Wanderungen durch die Mark Brandenburg . Wanderungen durch die Mark Brandenburg . Von Theodor Fontane. Berlin. Verlag von Wilhelm Hertz . (Bessersche Buchhandlung.) 1862. Osnabrück, Kisling’sche Buchdruckerei. Vorwort . „ E rst die Fremde lehrt uns, was wir an der Heimath be- sitzen.“ Das hab’ ich an mir selber erfahren und die ersten Anregungen zu diesen „Wanderungen durch die Mark“ sind mir auf Streifereien in der Fremde gekommen. Die Anre- gungen wurden Wunsch, der Wunsch wurde Entschluß. Es war in der schottischen Grafschaft Kinroß, deren schön- ster Punkt der Leven-See ist. Mitten im See liegt eine Insel und mitten auf der Insel, hinter Eschen halb versteckt, erhebt sich ein altes Douglas-Schloß, das in Lied und Sage viel- genannte Lochleven-Castle. Es sind nur Trümmer noch, die Kapelle liegt als ein Steinhaufen auf dem Schloßhof und statt der alten Einfassungs-Mauer zieht sich Weidengestrüpp um die Insel her; aber der Rundthurm steht noch, in dem Queen Mary gefangen saß, die Pforte ist noch sichtbar, durch die Willy Douglas die Königin in das rettende Boot führte, und das Fenster wird noch gezeigt, über dessen Brüstung hin- weg die alte Lady Douglas sich beugte, um mit weit vor- gehaltener Fackel dem nachsetzenden Boot den Weg und wo- möglich die Spur der Flüchtigen zu zeigen. Wir kamen von der Stadt Kinroß, die am Ufer des Leven-Sees liegt, und ruderten der Insel zu. Unser Boot legte an derselben Stelle an, an der das Boot der Königin in jener Nacht gelegen hatte, wir schritten über den Hof hin, langsam, als suchten wir noch die Fußspuren in dem hoch- aufgeschossenen Grase und lehnten uns dann über die Brüstung, an welcher die alte Lady Douglas gestanden und die Jagd der beiden Boote, das flüchtige und das nachsetzende, verfolgt hatte. Dann umfuhren wir die Insel und lenkten unser Boot nach Kinroß zurück, aber das Auge mochte sich nicht trennen von der Insel, auf deren Trümmergrau die Nach- mittagssonne und eine wehmüthig-unnennbare Stille lag. Nun griffen die Ruder rascher ein, die Insel wurde ein Strei- fen, endlich schwand sie ganz und nur als Phantasiebild noch stand eine zeitlang der Rund-Thurm vor uns auf dem Wasser, bis plötzlich die unstäte Phantasie weiter in ihre Erinnerungen zurückgriff und ältere Bilder vor das Bild dieses See’s und dieser Stunde schob. Es waren Bilder aus der Heimath. Auch eine Wasserfläche war es; aber nicht Schwarz- tannen faßten das Ufer ein, sondern ein Park und ein Laub- holzwald nahmen den See in ihren Arm. Im Flachboot stießen wir ab und so oft wir das Schilf am Ufer streiften, klang es, wie wenn eine Hand über knisternde Seide fährt. Zwei Schwestern saßen mir gegenüber. Die ältere streckte ihre Hand in das kühle klare Wasser des See’s und außer dem dumpfen Schlag des Ruders vernahm ich nichts als jenes leise Geräusch, womit die Wellchen zwischen den Fingern der weißen Hand hindurchplätscherten. Nun glitt das Boot durch Teichrosen hin, deren lange Stengel wir (so klar war das Wasser) aus dem Grunde des See’s aufsteigen sahen, dann lenkten wir das Boot bis an den Schilfgürtel und unter die weitüberhängenden Zweige des Parkes zurück. Endlich legten wir an, wo die Wassertreppe an’s Ufer führt, und ein Schloß stieg auf mit Flügeln und Thürmen, mit Hof und Treppe und mit einem Säulengange, der Ballustraden und Marmor- bilder trug. Dieser Hof und dieser Säulengang, die Zeugen wie vieler Lust, wie vielen Glanzes waren sie gewesen? Hier über diesen Hof hin hatte die Geige Graun’s geklungen, wenn sie das Flötenspiel des prinzlichen Freundes begleitete; hier waren Le Gaillard und Le Constant, die ersten Ritter des Bayard-Ordens, auf und abgeschritten; hier waren, in bun- tem Spiel, in heitrer Ironie, fingirte Ambassaden aus aller Herren Länder erschienen und von hier aus endlich waren die heiter Spielenden hinausgezogen und hatten sich bewährt im Ernst des Kampfs und auf den Höhen des Lebens. Hinter dem Säulengange glitzerten die gelben Schloßwände in aller Helle des Tags, kein romantischer Farbenton mischte sich ein, aber Schloß und Thurm, wohin das Auge fiel, alles trug den breiten historischen Stempel — die Fundamente der Roman- tik lagen da. Von der andern Seite des See’s her grüßte der Obelisk, der die Geschichte des siebenjährigen Krieges im Lapidarstyl trägt. So war das Bild des Rheinsberger Schlosses, das wie eine Fata Morgana über den Leven-See hinzog, und ehe noch unser Boot auf den Sand des Ufers lief, trat die Frage an mich heran: so schön dies Bild war, das die Insel im Leven-See vor dir entrollte, war jener Tag minder schön, als du im Flachboot über den Rheinsberger See fuhrst, die Schöpfungen und die Erinnerungen einer großen Zeit um dich her? und ich antwortete: nein . Die Jahre, die seit jenem Tag am Leven-See vergangen sind, haben mich in die Heimath zurückgeführt und die Ent- schlüsse von damals blieben unvergessen. Ich bin die Heimath durchzogen und ich habe sie reicher gefunden, als ich zu hoffen gewagt hatte. Jeder Fußbreit Erde belebte sich und gab Ge- stalten heraus, und wenn meine Schilderungen unbefriedigt lassen, so werd’ ich der Entschuldigung entbehren müssen, daß es eine Armuth war, die ich aufzuputzen oder zu vergolden hatte. Eine Fülle, ein Reichthum sind mir entgegen getreten, denen gegenüber ich die bestimmte Empfindung habe, ihrer niemals, auch nur annähernd, Herr werden zu können; denn das immerhin Umfangreiche, das ich in Nachstehendem biete, ist auf wenig Meilen eingesammelt: am Ruppiner See und vor den Thoren Berlins. Und sorglos hab’ ich es gesammelt, nicht wie einer, der mit der Sichel zur Erndte geht, sondern wie ein Spaziergänger, der einzelne Aehren aus dem reichen Felde zieht. Es ist ein Buntes, Mannigfaches, das ich zusammen- gestellt habe: Landschaftliches und Historisches, Sitten- und Charakterschilderung, — und verschieden wie die Dinge, so verschieden ist auch die Behandlung, die sie gefunden. Aber wie abweichend in Form und Inhalt die einzelnen Kapitel von einander sein mögen, darin sind sie sich gleich, daß sie aus Liebe und Anhänglichkeit an die Heimath geboren wur- den. Möchten sie auch in Andern jene Empfindungen wecken, von denen ich am eignen Herzen erfahren habe, daß sie ein Glück, ein Trost und die Quelle echtester Freuden sind. Th. F. Inhalt . Die Grafschaft Ruppin. Seite Wustrau 3 Carwe 14 Neu-Ruppin 27 Ein Gang durch die Stadt. Die Klosterkirche 27 Die Grafen von Ruppin 32 Kronprinz Friedrich in Ruppin 39 General von Günther 52 Schinkels Geburtshaus und seine Kinderjahre 63 „Bei Gustav Kühn in Neu-Ruppin“ 74 Rheinsberg 78 Einfahrt. Der Rathskeller. Das Möskefest 78 Die Rheinsberger Kirche 83 Das Schloß. Die Zimmer des Kronprinzen 90 Prinz Heinrich. Der Rheinsberger Park 100 Der große Obelisk 106 Zwischen Boberow-Wald und Huvenow-See 111 Der Rheinsberger Hof von 1786—1802 111 Baron Kniphausen und Baron Knesebeck 121 Die beiden Wreichs und Tauentzien 123 Major von Kaphengst 126 Graf und Gräfin La Roche-Aymon 133 Zernikow 144 Gantzer 151 Fehrbellin (Havelland) 162 Das Wustrauer Luch 172 Der Barnim. Seite Tegel 189 Schloß Oranienburg 206 Bis 1650 206 Die Zeit Louise Henriettens 212 Die Zeit Friedrichs III. 217 Die Zeit des Prinzen August Wilhelm 222 Seit 1758 229 Buch 235 Blumberg 249 Werneuchen 273 Prenden 296 Gusow (Land Lebus) 317 Küstrin (Neumark) 328 Der Teltow. Schloß Coepenick 341 Bis 1550 341 Die Zeit Joachims II. 343 Die Zeit des Kurprinzen Friedrich 346 Die Zeit Friedrich Wilhelms I. 351 Die Zeit Henriette Marie’s 354 Die Zeit des Grafen Schmettau 358 Seit 1806 361 Die Müggelsberge 364 Der Müggelsee 372 Das Schildhorn bei Spandau 377 Klein-Machenow oder Machenow auf dem Sande 383 Groß-Beeren 393 Löwenbruch 403 Schloß Beuthen 414 Saalow 422 Anmerkungen. Wustrau. Genealogisches 439 Der Rohren-Garten und das alte Rohr’sche Haus 440 Generalmajor v. Zieten und die Aebtissin 440 Der Krückstock des alten Zieten 441 Zietensche Säbel und Uniformstücke 441 Seite Carwe. Eine Revue vorm alten Fritz 442 Das Lob des Krieges 445 Neu-Ruppin. Grabschrift über der Gruft der Grafen von Ruppin 446 Das alte Ruppin (ein Bild in der Wuthenower Kirche) 446 Das Palais des Prinzen Ferdinand 446 Der Denkstein im Gentz’schen Garten 447 Rheinsberg. Die Inschriften des Obelisken 447 Grabschrift des Prinzen Heinrich 452 „Campagne des Prinzen Heinrich von 1778“ 453 Zernikow. Donation und Verschreibung über das Gut Zernikow für den K. Kammerdiener Fredersdorff 453 Gantzer. Generallieutenant von Wahlen-Jürgaß 455 Schloß Oranienburg. Die Autorschaft des Liedes „Jesus meine Zuversicht“ 457 Bielfeld und Chasot über Prinz August Wilhelm 458 Kirche und Waisenhaus in Oranienburg 460 Prenden. Das Stadthaus des Feldmarschall Sparr 461 Das Sparr’sche Erbbegräbniß in der Marienkirche 461 Schloß Coepenick. Auszüge aus den Protokollen des Coepenicker Kriegsgerichts vom 28. Oktober 1730 465 Loewenbruch. Festgedicht zu Ehren v. d. Knesebeck’s 470 Schloß Beuthen. Bild und Grabdenkmal Ernst Joachims v. Goertzke in Frie- dersdorff 472 Saalow. Zwei Briefe vom alten Schadow 474 Die Grafschaft Ruppin. Wustrau. Da liegen wir zwei Beide Bis zum Appell im Grab. D er Ruppiner See, der genau die Form eines halben Mondes hat, scheidet sich seinen Ufern nach in zwei sehr verschiedene Hälften. Die nördliche Hälfte ist sandig und unfruchtbar, und, die hübsch gelegenen Städte Alt- und Neu-Ruppin abgerechnet, ohne allen malerischen Reiz; die Südhälfte aber ist theils angebaut, theils bewaldet und seit alten Zeiten her von vier hübschen Dörfern ein- gefaßt. Das eine dieser Dörfer, Treskow geheißen, war bis vor Kurzem ein altes Kämmerei-Gut der Stadt Ruppin; die drei an- dern sind Rittergüter. Ihre Namen sind: Gnewkow, Carwe und Wustrau . Das erstere tritt aus dem Schilf- und Wald-Ufer am deutlichsten hervor und ist mit seinem Kirchthurm und Bauern- häusern eine besondere Zierde des See’s. Es gehörte seit Jahr- hunderten der Familie von Woldeck. Jetzt ist es in andere Hände übergegangen. Der letzte v. Woldeck, der das Erbe seiner Väter inne hatte, war ein Lebemann und passionirter Tourist. Seine Excentricitäten hatten ihn in der Umgegend zu einer volksthüm- lichen Figur gemacht; er hieß kurzweg „der Seebaron.“ Das Wort war gut gewählt. Er hatte mit den alten „Seekönigen“ den Wanderzug und die Abenteuer gemein. Carwe gehört den Knesebeck’s; Wustrau ist berühmt ge- worden als Wohnsitz des alten Zieten . Sein Sohn, der letzte Zieten, starb hier 1854 in hohem Alter. 1* Wustrau bestand bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts aus drei Rittergütern; nur eines derselben gehörte den Zieten, die beiden andern (altes Besitzthum der Familien v. Lohe und v. Güh- len) dem General-Feldmarschall von Dossow. Wann die Zieten in den (theilweisen) Besitz von Wustrau gelangten, ist nicht mehr sicher festzustellen. Eben so wenig kennt man das Stammgut der Familie. In der Mark Brandenburg befinden sich neun Ortschaften, die den Namen Zieten, wenn auch in abweichender Schreibart, führen. Als die Hohenzollern ins Land kamen, lagen die meisten Besitzungen dieser Familie bereits in der Grafschaft Ruppin. Hans v. Zieten auf Wildberg (damals ein fester und reicher Burgflecken) war geschworener Rath beim letzten Grafen von Ruppin, und begleitete diesen auf den Reichstag zu Worms. Die Wildberger Zieten besaßen Langen und Kränzlin; andere Zweige der Familie hatten Lögow und Buskow inne und einen Theil von Metzelthin. Die Wustrauer Zieten, scheint es, waren nicht reich; sie litten unter den Nachwehen des 30jährigen Krieges und der Schwedenzeit. Der Vater Hans Joachim’s lebte noch in sehr beschränkten Verhältnissen. Erst Hans Joachim selbst verstand sich auf Pflug und Wirthschaft fast so gut wie auf Krieg und Säbel und machte 1766 durch Ankauf der beiden Dossow- schen Antheile ganz Wustrau zu einem Zieten’schen Besitzthum. Es blieb bei seinem Sohne, dem letzten Zieten , bis 1854. Dieser ernannte in seinem Testamente einen Schwerin zum Erben. Daß dieser der nächste Verwandte war, schien weniger den Ausschlag gegeben zu haben, als die Vorstellung, daß nur ein Schwerin würdig sei, an die Stelle eines Zieten zu treten. Albert Julius v. Schwe- rin, der jetzige Besitzer von Wustrau, wurde 1859, unter dem Namen von Zieten-Schwerin , in den Grafenstand erhoben. Wustrau liegt an der Südspitze des See’s. Der Boden ist fruchtbar und wo die Fruchtbarkeit aufhört, beginnt das Wu- strausche Luch , eine Torfgegend, die an Ergiebigkeit mit den Linummer Gräbereien wetteifert. Das eigentliche Dorf, saubere, von Wohlstand zeugende Bauerhäuser, liegt etwas zurückgezogen vom See; zwischen Dorf und See breitet sich der Park aus, dessen Baumgruppen das etwas hoch gelegene Herrenhaus überragt. Dies Schloß oder Herrenhaus gleicht auf ein Haar den adligen Wohn- häusern, wie sie in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in Städten und Dörfern hier zu Lande gebaut wurden. Unser Pariser Platz zeigt zu beiden Seiten noch ein Paar Musterstücke dieser Bauart. Zwei Geschosse (Parterre und Bel-Etage), ein hohes Dach, ein Blitzableiter, 10 Fenster Front, eine Rampe, das Ganze gelb angestrichen und ein Wappen oder Namenszug als einziges Ornament. So ist auch das alte Herrenhaus der Zieten; freilich hat es eine reizende Lage voraus. Vorder- und Hinter- front geben gleich anziehende Bilder. Jene gestattet landeinwärts einen Blick auf Park, Dorf, Kirche und Kirchhof, ein Ueberblick, der um so vollständiger ist, als das leis ansteigende Terrain auch das Fernerliegende dem Auge näher rückt. Die Hinterfront hat die Aussicht auf den See. Wir kommen in einem Boote über den See, legen an einer Wasserbrücke an und springen an’s Ufer. Ein kurzer Weg, an Parkgrün und blühenden Linden vorbei, führt uns an den ge- wöhnlichen Eingang des Hauses. Der Flur ist durch eine Glas- thüren-Wand in zwei Theile getheilt; die eine Hälfte, nach dem Dorf hinaus, dient als eine Art Empfangshalle und ist mit Bil- dern und Stichen behängt, darunter der bekannte Kupferstich Cho- dowiecki’s: Zieten sitzend vor seinem König. Die andere Hälfte dient als Treppenhaus. Wir steigen die eichene, altmodisch-bequeme Treppe hinauf und treten nun in die nach vornhin gelegene Zimmerreihe ein. Es sind fünf Räume; in der Mitte ein großer 4- oder 5fenstriger Saal, zu beiden Seiten je zwei kleinere Zim- mer. Die kleineren Zimmer sind durchaus schmucklos; über den Thüren befinden sich Oelbilder, Copieen nach Niederländischen Mei- stern; das ist Alles. Das Zimmer, rechts vom Saal, ist das Sterbezimmer des letzten Zieten. Der historische „alte Zieten“ starb in Berlin, und zwar in einem jetzt umgebauten Hause in der Kochstraße, das dem Friedrich-Wilhelms-Gymnasium schräg gegenüber liegt. (Auch das alte stattliche Haus, Wilhelmsstraße 9, galt bei seinen früheren Bewohnern als ein Zietensches Haus.) Das Zimmer links vom Saal heißt das Königs-Zimmer, seitdem Friedrich Wilhelm IV. , etwa in der Mitte der 40er Jahre, die Grafschaft Ruppin durchreiste und in Wustrau und Koepernitz, wo damals noch die 70jährige Marquise La Roche Aymon lebte, einen längeren Besuch machte. Der große Saal ist die eigentliche Sehenswürdigkeit des Hauses. Alles erinnert hier an den Helden, der diese Stätte be- rühmt gemacht hat. Eine Kolossal-Vase, in der Mitte des Saals, zeigt auf ihrer Rückseite die Abbildung des Zietendenkmals auf dem Wilhelmsplatz; rund umher aber, an den Wänden entlang, gruppiren sich Portraits und Büsten der allermannigfachsten Art. Unter den Skulpturen bemerken wir zunächst zwei Büsten des „alten Zieten“ selbst. Sie stehen in Wand-Nischen, auf hohen Posta- menten, von einfacher aber gefälliger Form. Die eine Büste, ein Gips-Modell vom berühmten Bildhauer Tassaert, ist ein großes Werthstück, durchaus Portrait, das, noch bei Lebzeiten des alten Zieten, nach der Natur gefertigt wurde. Die andre Büste, kaum zehn Jahre alt, ist nichts wie die übrigens sehr gelungene Aus- führung des Tassaert’schen Modells in Marmor. Die Arbeit dieses alten Meisters ist ganz vortrefflich, und kann der Schadow’sche „alte Zieten“, den wir Alle vom Wilhelmsplatz her kennen, daneben kaum bestehen. Die große Lebenswahrheit, die aus der Tassaert’schen Büste spricht, drückt, wenn ich mich des Ausdruckes bedienen darf, den Schadow’schen alten Zieten zu einer bloßen Tendenz-Statue herab. Schadow scheint davon ausgegangen zu sein, den Husaren quand même, oder das Husarenthum an sich , darstellen zu wollen; er hat dies Letztere, wie mir scheint, als eine Idee in seinem Kopfe herumgetragen und diesem idealen Husarenthum hinterher Ausdruck gegeben. Von dem Moment ab, wo man den wirklichen alten Zieten (den Tassaert’schen) gesehen hat, wird einem das mit einem Male klar. Dies übergeschlagene Bein, diese Hand am Kinn, als solle mal wieder ein lustiger Husarenstreich ersonnen und ausge- führt werden, ist ganz im Charakter des Husarenthums, aber durch- aus nicht im Charakter Zieten’s, der von Jugend auf etwas Ernstes, Nüchternes und durchaus Schlichtes hatte. Er hatte ein verwegenes Husaren- Herz , aber die Husaren-Manieren , wie sie im Buche stehen, waren ihm fremd. Ich brauche wohl nicht hinzuzufügen, daß mit allem diesem kein besonderer Tadel gegen den Schadow’schen Zieten ausgesprochen sein soll. Die Tassaert’sche Arbeit steht künstlerisch auf einer höheren Stufe; die Schadow’sche hat aber ihrerseits gedanklich große Verdienste, so große , daß die Mängel beinahe aufgewogen werden, die ihr als Portrait - Statue unbedenklich anhaften. Die vielbetonte realistische Auf- fassung dieser Statue ist mehr scheinbar als wirklich. Das Postament der Modell-Büste erweist sich, bei näherer Betrachtung, als ein Schrein von weiß-lackirtem Holz; ein Schlüs- selchen öffnet die kaum bemerkbare Thür desselben. In diesem ein- fachen Schrein befindet sich der Säbel des alten Zieten, nicht jener Türkische, den ihm Friedrich II. nach dem zweiten Schlesi- schen Kriege zum Geschenk machte, sondern ein gewöhnlicher Preu- ßischer Husaren-Säbel, wie ihn der alte Herr während des 7jährigen Krieges trug. Er zog ihn während der ganzen Campagne nur ein Mal , und dies eine Mal zu seiner persönlichen Verthei- digung. Am Tage vor der Schlacht von Torgau, also am 2. No- vember 1760, als er in Begleitung einer einzigen Ordonnanz recognosciren ritt, sah er sich plötzlich von sechs Oesterreichischen Husaren umstellt. Er hieb sich, im buchstäblichen Sinne, durch und steckte den blutigen Säbel ruhig wieder in die Scheide. Er sprach nie von dieser Affaire. Die Blutflecke, ein rothbrauner Rost, sind noch deutlich auf der Klinge sichtbar. Kaum minder interessant, als dieser nur einmal gezogene Helden-Säbel, sind die 16 Lebensgroßen Bildnisse, die ringsum die Wände bedecken. Es sind die Portraits von 16 Offizieren des Zieten’schen Regiments, alle 1749, 1750 und 1751 gemalt. Die Namen der Offiziere sind folgende: die Rittmeister Langen, v. Teiffel, v. Somogy, Calau v. Hofen, v. Horn, v. Seel, v. Wieck, v. Probst, v. Jürgaß, v. Bader; die Lieutenants v. Reitzenstein, v. Heinecker, v. Troschke, und die Cornets von Schmanowski, Petri und v. Mahlen. Mit Ausnahme des Letzteren starben sie all’ im Felde; v. Seel fiel als Oberst bei Hochkirch, v. Heinecker bei Zorndorf, v. Jürgaß bei Weiß-Costulitz, v. Wieck starb als Com- mandant v. Comorn in Ungarn; wie er dort hinkam — unbe- kannt. Im ersten Augenblick, wenn man in den Saal tritt und diese 16 Zieten’schen Rothröcke mit Schnauzbärten und Tigerfellen auf sich herabblicken sieht, wird einem etwas unheimlich zu Muthe. Sie sehen zum Theil aus, als seien sie mit Blut gemalt, und der Rittmeister Langen, der vergebens trachtet, seinen Hasenscharten- Mund durch einen zwei Finger breiten Schnurrbart zu verbergen, zeigt einem zwei weiße Vorderzähne, als wollt’ er einbeißen; dazu die Tigerdecke, — man möchte am liebsten umkehren. Hat man aber erst fünf Minuten ausgehalten, so wird einem in dieser Ge- sellschaft ganz wohl, und man empfindet alsbald, daß eine Ruben- sche Bärenhatz oder ähnliche traditionelle Saal- und Hallen-Bilder hier viel weniger am Platze sein würden. Die alten Schnurrwichse fangen an, einem menschlich näher zu treten, und man erkennt schließlich, hinter all’ dem Schreckensapparat, die wohlbekannten Märkisch-Pommerschen Gesichter, die nur von Dienst wegen das Martialische fast bis zum Diabolischen gesteigert haben. Die Bilder, zumeist von einem unbekannten Maler, Namens Haebert, herrüh- rend, sind gut erhalten und, mit Rücksicht auf die Zeit ihrer Ent- stehung, nicht schlecht gemalt: das Schöne fehlt noch, aber das Charakteristische ist da. Der große Saal, in dem diese Bilder, neben so manchem anderen historischen Hausrath, sich vorfinden, nimmt mit Recht un- ser Hauptinteresse in Anspruch, aber noch vieles bleibt, in den andern Räumen des Hauses, unsrer Aufmerksamkeit übrig. Das ganze Schloß gleicht einer Art Zieten-Gallerie und wenige Zimmer treffen wir (ich erwähnte schon der Eintrittshalle im Erd- geschoß und ihres Chodowiecki), von deren Wänden uns nicht, sei es als Kupferstich oder Oelbild, als Büste oder Silhouette, das Bildniß des alten Helden grüßte. Alles in allem gerechnet, befinden sich wohl an 40 Zieten-Portraits im Schloß. Viele von diesen Bildnissen, besonders die Stiche, sind allgemeiner gekannte Blätter; nicht so die Oelbilder, deren wir (ohne für Vollständigkeit zu bür- gen) zunächst acht zählen, sieben Portraits und das achte, ein Genrebild aus der Sammlung des Markgrafen Karl von Schwedt. Es stellt möglicherweise die Scene dar (vergl. Zietens Biographie von Frau von Blumenthal S. 56), wie der damalige Major von Zieten an den Oberstlieutenant von Wurmb herantritt, um die Remontepferde, die ihm zukommen, für seine Schwadron zu for- dern, eine Scene, die bekanntlich auf der Stelle zu einem wüthen- den Zweikampf führte. Doch ist diese Auslegung nur eine muth- maßliche, da die ganze Scenerie des Bildes anders ist als die Lokalität, die Frau von Blumenthal beschreibt. Die sieben Por- traits, mit Ausnahme eines einzigen, sind sämmtlich Bilder des „ alten Zieten“ und deshalb, trotz einzelner Abweichungen in Uni- form und Haltung, in ihren unterscheidenden Merkmalen schwer zu charakterisiren. Nur das älteste Portrait, das bis ins Jahr 1726 zurückgeht und den „alten Zieten,“ den wir uns ohne Run- zeln und Husaren-Uniform kaum denken können, als einen jungen Offizier bei den von Wuthenow’schen Dragonern darstellt, zeichnet sich schon dadurch vor allen andern Bildnissen aus. Zieten, damals 27 Jahr alt, trägt einen Stahlküraß, wie es scheint, und über demselben eine graue Uniform (früher vielleicht weiß ) mit schmalen blauen Aufschlägen. Ob das Bild ächt ist, steht dahin; von Aehn- lichkeit mit dem „alten Zieten“ natürlich keine Spur. Wir verlassen nun den Saal und das Haus, passiren die andere, mehr dem Dorfe zu gelegene Hälfte des Parkes, über- schreiten die hübsche Dorfstraße und stehen nun auf einem geräu- migen Rasenplatze, in dessen Mitte sich die Dorfkirche erhebt. Das Chor der Kirche liegt dem Herrenhause, der Thurm und die Giebel- seite dem Kirchhofe zu. Zwischen Thurm und Friedhof steht eine mächtige alte Linde. Die Kirche selbst, in Kreuzform aufgeführt, ist ein Ideal von einer Dorfkirche: schlicht, sauber, einladend hübsch gelegen. Im Sommer 1756, kurz vorher, ehe es in den Krieg ging, wurde der Thurm vom Blitz getroffen. Das Innere der Kirche unterscheidet sich von andern Dorfkirchen nur durch eine ganz besondere Sauberkeit und durch die Geflissentlichkeit, womit man das patriotische Element gehegt und gepflegt hat. So findet man nicht nur die übliche Gedenktafel mit den Namen derer, die während der Befreiungskriege fielen, sondern zu der allgemeinen Tafel gesellen sich noch ein paar Täfelchen, um die Sonder- verdienste dieses oder jenes zu bezeichnen. Neben dem Altar hängt ein Ebenholzkasten mit Glasdeckel, darin sich in stattlicher Reihe die Kriegsdenkmünzen derer befinden, die ihren vorangegangenen Brüdern von 1813 und 1814 nunmehr gefolgt sind. An anderer Stelle gruppiren sich Gewehr und Büchse, Lanze, Säbel, Trom- mel und Flügelhorn zu einem Kriegs- und Siegeszeichen. Zwei Denkmäler zieren die Kirche; das eine, ohne künstlerische Bedeutung, zu Ehren der ersten Gemahlin Hans Joachim’s (einer geborenen v. Jürgaß) errichtet, das andere zu Ehren des alten Zieten selbst. Dies letztere hat gleichen Anspruch auf Lob wie Tadel. Es gleicht in seinen Vorzügen und Schwächen allen andern Arbeiten des rasch-fertigen, hyperproductiven Rode, nach dessen Skizze es von dem Bildhauer Meier ausgeführt wurde. Wem eine tüchtige Technik genügt, der wird Grund zur Anerkennung finden; wer eine selb- ständige Auffassung, ein Abweichen vom Alltäglichen fordert, wird sich nicht befriedigt fühlen. Ein Sarkophag und ein Relief-Portrait, eine Minerva rechts und eine Urania links, das paßt so ziemlich auf jeden. Es ist das jenes gedanklich-bequeme Operiren mit über- kommenen Typen, worin unsere Bildhauer das Unglaubliche leisten. Wenn irgend ein Leben, so hätte gerade das des alten Zieten die beste Gelegenheit geboten zu etwas Neuem und Eigenthümlichem. Der Zieten aus dem Busch, der Mann der hundert Anekdoten, die all’ im Volksmund leben, was soll er mit zwei Göttinnen thun (Einige sagen, es seien symbolische Figuren für Frömmigkeit und Tapferkeit), die ihn bei Lebzeiten in die sicherste Verlegenheit gebracht hätten. Vortrefflich ist nur das Reliefportrait in weißem Marmor, das sich an dem dunkelfarbigen Aschenkruge des Denk- mals befindet und außer einer Silhouette im Schloß selber, das einzige Bildniß ist, das uns den immer en face abgebildeten Kopf des Alten, auch ’mal in seinen Profil linien zeigt. Daß diese Linien nicht schön sind, thut nichts zur Sache. Das Marmor-Denkmal des alten Helden reicht an ihn selber nicht heran; es entspricht ihm nicht. Da lob ich mir im Gegensatz dazu das schlichte Grab, unter dem er draußen schläft. Das Monument, das ihn ehren soll, steht wind- und wetter-geborgen drinnen in der Kirche, der Alte selbst aber schläft draußen im Freien, zugedeckt mit einem schlichten Sandstein, — ein letztes Bivouac, wie es sich für den alten Zieten geziemt. Dieser Begräb- nißplatz befindet sich in einem der vier Winkel, die durch die Kreuzform der Kirche gebildet werden. Der Raum, von einem rostigen Eisengitter eingefaßt, war groß genug für vier Gräber. Hier ruhen die beiden Eltern des alten Zieten, seine zweite Ge- mahlin (eine geb. v. Platen) und er selbst. Das Aeußere der vier Gräber ist wenig von einander verschieden. Ein Unterbau von Backstein erhebt sich zwei Fuß hoch über den Rasen; auf dem Ziegel-Fundament ruht die Sandsteinplatte. Noch nichts ist ver- fallen; auch der gegenwärtige Besitzer empfindet, daß er eine histo- rische Erbschaft angetreten hat und eifert getreulich dem schönen Vorbild des letzten Zieten nach, dessen ganzes Leben eigentlich nur ein Cultus seines berühmten Vaters war. 1786 starb Hans Joachim von Zieten; 68 Jahre später folgte ihm sein Sohn, achtundachtzig Jahre alt. Wir treten jetzt an sein Grab. Es befindet sich unter der schönen alten Linde, die zwischen der Kirche und dem leis ansteigenden Kirchhof steht. Hinter sich die langen Gräberreihen der Bauern und Büdner, macht dies Grab den Eindruck, als habe der letzte Zieten noch im Tode den Platz behaupten wollen, der ihm gebührte, den Platz an der Front seiner Wustrauer. Aehnliche Gedanken beschäftigten ihn sicherlich, als er zehn oder zwölf Jahre vor seinem Tode dies Grab zu bauen begann. Ein Hünengrab. Der letzte Zieten, klein wie er war, verlangte Raum im Tode. Er baute ein Grab nicht für sich, sondern für das Geschlecht, das mit ihm schlafen ging. Mit Vorliebe entwarf er den Plan und leitete er den Bau. Eine Gruft wurde gegraben und ausgemauert und nun ein Riesen- Feldstein (wie sich deren viele auf der Wustrauer Feldmark vor- finden) auf das offene Grab gelegt. Am Fuß-Ende war die Aus- mauerung nur halb erfolgt, so daß nun durch Zuschrägung und Fortschaffung des Sandes eine Art Kellerfenster gewonnen war, durch das der alte Herr in seine letzte Wohnung hineinblicken konnte. Mit Hülfe dieser Zuschrägung wurde auch später der Sarg versenkt. Als der König im Jahre 1844 den schon oben erwähnten Besuch in Wustrau machte, führte ihn der Graf natürlich auch an die Linde, um ihm das eben fertig gewordene Grab zu zeigen. Der König wies auf eine Stelle des Riesenfeldsteins und sagte: „Zieten, der Stein hat einen Fehler!“ worauf der alte Herr erwiederte: „Der drunter liegen wird, hat noch mehr.“ Diese Antwort ist so ziemlich das Beste, was vom letzten Zieten auf die Nachwelt gekommen ist. Einzelne andere Repliken und Urtheile (z. B. über die Schadowsche Statue, so wie über Bücher und Bilder, deren Held sein Vater war) sind unbedeutend, oft ungerecht und fast immer schief. Er sah die Sachen zu ein- seitig, zu sehr von dem bloß Zietenschen Standpunkt an, um gerecht sein zu können, selbst wenn ihm ein feinerer ästhetischer Sinn wenigstens die Möglichkeit gewährt hätte, es zu sein. Dieser ästhetische Sinn fehlte ihm aber völlig. Selber eine Curiosität, hatte er es über die Curiositäten-Krämerei nie hinausgebracht. Sein Witz und Humor verstiegen sich nur bis zur Lust an der Mystification. Den Alterthumsforschern einen Streich zu spielen, war ihm ein besonderer Genuß. Er ließ von eigens engagirten Steinmetzen große Feldsteine concav ausarbeiten, um seine Wustrauer Feldmark zu einem heidnischen Begräbnißplatz avan- ciren zu lassen. Am See-Ufer hing er in einem niedlichen Glocken- häuschen eine irdene Glocke auf, der er zuvor einen Bronce- Anstrich hatte geben lassen. Er wußte, daß die vorüberfahrenden Schiffer sie innerhalb acht Tagen stehlen würden. Er hatte sich nicht verrechnet und fand nach drei Tagen schon die Scherben. Solche Ueberlistungen freuten ihn und man kann zugeben, daß darin ein Aederchen von der Herz-Ader seines Vaters sichtbar war. Er war unfähig, zu dem Ruhme seines Hauses auch nur ein Kleinstes hinzuzufügen, aber er fühlte sich als Verwalter dieses Ruhmes und dieses Gefühl gab ihm unter Umständen Bedeutung und selbst Würde. Wo er für sich und seine eigenste Person eintrat, in den privaten Verhältnissen des alltäglichen Lebens, war er eine wenig erfreuliche Erscheinung: kleinlich, geizig, unschön in fast jeder Beziehung. Von dem Augenblick an aber, wo die Dinge einen Charakter annahmen, daß er seine Person von dem Namen Zieten nicht mehr trennen konnte, wurde er auf kurz oder lang ein wirklicher Zieten. Er war nicht adlig, aber aristokratisch. Dies aristokratische Fühlen, wenn geglüht in leidenschaftlicher Erregung, konnte auf Momente den Lichtblick wahren Adels zeigen, wie die Kohle, in rechter Gluth, zum Diamanten wird; aber solche Mo- mente weist sein langes Leben nur spärlich auf. Sein Bestes war die Liebe und Verehrung, mit der er ein halbes Jahrhundert lang die Schleppe seines Vaters trug. In diesem Dienste verstieg sich sein Herz bis zum Poetischen in Gefühl und Ausdruck. Auf dem großen Rasenplatz, der die Kirche umgiebt, etwa hundert Schritte vom Grabe Hans Joachim’s entfernt, erhebt sich ein hoher, zuge- spitzter Feldstein mit einer Eisenplatte, die in den Stein eingelegt ist. Auf dieser Eisenplatte stehen in Goldbuchstaben folgende Worte: Im Jahre 1851 den 23. April stand an dieser Stelle das Blücher’sche Husaren-Regiment, um den hier in Gott ruhenden Helden, den berühmten General der Cavallerie und Ahnherrn aller Husaren , Hans Joachim von Zieten, in Anerkennung seiner hohen Verdienste durch eine feierliche Parade zu ehren. Ruhe und Friede seiner Asche! Preis und Ehre seinem Namen! Er war und bleibt der Preussen Stolz. „Ahnherr aller Husaren“ — ein Poet hätt’ es nicht besser machen können. Carwe. „Vivat et crescat gens Knesebeckiana in aeternum.“ U nser Weg führt uns heute nach Carwe . Es liegt am Ostufer des Ruppiner See’s und ein Wustrauer Fischer fährt uns in einer halben Stunde hinüber. Die Ostufer des See’s, wenigstens an seiner südlichen Hälfte, sind reich bewaldet und von malerischer, fast romantischer Wirkung. Ein besonderer Schmuck des See’s an dieser Stelle ist sein dichter Schilfgürtel, der namentlich in Front des Carwer Parkes wie ein Wasserwald sich hinzieht und hier und da eine Breite von hundert Fuß und darüber haben mag. An dieses Schilfufer knüpft sich eine Geschichte, die uns am besten in das starke und frische Leben einführt, das hier ein halb Jahr- hundert lang zu Hause war, und von dem ich Gelegenheit haben werde, manchen hübschen Zug zu erzählen. Es war im Jahr 1785. Der Sohn des alten Zieten auf Wustrau war Cornet im Leibhusaren-Regiment seines Vaters und der Sohn des alten Knesebeck auf Carwe war Junker im In- fanterie-Regiment von Kalkstein, das damals in Magdeburg stand. Der Zufall wollte, daß beide zu gleicher Zeit Urlaub nahmen und auf Besuch nach Haus kamen. Die beiden Nachbarfamilien lebten auf dem besten Fuß mit einander und auch die jungen Leute unterhielten einen freundschaftlichen Verkehr. Man sah sich oft und unternahm gemeinschaftliche Partieen. Es war im August, See und Himmel waren blau, und der Schilfwald, der sich im Wasser spiegelte, stieg wie eine grüne Mauer aus dem Grunde des See’s auf. An solchem Tage begegneten sich Junker und Cornet am Ufer, plauderten hin und her von der Strenge des Dienstes und von der Lust des Krieges und kamen endlich überein, in Ermang- lung wirklichen Kampfes, zwischen Carwe und Wustrau eine See- schlacht aufzuführen. Man machte auch gleich den Plan. Die Carwe’schen sollten heftig angreifen und die Zieten’schen bis nach Wustrau hin zurückdrängen, dann aber sollten diese sich recolli- giren und die Knesebeck’s in ihren Schilfwald zurückwerfen. So war es beschlossen; man schied mit herzlichem Händeschütteln und freute sich auf den andern Tag. Die Eltern nahmen auch Antheil und beide Dörfer waren in Aufregung. Nach Ruppin hin ergingen Einladungen an befreundete Offiziere, Pulver wurde beschafft, und während Cornet und Junker ihre Dispositionen trafen, nahmen die Herrenhäuser von Carwe und Wustrau den Charakter eines Kriegslaboratoriums an, drin allerhand Feuerwerk, Schwärmer, Raketen und Feuerräder in möglichster Eile hergestellt wurden. So kam der ersehnte Abend. Mit dem Schlage neun liefen beide Flotten aus, jede sechs Kähne stark, das Admiral-Boot vorauf. Als man an einander war, begann die Schwärmer-Kanonade; vom Ufer her scholl der Jubel einer dichtgedrängten Menschenmenge, und als ein pot à feu jetzt seine Leuchtkugeln in die Luft warf, zogen sich verabredetermaßen die Zieten’schen nach Wustrau hin zurück. Aber nur auf kurze Distance. Eh’ sie noch in die Nähe des Hafens gekommen waren, wandten sie sich wieder und drei große Raketen, fast horizontal über das Wasser hinschießend, gin- gen sie jetzt ihrerseits mit verdoppeltem Ruderschlag zur Attaque über. Die Carwe’schen hielten einen Augenblick Stand, dann be- gann die Retraite immer eiliger, immer rascher. Die Wustrau’schen setzten nach und waren eben auf dem Punkt, die Fliehenden bis in das dichte Schilf hinein zu verfolgen, als ein lautes, staunendes Ah, das vom Ufer her herüberklang, die Verfolgenden stutzig machte und ihre Blicke nach rückwärts lenkte. Die Sieger waren gefangen . Im Carwe’schen Schilf hatte eine ganze Flotte von Fischerkähnen verborgen gelegen, die der Junker vom Regimente von Kalkstein als Miethstruppe für diesen Tag angeworben und von seinem Taschengelde bezahlt hatte. Es waren Fischerkähne aus Alten-Friesack, 24 an der Zahl. In langer Linie kamen sie jetzt aus dem Schilf hervor, jeder eine Laterne hoch am Mast, und legten sich quer über den See. Das Lampenlicht war hell genug, die Fischergestalten zu zeigen, wie sie da standen mit vorgehaltenem Ruder, bereit, jeden Fluchtversuch zu vereiteln. Die Wustrau’schen machten gute Miene zum bösen Spiel und sprangen lachend an’s Ufer. Nie wurden Gefangene schmeichelhafter begrüßt. Als sie in den Park traten, sahen sie dicht vor dem Herrenhause eine Ehren- pforte errichtet, an deren Spitze das von Lichtern umgebene Bild des alten Zieten leuchtete, darunter die Unterschrift: Voilà notre modèle. Am andern Tage erhielt der Junker v. d. Knesebeck eine Einladung nach Wustrau. Der alte 86jährige Zieten , der gemein- hin einen grauleinenen Kittel zu tragen pflegte, saß heut in voller Uniform auf seinem Lehnstuhl und rief den eintretenden Junker zu sich heran: „Komm her, mein Sohn, und küsse mich. Werde so ein braver Mann wie Dein Vater.“ Der Junker trat heran und bückte sich, um dem Alten die Hand zu küssen. Dieser aber legte beide Hände auf den Kopf des Junkers und sprach bewegt: „Gott segne Dich!“ — Das ist die Geschichte von der Seeschlacht bei Carwe; sie kann es aufnehmen mit manchem großen Sieg. Wer aber am Ruppiner See zu Hause ist, den freut es zu sehen, was in Dorf und Stadt auf seinem schmalen Uferstreifen an Männern alles gewachsen ist. Welche auf- und niedergehenden Sterne trafen eben damals an den Ufern dieses See’s zusammen! In seinem Lehn- stuhl Zieten , der Lieblingsheld unseres Volks, und vor ihm ge- bückt jener Knesebeck , der 30 Jahre später den siegreichen Ge- danken gebar, daß der Welteroberer, der durch keine menschliche Kraft zu besiegende Gegner, nur durch die stille Macht des Rau- mes, d. h. durch einen Russischen Krieg, zu vernichten sei. Um dieselbe Stunde aber, wo der Junker vom Regiment von Kalk- stein den Segen eines absterbenden Helden empfing, spielte im Superintendenten-Garten der Stadt Ruppin ein Knabe umher und sah leuchtenden Auges nach den Spitzen der alten Klosterkirche hinüber. Dann kniete er nieder und zeichnete Figuren in den Sand. Dieser Knabe war Karl Friedrich Schinkel . — Auch wir kommen von Wustrau — minder rasch als damals der Cornet von Zieten, aber sicherer — und nähern uns, ohne unsere Rückzugslinie gefährdet zu sehen, durch eine der Straßen, die sich durch den Schilfwald ziehen, dem Holzsteg, an dem die Boote anzulegen pflegen. Wir springen an’s Ufer und befinden uns in dem Park von Carwe . Er ist ziemlich groß, mit vielem Geschmack und in einem einfach noblen Stiel angelegt, — das Ganze vorwiegend eine Schöpfung unseres „Junkers vom Regi- ment von Kalkstein“, des am 12. Januar 1848 verstorbenen Feldmarschalls von dem Knesebeck. Dieser ausgezeichnete Mann wird überhaupt den Mittelpunkt alles dessen bilden, was ich in Weiterem zu erzählen habe, da er, wie der Hauptträger des Ruh- mes der Familie, so auch zugleich derjenige ist, der am segens- reichsten an dieser Stelle gewirkt und den todten Dingen entweder den Stempel seines Geistes aufgedrückt oder ihnen, durch irgend eine Beziehung zu seiner Person, zu einem poetischen Leben ver- holfen hat. — Wir haben den Park seiner Länge nach passirt und stehen jetzt vor dem Herrenhause. Es ist einer jener Flügelbauten, wie sie dem vorigen Jahrhundert eigenthümlich waren und erinnert in Form und Farbe an das Radziwill’sche Palais in Berlin, das jeder meiner Leser kennen wird. Das letztere ist größer und hat mehr Roccocoschmuck an seiner Façade. Auch das Eisengitter, das den Hofraum abschließt und die Flügel verbindet, fehlt dem Carwe- schen Herrenhause, das aber dafür seinerseits wie in Blumen steht und an seinem Eingange von zwei Molosser-Hunden in Erzguß flankirt wird. Trotz der Blumenfülle, die den Grasplatz zwischen den Flügeln überdeckt, ja trotz der Pfauenstange, die vom Hof her über das Dach hinwegragt, und auf deren höchster Spitze die 2 schönen, farbenprächtigen Thiere sitzen, ruft das Herrenhaus einen ernsten, beinah düstern Eindruck hervor und macht einem, auch ohne praktische Probe, die Versicherung glaubhaft, daß es ein Spukhaus sei. Leider entbehrt die überlieferte Spukgeschichte selbst aller charakteristischen Züge und paßt insofern schlecht nach Carwe hin, wo einem alles Andere plastisch bestimmt, gut motivirt und voll fesselnder Eigenthümlichkeit entgegentritt. Die übliche hohe Frau, deren schwarze Seide durch die Zimmer rauscht; das übliche Poltern, Rumoren und Thürenklappen; der traditionelle Seufzer, womit die Erscheinung verschwindet — nichts Besonderes, nichts Abweichendes. Niemand weiß, wer die schwarze Dame ist, und wer es weiß, will es vielleicht nicht wissen. Ihrer Erscheinung fehlt das bestimmte, historische Fundament, jener dunkle Fleck, ohne den es keine Gespenster und keine Gespenstergeschichten giebt. Carwe gehört den Knesebeck’s in der vierten Generation. Der Urgroßvater des jetzigen Besitzers kaufte es im Jahre 1721 von dem Vermögen seiner Frau und errichtete das Wohnhaus, das wir, wenn auch verändert und erweitert, noch jetzt vor uns er- blicken. Die Umstände, die diesen Kauf und Bau begleiteten, sind zu eigenthümlicher Art, um hier nicht erzählt zu werden. Der Ur- großvater Carl Christoph Johann von dem Knesebeck, zu Wittingen im Hannoverschen geboren, trat früh in Preußische Kriegsdienste. Er war ein großer, starker und stattlicher Mann, aber arm. Die Regierungszeit Friedrich Wilhelm’s I. indeß war just die Zeit, wo das Verdienst des Großseins die Schuld des Armseins in Balance zu bringen wußte und gemeinhin noch Ueberschüsse ergab. Carl Christoph Johann war sehr groß und so erfolgte alsbald eine Cabinets-Ordre, worin die reiche Wittwe des General-Adjutanten v. Köppen, eine geborne v. Bredow, angewiesen wurde, den Oberst- Lieutenant v. d. Knesebeck zu ehelichen. Die Hochzeit erfolgte und Carwe wurde vom Gelde der reichen Frau gekauft. Aber die Gnadenbezeigungen gegen den stattlichen Oberst-Lieutenant hatten hiermit ihr Ende noch nicht erreicht. Im Kopfe des Königs mochte die Vorstellung lebendig werden, daß eigentlich die reiche Wittwe bis dahin Alles und die Gnade Sr. Majestät sehr wenig gethan habe; so versprach er denn, dem jungen Paar ihr neues Wohn- haus in Carwe einzurichten und sogar zum Aufbau desselben die Balken und den Kalk zu liefern. Bald stand das Haus da, und die innere Einrichtung, die Möblirung erfolgte mit so viel Muni- ficenz, wie es dem sparsamen und schlicht gewöhnten König nur immerhin möglich war. Selbst Königliche Familien-Portraits, zum Theil von der Meisterhand Pesne’s, wurden geliefert und in einem Empfangssaal des ersten Stockes in das Mauerwerk eingefügt. Wir werden gleich sehen, wie wichtig es für den neuen Besitzer von Carwe war, diese stattliche Bilderreihe nicht aufgehängt, son- dern eingemauert zu haben. Es waren nämlich kaum einige Monate in’s Land gegangen, als ein großer Planwagen vor dem Knesebeck’schen Hause erschien und mit ihm zugleich die Ordre, das durch Königliche Munificenz erhaltene Ameublement wieder zurück- zuliefern. Es waren nicht die Zeiten, um solcher Ordre irgend- welchen erheblichen Widerstand entgegenzusetzen und die Spiegel und Tische und Kommoden, die der gebornen v. Bredow bereits lieb und theuer geworden waren, versanken alsbald zwischen den Heu- und Strohbündeln des draußen harrenden Wagens. Was zu dieser Ordre geführt hat, ob einfach Laune oder aber die öko- nomische Erwägung, „daß der von Knesebeck nunmehro reich genug sei, um sich auch ohne geschenkte Königliche Möbel behelfen zu können,“ ist nie bekannt geworden. Der Planwagen kam nie wie- der; zurückgelassen hatte er nur die eingemauerten Bilder und einen alten Eichentisch, den seine Unscheinbarkeit rettete, mit deren Hülfe er dem Knesebeck’schen Hause bis diesen Tag erhalten worden ist. Wir treten nun an den Hunden des Phidias (den Molossern) vorbei, in das Haus selber ein. Das erste Zimmer mit der Aus- sicht auf den Park ist das Bibliothekzimmer. Auf schlichten Regalen stehen schlichte Einbände, keine Goldschnitts-Literatur zum Ansehen, sondern Bücher zum Lesen, „Krieger für den Werkeltag.“ Es sind Bücher und Broschüren, die der alte Feldmarschall in seinem 80jährigen Leben gesammelt hat und über deren Inhalt und Rich- 2* tung seine eigenen Worte Auskunft geben mögen: „Mit meinen Studien in Geschichte, Philosophie und schönen Wissenschaften ging es besser; sie interessirten mich über Alles, besonders Geschichte und Lebensbeschreibungen, zu denen auch bis ins späte Alter mir die Neigung geblieben ist .“ Die poetische Grund- anlage des alten Herrn spricht sich in diesen Worten aus; hätt’ es je eine schaffende dichterische Natur gegeben, der nicht Biogra- phieen und Memoiren die liebste Lectüre gewesen wären! — Aus dem Bibliothekzimmer tritt man in das dahinter gelegene Empfang- und Familienzimmer. Es hat die Aussicht auf die Hof- und Stallgebäude; Tauben sitzen auf den Fenstersimsen, und in der Mitte des Hofes steigt die Pfauenstange wie ein tropischer Wunderbaum hoch in die Luft. Das Zimmer ist groß und geräu- mig und macht vor Allem den Eindruck behaglichen Geborgenseins. An Bildern weist es nichts von besonderem Interesse auf, außer einer Ansicht von Schloß Tilsen , dem alten Familiensitz (in der Nähe von Salzwedel) der Knesebeck’s. Die eigentliche Sehenswür- digkeit dieses Zimmers ist jener alte Eichentisch, dessen Unscheinbar- keit ihn vor der Versenkung in den Planwagen rettete. Und doch war dies schlichte Wirthschaftsstück das eigentliche chef d’œuvre des Ameublements, wenn auch damals nicht, so doch jetzt. Dieser Tisch nämlich bildete einen Theil jener langen Tafel, an der die Sitzungen des Tabaks-Collegiums gehalten wurden. Es existiren ihrer nur noch zwei, dieser Knesebeck’sche in Carwe und ein Zwillings- bruder desselben in Potsdam. Eine Decke von braunem schweren Seidenzeug verhüllt wie billig die eichene Derbheit dieses nicht salonfähigen Möbels, dessen Construction ganz eigenthümlicher Art ist. Die Platte besteht aus zwei abgestutzten Dreiecken und ruht auf sechs Füßen, deren Stellung unter einander wiederum zwei Dreiecke bildet. Verbindungshölzer und Eisenkrampen halten das Ganze zusammen und stellen einen Bau her, der allen Anspruch darauf hatte, übersehen zu werden, als die Trumeaux hinaus- getragen wurden. Links neben dem Empfangs-Saal befindet sich das Arbeits- zimmer des gegenwärtigen Besitzers. Es ist sehr klein, etwas geräuschvoll gelegen und selbst zur Nachtzeit jener Ruhe entbehrend, ohne die es kein eigentliches Studium giebt. Die Dame im schwarzen Seidenkleid nämlich beginnt von hier aus ihren Rund- gang durch das Haus, und es ist begreiflicherweise nicht Jeder- manns Sache, um die zwölfte Stunde ruhig ein Buch zu lesen, wenn man fürchten muß, die schwarze Frau steht hinter einem und liest mit, wie zwei Leute, die aus einem Gesangbuch singen. Ueber dem Schreibpult im selben Zimmer hängt ein sehr gutes Crayon-Portrait des Feldmarschalls, und auf einem Tischchen daneben steht ein porzellanenes Schreibzeug mit einer Rosen-Guir- lande, ein Geschenk vom alten Gleim, der dem Feldmarschall in seinen Lieutnantstagen nah befreundet war. Zur Rechten des Empfangszimmers ist der Speisesaal. Hier befinden sich neben anderen Schildereien vier Familienportraits: zunächst der Ahnherr des Hauses, einem Grabstein-Relief nach- gebildet, das sich in der Kirche zu Hannoverisch-Wittingen bis diesen Tag erhalten hat. Unmittelbar darunter hängen die Bilder vom Urgroßvater und Großvater des jetzigen Besitzers, von denen wir den Ersteren als stattlichen, reich verheiratheten Oberst-Lieute- nant bei der Garde, den andern als Vater des Junkers vom Regiment v. Kalkstein bereits kennen gelernt haben. Er war bei Kollin durch Arm und Leib geschossen worden und derselbe, auf den der sterbende Zieten die Worte bezog: „Gott segne Dich und werde so brav wie Dein Vater .“ Unter diesen beiden Portraits hängt das vortrefflich ausgeführte Oelbild des Feldmarschalls v. d. Knesebeck, damals (während der Befreiungskriege) noch General-Lieutenant in der Occupations-Armee. Das Bild zeigt in seiner linken Ecke den Namen: „ Steuben ; Paris, 1814“, kurze Worte, die besser als jede Beschreibung für den Werth des Bildes sprechen. An der gegenüberliegenden Wand des Saales befindet sich eine Copie jenes berühmten Correggio’schen Christuskopfes auf dem Schweißtuche der heiligen Veronica. Das Original bildet jetzt bekanntlich eine Zierde unseres Berliner Museums; früher hing es im Eßsaal zu Carwe, an derselben Stelle, die sich jetzt mit der bloßen Copie behelfen muß. Interessant ist es, wie das Original in den Besitz der Familie kam. Der Feldmarschall bereiste, un- mittelbar nach dem Kriege, Italien und kam nach Rom. Kurz vor seiner Rückreise wurde ihm von einem Trödler ein Christus- kopf zum Verkauf angeboten, dessen hohe Schönheit auch seinem Laienauge auf der Stelle einleuchtete. Er kaufte das Bild für eine ansehnliche Summe. Kaum war er im Besitz desselben, als sich das Gerücht verbreitete, eins der Italienischen Klöster sei be- raubt worden — der Correggio’sche Christuskopf auf dem Schweiß- tuch der heiligen Veronica sei fort. Der nächste Tag brachte die amtliche Bestätigung und Belohnungen wurden ausgesetzt für die Wiederbeschaffung und selbst für den Nachweis des berühmten Gemäldes. Der damalige General-Lieutenant begriff die Gefahr und traf seine Vorkehrungen. Das Bild wurde in ein Wagen- kissen eingenäht; der glückliche Besitzer, der bis dahin kaum selbst gewußt haben mochte, was er besaß , nahm auf seinem neuen Schatze Platz und brachte so sein schönes Eigenthum über die Alpen. Ich kann nicht sagen, wie lange das Bild in Carwe blieb; muthmaßlich nur kurze Zeit. Das Haus Knesebeck, das zu Anfang des 18. Jahrhunderts von den Hohenzollern ein halbes Dutzend Familienportraits geschenkt erhalten hatte, nahm zu Anfang des 19. Jahrhunderts Veranlassung, dem Königlichen Hause ein Gegen- geschenk zu machen und warf (in aller Pietät gegen die Hohenzollern sei es gesagt) einen Correggio’schen Christuskopf gegen sechs Pesnesche Kurfürsten siegreich in die Waage. Friedrich Wilhelm III. acceptirte in Gnaden das Geschenk seines General-Lieutenants und willigte gern in Erfüllung des einen Wunsches, den Knesebeck bei Ueber- reichung des Bildes geäußert hatte, daß dasselbe nämlich unwan- delbar in der Königlichen Hauskapelle verbleiben möge. Diese Zu- sage ist aber im Lauf der Jahre entweder vergessen oder aus Hohenzollern’scher Humanität, die nichts Schönes für sich allein haben mag, absichtlich geändert worden. Das Bild gehört nicht mehr der Hauskapelle, sondern, wie Jedermann weiß, dem Bilder- Museum an. Nur bei Gelegenheit der Taufe des jungen Prinzen, dessen Geburt im Februar dieses Jahres alle loyalen Herzen in Stadt und Land mit Freude füllte, kam auch der Correggio zu seinem zugesagten Recht und wandelte auf 24 Stunden aus den Sälen des Museums in den prächtigen Kuppelbau der Schloß- kapelle hinüber. — Wir machen von dem Eßsaal aus noch einen Rundgang durch die Räume des oberen Stockwerkes, inspiciren im Hof den historischen alten Kaleschwagen, in dem der damalige Oberst v. Knesebeck die berühmte Reise nach Petersburg antrat, um dem Kaiser Alexander zuzurufen: „Krieg und wieder Krieg! Die Qua- dratmeilen Rußlands sind die Rettung Europa’s!“ — und kehren dann in das Empfangs- und Familienzimmer zurück, dessen bequeme Polsterstühle zu einer kurzen Rast einladen. In diesem Zimmer pflegte der alte Feldmarschall, beide Hände auf dem Rücken, den kurzen Sammetrock durch eine Schnur zusammengehalten, mit großen Schritten auf und ab zu schreiten. Hier war die Arbeits- stätte seiner Gedanken, hier , wo er in besten Mannesjahren sein Gehirn zersonnen hatte, wie Rettung zu schaffen und dem Feinde seines Landes, dem Feinde alles Lebens siegreich beizukommen sei. Und hier fand er es . Hören wir, was er selbst darüber schreibt: „Die Karte von Rußland kam nicht von meinem Pult. Ich sah die unermeßliche Fläche, berechnete die möglichen Märsche des Er- oberers und siehe da, die beiden großen Alliirten Rußlands: der Raum und die Zeit , traten mit einer Lebendigkeit vor meine Seele, die mir keine Ruhe mehr ließ. Zur Gewißheit wurde es mir: so ist er zu besiegen und so muß er besiegt werden.“ Wir Alle wissen jetzt, wie praktisch-richtig das poetisch Ge- schaute jener nächtlichen Stunden gewesen ist. Das glänzendste Zeugniß aber stellte unserem Knesebeck sein Gegner selber aus. Dieser hatte den Knesebeck’schen Plan gekannt, aber ignorirt. Im Frühjahr 1813 fand folgende Unterhaltung zwischen Napoleon und dem Grafen St. Marsan (bis dahin Gesandter am Preu- ßischen Hofe) statt. Der Kaiser : Erinnern Sie sich noch eines Berichtes, den Sie mir im Jahre 1812 von einem gewissen Herrn v. Knesebeck geschickt haben? St. Marsan : Ja, Ew. Majestät. Der Kaiser : Glauben Sie, daß er im gegenwärtigen Kriege mitfechten wird? St. Marsan : Allerdings glaub’ ich das. Der Kaiser : Der Mensch hat richtig vorausgesehen, und man darf ihn nicht aus dem Auge verlieren. So Napoleon im Frühjahr 1813. Andere Zeiten kamen, der 46jährige Oberst von dem Knesebeck war ein Siebziger geworden und statt der Karte von Rußland und vorausberechneter Märsche und Schlachten, lagen nun die Memoiren derer auf dem Tisch, die damals mit ihm und gegen ihn die Schlachten jener Zeit ge- schlagen hatten. Nach einer Epoche reichen, thatkräftigen Lebens war auch für ihn die Zeit philosophischer Betrachtung gekommen. Die Lieutenantstage von Halberstadt wurden ihm wieder theuer, das Bild des alten Gleim trat wieder freundlich nickend vor seine Seele, und der Mann, der zeitlebens wie ein Poet gedacht und gefühlt hatte, fing als Greis an, auch jenem letzten zuzustreben, das den Dichter macht — der Form . Aehnlich wie Wilhelm v. Humboldt in Tegel, so saß der alte Knesebeck auf seinem väter- lichen Carwe und beschloß ein gedankenreiches Leben mit dem Con- cipiren und Niederschreiben von Sinn- und Lehr-Gedichten, von Episteln und Epigrammen. Sprecht mir doch nur immer nicht; „Für die Nachwelt mußt du schreiben;“ Nein, das lass’ ich weislich bleiben, Denn es lohnt der Mühe nicht! Was die alte Klatsche spricht, Die ihr titulirt Geschichte , Bleibt, besehn bei rechtem Lichte, Doch nur Fabel und Gedicht, Höchstens ein Partei-Gericht. Das klingt hart, aber wenn irgend einer competent war zu urtheilen, so war er es. Es nimmt der Wahrheit seines Aus- spruches nichts, daß eine leise Bitterkeit oder ein Wort der Resig- nation seine Sentenzen gelegentlich färbte: Wie du gelebt, so geh zu Grabe, Still, prunklos, wenig nur gekannt. Was du für Welt, für Vaterland, Für Andre hier gethan, sei stumme Gabe, — Des Gebers Name werde nie genannt. So schrieb er am Abend seines Lebens. Bis tief in die Nacht hinein saß er an seinem Pult. Die schwarze Frau kam und ging, aber das Knistern ihrer Seide störte ihn nicht, eben so wenig wie das Knistern im Kamin; er , der dem großen Gespenst des Jahr- hunderts mit siegreichem Gedanken entgegengetreten war, war schuß- fest gegen die Geister. Ein Jahr vor seinem Tode ward er Feld- marschall. Drei Jahre früher war ihm ein erster Enkel geboren worden, zu dessen Taufe der König versprochen hatte, nach Carwe zu kommen. Er kam nicht , aber statt seiner traf ein Entschuldi- gungs-Brief ein, dessen Namenszug mit Hülfe eines angehängten Schnörkels in ein Wickelkind auslief. Vor diesem Wickelkind, das natürlich den kleinen Knesebeck repräsentiren soll, steht der König selbst (ein wohlgelungenes Portrait von Königlicher Hand) und macht dem Täufling seine Verbeugung; darunter die Worte: „Vivat et crescat gens Knesebeckiana in aeternum.“ Wir verließen das Empfangszimmer und traten wieder in den Park. An einer der schönsten Stellen desselben hatte uns die Gärtnersfrau ein Nachmittagsmahl servirt: saure Milch mit jener chamoisfarbenen Sahnenschicht, die den Residenzler mit allem Zau- ber der Neuheit berührt. Um uns her, als stumme Zeugen unsrer Freude, standen 21 Edeltannen und neigten sich gravitätisch im Abendwind. Diese 21 Tannen pflanzte der alte Feldmarschall im Sommer 1821, als die Nachricht nach Carwe kam, daß Napoleon auf St. Helena gestorben sei. Auch das Datum seines Todes schuf noch eine letzte Berührung zwischen den alten Gegnern; der 5. Mai war der Geburtstag Knesebeck’s, wie er der Todestag Napoleon’s war. Unter den Papieren des Feldmarschalls aber fanden sich folgende Zeilen, die der Ausdruck seines Lebens und vielleicht ein treffendes Motto Märkischen Adels sind: Mit dem Schwerte sei dem Feind gewehrt, Mit dem Pflug der Erde Frucht gemehrt; Frei im Walde grüne seine Lust, Schlichte Ehre wohn’ in treuer Brust. Das Geschwätz der Städte soll er flieh’n, Ohne Noth von seinem Heerd nicht zieh’n, So gedeiht sein wachsendes Geschlecht, Das ist Adels Sitt’ und altes Recht. Neu-Ruppin. 1. Ein Gang durch die Stadt. Die Klosterkirche . W ir kennen jetzt die Südufer des Ruppiner See’s, haben Carwe und Wustrau durchstreift und schicken uns nun an, der alten Hauptstadt dieses Landestheiles unseren Besuch zu machen, der Stadt Ruppin selbst, die dem See, woran sie liegt, wie der ganzen Grafschaft den Namen gegeben hat. In schräger Linie kreu- zen wir, von Carwe aus, den an dieser Stelle ziemlich breiten See, laben uns, die Juli-Sonne zu unseren Häupten, an der feuchten Kühle des Wassers und traben endlich, nachdem wir das Westufer erreicht haben, in offnem Wagen die kahle, staubige Chaussee entlang, unsere Regenschirme als Schutz- und Schatten- dächer über uns. Grau wie die Müllerthiere erreichen wir die Stadt, sehen, mit geblendeten Augen, wenig oder nichts, und athmen erst auf, als wir vor’m Gasthof zum Deutschen Hause halten und freundlich bewillkommt in die Kühle des Flures treten. Moselwein und Selterwasser stellen bald unsre Lebensgeister wieder her und geben uns Muth und Kraft eine erste Promenade zu machen und dem Pflaster der Stadt zu trotzen. In unseren dünn- sohligen Stiefeln werden wir freilich mehr denn einmal an jenen mecklenburgischen Gutsbesitzer erinnert, den seine revoltirenden Hintersassen auf spitzen Steinen hatten tanzen lassen. Die Stadt Ruppin hat eine schöne Lage — See, Gärten und der sogenannte „Wall“ schließen sie ein. Nach dem großen Feuer, von dem sie fast ganz verzehrt ward (wie wenn man von einem runden Brot die beiden Kanten übrig läßt) wurde sie in einer Art Residenzstil wieder aufgebaut. Lange, breite Straßen durchschneiden die Stadt, nur unterbrochen durch stattliche Plätze, auf deren Areal unsere Vorvordern selbst wieder kleine Städte er- richtet hätten. Für eine reiche Residenz voller Paläste und hoher Häuser, voll Leben und Verkehr, mag solche Anlage die empfeh- lenswertheste sein; für eine kleine Provinzialstadt aber ist sie bedenk- lich. Sie gleicht einem auf Auswuchs gemachten Staatsrock, in den sich der Betreffende nie hineinwachsen kann. Dadurch entsteht eine Oede und Leere, die zuletzt zu dem Gefühl einer versteinerten Langeweile führt. Die Billigkeit erheischt hinzuzufügen, daß wir es unglücklich trafen: das Gymnasium hatte Ferien und die Garnison — Mobil- machung. So fehlten denn die rothen Kragen und Aufschläge, die, etwa wie die zinnoberfarbenen Jacken auf allen Cuypschen Bildern, in unserm farblosen Norden dazu berufen scheinen, der etwas monotonen Landschaft Leben und Frische zu geben. Alles war still und leer; auf dem Schulplatz wurden Betten gesonnt — es sah aus, als wollten sie die ganze Stadt auffordern, sich schlafen zu legen. Aber nicht die Oede und Stille der Stadt sollen uns beschäf- tigen, sondern ihre Sehenswürdigkeiten, klein und groß. Treten wir unsre Wanderung an. Vor dem malerisch im Schatten hoher Linden gelegenen Rathhaus, in dessen Erdgeschoß sich auch die Hauptwache befindet, ruht, auf leichter Lafette, eine jüngste Kriegs- trophäe, ein Feldgeschütz, das die Ruppiner Bataillone (die „Vier- undzwanziger“) den Dresdner Insurgenten im Kampfe abnahmen, während, weiter abwärts, in Front des stattlichen Gymnasial- Gebäudes (mit seinem Laternenthurm und seiner Inschrift: » Civi- bus aevi futuri «) das Bronzebildniß König Friedrich Wilhelm’s II. aufragt, das die Stadt ihrem Wohlthäter und Wiedererbauer er- richtete. Es heißt, es sei dies die einzige Statue des Königs im ganzen Preußenlande, König Friedrich Wilhelm II. besitze kein zweites Denkmal. Wenn dem so ist, dann um so besser, daß keine politische Erwägung, keine moralische Ueberhebung mit zu Rathe saß, als vor etwa 30 Jahren bürgerliche Dankbarkeit einfach aus- sprach: „Wir schulden ihm ein Denkmal, weil er unser Wohl- thäter war, und gedenken diese Schuld zu zahlen.“ Die Statue, in etwas mehr denn Lebensgröße, ist eine Arbeit Friedrich Tiecks. Gedanklich ist sie ziemlich unbedeutend und alltäglich; zeigt aber doch in Form und Haltung jenes Maß und jene Einfachheit, die, wo andre Vorzüge fehlen, selbst schon als Vorzug gelten mögen. Mehr als dies Denkmal nimmt unsre Aufmerksamkeit die alte Klosterkirche in Anspruch, die sich an der Ostseite der Stadt, in unmittelbarer Nähe des See’s erhebt und das einzige Gebäude von Bedeutung ist, das von dem großen Feuer von 1787 ver- schont wurde. Diese Klosterkirche ist ein alter, in gothischem Stile aufgeführter Backsteinbau aus dem Jahre 1253; sie gehörte zu dem unmittelbar daneben gelegenen Dominicaner-Kloster, von dem, seit Restaurirung der Kirche, auch die letzten Spuren verschwunden sind. Ueber diese Restaurirung giebt eine die halbe Wand des Kirchenschiffs bedeckende Inschrift folgende Auskunft: „Dieses Gottes- haus wurde seit dem Jahre 1806 wiederholt durch feindliche Trup- pen entweiht und verfiel während des Krieges dergestalt, daß es über 30 Jahre nicht für den öffentlichen Gottesdienst benutzt wer- den konnte. Durch Königliche Gnadenwohlthat wurde dieses erhabene Denkmal ächt Deutscher Kunst und Frömmigkeit seiner eigentlichen Bestimmung zurückgegeben, indem es auf Befehl Sr. Majestät Friedrich Wilhelm’s III. wiederhergestellt und in Gegenwart Sr. Majestät unseres jetzt regierenden Königs Friedrich Wilhelm IV. feierlich eingeweiht wurde am 16. Mai 1841.“ Ueber dieser Inschrift befindet sich eine andere aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, worin die Ueberweisung dieser Kirche seitens des Kurfürsten Joachim II. an die Stadt Ruppin ausge- sprochen wird. Noch andere Inschriften, theils in Deutscher, theils in lateinischer Sprache, gesellen sich hinzu und mindern in etwas den Eindruck äußerster Oede und Kahlheit, an dem die sonst schöne alte Kirche bedenklich leidet. Dies Verfahren, durch Inschriften zu beleben und anzuregen, sollte überall da nachgeahmt werden, wo man zur Restaurirung alter Kirchen und Baudenkmäler schreitet. Ich sah vor einigen Wochen die in früh-romanischem Stil erbaute, höchst bemerkenswerthe Kirche von Jerichow (bei Genthin); aber die kahlen Wände des Gotteshauses gaben über nichts Auskunft, weder über die frühere Geschichte dieses interessanten Baues, noch über die Art, Zeit und Umstände seiner Restaurirung. Selbst Leu- ten von Fach sind solche Notizen gemeinhin willkommen; dem Laien aber geht erst aus derartigen Inschriften die ganze Bedeu- tung solchen Baues auf. Zu den Laien gehört vor allem die Gemeinde selbst . Ohne solche Hinweise weiß sie in der Regel kaum, welche Schätze sie besitzt. Die Unkenntniß und Indiffe- renz ist grenzenlos und sollte denen nachzudenken geben, die nicht müde werden, von dem Wissen und der Erleuchtetheit unserer Zeit zu sprechen. Erstaunlich ist es namentlich, wie absolut nichts unser Volk von jener Periode unsrer Geschichte weiß, die der vorlutherischen Zeit angehört. Man kennt weder die Dinge, noch die Bezeichnun- gen für die Dinge; die bloßen Worte sind unserer protestantischen Sprache wie verloren gegangen. Man mache die Probe und frage z. B. einen Märkischen Landbewohner, was der „Krummstab“ sei? Unter Zwanzigen wird es nicht Einer wissen. In der Ruppiner Klosterkirche fragte ich die Küstersfrau, welche Mönche hier früher gelebt hätten? worauf ich die Antwort erhielt: „Mein Mann weeß et; ich jlobe, et sind kattolsche gewesen.“ Die Ruppiner Klosterkirche wird in der oben citirten Inschrift ein „erhabenes Denkmal ächt Deutscher Kunst“ genannt. Dies ist richtig und falsch, je nachdem. Die Mittelmark Brandenburg, im Gegensatz zur Alt-Mark , ist so arm an hervorragenden Bau- denkmälern der gothischen Zeit, daß keine besondere Schönheit nöthig ist, um mit unter den schönsten zu sein. Das Innere der Kirche, das glücklicher Weise den Rohziegel statt der nüchternen weißen Tünche zeigt, hat doch immer noch, wie schon angedeutet, zu viel von protestantischer Kahlheit, als daß man sich des glücklichen Einfalls des Malers (das Decken- gewölbe hat einen Anstrich) nicht freuen sollte, der, gemäß der ein- zigen nennenswerthen Tradition, die die Kirche besitzt, eine Maus und Ratte erkennbar an die Decke malte. Diese Tradition ist folgende. Im Sommer 1564, wenige Tage nachdem die Kirche dem lutherischen Gottesdienste übergeben worden war, schritten zwei befreundete Geistliche, von denen der eine bei der alten Lehre ge- blieben war, durch das Schiff der Kirche und disputirten über die Frage des Tages. „ Eher wird eine Maus eine Ratte hier über die Wölbung jagen ,“ rief der Dominikaner, „ als daß diese Kirche lutherisch bleibt .“ Dem Lutheraner wurde die Antwort darauf erspart; er zeigte nur an die Decke, wo sich das Wunder eben vollzog. Unser Sandboden hat wenig von sol- chen Legenden gezeitigt und wir müssen das Wenige werth halten, was überhaupt da ist. Einige local-patriotische Ruppiner erzählen auch in etwas blasphemischer Nachahmung des Biblischen: „und der Tempel zerriß,“ daß in der Sterbestunde Martin Luther’s das Mittelgewölbe der Klosterkirche geborsten sei. Die Sache indeß ist entweder eine völlig müßige Erfindung, oder aber die Uebertragung eines merkwürdigen Vorfalls von einer Kirche auf die andere. Ruppin hatte nämlich außer der Klosterkirche noch zwei andere gothische Pfarrkirchen, die während des großen Feuers zerstört wurden. Die Klosterkirche ist eine Schöpfung Gebhardt’s von Arn- stein, Grafen zu Lindow und Ruppin . Dies mag uns, im nächsten Kapitel, zu einer kurzen Besprechung dieses berühmten Geschlechts führen. 2. Die Grafen von Ruppin . F riedrich Wilhelm III. , wenn er im Auslande reiste, liebte es, unter dem Namen eines „Grafen von Ruppin“ sein Incognito zu wahren. Auch andre königliche Hohenzollern vor ihm haben ein Gleiches gethan, Friedrich der Große z. B., als er kurz nach seiner Thronbesteigung eine Reise nach Baireuth und in die west- phälischen Landestheile unternahm. Diese Erwägung mag es recht- fertigen, wenn wir uns auch heute noch, nachdem der Letzte jenes alten Grafen-Geschlechts bereits vor drei Jahrhunderten zu seinen Vätern versammelt wurde, die Frage vorlegen: wer waren die Grafen von Ruppin ? was war es mit ihnen? wo kamen sie her? wie war ihr Anfang, ihr Ende? Mit den erobernden Anhaltinern kam auch ein thüringisch- mansfeldisches Grafenhaus, die Grafen von Arnstein , in die Marken und wurden früher oder später (die Angaben schwanken hierüber) mit Lindow Dies Lindow ist nicht das Städtchen gleiches Namens, zwei Meilen östlich von Ruppin, dessen Klosterruinen bis diesen Tag höchst malerisch zwischen dem Wutz- und dem Gudelack-See liegen, sondern die Grafschaft Lindow in der Nähe von Zerbst. und Ruppin belehnt. Bis in’s drei- zehnte Jahrhundert hinein nannten sich die neubelehnten Grafen bei ihrem alten Geschlechtsnamen (Grafen von Arnstein) und nahmen später erst den Titel der „Grafen zu Lindow“ an. Grafen zu Ruppin wurden sie nur ausnahmsweise und irr- thümlich genannt, da das Ruppiner Land eine Herrschaft und keine Grafschaft war. Wir aber ohne archäologische Skrupel folgen der später allgemein gewordenen Sitte und sprechen in Nachste- hendem von den „Grafen zu Ruppin.“ Die Grafen zu Ruppin waren die mächtigsten Vasallen der brandenburgischen Markgrafen und auch die treusten wohl. In einem Zeitraum von drei Jahrhunderten schwankten sie in ihrer Loyalität nur einmal, und zwar in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, als die Verwirrungen der bairisch-luxembur- gischen Periode durch das Auftreten des falschen Waldemar ihren Gipfelpunkt erreichten. Die Ruppiner Grafen waren anders wie andre im Lande. War es der Umstand, daß sie als mächtigste Lehnsträger des Landes fast eben so oft neben den Markgrafen und Kurfürsten als unter ihnen standen, oder waren es in Kraft erhaltene Tra- ditionen, ein ererbter Segen aus dem alten Kulturlande Thü- ringen her, gleichviel, ihre Sitte, ihr Auftreten hatte wenig gemein mit der Haltung des halb rauflustigen, halb bäurischen Landadels um sie her, und die Künste des Friedens standen ihnen höher als das Waffenhandwerk, das sich selber Zweck ist, oder gar einem fremden Interesse dient. „Streitbare Grafen“ comites bellicosissimi, werden sie zwar gelegentlich in alten Urkunden genannt, und die Geschichte (wie nicht verschwiegen werden soll) erzählt von einzelnen, die auf der lombardischen Ebene oder auch auf den Haiden von Schonen und Schleswig als Krieger geglänzt hätten, aber das Glück war ihnen selten hold und schien sie durch Nicht-Erfolge belehren zu wollen, daß ihr Schlachtfeld ein anderes sei. Sie waren mit am Cremmer Damm (1331) und wurden geschlagen; sie unterlagen in vielfachen Fehden mit den Pommerherzögen, und Graf Otto, der tapferste unter den Ruppiner Grafen, der bei Falköping an der Seite des Schweden-Königs Albrecht gegen die „schwarze Margarethe“ stritt, theilte das Schicksal seines Königlichen Freundes (eines geborenen Herzogs von Mecklenburg) und wurde geschlagen 3 und gefangen. Nicht nur die Traditionen des Hauses, die Natur selber schien die Ruppiner Grafen auf ein andres Feld als das des Krieges zu verweisen, denn während es von den Grafen zu Pappenheim heißt, daß sich auf ihrer Stirn zwei blutrothe Schwerter gekreuzt hätten, erzählt der Chronist von den Ruppiner Grafen nur, daß sie alle „mit einem Loch im Ohrläppchen geboren wurden.“ Welch entschiedener Hinweis auf das zartere Geschlecht! Sie waren nicht comites bellicosissimi, aber sie waren sicherlich, wie sie in anderen Urkunden genannt werden, viri nobiles et generosi. Feine Sitte und wahre Frömmigkeit zeich- neten sie aus; sie standen fest zur Kirche, und „Mitleid und Gut- thätigkeit“ waren erbliche Züge. Graf Ullrich’s Sprüchwort hieß: Hew ick Geld, so mütt ick gewen Andre Stände mütten ock lewen; und als, vorher oder nachher, ein andrer Graf Ullrich hinaus ge- tragen wurde, sang man im ganzen Lande Ruppin: Ullrich, det was en gode Herr Schade, dat he lewt nicht mehr. Aber die Ruppiner Grafen gingen weiter, weit über so all- gemeine Züge wie „Frömmigkeit und Gutthätigkeit,“ hinaus. Graf Waldemar war ein passionirter Tourist , wenn man ein so modernes Wort will gelten lassen, und Graf Burchardt, ein Freund des dichterischen Markgrafen Otto mit dem Pfeil, dichtete selbst und turnirte mit Versen so gut wie mit Lanzen. Das war damals nicht Landesbrauch zwischen Elbe und Oder, und nur die Grafen von Ruppin, in deren Adern noch das thüringische Blut floß, konnten solch Beginnen wagen. Spärliche Zeilen aus Burchardt’s Dichterthum sind auf uns gekommen, Worte die er an Elisabeth, sein „geliebt Gemahl“ richtet: Fulget Elisabeth et floret inter uxores Quas Rupina fovet clarissimas inter sorores, Haec mea Lux, mea spes per omnes inter nitores. Also etwa: Es leuchtet Elisabeth unter den Frauen Wie Ruppin unter seinen Schwestern zu schauen, Mein Trost, meine Hoffnung, um drauf zu bauen. Die Ruppiner Grafen waren von ihrem ersten Auftreten an Männer von Welt, von Wissen, von Voraussicht und Klugheit, und da sich derartige Elemente damals auf märkischem Boden schwer betreffen ließen, so war ihre vorzüglichste Wirksamkeit in aller Bestimmtheit vorgezeichnet: es waren ritterliche Herren, aber vor allem Hofleute, Diplomaten. Sie kannten und übten die schwere Kunst der Nachgiebigkeit und wußten zwischen Festigkeit und Eigensinn zu unterscheiden. Daher begegnen wir ihnen oft auf den Reichstagen in Kostnitz und Worms, als Begleiter und Berather ihrer markgräflichen Herren, und wo es einen Streit zu schlichten gab, da waren die Ruppiner Grafen die Vertrauens- männer beider Partheien, und das Schiedsrichteramt lag, wie erblich fast, in ihren Händen. Sie waren ein bevorzugtes, hoch-vornehmes Geschlecht, ein Geschlecht vom feinsten Korn, aber eines mußten sie entbehren und vermissen — die Liebe ihrer Unterthanen. Haftitius der Chronist erzählt uns: „die Grafen waren fromm und demüthig und gut- thätig, aber waren doch wenig geliebt und geachtet trotz aller Gü- tigkeit. Denn obwohl die Herren Grafen oftmals den Rath und die fürnehmsten Bürger zu Neuen-Ruppin mit ihren Weibern und Kindern zu Gaste geladen und unter den Bäumen zwischen Alten- und Neuen-Ruppin haben Maien-Lauben machen und Tänze auf- führen lassen, sie auch wohl traktiret und alles Liebste und Beste ihnen angethan, so sind doch Rath und Bürger den Herren Grafen immer entgegen gewesen.“ Woran es lag, wer die Schuld trug — wer mag es sagen? kaum Vermuthungen lassen sich aussprechen. Einen ersten Grund zu Zerwürfnissen gaben vermuthlich die Geldverhältnisse des gräf- lichen Hauses, die, zumal im Lauf des 15. Jahrhunderts, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt zerrütteter wurden. Rath und Bürger- 3* schaft mußten aushelfen, die Verpfändungen begannen; so ging der Glanz des Hauses hin, und mit dem Glanz endlich Ansehn und — Liebe. Alles sank hin, zuletzt das Geschlecht selber. Der letzte war Graf Wichmann, geboren 1503 auf dem alten Seeschloß zu „Alten Ruppin.“ Kaum 4 Jahr alt, verlor er beide Eltern, und nur die Großmutter, Anna Jacobine , eine geb. Gräfin von Stolberg-Wernigerode, stand neben dem ver- waisten Kinde. Sie war eine stolze, herrschlustige Frau, und während Johann von Schlabberndorf , Bischof zu Havelberg, nur dem Namen nach die Vormundschaft führte, führte sie Anna Jacobine in Wirklichkeit. Während der Zeit dieser Vormund- schaft, im Jahre 1512, fand zu Ruppin auch jenes große mehrfach beschriebene Turnier statt, das damals im ganzen Lande von sich reden machte und mit einer Pracht begangen wurde, wie sie weder in Berlin noch zu Cöllen an der Spree bis dahin gesehen worden war. Kurfürst Joachim erschien mit einem reichen Gefolge von bewaffneten Rittern und 300 Speer-Reitern, und mit dem Kur- fürsten kam sein Bruder, der Kurfürst Albrecht von Mainz. Die Kurfürstin kam in einer vergoldeten, mit Atlas bedeckten Kutsche (der ersten , deren in Norddeutschland Erwähnung geschieht) und wurde von 12 andern Wagen, die mit purpurfarbenen Decken behangen waren, in welchen „das Hof-Frauenzimmer“ saß, be- gleitet. Ihnen folgten die Herzoge Heinrich und Albrecht von Mecklenburg, Johann und Heinrich von Sachsen, Philipp von Braunschweig, die Bischöfe von Havelberg und Brandenburg und andre Fürsten mehr. Der Kurfürst und der Herzog Albrecht von Mecklenburg erwiesen sich als die stärksten und gewandtesten beim Turnier. Da die Bewirthung so vornehmer Gäste wohl nur kleinen Theils durch die Stadt und vorwiegend aus dem gräflichen Säckel erfolgte, so ist es nicht unwahrscheinlich, daß die gedachte Ehre den finanziellen Ruin beschleunigte. 1520 starb der Bischof von Havelberg, und der 17jährige Wichmann wurde mündig erklärt. Der Druck großmütterlicher Autorität hatte die rasche Entwicklung seiner Gaben nicht zurück- halten können, und der Kurfürst selbst war es, der dem früh herangereiften, trotz seiner Minderjährigkeit, die Verwaltung des väterlichen Erbes anvertraute. War doch der Kurfürst selbst mit 15 Jahren zur Herrschaft über die Marken gelangt. Graf Wich- mann nahm sogleich den Hans von Zieten zu Wildberg zu seinem geschwornen Rath und ging 1521 im Gefolge des Kurfürsten auf den wichtigen Reichstag zu Worms ; aber der Stern des Hauses stand im Niedergang und sein Erlöschen war nah. Zu dem Schwinden von Hab und Gut, zu jeder äußeren Zerrüttung ge- sellte sich, wie es scheint, ein geschwächter Körper, eine zerrüttete Gesundheit. Wodurch zerrüttet, steht dahin. Der Graf war ein Freund der Jagd und der Frauen , wenigstens erklärt sich nur so die erste Strophe des alten Liedes, das ich, weiter unten, noch mitzutheilen gedenke. Auf der Jagd war es auch, wo ihn die tödtliche Krankheit befiel. Verschiedene seiner Hofleute riethen zu einem Arzt, aber in Neuen-Ruppin war keine ärztliche Hülfe zu beschaffen (die Städte Ruppin, Wusterhausen und Gransee hatten seit 1466 einen gemeinschaftlichen Bader ), und einen Arzt von Berlin herbei zu holen, dazu war man bereits zu arm . Das Fieber wuchs, und um es zu bekämpfen ( similia similibus ), heizte man das Zimmer des Kranken wie einen Backofen und gab ihm Meth und Wein. Er starb schon nach einigen Stunden. Die alte Gräfin, Anna Jakobine, (gest. 1526) die ihn, unbeschadet ihrer Herrsch- sucht, von Herzen geliebt hatte, war untröstlich über den Tod des Enkels, und die Mönche in Ruppin beklagten den Verlust in folgendem Lied: Der edle Herr Wichmann zog jagen aus, Eine falsche Frau ließ er zu Haus Mit ihren vergüldeten Ringen. „Ach Kersten, lieber Jäger mein, Mir ist von Herzen allzu weh, Ich kann nicht länger reiten.“ Sie machten ihm eine Stube heiß, Darinnen ein Bett war weich und weiß, Drin sollte der Herre ruhen. Sie schenkten ihm Meth und schenkten ihm Wein, Das nahm dem Herrn das Leben sein, Dem edlen Herrn Wichmanne. „Großmutter und lieb Schwester mein, Steckt in meinen Mund ein Tüchelein Und kühlt doch meine Zunge.“ „Daß ich nun von Euch scheiden soll, Das machet all’ der bittre Tod; Wie gern noch möcht ich leben.“ Ein schwarzer Wagen, drin legten sie ihn, Sie führten zu Nacht ihn nach Ruppin, Sie begruben ihn in das Kloster. Sie schossen ihm nach sein Helm und Schild, Sie hingen auf sein Wappenbild Am Pfeiler im hohen Chore. Die alte Gräfin murmelte still: „O weh, o weh, mein liebes Kind, Daß ich hier steh — die Letzte .“ Wenige Tage nach dem Tode Graf Wichmanns erschien Kurprinz Joachim (der spätere Joachim II. ), um dem Leichen- begängniß beizuwohnen und die Unterthanen in Eid und Pflicht zu nehmen. Das Lehn war erledigt und die Herrschaft Ruppin wurde als Kreis in die Kur- und Mittelmark eingereiht. Die Hohenzollern aber gesellten von jenem Tage an zu der stattlichen Reihe ihrer andern Namen und Würden auch noch den Titel eines „ Grafen von Ruppin .“ 3. Kronprinz Friedrich in Ruppin . D as, der Thronbesteigung des großen Königs vorhergehende Jahr- zehnt, also der Zeitraum von 1730—1740, pflegt, nach einer Gesetz gewordenen Annahme, in zwei ungleiche Hälften getheilt zu werden, in die düstern Tage von Küstrin und in die lachenden Tage von Rheinsberg. Diese Eintheilung, die sich noch durch den Reiz des Gegensatzes empfiehlt, mag der ganzen Welt ein Genüge thun, nur die Stadt Ruppin hat ein Recht, dagegen zu protestiren und eine Dreithei- lung in Vorschlag zu bringen. Zwischen den Tagen von Küstrin und Rheinsberg liegen eben die Tage von Ruppin. Es ist wahr, die Ruppiner Episode ist unscheinbarer, un- dramatischer; kein Bayard-Orden wird gestiftet und kein Katt tritt auf das Blutgerüst, aber auch diese stilleren Tage haben ihre Be- deutung. Versuch’ ich es, ihnen in Nachstehendem zu ihrem Recht zu verhelfen, ihnen ihre Existenz gleichsam zurückzuerobern. Am 26. Februar war Kronprinz Friedrich von Küstrin in Berlin wieder eingetroffen; zwölf Tage später (am 10. März) folgte seine Verlobung. Aller Zwiespalt schien vergessen. „Obrist- lieutenant Fritz,“ über dessen Haupt vor nicht allzu langer Zeit das Schwert geschwebt hatte, war wieder ein „lieber Sohn“ und Oberst und Chef eines Regiments. (Seit dem 29. Februar 1732.) Dies Regiment, das bis dahin compagnieweise in den kleinen Städten der Priegnitz und des Havellandes, in Perleberg, Pritz- walk, Lentzen, Wittstock, Kyritz und Nauen in Garnison gelegen und nach seinem frühern Chef den Namen des von der Goltz ’- schen Regiments geführt hatte, wurde jetzt, zu größerer Bequem- lichkeit für den Kronprinzen, oder behufs beßrer Controle, in zwei Garnisonen, Ruppin und Nauen, concentrirt. Das Regiment selbst erhielt den Namen „Regiment Kronprinz,“ später von 1744 an „Prinz Ferdinand,“ unter welchem Namen es die Schlachten des siebenjährigen Krieges, den Zug in die Champagne und end- lich die Katastrophe von Jena mit durchmachte. (Bratring, in seiner Geschichte Ruppins, schreibt, daß im Jahre 1732 das zweite Ba- taillon des Prinz v. Preußen Infanterie-Regiments nach Ruppin verlegt worden sei. Dies ist ersichtlich falsch. Es gab damals gar kein Prinz v. Preußen Infanterie-Regiment und konnte keins geben, denn es gab noch keinen Prinzen von Preußen. Erst 1744 wurde Prinz August Wilhelm zum Prinzen von Preußen ernannt und seinem Regiment der entsprechende Name „Prinz von Preußen Infanterie-Regiment“ gegeben. Sein Regiment hieß bis dahin das Prinz Wilhelm ’sche Regiment. Dies stand allerdings bis 1732 zu Neu-Ruppin in Garnison und daher muthmaßlich der Fehler, den Bratring macht. Es wurde aber in genanntem Jahre von Neu-Ruppin nach Spandow verlegt, um dem einrücken- den Regiment Kronprinz [bis dahin von der Goltz] Platz zu machen.) Wenn wir, wie im Nachstehenden geschehen soll, die Entschlüsse und Erlasse des Königlichen Vaters zusammenstellen, die jener Zeit der Wiederversöhnung angehören und die sich sämmtlich und ganz ersichtlich damit beschäftigen, dem wieder angenommenen Sohne sein Entrée und sein Leben in Neu-Ruppin möglichst angenehm zu machen, so wird man von der Vorsorglichkeit und einer gewissen Zärtlichkeit des Vaterherzens (eines Vaters, der 18 Monate früher mit dem Tode gedroht hatte) nicht wenig überrascht. So scheint es ihm zu Ohren gekommen zu sein, daß Ruppin eine rußige alte Stadt sei und auf einem seiner Plätze, auf dem noch jetzt existi- renden Neuen Markte, einen alten Militair-Galgen für die Deser- teure habe. Voll feinen Gefühls erkennt er, daß solch’ ein Anblick, gleich beim Eintritt in die Stadt, an die ersten Küstriner Tage, an den November 1730 erinnern könnte, und in folgenden Er- lassen trifft er Vorsorge, daß dem Auge des Sohnes solch Anblick erspart werden möge. „Der Galgen soll außer der Stadt heraus- geschafft, auch die Pallisaden an die Mauer gesetzt und alle Schlupf- löcher zugemacht werden. Muß alles gegen den 20. Juni fertig sein. Auch soll das Haus dicht bei des Obristen von Wreech Quar- tier, so der Kronprinz zu Dero Quartier choisiret, gehörig aptiret werden. (Potsdam Reskript vom 24. Mai 1732.) Aber nicht nur der häßliche Schmuck des Neuen Marktes soll fort, die ganze Stadt soll sich dem Einziehenden, dem neuen Mitbürger in ihrem besten Kleide präsentiren und so heißt es in einer zweiten Ordre vom Tag darauf: „das Printz Wilhelmische Regiment soll den 1. Juni aus Neu-Ruppin ausmarschiren. Dann soll gleich der Koth aus der Stadt geschafft und die Häuser, so noch nicht abge- putzt sind, sollen abgeputzt werden.“ Wir haben in Vorstehendem festzustellen gesucht, welches Regi- ment damals als „Regiment Cronprintz“ nach Ruppin und Nauen hin verlegt wurde; schwerer ist es, sich zu vergewissern, welches Bataillon in Ruppin und welches in Nauen lag. Wir finden dar- über Widersprechendes. Am 22. April (1732) erläßt der König folgendes Reskript an den Kriegsrath Lütkens: „Das erste Batail- lon des cronprinzlichen Regiments soll in Nauen und das andre Bataillon in Neu-Ruppin vom 1. Juli 1732 an einquartieret werden,“ und im Einklang mit dieser Ordre schreibt derselbe Kriegs- rath Lütkens noch am 20. Juni an den Ruppiner Magistrat: So wird denn also das zweite Bataillon des besagten Regiments am 26. Juni in Ruppin einmarschiren. Aber der König oder der Kronprinz müssen plötzlich ihre Ansicht hierüber geändert haben, denn schon Anfang Juli heißt es in einem Briefe aus Ruppin: „Unsre neue Garnison ist eingerückt, das erste Bataillon des Re- giments „Cronprintz“ ist hier, auch der Cronprintz selbst, der Obristwachtmeister ꝛc. Diese letztere Angabe stimmt auch mit Preuß überein. Ingleichen bestätigen die Papiere, die mir zur Hand sind, die Angabe, daß von den 5 Compagnien des zu Nauen in Gar- nison liegenden Bataillons eine weggenommen und der Ruppiner Garnison zugetheilt wurde. In einem Reskripte vom 30. November 1733 heißt es: „Von den 5 Compagnien des Cronprintzlichen Regiments, die zu Nauen liegen, soll eine Compagnie und zwar die des von Calebutz nach Neu-Ruppin verlegt werden.“ (Dies geschah, weil Nauen zu klein war für eine so große Garnison.) So viel von dem Regiment, dem der Kronprinz als Chef und Oberster vorgesetzt war. Die nächste Frage ist: wann traf der Kronprinz in Neu- Ruppin ein? Preuß sagt: „bereits im April.“ Dies scheint nur in gewissem Sinne richtig zu sein. Er war allerdings im April da, aber wie wir annehmen müssen, nur auf einen oder auf wenige Tage, nur ausreichend, um eine passende Wohnung zu suchen. Der König in dem oben citirten Reskript vom 24. Mai schreibt: „Die Wohnung, die der Cronprintz zu seinem Quartier choisirt , soll aptiret werden,“ woraus sich mit ziemlicher Gewißheit ergiebt, daß er (der Kronprinz) selber da war, um eben die Wahl, die choix zu treffen. Aber eben so sicher scheint es, daß er erst Ende Juni zu wirklichem Aufenthalte in Ruppin eintraf, denn nicht nur, daß den Behörden (oder Privaten) die für die „Aptirung“ der Oberst von Wreech’schen Wohnung Sorge zu tragen hatten, ausdrücklich bis zum 20. Juni Zeit gelassen wurde, es schreibt auch der Fähnrich von Buddenbrock ausdrücklich am 22. Juni: „Die neue Garnison wird am 26. d. erwartet und der Cronprintz wird im Wreech’schen Hause logiren.“ Also er war noch nicht da und traf erst (muthmaßlich am gleichen Tage mit seinem Ba- taillon) gegen Ende des Juni am neuen Wohnort ein. Das Palais, das er bezog, lag in der Nähe der Stadtmauer, nur durch einen Garten von ihr getrennt und war durch die Ver- bindung zweier Nachbarhäuser, der Wohnung des mehrgenannten Obristen von Wreech und des Obristlieutenants v. Möllendorff (die bis dahin wahrscheinlich das Prinz Wilhelm’sche Regiment ge- führt hatten), so gut es die Eile gestattete, hergestellt worden. An Comfort mochte Mangel sein und dieser Umstand trug gewiß das Seine dazu bei, daß, zwei Jahre später, das Rheinsberger Schloß gekauft und nachdem es hergerichtet war, zum entschieden bevor- zugten Aufenthaltsort wurde. Suchen wir nun festzustellen, wie der Kronprinz seine Rup- piner Tage zubrachte. Was ihn nachweisbar zuerst und zumeist in Anspruch nahm, war die Ausbildung seines Regiments und die Verschö- nerung der Stadt . Die ernstliche Beschäftigung mit dem „Dienst“ fing an, ihm den Soldatenstand lieb zu machen. Er achtete auf Kleines und Großes; nichts erschien seinem Interesse zu gering. Standen Revuen vor dem Könige in Aussicht, so wurden beide Bataillone in Ruppin zusammengezogen, um dem Regimente durch gemeinschaftliche Manövres eine Haltung wie aus einem Guß zu geben. Der Kronprinz sah seine Anstrengungen belohnt. Sein Regiment bewährte sich gleich bei der ersten Revue so glänzend, daß es durch Erscheinung und Exercitium allgemeine Bewunderung erregte. Die neue Uniform, in der es erschien, war der von des Königs Grenadier-Regimente ähnlich, aber mit silberner Stickerei und carmoisin-farbenen Aufschlägen. Gleich nach seinem Eintreffen in Ruppin fand zu Ehren der neuen Uniform (das Goltz’sche Regiment hatte bis dahin blau und Gold getragen) folgende Scene statt. Der Kronprinz lud die Offiziere vor eins der Thore, wo sie einen brennenden Holzstoß fanden. Erfrischungen wur- den gereicht. Als alles guten Humores war, begann der Prinz: „Nun, meine Herren, da wir hier alle versammelt sind, so dächte ich, wir erzeig- ten der Goltzischen Uniform die letzte Ehre .“ Dabei zog er Rock und Weste aus und warf sie in’s Feuer. Die Offiziere thaten desgleichen. Unter lautem Gelächter folgten schließlich auch die Beinkleider. In neuer Uniform kehrte man in die Stadt zurück. Diese Scene ist charakteristisch für den Ton, der herrschte. Der strenge Vater war be- friedigt. Kaum minder als der „Dienst,“ beschäftigte ihn die Ver- schönerung der Stadt. Daß Ruppin bis diesen Augenblick sich seines „Walls,“ einer prächtigen, mit den schönsten und ältesten Bäumen bepflanzten Promenade, erfreut, ist des Kronprinzen Ver- dienst. Hier erwies er sich, von einem richtigen Gefühl geleitet, ausnahmsweise als Conservator , während er ja im Allgemeinen den Geschmack seiner Zeit theilte, die sich eitel darin gefiel, an die Stelle des po ë tisch Mittelalterlichen, die Flachheit des Kasernen- baues, oder die Schnörkelei des Roccoco zu setzen. Drei Wälle hatten in alter Zeit die Stadtmauer zu weiterem Schutz umgeben. Schon während der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hatte man mit Abtragung dieser Wälle begonnen und die zuge- schütteten Gräben als Gartenland parzellirt. Kaum aber war der Kronprinz in Ruppin erschienen, so erkannte er, welchen Schmuck man auf dem Punkt stand, der Stadt zu rauben. Dies erkennen und dagegen einschreiten, war eins. Die Miscellanea historica unsres Gewährsmannes, des Dr. Bernhard Feldmann, geb. 1704 in Berlin, gest. 1776 in Neu-Ruppin, enthalten darüber folgendes: „Schon 1732 inhibirte S. K. Hoheit die Abtragung der Wälle und conservirte also die noch übrigen, land- oder nordwärts vom Rheinsbergischen bis zum Berliner Thore gelegenen, so noch stehen und mit alten Rüstern, Eichen, Buchen, Haseln ꝛc. bewachsen sind; auch ließ sie der Cronprinz noch mit vielerlei Sorten Bäumen bepflanzen und an ihrem Ende (beim Berliner Thore) mit einem schönen Garten zieren, wodurch der „Wall“ zum angenehmsten, beschatteten Spatzier- gang voll Nachtigallen geworden ist.“ Kronprinz Friedrich hatte vier volle Jahre, von 1732—1736, seinen festen Wohnsitz in Ruppin, aber nur während des ersten Jahres gehörte er dem Ruppiner Stillleben mit einer Art Aus- schließlichkeit an. Vom Juni 1733 an drängten sich die Ereignisse, die ihn oft Monate lang und länger von „Haus und Garten, die ihm lieb geworden waren,“ fern hielten. Seiner Vermählung im Juni 1733 folgte, vier Monate später, die Erwerbung Rheins- bergs und eh noch der Umbau des Rheinsberger Schlosses, der ohnehin sein lebhaftes Interesse in Anspruch nahm, zur Hälfte beendet war, führte die Wiedereröffnung der Feindseligkeiten zwi- schen Frankreich und dem Kaiser (im Sommer 1734) unsern Kronprinzen an den Rhein. Am 7. Juli war er in Wiesenthal, wo der General-Lieutenant v. Röder mit den preußischen Truppen im Lager stand. Aber „im Kaiserlichen Heere war nur noch der Schatten des großen Eugen;“ der einundsiebenzigjährige Held hatte sich überlebt. Philippsburg ging verloren; das thatenlose Hin- und Herziehen wurde unerträglich, und gegen Ende October erblicken wir den Prinzen wieder daheim, in seiner „geliebten Garnison.“ Zweierlei hatte ihm dieser lorbeerarme Kriegszug eingetragen: zunächst und allgemein einen Einblick in die Schwächen der Kaiser- lichen Armee, daneben speciell und allerpersönlichst — einen Freund . Dieser Freund war Chasot. Wie das Jahr 1734 einen längern Aufenthalt am Rhein gebracht hatte, so brachte das folgende Jahr eine mehrmonatliche Reise nach Ostpreußen. Uns aber beschäftigen diese Ausflüge nicht länger, sondern wir halten uns innerhalb der Bannmeile von Ruppin und suchen uns ein Bild dieser spätern Ruppiner Tage zu entwerfen. Das Rheinsberger Schloß schmückt und erweitert sich mehr und mehr, aber der Tag der Uebersiedelung ist noch fern und die bescheidenen Ruppiner Räume müssen zunächst noch genügen. Die Stadtwohnung läßt viel zu wünschen übrig; aber die Sommer- monate gehören dem „Garten am Wall.“ Hier lebt er heitere, mußevolle Stunden, die Vorläufer jener berühmt gewordenen Tage von Rheinsberg und Sanssouçi. Allabendlich, nach der Schwere des Dienstes, zieht es ihn nach seinem „Amalthea“ Amalthea, die Nymphe, welche den Jupiter mit der Milch einer Ziege ernährte, auch diese Ziege selbst; also hier etwa Milchwirth- schaft, Meierei . hinaus. Der Weg durch die unsaubern Straßen der alten Stadt ist ihm un- bequem, so hat er denn für ein Mauerpförtchen Sorge getragen, das ihn unmittelbar aus dem Hofe seines „Palais“ auf den Wall und nach kurzem Spatziergang unter den alten Eichen desselben in die lachenden Anlagen seines Gartens führt. Da blüht es und duftet es; Levkojen-Beete ziehen sich an den Steigen hin, Melonen werden gezogen und auf leis’ ansteigender Erhöhung, ziemlich in- mitten des Gartens, erhebt sich der „Tempel,“ der Vereinigungs- ort des Kreises, den der Kronprinz hier allabendlich um sich ver- sammelt. Das Souterain enthält eine Küche, und der „Tempel“ selber ist einer jener oft abgebildeten Pavillons, die auf sechs korinthischen Säulen ein flachgewölbtes Dach tragen und in den Parks und Gärten jener Epoche als Eßzimmer sich einer beson- deren Gunst erfreuten. Der Mond steht am Himmel, in dem dich- ten Gebüsch des benachbarten Walls schlagen die Nachtigallen, die Flamme der Ampel, die von der Decke herabhängt, brennt unbe- weglich, denn kein Lüftchen regt sich und keine frostig abwehrende Prinzlichkeit stört die Heiterkeit des Kreises. Noch ist kein Voltaire da, der seine Piquanterien mit graziöser Handbewegung präsentirt, noch fehlen die Algarotti, d’Argens und Lamettrie, all’ die berühm- ten Namen einer späteren Epoche — Offiziere seines Regiments sind es zunächst noch, die hier der Kronprinz um sich versammelt: v. Kleist, v. Rathenow, v. Schenkendorff, v. Groeben, v. Budden- brock, v. Wylich, vor allem — Chasot. Chevalier Chasot, der während der Rheincampagne (1734) im fran- zösischen Heere diente, hatte das Unglück, einen Anverwandten des Herzogs von Boufflers im Duell zu tödten. Er floh deshalb in das Lager des Prinzen Eugen, zunächst nicht, um in Dienst zu treten, sondern nur um ein Asyl zu finden. Beim Prinzen Eugen lernte ihn der Kronprinz kennen, dem er später nach Ruppin hin folgte. Das Leben, das er mit diesen Offizieren führte, war frei von allen Fesseln der Etiquette, ja ein Uebermuth griff Platz, der unsern heutigen Vorstellungen von Anstand und guter Sitte kaum noch gefallen will. Fenstereinwerfen, Liebeshändel und Schwärmer abbrennen (zur Aengstigung von Frauen und Landpastoren) zählte zu den beliebtesten Unterhaltungsmitteln. Man war noch so un- philosophisch wie möglich. So kam der August 1736 heran; der Umbau des Rheins- berger Schlosses war beendet und der Umzug, die Uebersiedelung fand statt. Von da ab beginnen die glänzenden, die vielgefeierten Rheinsberger Tage. Aber diese schönen Rheinsberger Tage, die das Ruppiner Leben verdunkelt haben, waren doch nicht so völlig das Ende, der Tod des Ruppiner Interregnums, wie, einer allge- meinen Vorstellung nach, geglaubt wird. Vielmehr fand jetzt ein Austausch, eine Art Rückzahlung statt und wenn von 1733 an, die Ausflüge nach Rheinsberg Ruppin um die andauernde An- wesenheit des Kronprinzen gebracht hatten, so war von jetzt an Ruppin der Gegenstand und das Ziel beständiger, freilich zum Theil durch den „Dienst“ gebotener Besuche. Aber nicht nur waren es die militairischen Inspektionen, die diese Ausflüge nöthig machten, auch Neigung, Gefallen an der Stadt, in der er vier glückliche Jahre verlebt hatte, zogen ihn immer neu in die alten Kreise zu- rück. Viele seiner Briefe geben Auskunft darüber; entweder tragen sie das Datum Ruppin und führen dadurch den Beweis längeren oder kürzeren Aufenthalts daselbst, oder flüchtige Zeilen, von Pots- dam, Berlin und andern Punkten aus geschrieben, sprechen seine Sehnsucht aus nach seiner „geliebten Garnison.“ So schreibt er im Juni 1737 von Berlin aus an Suhm: „Den 25. gehe ich nach „Amalthea,“ meinem Garten in Ruppin. Ich brenne vor Ungeduld meinen Wein, meine Kirschen und meine Melonen wieder zu sehn;“ und 1739 noch (am 16. Juni) heißt es in einem, vom Ruppiner Garten aus datirten Briefe: „Ich werde morgen nach Rheinsberg gehn um allda nach meiner kleinen Wirthschaft zu sehen; hier wollen keine Melonen reif werden , so gerne wie ich auch gewollt, daß ich meinem Gnädigsten Vater die Erstlinge des Jahres hätte schicken können.“ Diese beiden Briefe sind in soweit wichtig, als sie keinen Zweifel darüber lassen, daß Kronprinz Friedrich seinem „Amalthea“ zu Ruppin keineswegs den Rücken kehrte, vielmehr vom August 1736 an, eine Art Doppelwirthschaft führte und an die Gär- ten und Treibhäuser, hier wie dort, die gleichen Ansprüche erhob. Sonntags las er in Ruppin seine Predigt, während Des Champs vor der Kronprinzessin und dem Hofe in Rheinsberg predigte. Selbst noch unmittelbar nach der Thronbesteigung (im Sommer 1740) sah die Stadt Ruppin den nunmehrigen König Friedrich II. häufig in ihren Mauern und bis zum Spätherbst desselben Jahres blieb es zweifelhaft, ob Ruppin oder Potsdam oder Rheinsberg der erklärte Lieblingsaufenthalt des neuen Königs werden würde. Großartige Gartenanlagen, die eben damals entworfen wurden, schienen für Ruppin zu sprechen, aber die weite Entfernung von der Hauptstadt, führte endlich zu andern Entschlüssen. Die Ter- rassen von Sanssouci wuchsen empor und — Ruppin war vergessen. Es ist zweifelhaft, ob der große König in 46jähriger Regierung es jemals wieder gesehn. Die Frage bleibt uns zum Schlusse übrig, was wurde aus diesen Schöpfungen, großen und kleinen, die die Anwesenheit des Kronprinzen in’s Dasein rief, was haben 120 Jahre zerstört, was ist geblieben? Zunächst das Stadt-Palais . 1744 schenkte es der König an seinen jüngsten Bruder, den Prinzen Ferdinand, der schon früher zum Chef des ehemaligen Kronprinzlichen Regiments ernannt worden war und in der Epoche, die dem 7jährigen Kriege voraus- ging, in Ruppin seine Garnison hatte. Auch nach 1763, und zwar bis 1787, wo das große Feuer die Stadt zerstörte, scheint sich der Prinz, wenn nicht andauernd (er lebte zum Theil auch in Friedrichsfelde bei Berlin), so doch vielfach bei seinem Ruppiner Regimente aufgehalten zu haben, wenigstens muß ich das aus der Existenz zweier Bilder schließen, die als einzige Ueberbleibsel aus dem ehemalich Kronprinzlichen, später Prinz Ferdinand’schen Palais, bis diesen Augenblick in Ruppin existiren. 1787 brannte dies „Palais“ nieder und nichts wurde gerettet als zwei große Oel- portraits, die Bildnisse der Königin Marie Antoinette und der Kaiserin Catharina. Beide Bilder (einem einfachen Ruppiner Bürger gehörig) rühren, wie aus dem hier dargestellten Lebensalter der beiden Fürstinnen unschwer zu berechnen ist, etwa aus dem Jahre 1780 her, denn Marie Antoinette erscheint als eine jugendliche Schönheit von einigen zwanzig, Catharine aber als eine mehr denn stattliche Matrone von über 50 Jahr. Aus dem einfachen Umstande, daß das abgebrannte Palais diese beiden Bilder über- haupt enthielt, zieh ich den Schluß, daß Prinz Ferdinand bis 1787 häufiger in Ruppin gelebt haben muß; denn aus der kronprinzlichen Zeit von 1732—1740 können natürlich die Bildnisse zweier Fürstinnen nicht stammen, von denen die eine damals ein Kind, die andre noch gar nicht geboren war. Privat- personen aber waren damals in den allerseltensten Fällen in der Lage, die Wände ihres Zimmers mit den lebensgroßen Portraits fremder Fürstlichkeiten schmücken zu können. Was die Bilder selbst angeht, so macht das wohlerhaltene Portrait der schönen Habs- burgerin einen sehr gefälligen Eindruck, während das Bildniß der Kaiserin Catharine, mit dem Andreaskreuz auf der Brust, nicht nur quantitativ durch Umwandlung aus einem ursprünglichen Kniestück in ein Bruststück , sondern weit mehr noch qualitativ durch einen plump aufgetragenen Firniß verloren hat. Die Um- wandlung in ein Bruststück erfolgte, wie mir der Besitzer vertrau- lich mittheilte, durch einfache Anwendung einer großen Zuschneide- Scheere und war nöthig, weil die untre Parthie, bis zum Gürtel hinauf, schwer gelitten hatte. Der Erzähler hatte keine Ahnung von der Symbolik seiner Rede, oder von der historischen Gerech- tigkeit, die die große Zuschneide-Scheere geübt. Das „Palais“ selbst ist niedergebrannt, aber ein apart aus- sehendes Haus (das sogenannte Mollius’sche Haus) ist an der- selben Stelle aufgeführt worden, wo 1732 die nachbarlichen Häuser des Obristen Wreech und des Obristlieutnants Möllendorf zu einer Art von prinzlichem Palais verbunden wurden. Die Straße, die zu diesem Hause führt, führt wie billig den Namen der Prinzen- Straße und der prächtige alte Lindenbaum, der wie ein grüner Schild seine Zweige vor dem po ë tisch dreinschauenden grauweißen Hause ausbreitet, schafft hier ein Bild, wie es dieser Stelle wohl paßt und kleidet. 4 Zwischen dem Hause und der Stadtmauer liegt jetzt ein Gärtchen. Wir passiren es und stehen vor der Mauerpforte, die den Kronprinzen allabendlich auf den schönen „Wall“ zu führen pflegte, wenn er nach dem Dienst und der Arbeit des Tages sich erhob, um im „Tempel“ den obengenannten Freundeskreis zu ver- sammeln. Die Pforte ist jetzt vermauert und es kostet uns einen Um- weg, um die Außenseite der Mauer und den „Wall“ zu gewinnen. Seine schattigen Gänge führen uns jetzt nach „Amalthea.“ Hier im Garten ist noch manches wie es war. Die Einrich- richtungen sind verändert, allerhand Neubauten sind entstanden, aber die Einfassungsmauer ist geblieben und die hohen Platanen im Hintergrunde, die über die Mauer hinweg mit den draußen stehenden Bäumen Zwiesprach halten, sind noch lebendige Zeugen aus den fridericianischen Tagen her. Vor allem existirt noch der „Tempel.“ Nicht sind es Säulen mehr, die das Kuppeldach tragen; ein solides Mauerwerk, mit Thür und Fenstern, ist an ihre Stelle getreten und bildet ein rundes Zimmer von mäßiger Größe, eben ausreichend zu einem Souper von Sechs. Wir sind die glücklich Geladenen. Der Wein lacht in den Gläsern, die Unterhaltung wächst an Frische und Leben, die Wand- leuchter brennen und durch die offenstehende Thür trifft Mondlicht und Abendkühle den froh versammelten Kreis. Es ist als wäre die alte Zeit wieder da und ungesucht wird unser Beisammensein zu einer Darstellung , zu einer Scene aus: „Kronprinz Friedrich in Ruppin“, ein Stück, das noch geschrieben werden soll. Die passenden Kostüme fehlen freilich, denn an was erinnerten unsre Reiseröcke weniger, als an die silbergestickten Uniformen der Offiziere des kronprinzlichen Regiments; aber was den Kostümen gebricht, das wird aufgewogen durch die künstlerische Treue der Coulissen und Requisiten. Wir haben die alte Zeit leibhaftig um uns her, nicht völlig die Zeit des Kronprinzen Friedrich, aber doch immer die fridericianische Zeit. Die Spiegel mit ihren Rähmen in Barock, die Tische mit ihren ausgeschweiften Füßen, die Atlas-Gardinen, das Deckengemälde (eine „Geburt der Venus“ darstellend), alles erinnert an jene reizvolle, aus prosaischen und po ë tischen Elementen wunderlich gemischte Zeit, die ihr Kleid in den Schlössern der Ludwige, ihren Gehalt aber in den Schlössern der Friedriche empfing. Und dort ist er selbst, der seinem Jahrhundert den Namen gab. Aus der Nische hervor leuchtet sein Auge und um ihn her, an den Wandpfeilern entlang, schließt sich ein bunter Kreis von Zeitgenossen: Prinz Heinrich und Voltaire, Zieten und Lessing, Gluck und Kant. Unsre Gläser klingen zusammen. „Es lebe die alte Zeit, nicht sie selbst, aber das, was sie groß gemacht.“ Wir brachen auf und traten in den Garten. Die Nachtigallen schlugen auf dem „Wall.“ Es klang wie ein Protest gegen die „alte Zeit“ und wie ein Loblied auf Leben und Liebe. 4* 4. General v. Günther . J ohann Heinrich Günther, ein ausgezeichneter Führer leichter Trup- pen, der glorreich fortsetzte, was unter Zieten und Belling begon- nen worden war, wurde im Sommer 1736, also in demselben Jahre, in dem Kronprinz Friedrich nach Rheinsberg übersiedelte, zu Neu-Ruppin geboren. Er war aus bürgerlichem Stande. Sein Vater stand als Feldprediger beim Regiment Kronprinz und zeich- nete sich durch große Kanzelgaben aus. Bald nach dem Tode des Vaters, der bereits einige Monate vor der Geburt Johann Hein- richs erfolgte, wurden mehrere Bände seiner Predigten heraus- gegeben. Sein Sohn, unser General Günther, gehört unbestreitbar zu den bedeutendsten Persönlichkeiten, die aus den Mauern Neu-Rup- pin’s hervorgegangen sind; dennoch bin ich nicht völlig sicher, ob unsre Darstellung vor dem alten Reitergeneral Halt machen und ihm die pflichtschuldigen Honneurs erweisen würde, wenn nicht, im Lauf der Zeiten, die Person Günthers durch das Geflüster: „ er sei ein illegitimer Sohn des Kronprinzen Friedrich ,“ ein gesteigertes Interesse gewonnen hätte, oder, wie Droysen sich ausdrückt, „wenn nicht das Gerücht entstanden wäre, daß der Kronprinz bei der schönen Predigersfrau in Neu-Ruppin die Rolle des Jupiter in Amphitryos Haus gespielt habe.“ Dies Gerücht (wir werden zu untersuchen haben, woraus entstanden) war sicher- lich ohne alles Fundament, dennoch hat es sich erhalten, auch jetzt noch, wo die Glaubwürdigkeit desselben wenigstens stark er- schüttert ist. Günthers Biograph (der spätere Kriegsminister von Boyen, der während des polnischen Feldzuges, als Adjutant des Generals, auch in persönlich-nahe Beziehungen zu demselben trat) spricht von der Mutter desselben als von einer „ guten und frommen Frau ,“ eine Bezeichnung, die er vermieden haben würde, wenn er irgend welche Veranlassung gehabt hätte, jenes Gerücht als begründet anzusehn. Die Frage bleibt freilich: wie konnte solch Gerücht überhaupt entstehen? welche Scheingründe waren thätig, um einer müßigen Erfindung wenigstens das Kleid einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu leihen? Es ist wahr, man hat von einer frappanten Aehnlichkeit zwischen dem General und dem großen König gesprochen, hat in dem Aufsteigen eines Bürgerlichen und Feldpredigersohns bis zum Freiherrn und zum General-Lieu- tenant den Beweis erblicken wollen, daß es mit dem also Aus- gezeichneten „ noch etwas Besonderes auf sich gehabt haben müsse ꝛc. ꝛc.,“ aber man hat dabei übersehn oder über- sehen wollen, daß eine frappirende Aehnlichkeit zwischen den Hohen- zollern und den Offizieren ihrer Armee bis diesen Augenblick eine täglich wiederkehrende Erscheinung ist, und daß ferner die hohen Auszeichnungen, deren sich gegen das Ende seiner Tage hin unser General allerdings zu erfreuen hatte, ihm nicht vom großen Könige, sondern von den beiden Nachfolgern desselben, zumal von Friedrich Wilhelm III. , zu Theil wurden. Kurz heraus, die Sache ist eine Mythe , für deren Entstehung wir, außer dem Umstand, daß das Oberst v. Wreech’sche Haus, das der Kronprinz in Ruppin be- wohnte, allerdings durch seinen bloßen Namen schon an die kurz vorhergegangenen intimen Beziehungen zur schönen Frau v. Wreech (in Tamsel bei Küstrin) erinnerte, keine andre Erklärung, als die Sucht des Menschenherzens finden können, hervorragende Persön- lichkeiten durch Ausstaffirung mit sogenannten „interessanten Ver- hältnissen“ wo möglich noch interessanter zu machen. Nach dieser Abschweifung, die zur Aufklärung über einen oft erwähnten Punkt nöthig war, fahr ich in Zusammenstellung des biographischen Materials fort, das ich im Stande gewesen bin über unsern Helden zu sammeln. Johann Heinrich’s Jugendjahre, die er zunächst im Hause seiner verwittweten Mutter verlebte, scheinen Jahre der Entbehrung gewesen zu sein. Nichtsdestoweniger setzte die Mutter alles daran, ihn für das geistliche Amt zu erziehn, in dem der Vater des Kna- ben bereits Befriedigung und Auszeichnung gefunden hatte. Die Universität Halle bot dazu in mehr als einem Sinne die Mittel. Bald nach Ausbruch des siebenjährigen Krieges, wahrscheinlich im Jahre 1757, trat unser Günther seine theologischen Studien an der berühmten Hochschule an. Aber diese Studien wurden bald unterbrochen. War es, daß die wachsende Noth des Vaterlandes den festen Willen heranreifte, Gut und Blut für die Sache des Königs einzusetzen, oder war es — wie eine andre Lesart lautet — die Ueberzeugung, daß vielleicht morgen schon ein Zwang da eintreten würde, wo heute noch die Möglichkeit eines freiwilligen Entschlusses war, gleichviel, der Eintritt in die preußische Armee erfolgte. Ernst Moritz Arndt, in seinen „Wanderungen und Wande- lungen mit dem Freiherrn v. Stein“ erzählt den Hergang nach Mittheilungen, die er dem Geh. Kriegsrath Scheffner (in Königs- berg) zu verdanken scheint, im Wesentlichen wie folgt: „Bald nach Ausbruch des siebenjährigen Krieges standen vier unter einander befreundete Jünglinge in den Listen der Hochschule Halle eingeschrieben. Sie hießen Scheffner, Neumann, l’Estocq und Günther. Alle vier haben sich später auf verwandtem Felde aus- gezeichnet. Eines Abends beim Commers führte das Gespräch dar- auf hin, daß sie binnen kürzester Frist für die Armee gepreßt und eingekleidet werden würden. Nach einigem Hin- und Hererwägen reifte der Entschluß in ihnen, lieber gleich als Freiwillige in ein berühmtes Husarenregiment einzutreten. Scheffner , nachdem er ehrenvoll gedient, lebte noch 1813 als Kriegs- und Domainen- rath in Königsberg; Neumann wurde durch seine tapfre Ver- theidigung Kosel’s, — l’ Estocq durch seinen entscheidenden Angriff in der Schlacht bei Preußisch-Eylau berühmt; Günther aber glänzte, zumal während des polnischen Feldzuges von 1794, durch seine organisatorischen Talente und verdient in gewissem Sinne ein Vor-Scharnhorst genannt zu werden. Boyen stellt den Hergang minder po ë tisch dar. Darnach war es kein „berühmtes Husaren-Regiment“, in das unser Günther zu- nächst eintrat, sondern das „ Kommissariat ,“ eine wichtige, aber doch immerhin ziemlich prosaische Sache. Er gab diese unkriegerische Stellung aber in Bälde auf, focht zunächst in dem Frei-Bataillon von Angelelly, dann im sogenannten Trümbach’schen Corps und kam erst nach dem Schluß des Krieges als Stabs-Rittmeister zum Kürassier-Regiment Vasold. Während des Krieges war er mehr- fach verwundet worden. Die Beförderungen gingen jetzt langsamer denn je, und zwanzig Jahre verflossen, bevor er vom Stabs- rittmeister bis zum Oberstlieutenant avancirte. Als solcher erhielt er 1783 das Commando über die schwarzen Husaren. Zwei Jahre später avancirte er zum Obersten und 1788 ernannte ihn König Friedrich Wilhelm II. zum Chef des Bosniaken -Regiments. Diese 25 Friedensjahre — der baierische Erbfolgekrieg war kaum als ein Krieg zu rechnen — hatten unserm Günther wenig Gelegenheit gegeben, nach außen hin zu zeigen, von welchem Metall er war. Nur in einem allerengsten Kreise wußte man schon damals, was man an ihm besaß. In kleinen Garnisonstädten vergingen ihm die Jahre; 1789 ward er General-Major. An dem Cham- pagne-Feldzug und der Rheincampagne nahmen die Truppen, bei denen Günther stand, nicht Theil und auch die letzten 10 Jahre seines Lebens würden muthmaßlich ohne kriegerische Lorbeern für ihn geblieben sein, wenn nicht Kosciuszko’s Auftreten und der un- provocirte Angriff Madalinski’s auf eine kleine süd-preußische Land- stadt (am 15. März 1794) das Signal zu einem kurzen, aber erbitterten Kampfe an den Ufern der Weichsel und des Narew gegeben hätte. Die nun folgenden Sommermonate waren es, die unsrem Günther Gelegenheit boten, sich als einen Partheigänger und Avant-Garden-Führer von ungewöhnlicher Begabung zu zeigen, als einen raschen und kühnen Reitergeneral, wie er seit den Tagen Zietens nicht dagewesen war. Droysen, in seinem Leben York’s (York war Offizier in Günther’s Corps), schildert unsern General wie folgt: „An der Spitze seiner Bosniaken, in den hastigen Plötzlichkeiten des Parteigängerkrieges, war er in seinem Element, er selbst immer voran. Seine Schlauheit und körperliche Gewandt- heit gaben ihm die Lust der Gefahr; er verstand es, sie bei seinen Leuten bis zur Tollkühnheit zu steigern, aber indem er es rück- sichtslos mit jedem Feinde aufzunehmen schien, lag seiner Kühn- heit die besonnenste Berechnung zum Grunde. So verstand er es, den Leuten die Zuversicht des Erfolges zu geben. Eine kurze An- rede, — dann ging es mit niederwerfendem Ungestüm auf den Feind. Kam es besonders hart, so hielt er wohl eine Ansprache wie die folgende: „Alles ist reiflich und behutsam erwogen; auch habe ich gethan, was zu allen Dingen den Segen bringt, habe Gott den Herrn um seinen allmächtigen Beistand angefleht, wenn wir aber doch nicht gewinnen, so hole euch verfluchte Kerle alle der Teufel, denn dann tragt ihr allein die Schuld .“ Nach Vorausschickung dieser allgemeinen Bemerkungen, die den Mann und den Geist, der in seiner Truppe lebendig war, sehr anschaulich schildern, wenden wir uns den Ereignissen selber zu, die ihm Gelegenheit gaben, solche Ansprache zu halten. Die polnischen Besitzungen Preußens (das sogenannte Süd- Preußen) waren damals viel ausgedehnter als jetzt und mit Rück- sicht auf das weite, weder durch Kunst noch Natur befestigte Areal sehr schwach mit Truppen besetzt. Die nächste Aufgabe, die den Truppenführern nach Ausbruch der Feindseligkeiten zufiel, war die, eine unendlich langgezogene Grenze mit einer Armee zu decken, die kaum 10,000 Mann zählen mochte. Unser Günther erhielt den linken Flügel und hatte eine 20 Meilen lange Linie, die sich, am Narew und seinen Nebenflüssen entlang, von Ostrolenka bis Gra- jewo erstreckte, mit zehn Eskadrons und einem Bataillon zu ver- theidigen. Es schien fast unmöglich; das Land lag offen da und der an Zahl weit überlegene Feind hatte es sichtbarlich in seiner Macht, überall nach seinem Belieben durchzubrechen. Hier war es, wo die Prinzipien sich glänzend bewährten, nach denen Günther, eine Reihe von Jahren hindurch, die ihm untergeordneten Reiter- Regimenter im Dienst geübt und in mehr als dem gewöhnlichen Sinne für den Krieg vorbereitet hatte. Der Kern dieses seines Prinzips hatte nämlich darin bestanden, die einzelnen Eskadrons, die, von Stadt zu Stadt, in den Grenzdistrikten Süd- und Ost- Preußens in Garnison lagen, in einer beständigen Kriegführung mit und unter einander zu erhalten. Es war immer Krieg . Wie eine Art Reise-General war er bald hier, bald da, stellte sich an die Spitze bald dieser, bald jener Schwadron und fiel, sei’s Tag, sei’s Nacht, über die Truppen eines andern Gar- nisonplatzes her. Dadurch hatte er, in vieljähriger Uebung, ein Corps von seltner Schlagfertigkeit ausgebildet, eine Truppe genau der Art, wie sie jetzt erfordert wurde, wo es darauf ankam, eine Handvoll Leute über weite Strecken hin gleichsam wie auszu- streuen und auf ein gegebenes Zeichen im Ru wieder zu concen- triren. Es war die Kunst, mittelst eines lebendigen, aus vielen Theilen zusammengesetzten Gliederstabs heut’ auf 20 Meilen hin eine dünne Grenzlinie zu ziehn und morgen diesen lang ausge- zogenen Stab zu einem compacten und widerstandsfähigen Bündel zusammen zu klappen . In dieser Kunst erwies sich Günther als Meister. Späher und eingebrachte Gefangene erhielten ihn über alle Pläne des Feindes in bester Kenntniß, und wo immer dieser den Durchbruch versuchen mochte (um dann im Rücken das Land zu insurgiren), fand er entweder den Riegel fest vorgeschoben, oder Günther ergriff die Offensive, warf sich auf die Anrückenden und schlug sie direkt oder imponirte ihnen doch genugsam, um sie zum Rückzug zu bewegen. Die Gefechte bei Kolno und Demniki (am 9. und 18. Juli) werden nicht nur für die Lebensgeschichte Gün- thers, sondern namentlich auch für die Geschichte des „kleinen Kriegs“ ein paar Muster-Beispiele bleiben. Die Geschicklichkeit, mit der General Günther operirte, konnte nicht ermangeln, an höchster Stelle die Aufmerksamkeit auf einen so ausgezeichneten, so hingebenden und zu gleicher Zeit so vom Erfolge gekrönten Offizier hinzulenken, und wiewohl erst der dritte General beim Corps, übertrug ihm der König (während die Trup- pen in Süd-Preußen unter den Befehl des Generals Favrat ge- stellt wurden) das Oberkommando über alle am rechten Weichsel- Ufer (so schreibt Boyen; es muß aber unbedenklich das linke heißen) stehenden Truppen, deren Bestimmung es war, mit den Russen unter Suwaroff gemeinschaftlich gegen Warschau vorzu- dringen und durch Einnahme der Hauptstadt den Heerd des Auf- standes zu ersticken. So sah sich Günther, der bis dahin über den Partheigänger-Krieg nicht hinausgekommen war, plötzlich an die Spitze einer „Armee“ gestellt und der Bestimmung gegenüber, selbständig und im großen Stil zu operiren. Freudig und muth- voll erfaßte er die ihm gewordene Aufgabe und sah im Geiste bereits eine zweite ruhmreiche Schlacht bei Warschau geschlagen, unter dessen Mauern die Brandenburger schon einmal gekämpft und den lange schwankenden Kampf zur Entscheidung gebracht hatten. Aber es war anders beschlossen; noch eh’ das Corps die Weichsel überschreiten konnte, traf die Nachricht von der Erstür- mung Praga’s ein. Warschau, zitternd vor der eisernen Hand Suwaroff’s, hatte seine Thore den Russen geöffnet. Der Krieg war zu Ende, und nach einer interimistischen Verwaltung der Pro- vinz (Süd-Preußens) nahm der Friedensdienst und das Garnison- leben in kleinen Städten auf’s Neue seinen Anfang. Günther und die Bosniaken, deren Chef er blieb, kamen nach Tycoczyn. Die Auszeichnungen drängten sich jetzt. 