbarem Widerstande sich jedes Uebermuthes leicht erwehrt, und alles Maaßlose zum eignen Selbst¬ mord drängt. Aber wenn nun nach solchen Anfällen wieder eine Remission eintritt, und in lichten Augen¬ blicken die Besinnung wiederkehrt; wenn die Natur der Dinge den Angriff abgewiesen, und das Band von Erz, das um das Ganze geschlagen, federnd ge¬ gen den Aufstand sich nur stärker angezogen: dann mag ein Zuspruch wieder an seiner Stelle seyn, und Reden ist geboten. Wohl haben alle große Weltbege¬ benheiten ihre innere Naturnothwendigkeit, ihre Durch¬ gänge, Umläufe und Wiederkehren; wohl hat auch der Wahnsinn dieser Zeit seine Stadien, sein periodi¬ sches Steigen und Fallen und seine critischen Augen¬ blicke, und in sofern läßt sich durch alles Mühen nichts ändern im Laufe der Dinge. Aber nur die Lei¬ denschaften fesseln an diese Naturgewalt; so viel hin¬ gegen von lichten Gedanken und besonnenen Willens¬ kräften in den Begebenheiten wirkt, so viel Freyheit ist in Ihnen; und wie die Vorsehung, nur wenn diese sich versagt, jene gegen sich selbst bewaffnet, dem Arzte gleich, der gegen die eine wildtobende Le¬ benskraft die andere ruhende aus ihrem Schlaf auf¬ ruft, so soll auch, wer auf eine kranke Zeit heilkräftig wirken will, zuerst mit heller Augen Licht die herr¬ schende Ideenverwirrung klären, und es ist dann schon so geordnet in der Welt, daß dem klar in sich ver¬ ständigten Geiste die dämonischen Mächte auch wider Willen dienen. Der Verfasser dieser Blätter hat im Verlauf des letzten Krieges wohl öfter zur Nation geredet, und ihr Vertrauen sich erworben. Seither aus Gründen zurückgetreten, die er zum Theil so eben berührt, hat er doch keinen wichtigen Anlaß vorbeygelassen, um antreibend, abhaltend, fördernd und hemmend, stra¬ fend und ermunternd, je nach seiner Ueberzeugung in die Zeit einzugreifen, damit er nicht unwürdig je¬ nes Vertrauens sich erweise. Nicht kennend Menschen¬ furcht und jene zage Sorglichkeit, die die Wahrheit immer nur halb zu zeigen wagt, hat er seines Her¬ zens Gedanken immer unverholen ausgesprochen. Nur die Wahrheit hat er gesucht, und wenn er nach be߬ tem Wissen sie gefunden, dann die Freyheit sich selbst dazu genommen; denn Wahrheit ohne Freyheit ist ein vergrabener Schatz, eine verschlossene Quelle, ein ver¬ siegelter Born, (Hohelied II . 12.). Freyheit ohne Wahr¬ heitsliebe aber ist unrecht Gut in eines Gottlosen Hause, ein feindseliger geringer Epha (Micha, 27. 10.), der höchsten Bosheit und feinsten Schalkheit Pallium und Palladium, wie Hamann schon bemerkt. Wenig gebend auf das, was man gemeinlich Menschenklugheit nennt, aber keineswegs darum jener Höhern sich entziehend, die mit jeder Einfalt sich verträgt, ist er gelassen seit¬ her nach menschlicher Möglichkeit auf dem Pfad des Rechtes fortgegangen, und hat immer von neuem sich überzeugt, daß diese Weise überall am schnellsten zum Ziele führt. Mit Sicherheit einem Instinkte sich hin¬ gebend, der sich mehr als einmal ihm bewährt; nicht grübelnd über die Folgen der Handlung, da jeder, die aus reinen Motiven bey nicht ganz getrübter An¬ schauung der Verhältnisse hervorgegangen, außen ihre Stätte bereitet ist, und ihre Wirkung, während das Verkehrte überall sich selbst vernichtet, hat er ruhigen Blicks ihre kreißenden Wellen verfolgt, bis sie sich mehr und mehr erweiternd in die Ferne verloren ha¬ ben. Nie der Wahrheit ihr Recht vergebend, obgleich im Eifer der Rede bisweilen, wie sie sagen, der Persön¬ lichkeiten allzu wenig schonend, ist er doch darum nie ernsthaft angetastet worden, weil das innere Rechts¬ gefühl, das unter den Teutschen glücklicherweise selbst in der Brust der Verstocktesten nie sich ganz will aus¬ rotten lassen, immer in Geheim auf seine Seite ge¬ treten; die Schlechten aber, die ihre Arme gegen ihn gezuckt, in der Hast ihrer Leidenschaften sich unterein¬ ander hindernd und ihre Angriffe gegenseitig aufhe¬ bend, in der Mitte immer eine Straße offen ließen, durch die er sicher durch sie hingegangen. Die Unbe¬ fangenheit, mit der er in das Getümmel blickt, muß darum vor allen Andern noch als ein besonderer Be¬ ruf erscheinen, und die Pflicht schärfen, Vernunft zu reden, so lange es noch Zeit seyn mag, und ehe die Schwerter Zungen werden, die ihre Sprüche in's grüne Fleisch einkerben. Darum sey das Folgende ein Spiegel der Zeit hingestellt, in dem sie einmal wie¬ der ernsten Blickes ihre eigene Gestalt in's Auge fasse. Es soll der Geist, der in diesen Worten lebt, war¬ nend wie ein St. Elmsfeuer auf den Segelstangen am Schiffe des Vaterlandes stehen, damit es auf die kommenden Gefahren sich bereite, und entweder den sichern Hafen suche, oder zeitig ins hohe Meer hin¬ aussteche. Wenn beherzigt und in dem vielfach umge¬ stürzten Boden der Gegenwart aufgenommen, können sie vielleicht zum Saatkorn einer bessern Zukunft wer¬ den; wenn nicht, mögen sie wie alles Frühere als Appellation der bessern Gegenwart an die Nachwelt gelten, und als Verwahrung ihres gesunden Verstan¬ des gegen böslichen Verdacht, der nur allzu sehr durch die Ereignisse gerechtfertigt wird. Wenn ein Uebel, das unter Einwirkung böser Gestirne sich zuerst erzeugt, dann unter der Ungunst der Umstände stetig wachsend sich mehr und mehr in¬ nerlich befestigt hat, bis es endlich zu gewaltthätigen Ausbrüchen gelangt, wenn ein solches Unheil bis zum Grunde erwogen werden soll; ob es vielleicht durch ein gemeinsames Zusammenwirken sich zum Guten lenken möge: dann wird die fruchtbarste Weise wohl jedes¬ mal diejenige seyn, die auf den Ursprung desselben zurückgeht, da wo es aus vielen verborgenen Quellen zuerst zusammenfloß und ihm dann durch alle Durch¬ gänge seiner Entwicklung folgt, bis dahin wo es zu seiner völligen Ausbildung gelangt, und dann die ge¬ wonnene Einsicht gegen das verworrene Treiben setzt, das gegenwärtig eine der Hauptquellen aller morali¬ schen und geselligen Uebel ist. Es läßt sich aber in sol¬ cher genetischen Weise nicht reden vom Unglück Teutsch¬ lands, ohne wenigstens zum Wiener Congreß zurück¬ zugehen, der zwar selbst wieder auf Verhältnisse, die Jahrhunderte lang fortbestanden, sich zurückbezieht, aber doch insofern er ein freyes Werk der Zeitgenos¬ sen ist, der Gegenwart und Zukunft verantwortlich bleibt, die wohlwissend, daß er selbst die Geburt un¬ heilschwangerer Vorvordern gewesen, doch wie billig ihn als die fruchtbare Bährmutter ihrer Uebel anerkennt, die einmal ans Licht geboren, in der Schuld der Zeit bald freudig aufgewachsen und erstarkt. Die Hoffnungen und Erwartungen Teutschlands, die im ersten Pariser Frieden nur allzu sehr zu kurz ge¬ kommen, waren geduldig mit zu diesem Congreß gezo¬ gen, und freylich wohl zu hoch anschlagend einige Jahre von vorübergehender Erhebung gegen Jahr¬ hunderte von Erbärmlichkeit und Entartung, klagbar in Mitte der Versammlung aufgetreten. Große Dinge hatte die Meinung von diesem Verein erwartet, der nach dem Sturze jener Universalmonarchie sich hier versam¬ melte, um die zerstörte europäische Republik wie¬ der zu restauriren und aufzubauen. Sie hatte richtig erkannt, daß ohne wenn die Veste der Mitte in die¬ sem gemeinen Wesen, Teutschland, sich wieder stark und wohl begründet finde, nicht für alle Zukunft an Ruhe, Ordnung, Friede und Gleichgewicht zu denken sey. Sie hatte einen Blick in die Geschichte zurückgewor¬ fen und erkannt, daß dies Reich nur damal ein wah¬ rer Schutz und Hort der Christenheit und eine Brust¬ wehre gegen innere und äußere Feinde in fester Sicher¬ heit auf sich geruht, als seine rege, lebendige Viel¬ heit unter der Einheit eines Kaisers vereinigt war. Darum war in richtigem Naturinstinkte die Mei¬ nung der Meisten dahin ausgefallen, daß man den Baustein, den der Feind verworfen, eben zum Eckstein mache; daß man die alte Idee wieder in der neuen Zeit erwecke, und sie kräftigend durch das junge Leben, das der Fortschritt der Entwicklung hervorgerufen, selbst sie wiedergebähre und verjünge. Man dachte sich ohngefähr, ein Kaiser werde aufs neue an die Spitze des Reiches treten, die Würde erblich so lange das Geschlecht bestehe; ihm zur Seite zum Schutz der Freyheit bey dieser Erblichkeit und zur Erhaltung des Gegensatzes, der einmal sich erhoben, ein teutscher König; dann die Herzoge des Reichs, seine Fürsten und Grafen, Prälaten und übrigen Standesherren um sie versammelt in einer Pairskammer; die Gemeinen aber in einer zweyten Kammer des Reichs-Parlamen¬ tes, und also jedes Glied des Ganzen bedingend und bedingt, alle Stämme sich beygeordnet und keiner herrschend über den Andern, alle mit Freyheit die¬ nend demselben Oberhaupte: die einzige Verfassung die für lange Zeiten auf der Teutschen Charakter und Sinnesweise paßt. Dies also geordnet trat dies Reich in die Gesammtheit der europäischen Staaten mit dem ganzen Gewicht seiner Macht und Würde, getragen von dem wiederbelebten Geiste seines Volkes, ein und die übrigen Angelegenheiten der europäischen Republik ordneten sich nun nach Billigkeit und dem gemeinsa¬ men Interesse der Theilnehmenden gemäß. Aber als die Dunkel, in die jene Versammlung sich zuerst gehüllt, einigermaßen sich verzogen, bemerkte man mit Bestürzung, daß hier keine Spur eines gro¬ ßen architectonischen Planes den Verhandlungen zum Grunde liege; der Uranus der alten Zeit, den der Saturn der Revolution entmannt, hörte gänzlich un¬ fruchtbar zu zeugen auf, und der allwaltende Zeus, der diesen vom Thron getrieben, hatte den großen Kampf noch nicht ausgestritten. Die Vorsehung hatte ein Anderes beschlossen, nicht aus dem Verdorrten sollte von oben herab ein mattes Scheinleben sich ge¬ stalten, auf anderem Wege sollte die Idee von unten aus dem frischen Leben grünend, in die Höhe treiben. Darum hatten die Höfe, während die Völker für Freyheit und Unabhängigkeit geschwärmt, keineswegs diesen Rausch getheilt, sondern klüglich in mancherley Traktaten ihres Vortheils wahrgenommen, und als es nun zum Werke gieng, und die beiden Mächte, die das Schicksal Teutschlands in Händen trugen, vor allem in Eintracht sich gesellen sollten, und nun in mildem Ernst und würdiger Festigkeit, selbst Opfer leistend und darum Opfer gebiethend mit Recht und Fug, ordnen mit den minder Mächtigen des Reiches Angelegenheiten: da mußten sie, um jene Ansprüche durchzusetzen, fremde Hülfe suchen und Oesterreich und Preußen theilten sich in den Englischen und Russischen Einfluß. Darum konnte fürder von Teutschland nicht die Rede seyn, es hatte sich selbst verloren in Europa; wie Oesterreich an Italien that, so Rußland an Polen und England an den teutschen Küsten von der Elbe bis zu den Dünen von Dünkirchen; Preußen das eben so an Sachsen zu thun versucht, aber wurde an den Rhein geschoben. Alles Andere ergab sich nun von selbst; nach dem Vorgange der Größeren fiengen auch bald die Schwächern an, sich der Thorheit zu entschla¬ gen, ein einiges und ganzes Reich zu bauen, und nach¬ dem nur erst kleine Anwandlungen eines beklemmen¬ den Gefühles im Angesicht der harrenden und schau¬ enden Zeit überwunden waren, begannen alle Leiden¬ schaften wieder ungescheut ihr altes vielgespieltes Spiel aufzulegen. Hatte vorher der Eroberer den goldenen Reifen der teutschen Kaiserkrone zerbrochen und die Stücke als Decorationen unter die Vasallen ausge¬ theilt; so waren die dominirenden Mächte jetzt in die Interessen des Vertriebenen eingetreten, und der Con¬ greß fand sich keineswegs berufen, aus den zerstreu¬ ten Fragmenten eine Reue auszuschmieden, und die Höfe ächteten zwar insgesammt den großen Räuber der europäischen Gesellschaft, erklärten aber den Raub als gute Prise, und den Stand, den die Handlung her¬ beygeführt, und den faktischen Besitz zur Grundlage der künftigen Ordnung im Reiche, das also getheilt blieb und vernichtet. Und es gieng nun diesem Grundsatz gemäß an ein Theilen der gewonnenen Beute, und die Kaiserburg wurde zum Wechselhause, wo man die Seelen sich zu¬ wog und zuzählte wie Dariken, und mit bitterm Hader sich um ein mehr und weniger stritt und erbitterte. Und als der Streit zu dem Punkt gekommen, daß die gezuckten Schwerdter sich rührten in den Scheiden, da sandte die Vorsehung, zürnend dem unheilbringenden Werke, den Mann der Insel unter sie. Dieser, an dem die ewige Gerechtigkeit ihre Gerichte schon geübt¬ er, den der Papst gesalbt, vor dem alle Fürsten sich gebeugt, vor dem die Welt sich gedemüthigt hatte, den die dünkelhafte Zeit als ihr höchstes Organ ange¬ staunt und vor dem sie, sonst an nichts glaubend und nichts achtend, in tiefster Andacht angebetet, der dann, um seine Götzendiener in tiefster Seele zu beschämen, seine eigne Nichtigkeit an sich selbst vor ihren Augen demonstrirte, und nachdem er also an sich und ihnen Recht geübt, in eine schimpfliche Dunkelheit sich zu¬ rückgezogen: dieser war noch einmal, um den zermal¬ menden Hohn gänzlich auszuführen, von den zürnen¬ den Himmelsmächten ausersehen, abermal die Geißel seines eignen, wenig gebesserten Volks zu seyn, und die Tische der Wechsler umzustoßen. Schon hatte die Nation tief die Schmach jener Ver¬ handlungen gefühlt, und in der niederschlagenden Be¬ trachtung desjenigen, was die Erfahrung schon gebracht und in der Vorahnung dessen, was noch bevorstehe, urtheilten alle Klassen des Volkes, wie damals die Städte Siziliens, als sie den Epiroten Pyrrhus her¬ übergerufen, um sich durch seine Hülfe vom Joche der Römer zu befreyen, und der Retter sie nun in ein Unerträglicheres zu schmieden versuchte: in Worten, die uns Livius in der zweyten Decas im vierzehnten Buche c . 18 aufbehalten: Irritatis ob hæc animis mus¬ sare primum homines , mox palam queri : cur igitur prioris status pnituisset, si nunc etiam toleranda eadem forent? frustra vocatum receptumque Pyrrhum, si stu¬ deat æmulari mores, quos puniturus advenissit . Neque acriorem ullius injuriæ sensum esse quam cujus auctor haberetur idem ille, qui vindex esse debuisset. In¬ zwischen regte sich als der neue Krieg begann, noch einmal ein Nachschlag jener früheren Begeisterung; ein glänzender Sieg, wie die Geschichte nicht viele auf¬ gezeichnet, schien Teutschland und seinem wiedererwach¬ ten Nationalgefühle alles wieder zu versprechen, was ihm die Feinde seit vielen Menschenaltern abgedrun¬ gen; aber im zweyten Pariser Frieden erndtete es die erste Frucht seiner nun sanctionirten Theilung, und des subalternen Verhältnisses, in das es die kleinliche Eigensucht gebracht; nicht einmal seine Integrität vor dem Kriege wurde wiederhergestellt; wenige abgetre¬ tene Festungen mochten nicht seine Gränzen schirmen, wenige Geldleistungen den Schimpf des Ganzen nim¬ mer abkaufen: das besiegte Frankreich, durch eine Ver¬ fassung gestärkt, gieng gleich allen Andern mächtiger als je vorher aus diesem Streite; das siegende Teutsch¬ land ohnmächtiger, zerrissener als es je zur andern Zeit gewesen. Was der Congreß in hastiger Eile geordnet hatte, wurde nun bestättigt und in ein gewisses System ge¬ bracht. „Die neue Ordnung in Europa sollte, wie später einer der erlauchten Theilnehmer in jener be¬ kannten Declaration auseinandersetzte, ein System des Zusammenhanges der Interessen und des gegenseitigen Verhältnisses der Pflichten seyn, das Werk der durch die göttliche Vorsehung herbeygeführten Begebenheiten. Eine allgemeine Verbindung Aller gegen jeden allen¬ fallsigen Ruhestörer sollte den Bestand dieses Systems gewähren; jede andere jenem Bunde entgegengesetzte Allianz aus Furcht oder Ehrgeiz abgeschlossen, an sich schon mit dem Geiste des Zeitalters unverträglich, würde nur einen Streit der Treulosigkeit mit der Treue der Verpflichtungen begründen, und sein Ausgang unter den Wünschen der Völker und dem Segen des Himmels nicht lange zweifelhaft bleiben. Darum sollte zwar eine gewisse Obergewalt der Mächte über die Staaten des zweyten und dritten Rangs, collectiv nach berathenden Formen geübt, bestehen, ohne jedoch die Macht der Stärkeren zu vergrößeren, oder die Unab¬ hängigkeit der Schwächeren zu gefährden.« Dieses Surrogat einer vollziehenden Gewalt, den Mächtigern beygelegt, wurde in der Folge auf dem Congreß von Aachen gänzlich aufgelößt, und es blieb nun eine reine Negativität im wechselseitigen Verhältnisse aller Staa¬ ten, als die Grundlage des europäischen Bundes zu¬ rück. Statt wie im alten Systeme des Gleichgewichts um Abwägungen entgegengesetzter Kräfte sich zu mühen, wurden alle Gegensätze als aufgegeben, oder wenig¬ stens schlafend statuirt; von allem Wechsel sich ver¬ wandter und abgeneigter Beziehungen wurde Absehen genommen; Keine sollte durch Anmuthungen und Ein¬ mischungen die Andere in ihrem Wirken stören, und so durch gegenseitige Enthaltsamkeit die heitere Wind¬ stille eines langen Friedens in die streitenden Elemente kommen. Da man inzwischen fühlte, daß einer so absoluten Verneinung doch als Grund und Schutz irgend ein positives Prinzip unterlegt werden müsse, wurde die heilige Allianz auf Grundsätze abgeschlossen, die man zwar bey christlichen Fürsten ohnehin voraussetzen mußte, deren Erneuerung und wiederholte Sancirung aber immer sehr lobenswerth war. Wäre diese Allianz mit der Wiederherstellung des Reiches vor dem Congresse abgeschlossen, und dieser nach ihren Grundsätzen abge¬ halten worden; hätte sie dort durch die erste Probe ihrer segenreichen Wirkung das Vertrauen der damals sehr empfänglichen Gemüther sich gewonnen, dann hätte sie allerdings eine große Epoche in der Geschichte gemacht und eine neue Zeit einleiten können: aber so, nicht sehr christlichen Thathandlungen als eine Art von Expiation und Sühne folgend, konnte sie in der fol¬ genden sehr gespannten Stimmung, nur Mißtrauen erwecken, und kein dauernder Trost war für die nie¬ dergeschlagenen Hoffnungen bey ihr zu nehmen. Die¬ ser heilige Bund, der an die Stelle des alten heili¬ gen römischen Reichs getreten, konnte wohl allenfalls die wechselseitige religiöse Toleranz der darin verbunde¬ nen Glaubenssecten gewähren; aber gerade die reli¬ giöse Indifferenz, die diese Gewähr entbehrlich machte, nahm der nothwendigern Garantie der Toleranz aller politischen Gegensätze in den verschiednen Gliedern des Bundes allen Grund und jegliche Sicherheit. Wenn die Meinung in solcher Weise durch alle diese Vorgänge für ihre Befürchtungen einer unheil¬ schwangern Zukunft nur wenig beruhigt wurde, so ließ sich auf der andern Seite doch nicht läugnen, daß jene Politik des Vacuums, so sehr bequem der gänzlichen Impotenz des öffentlichen Lebens, indem sie alle Probleme, an deren Lösung die Gegenwart ver¬ zweifeln muß, behend der Zukunft hinschiebt, und sich zum voraus mit den Verhältnissen kommender Ge¬ schlechter nicht abmühen will, allerdings einer Zeit natürlich war, die ein ganzes Menschenalter lang in wüthenden Kriegen und Bewegungen sich erschöpft, und sich nun wohl gesättigt nach jener Ruhe sehnt, die sich um das Thun des Nachbars nur im äußer¬ sten Nothfall kümmern will. Auf die europäische Ge¬ sellschaft in einer Periode angewendet, die nach einem allgemeinen Naturgesetz jetzt eben so sehr zur Verein¬ zelung neigte, wie sie vorher mit Wuth im Zusam¬ menraffen menraffen sich abgemüdet, und wo durch den Gang der Ereignisse der Glauben an die Macht und den großen Einfluß menschlicher Weisheit in der Lenkung der Weltangelegenheiten ohnehin sehr gesunken war, mußte sich, wenn alle Vorbedingungen sonst erfüllt waren, die Stiftung einer europäischen Republik zu den Füßen der Altäre des unbekannten Gottes, statt der zerstörten Universalmonarchie, als zweckmäßig, ja wohl als das einzig Thunliche erweisen. Aber dann mußte vor Allem das Reich aus seiner Anarchie ge¬ rissen und geordnet seyn; der Mittelpunkt der Lage mußte, wenn er auch nicht Mittelpunkt der Kräfte werden sollte, doch im Gleichgewichte mit ihnen stehen; da sonst, wenn der Stützungspunkt der Wage selbst wieder eine Wage ist, jene nie ausschwanken wird. Statt dessen wurde auch hier dasselbe Prinzip zum Grunde gelegt; es sollte klein Europa, ein kleiner hei¬ liger Bund, in Mitten des Großen seyn, gewährlei¬ stet nicht durch eigne Macht, die nothwendige Grund¬ bedingung aller sichern Bürgschaft, sondern allein durch fremden Schutz und den Gegenstreit der Interessen. Da jede innere Geschlossenheit gänzlich abgewiesen war, so sollte es nun allen diesen Interessen geöffnet stehen; Oesterreichische, Russische, Preußische, Dä¬ nische, Englische, Französische sollten auf langen Halb¬ inseln in dies ewig bewegte Binnenmeer auslaufen, das, in sich selber formlos, untreu und wandelbar, das allein Bestehende Feste in gelinder Spannung auseinanderzuhalten und zugleich in schwacher Bin¬ dung zu einigen die Bestimmung erhielt. Da durch solche Einrichtung die Einheit, die die Meinung suchte, als 2 ein Unding gänzlich vernichtet war, so mußte diese mit der nun beginnenden Ordnung in einen unheil¬ baren Zwiespalt sich gesetzt befinden; und indem jene auf dem eingeschlagenen Wege nur durch Treulosig¬ keit, Unterjochung, Blut und Krieg zu erreichen blieb, war die Verfassung nichts als eine Suspension des Rechtes des Stärkeren, ein Gottesfriede auf unbe¬ stimmte Zeit ausgeläutet, nach deren Verlauf der Rachen des Mächtigern sich wieder aufsperrt gegen jeden Schwächern, und die Habsucht wieder umgeht wie eine brüllende Löwin, und sucht wen sie ver¬ schlinge. Darum muß das Ganze in ewiger Rüstung im Frieden sich aufreiben, ohne daß es je im Kriege als Solches sich geltend zu machen wüßte; und jeder Theil muß wieder unmäßige Last tragen, als ob er ein Ganzes wäre, ohne daß durch das geduldigste Aus¬ harren etwas Anders, als das gemeine Elend geför¬ dert werde. Da keine innere Bindkraft die Theile zu¬ sammenhält, so müssen diese nothwendig den äußeren zersetzenden Kräften weichend, sich anschließen an die zunächst sollicitirenden Interessen; und jeder Krieg wird nothwendig ein Bürgerkrieg, das Land von Freunden und Feinden aufgerieben, beym Frieden aber jedesmal auf seine Kosten Großmuth ausgeübt, und derselbe Allen bequeme Zustand mit Sorgfalt wie¬ der hergestellt. Inzwischen hatte der Congreß diese Heilsordnung beliebt; nachdem man verschiedene Pläne durchgegan¬ gen, von denen jeder Frühere sich vom Folgenden an rathloser Hoffnungslosigkeit gern überbiethen ließ, wurde endlich jene Bundesakte in ihrer blassen, farb¬ losen Allgemeinheit angenommen, die, was die Ge¬ schichte noch nicht gekannt, einen Rath berief, wo nicht die Mehrheit der Stimmen galt, sondern allein völlige Einstimmigkeit entschied. Eine reine Democratie, deren Demos aus Höfen der verschiedensten Gesinnungen, Interessen und Machtverhältnisse sich zusammensetzt; eine Centralgewalt, die nicht über sondern unter den inbe¬ griffenen Theilen steht; eine vollziehende Macht, die eine Ohnmacht ist, und, weil sie gegen den Nichtein¬ willigenden nicht einschreiten kann, gar nirgend etwas zu vollziehen im Stande sich befindet, weil sie nimmer die fehlende Stimme zur Execution erlangen wird; eine gesetzgebende Gewalt, die ihre eigene Competenz nimmer ergründen mag, und eine Richterliche, der niemand Folge zu leisten gehalten ist, wo alle Akte der Autorität durch ein ewiges Diplomatisiren immer gesucht und nimmer gefunden werden: eine solche Ver¬ fassung, wenn sie gelang, mußte den Völkern zum schlagenden Beweise der gänzlichen Entbehrlichkeit aller Regierung werden, und nur Teutsche, an Hoffnun¬ gen nie verarmend, mochten es mit ihr versuchen. Aber die Tochter konnte die Mutter nicht verläug¬ nen, die sie geboren; jene Theorie wechselseitiger Apathie und Nichthandlung auf die verworrenen Verhältnisse Teutschlands angewendet, wo die Umstände gebiethe¬ risch ein positives Wirken, ein lebendiges Eingreifen, und ein wohl verständigtes Thun verlangten, mußte nothwendig verderblich sich erweisen. Jene Grundsätze, die bey der ersten Bildung des Werks geherrscht, mußten sich auch in ihm fortschreitend wiedergebähren, 2* und wenn es auf dem Congresse Maxime gewesen, selbst einer Constituirung des Ganzen nicht das min¬ deste Opfer zu bringen, aber auch dem Andern, sofern er es versage, kein Solches anzusinnen; so mußten die Höfe, die in dem Bunde waren, keinen Grund ausfinden, fortan in ihm eine andere Richtschnur ihres Verhaltens anzunehmen, und nun konnte es nicht anders ergehen, als daß der Bund, nach einem treffenden Ausdruck, in so viele Factionen zerfiel, als Glieder ihn zusammensetzten, die nur in einem Dinge, ihrer statutenmäßigen Uneinigkeit einig waren. Trotz der wohlgesetzten Inauguraldissertation bey Eröffnung des Bundestages; trotz so vieler pa߬ lichen Citationen aus Schiller und Montesquieu, die von Zeit zu Zeit vom Sessionstisch her erschallten; trotz sichtbarlich vorgehender angestrengter innerlichen Bewegungen, die aber wie falsche Wehen nie ein Re¬ sultat zur Geburt drängten, konnte die Meinung nur schwache Hoffnung auf ein Werk so schwacher hinfäl¬ liger Complexion begründen; und sie sah von Tage zu Tage mehr verzagend, wie das Formlose mit stets vergeblicher Bemühung nach Form und Gestaltung rang. Endlich führte die Zeit den entscheidenden Kreuz¬ versuch herbey, damals als eine Vereinigung von Um¬ ständen, die kaum alle Menschenalter einmal wieder¬ kehren, jenen Mangel der ersten Lebensbedürfnisse be¬ wirkt, und nun die Regierungen der verschiedenen Stämme desselben Volkes, in entschlossener Selbstliebe, kühn die Nächstenliebe durch ihre Sperren ausgeschlos¬ sen, daß, indem die Klugheit der Menschen sich zu der Kärglichkeit der Natur geschlagen, jene halbkünstliche Hungersnoth entstand. Als damals der Bundestag kein Mittel der Abhülfe vermochte; als er später nicht einmal ein halbwegs ernstliches Angelöbniß zu Stande brachte, daß solch Uebel in Zukunft nicht mehr wie¬ derkehren dürfte: da sah die Nation mit Schrecken, was bey einer solchen Ordnung der Dinge ihr bevor¬ stehe, wenn zu diesen Antrieben des grausamsten Egoisms sich nun noch die Furcht vor äußerer Ge¬ walt geselle, die etwa Gebiethstheile bedroht oder in Besitz genommen; wenn lockende Verführung den Ei¬ gennutz besticht, oder eine verschmitzte Diplomatik den Samen der Zwietracht säet, und große Preise auf den Verrath am Vaterlande setzt. Von dieser Zeit an war über eine solche Verfassung gänzlich der Stab gebro¬ chen, und Teutschland hielt nun völlig auch um die zweyte große aber billige Hoffnung sich betrogen. Was später gefolgt, wie jeder Versuch zu einer wirksamen Thätigkeit in sich selbst zerronnen; wie die schreyend¬ sten Ansprüche unerledigt verhallen mußten; wie die wichtigsten, dringendsten und folgenreichsten Verhand¬ lungen in leeren Formen, endlosen Fristen und klei¬ nen Machinationen des Eigennutzes und Eigensinnes aufgegangen; was über Preßfreyheit, Nachdruck, das Verfassungswesen, die Competenzbestimmung, den Schutz der teutschen Schiffahrt, den Elsflether Zoll dort ge¬ schehen; was bey der Rheinschiffartscommission, wie¬ der ein Bund im Kleinen, vorgegangen; wie endlich die Mauthen zur Wiederbelebung des teutschen Han¬ dels, wie die Drachen am Bilde Laokoons, die Mut¬ ter mit den Kindern allmählig umziehen, und Eines nach dem Andern kalt erwürgen: das Alles fühlte die Meinung mit tiefer Kränkung, aber es verwunderte sie nicht weiter, weil es als natürliche Folge aus den Vordersätzen sich ergab. Die Nation, in ihren gerechtesten Erwartun¬ gen getäuscht, und schon den Stachel des öffentlichen Schimpfes tief im Herzen fühlend, sah nun auf die Constituirung der einzelnen Bundesstaaten sich getrieben, und setzte nun all ihre Kraft, und im Falle der Verweige¬ rung all ihren Trotz an die Erreichung dieses letzten Zieles, von wo aus sie alsdann später und gründlicher alles früher Aufgegebene wieder zu erreichen hoffen durfte. Der dreyzehnte Artikel, anfangs in ziemlicher Währung ausgeprägt, dann täglich durch Kipper- und Wipperkünste beschnitten, ausgeschabt und abgenagt, war endlich in sei¬ ner gegenwärtigen Gestalt ohne Präge in den Umlauf einge¬ treten, so unscheinbar und abgegriffen, daß man später seine Legende in ein Erwartungsrecht der Völker eine Zeitlang umzudeuten wagen durfte. Neben ihm aber hatte der König von Preußen dem früheren Edikte vom May 1814, das die Form der künftigen Vertretung festgesetzt, in den Einräumungen des Patentes vom 5. April den In¬ halt beygefügt, und dadurch die Verfassung selbst schon in ihren allgemeinsten Umrissen festgesetzt. Auch war schon ein Anfang zur Constituirung in einem teutschen Lande geschehen, in Würtemberg näm¬ lich. Nicht leicht war irgend anderswo der Wahnsinn der Souveränität höher getrieben worden, vor Allen Andern mußte darum auch dort der schärfste Gegen¬ satz hervorgerufen werden. Als der Hof noch vom Congresse aus, die Bewegungen der neuen Zeit wahr¬ genommen, schien es ihm ein leichtes Ding, ihre lau¬ ten Ansprüche mit einigen liberalen Gaukeleyen abzu¬ finden, und daneben auch nicht einen Fuß breit von der bisherigen Bahn zur unbeschränkten Willkühr ab¬ zuweichen. Die Gewalt, die bisher der Despotism in despotischen Formen ausgeübt, durfte nur in den¬ selben Formen als Ausfluß ihrer Machtvollkommenheit, eine illusorische Freyheit setzen, wie es auch Napoleon am 18. Brumaire gethan; und sie hatte statt rückgän¬ gig zu werden, den Gipfel der Willkühr erreicht, die da höhnisch eine sogenannte Freyheit durch Cabinets¬ ordren befiehlt. So wurde jene dortige erste Consti¬ tution commandirt, und die Ständeversammlung zu¬ sammenberufen. Aber es lebten in diesem Lande noch zu viele Men¬ schen, die wenigstens noch die letzten Strahlen der unter¬ gehenden Freyheit gesehen, und in ihnen entwickelte sich nun ganz einfach aus der Natur der Dinge jener Widerspruch, der sich schlechthin auf das alte Recht berief, die Usurpation mit allen ihren Folgerungen als ein Recht begründendes Faktum von vorn herein gänz¬ lich negirte, sich hinter ihr auf dem festen Boden der Geschichte niederließ, und von da aus die Eidbrüchig¬ keit der usurpirenden Gewalt vor der Welt laut an¬ klagte. Einer solchen vereinten Masse von Licht, Recht, Kraft und Festigkeit, konnte vom Standpunkt einer übelbefestigten Gewalt, deren Arm durch den Sturz des obersten Gewaltverleihers zerschmettert war, nicht begegnet werden; und der Hof verstand sich, nachdem der unnütze Kampf eine Zeit lang gedauert hatte, zu den bekannten zwölf Artikeln, worin wenigstens eine aufrichtige Freyheit geboten war. Der Streit dauerte nun einzig über die Form noch fort, als die Person des Regenten wechselte, und der Neue, der die Usurpation nicht als eignen Erwerb, son¬ dern als eine Erbschaft nur besaß, größeres Vertrauen gebot. Die zwölf Artikel wurden in eine Constitution ausgebreitet, und diese den Ständen vorgelegt. Aber in der Hitze des langwierigen Kampfes waren nun schon persönliche Leidenschaften erwacht, von denen der einmal in den Gemüthern wurzelnde Argwohn immer neue Nahrung zog; die Stände mißtrauten einem Werke das sich blos auf die Gnade und den guten aber seiner Natur nach wandelbaren Willen des Herrschers gründen wollte, und verlangten, daß es auf den Boden ihrer alten Rechte, Geschichten und Herkömmlichkeiten gesetzt werden solle, damit es auf dieser Wurzel durch die Sanktion der ganzen Vergan¬ genheit dieselbe, ja noch eine größere Legitimität als das Regentengeschlecht selbst erlange. Der Hof seiner guten Absicht diesmal sich bewußt, war entrüstet über einen Widerstand, der ihm, da er gegen so manches Gute gerichtet war, das die Gegenparthey selbst nicht abläugnen konnte, gänzlich unvernünftig schien; die Stände im Bewußtseyn ihres guten historischen Rechts, das stärker seyn muß, als eine wohlgemeinte Aufwal¬ lung der Gegenwart, waren ihrerseits in keine Weise zum Nachgeben geneigt; da sie richtig urtheilten, daß selbst die Gunst des Augenblickes zu verschmähen sey, wenn sie um den Preis einer ganzen Vergangenheit er¬ kauft seyn wolle; und daß, was im Volke schon ein altes Heimathrecht besessen, billig sich als den Stamm betrach¬ ten dürfe, dem alles neu Zuwachsende sich anfügen müsse. In dem Streite der sich nun erhoben, gesellte sich, wie es zu geschehen pflegt, zu der Parthey, die das Urkundliche vertrat, der starre kleinliche Eigensinn im Beharren auf Nebendingen; der enge beschränkte Sinn, der das Wesentliche von dem Zufälligen nicht zu un¬ terscheiden weiß; die befangene Ansicht, die über den Gesichtskreis des Gewohnten sich nicht zu erheben im Stande ist, und die Rechthaberey und Pedanterie, die auch mit dem völlig Gehaltlosen ihren Aberglauben treibt. Von der andern Seite aber erhoben sich zur Ver¬ theidigung des Zeitlichen auch mit Allem was an der Zeit zu rühmen ist, zugleich die Unarten, die ihr eigen sind; jenes hochmüthige Dahinfahren über Dinge, Lagen, Beziehungen und Verhältnisse; jenes phanta¬ stische Hinauftreiben alles Spezifischen in allgemeine Ab¬ stractionen, und der Dünkel der mit solchen wesenlosen Schemen die ganze Fülle der Eigenthümlichkeit aller Dinge zu beherrschen glaubt; endlich der Leichtsinn, der bey der Fügsamkeit so luftiger Gebilde und ihrer leich¬ ten Handhabung in immerwährender Unruhe und Wan¬ delbarkeit alles übereinanderstürzt, daß nichts ein ge¬ sichertes Gleichgewicht und einen festen Stand gewin¬ nen mag. Bey so scharfen Gegensätzen mußte die Sache, die in der Mitte lag, nothwendig zerschnitten werden, und die Crise trat dann ein, als der König, gewohnt als Feldherr rasch durchzugreifen, aber vergessend die alte Feldherrnregel, dem fliehenden Feind eine goldne Brücke zu bauen, zu jener achttägigen Fristgebung sich ent¬ schloß, die der Ständeversammlung keine Wahl übrig ließ. Die Stände überzeugt, daß eine Constitution nur in constitutioneller Weise würdig gegründet, wie geführt werden könne; und daß eine gebotene Frey¬ heit, die in Wahrheit mit einem Akt der Knechtschaft beginnen solle, wenig Gewähr für ihren Bestand dar¬ biete, verwarfen, als ein geistreicher Minister, der, das erste Beyspiel in Teutschland, seine Meinungen und Ansichten durch persönliche Gewandheit stattlich zu vertheidigen gewußt, im rechten Momente abzutreten versäumt, zum zweytenmale die gebotene Verfassung mit großer Stimmenmehrheit, die dadurch allein mög¬ lich wurde, daß die Gemeinen klüglich mit dem Adel über mögliche künftige Anmaßungen sich zum voraus nicht entzweyt, sondern einträchtig mit ihm den Kampf mit dem Hof geführt. Wenn die Vertheidiger der unbeschränkten Will¬ kühr über diesen Ausgang triumphirten, so hatten sie nie und in keinem Dinge stärkere Kurzsichtigkeit be¬ wiesen. Zwey Constitutionen nacheinander, die Eine ihres Inhaltes wegen, die Andere hauptsächlich um der Form willen verworfen; ein Hof, der deswegen von den Ständen an die Urversammlungen, und das sogar, wie sich bald ausgewiesen, vergeblich appellirt; solche Eintracht der Gesinnungen aller Interessirten in die¬ sem Werke; das alles waren, bey der Gewißheit, daß der abgerissene Faden der Verhandlungen früh oder spät wieder angeknüpft werden mußte, keine Zeichen der Zeit, die jene erfreuen konnten. Es bewieß, welche Sicherheit und Zuversicht die Sache des Volkes schon gewonnen hatte; welche Gewalt und Macht in die Zeit und Umstände eingetreten, daß so annehmliche Anträge ohne Gefahr ausgeschlagen wurden; und es war ein großes Beyspiel in der Mitte Teutschlands, zugleich warnend und belehrend, wie der große Rechts¬ streit verjährter Gewalt und unverjährbarer Freyheiten geführt werden mußte. Es hatte sich auch hier im Kleinen ausgewiesen, was die Geschichte überall im Großen lehrt, daß jedesmal, wenn die Sachen zu ei¬ nem Aeußersten getrieben, immer ein Widerspruch sich ins geheim aufmacht, erst still anwächst und sich im Verborgnen stärkt, und wenn die Gewalt oder der Frevel an dem längstersehnten Ziele zu stehen glaubt, als eine geharnischte Macht eben von da den Bestürz¬ ten entgegentritt, und sie auf die Mitte zurückwirft, und über den Punkt hinaus von wo sie ausgegangen. In den Jahrhunderten, wo die Usurpation in blin¬ der Eigensucht, nach ihren Interessen hastig rennend, alles Andere zu beachten vergaß, hatte sich aus klei¬ nen Anfängen jene Macht, die man die öffentliche Meinung zu nennen pflegt, gebildet und gegen die Gewaltthätigkeit, die fressende ewig unersättliche Ei¬ gensucht, die Leerheit und moralische Entwürdigung der Höfe sich empört. Als die Revolution wie ein wüthender Typhon in die europäische Gesellschaft ein¬ gebrochen, war mit dem Satze auch der Gegensatz schnell gereift; und da die Gemeinen, anfangs gegen ihre demagogische Hälfte aufgeboten, dann eben so willenlos mit ihrer Despotischen verbündet, nach Ost und West in den Tod getrieben, immer nur das Spiel der Willkühr, und schmutzigen Interessen dienend, end¬ lich im allgemeinen Aufstand, was die Elemente, blinde Werkzeuge der Vorsehung, angefangen, als bewußte, lebendige Boten der höheren Gewalt vollendet hatten: da war das Gefühl ihrer Kraft in ihnen vollends er¬ wacht, und die Meinung war eine Macht geworden, die zwar noch nicht auf dem Congresse saß, aber schon Friedensbedingungen und die Einräumungen des 13ten Artikels erzwang. Jetzt hatte sie zum erstenmal in ordentlicher Verhandlung zur Wiedererkämpfung alter Rechte Sitz und Stimme gehabt; sie hatte ihr Probe¬ stück abgelegt, das zeugen konnte von dem Nachdrucke, den sie gewonnen, und sah nun mit finstern Blicken hin nach dem, was unterdessen in Nord-Teutschland sich begeben. Dort sah man Preußen, das seither zur Er¬ bauung Teutschlands in den Maximen seines Anti¬ machiavelli gehandelt zu haben schien, wieder nach¬ denklich im Principe des kecken Florentiners blättern, um dort jene Grundsätze herauszusuchen, die mit einer gutmüthigen Rechtlichkeit sich etwa noch vertragen wollten. Zwey Partheyen, die durch ganz Teutschland verbreitet sind, die Anhänger des antediluvianischen Alten, hier die große Mehrzahl bildend, und die des Napoleonischen Neuen, Beide hier, weil überall alles auf eine Soldatenherrschaft hinausgelaufen, in Interessen und Grundsätzen weniger geschieden als anderwärts, hatten gegen Ende des Krieges sich vereint, um durch eine Reaktion die Beiden gleich verhaßten Ideen, die sich in seinem Verlaufe zugedrängt, wieder abzutreiben. Wir wollen nicht so unbillig seyn, beyde Elemente dieser Coalition, oft in derselben Person verbunden, als gleich unrein und verdammlich wegzuwerfen. Unter allen teutschen Völkerschaften hat Preußen allein in der letzten Zeit eine Geschichte gehabt, und dem Jahr¬ hunderte einen großen Mann gegeben. Zwar war der Lorbeer, der seine Stirne kränzte, keine Bürgerkrone, und an seinem Schwerdte klebte das Blut der Stamm¬ genossen; aber er war nicht der Erste der solches Blut vergossen, und was sein Arm kühn und kräftig nie¬ derriß, war zuvor schon faul und wurmstichig, und dem Einsturz nahe gewesen. Zwar hat man ihm nicht mit Unrecht vorgeworfen, daß er fremde, vergiftende Sitte, Idee, Gesinnung und Maxime eingeführt; aber man durfte nicht vergessen, daß die, welche er um sich her vorgefunden, plump, beschränkt, kleinlich und pedantisch bis zum Unerträglichen gewesen; und daß das Auswärtige, dem er dafür den Zugang ver¬ stattet, von geistreichen Menschen gepflegt, wenn es auch jetzt der gereifteren Zeit größentheils als Frivoli¬ tät sich aufgedeckt, doch damals als eine kecke, lobens¬ würdige Emanzipation erscheinen mußte. Zwar hat er seinen Zwecken alle Verhältnisse unterordnend, jenen tödtenden Mechanism in alle öffentlichen Verhältnisse hineingebracht, der noch jetzt Preußen wie eine un¬ heilbar gewordne Lähmung in innerer Erstarrung ge¬ fesselt hält; aber es war nicht seine Schuld, wenn die Zeiten, die nach ihm gefolgt, nicht erkannten, was ihnen frommen mochte, und die leeren Hülsen, die sein Geist abgestreift, abergläubisch verehrten und als das Palladium des Heils bewahrten. Mochte die Pietät dem Vergangenen ihre Todten¬ opfer bringen, daran war nichts zu tadeln; es war recht, was aus früherer Zeit als wirklich gediegen, und darum passend sich bewährt, nicht leichtsinnig einer neuerungssüchtigen Gegenwart hinzuopfern: aber man durfte nicht vergessen, daß Preußen durch den Zutritt so vieler gänzlich verschiednen Elemente nicht mehr dasselbe geblieben; daß die Zeiten den Früheren noch unähnlicher sich entwickelt; und vor Allem, daß ganz bestimmte Rechte, die sich nicht beseitigen ließen, und klare unzweydeutige Verheißungen zwischen das, was werden sollte und was gewesen war, in die Mitte getreten. Aber allzu verführerisch für die Gewalthaber war damals das Beyspiel Spaniens, so leicht war auf breiter Straße das Alte dort wieder eingezogen, so gar schnell das eingedrungene Neue dort aus dem Lande heraus verwiesen, so gar willig hatte das Volk in die vorigen Verhältnisse wieder sich gefunden; daß ein so leicht erfochtener Sieg und so guter Erfolg gar wohl zur Nacheiferung antreiben mußte. Zwar war früher in Frankreich derselbe Versuch so gänzlich mißlungen, daß er zwar formal gerade wie in Spa¬ nien, aber der Bedeutung nach im gerade entgegen¬ gesetzten Sinne, mit der völligen Auswerfung der klei¬ nen Minderzahl geendigt hatte. Inzwischen ist jeder wohl des guten Glaubens, da er sich seines eigenen Glückes Meister dünkt, mit besserer Meisterschaft das Anderen mißlungene Werk zu günstigerem Ziel zu füh¬ ren; und sogar in demselben Frankreich, das eben erst jene Erfahrung gemacht, war jener Glaube dar¬ um nicht irre an sich selbst geworden. Nachdem die Mächte, alles in der Explosion Zerstreute, wieder sorg¬ fältig zusammengelesen und zurückerstattet, meinten die Wiedereingesetzten es blos durch allzu schwache Nachgiebigkeit versehen zu haben, und so wurde der abgerissene Faden wieder angeknüpft und nur gröber ausgesponnen; bis endlich, wie jetzt bey uns, Wider¬ stand und Reibung so stark geworden, daß sie alle Kraft aufgezehrt, und die Regierung mit ihren allzu wohlmeinenden Freunden sich gänzlich festgerannt. Man durfte wünschen, aber kaum hoffen, daß Preußen sich den gleichen Versuch ersparen würde. Man trug sich dort seit längerer Zeit mit der Existenz eines geheimen Bundes, der Tugendbund genannt, und angeblich geschlossen, um mit vereinten Kräften, jedoch ohne der den legitimen Fürsten schuldigen Treue Eintrag zu thun, die Freyheit zu erringen, und von sich selbst und vom Vaterland jede Art von Unterjo¬ chung, besonders die durch fremde Macht, abzuhal¬ ten. Dieser Bund sollte aus verschiednen durch Zei¬ chen, Attribute, Pflichten und Befugnisse voreinander ausgezeichneten Graden bestehen; Alle durch die hei¬ ligsten Eidschwüre der Gesellschaft und ihren Zwecken verbunden, sollten ohne daß Einer um den Andern wisse, nur dem Obern, wie dieser dem Großmeister untergeben seyn, von diesem alle Befehle und Auf¬ träge empfangen, und sodald sie einmal nach freyem Entschluß zu ihrer Ausführung sich anheischig gemacht, in blindem Vertrauen alles Forschens nach ihren Grün¬ den sich enthalten; alle Geheimnisse des Bundes aber, für Furcht und Hoffnung gleich unzugänglich, unter Todesstrafe bewahren, also daß den schuldigen Ver¬ räther keine menschliche Macht gegen die Rache der Gesellschaft zu schützen im Stande sey. Es mochten wohl zur Zeit der feindlichen Unter¬ drückung solche Pläne in einzelnen Köpfen aufgestie¬ gen, und ein Anfang zur Ausführung auch wohl ver¬ suchsweise geschehen seyn; nach einem alten Kunst¬ griff aber, in dem man, um die Unzulänglichkeit der Mittel zu decken, einige sichtbare Momente perspekti¬ visch an ein im Hintergrunde vorausgesetztes Geheim¬ niß knüpft, um so durch die geglaubte Anwesenheit eines Dunkeln, Unbeschränkten zu imponiren, moch¬ ten damal die Stärkeren den Dümmern die Fabel einer völlig ausgebildeten Gesellschaft dieser Art ein¬ gebildet haben, um sie durch Furcht und den Reiz jener optischen Täuschung aus ihrer trägen, feigen Schlaff¬ heit gegen die Franzosen aufzutreiben. Die Schwäche gefiel sich damal im Gedanken einer solchen Hülfe aus dem Verborgenen; der Feind war beunruhigt durch die Sagen, die zu ihm gelangt; die Regierung selbst schien nicht ungern den nutzbaren Glauben zu bemer¬ ken und zu theilen. Jetzt zur gelegenen Zeit errinnerte man sich seiner, um ihn als Waffe gegen die Erfinder selbst zu kehren. Argwohn scheint ein Uebel zu seyn, das von der Stellung der Fürsten unzertrennlich ist, eines von denen, das ihnen in der Ordnung der Dinge zugefallen, um so manchen Vortheil, den sie vor den übrigen Sterblichen voraus haben, wieder auszuglei¬ chen. »Wahrlich! sagt Baco von Verulam , unselig ist jener Gemüthszustand, in dem du nur nach Wenigem verlangst, aber Vieles befürchtest, und doch ist dies größentheils der Fall der Könige, die auf die höchste Stufe gestellt, nichts haben, das sie begehren können — was ihren Geist träge macht—, aber im Gegentheil durch mancherley mancherley Phantasmen von Gefahren und fliegenden Schatten geängstigt werden, wodurch ihr Gemüth er¬ trübt. Daher kommt es denn auch, daß wie die Schrift sagt, das Herz eines Königs unergründlich ist, weil die Vielheit des Verdachtes und die Abwesenheit eines herrschenden Affektes, der den Uebrigen gebietet, jedes Gemüth schwierig zu deuten macht.