1795 ward er General- Lieutenant; zwei Jahre später erhob ihn Friedrich Wilhelm III. (gleich nach seiner Thronbesteigung) in den Freiherrnstand; endlich 1802, nach der Revue, erhielt er den Schwarzen Adler-Orden. Aber nur eine kurze Spanne Zeit noch blieb ihm, sich dieser Ehren und Auszeichnungen zu erfreuen. Ein halbes Jahr später, am 22. April 1803, starb er. Als der Adjutant bei ihm eintrat, fand er den General am Schreibtisch, den Kopf auf die Seite geneigt — todt. Der Tod war als ein Längsterwarteter an ihn heran- getreten. Schon am Tage zuvor hatte er zu sterben geglaubt und bei einer Truppenvorstellung, die er selbst noch leitete, seinen Adju- tanten gebeten, ihm zur Seite zu bleiben, um ihn auffangen zu können, wenn er vom Pferde stürze. Bis zuletzt war ihm das „Ich dien’“ ein Stolz und ein Bedürfniß gewesen. Günther war 46 Jahre lang Soldat. Immer zeigte er sich treu in Erfüllung seiner Pflicht, immer war er ein ritterliches Vorbild, ein organisatorisches und militärisches Talent, und doch, ohne jene kriegerische Episode am Narew, würden wir wenig oder nichts von ihm wissen. Selbst die Sage, die sich an seine Geburt knüpft, würde nicht ausgereicht haben, ihn vor dem Vergessen- werden zu bewahren, denn ein pikant-anekdotisches Element steigert wohl ein schon vorhandenes, auf Thaten gegründetes Interesse, aber ist zu schwach, es zu wecken . Günther’s Ruhm und Bedeu- tung wurzelt in den kurzen Kämpfen von 1794. Wenn trotz dieser Kämpfe sein Name nicht heller glänzt, so liegt das in einer Ver- kettung äußerer Umstände, unter deren Ungunst manche hervor- ragende Kraft jener Zeit und speciell jener polnischen Kämpfe zu leiden gehabt hat. Der Krieg war unpopulär, die Theilung Polens eine Maßregel, der die Sympathieen der Völker niemals zur Seite gestanden hatten und die Schroffheit Suwaroff’s, die des Guten in derselben Weise zu viel that, wie die oberste Leitung preußi- scherseits (freilich ohne Verschulden unsres Günther) des Guten zu wenig leistete, war nicht geeignet, dem ganzen Kampfe die Sym- pathieen zu erwecken, die ihm bis dahin gefehlt hatten. Man schämte sich fast des Krieges, man hatte keine Freude daran und die ein- zelne Großthat litt unter dem Mißkredit, in dem das Ganze stand. Dies würde alles genugsam erklären, aber was den Ausschlag gab, war noch ein andres. Kaum ist es nöthig, es zu nennen. Der Untergang des alten Preußen und die Wiederaufrichtung eines neuen waren Welt-Ereignisse, die diesen Vorgängen der 90ger Jahre auf dem Fuße folgten und die wie eine mächtige Fluth all die Marksteine einer kleineren Geschichtsepoche umwarfen und hinwegspülten. Es ist Aufgabe späterer Zeiten, solche in Trieb- sand begrabenen Denksteine neu aufzurichten. Dazu sollten diese Zeilen ein Versuch sein. Günther’s eigentlichste Bedeutung scheint übrigens, nach dem übereinstimmenden Urtheil seiner Zeitgenossen, vor allem in seiner Persönlichkeit gelegen zu haben. Boyen preist ihn auf jeder Seite, und da junge Adjutanten gewöhnlich diejenigen sind, die ihrem alten General (oft mit gutem Grund) am allerwenigsten voll Bewunderung entgegentreten, so sind wir wohl zu dem Schluß berechtigt, daß in diesem Falle eine siegende Gewalt vorlag, die alles Bekritteln todt machte. Das Mysteriöse , das um und an ihm war, steigerte allerdings die Macht seiner Persönlichkeit nicht wenig. Es hieß von ihm, daß er wie ein Ordensbruder die drei Gelübde der Keuschheit, der Armuth und des Gehorsams abgelegt habe. Daß dies von jedem geglaubt wurde, zeigt am ehsten, wie sein Leben war. Es galt dafür, daß er nie ein Weib berührt habe, drum sei er so gewaltig von Körper. Boyen hat auch in Bezug hierauf eine etwas prosaischere Version. Er schreibt: Günther zog sich früh aus dem Treiben der Welt und der Gesellschaft zurück. Was ihn zu dieser Zurückgezogenheit bestimmte, ob es schmerzlich zerrissene Lebensverbindungen waren (also unglück- liche Liebe , aber nichts von einem Keuschheitsgelübde), mag dahin ge- stellt bleiben. Auch der „Gewaltigkeit seines Körpers“ erwähnt Boyen nicht, gegentheils spricht er viel von der Kränklichkeit des Generals, die nur in dessen moralischer Kraft ihr Gegengewicht gefunden habe. Er war auch hierin ganz dem alten Zieten verwandt, der bekanntlich immer leidend und zu Zeiten völlig hinfällig war. Das Gelübde der Armuth hielt er nicht minder treu. Von seinem reichen Gehalt nahm er für seine Person nur 300 ; was von dem Uebrigen nicht für die Offiziertafel und für Lohn und Bedienung darauf ging, wurde den Armen gegeben. Die Tafel war reichlich besetzt, aber er selbst aß regelmäßig nur eine Soldatensuppe und ein ein- faches Stück Fleisch. Als er einen jungen Offizier zum Nachbar flüstern hörte, daß der Alte sich seine frugale Kost sehr gut schmecken lasse, ward auch noch das Fleisch aus der Suppe gethan. Wie er an Umsicht, Raschheit und verschlagener Tapferkeit ein Geistes- verwandter des alten Zieten war, so war er es auch in Schlicht- heit, Rechtschaffenheit, Unbestechlichkeit. Die Worte des Prinzen Heinrich, die den alten Husaren-General so schön charakterisiren, („er verachtete alle diejenigen, die sich auf Kosten unterdrückter Völker bereicherten“) passen ebenso auf Günther. Seine kurze Verwaltung Süd-Preußens war deshalb in mehr als einer Bezie- hung ein Segen für jene Landestheile. Seine Uneigennützigkeit erwarb ihm die Achtung von Freund und Feind, und selbst die polnische Bevölkerung näherte sich ihm und unterwarf sich in strei- tigen Fällen seiner Entscheidung. Von Suwaroff, den er öfter sah, wurde er in ausgezeichneter Weise empfangen. „ Ich freue mich, heute einen wahren General kennen zu lernen “ waren die ersten Worte, womit der damals im Zenith seines Ruhms stehende Praga-Erstürmer unsern General begrüßte, und als Günther mehrere Jahre später ein in Süd-Preußen zurück- gebliebenes, völlig vergessenes russisches Magazin unaufgefordert an Suwaroff zurückliefern wollte, rief dieser verwundert aus: „Solch’ einen Glauben hab’ ich in Israel nicht funden.“ Frei- lich, es war so unrussisch wie möglich. An Gehorsam, an Diensttreue war ihm keiner gleich. Seine stete Sorge war, daß der König schlecht bedient werde . In vollem Maaße gehörte er noch jenem Krieger-Orden an, der sich während der Regierungszeit des großen Königs gebildet hatte, dessen erste und einzige Regel lautete „im Dienst des Vaterlandes zu leben und zu sterben.“ Das Opfer war Gebot, war Leiden- schaft . Preußen über alles. Noch wenige Wochen vor seinem Tode, als ihm erzählt wurde, daß die Grenadier-Bataillone die alten Grenadier-Mützen wieder erhalten hätten, rief er aus: Gott gebe, daß mit den alten Mützen auch der alte Geist der Gleim’schen Grenadiere wieder da sein möge, dann werden sie und Preußen unüberwindlich sein.“ Der Tod ersparte ihm die bittre Erfahrung, daß der „alte Geist“ unwiederbringlich verloren war. Seine letzten Momente hab ich bereits geschildert. Es war ihm, in einem dem Dienst und der Pflicht gewid- meten Leben versagt geblieben, die höchsten Aufgaben zu lösen, Aufgaben, zu denen er der Aussage aller derer nach, die ihm nahe standen, wohl befähigt war. Aber wenn ihm das Höchste versagt blieb, das Beste, Edelste lebte und webte in ihm. Mög’ es dem Vaterlande nie an Männern fehlen, gleich ihm! 5. Schinkel’s Geburtshaus und seine Kinderjahre. Ein ungedruckter Schinkel’scher Brief . W enn berühmte Männer in ihren alten Tagen sich entschließen, ihre Biographie zu schreiben, so ist es nichts Seltenes, daß die ersten Capitel, die sich mit ihrer Kindheit beschäftigen, die aller- interessantesten werden. Die alten Herren, nachdem sie am Tisch von Fürsten und Herren gesessen und sich genugsam von der Wahrheit überzeugt haben, daß alles eitel sei, kehren dann mit rührender Vorliebe zu den Spielen ihrer Kindheit zurück und ver- weilen lieber dabei, als bei dem Ordens- und Ehrenempfang ihrer späteren Jahre. Anders verhält es sich, wenn Berühmtheiten es verschmähen oder vergessen, ihre Lebensbeschreibung niederzuschreiben, und nur das zu unserer Kenntniß kommt, was Andre von ihnen wissen. Diese „Anderen“ wissen nie etwas von den Kinderjahren des berühmten Mannes; sie lebten damals kaum, und der Berühmte hat die vielleicht hübschesten Capitel seines Lebens mit in’s Grab genommen. So ist es mit Schinkel . Er hat seine Biographie nicht geschrieben, kaum Material zu derselben hinter- lassen; besondre Unglücksfälle haben das Wenige, das da war, abermals vermindert. Ich habe an seinem Geburtsort nachgeforscht; es leben noch Personen, die ihn als Kind gekannt haben, und ich gebe in Nachstehendem, was ich über ihn erfuhr. Karl Friedrich Schinkel wurde am 13. März 1781 zu Neu- Ruppin geboren. Sein Vater war daselbst Superintendent und starb in Folge der Anstrengungen, die er während des großen Feuers, das im Jahre 1787 die ganze Stadt verzehrte, durch- zumachen hatte. Auch die Superintendenten-Wohnung wurde in Asche gelegt, so daß von dem Hause, drin Schinkel geboren wurde, nichts mehr existirt. Es stand ungefähr an derselben Stelle, an der sich die jetzige Superintendenten-Wohnung befindet, aber etwas weiter vorgelegen, auf dem jetzigen Kirchplatz, nicht an demselben. Die Mutter Schinkel’s zog nach dem Tode ihres Mannes in das sogenannte Prediger-Wittwenhaus, das, damals vom Feuer verschont geblieben, sich bis diesen Tag in alter Un- versehrtheit erhalten hat. In diesem Hause hat Schinkel seine Knabenzeit vom 6. bis zum 14. Jahre zugebracht. Aus seiner frühesten Jugend ist nur folgender kleiner Zug aufbewahrt geblieben. Sein Vater zeichnete ihm öfter allerlei Dinge auf Papier, namentlich Vögel . Der kleine Schinkel saß dann dabei, war aber nie recht zufrieden und meinte immer: „ Ein Vogel sähe doch noch anders aus .“ Sein Charakter nahm früh ein bestimmtes Gepräge an; er war bescheiden, zurückhaltend, gemüthvoll, aber schnell aufbrausend und zum Zorn geneigt. Eine ächte Künstlernatur. Noch auf seinem letzten Krankenlager zeigte sich diese volle Künstler- natur. Er lag 13 Monate lang in einem bewußtlosen Zustand; als es aber hieß: „ Thorwaldsen stehe an seinem Lager“, richtete er sich auf und das Bewußtsein kehrte ihm auf kurze Augenblicke zurück. Auf der Schule war er nicht ausgezeichnet, vielleicht weil jede Art der Kunstübung ihn von früh auf fesselte und ein intimeres Verhältniß zu den Büchern nicht aufkommen ließ. Seine musikalische Begabung war groß; nachdem er eine Oper gehört hatte, spielte er sie fast von Anfang bis zu Ende auf dem Klavier nach. Theater war seine ganze Lust. Seine ältre Schwester schrieb die Stücke, er malte die Figuren und schnitt sie aus; am Abend gab es dann Puppenspiel. Seine malerischen Fähigkeiten müssen früh entwickelt gewesen sein. Eine Zeichnung seines eigenen Kopfes, die er in seinem 14. Jahre nach dem Spiegel gemacht hat, hab’ ich gesehen. Sie ist in großen Umrissen, skizzenhaft mit dem Bleistift entworfen; die schärferen Striche und angegebenen Schattenparthieen mit Dinte dazwischen gezogen. In seinem 14. Jahre zog seine Mutter nach Berlin und Schinkel kam nur noch besuchsweise nach Ruppin, besonders nach Kränzlin, einem nahebei gelegenen Dorfe, wo er im dortigen Predigerhause die Ferien bei seiner verheiratheten Schwester zu verbringen pflegte. Die Töchter dieser Schwester leben noch in Ruppin und entsinnen sich eines Zimmers im Kränzliner Predigerhause, das er während seiner mannigfachen Besuche ganz mit Arabesken, Blumen und Vögeln bemalt hatte. Aus späterer Zeit stammt eine kleine Zeich- nung, in chinesischer Tusche ausgeführt, die sich, sorgfältig einge- rahmt, im Besitz des Küsters zu Darritz, eine halbe Meile von Kränzlin, befindet. Er war 18 Jahr alt, als er diese äußerst saubre Arbeit machte, denn rechts in der Ecke steht: „Schinkel 99 fec. “ Die Zeichnung (etwa im Verhältniß von 9 Zoll zu 5 Zoll) stellt ein Familienbegräbniß, ein Mausoleum dar, das nach zwei Seiten hin von dunklen Baumparthieen eingeschlossen ist; links hin öffnet sich der Blick auf eine Landschaftsskizze, die, so klein sie ist, auf der Stelle an die großen Vorbilder Claudés erinnert. Die dem Beschauer zugekehrte Längswand trägt die Inschrift: »Tran- quillitati« und darunter ein sauber ausgeführtes Basrelief: Pluto und Proserpina, zu deren Füßen ein Bittender kniet. Die Arbeit ist lehrreich und interessant zugleich; in Ruhe, Einfachheit und Schönheit schon ganz Schinkel, aber es fehlt freilich noch die Freiheit der Bewegung; die Schule seines Meisters Gilly blickt noch durch. Diese zwei Zeichnungen, von denen ich die letztere, die eine gewisse kunsthistorische Bedeutung beanspruchen darf, ausführlicher beschrieben habe, sind muthmaßlich alles, was die ganze Grafschaft Ruppin von dem bedeutendsten Manne besitzt, den sie je hervor- gebracht hat; denn wie viel Tüchtiges auch, im Lauf der Jahr- hunderte, an den Ufern des Ruppiner See’s emporgewachsen ist, keiner ragt an den Superintendenten-Sohn heran, der das alte 5 Berlin in eine Stadt der Schönheit umgeschaffen und ihm hof- fentlich für immer den Stempel seines Geistes aufgedrückt hat. Nach Kränzlin hin adressirte er auch seine Briefe aus Italien, wohin er im Jahre 1803 jene Reise antrat, die so nachhaltig und entscheidend auf seine Kunstrichtung einwirkte. Er verwandte zu dieser Reise sein väterliches Vermögen und den Ertrag eines „Panorama’s von Palermo“, das er für Gropius gemalt hatte. Die Aufmerksamkeit des Königs erregte er zuerst im Radziwill’schen Hause, wo er bei einer der stattfindenden Theatervorstellungen eine Mondschein-Decoration mit so frappanter Wahrheit aufgestellt hatte, daß der König nach dem Namen des Malers fragte. Auch das mag hier erwähnt sein, daß er zu Gneisenau in freundschaft- lichen Beziehungen stand und bis in’s Lager hin, über künstle- rische Detailfragen mit ihm correspondirte. Die Italienische Correspondence des Meisters, jene Reihen- folge von Briefen, die er von Rom, Neapel und Sicilien aus an seine Schwester in Kränzlin richtete, ist bis auf einen Brief verloren gegangen; in ähnlicher Weise wie die Briefe David Hume’s an seine Freundin Msr. Mure verloren gegangen sind, (die Köchin hatte diese Briefe statt Stroh zum Sengen der Enten und Gänse benutzt), so sind wir um diese Schinkel-Correspondenz gekommen — Dienstmädchenhände haben Ofenfeuer damit gemacht. Der eine Brief, den wir folgen lassen, wird zeigen, wie beklagens- werth der Verlust ist. Schinkel war, wo sein Herz fühlte, des Wortes in hohem Maße mächtig. Franz Kugler sagt Folgendes von ihm: „Wenigen Menschen war so, wie ihm, das Gepräge des Geistes aufgedrückt. Was in seiner Erscheinung anzog und auf wunderbare Weise fesselte, darf man nicht eben als eine Mit- gift der Natur bezeichnen. Schinkel war kein schöner Mann, aber der Geist der Schönheit, der in ihm lebte, war so mächtig und trat so lebendig nach außen, daß man diesen Widerspruch der Form erst bemerkte, wenn man seine Erscheinung mit kalter Be- sonnenheit zergliederte. In seinen Bewegungen war ein Adel und ein Gleichmaß, in seinem Munde ein Lächeln, auf seiner Stirn eine Klarheit, in seinem Auge eine Tiefe und ein Feuer, daß man sich schon durch seine bloße Erscheinung zu ihm hingezogen fühlte. Größer aber noch war die Gewalt seines Wortes, wenn das, was ihn innerlich beschäftigte, unwillkürlich und unvorbereitet auf seine Lippen trat .“ Von dieser „Gewalt des Wortes“ giebt an mehr denn einer Stelle der in wahrhaft klassischer Sprache geschriebene Brief Zeugniß, den wir der Güte einer Nichte Schinkels, des Fräulein Wagner in Ruppin, verdanken, und den wir, mit Beibehaltung der kleinen Abweichungen der damaligen Orthographie, in Nach- stehendem folgen lassen: Messina, 14. Mai 1804 . „Mit günstigem Ost verließ ich am 8. Mai den Hafen Neapels , als noch des Vesuv’s zwie- gespaltener Gipfel die frühe Sonne barg. Ein braver Capitain und eine lustige Schiffsgesellschaft sicherten mir die Entschädigung für das Ungemach der Seefahrt. Wir hatten uns, mein alter Reisegefährter und ich, mit zweien Freunden aus Rom verbunden, die ganze Reise durch Sicilien zusammen zu machen, um durch gegenseitige Mittheilung so viel Nutzen als Vergnügen zu haben. Mittags flog das Schiff durch die Enge von Capri ’s Fels- wänden und dem Vorgebirg von Massa ; der Abend brachte uns die schöne Uebersicht der Küste von Salerno und des Golfo di Napoli , den die dämmernden Vorgebirge der Stadt am Horizonte beschlossen, verschönert durch den Sonnenuntergang, den wir traulich auf dem Verdeck in aller Muße genossen. Mit dem Grau des Morgens war jede Aussicht auf’s Land verloren, nur Himmel und unendliche Fluth. Später stiegen am Horizont die Liparischen Inseln empor, zunächst der Strombolo , dem wir Mittags nahe vorbeisegelten. Sein dampfendes Haupt warf zuckend Asche in die Luft, und Felsen, die sich aus des Kraters Rande lösten, rollten rauchend über die herabgeglittene Asche in’s Meer. Oestlich zieht ein sanftes Ufer hinauf, ein wohlbebautes Ländchen, dessen Bewohner, den drohenden Gipfel nicht fürchtend, zufrieden des Weinbaues und des Fischfanges pflegen. — Am 5* Abend dämmerte die Küste Siciliens . Langsam näherten wir uns; das frühe Tageslicht zeigte uns deutlicher das gigantische Ufer Kalabriens , und die mit sanfterem Gebirg sich vor ihm breitende Insel, gekrönt vom glänzenden Schneehaupt des Aetna . In gerader Säule stieg aus seinem Gipfel der Dampf in die Höhe und bildete hoch über ihm Wölkchen, die bald in reinem Aether verschwanden. Es neigte sich der Tag, als wir die Enge von Messina oder den Pharo erreichten — das Bild Homers stand lebhaft vor meiner Seele, ich sah den irrenden Odysseus , wie er der brausenden Charybdis wich, um an den starrenden Felsen der Scylla die werthen Genossen zu verlieren, um sein und der Uebrigen Leben zu retten. — Noch immer brauset Cha- rybdis dunkelwogend, doch ist sie dem großen Schiffe im Sturme nur gefährlich. Der Fels von Scylla ragt wie das entstürzte Haupt des jähen Kalabrischen Gebirges aus der Flut und wölbt die dunklen Grotten, in denen uns Homer das raubende Unge- heuer malt. Ein Kastell und Städtchen gleichen Namens hängen an seinem Abgrund. Die Küste Kalabriens ist groß und fürchterlich; sanfter und freundlich zieht mit milderer Natur das Sikulische Land hinan, bis zum hohen Gipfel des Aetna . Die Nacht brach ein, gewitterhaft umwölkte sich der Himmel und Sturm erhob sich in der Enge. Viermal trieb das Schiff zurück in die strudelnde Flut der Charybdis . Der Capitain, der, des übertriebenen Preises wegen, den Dienst des Lootsen ausschlug, hatte seine ganze Gegenwart nöthig, der Strandung zu entgehen. Mit der Mitternacht liefen wir in den Hafen Messinas . Kein Ort erlitt mehr durch die Revolutionen der Natur als Messina . In jedem Jahrhundert vom Erdbeben zertrümmert, trägt es den ganzen Charakter seines Schicksal’s. Am Hafen steht die lange Reihe der Ruinen ehemaliger Paläste, und durch die ganze Stadt herrscht ein beständiger Bau. Ein großer Theil der Einwohner zog nach der letzten Verwüstung aus dem Thor und ließ auf einer Ebene sich in niedrigen Hütten nieder, die jetzt eine Vorstadt bilden. Eng zusammengebaut, gab es Gelegenheit zu manchem Liebeshandel und zu mancher Heirath. — Diese kleinen Wohnungen haben den ächt patriarchalischen Charakter. Man lebt wie in der frühen Zeit der Menschheit als eine große Familie beisammen. Die Vegetation um Messina ist außerordentlich; die Indische Feige, deren Blätter nicht selten 2 bis 3 Fuß lang emporstreben, und die mächtige Aloestaude, deren Blüthe wie ein Baum in die Lüfte ragt, umzäunen die Gärten des Landmannes, aus denen oft über Orangen die hohe Palme blickt. Mit schöner Waldung prangend, erhebt sich das Gebirge hinter der Stadt und bietet bezau- bernde Punkte für die Uebersicht der Meerenge . Von unglaub- licher Schönheit ist das Spiel der Farben an der Riesenküste Ka- labrien’s hinter der blauen Ebene des Meeres. Von der bekannten Fata Morgana in der Enge von Messina , deren Ursache die Naturforscher verschieden erklären, sah ich nur eine schwache Wir- kung; an einem gewitterschweren Abend nach einem heißen Tage sah man ein sonderbares Wellen und Schimmern der Luft, das eine Art von Strömen aus der Küste Kalabriens zu der Siciliens vermuthen ließ. Figuren bildeten sich nicht, wie man sie manchmal mit allen Farben und Formen vorübereilen sieht. Catania, 24. Mai 1804 . Wiewohl man uns rieth, durch die Thäler Vall’ Demone und Vall’ di noto bewaffnete Garden gegen die Straßenräuber zu nehmen, so unterließen wir es doch, da wir mit dem Campieri, der uns die Maulthiere zum Ritt durch die ganze Insel vermiethete, und seinem Bruder ein Geschwader von 6 Personen bildeten. Der Weg bis Taormina, das alte Tau- rominium, verläßt die Küste nicht, die durch herrliche Vorgebirge beständige Abwechselung gewährt. Unfern Reggio in der Enge lagen 3 große Schiffe der Barbareskenflotte, die uns auf dem ganzen Wege zur Seite blieben und den Küstenweg gefährlich machten. Die Afrikanischen See- räuber beunruhigen in jedem Jahre das Gestade der Insel; von Zeit zu Zeit landend, führen sie arme Küstenbewohner und Rei- sende zur Sclaverei. Es ist zu bewundern, daß nicht mehr gegen diese Einbrüche gethan wird. — Der Abend kam, als wir das Gebirg von Taormina erreichten. Die Gigantenformen dieser Gegend veranlaßten die Vermuthung, dies sei der Ort, an dem Odysseus das Abenteuer mit dem Cyklopen bestand. Eine von ungeheuren Felsblöcken umschlossene Bucht wird noch jetzt der Hafen des Ulyß genannt. Wir verließen die Maulthiere und stiegen auf ein Vorgebirg, das sich gegen das Meer zu mit einer senkrechten Felswand endigt, aus deren kleinsten Spalten die In- dische Feige üppig hervorsproßt. — Mächtiger als jemals ergriff mich der Eintritt in das Theater von Taurominium , dessen Trümmer auf dem Gipfel hervorragen. Ich sah vor mir das Proscenium, über ihm und durch seine Oeffnungen eine unendliche Ferne. Rechts stürzen sich wilde Gebirge hinab; an ihrem Fuß liegt unter Orangen und Palmen Taormina , ein Weg windet sich an der Felswand empor zum Castell auf dem Gipfel; mit einem Kloster steigt ein langer Hügel aus der Stadt hinab in’s Meer, das wir tief unter uns rauschen hörten; im Hintergrund hebt sich der Aetna in seiner ganzen Majestät empor und streckt sich weit hinaus in die Ebene Catanias , das Meer beschließt den Horizont. Es ward uns schwer, den bezaubernden Ort zu verlassen; welchen Eindruck müßte das Schauspiel auf einem Theater bei solchen Decorationen machen! Durch die Stadt führte uns der Weg auf einem Felspfad hinab zum Meer in’s Wirths- haus des Oertchens Giardino , wohin wir die Thiere geschickt hatten. Zur Ersparung der Zeit beschlossen wir von hier am fol- genden Morgen die Reise auf den Aetna , der von den Sicilia- nern Monte Gibello genannt wird, zu beginnen, und dann auf Catania hinabzusteigen. Durch fruchtbare Ebenen führt der Weg durch mehrere Ortschaften langsam hinauf; Mittags erreichten wir die ersten Lavaströme beim Städtchen Giarre , die von hohem Alter mit üppigem Grün bewachsen sind. Die Häuser des Oert- chens, aus der Lava erbaut, haben ein schwarzes trauriges Ansehn. Bald sahen wir die Waldregionen des Berges vor uns, durch die sich dunkle Lavaströme verwüstend stürzten und hin und wieder nur grüne Inseln stehen ließen. Spät am Nachmittag sahen wir die großen Kastanien am Ende der untern Region des Berges. Sie machten uns nicht den Eindruck, den wir uns davon versprachen, da sie hohl und verstümmelt erscheinen. Der größte Baum, den man Castagna di cento cavalli nennt, weil in seiner Höhle 100 Pferde Platz haben, besteht jetzt aus fünf Stücken der äußern Rinde eines Stammes, die im Kreise um- herstehen und ein Laubgewölbe über sich bilden. Am Boden bemerkt man, daß sie ehemals einen Stamm bildeten. — Der Stall eines schlechten Dorfes gab uns das Nachtquartier. Ueber meilenweite Felder von Asche und ungeheuren Lavaschlacken setzten wir am folgenden Morgen unsern Weg zum Gipfel fort. Nachmittags erreichten wir die Region des Waldes . Ein selt- samer Contrast, aus der schwarzen, formlosen Wüste der Lava, dessen schattenlose Ebene der Sonnenstrahl erhitzt, zu dem grünen Gewölbe des schönen Eichenhains in der Höhe des reinen, erfrischen- den Aethers! Es schlug die Nachtigall aus jedem Wipfel, der Kukuk rief aus der Tiefe des Waldes, und aller Zauber des lieblichsten Frühlings umgab uns. Der Weg, der sich steiler und einsamer in die Höhe windet, führte uns nach und nach dem Winter entgegen. Bald keimten nur die Bäume, und bald standen sie unbelaubt. Eisluft strich empfindlich vom Gipfel her, dessen glänzender Schnee durch die Zweige des Waldes leuchtete. Die Sonne war entwichen, als wir den Ausgang der Waldregion erreichten. Hier wölbt ein alter Lavastrom die Ziegenhöhle (Grotta delle Capri) den Zufluchtsort der Ziegenhirten, die in der einsamen Gegend hier zu übernachten pflegen. Unsere Thiere gingen im Walde umher und suchten sparsame Kräuter, indeß der Berg- führer mit dem Campieri beschäftigt war, ein helles Feuer in der Grotte anzuzünden. Des Laubes reichlichen Abfall häuften sie unter dem Fels zum Nachtlager und schritten dann, Fleisch zur Nachtkost zu rösten. Die erwärmte Höhle und das weiche Lager des Laubes schenkten uns sanfte Ruhe. Noch vor Mitternacht weckte uns die Stimme des Führers auf den Weg zum Gipfel des Berges, den wir mit Aufgang der Sonne zu erreichen wünschten. Der Mond schien hell in die rauhe Gegend. Es verloren sich nach und nach die Bäume. Die Schlacken hervorgeflutheter Lava thürmten sich mächtig empor und ließen nur mit Vorsicht sich erklimmen, tiefe Stille herrschte ringsum, und in langen Pausen rief der Wolf aus untern Wäldern herauf; der Gedanke an die Unterwelt der Alten drängt sich in dieser schwarzen nächtlichen Wüste des Gebirges unwiderstehlich auf. — Nach einer Anstrengung von mehreren Stunden erreichten wir die Felder des Schnee’s . Ein Fels- block, der uns in seiner Höhle gegen den mächtigen Sturm, der mit schneidender Kälte andrang, schützte, lud zur Ruhe uns ein, und wir erfrischten die Kräfte durch Wein und kalte Küche und arbeiteten dann weiter hinauf zum Kegel des Kraters . Die Sonne stieg empor, als wir die wenigen Trümmer des sogenann- ten Thurms des Empedokles erreichten, den Ort, an dem man gewöhnlich dies Schauspiel erwartet. Ich trachte nicht, die Empfindungen darzustellen, die das Gemüth an diesem Platz er- greifen, indem ich unnütz sprechen würde, nur dies Wort: „Ich glaubte, die ganze Erde unter mir mit Einem Blick zu fassen, die Entfernungen erschienen so gering, die Breite des Meer’s bis zu den Küsten Afrika’s, die Ausdehnung des südlichen Kalabriens, die Insel selbst, Alles lag so überschaulich unter mir, daß ich mich selbst fast außer dem Verhältniß größer glaubte. — Es zogen Nebel herbei, und heftiger Hagel nöthigte uns zum Aufbruch, wenn wir noch, ehe sich die Wolken mehr um den Gipfel häuften, den Krater sehen wollten. Ueber Alles beschwerlich ist der Weg zum Rande. Der Kegel ist steil und mit einer glatten Schnee- rinde umgeben, die bei jedem Schritte fallen macht. Die Annähe- rung war höchst empfindlich, ein Wind trieb den Schwefeldampf auf alle Seiten. Es glückte uns nur auf wenige Minuten, die beiden Verbindungen des Kraters zu übersehen. Ich habe den des Vesuvs bei weitem größer und imposanter gefunden. Der Aetna, der 36 kleinere Vulkane um sich zählt, bleibt oft bei Erup- tionen am Gipfel vollkommen ruhig, da beim Vesuv jedesmal die Eruption mit einem heftigen Feuer des Kraters begleitet ist. Durch beschwerliche Wege stiegen wir, manchen merkwürdigen Ort des Berges betrachtend, hinab und erreichten gegen Mittag die Höhle der Ziegen wieder, die den ermüdeten Gliedern wieder eine Stunde süßer Ruhe schenkte. Dann bestiegen wir die Thiere und eilten durch die verschiedenen Regionen des Berges auf Lavaströmen bis zu den Thoren Catania’s , die wir bei später Nacht er- reichten. Syracusa , 31. Mai 1804. Neun Tage ließ uns Sicilia- nische Gastfreundschaft in Catania unter vortrefflichen Menschen froh genießen. Ein Bekannter aus Rom, der Baron von Rech- berg , Commendator der Baierisch-Russischen Zunge des Malteser- Ordens, die jetzt in Catania den Sitz hat, dieser gefällige Mann widmete uns fast seine ganze Zeit. Catania ist nach der schrecklichen Verwüstung des vorigen Jahrhunderts ganz neu und prächtig aufgebaut, zählt mehrere antike Gebäude und Cabinette von großer Auswahl antiker Gegenstände. Die umliegende Gegend ist nicht reizend, da der schreckliche Ausbruch alle Felder mit Lava überschwemmte. Unfern Catania waren die Tunesen gelandet, und hatten unter andern Personen reisende Kapuziner gefangen, in deren Kleidung sie sich steckten und unerkannt viel Unfug trie- ben. Man rieth uns Vorsicht auf dem Wege nach Syrakus , der immer an der Küste bleibt. So begannen wir den Weg, nicht ohne Furcht vor See- und Straßenräubern. Indeß erreichten wir nach einem wenig interessanten Wege am Abend die Stadt, die ehemals allein Athen den Rang streitig machte. Ohngeachtet sie jetzt wohl kaum den zwanzigsten Theil des alten Umfangs hat, so bleibt ihr Eindruck auf der Insel in der weitgeschwungenen Meer- bucht immer noch imposant. Wir ritten über den Theil der alten Stadt, den man Gradina nannte; hier sieht man Grundpläne alter Gebäude in den Fels gehauen, dann hinab zwischen Orangen- gärten in die Stadt. Viele Festungswerke und Brücken von sehr solidem Bau aus gehauenem Stein lassen ein elegantes In- nere vermuthen; aber getäuscht empfängt ein enges unreinliches Oertchen den Wanderer und weckt tiefes Bedauern der verwan- delten Zeit.“ So weit der Schinkel’sche Brief. An einzelnen Stellen ist es, als höre man den Vollklang Platen’scher Rhythmen. Verwandte Naturen finden leicht das verwandte Wort. 6. „Bei Gustav Kühn In Neu-Ruppin.“ A ber nicht nur Grafen und Herrn, große Baumeister und Kriegs- fürsten knüpfen ihre Namen an den Namen Ruppin’s, auch be- scheidenere Berühmtheiten hat es geboren. In der Mitte der Stadt, gegenüber dem Häuser-Viereck, drin Schinkel und Günther das Licht der Welt erblickten, erhebt sich ein kleines, nur 3 Fenster breites Häuschen, dem ein neu aufge- setztes Stockwerk nur wenig zu gesteigertem Ansehn verholfen hat. Auf dem schmalen Hofe aber drängen sich die Hintergebäude und jeder Zollbreit Erde ist benutzt. Hier erinnert die Beschränktheit und zu gleicher Zeit die ängstliche Ausnutzung des Raums an die Einrichtung und den Geschäftsbetrieb englischer Zeitungslokali- täten. Die Aehnlichkeit ist da; aber was sind die Londoner Blätter im Vergleich zu jenen bunten Blättern, die aus dieser kleinen Ruppiner Offizin hervorgehn? was ist der Ruhm der Times gegen die civilisatorische Aufgabe des „Ruppiner Bilderbogens“? Die Times, die sich mit Recht das „Weltblatt“ nennt, sie gleicht doch nur dem anglikanischen Geistlichen, dem hochkirchlichen Bischof, der, an schmalen Küstenstrichen entlang, in den großen, reichbevölkerten Städten unsrer Antipoden, seine Wohnung aufschlägt und seines Amtes wartet; der Gustav Kühn’sche Bilderbogen aber ist der Herrnhut’sche Missionar , der überall hin vordringt, dessen Eifer mit der Gefahr wächst, der die eine Hälfte seines Lebens in den Rauchhütten der Grönländer und die andre Hälfte in den Schlammhütten der Fellah’s verbringt. Chamisso erzählt in seiner „Reise um die Welt“, daß er, nach selbst gemachter Erfahrung, Kotzebue für den verbreitetsten Schriftsteller halten müsse, denn er sei (wohlbemerkt schon 1818) auf der Insel Taiti einem Bande Kotzebue’scher Komödien begegnet; aber was will das alles sagen gegen die Verbreitung jener farbenbunten Bogen, die mit der wohlbekannten Notiz: „ bei Gustav Kühn in Neu-Ruppin “ über die Welt flattern. Gebiete, die Barth und Overweg, die Richardson und Livingstone erst aufgeschlossen, — der Kühn’sche Bilderbogen war ihnen vorausgeeilt und hatte von einer Welt da draußen erzählt. Er flieht die Gegenden, drin der Kupferstich und das Oelbild vorwalten, aber wo die Glaskoralle und der Zahl- pfennig ein staunendes Ach und die Begierde hervorrufen, in den engeren und weiteren Bezirken des Königs von Dahomey — da ist er zu Haus. Den Maranon und den Orinocco aufwärts, wo die Kolibris wie Blüthen und die Blüthen wie Schmetterlinge sich schaukeln, dort, wo alles Glanz und Farbe ist, tritt er kühn und siegreich auf und stellt die Colorirkunst seiner Schablone — die unangefochten von den neuen Gesetzen der Farbenzusammenstellung ihre ehrwürdigen Traditionen fortsetzt — siegreich in die Zauber der Tropennatur hinein. Auf den Inseln der schottischen Westküste war es mir selbst vergönnt, diese Landsleute, diese Boten aus der engeren Heimath zu begrüßen. Die Wunder der Fingalshöhle, die Gestalt König Fingals selbst, die wie ein Nebelphantom auf der öden Klippe von Morven stand, war nicht mächtig genug gewesen, diese Sendboten abzuhalten; — sie waren eingezogen in die Hütten der Maclean’s und Macdonald’s. Lange bevor die erste „Illustrirte Zeitung“ in die Welt ging, illustrirte der Kühn’sche Bilderbogen die Tagesgeschichte und was die Hauptsache war, die Illustration hinkte nicht langsam nach, sondern folgte den Ereignissen auf dem Fuß. Kaum, daß die Tran- ch é en vor Antwerpen eröffnet waren, so flogen in den Druck- und Colorirstuben zu Neu-Ruppin die Bomben und Granaten durch die Luft; kaum war Paskiewitsch in Warschau eingezogen, so breitete sich das Schlachtfeld von Ostrolenka mit grünen Uni- formen und polnischen Pelzmützen vor dem erstaunten Blick der Menge aus, und tief sind meinem Gedächtniß die Dänen einge- prägt, die in zinnoberrothen Röcken vor dem Dannewerk lagen, während die preußischen Garden in Blau auf Schleswig und Schloß Gottorp losrückten. Dinge, die keines Menschen Auge gesehn, die Zeichner und Coloristen zu Neu-Ruppin haben Einblick gehabt in alles und der „Birkenhead“, der in Flammen unterging, der „Präsident“, der zwischen Eisbergen zertrümmerte, das Auge der Kunst hat darüber gewacht. Andre, ähnliche Unternehmungen sind seitdem ins Dasein getreten, der Münchner Bilderbogen hat seine Reise um die Welt angetreten, Winkelmann \& Söhne haben durch zahlreiche Abbildungen von Stauffacher, Franz Moor und der Jungfrau von Orleans, der dramatischen Kunst die Schleppe ge- tragen, aber, was immer ihre Erfolge gewesen sein mögen, sie haben sich schlechter auf den Geschmack des großen Publikums ver- standen und haben die rechte Stunde mehr denn einmal versäumt. Da liegt es. In jedem Augenblick klar zu erkennen, was oben aufschwimmt, was das eigentlichste Tagesinteresse bildet, das war unausgesetzt und durch viele Jahrzehnte hin Princip und Aufgabe in der Ruppiner Offizin . Und diese Aufgabe ist glänzend von ihr gelöst worden, so glänzend, daß ich Personen mit sichtlichem Interesse vor diesen Bildern habe verweilen sehn, die vor der künstlerischen Leistung, wenn dieselbe als solche an sie herange- treten wäre, einen unaffektirten Schauder empfunden haben würden; aber die Macht des Stoffs bewährte sich siegreich an ihnen und sie zählten (wie ich) mit leiser Befriedigung die Leichen der gefalle- nen Dänen, ohne sich in ihrem künstlerischen Gewissen irgendwie bedrückt zu fühlen. Die Frage ist aufgeworfen worden nach dem Recht dieser Bilder; ob sie nicht den Geschmack verwilderten, anstatt ihn zu bilden. Es ist auch wohl hinzugesetzt worden, daß Leistungen der Art in künstlerisch gesegneteren Zeiten und bei feiner gearteten Völkern eine baare Unmöglichkeit wären. Mag sein. Nach der künstlerischen Seite hin ist man unbedenklich gezwungen, diese Dinge jedem beliebigen Angriff preis zu geben, aber sie haben eine andre, nicht minder wichtige Seite. Sie sind der dünne Faden, durch den weite Strecken unsrer eignen Heimath, lithauische Dörfer und ma- surische Hütten und Weiler mit der Welt da draußen zusammen- hängen. Die letzten 20 Jahre, mit ihrem rasch entwickelten Zei- tungswesen, mit ihrer in’s Unglaubliche gesteigerten Communication, haben darin freilich viel geändert, aber noch immer giebt es abge- legene Sumpf- und Haide-Plätze, die von Magenta und Solferino, von Zuaven und Turco’s nichts wissen würden, wenn nicht der Kühn’sche Bilderbogen die Vermittlung übernähme. Seine Uhr ist noch nicht abgelaufen und das schmale Haus in der Rup- piner Friedrich-Wilhelmsstraße hat noch immer seine Bedeutung. Rheinsberg. 1. Die Kahlenberge. Französische Colonisten-Dörfer. Einfahrt in Rheinsberg. Der Rathskeller. Unter den Linden. Das Möskefest . D ie Stadt Rheinsberg von Berlin aus zu erreichen, ist wirklich schwer. Die Eisenbahn zieht sich auf 6 Meilen Entfer- nung daran vorbei und nur ein geschickt zu benutzendes Verbin- dungsnetz von Hauderer und Fahrpost (die bloßen Worte ängstigen das Gemüth!) führt schließlich den Reisenden an das ersehnte Ziel. Dies mag es zum Theil erklären, weshalb ein Punkt unserer heimathlichen Mark so völlig unbesucht bleibt, dessen Naturschön- heiten mindestens nicht verächtlich zu behandeln und dessen histo- rische Erinnerungen allerersten Ranges sind. Wir haben es besser, wenigstens näher. Wir kommen von dem nur 3 Meilen entfernten Ruppin und lassen uns durch die Sandwüste nicht beirren, die auf der ersten Hälfte des Weges vor uns liegt. Man passirt mehrere Hügelzüge, und so oft man fragt, „wie heißt dieser Platz hier?“ so schallt die Antwort zurück, „die Kahlenberge.“ Diese Sandwüste wird hier und da durch ein Dorf aus alter, guter Zeit unterbrochen, dessen ärmliche Stroh- dächer ein spitzer Schindelthurm überragt. Vielen fehlt auch dieser Thurm. Einzelne dieser Dörfer (z. B. Braunsberg), in denen, bei ähnlichem Boden, wie ihn Teltow hat, auch die Rübenzucht noch am ehesten gedeiht, sind von französischen Colonisten bewohnt, die hier berufen waren, die Ufer der Rhone und Loire zu vergessen. Harte Aufgabe. Als wir Braunsberg passirten, lugten wir aus dem Wagen heraus, um „Köpfe zu studiren“ und uns an südlichen Race-Gesichtern zu erfreuen. Wie heißt der Schulze hier? fragten wir mit halber Verlegenheit, weil wir nicht recht wußten, ob wir Deutsch oder Französisch sprechen sollten. „Borchardt,“ schallte die Antwort zurück. Nun waren wir beruhigt. Auch die südlichen Race-Gesichter sahen gerade so aus, wie die Wendisch- Deutsche Mischung sonstwo. Uebrigens kommen wirklich noch viele Französische Namen in diesen Dörfern vor und „unser Niquet“ z. B. ist ein Braunsberger. Die Wege, die man passirt, sind im Großen und Ganzen so gut, wie Sandwege sein können; nur an manchen Stellen, wo die Feldsteine wie eine Aussaat über den Weg gestreut sind, schüttelt man bedenklich den Kopf in Rückerinnrung an die bekannte Kabinets-Ordre Friedrichs des Großen, in der er mit Rücksicht auf diesen Weg und auf 195 22 gr 8 ₰ zu zah- lende Reparaturkosten, ablehnend schrieb: „Die Reparation war nicht nöthig. Ich kenne den Weg und muß mir die Kriegs- Camer vohr ein großes Beest halten, um mir mit solches unge- reimtes Zeug bei der Nahse kriegen zu wollen.“ Der König hatte Unrecht, trotzdem er den Weg kannte; mit 195 war hier nicht viel zu machen. Erst eine halbe Meile von Rheinsberg wird es besser und es beginnen stattlich-steife Pappel-Alleen, jene „Grena- dierfronten“, wie Anastasius Grün sie genannt hat. Dabei geht es ein wenig bergab, und unser Kutscher glaubt ein Uebriges thun zu müssen. Im Trabe nähern wir uns einem hinter reichem Laub- holz versteckten, immer noch räthselhaften Etwas, und fahren end- lich, zwischen Parkanlagen links und einer Sägemühle rechts, in Stadt Rheinsberg hinein. Wir halten vor einem reizend gelegenen Gasthof, der noch dazu den Namen der „Rathskeller“ führt, und da die Rheinsberger Thurmglocke eben 12 schlägt und unser guter Appetit entschieden der Ansicht ist, daß das Rheinsberger Schloß mit all seinem Zauber doch am Ende kein Zauberschloß sei, das jeden Augenblick verschwinden könne, so beschließen wir, vor unserem Besuch ein solennes Frühstück einzunehmen und gewissenhaft zu proben, ob der Rathskeller seinem Namen Ehre macht oder nicht. Er thut es. Zwar ist er überhaupt kein Keller, sondern ein Fachwerkhaus wie andere Häuser; aber eben weil er sich jedem Vergleich mit seinen Namensvettern in Lübeck und Bremen geschickt entzieht, zwingt er den Besucher, alte Reminiscenzen bei Seite zu lassen und den Rheinsberger Keller zu nehmen, wie er ist. Er bildet seine eigne Art, und eine Art, die nicht zu verachten ist. Wer nämlich um die Sommerszeit beim Rathskeller vorfährt, pflegt nicht unterm Dach des Hauses, sondern unter dem Blätterdach der Kastanien abzusteigen, die in wirklicher Pracht einen vor dem Hause gele- genen Platz, den sogenannten „Triangel-Platz“ umstehen. Man macht sich’s bequem unter einer weiten, duftigen Laube und hat eine Kuppel über sich, die alsbald auch die Gewölbe des besten Kellers vergessen macht. So wenigstens erging es uns. Linden- und Kastanienblüthe über uns, so setzten wir uns zu Tisch; zwei Rheinsberger, an deren Kenntniß und Wohlgeneigtheit wir empfohlen waren, gesellten sich zu uns, und während die Vögel über uns musicirten und wir in erträglichem Rothwein auf das Wohl der Stadt Rheinsberg anstießen, machte sich die Unter- haltung. „Ja,“ begann der eine, den wir den Morosen nennen wollen, „es thut Noth, daß man auf das Wohl Rheinsbergs anstößt; aber es wird wohl nichts helfen, eben so wenig, wie irgend etwas geholfen, was man bisher mit uns vorgenommen hat. Wir liegen außerhalb des großen Verkehrs, und der kleine Verkehr kann nichts bessern, denn was unmittelbar um uns her liegt, ist wo möglich noch ärmer als wir selbst. Durch ein unglaubliches Ver- sehn leben hier zwei Maler und ein Kupferstecher. Der Boden ist Sandland, Torflager giebt es nicht, und die Fischzucht kann nicht blühen an einem Ort, dessen sämmtliche Seen für 4 Thaler Preußisch verpachtet sind.“ Wer weiß, wo diese Bekümmernisse endlich noch gelandet wären, wenn nicht eine große Festfahne, die von einigen Kindern eben an uns vorbeigetragen wurde, alle Klagen unterbrochen und uns die Frage aufgedrängt hätte: was ist das? „Das ist die Fahne vom Möske-Fest , die man hat repariren lassen,“ erwie- derte der andere unserer Rheinsberger Freunde, dessen gute Laune das Gegenstück zu der Morosität seines Nachbarn bildete, „der sie trägt, ist Fähnrich Wilhelm Huth, und der ihm zur Rechten geht, ist General Eduard Netzeband; sitzt seit Ostern in Quarta.“ Diese Aeußerungen machten uns natürlich begierig, mehr zu hören, und wir erfuhren alsbald, was es mit dem Möske-Feste auf sich habe. Da diese Feier der Stadt Rheinsberg eigenthümlich ist, so darf ich wohl einen Augenblick dabei verweilen. Das Möske-Fest ist ein Kinderfest, das alljährlich am Sonntag vor Pfingsten gefeiert wird. Möske bedeutet „Waldmeister“ ( asperula odorata ), und in alten Zeiten lief die Festlichkeit darauf hinaus, daß die Stadt- kinder frühmorgens in den Wald zogen, Waldmeister pflückten, und, damit heimkehrend, den Altar und die Pfeiler der Kirche schmückten. Erst im Jahre 1757 nahm die Feier einen sehr ver- schiedenen Charakter an. Am 6. Mai war die Schlacht bei Prag geschlagen worden, und am 20. Mai traf die Nachricht vom Siege in Rheinsberg ein. Es war Sonntag vor Pfingsten, also — der Tag des Möske-Festes. Die Siegesfreude, vielleicht auch der Um- stand, daß Prinz Heinrich, der damals schon Besitzer von Rheins- berg war, durch Muth und Geschick die Schlacht zu Gunsten der Preußen entschieden hatte, schuf auf einen Schlag die bis dahin rein kirchliche Feier in eine militärisch-patriotische um. Was da- mals Impromptu war, ist geblieben. Das Möske-Fest ist eine Art Soldatenspiel geworden, das die Rheinsberger Jugend am Sonntag vor Pfingsten aufführt und an dem die Alten (die alle einmal das- selbe Spiel gespielt haben) mit herzlicher Freude theilnehmen. Früh am Morgen schon ziehen vier Trommler mit der Schloßpauke und 6 der Stadttrommel durch die Straßen und schlagen Reveille. Die Soldaten sammeln sich bei der Fahne. So geht’s mit Musik vor das Haus des „Generals.“ Hier dreimaliges Vivat, dem General und seinen Angehörigen ausgebracht. Dann militärisch in Sectionen aufmarschirt und nun Abmarsch durch Stadt und Schloß hindurch nach dem schönen Boberow-Walde. Hier beginnt nun das Wald- meisterpflücken. Nachmittags kommen die jungen Mädchen und be- suchen mit ihren Angehörigen die jungen Soldaten im Wald- Bivouac. Jetzt beginnen die Turnspiele und die Wettläufe; hinter- her Preisvertheilung an die Sieger, dann Tanz und Rückmarsch in die Stadt. — Unser Frühstück war abgethan, und wir schickten uns an, dem Schloß, dessen gelbe Rückwände schon überall durch das Baumwerk hindurchschimmerten, unsern Besuch zu machen. Die vertrauliche Mittheilung beider Herren indeß, daß der alte Castellan (er ist 84, und man darf’s ihm gönnen) um diese Zeit seinen Mittagsschlaf zu halten pflege, bestimmte uns, einen Umweg zu machen und zuvor in die alte Rheinsberger Kirche hineinzusehen. 2. Die Rheinsberger Kirche . W ir hatten bald alle Ursach, uns bei dem Mittagsschlaf des alten Castellan’s zu bedanken. Leicht möglich, daß wir ohne den- selben an der Rheinsberger Kirche vorüber gegangen wären. Und doch ist es ein alter, in mehr als einer Beziehung interessanter Bau. Die erste Anlage desselben datirt weit zurück; 1568 wurde sie durch Achim v. Bredow (die ganze Herrschaft Rheinsberg war damals Bredow’scher Besitz) um zwei Drittel vergrößert. Man kann den Anbau noch jetzt von dem älteren Theil unterscheiden. Diese Kirche ist der einzige Punkt in Rheinsberg, wo man auf Schritt und Tritt den Bildern zweier völlig gegensätzlicher Epochen begegnet, und diesen Gegensatz als solchen empfindet. Die Prinz-Heinrich-Zeit und die Bredow’sche Vorzeit treffen hier wie Wasser und Oel zusammen. In Schloß und Park stören die fran- zösischen Inschriften nicht; die Baulichkeit, die Gartenanlagen, alles erscheint wie aus einem Guß, und entweder vergessen wir, dem malerischen Reiz des Bildes hingegeben, überhaupt, daß es ein preußisches Schloß ist, indem wir uns bewegen, oder wir finden die Sprache gleichgültig, in der die Dinge an uns herantreten, etwa wie es Zuhörern, die beider Sprachen mächtig sind, von keinem Belang ist, ob sie den Shakespeare deutsch oder englisch spielen sehn. So ist es in Schloß und Park, aber nicht in der Kirche; in dieser hat das französische Pfropfreis den alten Stamm 6* nicht überwinden können, und muß sich nun damit begnügen, die Rolle des Parasyten an und neben demselben zu spielen. Wir treten von der Seite her, durch eine Art Vorbau, ein. Gleich dieser Vorbau, der sein spärliches Licht nur mittelst der offen stehenden Thür empfängt, durch die wir eben eintraten, zeichnet sich durch den angedeuteten Gegensatz aus. Zur Linken, fast ein Viertheil des ganzen Raumes ausfüllend, erhebt sich ein grau ge- tünchtes Backstein-Monument, das genau die Form und die Größe jener altmodischen Kachelofen hat, denen man in Bauerstuben begegnet. Es ist das Grabdenkmal, das Prinz Heinrich dem An- denken seines Violinisten Ludwig Christoph Pitschner (geb. 5. März 1743, gest. 3. Dezember 1765) hat errichten lassen und trägt folgende Inschrift: Un prince, Ami des Arts, secondant mon Genie — Déjà l’Ecole d’Italie A l’Allemagne mon Berceau Promet un Amphion nouveau: Mais comme j’avancois dans ma carrière illustre J’ai vu de mes beaux jours s’eteindre le flambeau Sans passer le milieu de mon cinquième Lustre: Muses! pleurez sur mon Tombeau. Also etwa in freier Uebersetzung: Gepflegt, getragen durch fürstliche Gunst, Versprach ich, ausübend italische Kunst, Meiner Heimath zwischen Rhin und Rhein Demnächst ein neuer Amphion zu sein. Doch während ich leuchtend wuchs und stieg, Stieg die Sonne meines Lebens herab. Dem Tod gehört der letzte Sieg Und die Muse weint an meinem Grab. So reimte man damals in Rheinsberg. Dem Pitschner’schen Monument gegenüber aber stehen, an der Wand entlang, sechs auf- gerichtete Grabsteine der Bredow’schen Familie, drei Männlein und drei Fräulein, die bis vor Kurzem im Schiff der Kirche lagen und blicken mit Harnisch und Halskrause und mit ernst verwunderten Gesichtern zu dem Kachelofen hinüber, an dem sie mit Mühe den Namen Pitschner entziffern. Zum Glück verstehen sie nicht franzö- sisch, sie würden sonst noch ernsthafter dreinschauen. Wir treten nun in die Kirche selbst. Sie ist vor Kurzem restaurirt worden und gewährt einen freundlichen Anblick. Die Hauptsehenswürdigkeit, die auch sogleich das Auge des Eintretenden auf sich zieht, ist das große Achim v. Bredow’sche Grabmonument (links neben dem Altar), desselben Achim v. Bredow, der im Jahr 1568 die Kirche erneute und erweiterte. Es ist ein Denkmal von ganz ungewöhnlichen Dimensionen, das bei wenigstens 10 Fuß Breite gewiß die doppelte Höhe hat. Es beginnt über der Holz- einfassung des Chorstuhls und reicht fast bis zur Decke der Kirche hinauf. Das Monument, das eben so sehr für den Reichthum und kirchlichen Sinn der Familie, wie für die Kunstfertigkeit des Stein- metzen spricht, der es hergestellt hat, besteht aus vier klar geglie- derten Theilen. Zuoberst das Bredow’sche Wappen, an beiden Seiten von allegorischen Figuren eingefaßt; darunter zwei Basreliefs: links die Auswerfung des Jonas aus dem Wallfischbauch, rechts die Auferstehung Christi; darunter in Lebensgröße die Bildnisse Achim von Bredow’s und seiner Gemahlin, einer gebornen Anna von Arnim; und endlich viertens unter diesen beiden Bildnissen folgende Inschrift: O frommer Christ, urtheile mild Der Du anschauest dieses Bild. Fragst Du, wer ich sei im Grab? Gewesen bin ich und Itzt ab ; Verfolgung, Sorge, Kreuz ohn’ Zahl Die mir begegnet überall Ich ritterlich ubwunden hab’ Und ruhe nun in meinem Grab. Auch mit Geduld der Welt Bosheit Hab’ ich ertragen allezeit, Nach Gottes Willen, welcher ist Der allerbest zu jeder Frist — Gelobt seyst Du, Herr Jesu Christ. Welch’ einfach-schöne Worte; die ganze Schlichtheit und Ker- nigkeit jener Zeit kann einem nicht faßbarer entgegen treten. Wie marklos nehmen sich daneben die französischen Verse aus, die einer der Hofpo ë ten des Prinzen Heinrich, zu Ehren eines Fräulein Elsener’s gedichtet und unter Einfügung eines Aschenkrugs in einen der gothischen Pfeiler, mit dünnen Buchstaben an die Console dieses Aschenkrugs geschrieben hat: La vertu, la douceur, les charmes, La firent aimer ici bas; Aussi voit-on que son trépas A chacun fait verser des larmes. Wir liebten sie, weil sie lieblich vereint Tugend, Sanftmuth und Zauber der Wangen Jetzt nun, wo sie hinübergegangen, Folgt ihr die Klage und jeder weint. Wir werden noch an andrer Stelle, zumal an den Bauten und Büsten des Parks, ähnlichen Versen begegnen, oft trivial, im günstigsten Falle sinnig, niemals erhebend. Ein philosophischer Nothbehelf an Stelle eines freudigen Glaubens. Im Grün des Parks, wo die alten Griechengötter von allen Seiten her durch das Grün der Zweige blitzen, freut man sich dieser Betrachtungen, weil sie zu allem Uebrigen passen; hier in der Kirche aber stören sie und würden selbst dann noch stören, wenn sie bedeutender wären als sie sind. Man erkennt deutlich, daß die Kirche der ge- miedene Schauplatz der Voltairianer war, eine Art gothisch gewölbter Keller, für den es sich nicht verlohnte, wenn wirklich mal eine Elsener oder gar ein Pitschner starb, eine besonderes po ë tische An- strengung zu machen. Die Rheinsberger Kirche enthält noch eine Reihe kleiner Denk- und Sehenswürdigkeiten, die wir wenigstens in Kürze nam- haft gemacht haben möchten. Da ist der Krystallglas-Kronleuchter, den die Rheinsberger Jungfrauen hier aufhingen und zum ersten Mal mit Lichtern schmückten, als im Sommer 1763, in Gegen- wart des Prinzen Heinrich, das Friedensfest gefeiert wurde; da ist der alte, aus gebranntem Thon gefertigte, mit Wappen und Male- reien verzierte Taufstein, den drei Geschwister Sparre (Franz, Anna und Sabina) in der Mitte des 16. Jahrhunderts der Kirche schenkten, und da ist, ziemlich aus derselben Zeit, die alte Kanzel, eine Stiftung der Anna Hahn’in, Jobst v. Bredow’s getreuer Wittwe, mit allerhand Wappen der Bredow’s, Hahn’s und Schulenburg’s. Gegenüber dieser Kanzel, an der schweren alten Eichenthür, die von dem Eingangs beschriebenen Vorbau in die Mitte der Kirche führt, stand am Pfingstsonntage 1737 König Friedrich Wilhelm I. , als er nach Rheinsberg gekommen war, um seinen Sohn, den Kronprinzen, zu besuchen. Er war als frommer Christ, der keiner Predigt vorbei gehen wollte, lieber erst in die Kirche getreten, eh er den Sohn im Schloß überraschte. Der König war ein from- mer Herr, aber freilich, wie alle Welt wußte, auch ein sehr gestren- ger Herr, und der alte Geistliche (Johann Rossow), der das Glück oder Unglück hatte, den König von früher her zu kennen, erschrak beim Anblick Sr. Majestät dermaßen, daß ihm das Wort versagte und er nur noch fähig war, mit zitternder Stimme den Segen zu sprechen. Der König drohte mit dem Stock, eine Aufmunterung, die begreiflicherweise völlig ihres Zwecks verfehlte. Johann Rossow starb bald nachher; ob in Folge des Schrecks, steht wie billig dahin. Im Uebrigen muß Rheinsberg zu allen Zeiten eine gesunde Luft gehabt haben; — von 1696 bis 1848, also in mehr als 150 Jahren, hat es nur vier Prediger gehabt. Noch eines Kinder-Grabmals sei erwähnt. Es stammt eben- falls aus der Alt-Bredow’schen Zeit her und lehnt sich rechtwink- lig an das umfangreiche Monument des Achim v. Bredow’schen Ehepaar’s, das ich oben beschrieben. Ich würde dieses kleineren Denkmals, das die mittelmäßigen Bildnisse zweier Kinder, eines Mädchens und eines Knaben von 3 und 4 Jahren, zeigt, gar nicht erwähnen, wenn nicht die in Rheinsberg gang und gebe Er- zählung, die sich an dieses Denkmal knüpft, einen Beleg für die sagenbildende Neigung im Volke und zugleich deutliche Anhalte- punkte dafür böte, wie und woraus Geschichten entstehn . Es wird einem nämlich erzählt, beide Kinder hätten am Ufer des See’s gespielt und wären durch einen nicht aufgeklärten Unfall ertrunken. In der Hoffnung, näheren Aufschluß darüber zu ge- winnen, entzifferte ich die Umschrift beider Steine; das Mädchen war am 25. Februar, der Knabe am 4. März 1586, also acht Tage später gestorben. Die einfache Angabe der Sterbetage genügte hier völlig, um die Erzählung von dem gemeinschaftlichen Tode im See als ein bloßes Märchen hinzustellen. Aber eine ein- gehende Prüfung der Bildnisse selbst ergab mir auch bald den Ur- sprung der Fabel. Das lang herabhängende blonde Haar des Mädchens sah täuschend aus wie halbkrauses Lockenhaar, das im Wasser seine Lockigkeit verloren hat, und nur noch leise gewellt, vom Wasser zusammengehalten, wie eine compacte Masse über den Nacken fällt. Der Anblick dieses Haars, das einfach deshalb so vom Wasser zusammengehalten aussieht, weil es der Steinmetz nicht besser und natürlicher machen konnte, hat augenscheinlich der kleinen Erzählung, von den im See ertrunkenen Geschwistern, die Entstehung gegeben. Ihre größte Sehenswürdigkeit hat die Rheinsberger Kirche seit etwa 15 Jahren eingebüßt: es war dies das alte Grabgewölbe, in dem sich die Särge der Familien von Eichstädt und Sparre , und besonders der Familie v. Bredow befanden. Damals war diese Gruft noch zugänglich, jetzt ist sie vermauert und nur am Schall des Tritts erkennt man noch, daß der Boden hohl ist, über den man schreitet. Als die Uebermauerung vorgenommen wer- den sollte, lüftete man zuvor das Gewölbe, schaffte die alten Särge, wohl 40 an der Zahl, an’s Tageslicht und öffnete die Deckel. So standen sie im Schiff der Kirche wochenlang. Vor demselben Altar, wo die Gestalten einiger Bredow’s in die großen Sandsteinplatten eingegraben waren, standen nun, halb aufgerichtet, die geöffneten Särge, und die Todten blickten geschlossenen Auges auf ihre eigenen Bildnisse herab. Nach längerer Zeit war das Ge- wölbe wieder eingerichtet, und die alten Bewohner zogen wieder ein. Den Reigen eröffnete Archim v. Bredow. Man hatte ihm eine Flasche mit in den Sarg gelegt, in der sich ein Zettel befand. Auf diesem Zettel stand zunächst, daß Träger dieses Herr Achim v. Bredow sei, der in Genossenschaft von vielen Bredow’s, Eich- städt’s und Sparr’s hier 300 Jahre lang geschlummert, dann (behufs Lüftung seiner alten Wohnung) vier Wochen lang im Kirchenschiff zu Rheinsberg ausgestanden und im Maimonat 1844 seine alte Wohnung wieder bezogen habe. Dann eine Geschichte der letzten drei Jahrhunderte im Lapidarstil und darunter die Namen von Bürgermeister und Rath. — Während der Zeit, daß die geöffneten Särge im Schiff der Kirche standen, trug sich eine Geschichte zu, die, mit ihrem Anflug von Gespenstischem, die Gemüther der Rheinsberger wohl auf Wochen hin beschäftigen durfte. Unter den Todten befand sich auch eine Margarethe von Eichstädt, eine schöne Frau, die bei jungen Jahren gestorben war. Die weißen Grabgewänder waren noch wohl erhalten; um den Hals trug sie ein reiches Geschmeide und einen schmalen Trauring am Ringfinger der rechten Hand. Tag und Nacht hatten Wächter bei den Todten gestanden; als die Zeit kam, wo die Särge wieder geschlossen wer- den sollten, bemerkte man, daß der Ring am Ringfinger Marga- rethe’s v. Eichstädt fehle . Ein gewöhnlicher Diebstahl konnte nicht vorliegen; das reiche Halsgeschmeide war unberührt geblieben, nur der Ring fehlte. Wer trug ihn jetzt? — 3. Das Schloß in Rheinsberg. Anblick vom See aus. Die Reihenfolge der Besitzer. Die Zimmer des Kronprinzen. Die Zimmer des Prinzen Heinrich . D ie alte Glocke zu Rheinsberg , die in mehr charakterischen als po ë tischen Alexandrinern die Inschrift trägt: Des Feuers starke Wuth riß mich in Stücken nieder, Mit Gott durch Meyer’s Hand ruf ich doch Menschen wieder, — schlägt eben vier und läßt uns die Vermuthung aussprechen, daß selbst der Nachmittagsschlaf eines 84jährigen nunmehr am Ende sein könne. Unser heiterer Freund antwortet mit einem ungläu- bigen „wer weiß“, ist aber nichts desto weniger bereit, die Füh- rung bis in’s Schloß zu übernehmen und uns seinem „Gevatter“ vorzustellen. Unterwegs warnt er uns, in humoristischer Weise vor den Bilder-Erklärungen und Namens-Unterstellungen des Alten. „Sehen Sie, meine Herren, er hat eine Liste, auf der die Namen sämmtlicher Portraits verzeichnet stehen; aber er nimmt es nicht genau mit der Vertheilung dieser Namen. Einige Portraits sind fortgenommen und in die Berliner Gallerieen gebracht worden; aber Gevatter glaubt es nicht und stellt ihnen, nach wie vor, Per- sonen vor, die sich gar nicht mehr im Schlosse zu Rheinsberg befinden. Prinzeß Amalie namentlich, die schon bei Lebzeiten so viel Schweres tragen mußte, muß jede Unbill über sich ergehen lassen, und jedes Frauen-Portrait, das der Wissenschaft der An- tiquare und Kunstkenner bisher gespottet hat, ist sicher, als „Schwester Friedrichs des Großen“ genannt zu werden. Sie werden sie in Hof-Costüm, in Fantasie-Costüm und in Masken- Costüm kennen lernen; besonders mach’ ich Sie auf ein Knie- stück aufmerksam, wo sie in Federhut und schwarzem Muff erscheint; die Kehrseite des Bildes wäre Wohlthat dagegen.“ (Dies merk- würdige Bild wird einem allerdings als muthmaßliches Portrait der Prinzessin Amalie , aus ihren alten Tagen her, gezeigt; es ist aber, wie ich jetzt bestimmt weiß, das Portrait einer älteren Schwester und zwar der Prinzessin Charlotte , die an den Herzog von Braunschweig verheirathet war. Im Neuen Palais zu Pots- dam befindet sich ein Portrait der letztgenannten Prinzessin, das diesem Bildniß im Rheinsberger Schloß durchaus ähnlich ist.) Unter solchem Geplauder haben wir die der Stadt zu gele- gene Rückseite des Schlosses erreicht, schreiten durch das Portal hindurch, passiren den Schloßhof bis zum Rande des See’s, springen hier in ein bereit liegendes Boot und fahren, ohne uns umzublicken, bis mitten auf den Wasserspiegel hinauf. Nun machen wir Kehrt und haben ein Bild von nicht gewöhnlicher Schönheit vor uns. Erst die stille Fläche des See’s, an seinem Ufer ein Kranz von Schilf und Wasserrosen; dahinter ansteigend ein grüner Garten-Rasen und endlich das Schloß selbst, die Fernsicht schlie- ßend. Links dehnt sich der See in seiner ganzen Länge aus; wohin wir blicken, ein Reichthum von Wasser und Wald, die Bäume nur hier und da gelichtet, um uns irgend ein Denkmal auf den stillen Grasplätzen des Parkes, eine Marmorfigur oder einen „Tempel“ zu zeigen. Das Schloß war in alten Tagen ein gothischer Bau mit Thurm und Giebeldach; erst zu Anfang des vorigen Jahrhunderts trat ein Schloßbau in französischem Geschmack an die Stelle der alten Gothik und nahm 30 Jahre später, unter Knobelsdorff’s Anleitung, im Wesentlichen die Formen an, die es noch jetzt prä- sentirt. Eine Beschreibung des Schlosses versuche ich nur in allge- meinsten Zügen. Es besteht aus einem Mittelstück ( Corps de logis ) und zwei Seitenflügeln und gleicht in seiner Grund-Anlage dem Charlottenburger Schlosse auf ein Haar. Das letztere ist größer und hat den stattlichen Kuppelthurm; dagegen besitzt das Rheinsberger Schloß, statt eines bloßen Eisengitters zwischen den Flügeln, eine geschmackvolle Colonnade, die den Bau in sehr gefälliger Weise abschließt. Vor Allem hat das Rheinsberger Schloß die Schönheit seiner Lage, Wasser, Wald und eine Fülle der reizendsten Fernsichten voraus. Mehr eine Eigenthümlichkeit als eine Schönheit bilden seine zwei abgestumpften Rundthürme, die sich an die Seitenflügel anlehnen und deren einem es vorbe- halten war, zu einer besonderen Berühmtheit zu gelangen. Langsam nähern wir uns wieder dem Ufer, befestigen den Kahn an der Wassertreppe und schreiten nun den Weg zurück, den wir vor zehn Minuten mit absichtlicher Schnelligkeit passirten. Unter der Colonnade machen wir noch einmal Halt und recapi- tuliren uns die Geschichte des Orts. Es ist nöthig, sie gegen- wärtig zu haben. Die Herrschaft Rheinsberg war ein altes Besitzthum der Bredows . Seit 1618 sind die Hauptdaten folgende: Jobst v. Bredow verkauft Rheinsberg an Cuno v. Lochow, Domherrn zu Magdeburg 1618. Der große Kurfürst nimmt, nach dem Erlöschen dieser Fa- milie v. Lochow, Rheinsberg in Besitz und schenkt es dem Ge- neral du Hamel 1685. General du Hamel verkauft es sofort an den Hofrath de Beville. Die Bevilles besitzen es, Vater und Sohn, bis 1734. Vom Sohn , dem Oberst-Lieutenannt Heinrich v. Beville, kauft es König Friedrich Wilhelm I. und schenkt es an den Kron- prinzen Friedrich 1734. Der Kronprinz (Friedrich der Große), obschon nur bis 1740 dort, behält es als Eigenthum bis 1744. Im Jahre 1744 erhält es Prinz Heinrich von seinem Bruder als Geschenk, siedelt aber erst 1753 nach Rheinsberg über. Im Widerspruch hiermit steht allerdings, daß Prinz Heinrich im Jahre 1745 bereits seine Mutter, die verwittwete Königin Sophie Do- rothea, hier in Rheinsberg empfing. Poellnitz giebt davon eine sehr ein- gehende Beschreibung. Vielleicht aber hatte sich der Prinz eigens und auf kurze Zeit nur nach Rheinsberg begeben, um seine Mutter daselbst em- pfangen zu können. Prinz Heinrich von 1753 bis 1802 († 3. August.) Prinz Ferdinand von 1802 bis 1813 († 2. Mai.) Prinz August von 1813 bis 1843 († 19. Juli.) Seit 1843 ist es wieder Königlicher Besitz. — Wir passiren nun den Schloßhof, treten links auf den großen Flur und ziehen leise, mit der Hand des Bittstellers, an der Klingel des Castellans. Er schläft wirklich noch; seine Frau aber, eine rüstige Alte, nimmt unverdrossen das große Schlüssel- bund von der Wand und schreitet treppauf vor uns her. Wollt’ ich dem Leser zumuthen, uns auf diesem Gange durch ein Labyrinth von Zimmern zu folgen, so würd’ ich eine chaotische Verwirrung in seinem Kopfe anrichten und ihn die Bereicherung seiner Kenntniß mit diesem oder jenem Detail, etwas theuer be- zahlen lassen. Ich verfahre also nicht chronologisch mit Rücksicht auf unseren zufälligen Marsch, sondern chronologisch mit Rücksicht auf die Geschichte selbst und bespreche vorzugsweise die Zimmer des Kronprinzen Friedrich und die Zimmer des Prinzen Heinrich. Zunächst also die Zimmer des Kronprinzen, des nachmaligen „großen Königs.“ Sie befinden sich in beiden Flügeln, wenn man, wie billig, den großen Concert-Saal mit hinzurechnet, in welchem unter Leitung der beiden Graun’s und Benda’s und unter Mitwirkung des Kronprinzen selbst, die classischen Compo- sitionen jener Epoche aufgeführt wurden. Dieser Concert-Saal befindet sich (immer vom See-Ufer aus gesehen) im linken Flügel des Schlosses und wird nach vorn hin durch die Thurm- zimmer begrenzt. Seine hohen Fenster blicken nach links hin auf den Schloßhof, nach rechts hin auf das „Cavalierhaus“ und einen vorgeschobenen Theil der Stadt hinaus. Der Saal, etwa 40 Fuß lang und fast eben so breit, ist vortrefflich erhalten; die Wände sind von Stuck und die Fenster-Pfeiler mit Spiegeln und Goldrahmen reich verziert. Die eigentliche Sehenswürdigkeit indeß ist das große Deckengemälde von Pesne, das derselbe, nach einem den Ovidschen Metamorphosen entlehnten Vorwurf, im Jahre 1739 hier ausführte. Der Grundgedanke ist: „die aufgehende Sonne vertreibt die Schatten der Finsterniß“ oder wie einige es ausgelegt haben „der junge Leuchteprinz vertreibt den König Griesegram.“ Die Ausführung ist vortrefflich, und wie immer man über pausbackige Genien und halbbekleidete Göttinnen denken mag, in dem Ganzen lebt und webt eine künstlerische Potenz, gegen die es nicht gut möglich ist, sich zu verschließen. — In eben diesem Saal fand im Sommer 1848, wo es schwer ward, solche Gesuche abzulehnen, ein großes Ruppin-Rheinsbergisches Gesangfest statt. Man vollführte einen Heidenlärm, bis plötzlich eine halbe Stuck-Wand sich loslöste und mitten in den entsetzten Sängerkreis hinein fiel. Man stob aus einander. Das Mauerwerk des alten Schlosses hatte sich gegen die Unbill empört. Dieser linke Flügel enthält außer dem Concertsaal noch zehn oder zwölf kleinere Räume, von denen einige die Zimmer der Prinzeß Amalie heißen, während der Rest sich ohne allen Namen begnügen muß. Diese „Namenlosen“ sind die einzigen Räume des Schlosses, die noch eine praktische Verwendung finden. Hier logiren der Hausminister und die Ober-Bau-Räthe, die dann nnd wann hier eintreffen, um nach dem Rechten zu sehen. Es macht einen ganz eigenthümlichen Eindruck, wenn man auf einem langen Marsch durch lauter unbewohnte Zimmer, die immer nur die Vorstellung wecken, „hier muß der und der gestorben sein“, plötzlich in ein paar Räume tritt, die liebe Erinnerungen an die Tage eigenen Chambregarnie-Lebens in uns wecken. Die kleinen Bettstellen von Birkenmaser-Holz, die rothen Steppdecken von allersimpelstem Kattun, die Waschtoiletten mit dem Klappdeckel und die beinah faltenlosen Zitzgardinen, als habe das Zeug in der Breite nicht gereicht, Alles hat den schlichtbürgerlichsten Charakter von der Welt und das eitle Herz wird angenehm von der Vorstellung berührt, daß man in Schlössern schläft wie anderswo. Doch vergessen wir über diesem stille Behagen nicht die eigent- liche Aufgabe, die uns hergeführt, und wenden wir uns nunmehr jenem kleinen Arbeitszimmer zu, das mit größerem Recht, als der Concertsaal, den Namen des großen Königs führt. Dies Arbeitszimmer liegt im rechten Flügel des Schlosses und zwar in dem kleinen Rundthurm, der sich hart an den Flügel lehnt. Wir passiren eine lange Reihe von Zimmern, bis wir endlich in ein kleines halbdunkles Vorgemach treten, das sein Licht nur durch die Glasthür eines unmittelbar vor ihm liegenden Zimmers empfängt. Dies halbdunkle Vorgemach enthielt die kleine Biblio- thek, die Friedrich der Große bald nach seiner Thronbesteigung nach Potsdam schaffen ließ; das davor liegende Zimmer aber, von dem uns nur noch die Glasthür trennt, ist das Arbeitszimmer selbst. Es ist klein, höchstens 12 Fuß im Quadrat, hat aber nach drei Seiten hin eine entzückend schöne Aussicht über Wald und See. Vor 120 Jahren muß auch das Zimmer selbst einen durch- aus heitern und angenehmen Eindruck gemacht haben. Es ist ein Achteck, das mit drei Seiten nach hinten zu in der Mauer steckt, während 5 Seiten frei und losgelöst nach vorn hin liegen. Das ganze Zimmer setzt sich aus alternirenden Wand- und Glasflächen regelrecht zusammen; vier Pannel-Wände, drei Nischenfenster und eine Glasthür. Die Fensternischen sind sehr tief und haben Raum genug zur Aufstellung von Polsterbänken, die sich an beiden Seiten entlang ziehen. An den Pannel-Wänden stehen altmodische Lehn- stühle mit versilberten Beinen und schlechten, dunklen Kattun- Ueberzügen. Ueber den Lehnstühlen, in ziemlicher Höhe, sind Con- solen angebracht, auf denen die Büsten Cicero’s, Voltaire’s, Dide- rot’s und Rousseau’s stehen. Die Holzbekleidung, namentlich in den Fensternischen, ist vielfach mit Spiegelglas ausgelegt; über der Eingangsthür befinden sich die Zeichen des Freimaurer-Ordens und den Plafond bedeckt abermals ein Pesne’sches Decken-Gemälde. Es stellt die Ruhe beim Studiren vor; ein Genius überreicht der sitzenden Minerva ein Buch, auf dessen Blättern man die Namen Horaz und Voltaire liest. Das Bild hat verhältnißmäßig gelitten, und kann überhaupt mit der glänzenden Schöpfung desselben Meisters im Concert-Saal nicht verglichen werden. In der Mitte des Zimmers steht der Arbeits-Tisch des Prinzen; vor demselben ein Lehnstuhl, nicht wesentlich anders wie seine vier Collegen mit den versilberten Beinen. Der Arbeits-Tisch nimmt natürlich das Haupt-Interesse in Anspruch. Er ist kaum so groß wie die modernen Damen-Schreibtische, denen man in jedem Haus- halt begegnet. Die vergoldeten Füße sind im Rococco-Geschmack, eben so die Schubkästen, deren drei große und vier kleinere vor- handen sind. Die Schreibeplatte liegt schräg und kann aufgeklappt werden. Sie war ehedem mit rothem Sammt überzogen, hat aber nicht nur die Farbe, sondern den ganzen Sammt-Stoff längst verloren. Der Sammt wird bekanntlich auf eine Unterschicht von festem Zeug aufgetragen. Diese Unterschicht war noch ziemlich intact vorhanden, als ich 1853 Rheinsberg zum ersten Mal besuchte. Seitdem haben sich die Dinge sehr zum Schlimmeren verändert. Nicht die Hälfte mehr existirt von diesem Unterzeug, und man kann deutlich sehen, wie die Federmesser je nach der Charakter- Anlage des Betreffenden mal größere, mal kleinere Caro’s heraus- geschnitten haben. Wir lieben nicht die Castellane, die einen durch ihren Diensteifer um die Möglichkeit eines ruhigen Genusses brin- gen; aber eben so wenig mag ich jenen das Wort reden, die in mißverstandener Nachsicht ein Auge zudrücken, wo sie’s auf- machen sollten. Wir nehmen zögernd Abschied von diesem interessanten Zim- mer, um uns nun den andern Räumlichkeiten des Schlosses und zwar zunächst den Zimmern des Prinzen Heinrich zuzuwen- den. Sie liegen im ersten Stock des Corps de Logis und bilden eine ununterbrochene Reihenfolge. Vor 60 Jahren waren diese Zimmer noch in Gebrauch (der Prinz starb erst 1802), weshalb man sich nicht wundern darf, hier Alles in einem Zustand leid- licher Wohlerhaltenheit zu finden. Den Anfang machen die soge- nannten Prinz-Ferdinand’s-Zimmer, d. h. diejenigen Zimmer, die Prinz Ferdinand zu bewohnen pflegte, wenn er bei seinem älteren Bruder, dem Prinzen Heinrich , zum Besuche war. Viel- leicht auch lebte er in den Jahren 1802 bis 1813 wenigstens zeitweilig hier und bewohnte dann diese Zimmer. Hinter diesen sogenannten Prinz-Ferdinand-Zimmern folgt der Concert-Saal (nicht zu verwechseln mit dem Kronprinz- lichen im linken Flügel), dann der sehr gut erhaltene Muschel- saal, endlich das Bibliothek-Zimmer. Neben der Bibliothek befindet sich das Schlaf- und Sterbezimmer des Prinzen Hein- rich . Es ist ein großes, ziemlich dunkles Gemach, durch ein Paar Säulen in zwei Hälften getheilt. In der dunkleren Hälfte des Zimmers, halb durch die Säulen verdeckt, steht das Sterbebett, ein stattlicher, mit schweren Seidenvorhängen reich ausgestatteter Bau. Alte Staatsbetten machen in der Regel einen peinlichen Eindruck und erfüllen uns mit einem Dankgefühl, daß wir nicht in ihnen zu schlafen brauchen. Nicht so hier; nichts von Ver- schossenheit der Farben, von vergilbtem Weiß und dumpfer Feuchte; Alles frisch und farbig und voll beweglich lebensvoller Falten. — Um dies Schlaf- und Sterbezimmer herum gruppiren sich einige kleinere, die nur durch ihre Schildereien interessiren, meist Bilder in chinesischer Tusche von der Hand des Prinzen Heinrich selbst. Im Großen und Ganzen herrscht Mangel an guten Bildern; nur zwei oder drei hat man gelassen, um dem Auge des Beschauers eine Erholung zu gönnen. Unter diesen sind zwei Bildnisse des jungen Grafen Bogislaw von Tauentzien (des späteren Generals Tauentzien von Wittenberg) und ein Portrait der ersten Königin Sophie Charlotte , bei Weitem die interessantesten. 7 Auch die Zimmer im Erdgeschoß an der rechten Seite des Corps de Logis sind nicht ganz ohne Interesse. Bilder, Büsten, Ausschmückungsgegenstände, die entweder noch aus den Zeiten des Prinzen Heinrich her sich in diesen Zimmern befinden oder von Verschönerungswegen ihren Weg aus dem obern Stockwerk in’s untere genommen haben, fesseln den Beschauer auf eine halbe Stunde. In einem Zimmer befinden sich die Büsten des Marquis de la Roche Aymon und seiner Gemahlin; daneben eine Büste des französischen Schauspielers Blainville . Der Marquis, auf den ich in einem spätern Kapitel zurückkomme, war, nach Tauent- ziens Abgang Adjutant des Prinzen und nebenbei eine Art General en Chef des prinzlichen Heeres, d. h. jener im Sold des Prinzen stehenden Leibhusaren-Schwadron, die in Rheinsberg ihre Garnison und im Schlosse den Dienst hatte. Der Schau- spieler Blainville, ein besonderer Liebling des Prinzen, gab sich selbst den Tod, als es der Kabale seiner Genossen gelungen war, ihm momentan die Gunst seines Herrn zu entziehen. Der Prinz soll diesen Verlust nie verwunden haben. — Ein größerer Saal, neben jenem büstengeschmückten Zimmer, macht noch den Eindruck einer gewissen Wohnlichkeit, vielleicht weil er ein paar Specialitäten enthält, die uns, etwa wie ein blankgeputzter Vogelbauer oder ein Tisch voll Nippsachen, die Nähe der Menschen selbst dann noch fühlbar machen, wenn auch ein halbes Jahrhundert zwischen uns und ihnen liegt. Zu diesen Specialitäten rechne ich natürlich nicht die stattliche Reihe guter Portraits, die an den Wänden hängen, sondern vor Allem ein würfelförmiges Postament von dem Umfange eines großen Tabackskastens, das auf einem halb versteckten Ecktisch steht. Dieser Kasten muß bei einer bestimmten Gelegenheit als Unter- satz für eine kostbare Blume gedient haben und von dem einen oder andern seiner Verehrer dem Prinzen überreicht worden sein. Noch jetzt umschließt der Kasten einen Blumentopf, aber die Blumen selbst sind von Papier. Die vier Wände enthalten reizende Aquarell- Bildchen, die diesen Kasten, mit Ausnahme des großen Pesne’schen Deckenbildes und des Portraits der Sophie Charlotte, so ziemlich zu dem künstlerisch -interessantesten Gegenstand des Schlosses machen. Zwei Seiten weisen mit vieler Feinheit ausgeführte Ara- besken auf; Front- und Rückseite aber enthalten zwei Schlachten- bilder en miniature, von denen das eine die Inschrift trägt: »Condé aux lignes de Fribourg;« das andere: »Henri à la bataille de Prague.« Die Verbindlichkeit ist sehr fein, die Paral- lele gut gezogen, und was die Hauptsache ist — die Ausführung vortrefflich. »Condé aux lignes de Fribourg« ist möglicherweise eine Copie; ich entsinne mich dunkel, im Louvre oder in den Sälen von Versailles etwas nah Verwandtes gesehen zu haben. Auf dem Frontbilde »Henri à la bataille de Prague« erhebt der Prinz eben den Degen, und den Kopf nach rechts hin halb zurückgewandt, um durch Wort und Blick die Nachfolgenden anzu- feuern, führt er eben eine Grenadier-Compagnie (mit jenen Blech- mützen, wie sie noch jetzt von einem Theil des 1. Garde-Regiments getragen werden) zum Sturm. Das Bild ist voll Charakter und Leben und sehr glücklich in der Farbe. — Ich habe so lange bei Darstellung dieses Blumenkastens verweilt, um unsere Historien- und Geure-Maler auf dieses bisher wenig gekannte Schatzkästlein aufmerksam gemacht zu haben. 7* 4. Prinz Heinrich. Der Rheinsberger Park. Herr v. Reitzen- stein und der verschluckte Diamant. Der Freundschafts- Tempel. Das Theater im Grünen. Das Grabmal des Prinzen . A ußer den im vorigen Kapitel beschriebenen Zimmern des Kron- prinzen und des Prinzen Heinrich enthält das Rheinsberger Schloß nichts, was der Erwähnung werth wäre. Wenn man wieder in’s Freie tritt, um über den Schloßhof hin dem Park und den Seeufern zuzuschreiten, so kann man die Frage nicht ab- wehren, wie kommt es, daß dieser kluge, geistvolle Prinz Heinrich , dieser Feldherr sans peur et sans reproche, dies von den nobelsten Empfindungen inspirirte Menschenherz, so wenig populär geworden ist. Man mache die Probe in unseren Dorfschulen! Jedes Tagelöhnerkind wird den Zieten, den Seidlitz, den „Schwerin mit der Fahne“ kennen; aber der Herr Lehrer selbst wird nur stotternd zu sagen wissen: wer denn eigentlich Prinz Heinrich gewesen sei. Selbst in Rheinsberg, das der Prinz 50 Jahre lang besessen und 40 Jahre lang bewohnt hat, ist er verhältnißmäßig ein Fremder. Natürlich man kennt ihn, man nennt seinen Namen; aber man weiß wenig von ihm. Einige Alte entsinnen sich seiner, erzählen dies und das, aber die lebende Generation lernt Geschichte, wie wir, d. h. liest lange Kapitel vom Kronprinzen Friedrich und seinem Rheinsberger Aufenthalt, und hat sich daran gewöhnt, den Concert-Saal und das Studirzimmer als die eigent- lichen Sehenswürdigkeiten des Schlosses anzusehen; die Zimmer des Prinzen Heinrich , Prinz Heinrich selbst, Alles ist bloße Zu- gabe, Material für die Rumpelkammer. Das Loos, das dem Prinzen bei Lebzeiten fiel, das Geschick, „durch ein helleres Licht verdunkelt zu werden,“ verfolgt ihn auch im Tode noch — an derselben Stelle, wo er ein halbes Jahrhundert lang gelebt, ge- herrscht, geschaffen und gestiftet hat, ist er ein halb Vergessener, blos weil der Stern seines Bruders vor ihm daselbst geleuchtet hat. Ein Theil dieses Mißgeschickes wird bleiben; aber es ist nicht unwahrscheinlich, daß die nächsten 50 Jahre Verdienst und Klang des Namens mehr in Harmonie bringen werden. Um es mit einem Wort zu sagen: dem Prinzen hat der Dichter bisher gefehlt. Von dem Augenblick an, wo Lied, Erzählung, Schauspiel ihn unter ihre Gestalten aufnehmen werden, werden sich die Prinz- Heinrichs-Zimmer im Rheinsberger Schlosse neu beleben, und die Castellane der Zukunft werden zu erzählen wissen, was in dieser und jener Fensternische geschah, wer den Blumenkasten überreichte und unter welchem Kastanienbaume der Prinz seinen Thee trank und mit freudigem: »oh soyez le bien venu« sich erhob, wenn Prinz Louis am Schloßthor hielt und lachend aus dem Sattel sprang. Historische Gestalten theilen ganz das Schicksal von Statuen. Die scheinbar begünstigteren stehen, durch ein Jahrtausend hin immer leuchtend, immer bewundert auf dem Postament des Ruh- mes; andere werden verschüttet oder in den Fluß geworfen. Aber es kommt der Moment ihrer Wieder-Erstehung, und nun erst, neben den glücklicheren neu-aufgerichtet, erwächst der Nachwelt die Möglichkeit des Vergleichs. Es muß zugegeben werden, und ich habe in dem Kapitel „die Kirche zu Rheinsberg“ in nicht mißzu- verstehender Weise darauf hingewiesen, daß etwas prononcirt Fran- zösisches in Sitte, Gewöhnung und Ausdruck und das völlige Fehlen jener churbrandenburgischen Derbheit , die wir an Friedrich dem Großen so vorzugsweise in Affection genommen haben, der Popularisirung des Prinzen Heinrich stets hindernd im Wege stehen wird; es fehlt aber auch noch viel bis zu jenem bescheideneren Maße, bis zu jenem engeren Zirkel von Popula- rität, auf den er unbedingten Anspruch hat. Seine Antworten werden nie in dem bekannten Stile des älteren Tauentzien sein, als dieser, unter Androhung, daß man das Kind im Mutterleibe nicht schonen würde, aufgefordert wurde, Breslau zu übergeben. Aber wenn seine Antworten auch vielleicht niemals an das Schwert des Richard Löwenherz erinnern werden, der eine zolldicke Eisen- stange auf einen Schlag zerhieb, so werden sie der Halbmondklinge Saladin’s um so ähnlicher sein, der das in die Luft geworfene Seidentuch im Niederfallen durchschnitt. — Wir sind nun in den Park getreten; er umzieht in weitem Halbkreis die links gelegene Hälfte des See’s und geht am jen- seitigen Ufer desselben unmittelbar in die schönen Laubholz-Par- tieen des Boberow-Waldes über. Der Park ist eine glückliche Mischung von französisch-englischem Geschmack, — zum Theil planvoll dadurch entstanden, daß man die ursprünglich Le Notre’- schen Anlagen durch englische Partieen erweiterte; zum Theil un- absichtlich dadurch geworden , daß sich das zwang- und kunstvoll Gemachte wieder in die Natur hineingewachsen hat. Die Park- Anlage, wie sie sich jetzt präsentirt, soll hauptsächlich ein Werk des Herrn v. Reitzenstein, eines besonderen Proteg é ’s des Prinzen, sein. Die Anlagen wurden während des Krieges ausgeführt, und Reitzenstein kam, durch Verleumdung Anderer, in Verdacht, unredlich gewirthschaftet zu haben. Reitzenstein konnte es nicht er- tragen, dem Prinzen, dessen Vertrauen er gemißbraucht haben sollte, unter die Augen zu treten, und als er von der nah bevor- stehenden Rückkehr desselben hörte, verschluckte er einen Diamant und tödtete sich auf diese Weise. So erzählt sich das Volk. Es liegt aber auf der Hand, daß hier der nach dem Abenteuerlichen, dem Po ë tisch-Aparten haschende Sinn des Volkes eine komische Substituirung hat eintreten lassen. Ein Diamant (die Tauben-Ei- großen sind bekanntlich rar) ist gerade so unschädlich wie ein Pflaumenkern, und es scheint mir ziemlich sicher, daß sich Reitzen- stein durch Essence d’Amandes (Bittermandelöl oder Blausäure) getödtet hat, die nach dem Gleichklang und gemäß po ë tisirender Volksneigung alsbald ein Diamant geworden ist. Man passirt, mal dicht am Seeufer hin, mal wieder sich von ihm entfernend, die üblichen Schaustücke solcher Anlage: Säulen- Tempel, künstliche Ruinen, bemooste Steinbänke, Statuen (darunter einige von großer Schönheit), und gelangt endlich, einige Partieen zur Seite lassend, die wir auf dem Rückwege besuchen wollen, in den sogenannten Freundschafts-Tempel , der bereits im Bobe- row-Walde, also am jenseitigen Ufer des See’s liegt. In diesem Freundschafts-Tempel pflegte der Prinz zu speisen, wenn das Wetter eine Fahrt über den See gestattete. Es war ein kleiner Kuppelbau, auf dessen Haupt-Kuppel noch ein Kuppelchen saß; den Eingang bildete ein Frontispice. Frontispice und Kuppeln existiren in diesem Augenblick nicht mehr; sie drohten Einsturz und man hat beides abgetragen. In welcher Weise die Wiederherstellung erfolgen wird, vermag ich nicht zu sagen. Das Innere des ganzen „Tem- pels“ besteht eigentlich nur aus einem einzigen achteckigen Zimmer, um das sich, wie die Schale um die Mandel, ein etwas größerer achteckiger Außenbau legt. Es ist genau so, wie wenn man eine kleine Schachtel in eine große stellt und beide mit einem gemein- schaftlichen Deckel überdeckt. Der kleinere achteckige Einsatz hat aber vier thürbreite Einschnitte (die Thüren selbst fehlen), und durch diese Einschnitte wird es möglich, die Inschriften zu lesen, die sich an der Innen wand des achteckigen Außenbaues befinden. Es sind ihrer 16, die sich alle auf das Glück der Freundschaft beziehen, einzelne zwei, andere vier Zeilen lang und alle entweder mit S. oder B. unterzeichnet. Ich gebe zwei derselben: Qui vit sans amitié, ne scauroit être heureux Quand il auroit pour lui la fortune et les Dieux. oder: Pourquoi l’amour est-il donc le poison Et l’amitié le charme de la vie? C’est que l’amour est le fils de la folie Et l’amitié fille de la raison. So sind sie alle; kleine Niedlichkeiten ohne tiefere Bedeutung, und doch an dieser Stelle ebenso ansprechend, wie sie als Grab- und Kirchen-Inschriften (vgl. das Kapitel über die Rheinsberger Kirche) uns widerstrebend sind. Jetzt feiern die Kinder und jungen Leute ihr Möskefest an dieser Stelle, bei welcher Gelegenheit sicherlich weniger philosophische Betrachtungen als die vorstehenden über das Glück der Freundschaft angestellt und die vorkommenden Fra- gen mehr zu Gunsten des obigen, ewig im Schwunge bleibenden »fils de la folie« entschieden werden. Ein Möskefest an dieser Stelle ist eine nicht üble Kritik und Ironie. Vom Freundschaftstempel aus, am Obelisken vorbei (den ich in meinem Schlußcapitel besprechen werde), schreiten wir in den eigentlichen Park zurück, machen dem wohlerhaltenen „Theater im Grünen“, das lebendige Hecken statt der Coulissen hat, unsern Besuch und biegen schließlich in allerhand schmale Gänge ein, deren Windungen uns zum Grabmal des Prinzen Heinrich führen. Es besteht aus einer Backstein-Pyramide, um die sich ein schlichtes Eisengitter zieht. Der Prinz, in seinem Testament, hatte die völlige Vermauerung dieser Pyramide angeordnet; doch ging man von dieser Anordnung ab und ließ einen Eingang offen. Im Jahre 1853 sah ich noch deutlich den großen Zinksarg stehen, auf dem ein rostiger Helm lag. Seitdem ist ein brutaler Versuch gemacht worden, das Grab zu bestehlen; man hoffte Gold im Sarge zu finden und durchwühlte die Asche des Todten. Natürlich vergeblich. Das hat nun zu einer nachträglichen Erfüllung der Testaments-Anordnung geführt, und die Pyramide ist jetzt ver- mauert. Wo früher der Eingang war, befindet sich jetzt die große Steintafel mit der von Prinz Heinrich selbst verfaßten Grab- schrift . Sie ist oft gedruckt worden. Ich gebe hier nur ihre ersten vier Zeilen, als besonders charakteristisch für den Mann und seine Zeit. Sie lauten: Jetté par sa naissance dans ce tourbillon de vaine fumée que le vulgaire appelle gloire et grandeur, mais dont le sage connoit le néant etc. Den weiteren Wortlaut wird der Leser in den Anmerkungen finden. So dachte und schrieb man damals! Die „naissance“ war ein Spiel des Zufalls, und man war es müde, „über Sclaven zu herrschen.“ Man denkt jetzt anders darüber. Die Phrase ist abge- than, aber, Gott sei Dank, dem Wesen der Freiheit sind wir näher gekommen. 5. Der große Obelisk in Rheinsberg und seine Inschriften . V ielleicht die größte Sehenswürdigkeit Rheinsb ergs ist der große Obelisk , der sich, gegenüber dem Schlosse, also am jen- seitigen See-Ufer, auf einem zwischen dem Park und dem Boberow gelegenen Hügel erhebt. Er wurde zu Anfang der 90er Jahre vom Prinzen Heinrich „dem Andenken seines Bruders August Wilhelm “ errichtet. Dieser Obelisk und seine Inschriften (auch jetzt noch von sehr wenigen gekannt) sind zwar mehrfach beschrieben, aber selten mit kritischem Auge gelesen worden. Diese 28 gol- denen Inschriften, die (rund eingelegt und etwa von dem Ansehen wie die Kehrseiten großer Medaillen) die untere Hälfte des Obelisks bedecken, sind eine Geschichte des siebenjährigen Krieges im Lapi- darstil und scheinen mir darin eine bis diesen Augenblick noch nicht hinreichend gewürdigte Bedeutung zu haben, daß sie das Verhältniß des Prinzen Heinrich zu seinem Königlichen Bruder durch aller- eigenste Worte des Ersteren kennzeichnen und, wenn auch in mildester Form, einen der Sache nach ziemlich strengen Maßstab prinzlicher Kritik an die Sympathieen und Antipathieen König Friedrichs , an sein Lob und seinen Tadel legen. Der umfang- reiche, ein Werk für sich bildende kritische Commentar des Prinzen zu dem großen Geschichtsbuch seines Bruders, ist nach testament- licher Bestimmung des Ersteren unmittelbar nach seinem Hinscheiden verbrannt worden; der Obelisk aber, der sich Jedermann zugänglich Angesichts des Rheinsberger Schlosses erhebt, ist ein kurz gefaßter Abriß aus jenem Buch, der ganz entschieden die Meinungen des Verfassers über allbekannte Vorgänge, wenn auch freilich nicht die Gründe für diese Meinungen oder gar die Beweise giebt. Das Errichten des Monuments selbst ist bereits ein kritischer Act, eine Mißbilligung der Mißbilligung, die Prinz August Wil- helm (der Vater Königs Friedrich Wilhelm II. ) von seinem Bruder, dem Könige, hinnehmen mußte; eine Ehren-Erklärung da, wo Friedrich II. durch sein Benehmen die Ehre abgeschnitten hatte. Die Vorderfront trägt das vortrefflich ausgeführte Relief-Portrait des Prinzen, dem der Obelisk gewidmet ist. Darunter die Worte: A l’eternelle memoire d’Auguste Guillaume Prince de Prusse, second fils du roi Frederic Guillaume. Aber nicht dem Prinzen allein ist das Monument errichtet, auch einer langen Reihe tapferer Männer, die mit und neben ihm gefochten haben, den „Preußischen Heroen“ überhaupt. Daran reihen sich, um das Fehlen einzelner Namen in keinem allzu auffälligen Lichte erscheinen zu lassen, folgende merkwürdige Worte: Leurs noms (der Vorhandenen nämlich) gravés sur le marbre Par les mains de l’amitié, Sont le choix d’une estime particulière Qui ne porte aucun préjudice A tout ceux qui comme eux Ont bien merité de la patrie Et participent à l’estime publique . Kein Präjudiz also gegen alle diejenigen, die außerdem noch an der estime publique theilnehmen. Diese Worte rücksichts- voller Verwahrung sind ganz im Geiste des Prinzen Heinrich ge- sprochen. Er giebt seine Meinung und giebt sie zum Theil diplo- matisch genug dadurch, daß er schweigt; aber selbst dies Schweigen erscheint ihm noch zu verletzend, und er fügt ein milderndes „ohne Präjudiz“ hinzu. Dies bezieht sich auf das Fehlen besonders zweier Namen: v. Winterfeldt und v. Wedell. Auf der einen Seitenfront befindet sich zwar ein „ Wedell “, doch ist dies ein älterer General desselben Namens, der schon 1745 bei Soor fiel, nicht der Wedell, der als Liebling und Vertrauensmann des Königs abgeschickt wurde, um (gegen die anrückenden Russen) den Grafen Dohna im Commando zu ersetzen, und der Tags darauf, trotz all seiner Tapferkeit, bei Kay geschlagen wurde. Alle die „besonderen Vertrauensmänner“ des Königs fehlen auf dem Obe- lisk; die aber unter seiner Ungnade oder Ungerechtigkeit ’mal zu leiden hatten, sind ziemlich sicher, hier ihr Conto in Balance ge- bracht zu sehen. So der Herzog v. Bewern, v. d. Marwitz, Ge- neral Wobersnow ꝛc. Der Letztere fiel bei Kay, „wo gegen seine Ansicht (Hieb gegen von Wedell und mittelbar gegen den König) geschlagen wurde“. Dies Lob ist wie ein Gegenzug gegen den Tadel des Königs, der wenige Tage vor dem Gefecht bei Kay an Wobersnow schrieb: „Die Folgen Eurer übel ausgeführten Projecte äußern sich jetzt. Ihr hättet nicht wie die heiligen drei Könige aus Morgenland einherziehen müssen. Es konnte nunmehr mit den Russen schon aus sein.“ Die Namen, die der Obelisk nennt, sind die folgenden: Vorderfront : Keith, Schwerin, Leopold von Dessau, Prinz August Ferdinand, Seidlitz, Zieten, Herzog von Bewern, General von Platen († Kunersdorff). Rechtsfront : v. Wedell (Soor), v. Hülfen, v. Tauentzien, v. Möllendorf, v. Haucharnoi († Prag), v. Retzow (deckte den Rückzug von Hochkirch, was auch mit feinbezüglichen Worten gesagt wird), v. Wobersnow († Kay). Linksfront : v. Wünsch, v. Saldern, von Prittwitz, v. Kleist, v. Dieskau, v. Ingersleben, v. Henkel. Hinterfront : v. Goltz, v. Blumenthal, v. Reder, v. d. Mar- witz, de Quede, v. Platen († Prag, als aide de camp Schwerins). Prinz Heinrich bezeichnet die getroffene Wahl selbst als eine „choix d’une estime particulière.“ Neben einem Gefühl der Freundschaft scheint aber noch das Gefühl besonderer Waffen- brüderschaft die Wahl bestimmt zu haben. Es ist bekannt, welche entscheidende Rolle dem Prinzen während der Prager Schlacht zu- fiel. Prag, nebst Freiberg, wo sein Feldherrngeschick sich in noch glänzenderem Lichte zeigte, blieb seine Lieblings-Affaire (etwa wie Friedrich Wilhelm III. mit Vorliebe der Schlacht von Kulm ge- dachte), und alle diejenigen, die daran theilgenommen hatten, standen seinem Herzen besonders nah. Der im Volk schon damals lebende Glaube, daß „Schwerin mit der Fahne“ die Schlacht entschieden habe, scheint ihm aber im Gefühl dessen, was er selbst geleistet hatte, unbequem gewesen zu sein, und nachdem er die frü- heren Thaten Schwerin’s mit großer Wärme des Ausdrucks auf- gezählt hat, schließt er ziemlich nüchtern: „Un drapeau à la main il fut la victime de son zèle devant Prague le 6 de Mai 1757“. Er rühmt nur den „Eifer“, weiter nichts. Die Inschriften sind alle interessant, aber nur zwei theile ich noch vorzugsweise mit. Vom Quartiermeister v. d. Marwitz (Hoch- kirch) heißt es am Schluß: „Etant mort à 36 ans en 1759 son merite et ses services seroient oubliés si ce monu- ment n’en conservoit la mémoire.“ Darin hat sich der Prinz nun allerdings geirrt; man kennt Marwitz auch ohne den Rheins- berger Obelisken. Die schönsten Worte richten sich an Zieten . Innigkeit und wahre Verehrung spricht aus jeder Zeile. Der alte Husar ist auch hier Sieger geblieben: Toutes les fois qu’il combattit il triompha. Son coup d’oeil militaire joint A sa valeur héroïque Decidoit du succés des combats; Mais ce qui le distinguait encore plus Ce furent son intégrité, son desintéressement Et son mépris pour tous ceux Qui s’enrichissaient aux dépens Des peuples opprimés. Was den weiteren Wortlaut dieser Inschriften (in deutscher Uebersetzung) angeht, so verweis’ ich auch hier auf die Anmer- kungen. Es dunkelt und nur mühsam noch entziffern wir die letzten Inschriften; nun kehren wir im Kahn über den See zurück. Leise Nebel ziehen auf und ab, in Dämmerung liegt das Schloß; aber von den Bäumen des Parks her klingt es herüber wie leise Stimmen aus alter Zeit. Zwischen Boberow-Wald und Huvenow-See oder Der Rheinsberger Hof von 1786 — 1802. I n einem früheren Kapitel sprach ich die Hoffnung aus, daß die Prinz-Heinrich-Zeit des Rheinsberger Schlosses, die über den Kronprinzlichen Aufenthalt daselbst halb vergessen zu werden pflegt, über kurz oder lang ihren Historiographen, oder wenn dies Wort zu gewichtig klingt, ihren Erzähler finden möchte. Ich habe nun, seitdem ich bei einem ersten Besuche Rheinsbergs jene Worte nieder- schrieb, selbst zu sammeln gesucht und gebe in Nachstehendem, was ich gefunden. Das Terrain, das dabei in Betracht kam (denn der Rheinsberger Hof hatte später seine Außenwerke und Filiale) liegt zwischen dem Boberow-Wald und dem Huvenow-See und hab ich demgemäß die Ueberschrift dieses Kapitels gewählt. Bis 1786 war der Aufenthalt des Prinzen Heinrich in Rheinsberg ein vielfach unterbrochener: Kriege, Reisen und diplo- matische Missionen hielten ihn jahrelang fern; — erst von 1786 an gehörte er dem „stillen Schloß am Boberow-Wald“ mit einer Art Ausschließlichkeit an, freilich auch dann erst, nachdem er noch einen ernsten Versuch gemacht hatte, Paris an die Stelle von Rheinsberg treten zu lassen. Dies beinah völlige Sichfernhalten von der Welt, das nun eintrat, war nur bis zu einem gewissen Grade seine freie Wahl. Den großen König, seinen Bruder, hatte er nicht geliebt, aber er hatte ihn respektirt; seit dem Tode Friedrichs indeß hatten die Dinge eine Richtung angenommen, die ihm eine Betheiligung daran, die wie Gutheißung ausgesehen hätte, unmöglich machte. Auch glaubte man ohne ihn fertig werden zu können. Man erbat seinen Rath nicht länger, so gab er ihn auch nicht mehr. Mit höchster Mißbilligung sah er auf den Einfluß der Rietz und ihres Anhangs. „In dieser Spelunke ist alles infame“ sagte er, als er eines Tages an dem Palais der (spätern) Gräfin Lichtenau vorüberkam. Ein Prinz, der, bei sonst großer Zurückhaltung, über die Favoritin ein solches Wort zu äußern wagte, gehörte nicht mehr an den Hof und sprach durch so einschneidende Urtheile seine eigene Verbannung aus. Die Verstimmung des Prinzen war eine so tiefe, daß ihm Rheinsberg nicht fern und abgelegen genug erschien und der Wunsch immer lebendiger in ihm wurde, den Rest seiner Tage im Aus- lande, in Frankreich zu verbringen. Schon 1784 hatte er sich schweren Herzens von Paris getrennt und dem Herzoge von Niver- nois die Worte zugerufen: „ich verlasse nun das Land, nach dem ich mich ein halbes Leben lang gesehnt habe und an das ich nun, während der zweiten Hälfte meines Lebens, mit so viel Liebe zu- rückdenken werde, daß ich fast wünschen möchte, ich hätt’ es nicht gesehn.“ Nach diesem Lande seiner Sehnsucht zog es ihn jetzt mit verdoppelter Kraft; aber die Götter waren seinem Vorhaben nicht hold, — es schien, daß er dem engen Kreise verbleiben sollte, dem er seit 40 Jahren, wenn auch mit Unterbrechungen, angehört hatte. 1787 machten politische Constellationen die Uebersiedlung nicht mög- lich; 1788 im Juni ging er wirklich, und dem Ankauf eines palaisartigen Hauses in Paris folgten Unterhandlungen wegen Ankauf eines größeren, in der Nähe der Hauptstadt gelegenen Grundbesitzes, aber eh’ sie zum Abschluß kamen, zogen die Wetter der Revolution immer drohender, immer sichtbarer herauf, und der Prinz, der sich nach Ruhe, nach stiller Betrachtung sehnte, kehrte schweren Herzens in seine Rheinsberger Einsiedelei zurück. Von da ab gehörte er derselben ganz. Meine Aufgabe, wie schon Eingangs angedeutet, wird darin bestehen, den Prinzen in diesem seinem Stillleben zu schildern und mit einiger Bestimmtheit festzustellen, in welcher Weise und in welcher Genossenschaft er das letzte Jahrzehnt seines Lebens ver- brachte. Diese meine Aufgabe war in so weit schwierig, als gedruckte Mittheilungen aus jener Epoche so gut wie gar nicht vorliegen; aber wenn auf der einen Seite das Fehlen literarischer Ueberliefe- rungen gewisse Schwierigkeiten geschaffen hat, so genoß ich doch andererseits des nicht genug zu schätzenden Vorzugs, mit Rücksicht auf namentlich die letzten 10 Jahre der Rheinsberger Hofhaltung, Personen zu begegnen, die jene letzten Prinz Heinrich-Tage ent- weder noch miterlebt hatten, oder doch von diesen Tagen, wie von etwas eben Geschehenem und Erlebtem, hatten erzählen hören. Es bezieht sich dies namentlich auf die Mittheilungen über den Ma- jor v. Kaphengst und den Grafen und die Gräfin La Roche- Aymon. Die Rheinsberger Kirche hat zwei Glocken aus dem Jahre 1780. Die kleinere von diesen, die die Namen einer Anzahl Rheinsberger Bürger als Inschrift trägt, interessirt uns nicht, wohl aber die größere (in einem früheren Kapitel schon erwähnte), die uns bestimmte Anhaltspunkte für die Geschichte des Prinzen Heinrich giebt. Die Inschrift dieser Glocke (augenscheinlich ein Ge- schenk des Prinzen Heinrich an die Stadt) bringt neben dem schon citirten, mehr als alt-fränkischen Spruch: Des Feuers starke Wuth riß mich in Stücken nieder, Mit Gott durch Meyer’s Hand ruf ich doch Menschen wieder, — folgende Namen: Prince Frédéric Henri Louis de Prusse, frère du Roi. Major de Kaphengst. Baron Frédéric de Wreich. Baron Louis de Wreich. Baron de Kniphausen. Baron de Knesebeck. de Tauentzien . Alle diese waren Kava- 8 liere des Prinzen. Rechnen wir hierzu den Bibliothekar und Vor- leser des Prinzen (erst Francheville, dann Toussaint), die Mit- glieder einer französischen Schauspieler-Truppe und einer deutsch- italienischen Kapelle, endlich eine Anzahl Kammerdiener, Lakaien und Leibhusaren (die ein förmliches Corps bildeten), so haben wir durchaus die Elemente beisammen, aus denen sich 1780 der Rheinsberger Hof zusammensetzte. Die obengenannten Kavaliere wohnten im Kavalierhause, die Lakaien und Kammerdiener im Schloß, endlich die Künstler aller Art und jeden Grades in der Stadt zur Miethe. Einen zweiten sicheren Anhaltepunkt, eben so zuverlässig wie die Glockeninschrift, geben uns die „dernières dispositions“ des Prinzen, aus denen wir ersehen, daß, der Zahl nach sichtlich zu- sammengeschmolzen, damals (1802) Graf Roeder (Hofmarschall), Graf La Roche-Aymon (Adjutant), Mr. Lebeauld (Kammer-Rath) und Herr Steinert (Baurath) die Umgebung des Prinzen bildeten. Major v. Kaphengst, Baron Knesebeck und Tauentzien lebten noch und unterhielten, wenigstens theilweis, die alten Beziehungen, so daß wir, wenn wir die bestimmt verbürgten Namen von 1780 und 1802 zusammenthun, im Wesentlichen eine Uebersicht über die Persönlichkeiten gewinnen, die während der letzten zwanzig Jahre die Träger und Repräsentanten des Rheinsberger Hoflebens waren. Ueber jeden der Genannten werde ich einige Worte zu sagen, über einzelne (Kaphengst und La Roche-Aymon) mich ausführ- licher zu verbreiten haben. Bevor wir aber zu diesen Personalien übergehen, suchen wir, in ähnlicher Weise wie wir eine Feststellung der Persönlichkeiten ermöglichten, auch zunächst in allgemeinen Zügen festzustellen, unter welcher Benutzung der Zeit die Rheins- berger Tage verflossen. Der Vormittag gehörte der Arbeit; die zweite Hälfte des Tages der Gesellschaft, dem Diner, der Lektüre, „Die Bibliothek des Prinzen, schreibt Heinrich v. Bülow, war sehr ansehnlich. Er hatte auch ein Exemplar der Bibel in seinem Kabinett, dem Schauspiel, der Musik. Nur gelegentlich unterbrachen Ausflüge in die nähere oder weitere Umgegend den vorgeschriebenen Lauf des Tages; noch seltener waren Festlichkeiten, ja der Zeitabschnitt von 1790 bis 1802 weist von großen Festlichkeiten (für die der Prinz in früheren Jahren eine entschiedene Vorliebe hatte) vielleicht nur das eine Fest, „die Einweihung des Monumentes“ auf, auf das wir später ausführlicher zurückkommen werden. Wenden wir uns zunächst dem Vormittage zu, der Arbeits- zeit des Prinzen. Da er, unähnlich seinem großen Bruder (mit dem er die Antipathieen gegen die Jagd gemein hatte), von der Landwirthschaft die allergeringste Meinung hegte und offen aussprach, daß das Säen und Erndten zwar sehr wichtig, aber die Sache jedes Bauern sei, so raubte ihm die Verwaltung seiner Besitzung, die er seinen Pächtern und Inspektoren überließ, nichts von seiner Zeit, die er nun ungestört dem Studium widmen konnte. Unter diesen Studien stand das Studium der Kriegs- wissenschaften und der schönen Literatur, soweit sie Frankreich be- traf, obenan. Gleicherweise wie sein Bruder, der König, verfolgte er mit nicht ermüdender Vorliebe die Werke der französischen Phi- losophen, schwärmte für Voltaire und schrieb selber Verse, von denen mit satyrischem Anflug bemerkt worden ist, daß sie lebhaft an die Verse seines Bruders erinnert hätten. Uebrigens wurden seine dichterischen Versuche von seinen französischen Vorlesern ent- fehlert , erst von Francheville, dann von Toussaint. Neben diesen po ë tischen Versuchen (z. B. eine lyrische Bearbeitung der Alzire des Voltaire; auch rühren vielleicht die Distichen im Freundschafts- tempel und Aehnliches von ihm her) war es eine ausgedehnte Cor- respondenz, die seine Arbeitszeit in Anspruch nahm und neben dieser Correspondenz vor allem wiederum die Aufzeichnung seiner Memoiren. Von diesen Aufzeichnungen ist wenig zur Kenntniß der Welt ge- langt; seine Kritik des siebenjährigen Krieges, oder mit anderen aber er hatte sie nur, wie man in einem Proceß die Akten der Gegen- partei beachtet und um sich hat.“ 8* Worten des Königs , wenn sie nicht wirklich vernichtet ist, ruht unerbrochen und zunächst unzugänglich in unsern Archiven; andre seiner Arbeiten haben es verschmäht, unter dem Namen ihres er- lauchten Verfassers in die Welt zu treten und sollen sich, theilweis wenigstens, in den militairischen Schriften wiederfinden, die zwischen 1802 und 1804 vom Grafen La Roche-Aymon, dem letzten Adjutanten des Prinzen, veröffentlicht wurden. Mit besonderer Vor- liebe, das mag schon hier eine Stelle finden, verfolgte er die Kriegs- und Siegeszüge Moreau’s, den er fast höher stellte als Napoleon, wobei man freilich nicht vergessen darf, daß der Prinz 1802 bereits starb, also früher als die großen Ruhmesschlachten, die so viele Staaten zertrümmerten, geschlagen wurden. Er erlebte nur Marengo noch. Die Gegner des Prinzen haben nichtsdestoweniger aus dieser Vorliebe für Moreau den Schluß ziehen wollen, daß der Prinz nur ein correcter Pedant und trotz aller seiner Correct- heit, oder vielleicht um derselben willen, nicht im Stande gewesen wäre ein wirkliches Genie zu begreifen. Die ersten Nachmittagsstunden gehörten dem Diner. Man aß zur Winterzeit im Schloß, während des Sommers, so oft es das Wetter erlaubte, im Freundschafts-Tempel oder auf der Remus- Insel. Der Prinz war außerordentlich mäßig, und eine gebackene Speise, wie sie sein Bruder liebte: Maccaroni, Parmesankäse und Knoblauchsaft, hätte ihn getödtet. Wie er die Frauen nicht liebte, so auch nicht den Wein, aber er war billig denkend genug, seinen Privat-Geschmack nicht zum allgemeinen Gesetz zu erheben und seine Küche, wie sein Keller, ließen niemanden darben. Die Unterhaltung, wenngleich sich innerhalb gewisser Formen haltend, wie sie die Ge- genwart eines Prinzen und noch dazu eines solchen erheischte, war innerlich vollkommen frei. Von Krieg und Kriegführung wurde selten gesprochen; es schien, wie etwas zum Metier Gehöriges, um eben deshalb verpönt. Er war sehr eitel, und stilvolle Huldi- gungen, auch solche, die ihm als siegreichen Feldherrn galten, nahm er gern entgegen, aber er selbst war viel zu vornehm, um die Unterhaltung auf seine Thaten und Siege hinzulenken. Daß er Gespräche der Art vermieden wünschte, deutete er schon dadurch an, daß Niemand in Dienstkleidung (Uniform) erscheinen durfte; Hof- oder Gesellschaftskleid war Vorschrift. Die Unterhaltung drehte sich um Fragen der Kunst und Wissenschaft, um philosophische Streitfragen und Dinge der Politik. Ueber letztere äußerte er sich mit großer Freimüthigkeit, mißbilligte den preußischen Krieg gegen Frankreich, der endlich zum Basler Frieden führte und zeigte bis zuletzt gewisse Sympathien mit der französischen Revolution. Ob diese Sympathien (so bemerkt Heinrich von Bülow) in wirklicher Vor- liebe für freie Staatsverfassungen wurzelten, oder nur ein Resultat der Anschauung waren, daß alles Französische gut sei, auch eine französische Revolution, — mag dahin gestellt bleiben. In ähnlich offner Weise nahm er Parthei für die Polen, und dieselbe Thei- lung, zu deren Vollziehung er als gehorsamer Diener seines Kö- nigs (am Hofe Katharinens) mitwirkte, hielt er trotz alledem eben so wenig für ein Meisterstück der Politik, wie für eine Handlung der Gerechtigkeit. Mit besonderer Vorliebe wurden philosophisch- religiöse Sätze beleuchtet und diskutirt, und alle jene wohlbekannten Fragen, auf deren Lösung die Welt seitdem verzichtet hat, wurden, unter Aufwand von Geist und Gelehrsamkeit, mit Citaten pro und contra immer wieder und wieder durchgekämpft. Dem Diner folgte, wenn auch nicht täglich, so doch so oft wie möglich, Theater oder Concert. Ueber die Stücke, die zur Auffüh- rung kamen, habe ich nichts Bestimmtes erfahren können, aber es scheint, daß Voltaire, wie den Kreis der Anschauungen und Unterhaltungen, so auch die Bühne beherrschte. Auch die Namen der Künstler sind bis auf wenige verschollen: Blainville, der Lieb- ling des Prinzen, Demoiselle Toussaint, eine Tochter oder Schwester des Vorlesers, Demoiselle Aurore, Demoiselle Elsener, deren Urne wir in der Rheinsberger Kirche begegneten, sind die einzigen, die sich durch das eine oder andere Ereigniß noch im Gedächtniß der Stadt Rheinsberg erhalten haben. Wir haben bis hierher den Durchschnittstag des Rheinsberger Hoflebens beschrieben; was ihn unterbrach, waren Besuche, die kamen, oder Ausflüge, die gemacht wurden, dann und wann, aber selten, eine wirkliche Festlichkeit. Zum Besuch kamen Prinz Ferdinand, Prinzeß Amalie (noch jetzt führen einige Zimmer ihren Namen), vor allem Prinz Louis Ferdinand, der ein besonderer Liebling seines Oheims und die Hoffnung desselben war. An diese fürstlichen Besuche (unter denen auch das Erscheinen des Großfürsten Paul von Rußland zu nennen ist), schloß sich der Besuch derer, die früher als Militair oder Hofleute, in dienstlichen Beziehungen zum Prinzen gestanden hatten, Namen, auf die wir weiterhin zurückkommen werden. Die Ausflüge gingen näher und weiter. Der Winteraufent- halt in Berlin (im Prinz Heinrich’schen Palais, der jetzigen Uni- versität) wurde immer mehr gekürzt, aber die kleinen Reisen in die Umgegend, die Besuche bei bewährten Anhängern blieben. Der alte Zieten in Wustrau (bis 1786, wo er starb), Prinz Ferdinand in seinem Ruppiner Palais (bis 1787, wo es niederbrannte) wurden besucht, besonders aber galten diese Ausflüge dem Grafen Wreech auf Tamsel und dem Major v. Kaphengst auf Meseberg. Auf beide kommen wir ausführlich zu sprechen. Der Festlichkeiten , an deren sinnige und glänzende Aus- führung der Prinz in früheren Jahren so großen Aufwand von Zeit und Mitteln gesetzt hatte, wurden weniger im Lauf der Jahre, aber sie fanden wenigstens bei besonderen Gelegenheiten statt. Der Jahrestag der Freiberger Schlacht (die er mit Recht als sein stra- tegisches Meisterstück ansah) wurde alljährlich gefeiert und am 6. Mai 1787 gab er, zur Erinnerung an die Schlacht bei Prag, allen Offizieren und Gemeinen des Regiments Itzenplitz, die jenen Siegestag unter seiner Führung mit durchgemacht hatten, ein glänzendes Fest. Er war zu dieser Feier doppelt berechtigt, einmal durch die That selbst, zu deren Gedächtniß das Fest gegeben wurde, noch mehr aber dadurch, daß sich die Neuzeit ein Ansehen gab (der große König war seit kaum Jahresfrist todt), solche Tha- ten vergessen zu dürfen. Der Prinz kommandirte am Tage der Prager Schlacht bekanntlich den rechten Flügel. Es war das be- rühmte Regiment Itzenplitz, das er zum Angriff führte und das ihm festen Schrittes folgte. Plötzlich stutzten die Grenadiere an einem Wassergraben, weil er zu tief schien. Prinz Heinrich warf sich sogleich hinein. Die Kleinheit seiner Person vermehrte die Größe der Aufopferung und steigerte die Wirkung. Alles folgte ihm nach und schlug den Feind. Offiziere und Gemeine des Regi- ments, die jenen Ruhmestag miterlebt hatten, saßen nun dreißig Jahre später an der Festestafel ihres Führers und die begeisterten Lebehochs, die erschallten, klangen laut genug, um auch das Ohr des königlichen Neffen zu treffen. Das Festmahl war, neben einer pietätsvollen Huldigung gegen die Heimgegangenen, vor allem auch eine Demonstration gegen Lebende; aber, wie immer auch, diese Demonstration war berechtigt . Auch eine Demonstration, aber zu gleicher Zeit ein sonnigeres, von den Strahlen der Po ë sie und der Geschichte umleuchtetes Fest, war die Einweihung (am 4. Juli 1791) des oftgenannten Obe- lisken, der sich, gegenüber dem Rheinsberger Schloß, an der an- dern Seite des See’s, auf leis ansteigendem Terrain erhebt. Die Inschriften dieses Monuments gebe ich an anderer Stelle (siehe die Anmerkungen); hier nur einiges über die Festlichkeit selbst. Es war eine militairische Feier, aber zu gleicher Zeit ein Volksfest . Aus allen Städten und Dörfern der Grafschaft war man herbei- gekommen und Tausende umstanden entweder den weiten Halbkreis des See’s, oder waren Augenzeugen, von zahllosen Böten aus, die auf der stillen Wasserfläche ihren Stand genommen hatten. Das schönste Sommerwetter begünstigte das Fest. Um das Denk- mal selbst herum gruppirten sich hunderte von Offizieren, alte und junge, theils solche, die die große Zeit noch mit erlebt hatten, theils nahe Anverwandte derer, deren die Medaillon-Inschriften des eben enthüllten Obelisken in goldenen Buchstaben gedachten. Weiter den Hügel hinauf, im Halbkreis den Kreis der Offiziere umschlie- ßend, standen die Unteroffiziere und Gemeinen der alten Regimen- ter. Der Enthüllungsfeier selbst folgte in den Sälen des Schlosses ein glänzendes Bankett, bei dem der Prinz eine längere, wohl- ausgearbeitete Rede hielt, auch an diesem Tage in französi- scher Sprache . Es scheint, daß er der deutschen Rede geradezu nicht mächtig war. Wunderbares Resultat einer Erziehung, die in an und für sich richtigem Streben nur das Deutsche gewollt und alles Französische verpönt hatte. Die Rede selbst, die aufbe- wahrt worden ist und z. B. im vie privée du Prince Henri eine Stelle gefunden hat, scheint auf den ersten Blick wenig mehr zu bieten, als wohlstylisirte, ziemlich zopfige Phrasen und Betrach- tungen, wie sie damals üblich waren, aber bei mehr kritischer Be- trachtung erkennt man sofort die politische Seite dieses scheinbar blos oratorischen Uebungsstückes. Ich gebe hier nur eine Stelle daraus: „Allen Bewohnern der Städte und des Landes, welche in diesem Kriege die Waffen trugen, gebührt ein gleiches Recht an die Trophäen und Palmen des Sieges. Unter der Leitung ihrer Anführer weihten sie ihre Arme und ihr Blut ihrem Vaterlande. Sie haben es mit Muth und Kraft aufrecht erhalten und verthei- digt. Unsere Absicht ist, der preußischen Armee ein Zeugniß unserer Dankbarkeit darzulegen. Den Eingebungen unseres Herzens zufolge wollen wir Beweise der Hochachtung denjenigen geben, welche wir persönlich kannten. — Warum aber vermißt man Friedrich unter der Zahl dieser berühmten Namen? — Die von diesem Könige selbst aufgesetzte Geschichte seines Lebens, die Lobschrif- ten auf ihn nach seinem Tode, ließen mir nichts zu sagen übrig ; aber große, in der Dunkelheit geleistete Dienste werden nicht der Vergessenheit entzogen: denn die Zeit löscht alle Eindrücke aus, und der folgenden Generation fehlen die Zeugen der Thaten der vorhergehenden, das Andenken der Begebenheiten schwindet, die Namen gehen verloren, und die Geschichte bleibt nur ein unvollkommener Entwurf, oft zusammengefügt durch Schmeiche- lei und Trägheit .“ Dies genüge. Man muß diese Rede mit demselben geschärften Auge lesen, wie die Medaillon-Inschriften des Monumentes selbst. Auch diese Feier, wie schon hervorgehoben, war eine Demonstra- tion. Der Held, dessen Andenken der Obelisk und die Feier galt, war Prinz August Wilhelm , der Vater des Fürsten, der eben damals den Thron der Hohenzollern einnahm und seines alten Oheims, des Rheinsberger Prinzen entrathen zu können glaubte, der wohl Schlachten gewonnen hatte, aber kein Herz hatte — für Frauen und Wein. Große Festlichkeiten sind dieser Enthüllungsfeier nicht mehr gefolgt; die Schwere des Alters fing an zu drücken, und Einsam- keit, Stille wurden erstes, wenn auch nicht ausschließliches Gebot. Bis hieher bin ich bemüht gewesen, das Leben, wie es sich am Rheinsberger Hofe während der letzten zehn oder funfzehn Jahre gestaltete, in seinen allgemeinen Zügen zu schildern; ich gehe nun zu einer Besprechung der einzelnen Persönlichkeiten über, die, während dieser Epoche, die einen früher, die andern später, die nächste Umgebung des Prinzen bildeten, und hoffe dabei Ge- legenheit zu finden, ein bisher nur in Umrissen gegebenes Bild durch eine Reihe von Details zu beleben. Ich beginne mit nochmaliger Aufzählung der Persönlichkeiten selbst. Es waren: Baron Kniphausen, Baron Knesebeck, zwei Barone Wreich (auch Wreech geschrieben), Capitain v. Tauentzien, Major v. Kaphengst, Baurath Steinert, Kammerrath Lebeauld, Graf La Roche-Aymon und Graf Roeder. Von letzterem bin ich außer Stande gewesen, irgend etwas in Erfahrung zu bringen. ( Baron Dodo von Kniphausen ) war eine Art Ehren- Kammerherr und gehörte dem Kreise mehr als Volontair, wie im Besitz einer wirklichen Hofcharge an. Mehr noch als die Unabhän- gigkeit seiner Stellung, gab ihm sein scharfer Verstand und seine politische Bildung ein Ansehen am Rheinsberger Hofe, eine Bil- dung, die bedeutend genug war, um die Aufmerksamkeit Mira- beau’s zu erregen, der der „politischen Hoffnungen“ erwähnt, „die das Land an den ostfriesischen Freiherrn knüpfte.