“ Auf solchen Grund werden immer bey den Höfen ähnliche Anschläge ausgeführt. Bald nach dem zweyten Frieden von Paris, wurde dem König von einem angesehenen Beamten eine 21 Bogen im Manuscripte starke Schrift unter dem Titel: was haben wir von geheimen politischen Verbindungen in Teutschland zu fürchten oder zu hoffen? übergeben. Hierin wurde der Tugendbund in allen seinen gefähr¬ lichen Beziehungen ausgelegt; es wurde darauf hinge¬ deutet, wie so manche der wichtigsten Männer des Staates in ihn direct oder indirect verwickelt seyen, und wie was zur Rettung der Monarchie ohnehin bey¬ nahe gar nichts beygetragen, jetzt seine Ruhe und Existenz durch die gefährlichsten Umtriebe bedrohe. Wäh¬ rend des Krieges habe der Bund eine Menge gefähr¬ licher Ideen in Umlauf zu setzen gewußt; durch man¬ cherley Einräumungen, die das Unglück der Regierung abgedrungen, habe ein Geist der Kühnheit das Haupt erhoben, und Ansichten seyen ins Volk gekommen, die ihm von jeher fremd gewesen. Preußen sey, weil nothwendig ein Kriegsstaat, auch wesentlich monarchisch, und was durch Einmischung sogenannten liberaler Ideen die Reinheit der Monarchie zu trüben unter¬ nehme, gefährde wesentlich den Bestand und das Heil 3 des Staates. Es wurden dann die Mittel angegeben, wie dem eingerissenen Uebel zu begegnen; wie Hoff¬ nungen, die zu erfüllen jede gesunde Politik verbiete, gleich bey der Wurzel abzuschneiden; wie die Männer, die durch ihre Popularität gefährlich geworden, all¬ mählig zu entfernen, die Staatsmänner durch Ver¬ sendung auf ferne diplomatische Missionen, die Feld¬ herren durch geschickte Beseitigung, die untergeordne¬ ten Theilnehmer aber, indem man sie ohne weiteres aus allem Einfluß werfe: Alles wie Gott, wenn er den Dünkel verderben will, es durch eine sogenannte pfiffige, verschlagene Politik den Kindern der Zeit eingeben läßt Um ein Beyspiel des Leichtsinns zu geben, mit dem diese Leute bey solchen Gelegenheiten verfahren, und als eine zeitgemäße Warnung bey dem jetzigen Conspirationsgeschrey, führe ich hier eine Stelle jenes Berichtes an, die sich auf seiner vorletzten Seite findet. Da wo nämlich der Verfas¬ ser die Frage zu beantworten unternimmt: „wer kann zur Königsparthey aufgenommen werden? läßt er folgenderweise sich vernehmen: „Die Tugendbündner nehmen Alle auf, die Talente und Einfluß haben, ohne Rücksicht auf ihre Moralität. Sonst hätten sie ihre Ehre durch Aufnahme eines Reisachs, Gruners, Görres nicht beschmutzen können. Der Erstere lief als Verbrecher aus Bayern fort, der Zweyte brach 1812 sein Ehrenwort, und setzte den Staat, dem er verpflichtet war, in die größte Gefahr, heyrathete die Mätresse eines Franzosen ꝛc. ꝛc. Görres war bis 1813 ein französischer Agent, schrieb damals im Geist der Jaco¬ biner, wie jetzt im Geist der Teutschbündner.“ Man hat mir den Herrn v. B. als den genannt, der, nach Gesinnung, Ansichten und seiner damaligen Stellung gemäß, nach aller Wahrscheinlichkeit diese Denkschrift niedergeschrieben. Ich werde seinen Namen ganz ausschreiben, wenn ich darüber Gewißheit erhalte; jetzt aber will ich mich begnügen, den Verfasser, wer es immer seyn möge, als einen ehrlosen, . Der König, dessen Rechtsgefühl man geschickt gegen Menschen und Gesinnungen empört, erschrack vor dem Abgrund, den man ihm zu seinen Füßen geöffnet zeigte, und die Parthey proclamirte ihre Ansicht, so weit sie dem Publikum mittheilbar war, durch jene bekannte Schrift von Schmalz. Die Art, wie diese in Preußen und ganz Teutschland aufgenommen wurde, konnte die Anstifter gleich beym ersten Versuch belehren, welche Stunde ausgeschlagen; eine allgemeine und ungetheilte Entrüstung brachte sogleich die Meinung unter Waf¬ fen; nie hatte sich die entschiedne Ueberlegenheit der Wahrheit, der Kraft und des Talentes über heim¬ tückische, feige Bosheit glänzender bewährt; nie war eine Niederlage vollständiger und demüthigender aus¬ gefallen; und die Parthey geschlagen in allen Waffen¬ arten, betreten über den unerwarteten Widerstand, ohnehin nicht sehr reichlich mit Muth gesegnet, flüch¬ tete sich, in der Unmöglichkeit, die Bewegung, die sie so unvorsichtig und frevelhaft hervorgebracht, anders als durch einen Machtstreich zu stillen, hinter den Thron, und der König gebot nicht mehr zu reden von dieser Sache: eine Verfügung gleich unwürdig der Majestät, die nie Parthey nehmen soll; wie der Na¬ tion, der die freye Rede über öffentliche Angelegenhei¬ nichtswürdigen Lügner zu erklären, nicht um dessen willen, was er von mir gesagt, weil ich meine Ehre nicht von einer so leichtfertigen vornehmen Kabinetsklatscherey abhän¬ gig glaube; sondern um jener unbescholtenen Frau wegen, deren Name ich der Sache wegen habe nennen müssen, und der die Meinung der Stadt Coblenz, unter deren Auge sie aufgewachsen, an ihrem Verläumder die beßte Genugthuung geben wird. 3 * ten nicht versagt seyn kann, an wenigsten, wenn von öffentlichen Anschuldigungen die Rede ist. Der Eindruck, den jener ärgerliche Scandal bey der ganzen Nation hervorgebracht, war nicht leicht zu ver¬ kennen; sie hatte das schwer Auftretende wie billig schwer genommen, und als die Beschuldigung des Verrathes zur Beschämung der Urheber in Dunst und Rauch aufgegangen, und sie nun das ganze Gewebe in seiner Plumpheit schnell durchschaut, mochte sie überall nichts als den schnödesten Undank sehen, und in dem mißlungenen Versuche nur die Einleitung zur Wiederkehr des alten verhaßten Unfugs. Darum war von diesem unseligen Augenblicke an der schlafende Verdacht aufgeschreckt, und begann nun mit gespann¬ tem Auge die Regierung zu bewachen, um zur vollen und klaren Gewißheit zu gelangen. Leider bewiesen die Vorgänge, die sich bald ergaben, daß die Parthey zwar verstummt, aber darum ihre Umtriebe und ihre Pläne mit nichten aufgegeben. Es schien vielmehr alles nach und nach in Ausführung zu kommen, was jene Denkschrift vorgeschlagen. Ein geehrter Feldherr wurde vom Commando entfernt, und man hetzte in den Zeitungen, besonders der Allge¬ meinen, die ganze Meute jener Hunde auf ihn an, die seit den Zeiten Napoleons an ihrer Kette gehun¬ gert hatten; man hörte sie nur heulen von Wallen¬ stein, auch den Seni hatten sie gefunden und Picco¬ lomini, und es fehlte nur die Hellebarde im frechen Gau¬ kelspiele, das sie vor den Augen des empörten Teutsch¬ lands gaben. Zugleich begann in eben diesen Zeitun¬ gen das Vorspiel jener schändlichen Deductionen, wie der König sein Versprechen zu halten nicht gebunden sey, und daher gar keine oder nur eine illusorische Constitution geben dürfe: Artikel, die sich die Miene offizieller gebend, nun schon nahe vier Jahre hindurch fortgegangen, und höhnisch, ehrlos, bodenlos nichts¬ würdig, mehr als man zu glauben scheint, die Gemü¬ ther erbittert und entzündet; die aber, wie es scheint, die Regierung nie in ihrer majestätsverbrecherischen Schändlichkeit erkannt, wenigstens bis auf die Stunde, selbst in der Staatszeitung nie geahndet hat. Da in dieselbe Zeit auch die Organisation der Rhein¬ provinzen gefallen, die in jenen Berichten als die Feuerheerde revolutionärer Umtriebe, von hochmüthi¬ gen Proconsulen angeschürt, geschildert waren; so schien es dringend, auf sie sogleich jene Grundsätze anzuwenden, und aufs schnellste jene gefährliche Flamme auszugießen. Da wurde nun das Werk in jener be¬ liebten, hochfahrenden Weise vollbracht, alle Indige¬ natrechte mit Füßen getreten, alle Interessen verletzt, die Verheißungen durch sophistische Auslegungen um¬ gangen, selbst die Vorschläge der eignen Commissäre für nichts gehalten, und alles nach dem mit allen Verhältnissen gänzlich unbekannten Gutdünken zweyer Ministerien aus der Mitte heraus vollbracht. Jene Provinzen, durch die früheren Vorgänge schon ge¬ spannt, beunruhigt durch das allgemeine nur eben beschwichtigte Mißtrauen, das wieder Wurzel gefaßt, hatten die Regierung bey diesem Punkt erwartet; und als sie nun eben wie in Polen sich benahm, schien ihnen auch Altpreußen zurückgekehrt, und damit auch die Rückkehr des alten Hasses wohl begründet. Da ein erster Bruch feyerlicher Versprechungen erfolgt, schien alles Andere sich von selbst zu verstehen; das Vertrauen war verloren, die Meinung, die bisher sich arglos hingegeben, trat nun geharnischt zur Wehre; und seit diesem Augenblicke hat sich in diesen Provin¬ zen jener Widerstand, und jene Opposition erhoben, die alle spätere Gutwilligkeit nicht wieder beschwichti¬ gen mochte. Man hatte zur aller unglücklichsten Stunde vergessen, was die Römischen Consuln in der Sache der Ariciner und Ardeaten, deren Landmark das Volk sich zueignen wollen, demselben zu Gemüth geführt: famæ quidem ac sidei damna majora esse, quam quæ æstimari possent. Im übrigen Nord-Teutschland hatte die Lage der Dinge auf nicht viel tröstlichere Resultate und Aussichten sich gestellt. Oben in der Cimbrischen Halb¬ insel in Holstein und Lauenburg, war schon seit 1816 jene Commission, aus den Prälaten, der Ritterschaft, den Städten und Aemtern gezogen, vereinigt, um die Vorschläge zur Verfassung die vom Hofe ausgegangen, zu berathen; eine Berathung, die bey aller löblichen Bereitwilligkeit der obern Stände, noch bis zu dieser Stunde nicht zu dem erwarteten Ziel geführt. Indem der Hof das billige Gesuch um Ausdehnung der neu zu entwerfenden Verfassung auch auf Schleswig ver¬ weigerte, hatte auch er an Tag gelegt, daß er nicht ein Kleines mehr zu leisten gesonnen sey, als die Verbindlichkeit der Traktaten ihm unausweichlich zu thun auferlegt; und indem er den künftigen Stän¬ den nur eine berathende Stimme einräumen wollte‚ hatte er jene Traktaten in der für die Willkühr gün¬ stigsten Weise, eben auch willkührlich, ausgelegt. In dem Lande Meklenburg, in seinen beiden Hälf¬ ten von oben herab sehr' ungleich bedacht, wo eine Ordnung der Dinge, wie sie aus früheren Jahrhun¬ derten sich entwickelt hatte, beynahe unerschüttert fort¬ besteht; wo ein mächtiger Adel das Land in Planta¬ gen unter sich getheilt, auf denen der Bauer als Leib¬ eigner dient; der freye Mittelstand aber noch nicht die Macht erlangt, die Ansprüche geltend zu machen, die ihm die Zeit einräumt, konnte der Natur der Dinge gemäß, der Eindruck dieser Zeit nur wenig sichtbar seyn. Darum war dort bey der Huldigung der alte Rechtsstand nur durch Handschlag bekräftigt worden, und ein organisches Staatsgesetz der beiden regierenden Häuser verfügte, wie es jetzt, da nach Auflösung des Reiches die richterliche Obergewalt ver¬ schwunden, bey Streitigkeiten der Stände mit der Landesherrschaft zu halten sey. Der einzige Wider¬ spruch, der gegen diese neubefestigte Ordnung der Dinge sich erhob, mußte darum, weil er ohne alle historische Unterlage blos auf allgemeinen Ideen fußte, auch in jener allgemeinen Gleichmacherey in’s Leere sich verlieren; und der naive Vortrag jenes Landstan¬ des: alle Schutzgenossen des Staates mit einem Schlage in Mitgenossen zu verwandeln, die nun ihre Rechte entweder durch unmittelbare Volksberathung, oder durch Delegation auszuüben hatten; vor Allem aber die bei¬ den Institute, die wechselweise sich bedingend, mitein¬ ander stehen und fallen müßten, den Erbadel, der un¬ gebührlich sich über die Mitte erhebe, und die Leib¬ eigenschaft, die eben so tief unter sie herabwürdige, miteinander aufzuheben, wurde nicht ganz unbillig, obgleich zum Theile in etwas kostbaren Redensarten, als Arroganz und Vorwitz abgewiesen. Im Königreich Sachsen hatte man die alte stän¬ dische Verfassung wieder eingeführt: das mürbe, ver¬ wickelte, schwerfällige Flickwerk der letzten Jahrhun¬ derte, die ohne Plan und Uebersicht, ohne großarti¬ gen Sinn, und eigentlich praktisches Geschick, grö߬ tentheils verlassen von allem Instinkt und plastischem Bildungstrieb, nur sorgend für die nächste Gegen¬ wart, immer nur Lappen an Lappen gesetzt und Masse auf Masse gehäuft. Eine solche Vertretung mußte nur allzu geneigt seyn, unter dem Vorwande der bedächtigen Umsicht, nach dem Vorgange der Re¬ gierung, gegen das Eindringen alles Progressiven sich zu schließen; von einer Vertretung des Bauernstan¬ des, von einer bessern Einrichtung der Städteord¬ nung, die die Abgeordneten zu wirklichen Vertretern des städtischen Wesens macht; von einer Zulassung der nicht landtagsfähigen Gutsbesitzer konnte nur flüch¬ tig die Rede seyn, und selbst die Zusammenziehung des engern und weitern Ausschusses der Ritterschaft wurde abgewiesen. Dafür wurde von Seiten der Re¬ gierung auch nur blos berathende Stimme anerkannt, und alle Befugniß zu wirklichen Vorschlägen oder gar zu einem veto abgeläugnet; die nachgesuchte Ver¬ minderung des stehenden Heeres als unthunlich abge¬ schlagen; die Vorlegung der Nachweisungen über die verschiednen Zweige der Staatsausgaben und Ein¬ nahmen gänzlich verweigert, weil der König in fünf¬ zigjähriger Regierung nie mehr, als die Nothwendigkeit verlangt, gefordert; die bewilligten Donative aber dankbar angenommen. Eben so hatte auch in Hannover die neue wilde Zeit nicht lange genug herumgestampft, um mit der alten Sitte auch die Geleise und Pfade der dortigen mächtigen Aristokratie zu zertreten, und sie hatte leicht wieder den ganzen Umkreis der Gewalten eingenommen, den sie ehmals erfüllt. Mit ihr war auch die alte Regierung ihres Geistes wieder eingetreten; rechtlich, billig, wohlmeinend aber schwerfällig, unbehülflich, bis zur Ungebühr bedenklich: nicht so sehr den Ansprüchen der Zeit widerstrebend, als was noch schlimmer ist, sie viel¬ mehr gänzlich ignorirend, wie auch auf der dortigen Uni¬ versität ein vornehmer Bettelstolz den neuen Geist, der in die Wissenschaften erfrischend eingedrungen, vornehm zu ignoriren affectirt; gleichsam als sey aus¬ getilgt und abgethan, wovon man keine Notiz genom¬ men. Eine Ständeversammlung, die sich aus der Oeffentlichkeit zurückgezogen; in der die verschiednen Elemente sich in einer Art von Sättigung gebunden hielten, und blos die Trägheitskräfte herrschten, konnte wenig dazu beytragen, eine wesentlich oscillatorische Bewegung in eine fortschreitende zu verwandeln, und das stockende Leben zu begeistigen, das gewohnt, in so Vielem dem herrschenden Inselvolke ungebührlich nachzutreten, nur seine Regsamkeit nicht in sich auf¬ zunehmen weiß. Doch wurde, getrieben von jenem Geiste, dem Keiner, wie er sich sträuben möge, sich ganz entziehen kann, manches Heilsame und Löbliche gefördert; eine sorgfältige Bewirthschaftung der noch übrigen geistlichen Domänen; ihre gewissenhafte Ver¬ wendung für die Bedürfnisse der Kirche und Erzie¬ hung; die Aufhebung der Steuerfreyheit freilich allein zum Vortheil des Fiscus gereichend, da die Masse der Abgaben sich darum nicht vermindert hat; mögliche Ausgleichung der verschiednen Landestheile im neuen Grundsteuerwesen; die Bewilligung eines Landtags für die sieben Herrlichkeiten Ostfrieslands, und Wie¬ derherstellung der Magistrate in den Hauptstädten die¬ ses Landes; Abschaffung der Folter und des Reini¬ gungseides; die Einführung der Geschwornengerichte wenigstens in Anregung gebracht: das alles war, wenn auch überall, wo in der Ausführung practische Ge¬ wandheit und Fertigkeit, im Entwurfe Uebersicht und Klarheit nöthig sind, mangelhaft, doch immer zum Anfang dankeswerth. In Hessen hatten frühe den Vortheilen, die die ge¬ wünschte Rückkehr des Alten gewährt, die Nachtheile, die eine unglückliche Liebhaberey zum Veralteten zur Folge hat, sich beygesellt; Nachtheile, die eine unge¬ bührliche Leidenschaft, Schätze anzuhäufen, nur noch mehr verstärkt. Darum kehrte mit dem alten lächerlich ge¬ wordnen Ansehen des Heeres, auch die alte verhaßte Hungerleiderey zurück; darum zerschlugen sich alle mit den Ständen angeknüpften Unterhandlungen, als es darauf ankam, das Staatseigenthum von dem Privat¬ eigenthum des Fürsten auszuscheiden, und sich nun ein Streit erhob, der alle gehässigen Erinnerungen der früheren Zeit wieder in den Gemüthern aufge¬ weckt. Daher wurde eine Constitution um eine nam¬ hafte Summe käuflich ausgebothen, und als der Kauf nicht zu Stande kam, die Erfüllung des 13. Art. mit Stillschweigen umgangen: eine Feilscherey, freilich nicht unerhört in älterer Zeit, aber, keineswegs zu dem gehörend, was aus ihr herübergenommen werden soll. Darum wurde der Streit mit den Domänenkäufern, in Braunschweig und Hannover geschickter beygelegt, hier, wo man mit starrer Härte, Recht und Unrecht durcheinander mischte, und den eigenen Gerichtshö¬ fen für besondere Rechtsfälle, in eigner Sache, neue Gesetze machte, zu einem öffentlichen Scandal, das die Ohnmacht der Verfassung im unzweydeutigsten Licht gezeigt, und das gegebene Aergerniß kaum durch ein allgemeines Bundesgesetz für ähnliche Fälle in der Zukunft wieder gut machen wird. Darum endlich blie¬ ben alle die schreyenden Mißbräuche im Justizwesen und in andern Fächern unangetastet. Hessen ganz statio¬ när geworden, schied gleichsam aus der Gemeinschaft der übrigen Stammgenossen, und schien den Vorwurf des Mangels an Theilnahme an den öffentlichen An¬ gelegenheiten, den man ihm vor allen Andern gemacht, durch die That zu bestättigen. Dieser Gang der nordteutschen Angelegenheiten konnte der Meinung wenig Beruhigung gewähren, die nach starken, volksmäßigen Institutionen für die Gegenwart und der Sicherung der Zukunft durch ei¬ nen regen, lebendigen, die ganze Nation umfassenden Gemeingeist verlangt. Wohl thut Ruhe und stilles Gemach vor allem Andern Noth dieser Zeit, die sich in rastlosem Treiben beynahe aufgerieben; aber es darf nicht die Ruhe der Trägheit, sondern allein jene gehaltene, feste Gelassenheit seyn, die nicht in leerer Hast sich abmüdet, sondern gemessen und ihrer selbst gewiß mit dem geringsten Kraftaufwand ihre Zwecke zu errreichen weiß. Sie erkannte, daß Teutschland nicht damit gedient seyn könne, jenes träge, lahme und taube Wesen zurückzuführen, wie es vor den Be¬ wegungen der letzten Zeit bestanden, wo das öffentliche Leben ohne Berg und Thal flach und öde wie eine Haide hingezogen, auf der die verschiednen bürger¬ lichen Gesellschaften ihre Pfergen aufgeschlagen. Nicht darum sind so furchtbare Stürme über Euro¬ pa hergezogen, daß schon, während sie noch nachdon¬ nernd am fernen Gesichtskreis stehen, jenes Reich der Mittelmäßigkeit, das sie zersprengt, sich wieder zu¬ sammenfinde, in dem jede Kraft ein Mißklang ist, jedes Talent eine gefährliche Gewalt, jede Idee als eine Plage gilt, und jede Erhebung und Begeisterung, als eine gefährliche Narrheit behandelt wird. Jene Verknöcherung, die alle edeln Lebenstheile in Erstar¬ rung hielt, soll uns nicht noch einmal als Gesundheit gelten; noch jene Gemeinheit, in der Staat, Stände und Ordnungen ihrer eignen Idee bis auf die letzte Erinnerung vergessen hatten, als Bildung zur Huma¬ nität und cosmopolitische Gesinnung. Nicht kann ferner diese Philisterey uns frommen, die ohne Weltansicht im Erkennen alles Höhere mi߬ versteht; im Handeln aber ohne Würde dem Engsten, Kleinlichsten sich ergiebt, und nirgendwo das Ver¬ hältniß von Ursache und Wirkung durchschauend, durch das gewöhnlichste sich verwirren, und zu übereilten Handlungen hinreißen läßt. Nicht mag fördern das Werk der Zeit jene steife, ungelenke Pedanterie, die in Allem nur nach strenger Methode verfahren will, und darum bey jeder Ueberraschung, und in allen wichtigen Dingen, wo die Regel verrätherisch ihren Sclaven im Stiche läßt, unversonnen sich nicht zu helfen weiß. Jener Geist, der mit uns zu ringen herabgefahren, wenn wir noch ferner im Kampfe mit ihm wie lahme Invaliden uns gebehrden, wird, statt uns zu stärken für die kommende Zeit, uns nie¬ derwerfen mit Schande und Beschämung, und dann hohnlachend von dannen ziehen. Nicht flache, abgegriffene und verschlissene Höflinge, die die Unbedeutenheit treiben wie ein Studium, und das Nichtige wie ein Geschäft, kann fortan die Ge¬ schichte brauchen; nicht Minister die sich nur ans Ende der langen Bank der Schreibergesellen niederlassen, und von dort aus nur die Buchstaben, aber nicht Welt und Leben zu beherrschen wissen; nicht Feldher¬ ren, die die Scheide höher halten, dann das Schwerd, die Kuppel und ihre Trotteln aber für das Höchste, das auf Erden ist; nicht Beamte und Kriegsleute, denen alle Kraft in die Dressur aufgegangen: rüstige, gewandte, vielversuchte Menschen fordert sie von uns, die Geist und Leben sich bewahrt, und die Ansprüche der Zeit mit der Person bezahlen, und die Formen achten nach ihrem Werth, aber ihnen nicht sclavisch dienen; Männer die muthig des raschen Rosses Rücken zu beschreiten wissen, und seinen wilden Muth zu lenken. Wohl ist es eine der Aufgaben der Zeit, jenes ru¬ hige, behagliche Wohlbefinden der Masse, als den sichern Grund des künftigen öffentlichen Lebens wie¬ derherzustellen; aber damit soll keineswegs jene laue Gleichgültigkeit, jene theilnahmlose Unbekümmerniß, jene flache Trivialität der Gesinnungen, jene klägliche Nüchternheit wiederkehren; und am wenigsten wollen wir jene Flickschusterey der vorletzten Zeit ohne Idee und Adel der Gesinnungen, ohne Kraft, Würde, blos durch einen verdumpften Rechtsbegriff im beßten Fall geleitet, uns zum Vorbild nehmen. Jene Cabinetts¬ willkühr, die in Italien zuerst ersonnen, in Frank¬ reich aber vor den Andern praktisch ausgeübt, von da in jener Zeit nach Teutschland herübergepflanzt wurde, kann uns den gemessenen Willen, der frey ist, weil er dem Gesetz gehorcht, und stark, weil er sich in seinen Gränzen hält, keineswegs ersetzen. Jene Finanzschwindeleyen, die Europa zu Grunde gerichtet, werden dadurch nicht gebessert und zu liberalen Insti¬ tutionen umgewandelt, wenn man nicht durch Nach¬ laß, sondern durch Mehranziehen Gleichheit in sie bringt; noch wird der Geiz, wenn er gleich dem Al¬ ter sich anzuhängen pflegt, dadurch eine alterthüm¬ liche Idee und ein würdiges Regierungsprinzip. Nicht ferner mag eine Ordnung der Dinge sich behaupten, wo Pflichten und Rechte nicht gleichmäßig in densel¬ ben Institutionen und Persönlichkeiten sich vereinigen, und im Steigen und Fallen wechselseitig sich bedin¬ gen, sondern vielmehr gesondert an verschiedene Trä¬ ger sich vertheilen wollen; nicht länger mehr mag jene persönliche Dienstbarkeit bestehen, als die freye wohl¬ verständigte Einwilligung sich ihr freywillig unterzieht. Nicht darum hat die Zeit nach der Rückkehr des Alten sich gesehnt, daß man es ihr, da wo es der Willkühr und dem Interesse Vortheil bringt, wie größentheils, im Norden, mit Gewalt und in allen seinen Verderb¬ nissen aufdringe, da aber wo es Beiden Eintrag thut, wie z. B. in Würtemberg geschehen, ihr vorenthält. Der Zauber der bösen Besprechung, die aus der Fremde her gekommen, und alle Kraft Teutschlands gebunden hielt, ist abgelaufen, und es will nicht ferner Theil haben an dem Segen des Isaschar des Sohnes Ja¬ cob, daß es sey wie ein Esel unter Säcken. Hatte der Norden die Nation auf solche Be¬ trachtungen geführt, dann mußte der Zustand des Südens Andere und zwar von entgegengesetzter Art erwecken. Dieser Theil des Reiches war eine gerau¬ me Zeit hindurch Teutschfrankreich gewesen, indem die Rheinlandschaften noch in der früheren democrati¬ schen Zeit der Revolution mit Frankreich vereinigt wurden, die jenseitigen Herrschaften aber später ihm durch den rheinischen Bund als Vasallen unterworfen, an allen seinen Kriegen und Richtungen Theil genom¬ men. Während daher in jenen Strichen, vielfältig die democratischen Ideen sich unter dem dritten Stande verbreiteten, und ein Geist freyer Unabhängigkeit sich da ausbildete, hatten hier die Höfe allein Theil ge¬ nommen, und die Revolution in ihrer damaligen Ge¬ stalt nach Teutschland hinverpflanzt. Diese Revolution war ein großes Gottesgericht, in jenem Lande abgehalten, um erst an ihm und dann an der übrigen Welt vieljährige Schande und Uebel¬ that zu strafen, und eine Blutschuld, die mit den Zinsen und dem Erwerbe jeder Generation vermehrt, von Geschlecht zu Geschlechte furchtbar wachsend fort¬ gegangen, endlich auszulösen; gerade wie die Refor¬ mation in gleicher Weise zu Recht gesessen, um den Verfall der alten Zucht in und außer der Kirche, die Erstarrung des höheren geistigen Lebens, die Heuche¬ ley und Selbstsucht und die Verstockung und Verdum¬ mung in entleerten Formeln zu züchtigen. Damals hatten die Höfe des Nordens, erst selbst ergrif¬ fen dann ergreifend, jener Volksbewegung sich bald zu bemeistern gewußt; und wie nun der Teufel, aus der Bejahung vertrieben, höhnisch in die Verneinung sich geflüchtet, hatte, was mit einer Reinigung der Kirche angefangen, mit einer schändlichen Plünde¬ rung im ganzen protestantischen Europa aufgehört, und die große Idee des Kirchenstaates, erst innerlich durch selbstsüchtige Herrschsucht ausgehöhlt, in üppi¬ ger Trägheit aufgelöst, war nun im Aufstande durch die gleiche Selbstsucht der Reaction zertrümmert wor¬ den, und des Pabstes dreyfache Krone getheilt unter die Fürsten als geistliche Souveräne, oder auch ander¬ wärts der geistlichen Aristocratie und selbst der Ge¬ meinde zu Theil gefallen. Gerade so war es auch jetzt er¬ gangen, daß, indem die Höfe des Westens mit der Revolution in ihrer Kehrseite, dem unbeschränktesten Despotism, in Bund getreten, die Plünderung der andern Hälfte der Kirche, die noch der Reformation entgangen, die Unterdrückung und Verschlingung al¬ ler schwächern Reichsgenossen, die Aufhebung und Vernichtung aller alten Rechte, Sitten und Erinne¬ rungen des Volkes, der Untergang der gemeinen Frey¬ heit, und die völlige Zertrümmerung der andern Idee des des Mittelalters im teutschen Kaiserreiche die Folge dieses Bundes. In dem Uebermuthe und dem Drange einer solchen Zeit hatte eine Classe von Staatsmännern sich ausge¬ bildet, ganz anderer Art als so Manche, die im Nor¬ den aus der Periode vor jener großen Bewegung noch übrig geblieben, oder auch seither allenfalls in ihren Grundsätzen erwachsen sind. Wie Diese, Sclaven des Herkommens, das Bestehende allein anerkennen, und vor allem Werdenden eine tiefe Scheu in der Seele tragen; so erkennen und achten Jene kein Seyn und keine Vergangenheit, und hassen alles Positive, das ihrer unruhigen Thätigkeit hemmend entgegentritt. Während die Einen nicht zu rühren wagen an das Ueberlieferte, und mit den Leichen des in seinem Al¬ ter Erstorbenen sich bis zur Verwesung schleppend, als Leibeigene dienen auf dem Hofgut, an das eine keckere Vorzeit sie gefestet; halten die Andern alles Gewe¬ sene dem Tode heimgefallen, sich aber für Herren der Gegenwart, und zu Tyrannen der Zukunft sich beru¬ fen. Kinder des Tages, der sie geboren, verneinend Alles, was vorhin gewesen, hoffen sie doch, daß ihr Wille bejahend seyn werde für das Kommende, dem sie selbst wieder ein Vergangenes geworden, und das Morgen mit dem gleichen Rechte sie negirt, wie sie das Gestern vernichteten. Schaltend nach freyester Willkühr mit allem Vorhandnen, von dem Jene sich bemeistern lassen, werfen sie in unaufhörlicher Umkehr die Dinge durcheinander; wie die Gedanken wechseln in des Menschen Brust, so muß ihre Welt sich mit den Flüchtigen umgestalten; in geilem Bildungstrieb 4 muß bald diese bald jene Einseitigkeit sich zu einer mißgeschaffenen Gestalt verkörpern, die sie dann nach Gutbefinden zerschlagen, um andern Aftergeburten Raum zu schaffen; rastlos wie vom bösen Geist beses¬ sen, hetzen und jagen sie Dinge und Menschen durch¬ einander, daß nichts in Ruhe sich bewurzeln mag. Da keine Ahnung in ihnen zurückgeblieben von dem stillen, leisen gelassenen Gange, in dem die Natur ihre Bildungen entfaltet, so ist's der Mechanism, dem sich ihre Ungeduld verschreibt, und der Staat wird unter ihren Händen zu einer Dampfmaschine, in deren Säule sie selbst ein heißer Schwaden auf- und niederziehen, und der nun mit ungeheurem Ge¬ polter die großen Hebel treibt, daß das Werk Geld zugleich münzt und pumpt, hämmert, spinnt und schreibt und seines Gleichen wieder schmiedet. In die¬ sem Mechanism, dem alles gerade Linie und Zahl gewor¬ den, müssen alle Linien zu einem Mittelpunkte, alle Zah¬ len zu einer Einheit gehen, damit die Willkühr von der Mitte aus nach Gefallen rechnen und richten mag, und kein menschliches oder bürgerliches Verhältniß eine störende Selbstständigkeit zu behaupten sich ge¬ traue. Gewaltthätig wird alles der jedesmal herrschen¬ den Idee aufgeopfert; nichts mag so fest gegründet stehen, daß der Wirbel ihrer Organisationswuth es zuletzt nicht niederreißt; alles Große, was die Wur¬ zeln tief in die Zeit geschlagen, ruhig gesichert in sich beharren will, erscheint ihnen strafbar und rebellisch; und sie biethen alle Elemente auf, es zu sprengen und im Grunde zu zerstören, damit nichts als ihre per¬ spectivisch gemahlten Riesenwerke übrig bleiben. Da von Treue, Liebe, Sitte, Angewöhnung, Pietät und Allem, was des Menschen Brust bewegt, nichts zu ihrem Werk erfordert wird, indem ein klarer wasser¬ heller Verstand alles wohl beschickt; dürfen sie scho¬ nungslos durch alle menschlichen Verhältnisse fahren, und auf ihrem Schachbrett Bauern, Läufer, Thürme, Ritter ziehen nach Gutbefinden von einem Ende zu dem Andern. Ihre Verfassungen sind nicht gesellige Vereine, von selbstständigen Menschen zu wechselseiti¬ ger Bindung und Befreyung eingegangen; es sind Bü¬ cher, deren Blätter einst gegrünt, dann zu Lumpen zer¬ rieben, zerstampft und zu Papier gegossen, mit ihren or¬ dinairen Gedanken beschrieben, dann beziffert und ein¬ gebunden mit goldnem Schnitt, wenn vergriffen, je¬ desmal in neuer Auflage wieder erstehen. So ist all ihr Thun ohne Segen, weil sie es allein auf den Dün¬ kel aufgebaut; jeder folgende Tag verzehrt, was der Vorhergehende gebaut; in eitler Sorge müssen sie stets wie Saturn ihre eignen Kinder fressen, bis ihnen endlich die Mutter zürnend den Stein hinreicht, und den Rächer dann erzieht. Durchgängig Männer von Kraft, Wille, Geist und Talent, hätten sie das Salz ihres Vaterlandes werden können; aber weil die Hof¬ fart sie bemeistert, sind sie ihm ein fressendes Gift geworden; und indem ihre wilden feurigen Geister in die eine Hälfte Teutschlands hineingefahren, jene trä¬ gen, gnomischen aber der andern Hälfte sich bemei¬ stert, mußten wir das Vaterland in jenem jämmer¬ lichen Zustand erblicken, wo es auf einer Seite, wie vom Schlagflusse gelähmt, auf der andern im Veits Tanz sich bewegt, und während die eine Hälfte asthenisch 4 * in dumpfen, leeren Träumen brütet, die andere hy¬ persthenisch in phantastischen, ausschweifenden Deli¬ rien sich abgemüdet: Wie es zu den Zeiten des rheinischen Bundes in den Bundesstaaten gehalten worden, ist noch im frischen Angedenken, und es ist zugleich unnütz und gehässig, die Erinnerung an diese widerwärtigen Er¬ eignisse wieder aufzuwecken. Als das Reich Napoleons zum Sturz gekommen, und die Meinung gegen jene Höfe sich mit Heftigkeit erhob; da bildete sich an ih¬ nen eine Reaction, die aus dem Conflicte sehr ver¬ schiedenartiger Motive sich entwickelte. Die süße Ge¬ wohnheit der bisher geübten Willkühr kam mit den neuen Ansprüchen der Zeit in harten Widerspruch; wäh¬ rend die Gutwilligkeit, die am Teutschen sich schwer verläugnet, wohl fühlend den Stachel des Gewissens, mit dem gekränkten Stolze kämpfte, der seine Conse¬ quenz gegen die neu einbrechende Ordnung der Dinge zu vertheidigen sich bestrebte, und mit Erbitterung die ungestüme Mahnung alter Schuld abwies, bey der man, vielleicht weniger als billig war, auf die Macht der Umstände, in die sie verwickelt waren, Rücksicht nahm. In diesem Gedränge bothen jene Staatsmänner der zweyten Classe, die früher die Umkehr nach Napoleo¬ nischen Grundsätzen geleitet hatten, eine bequeme Aus¬ kunft an, indem sie, gleich dem Meister nach der Rückkehr, sich mit dem nöthigen Vorbehalt auf die liberale Seite warfen. Indem man der Zeit einige wirkliche unabweisliche Einräumungen gestattete, war jenem guten Willen genug gethan, das Gewissen zur Ruh geredet, und der dringendste Ungestüm mit ei¬ ner abschläglichen Zahlung abgewiesen; für die spä¬ ter einlaufenden Forderungen, die von Gerichtswe¬ gen, wie die französische Schuld, schon gemäßigt wa¬ ren, wurde von jenen Papieren und Phrasen, die nie nach dem Nennwerth gelten, ein reichlicher Vor rath eingelegt, und ein wohlbestelltes Lager jener Quincailleriewaaren etablirt, die uns die Revolution gebracht, und mit denen der Zeitgeist, wie jener Vogel mit der Silberkugel, spielend sich vergnügt: Ver¬ günstigungen, die nichts kosten, aber jedesmal zählen bey der Parade; Freyheiten, die sich entweder von selbst verstehen, oder bey der Willkühr als ihrem Brod¬ herrn Hofedienst zu leisten sich entschließen; Bewilligun¬ gen durch Ausnahmegesetze weislich gezügelt; hohle For¬ meln und gleissende brillantirte Lügen, in die die Eitelkeit sich gern putzen mag, und wie die Behelfe heißen mö¬ gen, mit denen die Klugheit der Welt sich durchschla¬ gen zu müssen glaubt. Als die kleine Waare Liebha¬ ber gefunden, ließ sich später wohl die Hoffnung fas¬ sen, auch die früheren Einräumungen wieder abzu¬ kaufen; die Consequenz war vollkommen gerettet; und die Willkühr, die jetzt die Appretur gewonnen, wie sie die Mode der Zeit verlangt, war wieder ein gang¬ barer Meß-Artikel. So hatte das Herzogthum Nassau schon vor dem Congresse eine Verfassung erlangt, an der man theo¬ retisch nichts sonderliches auszusetzen gefunden, die aber praktisch seither zu wenig Erklecklichem geführt. Unter dem Vorwande, die stets wechselnden Territorialver¬ hältnisse des Landes erlaubten die Zusammenberufung einer Stände-Versammlung nicht, blieb sie drey Jahre unausgeführt, die man benutzte, den Apparat zu fer¬ tigen, um mögliche furchtbare Leidenschaften und de¬ magogische Umtriebe, die sich in ihr entwickeln konn¬ ten, zum voraus zu dämpfen und niederzuhalten. Darum ließ man, angebend die Stände sollten con ¬ stituirt keineswegs aber constituirend seyn, sie auch an der Bildung der Institutionen , die eine gänzliche Umschaffung aller innern Verhältnisse her¬ beygeführt, keinen Antheil nehmen; und man postu¬ lirte ihre Einstimmung bey den wichtigsten Edicten über Gegenstände, zu denen ihr Beyrath um so noth¬ wendiger sich erwies, je mehr der Theile und Inte¬ ressen waren, aus denen das Ganze erwachsen mußte. Um der schreckbaren Macht und dem stürmischen Charakter von zwanzig gewählten Volksvertretern zu begegnen, hatte man die Regierung nach allen Re¬ geln der höheren Befestigungskunst zu verschanzen un¬ ternommen. Eine mächtige, ausgezeichnete, wohlbe¬ zahlte, uniformirte, gleich dem Adel einem gefreyten Gerichtsstand untergebne, mit ihren Söhnen von der Militärpflichtigkeit freygesprochene, oben um den Für¬ sten her zum Theil in Banden der Verwandschaft enggeschlossene Beamtenwelt, hangend an einem Winke des Gebiethers, und in ihren Gliedern durch einen Feder¬ strich von einem Ende des Landes zum Andern hin ver¬ setzt, durch die Schultheißen das Geringfügigste im In¬ nern der Gemeinden von der Mitte aus, nach allen Regeln der modernen Papierbewirthschaftung, lenkend und be¬ schickkend, bildete wie allerwärts, das Hauptwerk. Eine schwache Stelle, die ehmals in der Unabhängigkeit der Geistlichkeit bestanden, hatte man glücklich dadurch gedeckt, daß man bey der Confessions-Vereinigung, durch das Testament der Superintendenten auf den Letztlebenden, auch sie centrirt, und dann durch Ver¬ pachtung der Pfarrgüter, Besoldung der Geistlichen und Creirung einer Centralcasse zu Staatsdienern und Kirchenbeamten im Solde der Regierung umgeschaf¬ fen. Aerzte und Advocaten, beides sonst allerwärts unabhängige Stände, die bekanntlich in der französi¬ schen Revolution eine furchtbare Rolle gespielt, wur¬ den hier sehr geschickt völlig unschädlich gemacht; indem man jene durch Besoldungen, zum Theil aus den Gemeindecassen, bey tief herabgesetzten Deserviten gleichfalls in Staatsbeamte verwandelte, diese aber von den Amtsgerichten trieb. Die Handwerksinnungen, schmähliche Reste der Feudalknechtschaft, Staaten im Staate, und darum Feuerheerde möglicher Rebellio¬ nen, wurden später wie billig ebenfalls gesprengt. Der Adel war noch übrig, und da Manche aus seiner Mitte, durch Begünstigungen nicht zu gewinnen, eine ver¬ drüßliche Selbstständigkeit behaupteten, so säete man mit erlaubtem Kunstgriff eine heilsame Zwietracht zwi¬ schen ihm und dem dritten Stande aus, indem man rechts und links theilte und unterschied, zwischen Ultra's, die Alles ohne das Volk thun wollten, und Jacobi¬ nern, die Alles durch das Volk, zu ertrotzen sich vorgesetzt, und nun jene den Privilegirten, diese aber jedem allenfallsigen Widerstande in der zweyten Kam¬ mer entgegenhielt. So konnte, als nun, nach schicklich durch die Commissäre geleiteter Wahl, endlich die ge¬ fürchtete Democratie zusammenkam, der Ministerial¬ Despotism geruhig in der Mitte, angeblich mit dem Volke, gehen, und er ließ den Fürsten, damit diese imponirende Stellung durch die Eintracht der Stände, die ihm vereinigt die Dankadresse überbrachten, nicht verschoben würde, gewissermaaßen gegen diese Einig¬ keit, als sey sie etwas Constitutionswidriges, prote¬ stiren. Als dies vollbracht, trat der Commissär der Regierung, Ibell, ausgerüstet mit der ganzen Kraft und Einsicht, die ihm seine Stellung gab; in der ganzen Ueberlegen¬ heit, die ein gewandter Geschäftsverstand und ein herrischer Wille gewähren mag, in die Mitte von Wenigen, mit den Geschäften größentheils unbekann¬ ten, von allen Seiten umgarnten und eingeschüchterten, zum Theil abhängigen Deputirten, und entrollte ihnen das Verzeichniß seiner seitherigen glänzenden That¬ handlungen, Beschlüsse und Schöpfungen, die sie durch ihren Beytritt und ihre Gutheißung zu sanc¬ tioniren und zu besiegeln hätten. Wie wollte der kleine Funken des democratischen Princips sich diesem bren¬ nenden Busch vergleichen? Als die Stände, erschrocken über eine so mächtige Curatel, für sich zum Führer und Leiter einen Syndicus verlangten, wurde ihnen dies als alberne Thorheit, ja beynahe als Hochverrath ausgelegt. Als einige Gegenden des Landes von dem Petitionsrecht an die Stände, das ihnen die Verfassung eingeräumt, Gebrauch machten, und ihnen die wirklichen und wah¬ ren Gebrechen des Landes ans Herz legten, war der verkündigte demagogische Gegensatz glücklich ausgefun¬ den, und es hob sich ein furchtbares Geschrey gegen ein so unglaubliches Attentat, und zugleich eine ge¬ waltthätige Verfolgung gegen die Urheber dieses Schrit¬ tes, die damit endigte, einen tüchtigen und wackern Beamten von seiner Stelle zu vertreiben, und ihn zuletzt aus dem Vaterlande zu nöthigen. So waren den Ständen alle Wege verrannt, der allein offne der Regierung ausgenommen. Man hatte den Grundsatz aufgestellt, alle die reichen angefallenen Domänen der verschiedenen Landestheile, die sich im Herzogthum vereinigt hatten, seyen jetzt ein unbestrit¬ tenes Hauseigenthum der ehemaligen Grafen und Für¬ sten von Nassau geworden, als sie den Herzoghut ge¬ nommen; dadurch war der Hof von den Bewilligung¬ gen der Stände gänzlich unabhängig gemacht, und da die Bedürfnisse des Staates von selbst in die gewie¬ senen Wege drängen, auch von dieser Seite Alles zum voraus abgethan. Das Steuerwesen war früher nach lobenswürdigen Grundsätzen einer gleichmäßigen Bey¬ ziehung des Grundbesitzes und der Gewerbthätigkeit geordnet worden; ein bedeutender Theil der Verwal¬ tungskosten war den Gemeindekassen aufgelegt neben den Gehalten und Gebühren der Ortsvorstände und Einnehmer; noch ganz oder größentheils Aerzte, Wund¬ ärzte, Hebammen, Forstbeamten, insofern sie ihre Waldungen inspiziren, Schullehrer, Wald- und Feld¬ schützen, Kirchendiener und Nachtwächter: so blieb fürs Budget nichts, als die Unkosten, die der höhere Regierungsmechanism fordert, und für die Stände kam etwas anderes, als eine Revision der vorgeleg¬ ten Einnahmen und Ausgabetabellen nach Art einer Oberrechenkammer. Sie setzten darum den Artikel der Hofbauten um so viel herunter, als man ihn heraufgesetzt: strichen sonst noch da und dort Einiges Wenige; über¬ nähmen die Auslösung der auf den Domänen haften¬ den Feudalabgaben, die man früher in liberaler An¬ wandlung unentgeltlich aufzugeben die Miene angenom¬ men, auf die Steuercasse; befreyten zuletzt auch die Domänenforste von den darauf haftenden Nutznie¬ ßungen der Gemeinden, und lösten dann sich auf, um das Lob ruhiger, verständiger, wohlgesinnter