“ Was ihn an den Hof des Prinzen Heinrich führte, war, neben seiner nahen Verwandtschaft mit den beiden Baron Wreichs, die Gleichgeartet- heit politischer Anschauungen; der Prinz und er waren eins in ihrer Mißstimmung über das, was in Berlin geschah, besonders in ihrer Abneigung gegen den Minister Hertzberg, eine Abneigung, die beim Prinzen politische, beim Baron Kniphausen aber, der ein Stiefbruder des Grafen Hertzberg war, persönliche Gründe und Interessen-Motive hatte. Andere geistige Berührungspunkte zwischen dem Prinzen und dem Freiherrn mochten fehlen. Kniphausen war ein passionirter Landwirth, eine Thätigkeit, ein Beruf, dem, wie schon erwähnt, Prinz Heinrich den allerniedrigsten Rang einräumte. Diese verschiedenen Ansichten über den Werth der Landwirthschaft führten zu einer kleinen Anekdote, die H. v. Bülow in seinem mehrerwähnten Buche erzählt. „Kniphausen, so schreibt er, der viel von seinen ostfriesischen Rindern sprach und sich vielleicht gelegent- lich von Rheinsberg aus zu ihnen hinsehnen mochte, erhielt, zur Strafe für diese beständigen Agrikultur-Gespräche, eine Weste vom Prinzen geschenkt, die mit lauter Rindern bedruckt war. Kniphausen dankte und trug nun die Weste tagtäglich wie im Triumph , bis der Prinz eine ungnädige Bemerkung machte, ungnädig, weil er fühlte, daß sich der Stachel der Satyre gegen ihn selbst gekehrt hatte.“ ( Baron Knesebeck ), mit seinem vollen Namen Carl Franz Paridam Kraft von dem Knesebeck, war der letzte männliche Sproß aus der Linie Tilsen (bei Salzwedel). Nach seinem Tode, der erst in diesem Jahrhundert erfolgte, fiel das schöne Gut an die Carwe’sche Linie und der spätere Feldmarschall v. d. Knesebeck (dessen ich in dem Aufsatz „Carwe“ ausführlicher gedacht habe) wurde Besitzer des alten Familienguts. Baron Knesebeck blieb Kammerherr am Rheinsberger Hofe bis zum Ableben des Prinzen und wird im Testament desselben mit folgenden Worten erwähnt: „Dem Baron v. Mylendonk-Knesebeck, der mir als Page und später als Offizier in meinem Regimente gedient, auch später noch, nachdem er den Abschied genommen, mit unwandelbarer Treue zu meiner Person gestanden hat, vermache ich eine Dose von Lapis Lazuli . Sie trägt einen Carneol in der Mitte und ist oben und unten mit Diamanten besetzt.“ Einzelheiten aus seinem Rheinsberger Leben habe ich nicht erfahren können. ( Die beiden Wreichs .) Baron Friedrich von Wreich, der ältere Bruder, war Hofmarschall am Rheinsberger Hofe, Baron Ludwig war Kammerherr. Beide, auf dem reizenden Tamsel bei Küstrin geboren, waren die ältesten Söhne jener schönen Frau v. Wreich ( „un teint de lis et de rose“ ), die den Kronprinzen Friedrich, während seines Küstriner Aufenthalts, mit einer leiden- schaftlichen Zuneigung erfüllt hatte. Baron Friedrich , wegen seiner Länge „der große Wreech“ geheißen, starb zu Anfang der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts, und Tamsel, in dessen Besitz er sich seit 1746 befunden hatte, ging an Baron Ludwig , den jüngeren Bruder über. Dieser, seit 1786 in den Grafenstand er- hoben, war einer der treusten Anhänger des Prinzen und lebte mehr in Rheinsberg und Berlin, als auf seinem ererbten Gut. Der Sommer 1787 jedoch sah ihn monatelang in Tamsel, um Schloß und Park für den zugesagten Besuch des Prinzen Heinrich festlich herzurichten. Graf Ludwig hatte lange genug in der Nähe des Prinzen gelebt, um diesem Meister im Arrangiren von Fest- lichkeiten wenigstens Einiges von seiner Inscenirungs-Kunst abge- lauscht zu haben, und als der Prinz im Juli des genannten Jahres nun wirklich erschien, begrüßten ihn Arrangements, wie er selber sie nicht schmeichelhafter und stilvoller hätte herstellen können. Statuen und Inschriften, wohin er blickte, Vergleiche in Reim und Bild, Erinnerungen an seine Siege oder Mahnungen an Personen, die seinem Herzen theuer gewesen waren. Halbverdeckt unterm Rasengrün schimmerte ein weißer Sandstein zum Andenken an die schöne Lisette Tauentzien (erste Gemahlin Tauentziens v. Wittenberg, eine geborne v. Marschall) und die eingegrabenen Worte: „Rose, elle a vécu ce que vivent les roses — l’espace du matin“ weckten im Herzen des Prinzen eine stille Erinnerung an die zu früh aus dem Rheinsberger Kreise Geschiedene. An anderer Stelle boten sich, neben einander gestellt, die Büsten des großen Kurfürsten und des Prinzen, dem Auge des letzteren dar und französische Verse zogen Parallelen zwischen jenem, der ein Vater flüchtiger Franzosen wurde, und zwischen diesem, „der die Herzen aller Franzosen unter das Gesetz seiner geistigen Macht und Schönheit zu zwingen wußte;“ die Haupt-Ueberraschung aber brachte der Abend. Im Rücken von Tamsel, unmittelbar hinter dem Park, liegt eine romantische Wald- und Hügel-Parthie, durch die sich ein Hohlweg , die Straße nach dem benachbarten Zorndorf, zieht. Sei es, daß die Lokalität einige Züge mit dem Terrain, um dessen Reproducirung es sich handelte, gemein hat, oder sei es, daß man einfach nahm, was man hatte, gleichviel, der Hohlweg war auf Anordnung des Grafen Ludwig überbrückt worden, um an dieser Stelle die Erstürmung des Passes von Gabel, eine der glänzendsten Waffenthaten des Prinzen, noch einmal bildlich zur Darstellung zu bringen. Im Hohlweg standen die Tamseler und Cüstriner, Kopf an Kopf, um Zeuge des prächtigen Schauspiels zu sein und Feuerwerk und Leuchtkugeln erhellten die Nacht, als Graf Ludwig, von dem links gelegenen Hügel aus, den Prinzen an den Eingang zur Brücke führte. Unter dem Jubel der Menge überschritt der Prinz diese, an deren entgegengesetztem Ende ihm drei Johanniter-Ritter (Graf Dönhof, v. Schack und v. Tauentzien) in ihren rothen Ordensmänteln entgegentraten und auf die Worte hinwiesen: Henry parait! il fait se rendre! Vous fremissez fiers autrichiens! Si vous pouviez le voir, si vous pouviez l’entendre Vous béniriez le sort qui vous met dans ses mains. Also etwa: Heinrich erscheint und vor seinem Begegnen Zittert Oesterreich und unterliegt; — Kenntet ihr ihn, ihr würdet es segnen, Stolze Feinde, daß Er euch besiegt. Die Erinnerung an jenen glänzenden Abend lebt noch bis heute bei den Tamselern fort; die alte reiche Familie aber (sie besaß eine Anzahl Güter in der Umgegend), die diese Festlichkeit in’s Leben rief, ist seitdem längst vom Schauplatz abgetreten. 1795 starb Graf Ludwig Wreech und Tamsel ging auf seinen Schwager, den Grafen von Dönhoff über. Mit Friedrich Wilhelm v. Wreech, einem Sohn oder Neffen des Grafen Ludwig, ist seitdem das Ge- schlecht erloschen. Ein halbes Jahrhundert lang hatten sie dem Rheinsberger Hofe treulich gedient und (aus nicht völlig aufge- klärten Gründen) ihre Lebensaufgabe darin gesetzt, den Prinzen Heinrich auf Kosten seines Bruders, des Königs — den die Wreechs geradezu haßten — zu verherrlichen. ( Bogislaw v. Tauentzien ), der spätere Graf Tauentzien von Wittenberg, Sohn des berühmten Vertheidigers von Breslau, gehörte 15 Jahre lang dem Rheinsberger Hofe an. Er war ein ganz besonderer Liebling des Prinzen, der schon 1776 den damals erst 16jährigen Fähnrich von Tauentzien zu seinem Adjutanten ernannte. Bis ganz vor Kurzem noch befand sich ein trefflicher alter Stich im Rheinsberger Schloß, der die Scene darstellt, wie der Fähnrich von Tauentzien seine erste Meldung vor dem Prinzen macht. 1778, bei Ausbruch des bairischen Erbfolgekrieges, folgte Tauentzien dem Prinzen nach Sachsen und Böhmen und kehrte mit ihm in das Rheinsberger Stillleben zurück, das nur durch die zweimalige Reise des Prinzen nach Paris (1784 und 1788) auf längere Zeit unterbrochen wurde. Auf beiden Reisen begleitete Tauentzien den Prinzen (1784 als Lieutenant, 1788 als Capitain) und gedachte noch in späteren Jahren dieses Aufenthalts in der französischen Hauptstadt mit Vorliebe und besonderer Dankbarkeit. Bis 1791, nachdem er schon das Jahr vorher zum Major beför- dert worden war, blieb er in Rheinsberg; dann trat er in die Suite des Königs und wurde in den Grafenstand erhoben. Seine Stellung zum Prinzen wurde dadurch eine sehr schwierige; wie er dieser Schwierigkeiten Herr wurde, darüber lassen sich nur Ver- muthungen äußern. Das Mißverhältniß zwischen dem König und seinem Onkel, dem Prinzen, war offenkundig, und die Frage drängt sich einem auf, wie stellte sich Tauentzien zu zwei Gegnern, die beide Ansprüche auf seine Treue und Dankbarkeit hatten? Wir müssen annehmen, daß er die Aufgabe glücklich gelöst habe (ver- band er doch ein glückliches Naturell mit der Klugheitsschule des Rheinsberger Hofes), der Prinz würde sonst nicht, während des letzten Jahrzehnts seines Lebens, so viele Erinnerungszeichen an Tauentzien um sich geduldet und werth gehalten haben, darunter ein treffliches Oelportrait, das bis diesen Tag den Zimmern des Schlosses verblieben ist. ( Major von Kaphengst .) Die Rheinsberger Kirchenglocke trägt auch den Namen „Major von Kaphengst“ als Inschrift; von ihm und dem Schauplatz seines späteren Lebens werden wir ausführlicher zu sprechen haben. Christian Ludwig v. Kaphengst wurde ohngefähr im Jahre 1740 auf seinem väterlichen Gute Gülitz in der Priegnitz geboren. Wann er an den Rheinsberger Hof kam, ist nicht genau festzustellen; wahrscheinlich aber lernte ihn der Prinz schon während des siebenjährigen Krieges kennen (vielleicht als Offizier im Regimente Prinz Heinrich), fand Gefallen an seiner Jugend und Schönheit und nahm ihn nach erfolgtem Friedensschluß mit nach Rheinsberg. Als Adjutant des Prinzen (eine Stellung, zu der ihn seine geistigen Gaben keineswegs befä- higten) avancirte er zum Capitain, dann zum Major und beherrschte in gewissem Sinne den Hof und den Prinzen selbst, dessen Gunst- bezeugungen ihn übermüthig machten. Der König, der in seiner Sanssouci-Einsamkeit von allem was vorging, sehr wohl unter- richtet war, mißbilligte unumwunden die eben damals herrschenden Verhältnisse am Hofe seines Bruders und bestimmte diesen endlich, den Günstling, der so viel Anstoß gebe, aus seiner Nähe zu ent- fernen. Aber auch diese Entfernung geschah noch wieder in den Formen einer Gunstbezeugung. 1774 überbrachte ein Page des Königs (v. Wülknitz) dem Prinzen Heinrich ein königliches Geschenk von 10,000 Stück Friedrichsd’or zugleich mit der Ordre, „daß er nunmehr den Major v. Kaphengst entlassen möge,“ eine mündliche Ordre, deren Wortlaut sich hier der Möglichkeit der Mittheilung entzieht. Der Prinz, der, bei aller Zuneigung zu seinem Günstling, doch andererseits genugsam unter der Ungebildetheit und Eitelkeit desselben gelitten haben mochte, gehorchte um so lieber, als die freundschaftliche Entfernung Kaphengsts, die nun erfolgte, dem be- stehenden Verhältniß das Drückende unausgesetzten Verkehrs nahm, ohne doch das Verhältniß selbst völlig zu lösen. Der Prinz fügte den 10,000 Stück Friedrichsd’ors seines Bruders aus eignen Mit- teln noch ohngefähr dieselbe Summe hinzu und kaufte dafür, also unter Anzahlung von circa 100,000 Thalern, einen drei Meilen von Rheinsberg gelegenen Güter-Complex (die Rittergüter Meseberg, Baumgarten, Schönermark und Rauschendorff), deren Kaufcontract er bald darauf dem Major v. Kaphengst als ein Geschenk überreichte. Kaphengst übersiedelte nunmehr nach dem am Huvenow-See gelegenen Schloß zu Meseberg, aber diese Entfernung vom Rheins- berger Hofe ging, wie schon angedeutet, keineswegs mit einer Ent- fremdung Hand in Hand, und Besuche hüben und drüben unter- hielten das gute Einvernehmen, das aus den Trennungen eher Reiz und Nahrung empfing, als allmählich zur Erkaltung führte. Aller klar zu Tage liegenden Schwächen und Schattenseiten des Günstlings ungeachtet, mußte ein Etwas um und an ihm sein, das den alternden Prinzen, wenn nicht sympathisch berührte, so doch mit einem gewissen Wohlgefallen erfüllte. Vielleicht war es das Derbe , um nicht zu sagen das Rohe und Gemeine, das so oft um der ihm innewohnenden Natürlichkeit willen, ein Inter- esse, einen Reiz bei denen weckt, denen Beruf und sonstige Neigung die Richtung auf das geistig Verfeinerte geben. Es ist der Zauber des Contrastes oder ein Sichschadloshalten für empfundenen Zwang. Nur so vermögen wir uns die Fortdauer des Verhältnisses zwischen Prinz und Günstling zu erklären; denn, wenn die Eitel- keit und Habsucht des letztern schon am Rheinsberger Hofe ihre Proben abgelegt hatten, so verschwand das alles, die ganze Wüst- heit seines früheren Lebens, gegen das, was nun in Schloß Meseberg vor sich ging. Debaucherieen aller Art lösten sich unter- einander ab und die unsinnigste Verschwendungssucht (an der der Prinz ernsthaft Anstoß nahm, denn er war sparsam) griff Platz. Schloß Meseberg war ein kostbarer Besitz an und für sich, aber in den Augen des verblendeten Günstlings nicht kostbar genug. Graf Wartensleben, der durch seine Frau, eine Erbtochter der dort früher angesessenen Groebens, im Besitz Mesebergs und der andern obengenannten Güter gekommen war, hatte 1738 und 1739 an der Südspitze des Huvenow-See’s ein Schloß aufgeführt. Wie ein Zauberschloß liegt es jetzt noch da. Der Reisende, der hier des Weges kommt und über das Sandplateau hinfährt, dessen weitgespannte Fläche nur hier und da durch einen Kirch- thurm oder ein Birkengehölz unterbrochen wird, hat keine Ahnung von der verschwiegenen Thalschlucht, mit Wald und See und Schloß, die neben ihm liegt. Dieser tiefgelegene Waldsee, der Huvenow-See geheißen, ist einer jener vielen Seen, die sich, alle ähnlich und doch alle verschieden, wohl 20 oder 30 an der Zahl, zwischen dem Ruppin’schen und dem Mecklenburgischen hinziehen und die vor allem dazu beitragen, diesem Landstrich seine Schön- heit und seinen Charakter zu geben. Unbedingte Stille herrscht, die Bäume, die das Ufer dicht einfassen, stehen windgeschützt und rau- schen leiser als anderswo; die Glocken der feldeinwärts oder hoch auf dem Plateau weidenden Heerden dringen mit ihrem Klange nicht hinab in diese Einsamkeit, und nichts vernehmen wir, als den Schnitt der Sense, die neben uns das Gras mäht, oder den kurzen Ruck, das leise Geräusch, mit dem der Angler die Angel- schnur aus dem Wasser zieht. An so romantischer Stelle war es, wo Graf Wartensleben sein Schloß aufführte. Er that es, wie die Sage geht, um in der Wilhelmsstraße zu Berlin nicht ein Gleiches thun zu müssen, denn ein Königlicher Befehl war eben damals erschienen, der es jedem Edelmann von Rang und Ver- mögen zur Pflicht machte, in der Wilhelmsstraße ein Palais zu bauen, falls er nicht nachweisen könne, auf seinen eigenen ländlichen Besitzungen mit Aufführung eines stattlichen Schlosses beschäftigt zu sein. So entstand also das Wartenslebensche Schloß in Mese- berg, damit ein Wartenslebensches Palais in Berlin nicht zu entstehen brauchte, und die Pracht, mit der jenes Schloß am Huvenow-See emporwuchs, übertraf bei Weitem das gleichzeitig in Umbau begriffene Rheinsberger Schloß. Die Sandsteinsäulen, die die Façade bildeten, wurden aus den sächsischen Steinbrüchen, die Marmor-Kamine aus Schlesien herbeigeschafft; breite mächtige Steintreppen stiegen bis in die obern Stockwerke auf, eichne Paneele umliefen die Zimmer, während andre boisirt waren bis an den Plafond. Kostbare Blumenstücke, wahrscheinlich von der Hand Dubuissons und bis diesen Augenblick noch in voller Schönheit erhalten, füllten die Felder zwischen Decke und Thür, und eine lateinische Inschrift in einem der Kellergewölbe erzählt getreulich von Müntherus, dem Baumeister, auf dessen Anordnung hier Eichen und Buchen zahllos in den See geworfen und die jetzigen Parkanlagen, die in Terrassen zum See hinabsteigen, in’s Leben gerufen wurden. Der Bau überstieg den Reichthum des reichen Grafen, er verbaute sich, der Bau hatte ihm eine Tonne Goldes gekostet . Die alte, äußerlich sehr unscheinbare Kirche zu Meseberg ist in ihrer Art nicht minder interessant als das Schloß. Grabsteine der Groe- bens liegen vorm Altar und Denkmäler der verschiedensten Art, aber alle der oben genannten Familie zugehörig, zieren die Wände hinter und neben dem Altar. Rechts hängt ein großes, auch um seines künstlerischen Gehaltes willen sehr bemerkenswerthes Familienbild aus dem Jahre 1588, von dem ich vermuthen möchte, daß es von einem Schüler des Lucas Cranach herrührt, wenigstens erinnert vieles an diesen Meister. Das Bild ist sehr groß, etwa 12 bis 14 Fuß lang und 10 Fuß hoch und stellt Ludwig v. d. Groeben und seine Gemahlin (eine geb. Anna v. Oppen) sammt ihren 17 Kindern dar, 13 Knaben links und 4 Mädchen rechts. Einige Köpfe sind höchst ansprechend. Eltern und Kinder knieen in einer Art Kirchenhalle und über ihnen, wie Schildereien, die in dieser Halle aufgehängt sind, befinden sich die Darstellungen des Sündenfalls und der Auferstehung. (Ein noch größeres Bild der Art besitzen die Rohrs zu Meyenburg in der Priegnitz, auf dem ein Graf Ravensberg, der Stamm- vater der Rohrs, dem Kaiser 30 Söhne vorstellt.) — In einem Anbau der 9 So war das Schloß, das der Günstling des Prinzen 35 Jahre später (1774) bezog. Aber weit entfernt, an dieser Pracht ein Genüge und mehr denn das zu finden, begann jetzt ein Leben, das sich vorgesetzt zu haben schien, hinter dem Reichsgrafen nicht zurückzubleiben und abermals eine Tonne Goldes auszugeben. Neubauten aller Art entstanden, aber Bauten, die zunächst nicht ihren Stolz darin setzten, das Vorhandene durch Treibhäuser und Orangerieen auszuschmücken, sondern Bauten, wie sie dem roheren Geschmack und Bedürfniß des Günstlings entsprachen. Ein voll- ständiger Marstall wurde eingerichtet, zwanzig Luxuspferde (laut noch vorhandener Pfandbriefstaxe) wurden gehalten und auf den Atlaskissen der Stühle und Sophas streckten sich die Wind- spiele, während eine Meute von Jagdhunden um die Mittagszeit ihr Geheul über den Hof schickte. Jagd, Spiel, Streit und Aven- türen füllten die Zeit aus, die kaum noch in Tag und Nacht zer- fiel, und mit untergelegten Pferden ging es in fünf Stunden nach Berlin, wohin ihn Theater und große Oper zogen, weniger die Oper als der Tanz und weniger der Tanz als Demoiselle Meroni , die Tänzerin. Der Prinz hatte wohl Kunde von dem Allen, und wenn er sonst nicht Ursache gehabt hätte den Kopf zu schütteln, so gab ihm das Eine doch Grund vollauf, daß an seinen Säckel und seine Großmuth in sich endlos wiederholenden Geldverlegenheiten appellirt wurde. Er mochte hoffen, durch eine Verheirathung seines einstigen Lieblings die Dinge zum Bessern hin ändern zu können, und da dieser auf den Plan willfährig und ohne Weiteres einging (schon um durch Nachgiebigkeit einen Anspruch auf neue Forderungen zu gewinnen), so kam im Jahre 1789, zu besonderer Freude des Prinzen, eine Vermählung zwischen dem Major v. Kaphengst und Meseberger Kirche befindet sich das Grabgewölbe des oben genannten Grafen Hermann v. Wartensleben. Er, seine Frau und zwei Kinder sind darin beigesetzt. Er war Oberst über ein Regiment zu Pferde und starb 1764 oder 65. Seine Erben besaßen das Gut bis 1774. Demoiselle Toussaint zu Stande. Maria Louise Therese Toussaint war die Tochter des mehrgenannten Lecteurs und Bibliothekars des Prinzen und hatte als Schauspielerin bei den Aufführungen auf der Rheinsberger Bühne, wie auch sonst wohl, sich die Gunst des Prinzen in hohem Grade zu erringen gewußt. Etwa um 1780 oder wenig später hatte sie sich mit einem Herrn v. Bilguer vermählt; seitdem Wittwe geworden, war ihre Hand wieder frei, und als Frau v. Kaphengst zog sie nun ein in das schöne Schloß am Huvenow-See. Die Erwartungen besserer Wirthschaft, die der Prinz an diese Parthie geknüpft hatte, erwiesen sich als eitel und irrig, aber um- gekehrt gingen, theilweis wenigstens und bis zu einem gewissen Zeitpunkt, die Hoffnungen in Erfüllung, die Kaphengst an diese seine Vermählung mit der ehemaligen Favorit-Schauspielerin ge- knüpft hatte. Eine neue Handhabe war gewonnen, um sich der Gunst des Prinzen zu versichern . Der jagd- und spiel- liebende, streit- und händelsüchtige Kaphengst war dem Prinzen, dessen Schatulle schwer unter den Debauchen seines ehemaligen Lieblings zu leiden gehabt hatte, schließlich unbequem geworden. Der neue Kaphengst, der jetzt, wo die gefeierte Toussaint an der Spitze seines Haushalts stand, klug genug war, die Musen nach seinem Schloß hin zu Gast zu laden, erschien dem Prinzen, zu- nächst wenigstens, in einem veränderten Licht. Die Säle und Zimmer rechts neben der großen Halle des Schlosses wurden zu einer Bühne eingerichtet; Kaphengst selbst, muthmaßlich voll Hohn im Herzen über die Rolle, die ihm zufiel, fungirte als Directeur du théâtre, und unter dem Vollklang der Alexandriner vergaß der Prinz, wie hohen Eintrittspreis er für diese Aufführungen zu zahlen hatte, für ein Spiel, das eben ein Spiel war in jedem Sinne. Noch jetzt erkennt man im Meseberger Schloß den ehemaligen Bühnenraum; und die kleinen Garderobezimmerchen, in denen da- mals die Schminktöpfchen und die frivolen Bemerkungen zu Haus waren, lassen sich bis diesen Tag, freilich in eben so viele Wand- 9* schränke umgewandelt, in dem zu hinterst gelegenen Zimmer des Erdgeschosses erkennen. Auch für Abwechslung wußte der kluge Hausherr zu sorgen, klug, seitdem die Französin die Honneurs des Hauses machte und die Angelegenheiten leitete. Der Prinz, nach längerer Abwesenheit im Berliner Palais (länger als seit Jahren), kehrte nach Monaten zum ersten Male wieder nach Rheinsberg zurück und traf anderen Tages schon als Gast in Schloß Meseberg ein. Er mochte eine neue Aufführung, die Einlage eines neuen Tanzes, eines neuen Musikstücks erwartet haben, aber eine andre Huldigung war dies- mal vorbereitet; am Plafond der großen Speisehalle, die zum Empfang des hohen Gastes mit Blumen und Orangerie decorirt war, hatte die raschfertige, aber immerhin geniale Hand Bernhard Rode’s ein großes Deckengemälde ausgeführt, das, im Geschmack jener Zeit, die Apotheose des Prinzen Heinrich darstellte. Zur Rechten der übliche Ruhmestempel, dem das Bild des Prinzen von Genieen entgegengetragen wird; daneben der bekannte Götter- apparat: Minerva, zu deren Füßen das Schwert ruht, und an einem der Opferaltäre die Inschrift: „vota grati animi,“ also etwa: „empfange dies als die Darbringung eines dankbaren Her- zens.“ Der Prinz, dessen Eitelkeit leicht zu fangen war, so bald die Schmeichelei nicht platt-prosaisch, sondern wohl stylisirt und im Gewande der Kunst an ihn herantrat, war auf’s höchste über- rascht und erwies sich wieder, auf Monate hin, als der Hülfe- bereite, von dessen Gunst und Gnade Gewinn zu ziehn, doch der eigentliche Zweck aller dieser Huldigungen gewesen war. (Es ent- ging an jenem Tage dem Auge des Prinzen, was auch dem Auge Kaphengsts entgangen war, daß Rode, sei es aus Zufall oder aus Malice, die Inschrift: „vota grati animi“ nicht ausgeschrieben, sondern die letzte Silbe fortgelassen hatte. Kaphengst, später darauf aufmerksam gemacht, ließ auch noch das i übermalen, so daß die Inschrift jetzt lautet: vota grati an. In der Umgegend lachte alle Welt darüber und nannte ihn Gratian oder Gratianus.) Die Gunst des Prinzen, oft erschüttert und immer wieder befestigt, dauerte bis 1798; um diese Zeit scheint er sie dem Günst- ling entzogen zu haben, wenigstens müssen wir es daraus schließen, daß sich Kaphengst zur Deckung seiner immer wachsenden Schulden- last genöthigt sah, zwei seiner Güter, Schönermark und Rauschen- dorf, zu verkaufen. Das Volk erzählte sich und erzählt sich noch, er habe beide in einer Nacht verspielt. Die beiden andern, Mese- berg und Baumgarten, blieben ihm, wiewohl tief verschuldet, bis zu seinem Tode, der im Januar oder Februar 1800 im Schloß zu Meseberg erfolgte. Seine Frau überlebte ihn um viele Jahre und starb erst im zweiten Viertel dieses Jahrhunderts. In der Kirche zu Meseberg, wo die Grabsteine der Groebens vor dem Altar liegen und von der Wand herab, in Frommen und Treue die Bildnisse Ludwigs v. d. Groeben und seiner 17 Kinder blicken, ist nicht Stein, nicht Inschrift, die an den wilden Jäger erinnerten, der hier 26 Jahre lang das Land durch- tobte; seine Wittwe, in richtigem Takte, mochte fühlen, daß das Marmorbild eines Mannes, dem alles Heilige ein Spott gewesen war, nicht in die Kirche gehöre. In einer Ecke, mit einem Fetzen Flor umwickelt, der verblaßt und staubig wie ein Stück Spinnweb aussieht, hängt der Galanterie-Degen des Galans und Günstlings, daneben ein rostiges Sporenpaar. Die Kinder im Dorf aber, wenn der Herbst kommt und der Wind das abgefallene Laub auffegt, fahren zusammen und murmeln „Kaphengst kommt.“ ( Graf La Roche-Aymon und Koepernitz .) Es wurde immer stiller in Rheinsberg. Von 1796 ab scheint der Kreis nur aus 4 Personen bestanden zu haben: aus dem Hofmarschall (oder Kammerherrn) Grafen Roeder, aus dem Adjutanten Graf La Roche- Aymon, aus dem Kammerrath Lebeauld und aus dem Baurath Steinert. Die beiden Wreech waren todt; Tauentzien, von Stufe zu Stufe steigend, dem Kreise entwachsen; Knesebeck lebte noch, that aber keinen Dienst mehr; Kaphengst jagte und spielte in sei- nem Schloß am Huvenow-See, und grollte, daß der Gunst des Prinzen der goldne Boden ausgeschlagen war. Kein Wunder, daß der alternde Prinz (er war 70 geworden) von der Einsamkeit und Stille, die ihm Bedürfniß war, zu Zeiten mehr hatte, als ihm lieb sein mochte, und unter dem Druck einer gewissen Vereinsamung sein Bestreben dahin richtete, sich die weni- gen Treuen, die ihm geblieben waren, für den Rest seiner Tage zu erhalten. Er that dies seit Jahren durch Gunstbezeugungen aller Art. Es schien, er wollte nicht unter Fremden sterben. Baurath Steinert war ein Gegenstand seines besondern Ver- trauens. Noch wenige Tage vor seinem (des Prinzen) Tode, als sie die Pyramide besuchten, in der er beigesetzt zu werden wünschte, sagte er lächelnd zu dem vielbewährten Diener: „stellt mich so, Steinert, daß ich nach dem Schloß hinüber blicke und sagt es den Leuten, daß ich so stehe, das wird manchen in heilsamer Furcht halten.“ Lebeauld, — Le Bauldt de Nans, wie er in andern Büchern genannt und geschrieben wird — war Secretair des Prinzen; führte aber zugleich den Titel eines Conseiller des chambres. Zur Belohnung für langjährige Dienste, aber zugleich auch in dem Streben, den Beschenkten dadurch fester an seine Person zu fesseln, schenkte ihm der Prinz zwei der zum Amte Rheinsberg gehörigen Erbzinsgüter: Schlaborn und Warenthin, die noch ge- raume Zeit hindurch im Besitz derselben Familie waren. Seit 1850 sind sie zurückgekauft und wieder königlicher Besitz. Steinert und Lebeauld waren bewährte Diener des Prinzen, aber doch nichts weiter; der Graf La Roche-Aymon war der Freund seiner letzten Jahre. Bei der Geschichte dieses Mannes, „die den Roman auf seinem eignen Felde schlägt,“ werden wir zum Schluß noch einige Zeit zu verweilen haben. Antoine Charles Etienne Paul Graf La Roche-Aymon war 1775 geboren. 1792, siebzehn Jahr alt, verließ er mit andern Emigré’s sein Vaterland und trat als Volontair in das Condé’sche Corps, nach einer andern Version (die sich auf Mittheilung von Personen stützt, die den Grafen persönlich gekannt haben) in die neapolitanische Armee . Gleichviel, 1794 erschien ein junger Offizier, schlank, schön, von dunkelstem Colorit und sechs Fuß groß, aber in bedürftigster Garderobe, in Rheinsberg und gab bei „Demoiselle Aurore“, jener schon genannten Schauspielerin des prinzlichen Hoftheaters, einen Empfehlungsbrief ab. Der Brief ent- hielt die Aufforderung, den Ueberbringer, den Grafen La Roche- Aymon bei günstiger Gelegenheit in die Nähe des Prinzen zu bringen. Demoiselle Aurore war eine echte Französin, lebhaft, gut- herzig, dabei Royalistin und zu Abenteuern geneigt; sie bestritt eine passende Equipirung aus eignen Mitteln, und vor Ablauf einer Woche war der Graf in des Prinzen Dienst. Er bezog Wohnung im Kavalierhaus und übernahm den Befehl über die 40 Leibhusaren, die, als eine specielle Prinz-Heinrich’sche Truppe, zu Rheinsberg in Garnison lagen; kurze Zeit darauf wurde er Adjutant des Prinzen. Schön, gewandt, liebenswürdig, ein Kava- lier im besten Sinne des Worts, trat er alsbald in eine Vertrauens- stellung, in ein gewisses Herzensverhältniß zum Prinzen, wie es dieser, seit Tauentzien, nicht mehr gekannt hatte. Der Graf erschien ihm wie ein Geschenk des Himmels; der Abend des Lebens war da, aber die Sonne vor ihrem Scheiden gönnte ihm noch einmal einen Strahl ihres belebenden Lichts. Graf La Roche-Aymon war der letzte Adjutant des Prinzen. Seine Adjutanten, so weit ich es habe in Erfahrung bringen können, waren seit Beginn des siebenjährigen Krieges folgende: Graf Henkel (1757 und 1758); Graf Kalkreuth in der zweiten Hälfte des Krieges; nach dem Kriege: Kaphengst, Tauentzien, La Roche-Aymon. Nach dem Basler Frieden, der zugleich auch eine Art Ver- söhnung zwischen dem Prinzen Heinrich und seinem Neffen, dem König (Friedrich Wilhelm II. ) herbeigeführt hatte, erschien der Prinz wieder in Berlin, wenn auch ohne Freudigkeit und auf kürzere Zeit nur. Bei einer der statthabenden Festlichkeiten war es, wo der Graf La Roche-Aymon, der nunmehrige Adjutant des Prinzen, ein Fräulein v. Zeuner kennen lernte und von ihrer blendenden Schönheit hingerissen wurde. Er war seinerseits völlig dazu angethan, nicht blos bezaubert zu werden, sondern selbst zu bezaubern, und als der Prinz bei beginnendem Frühling nach Rheinsberg zurückkehrte, folgten ihm Graf und Gräfin La Roche- Aymon als eben vermähltes Paar. Caroline Amalie v. Zeuner war die Tochter eines Herrn v. Zeuner (seit 1786 Hofmarschall und Kammerherr der Königin- Mutter) aus seiner Ehe mit einer Gräfin v. Neale. Fräulein v. Zeuner selbst war Hofdame bei der Prinzessin Wilhelmine, als der Graf La Roche-Aymon sie kennen lernte. Sie war von mittlerer Figur, voll, vom weißesten Teint, und besaß, als besondere Schönheit, eine solche Fülle blonden Haares, daß es, wenn aufgelöst, bis zu ihren Knieen herabfiel und sie wie ein goldener Mantel überdeckte. Niemand kannte diese Schönheit besser als sie selbst, und noch in späteren Jahren wußte sie es stets so einzurichten, daß etwa ein- treffender Besuch sie im Negligée überraschen und das Haar bewun- dern mußte, dessen Fülle die Kammerjungfer kaum zu bemeistern vermochte. Wenn die Gegenwart des Grafen schon vorher ein Lichtblick an dem vereinsamten Hofe des Prinzen gewesen war, so war es jetzt, wo die Gräfin, wie „Prinzessin Goldhaar“ im Märchen, mit ihm zurückkehrte, als sollten die Tage alter Rheinsberger Herrlich- keit noch einmal anbrechen. An Stelle einer halb wüsten, halb pedantischen Alt-Junggesellenwirthschaft erschienen wieder die hei- teren Grazien, die auf die Dauer nur da zu Hause sind, wo jene Anregungen und jener süße Zwang sich einstellen, die un- zertrennlich sind von der Erscheinung schöner Frauen. Seit den Tagen Lisette Tauentziens hatte der Rheinsberger Hof diese An- regung und diesen Zwang nicht mehr gekannt. Der Freundschaftstempel mit seinen Inschriften, die die Liebe für eine Thorheit erklären, erschien nun selber wieder wie eine große Thorheit, und man speiste wieder mit Vorliebe auf der Remus-Insel, heitern, jubelnden Angedenkens aus jenen Tagen Friedrich’s her, als dieser noch der „Constant“ des Bayard- Ordens und nicht der Philosoph von Sanssouci war. Die Gräfin mit dem blonden Haar machte die Honneurs des Hauses; sie war Gast und Wirthin zugleich und der Prinz hing nicht nur an den graziösen Bewegungen der schönen Frau, er freute sich ihrer Ge- genwart überhaupt und bewunderte alles an ihr — ihre Augen, ihren Witz und selbst — ihre Kochkunst. Ein Abenteuer trat endlich störend dazwischen und warf einen Schatten über dies heitere Stillleben, das dem Prinzen theurer ge- worden war, als er sich selbst gestehen mochte. Prinz Louis Fer- dinand traf eben damals öfters zum Besuch in Schloß Rheinsberg ein, um seinem Oheim (den er beerben sollte) seinen Respekt zu bezeugen. Im Sommer 1800 kam er häufiger denn zuvor, kam und ging, ohne daß Wünsche und Gesuche laut geworden wären, die er sonst wohl vertraulich gegen den nachsichtigen Oheim zu äußern pflegte. Ein Geplauder im Park, eine Fahrt über den See, ein Gastmahl auf der Remus-Insel, während das Schilf leise im Nachmittagswinde rauschte, schien alles, worauf der Sinn des Prinzen gerichtet war. Die Gräfin saß neben ihm bei Tisch und trug einen Kranz von Teichrosen im Haar, den ihr der Prinz unter Lachen geflochten hatte; sie sah aus wie eine Wassernixe. So kam der Abend; lautlos glitten die Kähne über den See zu- rück, nur Flüstern und Lachen und dann und wann ein franzö- sisches Lied unterbrach die Stille. Der Prinz und die Gräfin fuhren im selben Kahn; wir wissen nicht, was heimlich versprochen wurde und was nicht, nur das Bild wollen wir zu malen suchen, das die nächsten Stunden brachten. Vor dem Fenster der Gräfin liegt ein Rasenstück, halb beschattet vom Blätterdach einer Platane, halb frei und offen im weißen Schein des Vollmonds. Aus dem Schatten heraus tritt der Graf, die Hand an den Degen gelegt; vor ihm, auf dem erhellten Rasenstück steht der Prinz; typische Gestalten aus Nord und Süd, so messen sie sich einander, beide gleich schlank, gleich groß, aber der eine blond, der andere von dunklem Teint und mit leuchtenden Augen. Am offnen Fenster steht die Gräfin; das herabwallende Haar schimmert in allen Farben und auf die ausgestreckten, bittenden Arme fällt das Mondlicht. Die Degen fuhren in die Scheide zurück. Man trennte sich mit einem „bis auf morgen.“ Der andere Tag sollte einen Zweikampf bringen, aber der alte Prinz legte sich in’s Mittel und die Sache unterblieb. Der Vorfall wurde nicht weiter berührt, aber man mühte sich umsonst ihn zu vergessen. Die Gräfin war das weiße Licht gewesen, dessen klarer, sprühender Helle sich jeder gefreut hatte; nun hatte das Licht seinen Dieb gehabt und eine leise Mißstimmung griff Platz. Der Rheinsberger Hof hatte nie als ein Tugendhof geglänzt, aber jeder sah sich ungern des Ideales beraubt, an das er geglaubt hatte. Alles blieb, wie es gewesen war und war doch anders. Die Gräfin war der Mittelpunkt des Kreises nach wie vor, aber mehr äußer- lich, und die Blicke, die sich auf sie richteten, sahen sie mit ver- ändertem Ausdruck an. Die letzten po ë tischen Momente des Prinz- Heinrich Hofes waren hin. Nur in den Beziehungen zwischen dem Prinzen und seinem Adjutanten änderte sich nichts. Die kritisch-militairischen Arbeiten des Grafen weckten mehr noch als früher das lebhafteste Interesse des Prinzen, der sich vielfach und in sehr eingehender Weise daran betheiligte. Dies Freundschafts-Verhältniß dauerte ununterbrochen fort, bis zum Tode des Prinzen, der noch wenige Monate vor seinem Tode, in seinen Dernières Dispositions, die Worte nieder- schrieb: „Ich bezeuge hierdurch zugleich dem Grafen La Roche- Aymon meinen lebhaften Dank für die zarte Anhänglichkeit ( ten- dre attachement ), die er mir während all der Zeit erwiesen hat, die ich so glücklich war, ihn in meiner Nähe zu haben,“ so wie denn auch anderweitig aus beinah jedem Paragraphen dieser Der- nières Dispositions hervorgeht, daß der Graf die eigentlichste Vertrauensperson des Prinzen war, derjenige, der seinem Herzen am nächsten stand. Der Prinz hatte darin sehr richtig gewählt. Der Graf vereinigte nach dem Zeugniß aller derer, die ihn gekannt haben, drei ritterliche Tugenden in ausgezeichnetem Maße: Muth, Diensttreue und kindliche Gutherzigkeit. Am 3. August 1802 starb der Prinz; sie trugen ihn in die Grabpyramide, die er sich erbaut hatte, und fügten die Steinplatte ein mit jener mehrerwähnten Inschrift: „Jetté, par sa nais- sance, dans ce tourbillon de vaine fumée,“ deren Wortlaut ich in den Anmerkungen gebe. In demselben Jahre (1802) gelangten Graf und Gräfin La Roche-Aymon in den Besitz des Gutes Koepernitz, das eines der sechs Erbzinsgüter war, die zum Amte Rheinsberg gehörten. Ob der Prinz erst in seinem Testamente oder umgekehrt schon bei Lebzeiten (kurz vor seinem Tode) diese Schenkung machte, habe ich nicht mit Bestimmtheit in Erfahrung bringen können. Wahr- scheinlich fand ein Scheinkauf statt, mit Hülfe von prinzlichem Gelde, das schließlich in die prinzliche Kasse zurückfloß. Koepernitz war nun gräfliches Besitzthum. Es scheint aber nicht, daß das gräfliche Paar auch nur vorübergehend das Gut bezog, vielmehr eilten sie nach Berlin, um endlich wieder zu ge- nießen, was sie, trotz aller Anhänglichkeit an den Prinzen, so lange entbehrt hatten — das Leben der großen Stadt . Das Gut wurde verpachtet und die Pacht-Erträge sollten ausreichen zu einem Leben in der Residenz. Das junge Paar, das große An- sprüche erhob, und nicht gewöhnt war, sich Wünsche zu versagen, sah bald, daß es die Rechnung ohne den Wirth gemacht hatte und der Graf, eben so bedürftig nach Sold, wie nach Beschäf- tigung, war doppelt froh, im Jahr 1805 dem Goecking’schen (ehemals Zieten’schen) Husaren-Regiment als Major aggregirt zu werden. Als solcher machte er die Schlacht bei Jena mit. 1807 wurde er Kommandeur des schwarzen Husaren-Regiments und zeichnete sich an der Spitze desselben durch eine glänzende Attacke bei Preußisch-Eylau aus. Napoleon, als er nach dem Kommandeur fragte, gerieth in heftigen Zorn, als er einen französischen Namen hörte. 1809 wurde der Graf Oberst und bearbeitete das Exercier- Reglement der Reiterei, wie er denn überhaupt vorzugsweise ein glänzender Cavallerie-Führer war. Seine Bücher über diesen Ge- genstand sollen werthvoll und bis diesen Augenblick kaum über- troffen sein. 1810 zum Inspekteur der leichten Truppen ernannt, machte er die Feldzüge von 1813 und 1814 auf preußischer Seite mit, ward General-Major und kehrte 1814 nach dem Sturz Napoleons wieder nach Frankreich zurück. 1815, während der hundert Tage, folgte er Ludwig XVIII. nach Gent, befehligte 1823 in dem catalonischen Heere eine Cavallerie-Brigade und wurde General-Lieutenant. In den Besitz aller seiner früheren Güter wieder eingesetzt, ward er (wahrscheinlich erst unter Louis Philipp) Marquis und Pair von Frankreich. Kurze Zeit vor der Februar-Revolution sah ihn ein alter Bekannter aus den Rheins- berger Tagen her, in der Pairskammer sich erheben und das Wort ergreifen; er hatte ihn in 46 Jahren nicht gesehn, seit jenem Tage nicht, wo der Marquis (damals Graf) dem Sarge des Prin- zen zur letzten Ruhestätte gefolgt war. Der Marquis starb im Jahr darauf (1849). Wir wenden uns zum Schluß der Gräfin zu. Sie war 1815, nach dem völligen Niederwerfen Napoleons ihrem Gatten nach Paris gefolgt und hatte, wiewohl schon über 40 hinaus, am Hofe Ludwigs XVIII. Huldigungen entgegen genommen, die, mit Rück- sicht auf den Ort, wo sie dargebracht wurden, fast die Triumphe ihrer Jugend in den Schatten stellten. Sie war noch immer eine schöne Frau und Teint und Haar von altem Glanz; hatte sie doch stets das Leben leicht genommen, und im Gefühl, für die Freude geboren zu sein, der anklopfenden Sorge nie geöffnet. Aber wenn sie auch kein Naturell hatte für den Gram, so war sie doch empfindlich gegen Kränkungen und diese blieben nicht aus. Sie war eitel und herrschsüchtig, und so leicht es ihr wurde, die leichte Moral der Hauptstadt und ihres eignen Hauses zu tragen, so unerträglich war es ihr, die Herrschaft im Hause mit einer Rivalin zu theilen . Das Blatt hatte sich gewandt und die alte Schuld der Rheinsberger Tage wurde spät gebüßt. Die Marquise entschloß sich, Paris aufzugeben, ein Vorwand wurde gefunden („der Pächter habe das Gut vernachlässigt“) und 1826 zog die Marquise in das schlichte Wohnhaus von Koepernitz ein. Dort hat sie noch 33 Jahre gelebt und Alt und Jung weiß von ihr zu erzählen. Sie war eine resolute Frau, klug, umsichtig, thätig, aber rechthaberisch, die, weil sie immer herrschen wollte, zuletzt schlecht zu regieren verstand. Es lag ihr mehr daran, daß ihr Wille , als daß das Richtige geschah, und die Schmeichler und Ja-sager hatten leichtes Spiel auf Kosten derer, die es wohl meinten. Sie hatte all die Schwächen alter Leute, die die Triumphe ihrer Jugend nicht vergessen können; aber was ihr bis zuletzt die Herzen Vieler zugethan machte, das war, daß sie trotz aller Schwächen und Unleidlichkeiten im Besitz einer wirklichen Vornehm- heit war. Sie glaubte an sich und darauf kommt es an. Ihre Beziehungen zum Rheinsberger Hofe und zum Prinzen Louis, nicht minder wohl die Huldigungen, die ihr am französi- schen Hofe zu Theil geworden waren, gaben ihr vor der Welt noch immer ein Ansehn, und Friedrich Wilhelm IV. kam nie in die Grafschaft Ruppin, ohne der Marquise auf Koepernitz seinen Besuch zu machen. Es traf sich, daß sie bei einem dieser Besuche, wie zu den Zeiten der Remus-Insel-Diners durch ihre Kochkunst wieder glänzen und den König durch eine Trüffel- oder Cervelat- Wurst (die Historie giebt hier der Phantasie des Lesers Spiel- raum) überraschen konnte. Der König bat sich davon für seine Potsdamer Küche aus und zum Weihnachtsabend kam das könig- liche Gegengeschenk: ein Collier aus goldenen Würstchen bestehend, die Speilerchen von Perlen, dazu ein verbindliches Schreiben mit dem Motto: „Wurst wider Wurst.“ Geschenk und Gegengeschenk wiederholten sich mehrfach, so daß sich zu dem Collier ein Armband, zu dem Armband ein Ohrgehänge gesellte, zuletzt eine Tabatière in Form einer kurzen, gedrungenen Zungenwurst, die Dose oben und unten mit Rubinen besetzt, äußerst werthvoll. Die Freude war groß, aber es war die letzte der Art. Aus den Zeitungen er- sah die Marquise bald darauf, daß einer der Hofschlächtermeister zu Potsdam, als Gegengeschenk für eine große Fest- oder Jubi- läumswurst (sogar unter Beifügung desselben Motto’s: „Wurst wider Wurst“) mit einer eben solchen Tabatière beschenkt worden war und die Sendungen in die Königliche Küche hatten von dem Augenblick an ihr Ende erreicht. Ihre letzten Lebensjahre brachten ihr noch einen andern inter- essanten Besuch. Ein Neffe des verstorbenen Marquis hatte diesen beerbt, und nicht zufrieden mit den französischen Gütern, die ihm zugefallen waren, machte er auch bei dem betreffenden Pariser Gerichts- hofe ein Verfahren anhängig, um sich das Gut seiner alten Tante, das alte Prinz Heinrich’sche Koepernitz, zu erprozessiren. In der ersten Instanz erklärten selbst die französischen Gerichte ihr „nein“; in der zweiten und dritten aber wurde das „nein“ in ein „ja“ umgewandelt, denn der Neffe des alten legitimistischen Marquis, war ein beson- derer Günstling Napoleons III. Der Günstling schickte Abge- sandte, um Koepernitz für ihn in Besitz zu nehmen, und als sich das nicht thun lassen wollte, erschien er endlich selber. Er nahm in Rheinsberg bescheidentlich einen Einspänner, umfuhr das ganze Gut, dessen Lage und Ausdehnung ihm wohlgefiel und fuhr dann vor dem Wohnhause der alten Tante vor. Diese empfing ihn auf’s artigste, und mit ganzem Aufwand jenes Ceremoniells, worin sie Meister war; als er aber den eigentlichen Zweck seines Kom- mens berührte, lachte sie ihn so herzlich aus, daß er sich artig, aber nicht ohne Verlegenheit von der alten „ma tante“ verab- schiedete. Er wurde nicht wieder gesehn. Dieser Neffe aber, der im Einspänner von Rheinsberg nach Koepernitz fuhr, ist niemand an- ders, als der jetzige Befehlshaber der französischen Armee in Rom — General Goyon . Die Marquise war eine stolze, selbstbewußte Frau, voll ari- stokratischer Vorurtheile, aber auch, wie schon angedeutet, voll ari- stokratischer Tugenden. Ich mag nicht sagen, daß sie das wahrhaft Adlige repräsentirte, aber doch die Vornehmheit einer nun zu Grabe getragenen Zeit, eine Vornehmheit, die unter Umständen von der Gesinnung abstrahiren konnte und ihr Wesen in eine meisterhafte Behandlung des Formellen setzte. Oft kam es dabei, daß sich die Form mit dem Wesen der Vornehmheit identificirte. Die Formen der Marquise waren von der gewinnendsten Art; voller Grazie, nichts Steifes, Langweiliges und innerhalb gewisser Grenzlinien, voller Freiheit und selbst voll Originalität. Herrschen und ein großes Haus machen, waren ihre zwei Leidenschaften; je mehr Kutschen im Hofe, desto wohler wurde ihr ums Herz, und je mehr Lichter im Hause brannten, desto heller sprühte ihr Geist. Dann kamen die alten Zeiten wieder zurück. Sparsam sonst und eine Frau, bei der die Rechnungsbücher stimmen mußten, erschrak sie an solchem Tage vor keinem Opfer, ja der Gedanke berührte sie keinen Augenblick, daß es überhaupt ein Opfer sei. Nach Sitte der Zeit, in der sie jung gewesen war, lebte sie in ihren Zimmern wie in einer Arche Noäh, und vom Kakadu an bis herunter zu Kanarienvogel und Eichhörnchen, fand sich alles beisammen. Katzen und Hunde waren natürlich die Lieblinge und durften sich alles erlauben, ja, eintretender Besuch pflegte, bevor die Dame vom Hause selbst erschien, in nicht geringe Verlegenheit zu gerathen, wo überhaupt Platz zu nehmen sei. Aber mit dem Erscheinen der alten Marquise war alles vergessen, man sah die Unordnung nicht mehr und was bis dahin lästig gewesen war, wurde eigenthümliches und charakteristisches Ornament. Ihre Rede und ihre Handbewe- gungen machten sie sofort zum dirigirenden Mittelpunkt und alles klang zu einem heitern Concert zusammen. Wurden die Tage des Prinzen Heinrich zum Gegenstand der Unterhaltung, so vergingen die Stunden wie im Fluge, ihr selbst und andern. Ihr Tod war wie ihr Leben; er hatte einen Roccoco-Cha- rakter, wie das Sopha, auf dem sie starb und wie die Tabatière, die vor ihr stand. Ihre Lieblingskatze hatte sie in die Lippe ge- bissen, — daran starb sie, 89 Jahr alt, am 18. Mai 1859. Mit ihr wurde die letzte Repräsentantin der Prinz-Heinrich-Zeit zu Grabe getragen. Noch leben einzelne, die sich aus ihren Kinder- jahren her des Prinzen entsinnen, der „sehr häßlich war und gar nicht aussah wie ein Prinz,“ aber die Marquise La Roche-Aymon war die letzte, die mit auf der Bühne jener Tage thätig und eine bewunderte Zierde derselben gewesen war. Zernikow. „So heute Mittag die Sonne scheint, werde ich ausreiten; kom doch am Fenster, ich wollte dihr gerne sehn.“ Friedrich an Fredersdorff. I n der Nähe von Boberow-Wald und Huvenow-See liegt noch ein anderer Güter-Complex, der durch den Aufenthalt des Kron- prinzen Friedrich in Rheinsberg mittelbar zu historischem Ansehn gelangt ist — ich meine die sogenannten Fredersdorff’schen Güter, die Friedrich der Große beinah unmittelbar nach seiner Thron- besteigung seinem Kammerdiener Fredersdorff zum Geschenk machte. Ursprünglich bestand die Schenkung nicht aus jenen vier Besitzun- gen, die man jetzt wohl als „Fredersdorff’sche Güter“ zu bezeichnen pflegt, es war vielmehr ein einziges Gut nur, Zernikow , das Kronprinz Friedrich am 17. März 1737 von Lieutenant Claude Benjamin le Chenevix de Beville gekauft hatte und nach dreijäh- rigem Besitz (er hatte es verpachtet) unterm 26. Juni 1740 sei- nem Kammerdiener urkundlich vermachte. Erst nach zehn Jahren begann Fredersdorff elber sein Besitzthum durch Ankauf zu erwei- tern; 1750 erwarb er Kelkendorf (wahrscheinlich von „Kelke,“ d. h. Schafgarbe); 1753 Dagow und 1755 Burow. Dagow ist seitdem wieder aus der Reihe der Güter ausgeschieden, Schulzen- hof aber andererseits angekauft worden, so daß der Besitzstand nach wie vor aus vier Gütern besteht. Das Wenige, was man über Fredersdorff weiß, ist oft gedruckt worden; außerdem hat Friedrich Burchardt in seinem Buche „Friedrichs II. eigenhändige Briefe an seinen geheimen Kämmerer Fredersdorff“ diesen Briefen noch eine Biographie Fredersdorff’s beigegeben. Ich verweile deshalb nicht bei Aufzählung bekannter Thatsachen und Anekdoten (deren Verbürgtheit zum Theil sehr zweifelhaft ist) und beschränke mich darauf, bei jenem einzig neuen Resultat einen Augenblick stehn zu bleiben, welches die inzwischen erfolgte Durchsicht der Gartzer Kirchenbücher hinsichtlich der Her- stammung Fredersdorff’s ergeben hat. Bekanntlich galt es bisher für zweifelhaft, ob Fredersdorff zu Gartz in Pommern (4 Meilen von Stettin) oder in Mittel- deutschland geboren sei, ja die Mehrzahl der Ansichten neigte sich der letztern Ansicht zu und bezeichnete ihn als einen durch Werber aufgebrachten wohlhabenden Kaufmannssohn aus Franken. Diese Ansicht aber ist jetzt mit Bestimmtheit widerlegt. Im Gartzer Kirchenbuche findet sich die Angabe, daß ein dem Stadtmusikus ( musicus instrumentalis ) Fredersdorff geborner Sohn am 3. Juni 1708 getauft worden sei und die Namen Michael Gabriel er- halten habe. Da nun der Kammerdiener Fredersdorff nach über- einstimmenden Nachrichten wirklich Michael Gabriel hieß (siehe z. B. die Schenkungs-Urkunde vom 26. Juni 1740 in den An- merkungen) und wirklich 1708 geboren wurde, so kann nicht gut ein längerer Zweifel in dieser Streitfrage walten. Zwar findet sich auf Fredersdorff’s Bild in der Zernikower Kirche die Angabe: „geboren am 6. Juni 1708“ (wonach er nicht am 3. Juni ge- tauft sein kann), diese Angabe ist aber entweder ein geringfügiger Irrthum, wie sie auf derartigen Bildern sehr häufig vorkommen, oder es hat sich umgekehrt bei Eintragung ins Kirchenbuch ein Fehler, eine Unachtsamkeit eingeschlichen. Vielleicht muß es heißen am 13. Juni, und die Eins ist entweder verwischt oder beim Eintragen übersehn. Fredersdorff war 18 Jahre lang, von 1740—1758, in Besitz von Zernikow, und wir werfen nunmehr die Frage auf, ob er dem Dorf und seinen Bewohnern ein Segen war oder nicht? 10 Wir müssen die Frage durchaus zu seinen Gunsten beantworten. Wie er trotz Ehrgeiz und einem unverkennbaren Verlangen nach Ansehn und Reichthum, doch übverwiegend eine liebenswürdige und gutgeartete Natur gewesen zu sein scheint, so erwies er sich auch als Gutsherr mild, nachsichtig, hülfebereit. Seine Bauern und Taglöhner hatten gute Tage. Wie den Bewohnern, so war er dem Dorfe selbst ein Segen. Die meisten Neuerungen, so weit sie nicht blos der Verschönerung dienen, lassen sich auf ihn zurück führen. Er fand eine vernachlässigte Sandscholle vor und hinter- ließ ein wohlkultivirtes Land, dem er theils durch Anlagen aller Art, theils durch Ankauf von Wiesen und Wald das gegeben hatte, dessen es zumeist benöthigt gewesen war. Die Thätigkeit, die er entwickelte, war groß. Kolonisten und Handwerker wurden herangezogen und Weberei und Strohflechterei von fleißigen Hän- den betrieben. Zu gleicher Zeit und mit Vorliebe nahm er sich des Seidenbau’s an. Gärten, Wege und Alleen wurden mit Maul- beerbäumen bepflanzt, schon 1747 standen deren 8000 und das Jahr darauf hatte er zum ersten Mal einen Reinertrag aus der gehaspelten Seide. Kaum daß er ein Stück guten Lehmboden auf seiner Feldmark gefunden hatte, so entstand eine Ziegelei, und schon 1746 erbaute er aus selbstgebrannten Steinen das noch jetzt exi- stirende Wohnhaus. Im selben Jahre führte er auch, eben so wie in Spandau und Coepnick, große Brauerei-Gebäude auf, in denen das so beliebt gewordene und nach ihm genannte „Fredersdorffer Bier“ gebraut wurde. In allem erwies er sich als der gelehrige Schüler seines königlichen Herrn, und an der ganzen Art und Weise, wie er die Dinge in Angriff nahm, ließ sich erkennen, daß er den organisatorischen Plänen des Königs mit Verständniß zu folgen und sie als Vorbild zu verwerthen verstand. Er mochte es dabei, besonders was die Mittel zur Ausführung anging, leichter haben als mancher Andere, da ein König, der ihm schreiben konnte: „Wenn ein Mittel in der Welt wäre, Dir in 2 Minuten zu helfen, so wollte ich es kaufen, es möchte auch so theuer sein wie es immer wollte“ sehr wahrscheinlich auch bereit war, durch Ge- schenke und Vorschüsse aller Art zu helfen; es scheint aber doch, daß diese Hülfen nur innerhalb beschränkter Grenzen blieben und daß die Meliorationen erst von 1750 ab einen größeren Maßstab annahmen, wo sich Fredersdorff mit Caroline Marie Elisabeth Daum, der reichen Erbtochter des schon 1743 verstorbenen Ban- quier Daum vermählt hatte. Wenigstens beginnen von da ab erst jene Güterkäufe, deren ich schon oben erwähnt habe. Fredersdorff lebte mit seiner jungen Frau in einer sehr glücklichen, aber kinder- losen Ehe. Daß er andauernd in Zernikow gewesen sei, ist nicht anzunehmen; doch scheint es, daß er von 1750 ab (also nach seiner Vermählung) wenigstens so oft wie möglich auf seinem Gute war und namentlich die Sommermonate gern daselbst ver- brachte. Daß er seine alchymistischen Künste und Goldmache-Ver- suche auch in ländlicher Zurückgezogenheit geübt habe, ist nicht zu ermitteln gewesen, auch nicht wahrscheinlich. Er starb zu Potsdam, in demselben Jahre (1758), das seinem königlichen Herrn so viele schwere Verluste brachte, und seine Leiche wurde nach Zernikow übergeführt. Michael Gabriel Fredersdorff war am 12. Januar 1758 gestorben; 1760 vermählte sich seine Wittwe zum zweiten Male mit dem aus Pommern stammenden, Geheimen Stiftsrath zu Quedlinburg, Hans Freiherrn v. Labes, der, ursprünglich bürger- lich, erst später vom Kaiser in den Adelsstand erhoben worden war. Auch Freiherr v. Labes that viel zur Verschönerung des Guts; Linden-Alleen wurden gepflanzt, ein englischer Park ange- legt und der frühere Fasanengarten zu einem Thiergarten mit Fischteichen, Wasserleitungen und Pavillons umgeschaffen. Er scheint andauernder als Fredersdorff in Zernikow gelebt zu haben und verschied daselbst am 27. Juli 1776. Frau v. Labes, nachdem sie durch milde Stiftungen, besonders durch Erbauung eines Hospi- tals segensreich gewirkt hatte, starb am 10. März 1810, achtzig Jahr alt, mehr denn 50 Jahre nach dem Tode ihres ersten Gatten. 10* Aus ihrer zweiten Ehe waren ihr zwei Kinder geboren worden, ein Sohn und eine Tochter . Der Sohn, Geheimer Legationsrath von Labes, vermählte sich mit einer Tochter des Grafen Görz- Schlitz, wurde selbst in den Grafenstand erhoben und nahm, nach der Burg Schlitz, die er sich im Mecklenburgischen erbaut hatte, den Namen Graf Schlitz an. Dieser Graf Schlitz starb 1831. Er hinterließ nur eine Toch- ter, die sich 1822 dem Grafen Bassewitz vermählte, der seitdem den Namen Graf Bassewitz-Schlitz führte. Das einzige Kind dieser Ehe, eine Tochter, wurde nur 11 Jahr alt; von den Eltern starb die Mutter 1855, der Vater, Graf Bassewitz-Schlitz, im Juli 1861. Beide wurden auf Hohen-Demzin, einem in der Nähe von Burg Schlitz gelegenen Familiengute beigesetzt. Schon 1855, also nach dem Tode der Gräfin, waren die Fredersdorff’schen Güter auf die weibliche Linie, d. h. also auf die Nachkommenschaft der Tochter der Frau v. Labes übergegangen. Diese Tochter war seit 1777 an den Freiherrn Joachim Erdmann v. Arnim vermählt, starb aber schon im Jahre 1781 in Folge ihrer zweiten Entbindung, nachdem sie dem später berühmt gewordenen Achim von Arnim das Leben gegeben hatte. Sie hinterließ zwei Söhne: Carl Otto Ludwig von Arnim, geb. am 1. August 1779 und Carl Friedrich Joachim Ludwig von Arnim ( Achim von Arnim ), geb. am 26. Januar 1781. Von diesen beiden Brüdern starb der jüngere bekanntlich schon am 21. Januar 1831; der ältere (gemeinhin Pitt-Arnim geheißen) ererbte die Fredersdorff’schen Güter nach dem 1855 erfolgten Tode der Gräfin Bassewitz-Schlitz. Er ist 6 Jahre lang im Besitz der Güter geblieben, bis zu seinem am 9. Februar 1861 erfolgten Tode. Da er kinderlos verstarb, so waren seine Neffen und Nichten, die Kinder Achims von Arnim und der Bettina Brentano die nächsten Erben. Diese Kinder, drei Söhne und drei Töchter, sind jetzt die Besitzer von Zernikow. Zernikow besitzt neben einer sehenswerthen Kirche, in der sich — eben so wie im Herrenhause daselbst — die Portraits von Fredersdorff, dem v. Labes’schen Ehepaar und von deren Tochter, der 1781 verstorbenen Frau v. Arnim befinden, auch ein mit Geschmack und Munificenz hergestelltes Grabgewölbe, das Frau v. Labes bald nach dem Tode ihres zweiten Gemahls errichten ließ. Es trägt an seiner Front die Inschrift: „Fredersdorff’sches Erb- begräbniß, errichtet von dessen hinterlassenen Wittwe, gebornen Caro- line Marie Elisabeth Daum, nachmals verehelichten v. Labes. Anno 1777.“ Darunter in goldnen Buchstaben folgende verschlungene Namenszüge: MGF (Michael Gabriel Fredersdorff) und CMED (Caroline Marie Elisabeth Daum). Sofort nach der Vollendung dieses Grabgewölbes nahm Frau v. Labes in dasselbe die sterb- lichen Ueberreste ihrer Ehegatten Fredersdorff und von Labes auf, welche sich bisher in einer Gruft unter der Kirche zu Zerni- kow befunden hatten. Der mit Leder überzogene und mit vergoldeten Füßen und Handhaben versehene Sarg Fredersdorff’s, auf dem sich noch die Patrontasche befindet, die derselbe während seines Militärdienstes im Schwerin’schen Regiment getragen hat, steht an der rechten Seitenwand; der Sarg des Freiherrn von Labes unmittelbar dahinter. Vier Jahre später gesellte sich zu diesen beiden Särgen ein dritter. Noch nicht zwanzig Jahr alt, war die mehrgenannte Frei- frau Amalie Caroline v. Arnim, einzige Tochter der verwittweten Frau v. Labes, im Januar oder Februar 1781 zu Berlin gestor- ben und wurde von dort nach Zernikow übergeführt. Ihr Sarg, in dessen Deckel ein kleines Fenster befindlich ist (eine unschöne Aeußerung der Pietät, der man in jener Zeit öfters begegnet) steht an der Hinterwand des Gewölbes und noch jetzt finden sich auf demselben Kränze und Gedichte, die von der Hand der Mutter geschrieben sind. Am 10. März 1810 entschlief die alte Freifrau selber und nahm, ihrem letzten Willen gemäß, nach Freud und Leid dieser Welt, ihren letzten Ruheplatz an der Seite derer ein, die ihr das Theuerste gewesen waren. Auch auf dem Deckel ihres überaus prachtvollen Sarges ist ein kleines Fenster angebracht, durch das man die entseelte Hülle der alten Freifrau erblickt. Auf allen vier Särgen befinden sich die Familienwappen; auf drei derselben auch Name, Geburts- und Todestag. Ueber 50 Jahre vergingen, eh ein neuer Ankömmling vor der Gitterthür hielt und Raum in der Familiengruft beanspruchte. Alles, was den Namen Graf Schlitz angenommen hatte, hatte sich auch im Tode noch von Zernikow, dem ursprünglichen Familiengut, geschieden und dem Graf Schlitz’schen Mausoleum auf Hohen Demzin den Vorzug gegeben; — nicht so der älteste Sohn der Tochter der Frau von Labes. Am 16. Februar 1861 öffneten sich die schweren Gitterthüren des Fredersdorff’schen Erbbegräb- nisses noch einmal und der Sarg des Oberst-Schenk Carl Otto Ludwigs von Arnim wurde neben Mutter und Großmutter bei- gesetzt. Seine Inschrift lautet: Dubius non impius vixi, Incertus morior, non perturbatus; Humanum est nescire et errare. Ens entium miserere mei. In Zweifeln hab’ ich gelebt, nicht unfromm, In Ungewißheit sterb’ ich, nicht zitternd; Nichtwissen und irren ist Menschenloos. Ding aller Dinge erbarme dich mein. Sein jüngerer Bruder, Achim von Arnim, ist auf dem Fami- liengut Wiepersdorf bei Dahme begraben; auch Bettina (gest. 1859 zu Berlin) ruht ebendaselbst. Gantzer. Wohl hab’ ich euer Grüßen, Ihr Ahnen mein, gehört, Eure Reihe soll ich schließen, — Wohl mir, ich bin es werth! N ach längerem Verweilen im Norden der Grafschaft Ruppin, auf jenem Stück Land zwischen Boberow-Wald und Huvenow- See, das durch die Prinz-Heinrich-Zeit und mehr noch durch den vorübergehenden Aufenthalt des Kronprinzen Friedrich, ein histo- rischer Boden geworden ist, kehren wir nach dem Süden der Grafschaft zurück, in die Nähe des Ruppiner See’s, von wo aus wir unsere Reise begannen. Das Dorf Gantzer, ein alter Besitz der Familie Wahlen- Jürgaß, liegt 2 Meilen westlich von dem Alt-Zietenschen Wustrau und die Beziehungen, die zwischen diesen beiden alten Familien (nun beide ausgestorben) seit drei Jahrhunderten geherrscht haben, das Ansehn, das namentlich seit den Tagen Hans Joachims v. Zie- ten, die Jürgasse durch ihr langjähriges Versippt- und Verschwä- gertsein mit der berühmteren Nachbar-Familie gewonnen haben, diese Beziehungen sind es, die unsere Schritte nach Dorf Gantzer lenken, um Umschau zu halten nach allem, was von den Jürgasses geblieben ist, nach Haus und Hof, oder — nach Grab und Kreuz. Beide Familien, die Zieten und die Jürgaß, waren recht eigentlich Ruppinsche Geschlechter, seßhafte Leute, die durch die Jahr- hunderte hin schlicht gelebt und treu gedient und den Boden ihrer Väter in Ehren gehalten hatten. Hans Zieten zu Wildberg (nur eine Viertelmeile von Gantzer), war geschworner Rath des letzten Grafen zu Ruppin und begleitete ihn nach Worms auf den gro- ßen Reichstag (1517); um dieselbe Zeit aber saßen auch schon die Jürgaß auf Gantzer und werden 1525 urkundlich genannt. Von da ab gehen beide Nachbar-Familien in Leid und Freude mit und neben einander, um schließlich auch, wie ein altes Paar, gemein- schaftlich in den Tod zu gehen. Um anzudeuten, wie vielfach beide Familien verschwägert waren, stehe hier nur Folgendes. Die Mut- ter des berühmten alten Zieten war Ilsabe Catharina von Jürgaß aus dem Hause Gantzer (geb. 1666) und die erste Frau des alten Zieten war wiederum eine Jürgaß (Leopoldine Judith, ge- boren 1703). Aus dieser Ehe, zwischen Hans von Zieten und Ju- dith von Jürgaß, wurde eine Tochter geboren, Fräulein Johanna von Zieten, die sich mit Rudolf von Jürgaß vermählte, der selbst wieder ein Sohn Joachims von Jürgaß aus seiner Ehe mit Luise von Zieten war. Man wird an diesem einen Beispiel erkennen, daß die Ver- wandtschaft zwischen den beiden Familien eine oft 5- und 6-fache und in ihren verschiedenen Graden nicht mehr zu verfolgen war. Es waren nur noch zwei Familien dem Namen nach, während längst dasselbe Blut in den Adern hüben wie drüben floß. Gantzer, der alte Herrensitz der Wahlen-Jürgaß, ist um eben dieser Familie willen ein Dorf von einem gewissen special-histori- schen Belang, aber nicht minder fast gewährt es, rein äußerlich, durch Erscheinung und Bauart ein topographisches Interesse. Es ist nämlich ein noch übrig gebliebenes Musterstück aus jener Zeit her, wo ein Dorf nicht aus einem Rittergute, sondern in den meisten Fällen aus zwei und vier und selbst sechs Edelhöfen bestand, die dann freilich ihrer Ausdehnung, wie ihrer Erscheinung nach, mehr einem Bauernhofe als einem Rittergute glichen. Auch Gantzer gehörte in alter Zeit 4 Familien: von Jürgaß, von Rohr, von Kröcher und von Wuthenow, aber aus dieser Viertheilung wurde später eine Zweitheilung, indem der ganze Grundbesitz durch Kauf oder Tausch oder Erbschaft an die Rohr und die Jürgaß überging. Das war ohngefähr zu Anfang des vorigen Jahrhun- derts und das Dorf nahm allmälig den Charakter eines zweige- theilten Besitzes an. Diesen Charakter hat es sich bis diesen Tag in einer so markanten und zugleich so malerischen Weise gewahrt, wie mir kein zweites Beispiel in der Grafschaft bekannt geworden ist. Wir halten vor der breiten Dorfgasse und schwanken, ob wir unser Fuhrwerk nach links oder rechts lenken sollen, denn einander gegenüber stehen zwei Krugwirthschaften, beide mit dem üblichen Vorbau, beide mit Stehkrippen und beide mit einem Wirth in der Thür. Wir entscheiden uns endlich für links und sind, ohne es zu wissen, auf der Rohr ’schen Seite gelandet. Die Dorfgasse macht die Grenze, was links liegt, ist alter Rohr’scher, was rechts liegt, alter Jürgaß’scher Besitz. Jede Seite hat ihren Krug, ihr Herrenhaus, ihren Park, nur die Dorfgasse ist das Gemeinschaftliche und Kirche und Kirchhof. Wir haben im Krug ein Gespräch angeknüpft und über die beiden alten Herren von Jürgaß (es waren zwei Brüder) zu plau- dern gesucht, die nun seit zwanzig Jahren und drüber das Zeit- liche gesegnet haben, aber sei es, daß unser Wirth, als „Rohr- scher,“ sich um die Jürgasse von drüben niemals recht gekümmert hat, oder sei es, daß 25 Aussaaten und Erndten, die zwischen jetzt und damals liegen, die Bilder der beiden alten Herren in seiner Erinnerung abgeblaßt haben, gleichviel, seine Mittheilungen beschränken sich darauf, „dat de een en beten streng wör“ und „dat de anner et ümmer weer good machen un ’nen Daler gewen däht, wenn de Broder to streng west wor.“ „Aber — so schloß er — he däht et so, dat de Broder nischt merken kunnt.“ Wir verabschieden uns nun und treten in die malerische Dorf- gasse hinaus. Prächtige alte Bäume: Pappeln und Eichen, Kasta- nien und Rüstern, dazwischen Ebreschenbäume mit ihren lachenden rothen Beeren, fassen den Weg ein und geben Schatten. Links vom Wege, von hohen Ulmen und Linden rings umstellt, schim- mern die weißen Wände des alten Rohrschen Herrenhauses zu uns herüber, ein weitschichtiger, ungeschlachter Fachwerkbau, mit schwer- fälligen Flügeln und Doppeldach, halb gemüthlich, halb spukhaft, je nach der Stimmung, in der man sich ihm nähert, oder je nach der Beleuchtung, die um die Kronen der alten Ulmen spielt. Dem Rohrschen Herrenhause folgen Kirche und Kirchhof, ebenfalls zur Linken des Wegs und von der Dorfstraße etwas zurück gelegen. Schulhaus und Predigerhaus flankiren die Kirche nach vornhin, zwischen den beiden Häusern aber breitet sich ein Garten aus, der, nach hinten zu leise ansteigend, sich zwischen den Gräbern des Kirchhofs verliert. Dazu Baumesrauschen und Bienensummen, — träumerisch verfolgt man die Steige des Gartens, bis man plötz- lich, statt zwischen Beeten zwischen Gräbern steht. Unwissentlich, ohne eine Grenze bemerkt zu haben, hat man den Schritt aus Leben in Tod gethan. Die Kirche, die mit dem Chor nach der Straße zu steht, ist ein alter gothischer Bau mit einem Schindelthurm aus späterer Zeit; eingehüllt in Ephen und hier und da von Geisblatt um- rankt, steht sie da, eine echte alte Dorfkirche, wie sie Sinn und Herz erfreut. Das Innere ist einfach und erhält nur durch die Zweitheilung wieder einen bestimmten Charakter, dem man beim Eintreten sofort begegnet. Links die Rohr’sche, rechts die Jürgaß- sche Seite; links ein paar Rohr’sche Galanterie-Degen aus der Zeit der Zöpfe und Perrücken, rechts ein Jürgaß’scher Säbel und Federhut aus der Zeit der Freiheitskriege; links eine Rohr’sche Familiengruft, rechts eine Jürgaß’sche. Die Jürgaß’sche Gruft ist mehr eine Grabkammer in gleicher Höhe mit dem Kirchenschiff, so daß man durch ein Fensterchen die aufgeschichteten Särge erblickt; nirgends Bild oder Schmuck. Anders die Rohr’sche Gruft; ober- halb der Thür ist die Marmorbüste eines Rohr aufgerichtet, eine treffliche Arbeit (vielleicht von Glume), die wohl verdient hätte, durch eine andre Inschrift, als die folgende, eingefaßt zu werden: „Bedaure und verehre billiger Wandersmann hier noch die Asche eines Ruhmwürdigen, eines im Leben Gerechten, im Tode Unver- zagten, dessen Rath Land und Leuten treulich gerathen , aber wider des Todes allgemeinen Einbruch als eines Landraths (d. h. trotzdem er ein Landrath war) nichts vermochte. Seine Schwach- heit und Stärke siegen zugleich. Seine Stärke durch weisen Rath wider die Unsterblichkeit. Darum stößt die Fama durch Posaunen noch seinen Ruhm aus und die flüchtige Zeit kann seine ruhm- würdigen Thaten nicht verbergen noch zernichten. Sein Lorbeer- kranz grünt mitten unter Cypressen und sein Palmbaum trägt Früchte in Apollens Garten, wo Mars ihm von ferne steht und den Zutritt scheuet wie ein Unbekannter. Die Schwachheit siegt durch’s Alter und trägt die Krone des Lebens im Glauben davon am Ende.“ Einzelne Stellen dieser Grabschrift sind völlig unverständlich; am schönsten ist unbedingt der Passus, wo Mars, in seines Nichts durchboh- rendem Gefühle, sich genirt dem alten Rohr unter die Augen zu treten. Alle diese Inschriften, in denen der Lebensberuf des Hingeschiedenen zu allerhand Wortspielen benutzt wird (hier also „Landrath“), haben ihr un- erreichtes Vorbild in der berühmten Postmeister-Grabschrift zu Salzwedel. Sie lautet: „Eile nicht, Wandersmann! als (wie) auf der Post; auch die geschwindeste Post erfordert Verzug im Posthause. Hier ruhen die Ge- beine Herrn Matthias Schulzen, Königl. Preußischen 25jährigen, unter- thänigst treu gewesenen Postmeisters zu Salzwedel. Er kam allhier 1655 als ein Fremdling an. Durch die heilige Taufe ward er in die Post- charte zum himmlischen Canaan eingeschrieben. Darauf reisete er in der Lebens-Wallfahrt durch Schulen und Akademieen mit löblichem Verzug. Hernach bei angetretenem Postamte und anderen Berufssorgen richtete er sich nach dem göttlichen Trostbriefe. Endlich bei seiner Leibes-Schwachheit, dem gegebenen Zeichen der ankommenden Todespost, machte er sich fertig. Die Seele reisete den 2. Junius 1711 hinauf in’s Paradies, der Leib hernachmalen in dieses Grab. Gedenke Leser bei Deiner Wallfahrt bestän- dig an die Prophetische Todespost Jes. 38, 1.“ Die Jürgaß’sche Gruft ist ohne Schmuck und Bild, aber draußen auf dem Kirchhof, zwischen Blumen und Gräbern, steht ein mächtiges Monument, das nicht einem einzelnen Todten, son- dern dem ganzen aus diesem Leben geschiedenen Geschlechte er- richtet ist. Die beiden letzten Jürgaße (de strenge un de gode Herr) wiesen in ihrem Testamente eine bedeutende Summe zur Aufführung dieses Monumentes an, und mit Gewissenhaftigkeit sind die Testaments-Vollstrecker diesem letzten Willen nachgekommen. Es ist kein Grabmal, sondern ein Monument („dem Andenken der Familie von Jürgaß errichtet“) und stellt eine nach allen vier Seiten hin geöffnete Nische dar, in der gesenkten Blickes ein Engel des Friedens steht. Der ganze Bau besteht aus drei Etagen, aus einem hohen Postament von Sandstein, das zunächst einen Eisen- würfel, und auf dem Würfel die Engelsgestalt und die gothische Nische trägt. Der Eisenwürfel ist mit Inschriften überdeckt. Was im Durchlesen dieser Inschriften am meisten überrascht, ist das, daß die beiden letzten Jürgaße einer überaus zahlreichen Familie angehörten (es waren 8 Brüder und eine Schwester), daß aber alle 8 Brüder starben ohne Kinder hinterlassen zu haben; — ein neuer Beweis, daß der Proceß des Lebens nach frischem Blut verlangt. Von den Inschriften mögen hier nur die beiden stehen, die, auf lang oder kurz hin die Namen der beiden letzten Jürgaße der Nachwelt erhalten werden. Auf dem Seitenfeld zur Linken lesen wir wie folgt: Herr Alexander Constantin Maximilian von Wahlen-Jürgaß, Königlich Preußischer General-Lieutenant von der Cavallerie, Drost zu Stück- hausen, Ritter vieler hohen Orden, Erbherr auf Trieglitz, geboren den 15. Junius 1758 zu Gantzer, focht von 1778 bis 1816 in allen Preußischen Kriegen, wohnte 26 Schlachten und Haupt- gefechten bei, ward bei Hainau durch den Schenkel und bei Ligny durch die Brust geschossen. Ein Muster der Tapferkeit und der Herzensgüte , geehrt und geliebt von seinem Könige und von jedermann , starb er zu Gantzer den 8. November 1833. (Dies ist „de gode Herr.“ Weitere biographische Notizen, namentlich über seine militärische Laufbahn, gebe ich in den Anmerkungen. Uebrigens bemerke ich schon hier, daß das obengenannte Familien- gut Trieglitz und nicht Trieplatz heißt, wie man gelegentlich ge- druckt findet. Trieplatz ist ein alt-Rohrsches Nachbargut.) Auf dem Seitenfelde zur Rechten begegnen wir einer doppelten Grabschrift, und zwar der des letzten Jürgaß und seiner Ge- mahlin, der letzten Zieten . Die erste Inschrift lautet: Franz Carl Wilhelm Rudolf von Wahlen-Jürgaß, Erbherr auf Gantzer und Trieglitz, ward geboren den 14. Sept. 1752 zu Gantzer, und verstarb daselbst, im 82. Jahre, den 26. Juni 1834, als das letzte Glied seiner Familie . Er war der treuste Freund seiner Freunde, und alle, die ihn näher kannten , schätzten ihn hoch. (Dies ist der ältere Bruder, „de en beten streng wor.“) Die an- dere Inschrift lautet: „Frau Johanna Christiana Sophie von Wahlen-Jürgaß geborne von Zieten aus dem Hause Wustrau, ward geboren den 23. Januar 1747 und ehelich verbunden am 23. October 1776 mit Rudolf von Wahlen-Jürgaß, Erbherr auf Gantzer und Trieglitz. Ein Muster weiblicher Tugenden und Größe entschlief sie sanft den 7. Juni 1829.“ Diese Frau, diese letzte Zieten ist es, die uns nach Gantzer geführt, und voll der Erwartung, in dem Dorfe, dem sie so lange angehört, noch ihrem Andenken zu begegnen, treten wir jetzt von dem Kirchhof aus in die Dorfgasse zurück und setzen unsere Wan- derung bis zum alten Herrenhause der Jürgaß fort. Ein Hecken- zaun trennt das Haus von der Gasse, rechts lehnen sich die Wirthschaftsgebäude und links die Bäume des Parks so dicht wie möglich an die Giebel und geben ein freundliches Bild, aber zu- gleich ein Bild äußerster Schlichtheit. Wären nicht die Edeltannen des Parks, und die Malven, die in allen Farben ein Stück eng- lischen Rasen umstehn, man würde eine einfache Pachterswohnung, aber keinen Edelhof hinter diesem Heckenzaun vermuthen. Eine Pachterswohnung ist es nun freilich jetzt . Wir treten ein und werden bestens bewillkommt; die junge Frau vom Hause kommt unsrer Neugier freundlich entgegen, zeigt uns Küch’ und Keller, und das Zimmer, wo General Blücher geschlafen, In der Nacht vom 25. auf 26. Oktober war Blücher mit seinem Corps, das später, nach tapfrem Widerstand, in Lübeck kapituliren mußte, hier in Gantzer. und führt uns endlich in den Park hinaus, auf dessen sonnigem Rasenplatz die Schatten der leise bewegten Zweige hin und her tanzen. Wir nehmen Platz unter einer breitblättrigen Platane, wo Tisch und Bank zum Plaudern einladen, und während (ich habe solche Wahl getroffen) Milch und Blaubeeren auf den Tisch gestellt werden, gesellt sich eine Anverwandte des Hauses zu uns, eine schlanke Dame von nah an vierzig, mit dunklen Augen und feingeformtem Mund. Die junge Frau, die bis dahin die Kosten der Unterhal- tung mühsam bestritten hat, ist augenscheinlich froh über den ein- treffenden Succurs, und mit einem „Tante Helene weiß alles“ den Rückzug antretend, eilt sie in’s Haus, um nach dem Rechten zu sehn. Da stehen wir denn nun, „Tante Helene, die alles weiß“ und ich, der ich wenigstens etwas wissen möchte, und begrüßen uns lächelnd und nehmen Platz. Es ist ein feines Gesicht mir gegenüber, mit jenem leisen Zug des Leidens, der so zum Herzen spricht. Sie nimmt den breiten Sommerhut ab, vielleicht, weil wir im Schatten sitzen, vielleicht auch, um die Fülle ihres schönen schwarzen Haares zu zeigen, und während sie mit dem rothen Band des Hutes spielt, beginnen meine Fragen. Aber wir verirren uns immer wieder im Gespräch, bald sind wir in Wustrau bei den Zietens, bald in Trieplatz bei den Rohrs, und endlich reicht sie mir die Hand über den Tisch und sagt mit gewinnender Freundlichkeit: „plaudern wir weiter heut’, wie Zufall und Zunge es wollen; ich schreib’ Ihnen, — seien Sie unbesorgt, ich halte Wort.“ Und sie hielt Wort; nach Ablauf einer Woche erhielt ich fol- genden Brief: „Ich habe sie gut gekannt, die Frau von Jürgaß, besser vielleicht als irgend wer. Sie nahm mich zu sich, als ich eine Waise geworden war; so kam ich aus dem Pfarrhaus, darin ich geboren war, in’s Herrenhaus hinüber. Meine Mutter habe ich nie gekannt; sie starb bei meiner Geburt, aber hätte ich sie auch gekannt, ich hätte ihre Liebe nicht vermissen können, so gut wie die gnädige Frau war! Sie war sehr klein und sehr häßlich (denn sie war eine Zieten und die Zietens sind immer häßlich gewesen), aber man mußte sich erst ordentlich fragen, ob sie hübsch oder häßlich sei, sonst sah man’s nicht, weil sie so freundlich war. Sie hatte kleine blaue Augen, gelbe Löckchen und eine Adlernase, und auf den Löckchen saß eine Haube wie ein Thurm; es ist wahr, sie sah altfränkisch und beinah komisch aus, aber wer sie kannte, der lachte nicht, dazu war sie zu gut und zu gescheudt. Sie hatte aber auch eine Schönheit, perlenweiße Zähne, die sie bis zuletzt behielt, und kleine weiße Hände, die mit Ringen überdeckt waren. Ich fühlte mich immer geehrt, wenn ich eine dieser Hände küssen durfte. Außer der hohen Haube auf ihrem Kopf trug sie Hacken- schuhe mit hohen Absätzen. Mitunter, wenn ich die hohe Haube und die hohen Absätze sah, zwischen denen sich die kleine Frau bewegte, kam sie mir noch kleiner vor als sie wirklich war. Sie liebte ihren Mann und verehrte ihren Schwager, den alten General, und beide vergalten es ihr und trugen sie auf Händen. Es war ein Leben, wie ich es nie wieder gesehn habe und ich habe doch viele Menschen und viele Häuser gesehn. In Winterzeit, wenn die Wege verschneit und die Freunde ausgeblieben waren, dann saßen wir oben im Ecksaal und spielten „Gesellschaft.“ Frau von Jürgaß nahm Platz auf dem Sopha, die doppelarmigen Leuchter wurden angezündet und ich durfte neben ihr sitzen auf einem Fußkissen, darauf der alte Fritz gestickt war. War alles vorbereitet, so gab sie mir ein Zeichen oder klingelte; dann mußte ich aufspringen und den General von Jürgaß anmelden. Der alte General trat dann wirklich herein oder er erhob sich von seinem Stuhl, auf dem er bis dahin gesessen hatte und küßte der Gnädigen die Hand, fragte nach ihrem Befinden und nach ihres Bruders Befinden drüben in Wustrau, und ehe zwei Minuten um waren, waren sie im leb- haftesten Gespräch über die alte Zeit, und alle Ereignisse, die sie seit 50 Jahren zusammen durchlebt hatten, wurden durchgesprochen wie etwas Neues, Fremdes, wovon man die Mittheilung wie eine Ehre ansehn und mit Dank und Theilnahme entgegen nehmen müsse. Dann brachen sie plötzlich ab, lachten herzlich, schüttelten sich die Hände und holten das Dambrett herbei, um Schlagdame oder Toccadille zu spielen. Ich ängstigte mich damals mitunter, wenn ich auf dem Kissen saß und die beiden alten Leute so cere- moniell mit einander sprechen hörte; ich will nicht leugnen, ich dachte mitunter sie wären todt, und ihre Gespenster kämen zusam- men, um an alter Stelle nach alter Weise zu sprechen; aber ich habe später in andern Häusern oft gedacht: „wenn hier doch Mann und Frau oder Frau und Schwager ein ähnliches Gesellschaftsspiel spielen wollten,“ und mir fiel dann das Wort ein, das Frau von Jürgaß einst zu mir gesagt hatte: „gute Gewohnheiten wollen geübt sein; sie rosten sonst ein und versagen den Dienst.“ Dies ceremonielle Wesen schloß aber Freiheit und raschen Witz nicht aus, und ich bewunderte sie aufrichtig, wenn sie die Honneurs des Hauses machte, sobald Besuch von den Gütern oder gar aus der Hauptstadt eingetroffen war. Sie war dann ganz die Tochter des alten Zieten, die unter dem großen König mit „zu Hofe“ gegangen war. Sie übersah die beiden alten Herren an Witz und Wissen, und sie hätte es leicht gehabt, auf ihre Kosten die unterhaltende Wirthin zu machen, aber, wenn beim Souper die alten Anekdoten von Hainau und Katzbach und Vater Blücher zum wer weiß wie vielsten Male erzählt wurden, so hörte sie aufmerksam zu und suchte nur durch eine geschickte Wendung der alten Geschichte eine neue Pointe zu geben, so daß die Gäste doch auch ihre Rechnung fanden. Sie war ganz ihres Vaters Tochter: klein, unansehnlich und unschön, aber fromm und muthig und pflichttreu wie er, und wie ihr Vater, so starb sie auch, ruhig, hochbetagt, ohne die Bitterkeit des Todes zu empfinden. Sie schlief hinüber. Sie hat mir einen jener Ringe vermacht, mit dem ich als Kind spielen durfte, wenn ich neben ihr auf dem gestickten Kissen saß; aber es hätte dieses Zeichens nicht bedurft, um ihrer immer in Dankbar- keit zu gedenken.“ Am 7. Juni 1829 starb des alten Zieten Tochter, am 29. Juni 1854 starb des alten Zieten Sohn, der letzte Zieten der Linie Wustrau. Ein Feldstein von der Wustrauer Feldmark deckt sein Grab, das ein Lindenbaum überschattet, — eine Inschrift fehlt; das Monument aber, das zu Ehren des letzten Jürgaß und seines mit ihm ausgestorbenen Geschlechtes errichtet ist, zeigt auf dem schmalen Eisenstreifen, der die vier Pfeiler der Nische trägt, den schönen Spruch: „Der Herr hat sie zu einem beßren Leben berufen, wo sie sich der Herrlichkeit unsres Erlösers erfreun.“ 11 Fehrbellin. Das war ein rasches Reiten vom Rhein bis an den Rhin, Das war ein heißes Streiten am Tag von Fehrbellin. Julius Minding. S chon im Havelland, aber unmittelbar an der Grenze der Graf- schaft Ruppin (kaum eine Viertelstunde davon entfernt), liegt Fehr- bellin und sein berühmtes Schlachtfeld. Es ist fraglich, ob uns unsere Wanderungen so bald wieder in diese Gegenden führen, so sei es denn gestattet, die Nachbarstadt, die schon jenseits der Peri- pherie des Kreises liegt, an dieser Stelle mit in den Kreis hinein- zuziehn. Wir kommen von Wustrau her, fahren am Nordrande des durch seine Torflager berühmten Rhinluches (an dieser Stelle das Wustrauer Luch geheißen) entlang und erreichen nach kurzer Fahrt einen langen mit Weiden besetzten Damm, der uns rasch dem Städtchen Fehrbellin, der Hauptstadt des kleinen „Ländchens Bel- lin“ entgegenführt. Dies Ländchen Bellin, jetzt dem Havellande einverleibt, ist ein schmaler Streifen Land am Rhinfluß entlang, und so glau und sauber, wie der Name „Bellin“ ist, so hübsch ist das Ländchen selbst. Fehrbellin liegt am Ausgange des Dammes, an der Südseite des Rhin. Die Einfahrt in die Stadt ist reizend, besonders der Blick von der Rhinbrücke aus, die wir eben passiren. Zur Linken, im Schmucke hoher Silberpappeln, streckt sich vom jenseitigen Ufer her eine Halbinsel in das schilfige Flüßchen hinein und giebt dem Ganzen den Charakter einer in’s Wasser vorgeschobenen Parkanlage. Die Attribute kleinstädtischen Lebens geben dem Bilde mehr, als sie ihm nehmen, und wir entbehren gern das Schwanenhaus und den Vogel Leda’s um der Enten- und Gänseschaaren willen, die das Schlammufer von allen Seiten umspielen und umschnattern. Die Stadt ist, wie kleine märkische Städte zu sein pflegen, schlicht, freundlich, in der Front abgeputzt und zwei Linden vor der Thür, ganz wie die Mädchen, die in diesen Städtchen wohnen. Alles stattlich Damenhafte fehlt; sie stricken, haben Lesekränzchen und kichern verlegen, wenn ein Fremder zu ihnen spricht, aber ihre lachende Freundlichkeit thut wohl. An den Namen Fehrbellins knüpft sich allerhand Liebes und Gutes. Hier wirkte Friedrich Bolte, einer unserer heimischen Poeten aus der alten märkischen Schule, die nicht voll so schlecht war, wie die Olympier in Weimar es wahr haben wollten; hier wurde unser Thierbildner Friedrich Wilhelm Wolff geboren, der sich den auszeichnenden Namen der „Thier-Wolff“ erworben hat, und hier endlich, um das Beste nicht zu vergessen, wurde die berühmte Schlacht geschlagen, die vor beinahe zwei Jahrhunderten den Grund zu der Selbständigkeit und Größe unserer Monarchie legte. Diesem Schlachtfelde gilt unser Besuch. Es liegt noch eine halbe Meile jenseits Fehrbellin, dicht an der Straße, die sich wie eine Grenzlinie zwischen dem Luch und der Höhe hinzieht. Zunächst erreicht man das Dorf Tornow, dann das Dorf Hakenberg , wo das Höhenterrain beinahe senkrecht in das Luch hinein abfällt. In unmittelbarer Nähe des letzt genannten Dorfes fand das be- rühmte Reitergefecht statt, das indeß, zum Glück für alle preußi- schen Poeten, statt des Namens „Gefecht bei Hakenberg,“ den schö- nen Namen der Schlacht von Fehrbellin erhalten hat. Jeder, der sich in der Welt der Reime umhergetummelt hat, wird sich der Verlegenheiten entsinnen, die ihm die Sylben „berg“ und „burg“ 11* bereitet haben. Vollklang und Reimfülle aber stehen wie lachende Genien neben dem Wort „Fehrbellin.“ Unmittelbar hinter dem Dorf, bereits auf historisch verbürg- tem Schlachtgrund, befindet sich die Mühle des Müllers Conrad und dicht daneben das Monument, das, zum Andenken an die Schlacht, im Jahre 1800 errichtet und im Jahre 1857 erneuert worden ist. Das Denkmal, einfach aus Sandstein aufgeführt, ist ein Oblong, auf dessen oberem Theil eine Schale oder Urne steht. Der Hinweis auf diese Schlichtheit soll dem Monument kein Vor- wurf sein, im Gegentheil. Es werden jetzt so viele Denkmäler er- richtet, bei deren Errichtung man nicht weiß, wer und was eigent- lich verherrlicht werden soll, ob der Held, dem das Denkmal gilt, oder die Zeit, die so erleuchtet ist, jenem Helden ein Monument zu setzen, oder endlich der Künstler selbst, der selber wieder zum Helden wird und gleichsam den Lorbeerkranz von der Stirn seiner eigenen Schöpfung nimmt. Solchem Gebahren gegenüber, für das die Beispiele nahe liegen, erfreut man sich doppelt beim Anblick jener einfacheren Gedenksteine, die nicht der Mode und der Eitel- keit, sondern der Gesinnung und dem Eifer eines Einzelnen ihre Entstehung verdanken. Es kommt nicht immer auf den Kunst- werth dessen an, was zu uns spricht; der Appell an unser Herz bleibt immer die Hauptsache. Das gekritzelte Briefchen von der Hand unserer verstorbenen Mutter hat als Erinnerungszeichen den- selben Werth für uns wie das Portrait im Roccocorahmen, das über unserem Sopha hängt. Einen künstlerischen Genuß kann das Sandsteinoblong, das neben der Mühle des Müllers Conrad steht, freilich nicht gewähren, aber man liest nicht ohne freudige Bewe- gung die schlichten Worte, die in dasselbe eingegraben sind, und nimmt eine mangelhafte Accusativform, anderer Stileigenthümlich- keiten zu geschweigen, als ein Zeichen der Aechtheit aufrichtig dank- bar mit in den Kauf. Diese Worte sind folgende: „Hier legten die braven Branden- burger den Grund zu Preußens Größe. Das Andenken an den Held und seiner Getreuen erneuert dankbar mit jedem Freunde des Vaterlands Friedrich Eberhard von Rochow auf Rekahn, 1800.“ — Die andern Seiten des Monuments zeigen die Namen derje- nigen Offiziere, die sich am Schlachttage besonders ausgezeichnet haben. Sie lauten: Dörflinger, v. Görtzke, v. Lütke, v. Götz, v. Canofsky, v. Mörner, Froben, Friedrich Landgraf von Hessen, v. Treffenfeld, v. Straus, v. Sydow, v. Zabeltitz. Ein Eisengitter faßt das Denkmal ein; an den Frontstäben desselben befindet sich ein herzförmiges Täfelchen mit der Inschrift: „Erneuert und be- wehrt durch den Kriegerverein zu Fehrbellin 1857.“ Die unmittelbare Umgebung des Denkmals ist wenig poetisch und wird den Erwartungen derer wenig entsprechen, denen das schöne Wort „Fehrbellin“ verführerisch im Ohre klingt, oder die den „Prinzen von Hessen-Homburg“ unseres Heinrich von Kleist begeistert im Herzen tragen. Die Umgebung ist schlicht-märkisch, aber nicht fehrbellinisch. Ein Kartoffelfeld schließt das Denkmal ein, und die einzige Hoffnung, die dem Besucher bleibt, knüpft sich an die Lehre von der Fruchtfolge. Eine liebenswürdige Dame, die als Prinzessin Clotilde im Kleist’schen Drama ihren ersten Bühnentriumph gefeiert, hatte mir den Auftrag gegeben, ihr Blu- men vom Fehrbelliner Schlachtfeld mitzubringen. Lebhaft und phantasievoll, wie sie war, hatte sie sich die Umgegend von Haken- berg wie einen Rosengarten gedacht. Da stand ich nun und suchte umher; Schafgarbe, Winde und Glockenblume war alles, wozu sich die Natur hier zusammenraffte. Ich gab es auf, einen Strauß an dieser Stelle zu pflücken, und borgte von einem Nachbarfelde drei Haferhalme, die ich später mit folgenden Zeilen überreichte: Auf der Fehrbelliner Flur Gab es Blumen am Schlachttag nur. Märkische Rosse gewannen die Schlacht, Haben das Feld berühmt gemacht. Und dies Feld, es zahlt mit Glück Alte Schulden in Hafer zurück. An diesem Siegesdenkmal findet alljährlich am 18. Juni, dem Jahrestage der Fehrbelliner Schlacht, eine hübsche Feier statt, die sich ohngefähr aus folgenden Theilen zusammensetzt. Am Mor- gen des Tages schleppt Müller Conrad sechsunddreißig rostige Kanonenkugeln, die er und seine Väter auf dem Schlachtfelde ge- funden haben, an das Denkmal und beginnt die Ausschmückung desselben. Eine Stunde später beleben sich alle Landstraßen, die nach Hakenberg führen, und die Schützengilden von Linum In Linum, wo man von Grund aus fehrbellinisch-patriotisch ist, werden noch in einzelnen Häusern Erinnerungsstücke an die Fehrbelliner Schlacht gezeigt, z. B. eine schwedische Trommel, einige Lanzen u. dgl. m. Man kann aber, da alle diese Dinge sicherlich nicht aus der Schweden- zeit herrühren, nur die oft gemachte Erfahrung daran auf’s Neue machen, daß ein hervorragendes historisches Ereigniß jedesmal zur Domaine, zur Spezialität einer bestimmten Oertlichkeit wird, und zwar so , daß diesem einen Ereigniß, sich alles Spätere anpassen und unterordnen muß. Es ist erwiesen, daß das Bett der Maria Stuart in Holy-Rood-Palace nicht 300 (wie es müßte), sondern höchstens 150 Jahr alt ist, aber es muß das Bett der Maria Stuart sein, wenn es überhaupt noch etwas sein will. So ist es in den Dörfern des Ländchens Bellin mit Rücksicht auf die Fehrbelliner Schlacht. Alles ist „Fehrbellinisch“, dem klarsten Augen- schein zum Trotz. Die Lanzen in Linum sind Landwehr-Ulanen-Piken aus den Tagen von Großbeeren und Dennewitz her (zur Schwedenzeit gab es gar keine Lanzenreiter) und die Trommel trägt auf ihrem Perga- ment einfach die Inschrift: „Landsturm-Trommel für Linum, 4 te Com- pagnie, 1813.“ Aber trotz der Inschrift bleibt es die Schwedentrom- mel von 1675. und Fehrbellin, namentlich aber die Schuljugend aller benachbarten Dörfer, von Brunne, Dechtow und Karwesee kommen von links und rechts herbei und marschiren dem gemeinschaftlichen Sammel- platze, dem Hakenberger Kirchhofe zu. Hier begrüßt man sich; Pre- diger und Magistrate stellen sich an die Spitze, und gegen tausend Mann stark, darunter sechshundert Kinder, geht es mit Sang und Klang nach dem Denkmal hinaus. Vor demselben wird Kreis ge- schlossen, der Hakenberger Geistliche tritt in die Mitte und hält eine kurze Ansprache an die Kinder, worin er sie auffordert, gute Preußen und gute Brandenburger zu sein, und wenn es Noth thut, an jedem Tag im Jahre so brav und tapfer zu Land und Thron zu stehen, wie am 18. Juni 1675 ihre Väter hier gestan- den haben. Dann giebt es ein Hurrah und Mützenschwenken, und Musik vorauf, gemeinhin nach den Klängen des „alten Dessauers“ marschiren nun Alt und Jung über das eigentliche Schlachtfeld hinweg, jener Hügelreihe zu, die nach Süd-Osten hin, den ziem- lich schmalen Streifen, auf dem gekämpft wurde, begränzt. Die höchste dieser Hügelkuppen, kahl und unscheinbar und nur im Hintergrunde von einigen Pappeln überragt, heißt der Kurfürsten- berg, weil von ihm aus der Kurfürst den Angriff und die Bewe- gungen der Schlacht leitete. Auf diesem und dem benachbarten Froben-Hügel macht man Halt, und unter allerhand Turner- spielen, mit Ringen und Laufen, Springen und Klettern verbringt die Jugend den Tag, bis spät am Nachmittag der Rückzug in die Städte und Dörfer beginnt. Das ist ein Volksfest im besten Sinne des Worts, besser als unsere großstädtischen Festzüge, denen jeder geistige Mittelpunkt (wenn sie ihn jemals hatten) längst abhanden gekommen ist. Es gibt nichts kläglicheres, als die Volkslustbarkeiten unserer Residenzen, als der „Stralauer Fischzug“ und alles, was ihm ähnlich sieht. In unsern kleinen Städten aber steckt noch ein guter und ge- sunder Rest von Volks- und Kinderfesten, und jeder, der ihnen beiwohnt, wird sich erheitert und gehoben fühlen. Man wirft un- serem norddeutschen Leben vor, daß es nüchtern sei und des poe- tischen Schwunges entbehre. Das ist in gewissem Sinne wahr. Es fehlt uns das Bunte der Costüme und das Coulissenwerk einer Wald- und Bergnatur, und weil wir dieser Requisiten entbehren, mag bis zu einem gewissen Grade die Lust und die Fähigkeit in uns verkümmert sein, ein Schauspiel im großen Stile aufzuführen. Es fehlt uns außerdem die katholische Kirche, die große Lehr- meisterin der Festzüge und Processionen. Zugegeben das. Aber ein neues Volk, wie wir sind, dessen Traditionen über den Tag von Fehrbellin kaum hinausreichen, hat sich hierzulande eben alles abweichend von dem sonst Ueblichen gestaltet, und mit einem ganz neuen Lebensinhalt ist eine neue Art von Volkspoesie, mit dieser Poesie aber eine neue Art von Volksfesten geschaffen worden. Das Soldatische hat sich zum poetischen Inhalt unseres Volkslebens ausgebildet . Wir feiern Dennewitz und Groß- beeren, und wenn wir an malerischem Effekt und an gutem Humor hinter den Volksfesten des Rheins und der Donau zurück bleiben mögen, so haben wir vielleicht einen bestimmteren Inhalt, einen geistigeren Mittelpunkt vor ihnen voraus. Es ist ein Unterschied, ob man in hundert lang bespannten Wagen auf die Theresien- wiese fährt, um den König Gambrinus und vor allem sich selber leben zu lassen, oder ob man ernst und schmucklos sich auf den Kunersdorfer Höhen lagert, um den Jahrestag einer unglücklichen Schlacht zu begehen und die Stelle aufzusuchen, wo Prittwitz den schon verlorenen König in die Mitte seiner Husaren nahm. Wir verachten den König Gambrinus und seine Feier nicht, aber man soll auch unsere Art und Weise gelten lassen. Wir verließen nun das Denkmal, beschrieben auf dem Rück- wege zunächst einen Bogen, um vom Kurfürstenberge aus noch- mals einen Ueberblick über das Schlachtfeld zu haben, und begaben uns dann nach Dorf Hakenberg, wo unser historischer Forscher- eifer den Geistlichen, von dessen Freundlichkeit wir allerhand Auf- schlüsse und Anekdoten erwarteten, bei Tische unterbrach. Er ließ uns diese Störung nicht entgelten und war sogar freundlich genug, das, was er an historischen „Kosthäppchen“ uns beim besten Willen nicht bieten konnte, durch eine freundliche Einladung zum Mittag- essen ausgleichen zu wollen. Wir lehnten ab und machten statt dessen einen Spaziergang über den reizend gelegenen Hügelkirchhof, auf dessen höchster Spitze sich der Backsteinbau einer alten gothi- schen Kirche mit halb eingestürztem Dach erhebt. Diese Kirche, wie wir später vernahmen, geht einem gründlichen Umbau entgegen, der mit besonderer Rücksichtnahme auf den Fehrbelliner Schlachttag geleitet werden soll. Der Thurm wird wesentlich erhöht und nach Art alter Castellthürme mit vier Seitenthürmchen geschmückt wer- den, die wie eben so viele Ausluge ( look-outs ) aus der Mauer- zinne hervorspringen sollen. Von diesen Thürmchen aus wird man dann nach allen Seiten hin einen prächtigen Ueberblick über das Luch und das Höhenland haben, bis Cremmen und Oranienburg, bis Nauen und Ruppin. Auch das Innere der Kirche wird mit besonderer Rücksicht auf den Schlachttag restaurirt und mit Votiv- und Erinnerungstafeln geschmückt werden. Wenn ich nicht irre, sind auf dem Hakenberger Kirchhof einige hervorragende Führer, die bald nach der Schlacht ihren Wunden erlagen, begraben wor- den, und ein gemeinschaftliches Grabmonument zu Ehren dieser würde vielleicht die beste Gelegenheit zu einer Inschrift und Mah- nung bieten. Kommt dieser Plan zur Ausführung, so wird die Kirche zu Hakenberg über kurz oder lang zu einem Wallfahrts- platz unserer Mark, zu einem Zielpunkt für Turnerfahrten und Schulexcursionen werden. Fehrbellin und das Luch, der alte Fried- hof und seine Kirche, der Kurfürstenberg und das Denkmal, dar- aus baut sich schon ein Stück Interesse auf, und die Marmor- tafeln, die dann beim Eintritt in die Kirche von Derffling und Froben, von Treffenfeld und dem Prinzen von Hessen-Homburg melden werden, werden aus dem kleinen Sagenkreis einen Zauber- kreis für junge Herzen schaffen. Ich mag nicht schließen, ohne meiner Schilderung eine kurze Legende hinzugefügt zu haben, die, an den Fehrbelliner Schlacht- tag anknüpfend, zugleich den Hang zum Legendenhaften zeigt, der, wie die Freude am Mährchen und an der Sage, im Herzen jedes unverbrauchten Volkes lebt. In alten Zeiten, wo innerhalb der Kirche das ganze geistige Leben des Volkes lag, wuchs auch die Legende nur auf kirchlichem Boden, und der Heiland und seine Jünger, die Heiligen und fromme Mönche hatten das schöne Vorrecht, die Träger einer solchen Legende zu sein. Der märkische Boden hat nicht Zeit ge- habt, solche Legenden zu zeitigen, denn die katholische Kirche hat es nie zu einer Glanz- und Blüthenzeit auf diesem Boden ge- bracht. Kaum siegreich über die heidnischen Wenden, kaum fest geworden in ihrem Besitz, sah sie schon die Zeit des Verfalls kom- men, die unmöglich Blumen hervorbringen konnte, wie sie immer nur auf dem Boden des Glaubens und eines unerschütterten Ver- trauens gewachsen sind. Die Marken, wenn man den Ausdruck gestatten will, wurden um ihre Legendenzeit betrogen, wie manche Kinder um ihre Jugend betrogen werden; aber in derselben Weise, wie Kinder, die nie Kinder sein durften, in späteren Lebensjahren ein rührendes Verlangen zeigen, spielen und „dalbern“ zu können, in derselben Weise, scheint es, haben die Brandenburger sich schad- los zu halten gesucht. Sie haben ihre Lieblingsfürsten unter den Hohenzollern zu halb sagenhaften Gestalten ausgebildet und sie zu Trägern lieb- licher Legenden gemacht. Die Geschichte von Froben gehört theil- weis hieher; sie ist eine Sage, die nur da entstehen konnte, wo die „ Treue “ wie eine Pflicht und ein Bedürfniß im Herzen des Volks empfunden wurde. Die Geschichte vom Hakenberger Bauern- kind aber geht noch einen Schritt weiter und nimmt völlig den Charakter und die Formen einer Legende an. Der Kurfürst, als er zur Schlacht ritt, so erzählt die Legende, kam durch Hakenberg. Das Dorf war ausgestorben und leer, nur auf der Schwelle eines Hauses saß ein dreijähriger Blondkopf, den die fliehenden Dörfler, in der Hast und Unruhe des Augenblicks im Dorf zurückgelassen hatten. Er streckte die Händchen nach dem Fürsten aus. Der Kurfürst hielt sein Pferd an, bückte sich tief, hob das Kind auf und setzte es vorn auf seinen Sattel. „Wirst schon jemand finden,“ dachte er, „der sich seiner annimmt.“ So ritt er aus dem Dorf. Aber da war niemand, der Lust gehabt hätte, sich des Kleinen anzunehmen; die schwedischen Geschütze schickten bereits Kugel auf Kugel herüber und der Kurfürst selbst vergaß des Kindes, das ruhig und furchtlos auf der Sattelkruppe saß. Das Regiment Mörner kam eben vorüber und der Kurfürst setzte sich an seine Spitze. Die Brandenburger hieben sich wacker durch das Regiment Dalwigk hindurch und die Schweden flohen. Als der Kampf vor- über war und Kurfürst Friedrich Wilhelm sich im Sattel hob, um aufathmend dem Gott der Schlachten für diesen Sieg zu dan- ken, sah er den Blondkopf, der, mit beiden Händen am Riemen- werk des Panzers sich festhaltend, furchtlos zu seinem Retter auf- blickte. Hier bricht die Legende ab. Der Kurfürst hatte das Kind und das Kind hatte den Kurfürsten gerettet, denn der Blondkopf, der auf der Schwelle des Bauernh auses saß, war deutungsreich — der Schutzgeist der Hohenzollern. Das Wustrauer Tuch. Es schien das Abendroth Auf diese sumpfgewordne Urwald-Stätte, Wo ungestört das Leben mit dem Tod Jahrtausendlang gekämpfet um die Wette. Lenau. D ie große norddeutsche Ebene ist reich an erlen-bestandenen Sumpfstrecken, die entweder an den Ufern der Flüsse oder insel- artig zwischen den Armen und Verzweigungen derselben sich hin- ziehen und gemeinhin Brüche oder Bruchland genannt werden. Jeder kennt das Weichsel- und das Oder-Bruch, — Fluß-Niede- rungen, die durch die Fruchtbarkeit ihres Bodens und einen ent- sprechenden Reichthum ihrer Bewohner berühmt geworden sind. Das Havelland , — d. h. jene nach drei Seiten hin von der Havel, im Norden aber vom Rhin-Fluß eingeschlossene Havel- insel, die das Herz der Brandenburgischen Lande bildet, — besaß ebenfalls solche erlenbestandene Sumpfstrecken, die sich aber bis diesen Tag, und zwar trotz der mannichfachsten Veränderungen und Umbildungen eine Sonderbenennung erhalten haben. Sie führen den Namen „ das Luch “ und haben in der That vollen Anspruch auf eine unterscheidende Bezeichnung, da sie in Form und Art von den fruchtbaren Flußniederungen anderer Gegenden vielfach abweichen und z. B. statt des Weizens und der Gerste nur ein mittelmäßiges Heu produciren. Im Großen und Ganzen darf man vom „Luche“ sagen, daß es weniger seine Producte, als vielmehr sich selbst zu Markte bringt — den Torf . Denn das Luch besteht großentheils aus Torf. Seitdem es aufgehört hat ein bloßer Sumpf zu sein, ist es ein großes Gras- und Torfland geworden. Linum , der Hauptsitz der Torfgräbereien, ist das Newcastle unserer Residenz. Wie das Havelland den Mittelpunkt Alt-Brandenburgs bildet, so bildet das Luch wiederum den Mittelpunkt des Havellandes. Das letztere (d. h. also der West- und Osthavelländische Kreis) ist ohngefähr 50 Q.-Meilen groß; in diesen 50 Q.-Meilen stecken die 22 Q.-Meilen des Luch’s wie ein Kern in der Schale. Die Form dieses Kerns ist aber nicht rund, auch nicht oval oder elliptisch, sondern pilzförmig . Ich werde gleich näher beschreiben, wie diese etwas ungewöhnliche Bezeichnung zu verstehen ist. Jeder meiner Leser kennt jene Pilzarten mit kurzem dicken Stengel, die ein breites schirmförmiges Dach und eine große kugelförmige Wurzel haben. Man nehme den Längsdurchschnitt eines solchen Pilzes und klebe ihn auf ein kleines Quartblatt Papier, so wird man ein ziemlich deutliches Bild gewinnen, welche Form „das Luch“ inner- halb des Havellandes einnimmt. Gleich der erste Blick wird dem Beschauer zeigen, daß das Luch aus zwei Hälften , aus einer schirmförmig-nördlichen und einer kugelförmig-südlichen besteht, die beide da, wo der kurze Strunk des Pilzes läuft, nah zusammen- treffen. Die schirmförmige Hälfte heißt das Rhin-Luch , die kugel- förmige das Havelländische Luch . Das Verbindungsstück zwi- schen beiden hat keinen besonderen Namen. Dies verhältnißmäßig schmale, dem Strunk des Pilzes entsprechende Verbindungsstück ist dadurch entstanden, daß sich von rechts und links her Sand- plateau’s in den Luchgrund hineingeschoben haben. Diese Sand- plateau’s führen wohlgekannte Namen; das östliche ist das im vorigen Kapitel schon genannte „Ländchen Bellin,“ das westliche heißt „Ländchen Friesack.“ Diese beiden „Ländchen“ sind alte Sitze der Cultur, und ihre Hauptstädte, Fehrbellin und Friesack, wurden schon genannt, als beide Luche, das Rhin-Luch wie das Havelländische, noch einem See glichen, der in Sommerzeit zu einem ungesunden, unsicheren Sumpfland zusammentrocknete. Klöden hat den früheren Zustand dieser Luchgegenden sehr schön und mit poetischer Anschaulichkeit geschildert. Er schreibt: „es war eine wilde Urgegend, wie die Hand der Natur sie gebildet hatte, ein Seitenstück zu den Urwäldern Südamerika’s, nur kleiner und nicht Wald, sondern Luch. Es zeigte damals in großer Aus- dehnung, was kleinere Bruchflächen der Mark noch jetzt zeigen. Weit und breit bedeckte ein Rasen aus zusammengefilzter Wurzel- decke von bräunlich-grüner Farbe die wassergleiche Ebene, deren kurze Grashalme besonders den Riedgräsern angehören. In jedem Frühjahr quoll der Boden durch das hervordringende Grundwasser auf, die Rasendecke hob sich in die Höhe, bildete eine schwimmende, elastische Fläche, welche bei jedem Schritt unter den Füßen einsank, während sich ringsum ein flach trichterförmig ansteigender Abhang bildete. Andere Stellen, die sich nicht in die Höhe heben konnten, sogenannte Lanken , wurden überschwemmt, und so glich das Luch in jedem Frühjahr einem weiten See, über welchem jene Rasen- stellen wie grüne, schwimmende Inseln hervorragten, während an anderen Stellen Weiden, Erlen und Birkengebüsch sich im Wasser spiegelten, oder da, wo sie auf einzelnen Sandhügeln, den soge- nannten Horsten , gewachsen waren, kleine Wald-Eilande darstell- ten. Solcher Horsten gab es mehrere, von denen einige mitten im Havelländischen Luche lagen. Die umliegenden Ortschaften versuchten es, dem Luche dadurch einigen Nutzen abzugewinnen, daß sie ihre Kühe darin weiden ließen und das freilich schlechte und saure Gras, so gut es ging, mäheten. Beides war nur mit großer Müh- seligkeit zu erreichen. Das Vieh mußte häufig durch die Lanken schwimmen, um Grasstellen zu finden, oder es sank in die weiche Decke tief ein, zertrat dieselbe, daß bei jedem Fußtritt der braune Moderschlamm hervorquoll, ja daß es sich oft nur mit großer Mühe wieder herausarbeitete. Oft blieb eine Kuh im Moraste stecken und ward nach unsäglicher Mühe kalt, kraftlos und krank wieder heraus gebracht, oder wenn dies zu schwer hielt, an dem Orte, wo sie versunken war, geschlachtet und zerstückt heraus- getragen. Nur im hohen Sommer und bei trockener Witterung war der größte Theil des Luch’s zu passiren; dann mähte man das Gras, allein nur an wenigen Stellen konnte es mittels Wagen herausgebracht werden; an den meisten mußte man es bis in den Winter in Haufen stehen lassen, um bei gefrornem Boden es ein- zufahren. Unter allen Umständen war das Gras schlecht und eine kümmerliche Nahrung. So wenig nutzbar dieses Bruch für den Menschen und sein Hausvieh war, so vortrefflich war es für das Wild geeignet. In früheren Zeiten hausten hier selbst Thiere, welche jetzt in der Mark nicht mehr vorkommen, wie Luchse, Bären und Wölfe. Besonders aber waren es die Sumpfvögel, Kraniche und Störche, welche hochbeinig in diesem Paradiese der Frösche einher- stolzirten und mit ihnen bewohnte die Wasser ein unendliches Heer von Enten aller Art, nebst einer Unzahl anderer Wasservögel. Kibitze, Rohrsänger, Birkhähne, alles war da und in den Flüssen fanden sich Schildkröten, wie allerhand Schlangen in dem mitten im Luch gelegenen Zotzenwald.“ Im Rhin -Luch änderten sich diese Dinge schon zu Anfang des 16. Jahrhunderts; Gräben wurden gezogen, das Wasser floß ab und die Herstellung eines Dammes quer durch’s Luch hindurch wurde möglich. Wo sonst die Fehrbelliner Fähre , über Sumpf und See hin, auf- und abgefahren war, erstreckte sich jetzt der Fehrbelliner Damm . Das Jahr genau zu bestimmen, wann dieser Damm gebaut wurde, ist nicht mehr möglich; doch existirt schon aus dem Jahre 1582 eine Verordnung, in der von Seiten des Kurfürsten Johann Georg „dem Capitul zu Cölln an der Spree, den von Bredows zu Kremmen und Friesack, den Bellins zu Bellin und allen Zietens zu Dechtow und Brunne kund und zu wissen gethan wird, daß der Bellin’sche Fährdamm sehr böse sei und zu mehrerer Beständigkeit mit Steinen belegt werden solle .“ Das große Havelländische Luch blieb in seinem Urzustand bis 1718, wo unter Friedrich Wilhelm I. die Entwässerung begann. Vorstellungen von Seiten der zunächst Betheiligten, die ihren eigenen Vortheil, wie so oft, nicht einzusehen vermochten, wurden ignorirt oder abgewiesen und im Sommer desselben Jahres begannen die Arbeiten. Im Mai 1719 waren schon über 1000 Arbeiter beschäftigt und der König betrieb die Canalisirung des Luch’s mit solchem Eifer, daß ihm selbst seine vielgeliebten Soldaten nicht zu gut dünkten, um mit Hand anzulegen. Zweihundert Gre- nadiere, unter Leitung von zwanzig Unteroffizieren, waren hier in der glücklichen Lage, ihren Sold durch Tagelohn erhöhen zu kön- nen. Im Jahre 1720 war die Hauptarbeit bereits gethan, aber noch fünf Jahre lang wurde an der völligen Trockenlegung des Luch’s gearbeitet. Nebengräben wurden gezogen, Brücken und Stau-Schleusen angelegt, Dämme gebaut und an allen trocken gelegten Stellen das Holz- und Strauchwerk ausgerodet. Die Arbeiten waren zum großen Theil unter Anleitung holländischer Werkführer und nach holländischen Plänen vor sich gegangen. Dies mochte den Wunsch in dem König anregen, mit Hülfe der ’mal vorhandenen Arbeitskräfte, aus dem ehemaligen Sumpf- und Seelande überhaupt eine reiche, fruchtbare Colonie zu machen. Der Plan wurde ausgeführt und das „Amt Königshorst“ entstand an dem Nordrande des kreisförmigen Havelländischen Luch’s, ohn- gefähr da, wo das vom Rhin-Luch abzweigende Verbindungsstück in das Havelländische Luch einmündet. Die Fruchtbarkeit freilich, die dem eben gewonnenen Grund und Boden von Natur aus ab- ging, hat kein Königlicher Erlaß ihm geben können; aber in allem andern hat der „Soldatenkönig“ seinen Willen glücklich durchgeführt: Königshorst mit seinen platten, unabsehbaren Grasflächen, seinen Gräben, Deichen und Alleen, erinnert durchaus an die hollän- dischen Landschaften des Rhein-Delta. Hier wie dort ist die grüne Ebene der Wiesen und Weiden belebt von Viehheerden, die hier gemischter Raçe sind: Schweizer, Holländer, Oldenburger und Hol- steiner. Die Gewinnung guter Milch und Butter war von Anfang an ein Hauptzweck gewesen, und es wurde demgemäß eine förm- liche Lehr-Anstalt für die Kunst des Butterns und Käsemachens eingerichtet, wohin die Beamten der Kurmärkischen Aemter eine Anzahl von Bauertöchtern, für deren gute Führung sie verant- wortlich waren, als Mägde zu schicken hatten. Diese Mägde wur- den während eines zweijährigen Dienstes in allem Nöthigen unter- wiesen. Dann mußten sie ohne Hülfe der Holländerin eine Probe guter Butter bereiten, die der König selbst zu prüfen nicht ver- schmähte. Fiel die Prüfung zu Gunsten der betreffenden Magd aus, so verlieh ihr der König einen Brautschatz im Betrage von 100 Thlr. Diese Einrichtung hat bis zum Tode des Königs be- standen und zu ihrer Zeit reiche Früchte getragen, die noch heut zu Tage nachwirkend sind. Auch Friedrich II. widmete dem Amte Königshorst eine besondere persönliche Aufmerksamkeit. Anfänglich ließ er den größten Theil der dortigen Ländereien zu Fettweiden benutzen, um die Einfuhr von ausländischem Schlachtvieh für den Berliner Markt entbehrlich zu machen; in späteren Regierungs- jahren aber kehrte er ganz zu dem Benutzungsplan des Gründers von Königshorst zurück und stellte das von seinem Vater begrün- dete Lehrinstitut als „eine — wie der König in einem Erlaß vom 13. Mai 1780 sich ausdrückte — ordentliche Akademie des Buter- nachens“ wieder her. Bis diesen Tag gilt die Königshorster Butter (Horstbutter) in Berlin als die beste. Eines fehlt ihr vielleicht — das Aroma . Das Luchgras, was immer auch die Cultur zu seiner Verbesserung gethan haben mag, kann nicht wetteifern mit dem süßen, saftigen, kräuterreichen Gras der Nordsee-Marschen. Noch weniger ist es geglückt, das Sandland der alten Horsten (Sand- stellen im Sumpf) zu einem fruchtbaren Boden umzugestalten; nur mühsam wird das Getreide gewonnen, das zum Unterhalt des Viehstandes nöthig ist. Von der Bedeutung jener Entwässerungs- arbeiten aber, die durch König Friedrich Wilhelm I. eingeleitet wurden, wird man sich am ehesten eine Vorstellung machen können, wenn man erfährt, daß die Gesammtlänge der im Luche befind- lichen Gräben und Canäle über 71 Meilen beträgt. — 12 Das Havelländische Luch gehört, wie sein Name bereits angiebt, ganz und gar dem Havellande an, das Rhin -Luch zum größten Theil. Nur alles, was nördlich vom Rhin liegt, darunter vor allem das Wustrauer Luch , gehört noch dem Ruppinschen zu, und eben diesem Wustrauer Luch gilt heute unser Besuch. Wir beschlossen, vom Hakenberger Kirchhof aus, dessen Hügel- kuppe einen weiten Umblick gestattet, in’s Wustrausche Luch hinabzusteigen und dasselbe, in nördlicher Richtung, bis zu dem reichen Dorfe Langen , eine halbe Meile von Wustrau, zu durch- schneiden. Fußwanderung und Kahnfahrt sollten unter einander abwechseln. Wir begannen mit einem kurzen Marsch bis zur nächsten „Factorei.“ Es war ein heißer Tag und der blaue Himmel fing an, kleine grauweiße Wölkchen zu zeigen, die immer nur verschwan- den, um an anderer Stelle wiederzukehren. Auf einem schmalen Damm, der wenig mehr als die Breite eines Wagens haben mochte, schritten wir hin. Alles mahnte an Torf. Ein feiner, schnupftabakfarbener Staub umwirbelte uns; schwarze undurchsich- tige Lache stand in den Gräben; die weite grüne Rasenfläche dehnte sich rechts und links, nur von Torfpyramiden unterbrochen; ja selbst die kümmerlichen Sträucher, darunter Ginster und Besen- kraut, sahen aus, als hätten sie sich gehorsamst in die Farben ihrer Herrschaft gekleidet. Das Ganze machte den Eindruck eines plötzlich an’s Licht geförderten Bergwerks, und ehe zehn Minuten um waren, sahen wir aus wie die Veteranen einer Knappschaft. Wir mochten eine halbe Stunde gewandert sein, als wir bei der „Factorei“ ankamen, deren rothe Dächer wir lange vor uns gehabt hatten, ohne sie erreichen zu können. Ich weiß nicht, ob diese Etablissements, deren wohl zehn oder zwölf im Wustrauer und Linum’schen Luche sein mögen, wirklich den Namen Factoreien führen, oder ob sie sich noch immer mit der alten Bezeichnung Torfhütte behelfen müssen. Jedenfalls sind es „Factoreien“ und drückt dieses Wort am besten die Art und Weise einer solchen Luch-Colonie aus. Die Factorei, vor der wir uns jetzt befanden, lag wie auf einer Insel, die von Gräben und Canälen, deren drei oder vier hier zusammentrafen, gebildet wurde. Sie bestand aus einem Wohnhaus, allerhand Stall- und Wirthschaftsgebäuden, die sich darum gruppirten, und aus einer Reihe von Strohhütten, die sich, etwa 20 an der Zahl, an dem Hauptgraben entlang zogen. Nach flüchtiger Begrüßung des Obermanns schritten wir zunächst diesen Hütten zu. Sie bilden, nebst hunderten ähnlicher Behausun- gen, die sich hier und anderswo im Luche finden, die temporären Wohnplätze für jene Tausende von Arbeitern, die um die Sommer- zeit die Höhendörfer der Umgegend verlassen, um auf etwa vier Monate in’s Luch hinabzusteigen und dort beim Torfstechen ein hohes Tagelohn zu verdienen. Die Dörfer, aus denen sie kommen, liegen leider viel zu weit vom Luch entfernt, als daß es den Arbeitern möglich wäre, nach der Hitze und Mühe des Tages auch noch heimzuwandern, und so ist es denn Sitte geworden, zeit- weilige Luchdörfer aufzubauen, eigenthümliche Sommerwohnungen, in denen die Arbeiter die Torf-Saison verbringen. An diese Woh- nungen, so viel deren diese eine Colonie aufweist, treten wir jetzt heran. Die Hütten stehen, behufs Lüftung, alle auf und gestatten uns einen Einblick. Es sind große, vielleicht 30 Fuß lange Stroh- dächer von verhältnißmäßiger Höhe. An der Giebelseite, wo die Dachluke hingehören würde, befindet sich die Eingangsthür; gegen- über, am andern Ende der Hütte, gewahren wir ein offen stehendes Fensterchen. Zwischen Thür und Fensterchen läuft ein schmaler, tennenartiger Gang, der etwa dem gemeinschaftlichen Hausflur eines Hauses entspricht. An diesen Flur grenzen von jeder Seite vier Wohnungen, d. h. vier niedrige, kaum einen Fuß hohe Hürden oder Einfriedigungen, die mit Stroh bestreut sind und als Schlaf- und Wohnplätze für die Torfarbeiter dienen. Wie viele Personen in solcher Hürde Platz finden, vermag ich nicht bestimmt zu sagen, jedenfalls aber genug, um auch bei Nachtzeit ein Offenstehen von Thür und Fenster als ein dringendes Gebot erscheinen zu lassen. Es war um die Mittagsstunde, und wir fanden ein halbes Dutzend 12* Leute, die theils sich ausruhten, theils ihr Mittagsmahl verzehrten. Wir knüpften ein Gespräch an und erfuhren Folgendes. Die Arbeit ist schwer und ungesund, aber einträglich, besonders für geübte Arbeiter, die mittels ihrer Geschicklichkeit das Accord-Quantum täglich überschreiten und ihre Arbeits-Ueberschüsse bezahlt bekommen. Drei Arbeiter bilden immer eine Einheit und als das Durchschnitts- quantum, das sie täglich zu liefern haben, gelten 13000 Stück Torf. Leisten sie das, so haben sie einen mittleren Tagelohn ver- dient, der aber immer noch beträchtlich über das hinausgeht, was für Feldarbeit in den Dörfern bezahlt zu werden pflegt. Gute Arbeiter aber (immer jene drei als Einheit gerechnet) bringen es bis zu 20,000 Stück, was, den Tag zu 10 Arbeitsstunden fest- gesetzt, etwa 2 Secunden für die Gewinnung eines Stückes Torf ergiebt. Ueber diese Producirung sei noch ein Wort gesagt. Man hat es eine Zeit lang mit Maschinen versucht, ist aber längst zur Handarbeit, als zu dem rascheren und einträglicheren (auch für die Unternehmer) zurückgekommen. Das Verfahren ist außerordentlich einfach. Drei Personen und drei verschiedene Instrumente sind nöthig: ein Schneide-eisen, ein Grabscheit und eine Gabel. Das Schneide-eisen ist die Hauptsache; es gleicht einem Grabscheit, das zwei kurz vorspringende Flügel hat, so daß man beim Eindrücken desselben drei Schnitte a tempo macht. Die Arbeiter stehen nun vor einem langen Torfgraben, dessen Wand glatt und steil abfällt. Zwei Arbeiter stehen in dem Graben; der dritte, mit dem Schneide- eisen, auf der Wandung desselben. Dieser setzt nun das Eisen ein, drückt von oben her das Torfmesser in den Grabenrand und schneidet dadurch ein fix und fertiges Torfstück heraus, das nur noch nach unten zu festhaftet. In demselben Augenblick, wo er das Schneide-eisen wieder hebt, um es dicht daneben in den Boden zu drücken, sticht der im Graben stehende Mann mit dem Grabscheit das Stück Torf los und präsentirt es, wie ein vom Teller gelöstes Stück Kuchen, dem dritten. Dieser spießt es mit einer großen Eisengabel auf und legt es schichtweis bei Seite, so daß sich binnen Kurzem die bekannte Torfpyramide aufbaut. Wir schritten nun zu dem eigentlichen Factorei-Gebäude zu- rück; es theilt sich in zwei Hälften, in ein Bureau und eine Art Bauernwirthschaft. An der Spitze des Comtoirs steht ein Geschäfts- führer, ein Vertrauensmann der „Torflords,“ der die Wochen- löhne zu zahlen und das Kaufmännische des Betriebs zu leiten hat. Er ist nur ein Sommergast an dieser Stelle, eben so wie die Arbeiter, und kehrt, wenn der Herbst die Arbeiten unterbricht, für die Wintermonate nach Linum oder Fehrbellin zurück. Nicht so der Obermann, der Torfmeier, dem Haus und Hof gehören, in das wir so eben wieder eingetreten sind. Er ist hier zu Haus, jahraus, jahrein, und nimmt seine Chancen, je nachdem sie fallen, gut oder schlecht. Der Novembersturm deckt ihm vielleicht das Dach ab, der Winter schneit ihn ein, der Frühling bringt ihm Wasser statt Blumen und macht sein Gehöft zu einer Insel im See; aber was auch kommen mag, der Obermann trägt es in Geduld und freut sich auf den Sommer, wie sich Kinder auf Weihnachten freuen. Dabei liebt er das Luch; er spricht von Weizenfeldern, wie wir von Italien sprechen, er bewundert sie als etwas Hohes und Großes; aber sein Herz hängt nur am Luch und an der wei- ten, grünen Ebene, auf der, wie ein Lagerplatz, den die Unter- irdischen verlassen haben, der Torf in schwarzen Zelten steht. Der Obermann hieß uns zum zweiten Mal willkommen und rief seine Frau, die uns freundlich-verlegen die Hand schüttelte. Beide Leute, wiewohl eher hübsch als häßlich, zeigten jene leder- farbene Magerkeit, die mir schon früher in Sumpfgegenden, nament- lich auch bei den Bewohnern des Spreewaldes, aufgefallen war. Die blanke, straffe Haut sah aus, als wäre sie über das Gesicht gespannt . Die Frau verließ uns wieder, um in der Küche nach dem Rechten zu sehen, und ließ uns Zeit, das Zimmer zu mustern, in dem wir uns befanden. Es war, wie Märkische Bauerstuben zu sein pflegen: zwei Silhouetten von Mann und Frau unter gemeinschaftlichem Glas und Rahmen; zwei Preußische Prinzen daneben und ein rother Husar darunter; — die Katze machte einen krummen Rücken und streifte mit ihrem Fell an allen vier Tisch- beinen vorbei; der flachsköpfige Sohn verbarg seine Verlegenheit hinter dem Kachelofen, und die Wanduhr, auf deren großem Ziffer- blatt Amor und Psyche vertraulich nebeneinander lehnten, unter- brach einzig und allein die langen Pausen der Unterhaltung. Denn der Obermann war kein Sprecher. Endlich trat die Magd ein, um den Tisch zu decken. Sie öffnete die kleinen Fenster, und zugleich mit der Sonne drangen jetzt Hahnenschrei und Entengeschnatter in’s Zimmer; war doch das Flügelvolk des Hofes seit lange daran gewöhnt, ein dankbares Hoch auszubringen, so bald das rothe Halstuch der Köchin an Thür oder Fenster sichtbar wurde. Nun kam auch der Flachskopf aus seinem Versteck hervor und stellte Stühle um den Tisch herum; eine Flasche Wein aus unserem Reisesack vollendete die Vorberei- tungen. Das Mahl selbst war ganz im Charakter des Luchs: erst Kibitz-Eier, dann wilde Enten und schließlich ein Kuchen aus Haidemehl, dessen Buchweizen auf den Sandstellen des Luches selbst gewachsen war. Wir ließen den Obermann leben und wünsch- ten ihm guten Torf und gute Kinder. Aber kein Glück ist voll- kommen; als wir um ein Glas Wasser baten, brachte man uns ein Glas Milch; das Luch steckt zu tief im Wasser, um — Trink- wasser haben zu können. Bald nach Tisch nahmen wir Abschied und stiegen in ein bereit liegendes Boot, um unsere Wasserreise durch das Herz des Luches anzutreten. Der Himmel, der bis dahin zwischen grau und blau gekämpft hatte, wie Einer, der schwankt, ob er lachen oder böse werden soll, hatte sich inzwischen völlig grau umzogen und drohte unserer Wasserfahrt einen ausgedehnteren und allgemeineren Charakter zu geben, als uns lieb sein konnte. Dennoch verbot sich ein längeres Zögern, und unter Hut- und Mützenschwenken ging es dahin. Es war eine Vorspann -Reise: kein Ruderschlag fiel in’s Wasser, keine Bootmannskunst wurde geübt; Ruderer und Steuermann waren durch einen graukitteligen, hochstiefligen Torf- arbeiter vertreten, der ein Riemenzeug um den Leib trug und mit- tels eines am Mast befestigten Strickes uns rasch und sicher die Wasserstraße hinaufzog. Gemeinhin trabte er links von uns den gras- bewachsenen, niedrigen Damm entlang; so oft wir aber in einen rechts hin abzweigenden Graben einbiegen mußten, ließ er das Boot links auflaufen, sprang hinein, setzte sich als sein eigener Fährmann über und trat dann am anderen Ufer die Weiterreise an. Eine andere Unterbrechung machten die Brücken. Dieselben sind zahlreich im Luch, wie sich bei 71 Meilen Canal-Verbindung denken läßt, und von allereinfachster aber zweckentsprechendster Con- struction. Ein dicker, mächtiger Baumstamm unterhält die Verbin- dung zwischen beiden Ufern und würde wirklich ohne alle weitere Zuthat die ganze Ueberbrückung ausmachen, wenn nicht die vielen mit Mast und Segel des Weges kommenden Torfkähne es nöthig machten, daß man den im Wege liegenden Brückenbalken auch ohne Mühe beseitigen könne. Zu diesem Behuf ruhen die Balken auf einer Art Drehscheibe, und die Kraft zweier Hände reicht völlig aus, den Brückenbaum nach rechts oder links hin aus dem Wege zu schaffen. Die unzähligen Wasserarme, die das Grün durchschneiden, geben der Landschaft viel von dem Charakter des Spreewaldes und erinnern uns mehr denn einmal an das Netz von Gräben und Canälen, das die fruchtbaren Landstriche zwischen Lehde und Leipe, den beiden Dörfern des Spreewaldes, durchzieht. Aber bei aller Aehnlichkeit haben das Luch und der Spreewald doch ihre Sonderzüge, die beide Sumpfgegenden wieder wesentlich von ein- ander scheiden. Der Spreewald ist bunter, reicher, schöner; in sei- ner Grundanlage dem Luch allerdings verwandt, hat das Leben doch überall Besitz von ihm genommen und hat seine heiteren Bilder in den einfach grünen Teppich eingewoben. Dörfer tauchen auf, bunte Kähne gleiten den Fluß entlang, Blumen ranken sich um Haus und Hütte, und weidende Heerden und singende Menschen unterbrechen die Stille, die auf der Landschaft liegt. Nicht so im Luch. Der einfach grüne Grund des Teppichs ist noch ganz er selbst geblieben; das Leben ist nur ein Gast hier, und der Mensch, ein paar Torfhütten und ihre Bewohner abgerechnet, stieg in die- sen Moorgrund nur hinab, um ihn auszunutzen, nicht um auf ihm zu leben. Einsamkeit ist der Charakter des Luch’s. Nur vom Horizont her, fast wie Wolkengebilde, blicken Dörfer und Thürme in die grüne Oede hinein; Gräben, Gras und Torf dehnen sich endlos in’s Weite, und nichts Lebendes unterbricht die Stille des Orts, als die unheimlichen Pelotons der von rechts und links in’s Wasser springenden Frösche, oder das Kreischen der wilden Gänse, die über das Luch hinziehen. Von Zeit zu Zeit sperrt ein Torf- kahn den Weg ab und weicht endlich mürrisch zur Seite, um unser Boot vorbei zu lassen. Kein Schiffer wird sichtbar, eine räthsel- hafte Hand lenkt das Steuer des Kahns, und wir fahren mit stillem Grauen an dem häßlichen alten Schuppen-Thier vorbei, als sei es ein Torf-Ichthyosaurus, ein alter Beherrscher dieses Luch’s, der sich noch besönne, ob er der neuen Zeit und dem Menschen das Feld räumen solle oder nicht. So waren wir bis in die Mitte des Luch’s gekommen. Die Kirchthürme an der Südseite waren uns aus dem Gesicht ver- schwunden und die Dörfer, die am Nordrand liegen, ließen noch auf sich warten. Da brach das Gewitter los, das seit drei Stun- den um das Luch herum seine Kreise gezogen und geschwankt hatte, ob es auf der Höhe bleiben, oder in die Niederung des Luch’s hinabsteigen sollte. Die Luch-Gewitter erfreuen sich des besten Rufs; sie kommen selten aber gut. Ein solches Wetter entlud sich jetzt über uns. Kein Haus, kein Baum, kein Strauch in Näh’ und Ferne: so war es das Beste, die Reise fortzusetzen, als läge Sonnenschein rundum. Der Regen fiel in Strömen, unser einge- schirrter Torfarbeiter that sein Bestes und trabte gegen Wind und Wetter an. Der Boden wurde immer glitschiger und mehr denn einmal sank er in die Knie; aber rasch war er wieder auf und unverdrossen ging es weiter. Wir saßen derweilen schweigsam da, bemaßen das Wasser im Boot, das von Minute zu Minute stieg und blickten alsbald nicht ohne Neid auf den vor uns her traben- den Graukittel, der in der Lust des Kampfs Gefahr und Noth vergessen mochte, während wir in der Lage von Reserve-Bataillonen waren, die Gewehr bei Fuß dastehen müssen, wenn die Kugeln einschlagen und ihre Wirkung thun. Jeder hat solche Situation durchgemacht und kennt die fast gemüthliche Resignation, die schließlich über einen kommt. Mit dem Moment, wo man die letzte trockne Stelle naß werden fühlt, fühlt man auch, daß das Wetter seinen letzten Pfeil verschossen hat und daß es nur besser werden kann, aber nicht schlimmer. Lächelnd saßen wir jetzt da, nichts vor uns, als den grünen Streifen des Luch’s, der mit dem Grau von Regen und Himmel in eins ver- schwamm, und sahen dem Tropfentanze zu, als ständen wir am Fenster und freuten uns der Wasserblasen auf Teich und Tümpel. Endlich hielten wir; wir hatten den Nordrand des Luch’s erreicht, und die Sonne, die eben sich wieder durchkämpfte und ihren Friedensbogen über das Luch warf, vergoldete den hübschen Thurm des Dorfes Langen und zeigte uns den Weg. In weni- gen Minuten hatten wir das Wirthshaus erreicht, bestellten, in fast beschwörendem Ton, „einen allerbesten Kaffee,“ und baten um die Erlaubniß, am Küchenfeuer Platz nehmen und unsere Garde- robe stückweise trocknen zu dürfen. Wir traten in die große, alt- modische Küche mit dem riesigen Herd, dem offenen Feuer und dem Hängekessel über demselben. Der Rauchfang war mit kupfer- nem Geschirr und die rothen Wände mit Fliegen bedeckt. Die Sonne stand jetzt brennend über dem Haus und drückte von Zeit zu Zeit den Rauch in die Küche hinein. Wir achteten dessen wenig; von Minute zu Minute ward uns besser. Eine braune weitbäuchige Kanne stand bereits auf dem Herd, und die Alte, die, eine große Kaffeemühle zwischen den Knieen, mit wunderbarem Ernst die Kurbel gedreht und Kreise beschrieben hatte, erhob sich jetzt von ihrem Schemel, um das braune Pulver in den Trichter zu schüt- ten. Die Magd mit dem Hängekessel war zur Hand, und im näch- sten Augenblick zischte das Wasser und trieb die braunen Schaum- blasen hoch über den Rand. Wir standen umher und sogen begierig den aromatischen Duft ein. Alles Frösteln war vorbei, und Tasse und Herdfeuer vor uns, auf Stuhl und Schemel uns wiegend, plauderten wir vom Luch , als wären wir eben den Kansas-River hinauf gefahren oder hätten die ungeheure Prairie in ihrer ganzen Länge durchritten. Der Barnim. Tegel. Die Hoffnung — Sie wird mit dem Greis nicht begraben. U nter den vielen hübsch gelegenen Dörfern, die den Stadtrayon von Berlin nach allen Seiten hin umzirken, steht das Dörfchen Tegel, sowohl seiner reizenden Lage wie seiner historischen Erinne- rungen halber, vielleicht oben an. Jeder kennt es als das Besitz- thum der Familie Humboldt . Das berühmte Brüderpaar, das diesem Fleckchen märkischen Sandes auf Jahrhunderte hin eine Bedeutung leihen und es zur Pilgerstätte für Tausende machen wird, ruht dort gemeinschaftlich zu Füßen einer granitenen Säule, von deren Höhe die Gestalt der „Hoffnung“ auf die Gräber beider hernieder blickt. Tegel liegt anderthalb Meilen nördlich von Berlin. Wer sei- nen Füßen einigermaßen vertrauen kann, thut gut, die ganze Tour zu Fuß zu machen. Die erste Hälfte des Weges führt durch die volkreichste und vielleicht interessanteste der Berliner Vorstädte, durch die sogenannte Oranienburger Vorstadt, die sich, weite Strecken Landes bedeckend, aus Bahnhöfen und Kasernen, aus Kirchhöfen und Eisengießereien zusammensetzt. Diese vier heterogenen Elemente drücken dem ganzen Stadttheil ihren Stempel auf; das Privat- haus ist nur in so weit gelitten, als es jenen vier Machthabern dient. Leichenzüge und Bataillone mit Sang und Klang folgen sich in raschem Wechsel oder begrüßen sich einander; dazwischen gellt der Pfiff der Locomotive und über den Schloten und Schorn- steinen weht die bekannte schwarze Fahne. Hier befinden sich, neben der Königlichen Eisengießerei, die großen Etablissements von Egels und Borsig, und während dem Vorübergehenden die endlose Menge der Bauten imponirt, verweilt er mit Staunen und Freude zu- gleich bei dem feinen Geschmack, bei dem Sinn für das Schöne, der es nicht verschmäht hat, hier in den Dienst des Nützlichen zu treten. So zieht sich die Oranienburger Vorstadt bis zur Panken- brücke; jenseits derselben verändert die Vorstadt ihren Namen und ihren Charakter. Der sogenannte „Wedding“ beginnt und an die Stelle der Fülle, des Reichthums, des Unternehmungsgeistes treten die Bilder jener prosaischen Dürftigkeit, wie sie dem märkischen Sande ursprünglich eigen sind. Kunst, Wissenschaft, Bildung haben in diesem armen Lande einen schwereren Kampf gegen die wider- strebende Natur zu führen gehabt, als vielleicht irgend wo anders, und in gesteigerter Dankbarkeit gedenkt man jener Reihenfolge or- ganisatorischer Fürsten, die seit anderthalb Jahrhunderten Land und Leute umgeschaffen, den Sumpf und den Sand in ein Frucht- land verwandelt und die Rohheit und den Ungeschmack zur Sitte und Bildung herangezogen haben. Aber die alten, ursprünglichen Elemente leben noch überall, grenzen noch an die Neuzeit oder drängen sich in die Schöpfungen derselben ein, und wenige Punkte möchten sich hierlandes finden, die so völlig dazu geeignet wären, den Unterschied zwischen dem Sonst und Jetzt, zwischen dem Ur- sprünglichen und dem Gewordenen, so auf einen Schlag zu zeigen, als die Stadttheile diesseits und jenseits des Flüßchens, das wir so eben überschritten haben. Die Oranienburger Vorstadt in ihrer jetzigen Gestalt ist das Kind einer neuen Zeit und eines neuen Geistes; der „Wedding“ aber, der nun vor und neben uns liegt, ist noch im Einklang mit dem alten nationalen Bedürfniß, mit den landesüblichen Anforde- rungen einer früheren Epoche gebaut. Was auf fast eine halbe Meile hin diesen ganzen Stadttheil charakterisirt, das ist die völlige Abwesenheit alles dessen, was wohlthut, was gefällt. In erschrecken- der Weise fehlt der Sinn für das Malerische . Die Häuser sind meist in gutem Stand; nirgends die Zeichen schlechter Wirthschaft und des Verfalls; die Dachziegel weisen keine Lücke auf und keine angeklebten Streifen Papier verkürzen dem Glaser sein Recht und seinen Verdienst; das Holzgitter, das Haupt- und Nebengebäude umzieht, ist wohl erhalten und der junge Baum, der in der Nähe der Hausthür steht, hat seinen Pfosten, daran er sich lehnt, und seinen Bast, der ihn hält. Ueberall ein Geist mäßiger Ordnung, mäßiger Sauberkeit, überall das Bestreben, sich nach der Decke zu strecken und durch Fleiß und Sparsamkeit sich weiter zu bringen, aber nirgends das Bedürfniß, das Schöne, das erhebt und erfreut, in etwas anderem zu suchen, als in der Neuheit eines Anstrichs, oder in der Geradlinigkeit eines Zauns. Man will keine Schwalbe am Sims — sie bringen Ungeziefer; man will keinen Epheu am Haus — er schädigt das Mauerwerk; man will keine Bäume in Hof und Garten — sie machen feucht und halten das Licht ab; man will nicht Laube, nicht Veranda — was sollte man damit? Nützlichkeit und Nüchternheit herrschen souverain und nehmen der Erscheinung des Lebens allen Reiz und alle Farbe. Grün und gelb und roth wechseln die Häuser und liegen doch da wie einge- taucht in ein allgemeines, trostloses Grau. Den kläglichsten Anblick aber gewähren die sogenannten Ver- gnügungsörter. Man erschrickt bei dem Gedanken, daß es möglich sein soll, an solchen Plätzen das Herz zu erlaben und zu neuer Wochenarbeit zu stärken. Wie Ironie tragen einige die Inschrift: „Zum freundlichen Wirth.“ Man glaubt solcher Inschrift nicht; wer könnte freundlich sein in solcher Behausung und Umgebung? An der Eingangsthür hängen zwei Wirthshausschildereien von der bekannten Genrebilderart, die mehr an die Götzen und Kunst- zustände der Sandwichsinseln, als an die Nachbarschaft Berlins erinnern, und als einziger Anklang an Spiel und Heiterkeit zieht sich am Holzgitter des Hauses eine Kegelbahn entlang, deren küm- merliches und ausgebleichtes Lattenwerk dasteht wie das Skelett eines Vergnügens. Auf halbem Wege nach Tegel sind wir endlich bis an die letzten Ausläufer der Stadt gelangt, und eine Tannenheide nimmt uns jetzt auf, die uns, ziemlich ununterbrochen, bis an den Ort unserer Bestimmung führt. Noch ein weiter freier Platz, der uns nach links hin einen Blick auf den See und das Dörfchen Tegel gestattet, dann eine Wassermühle, hübsch, wie alle Wassermühlen, unter Bäumen gelegen, und eine Ahorn- und Ulmenallee liegt südlich vor uns, an deren entgegengesetztem Ende wir bereits die hellen Wände von Schloß Tegel schimmern sehen. Schloß Tegel, ursprünglich ein Jagdschloß des großen Kur- fürsten, kam, wenige Jahre nach dem Hubertsburger Frieden, in Besitz der Familie Humboldt. Alexander Georg von Humboldt, einem adeligen pommerschen Geschlechte angehörig, das im Fürsten- thum Cammin und im Neustettiner Kreise seine Besitzungen hatte, brachte es im Jahr 1765 durch Kauf an sich. Es scheint zweifelhaft, ob Tegel 1765 durch Kauf , oder 1766 als Frauengut an den Major v. Humboldt kam. Ich finde nämlich anderen Orts, aus ersichtlich guter Quelle, folgendes: „1766 vermählte sich der Obrist-Wachtmeister (Major) v. Humboldt mit Marie Elisabeth geb. Colomb, verwittwete Frau v. Hollwede. Aus dieser Ehe wurden Wilhelm und Alexander v. Humboldt geboren. Die Mutter der beiden Brüder war, als Erbtochter des Directors Johann Heinrich Colomb, Besitzerin von Ringenwalde in der Neumark, Tegel und Falkenberg (anderthalb Meilen von Berlin). In der Falkenberger Kirche ließ Frau v. Humboldt 1795 ein Erbbegräbniß bauen, in dem sowohl sie selbst wie ihre beiden Ehemänner (Hauptmann v. Hollwede † 1765 und Obrist- Wachtmeister v. Humboldt † 1779) beigesetzt wurden. Frau v. Humboldt starb 1796.“ 1767 wurde Wilhelm, 1769 Alexander von Humboldt geboren, aber nicht in Tegel, sondern in Berlin, wo der Vater aller Wahr- scheinlichkeit nach in Garnison stand. Nach dem Tode der Eltern wurde Schloß und Rittergut Tegel gemeinschaftliches Eigen- thum der beiden Brüder und blieb es, bis es im Jahr 1802 in den alleinigen Besitz Wilhelms von Humboldt (damals Ge- sandten in Rom) überging. Alexander von Humboldt hat sich im- mer nur besuchsweise in Schloß Tegel aufgehalten, und die histo- rische Bedeutung des Orts wurzelt überwiegend in dem vieljährigen Aufenthalte Wilhelms von Humboldt daselbst, der die letzten fünfzehn Jahre seines Lebens (von 1820 bis 1835), zurückgezogen von Hof und Politik, aber in immer wachsender Vertrautheit mit der Muse und den Wissenschaften, auf dieser seiner Besitzung zu- brachte. Die Kunstschätze, die Schloß Tegel bis diesen Augenblick um- schließt, gehören (wie ich bei Aufzählung derselben noch weiter hervorheben werde) nicht unwesentlichen Theils in das Gebiet des Familienporträts. Wilhelm von Humboldt selbst, seine Gemahlin, seine drei Töchter (jüngerer, in Rom verstorbener Kinder zu ge- schweigen) haben alle, sei es in Stein oder Farbe, eine so mannig- fache Darstellung gefunden, daß es nöthig sein wird, behufs bes- serer Orientirung, dem Leser einen kurzen Ueberblick über die Familienverhältnisse Wilhelms von Humboldt zu geben. Wilhelm von Humboldt war mit Caroline Friederike von Dacheroeden (geb. am 23. Februar 1766, gest. am 26. März 1829) vermählt. Aus dieser Ehe wurden ihm, mit Ausschluß der früh verstorbenen Kinder, drei Töchter und ein Sohn geboren. Der Sohn erhielt die Ottmachauschen Güter in Schlesien; die Töchter erhielten Tegel. Die älteste Tochter, Caroline von Hum- boldt, blieb unverheirathet und überlebte ihren Vater um kaum zwei Jahre. Die zweite Tochter, Adelheid von Humboldt, war mit dem Generallieutenant von Hedemann vermählt und besaß Schloß Tegel als väterliches Erbtheil von 1835 bis zu ihrem Tode 1856. Nach ihrem Tode (sie starb kinderlos) ging Tegel nunmehr auf die noch lebende dritte Schwester, Gabriele von Humboldt, Wittwe des ehemaligen Gesandten in London und Staatsministers von Bülow, über. Diese dritte Schwester ist die zeitige Besitzerin des Schwesternerbes; nach ihrem Tode, da auch sie keine Kinder hat, fällt Tegel an die männliche Linie, d. h. an die Besitzer der großen schlesischen Güter (Ottmachau) zurück. 13 Wir haben inzwischen die Ahorn- und Ulmenallee durch- schritten und stehen nunmehr rechts einbiegend unmittelbar vor dem alten Schloß. Die räumlichen Verhältnisse sind so unbedeutend und die hellgelben Wände, zumal an der Frontseite, von solcher Schmucklosigkeit, daß man dem Volksmunde Recht geben muß, der sich weigert von „ Schloß Tegel“ zu sprechen und diesen Dimi- nutivbau „das Schlößchen“ zu nennen pflegt. Man erkennt deut- lich noch die bescheidenen Umrisse des alten Jagdschlosses, dessen einzig charakteristischer Zug, neben einem größeren Seitenthurm, in zwei erkerartig vorspringenden Thürmchen oder Ausbuchtungen bestand. Diese Erkerthürmchen sind dem Neubau, der 1822 unter Schinkels Leitung begonnen wurde, verblieben, während der große Seitenthurm das hübsche Motiv zur Restaurirung des Ganzen ab- gegeben hat. An den vier Ecken des alten Hauses erheben sich jetzt vier Thürme von mäßiger Höhe, die derart eingefügt und unter einander verbunden sind, daß sie im Innern nach allen Seiten hin die Zimmerreihen erweitern, während sie nach außen hin dem Ganzen zu einer Stattlichkeit verhelfen, die es bis dahin nicht besaß. Wir treten nun ein und befinden uns auf dem niedrigen, aber ziemlich geräumigen Hausflur, der ganz im Charakter eines Atriums gehalten ist. Kurze dorische Säulen tragen Decke und Gebälke, eine einfach gemusterte Steinmosaik füllt den Fußboden und Basreliefs aller Art und Größe schmücken zu beiden Seiten die Wand. Ziemlich in der Mitte des Atriums befindet sich, auf einem Sockel oder Fußgestell, die eigentliche Sehenswürdigkeit des- selben: eine antike, mit bacchischen Reliefs verzierte Brunnen- mündung, die sich vormals in der Kirche St. Calisto in Traste- vere zu Rom befand. Der Sage nach soll der heilige Calixtus in dieser marmornen Brunnenmündung ertränkt worden sein, weßhalb das Wasser, das aus derselben geschöpft wurde, lange Zeit für wunderthätig galt. Wilhelm von Humboldt, während seines lang- jährigen Aufenthalts in Rom, brachte dieses interessante Curiosum käuflich an sich und schmückte dasselbe mit folgender lateinischer Inschrift: „Puteal, sacra bacchica exhibens, idem illud, in quo, ad martyrium patiendum, circa A. C. C. XXIII, S. Calistus immersus traditur, ex ejusdem S. Calisti aede Romana Transtiberina emptionis jure huc devectum. (Also etwa: Diese Brunnenmündung, einen Bacchuszug auf ihrer Außen- seite darstellend, ist dieselbe, in welcher, einer Sage nach, der hei- lige Calixtus ertränkt wurde und das Martyrium erduldete, etwa 223 nach Christus. In der Kirche des heiligen Calixtus zu Tra- stevere bei Rom käuflich erstanden, wurde sie (die Brunnenmün- dung) hierher gebracht.) Zu beiden Seiten des Atriums befinden sich verschiedene Räumlichkeiten, die alle ohne Bedeutung sind, mit Ausnahme des nach rechts hin gelegenen Studirzimmers Wilhelms von Humboldt. Vieles darin erinnert noch an seinen ehemaligen Bewohner, der hier die reifsten seiner Arbeiten überdachte und niederschrieb. Hier entstanden, seiner Familie selbst ein Geheimniß und nach seinem Tode erst aufgefunden, jene Sonette, die Alexander von Humboldt gewiß mit Recht „die Selbstbiographie, die Charakteristik des theuren Bruders“ genannt hat. Hier traten, in mitternächtiger Stunde, jene stillen Klagen und Bekenntnisse an’s Licht, zu deren sorglicher Concipirung und Gestaltung ihm die Arbeit des Tages keine Muße gegönnt hatte; hier schrieb er in Dankbarkeit gegen die Stille und Verschwiegenheit der Nacht: Das Leben ist an Möglichkeit gebunden, Und ihre Grenzen sind oft eng gezogen; Der Freude Maaß wird spärlich zugewogen, Des Leidens Knäuel langsam abgewunden. Allein der Mitternacht geheime Stunden Sind günstiger dem Sterblichen gewogen; Wer um des Tages Glück sich fühlt betrogen, Der heilt im süßen Traum des Wachens Wunden; stille, durch poetische Innigkeit ausgezeichnete Bekenntnisse, an denen sich glücklicherweise die bescheidene Hoffnung des Dichters: 13* Vielleicht geschieht’s, daß freundliches Gefallen Vom Untergange kleine Anzahl rette, und nicht die Resignation der zwei folgenden Zeilen erfüllt hat: Sonst in des Zeitenstromes breitem Bette Ist ihr natürlich Loos, schnell zu verhallen. In der Nähe der Fensterwand steht der Schreibtisch, kein elegantes Tischchen, sondern ein schwerer, massiver Bau von Maha- goniholz, ersichtlich „ein Krieger für den Werkeltag.“ Auf dem Tisch, und zwar in der Mitte desselben, steht eine antike Doppel- herme, rechts daneben ein Torso, links aber die berühmte, vom Maler Asmus Carstens herrührende Statuette einer Parze, die am Sockel die Namensinschrift des Künstlers und die Jahreszahl 1795 trägt. An der gegenüber liegenden Wand, so daß das Auge des Schreibers, so oft er aufblickte, darauf fallen mußte, befinden sich die Statuen der kapitolinischen Venus und der Venus von Milo, zwischen beiden ein Panorama von Rom und die Constan- tinsschlacht, nach dem berühmten Raphaelischen Bilde. Die Ge- sammtheit der in diesem Zimmer vorhandenen Kunstschätze auf- zählen zu wollen, hieße den Leser ermüden; nur einer Kreidezeich- nung Thorwaldsens, „Bacchus, welcher dem Amor zu trinken gibt,“ sei noch, ihrer besonderen Lieblichkeit und Grazie halber, erwähnt. Von den Bildern und Statuen hinweg treten wir jetzt an die Glas- und Bücherschränke heran, die ihrem Inhalte nach, wenigstens theilweise, der Humboldtschen Zeit angehören und uns somit Gelegenheit geben, einen Einblick in die privateren Studien, selbst in die Unterhaltungslectüre des Gelehrten zu thun. Da haben wir Byrons Life and works in 17 Bänden, und Adam Smiths „Wealth of Nations“ in drei; Loudons Encyclopaedia of Gardening und Cooks Reisen um die Welt; Schleiermachers Predigten in acht und die Schriften der Rahel in drei Bänden; Voltaire und Rousseau in zusammen 74 Halbfranzbänden friedlich neben einander; Goethe in einer Ausgabe von 1817; Bulwers Eugen Aram und Rienzi in großem Originalformat und Adelungs Wörter- buch in vier mächtigen Schweinslederbänden. Bescheiden in einer Ecke lehnen zwei der berühmtesten Werke Wilhelms von Humboldt selbst und führen, in Goldbuchstaben auf Dunkelblau, ihre wohl- bekannten Titel: „Ueber die Kawi-Sprache auf der Insel Java,“ und „über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaus.“ Neben dem Arbeitszimmer befindet sich das ehemalige Schlaf- kabinet Wilhelms von Humboldt, in dem er am 8. April 1835 starb. Der überaus kleine Raum ist gegenwärtig unbenutzt und dient nur zur Aufstellung zweier weiblicher Torsen aus parischem Marmor, die zur Zeit des egyptischen Feldzugs (1799) durch einen französischen Offizier von Athen nach Rom gebracht und an den Kunsthändler Antonini daselbst verkauft wurden. Von diesem er- stand sie Wilhelm von Humboldt. Nach dem einmüthigen Urtheil aller Sachverständigen gehören diese Torsen zu dem Schönsten, was wir an weiblichen Körpern von griechischer Kunst besitzen. Professor Waagen ist der Meinung, daß beide einer Gruppe von Grazien angehören, deren dritten Torso er in der Sculpturen- sammlung des Herrn Blundell Weld in der Nähe von Liverpool entdeckt zu haben glaubt. Wir verlassen nun die untern Räume und steigen vom Atrium aus treppauf, um den obern Zimmern unsern Besuch zu machen. Die Treppe selbst indeß, vor allem die Art und Weise, wie Schinkel (der auch hier den Umbau leitete) alle entgegenstehenden Schwie- rigkeiten glücklich überwunden hat, fesselt uns noch auf Augen- blicke. Die Enge des Raums schrieb ihm Verhältnisse vor, die etwas Kleines und Puppenstubenhaftes nicht vermeiden konnten, und doch glückte es ihm, durch Wölbungen hier, durch Mauer- einschnitte dort, dem Ganzen den Eindruck einer lichthellen Heiter- keit zu leihen und endlich durch Farbe und Ornamentik diesen Eindruck bis zum Schönen und Gefälligen zu steigern. Die einzelnen Decken und Rundbögen, deren Dimensionen mehr an das Modell eines Hauses als an ein wirkliches Haus erinnern, sind mit Stern- chen auf dunkelblauem Grunde geschmückt und zwei in die Wand- fläche des Treppenabsatzes gemalte Kandelaber (es war kein Raum da, um wirkliche aufzustellen) gelten für Meisterstücke guten Ge- schmacks und correkter Zeichnung. Die oberen Räume, ein Empfangszimmer, ein Saal, ein Wohnzimmer und zwei Thurmgemächer, bilden ein völliges Museum und sind zu reich ausgestattet mit Kunstschätzen und Sehenswür- digkeiten aller Art, als daß mehr wie eine bloße Aufzählung des Vorhandenen an dieser Stelle gestattet sein könnte. Und selbst diese Aufzählung werde ich auf die Hauptsehenswürdigkeiten, d. h. also auf Originalwerke zu beschränken haben, und so unterscheiden wir denn, ohne auf die Art der Placirung Rücksicht zu nehmen, neben den Werken der Antike, die Arbeiten Thorwaldsens, Rauchs und Friedrich Tiecks; von Werken der Maler aber verschiedene von Gottlieb Schick, Carl Philipp Fohr, Carl Steuben und Wilhelm Wach herrührende Bilder und Porträts. Antiken . Die Statue der Nymphe Anchyrrhoe mit einem Wassergefäß, gefunden vor Ponte Molle bei der Osteria la Finocchia. Ihren Namen (Anchyrrhoe) hat diese Statue nach einer Bezeich- nung, welche Ennio Quirino Visconti auf einem andern, lebens- großen, jetzt im Louvre befindlichen Exemplar derselben Statue, von übrigens viel geringerer Arbeit gefunden hat. Diese Statue hingegen zeichnet sich eben so sehr durch das graziöse Motiv, wie durch die vortreffliche Arbeit aus. Die Statuette einer tanzenden Bacchantin mit dem Thyrsus (der Kopf modern). — Das Fragment einer antiken Sarkophag- sculptur, welche den Raub der Proserpina darstellt. — Der thro- nende Jupiter, ein Relief aus dem Palast Rondanini. — Vulcan, ein Relief, ebendaher. — Ein Rund, auf dessen einer Seite sich der Kopf des Jupiter Ammon, auf der andern eine opfernde Bac- chantin befindet. — Die antike Statue des Bacchus aus penteli- schem Marmor. (Der Kopf, nach Angaben von Rauch, ergänzt.) — Die drei Parzen, ein antikes Basrelief in Marmor. Dieses Relief ist besonders durch die Art der Auffassung merkwürdig. Die sitzende Klotho spinnt, und die in der Mitte stehende Atropos schneidet den Lebensfaden ab; die Lachesis aber steht an einem Globus und bezeichnet an demselben das menschliche Geschick. Hieran schließen sich, bevor wir zu den Arbeiten neuer Mei- ster übergehen, jene werthvollen, wenigstens zum Theil der Antike angehörigen Geschenke, die von Seiten Pius VII. , als Zeichen des Danks für wichtige, auf dem Wiener Congreß und später in Paris ihm geleistete Dienste, an Wilhelm von Humboldt überreicht wurden. Diese Geschenke sind folgende: „Eine Säule von orienta- lischem Granit, die eine moderne Copie, in grünem Porphyr, von dem berühmten Kopfe der Medusa aus dem Hause Rondanini trägt, deren Original sich in der Glyptothek zu München befindet. — Zwei andere Säulen aus rosso antico von großer Schön- heit, die zwei zierliche Vasen aus jener Marmorart tragen, die den Namen giallo antico führt. — Alle drei Säulen tragen, aufge- hängt an einem Kettchen, das in Erz gegossene und vergoldete Wappen Pius VII. Es besteht aus drei Feldern, in deren größe- rem sich das päpstliche Doppelkreuz und die Inschrift Pax befindet, während die zwei kleineren Felder drei Sternchen und drei Köpfe zeigen. Ueber jedem einzelnen Wappen kreuzen sich die Schlüssel Petri. Diese werthvollen Geschenke wurden an Wilhelm von Hum- boldt mit folgendem Schreiben überreicht: „An den Herrn Baron von Humboldt der Papst Pius VII. “ „Der so nachdrückliche Beistand, welchen Sie dem Ritter Ca- nova Der berühmte Bildhauer Canova war im Jahr 1815 Commissa- rius für die Zurückforderung der aus den päpstlichen Staaten nach Paris entführten Kunstdenkmäler. zu dem glücklichen Ausgang seines Auftrags haben ange- deihen lassen, hat Uns nicht überrascht, denn da Wir Sie zur Genüge kennen, versahen Wir Uns mit Gewißheit, daß Sie sich der Sache Roms und Unserer Person mit Nachdruck annehmen würden. Nichtsdestoweniger fühlen Wir uns, nachdem Wir ver- nommen, wie viel Sie zu der Rückkehr der antiken Denkmale, Handschriften und anderer kostbaren Gegenstände beigetragen haben, verpflichtet, Ihnen in eigener Person Unsern Dank zu erkennen zu geben. Rom hatte sicherlich Ursache, Sie nicht zu vergessen, der Sie sich, während Ihres Aufenthaltes daselbst, so viel Liebe und Achtung erworben, es wird aber fortan noch einen andern gewich- tigen Grund haben, Ihrer als des wohlverdienten Freundes des Sitzes der schönen Künste zu gedenken.“ „Wir werden Ihnen ein dankbares Andenken für dasjenige bewahren, was Sie in dieser bedeutenden Angelegenheit gewirkt haben, wie Wir Ihnen ein Gleiches für alles dasjenige bewahren, welches Sie zu Unserm Frommen in Wien gethan, wie der Car- dinal Consalvi Uns berichtet hat.“ „Wir werden mit der größten Freude jede Gelegenheit er- greifen, um Ihnen Unser besonderes Wohlwollen und Unsere Ach- tung zu bezeugen, und werden den Höchsten bitten, daß es ihm gefallen möge, über Sie seine Gaben und seine himmlische Er- leuchtung in Fülle auszugießen und Ihnen die vollkommenste Glück- seligkeit zu bescheren.“ „Gegeben zu Castel Gandolfo den 26. October 1815, im 16ten Jahre Unseres Pontificats. Pius. P. P. VII. “ Ich fahre nun fort in der Aufzählung der in Tegel vorhan- denen Originalwerke der Sculptur sowohl wie der Malerei. Zunächst von Thorwaldsen . Die Statue der „Hoffnung“ im Styl der altgriechischen Kunst, mit der Lotosblume in der Rechten. Eine Copie dieser Statue, von Friedrich Tieck herrührend, krönt die Säule auf dem mehrgenannten Begräbnißplatz der Fa- milie. — Die Marmorbüste der Frau von Humboldt. — Die Marmorbüste Wilhelms von Humboldt. — Zwei Kreidezeichnungen: Maria mit dem Kinde und dem kleinen Johannes, und Maria und das Christuskind, welche sich liebkosen. Die erste Zeichnung trägt die Unterschrift: Albertus Thorwaldsen in. et del.; die zweite: Roma, 23 Febbrajo 1818, A. Thorwaldsen f. Von Rauch . Venus, welche dem Mars ihre vom Diomedes verwundete Hand zeigt. (Marmorrelief in einem Rund ausgeführt.) Eine der frühesten und reizendsten Arbeiten des Meisters. — Die sitzende Statue eines jungen Mädchens, durch den Schmetterling in ihrer Rechten als Psyche bezeichnet (zu gleicher Zeit Porträt- statue der damals (1810) zehnjährigen Adelheid von Humboldt.) — Die Marmorbüste Alexanders von Humboldt. — Die Büsten der als Kinder verstorbenen Gustav und Louise von Humboldt. Von Friedrich Tieck . Die Statuen des Odysseus, des Achill, der Omphale und der Iphigenie. — Reliefbild Alexanders von Humboldt. — Reliefbild des Grafen Gustav von Schlaberndorf. Von Gottlieb Schick . Adelheid und Gabriele von Hum- boldt als Kinder (Oelporträts auf Einem Bilde), eines der vor- züglichsten Werke dieses leider so früh verstorbenen Künstlers. Durch das offene, weinumrankte Fenster sieht man auf Berg und See einer still heitern italienischen Landschaft hinaus. Die schlichten, einfachen Kleidchen verhüllen nur eben die jugendlichen Körper der beiden Mädchen, von denen die jüngere träumerisch mit Blumen spielt. — Das Bildniß Carolinas von Humboldt, der älteren Schwester der beiden eben genannten. In Größe, Farbe und Auf- fassung dem vorigen Bilde sehr ähnlich, aber nicht ganz von dem- selben Reiz. Von Carl Philipp Fohr (1818 in Rom ertrunken). Hagen im Gespräch mit den Donaunixen (Federzeichnung). Von Carl Steuben . Das Bildniß Alexanders von Hum- boldt, damals (1812) 42 Jahre alt, in lebensgroßer Figur. Vorn Basaltsäulen, im Hintergrunde der Chimborasso. Höchst brillant gemacht, aber nicht ohne Anflug von Manier. Vielleicht verlohnt es sich, und zwar speciell im Hinblick auf die zuletzt genannten Porträts, die ganze reiche Sammlung noch ein zweites mal kurz an uns vorüber ziehen zu lassen, lediglich in der Absicht, uns mit der Thatsache vertraut zu machen, daß neben einem Cultus der Schönheit, der unbestritten hier stattfand, zu gleicher Zeit ein Familiensinn, ein alle Glieder umschlin- gendes Liebesband hier thätig war, das, wie in manchem andern, so auch namentlich in der reichen Ansammlung von Fami- lienporträts einen sprechenden Ausdruck gefunden hat. Die Zahl dieser Porträts (mit Umgehung geringfügigerer Arbeiten) ist siebzehn. Alexander von Humboldt : Zwei große Oelbilder von Steuben und einem Ungenannten, vielleicht Wach oder Krüger; eine Porträt-Büste von Rauch; ein Relief-Porträt von Friedrich Tieck. Wilhelm von Humboldt : Eine Büste von Thorwaldsen; ein Relief von Martin Klauer in Rom; ein Kreideporträt von Franz Krüger. Frau von Humboldt : Ein Oelporträt von Schick; eine Marmorbüste von Thorwaldsen; ein Kreideporträt von Wilhelm Wach. Caroline von Humboldt : Oelbild von Schick. Adelheid von Humboldt : Oelbild von Schick; Marmor- statue (als Psyche) von Rauch. Gabriele von Humboldt : Oelbild von Schick. Gustav und Louise von Humboldt : Zwei Büsten von Rauch. Therese von Bülow : Büste von Rauch. Außer den fünf Zimmern, die alle diese Kunstschätze von Meisterhand enthalten, befinden sich im obern Stockwerk noch einige andere Räume, die nicht eigentlich zu den Sehenswürdigkeiten des Schlosses gehören, aber, unter dem Einfluß des Contrastes, bei jedem, der zu ihrem Besuch zugelassen wird, ein lebhaftes Interesse wecken werden. Hier in den Zimmern, die nach außen hin nichts zu bedeuten, nichts zu repräsentiren haben, hängen die ersten An- fänge kurbrandenburgischer Malerkunst, wie eben so viele grob ge- tuschte Bilderbogen an Wand und Pfeiler, und zwingen selbst dem preußenstolzesten Herzen ein mitleidiges Lächeln ab. Sinn und Seele noch tief erfüllt vom Anblick idealer Schönheit, die in hun- dert Gestalten und doch immer als dieselbe eine , eben erst zu uns sprach, werden wir, Angesichts dieser blaurothen Soldateska, irre an allem, was uns bis dahin die Aufgabe einer neuen Zeit, als Ziel einer neuen Richtung gegolten hat, und verlegen treten wir seitwärts, um des Anblicks von Dreimaster und Bortenrock nach Möglichkeit überhoben zu sein. Mit Unrecht; nicht die Rich- tung ist es, die uns verdrießt, nur das niedrige Kunstmaß inner- halb derselben. Ein Modell der Rauch’schen Friedrichsstatue, eine Menzel’sche Hochkirchschlacht würden uns auch vielleicht frappirt, aber noch im Augenblicke der Ueberraschung, durch den Eindruck auf unser Gemüth, uns ihre Ebenbürtigkeit bewiesen haben. Wir verlassen nun das Haus und seine bildgeschmückten Zimmerreihen, um der vielleicht eigenthümlichsten und fesselndsten Stätte dieser an Besonderem und Abweichendem so reichen Besitzung zuzuschreiten — der Begräbnißstätte . Der Geschmack der Hum- boldtschen Familie (vielleicht auch ein Höheres noch als das) hat es verschmäht, in langen Reihen eichener Särge den Tod gleichsam überdauern und die Asche der Erde vorenthalten zu wollen. Des Fortlebens im Geiste sicher, durfte ihr Wahlspruch sein „Erde zu Erde.“ Kein Mausoleum, keine Kirchenkrypta nimmt hier die irdi- schen Ueberreste auf; ein Hain von Edeltannen friedigt die Be- gräbnißstätte ein und in märkisch-tegelschem Sande ruhen die Mit- glieder einer Familie, die, wie kaum eine zweite, diesen Sand zu Ruhm und Ansehen gebracht. Zwei Wege führen vom Schloß aus zu diesem inmitten eines Hügelabhangs gelegenen Friedhof hin. Wir wählen die Lindenallee, die geradlienig durch den Park läuft und zuletzt in leiser Biegung zum Tannenwäldchen hinansteigt. Unmerklich haben uns die Bäume des Weges bergan geführt, und ehe uns noch die Frage gekommen, ob und wo wir den Friedhof finden werden, stehen wir bereits inmitten seiner Einfriedigung, von dicht und wandartig sich erhebenden Tannen nach allen vier Seiten hin überragt. Das Ganze berührt uns mit jenem stillen Zauber, den wir empfinden, wenn wir plötzlich aus dem Dunkel des Waldes auf eine Waldwiese treten, über die abwechselnd die Schatten und Lichter des Himmels ziehen. Die Bergwand, die den Platz gegen Norden und Osten hin umlehnt, schützt ihn gegen den Wind und schafft eine selten unterbrochene Stille. Die Form des Ganzen ist ein Oblong, etwa dreißig bis 40 Schritte lang und halb so breit. Der ganze Raum theilt sich in zwei Hälften, in eine Gartenanlage und in den eigentlichen Friedhof. Dieser besteht aus einem einge- gitterten Viereck, an dessen äußerstem Ende sich eine dreißig Fuß hohe Granitsäule auf Quaderstufen erhebt. Von dem jonischen Kapitäl der Säule blickt die Marmorstatue der „Hoffnung“ auf die Gräber herab. Blumenbeete schließen das Eisengitter ein. Die Zahl der Gräber, wenn ich richtig gezählt, beläuft sich auf zwölf, und wenig Raum ist gelassen für neu hinzukommende. Die Grabsteine, die sich der Säule zunächst befinden (darunter Wilhelm von Humboldt, seine Gemahlin und die älteste Tochter Caroline), haben keine Inschriften, sondern Name, Geburts- und Todesjahr der Heimgegangenen sind in die Quadern des Posta- ments eingegraben. Die mehr am andern Ende des Gitters gele- genen Hügel aber weisen kleine Marmortäfelchen auf, die einfach den Namen und die Daten tragen und in ihrer Schlichtheit an die Stäbchen erinnern, die der Gärtner dort in die Erde steckt, wo er um die Herbstzeit ein Samenkorn für den Frühling ge- pflanzt hat. Alle Gräber sind mit Epheu dicht überwachsen; nur eines, der Gitterthür und dem Beschauer zunächst, entbehrt noch der frischen, dunkelgrünen Decke. Fahl gewordene Tannenreiser bedecken die Stätte, aber auf den Reisern liegen Lorbeer- und Eichenkränze und verrathen leicht, wer unter ihnen schläft. Wenn ich den Eindruck bezeichnen soll, mit dem ich von dieser Begräbnißstätte schied, so war es der, einer entschiedenen Vor- nehmheit begegnet zu sein. Ein Lächeln spricht aus allem und das resignirte Bekenntniß: wir wissen nicht, was kommen wird, und müssen’s — erwarten. Deutungsreich blickt die Gestalt der Hoffnung auf diese Gräber hernieder. Im Herzen dessen, der diesen Friedhof schuf, war eine unbestimmte Hoffnung lebendig, aber kein bestimmter siegesgewisser Glaube . Ein Geist der Liebe und Humanität schwebt über dem Ganzen, aber nirgends eine Hindeutung auf das Kreuz, nirgends der Ausdruck eines uner- schütterlichen Vertrauens. Das sollen nicht Splitterrichter-Worte sein, am wenigsten Worte der Anklage; sie würden dem nicht ziemen, der selbst lebendiger ist in der Hoffnung als im Glauben; aber ich durfte den einen Punkt nicht unberührt und ungenannt lassen, der, unter allen märkischen Edelsitzen, dieses Schloß und diesen Friedhof zu einem Unicum macht. Die märkischen Schlösser, wenn nicht ausschließlich feste Burgen altlutherischer Confession, haben abwechselnd den Glauben und den Unglauben in ihren Mauern gesehen; straffe Kirchlichkeit und laxe Freigeisterei haben sich innerhalb derselben abgelöst. Nur Schloß Tegel hat ein drittes Element in seinen Mauern beherbergt, gleich weit entfernt von Orthodoxie wie von Frivolität, jenen Geist, der sich inmitten der Antike und Classicität langsam, aber sicher auszubilden pflegt, und lächelnd über die Kämpfe und Befehdungen beider Extreme, das Diesseits genießt und auf das räthselvolle Jenseits hofft . Schloß Oranienburg. Noch ragt der Bau, doch auf den breiten Treppen Kein Leben mehr, kein Rauschen seidner Schleppen, Die alten Mauern stehen öd und leer, ’s sind noch die alten und — sie sind’s nicht mehr. D ie stille klare Havel, mit jener Fülle von Seen, die sie an ihrem blauen Bande aufreiht, ist mir immer wie ein Strom vor- gekommen, dem eigens die Aufgabe zugefallen sei, als Spiegel für unsere königlichen Schlösser, für Pfaueninsel und Glienicke, für Babelsberg und Marmorpalais zu dienen. Die Schönheit wider- spiegelnd, verdoppelt sie den Reiz. So erscheint die Havel auf ihrem Mittellauf, zwischen Tegel und Brandenburg. Aber nicht überall ist sie sie selbst; schlicht, schmal, ein Wässerchen wie andere, tritt sie aus dem Mecklenbur- gischen in die Mark, um dann auf ihrem ganzen Oberlauf ein Flüßchen zu bleiben, das nicht Inseln wie Nymphaeenblätter trägt, sondern sich theilen muß, um eine Insel zu bilden, oder ein Stück Land mit dünnen Armen zu umspannen. Nicht das Wasser der Sieger, sondern das Land. So ist die Havel bei Oranienburg , dem unsere heutige Wanderung gilt. Bei leis stäubendem Regen verlassen wir die Residenz. Unser Weg führt uns zunächst durch den Wedding, dann, rechts an Tegel vorbei, bis nach dem romantischen Sandkrug, wo die Stehkrippen von unseren zwei Braunen, die den Weg zu kennen scheinen, mit lebhaftem Prusten begrüßt werden. Der Sand- krug verdient den Beinamen, den wir ihm so eben gegeben, denn die dunklen Forsten, die ihn einfassen, sind fast der einzige Punkt noch in der Umgegend Berlins, darin sich ein Stückchen roman- tischer Wegelagerei erhalten hat, freilich von jener unpoetischeren Art, die statt des lauten Angriffs in Stahl und Eisen die Schoß- kelle leise beschleicht und sich damit begnügt, statt der Hälse — die Koffer abzuschneiden. Der Sandkrug ist halber Weg; noch eine anderthalbstündige Fahrt an Tannenholz und Dörfern vorbei und wir halten auf einem großstädtisch angelegten Platz, über dem sich eben der präch- tigste Regenbogen wölbt. Das ist der Schloßplatz von Oranien- burg. Das Wetter klärt sich auf; die Sonne ist da. Das Haus, das uns aufnehmen soll, verbirgt sich fast hinter den Linden- bäumen, die es umstehen, und erweckt, neben manchem Anderen, unsere günstigsten Vorurtheile auch dadurch, daß wir vernehmen, es sei Rathhaus und Gasthaus zugleich. Wo Justiz und Gastlich- keit so nahe zusammen wohnen, da ist es gut sein. In alten Zei- ten war das häufiger; unsere Altvodern verstanden sich besser auf Gemüthlichkeit als wir. Die Luft ist warm und weich und ladet uns ein, unsern Nachmittagskaffee im Freien zu nehmen. Da sitzen wir denn auf der Treppe des Hauses, die sich nach rechts und links hin zu einer Art Veranda erweitert, und freuen uns der Stille und der balsa- mischen Luft, die uns umgeben. Die Kronen der Lindenbäume sind unmittelbar über uns, und so oft ein Luftzug über den Platz weht, schüttelt er aus dem dichten Blattwerk einzelne Regentropfen auf uns nieder. Zu unserer Linken, ziemlich in der Mitte des Platzes, ragt die Statue der hohen Frau auf, die dieser Stadt den Namen und, über ihren engsten Kreis hinaus, zuerst ein An- sehen in der Geschichte unseres Landes gab; dahinter, zwischen den Stäben eines Gitterthors, schimmern die Bäume des Parks hervor, unmittelbar vor uns aber, nur durch die Breite des Platzes von uns getrennt, ragt der alte Schloßbau selbst auf, dessen Bild und dessen Geschichte uns heut beschäftigen soll. Wir haben die Front des Schlosses in aller Klarheit vor uns, aber doch ist es nur die kleinere Hälfte, deren wir von un- serem Platz aus ansichtig werden. Die Form des Oranienburger Schlosses in seiner Blüthezeit war die eines lateinischen H, oder mit anderen Worten, es bestand aus einem Haupt- oder Mittel- stück (corps de logis), an das sich zwei Vorder- und zwei Hinter- flügel lehnten. Die beiden Hinterflügel existiren noch, entziehen sich aber unserem Blick; von den Vorderflügeln wurde der eine (der rechts gelegene) durch Feuer zerstört. Schloß Oranienburg, wenn wir diese Bezeichnung zunächst unterschiedlos und mit einer Art rückwirkender Kraft festhalten wollen, ist ein alter Schloß- und Burgbau, der sich an derselben Stelle, d. h. also auf der kleinen vor uns gelegenen Havelinsel, seit nahe an 700 Jahren erhebt. Wir haben hier, wie bei verschiedenen andern hohenzollernschen Schlössern, drei Epochen zu unterscheiden, drei Epochen, die sich in aller Kürze durch drei bestimmte Worte bezeich- nen lassen: Burg, Jagdhaus, Schloß . Erst das „Schloß“ (wir werden bald sehen, aus welcher Veranlassung) empfing den Namen Oranienburg , während Burg und Jagdhaus den Namen Bötzow , d. h. den Namen jenes uralten wendischen Dorfes führten, den die vordringenden Deutschen bei ihrer Eroberung des Landes be- reits vorfanden. Die Geschichte kennt also bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts hinein nur eine „Burg Bötzow,“ resp. ein „Jagdhaus zu Bötzow;“ erst von den Tagen der Oranierin an, die hier ein „ Schloß ,“ einen verhältnißmäßig prächtigen Neubau, an alter Stelle erstehen ließ, existirt ein Oranienburg . ( Burg und Jagdhaus Bötzow von 1200—1650.) Wann Burg Bötzow gegründet wurde, ist nicht genau ersichtlich, wahrscheinlich zwischen 1170 und 1200, von einem der unmittel- baren Nachfolger Albrecht des Bären. 1217 ist urkundlich von einer Feldmark zu Bötzow die Rede, aber freilich erst 1288 von einer Burg zu Bötzow. Nichtsdestoweniger ist der Schluß berech- tigt, daß sie schon volle hundert Jahre früher existirte. Oefter ge- nannt wird die Burg zu den Zeiten des Markgrafen Waldemar ; Leben und Farbe indeß erhalten die Ueberlieferungen erst zu An- fang des 15. Jahrhunderts während der Quitzow -Zeit. Versuch ich es, in kurzen Zügen ein Bild jener Epoche zu geben. 1402 war Bötzow eine markgräfliche oder kurfürstliche Burg, die durch einen Burgvoigt im Namen des Markgrafen Jobst von Mähren, oder vielleicht auch seines Statthalters, Günther von Schwarzburg, gehalten wurde. Das Elend des Landes stand da- mals auf seiner Höhe; wie ein hingeworfener Fetzen lag es da, von dem jeder Nachbar, ja jeder ehrgeizige Vasall im Lande selbst, glaubte nehmen zu dürfen, was ihm gut erschien. Sie hatten es sammt und sonders leicht genug; um aber noch sicherer und be- quemer zu gehen, vereinigten sie sich zu gemeinschaftlichen Angriffen, nachdem die Vertheilung der Beute zuvor festgesetzt worden war. Im genannten Jahre (1402) kam es zu einer Art von nordischem Bündniß gegen die offen daliegende Mark, zu einer Ligue, die aus den Herzögen von Mecklenburg und Pommern, so wie aus den Ruppin’schen Grafen bestand, deren Seele jedoch die Quitzow’s waren. Die letztern, wiewohl selber Lehnsträger des Markgrafen, verfolgten, politisch genommen, den richtigen und gut zu heißen- den Plan, sich in dem immer herrenloser werdenden Lande schließ- lich selber zum Herrn zu machen, und die Bündnisse, die sie schlossen dienten ihnen nur als Mittel zum Zweck. Die Völker der Ligue fielen endlich in die Mark ein, sengten und plünderten, wohin sie kamen, erstürmten Burg Bötzow und legten an Stelle der märki- schen nunmehr eine pommersche Besatzung in die Burg. Die Mark, nachdem die kurfürstliche Autorität durch diese Vorgänge, besonders aber in Folge der Gefangennahme des Statthalters Günther von Schwarzburg (durch die Quitzows 1404), einen Schlag nach dem andern erfahren hatte, suchte endlich eine Aus- söhnung mit ihren gefährlichsten Gegnern, den Quitzows, herbei- zuführen und war in ihren Verhandlungen — vielleicht eben des- 14 halb, weil die beiden Brüder ein eben so feines wie kühnes Spiel spielten — glücklich genug, diese selbst und ihren nächsten Anhang auf ihre Seite zu ziehen. Burg Bötzow wurde nun abermals ge- stürmt, diesmal von den Märkern , und die gefangenen Pom- mern im Triumph nach Berlin geführt; eine Quitzow ’sche Be- satzung aber (keine kurfürstliche) ward in die Burg gelegt. Von da ab, auf fast zehn Jahre hin, blieb Bötzow eine Quitzow’sche Burg, bis zum endlichen Untergang der Familie. In dieser Zeit wird die Burg vielfach genannt. Nach Burg Bötzow war es, wohin die Quitzows den Herzog Johann von Mecklenburg- Stargard (1407) als Gefangenen abführten, nachdem er zuvor in ihrer Burg Plaue gesessen hatte; in denselben Thurm setzten sie 14 Monate später den Berliner Rathsherrn Nicolaus Wins, den sie, mit andern Berliner Bürgern, bei der Tegeler Mühle (3. September 1410) geschlagen hatten, und noch 1414, als der Stern des Hauses bereits im Niedergange stand, geschah es, daß ihr Hauptmann, Werner von Holzendorff, dem sie die Vertheidi- gung der Burg anvertraut hatten, den Boten Kurfürst Friedrichs I. (der die Aufforderung zur Uebergabe brachte) in den Thurm wer- fen und mit Ruthen streichen ließ. Aber das war das letzte Auf- flackern; das kecke, kriegerische Leben hier ging seinem Ende rasch entgegen. Klugheit und Politik traten an die Stelle der Sturm- leitern, und ohne Schwertstreich hielten alsbald die Hohenzollern ihren Einzug. An die Zeit der Quitzows aber erinnert der „Quitzen- (Quitzow-) Steig,“ der bei dem nahe gelegenen Havelhausen vor- beiführt. Von da ab ist die Geschichte Burg Bötzows stumm; Ver- pfändungen und Einlösungen folgten einander, bis endlich um 1550 die Burg selbst verschwindet und ein „Jagdhaus“ an seine Stelle tritt. Aber auch über diesem Jagdhaus liegen Dunkel und Schweigen. Wir irren wohl nicht, wenn wir uns einen Bau mit Eckthürmen und gothischem Dache denken; Dagegen spräche nur, daß es in der Lebensbeschreibung des be- rühmten Grafen Rochus v. Lynar heißt: „Zu gleicher Zeit (etwa 1578 aber kein Bild des alten kurfürstlichen Hauses ist auf uns gekommen, noch weniger ein Bericht von Vorgängen innerhalb seiner Mauern. Kurfürst Joachim gab den Spreeforsten den Vorzug und das Jagdhaus zu Bötzow kam, dem Favorit-Jagdschloß zu Koepenick gegenüber, nur ausnahmweise zu Ehren, wenn sich dem Reiz der Jagd über- haupt noch der Reiz der Abwechselung hinzugesellen sollte. Burg und Jagdhaus Bötzow sind spurlos verschwunden; nur bei dem Umbau, dem, in jüngster Zeit erst, Schloß Oranienburg unter- worfen wurde, stieß man auf gewölbte Feldstein-Fundamente, die zweifellos wohl der alten Zeit von Burg Bötzow angehörten und bei weiterer Nachforschuug (die sich leider nicht ermöglichte) vielleicht einzelne Aufschlüsse über die Vorgeschichte dieses Punktes gegeben hätten. ( Schloß Oranienburg .) So kam das Jahr 1650. Die Kurfürstin Louise Henriette, geborene Prinzessin von Oranien (seit dem 7. December 1646 dem großen Kurfürsten vermählt), pflegte ihren Gemahl auf seinen Jagdausflügen zu begleiten. Einer dieser Ausflüge führte das junge Paar im Laufe des Sommers 1650 auch in die Nähe von Bötzow, und hier war es, wo die junge Fürstin beim Anblick der lachenden Wiesen, die den Lauf der Havel einfaßten, sich lebhaft in die fruchtbaren Niederungen ihrer hollän- dischen Heimath zurückversetzt fühlte und der Freude darüber den unverkennbarsten Ausdruck gab. Der Kurfürst, dessen Herz Liebe und Verehrung gegen die schöne, an Gaben des Geistes und Ge- müthes gleich ausgezeichnete Frau war, ergriff mit Eifer die Ge- legenheit, ihr ein erneutes Zeichen dieser Liebe zu geben und schenkte ihr das „Amt Bötzow mit allen dazu gehörigen Dörfern und Mühlen, Triften und Weiden, Seen und Teichen.“ Die Schenkung wurde dankbar angenommen, und an die Stelle des alten Jagdhauses aus der Zeit Joachims II. trat jetzt ein Schloß , oder 80) gab der Graf allerhand Verbesserungen an dem kurfürstlichen Schloß oder Jagdhaus zu Bötzow an.“ Diese Verbesserungen waren schwerlich im gothischen Styl. 14* das im Jahre 1652, in Huldigung gegen die Oranierin , deren Eigenthum und Lieblingssitz es inzwischen geworden war, den Namen „die Oranienburg“ erhielt. In kürzester Frist that auch die zu Füßen des Schlosses gelegene Stadt ihren alten Namen Bötzow bei Seite und nahm den Namen Oranienburg an. Das Jahr 1650 (eigentlich 52) bezeichnet also einen Wendepunkt; bis dahin Burg und Stadt Bötzow, von da ab Schloß und Stadt Oranienburg. Auch die Geschichte von Schloß Oranienburg, der wir uns jetzt zuwenden, sondert sich in drei bemerkenswerthe Gruppen; in die Zeit der Kurfürstin Louise Henriette von 1650—1667, in die Zeit ihres Sohnes, des ersten Königs, von 1688—1713 und in die Zeit des Prinzen August Wilhelm, von 1744—1758. Alles Andere wird nur in Kürze zu erwähnen sein. ( Die Zeit Louise Henriettens von 1650—1667.) Kaum war die Schenkungsurkunde ausgestellt, so begann auch die Thätigkeit der hohen Frau, die durch den Anblick frischer Wiesen nicht nur an die Bilder ihrer Heimath erinnert, die auch vor Allem einen Wohlstand , wie ihn die Niederlande seit lange kannten, hier in’s Dasein rufen und nach Möglichkeit die Wunden heilen wollte, die der 30jährige Krieg diesen schwer geprüften Landes- theilen geschlagen hatte. Kolonisten wurden in’s Land gezogen, Häuser gebaut, Vorwerke angelegt und alle zur Landwirthschaft gehörigen Einzelheiten alsbald mit Emsigkeit betrieben. Eine Meierei entstand und Gärten und Anlagen faßten alsbald das Schloß ein, in denen der Gemüsebau, die Baum- und Blumenzucht das Inter- esse der Kurfürstin und die Arbeit der Kolonisten gleichzeitig in Anspruch nahmen. Sie war eine sehr fromme Frau (ihr Leben und ihre Lieder zeugen in gleicher Weise dafür) aber ihre Fröm- migkeit war nicht von der blos beschaulichen Art und neben dem „bete“ stand ihr das „arbeite.“ Mild und wohlwollend wie sie war, duldete sie doch keine Nachlässigkeit, und in diesem Sinne schrieb sie z, B. am 27. April 1657 nach Oranienburg, daß es schimpflich für alle Beamten und geradezu unverantwortlich sei, daß in allen Gärten nicht so viel Hopfen gewonnen werde, wie zum Brauen erforderlich und könne davon nichts als eine schänd- liche Faulheit die Schuld sein. Eine Musterwirthschaft nach Holländischem Vorbild sollte hier entstehn, aber die Hauptaufmerksamkeit der hohen Frau war doch dem Schloßbau, der Gründung eines Waisenhauses und der Auf- führung einer Kirche zugewendet. Von dem Schloßbau werden wir ausführlicher zu sprechen haben; nur der Kirche sei schon hier in aller Kürze erwähnt. Mit großer Munifizenz ausgestattet, war sie nur wenig über hundert Jahr eine Zierde der Stadt. Im Jahre 1788 brannte sie nieder und nichts blieb übrig oder wurde aus dem Trümmerhaufen gerettet als ein kleiner Sandstein, der als Inschrift die Buchstaben trägt: L. C. Z. B. G. P. V. O., M, D. C. L. VIII. (Louise, Churfürstin zu Brandenburg, geborene Prinzessin von Oranien 1658). Diesen Sandstein hat man bei Aufführung des kümmerlichen Neubaues, der seitdem an die Stelle der alten Kirche getreten ist, in die Außenwand, nahe dem Ein- gang, eingefügt. Insoweit gewiß mit Unrecht, als er nunmehr die irrige Vorstellung weckt, daß dieser Bau es sei, den die fromme Werkthätigkeit der Kurfürstin habe entstehen lassen. Waisenhaus und Kirche entstanden unter der christlichen Für- sorge Louise Henriettens, aber früher als beide, entstand ihr Wohn- sitz, das Schloß selber. Die Frage drängt sich uns auf: wie war dies Schloß ? Es war, nach allgemeiner Annahme, ein drei Stock hohes, fünf Fenster breites Gebäude von Würfelform, das nur mittelst eines stattlichen Frontispice’s den Character eines Schlosses erhielt. Dies Frontispice war drei Fenster breit und vier Stock hoch, so daß es nicht nur das Hauptstück der ganzen Front bil- dete, sondern auch den übrigen Theil des Gebäudes thurmartig überragte. Auf dem flachen Dache befand sich ein mit einer Gallerie umgebener Altan, auf dem sich in der Mitte ein hoher und an jeder der vier Ecken ein kleinerer Thurm erhob. Der Schloßhof war mit einem bedeckten Gange umgeben, auf dessen Plattform zur Sommerzeit zahlreiche Orangenbäume standen. So war Schloß Oranienburg in den Jahren, die seiner Gründung unmittelbar folgten. Nichts davon ist der Gegenwart geblieben, und wir wür- den, da keine gleichzeitigen Pläne und Beschreibungen existiren, darauf verzichten müssen, uns eine Vorstellung von dem damaligen Anblick des Schlosses zu machen, wenn nicht in dem Waisenhause ein großes für die Local-Geschichte Oranienburgs höchst werthvolles Gemälde existirte, das, früher den Prachtzimmern des Schlosses selber angehörig, später ein Unterkommen im Waisenhause fand und in Ermangelung anderer Anhaltepunkte am ehesten geeignet ist, uns über die Gestalt der damaligen Oranienburg annähernden oder doch muthmaßlichen Aufschluß zu geben. Dies wandgroße Bild (etwa 11 Fuß im Quadrat) von dem sich eine gleichzeitige Copie als Plafond-Gemälde in einem der Säle, wahrscheinlich in einem der Pavillon-Zimmer befand, stellt, unter Benutzung der alten Dido-Sage, die Gründung Oranienburgs dar. In der Mitte des Bildes erkennen wir das kurfürstliche Paar, angethan mit allen Abzeichen ihrer Würde; Louise Henriette als Dido . Hinter dem Kurfürsten, den Speer in der Hand, steht der Oberst La Cave, während die Gräfin von Blumenthal, eine schöne, stattliche Dame, die Schleppe der Kurfürstin trägt. Weiter zurück, der Gräfin Blumenthal zunächst, erblicken wir den Oberjägermeister von Hertefeld und einen von Rochow (die Angaben fehlen, welchen). Alle die Genannten füllen die linke Seite des Bildes, während zur Rechten des Kurfürsten der Geheimrath Otto von Schwerin steht, in wenig schmeichelhafter Weise mit zurückgeschlagenen Hemds- ärmeln und im günstigsten Fall in der Rolle eines behäbigen Gerbermeisters. Er hält eine Kuhhaut (mit der Inschrift plus outre, „immer mehr“) in der Linken, während er mit der Rechten bemüht ist, die Haut in Streifen zu schneiden. Diese Streifen werden von drei oder vier geschäftigen Dienern zur Absteckung einer weiten, sich im Hintergrund markirenden Feldfläche benutzt, aus deren Mitte sich in grauweißer Farbe ein Schloß erhebt; nur skizzirt, aber doch deutlich genug erkennbar, um ein verständliches, anschauliches Bild zu geben. Diese Skizze, deren Details mit Frontispice und Thürmen ich weiter oben beschrieben habe, ist der einzige Anhaltepunkt, den wir für die damalige Form von Schloß Oranienburg haben, ein Anhaltepunkt, dessen Stichhaltigkeit aller- dings ziemlich gerechtfertigten Bedenken unterliegt. Pastor Ballhorn, in seiner trefflichen Geschichte Oranienburgs, hat dieser architektonischen Skizze im Hintergrunde des großen Bildes eine Beweiskraft beigelegt, die sie wohl kaum besitzt. Pastor B. vermuthet, daß das Bild zwischen 1653 und 1654 gemalt worden sei, was aber unmög- lich ist, da der Holländische Maler, Augustin Terwesten, von dem es her- rührt, erst 1649 geboren wurde. Augustin Terwesten (von 1696 ab Di- rektor der Akademie der Künste) kam 1690 nach Berlin, wohin er, 40 Jahre nach der Gründung Schloß Oranienburgs, durch Kurfürst Fried- rich III. gerufen wurde. Er begann damit, die kurfürstlichen Lustschlösser mit großen Tableaux zu schmücken und da um 1690 Schloß Koepnik be- reits beendet und Schloß Charlottenburg noch nicht angefangen war, so ist es wohl möglich, daß er in den Sälen von Schloß Oranienburg debütirte, das eben damals einem Umbau im großen Styl unterworfen wurde. Da dieser Umbau bereits 1688 begann, so ist es sehr wahrschein- lich, daß Augustin Terwesten das ursprüngliche Schloß, wie es die Kur- fürstin hier entstehen ließ, gar nicht mehr gesehen hat. Dennoch möcht’ ich auf diesen Umstand kein allzu bedeutendes Gewicht legen, da es, zwei Jahre nach dem Neu- und Umbau des ursprünglichen Schlosses, allerdings nicht schwer für den Künstler halten konnte, bei Malern und Architekten sichere Auskunft darüber zu erhalten, wie denn eigentlich das Schloß der Oranierin gewesen sei, vorausgesetzt, daß ihm daran gelegen war, über diesen Punkt wirklich zuverlässige Aus- kunft zu empfangen . Es ist aber sehr zweifelhaft, daß ihm daran lag. Denn wir dürfen nicht vergessen, daß er den Moment der Landes- schenkung (1650) bildlich darzustellen hatte, also einen Moment, der dem Schloßbau um vier, mindestens aber um zwei Jahre vorausging. Er konnte sich also in seinem künstlerischen Gewissen nicht im Geringsten ge- drungen fühlen, ein Schloß in historischer Treue darzustellen, das 1650 noch gar nicht existirte, sondern 1654 erst fertig aus der Hand des Baumeisters hervorging. Schloß Oranienburg, wie es jetzt vor uns liegt, zeigt nichts mehr von dem Bau, den ich vorstehend beschrieben habe; weder Frontispice noch Säulengänge, weder Altan noch Thürme bieten sich gegenwärtig dem Auge dar, und die Umwandlung, die im Laufe von zwei Jahrhunderten erfolgte, ist eine so vollständige ge- wesen, daß es zweifelhaft bleibt, ob auch nur eine einzige Außen- wand des oranischen Schlosses stehen geblieben und dem Neubau, der 1688 begann, zu gute gekommen ist. Ein ähnliches Schicksal hat über Allem gewaltet, was die fromme Oranierin mit so viel Liebe und Eifer in’s Dasein rief. Von der Kirche sprach ich schon, sie brannte nieder; ein gleiches Schicksal traf das Waisenhaus, so daß Alles, was die Kurfürstin hier entstehen ließ, wohl in Wort und Wesen , aber nicht in seiner ursprünglichen Form auf uns gekommen ist. Das Schloß, die Kirche, das Waisenhaus von heute, sie sind nicht das Schloß, die Kirche, das Waisenhaus von damals, und seit wir nunmehr (ich verweise auf die vorstehende Anmerkung) aus der Lebensbeschreibung Augustin Terwestens mit Bestimmtheit wissen, daß das große, im Waisenhause aufbewahrte Bild nicht zwölf Jahre vor dem Tode Louise Henriettens, wohl aber fünfundzwanzig Jahre nach dem Tode derselben gemalt wor- den ist, so existirt, mit alleiniger Ausnahme eines angeblichen Por- traits der Kurfürstin, das ebenfalls im Waisenhaussaale aufbewahrt wird, in Stadt und Schloß Oranienburg nichts mehr, was sich mit einiger Bestimmtheit auf die Epoche der Oranierin zurückführen ließe. Aber leider sind auch gegen die Aechtheit dieses eben genann- ten Portraits begründete Zweifel zu erheben, begründet schon da- durch, daß dieses Brustbildniß nicht die geringste Aehnlichkeit mit jener wirklichen und historisch beglaubigten Louise Henriette zeigt, der wir auf dem Terwesten’schen Bilde begegnen. Dies Brustbild (übrigens vortrefflich gemacht) ist sehr wahrscheinlich das Portrait einer ganz anderen fürstlichen Dame und zwar, wenn mein Ge- dächtniß mich nicht täuscht, das Porträt der Königin Marie von England, der Gemahlin Wilhelms von Oranien, ältesten Tochter des vertriebenen Jacobs II. Es ist wahr, sie trägt einen Orange - blüten-Zweig (ich bin nicht völlig sicher mehr, ob in Haar oder Hand ), aber wenn dieser Schmuck überhaupt mehr als ein Zufall und wirklich, was noch dahin steht, von sinnbildlicher Bedeutung ist, so konnte ihr diese Huldigung allenfalls eben so gut als Ge- mahlin des Oraniers, wie als einer gebornen Prinzessin von Oranien dargebracht werden. Kein Kupferstich existirt, der uns diese oder auch nur verwandte Züge als das Bildniß Louise Henriettens überlieferte, und so war es in der That wohlgethan, daß unser Bildhauer Friedrich Wilhelm Wolff, als ihm der Auftrag wurde, das Standbild Louise Henriettens für die Stadt Oranienburg zu fertigen, an dem Reiz dieses Bildes (es ist ein sehr ansprechendes Gesicht) vorüberging und die Züge der Kurfürstin nach jenem minder reizvollen Kopf modellirte, dem wir auf dem großen Bilde Terwestens begegnen. Wolff, ein geborner Fehrbelliner und halb Nachbarskind von Oranienburg, unterzog sich der ihm gewordenen Aufgabe mit Liebe und Geschick, und seit dem Herbste 1858 er- hebt sich auf dem Schloßplatz zu Oranienburg das überlebens- große Erzbildniß der frommen Frau, die beide, Schloß wie Stadt, mit ihrem Namen und ihrer eignen Geschichte auf immer verwob. „Der hohen Wiederbegründerin dieser Stadt, Louise Henriette, Kurfürstin von Brandenburg, geb. Prinzessin von Oranien, zum dauernden Gedächtniß die dankbare Bürgerschaft Oranienburgs,“ so lautet die Inschrift. Was sie schuf, es hat das Kleid gewechselt seitdem, aber die Dinge blieben, der Segen lebt fort und mit ihm der Name und das Gedächtniß der Gründerin. ( Die Zeit Friedrichs III. von 1688—1713.) Schloß Oranienburg war, wie wir es geschildert haben, ein Bau von mäßigen Dimensionen (nur fünf Fenster breit), als 1688, nach dem Tode des großen Kurfürsten, der prachtliebende Friedrich III. zur Regierung kam. Es war eine Zeit für die bildenden Künste in unserem Lande, wie vielleicht keine zweite, Die Zahl der Baumeister, Bildhauer und Maler belief sich da- mals im Brandenburgischen auf 143. zumal wenn man die verhältnißmäßig bescheidenen Mittel in Anschlag bringt, die dem fürstlichen Bauherrn zur Verfügung standen. Schloß Koepenick, wo der Kurfürst die letzten Jahre vor seiner Thronbesteigung zu- gebracht hatte, wurde zuerst beendet; dann folgte, mit einer Muni- ficenz, die noch weit über das hinausging, was in Koepenick ge- leistet worden war, der Ausbau des Oranienburger Schlosses. Ob der Kurfürst damals die Absicht hatte, das Schloß an der Ober- Havel zu seinem bevorzugten Aufenthalt zu machen, oder ob er seiner Stiefmutter, der holstein’schen Dorothea, in nicht mißzuver- stehender Weise zeigen wollte, wie heilig, wie werth ihm die Schöpfung und Hinterlassenschaft seiner rechten Mutter sei; gleich- viel, Schloß Oranienburg wuchs alsbald aus seiner engen Um- grenzung heraus und ein Prachtbau stieg empor, wie die Marken damals, mit alleiniger Ausnahme des Schlosses zu Cölln an der Spree, keinen zweiten aufzuweisen hatten. Von 1688 bis 1704 dauerte der Bau, und das Schloß nahm im Wesentlichen die Ge- stalt und Dimensionen an, worin wir es noch jetzt erblicken. An ein reich ornamentirtes Mittelstück ( corps de logis ) lehnten sich zwei Vorder- und zwei Hinterflügel, zwischen denen ein nach einer Seite hin geöffneter Hofraum lag. Ganz wie jetzt. Am Ende jedes der vier Flügel erhob sich ein Pavillon und das corps de logis trug zwischen dem Dach und den Fenstern des dritten Stockes die Frontal-Inschrift: A Ludovica princip. Auriac. matre optima exstruct. et nom. gentis insignit. aedes Friedericus Tertius Elector in memoriam Parentis piissimae ampliavit, ornavit, auxit MDCXC. (Dies von der besten Mutter, der Prinzessin von Oranien, Louise, gebaute und durch den Namen ihres Ge- schlechts ausgezeichnete Schloß hat der Kurfürst Friedrich III. zum Gedächtniß der frömmsten Mutter erweitert und geschmückt im Jahre 1690.) Diese Inschrift existirt noch. Es kann nicht Zweck dieser Zeilen sein, mit Hülfe noch vor- handener Aufzeichnungen den Leser durch eine lange Reihe von Prachtzimmern und Gallerien, von Sälen und Porzellan-Cabinetten zu führen, von denen, mit Ausnahme weniger Zimmer, die ich gegen den Schluß des Aufsatzes hin zu beschreiben gedenke, auch jede Spur verloren gegangen ist; nur Einiges werde ich hervor- zuheben haben, um wenigstens eine Andeutung von dem Reich- thum zu geben, der innerhalb dieser Mauern heimisch war. In dem Treppenhaus, das fast die halbe Breite des corps de logis einnahm, sprang eine Fontaine und trieb den Wasserstrahl bis in das dritte Stock hinauf; die Treppe selbst aber war unten mit vier Jaspis- und weiter oben mit vier Marmorsäulen geschmückt. An der gewölbten Decke waren die vier Laster des Hofes: Gleis- nerei, Verleumdung, Neid und Habsucht dargestellt, wie sie von eben so vielen Engeln aus dem Himmel gestürzt werden. Decken- gemälde, zum Theil ähnlichen symbolischen Inhalts, befanden sich in fast allen größern Sälen. Im Vorzimmer des Königs befand sich (an den Plafond gemalt) eine Copie des großen, vielerwähn- ten Terwesten’schen Bildes, während im sogenannten „Orangesaal“ ein anderes großes Deckengemälde die Verherrlichung des Orani- schen Hauses symbolisch darstellte. In der Mitte desselben erblickte man eine weibliche Figur mit dem Oranischen Wappen und einem Orange-Bouquet im Haar, während sie zugleich eine Schnur mit Medaillons in Händen hielt, wodurch die Geschlechtsfolge des Hau- ses Oranien veranschaulicht werden sollte. Neid und Verrätherei mühen sich, die Schnur zu zerreißen, aber ein Blitzstrahl aus den Wolken fährt zwischen sie. In demselben Saale befanden sich die Bildnisse der Fürsten von Oranien von 1382 ab, daneben aber das Porträt König Friedrichs I. selbst, mit dem bekannten Distichon als Unterschrift, durch das einst der Königsberger Dichter Bödecker die Geburt Friedrichs verherrlicht und seine künftige Königschaft vorhergesagt hatte: Nascitur in Regis Friedericus Monte, quid istud? Praedicunt Musae: Rex Friedericus erit. (Königsberg heißt die Geburtsstadt des Prinzen Friedrich; was folgt draus? Musen kündet es laut: König wird Friedrich uns sein .) So waren Säle und Treppenhaus; fast noch prächtiger war die Capelle: die Wände waren mit Marmor bekleidet und die Decke mit Kirchenbildern geziert, während der Altartisch auf vier vergol- deten Adlern ruhte. Bischof Ursinus hielt hier 1704 die Einwei- hungsrede. Nun ist Alles hin, Alles verweht und zerstoben; nur Orgel, Kanzel und königliche Loge existiren noch; sie sind nach Französisch-Buchholz hin verpflanzt worden und zieren dort die Kirche bis diesen Tag. So war Schloß Oranienburg in den Tagen, die der orani- schen Prinzessin unmittelbar folgten. Wir fragen weiter, wie war das Leben in diesen Räumen ? Darüber liegen leider wenige Aufzeichnungen vor und wir müssen auf Umwegen und durch Schlüsse zu einem Resultat zu gelangen suchen. Daß der Kurfürst häufig hier verweilte, geht weniger aus der Reichthumsfülle hervor, mit der er das Schloß ausstattete (eine prächtige Ausstattung ver- räth noch keine persönliche Theilnahme, keine Herzensbeziehungen), als aus dem Eifer, mit dem er die Herrschaft Oranienburg zu er- weitern und die einzelnen Dörfer, wie vorgeschobene Posten, in Einklang mit dem Schlosse selbst zu bringen suchte . Diese sorgliche Fassung , die er dem schönen Steine gab, bewies am besten, wie sehr er an dem Steine selber hing. So wurden Grabs- dorf und Lehnitz, Cossebant und Perwenitz, vier in der Nähe ge- legene Güter, angekauft und in Vorwerke oder Koloniedörfer um- gewandelt. Grabsdorf erhielt ein Jagdschloß, das innerhalb seiner schmucklosen Mauern bis diesen Augenblick noch die eiförmigen Zimmer zeigt, die, nach damaliger Mode, ihm gegeben wurden. Dabei wurde der Name Grabsdorf , der an unbequeme Dinge erinnern mochte, bei Seite gethan und in „Friedrichsthal“ umge- wandelt, unter welcher Bezeichnung Dorf und Jagdschloß bis die- sen Tag noch vorhanden sind. Auch Cossebant verlor seinen alten Namen und trat die Erbschaft des vakant gewordenen Namen „Bötzow“ an. Das heutige Bötzow hat also nichts gemein mit Burg und Stadt Bötzow, die bis 1650 an Stelle des jetzigen Oranienburg zu finden waren, sondern ist ein in der Nähe gele- genes Dorf, das bis 1694 den Namen Cossebant führte. Diese Neuschöpfungen, mit denen der Kurfürst Schloß Ora- nienburg umgab, beweisen genugsam, daß dies Havelschloß, dies Vermächtniß von der Mutter her, ein bevorzugter Aufenthalt des Kurfürsten und spätern Königs war, aber auch einzelne Berichte sind uns zur Hand, die uns, trotz einer gewissen Dürftigkeit der Details, den Kurfürsten (damals schon König) direct an dieser Stelle zeigen. „Im Sommer 1708,“ so erzählt Poellnitz, „riethen die Aerzte dem Könige, das Karlsbad in Böhmen zu gebrauchen, wohin er sich im Laufe des Sommers auch wirklich begab. Vor- her war er in Oranienburg und hatte auf dem dortigen Schlosse eine Zusammenkunft mit dem regierenden Herzog von Mecklenburg- Schwerin (Friedrich Wilhelm). Diese Zusammenkunft war nicht ohne Bedeutung: sie hatte zunächst nur eine Erneuerung und Be- stätigung des alten Erbfolgevergleichs im Auge, der im Jahre 1442, zu Wittstock, zwischen Friedrich II. (dem Eisernen) und den Herzögen von Mecklenburg, geschlossen worden war, mußte aber natürlich, da man Gefallen an einander fand, einige Monate später die Schritte wesentlich erleichtern, die (im November 1708) zu einer dritten Vermählung des Königs, und zwar mit Luisa Do- rothee, der Schwester des regierenden Herzogs von Mecklenburg führten. „Am 24. November,“ so fährt unsere Quelle fort, „traf die neue Königin in Oranienburg ein und wurde daselbst vom Könige und dem ganzen Hofe empfangen. Nachdem die Vorstellung aller Prinzen und Prinzessinnen stattgefunden hatte, verließ man das Schloß und begab sich nach Berlin, wo am 27. desselben Monats die Königin ihren feierlichen Einzug hielt.“ Der König, trotz seiner Jahre, war anfänglich von der Königin bezaubert; keine Ahnung beschlich sein Herz, daß vier Jahre später dieselbe Prinzessin geistesgestört, wie eine Mahnung des Todes, an ihn herantreten werde. Das war im Berliner Schloß, in den Januar- tagen 1713. Der König, krank schon, ruhte auf einem Armstuhl und war eben eingeschlummert, als er sich plötzlich angefaßt und aus dem Schlaf gerüttelt fühlte. Die geisteskranke Königin, die eine Glasthür erbrochen hatte, stand weißgekleidet und mit bluten- den Händen vor ihm. Der König versuchte sich aufzurichten, aber er sank in seinen Stuhl zurück. „Ich habe die weiße Frau ge- sehen.“ Wenige Wochen später hatte sich die alte Prophezeihung seines Hauses an ihm erfüllt. Nicht zu seinem Glück hatte die mecklenburgische Prinzessin das Land und als erste Stufe zum Thron, die Marmortreppe von Schloß Oranienburg betreten. ( Die Zeit des Prinzen August Wilhelm von 1744 bis 1758.) Der Tod König Friedrichs I. traf keinen Punkt des Landes härter als Oranienburg; bis dahin ein Lieblingssitz, wurde es jetzt von der Liste der Residenzen so gut wie gestrichen. Dem Soldatenkönige, dessen Sinn auf andere Dinge gerichtet war als auf Springbrunnen und künstliche Grotten, genügte es nicht, die Schöpfung seines Vaters sich selbst zu überlassen; er griff, voll festen und praktischen Sinnes, selbständig mit ein, um die, in sei- nen Augen halb nutzlose, halb kostspielige Hinterlassenschaft nach Möglichkeit zu verwerthen. Bauten wurden abgebrochen und die Materialien verkauft; die Fasanerie, das Einzige, woran er als Jäger ein Interesse hatte, kam nach Potsdam; die 1029 Stück eiserne Röhren aber, die der Wasserkunst im Schlosse das Wasser zugeführt hatten, wurden auf neun Oderkähnen nach Stettin ge- schafft. Schloß und Park verwilderten. Wie das Schloß im Mär- chen, eingesponnen in undurchdringliches Grün, lag Oranienburg da, als 31 Jahre nach dem Tode des ersten Königs sein Name wieder genannt wurde. Im Jahre 1744 war es, wo Friedrich II. , in Betreff seiner Brüder, allerhand Ernennungen und Entschei- dungen traf. Prinz Heinrich erhielt Rheinsberg, Prinz Ferdinand das Palais und den Garten in Neu-Ruppin; der älteste Bruder August Wilhelm aber, unter gleichzeitiger Erhebung zum Prinzen von Preußen, wurde mit Schloß Oranienburg belehnt. Ueber die baulichen Veränderungen, die in diese Epoche von 1744 bis 58 fallen, wissen wir nichts; muthmaßlich waren sie allergeringfügigster Natur; aber einzelne Berichte von Bielefeld und namentlich von Poellnitz sind auf uns gekommen, die uns zum ersten Mal Gelegenheit geben, die bis hierher nur äußerlich be- schriebenen Prachträume, auch mit Gestalten und Scenen zu be- leben. Der Prinz bewohnte nur einen einzigen Flügel, also unge- fähr den fünften Theil des Schlosses, aber die entsprechenden Zim- mer genügten vollständig, zumal zur Sommerzeit, wo der Park und seine Laubengänge aushelfen konnte. Bielefeld entwirft von diesem Park folgende ansprechende Schilderung: „Den großen, nach Le Notre’s Plan angelegten Garten, fand ich, durch die Verwil- derung, zu der die lange Zeit von 1713—44 vollauf Gelegenheit gegeben hatte, wunderbarerweise verschönt. Die seit 1713 nicht mehr verschnittenen Buchenhecken haben sich verwachsen und ver- schlungen und bilden einen Gang, der so dicht jetzt ist, daß weder Sonne noch Wind hindurchdringen kann. In der größten Mittags- hitze gewährt er Kühlung und Schatten und Abends speist man darin, ohne daß die Luft die Kerzen auslöscht. Ein geschickter Gärtner, der die Verwilderung benutzte, hat viele geschmackvolle Gartenhäuser aus der Erde wachsen lassen.“ Diese Schilderung paßt noch heut’; nur die Gartenhäuser sind seitdem wieder ver- schwunden. Prinz August Wilhelm lebte nur zeitweilig in Oranienburg; sein Regiment (das Regiment Prinz von Preußen) stand zu Span- dau in Garnison und die Pflichten des Dienstes fesselten ihn an den Standort seines Regiments. Aber die Sommermonate führten ihn so oft und so lange wie möglich nach dem benachbarten, durch Stille und Schönheit einladenden Oranienburg, und hier war es auch, wo er im April 1745 den Besuch seiner Mutter, der ver- wittweten Königin Sophie Dorothee empfing. Ueber diesen Besuch liegt uns die Schilderung eines Augenzeugen vor, — unverkennbar Poellnitz selber, wenn sein Name auch nicht ausdrücklich genannt ist. Am 14. April, so heißt es darin, brach die Königin Mutter von Berlin auf und traf am Nachmittag desselben Tages in Ora- nienburg ein. Ihr Hofstaat folgte ihr in einer langen Reihe von Karossen, wohl dreißig an der Zahl. Die Prinzessin Amalie saß im Wagen der Königin. Sobald dem Prinzen August Wilhelm das Herannahen des Zuges gemeldet war, eilte er die große Allee hinauf, dem Zuge entgegen, sprang angesichts des Wagens der Königin Mutter vom Pferde und begrüßte sie, indem er entblößten Hauptes an den Schlag des Wagens trat. Dann schwang er sich rasch wieder in den Sattel und eilte dem Zuge in gestrecktem Galopp vorauf, um vor dem Eingang des Schlosses die Honneurs machen zu können. Ihm zur Seite standen seine Gemahlin die Prinzessin von Preußen (eine geborne Prinzessin von Braunschweig), die Prinzen Heinrich und Ferdinand, außerdem die Hofdamen von Wollden, von Henckel, von Wartensleben, von Kamecke, von Hacke, von Pannewitz und von Kannenberg. Die Königin umarmte ihre Söhne auf’s zärtlichste, begrüßte die Umstehenden und wurde dann die große Treppe hinauf in das für sie bestimmte Schlafgemach geführt, dasselbe, das König Friedrich I. bei seinen Besuchen in Schloß Oranienburg zu bewohnen pflegte. Die Königin fand in diesem Zimmer ein Staatsbett von rothem Dammast vor, eben so einen Fauteuil, einen Ofenschirm und vier Tabourets von demsel- ben Stoff und derselben Farbe. Bald, nachdem die hohe Frau sich eingerichtet und an dem Anblick von Park und Landschaft erfreut hatte, erschien der Prinz, um ihr drei schöne Figuren von Dresdner Porzellan zu überreichen, an denen die Königin Mutter, wie der Prinz wußte, eine besondere Freude zu haben pflegte. Aber die Königin Mutter war es nicht allein, an die sich die Aufmerksam- keiten dieses liebenswürdigen Prinzen richteten, auch Baron von Poellnitz wurde einer ähnlichen Aufmerksamkeit gewürdigt. Seine Königliche Hoheit kannten sehr wohl die Vorliebe des alten Barons (v. Poellnitz) für alle Antiquitäten und Curiositäten aus der Zeit König Friedrichs I. her, der ihm immer ein guter und gnädiger Herr gewesen war, und eingedenk dieser Vorliebe, überreichten Seine Königliche Hoheit dem alten Baron eine reich mit Gold gestickte Morgenmütze und ein Paar Pantoffeln, deren sich König Friedrich I. bei seinen Besuchen in Oranienburg zu bedienen pflegte und die nun seit über 32 Jahren unbeachtet und ungewürdigt in einer halb vergessenen Truhe gesteckt hatten. Nach Sonnenunter- gang folgten Promenaden in den Park; dann wurden Spieltische arrangirt, bis gegen 10 die willkommene Nachricht, daß das Souper angerichtet sei, das Spiel unterbrach. Welche Feinheiten und Ueber- raschungen aus dem Bereich der Küche, welche hochqualificirten Weine, welch’ Frohsinn, welche Heiterkeit der Gäste! Und doch zu- letzt vollzog sich das Unvermeidliche, was schon König Dagobert seinerzeit so bitter beklagt hat, daß auch die beste Gesellschaft ihr Ende habe und sich trennen müsse. Das war am 14. April. Früh am andern Morgen und früher fast als uns lieb war, weckten uns ungewohnte Klänge; der Hirt trieb seine Heerde, am Schloß vorbei, auf die frischen Felder hinaus. Den Beschluß machte ein Stier von so extra- eleganter Schönheit, daß er kein anderer als der wohlbekannte glückliche Liebhaber der Jungfrau Europa sein konnte, ja die Art, wie er sich trug, dazu die Kraft seiner Brusttöne, schienen andeuten zu wollen, daß er ein Erscheinen unserer Damen an den verschiedenen Fenstern des Schlosses erwartet habe; aber er sah sich getäuscht, unsere Damen, die die Geschichte gelesen haben mochten, fürchteten sich und hielten sich zurück, um sich und ihre Reize nicht ähn- lichen Gefahren auszusetzen. Wie dem immer sei, der Morgen- schlummer war gestört und an die Stelle des Schlafs, der nicht wieder kommen wollte, traten Promenaden in leichtem, flatterndem Morgenkostüm, und nach eingenommenem Frühstück, die gegen- seitigen Besuche. Die Prinzessin Amalie empfing die Huldigungen, die ihrer Schönheit dargebracht wurden; sie trug ein Corset von schwarzem Atlas, das mit weißer Seide gesteppt war und darunter ein silber-gesticktes Kleid mit natürlichen Blumen aufgenommen. In diesem Kostüm stand sie da und übte sich im Flötenspiel: Euterpe selbst hätte sie beneiden können. Nach Tisch empfing die Königin Mutter alle anwesenden 15 Damen in ihrem Bettzimmer; diejenigen, die eine Handarbeit dem Kartenspiel vorzogen, setzten sich auf Tabourets, um die Königin her, während Baron Poellnitz seinen Platz als Vorleser einnahm und in der Lektüre von „La Mouche oder die Abenteuer des Mr. Bigaud“ fortfuhr. Die Königin folgte der Vorlesung und zog Goldfäden aus ( se mit à effiler de l’or ). Den Beschluß des Tages machte ein Ball in dem hell erleuchteten Tanzsaal, woran sich ein Souper in dem Staatszimmer, am Ausgang der Porzellan- Gallerie, anschloß. Als die Königin eben in das Staatszimmer eintrat, bemerkte sie durch die hohen, gegenübergelegenen Fenster- flügel, wie es plötzlich, inmitten des dunklen Parks, wie ein Flam- menbaum aus der Erde wuchs. Immer deutlicher gestaltete sich das Bild, bis es endlich wie ein feuriger Laubengang dastand, der an höchster Stelle eine Krone und darunter die Worte: „Vivat Sophia Dorothea“ trug. So lebte man 1745 in Oranienburg. Sechs Wochen später wurde die Schlacht bei Hohenfriedberg geschlagen, an welcher Prinz August Wilhelm, der eben noch Zeit zu Geplauder und Feuerwerk gehabt hatte, einen rühmlichen Antheil nahm. Die Beziehungen der drei jüngern Prinzen (August Wilhelm, Heinrich und Ferdinand) zu ihrem älteren Bruder, dem Könige, waren damals noch kaum getrübt. Es ist wahr, sie lebten, zumal wenn sie in Potsdam, also in seiner unmittelbaren Nähe waren, unter einem gewissen Druck, aber man fand diesen Druck gleichsam in der Ordnung; er war der älteste, der begabteste und — der König. Dabei ließ er es seinerseits, um strengen Forderungen ein Gegengewicht zu geben, an Huldigungen nicht fehlen und besonders war es der „Prinz von Preußen,“ für den er die zartesten Auf- merksamkeiten hatte. Er widmete ihm sein großes Gedicht „die Kriegskunst,“ er widmete ihm ferner „die Geschichte seines Hauses“ und sprach es in der meisterhaften Widmung dieses Werkes vor der ganzen Welt und vor der Zukunft aus, warum er diesen seinen Bruder, der ihn einst beerben solle, als Freund und Fürsten besonders liebe . „Die Milde, die Humanität Ihres Charakters ist es, die ich so hoch schätze; ein Herz, das der Freund- schaft offen ist, ist über niedern Ehrgeiz erhaben; Sie kennen kein anderes Gebot, als das der Gerechtigkeit, und keinen andern Willen, als den Wunsch, die Hochschätzung der Weisen zu ver- dienen.“ So war das Verhältniß zwischen den beiden Brüdern, als die schweren Tage, die dem Unglückstage von Kollin folgten, diesem schönen Einvernehmen plötzlich ein Ziel setzten. Prinz August Wil- helm erhielt bekanntlich den Oberbefehl über diejenigen Truppen, die ihren Rückzug nach der Lausitz nehmen sollten; Winterfeldt wurde ihm beigegeben. Die Sachen gingen schlecht und bei end- licher Wiederbegegnung der beiden Brüder fand jene furchtbare Scene statt, die Graf Schwerin, der Adjutant Winterfeldt’s, mit folgenden Worten beschrieben hat: „Ein Parolekreis wurde ge- schlossen, in dem der Prinz und alle seine Generale standen. Nicht der König trat in den Kreis, sondern Winterfeldt statt seiner . Im Auftrage des Königs mußte er sagen: „Sie hätten Alle verdient, daß über ihr Betragen ein Kriegsrath gehalten würde, wo sie dann dem Spruch nicht entgehen könnten, die Köpfe zu verlieren; indeß wolle der König es nicht so weit treiben, weil er im General auch den Bruder nicht vergesse.“ „Der König stand unweit des Kreises,“ so fährt Graf Schwerin fort, „und horchte, ob Winterfeldt sich auch strikte der ihm anbefohlenen Ausdrücke bediene. Winterfeldt that es, aber mit Schaudern , und er konnte den Eindruck seiner Worte sogleich sehen, denn der Prinz trat augenblicklich aus dem Kreise und ritt, ohne den König zu sprechen, nach Bautzen.“ Im Spätherbst desselben Jahres finden wir den Prinzen wie- der in Oranienburg , an selbiger Stelle, wo er uns zuerst als liebenswürdiger und aufmerksamer Sohn und geübt in den feinen Künsten der Ueberraschung, entgegentrat. Aber wir finden ihn jetzt in Einsamkeit und gebrochenen Herzens. Ob er sich in seiner Liebe zum König oder in seiner eignen Ehre schwerer getroffen fühlte, ist schwer zu sagen. Gleichviel, unheilbare Krankheit hatte sich seiner 15* bemächtigt und er litt an Leib und Seele. Ueber die letzten Mo- mente seines Lebens ist nichts Bestimmtes aufgezeichnet, doch ver- dank’ ich den Mittheilungen einer Dame, die noch den Hof des Prinzen Heinrich und diesen selbst gekannt hat, allerlei Züge und Andeutungen, aus denen genugsam erhellt, daß der Ausgang so erschütternd wie möglich war. Die Gemüthskrankheit hatte schließ- lich die Form eines nervösen Fiebers angenommen und die Bilder von Personen und Scenen, die seine Seele seit jenem Unglücks- tage nicht los geworden war, traten jetzt aus seiner Seele heraus, nahmen Gestalt an und stellten sich wie faßbar und leibhaftig an sein Lager. Den Schatten Winterfeldt’s rief er an, und als sich die Gestalt nicht bannen ließ, sprang er auf, um vor dem Gehaßten und Gefürchteten zu fliehen. Das waren die letzten Momente Prinz August Wilhelms; er starb im Fieber, am 12. Juni 1758, im Schlosse zu Oranienburg. Der König war bei der Nachricht von seinem Tode tiefgebeugt; im Volke hieß es, er sei vor Gram ge- storben. 1790 errichtete ihm sein jüngerer Bruder Heinrich den oft beschriebenen Obelisken, gegenüber dem Rheinsberger Schloß, nachdem die sterblichen Ueberreste des Prinzen schon früher im Rheinsberger Parke beigesetzt worden waren. Dieser Punkt ist in Dunkel gehüllt, weshalb ich hier — damit Eingeweihtere entschei- den mögen — die alte Version und meine eignen Aufzeichnungen aus dem Rheinsberger Park zusammenstelle. Prediger Ballhorn in seiner Geschichte Oranienburgs schreibt: „Seine Leiche wurde zuerst in einem Gewölbe der hiesigen Kirche aufbewahrt, dann aber am 10. Juli von seinem Regimente nach Berlin abgeführt. Prinz Heinrich widmete ihm zu Rheinsberg ein prachtvolles Monument, das zugleich die Urne umschließt, in welcher sein Herz aufbewahrt wird .“ Zwei Dinge erscheinen hierin unrichtig: erst- lich stand das Regiment des Prinzen von Preußen damals im Felde (Friedrich der Große schreibt eigens: „der Anblick des prinz- lichen Regiments erneuert mir jedesmal den Schmerz um ihn“) und zweitens befindet sich die Urne nicht eingeschlossen im Monu- ment, sondern steht frei und offen an einer ganz andern Stelle des Parks. Diese Stelle, in unmittelbarer Nähe des „bekannten Theaters im Grünen“ gelegen, zeigt unter einer Baumgruppe zwei Marmorarbeiten: eine große Urne auf einem Piedestal und zweitens eine Art Herme, die aber statt des Hermenkopfes die trefflich aus- geführte Büste des Prinzen August Wilhelm trägt. Beide Arbeiten stehen sich, in Entfernung von etwa sechs Schritt, einander gegen- über. Das Piedestal der Urne trägt die Inschrift: „Hic cineres Marmor exhibit,“ und darunter: August Gullielm, Princeps Prussiae Natus Erat IX Die Mens. Aug. Ann. 1722. Obiit Die XII Mens Jun. Anno 1758.“ Die Inschrift unter der Büste aber lautet: „Hic Venustum Os Viri, veritatis, virtu- tis, patriae amantissimi.“ (Hier das freundliche Antlitz des Lieblings der Wahrheit, der Tugend, des Vaterlands.) Die erste dieser Inschriften: „Hic eineres Marmor ex- hibit,“ also: „diese Urne umschließt seine Asche,“ schafft die eigent- liche Streitfrage. Ruht der Prinz August Wilhelm, so müssen wir nunmehr fragen, im Dom zu Berlin, oder ruht er (laut vor- stehender Inschrift) im Rheinsberger Park? Vielleicht müßte die Inschrift lauten: „Diese Urne umschließt die Asche seines Her- zens .“ Dann hätte Pastor Ballhorn in der Hauptsache Recht, nur nicht hinsichtlich der Aufstellung der Urne. An jenem Tage, als der Prinz August Wilhelm aus dem Schloßportal getragen wurde und 50 Bürger dem Sarge folgten, um ihm bis Havelhausen das Geleit zu geben, an jenem Tage schloß das Leben in Schloß Oranienburg überhaupt. Auf ein Jahrhundert voll Glanz und lachender Farben folgte ein anderes voll Oede und Verwahrlosung. Andere Zeiten kamen; der Ge- schmack ging andere Wege, — Schloß Oranienburg war vergessen. 1802 wurde der prächtige alte Bau, dessen zahlreiche Decken- gemälde allein ein bedeutendes, wenn auch freilich todtes Capital repräsentirten, für 12000 Thaler mit all und jeglichem Zubehör verkauft und der Käufer nur zur Herausgabe der Eingangs er- wähnten vier Jaspis- und vier Marmorsäulen (im Treppenhause) verpflichtet. Schloß Oranienburg wurde eine Kattun-Manu- faktur . Wo die Edeldamen auf Tabourets von rothem Dammast gesessen und der Vorlesung des alten Poellnitz gelauscht hatten, während die Königin-Mutter Goldfäden aus alten Brokaten zog, klapperten jetzt die Webstühle und lärmte der alltägliche Betrieb. Aber noch tristere Tage kamen, Krieg und Feuer, bis endlich in den zwanziger Jahren ein chemisches Laboratorium, eine Schwefel- säure-Fabrik , hier einzog. Die Schwefeldämpfe ätzten und beitz- ten den letzten Rest alter Herrlichkeit hinweg. Ich entsinne mich der Jahre, wo ich als Kind dieses Weges kam und von Platz und Brücke aus ängstlich nach dem unheimlichen alten Bau her- überblickte, der, grau und rußig, in Qualm und Rauch dalag, wie ein Gefängniß oder Landarmenhaus, aber nicht wie der Lieb- lingssitz Friedrichs I. Nun ist das alte Schloß der Kolben und Retorten wieder los und ledig und frisch und neu, beinahe sonntäglich blickt es wieder drein. Aber es ist das moderne Allerweltskleid, das es trägt; die Borten und Kanten sind abgetrennt und der Königs- mantel ist ein Bürgerrock geworden. Noch wenig Wochen und das alte Schloß von ehedem wird neue Gäste empfangen; wie Schloß Koepenick ist es bestimmt, als Schullehrer-Seminar in sein drittes Jahrhundert einzutreten. Sei es. In den neuen Bewoh- nern wird wenigstens ein Bewußtsein davon zu wecken sein, welcher Stelle sie angehören, und leise berührt von der Macht und dem Zauber historischer Punkte werden sie später den Namen und die Geschichte Schloß Oranienburgs in die Kreise ihres Berufs hinaus- tragen. So wird die alte Fabel immer wieder neu und Leben durchdringt den Stein. Unter den Linden des Gasthofes, während der Sommerwind die Tropfen von den Bäumen schüttelte, hab’ ich dem Leser die Geschichte des alten Schlosses erzählt, die Bilder aufgerollt seines Glanzes und seines Verfalls. Die Frage bleibt noch übrig: haben die letzten hundert Jahre Alles zerstört? Haben Krieg und Feuer, Retorte und Siedepfanne von dem alten Glanze auch keine Ahnung übrig gelassen? Ist Alles hin, bis auf die letzte Spur? Der Pie- tät des hohen Herrn, der nun vor’m Altar seiner Friedenskirche in Frieden ruht, der Pietät Friedrich Wilhelms IV. , dem es so oft zum Verbrechen angerechnet wurde, daß er das wahren und halten wollte, was des Wahrens und Haltens werth war, diesem hohen Liebessinne, der auf das Erhalten gerichtet war, haben wir allein es zu danken, daß wir der aufgeworfenen Frage mit einem „Nein“ entgegentreten können, — es ist nicht Alles hin, es existiren noch Spuren, gerettete Ueberbleibsel aus alter Zeit her und ihnen gilt zum Schluß unser Besuch. Wir verweilen nicht bei zerstreuten Einzelheiten, die da, wo sie zufällig verloren gingen, auch zufällig aufgelesen und in die Wand oder den Fußboden des einen oder andern Zimmers wie ein Basrelief oder ein Mosaikstück eingelegt wurden, — wir gehen an diesen Einzelheiten ohne Aufenthalt vorüber und treten in den nach West und Norden zu gelegenen Hinterflügel ein, wo wir noch — auf Anordnung Friedrich Wilhelm IV. vor der nivellirenden Hand des Seminar-Nutz-Baues gerettet — einer zusammenhängen- den Zimmerreihe aus der Zeit König Friedrichs I. begegnen. (Dar- aus, daß das vorzüglichste dieser Zimmer an den vier Ecken des Plafonds mit eben so vielen Sternen des Hosenbandordens geschmückt ist, ein Orden, auf dessen Besitz König Friedrich I. be- kanntlich einen ganz besonders hohen Werth legte, würde sich mit ziemlicher Bestimmtheit ableiten lassen, wann diese Zimmerreihe überhaupt angelegt wurde.) Es sind sechs Zimmer, von denen zu- nächst zwei durch ihre Ausschmückung unser Interesse in Anspruch nehmen. Sie bilden die beiden Grenzpunkte der ganzen Reihe, so daß das eine (das kleinere) dem corps de logis, dem großen Mittelpunkt des Schlosses zu, gelegen ist, während das andere am äußersten Ende des Flügels liegt und den Blick ins Freie auf Fluß und Wiesen hat. Das kleinere Zimmer bildete entweder einen Theil der seinerzeit viel berühmten und von Touristen jener Epoche oft beschriebenen Porzellan-Gallerie, oder war ein Empfangs- und Gesellschafts-Zimmer, wo die fürstlichen Personen in Gesellschaft ihres Hofstaats den Thee einzunehmen pflegten. Das Decken- Gemälde, das ich gleich näher beschreiben werde, scheint mit seinen vielen Porzellangeräthschaften zunächst für die erstere Annahme zu sprechen; ein schärferes Eingehen aber macht es beinah zweifellos, daß es das Theezimmer war. In der Mitte des Deckenbildes erblicken wir nämlich eine starke, blühend aussehende Frauens- person mit rothen Rosen im Haar; in ihrer ganzen Erscheinung einer holländischen Theeschenkerin sehr ähnlich. Mit der linken Hand drückt sie eine blau und weiß gemusterte Theebüchse fest ans Herz, während sie mit der Rechten einen eben so gemusterten por- zellanenen Theetopf einer gleichfalls wohlbeleibten, blonden, hoch- roth gekleideten Dame entgegenstreckt. Diese ihrerseits (durch die Schlange, die sich um ihren weißen Arm ringelt, als Hygea charak- terisirt) hält der Theeschenkerin einen Spiegel entgegen, als ob sie ihr zurufen wolle: „erkenne dich selbst und schrick zurück vor dir selber, wenn du dich als Lügnerin, d. h. deinen Thee als schlecht und unecht erkennst.“ Die Malerei ist vortrefflich (man merkt durchaus die gute holländische Schule) und viele unserer Maler werden von Glück sagen können, wenn ihre Deckengemälde sich nach mehr als 150 Jah- ren noch ähnlich gut präsentiren. Auch die diesen Bildern zu Grunde liegenden Ideen, denen es an Humor und Selbstpersiflage gar nicht fehlt, sind leichter zu verspotten, als besser zu machen. Es sind doch immerhin Ideen, mit denen total gebrochen zu haben wir häufig zur Unzeit stolz sind. Das am entgegengesetzten Ende liegende Zimmer ist aller Wahrscheinlichkeit nach das ehemalige Wohn- und Lieblingszimmer Friedrichs I. , dasselbe, in das (wie ich oben beschrieben habe) am 15. April 1745 die Königin Sophie Dorothea eintrat und im Eintreten durch das prächtige Feuerwerk überrascht wurde, das im selben Moment wie eine Flammenlaube mitten aus dem Dunkel des Parks emporwuchs. Dies Zimmer, das nach drei Seiten hin Balkone hat, von denen aus man nach Gefallen den Park, das offene Feld oder den Hofraum überblickt, ist sehr geräumig (dreißig Fuß im Quadrat) und mit acht marmorirten Säulen derart um- stellt, daß sich an den vier Wänden entlang eine Art deutlich mar- kirter Gang bildet, der nun das kleiner gewordene Viereck des Saals wie eine Colonnade umspannt. Der Zweck dieser Einrich- tung ist schwer abzusehen. Vielleicht diente das Zimmer auch als Tanzsaal und die Tänzer und Tänzerinnen hatten den innern Raum für sich, während die plaudernden oder sich ausruhenden Paare wohlgeborgen unter dem Säulengange standen. Das Wich- tigste ist auch hier das Deckengemälde. Ich schicke zunächst die bloße Beschreibung vorauf. In der Mitte des Bildes befindet sich eine weiße, hochbusige Schönheit mit pechschwarzem Haar, welches letztere von Perlenschnüren durchzogen ist; in der Linken hält sie eine Art Zauberlaterne, in der Rechten einen kleinen Oelkrug. Allerhand pausbackige Genien halten Tafelgeräth und Kannen em- por, andere entschweben mit leeren Schüsseln, noch andre kommen mit Theegeschirr herbei und gießen den Thee in kleine Schälchen. Diese Scenen füllen zwei Drittel des Bildes. Links in der Ecke hält Apoll mit seinen Sonnenrossen. Vor den Rossen her schwebt bereits Aurora; das Haupt des Sonnengottes selbst aber strahlt nicht, sondern ist von einer dunklen Scheibe umhüllt. Es ist nun allerdings fraglich, ob das Schwinden des Tages und das volle Platzgreifen von Abend und Nacht, oder umgekehrt, das Schwin- den der bis dahin herrschenden Nacht vor dem hereinbrechenden Tage angedeutet sein soll. Das Letztere ist aber das Wahrschein- lichere. Neben diesem Staatszimmer, demselben, das den Stern des Hosenbandordens in seinen vier Ecken zeigt, befindet sich ein sehr kleines Gemach, nicht viel größer als ein altmodisches Himmelbett. Dies ist das Sterbezimmer des Prinzen August Wilhelm . Die Wände sind schmucklos, eben so die Decke, nur an der Hohlkante zwischen beiden zieht sich eine schmale Borte von geschnitztem, schwarzen Holz entlang. Sie ist wie ein Trauerrand, der dieses Zimmer einfaßt, und mahnt deutlich an die letzten, halb in Dunkel gehüllten Stunden eines liebenswürdigen und unglücklichen Prinzen. Aus diesem engen Raum, der so trübe Bilder weckt, treten wir (da die übrigen Zimmer unserer Betrachtung nichts bieten) wieder in den Corridor hinaus und über den noch immer impo- santen Vorflur endlich in’s Freie. Der Ball der untergehenden Sonne hängt am Horizont, leise Schleier liegen über dem Park und die Abendkühle weht vom Fluß und den Wiesen her zu uns herüber. Wir sitzen wieder auf der Treppe des Gasthofs und blicken durch die Umrahmung der Bäume in das Bild abendlichen Friedens hinein. Musikanten ziehen ge- schäftig am Hause vorbei, über die Havelbrücke weg, hinein in die Vorstadt; — den Beschluß macht wie immer der Baß. Hinter den Musikanten her folgt allerlei Volk. Was ist es? „Das Theater fängt an,“ so lautet die Antwort, „die Stadtkapelle macht sich auf den Weg, um mit dabei zu sein.“ Wir lesen jetzt erst den Theater- zettel, der, in gleicher Höhe mit uns, an einen der Baumstämme geklebt ist. „Das Testament des großen Churfürsten, Schauspiel in fünf Aufzügen.“ Wir lieben das Stück, aber — wir kennen es eben, und während die Sonne hinter Schloß und Park ver- sinkt, ziehen wir es vor, in Bilder und Träume gewiegt, auf „Schloß Oranienburg“ zu blicken, eine jener wirklichen Schaubühnen, auf der die Gestalten jenes Stücks mit ihrem Haß und ihrer Liebe heimisch waren. Buch. Was sonst in Ehren stündt, Nun ist es worden Sünde, Was fang’ ich an! Th. Storm. Z wei Meilen nordöstlich von Berlin liegt das Dorf Buch , reich an jenen stillen, aber anziehenden Landschaftsbildern, wie sie un- sere Mark so vielfach bietet, noch reicher aber an historischen Erin- nerungen. Einer unserer Lustgarten-Omnibusse führt den Reise- lustigen über Pankow und Schönhausen, dessen Villen und Gärten wie im Fluge mitgenommen werden, bis nach Französisch-Buchholtz, von wo aus das Wandern beginnt und die Füße das Beste thun müssen. Wir unsererseits, in jenem stolzen Reisegefühl, das sich nach Strapatzen sehnt und jeden Schweißtropfen mit einem Lächeln der Zufriedenheit begleitet, hatten den Omnibus verschmäht und trafen, nach gewissenhafter Absuchung einiger Dorfkirchhöfe, erst mit der untergehenden Sonne in Buch ein. Gleich der Eintritt in’s Dorf ist malerisch und anziehend. Eine Feldsteinbrücke wölbt sich über ein Wässerchen, das schäumend einen Bergabhang hernieder kommt; die Häuser steigen in leiser Schlangenlinie bergan; links hin, das Dorf in seinen Arm nehmend, zieht sich der waldartige Park, während zur Rechten sich Wiesen und Felder dehnen, deren Stille nur von Zeit zu Zeit das Rasseln und Stampfen der vorüber- fahrenden Eisenbahnzüge unterbricht. Wir haben die Feldsteinbrücke passirt und die Gasse führt uns an freundlichen Wohnungen vorbei bis in die Mitte des Dorfs. Hier begegnen wir endlich auch dem Anblick, den Herz und Auge seit einer halben Stunde herbeigewünscht haben. Krippen lehnen sich an die Wand, ein Planwagen steht zur Seite, auf dem ein Spitz die Wache hält, und von der Thür des Hauses her grüßt uns das Wörtchen „Gasthaus“ mit seinem einladenden Klang. Die Stufen führen uns in den Flur und der Flur in die Küche. Auf dem großen Herde loht es und knistert es, und das Wasser, das überkocht, fährt zischend in die Flamme. Wir zählen im Nu sieben Töpfe, die sich dicht um die Flamme gruppiren, und un- klare Vorstellungen von einem „hier ist es gut sein“ ziehen durch unser Gemüth. Wir tragen der Wirthin unser Anliegen vor: ein Abendbrod, ein Zimmer, ein paar Betten, und verfolgen nicht ohne Bangen den Ausdruck der Verlegenheit, der auf dem freundlichen Gesicht der jungen Frau den Vortrag unserer Wünsche begleitet. Die Verlegenheit findet endlich Worte. Ein Abendbrod wird zu beschaffen sein, aber Zimmer und Betten sind vergeben; anderer Besuch kam uns zuvor. Wir bitten und beschwören, alles vergeb- lich; endlich führen wir die letzten Reserven unserer Liebenswür- digkeit in’s Feld und der verzweifelte Stand unserer Angelegen- heiten bessert sich wenigstens in so weit, daß uns ein Strohlager und zwei Deckbetten zugestanden werden. Ultra posse nemo obligatur; wir danken der Wirthin für ihren guten Willen, be- urlauben uns auf eine halbe Stunde und machen unsern ersten Gang in den Park. Die Zeit des Sonnenuntergangs und die Dämmerungsviertel- stunde, die ihm folgt, ist gewiß die geeignetste, diesen schönen Park zu durchschreiten. Die grauen Schleier des Abends sind es, die ihm kleiden. Es giebt andere Parks, die man bei Sonnenlicht be- suchen muß. Wo Springquellen hoch in die Luft steigen und des Lichts bedürfen, um in Farben zu schillern, wo Blumenstücke in den Rasen eingewoben sind oder Statuen in den grünen Nischen stehen, da ist es gerathen, in Morgenfrühe auf und ab zu schrei- ten und des heitern Bildes voll Klang und Farbe sich zu freuen. Aber ein solcher Park ist es nicht, in den wir eben eingetreten sind. Nicht Cascaden und Fontainen sind hier zu Haus, sie sind zu laut, zu geräuschvoll; kein Bach rieselt und plätschert hier über Steine hinweg, als liefen spielende Kinder durch den Garten; ein breiter Graben durchschneidet statt seiner die ganze Quere des Parks und dehnt sich aus mit der dunkeln Stille eines Teichs. Die Buche ist hier zu Haus, deren Zweige in das Wasser niederhängen, und vor allem die Edeltanne, die ihre Schuppenäpfel über die Kiesgänge streut. Alles Bunte fehlt. Die dichten Rüsternalleen, die sich hoch oben wie Kirchenschiffe wölben, erscheinen nicht wie Gänge in die Natur hinaus, sondern wie Gitter und Spalier gegen den Andrang derselben. Dieser Park hat zu lachen verlernt; wenn die Sonne auf ihn fällt und seine Züge erheitern will, ist es wie eine Wittwe, die man mit Bändern und Blumen schmückt. Wir waren eine halbe Stunde lang die dunkeln Gänge auf und ab geschritten und kehrten nun ins Wirthshaus zurück. Das Abendessen harrte unser bereits und Schwarzbrod und Bernauer Bier halfen über alle sonstigen Mängel hinweg. Die Magd er- schien inzwischen, um unser Nachtlager herzurichten. Zwei umge- kehrte Stühle (die vier Beine nach oben) gaben die Schrägung her; zwei Bündel Stroh wurden ausgebreitet und das rothe Deck- bett vollendete den Bau. Einer dicken, wulstigen Päonie nicht un- ähnlich lag es da, in deren Faltenfülle wir endlich verschwanden. Müdigkeit sorgte für Schlaf. Statt unserer Träume sei die Ge- schichte Buchs erzählt; sie wird uns andern Tages zu statten kom- men, wenn wir Schloß und Kirche besuchen. Als die Hohenzollern in’s Land kamen, gehörte Buch der Familie von Roebel ; dieselbe blieb fast volle drei Jahrhunderte im Besitz des Gutes und verkaufte es erst um 1675 an den Frei- herrn Gerhardt Bernhardt von Poellnitz . Wir werden weiter unten von ihm hören. — Die Familie von Poellnitz besaß Buch nur kurze Zeit. Die Söhne des Freiherrn veräußerten es bereits 1724 an den Staatsminister von Viereck . Nach Ableben des letzteren ging das Gut an seinen Schwiegersohn, den nachherigen Staatsminister von Voß über, dessen Nachkommen es noch jetzt besitzen. Der gegenwärtige Besitzer ist der Graf von Voß-Buch. Vier Familien in vier Jahrhunderten: die Roebel, Poellnitz, Viereck, Voß. Den drei letztgenannten werden wir auf unserem Umgang noch mannichfach begegnen; nicht so dem Namen der Roe- bel. Alles was Schloß und Kirche bieten, ist aus „nach ihrer Zeit,“ mit Ausnahme eines werthvollen Besitzthums im Kirchen- archiv, das den Namen dieser Familie wenigstens mittelbar zu ehrendem Gedächtniß aufbewahrt. Es sind dies die zehn Tomi Wittenbergenses Lutheri, die dem Joachim von Roebel, einem begeisterten Anhänger der neuen Lehre, von Philipp Melanchthon, der eigens nach Buch gekommen war, um zwei Kinder Joachims über die Taufe zu halten, zum Geschenk gemacht wurden. In den zehnten Band hat der Reformator selbst einen Paulinischen Spruch aus dem Brief an die Colosser (Kapitel 3, Vers 16) eingetragen, der da lautet: „Lasset das Wort Christi unter euch reichlich woh- nen in aller Weisheit, lehret und vermahnet euch selbst mit Psal- men und Lobgesängen und geistlichen lieblichen Liedern, und singet dem Herrn in eurem Herzen.“ Darunter das Datum und die Jahreszahl 1559. Die Sonne weckt uns bei guter Zeit. Das rothe Deckbett, trotz aller Schwere, hat leicht wie eine Feder auf uns gelegen, und aufspringend, so gut es die gewichtige Masse gestattet, eilen wir an’s Fenster und lassen den Sommermorgen ein. Das Früh- stück wird aufgetragen und die Lindenbäume draußen sorgen für Duft und Klang. Ein Blick noch auf das Strohlager, den Schau- platz unseres stillen Muths, und wir treten in die Dorfgasse hin- aus, um zunächst dem Schlosse, dessen weißgelbe Wände zwischen den Baumstämmen hindurch schimmern, unsern Besuch zu machen. Das Schloß ist ein Flügelbau von jener einfachen Art, wie ihrer das vorige Jahrhundert auf unsern märkischen Rittergütern so viele entstehen sah. Sie haben untereinander eine große Familien- ähnlichkeit. Wenn sich Buch von ähnlichen Bauten unterscheidet, so ist es nur durch eine noch größere Einfachheit. Aller Schmuck scheint geflissentlich vermieden. Keine Säulen, die Balcon oder Porticus tragen, kein Fries, kein Fenstersims, nicht Thurm, nicht Erker; selbst die Rampe fehlt, die sonst wohl den Eindruck der Stattlichkeit schafft oder steigert. Ein paar dünne Arabesken schnör- keln sich um die Thür und ein halbes Dutzend Orangenbäume fassen den Kiesplatz ein, der zwischen dem Hause und dem Grün des Parkes liegt. Und doch hat man das bestimmte Gefühl, daß hier Reichthum und adelige Gesinnung wohnen. Das Haus gleicht einem einfachen Kleide, einfach und altmodisch dazu, aber der Park, der das Ganze umzirkt, ist wie ein reicher Mantel von niederlän- dischem Tuch, der die Frage nach dem Rockschnitt verstummen und vergessen macht. Der Eintritt in das Schloß wird uns freundlich gestattet. Die Eindrücke, die das Aeußere gemacht, wiederholen sich hier. Der bürgerliche Comfort, die kleinen Niedlichkeiten, in deren Her- vorbringung die Neuzeit so erfinderisch gewesen ist, sie fehlen hier; aber diese Nippes fehlen entweder, weil das Herz des Besitzers an andern Dingen hing, oder weil er in fein ästhetischem Sinn em- pfand, daß der moderne Kram zu dem historisch Ueberlieferten nicht passen würde. Wir sind nicht unempfindlich gegen das heitere Neue, wir lassen es nicht nur gelten, wir freuen uns auch desselben; aber jene todten Dinge, die, je älter sie werden, mehr und mehr in wirkliches Leben hinein zu wachsen scheinen, an ihnen haftet doch immer der wahre Reiz, und die Pflege dieses Ueberlieferten ist der Zug wirklichster Vornehmheit, dem man in Schlössern und Häusern begegnen kann. So auch hier. Die Roccocozeit, draußen in der Welt seit hundert Jahren begraben, hier tritt sie uns in aller Aechtheit entgegen, und könn- ten die Gestalten aus ihren Rahmen heraustreten, sie würden sich nicht verwundert umschauen in diesen Räumen, in denen Stoff und Form, Schmuck und Kunst, alles beim Alten geblieben. Por- zellanornamente, mit denen der Geschmack unserer Urgroßväter die Zimmereinrichtung zu verzieren liebte, haften noch in Gestalt von Knöpfchen und Täfelchen, von Blatt und Figur an Tischen und Kästen und in den obern Zimmern theilen sich schwere Kachelöfen auf Eichenfüßen ruhend und große Himmelbetten mit Zitzgardinen in die Herrschaft des Raums. Aber nicht bloß in allgemeinen Um- rissen tritt die alte Zeit an uns heran, auch das Besondere ist da, Porträts und Schildereien, die auf bestimmte Personen hindeuten, die seit hundert Jahren hier gingen und kamen. Wir haben unsern Umgang durch die stillen Räume des Schlosses vollendet und treten wieder in den Park hinaus. Einer der vielen Laubengänge desselben führt uns bis an die nahe ge- legene Kirche. Diese Kirche ist ein sehr merkwürdiger Bau. In einer alten Beschreibung Berlins und seiner Umgegend wird sie die „schöne Kirche zu Buch“ genannt. Dieser Ausspruch mag statt- haft gewesen sein, als es in der ganzen Mark Brandenburg keine zehn Menschen gab, die eine häßliche Kirche von einer schönen unterscheiden konnten, in jener Epoche allgemeiner Geschmacksver- irrung, wo man durch Laternenthürme und Kuppeln wie Butter- glocken die einfach nobeln Formen der frühen Gothik, wie sie sich ganz besonders in den Feldsteinkirchen unserer Dörfer erhalten hatte, ersetzen zu können glaubte. Die Kirche zu Buch ist nicht schön, nur eigenthümlich ist sie, dabei stattlich, und von gewisser Entfer- nung aus gesehen, nicht ohne malerischen Reiz. Die Grundform ist ein griechisches Kreuz, aus dessen Mitte sich eine merkwürdige Mischung von Kuppel- und Etagenthurm erhebt. Suchen wir diese Bauart zu beschreiben. Jeder kennt jene Garten- und Speise- pavillons, die sich in den Parkanlagen des vorigen Jahrhunderts so vielfach finden, und die aus sechs oder acht korinthischen Säulen bestehen, die ein gewölbtes Dach tragen. Denkt sich der Leser drei solcher Pavillons, der eine immer kleiner als der andere, auf ein- ander gestellt und den Säulenbau des untersten kreuzartig erwei- tert, so hat er ziemlich genau ein Bild der Bucher Kirche. Weiß- getünchte Säulen und Pfeiler wiederholen sich in gleicher, nur verkleinerter Form von Etage zu Etage, deren jede eine schindel- gedeckte Kuppel trägt. Der Raum zwischen den Säulen ist überall ausgefüllt und mit dunkelrother Farbe angestrichen, so daß drei roth und weiß gestreifte Etagen drei schwarze Kuppeldächer tragen und ein Ganzes herstellen, das am ehesten vielleicht an die hollän- dischen Bauten aus dem Anfang des vorigen Jahrhunderts er- innert. Ehe wir in die Kirche selbst eintreten, steigen wir einige Treppenstufen hinab in die Gruft der Kirche, die sich wenige Fuß tief unter dem Ostflügel der Kirche befindet und in mehr als einer Beziehung ein lebhaftes Interesse in Anspruch nimmt. Diese Gruft, wenigstens ein Theil derselben, ist wahrscheinlich ein Ueberrest der alten Kirche, die hier stand, eine Voraussetzung, die darin ihre Berechtigung findet , daß sich ein Sarg aus dem Jahr 1679 in derselben vorfindet, während die Kirche selbst nicht vor 1727 beendigt war. Die Gruft besteht aus zwei gewölbten Räumen, die durch eine offene Thür mit einander in Verbindung stehen. Der hintere Raum ist wahrscheinlich der ältere Theil des Gewölbes und empfängt so wenig Licht, daß man eine Kerze anzünden muß, um irgend etwas sehen zu können. Der andere Raum ist hell und ge- räumig. Beide Theile der Gruft haben übrigens das gemeinsam, daß die darin aufgestellten Todten zu Mumien werden. Die hintere Gruftkammer beherbergt nur einen einzigen Sarg, in dem andern Gewölberaum aber befinden sich einundzwanzig Särge, von denen vierzehn zur Linken und sieben zur Rechten stehen; zwischen beiden ein Gang. In den vierzehn Särgen zur Linken sind Mit- glieder der Familie Viereck (darunter der Minister und seine beiden Frauen) beigesetzt; die sieben Särge zur Rechten aber umschließen Mitglieder der Familie Voß. Die Roebels , also die Vorbesitzer von Buch, haben (wie die Sparr’sche Familie) ihr Erbbegräbniß in der Marienk irche zu Berlin . In diesem Roebel’schen Erbbegräbniß befinden sich auch Mitglieder der Familien Canstein und Canitz (vgl. Blumberg) beigesetzt. Wodurch diese Mumificirung erfolgt, ist noch nicht aufgeklärt. Es herrscht keine Spur von Luftzug, aber es fehlt auch jene 16 dumpfe Feuchte, die sonst an solchen Orten heimisch ist. Vielleicht ist es diese Trockenheit der Luft, die die Erscheinung erklärt. Die mumificirten Körper sehen weiß aus, sind verhältnißmäßig wenig eingetrocknet und zeigen noch eine gewisse Elasticität von Haut und Fleisch. Der hier zuletzt Beigesetzte ist der Staatsminister Otto Karl Friedrich von Voß. In den Sargdeckel ist eine Metalltafel eingelegt, die einfach den Namen und die Titel des Verstorbenen und die nöthigsten Daten (geb. den 8. Juni 1755 ꝛc.) trägt. Es ist dies derselbe Otto Karl Friedrich von Voß, der zur Zeit der Hardenbergschen Verwaltung, namentlich in den Jahren, die den Befreiungskriegen folgten, so entschieden die Principien und In- teressen einer conservativen Politik vertrat. Unmittelbar nach dem Tode Hardenbergs wurde Voß Präsident des Staatsraths und des Staatsministeriums. Er überarbeitete sich, erkältete sich wäh- rend einer Feuersbrunst, die gerade damals in Buch ausbrach, und zog sich einen Rückfall zu, als er seinen ersten Vortrag beim Könige hielt, zu dem er nicht anders als in Schuhen und Strümpfen hatte gehen wollen . Sein Tod war die Folge; er starb am 30. Januar 1823. Der schwere eichene Sarg, der sich in dem dunkeln Hinter- gewölbe befindet, steht gemeinhin offen. Der daneben befindliche Deckel ist mit tausenden von schwarzen Nägelchen beschlagen, die sich bei näherer Untersuchung zugleich als eine Inschrift des Sarges ergeben. Die Entzifferung ist schwierig und ich kann nur für die annähernde Richtigkeit derselben bürgen. Die Inschrift lautet: „Der Hoch-Hochwohlgeborne Herr Herr Gerhard Bernhard Freiherr von Poellnitz, Erbherr auf Reschau (in Preußen), auf Buch, Caro und Birkholz (in der Mark), churfürstlich brandenburgischer Geheimer Kriegsrath, General-Wachtmeister und Oberstallmeister, Oberster im Dragoner-Regiment Goerner (oder Moerner) residirte in Berlin, Cöln und Friedrichswerder, geboren 1617, gestorben den 2. August 1679.