Stände mit nach Hause zu nehmen, dort aber dem lauten Ta¬ del des Volkes zu begegnen. Der verhaltne, durch diesen Tadel gereizte Unmuth, mußte nach der Natur der Dinge in nächster Ver¬ sammlung in irgend einer Weise zum Ausbruch kom¬ men; und da dies unter den obwaltenden Umständen nicht wohl in gemessener Art, und in einer kräftigen, sichern, festen Opposition geschehen mochte, so wußte er sich nur in jener derben Explosion Luft zu machen, die da eintrat, als jene Begünstigungen der Domänen, die so manche Gemeinde hart bedrängt, eine Armen¬ steuer herbeygeführt; und die dem Uebermuth, gegen den sie gerichtet war, wohl eine Lehre seyn konnte, daß die menschliche Geduld sich nur bis zu einem gewißen Grade mißbrauchen läßt, und dann uner¬ wartet losschlagend sich rächt an dem, der das ver¬ wegne Spiel gespielt. Da inzwischen solche Ausbrüche ihrer Natur nach vorübergehen, jede wohlberechnete Willkühr aber stetig wirkt; so mußte sie bald jener Bewegung Meister werden, und der ganze planlose Widerstand endete zuletzt mit einer zweyten Gewalt¬ thätigkeit, an einem andern Beamten ausgeübt, und das Geheimniß war ausgefunden, eine an sich nicht schlechte Verfassung vollkommen durch sich selber zu vernichten. So war also hier ein eigentlicher Musterstaat mo¬ derner Verfassungskunst festgestellt, die alle Menschen gleich macht in gemeiner Dienstbarkeit, und die Frey¬ heit als leere Gaukeley zum Spotte, und das Werk war nach dem Vorbilde Frankreichs ein Microcosm des Napoleonischen Macrocosm ausgeführt, und siehe da! der Meister sah, daß es gut war. Staatsrath, Kammern, Budget, zwey Partheyen Ultras und Jacobiner an den Triumphwagen gespannt, von des¬ sen hohem Sitze der Wagenführer mit eisernem Arm das Doppelgespann zum Ziele lenkt; vorauf Frey¬ heitslieder aufgespielt, und Fanfaren mit Trompeten¬ geschmetter, ein offizieller Moniteur, der bald den Thyrsus liberaler Ideen schwingend Evoce Bache! ruft, bald die Lockpfeife bläst, mit der man liberale Gim¬ pel fängt; bald als Constabel das verblüffte Volk mit dem Grabe im Spaliere richtet; jeden Widerspruch mit Hohn niedertritt; da und dort eine scheltende Lippe mit dem süßen Honig allgemeiner freymüthiger Redensarten besalbt, daß sie sich, wahrnehmend den lieblichen Schmack, betroffen schließt; dann wieder den bescheidensten Zweifel hart anläßt; im Gefolge hintennach Eitelkeit und seichte Selbstgefälligkeit, Or¬ ganisations- und Neuerungssucht, Centralisiren und Paralysiren, Schein und Papierthätigkeit, Fiscalität, Unlauterkeit und Pfiffigkeit; endlich gar zu allen gro¬ ßen Dingen, Hunt und den Spafieldsrednern in der Grafschaft Katzenellenbogen, noch die Seligkeit einer Conspiration, und der Ausforschung einer weitumgrei¬ senden Verschwörung. Furchtbare Thorheit dieser Zeit! die falsch und unwahr bis ins Mark ihrer Gebeine hinein, nachdem sie lange die Welt betrogen, endlich dahin gelangt, daß sie die eigne Lüge glaubt; und nachdem sie alle Natur von sich gethan, in verwege¬ ner Schwindeley ihre Histrionenkünste an Allem übt, und Gesellschaft, Staat, Kirche, das Ehrwürdigste was die Erde hegt, zur Farce macht. Was im Herzogthum Nassau in jener Weise glücklich zur Ausführung gelangt, hatte der Minister Montgelas früher auch schon in Bayern versucht, und deswegen die Constitution von 1808 gegeben, und die Spätere zur Zeit des Congresses proclamirt. Umstände, deren Zusammenhang noch nicht am Tage liegt, hat¬ ten diesen Mann, von dem im Guten und Bösen Alles gilt, was die vorhergehenden Blätter der gan¬ zen Gattung nachgerühmt, eben als er nach der Würde des Staatskanzlers griff, zur großen Bestürzung aller Gleichgesinnten, plötzlich aus seiner Laufbahn wegge¬ schoben, und ein Ministerium an seine Stelle gesetzt, das zwar nicht wenig eifersüchtig auf seine Macht, doch weder den Einfluß, die Arglist noch die Gewalt¬ thätigkeit besaß, sie in einem so consequenten Systeme zu befestigen. Der König gab eine Charte, an der man freylich eine übergroße Aengstlichkeit bemerkt, die Vorrechte der Krone zu bewahren; die aber doch die Ge¬ meinen gegen sie in eine Stellung setzte, von der aus nach und nach durch ihre Einwirkung fehlerhafte Institutionen abgeschafft, und bessere an die Stelle gebracht werden mögen, die alsdann rückwirkend auf die Verfassung, wieder bessern können, was an ihr unvollkommen ist. Darum war der Landtag, der hier abgehalten wurde, etwas mehr als eine jener blauen Dunsterscheinungen, die Zeit zu äffen heraufgestiegen; zwar lief auch hier mancherley Arg mitunter, aber da es nicht in der Mitte alles überwiegend saß, war nicht sonderlich viel dagegen einzuwenden, da die Schlechtigkeit mit der Dummheit gleiches Recht hat repräsentirt zu werden. Darum entwickelte sich in der zweyten Kammer, nach¬ dem die erste Lehrzeit nur vorüber, mitten aus man¬ cherley schwerfälliger Unbehülflichkeit, Philisterey und Ungewohnheit des constitutionellen Lebens, ein wack¬ rer Hausverstand, und eine billige, gemäßigte, ehren¬ werthe, in allen Dingen dem Guten leicht zugäng¬ liche Gesinnung. Viel des geheimen Gepreste, das die heutigen Staaten drückt, kam dabey zur Sprache; mancher tiefe Blick in die scheußliche Vergangenheit, konnte, so sehr man sie zu verhüllen sich bemüht, nicht verhindert werden; manches Gute das die Re¬ gierung willig aufgenommen, wurde vorbereitet, zu manchen bessern Einrichtungen die Wege angebahnt; großen Mißbräuchen wurde für die Zukunft ein Ziel gesetzt, und das Unwesen der Zeit zu seinem Wende¬ punkt geführt. Als die Kammer aber, nachdem sie in Friede und Einigkeit bey ihrer Untersuchung der Gebrechen des gemeinen Wesens, die Extremitäten durchsondirt, all¬ mählig auch zu den innern Lebenstheilen hingelangt, und nun an die eigentlichen und großen Schäden rührte, an denen die Staaten dieser Zeit siechen und vergehen: das alle Verhältnisse überschreitende Ueber¬ maß in der doppelten Soldatesca des Kriegs- und Friedensheeres; den durch eine so zahlreiche und glän¬ zende Dienerschaft zerrütteten Staatshaushalt; die da¬ durch herbeygeführten Finanzschwindeleyen, die nach Erschöpfung aller möglichen Steuerformen endlich da¬ hin gediehen, daß die Regierung Bank hält, am Pha¬ raotische gegen ihre Untergebnen; dann jene Cabinets- und Ministerialwillkühr, die sich bis in die Justiz erstreckt; da war die Geduld der allzu indiskret in Anspruch genommenen Liberalität erschöpft; und es regte sich von neuem die ganze Hefe schlechter Leidenschaften, die von da aus Teutschland so oft schon geärgert haben. Der Augenblick war nun gekommen, wo die erste Kam¬ mer sich berufen hielt, ein Damm zu seyn gegen die all¬ zu hoch ansteigenden Wogen der Gemeinen; der Reichs¬ rath verwarf diese Anmuthungen, die allzu praktisch waren; die Steuerbewilligung sollte großmüthig nach der Verfassung an keine Bedingung eines radical ver¬ besserten Zustandes sich knüpfen wollen; und nachdem man früher den Scandal mit den Adressen der be¬ waffneten Macht angerichtet, deren Zulassung zum Constitutionseid man abgewiesen, weil sie keine Deli¬ berirende, vielmehr eine rein abhängige Körperschaft seyen, und die man hier doch über constitutionelle Ge¬ genstände deliberiren ließ, verwickelte man selbst zuletzt die Person des Regenten auf eine seiner Würde wenig zusagende Weise in den Streit, der als erster Anfang eines beginnenden Kampfes, dessen Beendigung der Zeit nach ungewiß, dem Ausgange nach aber es mit nichten ist, immer merkwürdig bleibt. Auch in Baden haben ähnliche Veranlassungen, auch zu ähnlichem Ausgang sich entwickelt. In diesem Lande war seit Jahren einer der Hauptheerde jener Umkeh¬ ren gewesen, wie sie die Zeit herbeygeführt; mehr Constitutionen als Frankreich hervorgebracht, waren einander dort gefolgt, worunter Eine, um auch in teutscher Narrheit etwas Originales hinzuzuthun, in objectiver und subjectiver Hinsicht, wie es auf dem Titel hieß; und Minister hatten sich schneller als die Consuln im alten Rom gedrängt. Der Hof gab zuletzt gleichfalls zur Erfüllung des dreyzehnten Artikels eine Charte, die in der damaligen politischen Verlegenheit die Meinung vor allen Andern durch ihre Liberalität gewinnen sollte, und wirklich eines sehr allgemeinen Beyfalls sich erfreute. Auch in der Versammlung, die sich hier vereinigte, offenbarte sich bald ein rascher, reger, lebendiger, ge¬ wandter Geist, wie er dem Volksstamm dieser Gegend vor Vielen eigen ist; dazu wahrhaftes Talent und so viel zu sehen ist, viel praktische Tüchtigkeit, und auch in diesen Verhandlungen kam gar Manches, zur Sprache, das, wenn es auch, z. B. bey den kirchlichen Angele¬ genheiten und denen des Adels bisweilen mit einiger Einseitigkeit behandelt wurde, diese doch durch die Masse des entgegensetzten Unverstandes, der aller¬ wärts sich regt, gar wohl entschuldigen konnte. Doch als auch hier die Geschäfte bis zum critischen Punkte vorgerückt; als die zeitgemäße Frage über den billigen Antheil der Stände bey den Bundestagsbeschlüs¬ sen zur Erörterung kam; als bey den Verhandlungen über das Defizit seiner Deckung allzu reichliche Sprossen der Civilliste wie billig beschnitten wurden; als wieder der miles perpetuus eine freylich allzu geringe Schmälerung seiner Dotation sich gefallen lassen sollte: da schien der Hof mit Entsetzen dem frevelhaften Werke zuzusehen, und überrascht von dem wachsenden Ernst des leicht begonnenen Unternehmens, und wenig vor¬ bereitet den strengen Ansprüchen einer bis zum inner¬ sten Grunde aufgeregten Zeit zu genügen, beschloß er mit hastigem Eingriff den Verhandlungen ein Ziel zu setzen. Auch hier konnte der Fürst der gereizten Empfindlichkeit nicht Meister werden; er vertagte die Versammlung mit unziemlicher Eile in Mitte der Verhandlungen über das Finanzbüdget; die Stände wurden mit Verletzung des gemeinsten Anstandes nicht entlassen, sondern fortgejagt; nach der Heimkehr förm¬ lich unter Quarantaine gesetzt, und die Verfassung, obgleich formal unversehrt, war doch gleich beym er¬ sten Versuche material verletzt, da man die Stände in Ausübung ihrer Rechte gehindert hatte. Es hatte sich neuerdings ausgewiesen, was eine Constitu¬ tion werth ist, die ohne historische Unterlage, unbe¬ festigt durch freye Institutionen und starke in sich wohl begründete Corporationen, blos auf dem wan¬ delbaren Willen ruht, und durch eine Cabinettsordre gegeben wird und wieder zurückgenommen. Einen bessern Widerhalt hatte in Würtemberg die geheime, geehrte Macht des alten Rechtsbestands, sol¬ chen Einbrüchen willkührlicher Laune entgegengesetzt. Der König gereizt durch den unvermutheten Wider¬ stand, den er bey der Ausführung wohlgemeinter Ab¬ sichten gefunden, hatte reagirend mit Malchus jener Schule Schule gleichfalls sich in die Arme geworfen; aber mit dem augenblicklichen Triumph war es hier nur auf eine gänzliche Niederlage abgesehen. Um so seichtes Beginnen zu strafen, griff die Nemesis nicht nach Dolch und Gift; ein kleiner Rechnungsfehler, der wie die Schlange unter Blumen, so unter Ziffern sich versteckt, war hinreichend so großem Unterfangen so schmähliches Ende zu bereiten. Darum, obgleich nach Auflösung der Ständeversammlung, auch in diesem Lande neben manchen guten Tönen, auch vielfach unlauteres Ge¬ schrey sich kund gegeben; obgleich man auch dort alle Verführungskünste der Zeit geübt, und in alle Weise das Volk zu verwirren sich bemüht, blieb zuletzt das schlichte Recht doch siegreich: der König, mit rühmlicher Selbstverläugnung und alles Preises würdigem Ver¬ trauen, berief eine neue constituirende Versammlung; und Würtemberg genießt zum Lohne, daß es an sein altes Recht gehalten, und sich leichtsinnigen Theorien nicht hingegeben, den Vorzug vor allen andern teut¬ schen Stämmen, daß es seine Verfassung auf consti¬ tutionellem Wege sich in gütlicher Uebereinkunft mit der Regierung selbst bereitet, und nun auf einem wahrhaft unerschütterlichen Grunde sie befestigt. Wenn so harmonisch zusammenwirkende, versönliche, dabey aber doch dem Rechte nichts vergebende Gesin¬ nung seit Jahren der gereitzten Meinung die erste be¬ ruhigende, erquickliche Erscheinung gewährt; so muß dagegen die dumpfe Gährung, die Rheinhessen seit geraumer Zeit bewegt, sie wieder um so mehr ver¬ wunden. Ein wirklich wohlwollender, gutgesinnter Fürst, dessen Gemüth kein Arg in sich hegt, der aber 5 verwirrt durch die Zeit, die er schwer begreift, zu manchem Mißgriffe sich hinreissen läßt, die alsdann eine ungemeine Bonhommie oft auf eine rührende Weise, wieder gut zu machen sucht; dabey übermäßige Ausgaben für maucherley Liebhabereyen, jedoch wieder vielleicht weniger um seinetwillen, als derjenigen we¬ gen, die darauf angewiesen sind, ungern zu beschrän¬ ken sich entschließt; ein Ministerium das in sich getheilt, ohne Compaß, ohne Kenntniß der Gestirne mit allen Winden segelt, ohne zu wissen wo es den Lauf hin¬ richtet; ein reges, vielfach gedrücktes Volk, das seine Rechte erkannt, und mit Eifer, rühmlichem Zusam¬ menhalten, und lobenswürdiger Theilnahme am Oef¬ fentlichen sie verfolgt, und sich durch kein Wider¬ streben irre machen läßt, in Betreibung seiner wohl¬ begründeten Rechte, Ansprüche und Forderungen: das sind die Elemente dieses Streites; der zwar jetzt be¬ denklich scheint, aber doch bey so viel Wohlwollen auf der einen und Festigkeit auf der andern Seite, sicher zu gutem Ende führt. Damit aber endlich der Gegensatz von Nord- und Südteutschland, der sich im Allgemeinen festgestellt, im Einzelnen wieder vernichtet werde, müssen die neu¬ reformirten Verfassungen Tirols und jene Gallizieus, so wie die des Ländchens Vaduz, an der Teutschland eine Zeitlang sich ergötzt, den lahmen furchtsamen Charakter jener nordischen Gestaltungen in den Süden hin verpflanzen ; während dagegen im Norden eine ge¬ scheidte, thätige aber sehr eigenwillige Fürstin ihre ge¬ bieterische, zweydeutige Liberalität alten Rechten eben so tyrannisch entgegensetzt, wie es wohl irgend wo im rheinischen Bunde je der Fall gewesen. Indem auf diese Weise im jenseitigen Teutsch¬ land die politische Reformation sich nach und nach auf einer Stufe befestigt hat, die man jener verglei¬ chen kann, auf die im Kirchlichen die Episcopalkirche in England sich gestellt; haben die diesseitigen dissen¬ tirenden Rheinprovinzen vielmehr eine Art von politi¬ schen Calvinism bey sich ausgebildet, in der Art wie früher schon die Schweiz mit dem Beyspiele vorange¬ gangen, dem dann die schwäbischen und rheinischen Städte, aber ohne Erfolg nachzugehen versucht, und wie es später die holländischen Provinzen, zuletzt auch Belgien ausgeführt. In dem herben, strengen, phan¬ tasielosen Geiste, wie er der dort allgemein verbrei¬ teten politischen Schule eigen ist, haben die Deputir¬ ten des Rheinkreises in der bayrischen allgemeinen Ständeversammlung gestimmt; in allgemeinen Dingen oft von fixen Ideen und vorgefaßten Meinungen hin¬ gerissen, in Allem aber was die praktischen Interessen ihrer Provinz betraf, immer wacker und tüchtig sich beweisend; dieser Geist hat im diesseitigen Rheinhessen in den meisten öffentlichen Stimmen sich laut gethan; in ihm hat in den kleineren Landesstrichen die heftige Opposi¬ tion gegen die entlegenen Regierungen sich ausgebil¬ det; und er mußte vor Allem in dem preußischen An¬ theil, in dem die meisten Rheinländer in Masse ver¬ bunden sind, am entschiedensten sich offenbaren. Indem diese Länderstriche mit Preußen vereinigt wurden, hatte man gleichsam die äußersten Extreme Teutschlands, nach allen Richtungen hin, gewaltsam sich entgegengebogen, und dann über den Bund den diplomatischen Seegen ausgesprochen, den der Him¬ mel aber gutzuheißen, sich bis zu dieser Stunde ge¬ weigert hat. Einerseits ein Staat, den allein die Idee des Königs zusammenhält, der mit Cabinettsordern und Ministerialordonnanzen ohne eine gesetzlich be¬ stimmte Verfassung in milder Willkühr herrscht; eine Beamtenwelt, die nach unbestimmten Instructionen, aufs Geheime gerichtet, mit weitschweifiger Förmlich¬ keit verwaltet, und eine gleich umsichtige, geheime und rechtliche Justiz; durch alles gehend ein, wenn auch gemilderter, doch immer noch strenger militäri¬ scher Geist, der zum Theil bewußtlos das Leben in die Formen der Subordination zu drängen die Nei¬ gung hat. Gegenüber ein Volk ohne einheimische Für¬ stengeschlechter, ein Land ohne Höfe und Residenzen, ein Adel, beynahe gänzlich ausgestorben, eine ver¬ armte Geistlichkeit; dagegen ein dritter Stand neuer¬ dings nicht reich, aber wohlhabend geworden durch den Heimfall der Domänen, noch nicht üppig, aber wohl fühlend seine Macht, und zum Uebermuth ge¬ neigt; gehorsam, aber nicht unterwürfig, dem Gesetze unterthan, aber durch jede auch wohlgemeinte Will¬ kühr leicht verletzt; in Allem auf's Praktische gerich¬ tet, und darum allem Regellosen, Verworrenen ab¬ geneigt; an einen raschen Geschäftsbetrieb gewöhnt, und allem Oeffentlichen zugethan; nicht zwar den Waffen abhold, wohl aber allem Steifen, Starren, Herrischen, das dem Soldatengeiste anzuhängen pflegt. 5* So entschiedene Gegensätze mußten bey der ersten Berührung stark und verwundend aufeinander treffen, und der Nachtheil des Streites, der sich erhob, mußte nothwendig ganz auf Seite der neuen Herrschaft fal¬ len, da sie sich allein alles Thun zugeeignet, und den Einheimischen nur das Lassen zugetheilt. Seit der Zeit also wo die Regierung durch ihre Organisa¬ tion das Vertrauen zuerst verwirkt, hatten Diese auf Beobachtung sich gelegt, und uur allzu bald alle Schwä¬ chen ausgespäht. Da man sogleich einstimmig die Gegenwart als völlig unstatthaft verworfen, war die ganze Aufmerksamkeit bald auf die Fortschritte der Re¬ gierung im Verfassungsgeschäft gerichtet. Man be¬ merkte die Einsetzung des Staatsraths als die erste Einleitung zu diesem Geschäfte mit Wohlgefallen, ob er gleich nach seiner Einrichtung nichts als eine Re¬ gierungs-Behörde war. Ebeu so wurde die Niedersez¬ zung der Commission zur Entwerfung der Verfassung dankbar aufgenommen, und wie früher die Anord¬ nung der Immediat-Justiz-Commission, so die spätere Aufhebung der geheimen Polizey Als aus der Mitte jenes Ausschusses drey Commissäre auf den Vortrag des Canzlers in die verschiednen Provinzen abgegan¬ gen, um sich über das Bestehende und ehmals Gewe¬ sene Notizen zu verschaffen, ließ man auch diese, ob¬ gleich verspätete Maaßregel, für einen Fortschritt gel¬ ten. Als aber diese Ausgesandten zurückgekehrt, und die Berichte der verschiedenen Regierungen des Lan¬ des eingelaufen, und keine zweyte Sitzung jener Com¬ mission erfolgen wollte; weckte die Langsamkeit in den Bewegungen der Regierung zuerst die Besorgniß, daß sie bald rückläufig werden möchte. Inzwischen war der Kanzler zum Rhein gekommen, und neue Hoffnungen hatten an sein Erscheinen sich geknüpft. Er hatte die bekannte Adresse angenommen, und die Discussionen, die sich dabey zwischen ihm und der Deputation erhoben, mußten, als sie offen¬ kundig worden, nothwendig den Glauben wecken, die Reaction sey endlich zum Ziel gelangt, und es werde aller Streit, nachdem man wechselseitig guten Wil¬ len und vorgefallene Mißverständnisse anerkannt, noch zu einem gedeihlichen End gelangen. Als aber der König das Wort nicht löste, das sein Mandatarius zu geben vollkommen durch ihn selbst ermächtigt war; als er die Einwohner, dafür, daß sie eine völlig gesetzliche Hand¬ lung in aller gebührenden Ehrfurcht ausgeübt, un¬ gnädig angelassen, und ihnen, die ausdrücklich ge¬ sagt hatten, daß sie nicht den mindesten Zweifel an der Erfüllung des gegebenen Versprechens hegten, den gehegten Zweifel verwies; als er diese Ungnade auch auf die örtliche Regierung ausgedehnt, weil sie zuge¬ lassen, was sie mit keinem Schein von Recht verhin¬ dern mochte; und nur jene belobte, die mit gewalt¬ thätiger Handlung die Aeußerung der öffentlichen Stimme unterdrückt: da schwieg man, weil man die Ehrfurcht gegen die Majestät, auch da nicht vergaß, wo man sie im Irrthum befangen sah; aber es war ein Riß geschehen, und stärker als vorher klaffte die alte Wunde, die nicht jene brillante, halbofficielle bis zum Unanständigen geistreiche Erwiederung zu heilen vermochte, noch weniger der breite Gesellschaftsschnack, mit dem eine andere Schrift tröstend, zusprechend und abrathend sich herbeygedrängt. Wenn die Rheinländer aber nun ihrerseits in man¬ chen Stimmen, die laut geworden, die Zulassung ei¬ niger Glieder des Adels tadelten, so bewiesen sie da¬ durch, daß sie im Getriebe der Zeit, durch die sie sich durchgewunden, zwar den Sinn für Recht gar sehr geschärft, das Gefühl für die natürliche Billig¬ keit aber, in demselben Verhältnisse verloren hatten. Dasselbe erwies sich in dem größtentheils unvernünftigen Geschrey, das man gegen den Schritt, den der niederlän¬ dische Adel in wohlmeinender und lauterer Absicht für sich gethan, so wie gegen die Schrift, die er bey dieser Gelegenheit dem Kanzler übergab, erhoben. Da man die Billigkeit der Gesinnungen, die er in jener Schrift an Tag gelegt, nicht anfechten konnte; verkroch sich der Argwohn hinter einen vorgeblichen Mystizism im Style, der das geheime Arg verbergen sollte; und indem man mit republicanischem Stolze den Beystand einer Körperschaft ausgeschlagen, die nie mehr bey uns der gemeinen Freyheit gefährlich werden mag, hatte man zugleich, übereilt verzichtend auf das alte Recht, das ihre, wie die Ansprüche des dritten Stan¬ des begründete, sich allein der Gnade auf Discretion hingegeben; und da man selbst nicht Billigkeit geübt, auch des Anspruchs auf gleiche Billigkeit von Seite der anderwärts mächtigern Aristocratie sich begeben. Von jenem Augenblicke an begründete sich inzwi¬ schen in der Meinung der Glaube von einem wirklich eingetretenen Rückschritt in den Grundsätzen der Re¬ gierung, und alles, was seither geschah, mußte die¬ sem Glauben Nahrung geben. Die Gründung der Uni¬ versität von Bonn und der vielversprechende Ausgang der Arbeiten der Immediat-Justiz-Commission wurde der Regierung gern mit freudigem Muthe verdankt; aber die widrigen Eindrücke der Finanzoperationen, die nun erfolgt, mußten bald diese günstige Stim¬ mung wieder niederdrücken. Als verhaßte Steuern, die darum das Provisorium abgeschafft, der Reihe nach wiederkehrten; als die Mauth, die man allen¬ falls gegen das Ausland gefordert, auch gegen das Binnenland den Verkehr unterbrach, und die Grenz¬ orte vielfältig drückte und bedrängte; als eine Brannt¬ weinsteuer drey Viertheile des Preises vom Product verlangte, und durch das nun erfolgte Einstellen der Fabrication die Landwirthschaft zerrüttete; und eine Most-Abgabe, die im Durchschnitt fünffache Grund¬ steuer von dem verarmten Winzer forderte, daß die¬ ser zur Drohung sich genöthigt sah, die Weinstöcke auszuhauen, wenn man darauf beharre; als von aller Liberalität früherer Jahre nichts als ein über alle Verhältnisse gespanntes Kriegsgesetz übrig geblieben, das unter dem Vorwande hoher Ideen die ganze Be¬ völkerung ohne Ausnahme dienstpflichtig macht : da mußte die Opposition nothwendig durch die ganze Masse des Volkes sich verbreiten, und da es das Gute bittweise nicht erlangt, mußte es wenigstens protestirend das Uebel von sich abzuwenden suchen. Und als nun die Orts-Regierungen, nachdem sie amtlich erwiesen, daß die Provinz schon mit ihren bisherigen Abgaben die verlangten vier Thaler auf die Seele wirklich entrich¬ tete, nicht umhin gekonnt, die Einführung der neuen Steuern als absolut unmöglich zu erklären, und der Minister nun dem Stadtrathe von Coblenz, die in sei¬ ner Protestation kundgegebne Kleinlichkeit der staats¬ wirthschaftlichen Ansichten verwies, und mit dem bal¬ digen Eintreffen noch anderer Steuern ihn vertröstete; da bewunderte man allerdings die strenge Consequenz eines Systemes, das ad absurdum getrieben, sich doch in keine Weise verwirren läßt: aber man fühlte, daß es die höchste Zeit sey, daß eine Verfassung dieser gleichmüthigen Stoa Gränzen setze. Außer diesen politischen Verhältnissen wirkten noch Andere einer höheren Art nachtheilig auf die Stimmung, wie im ganzen übrigen katholischen Teutsch¬ land im Allgemeinen, so auch am Rheine, am mei¬ sten in Westphalen. Es war dies der Zustand der Kirche, und die schmähliche Unterjochung, mit der man sie bedrohte. Seit der Säkularfeyer der Refor¬ mation hatte sichtlich, ein zwar längst schon vorhand¬ ner Uebermuth, im protestantischen Teutschland sich zu einem beynahe unerträglichen Grad gesteigert, und es konnte nicht fehlen, daß dieser wie immer und überall eine gleich starke Rückwirkung hervorrufen mußte. Nicht zwar hat der rechte, fromme und bescheidne Protestantismus, der in Demuth vor den Pforten jenes verschlossenen Reiches steht, das die nicht wi߬ baren Dinge in sich beschließt, und der wenn er auch selbst nur an das geschriebene Wort sich hält, doch darum dem Durchschnittsglauben aller Zeiten und Jahrhunderte, an den sich überdem der Catholizism bindet, nicht höhnisch als etwas in sich Unsinniges und Verwerfliches niedertritt; nicht dieser hat an sol¬ chem Beginnen Theil genommen, er zeigt sich viel¬ mehr gerade in dem Verhältniß, wie er reiner, lau¬ terer Ueberzeugung Raum gegeben, und in Freyheit bis zur Tiefe der Dinge vorgedrungen, um so über¬ einstimmender mit jenem Gemeinsamen; weil das Be¬ sondere in innerster Wurzel nothwendig mit dem Ge¬ sammten verbunden ist, und aus der Tiefe, wenn bei¬ derseits die Schlacken abgehoben, uns derselbe Sil¬ berblick entgegengeleuchtet, so daß in dieser Hinsicht Protestantismus und Catholizismus nur wie Integral- und Differenzialrechnung sich verhalten. Aber es ist auch hier jener dünkelvolle Geist, der, unfähig auch nur an seiner Naturseite die Bande der Schwere durchzuschneiden, sich doch nach innen vom Historischen loszureißen vermißt; der nicht sich am Ganzen zu prüfen und zu gewähren sich begnügt, oder auch das Ganze an den ewigen Gesetzen, die sein Inneres beschließt, sondern in hoffärtigem Abfall sich allein auf das Vergängliche, Fließende, Richtige setzt, und nun aus der allerseichtesten Weltbetrachtung her¬ vor, seine Einbildungen, seine Eitelkeiten und Leiden¬ schaften für große, gute Weltgesetze hält, und sich an dem Kreuzweg niederläßt, um die Geschichte zu be¬ lehren, die mit ihren Sonnenrossen, ohne das Stäub¬ chen zu bemerken, das in ihrem Strahle spielt, vor¬ überfährt. Von diesem Geiste ist das Geschrey aus¬ gegangen, das von jenseits her erschallt: der Catho¬ licismus, in sich selbst todt und erstorben, habe nur vergessen sich begraben zu lassen; seine Dogmatik sey unhaltbar ja gänzlich unvernünftig; seine Unfehlbar¬ keit der Kirche sey die wahre Leibeigenschaft der Gei¬ ster; und seine Hierarchie, das Werk nichtswürdiger Pfaffenkünste, eine unerträgliche Tyranney, und es erbietet die eifernde Liebe sich nun mitleidsvoll, mit zur Leiche zu gehen, um dem Verblichenen die letzte Ehre zu bezeugen; dann aber zu brechen die schimpf¬ liche Kettenlast, und auszuziehen gemeinsamer Hand, und zu stürzen die Tyrannen. Darum wird mit denselben Gründen, wie früher der Fürstenbund gegen die längst zum Schatten ge¬ wordne Kaiserliche Macht, so jetzt ein gleicher Bund gegen den Papst, den Tyrannen der Christenheit, ge¬ predigt, dessen geistliche Gewalt ohngefähr auf glei¬ cher Linie, wie damals jene Weltliche sich befindet. Wenn die Catholischen zu solchem Beginnen achsel¬ zuckend schweigen, dann wird auf die Jesuiten hinge¬ deutet, die ein furchtbares Phantom von der Schweiz herüberdrohen; protestantische Zeloten karren in den Oppositions- und ähnlichen Blättern allen Unrath alter Zeit, und was die Päpste je Schlechtes und Arges unternommen, in einen Haufen aufeinander; riechen nach Art jener früheren Berliner Zionswächter in allen Richtungen nach geheimen Umtrieben, und verlästern und verklatschen ehrliche Leute, die ihren Glauben und ihre Ueberzeugung vertheidigen. Damit auch hier sich jene vortreffliche Liberalität bewähre, die der Gewalt Alles einräumt, wenn sie sich nur mit ihren Formeln und Privatinteressen abzufinden weiß, wurde proclamirt: der Satz der einen protestantischen Kirche, der Fürst sey erster Bischof in seinem Lande, müsse auch auf die protestantischen Regierungen unterworfene Catho¬ lische ausgedehnt werden, damit dieser, schon Oberfeld¬ herr, Oberrichter, Oberpolizeydirektor, Grundeigen¬ thümer des Landes, dessen Bebauer bey ihm zu Pachte gehen, nun auch als pontifex maximus über die Ge¬ wissen zu Rechte sitze, um allenfalls wie Heinrich VIII , dem Parlamentsbeschlusse nach der Beschützer und das Oberhaupt der Kirche von England, in Wahrheit aber ihr Tyran, Bedränger und Plünderer, sogenannte Con¬ vocationen, Bills der sechs Punkte, Anweisungen für christliche Menschen zu belieben; und nach seinem Beyspiel, wenn etwa der Fanatism wieder erwacht, die dem Papst anhängen zu verbrennen, die ihm ab¬ gesagt, aber zu rädern. Darum das Geschrey gegen das Bayerische Concordat, an dem am meisten die Einräumungen, die es dem Staate macht, zu tadeln sind; darum die zärtliche Liebe für Wessenberg, der für sich ein wohlmeinender Mann seyn mag, aber schon darum Unrecht hat, weil er um eine unlautere Sache und schlechtbegründete Ansprüche gegen die Curie durchzusetzen, hinter die weltliche Macht sich flüchtet, und also indem er die Freyheit der Kirche zu verthei¬ digen vorgiebt, sie wirklich an die Souverainität verräth. Der Argwohn, den jene übelverhüllten Plane in den Gemüthern schon erregt, verstärkte sich bedeu¬ tend, als jene Concordatencommission von protestan¬ tischen Fürsten, großentheils mit Protestanten beschickt, sich eröffnete, und jene Antrittsrede des Ministers von Wangenheim, die innern Verhältnisse der katholischen Kirche, und ihre künftigen Beziehungen zum Papste in dieser Synode zu ordnen, Hoffnung machte; als eine Zeitung Propositionen ausgeschwatzt, die bey die¬ ser Erörterung als Grundlage dienen sollten, und die damit begannen, den Papst vorerst aller Funktionen seines Primates zu entheben, und ihn wieder zu dem Fischergewerbe zurückzuweisen, das sein erster Vorgänger der Apostel verlassen hatte, um dem Herren zu fol¬ gen; als man endlich weiterhin erfuhr, wie schon aus einem benachbarten Lande das Aufhebungsdecret des Cölibates bis zur Unterzeichnung rein mundirt, bey den Akten eingelaufen, seine Vollziehung aber von einem der berathenden Höfe nur der Wittwengehalte wegen abgerathen worden. Das alles mußte den widrig¬ sten Einfluß auf die Meinung äußern, obgleich die Resul¬ tate dieser Commission wenigstens diejenigen beruhigten, denen sie bekannt geworden, indem man vollkommen die Ausdehnung des Wahlrechts auf die untere Geistlichkeit in den Dekanen billigen mußte; nicht minder auch den Grund¬ satz, daß angeklagte Bischöfe von einem Pairsgerichte Recht nehmen sollten; übrigens aber sich versichert hielt, daß die Curie ihrem Rechte, bey solchen Gerichten einen Delegir¬ ten zu haben, der das öffentliche Ministerium zu vertreten berufen sey, nicht vergeben werde; noch dulden den Bruch, der mit Abschaffung der Erzbischöfe, durch kleinliche Eifersucht der weltlichen Souverainität ge¬ trieben, in die Hierarchie geschehen; noch weniger aber jemals, protestantischen Fürsten das Ernennungs¬ recht katholischer Bischöfe zu gestatten, sich vergessen werde. Preußen, mehr als vier Millionen Catholische in sei¬ nem Umkreis hegend, war jenem Vereine nicht bey¬ getreten, und man deutete die Weigerung dahin, daß es auch hier, an Liberalität sich übertreffen zu lassen, nicht gesonnen sey. Der König hatte bestimmte Ver¬ sprechungen bey der Besitznahme geleistet; der Kanz¬ ler hatte sie in jener Audienz wiederholt; auch hatte man die Wiedereinräumung des Wahlrechts, die das Kapitel von Münster erlangt, als ein Pfand der Er¬ füllung angenommen. Allein auch hier geschah gerade so viel wie im Verfassungswerke; die Kirche blieb zum Aergerniß aller Menschen in stärkerem Verfall, als sie je unter französischer Herrschaft gewesen, und auf ihre kümmerlichen Mittel zum Fortkommen ange¬ wiesen. Die heilige Allianz lag auf Pergament ge¬ schrieben, wohlbewahrt in den Archiven; erbauliche Reden von Frömmigkeit und christlicher Tugend hat¬ ten zum Theil den alten diplomatischen Canzleystyl verdrängt: aber die Regel des Christenthums, Jedem zu geben das Seine, wurde darum, wie vorhin nicht nach außen, so jetzt nach innen, nicht geübt. Die letz¬ ten Domänen, die ärmlichen Reste des großen Rau¬ bes, zugleich die einzige noch übrige Hypotheke der Landesschuld, und die einzige mögliche Dotation der Kirche wurde trotz aller Protestation zum Ver¬ kaufe ausgesetzt; das ganze Staats-Ministerium, un¬ eingedenk der königlichen Schuld, unterschrieb den Antrag zur Veräußerung, gleichsam als könne die Unterschrift Vieler der Handlung einen rechtlichern Character geben, und als werde, was unchristlich ist, christlich dadurch, daß Mehrere sich in dieselbe Sünde theilen. Jene Brut erbärmlicher Sophisten, die diese Zeit ausgeboren, und die ihr feiles Talent jeder Ge¬ walt verschreiben, lehrte, nur wenn die Diener der Kirche beym Staate als Beamten den Gnadentisch ge¬ nössen, könne dieser sich Ruhe und Sicherheit ver¬ sprechen; Domänen reizten überdem die Raubsucht des Feindes, und man thue besser darum, das Land von so angreiflichem Gute auszuräumen: gerade wie man kürzlich von Paris rückgekehrte Urkunden und Manuscripte, die der Provinz angehören, unter dem Vorwande der Unsicherheit nach der Hauptstadt ge¬ bracht. Als aber nun auch späterhin ohne alle Zuziehung der Betheiligten geistliche Stiftungen aufgehoben wur¬ den; als während die reformirte Kirche des Landes ihre Freyheit mit Mühe gegen das Ministerium ver¬ theidigte, die Regierungen in der Frage über die ge¬ mischten Ehen, die allein mit dem Pabste auszuma¬ chen ist, die katholische Geistlichkeit mit Gewalt zu ihrer Ansicht zu nöthigen versucht; als eine derselben im Eifer des Streites die Pfarrer sogar unter die Polizeyaufsicht der Bürgermeister gesetzt; und eine Cabi¬ nettsordre den Clerus, der nichts als seine Pflicht gethan, der Intoleranz beschuldigte; als mancherley sonstige Umtriebe, Anklagen, Zurücksetzungen im Ein¬ zelnen offenkundig wurden: da war die Meinung schnell verständigt über die Parthey, die hier zu nehmen war, und sie erklärte sich einstimmig für den Clerus, und dieser gedeckt hinter zwiefachem Schilde, blieb unerschüttert. Die Regierung zog sich nun zwar in die allgemeine Negativität der Zeit zurück; aber der Arg¬ wohn war geweckt, und jene Stimmung der Catho¬ lischen, die immer dem Historischen zugewendet, allein noch schmeidigen konnte jenen politischen Sinn, den wir dem der reformirten Confession verglichen, war nun, erbittert in sich selber, zum neuen Ferment in der Gährung der Zeit geworden. Diese Gährung hat am lautesten im Reich der Schrift sich kund gethan. Seit Preußen die öffentli¬ chen Blätter einer furchtsamen, zaghaften, kleinlichen Censur untergeben, die nicht einmal den westphälischen Anzeiger ertragen konnte, suchte die nach Freyheit strebende Gedankenäußerung sich ein anderes Asyl. Sie fand diesen Zufluchtsort in der Weimarischen Ver¬ fassung, und der darin als Grundgesetz festgesetzten Aufhebung der Censur. Diese Verfassung, die bey den dortigen beschränkten Verhältnissen, außer etwa in der Entlassung des stehenden Soldaten, da man ihn bald mit dem Aufwand eines kostbaren Hofes in so kleinem Lande unverträglich fand, sonst nichts Bedeu¬ tendes bis zu dieser Stunde hervorgebracht, hatte von dieser Seite für ganz Teutschland eine Wichtigkeit ge¬ wonnen. Es begann sogleich von da aus der kleine Krieg der sich emanzipirenden Zeit mit jener Staats¬ polizey, die sie mit aller Macht und Ohnmacht in ih¬ rer Haft zurückzuhalten sich bemüht. Während die Isis, schüttelnd das Sistrum der elementarischen Na¬ tur, die Hyeroglyphen des thierischen Lebens deu¬ tete, neben ihr aber der geyerköpfige Osiris scharf die Geißel schwang über jegliche Ungebühr, und der Latrator Anubis mit Huth wahrnahm der Pforte des Geisterreichs, daß die Gewalt sich nicht eindränge mit Ueberfall; während die Nemesis des Maaßes zu achten sich bemühte und der Regel, und obgleich mit stets abnehmender Energie manches Gute, be¬ sonders in den höheren Kreisen pflanzte; während der Patriot oft sehr einseitige Meinungen mit Ver¬ stand, Entschlossenheit und Geschick vertheidigte, fie¬ len antwortend ihrem lauten Rufe andere Stimmen ein, die aus den Gebirgen der Schweiz, durch Wür¬ temberg temberg gegen die Donau hin ertönten, wo die allge¬ meine Zeitung nicht unergötzlich den Markt von Plun¬ dersweiler bey sich eröffnete, auf dem Käufer und Verkäufer, Marktschreyer und Zigeuner, wackere Leute und alles Lumpenvolk sich durcheinander treiben, je¬ doch Alles unter scharfer Polizey der Ortsobrigkeit; dann vom Oberrheine, in lichten Geistesblitzen wetter¬ leuchtend, den Mayn hinauf laufend sich ergossen, und im Süden lauten Wuf erhoben; während der stumme Norden ton- und klanglos lag, und allein die freyen Städte, Bremen, nur einmal wankend und zagend, und Hamburg, wo der Beobachter in Maaß und Zahl die maaßlose Zeit zu fassen strebte, seine Ehre noch einigermaaßen zu retten sich bemühten. Alle zusammen bildeten einen Chorus, der zwar nicht immer harmonisch zusammenstimmte, und in den Gesetzen des Silbenmaßes sich bewegte; aber doch den Helden, die auf dem Cothurne die Bühne im tragischen Schritt beschreiten, mit starkem Zuruf manche heilsame practische Lebensregel, manche gute Wahrheit, die ihnen entfallen war, manchen nützli¬ chen Rath, den sie verachtet hatten, wieder in's Ge¬ dächtniß brachte. Aber dieser Chor, der sich, längst von der moder¬ nen Bühne vertrieben, — die statt seiner die Vertrau¬ ten und die Kammerherren aufgenommen, — so unge¬ bethen wieder aufgedrungen, und die drey Einheiten ohne die Rücksichten der feinen Lebensart, vorüber¬ gieng, wurde wenig dort beliebt, und nur eine Zeit lang mit Ungeduld ertragen. Die grausame Phili¬ sterey, die an den teutschen Höfen herrscht, ver¬ 6 band sich bald zur Abschaffung der verhaßten Neue¬ rung; und so wurden jene diplomatischen Feld¬ züge gegen die Zeitungsschreiber angelegt, in denen, wie in den großen Treibjagden das Edelthier so lange mit Hunden gehetzt, mit Hallohruf geängstigt, von den verfolgenden Jägern getrieben wird, bis es end¬ lich athemlos niederstürzt, oder sich in Wasser und Sümpfe zu werfen genöthigt sieht. Ein solcher Sumpf war da, wo die Censurfreyheit kürzlich gegeben ward, für die geängstigten Schriftsteller, die teutsche Rechts¬ form; die Hitzigsten, wenn sie in diesem Schlammbad eine kleine Zeit verweilt, fanden sich bald hinlänglich abgekühlt, um nicht länger mehr mit allzu großem Eifer in Sachen des Vaterlandes sich abzumühen; und die teutsche Schöffenjury wüthete in schönen Re¬ defiguren mit Blitz und Feuer gegen jene, die dem Tode auf nassem Wege entgangen waren. Zuletzt wurde, damit auch dort jene höfische Liberalität der Welt zum Gespötte würde, die unbequeme Weitläuf¬ tigkeit aller constitutionellen Formen auf Seite ge¬ schoben, und Oken, nachdem man ihm die Wahl zwischen dem Strang für sich oder seine Isis freyge¬ lassen, zuletzt sammt ihr franc und frey abgethan. Solches Schicksal im Geiste voraussehend, hatten Andere, sich selber allzu werth, um sich in solcher Weise der Wuth der empörten Elemente auszusetzen, klüglich den bessern Theil gewählt, und mit der Ge¬ walt auf glimpflichem Wege zu wechselseitiger Befrie¬ digung sich abgefunden. In allgemeinen Redensar¬ ten von Freyheit und liberalen Gesinnungen zu reden, in der Ausübung aber jede despotische Gewaltthat, und jede schlechte Institution zu be¬ schönigen und zu rechtfertigen, das schien etwas, was schon der Zeit, die aus allen Fugen ge¬ treten, zuzulassen war. Alle Helden des Plutarch auf der Parade aufzuführen, war schon erlaubt; aber mit dem Vorbehalt, Jeden, der sie etwa nach¬ ahmen wollte, als Verrückten zu erklären. Dem Adel Böses nachzusagen, in geistlichen Angelegenheiten mit kühner Aufklärung zu sprechen, die Jesuiten schnöde zu behandeln, vom Mittelalter schlecht zu reden, das Feudalunwesen zu schelten nach Herzenslust, die Ultras in Frankreich übel anzulassen und ihre Thorheit aus¬ zulegen nach Gebühr, den Mystizism in seiner Blöße darzustellen, zu schelten über böse Leidenschaften und Halbheit der Gesinnungen, die es nirgendwo zu etwas Gedeihlichem kommen lassen, über die Mißgriffe des Königs von Spanien sich stark und mit Freymuth zu erklären, und von Zeit zu Zeit den teutschen Jon Bull anzustechen; das ist der liberale Turnplatz, den sie sich zum Tummeln vorbehalten. Dagegen zeigen sie sich willig, mit dem Mantel der Liebe die schnödeste Willkühr des Brodherrn zuzudecken; Ihm jede Aus¬ nahme von den erhabensten Grundsätzen huldreichst einzuräumen, und alle seine Fehden auszufechten wie die Ihrigen. Auf diese Bedingungen werden dann Caperbriefe auf die benachbarten Regierungen ausge¬ theilt, bis diese die Schwäche haben, und zur Auslösung sich verstehen, wo dann ein Mandat ausgeht, fortan sey es illiberal und der teut¬ schen Sache nachtheilig, die bisher Gescholtene fer¬ ner im Schimpfe anzugehen. Schmarotzer der Für¬ 6 * sten, Verdreher der Wahrheit, Tartüffe in der Po¬ litik, freche Sophisten, die den Gedanken bey Hof zu Lehne geben, wie sie auch der Kirche angemuthet, sind diese Schalksknechte hin und wieder über Teutsch¬ land her verbreitet: sie kennen sich und loben sich, und helfen sich einander, und falsche Freunde der Sache, sind sie gefährlicher als ihre offnen Feinde, weil sie das Volk verwirren und blenden durch den Schiller, in dem sie unaufhörlich wechseln. Die Meinung, gleich sehr entrüstet über das Ver¬ fälschen der einfachen Wahrheit, das Diese sich erlau¬ ben, wie über die Unterdrückung die Andre versuchen, hat sich daher vom geschriebnen Worte mehr gegen die lebendige Rede, und die Tradition hin gewendet. Bey der regen Bewegung, die die Gesellschaft jetzt ergrif¬ fen hat; bey dem lebhaften Umtausch der Gedanken, und bey dem starken Verkehr, der leicht das Ent¬ fernteste miteinander in Beziehung bringt, ist das öf¬ fentliche Leben wie durchsichtig geworden bis zur Mitte hin; und die Geister berühren sich in diesem Medium so nahe, daß sie gleichsam eine leitende Kette ziehen, durch die die Idee dem Blitze gleich in allen Richtungen leicht von einem Ende zum Andern schlägt. Darum bleibt der Tradition nichts verborgen, was irgendwo geschieht; da Alle die Schmach fühlen, die auf dem Ganzen ruht, und jeder sie dem Andern zuwälzen möchte, so ist es immer der Eine, der die Ehre des Andern laut verkündigt, um sich dann wie¬ der des gleichen Liebesdienstes bald zu erfreuen. So wird das