“ Der völlig mumificirte Körper, der am ehesten einem mit einer dicken elastischen Ledermasse überzogenen Skelette gleicht, ist völlig unbekleidet und nur mit einem graumelirten Domino oder Reisemantel zugedeckt, an dem noch hunderte von Flittern wie auf- genähte Silberschuppen glitzern. Der Schädel ist groß und prächtig geformt, das Gesicht aber klein und von feinen Formen. Die Stirn zeigt eine Fraktur des Schädelknochens, wie es heißt in Folge eines Säbelhiebes, den der Freiherr in einer der Schlachten des dreißigjährigen Krieges empfing. Die Nasenspitze ist abgeschlagen. Das geschah bei folgender Gelegenheit. Die Franzosen, kurze Zeit nach der Jenaer Schlacht, kamen auch nach Buch und quartierten sich in die Kirche ein. Voll Uebermuth schleppten sie den Mumien- körper des Freiherrn aus der Gruft nach oben und begannen fri- vole Spiele mit ihm. Bei der Gelegenheit fiel er um und brach das Nasenbein. In einem andern märkischen Dorfe (Campehl, in der Grafschaft Ruppin) kam, so wird erzählt, eine ähnliche Geschichte vor. Uebermüthige Franzosen schafften die Mumie des Herrn von Kalbutz aus der Gruft in die Kirche und begannen, in höllischer Blasphemie, ihn als Gekreuzigten auf den Altar zu stellen. Einem unter den Uebelthätern mochte das Herz schlagen. Als er beschäftigt war, die linke Hand festzunageln, fiel der er- hobene Mumienarm zurück und gab dem unten stehenden Franzosen einen Backenstreich. Dieser fiel todt um; Schreck und Gewissen hatten ihn ge- tödtet. (Ich bin seitdem in der Campehler Kirche gewesen und kann diese Geschichte leider nicht bestätigen. Herr v. Kalbutz liegt mit gefalteten Hän- den da, die Finger beider Hände wie in eins zusammengewachsen. Uebri- gens erzählte mir der Küster von der großen Popularität dieser Mumie; Handwerksburschen aus aller Herren Länder, die durch Campehl zögen, ermangelten nicht, sich den Herrn v. Kalbutz anzusehn, den sie alle als ein Curiosum der Mark Brandenburg kennen.) Es ist in der That ein mehr denn fragliches Glück, der Nachwelt in dieser Form erhalten zu werden, und wir begreifen völlig die Empfindung einiger Mitglieder der Voß’schen Familie, die ihrem letzten Willen den Wunsch hinzugefügt haben: „Nur nicht in unsere Gruft!“ Gebhard Bernhard von Poellnitz übrigens, dessen Mumie in so wenig neidenswerther Weise eine Sehenswürdigkeit der Bucher Kirche geworden, ist durchaus nicht (wie so oft geschieht) mit dem Touristen, Kammerherrn und Me- moirenschreiber Karl Ludwig von Poellnitz zu verwechseln, den Friedrich der Große durch die Worte: „ein infamer Kerl, dem 16* man nicht trauen muß; divertissant beim Essen, hernach einsperren,“ ziemlich zutreffend charakterisirt hat und dessen Memoiren gegenüber doch der Ausspruch wahr bleibt: „sie sind leichter zu tadeln als zu entbehren.“ In dem Aufsatze „Schloß Oranienburg“ hab’ ich seiner ausführlich erwähnt. Gebhard Bernhard von Poellnitz war der Großvater des Memoirenschreibers und, wie es sich für einen General und Oberstallmeister geziemt, mehr ausgezeichnet mit dem Degen als mit der Feder. Ein Zweifel, den nichts desto weniger der Freiherr Truchseß von Waldburg gegen den Muth und die soldatische Ehre des Oberstallmeisters erhob, führte zu einem der seltsamsten Duelle, die je gefochten worden. Die beiden Gegner trafen sich (1664) auf dem sogenannten „Ochsengrieß,“ einer Wiese in der Nähe von Wien. Sie hatten beide von Berlin aus diese Reise machen müssen, weil die vielen Duelle, die damals am brandenburgischen Hofe vorkamen, zu den allerschärfsten Erlassen gegen den Zweikampf ge- führt hatten. Das Duell sollte zu Pferde stattfinden und die Kugeln in möglichster Nähe a tempo gewechselt werden. Der Ober- stallmeister ritt an den Freiherrn Truchseß heran und fragte ihn, ob er gesagt habe: er habe ihn (den Poellnitz) coujonirt und keine Satisfaction bekommen können. Truchseß antwortete: „Ja, das habe ich gesagt.“ Darauf wurden die Pistolen abgefeuert und in Gegenwart der Secundanten frisch geladen. Poellnitz fragte voll Cour- toisie: „ob man die Pferde wechseln wolle,“ was Truchseß ablehnte. Man ritt nun in lebhaftem Schritt an einander heran und schoß auf nächste Distance. Die Kugel des Truchseß streifte den Ober- stallmeister über den Bauch, die Kugel des letzteren aber traf den Truchseß tödtlich. Er sank zur Seite und hielt sich mühsam im Sattel. Poellnitz fragte ihn jetzt: „Müsset Ihr nunmehro nicht zugestehen, daß Ihr mir Unrecht gethan und meine Ehre ohne Grund gekränkt habt?“ worauf Truchseß erwiederte: „Ich habe euch Unrecht gethan und bitte, daß Ihr mir vergeben wollt.“ Man nahm den Truchseß nun vom Pferde und legte ihn auf den Rasen. Der Oberstallmeister kniete an seiner Seite nieder und sprach dem Sterbenden aus Gottes Wort christlichen Trost zu, bis er verschied. Wir verlassen nun die Gruft und treten in die Kirche ein. — Sie ist geräumig, lichtvoll und von einer einfachen Schönheit der Verhältnisse, die nach der bunten Ueberladenheit der Façaden doppelt überrascht. Es fehlt aller Schmuck, namentlich alle Ver- goldung; aber das Eichenschnitzwerk an Kanzel und Altar, an Chor und Kirchenstühlen leiht dem Ganzen etwas Gediegenes, wenn auch freilich der Eindruck protestantischer Nüchternheit bleibt. In der Mitte wölbt sich die Kuppel, nicht ohne eine gewisse Statt- lichkeit, aber der Bilderschmuck, den man innerhalb derselben ver- sucht hat, hebt die günstige Wirkung zum Theil wieder auf. Ein Moses mit den zwei Sinaitafeln auf seinen Knien und eine büßende Magdalena, die ihren Fuß auf Drachen und Todtenkopf setzt, sind Leistungen, die auf eine mehr denn kindliche Stufe vaterländischer Kunst zurückweisen. Der Ostflügel der Kirche bildet eine Art hohen Chor; Altar und Kanzel trennen ihn von dem Haupttheil völlig ab und nur zwei Treppen zur Rechten und Linken des Altars unterhalten die nöthige Verbindung. Es scheint, daß es die Absicht des Baumei- sters war, hier Raum für eine Art Campo Santo, für eine mar- morne Gedächtnißhalle zu schaffen, eine Annahme, die dadurch be- stätigt wird, daß sich die bereits beschriebene Gruft unter diesem Theil der Kirche befindet. Den Intentionen des Baumeisters ist aber nur Einmal entsprochen worden. Ein einziges, allerdings sehr reiches und prächtiges Grabmonument erhebt sich an dieser Stelle, das von Glume herrührende Marmordenkmal des Ministers von Viereck. Zieht man den Geschmack jener Zeit in Erwägung, der in dem Hange nach geistreicher Symbolik vielleicht nicht wesentlich ein- seitiger war, als wir es mit unserem Glauben an den allein selig- machenden Realismus sind, so muß man zugestehen, daß es eine ganz vortreffliche Arbeit ist. Die Gestalten, aus denen sich das Ganze zusammensetzt, sind zum Theil die üblichen: der Tod mit der Sichel und ein Engel mit dem Palmzweig, wozu sich, von der andern Seite her, eine weibliche Figur mit einer weit geöffne- ten Leuchte gesellt, unzweifelhaft um das helle „Licht der Aufklä- rung“ symbolisch anzudeuten, das damals überall und natürlich auch im Kopfe des fridericianischen Cultusministers zu finden war. Eine Büste des Ministers krönt das Ganze; unter der Büste sein und seiner beiden Frauen Wappen; unter den Wappen eine latei- nische Inschrift in Goldbuchstaben, die, wie sich denken läßt, nur bei den Verdiensten des Viri illustrissimi et excellentissimi verweilt und keinen Nachklang enthält von jener Reprimande König Friedrich Wilhelms I. , die da lautete: „Geheimer Rath von Viereck soll sich meritirt machen, nicht zu viel à l’Hombre spielen, diligent und prompt in seiner Arbeit sein, nicht so langsam und faul, wie er bisher gewesen .“ — Der Unterschied zwischen preußi- schen Cabinetsordres und Grabschriften war immer groß. Noch eine Stelle bleibt uns übrig, an die wir heran zu tre- ten haben. Unter der Kuppel, genau in der Mitte der Kirche, be- merken wir eine Vertiefung im Fußboden, als seien hier die Ziegel, womit der Fußboden gepflastert ist, zu einem bestimmten Zweck herausgenommen und später wieder eingemauert worden. Wir be- merken nun auch, daß die Vertiefung die ohngefähre Länge und Breite eines Grabsteins hat, als sei es Absicht gewesen, hier eine Steintafel einzulegen. Wir stehen in der That an einem Grabe. Hier an dieser unscheinbaren Stelle wurde die schöne Julie von Voß , bekannt unter dem Namen Gräfin Ingenheim, Die Beziehungen des Königs Friedrich Wilhelms II. zur Rietz- Lichtenau und — wie eine Episode — zum Fräulein v. Voß, muß ich als bekannt voraussetzen. Es lag dem Hofe daran, die allmächtige Favo- ritin (die Rietz) zu beseitigen und die Huldigungen und Aufmerksamkeiten, die der König der schönen Julie von Voß erwies, schienen das ge- eignetste Mittel dazu zu bieten. Julie von Voß aber war kalt und von einer, für jene Zeit wenigstens, herben Moral, die es verschmähte, die Nachfolgerin einer Madame Rietz zu sein. Endlich gab sie nach, aber nur unter der Bedingung, daß sie dem Könige an die linke Hand angetraut werde. Diese Antrauung erfolgte am 22. December 1786. Der König in- deß kehrte bald zu seiner „lieben Rietz“ zurück und diese Demüthigung in aller Stille beigesetzt. Ihr letzter Wunsch war gewesen, nicht in die Mumiengruft der Familie gestellt zu werden. Ihr Wunsch wurde erfüllt. Hier unter der Kuppel der Kirche ruht die schöne Frau in einsamer Gruft, sicher vor dem Auge zudringlicher Neugier, ja selbst der Theilnahme derer entzogen, die an dieser Stelle vorüber- gehen und keine Ahnung haben, was die Vertiefung in den Steinen des Fußbodens bedeutet. Ueberall in Buch, in Kirche, Schloß und Park, begegnet der Besucher den Spuren der schönen Gräfin, allerhand Zeichen und Gegenständen, die leise an sie mahnen, aber nirgends ihrem Namen . Wie in Familien, wo das Lieblingskind stirbt, Eltern und Geschwister stillschweigend übereinkommen, den Namen des theuren Hingeschiedenen nie mehr auszusprechen, so auch hier. Eine Gruft ist da, aber es fehlt der Stein; aus reichem goldenen Rah- men heraus blickt in den Wohnzimmern des Schlosses ein Frauen- bild, auffallend durch Schönheit und stille Majestät der Züge, aber die Kastellanin nennt den Namen nicht und nur das Wappen zu zehrte am Leben Juliens von Voß, die inzwischen (1787) zur Gräfin Ingenheim erhoben worden war. Sie starb am 25. März 1789, bald nach der Geburt eines Sohnes, des Grafen Gustav v. Ingenheim, wie man sich damals erzählte, in Folge einer vergifteten Orange, die ihr, auf Anstiften ihrer Rivalin, im Theater gereicht worden war. Die Unglaub- würdigkeit dieser Erzählung ist längst dargethan, am eclatantesten durch die Rietz-Lichtenau selbst, in ihren „Memoiren.“ Alles, was sie sagt, ist schlagend. Wenn der Volksglaube nichtsdestoweniger bei seiner Vorstellung von einer stattgehabten Vergiftung beharrt und als Beweis anführt, daß die Leiche der Gräfin, nach ihrer Beisetzung im Erbbegräbniß, nicht in Verwesung übergegangen sei, so zeigt dies, neben andrem, wie wenig stichhaltig die ganze Anklage ist. Selbst wenn die Gräfin in der Familien- gruft wirklich beigesetzt wäre , so würde die Nicht-Verwesung nichts zu bedeuten haben, da eben alle Todten in dieser Gruft zu Mumien werden; Julie v. Voß ist aber, auf ihren ausdrücklichen Wunsch, in der Familien- Gruft nicht beigesetzt worden, sondern ruht, wie oben erzählt, unter der Kuppel der Kirche, in einem übermauerten Grabe. Es ist zu wünschen, daß diese Stelle später einen Grabstein erhält, was, der Vertiefung im Boden nach zu schließen, ursprünglich gewiß beabsichtigt war. Füßen des Bildes gibt andeutungsweise Aufschluß. Es existiren noch mehrere Bilder von der schönen Gräfin. Ein Oelporträt, das im Ingenheimschen Schlosse zu Seeburg (im Mansfelder Seekreise) aufbewahrt wird, habe ich nicht gesehn, wohl aber ein lebens- volles Pastellbild, das sich im Besitz der Frau v. Haeseler (Behrenstraße 70) befindet. Es hat Aehnlichkeit mit dem in Buch befindlichen Porträt, ist aber lieblicher und von gewinnenderem Ausdruck. Augen und Teint sehr schön. Die Gräfin trägt ein Morgenkostüm, eine Art Tüllspenser mit vie- len krausgetollten Kragen. Durch die Fülle gelbgepuderten, krausen Haares zieht sich ein schwarzes Sammtband. Das Porträt rührt von Frau v. Sydow, einer Freundin der Gräfin Ingenheim, her. Wir treten von dem Bilde hinweg und in den Park hinaus. Die eine der dunkeln Alleen führt uns an einen abgelegenen Platz, stiller, dunkler noch als der Park überhaupt. Edeltannen umschreiben ein Oval und scheiden es ab von dem Rest des Parks. Inmitten dieses dunkeln Eilands, das die Tannen bilden, erhebt sich ein Monu- ment, dessen eine Seite ein sinniges Reliefbild trägt: der Engel des Todes hüllt eine Sterbende in sein Gewand; ihr Antlitz lächelt, während ein Kranz von Rosen ihrer Hand entsinkt. „Soror optima, amica patriae,“ so lautet die Inschrift. Aber der Name der geliebten Schwester fehlt. Blumberg. Die alten Namen, die alten Herrn, Sind all’ hinüber, sind alle fern. Die Loeben, die Burgsdorf, die Canitz sind stumm Aber Frühling ist wieder und jubelt ringsum. * Zu Blumberg ist mein Sitz, wo nach der alten Weise, Mit dem, was Gott bescheert, ich mich gesegnet preise. Canitz an Eusebius von Brand (1692.) E in Frühlingstag führt uns nach Blumberg hinaus, einem Arnimschen Gut in der Nähe von Berlin, und nach rascher Fahrt, an lachenden Dörfern vorbei, biegen wir aus der staubigen Pappel- Allee in die windgeschützte, stille Dorfgasse ein. Es ist Mittags- stunde, der Sonnenschein liegt blendend auf den neugedeckten, ro- then Dächern, die Bäume stehen im ersten Grün und auf dem hohen Schornstein des Herrenhauses, aus dessen Seitenöffnungen der weiße Rauch phantastisch emporwirbelt, erhebt sich eben ein Storchenpaar in seinem Nest und unterbricht die Mittagsstille durch sein rasches und eifriges Geklapper. Es klingt als würde eine Sense gewetzt, oder als ginge eine Mühle unten im Garten. Blumberg, an der Stettiner Steinstraße gelegen, ist ein gro- ßes und freundliches Dorf, fast so freundlich wie sein Name und gerade groß genug, um uns die Versicherung alter Urkunden glau- ben zu machen, „daß Blumberg vordem ein Städtchen, ein oppi- dum gewesen sei.“ Ein großes Dorf war es gewiß, aber vor allem auch reich und fruchtbar genug, um das Auge der Kirche, die immer scharf blickte in solchen Dingen, auf sich zu ziehen. So geschah denn, was nicht ausbleiben konnte, und bald, nachdem sich die Nachfolger Albrecht des Bären zu Herren im Teltow und Barnim gemacht hatten, wurde Blumberg Kirchengut und zwar Besitzthum der reichen Bischöfe zu Brandenburg. Blumberg blieb bischöfliches Gut bis zur Reformationszeit, bis zu jenen Tagen, wo Joachim II. den Kampf in seinem Herzen ausgekämpft und sein christlich Gewissen über die feierliche Zusage gesetzt hatte (über die Zusage, auszuharren beim alten Glauben), die er seinem Vater auf dem Todbette hatte leisten müssen. Vieles wurde nun anders im Lande; die Einziehung der Kirchengüter drohte von Tag zu Tag und die klugen Herren zu Brandenburg, die nicht Lust hatten, sich überraschen zu lassen, veräußerten recht- zeitig allerlei Besitzthum, das über kurz oder lang doch zerrinnen mußte, — viele Güter wurden verkauft, darunter Blumberg. Der Käufer war Hans von Krummensee . Die Krummen- see waren damals eine der reichsten Familien im Lande; sie be- saßen die Stadt Alt-Landsberg, die ziemlich in der Mitte des Gesammt-Areales lag, das sie durch Kauf und Erbschaft im Laufe der Jahrhunderte an sich gebracht hatten. Jetzt, durch den Ankauf von Blumberg, dehnten sie ihren Besitz bis an die Bernauer Feld- mark und bis an die Grenzen jenes andern großen Güterkomplexes aus, der, nördlich von Berlin, sich in den Händen der reichen und angesehenen Familie von Roebel Im 17. Jahrhundert war die große Mehrzahl (17) aller, im zwei- meiligen Umkreis nördlich von Berlin gelegenen Güter, in Händen von nur drei Familien: Roebel, Krummensee, Loeben. befand; aber mit der Erwer- bung von Blumberg war plötzlich dem wachsenden Reichthume der Krummensee ein Ziel gesteckt. Von da ab ging es rückwärts; der 30jährige Krieg that das Seine, Gut auf Gut ging verloren, 1701 das letzte — Schöneiche. Ihrem reichen Besitze ist seitdem das Geschlecht selbst gefolgt. Der letzte war Carl Aegidius Ludwig von Krummensee, gestorben 1827 als Canonikus zu St. Nicolai in Magdeburg. Blumberg besaßen die Krummensee nur etwa 80 Jahre. Eine Sandsteinplatte vor dem Altar der alten Blumberger Kirche bewahrt ihren Namen. Die Inschrift des Steines lautet in der schlichten, herzhaften Sprache jener Zeit: „Im 58ten Jahre und 3 Wochen, ist meine liebe Hausfrau Katarina Moerner allhier be- graben und ist mein, Hans Krummensee’s, allerliebst Ge- mahl gewest . 1596.“ 1602 verkaufte Hans von Krummensee sein Gut Blumberg, so wie die Güter Dahlwitz, Eiche und Helmsdorf an den kurfürst- lichen Kanzler Hans von Loeben , bei dessen Nachkommen Blum- berg ein volles Jahrhundert blieb. Die Kirche, in die wir eben eingetreten sind und an deren Wänden wir eine beträchtliche An- zahl alter Bildwerke erblicken, giebt uns die beste Gelegenheit, die zum Theil historischen Gestalten jenes Jahrhunderts in raschem Wechsel an uns vorüberziehen zu lassen; unser erster Blick aber gehört der Kirche selbst. Es ist ein alter Bau, an dem auch das Auge des Laien zwei verschiedene Epochen ohne Mühe unterscheiden kann: einen ältesten Theil mit Pfeilern und Kreuzgewölben aus der Zeit der Branden- burger Bischöfe, und einen Anbau mit Altar und Kanzel aus der Zeit etwa des ersten Königs. Die Bilder, die die Kirche ent- hält, sind im Einklang damit gruppirt; Alles, was älter ist, als der Anbau, befindet sich auch in dem alten Theile der Kirche; was später hinzugekommen (Bilder und Denkmäler), schmückt die Wände des Anbaues. ( Der Anbau. Philipp Ludwig von Canstein und seine „hochbetrübteste Wittwe.“ ) Diese Bildwerke des An- baues, theils Grabdenkmäler, theils Oelbilder und Reliefs, sind es nicht eigentlich, die uns nach Blumberg und in die Blumberger Kirche geführt haben; dennoch verweilen wir einen Augenblick bei denselben, wenigstens bei den hervorragendsten. Da ist zunächst das beinahe pomphaft ausgeführte Denkmal des Obersten Philipp Ludwig von Canstein, eines jüngeren Bru- ders Carl Hildebrandt’s von Canstein, jenes frommen Mitarbeiters am Werke Francke’s und Spener’s, dessen Name und Wirken in der Cansteins chen Bibelanstalt zu Halle dauernd fortlebt. Der Oberst von Canstein ererbte Blumberg bei jungen Jahren; aber der Besitz des schönen Gutes war ihm nur kurze Zeit gegönnt. Die blutigen Schlachten des spanischen Erbfolgekrieges, die (zumal bei Turin und Malplaquet) auch brandenburgischerseits so schwere Opfer heischten, rafften auch ihn hinweg. Das Denkmal, das ihm von Seiten seiner Wittwe noch im Jahre seines Todes errichtet wurde, ist ganz im Geschmack jener Zeit und auf seinen Kunst- werth geprüft, nichts weiter als eine mit Munificenz ausgeführte Dutzendarbeit. Auf dem Steinsarkophag steht wie immer die Büste des Hingeschiedenen, Kriegstrophäen und Wappenschilde gruppiren sich drum herum; ein Genius preßt den Lorbeerkranz auf die Allongenperrücke, und die vergoldete Front des Marmorsarges trägt in Schnörkelschrift die üblich stylisirte Inschrift. Diese Inschrift wiederzugeben, ist hier nöthig, weil sie eine irrthümliche Angabe über den Todestag des tapferen Obersten beseitigt. Er fiel nämlich nicht bei Malplaquet, wie immer gedruckt wird, sondern ein Jahr früher bei Oudenarde. Die Inschrift lautet: Dem Hochwohlgebornen Herrn, Herrn Philipp Ludwig Freiherrn von Canstein, Herrn der Herrschaft Canstein, Schön- berg, Neukirch, Blumberg, Eiche und Helmsdorf, Seiner Kö- niglichen Majestät in Preußen Obristen zu Roß der Gens- darmes, welcher geboren A. D. 1669 den 11. April, durch Geschlecht und Tugend, durch Gottesfurcht und Tapferkeit Ehr’ und Lob verdienet und erworben, und im Treffen bei Oudenarde wider die Franzosen, im Lauf des glücklich erfolg- ten Sieges durch einen tödtlichen Schuß rühmlich und auf dem Bette der Ehren verstorben, im Jahre des Heils 1708 den 11. Juli, des Alters 39 Jahr und drei Monat, — hat dieses Denkmal zum Zeichen beständiger Liebe und Treue setzen lassen, dessen hochbetrübteste Wittwe, Ehrengard Maria Freifrau von Canstein, geborne v. d. Schulenburg, 1708. Die „hochbetrübteste Wittwe“ indeß war ein Kind ihrer Zeit, d. h. sie verheirathete sich wieder und zwar in kürzester Frist. Sie wurde dann abermals eine Wittwe, aber nur um sich bald darauf zum dritten Mal zu vermählen. Das war damals Landesbrauch in den Marken, und wir werden noch im Lauf dieses Aufsatzes die Bekanntschaft eines hervorragenden Mannes jener Epoche machen, der außer seinem Vater und Schwiegervater zwei Stiefväter und zwei Stiefschwiegerväter hatte, also sechs Väter im Ganzen. (Der große Kurfürst war zweimal, der alte Derfflinger zweimal, König Friedrich I. dreimal verheirathet; so viele Andere noch.) Es war damals, als ob Alles, was lebte, sich einen Zustand der Ehe- losigkeit nicht denken konnte, und einzelne Ausnahmefälle abgerech- net, sprach sich in dem Allen viel weniger eine Frivolität, als eine Fülle des Lebens aus. Man hielt das Trauerjahr und war in aller Aufrichtigkeit ein tief betrübter Wittwer, oder eine „hochbe- trübteste Wittwe.“ Aber sobald die Trauerkleider fielen, gehörte man wieder dem Leben; das Blut, das voll zum Herzen drang, forderte sein Recht. Das sinnliche Leben überwog noch das geistige, und die Welt feinen Empfindens war noch wenig erschlossen. Aber freilich auch die Irrwege nicht, zu denen die Feinheit der Empfin- dung so leicht verführt. Auch von der betrübten Wittwe unseres tapferen Obristen findet sich ein Bildwerk im Anbau der Kirche vor; kein Grabdenk- mal, nichts von Sensenmann und Sarkophag, vielmehr ihr Oel- porträt in ganzer Figur, frisch, blühend, voll . Es ist ein sehr interessantes Bild, einmal als künstlerische Leistung überhaupt, un- gleich mehr aber durch die ingeniöse Art, wie der Maler es ver- standen hat, die drei Ehemänner der noch stattlichen Frau halb huldigend, halb decorativ zu verwenden. Wie Macbeth in der be- kannten Hexenkessel-Scene die Könige Schottlands an sich vorüber ziehen sieht und zwar so, daß die letzten, die der Zeit nach am weitesten von ihm entfernt sind, immer kleiner und blasser werden, so hier die 3 Ehemänner. Den noch lebenden (oder jüngst ver- storbenen) hält sie, als Medaillonporträt, mit dem Ausdruck ruhi- gen Besitzes, fest in ihrer Rechten; der zweite, noch klar erkennbar, zieht sich bereits in den Hintergrund des Bildes zurück; unser Freund der Oberst aber, dessen ganze Schuld darin bestand, schon 20 Jahre vor Entstehung dieses Bildes den Heldentod gestorben zu sein, verliert sich völlig in nebelhafter Ferne und wirkt nur noch mit, um das Ensemble und die symmetrische Anordnung des Ganzen nicht zu stören. Möglich, daß solche Bilder öfter sich vor- finden, mir war es das erste der Art. ( Johann von Loeben .) Der Anbau der Kirche enthält noch manches andere von Bildwerken und Denkmälern, wir treten aber, von dem Bildniß der stattlichen Frau hinweg, in den alten Theil der Kirche zurück, wo wir, genau an der Stelle, wo Be- hufs des Anbaues die alte Giebelwand durchbrochen wurde, an den pfeilerartig stehen gebliebenen Mauerresten, verschiedenen alten Porträts aus dem Anfang und Schluß des 17. Jahrhunderts be- gegnen, Porträts, die, wenn man den Ausdruck gestatten will, der eigentlichen Zeit Blumbergs, seinem historischen Jahrhundert (eben dem 17.) angehören. Diese Bilder geleiten uns durch drei (genauer genommen vier ) Generationen einer und derselben Fa- milie, aber es ist weibliche Descendenz und so wechseln die Na- men: Loeben, Burgsdorf, Canitz . Da haben wir zunächst, halb versteckt unter einem Behang von Spinnweb, die Bildnisse Johann von Loebens und seines Ehegemahls. Er ist ein alter Herr und die spanische Tracht von schwarzem Sammt, dazu die goldne Kanzlerkette, würden keinen Zweifel über die Vornehmheit des Mannes lassen, wenn auch die Züge weniger Entschlossenheit und die großen hellen Augen minder Würde und Leutseligkeit ausdrückten. Die Umschrift des Bildes lautet: „Johann von Loeben, Kurfürstlich Brandenburgischer Ge- heimer Rath und Kanzler hat 1602 die Güter Blumberg, Eiche, Dalwitz und Helmstorff erkauft, christlich und weislich solchen vor- gestanden und regieret 34 Jahr, und ist gewesen ein weiser und vortrefflicher Mann von seinem Geschlecht.“ Unmittelbar vor dem Bilde hängt das alte Banner der Familie, von der Decke herab, das in goldner Schrift die Angaben des Bildes theils bestätigt, theils erweitert: „Der hochedle, gestrenge und hochbenannte Herr Johann von Loeben (Ihrer Churfürstlichen Durchlaucht zu Bran- denburg, Joachim Friedrich, hochlöbseligsten Gedächtnisses, vorneh- mer Geheimer Rath und Kanzler) auf Blumberg, Dalwitz, Eiche und Falkenberg, ist allhier zu Blumberg selig im Herrn entschlafen, den 26. Juli anno 1636, seines Alters 75 Jahr.“ Ueber dieser Inschrift, stark nachgedunkelt, aber immer noch deutlich erkennbar, zeigt sich das alte Loeben’sche Wappen: ein Schachbrett mit der Prinzessin aus Mohrenland. Schon 723 war ein Loeben (die Ge- schichte verschweigt seinen weiteren Namen) in die üble Lage gekommen, mit einer Prinzessin aus Mohrenland auf Tod und Leben Schach spielen zu müssen. Glücklicherweise gewann er die Parthie, ein Umstand, den wir nicht hoch genug anschlagen können, weil wir ohne den- selben um die ganze Erzählung gekommen wären; Schachbrett und Prinzessin aber kamen in’s Loeben’sche Wappen. Ob die edle Kunst des Schachspiels seitdem in der Familie gehegt und gepflegt wurde, mag dahin gestellt bleiben, nur unser alter Kanzler war jedenfalls seines Ur-Ahnen werth; auch er war ein Meister im Spiel und that gute und sichre Züge auf dem diplomatischen Schachbrett. Dabei liebte er ehrlich Spiel, keine Finten, keine Hinterhalte. Der Kurfürst setzte ein unbegrenztes Vertrauen in seine Klugheit und Redlichkeit, und als er (der Kurfürst) an die Gründung eines permanenten „Geheimen Rathes“ Dieser „Geheime Rath“ bestand aus 8 Mitgliedern, darunter 3 Doktoren der Rechte, die auch später noch meist aus bürgerlichem Stande genommen wurden. Die 8 Mitglieder waren: Hironymus Graf v. Schlick, Präsident; Johann von Loeben, Kanzler; von Benkendorf, Vice-Kanzler; Christoph Friedrich von Wallenfels; Hironymus von Dieskau; Friedrich Pruckmann; Simon Ulrich Pistoris; Johann Hübner. ging (die nächste Veranlas- sung dazu gab eine längere Anwesenheit des Kurfürsten im Her- zogthum Preußen), war es selbstverständlich, daß Johann von Loeben als erster Rath in diesen Regentschafts-Körper berufen wurde. Aus diesem damals gegründeten „Geheimen Rath“ ging später der „Staats-Rath“ hervor. Johann von Loeben wurde Kanzler (bei jungen Jahren noch) und stieg so hoch wie ein Diener steigen mag im Dienst und in der Liebe seines Herrn, aber Leid und Bitterkeit des Lebens erreichten auch ihn. Wie er die höchste fürstliche Gnade kennen gelernt hatte, so kam Ungnade über ihn, wie der Dieb in der Nacht. Fast unmittelbar nach Joachim Fried- richs Tode (1609) schied er aus dem Staatsdienst, um „procul negotiis“ in der heitern Umgebung Blumberg’s, die Freuden und Leiden glänzenderer Tage zu vergessen. 1629, in mitten der Wirren des 30jährigen Krieges wurde er noch einmal auf den Schauplatz berufen, um der schwachen und haltlosen Politik George Wil- helms Halt und Richtung zu geben, aber wo keine Kraft der Aus- führung war, da wogen der Rath des Weisen und das Wort des Thoren gleich schwer und nach kurzem Verweilen am kurfürstlichen Hofe zog er sich zum zweiten Mal in die Stille seines Landguts zurück. Nur als Beobachter folgte er den Begebenheiten, und die letzten Jahre seines Lebens, verbittert durch so manche Erfahrung, brachten ihm wenigstens die eine Freude noch, daß ihm vergönnt war, den Stern seines Schwiegersohns, Conrads von Burgs- dorf , glänzend aufgehen zu sehen. ( Frau von Burgsdorf .) Die Bildnisse des alten Kanzlers und seines Ehegemahls blicken, dem Anbau und der Kanzel abge- wendet, in das alte Kirchenschiff hinein; an der Innen-Seite der beiden Pfeiler aber, so daß sie sich einander in’s Auge sehen, hin- gen bis vor Kurzem zwei andre interessante Porträts, die Bildnisse der alten Frau von Burgsdorf (der Tochter Johanns von Loeben) und ihres Enkels, des Poeten Canitz. Dies tête à tête zwischen Großmutter und Enkel ist neuerdings gestört worden; die Kirchen- vorstände haben das Bildniß des Poeten in unerklärlicher Ver- blendung für eine kaum nennenswerthe Summe verkauft. Es ist dies um so beklagenswerther, als die Kirche jedes andern Bildes eher entbehrt haben könnte als dieses einen. Denn die eigentliche Glanzzeit Blumbergs fällt nicht nur in die Tage, wo Canitz hier dichtete und heitre Gastfreundschaft übte, nein selbst der Name des Dorfes würde nie über seine nächste Umgebung hinaus bekannt geworden sein, wenn ihm nicht die Alexandriner des märkischen Poeten zu einem Plätzchen in der Literatur-Geschichte und zu einem ähnlich guten Klange verholfen hätten, wie ihn Wandsbeck, oder Gohlis oder Alten-Gleichen haben. Das Bildniß der alten Frau von Burgsdorf, dem wir uns jetzt zuwenden, ist wohl erhalten und trägt folgende Inschrift: „Die Verwittwete Frau Oberkammerherrin von Burgsdorf, geborne von Loeben, bekommt nach Absterben ihrer Frau Mutter alle Güter, so ihr Herr Vater, der Herr Kanzler von Loeben in Besitz gehabt; stehet solchen mit besondrem Ruhm und Leutseligkeit vor; aus Liebe für die Blumberg’schen und Eichischen Unterthanen, legirt sie in ihrem Testament den Armen von beiden Gütern ein Capital von 500 Thalern. Sie setzet annoch bei ihrem Leben den klugen Staatsminister Freiherrn von Canitz als ihren einzigen Enkel, zum Erben ihrer Güter ein. Erlanget von dem Höchsten die Verheißung langen Lebens und bringet solches auf 77 Jahr.“ Das Bild (wie wir aus der Unterschrift schließen müssen, erst nach dem Tode der alten Dame gemalt) ist wahrscheinlich die Copie nach einem früheren Gemälde, das bereits bei ihren Leb- zeiten existirte, denn der lebensvolle Kopf, der, aus dem schlichten Holzrahmen heraus, hier zu uns spricht, ist nicht der Kopf einer 77 jährigen Greisin, sondern der Kopf einer Frau in den besten Jahren, deren Embonpoint sie siegreich schützt gegen die verrätheri- sche Furchenschrift der ersten 50er Jahre, und deren lang herab- hängende dunkle Locken noch den Vorsatz der Trägerin aussprechen, nicht alt sein zu wollen . Das Kostüm ist so ziemlich dasselbe, wie unsere Damen jetzt es tragen. Das Kleid ist weit ausgeschnitten, aber ein reiches Kantenhemd umschließt den Nacken bis hoch herauf, und allerhand Schnüre und Borten ziehen sich decent über den gestickten Brust- latz hin. Die Aermel sind kurz und weit und überdecken kaum zur 17 Hälfte den reichen Unterärmel von Brüsseler Spitzen. Der Ausdruck des Kopfes ist der einer selbstbewußten, herrschgewohnten Frau, deren natürliche Gutmüthigkeit sich gegen die Regungen des Stolzes eben so sehr wie gegen die harten Schläge des Schicksals behauptet hat. Nichts Weichliches, nichts Sinnliches in den Zügen; die ganze Erscheinung streng und wohlwollend zugleich. Von schweren und harten Schlägen, die so leicht eine angeborne Milde in Herbigkeit umwandeln, war sie freilich vielfach betroffen worden. Wenn das Leben ihres Vaters Gegensätze geboten hatte, so bot das ihre deren mehr. Sie hatte die Tage seltenen Glückes gesehen, aber auch Tage tiefen Falles. Ihr Ehgemahl, eine genialische Natur, halb Held, halb Libertin, hatte sich nicht begnügt, wie ihr Vater, der Kanzler, als erster Diener neben dem Thron des Fürsten zu stehen; nicht der Diener seines Herrn, seines Herrn Herr hatte er zu sein gestrebt, war er in Wirklichkeit gewesen. Daß er es hatte bleiben wollen, das hatte ihn gestürzt. Was Kurfürst Friedrich Wilhelm tragen konnte, als er, fast ein Knabe noch, in’s Land kam, in ein Land, das der schlane Muth Konrad’s von Burgsdorf ihm schrittweis erst erschließen mußte, das mußte allmälig zur Verstim- mung und endlich zum Bruche führen, als der jugendliche Fürst „der große Kurfürst“ zu werden begann. Der kluge Günstling, der so Vieles sah, sah diesen Wechsel nicht, wollte ihn vielleicht nicht sehen, und an diesem Irrthum oder Eigensinn ging er zu Grunde. Seine Gegner hatten leichtes Spiel. Die Wüstheit seines Lebens kam ihnen zu Hülfe, und die Verbannung vom Hofe wurde ausgesprochen. Er ging nach Blumberg ; aber der Haß seiner Feinde schwieg auch jetzt noch nicht. Man bangte vor seiner Rückkehr, und hundert geschäftige Zungen trugen es durch die Stadt, „daß der gestürzte Günstling 18 Maß Wein tagtäglich bei Tafel getrunken habe und ein gewaltiger Courmacher und Sere- nadenbringer gewesen sei.“ Man wußte wohl, was man that, daß man diese Dinge in Umlauf setzte und keine andern; denn Kur- fürstin Henriette Louise war eine fromme Frau, der alles Laster- leben ein Greuel war, und nachdem Unzucht und Völlerei so lange ihr wüstes Haupt auf den Tisch gelegt hatten, wurde eben damals die Sitte erstes Gebot. Konrad von Burgsdorf starb bald; es heißt, daß er sinn- und trostlos geendet habe; sein ehlich Gemahl aber, deren Bild jetzt eben von der Pfeilerwand auf uns hernieder- blickt, überlebte den Sturz ihres Mannes um fast volle dreißig Jahre. Blumberg, der Ort ihrer Kindheit, drin ihr Vater und dann später ihr Gatte vor der schneidenden Eisluft der Ungnade Zuflucht gesucht hatten, blieb ihr lieb, weil die Geschichte ihres Le- bens mit ihm verwachsen, und die Stille seiner Felder ihr mehr und mehr ein Bedürfniß geworden war. Aber freilich der Frieden des Gemüths, nach dem sie rang, blieb ihr im Alter versagt, wie er ihr in der Jugend versagt gewesen war. Neue Kränkungen gesellten sich zu alter Bitterkeit, Kränkungen, die dadurch nicht geringer wurden, daß sie unbeabsichtigt waren. Den Kummer ihres Alters schuf ihre eigene Tochter , ihr einziges Kind. Diese schien ganz ihres Vaters Kind zu sein, von dem wir bereits wissen, daß er zu seiner Zeit „ein gewaltiger Courmacher und Serenadenbringer“ gewesen war. Dreimal verheirathete sich diese Tochter. Ihr erster Mann, ein Freiherr von Canitz, starb, — das war ein Unglück; von ihrem zweiten Manne, einem General v. d. Goltz, ließ sie sich scheiden — das war nicht hübsch, indeß es war erträglich; daß sie sich aber zum dritten Male verheirathete, und diesen dritten Mann, einen alten Franzosen, den sie nie gesehen hatte, aus Paris sich schicken ließ , das war mehr, als die Oberkammer- herrin von Burgsdorf, die ein halbes Jahrhundert lang erst als die Tochter und dann als die Gattin des vornehmsten Mannes in Kurmark Brandenburg gelebt hatte, ertragen konnte. Diese Heirath zehrte an ihrem Herzen und vergällte ihr das letzte Jahr- zehnt ihres Lebens; die Ehe selbst aber, die zu dieser Verbitterung Anlaß gab, bildet einen zu charakteristischen Zug für die Sitten- geschichte jener Zeit, als daß ich es mir versagen könnte, den Her- gang derselben hier ausführlicher zu erzählen. Frau von der Goltz (geborene von Burgsdorf, verwittwete von Canitz, geschiedene von der Goltz) war kaum von ihrem zwei- 17* ten Manne getrennt, als sie den Vorsatz faßte, sich zum dritten Male zu verheirathen, und da ihr, bei ihrer Schwärmerei für alles Französische, jeder Franzose in ganz bestimmter nationaler Vollkommenheit erschien, so kam auf die Wahl im Besonderen nicht eben viel an. Frau von der Goltz entschloß sich rasch; sie schrieb ihrem Pariser Commissionär, der sich bis dahin durch seinen feinen und guten Geschmack in der Uebersendung von Coiffüren und Modeartikeln bewährt hatte, ihr einen Mann zum Heirathen zu schicken, der jung, hübsch, rüstig, fein und geistvoll und selbst- verständlich auch von Adel sei. Der Auftrag wurde prompt aus- geführt. Nach etwa vier Wochen traf in Berlin ein Franzose von über fünfzig Jahren ein und meldete sich bei Frau von der Goltz als derjenige, den sie gewünscht habe. Sein Name war Peter von Larrey, Baron von Brunbosc, aus einer alten Familie in der Normandie. Die Ehe kam wirklich zu Stande, und war glücklich . Frau von Burgsdorf konnte aber über die Kränkung, die ihr dieser abenteuerliche Vorgang bereitet hatte, nicht hinweg; die Partie mit dem normannischen Baron, der vielleicht keiner war, zehrte an ihrem Leben, und sie starb, nachdem sie längst vorher mit Um- gehung ihrer Tochter, den Sohn dieser Tochter aus erster Ehe, den Freiherrn von Canitz, zum Erben all ihrer Güter, das schöne Blumberg mit eingeschlossen, eingesetzt hatte. ( Freiherr von Canitz .) Und diesem Freiherrn von Canitz wenden wir uns nun ausführlicher zu. Sein Bildniß fehlt jetzt zwar an dem breiten Mauerpfeiler, an dem es früher hing und Großmutter und Enkel, das Lächeln des einen, der herbe Gesichts- ausdruck der andern, begegnen sich nicht länger an dieser Stelle; aber das Totalbild des „Poeten,“ seinen Charakter wie seine Er- scheinung, hat uns eine zeitgenössische Feder aufbewahrt und mit Hülfe dieser Aufzeichnung erneuern wir auf Momente das Bild und führen es an dem Auge unserer Leser vorüber. „Canitz der Poet“ war von mittlerer, wohlgewachsener Ge- stalt, in den späteren Jahren etwas untersetzt und stark; sein Ge- sicht voll, offen, wohlgebildet, seine blauen Augen lebhaft, sein Ansehn männlich. Bei einer weißen Haut und freien Stirn hatte er einen freundlichen Mund, der sich nur manchmal eines spötti- schen Lächelns nicht erwehren und seine angeborene Nei- gung zur Satire nicht ganz verbergen konnte. So schildert ihn sein Biograph, und diese Züge mochte das Bildniß zeigen, das einst hier hing, aber am letzten Sonntage des Monats Juni 1699, als er zum letzten Male in diesen Chorstuhl uns zur Rechten eintrat, um andächtiglich der Rede des Geistlichen zu folgen, zuckte kein spöttisches Lächeln mehr um seinen Mund und die „angeborene Neigung zur Satire“ hatte längst einem bes- seren Platz gemacht. Er wußte, daß ein anderes Leben seiner harre, und von Todesgewißheit erfüllt, hatte er in tiefer Rührung zu Spener die Worte gesprochen: „wenn Gott mich wieder aufrichtet, so will ich dem eitlen Wesen dieser Welt mich ganz entziehn und mich dem widmen, was das allein Nothwendige ist.“ Canitz wußte, daß er nur noch Wochen zu leben habe (die Aerzte hatten es ihm gesagt, weil er es zu wissen verlangt hatte), und die Textesworte, die eben jetzt gelesen wurden, trafen sein Herz. „Es wird gesäet verweslich und wird auferstehen unverweslich; es wird gesäet in Unehre und wird auferstehen in Herrlichkeit.“ Die Worte trafen sein Herz, aber die Bilder des Todes, die vor ihn hintraten, er- schreckten ihn nicht. Ruhig folgte er dem Gang der Predigt. Nun ist die Predigt vorüber und an der Sakristeithür dem Geistlichen freundlich und zustimmend die Hand drückend, schreitet er über die Gräber hinweg und durch das hollunderüberwachsene Kirchhofsthor, dem Herrenhause zu, das von der andern Seite der Dorfstraße her, zwischen Pappeln und Linden hindurch, freundlich seinen Herrn grüßt. Der Junimorgen, so frisch und so warm zu- gleich, macht ihn aufathmen wie in alter Lust und Fülle des Le- bens, und statt in die Kühle des Hauses einzutreten, tritt er in den lachenden Park. Wir folgen ihm leise. An dem Birkenwäldchen vorbei, den erhöhten Kiesweg entlang, der bald die Windungen des Bachs begleitet, bald sie kreuzt und überbrückt, — so hat er end- lich die hochgelegene Lieblingsbank am Rande des Parks erreicht, die, von Buchenzweigen weit überschattet, nach vorn hin einen Blick gönnt auf Felder und wogendes Korn. Er läßt sich nieder hier und Figuren in den Sand zeichnend, ziehen die wechselnden Bilder seines Lebens an ihm vorüber. Das sind die sonnigen Tage seiner Jugend. Die krainischen Alpen liegen hinter ihm, eine kurze Meerfahrt ist überstanden und um die Spitze des Lido herum, biegt er ein in die Lagunenstadt. Welche Welt thut sich vor ihm auf; die Thürme und Kuppeln blinken im Sonnenlicht, und als zöge man hinaus, um festlich einen Fürsten einzuholen, so schwimmt die Königin der Meere auf hundert Barken ihm entgegen. Aber was wie ein Wunder scheint, ist nur ein glückliches Ohngefähr; die heiteren Reisegötter führen ihn in die Lagunenstadt, just am Tage der Meervermählung, wo der Doge im Bucentauro hinausgleitet, um den Ring, das Zeug- niß und die Besieglung des Bundes, in das Meer zu senken. Die Bilder Venedigs versinken hinter ihm, aber der Kahn des Traumes führt ihn weiter, jetzt zurück auf die hohe See, jetzt an dem Küstenbogen entlang, der zwischen Sorrent und Neapel sich spannt, jetzt den Rhein hinunter und jetzt die Themse hinauf, hinauf bis an die Londonbrücke, wo die Schiffe den Strom sperren und die Masten im Fluß und die Thürme am Ufer den Blick be- zaubern und verwirren. Die alte Landungstreppe steigt er hinan, die abgetreten und ausgewaschen zum Quai hinaufführt, und das Geräusch der City nimmt ihn auf. Immer wachsendes Gedränge umwogt ihn hier, und endlich Stand nehmend auf der Hügelkuppe von Ludgate Hill, wo eben die Quadersteine geschnitten werden, aus denen dereinst die neue Paulskirche sich aufrichten soll, sieht er jetzt, von einem der hohen Steinblöcke aus, die Lordmayors- Prozession in alterthümlichem Pomp an sich vorüberziehen. Die Themseschiffer in rothen Röcken eröffnen den Zug, dann schmettern Pauken und Trompeten, bis endlich all der musikalische Lärm in dem Jubelgeschrei des Volkes erstickt, denn schwerfällig, aus Eichen- holz geschnitzt, die Kutscherperrücken steif und wulstig, und die Be- dientenröcke schwer von Golde, so schwankt die Lordmayorskutsche eben jetzt vorüber und der erwählte Cityherrscher grüßt mit gravi- tätischem Kopfnicken nach rechts und links. Vereinzelte Rufe eines Kuckuks klingen jetzt leise herüber, wie aus weiter Ferne her, und der kranke Poet unterbricht sich in sei- nem Figurenzeichnen und horcht auf. Aber wie unsre Seele gern wieder anknüpft an Träume, die ihr lieb geworden, so fällt er bald in altes Sinnen und Träumen zurück. Immer lachendere Bilder tauchen auf. Es ist wieder ein Fest- zug, eine Prozession, aber diesmal auf heimischem, auf eignem Boden und der Gefeierte ist er selbst. Ein Junitag ist’s wie heute, aber so viel heiterer und schöner, als die Augen damals heller leuchteten, die in den Tag hineinsahen, denn neben ihm auf dem breiten Sitz des Wagens, in dem er so eben einfährt in die fest- geschmückte, mit Laubgewinden überspannte Dorfgasse, sitzt seine heißgeliebte Braut, seit gestern sein Gemahl. Sie ist keine leuch- tende Schönheit, aber sie hat jenen blendenden Teint, der der Schönheit nahe kommt, der wie ein Schleier ist, hinter dem die Unregelmäßigkeit der Züge sich lieblich versteckt oder in Zauber und Reiz sich verwandelt. Die blühenden Wangen wurden rosiger von der Fahrt und das rothblonde Scheitelhaar flattert halb losgelöst im Winde. Die blauen Augen leuchten wie der Himmel über ihnen und der Ausdruck jedes Zuges ist Liebe und Güte, ist Glück und Genügen. Die Bauern, zu Pferde und mit bebänderten Hüten, folgen dem Zuge, die Frauen im Sonntagsstaat stehen in den Thüren oder am Heck und heben die Kinder in die Höh, die Störche klappern auf allen Dächern, als hätten sie ein Wort mit zu reden bei solchem Einzug, und die Feldlerchen begleiten von draußen her den Zug und erzählen sich jubelnd hoch oben von dem Glück, das sie dort unten gesehen. Und ein volles Glück war es, das sie sahn, nicht spärlich zu- gemessen, wie sonst wohl. Nicht über kurze Tage, über sorglose Jahre hin dehnte sich die Zeit der Flitterwochen, und Blumberg, wie es der tägliche Zeuge ehelichen Glückes, innigsten Zusammen- lebens war, so wurde es auch ein gefeierter Sitz edler Gastfreund- schaft, ein Mittelpunkt geistigen Lebens, dichterischen Schaffens , wie damals kein zweiter in Mark Brandenburg zu finden war. Johann von Besser, Eusebius von Brand waren oft und gern gesehene Gäste und von hier aus ergingen an den vielbewährten Jugendfreund und Studiengenossen unsres Poeten, an den Kirchen- rath Zapfe in Zeitz, in Vers und Prosa die oft wiederholten Einladungen, „das Harfenspiel wieder von der Wand zu nehmen und das Hoflager in Blumberg zu beziehen.“ Briefe gingen hin- über und herüber, und als die Schilderungen ehelichen Glückes, die Canitz regelmäßig mit einem „nun gehe hin und thue des- gleichen“ zu schließen pflegte, endlich ihren Einfluß geübt und den ehrbaren Magister und Kirchenrath auch an den Altar geführt hatten, da ging von Blumberg ein Gratulationsbrief folgenden Inhalts nach Zeitz: „Deine Heirath und die Art derselben gefällt mir sehr wohl; weil Du mir aber die Sache ohne sonderliche Um- stände schlechthin berichtet, so will ich auch Dir wieder nur mit ein paar Worten, doch von Herzen, tausend Glück und Vergnügen wünschen und daß Deine Liebste, wo nicht ein fruchtbarer Weinstock, doch ein immergrüner Tannenbaum sei, dem es an Zapfen niemals fehlen möge.“ So gingen die Tage. Ein volles Glück war es, ein Glück über Jahre hin und doch zu kurz für das beneidete und benei- denswerthe Paar, dessen Herzen in selt’nem Gleichklang zusammen- stimmten. Der alte Neider Tod trat zwischen sie, und die Erinne- rung an jene bitteren Tage scheucht auch in diesem Augenblicke noch die heiteren Träume von der Seele unseres Poeten, und trübe Bilder ziehen herauf. Das Zimmer ist dunkel verhangen, und an dem Lager einer Sterbenden kniet der Tiefgebeugte. „Daß Du bleiben könntest!“ klingt es bittend von seinen Lippen; sie aber schüttelt den Kopf und spricht: „Du bist so oft von mir ge- gangen, nun gehe ich von Dir; sehet, ich schlafe schon.“ Dann entschlief sie wirklich, ohne Zucken, ohne Schmerz. Das einförmige Rufen des Kuckuk klang lauter und näher jetzt herüber, und Canitz richtete sich auf, als wolle er die Rufe zählen; da schwieg der Kuckuk. Ein Lächeln, halb Freude, halb Schmerz, zuckte um seine Lippe, dann schritt er durch die Gänge des Parks in den stillen Schloßhof zurück. Das war am letzten Junisonntage 1699. Am 11. August desselben Jahres begegnen wir ihm noch einmal. Seine Kräfte waren schwächer geworden, und das heitere Poetenherz, das einst durch tausend große und kleine Wünsche an das Leben gekettet war, es hatte nur noch einen Wunsch: zu sterben, wie die Theure, Heimgegangene, gestorben war. Und dieser letzte Wunsch ward ihm erfüllt. Am frühen Morgen des genannten Tages stand er auf, ließ sich völlig ankleiden und trat an das Fenster, welches er öff- nete, um frische Luft zu schöpfen. Die Sonne ging eben auf, und mit freudigem Staunen genoß er den Anblick der wundervollen Pracht. Als er eine Weile unverwandt hinausgeschaut, sagte er zu einer Verwandten, die ihn stützte: „Ei, wie schön ist heut’ der Himmel!“ und sank, von einem Schlagfluß getroffen, todt in ihre Arme. So starb „Canitz, der Poet.“ Schon am Tage darauf wurde er in der Marienkirche beigesetzt. Acht Tage darauf hielt Spener in der Nikolaikirche ihm eine Gedächtnißpredigt; den Inhalt seines Lebens aber stellen wir zu folgender Grabschrift zusammen: „Friedrich Rudolf von Canitz, Sr. churfürstlichen Durch- laucht zu Brandenburg wohlbestallter Geheime-Rath und Staatsminister, geb. zu Berlin (nach anderen zu Linden- berg bei Berlin) den 27. November 1654, gest. den 11. August 1699, im 45. Jahre seines Alters. Was das Leben erhöht und verschönt, das übte und pflegte er. Er liebte die Kunst und die Menschen; die Freundschaft hielt er hoch, die Treue am höchsten. Er war klug ohne Arg; ein männlicher Sinn, ein kindliches Herz. Er liebte die Welt, aber er empfand ihre Eitelkeit; Glaube und Sehnsucht wuchsen in seinem Herzen und trugen ihn aufwärts.“ Canitz und seine erste Gemahlin Doris v. Arnim, deren Grab- mäler ich in der obengenannten Kirche lange vergeblich suchte, sind nichts- destoweniger in St. Marien wirklich beigesetzt worden, aber in der Roebel ’schen Familiengruft. Da dies alte Erbbegräbniß (in dem, laut Stadtrath Klein’s Geschichte der Marienkirche, die Todten dreier Familien: der Roebels, Canstein und Canitz, beigesetzt wurden) seit etwa 20 Jahren zugemauert ist, so ist es nicht mehr möglich, die Särge um ihre Inschrif- ten zu befragen. Möglich, daß dieselben, z. B. über den Geburtsort Canitz’s, noch Aufschluß geben würden. Ueber dem jetzt zugemauerten Ein- gang zur Roebel’schen Gruft befindet sich übrigens ein stattliches Monu- ment, das die vor dem Crucifix knieenden, lebensgroßen Figuren Ehren- reichs v. Roebel und seiner Gemahlin Anna, geb. v. Gollnitz, enthält. Ich habe in Vorstehendem den Menschen Canitz, eine lie- benswürdige, fein und innerlich angelegte Natur zu schildern ver- sucht, es bleibt noch die Frage übrig nach seiner politischen Bedeutung, nach seinem poetischen Werth. War er ein Staats- mann? war er ein Poet? Das Erstere gewiß, das Zweite kaum minder. Die Natur schien ihn für die diplomatische Laufbahn wie im Voraus gebildet zu haben, und seine Erziehung, seine Lebens- umstände, ja die eigenthümlichen Verhältnisse seiner Familie (ich beziehe dies auf die Stiefväter und Stiefschwiegerväter, denn auch die Mutter seiner Frau war dreimal verheirathet), hatten von Jugend auf dahin gewirkt, diese natürliche Anlage auszubilden. Eine Schilderung seines Wesens und Charakters, die uns aufbe- wahrt worden ist, zeigt am besten, wie außerordentlich geeignet er für eine Laufbahn war, in der damals, ungleich mehr noch als jetzt, alles an dem Erkennen und an der richtigen Benutzung von Persönlichkeiten gelegen war. „Er war gesprächig, höflich, frei von Eigensinn und Widerspruchsgeist , für Jedermann ge- fällig und aufmerksam, Fähigkeiten und Neigungen leicht durch- schauend, jedem Gegenstande, wie jeder Persönlichkeit und jedem Verhältnisse sich leicht bequemend — ein vollkommener Mann von Welt .“ Seine Rechtschaffenheit, sein Haß gegen Lüge und Zweideutigkeit unterstützten ihn eher, als daß sie sein Auftreten gehemmt, seine Erfolge behindert hätten. Bei großer Leichtigkeit war er von vorsichtiger Haltung; er wußte Ernst und Sanftmuth zu vereinen, um zu überreden und zu gewinnen. „ Im Frieden- stiften, Vermitteln, Versöhnen besaß er ein einziges Talent .“ Die Inschrift unter dem Bildniß der alten Frau von Burgsdorf hatte also völlig Recht, von ihm als von dem „ klugen Staatsminister von Canitz“ zu sprechen, aber er suchte, wie schon angedeutet, diese Klugheit nicht in jenem Intriguenspiel und in jener Kunst der Täuschung, die damals an den Höfen blühte. Er kannte dies Spiel und war ihm gewachsen, aber sein redlicher und reiner Sinn lehnte sich gegen diese Kampfesweise auf. Deshalb zog es ihn immer wieder in die Stille und Unabhängigkeit des Landlebens und in einfach natürliche Verhältnisse zurück. „Der Hof — so schrieb er bald nach dem Tode des großen Kurfürsten — hat wenig Reiz für mich, und ich betrachte die Würden und Aemter, die Andere so eifrig suchen, nur als eben so viele Fesseln, die mich am Genusse meiner Freiheit hindern, der Freiheit, die über alle Schätze der Erde geht und deren echten Werth zu wür- digen, den gemeinen Seelen versagt ist.“ Er kannte diesen „echten Werth der Freiheit“ wohl, aber die Verhältnisse gestatteten ihm nicht, sich dieser Freiheit so völlig zu freuen, wie es seinen Wün- schen entsprochen hätte. Es geschah, was so oft geschieht, man suchte die Dienste desjenigen, der, im Gefühl seines Werths, diese Dienste anzubieten verschmähte, und wie oft er auch, um seinen eigenen Ausdruck zu gebrauchen, die Erfahrung gemacht haben mochte, „ daß Andere die goldenen Aepfel auflasen, wäh- rend er beim heißen Lauf sich abmühte ,“ so war doch Ge- horsam und Nachgiebigkeit in allen jenen Fällen geboten, wo Wei- gerung den Vorwurf des Undanks oder doch der Gleichgültigkeit gegen die allgemeinen Interessen auf sich geladen hätte. Canitz drängte sich nicht zu Diensten, aber so oft er sie übernahm, zeigte er sich ihnen gewachsen. Leicht und gewissenhaft zugleich, ging er an die Lösung empfangener Aufgaben, und die graziöse Hand, mit der er die Fragen berührte, pflegte zugleich eine glückliche Hand zu sein. Fast an allen deutschen Höfen war er eine wohlgekannte und wohlgelittene Persönlichkeit, und Kaiser Leopold bezeugte ihm vielfach seine Gnade und sein besonderes Wohlwollen. Canitzen’s letztes und vielleicht bedeutendstes diplomatisches Auftreten war im Haag, wo damals die Minen gelegt wurden, um den Ryßwicker Friedensschluß, der so viele Interessen verletzte und so viele Gefahren heraufbeschwor, wieder zu sprengen. Canitz zeichnete sich auch hier durch jene Klugheit und feine Besonnenheit aus, die, weil sie geflissentlich leise die Fäden zu schürzen oder zu entwirren weiß, gemeinhin auf den Beifall zu verzichten hat, der so leicht da sich einstellt, wo ein Diplomat so undiplomatisch wie möglich den Knoten zerhaut. Das herausfordernde Wort Dessen, dessen Punktum bereits ein erster Kanonenschuß ist, wird jubelnd aufbewahrt, während die kluge Haltung Dessen, der eine heranziehende Gefahr beschwört, gemeinhin unbeachtet bleibt. Das Laute, das Sichtbare, das sich zu einem bestimmten Bilde abrundet, ist immer im Vortheil über das Stille und Unplastische, das sich leise voll- zieht, und jener Erich Christoph v. Plotho, der zu Regensburg mit jenem berühmt gewordenen: „was! insinuiren??“ den kaiser- lichen Notar, Dr. April, die Treppe hinunterwarf, hat ein ganzes Dutzend Diplomaten in Schatten gestellt. Ich hätte hier auch ein anderes Beispiel citiren können, ein Bei- spiel aus der Canitz ’schen Zeit und noch dazu ein Vorkommniß, in dem der Spezialfreund unseres Poeten, der schon obengenannte Johann von Besser , die Hauptrolle spielt. Besser war 1686 kurbrandenburgischer Gesandter in London, und es handelte sich, nach erfolgtem Tode Karl’s II. für das ganze diplomatische Corps darum, dem nunmehrigen König Ja- cob II. die Glückwünsche ihrer resp. Höfe zu überreichen. Der alte vene- tianische Gesandte Vignola verlangte den Vortritt vor Besser; Besser ver- Ueberall da, wo das Wort Friedrichs des Großen gilt: „Mach’ Er nur, ich stehe mit 200,000 Mann hinter Ihm!“ ist es nicht schwer, dem guten Ruf der Kraft auch den der Klugheit hinzuzufügen, und das Achsel- zucken, das unsere preußischen Diplomaten so oft hinnehmen müs- sen, hat in ganz anderen Dingen seinen Grund, als in Mangel an Einsicht und staatsmännischer Bildung. Canitz Verdienste als Diplomat sind unbestritten, seine Ver- dienste als Poet sind kaum geringer. Wer auf gut Glück hin und ohne den Vorsatz liebevolleren Eingehens, den Band seiner Dich- tungen aufschlägt und (übrigens in einem an Schönheiten reichen Gedichte) folgende Anfangsstrophe findet: Laß, mein beklemmtes Herz, der Regung nur den Zügel, Begeuß mit einer Fluth von Thränen diesen Hügel, Weil ihn mein treuster Freund mit seinem Blut benetzt; Auf dieser Stelle sank der tapfre Dohna nieder, Hier war sein Kampf und Fall, hier starrten seine Glieder, Als ein verfluchtes Blei die theure Stirn verletzt, Das, eh’ der Sonne Rad den andern Morgen brachte, Ihn leider, ach zu bald zu einer Leiche machte Der Titel des Gedichtes lautet: „ Elegie ; letzte Pflicht der Freundschaft, dem sel. Grafen von Dohna auf derjenigen Stelle abge- — weigerte dies. Man einigte sich endlich dahin, daß der den Vortritt haben solle, der zuerst auf dem Platz erscheinen würde. Der alte Italiener kam früh, aber Besser kam früher; er hatte sich nämlich die Nacht über in eins der königlichen Vorzimmer einschließen lassen, und stand bereits da, als Vignola eintrat. Dieser war unklug genug, nach wie vor auf den Vor- tritt zu bestehen. Besser warnte ihn. Als der Ceremonienmeister die Thür öffnete, sprang Vignola vor, Besser aber, der von großer Körperkraft war, packte im selben Augenblick den alten Schelm hinten am Hosenbund und schnellte ihn mit geübter Ringerkunst mehrere Schritte hinter sich. Ohne eine Miene zu verziehen, trat er darauf, völlig fest und gesammelt, an die Stufen des Thrones und hielt seine Ansprache. Alles war entzückt, der König nichts weniger als beleidigt und der spanische Gesandte sagte ruhig zum alten Vignola: „Caro vecchio avete fatto una grande cacata.“ Der Vorfall machte in ganz Europa Sensation und wurde wie ein neuer Sieg Brandenburgs gefeiert, nicht viel geringer, als sei eine zweite Schlacht von Fehrbellin geschlagen und gewonnen worden. wer solche und ähnliche Strophen findet, wird freilich zunächst den Kopf schütteln und seine Ungläubigkeit ausdrücken, daß es mit solchen zopfigen Alexandrinern irgend etwas auf sich habe. In gewissem Sinne mit Recht. Wir dürfen diese Dinge aber nicht mit einem Maßstabe messen, den wir dem gegenwärtigen Stande unserer Literatur entnehmen, sondern wir müssen uns die Frage vorlegen: was waren diese Gedichte in und zu ihrer Zeit? Sie waren zu ihrer Zeit sehr viel . Wenn ihnen jetzt, wie das gele- gentlich geschieht, mit herablassender Miene zugestanden wird, daß sie das Verdienst der gewählten Sprache, der Reinheit und Eleganz hätten, so genügt diese Anerkennung keineswegs; denn es ist das ein Zugeständniß, das so ziemlich jedem modernen Dichter gemacht werden kann, während unter all’ unseren zeitgenössischen Poeten dennoch nur wenige sind, die für unsere Zeit das Maß von Bedeutung beanspruchen dürfen, was Canitz für seine Zeit besaß. Er war einer von denen, denen die Aufgabe zufiel, uns erst eine Sprache und innerhalb derselben ein Gesetz zu geben. Dies Ge- schenk, diese Hinterlassenschaft ist nicht hoch genug zu schätzen. Wir stehen auf den Schultern derer, die damals thätig waren, und wenn Canitz auch nicht in die Reihe der epochemachenden, literari- schen Reformatoren jener Zeit gehört, die sich (wie namentlich Opitz) für die Gesammt entwicklung deutscher Sprache und Dich- tung von nachhaltiger Bedeutung erwiesen haben, so war er dennoch das für unsre Mark , was andre für weiter gezogene Kreise waren. Er zeigte zuerst, daß die Mark und die Musen nicht völlige Gegensätze wären. Aber die Verdienste der Canitz’schen Gedichte sind keineswegs nur sprachlicher Natur; sie haben auch ihren dichterischen Werth. Es ist wahr, daß er das Dichten zum Theil wie andre stattet, wo derselbe, wenig Wochen zuvor, den tödtlichen Schuß empfangen hatte.“ (Es geschah dies bei dem berühmten Sturm auf Ofen 1686; die Brandenburger, von den Türken die „Feuermänner“ geheißen, wurden von General v. Schöning geführt.) angenehme Unterhaltung trieb, wie Spiel und Zeitvertreib (er selbst nannte es in seinen Briefen „die Kurzweil des Reimens“), aber wir würden sehr Unrecht thun, wenn wir nach jenen zahlreichen, scherzhaften Reimereien, wie sie bei Festspielen, den sogenannten „Wirthschaften“, damals Mode waren, den Werth seiner Dichtun- gen überhaupt abschätzen wollten. Gewiß, er trieb das Dichten wie Tagewerk, aber er trieb es auch, und zwar im besten Sinne, wie man ein poetisches Tagebuch führt, darin er Allem zu einem dichterischen Ausdruck verhalf, was der Lauf des Tages brachte. Der Tag brachte Vieles, Großes und Kleines, Absonderliches und Alltägliches, und diesen Wechsel zeigen auch seine Dichtungen, aber sie sind einig in dem einen, daß sie, ob groß, ob klein, ein Er- lebtes wiederspiegeln; sie sind nicht Fiktion, sie sind wirklich, sie haben einen realen Inhalt; dieser Inhalt ist nicht immer poetisch, weder in sich, noch in der Art, wie er sich giebt, aber es fehlt auch überall die Gefahr, sich in’s Nichts zu verflüchtigen. Der alte Bodmer sagte von diesen Gedichten: „Canitz legete nichts Fremdes in dieselben, was nicht zuvor in seinem Sinn und Herzen gewesen wäre.“ Das ist sehr richtig und der Stempel des Aechten, Wahrhaftigen, an sich selbst Erfahrenen (auch da, wo es sich um bloße Reflexionen handelt) hält schadlos für den fehlenden Hochflug, auch für einen gewissen Mangel an Kraft, Tiefe und Originalität, den wir nicht in Abrede stellen wollen. Ein einziges Gedicht rührt von ihm her, das an Sprache, Form und namentlich an Innerlichkeit Alles weit zurückläßt, was er außerdem geschrieben hat, und nicht nur einen relativen , sondern einen absoluten und unbedingten poetischen Werth bean- spruchen darf. Es ist dies das Gedicht: „An Doris“, oder: „Ueber den Tod seiner ersten Gemahlin“, wie es in einer älteren Ausgabe genannt wird. Es gilt von diesem Gedicht etwas Aehnliches, wie Schlegel von Bürger’s „Lenore“ gesagt hat: „daß es allein schon ausreichen würde, den Namen des Dichters der Nachwelt zu über- liefern.“ Die Zeiten ändern sich freilich und es wird Manchem jetzt pedantisch erscheinen, 27 Trauerstrophen (noch dazu die Arbeit von Jahren) auf den Tod einer hingeschiedenen, geliebten Frau gedichtet zu sehen; aber das Lächeln über die altfränkische Mode ist unberechtigt. Es ist mit einem solchen Gedicht, wie mit einem Bildhauer, der seine Frau verliert und ihr ein Monument errich- ten will. Er hat sie selbst am besten gekannt, trägt ihr Bild am treusten in der Seele, und so geht er freudig und gutes Muthes an die Arbeit . Die Arbeit ist mühevoll und kostet ihm Jahre, aber endlich hat er’s erreicht und Niemand tritt jetzt heran und wundert sich, daß er Jahre gebraucht hat zu einer Schöpfung der Liebe und Pietät. So muß man eine solche „Trauer-Ode“ auf- fassen, die damals gemeißelt wurde, wie in Stein. Wir gestat- ten jetzt nur eine hingeworfene Skizze, einen lyrischen Ausruf, als Ausdruck des Gefühls. Aber Beides kann neben einander bestehen, jedes ist eine berechtigte Art und es ist falsch, einfach zu sagen, die alten Poeten von damals, weil sie weder in Desperation, noch in Melancholie dichteten, hätten überhaupt nichts empfunden. Man lese die Dinge ohne Vorurtheil, und man wird an der Wirkung auf das eigene Herz wahrnehmen, daß ein Herz in diesen zopfigen Strophen schlägt. Werneuchen. Wenn vor des Pfarrhofs kleinen Zellen Nun bald die Lindenknospen schwellen, Wenn Vögel in den Ahorn-Hecken Die weißen Eierchen verstecken, Dann kommst Du, unfres Glückes froh, Im Hute von geflochtnem Stroh, Zu athmen hier voll Veilchenduft Werneuchen’s reine Frühlingsluft. Schmidt von Werneuchen. I nmitten des alten Landes Barnim, halben Wegs zwischen Ber- lin und Neustadt-Eberswalde, liegt das Städtchen Werneuchen. Ich sage Städtchen, um dem Local-Patriotismus einzelner seiner Bewohner nicht zu nahe zu treten, die das Beiwort „Stadt“ für ironische Uebertreibung und die Bezeichnung „Flecken“ als Mangel an Respect ansehen möchten. Ich hüte mich weislich vor jeder Partei-Ergreifung in dieser delicaten Frage und verweigere mit gleicher Entschiedenheit, an dem Kampfe Theil zu nehmen, der über die Ableitung des Wortes „Werneuchen“ tobt. Die ganze Erbitte- rung, die auf dem Felde der vergleichenden Sprachforschung nur jemals zu Tage trat, hat sich auch hier bewährt, und die Partei „Bernau“ (wiewohl mehrmals geschlagen) steht der Partei „War- now“ noch immer voll ungebrochenen Muthes gegenüber. Wer- neuchen ist Klein-Bernau, sagen die Einen und deduciren etwa wie folgt: Klein-Bernau = Bernäuchen, und Bernäuchen = Werneu- chen. Mit nichten, erwidern die Andern; Werneuchen ist Klein- 18 Warnow, Klein-Warnow = Warnowichen und Warnowichen = Werneuchen. Werneuchen gehörte zu jenen bevorzugten Oertern (wie Zos- sen, Trebbin, Baruth u. a. m.), die, ohne besonderes Verdienst, sich in jener kurzen Epoche, die zwischen dem Sandweg und der Eisenbahn liegt und die man das Chaussee-Interregnum nennen könnte, zu einer gewissen Reputation emporarbeiteten. Vielleicht war es diese Empfindung, die, als das eherne Zeitalter der Eisenbahnen wirklich anbrach, den Ruin Werneuchens gekommen glaubte und vor seiner Zukunft (denn die Bahn nahm eine andere Richtung) zitterte. Man hatte sich daran gewöhnt, Werneuchen und Passagier- stube als identische Dinge anzusehen; nun strich man die Passagier- stube und die Frage trat an jedes Herz: „was bleibt noch übrig?“ Aber die Dinge kamen anders, als man gedacht hatte; die Furcht war, wie immer, schlimmer gewesen, als die Sache selbst, und Werneuchen blieb im Wesentlichen, was es gewesen war. Die Fruchtbarkeit der Aecker und der Fleiß der Bewohner deckten als- bald das Deficit, wenn überhaupt ein solches entstand, und der freundlichen Häuschen mit Ziegeldach und grünen Jalousieen wur- den nicht weniger, sondern mehr. Das Städtchen wächst und ge- deiht, und wem die Ziegeldächer und die Jalousieen als Beweis nicht genügen, der richte sich an der neu entstandenen „Schützen- gilde“ auf, die seit dem April 1849 ihre Schüsse in’s Schwarze und gelegentlich auch wohl — in’s Blaue thut. Werneuchen gewährt jetzt den Anblick eines sauberen an Wohl- habenheit wachsenden Städtchens, aber es ist nicht das heutige Klein-Warnow oder Klein-Bernau, wohin ich den Leser zu führen gedenke, vielmehr gehen wir um 50 Jahre zurück und rüsten uns zu einem Besuche in dem alten Werneuchen, wie es zu Anfang dieses Jahrhunderts war. Auch damals war es ein freundlicher Ort, aber die Chaussee, die noch gar nicht existirte oder doch erst im Bau begriffen war, hatte noch nicht Zeit gehabt, die Fensterladen mit dem eingeschnit- tenen Herzen durch grüne Jalousieen zu verdrängen, und die Strohdächer mit Storchennest und schief stehendem Schornstein überhoben den Besucher, trotz der zwei Bürgermeister, die Wer- neuchen damals besaß, der heiklen Frage, ob „Dorf, ob Stadt.“ Keine uniformirte Schützengilde paradirte mit Sang und Klang durch die Straßen, und wenn draußen in Wald oder Feld ein Schuß fiel, so wußte man, daß es die Büchse des Försters sei, der am Gamen-Grund, wo der Weg nach Freienwalde hin ab- zweigt, sein in Tannen geborgenes Häuschen hatte. Keine Schützengilde gab es damals, auch keinen Veteranen- Verein (denn all die Schlachten, die zwischen Groß-Görschen und Belle-Alliance liegen, waren noch ungeschlagen); aber etwas An- deres gab es dafür im Dorf, eine Curiosität, eine Restchen Vehm- gericht, das sich aus unvordenklicher Zeit, allen Einflüssen des nivellirenden vorigen Jahrhunderts zum Trotz, an diesem stillen Ort erhalten hatte. Dies Vehmgericht im Kleinen war die soge- nannte „Wröh.“ Zu festgesetzten Zeiten (aber nur im Sommer) versammelten sich die Bürger-Bauern des Orts auf einem von alten Linden überschatteten Platz, der ziemlich in der Mitte zwischen dem Pfarrhaus und der Kirchhofsmauer lag. Unter den Bäumen dieses Platzes, nach der Kirchhofs-Seite zu, lagen vier große ab- geplattete Feldsteine, die man durch aufgelegte Bretter zu eben so vielen Bänken machte, wenn eine „Wröh“ abgehalten werden sollte. Was in alten Zeiten in diesen Geschwornen-Gerichten be- sprochen und bestimmt wurde, ob jemals ein Werneuchener Bürger- Bauer das bekannte Messer in den Baum am Kreuzweg gebohrt hat oder nicht, wird nie mehr zur Kunde der Nachwelt gelangen, unsere Kenntniß über die Sitzungen der Werneuchener „Wröh“ datirt erst aus den unromantischen Zeiten des Allgemeinen Land- rechts her, wo ganz Werneuchen und natürlich auch die „Wröh“ unter die stille Superintendenz eines Magistrats und zweier Bürgermeister gekommen war. Die Gerichtsbarkeit der „Wröh“ war eine enge geworden und beschränkte sich darauf, in wöchent- lichen oder monatlichen Sitzungen den Schadenersatz festzustellen, den das Vieh des einen Bürgers oder Bauern den Feldern oder 18* dem sonstigen Besitzthum des andern zugefügt hatte. Stimmen- mehrheit entschied und ohne Streit oder weiteren Appell wurden die Dinge geregelt. Die letzten 20 Jahre haben uns in den „Schiedsgerichten“ etwas Aehnliches wiedergebracht; aber was die- ser trefflichen Neuschöpfung fehlt, ist, im Vergleich zu jener alten, die fremd und mystisch klingende Bezeichnung und wir begreifen den Stolz eines Werneucheners, der von den Zeiten der „Wröh“ spricht, wie ein Lübecker von der Hansa und ihren Kriegen. Im Sommer 1809 hatte Werneuchen noch seinen Linden- platz zwischen Pfarrhaus und Kirchhof, auch noch die vier Feld- steine und seine „Wröh“; wir kommen aber nicht in heißer Juni- schwüle von Berlin, um einer Sitzung des letzten Ausläufers der Vehme in Schweigen und Ehrerbietung beizuwohnen, wir haben ein anderes Ziel vor Augen, einen Besuch im Pfarrhause selber. Dorf Blumberg liegt längst hinter uns; nun haben wir auch See- feld und Löhme im Rücken, zwei Zwillingsdörfer, die von hüben und drüben ihre völlig gleichen Kirchthurmspitzen im Wasser des Lohme-See’s spiegeln, — aber der Werneucher Kirchthurm neckt uns noch immer, und wenn wir ihm näher zu sein glauben, ent- zieht er sich wieder unserem Blick. Wir halten ermüdet inne, stützen uns, nach hinten übergebogen, auf unseren Stock und lüften mit der Linken die Mütze, um uns die Stirne vom Winde kühlen zu lassen; da ist es uns plötzlich, als hörten wir hinter uns etwas wie Peitschenknall und Pferdeschnaufen, und zurückblickend bemerken wir einen offenen Wagen, der, den Sand des Weges zu einer tüchtigen Wolke aufwirbelnd, in raschem Trabe uns folgt. Im nächsten Augenblicke schon ist er uns zur Seite und wir zählen seine Insassen. Es sind ihrer fünf. Vorn der Kutscher mit zwei blondköpfigen Jungen von zehn oder elf Jahren; dahinter, auf der eigentlichen Sitzbank des Wagens, die in vier Lederriemen hängt und bei jeder Bewegung hin- und herschaukelt, ein wohlgenährtes Ehepaar, allem Anscheine nach zwischen dreißig und vierzig. Die Frau hält einen aufgespannten Regenschirm in der Hand, den sie mit vielem Geschick à deux mains zu gebrauchen weiß, indem sie nämlich das rothe Dach als Schutz gegen die Sonne, den Griff aber gleichzeitig als Krückstock benutzt, um die beiden Jungen in Ordnung zu halten, die des engzugemessenen Raumes halber in beständiger Fehde sind und, aller Controle ungeachtet, einen stillen erbitterten Kampf mit den Ellenbogen führen. Zwischen der Sitz- bank und dem schrägen Hintertheil des Wagenkorbes ist noch ein leerer Raum, und unsere Kenntniß ähnlicher Fuhrwerke läßt uns sofort errathen, daß hier ein Häcksel- oder Futtersack verborgen sein muß, der nichts dagegen haben würde, wenn wir etwa entschlossen sein sollten, die letzte Viertelmeile auf seinem Polster zurückzulegen. Wir sind in der That gewillt, den Rest des Weges als blinde Passagiere mitzumachen, schwingen uns von hinten her in den Wagen hinein, und unsere Tarnkappe hervorziehend, die uns unsichtbar macht und selbstverständlich zu unseren unerläßlichsten Reise-Necessaires zählt, sitzen wir jetzt unbemerkt auf dem Häckselsack hinten im Wagen, während wir zu glücklichen Zeugen all der kleinen Erziehungs- und Unterhaltungs-Scenen werden, die sich mehr und mehr zu einer gemüthlichen Familien-Komödie abrunden. Unmittelbar vor uns, auf dem schmalen Plätzchen, das für unsere Füße frei geblieben, liegt ein Kinder-Spielzeug, jenes mit Glöckchen und Schellen behängte Blech-Instrument, das unter dem Namen „die Janitschar“ oder der „halbe Mond“ das Entzücken aller Kinderherzen bildet. Der Raum ist so eng, daß wir’s trotz äußerster Vorsicht nicht vermeiden können, die Glöckchen gelegent- lich zu berühren, und jedesmal, wenn es klingelt und tingelt, drehen sich alle fünf Köpfe nach der Hinterseite des Wagens um, als hätten sie eine leise Ahnung davon, daß auf dem Häckselsack nicht alles richtig sei. Diese Kopfwendungen, die der starken Frau mit dem Regenschirm jedesmal äußerst schwer werden, geben uns eine erwünschte Gelegenheit, unsere nunmehrige Reisegesellschaft auch en face kennen zu lernen und uns über den Ausdruck des Behagens, als charakteristischen Familienzugs, zu vergewissern. Die beiden Jungen auf der Kutscherbank scheinen Zwillinge zu sein, wenigstens sehen sie einander so ähnlich, wie die beiden schon genannten Kirchthürme zu Seefeld und Löhme, die sich im Lohme-See spie- geln; der Mutter, einer hübschen blonden Frau, die ihr Embon- point wie ihr Schicksal trägt, rollen die Schweißtropfen wie Freudenthränen von der Stirn, und ihr Ehegemahl zur Rechten hat jenes wohlbekannte, aus Würde und Sonnenbrand zusammen- gesetzte Gesicht, das alle Beamte auf dem Lande zu haben pflegen, denen der Dienst in der Amts- und Gerichtsstube die Zeit zu Enten- und Schnepfenjagd nur unwesentlich verkürzt. Nach diesen Andeu- tungen fehlt nur noch die namentliche Vorstellung; es ist der Amts-Actuarius Bernhard aus Löhme, nebst Frau und Familie, die sich gleich nach Tisch auf den Weg gemacht haben, um dem befreundeten Pfarrhause in Werneuchen (wo heute Geburtstag ist) einen Besuch zu machen. Die beiden Braunen traben tüchtig weiter (man merkt, daß es Amtspferde sind), der kleine Streit zwischen dem Ehepaar, ob Pathe Ulrich heute 8 oder 9 Jahr geworden sei, ist endlich selbst- verständlich zu Gunsten der Frauenansicht entschieden, und der Kutscher, der seit einer Viertelstunde seine Peitsche „Gewehr bei Fuß“ neben sich hatte, nimmt sie jetzt wieder in die Hand, um, angethan mit allen Abzeichen seiner Würde, in Werneuchen einzu- fahren. Schon holpert und stolpert der Wagen auf dem tiefaus- gefahrenen Steinpflaster, der Kutscher knallt oder streicht mit be- merkenswerther Eleganz die Stechfliegen von dem Hals der Pferde, das rothe Dach des Regenschirms wird eingezogen; nur einmal noch fährt die Schirmkrücke mit einem energischen „Sitz gerade,“ in den Rücken des linken Jungen, und in demselben Augenblick, wo der Getroffene zusammenfährt, hält der Wagen vor dem Wer- neuchener Pfarrhaus. Aus unserm Wagenversteck hervor haben wir Zeit, das Haus zu mustern, während die beiden Jungen herunterklettern. Es ist ein einfaches Fachwerkhaus mit gelbem Anstrich und kleinen Fenstern, sein einziger Schmuck der geräumige Vordergiebel, der über der Hausthür aufragt, und neben der Thür ein paar alte Kastanien- bäume, deren hohe Kronen das ganze Haus in Schutz zu nehmen scheinen. Die Hausthür steht offen und gönnt einen Blick auf den kühlen fliesengedeckten Vorflur; aber Niemand tritt aus der Thür heraus, um die Gäste willkommen zu heißen. Die beiden Jungen haben endlich das Terrain recognoscirt und kommen jetzt mit einer barfüßigen alten Frau zurück, die sie hinten im Garten mit Un- krautjäten beschäftigt fanden. Der Amtsactuarius poltert in dienst- lichem Ton ein paar Fragen heraus; aber es ergiebt sich aus einer Handbewegung, die die alte Frau macht, daß sie nicht hören kann, und daß es gerathener ist, ihr ohne Weiteres die Gesammt- kosten der Unterhaltung zuzuschieben, als durch ungeduldiges Fragen sie zu verwirren. „Alles ausgeflogen, — Alles in’n Wald, — Ulekens Geburtstag.“ Diese Worte, die mit einer wiederholten Handbewegung begleitet werden, um die Richtung anzugeben, wo der Wald und vielleicht auch „Uleken,“ das Geburtstagskind, zu finden sei, genügen völlig; unser Amtsactuarius ist lange genug in der Werneuchener Pfarre aus- und eingegangen, um zu wissen, wo der Wald zu finden ist und wo der Pfarrer von Werneuchen seine Lieblingsplätze hat. Er winkt nun auch seinerseits der Alten mit der Hand, ruft ihr mit lauter Stimme, wie zum Zeichen völ- ligen Eingeweihtseins, den Räthselnamen „Uleken“ zu und läßt im nächsten Augenblicke weiter traben. Als die Pferde anrücken, fallen wir auf dem Häckselsack nach hinten über und stoßen dabei so stark an die Janitschar, daß alle Glocken zu klingen anfangen; aber Alles ist bereits in solcher Aufregung, daß Niemand mehr darauf achtet, welcher Mittagsspuk da hinten sein Wesen treibt. Bis zum Gamen-Grund, dem Weststück jener reizenden Wald- partie, die den Namen das „Blumenthal“ führt, ist eine halbe Stunde. Wir sind in die Fahrstraße eingebogen, die nach Freien- walde hin abzweigt, und halten jetzt an einem Waldweg, dessen Windungen wir durch das Gehölz hin verfolgen können. Quellen sickern im Moos, Elsen und anderes Laubholz mischt sich unter die Tannen und erfrischende Kühle weht uns an. „Da singen sie schon; wußt’ ich doch, daß wir sie hier finden würden,“ — mit diesen Worten, die wie eine Selbstgratulation klingen, hat sich der Amts-Actuar rechts aus dem Wagen geschwun- gen und eilt zur Linken, um bei der Landung seiner Ehehälfte, ein Manöver, das seine Schwierigkeiten hat, nach Kräften behülf- lich zu sein. Im Vertrauen auf die Gutgeartetheit der Pferde wird statt des directen Weges über das linke Vorderrad der kleine Um- weg über den Deichseltritt gewählt; wir aber, sobald wir die Vor- kehrungen zu dieser Landung glücklich getroffen sehn, schwingen uns, die linke Hand auf den Wagenkorb gestützt, mit raschem Ruck aus dem Wagen in den Fahrweg hinein und eilen voraus, immer dem Gesange nach, der, frisch wie der Wald selber, uns aus der dunklen Tiefe entgegen klingt. Da haben wir sie. Hinaustretend auf einen Waldrain, den hochstämmige Tannen nicht nur einschließen, sondern auch nach oben hin fast überdecken, scheinen die Elfen an hellem lichtem Tage ihre Spiele zu treiben. Ein Dutzend Kinder, groß und klein, mit allerhand Kränzen im Haar und die Köpfchen voll Uebermuth in den Nacken geworfen, tanzen den Ringelreihen, und inmitten des Kreises auf einem alten Elsenstumpf steht ein Blondkopf, ein Junge mit langen Locken, und zeigt mit seiner Weidenruthe hierhin, dort- hin, als wär’ es ein Zauberstab. Seitabwärts in einer Vertiefung unter den Bäumen qualmt und knistert ein Feuer, an dessen Rande neben anderem Topfwerk eine jener weitbauchigen braunen Kannen steht, die den Namen ihrer schlesischen Vaterstadt ruhmreich über die Welt getragen haben; hinter dem Feuer aber, auf der natür- lichen Bank, die die Erdvertiefung hier geschaffen, sitzt pastor loci (kenntlich durch Haltung und Sammtkäpsel) und reicht seiner neben ihm stehenden jungen Frau, die mit geübtem Auge Feuer und Kannen und Kinder controlirt, zum Zeichen des Einverständ- nisses die Hand. „Es ist gut so,“ scheint seine freundliche Miene zu sagen, und die glückliche Frau, glücklich im Besitz des besten Mannes, neigt sich zu ihm nieder und küßt ihm die Stirn, auf einen kurzen Augenblick wenigstens unbekümmert um Kannen und Kinder und um das brodelnde Wasser, das eben zischend in die Flamme fährt. Wir stehen noch wie im Bann dieser reizenden Scene, da knickt es dicht neben uns im Unterholz, und das rasche, laut-ängstliche Athmen eines Kurzathmigen läßt keinen Zweifel dar- über, wer im Anzug ist; — ihre beiden Zwillinge vorauf, den Ehegemahl mit der Janitschar hinter sich, ist die Frau Amts- actuarius auf die Waldwiese herausgetreten, und vor ihrer Erschei- nung ist der Zauber entflohen. Der Ringelreihen schweigt und die Werneuchner Dorfjugend hat ihr Elfenthum abgestreift. Das junge Volk (Kinder aus dem Pfarrhaus und deren Gespielen aus dem Dorfe) stürzt mit Jubelgeschrei und in wildem Durcheinander den Ankommenden entgegen. Wir sind nicht Augenzeugen der Begrüßungsscene, die folgt, wir sehen auch nicht, wie der reizende Blondkopf, der noch eben auf dem Elsenstumpfe stand, das bewunderte Geschenk aus den Händen seines Pathen empfängt; wir betheiligen uns auch nicht an „Hirsch und Jäger,“ das nun zur Aufführung kommt und zwischen den Horatiern und Curiatiern von Werneuchen und Loehme zu einer Art Wettkampf führt, — wir gönnen der Gruppe am Feuer ihr Geplauder und den Kindern im Wald ihre Spiele, und gesellen uns erst wieder zu ihnen, als sie um die Abendstunde, unermüdet vom Singen und Springen, den Heimmarsch antreten. Halben Weges zwischen dem Gamen-Grund und Werneuchen, dessen Kirchthurm eben jetzt im Scheine der untergehenden Sonne blinkt, begegnen wir dem Völkchen wieder und lassen den phanta- stischen Zug an uns vorüberziehen. Voran Klein-Ulrich, der Held des Tages; er hält sein Geburtstagsgeschenk in beiden Händen und immer, wenn er den halben Mond hin und her schüttelt, schüttelt er unwillkürlich auch den Kopf und seine Locken tanzen hin und her nach dem Tacte der Glöckchen und Schellen. Unmit- mittelbar hinter „Uleken“ folgen die Zwillinge, — als Ehrengästen gebührt ihnen mindestens der zweite Platz; der eine bläst auf dem Kaffeetrichter, während der andere den Deckel der Milchkanne gegen den blechernen Boden schlägt. Nun kommt der Fahnenträger, das ist Heinrich, „Ulekens“ ältester Bruder; er trägt eine junge Birke, hinter deren Blättern sich sein Gesicht versteckt. Dicht aufmarschirt folgen die Anderen mit zinnernen Bechern und blechernen Löffeln, und Alles singt und lacht und klappt mit den Bechern zusammen, das Ganze ein Bacchuszug ohne Satyrn und ohne Panther, ein Festzug aus jenen Regionen, wo das Besingkraut an die Stelle des Weinlaubes tritt. Neben dem Zuge her mahlt der Loehmer Amtswagen durch den Sand; unsere stattliche Freundin, die seit der stillen Abend- promenade, auf der sie sich verlobte, nicht mehr spazieren gegangen ist, thront mit dem Ausdruck wachsenden Behagens auf ihrem Sitz, und gelegentliche Zurufe, die sich die Erziehung der Zwil- linge, auch auf nicht abzureichende Distancen hin, noch immer an- gelegen sein lassen, geben ihr mehr Befriedigung als Verdruß. Funfzig Schritt hinter dem Wagen folgen die Männer in lebhaf- tem Gespräch. Der Amts-Actuar, der die Berliner Zeitung hält, rectificirt die Aufstellung des rechten Flügels bei Wagram, „die er dem Erzherzog Karl nie zugetraut hätte“ — während in kurzer Entfernung hinter den politisirenden Freunden, eben so unange- fochten durch die Fehler bei Wagram, wie durch den Aerger des Amts-Actuars, Boncoeur, der Vertraute und Liebling der Kinder, einhertrottet, mit einem so ehrlichen Pudelgesicht, als habe er’s jedem Einzelnen versprochen, für verlorene Tücher und Schuh- bänder mit der Sicherheit seiner eignen Person aufkommen zu wollen. Dämmerung liegt auf dem Dorf, als der Zug in die Dorf- straße einzieht; die Spielgefährten, die zu Geburtstag in’s Pfarr- haus geladen worden waren, schlüpfen rechts und links in die offenstehenden Thüren, unsere Freunde aber halten alsbald unter den alten Pfarrhaus-Kastanien und „Pastor Schmidt von Wer- neuchen“ (denn er ist es) vorantretend, lüftet nunmehr im Haus- flur sein schwarzes Käppchen und dem nach ihm eintretenden Paare seine Hand entgegenstreckend, begrüßt er sie mit einem herzlichen: „gesegnet sei euer Eingang.“ Dann schließen sich Thür und Laden, nur flüchtig schimmert noch Licht und klingen noch Stimmen. Die Sterne ziehen herauf und es ist still in Dorf und Haus. So sah es im Sommer 1809 in Werneuchen und seinem Pfarrhaus aus. Ich glaubte, den Mann, dem diese Darstellung gilt, nicht besser einführen zu können, als durch eine Schilderung, die ihn uns in Wald und Feld und im Kreise der Seinen zeigt. Eine kindliche Natur, hing sein Herz an dem Stillleben des Kin- derherzens und der Natur. Bevor ich dazu übergehe, eine eingehendere Charakteristik des Mannes und seiner Werke zu versuchen, schick’ ich eine Zusammen- stellung der biographischen Notizen vorauf, die ich über den äußer- lichen Gang seines Lebens erhalten konnte. Friedrich Wilhelm August Schmidt, genannt Schmidt von Werneuchen, wurde am 23. März ( nicht Mai) 1764 in dem reizend gelegenen Dorfe Fahrland bei Potsdam geboren. Sein Vater war Pfarrer daselbst. Von den glücklichen Tagen seiner Kindheit erzählt uns eine seiner gelungensten Idyllen: „An das Dorf Fahrland“: Ach, ich kenne dich noch, als hätt’ ich dich gestern verlassen; Kenne das hangende Pfarrhaus noch mit verwittertem Rohrdach, Wo die treu’ste der Mütter die erste Nahrung mir schenkte. Es scheint, daß er seine Eltern, wenigstens den Vater, früh- zeitig verlor; denn er kam schon um 1775 auf das Schindler’sche Waisenhaus nach Berlin, wo der spätere, auch als Dichter ausge- zeichnete Staatsrath Friedrich August v. Staegemann (eines Ucker- märkischen Predigers Sohn) sein Mitschüler war. Ob er, wie dieser, auf dem „grauen Kloster“ oder aber auf einer anderen Schule seine Gymnasial-Bildung vollendete, ist nicht zu ersehen. Etwa um 1785 ging er nach Halle, um daselbst Theologie zu studiren. Seine Lage muß damals eine ziemlich bedrängte gewesen sein, wie die Anfangszeilen einer poetischen Epistel an seinen Freund Christian Heinrich Schultze (Prediger in Döbritz) vermuthen lassen. Diese lauten: Du mir theuer, seit bei magrer Krume Und beim Wasserglas der Freundschaft Band Uns umschlungen an der Saale Strand ꝛc. Zu Anfang der 90er Jahre scheint er die Stellung als Prediger am Berliner Invalidenhause erhalten zu haben. In diese Zeit fällt seine Verlobung mit seiner geliebten, in vielen Liedern gefeierten Henriette, mit der er 1795 die glücklichste Ehe schloß. 1796 erhielt er die Werneuchner Pfarre. Die Jahre unmittelbar vor und nach seiner Verheirathung umfassen auch die Epoche seines eigentlichen, seines frischesten poetischen Schaffens. Die zahlreichen Lieder an „Henriette“ gehören selbstverständlich dieser Zeit an, aber auch seine Vorliebe für das Beschreibende, für die Naturschilde- rung zeigte sich schon damals, der charakteristische Hang für das Abmalen jener Natur, die ihm so zu sagen vor der Thür lag, die er, Tag um Tag, um ihre Eigenart befragen konnte. Den Wunsch, seine Werneuchner Pfarre mit einer anderen zu vertauschen, scheint er nie gehabt zu haben. Sein Wesen war Genügsamkeit, Zufriedenheit mit dem Loose, das ihm gefallen war. Eine Reihe von Kindern wurde ihm geboren; sie waren der Sonnenschein des Hauses. Den jüngsten Knaben (Ulrich) verlor er frühzeitig; kurz vorher oder nachher starb auch die Mutter. Mit ihnen begrub er die Freudigkeit seines Herzens. Eine Reihe von Liedern verräth uns, wie tief er ihren Tod beklagte. Später vermählte er sich zum zweiten Male. Seine zweite Gattin überlebte ihn und errich- tete ihm das Denkmal (ein gußeisernes Kreuz) auf dem Werneuch- ner Kirchhof, das, von einem schlichten Holzgitter eingefaßt, fol- gende Inschrift trägt: „F. W. A. Schmidt, Prediger zu Wer- neuchen und Freudenberg, geb. den 23. März 1764, gest. den 26. April 1838. Rückseite: „Ich will euch wiedersehen und euer Herz soll sich freuen und eure Freude soll Niemand von euch nehmen.“ Ihm zur Seite ruhen, unter überwachsenen Epheuhügeln, seine erste Gattin (Henriette) und sein Lieblingssohn Ulrich. Diesen kurzen biographischen Notizen laß ich eine Reihe kleiner Mittheilungen folgen, die ich der Freundlichkeit derer verdanke, die dem Hingeschiedenen im Leben am nächsten standen. Es sind be- sonders Aufzeichnungen seines noch lebenden Sohnes. Sie werden am ehesten geeignet sein, das Charakterbild des Mannes, wie ich es Eingangs zu zeichnen suchte, durch eine Reihenfolge kleiner Züge zu vervollständigen. Ich gebe die Mittheilungen, wie sie mir zuge- gangen sind, ohne weitere Zuthat meinerseits, als die einer über- sichtlichen Gruppirung. Den Pfarracker hatte er verpachtet, weil er nicht „verbauern“ wollte. Aber wenn er auch seine Ehre und seine Aufgabe darin setzte, nicht selbst ein Bauer zu werden, so liebte er doch die Land- leute sehr und sprach gern und eingehend mit ihnen. Die Land- wirthschaft, als ein Großes und Ganzes, hatte er bei Seit’ gethan, aber sein Garten war seine tägliche Freude. Er hätte ohne diese tägliche Berührung mit dem Leben der Natur nicht sein können. Der Garten lag unmittelbar hinter dem Hause, rechts von der Kirchhofsmauer (über die die Grabkreuze hinwegragten), links von Nachbarsgärten eingefaßt; nach hinten zu blickte der Garten in’s Feld. Schneeball- und Hollunder-Bosquets empfingen den Be- sucher, der aus der geräumigen Küche, mit ihren blank gescheuerten Kesseln, in den unmittelbar dahinter gelegenen Garten eintrat. Die eigentliche Sehenswürdigkeit des Gartens war ein alter Birnbaum (der noch jetzt existirt und der schon damals als der größte und reichste in den Brandenburgischen Marken galt); sein Schmuck und seine Schönheit aber waren die vier Lauben, die, die eine immer schöner als die andere, an der Peripherie des Gartens standen. Drei davon, die dem Hause zunächst lagen, waren Fliederlauben, in denen, je nach der Tageszeit und dem Stand der Sonne, die Besuche empfangen und der Kaffee getrunken wurde; die vierte aber, die mehr eine hohe, kreisrunde Blühdornhecke, als eine eigentliche Laube war, erhob sich auf einer kleinen Anhöhe am äußersten Ende des Gartens und führte den Namen „Sieh dich um.“ In diese Hecke waren kleine Fensteröffnungen hineingeschnit- ten, die nun, je nachdem man den Stand nahm, die reizendsten Blicke auf Kirchhof, Gärten oder blühende Felder gestatteten. Rothe und weiße Rosen faßten überall die Steige ein; die eine der Lauben aber, die sich an die Kirchhofsmauer lehnte, führte deutungsreich den Namen „Henrietten’s Ruh.“ In diesem Garten arbeiten war unseres Freundes Lust. Mit Befriedigung konnte er sich aufrichten und seinem Sohne zurufen: „Heut thut mir der Rücken weh vom Bücken.“ Sperlinge und Hühner vom Garten abzuhalten, war die immer gern erfüllte Pflicht der Kinder. Der Sommer war schön, aber der schönste Monat des Jah- res war doch der December. Das Weihnachtsgefühl, die hohe Vorfreude des Festes in uns zu wecken (so erzählt der Sohn), verstand er vortrefflich. Er that es in lockender, die Einbildungs- kraft anregender Weise, theils durch Töne von Kinderinstrumenten, theils durch Proben von Weihnachtsgebäck, welches von bepelzter Hand durch die knapp geöffnete und im Hui wieder geschlossene Thür in die Kinderstube geworfen wurde. Ließ einmal Knecht Ruprecht gar nichts von sich hören und sehen, so baten wir sin- gend an der hoffnungsreichen Pforte um sein Erscheinen und seine Gaben. Waren wir artig gewesen, so gewährte er; andern- falls prasselten Nußschalen oder faule Aepfel durch die Thür- öffnung herein. Den Jubel am heiligen Abend hat er in einem seiner populärsten Gedichte selbst beschrieben: Nußknacker steh’n mit dickem Kopf Bei Jud’ und Schornsteinfeger; Hier hängt ein Schrank mit Kell’ und Topf, Dort hetzt den Hirsch der Jäger. Hier ruft ein Kuckuck, horch! Und dort spaziert ein Storch, Mit Aepfeln prangt der Taxusbaum Und blinkt von Gold und Silberschaum. Zu Pferde paradirt von Blei Ein Regiment Soldaten; Ein Sansfaçon sitzt frank und frei Gekrümmt und münzt Ducaten. Und Alles schmaust und knarrt, Trompet’ und Fiedel schnarrt; Fern steh’n die Alten still erfreut Und denken an die alte Zeit. Das Leben auf der Pfarre war ein ziemlich bewegliches. Mit einigen Predigern in der Nachbarschaft war er von früher her bekannt; diese besuchte er, wenn er auf geistige Anknüpfungspunkte rechnen konnte, sonst schwerlich. Unter den befreundeten Amtsbrü- dern befand sich auch der Probst Gloerfeld in dem benachbarten Bernau. Dieser würdige und allgemein hochgeachtete Geistliche hatte einen schönen Tod. Er war ein großer Gartenfreund, wie die meisten Geistlichen in jener geldarmen Zeit (zwischen 1806 und 13) und empfing dann und wann Besuche von Personen, die seinen schönen Garten sehen wollten. Einmal erschien auch eine junge, durchreisende Dame und als er sich bückte, um ihr eine Rose zu pflücken, sank er todt zwischen die Blumenbeete nieder. Schmidt’s Gedichte geben über den Kreis seiner Bekanntschaft die beste Auskunft; es lag in der Natur seiner Muse, die einen durch- aus häuslichen Charakter hatte und das Leben mehr erheitern als auf seine Höhen treiben wollte, daß er Dinge (also z. B. Einla- dungen) in Versen abmachte, die sich in Prosa eben so gut hätten sagen lassen. So lernen wir denn beim Lesen seiner Gedichte auch die Freunde und Bekannte aus Näh’ und Ferne kennen: Pastor Schultz aus Döbritz (im Havelland), Amtsactuarius Bernhard aus Loehme (unser alter Freund aus dem Gamen-Grund her), Prediger Dapp in Klein-Schöneberg, Rudolf Agrikola, Frau Oberst von Valentini, Maler Heusinger und Andere mehr; meist Personen, die mit mehr oder minder Dringlichkeit aufgefordert werden, der Werneuchner Pfarre, „die, im Grunde genommen, viel hübscher sei als die Berliner Paläste“, ihren Besuch zu machen. Besonders nah stand ihm der Pastor Ahrendts in dem nur eine Meile ent- fernten Beyersdorf. Mit diesem hatte er zusammen studirt, beide waren Prediger (in unmittelbarer Aufeinanderfolge) im Berliner Invalidenhause gewesen, beide hatten zu Ende des vorigen Jahr- hunderts ihre benachbarten Landpfarren erhalten und waren auf denselben bis zu ihrem Tode verblieben, nachdem beide ihr 50jäh- riges Jubiläum gefeiert hatten, Schmidt 1837, Ahrendts 1838. Unter den gelegentlich Einsprechenden waren auch einzelne Berliner Geistliche von der strengeren Richtung, wie Held und Hennefuß. Er theilte die Ansichten dieser Herren nicht und hatte dessen kein Hehl, war aber in der Art, wie er ernste Gespräche führte, von so feinen und anziehenden Formen, daß die Besuche weit öfter wiederholt wurden, als man hätte erwarten sollen. Alle diese Besuche von Freunden und Geistlichen erfreuten ihn lebhaft, denn sie boten ihm geistige Nahrung und Anregung; aber höchst unbequem waren ihm die affectirten Leute aus der großen Stadt, die sich aus Neugier oder aus Sentimentalität bei ihm blicken ließen, um hinterher von den „hohen Vorzügen des Landlebens“ schwärmen zu können, und eines seiner Gedichte, nachdem er diese Zudringlichen zuvor beschrieben, schließt mit dem Anruf an Fortuna: Send’, o Göttin, naht ein solcher Schwall, Uns zum Schutze Regen her in Bächen! Thürm’ ein Wetter auf mit Blitz und Knall, Oder — laß ein Wagenrad zerbrechen. Dies erinnert an ähnliche Niedlichkeiten Mörike’s, dessen Humor freilich um vieles mächtiger ist. Unter den classischen Dichtern war ihm, neben Homer, Virgil der liebste; seine Bukolika standen ihm außerordentlich hoch und mögen sein eigenes Dichten beeinflußt haben. Als der größte Dich- ter aller Zeiten aber erschien ihm Shakespeare , den er mit Passion las und dessen kühne und erhabene Bilder ihn immer wieder begeisterten. Die Angriffe, die sein eigenes Dichten erfuhr, machten gar keinen Eindruck auf ihn, ergötzten ihn vielmehr. Es lag wohl darin, daß er eine durch und durch bescheidene Natur und niemals von dem eitlen Vermessen erfüllt war, neben den Heroen jener Epoche ebenbürtig dastehen zu wollen. Er wollte wenig sein, aber daß er dies Wenige auch wirklich war, davon war er fest durchdrungen ; er hielt den Beweis davon in Händen, und diese Ueberzeugung (die nebenher wissen mochte, daß ein kleines Blättchen vom Lorbeerkranz ihm früher oder später noth- wendig zufallen müsse) nahm seinem Auftreten jede Empfindlichkeit. Das bekannte gegen ihn gerichtete Goethe’sche Spottgedicht: O wie freut es mich, mein Liebchen, Daß du so natürlich bist, Unsre Mädchen, unsre Bübchen Spielen künftig auf dem Mist, las er seinen Kindern vor und scherzte darüber mit ihnen. Seine Hochschätzung Goethe’s wurde durch diesen Angriff in nichts ge- mindert, und seine Kinder mußten um dieselbe Zeit, als jenes Spottgedicht erschienen war, Goethe’sche Lieder und Balladen aus- wendig lernen. Bis hierher hat uns der Mensch beschäftigt, wir wenden uns nun dem Dichter zu. War er ein solcher überhaupt? Gewiß, und trotz einer starken prosaischen Beimischung weit mehr, als ge- meinhin geglaubt wird. Die Anerkennung, die ihm seiner Zeit ge- zollt wurde, pflegte in ihrem Tone der Art und Weise zu gleichen, in der wohl, in Vor-Claus-Grothschen Tagen, von unseren platt- deutschen Dichtern, zumal von unserem Altmärkischen Landsmann Bornemann gesprochen wurde. In den Dichtungen des Einen wie des Anderen vermißte man Idealität (die dem Volksgeist nicht mit Unrecht als das entscheidende Merkmal für „ob Dichter oder nicht“ erscheint), und ließ beide Poeten als bloße Dichter-Abarten gelten, als heitere, derbe, humoristische Erzählertalente, die zufällig in Reim statt in Prosa erzählten. Es liegt in dieser ganzen Auffassung, auch namentlich in dem Zusammenwerfen Schmidt’s von Werneuchen mit den plattdeutschen Dichtern der alten Schule, viel Wahres und Richtiges; viel Wahres, in das sich nur insoweit eine gewisse Unbilligkeit gegen unseren Werneuchener Poeten mit einmischt, als er anderer Klänge, als der zumeist bekannt gewordenen , sehr wohl fähig war. Die unbestreitbare Popularität der Zeilen: 19 Die Tafel ist gedeckt, Wo nun der Schüsseln Duft die Lebensgeister weckt; Schweinbraten, ach, nach dir, nach euch, geback’ne Pflaumen, Sehnt sich die Braut schon längst! ihr glänzen beide Daumen; — ich sage, die Popularität dieser und ähnlicher Zeilen hat unser Dichter mit dem besseren Theil seines Ruhmes bezahlen müssen. Es werden ihm auch folgende Zeilen, die mir in diesem Sommer citirt wurden, zugeschrieben: „Und bei unsren Bohnen Kennen wir die Qualen nicht, Die in Torten wohnen;“ doch mag ich für die Echtheit dieser Zeilen keine Bürgschaft übernehmen. Dieser Aufsatz soll kein literar-historischer sein, er würde sich sonst die Aufgabe stellen, eine gewisse Verwandtschaft Schmidt’s von Werneuchen mit Platen und seiner Schule und eine sehr große mit Freiligrath nachzuweisen. Schmidt von Werneuchen handhabte Vers und Reim mit großer Leichtigkeit und zählte zu den productivsten Lyrikern jener Epoche. Man muß freilich hinzusetzen, er that des Guten zu viel. In dem kurzen Zeitraume von sechs Jahren erschien er mit fünf Bänden „Gedichte“ vor dem Publicum, Gedichte, die sich unter einander zum Theil so ähnlich sehen, daß es schwer hält, sie in der Vorstellung von einander zu trennen. Sie erschienen in folgen- der Reihenfolge: „ Kalender der Musen und Grazien, “ 1796; „ Gedichte, “ erster Band, bei Haude und Spener, 1797; „ Gedichte ,“ zweiter Band, bei Oehmigke jun. , 1798; „ Roman- tisch-ländliche Gedichte ,“ bei Oehmigke jun. , 1798; „ Alma- nach der Musen und Grazien “ (Fortsetzung des „Kalenders der Musen und Grazien“), bei Oehmigke jun. , 1802. Dies ist Alles, was ich aus der Epoche von 1796 bis 1802 von seinen Veröffentlichungen in Händen gehabt habe; doch möchte ich fast bezweifeln, daß die gegebene Aufzählung die Gesammtheit seiner damaligen Productionen umfaßt. Die Kluft zwischen 1798 bis 1802 ist zu weit. Nach dem Jahre 1802 scheint er sein Harfen- spiel an die Wand gehängt zu haben; nur aus dem Jahre 1815 begegnen wir noch schließlich einem schmalen Büchelchen, das den Titel „ Neueste Gedichte “ führt und in zwei Sonettenkränzen (eine Form, in der er sich auch früher schon versuchte) den Tod seiner ersten Gattin Henriette und das frühe Hinscheiden seines Lieb- lingssohnes Ulrich beklagt. Ich erwähnte dieser Lieder schon weiter oben. Sehen wir von dem Jahrgang des Erscheinens ab und be- trachten wir den Inhalt so vieler Bände zunächst als ein Gan- zes, das wir nicht äußerlich nach Namen und Datum, sondern nach seinem inneren Gehalt zu theilen haben, so ergeben sich drei Hauptgruppen: 1) Sonette, 2) Balladen und 3) Naturbeschrei- bungen, vom kurzen Lied an bis zum ausgeführten Idyll. Ueber die erste und zweite Gruppe (Sonette und Balladen) gehen wir so schnell wie möglich hinweg. Er hatte weder von dem Einen, noch von dem Andern auch nur eine Ahnung, und wäh- rend ihm, dem Sonett gegenüber, trotz seiner großen Gewandtheit in Handhabung des Reims, die Grazie, die leichte Sicherheit in Form und Gedanken fehlte, suchte er, die schwächeren und schwäch- sten Sachen Bürger’s zum Vorbild nehmend, das Wesen der Bal- lade im Mordhaft-schauerlichen, in einem Gespenster-Apparate, der Niemand in Schrecken setzen konnte, weil er selber keinen Augen- blick an das wirkliche Lebendigsein seiner Figuren glaubte. So kam es, daß er in dieser Dichtungsart beständig den bekannten einen Schritt vom Erhabenen zum Lächerlichen that und Karri- katuren statt Gestalten auf die poetische Bühne führte. Um wenig- stens eine Belagsstelle für dies mein Urtheil zu citiren, laß ich hier die erste Strophe der Spuk-Ballade „Graf Königsmark und sein Verwalter“ folgen: Graf Königsmark hatt’ irgendwo In Sachsen an der Saale Ein Gut, wohin er gern entfloh Der höfischen Kabale. Die Wirthschaft dort besorgt ein treuer Verständiger und frommer Meier. 19* Dies genüge. Dieselbe Ballade enthält übrigens viel schlimmere Strophen. Keine Dichtungsart vielleicht kann die Verwechslung von Einfach-natürlichem mit Hausbacken-prosaischem so wenig ertragen, wie die Ballade. Schmidt von Werneuchen war kein Sonettist und noch weni- ger fast ein Minstrel, der es verstanden hätte, bei den Festmahlen alter Häuptlinge die heroischen Sagen des Clan’s zu singen, aber er war ein Naturbeobachter und Naturbeschreiber trotz einem; nicht die Geßner’sche Idylle war seine Force, bei den Niederländern schien er in die Schule gegangen zu sein, und wenn Friedrich Wilhelm I. ausrufen durfte: „ich hab’ ein treu-Holländisch Herz,“ so durfte Schmidt von Werneuchen sagen: „ich habe ein gut-Hol- ländisches Auge.“ Jetzt, wo man es liebt, die Künstler dadurch zu charakterisiren, daß man sie mit hervorragenden Erscheinungen einer verwandten Kunst vergleicht, möcht’ es gestattet sein, Schmidt von Werneuchen einen märkischen Teniers zu nennen. Beide haben in „Bauernhochzeiten“ excellirt. Aber diese „Bauernhochzeiten“ unsers märkischen Poeten, und was ihnen ähnlich sieht, waren doch, der Gesammtheit seines Schaffens gegenüber, nur die Staffage ; er konnte ein Genre- maler sein, wenn ihm der Sinn darnach stand, vor Allem aber war er ein Landschafter , oft ein grober Realist, der die Natur nur äußerlich abschrieb, oft aber auch ein feinfühliger Künstler, der sich auf die leisesten landschaftlichen Stimmungen, auf den Ton und alle seine Nüancen verstand. Er war nicht immer der gereimte Prosaiker, der mit Freude und Behagen niederschreiben konnte: Die Küchlein ziepen; Nestvögel piepen Im Fliedergrün, Und Frauen zieh’n Mit Milch in Kiepen Barfüßig hin Zur Städterin — er konnte sich auch sehr wesentlich über diese Spielereien, über dies rein äußerlich Beschreibende erheben und trotz der Anklänge an Bürger’s „Pfarrerstochter zu Taubenhayn“ zählen wir z. B. fol- gende Strophe zu den gelungensten Schilderungen einer herbst- lichen Landschafts-Stimmung: Es sauste der Herbstwind durch Felder und Busch, Der Regen die Blätter vom Schlehdorn wusch, Es flohen die Schwalben von dannen, Es zogen die Störche weit über das Meer, Da ward es im Lande öd und leer Und die traurigen Tage begannen. Am vorzüglichsten war er da, wo er in classischer Einfachheit und in nie zu bekrittelnder Wahrheit die märkische Natur be- schrieb und den Ton schlichter, gemüthlicher Wahrhaftigkeit traf, ohne in Trivialität oder Sentimentalität zu verfallen . Unter seinen früheren Sachen finden sich nicht wenige, die diesen Charakter tragen, und wer sich der Mühe unterziehen wollte, die Spreu vom Weizen zu sondern, der würde im Stande sein, dem Publicum ein Büchelchen zu bieten, das die gang und gäben An- sichten über den Dorfpoeten von Werneuchen sehr wesentlich modi- ficiren würde. Ich gebe nur eine solche Stelle, und zwar aus dem schon früher erwähnten Gedichte: „An das Dorf Fahrland,“ jenes Dorf, in dem er geboren war. Ach, ich kenne dich noch, als hätt’ ich dich gestern verlassen, Kenne das hangende Pfarrhaus noch mit verwittertem Rohrdach, Kenne die Balken des Giebels, wo längst der Regen den Kalk schon Losgewaschen, die Thür mit großen Nägeln beschlagen, Kenne das Gärtchen vorn mit dem spitzen Stacket, und die Laube Schräg mit Latten benagelt, und rings vom Samen der dicken Ulme des Nachbars umstreut, den gierig die Hühner sich pickten. Und weiter dann: O, wie warst du so schön, wenn die Fliegen der Stub’ im September Starben, und roth die Ebreschen am Hause des Jägers sich färbten; Wenn die Reiher zur Flucht, im einsam schwirrenden See-Rohr, Ahnend den Sturm, sich versammelten, — wenn er am Gitter der Pfarre Heulend die braunen Kastanien aus platzenden Schalen zur Erde Warf und die schüchternen Krammetsvögel vom Felde zu Busch trieb; Froher alsdann als der Sperling im Dach, dem von hinten die Federn Ueber’s Köpfchen der Sturmwind blies, unterhielt ich so gerne In dem rothen Kamine die Gluth mit knisternden Spähnen. Dies genüge. Wer den Sinn für Naturbeschreibung hat, wird in diesen wenigen Zeilen Züge von ganz ungewöhnlicher Feinheit finden (z. B. die Schilderung des Sperlings in der zweit- und drittletzten Zeile) und nicht länger Lust haben, den Schmidt von Werneuchen zu den bloßen Reimschmieden zu werfen. Uebrigens muß er zu seiner Zeit, trotz aller Gegnerschaft, auch zahlreiche Freunde und Verehrer gehabt haben; selbst die Goethe’schen Spottverse, die wohl nicht geschrieben worden wären, wenn nicht der Dichter, gegen den sie sich richteten, einer gewissen Popularität genossen hätte, deuten durch ihr bloßes Vorhandensein darauf hin. Deutlicher spricht dafür die äußere Ausstattung, in der diese Gedichte damals vor das Publicum traten: beneidenswerth schöner Druck, und die beiden ersten Sammlungen von der Hand Chodowiecki’s und seiner besten Schüler illustrirt. Solche kostspie- lige Ausstattung wagten die Verleger wohl nur, wo das Ansehen des Poeten, oder wenigstens seine locale Popularität, einen sichern Absatz in Aussicht stellte. Eine locale Bedeutung hatte er allerdings, und wer das Wesen der Märker, insonderheit auch der Berliner, näher kennt, wird sich über diese Popularität, die ihm entgegen getragen wurde, nicht wundern. Denn die Märker lieben es, hinter ironischer Neckerei ihre Liebe zu verstecken, und während sie sich anschicken, über die eigene Heimath, über die „Streusandbüchse“ und die kahlen Pla- teau’s, die „nichts als Gegend“ sind, die spöttischsten und über- triebensten Bemerkungen zu machen, horchen sie doch mit inner- licher Befriedigung auf, wenn Jemand den Muth hat, für „Sumpf und Sand“ und für die Schönheit des Märkischen Föhrenwaldes in die Schranken zu treten. Und dies hat Schmidt von Werneuchen ehrlich gethan. Er that es zuerst und that es immer wieder . Sein ganzes Dichten, Kleines und Großes, Gelungenes und Miß- lungenes, ist in dem einen Punkte einig, daß es überall die Liebe zur Heimath athmet und diese Liebe wecken will. Und deshalb ein Hoch auf den alten Schmidt von Werneuchen! Prenden. (Ein Capitel vom alten Sparr.) Es scheint ein langes, stilles Ach zu wohnen In diesen Lüften, die sich leise regen. Platen. U nser Weg führt uns heut in das alte „Sparren Land.“ Der ausgedehnte Landstrich, auf dem diese längst vom historischen Schauplatz abgetretene Familie einst angesessen war, hat zwar nur noch sehr bedingungsweise Anspruch auf jenen auszeichnenden Namen; aber in Huldigung gegen den Ruhm des alten Geschlechts, sprechen wir auch heute noch von einem „Sparren Land“, wie- wohl kein einziges Gut mehr des ehemaligen Sparr’schen Besitzes in Sparr’schen Händen ist und der berühmte Name selbst nur noch von einem Ueberlebenden (und seinen minorennen Kindern) getragen wird. Die Sparr’s oder die Sparren scheinen unter den ersten Askaniern in die Mark gekommen zu sein; schon um 1300 sahen wir sie im Mittelpunkt des Landstrichs, der binnen Kurzem ihren ausgedehnten Besitz umschließen sollte. Unter den Hohenzollern treten sie uns von Anfang an als Anhänger der neuen Landes- herrn in besonderen Vertrauensstellungen entgegen, und noch vor Ablauf desselben Jahrhunderts, das die Burggrafen in’s Land führte, sehen wir die rasch zu Ansehen und Reichthum gelangte Familie der Sparr’s im Vollbesitz ihrer Macht. Das Sparren Land ist da . Welcher Art ist es? und wo haben wir es zu suchen? Schräg durch den Barnim hin und in der Richtung von Südwest nach Nordost verlaufend, erstreckt sich ein breiter Gürtel von Sand und Sumpf und Ackerland bis in’s Ukermärkische hinein, ein Landstreifen, der etwa die Gegend von Neustadt-Ebers- walde als Mittelpunkt, und Bernau und Angermünde als linken und rechten Flügel hat. Die jetzige Stettiner Eisenbahn zieht genau einen Längsschnitt durch dies alte Sparren Land und theilt es in eine nördliche und südliche Hälfte. Der Gesammtbesitz bestand zur Zeit des höchsten Reichthums der Familie (der ihrem historischen Glanze um ein Jahrhundert vorausging) aus mehr als zwanzig Gütern, die sich eben so in drei Gruppen sonderten, wie sich die Familie selbst in drei Zweige gespalten hatte. Diese Zweige waren die Sparr’s von Lichterfelde, von Pren- den und von Greiffenberg. Die Lichterfelde’schen Sparr’s hatten das Centrum inne, die Gegend von Neustadt; die Prenden’schen saßen am linken Flügel zwischen Bernau und Biesenthal; die Greiffenberg’schen am rechten Flügel, nördlich von Angermünde. Alle drei Linien haben — und zwar in demselben Jahr- hundert — je einen ausgezeichneten Soldaten (alle drei Artillerie- Generale) hervorgebracht; die Prenden’sche Linie den Ernst Georg (1654 Reichsgraf, gest. 1666 zu Berlin); die Greiffenberg’sche den Georg Friedrich (neunmal verwundet bei der Belagerung von Candia; Reichsgraf 1670, gest. 1677); die Lichterfeldesche den Otto Christoph v. Sparr . Dieser letztere nur, dem es als dem Letzten der Lichterfeldeschen Sparrs vorbehalten war, den Namen der Familie zu höchstem Ruhm zu führen, soll uns an dieser Stelle beschäftigen. Er überragte seine Vettern vielleicht an militärischer Bedeutung, gewiß (wenn wir unsern Blick auf den Ausgang seines Lebens richten) an Innerlichkeit des Gemüths und an Lau- terkeit des Wandels, und genoß, im Gegensatz zu ihnen, der Aus- zeichnung, die inhaltsreichere Hälfte seines Lebens dem Dienste seiner engeren Heimath widmen zu können. Er starb als der erste Brandenburgische Feldmarschall, einer der ausgezeichnetsten unter Allen, die diese hohe Würde getragen haben. Er war ein Lichterfeldischer Sparr. Wenn dieser Aufsatz dennoch den Namen des Nachbargutes als Ueberschrift trägt, so geschieht es, weil Prenden mehr als irgend ein anderes Besitz- thum der Sparr’s mit dem Leben Otto Christoph’s verbunden ist. Er wurde hier geboren und starb hier, wie denn auch Prenden und das benachbarte Trampe diejenigen Güter sind, die, nachdem das Elend des 30jährigen Krieges der Familie ihren alten Besitz geraubt hatte, zuerst wieder als ein Kurfürstliches Geschenk in die Hände eines Sparren und zwar unseres Otto Christoph’s von Lichterfelde gelegt wurden. Meinem Besuch in Prenden schick ich aber erst eine kurze Biographie Otto Christoph’s voraus. Otto Christoph v. Sparr wurde muthmaßlich am 13. November 1599 zu Prenden geboren. Abweichende Ansichten neuerer Forschung, die mich nicht völlig überzeugt haben, übergehe ich hier. Sein Vater, Arend v. Sparr, Erbherr auf Lichterfelde, war Mitbesitzer von Prenden , was den Umstand erklären mag, daß ein Lichterfeldischer Sparr, statt im Schlosse zu Lichterfelde, im Herrenhause zu Prenden geboren wurde. Arend Sparr hatte sich am 10. Juni 1598 mit der kaum 18jährigen Edell v. Sparr (eine Dänische Sparr, geb. zu Ko- penhagen am 9. November 1581) vermählt, und so floß denn, von Vater und Mutter Seite her, alt Sparresches Blut in den Adern Otto Christoph’s. Seine Geburt kostete der schönen Edell Sparr das Leben; sie wurde am 11. December 1599 auf dem Kirchhofe zu Prenden begraben. Die Jugend Otto Christoph’s hüllt sich in Dunkel. Ob er sich im Parke zu Lichterfelde oder im Garten zu Prenden umher- tummelte, ob er im Hause des Vaters oder in der benachbarten Hauptstadt erzogen wurde, was und wo er war, als die ersten jener Gewitterwolken heraufzogen, die dann 30 Jahre lang über dem unglücklichen Lande stehen sollten — darüber verlautet nichts und wird muthmaßlich nichts mehr verlauten; denn es war eine eiserne Zeit, die wenig schrieb und am wenigsten bei Jugendgeschichten verweilte. Annehmen aber dürfen wir, daß die Erziehung unseres Sparr eine sorgfältige war, da wir im Lauf unserer Darstellung zu zeigen haben werden, daß er keineswegs nur jenen abenteuern- den Naturen zugehörte, die, ausgerüstet mit Muth und Rücksichts- losigkeit, auf dem Boden des Krieges wie von selber rasch empor- wuchsen, sondern ganz entgegengesetzt vielfache Kenntnisse einer höheren Gattung besaß, die ihn befähigten, Befestigungen zu leiten und Feldzugspläne zu entwerfen. Ein im Auftrage des Kurfürsten von ihm entworfenes Memorial über „Kriegsführung gegen die Türken“ ist ein Meisterstück einfach klarer Darstellung, und unter den verschiedenen Städten, an deren Befestigung er erfolgreich ge- arbeitet, werden Peitz, Hamm, Berlin und Magdeburg vornehmlich genannt. König rühmt von ihm, daß er fortgesetzt habe, was in der Kriegsbaukunst 70 oder 80 Jahre früher von Rochus von Lynar begonnen wurde. Wahrscheinlich um 1626 trat er, wie so viele andere Adlige aus Brandenburgischen Landen, in die Dienste des Kaisers. Die 42 Jahre, die ihm von da ab noch zu leben beschieden waren, theilen wir in zwei beinahe gleiche Abschnitte, in eine Kaiserliche und in eine Kurfürstliche Dienstzeit, von denen die letztere Epoche wieder in eine Zeit als Kurbrandenburgischer Feldzeugmeister und in eine andere als Kurbrandenburgischer Feldmarschall zerfällt. Den gelehrten Forschungen Theodor’s v. Moerner ist es in allerneuester Zeit geglückt, auch über jene erste Epoche, also über Sparr’s Verweilen in Kaiserlichem Dienst, ein ausreichendes Licht zu verbreiten und unseren Otto Christoph, zumal in dem letzten Jahrzehent des dreißigjährigen Krieges, auf seinen Kreuz- und Quer- zügen in Pommern, in der Mark, im Westfälischen und am Rhein zu begleiten. Wir leisten aber darauf Verzicht, jenen Forschungen an dieser Stelle zu folgen, und begnügen uns damit, hervorzu- heben, daß unser Sparr die Lützener Schlacht, wahrscheinlich als Kaiserlicher Hauptmann, mitmachte. Fünf Jahre später erblicken wir ihn, bestimmter faßbar, bei einem versuchten, aber mißglückten Sturm auf Stargard, und im selben Jahre noch (1637) als Commandant von Landsberg a. W. Der Klagen über ihn, na- mentlich von Seiten der Küstriner Regierung, waren damals viele: „Er habe (so hieß es) die Regalien angetastet, sich des Kurfürst- lichen Metzkorns angemaßt, ohne Zahlung zu leisten, habe die Zoll- rolle bedroht, den Mühlenmeister unschuldig in Ketten gelegt und 1000 Schafe aus der Kurfürstlichen Schäferei zu Kartzig wegge- trieben.“ Anklagen, die bei der sicherlich nicht angebornen Rauf- und Raublust unseres Sparr nur zeigen, wie der Krieg seine eige- nen Gesetze hat, zumal der dreißigjährige, der ja Zeit hatte, seinen Codex zu schreiben und einzubürgern. Endlich kam der Westfälische Frieden und Deutschland suchte sich wieder an einen Segen zu gewöhnen, an den es kaum noch geglaubt hatte. Kurfürst Friedrich Wilhelm, dessen Jugend- und erste Regie- rungsjahre in das wildeste Toben des Krieges gefallen waren, nahm aus den Wunden und Wirren jener Zeit eine Lehre mit in den Frieden hinüber, — die Lehre: „daß ein Land verloren sei, das sich nicht selbst zu schützen wisse,“ und mit dieser Lehre zu- gleich die Ueberzeugung, daß dieser gesegnete Schutz nur aus Einem hervorwachse, aus einem schlagfertigen und zuverlässigen Heere. Unter diesem Gesichtspunkte begann er den Wiederaufbau seines verwüsteten Landes. An Soldaten und Rekruten war kein Mangel. Der stockende Handel, die wüst gelegten Felder boten, auch nach- dem die großen Wasser des Krieges selbst verlaufen waren, an Menschenmaterial vollauf; aber dies Material war mehr eine Last als ein Segen, so lange die Führer fehlten, die ihm Halt und Ordnung, und durch ihre kriegerischen Talente das Gefühl des Sieges zu geben verstanden. Diese Einsicht führte von Seiten des Kurfürsten zur Anwerbung von Generalen, die sich im schwedischen oder kaiserlichen Dienst ausgezeichnet hatten; Joachim Hasse von Schaplow (der Schwiegervater Derfflinger’s), Derfflinger selbst, Joachim von Goertzke, Otto Christoph von Sparr, — Alle traten ziemlich zu gleicher Zeit in brandenburgische Dienste über und ver- blieben darin, reich geehrt durch ihren Kriegs- und Landesherrn, bis an ihr Lebensende. Die Schicksale Goertzke’s und Sparr’s bieten sehr viel Uebereinstimmendes. Beide im Lande Barnim aus reich begüterten Familien geboren, verloren diesen Besitz während der Kriegslaäufte jener Zeiten völlig; beide kehrten, nach 20- oder 30jähriger Abwesenheit in fremdem Dienst, in die Dienste ihres Landesherrn zurück und brachten es, fast an derselben Stelle, wo sie geboren waren, zu neuem reichen Besitz und zu immer wach- senden Ehren. Nur ihre Stammgüter waren Beiden für immer verloren. Die Unterhandlungen mit Sparr begannen 1649 und führten rasch zum Ziele, aber erst 1651 erfolgte sein wirklicher Eintritt in die Armee seines Landesherrn. Die nun folgende Epoche seines kurfürstlichen Dienstes läßt sich wieder, wie schon Eingangs hervor- gehoben, in zwei bestimmte Gruppen sondern, in eine kriegerische Epoche, die mit seiner Ernennung zum Feldmarschall (1657) ab- schließt, und in eine beinahe 11jährige Friedenszeit bis zu seinem Tode, die nur einmal, um 1664, durch die Theilnahme an einem Türkenzuge unterbrochen wird. Der Mittelpunkt jener kriegerischen Epoche von 1651 bis 1657 ist der polnisch-schwedische Krieg und in demselben die dreitägige Schlacht von Warschau . Wir werden bei den Ereig- nissen, die zu diesem Kriege führten, wie namentlich auch bei der berühmten Schlacht selbst, einen Augenblick zu verweilen haben. In Schweden war Karl Gustav von Pfalz-Zweibrücken der Königin Christine als erwählter König gefolgt und nahm mit Leidenschaft die Idee auf, die seit fast einem halben Jahrhundert die schwedische Politik bestimmt hatte: die Gründung eines Baltischen Reiches . Pommern, Preußen und die jetzt speciell sogenannten Ostseeprovinzen, sollten theils erst erobert, theils fester dem schwedischen Reich eingefügt werden. Es war eine Macht-Erweiterung vor Allem auf Kosten Polens , und Karl Gustav suchte sich dazu des brandenburgischen Beistandes zu versichern. Der Kurfürst lehnte jedoch, so lange er noch freie Hand hatte, das ihm zuge- muthete Bündniß ab und zog in seinen preußischen Provinzen ein Heer zusammen, dessen nächster Zweck eine bewaffnete Neutralität war; in der Wirklichkeit aber kam die Aufstellung dieses Heeres einem Bündniß mit Polen gegen Schweden gleich. Das Heer selbst war ansehnlich; es bestand aus 26,800 Mann mit 34 Ge- schützen und hatte in Otto Christoph von Sparr seinen obersten Befehlshaber. So standen die Dinge im Sommer 1656. Wenige Monate änderten die Sachlage völlig. Dem raschen Vordringen Karl Gustav’s hatte sich das schlecht gerüstete Polen fast ohne Widerstand unter- worfen. Johann Casimir war aus Warschau geflohen, und die schwedische Kriegswelle, wenig geneigt, sich in ihrem Siegeslaufe aufhalten zu lassen, schickte sich eben an, auch die Provinz Preußen zu überschwemmen. Jetzt war für Brandenburg der Moment gege- ben, den Kampf gegen das herausfordernde Schweden aufzuneh- men; aber der Kurfürst, vielleicht voll Mißtrauen in seine und des Landes Kraft, das damals noch keine glänzende Kriegsprobe bestanden hatte, vermied den angebotenen Kampf und löste das stille Bündniß mit Polen, um dafür ein offenes Bündniß mit Schweden gegen Polen einzugehen. Was der Kurfürst ein Jahr vorher den schwedischen Bitten abgeschlagen hatte, das gewährte er jetzt rasch und ohne Rückhalt den schwedischen Drohungen. Er gab dabei dem Gebot der Klugheit nach, vielleicht in stiller Voraussicht, daß die Stunde der Rückzahlung kommen und alte und neue Kränkung quitt machen werde. Von seinem Standpunkt aus war es gerechtfertigt, das Bündniß mit Schweden zu schließen; die Polen, von ihrem Stand- punkt aus, hatten mindestens ein gleiches Recht, dies Bündniß als Abfall anzuklagen. Und war es nun Entrüstung, oder das Gefühl einer wachsenden Gefahr, dasselbe Volk, das sich fast wider- standslos niedergeworfen hatte, als der Kriegssturm Karl Gustav’s über das Land hingezogen war, stand jetzt plötzlich aufrecht da, wie ein Aehrenfeld, das sich dem Sturm gebeugt hat, ohne ge- brochen zu sein. Schweden und Brandenburg vereint sahen sich einem stärkeren Feinde gegenüber, als Polen vor seiner Nieder- werfung gewesen war. Johann Casimir kehrte nach Warschau zu- rück und sammelte ein Heer in unmittelbarer Nähe der Hauptstadt, zwischen Bug und Weichsel. Die Zahl desselben wird verschieden angegeben und schwankt zwischen 40,000 und 200,000. Wahr- scheinlich waren es 50,000 Mann, eher mehr als weniger. Am 18. Juli 1656 kam es zu der berühmten dreitägigen Schlacht von Warschau. Versuch’ ich es, aus dem zum Theil widersprechenden Mate- rial, das mir über diese Schlacht vorliegt, unter Fortlassung von Nebensächlichem und Ausgleichung von Widersprüchen, ein einiger- maßen übersichtliches Schlachtbild zu entwerfen. Die Polen, so scheint es, hatten eine befestigte Hügel-Position inne, zahlreiche Artillerie in der Front ihrer Stellung, einiges Fußvolk am linken und rechten Flügel und zahlreiche Reiterabthei- lungen (einige Schriftsteller sprechen von 20,000) im Centrum auf einem die ganze Stellung beherrschenden Plateau. Dies Pla- teau bildete den Schlüssel zur Position; aber es erschien äußerst schwierig, sich dieses Schlüssels zu bemächtigen, da, abgesehen von der Festigkeit, die die Hügelstellung an und für sich bot, ein An- griff an dieser Stelle auch dadurch erschwert wurde, daß sich am Abhange des Plateau’s ein Gehölz hinzog, das mit den besten polnischen Fußtruppen besetzt war. Gehölz und Plateau deckten und unterstützten sich gegenseitig. Nur drei Wege erschienen für den Angriff möglich: ein Frontal-Angriff gegen die beiden Flügel, oder aber eine Umgehung der feindlichen Stellung überhaupt, oder drittens eine Durchbrechung des Centrums. Alle drei Wege wur- den versucht. Das schwedisch-brandenburgische Heer, wahrscheinlich um etwas schwächer, als das Heer Johann Casimir’s, stand in entsprechender Dreitheilung dieser formidablen Position der Polen gegenüber. Der Angriff war beschlossen. Am rechten Flügel commandirte Karl Gustav die Schweden, am linken der Kurfürst eine aus Schweden und Brandenburgern gemischte Truppe; im Centrum hielt General- feldzeugmeister v. Sparr mit zwei schwedischen und fünf branden- burgischen Regimentern und mit der gesammten Artillerie. Unter ihm commandirten Graf Josias v. Waldeck und Joachim Rüdiger v. d. Goltz. Die Schweden trugen zur Unterscheidung ein Büschel Stroch am Hut, und das Feldgeschrei war: In Gottes Namen! So begann die Schlacht. Am ersten Tage (18. Juli) schritten der rechte und linke Flügel zum Angriff. Aber beide Angriffe, wiewohl mit größter Bravour und unter persönlicher Anführung von König und Kur- fürst ausgeführt, wurden zurückgeschlagen. Die feindliche Hügel- stellung, durch Redouten doppelt fest, schien uneinnehmbar. Am zweiten Tage versuchten die Schweden und Branden- burger eine Umgehung; aber die Polen kamen den Angreifern zu- vor und nachdem, in veränderter Schlachtstellung, um eine Dorf- gasse entscheidungslos gekämpft worden war, kehrten beide Armeen in die alten Positionen zurück. So viele vereitelte Anstrengungen von Seite der Verbündeten mochten den Muth der Polen heben, die sich ohnehin des Sieges sicher hielten, und ihre zahlreiche Cavallerie ging jetzt zum Angriff über. Vom Plateau herabsausend, an dem Gehölz vorüber, das den Haupttheil ihrer Infanterie ver- barg, suchten sie die Schlachtreihe der Verbündeten zu durchbrechen. Aber dieser Angriff wurde von dem Centrum derselben zurück- geschlagen und scheiterte also in gleicher Weise, wie am Tage vor- her der schwedisch-brandenburgische Angriff auf die feindlichen Flügel-Positionen gescheitert war. So kam der dritte Tag. Das Operiren mit den Flügeln war zweimal mißglückt; es blieb nur noch übrig, wenn man Ver- brauchtes nicht wiederholen wollte, den Feind an seiner stärksten Stelle zu fassen und sein Centrum zu attakiren. Um diesen Angriff überhaupt zu ermöglichen, war es, wie sich aus dem Eingangs Gesagten ergeben haben wird, durchaus nöthig, sich zuvörderst in Besitz des Gehölzes zu setzen, das sich am Fuße des dominirenden Plateau’s hinzog. Dieser Angriff war nahezu ein Verzweiflungs- Coup; denn abgesehen davon, daß das Gehölz selbst den heftigsten Widerstand entgegensetzen konnte, so bestrichen auch die Geschütze des feindlichen Flügels, je nachdem man links oder rechts vor- ging, die anrückenden Truppen der Verbündeten, während, wenn die Kanonade schwieg, die Kavallerie jeden Augenblick in die in Un- ordnung gerathenen Regimenter einbrechen konnte. Sparr erkannte die ganze Schwierigkeit; dennoch rückte er vor und führte die Sache siegreich hinaus. Es ist sehr wahrscheinlich, daß er den im Walde versteckten Feind zuerst durch concentrisches Geschützfeuer in’s Schwanken brachte und endlich ihn zwang, sich hügelanwärts aus dem Walde herauszuziehen. Diesen Moment des Rückzuges benutzte er jetzt zu einem allgemeinen Angriff: die nachrückenden Infanterie-Regimenter säuberten das Gehölz, während die Kaval- lerie (fünf Schwadronen brandenburgische Kürassiere) bergan stürmte und die durch ihre eigene Infanterie bereits in Unordnung ge- rathene polnische Reiterei nach kurzem Kampf über den Haufen warf. Einmal aus ihrer unangreifbar geglaubten Position, und zwar an der allerstärksten Stelle, herausgeworfen, wandten sich die Polen zur Flucht und wurden theils in einen Morast, theils in die Weichsel gejagt. Viele ertranken. Die Verbündeten hielten an- dern Tags ihren Einzug in Warschau. Es war dies, beinahe 20 Jahre vor dem Tage von Fehr- bellin, die erste große Waffenthat der Brandenburger. Sie waren von diesem Tage an, mehr als hundert Jahre lang, nämlich vom 18. Juli 1656 bis zum 18. Juni 1757 immer siegreich; erst der Tag von Kollin brachte die Demüthigung einer Niederlage. Wenn diese erste Ruhmesschlacht der Brandenburger verhält- nißmäßig wenig im Herzen unseres Volkes lebt, und z. B. was Popularität des Namens angeht, trotz ihrer dreitägigen Dauer mit der dreistündigen Schlacht von Fehrbellin gar nicht verglichen wer- den kann, so hat das zunächst darin seinen Grund, daß alle Siege, bei denen kleinere Völker an der Seite eines größeren auftreten, immer nur dem letzteren als kriegerische Großthat angerechnet wer- den. Die Stärkeren verfahren dabei systematisch-absprechend und 20 behaupten ihre Sätze so oft und so beharrlich, daß das kleinere Volk schließlich selber glaubt, es habe eigentlich wenig oder gar nichts gethan. Es kommt aber in dem vorliegenden Fall noch ein anderer Grund hinzu, und zwar der, daß auch in diesen Dingen das Local-Interesse das maßgebende ist. Fehrbellin liegt uns nah und Warschau liegt uns fern. Bis diesen Tag, das stehe hier zur Bestätigung, feiern wir Großbeeren und Dennewitz auf Kosten ent- scheidungsreicherer Tage, nur weil uns an beiden Tagen allerper- sönlichst das Feuer auf den Nägeln brannte. Die Menschen sind Egoisten in allen Stücken, auch in diesen. Die Beschreibungen der Schlacht von Warschau pflegen des entscheidenden Angriffs Sparr’s nur obenhin zu erwähnen; andere verschweigen ihn ganz. Es kann das, aus schon angeführtem Grunde, nicht verwundern; in den Augen der Welt standen wir neben dem damaligen Schweden natürlich in zweiter Reihe, und im eigenen Lande entbehrten wir der Chronisten, die sich unserer angenommen hätten. Pufendorf’s Darstellung dieser Vorgänge ( De rebus a Carolo Gustavo gestis ) kam den Schweden, nicht uns zu Gute. Es könnte somit immerhin fraglich erscheinen, ob die Entscheidung an jenem glorreichen Tage in der That durch Sparr herbeigeführt wurde oder nicht, wenn nicht die Auszeichnungen, die ihm fast unmittelbar darauf von Seiten des Kurfürsten zu Theil wurden, darüber kaum noch einen Zweifel ließen. Am 26. Juni 1657 wurde er zum General-Feldmarschall (der erste in Brandenburg) ernannt und sein Gehalt auf eine für die damalige Zeit überraschende Höhe festgesetzt. Er erhielt 800 Thlr. monat- lich , Futter für 40 Pferde und Verpflegung für eine zahlreiche Dienerschaft. Wegen schlechter Finanzlage des Landes wurden die Gehälter bald darauf (1660) herabgesetzt und Sparr erhielt von da ab nur noch unge- fähr 500 Thlr. monatlich und 120 Scheffel Korn. Auch Karl Gustav, unter dessen Augen er bei Warschau gekämpft hatte, bestätigte, freilich ebenfalls nur mittel- bar, das Entscheidende des Sparr’schen Angriffs, indem er kurz nach der Schlacht von ihm sagte: „Dieser alte Vater Sparr hat sich als ein recht kriegskundiger General erwiesen, seines Amtes unerschrocken gewaltet und Alles weislich hinausgeführt.“ Der schwedisch-polnische Krieg verlief nicht plötzlich; wir ver- folgen unsern Otto Christoph aber nicht weiter auf seinen Zügen durch Preußen und Littauen, durch Pommern und Mecklenburg bis nach Holstein und Jütland hinauf, sondern fahren in unserer Darstellung mit jenem letzten Abschnitte seines Lebens fort, der dem Frieden von Oliva (am 1. Mai 1660) folgte. Ruhmgekrönt kehrte Sparr in die Heimath zurück. Er war der erste Mann im Lande und nahm an Rang und Ansehen die- selbe Stellung ein, die etwa 15 Jahre später die volksthümlicher gewordene Figur des alten Derfflinger bekleidete. Er war Feld- marschall, Oberst-Commandirender über die brandenburgische Armee, der Beirath und Vertraute seines Fürsten; dazu besaß er Schlösser und Häuser, und im Lande Barnim die Güter: Prenden, Trampe, Lancke, Utzdorf, Hackelberg, Dannenberg und Tiefensee. In Berlin bewohnte er das ehemalige Haus des Kaufmann Peter Engels in der Spandauer Straße, das jetzt dem großen Postgebäude mit zuge- hört; in den Sommermonaten aber bezog er sein Prendener Schloß. Es war wohl der dem Menschenherzen innewohnende Zug nach der Stelle, die uns geboren. Auch diese acht Friedensjahre, die zwischen dem Frieden von Oliva und dem Hinscheiden des Feldmarschalls liegen, verliefen nicht ganz ohne Kriegslärm. Sparr, an der Spitze eines branden- burgischen Hülfsheers, entschied am Tage von St. Gotthardt, als Verbündeter des Kaiserlichen Heeres, in ähnlicher Weise den Sieg über die Türken, wie er als Verbündeter des schwedischen Heeres den Tag von Warschau entschieden hatte; aber wir verweilen nicht länger bei diesen Kriegs- und Siegeszügen, auch nicht bei neuen Ernennungen ( Kaiserlicher Feldmarschall, Reichsfreiherr ꝛc.) sondern begleiten ihn auf dem stillen Gang durch seine letzten Lebens-, zugleich seine einzigen Friedensjahre. Denn 42 Jahre lang hatte er nur den Krieg gesehn. 20* Wenn wir diese letzten Jahre seines Lebens um ihren Inhalt befragen, wie er in Bauten und Geschenken, in Gaben und Stif- tungen aller Art zu uns spricht, so erkennen wir nicht ohne eine gewisse Bewegung, wie das Herz des alten Kriegsmannes in wenig Friedensjahren nachholen will, was ein Leben voll Krieg und Unruhe und Zerstörung versäumt hat. Aus Allem spricht das tiefe Verlangen nach Auferbauen, nach Stiften, Gründen, die Sehn- sucht nach Sammlung, nach Ruhe in sich und nach Frieden mit Gott. Unser Sparr ist nicht länger mehr der Oberst Sparr, über den die Küstriner Kammer klagt, daß er den Mühlenknecht in Ketten gelegt und das Volk gedrückt habe; er, dessen Schaaren so manche Kirche erbrochen, stellt sein Herz jetzt auf die Tröstungen der Kirche und sucht ihre Gnaden durch Demuth, Wohlthun und frommen Wandel zu verdienen. Wenn es noch ein Andres dane- ben giebt, ein mehr auf diese Welt Gerichtetes, so ist es der verzeihliche Wunsch, sein eigenes Leben zu einer Abrundung zu bringen und seinen und seines Geschlechtes Ruhm der Nachwelt zu überliefern. Die Stiftung eines Familien-Fideicommisses und die Herstellung eines prachtvollen Erbbegräbnisses beschäftigen ihn; aber seine reichen Mittel und seine Sorgen gehören immer mit Vorliebe dem Allgemeinen. Er baut Kirchen und Thürme, schenkt Glasmalereien und Glocken (z. B. zu Trampe, Hackelberg und Prenden); vor Allem aber ist es die Marienkirche zu Berlin, die sich in jeglicher Weise seiner Hülfe in Noth und Gefahr erfreut. Im Jahre 1661 traf der Blitz die Thurmspitze und die auf- schlagenden Flammen machten alsbald die Befürchtung rege, daß die Kirche selbst ein Raub der Flammen werden würde. Der alte Feldzeugmeister aber wußte Rath und mit einer damals im ganzen Lande angestaunten Kühnheit und Geschicklichkeit, ließ er die bren- nende Thurmspitze herunterschießen. War er so der Retter der Kirche geworden, so war es jetzt nicht minder sein Stolz, auch der Wiedererbauer des zertrümmerten Thurmes zu werden. Er schien dies zu einer Ehrenaufgabe seiner letzten Lebensjahre machen zu wollen, überschätzte aber seine Mittel und führte seinen eigenen Ruin herbei, ohne seinen Lieblingswunsch erfüllt zu sehen. Seine Erben hatten später ihrer Mißbilligung dieses frommen Eifers kein Hehl und ließen nach dem Tode des Feldmarschalls auf eine Kupfertafel die Worte des Evangelisten Lucas (Capitel 14, Vers 28—31) schreiben: Wer ist aber unter Euch, der einen Thurm bauen will, und sitzet nicht zuvor und überschlägt die Kosten, ob er’s habe hinauszuführen? Auf daß nicht, wo er den Grund geleget hat und kann’s nicht hinausführen, alle, die es sehen, fangen an seiner zu spotten, und sagen: dieser Mensch hub an zu bauen und kann’s nicht hinausführen. Oder, welcher König will sich begeben in einen Streit wider einen andern König, und sitzet nicht zuvor und rathschlaget, ob er könne mit zehntausend begeg- nen dem, der über ihn kommt mit zwanzigtausend?“ Hand in Hand mit dem Thurmbau, der seine Mittel ver- zehrte und Armuth hinterließ, wo Reichthum gewesen war, ging die Erbauung des Sparr’schen Erbbegräbnisses, dessen ich schon erwähnt habe, — bis diesen Augenblick eine Zierde der Marien- kirche und zugleich ihre größte Sehenswürdigkeit. Ob es ihm ver- gönnt war, sein gebeugt Gemüth an der Schönheit des prächtigen Marmorbildes aufzurichten, das (muthmaßlich von der Hand des Artus Quellinus) den Eingang zur eigentlichen Gruft umgiebt, oder ob er hinstarb, eh dies Bildwerk Die Beschreibung dieses Bildwerks, wie des Sparrschen Erbbe- gräbnisses überhaupt, siehe in den Anmerkungen. — das bei Weitem schönste, das Berlin aus jener Vor-Schlüterschen Zeit aufzuweisen hat — vollendet war, sind Fragen, die wir unentschieden lassen müssen. Krank an Körper und Seele verließ er im Frühjahr 1668 die Hauptstadt, um sie mit Augen nicht wieder zu sehen. Er mochte fühlen, daß sein Ende nahe sei. Am 3. Mai vermachte er der Freifrau Luise Hedwig v. Blumenthal, der Tochter seines Freun- des Otto v. Schwerin, sein Stadthaus in der Spandauer Straße; sechs Tage später schied er aus dieser Welt, am 9. Mai 1668 auf seinem Lieblingsschloß zu Prenden . Der reiche Mann, der hochgestellte Diener seines Fürsten, starb in Armuth. Die Leichen- predigt, die Probst Andreas Müller hielt, konnte wegen Mangels an Geld nicht gedruckt werden und noch 1675, also 7 Jahre nach seinem Tode, bat der Probst bei den Sparr’schen Erben um Zah- lung gehabter Unkosten und Auslagen. Die Beisetzung der Leiche erfolgte, wie das alte Kirchenbuch von St. Marien besagt, „am 12. Mai, Abends in der Still’, im Beisein vornehmer Leute.“ Thurm und Erbbegräbniß, die beiden Denkmale, die sich der Feld- marschall bei Lebzeiten gesetzt, hatten ihn zum armen Manne ge- macht. Aber was ihn erniedrigte, hat ihn auch erhöht: Thurm und Erbbegräbniß sind es, die seinen Namen in der Erinnerung der Nachwelt festgehalten haben und bis diesen Tag von einem Ruhme erzählen, der ohne das ernste, halb räthselvolle Steinbild des Artus Quellinus vergessener wäre, als er es ist. Die Geschichte vom alten Sparr hatte, seit ich zuerst von ihm hörte, immer den Zauber jener unbestimmten Linien für mich ge- habt, die mehr ahnen lassen als geben, und, so seltsam es klingen mag, ich machte mich auf den Weg nach Prenden mit einer ge- wissen Gehobenheit der Stimmung, als wanderte ich in altes romantisches Land. Es ist auch ein romantisches Land, märkisch -romantisch. Ich begann meine Wanderung von dem Städtchen Biesenthal aus, das seinerseits wie eine holprige Idylle in der Thalrinne des Finow-Flusses liegt. Von Biesenthal bis Prenden ist noch eine halbe Meile und diese halbe Meile führt durch eine Art Muster- stück märkischer Landschaft. Wie Linien, die über ein Blatt gezogen sind, laufen zahlreiche Hügelreihen von Ost nach West, und da unser Weg uns in senkrechter Linie nach Norden führt, so haben wir in vollkommener Wellenbewegung das Hügel- und Thalland zu durchschreiten. Die Hügel sind von einer äußersten Sterilität, kaum eine Moosschicht hat sich darauf niedergelassen und ihre ganze Erscheinung erinnert lebhaft an die Sanddünen der Ostsee; zwischen den Hügeln aber dehnt sich jedes Mal ein grüner Streifen (Sumpfland, das von Riedgras überwachsen ist) und mitten im Grün ruht eine kaum gekräuselte Wasserfläche, die mal dunkel wie ein Teich, mal blau wie ein See zu uns aufblickt. Alles Leben- dige scheint diese Oede zu meiden, keine Lerche wiegt sich in Lüf- ten, kein Storch stolzirt am Sumpf entlang, nur eine Krähe fliegt gleichgültig über die Landschaft hin, wie ein Bote zwischen dem vor uns liegenden Wald und dem Biesenthaler Kirchthurm in unserm Rücken. Die Krähe passirt diese Gegenden wie wir, sie wohnt nicht darin. Ein halbstündiger Gang (es watet sich schwer im mahlenden Sande) hat uns endlich an eine tiefere Thalschlucht geführt, und die andre Seite derselben hinaufsteigend, treten wir ein in die Stille des Waldes. Das Wellen-Terrain bleibt dasselbe, aber der Boden ist anders geworden und die rothen Fichtenstämme steigen in schlanker Schönheit auf, während das Fehlen alles Unterholzes einen Blick weit waldeinwärts gestattet und den grünen Moos- teppich in überraschender Frische zeigt. Der Forst ist von großer Längenausdehnung, aber von wenig Tiefe; so sehen wir denn bald es lichter werden zwischen den Bäumen und fühlen jenen veränderten Luftzug, der den Ausgang des Waldes verräth. Eh’ wir ihn erreicht haben, hören wir ein leises Geräusch zu unsrer Linken, und einen hohen Brombeerbusch passirend, der eben noch unsren Blick in den Wald hinein begrenzte, gewahren wir einen Alten, der Reisig sammelt und die zerbrochenen Zweige auf seine Karre wirft. Neben ihm liegt ein alter Spaten am Boden, vielleicht um Wurzeln auszugraben, und an der obersten Karren- sprosse hängt ein Korb, drin er die gelben Pfefferlinge und die schönen fleischfarbigen Reizker sammelt, die ihm sein gutes Glück als Zugabe in den Weg führt. Der Alte selbst trägt Strohhut und Leinwandjacke, und sein Gesicht verräth nichts Auffälliges, als das Fehlen jeder Spur von Oberlippe, so daß mich die Frage beschleicht: wo blieb der Schnur- bart, wenn er jemals einen hatte? Inzwischen haben wir uns guten Tag geboten, und ich frag’ ihn, ob er aus Prenden sei? Jo, ick bin ut Pren’n. Ist es noch weit, Papa? Ne, jliks wenn Se ’rut komen; man sehen künn Se’t nich, et liegt deep in’ne Grunn. Ist ein Krug da? Jo, jliks vöran, wo Oll-Sparren sin Schlott stejen deiht. Ist noch was zu sehen vom Schloß? Veel nich. As ick int Dörp käm (ick bin nich bürtig von Pren’n), do stunn noch veel; aberscht nu nich mehr; ick hebb’ min’n Zickenstall von Oll-Sparren sin Schlott buu’t. Ist noch ein Denkmal in der Kirche? Nich dat ick weeten däh. Erzählen sich die Leute noch vom alten Sparr? Jo, de vertellen noch veel von em. Mine Fru is von Pren- nen, un de grote Steen dicht an unsern Tuun (so seggt se), det is Sparren sin Steen. Vördem stunn do en Linnenboom un un- ner den Boom leeg de grote Steen, un mine Fru seggt, in olle Tiden sinn ooch vöör iserne Krampen anwest un an jede Kramp’ wör ne iserne Kett un an jede Kett wör een von Oll-Sparr sine Sklaven. Aber nu is de Linn’ wech, un de Krampen sinn ooch wech; man bloß den groten Steen hebben se liggen laten — he möcht’ wol en beeten to swer sinn. Sonst nichts, Papa? Jo, se vertellen noch allerhann anner dumm Tüüch. Se dohn binah, as wenn Oll-Sparr de Düvel selber west wär. Se seggen, he föhr nich geren durch’n Sann, un wenn he sinen Mantel antrecken däht, denn war et mit eens, wie en Wind, und Kutsch un Peerd un allens jing dörch de Luft. Mal eens verlör de Kutscher sin Pietsch un woll sich bücken, aberscht Oll-Spaar heel em von hinnen fest un seggt’ bloß: „vergett nich, min Söhn, wo Du bist,“ un as de Kutscher den anneren Dag durch Biesenthal torügge föhr, do sach he, wie sin Pietsch an’n Biesenthalschen Kirchthurm hängen däht. Ick glöb et nich; — ick bin nich bürtig von Prennen. Ich glaub’ es auch nicht, aber man kann doch nicht wissen. Ne, weeten kann man et nich. De seggen ooch, Oll-Sparr spökt hier, hier in dissen Wald. Ick hebb’ ooch all so watt hürt hier, Pietschenknallen un Prusten und as ob een’ lachen däht, — ne, weeten kann man et nich. Adieu Papa, und seht Euch vor. Wovör? Vor’m alten Sparr. Er lachte und rief mir freundlich nach: Nee, nee; he kümmt nich an’n hellen lichten Dag. Es ist sehr interessant zu verfolgen, in welcher Weise und nach welchen Gesetzen das Volk sich seine Helden ausstaffirt. Es verfährt dabei lediglich nach einem dunkeln Drange, nach einem tief einwohnenden ro- mantischen Bedürfniß und ist gegen nichts gleichgültiger, als gegen den wirklichen historischen Sachverhalt. Der alte Sparr, wie meine Schilde- rung gezeigt haben wird, hat wenig oder nichts gemein mit dem Sparr, wie er in den Prenden’schen Spinnstuben lebt. Otto Christoph v. Sparr war in den letzten zehn Jahren seines Lebens ein frommer Kriegsheld; hätte seine Frömmigkeit sich bis zu einer frappirenden That (also etwa bis zum Stylitenthum, oder sonst einer Handlung äußerster Ascese) verstiegen, so würde diese eklatante That für das Sagenbedürfniß der Prendener den Stoff und die Anlehnung geboten haben; — da aber Sparr’s Frömmig- keit die Ascese vermied und keine Wunder that, so war sie für die Pren- dener so gut wie gar nicht vorhanden und sie befragten sein Leben nach Zügen, die mehr in die Augen sprangen. Da hörten sie von Türken- zügen, vom Niederschießen des Marienkirchthurms, von Kettenkugeln, von seinen sonstigen Wundern als Artillerie-General und — der Zauberer war fertig. Er hat nun, er mag wollen oder nicht, Faust’s Mantel und fährt über die Kirchthürme hin. Ganz dieselben Dinge wiederholen sich beim alten Derfflinger in Gusow — der eine läßt die Peitsche, der andre die Theerbutte am Kirchthurme des Nachbarortes zurück. Was den Stein mit den Krampen und Ketten und den vier Sklaven angeht, so ist er- sichtlich, daß das Standbild des großen Kurfürsten, mit den vier Gefesselten am Sockel, zu dieser wie zu ähnlichen Sagen Veranlassung gegeben hat. Es war, wie der Alte gesagt hatte, Prenden versteckte sich tief im Grunde, und als ich aus dem Walde trat, lag zunächst noch ein Plateau vor mir, dessen fruchtbarer Boden zu beiden Seiten beackert war. In ziemlicher Ferne drehte sich eine Mühle langsam im Winde; dort mußte es sein. Und dort war es wirklich. Kaum, daß ich die Mühle im Rücken hatte, so stand ich abermals an einem jener vielen Thal- einschnitte, die hier das Hügelland durchziehen, und sah über die Kronen der untenstehenden Bäume hinweg in Dorf Prenden hin- ein. Ich werde dieses Anblicks nicht leicht vergessen. Nach rechts hin dehnte sich ein stiller, graublauer See mit breitem Sandufer, die Ufer hüben und drüben mit ansteigendem Fichtenwald eingefaßt; nach links hin plätscherte ein Fließ durch Gartenland und bestellte Aecker, bis es sich in Wald und Wiese verlor; zwischen den beiden Landschaftsbildern aber, dem Lauf des Thales nicht folgend, son- dern die Längslinie desselben quer durchschneidend, lag, wie eine Haselruthe, die sich den Biegungen anschmiegt, Dorf Prenden selbst, an seinen zwei höchsten Punkten Schloß und Kirche tragend, das Schloß am Eingang, die Kirche am Ausgang des Dorfes. Die stillen Farben eines ersten Herbsttages lagen über dem Bilde und steigerten seinen Reiz. Ich passirte das Dorf in seiner ganzen Länge, um zuerst die Kirche nach ihren etwaigen Schätzen zu befragen. Ich erwartete nicht viel, aber ich fand noch weniger, als ich erwartet hatte. Konnte nicht Edell Sparr, die Mutter des Feldmarschalls, ein Grabmal in der Kirche, einen Denkstein auf dem Friedhof haben? Konnte nicht irgendwo in das alte Mauerwerk ein Stein, eine Tafel eingelassen sein, um wenigstens den Namen des berühmten Geschlechtes festzuhalten, das hier Jahrhunderte lang zu eigenem Ansehen und endlich (vor seinem Hinscheiden) zum Ruhme des Landes selbst gelebt? Die Erwartung war gerechtfertigt, aber so natürlich sie war, sie blieb unerfüllt. Ich habe selten einen freud- loseren Platz betreten. Malerisch hatte mich die Kirche von der andern Seite des Hügels aus gegrüßt; nun sah ich, daß sie eine bloße Landschafts-Coulisse gewesen war. Das Innere kahl, der Kirchhof verödet — kein Andenken da, als das eine, das sich der Feldmarschall selber gestiftet: zwei schöne Glocken, deren Inschriften unter einer Kruste von Schwalben-Guano meiner Entzifferungs- kunst spotteten. Nur „Fudit me Nicolaus Schmidichen 1657“ konnte ich lesen. Ich war enttäuscht, aber ich war nicht verstimmt, — ganz neue Bilder hatten zu mir gesprochen. Ich hatte Einblick in eine Kirche gethan, deren gesammter Kunst-Schmuck ein vernachlässigtes Stück Altar-Schnitzwerk und deren historische Glanzseite eine ein- zige Kriegsdenkmünze aus dem Jahre 1813 war. Kirche und Kirch- hof waren Musterstücke in ihrer Art. Ich schlenderte die Dorfgasse zurück und hatte die Oede, aus der ich kam, bald vergessen. Es ist ein poetisches Dorf, dies Pren- den, um so poetischer, als leise jenes Verfall- und Tod athmende Etwas über dem Ganzen liegt, das in Kirche und Kirchhof seinen unschönen Ausdruck gefunden hat. Der Verfall, wo er die Vor- stellung von Schuld und Vernachlässigung weckt, verletzt uns; aber der Verfall, in dem wir den Vollzug eines Naturgesetzes ahnen, beschleicht unser Herz mit unnennbarem Zauber. Es blühte nichts mehr in Prenden; ich sah nicht Aster, nicht Georgine, am wenigsten meine Lieblingsblume, die Malve; an hohen Stangen hingen die Saatbohnen für nächstes Jahr, und der eigentliche Baum des Dorfes war der Hollunderbaum, aus dessen dunklen Kronen überall die schwarzrothen Beerenbüschel in die Dorfgasse hineinhingen. Die Zäune schienen mehr in graue Flechten als in grünes Moos gekleidet und der Rauch stieg langsam und mühe- voll auf, als läge ein Druck auf den Dächern. So kam ich an den Krug, der genau an der Stelle liegt, wo die alte Einfahrt auf den Schloßhof war. Die Krügerin er- zählte mir Aehnliches wie der alte Reisigsammler im Walde, und fuhr dann fort, indem sie mich an die Küchenthür führte: Hier, so weit das Kohlfeld reicht, waren die Karpfenteiche, und weiter- hin, wo Sie den Türkischen Weizen sehen, fing der Obstgarten an. Dies alles hier war Hof. Mein Mann hat alles gekauft, Krug und Schloß und Garten und Feld mit allem, was auf und in der Erde ist. Auf meine Frage, „ob viel in der Erde sei,“ antwortete sie zustimmend, und ich erfuhr, daß nicht nur des alten Reisigsammlers Ziegenstall, als Zahlung für bei’m Sprengen und Ausgraben geleistete Dienste, sondern auch die Wirthschaftsgebäude des Krügers selber aus dem bequemen Steinbruch des alten Sparren-Schlosses gebaut seien. Ich trat nun in den Garten, um die noch vorhandenen Reste, die der Spreng- und Grabekunst der Prendener bisher gespottet haben, in Augenschein zu nehmen. An- fangs erschien mir Alles als eine unentwirrbare Masse, bald aber fand ich mich zurecht und konnte mit Hülfe der nach zwei Seiten hin völlig intact erhaltenen Fundamente, die Grundform des alten Schlosses leicht erkennen. Es scheint ein Gebäude von 50 Fuß Länge und halb so viel Tiefe gewesen zu sein, an das sich nach der Hofseite hin ein Thurm, wahrscheinlich der Treppenthurm, an- lehnte. Die schön gewölbten Keller sind theilweis noch im Gebrauch; bis vor Kurzem ließ sich das ganze Souterrain durchschreiten, und Küche und Waschküche (mit dem eingemauerten Kessel) waren un- verkennbar. Die Festigkeit dieser Fundamente ist ihr Schutz, sonst würden sie bald verschwunden sein, um als Stallgebäude wieder aufzuwachsen. Ein theilweiser Schutz mag ihnen auch das sein, daß sie hoch mit Erdreich überschüttet sind, so daß Birnbäume darauf wachsen und Hagebuttensträucher eine Art lebendiger Hecke bilden. Ich pflückte einen Zweig ab, an dem bereits die rothen Beeren hingen, steckte ihn an den Hut und trat meinen Rückmarsch an. Als ich wieder auf der Höhe des Hügels war und noch einmal in das verschleiert daliegende Dorf zurückblickte, das jetzt, wo eben die Sonne unterging, in wunderbaren Farben schwamm, klang von der andern Hügelseite her die Betglocke zu mir herüber. Es waren die alten Sparrschen Glocken, und es war mir, als riefen sie mir ihren Gruß nach und einen Dank für freundliches Gedenken. Als ich in den Forst trat, dunkelte es schon und die Fichten- kronen neigten sich tief im Abendwind. Ein Rauschen ging voll und wachsend durch den Wald. Ich zuckte zusammen, halb in Lächeln und halb in Bangen, und murmelte vor mich hin: „Sparr kümmt, — man kann et nich weeten.“ Gusow. Gusow liegt nicht mehr im Barnim, sondern einige Meilen östlich davon, im Lande Lebus. Da ich aber die beiden andern Feldherrn aus der Zeit des großen Kurfürsten: Sparr und Goertzke in diesem Bande besprochen habe, so sollte Derfflinger (auf Gusow) nicht fehlen. Vgl. Prenden, Schloß Beuthen und die Anmerkungen zu Schloß Beuthen. Die Stettiner hatten sich unterfangen, Eine Scheere ausgehangen Dem Feldmarschall nur zum Hohn, „Wart’, ich will euch auf der Stelle Nehmen Maaß mit meiner Elle, Kreuzmillionschockschwernoth.“ Lied vom Derfflinger. U nser Weg führt uns heute östlich, über das Plateau des Bar- nim hinweg, bis an den Südrand des Oderbruchs. Wir finden hier Land und Leute wesentlich verschieden von dem, was wir bis jetzt beschrieben haben; alles ist reicher, ursprünglicher, ungezähmter, das Leben hier pulst voller. Ob es ein stärkerer Beisatz von sla- vischem Blute ist, der hier eine Reihe abweichender Erscheinungen schafft, oder ob es einfach die größere Fruchtbarkeit des Bodens ist, die hier das Leben üppiger, saftvoller gestaltet — es sei dahin gestellt. Es scheint als ob die Civilisation hier jüngeren Datums sei und noch nicht Zeit gehabt habe, das kaum eingefangene Step- penpferd zu zügeln und zu zähmen. Das Oderbruch ist ein etwa zwei bis drei Meilen breiter und sieben Meilen langer Uferstreifen, der sich an der linken Seite der Oder zwischen Lebus und Oderberg entlang zieht, ein Marsch- land, eine Niederung, die nach Westen hin von einem Höhenzuge, nach Osten hin vom Flusse selber begrenzt wird. In alten Zeiten waren diese Niederungen Sumpf, ein Spiel- und Tummelplatz des Flusses, der sich auf ihnen, so oft ihn die Laune anwandelte, mit breitem Behagen erging. Vor etwa hundert Jahren aber zog die Hand des Menschen zwischen Fluß und Sumpf einen viele Meilen langen Damm hin und wandelte dadurch das wüste, erlen- bestandene Sumpfland in ein großes Fruchtland um, das heutige Oderbruch. Man unterscheidet ein Nieder-, Ober- und Mittelbruch, von denen das Niederbruch (zwischen Oderberg und Freienwalde) durch die Schönheit seiner Wiesen, das Mittelbruch aber durch die besondere Fruchtbarkeit seiner Aecker ausgezeichnet ist. Unser Besuch heut gilt weder dem einen noch dem andern, sondern dem südlichst gelegenen Theile des Bruchs, dem Oberbruch, von dessen Hügel- wand wir nach zwei Seiten hin das Bruch und das im Vorder- grunde gelegene Dorf Gusow überblicken. Doch ich greife unserer Reise vor. Eine Nachtfahrt hat uns an Rüdersdorf und Müncheberg vorbei bis in das Städtchen Selow geführt. Wir gönnen uns eine Stunde Rast und fahren nun, bei Morgensonne und Lerchen- jubel, der nach Norden hin gelegenen Niederung zu. Auf halbem Wege, wo das Plateau abzufallen beginnt und eine Pappelallee, von Gusow aus, ihre Vorposten hoch hinauf schickt, um uns in Empfang zu nehmen, halten wir, um uns an dem Landschafts- bilde zu erfreuen, das jetzt in prachtvoller, überraschender Schön- heit vor uns liegt. Der Gottessegen berührt hier das Herz mit einem ganz eigenthümlichen Zauber, mit einer fromm gestimmten Freude, wie sie die Patriarchen empfinden mochten, wenn sie in- mitten menschenleerer Gegenden den gottgeschenkten Segen ihres Hauses und den Reichthum ihrer Heerden zählten. Wo die Hand des Menschen in harter, nie rastender Arbeit der ärmlichen Scholle ein paar ärmliche Halme abgewinnt, da kann die Vorstellung in ihm Platz gewinnen, als sei er es, der diesen armen Segen ge- schaffen habe; wo aber die Erde hundertfältige Frucht treibt und aus jedem eingestreuten Korn einen Reichthum schafft, da fühlt sich das Menschenherz der Gnade Gottes direkt gegenüber und begiebt sich aller Selbstgenügsamkeit. Ein Blick von dieser Selower Höhe läßt uns in solchen Gottessegen schauen. Die ohnehin dicht gele- genen Dörfer rücken im endlosen Coulissenbilde näher und dichter zusammen und alles verschmilzt zu einer weitläuftig gebauten Riesen- stadt, zwischen deren einzelnen Quartieren die Fruchtfelder wie üppige Gärten blühen. Wer hier um die Pfingstzeit seines Weges kommt, wenn die Rapsfelder in Blüthe stehen und ihr Gold und ihren Duft über das Bruchland ausstreuen, der glaubt sich wie auf Zauberschlag in ferne Wunderländer versetzt, von denen er als Kind geträumt und gelesen. Unvergeßlich aber wird der Eindruck für den, den ein glückliches Ohngefähr an einem heiligen Pfingst- abend (wie es mir vor einer Reihe von Jahren vergönnt war) zum ersten Mal an diesen Höhenrand führt. Die Feuchte des Bruchs lag wie ein dünner Schleier über der Landschaft, alles war Frieden, Farbe, Duft, und der ferne, halb ersterbende Klang von dreißig Kirchthürmen vermählte sich in der Luft, als läute der Himmel selber die Pfingsten des nächsten Morgens ein. Die Pappelallee geleitet uns bergab und macht erst am Fuße des Hügels einem breiten Kastanienwege Platz, der uns bis an den Eingang des Dorfes führt. Gusow ist ein großes und reiches Dorf, das bis in die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts ein Besitzthum der Familie von Schapelow war. Um 1646 vermählte sich Georg Derfflinger , damals noch in schwedischen Diensten, mit einem Fräulein von Schapelow und brachte sich dadurch in den Besitz der betreffenden Familiengüter, zu denen außer Gusow noch das benachbarte, etwas weiter in’s Bruch hinein gelegene Platikow gehört. In einem viel gesungenen Liede heißt es, daß sich der alte Reitergeneral, auf eine Anfrage seines kurfürstlichen Herren, diese schönen Güter als Kriegs- und Siegeslohn erbeten habe; diese Angabe ist aber falsch; Gusow und Platikow fielen ihm als Frauenerbe zu. Platikow, um diese kurze Notiz unserem Besuche in Gusow voraus zu schicken, besaß bis ganz vor kurzem in der sogenannten „Theerbutte des alten Derfflinger“ eine Art von Sehenswürdig- keit, die mehr als manches Wichtigere, den Namen des berühmten Feldmarschalls im Volke lebendig erhielt. Mit dieser Theerbutte hat es folgende Bewandtniß. Auf der Spitze des Kirchthurms, wo sich sonst die Wetterfahne zu drehen pflegt, befand sich ein ziemlich räthselhaftes Ding von der Form eines großen Hutes, das allerdings einer Theerbutte nicht unähnlich sah. Es hieß (viel- leicht um die Verwegenheit des alten Reitergenerals, vielleicht auch nur, um die Niedrigkeit des Kirchthurms zu charakterisiren), des alten Derfflingers Pferde seien scheu geworden; er aber, um die Widerspenstigen zu strafen und zu zähmen, sei über den Kirchthurm weggefahren, bei welcher Gelegenheit die Theerbutte des Wagens an der Kirchthurmspitze hängen geblieben sei. So weit die Sage. Noch vor fünf Jahren existirte beides, der Thurm und die Butte oben auf. Jetzt aber haben sich die Platikower einen neuen Kirch- thurm bauen lassen und zur Aufbringung der Kosten ihren alten Thurmschmuck, der sich als ein kupferner Cylinder auswies, mit daran gegeben. Ein Kupferschmied in Selow hat alles an sich ge- bracht, und die historische Theerbutte für drei Thaler und fünfzehn Silbergroschen nach Pfund und Loth meistbietend erstanden. Das nennt man historischen Sinn. Gusow selbst, nach dem wir uns jetzt zurückwenden, war bei- nahe fünfzig Jahre lang (von 1646 — 1695) Georg Derfflinger- scher Besitz; aber der alte Reitergeneral pflegte nur besuchsweise auf seinem Gut zu residiren und bewohnte gemeiniglich das Ber- liner Palais, das ihm der Kurfürst geschenkt hatte, das jetzige d’Heureuse’sche Haus am Kölnischen Fischmarkt. Diesem Hause war es vorbehalten, am 18. März 1848 noch ein- mal eine historische Rolle zu spielen, freilich keine, die dem alten Derff- linger gefallen haben würde. Hier sowohl wie in dem gegenüberliegenden Kölnischen Rathhause hatten sich die Aufständischen verschanzt und wurden Erst von 1687 ab, wo der Herzog und Marschall von Schomberg zum Genera- lissimus in den Marken ernannt worden war, eine Ernennung, die einer Pensionirung Derfflingers ziemlich gleich kam, wurde Gusow die dauernde und ausschließliche Residenz des letzteren. Der Kurfürst hatte ihm diese Ernennung des Herzog-Marschalls eigen- händig angezeigt und in verbindlichster Weise geschrieben, „er werde sicher als einer seiner liebsten, ältesten und treuesten Diener diese seine gefaßte Resolution in Unterthänigkeit approbiren.“ Der alte, schwer gekränkte Herr aber konnte nicht umhin, in nicht zu mißverstehender Weise darauf zu erwiedern, „daß seine treu gelei- steten, unterthänigsten, langwierigen Dienste, wozu er auch den Rest seines Lebens gänzlich gewidmet habe , wohl hätten gnädigst considerirt werden mögen.“ Die Empfindlichkeiten nach die- ser Seite hin bleiben immer dieselben; dem alten Zieten war es, achtzig Jahre später, auch nicht recht, daß er den Erbfolgekrieg nicht mehr mitmachen sollte, und das bestgemeinte „schon’ er sich“ wird immer wie ein Stachel und eine Kränkung empfunden. Derfflinger war 81 Jahr alt, als er sich für den Rest seiner Tage nach Gusow zurückzog; er lebte noch acht Jahre daselbst in ungestörter Ruhe und starb endlich im neunzigsten Jahre seines bunten, vielbewegten Lebens. Die berühmtesten preußischen Reiter- generale sind alle alt geworden: Derfflinger 89, Zieten 87, Blü- cher 77; Seidlitz, scheinbar eine Ausnahme, war durch wüstes Leben an seinem frühen Tode Schuld. Derfflinger und Zieten haben sehr viel mit einander gemein: erst nach hartnäckigem Kampf überwunden. Die Vertheidiger des Rath- hauses wurden alle niedergemacht bis auf den Führer, den sein Muth und seine Geistesgegenwart rettete. Er trat dem Offizier mit offner Brust entgegen und wurde von diesem sofort niedergehauen; so kam er mit dem Leben davon, weil man Anstand nahm, einen Schwerverwundeten zu tödten. Im d’Heureuse’schen Hause selbst kommandirte der Blousenmann Sigrist (wenn ich nicht irre, ein Schlossergesell), dem die Ernennung des „Mr. Albert, ouvrier“ zum Minister der öffentlichen Arbeiten, zu Kopf gestiegen war. Er bewies viel Muth, taugte aber gar nichts und ver- schwand bald vom Schauplatz. 21 ihre Frömmigkeit, Es heißt, daß der alte Derfflinger, als er bei Tisch die Nachricht empfing, sein Sohn sei beim Sturme auf Ofen gefallen, ruhig ausgerufen habe: „Warum hat sich der Narr nicht besser in Acht genommen.“ Ist diese Anekdote echt, so beweist sie allerdings mehr Derbheit als Fröm- migkeit. Ehrlichkeit und Derbheit, ihre besondere Popu- larität, ihre bevorzugte, sehr markirte Stellung zu den zwei größten Hohenzollern und das Aussterben ihrer Familie in der nächsten Generation. Freiherr von Poellnitz sagt in seinen Memoiren vom alten Derfflinger: „Das elende Handwerk eines Hoffmanns war ihm fremd; Eigennutz und Prachtliebe haßte er gleich stark;“ und die mehr erwähnten Worte am Rheinsberger Obelisken, in die Prinz Heinrich die Charakteristik Zietens zusammenfaßte, lauten beinah im Gleichklang mit obigem: „Was ihn mehr auszeichnete als sein rascher Blick und sein hoher Muth, das waren seine Rechtschaffenheit und Uninteressirtheit ( désintéressement ) und seine Verachtung gegen alle diejenigen, die sich auf Kosten unter- drückter Völker bereicherten.“ Man erkennt leicht die völlige Ueber- einstimmung. Auch darin sind sie sich ähnlich, daß beide (wie übri- gens viele unserer preußischen Generale) gute Landwirthe, überhaupt gute Wirthe waren und etwas vor sich brachten. Wir fragen nun nach den Sehenswürdigkeiten Gusows. Be- merkenswerth sind das Schloß, der Park und die Kirche . Das Schloß, ein ziemlich einfaches Gebäude ohne Schönheit oder nennenswerthe Eigenthümlichkeit, besteht aus einem Corps de Logis, das noch von Derfflinger selbst herrühren soll, und aus zwei Vorderflügeln. Seine Lage am Rande des Parks ist sehr anmuthig. Ein breiter Graben umgiebt den Bau nach allen vier Seiten hin, so daß er wie auf einer künstlichen Insel liegt, zu der zwei Brücken führen. Die Hinterfront gewährt eine schöne Aussicht in die weiten Anlagen des Parks hinein. Das Innere des Schlosses bietet nichts von histo- rischem Interesse, vielleicht mit Ausnahme einiger Böller, die in der Halle stehen und aller Wahrscheinlichkeit nach der Derfflingerschen Zeit, oder der nächstfolgenden, angehören; wenigstens sind es Fal- konets von der Art, wie sie während der Schwedenzeit so vielfach in Gebrauch waren. Manches, was früher von interessantem alten Hausrath im Schlosse vorhanden war, hat inzwischen, als nicht länger salonfähig, das Feld räumen und im Dorfe ein Unter- kommen suchen müssen. So befindet sich im Hausflur des Gusower Gasthofes ein altes Bild, das ein Reitergefecht zwischen Schweden und Brandenburgern darstellt. Die Klinge eines märkischen Dra- goners fährt seinem Gegner durch die Brust, und so erbärmlich die Pinselei ist, so erweckt sie doch dadurch Interesse, daß sie höchst wahrscheinlich die Illustrirung eines Vorgangs aus dem Leben des alten Feldmarschalls ist. Der Park ist ungewöhulich groß und neben den schönsten Baumpartien auch reich an jenen gepflegten Rasenplätzen, die die Engländer „Lawn“ nennen. Der alte Derfflinger, dem Gusow, wie so vieles andere, auch diesen Park verdankt, war besonders darauf aus, südliche Bäume, Cedern und Cypressen, großzuziehen. Die Cedern, wohl zwanzig an der Zahl, bilden eine Gruppe, eine Parkpartie für sich, die den Namen „Libanon“ führt. Die Haupt- zierde aber ist eine mehr denn sechzig Fuß hohe Cypresse von drei Fuß Durchmesser, von der es heißt, daß sie der schönste derartige Baum in den Marken sei, ein Prachtstück, das König Friedrich Wilhelm IV. vergeblich bemüht war für Schloß Sanssouci zu erwerben. Nach meiner botanischen Kenntniß ist es übrigens keine Cypresse, sondern ein Taxodium. Die Kirche ist ein alter Bau aus wahrscheinlich vorlutheri- scher Zeit; dafür spricht das reliefartig in Holz geschnittene und übermalte Altarbild. Derfflinger aber erweiterte und renovirte die Kirche, und zwar, wie eine Inschrift hinter dem Altarbilde besagt, von 1666 bis 1670, nach dem Tode seiner zweiten Frau, „seiner seligen, hochadligen, herzliebsten Barbara, Rosina von Behren.“ Rechts und links vom Altar befinden sich Kirchenstühle mit den Wappen folgender Familien: v. Schapelow, v. Berfeld, v. Rilicher, v. Promnitzer, v. Stosch, v. Haubitz, v. Löben, v. Hacke, v. Re- dern, v. Schulenburg, v. Röbel, v. Winkstern. Die gewöhnliche 21* Kriegs- und Gedenktafel, die ebenfalls in der Nähe des Altars ihren Platz hat, zeigt, daß die Gusower 1813—1815 des alten Derfflingers würdig gefochten haben. Von 42, die auszogen, blie- ben 24, nur 18 kehrten heim. Die eigentlichen Sehenswürdigkeiten der Kirche sind das Grabmonument und das Grabgewölbe des alten Feldmar- schalls. Das Grabmonument, wenn ich nicht irre, in gewöhnlichem Kalkstein ausgeführt, befindet sich rechts vom Altar, ziemlich in der Mitte der Kirche. Es hat sehr gelitten und bedarf der Reno- virung. Einige Stücke sitzen so lose, daß die Kirchgänger, Ange- sichts einer immer drohenden Gefahr, die Plätze unter dem Monu- ment vermeiden. Zwei Standarten bilden eine Art Einfassung des Ganzen. Sie sind von schwerer, hellblauer Seide und führen, nach mühevoll vorgenommener Entzifferung, den Bannerspruch: „Agere fuit pati fortiora.“ Es heißt, es seien schwedische Fah- nen, doch ist das jedenfalls ein Irrthum. Die Metallspitze der einen Standarte zeigt deutlich ein F. III. (Friedrich III. ), was wohl kaum einen Zweifel darüber läßt, daß es brandenburgische Feldzeichen sind, wahrscheinlich Standarten von Derfflingers eigenen Regimentern. Zwei Kavallerieregimenter und ein Fußregiment führ- ten seinen Namen. Das Monument selbst besteht, wie alle derartigen Arbeiten, aus einem Steinsarkophag, über dem sich die Büste und unter dem sich das Wappen Derfflingers befindet. Die Büste ist, mit Rücksicht auf die Zeit und das schlechte Material, keine verächtliche Arbeit; ein ausdrucksvolles Gesicht, ziemlich mager, die einzelnen Theile eher klein als groß, eigenes, fast gekräuseltes Haar und ein kleiner, bürstenartiger Schnurrbart; der ganze Kopf den kleinen Kupferstichporträts des alten Helden, denen man mitunter in Bil- derkalendern begegnet, wenig ähnlich, aber lebhaft an den Gesichts- ausdruck unseres „alten Wrangel“ erinnernd, dessen Ahnherrn er bei Fehrbellin besiegte. Der Sarkophag ist ein schlichter, ausge- höhlter Steinkasten, in dem der zerbrochene Feldmarschallsstab des Alten liegt. Der Stab ist von Eichenholz, an beiden Enden mit starkem Goldblech und der Länge nach mit kleinen vergoldeten Nägeln beschlagen. An der Front des Sarkophags befindet sich folgende Inschrift: „Der Hochwohlgeborne Herr, Herr George, Reichsfreiherr von Derfflinger, Sr. Kurfürstlichen Durchlaucht zu Brandenburg Hochbestallter Geheimer-Kriegsrath, Statthalter des Herzogthums Hinterpommern und Fürstenthums Camin, General- Feldmarschall über dero Armee und Obergouverneur aller Festun- gen ꝛc. Herr auf Gusow, Platikow, Wulkow, Clessin, Hermers- dorf, Schildberg und der Quitteinischen Güter in Preußen ꝛc. ist auf diese Welt geboren Anno 1606 den 10. Marty (März) zu Neuhofen in Ober-Oestreich im Lande ob der Ens und auf seinem Gute Gusow selig im Herrn entschlafen Anno 1695 den 4. Fe- bruar. Sein Alter 89 Jahr weniger 1 Monat.“ Die vier letzten Zeilen dieser Inschrift widerlegen einzelne Irrthümer, denen man, vielleicht gestützt auf die Pöllnitzschen Memoiren, noch immer hie und da begegnet. Pöllnitz bezeichnet Böhmen als Derfflingers Heimath und giebt an, daß er in Berlin gestorben sei. Beide Angaben werden durch diese Grabschrift am ehesten berichtigt. Das Grabgewölbe Derfflingers befindet sich links vom Altar, unter den Sitzbänken eines Kirchenstuhls. Eine einfache Fallthür, wie sie in alten Häusern vom Wohnzimmer aus in den Keller zu führen pflegt, überdeckt hier das Gewölbe und Eisen- krampe und Vorlegeschloß thun das übrige. Der Schlüssel, wenn man um die Erlaubniß bittet, in das Gewölbe hinabsteigen zu dürfen, ist nie zu finden. Der Küster verweist auf die Kastellanin, die Kastellanin auf den Rendanten, der Rendant auf den Predi- ger und der Prediger wieder auf den Küster; so daß man, nach- dem man das halbe Dorf durchlaufen hat, sich schließlich überzeugt, daß der Schlüssel nicht gefunden werden soll . Das erste Gefühl ist ein Gefühl des Aergers und der Verstimmung; man glaubt, es werde einem ein gutes Recht vorenthalten, das Recht, an den Sarg eines Mannes treten zu dürfen, der dem Lande, unserer Geschichte und unserem eigenen Herzen angehört. Diese erste Ver- stimmung indeß mindert sich einigermaßen, sobald wir erfahren, welchen Unbilden die irdischen Ueberreste des alten Helden viele Jahre hindurch ausgesetzt gewesen sind. Der alte Feldmarschall, so erzählt man uns, war im vollen Staat beigesetzt worden. So schlief er ein volles Jahrhundert lang in seiner Gruft zu Gusow, ohne daß sich Freund oder Feind um ihn gekümmert hätte; erst als vor dreißig oder vierzig Jahren der Sinn für das Heimische in unserem Volk zu erwachen begann, fanden sich Reisende ein von nah und fern, die den alten Derfflinger sehen wollten. Mit der Zeit wurde es völlig Mode und Unterhaltungssache, neben dem schönen Gusower Park auch die Gruft des alten Feldmarschalls zu besuchen. Eine Mischung von Frivolität und Curiositätenkrämerei fing an ihr Spiel zu treiben, und ehe eine Dutzend Jahre um war, lag der alte Feldmarschall nackt, entkleidet in seinem halb er- brochenen Sarge, nur angethan mit zwei großen Reiterstiefeln, die man ihm wie zur Verhöhnung gelassen hatte. Eine zufällige Meldung davon gab an höchster Stelle Anstoß, und der Wunsch wurde ausgesprochen, den alten Feldmarschall ehrlich gebettet und vor profaner Neugier geborgen zu sehen. Solcher Wunsch war Befehl. Der offen stehende, zerbrochene und zernagte Holzkasten, der nur dem Oberkörper des alten Helden noch ein Ruhebett gegönnt hatte, wurde jetzt sammt dem Todten in einen schweren Eichensarg gesetzt und der Deckel ein für alle Mal geschlossen. — Die irdischen Ueber- reste des alten Feldmarschalls, die so viele Jahre lang eine Sehens- würdigkeit der Gusower Kirche waren, haben seitdem aufgehört eine solche zu sein; der Leib selbst ist fest verwahrt und nur an den geschlossenen Sarg des alten Helden kann überhaupt noch ein Besucher treten. Aber dieser Sarg und die Gruft, wo er steht, sollten wenigstens zugänglich sein. Kann man doch, in der Potsdamer Garnisonkirche, an die Särge unserer zwei größten Könige treten und wird jeder, der auf diesem engen Raume zwi- schen dem Zinnsarg Friedrichs des Großen und der schwarzen Marmortruhe Friedrich Wilhelms I. stand, dieses Augenblicks nicht leicht vergessen. Wir begreifen und wir billigen alles, was in der Gusower Kirche geschehen ist, um vor weiterer Profanirung zu schützen; aber wir können andererseits den Wunsch nicht unter- drücken, daß alle diejenigen, die nach dieser Kirche pilgern, um den Begräbnißplatz des alten Derfflinger zu sehen, nicht darauf ange- wiesen sein möchten, sich mit dem Anblick von Fallthür und Vor- legeschloß zu begnügen. Wenn man früher mehr zeigte, als nöthig war, so zeigt man jetzt zu wenig . Das Motiv ist in beiden Fällen dasselbe — Indifferenz. Früher äußerte sie sich darin, daß man jeden, der wollte, durch die Kellerthür hinabsteigen ließ, jetzt dadurch, daß man die Kellerthür ein für allemal ver- schlossen hält. Der Besucher an dieser Stelle hat ein Gefühl, daß nicht alles so ist, wie es sein sollte. Der alte Derfflinger müßte in Gusow deutlicher, leibhaftiger zu dem Reisenden sprechen, wenn nicht als Mumie (worauf wir Verzicht leisten), so doch in Erz oder Stein. Was da ist, genügt nicht. Die schöne, monumenten- reiche Kirche im benachbarten Friedensdorff (einem Besitzthum der alten Familie von der Marwitz ) zeigt am besten, wie man eine historische Vergangenheit zu conserviren hat. Ein Volk, dessen beste Kraft in seinem Patriotismus steckt, hat in gewissem Sinne ein Anrecht an seine großen Männer, und es ist Pflicht, eine Em- pfindung zu pflegen und zu nähren, an die der Ernst kommender Zeiten immer wieder sich wenden wird. Küstrin. Deine Mauern Haben Trauerns viel gesehn, Hohe Warte an der Warthe Mach’ vergessen was geschehn. A n der großen Heerstraße zwischen Ost und West, in der Mitte der Monarchie, liegt die alte Oderfestung Küstrin . Seine Ge- schichte, in Gutem und Bösem, zählt zu den interessantesten Städte- geschichten der Mark. Es sah viele Dinge geschehen. Seine Bela- gerungen, leider keine leuchtenden Edelsteine im Wappenschilde preußischer Ehre, sind berühmt geworden; vor allem aber ist der Name Küstrins mit der Jugendgeschichte Friedrichs II. für immer verwoben und dadurch überall ein bekannter Klang geworden, wo man den Namen des großen Königs nennt. Küstrin, die alte Hauptstadt der Neumark, liegt bereits 6 Meilen östlich vom Barnim und gehört also eigentlich nicht hierher, eben so wenig wie das im Lande Lebus gelegene Gusow. Wie ich aber Gusow in die- sen Band mit herübergenommen habe, um die drei Paladine des großen Kurfürsten: Sparr, Derfflinger und Goertzke bei einander zu haben, so geb’ ich auch, aus einem sehr ähnlichen Grunde, „Küstrin“ und zwar um die Epoche von 1730—40 in einer gewissen Vollständigkeit (versteht sich, nur nach der Seite des Lokalen hin) bieten zu können. Vgl. Ruppin, Rheinsberg, Schloß Coepenick und die Anmerkungen zu Schloß Coepenick. Die Glanzzeit Küstrins indeß gehört einer früheren Epoche an. Als der sterbende Kurfürst Joachim Nestor seinen Sohn zu sich berief und ihn schwören ließ: „der alten Lehre treu zu blei- ben“, als die Schmalkaldischen zum Heereszug gegen den Kaiser sich rüsteten und später noch, als Kurfürst Moritz gegen den Sieg bei Mühlberg den Zug gegen Insbruck in die Wage warf, da- mals, in den Tagen des Markgrafen Johann , blühte Küstrin. „Markgraf Hans“, der jüngere Sohn Joachim Nestors, war nach dem Tode des Vaters (der ältere Bruder erhielt die Kur) mit der Neumark, d. h. mit dem Lande jenseits der Oder belehnt worden. Er residirte in Küstrin, der neumärkischen Hauptstadt, baute ein Schloß und schuf einen Glanz um sich her, den die Stadt weder vorher gekannt hatte, noch nachher wieder erreichte. Auch die Befestigungen sind sein Werk. Es ist wahrscheinlich, daß die Arbeiten um 1535 begannen und daß der italienische Bau- meister Giromella, dem auch die erste Befestigung Spandaus zuge- schrieben wird, daran das Beste that. Markgraf Hans war treu, tapfer und gut lutherisch. So lang es sein konnte, stand er zum Kaiser. Vom schmalkaldischen Bunde hielt er sich fern und trug auf seiner Fahne den Spruch: „Gebet dem Kaiser was des Kai- sers ist, und Gott was Gottes ist.“ Als er aber 1548 das pro- testanten-feindliche Augsburgische Interim, das der Kaiser zum Reichsgesetz erheben wollte, unterzeichnen sollte, gewann sein luthe- risch Herz die Oberhand, und mit den Worten: „Nimmermehr werd’ ich dieß giftige Gemengsel annehmen; lieber Blut als Tinte !“ warf er die Feder fort. Der Kaiser sah ihn zornig an und gebot ihm, die Versammlung zu verlassen. Er ging nach Küstrin zurück und schrieb an seine Stubenthür folgende Worte: Wiltu Gott dienen alle Zeit, Schick dich zu Kreuz und Traurigkeit, In Anfechtung halt fest, dich drück’, Hab’ guten Muth, weich’ nicht zurück, In steter Hoffnung leb’ und trag’, Was dir auf Erden begegnen mag; Bei Gott halt’ an mit Gebet und Gnad’, Der gibt dir Trost, Stärk’, Hülf’ und Rath; Denn gleich wie’s Gold durch’s Feuer probirt, Also auch Gott sein Volk regiert, Drum thu dich demselben ergeben, Er hilft stets auf zum ewigen Leben! Küstrin verdankt ihm seine ganze Bedeutung; Festung, Schloß, alles stammt aus seiner Zeit. Auch für Kanonen sorgte er, die ein Rebhuhn als Zeichen und darunter die Inschrift führten: Das Rebhuhn mit seinem Schnabel pickt, Daß mancher drob zu Tod erschrickt. Von diesen Kanonen existiren noch einige im Berliner Zeughaus. Markgraf Hans konnte das alles schaffen, denn er war sehr reich. In einer alten Soldinischen Chronik befinden sich folgende An- gaben: „Der Durchlauchtigste Fürst Herr Johannes Markgraf zu Brandenburg hat bei seinem Absterben 1571 an baarem Gelde vierundzwanzig Wispel alte Düttchens hinterlassen. Jedes Düttchen hat jener und dieser Zeit gegolten zwei gute Reichsgro- schen und drei Pfennige; eine Metze gestrichen Geld alte Düttchen macht demnach 528 Thaler, macht ein Scheffel 8448 und ein Wispel 202,752 Thaler. Summa der ganzen Hinterlassenschaft (24 Wispel) 4,866,048 Thaler. Dieß war die Glanzzeit Küstrins. Die Neumark fiel an die Kur zurück; von da ab ging es rück- wärts. Der dreißigjährige Krieg kam, dann der siebenjährige, der das alte Küstrin vernichtete. Am 15. August 1758 rückten die Russen vor die Stadt. Man ließ ihnen Zeit, ihre Batterien in unmittelbarer Nähe aufzu- fahren, und innerhalb zwei Stunden war alles ein Aschenhaufen. Verrath und Feigheit waren nicht mit im Spiel, aber Ungeschick und Unschlüssigkeit hatten viel verschuldet. Oberst Schack von Wuthenow wollte seine gemachten Fehler gegen den König ent- schuldigen. „Schweig’ Er!“ antwortete dieser; „ ich bin schuld; warum hab’ ich ihn zum Commandanten gemacht?“ Das Jahr 1758 hatte die Stadt Küstrin vernichtet, aber der Festung Küstrin war ihre militärische Ehre geblieben, sie war nicht übergeben worden. Fünfzig Jahre später sollte auch diese verloren gehen. Oberst von Ingersleben hatte am 24. Oktober 1806 dem König versichert: „ die Festung halten zu wollen, bis ihm das Schnupftuch in der Tasche brenne ;“ am 31. Oktober übergab er die fast uneinnehmbare Festung (Napoleon nannte sie une forteresse formidable ) an 250 Franzosen. Frau von Ingersleben, eine geborne von Massow, spie vor ihrem Gemahl aus und trennte sich auf immer von ihm. Nach einer andern Lesart warf sie ihm, als er, bei den Vorbereitungen zur Flucht, von ihr ein Sitzkissen forderte, statt des Kissens eine Schlaf- mütze hin. Ingersleben selbst, als er in französische Dienste treten wollte, erhielt den Bescheid: „der Kaiser könne keinen Soldaten brauchen, der seinen Kriegsherrn verrathen habe.“ Der beklagens- werthe Mann starb erst viele Jahre später, elend und vergessen, auf einem Dorf in der Nähe von Wittenberg. Das Ende fast aller der Generale und Commandirenden, denen, gleichviel mit Recht oder Unrecht, die Schuld für die Katastrophe von 1806 beigemessen wird, war ein sehr trauriges. Massenbachs Schicksal ist bekannt; Fürst Hohenlohe, der, bei Jena geschlagen, bei Prenzlau die un- selige Capitulation geschlossen hatte, verbrachte seine letzten Lebensjahre in völliger Einsamkeit (in Oberschlesien). Als Generallieutenant von Pirch, der früher Adjutant des Fürsten gewesen war, ihn nach Beendigung der Kriege von 1813 bis 1815 besuchte, fand er ihn in einem alten Ueber- rocke. Pirch blieb zu Tisch und der Fürst entschuldigte sich, daß er seinem Gaste nichts als eine Wassersuppe vorsetzen könne. Er war völlig mittel- los, glücklicherweise auch bedürfnißlos. Uebrigens war er ein tapferer und hochherziger Mann, der neben den „Ingerslebens“ jener Epoche kaum ge- nannt, sicherlich nicht mit ihnen verwechselt werden darf. Die denkwürdigste, die am meisten historisch gewordene Zeit Küstrins ist unbestritten das Jahr 1730 bis 1731, die Zeit des Kronprinzen Fritz. Ehe wir zu einer Besprechung derselben über- gehen, ist es nöthig noch einmal auf den 15. August 1758 zurück- zukommen. Das Bombardement durch die Russen nämlich und die Einäscherung der Stadt in Folge desselben, ist Schuld daran, daß sich die Geschichtschreibung über verschiedene Dinge, die in naher und nächster Beziehung zu dem Aufenthalte des Kronprinzen stehen, namentlich also über die Lokalitäten, die er Anfangs bewohnte, durchaus nicht mit der Klarheit und Sicherheit verbreiten kann, die wünschenswerth wäre und die man bei einem so viel durch- forschten Gegenstande, der wenig über hundert Jahre zurückliegt, fast erwarten sollte. Vom alten Küstrin überlebten mit Ausnahme des Schlosses, dessen dicke Außenwände stehen blieben, nur drei Gebäude das Bombardement: ein Thorthurm, die Hauptwache und die Garni- sonskirche . Die beiden ersteren sind seitdem verschwunden; die letztere existirt noch und befindet sich bis diesen Tag im Stadtsiegel Küstrins, von fliegenden Bomben überschüttet, aber zugleich von der Sonne beschienen, mit der Umschrift: ex ruinis den 15. August 1758. Dieser alten Garnisonskirche gilt zunächst unser Besuch. Sie dient jetzt als Magazin, als „Schirrhaus,“ wie die Küstriner sagen, und ist auf Bastion Philipp gelegen, von wo aus man das Oder- und Warthebruch in ihrer üppigen Fruchtbarkeit über- blickt. Mit Ausnahme einer Schwellentreppe, die aus alten Grab- steinen mühelos zusammengesetzt ist, zeigt sich nicht das Geringste, das Veranlassung geben könnte, diesen ärmlichen Bau für ein Gotteshaus zn halten. Vier Wände, ein Dach und ein Dutzend kleine, vergitterte Fenster — jedes Privathaus ist ein Prachtbau dagegen. Diese ärmliche Kirche gab nichtsdestoweniger zu einem Prozesse Veranlassung, der über hundert Jahre schwebte und einem als ein „Viel Lärm um Nichts“ erscheinen könnte, wenn es in Fragen des Rechts etwas Kleines und Geringfügiges gäbe. Küstrin focht in diesem Streit mit der Ausdauer eines John Hampden und blieb schließlich Sieger. Der Streit, der kaum umhin kann, zu allerhand Betrachtungen über Sonst und Jetzt zu führen, war in aller Kürze der. Die Küstriner Bürger hatten sich in alter Zeit auf dem Wallgang eine Kirche gebaut. Die Kirche war unbestritten ihr Eigenthum. Zur Zeit des großen Kurfürsten suchte der Kom- mandant bei der Stadtbehörde nach, seine Soldaten zum Gottes- dienst in die Wallgangskirche schicken zu können; wurde gewährt. Etwa vierzig Jahre später, zur Zeit des „Soldatenkönigs,“ zeigte das Festungskommando dem Magistrate an, daß die Kirche Gar- nisonskirche sei und daß die Küstriner Bürgerschaft nicht länger Verfügung über dieselbe haben könne. Allgemeine Auflehnung. Der Kommandant droht mit Gewalt, so bleibt nichts anderes übrig, als eine Klage beim König. Vergeblich; der König fragt an bei der Kommandantur, erhält Bescheid und entscheidet den Streit durch folgende Kabinetsordre: „Mein lieber Oberst von Reichmann, was Ihr mir wegen des Zustandes der dortigen Gar- nisonskirche, als worüber der Magistrat sich eine Jurisdiction an- maßen will, berichtet, solches habe ich mit mehrerem aus Eurem Schreiben vom 17. d. ersehen; und habt Ihr solches in’s Künf- tige dem Magistrat auf keine Weise zu verstatten, sondern es soll solche Kirche von dem Gouvernement dependiren. Ihr habt also Eure Gerechtsame zu mainteniren. Ich werde Euch dabei auf alle Weise zu souteniren wissen. Ich bin Ew. wohlaffektionirter König Friedrich Wilhelm.“ Der Kommandant, begreiflicher Weise ermu- thigt durch diese Ordre, begann jetzt ein städtisches Thor- und Brückengeld zu erheben, um einen Prediger und Cantor für seine eroberte Soldatenkirche besolden zu können. So mußten die Küstri- ner noch für das bezahlen, was man ihnen genommen hatte. Mit einem Muth, der in der Zeit des absoluten „Nicht raisonniren!“ aller Achtung werth war, protestirte die Bürgerschaft gegen alle Uebergriffe und bezeichnete die Kabinetsordre als einen baren Ge- waltstreich. Zur Zeit Friedrichs des Großen wurde der Streit wie- der aufgenommen, aber, wie sich denken läßt, mit demselben Erfolg; eben so unter seinem Nachfolger. Erst Friedrich Wilhelm III. , mit jenem unverbrüchlichen Rechtssinn, der für Soldat und Bürger die Gesetze gleicher Billigkeit anerkannte, befahl eine Revision des Prozesses und verhalf der Stadt zu ihrem Recht. Nachdem die Rechtsfrage erledigt war, kamen die streitenden Parteien leicht zu einer Versöhnung. Die Stadt trat die Kirche ab und empfängt dafür, bis diesen Tag, einen jährlichen Zins. Seit der Franzosenzeit hat kein Gottesdienst mehr in dieser Kirche stattgefunden, und man könnte sich versucht halten, diese vier grauen Mauern für einen Bau anzusehen, der von Uranfang an eine Remise war und weiter nichts, wenn man nicht in jüng- ster Zeit unterhalb der Kirche ein weites Gewölbe mit verschiednen Särgen entdeckt hätte. Der am besten erhaltene dieser Särge, mit einem Kupfereinsatz, trug die Aufschrift: „Hildebrand von Kracht, Oberst und Kommandant von Küstrin.“ Man öffnete den Sarg und fand einen echten Kracht . Die Krachte sagen nämlich von jedem Familienmitglied, das unter sechs Fuß lang ist: „Der ist aus der Art geschlagen.“ Dieser maß drei Zoll darüber. Um diese alte Kirche her befand sich ein Kirchhof. Auf die- sem Kirchhof wurde Katt beerdigt . Erst auf die Bitten sei- nes Vaters, des Generallieutenants von Katt, wurde der Sarg wieder ausgegraben und nach Wust bei Jerichow (im Altmär- kischen, dicht an der Havelländischen Grenze) in das Erbbegräbniß der Familie gebracht. Dort steht der Sarg noch; das Skelett ist wohlerhalten. Der Name Katts führt uns wieder auf die Fridericianische Zeit, auf das Jahr 1730. Die oft erzählten Ereignisse wiederhole ich nicht. Am 5. September war Kronprinz Friedrich unter Escorte in Küstrin eingetroffen, am Morgen des 6. Novembers fiel Katts Haupt. Jeder, der nach Küstrin kommt, wird den Wunsch haben, die betreffende Lokalität kennen zu lernen. Ich theile hier mit, was ich davon gesehen und großentheils durch die Güte des Herrn Kommandanten selbst, habe in Erfahrung bringen können. Nach der Oderseite hinaus, hart am Ufer des Flusses, liegt Bastion Brandenburg . Auf der Höhe dieser Bastion erhebt sich das alte markgräfliche Schloß, das unter den ersten Königen vom Kommandanten bewohnt wurde, jetzt aber als Kaserne (Schloß- kaserne) dient. Es bildet ein Viereck und war früher von mehreren Thürmen flankirt. Von diesen Thürmen existiren nur noch zwei: ein niedriger Rundthurm an der Westecke und ein hoher acht- eckiger Thurm an der Ostseite. Es steht fest, daß Kronprinz Fried- rich in diesem ehemaligen Schlosse gefangen saß und daß Lieute- nant Katt auf dem Wallgang der Bastion in Front des Schlosses enthauptet wurde. Einige Historiker sprechen zwar von einem „Hof,“ auf dem die Hinrichtung erfolgt sein soll, diese Angabe indeß scheint auf einem Irrthum zu beruhen. Katts Haupt fiel auf dem Wallgang; aber an welcher Stelle fiel es und von welchem Fenster aus war „der entlaufene Obristlieutenant Fritz“ gezwun- gen, dem furchtbaren Schauspiele zuzusehen? Ueber den ersten Punkt, also über die Stelle, wo die Hinrichtung stattfand, scheinen sich die gegnerischen Parteien neuerdings geeinigt zu haben, nicht so über das Fenster, an welchem der Kronprinz stand. Die in Frage kommende Lokalität ist folgende. Die Ostecke des Schlosses hat einen zwei Fenster breiten Anbau, aber so, daß dieses angebaute Stück um etwa sechs Schritt zurück liegt und dadurch einen kleinen hakenförmigen Platz schafft, der nach vorn hin offen ist, nach hinten zu aber von der Giebelseite des Haupt- gebäudes und der Frontseite des Anbaus geschlossen wird. Auf diesem Platze erfolgte, wie man jetzt allgemein annimmt, die Hin- richtung, und zwar zehn Schritt von den zwei Frontfenstern des Anbaus, und etwa achtzehn Schritt von dem Seitenfenster des Schlosses entfernt. An dieser Hinrichtungsstelle befindet sich jetzt eine Art Gartenhaus, das aus einem runden, thurmartigen, mas- siven Unterbau und aus einem viel späteren Fachwerkaufsatz be- steht. Der Unterbau (etwa zehn Fuß hoch bei zwanzig Fuß Durch- messer) macht entschieden den Eindruck eines alten Mauerwerks, wodurch die Hypothese an Wahrscheinlichkeit gewinnt, daß die Plattform dieses hohen Fundaments schon vor 1730 als allge- meine Exekutionsstätte gedient habe. Gleichviel indeß, ob Katt auf diesem permanenten Schaffott (wenn es ein solches war) oder aber auf einem eigens an dieser Stelle errichteten „schwarzen Gerüst“ vom Leben zum Tode gebracht wurde, jedenfalls bekundet es einen eigenthümlichen Geschmack, daß diese Hinrichtungsstätte, wie gesche- hen, zum Ausbau eines Gartenhäuschens mit Wohn- und Schlaf- zimmer gewählt werden konnte. Die Aussicht ist entzückend und die Blumen an den Fenstern nehmen sich freundlich genug aus; an jedem 6. November aber und auch sonst wohl, wenn der Sturm über „Bastion Brandenburg“ hinpfeift, muß man das „Gruseln“ an dieser Stelle trefflich lernen können, an einer Stelle, die zwischen Schaffot und Pavillon nur mühsam die Mitte hält. „Blut ist ein ganz besonderer Saft.“ Die Sache wird nicht we- sentlich anders dadurch, daß man den alten Unterbau selbst zu einem Kartoffelkeller eingerichtet hat. Ueber die Hinrichtungsstätte ist man einig, nicht so über das Fenster, von dem aus der Kronprinz Zeuge jenes blutigen Vor- gangs war. Der Streit wird auch schwerlich noch geschlichtet wer- den und Besucher von Bastion Brandenburg haben deßhalb die Verpflichtung, zwei Lokalitäten statt Einer in Augenschein zu neh- men. Das scheint unzweifelhaft, daß nur von den drei vorhandenen Parterref enstern die Rede sein kann, da aus allen Schilderungen mit großer Gewißheit hervorgeht, daß der Kronprinz den furcht- baren Hergang unmittelbar und zwar in gerader Linie vor Augen hatte. Hätte er von den Zimmern des ersten Stocks aus (wie auch gelegentlich versichert worden ist) der Hinrichtung beige- wohnt, so würde er, bei der Enge des Raums, gezwungen gewesen sein — man verzeihe den Ausdruck — wie in einen Topf hinein- zublicken. Daß diese Ansicht überhaupt ausgesprochen werden konnte, hat wohl darin seinen Grund, daß das Schloß ein bewohntes Souterrain besitzt und die Parterrefenster ziemlich hoch liegen. Das jetzt zugemauerte Giebelfenster (achtzehn Schritt vom Schaffot) gehört einer weiß getünchten Kammer an, wo die Töch- ter des Kasinowirths ihre Garderobe aufbewahren. In langer Reihe und musterhafter Ordnung hängen die gestärkten Kleider an der Wand entlang, ausgerüstet mit einer Miene unendlicher Friedlich- keit und in nichts an die Worte erinnernd: » Pardonnez, mon cher Katte ! Wollte Gott, ich könnte an Ihrer Stelle sein!“ Nur eine Minorität von Stimmen hat sich übrigens für dieses Zimmer und das zugemauerte Fenster entschieden. Die beiden andern Fenster (im Anbau) gehörten bis vor kurzem den beiden Kasernenstuben Nr. 21 und 22 zu. Als der alte Wrangel vor einigen Jahren in Küstrin war und die Garni- son inspicirte, wurden ihm auch jene beiden Zimmer gezeigt. Er äußerte die Ansicht, daß es sich geziemen dürfte, diesen historischen Zimmern eine andere Bestimmung zu geben und sie nicht länger als bloße Kasernenstuben zu benutzen. Diese Ansicht kam lang ge- hegten Wünschen entgegen. Aus den zwei Zimmern ist inzwischen eines geworden, ein hübsch ausgeschmückter Casinosaal, in dem die Offiziere der Garnison zu Mittag speisen und an Balltagen ihre Damen zum Walzer führen. An den beiden Fenstern hin, an deren einem aller Wahrscheinlichkeit nach der Kronprinz stand, läuft jetzt eine Art Estrade, auf der die Musici zum Tanze spielen. Die grauen Nebel jenes finstern Novembermorgens sind längst verflogen. Der Lebende hat Recht. Nichts mehr erinnert an die Friedericia- nische Zeit, mit Ausnahme eines hochlehnigen Lederstuhls, auf dem der Kronprinz bald nach seiner Befreiung saß und arbeitete, wenn er als jüngster Kriegsrath den Sitzungen des Regierungscollegiums beiwohnte. Die Russen nahmen 1758 diesen Stuhl mit nach Pe- tersburg, fünfzig Jahre später kam er nach Frankfurt a. O. zu- rück, von wo aus ihn die Küstriner sich als Geschenk erbaten und erhielten. Dieser Stuhl ist nicht zu verwechseln mit dem Friedrichsstuhl, der in der nah gelegenen Zorndorfer Mühle steht. Friedrich schlief auf ihm in der Nacht vor der Zorndorfer Schlacht. Dieser Stuhl indessen genügt nicht. Auge und Herz verlangen mehr. Ein historisches Bild gehört an die Hauptwand des Saals, den beiden Fenstern gegenüber. Nimmt man Anstand, eine Scene aus der Katt’schen Tragödie selbst als Vorwurf zu wählen, so wähle man irgend einen andern Moment aus dem momentreichen Leben des großen Königs. Uebrigens wäre ein Bild- niß Katts (auch wohl vom Standpunkt militärischer Gewissenhaf- tigkeit aus) nicht eben verwerflich. Diese Vorgänge sind ja längst Geschichte geworden und können auf bedenkliche Sympathien oder Desertionsverherrlichung nicht länger gedeutet werden. Für den 22 Fall, daß dieser Vorschlag Anklang findet, stehe hier die Notiz, daß sich im Charlottenburger Schloß, über der Thür, die aus dem Arbeitszimmer des verstorbnen Königs in sein Schlafzimmer führt, ein gutes Porträt Katts befindet, und zwar in der Uniform des damaligen Regiments Gensdarmes. Im Februar 1732 verließ Kronprinz Friedrich Küstrin. Er sah es erst am 22. August 1758 wieder, drei Tage vor der Zorn- dorfer Schlacht. Die Stadt lag in Trümmern. Der Gedanke mochte in ihm aufsteigen: dies ist nicht der Ort deiner Freuden. Wenn er zur Besichtigung der Truppen kam, wohnte er in der „kurzen Vorstadt;“ die Stadt selbst betrat er nie wieder. Die Gestalt seines Freundes stand am Thor und wehrte ihn ab. Der Teltow. Schloß Coepenick. „Wo liegt Schloß Coepenick?“ An der Spree; Wasser und Wald in Fern’ und Näh’, Die Müggelberge, der Müggelsee. S chloß Coepenick ist eines der vielen hohenzollerschen Schlösser, die sich unter den mannigfachsten Namen, deutschen wie französi- schen, im Spree- und Havellande vorfinden und von deren Noch- vorhandensein die wenigsten unter uns eine Kenntniß haben. Wir ent- sinnen uns in der Regel, von diesem und jenem Schloß in diesem oder jenem Geschichtsbuch gelesen zu haben, aber die unklare Vorstellung, die halbe Erwartung pflegt sich daran zu knüpfen, daß diese Schlösser mit verschwunden seien, als die Personen vom Schauplatz abtraten, die ihnen zuerst ein historisches Leben liehen. Die Anstrengungen unserer Phantasie, wenn wir von Königlichen Schlössern sprechen hören, gehen gemeinhin nicht viel über die Bilder von Sanssouci und Charlottenburg hinaus und einem glücklichen Zufall bleibt es vorbehalten, uns durch Augenschein oder Erzählung zu belehren, daß auch Schwedt, Küstrin und Rheinsberg, Wusterhausen und Oranienburg, noch ihre wirklichen Schlösser haben. Zu diesen seitab gelegenen und verschollenen Residenzen, die ihre Existenz immer neu beweisen müssen, gehört auch Schloß Coepenick . Schloß Coepenick liegt an der Einmündung der wendischen Spree (auch Dahme genannt) in die eigentliche Spree. Lange bevor sich hier eine Stadt erhob (das jetzige Coepenick) stand hier bereits eine Burg und beherrschte das Land. Die natürliche Sicherheit, die ein Netz von Seen und Flußarmen der großen Waldinsel giebt, an deren äußerster Westecke Schloß Coepenick ge- legen ist, mußte in ältesten Zeiten schon dahin führen, eine „Burg“ hier zu errichten, eine weit hinaus lugende Veste zur Vertheidi- gung der Spree-Territorien, des „Gau’s Spriavana.“ Die Lage von Stadt und Schloß ist der des weiter flußabwärts gelegenen Spandau in vielen Stücken so verwandt, daß man sich fast wun- dern muß, die von der Natur gebotene Gelegenheit zur Anlage einer Spree-Festung, auch in der rechten Flanke der Hauptstadt, so gar nicht benutzt zu sehen. Keine Festung, aber drei verschiedene Schlösser haben sich im Lauf der Jahrhunderte auf der Sumpf- und Wald-Insel erhoben, die von der wendischen und der eigentlichen Spree an dieser Stelle gebildet wird und haben dadurch drei bestimmte Perioden in der Geschichte Schloß Coepenicks vorgezeichnet. Wir unterscheiden ein altes Schloß Coepenick bis 1550; ein mittle- res Schloß Coepenick bis 1677, und ein neues Schloß Coepenick von 1677 bis auf diesen Tag. Von den beiden ältren Schlössern werden wir in aller Kürze, vom neuen Schloß aber ausführlicher zu sprechen haben. Das alte Schloß Coepenick stand schon, als die erobernden Deutschen ins Land kamen. Jatzko oder Jasso , der letzte Wen- denfürst, an dessen Bekehrung die schöne Schildhornsage anknüpft, residirte daselbst. Nach seiner Unterwerfung wurde die alte Wen- denveste eine markgräfliche Burg und endlich ein kurfürstliches Schloß. Ob askanische Markgrafen und hohenzollernsche Kurfürsten einfach in das alte Steinnest einzogen, das Jatzko ihnen leer gelassen hatte, oder ob die Jahrhunderte siegreich vordringenden Deutschthum’s aus der alten heidnischen Veste einen gothischen Schloßbau schufen, muß dahin gestellt bleiben; wir wissen es nicht. Unsere Archive geben uns Aufschluß über die Besitzverhältnisse des alten Schlosses; aber nicht Bild, nicht Beschreibung sind auf uns gekommen, die uns veranschaulichen könnten, wie Schloß Coepe- nick war. Es muß uns genügen, daß es war. Auch seine Ge- schichte verschwimmt in blassen und characterlosen Zügen, und alles, was mit bestimmtem Gepräge an uns herantritt, ist das eine, daß es an dieser Stelle, im alten Schlosse zu Coepenick war, wo ein Otterstedt an die Thür seines kurfürstlichen Herren die Worte schreiben konnte: Jochimken, Jochimken höde Dy, Wo wi di krigen do hängen wi Dy. Das alte Schloß Coepenick stand bis 1550; da trat ein neuer Bau an die Stelle des alten. Kurfürst Joachim II. , ein leidenschaftlicher Jäger, dessen Waidmannslust ihn oft in die dich- ten Forsten um Coepenick herum führte und dem das alte Schloß zu eng verwachsen sein mochte mit dem Otterstedt ’schen Reim- spruch, ließ den alten Bau niederreißen und ein Jagdschloß an Stelle desselben aufführen. Dies Jagdschloß Joachim’s II. , das mittlere Schloß Coepenick, wie wir es Eingangs genannt haben, stand wenig über 100 Jahre, aber seine Geschichte tritt schon in bestimmteren Um- rissen an uns heran und die Merian’sche Topographie, dies inter- essante und verdienstvolle Werk, dem wir, neben so vielem andern, auch eine bildliche Darstellung des alten Berlin verdanken, hat uns unter seinen zahlreichen Blättern auch ein Bild des damaligen Jagd- schlosses zu Coepenick (wie sich dasselbe im Jahre 1640 präsentirte) aufbewahrt. Nach diesem Bilde stellte das Ganze ein regelmäßiges Viereck dar, das zur Hälfte aus zwei rechtwinklig auf einander stoßenden Flügeln, zur andern Hälfte aus zwei niedrigen, aber das Viereck abschließenden Mauern bestand; der ganze Bau von fünf Thürmen überragt, vier an den Außene cken, der fünfte innerhalb des Schloßhofs, in dem von den beiden Flügeln gebil- deten rechten Winkel. Joachim II. weilte gern in Schloß Coepenick. Sein Hof- und Jagdgesinde war dann um ihn her, auch die Söhne wohl, die ihm Anna Sydow „die schöne Gießerin“, geboren hatte. In früheren Jahren hatte die schöne Gießerin selbst bei diesen Lustbar- keiten nicht gefehlt, bis ein an und für sich geringfügiger Vorfall einen tiefen Eindruck auf des Kurfürsten Herz machte. Die Bauern sahen, bei einer der Jagden, Anna Sydow sammt ihren Kin- dern neben dem Kurfürsten stehen und fragten sich einander: „ist das unsres gnädigsten Herrn unrechte Frau? sind das die unrech- ten Kinder? wie darf er’s thun und wir nicht ?“ Der Kur- fürst hörte alles und flüsterte der Gießerin zu: „Du solltest bei Seite gehn.“ Seitdem mied sie die öffentlichen Feste. In diesem Jagdschloß zu Coepenick, das sich Joachim II. um 1550 erbaut hatte, starb er, zwanzig Jahre später, am 3. Januar 1571. Eine Wolfsjagd sollte abgehalten werden, trotz der bittren Kälte, die herrschte, und der sechsundsechzigjährige Joachim freute sich noch einmal des edlen Waidwerks, dran zeitlebens sein Herz gehangen hatte. Gegen Abend kehrte er aus den Müggelsee- Forsten nach Schloß Coepenick zurück und versammelte seine Räthe und Diener um sich her; — Distelmeier der Kanzler, Mat- thias von Saldern, Albrecht von Thümen, der General- Superintendent Musculus , alle waren zugegen. Man setzte sich zu Tisch und speis’te in christlicher Fröhlichkeit. Der Kurfürst empfand nur ein leises Unbehagen. Der Diskurs ging bald von geistlichen Dingen und der Page wurde beauftragt, Dr. Lutheri Predigt über die Weissagung des alten Simeon (Paul Luther, ein Sohn des Reformators, war Leibarzt des Kurfürsten) vorzu- lesen. Nach der Vorlesung wurde viel von Christi Tod und Auf- erstehung gesprochen, von seiner großen Liebe und seinen bittren Leiden; dabei zeichnete der Kurfürst ein Crucifix auf den Tisch, betrachtete es andächtiglich und ging dann zu Bett. Als er indessen kaum einige Stunden geruht, überfiel ihn eine Pressung auf der Brust, mit einer starken Ohnmacht. Der Kanzler und die Räthe wurden geweckt, aber das Uebel wuchs rasch und nach einigen Minuten verschied der Kurfürst mit den Worten: „das ist gewiß- lich wahr.“ Nicht im Schlosse zu Coepenick, aber freilich nur eine halbe Meile davon entfernt, in unmittelbarer Nähe des reizend gelegenen Dörfchens Grünau, starb am 18. Juli 1608 der Enkel Joachims II. , Kurfürst Joachim Friedrich, derselbe, dem die Marken die Gründung des Joachims- thal’schen Gymnasiums verdanken. Er kam von Storkow und war auf dem Wege nach Berlin, als ihn der Tod im Wagen überraschte. An der Stelle, wo er muthmaßlich gestorben ist, hat man jetzt ein einfaches, aber eigenthümliches Denkmal errichtet. Es ist ein Steinbau, eine Art offner Grabkapelle, deren auf vier Pfeilern ruhendes Dach sich über einem Grabstein wölbt. Zu Häupten dieses Steins, in der einen Schmalwand der Kapelle (die beiden Fronten sind offen und haben nur ein Gitter) be- findet sich ein gußeisernes Kreuz, das einen Kurhut und darunter die wenigen Worte trägt: „Hier starb den 18. Juli 1608 Joachim Friedrich, Kurfürst von Brandenburg.“ Der Anblick des Denkmals, namentlich um die Sommerzeit, wenn man, durch den offnen Rundbogen hindurch, die jungen Eichen grünen sieht, die die Hinterfront der kleinen Kapelle um- stehn, ist überaus reizend und malerisch. Wir hören vom Schloß Coepenick (demselben Jagdschloß, das Joachim II. erbaut hatte) erst wieder als im Jahre 1631 König Gustav Adolph sein Hauptquartier in eben diesem Schlosse nahm, und an den schwankenden Kurfürsten George Wilhelm die Aufforderung schickte, ihm die Festungen Cüstrin und Spandau ohne Weiteres einzuräumen. Dieser Brief führte zu jener bekann- ten Zusammenkunft im Gehölz bei Coepenick, die von dem ent- schlossenen, keine Halbheit duldenden Gustav Adolph mit den Worten abgebrochen wurde: „Ich rathe Eurer churfürstlichen Durchlaucht Ihre Parthei zu ergreifen, denn ich muß Ihnen sagen, die Meinige ist schon ergriffen.“ Neun Jahre später machte der Regierungsantritt des „großen Kurfürsten“ dem Elend des Landes ein Ende, aber Schloß Coepe- nick sank an Ansehn und Bedeutung. Eine neue Zeit und ein neuer Geschmack waren gekommen; die Zeit des französischen Ein- flusses begann, und die alten Jagdschlösser mit gothischen Thürmen und Giebeln, mit schmalen Treppen und niedrigen Zimmern, konn- ten sich neben der Pracht und Stattlichkeit der Renaissance nicht länger behaupten. Sie schienen nicht ebenbürtig mehr und räumten das Feld. 1658 wurde ein alchymistisches Laboratorium, eine Goldmache-Werkstatt in denselben Zimmern eingerichtet, drin Kur- fürst Joachim kaum 100 Jahre früher, den selbsterlegten Hirsch auf reichbesetzter Tafel gehabt hatte und endlich 1677 fiel das alte Jagdschloß gänzlich, um einem Neubau, dem dritten also, der sich an dieser Stelle erhob, Platz zu machen. Diesem dritten Schloß Coepenick, einer Schöpfung Rütger’s von Langenfeld , der es um die angegebene Zeit für den Kur- prinzen Friedrich erbaute, gilt nunmehr unser Besuch. Wir benutzen den Omnibus, der zwischen Berlin und Coepe- nick fährt, haben, ähnlich wie auf einer Fahrt nach Charlottenburg, ein sauberes, sorglich gepflegtes Gehölz zu beiden Seiten und rollen an einem klaren Herbsttage die Chaussee entlang, in das Wäldchen hinein. Die Bäume um uns her sind noch jung, kaum älter als wir selbst, aber sie führen uns doch an Plätzen historischer Erinne- rung vorbei, zunächst an jener Waldwiese, wo einige Heißsporns vom schwer beleidigten märkischen Adel den jugendlichen Joachim aufzuheben gedachten, dann um jenes oben erwähnte Rendezvous herum, wo Gustav Adolph und Kurfürst George Wilhelm zu- sammentrafen und so wenig befriedigt von einander schieden. In raschem Trabe geht es dahin, die Pferde werfen die Köpfe und ziehen die Luft mit einem Behagen ein, als freuten sie sich der Herbstesfrische. Die Eichen und Birken, die eingesprengt im Tannicht stehn, lassen die Landschaft in allen Farben schillern und der herbe Duft des Eichenlaubes dringt zu uns in den Wagen hinein. Jetzt aber trifft uns ein Luftzug mit seiner feuchten Kühle, der dem Reisenden ein Wasser ankündigt, auch bevor er es gesehen, und im nächsten Augenblick haben wir ein breites Strombett vor uns, an dessen jenseitigem Ufer, aus hohen Pappeln hervor, ein grau- gelber Schloßbau ragt. Ueber die Brücke hin rollt der Wagen, verkündigt seine Ankunft durch lautes Glockenläuten, als hielte eine Abtheilung Feuerwehr ihren Einzug in die Stadt, und hält jetzt auf einem unregelmäßigen, ziemlich geräumigen Platz, der zwi- schen dem Schloß und der Stadt Coepenick liegt. Wir steigen aus, werfen nach links hin einen Blick in eine leis’ gebogene Straße hinein, deren beschnittene Lindenbäume dem Ganzen ein freund- liches Ansehn leihn, wenden uns aber, nach kurzem Aufenthalt, so- fort wieder nach rechts hin, wo unmittelbar vor uns Schloß Coe- penick mit allen seinen Dependenzien emporsteigt. Wir passiren die Brücke des Schloßgrabens, dann das dahinter gelegene Sandstein- portal und befinden uns nun auf einem viereckigen, vielfach mit Blumenbeeten eingefaßten Platz, der nach rechts und links hin von Schloß und Schloßkapelle, nach vorn und hinten zu von den alten Bäumen des Parks und dem Sandsteinportal, das wir eben pas- sirten, gebildet wird. Wir blicken einen Augenblick in die schattigen Gänge des Parks hinein, auf dessen thaufeuchtem Rasen schon mehr abgefallenes Laub als heitrer Sonnenschein liegt, dann aber machen wir eine Schwenkung nach rechts und haben die Haupt- front des Schlosses, den alten stattlichen Bau vor uns, den Rüt- ger von Langenfeld 1677 an dieser Stelle begann und 1682 beendete. Das gegenwärtige Schloß Coepenick hat drei Stockwerke und besteht aus einem Corps de Logis und zwei Seitenflügeln. Die Stellung dieser Seitenflügel ist eigenthümlich, indem dieselben nicht nach einer Seite hin (wie gewöhnlich), sondern nach vorn und hinten zu kurz vorspringen und dadurch den übrigens beab- sichtigten Eindruck verstärken, daß das Schloß zwei Fronten habe, die eine nach dem Platz hinaus, auf dem wir stehen, die andere nach dem Flusse hin, dessen lange, höchst malerische Brücke wir bei unserer Ankunft passirten. Das Ganze unverkennbar eine venetia- nische Reminiscenz: die Façaden ziemlich einfach und schmucklos und nur das Frontispice mit Reliefs und Statuen geschmückt. Dabei der Dachfirst zu einem Balustradengange, zu einer Art Co- lonade abgeflacht. Man erzählt im Schloß, daß dieser abgeflachte Dachfirst, der mit Längsbohlen gedeckt ist und in der That die Länge und Breite einer splendid angelegten Kegelbahn hat, im vorigen Jahrhundert wirklich als solche gedient habe. Ist dem so, so darf man kühnlich behaupten, daß wenigstens in den Marken an keiner schöneren Stelle jemals Kegel ge- spielt worden ist. Die Aussicht, die einen Kreis von fast vier Meilen um- faßt, ist entzückend, Wald und Wasser soweit das Auge reicht und mitten im Bilde die Müggelsberge. Das Aeußere des Schlosses, stattlich wie es ist, deutet doch in nichts auf die Pracht und Munificenz hin, die man bei Herrichtung seiner inneren Räume hat walten lassen. Nir- gends ein Geizen mit dem Raum, die Treppen breit, die Flure und Corridore hell und licht, die Zimmer hoch, luftig, geräumig; — es ist, als habe der Baumeister nichts so ängstlich vermeiden wollen, als die Enge und Gedrücktheit der Thurm- und Erker- stuben, die sonst hier heimisch waren. Nirgends ein Geizen mit dem Raum, aber auch nirgends ein Geizen mit dem, was unterhält, erheitert und schmückt. Wohin wir blicken, eine Fülle von Orna- menten, die vielleicht den Eindruck der Ueberladung machen würden, wenn nicht die Macht des Raumes siegreich über allem schwebte und ein sich Vordrängen des Einzelnen unmöglich machte. Die Karyatiden, die Pfeiler und Säulen mit reichgegliedertem Capitell treten dienend in den Hintergrund zurück, und die schweren Stuck- Ornamente, die an den Decken hängen, verlieren ihre Schwere und fügen sich wie leichtgeschwungene Arabesken in das Bild des Ganzen ein. Zu den Stuck-Ornamenten gesellen sich Plafond-Bilder, die durch alle Säle des Schlosses hin, den Jagdzug der Diana, ihren Zorn über Aktäon und ihre Liebe zum Endymion darstellen, aber wenige von diesen Gemälden, wahrscheinlich Schöpfungen eines italienischen oder französischen Meisters, sind bis auf unsere Zeit gekommen, und diese wenigen verbergen ihre Existenz hinter einer sorglich aufgetragenen Bekleidung von Mörtel und Gips. Sie war- ten auf die Stunde, wo das alte Schloß, das seit 50 Jahren und darüber der tristesten Prosa oder doch der bloßen Nützlichkeit hat dienen müssen, die poetischen Tage alter königlicher Pracht neu in seinen Mauern erblicken wird, um dann auch ihrerseits aus ihrer Hülle herauszutreten und den neu einziehenden Glanz selbst in altem Glanz zu begrüßen. Dies gilt namentlich von dem im ersten Stockwerk gelegenen „Königssaal“, der eine Fülle der schön- sten Bilder- und Plafond-Ornamente hinter einer Ueberkleidung ver- bergen soll. Wir haben in dem Bestehn Schloß Coepenick’s drei Perioden unterschieden und in Erinnerung an die mannigfachen Bauten, die hier standen, von einem alten, einem mittleren und einem neuen Schloß Coepenick gesprochen. Aber auch dies neue Schloß Coepe- nick, das wir eben in seiner Totalerscheinung zu beschreiben suchten, theilt sein 200 jähriges Leben wieder in verschiedene Stadien, in alte und neue Perioden ein, unter denen wir mit Umgehung gleich- gültigerer Jahrzehnte, vier Hauptepochen unterscheiden. Diese vier Hauptepochen des neuen Schloß Coepenick’s sind die folgenden: Erstens die Zeit des Kurprinzen Friedrich von 1682—1688; zweitens die Zeit Friedrich Wilhelms I. , in- sonderheit das Jahr 1730; drittens die Zeit Henriette Ma- ria ’s, gebornen Markgräfin von Brandenburg-Schwedt, von 1749—1782, und viertens die Zeit des Grafen von Schmet- tau , von 1804—1806. An eine Besprechung dieser 4 Haupt- epochen wird sich schließlich noch eine kurze Darstellung der Schick- sale zu knüpfen haben, die Schloß Coepenick seitdem erfuhr. ( Die Zeit des Kurprinzen Friedrich von 1682 bis 1688.) In welchem Jahre Kurprinz Friedrich seinen Einzug in Schloß Coepenick hielt, ist nicht genau mehr festzustellen, wahr- scheinlich um 1680. Der Schloßbau wurde zwar erst um 1681 beendet und das mehrerwähnte Sandsteinportal, durch das wir in den Schloßhof eintraten, trägt sogar die Jahreszahl 1682, es ist indeß nicht unwahrscheinlich, daß Kurprinz Friedrich die Vollen- dung des ganzen Bau’s nicht erst abwartete und sich, zwei Jahre früher bereits, mit dem begnügte, was fertig war. Die Verhält- nisse zwangen ihn fast dazu. Seiner alten Feindschaft mit seiner Stiefmutter, der holsteinischen Dorothea , war im Jahre 1679, bei Gelegenheit seiner Vermählung mit der hessischen Prinzessin, zwar eine Versöhnungsscene gefolgt, aber diese Versöhnung hatte die Abneigung der Mutter und das Mißtrauen des Sohnes um nichts gebessert. Todesfälle und plötzliche Erkrankungen regten den Verdacht und die alten Befürchtungen wieder an und nachdem Kurprinz Friedrich selbst bei Gelegenheit eines Festmahls, das ihm die Stiefmutter gab, von einem heftigen Kolikanfall heim- gesucht worden war, steigerten sich seine Befürchtungen bis zu sol- chem Grade, daß er seinen Vater um die Erlaubniß bat, sich nach Schloß Coepenick zurückziehen zu dürfen. Nicht in Freuden zog er in die schönen Räume ein, die zum Theil noch ihrer Vollendung entgegen sahn; das Schloß, das ihn aufnahm, war mehr ret- tendes Asyl als eine Stätte heitrer Flitterwochen und die Ueber- siedlung selbst glich mehr einer ängstlichen Flucht, als ruhiger Wahl und Ueberlegung. Trostlose Tage müssen diese ersten Tage des neuen Schlosses gewesen sein, trostloser, trüber, als die alten Schlösser, die vordem hier heimisch waren, sie jemals gekannt hat- ten, trüber als die Tage, in denen Otterstedt seinen Reimspruch an die Thür des churfürstlichen Zimmers schrieb, und trüber als der Winterabend, an dem der todesahnende Joachim gläubig und ergeben das Crucifix auf die schwere, eichene Tischplatte malte. In Bangen und Einsamkeit vergingen dem Prinzen hier die Tage selbstgewählter Verbannung. Sein schwacher Körper verbot ihm die Freuden der Jagd und lauter Lustbarkeit. Die Decken-Gemälde, die Jagdzüge Diana’s, die um ihn her entstanden, erinnerten ihn nur an alles, was ihm gebrach. Gleichförmig öde spannen sich Wochen und Monde in Schloß Coepenick ab und was die Gleich- förmigkeit unterbrach, waren jene frostigen Feste, die dem Tod zu Ehren gefeiert wurden. Am 7. Juli 1683 starb des Kurprinzen Gemahlin; die alten Verdächtigungen wurden laut; nichts änderte sich, die bleierne Schwere blieb. Da kam Sonnenschein. Das Trauerjahr war um, der Flor fiel, Hochzeit gab es wieder und bunte Fahnen, — Sophie Charlotte hielt ihren Einzug in die Marken. Zwanzig Jahre lang stand die helle Sonne dieser Frau über dem dunklen Tannen-Lande, und gab ihm eine Heiterkeit, die es bis dahin nicht gekannt hatte, aber ihr lachendes Auge, das über so Vielem leuchtete, leuchtete nicht über Schloß Coepenick. Waren ihr die Zimmer zu hoch, die Bäume zu dunkel, die Tra- ditionen zu trist, — gleichviel, sie vermied Schloß Coepenick, wo die hessische Prinzessin, die erste Gemahlin des Kurprinzen, ihre Tage hinweg geängstigt hatte und die sonnenbeschienenen Abhänge des Dorfes Lützow, die ein glückliches Ohngefähr sie hatte kennen lernen, entsprachen mehr ihrem heitern Sinn. Schloß Coepenick verödete, wurde stiller, verlassener als es je gewesen war und Schloß Charlottenburg mit funkelnder Kuppel und goldnen Figu- ren wuchs statt seiner empor. ( Die Zeit Friedrich Wilhelms I. ) Schloß Coepenick stand leer, an die zwanzig Jahre und drüber, bis der soldatische Sohn Sophie Charlottens wieder neues Leben in die ausgestor- benen Mauern trug. Die Jagdpassion kam wieder zu Ehren; Tage brachen wieder an, wie sie Kurfürst Joachim nicht wilder, nicht waidmännischer gekannt hatte, und die Dianenbilder an Plafonds und Simsen, die dreißig Jahre lang wie ein Hohn im neuen Jagdschloß zu Coepenick gewesen waren, kamen jetzt zum ersten Mal, seit Rütger von Langenfeld diese Säle und Corridore mit ihnen geschmückt hatte, zu ihrer Bedeutung und ihrem Recht. Jagd tobte wieder um Coepenick her wie in alter Zeit und Fang- eisen und Hörner waren wieder im Schlosse zu Haus. Diese Jagden zeichneten sich durch die Gefahren aus, die es für guten Ton galt, lieber aufzusuchen als zu vermeiden. Züge eigen- thümlicher Ritterlichkeit machten sich geltend, die an den Hof Franz I. erinnert haben würden, wenn nicht an Stelle galanten Minnedienstes jene kurbrandenburgische Derbheit vorgeherrscht hätte, der zu allen Zeiten ein Kraftwort weit über das beste Wortspiel ging. Bei diesen Jagden, wie Schloß Coepenick sie damals häufig sah, wurde fast jedesmal der eine oder andere getödtet oder schwer verwundet. In ein viereckiges Gehege von 600 bis 700 Schritten, das von Leinen eingeschlossen war, ließ man oft zwei- oder drei- hundert wilde Schweine von jedem Alter und jeder Größe ein- laufen. Hier erwarteten sie die Jäger, je zwei und zwei, um die wild hereinbrechenden auflaufen zu lassen. Verfehlten sie das Thier oder zerbrach das Fangeisen, so wurden sie oft über den Haufen gestoßen und von dem verwundeten Wildschwein übel zugerichtet. Zuweilen nöthigte der König auch wohl seine Jäger und Pagen die größten Keiler bei den Ohren zu fassen und mit Gefahr ihres Lebens so lange festzuhalten, bis er selbst herbei kam, um sie ab- zufangen. Wer sich zu solchem Dienste weigerte, galt für feige. Der König selbst wurde auf einer dieser Jagdpartieen, in unmit- telbarer Nähe von Coepenick, stark verwundet, und würde sein Le- ben eingebüßt haben, wenn ihm nicht einer seiner Jäger recht- zeitig beigesprungen wäre. Blutend schaffte man ihn nach Coepenick. Das war am 15. Januar 1729. Das nächste Jahr aber brachte gewichtigere Tage, Tage, die den Namen Schloß Coepenick’s mit einer der interessantesten Episoden unserer Geschichte für immer verwoben haben. Am 28. October 1730 trat hier das Kriegsgericht zusam- men, das über den Lieutenant Katt vom Regiment Gensd’armes, so wie über den „desertirten Obristlieutenant Fritz “ Urtheil sprechen sollte. Diese höchst denkwürdige Sitzung fand in dem bereits er- wähnten Wappensaale statt, dessen eingehendere Beschreibung wir zunächst hier folgen lassen. Unter den vielen Sälen des Schlosses ist er nicht nur der historisch interessanteste, sondern auch dadurch vor allen andern bemerkenswerth, daß er in seiner Ein- richtung und Ausschmückung weder bedeutend gelitten, noch auch, hinter einer Gips- und Mörtelverkleidung (wie der Königssaal) seine Vorzüge verborgen hat. Dieser Wappensaal (der jetzt, wegen einer in ihm aufgestellten Orgel, den Namen „Orgelsaal“ führt) ist zwei Treppen hoch gelegen und blickt mit seinen Fenstern auf die wendische Spree hinaus. Im Verhältniß zu seiner Tiefe ist die Decke etwas niedrig und würde bei ihrer reichen Ornamentik noch viel mehr den Eindruck davon machen, wenn nicht die hellen Farbentöne, die in dem ganzen Saale vorherrschen (weiß und lila) eine gewisse Luftigkeit wieder herstellten. Die völlig weiß ge- haltene Decke wird anscheinend von etwa zwanzig Karyatiden ge- stützt, die alle vier Seiten des Saales umstehen und auf ihrer Brust die Wappenschilder der verschiedenen kurbrandenburgischen Länder jener Epoche tragen. Eine bestimmte Reihenfolge nach den Provinzen ist bei Aufstellung derselben nicht beobachtet worden und Cassuben und Wenden, Jägerndorf und Minden, Ravensberg und Gützkow, Ruppin, Camin, Mark, Crossen, Barth, Pommern, Cleve u. s. w. folgen sich bunt auf einander. An den beiden Längs- wänden befinden sich ein paar große Kamine, reich verziert mit allerhand Emblemen und Wappenfiguren; alles weißer Stuck, wie der ganze Rest der Ausschmückung überhaupt. Das Ganze, ohne schön zu sein, hat ein entschieden historisches Gepräge und macht es einem glaublich, daß hier an langer Tafel das Kriegsgericht saß, das über Tod und Leben eines Prinzen und seiner Gefähr- ten aburtheilen sollte. Der Tag, an dem die Kriegsgerichtssitzung im „ Wappen- saale zu Coepenick “ stattfand, war, wie bereits erwähnt, der 28. October 1730 und die Mitglieder derselben waren die folgen- den: der Generallieutenant von der Schulenburg als Vor- sitzender; die General-Majors von Schwerin, von Dönhoff, von Linger ; die Obersten von Derschau, von Stedingk, von Wachholz ; die Oberstlieutenants von Schenk, von Wey- her, von Milagsheim ; die Majors von Einsiedel, von Lest- witz und von Lüderitz ; schließlich die Capitains von Itzen- plitz, von Jeetz und von Podewils . Am Tage vor dem Kriegsgericht, am 27. October 1730, versammelten sich diese fünf Gruppen (Generale, Obersten, Oberstlieutenants, Majors und Ca- pitains), jede besonders, und gaben nach geschehener Berathung jede schriftlich ihr Votum ab. Diese fünf schriftlichen Vota wurden dem vorsitzenden General-Lieutenant v. d. Schulenburg übergeben, 23 der darauf für sich ebenfalls schriftlich ein Votum entwarf. Am folgenden Tage, den 28. October, traten darauf sämmtliche 15 Per- sonen mit ihrem Vorsitzenden zusammen und fällten das Urtheil, worüber drei verschiedene Protocolle aufgenommen wurden, die außer den genannten 16 Personen noch von Mylius , General-Auditeur- Lieutenant, und G. J. Gerbett unterschrieben wurden. Dies Schlußvotum lautete bekanntlich dahin, daß das Kriegsgericht einen Rechtsspruch über den Kronprinzen ablehnte, den Lieutenant v. Katte aber zu lebenslänglichem Festungsarrest verurtheilte. Der König stieß dies Urtheil um. Manche Punkte in Betreff aller dieser Vor- gänge waren bis in die neueste Zeit hinein nicht völlig aufgeklärt, so wie denn z. B. die Angaben von Preuß und Förster in man- chen Stücken unter einander abweichen; so viel aber hat immer festgestanden, daß jene denkwürdige Kriegsgerichtssitzung vom 28. October wirklich im großen Wappensaale zu Coepenick stattgefunden hat. Vielleicht wäre es angebracht, wo nicht ein historisches Bild, das den Vorgang darstellt, doch wenigstens eine Gedächtnißtafel aufzurichten, die die Erinnerung an jenen Tag an dieser Stelle wahren möchte. (Vgl. die Anmerkungen an betreffender Stelle, die mehrere Auszüge aus der seitdem erschienenen kleinen Schrift: „Vollständige Protokolle des Köpenicker Kriegsgerichts ꝛc.“ enthalten.) ( Die Zeit Henriette Marie ’s von 1749—1782.) Hen- riette Marie geb. Prinzessin von Brandenburg-Schwedt, hatte sich mit 14 Jahren bereits an den Herzog von Würtemberg-Teck vermählt und war mit 29 Jahren Wittwe geworden. Sie lebte als solche in Berlin und erschien während der letzten Regierungs- jahre Friedrich Wilhelms I. bei allen Hoffesten, auch unter dem großen König noch. So gingen die Dinge bis 1749, in welchem Jahre ihr Schloß Coepenick als Wittwensitz angewiesen wurde. Es hieß damals, „sie sei verbannt“; auch scheint sie von jenem Zeit- punkt ab am Berliner Hofe (wenn damals von einem solchen die Rede sein konnte) nicht länger erschienen zu sein. Welche Gründe den König zu dieser Verbannung vermochten, ist nur zu muth- maßen, nicht nachzuweisen. Es heißt, daß Friedrich II. an dem wenig correkten Lebenswandel der Prinzessin Anstoß genommen habe, doch ist es nicht unwahrscheinlich, daß andere Empfindungen mit in’s Spiel kamen und den Ausschlag gaben. Die Seitenlinie Brandenburg-Schwedt, die, zum wenigsten was ihre Besitzverhält- nisse anging, erst den Einflüsterungen und Machinationen der zwei- ten Gemahlin des großen Kurfürsten ihre Entstehung verdankte, wurde vom großen König mit demselben Mangel an Sympathie betrachtet, den sein Vater und namentlich sein Großvater ( Fried- rich I. ) gegen dieselbe unterhalten hatte und „wie es in den Wald hinein schallte, so schallte es, aller Wahrscheinlichkeit nach, wieder heraus.“ So groß jene Zeit in vielen Stücken war, so war sie es doch keineswegs in allen und Klatsch, Intrigue und Chro- nique scandaleuse hatten ein unglaublich großes Feld. Wir werden kaum irren, wenn wir annehmen, daß Prinzessin Henriette Ma- rie ihre Zunge weniger im Zaum gehalten habe, als wünschens- werth gewesen wäre und daß dieser Umstand zur unfreiwilligen Muße von Coepenick führte: um über Schweigens Weisheit nach- zudenken. Daß die Prinzessin dem nachgekommen sei und in Schloß Coepenick dreißig Jahre lang die Kunst des Schweigens geübt habe, haben wir nicht die geringste Ursach anzunehmen, gegentheils scheint es, daß man sich die einsamen Tage in Coepenick durch pikante Plaudereinen nach Möglichkeit vertrieben und die Mesquine- rieen eines kleinen Hofes, als bestes Mittel die Zeit hinzubringen, mit leidlicher Virtuosität geübt habe. Ueber das damalige Leben in Schloß Coepenick (die Zeiten der Wolfsjagden und der Kriegs- gerichte waren vorüber) geben einige Notizen Aufschluß, denen wir in einer Biographie des Freiherrn von Krohne , der sich König- lich Polnischer Wirklicher Geheimerath nannte, begegnen. Dieser Abenteurer, der überall im Trüben zu fischen und an kleinen Hö- fen sein „Fortune“ zu machen suchte, kam auch an den Hof des Markgrafen Friedrich Wilhelm von Schwedt , des regieren- den Bruders unsrer Henriette Marie , deren Hofstaat der Mark- graf aus den Revenuen seines Schwedter Markgrafenthums zu unterhalten hatte. Prinzessin-Schwester brauchte mehr als Mark- 23* graf-Bruder zu zahlen liebte und so wurde denn Freiherr von Krohne , der eben seine Dienste angeboten hatte, an den Coepe- nicker Hof geschickt, vorgeblich um der Prinzessin als Kammerherr zu Diensten zu sein, in Wahrheit aber um die Ausgaben, zu denen ihre Freigiebigkeit oder ihre Verschwendung führte, zu controliren. Freiherr von Krohne traf ein, debütirte mit Geschick, wußte einen Hofrath, der ihm in Schwedt als Hauptträger des Verschwendungs- Systems bezeichnet worden war, glücklich zu entfernen und stand bereits auf dem Punkt, sich als erster Minister und Plenipotentiair am Hofe zu Coepenick zu etabliren, als die beiden alten Günst- linge der Prinzessin, die bis dahin auf gegnerischem Fuße gestanden und einander die Waage gehalten hatten, sich zum Untergang des Eindringlings verschworen. Kammerherr von Wangenheim und Hofprediger St. Aubin Hofprediger St. Aubin erhielt von der Prinzessin die kleine rei- zende Besitzung geschenkt, die, in unmittelbarer Nähe Coepenicks gelegen, den Namen „Bellevue“ führt. Dies Bellevue ist ein Garten mitten im Sande, eine Oase in mehr als einer Beziehung. Mr. St. Aubin er- baute sich daselbst ein Herrenhaus, ein „Schlößchen“ mit Speisehalle und Gartensaal, mit Bibliothek und Empfangszimmern. Der gegenwärtige Be- sitzer des Guts ist Pastor Pabst , früher Gesandtschaftsprediger in Rom („Rom hatte damals zwei Päbste“). Vor ihm besaß es Bernhard von Lepel , der hier, in poetischer Zurückgezogenheit, einige seiner besten Sachen dichtete, z. B. „die Zauberin Kirke.“ 1852 war „Bellevue“ der Sommer- aufenthalt Franz Kuglers und Paul Heyse ’s. Comfort, Kunst und Dichtung waren, so scheint es, immer an dieser Stelle zu Haus und nie- mand gewann Hausrecht hier, der nicht zuvor in Rom gewesen war. Der Verf. hat die Zimmer des Schlößchens nie anders gesehn, als im Schmuck italienischer Bilder und oft lagen mehr Pinienäpfel auf den Schränken und Kommoden des Gartensaals umher, als Tannäpfel in den Steigen des Gartens. schlossen Frieden, entlarvten den immer mächtiger werdenden Freiherrn als eine Kreatur des Schwedter Hofes und stürzten ihn auf der Stelle. Kammerherr von Wan- genheim , von dem eigends hervorgehoben wird, daß er ein sehr starker Mann gewesen sei, übernahm zu größerer Sicherheit die Executive seiner eigenen Maßregeln und schaffte den gestürzten Nebenbuhler bis vor das Portal des Schlosses. So lebte man damals in Schloß Coepenick. Klein und bedeutungslos vergingen die Tage, die selbst in der Ausstattung und Einrichtung des Schlosses nichts geändert zu haben scheinen. Wie konnten sie auch! Der prinzeßliche Hof zu Coepenick war ein bloßes Filial des mark- gräflichen Hofes zu Schwedt, der doch seinerseits auch nur wieder ein Filial, eine bedeutungslose Abzweigung des wirklichen Hofes war, wie er zu Berlin oder Potsdam existirte. Das dreißigjährige Leben einer Prinzessin in Schloß Coepe- nick hat keine Spur daselbst zurückgelassen, aber was ihr Leben nicht vermochte, das hat ihr Tod gekonnt. Henriette Marie starb in Schloß Coepenick und ist in der Schloßkapelle, einem äußerlich unscheinbaren Gebäude, das dem Schlosse selbst gegenüber liegt, begraben worden. In der jedem Besucher zugänglichen Gruft der Kapelle steht ein schwerer Eichensarg, der auf seinem obersten Brett ein vergilbtes seidenes Kissen und auf dem Kissen eine Krone von dünnem, verbogenen Goldblech trägt. Hebt man den Deckel ab, so erblickt man die in ihrem achtzigsten Jahre verstorbene Prin- zessin als Mumie. Sie ist wohlerhalten, aber viel aufgetrockneter als z. B. die Mumien in der Kirche zu Buch (in Nieder Barnim). Tüllhaube und Seidenband legen sich noch um Stirn und Kinn und das schwere gelbe Brokatkleid zeigt noch seine Falten und raschelt und knistert, als wäre es gestern gemacht. Wir schlie- ßen den Deckel wieder und steigen hinauf in die Kapelle. Eine hohe, reich verzierte Decke wölbt sich über uns und macht den Eindruck des Freundlichen ohne den des Feierlichen vermissen zu lassen; links vom Altar aber, in einen Fensterpfeiler eingelassen, erblicken wir eine prächtige Tafel von polirtem schwarzem Marmor, auf der wir in Goldbuchstaben die Worte lesen: „Diese Gruft umschließt die verweslichen Ueberreste der durchlauchtigsten Fürstin und Frau, Henriette Marie , geborene Prinzessin von Preußen und Brandenburg, vermählte Erbprinzessin und Herzogin von Wür- temberg und Teck. Sie war geboren den 11. März 1702, ver- mählt den 8. December 1716 mit dem Erbprinzen Friedrich Ludwig von Würtemberg, ward Wittwe den 23. November 1731, entschlief in dem Herrn den 7. Mai 1782. Dieses Denkmal setzet ihr ihre einzige Tochter Louise Friederike , Herzogin von Mek- lenburg-Schwerin, geborene Herzogin von Würtemberg und Teck.“ Schwerlich ahnte die Tochter, als sie in gebotener Pietät die- ses Denkmal aufrichten ließ, daß nach so kurzer Zeit schon diese Marmortafel das einzige Zeichen sein würde, das wenigstens die Stelle angiebt, wo ihre Mutter gelebt. ( Die Zeit des Grafen Schmettau von 1804—1806.) Nach dem Tode Henriette Marie’s wurde Schloß Coepenick völlig vernachlässigt und endlich im Jahre 1804 an den Grafen von Schmettau (Friedrich Wilhelm Carl) verkauft. Dieser Graf Schmettau , ein besonderer Liebling Friedrich’s II. , ist derselbe, der von Seiten des großen Königs zum Adjutanten seines jüngsten Bruders, des Prinzen Ferdinand von Preußen, ernannt wurde und in dieser intimen Stellung zu einer Fülle pikanter Anekdoten und on dit’s Veranlassung gab, an denen das preußische Hofleben jener Zeit so reich war. Zu untersuchen, wie viel Wahrheit oder überhaupt ob irgendwelche Wahrheit diesen anekdotischen Ueber- lieferungen zu Grunde liegt, liegt jenseits unserer Aufgabe; wir begnügen uns damit, das zu constatiren, worüber Freunde und Feinde des Grafen (wenn er Feinde hatte) zu jeder Zeit einig waren, seine Gelehrsamkeit und seine weltmännische Bildung, seine militärischen Kenntnisse und seine Tapferkeit. Als der Krieg mit Frankreich mehr und mehr unvermeidlich zu werden drohte, gehörte er zu denen, denen Armee und Volk das meiste Vertrauen ent- gegentrugen. Beim Ausbruch der Feindseligkeiten führte er als Generallieutenant seine Division nach Thüringen und trat unter den Oberbefehl des Herzogs von Braunschweig. Beide theilten we- nige Tage später dasselbe Schicksal. Bei unserem heutigen Besuche in Schloß Coepenick indeß lernen wir den Grafen Schmettau weder als Cavalier und Weltmann, noch als Kriegsmann und Heerführer kennen; sinnig, ein heitrer Philosoph, ein Freund der Wissenschaft und aller Künste des Friedens, so tritt er an uns heran. Nur zwei kurze Jahre waren ihm an dieser Stelle gegönnt, aber sie genügten ihm, um überall eine Spur seines Wirkens, den charakteristischen Stem- pel seines Geistes zurückzulassen. Wir übergehen kleinere Dinge, Urnen und Inschriften, die sich in den schattigen Gängen des Par- kes vorfinden und treten im ersten Stock des Schlosses, nachdem wir eine Reihe von Gemächern und Corridoren passirt haben, an ein nach Süd-Osten hin gelegenes Eckzimmer, dessen eines Fenster auf den Park, das andere auf die wendische Spree herniederblickt. Eine Doppelthür bildet den Eingang. Es ist nicht leicht möglich, beim Durchstöbern alter Schlösser einem überraschenderen Anblick zu begegnen, als ihn dieses Zimmer bietet. Der ganze Raum ist zeltartig mit weißer und gelber Gaze ausgeschlagen und zwar so, daß die obere Gaze-Drapirung die Decke in zwei gleiche Hälften theilt. An jeder der beiden Stellen, wo die Gaze wie zu einer Art Betthimmel zusammengefaltet ist, befindet sich ein Deckengemälde allegorischen Inhalts. Auf dem ersten, mehr dem Fenster zu gele- genen Bilde bringt Mercur der Minerva eine Pergamentrolle, auf der der Name Roßbach steht; Minerva ihrerseits hält einen Lorbeerkranz in der Rechten, bereit ihn gegen die Siegesbotschaft auszutauschen. Das zweite Bild, ungleich besser in Composition und Farbe als das erste, stellt eine Apotheose des großen Königs dar. Auf einer Felsenburg zur Linken stehen Bewaffnete und blicken einer Anzahl davon eilender Genien nach, die das gold- umrahmte Bildniß Friedrichs in ihrer Mitte tragen und mit ihrer Last dem Tempel des Ruhmes zuschweben. Zur Rechten ragt der Tempel selber auf, an dessen Stufen die hohe Göttin steht, be- reit, das Bildniß des Königs mit ihrem Sternen-Diadem zu krönen. Von Mobiliar keine Spur in diesen vier Wänden. Seit Schmettau vor mehr als 50 Jahren diese Zimmer verließ, sind sie unbewohnt geblieben und diese Dekoration von Gaze und Spinnweb, dieses Durcheinander von Farbenfrische und blinden Fensterscheiben, von Apotheose und Staub, macht eine Wirkung, der sich wenige Besucher werden entziehen können. Höchstes und Niedrigstes, das Ewigste und Hinfälligste, durch die Wunderhand von Zeit und Zufall hier zusammengestellt. Alles Mobiliar fehlt, aber ein eigenthümlicher Zimmerschmuck ist dennoch diesen Mull- und Gazewänden geblieben. Die ganze hintere Hälfte des Zimmers ist mit großen Schlachtplänen dekorirt, die wohl ziemlich un- zweifelhaft von der Hand des Grafen selbst herrühren dürften. Graf Schmettau gesellte nämlich zu seinen übrigen Gaben und Talenten auch die eines glänzenden Topographen und Karten- zeichners und die berühmte General-Karte des preußischen Staats, die bis diesen Augenblick in dem Kartensaal des Kriegsmini- steriums aufbewahrt wird, bewahrt gleichzeitig den Namen Schmettau ’s in ehrendem Andenken. Die Aufschrift dieser General-Karte, die auch schlechtweg den Namen der Schmettau’ schen Karte führt, lautet, wie folgt: „ Tableau aller durch den Königlich Preußischen Obersten Grafen von Schmettau von 1767 bis 1787 aufgenommenen und zusammengetragenen Länder.