Urtheil über Dinge und Personen durch Thatsachen begründet; anfangs wohl leichtsinnig auf¬ genommen, bald aber durch mehrseitige Ansicht be¬ richtigt, und nach Befund gemildert oder noch geschärft, bleibt es selten auf die Dauer ungerecht, wenn auch, nach Art der oft getäuschten zum höchsten erbitterten Zeit oft lieblos und allzu wegwerfend gegen Einzelne. In diesem scharfen Todtengericht der Lebenden sind alle jene gedruckten Lügen für nichts geachtet; alle schöne Phrasen werden der damit verkleideten Wahr¬ heit ausgezogen; die da wandeln in ihrem Dünkel, in den weiten Mantel der menschlichen Eitelkeit ge¬ schlagen, sind gezeichnet mit den Namen, die das Urtheil ihnen zugesprochen; Thaten und Begebenheiten, die sich im Verborgenen glauben, sind vor aller Welt aufgedeckt; nur die Betheiligten sind selten da¬ von unterrichtet, wenn nicht etwa das eigene Gewis¬ sen sie dunkel mahnt, und sie nun eine Gegenrede ohne vorhergegangene Aufforderung versuchen. Diese Vehm wird härter und schärfer in dem Maaße, wie die Presse mehr gefesselt oder vergiftet wird, und zwar größentheils zum Nachtheil deren, die diesen Zwang oder die Verfälschung üben, und sich nun nicht ein¬ mal vertheidigen können. So manche Ereignisse, die unerklärlich scheinen, lassen nur durch die Kenntniß dieser überlieferten Volksmeinung sich deuten und be¬ greiflich machen. Unter den verschiednen Bewegungen aber, die die bisher berührten Begebenheiten und Ereignisse veranlaßt hatten, theilten sich die sogenannten Libe¬ ralen, die in den Jahren der Befreyung nur im All¬ gemeinen über die nothwendige Herbeyführung eines bessern, würdigern Zustandes in Teutschland einver¬ standen waren, ohne sich über die Wege, um dahin zu gelangen, näher zu verständigen, in zwey Haupt¬ partheyen. Die Eine, die sogenannte Historische erkannte, daß ehemals ein besserer Zustand Teutsch¬ lands in der Wirklichkeit bestanden, wo es in sich geeint unter einem Schirmvogte, und wieder getheilt in Glieder und Gliedesglieder, Landschaften, Stände und blühende Körperschaften in sich gesichert, frey, kräftig und reich in eigenthümlicher Sitte, und Ein¬ richtung auf sich selber ruhte, von außen geehrt, ge¬ achtet, gefürchtet und gebiethend, und leicht abweh¬ rend jede fremde Gewalt, die sich an ihm versuchte. Sie erkannte ferner wie, weil das Haupt dumm ge¬ worden und blöde, die Glieder aber geil und über¬ müthig, in das blühende Leben zuerst Verwirrung und Krankheit sich eingeschlichen; wie bey stets wach¬ sendem Mißverhältniß die Zerrüttung immer zugenom¬ men; bis sie endlich nach der Reformation in jenen wüthenden Paroxismus ausgebrochen, der als orga¬ nischen Fehler einen bis hierhin unheilbaren Gegen¬ satz in das Reich hineingetragen; eine Wunde mit geluptem, vergifteten Schwerd geschlagen, wie jene des Titurel, an der es gleich diesem nicht sterbend und nicht genesend ins zweyte und dritte Jahrhundert gesiecht, bis endlich Feindesgewalt die in sich ausge¬ zehrte, wankende Gestalt umgestürzt, unter den Fuß getreten, und an den Siegeswagen gebunden, die Entehrte, ein klägliches Schauspiel für Götter und für Menschen, umgeschleift, und ihre zerstückten Glie¬ der wie Medea die des Absyrtus umher gestreut. Sie urtheilten ferner, daß, da an den Völkern die Form allein sterblich ist, und nach jedem Zerfallen der Einen ihre Wiedergeburt in Anderer erfolgen muß, auch das neu erstehende Teutschland nothwendig in der Eigen¬ thümlichkeit des Alten, in seiner Sitte und Sinnes¬ art wiedergeboren werde aus den noch vorhandnen Elementen und in dem Typus, der diesen unbewußt noch in allen Bildungstrieben einwohne; auf daß man erkenne, daß der Väter Geist noch ruhe auf den En¬ keln, und nicht etwa ein neues Volk, Bastarde der benachbarten Völkerschaften, eingewandert und auf der Höhe von Garizim einen andern Tempel aufgebaut. Sie urtheilten ferner, daß es darum die Aufgabe dieser Zeiten sey, ausscheidend Alles was die Verderb¬ nisse der Jahrhunderte hinzugethan; aufgebend, was im sträflichen Abfall von der Geschichte und der Natur der Dinge, verkehrte Eigensucht, thörigte Eitelkeit und die Verzweiflung, besonders der letzten zwey Jahrhunderte, ohne alle Unterlage ins Leere hin auf¬ gebaut; endlich entsagend jener blinden Selbstsucht, die nun an einem furchtbaren Beyspiel erfahren, wie jede Untergrabung des Allgemeinen sich unausbleiblich am Besondern rächt, jene Fäden die in Sitte, Sinn und Institutionen noch unverkennbar mitten durch die Verwirrung laufen, wieder zusammenzugreifen; neue da anknüpfend wo es geänderte Verhältnisse gebieten, und also die getrennten Elemente wieder mit solchen Bändern in ein neues Ganze bindend zu verknüpfen; das Erstorbene, wo es noch möglich sey, wieder grünend zu machen, und die alten Lebensgeister wieder zu erwecken; das wahrhaft Gute was unscheinbar unter dem Plunder unseres öffentlichen Lebens sich verloren, wieder hervorzuziehen, und so ein neues Teutschland aus dem Verderben des Alten zu restauriren. Die andere Parthey, die dieser bald entgegen trat, urtheilte aus anderem Gesichtspunkt: Was soll uns dies alte Teutschland, was sollen diese Lappen alter Herrlichkeit, die zu ihrer Zeit gut gewesen, weil sie auf ihre Zeit gegründet war, aber nun auf immer hingeschwunden; was soll dieser Aberglauben, der mit den Gebeinen alter Helden und Heiligen seinen Göz¬ zendienst zu treiben affektirt? Was haben diese Ritter in unserer Zeit zu suchen; ihr Geist ist nicht mehr unter uns, ihre Burgen stehen gebrochen auf Berg und Hügel; jene alten Münster sind verrödet, ein an¬ derer Glaube ist in sie eingewandert. Jene Institu¬ tionen und Landesordnungen mögen paßlich gewesen seyn für ihre Jahrhunderte; aber ihr Schutt und ihre Trümmer, die noch in der Gesellschaft stehen ge¬ blieben, sind ihr zur Ueberlast, und ihre Pergamente modern in den Archiven; was wir sehen, ist Leibei¬ genschaft, Reich der Gewalt und des Aberglaubens, drückende Feudalität, und in finsterer Nacht des Mit¬ telalters umwandelnd wie im Hades, die Gestalten einiger großen Männer, die kein Todtenopfer herauf¬ beschwören wird. Zwey ungeheure Begebenheiten, die auch der Geschichte angehören, haben durch eine un¬ übersteigliche Kluft von ihnen uns geschieden, die Re¬ formation und die Revolution; seither ist wirklich ein anderes Volk eingewandert, neu in Sitte, Gesinnung und Denkungsart, mit andern Rechten und Bedürf¬ nissen; seither ist eine neue Welt an die Stelle des untergegangenen Mittelalters aus den Fluten aufge¬ taucht. Die Form wird alt, das Wandelbare kömmt und geht, aber ewig grünt das junge Leben, und wie die Zeiten fließen, und die Verhältnisse wechseln immerdar, soll jedes Geschlecht sich klug anbauen in den Seinigen; jede Gegenwart muß sich auf sich selber setzen, weil sie am beßten weiß, was ihr frommt und dient, und nach eigenem Plane am gemächlichsten ihr Haus sich baut. Ist das alte Teutschland aufgelöst, dann sind die Dinge wieder zum Ursprung zurückge¬ kehrt, dahin wo noch kein Reich bestanden, und die Geschichte kann Euch wenig lehren. Wollt ihr aber bey ihr zur Schule gehen, dann nehmt die Revolution zur Lehrerin; vieler trägen Jahrhunderte Gang hat in ihr zum Kreislauf von Jahren sich beschleunigt; vor euern Augen ist die Weltgeschichte darin vorbeygegan¬ gen, und ihr habt sie gelebt und nicht gelesen; mit Herz und Sinnen habt ihr sie ergreifen können, da die des Mittelalters nur wie ein blasser Nebelfleck im Fernrohr vor Euern Augen steht. Dieser Gegensatz ist, nur in anderem Gebiete, derselbe, der zwischen Catholizism und Protestantism besteht, und darum für den, der bescheiden forschend in die Tiefen der Geschichte und des eigenen Seyns vorgedrungen, und dabey die schlichte Einfalt des Natursinns, und die klare von vorgefaßten Meinun¬ gen und Leidenschaften ungetrübte Ansicht sich bewahrt, im innersten Grunde in seiner höhern Einheit leicht erkennbar. Wenn nämlich nicht geläugnet werden kann, daß jedes selbstständige Volk neben dem, was Allen gemein, seine besondere Eigenthümlichkeit besitzt, die sich in seiner Geschichte und seinem ganzen Bestande und Daseyn spiegelt; wenn ferner jeder der diesem Volke eigentlich angehört, den allgemeinen Stammes¬ charakter trägt, und wie er durch das äußere Band derselben Sprache Allen sich mitzutheilen weiß, so durch ein Inneres der Sympathie sich in das Ganze hineinfühlt und denkt: so muß auch was jede einzelne, in sich geläuterte und geklärte Eigenthümlichkeit selbst¬ ständig in sich erzeugt, nothwendig dem harmonisch seyn, was die Geschichte im Ganzen hervorgebracht; sie wird die Geschichte nicht verschmähen, aber auch bewußtlos handeln in ihrem Sinne. Andrerseits werden die Historischen aus der Ge¬ schichte, die sie befragen, weder die Reformation noch die Revolution ausschließen; eben weil sie erkennen, daß immer in jeder besondern Geschichte die Ganze wiederkehrt, und wie die Geschichte der Juden und die der Griechen unter andern Umständen Die der Teutschen ist, so die Englische Revolution die Fran¬ zösische. Beyde aber haben als die wesentlichste In¬ stitution eine Kammer der Gemeinen herausgeworfen, gegen die eben auch das Mittelalter, in Italien schon unter den ersten schwäbischen Kaisern in Teutschland später gestrebt; und weil es sie nicht erlangt, darum eben hauptsächlich hat das Reich im Abfalle der Schweiz, im Kampfe der Städtebünde mit den Landesherren und dem Adel, und später im Bauernkriege sich verbluten müssen. Wie also in Gott alle Confessionen eins sind, so beide Partheyen in der Idee des Vaterlandes und sie sind vereinigt geblieben, so lange diese Idee, und die Be¬ geisterung, die sie zur Zeit der Befreyung in den Gemü¬ thern geweckt, nachgehalten, obgleich mit sichtbarer Ueberwucht des historischen Princips, eben weil es das den Franzosen Feindlichste geschienen. Aber die Begeisterung wirkt nur stoßweise in der Ge¬ schichte und auf Augenblicke; die langen Zwischenräume wird sie durch Leidenschaften und Interessen fortgeführt, die, was dort nur als leichter Gegensatz erschien, immer weiter auseinandertreiben, bis auf den äußersten Punk¬ ten das Entzweyte unversöhnlich einander gegenüber¬ steht. Das historische Princip ist eine Allgemeinheit, die in ihrem weiten Begriffe das Verschiedenste be¬ faßt. Hatte die bessere Gesinnung nur das Beßte aus den ehmaligen Zeiten angesprochen, so mochten die Interessen das Vortheilhafteste nur brauchen; und neigten Jene mehr zu den früheren bessern Zeiten, so trieben Diese natürlich mehr auf die Neuern, wo noch grünende Wurzeln des Eigennutzes lagen. So kamen bald alle Mißbräuche herzu, und alle Vorur¬ theile, und alles Erstarrte und Erstorbene nannte sich historisch; und selbst die Zeit vor 1806 in Preußen fand ihre Liebhaber, die sich den Freunden der alten guten Zeit zuzählten. Zu ihnen gesellten sich zwey Classen, die sich leicht in Teutschland zu jeder guten Sache finden, und jeder leicht Meister werden, die Phantasten und Pedanten; jene träumten in ihrer Weise vom Mittelalter, wie früher die Ritterbücher; diese hiengen sich an das Starre, Todte, den öden Buchsta¬ ben als das eigentlich Urkundliche, und Hallers Buch, das zu viel Verdienstlichem und Guten, schon an sich viel Irrthümliches enthält, nach eigner Ansicht umge¬ deutet, bildete Schule unter Beiden. Zu diesen theoretischen Spielereyen kamen praktische stärkerverletzende Interessen. Unter den Institutionen, die als noch wirklich bestehend aus der früheren Ver¬ gangenheit zu uns gelangt, war die des Adels die¬ jenige, die noch die meiste unmittelbar ins öffentliche Leben eingreiffende Wichtigkeit besaß. Die Standes¬ herren hatten beym Congresse in der Bundesakte einen eignen Artikel für sich ausgewirkt, der sie als die am meisten privilegirte Classe im Staat erklärte. Da die Territorialfürsten, die einst ihnen ebenbürtig, sie nun überwachsen hatten, für das Allgemeine auf dem Congresse und fortdauernd auf dem Bundestage nichts gethan, zu keinem Opfer sich verstanden, und jeder nur seinem Gewinne nachgegangen; so fanden auch sie keinen Beruf, für sich großmüthiger zu seyn, als ihre Gewaltiger; sie bestanden also auf dem, was sie gleichfalls ihr altes Recht nannten, und deuteten den Artikel in der ihrem Vortheil günstigsten Weise. Als es aber nun zur Ausführung kam, und ihre Befriedigung im Ganzen größtentheils nur auf Ko¬ sten der Gemeinen geschehen konnte, erhoben diese heftigen Widerspruch, und die alte Zeit, worauf jene ihre Ansprüche begründeten, wurde diesen darum zuerst verdächtig. Als bald die lange Reihe der übri¬ gen Privilegien und Forderungen auf den tiefern und höheren Stufen sich diesen angeschlossen, und so viele Fürsten zögerten mit der Erfüllung ihrer Gelöbnisse: da schrieb man dem Adel, der ihr Ohr besitzt, die Ursache dieses Zauderns zu, mit Unrecht zum Theil, da, wenn in dieser Hinsicht eine Klage statt fand, eigentlich nur die Höflinge angeklagt werden konnten. Bey stets steigender Erbitterung mußte daher das Ver¬ gangene einen großen Theil der Abneigung auf sich neh¬ men, welche die Gegenwart verschuldet hatte, und die Geschichte erschien bald den aufgebrachten Gemü¬ thern nur als die Rüstkammer, aus der jede Abge¬ schmacktheit, jede tyrannische Anmaßung und jede brutale oder abgefeimte Willkühr sich nach ihrem Be¬ darfe die nöthigen Waffen holte. Während in solcher Weise Teutschland in sei¬ nen verworrenen Verhältnissen sich abarbeitete, und also eine neue Umkehr und Selbstvergessenheit vorbe¬ reitete; hatte Frankreich die Bühne, die mit dem Sturze Napoleons zusammengestürzt, schnell wieder aufgerichtet, und statt der großen tragischen Stücke aus römischer Kaiserzeit, wurden nun wieder große Bürgerdramen, Henriaden mit der nöthigen Zuthat von Freysinnigkeit mit dem beßten Ensemble aufge¬ führt. Dort stritten in Strophe und Gegenstrophe Ultra's mit Liberalen starken Streit; sie theilten sich rechts und links in Haufen und Partheyungen, die, wenn es galt in geschicktem Manöver wieder nach der Mitte in Massen sich vereinigten, und also, bald verbunden bald entzweyt, die Minister in der Hof¬ burg belagerten; und das Spiel mit Gewandheit und Geschick ausgeführt, fieng an ihrerseits die verdrü߬ lichen Teutschen wieder zu ergötzen. Sie bemerkten so¬ gleich, daß die Ultra's wieder dieselben Leute aus dem Mittelalter seyen, die von Norden herunter in steifen Zöpfen den Stock predigten und die Leibeigen¬ schaft, Preußenthum und die Heimlichkeit, und was sonst in der Heimath von solchen lieblichen Klängen ihr Ohr erfreuete; die Liberalen aber schienen so ziemlich ihres Gleichen; zu wollen ihren Willen, zu leiden ihre Uebel und zu kämpfen für ihre Sache. Darum leicht versöhnlich und bald vergessend alte Un¬ bill, wie sie in ihrer gutmüthigen Sinnesart sich ge¬ ben, fiengen sie schnell wieder an, dem leichten Franz¬ wein Geschmack abzugewinnen, erst mit Maaße und geschämig zu sich nehmend, um des häuslichen Ver¬ drusses zu vergessen; allmählig aus Gewohnheit trin¬ kend und mit Wohlgefallen sich berauschend. Einmal erwärmt, fiengen sie dann an laut zu werden, und an dem Streite mit Zuruf und Ermunterung, bald auch mit eigenen Schlägereyen Theil zu nehmen. Ob¬ gleich, wie an den Bestand der Liberalen in Frank¬ reich zum Theil die Emancipation Teutschlands ge¬ knüpft ist, so an den der Ultra's seine Ruhe und Sicherheit; so nahmen sie doch, uneigennützig, wie sie sind, ohne Bedenken entschieden gegen die Letztere Parthey, und wünschten mit heißen Segenswünschen ihre gänzliche Ausrottung und Vertilgung. Als aber die Franzosen so unverhofft neu aufkei¬ mende Freundschaftstriebe im Herzen der vom Kreuz¬ zuge heimgekehrten Teutschen, die sie noch alle ob des alten Schimpfes sich aufsäßig glaubten, bemerkten; da färbte sich ihnen die alte verblaßte Hoffnung wie¬ der grün, und sie beschlossen, so gute Anlagen nicht unbenutzt zu lassen, und legten wie im Times, so in teutschen Blättern eigene Kanzleyen für die teutschen Bundesangelegenheiten an; wo der Fuchs aufs Neue, freilich noch in's Unbestimmte, den Gänsen predigte, und ihnen ihre Erkenntlichkeit für die bewiesene Zärt¬ lichkeit bezeugte, die Liberalen alles Beystandes ver¬ sicherte, und ihr Beßtes aufs Neue vorzunehmen ver¬ sprach, sobald man mit seinen innern Angelegenhei¬ ten nur einigermaßen auf's Reine gekommen sey. Die Höfe West-Teutschlands, mit deren Souverai¬ nität sich eine französische Liberalität, die mit Napo¬ leon sich ausgesöhnt, besser vertrug als jene teutsche, die zu gründlicher Freyheit noch die verhaßte Einheit fügte; ließen dieselbe Freysinnigkeit, die als Landes¬ produkt Contrebande war, unter französischem Stem¬ pel willig ein, und bereiteten der fremden Braut den Weg, und ließen sie mit Cymbeln und Pfeiffen durch alles Land begleiten. Als die wohlbekannte süße Stim¬ me wieder über Berg und Auen des rheinischen Bun¬ des sang und klang; da hörten sie in ihren Löchern, die Gesellen, die damals, als der Sturm des Herren über die Zeit gegangen, in der Angst des bösen Ge¬ wissens sich verkrochen, und kamen heraus um sich zu sonnen, und giengen, als sie den Zug erblickten, freudig zu Gefolge. Jene vortreffliche Gattung von Liberalen, die die Liberalität treiben, wie eine feine Lebensart, womit man fortkommt bey Groß und Klein, und Gott dienen wie dem Belial, erkannten die Gelegenheit, und faßten sie beym fliegenden Haar. Andere, die alte fixe Jugendideen sorgsam durch die Napoleonische Zeit getragen, die dann die einbre¬ chende neue Zeit einigermaßen in Verwirrung ge¬ bracht, fanden sich im guten alten, oft hart bedräng¬ ten Glauben, wieder auf's Neue hoffend, schnell zu¬ recht. Zudem fanden alle Gescheidten, und mithin die ganze Masse des Volkes in so manchen Gegenden, die noch wirklich nützliche und angemessne Institutionen durch die Revolution erlangt, sich nicht im mindesten geneigt, sie gegen fantastische Bilder und Hoffnungen, oder gar gegen andere fremdartige, abgestandene und erlahmte Einrichtungen auszutauschen, die man ihnen aufzudringen die Miene machte. Darum geschah, daß die zweyte Parthey, in dem Maaße wie die von der Ersten immer mehr und mehr vor dem barbarischen Unverstand, der sich entwickelte, verstummen mußte, um so stärker Boden gewann, und, viele praktische Menschen, verzweifelnd, daß je aus dem teutschen heillosen Unwesen; aus diesem stillen, stockenden, grün beschlagenen Sumpfe, in dem alles Bessere früherer Zeiten unter Moder und Schlamm begraben liegt, etwas Gedeihliches sich entwickeln werde, traten auf diese Seite; und Paris ist nochmal auf dem Wege, die Hauptstadt der liberalen Welt zu seyn, wie es vor Kurzem die der Servilen war. Wie ehmals die Höfe aus allen Landen dort in die Lehre giengen, so sollen jetzt die Liberalen dort Frey¬ muth lernen; und wie die Volkshaufen in Smieth¬ field dahin blicken, so sollen auch von da aus germa¬ nische Einrichtungen nach gallischen Sitten, Eigen¬ thümlichkeiten, Gesinnungen gerichtet werden. Auch wir sollen solche Höfe und Pairskammern er¬ langen, die wie ein befestigtes Lager in Mitten von Feindesland stehen; wozu freilich die Unsrigen, die um und um, weit und breit zu ihrer Verzweiflung in Freundes Land sich fanden, durch reiche Saat des Hasses, die sie ausgesäet und ihre künstliche Be¬ wirthschaftung, treulich vorgesorgt. Auch wir sollen uns etwa mit jener parlamentarischen Comödie abfin¬ den den lassen, und solche Kammern der Gemeinen gewinnen, die auf nichts ruhen, als den Coterien der Hauptstadt und der Zeitungen, und in Mitten einer durch alle Ele¬ mente durchgeführten Despotie, allein die Freyheit vertreten sollen, darum immer schwanken zwischen Auf¬ ruhr und Unterjochung, und ewig das langweilige Scherzspiel spielen, die Minister, die ihrerseits mit allen Seiltänzerkünsten sich im Gleichgewichte zu hal¬ ten suchen, aus ihren Stellen zu vertreiben, und selbst wieder vertrieben zu werden. Zwar ist zu hoffen, daß auch dort die Institutio¬ nen mit der Zeit sich besser befestigen werden; es haben wichtige Elemente des öffentlichen Lebens in diesem Lande sich entwickelt, die wir achten sollen und ehren auch am Auslande, mit dem der Friede uns versöhnt; es ist vor Allem dort eine Schule aufgethan, in der weltkluge, gewandte, verschlagene Staatsmänner sich dem Lande bilden, die die bleichsüchtigen, zaghaften Zöglinge unse¬ rer sitzenden und schreibenden Schule leicht überlisten und düpiren: aber damit ist für das innere Glück des Volkes zur Zeit immer noch wenig ausgerich¬ tet, und es liegen wohl noch andere Keime in dem Unsrigen, die auf eine weit fruchtbarere Weise sich entfalten werden, wenn es zwar nicht in thörich¬ tem Dünkel das Fremde verschmäht, aber auch nicht in noch thörichterer Selbstvergessenheit die Eigenthüm¬ lichkeit in fremder Nachahmung ganz untergehen läßt. Indem mit diesen Partheyansichten sich zuerst die üble Laune, dann der Unmuth, endlich die Erbitterung der Zeit verband; indem vielfältig sich kreutzende In¬ teressen alles durcheinander mischten, zu den gewöhn 7 lichen Mißverständnissen auch die geflissentlichen Ent¬ stellungen sich gesellten; als der böse Argwohn, der in den Gemüthern sich erhoben, nach und nach Alles vergiftete und verzerrte: da ist jene furchtbare Ideen¬ verwirrung entstanden, die die gegenwärtige Zeit be¬ zeichnet, wo niemand mehr den Andern zu verstehen scheint; die Meinungen alle Striche der Windrose durchlaufen, und aus allen Weltgegenden gegenein¬ ander blasen; wo, wie beym Thurmbau, wenn Mör¬ tel gefordert wird, der Arbeiter Steine bringt, und Holz, wenn jener Ziegel verlangt, und mitten in der Sprachverwirrung, wie dort nach altem Scherze, nur das Wort Sack Allen gemein geblieben. Wie der Fremde, Davoust , jene Deputirten ange¬ fahren: Ihr habt kein Teutschland, ich kenne nur Preußen, Bayern, Hannover u. s. w.; so ist bey den Einhei¬ mischen die Rede von der Einheit des Vaterlandes den Einen eine Narrheit, den Andern gar Hochverrath geworden. Der Teutsche sey darauf angewiesen, in schöner Universalität allen Völkern anzugehören, ist die Lehre des Tages; zugleich Schweizer, Trödeljude, La¬ kay und Klopffechter der ganzen Welt, soll er des Vaterlan¬ des, das sie in Fezzen zerrissen, nimmer gedenken unter Strafe und strenger Ahndung. Alle Frazzen des Auslandes mag er um sich hängen; als aber die Jugend versucht, die eigne alte Sitte und Tracht zurückzuführen, da wurde es als die tollste Teutschthümmeley gescholten und verhöhnt. Als jene Künstler in Rom in eine Innung sich brüderlich verbunden, und in gemeinsa¬ mem redlichen Streben um des Vaterlandes Ehre aus¬ zubreiten, ihre Kunst auf die alte gute teutsche Schule aufgesetzt, da wurde auch das ihnen als Mystizism, revolutionäres Bestreben und Rückschritt in's dunkle Mittelalter ausgelegt; und der Hof dem sie, ehrend das alte Kaiserhaus, ihre Werke ausgestellt, verläug¬ nete sie vor dem schadenfrohen Ausland, das dafür beider Theile gleich sehr spottete, und sie mußten noch obenein von protestantischen und antiken Kunst- Zeloten in allen teutschen Zeitungen sich mit mitleidi¬ gem Rathe zurechtgewiesen sehen. Das Kreuz auf dem Schlachtfelde von Leipzig ist umgerißen, und die Handlung hat wie billig ihre Vertheidiger gefunden; da bey jeder Gränze ein ande¬ rer Patriotismus beginnt, hoffentlich bald durch eigne Mauth gehütet, so hat Sachsen ein unwidersprechliches Recht auf den Seinigen. Napoleon halten sie am Fel¬ sen festgebunden, damit der alte blinde Simson nicht etwa entrinne, und die Säulen des faulen europäischen Staats¬ gebändes nochmal fassend, unter den Trümmern des Hauses, auf dem die Caphthorim und Philistin sitzen, sie mit sich begrabe. Seine Institutionen stehen noch Alle wohlbehalten, seine Ideen sind hochgeehrt; seine Münze, nur mit schlechtem Zusatze legirt, ist in Scheide¬ münze umgeprägt. Frankreich pflegt die Freyheit, die wir ihm gebracht, wir haben zum Lohne seine alte Dienstbarkeit uns mit nach Hause genommen. Was wir früher in der sogenannten Begeisterung gesprochen und gethan, sind leicht verzeihliche Jugend¬ sünden, bey denen unser Gedächtniß nur mit Geschä¬ migkeit verweilt. Die aber jetzt noch leben wollen in den Ideen dieser Zeit; die starr und eigensinnig sich nicht fügen mögen der Wandelbarkeit der Dinge, 7* die werden billig als tolle Narren an die Kette gelegt, ob sie etwa noch lernen die Geschmeidigkeit, die jene mit stets heiterer Stirne durch alle Schande durch¬ geführt. Die aber stehen eben so billig oben an, die wenn sie mit dem Feinde gezettelt, und ihm jede sich gegen die Knechtschaft erhebende Reaktion verrathen haben, später ihr Thun mit der großen Zeit zu ent¬ schuldigen frech genug gewesen. In solcher gänzlichen Umkehr binnen so kurzer Frist aber hat sich nothwendig der ganze Ideenkreis der be¬ dächtigen Teutschen verwirrt, verschoben und umge¬ kehrt. Den Einen ist alles Historische ein Aberglaube; den Andern jede Vertheidigung des guten Rechts ein revolutionärer Greuel; in toller Verwirrung treiben die Meinungen durcheinander; kein Grundsatz steht fest, kein Band hält die bunte Gedankenwelt in sich zusammen; keines knüpft was gestern galt, an das was Morgen gelten wird; ein kurzes, stets kürzerwer¬ dendes Gedächtniß vergräbt das Vergangene in glück¬ liche Vergessenheit. Nach den Einen sind zwar nur vortreffliche Fürsten im ganzen teutschen Lande, aber ein verruchter Adel ist eingewandert, der alles Ue¬ bels Ursprung, Mitte und Ende seine Zwingburgen wieder zu bauen denkt, um dort Wegelagerung zu üben, und ob zwar ohne Fäuste, doch das Faust¬ recht zurück zu führen. Nach den Andern ist eine Gattung Jacobiner im Reiche aufgestanden, die eine unterirrdische Revolution betreiben, und nachdem alle vornehme Hälse abgeschnitten, die eine und untheil¬ bare Republik errichten werden. Nicht mehr Glieder eines Leibes wollen die verschiednen Stände sich ver¬ tragen; als seyen sie verschiedene Völkerschaften, sind sie gegeneinander ausgezogen, und feinden sich gehäs¬ sig an. Jeder für sich baut nach eignen Ansichten und Interessen sich seine eigne Welt und die ihm be¬ queme Verfassung, aber keine durchgehende Axe will das Widersprechende vereinen. Nach dem Beyspiele, das die Höheren gegeben, will keiner zu einem Opfer sich willig finden; und da alle bürgerliche Ordnung ein Geben im Nehmen und ein Nehmen im Geben ist, so will keine Solche sich gestalten, weil nur Neh¬ mer, aber keine Geber zur Stelle sind. In Mitte der Verwirrung schwanken die Regierungen rathlos und ungewiß; zürnend haben des Himmels Sterne ihnen sich verhüllt, der irdische Compaß schwankt und trügt, die Politik ist ausgegangen, und die Tradition hat sie verlassen; was ihnen helfen kann, jagt ihnen Furcht ein, wor¬ auf sie Vertrauen haben, zergeht und zerbricht kraftlos in ihren Händen; ihre Ordnung erscheint der Zeit wie Pedanterie, und ihnen dafür jede Kraft und Willens¬ macht als Jacobinism. Die da scheiden sollten die Partheyungen durch ruhige Würde und Gerechtig¬ keit, haben sich selbst unter die Streitenden gemischt, und indem sie Parthey genommen, werden sie in der Hitze des Kampfes zertreten mit den Andern. Besonders auf die Jugend mußte diese Zwie¬ tracht der bewegten Zeit einen merklichen Einfluß üben. Wenn wirklich aus der Verwesung der ver¬ gangenen Welt ein neuer Geist bildend und neu ge¬ staltend aufsteigen soll, dann muß er nothwendig zu¬ erst in dem neuen Geschlechte geboren werden, das die werdende Zeit zu beherrschen gesendet ist. Mag die absteigende Generation in stiller Gewissenserfor¬ schung des Nachgenusses ihrer Thaten sich erfreuen; mag sie ihre Irrthümer beweinen, oder mit starrem Eigensinne ihre Thorheiten zu vertheidigen sich bemü¬ hen: die Aufsteigende soll mit frischem Lebensmuthe in die Geschichte treten; keine Erfahrung der Vergan¬ genheit darf sie verschmähen, aber auf die Erbschaft jener Irrthümer und Thorheiten mag sie billig jedes Anspruchs sich begeben; vor Allem aber in reger Theil¬ nahme an allem Oeffentlichen soll sie durch jede ge¬ wonnene Tüchtigkeit sich zu dem Werke stärken, das sie zu vollbringen berufen ist. Diesem Berufe ist die Jugend mit Ehre nachgekom¬ men, damal als es galt, die junge Freyheit mit dem Schwert zu schirmen, und den neugebornen Zeus gleich den Cureten und Corybanten mit Waffentanz und Erzes Klang vor dem lauernden Feind zu ber¬ gen; vom Felde zurückgekehrt, haben die Universitäten ihrer Viele aufgenommen, und mit der lautern Milch der Disciplinen ernährt, ist der Geist erstarkt und groß gewachsen. Darum ist es eine Thorheit, diese natürliche Entwicklung anzuklagen, an ihrer Leitung allein kann die Weisheit der Alten sich bewähren. Habt Ihr gute Geister heraufbeschworen, warum fürch¬ tet Ihr Euch vor ihnen? sind es Böse, die Ihr zitirt, dann zahlt Ihr mit den Aengsten nur, was Ihr verschuldet: denn so Ihr lauter seyd, vermag Satanas selbst mit allen seinen Gesellen Euch nichts anzuhaben! Darum that Gelassenheit vor Allem Noth im An¬ gesichte dieser Jugend; aber man hat ihr Furcht ge¬ zeigt, und sich und ihr viel Uebel damit bereitet. Als man bey den Gebeinen Luthers in Wittenberg den Jahrestag der Reformation gefeyert, da fuhr der Geist des Reformators, — zürnend, daß man dieselbe Reformation an Haupt und Gliedern, die er der Kirche angesonnen, gutheiße, aber vom Staat, an den sie jetzt die Zeit gesinne, abweisen wolle, und so ein zweytes furchtbares Gericht über Teutschland ziehe, — auf die Wartburg, wo einige hundert Jüng¬ linge, in einer der Seinigen verwandteren Gesinnung, dieselbe Feyer zu begehen sich versammelt hatten. Was am Tage in meist würdiger, anständiger Hal¬ tung vorgefallen, ist der Welt bekannt geworden; auch wie am Abend, nach dem Vorgange des Reforma¬ tors, die Symbole der alten Knechtschaft, und eine Anzahl Bücher, zum kleinsten Theil unschicklich gewählt, größtentheils aber längst von der Nation verurtheilt und gerichtet, den Flammen übergeben wurden. Die Handlung konnte allerdings ein heilsames Nach¬ denken wecken, wie nach Verlauf dreyer Jahrhun¬ derte gleiche Verhältnisse, die gleiche Erscheinung zu¬ rückgebracht; man konnte an den Fehlern, die damals die herrschende Kirche gemacht, eine warnende Lehre für die eigne Handlungsweise nehmen; aber gegen das Symptom der verborgenen Krankheit blind zu wüthen, mochte wenig frommen; noch wollte es sich geziemen, mit den Jünglingen um eine That zu rech¬ ten, die nur wichtig wurde durch die Folge, die man ihr geben wollte. Aber statt in besonnener Ruhe die Sache zu nehmen, für was sie gelten konnte; zu lo¬ ben, was des Lobes würdig war, und was mißfiel, etwa mit heiterer Ironie abzuweisen, ließ man sich durch den ersten Eindruck und das Geschrey der ver¬ letzten Eitelkeit beherrschen, füllte die Welt mit An¬ klagen des unerhörten Frevels, stellte Untersuchungen an und Ambassaden, die wieder keine Folgen hatten, und weckte so zuerst die Idee großer Wichtigkeit in den jungen Leuten, und zugleich war das ganze Ge¬ heimniß der Schwäche mit einemmal verrathen. Als die Studenten beym Anblicke des heillosen Zu¬ standes, in den die Theilung das Vaterland gesetzt, wenigstens im Universitätsleben diese Theilung zu ver¬ bannen, und die Landsmannschaften in eine Burschen¬ schaft zu vereinigen sich bemühten: da war es wohl gerathen, wenn die Regierungen ja davon Notiz neh¬ men wollten, durch angemessene Einwirkung Solcher, die das Vertrauen der Jünglinge besaßen, die Sache allmählig dahin zu lenken, daß die Landsmannschaf¬ ten an sich gleichfalls auf sehr naturgemäßen Bezie¬ hungen beruhend, und darum nicht auszurotten, in die Einheit aufgenommen wurden, also daß das Viele die Vereinigung spanne, und dafür wieder die Be¬ ruhigung von ihr erhalte. Aber es schien, als ob das Bild der verhaßten Einheit schon verletze; gerade die schöne, sittliche Würde und Ruhe, die sich in der Burschenschaft entwickelte, schien mehr zu ängstigen, als das Gegentheil, das bisher an den Landsmann¬ schaften bestanden hatte; darum wurden diese wohl eher begünstigt: und so geschah es, daß, indem eine unheilbare Trennung zwischen sie und die Unitarier kam, zu den vier Secten nur eine Fünfte sich gesellte, die sich nun befehden, — besonders seit die plumpe Behandlung der Göttinger Universität die dortigen Landsmannschaften überall hinversprengt, — und daß also auch das Universitätswesen zum Bilde unserer öffent¬ lichen Verwirrung wurde, wo die Einheit, die sich vertragen sollte mit der Vielheit, im Kampfe mit ihr streiten muß. Die Jünglinge, die Jene vertheidig¬ ten, erbittert über den Widerstand, den sie erfuhren; entrüstet über die allgemeine Anfeindung, die sie ver¬ folgte, und den lauernden Argwohn, der alle ihre Schritte bewachte, und dem sogar der Knaben Trei¬ ben auf den Turnplätzen ein Gegenstand des Schre¬ ckens war, zogen nun zum Theil in's Geheimniß sich zurück. Indem sie hier den Zustand des Vaterlandes überlegten, und sich berufen glaubten, nach der Weise wie man sie genommen, bald möglichst einen Bessern herbeyzuführen, mußte sich in der Stille bey ihnen jener Geist ausbilden, der, als er in einigen Erschei¬ nungen an den Tag getreten, die Regierungen gänz¬ lich außer Fassung gebracht zu haben scheint. Der Streit der Partheyen, der die Zeit, entzweyt, war bald auch bis zu ihnen hingedrungen, und sie mußten die ihrige sich wählen. Für die Jugend ist die Geschichte wenig nur vorhanden, und ihr Leben selbst hat die eigene Geschichte eben erst begonnen; jener innere Sinn, der die Zukunft in der Vergan¬ genheit erblickt, ist ihr nur erst wenig aufgegangen, und ihr ganzes Wesen ist nur eine frische, volle, sich selbst kaum fassende, überschäumende Gegenwart, die alles, was werden soll, in sich zu beschließen glaubt. Im Bewußtseyn so viel freyer, strebender Kräfte ist sie nicht geneigt, nach dem, was einst gewesen, sich umzusehen, und sie hält sich daher, ihrem Naturtrieb folgend, am liebsten zu jener idealistischen Parthey, die auf ihre eigene Hand die Welt zu gestalten sich be¬ müht, und wie die Spinne zugleich Webstuhl ist und Weberin des eignen selbsterzeugten Stoffes. Vermöge ihrer Stellung aber wollte auch die teutsche Jugend die Vertreterin des teutschen Wesens seyn, und das erwählte Rüstzeug um im Kampfe mit der entarteten Gegenwart die bessere Vergangenheit zurückzuführen, und die Ehre Teutschlands gegen Welschland zu be¬ haupten. Indem sie in diesem Bestreben der histori¬ schen Parthey angehörte, und mit ihr Verfolgung litt, fand sie sich aber mit sich selbst in einen Widerspruch gesetzt, den sie am einfachsten dadurch zu lösen glaubte, daß sie etwa einen Schritt weiter zurückgieng, als die Reformatoren in der Kirche gethan, durch die teutsche Geschichte rückwärts bis zu dem Punkte hin, der im Leben des Volkes ihrer eigenen Lebensstufe entsprach. Die Geschichte sey allerdings zu ehren, war die Meinung, aber hinter ihr liege ein Naturstaat, der gleichfalls noch zu ihr gehöre; jetzt wo alle Bande der Gesellschaft verrottet, alle Stände verwittert seyen, wo das Leben und die Geschlechter der alten Dynasten nach und nach versiegt, sey ein ähnlicher Zustand der Dinge äußerlich zurückgekehrt, und es gelte aus eig¬ ner frischer Natur heraus ein neues Recht zu grün¬ den. Damit war der Contrat social , nur in teutschen Formen, zurückgekehrt; wie vor wenig Jahren die Jugend in philosophischen Constructionen des Weltalls sich gefallen, so wurden die construirenden Kräfte jetzt an den gesellschaftlichen Verhältnissen geübt; und nachdem die verschiednen Dimensionen der Verfassung durchlaufen waren, befestigte sich die Betrachtung end¬ lich ganz natürlich bey der Durchdringung aller in der Republik. Unterdessen sorgten die Ereignisse, daß es dem Eifer nicht an Reiz, der Leidenschaft nicht an einem Stachel fehle. Frau von Krüdner, wenn auch in etwa phantastisch und gespannt in ihrer Frömmigkeit, doch wohlmeinend, liebreich, menschlich in ihrem Thun, war von den Pfaffen verlästert, von der Polizey ge¬ hetzt, endlich durch die Gensdarmerie von Brigade zu Brigade nach Rußland zurückgeführt, dafür daß sie gebetet mit den Leuten, ihnen den jüngsten Tag ver¬ kündet, und dagegen die Hungernden gespeißt und gerettet hatte. Da sandte der Kaiser Alexander den Kotzebue, und wenn jeder Anflug von Begeisterung schon die feige Zeit in Angst und Zittern setzt, so war dieser, der schon bey seinem ersten Auftreten in der Jugend mit einem Capitale von Verruchtheit angefan¬ gen, womit andere Bemittelte wohl zu enden pflegen, und der seither zum Kaiser alles Pöbels, aber zum Abscheu aller Wohlgesinnten sich erhoben, dieser war der Mann wie ihn sich die Zeit gewünscht, und wäh¬ rend Censuren und Gerichte jedes Wort bewachten, das zum Frommen Teutschlands gegen das heillose Un¬ wesen der Zeit geredet wurde, durfte er sich in der Mitte des Landes niedersetzen und ungestraft höhnen, alles was dem Volke werth und ehrwürdig geworden. Ihn hatte der Kaiser aller Wahrscheinlichkeit nach in unschuldiger Absicht ausgesendet, daß er ihm ein Beob¬ achter und Deuter dessen sey, was sich in diesem Lande voll schwer verständlicher Richtungen und Bestrebun¬ gen bewege. Aber indem er die unglücklichste aller Wahlen zu diesem Vorhaben getroffen, mußte ein böser Argwohn von dem Manne dieser Wahl auf den Zweck der Sendung sich verbreiten. Nur allzu sehr wurde dieser Verdacht bestärkt, als jener mißbrauchend seinen Auftrag rechtliche Männer hämisch verläumdete, und als die Bosheit sich ent¬ deckt, die Ahndung des Gesetzes nicht gegen den Ver¬ läumder sich richtete, sondern was kaum zu glauben, gegen die Verläumdeten, weil sie das Werk der Fin¬ sterniß ans Tageslicht gezogen. Noch schärfer wurde die erzürnte Spannung, als die an sich nicht übel gemeinte, später mit schamloser Frechheit als offiziell erklärte Schrift Stourdzas in einer Weise von den Teutschen und ihren Institutionen sprach, die kein Volk von einem Fremden sich bieten lassen darf. Der allgemeine Unwillen über diese Schrift und mehr noch den sichtbaren Eindruck, den sie in den höheren Re¬ gionen gemacht; die Entrüstung, dasselbe Ausland dem die Meinung die Vernichtung so mancher Erwartun¬ gen längst zuzuschreiben sich gewöhnt, nun auch auf eine so empörende Weise die Schwäche mißbrauchend, ins Innere eingreifen zu sehen, mußten besonders bey der Jugend, deren Freyheiten, den letzten ärmlichen Rest eines früheren bessern Zustandes, man so fre¬ ventlich anzutasten gewagt, tiefen Eindruck machen. Unter so viel raschen jungen Leuten, deren ganzes Herz und alles Sinnen und Trachten dem öffentlichen Leben sich zugewendet, mußte beynahe unausbleiblich ein Funken dieser so unvorsichtig angeschürrten Feuers¬ brunst zündend in das Reich dunkler Gewalten, die des Menschen Brust umschließt, herniederfahren; und die Schlafenden aus ihrer Ruhe wecken, daß der höher und höher sich hebende täglich gereizte Grimm endlich übertrat. In Sand mußte der Durchbruch des Damms zuerst geschehen, und das Verderben mußte natürlich den am ersten treffen, der seither am geschäftigsten ihn zu unterwühlen bemüht gewesen. Der Jüngling nahm es über sich, sich selbst den Vollmachtsbrief zur That zu schreiben, und sie mit eigner Hand auszu¬ führen; und weil sein Maaß gefüllt war bis zum Rande, und bereit es über sein Haupt auszugießen, wurde der, den er gesucht, in seine Hand gegeben; er selbst aber gab der erzürnten Nemesis das eigne Leben zur Sühne hin, nach alter Lehre, die Blut um Blut gebietet. Wie ein Blitz schlug die That ins Volk; seit den Jahren der Erhebung war nichts mehr geschehen, was es ergriffen hätte; was lange unverständlich nach Verständigung gerungen, hatte jetzt das Wort gefun¬ den; eine blutige That war wieder der Punkt gewor¬ den, in dem Aller Gedanken sich versammelten; und die Meinung war schnell über das Ereigniß einver¬ standen: Mißbilligung der Handlung bey Billigung der Motive, erneutes Gefühl der Nähe der ewigen Gerechtigkeit in allen menschlichen Dingen, ein helles Schlaglicht über den Zustand des Vaterlandes herge¬ worfen, und erneuerte lebendige Theilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten, waren die Resultate der allgemeinen Bewegung, die erfolgt. Die Meinung hatte ein großes Stufenjahr zurückgelegt, ein tiefer Ernst war über die Zeit gekommen, die seither mehr spielend mit den Ereignissen sich abgegeben. Dem Schlage, der die Gemüther in allen Tiefen aufgeregt, folgte bald ein Zweyter, gerade durch die schnelle Folge furchtbar und erschütternd. Ein junger Mann, dem das machiavellistische System, das seine Heimath umsponnen hielt, längst ein Greuel gewesen, hatte eine an sich gutartige, ruhige aber finster in sich gekehrte Natur durch jenes gallenbittre Zornesfeuer zu einem Grade entzünden lassen, daß auch er durch eine Gewaltthat jene Netze zu zerreißen bey sich beschloß. Er hatte den Präsidenten Ibell, in dem er den Urhe¬ ber dieses Systems gefunden, zum Opfer ausersehen. Aber es ist noch kein des Todes würdiges Verbrechen, wenn die übermüthige Kraft über die Menge, die auf gesetzlichem Wege sich der Dienstbarkeit erwehren kann, auch sogar durch verwerfliche Mittel, sich der Tiran¬ ney bemeistert; nur so viel kann von Freyheit der Masse zu Theile werden, als sie zu verdienen weiß, und ge¬ waltthätige Handlungen können nimmer den Mangel des Verdienstes ersetzen. Das war der zweyte Irr¬ thum des jungen Mannes, außer dem, den er mit Sand gemein gehabt, beide hat er mit dem Leben be¬ zahlen müssen; an dem Angegriffenen aber ist der To¬ desengel vorbeygegangen, grimmig hat er ihm ins scheue Auge hineingeblickt, und es ist zu hoffen, daß er den Blick verstanden, und die furchtbare Cata¬ strophe zu seinem Seelenheile diene. So ist denn das Schicksal, mit dem sie auf der Bühne so lange ihr Spiel getrieben, furchtbar mitten unter sie getreten, daß das Entsetzen in ihrem Leicht¬ sinn sie gefaßt, und ein tiefes Grauen vor seiner dun¬ keln Macht. Da sie dem Christengotte abgesagt, ist der alte Jehova wieder heraufgestiegen, der da ist: »ein eifriger Gott, ein Rächer, zornig und von gro¬ ßer Kraft, dessen Wege im Sturm und Wetter sind, vor dem ein fressend Feuer hergeht, während Dunkel unter seinen Füßen ist, und der mit seinem Donner donnert und große Dinge thut, und doch nicht erkannt wird.« Es ist eine furchtbare entscheidende Stunde, wenn das erste Blut in bürgerlichen Unruhen geflos¬ sen ist, und die ersten Opfer fallen; es ist die Ge¬ burtsstunde einer ganzen verhängnißvollen Zukunft, die je nachdem die guten oder bösen Sterne überwie¬ gen, sich gestaltet. Noch ists ein glückbedeutend Zei¬ chen und ein Pfand, daß der Himmel immer noch Teutschland gnädig ist, daß nicht wie so oft ein kal¬ ter, nackter Frevel das Losungswort gegeben, son¬ dern eine Gewaltthat, von sonst reinen Händen im Irrthum des Herzens ausgeübt, und die durch ihren zwiefachen Charakter noch zwey Wege der Wahl den Weg des Tages und den Weg der Finsterniß offen läßt. Das haben die Wenigsten unter denen bedacht, die über diese Sache öffentlich geredet, und wieder bewie¬ sen haben, wie tief die Weltklugheit der Schriftge¬ lehrten unter dem gesunden Sinne des Volkes steht. Daß die That nicht christlich gewesen, darüber sind sicher Alle mit Steffens einverstanden, aber Gott weckt bisweilen eine heidnische Tugend, um jene christliche Heucheley zu strafen, die während sie mit Leichtsinn ungerechte Kriege beschließt, worin hunderttausende von Menschen fallen, nur dann des Christenthums gedenken will, wenn die Flamme, der sie von ferne mit Vergnügen zugesehen, endlich das eigene Dach ergreift. Man hat dem Thäter frevelhaften Hochmuth vorge¬ worfen, daß er also Gott und der Obrigkeit aus eig¬ ner beschränkter, schwacher Persönlichkeit ins Amt gegriffen: das ist die rechte und wahre Ansicht für sich und Andere, denen etwa nach solcher That gelüsten möchte; aber dem Thäter gegenüber nach vollbrachtem Werke ausgesprochen, möchte der Ausspruch in Bezug auf ihn selbst nicht allzu christlich seyn. Was würde der Sprechende erwiedern, wenn dieser sich etwa in solcher Weise vertheidigte: Du sprichst von Hoch¬ muth, sieh dich vor, daß du nicht selbst von christ¬ lichem Hochmuth besessen seyest, bethend ich danke dir Gott, daß ich nicht bin gleich Diesem! Glaubst du, daß ich so leichtsinnig mich zu jener That ent¬ schlossen, deren furchtbare Verantwortung ich gar wohl gekannt? glaubst du, daß Gott ein Leben, sonst rein und fromm geführt, so grausam durch kalten geisti¬ gen Hochmuth verderben werde, und einen sonst lich¬ ten Geist so hart verblenden, daß er die Täuschung einer groben Eitelkeit nicht mehr gewahre? Kennst du noch nicht das finstere Reich des Ab¬ grundes, das die Natur beschließt, glücklich du, wenn es immer beschlossen dir geblieben! alle seine dun¬ keln Mächte hat der Geist besiegt, und sie in jene Tiefe eingeschlossen; aber durch des Menschen Herz gehen tiefe Brunnen nieder in ihre Finsterniß; um den Eingang drängen sich, Freyheit suchend alle Lei¬ denschaften, aber ihn hält Religion und Sitte fest geschlossen und versiegelt, und so lange die Pforten im im Beschlusse bleiben, spielt oben das heitere Leben. Aber hat die Siegel eigne Schuld oder das Unglück der Zeit erbrochen, und die Thore zum Unterreiche aufgerissen, dann steigen alle Schrecken aus der Tiefe auf; wie Unwetter zieht es aus dem Abgrund; es faßt den Menschen mit dämonischer Gewalt, und der einzelne Wille vermag nichts mehr gegen die furcht¬ bare Macht, die sich gegen ihn entkettet hat. Die Nacht und alle Furien des Lebens steigen durch jenen Schlund herauf, der Selbstmord und jeder blutige Frevel. Mir haben sie den Geist gesendet, den jener Römer in Asien und bey Philippi sah, und er hat nicht ohne harten Kampf gesiegt. Wer aber hat die Pforten jenes Unterreiches auf¬ gerissen, wer hat alle Leidenschaften losgekettet, und jene Furien herauf beschworen? wer hat alle Brunn¬ quellen des öffentlichen Lebens mit Haß und Argwohn zu¬ erst vergiftet? Als die Römer Edessa gewonnen, da hat¬ ten die Kriegsleute, den Tempel plündernd, und unten an seinen Grundvesten gierig nach Schätzen wühlend, wie die Sage uns berichtet, endlich auch den Stein weggerissen, der von den alten Magiern mit Sprüchen und heiligen Formeln besprochen, den Abgrund besie¬ gelt hielt, in dem sie die Seuche beschlossen hatten, und diese verbreitete sich sofort durch die Oeffnung über die ganze bewohnte Erde hin, und raffte den dritten Theil des Menschengeschlechtes weg. Ihr sprecht vom Christenthum, wer aber hat seine Macht zuerst gebrochen, indem er es zum Deckmantel sei¬ ner Habsucht und jeglicher bösen Leidenschaft gemacht? Wer kreuzigt noch jetzt den Herrn in seiner Kirche 8 und würfelt um sein Gewand? Mit Worten höre ich seine Lehre viel bekennen, aber die Werke sind nicht darnach; voll von Leuten seh ich den Gerichtshof stehen, die Recht suchen und Gerechtigkeit, aber kein Richter ist vorhanden; deswegen hat das müßige Schwert von selber sich an der Wand gerührt, und ein schuldiges Haupt getroffen. Darum und sintemal wir denn alle Sünder sind, so richtet menschlich über eure Brüder, damit menschlich über Euch gerichtet werde. Thut, was Euch durch göttliche und mensch¬ liche Gesetze gebothen ist; dann wird der Abgrund sich von selber schließen, und ich werde das letzte Schlachtopfer seyn, das er verschlingt. So ernste, tief einschneidende Vorgänge mußten nothwendig die angestrengteste Aufmerksamkeit der Re¬ gierungen auf sich ziehen. Sie sind ans Steuer des Staats gesetzt, damit sie das Schiff lenken durch jeg¬ liche Gefahr. Aber je hohler die Wellen gehen, je stärker die Brandung schäumt, um so gelassener muß der Steuermann hinaus in die Bewegung sehen; will er der wirklichen Gefahr Meister werden, dann darf er nicht zaghaft vor Eingebildeter erbeben; das Schwanken, das den Unkundigen in Entsetzen bringt, wird ihn nicht berühren; selbst das Toben des Ele¬ mentes wird er mit scharfem Blicke und gewandter Hand sich dienstbar machen, daß die Kräfte, wenn auch unwillig und aufbäumend, ihn zum Ziele führen. Je mehr eine Regierung von der Natur des ersten Bewegers in sich trägt, um so weniger wird sie durch die Schwingungen des Bewegten sich irren lassen; erblickend die Dinge von der Höhe, und gleichsam wie vom Firmament herab, kann die Weite des Ge¬ sichtsfeldes und die wechselseitige Deckung der Ge¬ genstände sie nicht verwirren; fassend die Häupter aller Elemente der Gesellschaft, kann sie ihrer Bewegun¬ gen leicht Meister werden. Es liegt eine unverwüstliche erhaltende Kraft in den geselligen Verbindungen; derselbe Instinkt, der sie zuerst geschlossen, wacht auch unabläßig über die Erhaltung des Bestehenden, und keine Regierung hat nöthig, das Nichtswürdige auf Kundschaft nach geheimen Umtrieben zu legen; da, wenn sie nur eini¬ germaßen würdig ist, alles Gute mit ihr in einem ge¬ heimen Einverständniß steht und nicht leicht einen Frevel, der gemeinsamer Zusammenwirkung bedarf, im Verborgnen läßt. Darum, wenn sie sonst der großen und öffentlichen Bewegungen in der Gesell¬ schaft Meisterin geblieben, darf sie, am wenigsten in Teutschland, vor Verborgenen zittern, und ihre ge¬ lassene Aufmerksamkeit und ihr behendes Eingreifen, wo es Noth thut, dadurch auch um ein Kleines von ihrem Wege ablenken lassen. Jeden Uebelgesinn¬ ten wird sie bey der That erwarten, zuvorkommend oder ahndend, wenn es mit jenem nicht gelungen. In dieser Kunst ist vor den Andern die englische Regierung mu¬ sterhaft gewesen; die Teutschen haben kaum die ersten Anfangsgründe begriffen, und was bey jener Gele¬ genheit in Preußen vorgefallen, hat leider einen neuen Beweis dazu geliefert. Wie es scheint, ist seit Jahren in Berlin, durch Oertlichkeit, Wasser, Luft und irgend eine geistige In¬ fluenza begründet, eine Gespensterseherey endemisch 8* worden, die schon früher in unschuldigern Dingen manchen lächerlichen Auftritt hervorgebracht. Die Re¬ gierung seit lange schon beunruhigt durch jene Visio¬ näre, auf die sie seit der Wartburger Geschichte we¬ niger geachtet hatte, aber jetzt wie es scheint, außer Fassung gebracht durch die Vorgänge der jüngsten Tage, hatte, um sich Licht zu verschaffen in diesen Dingen, eine Art von Heilsausschuß mit unbeschränk¬ ter Vollmacht zu jeder Inquisition niedergesetzt. Die¬ ser, statt auf analytischem Wege mit ruhigem Gelasse die offenliegenden Thatsachen, wofern es sich möglich zeigte, unter sich und mit andern Geheimen durch ein geschickt geknüpftes Gewebe von Beweisen zu verbin¬ den, und durch allmählige Induction von Wirkung zur Ursache und durch alle hindurch zur Ersten, wenn eine Solche vorhanden ist, aufzusteigen; zog in genialer Art den Synthetischen solcher Mühseligkeit vor, in¬ dem sie das Gesuchte gleich von vorne hinein als eine unläugbare Thatsache, ein Dogma, oder wenigstens ein Postulat der reinen Vernunft sich selbst und der Welt hinsetzte, und dann in einem salto mortale von ihm herab suchend und inquirirend in die Wirklich¬ keit sich stürzte. Darum wurde vor dem verwunderten Europa die Existenz einer großen weitumgreifenden Verschwörung auf Hochverrath, aller Orten ein des Todes würdi¬ ges Verbrechen, als das Centrum aller Bewegungen der Zeit proclamirt, die peripherisch in jene zwey of¬ fenkundigen Todschläge ausgegangen; um aber jene Mitte mit diesem Umfang nun durch die Brücke schrift¬ licher Beweise in Verbindung zu setzen, wurden jene Emissionen von Polizeybeamten nach allen Theilen Teutschlands dirigirt, in der sichern Erwartung, daß, was die absolute Anschauung also gesetzt, nothwendig durch die Erfahrung sich bestättigen müsse. Aber die Erfahrung bewies sich widerspenstig gegen diese con¬ struirende Metaphysik der hohen transcendentalen Po¬ lizey; wenigstens hat sich, was seither bekannt ge¬ worden, als gänzlich unzureichend ausgewiesen, den gähnenden Schlund zu füllen. Eine Verfassung, aus einer debattirenden Studen¬ tengesellschaft hervorgegangen, zu der sich schon ein junger Mann öffentlich bekannt; nach der, wäre sie gedruckt, vielleicht nicht hundert Menschen aufsehen würden, und die nichts Strafbares hat, bis etwa ein Versuch vorliegt, sie gewaltsam einzuführen. Eine kleine Sammlung jacobinischer Sentenzen und Metaphern, die zum Theil Göthe und Novalis verantworten müssen, und die aus den Tragikern aller Völker sich leicht um's Zwanzigfache verstärken läßt. Von einem Primaner aufgeschriebene Redensarten eines Mannes, der sonst untadelhaft, nur im Sprechen vielleicht von je zu wenig Maaß gehalten, und den Erguß seiner bered¬ ten Zunge schleichender Tücke allzu unbehutsam Preis gegeben. Einige Dolche, wovon Einer aus der Zeit der teutschen Kleidertrachten mit Zierde des Bürgers beschrieben, was man in frommem Liebeseifer aus dem atomistischen starren Seyn in ein dynamisches Werden umdeutend, als eine Predigt über die Ver¬ zierung des Bürgers durch Mordgewehre einregistrirt. Einige Brieffragmente, durch die Verlustration er¬ langt, worin junge Leute ihr Herz wechselseitig sich ergießen, das freilich nur allzu oft des bittern Zor¬ nes voll seyn mag: das ist der kärgliche Ertrag, den seither so viele gewaltthätige Handlungen abgeworfen. Unfähig zu begreifen, daß Thaten, wie sie jene jungen Leute geübt, blos das Product einer einsamen, allein mit sich selbst zu Rath gehenden, Betrachtung seyn können, hat man sich darauf gesetzt, sie durchaus als ein Ergebniß geselliger Verbindungen anzusehen, und indem man wieder nach den Häuptern dieser Verbin¬ dungen und den ersten Anstiftern geforscht, beynahe jeden durch seine Gesinnungen ausgezeichneten Mann mit Verdacht besteckt, nicht bedenkend, daß gerade bey der Jugend jeder, der feige blos zu einem Frevel ohne eigne Theilnahme antreiben wollte, eben dadurch auf immer jedes ehrende Vertrauen bey ihr verscher¬ zen wurde. So hat man öffentliche Charactere, denen die Na¬ tion ihre Achtung zugewendet, die nichts gethan, was irgend einen gegründeten Verdacht rechtfertigen konnte, auf die man keine einzige wahrhafte Inzicht gehabt, aufs schnödeste mißhandelt; man hat ihnen Commis¬ sionen hingesendet, die, weil sie sträflicher Umtriebe ver¬ dächtig seyen, ihre Papiere durchsuchen sollten; diese nachdem sie unbedacht alle rechtlichen Formen vorbey¬ gegangen, und der Welt ein Urtheil über den Grad der dabey aufgewendeten Besonnenheit an Hand gege¬ ben, haben den Frieden ihres Hauses gewaltsam ge¬ brochen, und nun eine Inquisition über alle ihre Pa¬ piere ohne Ausnahme, bis auf die persönlichsten Fa¬ milienangelegenheiten herab, begonnen, zu deren Vol¬ lendung nichts, als etwa eine Vivisection gefehlt, um die Gedanken in ihrer geheimen Werkstätte im Ent¬ stehen zu belauschen. Man hat junge Leute, die mit Shakespeare zu reden, schwärmen mit dem Blute, als kaltblütige Verbrecher genommen, und bey ihnen auf Gesinnungen inquirirt, die aus der verschwiegnen Brust noch nicht an den Tag herausgetreten, und auf Worte vor Jahren ausgesprochen, und ohne alle Wirkung längst verhallt; und nachdem man dort wie hier nichts entdeckt, mit der unerhörten Maxime sich abgefunden: man habe dadurch, daß man Verdächtiges bey ihnen gesucht, sie selbst nicht verdächtig zu machen geglaubt, eine Lehre, die den Unbescholtensten Preis giebt der Mißhandlung jeder tyrannischen Gewalt, der es ein¬ fällt, nach Dieben zu suchen, wo keine Diebsherberge je gewesen. Man hat die spanische Inquisition aufs bitterste darum angeklagt, daß sie ihren Schlachtopfern nie das Verbrechen nenne; wie soll man ein Verfahren billigen, das hypothetisch das Verbrechen voraussetzt, und nun die Verbrecher dazu sucht, und nach Will¬ kühr jeden Ehrenmann der That anschuldigt; und nach dem, wenn bey solchem Thun irgend von Conse¬ quenz die Rede seyn könnte, der eigne Fürst dem ge¬ mäß was er 1813 und 1814 gethan, proclamirt und versprochen hat, als der erste Demagog seines Lan¬ des verurtheilt werden müßte. Auch hat diese Hand¬ lungsweise schon bitter sich gerächt; die Welt die man voll Redens über die Conspiration gemacht, harrt auf die Beweise, die sich nicht finden wollen; ganz Europa, das man zu Zeugen der That genommen, und dem man Hochverräther versprochen hat, wartet der schuldbeladnen Sünder, und man weiß sie nicht zu liefern. Wahrlich! wenn Preußen seit dem Befrey¬ ungskriege ja wieder mit ungebührlichem Hochmuth sich vergangen, dann muß man gestehen, daß es durch das Schicksal dafür aufs allergrausamste heim¬ gesucht worden. Vielleicht werden endlich einmal alle Bessern dieses Landes zusammenstehen, um eine Re¬ gierung, deren Wohlmeinen in so vielen Dingen ein besseres Schicksal wohl verdient, von solchen Blendwerken zu befreyen, und alle gesetzlichen Mit¬ tel die ihnen zu Gebote stehen, anwenden, um dem Wahnsinn einiger Menschen Gränzen zu setzen, die, wenn es, wie sie sagen, fünf Grade in der Ver¬ schwörung giebt: Turner, Studenten, die da Dolche führen, Leiter, Unbekannte, die Unbekannten, die sie suchen, allein selber sind, und indem sie nach der Weise jener ehrlichen Bürger das Haus in Brand stecken, um den Maushund zu verderben, wenn sie nach den gewaltthätigsten Handlungen überall nichts ausgefunden, doch darum ihrem Argwohn nicht Gränze setzen, weil sie immer wieder sich bereden, daß ihr Bemühen nur darum fruchtlos ausgefallen, weil sie nicht die ausgesuchteste Klugheit angewendet, und un¬ glücklicherweise bey den Unrechten nachgeforscht. Eines aber vor Allem ist dem beobachtenden Teutschland in dieser Sache aufgefallen, daß während in allem Gu¬ ten, das durch gemeinsame Zusammenwirkung wer¬ den soll, Jahre ohne den mindesten Erfolg vergehen, es hier nur wenig Tage erforderte, um von Holstein bis Freyburg jene allgemeine Treibjagd auf die Ver¬ schwörer einzurichten. Auf die Stimmung der Nation mußten diese Vorgänge den allerwidrigsten Einfluß üben. Bey der hef¬ tigen Spannung der Gemüther fehlte gerade noch ein so unbegreiflicher Mißgriff, um die allgemeine Empö¬ rung aller Herzen, denen an der Ehre des Vaterlan¬ des gelegen ist, zu vollenden, und Unwille, Haß, Verachtung, Mißtrauen, und alle bösen Leidenschaft ten, die schon vorher nur all zu viele Nahrung in den Ereignissen gefunden, bis auf einen Grad hin¬ aufzutreiben, daß ein vor vier Jahren noch mit spie¬ lender Hand zu lösendes Problem, die Anordnung unserer öffentlichen Angelegenheiten, jetzt beynahe gänz¬ lich für menschliche Kräfte unauflöslich zu werden droht. Eine Conferenz der Minister, die unter die¬ sen Umständen in Carlsbad abgehalten wurde, sollte nun Rath schaffen, wo Rath theuer worden, und zum erstenmale verlangten die Umstände gebieterisch von den Diplomaten, die seither Alles auf negative Weise abgethan, positive Maaßregeln, auf die niemand eingerichtet ist. Oesterreich schien besonders mit Eifer die Versammlung zu betreiben; es hatte geglaubt, der Ruhe zu pflegen, wenn es dem unruhigen Reiche sich entzöge, aber so wohlfeilen Kaufes, blos den Gewinn einstreichend, kömmt keiner von einer historisch gewor¬ denen Verbindung los; nachdem es über dem Ver¬ suche all seine Popularität eingebüßt, ist nun die rechte Unruhe ihm erst herangekommen. Unaufhörlich sitzt die Geschichte zu Gericht, jetzt nach¬ dem die Franzosen gezüchtigt sind, werden andere Sün¬ den heimgesucht, und mit Angst und Nöthen abge¬ büßt. Da das ganze System darauf berechnet war, daß nichts vorfallen werde, so ist nun, da wirklich etwas vorgefallen, und noch ein Mehreres aus der Zukunft droht, die bitterste Verlegenheit eingetreten, daß nun wirklich einmal etwas geschehen muß. Man hat eine Maschine eingerichtet, die sich wirklich als ganz vortrefflich ausgewiesen, alle Hoffnun¬ gen blos durch ihre Unbeweglichkeit aufzureiben; nun aber, wo eine Furcht gekommen, und sie einer Absicht dienen soll, weigert sie gleichfalls tückisch jeden Dienst, den man ihr anzusinnen versuchen wollte. Indem man keinen, auch nicht den leisesten Gegensatz zu binden gewußt, sondern alle Dissonanz so lange anwachsen ließ, bis sie nicht mehr zu lösen war; in¬ dem man Alles zugelassen, was sich zugedrängt; alles durcheinandergeschleppt, und in Halbheiten oberfläch¬ lich vermittelt hat, was sich innerlich ausschloß; hat man nun, wo die Natur ergrimmt gegen den schwin¬ delerregenden Wirrwar aufgestanden, jedes Mittel sich genommen, zu ihrer Besänftigung irgend eine durch¬ greifende Maaßregel vorzukehren. Jeder Verstand wird von einem Unverstande aufgehoben, jede Kraft von einer Gegenkraft verzehrt, jede Bewegung durch eine antagonistische gehemmt; so muß alle Anstrengung in unnützen Deliberationen zerfließen. Wollte man, scheinbar sich anschließend an die histo¬ rische Parthey, etwa den dreyzehnten Artikel auf die Herstellung der vorigen Corporationsstände, in der gan¬ zen Gebrechlichkeit der letzten Zeit ausdeuten, so wider¬ spricht dem, was im Verfassungswerke schon zum Be¬ stand gekommen, oder noch eben zu entstehen im Be¬ griffe ist; stellenweise sind jene Körperschaften ganz ausgetilgt, und die Historischen sind überdem keines¬ wegs so leichten Kaufs gewonnen; ihr Sinn steht mit nichten auf die Verknöcherung der letzten Zeit, noch wollen sie einer verlarvten Willkühr den Vorwand leihen. Wollte man durch Machtsprüche über Ver¬ hältnisse entscheiden, die in der Badischen Kammer zuerst zur Erörterung kamen, und die Schlüsse des Bundestages, ohne Rücksicht auf die Stände, für die Kammern ohne weiters verbindlich machen; so mochte man das freylich sich erlauben, aber weil alsdann alle Verfassung völlig illusorisch wird, so muß dadurch ein Kampf der Convenienz mit der Natur der Dinge ent¬ stehen, der, da die Letzte immer auf die Länge stär¬ ker bleibt, unausbleiblich zu ihrem Vortheil nach kur¬ zer Frist enden wird. Wollte man eine vollziehende Macht dem Bundestag creiren; das Herz der Na¬ tion ist von dieser Institution, die man nur für ein Provisorium zu nehmen sich gewöhnt, abgewendet; auch nach einem Schattenkaiser ohne Kammer hat sie nicht die geringste Sehnsucht. Nur einmal ist die günstige Gelegenheit an den Mächtigen vorbeygegan¬ gen, nun sie den Augenblick versäumt, hat sie sich zu anderm Orte hingewendet. Was vermag alle diplomatische Kunst gegen die mächtige Naturgewalt, die sich in den Völkern täglich mehr entkettet? Die erste Quelle eines Stromes mag eines Rosses Huf aus der Erde schlagen, aber in sei¬ nem Laufe vermag kein menschlicher Wille ihn aufzu¬ halten. Eben die Kammern werden ihr Recht der Einwirkung auf die Beschlüsse des Bundestags durch¬ fechten; sie werden eben collectiv insgesammt die zweyte Kammer constituiren, und ist es erst zu einem einverstandnen Wirken gekommen, dann wird von selbst die Nothwendigkeit sich aufdrängen, dem Rumpfpar¬ lament, durch die Stärkung der collectiven vollziehen¬ den Macht, in ihrer Conzentration ein Haupt zu geben. Das ist der Naturgang der Dinge, der Vor¬ schritt der Geschichte, den keine menschliche ohnmäch¬ tige Willkühr irren, und kein Congreß aufhalten wird. Die Nation dringt auf die Einheit, und dies Drin¬ gen ist wie Baumes Wachsen und Windes Wehen, kein Bemühen mag es in seinem Fortgang hemmen. Was die Mächtigen solchem Werke Förderliches unter sich beschließen, wird direct als Förderungsmittel aufgenommen; was sie hemmend ihm entgegensetzen, muß indirect als Widerstand zum Ziele führen, indem es die entgegengesetzte günstige Kraft bewaffnet. Von diplomatischer Kunst, die alles ihrer Na¬ tur nach auf sich beruhen läßt, ist also in keine Weise ein Heil für Teutschland zu erwarten, und Hoffnung und Furcht werden in dieser Hinsicht gleich eitel sich erweisen. Ein Blitz des Himmels hat in die teutsche Eiche hineingeschlagen; ihre Krone ist zum dürren Geniste worden, nur die Wurzel in der Erde, und der Stamm in seinem Marke grünt stark und kräftig fort, und muß neue Triebe auswerfen in die Höhe. Die Naturkraft, die einst jenes Gewächs in die Lüfte hinaufgetrieben, in dessen Zweigen die Vögel der Erde sich gesammelt, nachdem sie zum Ziele des Wurfs und zum Scheitelpunkte ihrer Curve gelangt, ist erst gestaut dann in sich zurück sinkend, in der Remission gegen ihre Quelle, sich sammelnd aus allen ihren Verbreitungen, umgekehrt, um von da aus verjüngt und erfrischt, wie jene warmen Springbrunnen der Nordlandsin¬ sel, einen neuen Strahl himmelan zu treiben. Darum ist die ganze teutsche Geschichte seit mehr als drey Jahrhunderten ein Welken und ein Dürren; darum strecken alle unsere Institutionen nur nackte, erdorrte Aeste in die Gesellschaft; darum ist alles Formale morsch, faul, verwittert und aufgelöst; darum geht ein Geist der Verwesung in unserm Staatsgebäude um; wie in alten Ruinen hört man an Wänden und Grundfesten jenes leise Knistern, als nage vernehm¬ lich der Zahn der Zeit an ihrem Bau, Tragpfeiler bersten, Steine schürren herab, Mauern rücken und nur der grüne Epheu, der sie umrankt hält sie noth¬ dürftig noch zusammen. Nur die Masse, mit dem Urfels aus dem sie gehauen, immer noch in geheimem Zusammenhang, und mit ihm im gemeinsamen Natur¬ leben unverwüstlich lebend, darum selbst im Ablauf von Jahrtausenden noch nicht ergraut, ist noch gesund, und einer neuen Gestaltung wohl empfänglich. Es brauchte aber in alten Zeiten die Vorsehung, wenn es mit den Staaten auf diesen Punkt gekom¬ men, das Mittel der Völkerwandrung, indem sie die Brunnen der Tiefe eröffnete, und durch Fluten von Barbaren, die sich über die Hinwelkenden ergossen, von unten herauf durch neues Blut das stockende Le¬ ben erfrischte, und das Erdorrte neu begrünte. Aber diese Brunnen fließen nicht mehr so reichlich, seit die Cultur die alten Wälder ausgerottet, und die Pflug¬ schaar die wilde Erde dem Menschen gezähmt. Da¬ gegen aber hat dieselbe Cultur die Gemeinschaft mit einer andern Welt eröffnet, die durch geistige Kräfte jene versiegende Naturkraft ersetzt, und bey den Um¬ wandlungen der Staaten ihre Dienste versieht. Es ist dies jene geheimnißvolle Ideenwelt, die nach alter Lehre erfüllend die unendliche Tiefe des Geisterreichs, und gleich dem Aetherhimmel über unserm Selbstbe¬ wußtseyn ausgespannt, in alle Klüfte der Unterwelt ihr Licht niedergießt, und alle Gestaltungen beseelt. Wie aus dieser Welt, nach eben jener Lehre, die See¬ len in die Materie niedersteigen, ein zeitliches Leben hienieden führen, und dann wieder zur Heimath keh¬ ren; so sind es eben die ihr entstammenden Ideen, die die Staaten als ihre eigentliche Begeistigung zusam¬ menhalten, mit der Geisterschwere sie in sich verbin¬ den, und mit dem geistigen Lichte sie durchleuchten; und also gebunden im rechten Maaße durch die Ma¬ terie, und, unsichtbar selbst, durch sie zur sichtbaren Darstellung gelangt, als die inwohnende plastische und erhaltende Kraft das Leben fördernd, in seiner Dar¬ stellung sich verlieren. So aber nun die Stufenjahre dieses Lebens durchlaufen sind, und der Staat veral¬ tet, vermag er nicht ferner die inwohnende Idee zu fassen; sie die vorher latent in ihm gewesen, wird nun frey und strahlend; und in dem Maaße, wie sie nun jenem geistigen Reiche verwandt sich fühlt, und andere ihr gleichartige Ideen zu sich hernieder¬ zieht, wird sie dem bestehenden Materiellen mehr entfremdet; und sie, die vorher die Erhalterin gewe¬ sen, wird nun zerstörend, und löst, weil sie ein neues Haus sich zu bauen vorgenommen, von innen heraus alle Banden des alten Organisms auf, da¬ mit der Neue zum Werden Raum gewinne. So geschieht es, daß in solchen Uebergangszeiten Geistesblitze zuckend durch die ganze Gesellschaft fah¬ ren, und in einem Nu alle Köpfe wie ein Contagium entzünden; man weiß nicht wie der zündende Gedan¬ ken sich verbreitet, geschieht es durch den Athemzug, durch ein gemeinsames alle verbindendes Medium, ist's Sprache oder Bild oder sonst geheime Sym¬ pathie? kurz alle Menschen sind plötzlich eines Sinnes worden, und je mehr man der Fortpflanzung zu weh¬ ren sich bemüht, um so schneller verbreitet sich die Flamme. Das ist die losgebundene Begeistigung des Staatsvereines, die nun frey von ihrem Bande schwärmt, und erst wie jene feurigen Zungen auf den Häuptern der Organe der Zeit sich niederläßt, und dann von da in lichten Schimmer aufgelöst, durch die Pforte der Sinne einzieht in alle Geister, um sie zum neubegonnenen Werk zu weihen. Darum ist es aller Thorheiten unverzeihlichste, dies große Schöpfungs¬ werk zu stören, und mit den Ideen sich Kampfes zu unterwegen; noch Keiner hat gesiegt, der verwegen solchen Streit gesucht. Läßt man sie ruhig ihrer Ar¬ beit pflegen und begünstigt ihr Thun durch ein ge¬ schicktes Entgegenkommen; dann führen sie von innen heraus ruhig durch allmählige Metamorphose die Um¬ gestaltung und Verjüngung aus; abstreifend nur was unnütz geworden und erstorben, und siedeln sich dann friedlich im neuen Baue an. Wenn man aber, statt nach des Zeidlers Weise durch abgemessene sonore Klänge ihrem Thun nur Tact und Harmonie zu ge¬ ben, sie in plumper Weise stört und irrt; dann wer¬ den die Instinkte wild und in sich ergrimmt, und es hebt sich ein zorniges Brausen in dem Stocke; und es kömmt ein scharfer Krieg aller Leidenschaften; es treibt mit allen Trieben zur Gewaltthat und zu allgemeinem Umsturz, und es geht der Ruf aus durch alle Lande: das Schwert der Ideen über alle, die da Widerstan¬ des sich unterwinden! So sind also auch uns, da der Lauf der Zei¬ ten uns an einen solchen Uebergangspunkt geführt, zwey Wege aufgethan, um ihn zu vollführen; entwe¬ der, indem wir den Ideen auf jene ruhige Weise in friedlichem Vertrage in unserer Mitte die Ansiedelung erlauben; oder, indem wir uns von ihnen gewaltsam durch eine Revolution auf Gnade und Ungnade ero¬ bern lassen. Es ist nicht zu verkennen, daß der seit¬ herige Gang der Dinge stark auf die letzte Seite hin¬ geneigt; daß man den Hexenkessel, in dem man mit Gewalt diese Zeit wieder jung kochen will, mit den Giften aller Reiche und mit allen bösen Zauberkräu¬ tern angesetzt, und bey lustigem Feuer ihn fleißig im brodelnden qualmenden Sud erhält, bis endlich die ersehnte Mitternachtsstunde ausgeschlagen. Auch sind die Partheyen schon seit geraumer Zeit zum rechten Symptom gekommen, daß sie einander nicht mehr ver¬ stehen wollen . Was man sonst einzeln für sich als Ursache von Aufständen und Revolutionen aufgezählt: drückende Steuern und Abgaben, gewaltsame Veränderung der Gesetze und Gebräuche, Verletzung der Freyheiten und Privilegien, allgemeine Unterdrückung, Beförderung Unwürdiger Unwürdiger zu den öffentlichen Stellen, drückender Mangel und Verfall der Gewerbe, die Ungebühr ste¬ hender Heere und zur Verzweiflung gebrachte Factio¬ nen; das Alles haben wir zusammen cohobirt in diese Zeit zu drängen, und mit großem Fleiße jene seltene Einstimmigkeit der Gemüther im Unmuthe hervorzu¬ bringen gewußt. Nachdem Liebe und Vertrauen hin¬ geschwunden, ruht das Ganze einzig noch auf dem Instinkte des Gehorsams, der allzu tief im Menschen¬ herzen befestigt ist; aber auch dafür wird wohl end¬ lich Rath geschafft, da immerwährende Klagen, die nimmer ihren Richter finden, und Anordnungen, die gegen den Menschenverstand sündigen, nur allzu oft zum rechtlichen Widerstande herausfordern, und da¬ durch dem Unrechtlichen und jeder Selbsthülfe den Weg anbahnen. Da das verwegne Spiel nun schon die längste Zeit gedauert, ist denn plötzlich der Gedanke an die Mög¬ lichkeit einer Revolution hereingebrochen, und von beiden Seiten gleich unwürdig, hier mit tödtlicher Angst, dort zum Theil mit sträflichem Leichtsinn empfan¬ gen worden. Revolutionen sind wie der Tod, vor dem nur Feige zagen, mit dem aber nur die Frivoli¬ tät zu spielen wagt. So furchtbarer Bedeutung sind diese Catastrophen in der Geschichte und so ernsten tiefen Inhalts, daß nur Verrückte oder Verzweifelte sie herbey wünschen mögen. Eine Staatsumwälzung kann einzig das Werk der Leidenschaften seyn; darum ist Religion, Sitte, Geist, Wissenschaft, Erfahrung alles ihr nur hinderlich; und wie die Natur im stärk¬ sten Fieberanfall mitleidig durch Delirien den Geist 9 verhüllt, daß er durch sein Einschauen nicht die Le¬ benskräfte in der Tiefe stört; so muß auch in solchem Paroxism ein Volk zum Wahnsinn kommen, wenn die Krankheit wirklich zu einer kräftigen Crise gedei¬ hen soll. Darum ist es wohl anfangs ein leichtes Ding, daß die Schwachen weichen müssen größerem Talente; auch läßt sich wohl Alles vielversprechend an, indem ein ungewöhnliches Lebensgefühl und eine fri¬ sche Begeisterung das Bessere leicht in die Höhe treibt, und die ersten Partheyen wohl die meisten Gutgesinn¬ ten in sich beschließen. Aber da die Axe, die alle Elemente des Vereines zusammenhält, gebrochen ist, und nun jedes seiner eignen Schwerkraft folgt, so kann die Herrschaft des Geistigen, das wesentlich gemessen und geordnet ist, nicht lange bestehen, und nach den pa¬ thetischen Kräften müssen allmählig absteigend, die Thie¬ rischen ihr Recht behaupten, und das Regiment füh¬ ren in einer Zeit, die wesentlich dem Walten phy¬ sischer Mächte anheimgefallen. Darum muß jede fol¬ gende Parthey nothwendig der Vorhergehenden in jeder Art von Uebertreibung den Rang ablaufen; jede der es gelingt, die Angelegenheit um einen Schritt näher zum Extrem zu treiben, wird sicher die Gemäßigtere stürzen und verderben; den Protesters und Resolutio¬ ners werden wie in England, die Millenarier folgen, die keine Regierung anerkennen; diesen die Levellers, die auf Gleichheit des Vermögens dringen; endlich die Antinomianer, die sogar selbst die ethischen Pflich¬ ten als Tyranney verwerfen, gerade wie in Frank¬ reich Girondisten, Jacobiner, Cordeliers sich vertrie¬ ben, und in den Niederlanden den Geusen, bald die Bilderstürmer sich angeschlossen, weil immer die Ra¬ serey der vorigen Stufe der Folgenden als eine kalte Lauigkeit erscheint; bis endlich Schritt vor Schritt die ganze Leiter menschlichen Frevels durchlaufen, alles Bestehende gestürzt, alles Feste zerschmettert, alles Hohe geschleift, aller Besitz gewechselt ist. Wenn aber nun in solcher Weise die Natur in anar¬ chischem Wüthen sich erschöpft, tritt als nothwendiger Gegensatz wieder die Herrschaft der Einheit ein, die anfangs die ermüdeten Kräfte leicht bezwingt, dann aber, da das im Innersten aufgeregte Leben große Widersprüche und die heftigsten centrifugalen Rich¬ tungen geweckt, nothwendig scharf und eng die Masse zusammengreifend, nach und nach sich zum höchsten Despotism steigert, und wieder eine andere entge¬ gengesetzte Stufenfolge von Freveln durchläuft, bis endlich eine äußere oder innere Catastrophe, nun ein ganzer Umlauf vollendet ist, die Extreme wieder ge¬ gen die Mitte lenkt. Das ist der Gang, den die eng¬ lische wie die französische und jede andere Revolution genommen; eine Teutsche würde von dieser Natur¬ ordnung keine Ausnahme machen, indem was kälteres Blut vielleicht mildern könnte, leicht durch geistige Ge¬ tränke ersetzt werden mag, wie der Bauernkrieg aus¬ gewiesen. Zu den Ideen, die Frankreich bis zur gänz¬ lichen Umwälzung bewegt, ist bey uns noch eine Neue hinzugekommen, die in dieser kaum gewirkt, Die der Einheit nämlich, und eine solche Vermehrung des Fer¬ mentes muß nothwendig zur verstärkten Gährung füh¬ ren. Eine teutsche Revolution würde mit der Vertrei¬ bung aller herrschenden Dynastien, mit der Zerbre¬ 9* chung aller kirchlichen Formen, mit der Ausrottung des Adels, mit der Einführung einer republikanischen Verfassung unausbleiblich endigen; sie würde dann, wenn sie ihren glücklichern Wallenstein gefunden, weil jedes revolutionirte Volk nothwendig ein eroberndes wird, über ihre Gränze treten, und das ganze mor¬ sche europäische Staatsgebäude bis an die Gränze Asiens, niederwerfen; aber alle diese Herrlichkeiten, wie früher die Niederlande, mit dem Blute vieler Mil¬ lionen, mit dem Untergange der Hälfte der ansteigen¬ den Generation, mit der Zerrüttung des ganzen Wohl¬ standes von Teutschland, und mit der Verödung aller seiner Gauen durch einen langwierigen Krieg erkau¬ fen, und am Ende nicht viel mehr gewinnen, als jetzt auf eine wohlfeilere Weise zu erlangen ist. Weder für die Regierungen noch für die Völker, noch auch für das Ausland, das etwa im Trüben seinen Vortheil suchen wollte, können solche Aussichten ir¬ gend einen Reiz darbiethen; darum kann vernünfti¬ gerweise bey allen Partheyen nur von dem ersten Wege die Rede seyn. Aber es ist nicht so bestellt, daß man etwa zuerst alles versuchen und alles mißbrau¬ chen, und dann erst, wenn es zum Aeußersten ge¬ kommen, immer noch zeitig genug diesen Weg zu be¬ treten, sich entschließen könnte. Nur, so lange noch ein Zügel die Leidenschaften hält, so lange die wil¬ den Geister noch gebunden liegen, mag man Ver¬ nunft reden, und die allmählige Umgestaltung kann gradweise von statten gehen; sind die Begebenheiten aber einmal an den jähen Absturz hingelangt, dann ist aller Zuspruch eitel, alle Rede ist vergeblich, als ob man Erdbeben und Ungewitter besprechen wollte, dann wird nicht mehr nach den Folgen gefragt; es läuft der zündende Funken hin, so lange er Brenn¬ bares vor sich findet, und Schlag auf Schlag erfolgt, in dem Maaße wie die Kräfte sich entketten, und wie schnell, ohne alle Verabredung und Zusammen¬ hang, das Feuer sich verbreitet, wenn der Zunder in den Gemüthern vorhanden ist, davon können die Judenaufstände ein Zeugniß geben. Darum je hohler schon die See mit allen Tönen geht, die einen kom¬ menden Sturm anzumelden pflegen; je stärker das Brausen der Masse sich vernehmen läßt; je weiter der Schwindel, der die Regierungen ergriffen, die dunkel sie um kreißenden Bogen schlägt; um so dringender ist es, daß die Partheyen überall wenigstens bis zu dem Punkte sich verständigen, daß die wirbelnde, gährende Bewegung in eine Fließende sich verwan¬ delt, und dadurch vorläufig die Gefahr des Durch¬ brechens aller Dämme abgewendet wird. Da, wie früher entwickelt worden, die ganze Masse der Streitenden sich zuvörderst in einen großen Gegensatz vertheilt, wovon der Eine hauptsächlich das in geschichtlicher Begründung Bestehende geltend macht, der Andere das Werdende, was durch selbstthätiges Schaffen an die Stelle des Mangelhaften gesetzt wer¬ den muß, so würde nothwendig der Anfang mit der Beschwichtigung dieses Zwistes geschehen müssen, die aber in ihrem Gelingen durch die Voraussetzung einer gleichen Aufrichtigkeit beider Theile bedingt, blos mit den Bessern von beiden Seiten zu versuchen wäre. Indem hier von wechselseitiger Berichtigung der An¬ sichten nur die Rede seyn könnte, so würde sich bey der Erörterung bald ergeben, daß sobald Jeder ihr Recht geworden, der Streit sich von selber löst. Es würde sich leicht darüber zu verständigen seyn, daß die verschiednen Zeiten und Menschenalter im Leben eines Volkes im Nacheinander eben so nothwendig und unzertrennlich sich angehören, wie die verschiedenen Institutionen und Persönlichkeiten im Nebeneinander derselben Zeit, indem Diese den immanenten Staat, Jene den permanenten miteinander bilden; und daß also wie hier Pflichten und Rechte gegenseitig sind, so auch dort zu den Rechten, die jede spätere Zeit als Erbe überkommen, auch früher begründete Pflich¬ ten sich gesellen. Es würde sich ferner bald ermitteln, daß, da jede Zeit ohngefähr das gleiche Maaß von bildenden Kräften, wenn auch in Verschiednen ver¬ schieden vertheilt, zur Ausstattung erhalten, — in¬ dem wenigstens eine Frühere auf eine Spätere nicht mehr vererben kann, als sie selbst besitzt, — auch die Bildungen nach dem Maaße der aufgewendeten Kräfte zu beachten sind; und daß, wenn spätere Zei¬ ten auf breiterem empirischem Grunde stehen, dafür eine Frühere leicht in allem Höhern, Idealen ihr den Vorrang ablaufen mag. Wenn man jede Thätigkeit am sichersten an ihren Früchten erkennen kann, dann wird die Geschichte leicht belehren, welche Fülle das Mittelalter, und zwar zu allermeist in Teutschland hervorgetrieben; wie es aus demselben Onyx-Felsen, auf den sich die Kirche gründet, um ihre Münster her die gothisch-byzantinische Kaiserburg, ein anderes Montsalvaz, erhauen und gebaut; wie es mit einem Verständniß, dessen tiefen Sinn schon die oberflächlichste Betrachtung entdeckt und die tiefste nicht ergründet, alle seine Institutionen ord¬ nete, daß alles harmonisch zusammenstimmend in ei¬ nen schnellkräftigen, gesunden, blühenden Staatskör¬ per sich vereinigte; wie es in seinem Kaiserrecht eine Gesetzgebung zu begründen angefangen, zu der kein anderes Volk auch nur der Idee nach sich erhoben; wie es in Sitte, öffentlichem und Privatleben, Welt¬ anschauung und Sinnesart gediegen aus einem Stücke sich herausgebildet; wie es in jeder Kunst und Dich¬ tung von keiner andern Zeit sich übertreffen lassen; wie es selbst in seiner verachteten Scholastik in einer lebendigen Gymnastik bey den Wettkämpfen der Phi¬ losophen, wie die der Dichter, vor dem Auge der theilnehmenden Nation gehalten, eine geistige Schärfe, Gewandtheit und Scheidekraft erlangt, an die wir nicht von ferne reichen; wie es endlich in seinem gan¬ zen Thun und Seyn, in der Fülle seiner grünenden Bildungskraft eine Lebendigkeit und Thätigkeit ent¬ wickelt, von der uns in dieser Art kaum ein Begriff geblieben: das alles bewährt uns die Geschichte, und die Trümmer, die geblieben, geben lautes Zeugniß. Sollte aber unsere Zeit in einer der Anwandlun¬ gen jenes Dünkels, die wohl öfter an sie kommen, vor dieser Vergangenheit über den Grund desselben Rede stehen, sie würde leicht einen harten Stand er¬ halten. Sollte von da der Ruf an sie ergehen: thu uns kund, was du vollbracht, und leg uns aus, was du gebildet und gebaut, damit wir erkennen, welche Ehre dir gebührt, und den verdienten Preis dir zugestehen! sollte sie dann vor der ernsten Rich¬ terin ihre Armuth auseinanderbreiten und die Thea¬ tergarderobe ihrer Tugenden vor ihrem scharf durch¬ schauenden Aug hinlegen, wohl möchte ihr als Sen¬ tenz das strafende Wort zu Theile werden: Sieh! du hast deine Thaten mit beredtem Mund erzählt und deine Herrlichkeit uns angepriesen, und wir haben ihren Gehalt geprüft und befunden, daß alles eitel sey, und aufs Richtige gestellt. In keinem Dinge haben wir eine wirklich schaffende Kraft an dir verspürt, die Quelle aller wahrhaft bildenden Triebe ist in dir versiegt; jeder stillen gesammelten Innigkeit, die aufs Erhalten geht, hast du abgesagt; dagegen ist eine fressende Flamme in dich eingekehrt, zerstörend ist dein ganzes Wesen, und Niederreißen allein ist deine Stärke. Sieh! ich habe eine Kirche dir gebaut, deren Grund¬ vesten die Wasser der Erde umrinnen, während die Wolken des Himmels um ihre Thürme zogen; so fest in sich gegründet, daß obgleich der Boden wankte unter ihr, sie selbst unerschüttert so viele Jahrhunderte in ihrem Baue stand: du aber hast den Feuerbrand in sie hineingeworfen unter dem Vorwande, Alles was irrdisch sey und brennbar, von ihr abzuthun, nun sind die nackten Wände nur geblieben; die Gewölbe sind vom Regen des Himmels eingestürzt, auf den Pfeilern ziehen die nackten Bogen sich ins Leere, Gras und Büsche wachsen im Heiligthume, und die Vögel nisten in den Laubgewinden. Dein Teutschland, mit einer Mauerkrone wie mit einem festen Harnisch hab ich es umgürtet, seine Rei¬ sigen schirmten die alte Asenburg, innen regte sich das bunte Leben; du aber hast die Pforten aufgebrochen, die Thürme mit Pulvers Gewalt gesprengt, die Mauern dem Grunde gleich geschleift, und die Materialien zum häuslichen Gebrauch verwandt, daß das Reich ein offen Dorf geworden, von Zöllnern gehütet; den gestickten Kaisermantel aber, der alle umfieng, haben deine Lehnsträger zerstückt, und indem sie mit den Lappen ihre Blößen angeputzt, prunken sie damit wie Negerfürsten im fremden Staat, den sie mit der Freyheit ihrer Untergebenen sich erkauft. Sieh! reichlich habe ich aus der Ersparniß von Jahrhunderten die Kirche und den Staat dotirt, daß sie auf Erden ein Organ und mit ihm irdischen Be¬ stand gefunden; auch den Kriegsstand, die Gemeinde, ja selbst die Innung hab ich unabhängig ausgestattet; all den unermeßlichen Besitz hast du in wenig Jah¬ ren in alle Winde hinausgetrieben; die Ideen von ihrer realen Basis abgeschieden, irren nun geistergleich als wesenlose Schatten in der Gesellschaft um, vom Winde der Meinung, in deren Abhängigkeit sie gege¬ ben sind, hin- und hergepeitscht; und für alles das hast du im ganzen Umfange des Reiches nicht ein Denkmal gegründet, das auf die Nachwelt käme. Deinen Vorwitz hast du ins Reich des Glaubens hineingetragen, und göttliche Dinge messend mit mensch¬ lichem Maaßstab, sie ins Irdische herabgezogen; der einfache ungefärbte Strahl der Wahrheit hat in dem trüben Mittel in viele Farben sich gebrochen und ver¬ finstert, und das sonst in sich Geeinte hat schnell in unversöhnliche Partheyen sich geschieden. Alle Wissenschaften, sonst ihrer überirdischen Abkunft immer eingedenk, hast du durch Sinnenzauber ver¬ führt, daß sie, ihres Ursprungs vergessend, — selbst wesenlose Schemen in die Scheinwelt herabgesunken, — wie jene Naturgeister, Gnomen, Salamander, Silphen, nach der Sage, ohne unsterbliche Seele nur ein sterbliches Leben führen; und so ist selbst dein geistigstes Thun eine grobe sinnliche Lust geworden, und ein künstliches Würfelspiel mit den Atomen der Ele¬ mentenwelt, und ein Larventanz höherer Kräfte auf niedrer Stufe in Thierverkleidungen eingehüllt. Die Künste hast du von ihrer heiligen Bestimmung losgetrennt, und sie zu einem Gaukelspiele deiner Lust gemacht; ohne Inhalt, Tiefe und Bedeutung sind sie Kinder der Welt geworden, dienstbar ihrem