“ Dieselbe geschickte Hand, die dieses berühmte „Tableau“ zusammentrug, hat sehr wahrscheinlich auch die sieben Schlacht- pläne gezeichnet, denen wir in diesem abgelegensten und ungekann- testen Zimmer des Coepnicker Schlosses begegnen. Nur die Sie- gess chlachten des großen Königs haben hier Aufnahme gefunden und die Inschriften der verschiedenen Blätter lauten wie folgt: Bataille und Belagerung von Prag; Schlacht bei Roßbach; Ba- taille bei Lowositz; Schlacht bei Zorndorf; Schlacht bei Liegnitz; Schlacht bei Torgau und Schlacht bei Leuthen. Die einzelnen Tableaux sind von verschiedener Größe (namentlich die Bataille und Belagerung von Prag sehr ausgeführt und größer als die übrigen), aber alle verrathen dieselbe Meisterhand und tragen sämmtlich, statt der üblichen Holzeinfassung einen künstlichen Lor- beerkranz als Umrahmung. Wie billig drängt sich dem Besucher Schloß Coepenicks die Frage auf: was war die Bedeutung dieses Zimmers? Die Ant- wort ist nicht schwer; es war die Stätte eines loyalen Cultus, ein Andachtsplatz, an den sich, in Zeitläuften, die jedes andere Gepräge eher als das des großen Königs trugen, die schwärmeri- sche Verehrung für den Hingeschiedenen zurückzog, um einer großen Zeit zu gedenken, die nicht mehr war . Wir billigen diesen Cultus nicht, denn es steht geschrieben: „Du sollst keine andern Götter haben neben mir“, aber wir begreifen ihn. In diesem Zimmer sicherlich war es, wo Graf Schmettau die letzten Augenblicke zubrachte, bevor ihn die Ereignisse des Jah- res 1806 aus der Stille von Schloß Coepenick wieder in den Lärm des Krieges riefen. Und was er an dieser Stelle gelobt hatte, das hielt er. Am Unglückstage von Auerstädt (unglücklich nicht durch seine Schuld) erstürmte er, an der Spitze seiner Ba- taillone, die Höhen von Hassenhausen, die der Feind unter’m Schutz eines herbstlichen Morgennebels schon vor ihm besetzt hatte. Zweimal nahm er sie und zweimal war er gezwungen, sie wieder aufzugeben. Als er sich zum dritten Angriff anschickte, um den entscheidenden Stoß zu thun und die mehr und mehr in Unord- nung gerathenden Franzosen in das Saalthal hinabzudrängen, traf ihn eine Kartätschenkugel und warf ihn tödtlich verwundet vom Pferde. Vier Tage nach der Schlacht verschied er, am 18. Oktober 1806. So starb Friedrich Wilhelm Karl Graf von Schmettau ; nicht an Glück, aber an kriegerischen Tugen- den, so wie an jeglichen Gaben des Herzens und Verstandes jenen Schmettau ’s gleich, die unter Eugen und Marlborough zuerst die Schlachtfelder Europa’s betraten und unter dem großen König siegreich kämpfend, den Ruhm ihrer Familie begründeten. Schloß Coepenick war wieder verwaist. Die Krone kaufte im Jahre 1811 den Besitz zurück, aber Zimmer und Treppen blieben öde. Das Laub an Ulmen und Ahornplatanen kam und ging, ohne daß die Gänge und Grasplätze des Parks ein anderes Leben gesehen hätten, als die laute Heiterkeit der Schuljugend, die hier ein prächtiges, Gestrüpp-durchwachsenes Terrain fand für ihre Spiele, für „Hirsch und Jäger“ und „Wanderer und Stadtsoldat.“ Jahrzehnte vergingen, da zog wieder Leben ein in Schloß Coepenick, aber welch ein Leben! Die Fenster, die nach dem Wasser hinaus lagen, wurden mit Holz bekleidet, und nur ein schmaler Streifen blieb offen, der dem Lichtstrahl von oben her einen Ein- gang gestattete. Geschlossene Wagen rollten über die Brücke, Alles war in Dunkel und Geheimniß gehüllt, „es ging ein finstrer Geist durch dieses Haus.“ Die hohen Schwarzpappeln, die alten Wächter am Portal, standen unheimlicher da denn je zuvor und in den Gängen des Parks klang das Rufen und Lachen nicht mehr, das die Knabenspiele früherer Jahre so laut und herzlich begleitet hatte. Hunderte hatten Platz gefunden hinter den Gitterfenstern, die doch keine Fenster mehr waren, aber nichts unterbrach die Stille und Oede des Orts; wie das Licht, so schien auch der Klang von seinen Mauern ausgeschlossen zu sein. Das war in den 20er Jah- ren dieses Jahrhunderts; eine trübe Zeit. Uebermuth hatte gefehlt, und Mangel an Muth hatte zu Gericht gesessen; waghalsige Schwär- merei, mißleitete Begeisterung, büßten hart für den eitlen Irrthum einer Stunde. In Schloß Coepenick befanden sich damals die „Demagogen“ in Untersuchungshaft; — jetzt ist es Seminar. Und wieder andre Zeiten kamen. Wie einen schweren Traum schüttelte Schloß Coepenick seine jüngste Vergangenheit ab. Die Fenster blitzten wieder, wenn die Morgensonne darauf fiel, das Gestrüpp verschwand, das den Park zu einer halben Wildniß ge- macht hatte, und auf dem Platz, der zwischen Schloß und Schloß- kapelle liegt, entstand ein Garten; — Blumen blühten wieder in Schloß Coepenick . Heitere Jugend hielt ihren Einzug in die Säle und Corridore, aber sie kam nicht, um für Eitelkeit und Uebermuth zu büßen (wenn auch zu streng), sie kam, um in Demuth und Bescheidenheit zu lernen. Und diese Jugend weilt noch darin. Allabendlich, wenn um die Dämmerstunde die Orgel zu Gesang und Andacht ruft, und Lehrer und Schüler sich im alten Wappensaal des Schlosses versammeln, ist es, als würde der alte Spuk aufgejagt, der einstens hier zu Hause war, und huschte wieder ängstlich hin und her; aber die leisen Klageworte des Kur- prinzen, der hier Schutz und Zuflucht suchte, das Kriegsgerichts- urtheil, das hier gesprochen wurde, die Seufzer derer, die hier nach Licht und Freiheit bangten, Alles verklingt zuletzt wie eine leise Dissonanz in dem vollen Brausen des Orgelchors, der eben jetzt das große Vertrauenslied in die ewigen Rathschlüsse des Him- mels anstimmt, das Kraft- und Trosteslied: Ein’ feste Burg ist unser Gott . Die Müggelsberge. Es rührt kein Blatt sich, alles schläft und träumt, Nur je zuweilen knistert’s in den Föhren, Die Nadel fällt, — es ruht der Wald. Scherenberg. I nmitten des quadratmeilengroßen Wald- und Inseldreiecks, das Spree und Dahme kurz vor ihrer Vereinigung bei Schloß Coepe- nick bilden, steigen die höchsten Berge unserer Mark, die „Müg- gelsberge,“ unvermuthet und unvermittelt aus dem Flachland auf. Sie liegen da wie der todte Rumpf eines fabelhaften Wasserthieres, das hier in sumpfiger Tiefe zurückblieb, als sich die großen Flu- then der Vorzeit verliefen. Die Müggelsberge sind alter historischer Grund und Boden. Sie standen da, als das „hohe Schloß“ des Landes, lange be- vor die ersten Wendenfürsten in diese Gegenden kamen, lange be- vor Burg Brennibor sich an der Havel erhob. In vor slawischer Zeit, in Zeiten, die nicht Burg, nicht Veste kannten, waren sie die naturgebaute, wasserumgürtete Residenz, deren höchste Punkte die Häuptlinge altgermanischen Stammes bewohnten; — der Sumpf ihr Schutz, der Wald ihr Haus. Carl Blechen, unser Märkischer Landsmann und „der Vater Deutscher Landschaftsmalerei“, wie er gelegentlich genannt worden ist, hat in einem seiner bedeutendsten Bilder die Müggelsberge zu malen versucht. Sein Versuch ist glänzend geglückt. In feinem Sinn für das Charakteristische, das er in bloßer Wiedergabe des Alleräußerlichsten, in Darstellung halb knorriger, halb schlank ma- jestätischer Fichtenstämme nicht finden konnte, schuf er die Land- schaft zu einem historischen Bilde um. Was ihm dabei dienen mußte, war kein Zufälliges, kein Willkürliches; er wählte das, was seiner Phantasie als das einzig Richtige erschien und griff in die alten Traditionen der Müggelsberge zurück. Die höchste Kuppe ist ein Semnonen-Lager. Schilde und Speere sind zusammenge- stellt; ein Feuer flackert auf, und unter den hohen Fichtenstämmen, angeglüht von dem Dunkelroth der Flamme, lagern die alten Ur- bewohner des Landes mit einem wunderbar gelungenen Mischaus- druck von Wildheit und Behagen. Wer die Müggelsberge gesehen hat, wird das richtige Empfinden unseres genialen Malers bewun- dern — er gab dieser Landschaft die Staffage, die ihr einzig ge- bührt. Ein Reifrock und ein Abbé in die verschnittenen Gänge eines Roccoco-Schlosses; eine Procession in das Portal einer go- thischen Kirche, — aber ein Semnonen-Lager in das Waldrevier der Müggelsberge. Ihnen gilt jetzt unser Besuch. Wir kommen von Schloß Coepenick, haben Stadt und Vorstadt glücklich passirt und schreiten nunmehr dem Tannenholze zu, das bis über die Müggelsberge hinaus das ganze Terrain bedeckt. Es ist eine Haide wie andere mehr; der Fahrweg mit tiefgefurchtem Geleise zieht sich wie ein braunes Band neben uns her, Moos und Fichtennadeln haben dem Fußpfad eine elastische Weiche gegeben und nur die Baum- wurzeln, die in grotesken Gestalten überall hervorlugen und uns wie böswillige Gnomen ein Bein zu stellen suchen, mahnen zur Vorsicht. Eine rechte Herbstesfrische weht durch den Wald. Der herbe Duft des Eichenlaubes mischt sich mit dem Harzgeruch der Tannen und wie stille Waldmusik umklingt es uns, wenn die Eichkätzchen von einem Baum zum andern springen und die Zweige mit leisem Knick zerbrechen. Dann und wann klappert es, vom Fahrweg her, durch Baum und Busch zu uns herüber, mit jenem unverkennbaren Rassel- und Klinkerton, der einem Märkischen Bauerwagen eigenthümlich ist. Die Halskette der beiden magern Braunen rasselt am Deichselhaken; die Sprossen klappern in den Leiterbäumen, die Leiterbäume klappern an den vier Wagenrungen und gegen die Wagenrungen schrammt das Rad. Dazwischen das Hüh! und Hoh! des Kutschers, lange Röcke und kurze Pfeifen, Schwamm anpinken und Tabacksdampf — und das Begegnungs- bild ist fertig, wie es die Märkische Haide zu bieten pflegt. Schon mehrere solcher Fuhrwerke haben wir passirt und die Insassen ha- ben jedesmal unsern Gruß erwiedert in trägen, unverständlichen Lauten, wie einer, der aus dem Schlafe spricht. Jetzt aber ver- lassen wir die große Fahrstraße, die sich unmittelbar an der Süd- westecke des hinter Tannen versteckten Müggelsees entlang zieht, und biegen, nach rechts hin, in schmalere Pfade und Gänge ein, die, kaum bemerkbar hergan steigend, uns tiefer in die weiten Waldreviere hineinführen, die den Fuß der Müggelsberge umste- hen. Bald ist völlige Waldesstille um uns her; wir haben in un- seren Gedanken von Menschen und Menschenantlitz Abschied ge- nommen und fahren drum erschreckt zusammen, als wir plötzlich vor drei alten Frauengestalten stehen, die, mit halbem Auge von ihrer Arbeit zu uns aufblickend, langsam-geschäftig fortfahren, das abgefallene Laub zusammen zu harken. Die grauen, weit von ein- ander gestellten Elsen, unter denen sie auf- und abschreiten, sehen aus, wie die Frauen selbst, und ein banges, gespenstisches Gefühl kommt über uns, als wäre kein Unterschied zwischen den beiden, als rasteten die einen nur, um über kurz oder lang vorzutreten und die andern bei ihrer Arbeit abzulösen. Wir fragen endlich, „ob dies der Weg sei nach den Müggelsbergen“, und ohne Antwort zu geben, deuten die Frauen mit gemeinschaftlicher Hand- bewegung waldeinwärts. Wir stutzen einen Augenblick, als wären es die wohlbekannten Drei von der Schottischen Haide, deren Wink oder Zuruf nur in die Irre führen kann; aber uns schnell erinnernd, daß die Thürme Berlins nur zwei Meilen in unserem Rücken liegen, folgen wir unter raschem Dank und scheuem Kopf- nicken der Richtung, die uns die Handbewegung der Harkefrauen angegeben. Noch hundert Schritte, und es lichtet sich der Wald: ein Sumpf- und Wiesenplan liegt vor uns, dessen Anblick uns an die Stelle bannt, an der wir stehen. Tannen und Eichen um- zirken einen Platz, in dessen Mitte, halb Teich, halb See, ein tiefstilles Wasser ruht, während im Hintergrunde eine Bergwand steil aufsteigt, in deren sonnenbeschienenem Tannengrün das Gelb der Birken in hundert Schattirungen schimmert. Der See unmittelbar vor uns heißt der „Teufelssee.“ Er hat den unheimlichen Charakter aller jener stillen Wasser, die sich an Bergabhängen ablagern und ein Stück Moorland als Unter- grund haben. Die Oberfläche ist kaum gekräuselt, das Wasser leuchtend-schwarz, große braunrothe Nymphäenblätter ziehen ihren Kreis am Ufer entlang und hellgrünes, verwaschenes Sternmoos überzieht den breiten Sumpfgürtel, der den Zugang zum See zu verwehren scheint. Er will ungestört sein in seiner Stille und nichts aufnehmen, als das Schattenbild, das die dunkle Wand der Müggelsberge auf seinen Spiegel wirft. Der Teufelssee hat auch seine Sage, von einem untergegangenen Schloß und einer Prinzessin, die in der Johannisnacht aufsteigt, an’s Ufer kommt und die gelben Teichrosen des See’s an den Saum ihres schwar- zen Kleides steckt. Die Kuhjungen aus Müggelsheim, die hier herum ihre Heerden durch Wald und Sumpf treiben, haben das Alles mehr denn einmal gesehen und das Rauschen ihres Seiden- kleides gehört; wir aber, die wir die Johannisnacht versäumt ha- ben und erst um die Mitte Oktober in diese Gegenden kommen, müssen froh sein, den drei harkenden Frauen begegnet zu sein, die so trefflich zur Herbstlandschaft stimmten und spukhaft genug wald- einwärts zeigten. Hinter dem Teufelssee erheben sich die Müggelsberge, eine steile Wand. Wir verschmähen den bequemen Weg, der sich hin- aufschlängelt, und nehmen den Berg auf geradestem Wege, wie im Sturm. Oft zurückgleitend, wo die abgefallenen Kiennadeln am dichtesten liegen, und im Zurückgleiten eine junge Tanne fassend, um wieder Halt zu gewinnen, so dringen wir muthig vor, jede Stelle preisend, wo raschelndes Eichenlaub statt der glatten Nadeln zu unsern Füßen liegt. Endlich sind wir durch; das Erdreich wird feuchter, Treppeneinschnitte und Rasenbänke geben Rast und festen Halt, und endlich eine dichte Tannenhecke durchbrechend, die am Rücken des Berges entlang läuft, haben wir das Ziel unserer Wanderschaft erreicht — die Kuppen der Müggelsberge sind um uns her. Diese Müggelsberge sind ein höchst eigenthümliches Stück Natur, ganz abweichend von den Bergformationen, denen wir sonst wohl in unserem Sand- und Flachlande begegnen. Unsere Märki- schen Berge (wenn man uns diese stolze Bezeichnung gestatten will) sind entweder Plateau-Abhänge oder einfache Kegel. Nicht so die Müggelsberge; sie sind wie das Modell eines Gebirges, als habe die Natur in müssiger Stunde, in heiterer Laune versuchen wollen, ob nicht auch eine Urgebirgsform aus Märkischem Sande herzustellen sei. Alles en miniature, aber nichts ist vergessen. Ein Stock des Gebirges, ein langgestreckter Grat, Ausläufer, Schluchten, Kuppen und Kulme, Alles ist da — das Ganze wie eine Reliefkarte im großen Styl vor die Thore Berlins gelegt, um die flachländische Residenzjugend hinausführen und über Gebirgs- Formationen ad oculos demonstriren zu können. Wir haben den Grat des Berges ohngefähr in seiner Mitte erreicht, wo er mehr eine leise muldenartige Vertiefung als eine Erhöhung zeigt. Die Kuppen, die den Bergrücken überragen und deren wohl ein halbes Dutzend vorhanden sind, befinden sich an den vorgeschobensten Punkten, so daß der ganze Berg einem lang- gestreckten, alten Schloßbau gleicht, der hohe Erker und Altane an seinen mannichfach vorspringenden Fronten, vor Allem aber zwei abgestutzte Eckthürme an seinen zwei Giebelseiten trägt. Die West- und Ostkuppe der Müggelsberge sind die höchsten und gestatten die weiteste Aussicht in’s Land hinein, besonders die Westkuppe. Ueber den Rücken des Berges hin schreiten wir ihr zu. Der Weg führt durch dichtes Gehölz, das wie ein grüner Wandschirm dasteht und nach keiner Seite hin einen Durchblick gestattet. Die Bäume selbst sind jung, und nur alle funfzig Schritte begegnen wir eini- gen halberstorbenen Eichenbäumen, von denen es schwer zu sagen ist, was sie vor der Axt des Holzschlägers gerettet haben mag, ihr hohes Alter, ihre malerische Schönheit, oder eine abergläubisch- pietätsvolle Rücksicht gegen das Geschlecht der Spechte, die darin wohnen und auf den Kuppen der Müggelsberge in ähnlicher Weise heimisch sind, wie die Raben und Dohlen auf den Kirchthürmen alter Städte. Sie zimmern sich mit geschäftigem Schnabel ihre soliden Nester in das harte Holz der Eichen hinein und machen, vielleicht aus Geselligkeitstrieb, jeden einzelnen Stamm zu einer Art Familienhaus. Oft fünfzig Nester in einem Baum. Ueberall huscht es heraus und hinein, pickt und kreischt, und im Vorüber- gehen grüßen wir ein paar alte Spechte, die aus den Löchern her- vorlugen, neugierig, zu erfahren, ob Freund oder Feind im An- zuge sei. So erreichen wir nach kurzem Gange die Westkuppe, ein kahles, kreisrundes Plateau, das wie eine Warte in’s Land hinaus sieht. In der Mitte liegen verkohlte Scheite von einem Feuer, das erst gestern gebrannt zu haben scheint; sonst Alles Sand und Kiennadeln und dicht am Abhange eine einzige Distel. Die Tannen und Fichten, die eben noch als dichtes Gebüsch zu beiden Seiten des Weges standen, den wir passirten, — hier haben sie sich, an den Abhang des Berges, nach unten zu zurückgezogen und ragen nur mit ihren Gipfeln noch handhoch über das Plateau hinweg. Wie ein Riesenkranz von dunklen Nadeln bewegt sich’s um uns her; nur eine einzige Fichte, ein schlanker, hellrother Stamm, der stolz wie eine Pinie dasteht, ragt wie ein Flaggenstock hoch auf und streckt seine grüne Krone wie ein Wahrzeichen weit in’s Land hinein. Wir lehnen uns an den schlanken Stamm des schönen Bau- mes und blicken, nach Westen zu, in die Bilder modernen Lebens und lachender Gegenwart hinein. Die Sand- und Sumpfwüste früherer Jahrhunderte wurde hier längst zu einem Park- und 24 Gartenlande umgeschaffen, und Dörfer und Städte, überall einge- streut in die Landschaft, wachsen heiter mit ihren rothen Dächern und Giebeln aus allen Schattirungen des Grün hervor. Die Thürme der Hauptstadt leuchten im Schein der untergehenden Sonne; die graugelbe Wand des Coepenicker Schlosses schimmert zwischen den Pappeln hervor; Fabrikschornsteine begleiten den Lauf des Flusses, und hoch über den weißen Segeln der Kähne, die geräuschlos stromabwärts ziehen, steht bewegungslos die schwarze Wolke der Schlote und Essen. Leben überall, kein Fuß breit Lan- des, der nicht die Pflege der Menschenhand verriethe. Wir haben das heitere Bild in Auge und Seele aufgenom- men, wenden uns jetzt und blicken nach entgegengesetzter Seite hin, in die halb im Dämmer liegende östliche Landschaft hinein. Welcher Gegensatz! Die Spree zu unserer Linken zieht den Müg- gelsee wie einen breiten Spiegelkrystall an ihrem schmalen, blauen Bande auf, und der Dahmefluß zu unserer Rechten buchtet sich immer weiter und breiter landeinwärts und schafft Inseln und Halbinseln, so weit unser Auge reicht. Auf Quadratmeilen hin nur Wasser und Wald. Nichts, was an die Hand der Cultur erinnert, nicht Dorf, nicht Stadt, nicht Weg, nicht Steg; keine andere Fahrstraße sichtbar, als See und Fluß, die ihr verwirren- des Netz durch die weiten Waldreviere ziehen. Kein Dach blitzt durch die Zweige, kein Hüttenrauch steigt auf, keine Heerde weidet an den Sumpfufern entlang, nur eine Fischmöve schwebt satt und langsam über dem Müggelsee. Sand und Sumpf, Wasser und Wald; — es ist hier, wie es immer war, und während jetzt die Abendnebel von den Seen her aufsteigen und ihre leisen Schleier auch um den Rand der Kuppe legen, auf der wir stehen, ist es, als stiege die alte Zeit mit ihnen aus der Tiefe herauf. Es braut und quirlt und kommt und schwindet, bis endlich das Bild in klaren Umrissen neu vor uns steht. Die Bäume sind wieder hoch aufgeschossen und ragen im Halbkreis in die Luft. An den knorri- gen Aesten hängen Schilde, wie Mulden geformt, und lange Speere aus Eschenholz stehen daneben, in Gruppen zusammengestellt. Die verkohlten Scheite sind nicht länger verkohlt, sie treiben wieder Flammen; und um die brennenden Scheite herum lagern, ihre rothbraunen Leiber mit Fellen leicht geschürzt, die Gestalten unsers Malers und Meisters — die Semnonen. Wie gebannt haften unsere Augen an dem Bilde, — da gellt es wie ein gedämpfter Schrei durch die Luft, und unser Auge richtet sich nach oben, von wo der seltsame Laut zu kommen schien. Ein Vogel, der über uns in dem Zweigewerk der Fichte gesessen hatte, war aufgestiegen, und sein Geschrei von Zeit zu Zeit wiederholend, flog er jetzt dem dichteren Gehölz des Berges zu. Es war ein Pirol, der nordische Wundervogel. Sein gelbes Gefieder fing die letzten Strahlen der Abendsonne auf; dann stieg er in das Dunkel der Tannen hinab. Das Nebelbild war hin, die Aussicht wieder frei, die Scheite wieder verkohlt; von den Dörfern her aber klang die Betglocke, die den Abend einläutete. 24* Der Müggelsee. Glatt ist der See, stumm liegt die Fluth So still als ob sie schliefe, Der Abend ruht wie dunkles Blut Rings auf der finstern Tiefe; Die Binsen im Kreise nur leise Flüstern verstohlener Weise. Schnezler. D ie Spree, auf ihrem Unterlauf, sobald sie sich angesichts der Müggelsberge befindet, bildet (oder durchfließt) ein weites Wasser- becken; — dies Wasserbecken heißt der Müggelsee , oder die Müggel . Ob erst die Spree war und auf ihrem Laufe diesen See schuf, oder ob beide zu gleicher Zeit geboren wurden und die Spree nur als bloßer Passant, ihren Lauf durch das nahm, was schon da war, muß ich dahingestellt sein lassen. Genug, die Müggel ist einer der größten unter allen märkischen Seen und ein eigner Zauber webt um ihn her. Man kann seine Ufer und das Waldland, das ihn einfaßt, nicht durchwandern, ohne an Sinn und Herz zu empfinden, daß dies ein Boden ist, der seine Sagen ge- tragen haben muß. Wo die Spree in den Müggelsee tritt und wo sie ihn wieder verläßt, also durch die ganze Länge des See’s (fast eine Meile) von einander getrennt, erheben sich die beiden einzigen Dörfer die- ses weiten See-Distrikts, Rahnsdorf und Friedrichshagen , jenes ein altes Dorf, das muthmaßlich bis in die Wendenzeit zurückreicht, dies eine Colonie aus der Zeit des großen Königs, der es sich zur Aufgabe stellte, die bis dahin unbewohnten Müggel- forsten, die große Waldinsel zwischen der deutschen und wendischen Spree, zu colonisiren. Rahnsdorf und Friedrichshagen blicken mit ihren schmucken rothen Dächern auf den See hinaus, aber es sind nicht eigent- liche See-Dörfer; sie liegen am Ufer der Spree, nicht am Ufer der Müggel. Am Müggelsee selber, den nichts wie Sandstreifen und ansteigende Fichtenwaldungen einfassen, erhebt sich nur ein einziges Haus: die Müggelbude . Diese Müggelbude auf einer vorspringenden Sanddüne gelegen, die sich vom Westufer aus wie eine kurze Landzunge in die Müggel hinein erstreckt, ist der geeig- netste Punkt, um den See und seine Ufer zu überblicken. Den See in Front, den Wald im Rücken, so liegt die Müggelbude da, Fährhaus und Gasthaus zugleich und in dunklen Sturm-Nächten ein Leuchthurm für die geängstigten Schiffer. Denn die Müggel ist ein gefürchtetes Wasser und im November, wenn die Sturm- zeit kommt, oder im Frühjahr, wenn das Eis aufgeht, werden hier Abenteuer bestanden, die wohl Anspruch darauf hätten, ihren Erzähler zu finden. Ein See-Roman in der Mark! Die Müggelbude, nach der von Coepenick aus ein reizender Spatziergang durch den Wald führt, Parallel mit diesem Wege, der sich durch die Haide zieht, läuft die Spree, hinter Bäumen verborgen. An einigen Stellen des Weges, und zwar in der Richtung auf die Spree zu, hat man den Wald gelichtet und nur so viele Bäume stehen lassen, wie ausreichend sind, um als hoher grüner Schirm für die Spree zu dienen. Diese stehen gebliebenen Bäume sind ziemlich hoch, aber die Masten der Spreekähne sind doch noch höher und so wachsen denn die Obersegel der vorüberkommenden Schiffe weit über die grünen Kronen hinaus. Was diesen Anblick doppelt schön macht, ist, daß die Bäume am jenseitigen Ufer der Spree um vieles höher sind und nun wiederum ihrerseits einen dunklen Hintergrund für die Segel bilden. Wer im Zwielicht hier des Weges kommt, glaubt weiße Riesenvögel langsam und geräuschlos über den dunklen Wipfeln hin- schweben zu sehn. ist Leuchthurm, Fischer- wohnung und Fährhaus zugleich, aber vor allem ist sie doch Gasthaus . Sie ist es nach jenem Naturgesetz, das in unwirth- baren Gegenden aus jedem Hause ein Gasthaus macht. Die oft angerufene und oft gewährte Hülfe, führt schließlich dazu, die Hülfe zu einem Geschäft zu machen. So auch die Müggelbude. Aber es ist ein wild-verwogenes Geschlecht, das hier anpocht, um Unterkommen oder Hülfe zu finden, und der Fährmann, der erfah- ren haben mag, daß das Unglück nicht nur zu seltsamen Schlaf- kameraden führt, sondern auch umgekehrt seltsame Schlafkameraden bringt , hat wohlweislich Vorkehrungen getroffen, um sein Haus vor ihnen sicher zu stellen. Seine Müggelbude oben auf geborge- ner Düne, ist „Gasthaus erster Klasse“, für die Unbekannten und Schlecht-Legitimirten aber hat er am Fuß der Düne, auf dem schmalen Streifen zwischen See und Berg, eine Art Schiffer- Ghetto aufgeführt. Hier auf einem Terrain, das sich See und Sand beständig streitig machen, erheben sich Holzhütten mit etwas gewölbtem Dach, die sich bei näherer Besichtigung als ausrangirte Schiffskajüten zu erkennen geben. Durch die halb offen stehende Thür gewinnt man Einblick in das Innere: auf vier hohen Pfo- sten ruht ein roh zusammengenagelter Kasten, groß genug für zwei oder drei Schläfer, und mit nichts ausgestattet, als mit etwas niedergelegenem Stroh. Das ist Alles, was die Gastlichkeit der Müggelbude bietet, und doch muß es hier ein wunderbares Schlafen sein, wenn in Winternächten die glitzernden Sterne durch die halbhandbreiten Ritzen in dies Schlafgemach hineinblicken und der See, als wolle er sich warm schlagen in der bittern Kälte, seine Wellen bis unter das Bett der Schlafenden schickt. Nur schade, die Schiffer, die hier des Weges kommen, sind wohl die letzten sich dieses Zaubers zu freuen. Die Müggelbude steht hoch; unmittelbar daneben flachen sich die Ufer ab und bilden einen kaum 10 Fuß hohen Sandgürtel, der nach vorn hin, wie eine Mauer steil abfallend, den See in seiner ganzen Ausdehnung umzirkt. Auf diesem Sandgürtel neh- men wir Platz und eine knorrige Fichte im Rücken, deren vorge- beugter Schirm schon halb über dem Wasser schwebt, sitzen wir jetzt auf einer Art Moos- oder Erdbank und blicken auf die weite Wasserfläche hinaus, die wie in leiser Brandung ihre Well- chen bis unter unsre Füße schickt. Der See ist wie ein Haff und so oft die Wellen zurückrinnen, blinken die weißen Muscheln, die der See an’s Ufer geworfen. Es ist wie Märchenklang so an der Müggel zu sitzen und die leise Musik von Wald und Wasser um sich her, die Stunden zu verträumen. Die Sonne neigt sich zum Untergang und das Bild, das beim ersten Anblick nur durch seine Monotonie auf uns wirkte, gewinnt mehr und mehr Gewalt über uns und spinnt uns, unter leisem Schauer in den alten Müggel-Zauber hinein. Die Kähne mit ihrer weißen Kalksteinladung, deren aufgeschichtete Blöcke das Kajütendach zu einem kleinen Kastell machen, ziehen geräuschlos vorüber; die rothen Dächer des gegenüberliegenden Dorfes (Rahnsdorf) glühen noch einmal auf und der See selber wechselt von Minute zu Minute seine Stimmung und seine Farbe. Aber mit halbem Auge nur verfolgen wir die Farbenspiele; unser Auge richtet sich immer wieder nach rechts hin, wo die Müggel- berge aufsteigen, die ihre wachsenden Schatten bis weit in den See hineinwerfen. Ein dünner Nebel spielt um den Berg und wenn es dann und wann aufblitzt, so fahren wir zusammen, als wüßten wir „nun kommt sie“ und blicken nach der Prinzessin aus, von der es heißt, daß sie um die Abendstunde mit vier goldfarbe- nen Pferden von den Müggelbergen bis an den Müggelsee hinab- fährt, um ihre Pferde im See zu tränken. Die Prinzessin kommt freilich nicht und auch der große Heuwagen bleibt aus, der, von vier weißen Mäusen gezogen, der Prinzessin entgegenfährt, um ihr den Weg zu sperren, aber eingewiegt in phantastisches Träumen könnten alle Wunder der Märchenwelt vor uns ausgeschüttet wer- den, wir würden sie hinnehmen wie selbstverständlich, — die Müggel und ihre Ufer sind Zauberland. Noch einmal fährt ein Gluthstreifen der untergehenden Sonne wie ein Feuerschwert über den See; nun ist die Sonne unter, beinah plötzlich bricht die Dämmerung herein und bleifarben liegt die weite Wasserfläche da. In seiner Mitte beginnt es wie ein Kreisen, wie ein Quirlen und Tanzen; sind es Nebel, die auf- steigen? oder sind es die alten Müggelhexen, die lebendig werden sobald das Licht aus der Welt ist. Der Fährmann von der Müggelbude hat sich zu mir gesetzt und ich dringe jetzt in ihn mich über den See zu fahren, aber statt jeder Antwort zeigt er nur auf eine grauweiße Säule, die mit wachsender Hast auf uns zukommt. Wie zornige Schwäne fahren die Wellen der Müggel vor ihr her und während ich mei- nen Arm fester um die Fichte lege, bricht der Sturm vom See her in den Wald hinein und jagt mit Geklaff und Gepfeif durch die Kronen der Bäume hin. Einen Augenblick nur und die Ruhe ist wieder da, — aber die Bäume zittern noch nach, und auf dem See, der den Anfall erst halb überwunden, jagen und haschen sich noch die Wellen, als flöge ein Zug weißer Möwen dicht über die Oberfläche hin. Die Müggel ist bös; es ist als wohnten noch die alten Heiden-Götter darin, deren Bilder und Altäre die leuchtende Hand des Christenthums von den Müggelbergen herab in den See warf. Die alten Mächte sind besiegt, aber nicht todt, und in der Dämmerstunde steigen sie herauf und denken ihre Zeit sei wieder da. Das Schildhorn bei Spandau. Meine Götter sind Spott, Rette du mich, Christengott. S pandau ist eine der ältesten Städte der Mark und seine Lokal- geschichte zählt zu den interessanteren. Hier an den Ufern der Havel entschieden sich die Kämpfe zwischen Christen und Wenden, hier faßte die Reformation zuerst festen Fuß in brandenburgischen Lan- den und hier war es, wo der junge Friedrich Wilhelm (der spätre „große Kurfürst“) nach einer Zeit voll Elend und Erniedrigung, siegreich seinen Einzug hielt, in dieselbe Festung, die August Moritz v. Rochow vorgab, als kaiserlicher Oberst für den Kaiser und gegen den Kurfürsten und Landesherrn halten zu müssen. Aber diese Vorgänge, die theils einen Ruhm der Stadt bil- den, theils ihr ein historisch poetisches Interesse leihen, liegen weit zurück und sind erstorben im Bewußtsein der Gegenwart. Das Spandau, das wir kennen, an das sich gewisse Schreckensvorstel- lungen unserer Jugend knüpfen, war, bis in die neueste Zeit hin- ein, ein höchst unpoetischer Ort. Die Stadt selbst, mit ihren ver- schnittenen Lindenbäumen und gelb getünchten Häusern, nahm sich an und für sich um kein Haarbreit unfreundlicher aus, als andere märkische Städte, aber die Heiterkeit der Farben konnte an keinem Ort zur Geltung kommen, den man sich gewöhnt hatte nur mit der Nachtseite menschlicher Dinge in Verbindung zu bringen. Festungsgräben mit Militairsträflingen, Kasematten mit politischen Gefangenen, Correctionshäuser und Strafanstalten aller Art — daneben verschwand das arme Grün der Lindenbäume, und die Vorstellung des Unheimlichen setzte sich auf viele Jahre hin fest. Zum Ueberfluß suchte noch die Residenz Berlin die nachbarliche Schwesterstadt zum nicht beneidenswerthen Schauplatz für die Voll- streckung letzter Urtheile zu machen, und was dem Maß der Schrecken bis dahin gefehlt hatte, war nun erfüllt. Das Haupt Tschechs fiel auf der Spandauer Feldmark und die Stadtchronik jener Epoche ist mit Blut geschrieben. Aber auch dieses Spandau, das Spandau unserer Jugend, hat sich überlebt und einem neuen Platz gemacht. Der helle Pfiff der Lokomotive hat die dunkeln Wolken, die über der Stadt hin- gen, wie mit leuchtendem Schwert vertrieben; die Stille, die Stagnation, die so leicht zum Brütwinkel alles Finstern und Un- heimlichen werden, sind dem Leben und der Bewegung gewichen, bunte Menschenströme kommen und gehen, und Fabrikgebäude und Sommerhäuser haben in lachenden Farben einen heitern Kranz um den alten Griesgram gezogen. Dampfschiffe beleben den schönen breiten Strom, und der dunkle Hintergrund, der auch jetzt noch dem Bilde geblieben, schreckt nicht mehr ab, sondern steigert nur den Reiz. Weder Spandau selbst indeß noch seine Geschichte haben uns heut in die alte Havelfestung geführt, sondern lediglich der Wunsch, einen Ausflug in seine nächste Umgebung zu machen, flußabwärts jenem malerischen Punkte zu, der den Namen „das Schildhorn“ führt. Wir schwanken einen Augenblick, ob wir mit Dampf oder Ruder die Fahrt versuchen sollen, und endlich, das Segelboot als gefälliges Auskunftsmittel wählend, treiben wir jetzt mit Strom und Wind, zunächst an Wiesen und Dörfern, dann aber an prächtigen Waldpartien vorüber, dem Ziel unserer Reise zu. Wie unverdient ist der Spott, der unsere märkische Landschaft zu ver- folgen pflegt, wenigstens hier ! Die breite, blaue Wasserstraße theilt sich und einigt sich wieder und schafft eine ununterbrochene Kette von Inseln und Seen. Die Eilande selbst wechseln in ihrem Charakter; neben dem fruchtbaren Grasland des einen, auf dem die Häuser und Heerden den Wohlstand seiner Bewohner verrathen, erheben sich die Sandberge einer zweiten und dritten Insel, kahl an ihren Abhängen, aber tannenbedeckt auf ihrer Höhe. Auf- und abwärts gleiten die Elb- und Oberkähne, die noch immer den großen Handel zwischen Ost- und Nordsee vermitteln, und der Wind, plötzlich die Richtung wechselnd, klappt das eben noch voll- gebauschte Segel mit dumpfem Schlag an den Mast. Reusen und Netze durchziehen die schmaleren Arme des Stromes und sperren ihn fast; nur vereinzelte Schwäne (die Havel hat deren tausende) gleiten unaufgehalten ihres Wegs. Die rechts gelegenen Ufer sind ziemlich unmalerisch, zur Linken aber auf hohem Plateau, das bald sich rundet und buchtet, bald Landzungen weit in den breiten Strom hinein streckt, erheben sich die prächtigen Tannen des Grunewalds und spannen ihre dunkelgrünen Schirme aus. Die Stämme sind hoch und schlank und alles Unterholz fehlt; so blickt man durch den Rahmen der rothbraunen Stämme bis tief in den Wald hinein und belauscht das Wild, das, gehegt und gepflegt in jenen weiten Jagdrevieren, wie in paradiesischer Sicherheit den Forst durchschreitet und von den vorspringenden Kuppen aus neu- gierig auf den Fluß und sein Treiben hernieder blickt. Sei es die Pflege, die diesem schönen Walde zu Theil wird, oder sei es die Nähe des Wassers, das mit feuchter Kühle die Nadeln labt und leise Nebel um seine Kronen spinnt, gleichviel, die Tannen erschei- nen schöner und edler hier als irgendwo anders und stehen da, als fühlten sie sich als die eingeborenen Herren dieses Landes. Das heimathliche Volkslied hat diese schönen Havelforsten oft ge- feiert, und wer sie jemals wandernd durchzogen hat, der stimmt gern mit ein in die alte Weise: Blaue Havel, Grunewald, Grüß mir alle beide, Grüß und sag’, ich käme bald, Und die Tegler Haide. Wir sind mit voller Gunst des Windes eine Stunde gefah- ren und die letzten Werder- und Inselgruppen liegen hinter uns. Mit halb eingezogenen Segeln biegen wir eben um eine vorsprin- gende Waldecke herum in die volle Stromesbreite hinein, als wir in der Entfernung einer guten Viertelmeile einer Landzunge an- sichtig werden, die von der linken Uferseite her weit in den Fluß hinein ragt und die Hälfte seines Bettes dämmt und absperrt. Die Landzunge ist nicht flach, sondern ein hoher Sanddamm, ein Molo, der auf seinem Rücken niedrige Tannenbäume, an seiner vordersten Spitze aber ein grauschwarzes, wunderliches Bildwerk trägt, das halb an Telegraphenpfosten, halb an Fabrikschornsteine mahnt und doch durch allerhand Schnörkel und Ornamente keinen Zweifel darüber läßt, daß es keines von beiden sei. Wir haben uns inzwischen der Landzunge mehr und mehr genähert und die Formen nehmen bestimmtere Gestalt an. Wir erkennen deutlich eine Säule, die in der Mitte ihres Schaftes einen Schild und auf der Höhe des Ganzen ein Kreuz trägt. Unser Boot legt an und wir erklimmen den Damm, der nach vorn hin ziemlich abschüssig in den Fluß fällt. Dieser Vorsprung, die hohe Sandklippe, auf der wir uns nunmehr befinden, ist das Ziel unserer Reise, „ das Schildhorn .“ Der Vorgang, der ihm diesen Namen gab, ist der folgende. Brennibor (Brandenburg) war endlich nach langer Belage- rung von Albrecht dem Bären erstürmt und das Wendenthum, seit lange von der Elbe zurückgedrängt, schien auch das Havelland nicht länger halten zu können. Aber Jaczko, der Wendenfürst, war wenigstens gewillt, die alten Sitze seiner Väter nicht ohne Schwert- streich aufzugeben, und noch einmal sammelte er die Seinen zum Kampf. Bei Spandau kam es zu einer letzten Schlacht. Jaczko unterlag, und hinfliehend am rechten Havelufer, von den sieges- trunkenen Deutschen verfolgt, sah er kein anderes Heil mehr, als den Fluß und das jenseitige Ufer. Gegenüber dem jetzigen Schild- horn, wo die weit vorspringende Landzunge die Breite der Havel fast halbirt, gab er seinem Pferd die Sporen und setzte in den Fluß. Aber sein Pferd war matt und müde vom Kampf, und ehe es die rettende Landzunge halb erreicht hatte, empfand sein Reiter die schwindende Kraft des treuen Thiers. Da Angesichts des To- des warf das Herz des Wendenfürsten die alten Heidengötter von sich, und die Hand, die den Schild hielt, hoch gen Himmel erhe- bend, rief er den Gott der Christen an, ihm zu helfen in seiner Noth. Da war es ihm, als faßte eine Hand den erhobenen Schild und hielte ihn mit leiser, aber sicherer Macht über dem Wasser; dem sinkenden Pferde kehrten die Kräfte zurück und der Vorsprung war erreicht. Jaczko hielt, was er gelobt, und wurde Christ. Sei- nen Schild aber, den der Finger Gottes berührt, ließ er dem Ort, wo das Wunder sich vollzogen hatte. Der Schild des Hei- den war ihm zum Glaubensschild geworden. Dies sind die Elemente, die man zur Hand hatte, als es sich darum handelte, zur Erinnerung an jenen Tag der Bekehrung und zur Festigung und Neubelebung der alten Tradition, auf dem Schauplatz derselben, dem Schildhorn , ein Denkmal zu errich- ten. Man hat bei Ausführung dieses Planes in nicht gut zu hei- ßender Weise auf den malerischen Effekt Verzicht geleistet. Es wäre ausreichend gewesen, auf hoher griechischer Säule einen Schild aufzurichten und diesen Schild mit einem Kreuz von mäßiger Größe zu krönen. Das würde ein weithin erkenntliches Bild in durchaus bestimmten Umrissen gegeben und „den Sieg des Kreu- zes über das Heidenthum“, diesen selbstverständlichen und durchaus berechtigten Gedanken in aller Klarheit dargestellt haben. Archäo- logischer Uebereifer aber glaubte ein Uebriges thun zu müssen und hat seinen Sieg auf Kosten des guten Geschmacks gefeiert. Man hat den Stamm einer alten knorrigen Eiche in Sand- stein nachgebildet und dadurch eine ohnehin schwerverständliche Figur geschaffen; der inmitten des Stammes aufgehängte Schild aber, der wie eine Scheibe an einem Pfosten klebt, schafft, aus der Ferne gesehen, vollends eine durchaus unklare und räthselhafte Figur. Eben so unklar und verworren nimmt das Kreuz sich aus, das den Oberbau der Säule krönt. Etwas Apartes ist gewonnen, nichts Schönes, das der eigenthümlichen Schönheit der Landschaft entspräche. Möglich, daß jene Apartheit Zweck war; sie sichert aller- dings dieser Säule einen Eindruck, dessen sie vielleicht entbehrte, wenn sie schöner und mehr im Einklang mit dem Ueblichen wäre. Der Sagenschatz der Mark ist arm; das mag es erklären, daß sich unsere heimischen Dichter und Künstler mit Vorliebe der Behandlung eines Stoffes zugewandt haben, der, wenn auch kei- neswegs ohne Reiz überhaupt, doch schon in seiner Entlegenheit allerhand Schwierigkeiten bietet. Unsere Lokalpoeten sind denn auch meist an dieser Schwierigkeit gescheitert, und die einfache schlichte Ueberlieferung wird der poetischen Version, deren eigene Zuthat schwach ist, gemeinhin und mit vollem Rechte vorgezogen. Eine glücklichere Hand hatten unsere Maler, besonders Pro- fessor von Kloeber, einer der Altmeister unserer Kunst. Er malte den Gegenstand zweimal, als ausgeführte Farbenskizze und später in Lebensgröße. Eins der Bilder befindet sich im Schloß. Am rechten Havelufer erblickt man die Gruppe der Kämpfenden; Jaczko schwimmt bereits inmitten der Havel und hat bittend Haupt und Schild erhoben. Ueber ihm schwebt die Gestalt eines Engels und deutet auf den aufragenden Vorsprung, der Rettung verspricht. Die Ar- beit ist verdienstlich, wenn auch nicht eben mehr. Aber sind auch Kunst und Dichtung bisher umsonst bemüht gewesen, eine goldene Frucht von dem Baume der alten Tradition zu brechen, die Sage selbst wird fortleben von Mund zu Mund, und jeder, der das Schildhorn besucht und den stillen Zauber auf sich wirken läßt, den die immer wechselnden Bilder von Wald und Fluß, die weißen Segel über dem Wasser und die „Segler in den Lüften“ hier leise zusammenspinnen, der wird, in aufkei- mendem romantischen Bedürfniß, sich das Westufer des Flusses plötzlich mit allerhand Gestalten beleben und den Wendenfürsten selbst, den umleuchteten Schild zu seinen Häupten, auf dem ge- kräuselten Wasser sehen. Ein Lächeln wird dem Traumbild folgen, aber eine dankbare Erinnerung wird ihm bleiben an das märkische Landschaftsbild, das das Schildhorn vor ihm entrellte. Klein-Machenow oder Machenow auf dem Sande. Bei Warschau, bei Wien, Bei Fehrbellin, Ob Friedrich Wilhelm, ob alter Fritz Bei Leuthen, Lützen, Dennewitz, Ein alter märkischer Edelmann Ist immer dabei, ist immer voran. K lein-Machenow ist ein reizend gelegenes Dorf, das sich an einem vom Teltefließ gebildeten See entlang zieht. Die Häuser (aus Lehm mit Strohdach) sind ärmlich; schöne Kastanienalleen aber wie sie im Lauf des vorigen Jahrhunderts fast überall in den Nachbardörfern Berlins entstanden, geben dem Ganzen ein sehr malerisches Ansehn. Das Dorf ist alter Besitz der v. Hakes. Diese Familie, die 3 Gemshörner (Haken) im Wappen führt, war früher wie im Havellande so auch im Teltow reich begütert, besitzt aber, in letztrem Kreise, nach Einbuße von Genshagen und Heinersdorf, nur noch Klein-Machenow und das Patronat über das angren- zende Stansdorf. — Am Nordufer des schon genannten See’s erhebt sich der Seeberg, von dessen westlichem Abhang aus man einen kostbaren Blick ins Land hat, die Thürme von Potsdam am Horizont. Bevor wir uns im Dorfe selbst und zumal in seiner alten Kirche umsehn, sei noch ein orientirendes Vorwort gestattet, über die Hake’s und Hacke’s . Hinsichtlich dieser beiden Familien herrscht nämlich, was die Rechtschreibung ihrer Namen angeht, eine große Verwirrung, die schließlich zu Verwechselungen aller Art geführt hat. Erst neuerdings scheint man sich dahin geeinigt zu haben, nicht abwechselnd und nach Laune Hake, Haake, Haacke, Hacke ꝛc. zu schreiben, sondern im Einklang damit, daß es zwei bestimmt geschiedene Familien giebt, auch zwei bestimmt geschiedene Namen anzunehmen: die Hake’s und die Hacke’s . Die Hacke’s sind, aller Wahrscheinlichkeit nach, aus Franken und zwar in verhältnißmäßig später Zeit in die Mark gekommen. Ihnen gehört vor allem Hans Christoph Friedrich v. Hacke, ge- nannt der „lange Hacke“ der bekannte Liebling Friedrich Wil- helms I. an. Er war Oberst und Generaladjutant des Königs und derselbe, an den sich der bereits sterbende Monarch, als er die Stallknechte unten auf dem Hof eine falsche Schabracke aufle- gen sah, mit der bekannten Aufforderung wandte: „Gehen Sie doch hinunter Hacke und prügeln Sie die Schurken.“ Dieser Oberst v. Hacke wurde par ordre des Königs, allen Einwendungen des künftigen Schwiegervaters ungeachtet, mit des Ministers v. Creutz Erb-Tochter im Jahre 1732 vermählt und 1740 durch Friedrich den Großen in den Grafenstand erhoben. Durch seine Frau in den Besitz eines bedeutenden Vermögens und großer Gütercomplexe in Pommern und der Ukermark gelangt, baute er, etwa um 1750, den Haackschen Markt, der eigentlich der Hacke’sche Markt heißen müßte und durch den irrthümlichen Namen, den er führt, nicht wenig zu der herrschenden Verwirrung über die Namen Hake und Hacke beigetragen hat. Graf Hacke, der Erbauer des Haackschen (Hacke’schen) Marktes, war der erste, der den gleich nach dem Regierungs-Antritt Friedrichs II. gestif- teten Orden pour le merite empfing. Er starb 1754 als Ge- neral-Lieutenant, Commandant von Berlin und Ritter des schwar- zen Adler-Ordens. Er hinterließ keine Nachkommenschaft. Da es aber nichtsdestoweniger Graf Hacke’s bis diese Stunde giebt, so ist anzunehmen, daß das Geschlecht durch Adoption fortgepflanzt wurde. Ein Graf Hacke kam, zu Anfang dieses Jahrhunderts, durch Vermählung mit einer v. Marschall, in Besitz der Güter Dahlwitz, Tasdorf, Rahnsdorf (am Müggelsee) und Alt-Ranft, sämmtlich in Barnim gelegen. Der gegenwärtige Graf Edwin v. Hacke besitzt nur noch Alt-Ranft. — So viel über die Hacke’s . In gar keiner Beziehung zu denselben stehen die Hake ’s. Die Namen von Hake und von Schlaberndorf sind die ein- zigen, die wir, seit länger als 400 Jahren, ununterbrochen im Teltow finden. Ihnen folgen die Goertzke’s , die etwa seit 250 Jahren eben- daselbst angesessen sind. Die wenigen adligen Familien: v. Knesebeck, v. Haeseler, v. Albrecht, v. Eckardtstein, die sich außerdem noch im Teltow vorfinden, gehören diesem Landestheile erst seit Kurzem an, während die alten Teltow-Familien: von Beeren (auf Groß- und Klein-Beeren), v. d. Liepe, v. Britzke (in Britz), v. Wilmersdorf, v. Otterstedt, v. Boy- tin, v. Groeben, v. Flanß, v. Thümen, theils ausgestorben, theils in andern Landestheilen seßhaft geworden sind. In keinem Theile der Mark hat der Güterbesitz so oft gewechselt, als im Teltow und Barnim. Der Einfluß der Hauptstadt ist dabei unverkennbar. Sie haben seit 500 Jahren immer als einfache Edelleute in der Mark gelebt und seit dreihundert Jahren das Erbschenken-Amt der Kurmark Brandenburg bekleidet. (Der gegenwärtige Erbschenk ist Wilhelm Joachim Friedrich von Hake, Generalmajor a. D.) In allen Kriegen, die Brandenburg-Preußen seit den Tagen des großen Kurfürsten geführt, haben zahlreiche Mitglieder dieser Fa- milie auf den Schlachtfeldern ihres Landes gekämpft und geblutet, besonders zahlreich zur Zeit der Türkenkriege und des spanischen Erbfolgekrieges. Ein General der Infanterie und zwei General- Lieutenants gingen aus ihnen hervor. Von den General-Lieutenants machte Ernst Ludwig v. Hake (geboren 1651 zu Klein-Mache- now) den spanischen Erbfolgekrieg , als Oberst bei der Leib- garde, mit; Levin Friedrich v. Hake (geb. zu Genshagen) focht in den schlesischen und im 7jährigen Kriege ; endlich Albrecht George Ernst Carl v. Hake (geb. am 8. August 1769 zu Flatow) zeichnete sich während der Befreiungskriege aus, wurde 1819 25 Kriegsminister und 1825 General der Infanterie. Er starb 1835 zu Castel a Mare. Diese drei Hake’s, die es nahzu zu den höchsten militairischen Ehren brachten, repräsentiren, wie die drei großen Kriegsepochen unserer Geschichte, so auch drei verschiedene Zweige ihres eignen Geschlechts und zwar die Häuser: Klein- Machenow, Genshagen, Flatow. Alle drei waren unverheirathet oder kinderlos; zwei von ihnen waren Ritter des schwarzen Adler-Ordens. Sie alle aber, brav und ruhmreich wie sie waren, werden muthmaßlich von einem ihrer ersten Vorfahren, von Hans v. Hake , gemeinhin Hake von Stülpe genannt, überlebt werden. Dieser Hake von Stülpe war es, der auf der Golm-Haide zwi- schen Jüterbogk und Trebbin den Ablaßkrämer Tetzel überfiel und ihm unter der höhnischen Vorhaltung „den Ablaßzettel für erst noch zu begehende Sünden gestern von ihm gekauft zu haben“ die ganze Barschaft abnahm und den Kasten bergab in den Schnee rollte. Der Kasten wird bekanntlich noch in der Kirche zu Jüter- bogk aufbewahrt; Hake von Stülpe aber (auch Willibald Alexis hat ihm in seinem Roman der „Wärwolf“ einen Abschnitt gewid- met) wird als eine jener Figuren wie sie das Volk gern hat, in der Geschichte unseres Landes fortleben. Der gute Humor, der Uebermuth und der Streich, der dem Ablaßkram gespielt wurde, haben von jeher dafür gesorgt, daß man die That mehr auf ihre humoristische Derbheit als auf ihren sittlichen Gehalt geprüft hat. Ist es doch ein Hergang, der, wohl oder übel, etwas Leben und Farbe in die ziemlich farblose Frühgeschichte unsrer Marken bringt. Wir kehren nach diesen Vorbemerkungen an den Eingang des Dorfs zurück und schreiten nun, den Laubholz-umstandenen, stillen See zu unsrer Rechten, die blühende Kastanien-Allee der Dorfgasse hinauf. Von Bemerkenswerthem finden wir das Herren- haus, das alte Schloß, die Wassermühle und die Kirche . Das Herrenhaus , von den Gebrüdern v. Hake bewohnt, ist ein moderner Bau aus den letzten Jahren des vorigen Jahr- hunderts. Nach der Gartenseite hin hat es einen halbkreisförmigen, von hohen ionischen Säulen getragenen Vorbau, der dem Ganzen etwas Stattliches leiht. Die Auffahrt auf den sehr geräumigen Hof erfolgt durch ein altes Sandsteinportal, das nach außen hin einen Medusenkopf und auf diesem eine Minerva zeigt. Die Leute im Dorf betrachten den Medusenkopf als das Portrait eines hart- herzigen Vorbesitzers, der schließlich von den Schlangen verzehrt worden sei. Nichts scheint die Phantasie des Volks so anzuregen und in ge- wissem Sinne so schöpferisch zu stimmen als der Anblick von Kunstwerken, die es nicht versteht. Es ruht nicht eher, als bis es eine Deutung ge- funden hat, wobei es zugleich eine Neigung und ein Geschick zeigt, schon vorhandene Sagen dem gegebenen, räthselhaften Etwas anzupassen. Der Kopf am Panzer des großen Kurfürsten hat zu der schönen Sage vom geretteten Dorfkind Veranlassung gegeben, die ich am Schluß des Kapitels „Fehrbellin“ (S. 170) erzählt habe; — ähnliches gilt von der „Adonis- Statue mit dem Eberkopf“ im Schloßpark zu Coepenick. Die Sage, die sich daran knüpft, ist folgende: Einem Jäger Joachims II. träumt, er werde am andren Tage von einem Eber getödtet werden. Er erzählt seinen Traum am andren Morgen und man läßt ihn im Schloß zurück. Die andren kehren mit reicher Jagdbeute heim, darunter ein todter Eber. Der zurückgebliebene Jäger packt jetzt den todten Eber, um ihn in die Küche zu ziehn, fällt dabei und reißt sich an einem der Hauer den Schenkel auf. Daran stirbt er andren Tags. Diese Geschichte mag sich einmal ereignet haben, irgendwo vielleicht, aber schwerlich in Coepenick, und sie würde über das alte Sprec-Schloß immer hinweggezogen sein, wenn nicht beim Neubau des Schlosses die Errichtung der Adonis-Statue (mit dem Eber- kopf) die Sage plötzlich fixirt und ihr Anlehnung und eine neue Heimath geboten hätte. So kommt es, daß man an den verschiedensten Orten den- selben Geschichten begegnet; die meisten dieser Orte sind gleichsam nur Filiale und der Mutter-Sagenort ist oft schwer zu bestimmen. — Der Medusenkopf am Portal alter Schlösser hat gewiß schon oft als schlangen- umwundnes Porträt hartherziger Schloßherrn gelten müssen und der alte Herr von Hake hat, zweifellos, Kameraden in allen Ländern. Der Satz, den ich aufstellen möchte, ist der: das Volk hat eine Neigung Allge- meines zu lokalisiren , sobald gewisse Bedingungen erfüllt, gewisse äußerliche Anhaltepunkte für diese Lokalisirung gegeben sind. Das alte Schloß , in unmittelbarer Nähe des jetzigen 25* Herrenhauses, ist eins der wenigen alten Schloßgebäude, die sich bis auf diesen Tag in unserer Mark erhalten haben. Es besteht aus einem schmucklosen Viereck, an dessen Nordseite sich ein sechs- eckiger Treppenthurm erhebt. Dieser Thurm überragt das Haupt- gebäude nur um wenige Fuß und trägt ein Dach von eigenthüm- licher und schwer zu beschreibender Form. In der Mitte des Erd- geschosses befindet sich ein starker sechs- oder achteckiger Pfeiler, der das Obergeschoß zu tragen scheint. Welcher Zeit dieser Pfeiler angehört, mag dahingestellt bleiben. Bei der Seltenheit derartiger alter Schloßbauten in der Mark ist es vielleicht gerechtfertigt, die Aufmerksamkeit unsrer märkischen Archäologen darauf hinzulenken. Von historischen Erinnerungen knüpft sich nichts an diesen Bau. Gemeinhin hat hierlandes die Geschichte eines Orts den Ort selbst überdauert; wir wissen von dieser und jener Burg und von die- sem und jenem was drin geschah, nur die Burg selbst ist hin ; in Klein-Machenow ist es umgekehrt, die Burg ist da, aber die Geschichte fehlt. Dies hat zum Theil wohl seinen Grund darin, daß Klein-Machenow, nach dem Aussterben der Machenow’schen Hake’s, etwa um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, in Besitz einer Nebenlinie kam (der Hake’s von Flatow im Havellande), wodurch die lebendige Tradition unterbrochen wurde. Die Wassermühle . Ein schöner, massiver Bau, durch die Gebrüder von Hake im Jahre 1856 neu aufgeführt. Eine In- schriftstafel der alten Mühle hat man in die Frontwand des Neu- baues wieder eingefügt. Die alte Inschrift lautet: „ Anno 1695 hat Herr Ernst Ludwig v. Hake, Seiner churfürstlichen Durch- laucht zu Brandenburg Friderici III Oberster bei der Garde zu Fuß, diese adlige Freymühle hinwiederumb ganz neue aus dem Grunde erbauet, weilen die alte gantz zerfallen.“ Dieser Mache- now’schen oder Hake’schen Wassermühle wird in alten Urkunden oft erwähnt; doch ist sie nicht mit der noch älteren Wassermühle bei Potsdam, kurz vor’m Einfluß der Nuthe in die Havel zu verwechseln, die eigens den Namen Hakemühle (früher Hacken- mohle) führt. Sie ist viel älter als die Hake’s und wird schon 993 genannt, in welchem Jahre König Otto III. seiner Tante, der Aebtissin Mathilde von Quedlinburg, den Ort Potsdam schenkt. Die alte Kirche . Gegenüber der Einfahrt mit dem Medu- senkopf liegt die Kirche. Eh wir sie erreichen, passiren wir ein Steinkreuz, hart an der Straße, zum Andenken eines Schlabern- dorf errichtet, der hier in einem Duell mit einem v. Hake, auf offener Dorfstraße getödtet wurde. Sporen und Degen des Gefal- lenen sind in der Kirche aufgehängt. Nicht immer waren die Hake’s Sieger bei solchen Vorfällen. Auf einem anderen Hake’schen Gute kam es zu einem Duell zwischen einem Hake und einem v. Born- staedt. Man schoß sich in der großen Halle des Hauses und Hake fiel. Ursach war ein Stückchen niedergetretenes Erbsenfeld . Man war damals rasch bei der Hand. Wir sind nun an die Kirche herangetreten. Es ist ein über- raschend gefälliger, beinah feinstylisirter Backsteinbau aus dem 16. Jahrhundert, (vielleicht aus dem 15.) reizend zwischen Bäumen und Epheugräbern gelegen und von einer Steinmauer eingefaßt. Die eine Kirchenwand trägt zwar die Inschrift: „ Casparus Jacke, Maurermeister zu Potsdam, 1597“ doch hat er die Kirche mög- licherweise nur restaurirt; gewisse Ornamente scheinen mir nämlich auf eine frühere Zeit zu deuten. Der Unterbau (bis zum Beginn der Fenster) ist jedenfalls viel älter und die ersichtlich verschiedenen Steine haben zu der Sage geführt, daß zwei Schwestern die Kirche gebaut und helle und dunkle Ziegel genommen hätten, um ihren Antheil unterscheiden zu können. Unter den verschiedenen Grabsteinen und Denkmälern, die die Kirche aufweist, ist vorzugsweise der Gedenktafel zu erwähnen, die Ernst Ludwig von Hake , obengenannter Oberster in Fried- richs III. Leibgarde zu Fuß, im Jahre 1696 zu ehrendem Ge- dächtniß seiner Eltern und Geschwister hat errichten lassen. Diese Gedenktafel giebt zunächst die Namen seiner (Ernst Ludwigs) Eltern — Otto von Hake † 1682 und Anna Maria von Pfuhlin † 1682 — und demnächst die seiner 14 Geschwister, 9 Brüder und 5 Schwestern. Aus der langen Reihe von Namen und Daten mögen hier folgende stehn: Gürge Bertram von Hake . Geb. 1641; Leutnant im K. K. hochlöblichen spanischen Regiment zu Fuß; gefallen am 20. Juni 1662 bei Erstürmung von Serimvar durch die Türken. Otto Sigismund v. H. Geboren 1643; Kaiserlicher Ca- pitain-Leutnant im Götzschen Dragoner-Regiment, gefallen 1664 im Passe Kirment in Ungarn. Heino Friedrich v. H. Geboren 1644; gestorben im Zipser Land 1667, war Leutnant im spanischen Regiment zu Fuß. Adolph Heinrich v. H. Geboren 1652; Leutnant im Terzky’schen Regiment zu Fuß, gestorben zu Zwoll in Holland. Christoph Ehrenreich v. H. Geboren 1656; Capitain im brandenburgischen Leibregiment Dragoner, gefallen 1686 bei Be- stürmung und Eroberung der Festung Ofen. Die einfachen Angaben dieser Gedenktafel zeigen deutlich den Geist, der damals in der Familie lebendig war. Die Mark gehörte noch zum „Reich“ und die Kämpfe Habsburgs waren noch die Kämpfe Brandenburgs. Vier der Otto v. Hakeschen Söhne dienten in östreichischen Regimentern, zwei fielen im Türkenkrieg, zwei er- lagen der Krankheit. Der fünfte und jüngste war Capitain in einem brandenburgischen Regiment, focht aber (in dem vom General v. Schöning kommandirten Contingent) für dieselbe Sache und fiel im Kampfe gegen den Erbfeind. Der mehrerwähnte Ernst Ludwig v. Hake scheint übrigens gleichzeitig, zu ehrendem Gedächtniß seiner vor ihm heimgegangenen Brüder, die Kirche zu Machenow mit zehn Fahnen ausgeschmückt zu haben, von denen jede einen Banner- oder Sinns pruch trug, dessen Anfangsbuchstaben dem Tauf- und Familien-Namen des zu Feiernden entsprachen. Drei von diesen Fahnen existiren noch; die andern sieben sind zerfetzt und zeigen wenig mehr als die Stöcke. Die Sinnsprüche der noch vorhandenen 3 Fahnen sind die folgenden: Ornat Virtus Heroem ( O tto V on H ake). Coelum Est Vera Habitatio ( C hristoph E hrenreich V on H ake). Abimus Hinc Veluti Hospites ( A dolph H einrich V on H ake). Außerdem befindet sich noch ein Denkmal des 1704 bei Höchstädt auf den Tod verwundeten und zu Nördlingen begrabe- nen Ehrenreich von Hake, so wie ferner ein elftes Banner in der Kirche, das Hedwig Margarethe v. Hake (eine Schwester der oben angeführten kaiserlichen und churbrandenburgischen Offiziere) zu Ehren ihres bei Fehrbellin gefallenen Bräutigams aufrichten ließ. Dies Banner führt folgende Inschrift: „Dem Herrn Ernst von Schlabrendorf , Obrist-Wachtmeister in des Obristleutnants von Grumkow Esquadron-Dragoner, gefallen 1675 bei Fehrbellin und in der Dalim’schen Kirche beigesetzt.“ Dies Banner ist in so fern nicht ohne Interesse, als man selbst in unmittelbarer Nähe des Fehrbelliner Schlachtfelds, also in Hakenberg, Linum, Karwesee ꝛc. wenig oder nichts findet, was sich mit Sicherheit auf jenen Tag oder auch nur auf jene Zeit zurückführen ließe. Die Forsten von Klein-Machenow grenzen an den Grunewald und das Potsdamer Jagdrevier. Es war deshalb den jagdlieben- den Hohenzollern von jeher daran gelegen, die Jagdgerechtigkeit auf dem Machenow’schen Territorium zu haben. Die Gebrüder v. Hake besitzen aus dem Ende des 17. und dem Anfang des 18. Jahr- hunderts eine ziemliche Anzahl von Verpachtungs-Urkunden, in denen das Verhältniß zwischen den eigentlichen Besitzern und dem fürstlichen Jagdpächter geregelt wird. In einer dieser Urkunden heißt es: „Seine Kurfürstliche Durchlaucht (Friedrich III. ) wollen Ihnen, Denen von Hake und ihren Successoribus, bei vorfallen- den „ Ausrichtungen “, als Hochzeiten, Kindtaufen und Begräb- nissen, etwas an rothem Wildbret, auf ihr unterthänigstes Ansuchen ohne Entgelt reichen lassen.“ (Die hohe Jagd war nämlich für etwa 500 Thlr. an den Kurfürsten verpachtet und nur die niedre Jagd war den Hake’s verblieben.) Der Wortlaut dieser Urkunde, die 150 Jahre lang unbeachtet im Familien-Archiv gelegen haben mochte, wurde 1848 von dem Assessor v. Hake zu einer Eingabe an die Potsdamer Regierung benutzt. In genanntem Jahre wurde nämlich Herrn v. Hake sein erstes Töchterchen geboren und behufs einer „ Ausrichtung “, wie sie die Urkunde vorgesehen hat, wurde nun um ein Stück „rothes Wildbret“ petitionirt. Die Regierung beeilte sich dem wohlbegründeten Gesuch nachzukommen und ein tüchtiger Hirsch wurde zur Taufe des kleinen Fräulein v. Hake in die gutsherrliche Küche geliefert. „Leider — so erzählt Herr v. Hake — hatte es bei diesem einen Hirsch sein Bewenden; noch andre Kinder sind mir seitdem geboren worden, aber die Aufhebung des Jagdrechts hat inzwischen meine alte Wildbrets-Urkunde zu einem todten Stück Papier gemacht.“ Machenow auf dem Sande ist nur eine gute halbe Stunde vom Wannen - und Schlachten-See und von vielen andern jener Wald- und Wasser-Parthieen des Grunewalds entfernt, die, wenn jetzt gehegte Wünsche und Projekte in Erfüllung gehn, mit Hülfe einer Havel-Eisenbahn bald vor die Thore Berlins gerückt sein werden. Dann wenn die steil abfallende Hügelreihe, die das weite Becken des Wannensees im Südosten begrenzt, zu einem Quai für heitre, von wildem Wein umlaubte Villen geworden und Forst und Fluß nach allen Seiten durchstreift werden wird, dann wird auch das schöne Dorf am Telte-Fließ seine Besucher und seine Verehrer finden. Mögen sie dann an der alten, epheu- versteckten Kirche und an dem Steinkreuz des gefallenen Schlabren- dorf nicht vorübergehn. Geist von Beeren. Von allen Geistern, die verneinen, Ist mir der Schalk am wenigsten verhaßt. Z wei Meilen südlich von Berlin liegen die berühmten Felder von Groß-Beeren . Freund und Feind kennen den Namen. Wer häufiger die Eisenbahn benutzt hat, die an Groß-Beeren vorbei in’s Anhaltische und Sächsische führt, wird es nicht selten erlebt haben, daß Fremde, die bis dahin lesend oder plaudernd in der Ecke saßen, plötzlich sich aufrichten und mit dem Finger auf die weite Ebene deutend halb zuversichtlich halb frageweise die Worte sprechen: Ah c’est le champ de bataille de Gross-Beeren! Ist doch die französische Sprache noch immer die Allerweltsmünze, die sicher sein darf, acceptirt und ausgewechselt zu werden. Es ist nicht Zweck dieser Zeilen, an den Schlachttag von Groß-Beeren zu erinnern oder seine Geschichte noch einmal zu er- zählen; wenn schon andererseits nicht geleugnet werden soll, daß ich die Feldmark und die Gassen des Dorfes in der Hoffnung be- trat, dem Einen oder Anderen zu begegnen, das auch nach der Seite hin einer Aufzeichnung werth sein möchte. Aber nichts der Art war zu finden. Mit Mühe trieb ich einen Tagelöhner auf, der den Schlachttag wenigstens mit erlebt und aus seinem Versteck heraus ein paar Czakos oder Bajonettspitzen gesehen hatte. Das war Alles. Ueber die allergleichgültigsten Details hinaus war sei- nem Gedächtniß nichts verblieben. Vollends verloren ist aber der- jenige, der von den beiden Invaliden, die ein freundliches Häus- chen neben Kirche und Kirchhof innehaben, irgend welchen Aufschluß erwartet. Sie wissen absolut nichts von jenem Schlachtfeld, das jahraus jahrein zu ihren Füßen liegt und dessen bestellte Wächter sie sind; nichts von jenem Kirchhof, um dessen Besitz so heiß gekämpft wurde und den sie selber nun bewohnen. Ein wahres Glück ist es, daß Beide taub sind, der Eine halb, der Andere ganz. Wenn Fremde kommen und ihre Fragen unbeantwortet finden, so werden sie’s auf die Schwerhörigkeit der beiden Alten schieben und viel- leicht die freundliche Vorstellung mit heim nehmen, daß der „Schlachtendonner“ die Trommelfelle der beiden Helden für immer zum Schweigen gebracht habe. Wir sollten es aber doch auf so freundliche Interpretationen nicht ankommen lassen. Aber noch einmal, das Schlachtfeld von Groß-Beeren ist es nicht , auf das ich heute vorhabe, den Leser hinauszuführen. Auch die neue Kirche, nach einem Schinkel’schen Plane gefällig, aber nüchtern erbaut, soll uns nicht fesseln; eben so wenig das gußeiserne Monument, das sich rechts am Eingange des Dorfes erhebt und die Inschrift trägt: „Die gefallenen Helden ehrt dank- bar König und Vaterland.“ Der Punkt, dem wir heute zuschrei- ten, liegt vielmehr der Kirche schräg gegenüber an der andern Seite der Dorfgasse, wo wir, über die Feldsteinmauer hinweg, ein sau- beres gut erhaltenes Wohnhaus schimmern sehen, das seine weißen Wände hinter einer Baumgruppe des Gartens nur halb verbirgt. Hier hauste vor sechszig Jahren der „ Geist von Beeren .“ Das klingt gespenstisch und darf so klingen, wenn zwischen Ge- spenstern und Kobolden irgend welche Verwandtschaft ist. „Geist von Beeren“ war ein Kobold; nebenher war er auch Besitzer von Groß- und Klein-Beeren und der Letzte aus jenem alten Geschlecht der Beeren oder Berne , das vier Jahrhunderte lang die ge- nannten beiden Güter inne hatte. Von diesem Hans Heinrich Arnold v. Beeren , dem Letzten seines Geschlechts, will ich erzählen. Um’s Jahr 1785 hatte er beim Könige die Erlaubniß nach- gesucht, seinem alten Namen „v. Beeren“ den Namen „ Geist “ hinzufügen zu dürfen. Die Erlaubniß war ihm ertheilt worden. Seitdem hieß er „Geist v. Beeren“ oder kürzer „der tolle Geist.“ Er war ein kleiner, schmächtiger, lebhafter Mann: witzig, sarkastisch, hämisch. Zwietracht anstiften, zanken und streiten, opponiren und processiren war seine Lust. Von seinen unzähligen Schnurren, Injurien und Processen lebt noch Einzelnes in der Erinnerung des Volkes. Ich zähle auf, was ich habe erfahren können. Die meisten dieser Geist’schen Schnurren setzen sich aus Albernheit, Uebermuth und hämischem Wesen zusammen, manches aber ist doch wirklich gut und treffend und alles entsprach jedenfalls dem nicht sehr verfeinerten Bedürfniß seiner Zeit und seiner Umgebung. Zwei Gruppen von Personen waren es besonders, mit denen der streitlustige Geist eine unausgesetzte Fehde unterhielt: seine Gutsnachbarn und die Regierungsbeamten. Unter den Ersteren hatte er sich besonders den Herrn v. Hake auf Genshagen zum Gegenstand nicht enden wollender Angriffe und Verhöhnungen ausersehen. Die Correspondenz, die er mit diesem seinem Nachbar in einem Zeitraum von 25 Jahren geführt hat, soll ein wahrer Anekdoten- schatz und für die Freunde des Hake’schen Hauses eine unerschöpf- liche Quelle der Erheiterung gewesen sein. Leider ist diese Corres- pondenz verbrannt. Zwei Geschichten indeß aus der langen Reihe dieser gutsnachbarlichen Rancünen und Streitigkeiten existiren noch. Geist , im Uebrigen kein Freund der Jagd, ließ sich eine Jagd- und Schießhütte bauen, wenig Schritte von dem Punkte entfernt, wo seine eigene Feldmark mit der Genshagener Forst zusammen- stieß. Die Front der Hütte ging auf feindliches Gebiet hinaus, und die Absicht lag klar zu Tage. Hier saß er halbe Nächte lang und schoß von seinem Territorium aus dem Herrn v. Hake die Rehe todt — ein Wilddieb aus purer Malice. Als Hake Be- schwerde führte und auf Abbrechen der Hütte antrug, antwortete Geist: Die Hütte habe keinen offensiven Charakter; er (Geist) habe von Jugend auf immer rückwärts geschossen und müsse es ab- lehnen, in seinen alten Tagen nach einem neuen Princip auf Jagd zu gehen. Bei anderer Gelegenheit beschwerte sich Herr v. Hake, daß er bei Passirung einer Brücke, für deren Instandhaltung Geist Sorge tragen mußte, mit seinem Justitiarius Buchholz eingebrochen sei. Geist replicirte: „über die Brücke würden täglich 26 seiner schwer- sten Ochsen getrieben, und niemals habe er gehört, daß einer der- selben irgendwie Schaden genommen hätte; es sei mindestens eine auffallende Erscheinung, daß gerade Herr v. Hake mit seinem Ju- stitiarius durchgebrochen sei.“ Herr v. Hake hatte nicht Lust, den Streit ruhen zu lassen und ging an die Gerichte. Als Geist eine Vorladung empfing, erschien er mit der Brücke , die er abtragen und als corpus delicti auf einen Holzwagen hatte laden lassen, vor’m Kammergericht in Berlin und ersuchte die Räthe, sich durch Ocular-Inspection von der Richtigkeit seiner Aussagen zu über- zeugen! — Einen viel lebhafteren Groll unterhielt er gegen Alles, was sich „Regierung“ oder „Behörde“ nannte und mit der Miene der Autorität gegen ihn auftreten wollte. Die alte Registratur des Kammergerichts, das er in seinen Eingaben gelegentlich „hochpreis- liches Jammergericht“ anzureden liebte, soll davon zu erzählen wissen. Seine Fehden mit dem Pupillen-Collegium (dessen Namen er nicht müde wurde in der wunderlichsten Weise zu kürzen und zu verunstalten!) sind theils bekannt geworden, theils liegen sie jenseit aller Mittheilungsmöglichkeit — wiewohl man dem humoristischen Uebermuth gegenüber, der sich in allen seinen Schnur- ren zu erkennen giebt, eigentlich jedes Anstandsbedenken aufgeben und der derben Laune sich freuen sollte. Neben dem Pupillen-Collegium hatte Niemand mehr als die Potsdamer Regierung unter seinen Sarkasmen zu leiden. Jede Schwäche, jedes Versehen fand einen unerbittlichen Kritiker in ihm. Bei Abschätzung seines Gutes hatte er den Bodenwerth oder die Ertragsfähigkeit desselben zu hoch oder zu niedrig taxirt. Die Re- gierung, den Streit endlich zu schlichten, schickte eine Untersuchungs- und Begutachtungs-Commission. Die Zeit (Mitte December) war allerdings nicht günstig gewählt, und Geist faßte in seinem näch- sten Schreiben an die Regierung, was er zu sagen hatte, dahin zusammen: Gerechter Gott des Himmels und der Erden, Was soll aus Deiner heiligen Justitia werden? Die Erde ist bedeckt mit Eis und Schnee, Da untersuchen sie die Bonité! O weh, o weh, o weh! — Zu den Personen, gegen die er seine Sarkasmen zu richten liebte, gehörte auch der Reformator unserer Landwirthschaft, der berühmte Thaer . Die Prinzipien, die dieser einzuführen trachtete, erfreuten sich nicht der Zustimmung unseres Geist von Beeren, und er machte seinem Unmuth und seiner Malice in einer kleinen Bro- chüre Luft, die den Titel führte: „die preußische Landwirthschaft ohne Theer .“ Alles lachte. Der kleine Tückebold hatte sich aber diesmal verrechnet und es erschien eine Gegenschrift: „die preußische Landwirthschaft ohne Geist .“ Solchem Reparti war er nicht ge- wachsen und er gab die Fortsetzung des Kampfes auf. Sein bester, weil treffendster Streich, war vielleicht der fol- gende. Es war ein Kienraupenjahr und die Forsthaiden der Mark waren im traurigsten Zustand. Die Potsdamer Regierung sah sich veranlaßt, eine Verfügung zu treffen, worin sie angab, wie den Raupen am besten beizukommen und weiterer Schaden zu vermei- den sei. Die Verfügung schmeckte etwas nach „grünem Tisch“ und war unpraktisch. Geist antwortete wenige Tage später: „Proba- tum est! Ich bin in den Wald gegangen, habe den Kienraupen das Rescript einer Königl. Regierung vorgelesen und siehe da, die Raupen haben sich sämmtlich todt gelacht .“ Solche Repliken gingen alsbald von Mund zu Mund und machten ihn beim Landvolk, auch wohl bei manchem Gutsbesitzer beliebt, die, um solcher Schnurren und Abfertigungen willen, gern vergaßen, was sonst wohl gegen den „tollen Geist“ zu sagen war. Denn der Landmann unterhält eine natürliche Abneigung gegen den Städter, dessen überhebliches Wesen ihn verdrießt und dessen Erlassen und Gesetzen er mißtraut. „Der Städter weiß nichts vom Land,“ das ist ein Satz, der sich von Vater auf Sohn vererbt. Bis in sein hohes Mannesalter blieb Geist v. Beeren un- verheirathet und führte ein wüstes, sittenloses Leben. Er hielt einen völligen Harem um sich her. Von seiner „Favoritin“ hatte er einen Sohn, der des Vaters würdig war und zwei Mal das ganze Gehöft anzündete und in Asche legte. Geist v. Beeren indeß nahm keinen Anstoß daran (vielleicht weil er sich selbst in dem Allen wieder erkannte) und ging damit um, diesen Sohn zu adoptiren. Dazu war die Einwilligung seines (des alten Geist) einzigen Bruders nöthig, der als General in preußischen Diensten stand und in Erscheinung und Sinnesart die volle Kehrseite un- seres Helden und Kobolds bildete. Er kommandirte die spätern brandenburger Kürassiere, nach ihm „von Beeren-Kürassiere“ ge- nannt. Der General verweigerte seine Einwilligung. Geist von Beeren war nicht der Mann, das ruhig hinzunehmen. Er beschloß jetzt, sich zu verheirathen, lediglich seinem Bruder zum Tort. Der Harem wurde mit großen Kosten aufgelöst; dann vermählte sich Geist mit einem Fräulein v. Eyssenhardt, mit der er jedoch nur wenige Jahre verheirathet war. Er selbst starb 1812 und hinter- ließ eine einzige Tochter. Auch sie starb jung. Das plötzliche Er- löschen der Familie, wie aller Unsegen, der theils vor, theils nach dem Tode des alten Geist alle Angehörigen des Hauses betraf, wird mit folgender Familiensage in Verbindung gebracht. Es ist das die Sage vom „ Allerhühnchen .“ Vor mehreren Hundert Jahren war eine Frau von Beeren eines Kindleins glücklich genesen. In einem großen Himmelbett, dessen Gardinen halb geöffnet waren, lag die junge Frau, neben sich die Wiege mit dem Kinde, und verfolgte in träumerischem Spiel die Schatten, die in dem spärlich erleuchteten Zimmer an Wand und Decke auf und ab tanzten. Plötzlich bemerkte sie, daß es unter dem Kachelofen, der auf vier schweren Holzfüßen stand, hell wurde, und als sie sich aufrichtete, sah sie deutlich, daß ein Theil der Diele wie eine kleine Kellerthür aufgehoben war. Aus der Oeffnung stiegen allerhand zwergenhafte Gestalten, von denen die vordersten kleine Lichtchen trugen, während andere die Hon- neurs machten und die nach ihnen Kommenden willkommen hießen. Sie waren Alle geputzt und schienen sehr heiter. Ehe sich die Wöch- nerin von ihrem Staunen erholen konnte, ordneten sich die Kleinen zu einem Zuge und marschirten zu zwei und zwei vor das Bett der jungen Frau. Die zwei Vordersten baten um die Erlaubniß, ein Familienfest feiern zu dürfen, zu dem sie sich unter dem Ofen versammelt hätten. Frau v. Beeren war eine liebenswürdige Frau; ihr guter Humor gewann die Oberhand und sie nickte bejahend mit dem Kopf. Die Kleinen kehrten nun unter den Ofen zurück und begannen ihr Fest. Aus der Kelleröffnung wurden Tischchen heraufgebracht, andere deckten weiße Tücher darüber, Lichterchen wurden aufgestellt, und ehe zwei Minuten um waren, saßen die Kleinen an ihren Tischen und ließen sich’s schmecken. Frau von Beeren konnte die Züge der Einzelnen nicht unterscheiden, aber sie sah die lebhaften Bewegungen und erkannte deutlich, daß alle heiter waren. Nach dem Essen wurde getanzt. Eine leise Musik, als ob Violinen im Traum gespielt würden, klang durch das ganze Zim- mer. Als der Tanz vorüber war, ordneten sich alle wieder zu einem Zuge und erschienen abermals vor dem Bett der jungen Frau. Sie dankten für freundliche Aufnahme, legten ein Angebinde auf die Wiege des Kindes nieder und baten die Mutter, des Geschenkes wohl Acht zu haben: die Familie werde blühen, so lange man das Geschenk in Ehren halte, aber werde vergehen und verderben, sobald man es mißachte. Dann kehrten sie unter den Ofen zurück; die Lichterchen erloschen und alles war wieder dunkel und still. Als Frau v. Beeren, unsicher, ob sie gewacht oder geträumt, nach dem Angebinde sich umsah, lag es auf der Wiege des Kin- des. Es war eine kleine Bernsteinpuppe mit menschenähnlichem Kopfe, etwa zwei Zoll lang und der untere Theil in einen Fisch- schwanz auslaufend. Dieses Püppchen, das Leute, die zu Anfang dieses Jahrhunderts lebten, noch gesehen haben wollen, führte den Namen das „Allerhühnchen“ (Alräunchen) und galt als Talisman der Familie. Es vererbte sich von Vater auf Sohn und wurde ängstlich bewahrt und gehütet. Geist von Beeren kümmerte sich aber natürlich wenig um das wunderliche Familien-Erbstück; er war kein Freund von Sagen und Geschichten, von Tand und Märchenschnack, und was seiner Seele so ziemlich am meisten fehlte, das war Pietät und der Sinn für das Geheimnißvolle. Allerhühnchen hatte lang im Schrank gelegen, ohne daß seiner erwähnt worden wäre. Da führte das Weihnachtsfest eine lustige Gesellschaft bei Geist v. Beeren zusammen, und der Zufall wollte, daß einer der Gäste vom „Allerhühnchen“ sprach. „Was ist’s da- mit?“ hieß es von allen Seiten. Die Geschichte wurde erzählt und das Allerhühnchen herbeigeholt. Geist von Beeren ließ es rundum gehen, witzelte und spöttelte und — warf es dann in’s Feuer. Von dem Augenblick an brach das Unheil herein und jene Schläge kamen, deren ich theilweis schon erwähnte. Zweimal brach Feuer aus, Krieg und Mißwachs zerstörten die Ernten und rasche Todesfälle rafften die Glieder der Familie fort. Der General starb plötzlich, bald darauf die beiden Söhne desselben, endlich Geist v. Beeren selbst. Die junge Wittwe, welche Geist hinterließ, verlobte sich zwei Jahre später mit dem Hauptmann Willmer Nach einer andern Lesart war ihr Verlobter ein französischer Offizier, der, in der Schlacht bei Groß-Beeren verwundet, in’s Herren- haus geschafft und von Frau v. Beeren gepflegt wurde. Diese Pflege schloß dann (wie immer) mit Verlobung. Diese Version kann halb richtig sein. Capitain Willmer, wie sein Name ergiebt, war ein Deutscher, da aber bei Großbeeren meist Sachsen auf französischer Seite fochten, so ist es wohl möglich, daß er als verwundeter sächsischer Offizier die Bekannt- schaft der Frau v. Beeren machte. , einem liebenswürdigen Mann, und die Hochzeit stand nahe bevor. Da gerieth Willmer in Streit mit einem Kameraden, einem Herrn v. Dolfs von den Garde-Kürassieren, und in der Haide von Wulkow kam es zum Duell. Willmer wurde erschossen. Sein Grab befindet sich auf dem Kirchhof von Groß-Beeren. Neben ihm ruht die Toch- ter des „tollen Geist,“ die ebenfalls auf räthselhafte Weise starb. Sie war in Berlin im Pensionat und fuhr nach Groß-Beeren hinaus, um ihre Mutter zu besuchen. Als der Wagen vor dem Hause hielt, schien das Fräulein fest und ruhig zu schlafen — sie war todt . Frau v. Geist verkaufte endlich die Besitzung; aber der Unsegen dauerte fort. Nichts gedieh, nichts wollte vorwärts. Der nächste Besitzer verlor sein Vermögen; der folgende führte ein wüstes, unstätes Leben und verscholl; der dritte hielt sich und behauptete das Terrain, aber Streit und Hader verbitterten seine Tage. Der Unsegen blieb — aber es blieb auch ein Geist ’sches Element an dieser Stelle lebendig, ein halb räthselhaftes Verlan- gen, es ihm an Tollheiten nachzuthun. Man kann hieran Studien machen über die Macht und die nachwirkende Kraft eines Origi- nals. Alle Nachfolger des „tollen Geist“ hatten einen Zug von ihm; der letzte Besitzer, ein Rittmeister Briesen , am meisten. Sein größter Verehrer aber, zugleich sein begeistertster Nachahmer in allen Dingen, die sich nachahmen ließen, war ein Herr von Beier , der Groß-Beeren von 1827 bis 1837 besaß. Als eines Abglanzes Geist ’scher Herrlichkeit sei seiner am Schluß dieser Skizze gedacht. Es lag ihm daran, dem Herrenhause zu Groß- Beeren den Ruf von etwas Apartem zu erhalten. Als er erfuhr, daß in Zossen ein alter Mann lebe, der zur Zeit des „tollen Geist“ eine Art Kammerdiener bei diesem gewesen war, ließ er sich’s angelegen sein, diesen zu engagiren. Der alte Mann kam und wurde ausgefragt, wie sein Gehalt, seine Beschäftigung und vor Allem seine Kleidung gewesen sei. Kniehosen, Puderperrücke, Silberborten und Schuhschnallen, Alles wurde beschafft, wie es in alten Zeiten gewesen war, und wenn Besuch kam, wurde der Die- ner des tollen Geist präsentirt, als ob es dieser selbst gewesen wäre. Herr von Beier war verheirathet, aber seine Ehe war nicht glücklich und wurde getrennt. Bald nach der Trennung verließ er Groß-Beeren, bestellte einen Verwalter und ging nach Oesterreich. 26 Hier trat er als Lieutenant bei Walmoden-Kürassieren ein. Das Regiment lag damals in Ungarn in Garnison, und Beier verliebte sich in eine vornehme ungarische Dame. Da der Vater derselben die Partie nicht wünschte, so sah sich v. Beier bemüßigt, die lie- beskranke Dame in der Rolle eines berühmten Arztes zu besuchen. Die Krankheit zog sich aber in die Länge, bis der Vater schließlich froh war, „ja“ sagen zu können. Nun nahm v. Beier seinen Abschied und führte die junge Frau im Triumph nach Groß-Beeren. Wenn bis dahin Alles im Stil des „tollen Geist“ gewesen war, so wurde nun Alles ungarisch eingerichtet. Pferde, Tabak, Wein, Diener, Koch, Kammermädchen, — Alles aus Ungarn. Die Leute im Ort sagten, ihr Herr sei ein Türke geworden; Alles war ungarisch geworden, und die Wirthschaft — polnisch dazu. 1837 verkaufte er das Gut und ging in die Welt. Seitdem ist er verschollen. In der Erinnerung der Dörfler hat er nur schwache Spuren zurückgelassen; aber das Bild des alten „Neck- und Feuerteufels“ lebt fort von Geschlecht zu Geschlecht. Auch das Volk hat künst- lerische Instincte und unterscheidet Copie und Original. Wenn Jung und Alt Abends beim Biere sitzt und von alten Zeiten plaudert, von der Zeit ihrer Väter und Großväter, verweilen sie am liebsten bei dem kleinen Kobold, „der keine Furcht kannte,“ und erzählen mit nie weichendem Behagen die Schnurren und Schabernack-Streiche vom tollen „Geist von Beeren.“ Löwenbruch. „Wie heißt Er?“ Knesebeck. „Was ist sein Vater gewesen?“ Lieutnant in Ew. Majestät Garde. „Ah, der Knesebeck.“ E ine Meile hinter Großbeeren, seine hochgelegenen fruchtbaren Aecker an einem Stück Bruchland entlang ziehend, liegt das Dorf Löwenbruch . Wir finden hier, durch die Jahrhunderte hindurch, eine Reihenfolge guter märkischer Namen: die von Thümen, von Otterstedt, von Boytin, von Alvensleben, von Gröben und v. d. Knesebeck. Die Boytin ’s (ein ausgestorbenes Geschlecht) haben noch ein paar große Grabsteine auf dem Kirchhof mit allerhand Figuren und Inschriften, die freilich unter der Kruste von Moos und Flechten kaum noch zu entziffern sind. Eins dieser Gräber ist leer geblieben. Mit Schaudern erzählte mir der Küster des Dorfes, wie er, eines Abends über die Grabsteine hinschreitend, den einen Stein unter seinen Füßen nachgeben und sich selber in die Gruft versinken fühlte. Er kam mit dem bloßen Schrecken davon. Von den Alvenslebens , die ihren Gutsantheil im Jahre 1749 an die Gröbens verkauften, findet sich noch Mancherlei. Es existirt unter Anderm das Haus, und zwar völlig unverändert, das sie bewohnten, — ein schlichter Fachwerkbau, der am besten zeigt, wie gering, wenigstens nach dieser Seite hin, die Ansprüche waren, die der märkische Adel vor hundert Jahren noch erhob. 26* Jeder wohlhabende Bauer wohnt jetzt besser. Es scheint, man legte damals Gewicht auf andere Dinge, auch auf andere äußerliche Dinge. Ein höchst interessantes Sopha , das sich in den Damen- zimmern des jetzigen Herrenhauses vorfindet, übernimmt den Be- weis dafür. Als vor 10 oder 15 Jahren das alte Alvenslebensche Fachwerkhaus zu einer Wohnung für den Meier oder Verwalter des Gutes eingerichtet werden sollte, entdeckte man auf einem der spinnenwebverhangenen Böden einen alten Deckelkasten, der sich alsbald als eine Truhe zu erkennen gab. Dieser Fund erschien Anfangs gleichgültig genug; als man aber den Kasten an’s Licht gebracht und von der Verstaubung eines Jahrhunderts gesäubert hatte, erkannte man eine Truhe, die es mit den modernsten Weiß- zeugspinden unserer Möbelmagazine kühnlich aufnehmen darf. Die Vorderseite des Kastens war in vier Felder getheilt und jedes Feld bestand aus allerhand buntem, reich vergoldetem Schnitzwerk, in dessen Mitte sich ein sorglich gemaltes Wappenschild präsentirte. Es waren die vier Wappen der Alvensleben, Redern, Hake und Bredow. Der gegenwärtige Besitzer Löwenbruchs wußte aus die- sem glücklichen Funde etwas zu machen. Er ließ von geschickter Hand, die das Schnitzwerk der Original-Truhe zum Muster neh- men mußte, eine Rückenlehne anfertigen, schmückte diese Lehne mit seinem eigenen Wappen und erzielte auf diese Weise ein Original- Sopha, das nach Erscheinung und Entstehungs-Geschichte nicht leicht ein Seitenstück finden wird. Die alten Alvensleben hatten ein schlichtes Haus; aber sie hatten eine reiche, adlige Truhe, und der Inhalt derselben blieb muthmaßlich hinter dem vergoldeten Schnitzwerk nicht zurück. Ihren Reichthum zeigt auch die schön- geschnitzte Kanzel, die Achatz v. Alvensleben der Löwenbrucher Kirche zum Geschenk machte. Die Gröbens führen uns bis in dies Jahrhundert hinein. Die letzten dieser Familie, die Löwenbruch besaßen, waren zwei Brüder, die ohne männliche Descendenz verstarben. Der jüngere von beiden, der unter Friedrich dem Großen Rittmeister im Regiment Gend’armes gewesen war, war der eigentliche Besitzer. Er that viel zur Hebung des Guts, baute das jetzige Herrenhaus, starb aber früher als sein älterer Bruder, dem nun, da keine Kinder da waren, die schöne Besitzung zufiel. Dieser Bruder war ein Original, gescheidt, tapfer, nüchtern und phantastisch zugleich. Er war Major bei den „gelben Reitern“ gewesen, die in Zehdenick standen, hatte aber den Dienst quittirt, theils seiner schweren Bles- suren, vorzüglich aber seiner Studien halber, denen er sich ruhiger und ausschließlicher widmen wollte, als es der Dienst gestattete. Er studirte den Kant und correspondirte mit ihm. 1800 übernahm er Löwenbruch. Er war die absolute Bedürfnißlosigkeit, eine völlig auf das Geistige gestellte Natur — unsere Tage des Materialis- mus würden ihm schwerlich gefallen haben. Er trug jahraus jahr- ein einen Leinwand-Anzug (auch der alte Zieten in Wustrau war so gekleidet), den er nur ablegte, wenn er sich auf Besuch nach Berlin begab. Dies geschah alle Jahr ein Mal und zwar auf 4 Wochen. Er stieg dann in Krause’s Kaffeehaus ab (dem jetzigen Hotel de Brandebourg) und verbrachte die ganze Zeit mit Conver- sation und Schachspiel. Nach dieser Berührung mit der Welt, zu der er sich eigentlich nur entschloß, um sein großes Geschick im Schachspiel nicht einrosten zu lassen, begab er sich wieder in seine Einsamkeit zurück, um sich an Büchern und — Wasser auf’s Neue aufzurichten. Er war ein Vorläufer der Hydropathie. Perso- nen, die ihn noch gekannt haben, sagen aus, daß er sich in Was- ser ( incredibile dictu ) berauscht habe; vielleicht nahm man ge- wisse Excentricitäten für Rausch. Er hatte eine trunkene Seele. Auch eine Mischung von Donquichoterie und Eulenspiegelei, viel- leicht eine bloße Querköpfigkeit, blieb nicht aus. Als er vom Aus- bruch des Krieges hörte, ließ er den Thurm abtragen, damit das Dorf von vorüberziehenden Kriegsschaaren nicht bemerkt werden möge. Mit leidenschaftlichem Eifer verfolgte er die Napoleonischen Kriegs- und Siegeszüge. Als der Krieg von 1805 begann, der mit dem Tage von Austerlitz endigte, sagte er den Ausgang des Kampfes vorher, auch den herannahenden Sturz der preußischen Monarchie. Dieser eine Gedanke beschäftigte ihn Tag und Nacht und quälte ihn zuletzt bis zum Unerträglichen. Er wollte die Wolke sich nicht entladen sehen, die über Preußen stand, und — er- schoß sich, in bloßer Vorahnung dessen, was kommen würde, nach- dem er zuvor die Angelegenheiten seines Hauses mit philosophischer Ruhe geordnet hatte. Von den Gröbens kam das Gut an die Knesebecks ; sie besitzen es noch. Der erste von ihnen, der sich hier heimisch ein- richtete, war Friedrich Wilhelm Ludwig von dem Knesebeck, Halbbruder des Feldmarschalls. Von diesem Friedrich Wilhelm Ludwig von dem Knesebeck gedenk’ ich zu erzählen. Sein Leben erscheint zwar als eine bloße Skizze neben dem farbenreichen Bilde seines berühmten Bruders ; aber es bedarf keines langen Su- chens und Forschens, um wahrzunehmen, daß beide Brüder Zweige desselben Stammes waren. Sie wirkten in verschiedenen Kreisen: der eine in der beschränkten Sphäre einer kleinen Stadt, der an- dere in dem weitgezogenen Kreise des staatlichen Lebens; aber der Pulsschlag beider, das Agens war dasselbe, und wie verschieden sich ihr Leben gestaltete, an Mannesmuth und adliger Gesinnung, an Vaterlandsliebe, Gemeinsinn und Opferfreudigkeit standen sich Beide gleich. Beide — märkische Edelleute von Kopf bis zu Fuß, aber der ältere Bruder gesellte hohe Gaben des Geistes zur Kraft und Stärke des Charakters: das schuf einen Unterschied zwischen Beiden. Der kühne Kopf, der den Gedanken gebären konnte: den unbesiegbaren Imperator durch die bloße Macht des Raumes, d. h. durch Rußland zu vernichten, stand so hoch, daß er die Neben- buhlerschaft eines andern Geistes nicht leicht zu fürchten hatte. Die Talente waren verschieden, aber die Charaktere waren gleich . Friedrich Wilhelm Ludwig von dem Knesebeck wurde am 29. März 1775 zu Carwe geboren. Er trat als Lieutenant in das zu Ruppin garnisonirende Regiment Prinz Ferdinand ein und machte als solcher die Rhein-Campagne mit. Ein Duell und eine Verwundung, die er empfing, veranlaßten ihn im Jahre 1800, seinen Abschied zu nehmen. Ruppin war ihm lieb geworden, und er verblieb als Bürger in einem Kreise, in dem er als Offizier eine Reihe glücklicher Jahre verlebt hatte. So kamen die Tage von Jena und Auerstädt; die Marken, alles Land diesseit der Oder wurde von preußischen Truppen geräumt, und das Land lag offen und widerstandslos vor dem nachrückenden Feinde da. Am Tage Aller Heiligen traf in Ruppin die Nachricht ein, daß die Franzosen anrückten. Was thun? Wer hatte den Muth und die Fähigkeit, die Stadt zu vertreten? Eine Wahl war bald ge- troffen, wo nur Einer gewählt werden konnte. Alle Stimmen vereinigten sich auf Knesebeck; man gab ihm eine Art dictatorischer Gewalt und vertraute das Wohl der Stadt seiner Geschicklichkeit und dem Glück seiner Hand. Der Abend dämmerte und Pistolenschüsse verkündeten die An- kunft französischer Chasseurs. Knesebeck ging ihnen entgegen. „Qui vive?“ „Un citoyen du bourg“, antwortete Knesebeck und verlangte den commandirenden Offizier zu sprechen. Dieser gab sich als einen Marquis de Custine zu erkennen. Knesebeck er- öffnete ihm, daß die Stadt offen, ohne Besatzung und arm, trotz ihrer Armuth aber zu einem „douceur“ bereit sei. Das wirkte. „Ah, Monsieur savait traiter avec les soldats“, erwiederte der Marquis lächelnd mit befriedigtem Gesicht, und man einigte sich alsbald über 100 Louisd’or. Die Franzosen zogen ein, und die Summe wurde gezahlt. War auf diese Weise Plünderung und Gewaltthat glücklich abgewandt, so sicherte Knesebeck’s Geistesgegenwart wenige Wochen später die Stadt vor einer noch drohenderen Gefahr. Das Gerücht hatte sich verbreitet: „die Franzosen seien geschlagen worden“, und den guten Ruppinern begann der Kamm zu schwellen. Detachements französischer Truppen passirten die Stadt, dann und wann auch Personen von Rang; warum sollte man sie ruhig und ungehindert ziehen lassen? waren es nicht Feinde? So beschloß man, den „kleinen Krieg“ zu organisiren und wegzufangen, was sich fangen ließe. Die Sache war gut gemeint, aber sie hatte mehr Herz, als Verstand. Kaum daß solche Pläne in den Köpfen der Menge spuk- ten, als sich auch schon Gelegenheit bot, sie auszuführen. Bei lei- sem Schneegestöber kam Anfangs December ein Schlitten durch’s Thor, dessen Insasse sich, trotz des weiten Mantels, der die Uni- form verhüllte, unleugbar als ein höherer französischer Offizier zu erkennen gab. Da hatte man wen im Garn! Mit Geschrei drang man auf den Unbekannten ein, zunächst um ihn zu insultiren, vielleicht um ihn zu erschlagen, wenn er Widerstand versuchen sollte. Knesebeck eilte herzu, stellte den Angreifenden das Unedle, das Thörichte, das Gefährliche ihrer Handlungsweise vor und trieb den Haufen aus einander. Der Offizier setzte seine Reise nach Berlin hin fort. Alles schien vergessen, als etwa drei oder vier Tage spä- ter Knesebeck in den Gasthof zur Krone gerufen wurde. Ein fran- zösischer Gendarmerie-Oberst (ein Abgesandter Savary’s, in dessen Händen damals (in Berlin) die oberste Polizeileitung war) trat ihm in brüsker Weise entgegen und machte ihn verantwortlich für die Insulten, die sich die Stadt gegen einen französischen Offizier erlaubt habe. „Ich werde Sie füsiliren lassen.“ Knesebeck erwie- derte kalt: „contre la force il n’y a point de résistance.“ Der Oberst Meine Quelle giebt an, dieser Oberst sei Savary selbst gewesen, was aber aus vielen Gründen unmöglich ist. Savary wurde schon bei Marengo (1800) Napoleons General-Adjutant, war also im Dezember 1806 mindestens General-Lieutenant, wenigstens wurde er 6 Monate später (nach der Schlacht bei Friedland) bereits zum Herzog von Ro- vigo ernannt. Ein so hochgestellter Offizier konnte durch Caulaincourt, der an Rang kaum mehr war als er selbst, nicht gut persönlich zu einer Untersuchungsreise nach Ruppin veranlaßt, am allerwenigsten aber mit einem „taisez vous“ zur Ruhe verwiesen werden. , durch die Ruhe dieser Entgegnung decontenancirt, pol- terte eben heftig mit neuen Schmähungen heraus, als eine dritte Gestalt, die bis dahin halbverborgen in der Fensternische gestanden hatte, zu den Streitenden herantrat und dem lärmenden Offizier zurief: „Taisez vous! cet homme a agi comme chevalier; il n’y a rien à lui reprocher.“ Knesebeck erkannte jetzt in dem Sprecher denselben französischen Offizier, den er der Volkswuth entrissen hatte. Es war Napoleon’s Oberstallmeister, Caulaincourt Herzog von Vicenza. Caulaincourt hatte keine Ahnung davon ge- habt, daß dieselbe Orts-Autorität, die er an dem Vorfall Schuld glaubte, und deren Verfolgung er in Berlin (bei Savary) bean- tragt hatte, genau derselbe Mann war, dessen rechtzeitigem Ein- schreiten er seine Rettung verdankte. Die Sache wurde beigelegt, auf Bestrafung der Schuldigen nicht weiter gedrungen und Knese- beck mit den verbindlichsten Worten entlassen. Einquartierungen und Truppen-Durchmärsche dauerten fort. Wohl kam Frieden, aber er hatte nicht die ersehnte Folge, daß die Franzosen die Mark verließen; sie wurden nur innerhalb derselben dislocirt. Um diese Dislocirungen für die Grafschaft Rup- pin einzuleiten, wurde Knesebeck im August 1807 nach Liebenwalde geschickt, wo sich damals die Division Vilatte befand. Nachdem er die nöthigen Notizen über Zahl und Gattung der unterzubringen- den Truppen erhalten und dem General Vilatte die vollständigste Auskunft über die vorzunehmende Dislocation ertheilt hatte, for- derte der Commandirende ihn auf, die Vorbereitungen zu dem nahe bevorstehenden Napoleonstage (15. August) zu treffen. Knese- beck that wie befohlen. Als er andern Tages meldete, daß Alles angeordnet sei, lud ihn Vilatte ein, in Liebenwalde zu bleiben und an der Feier theilzunehmen. „General“, erwiederte Knesebeck, „Sie haben zu befehlen; wenn ich bleiben muß , so werde ich bleiben; aber kein preußischer Offizier wird sich aus freien Stücken dazu entschließen, bei solchem Feste zugegen zu sein.“ Ein prüfender Blick traf den Sprecher; dann trat Vilatte an ihn heran und schüttelte ihm herzlich die Hand. Später in Ruppin selbst, wohin, als nach einer größeren Stadt, das Hauptquartier alsbald verlegt wurde, entspann sich ein immer freundlicheres Verhältniß zwischen Knesebeck und dem fran- zösischen General. Vilatte war ein Ehrenmann, ein Soldat von ritterlichem Sinn. Dasselbe galt von seinem Adjutanten, dem Hauptmann Denoyer, einem Kreolen von Martinique, der im Hause Knesebeck’s eine Wohnung bezog und in liebenswürdiger Weise die Beziehungen zwischen diesem und dem General zu för- dern wußte. Die Mußestunden, die der Dienst gönnte, wurden verplaudert; man verweilte gern bei den Scenen früherer Feldzüge und fühlte sich doppelt zu einander hingezogen, als sich bei diesen Plaudereien herausstellte, daß sich Beide während der Rhein-Cam- pagne gegenüber gestanden und auf der Mainzer Schanze Kugeln mit einander gewechselt hatten. Inzwischen wüthete der Krieg in Spanien fort; die Capi- tulation von Baylen war eingetreten und Knesebeck wurde zu Vilatte beschieden, um die Angelegenheiten des Tages, die neuesten Nachrichten vom Kriegsschauplatz, mit ihm durchzusprechen. Vilatte träumte von einem nahen Frieden, sprach mit Eifer von dem bal- digen Abmarsch der französischen Truppen und knüpfte daran eine Einladung an Knesebeck, ihn auf seinem „chateau“ in der Um- gegend von Nancy zu besuchen. Knesebeck erwiederte: „General, Sie werden uns bald verlassen, aber nicht um in die Heimath zu ziehen; der Frieden ist ferner denn je.“ — „Sie irren, Knesebeck; unsere Affairen in Spanien stehen gut; der Krieg geht auf die Neige.“ — „Ich bezweifle es, General; darf ich mich offen zu Ihnen aussprechen?“ — „Eh bien parlez!“ — „General, man hintergeht Sie; die Bulletins Ihres Kaisers sind Täuschungen; es geht nicht gut; General Dupont hat bei Baylen capitulirt, 17,000 Franzosen sind kriegsgefangen.“ — „Sind sie dessen so sicher?“ — „Ganz sicher.“ — „Eh bien, nous verrons! in 8 Tagen sprechen wir weiter davon.“ Die 8 Tage verstrichen und brachten die einfache Bestätigung der Capitulation. Vilatte gerieth in die höchste Aufregung, ließ Knesebeck zu sich entbieten, schüttete ihm sein Herz aus über die endlosen Kriege, wiederholte aber dennoch seine Einladung . Beide Männer waren bewegt. Kne- sebeck antwortete endlich: „Ich nehme Ihre Einladung an, General, ich werde kommen; aber wenn wir uns wiedersehn, wird es in großer Gesellschaft sein .“ Das war in den ersten Augusttagen 1808. Die französischen Truppen marschirten ab, aber nicht in die Heimath, vielmehr — nach Spanien. König Friedrich Wilhelm kehrte aus den östlichen Provinzen nach Berlin zurück; bange Friedensjahre kamen, endlich die Tage erneuten Kampfes und der Hoffnung auf Erlösung. Knesebeck jubelte; er hoffte den großen Kampf mitkämpfen zu können; eine Compagnie war ihm zugesichert, — da berief ihn eine Cabinetsordre als ständischen Commissarius nach Potsdam, wo ihm die Aufgabe zufiel, bei der Organisation der kurmärkischen Landwehr miteinzugreifen. So blieb es ihm versagt, mit in’s Feld zu rücken und an den Ehren jener großen Zeit unmittelbar Theil zu nehmen, bis endlich die Rückkehr Napoleon’s von Elba und das rasche Vorrücken der Preußen, um dem drohenden Stoß so früh wie möglich zu begegnen, ihm auch diesen Wunsch erfüllte. Er erhielt eine Compagnie im 6. kurmärkischen Landwehrregiment, rückte mit in Flandern ein und focht bei Ligny, Sombref und Wavre. So kam er nach Paris . Sein erster Gang war zu — Vilatte , damals Chef der Gendarmerie der Hauptstadt. „Bon jour, Général! da bin ich; erkennen Sie mich wieder?“ — „Mon Dieu, Knesebeck, c’est vous“, — und die alten Geg- ner und Freunde schüttelten sich die Hand. Knesebeck hatte sein Wort gelöst; er war gekommen, aber „in großer Gesellschaft“, wie er prophezeiht hatte. Weihnachten 1815 kehrte er heim, ererbte 1823 Löwenbruch und zog sich 1829 nach dem benachbarten Jühnsdorf zurück. Unter allen Tagen seines Lebens blieb ihm der Sylvestertag 1807 der theuerste, wo die Bürgerschaft der Stadt Ruppin ihm, in fest- licher Versammlung, die Bürgerkrone überreicht hatte, und mit freudigem Stolze mochte er sich der Liedesworte erinnern, die damals, in noch frischer Dankbarkeit, an ihn gerichtet worden waren: Als in den Tagen des Grams die blöden Gemüther erstarrten, Und dem nahenden Sturm jegliche Seele erlag, Tratest Du kühnlich hervor, gesetzt und weis’ und besonnen, Zu beschwören den Sturm, der uns Verderben gedroht. Er hatte wohl Anspruch auf diese Huldigung. Der Kreis, in dem ihm zu wirken vergönnt war, war nur ein kleiner und be- grenzter, aber innerhalb desselben hatte er sich bewährt. Den grö- ßern Kreis sich zu schaffen, lag außerhalb seiner Macht, aber wo immer er stand, stand er da — ein ganzer Mann. Er starb hochbetagt am 11. Juli 1860. Wir sitzen im Herrenhause zu Löwenbruch ; die Saal- thür, die in den Garten führt, steht offen, und Duft und Frische dringen zu uns ein. Die Sonne geht eben unter und ein breiter rother Streifen liegt über dem Schwarzgrün der Edeltannen. Alles ist Sabbathstille, und geräuschlos zieht ein Schwarm Tauben durch die Luft. Erdbeerschalen schmücken den Tisch und lachen uns an; heiter, behaglich fließt der Strom der Rede. Wir sprechen, und die todten Dinge um uns her sprechen auch. Was seit Jahrhunderten hier thätig und lebendig war, es ist nicht todt; irgend ein Etwas ist da, was uns das Vergangene wieder gegenwärtig macht und geheimnißvolle Bande webt zwischen todten und lebenden Geschlech- tern. Vor uns auf dem Tisch steht ein hoher Serpentin-Krug, der das Wappen der Otterstedts auf seinem Silberdeckel trägt; durch die zurückgeschlagene Sammt-Portière gewahren wir im Ne- benzimmer die alte Alvensleben ’sche Truhe, die nun als Sopha dient; vor uns der Hollunderbaum, der über die Gartenmauer ragt, mahnt uns an Gröben , der im Leinwandkittel unter dem grünen Blätterdache saß und phantastische Schlachten auf seinem Schachbrett schlug; und neben uns, an der Wand, tickt die Pen- deluhr, die Knesebeck der Feldmarschall in Wien erstand, als der Friedens-Congreß die Fürsten Europa’s in der heitern alten Kaiserstadt versammelt hielt. Wie viele Denkschriften, Gutachten und Entwürfe entstanden bei dem Ticktack dieser gedrungenen Ebenholz-Pendule, die so ernst und in sich zurückgezogen dasteht, als wisse sie, was einem Zeugen schickt, der ernste Dinge gehört und gesehn. Der letzte rothe Streifen über den Tannen ist hin; Dämmerstunde herrscht; das leise Singen des Kessels im Neben- zimmer kündigt die Theestunde an. Die Unterhaltung schweigt; aber es ist, als flüsterten die Stimmen derer miteinander, die nicht mehr sind. Glücklich die Häuser und Plätze, die mehr haben als leuch- tende Tapeten und farbige Schildereien. Schloß Beuthen. Kühnlich darf mein Haupt ich legen Jedem Unterthan in Schooß. Kerner. A m Nuthe-Fluß, der die Grenze zwischen dem Teltow und der Zauche bildet, stand in alten Zeiten Schloß Beuthen und be- herrschte den Fluß-Uebergang. Rings von Wasser umflossen und aus grauem Feldstein fest zusammengefugt, erhob sich die Burg wie eine groteske Felsenmasse und blickte eckig, steil und trotzig in die Niederung hinein. Ja, Schloß Beuthen war trotzig. Die Quitzow’s hatten es inne und gedachten es zu behaupten gegen den Nürnberger Burg- grafen, der wie ein Herr in’s Land kam und den man nicht gel- ten lassen wollte. Sie mochten denken, „die Herren wechseln rasch in der Mark; sie kommen und gehn, wie Kaiserliche Noth oder Kaiserliche Laune sie schickt; es giebt nur einen bleibenden Herrn in der Mark und das sind wir .“ Sie hatten damals so unrecht nicht. Sie hatten nicht Unrecht in der Sache , aber sie hatten Un- recht in der Person . Das war kein Herr wie die andern, die nur gekommen waren, um wieder zu gehn; dieser kam, um zu bleiben , und nahm Platz mit dem Behagen und dem Nachdruck eines, der sich einzurichten gedenkt. Die Quitzow’s hatten kein Auge dafür, sie trotzten und hatten es kein Hehl. Es galt, diesen Trotz zu brechen. Vier Heerhaufen zogen vor die Schlösser der Quitzow’s und Rochow’s, vor Plaue, Frisack, Golzow, und der vierte Heerhaufen, der aus Bürgern von Jüterbogk und Treuen- brietzen und aus Lehnsleuten der Klöster Zinna und Lehnin be- stand, rückte vor Schloß Beuthen . Hans von Torgau, der Vogt zu Zossen war, führte diesen Heerhaufen an und forderte die Be- satzung auf, sich zu ergeben. Goswin von Brederlow aber, der die Burg für die Quitzow’s hielt, antwortete guten Muths: „er wolle sich die Sache noch ein paar Jahre überlegen.“ Das war am 14. Februar 1414. Hans von Torgau meldete die Antwort dem Kurfürsten, und die Bürger von Jüterbogk und Treuenbrietzen, die’s nicht eilig hatten, lagerten sich an der Nuthe entlang und warteten auf den zugesagten Bundesgenossen, von dessen Kriegs- ruhm die Marken damals voll waren. Sie warteten nicht lange. Am 24. Februar fiel Schloß Plaue und am 25. schon erschien die „faule Grete,“ von 36 Pferden gezogen, vor Burg Beuthen . Andern Morgens mit dem Frühesten klopfte eine 30 Pfund schwere Steinkugel an denselben Thurm, hinter dem Goswin von Breder- low eben beim Frühstück saß, und gab der alten Burg einen sol- chen Ruck, daß es schwer zu sagen war, was mehr zitterte, die Mauern oder die Herzen der Besatzung. Goswin von Brederlow ließ sich handeln jetzt; es schien, er hatte Tage gemeint, nicht Jahre , — und am 26. Abends war Schloß Beuthen eine kur- fürstliche Burg. Gut-Hohenzollersch ist sie seitdem geblieben, so lange sie ge- standen hat. Die letzte Spur von ihr verschwand wenige Tage vor der Schlacht von Großbeeren, als preußische Artillerie (die den Nuthe-Uebergang decken sollte) die Feldsteinmauern niederriß und statt ihrer einen Erdwall aufführte. Nur die Stelle, wo Burg Beuthen stand, ist noch deutlich erkennbar; Gräben und Fluß- windungen bilden ein Stück Inselland, auf dem sich der kreis- förmige Außenwall und das Mauerwerk des Mittelthurmes ersicht- lich markiren. Weiden und Akazien beschatten jetzt den Platz, dessen Rasen ein Stück märkischer Geschichte deckt; Fischernetze spannen sich zwischen den einzelnen Baumstämmen aus, und ein Kahn, der halb verborgen im Schilf liegt, unterhält die Verbindung zwischen Insel und Ufer. Das war im Februar 1414. Damals waren die Hohen- zollern fremd in märkischen Landen; beinahe feindlich zogen sie ein. Es ist anders geworden seitdem. Dieselben Familien, die da- mals am festesten widerstanden, haben seitdem sich als die treuesten bewährt, und die alten Rittersitze, vor denen die „faule Grete“ ihr lautes Wort sprechen mußte, sind längst die Sitze unwandel- barer Treue und Loyalität geworden. Auch Schloß Beuthen . Die Burg ist hin; aber zu Füßen derselben sind Dörfer und Herrensitze entstanden, die den alten Namen der Burg tragen (Groß- und Klein-Beuthen) und die Goertzke ’s, die seit 250 Jahren diese friedlichen Dörfer ihr eigen nennen, sind Alles, nur keine Goswin von Bredelows mehr, die Burg oder Schloß Beuthen für die Quitzow’s halten und sich’s „überlegen wollen,“ wenn ein Hohenzoller Einlaß begehrt. Es sind nun 5 Jahre, daß ein Hohenzoller wieder ’mal Ein- laß begehrte und seinen Einzug hielt in Groß-Beuthen . Versuch’ ich, diesen Tag zu beschreiben. Die Augustsonne fällt auf das Herrenhaus, das am Ausgang des Dorfes liegt. Der alte Thorweg, der von der Dorfstraße direct auf den Hof führt, ist zu einer Blumenpforte geworden und auf den Steinpfeilern rechts und links wehen die preußischen Fah- nen. Das Herrenhaus selbst ist das alte nicht mehr; die einfach weißgetünchten Wände blicken nur hier und da aus der Umrah- mung von Festons und Guirlanden hervor, und die Aufgangs- treppe verbirgt ihr schlichtes Geländer hinter einem Walde von hohem Schilf. Aus der weit offen stehenden Thür lugt von Zeit zu Zeit ein Mädchenkopf hervor und blickt über den Hof hin in die Dorfstraße hinein und jede Miene und Bewegung drückt die Frage aus, „ob sie kommen?“ Aber sie kommen noch immer nicht. Die Alten schreiten auf und ab und vergleichen mechanisch die Taschenuhr mit der Wanduhr, — dem einzigen Schlagwerk, das unbeirrt und unverändert seinen Schlag fortsetzt, während alle Herzen rascher und höher schlagen. Die Tauben sitzen in langer Reihe auf dem Dachfirst des Hofgebäudes, als warteten sie auch, und der Hahn, der im Schatten unter dem Vordach um diese Stunde zu meditiren pflegt, schreitet heute auf und ab wie eine Schildwacht und scheint sich im Schultern zu üben, wenn er auf einem Fuße steht. Jetzt aber meldet sein lauter Schrei, der weit über den Hof klingt, daß Freund oder Feind im Anzuge ist; die Tauben flattern auf und die Mädchen auf dem Hausflur rufen sich zu, was Jeder weiß: Sie kommen ! Keine Täuschung; sie kommen wirklich. Die Vorreiter sprengen auf den Hof, eine lange Reihe von Equipagen folgt hinterher; der erste Wagen hält, die Pferde schnaufen und werfen den Schaum von den Nüstern; ein Jäger öffnet den Schlag, und den Tritt hinab, der sich beim Oeffnen der Wagenthür wie eine starke Eisenhand graciös vor ihnen ausbreitet, steigen König und Königin . Sie haben sich anmelden lassen in Groß-Beuthen, haben um Quartier gebeten für die Tage des Manövers, das die Garden auf dem Sandplateau des Teltow eben heut begonnen haben, und da sind sie nun, um in das festgeschmückte Haus ihren Ein- zug zu halten. Liebe empfängt sie und Ehre geben sie. Die Schilf- treppe hinauf schreitet das Königliche Paar, und nach Worten herzlicher Begrüßung ziehen König und Königin unter Laub- und Blumengewinden in die bereit gehaltenen Zimmer ein. Eine Stunde später. Die Diener fliegen Trepp auf und ab; im Garten ist das Mahl angerichtet, aufgetragen unter einer Gruppe mächtiger Kastanien, deren Kronen das weiße Linnen des Tisches überschatten. Was haben Blumen und guter Wille aus diesem schlichten Platze gemacht? Der Staketenzaun, dessen Holzwerk längst die Zeichen gereifter Jahre trägt, hat seine Moos- und Flechten- Patina hinter Pyramiden von Riesenmais versteckt, und die alten Kastanien selbst wachsen wie eine phantastische Tropenvegetation aus tausendspitzigen Kelchen hervor, die sich bei näherer Betrachtung als hoch aufgerichtete Garben erweisen und nichts mehr . Alles 27 was Duft und Farbe hat, ist hier versammelt. Die Treibhäuser haben ihre Blumentöpfe bis auf den letzten Mann in’s Feld ge- stellt und selbst der Landsturm der Astern ist aufgeboten worden. Terrassenförmig stehen sie da, auf Stufen und Treppen, und blicken einander über die Köpfe fort, als wären sie nicht nur da, um gesehen zu werden, sondern auch — um selber zu sehen. Die trotzigen Tage von Burg Beuthen liegen weit zurück. Wo Goswin v. Brederlow den Einzug wehren wollte, da haben die Goertzke ’s Blumenpforten gebaut, um diesen Einzug zu feiern — König und Königin sind zu Gast in Groß-Beuthen. Die vollen Blätterschirme der Kastanien halten die Sonne ab, aber ein Sonnenschein liegt dennoch über der Tafel; Blumen und Mädchen- gesichter üben ihre alte Macht, und das Singen der Vögel klingt so laut, als wollten sie denen draußen im Felde erzählen von dem Fest, das hier gefeiert wird. Das Auge der Königin hängt lächelnd an dem reizenden Bilde; der König aber, der den Zauber mehr fühlt, als sieht, strömt über von jener geist- und gemüth- gebornen Heiterkeit, die so viele Herzen erobert hat, — auch ab- geneigtere, als die Herzen derer sind, die hier unterm Kastaniendach zusammensitzen. Das Mahl ist vorüber. Unterm Blätterwerk der Bäume wird es schwül, der offene, luftige Garten liegt da, und seine breiten Steige und Gänge laden zu einem Spaziergang ein. Die Obst- baum-Allee hinauf, die Weißdornhecke entlang, an der Akazien- laube vorbei und das Weinspalier zurück, so schreitet der König in raschem Gespräche auf und ab, nur dann und wann sich unter- brechend, wenn, ’mal lauter, ’mal leiser, die Glocken herüberklingen, die den Abend einläuten. Die Dämmerstunde kommt und der Thee wird auf der Gartentreppe servirt. Die Luft ist wie ein leiser Wellenschlag, langsam und ruhig, ohne Schwanken und Zittern. Zwei alte Pla- tanen, die das Haus schützen und selbst im Schutz des Hauses stehn, breiten ihre Zweige über der Treppe aus und bewegen kaum hörbar ihre Blätter. Abenddunkle Bäume am äußersten Rand des Gartens ragen wie schwarze Schatten vor dem letzten Streifen der Abendröthe auf, und die stillen Luftwellen ziehen langsam über die Levkoyen-Beete hin und tragen den Duft bis zur Gartentreppe hinauf. „Wie schön es bei Ihnen ist“ — ruft der König mit einem Gefühl von Glück und Behagen, als bade er sich in der duftigen Stille dieses Abends. Aber die Frische wird allmählich zur Kühle, ein leises Frö- steln durchrieselt das Blut, und der hell erleuchtete Gartensaal nimmt die hohen Gäste auf. „Was lesen wir heut?“ so ergeht die Frage des Königs, der, ohne die Antwort abzuwarten, mit geho- bener Stimme fortfährt: „Wir sitzen hier unterm gastlichen Dach eines uralten märkischen Hauses; alte Geschlechter haben ihre Ge- schichte; Ehre, dem Ehre gebührt; hören wir ein Capitel aus der Geschichte der Goertzke ’s.“ Der Vorleser verbeugt sich und rückt an den Tisch, während der König Papier und Bleistift ergreift, wie er immer zu thun pflegt, wenn das Vorlesen beginnt. Beschämt und gehoben zugleich sitzen die Goertzke ’s umher und horchen auf jedes Wort. Sie kennen Alles, aber das Bekannteste selbst klingt heute neu und anders in ihrem Ohr, wo der König dem Berichte lauscht. Von ihrem Elternvater wird gelesen, vom Joachim Ernst v. Goertzke , vom „alten Goertzke“ par excellence. Nichts wird vergessen: wie er als Page Marie Eleonoren’s (der brandenburgi- schen Prinzessin, die sich dem Gustav Adolf vermählte) in schwedi- sche Dienste kam; wie er unter dem Schwedenkönig bei Leipzig focht; wie ihn die Kaiserlichen bei Lützen zum Hinkefuß und Krüp- pel schossen; wie ihm das alte märkische Herz endlich wieder leben- dig wurde und er zurücktrat in kurbrandenburgischen Dienst. Und weiter dann: wie er ein großer Feldoberst wurde an Oder und Weichsel, am Rhein und Rhin; wie er bei Rathenow und Fehr- bellin dem alten Feldmarschall Wrangel, dem „Gustav Wrangel“ zeigte, daß aus dem Schüler ein Meister geworden sei; wie er trotz Krücke und Hinkefuß doch fest genug stand, um die Schweden über das Eis des kurischen Haffs zu jagen, und wie der Kurfürst, 27* überwältigt von der Tapferkeit des Alten, ihn seinen „Paladin“ genannt. Das Alles wurde gelesen heut und noch viel mehr. Denn auch die letzten Jahre des alten Helden kamen heute zu ihrem Recht. In Friedersdorf, das er gekauft und aus Asche und Trüm- mern neu aufgeführt, saß der alte Kriegsmann vor seinem Schloß und freute sich des göttlichen Segens, der Sonne von oben und des Wohlstands um ihn her; beides wärmte und labte sein Herz. Von Zeit zu Zeit kam Besuch, ein Wagen hielt auf der Rampe und ein alter Weißbart mit leuchtenden Augen stieg aus, gefolgt von Töchtern und Enkeln. Es war, als käme der Winter und brächte den Frühling mit. Das waren die Gusower; der alte Derfflin- ger kam zum alten Goertzke . Unter einer weitzweigigen Rothbuche nahmen Beide Platz, und die alten Kämpen, die immer Nachbarn gewesen waren, auf den Schlachtfeldern sonst und mit ihren Acker- feldern jetzt , gedachten der alten Zeit und der alten Namen. Auch am 30. März 1682 hielt der Wagen auf der Rampe von Frie- dersdorf, und der alte Derfflinger kam zum letzten Male zum alten Goertzke. Glocken klangen und Kanonen wurden gelöst; der Achtzigjährige war gekommen, um den Siebzigjährigen in die Gruft zu senken. In der Mitte der Friedersdorfer Kirche ruht die leib- liche Hülle des „Paladin;“ neben dem Altar aber steht hochauf- gerichtet sein steinern Bild und schaut fromm und muthig drein, wie es einem brandenburgischen Kriegsmanne geziemt. — Der Vorleser schwieg. Der König war dem Vortrage auf- merksam gefolgt. „Ich weiß, daß die Goertzke’s noch immer die alten sind; die Erfolge stehen bei Gott, aber Muth und Treue stehen bei uns.“ Die Tafel ward aufgehoben; im Gartensaal wurde es still, bald auch in Haus und Dorf. Der König schlief inmitten seiner Treuen wie jener „reichste Fürst,“ den der Dichter besungen, und wenn Gebete und Segenswünsche Macht haben über die Traum- welt, so war sein Traum wie ein Lied, das Nachts vom See her an’s ferne Ufer klingt. Wochen sind vorüber. Wir stehen noch einmal in dem ge- räumigen Saal, dessen Thür auf die Gartentreppe führt. Der Herbst ist gekommen, ein klarer Octoberhimmel lacht; in die Pla- tanenblätter mischt sich das erste Gelb, und die Obstbäume, die über das Weinspalier wegragen, stehen in voller Frucht. Im Gartensaale aber ist es, als wären schon die Decembertage da, jene schönste Zeit im Jahr, wo es auf Flur und Treppe nach Tannenbaum und Wachsstock riecht, wo die Geschenkkisten eintreffen von nah und fern und jene gekritzelten Mädchenbriefe, die ein frohes Fest wünschen und ein glückliches neues Jahr. An der ganzen Länge des Tisches hin stehen alle Insassen des Hauses, die Damen zumal, und blicken auf die wohlverpackten Kisten , als wären es Zauber-Commoden, aus deren Fächern und Schubkästen jeden Augenblick eine Wunderwelt emporsteigen könne. Mit einer Feierlichkeit, die Niemand merkt, weil sie Jedem der Ausdruck der eigenen Stimmung ist, langsam und mit unwillkürlichen Pausen, um die Schauer der Erwartung nicht zu kürzen, so werden endlich die Deckel geöffnet, und der knarrende Ton, mit dem die Nägel sich langsam aus dem Holze ziehen, hat seinen Reiz in dieser Stunde. Die Seegras-Hülle weg und nun blinkt es und blitzt es hell herauf! Es sind Geschenke von Sanssouci . Gold und Por- zellan, Bilder und Gemmen, — Dinge, werthvoll, wie sie die Hand eines Königs , aber auch sinnig zugleich, wie sie nur die Hand eines solchen Königs schenkt. Keiner ist vergessen. Jung und Alt stehen da und blicken, während derselbe Schlag durch alle Herzen geht, auf die Zeichen hoher Huld und Gnade, und während das Haupt der Familie mit bewegter Stimme die Königlichen Worte liest, die diese reichen Gaben begleiten, fallen die Thränen treuer Menschen zwischen die Gemmen und Edelsteine, als gehörten sie dorthin. Schloß Beuthen ist längst keine Veste mehr, die Brederlow gegen die Hohenzollern hält. Thür und Thor stehen weit offen und die Herzen der Goertzke’s dazu. Saalow. (Ein Capitel vom alten Schadow.) Der Deutsche lügt, wenn er höflich ist. A uf dem Plateau des Teltow, ziemlich halben Weges zwischen Trebbin und Zossen, liegt das Dörfchen Saalow . Es ist ein Dorf wie andere Dörfer mehr, aber seinen märkischen Charakter deutlich zur Schau tragend. Elsbruch, Kiefernwald und sandige Höhen fassen es ein, und die letzteren, die den grotesken Namen der „Höllenberge“ führen, bilden so ziemlich die ganze Poesie des Ortes. Auch ein benachbarter See, die „Sprotter Lache“ genannt, trägt nach schwachen Kräften das Seinige dazu bei. Wir kommen von Norden, von Großbeeren, haben zuletzt das Dorf Schünow passirt, und, zwischen Wald und Bruchland unsern Weg verfolgend, münden wir jetzt in eine kurze Maulbeerbaum- Allee ein, die uns nach wenigen Minuten an den Eingang von Saalow führt. Es ist ein Bauerndorf, das zu Amt Zossen ge- hört. Eine Kirche fehlt, ein Herrenhaus auch, und ein paar Dutzend Häuser und Gehöfte, sauber gehalten und meist mit Ziegeln gedeckt, bilden die Dorfstraße, die sich in der Mitte zu einem baumbe- pflanzten Platz erweitert. In der Mitte dieses Platzes dehnt sich der übliche Wasserpfuhl aus, von trüber und höchst unbestimmter Farbe und ohne den geringsten Anspruch auf jene sinnige Bezeich- nung „Auge der Landschaft.