leeren, leichtsinnigen und frivolen Treiben; und wo sie ja wie die Tonkunst bisweilen wieder zu höherem sich verlieren, ists das Schellengeläute der Thorheit, oder der Tanz der Bajaderen, den sie in den Tempel des Herrn führen. Deine Diplomatik ist die Lehre und die Praxis des absoluten Nichts durch alle Cathegorien durchgeführt, und die Fertigkeit zum Thun der Geschichte die Gri¬ masse herzugeben; deine Regierungskunst ist eitel Buch¬ stabenwerk das, längst aller Natur entfremdet, von aller Tradition und Erfahrung abgelöst, nur in künst¬ lichen Abstraktionen lebt; nach den Schattenbildern leerer Theorien rennt, und aus ihrer erkünstelten und ersonnenen Welt nur von Zeit zu Zeit, und immer nur irrend und verwirrend, in die Wirkliche hinüber greift. Deine Politik, auch sie hat seither einzig im Zer¬ stören sich bewährt; die großen Entdeckungen, deren du dich in Sachen des gemeinen Wesens rühmst, sind in meinen Augen kein großes Ding; diese Frey¬ heit und Gleichheit, nichts als die Wahlverwandschaft der Elemente der Gesellschaft, womit alle Verfassung begonnen hat, und das Spiel chemischer Kräfte, das allein auf der untersten Stufe des Lebens der Staaten wirksam ist; diese ängstliche Trennung der Gewalten, während Stände, Ordnungen, alles durch den Na¬ turtrieb wahrhaft Gegliederte, in eine Masse zusammen gerinnt; diese beiden Kammern, in denen die ganze Freyheit der Nation sich häuslich niederlassen soll: das Alles will mir ein geringer Ersatz bedünken für das Unheil, das du angerichtet. Ich sehe deine Freyheit, sie ist eine Freygelassene die noch die Narben ihrer Ketten fühlt, und darum immer zwischen Niedertracht und Freyheit schwankt; ich betrachte deine Gewalt, die da ein kraftloser, wohl¬ gezogner Despotism ist, ungewiß zwischen Willkühr und Liberalität getheilt; ich sehe die ganze Geschichte dei¬ nes öffentlichen Lebens an, und es ist nichts als ein eckelhaftes Zerren zwischen zaghaftem Eigenwillen und furchtsamer Licenz, ein wechselseitiges Fürchten und Fürchtenmachen, eine gährende Bewegung ohne Re¬ sultat, ein ehrloses Verhüllen, Vertuschen und Be¬ lügen, ein Bemänteln und Betrügen, ein Hadern ohne Kraft und Würde. Darum ist auf Phrasen all dein Thun gestellt, eine stille Uebereinkunft in wechselseitigem Lug und Betrug, bis zu den geringsten Lebensgeschäften herab, ist was du als deine Weltklugheit uns gepriesen; nur im Ver¬ derben und Planiren kann keine andere Zeit dir die Palme streitig machen. So dürfte die Zürnende den Dünkel, der sie anzu¬ erkennen sich in seiner Thorheit weigert, leicht beschei¬ den und beschämen, und der Anmaßung wäre die Strafe wohl gerecht. Doch dürfte, was der Unwille hier scharf und schneidend hingestellt, auch nicht ohne Erwiederung und Beruhigung bleiben, und in rich¬ tiger wohlverständigter Selbsterkenntniß, und einer in sich selbst gegründeten und beruhigten Weltansicht, dürfte es der hart Angeschuldigten nicht schwer fallen, ihre Vertheidigung etwa in dieser Art zu führen. Wohl hast du Gott und dem Reiche ein starkes Haus gebaut, aber selbst Berge, die die Natur auf den ewigen Vesten der Erde aufgerichtet, sind gestürzt, und in Trümmer aufgelöst, wenn den Altergrauen das innere erhaltende Leben abgestorben; und auch du hast dein neues Werk auf die Zerstörung einer blühen¬ den Vergangenheit im früheren Alterthum begründen müssen. Ist es meine Schuld, daß alles auf Erden seine Zeiten und Stufenjahre hat, und daß Staaten, wenn ihre Phönixperiode durchlaufen ist, in fressenden Feuers Flammen zu neuer Wiedergeburt ihr Irdisches zu ver¬ zehren gedrungen sind? Wohl haben die Dome deiner Kirche himmelan ge¬ ragt, aber die Steine, aus denen du das Werk ge¬ fügt, sind nicht todte Massen, vielmehr freye selbst¬ ständige Naturen, die gläubig ihren Willen an die Idee resignirt; kann ich wehren, wenn sie ihre ver¬ pfändete Freyheit wieder lösen, und die Grundvesten nun sich rühren, und die Elemente eilen sich in neue Gestalten zu verbinden? Wohl hast du Teutschland fest gemacht, aber des Pulvers Macht hat die Cyclopenmauern aufgesprengt, und des Mönchs Erfindung war nur das Symbol der furchtbaren geistigen Macht, die ohngefähr gleichzeitig sich zu entwickeln angefangen. Deine Verfassungen in sinnigen Ideen auf den ru¬ higen, stehenden Besitz als ihr Organ basirt, sieh! die Flut des Goldes aus einem entlegenen Welttheil hat sie weggeschwemmt; der Andrang des Geldes, das be¬ weglich, fluchtig, unstät wie der Gedanke, das um¬ laufende Blut, im Körper der Gesellschaft ist, hat die alten, sehnigten Athletenkörper umgewandelt, und in die straffe Faser die Fülle hineingelegt, in der ihre Schnellkraft nur allzu früh erstickt: konnte ich abwei¬ sen, was, wenn die Zeit gekommen, an jedem Men¬ schen sich ewig wiederholt? Da das Leben von oben herein abgestorben, mußte nicht das noch Grünende im Organism, nach den ewigen Gesetzen der Natur das Todte absorbiren, oder von sich stoßen, in dem Maaße wie es vom inwoh¬ nenden Geist verlassen abgedorrt; So ist die Idee des Kaisers früher ausgegangen, als seine äußere Darstellung hingeschwunden; so ist die Kirche in ihren geistigsten Organen zuerst gewelkt, so das ganze Lehns¬ wesen in seinem Geiste ausgestorben: da der Besitzer davongegangen, sind die Güter wie billig, dem Ueber¬ lebenden zu Theil gefallen; der dritte Stand hat sie größentheils in Besitz genommen, und auf dem Er¬ trag haftet nun die Dotation dessen, was noch von Ideen lebt, oder aufs Neue sich beleben wird. Geflügelt sind die Geister, frey hat sie Gott gege¬ ben, auf ihre Gefahr können sie Jegliches versuchen; konnt ich hindern, daß sie endlich von ihrem Rechte Gebrauch gemacht, und der Mutter sicheres, warmes Nest verlassend, ins Weite sich hinausgeschwungen? Ist nicht auch diese Vernunft wie jedes andere Ver¬ mögen eine Gottesgabe, und ist es hier ein Frevel wenn sie die angeborne Kraft versucht? Es ist eine Irrlehre, daß nur der Glaube im hö¬ hern Lichte wandle, die Vernunft aber, ein durch Hochmuth gefallner Geist, in der Finsterniß regiere; Hochmuth ist nur ein zeitliches Verderben; als er in der Kirche eingerissen, ist die Kirche in der Rückwir¬ kung erstarrt; die Vernunft aber, wenn sie seiner sich entschlagend, in lauterm Streben, und reingeistig dem angebornen Freyheitstriebe bis zum Ende folgt, wird am Ziele sich an der Stätte wiederfinden, wo sie aus¬ gegangen, und Glauben und Wissen wird in der rech¬ ten Ueberzeugung sich als eins bewähren. Parthey¬ ung aber ist auf dem Wege zu diesem Ziele, die noth¬ wendige Folge jeder Freyheitsübung, nur wenn Stein und Stahl sich reiben, bricht der Funke der Begei¬ stigung heraus. Wohl ist alles Wissen begreifflicher, sinnlicher ge¬ worden, es ist der Lauf der Zeiten, der von der Höhe zur Tiefe niedersteigend, dahin geführt; wie die un¬ tern Organe des Staates, der dritte Stand, aufge¬ blüht, hat er nach seiner Weise nur nach dem Prak¬ tischen, Derben, Tüchtigen gestrebt, und die Wissen¬ schaften sind dem Bedürfnisse, die Künste der Erholung dienstbar worden; aber sieht auch der Bau, an dem mein Geist schon drey Jahrhunderte gebaut, in der Anlage einem Wirthschaftsgebäude gleich, und hat der Satan manchen Stein dazu herbeygeschleppt, er wird doch zuletzt ein Gotteshaus. Jung ist freylich noch die Freyheit, und weiß sich nicht zu lassen, die Willkuhr aber grau und alters¬ schwach weiß zwischen Seyn und Nichtseyn nicht die schwere Wahl zu treffen. Vergangen ist noch nicht das Alte, und das Neue noch nicht jung geworden; ungar ist die Masse und schwer fließend kann sie nir¬ gend zum reinen Gusse sich gestalten. Darum ist alles nur ein Zischen und ein Streiten, ein Gestalten und Zerfließen, ein Bilden und Zerstören, und ich muß immer wachen, daß das Feuer nicht erkalte, und das Sieden rasch von Statten gehe. Darum ist mein ganzes Seyn nur ein einziger Wi¬ derspruch; da Zug und Trieb der innern Kräfte nach¬ gelassen, ist das alte Chaos in der Gesellschaft zu¬ rückgekehrt, und dem alten Schöpfer bin ich ein furchtbarer Zerstörer nachgefolgt. Aber aus dem Tode allein kann das Leben keimen; hat doch auch die bildende Weltkraft, als sie im Hermesbecher die Elemente zuerst gemischt, und nun brausend, gäh¬ rend, zischend, donnernd die Kräfte durcheinander¬ fuhren, erst in viel mißlungenen Schöpfungen, die die Berge jetzt beschließen, sich versucht, ehe sie das rechte Maaß in ihrem Gebild getroffen. Darum fordre nicht von mir, daß ich gleich im ersten Wurf ein Bleibendes gestalte, die Zukunft magst du nur nach meinem Werke fragen.„ Wenn jener Vorwurf allzu hoch anstrebenden Uebermuth niederschlägt, so mag diese Vertheidigung vor überflüssiger Demuth uns bewahren, und es wird sich dann leicht die rechte Mitte finden, wo die Vergangenheit ihr Recht erhält, die auch einst Gegenwart gewesen, und die Gegenwart, die einst als eine Vergangenheit hinter die kommenden Zeiten tritt, sich nicht selbst aufgeben darf. Denn aus Zeiten wird die Geschichte, wer eine Zeit negirt, muß alle verneinen, die vorangegangen; nichtig ist zu aller Zeit nur, was sich vereinzeln will; alles Allgemeine, alles, was instinktartig in der Masse wirksam treibt, ist historisch, und muß als Solches geehrt und geachtet seyn, wer es aber ausschließen muß nach den Grundsätzen einer falschen Theorie, mag sicher seyn, daß er auf irrigen Wegen geht. Das erste Verhältniß aber, in dem der Gegen¬ satz der Zeiten und der Ansichten praktisch hervortritt, und seine Vermittlung fordert, ist das des Staates zu der Kirche. Nach der Idee des Alterthums stellte in der großen Gemeinschaft der Gläubigen die Kirche die ideale Seite, die europäische Republik aber im Kaiserthum und der Staat im Besonderen die Reale dar. Es ist aber das Verhältniß beider Sphären ein Solches, daß das Ideale seiner Natur nach frey, in sich ru¬ hend, seiner selbst mächtig, und sich selbst durchsichtig ist, und durchleuchtet von den Ideen, die wie Sterne in ihren Licht-Ergüssen wechselseitig sich durchstrahlen, und von jener ewigen in sich zurückkehrenden Schlange umhegt und umgürtet sind. Das Reale aber ist sei¬ nem Wesen nach, obgleich von jenem umgriffen, wie die die Erde vom Sternenhimmel, doch wieder in sich selber abgeschlossen, und innerhalb dieses eigenthüm¬ lichen Würkungskreises nach bestimmten Gesetzen einer Naturnothwendigkeit im ewigen Kreislaufe bewegt, und in sofern es dieser Nothwendigkeit anheimgefallen, jener Freyheit entrückt und eigenem Rechte pflichtig ist. Darum ist das Eine allerdings ein Symbol des An¬ dern, und das Ideale geht dem Realen als das Erste an Würde vor; aber in wiefern nach der Naturseite hin die Idee sich in der Darstellung wirklich verkörpert hat, ist sie aus dem Gebiethe des Idealen herausge¬ treten, und dieses muß sie nun den Naturgesetzen der realen Sphäre überlassen. So ist der Vorrang des Ethischen vor dem Patheti¬ schen zwar nicht zweifelhaft, und die Ethik erkennt in ihrem Gebiethe die Herrschaft der Leidenschaften und der Nachtseite des Menschen in keine Weise an; aber sie bescheidet sich auch im Gebiethe der Leidenschaften selbst keine direkte Herrschaft auszuüben; sie mag nur allenfalls durch das Gesetz des Schönen so weit hin¬ unterreichen, und nimmt es nur über sich, die Aus¬ brüche jener Naturtriebe nach Möglichkeit zu ordnen und zu regeln. Darum ist denn auch allerdings die Kirche dem Range nach das Erste, aber darum nicht das ausschließlich Herrschende; der Staat vielmehr in seinem engern Gebiethe, durch vielfältige irdische Ver¬ hältnisse bestimmt, besitzt seine eigene selbstständige Autonomie, die die Kirche zwar heiligen aber nicht in Anspruch nehmen kann. Nur wenn die Quellgeister der Tiefe ansteigen in Vermessenheit, wenn sie wie Ahrmann in jener Lehre hin¬ auf zum Aether qualmen und seine Sterne verhüllen 10 wollen und bestreiten, dann rettet das Bedrohte wie billig seine höhere Würde, und kämpft die Anstrebenden mit Macht zur Tiefe nieder. Dies geschah als in Heinrich dem Vierten die vernunftlose Hyle gegen die Weltordnung sich empört; da wurde jener große Mann gesendet, den die neuere Zeit in ihrer blinden Thorheit so hart geschmäht, daß er mit Blitzen den aufsteigenden Frevel niederwarf, und die Freyheit der Kirche rettete. In dem Widerspruch des heftigen Kampfes aber wurde nach dem gemeinen Gang der Dinge das andere Aeus¬ serste hervorgerufen, und die Kirche ihres Sieges sich übernehmend, trat nun auf der andern Seite aus ihren Ufern, und maßte sich in Manchem der folgen¬ den Päpste eine Herrschaft über das Weltliche an, die unterhalb des Umkreises ihrer Befugnisse fiel. Auch diese Ausweichung von der einzig richtigen harmoni¬ schen Consonanz mußte eine andere Rückwirkung er¬ wecken, die in der Reformation zur völligen Entwicke¬ lung kam. Seither ist jene politische Sekte aufgestanden, die da behauptet, die Kirche sey im Staat begriffen, und dieser, der neben sich nicht seines Gleichen dulden dürfe, müsse darum nothwendig die Herrschaft über die Unterworfene führen. Eine solche Lehre, die die Noth¬ wendigkeit über die Freyheit setzt; die das Geistige wieder der Dienstbarkeit des Irdischen überliefert, dem es gerade das Christenthum im Streite mit dem alten Heidenthum entrungen; die den Gedanken, der allem Sinnlichen erst Signatur und Namen giebt, in die Fesseln der Materie schlägt, obgleich ganz dem Geiste dieser Zeit gemäß, ist doch in sich selber so demü¬ thigend und empörend, daß sicher gerade hier der Wendepunkt seyn wird, wo dieser Geist, der nun auch zu seinem Aeußersten gekommen, gezwungen seyn wird, wieder einer höhern und würdigern Ansicht das Feld zu räumen. Eine Kirche, die bey der teutschen Souverainität zu Hofe gienge, die ihr nachtretend in so viele Faktionen wie jetzt das gemeine Wesen sich zertheilte; die die Gewalt über die Gewissen den Launen, Einfällen, Ge¬ meinheiten und Frivolitäten der Höflinge hinzugeben sich erniedrigte; die ihre Lehre dem Winde der Theo¬ rien preißgäbe, daß er sie hin und herüber wehe, würde bald die verächtlichste aller Institutionen, da nicht einmal ein Bundestag scheinbar die losen Glieder zusammenhielte. Darum wenn in frühern Zeiten die Vertheidiger der Freyheit sich zu dem Staat gehalten, als es gegolten, einen wirklichen Napoleonism der Päpste zu bekämpfen: dann ist ihr Ort jetzt bey der schmählich unterdrückten Kirche, daß sie ihre Freyheit und Unabhängigkeit gegen die Anmaßungen der Staatsgewalt vertheidigen, und die Idee retten aus den Banden, in denen sie eine usurpirende Macht gefangen hält. Für die katholische Kirche zunächst kann also von keinem Grundsatze der Unterordnung , sondern allein von dem der Beyordnung der weltlichen Macht zur geistlichen die Rede seyn, und die absteigende Bewegung die seit¬ her diese zu jener herabgerissen, muß so lange rück¬ läufig werden, bis es zu jenem Punkte des Gleichge¬ wichts gekommen, wo sie sich dann befestigen mag. Dort kann im wechselseitigen Verhältniß Beyder nur eine vollkommene Gleichheit der Rechte Beyder gültig seyn, allso daß auch für sie das Prinzip der christlichen 10 * Moral verbindlich ist, was du nicht willst daß dir geschehe, thu auch nicht dem Andern, wie es der Dom¬ kapitular von Droste in seiner Schrift: Kirche und Staat, sehr gut und praktisch ausgeführt. Um aber zu diesem Punkte zu gelangen, muß die Kirche sich stärker als je an ihre Einheit schließen, und die geschlossene Phalanx ihrer Hierarchie, an der mehr als einmal die Willkühr sich gebrochen, ihr auch jetzt unerschüttert entgegen halten. Hat sie dann einmal von dieser Seite Licht und Freiheit sich errungen, und ihre billige Dotation, die ihr der Staat noch immer vorenthält, erlangt, dann wird sie bey der ungeheuern Reproduktionskraft, die ihr beywohnt, sich leicht wie¬ der aus sich selbst zeitgemäß ergänzen, und dann ihre übrigen Verhältnisse durch Synoden und Concilien ordnen, und in dem Maaße wie die Ideen sich von neuem beleben, wieder verjüngt erstehen. Dann erst wird es an der Zeit seyn, jedem allenfallsigen Despo¬ tism, der sich in ihr entwickeln wollte, zu begegnen, da das katholische Teutschland so wenig den Kirchlichen wie den Politischen sich gefallen zu lassen irgend einige Neigung hat. Der protestantischen Kirche aber, die ohne sich selber aufzuheben, in diesem Sinne nicht rückläufig werden kann, wird nichts übrig bleiben als die Reformation in der Rich¬ tung zu beendigen, in der sie angefangen, und sie so weit fortzuführen, bis die Gewalt überall bey der Ge¬ meinde ruht, wie Sommer in seiner Schrift: von der Kirche in dieser Zeit, treffend entwickelt hat. Dann ist auf dem Wege der Allheit dasselbe Verhältniß hergestellt, das der Katholizism auf dem Wege der Einheit suchen muß, indem alsdann die kirchliche Macht sich an die ideale Seite des einzelnen Kirchengliedes knüpft, und nun durch den innern Zwiespalt der menschlichen Natur hinreichend von der realen Staatsgewalt sich scheidet, deren Brennpunkt denn auch collectiv keineswegs mit dem Kirchlichen zusammenfällt. Alle andern divergen¬ ten Richtungen, ausgehend entweder von vorgefaßten Meynungen, einseitigen Ansichten, oder befangener Sinnesart, und hervorgerufen durch irgend ein beson¬ deres Interesse, oder auch ein übelunterrichtetes Wohl¬ meynen, sind, eben weil sie verworren, auch in sich nichtig, reiben sich unter einander auf, und werden nicht von der Geschichte aufgenommen, die nur was in die große Strömung ihrer jedesmaligen Bewegung eintritt, anerkennt. Diese Betrachtungen führen uns zum zweyten großen Gegensatze, Grund einer andern Entzweyung in dieser Zeit, dem nämlich, der zwischen dem monar¬ chischen und demokratischen Prinzip besteht, und in dem das Verhältniß der Regierung zum Volke zu ermitteln, aufgegeben ist. Das Alterthum in all sei¬ nem Thun und Bilden von einem richtigen Naturin¬ stinkt geleitet, hatte größtentheils unbewußt die Gesell¬ schaft, selbst eine Gemeinschaft lebendiger, organischer Individuen, nach den Gesetzen und in den Formen des organischen Lebens geordnet und gestaltet; so daß die Bildungskraft, austretend aus dem Besondern in das Gesammte, in ihm immer nur den Typus des einzel¬ nen Organisms reproduzirte. Es giebt aber in diesem, wie zweyerley Gesetze und zweyerley Lebensverrichtun¬ gen, so auch gleichviel Systeme, das Automati¬ sche und das Willkührliche . Jenes in dem der Schlag des Herzens und aller Pulse und alle andern Bewegungen des untern Lebens von statten gehen, hegt in sich selbst sein eignes Recht und seine Ordnung; es hat seine eigne inwohnende Naturseele, die unter viele unabhängige Organe ihre bildenden und erhalten¬ den Instinkte vertheilt, und ihre selbstige und unabhän¬ gige Gedankenfolge und Ideenverbindung hat, in ihr aber wie im Traume den Gesetzen der allgemeinen Natur¬ nothwendigkeit unterliegt. Das Andere aber in dem die Sinne und alle willkührlichen Bewegungen des höhern Organisms wirken, ist auch an eine höhere geistige Herrschaft angewiesen; statt jenes dunkeln Instinktes ist es eine selbstbewußte Anschauung und eine sich be¬ stimmende freye Willenskraft, die alle Verrichtungen ordnet und beschließt; die Bewegungen erfolgen also nicht in jener zum Voraus bestimmten Wiederkehr, sie sind nur mittelbar an äußere Naturverhältnisse ge¬ knüpft; dafür aber ist es jene höhere Willkühr, der sie unbedingt sich unterordnen, und die sie nur von oben herab also beherrscht, daß alle Theile in Eins verbunden, bis ins Einzelnste ihr zugängig sind. Beyde durch leitende Zwischenorgane verknüpft, sich wechsel¬ seitig kräftigend und belebend, erhaltend und übend, er¬ nährend und begeistigend, bilden erst jenes in sich geschlossene freythätige Ganze, das als das höchste Kunstwerk der Schöpfung uns erscheint. Jenes Erste aber, was wir aufgezählt, wird mehr von der Natur jenes Realen an sich haben, also ei¬ gentlich das vorherrschende Element des Staates seyn: das Zweite aber dem Idealen näher stehend, wird auch als das mehr kirchliche Element erscheinen: in der Kirche selbst aber wird jenes mehr die protestan¬ tische, dieses die katholische Richtung in sich tragen, im Staate aber das Eine das demokratische, das An¬ dere das monarchische Prinzip darstellen. Die Demo¬ cratie strebt ihrem Wesen nach eigenwillig allein auf sich selber zu beruhen; sie will sich so viel wie möglich selbst bestimmen, und scheut jede Gewalt, die von oben herab nach allgemeinen Abstraktionen zu ordnen und zu richten sich anmaßen will; sie ist darum wesent¬ lich theilend und zersetzend; das Allgemeine auflö¬ send bis zum Besondersten, so lange bis die einzelne Persönlichkeit als letztes Element der Gemeinde der Theilung Gränze setzt. Darum ist ihr die Autorität nichts, die eigne Ueberzeugung aber die einzige Richte¬ rin der Handlungen; die Gemeinschaft hat nur eine von unten herauf delegirte Gewalt; die Einheit ist nur aus einer einstimmigen Vielheit abgeleitet, und hat ohne diese keinen idealen Bestand und keine Macht in sich. Das monarchische Prinzip aber ist wesentlich Entsagung und Selbstentäußerung; es steigt synthetisch in einer Folge von Abstraktionen auf bis zur höchsten Gewalt, und betrachtet von da wieder absteigend alles Untergeordnete als Ausfluß jenes ersten Setzenden, jener Einheit, die das Ganze in sich beschlossen trägt. Darum behauptet das Einzelne hier keinen Bestand in sich, es verliert sich willig an jenes Ganze, das alle Theile aus sich hervorgetrieben, und sie nun in einer stetigen Gemeinschaft hält, so daß ein Jegliches in dem Andern sey, und jeder Theil der zum Organe des Allgemeinen wird, seine ganze Kraft erhält. Darum ist der wesentliche Charakter des Monarchischen Glaube und Gehorsam an jene einige Allgemeinheit, die aus dem Aufgehen alles Besondern hervorgegangen, und historisch eben so die verschiedenen Zeiten in einer all¬ gemeinen lebendigen Tradition vereint. Darum weil jeder keimende Staat zuerst im Natur¬ gebiet sich begeistigen und bewurzeln muß, darum ist in den Verfassungen des Alterthums — am sichtlichsten in den Griechischen, wie noch heute in denen der Neuen Welt, die zur Selbstständigkeit gelangt — das demokratische Element vorherrschend, eben wie in der Kirche dort die Vielgötterei des Heydenthums, hier das dissentirende Sektenwesen. Jene griechischen Ver¬ fassungen waren in allen ihren Elementen, Familie, Gemeinde, Staat, durchgängig automatisch, und das unentbehrliche Monarchische wurde durch eine Aristo¬ kratie, selbst wieder ein engerer Demos, hinzugethan. Darum waren alle diese Democratien durchaus in größtentheils bewußtlosem Instinkte gegründet und be¬ halten; die wandernden Völker zogen wie die Störche und nach dem Naturtriebe der andern Zugvögel; die Ansässigen bauten sich gleich den Bibern bey den Wässern an, und sandten Colonien aus nach Art der Bienen; im Innern der Gesellschaft war alles nach Na¬ turperioden und Umläufen geregelt; in den Gewalten waren absteigende und aufsteigende Naturmächte dar¬ gestellt : die Abtheilungen des Landes waren natürlichen Scheidungen nachgebildet, überall große Naturtypen in ihr nachgeprägt. Selbst die Sitte herrschte wie eine physische Gewalt, und das Band des Staates war eine Wahlverwandtschaft sich fliehender und ziehender Gegensätze. Rom, innerlich nach gleichem Prinzip gebaut, trug äußerlich das Monarchische, doch immer noch gebunden im Sinne der alten Welt in die Ber¬ fassung seines großen Weltreichs ein: die Provinzen waren wesentlich gehorchend, und Rom trug aller Völker Willkühr beschlossen in der Seinigen, wie sein capitelinischer Jupiter herrschte über alle Götter des bezwungenen Erdenkreises. Als die Teutschen aus ihren Wäldern die Bollwerke dieses Reichs erstürmt, da nahmen auch sie in ihren Naturstaat im Fortschritte der Zeiten mehr und mehr von der geistigen Einheit des monarchischen Prinzipes auf, das jetzt durch das Christenthum seine Begrün¬ dung in einer höhern Welt, und von da seine Weihe und Delegation erlangt. Als daher der Franken Schwerdt dem ganzen Westreich Einheit und Sicher¬ heit erstritten, da gründete Karl der Große das erste Kayserthum im Geiste der neuen christlichen Zeit. Er selbst, der erste Fürst von Gottes Gnaden und durch die Wahl des Volkes, capitulirte mit der Freyheit seiner Franken, und der übrigen durch ihre Waffen unterworfenen Völkerschaften; und indem er großartig, edelmüthig, freysinnig, aber auch wohlverständigt über das, was die geänderte Weltlage geboth, das Prinzip der altgermanischen Freyheit ehrend, und von unten herauf ihm jede Entwickelung gestattend, mit dem christlich monarchischen, das von oben herab durch die ganze Folge von Reichsbeamten, die im Krieg und Frieden ihre Vollmacht allein von der höchsten Gewalt erhielten, geschickt verband, bildete er den ersten wahr¬ haft organischen, den ganzen Menschen in allen seinen physischen und geistigen Regionen in sich beschließenden und in höherer Steigerung nachbildenden Weltstaat. Als in der folgenden Zeit die Einheit, von ihm in seinen langwierigen Kriegen vielleicht allzustreng ge¬ handhabt, durch mannichfaltige Verhältnisse geschwächt, nachließ in ihrer das Ganze durchdringenden Energie, da stieg das automatische Prinzip, mehr und mehr Raum gewinnend, höher und höher gegen die Mitte auf, und gliederte nun den ganzen Staatskörper, die Vielheit immer bindend in eine Exponentialreihe sich stets übergeordneter Einheiten, bis die letzte sich in die kaiserliche Macht verlohr, in eine Stufenfolge in ihrer Würde und Bedeutung abfallender Organe also aus, daß jedes Tiefere als die Wurzel des Höhern erschien. So bildete sich, indem die kaiserlichen Be¬ amten sich mit der Demokratie der Besitzer in eine bewaffnete Aristokratie vereinigten, das ganze Lehn¬ system des Mittelalters in seinen sieben Potenzen durch die sieben Heerschilde aus; also daß der Kaiser, die höchste Einheit, den ersten führte; Bischöffe und Präla¬ ten, die gefürstet sind, den zweyten nahmen; Layen¬ fürsten den Folgenden, Freyherren und Mittelfreye sich in den vierten und fünften theilten, und dann die Ordnung durch die Dienstmannen mit dem sechsten endlich zu denen, die nicht eigen sind, aber ohne edel zu seyn, doch ächter Geburt und freyen Besitzes sich erfreuen, unter dem siebenten niederstieg. So hatten also alle Besitzenden, indem sie wie beim Eintritt in den Staat die persönliche Freyheit, so ihr Gut an die Gemeinschaft hingegeben, um es gefestet und ge¬ währt durch Alle wieder zu erhalten, sich in jener siebenfach gegliederten Masse zu wechselseitiger Leistung und wechselseitigem Schutz in eine wohlbewehrte Schil¬ derburg zusammengeschlossen, die nun in die Mitte der Zeiten trat, und alles Heymathlose, was sie sich nicht angeeignet, und was sonst die Gewalt der Waffen ihr bezwang, als der Leibeigenschaft verfallen, in eine obgleich milde Dienstbarkeit verurtheilte. In dieser Art von Durchdringung beyder Prinzipien hat das teutsche Mittelalter seine andere glänzende Zeit durchlaufen, und Teutschland zum Haupt der Christenheit erhoben. Aber im Fortschritt der Zeiten mußte auf demselben Wege, in dem jenes System von unten herauf sich entwickelt hatte, dasselbe demokratische Prinzip, das sich in ihm steigernd die ganze Organi¬ sation hervorgetrieben, sich immer weiter um sich brei¬ tend, ihr eigenes Werk zerstören. Als daher die star¬ ken schwäbischen Kayser dahingegangen, und während ihre Würde an die Wahl geknüpft blieb, Die der Reichsbeamten erblich wurde, als das wilde Faustrecht mehr und mehr um sich griff; da mußte die Einheit mehr und mehr zerrinnen in die Vielheit der zweyte und besonders der dritte Heerschild mußte sich je mehr und mehr verstärken, weil sie am meisten von der Ein¬ heit in sich trugen. Diese Verstärkung aber geschah zugleich aufwärts auf Kosten der kayserlichen Macht, die sie innerlich aushöhlten; und auf Kosten der untern Vasallen, die sie theils aussogen, theils durch Beste¬ chung ihrem Interesse gewannen. So bildete sich die Territorialhoheit allmählig aus, die, als die Erfindung des Schießpulvers das Kriegs¬ geschick der Lehnsvasallen entbehrlich gemacht, sie theils in Höflinge, theils in Söldner beim Heere umschuf; dann als die Entdeckung Amerika's Ströme Goldes in die Gesellschaft leitete, durch das Steuersystem sich bald gänzlich unabhängig von der Bewilligung der Grund¬ besitzer machte; endlich als die Reformation ausbrach, auch die Kirche gänzlich unterjochte. So zerfiel das Reich in jenes Gewimmel kleiner und größerer Tyrannen, die nur den Schein eines Richters und Oberhauptes über sich duldeten, aber niederwärts stets fortschreitend das demokratische Prinzip untergruben und bemeisterten. Um dies zu bewürken wurden nach und nach jene Centralisationssysteme ausgesonnen; bis ins Allerein¬ zelnste hin zog der Staat Alles in seine Curatel; auch das Geringfügigste sollte von der Mitte aus geleitet seyn; die sogenannte Polizey hofmeisterte von oben herab alle Glieder der Gemeinschaft bis ins Innere des Familienlebens hinein; die Kirche selbst wurde zu einem Werkzeug dieser Politik herabgewürdigt. Aber schwer rächte sich die mißhandelte Natur an denen, die dies unsinnige System zu üben sich herausgenommen. Jene centralisirten Verrichtungen forderten zu ihrer Hand¬ habung Naturen höherer Art, als der gemeine Men¬ schenschlag sie biethet, und fanden meist ohnmächtige Organe, die in der Regel an Kraft und Einsicht noch unter jenem Mittelmaaße standen; während von Unten, wo alle Autonomie mehr und mehr erlahmte, nicht Hülfe noch Erfrischung der isolirten Gewalt zuströmte. So wurde diese in dem Maaße, wie sie mit gierigem Heißhunger um sich fraß, kraftloser und ohnmächtiger; und in dem Verhältniß wie die Maschiene sich verwik¬ kelte, mochte die schwache Feder, die das Ganze zu treiben unternommen, weniger den Widerstand bezwin¬ gen, und der Reibung Meister werden. Da alle In¬ stinkte mehr und mehr erloschen, und die Naturtriebe in sich vergiengen, so wurde die ganze Staatswirth¬ schaft ein künstliches Verstandeswerk ohne Leben und Natur; wie der Grundbesitz erst in Geld, und dieses zuletzt in Papier aufgegangen, so wurde alle organische Lebenskraft ein todtes Buchstabenwerk, das im eignen Umkreise sein Wesen trieb, und mit der wirklichen Welt nur wenig zu schaffen hatte; und die Staaten waren den Thieren in jenen physiologischen Versuchen zu ver¬ gleichen, denen man das Hirn herausgenommen, und den Schädel mit einem Gemisch von Zink und Queck¬ silber gefüllt, und die nun vom galvanischen Reize sich aufgerichtet, herumliefen, sprangen und als furchtbare Gespenster des Lebens sich bewegten. Während indessen dies System im vollen Fortschrei¬ ten begriffen war, bereitete sich im Stillen die Gegen¬ wirkung. Diese gieng aus vom sechsten und siebenten Heerschild, den da führen die Dienstmannen und jene, die nit eigen sind und rechter Ehe Kinder, von denen der Sachsenspiegel sagt: als man nit enweis, wenn die siebent Welt ein Ende nimt, also weiß man nit, ob sie Lehn mögen haben oder nit, — die aber nun nachdem ihre Zeit gekommen, gleichfalls zu steigen und zu wachsen begannen. Unter dem Schutze dieses Heer¬ schildes hatten die Freyen in den Städten in ihren Innungen sich gesammelt, und in den Hansa's verban¬ den sich diese Gemeinheiten wieder zu Innungen höhe¬ rer Ordnung. Zugleich hatte in der Revolution der Schweiz sich ein unabhängiger Bauernstand gegründet. Das Eindringen des Geldes vermehrte die Zahl der unabhängigen Eigenthümer, und brachte bald den größten Theil des Grundbesitzes in die Hände der freyen Gemeinen; der Dienst in den stehenden Hee¬ ren gab ihnen die Waffenehre, die Buchdruckerey die Einsicht und die sonst in den höhern Ständen gebannte Wissenschaft, und die Reformation bald dazu die Glau¬ bensfreiheit. So wuchs das demokratische Element in seiner Ge¬ diegenheit im Stillen in dem Verhältniß an, wie das monarchische extensiv um sich greifend, sich inten¬ siv schwächte und verflüchtigte; und indem das Letzte in seiner Ausbreitung, die ständischen Freyheiten vor¬ beygehend, jenes Element mehr und mehr zu unter¬ graben sich bemühte, mußte es endlich zu gewaltthä¬ tigen Rückwirkungen kommen, die dann allmählig die ganze Bewegung wieder rückläufig gemacht. Von dieser Art waren die Revolution in England und der Auf¬ stand der vereinigten Niederlande; in unserer Zeit die französische Umwälzung, die nun auch in Teutschland das demokratische Element bis zum höchsten Grade der Spannung gerade da hinauf getrieben, als das Territorial-System durch die gänzliche Auflösung des Reiches zu seiner Vollendung gekommen war; und da sich also hier die allerweitesten und äußersten Gegensätze gegenüberstehen, so ist zu begreifen, wie diese größte aller Spannungen auch nothwendig am dringendsten Beruhigung fordert, wenn sie nicht in ähnliche gewalt¬ same Explosionen aufgehen soll. Sollen wir den gegenwärtigen innern Zustand Teutschlands mit irgend einer Stimmung des organi¬ schen Lebens in Vergleichung bringen, so biethet sich uns der magnetische Somnambulism als die treffendste Uebereinstimmung dar. Wie in diesem Zustande das ganze höhere geistige Leben ins untere animalische her¬ abgestiegen, alle selbstthätige Willkühr erloschen ist; alle Bewegungen nicht mehr dem Geboth des Einenden von oben herab gehorchen, vielmehr von unten herauf im Schlafwandeln Richtung und Ziel erhalten, alle Sinne geschlossen und in sich gekehrt, und der Geist wie in einem dämmernden Nachschimmer in wesenlosen Traumbildern spielt: so ist ohngefähr auch die Autori¬ tät, eben weil sie sich geistig übernommen, und das ganze untere Leben von sich abgelößt, nahe daran im Rückschlag jener aufs höchste gespannten Reizbarkeit, ihrer selbst unmächtig, sich selber zu verliehren. Wie aber in demselben Zustande dem tieferen Natur¬ leben alles das zugewachsen, was dem höhern entgan¬ gen; wie neue Instinkte in ihm erwacht, ein neuer Sinn in ihm sich geöffnet hat, der in anderer Weise an die Formen von Raum und Zeit gebnnden, sich selber wie die umgebende Welt leicht durchschaut; so ist auch, besonders seit der großen Anregung durch die Befreyungskriege, im dritten Stande dieselbe Verkettung von Erscheinungen herausgetreten. Alle Verrichtungen, die sonst nur dem höhern Staatsorganism zugekom¬ men, haben sich in ihm ausgebildet; prophetische Organe haben sich ihm aufgeschlossen; längst versiegte Bildungstriebe sind aufs Neue in ihm erwacht; jener Weltsinn hat sich als öffentliche Meynung in ihm kund gethan, die alle Bewegungen auch wider den Willen der Organe lenkt, die alle Weltverhältnisse in ihrer Art durchschaut, und zugleich auch ihren eigenen kran¬ ken Zustand leicht erkennt, und die Heilmittel angiebt, ihn zu heben. Dieser Gemeinsinn aber gebiethet, daß die bestehende Spannung allein durch eine Verknüpfung des demo¬ kratischen und monarchischen Elements beruhigt werde, und zwar also, daß das Erste nach aufwärts, bis an den Monarchen reiche, der in seiner Unverantwortlich¬ keit auf der Höhe der Gesellschaft steht; das Andere aber nach abwärts bis an die Gemeinde niedersteige, die als geschlossene Gemeinschaft der Familienväter die Basis des Ganzen bildet. Ja den Mittelgliedern aber sollen beyde Elemente, sich zugeordnet, immer gleich¬ zeitig zusammenwirken; so zwar, daß gegen die Höhe ansteigend das monarchische Prinzip mehr und mehr überwiege, gegen die Tiefen aber niedergehend das Demokratische immer entschiedener vorherrsche. Frey seyn zu allem Guten muß nothwendig die Ge¬ meinde, wo eine solche wirklich vorhanden ist, wie es die altgermanische gewesen; sie muß völlig ungeirrt Recht weisen durch ihre Schöffen, und ihre innern Angelegen¬ heiten verwalten durch ihre Magistrate und Vorstände, und Beyde müssen durch unabhängige Wahl aus ihrer Mitte erlesen seyn, so zwar, daß Bürgermeister und Schultheiß oder Friedensrichter, weil in ihnen sich das Monarchische an die Gemeinde knüpft, allein von der Regierung bestättiget werden. Wie Diesen das ge¬ schriebene Recht und das Herkommen in ihren Urthei¬ len zur Richtschnur dient, so Jenen in den Beschlüssen das Staatsgesetz, und Beyde in ihrer Eigenschaft als Vorstände der Gemeinde völlig unabhängig, sind allein durch die Vermittlung dieses positiven Bandes mit der höheren Regierung verknüpft. Diese schließt sich zunächst in der zwiefachen Beam¬ tenwelt, den gerichtlichen und den Verwaltungsbehör¬ den, an diese Mannigfaltigkeit in sich abgeschlossener freyer Genossenschaften; und jene Behörden sind zu¬ nächst die Leiter, die diese Mannigfaltigkeit unter sich in ein System verknüpfen, andererseits die Verbindungs¬ glieder dieses Systemes mit der höhern Einheit. In dieser Stellung vereinigen sie einen dreifach verschie¬ denen Charakter in ihren Verrichtungen; erstens nach abwärts abwärts die allgemeine Aussicht über die Handhabung der Gesetzlichkeit in den Gemeinden, jedoch blos be¬ schränkend den Mißbrauch der Freiheit, keineswegs aber sich einmischend in den Gebrauch ; zweytens um sich her , im bestimmt abgegränzten Bezirke ihrer Würksamkeit, die allgemeineren Verhältnisse, die innerhalb desselben fallen, zwar nicht mit derselben Freiheit wie die Gemeinde, aber doch mit einem gewis¬ sen Grade von Selbstständigkeit, und soviel wie mög¬ lich persönlich zu ordnen und zu beschicken; endlich über sich dieselbe, noch durchgreifendere Aufsicht, die sie nach abwärts üben, von Seite der höheren Behörde zu dulden, und der vollziehenden Gewalt unbedingt zu gehorchen in Allem, was gesetzlich und rechtlich ist. Jede höhere Behörde wird daher gegen die nächste untere im Verhältnisse des monarchischen zum demo¬ kratischen Elemente stehen, und darum in dem Maaße, wie sie in der Hierarchie der Gewalten ansteigt, auch der Zahl nach sich mehr und mehr concentriren müssen; also zwar daß die Ministerien büreaukratisch geordnet sind, die Regierungen collegialisch, jedoch viel gedrun¬ gener als nach bisher eingeführter Ordnung, da das Ständische die collegialische Vielheit vertritt, — also zwey etwa unter einem Präsidenten, der im Mittel¬ punkte allenfalls durch die Vermittlung eines Landdrosten der Provinz, die leitende Verbindung mit den Mini¬ sterien knüpft; die Landräthe aber zu den Regierungen in dasselbe Verhältniß gesetzt, abwärts mit den Bür¬ germeistern und Ortsvorständen in größtentheils münd¬ licher Verhandlung, das Gedinge des Bezirkes zu¬ sammensetzen. Die gleiche Ordnung hat auch für die 11 gerichtlich: Parthie aus der Erfahrung statthaft sich befunden, nur daß aus erheblichen Gründen, während der Präsident, als Organ der höhern Behörde zugleich Vorstand der untern, die carolingischen Sendgrafen und Gaugrafen in seiner Person vereinigen mag; hier Beyde besser getrennt seyn sollen; so wie auch die Beurtheilung der That gewählten Geschwornen, die Anwendung des Gesetzes aber allein den Beamten anzuvertrauen ist. Da aber nun alle jene Beamten der untern Ord¬ nungen absteigend mehr und mehr vom demokratischen Element in sich aufnehmen sollen, so ist es unabweis¬ bare Forderung, für sie in allen Provinzen das In¬ digenairecht wieder herzustellen, damit über die eigen¬ sten Verhältnisse des Landes nur entscheide, was seinem Boden entwachsen ist. Darum müssen alle Beamten der Gemeinde durch Jene, die Gut und Geld in ihr besitzen, oder was Gut und geldeswerth ist, eine selbstständige Industrie ausüben, damit nicht Pöbelherrschaft den Staat verderbe, in freyer schlecht¬ hin von der Regierung bestätigter Wahl gesetzt, die höheren Justiz- und Verwaltungsbeamten bis an die Prokuratoren und Präsidenten durch die Bezirke in dreyfacher Liste, aus der die Regierung wählt, berufen seyn; die Höheren aber durch einfache Ernennung von Seiten der vollziehenden Gewalt, darum auch, aber nur bey der Verwaltung, durch sie abrufbar, während die Gewählten nur durch den Spruch auf Urtheil und Recht von ihren Stellen zu entfernen sind. Um aber den Gang dieser Beamtenwelt wie durch einen Antagonism zu ordnen und zu regulieren, und um bei der Bildung jener Rechte und Gesetze, in denen sie sich bewegen soll, auch mit dem demokra¬ tischen Elemente mitzuwirken; werden für den engern Kreis örtlicher Verhältnisse die Provinzialversammlun¬ gen, für Allgemeine die Reichsparlamente berufen und gewählt, daß sie mit den Ministerien und den Ministerialen in freyer Wechselwirkung, getragen und gekräftigt durch alle jene automatischen Institutionen, in denen sie ihre Wurzeln in die heimathliche Erde schlagen, was dem Heile des Ganzen gedeihlich ist, und was seinem Zustand frommt, bilden und gestal¬ ten mögen. Nur auf diese Weise, urtheilt die Meinung, möge es wohl gelingen, wiederzufinden, was uns in den Jahrhunderten der Verwirrung verlohren gegangen, und auch in unserer Art nach den gegebenen Momenten, das Problem aufzulösen, was die ver¬ schiedenen Ztiten der teutschen Geschichte, jede auf eigenem Wege, sich aufgelößt. Nur indem die Frey¬ heit ihr Recht erhalte, möge der Gehorsam auch willig seine Pflicht erfüllen; und so jene freye Unter¬ werfung, die einzige wahre Stärke der Staaten wie¬ derkehren. Nur indem die Gemeinde wieder eingesetzt werde in ihre naturgemäße Selbstständigkeit, und der stockende kleine Kreislauf wieder ins Fließen komme, möge die erstorbene Theilnahme am Oeffentlichen wieder sich beleben; jene erloschenen Instinkte, an die we¬ sentlich die Erhaltung des Ganzen geknüpft erscheint, wieder erwachen; und indem sie das Nähere mit ge¬ diegener Würksamkeit erfüllen, jene weitumgreifende, schweifende, unbestimmte Thätigkeit nach und nach wieder in ihre Ufer treten, und jene krankhafte Er¬ regbarkeit sich stumpfen und beruhigen. 11* Dadurch, daß eine freye Gedankenmittheilung, — einzig an die Bedingung der Wahrheit in den That¬ sachen und einer sittlichen Billigkeit im Urtheile ge¬ knüpft, und in ihrem Mißbrauche blos an den Ausspruch der Geschwornen auf Recht und Billigkeit angewiesen, — den geistigen Kreislauf unterhält, und nun die Ver¬ fassung mit allen ihren Institutionen unter der Alles durchschauenden Aufsicht des Ganzen steht, sey mit dem Wegfallen der ohnehin unzuverläßigen Controlle von oben, eine der Hauptquellen jenes Schreiberey¬ wesens abgegraben, an dem alle Staaten siechen. Dadurch, daß jede Behörde ihren eigenen Kreis abge¬ markt erhalte, innerhalb dessen sie auf ihre eigene Verantwortlichkeit Befugnisse übt, und den sie so viel möglich mit persönlicher und unmittelbarer Thätigkeit erfüllt, sey eine andere reichlich fließende Quelle dieses verderblichen Unfugs abgegraben. Statt des losen Papierbandes, das jetzt die Monarchie, — die, wenn sie nicht zu roher Gewalt ihre Zuflucht nimmt, in gänzlicher Unmacht aus einer abstrakten Welt herab, beynahe keines Einflusses auf die Wirkliche sich erfreut, mit der Demokratie verbindet, die von den untersten Beamten allein beherrscht, von oben herab nur ver¬ worren und geirrt, getrieben von dem Naturlauf der Dinge, immer schwebend am Rande der Anarchie, die Dinge und Angelegenheiten beschickt, wie es sich eben fügen will, schlinge alsdann wieder ein warhaft organisches Band die zerfallenen Sphären in eine wahre begeistigte Leiblichkeit zusammen, worin immer je Eines getragen von dem Andern Beyde wechselseitig das gemeine Wohl fördern mögen. Nur indem der gänzlich inhaltsleere Formalism des heutigen Regie¬ rungswesens in solcher Weise Stoff und Inhalt er¬ lange, bekäme das monarchische Prinzip mit der Fülle erst die rechte Stärke, und es hörten die Regierungen auf, blos wie Irrlichter über einem gährenden Boden lose hinzuschweben, nahend dem Betenden, fliehend vor dem der da flucht. Nur erst, wenn sie aus einem so dunstigen Bestande einträten in ein frisches, grünen¬ des und durch alle Triebe gekräftigtes Leben, würden sie in Eins mit ihm zusammenwachsen, und so allein der von ihnen beseelte Staat wieder zu einem wahrhaften Organism sich erheben. Neben den Institutionen, die zur Erhaltung des Staates und zum Landfrieden dienen, kommen zunächst jene in Betrachtung, die zu seinem Schirm zur Vertheidigung und zur Landwehre geordnet sind. Das Heer zur carolingischen Zeit, durch den allgemei¬ nen Bann berufen, gliederte sich unter den spätern Kaysern in die mehr zum Demokratischen neigenden Formen des Lehnsystems: und diese Gestalt erwieß sich durch viele Jahrhunderte geschickt, jeglicher Kriegs¬ gefahr zu stehen, und den Namen der Teutschen über ganz Europa auszubreiten. Als aber die Lehen erb¬ lich wurden, und das Heer nun bald in eine Janit¬ scharenkaste ausgeartet war, mußten sich auch alle Nachtheile dieses Systems in ihm entwickeln, und fortan pflanzenhaft an den Boden fest gefesselt, mußte es bald jene äußere Beweglichkeit verliehren, die zum Kriege erfordert ist, und nur jene Innerliche beybe¬ halten, die zu Meutereyen aufgelegt macht. Darum als die neue Waffenart aufkam, warf der streitbare Geist der Nation sich unwillig auf das ent¬ gegengesetzte Aeußerste, und nun kamen die stehenden Heere auf, in deren Einrichtung das monarchische Prinzip allein und ausschließlich herrscht; blinder Ge¬ horsam das einzige Band ist, in dem das Ganze zusam¬ menhält, und die eigne spezifische Waffenehre der ein¬ zige Trieb, der es beseelt. Als aber die Erfahrung die Nachtheile auch dieses Extrems erwiesen; als sich bald ergeben, daß derselbe Mechanism, in dem die Verfassung erstarrt, auch in nichtigem Kamaschendienst und eiteln Paradekünsten Geist und Muth verkrüppelte; und wie, indem hier wie dort der gänzlich ausgewie¬ sene Geist in leeren Theorien ohne allen Verkehr mit der Wirklichkeit sich verlohr, alles praktische Geschick erstarb, erkannte man, daß auch hier eine Verjüngung in der Quelle ewiger Jugend noth thue und geboten sey und so wurden Landwehren wieder hervorgesucht. Man erkannte, daß, da das System der stehenden Heere einmal allgemein geworden, und die ganze Kriegskunst sich nach ihm gebildet hat, in ihm aller¬ dings eine nothwendige historische Entwickelung darge¬ stellt sey, und daß nun kein Staat für sich und einzeln ohne Nachtheil von einer Ordnung sich lossagen könne, die durch die große Beweglichkeit, durch ihre Erschlos¬ senheit bis zum Einzelnsten herab, durch ihre Lenkbar¬ keit und den Rhytmus ihrer Bewegungen, die ordnende Idee mit einer Wirksamkeit durchschlagen läßt, die dringend durch die Natur der Sache selbst geboten, nicht leicht auf anderm Wege erreichbar seyn mögte. Darum ist man allgemein einverstanden, daß so lange die gegenwärtigen Kriegsverhältnisse bestehen, im Heere, dem bewaffneten Arme der vollziehenden Macht, die eigentliche Domaine des monarchischen Prinzipes, und in ihm das alte Heergefolge der Waf¬ fengesellen des Fürsten völlig hergestellt sey; so daß um diesen Begriff festzuhalten, seine Dotation eigent¬ lich mit der Civilliste verbunden bewilligt werden sollte. Aber diesem wesentlich gehorchenden Heere ist, als seine Natur begründend und als Fuß der vollziehenden Macht, die Landwehr beygefügt, in der eben so wesentlich das demokratische Prinzip vorherrscht. Während das Gefolge an die Person des Fürsten geknüpft, und unter seinem Banner ziehend, seiner Natur nach, da die hier verlangte gänzliche Willens¬ entäußerung nicht gefordert, sondern nur durch einen freyen Entschluß bewilligt werden kann, im Frieden allein aus Freywilligen und Geworbenen bestehen sollte, die der Diensteid bindet; wird hingegen die Landwehr an den Boden geknüpft, zu seinem Schutze bestimmt, und blos durch den Bürgereid gebunden, aus allen denen bestehen, die nicht dadurch, daß sie Familien¬ väter geworden, oder durch Ergreifung eines mit den Waffen unverträglichen Standes, aus der Klasse der Schützenden in die der Geschützten übergegangen; und es kann unter den Wehrhaften für diesen Dienst keine andere Ausnahme bestehen, als diejenige, die in billi¬ ger Schätzung der Umstände und Verhältnisse sich von selbst ergiebt. Aber eben weil die Landwehr bügerlicher Natur ist, soll auch das bürgerliche Element in ihr vorherrschen; sie soll weder zu Paradekünsten abgerich¬ tet, noch zu ihnen mißbraucht, blos die zum Kriege nothwendige Fertigkeit erlangen. Wie die Gefolge, wesentlich innerhalb ihres Umkreises ihren eigenen Disciplinargesetzen pflichtig, nur in der Ausnahme bey bürgerlichen Vergehen dem bürgerlichen Gesetze unter¬ worfen seyn sollen; so der Landwehrmann wesentlich dem allgemeinen bürgerlichen Rechte, und in der Aus¬ nahme nur, wenn er unter Waffen steht, einer eige¬ nen strengen, ernsten aber angemessenen Disciplin, die Ordnung und Zucht erhält, ohne den unabhängigen Sinn des Bürgers zu ersticken. Wie endlich in den stehenden Heeren alles von oben herab geschieht, und alle Ernennungen ausgehen von der höchsten Macht; so müßten bey der Landwehr die untern Offizierstellen bis zu einem gewissen Grade hinauf, durch freye Wahl der Wehren, unter Bestättigung der Regierung, ihre Besetzung finden. In dieser Einrichtung, zu der die gegenwärtige preußische Landwehrordnung nur als eine Vorbereitung gelten kann, würde die Handhabung der Waffen, wie Lesen und Schreiben, eine allgemeine Fertigkeit aller Einfassen; die kriegerische Uebung würde eine Bürger¬ pflicht, die wie so viele Andere Jeder dem Vaterlande schuldig ist; und die Pflicht würde, wenn erst ein gemeines Wesen wirklich gewonnen ist, leicht zur Lust, statt daß jetzt, da von aller Liberalität nichts als die Last geblieben, nur die Hoffnung einer bessern Zukunft sie noch erträglich macht. Wenn aber wie die Jugend den Waffen, so das reifere Alter dem Oeffentlichen wiedergewonnen ist; wenn dann innerlich die erhaltenden Kräfte dem Staate den Gehalt und die Fülle des Lebens in reichlichem Maaß zuführen, und äußerlich die kriegerische Uebung Stärke, Kraft und Gewandtheit in die Masse bringt; dann mögte es wohl gelingen, wenigstens einen Theil des schönen Ebenmaaßes, das die Staaten des Alter¬ thumes ausgezeichnet, in die Neuen zurückzuführen. Daß aber dies Ebenmaß zwischen dem bildenden Ele¬ mente und den bildenden Kräften eintrete, und wenn es eingetreten, erhalten werde, damit nicht, wenn die Wage auf der einen Seite überschlägt die feiste Gemäch¬ lichkeit und Philisterey des Bürgerthums vorwiege, oder andererseits, wie bei den Athleten des Alterthums, nachdem durch allzuheftige Gymnastik sich alle Masse des Stoffes aufgezehrt, Impotenz und frühe Aufrei¬ bung der Lebenskräfte eintrete; auch darüber zu wachen ist ein Beruf der Stände, die da im Frieden durch ihre Geldbewilligung weise dem zu großen Anwachs des Gefolges Gränzen zu setzen vermögen, im Kriege aber durch Bestimmung der Anzahl derjenigen, die aus der Landwehr als Zuzug unter dem Banner der Nation ins stehende Heer übergehen sollen, dasselbe leicht bis zu dem Punkte verstärken können, den die Umstände und Verhältnisse der Zeit gebieten. Es folgt zunächst der dritte Streitpunkt, der in vielfältigem Hader diese Zeit entzweyt, das Ver¬ hältniß nämlich, in das die verschiedenen Stände zur Verfassung zu treten haben. Das Alterthum, auch hier bewußtlos seinem plastischen Bildungstriebe hin¬ gegeben, ohne ein Gerüste logischer Abstraktionen zu Hülfe zu nehmen, bildete diese gleichsam von unten herauf bervor; indem auch in dieser Beziehung der Staat organisch in allen seinen Gebilden sich wie eine mathematische Reihe mit stets steigenden Exponenten der zusammensetzenden Glieder entwickelte. Seit der grauesten Urzeit unterschied man drey verschiedene Stände, und jenes uralte Bild, das den Lehrstand und die gesammte Priesterschaft dem Haupte beylegte, den Wehrstand den Armen, den Nährstand dem Leibe, oder eigentlicher den innern Lebenstheilen, beweißt, daß man schon damals jene Anschauung des Staates als eines lebendigen Organisms gehegt, und in ihr die Wechselbeziehung der verschiedenen Theile des Ganzen festgesetzt. Diese Abtheilung, ursprünglich in der Verschiedenheit der Ra ç en durch die Natur selbst begründet, gieng zuerst in jenen Urstaaten in die Verfassungen über, die durch die Ueberlegenheit des Schwerdtes über das blos pflanzenhafte Leben, und durch die gleiche Ueber¬ legenheit des Geistes über das Schwerdt gestiftet wurden. Die edleren Ra ç en, die also siegreich jene Staaten gegründet hatten, suchten die Reinheit ihres Blutes dadurch zu sichern, daß sie sich in scharf um¬ schriebenen Casten abgesondert hielten, innerhalb deren Rechte und Besitzthümer auf ewige Zeiten gewährt von Geschlecht zu Geschlechte durch Erbschaft überliefert wurdeu , die aber äußerlich nach dem Gesetze und der Regel sich nicht vermischen sollten, oder wenn dies in der Ausnahme je geschah, den verschiedenen Halb¬ schlächtigen die durch diese Mischungen entstanden, jedem wieder in bestimmten Uebergangsgliedern sein Organ und seine Verrichtung streng abmarkten. Das Christenthum, indem es die Gleichheit aller Menschen vor Gott verkündigte, und gerade aus den untersten Klassen seine ersten Organe wählte, brach zuerst zugleich mit dem Sclaventhum auch das Casten¬ wesen; und wie es die Rechtlosen Alle ins Recht auf¬ genommen, verwandelte es die Casten zuerst in Stände, die Anfangs allerdings noch zu jener Geschlossenheit hinneigten, aber jemehr der ideale Geist des neuen Glaubens und der neuen Sitte, die durch ihn begrün¬ det wurde, sich Bahn machte, um so mehr ihre Ver¬ bindung zu öffnen sich genöthigt sahen, und wechsel¬ seitig sich kreuzend in eine mehr und mehr allgemeine Unbestimmtheit sich verlohren. Die Stände der euro¬ päischen Republik des Mittelalters, obgleich ebenfalls zum Theil, wie die alten Casten, ursprünglich auf das Kriegsrecht zwiefacher Eroberung gegründet, sind doch darum nicht wie diese verschiedene Völker, die ihre Stammburgen auf verschiedenen Höhen vom Gipfel bis zur sumpfigten Niederung aufgeschlagen, und nun im schnellen Absturz der Vorrechte und Pri¬ vilegien vom höchsten Hochmuth der gottgleichen Wie¬ dergebornen bis zur verworfensten Niedrigkeit der gottverhaßten Ausgestoßenen übergehen. Das Christen¬ thum hat diese schneidenden Unterschiede ausgeglichen; es hat die Uebergänge gemildert und die Ansprüche der Gewalt gesänftigt; dadurch, daß es die geistige Ebenbürtigkeit aller Menschen anerkannt, und auch die Untersten durch die Taufe zu Wiedergebohrnen erklärt, hat es das Geschiedene näher vereint; ein gemeinsames Band der Liebe hat sie in eine einzige Gemeinschaft eingeschlungen, und es sind nicht mehr verschiedene feindliche Seelen, die in einem Leibe wohnen, vielmehr nur verschiedene Facultäten dersel¬ ben Seele, die nur in verschiedenen Gliedern in ver¬ schiedener Weise sich zu äußern getrieben ist. So war also der Lehrstand wesentlich der Bewahrer aller göttlichen und menschlichen Weisheit, von Alter zu Alter durch die Tradition fortgepflanzt; er galt als der Inhaber des ganzen geistigen Vermögens, das in der Gesellschaft im Umlauf war; er vertrat im Staate selbst den Logos , das ordnende Prinzip, das von der Höhe herab Ebenmaß geben soll und Ordnung der regellosen Beweglichkeit der Unterwelt; darum war das Ehrwürdige sein Attribut. Der Wehrstand, in dessen Mitte und Schwerpunkt der Fürst als erster Beweger seine Stellung hatte, sollte als der Schirm und Hort des Vereines und der Schutz des Thrones stehen; die Kraft des Ganzen sollte sich in ihm vereinen, der Muth sollte sein we¬ sentlicher Charakter seyn, Tapferkeit sein Instinkt, die Ehre sein Erbe, sein Schwerdt immerdar der Schutz des Schwachen: so war er der Thymos nach jener alten Lehre im Verein, und das Ehrenveste sein Attribut. Endlich im Nährstande die Kinder der Erde ans Irdische geheftet, mit ihm schaltend und waltend und verkehrend, durch ihrer Hände Arbeit ihre Schätze hebend, und mit allen treibenden Kräften den Umlauf der Güter von der Wurzel bis zum Wipfel und wieder zurück beschickend, die Epithymia im Staate, im Handel und Wandel und in allem Thun die Ehr¬ lichkeit sein Zeichen. Da der Nährstand wesentlich beweglich ist, so ist auch das bewegliche Eigenthum, ewig getheilt und ewig wieder eingesammelt sein Gut; da der Lehrstand aber seiner Natur nach beschaulich und wesentlich ruhig seyn muß, so ist sein Gut unter den Gottesbann gefestet; weil aber der Wehrstand zwischen dem Beweglichen und dem Ruhenden die Mitte hält, darum ist seine Domaine in der Belehnung in ein Verhältniß zu ihm gesetzt, das zwischen der Festung und dem Wandelba¬ ren mitten inne schwebt. Eben so ist in demselben Lehnsysteme der Adel, der zwischen der Idee und ihrer Darstellung im Realen seine Stellung hat, auch zwischen das demokratische und monarchische Prinzip getheilt, die sich eben in der Aristokratie vereinen; und wie er hier in den sieben Heerschilden sich in sich zusammenschließt; so hat die Kirche über ihm, wesentlich monarchisch, gleichfalls in sieben geistliche Heerschilde ihre Hierarchie geschlossen, indem vom Papst und seinem Presbyterium durch die Erzbischöffe, Bischöffe, Archidiacone, Decane, Pfarrer, sechs Stufen bis zur Siebenten der Klostergeistlichen herunterführen, von denen man, eben wie von den Freygebornen des siebenten Heerschildes, nicht recht weiß, ob sie mehr der bischöfflichen Hierarchie oder sich selber angehören. Wie aber hier alle Weihe und Autorität von oben herniedersteigt, so im Nährstande alle Würde und alles Recht aus dem Besitze; und bey rechter Ordnung des Staates wesentlich das demokratische Element in sich beschließend, oder bey eingetretener Unordnung mit unaufhaltsamem Naturtriebe nach ihm strebend, hat auch er in jener Zeit nach der Siebenzahl sich zu spalten den Trieb gezeigt, indem durch die Patrizier, Kaufleute, Gewerke, Unzünftige, in den Städten durch die Einsassen und Hintersassen auf dem Lande bis zu den Heymathlosen gleichfalls sieben scharfbe¬ zeichnete Stufen niederlaufen. Indem aber die spätere Zeit eine Vertretung dieser verschiedenen Stände, als Wächterin der Territorial¬ macht, beyzugeben angefangen, hat auch bey dieser die Idee zum Grunde gelegen, dem Nährstand und dem Wehrstand den Lehrstand als dritten Vermittler, beyzu¬ fügen, damit wenn Rechte und Interessen mit der Gewalt und den Ansprüchen in einen für die Zweyheit völlig unauflöslichen Streit geriethen, die dritte ver¬ söhnende Macht nicht fehlen möge, die den Einen durch ihre Würde, den Andern durch die Kirchengemein¬ schaft und alles Menschliche verwandt, unpartheyisch schlichten könne zwischen den streitenden Partheyen Die neuere Zeit, ausgehend von den vielfäl¬ tigen Gebrechen, die bei der Ausführung dieser Ideen in der Wirklichkeit sich kund gegeben, hat eine andere Lehre aufgestellt. Dies Gerüste der verschiedenen Stände, ursprünglich durch die Gewalt und die Ueber¬ vortheilung der Einfalt durch List gegründet, seye an sich nichtig und verderblich; und dies Ansteigen durch Potenzen, wenn es auch für die Natur eine Geltung habe, sey für die Gesellschaft, die aus völlig gleich¬ artigen Elementen bestehe, gänzlich unstatthaft, und könne für ihre Entwickelung nur einen nachtheiligen Einfluß äußern. Wie daß Christenthum den Grund¬ satz der völligen Gleichheit aller Menschen vor Gott festgesetzt, so müsse auch vor dem Staate und dem Gesetze dieselbe Gleichheit gelten; indem was geistig wahr sey, ewig nicht leiblich im Realen sich selbst widersprechend als unwahr sich befinden könne. An jenem Unrecht, das der Uebermuth der Macht zuerst gesetzt, und das alsdann das Herkommen von Geschlecht zu Geschlechte fortgepflanzt, habe die Zeit übrigens selbst wieder nach und nach Recht geübt, und die Schranken allmählich niedergerissen, die die Conve¬ nienz nach bloßer Willkühr ausgesteckt; längst schon seyen die geistigen Güter nicht mehr der ausschließende Besitz der Priesterschaft; an der Waffenehre hätten alle Stände Theil genommen, und der Nährstand habe schon seit langem nicht mehr die Verpflichtung aner¬ kannt, für die blos Zehrenden des Lebens Mühen allein auf sich zu nehmen. Darum sey es thörigt, jene ängstlich künstlichen Beschränkungen, die ohnehin schon nach allen Seiten durchbrochen sind, länger bey¬ behalten zu wollen; schon der Unterschied zwischen Stadtwirthschaft und Landwirthschaft sey nichtig; noch nichtiger die Schranke der Innungen, da Jeder das Recht haben müsse, jedes Gewerbe oder Gewerk trei¬ ben zu dürfen, zu dem ihm ein Geschick beywohnt; nichtig seyen ferner die Vorrechte des Adels, die als Solche nothwendig das Recht aufheben; nichtig der Anspruch des Clerus auf die Freiheit der Gewissen, da schon der Begriff desselben durch den eines äußern einwirkenden Zwanges vernichtet sey. Es bedürfe auch keiner Vermittlung zwischen dem Fürsten und dem Volke, die wechselsweise sich zum Einen haltend und zum Andern, Einem um dem An¬ dern immer nur neue Vorrechte und Begünstigungen abdringe, und überhaupt nur auf Unkosten Beyder Boden gewinne. Falle aber der Gegensatz zwischen dieser habsüchtigen Aristokratie und dem Volke weg; dann sey auch die Vermittlung des Clerus als gänzlich überflüssig zu entbehren. Jede Festung des Eigenthums, die das seiner Natur nach ewig Bewegliche in die todte Hand niederlege, sey daher ein Raub an der Gesammtheit begangen, und nicht zu bald könne das unnatürliche Band sich lösen, auf daß die gebannten Güter wieder in den allgemeinen Umlauf träten, der wie der Umlauf des Bluts im Körper allein die Er¬ nährung und Kräftigung des Staats bedinge. Dieser stets bewegliche Besitz sey daher fortan die einzige Basis der Gesammtheit, also daß selbst das Geistigste nur insofern gelte, als es sich auf solchen Besitz zurückbringen lasse; in ihm aber sey wieder der Grundbesitz das demokratische Element, der Geldbesitz aber das Monarchische, also daß im Staate keine Domaine , die dem Volk gehöre, nur allein die Steuer gelte, und daß es nur monarchische Institu¬ tionen in ihm gebe, die in der Besoldung das Geld beherrscht, und Demokratische, die an den gefreyten Grund gefestigt sind. Darum gebe es nur einen Für¬ sten im Mittelpunkte; um ihn her die Beamten und Soldatenwelt; in der Peripherie aber stehe das Volk im Besitze der ganzen Gütermasse. Damit aber nun das Centrum zwar ohne Grund¬ basis blos auf der Gesammtheit schwebend, aber dafür große Schnellkräfte im engen Raume bergend, den zwar gediegen basirten aber in seine Weite vielfach zerstreuten Umfang nicht gewaltsam auseinandersprenge, werde eine Vertretung angeordnet. Diese sey an keine Körperschaft, an keine allgemeine phantastische Idee, an keine moralische Person, nicht einmal an eine Landes¬ Landesabtheilung, Provinz, Grafschaft, Stadt und Flecken, wie etwa in England, festgeknüpft; sie hänge sich mit dem Eigenthum allein an die Zahl, und werde nach der Summe der Stimmfähigen allein abgemes¬ sen. Eine solche Repräsentation, die nicht wie jene Feudalstände blos die Caste, sondern die ganze Ge¬ nossenschaft vertrete, sey nun die Antithesis gegen jene Thesis der Beamtenwelt, und im Antagonism Beider daure der Streit so lange, bis sich endlich die gemein¬ nützige Synthesis gefunden. Es läßt sich leicht erkennen, daß der Character dieses Systemes, wie es auf den Conflict entgegenge¬ setzter Kräfte sich begründet, durchaus physisch mathe¬ matisch ist, und in ihm also, obgleich der Geschichte nach ein wirklicher Vorschritt, doch der innern Höhe der Würdigung nach gegen das frühere Organische, ein relativer Rückschritt eingetreten, welcher Wider¬ spruch eben in dem Character des Jahrhunderts, das als eine Uebergangszeit ein Zerstörtes auf einem breiteren Grunde höher ansteigend wieder reconstrui¬ ren soll, sich vermitteln muß. Es sind durchaus irdi¬ sche Kräfte, die in ihrem Widerstreite sich hier zum Gleichgewichte begränzen sollen; die spezifische egoistische Kraft des Grundbesitzes, der wie die Erdschwere im¬ mer nach seiner eignen Mitte, und ihrer abgeschlosse¬ nen Ruhe und Befestigung neigt, streitet mit der allgemeinen Weltkraft des Geldes, die in beständiger Systole und Dyastole aus der allgemeinen Mitte gegen den Umfang und hinwiederum strebt, und stets mit jenem eigensinnigen Particularism kämpfend, ihn wider Willen in bestimmte Bahnen lenkt. 12 Diese Bahn aber, wenn sie durch glücklich gewogene Kraft und Gegenkraft gefunden worden, kann nur durch die Fortdauer dieses Gleichgewichts, auf das bey mo¬ ralischen Kräften kaum zu rechnen ist, in ihrer Ste¬ tigkeit beharren; bey der Ueberwucht des Einen Prinzipes wird sie eccentrisch in die Democratie übergehen, beym Vorherrschen des Andern concentrisch in die Despotie. Eine solche Störung wird um so leichter herbeyzuführen seyn, da die Weise der Vertretung die Gegensätze in ihrem Alleräußersten gefaßt, und gleichsam in zwey Brenn¬ punkte gesammelt, in den Kammern sich nahe bringt. Die Democratie wählt ihre Beamten eben so anstei¬ gend nach freyester Willkühr, wie der Fürst die Sei¬ nigen absteigend; ihr Wille ist dort eben so concen¬ trirt, wie der des Fürsten in den Ministern; wie seine Söldner beziffert sind nach den Nummern ih¬ rer Regimenter, so sind es die Wähler im eignen Dienst, und es steigen und fallen beide Hierarchien, wie die Ordnungen im Decimalsystem: im Schlag und Ge¬ genschlag der beiden Mächte, von des Fürsten und des Volkes Gnade, muß die Reibung da, wo Sauer¬ stoff und Brennstoff sich begegnen, nothwendig eine starke Flamme zünden. Dies eben aber hatte das Alterthum abzuwenden sich bemüht; indem es z. B. in den Innungen der Gewerke etwas vom monarchischen Elemente mitten in's Democratische aufgenommen, konnte es dafür dies automatische in der Adelsinnung bis zum Throne hinantreiben; und in der Durchwachsung und Ver¬ bindung der Gegensätze durch den ganzen Staatskör¬ per hindurch, wurde ihre Schärfe abgestumpft, und die Flamme, die hier leuchtend aus einem Brenn¬ punkt strahlt, dort in einer gelinden Wärme durch die ganze Genossenschaft vertheilt. Die Gesetzgeber dieser Zeit, nicht geleitet von abge¬ zogenen Systemen, sondern vielmehr getrieben, wie die Dichter durch Begeisterung, so durch die Fülle ei¬ nes instinktartigen Bildungstriebes, indem sie zu den Körperschaften, die blos quantitativ auf die Zahl sich gründen, Freyhof, Zehending, Hundrede, Gau und Herzogthum, — und die, wie sie zu den Urfor¬ men der Verfassung gehören, so auch die jetzige Zeit allein anerkennen will, — noch die Qualitativen , auf innere specifische, höhere Differenzen begründet, in den verschiedenen Ständen fügten, hatten ihre Ver¬ fassungen dadurch aus dem Gebiethe eines bloßen Chemisms wirklich in den einer höheren Lebenserre¬ gung hinaufgehoben. Statt jenes politischen Brownia¬ nisms, der nur das Verhältniß zweyer Lebensfactoren anerkennt, die abwechselnd in Sthenie und Asthenie überwiegen, war nun jene wahrhaft organische Ansicht der Lebenserscheinungen im Staatskörper eingetreten, die ihn als aus vielfach verbundnen Systemen zusam¬ mengesetzt, in vielfachen Verrichtungen die einge¬ bornen Kräfte äußernd, und innerlich durch immer gesteigerte Mittelglieder jeden tieferliegenden Wider¬ streit besänftigend, gefaßt und ausgelegt. Sie erkannten sehr wohl, daß indem sie die Zahl dieser Körperschaften in solche Weise noch durch diese ideale Reihe mehrten, sie neben dem allgemeinen In¬ teresse, das wie das Lebensgefühl dem Ganzen bey¬ wohnt, noch eine Menge besonderer Interessen schufen, 12* die mit jenem sich leicht in einen zerstörenden Kampf versetzen mochten: aber einmal hatten sie verstanden, daß nur im Hader alles Leben sich gebähre, und daß, wo¬ fern nur die höhere zusammenhaltende Liebe nicht dem Ganzen fehle, der Zwist immer seine Beruhigung finde, ehe er in eine gänzliche Zerstörung ausgegangen; und sie wußten andrerseits, daß Naturtriebe, die in der Ge¬ sellschaft zu Interessen werden, darum nicht aufge¬ hoben und vernichtet sind, wenn man ihnen in der Verfassung kein Organ angewiesen; und daß es thö¬ rigt sey zu glauben, in einer allgemeinen Corporation würden die besondern Richtungen darum schlafend bleiben und unthätig, wenn man durch eigene Insti¬ tutionen sie an ihr Daseyn nicht erinnere. Auch hatten sie sehr wohl eingesehen, daß der Grund¬ satz allgemeiner Gleichheit, einmal für die idealen Verhältnisse anerkannt, nothwendig folgerecht bis zum agrarischen Gesetze zurückgehen, und nur erst bey einer entschiednen Democratie ruhen könne. Als im Ver¬ laufe der florentinischen Geschichten der niedere Adel den höheren zuerst bemeistert, wurde jener später von den Zünften ausgetrieben. Gegen diese aber erhoben sich nun die Halbzünftigen, die später wieder von den Heimathlosen in wüthendem Aufstand bestritten wurden; wo denn nachdem alle Bande der Ordnung sich aufgelöst, der Freystaat reif war, einem Tyran¬ nen zur Beute heimzufallen, der sich in dem ersten Medici in der Mitte des dritten Standes selbst erhob. So wird auch in den heutigen Ansichten das städ¬ tische Wesen, gegenüber dem Bäuerlichen, bald als eine unerträgliche Tyranney erscheinen, und da jenes der Zahl nach, die hier alles gilt, nicht die Hälfte von diesem erreicht, so wird es bald überwogen und abgetrieben seyn. Im Fortschritte werden dann den alten Sassischen Freyburgen die Dörfer, Städte im Kleinen, verdächtig werden, und dann den Hinter¬ sassen der ausschließende Besitz des Oberhofes ein Greuel, und es kann auch hier keine Ruhe seyn, bis alle Dörfer aufgelöst, und alle Güter zerschlagen sind, und jeder Einwohner sein gemessenes und glei¬ ches Theil erhalten. Wie daher das alte Castenwesen auf die durch die Natur gesetzten, an die Ra ç e befestigten und durch die Uebermacht gehandhabten Ungleichheit der Men¬ schen sich gegründet; so bezieht sich das System der gegenwärtigen Politik auf ein Ideal, das am Ende der Zeiten steht; wo durch die Macht des Geldes und der Industrie alle Ungleichheit des Besitzstandes sich ausgeglichen; wo die Verschiedenheit der Naturgaben durch die Bildung sich aufgehoben; wo alle Stände sich so durchdrungen, daß jeder Hausvater zugleich Ober¬ priester, Oberfeldherr und ein Mehrer und ein Näh¬ rer des ganzen Reichs seyn mag. Da aber die Ge¬ genwart zwischen dem Anfang und dem Ende der Dinge mitten inne sich befindet, und aller Wahrschein¬ lichkeit nach, dem Beginne näher als dem Ausgang; so wird Beides gleich unanwendbar, und zwar das Letzte noch mehr als das Erste seyn, und es wird daher wohl bey einem Mittleren, dem modifizirten Ständischen, sein Bewenden haben. Die Betrachtung, bey diesem Punkte ange¬ langt, kann sich nun ohne Schwierigkeit den Grund des ganzen Mißverständnisses bey der heutigen Theorie erklären, der darin liegt, daß die Idee zwar aller¬ dings in sich wesentlich frey und unbedingt ist, bey ihrem Eintritt in die reale Darstellung aber den Be¬ dingungen einer Naturnothwendigkeit sich unterwerfen muß, die zwar bey einer gewaltthätigen Umkehr freilich eine Zeitlang sich abtreiben läßt, aber dann in der Rückwirkung diese Nichtachtung nur allzu bald nach ewigen Weltgesetzen furchtbar ahndet. Darum konnte das Christenthum, das blos den idealen Menschen betrachtet, seine Gleichheit vor Gott unbedenklich aus¬ sprechen; aber seine Ungleichheit vor dem Staate ist an Beziehungen geknüpft, die durch die Art, wie die Natur ihre Gaben vertheilt, durch die Weise, in der die lebendige Kraft das Dingliche in Besitz genommen, und durch positive Rechte, die sich aus früheren Zeiten überliefert haben, gegeben ist. So mochten die Alchymisten der früheren Zeit, die an sich wohlbegründete Idee der Gleichartigkeit aller Metalle theoretisch festsetzen; wenn sie aber diese Idee durch die Verwandlung zu verwirklichen sich bemühten, fanden sie eben an jenen Naturgesetzen, die sie nun einmal getheilt dargestellt, einen unbesiegbaren Wi¬ derstand. Gerade diese Metalle, die für die Gesellschaft eigent¬ lich nur nach dem Maaßstabe des Vortheils, den sie ihr gewähren, verschiedene Geltung haben sollten, sind für sie ein Bild jener innern spezifischen Ver¬ schiedenheit geworden, indem ihr relativer Preis blos nach einem ganz conventionellen Maaßstab festgesetzt, in keine Weise nach jenem Nutzen sich abgemessen; ja beym Papiergelde derselbe Lappen, ohne allen in¬ nern Werth das Einfache, Zehnfache, Hundertfache gilt, blos weil die Gesellschaft ihn so zu nehmen, übereingekommen. Eben wie bey der Währung der Metalle, so ist vom Staate bey der Währung der Stände verfahren worden, und diese läßt sich, einmal vorhanden, durch eine Reformation allerdings zeitge¬ mäß modifiziren, aber nur durch eine Revolution gänzlich aufheben. Es hat aber im ältesten Germanien ein Adel schon bestanden; dieser hat nach vielfältigen Kämpfen in den fränkischen Gefolgen endlich ganz Teutschland und zuletzt beynahe ganz Europa bezwungen; später im Lehnssystem zur Ritterschaft sich ausgebildet, und zum Theil zur Unmittelbarkeit sich erhoben; ist noch später in den stehenden Heeren und im Hofdienst wieder in's Gefolge eingetreten, und so nun in bestimmter Ge¬ stalt und mit positiven Rechten auf uns gekommen. Mit diesen Rechten tritt er nun in den großen Rechts¬ streit ein: er hat vom Congresse bis zu dieser Stunde hin gesehen, daß im Weltlauf Opfer bringen ohne Zwang, eine Thorheit sey, und daß die eigenwillige Gewalt immer zuletzt Alles durchgesetzt; und so macht er denn auch seinerseits diese Maxime geltend, und fordert sein Vorrecht als sein Recht ganz ungekränkt zurück. Von der andern Seite steht der dritte Stand auf's Höchste erbittert, daß er zuletzt mit seinen Rechten alle Schulden der Vergangenheit und Gegenwart lö¬ sen soll. Man mag ihm reden von Romantik und Mittelalter, vom patriarchalischen Zustand der alten Zeit, von idealen und realen Richtungen; sein gesun¬ der Menschenverstand und sein richtiger Takt und Naturinstinkt giebt ihm ein, daß er seinen alten Ver¬ hältnissen längst entwachsen ist; daß die Formen an sich erstorben, seinem erweiterten Leben längst zu enge geworden; er fühlt, daß wenn Jenen alternde Rechte aus grauen Zeiten zugekommen, in ihm junge grü¬ nende aufgestanden, die er in keine Weise aufgeben darf; er fühlt endlich, daß die Zeit gekommen, wo durchgängig ein neuer Vertrag zwischen den Classen der Gesellschaft abgeschlossen seyn muß. Wie nun auch in der Hitze des Streites die Streitenden, wechselseitig sich negirend, übertreiben mögen; müssen doch, da von einem Vertrage die Rede ist, die Vertragenden, sich zum Voraus die Fortdauer ihres Bestands ge¬ währen. Mag man noch so sehr die Fürsten mit bestechen¬ den Lobsprüchen erheben, aber den Adel, als die al¬ lein Schwarzen anklagen; Jene werden sich nie im Ernste bereden lassen, daß ein Stand, dessen Rechte mit ihrer Legitimität auf demselben Grunde ruhen, ihnen wesentlich feindlich ist; der Adel aber, ohnehin durch sein Interesse gegen den Thron gezogen, nun auch vom dritten Stande gewaltsam abgetrieben, muß nothwendig mit beschleunigter Bewegung der Politik des Hofes sich ergeben; was sich praktisch auch jedes¬ mal in Bayern, Baden, Nassau und überall ausge¬ wiesen, sobald die leeren Maulfechtereyen nur erst zu einem wirklichen Resultate gedeihen sollten. Von der andern Seite ist es auch ein heillos Werk und ein verwegenes Spiel, das jene Standesgenossen üben, die durch ihre Umtriebe den Abschluß des heilsamen Werks verzögernd, die Spannung immer höher treiben, alle ruhenden Leidenschaften wecken, bis endlich, wenn das Thier aufgerichtet, und das tobende Meer die schwachen Sanddünen durchgebro¬ chen, das Verderben die Frevelnden erreicht. Darum haben beide Theile das gleiche Interesse, sich auf güt¬ lichem Wege zu vergleichen, damit, indem die Einen klüglich aufgeben, was nicht zu halten ist, und mit einem Theile ihrer allerdings dem strengen Rechtsbe¬ griffe nach wohlbegründeten Forderung sich begnügen; die Andern aber bedenkend, daß gerade in der am meisten despotischen Verfassung, der Türkischen, gar kein Adel zu finden, mit seinem Verschwinden also gegen die Willkühr des Regenten gar nichts gewon¬ nen ist, indem sie einen Nachlaß lieber einer friedli¬ chen Uebereinkunft verdanken, als das Ganze durch Gewalt vernichten wollen, ein allgemeiner Bankbruch abgewendet werde, wo freilich alle positiven Rechte vor dem Naturrecht zu nichte werden, aber dafür an¬ dere Schulden auflaufen, für deren Zahlung jeder vom Höchsten bis zum Geringsten persönlich haften muß. Zu solchem Vertrage neigen denn auch in Teutsch¬ land sichtbar die Ereignisse; es hat sich nicht, wie in Frankreich, die Kluft einer schon wirklich zurückge¬ legten Revolution zwischen den Verhandelnden aufge¬ than; vielmehr haben die Umstände selbst eine Verei¬ nigung eingeleitet. Der dritte Stand hat nämlich, folgend in seiner Entwicklung dem allgemeinen Natur¬ gange, selbst wieder nach seiner Weise die beiden hö¬ heren Stände aus sich heraufgetrieben, den Lehrstand in den eigentlichen Gelehrten, die unter dem Vor¬ gange der Philosophie den profanen Wissenschaften sich ergeben; und einen Verdienstadel , der vor allem in der letzten Zeit die Kriegsehre zum größten Theil sich zugeeignet, und im Bürgerlichen nun seine Stelle in der Kammer und der Aristocratie des Besitzes und des Talentes sucht. Andrerseits hat der Adel, in wie¬ fern er als Gutsbesitzer zum großen Theile sich auf sich selbst gesetzt, eben dadurch, am meisten in den Rheinprovinzen, sich mit dem dritten Stand verbun¬ den; und der Clerus grünt gleichfalls zur Zeit nur beynahe noch allein in seinem volksmäßigen Elemente, den Pfarrern und Seelsorgern fort. Darum scheint der gesunde Menschenverstand auf den einzigen Ausweg hinzudeuten, der zur Verstän¬ digung übrig bleibt, daß der dritte Stand mit sei¬ nem neuen Adel und Clerus von heute und gestern her, die gleichnamigen alten Stände, die aus einer früheren Bildungszeit herüberreichen, nicht verdrängt, sondern Beyde in solcher Weise sich verbinden, daß indem sie gleichmäßig alten Vorrechten und neuen An¬ massungen entsagen, die mit der zeitgemäßen Verfas¬ sung im Widerspruche stehen, der historische Adel sich dadurch verjünge, daß er zur Geburt das Verdienst als zweyten nothwendigen Faktor des künftigen Adels anerkenne, und nun durch eben diesen Faktor mit dem beweglichen Verdienstadel des dritten Standes in Ver¬ bindung trete; daß aber der Clerus, indem er die Wissenschaft nicht ferner mehr als die verführerische Schlange flieht, vielmehr dadurch, daß er ihre gegen die Religion centrifugale Richtung durch die Macht der Ueberzeugung in die Centripetale zurücklenkt, in Wahrheit sie bezwingt, und also die geistige Freyheit, der die Zeit in keine Weise entsagen kann, ehrend in ihrem Rechte, sie allein durch sich selber bändigt, und also die Religion wieder ins Leben führt. Die In¬ stitutionen auszufinden, durch die diese Verbindung, hier nur im Allgemeinen angegeben, bis zum Beson¬ dersten hin ins Werk gesetzt werden kann, wird die Aufgabe der nächst folgenden Zeiten seyn, deren Lösung, wie wir glauben, im wesentlichsten Punkte der Cha¬ racter der künftigen Verfassungen bezeichnen wird. In solcher Ordnung der Dinge wird, indem das Veraltete immer aus der Quelle ewiger Jugend, die im dritten Stande fließt, sich erfrischt, und hin¬ wiedrum durch sein firnes im Lauf der Jahre gereif¬ tes Oel den raschen Sprudel des jungen brausenden Weines sänftigt und temperirt, sich aus den Elemen¬ ten des alten hinfälligen Staatskörpers, von innen heraus in allmähliger Verjüngung, ohne die gefähr¬ lichen revolutionären Zauberkünste der Medea, im Laufe der Zeiten wohl ein neuer und dauerhafter Organism wiedergebähren, an dem wieder Jahrhun¬ derte vorübergehen können, ehe er ein neues Stufen¬ jahr erreicht. Wie der dritte Stand nach dem Eigen¬ thum in den beweglichen Güterreichthum und den Grundbesitz, und dieser wieder in den fließenden und den gefesteten sich theilt; so wird auch der Adel zwie¬ fach seyn, ein Verdienstadel , der überall durch die Wahl des Volks begründet, als Kriegsstand in der Landwehr, als Friedensstand unter den Beamten der Democratie und in ihren Vertretern sitzt; und ein Geburtsadel , der von oben herab und aus der Vergangenheit herüberkommend, durch die Autorität gesetzt, als Wehrstand hauptsächlich beym stehenden Heere, in bürgerlichen Verhältnissen in den Hofstel¬ len um die Person des Fürsten, bey der von oben herab delegirten Beamtenwelt, und unter den erblichen Vertretern seine Stellung hat. Da die Volkswahl eben so oft die Geburt, wie die Wahl des Fürsten das Verdienst treffen kann, so werden beyde Elemente sich vollkommen in allen diesen Institutionen kreuzen. Eben so wird der Lehrstand in seinem zwiefachen Charakter sich erst ergänzen, wenn einerseits der Cle¬ rus als Bewahrer der Glaubenslehre, fußend auf Schrift und Tradition, das Esoterische, die Ueberliefe¬ rung vergangener Zeiten pflegt; aber das Exoterische, die Resultate der Erfahrung und Speculation in den Wissenschaften nicht ausschließt, sie vielmehr als die reale Seite der Religion anerkennt; und indem er ihre Pfleger, wie es eben in der alten Zeit gewesen, als Genossen grüßt, nicht blos lebt in der Vergan¬ genheit, sondern auch mit der Gegenwart sich in einen lebendigen Verkehr versetzt: ein Verhältniß, das frey¬ lich anderwärts unmöglich scheinen mag, bey der Rich¬ tung aber, die die teutsche Philosophie in letzter Zeit genommen, als etwas durchaus Rationelles sich wohl begründet zeigt. In dieser zweygliedrigen Dreyheit der Stände wer¬ den alsdann die beyden Elemente des Staates aufs vollkommenste sich durchdringen; die Autorität von oben herabgehend als Ausdruck der Majestät einerseits sich an die Autorität der Kirche knüpfend, wird ab¬ wärts durch den Hof, den Geburtsadel, die Beamten¬ welt und das Gefolge, Ausflüsse der Legitimität, nie¬ dersteigen; die Freyheit aber wesentlich Ausfluß des Volkes, wird im dritten Stande zuerst die Lebens¬ basis begründen, sie wird alsdann durch die Land¬ wehr und die Beamten der Democratie ihre Willens¬ kraft äußern; sie wird endlich als öffentliche Meynung zur geistigen Höhe sich erheben, und im gelehrten Stande Organ gewinnen. In gleicher Folge und Durchdringung wird dann auch die Vertretung die zerstreuten Strahlen dieser drey Facultäten nur in einem Brennpunkt sammeln. Man hat in neuerer Zeit nach dem Vorgang Englands größentheils allgemein das Zweykammernsystem beliebt, indem man eine Mehrzahl des Adels mit einer Min¬ derzahl von Prälaten und Universitäts-Abgeordneten in eine Kammer verbindet, und die Zweyte allein aus den Gemeinen zusammensetzt. Eine solche Ord¬ nung, indem sie durch beynahe gänzliche Absorption des geistigen Elementes, die Dreyheit in eine Zwey¬ heit verwandelt, führt alle Nachtheile eines Gegen¬ satzes herbey, der keine Bindung findet. Der Adel, der in der Pairskammer vorherrscht, kann seiner Na¬ tur nach nicht der Vermittler zwischen den Gemeinen und dem Throne seyn; eben weil er ein Ausfluß der Majestät ist, wird er zwar von ihr beschattet, steht aber in der Regel auf ihrer Seite, und tritt daher in solchem Streite als Parthey dem dritten Stande gegenüber. Es kämpft also in den Kammern jedes¬ mal die Autorität mit der Freyheit um die Interes¬ sen; und wenn nun eine gegen die Andere das veto hat, so wird, da sich entgegengesetzte gleiche Kräfte vollkommen aufheben, das ganze Thun in allen wich¬ tigen Dingen eine leere Spiegelfechterey, eine bloße Staatscomödie und Parade, wo zwar viel gefochten und auf- und abmarschirt, aber mit aller Anstrengung blos ein Spiel und kein ernstes Geschäft betrieben wird. Da überdem die streitenden Partheyen, durch Wände getrennt, nur in einem todten schriftlichen Verkehre miteinander stehen, so ist auch jene Annähe¬ rung, die der lebendige und mündliche Verkehr von Angesicht zu Angesicht herbeyführt, abgeschnitten, und die feindlichen Brüder sind vollends unversöhnlich jeder in seiner Behausung eingeschlossen. Für die eine Kammer kämpft natürlich die Meinung; die An¬ dere also, von Volke abgeschlossen, muß übelgelaunt im Schmollwinkel ihre Stelle nehmen, und sich in der Gnade des Hofes sonnen; der Adel aber, dem jede Gelegenheit zu lebendiger Gymnastik im Ringen mit den Gemeinen abgeschnitten, hat nicht Gelegenheit sich die geforderten Verdienste zu erwerben, und ver¬ kümmert und verrottet vollends in seiner langweiligen Einsamkeit. Darum würde es, um ein frisches, rasches Leben in die Ständeversammlung zu bringen, und ein reg¬ sames Wechselspiel der Kräfte, an dem alle Talente zum Vortheil des Ganzen Antheil nehmen, hervorzu¬ rufen, am füglichsten seyn, die drey Stände in eine Kammer zu vereinigen, und sie dort in drey Curien zu ordnen. Die Erste würden die Gemeinen zusam¬ mensetzen, und zwar in solcher Weise, daß wenig¬ stens die Hauptinteressen, in die dieser Stand sich theilt, vertreten sind. Da die Innungen größten¬ theils aufgehoben sind, und ihre Wiedereinführung, von oben herab wenigstens, nur die Gewaltthätigkeit wiederholen würde, die bey ihrer Aufhebung statt ge¬ funden; überdem die Theilung der Vertretung unter den heutigen Verhältnissen nach den Gewerken spielend und größtentheils unnütz sich erweißt, so bleibt für jetzt nur zuvörderst der Gegensatz von Stadt und Land zurück. Der städtische Verkehr ist dem Athemzug im Leben zu vergleichen, der Ackerbau auf dem Lande aber der Er¬ nährung; und wie nun in der thierischen Haushal¬ tung, obgleich der Apparat für die letztere Verrich¬ tung quantitativ größer ist, als jener der dem Ath¬ mungsprozesse dient, beide doch qualitativ, sich einan¬ der völlig gleich stehen, in wiefern sie als Faktoren des Lebens beide gleich unentbehrlich zu seinem Be¬ stande zusammenwirken, so sind auch hier beide Ver¬ richtungen der Gesellschaft von vollkommen gleich¬ mäßiger Wichtigkeit, und der Würde nach ist die