“ Die Schwalben unter’m Sims und das Storchnest auf dem Dache sorgen für die nöthige Dorf-Ge- müthlichkeit; die Hähne schreien, und über den Pfuhl hin schnat- tern und segeln die Enten mit komischer Gravität. So ist Dorf Saalow jetzt, schlicht und einfach genug, aber doch ein Platz voll einladender Heiterkeit, verglichen mit dem , was es gegen Ende des vorigen Jahrhunderts war . Aus Lehmwänden und Strohdächern, die im Laufe der Zeit zu Moosdächern gewor- den waren, baute sich damals die Dorfstraße auf, und ein weiß gestrichenes Häuschen, das auf den Platz und den Wasserpfuhl hinaussah, während Obstgarten und Ziehbrunnen in seinem Rücken lagen, hatte nichts als die weiße Tünche seiner Wände, als eine Zitzgardine und einen Zeisigbauer hinter’m Fenster vor dem Rest der Hütten und Häuser voraus. In diesem Hause wohnte der Schneider des Dorfes, Hans Schadow mit Namen. Wir treten bei ihm ein. An dem Zu- schneidetisch, dessen weit vorspringende Holzplatte bis in die Mitte des Zimmers reicht, steht ein knochiger und breitschultriger Mann, dessen Figur eher an Hammer und Ambos, als an Nadel und Scheere erinnert, und blickt auf das ausgerollte Stück Tuch, das vor ihm liegt. Es ist blaues Tuch; märkische Bauern tragen nur blaue Röcke. Meister Schadow hat ein Stück Kreide in der Hand, und wie ein Baumeister, der seinen Plan entwirft und die Di- stancen absteckt, tupft er bald hier, bald da auf das ausgerollte Stück Tuch, mustert die weißen Tüpfelchen, die er gemacht, und zieht dann, zwischen den Punkten, die geraden und die geschweiften Linien, wie es Schooß und Rückenstück erfordern. Völlige Stille ist um den Meister her; der Zeisig im Bauer singt weder, noch springt er auf den Sprossen auf und ab; selbst die Fliegen gönnen sich Ruhe, und nur aus dem halbdunklen Ofen- winkel hervor klingt es und schrammt es leise, wie wenn Jemand geschäftig mit einem Griffel über eine Schiefertafel fährt. Dem ist auch so. Auf der niedrigen Ofenbank hockt ein sechsjähriger Blond- kopf und die beiden Beinchen wie ein schräges Pult vor sich, an das er seine Tafel gelehnt hat, tupft er, ganz nach Art des Va- ters, allerhand Markirpunkte auf die Tafel und zieht dann, zwi- schen den Punkten, die geraden und die geschweiften Linien. Aber die Punkte und Linien, die er macht, beziehen sich weder auf Schooß noch Rückenstück, sondern auf das Gesicht des Vaters sel- ber, dessen markirtes Profil er, wie einen scharf gegebenen Schat- tenriß, in aller Deutlichkeit vor sich hat. Den vorspringenden Stirnbuckel, die römisch geschwungene Nase, den tiefen Mundwin- kel, Alles hat er getroffen — und einen Augenblick haftet der Blick des Knaben an dem Bilde, als freue er sich seiner Schöpfung. Da aber klingt es „ Gottfried “ vom Arbeitstische her und das Klappern eines Deckelkruges begleitet den strengen Ruf des Vaters. Die Hand des Knaben, als fühl’ er sich auf einem Unrecht er- tappt, fährt rasch über Tafel und Zeichnung hin; dann springt er auf und, gehorsam den Krug nehmend, den ihm der Vater entge- gen hält, eilt er hinaus, um ihn draußen am Brunnen zu füllen. Das war im Sommer 1770. Rasch wechseln Zeit und Ort; statt der 70er Jahre des vorigen, liegen die 40er Jahre dieses Jahrhunderts vor uns, und statt in die Schneiderstube zu Saalow, blicken wir in den Actsaal des Berliner Akademie-Gebäudes. Die Schüler sind bereits versammelt, ein helles Lampenlicht fällt von oben her auf die Tische, und Alles scheint Ernst und Aufmerk- samkeit; denn der „Alte“ ist eben eingetreten, um nach dem Rechten zu sehen. Der Alte, ein Achtziger, knochig, breitschultrig, so recht ein Mann aus dem Vollen, schreitet langsam von Platz zu Platz, von Bank zu Bank; nur dann und wann bleibt er stehen und blickt musternd über die Schulter des Zeichnenden. „Det is jut“, sagt er zu dem Einen und klopft ihm, zum Zeichen des Beifalls, mit seiner mächtigen Handfläche auf den Kopf; „det is nischt“, sagt er zu dem Anderen und geht weiter. Ein Dritter müht sich eben, die Umrisse einer menschlichen Figur auf dem Papiere festzu- halten; aber die Linien sind nicht sicher gezogen und die Propor- tionen sind falsch. Der Alte heißt ihn aufstehen, nimmt Platz auf dem leer gewordenen Stuhl und sagt dann lakonisch: „Pass’ uff, ick mach’ det so.“ Dabei nimmt er dem Schüler den Kreidestift aus der Hand, tupft Punkte mit fester Hand auf das graue, grob- körnige Zeichenpapier, und während er jetzt die markirten Stellen mittels fest und sicher gezogener Linien unter einander verbindet, brummt er vor sich hin: „Det hab’ ick von meinen Vater, det war’n Schneider.“ Gottfried Schadow , der Saalower Schneiderssohn, ist Gottfried Schadow, der Akademie-Director geworden, ein berühm- ter Mann, ein Name, der Klang hat von einem Ende Europa’s bis zum andern. Derselbe Gottfried, der rasch das Bild von der Schiefertafel wischte und dienstfertig aufsprang, wenn der strenge Vater mit dem Deckelkruge klappte, derselbe Gottfried ist jetzt sel- ber ein strenger Hausherr geworden, vielleicht nicht strenger als der Vater, aber mächtiger und gefürchteter. Sein Haushalt ist die Akademie. Er ist ihr König und Herr; längst hat er seine Macht als einen unerschütterlichen rocher de bronze stabilirt; die Zei- ten, wo er Beispiele statuiren mußte, liegen hinter ihm und, wie ein milde gewordener Tyrann, spielt er mit dem Zügel seiner Herrschaft. Aller Abzeichen seiner Würde, alles repräsentativen Flitters, hat er sich längst entkleidet; er regiert durch sich selbst, kraft seiner Kraft. Ob das Sacktuch, das er aus seinem taschen- reichen Rocke zieht, von Kattun ist oder von Seide; ob er riesige Filzschuhe trägt, oder kalblederne Stiefel (in die er, überall an Ballen und Zehen, große Löcher geschnitten hat) ob er hochdeutsch spricht, oder im Berliner Jargon — es kümmert ihn nicht und es kümmert Andere nicht; denn er sowohl, wie Andere, empfinden doch jeden Augenblick, daß er der alte Schadow ist. Herrscherge- wohnheit und das Bewußtsein völliger Ueberlegenheit haben seinem Auftreten längst jede Spur von Scheu oder Genirtheit genommen, und was er denkt und fühlt, das spricht er aus. Sein Wille ist Gesetz; seine Laune nicht minder. Eine Anekdote mag ihn schildern, wie er das Scepter führt. Es ist eine Abendsitzung; der akademische Senat hat sich versammelt, Director und Professoren; keiner fehlt. Der Saal ist hell erleuchtet und das Licht fällt auf die schönen Blechen’schen Zeichnungen, die an den Ständern und Wandschirmen befestigt sind. Am obern Ende des Ovaltisches, dessen grüne Decke mit vielen hundert Goldnägelchen an der Tischplatte befestigt ist, sitzt der alte Schadow, die Arme auf die Seitenpolster eines Lehnstuhls gelegt, während seine Füße in hohen Pelzstiefeln stecken und ein mächtiger grüner Lichtschirm mehr als die Hälfte seines Gesichts verdeckt. Es ist heute Annahme neuer Zöglinge. Am entgegenge- setzten Ende des Saales steht Professor Stabbfuß und controlirt alle Eintretenden, die sich zur Aufnahme melden. Wessen Zeugnisse nicht in Ordnung sind, wer zu jung ist oder zu alt, wird uner- bittlich zurückgewiesen; heitre und verblüffte Gesichter wechseln in rascher Reihenfolge ab. Da tritt ein Bürschchen ein, den wir Lin- denolt nennen wollen, keiner aus der Provinz, dem sich die Ver- legenheit wie ein Alp auf die Zunge legt, sondern ein Berliner Kind, dessen kraus aufrecht stehendes, blondes Haar gegen alle Aengst- lichkeit in der Welt zu protestiren scheint. Er hat freilich noch be- sondere Gründe, an dieser Stelle mit Sicherheit aufzutreten; denn der alte Schadow ist Hausfreund bei seinen Eltern, und kein Geburtstag des alten Herrn ist seit 20 Jahren vorübergegangen, wo nicht Lindenolt’s Mutter, eine heitere, thüringsche Frau, dem „Herrn Director“ seinen Lieblingskuchen (wir werden gleich sehen welchen) als Geburtstagsgeschenk überschickt hätte. Lindenolt kennt die Welt; die Macht der Connexion ist kein Geheimniß mehr für ihn, und auf Professor Stabbfuß’s wiederholte Fragen nach Zeug- nissen und allerhand andern Papieren, entgegnet er mit äußerster Unbefangenheit, daß er weder Zeugnisse noch andere Papiere habe. Die Ruhe, mit der diese Erklärung abgegeben wird, hat etwas Beleidigendes, und Stabbfuß beginnt seinem Aerger Luft zu machen. Lindenolt antwortet. Der Lärm wird immer größer und der alte Schadow, oben am Tisch, dessen schläfrig scheinender Auf- merksamkeit nichts entgangen ist, ruft endlich über den Tisch hin: „Wat is denn los?“ Statt eine directe Antwort zu geben, tritt Stabbfuß jetzt an den Alten heran, zeigt auf Lindenolt, der ihm gefolgt ist, und spricht im Tone schlecht verhehlten Aergers: „Herr Director, hier ist einer von den Lindenolts; er will in die Gips- classe, aber nichts ist in Ordnung.“ „So“, — brummelt der Alte — hebt den Augenschirm halb in die Höh’, mustert den jungen Aspiranten der Gipsklasse und sagt dann: „J det is ja Herrmann von nebenan.“ Der Angeredete verbeugt sich zustimmend: „Höre, Herrmann, sage man Muttern, der letzte Käsekuchen war jut; aber vergiß et nich.“ Die Professoren, längst an Intermezzos dieser und ähnlicher Art gewöhnt, lächeln behaglich, wie wenn sie sagen woll- ten: „Ganz im Stil des Alten.“ Nur Stabbfuß beißt sich auf die Lippen; denn er erkennt sofort, daß seinem Ansehen eine neue Niederlage bevorsteht. „Na“ — fährt der Alte fort, nachdem er sich inzwischen in seinem riesigen Taschentuche geschnäuzt hat — „na, Herrmann, Du wist in de Gipsklasse?“ „Ja, Herr Director.“ „Haste denn ooch Lust?“ „Ja, Herr Director.“ „Haste ooch schon gezeechnet?“ „Ja, Herr Director.“ Na, denn zeechne mal ’n Ohr, aber aus’n Kopp . Stabbfuß, jeben Se mal Papier her un’n Bleistift.“ Stabbfuß gehorcht mit süßsaurem Gesicht. „So, na nu setz’ de Dir hier an’n Disch, und zeechenst.“ Unser Lindenolt setzt sich, zeichnet ein Ohr und überreicht es dem nebenstehenden Stabb- fuß. Dieser, begreiflicherweise in höchst kritischer Laune, beginnt zu mäkeln. „Geben Se mal her“, unterbricht ihn der Alte, klappt den grünen Schirm in die Höh, befühlt und bekuckt das Papier von allen vier Seiten und sagt dann: „Stabbfuß, bedenken Se — aus’n Kopp ; det Ohr is jut; schreiben Se ihn man in.“ So kam Lindenolt in die Gipsklasse . Und so war der alte Schadow, — setzen wir hinzu. Ein Zwiespalt ging durch sein Leben und seine Erscheinung; Griechen- thum und Märkerthum hielten sich die Waage oder verbanden sich zu einem wunderbar humoristischen Gemisch. Wenn er in den Saal tapste oder das Taschentuch zog (was viel öfter geschah, als schön war), war er ganz der Sohn seines Vaters Hans Schadow; wenn er den Stift in die Hand nahm, war er das Kind der Grazien. Saalow und Athen erschienen abwechselnd als seine Heimath. Sein Körper und seine Seele lebten mit einander wie Venus und Vulkan. Diese Zwiespältigkeit wurde zuletzt sein Stolz, und er machte das Beste draus, das sich draus machen ließ, eine aparte Figur, ein Original . Es ist sehr merkwürdig, daß immer nur solche Derbheits-Gestalten bei unserm Volke populär geworden sind (der alte Dessauer, Friedrich der Große, Blücher); alles Patente wird beargwohnt, oder ist ihm lächerlich und verhaßt. Das ganze Auftreten Schadow’s erinnerte an die alten Mei- ster des Mittelalters. Er war ein Peter Vischer in’s märkisch- berlinische übersetzt. Er hielt noch auf’s Handwerk , immer davon ausgehend, daß es besser sei, das Handwerk zur Kunst, als die Kunst zum Handwerk zu machen. Von Bürgersinn und Bürger- trotz (Dinge, die immer rarer werden), hatte er sein gerüttelt und geschüttelt Maß, und gegenüber den modernen Künstlerprätensionen, hielt er’s ganz mit der alten Schule, die sich mehr um’s Sein als um’s Scheinen kümmerte. Das Schwierige des bloßen, äußerlichen Machen-könnens betonte er gern, und in ähnlicher Weise wie Ludwig Tieck zu sagen pflegte: „es ist immerhin eine Arbeit , einen dreibändigen Roman zu schreiben, gleichviel ob er gut oder schlecht ist“, so sagte auch Schadow, wenn Skizzen und Entwürfe über Gebühr und auf Kosten ausgeführter Arbeiten ge- lobt wurden: „Papier is weech, aber Steen is hart.“ Er hatte, wie alle volksthümlichen Figuren unseres Landes, eine Vorliebe für den Dialekt , wiewohl er ihn, wo es ange- bracht war, sehr wohl bei Seite thun und namentlich in Aufsätzen und Abhandlungen, deren höchst vortreffliche aus seiner Feder exi- stiren, eine in Stil und Ausdruck mustergültige Sprache führen konnte. Lakonisch war er immer, wie fast alle Leute hervorragen- den Könnens. Er trieb diese Kürze des Ausdrucks gelegentlich bis zur Unverständlichkeit, und nur Eingeweihte konnten ihm folgen. Ein Jugenderlebniß, das er gern erzählte und das ihm praktisch gezeigt hatte, mit wie wenig Worten sich durchkommen lasse, schien eine Nachwirkung auf sein ganzes Leben ausgeübt zu haben. Als er 1791 über Schweden nach Petersburg reiste, fand er an der russischen Grenzstation Kymen einen ehemaligen russischen Corporal als Posthalter vor. Schadow fror bitterlich und hatte Hunger und Durst. Er wußte kein Wort russisch und, um sich möglichst gut zu introduciren, sagte er bloß: Tottleben, Zernitscheff, Zarewna. Der Corporal antwortete: Belling, Zieten, Fridericus Rex. So wurde mit Hülfe des siebenjährigen Krieges Freundschaft geschlossen. Man fand sich, schüttelte sich die Hände; der Russe schaffte Thee und Speisen herbei und trat dann unserm Schadow sein Bett ab, das das einzige in der ganzen Gegend war. Er hatte hier practisch erfahren, daß es nur darauf ankomme, das rechte Wort zu treffen! — Voller Selbstbewußtsein, war er doch frei von jeder klein- lichen Eitelkeit. Ja, er erwies sich, nach dieser Seite hin, als eine echte und große Künstlernatur. Die Autobiographie, die er hinter- lassen hat, zeigt uns in erhebender Weise die Beispiele davon. Nirgends ein Verkleinern Anderer, nirgends ein Vordrängen des eigenen Ich, nirgends ein Verkennen oder ein Grollen über die Fortschritte, die Zeit und Kunst um ihn her gemacht hatten. Sel- ten mag ein Künstler mit größerer Unbefangenheit über seine Werke zu Gericht gesessen haben. „Es kann dies Denkmal Tauentzien’s — so schreibt er selbst — nicht zu den Kunstwerken gezählt wer- den, die als Vorbilder dienen dürfen“, und über die Statue Friedrich’s II. in Stettin, die von vielen Seiten seinen besten Arbeiten zugezählt und über das Rauch’sche Kolossal-Werk gestellt worden ist, läßt er sich selber in abwehrender Weise vernehmen: „Ich zähle auch diese Arbeit nicht zu den gelungenen; die Drap- pirung des Mantels war ein mühseliges Unternehmen.“ Von den Reliefs am Berliner Münzgebäude sagt er in heiterer Anspruchs- losigkeit: „Wer diese Arbeiten als meine besten gepriesen hat, mag es vor sich und vor der Welt verantworten.“ Solcher Aussprüche finden sich viele. Eine ungeheure Pro- ductionskraft und, bis in’s späte Alter hinein, eine gewisse Leich- tigkeit des Schaffens machten ihn gleichgültig gegen das Einzelne. Er hatte immer das Ganze vor Augen und war nicht ängstlich bei jedem Schnitzelchen auf Ruhm und Unsterblichkeit bedacht. Eine kleine Anekdote mag das zeigen. Unter den vielen Statuetten, die in seinem Zimmer auf Consolen und Simsen umherstanden, befan- den sich auch die Modell-Gestalten zweier Grazien, die er in grüner Wachsmasse ausgeführt hatte. Es waren Arbeiten aus seiner besten Zeit, kleine chef d’œuvres, die mehr als einmal die Bewunde- rung eintretender Künstler und Kenner erregt hatten. Durch eine Unvorsichtigkeit waren während des Winters 1840 beide Modell- Figuren in die Nähe des Ofens gestellt worden und das halb- geschmolzene Wachs überzog seitdem, wie eine Art Pickelhaut, die Oberfläche der beiden graziösen Gestalten. Ein Tausendkünstler aus der Schadow’schen Bekanntschaft erbot sich, mit Hülfe von Naphta oder Aether die alte normale Schönheit wiederherzustellen. „Na, na,“ hatte der Alte kopfschüttelnd abgewehrt, sich aber schließlich doch bestimmen lassen. Sehr zur Unzeit. In einem Zustande un- geahnter Schlankheit kehrten nach kaum acht Tagen die Aether- gebadeten in das Schadow’sche Haus zurück. Der Alte ging musternd um seine Lieblingsgestalten herum, schmunzelte einen Augen- blick und sagte dann ruhig zu dem erwartungsvoll Dastehenden: „De Pickeln sind weg, aber de Pelle ooch.“ Wenige hätten gleich ihm die Beherrschung gehabt, mit einer humoristischen Bemerkung von ein Paar Lieblingsgestalten wie diese auf immer Abschied zu nehmen. Er war auch (freilich in seiner Weise) ein Repräsentant der berliner Ironie, dieser trostlosesten aller Blüthen, die der Geist dieser Landestheile je getrieben hat. Man hat, wenn solche Abschweifung an dieser Stelle gestattet ist, dies ironische Wesen auf den märki- schen Sand, auf die Dürre und Trockenheit des Bodens, auf den Voltaireanismus König Friedrich’s II. und auf die eigenthümliche Mischung der ursprünglichen berliner Bevölkerung mit französischen und jüdischen Elementen zurückführen wollen, — aber, wie ich glaube, mit Unrecht. Alles das mag den Ton , die Form der Sache bestimmt haben, aber es erzeugte nicht die Sache selbst . Die Sache selbst war Nothwehr, war das Product der Unfreiheit, eine natürliche Folge davon, daß einer Ansammlung bedeutender geistiger Kräfte die großen Schauplätze und Werkstätten des öffent- lichen Lebens über Gebühr verschlossen blieben. Das freie Wort ist der Tod der Ironie geworden und wird es täglich mehr. Zu Schadow’s Zeiten aber blühte sie noch, und da es für den Ein- zelnen immer mehr oder weniger unmöglich sein wird, sich gegen das Bestechliche eines herrschenden Tones zu verschließen, so adop- tirte auch der Alte diese Sprechweise, allerdings erst, nachdem er sich dieselbe nach seinen eigenen Bedürfnissen zurecht gemacht hatte. Er versetzte sie nämlich mit einem Element, von dem sie in der Regel wenig zu haben pflegt — mit humoristischer Derbheit, und erzielte dadurch ein Endresultat, dessen hervorstechendster Zug eine vernichtende Grobheit war. Ein paar illustrirende Beispiele, herausgegriffen aus einer großen Zahl ähnlicher Anekdoten und Ueberlieferungen, mögen hier Platz finden. Vom Professor Stabbfuß, der freilich alles Andre eher war als ein Maler, pflegte der Alte lächelnd zu sagen: „Ja, der Stabbfuß, der hat sich det Malen angewöhnt,“ und einer Deputation der Bildhauer, deren Gesammtheit ihm am Abend vorher einen Fackelzug gebracht hatte, antwortete er, ohne sich auf Dankesworte einzulassen: „Na, det hat euch woll viel Spaß ge- macht.“ Verhaßt waren ihm diejenigen, die durch Unterwürfigkeit und schöne Redensarten ausgleichen wollten, was ihnen an Kraft und Können abging, und auf einschmeichlerische Gesuche, wie etwa: „der Herr Director könnten das ja mit Leichtigkeit thun,“ pflegte er regelmäßig zu antworten: „Ja, dhun könnt’ ick et, aber ick dhu et lieber nich.“ Anmaßung und Dünkel ließ er nicht aufkommen, auch da nicht, wo ein entschiedenes Talent die Aeußerungen der Eitelkeit allenfalls verzeihlich gemacht hätte. Merkte er das Auf- kommen solchen Dünkels, so entstanden Gespräche wie das folgende: Schadow : Haste det alleene gemacht? Schüler : Ja wohl, Herr Director. Schadow : Janz alleene? Schüler (fast beleidigt): Ja wohl, Herr Director. Schadow : Na, det is jut, Du kannst Töpper werden. (Er hatte eine ganze Scala solcher Ausdrücke zur Verfügung; am niedrigsten stand ihm der Zinngießer.) — Nicht besser ging es denen, die als „Amateurs“ in Reih und Glied ein- treten oder die Kunst so nebenbei erlernen wollten, und einem jungen Offizier, der aus „ Liebhaberei “ zu malen vorhatte, antwortete er trocken: „Na, denn bleiben Se man bei Ihr Mächen.“ Interessant war sein Verhältniß zu Rauch . Es wurde ihm nach dieser Seite hin das Möglichste zugemuthet, und selbst die bittersten Gegner des alten Herrn (er hatte deren zur Genüge) werden ihm das Zeugniß nicht versagen können, daß er, mit einer selten anzutreffenden Charakterhoheit, dem Aufgang eines Gestirns folgte, das bestimmt war, die Sonne seines eigenen Ruhmes, wenigstens auf Decennien hin, mehr als partiell zu verfinstern. Aeußerungen, die ich bereits im Allgemeinen gethan, hab ich an dieser Stelle im Besonderen zu wiederholen. Kein bitteres Wort, kein abschmeckiges Urtheil kam über seine Lippe; selbst dann nicht, als die jugendlichere Kraft des Rivalen mit Ausführung jenes Friedrichs-Denkmals betraut wurde, das, einst sein Tag- und Nacht- traum, wie nichts andres in seinem Leben, der Gegenstand seines Ehrgeizes und seiner höchsten künstlerischen Begeisterung gewesen war. Ueberall, wo wir dem Namen Rauch’s in seiner (Schadow’s) Autobio- graphie begegnen, geschieht es in einem Tone unbedingter Huldigung. „Die Figur der Königin zu Charlottenburg war sein erstes glän- zendes Werk, so glänzend, daß es merkwürdig bleibt, wie seine folgenden Werke jenes noch übertreffen konnten.“ So klingt es stets. Zum Theil mochte das, was als neidlose Bescheidenheit er- schien, ein Resultat klugen Abwarten- und Schweigenkönnens sein. Er wußte, daß seine Zeit wiederkehren würde; er wartete und schwieg; sprachen doch inzwischen seine Werke für ihn. Wenig mehr als ein Jahrzehnt ist seitdem verflossen, und die Wandlung der Gemüther ist rascher gekommen, als er selbst erwartet haben mochte. Die Zeit ist wieder da, wo das Grabmonument des jun- gen Grafen von der Mark (Schadow’s erste berühmte Arbeit, in der Dorotheenstädtischen Kirche zu Berlin) wieder ruhmvoll und ebenbürtig neben jenem schönen Frauenbilde im Mausoleum zu Charlottenburg genannt wird, das die Liebe der Einheimischen und die Bewunderung der Fremden ist; und der Marmorstatuen Scharnhorst’s und Bülow’s kann nicht Erwähnung geschehen, ohne daß gleichzeitig und mit immer wachsender Pietät auf die Stand- bilder Zieten’s und Leopold’s von Dessau hingewiesen würde, die wir dem erfinderischen Kopf und der muthigen Hand des Alten verdanken. Die Fachleute zweifeln kaum noch, vor wem sie sich, als vor dem größeren, zu beugen haben; Rauch hatte die geschick- tere Hand, aber Schadow’s Genius stieg höher. Er schritt voran; er brach die Bahn, auf der die Gestalt des Andern, groß und leuchtend und mit dem fliegenden Haar des Olympiers, ihm folgte. Es ist nicht Absicht dieser Zeilen, den Charakter Schadow’s nach allen Seiten hin zu zeichnen; aber ein Zug darf schließlich nicht vergessen sein, der entschieden in das Bild des Alten gehört — seine Loyalität, sein Herz für Preußen und die Mark. Er war, durch ein volles halbes Jahrhundert hindurch, ein Liebling des Hofes; aber es waren nicht die entsprechenden Auszeichnungen, die seine Loyalität erst schufen ; vielmehr wurde er ein Liebling, weil er sich in schwerer Zeit als ein Mann von Herz und Hand be- währt hatte. Er gehörte zu denen, denen gegenüber das allgemein patriarchalische Verhältniß, in dem die Hohenzollern zu ihren Unterthanen stehen, den intimeren Charakter einer alten Bekannt- schaft annimmt und zu einem Verhältniß führt, in dem das Ele- ment der Scheu von der einen und der Hoheit von der andern Seite, in dem des Vertrauens völlig untergeht. Es giebt viel- leicht keine andere Fürstenfamilie, die derartige Verhältnisse kennt, sicherlich nicht in dieser Zahl . An den meisten Höfen fehlt das Vertrauen, bei anderen lassen Steifheit und Formenwesen das Menschliche nicht zur vollen Geltung kommen. Nur die Hohen- zollern kennen jene echte Humanität, die, wie der Zug ihres Her- zens, so das Glück ihres Volkes ist. Der alte Schadow war einer von denen, die, wie lang- bewährte Diener, „mit zur Familie“ gezählt wurden; einer von denen, die das süße Gefühl nicht störten, „wir sind unter uns.“ Als er Ende der dreißiger Jahre in’s Schloß ging, um bei Prinz 28 Waldemar , dem jüngeren Sohne des Prinzen Wilhelm, Unter- richt zu geben, trat er gerade in das Zimmer, als sich die beiden Prinzessinnen lachend über den türkischen Teppich rollten; die Ge- sichter glühten und die Haarflechten hingen lang herab. Entsetzt sprangen sie auf, warfen sich aber sofort wieder hin und rollten lachend mit den Worten weiter: „’s ist ja der alte Schadow.“ — Als die Friedensklasse des pour le mérite gestiftet wurde, war es selbstverständlich, daß Schadow den Orden erhielt. Der König selbst begab sich in die Wohnung des Alten und ließ sich melden. „Lieber Schadow, ich bringe Ihnen hier den pour le mérite.“ „Ach Majestät, wat soll ick alter Mann mit’n Orden?“ „Aber lieber Schadow, ich selbst…“ „Jut, jut, ick nehm en; aber ene Bedingung, Majestät — wenn ick dod bin, muß en mein Wil- helm kriegen.“ Der König willigte lachend ein und verzeichnete in dem Ordensstatut eigenhändig die Bemerkung, daß nach des Alten Tode der Orden auf Wilhelm Schadow (den berühmten Director der Düsseldorfer Akademie) überzugehen habe. Wunsch des Vaters und Verdienst des Sohnes fielen hier zusammen. Durch das ganze Schaffen des Alten ging ein vaterländischer Zug hindurch. Dinge, die sich jetzt von selbst zu verstehen scheinen, hat er das Verdienst, völlig abweichend vom Hergebrachten, zuerst gewagt und durch charakteristisch siegreiche Behandlung in die moderne Kunst eingeführt zu haben. Gegen die ausschließliche oder auch nur vorzugsweise künstlerische Berechtigung des Vaterlän- dischen, des altenfritzig Zopfigen, des realistisch Modernen, scheint er starke Bedenken unterhalten zu haben, viel stärkere, als man geneigt sein könnte, bei einem Manne anzunehmen, dem es vor- behalten war, eben nach dieser Seite hin epochemachend aufzutreten. Aber eben so wenig wie er den Realismus ausschließlich wollte, eben so wenig verkannte er sein Recht. Die alten, hergebrachten Formen reichten für ein immer reicher und selbständiger sich ge- staltendes Leben nicht mehr aus. Er empfand das tiefer als An- dere. Im Einklang mit seiner ganzen Natur, die ich zu schildern versucht habe, erschien ihm die Kunst nicht als ein allein dastehen- des, einfach dem Schönheits-Ideal nachstrebendes Ding; vielmehr sollte sie dem wirklichen Leben in der Vielheit seiner Erscheinungen und seiner Bedürfnisse dienen, um es hinterher zu beherrschen. Das Loslösen der Kunst vom lebendigen Bedürfniß war ihm gleichbedeutend mit Tod. So entstanden jene Arbeiten, die unser Stolz und unsere Freude sind. Die Ausführung dessen, woran seine Seele zumeist gehangen hatte (das Friedrichs-Monument), blieb ihm freilich versagt; als Beweis aber, wie bescheiden und patriotisch zugleich er seine Thätigkeit auffaßte, stehe hier zum Schluß, was er selber bei Gelegenheit seines Zieten-Standbildes schrieb: „Ein zwar weniger kostbares, aber deshalb nicht minder beachtenswerthes Zieten-Denkmal als das meinige, ist die Lebens- beschreibung des alten Helden, die Frau v. Blumenthal heraus- gegeben hat. Sie giebt in diesem Buche das ausgeführte Gemälde eines frommen und tapfern Soldaten, schildert den Geist seiner Zeit und flößt, bei angenehmer Unterhaltung, die Liebe ein zu König und Vaterland.“ So schrieb der Alte und so war er . „In jedem Dorfe wird ein Napoleon geboren,“ sagt das Sprichwort. Aber nicht in jedem Saalow — ein Schadow. 28* Anmerkungen. Anmerkungen. Wustrau. Benutzt : Lebensbeschreibung Hans Joachims v. Zieten von Frau v. Blumenthal. Bratrings Grafschaft Ruppin. Mündliche und briefliche Mittheilungen. 1. Der alte Hans von Zieten, der Husaren-General, war zweimal verheirathet, das erste Mal mit einer v. Jürgaß , das zweite Mal mit einer v. Platen . Aus erster Ehe (mit Leopoldine Judith v. Jürgaß) wurde ihm nur eine Tochter (Johanne Christiane Sophie) geboren, die sich an einen v. Jürgaß verheirathete und kinderlos starb. (Siehe: Gantzer S. 157). Aus zweiter Ehe (mit Hedwig Elisabeth Albertine v. Platen) wur- den ihm ein Sohn und eine Tochter geboren. Der Sohn, Friedrich Christian Emil v. Zieten, geb. den 6. Oktober 1765, starb am 29. Juni 1854. Er war k. pr. Rittmeister, Landrath a. D. und Ritter des schwar- zen Adlerordens. Er wurde gegraft am 15. Oktober 1840. Er starb kinder- los, der letzte Zieten aus der Wustrauer Linie. — Die Tochter aus der zweiten Ehe des alten Zieten (also die rechte Schwester des letzten Zieten) vermählte sich, nachdem sie von ihrem er- sten Manne geschieden war, mit dem Obrist-Lieutenant von Zieten auf Lögow, so daß also eine Zieten einen Zieten heirathete. Aus dieser Ehe wurden zwei Kinder geboren, ein Sohn und eine Tochter. Der Sohn ist kinderlos gestorben; seine Wittwe, eine Frau v. Zieten, lebt noch. Die Tochter, also eine Nichte des letzten Zieten und eine Enkelin des alten Zieten, vermählte sich mit dem General-Landschaftsrath v. Schwerin- Janow. Aus dieser Ehe wurden mehrere Kinder geboren. Als der letzte Zieten im Jahre 1854 starb, hatte er testamentarisch den ältesten Sohn seiner Nichte, also seinen Großneffen, Henning v. Schwerin , zum Universal-Erben eingesetzt. Henning v. Schwerin starb schon 1858 und Wustrau ging nun auf Hennings jüngern Bruder Albert Julius v. Schwerin über, der das Jahr darauf (1859) unter dem Namen v. Zie- ten-Schwerin in den Grafenstand erhoben wurde. (Der Gotha’sche Kalender macht in seiner Auseinandersetzung an betreffender Stelle einen Fehler, indem er Henning v. Schwerin — und natürlich auch dessen Bruder Albert — einen Neffen des letz- ten Zieten nennt; beide sind vielmehr Großneffen . Der Irrthum kommt wohl daher, daß sie Neffen des Lögower Zieten (des jün- geren, kinderlos verstorbenen), des Bruders ihrer Mutter sind, aber eben deshalb Großneffen des letzten Zieten auf Wustrau.) 2. Wustrau zeigt nur wenig noch von der alten Viertheilung des Guts; aber die alten Namen haben sich wenigstens theilweis noch erhal- ten. Das Herrenhaus, das Hans v. Zieten in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts baute, steht inmitten zweier Gärten, von denen der vordere, nach dem See hin gelegen, bis diesen Tag noch der Rohr’ sche, der andre der Gühlen’ sche heißt. Das alte Zieten’sche Herrenhaus stand wahrscheinlich an ganz anderer Stelle. Im Rohr’ schen Garten befindet sich noch, wenige Schritte vom See entfernt, das ehemalig Rohr’ sche Herrenhaus, ein alter Fachwerkbau, der jetzt theils als Gärtnerwohnung, theils als Orangeriehaus dient und im ersten Stock eine Art Rüst- und Antiquitäten-Kammer enthält. Das Haus ist interessant, einmal dadurch, daß es uns zeigt, wie schlicht und anspruchslos der Landadel damals lebte, andrerseits durch die Ornamentirung, die Graf Zieten in den letzten 20 oder 30 Jahren demselben gegeben hat. Als die alte Perleberger Dom- kirche um die eben angegebene Zeit restaurirt und der alte Schmuck be- seitigt wurde, kaufte Graf Zieten allerhand Glasmalereien und Holzschnitz- werk, namentlich Heiligenbilder und Engelsfiguren auf und begann mit Hülfe derselben die Façaden und die Fenster des alten Rohrschen Herren- hauses zu schmücken. Er liebte solche Schnurren (wenn er sie, ohne be- sondren Kostenaufwand, haben konnte) und mochte seine kleine Freude in der Vorstellung haben: „wie werden sich die Archäologen der Zukunft nach 100 oder 200 Jahren über diese Façade mit Engelsfiguren die Köpfe zerbrechen?“ Er mochte davon ausgehn, daß sie nicht mehr davon ver- stünden als er selbst. Die Rüst- und Antiquitäten-Kammer ist von sehr ungleichem Werth; Gleichgültiges und Alltägliches steht neben wirklichen Raritäten. Das Sehenswertheste ist ein kleiner Holzaltar, vielleicht von 4 Fuß Höhe, der zwi- schen seinen beiden Säulchen ein ziemlich gut gemaltes Heiligenbild trägt. Wahrscheinlich stellt es eine heilig gesprochene schlesische Fürstin (die hei- lige Hedwig) dar, denn dies Frauenbild, voll schöner Milde im Ausdruck, hält in der Linken einen Krummstab, während ihre Rechte auf einer Grafen- oder Fürstenkrone leise ruht. Dieser Altar befand sich in einem schlesischen Kloster, wo der damalige General-Major v. Zieten, bald nach der Schlacht von Hohenfriedberg, Quartier genommen hatte. Bei Tisch saß er, im Refektorium des Klosters, diesem Bilde stets gegenüber und pflegte lange zu ihm aufzublicken. Die Aebtissin, die von Zieten’schen Hu- saren nicht das Beste erwarten mochte, nahm Anstoß daran und es kam zu einem Gespräch zwischen ihr und dem General. Er sagte ihr unbefan- gen, daß er das Bild betrachte, weil es ihn Zug um Zug an seine ge- liebte Frau, fern daheim am Ruppiner See, erinnre, und das Gespräch nahm nun eine freundliche Wendung. Bald darauf erfolgte der Weiter- marsch. Einige Tage später bemerkte Zieten eine riesige Kiste auf einem seiner Gepäckwagen und begann zu schelten. Da hieß es denn zur Ent- schuldigung: „Die Nonnen hätten die Kiste aufgeladen und Vorsicht eigens zur Pflicht gemacht, denn sie gehöre dem General Zieten, der sie mit heim nehmen wolle nach Wustrau.“ Nun befahl Zieten die Kiste zu öffnen und man fand — Altar und Altarbild. 3. Früher befand sich unter den Sehenswürdigkeiten, nicht der Rüst- und Kuriositätenkammer, sondern des Zietenschen Herrenhauses selbst, auch der Krückstock , den Friedrich II. (ich kann nicht sagen, bei welcher Ge- legenheit) dem schon alternden Zieten zum Geschenk gemacht hatte. Die Krücke ist von Elfenbein und ein eigenhändiges Schreiben des Königs läßt sich in gemüthvoller Weise darüber aus, warum sie von Elfenbein und nicht von Gold sei. Stock und Handschreiben befinden sich jetzt beide in der Großherzoglichen Bibliothek zu Weimar und werden, unter einer Menge ähnlicher Erinnerungsstücke, daselbst gezeigt. 4. Zu den Zieten-Bildern im Herrenhause gehören auch zwei Sta- tuetten . Die eine davon ist einfach eine Copie des Schadow’schen „alten Zieten“ en miniature (vielleicht 1½ Fuß hoch). Die andre ist ein Seiten- stück dazu, das ein alter Diener des Grafen Zieten, ich weiß nicht mehr mit Hülfe von welchem Material, sehr geschickt modellirt hat. — Bernhard Rode hat nicht nur die Zeichnung zu dem Grabmal Zietens in der Wustrauer Kirche angefertigt, sondern außerdem noch ein großes Oel- bild zur Verherrlichung des alten Husaren-Generals gemalt. Es befindet sich, neben vier oder fünf Bildern andrer Helden des 7jährigen Krieges (alle von B. Rode), in der Garnisonkirche zu Berlin. Es hat alle die Rode’schen Vorzüge und Fehler, von letztren aber doch weniger als die Mehrzahl der Bilder dieses Meisters. Die Composition ist Dutzendarbeit und trotz der Prätension geistvoll sein zu wollen, eigentlich ohne allen Geist. Ein bequemes Operiren mit traditionellen Mittelchen und Arran- gements. Eine Urne mit dem Reliefbilde Zietens in Front derselben; am Boden ein Löwe , der ziemlich friedlich in einer Zietenschen Husaren- Tigerdecke drin steckt (wie etwa ein Kater in einem Damen-Muff); außerdem eine hohe Frauengestalt, die einen Sternenkranz auf die Urne drückt, — das ist alles. Das Reliefporträt ist schlecht, nicht einmal ähn- lich, aber die Urania oder Polyhymnia, die ihm den Sternenkranz bringt, ist in Zeichnung und Farbe um ein Wesentliches besser, als gemeinhin Rode’sche Figuren (er war ein Meister im Verzeichnen) zu sein pflegen. 5. Es existiren mehrere Zieten’sche Säbel . Von dem einfachen Cavallerie-Säbel, mit dem er sich vor der Schlacht bei Torgau durchhieb und der sich jetzt in Wustrau befindet, hab’ ich S. 7 erzählt. Er besaß aber auch zwei Prachtsäbel, von denen er den einen, einen sogenannten türkischen, 1746 von Friedrich II. , den andern vom Kaiser Peter III. von Rußland 1762 erhielt. Diesen letzteren (der sehr kostbar sein soll) besitzt das Zietensche Husaren-Regiment; wo sich der andere befindet, weiß ich nicht, vielleicht in Wustrau, doch hab’ ich ihn nicht gesehn. — Zieten’s Tigerdecke , so wie seine Zobelmütze mit dem Adlerflügel , befindet sich bekanntlich in der Berliner Kunstkammer. Carwe. Benutzt : Autobiographie des Feldmarschalls v. d. Knesebeck (als M. S. gedruckt). Mündliche und briefliche Mittheilungen. 1. Eine Revue vorm alten Fritz. Es war im Frühjahr 1783, so erzählt der Feldmarschall v. d. Knese- beck in seinen Memoiren, und die Truppen, die zur Inspektion des alten Saldern gehörten, hatten unweit der Dörfer Piezpuhl und Körbelitz, auf der sogenannten Piezpuhler Haide, anderthalb Meilen von Magdeburg, ein Lager bezogen. Es war gegen Mittag und der König konnte jeden Augenblick eintreffen, da er sehr früh am Morgen von Sanssouci auf- zubrechen pflegte. Bekanntlich fuhr er mit Bauer-Pferde-Relais. Die Reise ging trotz des gräulichen Sandes fortwährend in einer Carriere; was fiel, fiel und wurde nur mäßig vergütigt. Sein Quartier nahm er in einem kleinen Häuschen am Nordwestende des Dorfes Körbelitz. Sobald er ankam (dies wiederholte sich alljährlich), stieg er zu Pferde und ritt gleich zur Abnahme der Spezial-Revue zu den Truppen. Die Regimenter, nach der Anciennetät gelagert, standen dann jedes in folgen- der Ordnung aufmarschirt. Vor dem ersten Zuge des ersten Bataillons zuerst der Commandeur des Regiments, zu Fuß mit Esponton (nur die Generale waren zu Pferde), hinter dem Commandeur die Junker des Re- giments, die ihm noch nicht vorgestellt waren, hinter den Junkern die Rekruten des Jahres nach der Größe in drei Gliedern aufmarschirt. So erwarteten wir ihn jetzt . Der schönste Frühlingstag glänzte zu unsern Häupten, die weite Haide war mit Zuschauern zu Wagen und zu Pferde überdeckt und der Kräuterduft des Thymian würzte die Luft. Da sah man eine dicke Staub- wolke in der Ferne, die sich uns nahte, — und stiller und stiller ward es, je näher sie kam. Es war Friedrichs Wagen; bei Körbelitz angelangt, hielt er. Der König stieg zu Pferde. Es war ein ungeheuer großer Schimmel, ein Engländer, den er dies Jahr noch ritt. Im nächsten Jahre (oder war es erst 1785) kam er auf einem kleinen Litthauer-Schimmel, Langschwanz. So wie er zu Pferde war, setzte er es gleich in Galopp, so daß bei dem weit ausgreifenden großen Thiere das ganze Gefolge hinter ihm Carriere ritt. So kam der 70jährige königliche Greis. Ungefähr 30 Schritt vor der Linie parirte er zum Schritt, nahm das Augenglas, sah die Linie von Weitem hinunter, ob Alles gut gerichtet war, — und es hielt dicht vor uns Junkern ein kleiner alter Mann mit ungeheuren großen Augen und durchdringendem Blicke. Er sah uns an, wandte sich zu Saldern, der unweit von ihm zu Pferde war, und sagte: „Saldern, was sollen die vielen Boucles da? eine Boucle ist genug!“ — (Es waren ihm nämlich unsere vier mit Talg und Puder eingespritzten steifen Haarlocken aufgefallen, die wir an jeder Seite des Vorderkopfes trugen. Eine große Haarlocke zur Seite war damals gerade Mode, und jeder von uns dachte daher still bei sich: das ist unser Mann! Von diesem Augenblick an verschwanden denn diese vier Perrücken-Plagelocken und eine trat an deren Stelle.) Den Krückstock auf den rechten Fuß im Steigbügel gestemmt, fragte er nun jeden Fahnenjunker, und es kam folgendes Gespräch, mit Jedem der Reihe nach: Zu dem Ersten: „Wie heißt er?“ „Hilitan, Ew. Maje- stät.“ — „ Wie heißt er?“ und ohne die Antwort abzuwarten, mit immer steigendem ungnädigen Tone ihm folgende Namen gebend: „Kilian, Pe- likan, Er ist nicht von Adel?“ — hob er schon den Stock, um ihn aus- zustoßen, als dieser ihm zurief: „Ew. Majestät haben mich von den Ka- dets hergeschickt; ich bin ein Westpreuße.“ — „So!“ — Und sei es nun, daß er sich kein Dementi geben wollte, da er ihm dort gut gethan hatte, genug, der Stock ward wieder auf die Steigbügel gesetzt. Hilitan ward von uns jungen Leuten von jetzt an aber nie mehr anders als Pelikan oder Kilian gerufen, und behielt diesen Namen, womit ihn Friedrich ge- tauft hatte. — Er nahm übrigens später ein schlechtes Ende und verscholl. Der zweite hieß Hauteville ; er war aus Sardinien, sein Vater hatte ihn, nachdem er seine Studien vollendet, an Friedrich empfohlen und anvertraut, um in dessen Armee sein Glück zu machen. Als er in Potsdam angekommen war, hatte der König ihn, um deutsch zu lernen, zu den Kadets geschickt und später zu unserm Regiment. So war er bereits einige 20 Jahre alt geworden. Bei uns hieß er „der Page“ und wir fragten ihn wohl zuweilen: wann seine Frau und Kinder nachkommen würden? Er hatte Erlaubniß erhalten, den König zu bitten, ihn bald zu avanciren. Als Friedrich auf die Frage: „Wie heißt er?“ seinen Namen hörte, sprach er zu ihm etwa erst zwei Worte italienisch, dann französisch, und als Hauteville mit seiner Bitte herausrückte, und immer dringen- der ward, fragte er ihn etwas unwillig in deutscher Sprache: „Ob er denn auch deutsch könne?“ und als Hauteville deutsch replicirte: „Kann jetzt Alles commandire, Ihro Majestät, und bitte unterthänigst,“ so fiel er ihm in die Rede, mit den Worten: „Nun Herr, beruhige er sich doch, ich werde ihn ja nicht vergessen“, und in 6 Wochen war Hauteville Lieute- nant beim Grenadier-Bataillon Meusel , später hat er ein Füsilier- Bataillon in Schlesien gehabt. Der dritte hieß Brösicke . Als der König seinen Namen hörte, sagte er bloß: „Er ist aus der Mark“, und gleich zum Folgenden: „Wie heißt er?“ — „ Suhm , Ew. Majestät.“ — Der König: „Sein Vater ist der Postmeister?“ — „Ja, Ew. Majestät.“ — Der König: „Wenn sein Vater nicht 4000 Thaler hat, soll er an mich schreiben.“ — Der Vater des Suhm war nämlich schwer blessirt, (wenn ich nicht irre, hatte er beide Beine verloren), hatte die Stelle als Versorgung erhalten, und war ein Bruder des Suhm , mit dem Friedrich in Correspon- denz war, die gedruckt ist. Nun kam die Reihe an mich. „Wie heißt er?“ — „Knesebeck, Ew. Majestät.“ — „Was ist sein Vater gewesen?“ — Lieutenant bei Ew. Majestät Garde. — Der König: „Ach, der Knesebeck ! und mit ganz veränderter, theilnehmender Stimme gleich zwei Fragen hinter einander an mich richtend, fuhr er fort: „Wie geht es denn seinem Vater? schmerzen ihn seine Blessuren noch?“ Mein Vater war nämlich bei Kollin schwer blessirt und quer durch den Leib und Arm geschossen. „Grüß Er doch seinen Vater von mir!“ Und als er sich schon wenden wollte, noch einmal sich umsehend und den Zeigefinger der rechten Hand, an welcher der Stock baumelte, emporhebend und mich noch einmal ansehend, sagte er mit gnä- diger Stimme: „Vergesse Er es mir auch nicht!“ — Ach, seitdem sind 65 Jahre verflossen (so schließt Knesebeck), und ich habe diesen Gruß, der gleich bestellt wurde, da ich Urlaub dazu erhielt, und noch weniger den Ton der Stimme vergessen, mit welchem er ge- sprochen wurde. 2. Der alte Feldmarschall v. d. Knesebeck hat eine ziemliche Anzahl von Gedichten hinterlassen. Eins der (seinerzeit) populärsten ist das fol- gende. Es stammt aus den Lieutenantstagen in Halberstadt (1792). Lob des Krieges. Es leb’ der Krieg! Im wilden Kriegerleben Da stählet sich der Muth! Frei kann die Kraft im Kriege nur sich heben; Der Krieg, der Krieg ist gut. Den falschen Freund, der listig Treue heuchelt, Der Krieg macht offenbar. In offner Schlacht das blanke Schwert nicht schmeichelt, Und jeder Hieb spricht wahr. Der Krieg ist gut! Er weckt die Kraft der Jugend Und zieht in seinem Schooß So manchen Sinn für hohe, wahre Tugend Zu schönen Thaten groß. Der Krieg ist gut! Er ruft aus feigem Schlummer Den trägen Weichling auf, Er lohnt Verdienst, und schafft er manchen Kummer, Löst er auch manchen auf! Der Krieg ist gut! Im Reiben seiner Kräfte Ist für die Welt Gewinn. Der Krieg macht froh, im Wechsel der Geschäfte Nimmt er die Grillen hin. Er lehrt die Kunst das Leben zu verachten, Wenn es die Pflicht gebeut, Und immer nur es als ein Gut betrachten, Das man der Tugend weiht. Er lehret uns entbehren und genießen, Er würzt auch schwarzes Brot, — Und wenn durch ihn auch manche Thränen fließen, Er giebt den schönsten Tod. Es leb’ der Krieg! wo hohe Kraft nur sieget, Nicht Trägheit Lorbeern flicht, Es leb’ der Krieg! Unsterblichkeit erflieget, Wer durch ihn Palmen bricht. Es leb’ der Krieg! nur dem gab er Verderben, Der frech den Frieden bricht. Zur Schlacht, zur Schlacht! wir Alle lernten sterben Für Vaterland und Pflicht. Neu-Ruppin. Benutzt: Bratring’s Grafschaft Ruppin. Riedel’s Geschichte der Klosterkirche zu Ruppin. Zychlinski’s Geschichte des 24. In- fanterie-Regiments. Preuß , Friedrich der Große mit seinen Verwandten und Freunden. Preuß , Friedrichs des Großen Jugend. Foerster , Friedrich Wilhelm I. Vehse , Geschichte des preußischen Hofes. Dr. Feldmann’s Miscellanea histo- rica der Stadt Ruppin ( M. S. ). Schlözer’s Chasot. Mündliche und briefliche Mittheilungen. 1. Gedächtnißtafel über dem Grabe der Grafen von Lindow, Herren zu Ruppin, im Chor der Klosterkirche zu Neu-Ruppin , wie solche von dem ver- ewigten Spener abgeschrieben und in seiner handschriftlichen Geschichte der Edlen Herren zu Putlitz S. 998 f. mitgetheilt ist. Hierunner is der edlen Herrn van Lindow Grafft (Gruft). Van Olders hefft se gewerket Godes Krafft, Dorch oren (ihren) Veddern Broder Wichman, Want hy allererst huff (hub) dat Kloster an. Greve (Graf) Ghenerd, de uns de Stede (Stätte, Stelle) hefft gegeven Van synet und alle synes geslechte wegen, De is de erste, de syn Graff hie hefft ghekaren. Gott geve dat erer aller Sylen nimmer werden verlaren! 2. Der Thurm der Ruppiner Klosterkirche lehnte sich in alter Zeit nicht an die Giebelseite , sondern befand sich in der Mitte des Baus. Dies ergiebt sich aus einem alten, sehr sehenswerthen Gemälde (wahrscheinlich aus dem 17. Jahrhundert), das sich zur Zeit in der Kirche zu Wuthenow, an der andern Seite des Sees, befindet und das dama- lige Ruppin darstellt. 3. Prinz Ferdinand’s Palais . Bielfeld schreibt 1754: „Der Prinz Ferdinand hat in Ruppin, wo sein Regiment steht, kein passendes Palais gefunden, besonders für den Fall seiner Vermählung. Er kaufte daher einige Häuser und Gärten, die er vereinigte und bequem und schön einrichtete. Der Garten besonders ist freundlich, und alle Nachtigallen der Gegend scheinen darin zusammenzukommen.“ Dies klingt so, als ob Prinz Ferdinand nicht das Palais bezogen hätte, das sein älterer Bruder als Kronprinz (vgl. S. 48) inne hatte und das seit 1740 leer stand. Mög- lich ist es, daß ein Prinz-Ferdinands-Palais eigens eingerichtet wurde, wahrscheinlicher aber ist es jedenfalls, daß er das Palais bezog, das nun einmal da war. Auch stimmt die Beschreibung ganz zu der Lo- kalität, die der Kronprinz bewohnt hatte. 4. Im Gentz ’schen Garten, dem ehemaligen Garten des Kron- prinzen Friedrich , befindet sich, wenige Schritte hinter dem sogenann- ten „Tempel“, ein zugespitzter Granitstein von etwa 6 Fuß Höhe, der die Inschrift trägt: „Hier überdachte Friedrich der Einzige als Kronprinz die Pläne, die er als König ausführte.“ Rheinsberg. Benutzt: Hoppe’s Chronik von Rheinsberg. Bratring’s Grafschaft Ruppin. Preuß , Geschichte Friedrichs des Großen. Vie privée et militaire du Prince Henri. Mündliches. Die Inschriften des Obelisken. 1) Denkmal, geweiht den preußischen Helden, welche durch ihre Tap- ferkeit und Einsichten verdient haben, daß man sich auf immer ihrer erinnere. Ihre Namen, eingegraben auf dem Marmor durch die Hand der Freundschaft, sind die Wahl einer besondern Hochachtung, ohne nachtheilig zu sein, allen denen, welche, wie sie, sich um das Vaterland wohl verdient machten, und die öffentliche Achtung theilen. 2) Zum ewigen Andenken August Wilhelms , Prinzen von Preu- ßen, zweiten Sohnes des Königs Friedrich Wilhelm. Am Fuße der Pyramide . 3) Boumann , Major bei dem Artillerie-Corps, welcher von Ju- gend auf, und während des ganzen siebenjährigen Krieges, ehrenvoll diente, ist es, welcher dieses Denkmal im Jahr 1790 aufführte. 4) Marschall von Keith . Mit der größten Biederkeit vereinigte er die ausgebreitetsten und gründlichsten Kenntnisse. In Rußland, während des Krieges gegen die Türken, erwarb er sich einen wohlverdienten Ruhm, welchen er im preußischen Dienste bestätigte. Das Bedauern aller gefühl- vollen Herzen, die Thränen aller Krieger verewigten auf immer sein An- denken. Er blieb bei dem Ueberfall zu Hochkirch, den 14. Oktober 1758. 5) Marschall v. Schwerin . Die Ehre seines Jahrhunderts und der Schild des Vaterlandes. Er vereinigte alle bürgerliche und kriegerische Tugenden. Die Feinde, welche er bekämpfte, konnten ihm ihre Bewunde- rung nicht versagen. Am 11. April 1741 gewann er die Schlacht bei Mollwitz. Im Jahr 1744 befehligte er die Armee, welche Prag belagerte, und nahm die Festung Ziskaberg. Im Jahr 1756 war er an der Spitze der preußischen Armee, welche durch Schlesien in Böhmen eindrang. Und obgleich das feindliche Heer ihm überlegen war, führte er dennoch einen Angriffskrieg gegen die von Piccolomini befehligten Oesterreicher. Die Völker, gesichert durch seine Menschlichkeit, verehrten seinen Heldenmuth. Die Fahne in der Hand fiel er als Opfer seines Eifers, bei Prag am 6. Mai 1757. 6) Leopold, regierender Fürst von Anhalt-Dessau , einer der vollkommensten Feldherrn; er zeichnete sich im spanischen Erbfolge- Kriege aus. Turin war Zeuge seiner Kriegsthaten. Er kämpfte dort an der Spitze der Preußen, welche er auch im Kriege 1740 in Oberschlesien anführte. Im Jahr 1745 schlug er die Sachsen bei Kesselsdorf, und bahnte sich den Weg nach Dresden. Sein militairisches Genie und sein Muth werden ihn auf immer unsterblich machen. 7) August Ferdinand , vierter Sohn des Königs Friedrich Wilhelm, war 1757 bei der Einschließung von Prag, und wurde bei einem Ausfall der Feinde verwundet. In der Schlacht bei Breslau, den 22. November desselben Jahres, behauptete er bis zu Ende der Schlacht einen wichtigen Posten. In der Schlacht bei Leuthen erwarb er sich neue Lorbeern. Eben so schätzbar durch seine Tugenden, als durch seine Thaten. 8) General von Seydlitz zeichnete sich aus von Jugend auf. Er war bei allen Feldzügen des siebenjährigen Krieges zugegen, und stets mit Ehre und Ruhm. Durch Geschicklichkeit, Unerschrockenheit, vereinigt mit Schnelligkeit und Geistesgegenwart, wurden alle seine Kriegsthaten den Feinden verderblich. Lowositz, Collin, Roßbach, Hochkirch, Zorndorf, Cunersdorf und Freiberg sind ihm Denkmäler des Sieges. Oft wurde er gefährlich verwundet. Die preußische Reiterei verdankt ihm den Grad der Vollkommenheit, welchen der Fremde bewundert. Dieser seltne Mann, alle Gefahren überlebend, verschied im Arme des Friedens. 9) General von Zieten erreichte ein eben so glückliches als eh- renvolles Alter. Er siegte in jedem Gefechte. Sein kriegerischer Scharfblick, vereinigt mit einer heroischen Tapferkeit, sicherte ihm den glücklichen Aus- gang jedes Kampfes. Aber was ihn über alles erhob, waren seine Red- lichkeit, seine Uneigennützigkeit und seine Verachtung aller derer, welche auf Kosten der unterdrückten Völker sich bereicherten. 10) Der Herzog von Bevern . Er entschied 1756 den Sieg bei Lowositz. Im Jahr 1757 drang er aus Schlesien in Böhmen ein, und seine weisen Maßregeln verschafften ihm bei Reichenberg den Sieg über die Oesterreicher. In demselben Jahre widerstand er mit 22000 Mann der Daunschen Armee, welche 80000 Mann stark war, und nur nach der muthigsten Gegenwehr unterlag er bei Breslau. 1762 mit einem Corps bei Reichenbach aufgestellt, wurde er in Front und Rücken durch über- legene Macht angegriffen. Er schlug sie zurück, und behauptete das Schlachtfeld. 11) General von Platen . Er diente mit Auszeichnung in allen Kriegen, und war bei vielen Schlachten zugegen. Nach der Niederlage bei Kunersdorf sammelte er die zerstreuten Heereshaufen, deckte den Rückzug, blieb während der Nacht auf seinem Posten und ging erst am andern Morgen über die Oder zurück. Im Jahr 1762 wurde er mit einem Corps von dem König abgesendet; er schlug bei Posen 6000 Russen, machte viele Gefangene, und vernichtete ihre Magazine. Er starb 1787. 12) Oberstlieutenant v. Wedel . Mit einem Bataillon Grena- diere, aus zwei Compagnieen der Garde und zwei vom Regiment Kron- prinz zusammengesetzt, vertheidigte er bei Selmitz in Böhmen mehrere Stunden lang, gegen die ganze österreichische Armee, den Uebergang über die Elbe. So verschaffte er dem preußischen Heere die nöthige Zeit, seine Quartiere zu erreichen. Nach 5 Stunden nöthigten ihn die zahlreichen Batterien der Feinde zum Rückzuge. Als Prinz Carl über den Fluß ge- gangen war, in der Meinung, ein zahlreiches Heer bekämpft zu haben, erfuhr er durch einen Gefangenen, daß ein einziges Bataillon, aber von einem Helden angeführt, diese schöne Vertheidigung gemacht habe. Mit demselben Bataillon griff er in der Schlacht bei Soor, am 30. September 1745, den linken Flügel der Oesterreicher an, und endigte hier sein Heldenleben. 13) Generallieutenant von Hülsen . Sehr geschätzt durch seine militairischen Talente. Fast in allen Schlachten war er zugegen, oft ver- wundet und durch seine Unerschrockenheit stets ausgezeichnet. Im Jahre 1760 in der Schlacht bei Torgau wurde der linke Flügel, bei welchem er sich befand, zurückgetrieben. Er sammelte einige Flüchtlinge. Da aber seine Pferde getödtet waren, und sein Alter und seine Wunden ihm nicht erlaubten, zu Fuß sein Corps anzuführen, so setzte er sich auf eine Kanone, und gelangte so, mitten im feindlichen Feuer, zum rechten Flügel. 14) von Tauentzien , General der Infanterie. In allen Feldzügen zugegen; seine Wunden sind rühmliche Denkmäler seines Muthes. 1760 vertheidigte er Breslau gegen Laudon. Er befehligte 1762 die Belagerung von Schweidnitz, und erfreut sich gegenwärtig eines ehrenvollen Alters. 15) von Möllendorff , General der Infanterie, war bei allen Feldzügen von 1740 bis 1778. Bei Torgau, 1760, bemächtigte er sich der Anhöhen von Siptitz, und entriß dadurch dem Feinde den Sieg. Im Jahre 1762, als er auf gleiche Art die Anhöhen von Burkersdorf gewon- nen hatte, nöthigte dies den Marschall Daun, seine Stellung zu verän- dern, welches die Belagerung von Schweidnitz erleichterte. Im Winter von 1778 bis 1779 befehligte er bei der in Sachsen stehenden Armee ein besonderes Corps und schlug den Feind bei Brixen. 16) Generallieutenant von Haucharmoi . Aus Frankreich 29 herstammend. Er war während des spanischen Erbfolgekrieges in Italien und Flandern bei dem preußischen Heere zugegen. Im Kriege 1740 zeigte er sich wie ein zweiter Bayard, ohne Furcht und ohne Tadel. In der Schlacht bei Prag, den 6. Mai 1757, starb er auf dem Bette der Ehren. 17) General von Retzow , Intendant der Armee. 1758 befehligte er ein von der Armee des Königs getrenntes Corps. Er war bei Weißen- berg gelagert, wo der rechte Flügel der Daunschen Armee ihm gegenüber stand. Am Tage des unglücklichen Ueberfalls bei Hochkirch, den 14. Octo- ber 1758, besetzte er eine Anhöhe hinter der Armee des Königs und so wurde durch seine Klugheit und Tapferkeit der Rückzug gedeckt. Er starb einen Monat darauf, als er seinem Vaterlande einen so wichtigen Dienst geleistet hatte. 18) Oberst von Wobersnow , erster Adjutant des Königs. Er zeichnete sich aus durch lebhaftes Ehrgefühl und große militairische Kennt- nisse. 1757 in der Schlacht bei Prag, als er den preußischen linken Flü- gel sammelte, um solchen auf’s neue gegen den Feind zu führen, wurde er verwundet. Er war bei allen Feldzügen gegen die Russen. Die Schlacht bei Kai wurde wider seinen Willen geliefert; die Preußen verloren sie, und er fiel als Held. 19) August Wilhelm , allen preußischen Helden, welche von 1740 bis 1745 durch ihre Thaten sich auszeichneten, und allen denen, welche wäh- rend des siebenjährigen Krieges das Vaterland vertheidigten und retteten, wohl bekannt. 20) von Goltz , Adjutant des Königs. Er wurde 1756 nach Preu- ßen gesendet, um den Marschall Lehwald, welcher die Armee gegen die Russen befehligte, mit seinem Rath zu unterstützen. Ein umfassender, tief- blickender Geist, mit militairischen Kenntnissen vereint, würde seinen Namen verherrlicht haben, wenn sein, alle Gefahren verachtender, Muth in der Schlacht bei Jägerndorff ihn nicht dem Vaterland entrissen hätte. 21) von Blumenthal , Major im Regiment Prinz Heinrich. Sein heller Geist, sein rechtliches Gemüth führten ihn Hand in Hand der Voll- kommenheit entgegen, als er bei Vertheidigung eines Postens bei Ostritz in der Lausitz getödtet wurde, am 31. September 1756. 22) von Reder , Chef eines Kavallerieregiments. Als Commandeur des Kürassier-Regiments Schmettau durchbrach er die österreichische In- fanterie, und nahm ein ganzes Regiment gefangen. Am 29. October 1762, in der Schlacht bei Freiberg in Sachsen, erwarb er sich neuen Ruhm. 23) von Marwitz , Quartiermeister bei der Armee des Königs. Erwarb sich große Verdienste in allen Kriegen, war bei allen Schlachten zugegen und zeichnete sich aus bei mehreren Vorfällen. Er starb 1759 im 36sten Jahre seines Alters. Vielleicht wären sein Werth und seine Ver- dienste vergessen, wenn dieses Denkmal sein Andenken nicht aufbewahrte. 24) De-Quede , Adjutant beim Prinzen von Preußen, Bruder des Königs, Major im Regiment Prinz Heinrich. Seine richtige Urtheils- kraft, sein fester Charakter, seine Unerschrockenheit, machten wünschen, er möchte auf lange Zeit dem Staate nützlich werden. Aber 1757, in der Schlacht bei Prag, wurden ihm durch eine Kanonenkugel beide Füße weggeschossen. Er lebte noch einige Stunden, und unter den heftigsten Schmerzen verleugnete sich sein Heldenmuth nicht, bis zum letzten Hauch. 25) von Platen , Adjutant des Marschalls von Schwerin. Er vereinigte alle Eigenschaften, welche Hoffnung gaben, er würde diesen gro- ßen Mann ersetzen. Er fiel ihm zur Seite am 6. Mai 1757. 26) von Wunsch , General der Infanterie. Er trat in Dienst 1756 als Offizier bei einem Freicorps, und erhob sich zu höheren Graden durch sein Genie und seine militärischen Talente. Im kleinen Krieg waren alle seine Unternehmungen glücklich und erwarben ihm allgemeine Achtung. 1759 schlug er mit einem kleinen Corps bei Torgau die weit überlegenen Feinde. Im nämlichen Jahre, nahe bei Düben, schlug er das Vorder- treffen der Feinde. Ein gefangener General, Fahnen und Kanonen waren die Denkmäler seines Sieges. Er starb 1788. 27) von Saldern , General-Lieutenant. In allen Feldzügen zu- gegen. In taktischen Kenntnissen hochberühmt. Gleichermaßen geschätzt we- gen seiner Tapferkeit und seiner Biederkeit. Er zeichnete sich aus bei der Torgauer Schlacht. Starb im Jahre 1785. 28) von Prittwitz , General der Kavallerie. Er diente sowohl un- ter den Dragonern, als Husaren, und zeichnete sich aus durch seine Tapfer- keit in mehreren Schlachten, wo er zugegen war. Dieses erwarb ihm die besondere Achtung des Königs, der ihm das Regiment Gensd’armes er- theilte, welches er noch befehligt, und sich immer schätzbarer macht durch seinen Eifer und seine Thätigkeit. 29) von Kleist , General der Husaren. Erwarb sich im siebenjähri- gen Kriege hohen Ruhm. Geschickt in allen Gewandtheiten des kleinen Krieges, war er auch zu großen Unternehmungen sehr geeignet, deren Er- folg seine Talente dem Feinde furchtbar machten. Stets geliebt von den Truppen, die er befehligte, machte er durch seine Thaten seinen Namen unsterblich. Im 36sten Jahre seines Alters, 1767, endigte er seine Lauf- bahn. 30) von Dieskau , General-Lieutenant der Artillerie, diente von Jugend auf und erwarb sich die höchste Achtung seines Corps, welches er während des siebenjährigen Krieges als Chef befehligte. Er war thätig, wachsam, arbeitsam. Bei allen Belagerungen zugegen. Auch in den Schlachten, bei welchen er war, leistete er wichtige Dienste. Er starb in einem hohen Alter. 31) von Ingersleben , General-Major. Von einer geprüften Tapferkeit hat er die stärksten Beweise gegeben. In der Schlacht bei Prag, 1757, wurde er mit Wunden bedeckt, deren indeß keine tödtlich 29* war. In demselben Jahre aber verlor er sein Leben in der Schlacht bei Breslau, am 22. November, wo er als Held focht. 32) von Henkel , General-Lieutnant. Graf von Henkel, Adjutant des Prinzen Heinrich von Preußen während der Feldzüge von 1757 und 1758, zeichnete sich aus in den Schlachten bei Prag und Roßbach. Im Winter 1757 und 1758 unterstützte er den General von Tauentzien beim Ueberfall von Horneburg. In der Schlacht bei Torgau, im Jahre 1760, an der Spitze des Regiments Prinz von Preußen, gab er neue Beweise seiner Tapferkeit. Grabschrift des Prinzen Heinrich an der Grabmals-Pyra- mide im Park zu Rheinsberg: Jetté par sa naissance dans ce tourbillon de vaine fumée Qui le vulgaire appelle Gloire et grandeur, Mais dont le sage connoit le néant; En prose à tous les maux de l’humanité; Tourmenté par les passions des autres, Agité par les siennes; Souvent exposé à la calomnie; En butte à l’injustice; Et accablé même par la perte De parens chéris, D’amis sûrs et fidèles; Mais aussi, souvent consolé par l’amitié; Heureux dans le recueillement de ses pensées, Plus heureux Quand ses services purent être utiles à la patrie Ou à l’humanité souffrante: Tel est l’abrégé de la vie de Frédéric-Henri-Louis , Fils de Frédéric Guillaume, roi de Prusse, Et de Sophie-Dorothée, Fille de George I er . roi de la Grande-Bretagne. Passant, Souviens-toi que la perfection n’est point sur la terre. Si je n’ai pu être le meilleur des hommes, Je ne suis point au nombre des méchans; L’éloge ou le blâme Ne touchent plus celui Qui repose dans l’éternité; Mais la douce espérance Embellit les derniers momens De celui qui remplit ses devoirs; Elle m’accompagne en mourant. Né le 18 janvier 1726. Décédé le 3 août 1802. Campagne des Prinzen Heinrich von 1778 bis 1779. Frau von Kaphengst in Ruppin besitzt ein sauber geschriebenes, etwa 150 Seiten starkes Manuseript unter obigem Titel. Der Verfasser ist nicht angegeben. Sehr wahrscheinlich ist es nur eine vor 60 oder 70 Jahren angefertigte Abschrift von einem militairischen Werke, das seitdem längst erschienen und wieder — vergessen ist. Da es aber (die Dinge entziehen sich meinem Urtheil) möglicherweise doch etwas Neues ist, so laß ich hier, um einen Vergleich zu ermöglichen, den Passus folgen, mit dem die Arbeit einge- leitet wird. „Europa, das nach den polnischen Unruhen und dem glücklich geen- deten Kriege der Russen gegen die ottomanische Pforte, einen allgemeinen Frieden zu genießen anfing, wurde abermals ganz unvermuthet von einer Seite her erschüttert, von der man das Ungewitter am wenigsten erwar- tete.“ Zwischen Boberow-Wald und Huvenow-See. Benutzt : Vie privée et militaire du Prince Henri. Bülow’s Prinz Heinrich von Preußen. Gorszkowsky’s Leben des Gene- rals von Tauentzien. Bratring’s Grafschaft Ruppin. Münd- liche und briefliche Mittheilungen. Zernikow. Benutzt : Die Collectaneen des Herrn Pastor Schmutz in Groß Wol- tersdorf bei Zernikow. Donation und Verschreibung über das Gut Zernikow für den Königlichen Kammerdiener Fredersdorff. Wir, Friedrich, von Gottes Gnaden König in Preußen, Markgraf zu Brandenburg, des heiligen Römischen Reichs Erzkämmerer und Chur- fürst; souverainer Prinz von Oranien, Neufchatel und Valangin; in Gel- dern, zu Magdeburg, Cleve, Jülich, Berg, Stettin, Pommern, der Ca- schuben und Wenden, zu Mecklenburg, auch in Schlesien und Crossen Herzog; Burggraf zu Nürnberg, Fürst zu Halberstadt, Minden, Cammin, Wenden, Schwerin, Ratzeburg, Ostfriesland und Meurs; Graf zu Hohen- zollern, Ruppin, der Mark Ravensberg, Hohenstein, Lingen, Bühren und Lehrdamm; Herr zu Ravenstein, der Lande Rostock, Stargardt, Lauen- burg, Bütow, Orley und Breda ꝛc. thun kund und bekennen hiermit, für Uns, Unsere Erben und Nachkommen an der Krone und Chur, daß Wir in Erwägung der unermüdeten, fleißigen, allerunterthänigsten und getreuen Dienste, welche Michael Gabriel Fredersdorff, Unser erster Kammerdiener, bisher zu Unsrem allergnädigsten Wohlgefallen geleistet und noch ferner zu leisten im Stande ist, demselben in Königlichen Gnaden das von Uns als Kronprinz erkaufte, im Ruppinischen belegene Rittergut Zernikow mit allen Gnaden und Gerechtigkeiten, so wie es von den vorigen Besitzern oder auch von Uns Selbst genossen oder genutzet werden könne, mit Haiden, Mühlen-Gerechtigkeit, hoher und niederer Jagd, Ober- und Unter- gerichten und was sonst dem vollkommenen Eigenthum eines Ritterguts anhängig sein mag, geschenkt und dergestalt unwiderruflich zugeeignet haben, daß Er gedachter Unser lieber Getreuer, der Kammerdiener Michael Gabriel Fredersdorff, selbiges hinfüro für sich, seine Erben und Erbnehmer beiderlei Geschlechts, als sein oder ihr Eigenthum geruhiglich besitzen, genießen und gebrauchen, auch darunter von Niemanden beeinträchtigt, sondern vielmehr von unseren hohen und niedrigen Collegiis wider Jeder- manns An- und Zuspruch solchermaßen versichert sein und bleiben soll, als der mit dem von Beville unter dem 17. März 1737 geschlossene Kaufcontract besaget. Und gleichwie nun Eingangs erwähnter Fredersdorff diese Unsere Königliche Gnade und Milde mit allerunterthänigstem Danke erkennet und angenommen, so wollen Wir für Uns, Unsere Erben und Nachkom- men an der Krone und Chur denselben für sich, seine Erben und Erbneh- mer auck, zu allen Zeiten bei dem ruhigen Besitze dieses von Uns ihm wohlbedächtig und wohlwissentlich allergnädigst geschenkten und mit allen Rechten und Gerechtigkeiten, sie haben Namen, wie sie immer wollen, zu- geeigneten Rittergutes Zernikow, welches Wir noch vor Antritt Unserer Regierung zu Unserer freien Willkühr und unumschränkten Disposition erkaufen lassen und welches nicht auf einen Unserer Etats oder Register der öffentlichen Einkünfte, gebracht worden, noch weniger die Natur oder Eigenschaft der durch Unseres in Gott ruhenden Herrn Vaters Majestät, unter dem 13. August 1713 für inalienables erklärten Domanial- Kam- mer- und Tafelgüter jemals erhalten, schützen und handhaben, auch dem- selben zu dem Ende durch den Kammer-Director von Münchow dieses Gut, in seinen Grenzen und Maalen, nebst allen dasselbe angehenden Dokumenten, Lehnbriefen und Briefschaften und davon lautenden Urkun- den mit übergeben, extradiren und einhändigen lassen. Dessen allen zu Urkund haben wir diese Donation und Verschreibung unterschrieben und mit Unserem Cabinetssiegel bedrucken lassen. So geschehen und gegeben Charlottenburg den 26. Juni 1740. (gez.) Friedrich . Gantzer. Benutzt : Mündliche und briefliche Mittheilungen. Generallieutenant von Wahlen-Jürgaß. Alexander Georg Ludwig Moritz Constantin Maximilian von Wahlen- Jürgaß, der am 5. Juni 1785 zu Gantzer geboren, auf der école mili- taire zum Kriege gebildet wurde, im Jahre 1775 in das damalige Regi- ment Gensd’armes trat und darin 1803 zum Major avancirte. Im unglücklichen Feldzuge von 1806 von einer Masse feindlicher Reiterei um- zingelt, griff es, aus ungefähr 350 Mann bestehend, herzhaft den Feind an und kämpfte auf einem sehr ungünstigen Terrain gegen die französische Division Beaumont, bis es ganz umzingelt war. Obgleich der Major Von Jürgaß im nächtlichen Getümmel einen Hieb über den Kopf erhielt, so sammelte er dennoch brave Kameraden, schirmte die Standarte, schlug sich muthig durch die Feinde und erreichte einen Wald. Das Corps ge- langte nach Boitzenburg, und am andern Tage zu dem Corps des Prin- zen von Hohenlohe, welches auch im Begriff war, das Gewehr zu strecken. von Jürgaß entzog sich dieser Schmach und entkam noch einmal glücklich, indem er zu dem Corps des Generals von Bila stieß, mit dem er nun doch endlich bei Anklam gefangen wurde. Nach dem Tilsiter Frieden lebte er bei seinem Bruder zu Gantzer. Bei der neuen Formation erhielt er 1809 wieder eine Anstellung im brandenburger Kürassierregiment, zwei Monate darauf ward er Commandeur des brandenburger Dragonerregi- ments, 1812 aber Obristlieutenant und dem Corps des Generals von Grawert in Kurland zugetheilt. Er befehligte meistentheils die Vorposten, wozu seine ungemeine Thätigkeit und Wachsamkeit ihn vorzüglich eignete. Im Jahre 1813 commandirte er als Oberst eine Brigade in dem Corps seines vertrauten Freundes, des damaligen Generals von Blücher. Er focht tapfer bei Groß-Görschen und Bautzen, und erhielt bei Hainau, als er in die feindlichen Vierecke einbrach, einen Schuß in den Schenkel. Später erfocht er in der Leipziger Schlacht (den 16. October), besonders in dem furchtbaren Kampfe um Möckern, den glücklichen Erfolg dieses entscheidenden Tages, und ward dafür zum Generalmajor erhoben. In Frankreich wurde er mit der Reserve-Reiterei an die Befehle des Prinzen Wilhelm gewiesen, der den Vortrab des Heeres führte. Bei Lachaussée traf er auf die französische Reiterei vom Corps des Marschalls Macdonald, warf sie über den Haufen und eroberte eine Standarte, 5 Kanonen und die dazu gehörigen Pulverwagen. In der Schlacht von Laon entriß er dem Feinde 15 Kanonen und 35 Artilleriewagen. Im Jahre 1815 in der Schlacht von Ligny leitete der Generalmajor von Jürgaß die Angriffe auf das Dorf St. Amand la Haye. In der Nacht erhielt er in dem Ge- tümmel einen Schuß unter der linken Schulter, nahe am Herzen. Er er- hielt darauf im Jahre 1816 den ehrenvollen Abschied als Generallieute- nant. Von da an lebte er abwechselnd in Berlin und bei seinem Bruder zu Gantzer, woselbst er am 8. November 1833 nach langen höchst bittern körperlichen Leiden starb. Als besondere Anerkennung seiner Verdienste schmückten den tapfern und erfahrenen General außer vielen fremden Deco- rationen der Orden pour le mérite, für einen siegreichen Angriff auf die feindliche Cavallerie im Gefechte bei Garossenkrug am 19. October 1812, und das eiserne Kreuz 1. Klasse für die Schlacht von Groß-Görschen. Den Verdienstorden mit Eichenlaub erhielt er bei Ernennung zum General- major, den rothen Adlerorden 2. Klasse für die Schlacht von Ligny, und den rothen Adlerorden 1. Klasse bei seiner Entlassung. Fehrbellin. Benutzt : Mündliche Mittheilungen. Wustrauer Tuch. Benutzt: Berghaus Landbuch der Mark Brandenburg. Mündliches. Tegel. Benutzt : Ein Brief A. v. Humboldts (über die Abstammung seiner Familie, die Erwerbung Tegels ꝛc.). Berghaus Landbuch der Mark Brandenburg. Fidicin’s Nieder-Barnim. Waa- gens Beschreibung der Kunstschätze in Schloß Tegel. Münd- liches. Schloß Oranienburg. Benutzt: Ballhorn’s Geschichte der Stadt Oranienburg. Biel- feld’s Friedrich der Große und sein Hof. Leitritz’s „die evangelischen Kirchenlieder.“ Poellnitz’s Lebens- und Re- gierungsgeschichte der vier letzten Regenten. Varnhagens Biographie des Generals v. Winterfeldt. Relation du voyage de Sa Majesté la Reine Mère à Orangebourg et Reinsberg 1745, (wahrscheinlich von Poellnitz) mitgetheilt in Koenig’s Versuch einer historischen Schilderung der Stadt Berlin (Theil V , 2. Abtheilung). Mündliche Mittheilungen. 1. ( Die Autorschaft des Liedes: „Jesus, meine Zuver- sicht .“) Ueber die Autorschaft dieses schonen Liedes ist bekanntlich viel hin und her gestritten worden; man hat in Abrede gestellt, daß es von der Kurfürstin Louise Henriette herrühre. Das Berliner Gesangbuch vom Jahre 1653 aber, das durch den Buchdrucker Christoph Runge auf Befehl der Kurfürstin herausgegeben wurde, beseitigt darüber jeden Zweifel. Es heißt in der Dedikation eigens: „ich (Christoph Runge) bin mit gro- ßer Freude dero gnädigstem Befehl nachgekommen, geschweige der Auf- munterung, die darin lag, daß Ew. Kurfürstl. Durchlaucht nicht nur an die Beschleunigung der Herausgabe erinnert, sondern das Buch auch durch dero eigne Lieder vermehrt und verziert haben.“ (Wörtlich steht da: „haben vermehren und verzieren wollen ;“ dies ändert aber nichts in der Hauptsache.) Nun werden folgende 4 Lieder genannt: 1) Ein ander stelle sein Vertraun; 2) Gott, der Reichthum deiner Güter; 3) Ich will von meiner Missethat und 4) Jesus meine Zuversicht . Nach Nam- haftmachung dieser vier Lieder fährt Christoph Runge fort: „Es haben Ew. Kurfürstl. Durchlaucht nicht nur in den itzt gemeldeten geist- reichen Ihren eignen Liedern dero christliches Gemüth.... der gantzen Welt kund gemachet, sondern haben zugleich diejenigen widerleget, die aus bloßer Boshaftigkeit gemeinet haben, daß Ew. Kurfürstl. Durchlaucht die Evangelische Religion der Lutherischen hasseten ꝛc.“ So weit Christoph Runge in seiner Dedikation. Daß diese Stelle der Zueignung Runge’s der Kurfürstin bekannt geworden ist, unterliegt keinem Zweifel, da selbst drei Exemplare (auf Pergament) des auf ihren Befehl veranstalteten Gesangbuches in ihre Hände kamen, von denen sie eins dem Oberpräsidenten Otto von Schwerin verehrte, das heute noch in der gräflichen Bibliothek zu Werningerode zu finden ist. Wäre nun die Angabe des Christoph Runge hinsichtlich der Autorschaft der angeführten Lieder eine Fiktion gewesen, so würde die von Herzen demüthige Kurfürstin derselben entgegen getreten sein , aber nirgends be- gegnet man einer Zurückweisung, vielmehr wird bei den spätern Ausgaben dieses Gesangbuches das Gedächtniß der fürstlichen Sängerin an den be- treffenden Orten fortgeführt. — Ist nun schon durch die Angabe des Christoph Runge das Recht der Kurfürstin an dem gedachten Liede wider alle dagegen erhobenen Zweifel historisch sicher gestellt, so daß es weiter keines Zeugnisses bedarf, so wollen wir doch nicht unerwähnt lassen, daß auch zu Gunsten derselben die fragliche Sache vom psychologischen Standpunkte aus entschie- den werden muß. Es liegt offenbar am Tage, daß die Grundgedanken aus Hiob 19, 25—27 geschöpft sind, und somit diese Wahl der biblischen Grundlage der Vorliebe der Kurfürstin für das Buch Hiob entspricht, die auch in ihrem uns hinterlassenen wahrhaft fürstlichen Gebete und in der Wahl ihres Leichentextes sich kund giebt. Dazu gehört es gewiß auch nicht zu den Zufälligkeiten unseres Liedes, daß dasselbe die Dichterin an jedem Osterfeste sang und daß mit den zu Grunde liegenden biblischen Worten: „Ich weiß, daß mein Erlöser lebt und er wird mich hernach aus der Erde auferwecken“ der große Kurfürst von hinnen schied. Auch hat sich in unserm theuren Königshause mit dem obigen Liede die Erin- nerung an die große Urahnin stets eng verknüpft. Die Königin Louise sprach einst, vor dem Bilde der Kurfürstin Louise Henriette stehend: „Gewiß, sie ist die Verfasserin des vortrefflichen allbekannten Liedes: „„ Jesus, meine Zuversicht .““ 2. „( Prinz August Wilhelm ), dritter Sohn Friedrich Wilhelms, Königs in Preußen, und Sophie Dorothea’s von Hannover, wurde in Berlin den 9. August 1722 geboren. Da der älteste Sohn des Königs mit Tode abging, wurde Friedrich Kronprinz, und auch August Wilhelm gewann eine nähere Anwartschaft auf den Thron. Obgleich im Purpur geboren, blieb doch sein Herz unverdorben. Die strengen Sitten des Königs entfernten vom Hofe jene betrügliche Pracht, welche so leicht die Seele eines jungen Prinzen mit Stolz und Eitelkeit erfüllt. Kein Schmeichler wagte es, sich den Kindern des Regenten zu nähern und ihnen mit ge- bogenem Knie giftigen Weihrauch zu streuen. Vielleicht trieb der kriegeri- sche König die Einfachheit in der Erziehung seiner Kinder zu weit, viel- leicht versäumte man, dem Prinzen einen würdigen Mentor zu geben, vielleicht pries man ihm nur die militairischen Tugenden, ohne ihn auf die Liebenswürdigkeit eines Bayards aufmerksam zu machen, durch die allein der größte Held auch als Mensch groß wird. Man sagte von Leib- nitz, er sei alles geworden, was er hätte werden wollen: vom Prinzen Wilhelm könnte man sagen, daß er mit Allem geboren wurde, was Leib- nitz durch Zeit und Mühe erwarb. Der Same des Schönen und Edeln lag in ihm tief und verborgen und keimte erst nach dem Tode des stren- gen Vaters. Das hohe Vorbild eines geliebten Bruders, glänzend als Held und als Philosoph, regte ihn zum Nacheifer an und steigerte in ihm bis zur Leidenschaft den Wunsch, sich zu bilden. Eine lebhafte Phantasie, ein richtiger Verstand, Neigung zum Guten, Heiterkeit und ein seltenes Gedächtniß waren seine wesentlichen Vorzüge. Wie schnell mußten seine intellektuellen Kräfte bei so glücklichen Anlagen wachsen und gedeihen! Nach wenigen Jahren hatte er wenigstens eine allgemeine Kenntniß jeder Wissenschaft erworben, und man hätte von ihm sagen können, wie die Bibel vom Salomo: „er kannte Alles, von der Ceder bis zum Ysop.“ Besonders hatten die Künste in ihm einen Beschützer. Er war Zeichner, Maler, Tonkünstler. Das Violoncell war sein Lieblings-Instrument. Er entwarf eigenhändig die Risse zu seinen Palästen und Gärten, und ent- zückte als Mimiker auf dem Theater. Seine Züge waren regelmäßig und trugen das Gepräge eines wohlwollenden Herzens; sein hoher Wuchs — weit über dem gewöhnlichen — machte sein Aeußeres nur edler und im- posanter. Sein Herz war weich. Schönen, besonders geistreichen Augen konnte er nicht widerstehen, doch opferte er oft seine Liebe der Freundschaft, denn nie war ein Prinz, nie ein Mensch ein treuerer Freund, und nie brachte Zeit oder Entfernung die geringste Aenderung in seinen Gesin- nungen hervor. Ich darf mich rühmen, daß er mich ununterbrochen, bis kurz vor seinem Ende, mit den geistreichsten, liebenswürdigsten und herab- lassendsten Briefen beehrte. Er war glänzend, großmüthig, aber nie ver- schwenderisch. Alles, was er anordnete, stand im richtigen Verhältnisse zu seinem hohen Stande. In seinen Adern floß Heldenblut, allein seine Tapferkeit wurde durch Ueberlegung geleitet. Er liebte den Krieg und studirte während des Friedens unausgesetzt die Theorie desselben mit dem Prinzen Heinrich. Kurz vor der Vermählung des Hochseligen legte ihm der König, der sich ohne Nachkommen sah, den Titel eines Prinzen von Preußen bei, und wirklich schien er zum Regenten geboren zu sein, denn er verstand die große Kunst, zu befehlen. Er verehrte seine Eltern, liebte seine Ge- schwister und betete im Geheim seine Kinder an, obgleich er dies Gefühl aus einer Art falscher Scham verbarg. Sein Volk ging ihm über Alles. Sein einziger Fehler war vielleicht nur, daß er zu sehr am Adel und am Offizierstande hing, und wesentliche Verdienste oft nicht anerkannte, wenn sie dieser äußern Vorzüge beraubt waren. Sein erstes Erscheinen war kalt, doch bald sah man ihn sich mild erwärmen, geistreich, lebhaft und heiter sein. So beurtheilte ihn auch Voltaire, der mir mehr als einmal von ihm sagte: „Je n’ai jamais vu un homme plus aimable et d’une plus grande sagacité, que le Prince de Prusse.“ (Bielfeld.) Gleich enthusiastisch schreibt der Chevalier Chasot im Sommer 1746 über ihn. Chasot hatte ein Duell gehabt und seinen Gegner (Bronikowski) getödtet. Er kam nach Spandau auf die Festung, wo ihm der Prinz, dessen Regiment in Spandau garnisonirte, in der liebenswürdigsten Weise entgegenkam. Son Altesse Royal (so schreibt Chasot) eut la bonté de me mener avec elle sur tout le rempart jusqu’au bel appartement qu’elle m’y avait destiné et dont elle voulut bien elle-même me mettre en pos- session. Cet aimable et gracieux Prince me dit alors ce peu de mots qui resteront toujours gravés dans ma mémoire et dans mon cœur: Adieu Chasot, gardez votre bonne humeur, je viendrai vous voir. Les honnêtes gens vous feront compagnie et comme la belle promenade sur le rempart vous donnera à tous de l’appetit, ma cuisine et ma cave en ville ne laisseront rien manquer à votre ta- ble, quelque nombreuse que soit votre compagnie. Allez-vous repo- ser, faites panser vos blessures et moi, je retourne à Berlin. Quelle humanité, quelle affabilité et quelle bonté de la part d’un aussi grand Prince! Le séjour dans la forteresse de Spandau fut par les attentions et les bontés de Son Altesse Royale pour moi un séjour le plus agréable que possible. 3. ( Die jetzige Kirche in Oranienburg ,) die an Stelle der 1788 niedergebrannten aufgeführt wurde, ist ein sehr dürftiger Bau, was jeder begreifen wird, der erfährt, daß sie für 7500 gebaut wurde. Sie droht jetzt fast einzufallen. Vor einigen Jahren genehmigte Friedrich Wil- helm IV. einen Neubau und sprach den Wunsch aus, daß die neue Kirche nach dem Vorbild der Santa Saba in Rom (eine kleine Basilika) gebaut werden möge. Noch aber behilft man sich mit der alten Kirche; vielleicht fehlt es wieder an den Mitteln. An der Altarwand befindet sich eine „Maria mit dem Kinde“ von Bernhard Rode, wohl erhalten, aber eine sehr mittelmäßige Leistung. 4. ( Im Waisenhause ) befindet sich außer den im Text genannten Bildern, auch ein altes Portrait Friedrichs des Großen, als Bild völlig werthlos, und nur dadurch interessant, daß der König ein Buch in Hän- den hält, auf dessen Rückseite „ Gellerts Fabeln “ steht. Dies ist muth- maßlich eine Art Demonstration, und wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir annehmen, daß das Bild von einem jener vaterländischen Künstler herrührt, die damals — namentlich in Gemeinschaft mit Männern der Wissenschaft — eine Reaktion gegen das Französische versuchten. Buch. Benutzt: Koenig’s Versuch einer historischen Schilderung der Stadt Berlin. Foersters Neure und neuste preußische Geschichte. Fidicin’s Nieder-Barnim. Berghaus Landbuch der Mark Brandenburg. Mündliches. Blumberg. Benutzt: Varnhagens Biographie des Freiherrn v. Canitz. Canitz Gedichte, herausgegeben von Bodemer. Koenig’s Geschichte Berlins. Poellnitz Lebensgeschichte der vier letzten Regenten. Klein’s Geschichte der Marienkirche. Mündliche Mittheil. Schmidt von Werneuchen. Benutzt: Mündliche und briefliche Mittheilungen. Prenden. Benutzt: Moerner’s Märkische Kriegs-Obersten des 17. Jahrhunderts. Koenig’s Biographie Otto Christophs v. Sparr. Kuhn’s und Schwarz’s Norddeutsche Sagen. Mündliches. ( Das Stadthaus des Feldmarschalls Sparr ) — später ge- hörte es dem Minister Adam Otto von Viereck , dem in der Kirche zu Buch ein großes Monument errichtet wurde — lag in der Spandauer- straße und bildet jetzt mit seinen Seiten- und Hintergebäuden den drit- ten Posthof. Unmittelbar zur Linken, wenn man aus dem zweiten Post- hof in den dritten eintritt, befindet sich ein in Stein gehaunes Brustbild des alten Sparr und unter demselben folgende, im Auftrag der Baronin von Blumenthal (geb. v. Schwerin) angefertigte Inschrift: Aeternitati Sacer Heros Illustrissim. L. B. Otto Christoph de Sparr Coeli Possessiones occupaturus Gratam circumspexit Posteri- tatem et Linquendae huic sedi Singulari Mentis Destinatione Here- dem fecit Illustriss. Dominam Louisam B. de Blumenthal ex Domo Schwerina Atque Ea Testatura Benefico Cineri Quanti fuerit hoc inter vivos donum Simul Ut Perennius Esset Generosae Mentis Mo- numentum Ingenti id. Sumptu A Damnosa Die Vindicavit et Restituit In firmitatem et decus hoc Quod lectos prospicis Servet hunc verti- cem Salus et Limen custodiat Jehovae Vigil. oculus Heroi autem nostro. In Sion Esto Habitatio Et in Pace locus ejus Anno 1668. ( Das Sparrsche Erbbegräbniß in der Marienkirche zu Berlin.) Dasselbe, an der Nordseite des Chors gelegen, besteht in einem Anbau, dessen oberer Theil einen kleinen, jetzt zum Theil zur Bibliothek eingerichteten Saal enthält. Darunter befindet sich die eigentliche Gruft , über deren am innern Chor befindlichem Eingang sich das Grabdenkmal von weißem Marmor erhebt. Dasselbe zeigt in architektonischer Einfassung von zwei Säulen nebst Sims einen etwas über lebensgroßen geharnischten Mann, kniend betend vor einem Pult, auf welchem ein Buch nebst Todtenkopf und Crucifix. Hinter dem Betenden, zur Linken des Beschauers, ein helm- tragender Edelknabe in ganzer Figur. Unter der Decke des Pultes schaut mit nach seinem Herrn gewandten Kopfe ein Hund hervor. An der mit leiser Architekturandeutung versehenen Fläche hinter der Hauptfigur stehen in deutscher Sprache die Verse Hesek. 37, 3—6 und Hiob 19, 25. Ueber dem Sims eine gleichsam zum Giebel sich gestaltende Gruppe: inmitten das einfache Sparr’sche Wappen von Mars und Minerva („Tapferkeit und Standhaftigkeit“ wie König sagt) gehalten, zu deren Seiten je zwei an Geschützen gefesselte sitzende Figuren. Dahinter eine Anzahl Fahnen. Das Ganze, im Uebergang vom Renaissance zum Baroquestil, trägt zwar in der freilich gebotenen, herkömmlichen Anordnung die Manier oder den Charakter der Zeit, ist dagegen in der individuellen Ausführung höchst verdienstlich. Ist gleich ein geharnischter Mann der möglichst ungünstige Gegenstand für Sculptur; so sind doch Kopf und Hände der knienden Hauptfigur vortrefflich modellirt, überhaupt, soweit irgend thunlich im Ganzen, wie in den Theilen, zumal den Nebenfiguren, eine Richtung auf das künstlerisch modificirte Reale, die künstlerisch veredelte Natur unver- kennbar. Es ist etwas von dem kräftigen Geist Schlüters, verbunden mit einem leisen Hauch der Manier der französischen Bildhauer des vorigen Jahrhunderts. Zwei Fragen sind immer noch unerledigt: wen stellt dies Grabmal dar? und wer hat es gemacht? Zuerst also: wen stellt es dar? Es kann nur die Wahl sein zwi- schen dem Feldmarschall Otto Christof oder dem Gr. Ernst Georg. Für jenen spricht das Herkommen auf dergleichen Denkmalen den Stifter darzustellen; für diesen, daß er der Erste zur Gruft hinabstieg. Daß im letzten Fall nicht das Wappen der ältern Grafenlinie, sondern das ein- fache Sparr’sche das Grabmal krönt, dürfte nicht irren: es ollte eben eine Gesammtliniengruft werden. Allein, wofern sonst die vorhandenen Por- traits Otto Christofs und Ernst Georgs ähnlich, so ähnelt der kniende Fürbitter von Marmor eben keinem von ihnen — obwohl es freilich immer mißlich, ein gemalt Portrait und eine Büste zu vergleichen. Soll aber durchaus eine Aehnlichkeit da sein, so ist sie freilich eher noch mit dem Portrait Ernst Georgs, als mit dem Otto Christofs vorhanden, und so hat denn auch König entschieden. Dagegen kann eine genaue Ver- gleichung des auch als Kupferstecherarbeit nicht üblen Portraits Otto Christofs auf der 527. Seite des 1663, also noch bei seinen Lebzeiten er- schienenen Theil VI. des Theatr. Europ. mit dem Kopfe des Denkmals an der Identität beider kaum einen Zweifel belassen. Ueberdies ist durch- aus unwahrscheinlich, daß das Monument in dem kurzen Zeitraum vom September 1666 (wo Graf Ernst Georg starb) bis in den Anfang 1668, also binnen Eines Jahres hergestellt worden sei, andrer Inconvenienzen nicht zu gedenken, und das müßte es doch sein, wenn es den Gr. Ernst Georg vor- stellen sollte, dem eben nur sein Vorantritt im Tode und zur Gruft solches Anrecht erworben haben könnte. Dazu kommt die ganze Anlage des Eingangs zur Gruft, die entschieden von vornherein auf das hochragende Monument be- rechnet war, welches sicher beim ersten Entwurf mit in Anschlag kam; statt daß jede spätere Herstellung es mehr oder minder als ein Zufälliges erscheinen lassen müßte. Ich halte mich demnach für völlig über- zeugt, daß das Monument eben nur den Stifter, Otto Christof, vorstelle . Ganz absurd ist die Angabe bei Küster a. a. O., daß die Hauptfigur der bei Lepanto gefallene Johanniter-Comthur Joachim Sparr sei. Die zweite Frage ist, wer ist der Künstler, der dies Grab- denkmal muthmaßlich geschaffen hat? Die Tradition nennt als den Künstler Artus Quellinus (König S. 76, Nicolai 858 zweifelnd) und zwar genauer den zu St. Truijen geb. Artus Quellinus den Sohn, Schüler seines gleichnamigen Vaters ( Nagler , Künstlerlex. ꝛc.). Auch die Quelle dieser Sage habe ich nicht zu entdecken vermocht. Der Zeit und den mannigfachen Beziehungen nach, welche damals von hier aus nach Holland stattfanden, wäre es wohl möglich. Selbst der vielfache und langjährige Aufenthalt Otto Christofs Sparr am Niederrhein hätte auf die Wahl des Künstlers von Einfluß sein können. Vielleicht auch, daß ein schärfstes Auge eine gewisse Aehnlich- keit, zumal in den kleinen Ornamenten des Denkmals, mit dem Stil des ältern Artus Quellinus, wie er uns in seinen Arbeiten am Amsterdamer Rathhaus in seines Bruders bekanntem Werk über dieselben entgegentritt, entdecken mag. Dennoch kennt die hiesige Kunstgeschichte von Werken des Artus Quellinus außer diesem fraglichen Monument, nur eben so fragliche ehedem im Potsdamer Lustgarten, auf dem Rondel nach der Havel zu befindlich gewesene „vier Prinzen von Oranien von Marmor.“ (Nicolai 1167.). Das Denkmal selbst trägt, soweit ersichtlich, keines Künstlers Namen oder Chiffre . — Das Monument hat übrigens mehrfache, wenn auch nicht gerade er- hebliche Verletzungen und kleine Alterationen erlitten, weil es, vermöge wohl jener Kirchenreparatur von 1817, ganz oder zum Theil von der Wand abgenommen gewesen. Von der Sparr’schen Familie haben inzwischen aller Wahrscheinlich- keit nach nur die genannten drei: Ernst Georg, Otto Christof und Georg Friedrich ihre Ruhestätte in der Gruft gefunden. 1766 waren (Kirchen- akten zufolge) sechs große und zwei kleine Kinderleichen darin beigesetzt und etwa noch Platz für zwei bis drei. Die Todtenregister nennen bis dahin außer den drei Sparr’s, den 1733 verstorbenen bekannten Minister von Creutz und ein ihm 1718 vorangegangenes Kind. 1791 wird noch dessen Wittwe (?) „Frau Gertrud von Creutz Exc.“ daselbst beigesetzt. Wer die übrigen, ist nicht genau bekannt. Der Anblick der Gruft ist jetzt etwas wüst. Rechts am Eingang steht lediglich ein Kindersarg: links nach der Tiefe sind eine kaum mehr unterscheidbare, beträchtliche Anzahl von Eichensärgen — weit mehr als die Angabe von 1766 besagt — bis zu dreien über einander geschichtet. Wahrscheinlich wurden sie zumeist erst in Folge der mehrerwähnten, um- fänglichen Reparatur der Marienkirche, aus andern ausgeschütteten Grüften hier untergebracht. Die schweren Sparr’schen Metallsärge stehen zu hinterst und unterst, fast völlig unzugänglich; einer — ich muthmaße der Ernst Georgs — in einer besondern Vertiefung unter den übrigen. Die sonstigen ehedem im obern kleinen Saal des Erbbegräbnisses über der Gruft aufbewahrten Sparr’schen Reliquien befinden sich jetzt im Chor der Kirche. Es sind an der Südseite die Gedächtnißtafel zu Ehren des bei Lepanto gebliebenen Joachim Sparr und die lebensgroßen mit Inschriften versehenen Portraits Otto Christofs und des Gr. Ernst Georg. Die gleichgroßen inschriftlosen Portraits an der Nordseite stellen zweifellos Ernst Georgs Söhne, die Grafen Vladislaus und Johann Ernst vor. Den Erstern kennzeichnet der Degen an der rechten Seite, und der rechte in rother Binde getragene Arm. Er hatte denselben 1664 vor Kanischa verloren. Das Bild mußte demnach zwischen 1664 und 1669, seinem To- desjahr, gemalt worden sein. Johann Ernst wird durch die Aehnlichkeit mit seinem Bruder hinlänglich bezeichnet. Sein Portrait müßte inzwischen erst nach 1668 entstanden sein, da es ihn als Ritter des Johanniterordens darstellt, in welchen er nicht früher als am 22. September des genannten Jahres aufgenommen ward. Es sind eben die Portraits jener vier Sparr’s, für welche ursprünglich und namentlich das Erbbegräbniß ge- stiftet wurde. (Alle diese Angaben, soweit sie das Erbbegräbniß betreffen, sind dem vortrefflichen, obengenannten Moerner’schen Buche über die Sparr’s entnommen.) Gusow. Benutzt: Mündliche Mittheilungen. Gleich beim Eintritt in’s Dorf (von der Oderbruch- oder Platikower Seite her) bemerkt man zur Linken ein zweistöckiges altes Fachwerkhaus, das bis in die Derfflinger-Zeit zurückweist und damals als Kaserne (wahrscheinlich für einen kleinen Trupp Derfflinger’scher Dragoner) diente. Jetzt ist die ehemalige Kaserne ein Armen- oder Familienhaus geworden und sieht auch danach aus. Küstrin. Benutzt: Preuß , Friedrichs des Großen Jugend. Foerster’s Fried- rich Wilhelm I. Kutschbach’s Geschichte der Stadt Küstrin. Mündliche und schriftliche Mittheilungen. ( Ueber Oberst v. Ingersleben ) schreibt General v. d. Marwitz in seinen Memoiren folgendes: „Im Jahre 1792 auf dem Rückzuge aus der Champagne hatte dieser Ingersleben den Orden pour le mérite auf folgende Weise erhalten. Der König setzte großen Werth darauf, kein Geschütz stehen zu lassen. Eines Tages quälten sich die Artilleristen mit einer solchen Kanone, als eben das Regiment, in welchem Ingersleben stand, vorbeiging. Dieser saß auf einem seiner gewaltigen Gestalt angemessnen riesigen Braunen, der noch sehr wohl im Stande war. Er hatte den König von weitem kommen sehn, sprang vom Pferde, steckte seinen Braunen in eins der Geschirre, ließ aber wohlbedacht den Sattel mit Pistolenhalfter und der großen goldge- stickten Parade-Chabraque darauf, schrie tüchtig, that sehr geschäftig, legte selbst Hand an und trieb so, wie der König vorbeiritt, die Kanone aus dem Koth heraus. Der König fragte sogleich, wem das Pferd gehöre? und gab ihm den Orden, so wie er aber nur weit genug weg war, spannte Ingersleben seinen Braunen wieder aus, setzte sich auf und ließ die Kanone stehen. Nachher wurde er wegen üblen Betragens vor dem Feinde vom Regiment entfernt und später durch Fürsprache Commandant von Küstrin. Schloß Coepenick. Benutzt: Fidicin’s Teltow. Merian’s Topographie. Koenig’s Geschichte der Stadt Berlin. Poellnitz , Lebensgeschichte der vier letzten Regenten. Preuß , Friedrich der Große. Foer- ster’s Friedrich Wilhelm I. Danneil’s Vollständige Pro- tokolle des Koepenicker Kriegsgerichts über Kronprinz Friedrich. Hesekiel’s Untersuchungen über das Leben des Freiherrn v. Krohne. Berghaus , Landbuch der Mark Brandenburg. Mündliche und briefliche Mittheilungen. Die Kriegsgerichtssitzung am 28. Oktober 1730. Bis in die allerneuste Zeit hinein haben über diese denkwürdige Kriegsgerichtssitzung allerhand Unklarheiten, schwankende Angaben und Irrthümer geherrscht. Dieselben sind ganz vor Kurzem erst durch eine Veröffentlichung aus dem trefflichen Schulenburg’schen Archiv zu Salz- wedel beseitigt worden, eine Veröffentlichung (ein Verdienst des Herrn Danneil), die unter dem Titel: „ Vollständige Protokolle des Coepenicker Kriegsgerichts über Kronprinz Friedrich, Lieu- tenant von Katte, von Kait u. s. w.“ im R. Deckerschen Verlage zu Berlin erschienen ist. Aus dieser Sammlung von Protokollen ersehen 30 wir, daß die im Text genannten 15 Offiziere (der Vorsitzende, General- lieutenant Achatz v. d. Schulenburg, war der 16.) am Tage vor dem Kriegsgericht, also am 27. Oktober, im Schloß zu Coepenick zusammen- traten und zunächst in 5 Gruppen (drei General-Majors, drei Obersten, drei Obristlieutenants, drei Majors und drei Hauptleute) beriethen, dem- gemäß auch 5 vorläufige Urtheile zu Protokoll gaben. Das sechste (vor- läufige) Urtheil war das des Vorsitzenden, Generallieutenants v. d. Schu- lenburg, das aber nicht am 27. schon, wie die Urtheile der andern Offiziere, sondern erst am Morgen des 28., also wahrscheinlich ziemlich unmittelbar vor der am selben Tage stattfindenden großen, allgemeinen Kriegs- gerichtssitzung abgegeben wurde. Alle die Urtheile haben, wenn auch nicht im Ausdruck so doch in der Anschauung der Sachlage, eine große Aehn- lichkeit; sie erklären alle, daß sie ein Urtheil über den Kronprinzen für Sache des Königs und nicht des Kriegsgerichts erachteten und daß der Lieutenant Hans Herrmann v. Katte nicht mit Lebensstrafe, sondern mit ewigem Gefängniß zu belegen sei. Das Urtheil des alten Generallieutenants von der Schulenburg ist das klarste, kürzeste, übersichtlichste und stehe deshalb hier seinem Wort- laut nach: Votum Praesidis. Nach fleißiger und genauer Erwegung sämmtlicher dem General-Kriegs- gericht vorgelesenen Acten finde ich, desselben Praeses nach meinem Gewissen und abgestatteten Eyde mich verbunden 1. Was den Cron-Printzen betrifft, denen sämmtlichen dahin gehen- den votis beyzufallen, daß aber deßelben jetzige Sache nach ihren Um- ständen von einem Krieges-Recht nicht gesprochen werden könne, sondern Sr. K. M. zu überlassen sey, welchergestalt Sie deßen wiederholte wehmüthige Reu Bezeugung, submission und Bitte als König und Vater in Gnaden anzusehen geruhen möchten. 2. So viel den Hans Herrmann Katten anlanget, muß ich denjeni- gen votis beystimmen, welche ewigen Vestungs-Arrest erkannt haben; Allermaaßen deßelben sonst böser Raht und Anschläge, auch dem Cron- Printzen zur Flucht so offt versprochene und abgeredete Hülffe dennoch zu keinem Effect und Würklichkeit gelanget, jenes noch nicht — so weit ge- kommen, daß dem Katten Zeit und Orth feste gesetzet worden, also daß er das Vorhaben zu gewissen und unfehlbaren Execution hätte bringen können. Aus meiner gesunden Vernunfft aber und vor mich ich nicht an- ders begreifen kann, als daß auch in denen grösten Verbrechen ein sonder- bahrer Unterschied zwischen würklicher Vollziehung der vorgenommenen bösen That und zwischen denen dazu allererst genommenen Mesures seyn müßen, und eine Lebens-Straffe zwar bey jener, nicht aber bey diesen stattfinden könne. Und da es in diesem Falle noch zu keiner würklichen Desertion gekommen, so kann ich nach meinem besten Wißen und Ge- wißen, auch dem theuer geleisteten Richter-Eyde gemäß den Katten mit keiner Lebens-Straffe, sondern mit ewiger Gefängniß zu belegen mich entschließen. 3. Wegen des von Spaen halte dafür, daß deßelben Straffe wegen Verschweig- und Verheelung des Cron-Printzen Vorhabens auf Cassation und dreyjährigen Vestungs-Arrest zu richten. 4. Der von Ingersleben sein ungebührliches Verhalten mit sechs Monatlichen Vestungs-Arrest, worinnen die bereits ausgestandene Zeit mit begriffen zu verbüßen hat. 5. Der desertite Kait aber nach Kriegs- Manier zu citiren und wann er nicht erscheinet, der Degen zu zerbrechen und sein Bildniß an Galgen zu hangen sey. Coepenick den 28. Octbr. 1730. gez: Achatz von der Schulenburg. Dies Votum des Vorsitzenden war der Schlußstein der Einzel- Beschlußfassungen. Gleich darauf (am 28.) traten nun die 5 Gruppen, unter Hinzuziehung des Generalauditoriats und unter Vorsitz des alten Schulenburg, zur eigent- lichen Kriegsgerichtssitzung zusammen. Alles in allem 18 Personen. Das Urtheil, das nun von der Gesammtheit gefällt wurde, ist ziemlich um- fangreich (es füllt 12 Seiten), weshalb hier nur die Sentenz über den Kronprinzen und ein Schlußpassus aus dem Urtheil über Katte stehe. Urtheil des Kriegsgerichts in Sachen des Kronprinzen K. H. In Sachen der von S. K. H. den Cron-Printzen in Preußen mit denen gewesenen Lieutenants von Katte und von Kait verabredete, aber nicht zu Stande gebrachte Flucht betreffend; Haben von S. K. M. in Preußen, zu den in Cöpenick darüber zu haltender Kriegs Gericht, wir allergnädigst commandirte und vereydigte Praeses und Assessores, nach Vorlesung derer desfalls ergangenen Acten, alles reiflich erwogen, Und da S. K. M. in Dero unterm dato Wusterhausen den 22. October 1730 wegen dieses Kriegs Gerichts ergangenen und Uns publicirten ordre allergnädigst be- fohlen, solches auch uber obgedachten Dero Cron-Printz zu halten, So finden wir zwar nicht allein vor uns selbst aus denen Acten, sondern auch aus des Cron-Printzen zu unterschiedenen Mahlen, und in sonderheit fol. 276 des zweiten Voluminis derer in dieser Sache ergangenen Acten und protocollum bestehenden Bekentniß und demüthigem Erkentniß gegen S. K. M. daß Er unrecht gethan und dieselbe beleydiget, aber auch nunmehro mit der allerdemüthigsten Submission gegen S. K. M. gehei- ligte Persohn durch erwähnte ad acta beschehenen Declaration und Abbitte solche Beleidigung in den Arrest sehr bereuet und S. K. M. als Königs und Vaters Beahndung und Willen sich in allen ergiebt, auch da Er als 30* ein junger Printz Anfangs Sich übereylet, und nachhero von bösen Men- schen durch ihren Beyfall gegebenen Rathschlägen und Versicherung ihrer Hülffe und Mitflucht in solchen dessein unterhalten worden, dieses seines begangenen Unrechts Vergebung und Gnade bittet. Uebrigens die von den Cron-Printz intendirte, aber nicht exequirte Flucht, und was S. K. M. Dero Cron-Printzen wegen bisherigen Ungehorsams und sonst insbe- sondere vorhalten laßen, als eine Staats und Familien Sache anzusehen, so hauptsächlich eines großen Königs Zucht und Potestat über Seinen Sohn betrifft und welche einzusehen und zu beurtheilen ein Kriegs Gericht sich nicht erkühnen darff . Als finden wir uns zu schwach und unvermögend, darüber ein Decisum oder Sentenz abzufaßen, und müßen wir vielmehr alles S. K. M. höchsten und väterlichen Gnade überlaßen. Cöpenick den 28. Octbr. 1730. A. v. d. Schulenburg. C. De Schwerin. A. G. v. Dönhoff. Ch. v. Linger. C. R. v. Derschau. A. C. L. v. Stedingk. v. Wachholtz. A. v. Weyher. C. F. de Schenck. F. A. v. Milagsheim. G. E. von Einsiedel. J. G. v. Lestwitz. C. D. v. Lüderitz. A. F. v. Itzenplitz. A. v. Pudewels. A. v. Jeetze. Mylius G. F. Gerbett. General Auditeur Lieutenant. (Vor jedem der 18 Namen ein Siegel.) Urtheil des Kriegsgerichts in Sachen wider den gewesenen Lieutenant Hans Herrmann v. Katte. (Schlußpassus.) „Da übrigens, was des Cron-Printzen vorgenommene Flucht anlanget, der Inquisit (Katte) nicht nur, wie oberwehnet, davon völlige Wißen- schafft gehabt, aber verschwiegen, sondern auch selbst dabey Anschläge gege- ben, und zur praeparation durch Annehmung der Sachen, Verfertigung des Kleydes, und sonst, wie aus obigen Umständen erhellet, behülfflich gewesen, ja selbst geglaubet, daß er den Cron-Printzen dadurch, daß er Ihm Hoffnung gemacht, er, Inquisit werde Uhrlaub zur Werbung bekom- men, also unter diesen praetext das Dessein mit den Cron-Printzen ausführen können, Denselben in solchen Vorsatz gestärcket, und sich auf allerley Arth zur Ausführung der vorgehabten Flucht, auch so gar durch eine Reyse nach Engelland wollen gebrauchen laßen; Mithinn darinnen der vornehmste Vertraute des Cron-Printzen gewesen, und zugleich gewust, daß der Cron-Printz den Lieutenant von Kait in solche Sache mitgezo- gen, und derselbe mitgehen wollen, aber auch dieses verschwiegen, und bey solcher cachirung der Sache geblieben, da Ihm so gar von dem Dähni- schen Envoyé, General von Löwenohr Vorhaltungen des auf Inquisiten fallenden Verdachts geschehen, und also hieraus nichts anders zu schließen, als daß es sein rechter ernster Vorsatz gewesen zu desertiren , und mit den Cron-Printz fortzugehen; Aus dieser Sache aber, da sie nicht zu Stande geckommen, sondern durch Gottes Schickung und Gnade gehindert worden, bereits S. K. M. und Dero Königl. Hauß und Lande in Unruhe und Betrübniß gesetzet worden, und wann es zu Werck gekommen wäre, noch andere Sviten daraus hätten entstehen können; Und daher der Inquisit einer harten Straffe werth ist: Jedoch aus deßfalls denen Rechten nach, und zu S. K. M. Erbar- mung über ihn, zu erwegen ist, daß diese Entreprise zu keinen wirkl. Effect gekommen, viele Jugend Projecte mit untergelauffen, eine herzliche Reue von den Inquisiten, welcher es auch freywillig bekant hat, bezeuget, und des Königs Gnade mit sehr beweglicher Vorstellung gebethen wird, Als wird Inquisit Katte dieses seines Verbrechens wegen mit ewigen Vestungs Arrest billig bestraffet.“ Der König war bekanntlich mit diesem Spruch des Kriegsgerichts nicht zufrieden, wie aus folgender eigenhändigen Bemerkung hervorgeht: Votum regis. Sie sollen recht sprechen, und nit mit dem Flederwisch darüber gehen, da Katte also wohl ...., soll daß Kriegsgerichte wieder zusammen kom- men und .... anders sprechen. F. W. (Auf der Rückseite des Blattes steht von der Hand des Königs: 5. Buch Mose Cap. 17 V. 8—12. — 2. Buch Samuelis Cap. 18 V. 10 bis 12. — 2. Buch Croni 19 V. 5. 6. 7.) Diese Antwort des Königs traf, von Wusterhausen aus, am 30. Okto- ber in Coepenick ein, wo, sehr wahrscheinlich in Gemäßheit Königlichen Befehls am 31. Oktober das Kriegsgericht nochmals zusammentrat. Es waren aber nicht Leute, die sich durch Stirnrunzeln einschüchtern oder um- stimmen ließen, und Achaz v. d. Schulenburg antwortete (muthmaßlich durch die Hand des General-Auditoriats, wofür die Fassung und das „der Herr Praeses“ zu sprechen scheint) noch selbigen Tags: Der Herr Praeses , nachdem derselbe nochmahls reifflich erwogen und wohl über- leget, ob die abgesprochene Sentenz bestendig verbleiben konte, So finde er sich in seinen Gewißen überzeuget, was Er mit seinen besten Wißen und Gewißen und nach dem theuren geleisteten Richter Eydt votiret, daß er dabey verbleiben müße, und solches zu ändern ohne Verletzung seines Gewißens nicht geschehen könne, noch in seinen Vermögen stehe. Hierauf erfolgte dann die bekannte Cabinetsordre des Königs (Wuster- hausen vom 1. November 1730), worin Katte unter Umstoßung des kriegsrechtlichen Urtheils, mit dem Hinweis, „daß es besser wäre, daß er stürbe, als daß die Justiz aus der Welt käme“ zum Tode verurtheilt wurde. Die Müggelsberge. Benutzt: Kuhn’s märkische Sagen. Mündliches. Der Müggelsee. Benutzt: Kuhn’s märkische Sagen. Mündliches. Klein-Machenow. Benutzt: v. Hake’s Geschichte der Familie v. Hake. Mündliches. Schildhorn. Benutzt: Berghaus Landbuch. Kuhn’s märkische Sagen. Geist von Beeren. Benutzt: Mündliche und briefliche Mittheilungen. Töwenbruch. Benutzt: Mündliche und briefliche Mittheilungen. Festgedicht zu Ehren des Herrn v. d. Knesebeck und des Bürger- meisters Beiersdorf , das (vom Superintendenten Bolte in Fehrbellin gedichtet) am Sylvesterabend 1808 den genannten beiden Herren über- reicht wurde. Hemmet den eilenden Flug, des Jahres letzte Minuten; Weilet gefällig noch hier, liebliche Kinder der Zeit! Daß ihr vernehmt den Gesang, den tief gefühlet im Herzen Dank und feuriger Wunsch über die Lippen ergießt. Trübe gingst du hervor, du jüngstgeborner des Kronos; Nacht umringte dein Haupt, Nebel umwölkte die Stirn! Auch dein tröstender Stern, der sonst, o himmlische Hoffnung! Freundlich die Erde begrüßt, traurenden Herzen so werth, Barg sein milderes Licht dem oft getäuscheten Auge, Und die peinliche Furcht herrschte mit kühner Gewalt! Zwar vom Nimen hatt’ uns Irene’s Palme gewinket, Aber noch waltete streng fremdes Gesetz und Gebot. Kriegesgetön’ umrauschte das Ohr des schüchternen Bürgers, Und die heimische Flur stampfte das eherne Roß. Laren weinten vor Gram, es weinten die treuen Penaten; Nicht für Gatten und Kind flammte der sichere Heerd. Traurend sah es Sylvan, Pomon’ und die bräunliche Ceres; Und das Friedrichsgestirn glüh’te erröthend im Zorn. Denn dem Pflüger gedieh ja nicht der Segen der Götter; Fremde begehrten den Lohn, welcher dem Fleiße erwuchs. Da verstummte die Freud’, es floh die belebende Hoffnung Und der göttliche Muth, und der gefällige Scherz. Statt der Tugenden Chor schlich her am Stabe die Armuth, Die verzweifelnde Sorg, und die entnervende Scheu. Es erstarrte das Herz im tödtenden Eise der Selbstsucht Und mit Schlangengezisch tauchte die Zwietracht hervor. So erschienst du uns, du Jüngstgeborner des Kronos! Aber wir fluchen dir nicht, siehe, wir fluchen dir nicht. Denn kaum hatte dein Fuß den Mittag übergeschritten, Als das schwarze Gewölk plötzlich am Himmel zerfloß. Da erschienst du uns umtanzt von freundlichen Horen, Und ein strahlender Glanz krönte dein lockiges Haupt. Und die himmlische Schaar — sie führte Borussiens Schutzgeist — Stieg mit Jubelgetön wieder zur Erde herab. Wiedergegeben ward nun — des jauchzen die Söhne der Brennen — Seinem Fürsten das Volk, seinem Volke der Fürst. Friedrich Wilhelm kehrt heim zur verödeten Halle der Väter, Und mit dem goldenen Pfeil steiget zur Sonne sein Aar. O, wie hebt sich die Brust im Hochgefühle der Freiheit! Wie erwachet der Muth! o wie ermannt sich das Herz! Lied der Liebe ertönt in der Palmenlaube des Friedens, Und der beflügelte Fuß eilt zum vergessenen Tanz. Magisch umschlingt ihr Band die alles versöhnende Freude Um den heiligen Bund traulichen Bürgervereins. Kunstlos erhebet sich hier ein Tempel geselliger Eintracht, Wo sich im bunten Gewühl Menschen mit Menschen erfreu’n; Wo von der eisernen Zeit die harte Erinn’rung vergessen, Treue die Treue umarmt, Tugend die Tugenden küßt. Steig’ empor, o Gesang, die theuren Namen zu feiern, Deren geweiheter Stirn ewig der Eichenkranz grünt. Dich vor allen begrüßt mein Lied, Du Edler vom Knes’beck Und auch Beiersdorf, Dich, einer der Väter der Stadt. Als in den Tagen des Grams die blöden Gemüther erstarrten, Und dem drohenden Sturm jegliche Seele erlag, Tratet Ihr kühnlich hervor, gesetzt und weis’ und besonnen, Zu beschwören den Sturm, der uns Verderben gedroht. Vor der Zaubergewalt der feineren Sitte und Rede Neigte sich herrischer Stolz, beugte sich feindlicher Trotz. Willig huldigten Euch Napoleons menschliche Fürsten; Aber der Tugend Gewinn, die sie verehrten, ward uns. Nie ermüdetet Ihr im redlichen Eifer für’s Ganze, Der, vergessend sich selbst, Brüdern nur denket und lebt. So erkannte Euch stets der Hülf’ erflehende Bürger; So erleichtertet Ihr , selbst Euch vergessend die Last. O, geläng’ mir ein Lied vom braven Manne, wie Bürger Deutschlands Barde es sang, fröhlich ertönte dies Lied, Und vom Munde zu Mund’ ertönete fröhlich es wieder, Guter Knesebeck , Dir! Freundlicher Beiersdorf , Dir! Aber sie wird nur gefühlt, sie wird nicht gesungen die Liebe, Die für den lindernden Freund dankbare Herzen erfüllt. Schmecket reichlich den Lohn der selbstvergeltenden Tugend, Einzig würdigen Lohn, wie ihn die Gottheit genießt. An der göttlichen Gluth Eurer Bürgertreue und Liebe Werde das kältere Herz engen Alleinseins erwärmt. Heil Dir, gefeiertes Paar! Heil ihnen und ähnlichen Männern! Heil dann, Vaterland, dir! Heil dir, König und Volk! Bolte. Sehen wir von einzelnen Wendungen ab, die man jetzt vielleicht als „Zopfigkeiten“ bezeichnen würde, so müssen wir nicht ohne Beschämung zugestehn, daß wir in den 50 Jahren, die seitdem vergangen sind, schwer- lich Fortschritte gemacht haben und daß die kleinen Städte sich heute muthmaßlich zählen lassen, in denen man noch im Stande ist, zwei be- währt gefundene Männer in gleich guten Versen zu feiern. Auch bei feierlicheren Gelegenheiten wird jetzt schlechter gedichtet. Exempla sunt odiosa. Schloß Beuthen. Benutzt: Fidicin und Berghaus . Aufsätze von Hesekiel und L. Schneider . Mittheilungen aus dem v. d. Marwitz - schen Familien-Archiv in Friedersdorf. Mündliches. ( Generallieutenant Joachim Ernst von Goertzke ,) der „Paladin“ des großen Kurfürsten, kaufte Friedersdorff (im Lande Lebus, in der Nähe von Gusow), und besaß es bis zu seinem Tode 1682. In Schloß und Kirche daselbst befinden sich Bilder von ihm. Sein Oelportrait in der Halle des Schlosses (seit über 150 Jahren v. d. Marwitzscher Besitz) ist fast überlebensgroß. Ganz geharnischt, den Commandostab in der Rechten, die leichte Feldbinde um den Hals, so steht er da. Der Helm ruht neben ihm auf einem Felsenvorsprung, und sein langes Haar fällt dunkel und beinah lockig herab. Finsterer Ernst und kalte Bestimmtheit sprechen aus seinen Zügen. Es knüpft sich eine hübsche Anekdote an dieses Bild, charakteristisch für den Mann und die Zeit, zumal auch für die Stellung, die die schönen Künste damals in brandenburgischen Landen einnahmen. Goertzke war bei Lützen schwer ver- wundet worden und hinkte seitdem; sein linker Fuß war zu kurz geheilt worden und eine dicke handhohe Holzsohle mußte wieder gut machen, was das Unglück oder das Ungeschick des Arztes verschuldet hatte. Es scheint, daß er sich an diesen Holzfuß nicht gern erinnern ließ. Als der Maler (so wird erzählt) ihm das Bild brachte, fiel Goertzke’s Auge zuerst auf die breite Holzsohle, die der gewissenhafte Realist an den Fuß seines Helden geheftet hatte, und voll Zorn und Unmuth warf er ihn die Treppe hin- unter. Eine kaum minder empfindliche Strafe folgte nach: der alte Pala- din behielt das Bild und verweigerte die Zahlung. (Aus der Empfind- lichkeit Goertzke’s über seinen zu kurzen Fuß haben einige schließen wollen, daß er von Natur ein Hinkefuß gewesen sei; General v. d. Marwitz be- merkt aber sehr richtig, dies sei mindestens höchst unwahrscheinlich. Goertzke sei mit 16 Jahren Page bei Marie Elenore (Königin von Schweden, Schwester des großen Kurfürsten) und mit 21 Jahren Adjutant bei Gustav Adolph gewesen; es sei aber nicht anzunehmen, daß man einen Kurz- oder Hinkefuß zum Pagen für die Königin gewählt haben würde.) Auch in der Friedersdorffer Kirche begegnen wir einem Bildniß des alten Goertzke, aber nur auf seinem Grabstein, haut-reliefartig ausgemeißelt. Der Grabstein ist zur Linken des Altars aufgerichtet (in die Wand ein- gemauert) neben ihm der Grabstein seiner Frau. Der Kopf der Frau ist sehr anziehend und von einem besonderen Liebreiz; das Steinbild Goertz- ke’s selbst zeigt ein breites, markiges, tüchtiges Gesicht, aber zugleich mit einem heitern, humoristischen Zug ausgestattet, der dem Oelbilde in der Halle durchaus fehlt. Die Inschriften der beiden Grabsteine lauten wie folgt: 1. Der hochwohlgeborne Herr, Herr Joachim Ernst von Goertzke, Sr. kurfürstlichen Durchlaucht zu Brandenburg hochbestallter Generallieutnant über Dero Cavallerie, Gouverneur der Haupt-Veste Cüstrin und der dazu gehörigen Fortressen, auch Oberster zu Roß und Fuß, Erbherr auf Frie- dersdorff, Bollensdorff, Kienitz, ist geb. d. 11. April 1611ten Jahres und gestorben den 26. März 1682, allhier begraben. 2. Die hochedel geborne Frau, Frau Lucie, geborne von Schlieben, des wohlwürdigen, hochwohledelgeborenen Herrn Herrn Maximilian von Schlieben, fürstlich Nassau’schen bei dem Meisterthum Sonnenburg hoch- verordneten Statthalters, des Ritterlichen Johanniter-Ordens Senioris und Commendatoris zu Lietzen eheleibliche Tochter, ist am 13. September 1635 geboren, den 2. Mai 1654 an den Kurf. Brandenburgischen hoch- wohlbestallten General-Leutnant von Görtzke verheirathet, den 18. August 1659 selig gestorben und den 19. April 1664 allhier begraben. Die Gruft, in der die Särge stehn, ist bei der letzten Renovirung der Kirche zugeschüttet worden. Der Cantor aber erinnert sich noch zweier Zinnsärge, auf denen er, nach Entfernung von Staub und Spinnweb, die Namen Goertzke gelesen hat. Das Dorf (Friedersdorf) war während des 30jährigen Krieges gro- ßentheils niedergebrannt worden; Goertzke ließ sich den Aufbau angelegen sein. Es wird erzählt, daß er am Teich (in der Mitte des Dorfs) auf einem Lehnstuhl Platz zu nehmen und den Aufbau der Häuser zu kontro- liren pflegte. Er war einer der reichsten Männer im Lande, denn außer den drei Gütern: Friedersdorf, Bollensdorf und Kienitz, hinterließ er (ganz im Gegensatz zu dem verarmten Sparr) 8591 in Gelde, 29,250 in Obligationen, und an goldenem und silbernem Geschirr, an Kleidern, allem möglichen Hausrath, Pferden, Sätteln, Gewehren, Wagen eine unglaubliche Menge. Auch an ländlichem Reichthum 116 Wispel Roggen zu Friedersdorf. Saalow. Benutzt: Schadow’s Biographie, unter dem Titel: „Kunstwerke und Kunst-Ansichten Gottfried Schadow’s.“ Schadow’sche Briefe. Mündliche Mittheilungen. (Zwei Briefe des alten Schadow an „Lindenolts“ Mutter.) I. Meine vortreffliche Frau Gevatterin. Ihr wahrscheinlich mit eigenen Händen gebackener Oster-Quarkfladen hat mich um so unerwarteter angenehm überrascht, als ich annehmen konnte, daß Sie mich altes Exemplar nun vergessen hätten. Ihr Mann, der Herr Doctor, war längere Zeit unpäßlich; ich kann weite Wege auch nicht mehr mit Annehmlichkeit machen, und Besuche werden mir schwer, weil ich immer eine lästige Begleitung dabei nöthig habe; sonst käme ich, Ihnen persönlich meinen Dank zu bringen. Von dem Kuchen habe ich nichts abgegeben und so eben das letzte Stück zum zweiten Frühstück genossen. Die Freundin Ernestine sahe ich auch nicht. Ordre zum Erscheinen wird sie erhalten Mitte künftigen Monats, wo ich meine Tochter von Dresden erwarte. In Ihrer Familie muß was vorkommen, was die Aufmerk- samkeit junger Künstler auf sich zieht , die mir davon sprechen Die Tochter vom Hause, ein hübsches Mädchen, wuchs heran. . Grüßen Sie von mir alles um sich herum; wünschend einen Rest ver- gnügter Feiertage, verbleibe Berlin 17. April 1843. Ihr alter Getreuer Gevatter J. G. Schadow , Direktor. II. Meine Frau Nachbarin, Gevatterin und Freundin hat meiner wieder gedacht und nach alter Sitte um diese Jahreszeit den Käsekuchen (Quark- fladen) gebacken. War diesmal vorzüglich! Auch hab’ ich Anderen wenig davon abgegeben, gestern Abend das letzte davon verzehrt und bin heute mit dem gebührenden Dankgefühl davon erwacht. Hierbei ist mir wieder lebhaft in Erinnerung gekommen Ihre Mutter, die auch eine so angenehme Erscheinung war. — Das häusliche Glück sei stets mit und bei Ihnen! Zu fernerem Wohlwollen empfiehlt sich Ihnen Berlin 29. Mai 1845. Ihr alter ergebner Freund J. G. Schadow , Direktor.