Letztere noch einen Grad höher hinauf gerückt. Dar¬ um würde schon hier der Antheil der ausschließlich qualitativen Vertretung sich am offenbarsten zeigen, indem das Land mit seiner doppelten Anzahl von Abge¬ ordneten jedesmal die Städte überstimmen wird, was, so¬ bald die Vertreter nur erst über ihre Interessen ver¬ ständigt sind, gleich schon bey der Frage über das Verhältniß der direkten zu den indirekten Steuern, bey Korngesetzen u. s. w. die nachtheiligsten Folgen zeigen würde. Darum mögte es billig und räthlich seyn, beiden zwar insgesamt eine größere Anzahl von Vertretern, als die beiden höheren Stände sen¬ den, zu gestatten; Stadt und Land aber, in dieser Hinsicht sich gleich zu setzen, und Beyde in zwey Bän¬ ke zu vertheilen. Die Städtebank würde dann allen¬ falls sich noch in zwey Andere theilen, Die des Geld¬ besitzes für Kaufleute, Kapitalisten u. s. w., wie die des platten Landes nach dem Verhältniß des Besitz¬ standes gewählt, und die der Gewerbe und der Indu¬ strie für Fabrikanten und Gewerke, nach der Zahl der Stimmenden erlesen. Die zweyte Curie des Adels würde gleichfalls in zwey Bänke getheilt erscheinen, deren Eine perennirend die erblichen Pairs des alten Adels von wegen ihrer Geburt besetzen; die Andere aber Jene aus dem Ver¬ dienstadel, die der Fürst hinberufen aus den Beamten der Democratie, den Hauptleuten der Landwehr u. s. w. periodisch. Endlich würde die dritte Curie eben so aus einer Bank bestehen, durch den Priesterstand der verschiednen Confessionen, theils durch Wahlen, theils vermöge des Amts besetzt, und aus der zweyten Ge¬ lehrtenbank in den Provinzialversammlungen, wie eh¬ mals von den Aebten der Klöster, so etwa von den Direktoren der Gymnasien und andern Schulanstal¬ ten, deren Wahl und Dotirung aber alsdann noth¬ wendig und schicklicher Weise an die Democratie ge¬ knüpft seyn müßte; bey den Reichsversammlungen aber durch Deputirte aus ihrer Mitte, und Andere von den Universitäten und Academien geschickt. In einer solchen Kammer würden durch alle drey Curien, Curien, die beyden Hauptelemente aller Verfassung sich beysammenfinden, dadurch aber daß sie wieder spezifisch in verschiedne Organe sich vertheilen, würde eine gewisse Heilkraft in das Ganze kommen, vermöge welcher die entzweyten Gegensätze ihre Beruhigung fin¬ den, und Streitigkeiten, die sich erhoben, nicht wie bey dem Zweykammersystem auf sich beruhen, oder durch die Gewalt geschlichtet werden müssen, sondern innerlich sich vertragen lassen. Da inzwischen in solcher Ordnung eine denkbare, oft genug eingetretene Verbindung der beyden höheren Stände mit dem Hofe leicht die Gemeinen unterdrü¬ cken könnte, so müßte für diesen Fall in solcher Weise vorgesorgt werden, daß ihre großen und stehenden Interessen durch die Stimmweise schon gedeckt erschie¬ nen, indem diese nach dem vorherrschenden Charakter des vorliegenden Gegenstandes auch verschieden sich modifizirte. So da bey den Steuerbewilligungen und Conscriptionen die geometrische und ponderable Größe des Besitzes einerseits, und andrerseits die arithmetische Zahl die Leistung zu machen hat, so würde hier auch die Zahl in einfacher Stimmenmehrheit beym Zusam¬ menzählen der Votirenden entscheiden; wobey wie bil¬ lig der dritte Stand die entscheidende Stimme hat. Bey allen Erörterungen, die das democratische Ele¬ ment der Verfassung und seine Verhältnisse nach auf¬ wärts, so wie die des Aristokatischen nach abwärts hin betreffen, würde nach Bänken zu stimmen seyn. In allen höheren Beziehungen, für alle Gegenstände der obern Gesetzgebung, für alles worin das monar¬ chische Princip und das Kirchliche überwiegt, würde, da man voraussetzen muß, daß die Einsicht wesentlich in der Regierung, und den ihr nähern Ständen eben so ruht, wie die Tüchtigkeit im Volke, nach Curien gestimmt werden; jedoch also, daß für Abänderungen der vertragenen Verfassung in wesentlichen Punkten, mit der Einwilligung des Fürsten zugleich die Bey¬ stimmung einer Mehrheit in den drey Curien erfor¬ dert würde. In allen andern Streitfragen der höhe¬ ren Art würde, da immer drey Glieder vorhanden 13 sind, von denen je Eines, das Andere in einem Ele¬ mente berührt, zu zweyen Streitenden immer ein drit¬ tes Beruhigendes gefunden werden, und am häufigsten, da Adel und Gemeine am öftersten in den Widerstreit der Interessen kommen, wird der Lehrstand alsdann Schiedsrichteramt versehen. Das Alles sind Formen, die obgleich sie nach den Gesetzen der bildenden Naturkraft gestaltet sind, doch so oder anders gewendet und vielfach anders modifizirt werden können; wie eben die Natur allen ihren lebendigen Bildungen zwar die menschliche Ge¬ stalt als Grundtypus untergelegt, aber vielfältig wech¬ selnd in den Elementen und den Verhältnissen, aus denen das Ganze sich zusammensetzt, die eine Urform in vielen Thierbildern auseinandergezogen und ver¬ schoben hat. Aber in ihnen ist nur erst der Automat des Staats gegeben, der nichts als ein lebloser Leich¬ nam ist, wenn ihm die innere Beselung fehlt, die ihn allein erhalten, treiben und begeistigen kann. Es giebt aber drey Grundprinzipe dieser Beseelung, die je nach der Höhe der Fakultät, worin sie wur¬ zeln, in Würde verschieden sich erweisen. Das erste ist die Religion, die ihre Weihe vom Ueberirdischen ableitend, das Irdische damit durchdringend zu heili¬ gen sucht, und den Staat zu einem Sacramente macht. Im Vorherrschen dieses Prinzipes haben die alten Priesterstaaten sich gebildet, mit denen überall die Geschichte beginnt, indem das erste Regiment auf Er¬ den als Theocratie sich gestaltet. Indem aber das Prie¬ sterthum im Verlauf der Zeit sich im Hochmuth über¬ hoben, hat bald die Macht ihr Recht behauptet und die Kraft und der Muth, und nun sind die Könige aufgekommen, die an der Spitze ihrer Gefolge vom Aufgang bis zum Niedergang die Völker sich unter¬ worfen haben, und nach und nach jene Weltmonarchien zusammengeballt, deren Thaten das Buch der Zeiten aufgeschrieben. Hier hat die Ehre vorgeherrscht und die kriegerische Tugend, und wie dort der Krumm¬ stab, so ist das Schwert hier der Zepter, der geho¬ ben und geneigt, lenkt und führt. Dann aber, als die Gewalt in Despotismus ausgeartet, der eine un¬ erträgliche Last, auf den Völkern gedrückt; da haben Alle, in denen noch eine Energie und eine geistige Schnellkraft zurückgeblieben, endlich das Joch von ihrem Nacken abgeworfen, und Democratien sind ent¬ standen, und Winkel und Richtmaaß sind zu Ehren kommen und die Pflugschaar; bürgerliche Tugenden haben nun sich geltend gemacht und republicanischer Sinn; statt der Ehre Ehrlichkeit, statt der Heiligung die ethische Würde, abwärts ruhend auf der mora¬ lischen Natur des Menschen und dem Gewissen. Das ist der Gang, den die Verfassung durch das ganze Alterthum, absteigend von der Höhe übersinn¬ licher Motive, bis zur sinnlichen derben, tüchtigen Wirklichkeit genommen; so im Orient; so bey den Griechen aus der Priesterzeit, durch die Heroische in die Volkszeit; so bey den Römern, deren Theocratie in die Hetrurische aufgeht, die dann unter den Kö¬ nigen schnell die zweyte Periode durchlaufen, um zu¬ letzt den größten Theil ihrer Dauer mit der Democratie zu erfüllen. Es ist aber im Alterthum nur die eine absteigende Hälfte der Geschichte dargestellt; die Neuere ist eben so in umgekehrter Folge bis ins Mittelalter hinan¬ gestiegen. Nachdem dies Aufsteigen bey den Völkern der alten Cultur mit Alexander und den römischen Imperatoren in's Verderben der Democratie eingetre¬ ten, und dann das Christenthum in ihrer Mitte ei¬ nen neuen Priesterstaat gegründet, hat es den Nor¬ den zuerst in den Kreis der Bildung ziehend, dort aus der noch grünenden Democratie germanischer Völ¬ kerschaften, zuerst in Carl dem Großen eine neue Welt¬ monarchie heraufgetrieben, und dann über ihr den großen Priesterstaat durch ganz Europa herverbreitet. Aber als die Krieger mit den Priestern unter den rheinfränkischen Kaisern, mitten in der höchsten Blüthe ihrer Macht, jene harte Fehde gekämpft, da haben sie sich untereinander aufgerieben; also, daß die welt¬ liche Macht zuerst hingewelkt, und mit den schwäbi¬ schen Kaisern der Ruhm und die Stärke Teutschlands 13* ausgegangen; die Priesterherrschaft aber, nachdem ihre Stütze erst gefallen, gleichfalls durch innere Ent¬ zweyung geschwächt, dann in Entartung aufgelöst, endlich von der Reformation im ganzen Norden ge¬ stürzt, und im Süden wenigstens in ihren Grundve¬ sten erschüttert wurde. Ihr folgte im Untergang das Kaiserthum, indem es in die Territorialherrschaft hingewelkt; diese selbst löste sich in ihren Abstractio¬ nen auf, und so ist in der schon früher geschilderten Weise, da, wenn die Blüthe gewelkt, und die Pflanze eingedorrt, das Leben im Samen beschlossen, rück¬ kehrt in die Erde, mitten im Reich der allgemeinen Willkühr die ursprüngliche Democratie, wenn auch nicht factisch, doch potentialiter durch eine zweyte ab¬ steigende Bewegung wiederhergestellt. Zwar ist es nicht die alte, sprossende Waldkraft, mit ihrer Fülle von Naturtrieben, die hier zurückge¬ kehrt; denn es liegt eine ganze Culturzeit hinter ihr, und die Reproduction ist im Charakter der fortschrei¬ tenden Geschichte vorgegangen: aber was sie nach der Naturseite eingebüßt, ist ihr nach der Geistigen wie¬ der zugewachsen. Darum treibt ein innerer Instinkt sie bewußtlos nach Allem hin, wodurch sie den neuen Kreis, der ihr eröffnet ist, erfüllen kann; sie strebt und ringt mit allen ihren Kräften, sich von jener Willkühr vor Allem loszuwinden, bey der, wie sie fühlt, fernerhin kein Verlaß mehr ist, keine Sicher¬ heit nach außen, und kein Friede nach innen hin, nicht Würde, Hoffnung oder Liebe. Diese Willkühr selbst hat solcher Stimmung vorge¬ arbeitet; jener statistische Kram, jene staatswirthschaft¬ liche Mästungslehre, die den Menschen zur Stallfüt¬ terung eingestellt, und um des Gewinnes Willen sein Leibliches auf Unkosten des Geistigen herausgefüttert, und die, wenn es in allem ihr nach Wunsch gegan¬ gen, und nicht wider ihren Willen geistige Erregun¬ gen wie Blitze durchgezuckt, am Ende mit jenem scheu߬ lichen Cretinism geendet hätte, wo der ganze höhere Mensch in die blos vegetative Sphäre herabgesunken, nur noch in den Drüsen lebt: das Alles bewies, daß die Autorität schon längst zu einer krankhaften Lebens¬ kraft herabgesunken, und nahe daran gewesen, dem Automatischen anheim zu fallen. Darum ist es ganz im Geiste dieser nun wirklich sich emanzipirenden Zeit, daß sie im Gefühle ihrer Noth und im Verständniß, wo ihre Stärke und wo die Schwäche, vorläufig von nichts als dem sinnlich Greifbaren hören will; und es ist begreiflich, woher ihr die Neigung kömmt, in den Verfassungen Maschi¬ nen zu bauen nach den Gesetzen des Hebels und der schiefen Ebne, worin der Grundbesitz als ziehen¬ des Gewicht, das Geld als treibende Feder die bewe¬ genden Kräfte bilden; die Beamten, Räder und Ge¬ triebe, die Kammer den Pendul machen soll, der alle Bewegungen regulirt; der Fürst den Zeiger, der die Zeit anzeigen muß. Nicht ist diese Neigung zum Pon¬ derabeln auf dem Puncte, wohin die Sache jetzt ge¬ diehen, zu tadeln; jede Zeit soll handeln in dem Geiste, der sie beseelt, und da der bildende Proteus jetzt ein Mechanicus geworden, der politische Planetarien zim¬ mert, so soll man ihn eben nicht durch hartnäckigen Widerspruch im Werke irren. Aber dann auch soll man vor Allem nicht vergessen, daß wie man in der äußern Mechanik die Naturge¬ setze als unverbrüchlich längst sich gefallen läßt; und ihnen zuwider zu handeln für eine Thorheit hält, so auch in der geistig politischen die ethischen Gesetze, die auf gleicher Höhe mit jenen physischen stehen, und gleich unerbittlich jede Uebertretung ahnden, aner¬ kenne. So sicher und unbedingt wie die physischen Sätze: daß bey ungleichen Hebelarmen im Gleichge¬ wichte die Lasten sich umgekehrt wie die Längen der Arme verhalten müssen; daß beym Falle der Körper die Räume wie die Quadrate der Fallzeiten sich ver¬ halten, für die Natur Geltung haben, so für die Gei¬ sterwelt die moralischen Gesetze: daß Rechte und Pflich¬ ten, Freyheit und Gehorsam, Geben und Nehmen wechselseitig sich bedingen; daß jede Gewaltthat eine Entgegengesetzte herausfordert und jedes Aeußerste ein Aeußerstes zum Gegenstreite; daß, das Unterlassen eines gebotenen Guten eben so als Missethat geahndet wird, wie das Thun eines verbotenen Schlechten; daß der Krieg zwar nothwendig die äußersten Gegen¬ sätze hält, der Friede aber nur in der Temperatur der Mitte gefunden wird u. s. w. Alle diese ethischen Gesetze müssen in der Gesellschaft mit der Gewißheit mathe¬ matischer Axiome geltend werden; sie müssen als all¬ gemein unverbrüchliche Maximen sie in allen ihren Elementen durchdrungen haben: dann mag sie im¬ merhin ohne Gefahr ihrem Instinkte folgen; sie mag ihre Verfassungen gründen einzig auf den Ackerboden und den Verkehr, auf Actien und Erben und die Aristo¬ cratie der Meistbeerbten; sie mag die wirkenden, le¬ bendigen Kräfte in der Verfassung vielfältig zersetzend, und wieder nach der Diagonale sie vereinigend ihre mathematischen Belustigungen und ihre stöchyometri¬ schen Calcüle treiben, und die Gesellschaft auf der untersten Stufe des Lebens einstweilen zum tausend¬ armigen Polypen machen. Nur erst, wenn die bürgerliche Tugend die einzige Staatsklugheit geworden, hat dieser Mechanism seine Beseelung, wie sie die Zeit ihm geben kann, erlangt, und nur dann wird er wie ein organischer Körper sich selbst schützen und erhalten; aber nimmermehr, wenn man die Schlechtigkeit aller Menschen als be¬ kannt voraussetzend, nach dem jetzt, besonders in Frank¬ reich herrschenden Vorurtheil, in der Form und allen ihren Cautelen und Gegensätzen und Controlen, ein Surrogat der fehlenden Ehrlichkeit zu finden glaubt, und also, da ein Versuch um den andern mißlingt, in der moralischen Welt einem beynahe noch wesenlo¬ seren Phantom nachjagt, als das perpetuum mobile von je in der Mechanik sich erwiesen. Mit vollem Rechte und mit der lobenswürdigsten Beharrlichkeit eifert Adam Müller , in allen seinen Schriften, aus seinem höhe¬ ren Standpunkt gegen diesen furchtbaren Irrthum, der, aus der gröbsten materialistischen Ansicht hervor¬ gegangen, den Franzosen in der Politik eben so eigen¬ thümlich ist, wie das System des Genusses und der wohl¬ verstandnen Eigenliebe ihrer Moral seit Helvetius: aber eben deswegen, wenn auch Teutsche an ihm Theil ge¬ nommen, so ist dies nur eine Verirrung Einzelner, die in dem ethischen Sinne der Nation nie dauerhafte Wurzel schlagen wird. Es neigt vielmehr sichtbar Alles zu dem Punkte, daß auf der Stufe, wo sie sich jetzt befindet, wirklich eine allgemeine Rechtlichkeit und der Inbegriff republi¬ canischer Tugenden, gemildert und getragen von dem, was noch von religiösen Motiven wirkt und treibt, vor¬ herrschend die Begeistigung ihres öffentlichen Lebens zu werden im Begriffe steht. Dann solt man aber auch nicht schelten, daß der Gang der Zeiten zu so kör¬ perhaften Ansichten von Staat und Verfassung hinge¬ trieben; es ist die nothwendige Folge der Entwicklung; und wie im Mutterleibe nur allein die plastischen Kräfte im Dunkel des Geheimnisses walten, und die Geisti¬ gen erst später übertreten, so auch im Bildungswerke des Jahrhunderts. Man soll erhalten für die Zukunft Alles, was noch von der vorigen Bildungsstufe her grünend und lebendig steht, und es sichern gegen den wilden Zerstörungstrieb, der in diese Zeit hineinge¬ fahren; man mag hindeutend auf das Höhere, anfa¬ chen die geistige Flamme, da, wo sie nur trübe brennt; und der Geist der schwebend über der Masse steht, soll in denen, die der Zeit vorangeeilt, die Flü¬ gel schwingen und regen, daß der Athem des Lebens das Werk wärmend und bebrütend durchziehe. Aber man kann die Zukunft nicht postuliren, wie man die Vergangenheit nicht wieder erwecken mag; die Religion, die sich meist in die Herzen zurückgezo¬ gen, hat für den Augenblick aufgehört, ein großes architectonisches Princip zu seyn; eben wie die alte Ehre, die in der allgemeinen Ehrlosigkeit der letzten Jahrhunderte versiegt. Darum bildet der Werkmeister in dieser Zeit allein mit den Arbeitern, die noch rü¬ stig sich beweisen, und braucht die Andern nur als Gehülfen, insofern sie noch bey Kraft und Vermögen sind. Ist das Geschlecht erst dahingegangen, das im Drange einer stürmischen Zeit nur für die Gegen¬ wart erstarkt, aber den Sinn für Zukunft und Ver¬ gangenheit darüber eingebüßt; hat die Democratie sich erst von jenem formalen Despotism losgerungen und wieder Wurzel im alten Boden schlagend, zuerst sich und dann auch die ohnmächtige Monarchie gekräftigt und belebt; und ist dann, nachdem der Argwohn erst gewichen, ruhiges Gemach und ein unbefangner Sinn zurückgekehrt: dann wird allmählig das Höhere wie¬ der sein Recht behaupten, und die Bewegung, die seit so vielen Jahrhunderten, bey stets zunehmender Schwerkraft, immerfort in der Verfassung sinkend ge¬ wesen, wird wieder eine steigende werden, indem die Triebkraft der im Volke entwickelten Geistigkeit end¬ lich die träge Masse bezwingt und wieder aufwärts hebt. Dann wird sich im Wetteifer, zwischen dem Verdienst¬ adel von unten herauf und dem Geburtsadel von oben herab zuerst wieder die wahre Ehre zu einem herrschenden Trieb erheben; sie, die in der Mitte zwi¬ schen religiösem Glauben und irdischer Begreiflichkeit wie die alte Herrenlehre, alsdann von der tüchtigen Unterlage des Verdienstes Schrot und Korn, von der gesellschaftlichen Uebereinkunft aber die Währung er¬ hält, und die darum zu einem Vereinigungspunkte starker Willenskräfte in Zeiten der Gefahr oder gro¬ ßer Bewegungen werden kann. In dem Maße, wie der alte Adel dann erkennt, daß seine wahre Ahnen¬ probe allein die Verdienstprobe ist, wird auch wohl in den Plebeyern wieder das dem Menschen natürliche Verlangen von neuem sich beleben, ihre Ehre wie je¬ den andern Besitz auf ihrer würdige Nachkommen zu verpflanzen, auf daß sie nicht blos eine Welle im brandenden Meere sich verliere, sondern wie ein zu¬ sammenhängender Strom durch die Zeiten gehe, und dadurch zu einem noch stärkern Bande der Verbindung werde. Ist dann durch glücklichen Wurf dort jene Verjüngung, hier diese Forterbung durch mehrere Ge¬ nerationen hindurch gelungen, dann werden wieder wie im alten Rom Geschlechter sich erheben, die ent¬ weder zum Volke niedergestiegen, oder aus seiner Mitte erwachten sind; die als große stehende Charak¬ tertypen das blos Vorübergehende überdauern, und nicht allein durch sich, sondern auch noch durch die reiche Erbe alter im Gedächtnisse des Volkes immer gegenwärtiger Ehre gelten, und darum seine Achtung zugleich mit seiner Neigung und Dankbarkeit an sich fesseln, die es Beydes dem jetzigen dürren, hohlen, nichtigen Wesen zuzuwenden nicht in Versuchung kömmt. Dann wird auch die Zeit wieder kommen, wo alle teutschen Stämme nach der Erkenntniß, die ihnen schon jetzt beywohnt, auch handeln werden, begreifend daß ihre Vielheit zwar ein kostbares Gut sey, das sie beynahe vor allen jetzigen Völkern sich erhalten; daß dieser Segen aber zu einem Fluche werden müsse, wenn ihr keine bindende Einheit gegeben wird; und diese wird, wenn manche Eidgenossenschaft sich als nicht hinreichend im Drange der Zeit für die gemeine Freyheit und Sicher¬ heit erwiesen, wohl auch einmal wieder von einem starken Geschlechte gehandhabt werden, das die Krone Carls des Großen unter ihrer Last nicht niederdrückt, dem sein Mantel gerecht, und das sein Schwerd zu schwingen im Stande ist. Unterdessen wird denn auch der religiöse Sinn wie¬ der sich seiner jetzigen Beschlossenheit entwinden, und man wird wieder allgemein erkennen, daß Religion nicht das Mährchen ist, das die Amme Goldmund den kindisch horchenden Völkern vorerzählt; sondern das Band, das die Geister eint, das Wort des bil¬ denden Weltgeistes in der Menschensprache ausgespro¬ chen; daß selbst die Natur bewußtlos ihre Mysterien feyert; daß der Staat nur das Erdgeschoß der Kirche ist, und das öffentliche Leben und die Pflege der Wis¬ senschaften selbst ein Gottesdienst. In der katholischen Geistlichkeit wird aus der sittlichen Reinheit, die sie durchgängig in Teutschland noch immerfort bezeichnet, wieder leicht jener höhere Sinn erblühen, und in ihm sich jene Begeistrung entzünden, die die jetzige Erstar¬ rung löst, und den Formen den vergeßnen Inhalt wieder giebt. Sie wird erkennen, daß nicht ein dum¬ pfer, schwerer Obscurantism zu diesem Ziele führt, der in unverständigem Eifer Gottes edelste Gabe das Licht verfolgt, — frevelnd an der Wahrheit, die sich selber siegreich überall behauptet, und die nur ein verworre¬ nes Wissen sich selbst zum Nachtheil trübt, ein gan¬ zes und gründliches aber immer aufs Neue sichert und bewährt; frevelnd an der Freyheit, die Gott dem Menschen gegönnt, die halb gebraucht, wohl zum Irrthum führt, in voller Entwicklung aber, wenn sie nur aufrichtigen Herzens ist, sich selbst wieder ihr Maaß giebt, und ihre Gränze — : sondern indem sie selbst im Heiligthume die Fackel zündet, die mit der Finsterniß auch die Frivolität zerstreut, in die allein der Unglaube von je seine Wurzel geschlagen. Die Pro¬ testantische wird diesem Streben entgegen kommen, in¬ dem sie den rechten Gebrauch von ihrer Freyheit macht; nicht verwechselnd eigenwillige, launenhafte Menschen¬ satzung, die mit dem Menschen kömmt und geht, mit der ewigen Wahrheit, die für alle Zeiten gilt. Sie wird immerhin nach ihrer Weise, geleitet durch die Schrift, aus den Verhältnissen der endlichen Persön¬ lichkeit die Verhältnisse des Unendlichen erschließen; aber sie wird jene zu diesem Behufe erst von aller Befangenheit, Eigensucht und jenen irdischen Leiden¬ schaften klären, daß sie im hellen Wasser des edeln Gesteines dem höheren Lichte durch und durch geöff¬ net steht, das aber jeder steigende Hochmuth, indem er den Schlamm der Tiefe rührt, nur allzu leicht trübt und wölkt. Die Wissenschaften nicht blos als ein weltliches Handwerk geübt, das in die Kümmer¬ lichkeit des irdischen Daseyns niederzieht, sondern nach alter Weise immer auf das höchste Mysterium, wie der Philosophie so der Religion zurückbezogen, werden nicht ferner wie schwere Gewichte sich dem strebenden Geist anhängen, sondern wie Schwingen ihn zu seiner höheren Bestimmung tragen. Dann werden die ver¬ schiednen Confessionen sich wieder einander und dem Stamme nahen, nicht formal durch Laune oder irgend eine Absicht und Gewalt bestimmt, die nur den schlafen¬ den Fanatism zu wecken dient; sondern weil gerade die volle Freyheit sich selbst in die Nothwendigkeit um¬ beugt. Neue Kirchenväter werden sich dann erheben, die wie die Alten das griechische Wissen, so und in noch größerem Maaße die Weisheit der Zeit bemei¬ stern, daß sie sich freywillig vor ihrer Herrin beugt, und die Wissenschaften wieder ihr Haupt mit ihrer Ster¬ nenkrone kränzen. Sie werden nicht etwa ein Pfaffenthum begründen, das unter dem Vorwande des Heiligen blos ir¬ dische Zwecke verfolgt, gemeine Leidenschaften für Ein¬ gebungen eines höheren Geistes geltend zu machen versucht, verschmitzter Herrschsucht fröhnt, oder in feistem Wohlleben sich gefällt: das Alles ist gebro¬ chen, zerrissen und abgethan, und nimmermehr wird die Zeit sich zu seiner Herstellung bereden lassen. Aber ein würdiges Priesterthum wird sie wieder gewinnen, das zwar wie alles Irdische an einer Wurzel auf Erden befestigt ist, dessen Domäne aber in dem stets sich erweiternden geistigen Reiche liegt, und aus dessen Munde jener längst verheissene Paraclet reden wird, dessen die Zeit so oft geharrt. Man mag solche Ansicht chiliastische Thorheit schelten, aber auf solche Thorheit war das Christen¬ thum gebaut, das die Gestalt der Welt verwandelt hat, und der jetzige Geist einer scharfen, kalten Welt¬ klugheit in ihrer religiösen Sonnenferne wird wenigstens nicht unsterblicher seyn, als die Begeisterung früherer Zeiten in der warmen Sonnennähe.Es kann aber je¬ ner klügelnde Geist eben keinen andern Weg angeben, der nicht durch Blutvergießen, Bürgerkrieg, Aufstand und Frevel führt; vor Allem aber wird die Hoffnung verlarvter Gier, die da glaubt auf dem Wege des Territorialsystems durch Unterjochung der verschied¬ nen Stämme zur Oberherrschaft zu gelangen, an dem erwachten Nationalgefühle und den vielen unbezwing¬ baren Gegensätzen, die Gott in die Nation gelegt, aufs schmählichste zu Schanden werden; und minder phantastisch ist eine teutsche Republik, und näher liegt ein Bundesstaat in den Formen des Amerikanischen der Gegenwart, als eine solche Hegemonie, die keiner sich gefallen zu lassen die mindeste Reigung hat. Da¬ rum ist, da die Natur der Dinge selbst alle Neben¬ wege gänzlich abgeschnitten, der einzige gerade, hi¬ storische noch übrig, der zum Ziele führt: alles Sträu¬ ben ist vergeblich, alles Hemmen überflüssig, alle Li¬ sten sind verloren, er muß gegangen seyn. Ob sie zagen, ob sie zürnen, ob sie Künste üben, ob sie die Gewalt zu Hülfe nehmen; nimmer steht die Geschichte ihrem Rufe still, es kömmt die Fluth herangerauscht, haben auch alle Könige ihre Stühle ans Meeresufer hingestellt. Darum soll man zu göttlichem Rathschluß den menschlichen Willen thun, damit dieser vor dem Stärkern nicht zu Schanden werde; man soll den Dingen ihren Lauf gestatten, und mit Gewalt nicht irren von oben noch von unten die Ereignisse. Nur in Treue und Gerechtigkeit handelt der Teutsche sei¬ ner Natur gemäß, alles was er außer ihr unternimmt, ist ungeschickt, dumm und ohne Segen. Darum zuvörderst Ihr vom dritten Stande! laßt Euch in keine Weise ableiten von der Bahn der Ge¬ setzlichkeit! Ihr habt gegen jenes Phantom der Will¬ kühr Euch erhoben, das despotische Minister und Höflinge des Auslands zuerst für ihre Zwecke erfun¬ den, und herrische Söldner befestigt haben, und das dann zu uns herübergebracht, abstrakte Schriftgelehrte, denen alles Leben fremd geworden, und Juristen, die überall den Vorwurf sich mit Rechte zugezogen, daß sie durch Verrath die Völker um ihre Freyheiten be¬ trügen helfen, in jene pedantische Form gebracht, die es zwar in seiner Schärfe abgestumpft, aber darum dem öffentlichen Geiste nur noch nachtheiliger gemacht. Indem Ihr gegen dies wesenlose Abstraktum, das sich gespenstisch zwischen die Monarchie und das Volk ge¬ schoben, aufgestanden,habt Ihr Eure alten unverjährten Freyheiten zurückverlangt, und sie müssen Euch zu Theile werden. Ihr wollt nicht länger zinsen und zah¬ len nach fremdem Gutbefinden, als wäret Ihr der Kammer alle insgesammt als hörig und leibeigen un¬ terthan; vielmehr wollt Ihr wie ehmals allein erbetne nicht gebotne Steuern dem Staat entrichten. Ihr wollt Euch nicht länger bannen lassen zum Heer¬ gefolge und jeder Fehde, sondern, wie es bey den Vorvordern der Fall gewesen, mannen allein zur Nothwehr bey Feindes Ueberzug. Ihr wollt nicht Recht nehmen vor Gerichten, die in leeren Formen und Grübeleyen sich verlieren; ihr wollt es weisen fortan durch Schöpfen und Geschworne. Ihr wollt, daß das Verdienst ausgleiche jeden Ranges Unterschied, und daß der Verkehr, die Rede und der Gedanke frey sey wie der Athem. Ihr wollet endlich blind in keinem Dinge dem Ge¬ heiße der Willkühr dienen; sondern allein in freyer Unterwerfung Euch Gesetzen fügen, zu denen Ihr selbst zuvor die Einwilligung gegeben. Das sind Eure Rechte, und sie können Euch nicht bestritten werden; ihre Einräumung ist keine Vergünstigung, die man nach Belieben aussetzen und verzögern könnte, am wenigsten in einer Zeit, die unaufhörlich mit neuen verderblichen Organisationen und Anmaßungen, wie mit Ungeheuern, schwanger geht. Aber so gutes Recht sollt Ihr durch kein Unrecht Euch verderben, Ihr würdet die Gegner allein damit erfreuen. Ist der Himmel doch jenes schlangenfüßigen Titanen Meister worden, der die Revolution verschlun¬ gen, und in ihrer furchtbaren Kraft gewirkt, was sollte ihm sonst noch widerstehen in dieser Zeit? Alles Unrecht will wider den Strom der Geschichte an; laßt die Thoren sich abmüden, wenn sie glauben, sie seyen hoch hinauf, landen sie athemlos tiefer, als von wan¬ nen sie ausgeschwommen. Allein auf dem Rechte ruht die Autorität, will sie von ihm sich loszusagen versu¬ chen, dann wird ihre gänzliche Unmacht ihr bald den Irrthum begreiflich machen, den sie begangen hat. Alle Heere, die auf Erden sind, mögen nicht eine ein¬ zige mathematische Wahrheit zu nichte machen, noch weniger werden sie ein ethisches Weltgesetz erschüttern. Jedes Unrecht ist von Gott verlassen, der allein der gerechten Sache hilft; mag auch die Gewalt auf sei¬ ner Seite stehen, es verwickelt sich nur allzu bald in seine eignen Widersprüche, wird in seinen Sophismen verfangen und in seinen Inconsequenzen verstrickt, daß ihm zuletzt kein Entrinnen mehr möglich ist. Aber freilich nicht das todte Recht, das auf dem Papiere steht, kann sich geltend machen; nur allein das, was aus den Herzen in's Leben eingedrungen, wird dort leicht siegreich werden. Darum je mehr die Willkühr sich erlaubt, um so enger sollen sich Alle an¬ einander schließen; wenn Alle ihrer Augen Licht im¬ mer auf eine Stelle richten, dann wird dort wie in einem Brennpunkt sich eine Flamme sammeln, der das Feuerfesteste selbst nicht widerstehen mag. Laßt nicht ab zu fordern, was Euch angehört, kommt im¬ mer wieder auf denselben Punkt zurück; aber also sey Euer Gang, daß Ihr keine Zwischenstufe ungeduldig überspringet, noch auch einen Schritt vorwärts thut, den Ihr zurückzuthun Euch genöthigt sähet, und so Ihr dann mit Muthe für Eure Sache steht, wird der Erfolg nicht dem Bemühen fehlen. Aber indem Ihr Recht nehmt, vergeßt nicht Recht zu geben, wem Recht gebührt; und indem Ihr der Strenge des Grund¬ satzes nichts vergebt, unterlaßt nicht in der Anwen¬ dung Billigkeit zu üben: denn die Theorie ist scharf wie Schwertes Schneide und wie Feuers Flamme fressend; alles Menschliche aber ist aus Entgegenge¬ setztem gemischt, und in milden Uebergängen tempe¬ rirt, und seine Natur haßt wie Gift alles Unmäßige. Laßt Euch nicht zu thörichtem Streit verhetzen, schon die unlautere Quelle, aus der Euch der Antrieb kömmt, soll Euch Verdacht einflößen; indem Ihr ha¬ dert, denken sie lachend die Beute davon zu tragen. Glaubt nicht, daß Euch eine neue Freyheit zu Theile werde, ohne eine neue Leistung und daß das Gute ohne Euer Zuthun Euch im Schlaf anfliege; das ganze Streben dieser Zeit kann nur einen vernünfti¬ gen Sinn in sich haben: daß sie reger, lebendiger und tüchtiger zu seyn sich vorgenommen, als die Frü¬ here gewesen; thut sie in dieser Weise, dann wird ihr auch ein glücklicher Loos zu Theile fallen; ist es an¬ ders, dann wird sie sich jämmerlich betrogen finden. Denn Verfassungen sind gar nichts ohne Bürgertu¬ gend, hätte diese in uns gelebt, dann wäre die Frey¬ heit nicht zu Grund gegangen; das bloße Verlangen nach ihrer Wiederherstellung ist aber noch kein Be¬ weis, daß die Tüchtigkeit dazu zurückgekehrt. Nur all¬ zu gegründet ist der Vorwurf dieser Zeit gemacht, daß sie zu gehorchen verlernt, und doch nicht frey zu seyn versteht; das ist ein großes Recht der Regierun¬ gen bey allem Unrecht, das sie in Vielem haben mögen: denn die Zügel der Herrschaft können nicht im Winde fliegen. Nur zu oft hat die ganze Liberalität dieses Geschlechtes sich nur als eine verlarvte Willkühr aus¬ gewiesen, wie sich häufig genug gerade an den Libe¬ ralsten gezeigt, wenn sie in den Fall gekommen, ihre Grundsätze auszuüben. Wer Alles allein für sich ha¬ ben will und dem Andern nichts vergönnt, sey es Stand, Person oder Körperschaft, ist ein Tyrann und folglich auch ein Sclave; die Freyheit in der Mitte aber will nicht blos liberal im Nehmen, sondern auch im Gestatten seyn. Ihr vom Adel! erinnert Euch wieder der zwie¬ fachen Natur, die sich in Euch begegnen soll, wovon die Eine der Monarchie sich zugewendet, die Andere dem Volke sich zugekehrt. Indem Ihr in den letzten Zei¬ ten Euch allzu ausschließlich jener ergeben habt, indem Ihr im Hofdienst und im stehenden Heere Euch selbst hörig gemacht ohne Vorbehalt, ist eure eigentliche Standesehre vor dem Volke hingeschwunden, das in Euch nur Leibeigne der Landeshoheit erblicken konnte. Mit dieser Landeshoheit habt Ihr die Beute des Reichs getheilt, indem Ihr in euern Lehngütern Euch die Dotation des Krieges zugeeignet; das bedenkend wer¬ det Ihr der Billigkeit nicht Gehör versagen im jetzigen Streite, der sich mit den Gemeinen erhoben hat. Vor Revolutionen kann keine Verjährung gelten, sie fahren schnell über die Jahrhunderte bis zum Ursprung des Mißbrauchs hin, und die Französische hat ihren Baronen mit einemmale ihren ganzen Feudalbesitz ab¬ gefordert. Darum wendet Euch nicht ab von billigem Vergleiche, der Euch den Besitzstand gewähren will, und nur das Unrecht nicht anerkennt, das durch die Verderbniß der Zeiten zu einem Recht geworden. Keine Rechte auf die Person dürft Ihr fortan in Anspruch neh¬ men; bey den Steuern sollte vielmehr Euer Ehrgeiz seyn, verhältnißmäßig mehr als Andere beyzutragen, weil Ihr mehr als sie gelten wollt. Wie selbst die Lan¬ deshoheit sich zu neuem Vertrage und neuen Einräu¬ mungen entschließen muß; so sollt Ihr in Allem was die Verfassung betreffen mag, dem gleichen Anspruche der Zeit auf Erneuerung der alten Bündte Euch in keine Weise entziehen. Aber daß die Auseinandersetz¬ ung auf dem Wege gütlicher Uebereinkunft geschehen möge, das zu verlangen habt ihr ein gutes Recht; auch daß, sind die Grundsätze erst festgestellt, die nö¬ thige Frist zur Ausführung gestattet werde. Je mehr ihr beweißt, daß noch wirklich die Standesehre in Euch lebendig ist, um so mehr wird die Idee auch den Widersagern Achtung abgewinnen; wollt Ihr Euch aber nur wie Pensionäre des aufgelösten Reiches hal¬ ten, dann wird freylich Euer Aussterben als wün¬ schenswerth erscheinen. Nicht auf ein Flickwerk ist es bey der Verfassung abgesehen, wie es die letzten Jahr¬ hunderte immer geliefert haben; nicht auf eine diplo¬ matische Halbheit, die nur mechanisch theilt, und Un¬ gleichartiges gewaltsam bindet, darum aber alle Par¬ theyen gleich unbefriedigt läßt; vielmehr sollen alle Aftergebilde einer krankhaften Zeit abgelöst werden vom Körper des Staates, daß indem jedem Organ das Seine zu Theile wird, das Ganze wieder in fri¬ scher Gesundheit blühe. Wer aber bösen Mißbrauch vertreten will, der erhält das Siechthum des Vater¬ landes, und muß als ein inneeer Feind und selbst ein Krankheitsstoff betrachtet werden. Darum wollet nicht Euer Unrecht mit euerm Rechte decken, damit nicht euer Recht mit dem Unrecht herausgeworfen werde. Alles was auf den Mißbrauch und das Schlechte in der Verfassung mit seinem Bestande angewiesen, fin¬ det nicht ferner mehr Gnade vor der Meinung. Die Thorheit des leeren Hochmuths auf blos conventionelle Vorzüge, die Aufgeblasenheit hohler Eitelkeit, das ganze dünkelhafte, anmaßliche Junkerthum ist die Fa¬ bel und der Spott der Zeit geworden; aber ein wah¬ rer, rechter, tüchtiger und ehrenfester Adel fehlt uns überall, am meisten in den höchsten Stellen, wo nur allzu oft die kahlste, flachste, plattste, erbärmlichste Gemeinheit ohne Würde, Anstand und eine Spur adelicher Ge¬ sinnung durch den Trödel äußerer Auszeichnung im Contraste nur um so schärfer sticht, und die Nation bey jeder Gelegenheit vor dem Ausland schändet. Ein solcher Adel, nicht im langweiligen Müßiggang der Höfe ausgeblasen; nicht im Stillleben auf seinem Be¬ sitz verbauert, kann allein aus einem regen öffentli¬ chen Leben in der Gymnastik der Kammern und der Volksbewaffnung, wieder uns erwachsen, und diese Schule vor Allem müssen die Geschlechter suchen, wenn sie sich historisch zu behaupten Sinnes sind. Ihr von der Geistlichkeit! Ihr seyd berufen dem Volke zu predigen den Gehorsam gegen die Obrig¬ keit; so folgt dann dem Berufe, lehrt es die bürger¬ liche Ordnung selbst in ihrem tiefsten Verfalle achtend ehren, daß es nicht weiche vom Wege der Gesetzlich¬ keit; und nie im Aufstand eigenmächtig die sittlichen Schranken zu durchbrechen unternehme. Aber dann auch tretet vor die Fürsten und ihre Räthe, und ruft sie unter dem Schutze euers heiligen Amtes, warnend, strafend wie ihr Gewissen an. Erinnert sie, daß sie nicht länger Gott versuchen, und wenn er ein Zeichen gethan, das ihre Schwarzkünstler nach eitler Wissenschaft gedeutet, immer wieder Neue von ihm fordern, damit er nicht endlich in seinem Zorn entbrenne, und ihnen das Letzte sendet, das sie und ihr Geschlecht verzehrt. Nicht um Verfas¬ sungen handelt sichs allein, sie werden nun, mag man wohl oder übel wollen, nicht länger mehr sich vorenthalten lassen; aber sie allein sind, wie die Erfahrung eines Menschenalters ausgewiesen, für sich gar wenig, tönende Schellen und hohlklingen¬ des Erz, so lange der Geist bleibt, gegen den man sie angerufen: jene gänzlich bewußtlos gewordne Willkühr, jene durch alle Verhältnisse durchfahrende Gewaltthätig¬ keit, jene Teutschvergessenheit und jenes Verkennen aller höheren und edleren Motive in öffentlichen An¬ gelegenheiten, jener Centralitäts- und Buchstabenkram, jene Finanzschwindeleyen durch ewigen Kriegsstand mit¬ ten im Frieden herbeygeführt, und jener furchtbare 14 rechtlose Zustand, der wenn auch nicht so gewaltthä¬ tig, wie in jener verrufenen kaiserlosen Zeit, doch beynahe eben so unerträglich ist. Es klagen die Völ¬ ker auf ihre Rechte, die die Willkühr ihnen vorent¬ halten; sie haben ihre Urkunden vorgelegt und ihre Briefe; die Geschichte steht an ihrer Seite, daß sie Zeugniß gebe; alle göttlichen und menschlichen Ge¬ setze sprechen zu ihren Gunsten, die Ehre und die un¬ verbrüchliche Heiligkeit der Verträge und die Unver¬ letzlichkeit des Schwures; alle gütlichen Mittel sind versucht, alle rechtlichen Fristen abgelaufen. Sie aber sind von Gott auf den Richterstuhl gesetzt, er hat sie zu Ausspendern und Vertretern seiner ewigen Gerechtigkeit gemacht, wehe denen! die nicht thun, was ihr heiliges Amt gebietet, und das Recht ver¬ sagen, nach dem die Kläger rufen. Sagt ihnen, daß auf ihrem Haupt alle Verantwortlichkeit der Zukunft ruhe, daß vor jenem Richterstuhle nicht bloß die böse That, sondern auch Unterlassen des gebotnen Thuns gerichtet werde. Erinnert sie, wie oft schon Gott an Teutschland seit einem Menschenalter ihr Unterlassen durch furchtbares Unglück heimgesucht, und wie all ihr passives Wohlmeinen vor seinem Zorne nichts ge¬ golten. Sagt Ihnen, daß wenn Sie auf der Höhe Recht mit Unrecht, Gesetzlichkeit mit Tyranney, die Ge¬ rechtigkeit mit Gewalt vermengen und verwirren, die¬ selbe Verwirrung bald auch der Masse sich mittheilen wird, deren Stärke allein durch das Maaß der Mitte ge¬ bändigt ist; und daß, hat das empörte Rechtsgefühl, das nirgend Recht gefunden, endlich einmal wüthend zur Selbsthülfe sich entschlossen, der Streit bald ge¬ schlichtet ist. Auf dem Papiere hat keine Verschwö¬ rung sich vorgefunden; ja nachdem man vor ganz Eu¬ ropa auf Hochverrath geklagt, hat man offiziell läug¬ nen müssen, daß man je auf eine Conspiration inqui¬ rirt: aber nichts destoweniger glimmt das Feuer in den Herzen; von Zeit zu Zeit schlagen kleine Flam¬ men zuckend auf, damit sie ein Zeichen seyen des Brandes, der unterirdisch glüht, und der täglich wei¬ ter um sich frißt, und den Boden furchtbar unter¬ höhlt. Darum ist es rathsam, denen das Recht zu gestatten, die das Recht allein begehren, damit man bey längerer Weigerung sich nicht genöthigt sehe, de¬ nen zu Willen zu thun, die dazu noch das Unrecht wollen. Nicht dahin geht das wohlverstandne Streben der Bessern in der Zeit, die Autorität zu untergraben, oder jede verwegene Neuerung irgend eines verrückten Kopfes auszuführen; nur gerade bey der Willkühr ist jene unheilbare Neuerungssucht, und gegen sie eben hat die Zeit sich aufgelehnt. Mag ein Usurpator, dem die blutige Erbschaft einer Revolution anheimgefallen, ihre demagogischen Künste in despotische umgewan¬ delt, gegen sie selber wenden; aber was sollen legitime Fürsten, durchgängig gutmüthig und wohlmeinend wie die der Unsern sind, mit dem Schatten einer Macht, die nur ein Tyrann in Wirklichkeit besitzen und hand¬ haben mag, und die für sie nur das Hemd des Nes¬ sus ist, das der Centaur mit Blute getränkt, ihnen zum Verderben im Tod vermacht. Diese Regentenge¬ schlechter, die mit dem Volke aus der Tiefe der Jahr¬ hunderte heraufgekommen, mit ihm eins sind und ver¬ bunden durch die Folge so vieler Menschenalter, sol¬ len herrschen nicht wie Imperatoren durch Bajonette, todte Buchstaben, Bannformeln und Cabinettsordern; sondern wie Väter im Familienkreise durch die Ehr¬ furcht des Alters, die Liebe der Blutsverwandschaft, das Vertrauen, das oft geprüfte Weisheit und Ge¬ rechtigkeit begründet, die Achtung, die überall die sittliche Würde gebiethet, und die Neigung, womit angestammte Milde aller Herzen bindet. Das sind Motive, deren die gegenwärtige Zeit gar wohl fähig ist, wenn erst einmal das Vertrauen sich wiederhergestellt: aber in ihr ist kaum eine Spur des brutalen Aberglaubens, der da der beschränkten menschlichen Weisheit zumuthet, daß sie allwissend sey, und der Unmacht, daß sie all¬ mächtig thue, und im Getriebe persönlicher Leiden¬ schaften, Unfehlbarkeit verlangt. Sie will, daß jener unwürdige Götzendienst ein Ende nehme; daß nicht länger mehr der Wind eitler Theorien durch die dürren Blätter der Akten rausche, sondern der Men¬ schenverstand selbst in menschlichen Dingen mit zu Rathe gehe, und das Leben und der Geist wieder da ihr Recht behaupten, wo durch leidige Erfahrun¬ gen ihr Beystand sich am unentbehrlichsten erwiesen. Das Alles sollt Ihr ihnen sagen und noch ein Meh¬ reres, wenn es vonnöthen ist, damit sie erkennen die Wunder, die der Himmel gethan, und sich beugen vor der Macht der Ideen, die sich in dieser Zeit kund gegeben. Zwanzig Jahre haben sie gegen diese Ideen angestritten, und sind beynahe bis zur Austilgung geschlagen worden; endlich als Gott ihres Unglücks und ihrer Zerknirschung sich erbarmt, und ihnen wie¬ der ihr Zeichen voraufgesendet, da haben sie unter ihm ihrerseits über die Feinde triumphirt, die nun die Rolle mit ihnen umgetauscht. Ihre Autorität ist auch eine Idee den andern ebenbürtig, ihre Weihe und Salbung ist auch im Namen der Idee geschehen; wer unter ihnen sie verläugnet, sinkt zu den gemeinen Sterblichen herab. Nur der herrscht fortan, der wieder das Haupt in ihrem Aether trägt; der aber muß als Sclave, wenn auch nur seinen Irrthümern und Leidenschaften dienen, wer nur in den irdischen Lüften schwer und beklommen athmet, und die Geschichte wird seinen Namen in ihren Büchern tilgen. Discite justitiam moniti, et non temnere Divos